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-The Project Gutenberg eBook of Segen der Erde, by Knut Hamsun
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Segen der Erde
-
-Author: Knut Hamsun
-
-Translator: Pauline Klaiber-Gottschau
-
-Release Date: September 17, 2021 [eBook #66326]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-Produced by: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SEGEN DER ERDE ***
- +------------------------------------------------------------------+
- | Anmerkungen zur Transkription |
- | |
- | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ dargestellt, Antiquaschrift |
- | als ~Antiqua~, und Kursivschrift als ¯kursiv¯. |
- | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs. |
- +------------------------------------------------------------------+
-
-
- Knut Hamsun / Segen der Erde
-
-
- ¯Knut Hamsun¯
-
-
-
-
- Segen
- der
- Erde
-
- ¯Roman¯
-
- [Illustration]
-
- ¯Deutsche Buch-Gemeinschaft¯
-
- ~G. m. b. H.~
-
- Berlin
-
-
-
-
- Berechtigte Übersetzung von
-
- _Pauline Klaiber-Gottschau_
-
- Revidiert von
-
- _J. Sandmeier_
-
- Copyright 1918 by Albert Langen, Munich
-
- Printed in Germany
-
- Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung,
- Dramatisierung, Verfilmung und Radiosendung, vorbehalten
-
- _Knut Hamsun_ _Albert Langen_
-
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-
-Erster Teil
-
-
-
-
-1
-
-
-Der lange, lange Pfad über das Moor in den Wald hinein -- wer hat ihn
-ausgetreten? Der Mann, der Mensch, der erste, der hier war. Für ihn war
-noch kein Pfad vorhanden. Später folgte dann das eine oder andere Tier
-der schwachen Spur über Sümpfe und Moore und machte sie deutlicher, und
-wieder später schnupperte allmählich der oder jener Lappe den Pfad auf
-und benützte ihn, wenn er von Berg zu Berg wanderte, um nach seinen
-Renntieren zu sehen. So entstand der Weg durch die weite Allmende, die
-niemand gehörte, durch das herrenlose Land.
-
-Der Mann kommt in nördlicher Richtung gegangen. Er trägt einen Sack,
-den Sack, der Mundvorrat und einiges Handwerkszeug enthält. Der Mann
-ist stark und derb, er hat einen rostigen Bart und kleine Narben im
-Gesicht und an den Händen -- diese Wundenzeichen, hat er sie sich bei
-der Arbeit oder im Kampf geholt? Er kommt vielleicht aus dem Gefängnis
-und will sich verbergen, vielleicht ist er ein Philosoph und sucht
-Frieden, jedenfalls aber kommt er dahergewandert, ein Mensch mitten
-in dieser ungeheuren Einsamkeit. Er geht und geht, still ist es
-ringsum, kein Vogel, kein Tier ist zu hören, bisweilen redet er ein
-paar Worte mit sich selbst. Ach ja, Herrgott im Himmel! sagt er. Wenn
-er auf seiner Wanderung an Moore und wirtliche Stellen oder offene
-freie Plätze im Walde kommt, legt er seinen Sack ab, geht umher und
-untersucht die Bodenverhältnisse; nach einer Weile kehrt er zurück,
-nimmt seinen Sack wieder auf den Rücken und wandert weiter. Dies währt
-den ganzen Tag, er sieht an der Sonne, welche Zeit es ist, es wird
-Nacht, und er wirft sich ins Heidekraut und schläft auf seinem Arm.
-
-Nach einigen Stunden geht er wieder weiter. Ach ja, Herrgott im Himmel!
-geht wieder geradeaus nach Norden, sieht an der Sonne die Tageszeit,
-hält Mittagsrast mit einem Stück Hartbrot und Ziegenkäse, trinkt
-Wasser aus einem Bach dazu und setzt seinen Weg fort. Auch diesen
-ganzen Tag wandert er ununterbrochen weiter, denn er muß sehr viele
-wirtliche Plätze im Walde untersuchen. Was sucht er? Land, Erde? Er ist
-vielleicht ein Auswanderer aus den Dörfern, denn er schaut sich scharf
-und spähend um, manchmal ersteigt er auch einen Hügel und späht von da
-umher. Jetzt ist die Sonne wieder am Untergehen.
-
-Er befindet sich jetzt auf der Westseite eines langgestreckten Tales
-mit gemischtem Wald, hier ist auch Laubwald, und Weideflächen mischen
-sich darein, stundenlang geht es so fort; es dämmert, aber der Mann
-hört das leise Rauschen eines Flusses, und dieses leichte Rauschen ist
-wie etwas Lebendiges und muntert ihn auf. Als er die Höhe erreicht,
-sieht er das Tal im Halbdunkel vor sich liegen und weit draußen nach
-Süden den Himmel darüber. Nun legt er sich schlafen.
-
-Am Morgen sieht er eine Landschaft mit Wald und Weideland vor sich
-ausgebreitet. Er steigt hinunter: da ist ein grüner Berghang, weit
-unten erblickt er ein Stück des Flusses und einen Hasen, der in
-einem Sprung darüber hinwegsetzt. Der Mann nickt, als sei es ihm
-gerade recht, daß der Fluß nicht breiter ist als ein Hasensprung. Ein
-brütendes Schneehuhn flattert plötzlich zu seinen Füßen auf und zischt
-ihn wild an, und wieder nickt der Mann: hier sind Tiere und Vögel, das
-ist abermals gerade recht! Seine Füße waten durch Blaubeerenbüsche
-und Preiselbeerkraut, durch siebengezackte Waldsterne und niedere
-Farnkräuter; wenn er da und dort anhält und mit einem Eisen in der
-Erde gräbt, findet er hier Walderde und dort mit Laub und verrotteten
-Zweigen seit Tausenden von Jahren gedüngten Moorboden. Der Mann nickt,
-hier will er sich niederlassen, ja, hier sich niederlassen, das will
-er. Noch zwei weitere Tage streift er in der Gegend umher, kehrt aber
-am Abend immer wieder zu dieser Halde zurück. Des Nachts schläft er
-auf seinem Lager aus Tannenzweigen, er ist ganz daheim hier, er hat ja
-schon ein Lager unter einem Felsvorsprung.
-
-Das schlimmste war gewesen, den Ort zu finden, einen Ort, der niemand
-gehörte, der sein war; jetzt kamen die Tage der Arbeit. Er fing sofort
-an, in den etwas weiter entfernten Wäldern Rinde von den Birken zu
-schälen, jetzt, während der Saft noch in den Bäumen war. Dann legte
-er die Rinden fest zusammen, beschwerte sie mit Steinen und ließ sie
-trocknen. Wenn er eine große Last beisammen hatte, trug er sie die
-vielen Meilen zurück ins Dorf und verkaufte sie als Baumaterial. Und
-auf seine Halde dort droben brachte er neue Säcke mit Lebensmitteln und
-Werkzeug heim: Mehl, Speck, einen Kochtopf, einen Spaten; unverdrossen
-wanderte er den Pfad hin und her und schleppte sich ab. Ein geborener
-Lastträger, ein Prahm, der durch die Wälder ging, oh, es war, als liebe
-er diesen seinen Beruf, viel zu geben und viel zu tragen, als dünke
-ihn, ohne Last auf dem Rücken zu gehen, ein faules Dasein, das für ihn
-nicht passe.
-
-Eines Tages kam er dahergewandert mit seiner schweren Last auf dem
-Rücken und außerdem mit zwei Ziegen und einem jungen Bock an der Leine.
-Er war so beglückt über die Ziegen, gerade als seien es Kühe, und er
-war gut gegen sie. Der erste fremde Mensch kam vorüber, ein wandernder
-Lappe. Dieser sah die Ziegen und erriet, daß er auf einen Mann traf,
-der sich da niedergelassen hatte, und sagte:
-
-Willst du hier dauernd wohnen? -- Ja, antwortete der Mann. -- Wie heißt
-du? -- Isak. Weißt du keine Magd für mich? -- Nein, aber ich will
-darüber reden, dort, wo ich vorüberkomme. -- Ja, tu das! Sage, daß ich
-Haustiere habe, aber niemand, der sie besorgt.
-
-Isak also, ja, auch das wollte der Lappe ausrichten. Der Mann auf der
-Halde war kein Flüchtling, er sagte seinen Namen. Er ein Flüchtling?
-Dann hätte man ihn aufgespürt. Er war nur ein unverdrossener Arbeiter,
-er sammelte Winterfutter für seine Ziegen, fing an Boden urbar zu
-machen, einen Acker zu roden, Steine wegzuschaffen, Steinwälle
-aufzurichten. Im Herbst hatte er eine Wohnung fertig, eine Erdhütte,
-eine Gamme, die war dicht und warm, sie krachte nicht in den Fugen beim
-Sturm, und sie konnte nicht abbrennen. Er konnte in diese Heimstätte
-hineingehen, die Türe hinter sich zumachen und da drinnen bleiben,
-oder er konnte vor der Türöffnung stehen und sich als den Herrn seines
-Hauses zeigen, wenn jemand vorbeikäme. Die Gamme war in zwei Teile
-geteilt, in dem einen wohnte er selbst, im andern seine Tiere. Ganz
-innen unter dem Felsen hatte er seinen Heuboden errichtet. Alles war da.
-
-Wieder kommen ein paar Lappen vorüber, Vater und Sohn. Sie bleiben
-stehen, stützen sich mit beiden Händen auf ihre langen Stöcke,
-betrachten die Hütte und das urbar gemachte Land und hören die
-Ziegenglocken oben am Hang.
-
-Ja, guten Tag, sagen sie, hier sind ja große Leute hergekommen. Die
-Lappen schmeicheln immer.
-
-Ihr wißt wohl keine Magd für mich? versetzt Isak, denn er hat nur das
-eine im Kopf.
-
-Eine Magd zur Hilfe? Nein. Aber wir wollen es weitersagen. -- Ja, wenn
-ihr so gut sein wollt. Und daß ich ein Haus und Ackerland und Vieh
-habe, aber keine Magd zur Hilfe, das sollt ihr sagen.
-
-Ach, sooft er mit seinen Birkenrinden drunten im Dorfe war, hatte
-er nach dieser Magd zur Hilfe ausgeschaut, aber keine gefunden. Sie
-hatten ihn betrachtet, eine Witwe, ein paar ältere Mädchen, es aber
-nicht gewagt, ihm Hilfe zu versprechen; woher das kommen mochte, das
-begriff Isak nicht. Begriff er es wirklich nicht? Wer wollte bei einem
-Manne dienen, draußen im Ödland, meilenweit von den Menschen, ja eine
-Tagereise von der nächsten menschlichen Behausung entfernt! Und der
-Mann selbst war nicht die Spur lieb und hübsch, im Gegenteil, wenn er
-sprach, war er kein Tenor mit gen Himmel gerichteten Augen, sondern
-hatte eine etwas tierische und grobe Stimme.
-
-Dann mußte er eben allein bleiben.
-
-Im Winter machte er große Holztröge, verkaufte diese im Dorfe und kam
-mit Säcken voll Lebensmitteln und Werkzeug durch den Schnee zurück. Das
-waren harte Tage, ja er hatte eine schwere Last. Er hatte ja Haustiere,
-und die konnte er nicht längere Zeit verlassen. Wie hielt er es da?
-Die Not macht erfinderisch, sein Gehirn war stark und unverbraucht,
-und er übte es immer mehr. Das erste, was er tat, wenn er fortging,
-war, die Ziegen loszulassen, so daß sie an den Zweigen im Walde ihren
-Hunger stillen konnten. Aber er wußte auch noch einen anderen Ausweg.
-Er hängte am Fluß ein großes Holzgefäß auf und ließ ein kleines Rinnsal
-hineinlaufen; es dauerte vierzehn Stunden, bis dies Gefäß voll war.
-Wenn das Gefäß bis zum Überlaufen voll war, dann hatte es gerade das
-rechte Gewicht, daß es heruntersank, aber indem es sank, zog es an
-einer Leine, die mit dem Heuboden in Verbindung stand, eine Luke
-öffnete sich, drei abgemessene Geißenmahlzeiten fielen herunter, und
-die Tiere hatten ihre Nahrung.
-
-Auf diese Weise machte er es.
-
-Eine geistreiche Erfindung, ja vielleicht eine Eingebung von Gott,
-dem Manne war geholfen. Es ging gut bis in den Spätherbst, dann kam
-Schnee, dann Regen, dann wieder Schnee, dauernd Schnee; da wirkte die
-Einrichtung mit der Heuversorgung verkehrt, das Gefäß füllte sich mit
-Regenwasser und öffnete die Luke vor der Zeit. Der Mann deckte das
-Gefäß zu, dann ging es wieder eine Weile gut, aber als der Winter
-einsetzte, fror das Rinnsal ein, und die Einrichtung versagte gänzlich.
-
-Da mußten die Ziegen und auch der Mann selbst entbehren lernen.
-
-Das waren harte Tage, der Mann mußte Hilfe haben, hatte jedoch keine.
-Er wurde aber deshalb doch nicht ratlos. Er schaffte an seinem
-Heim weiter, machte ein Fenster in die Hütte, ein Fenster mit zwei
-Glasscheiben. Das war ein merkwürdiger und heller Tag in seinem Leben,
-als er nicht auf dem Herd Feuer anzünden mußte, um sehen zu können,
-nun konnte er drinnen sitzenbleiben und bei Tageslicht Tröge aus Holz
-anfertigen. Es wurde besser für ihn und lichter. Ach ja, Herrgott im
-Himmel! Er las nie in einem Buche, seine Gedanken beschäftigten sich
-aber oft mit Gott, er konnte nicht anders, Vertrauen und Ehrfurcht
-wohnten in seiner Seele. Der Sternenhimmel, das Rauschen des Waldes,
-die Einsamkeit, die Schneemassen, die Gewalten auf der Erde und über
-der Erde stimmten ihn oftmals am Tage nachdenklich und andächtig; er
-fühlte sich sündig und war gottesfürchtig, des Sonntags wusch er sich
-zur Ehre des Feiertages, arbeitete aber sonst wie alle Tage.
-
-Der Frühling kam heran, er bebaute seinen kleinen Acker und steckte
-Kartoffeln. Er hatte jetzt einen größeren Viehbestand, jede Ziege
-hatte Zwillinge gebracht, es waren jetzt sieben Geißen, groß und klein
-zusammengerechnet. Mit der Zukunft vor Augen erweiterte er seinen Stall
-und setzte auch da ein paar Fensterscheiben ein. Es wurde heller und
-tagte in jeder Weise.
-
-Eines Tages kam die Hilfe. Droben auf der Halde wanderte sie lange hin
-und her, ehe sie sich hervorwagte. Es wurde Abend, bis sie herankam,
-aber dann kam sie -- ein großes, braunäugiges Mädchen; sie war so üppig
-und derb, mit festen guten Händen, mit Lappenschuhen an den Füßen,
-obgleich sie keine Lappin war, und mit einem Kalbfellsack auf dem
-Rücken. Sie war wohl schon etwas bei Jahren, höflich gesprochen, nahe
-an den Dreißigern.
-
-Warum sollte sie sich denn fürchten? Sie grüßte, fügte jedoch rasch
-hinzu: Ich muß nur über die Berge, darum bin ich diesen Weg gegangen.
--- So, sagte der Mann. Er verstand sie nicht ganz, sie redete
-undeutlich und wendete überdies das Gesicht weg. -- Ja, sagte sie. Und
-es ist ein sehr weiter Weg. -- Ja, antwortete er. Willst du über das
-Gebirge? -- Ja. -- Was willst du dort? -- Ich habe meine Leute dort. --
-So, hast du deine Leute dort? Wie heißt du? -- Inger, und wie heißt du?
--- Isak. -- So, Isak. Wohnst du hier? -- Ja, ich wohne hier und habe es
-so, wie du hier siehst. -- Das ist wohl nicht übel, sagte sie lobend.
-
-Isak war im Denken ein ganzer Mann geworden, und nun kam ihm der
-Gedanke, daß sie wohl im Auftrag von jemand gekommen sei und nicht
-weiter wolle. Sie hatte vielleicht gehört, daß ihm weibliche Hilfe
-fehle.
-
-Komm herein und ruh dich aus! sagte er.
-
-Sie traten in die Hütte, aßen von ihrem Mundvorrat und tranken von
-seiner Geißenmilch; dann kochten sie Kaffee, den sie in einer Blase bei
-sich hatte. Sie hatten es sehr behaglich beim Kaffee, ehe sie schlafen
-gingen. Nachts lag er da und war gierig nach ihr und bekam sie.
-
-Am Morgen ging sie nicht wieder weg und den Tag über auch nicht; sie
-machte sich nützlich, melkte die Ziegen und scheuerte die Holzgefäße
-mit feinem Sand und machte sie sauber. Sie ging nie wieder fort. Inger
-hieß sie, Isak hieß er.
-
-Nun begann ein anderes Leben für den einsamen Mann. Das einzige war,
-daß seine Frau undeutlich redete und wegen einer Hasenscharte immer das
-Gesicht wegwendete, aber das war nichts, um sich darüber zu beklagen.
-Ohne diesen verunstalteten Mund wäre sie wohl nie zu ihm gekommen, die
-Hasenscharte war sein Glück. Und er selbst, war er ohne Fehl? Isak mit
-dem rostigen Vollbart und dem zu untersetzten Körper, er war wie ein
-greulicher Mühlgeist, ja wie durch eine verzerrende Fensterscheibe
-gesehen. Und wer sonst ging mit einem solchen Ausdruck im Gesicht
-umher? Es war, als könne er jeden Augenblick eine Art von Barrabas
-loslassen. Es bedeutete schon viel, daß Inger nicht davonlief.
-
-Sie lief nicht davon. Wenn er fort war und wieder heimkam, war Inger
-bei der Hütte, die beiden waren eins, die Hütte und sie.
-
-Er hatte nun einen Menschen mehr zu versorgen, aber es lohnte sich, er
-konnte länger fort sein, er konnte sich rühren. Da war der Fluß, ein
-freundlicher Fluß, der neben seinem freundlichen Aussehen auch tief und
-raschen Laufes war; es war durchaus kein geringer Fluß, er mußte aus
-einem großen See droben im Gebirge kommen. Nun verschaffte Isak sich
-Fischgeräte und suchte diesen See auf; wenn er dann am Abend heimkam,
-brachte er eine ordentliche Anzahl Forellen und Alpensalme mit. Inger
-empfing ihn mit großer Verwunderung, sie war ganz überwältigt, schlug
-die Hände zusammen und rief: Um alles in der Welt! Sie merkte wohl,
-wie erfreut und stolz er über ihr Lob war, und da sagte sie noch mehr
-freundliche Worte: daß sie so etwas noch nie gesehen habe und gar nicht
-verstehe, wie er das zuwege bringen konnte.
-
-Auch auf andere Weise war Inger ein Segen für ihn. Obgleich sie nicht
-gerade ein schönes Gesicht und Verstand im Kopfe hatte, so hatte sie
-doch bei einem ihrer Leute zwei Schafe mit ihren Lämmern stehen,
-und die holte sie. Das war das Notwendigste, was jetzt in die Gamme
-gebracht werden konnte, Schafe mit Wolle und Lämmern, vier lebende
-Tiere, der Viehstand vermehrte sich im großen Stil, wunderbar war
-es, wie er zunahm. Inger holte außerdem noch ihre Kleider und andere
-Sachen, die ihr gehörten, einen Spiegel, eine Schnur mit einigen
-hübschen Glasperlen daran, Kardätschen und ein Spinnrad. Sieh, wenn
-sie so weiter machte, war bald alles voll vom Boden bis zur Decke, und
-die Gamme hatte nicht Raum für alles! Isak war natürlich sehr bewegt
-beim Anblick dieser irdischen Reichtümer; aber da er von Natur wortkarg
-war, fiel es ihm schwer, sich darüber auszusprechen, er ging hinaus
-vors Haus, sah nach dem Wetter und kam wieder herein. Ja, gewiß hatte
-er großes Glück gehabt, und er fühlte immer mehr einen heißen Drang in
-sich aufsteigen, Zuneigung oder Liebe, oder was es nun genannt werden
-konnte.
-
-Du brauchst nicht so viel mitzubringen, sagte er. -- Ich habe sogar
-anderswo noch mehr. Und dann habe ich den Oheim Sivert, den Bruder
-meiner Mutter, hast du von ihm gehört? -- Nein. -- Das ist ein reicher
-Mann, er ist Bezirkskassierer der Gemeinde.
-
-Die Liebe macht den Klugen dumm; Isak wollte sich auf seine Weise
-angenehm zeigen, und da tat er zuviel.
-
-Was ich sagen wollte, begann er; du sollst die Kartoffeln nicht hacken.
-Ich werde sie hacken, wenn ich heute abend heimkomme.
-
-Damit nahm er die Axt und ging in den Wald. Sie hörte ihn im Walde
-Bäume fällen, es war nicht weit weg, und sie hörte am Krachen, daß er
-große Stämme fällte. Nachdem sie eine Weile zugehört hatte, ging sie
-hinaus und hackte die Kartoffeln. Die Liebe macht den Dummen klug.
-
-Am Abend kam er mit einem großen Balken an, den er an einem Seil hinter
-sich herschleppte. Ach, der grobe, treuherzige Isak, er machte so viel
-Lärm mit dem Balken, als er nur konnte, räusperte sich und hustete,
-damit sie herauskommen und sich nicht wenig über ihn verwundern sollte.
-
-Ganz richtig, als er daherkam, rief sie auch: Ich glaube, du bist
-verrückt! Du bist doch wohl ein Mensch! sagte sie. Der Mann erwiderte
-nichts. Das fiel ihm nicht ein. Im Vergleich zu einem Baumstamm etwas
-mehr als ein Mensch zu sein, das war nicht der Rede wert. -- Und wozu
-willst du denn den Stamm? fragte sie. -- Ach, das weiß ich selbst noch
-nicht, antwortete er wichtig tuend.
-
-Aber jetzt sah er, daß sie die Kartoffeln schon gehackt hatte, und
-dadurch zeigte sie sich fast ebenso tüchtig wie er. Das war jedoch
-nicht nach seinem Sinn, da machte er das Seil von dem Baumstamm los
-und ging damit fort. Gehst du wieder? fragte sie. -- Ja, antwortete er
-beleidigt.
-
-Er kam mit einem zweiten Baumstamm daher, schnaufte nicht, lärmte
-nicht, sondern zog ihn nur wie ein Ochse bis zur Gamme heran und ließ
-ihn da liegen.
-
-Im Laufe des Sommers schleppte er noch viele Baumstämme vor die Gamme.
-
-
-
-
-2
-
-
-Eines Tages legte Inger wieder Mundvorrat in ihren Kalbfellsack und
-sagte: Jetzt mach ich wieder einen kurzen Besuch bei meinen Leuten. --
-So, sagte Isak. -- Ja, ich muß nur einiges mit ihnen besprechen.
-
-Isak ging nicht zugleich mit ihr hinaus, sondern zögerte noch lange
-in der Gamme. Als er endlich auf die Schwelle trat und gar nicht
-neugierig tat, aber voll banger Ahnungen war, verschwand Inger gerade
-am Waldesrand. Hm. Kommst du wieder? konnte er nicht unterlassen, ihr
-nachzurufen. -- Nicht wiederkommen! erwiderte sie. Ich glaube, du
-spottest. -- So.
-
-Dann war er wieder allein. Ach ja, Herrgott im Himmel! Mit seinen
-Arbeitskräften und seiner Arbeitslust konnte er nicht nur in der Gamme
-aus und ein gehen und sich nur selbst im Wege sein, da fing er an zu
-arbeiten; er zweigte seine Baumstämme ab und hieb sie auf zwei Seiten
-flach. Bis zum Abend schaffte er daran, dann melkte er die Ziegen und
-legte sich schlafen.
-
-Öde und stille war's in der Gamme, dumpfes Schweigen schlug ihm
-entgegen vom Lehmboden und von den Torfwänden. Aber das Spinnrad und
-die Kardätschen waren an ihrem Platz, und die Perlen an ihrem Faden
-lagen wohlverwahrt in einem Beutel unter dem Dach. Inger hatte nichts
-mitgenommen. Isak war jedoch so unendlich dumm, daß er sich in der
-hellen Sommernacht vor der Dunkelheit fürchtete und bald dies, bald das
-an den Fensterscheiben vorbeischleichen sah. Als es nach der Helligkeit
-draußen ungefähr zwei Uhr sein mochte, stand er lieber wieder auf und
-aß sein Frühstück. Er kochte eine ungeheure Schüssel Grütze, gleich für
-den ganzen Tag, damit er nicht noch mehr Zeit aufs Kochen verwenden
-müßte. Bis zum Abend brach er zur Erweiterung des Kartoffelackers
-Neuland um.
-
-Drei Tage lang behaute er abwechslungsweise Baumstämme und brach Land
-um, am nächsten Tag kam dann wohl Inger. Es wäre nicht zuviel, wenn
-er bei ihrer Ankunft Fische für sie bereit hätte, dachte er; aber er
-wollte sich nicht auf den Weg machen und ihr geradeswegs übers Gebirge
-entgegengehen, deshalb machte er einen Umweg nach dem Fischplatz. Dabei
-kam er in unbekannte Gegenden des Gebirges; da waren nun graue Felsen
-und braunes Geröll, ganz schwere Steine, die aus Blei oder Kupfer sein
-konnten. Vieles konnte in diesen Steinen enthalten sein, vielleicht
-Silber und Gold; er verstand sich jedoch nicht darauf, und so konnte
-es ihm einerlei sein. Er kam an das Fischwasser; die Fische bissen
-bei dem schnakenvollen Wetter in dieser Nacht gut an, es gab wieder
-eine schwere Menge Salme und Forellen, und Inger würde aufschauen. Als
-er bei Tagesanbruch auf demselben Umweg, auf dem er hergekommen war,
-wieder zurückging, nahm er ein paar Stücke von dem Geröll mit, sie
-waren braun mit dunkelblauen Flecken darin und gewaltig schwer.
-
-Inger war nicht gekommen und kam auch nicht. Nun war es schon der
-vierte Tag. Er melkte die Ziegen wie damals, wo er noch allein mit
-ihnen gewesen war und niemand anderen zu dieser Arbeit hatte, dann
-ging er zur Geröllhalde und trug große Haufen zu einer Mauer passender
-Steine auf den Hofplatz. Er hatte wahrlich vielerlei Arbeit.
-
-Am fünften Abend ging er mit leisem Mißtrauen im Herzen zu Bett, im
-übrigen waren ja aber das Spinnrad und die Kardätschen noch da und
-auch die Perlen. Dieselbe Öde in der Hütte und nirgends ein Laut! Das
-wurden lange Stunden, und als er endlich eine Art Schritt draußen
-vernahm, dachte er, das sei nur etwas, was er sich einbilde. Ach ja,
-Herrgott im Himmel! sagte er in seiner Verlassenheit, und solche Worte
-sprach Isak nicht, wenn er sie nicht wirklich meinte. Jetzt hörte
-er die Schritte aufs neue, und kurz nachher sah er etwas am Fenster
-vorbeigleiten, was es nun auch sein mochte, aber etwas mit Hörnern
-war es, leibhaftig. Er sprang auf und zum Hause hinaus, und da sah er
-etwas! Gott oder Teufel! murmelte er, und so etwas sagte Isak nicht,
-ohne daß er sich dazu gezwungen fühlte. Er sah eine Kuh, Inger und eine
-Kuh, die im Stalle verschwanden.
-
-Wenn er nun nicht Inger im Stall noch leise mit der Kuh hätte reden
-hören, hätte er wahrlich seinen Augen nicht getraut, aber er hörte
-sie, und im selben Augenblick stieg ihm eine böse Ahnung auf: Himmel!
-Natürlich war sie eine ausgezeichnete, verteufelte Frau, aber zu viel
-war zu viel. Spinnrad und Kardätsche, das mochte hingehen, die Perlen
-waren bedenklich vornehm, aber auch die mochten hingehen. Aber eine
-Kuh, vielleicht auf einem Weg oder auf der Weide eines Bauern gefunden,
-die von dem Besitzer vermißt wurde und nach der man forschen würde!
-
-Jetzt trat Inger wieder aus dem Stall und sagte stolz lächelnd: Ich
-habe nur meine Kuh mitgebracht! -- So, erwiderte er. -- Es dauerte so
-lange, weil ich nicht rascher mit ihr übers Gebirge konnte; sie ist
-trächtig. -- Hast du eine Kuh mitgebracht? sagte er. -- Ja, antwortete
-sie, und war vom Reichtum dieser Erde bis zum Zerspringen erfüllt. Oder
-meinst du, ich lüge dich an? sagte sie. Isak fürchtete das Schlimmste,
-hielt sich aber im Zaum und sagte nur: Komm jetzt herein und iß etwas.
-
-Hast du die Kuh gesehen? Ist sie nicht schön? -- Prächtig. Woher
-hast du sie? fragte er so gleichgültig, als er konnte. -- Sie heißt
-Goldhorn. Was willst du mit der Mauer, die du da aufgeführt hast? Du
-schindest dich noch zu Tode, ja, das tust du. Ach, komm und sieh dir
-die Kuh an!
-
-Sie gingen hinaus, Isak war in Unterkleidern, aber das tat nichts. Sie
-betrachteten die Kuh unendlich genau und von allen Seiten, den Kopf,
-das Euter, das Kreuz, die Lenden; rot und weiß, gut gebaut.
-
-Isak sagte vorsichtig: Für wie alt hältst du sie? -- Halten? entgegnete
-Inger. Sie ist ganz genau, aufs Tüpfelchen genau, im vierten Sommer.
-Ich habe sie selbst aufgezogen, und alle sagten damals, es sei das
-netteste Kalb, das sie von ihrer Kindheit an gesehen hätten. Was meinst
-du, haben wir Futter für sie?
-
-Isak fing an, das zu glauben, was er gerne glauben wollte, und
-erklärte: Was das Futter betrifft, so werden wir genug für sie haben.
-
-Dann gingen sie hinein und aßen und tranken und legten sich zur Ruhe.
-Aber sie redeten noch lange von der Kuh, von dem großen Ereignis. Ja,
-aber ist es nicht eine schöne Kuh? Jetzt bekommt sie das zweite Kalb.
-Sie heißt Goldhorn. Schläfst du, Isak? -- Nein. -- Und denk dir, sie
-hat mich sofort wiedererkannt und ist mir gestern wie ein Lamm gefolgt.
-Wir haben heute nacht eine Weile auf dem Gebirge ausgeruht. -- So? --
-Wir müssen sie aber den ganzen Sommer auf der Weide anbinden, sonst
-reißt sie aus, denn Kuh ist Kuh. -- Wo ist sie vorher gewesen? fragte
-Isak schließlich. -- Bei meinen Leuten, die haben sie versorgt. Sie
-wollten sie nicht hergeben, und die Kinder weinten, als ich sie mitnahm.
-
-War es möglich, daß Inger so herrlich lügen konnte? Sie sprach
-natürlich die Wahrheit, und die Kuh gehörte ihr. Nun wurde es großartig
-und behaglich auf dem Hofe, bald gab es nichts mehr, was noch fehlte!
-O diese Inger, er liebte sie, und sie liebte ihn wieder, sie waren
-genügsam, sie lebten im Zeitalter des Holzlöffels und hatten es
-gut. Wir wollen schlafen! dachten sie. Und dann schliefen sie. Bei
-Morgengrauen erwachten sie zum nächsten Tag; es gab wohl allerlei, mit
-dem man sich abplagen mußte, jawohl, Kampf und Freude, wie das Leben
-eben ist.
-
-Da waren nun zum Beispiel diese Balken. Sollte er versuchen, sie
-aufzulegen? Isak hatte sich wohl umgesehen, als er im Dorfe war, und
-sich die Bauart ausgedacht, er konnte eine Eckfuge aushauen. Und mußte
-er es nicht durchaus tun? Jetzt waren Schafe auf den Hof gekommen, eine
-Kuh war gekommen, der Ziegen waren es viele geworden und würden immer
-mehr werden, der Viehstand sprengte den einen Raum der Gamme, er mußte
-einen Ausweg finden. Am besten war es, er fing gleich an, solange die
-Kartoffeln blühten und die Heuernte noch nicht begonnen hatte; Inger
-mußte da und dort mit Hand anlegen.
-
-In der Nacht erwacht Isak und steht auf. Inger schläft, fest und tief
-schläft sie nach ihrer Wanderung. Er geht wieder in den Stall. Jetzt
-redet er die Kuh ja nicht so an, daß es in widerliche Schmeicheleien
-übergeht, aber er tätschelt sie freundlich und untersucht sie aufs neue
-nach allen Richtungen, ob sie nicht irgendein Merkmal, ein Zeichen von
-einem fremden Eigentümer habe. Aber er findet kein Zeichen und geht
-erleichtert fort.
-
-Da liegt das Bauholz. Er fängt an, es auseinander zu rollen, es in
-einem Viereck auf die Mauer zu heben, ein großes Viereck für die Stube
-und ein kleines Viereck für die Kammer. Es war sehr unterhaltend und
-nahm ihn so in Anspruch, daß er darüber die Zeit vergaß. Jetzt rauchte
-es aus dem Dachloch der Gamme, Inger trat heraus und meldete, das
-Frühstück sei fertig. Und was hast du denn hier vor? fragte sie. --
-Bist du aufgestanden? erwiderte Isak.
-
-Seht, dieser Isak, er tat sehr geheimnisvoll, aber es gefiel ihm gut,
-daß sie fragte und neugierig war und ein Wesen aus seinem Vorhaben
-machte. Als er gegessen hatte, blieb er noch ziemlich lange in der
-Gamme sitzen, ehe er wieder hinausging. Worauf wartete er?
-
-Nein, ich bleibe hier sitzen! sagte er schließlich und stand auf. Und
-ich habe doch so viel zu tun! sagte er. -- Baust du ein Haus? fragte
-sie. Kannst du nicht antworten? -- Er antwortete aus Gnade, ja, er
-fühlte sich außerordentlich groß, weil er ein Haus baute und dem Ganzen
-vorstand, deshalb antwortete er: Du siehst doch wohl, daß ich baue. --
-So? Ja, ja. -- Kann ich denn anders? sagte er. Du kommst wahrhaftig mit
-einer ganzen Kuh daher, und da muß ich doch einen Stall für sie haben.
-
-Arme Inger, sie war nicht so unmenschlich klug wie er, wie Isak, der
-Herr der Schöpfung. Und es war, ehe sie ihn kennenlernte, ehe sie seine
-Art zu sprechen verstand. Inger sagte: Aber du wirst doch nicht am
-Ende einen Stall bauen? -- So, sagte er. -- Du führst mich wohl an,
-denn es wäre ja viel besser, du bautest ein Haus. -- So, meinst du
-das? erwiderte er und sah sie mit verstellt ausdrucksloser Miene an,
-ja, als ob ihm bei ihrer Frage erst ein Licht aufginge. -- Ja, dann
-können die Tiere die Gamme bekommen. -- Er überlegte und sagte dann:
-Ich glaube wirklich, so wird es am besten sein! -- Da siehst du, sagte
-die siegende Inger, ich bin auch nicht so ganz auf den Kopf gefallen.
--- Nein. Und was meinst du zu einer Kammer neben der Stube? -- Eine
-Kammer? Dann wäre es bei uns wie bei anderen Leuten. Ja, wenn uns das
-widerfahren würde.
-
-Und es widerfuhr ihnen. Isak baute und hieb Eckfugen aus; er legte die
-Balken im Viereck, und zugleich mauerte er eine Feuerstelle aus dazu
-passenden Steinen; aber diese letzte Arbeit gelang ihm am wenigsten,
-und er war zuzeiten recht unzufrieden mit sich. Als die Heuernte
-begann, muß er von seinem Bauwerk heruntersteigen, um weitum in den
-Halden das Gras zu mähen; danach trug er das Heu in ungeheuren Lasten
-nach Hause.
-
-An einem Regentag sagte Isak, er müsse hinunter ins Dorf.
-
-Was willst du dort? fragte Inger. -- Ich weiß es selbst nicht genau,
-antwortete er.
-
-Er ging, war zwei volle Tage abwesend und brachte dann einen Kochherd
-angeschleppt -- der Prahm kam durch den Wald dahergesegelt mit einem
-Kochherd auf dem Rücken.
-
-Du bist nicht wie ein Mensch gegen dich selbst, sagte Inger. Nun riß
-Isak die Feuerstelle, die sich in dem neuen Haus so schlecht ausnahm,
-wieder ein und stellte den Herd an ihren Platz. Nicht alle Leute haben
-einen Kochherd, sagte Inger, und nun haben wir einen! sagte sie.
-
-Die Heuernte ging ihren Gang, Isak brachte Heu in Massen heim, denn
-Waldgras ist leider nicht dasselbe wie Wiesengras, sondern viel
-geringer. Nun konnte er bloß an Regentagen an seinem Haus bauen, da
-ging es langsam vorwärts, und im August, als Isak alles Heu unter dem
-Felsenhang wohlgeborgen hatte, war das neue Haus erst halb gebaut.
-
-Im September sagte Isak zu Inger: So geht es nicht, ich glaube, du mußt
-hinunter ins Dorf gehen und mir einen Mann zur Hilfe holen. Inger aber
-war in der letzten Zeit etwas schweratmig geworden und konnte nicht
-mehr so schnell laufen, doch machte sie sich selbstverständlich fertig,
-seinen Auftrag auszurichten.
-
-Aber indessen hatte der Mann es sich anders überlegt, er wurde wieder
-hoffärtig und wollte alles allein machen. Es ist nicht der Mühe wert,
-die Leute darum anzugehen, sagte er, ich bringe es schon allein fertig.
--- Nein, du kannst es nicht schaffen, versetzte Inger. -- Doch, hilf
-mir nur mit den Balken.
-
-Als der Oktober herangekommen war, sagte Inger: Ich kann nicht mehr!
-Das war nun sehr schlimm. Die Dachbalken sollten und mußten aufgesetzt
-werden, damit das Haus gedeckt wurde, ehe die Herbstregen einsetzten,
-es war höchste Zeit. Was hatte Inger nur? Sie wurde doch nicht krank?
-
-Wohl bereitete sie ab und zu noch Ziegenkäse, sonst aber leistete sie
-nichts mehr, als die Kuh Goldhorn auf der Weide viele Male am Tage
-an einen andern Platz anzubinden. -- Bring einen großen Korb oder
-eine Kiste oder so etwas mit, wenn du wieder ins Dorf gehst, hatte
-Inger gesagt. -- Was willst du damit? fragte Isak. -- Ich brauche es,
-antwortete sie nur.
-
-Isak zog die Dachbalken an Seilen hinauf, und Inger schob mit einer
-Hand nach; es war, als helfe es schon, wenn sie nur dabei war.
-Allmählich ging es doch vorwärts; es war ja kein sehr hohes Dach, aber
-die Balken waren abenteuerlich groß und dick für das kleine Haus.
-
-Das gute Herbstwetter hielt sich einigermaßen, Inger hackte alle
-Kartoffeln allein heraus, und Isak bekam das Haus unter Dach, ehe der
-Regen endgültig einsetzte. Die Ziegen waren jetzt schon nachts bei den
-Menschen in der Hütte drinnen, auch das ging, alles ging. Die Menschen
-klagten nicht darüber. Isak machte sich wieder zu einem seiner Gänge
-ins Dorf fertig. Du solltest für mich einen großen Korb oder eine Kiste
-mitbringen, sagte Inger wieder, und es klang wie ein demütiger Wunsch.
--- Ich habe mir einige Fenster mit Glasscheiben bestellt, die ich
-holen muß, erwiderte Isak. Und ich habe auch zwei angestrichene Türen
-bestellt, fügte er überlegen hinzu. -- Nun ja, dann muß der Korb eben
-warten. -- Was willst du mit dem? -- Was ich damit will? Ja, hast du
-denn keine Augen im Kopf?
-
-In tiefe Gedanken versunken, ging Isak seines Wegs dahin, und als er
-nach zwei Tagen zurückkam, brachte er nicht allein ein Fenster, eine
-Tür zur Wohnstube und eine Tür zur Schlafkammer mit, sondern über die
-Brust herunter hing ihm auch die Kiste für Inger, und in der Kiste
-waren verschiedene Eßwaren.
-
-Inger sagte: Wenn du dich nur nicht eines Tages noch zu Tode
-abschleppst! -- Hoho, zu Tode! Isak war so unendlich weit davon
-entfernt, sich zu Tode zu schleppen, daß er aus seiner Tasche eine
-Arzneiflasche mit Naphtha zog und sie Inger mit der Ermahnung übergab,
-recht tüchtig davon zu trinken, damit sie wieder gesund werde. Und
-da waren nun die Fenster und die angestrichenen Türen, mit denen er
-großtun konnte, und er machte sich auch gleich daran, sie einzusetzen.
-Ach, diese kleinen Türen, und gebraucht waren sie auch schon, aber
-gemalt waren sie hübsch mit weißen und roten Farben, die schmückten die
-Stuben wie Bilder an den Wänden.
-
-Jetzt zogen sie in das neue Haus ein, und der Viehbestand wurde in der
-ganzen Gamme verteilt. Zu der Kuh wurde ein Mutterschaf mit seinen
-Lämmern hineingestellt, damit sie es nicht gar so einsam hätte.
-
-Die Leute auf dem Ödland hatten es nun weit gebracht, wunderbar weit!
-
-
-
-
-3
-
-
-Solange das Erdreich noch weich war, brach Isak Steine und Wurzelstöcke
-heraus und richtete sein Land fürs nächste Jahr, und als dann der Boden
-gefror, ging er in den Wald und fällte große Mengen Klafterholz.
-
-Was willst du mit all dem Holz? konnte Inger fragen. -- Das weiß ich
-nicht so genau, antwortete Isak; aber er wußte es recht wohl. Der alte
-düstere Urwald stand noch zu dicht ans Haus heran und versperrte jede
-Erweiterung des Wiesenlandes, außerdem wollte er das Klafterholz
-während des Winters auf irgendeine Weise ins Dorf hinunterschaffen und
-es an Leute verkaufen, die kein Brennholz hatten. Isak war überzeugt,
-daß das ein sehr guter Gedanke sei, deshalb fällte er fleißig Bäume und
-hieb sie zu Klafterholz zurecht. Inger kam oft heraus und sah ihm zu;
-er tat zwar, als sei ihm das gleichgültig und als sei das gar nicht
-notwendig von ihr, aber sie fühlte doch, daß sie ihm dadurch wohltat.
-
-Manchmal fielen dabei merkwürdige Worte zwischen ihnen. Hast du nichts
-anderes zu tun, als hier herauszulaufen und dich zu Tode zu frieren?
-sagte Isak. -- Ich friere nicht, antwortete Inger, aber du wirst dich
-noch krank schaffen. -- Jetzt ziehst du gleich meine Jacke an, die dort
-drüben liegt. -- Das fiele mir gerade noch ein, ich kann doch nicht
-hierbleiben, wenn Goldhorn eben am Kalben ist. -- Ach so, Goldhorn ist
-am Kalben? -- Hast du das nicht gewußt? Und was meinst du, sollen wir
-das Kalb aufziehen? -- Das machst du, wie du willst, ich weiß es nicht.
--- Aber wir können doch das Kalb nicht aufessen, so viel ist gewiß.
-Denn dann hätten wir immer wieder nur eine einzige Kuh. -- Und ich bin
-auch fest überzeugt, du möchtest gar nicht, daß wir das Kalb aufäßen,
-sagte Isak.
-
-Diese einsamen Menschen, so ungeschlacht und zu sehr ihren Trieben
-ergeben, aber voller Güte gegeneinander, gegen das Vieh und gegen die
-Erde!
-
-Dann brachte Goldhorn ein Kalb zur Welt. Das war ein bedeutungsvoller
-Tag im Ödland, eine überaus große Freude und ein großes Glück. Goldhorn
-bekam guten Mehltrank, und Isak sagte: Spar nicht am Mehl! obgleich
-er es auf seinem Rücken heraufgetragen hatte. Da lag nun ein hübsches
-Kalb, eine Schönheit von einem Kalb, rosig war es auch, sonderbar
-verwirrt nach dem Wunder, das es durchgemacht hatte. In ein paar Jahren
-würde es selbst Mutter sein. Dieses Kalb wird eine prachtvolle Kuh
-werden, sagte Inger, und ich weiß gar nicht, wie es heißen soll, sagte
-sie. Inger war etwas kindisch und hatte für so etwas nur eine schlechte
-Erfindungsgabe. -- Heißen? sagte Isak. Du kannst keinen passenderen
-Namen finden als Silberhorn.
-
-Nun fiel der erste Schnee, und sobald der Schnee fest und tragfähig
-war, zog Isak hinunter ins Dorf. Er tat geheimnisvoll wie immer und
-wollte Inger nicht sagen, was er im Sinn hatte. Und er kehrte zurück,
-zur größten Überraschung -- mit Pferd und Schlitten. Ich glaube, du
-treibst deinen Scherz, sagte Inger, und du hast doch wohl das Pferd
-nicht genommen? -- Ich, das Pferd genommen! -- Gefunden, meine ich!
-Ach, wenn Isak jetzt hätte sagen können: mein Pferd, unser Pferd! Aber
-er hatte es nur für einige Zeit leihweise bekommen, er wollte sein
-Klafterholz mit ihm hinunterführen.
-
-Isak fuhr Klafterholz ins Dorf und brachte dafür allerlei Eßwaren und
-Mehl und Heringe mit herauf. Und einmal kam er mit einem jungen Stier
-auf dem Schlitten, er hatte ihn unglaublich billig bekommen, weil im
-Dorf bereits Futtermangel herrschte. Mager und zottig war der Stier,
-und er konnte nicht so recht brüllen, aber er war keine Mißgeburt und
-würde sich bei guter Pflege bald herausmachen, er war eben zweijährig.
-Inger sagte: Du bringst doch alles mit.
-
-Ja, Isak brachte alles; er brachte Planken und Bretter, die er für
-Klafterholz eingetauscht hatte, er brachte einen Schleifstein, ein
-Waffeleisen, Handwerkszeug, alles für Klafterholz eingetauscht. Inger
-schwoll vor Reichtum, und sie sagte jedesmal: Bringst du noch mehr?
-Jetzt haben wir einen Stier und alles, was wir uns nur denken können!
--- Und eines Tages antwortete Isak: Nein, jetzt bringe ich übrigens
-nichts mehr.
-
-Sie hatten jetzt genug für lange Zeit und waren wohlgeborgene Leute.
-Was würde sich Isak nun im Frühjahr vornehmen? An die hundertmal hatte
-er es sich ausgedacht, wenn er hinter seiner Holzfuhre hergeschritten
-war: er wollte auf der Halde weiter umroden, wollte den Boden urbar
-machen, Klafterholz zurechtmachen, es im Sommer trocknen lassen und
-im nächsten Winter noch einmal so viel hinunterfahren. Die Rechnung
-stimmte, es war kein Fehler darin. Und an die hundertmal hatte Isak
-auch an etwas anderes gedacht, nämlich an die Kuh Goldhorn. Woher kam
-sie, wem gehörte sie? So eine Frau wie Inger gab es nicht mehr, oh, sie
-war ein tolles Mädchen, und sie wollte alles, was er von ihr wollte
-und war zufrieden damit. Aber eines schönen Tages konnte jemand kommen
-und Goldhorn zurückverlangen und sie an einem Strick davonführen. Und
-viel Schlimmeres konnte daraus erwachsen. Du hast doch wohl das Pferd
-nicht genommen oder es gefunden? hatte Inger gesagt. Das war ihr erster
-Gedanke gewesen; man konnte ihr wohl nicht so recht glauben, und was
-sollte er tun? Daran hatte er gedacht. Hatte er nicht auch einen Stier
-für Goldhorn, vielleicht für eine gestohlene Kuh erstanden?
-
-Und nun mußte das Pferd zurückgegeben werden. Das war schade, denn
-das Pferd war klein und rund und sehr zutraulich geworden. O ja, aber
-du hast schon sehr Großes damit geleistet, sagte Inger tröstend. --
-Aber im Frühjahr sollte ich eben das Pferd haben, da würde ich es so
-notwendig brauchen! versetzte Isak.
-
-Im Morgendämmern fuhr er mit seiner letzten Holzladung langsam von
-zu Hause fort und blieb zwei volle Tage weg. Als er wieder zu Fuß
-heimwärts wanderte, hörte er vor dem Hause einen sonderbaren Ton. Was
-konnte das sein? Er blieb lauschend stehen. Kindergeschrei -- ach ja,
-Herrgott im Himmel, es war nicht anders, aber es war schrecklich und
-sonderbar, und Inger hatte nichts gesagt.
-
-Er trat ein und sah zuerst die Kiste, die vielbesprochene Kiste, die er
-auf seiner Brust heraufgetragen hatte! Sie hing nun an zwei Stricken
-vom Dachfirst herunter und war eine Wiege und eine Schaukel für das
-Kind. Inger ging halb angekleidet umher, ja, sie hatte wahrhaftig auch
-die Kuh und die Ziegen gemolken!
-
-Als das Kind schwieg, fragte Isak: Hast du das alles schon getan?
--- Ja, jetzt ist es getan. -- So. -- Es kam an dem Tag, an dem du
-wegfuhrst, am Abend. -- So. -- Ich mußte mich nur noch recken, um die
-Kiste aufzuhängen, dann war alles vorbereitet; aber das konnte ich
-nicht ertragen, es wurde mir übel danach. -- Warum hast du mir nichts
-davon gesagt? -- Konnte ich denn die Zeit so genau wissen? Es ist ein
-Junge. -- Ach so, es ist ein Junge. -- Und wenn ich jetzt nur wüßte,
-wie er heißen soll! sagte Inger.
-
-Isak durfte das kleine rote Gesicht sehen; es war wohlgeformt und
-hatte keine Hasenscharte, und es hatte dichtes Haar auf dem Kopf. Ein
-hübscher kleiner Kerl war er, seinem Stand und seiner Stellung nach,
-wie er da in seiner Kiste lag. Isak war es ganz seltsam zumute, und er
-fühlte sich ordentlich schwach; der Mühlengeist stand vor dem Wunder;
-es war einmal in einem heiligen Nebel entstanden, es zeigte sich im
-Leben mit einem kleinen Gesicht wie ein Sinnbild. Tage und Jahre würden
-das Wunder zu einem Menschen machen.
-
-Komm und iß etwas, sagte Inger ...
-
-Isak fällt Bäume und schichtet Klafterholz. Er ist jetzt
-weitergekommen, als er war. Er hat eine Säge. Er sägt Brennholz, und
-die Klafterbeugen werden gewaltig groß, er macht eine Straße aus ihnen,
-ein ganzes Dorf. Inger ist jetzt mehr ans Haus gebunden und kann den
-Mann nicht bei seiner Arbeit besuchen, aber dafür macht Isak kleine
-Abstecher zu ihr. Putzig mit so einem winzigen Kerl in einer Kiste! Es
-konnte Isak nicht einfallen, sich um ihn zu kümmern, und außerdem war
-es ja nur ein kleiner Wurm, mochte er da liegenbleiben! Aber man war
-doch ein Mensch und konnte das Geschrei nicht teilnahmslos mit anhören,
-so ein kleines Geschrei.
-
-Nein, faß ihn nicht an! sagte Inger. Denn du hast gewiß Harz an den
-Händen, sagte sie. -- Ich, Harz an den Händen? Du bist wohl verrückt!
-erwiderte Isak. Seit das Haus fertig geworden ist, habe ich kein Harz
-mehr an den Händen gehabt. Gib den Jungen her, dann will ich ihn in
-Schlaf wiegen! -- Nein, jetzt ist er gleich still ...
-
-Im Mai kommt eine fremde Frauensperson übers Gebirge zu der einsamen
-Ansiedlung; sie ist eine Verwandte von Inger und wird gut aufgenommen.
-Sie sagt: Ich wollte nur sehen, wie es Goldhorn geht, seit sie von uns
-fortgekommen ist! -- Die Leute fragen nicht viel nach dir, nach so
-einem kleinen Kerl, flüstert Inger betrübt dem Kinde zu. -- Ach, er --
-nun das seh ich ja, wie es ihm geht. Es ist ein prächtiger Junge, das
-seh ich! Und wenn mir jemand das vor einem Jahr gesagt hätte, daß ich
-dich hier wiederfinden würde, Inger, mit Mann und Kind und Haus und
-allem übrigen! -- Von mir sollst du nicht reden, das ist nicht der Mühe
-wert. Aber da ist nun er, der mich so genommen hat, wie ich war! --
-Seid ihr getraut? So, ihr seid noch nicht getraut? -- Aber wir werden
-jetzt sehen, wenn der Kleine getauft wird, sagt Inger. Wir haben uns
-schon trauen lassen wollen, aber es hat sich nicht einrichten lassen.
-Was sagst du dazu, Isak? -- Ja, trauen lassen -- versteht sich. --
-Kannst du nicht nach der Heuernte hierherkommen, Oline, und das Vieh
-versorgen, während wir die Reise machen? fragte Inger. -- O doch, das
-versprach der Besuch. -- Wir werden dich dafür schadlos halten. --
-Ja, das wisse sie wohl ... Und nun wollt ihr noch weiter bauen, sehe
-ich. Was baut ihr denn? Habt ihr noch nicht genug? -- Inger schüttelt
-den Kopf und sagt: Ja, frag du ihn, ich bekomme es nicht zu wissen.
--- Was ich baue? sagt Isak, es ist nicht der Rede wert. Einen kleinen
-Schuppen, für den Fall, daß ich einen brauche. Aber du hast ja nach
-Goldhorn gefragt, willst du sie sehen? fragt er den Gast.
-
-Sie gehen in den Stall, Kuh und Kalb werden gezeigt. Der Stier ist
-ein prächtiges Stück Vieh, der Gast nickt wohlgefällig über das Vieh
-und den Stall, sagt, sie seien von bester Art, und die ausgesuchte
-Reinlichkeit, die sei großartig. Ich stehe bei Inger für alles ein, was
-gute und erfahrene Behandlung der Tiere betrifft, sagte die Verwandte.
-
-Isak fragt: So, also die Kuh Goldhorn ist vorher bei dir gewesen? --
-Ja, von ihrer Geburt an! Ja, nicht gerade bei mir, sondern bei meinem
-Sohn; aber das ist dasselbe. Wir haben sogar noch ihre Mutter in unserm
-Stall!
-
-Isak hatte seit langer Zeit keine angenehmere Botschaft gehört, und
-ein Stein fiel ihm vom Herzen, jetzt war Goldhorn mit Recht seine und
-Ingers Kuh. Um die Wahrheit zu sagen, so hatte er sich halb und halb
-den traurigen Ausweg aus seiner Ungewißheit ausgedacht gehabt, Goldhorn
-im Herbst zu schlachten, die Haare von der Haut zu schaben, die Hörner
-in der Erde zu vergraben und so jegliche Spur von der Kuh Goldhorn
-zu vertilgen. Jetzt war dies unnötig. Er wurde so stolz auf Inger,
-daß er sagte: Reinlich? Ja, so wie sie gibt es keine mehr. Es muß mir
-wahrhaftig vorher bestimmt gewesen sein, daß ich eine vermögliche
-Frau bekommen sollte! -- Das war nicht anders zu erwarten! sagt die
-Verwandte.
-
-Diese Frau von jenseits des Gebirges, eine freundliche Person mit
-wohlgesetzter Rede, ein verständiges Menschenkind namens Oline, sie
-blieb nur ein paar Tage da und schlief in der Kammer nebenan. Als sie
-wieder fortging, bekam sie etwas Wolle von Ingers Schafen, die sie
-jedoch, einerlei aus welchem Grunde, vor Isak verbarg.
-
-Das Kind, Isak und die Frau -- die Welt wurde dann wieder dieselbe,
-tägliche Arbeit, viele kleine und große Freuden, Goldhorn gab reichlich
-Milch, die Ziegen hatten junge Zicklein und gaben auch reichlich Milch,
-Inger verfertigte eine Reihe weißer und roter Käse und stellte sie zum
-Reifen auf. Ihr Plan war, so viele Käslaibe herzustellen, daß sie sich
-einen Webstuhl dafür kaufen konnte -- o diese Inger, sie konnte weben!
-
-Und Isak baute einen Schuppen, auch er hatte wohl einen Plan.
-Er errichtete den neuen Anbau an die Gamme mit einer doppelten
-Bretterwand, machte eine Tür hinein und ein nettes kleines Fenster
-mit vier Scheiben; dann legte er vorläufig ein Notdach darauf und
-wartete mit der Birkenrinde, bis der Boden auftauen würde und er
-Wasen ausstechen könnte. Nur das Notwendigste wurde gemacht, kein
-Bretterboden, keine gehobelten Wände, aber Isak zimmerte einen Stand
-wie für ein Pferd und machte eine Krippe.
-
-Es war schon Ende Mai, als die Sonne die Hügel aufgetaut hatte und
-Isak seinen Schuppen mit Wasen decken konnte; nun war das neue
-Gebäude fertig. Dann eines Morgens aß er eine Mahlzeit, die einen Tag
-ausreichen konnte, nahm außerdem noch Mundvorrat mit, legte Hacke und
-Spaten über die Schulter und ging ins Dorf.
-
-Kannst du vier Ellen Zitz mitbringen? rief ihm Inger nach. -- Was
-willst du damit? versetzte Isak.
-
-Es sah aus, als wollte er für immer fortbleiben. Inger sah jeden Tag
-nach dem Wetter, nach der Windrichtung, als erwarte sie ein Schiff,
-ging in der Nacht hinaus und lauschte, sie dachte daran, das Kind auf
-den Arm zu nehmen und ihm nachzulaufen. Endlich kehrte er zurück mit
-Pferd und Wagen. Ptro! sagte Isak laut vor der Tür, und obgleich das
-Pferd ruhig und fromm dastand und wiedererkennend nach der Hütte
-wieherte, rief Isak ins Haus hinein: Kannst du herauskommen und das
-Pferd ein wenig halten?
-
-Inger kam heraus. Was ist das? rief sie. Sag, hast du es wirklich
-wieder entlehnen können? Wo bist du denn die ganze Zeit gewesen? Heut
-ist der siebente Tag. -- Wo sollte ich gewesen sein? Ich mußte an
-vielen Stellen erst den Weg bahnen, um mit meinem Wagen durchzukommen.
-Halt das Pferd ein wenig, hab ich gesagt! -- Mit deinem Wagen? Du hast
-doch, soviel ich weiß, den Wagen nicht gekauft?
-
-Isak blieb stumm, ganz geschwollen vor Stummheit. Er fängt an, den
-Karren abzuladen; Pflug und Egge, die er sich angeschafft hat, Nägel,
-Eßwaren, einen Spaten, einen Sack voll Saatkorn. Wie geht es dem Kinde?
-fragt er.
-
-Das Kind leidet keine Not. Hast du den Karren gekauft? frage ich.
-Und ich quäle und quäle mich um einen Webstuhl ab, sagt sie richtig
-scherzhaft, so froh war sie, daß er wieder daheim war.
-
-Isak schwieg wieder eine lange Weile und war mit sich selbst
-beschäftigt. Er überlegte und schaute sich um, wo er alle die Waren und
-die Geräte unterbringen sollte. Es schien gar nicht so leicht, auf dem
-Hofe Platz für alles zu finden. Aber als Inger es aufgab, noch weiter
-zu fragen und statt dessen mit dem Pferde plauderte, brach Isak das
-Schweigen und sagte: Hast du schon einen Hof ohne Pferd und Wagen und
-Pflug und Egge und alles, was noch dazu gehört, gesehen? Und da du es
-wissen willst, ja, ich habe das Pferd und den Karren und alles, was
-darauf ist, gekauft. -- Danach konnte Inger nur den Kopf schütteln und
-sagen: Um alles in der Welt!
-
-Und nun war Isak nicht klein und verzagt, es war, als habe er wie ein
-großer Herr für Goldhorn bezahlt: Bitte -- in runder Summe meinerseits
-ein Pferd! Er war so muskelstark, daß er den Pflug noch einmal
-aufnahm, ihn mit einer Hand an die Hauswand trug und da aufstellte. So
-ein Herrscher war er! Und dann trug er die Egge, den Spaten, eine neue
-Heugabel, die er gekauft hatte, alle die teuren landwirtschaftlichen
-Geräte, die Kleinode, in den Neubau. Großartig, oh, volle Ausrüstung,
-jetzt fehlte nichts mehr!
-
-Hm. Und es wird wohl auch zu einem Webstuhl reichen, sagte er,
-vorausgesetzt, daß ich gesund bleibe. Da ist der Zitz, sie hatten
-nichts anderes als diesen blauen Kattun.
-
-Er war grundlos und schöpfte immer mehr. So war's immer, wenn er vom
-Dorf kam.
-
-Inger sagte: Es war recht schade, daß die Oline nicht das alles zu
-sehen bekam, solange sie hier war.
-
-Lauter Getue und Eitelkeit von seiten des Weibes, und der Mann lächelte
-verächtlich über ihre Worte. Oh, aber er hätte gewiß nichts dagegen
-gehabt, wenn Oline diese ganze Herrlichkeit gesehen hätte.
-
-Das Kind weinte.
-
-Geh wieder zu dem Jungen hinein, sagte Isak. Denn nun hat sich das
-Pferd beruhigt.
-
-Er spannt aus und führt das Pferd in den Stall hinein -- stellte sein
-Pferd in den Stall. Er füttert und striegelt es und liebkost es. Was er
-für Pferd und Karren schuldig war? Alles, die ganze Summe, eine sehr
-große Schuld, aber sie sollte nicht älter werden, als bis Ende des
-Sommers. Er hatte Klafterholz dafür, etwas getrocknete Birkenrinde zum
-Bauen vom vorigen Jahr und schließlich noch einige gute Stämme. Aber
-das hielt nicht vor. Als sich später die Spannkraft und der kecke Mut
-etwas gelegt hatten, stellte sich manche bittere Stunde der Furcht und
-Besorgnis ein; jetzt kam alles auf den Sommer und den Herbst an!
-
-Die Tage waren mit Feldarbeit ausgefüllt, mit immer mehr Feldarbeit! Er
-reinigte neue Strecken von Wurzeln und Steinen, pflügte sie um, düngte,
-pflügte, hackte, zerkleinerte Klumpen mit den Händen und mit den
-Absätzen, war überall ein fleißiger Ackermann und machte den Acker so
-glatt wie Plüsch. Dann wartete er ein paar Tage, und als es nach Regen
-aussah, säte er Korn.
-
-Seit mehreren hundert Jahren hatten wohl seine Vorfahren Korn gesät.
-Das war eine Arbeit, die an einem milden, windstillen Abend in
-Andacht vollbracht wurde, am liebsten bei einem geeigneten feinen
-Staubregen, so es möglich war, am liebsten, gleich wenn die Wildgänse
-gezogen kamen. Die Kartoffel war eine neue Frucht, da war nichts
-Geheimnisvolles dabei, nichts Religiöses. Frauen und Kinder konnten
-beim Legen dabeisein, beim Legen dieser Erdäpfel, die von einem fremden
-Lande kamen, gerade wie der Kaffee, ein großartiges, herrliches
-Lebensmittel, aber von der Familie der Rüben. Korn, das war das Brot,
-Korn oder nicht Korn, das war Leben oder Tod. Isak schritt barhäuptig
-und in Jesu Namen dahin und säte; er war wie ein Baumstumpf mit Händen,
-aber innerlich war er wie ein Kind. Auf jeden seiner Samenwürfe
-verwendete er größte Sorgfalt, er war freundlich und ergeben gestimmt.
-Seht, jetzt keimt das Korn und wird zu Ähren mit vielen Körnern, und
-so ist es auf der ganzen Welt, wenn Korn gesät wird. Im Morgenland, in
-Amerika, im Gudbrandstal -- ach, wie groß die Erde ist, und das winzig
-kleine Feld, auf das Isak säte! Das war der Mittelpunkt von allem.
-Fächer von Körnern strahlten aus seiner Hand. Der Himmel war bewölkt
-und günstig, es sah nach einem ganz feinen Staubregen aus.
-
-
-
-
-4
-
-
-Zwischen Frühjahrs- und Herbstarbeit kamen und gingen die Tage, aber
-Oline kam nicht.
-
-Isak hatte jetzt seine Felder bestellt, er richtete zwei Sensen
-und zwei Rechen zur Heuernte, machte einen langen Boden auf seinen
-Karren, damit er Heu darauf laden konnte, richtete sich auch Kufen und
-geeignetes Holz zu einem Arbeitsschlitten für den Winter her. Er machte
-viele gute Sachen. Und was zwei Borte an der Wand in der Stube betraf,
-so brachte er auch diese an, so daß man die verschiedensten Dinge
-darauf legen konnte, den Kalender, den er sich endlich gekauft hatte,
-und Quirle und Schöpfkellen, die nicht im Gebrauch waren. Inger sagte,
-diese beiden Bretter seien etwas außerordentlich Gutes.
-
-Inger fand alles außerordentlich gut. Seht, Goldhorn wollte nun nicht
-mehr durchgehen, sondern sie vergnügte sich mit dem Kalb und dem
-Stier und weidete den lieben langen Tag im Walde. Seht, die Ziegen
-gediehen so, daß ihre schweren Euter fast auf dem Boden schleppten.
-Inger nähte ein langes Kleidchen aus blauem Kattun und ein Mützchen
-von demselben Stoff, es war das Hübscheste, was man sehen konnte, es
-war der Taufanzug. Das Kind selbst lag ganz still da und verfolgte das
-Werk mit seinen Augen, es war schon ein rechter Junge geworden, und
-wenn er durchaus Eleseus heißen sollte, so wollte sich Isak auch nicht
-länger dagegen sträuben. Als das Kleidchen fertig war, hatte es eine
-zwei Ellen lange Schleppe, und jede Elle kostete ihr Geld, aber das
-half nichts, das Kind war nun einmal der Erstgeborene. -- Wenn dein
-Perlenhalsband einmal getragen werden soll, so ist es wohl diesmal
-an der Zeit, sagte Isak. -- Oh, Inger hatte auch schon an die Perlen
-gedacht, sie war nicht umsonst Mutter, sondern durchaus einfältig und
-stolz. Die Perlen reichten dem Jungen nicht um den Hals, aber sie
-würden vorne auf der Mütze hübsch aussehen, und da brachte sie sie an.
-
-Aber Oline kam nicht.
-
-Wäre es nicht wegen der Tiere gewesen, dann hätten alle Bewohner das
-Haus verlassen und mit dem getauften Kinde nach drei bis vier Tagen
-zurückkommen können. Und wäre es nicht wegen der Trauung gewesen, so
-hätte Inger allein reisen können. -- Ob wir nicht die Trauung so lange
-verschieben könnten? sagte Isak. -- Aber Inger antwortete: Es wird zehn
-bis zwölf Jahre dauern, bis Eleseus daheim bleiben und melken kann.
-
-Nun, da mußte Isak seinen Verstand gebrauchen. Eigentlich war das Ganze
-nicht am Anfang begonnen worden, und die Trauung war vielleicht ebenso
-notwendig wie die Taufe, was wußte er. Jetzt sah es nach Trockenheit
-aus, nach richtiger böser Trockenheit; wenn nicht bald Regen kam,
-verbrannte der Ertrag der Felder, aber alles stand in Gottes Hand.
-Isak machte sich fertig, ins Dorf hinunterzueilen und sich nach einem
-Menschen zur Aushilfe umzusehen. Da mußte er wieder viele Meilen laufen.
-
-All diese Beschwer einer Trauung und einer Taufe wegen! Die Leute im
-Ödland haben wirklich viele kleine und große Sorgen!
-
-Dann kam Oline ...
-
-Jetzt waren sie verheiratet und getauft, alles war in Ordnung, sie
-waren sogar darauf bedacht gewesen, sich zuerst trauen zu lassen,
-damit das Kind ehelich wurde. Aber die Trockenheit hielt an, und nun
-verbrannten die kleinen Kornäcker, verbrannten diese Plüschteppiche,
-und warum nur? Alles stand in Gottes Hand. Isak mähte seine
-Wiesenstücke, aber es stand kein hohes Gras darauf, obgleich der Boden
-im Frühjahr gedüngt worden war. Er mähte und mähte auch auf weit
-entfernten Halden und wurde nicht müde, zu mähen, zu trocknen und
-Futter heimzuführen, denn er hatte ja jetzt ein Pferd und einen großen
-Viehstand. Aber mitten im Juli mußte er auch das Korn zu Grünfutter
-mähen, zu anderem war es nicht zu gebrauchen. So, und nun kam es nur
-noch auf die Kartoffeln an.
-
-Wie stand es mit der Kartoffel? War sie nur eine Kaffeeart aus
-fremdem Lande, die entbehrt werden konnte? Oh, die Kartoffel ist eine
-unvergleichliche Frucht, sie steht draußen in Trockenheit, steht in
-Nässe, wächst aber doch. Sie trotzt dem Wetter und hält viel aus,
-bekommt sie nur eine einigermaßen gute Behandlung von den Menschen, so
-lohnt sie es fünfzehnfach. Seht, die Kartoffel hat nicht das Blut der
-Traube, aber sie hat das Fleisch der Kastanie, man kann sie braten und
-kochen und zu allem benutzen. Ein Mensch kann Mangel an Brot haben, hat
-er Kartoffeln, dann ist er nicht ohne Nahrung. Die Kartoffeln können
-in warmer Asche gebraten werden und ein Abendessen sein, sie können
-in Wasser gekocht werden und zum Frühstück dienen. Was brauchen sie
-an Zuspeise? Wenig. Die Kartoffeln sind genügsam, eine Schale Milch,
-ein Hering ist genug für sie. Der Reichtum ißt Butter dazu, die Armut
-taucht sie in ein bißchen Salz auf einem Teller. Isak verzehrte sie als
-Sonntagsspeise mit ein wenig Sahne von Goldhorns Milch. Die mißachtete,
-gesegnete Kartoffel!
-
-Aber jetzt spukte es auch für die Kartoffel.
-
-Unzählige Male am Tag sah Isak nach dem Himmel. Der Himmel war blau.
-Manchen Abend sah es nach einem Regenschauer aus. Dann ging Isak hinein
-und sagte: Möchte wissen, ob es nicht doch Regen gibt. Aber nach ein
-paar Stunden war alle Hoffnung wieder verschwunden.
-
-Jetzt hatte die Trockenheit schon sieben Wochen gedauert, und die Hitze
-war sehr groß. Die Kartoffel stand in all dieser Zeit in voller Blüte,
-sie blühte unnatürlich und wunderbar prächtig. Die Äcker sahen von
-ferne aus wie Schneefelder. Wie sollte das schließlich werden? Der
-Kalender gab keinen Wink, der derzeitige Kalender war nicht mehr wie
-früher, der taugte gar nichts. Jetzt sah es wieder nach Regen aus, und
-Isak ging zu Inger hinein und sagte: Mit Gottes Hilfe wird nun heute
-nacht doch Regen kommen! -- Sieht es nach Regen aus? -- Ja, und das
-Pferd schüttelt sich im Geschirr.
-
-Inger schaute zur Tür hinaus und sagte: Ja, jetzt wirst du sehen! --
-Ein paar Tropfen fielen. Die Stunden vergingen, die Leute legten sich
-zur Ruhe, und als Isak in der Nacht einmal hinausging, um nachzusehen,
-war der Himmel blau.
-
-Ach du lieber Gott im Himmel! sagte Inger. Nun, dann wird morgen auch
-dein letztes Laub trocken, sagte sie und tröstete, so gut sie konnte.
-
-Jawohl, Isak hatte auch Laub gesammelt und besaß nun eine Menge vom
-besten Laub. Das war wertvolles Futter, er behandelte es wie Heu
-und bedeckte es mit Birkenrinde im Walde. Jetzt war nur noch ein
-kleiner Rest draußen, deshalb antwortete er Inger tief verzweifelt
-und gleichgültig: Ich nehme es nicht herein, und wenn es auch ganz
-austrocknet. -- Du weißt nicht, was du redest, versetzte Inger.
-
-Am nächsten Tag holte er es also nicht herein -- da er es nun einmal
-gesagt hatte, holte er das Laub nicht herein. Es konnte draußen
-bleiben, es kam ja doch kein Regen, mochte es in Gottes Namen draußen
-sein! Er konnte es vor Weihnachten einmal hereinnehmen, wenn es bis
-dahin die Sonne nicht ganz und gar versengt habe.
-
-Ganz tief und vollständig gekränkt fühlte er sich, es war ihm keine
-Freude mehr, unter der Haustür zu sitzen und über seinen Grund
-und Boden hinzusehen und alles zu besitzen. Da standen nun die
-Kartoffeläcker, blühten wie verrückt und vertrockneten, dann mochte
-auch das Laub bleiben, wo es war, bitte! Oh, aber Isak -- vielleicht
-hatte er mitten in seiner dicken Treuherzigkeit doch einen kleinen
-schlauen Hintergedanken, vielleicht tat er es aus Berechnung und wollte
-versuchen, jetzt beim Mondwechsel den blauen Himmel herauszufordern.
-
-Am Abend sah es wiederum nach Regen aus. Du hättest das Laub
-hereinholen sollen, sagte Inger. -- Warum denn? fragte Isak und tat
-äußerst unzugänglich. -- Ja, ja, du spottest, aber es könnte jetzt doch
-Regen kommen. -- Du siehst doch wohl, daß in diesem Jahr kein Regen
-kommt.
-
-Aber in der Nacht war es doch, als würden die Glasscheiben ganz dunkel,
-und es war auch, als jage etwas dagegen und mache sie naß, was es nun
-auch sein mochte.
-
-Inger erwachte und sagte: Es regnet! Sieh die Fenster an. -- Isak
-schnaubte nur verächtlich und erwiderte: Regen? Das ist kein Regen. Ich
-verstehe nicht, was du sagst. -- Ach, du sollst nicht spotten, sagte
-Inger.
-
-Isak spottete, ja. Und er betrog sich nur selbst. Gewiß regnete es, und
-zwar einen tüchtigen Schauer; aber als Isaks Laub ordentlich durchnäßt
-war, hörte es auf zu regnen. Der Himmel war wieder blau. Ich hab' es ja
-vorhergesagt, daß kein Regen kommt, sagte Isak eigensinnig und recht
-sündhaft.
-
-Für die Kartoffeln nützte dieser Regenschauer nichts, die Tage kamen
-und gingen. Der Himmel war blau. Da machte sich Isak an die Herstellung
-seines Holzschlittens. Er gab sich alle Mühe damit. Er beugte sein Herz
-und hobelte demütig Kufen und Stangen. Ach ja, Herrgott im Himmel!
-Seht, die Tage kamen und gingen ja, das Kind wuchs heran, Inger machte
-Butter und Käse, es war eigentlich nicht so schlimm, ein Mißjahr
-überlebten tüchtige Leute draußen im Ödland wohl. Und außerdem -- als
-neun Wochen vergangen waren, kam auch richtiger, segensreicher Regen;
-einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hindurch regnete es, sechzehn
-Stunden lang goß es in Strömen, die Himmel hatten sich geöffnet. Wenn
-es nun vierzehn Tage früher gewesen wäre, dann hätte Isak gesagt: Es
-ist zu spät. Jetzt aber sagte er zu Inger: Du wirst sehen, es hilft den
-Kartoffeln doch noch ein wenig auf. -- O ja, antwortete Inger tröstend,
-es hilft ihnen noch ganz und gar.
-
-Und dann sah es allmählich besser aus; jeden Tag fiel ein Regenschauer,
-das Gras wurde wieder grün wie durch Zauber, die Kartoffeln blühten,
-jawohl, und zwar mehr als zuerst, und an den Stengeln wuchsen große
-Beeren, und das war eigentlich ganz richtig, aber niemand wußte, was
-unten an den Wurzeln war; Isak wagte nicht nachzusehen. Dann kam eines
-Tages Inger daher, und sie hatte unter einem Stock zwanzig kleine
-Kartoffeln gefunden. Und jetzt haben sie noch fünf Wochen zum Wachsen!
-sagte Inger. -- Diese Inger, sie mußte immerfort trösten und gut
-zureden mit ihrer Hasenscharte! Und eine jämmerliche Stimme hatte sie,
-sie zischte, es war, wie wenn ein Ventil etwas Dampf herausläßt; aber
-ihr Trösten war eine Wohltat draußen im Ödland. Und eine lebensfrohe
-Natur hatte sie auch. -- Wenn du noch eine Bettstatt zimmern könntest,
-sagte sie zu Isak. -- So? sagte er. -- Ja, ja, es eilt nicht gerade,
-sagte sie.
-
-Sie machten sich an die Kartoffelernte und wurden nach altem Herkommen
-bis Michaelis damit fertig. Es wurde ein mittelmäßiges Jahr, ein gutes
-Jahr; es zeigte sich wieder, daß die Kartoffeln nicht so sehr vom
-Wetter abhängig sind, sondern viel aushalten und doch heranwachsen.
-Natürlich war es, wenn sie genau nachrechneten, nicht gerade ein so
-recht mittelmäßiges und gutes Jahr, aber in diesem Jahr konnten sie
-nicht so genau nachrechnen. Eines Tages war ein Lappe vorübergekommen
-und hatte sich über all die Kartoffeln auf der Ansiedlung sehr
-verwundert; in den Dörfern sei es viel schlimmer, sagte er.
-
-Dann hatte Isak wieder einige Wochen vor sich, während der er Land
-roden konnte, ehe die Kälte einsetzte und der Boden gefror. Jetzt
-weidete das Vieh auf den Feldern und wo es wollte. Es machte Isak
-Freude, mit den Tieren zusammen zu arbeiten und ihre Glocken zu hören.
-Es hielt ihn zwar auch von der Arbeit ab, denn der Stier stieß gar zu
-gerne mit seinen Hörnern in die Laubhaufen hinein, oder die Geißen
-waren droben und drunten und überall, sogar auf dem Dach der Hütte.
-
-Kleine und große Sorgen!
-
-Eines Tages hörte Isak einen lauten Schrei. Inger steht vor dem Hause
-mit dem Kind auf dem Arm und deutet auf den Stier und die kleine Kuh
-Silberhorn; die sind Liebesleute. Isak wirft die Haue weg und rennt
-hinunter, aber es ist zu spät, das Unglück ist geschehen. Sieh die
-Hexe, die ist zeitig dran, erst ein Jahr alt, ein halbes Jahr zu früh,
-die Hexe, das Kind. Isak bringt sie in den Stall hinein, aber es ist
-wohl zu spät. Ja, ja, sagt Inger, es ist nun gewissermaßen gut, sonst
-wären beide Kühe im Herbst trächtig geworden. -- Ach, diese Inger,
-nein, sie hatte keinen guten Kopf, aber sie hatte vielleicht gewußt,
-was sie tat, als sie am Morgen Silberhorn und den Stier zusammen
-herausließ.
-
-Es wurde Winter, Inger kardätschte und spann, Isak fuhr Klafterholz zu
-Tal, ungeheure Ladungen von trockenem Holz auf guter Schlittenbahn;
-alle Schulden wurden getilgt, Pferd und Wagen, Pflug und Egge gehörten
-nun ihm. Er fuhr mit Ingers Ziegenkäse zu Tal und brachte Webgarn,
-Webstuhl, Haspel und Scherbaum dafür nach Hause, und wieder brachte er
-Mehl und Eßwaren, und wieder Bretter, Dielen und Nägel; eines Tages
-kam er sogar mit einer Lampe an. So wahr ich hier dastehe, rief Inger,
-du bist verrückt! Aber sie hatte schon lange erraten, daß die Lampe
-kommen würde. Am Abend zündeten sie sie an und waren wie im Paradies,
-der kleine Eleseus glaubte gewiß, es sei die Sonne. Siehst du, wie
-verwundert er ist! sagte Isak. Von da an konnte Inger bei Lampenlicht
-spinnen.
-
-Isak brachte Leinwand zu Hemden und neue Schuhe für Inger. Sie hatte
-ihn um verschiedene Farben zum Färben der Wolle gebeten, und er brachte
-auch diese. Aber eines Tages kam er wahrhaftig mit einer Uhr an! Mit
-was? Mit einer Uhr! Da war Inger wie aus den Wolken gefallen, und sie
-konnte eine Weile kein Wort herausbringen.
-
-Isak hing die Uhr mit vorsichtigen Händen an die Wand und stellte
-sie nach seiner Schätzung; er zog die Gewichte auf und ließ die Uhr
-schlagen. Das Kind drehte die Augen nach dem tiefen Klang und sah dann
-die Mutter an. Ja, du kannst dich wohl verwundern! sagte sie und nahm
-den Jungen auf den Schoß und war selbst gerührt. Denn von allem Guten
-hier in der Einsamkeit konnte sich nichts mit der Wanduhr vergleichen,
-die den ganzen dunklen Winter hindurch ging und die Stunden richtig
-schlug.
-
-Dann war alles Holz fortgeschafft, Isak ging wieder in den Wald und
-fällte wieder Bäume; er machte seine Straßen und seine Stadt aus
-Klafterholzstapeln für den nächsten Winter. Er mußte jetzt immer
-weiter von seinem Haus weggehen, eine große, weite Halde lag da schon
-zum Bebauen bereit, und er wollte jetzt nicht noch mehr Boden ganz
-abholzen, sondern von jetzt an nur die ältesten Bäume mit vertrockneten
-Wipfeln fällen.
-
-Natürlich hatte er auch schon längst verstanden, warum Inger von einem
-zweiten Bett gesprochen hatte, jetzt durfte er es wohl nicht länger
-hinausschieben, sondern mußte sich beeilen. Als er an einem dunklen
-Abend aus dem Walde heimkehrte, da war es geschehen: die Familie hatte
-sich vermehrt, wieder um einen Jungen. Inger lag zu Bett. Diese Inger!
-Am Morgen hatte sie ihn ins Dorf hinunterschicken wollen. Du solltest
-das Pferd ein wenig bewegen, hatte sie gesagt. Denn es steht nur in
-seinem Stand und scharrt. -- Ich habe keine Zeit zu solchem Unsinn,
-sagte Isak und ging fort. Jetzt merkte er, daß sie ihn nur aus dem Wege
-hatte haben wollen, aber warum? Es wäre doch vielleicht gut gewesen,
-wenn sie ihn in der Nähe gehabt hätte. -- Wie kommt es nur, daß du
-einem nie ein Zeichen geben kannst? sagte er. -- Nun mußt du dir eine
-eigene Bettstatt richten und in der Kammer schlafen, erwiderte sie.
-
-Aber mit der Bettlade war es nicht getan, es gehörten auch Bettstücke
-hinein. Sie hatten keine zwei Felldecken und konnten sich auch vor
-dem nächsten Herbst, wo sie einige Hämmel schlachten würden, keine
-zweite Felldecke verschaffen; aber selbst von zwei Hämmeln bekam man
-noch keine Decke. In der nächsten Zeit hatte es Isak nicht gut, er
-fror jämmerlich bei Nacht. Er versuchte, sich in das Heu unter dem
-Felsenhang einzugraben, versuchte, bei den Kühen zu schlafen, obdachlos
-war er. Zum Glück war es schon Mai, dann kam der Juni, der Juli ...
-
-Merkwürdig, wieviel hier in nur drei Jahren zustande gebracht worden
-war: eine Behausung für Menschen, ein Stall und urbar gemachtes Land.
-Was baute Isak jetzt? Einen neuen Schuppen, eine Scheune, einen Anbau
-ans Wohnhaus? Es dröhnte durchs Haus, wenn er die acht Zoll langen
-Nägel hineinschlug, und Inger kam ab und zu heraus und bat um Gnade
-für die Kleinen. Jawohl, die Kleinen! Unterhalte sie einstweilen.
-Sing ihnen was vor, gib dem Eleseus den Eimerdeckel, dann kann er
-damit lärmen! Die großen Nägel werden bald hineingeschlagen sein, sie
-müssen eben gerade hier sitzen, in den Streckbalken, mit denen der
-Anbau am Haus festgemacht wird. Nachher hab' ich nur noch Bretter und
-zweieinhalb Zoll lange Nägel, das ist das reine Kinderspiel.
-
-Hätte er es vermeiden können, zu hämmern? Bisher wurden die
-Heringstonne, das Mehl und andere Eßwaren im Stall aufbewahrt, damit
-sie nicht unter freiem Himmel stehen mußten; aber der Speck bekam einen
-Stallgeschmack, eine Vorratskammer war die reinste Notwendigkeit.
-Die kleinen Jungen mußten sich auch an so ein paar Hammerschläge an
-die Wand gewöhnen; Eleseus war allerdings etwas zart und schwächlich
-geworden, aber der andere saugte wie ein Posaunenengel, und wenn er
-nicht schrie, dann schlief er. Ein prächtiger Junge! Isak wollte sich
-dem nicht widersetzen, daß er Sivert heißen sollte, es war vielleicht
-am besten so, obgleich er abermals an den Namen Jakob gedacht hatte.
-In manchen Fällen hatte Inger recht, Eleseus war nach ihrem Pfarrer
-getauft, und es war ein vornehmer Name, aber Sivert hieß Ingers Oheim,
-der Bezirkskassierer, der ein Junggeselle und ein vermöglicher Mann
-ohne Erben war. Was hätte dem Kinde Besseres widerfahren können, als
-Sivert zu heißen!
-
-Dann kam wieder die Frühjahrsarbeit, und alles wurde vor Pfingsten in
-die Erde gelegt. Damals, als Inger nur Eleseus ihr eigen nannte, hatte
-sie nie Zeit gehabt, ihrem Manne zu helfen, so sehr hatte sie der
-Erstgeborene in Anspruch genommen. Jetzt, da sie zwei Kinder hatte,
-jätete sie das Unkraut aus und verrichtete noch vieles andere; sie half
-viele Stunden lang beim Kartoffellegen, säte auch Karotten und Rüben.
-Eine solche Frau fand sich nicht so leicht wieder. Und hatte sie nicht
-auch Tuch auf dem Webstuhl? Jeden Augenblick nützte sie aus, um in die
-Kammer zu laufen und ein paar Spulen abzuweben; es war halbwollenes
-Tuch zu Wäsche für den Winter. Nachdem das Garn gefärbt war, webte sie
-blau und roten Kleiderstoff für sich und die Kinder; dann legte sie
-noch mehr Farben ein und machte Bettbezüge für Isak. Lauter notwendige,
-nützliche und höchst dauerhafte Sachen.
-
-Seht, nun war die Familie im Ödland schon recht heraufgekommen, und
-wenn dieses Jahr gut einschlug, waren die Ansiedler geradezu zu
-beneiden. Was fehlte ihnen noch? Ein Heuschuppen natürlich, eine
-Scheune mit einer Tenne in der Mitte, das war ein Zukunftsziel, und
-es würde erreicht werden wie die andern Ziele auch. Mit der Zeit, ja!
-Jetzt hatte die kleine Silberhorn ein Kalb, und die Ziegen hatten
-Zicklein, und die Schafe hatten Lämmer, es wimmelte von kleinen Tieren
-auf der Weide. Und die Menschen? Eleseus konnte schon auf seinen
-eigenen Beinen gehen, wohin er wollte, und der kleine Sivert war
-getauft. Und Inger? Sie war gewiß schon wieder guter Hoffnung, sie sah
-so rundlich aus. Was war auch ein Kind für sie? Nichts -- das heißt
-große Dinge, nette kleine Leute, sie war stolz auf ihre Kinder und
-gab zu verstehen, daß Gott nicht allen Leuten solche großen, hübschen
-Kinder anvertraue. Inger war ganz davon in Anspruch genommen, jung
-zu sein. Sie hatte ein verunstaltetes Gesicht und hatte ihre ganze
-Jugend als eine Ausgestoßene verbracht, die Burschen hatten sie nicht
-angesehen, obgleich sie tanzen und arbeiten konnte, sie hatten ihre
-gute Weiblichkeit verschmäht, sie hatten sich weggewendet -- jetzt war
-ihre Zeit, sie entfaltete sich, sie stand ununterbrochen in voller
-Blüte und war guter Hoffnung. Isak selbst, der Hausvater, war und blieb
-ein ernster Mann, aber er hatte guten Erfolg gehabt und war zufrieden.
-Wie und womit er sich das Leben erträglich gemacht hatte, ehe Inger
-kam, war sehr dunkel; mit Kartoffeln und Ziegenmilch, ja mit gewagten
-Gerichten ohne Namen; jetzt hatte er alles, was ein Mann in seinen
-Verhältnissen nur verlangen konnte.
-
-Wieder kam große Trockenheit, wieder ein Mißjahr. Der Lappe Os-Anders,
-der mit seinem Hund vorüberkam, konnte berichten, daß die Leute im
-Dorfe schon alles Getreide zu Viehfutter abgemäht hätten. -- So, sie
-hatten also keine Hoffnung mehr? fragte Inger. -- Nein, aber dafür
-haben sie einen guten Heringsfang gemacht. Dein Oheim Sivert bekommt
-seinen Anteil als Strandbesitzer. Und er hat doch vorher schon ein
-bißchen etwas in Küche und Keller gehabt. Gerade wie du, Inger. -- Ja,
-Gott sei Dank, ich habe nichts zu klagen. Was sagen sie denn daheim von
-mir? -- Os-Anders wiegt den Kopf hin und her und sagt schmeichlerisch,
-er habe keine Worte dafür! -- Wenn du eine Schale süße Milch möchtest,
-so brauchst du es nur zu sagen, versetzt Inger. -- Du sollst dich nicht
-in Unkosten stürzen. Aber hast du ein wenig für den Hund?
-
-Die Milch kam, das Futter für den Hund auch. Der Lappe hörte Musik aus
-der Stube heraus und lauschte: Was ist das? -- Das ist unsere Wanduhr,
-die schlägt, sagt Inger; sie ist am Platzen vor lauter Stolz.
-
-Wieder wiegte der Lappe den Kopf hin und her und sagte: Ihr habt Haus
-und Pferd und Wohlbehagen, kannst du mir sagen, was ihr nicht habt?
--- Nein, wir können Gott nicht genug danken. -- Oline hat mir einen
-Gruß an dich aufgetragen. -- So. Wie geht es ihr? -- Es geht. Wo ist
-dein Mann? -- Er ist auf dem Feld draußen. -- Es heißt, er habe nicht
-gekauft! wirft der Lappe hin. -- Gekauft? Wer sagt das? -- Es heißt
-so. -- Von wem sollte er denn kaufen? Es ist Allmende. -- Ja, ja. --
-Und viele Schweißtropfen hat er in diesen Grund und Boden hineinfallen
-lassen. -- Es heißt, euer Boden gehöre dem Staat.
-
-Inger verstand davon nichts und sagte: Ja, das kann schon sein. Hat
-etwa sie, die Oline, das gesagt? -- Ich erinnere mich nicht, wer es
-war, antwortete der Lappe, und er ließ seine unsteten Augen in allen
-Richtungen umherschweifen. Inger wunderte sich darüber, daß er nicht
-um etwas bettelte, das tat Os-Anders sonst immer, alle Lappen betteln.
-Os-Anders aber sitzt ruhig da, stopft seine kurze Kreidepfeife und
-zündet sie an. Das ist eine Pfeife! Er raucht und pafft so, daß sein
-ganzes runzliges Gesicht aussieht wie ein Rindenstück. -- Ja, ich
-brauche nicht zu fragen, ob das deine Kinder sind, sagte er noch
-schmeichlerischer. Denn sie sind dir so ähnlich. Genau so nett wie du
-selbst, als du klein warst.
-
-Inger, die eine Mißgeburt und ein Auswurf gewesen war -- natürlich war
-es verkehrt, aber ihr Herz schwoll doch vor Stolz. Selbst ein Lappe
-kann ein Mutterherz froh machen. Wenn dein Sack nicht schon so voll
-wäre, so würde ich dir ein bißchen was hineintun, sagte sie. -- Nein,
-du sollst dich nicht in Unkosten stürzen!
-
-Inger geht mit dem Kind auf dem Arm hinein, während Eleseus bei dem
-Lappen draußen bleibt. Die beiden kommen gut miteinander aus. Der Junge
-darf etwas Merkwürdiges aus des Lappen Sack sehen, etwas Haariges, er
-darf es streicheln. Der Hund winselt und bellt. Als Inger mit etwas
-Mundvorrat herauskommt, stößt sie einen kleinen Seufzer aus und sinkt
-auf die Türschwelle. Was hast du da? fragt sie. -- Ach nichts, es ist
-ein Hase. -- Das hab' ich gesehen. -- Dein Kleiner wollte ihn sehen.
-Mein Hund hat ihn heute gejagt und umgebracht. -- Da ist dein Essen,
-sagt Inger.
-
-
-
-
-5
-
-
-Es ist eine alte Erfahrung, daß wenigstens zwei Mißjahre aufeinander
-folgen. Isak war geduldig geworden und fand sich in sein Los. Das
-Getreide verbrannte auf dem Felde, und die Heuernte war mittelmäßig,
-aber die Kartoffeln sahen wieder aus, als würden sie sich erholen;
-es war demnach zwar schlimm genug, aber doch keine Not. Isak hatte
-auch noch Klafterholz und Balken, die er ins Dorf hinunterschaffen
-konnte, und da an der ganzen Küste der Heringsfang gut ausgefallen
-war, hatten die Leute Geld genug zum Holzkaufen. Es sah fast wie eine
-Fügung aus, daß die Getreideernte fehlschlug, denn wie hätte er dieses
-Korn dreschen sollen, ohne eine Scheune mit einer Tenne? Ja, laß Fügung
-Fügung sein, das schadet auf die Dauer nichts!
-
-Eine andere Sache war die, daß Neues auftauchte und ihn beunruhigte.
-Was war nun das, was ein gewisser Lappe im Sommer zu Inger gesagt hatte
--- daß er nicht gekauft habe? Hätte er kaufen sollen, warum denn? Der
-Boden lag ja da, der Wald stand da, er machte Land urbar, errichtete
-sich ein Haus mitten in der Urnatur, ernährte seine Familie und seinen
-Viehstand, war niemand etwas schuldig, arbeitete, arbeitete. Schon
-wiederholt hatte er, wenn er drunten im Dorfe war, daran gedacht, mit
-dem Lensmann zu sprechen, dies aber immer wieder hinausgeschoben. Der
-Lensmann war nicht beliebt, und Isak war wortkarg. Was sollte er sagen,
-wenn er ankam, welchen Grund angeben, warum er gekommen sei?
-
-Eines Tages im Winter kam indes der Lensmann selbst in die Ansiedlung
-dahergefahren; er hatte einen Mann bei sich und brachte eine von
-Papieren strotzende Tasche mit -- und es war der Lensmann Geißler
-selbst. Er sah die große offene Halde, die abgeholzt war und glatt und
-eben unter dem Schnee lag, und er meinte wohl, die ganze weite Fläche
-sei angebaut, deshalb sagte er: Das ist ja ein großes Anwesen, meinst
-du, das bekommst du umsonst?
-
-Nun war es da! Isak erschrak bis ins innerste Mark und erwiderte nichts.
-
-Du hättest zu mir kommen und den Boden kaufen sollen, sagte der
-Lensmann. -- Ja. -- Der Lensmann sprach von Einschätzung, von
-Grenzscheiden, von Steuer, „Kronsteuer”, sagte er; als Isak
-einigermaßen Aufklärung bekam, fand er es immer weniger ungereimt. Der
-Lensmann neckte seinen Begleiter und sagte: Nun, du Schätzungsmann,
-wie groß ist die Ansiedlung? Aber er wartete nicht auf Antwort, sondern
-schrieb die Größe aufs Geratewohl hin. Dann fragte er Isak nach
-den Heulasten und nach den Kartoffeltonnen. Und wie sie es mit der
-Grenzscheide halten wollten? Sie könnten doch nicht die Grenzscheide
-in mannshohem Schnee abschreiten, und im Sommer könnten Menschen
-nicht hier heraufkommen. Was Isak sich selbst als Weideland und Wald
-ausgedacht habe? -- Das wußte Isak nicht, bis jetzt hatte er, so weit
-er blickte, für sein Eigentum betrachtet. Der Lensmann sagte, der Staat
-setzt Grenzen. Je mehr Land du bekommst, desto mehr kostet es, sagte
-er. -- So? -- Ja, du bekommst nicht so viel, als du überschauen kannst,
-sondern so viel, als du brauchst. -- So? --
-
-Inger setzte Milch vor, und der Lensmann und sein Begleiter tranken.
-Sie brachte noch mehr Milch. Der Lensmann sollte streng sein? Er strich
-sogar Eleseus übers Haar und sagte: Spielt er mit Steinen? Laß mich die
-Steine mal sehen! Was ist denn das? Die sind aber schwer, da ist gewiß
-irgendein Metall drin! -- Ja, von denen gibt's genug oben im Gebirge,
-sagt Isak.
-
-Der Lensmann kehrte zum Geschäftlichen zurück. -- Südlich und westlich
-ist es wohl am vorteilhaftesten für dich? sagte er zu Isak. Sagen
-wir eine Viertelmeile südwärts! -- Was, eine ganze Viertelmeile?
-rief der Begleiter des Lensmannes. -- Du allerdings könntest keine
-zweihundert Ellen umbrechen, versetzte der Lensmann kurz. -- Isak
-fragte: Was kostet eine Viertelmeile? -- Das weiß ich nicht, antwortete
-der Lensmann, das weiß niemand. Aber ich werde einen niederen Preis
-vorschlagen. Es ist ja meilenweit im Ödland drinnen, ohne jegliche
-Zufahrt.
-
-Ja, aber eine ganze Viertelmeile! sagte der Begleiter wieder.
-
-Der Lensmann schrieb eine Viertelmeile südwärts und fragte: Und
-aufwärts nach den Bergen? -- Ja, da muß ich es bis zum See haben. Dort
-ist ein großer See, antwortete Isak.
-
-Der Lensmann schrieb weiter. Jetzt nach Norden? -- Da kommt es nicht so
-genau drauf an, auf dem Moor ist kein ordentlicher Wald, meinte Isak.
-
-Der Lensmann schrieb nach seinem eigenen Kopf eine halbe Viertelmeile.
-Nach Osten? -- Da ist es auch nicht so genau. Dort ist nur Gebirge nach
-Schweden hinüber.
-
-Der Lensmann schrieb.
-
-Als er fertig war, rechnete er das Ganze in einem Augenblick zusammen
-und sagte: Natürlich wird das ein großes Besitztum, und wenn es drunten
-in der Gemeinde läge, könnte niemand es kaufen. Ich will hundert Taler
-für alles miteinander vorschlagen. Was meinst du? fragte er seinen
-Begleiter. -- Das ist ja gar kein Preis, antwortete dieser. -- Hundert
-Taler! sagte Inger. Du brauchst gar nicht so viel Land. -- Nein, sagte
-Isak. -- Der Begleiter fiel ein: Es ist, wie ich sage. Was wolltet ihr
-mit so viel Land?
-
-Der Lensmann sagte: Es roden.
-
-Nun hatte er dagesessen, sich abgemüht und niedergeschrieben; ab und
-zu schrie ein Kind in der Stube, er hätte nur ungern das Ganze noch
-einmal geschrieben, er kam auch erst spät in der Nacht wieder heim,
-nein, erst gegen Morgen sogar. So steckte er entschlossen die Urkunde
-in seine Tasche. Geh hinaus und spann an! befahl er seinem Begleiter.
-Dann wendete er sich an Isak und sagte: Eigentlich hättest du den Platz
-umsonst haben sollen und noch Bezahlung obendrein, so wie du geschafft
-hast. Und das will ich bei meinem Vorschlag auch sagen. Dann werden wir
-sehen, was der Staat für einen Kaufbrief verlangt.
-
-Isak -- Gott weiß, wie ihm zumute war. Es war, als hätte er nichts
-dagegen, daß ein hoher Preis für seine Ansiedlung und seine ungeheure
-Arbeit hier angesetzt würde. Er hielt es wohl nicht für unmöglich, mit
-der Zeit hundert Taler abzubezahlen, deshalb sagte er nichts mehr; er
-konnte wie vorher arbeiten, das Land bebauen und überständigen Wald in
-Klafterholz umwandeln. Isak gehörte nicht zu denen, die umherspähen, er
-stand nicht auf dem Ausguck nach Glückszufällen, er arbeitete.
-
-Inger bedankte sich beim Lensmann und bat ihn, beim Staat ein gutes
-Wort für sie einzulegen.
-
-Jawohl. Aber die Entscheidung liegt ja nicht bei mir, ich gebe nur mein
-Gutachten dazu. Wie alt ist denn der Kleinste da? -- Gut ein halbes
-Jahr. -- Junge oder Mädchen? -- Ein Junge.
-
-Der Lensmann war nicht hart, sondern oberflächlich und wenig
-gewissenhaft. Seinen Vertrauens- und Schätzungsmann, den Gerichtsboten
-Brede Olsen, hörte er nicht an, das wichtige Geschäft ordnete er aufs
-Geratewohl und nach Gutdünken; diese große Sache, entscheidend für Isak
-und seine Frau und entscheidend auch für ihre Nachkommen vielleicht in
-zahllosen Geschlechtern, entschied er auf gut Glück, er schrieb nur
-so hin. Aber er erwies den Ansiedlern viel Freundlichkeit, er zog ein
-glänzendes Geldstück aus der Tasche und gab es dem kleinen Sivert in
-die Hand, dann nickte er noch freundlich und ging hinaus zum Schlitten.
-
-Plötzlich fragte er: Wie heißt der Ort?
-
-Heißen? -- Welchen Namen hat er? Wir müssen ihm einen Namen geben.
-
-Daran hatten die Leute nicht gedacht, und Inger und Isak sahen einander
-an.
-
-Sellanraa? sagte der Lensmann. Er hatte diesen Namen wohl erfunden, es
-war vielleicht gar kein Name, aber er wiederholte: Sellanraa! nickte
-und fuhr davon.
-
-Alles aufs Geratewohl, die Grenzscheide, den Preis, den Namen ...
-
-Einige Wochen später, als Isak im Dorfe war, hörte er, daß es mit
-dem Lensmann Schwierigkeiten gegeben habe. Es war nach verschiedenen
-Geldern geforscht worden, über die er nicht Rechenschaft hatte ablegen
-können, und man hatte ihn deshalb beim Landrichter angezeigt. So
-schlimm kann es kommen; manche Menschen taumeln so durchs Leben dahin,
-dann kommen sie an denen, die bedächtigen Schrittes gehen, zu Fall!
-
-Eines Tages, als Isak mit einer seiner letzten Holzfuhren im Dorf
-gewesen war und sich auf dem Heimweg befand, geschah es, daß er den
-Lensmann fahren sollte. Der Lensmann trat ohne weiteres mit einer
-Reisetasche in der Hand aus dem Walde heraus und sagte: Laß mich bei
-dir aufsitzen!
-
-Sie fuhren eine Weile, keiner von beiden sprach ein Wort. Ab und zu
-zog der Lensmann eine Flasche heraus und trank einen Schluck; er bot
-auch Isak an, der aber dankte. Ich fürchte für meinen Magen auf dieser
-Reise, sagte der Lensmann.
-
-Dann sprach er von Isaks Hofangelegenheit und sagte: Ich habe die
-Sache gleich weiterbefördert und sie warm empfohlen. Sellanraa ist ein
-hübscher Name. Eigentlich hättest du das Land umsonst haben sollen,
-aber wenn ich das geschrieben hätte, wäre der Staat unverschämt
-geworden und hätte seinen eigenen Preis angesetzt. Ich habe fünfzig
-Taler geschrieben. -- Ach so, habt Ihr also nicht hundert Taler
-geschrieben? -- Der Lensmann runzelte die Stirn und überlegte, dann
-sagte er: Soviel ich mich erinnere, habe ich fünfzig Taler geschrieben.
-
-Wohin reist Ihr jetzt? fragte Isak. -- Nach Vesterbotten, zur Familie
-meiner Frau. -- In dieser Jahreszeit? Das ist ein böser Weg, um da
-hinüberzukommen. -- Oh, es wird schon gehen. Kannst du mich nicht ein
-Stück weit begleiten? -- Doch. Ihr dürft nicht allein gehen.
-
-Sie erreichten die Ansiedlung, und der Lensmann übernachtete in der
-Kammer. Am Morgen nahm er wieder einen Schluck aus seiner Flasche und
-sagte: Ich ruiniere mir gewiß den Magen auf dieser Reise. Sonst war
-er ganz wie bei seinem letzten Besuch, wohlwollend entschieden, aber
-etwas fahrig und nur wenig mit seinem eigenen Schicksal beschäftigt;
-vielleicht war es auch gar nicht so trostlos. Als Isak sagte, nicht
-die ganze Halde sei angebaut, sondern nur ein kleines Stück davon, nur
-ein paar Felder, gab der Lensmann die überraschende Antwort: Das hab'
-ich wohl verstanden, als ich damals hier saß und schrieb. Aber mein
-Fuhrmann Brede verstand nichts davon, er ist ein Esel. Das Ministerium
-hat eine Art Tabelle. Wenn nun auf so einer großen Landstrecke so wenig
-Heulasten und so wenig Kartoffeltonnen geerntet werden, dann sagt die
-Tabelle des Ministeriums, das sei elender Boden, billiger Boden. Ich
-bin auf deiner Seite gewesen, und ich verpfände gern meine Seligkeit
-auf dieses Schelmenstück. Ja, zwei- bis dreitausend solcher Männer, wie
-du einer bist, sollten wir hier im Lande haben. Der Lensmann nickte und
-wendete sich dann an Inger: Wie alt ist der Kleinste? -- Jetzt ist er
-dreiviertel Jahr alt. -- Und es ist ein Junge? -- Ja. --
-
-Aber du mußt dich ins Zeug legen und deine Hofangelegenheit so rasch
-wie möglich in Ordnung bringen, sagte der Lensmann zu Isak. Es ist noch
-ein Mann da, der ungefähr auf halbem Wege zwischen hier und dem Dorf
-kaufen will, und dann steigt der Boden im Wert. Kauf du nur zuerst,
-dann mag der Preis nachher steigen. Du aber hast dann doch etwas von
-all deiner Arbeit. Du hast den Anfang gemacht hier im Ödland.
-
-Die Leute waren ihm dankbar für seinen Rat und fragten ihn, ob er
-denn nicht selbst die Angelegenheit zum Abschluß bringen werde. Er
-antwortete, er habe nun das seinige dabei getan, es komme jetzt nur
-noch auf den Staat an. Ich reise jetzt nach Vesterbotten und kehre
-nicht mehr hierher zurück, sagte er geradeheraus.
-
-Er gab Inger ein Geldstück, aber das war wirklich zu viel. Vergiß
-nicht, meiner Familie im Dorf etwas zum Schlachten mitzubringen, ein
-Kalb oder ein Schaf, meine Frau bezahlt dir's. Nimm auch ab und zu ein
-paar Ziegenkäse mit, meine Kinder essen ihn so gern, sagte er.
-
-Isak begleitet ihn übers Gebirge; auf der Höhe lag fester Harsch, man
-konnte also gut vorwärts kommen. Isak bekam einen ganzen Taler.
-
-So zog denn Lensmann Geißler fort und kehrte nicht mehr ins Dorf
-zurück. Die Leute sagten, es sei ihnen einerlei; man hielt ihn für
-einen unzuverlässigen Menschen und einen Abenteurer. Nicht, daß er
-nicht genug gewußt hätte, er war ein wohlunterrichteter Mann, der viel
-gelernt hatte, aber er tat sich zu viel darauf zugut und verbrauchte
-anderer Leute Geld. Es wurde ruchbar, daß er auf ein scharfes Schreiben
-von Amtmann Pleym hin durchgebrannt war; aber seiner Familie geschah
-nichts Böses, sie bestand aus der Frau und drei Kindern, und die
-blieben noch längere Zeit in der Gemeinde wohnen. Übrigens dauerte
-es nicht lange, bis die fehlenden Gelder von Schweden aus geschickt
-wurden; die Lensmannsfamilie war dann nicht mehr als Pfand da, sondern
-blieb aus freiem Willen, weil sie selbst es wollte.
-
-Für Isak und Inger war dieser Geißler kein schlechter Mensch gewesen,
-im Gegenteil. Gott mochte wissen, wie sich nun der neue Lensmann zu der
-Sache stellen würde, ob am Ende das ganze Geschäft mit der Ansiedlung
-noch einmal gemacht werden mußte!
-
-Der Amtmann schickte einen von seinen Schreibern in die Gemeinde, das
-war der neue Lensmann. Es war ein Mann in den Vierzigern, der Sohn
-eines Vogts und hieß Heyerdahl; er war zu arm gewesen, um zu studieren
-und Beamter zu werden, aber er hatte auf einer Gerichtsstube gesessen
-und war da fünfzehn Jahre lang Schreiber gewesen. Da er niemals Geld
-genug zum Heiraten gehabt hatte, war er Junggeselle; der Amtmann Pleym
-hatte ihn von seinem Vorgänger geerbt und gab ihm dasselbe armselige
-Gehalt, das er vorher bezogen hatte. Heyerdahl empfing sein Gehalt
-und schrieb weiter. Er wurde ein mißmutiger, vertrockneter, aber
-zuverlässiger und rechtschaffener Mann, war dabei auch, soweit seine
-Begabung reichte, sehr tüchtig zu den Arbeiten, die er einmal gelernt
-hatte. Jetzt, da er Lensmann geworden war, stieg sein Selbstgefühl
-bedeutend.
-
-Isak faßte sich ein Herz und ging zu ihm.
-
-Die Sache Sellanraa -- ja, da ist sie, vom Ministerium zurückgekommen.
-Die Herren wollen über vieles noch Aufklärung haben, das Ganze ist
-ja von der Hand dieses Geißlers das reine Durcheinander, sagte der
-Lensmann. Das Königliche Ministerium will wissen, ob da vielleicht
-große herrliche Multebeerenmoore auf dem Platze sind. Ob Hochwald da
-ist. Ob sich möglicherweise Erze und verschiedene andere Metalle in den
-Bergen ringsum finden. Es sei ein großer Gebirgssee genannt, ob es da
-Fische gebe. Dieser Geißler hat allerdings einige Aufklärung gegeben,
-aber es ist ja kein Verlaß auf ihn, ich muß hier alles von ihm genau
-durchgehen. Ich werde also so bald wie möglich auf deine Ansiedlung
-nach Sellanraa hinaufkommen und alles untersuchen und es einschätzen.
-Wie viele Meilen ist es hinauf? Das Königliche Ministerium will, daß
-die Grenzen ordentlich abgeschritten werden. -- Es wird sehr schwierig
-sein, die Grenzscheide vor dem Sommer abzuschreiten, sagte Isak. --
-Ach, es wird sich schon machen lassen. Wir können das Ministerium nicht
-bis zum Sommer auf Antwort warten lassen, versetzte Heyerdahl. Ich
-komme in den nächsten Tagen hinauf. Bei derselben Gelegenheit soll vom
-Staat aus auch noch an einen andern Mann Siedlungsland verkauft werden.
--- Ist das der Mann, der auf halbem Wege von der Gemeinde bis zu mir
-herauf Land kaufen will? -- Das weiß ich nicht, aber vielleicht ist er
-es. Ein Mann von hier übrigens, mein Schätzungsmann, mein Amtsdiener.
-Er hat schon bei Geißler wegen des Kaufs angefragt; aber Geißler hatte
-ihn abgewiesen und gesagt, er könne ja nicht einmal zweihundert Ellen
-umgraben. Da hat der Mann an das Landgericht selbst geschrieben, und
-jetzt ist mir die Sache zur Begutachtung übergeben. Ja, dieser Geißler!
-
-Lensmann Heyerdahl kam zur Ansiedlung und hatte den Schätzungsmann
-Brede bei sich. Sie waren sehr naß geworden beim Überschreiten
-des Moors und wurden noch nasser, als sie dann im schmelzenden
-Frühjahrsschnee die Grenze den Berghang hinauf abschreiten sollten.
-Am ersten Tag war der Lensmann sehr eifrig, am zweiten ging er müde
-dahin und blieb weit unten stehen, rief nur und deutete. Nein, es war
-nicht mehr die Rede davon, die „Berge ringsum abzuschürfen”, und die
-Multebeermoore sollten erst auf dem Heimweg genau untersucht werden,
-sagte er.
-
-Das Ministerium hatte viele Fragen gestellt, es hatte wohl wieder eine
-Tabelle vor; die einzige von diesen Fragen, die einen Sinn hatte,
-war die nach dem Walde. Ganz richtig, es war etwas Hochwald da, und
-er stand innerhalb Isaks Viertelmeile, aber es war kein Bauholz zum
-Verkauf da, nur gerade genug für den eigenen Bedarf. Aber selbst
-wenn hier Bauholz gestanden hätte, wer hätte es meilenweit ins Dorf
-hinunterschaffen sollen? Das konnte nur der Mühlengeist Isak, wenn er
-im Laufe des Winters ein paar Stämme hinunterfuhr und dafür Balken und
-Bretter bekam.
-
-Es zeigte sich, daß dieser merkwürdige Mann Geißler eine Darstellung
-gegeben hatte, die man nicht außer acht lassen konnte. Da saß nun
-der neue Lensmann und versuchte, seinem Vorgänger etwas am Zeuge zu
-flicken und Fehler zu finden, mußte dieses Bemühen aber aufgeben. So
-fragte er nur öfter als Geißler seinen Begleiter und Schätzungsmann um
-Rat und richtete sich nach dessen Worten, und derselbe Schätzungsmann
-mußte sich wohl bekehrt und eine andere Ansicht bekommen haben, seit
-er selbst Allmende vom Staat kaufen wollte. -- Was denkst du über
-diesen Preis? fragte der Lensmann. -- Fünfzig Taler ist mehr als genug
-für den, der es kaufen muß, antwortete der Schätzungsmann. -- Der
-Lensmann faßte das Gesuch in wohlgesetzten Worten ab. Geißler hatte
-geschrieben: Der Mann will von jetzt an auch jährliche Steuer bezahlen,
-er sieht sich nicht in der Lage, eine höhere Kaufsumme zu entrichten
-als fünfzig Taler, auf zehn Jahre verteilt. Der Staat muß dieses
-Angebot annehmen oder dem Mann sein Land und seine Arbeit entziehen. --
-Heyerdahl schrieb: Der Mann ersucht ehrerbietig das hohe Ministerium,
-das Grundstück, das ihm nicht gehört, auf das er aber bedeutende Arbeit
-verwendet hat, behalten zu dürfen für 50 -- fünfzig -- Speziestaler, zu
-bezahlen in Terminen nach dem wohlwollenden Ermessen des Ministeriums.
-
-Ich glaube, es wird mir gelingen, dir das Grundstück zu sichern, sagte
-Lensmann Heyerdahl zu Isak.
-
-
-
-
-6
-
-
-Heute soll der große Stier fortgeführt werden. Er ist ein ungeheures
-Tier geworden und zu wertvoll, um noch länger auf der Ansiedlung zu
-bleiben. Isak will hinunter ins Dorf mit ihm, ihn verkaufen und dafür
-einen netten jungen Stier mitbringen.
-
-Inger ist es, die das durchgesetzt hat, und Inger wußte wohl, was sie
-tat, wenn sie Isak gerade an diesem Tag fort haben wollte.
-
-Wenn du gehen willst, muß es heute sein, sagte sie. Der Stier ist
-gemästet, gemästete Ware steht im Frühjahr gut im Preis, er kann in
-die Stadt geschickt werden. Da werden Riesensummen bezahlt. -- Ja,
-ja, sagte Isak. -- Die einzige Gefahr ist, daß der Stier auf dem
-Hinunterweg wild werden könnte, fuhr Inger fort. -- Darauf gab Isak
-keine Antwort. -- Aber seit einer Woche ist er immer etwas draußen
-gewesen, hat sich umgesehen und sich ans Freie gewöhnt. -- Isak
-schwieg; aber er hängte ein großes Messer am Riemen um und führte den
-Stier heraus.
-
-Ach, was für ein Koloß, prächtig und furchtbar zugleich, seine Lenden
-schwankten bei jedem Schritt! Er war ziemlich kurzbeinig; wenn er
-dahinschritt, brach er mit der Brust den Jungwald nieder, er war wie
-eine Lokomotive. Sein Hals war gewaltig bis zur Unförmigkeit, in diesem
-Hals wohnte die Stärke eines Elefanten.
-
-Wenn er jetzt nur nicht wild wird und auf dich losgeht, sagte Inger.
--- Erst nach einer Weile antwortete Isak: Nun, dann muß ich ihn eben
-unterwegs schlachten und das Fleisch fortschaffen.
-
-Inger setzte sich auf die Türschwelle. Es war ihr übel, und ihr Gesicht
-war brennend rot. Sie hatte sich aufrecht gehalten, bis Isak gegangen
-war, jetzt verschwand er mit dem Stier im Walde, und Inger konnte ohne
-Gefahr stöhnen. Der kleine Eleseus kann schon sprechen, und er fragt:
-Mutter weh? -- Ja, weh. -- Er ahmt seine Mutter nach, greift sich nach
-dem Rücken und stöhnt auch. Klein-Sivert schläft.
-
-Inger nimmt Eleseus mit sich hinein, gibt ihm allerlei Sachen, womit er
-auf dem Boden spielen kann, und legt sich selbst zu Bett. Ihre Stunde
-war gekommen. Sie ist die ganze Zeit bei vollem Bewußtsein, gibt auf
-Eleseus acht, läßt ihren Blick über die Wiege hinschweifen und sieht
-auf die Uhr an der Wand. Sie schreit nicht, bewegt sich kaum; ein
-Kampf geht in ihren Eingeweiden vor sich, eine Last gleitet plötzlich
-von ihr ab. Fast im selben Augenblick hört sie ein fremdes Geschrei
-in ihrem Bett, ein liebes Stimmchen weint. Und jetzt hat Inger keine
-Ruhe mehr, sie richtet sich auf und schaut an sich hinunter. Was sieht
-sie? Ihr Gesicht wird im selben Augenblick aschgrau und starr, ohne
-Ausdruck und Verstand, ein Ächzen wird laut, ein so unnatürliches, so
-erschütterndes, wie ein Heulen aus ihrem Innersten heraus.
-
-Sie sinkt zurück. Eine Minute vergeht, sie hat keine Ruhe, das Weinen
-im Bett wird lauter, sie richtet sich wieder auf und schaut -- ach
-Gott, das schlimmste von allem, ohne Gnade, und das Kind ist überdies
-ein Mädchen!
-
-Isak konnte vielleicht noch nicht eine halbe Meile weit gekommen sein,
-und es war jetzt kaum eine Stunde vergangen, seit er den Hof verlassen
-hatte. In zehn Minuten war das Kind geboren und umgebracht ...
-
-Am dritten Tag kehrte Isak zurück; er führte einen mageren, halb
-verhungerten Stier, der kaum vorwärts kommen konnte, an der Leine,
-deshalb war er so lange unterwegs gewesen.
-
-Wie ist es gegangen? fragte Inger, und doch war sie selbst recht
-gedrückt und krank.
-
-Oh, es war ganz leidlich gegangen. Ja, ja, während der letzten halben
-Meile war der Stier allerdings wild geworden. Isak hatte ihn anbinden
-und Hilfe aus dem Dorfe holen müssen. Als er zurück kam, hatte der
-Stier sich losgerissen, und sie hatten ihn lange suchen müssen. Na, es
-war ja alles noch gut abgelaufen. Der Händler, der Schlachtvieh für die
-Stadt aufkaufte, hatte gut bezahlt. -- Und da ist nun der neue Stier,
-sagte Isak, bring die Kinder heraus und seht ihn euch an!
-
-Das gleiche Interesse für jedes neue Stück Vieh. Inger betrachtete den
-Stier, befühlte ihn und fragte nach dem Preis. Klein-Sivert durfte auf
-seinem Rücken sitzen. -- Es tut mir leid um den großen Stier, sagte
-Inger, er war so glänzend und brav! Wenn sie ihn jetzt nur ordentlich
-abschlachten!
-
-Die Tage waren mit Frühjahrsarbeit ausgefüllt, die Tiere waren
-hinausgelassen worden, in dem leeren Stall standen Kisten und Kasten
-voll Saatkartoffeln. Isak säte in diesem Jahr mehr Korn als sonst und
-wandte seinen äußersten Fleiß auf, um es gut in die Erde zu bringen,
-er richtete Beete für Karotten und Rüben, und Inger streute den Samen
-hinein. Alles ging wie früher.
-
-Eine Zeitlang trug Inger ein Heukissen auf dem Leib, um dick
-auszusehen. Allmählich verminderte sie das Heu, und schließlich ließ
-sie den Sack weg. Endlich eines Tages fiel es Isak auf, und er fragte
-verwundert: Was ist denn das? Ist diesmal nichts daraus geworden? --
-Nein, sagte sie, diesmal nicht. -- So, warum nicht? -- Ach, es war
-eben so. Was glaubst du, Isak, bis wann du alles das umgebrochen haben
-wirst, das wir da vor uns sehen? -- Ist es eine Fehlgeburt gewesen?
-fragte er. -- Ja. -- So. Und du hast keinen Schaden davongetragen? --
-Nein. Du, Isak, ich habe schon sooft gedacht, ob wir uns nicht Schweine
-aufziehen sollten. -- Isak, der sehr bedächtig war, sagte nach einer
-Weile: Ja, ein Schwein. Ich hab' in jedem Frühjahr daran gedacht. Aber
-solange wir nicht mehr Eßkartoffeln und auch Futterkartoffeln und etwas
-mehr Getreide haben, haben wir kein Futter für ein Schwein. Nun, wir
-wollen in diesem Jahr einmal sehen. -- Es wäre sehr schön, wenn wir ein
-Schwein hätten. -- Ja.
-
-Die Tage vergehen. Regen fällt, und Acker und Wiese stehen schön, in
-diesem Jahr darf man auf Gutes hoffen! Große und kleine Erlebnisse
-folgen einander, es gibt Mahlzeiten, Schlaf und Arbeit, Sonntage mit
-rein gewaschenen Gesichtern und gekämmten Haaren, Isak trägt sein neues
-rotes Hemd, das Inger gewebt und genäht hat. Da geschieht es, daß das
-gleichmäßige Leben durch ein großes Ereignis aufgescheucht wird. Ein
-Mutterschaf mit seinem Lamm hat sich in einem Felsenspalt eingeklemmt;
-die anderen Schafe kommen am Abend heim, Inger vermißt sofort die
-beiden, die fehlen. Isak geht hinaus, sie zu suchen. Sein erster
-Gedanke ist, wenn ein Unglück geschehen sei, so sei es nur gut, daß
-es gerade Sonntag sei und er somit nicht von der Arbeit weg müsse. Er
-sucht stundenlang, endlos ist das Weideland, er geht und geht. Daheim
-ist das ganze Haus in Aufregung; die Mutter beschwichtigt ihre Kinder
-mit kurzen Worten: Zwei Schafe fehlen, schweigt! Alle tragen an der
-Sorge mit, die ganze kleine Gesellschaft, selbst die Kühe merken, daß
-etwas Ungewöhnliches vorgeht, und brüllen, denn bisweilen ist Inger
-draußen und lockt mit lauter Stimme nach dem Walde hin, obgleich die
-Nacht schon herannaht. Dies ist ein Ereignis im Ödland, ein allgemeines
-Unglück. Als Inger die Kinder zu Bett gebracht hat, geht sie selbst
-hinaus und sucht auch; dazwischen ruft sie, bekommt aber keine Antwort,
-Isak ist wohl auch weit weg.
-
-Wo können die Schafe nur sein, was ist ihnen geschehen? Sind Bären
-unterwegs? Sind Wölfe von Schweden und Finnland übers Gebirge
-herübergekommen? Keins von beiden. Als Isak die Vermißten findet, ist
-das Mutterschaf in eine Felsenspalte eingeklemmt mit einem gebrochenen
-Bein und stark verletztem Euter. Es muß lange in der Felsenspalte
-festgehalten worden sein, denn obgleich es ernstlich verwundet ist, hat
-es doch das Gras um sich her bis an die Wurzeln abgenagt. Isak hebt
-das Schaf heraus, und das erste, was dieses tut, ist, nach Futter zu
-suchen. Das Lamm saugt sofort an der Mutter, es ist die reine Heilung
-für das arme wunde Euter, daß es geleert wird.
-
-Nun sucht Isak Steine und wirft sie in die gefährliche Felsenspalte;
-diese heimtückische Öffnung soll nie wieder ein Schafbein brechen! Isak
-trägt lederne Hosenträger, er zieht sie aus, legt sie um das Schaf und
-hält dadurch das aufgerissene Euter an seinem Platz. Dann hebt er das
-Schaf auf seine Schulter und trägt es heim. Das Lamm läuft hinter ihm
-her.
-
-Und nachher? Schienen und Teerlappen. In einigen Tagen fängt das Schaf
-an, mit dem kranken Fuß zu zappeln, weil die Wunde beißt und heilt. Ja,
-alles miteinander wird wieder gut -- bis sich wieder etwas ereignet.
-
-Das tägliche Leben, Ereignisse, die das Leben der Ansiedler ganz
-ausfüllen. Ach, das sind keineswegs Kleinigkeiten, es ist das
-Schicksal, es gilt Glück, Behagen und Wohlfahrt.
-
-Isak benutzt die Zeit zwischen Frühjahr- und Sommerarbeit, um ein paar
-neue Stämme zu behauen, die gefällt daliegen; er hat wohl einen Plan
-mit ihnen. Außerdem bricht er viele nützliche Steine aus und schafft
-sie zum Hofe hin. Wenn er genug Steine beisammen hat, schichtet er sie
-zu einer Mauer. Wäre es nun noch wie vor einem Jahr gewesen, so wäre
-Inger neugierig geworden und hätte sich gefragt, was denn ihr Mann im
-Sinne habe; aber jetzt beschäftigte sie sich lieber mit ihren eigenen
-Sachen und stellte keine Fragen mehr. Inger ist so fleißig wie früher;
-sie versorgt das Haus und die Kinder und die Tiere, aber sie hat
-angefangen zu singen, und das tat sie früher nicht. Sie hat Eleseus ein
-Abendgebet gelehrt, das hatte sie früher nicht getan. Isak vermißt ihre
-Fragen; ihre Neugierde und ihr Lob über das, was er leistete, waren es,
-die ihn zu einem zufriedenen und einem ausgezeichneten Mann gemacht
-hatten. Jetzt geht sie an ihm vorbei und sagt höchstens, er werde sich
-noch zu Tode schinden. Es muß ihr beim letztenmal doch recht schlecht
-gegangen sein! denkt Isak.
-
-Oline kommt wieder zu Besuch. Wäre es nun noch wie im vorigen Jahre
-gewesen, so hätte man sie sehr willkommen geheißen; aber jetzt ist es
-anders. Inger begegnet ihr vom ersten Augenblick an feindselig; was nun
-auch der Grund sein mag, aber Inger ist ihr feindselig gesinnt.
-
-Ich dachte halb und halb, ich würde zu rechter Zeit kommen, sagt Oline
-mit feiner Anspielung. -- Wieso? -- Ja, daß das dritte getauft werden
-sollte. Wie steht es damit? -- Ach, sagte Inger, darum hättest du dich
-nicht herzubemühen brauchen. -- So.
-
-Dann fängt Oline an zu loben, die beiden Jungen seien so groß und
-hübsch geworden, und Isak sei so fleißig, und es sehe aus, als wolle
-er wieder bauen -- großartig sei es hier, so einen Hof gebe es nicht
-wieder! Und kannst du mir sagen, was er jetzt bauen will? -- Nein, das
-kann ich nicht, du mußt ihn selbst danach fragen. -- Nein, sagt Oline,
-das geht mich nichts an. Ich wollte nur sehen, wie es euch geht, denn
-dies ist eine große Freude und Beruhigung für mich. Nach Goldhorn will
-ich gar nicht fragen oder ihren Namen in den Mund nehmen, sie hat es ja
-so gut wie nur möglich.
-
-Eine Weile vergeht unter guter Unterhaltung, und Inger ist nicht mehr
-so unfreundlich. Als die Uhr an der Wand ihre herrlichen Schläge
-ertönen läßt, treten Oline die Tränen in die Augen; sie sagt, sie habe
-in ihrem ganzen armen Leben noch nie so eine Kirchenorgel gehört. Da
-fühlt sich Inger wieder reich und großmütig aufgelegt gegen die arme
-Verwandte, und sie sagt: Komm mit in die Kammer, ich zeig dir meinen
-Webstuhl.
-
-Oline bleibt den Tag über da. Sie spricht mit Isak und lobt alles, was
-er getan hat. -- Ich höre, du hast nach jeder Richtung hin eine Meile
-gekauft, hättest du es nicht umsonst haben können? Wer hat es dir
-mißgönnt?
-
-Jetzt bekam Isak die Lobsprüche, die ihm gefehlt hatten, und er fühlte
-sich wieder mehr anerkannt und obenauf. Ich kaufe es von der Regierung,
-antwortet er. -- Jawohl, aber sie soll nicht wie ein Raubtier gegen
-dich sein, diese Regierung. Was baust du? -- Das weiß ich noch nicht.
-Es wird nichts Besonderes herauskommen. -- Du schindest dich und
-baust, du hast gemalte Türen und eine Wanduhr in der Stube, dann
-baust du wohl eine Großstube? -- Ach, spotte nicht! erwidert Isak.
-Aber es gefällt ihm gut, und er sagt zu Inger: Kannst du nicht ein
-klein wenig Sahnengrütze für unsern Gast kochen? -- Nein, antwortete
-Inger, denn ich habe erst gebuttert. -- Ich spotte nicht, ich bin nur
-ein einfältiges Frauenzimmer, das Fragen stellt, beeilte sich Oline
-einzuwerfen. Na ja, wenn es keine Großstube ist, so wird es wohl ein
-mächtiges Gebäude zu einer Scheune. Du hast Acker und Wiesen, und alles
-wächst heran, und es ist so, wie es in der Bibel steht, hier fließen
-Milch und Honig.
-
-Isak fragt: Wie sind die Aussichten heuer in eurer Gegend? -- Ach, es
-geht an. Wenn nur unser Herrgott nicht auch diesmal Feuer drauf fallen
-und es verbrennen läßt, Gott verzeih mir meine Sünden! Alles steht in
-seiner Hand und Allmacht. Aber so großartig wie hier bei euch steht es
-nirgends bei uns, o weit, weit entfernt!
-
-Inger erkundigte sich nach einigen von ihren anderen Verwandten,
-besonders nach dem Oheim Sivert, dem Bezirkskassierer, der ist der
-große Mann der Familie, besitzt ein Großnetz und einen Bootsschuppen,
-er weiß bald nicht mehr, was er mit all seinem Reichtum anfangen soll.
-
-Während dieser Unterhaltung versinkt Isak mehr und mehr in Gedanken,
-und sein neuer Bauplan ist vergessen. Schließlich sagt er: Nun, da du
-es durchaus wissen willst, Oline, so ist es eben eine kleine Scheune
-mit einer Dreschtenne, die ich zu bauen versuchen will.
-
-Das hab' ich mir gedacht, sagte Oline. Rechte Leute pflegen vorwärts
-und rückwärts zu denken und alles im Kopf zu haben. Hier ist keine
-Kanne und kein Gefäß, die du dir nicht im voraus ausgedacht hättest.
-Und mit einer Tenne, hast du gesagt, nicht wahr?
-
-Isak ist ein großes Kind, Olines Lobhudeleien steigen ihm zu Kopf, und
-er macht sich ein wenig lächerlich. Ja, was das neue Haus betrifft, so
-soll eine Tenne drinnen sein, das ist meine Meinung und Absicht, sagt
-er. -- Eine Tenne! sagt Oline bewundernd und wiegt den Kopf hin und
-her. -- Ja, denn was sollen wir mit Korn auf dem Acker, wenn wir es
-nicht dreschen können? sagt er. -- Es ist, wie ich sage, du denkst dir
-alles im Kopf aus, versetzt Oline.
-
-Inger ist wieder unfreundlich geworden, das Gerede zwischen den beiden
-hat sie wohl aufgeregt, und sie sagt plötzlich: Sahnengrütze -- wo soll
-ich denn die Sahne hernehmen? Gibt es etwa Sahne im Fluß?
-
-Oline weicht der Gefahr aus. Liebste, beste Inger, versteh mich doch
-recht! Du brauchst dich nicht wegen der Sahnengrütze zu entschuldigen
-oder auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Wegen einer Person wie
-ich, die sich nur auf den Höfen herumtreibt!
-
-Isak bleibt noch eine Weile sitzen, dann sagt er: Nein, hier sitze
-ich und sollte doch Steine zu meiner Mauer ausbrechen. -- Ja, zu so
-einer Mauer wie diese hier braucht man viele Steine! -- Viele Steine?
-erwiderte Isak. Ja, es ist gerade, als wären es niemals genug.
-
-Als Isak gegangen ist, werden die beiden Frauen wieder einträchtiger,
-sie haben so viel über die Gemeinde miteinander zu reden. Die Stunden
-vergehen. Am Abend bekommt Oline zu sehen, wie der Viehstand gewachsen
-ist. Zwei Kühe mit dem Stier, zwei Kälber, ein Gewimmel von Ziegen und
-Schafen. Wo will das noch hinaus! sagt Oline und schlägt die Augen zum
-Himmel auf.
-
-Sie bleibt über Nacht.
-
-Aber am nächsten Tag geht sie. Wieder hat sie etwas in einem Bündel
-mitbekommen; da Isak im Steinbruch ist, macht sie einen kleinen Umweg,
-um ihn zu vermeiden.
-
-Zwei Stunden später erscheint Oline wieder in der Ansiedlung; sie tritt
-ein und fragt: Wo ist Isak?
-
-Inger ist beim Geschirraufwaschen. Sie merkt, daß Oline bei Isak und
-den Kindern, die im Steinbruch sind, vorbeigekommen sein muß, und
-sie ahnt gleich Unrat. Oline, was willst du von Isak? fragt sie. --
-Oh, nichts Besonderes! Aber ich habe ihm nicht Lebewohl gesagt. --
-Schweigen. Oline sinkt ohne weiteres auf eine Bank nieder, wie wenn
-sie ihre Beine nicht mehr tragen wollten. Sie läßt absichtlich etwas
-Ungewöhnliches ahnen, gerade indem sie zeigt, daß sie am Umsinken ist.
-Nun kann sich Inger nicht länger beherrschen, ihr Gesicht ist verzerrt
-und drückt Wut und Entsetzen aus. Sie sagt: Ich hab' einen Gruß von
-dir bekommen durch Os-Anders. Es war ein netter Gruß. -- Was denn? --
-Es war ein Hase. -- Was du nicht sagst? versetzte Oline merkwürdig
-freundlich. -- Wage nicht, es zu leugnen! ruft Inger mit irren Augen.
-Ich schlage dir mit der Holzkelle hier mitten ins Gesicht! So, da!
-
-Schlug sie zu? Ja, gewiß. Und da Oline nicht beim ersten Schlag
-zurücktaumelt, sondern im Gegenteil aufsässig wird und ruft: Nimm
-dich in acht! Ich weiß, was ich von dir weiß! da gebraucht Inger die
-Holzkelle weiter und schlägt Oline zu Boden, zwingt sie unter sich und
-setzt ihr das Knie auf die Brust.
-
-Willst du mich ganz töten? fragt Oline. Sie hatte diesen schrecklichen
-Hasenmund über sich, eine große, starke Frau mit einem wahren Prügel
-von einem Holzlöffel in der Hand. Oline hatte schon Beulen von den
-Schlägen, sie blutete, aber sie knurrte noch mehr und gab nicht nach.
-So, du willst mich _auch_ umbringen? -- Ja -- dich umbringen, antwortet
-Inger und schlägt weiter. Da hast du! Ich werde dich totschlagen! --
-Sie hatte jetzt die Gewißheit, daß Oline ihr Geheimnis kannte, und es
-war ihr alles einerlei. -- Da hast du eins auf deinen Rachen! -- Meinen
-Rachen! _Du_ hast einen Rachen! stöhnt Oline. Unser Herrgott hat dir
-ein Kreuz ins Gesicht geschnitten.
-
-Da Oline zu zäh ist, um überwältigt werden zu können, ja, verdammt
-zäh, muß Inger mit ihren Schlägen aufhören; es nützt alles nichts,
-sie erschöpft sich nur selbst. Aber sie droht -- oh, sie droht Oline
-mit der Holzkelle dicht vor den Augen, oh, sie werde noch bekommen,
-sie werde noch für alle Zeiten genug bekommen! Ich hab' auch ein
-Küchenmesser, du wirst es gleich sehen!
-
-Sie richtet sich auf, wie um nach dem Messer zu greifen, nach dem
-großen Tischmesser; aber jetzt ist ihre erste Aufregung vorüber, und
-sie gebraucht nur noch den Mund. Oline richtet sich auch auf und setzt
-sich wieder auf die Bank, blau und gelb im Gesicht, voller Beulen und
-blutig. Sie streicht sich das Haar zurück, rückt ihr Kopftuch zurecht,
-spuckt aus; ihr Mund ist verschwollen! Du Vieh! sagt sie.
-
-Du bist im Wald gewesen und hast herumgeschnüffelt! ruft Inger; dazu
-hast du die Stunden angewendet, und du hast das kleine Grab gefunden.
-Aber du hättest gleich ein Loch für dich selbst graben sollen! -- Du
-wirst schon sehen! erwidert Oline, und ihre Augen funkeln vor Rachgier.
-Ich sage nichts mehr, aber nun wirst du keine Stube nebst Kammer und
-Orgelwerk mehr haben. -- Das kannst du nicht bestimmen! -- Oh, das
-werden die Oline und ich bestimmen!
-
-Die zwei Weiber zanken sich weiter. Oline ist nicht so grob und laut,
-sie ist in ihrer häßlichen Bosheit geradezu friedlich, aber sie ist
-verbissen und gefährlich. Ich gehe, um mein Bündel zu holen, ich
-bereue, daß ich es im Wald hab' liegen lassen. Ich gebe dir die Wolle
-zurück, ich will sie gar nicht haben. -- So, du denkst wohl, ich hätte
-sie gestohlen. -- Das weißt du selbst, was du getan hast.
-
-Darüber zanken sie sich wieder. Inger sagt, sie wolle das Schaf zeigen,
-von dem sie die Wolle geschoren habe. Oline erwidert friedlich und
-gelassen: Jawohl, aber wer weiß, wo du das erste Schaf herhast? --
-Inger nennt Namen und Ort, wo ihre ersten Schafe und Lämmer in Futter
-gestanden haben. Und das sag ich dir, nimm dich ein für allemal mit
-deinem Mund in acht! droht sie. -- Haha! lacht Oline verächtlich.
-Sie hat immer eine Antwort bereit und gibt nicht nach. Meinen Mund!
-Und deinen eigenen Mund! Sie deutet auf Ingers Hasenscharte und
-sagt, sie sei ein Abscheu vor Gott und den Menschen. Inger antwortet
-wutschnaubend, und da Oline dick ist, schimpft sie sie einen Fettwanst
--- ein solcher gemeiner Fettwanst, wie du bist! Und ich danke dir auch
-für den Hasen, den du mir geschickt hast. -- Hasen? Wenn ich in allem
-so frei von Schuld wäre wie bei dem Hasen! Wie sah er denn aus? -- Wie
-sieht ein Hase aus? -- Wie du! Ganz genau wie du! Und du hättest es gar
-nicht nötig, Hasen anzusehen. -- Jetzt machst du, daß du hinauskommst!
-schreit Inger. Du hast Os-Anders mit dem Hasen hierhergeschickt. Ich
-werde dich strafen lassen. -- Strafen lassen! Hast du strafen lassen
-gesagt? -- Du bist voller Neid, du gönnst mir nichts von allem, was ich
-habe, und du verbrennst fast vor Neid darüber, fährt Inger fort. Seit
-ich verheiratet bin und Isak und alles, was hier ist, bekommen habe,
-hast du vor lauter Mißgunst fast kein Auge mehr zugetan. Großer Gott
-und Vater im Himmel, was willst du denn von mir? Ist es meine Schuld,
-daß deine Kinder nicht irgendwohin kamen, wo etwas aus ihnen geworden
-ist? Du kannst es nicht ertragen, daß meine Kinder wohlgestaltet sind
-und schönere Namen haben als die deinigen, aber kann ich etwas dafür,
-daß sie von besserem Fleisch und Blut sind, als deine waren!
-
-Konnte etwas Oline rasend machen, so war es dies. Sie hatte so viele
-Kinder geboren und besaß nichts als diese Kinder, so wie sie nun einmal
-waren; sie sagte, sie seien gut und prahlte mit ihnen, sie log ihnen
-Verdienste an, die sie nicht hatten, und verbarg ihre Fehler. -- Was
-hast du gesagt? erwiderte sie Inger. Daß du nicht vor Scham in die
-Erde versinkst. Meine Kinder, die im Vergleich zu den deinen wie eine
-himmlische Engelschar waren! Wagst du es, meine Kinder in den Mund zu
-nehmen? Alle sieben waren als klein wahre Gottesgeschöpfe und jetzt als
-erwachsen sind sie alle miteinander groß und wohlgestaltet. Nimm dich
-in acht, du! -- Und die Lise, kam sie nicht ins Gefängnis, wie war denn
-das? fragt Inger. -- Sie hatte nichts getan, sie war so unschuldig wie
-eine Blume, sagt Oline. Und jetzt ist sie in Bergen verheiratet und
-geht im Hut. Aber was tust du? -- Und wie war's mit Nils? -- Es ist
-mir nicht der Mühe wert, dir zu antworten. Aber du hast eines drüben
-im Walde liegen, was hast du mit dem getan? Du hast es umgebracht. --
-Pack dich und mach, daß du hinauskommst! schreit Inger wieder, und sie
-dringt aufs neue auf Oline ein.
-
-Aber Oline weicht nicht, sie steht nicht einmal auf. Diese
-Unerschrockenheit, die wie Verstocktheit aussieht, lähmt Inger
-abermals, und sie sagt nur: Jetzt hole ich aber gleich das Hackmesser!
--- Laß das lieber sein, rät Oline, ich gehe schon von selbst. Aber was
-das betrifft, daß du deine eigenen Verwandten hinauswirfst, so bist du
-ein Vieh. -- Ja, aber mach nur, daß du fortkommst.
-
-Aber Oline geht nicht. Die beiden Frauen zanken sich noch eine gute
-Weile, und sooft die Wanduhr halb oder ganz schlägt, stößt Oline ein
-Hohngelächter aus und macht Inger rasend. Schließlich beruhigen sich
-beide doch ein wenig, und Oline macht sich zum Gehen fertig. Ich habe
-einen weiten Weg und die Nacht vor mir, sagt sie. Und es war recht
-dumm, ich hätte von daheim etwas zum Essen mitnehmen sollen, sagt sie.
-
-Darauf gibt Inger keine Antwort, sie ist jetzt wieder vernünftig
-geworden; sie füllt Wasser in ein Becken und sagt: Da, wenn du dich
-abreiben willst! Oline sieht ein, daß sie sich waschen muß, ehe sie
-geht, aber da sie nicht weiß, wo sie blutig ist, wäscht sie an den
-verkehrten Stellen. Inger sieht ihr eine Weile zu, dann deutet sie.
-Da -- fahr auch über die Schläfe, nein, die andere Schläfe, ich deute
-ja darauf. -- Hab' ich wissen können, auf welche Seite du gedeutet
-hast? versetzt Oline. -- An deinem Mund sitzt auch noch etwas. Bist du
-vielleicht wasserscheu? fragt Inger.
-
-Schließlich muß Inger selbst die Verwundete waschen und ihr ein
-Handtuch hinwerfen.
-
-Was ich sagen wollte, beginnt Oline, während sie sich abtrocknet, und
-sie ist jetzt wieder vollkommen friedlich, wie soll Isak mit den
-Kindern das überstehen? -- Weiß er's? fragt Inger. -- Ob er es weiß! Er
-kam dazu und sah es. -- Was sagte er? -- Was konnte er sagen! Er war
-sprachlos, wie ich auch.
-
-Schweigen.
-
-Du, du bist an allem miteinander schuld! klagt Inger und bricht in
-Tränen aus. -- Wenn ich nur an allem so frei von Schuld wäre! -- Ich
-werde ihn, den Os-Anders, fragen, darauf kannst du dich verlassen! --
-Ja, tu das!
-
-Sie sprechen es in Ruhe durch, und Oline scheint jetzt weniger
-rachsüchtig zu sein. Oh, sie ist ein Politikus ersten Ranges und
-gewohnt, Auswege zu finden, jetzt äußert sie sogar eine Art Mitgefühl,
-indem sie sagt, wenn es nun herauskomme, dann täten ihr Isak und auch
-die Kinder herzlich leid. -- Ja, sagt Inger und weint noch mehr.
-Ich habe Tag und Nacht gegrübelt und gegrübelt. Als Ausweg fällt es
-nun Oline plötzlich ein, daß sie eine Hilfe sein könne, sie könne
-vielleicht herkommen und auf der Ansiedlung bleiben, wenn Inger ins
-Gefängnis müsse.
-
-Jetzt weint Inger nicht mehr, sie horcht gleichsam plötzlich auf und
-überlegt. Nein, du versorgst die Kinder nicht, sagt sie. -- Soll ich
-die Kinder nicht versorgen? Du spottest! -- So. -- Ja, denn wenn ich
-für etwas ein Herz habe, so sind es Kinder. -- Ja, für deine eigenen,
-aber wie wirst du gegen die meinigen sein? Und wenn ich daran denke,
-daß du mir den Hasen geschickt hast, nur um mich zu verderben, so bist
-du ganz und gar schuld daran. -- Ich? fragt Oline. Meinst du mich? --
-Ja, dich meine ich, antwortet Inger mit lautem Schluchzen. Du bist das
-größte Scheusal gegen mich gewesen, und ich trau dir nichts Gutes zu.
-Und außerdem würdest du uns nur alle Wolle stehlen, wenn du hierher
-kämst. Und einen Ziegenkäse nach dem andern würden deine Leute bekommen
-und nicht die meinigen. -- Du bist ein Vieh, sagt Oline.
-
-Inger weint, wischt sich die Augen und spricht ab und zu ein paar
-Worte. Oline sagt, sie wolle sich gewiß nicht aufdrängen, denn sie
-könne bei ihrem Sohn Nils sein, wo sie schon immer gewohnt habe. Wenn
-nun aber Inger ins Gefängnis komme, so wäre Isak mit den unschuldigen
-Kleinen ganz verlassen, da könne sie hierher kommen und auf sie
-aufpassen. Sie stellt das recht verlockend hin, es werde gewiß nicht
-schlimm gehen. Du kannst es dir nun überlegen, sagt sie.
-
-Inger ist mutlos; sie weint und schüttelt den Kopf und schaut zu Boden.
-Wie eine Schlafwandlerin geht sie in die Vorratskammer und macht für
-den Gast Mundvorrat zurecht. -- Nein, du sollst dich nicht in Unkosten
-stürzen, sagt Oline. -- Und du sollst nicht ohne Mundvorrat übers
-Gebirge gehen, entgegnet Inger.
-
-Als Oline gegangen ist, schleicht sich Inger hinaus, sieht sich um,
-horcht. Kein Laut vom Steinbruch herüber! Sie geht näher hin und hört
-die Kinder; sie spielen mit Geröll. Isak hat sich gesetzt; er hält den
-Spaten zwischen den Knien und stützt sich darauf, wie auf einen Stock.
-Da sitzt er.
-
-Inger schleicht sich zum Waldsaum hin. Sie hatte ein kleines Kreuz in
-die Erde gesteckt; das Kreuz liegt am Boden, aber da, wo es gestanden
-hat, ist der Rasen weggenommen und die Erde aufgewühlt. Inger setzt
-sich nieder und scharrt die Erde mit den Händen wieder zusammen. Und da
-sitzt sie.
-
-Sie kam aus Neugier, um zu sehen, wie tief Oline in dem kleinen
-Grab gewühlt hat, sie bleibt sitzen, weil die Haustiere noch nicht
-heimgekommen sind. Sie weint und schüttelt den Kopf und sieht zu Boden.
-
-
-
-
-7
-
-
-Die Tage vergehen. Es ist ein ausgezeichnetes Wetter für das Feld, mit
-Sonnenschein und Regenschauern, und die Frucht wächst dementsprechend
-heran. Die Ansiedler sind mit der Heuernte schon fast fertig, und
-sie bekommen eine Menge Heu; fast ist nicht alles unter Dach und
-Fach zu bringen, sie stopfen es unter vorspringende Felsen, in den
-Stall, unter das Wohnhaus, räumen das Vorratshaus ganz aus und stopfen
-dieses auch bis zum Dache voll. Früh und spät arbeitet Inger mit als
-unentbehrliche Hilfe und Stütze. Isak benützt jeden Regenaugenblick, um
-die neue Scheune unter Dach zu bringen und auf jeden Fall die Südseite
-vollständig fertigzumachen, dann kann so viel Heu untergebracht werden,
-als es nur gibt. Es geht tüchtig vorwärts, es wird schon recht werden!
-
-Das große, traurige Ereignis mit seiner Sorge war da, die Tat war
-getan, und die Folgen würden nicht ausbleiben. Das Gute geht oft einen
-spurlosen Weg, das Böse zieht immer seine Folgen nach sich. Isak faßte
-die Sache von Anfang an verständig auf und sagte nichts weiter zu
-seiner Frau, als: Wie bist du nur dazu gekommen? -- Darauf antwortete
-Inger nichts. Und nach einer Weile sagte Isak wieder: Hast du es
-erwürgt? -- Ja, sagte Inger. -- Das hättest du nicht tun sollen. --
-Nein, antwortete sie. -- Und ich verstehe nicht, wie du es hast tun
-können. -- Sie hat genau so ausgesehen wie ich, sagte Inger. -- Wieso?
--- Am Mund. -- Isak dachte lange nach, dann sagte er: Ja, ja.
-
-Weiter wurde vorerst nichts darüber gesprochen, und als die Tage
-genau so ruhig vergingen wie vorher und außerdem sehr viel Heu
-hereingeschafft und untergebracht werden mußte, auch besonders viel
-Feldarbeit zu verrichten war, trat die Missetat allmählich in ihren
-Gedanken zurück. Aber sie hing die ganze Zeit über den Menschen und
-über der ganzen Ansiedlung. Die Eheleute konnten nicht hoffen, daß
-Oline schweigen würde, das war zu unsicher. Und selbst wenn Oline
-schwieg, konnten dann die stummen Zeugen nicht eine Stimme bekommen,
-die Wände des Hauses oder die Bäume im Walde rings um das kleine Grab?
-Os-Anders konnte Andeutungen machen, Inger selbst konnte sich wachend
-oder schlafend verraten. Sie waren auf das Schlimmste gefaßt.
-
-Was konnte Isak anders tun, als die Sache verständig auffassen? Jetzt
-begriff er, warum Inger jedesmal bei der Geburt hatte allein sein
-wollen, allein hatte sie die große Angst über die Wohlgestaltetheit
-des Kindes ausstehen, allein der Gefahr entgegengehen wollen. Dreimal
-hatte sich das wiederholt. Isak schüttelte den Kopf, und sie tat
-ihm sehr leid mit ihrem Unglück, die arme Inger. Und als er von der
-Sendung des Lappen mit dem Hasen hörte, da sprach er Inger frei. Das
-führte zu großer Liebe zwischen ihnen, einer verrückten Liebe, sie
-schmiegten sich aneinander an in der Gefahr, sie war voll urwüchsiger
-Süßigkeit gegen ihn, und er wurde wild und unmäßig gierig nach ihr, der
-Mühlengeist, der Klotz. Als Schuhwerk gebrauchte sie nur Lappenschuhe,
-aber sie hatte nichts von einer Lappennatur an sich, sie war nicht
-klein und welk, sondern im Gegenteil herrlich und groß. Jetzt im Sommer
-ging sie barfuß und kurzgeschürzt, mit nackten Waden, und von diesen
-nackten Waden konnte Isak seine Augen nicht losreißen.
-
-Den ganzen Sommer hindurch sang sie Bruchstücke von Kirchenliedern
-und lehrte auch Eleseus Gebete hersagen; aber sie haßte alle Lappen
-ganz unchristlich und sagte denen, die vorbeizogen, ihre Meinung
-geradeheraus. Sie könnten ja wieder von jemand geschickt sein, könnten
-einen Hasen in ihrem Fellsack haben, sie sollten nur weitergehen! --
-Einen Hasen? Was für einen Hasen? -- Na, hast du nicht gehört, was
-Os-Anders getan hat? -- Nein. -- Ich kann es dir gern selbst sagen. Er
-kam mit einem Hasen hierher, als ich guter Hoffnung war. -- Hat man je
-so etwas gehört? Hast du einen Schaden davon gehabt? -- Das kümmert
-dich nichts, geh jetzt nur! Da hast du einen Bissen und dann mach, daß
-du weiterkommst! -- Du hast wohl nicht ein Stück Leder, womit ich meine
-Schuhe ausbessern kann? -- Nein, aber einen Stecken kannst du zu fühlen
-bekommen, wenn du jetzt nicht gehst.
-
-Ein Lappe bettelt demütig, bekommt er jedoch nichts, dann wird er
-rachsüchtig und droht. Jetzt kam ein Lappenpaar mit zwei Kindern an der
-Siedlung vorüber; die Kinder wurden ins Haus geschickt, um zu betteln,
-sie kamen zurück und meldeten, es sei niemand daheim. Die Familie blieb
-eine Weile stehen und redete lappisch miteinander, dann ging der Mann
-hinein, um nachzusehen. Er kam nicht wieder. Da ging die Frau ihm nach
-und zuletzt auch die Kinder, sie blieben alle in der Stube stehen und
-flüsterten in der Lappensprache. Der Mann steckt den Kopf in die Kammer
-hinein, auch da war niemand. Jetzt schlägt die Wanduhr, die Familie
-lauscht verwundert und bleibt stehen.
-
-Inger mußte geahnt haben, daß fremde Leute auf den Hof kamen, jetzt
-lief sie rasch die Halde herunter. Als sie sieht, daß es Lappen sind,
-und dazu Lappen, die sie nicht kennt, sagt sie geradeheraus: Was wollt
-ihr hier? Habt ihr nicht gesehen, daß niemand daheim war? -- O ja, sagt
-der Mann. -- Inger sagt: Macht, daß ihr fortkommt!
-
-Die Familie rückt langsam und widerwillig hinaus. Wir sind
-stehengeblieben und haben dieser Uhr zugehört, sagt der Mann. Sie hat
-so wundervoll geschlagen. -- Du hast wohl nicht einen Brotlaib für uns?
-sagt die Frau. -- Woher kommt ihr? fragt Inger. -- Von Vatnan auf der
-andern Seite. Wir sind die ganze Nacht hindurch gewandert. -- Wohin
-wollt ihr? -- Übers Gebirge.
-
-Inger geht hinein und richtet etwas Mundvorrat; als sie wieder
-herauskommt, bettelt die Frau noch um Stoff zu einer Mütze, um einen
-Knäuel Wolle, um ein Stück Ziegenkäse, alles kann sie gebrauchen. Inger
-hat keine Zeit, Isak und die Kinder sind auf der gemähten Wiese. Jetzt
-geht nur, sagt sie.
-
-Die Frau versucht es mit Schmeicheln: Wir haben dein Vieh auf der Weide
-gesehen, es sind so viele Tiere, gerade wie die Sterne am Himmel.
--- Großartig! sagt auch der Mann. Hättest du nicht ein paar alte
-Lappenschuhe?
-
-Inger schließt die Haustür und geht zu ihrer Arbeit zurück. Da rief der
-Mann ihr etwas nach, sie tat jedoch, als höre sie es nicht, und ging
-nur weiter, aber sie hatte es gut gehört. Ist es richtig, daß du Hasen
-kaufst?
-
-Das war nicht mißzuverstehen. Der Lappe hatte vielleicht in gutem
-Glauben gefragt, vielleicht hatte es ihm jemand weisgemacht, vielleicht
-fragte er auch aus Bosheit, aber Inger hatte jedenfalls eine Warnung
-erhalten. Das Schicksal meldete sich ...
-
-Die Tage vergingen. Die Ansiedler waren gesunde Menschen, was kommen
-sollte, mochte kommen, sie taten ihre Arbeit und warteten. Sie lebten
-dicht beieinander wie Tiere im Walde, sie schliefen und aßen, die
-Jahreszeit war schon so vorgeschritten, daß sie die neuen Kartoffeln
-versuchten; sie waren groß und mehlig. Der Schlag -- warum fiel der
-Schlag nicht? Jetzt war es schon Ende August, bald kam der September,
-sollten sie den Winter über verschont bleiben? Sie waren beständig
-auf der Wacht, jeden Abend krochen sie in ihrer Höhle zusammen, froh
-darüber, daß der Tag ohne etwas Schlimmes vergangen war. So verstrich
-die Zeit bis zum Oktober, da erschien der Lensmann mit einem Mann und
-einer Aktenmappe bei ihnen. Das Gesetz schritt zur Tür herein.
-
-Die Nachforschungen brauchten Zeit, Inger wurde unter vier Augen
-verhört. Sie leugnete nichts; das Grab im Walde wurde geöffnet und
-geleert und die kleine Leiche zur Untersuchung eingeschickt. Die kleine
-Leiche war in Eleseus' Taufkleid gehüllt und hatte die Mütze mit den
-Perlen auf dem Köpfchen.
-
-Da fand Isak gleichsam seine Sprache wieder. Ja, ja, jetzt steht es so
-schlimm für uns, als es nur kann, sagte er. Ich sage eben auch jetzt
-noch dasselbe, du hättest es nicht tun sollen. -- Nein, gibt Inger
-zu. -- Wie hast du es gemacht? -- Inger gab keine Antwort. -- Und daß
-du es übers Herz hast bringen können! -- Sie war genau so wie ich. Da
-legte ich sie aufs Gesicht. Isak schüttelte den Kopf. -- Und dann starb
-sie, fuhr Inger fort und brach in lautes Weinen aus. Isak schwieg eine
-Weile. Ja, ja, jetzt ist es zu spät zum Weinen, sagte er dann. -- Sie
-hatte braunes Haar im Nacken, schluchzte Inger.
-
-Damit war die Angelegenheit wieder zu Ende.
-
-Und wieder vergingen die Tage. Inger wurde nicht festgenommen, die
-Obrigkeit ließ Milde walten. Lensmann Heyerdahl fragte sie aus, wie er
-jeden anderen Menschen ausgefragt hätte, und sagte nur: Es ist traurig,
-daß so etwas vorkommt! Als Inger fragte, wer sie angezeigt habe,
-antwortete der Lensmann, niemand, es seien ihm von verschiedenen Seiten
-Andeutungen über die Sache gemacht worden. Ob sie sich nicht selbst
-teilweise bei einigen Lappen verraten habe? -- Inger antwortete: Ja,
-sie habe einigen Lappen von Os-Anders erzählt, der mitten im Sommer mit
-einem Hasen zu ihr gekommen sei, und davon habe das Kind unter ihrem
-Herzen eine Hasenscharte bekommen. Und Oline habe doch sicher den Hasen
-geschickt! -- Davon wußte der Lensmann nichts. Aber wie es auch sein
-mochte, solche Unwissenheit und solchen Aberglauben würde er nicht
-einmal in sein Protokoll aufnehmen. -- Meine Mutter bekam einen Hasen
-zu sehen, als sie mich unter dem Herzen trug, sagte Inger ...
-
-Die Scheune war fertig, es war eine geräumige Hütte mit einem
-Heuverschlag auf beiden Seiten und einer Tenne in der Mitte. Das
-Vorratshaus und die anderen vorläufigen Aufbewahrungsorte wurden
-geräumt und das Heu in die Scheune geschafft. Das Korn wurde
-geschnitten, auf Heinzen getrocknet und dann eingefahren. Inger grub
-die Karotten und Rüben heraus. Nun war alles unter Dach. Jetzt wäre
-alles gut gewesen, Wohlstand herrschte auf der Ansiedlung, Isak rodete
-wieder Neuland, bevor der Frost kam, und vergrößerte den Kornacker, und
-er war ein wirklicher Roder, das war er. Aber im November sagte Inger:
-Jetzt wäre sie ein halbes Jahr alt und hätte uns alle gekannt! -- Da
-ist nichts mehr daran zu ändern, sagte Isak.
-
-Im Winter drosch Isak auf der neuen Scheunentenne Korn, Inger half ihm
-viele Stunden lang und führte ihren Dreschflegel so gut wie er, während
-die Kinder im Heu spielten. Die Ähren gaben große dicke Körner. Gegen
-Neujahr war eine gute Schlittenbahn, und Isak fing an Klafterholz
-fürs Dorf zu richten; er hatte jetzt feste Käufer, und sein im Sommer
-getrocknetes Holz wurde gut bezahlt.
-
-Eines Tages kam er mit Inger überein, das fette Kalb, das von Goldhorn
-stammte, mitzunehmen und es zu Madam Geißler zu bringen nebst einem
-Ziegenkäse. Die Madam war entzückt und fragte ihn, was die Sachen
-kosteten. -- Nichts, sagte Isak, der Lensmann hat es schon bezahlt. --
-Gott segne ihn, hat er das getan? sagte Frau Geißler gerührt. Sie gab
-Isak für Eleseus und Sivert Bilderbücher und Kuchen und Spielsachen
-mit. Als Isak heimkam und Inger die Sachen sah, wendete sie sich
-ab und begann zu weinen. Was hast du denn? fragte Isak. -- Nichts,
-antwortete Inger. Aber gerade jetzt wäre sie ein Jahr alt gewesen und
-hätte alles dieses sehen können. -- Jawohl, aber du weißt doch, wie
-sie gewesen ist, erwiderte Isak, um Inger zu trösten. Und außerdem ist
-es möglich, daß es nicht so schlimm ausfällt. Ich habe mich erkundigt,
-wo Geißler sich aufhält. -- Inger horchte auf. Ja, kann er uns denn
-helfen? fragte sie. -- Das weiß ich nicht.
-
-Dann fuhr Isak das Korn in die Mühle, es wurde gemahlen, und er brachte
-Mehl nach Hause. Dann ging er wieder in den Wald und fällte Bäume für
-das Klafterholz des nächsten Jahres. Sein Leben ging von einer Arbeit
-zur andern, je nach den Jahreszeiten vom Feld in den Wald und vom Wald
-wieder aufs Feld. Jetzt hatte Isak sechs Jahre auf seiner Ansiedlung
-gearbeitet und Inger fünf; alles war recht und gut, wenn es so weiter
-ging. Aber es ging nicht so weiter. Inger warf das Weberschiffchen hin
-und her und versorgte ihren Viehstand, sie sang auch fleißig geistliche
-Lieder, aber, ach, du lieber Gott, ihr Gesang war eine Glocke ohne
-Klöppel!
-
-Sobald der Weg gangbar war, wurde sie zum Verhör ins Dorf
-hinuntergeholt. Isak mußte daheim bleiben. Während er da allein
-war, nahm er sich vor, nach Schweden hinüberzuwandern und Geißler
-aufzusuchen, der wohlwollende Lensmann würde den Leuten auf Sellanraa
-vielleicht noch einmal freundlich entgegenkommen. Aber als Inger
-zurückkam, hatte sie schon nach allem gefragt und wußte über das Urteil
-einigermaßen Bescheid. Eigentlich sei es lebenslänglich, Paragraph 1,
-aber ... Seht, sie hatte sich mitten vor den heiligen Richterstuhl
-des Gesetzes hingestellt und einfach alles gestanden; die beiden
-Zeugen der Gemeinde hatten sie mitleidig angesehen, und der Hardesvogt
-hatte sie freundlich ausgefragt; aber sie war den hellen Köpfen der
-Herren vom Gesetz doch unterlegen. Die hohen Herren Juristen sind so
-tüchtig, die kennen ihre Paragraphen, sie haben sie auswendig gelernt
-und im Gedächtnis, so helle Köpfe sind sie. Und sie sind auch nicht
-ohne Verstand neben ihrem Amt, nicht einmal ohne Herz. Inger konnte
-sich nicht über das Gericht beklagen; sie hatte nichts von dem Hasen
-gesagt, aber als sie unter Tränen gestand, daß sie ihrem mißgestalteten
-Kind nichts so Böses habe antun wollen, wie es am Leben zu lassen,
-da hatte der Hardesvogt ernst und sachte mit dem Kopf genickt. Aber,
-hatte er gesagt, du hast ja selbst eine Hasenscharte, und dir ist es
-doch gut ergangen. -- Ja, Gott sei Dank! hatte Inger nur geantwortet.
-Und sie hatte nichts von den geheimen Leiden ihrer Kindheit und Jugend
-vorbringen können.
-
-Aber der Hardesvogt mußte doch das eine und andere gemerkt haben,
-er schleppte selbst einen Klumpfuß herum und hatte niemals tanzen
-können. Das Urteil -- nein, das weiß ich noch nicht. Eigentlich ist es
-lebenslängliches Gefängnis, aber ... Und ich weiß nicht, ob wir es in
-die nächsten Stufen hinunterbringen, in die zweite oder dritte Stufe,
-fünfzehn bis zwölf, zwölf bis neun Jahre. Da sitzen einige Männer und
-humanisieren das Strafgesetz, werden aber nicht damit fertig. Aber wir
-müssen das Beste hoffen, sagte er.
-
-Inger kam in einer stumpfen Gelassenheit zurück, es war nicht nötig
-gewesen, sie in Haft zu behalten. Ein paar Monate vergingen, und als
-Isak eines Abends vom Fischen heimkam, waren der Lensmann und sein
-neuer Gerichtsbote auf Sellanraa gewesen. Inger war lieb und gut gegen
-Isak und lobte ihn, obgleich er nicht viel Fische gefangen hatte.
-
-Was wollte ich doch sagen, sind Fremde hier gewesen? fragte er. --
-Fremde? Warum fragst du? -- Ich sehe neue Fußstapfen draußen. Spuren
-von Stiefeln. -- Es ist niemand anders dagewesen als der Lensmann und
-noch einer. -- So. Was wollten sie? -- Das wirst du dir denken können.
--- Wollten sie dich holen? -- Mich holen? Nein, es war nur das Urteil.
-Und das kann ich dir sagen, Isak, Gott ist gnädig gewesen, es ist nicht
-so, wie ich gefürchtet habe. -- So, sagte Isak gespannt, dann ist es
-vielleicht doch nicht sehr lang? -- Nein, nur einige Jahre. -- Wie
-viele? -- Ja, ja, du wirst wohl finden, es seien viele Jahre, aber ich
-danke Gott, daß ich wenigstens mit dem Leben davonkomme.
-
-Inger nannte die Zahl nicht. Später am Abend fragte Isak, um welche
-Zeit man sie holen würde; aber das wußte sie nicht, oder sie wollte es
-nicht sagen. Sie war jetzt wieder sehr nachdenklich, redete davon, daß
-sie nicht wisse, wie alles gehen solle, aber Oline werde wohl kommen,
-und Isak wußte auch keinen anderen Ausweg. Wo war übrigens Oline
-geblieben? Sie war in diesem Jahr nicht wie sonst gekommen. War es ihre
-Absicht, ganz wegzubleiben, nachdem sie bei ihnen alles aus dem Geleise
-gebracht hatte? Sie machten die Feldarbeit, aber Oline kam nicht.
-Sollte man sie vielleicht holen? Ach, sie würde schon dahergeschwankt
-kommen, der Fettwanst, das Untier!
-
-Endlich eines Tages kam sie. Welch ein Frauenzimmer! Es war, als sei
-zwischen ihr und dem Ehepaar gar nichts vorgefallen, sie strickte sogar
-ein Paar gereifelte Strümpfe für Eleseus, wie sie sagte. Ich wollte nur
-sehen, wie ihr es hier auf dieser Seite des Gebirges habt, begann sie.
-Es zeigte sich, daß sie ihre Kleider und Sachen in einem Sack im Walde
-liegen hatte und darauf eingerichtet war, dazubleiben.
-
-Am Abend nahm Inger ihren Mann auf die Seite und sagte: Hast du nicht
-gesagt, du wollest versuchen, Geißler aufzufinden? Jetzt ist ruhige
-Zeit. -- Ja, antwortete Isak, da Oline jetzt da ist, breche ich gleich
-morgen früh auf. -- Inger sagte, sie wäre ihm dankbar dafür. Und du
-mußt alles bare Geld mitnehmen, das du hast, sagte sie. -- So. Kannst
-du es nicht aufheben? -- Nein.
-
-Inger machte reichlich Mundvorrat für ihn zurecht, und Isak wachte
-bereits in der Nacht auf und machte sich zum Aufbruch fertig. Inger
-begleitete ihn bis zur Haustür, sie weinte nicht und jammerte nicht,
-aber sie sagte: Jetzt können sie jeden Tag kommen, um mich zu holen. --
-Weißt du etwas? -- Nein, wie sollte ich etwas wissen? Und es wird wohl
-auch noch nicht so bald sein, aber ... Wenn du jetzt nur den Geißler
-fändest und er dir irgendeinen guten Rat geben könnte!
-
-Was hätte Geißler jetzt noch tun können? Nichts. Aber Isak ging doch.
-
-Aber ja, Inger hatte wohl etwas gewußt. Sie hatte vielleicht auch durch
-irgend jemand Oline Nachricht zukommen lassen. Als Isak von Schweden
-heimkam, war Inger abgeholt worden, und Oline war bei den beiden
-Kindern geblieben.
-
-Das war eine traurige Nachricht für Isak bei seiner Heimkehr, als er
-mit lauter Stimme nach Inger rief und keine Antwort bekam. Ist sie
-fort? fragte er. -- Ja, antwortete Oline. -- An welchem Tag war es?
--- Am Tag, nachdem du weggegangen warst. -- Jetzt erriet Isak, daß
-Inger bei der Entscheidung wieder allein hatte sein wollen und sie ihn
-deshalb auch gebeten hatte, alles Geld mitzunehmen. Ach, Inger hätte
-gern ein paar Groschen für die große Reise haben können!
-
-Aber die kleinen Jungen waren gleich ganz in Anspruch genommen von dem
-netten gelben Ferkelchen, das Isak mitgebracht hatte. Das war übrigens
-auch das einzige, was er mitbrachte. Geißlers Adresse war veraltet.
-Geißler war nicht mehr in Schweden, er war in Drontheim. Aber das
-Ferkelchen hatte Isak auf seinen Armen von Schweden herübergetragen,
-er hatte es mit Milch aus seiner Flasche geatzt und im Gebirge mit ihm
-auf der Brust geschlafen. Er hatte Inger eine Freude machen wollen,
-jetzt spielten Eleseus und Sivert damit und hatten großen Spaß daran.
-Das zerstreute Isak ein wenig. Dazu kam noch, daß Oline vom Lensmann
-grüßen konnte und ausrichtete, der Staat sei endlich auf den Verkauf
-von Sellanraa eingegangen, und Isak solle nur in die Amtsstube des
-Lensmanns hinunterkommen und bezahlen. Das war eine gute Nachricht, und
-sie riß Isak aus seiner tiefsten Niedergeschlagenheit heraus. Obgleich
-er noch recht müde und steifbeinig von seiner Reise war, packte er
-neuen Mundvorrat zusammen und wanderte gleich ins Dorf hinunter. Er
-hatte wohl eine leise Hoffnung, Inger noch dort zu treffen.
-
-Aber diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung, Inger war fort, für acht
-Jahre. Isak wurde es öde und düster zumute, und er verstand nur das
-eine und andere von dem, was der Lensmann sagte. Es sei traurig, daß so
-etwas vorkommen könne. Er hoffe, es werde Inger eine Lehre sein, daß
-sie sich bekehre und ein besserer Mensch werde und ihre Kinder nicht
-mehr umbringe.
-
-Lensmann Heyerdahl war seit dem vorigen Jahr verheiratet. Seine Frau
-wollte nicht Mutter werden und wollte keine Kinder haben -- sie
-bedankte sich dafür. Und sie hatte auch keine.
-
-Endlich kann ich auch die Sache Sellanraa abschließen, sagte der
-Lensmann dann. Das Königliche Ministerium ist einigermaßen nach meinen
-Vorschlägen auf den Verkauf eingegangen. -- So, sagte Isak. -- Es hat
-lang gedauert, aber ich habe die Befriedigung, daß meine Arbeit nicht
-vergeblich gewesen ist! Was ich geschrieben habe, ist beinahe Punkt
-für Punkt durchgegangen. -- Punkt für Punkt, wiederholte Isak und
-nickte. -- Hier ist die Urkunde. Du kannst sie beim nächsten Thing
-verlesen lassen. -- Ja, sagte Isak. Was muß ich bezahlen? -- Zehn Taler
-jährlich. Hier hat das Ministerium allerdings eine kleine Veränderung
-vorgenommen, anstatt fünf Taler jährlich zehn. Ich weiß nicht, wie du
-das aufnimmst? -- Wenn ich es nur leisten kann, antwortete Isak. -- Und
-zehn Jahre lang. -- Isak sah erschrocken auf. -- Ja, das Ministerium
-will auf nichts anderes eingehen, sagte der Lensmann. -- Und das ist
-auch gar keine Bezahlung für ein so großes Grundstück, urbar gemacht
-und so angebaut, wie es nun dasteht.
-
-Isak hatte die zehn Taler für dieses Jahr, er hatte sie für Klafterholz
-und die Ziegenkäse bekommen, die Inger zusammengespart hatte. Er
-bezahlte, und es blieb ihm noch ein Rest übrig.
-
-Es ist wirklich ein Glück für dich, daß das Ministerium nichts von der
-Tat deiner Frau erfahren hat, fuhr der Lensmann fort. Sonst hätten sie
-vielleicht einen anderen Käufer dafür genommen. -- So, sagte Isak,
-und dann fragte er: Und sie ist also nun für volle acht Jahre fort?
--- Ja, das läßt sich nicht ändern, die Gerechtigkeit muß ihren Lauf
-haben. Ihre Strafe ist übrigens milder als mild. Das nächste, was du
-nun zu tun hast, ist, eine deutliche Grenzscheide zwischen dir und
-dem Staatseigentum auszuhauen. Rode alles mit Stumpf und Stiel aus,
-in gerader Linie nach den Merkzeichen, die ich angegeben und in mein
-Protokoll eingetragen habe. Das Holz gehört dir. Ich werde später
-hinaufkommen und nachsehen.
-
-Isak wanderte heim.
-
-
-
-
-8
-
-
-Die Jahre vergehen rasch? Ja, für den, der altert. Isak war weder alt
-noch geschwächt, ihm wurden die Jahre lang. Er arbeitete auf seinem
-Hofe und ließ seinen rostroten Bart wachsen, wie er wollte.
-
-Ab und zu, wenn ein Lappe vorbeikam oder sich dies und jenes im
-Viehstand ereignete, wurde die Einförmigkeit im Ödland unterbrochen.
-Einmal kamen viele Männer vorbeigewandert; sie ruhten auf Sellanraa
-aus, aßen und tranken Milch dazu und fragten Isak und Oline nach dem
-Weg übers Gebirge aus; sie sollten eine Telegraphenlinie abschreiten,
-sagten sie. Ein anderes Mal erschien Geißler -- kein Geringerer als
-Geißler. Er kam frisch und froh vom Dorfe heraufmarschiert und hatte
-zwei Mann bei sich mit Bergwerksgeräten und Pickel und Spaten.
-
-Dieser Geißler! Er war ganz derselbe wie früher, ganz unverändert.
-Er sagte guten Tag, plauderte mit den Kindern, ging ins Haus und kam
-wieder heraus, betrachtete die Felder, öffnete die Türen von Stall und
-Scheune und schaute hinein. Ausgezeichnet! sagte er. Isak, hast du die
-kleinen Steine noch? -- Die kleinen Steine? -- Ja, die kleinen schweren
-Steine, mit denen dein Junge gespielt hat, als ich das letztemal hier
-war?
-
-Die Steine waren im Vorratshaus, sie lagen als Gewicht auf den
-Mausefallen, nun wurden sie hereingeholt. Der Lensmann und die beiden
-Männer untersuchten sie, besprachen sich darüber, klopften darauf und
-wogen sie in der Hand. Schwarzkupfer! sagten sie. -- Kannst du mit ins
-Gebirge gehen und uns zeigen, wo du die Steine gefunden hast? fragte
-der Lensmann.
-
-Alle miteinander gingen in die Berge, und es war nicht weit bis zur
-Fundstätte; aber sie wanderten doch ein paar Tage umher, suchten nach
-Metall und sprengten da und dort einen Stein los. Als sie in den Hof
-zurückkehrten, brachten sie zwei schwere Säcke voll Steine mit.
-
-Währenddem hatte Isak mit Geißler seine ganze Lage besprochen, auch daß
-der Preis für den Hof auf hundert Taler anstatt auf fünfzig festgesetzt
-worden war. -- Ach, das spielt keine Rolle, sagte Geißler leichthin.
-Du hast vielleicht Kostbarkeiten in deinem Gestein, die Tausende wert
-sind. -- So, sagte Isak. -- Aber du mußt die gerichtliche Bestätigung
-der Urkunde so rasch wie möglich ins Werk setzen. -- Ja. -- Damit dir
-der Staat nicht einen Prügel in den Weg wirft, verstehst du? sagte
-er. -- Isak verstand. Ja, ja, aber das Schlimmste ist doch die Sache
-mit Inger, erwiderte er. -- Ach ja, sagte Geißler, und er überlegte
-für seine Art ungewöhnlich lange. Der Fall könnte vielleicht noch
-einmal aufgenommen werden. Wenn alles an den Tag käme, würde ihre
-Strafe vielleicht etwas heruntergesetzt. Aber wir könnten vielleicht
-um Begnadigung einkommen und damit ungefähr dasselbe erreichen. -- So,
-meint Ihr das? -- Um Begnadigung können wir zwar vorderhand noch nicht
-einkommen, da muß erst einige Zeit verstrichen sein. Aber was ich sagen
-wollte: Du hast meiner Familie ein Kalb und Ziegenkäse gebracht, was
-bin ich dir dafür schuldig? -- Nichts, Ihr habt schon dafür bezahlt. --
-Ich? -- Und Ihr habt uns so viel geholfen. -- Nein, sagte Geißler kurz,
-indem er einige Talerscheine auf den Tisch legte. Hier nimm dies! sagte
-er.
-
-Er war ein Mann, der nichts umsonst wollte, und es schienen auch noch
-genug Geldscheine in seiner Brusttasche zu stecken, so dick war sie.
-Gott mochte wissen, ob er wirklich so reich war!
-
-Aber sie schreibt, sie habe es gut, sagte Isak, der nur an seine
-Angelegenheiten dachte. -- Ach so, deine Frau? -- Ja, seit sie das
-kleine Mädchen bekommen hat -- sie hat ein kräftiges, wohlgestaltetes
-Mädchen bekommen. -- Das ist ausgezeichnet! -- Ja, und die anderen
-helfen ihr alle miteinander, und jedermann sei gut gegen sie, schreibt
-sie.
-
-Geißler sagte: Jetzt schicke ich diese kleinen Steine hier an einige
-gesteinskundige Herren, um zu erfahren, woraus sie bestehen. Wenn
-ordentlich Kupfer drin ist, bekommst du viel Geld. -- So, sagte Isak.
-Und wann meint Ihr wohl, daß wir um Begnadigung einkommen können? --
-In einiger Zeit. Ich werde für dich hinschreiben, und ich komme später
-auch selbst wieder her. Was hast du gesagt? Hat deine Frau ein Kind
-bekommen, seit sie von hier fort ist? -- Ja. -- Dann haben sie sie
-in schwangerem Zustand hier weggeholt? Das hätten sie nicht dürfen.
--- Nicht? -- Nein, und das ist ein Grund mehr, daß sie nach einer
-bestimmten Zeit frei wird. -- Das wäre ja sehr gut, sagte Isak dankbar.
-
-Isak wußte nicht, daß die Obrigkeit schon viele und lange Aktenstücke
-wegen der schwangeren Frau hatte hin und her schicken müssen. Sie
-hatte es seinerzeit aus zweierlei Gründen unterlassen, Inger von ihrem
-Hause weg in Haft zu nehmen. Erstens hatte es an einem Arrestlokal
-für sie gefehlt, und zweitens hatte die Obrigkeit milde sein wollen.
-Die Folgen waren unberechenbar. Später, als Inger festgenommen werden
-sollte, hatte niemand nach ihrem Zustand gefragt, und sie selbst hatte
-nichts gesagt. Vielleicht hatte sie auch absichtlich geschwiegen, um
-das Kind in den bösen Jahren in ihrer Nähe zu haben; wenn sie sich gut
-aufführte, durfte sie es vielleicht ab und zu einmal sehen. Vielleicht
-war sie aber auch nur stumpf gewesen und war trotz ihres Zustandes
-gleichgültig darauf eingegangen, von zu Hause fortgeführt zu werden.
-
-Isak arbeitete auf seinem Grund und Boden, er entwässerte und brach
-seine Äcker um, hieb die Grenzscheide zwischen sich und dem Staat
-aus, und die dabei gefällten Bäume gaben Klafterholz für ein ganzes
-Jahr. Aber da er Inger nicht mehr hatte, die ihn mit ihren Lobsprüchen
-anfeuerte, so schaffte er mehr aus Gewohnheit als aus Lust. Nun hatte
-er auch schon zwei Thinge vorübergehen lassen, ohne die Bestätigung
-seiner Urkunde einzuholen, weil es ihm eben nicht so sehr am Herzen
-gelegen hatte. Jetzt erst im Herbst raffte er sich dazu auf. Es stand
-bei ihm nicht alles, wie es sein sollte. Geduldig und besonnen, ja
-gewiß, das war er, aber er war geduldig und besonnen, weil er von Natur
-dazu angelegt war. Er suchte seine Häute zusammen, seine Ziegenfelle
-und Kalbfelle, legte sie in den Fluß, schabte später die Haare
-herunter, gerbte sie und machte sie zur Verarbeitung für Schuhwerk
-fertig. Im Winter stellte er schon beim ersten Schnee sein Saatkorn
-fürs nächste Frühjahr auf die Seite, damit das getan war, denn es war
-am besten, wenn es bereit stand; er war ein Mann der Ordnung. Aber
-er war ein freudloser, einsamer Mann geworden, ach ja, wieder ein
-unverheirateter Mann mit allem, was drum und dran war.
-
-Welche Freude war es für ihn jetzt, am Sonntag in seiner Stube zu
-sitzen, gewaschen und sauber in seinem roten Hemd, wenn er niemand
-mehr hatte, für den er sich hübsch machen konnte? Die Sonntage waren
-die längsten von allen Tagen, sie verdammten ihn zum Müßiggang und
-zu traurigen Gedanken; er konnte nichts tun, als sich auf seinem
-Grundstück umhertreiben und nach allem sehen, was getan werden mußte.
-Jedesmal nahm er seine kleinen Jungen mit, immer einen von ihnen auf
-dem Arm. Es war so nett, ihr Geplauder anzuhören und auf ihre Fragen zu
-antworten.
-
-Die alte Oline hatte er, weil er niemand andern hatte. Und im Grunde
-genommen war es nicht so übel, Oline zu haben. Sie kardätschte Wolle
-und spann, strickte Strümpfe und Fausthandschuhe, bereitete auch
-Ziegenkäse; aber sie hatte keine glückliche Hand und arbeitete ohne
-Liebe; von dem, was sie in die Hand nahm, gehörte ihr ja nichts zu
-eigen. Da hatte nun Isak einmal zu Ingers Zeit eine besonders hübsche
-Dose beim Händler gekauft, die ihren Platz auf dem Wandbrett hatte, sie
-war aus Ton und hatte einen Hundekopf auf dem Deckel, eigentlich war
-es eine Art Tabaksdose; Oline nahm einmal den Deckel ab und ließ ihn
-auf den Boden fallen. Inger hatte einige Fuchsiaableger in einer Kiste
-hinterlassen, die mit Glas zugedeckt waren; Oline nahm die Gläser ab
-und drückte sie nachher hart und fest wieder darauf. -- Am nächsten
-Tage waren alle Ableger tot. Es war wohl nicht so ganz leicht für Isak,
-all dies mit anzusehen, und er machte vielleicht ein Gesicht, und da
-nichts Weiches oder Schwammhaftes an ihm war, so war es vielleicht ein
-gefährliches Gesicht. Oline war unverfroren und zungenfertig und muckte
-auf. Kann ich etwas dafür? sagte sie. -- Das weiß ich nicht, erwiderte
-Isak, aber du hättest die Hand davon lassen können. -- Ich werde ihre
-Blumen nicht mehr anrühren, sagte Oline darauf; aber nun waren sie ja
-tot.
-
-Und wozu kamen jetzt sooft Lappen nach Sellanraa, jetzt viel öfters
-als früher? Was hatte Os-Anders da zu tun, konnte er nicht einfach
-vorübergehen? In einem Sommer kam er zweimal übers Gebirge gewandert;
-aber Os-Anders hatte ja keine Renntiere, nach denen er hätte sehen
-müssen, sondern lebte vom Bettel und von Besuchen bei anderen Lappen.
-Wenn er auf die Ansiedlung kam, ließ Oline alle Arbeit liegen und
-klatschte mit ihm über alle Leute im Dorfe, und wenn er wieder ging,
-war sein Sack schwer von allem möglichen. Zwei Jahre lang schwieg Isak
-geduldig dazu.
-
-Dann wollte Oline wieder neue Schuhe haben, und da schwieg er nicht
-länger. Es war im Herbst, und Oline trug jeden Tag Lederschuhe, anstatt
-in Lappenschuhen oder Holzpantinen zu gehen. Isak sagte: Es ist schönes
-Wetter heute. Hm! So fing er an. -- Ja, sagte Oline. -- Hast du nicht
-heute morgen an den Ziegenkäsen bis auf zehn gezählt, Eleseus? fragte
-Isak. -- Doch, antwortete Eleseus. -- Aber jetzt sind es nur noch neun.
-
-Eleseus zählte wieder nach und überlegte in seinem kleinen Kopf, dann
-sagte er: Ja, und dann der, den Os-Anders bekommen hat, dann sind es
-zehn.
-
-Schweigen rings in der Stube. Aber der kleine Sivert wollte auch
-zählen, und so wiederholte er die Worte des Bruders: Dann sind es zehn.
-
-Wieder Schweigen ringsum. Da mußte Oline schließlich eine Erklärung
-geben. Ja, er hat einen ganz kleinen Käse bekommen, ich habe nicht
-gedacht, daß das etwas ausmacht. Aber die Kinder sind noch nicht groß,
-und es zeigt sich jetzt schon, was in ihnen steckt. Ich kann wohl sehen
-und ausrechnen, wem sie nachschlagen! Dir jedenfalls nicht, Isak, das
-weiß ich.
-
-Das war eine Andeutung, die Isak zurückweisen mußte. Die Kinder sind
-schon recht, sagte er. Aber kannst du mir sagen, welche Wohltaten
-Os-Anders mir und den Meinigen erwiesen hat? -- Wohltaten? versetzte
-Oline. -- Ja. -- Er, Os-Anders? wiederholte sie. -- Ja, weil ich ihm
-Ziegenkäse schuldig bin. -- Oline hat nun Zeit zum Überlegen gehabt und
-gibt folgende Antwort: Gott bewahre mich, Isak! Bin ich es gewesen, die
-mit Os-Anders angefangen hat, so soll mich gleich der Schlag rühren!
-
-Ausgezeichnet! Isak muß nachgeben, wie so manches Mal vorher.
-
-Oline gab nicht nach: Und wenn ich jetzt, wo es dem Winter zugeht, hier
-barfuß laufen und das nicht zu eigen haben soll, was Gott zu Schuhen
-für die Füße geschaffen hat, dann sag es lieber geradeheraus. Schon vor
-drei bis vier Wochen habe ich von Schuhen gesprochen, aber ich habe
-noch nichts von ihnen gesehen und muß nun mit denen hier herumlaufen.
--- Isak erwiderte: Was fehlt denn eigentlich deinen Holzschuhen, daß
-du sie nicht trägst? -- Was ihnen fehlt? fragte Oline überrumpelt.
--- Ja, das möchte ich fragen. -- Den Holzschuhen? -- Ja. -- Du sagst
-nichts davon, daß ich Wolle kardätsche und spinne, das Vieh versorge
-und die Kinder aufziehe, davon sagst du nichts. Und zum Kuckuck, deine
-Frau, die im Gefängnis sitzt, die ist doch wohl auch nicht barfuß im
-Schnee herumgelaufen. -- Nein, sie trug Holzschuhe, sagte Isak. Und
-wenn sie in die Kirche oder zu ordentlichen Leuten ging, dann trug
-sie Lappenschuhe, sagte er. -- Ja, ja, antwortete Oline, sie war eben
-soviel besser! -- Ja, das war sie. Und wenn sie im Sommer Lappenschuhe
-trug, so hatte sie nichts als dürres Gras darin. Aber du, du trägst das
-ganze Jahr Strümpfe und Schuhe.
-
-Oline sagte: Was das betrifft, so werde ich meine Holzschuhe wohl noch
-abnützen. Ich habe nicht geglaubt, daß es so große Eile hätte, meine
-eigenen Holzschuhe durchzulaufen. -- Sie sprach leise und gedämpft,
-aber sie kniff die Augen halb zu, oh, sie war klug und schlau. Die
-Inger, sagt sie, der Wechselbalg, wie wir sie genannt haben, ist unter
-meinen Kindern umhergegangen und hat da in all den Jahren dies und
-jenes gelernt. Jetzt haben wir den Dank dafür. Wenn meine Tochter in
-Bergen einen Hut trägt, dann tut das Inger vielleicht südwärts da
-drunten auch, ja, vielleicht ist sie nach Drontheim gereist, um sich
-einen Hut zu kaufen, haha!
-
-Isak stand auf und wollte hinausgehen. Aber jetzt war Oline das Herz
-aufgegangen, und sie zeigte, wie schwarz es war, ja, sie strahlte
-wahrhaftig Dunkelheit aus, sagte, keine von ihren Töchtern habe ein
-Gesicht wie ein feuerspeiendes Raubtier, könne sie gern sagen, aber
-deshalb seien sie doch gut genug. Nicht alle hätten Geschick dazu,
-Kinder umzubringen. -- Jetzt nimm dich aber in acht! rief Isak, und
-um sich recht klar verständlich zu machen, fügte er noch hinzu: Du
-verdammtes Weibsbild.
-
-Aber Oline nahm sich nicht in acht, nein. Haha! sagte sie und sah zum
-Himmel auf und deutete an, daß es eigentlich übertrieben sei, mit einer
-solchen Hasenscharte herumzulaufen wie gewisse Leute. Man könne auch
-darin Maß halten.
-
-Isak war wohl froh, als er endlich glücklich aus dem Hause draußen war.
-Und was blieb ihm anderes übrig, als Oline Lederschuhe zu verschaffen!
-Er war ein Ansiedler im Walde und war nicht einmal so weit den Göttern
-ähnlich, daß er seine Arme über der Brust kreuzen und zu seinem
-Dienstboten sagen konnte: Geh! Eine so unentbehrliche Haushälterin wie
-Oline war in Sicherheit, sie mochte sagen und tun, was sie wollte.
-
-Die Nächte sind kühl, und es ist Vollmond, die Moore erstarren so weit,
-daß sie zur Not einen Mann tragen; bei Tag taut die Sonne sie wieder
-auf und macht sie ungangbar. Isak wandert in einer kühlen Nacht ins
-Dorf hinunter, um Schuhe für Oline zu bestellen. Er hat zwei Ziegenkäse
-mit für Frau Geißler.
-
-Auf halbem Wege nach dem Dorf hat sich nun der neue Ansiedler
-niedergelassen. Er war wohl ein vermöglicher Mann, da er Zimmerleute
-vom Dorfe bestellt hatte, die ihm sein Haus bauten, und dazu noch
-Taglöhner, um ein Stück sandiges Moor für Kartoffeln umzugraben; er
-selbst tat nichts oder nur wenig. Der Mann war Brede Olsen, Amtsdiener
-und Gerichtsbote, ein Mann, an den man sich wenden mußte, wenn der
-Doktor geholt oder bei der Pfarrfrau ein Schwein geschlachtet werden
-sollte. Brede Olsen war noch nicht dreißig Jahre alt, hatte aber schon
-vier Kinder zu versorgen, außer seiner Frau, die eigentlich auch noch
-ein Kind war. Ach, Bredes Mittel waren wohl nicht so sehr groß, es warf
-nicht so sehr viel ab, Topf und Pfanne zu sein und zu Auspfändungen zu
-fahren; jetzt wollte er es mit der Landwirtschaft versuchen. Für seinen
-Hausbau hatte er auf der Bank Geld aufgenommen. Sein Grundstück hieß
-Breidablick, Lensmann Heyerdahls Frau hatte ihm diesen herrlichen Namen
-gegeben.
-
-Isak geht an der Ansiedlung vorüber und nimmt sich nicht Zeit,
-hineinzugehen, aber so früh am Morgen es auch ist, am Fenster stehen
-schon dichtgedrängt die Kinder und schauen heraus. Isak eilt vorüber,
-er will beim nächsten Nachtfrost schon wieder hier zurück sein. Im
-Ödland draußen hat ein Mann gar viel zu bedenken und sich zu überlegen,
-wie er es auf die beste Weise einrichtet. Er hat zwar jetzt gerade
-nicht so übermäßig viel Arbeit, aber er hat Heimweh nach den Kindern,
-die daheim bei Oline zurückgeblieben sind.
-
-Während er so dahinschreitet, muß er unwillkürlich an seine erste
-Wanderung hier denken. Die Zeit ist dahingegangen, die beiden letzten
-Jahre sind sehr lang gewesen; vieles ist gut gewesen auf Sellanraa,
-aber etwas ist schlimm gewesen, ach ja, Herrgott im Himmel! Nun war
-also eine neue Ansiedlung hier entstanden; Isak erkannte die Stelle gut
-wieder, dies war einer von den wirklichen Plätzen, die er auf seiner
-ersten Wanderung untersucht, dann aber wieder aufgegeben hatte. Es
-war hier näher beim Dorf, jawohl, aber der Wald war nicht so gut; es
-war hier Ebene, aber Moor, die Erde war leicht umzubrechen, aber das
-Entwässern war schwierig. Der gute Brede hatte noch keinen Acker damit,
-daß er Moorboden umgrub. Und was sollte das heißen, wollte denn Brede
-nicht einen Schuppen an die Scheune anbauen für Geräte und Fahrzeuge?
-Isak sah einen zweirädrigen Karren unter offenem Himmel gerade vor dem
-Hause stehen.
-
-Er macht seine Besorgung beim Schuhmacher, aber Geißler ist weggereist;
-da verkauft er seine Ziegenkäse an den Krämer. Am Abend geht er
-heimwärts. Es gefriert immer mehr, so daß man leicht übers Moor gehen
-kann; aber Isaks Gang ist schwer. Gott mochte wissen, wann Geißler nun
-wiederkam, da seine Frau verreist war, vielleicht kam er nie wieder.
-Inger war fort, die Zeit verging.
-
-Er geht auch jetzt auf dem Rückweg nicht zu Bredes hinein, nein, er
-macht einen Bogen um Breidablick herum und kommt so ungesehen vorbei.
-Er will nicht mit Menschen reden, er will nur weitergehen. Noch
-immer steht Bredes Fuhrwerk im Freien. Ich möchte wissen, ob es da
-stehenbleibt? denkt Isak. Na, jeder hat das Seine! Jetzt hat er ja
-selbst, er, Isak, ein Fuhrwerk und einen Schuppen dazu, aber es ist
-deshalb doch nicht besser gegangen, sein Heim ist nur halb, einmal war
-es ganz, jetzt ist es nur halb.
-
-Als er bei vollem Tageslicht so weit gekommen ist, daß er sein Haus auf
-der Halde droben sehen kann, wird ihm leichter ums Herz, obgleich er
-müde und matt ist nach der zweitägigen Wanderung. Die Gebäude stehen
-noch da. Rauch steigt vom Schornstein auf, beide Jungen sind im Freien,
-sowie sie ihn sehen, stürmen sie ihm entgegen. Er geht hinein, in der
-Stube sitzen zwei Lappen. Oline steht überrascht vom Hocker auf und
-sagt: Was -- bist du schon wieder da? Sie kocht Kaffee auf dem Herd.
-Kaffee? Kaffee!
-
-Isak hat es wohl schon früher bemerkt: wenn Os-Anders oder andere
-Lappen dagewesen sind, kocht Oline sich lange Zeit nachher in Ingers
-kleinem Kessel Kaffee. Sie tut es, wenn Isak im Wald oder auf dem Feld
-ist; und wenn er unerwartet heimkommt und es sieht, schweigt er. Aber
-er weiß, daß er jedesmal um ein Bündel Wolle oder einen Ziegenkäse
-ärmer geworden ist. Deshalb ist es sehr gut von Isak, daß er Oline
-jetzt nicht packt und zwischen seinen Händen zerschmettert für ihre
-Niedertracht. Ja, im ganzen genommen versucht es Isak in Wahrheit, ein
-immer besserer Mensch zu werden, was er auch dabei im Sinne haben
-mag, ob er es um des lieben Friedens willen tut oder weil er hofft,
-Gott werde ihm dann Inger früher zurückgeben. Er hat einen Hang zum
-Grübeln und zum Aberglauben; selbst die Bauernschlauheit, die er hat,
-ist treuherzig. Jetzt eben im Herbst hatte es sich gezeigt, daß das
-Torfdach auf seinem Stall auf das Pferd herabzusinken drohte; da kaute
-Isak ein paarmal an seinem rostigen Bart, aber dann lächelte er wie
-jemand, der einen Spaß versteht, er richtete das Dach auf und stützte
-es mit Sparren. Kein böses Wort entfuhr ihm. Ein anderer Zug: Das
-Vorratshaus, in dem alle seine Lebensmittel untergebracht waren, stand
-nur mit den Ecken auf hohen steinernen Füßen. Nun gelangten durch die
-große Öffnung in der Grundmauer kleine Vögel ins Vorratshaus hinein,
-flatterten darin herum und fanden den Weg nicht mehr hinaus. Oline
-klagte, die kleinen Vögel pickten an den Eßwaren herum, liefen auf dem
-Speck hin und her, ja, sie täten auch das, was noch schlimmer sei,
-darauf. Isak sagte: Ja, es ist auch schlimm, daß die kleinen Vögel
-hereinkommen und den Weg nicht mehr hinausfinden! Und mitten in der
-strengen Arbeitszeit brach er Steine aus und füllte die Mauer damit auf.
-
-Gott mochte wissen, was er sich dabei dachte, ob er hoffte, er werde,
-wenn er sich so gut aufführe, Inger schon bald zurückbekommen.
-
-
-
-
-9
-
-
-Die Jahre vergehen.
-
-Wieder kam ein Ingenieur mit einem Vorarbeiter und zwei Arbeitern nach
-Sellanraa, und sie wollten wieder eine Telegraphenlinie übers Gebirge
-abschreiten. So, wie sie jetzt abschritten, würde die Linie nicht
-weit von Isaks Haus zu liegen kommen, und ein gerader Weg würde durch
-den Wald geführt werden. Aber das schadete nichts, es würde den Ort
-weniger öde machen, die Welt würde hereinkommen und ihn erhellen.
-
-Der Ingenieur sagte: Dieser Platz hier wird nun der Mittelpunkt
-zwischen zwei Tälern, man wird dir vielleicht die Aufsicht über die
-Linie nach beiden Seiten hin anbieten. -- So, sagte Isak. -- Du
-bekommst fünfundzwanzig Taler im Jahr dafür. -- So, sagte Isak, aber
-was habe ich dafür zu tun? -- Die Leitung in Ordnung halten, die Drähte
-ausbessern, wenn sie abgerissen sind, die Büsche weghauen, wenn sie
-in die Linie hineinwachsen. Du bekommst eine nette kleine Maschine
-an deine Wand, die dir zeigt, wenn du hinaus mußt. Dann mußt du
-augenblicklich alles liegen und stehen lassen und gehen.
-
-Isak überlegte: Im Winter könnte ich die Arbeit übernehmen, sagte er
-dann. -- Nein, es muß das ganze Jahr hindurch sein, das ganze Jahr
-natürlich, Sommer wie Winter. -- Aber Isak erklärte: Im Frühjahr und
-im Sommer und im Herbst habe ich meine Feldarbeit und keine Zeit für
-anderes.
-
-Da mußte der Ingenieur Isak eine gute Weile ansehen, ehe er die
-folgende erstaunte Frage tat: Kannst du damit mehr verdienen? --
-Verdienen? sagte Isak. -- Ob du an den Tagen, die du bei der Aufsicht
-der Telegraphenlinie verbringen mußt, mit Feldarbeit mehr verdienen
-kannst? -- Das weiß ich nicht, antwortete Isak. Aber es ist nun einmal
-so, daß ich wegen der Felder hier bin. Ich habe für das Leben von
-vielen Menschen und von noch mehr Haustieren zu sorgen. Wir leben
-von dem Grundstück. -- Ja, ja, ich kann den Posten auch einem andern
-anbieten, versetzte der Ingenieur.
-
-Diese Drohung schien wahrhaftig Isak das Herz nur zu erleichtern, er
-wollte dem hohen Herrn wohl nur ungern eine abschlägige Antwort geben,
-und so erklärte er: Ich habe ein Pferd und fünf Kühe, dazu einen
-Stier. Dann habe ich zwanzig Schafe und sechzehn Ziegen. Die Tiere
-geben uns Nahrung und Wolle und Felle, sie müssen Futter haben. -- Ja,
-das ist klar, sagte der Ingenieur kurz. -- Jawohl. Und nun sage ich
-nichts weiter als, wie sollte ich das Futter für sie herschaffen, wenn
-ich mitten in der Heuernte fortgehen müßte und nach dem Telegraphen
-sehen? -- Der Ingenieur erwiderte: Wir wollen gar nicht mehr darüber
-reden. Der Mann da unten, Brede Olsen, soll die Aufsicht bekommen, er
-übernimmt sie wohl gerne. -- Dann wendete er sich an seine Leute und
-befahl: Kommt, wir wollen weitergehen!
-
-Nun erriet wohl Oline an dem Ton, daß Isak steif und unvernünftig
-gewesen war, das mußte ihr zugute kommen. Was hast du gesagt, Isak?
-Sechzehn Ziegen? Es sind doch nicht mehr als fünfzehn. -- Isak sah sie
-an, und Oline sah ihn an, sah ihm mitten ins Gesicht. -- Sind es nicht
-sechzehn Ziegen? -- Nein, versetzte sie und sah den fremden Herrn über
-Isaks Unvernunft ratlos an. -- So, sagte Isak leise. Er nahm einen
-Büschel seines Bartes zwischen die Zähne und begann darauf zu kauen.
-
-Der Ingenieur und seine Leute entfernten sich.
-
-Wenn es nun Isak darum zu tun gewesen wäre, sich mit Oline unzufrieden
-zu zeigen und sie vielleicht zu schlagen, so hätte er jetzt eine
-gute Gelegenheit, oh, eine herrliche Gelegenheit dazu gehabt. Sie
-waren wieder allein in der Stube, die Kinder waren mit den Fremden
-hinausgelaufen und verschwunden. Isak stand mitten im Zimmer, und
-Oline saß am Herd. Isak räusperte sich ein paarmal, um sie verstehen
-zu lassen, daß er nicht weit davon entfernt sei, sich auszusprechen.
-Aber er schwieg. Das war seine Seelenstärke. Sollte er etwa nicht
-wissen, wie viele Ziegen er hatte, konnte er sie nicht an den Fingern
-herzählen, war das Weib verrückt? Sollte eines von den Tieren im
-Stall, mit denen er persönlich umging, mit denen er täglich plauderte,
-verschwunden sein, eine von den Ziegen, die sechzehn an der Zahl waren!
-Dann hatte wohl Oline die eine Ziege um irgend etwas vertauscht,
-gestern, als die Frau von Breidablick dagewesen war und sich umgesehen
-hatte.
-
-Hm! sagte Isak, und er war nahe daran, noch mehr zu sagen. Was hatte
-Oline getan? Es war vielleicht nicht geradezu ein Mord, aber doch nicht
-weit davon. Er konnte in tödlichem Ernst von der sechzehnten Ziege
-reden.
-
-Er konnte jedoch nicht in alle Ewigkeit hier mitten in der Stube stehen
-und schweigen. Er sagte: Hm! So, es sind also jetzt nicht mehr als
-fünfzehn Ziegen? -- Nein, antwortete Oline freundlich. Ja, du kannst
-sie ja selbst zählen, ich bekomme nicht mehr als fünfzehn heraus.
-
-Jetzt, in diesem Augenblick hätte er es tun können: die Hände
-ausstrecken und Oline in der Gestalt bedeutend verändern, nur mit einem
-guten Griff. Das hätte er tun können. Er tat es nicht, aber er sagte
-laut, indem er nach der Tür ging: Ich sage jetzt nichts weiter! Damit
-ging er hinaus, wie wenn es beim nächsten Male von seiner Seite nicht
-an deutlichen Worten fehlen sollte.
-
-Eleseus! rief er.
-
-Wo war Eleseus, wo waren beide Jungen geblieben? Der Vater wollte
-eine Frage an sie stellen, sie waren jetzt große Jungen und hatten
-Augen im Kopfe. Er fand sie unter dem Scheunenboden, sie waren da ganz
-hineingekrochen und vollständig unsichtbar, aber sie verrieten sich
-durch ein ängstliches Flüstern. Dann kamen sie zum Vorschein wie zwei
-Sünder.
-
-Die Sache war die, daß Eleseus ein Stück farbigen Bleistift gefunden
-hatte, das dem Ingenieur gehörte; aber als er ihm damit nachlaufen
-wollte, waren die weitausschreitenden erwachsenen Männer schon ein
-Stück droben im Walde drin, und Eleseus blieb stehen. Der Gedanke stieg
-in ihm auf, er könnte am Ende den Bleistift behalten -- ach, wenn er
-das könnte! Er zog den kleinen Sivert mit sich fort, damit er die
-Verantwortung nicht allein hätte, und dann krochen die zwei mit ihrer
-Beute in einen Winkel unter dem Scheunenboden. Ach, dieses kurze Stück
-Bleistift -- es war eine Merkwürdigkeit in ihrem Leben, ein Wunder!
-Sie suchten sich Holzspäne und bedeckten sie mit allerlei Strichen,
-und der Bleistift zeichnete rot mit dem einen Ende und blau mit dem
-andern; die Jungen wechselten ab, wer ihn haben durfte. Als nun der
-Vater so eindringlich und laut rief, flüsterte Eleseus: Die Fremden
-sind wohl zurückgekommen, um den Bleistift zu holen! Da war die Freude
-daran plötzlich verschwunden, sie war wie aus ihrer Seele weggewischt,
-und die kleinen Herzen begannen ängstlich zu schlagen und zu hämmern.
-Die Brüder krochen hervor; Eleseus hielt dem Vater den Bleistift auf
-Armlänge entgegen, um ihm zu zeigen, daß sie ihn nicht zerbrochen
-hatten, aber sie wünschten, sie hätten ihn nie gesehen.
-
-Doch sie sahen keinen Ingenieur, da beruhigten sich ihre Herzen wieder
-und fühlten einen wahren Gottesfrieden nach der Spannung.
-
-War gestern eine Frau hier? fragte der Vater. -- Ja. -- Die Frau von
-drunten? Habt ihr sie gesehen, als sie wegging? -- Ja. -- Hatte sie
-eine Ziege bei sich? -- Nein, sagten die Kinder. Eine Ziege? -- Hatte
-sie nicht eine Ziege bei sich, als sie wieder heimging? -- Nein. Was
-für eine Ziege?
-
-Isak überlegte und grübelte nach, und am Abend, als das Vieh von der
-Weide zurückkam, zählte er die Ziegen zum erstenmal: es waren sechzehn.
-Er zählte sie noch einmal, zählte fünfmal -- es waren sechzehn Ziegen.
-Keine fehlte.
-
-Isak atmete erleichtert auf. Wie war das zu verstehen? Oline, diese
-Kreatur, hatte wohl nicht bis sechzehn zählen können. Er sagte in
-ärgerlichem Ton zu ihr: Was faselst du denn, es sind ja sechzehn
-Ziegen! -- Sind es sechzehn? fragte sie unschuldig. -- Ja. -- So, ja,
-ja. -- Ja, du bist mir ein guter Rechenmeister. -- Darauf erwiderte
-Oline ruhig und gekränkt: Nun, wenn alle Ziegen da sind, dann hat Oline
-Gott sei Dank keine von ihnen aufgefressen. Ich bin recht froh für sie!
-
-Sie verwirrte ihn mit diesem Streich und brachte ihn dazu, sich die
-Sache aus dem Kopf zu schlagen. Er zählte nun den Viehstand nicht
-mehr, es fiel ihm auch nicht ein, die Schafe zu zählen. Natürlich war
-Oline nicht so schlimm, sie führte ihm gewissermaßen das Hauswesen,
-versorgte sein Vieh, sie war nur sehr dumm -- aber dadurch schadet sie
-sich selbst und nicht ihm. Mochte sie dableiben und weiterleben, sie
-war nicht mehr wert. Aber es war düster und freudlos, in einem solchen
-Leben der Isak zu sein.
-
-Die Jahre waren vergangen. Jetzt war Gras auf dem Hausdach gewachsen,
-ja, sogar das Scheunendach, das mehrere Jahre jünger war, stand grün.
-Die Eingeborene des Waldes, die Feldmaus, hatte längst im Vorratshaus
-ihren Einzug gehalten. Es schwirrte von Meisen und anderen kleinen
-Vögeln auf der Ansiedlung, auf der Halde gab es Auerhähne, ja, auch
-Krähen und Elstern waren herbeigekommen. Aber das Merkwürdigste hatte
-sich doch im letzten Sommer begeben, da waren Möwen von der Meeresküste
-heraufgeflogen und hatten sich auf dieses Grundstück im Ödland
-herabgesenkt. So bekannt war die Ansiedlung unter der ganzen Schöpfung
-geworden. Und was meint ihr, welche Gedanken in Eleseus und dem kleinen
-Sivert aufstiegen, als sie die Möwen sahen? Oh, es waren fremde Vögel
-von weit her, und sie waren nicht sehr zahlreich, aber es waren doch
-sechs Stück, weiße Vögel, alle ganz gleich; sie spazierten auf den
-Feldern umher, zuweilen bissen sie Gras ab. -- Vater, warum sind sie
-hierhergekommen? fragten die kleinen Buben. -- Weil sie auf dem Meer
-einen Sturm erwarteten. -- Ach, wie sonderbar und geheimnisvoll war
-das mit den Möwen!
-
-Und vieles andere Gute lehrte Isak seine Kinder. Sie waren jetzt
-so alt, daß sie in die Schule gehen sollten, aber die Schule war
-drunten im Dorfe, viele Meilen entfernt und nicht zu erreichen. An
-den Sonntagen hatte Isak den Kindern selbst das Abc beigebracht, aber
-irgendeinem höheren Unterricht war er nicht gewachsen, nein, dazu
-war dieser geborene Landmann nicht geschaffen. Der Katechismus, die
-biblische Geschichte lagen deshalb ruhig auf dem Wandbrett neben den
-Ziegenkäsen. So wie Isak die Kinder heranwachsen ließ, mußte er wohl
-denken, Unkenntnis in Buchweisheit sei für den Menschen bis zu einem
-gewissen Grad eine Kraft. Beide Jungen waren ihm eine Herzensfreude;
-Isak mußte oft daran denken, wie ihre Mutter, als sie noch ganz klein
-waren, ihm verboten hatte, sie anzufassen, weil er Harz an den Händen
-habe. Oh, Harz, das Reinste auf der Welt! Teer und Ziegenmilch und
-zum Beispiel Mark -- sind auch gesund und vortrefflich; aber Harz,
-Tannenharz -- o schweigt!
-
-Ja, da gingen also die Kinder in einem Paradies von Schmutz und
-Unwissenheit umher; aber es waren hübsche Kinder, wenn sie sich ein
-seltenes Mal wuschen, und Klein-Sivert war geradezu ein Prachtkerl;
-aber Eleseus war feiner und tiefer angelegt. -- Ja, aber woher können
-die Möwen wissen, daß ein Sturm droht? fragte er. -- Sie werden
-wetterkrank, antwortete der Vater. Aber außerdem sind sie nicht mehr
-wetterkrank als die Fliegen, fuhr er fort, was diese auch haben mögen,
-ob sie Gicht bekommen oder ob ihnen schwindlig wird oder so etwas.
-Aber schlagt nie nach einer Fliege, denn dann wird sie nur schlimmer,
-sagte er. Vergeßt das nicht, Jungen! Die Bremse ist von anderer Art,
-sie stirbt von selbst. Ganz unversehens kommt die Bremse im Sommer
-eines Tages daher, und hast du nicht gesehen, so ist sie auch wieder
-verschwunden! -- Wo bleibt sie? fragte Eleseus. -- Wo sie bleibt? Das
-Fett erstarrt in ihr, und dann bleibt sie liegen!
-
-An jedem Tag mehr Gelehrsamkeit: Wenn die Kinder von hohen Felsblöcken
-heruntersprangen, sollten sie die Zunge gut im Munde behalten, damit
-sie ihnen nicht zwischen die Zähne komme. Wenn sie größer würden
-und für die Kirche gut riechen wollten, sollten sie sich mit etwas
-Rainfarn, der auf der Halde droben wuchs, einreiben. Der Vater war
-voller Weisheit. Er erzählte den Kindern von den Steinen und vom
-Feuerstein, und daß der weiße Stein härter sei als der graue; aber wenn
-er einen Feuerstein fand, mußte er auch einen Feuerschwamm suchen, den
-er in Lauge kochte und aus dem er dann Zunder machte. Dann schlug er
-Feuer. Er erzählte ihnen vom Mond und sagte, wenn sie mit der linken
-Hand in die Mondsichel hineingreifen könnten, dann sei der Mond im
-Zunehmen, könnten sie das aber mit der rechten tun, dann sei er im
-Abnehmen. -- Vergeßt das nicht, Jungen! Ein seltenes Mal ging Isak
-indes zu weit, und da wurde er sonderbar und unverständlich: einmal kam
-er mit einem Ausspruch daher, der darauf hinauslief, es sei schwieriger
-für ein Kamel in den Himmel zu kommen, als für einen Menschen durch
-ein Nadelöhr zu gehen. Ein anderes Mal, als er ihnen von dem Glanz
-der Engel berichtete, sagte er, die Engel hätten die Sterne statt
-Beschlägen an die Absätze ihrer Schuhe genagelt. Das war ein guter,
-treuherziger Unterricht, der auf die Ansiedlung paßte, der Schullehrer
-im Dorf drunten würde darüber gelächelt haben; Isaks Kinder dagegen
-nährten ihre Phantasie ziemlich stark damit. Sie wurden für ihre eigene
-enge Welt erzogen und unterrichtet; was hätte besser sein können? Beim
-Schlachten im Herbst waren die Jungen höchst neugierig; für die Tiere,
-die geschlachtet werden sollten, hatten sie große Angst, und ihre
-kleinen Herzen waren tief betrübt. Da mußte nun Isak mit der einen
-Hand das Tier festhalten und mit der andern zustechen, und Oline rührte
-das Blut um. Jetzt wurde der alte Bock herausgeführt, weiß und bärtig
-war er, die beiden kleinen Burschen standen an der Hausecke und guckten
-hervor.
-
-Das ist doch ein abscheulicher Wind heuer, sagte Eleseus und wendete
-sich ab und wischte sich die Augen. Der kleine Sivert weinte
-offenherziger, er konnte sich nicht beherrschen, sondern rief: Ach, der
-arme alte Bock!
-
-Als der Bock gestochen war, trat Isak zu seinen Kindern und gab ihnen
-folgende Lehre: Ihr sollt nie ein Schlachtopfer bedauern und nicht
-armes Tier sagen. Denn sonst wird es nur lebenszäher. Vergeßt das nicht!
-
-So waren die Jahre vergangen, und abermals näherte sich der Frühling.
-
-Inger hatte wieder geschrieben, daß sie es gut habe und in der Anstalt
-sehr viel lerne. Ihr kleines Kind sei jetzt ein großes Mädchen, sie
-heiße Leopoldine nach dem Tag ihrer Geburt, dem 15. November. Sie
-könne alles und sei ein wahres Genie im Häkeln und Nähen, alles sei
-wunderschön gearbeitet, einerlei, ob auf Stoff oder Stramin.
-
-Das Merkwürdige an diesem letzten Brief war, daß Inger ihn selbst
-buchstabiert und geschrieben hatte. Isak war nicht so geschickt, er
-mußte sich den Brief beim Händler im Dorf vorlesen lassen; aber als er
-ihn erst im Kopf hatte, saß er auch fest darin, und als Isak heimkam,
-konnte er ihn auswendig.
-
-Nun setzte er sich mit großer Feierlichkeit oben an den Tisch, breitete
-den Brief aus und las ihn seinen Jungen vor. Oline sollte auch gerne
-sehen, daß er Geschriebenes fließend lesen konnte, aber sonst richtete
-er nicht einmal das Wort an sie. Als er fertig war, sagte er: Da könnt
-ihr hören, du, Eleseus, und du, Sivert, eure Mutter hat diesen Brief
-selbst geschrieben und hat alles mögliche gelernt. Und euer kleines
-Schwesterchen kann jetzt schon mehr als wir alle miteinander. Vergeßt
-das nicht, Jungen! -- Die Kinder saßen ganz still da und wunderten
-sich. -- Ja, das ist großartig, sagte Oline.
-
-Was meinte sie damit? Zog sie Ingers Wahrhaftigkeit in Zweifel? Oder
-traute sie Isaks Vorlesen nicht? Olines wahre Meinung war nicht
-leicht zu ergründen, wenn sie mit ihrem sanften Gesicht so dasaß und
-Zweideutigkeiten sagte. Isak beschloß, sie gar nicht zu beachten.
-
-Und wenn eure Mutter nun heimkommt, dann müßt ihr auch schreiben
-lernen, sagte er zu den beiden Kindern.
-
-Oline machte sich mit ein paar Kleidungsstücken zu schaffen, die am
-Ofen zum Trocknen hingen, schob einen Kessel hin und her, hängte die
-Kleidungsstücke wieder um und tat überhaupt sehr geschäftig. Aber
-sie überlegte die ganze Zeit. -- Wenn es dann so großartig hier im
-Walde wird, dann hättest du auch ein halbes Pfund Kaffee kaufen und
-mitbringen können, sagte sie. -- _Kaffee?_ sagte Isak, das Wort entfuhr
-ihm unwillkürlich. -- Oline antwortete ruhig: Bis jetzt habe ich immer
-ein wenig von meinem eigenen Geld gekauft.
-
-Kaffee, der für Isak ein Traum und ein Märchen war, ein Regenbogen!
-Oline spottete natürlich, er wurde nicht böse auf sie; aber schließlich
-fiel dem langsam denkenden Mann Olines Tauschhandel mit den Lappen
-ein, und er sagte zornig: Ja, ich werde dir Kaffee kaufen! Ein halbes
-Pfund hast du gesagt? Du hättest ein ganzes Pfund sagen sollen. Es
-soll wahrlich nicht fehlen. -- Du brauchst nicht so zu spotten, Isak,
-sagte sie. Mein Bruder Nils hat Kaffee, und drunten bei Bredes auf
-Breidablick haben sie Kaffee. -- Jawohl, denn sie haben keine Milch,
-gar keine Milch. -- Nun, das weiß ich nicht, und es ist mir auch
-einerlei. Aber du, der so viel weiß und Geschriebenes so gut lesen kann
-wie eine Renntierkuh laufen, du weißt wohl, daß es jetzt in allen
-Häusern Kaffee gibt. -- Kreatur! sagte Isak.
-
-Da setzte sich Oline auf den Hocker und wollte durchaus nicht
-schweigen. Und was Inger betrifft, sagte sie, wenn ich ein so großes
-Wort überhaupt in den Mund nehmen darf. -- Du kannst sagen, was du
-willst, ich kümmere mich nicht darum. -- Sie kommt heim und hat alles
-gelernt. Und dann hat sie wohl Perlen und Federn auf dem Hut? -- Ja,
-das hat sie wohl. -- Ja, ja, sagte Oline, nun kann sie sich bei mir
-ein bißchen für alle diese Größe bedanken, die sie erreicht hat. --
-Bei dir? entfuhr es Isak. -- Oline antwortete demütig: Da ich ja als
-geringes Werkzeug dazu gedient habe, sie fortzubringen.
-
-Darauf konnte Isak nichts mehr sagen, die Worte blieben ihm im Halse
-stecken, er saß still da und starrte vor sich hin. Hatte er recht
-gehört? Oline sah aus, als habe sie gar nichts Besonderes gesagt. Nein,
-in einem Wortstreit zog Isak den kürzeren.
-
-Düsteren Sinnes trieb er sich draußen herum. Oline, dieses Vieh,
-das sich von Bosheit nährte und fett dabei wurde -- oh, es war wohl
-verkehrt von ihm gewesen, daß er sie nicht gleich im ersten Jahr
-erschlagen hatte, dachte er und tat vor sich selbst groß. Dazu hätte
-er der Mann sein sollen, dachte er weiter. Mann -- er? O ja, niemand
-konnte fürchterlicher sein.
-
-Und nun folgt ein komischer Auftritt: er geht in den Stall und zählt
-seine Ziegen; da stehen sie mit ihren Zicklein und sind vollzählig.
-Er zählt die Kühe, das Schwein, vierzehn Hühner, zwei Kälber. Und die
-Schafe habe ich fast vergessen! sagt er laut zu sich selbst. Er zählt
-auch die Schafe und tut, als sei er sehr gespannt, ob sie vollzählig
-sind. Isak weiß sehr wohl, daß ein Schaf fehlt, ja, er hat es schon
-lange gewußt, warum also tun, als wüßte er es nicht? Die Sache ist die:
-Oline hatte ihn ja damals verwirrt gemacht und eine Ziege verleugnet,
-obgleich alle Ziegen dagewesen waren. Damals war er tüchtig ins Zeug
-gefahren, es war aber nichts dabei herausgekommen. Bei einem Streit mit
-Oline kam nie etwas heraus. Als er im Herbst schlachten wollte, hatte
-er gleich gemerkt, daß ein Mutterschaf fehlte, aber er hatte nicht das
-Herz gehabt, sofort Rechenschaft dafür zu verlangen, und auch später
-war ihm der Mut dazu nicht gekommen.
-
-Aber heute ist er grimmig, ja, heute ist Isak grimmig, Oline hat ihn
-wütend gemacht. Er zählt die Schafe noch einmal, legt den Zeigefinger
-auf jedes einzelne und zählt laut. -- Oline darf es gern hören, falls
-sie draußen steht und horcht. Und er sagt mit lauter Stimme viel
-Schlechtes über Oline: sie habe eine ganz neue Art, die Schafe zu
-füttern, so daß plötzlich eines verschwinde, ein Mutterschaf! Sie sei
-eine abgefeimte Diebshure, ob sie das verstehe! Oh, Oline dürfe gern
-vor der Tür stehen und einen ordentlichen Schrecken bekommen!
-
-Er schreitet zum Stall hinaus, geht in den Pferdestall und zählt das
-Pferd, von da will er ins Haus gehen und sich aussprechen. Er geht so
-schnell, daß sein Kittel wie ein erregter Kittel von seinem Rücken
-wegsteht. Aber Oline hat vielleicht vom Fenster aus dies und jenes
-gemerkt, sie tritt ruhig und sicher zur Haustür heraus, die Milcheimer
-in den Händen, und will in den Stall gehen.
-
-Was hast du mit dem Mutterschaf mit den flachen Ohren gemacht? fragt
-er. -- Mit dem Mutterschaf? -- Ja, und wenn es hier gewesen wäre, hätte
-es jetzt schon zwei Lämmer; was hast du mit ihm gemacht? Es hatte
-immer zwei Lämmer. Auf diese Weise hast du mir drei Schafe genommen;
-verstehst du das?
-
-Oline ist ganz überwältigt, vollständig vernichtet von der
-Beschuldigung, sie wackelt mit dem Kopf, und ihre Beine scheinen
-unter ihr wegzuschmelzen, so daß sie schließlich umfallen und sich
-einen Schaden antun kann. Aber ihr Kopf überlegt die ganze Zeit, ihre
-Geistesgegenwart hat ihr immer geholfen, hatte ihr immer Vorteile
-gebracht, sie durfte sie auch jetzt nicht verlassen.
-
-Ich stehle Ziegen und ich stehle Schafe, sagt sie still. Ich möchte
-wissen, was ich mit ihnen tue. Ich esse sie wohl auf. -- Ja, das
-weißt du selbst, was du damit tust. -- So, dann müßte ich hier in
-deinem Haus, Isak, nicht Essen und Trinken im Überfluß haben, ich wäre
-gezwungen, mir dazu zu stehlen. Aber das kann ich hinter deinem Rücken
-sagen, daß ich das in all diesen Jahren nicht nötig gehabt habe. --
-Aber was hast du dann mit dem Schaf gemacht? Hat Os-Anders es bekommen?
--- Os-Anders? Oline muß geradezu die Melkeimer abstellen und die Hände
-zusammenschlagen: Wenn ich nur so frei von aller Schuld wäre! Was ist
-denn das für ein Schaf mit seinen Lämmern, von dem du redest? Ist es
-die eine Ziege, die flache Ohren hat? -- Kreatur! sagt Isak und will
-gehen. -- Du bist doch ein komischer Kauz, Isak. Da hast du nun genug
-Vieh von jeder Art und ein wahres Sternenheer von Tieren in deinem
-Stall, aber du hast noch nicht genug! Kann ich wissen, welches Schaf
-und welche Lämmer du von mir verlangst? Du müßtest Gott für seine
-Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied danken. Wenn jetzt dieser
-Sommer und ein Stück vom Winter vorbei sind, dann werfen deine Schafe
-wieder Lämmer, und du bekommst dreimal soviel, als du jetzt hast!
-
-O diese Oline!
-
-Isak ging fort, wie ein Bär brummend. Was für ein Dummkopf war ich,
-daß ich sie nicht am ersten Tag erschlagen habe! sagte er sich und
-warf sich selbst allerlei Schimpfnamen an den Kopf. Was für ein Narr,
-ein Roßdreck war ich doch! Aber es ist noch nicht zu spät, warte nur,
-mag sie in den Stall gehen! Es ist nicht ratsam, an diesem Abend noch
-etwas mit ihr anzufangen, aber morgen, da ist es ratsam. Drei Schafe
-verloren! Kaffee! sagte sie.
-
-
-
-
-10
-
-
-Der nächste Tag sollte ein großes Ereignis bringen: Gäste kamen auf
-die Ansiedlung, Geißler kam. Auf den Mooren war es noch nicht einmal
-Sommer, aber Geißler machte sich nichts aus dem Weg, er kam zu Fuß
-in prächtigen Schaftstiefeln mit breitem lackiertem Umschlag; gelbe
-Handschuhe hatte er an, und er sah vornehm aus. Ein Mann aus dem Dorfe
-trug sein Gepäck.
-
-Er komme nun eigentlich, um eine Strecke Bergland von Isak zu kaufen,
-eine Kupfermine, welchen Preis er dafür verlange? Übrigens könne er
-von Inger grüßen -- eine tüchtige Frau, sehr beliebt; er komme von
-Drontheim und habe sie da gesprochen. Isak, du hast ja hier mächtig
-gearbeitet! -- O ja. So, Ihr habt mit Inger gesprochen? -- Was ist das
-dort drüben? Hast du eine Mühle errichtet? Und mahlst du dein eigenes
-Mehl? Ausgezeichnet. Und du hast sehr viel Boden umgebrochen, seit ich
-das letztemal hier war. -- Und es ging ihr gut? -- Ja, es geht gut. Ach
-so, deiner Frau! Ja, jetzt sollst du hören. Komm, wir wollen in die
-Kammer gehen. -- Nein, es ist nicht so schön drinnen, sagt Oline, aus
-mehreren Gründen abwehrend.
-
-Aber die beiden gingen doch in die Kammer und machten die Tür hinter
-sich zu; Oline stand allein in der Stube und bekam nichts zu hören.
-
-Der Lensmann Geißler setzte sich, schlug sich einmal kräftig auf die
-Knie und saß da mit Isaks Schicksal in der Hand. Du hast doch wohl
-dein Kupferfeld nicht verkauft? fragte er. -- Nein. -- Gut. Ich kaufe
-es. Ja, ich habe mit Inger und mit mehreren andern gesprochen. Sie
-wird gewiß in allernächster Zeit frei, es liegt jetzt beim König. --
-Beim König! -- Beim König. Ich bin zu deiner Frau gegangen, für mich
-hatte es natürlich keine Schwierigkeiten, hineinzukommen, und wir
-haben lange miteinander gesprochen: Nun, Inger, es geht dir ja gut,
-richtig gut? -- Ja, ich habe nichts zu klagen. -- Sehnst du dich nicht
-nach Hause? -- Doch, das kann ich nicht leugnen. -- Du sollst bald
-heimkommen, sagte ich. Und das kann ich dir sagen, Isak, sie ist ein
-tüchtiges Weib; keine Tränen, im Gegenteil, sie lächelte und lachte
--- ihr Mund ist übrigens operiert und zusammengenäht worden. Nun lebe
-wohl, sagte ich zu ihr, du sollst nicht mehr lange hierbleiben, mein
-Wort darauf.
-
-Dann ging ich zum Direktor, es hätte ja nur gefehlt, daß er mich nicht
-empfangen hätte. Sie haben eine Frau hier, die hinaus und wieder heim
-gehört, sagte ich, Inger Sellanraa. -- Inger? versetzte er. Ja, sie
-ist ein guter Mensch, ich würde sie gerne zwanzig Jahre hier behalten,
-sagte er. -- Davon kann keine Rede sein, sagte ich, sie ist schon zu
-lange hier gewesen. -- Zu lange? sagte er. Kennen Sie den Fall? --
-Ja, ich kenne den Fall von Grund aus, ich bin ihr Lensmann gewesen.
--- Bitte, setzen Sie sich, sagte er da. -- Es hätte auch gerade noch
-gefehlt! -- Ja, wir sorgen so gut wie möglich für Inger, sagte der
-Direktor, und auch für ihr kleines Mädchen, jawohl. So, die Frau ist
-also aus Ihrer Gegend? Wir haben ihr zu einer eigenen Nähmaschine
-verholfen, sie hat ihr Gesellenstück in der Werkstatt gemacht, und wir
-haben sie in Verschiedenem unterrichtet; sie hat ordentlich weben,
-ordentlich nähen, färben und schneidern gelernt. Und Sie sagen, sie sei
-schon zu lange hier gewesen? -- Ich wußte wohl, was ich zu antworten
-hatte, aber ich wollte damit noch etwas warten, und so sagte ich: Ja,
-der Fall ist schlecht geführt worden und muß wieder aufgenommen werden,
-jetzt nach der Revision des Strafgesetzes würde sie vielleicht ganz
-freigesprochen werden. Es ist ihr ein Hase zugeschickt worden, als sie
-schwanger war. -- Ein Hase? fragte der Direktor. -- Ein Hase, sagte
-ich. Und das Kind bekam eine Hasenscharte. -- Der Direktor lächelte.
-So also. Ihrer Meinung nach ist also auf diesen Punkt nicht genug
-Rücksicht genommen worden? -- Nein, antwortete ich, dieser Punkt wurde
-gar nicht berührt. -- Nun, das ist wohl auch nicht so gefährlich.
--- Für sie war es gefährlich genug. -- Meinen Sie, ein Hase könne
-Wundertaten verrichten? -- Ich erwiderte: Wieweit ein Hase Wundertaten
-verrichten kann oder nicht, damit will ich Sie nicht unterhalten,
-Herr Direktor. Die Frage ist die, welche Wirkung der Anblick eines
-Hasen unter gewissen Umständen auf eine Frau, die eine Hasenscharte
-hat, haben kann! -- Der Direktor überlegte eine Weile, dann sagte er:
-Ja, ja, aber hier in der Anstalt haben wir die Verurteilten ja nur
-aufzunehmen, wir revidieren das Urteil nicht. Nach dem Urteil ist Inger
-nicht zu lange hier gewesen.
-
-Jetzt kam ich mit dem heraus, was gesagt werden mußte. Bei der
-Inhaftnehmung von Inger Sellanraa sind Fehler gemacht worden. --
-Fehler? -- Erstens hätte sie in dem Zustand, in dem sie war, gar nicht
-transportiert werden dürfen. -- Der Direktor sah mich scharf an. --
-Das ist richtig, sagte er dann. Aber das ist nicht unsere Sache hier
-im Gefängnis. -- Zweitens, fuhr ich fort, hätte sie nicht zwei Monate
-lang in vollem Gewahrsam sein dürfen, bis ihr Zustand der Behörde hier
-am Gefängnis offenbar wurde. Das saß. Der Direktor schwieg lange. --
-Haben Sie Vollmacht, für die Frau zu handeln? fragte er. -- Ja, sagte
-ich. -- Wie gesagt, wir sind hier zufrieden mit Inger und behandeln
-sie auch danach, schwatzte der Direktor, und wieder zählte er auf,
-was Inger alles gelernt habe, ja, sie hätten sie auch schreiben
-gelehrt, sagte er. Und die kleine Tochter hätten sie bei jemand gut
-untergebracht und so weiter. -- Ich erklärte ihm, wie die Verhältnisse
-in Ingers Heim seien: da auch zwei kleine Kinder, gemietete Hilfe, um
-sie zu versorgen, und so weiter. Ich habe eine Darlegung von ihrem
-Manne, sagte ich, die kann beigelegt werden, ob der Fall nun wieder
-aufgenommen werden soll oder ob man für die Frau um Begnadigung
-einkommen will. -- Lassen Sie mich diese Darlegung sehen, sagte der
-Direktor. -- Ich werde sie Ihnen morgen in der Besuchszeit bringen,
-versetzte ich.
-
-Isak hörte aufmerksam zu, das war ergreifend, ein Märchen aus fremdem
-Land. Unverwandt hingen seine Augen an Geißlers Mund.
-
-Geißler erzählte weiter. Ich ging zurück ins Gasthaus und setzte eine
-Darlegung auf, ich machte die Sache zu der meinigen und unterschrieb
-Isak Sellanraa. Aber du mußt ja nicht glauben, ich hätte ein Wort
-davon verlauten lassen, daß im Gefängnis etwas Unrichtiges gemacht
-worden sei. Keine Silbe davon! Rührte nicht daran. Und am nächsten
-Tage brachte ich das Dokument hin. -- Bitte setzen Sie sich! sagte der
-Direktor sofort. Er las meine Darlegung, nickte ab und zu, schließlich
-sagte er: Ausgezeichnet. Sie genügt zwar nicht zur Wiederaufnahme des
-Falles, aber ... -- Doch, mit einer Beilage, die ich ebenfalls hier
-habe, sagte ich, und ich traf da wieder recht gut. Der Direktor beeilte
-sich zu sagen: Ich habe mir die Sache seit gestern überlegt und finde
-gute Gründe dafür, ein Gesuch um Begnadigung für Inger einzureichen. --
-Das Sie im gegebenen Fall unterstützen werden, Herr Direktor? fragte
-ich. -- Ich werde es befürworten, es warm befürworten. -- Da verbeugte
-ich mich und sagte: Dann ist die Begnadigung sicher. Ich danke Ihnen im
-Namen eines unglücklichen Mannes und eines verlassenen Hauses. -- Ich
-glaube nicht, daß wir weitere Auskunft aus Ihrem Heimatort einzuholen
-brauchen, sagte der Direktor, Sie kennen sie ja? -- Ich erriet wohl,
-warum die Sache sozusagen in aller Stille abgemacht werden sollte, und
-erwiderte: Die Auskunft von daheim würde die Sache nur in die Länge
-ziehen.
-
-Da hast du die ganze Geschichte, Isak. -- Geißler sah auf seine
-Uhr. Und nun zur Sache selbst! Kannst du mich noch einmal nach dem
-Kupferberg begleiten?
-
-Isak war ein Stein und ein Klotz, er konnte nicht so augenblicklich von
-einem zum andern überspringen. Aufs höchste verwundert und in tiefe
-Gedanken versunken, saß er da; dann stellte er noch allerlei Fragen.
-Er erfuhr, daß das Gesuch an den König abgegangen war und in einer der
-ersten Sitzungen des Staatsrats entschieden werden konnte! Wunderbar!
-sagte er.
-
-Sie gingen auf den Berg. Geißler, sein Begleiter und Isak, und sie
-blieben ein paar Stunden weg. In dieser kurzen Zeit verfolgte Geißler
-den Lauf der Kupferader über einen langen Berg hin und steckte die
-Grenzen für den Bereich ab, den er kaufen wollte. Wie ein Wiesel lief
-er. Aber dumm war der Mann nicht, sein rasches Urteil war merkwürdig
-sicher.
-
-Als er auf den Hof zurückkam -- mit einem Sack voll neuer
-Gesteinsproben --, bat er um Feder und Tinte und Papier und setzte
-sich zum Schreiben hin. Aber er schrieb nicht immerfort eilig, sondern
-plauderte auch dazwischen: Ja, Isak, große Summen bekommst du diesmal
-nicht für deinen Berg, aber ein paar hundert Taler kannst du haben!
-Dann schrieb er wieder. Vergiß nicht, mich daran zu erinnern, daß
-ich auch noch deine Mühle ansehen will, ehe ich gehe, sagte er. Dann
-fielen ihm einige rote und blaue Striche an dem Webstuhl auf, und er
-sagte: Wer hat das gezeichnet? -- Ja, Eleseus hatte ein Pferd und einen
-Bock gezeichnet, er versuchte sich mit seinem bunten Bleistift auf
-dem Webstuhl und anderem Holzwerk, weil er kein Papier hatte. Geißler
-sagte: Das ist gar nicht schlecht gemacht, und schenkte Eleseus eine
-Münze.
-
-Wieder schrieb Geißler eine Weile, dann sagte er: Es werden jetzt
-wohl bald mehrere neue Ansiedler durchs Ödland hier heraufkommen!
--- Sein Begleiter fiel ein: Sie sind schon gekommen. -- Wer denn?
--- Vorerst ist da Breidablick, wie sie es nennen, der Brede auf
-Breidablick drunten. -- Ach der! lächelte Geißler verächtlich. --
-Jawohl, und dann haben noch ein paar andere Grund und Boden gekauft.
--- Wenn sie nur etwas taugen, sagte Geißler. Und da er in demselben
-Augenblick entdeckte, daß zwei kleine Jungen in der Stube waren,
-zog er Klein-Sivert zu sich heran und gab auch ihm eine Münze. Ein
-merkwürdiger Mann, dieser Geißler! Jetzt waren überdies seine Augen
-wie etwas entzündet, die Ränder waren wie von rotem Reif umgeben. Das
-konnte von Nachtwachen kommen, manchmal kommt aber so etwas auch von
-starken Getränken. Aber er machte nicht den Eindruck, als gehe es
-bergab mit ihm; während er so über alles mögliche schwatzte, dachte er
-gewiß die ganze Zeit an das Dokument vor sich, denn plötzlich ergriff
-er rasch die Feder wieder und schrieb ein Stück weiter.
-
-Jetzt schien er fertig zu sein.
-
-Er wendete sich an Isak. Ja, wie gesagt, ein reicher Mann wirst du
-nicht bei diesem Geschäft. Aber es kann später noch mehr werden. Wir
-wollen es so aufsetzen, daß du später mehr bekommst. Zweihundert kannst
-du jedoch jetzt gleich haben.
-
-Isak verstand nicht viel vom Ganzen, aber zweihundert Taler, das war
-jedenfalls wieder ein Wunder und eine großartige Bezahlung. Er würde
-sie wohl nur auf dem Papier bekommen, natürlich nicht bar, aber es war
-ihm auch so recht; er hatte ganz anderes im Kopf und fragte: Und Ihr
-glaubt, daß sie begnadigt wird? -- Deine Frau? Wenn ein Telegraph im
-Dorf wäre, dann würde ich in Drontheim anfragen, ob sie nicht schon
-frei ist, antwortete Geißler. -- Isak hatte wohl vom Telegraphen reden
-hören; das war etwas Merkwürdiges, ein Draht auf hohen Stangen, etwas
-Überirdisches -- jetzt schlich sich fast etwas wie Mißtrauen gegen
-Geißlers große Worte in sein Herz, und er wendete ein: Aber wenn
-es der König abschlägt? -- In dem Fall schicke ich meine Beilage zu
-der Darlegung ein, die alles enthält, und dann _muß_ deine Frau frei
-werden. Zweifle nicht daran!
-
-Dann las er vor, was er geschrieben hatte, den Kaufvertrag für den
-Berg, zweihundert Taler in die Hand und später ordentlich hohe
-Prozente beim Betrieb oder bei einem Weiterverkauf des Kupferfundes.
-Unterschreib, hier! sagte Geißler.
-
-Isak würde augenblicklich unterschrieben haben, aber er war kein
-Schriftkundiger, sein ganzes Leben lang hatte er nur Buchstaben in Holz
-geschnitten. Ach, und da stand die abscheuliche Oline und sah zu! Er
-ergriff die Feder, diesen Greuel von einem leichten Ding, neigte das
-richtige Ende nach unten und _schrieb_ -- schrieb seinen Namen. Danach
-setzte Geißler noch etwas darunter, vermutlich eine Erklärung, und sein
-Begleiter unterschrieb als Zeuge.
-
-Fertig.
-
-Aber immer noch blieb Oline unbeweglich stehen, ja, eigentlich wurde
-sie jetzt erst steif. Was würde geschehen?
-
-Stell das Essen auf den Tisch, Oline! sagte Isak, und er war vielleicht
-ein wenig hochmütig, seit er auf Papier geschrieben hatte. Ihr müßt
-eben vorliebnehmen, wie wir es haben! sagte er zu Geißler.
-
-Es riecht gut nach Fleisch und Brühe, sagte Geißler. Da sieh her, Isak,
-hier ist das Geld! -- Damit zog Geißler sein Taschenbuch heraus, das
-dick und strotzend war, er nahm zwei Bündel Banknoten heraus, zählte
-sie und legte sie auf den Tisch: Zähl selbst! sagte er.
-
-Schweigen. Stille.
-
-Isak! rief Geißler.
-
-Ja. Na ja, sagte Isak, und er murmelte überwältigt: Das ist nun nicht
-mein Anspruch -- nach allem, was Ihr schon getan habt. -- Es müssen
-zehn Zehner und zwanzig Fünfer sein, sagte Geißler kurz. Ich hoffe, es
-wird einmal viel mehr für dich herauskommen.
-
-Da kam Oline wieder zu sich. Das Wunder war geschehen. Sie stellte das
-Essen auf den Tisch.
-
-Am nächsten Morgen ging Geißler nach dem Flusse und besah sich die
-Mühle. Alles war klein und roh zusammengezimmert, ja, es war wie eine
-Mühle für die Unterirdischen, aber stark und nützlich zum Gebrauch für
-Menschen. Isak führte seinen Gast noch etwas weiter den Fluß hinauf und
-zeigte ihm eine zweite Stromschnelle, wo er auch schon etwas gearbeitet
-hatte; es sollte ein kleines Sägewerk werden, wenn ihm Gott die
-Gesundheit erhielt.
-
-Das einzige ist, daß wir hier so weit von der Schule entfernt sind,
-sagte er. Ich muß die Jungen drunten im Dorf in Kost geben. -- Der
-bewegliche Geißler sah darin keine größere Unannehmlichkeit. Gerade
-jetzt lassen sich immer mehr Ansiedler hier in dieser Gegend nieder,
-und dann kommt eine Schule her. -- Ach, das kommt wohl erst so weit,
-wenn meine Kleinen groß sind. -- Und was tut's, wenn du sie drunten
-unterbringst? Du fährst mit den Jungen und mit Lebensmitteln hinunter
-und holst sie nach drei oder sechs Wochen wieder ab, das ist doch gar
-nichts für dich. -- Nein.
-
-Nein, eigentlich war es gar nichts, wenn Inger jetzt heim kam. Haus und
-Hof, Nahrung und sonst viel Schönes hatte er, viel Geld hatte er also
-jetzt auch und dazu eine eiserne Gesundheit. O diese Gesundheit, stark
-und ungeschwächt in jeder Beziehung, die Gesundheit eines ganzen Mannes!
-
-Als Geißler abgezogen war, begann Isak über viele hoffärtige Dinge
-nachzudenken. Jawohl, denn dieser gute Geißler hatte zum Schlusse noch
-die aufmunternden Worte gesagt, daß er Isak gleich Nachricht schicken
-wolle, sobald er zum Telegraphen komme. In vierzehn Tagen kannst du
-drunten auf der Post einmal nachfragen, hatte er gesagt. Das allein war
-schon etwas Großen, und Isak machte sich nun daran, eine Sitzbank auf
-seinem Karren zu verfertigen. Wahrhaftig einen Wagenstuhl, der zu den
-Feldarbeiten abgenommen, aber wieder aufgesetzt wurde, wenn man ins
-Dorf fuhr. Als jedoch der Wagenstuhl fertig war, sah er so weiß und
-neu aus, daß er etwas dunkler angestrichen werden mußte. Und außerdem,
-was war nicht alles zu machen! Der ganze Hof mußte angestrichen
-werden. Hatte Isak nicht schon seit Jahren daran gedacht, eine große
-Scheuer mit einer Einfahrtsbrücke zu bauen, um das Heu in den oberen
-Raum hineinfahren zu können? Und hatte er nicht das Sägewerk bald
-fertigstellen, sein ganzes Grundstück einfriedigen und ein Boot für den
-Gebirgssee bauen wollen? Vieles hatte er sich vorgenommen. Aber es half
-alles nichts, und wenn er auch seine Kräfte vertausendfachen könnte,
-die _Zeit_ reichte nicht aus. Es war Sonntag, ehe er sich's versah, und
-gleich darauf war es schon wieder Sonntag.
-
-Aber anstreichen wollte er jedenfalls. Die Häuser standen ja jetzt so
-nackt und grau da wie Häuser in Hemdärmeln. Er hatte noch Zeit vor der
-Feldarbeit, es war ja noch gar nicht eigentlich Frühling, das Kleinvieh
-war zwar schon draußen, aber der Boden war noch überall gefroren.
-
-Isak packt einige Mandeln Eier ein, um sie zu verkaufen, geht ins Dorf
-und kehrt mit Ölfarbe zurück. Sie reichte zu einem Gebäude, zu der
-Scheune, diese wurde rot angestrichen. Er holt neue Farbe und gelben
-Ocker fürs Wohnhaus. -- Ja, es ist, wie ich sage, hier wird's jetzt
-vornehm, murmelt Oline täglich. O Oline, sie merkte wohl, daß ihre Zeit
-auf Sellanraa bald zu Ende sein würde, sie war zäh und stark genug, es
-zu ertragen, aber doch nicht ohne Bitterkeit. Isak seinerseits hielt
-nun keine Abrechnung mehr mit ihr, obgleich sie in der letzten Zeit
-gehörig stahl und unterschlug. Isak schenkte ihr sogar einen jungen
-Widder, denn sie war ja eigentlich jetzt schon recht lange um wenig
-Lohn bei ihm. Übrigens war Oline auch nicht schlecht gegen seine Kinder
-gewesen; sie war nicht streng und rechtschaffen und dergleichen, aber
-sie hatte eine bequeme Art für die Kinder, gab Rede und Antwort, wenn
-sie fragten, und erlaubte ihnen fast alles. Kamen sie herbei, wenn sie
-Käse machte, dann durften sie versuchen, und wenn sie an einem Sonntag
-einmal vor dem Gesichtwaschen auskneifen wollten, dann ließ sie sie
-laufen.
-
-Als die Häuser mit der Grundfarbe angestrichen waren, holte Isak im
-Dorf so viel Farbe, als er nur tragen konnte, und das war nicht wenig.
-Dreimal strich er die Häuser an, und die Fensterkreuze und -rahmen
-machte er weiß. Wenn er jetzt aus dem Dorfe zurückkam und sein Heim
-da auf der Halde sah, war es ihm, als sehe er das Märchenschloß Soria
-Moria vor sich! Das Ödland war bebaut und nicht mehr zu erkennen, Segen
-ruhte darauf, Leben war entstanden aus einem langen Traum, Menschen
-lebten da, Kinder spielten um die Häuser her. Bis hinauf zu den blauen
-Bergen dehnte sich schöner großer Wald aus.
-
-Und als Isak wieder einmal zum Kaufmann kam, gab dieser ihm
-einen blauen Brief mit einem Wappen drauf, und der Brief kostete
-fünf Schilling. Der Brief war ein Telegramm, das mit der Post
-weitergeschickt worden war, und es war vom Lensmann Geißler. Nein,
-dieser Geißler, was für ein merkwürdiger Mensch war er doch! Er
-telegraphierte die wenigen Worte: Inger frei, kommt baldigst, Geißler.
-
-Aber jetzt drehte sich der Kaufladen im Kreise vor Isak, und es
-war, als wichen der Ladentisch und die Menschen weit, weit in den
-Hintergrund zurück. Er fühlte mehr, als er es vernahm, daß er sagte:
-Gott sei Lob und Dank! -- Du kannst sie möglicherweise schon morgen
-hier haben, wenn sie zeitig genug von Drontheim abgereist ist. -- So,
-sagte Isak.
-
-Er wartete bis zum nächsten Tag. Das Boot, das die Post von der
-Dampfschiffstation mitbrachte, kam allerdings, aber Inger war nicht an
-Bord. -- Dann kann sie erst in der nächsten Woche hier sein, sagte der
-Kaufmann.
-
-Es war fast gut, daß Isak so viel Zeit vor sich hatte, denn es war
-noch sehr viel zu tun. Sollte er alles vergessen und seine Felder
-vernachlässigen? Er geht heim und fährt den Dung hinaus. Das ist
-bald geschehen. Er sticht mit dem Spaten in die Erde und verfolgt
-das Auftauen von Tag zu Tag. Die Sonne steht jetzt kräftig und groß
-am Himmel, der Schnee ist verschwunden, es grünt überall, auch das
-Rindvieh ist aus dem Stalle. An einem Tag pflügt Isak, ein paar Tage
-darauf sät er sein Korn und legt Kartoffeln. Die kleinen Jungen legen
-die Kartoffeln wie mit Engelshänden, sie haben sehr geschickte Hände
-und kommen dem Vater weit voraus.
-
-Dann wäscht Isak seinen Wagen am Fluß und befestigt den Sitz darauf.
-Dann spricht er mit den Kindern von einem Ausflug, den er nach dem
-Dorfe machen müsse. -- Aber gehst du denn nicht zu Fuß? fragen sie. --
-Nein, ich habe die Absicht, diesmal mit Wagen und Pferd zu fahren. --
-Dürfen wir nicht auch mitfahren? -- Nein, ihr müßt artige Jungen sein
-und diesmal zu Hause bleiben. Jetzt kommt eure Mutter heim, und dann
-könnt ihr vieles bei ihr lernen. -- Eleseus, der gerne lernen will,
-fragt: Als du damals auf Papier geschrieben hast, wie war denn das? --
-Ich habe es fast nicht gefühlt, antwortete der Vater, es ist, als sei
-die Hand ganz leer dabei. -- Will sie nicht davonlaufen, gerade wie auf
-dem Eis? -- Wer? -- Die Feder, mit der du geschrieben hast? -- O doch.
-Jawohl, aber man muß eben lernen, sie zu lenken.
-
-Der kleine Sivert jedoch war von anderer Art und sagte nichts von der
-Feder, er wollte aufsitzen, wollte nur auf dem Wagenbrett sitzen, einen
-unbespannten Wagen antreiben und ungeheuer schnell fahren. Er brachte
-es so weit, daß der Vater beide Jungen ein großes Stück Wegs mitfahren
-ließ.
-
-
-
-
-11
-
-
-Isak fährt, bis er an ein Moorloch kommt. Da hält er an. Ein schwarzes,
-tiefes Moorloch, die blaue Wasserfläche liegt regungslos da; Isak
-wußte, wozu sie gut war, er hatte wohl kaum je in seinem Leben einen
-anderen Spiegel gebraucht als ein solches Moorloch. Seht, er ist heute
-in seinem roten Hemd sehr hübsch und ordentlich angezogen, jetzt
-zieht er eine Schere heraus und schneidet sich den Bart. Der eitle
-Mühlengeist, wollte er sich geradezu prachtvoll machen und sich von
-seinem fünf Jahre alten Vollbart trennen? Er schneidet und schneidet
-und besieht sich im Wasser. Natürlich hätte er diese Arbeit heute auch
-daheim verrichten können; aber er scheute sich vor Oline, es war schon
-sehr viel gewesen, daß er gerade vor ihrer Nase das rote Hemd angezogen
-hatte. Er schert und schert, ein gutes Teil Barthaare fallen auf den
-Spiegel. Als das Pferd nicht länger ruhig stehen will, hört er auf und
-erklärt sich für fertig. O jawohl, er fühlt sich bedeutend jünger. --
-Ja zum Kuckuck, wenn er es verstand, auch bedeutend schlanker sogar.
-
-Dann fährt er ins Dorf.
-
-Am nächsten Tag kommt das Boot. Isak sitzt auf einem Felsblock neben
-dem Schuppen des Kaufmanns und späht hinaus, aber auch diesmal
-erscheint Inger nicht. Lieber Gott, es stiegen ziemlich viel Reisende
-aus, Erwachsene und Kinder, aber Inger war nicht darunter. Isak hatte
-sich im Hintergrund gehalten, sich auf diesen Felsblock gesetzt, nun
-hatte er keinen Grund mehr, noch länger da sitzenzubleiben, und so
-ging er zum Boot hin. Immer noch kamen Kisten und Tonnen, Leute und
-Postsachen aus dem Achtriemer heraus, aber Isak sah Inger nicht.
-Dagegen sah er eine Frau mit einem kleinen Mädchen, die schon drüben an
-der Tür des Bootshauses stand, aber die Frau war hübscher als Inger,
-obgleich Inger nicht häßlich war. -- Aber wie -- das _war_ ja Inger.
-Hm! sagte Isak und eilte hinüber. Sie begrüßten einander; Inger sagte
-guten Tag und reichte ihm die Hand, etwas erkältet und blaß noch von
-der Seekrankheit und der Reise. Isak stand ganz still da, schließlich
-sagte er: Ja, es ist recht schönes Wetter! -- Ich habe dich gut dort
-drüben gesehen, sagte Inger, aber ich wollte mich nicht durchdrängen.
-Bist du heute ohnedies im Dorf? fragte sie. -- Ja. Hm. -- Es geht
-euch allen doch wohl gut? -- Ja, danke der Nachfrage. -- Dies ist die
-Leopoldine, sie ist auf der Reise viel wohler gewesen als ich. Sieh,
-das ist dein Vater, nun mußt du deinen Vater begrüßen, Leopoldine. --
-Hm! sagte Isak auch jetzt wieder; es war ihm höchst sonderbar zumute,
-oh, er war ein Fremder unter ihnen. -- Inger sagte: Wenn du am Boot
-drunten eine Nähmaschine siehst -- sie gehört mir. Und dann habe ich
-noch eine Kiste. -- Isak ging sofort; mehr als gerne ging er. Die
-Bootsleute zeigten ihm die Kiste, aber wegen der Nähmaschine mußte
-Inger selbst kommen und sie heraussuchen. Es war ein schöner Kasten von
-unbekannter Form, mit einem runden Deckel und einem Henkel zum Tragen
--- eine Nähmaschine in dieser Gegend! Isak lud sich die Kiste und die
-Nähmaschine auf und sagte zu seiner Familie: Ich laufe rasch mit diesem
-hinauf ins Dorf, komme aber gleich wieder und trage dann sie, sagte
-er. -- Wen tragen? fragte Inger lächelnd. Meinst du, das große Mädchen
-könne nicht gehen?
-
-Sie gingen miteinander zu dem Pferd und dem Wagen hin. Hast du ein
-neues Pferd gekauft? fragte Inger. Und hast du einen Wagen mit
-einem Wagenstuhl? -- Ja, das versteht sich. Doch was ich sagen
-wollte: Möchtest du nicht erst ein wenig essen? Ich habe Mundvorrat
-mitgebracht. -- Das kann warten, bis wir das Dorf hinter uns haben,
-sagte sie. Was meinst du, Leopoldine, kannst du allein da sitzen? --
-Aber das wollte der Vater nicht leiden. Nein, sie könnte auf die Räder
-herunterfallen. Setz du dich mit ihr hinauf und nimm selbst die Zügel.
-
-So fuhren sie ab, und Isak ging hinter dem Wagen her.
-
-Er betrachtete die beiden auf dem Wagen. Da war nun Inger gekommen,
-fremd nach Anzug und Aussehen, vornehm, ohne Hasenscharte, nur mit
-einem roten Streifen auf der Oberlippe. Sie zischte nicht mehr, das war
-das Merkwürdige, sie sprach ganz rein. Ein grau und rot gestreiftes
-wollenes Kopftuch mit Fransen daran sah prachtvoll aus zu ihrem dunklen
-Haar. Sie wendete sich auf dem Sitz um und sagte: Es wäre gut, wenn du
-ein Fell mitgebracht hättest, es kann heute abend kühl für das Kind
-werden. -- -- Sie kann meine Jacke haben, und wenn wir erst im Wald
-sind, so ist dort ein Fell, ich habe es dort hinterlegt. -- So, du hast
-ein Fell im Wald! -- Ja, ich habe es nicht den ganzen Weg auf dem Wagen
-mitnehmen wollen, falls ihr heute nicht gekommen wäret. -- So. Was
-hast du gesagt, geht es den beiden Jungen auch gut? -- Jawohl, danke
-der Nachfrage. -- Sie werden jetzt groß sein, das kann ich mir denken.
--- Ja, daran fehlt's nicht. Sie haben jetzt gerade die Kartoffeln
-gelegt. -- Ach so, sagte die Mutter und schüttelte den Kopf. Können sie
-schon Kartoffeln legen? -- Eleseus geht mir bis hierher und Sivert bis
-hierher, versetzte Isak und maß an sich.
-
-Die kleine Leopoldine bat um etwas zu essen. Ach, das nette kleine
-Geschöpf, ein Marienkäferchen auf einem Fuhrwerk. Sie sprach mit einem
-singenden Tonfall, in einer merkwürdigen Sprache von Drontheim, der
-Vater mußte es sich bisweilen übersetzen lassen. Sie hatte dieselben
-Züge wie die Jungen, die braunen Augen und die länglichen Wangen,
-die alle drei Kinder von der Mutter geerbt hatten; die Kinder waren
-der Mutter Kinder, und das war gut so! Isak war seinem Töchterchen
-gegenüber ein wenig schüchtern, angesichts ihrer kleinen Schuhe, der
-langen dünnen Wollstrümpfe und des kurzen Kleides! Als sie den fremden
-Vater begrüßte, hatte sie sich verneigt und ihm ein winziges Händchen
-hingereicht.
-
-Im Walde angekommen, rasteten sie und aßen, das Pferd bekam sein
-Futter, und Leopoldine hüpfte mit ihrem Brot in der Hand im Heidekraut
-umher.
-
-Du hast dich nicht sehr verändert, sagte Inger, indem sie ihren Mann
-betrachtete. -- Isak sah auf die Seite und antwortete: So, meinst du?
-Aber du bist sehr vornehm geworden! -- Haha! Nein, ich bin jetzt alt,
-erwiderte sie so recht scherzhaft. -- Es war offenbar, Isak fühlte sich
-nicht recht sicher, er blieb zurückhaltend, war wie verschüchtert. Wie
-alt war wohl seine Frau? Sie konnte nicht jünger als dreißig sein --
-das heißt, sie konnte nicht mehr sein, unmöglich. Und obgleich Isak
-aß, riß er doch ein Zweiglein Heidekraut ab und kaute auch daran. Was,
-ißt du auch Heidekraut? rief Inger lachend. Isak warf das Heidekraut
-weg und steckte einen Bissen in den Mund, dann ging er hin und hob das
-Pferd vorne in die Höhe. Inger folgte diesem Auftritt mit Erstaunen,
-sie sah, daß das Pferd auf zwei Beinen stand. -- Warum tust du das?
-fragte sie. -- Es ist so zutraulich, sagte er von dem Pferd und ließ es
-wieder los. Warum hatte er das nur getan? Er hatte wohl eine mächtige
-Lust dazu verspürt. Vielleicht hatte er seine Verlegenheit dahinter
-verbergen wollen.
-
-Dann brachen sie wieder auf, und alle drei gingen eine Strecke zu
-Fuß. Eine Ansiedlung kam in Sicht. Was ist das? fragte Inger. -- Das
-ist Bredes Grundstück, er hat es gekauft. -- Brede? -- Und es heißt
-Breidablick! Es sind große Moore da, aber wenig Wald. -- Als sie an
-Breidablick vorbei waren, sprachen sie weiter darüber, Isak aber hatte
-gesehen, daß Bredes Wagen unter freiem Himmel stand.
-
-Doch jetzt wurde das Kind schläfrig, da nahm der Vater es fürsorglich
-auf den Arm und trug es. Sie wanderten weiter, Leopoldine war bald
-eingeschlafen, und Inger sagte: Nun legen wir sie in dem Fell auf den
-Wagen, dann kann sie schlafen, solange sie will. -- Sie wird da so sehr
-gerüttelt, meinte der Vater und wollte sie lieber tragen. Sie kommen
-über das Moor und in den Wald hinein, und Ptro sagt Inger. Sie hält
-das Pferd an, nimmt Isak das Kind ab und sagt, er solle die Kiste und
-die Nähmaschine zusammenrücken, dann könne Leopoldine hinten im Wagen
-liegen. Da wird sie gar nicht geschüttelt und gerüttelt, was ist das
-für Unsinn! -- Isak tut, wie sie sagt, hüllt seine kleine Tochter in
-das Fell und schiebt ihr seine Jacke unter den Kopf. Dann fahren sie
-weiter.
-
-Der Mann und die Frau gehen zu Fuß und reden von Verschiedenem. Die
-Sonne scheint bis spät am Abend, und das Wetter ist warm. Oline --
-wo schläft sie für gewöhnlich? fragt Inger. -- In der Kammer. -- So,
-und die Buben? -- Die liegen in ihrem eigenen Bett in der Stube.
-Es sind zwei Bettladen in der Stube, noch genau so wie damals, als
-du fortgegangen bist. -- Ich betrachte dich immerfort, sagt Inger,
-du siehst genau so aus wie früher. Und allerlei Lasten haben deine
-Schultern durchs Ödland heraufgetragen, aber sie sind darum nicht
-schwächer geworden. -- O nein. Aber was ich sagen wollte: ist es dir in
-allen den Jahren erträglich gegangen? -- Oh, Isak war ganz bewegt, bei
-dieser Frage zitterte ihm die Stimme. Inger antwortete, ja, sie könne
-nicht klagen.
-
-Es kam zu einer gefühlvollen Aussprache zwischen ihnen, und Isak
-fragte, ob sie nicht müde sei und lieber fahren wolle. -- Nein, danke,
-antwortete Inger. Aber ich weiß nicht, was mit mir ist, seit sich die
-Seekrankheit ganz verzogen hat, bin ich immerfort hungrig. -- Möchtest
-du noch etwas essen? -- Ja, wenn ich uns nicht zu sehr aufhalte. O
-diese Inger, sie selbst war wohl nicht hungrig, aber sie gönnte Isak
-noch etwas, er hatte ja seine letzte Mahlzeit mit dem Heidekrautstengel
-unterbrochen.
-
-Da der Abend warm und hell war und sie noch einen weiten Weg vor sich
-hatten, fingen sie wieder an zu essen.
-
-Inger holte ein Paket aus ihrer Kiste heraus und sagte: Ich habe ein
-paar Sachen für die kleinen Buben. Komm, wir wollen zu dem Gebüsch
-hinübergehen, da ist es sonnig. -- Sie setzten sich unter das Gebüsch,
-und Inger zeigte die Sachen für die Jungen: hübsche Hosenträger mit
-Schnallen daran, Schreibbücher mit Vorschriften darin, für jeden einen
-Bleistift, ein Taschenmesser für jeden. Für sich selbst hatte sie ein
-ausgezeichnetes Buch. Hier sieh, mein Name steht darauf, es ist ein
-Andachtsbuch. Sie hatte es von dem Direktor zur Erinnerung bekommen.
-Isak bewunderte alles mit leisen Worten. Sie zeigte auch eine Anzahl
-Kragen, die Leopoldine gehörten, und Isak gab sie ein schwarzes, wie
-Seide glänzendes Halstuch. -- Soll ich das haben? fragte er. -- Ja, das
-bekommst du. -- Isak nahm es vorsichtig in die Hand und strich darüber
-hin. -- Ist es nicht hübsch? -- Ach, hübsch! Damit könnte ich in der
-ganzen Welt umherreisen! Aber seine Finger waren so rauh, daß sie an
-der merkwürdigen Seide überall hängen blieben.
-
-Jetzt hatte Inger nichts mehr vorzuweisen, aber als sie wieder
-zusammenpackte, saß sie so, daß ihre Waden in den rotgestreiften
-Strümpfen zum Vorschein kamen. -- Hm! Das sind wohl Stadtstrümpfe?
-fragte er. -- Ja, es ist Garn aus der Stadt, aber ich habe sie selbst
-geknüpft -- gestrickt, wie wir dort sagten. Es sind ganz lange
-Strümpfe, bis über die Knie, sieh her ... Kurz darauf hörte sie sich
-selbst flüstern: Du -- du bist noch ganz derselbe -- wie früher!
-
-Eine Weile später fuhren sie weiter, Inger sitzt jetzt droben und lenkt
-das Pferd. Ich habe auch ein Paket Kaffee mitgebracht, sagt sie, aber
-heute abend kannst du ihn nicht mehr versuchen, denn er ist noch nicht
-gebrannt. -- Du sollst dich auch nicht damit plagen, erwidert er.
-
-Wieder nach einer Weile ist die Sonne untergegangen, und es wird kühl.
-Inger will absteigen und gehen. Sie decken Leopoldine dichter mit dem
-Fell zu und lächeln darüber, daß sie so lange schlafen kann. Dann
-unterhalten sich Mann und Frau wieder im Weitergehen. Es ist ein wahres
-Vergnügen, Inger jetzt sprechen zu hören, niemand hätte besser sprechen
-können, als Inger jetzt sprach.
-
-Haben wir nicht vier Kühe? fragt sie. -- O nein, wir haben jetzt mehr,
-antwortet er stolz, wir haben acht. -- _Acht_ Kühe! -- Ja, wenn man den
-Stier mitrechnet. -- Habt ihr Butter verkauft? -- O ja, und Eier. --
-Haben wir denn auch Hühner? -- Ja, das versteht sich. Und ein Schwein.
--- Inger muß sich über die Maßen verwundern, sie kann das Gehörte kaum
-fassen und hält einen Augenblick das Pferd an: Ptro! Und Isak ist stolz
-und legt es darauf an, sie ganz zu überwältigen. Der Geißler, sagt er,
-du weißt, der Geißler, der ist vor kurzem hier gewesen. -- So? -- Ja,
-und er hat uns einen Kupferberg abgekauft. -- So, was ist denn das,
-ein Kupferberg? -- Ein Berg aus Kupfer. Er liegt droben im Gebirge
-an der ganzen Nordseite des Sees. -- So. Und das ist etwas, für das
-du eine Bezahlung bekommen hast? -- Jawohl, der Geißler ist nicht der
-Mann, der nicht bezahlt. -- Was hast du bekommen? -- Hm. Du wirst es
-nicht glauben wollen, aber es sind zweihundert Taler. -- Die hast du
-bekommen! ruft Inger und hält wieder einen Augenblick das Pferd an:
-Ptro! -- Habe ich bekommen, jawohl. Und den Hof habe ich auch längst
-bezahlt. -- Ach, du bist großartig!
-
-Es war in Wahrheit ein Vergnügen, Inger in Verwunderung zu setzen und
-sie zu einer reichen Frau zu machen; deshalb fügte Isak noch hinzu, daß
-er auch weder beim Kaufmann noch bei sonst jemand Schulden stehen habe.
-Und er habe nicht allein Geißlers zweihundert Taler noch unberührt
-daliegen, sondern noch mehr, noch hundertsechzig Taler darüber. Sie
-hätten also allen Grund, Gott dankbar zu sein. Sie sprachen noch
-weiter von Geißler, und Inger konnte Aufklärung über das geben, was
-er für ihre Freilassung getan hatte. Es war doch nicht alles so glatt
-gegangen; er hatte lange damit zu tun gehabt und war sehr oft beim
-Direktor gewesen. Geißler hatte auch ein Schreiben an die Staatsräte
-selbst oder an einige andere von der Behörde geschickt, aber das hatte
-er hinter dem Rücken des Direktors getan, und als der Direktor das
-erfuhr, war er böse geworden und hatte sich gekränkt gefühlt, was ja
-auch nicht anders zu erwarten gewesen war. Aber Geißler hatte sich
-dadurch nicht einschüchtern lassen, er verlangte ein neues Verhör und
-ein neues Gerichtsverfahren und alles miteinander. Und da hatte der
-König unterschreiben müssen.
-
-Der frühere Lensmann Geißler war für diese beiden Menschen immer ein
-guter Herr gewesen, und sie hatten sich oft besonnen, aus welchem
-Grunde er es wohl getan haben mochte, er hatte alles miteinander um
-den einfachen Dank getan, es war nicht zu begreifen. Inger hatte in
-Drontheim mit ihm gesprochen, war aber dadurch nicht klüger geworden.
-Alle andern in der Gemeinde sind ihm ganz einerlei, ausgenommen wir,
-erklärte Inger. -- Hat er das gesagt? -- Ja, er ist wütend auf die
-Gemeinde hier. Und er werde es ihr schon noch zeigen! sagte er. -- So.
--- Und sie würden es schon noch bereuen, daß sie ihn verloren hätten,
-sagte er.
-
-Jetzt kamen sie aus dem Wald heraus, und da lag Sellanraa vor ihnen. Es
-waren mehr Gebäude als früher, die Häuser waren hübsch angestrichen;
-Inger kannte sich nicht mehr aus und hielt jäh an: Du willst doch nicht
-sagen, daß das da -- daß das da bei uns ist! rief sie aus.
-
-Die kleine Leopoldine erwachte endlich und richtete sich auf. Sie war
-ganz ausgeruht, wurde heruntergehoben, durfte zu Fuß gehen! Gehen wir
-dorthin? fragte sie. -- Ja, ist es nicht schön?
-
-Drüben am Haus bewegten sich kleine Gestalten; das waren Eleseus und
-Sivert, die Ausguck hielten, nun kamen sie dahergelaufen. Inger schien
-plötzlich erkältet zu sein, sie hatte heftigen Husten und Schnupfen.
-Ja, die Erkältung zog ihr sogar in die Augen, sie standen voll Wasser.
-Man erkältet sich so leicht an Bord, ganz nasse Augen bekommt man vor
-lauter Schnupfen.
-
-Aber als die kleinen Burschen näher herankamen, hielten sie mitten in
-ihrem Lauf inne und starrten nur noch. Wie ihre Mutter aussah, das
-hatten sie vergessen, und ihre kleine Schwester hatten sie ja noch nie
-gesehen. Aber der Vater -- ihn erkannten sie erst wieder, als er ganz
-nahe herangekommen war. Er hatte sich seinen großen Bart abgeschnitten.
-
-
-
-
-12
-
-
-Nun ist alles gut. Isak sät seinen Hafer, eggt ihn und führt die Walze
-darüber. Leopoldine kommt heraus und will auf der Walze sitzen. Was,
-auf einer Walze sitzen -- sie ist so klein und kennt so was gar nicht,
-ihre Brüder wissen es besser, es ist ja kein Sitz auf Vaters Walze.
-
-Aber den Vater freut es, daß die kleine Leopoldine zu ihm herkommt
-und schon so zutraulich ist; er redet mit ihr und sagt, sie müsse
-vorsichtig auf den Acker treten, damit sie nicht die Schuhe voll Erde
-bekomme. Ja, und was seh ich, du hast wahrhaftig heute ein blaues
-Kleid an! Laß mich sehen, ja gewiß, es ist blau. Und einen Gürtel hast
-du daran und alles miteinander. Kannst du dich an das große Schiff
-erinnern, auf dem du hergefahren bist? Hast du die Maschine darin
-gesehen? Ja, jetzt geh nur mit deinen Brüdern hinein, dann spielen sie
-mit dir.
-
-Seit Oline abgezogen ist, hat Inger ihre alte Arbeit in Haus und
-Stall wieder übernommen. Sie übertreibt es vielleicht ein wenig mit
-der Reinlichkeit und Ordnung, um zu zeigen, daß die Dinge jetzt eine
-andere Art bekommen sollen, und es war auch merkwürdig, welche große
-Veränderung bald mit allem vorging, sogar die Glasscheiben in der
-Viehgamme wurden gewaschen und die Stände gescheuert.
-
-Aber das war nur in den ersten Tagen, in der ersten Woche so, dann ließ
-Inger nach. Eigentlich war es nicht nötig, im Stall alles so blitzblank
-zu machen, die Zeit konnte besser angewendet werden. Inger hatte in der
-Stadt viel gelernt, und dieses Wissen sollte ihr nun zugute kommen. Sie
-nahm wieder Spinnrad und Webstuhl in Gebrauch, und wahrlich, sie war
-noch geschickter und flinker geworden, etwas zu flink, hui! besonders
-für Isak, wenn er ihr zusah; er begriff nicht, daß ein Mensch es
-lernen konnte, so mit seinen Fingern umzugehen, diese langen, hübschen
-Finger an Ingers großer Hand! Aber mittendrin gab Inger die eine
-Arbeit auf und machte sich an eine andere. Jawohl, sie hatte jetzt
-verschiedenes mehr zu besorgen als früher und in größerem Umfang,
-vielleicht war sie auch nicht ganz so geduldigen Herzens wie einst,
-etwas Unruhe hatte sich ihr wohl ins Herz geschlichen.
-
-Gleich zuerst waren da die Blumen, die sie mitgebracht hatte, es
-waren Knollen und Ableger, kleine Leben, an die auch gedacht werden
-mußte. Die Fenster waren zu klein dafür, die Gesimse zu schmal, man
-konnte da keine Blumentöpfe aufstellen, sie hatte auch keine Töpfe,
-und Isak mußte ihr ganz kleine Kästen für Begonien, Fuchsien und Rosen
-anfertigen. Und überdies genügte auch ein Fenster nicht, was war ein
-Fenster für eine ganze Stube!
-
-Und außerdem, sagte Inger, habe ich auch kein Bügeleisen. Ich sollte
-ein Bügeleisen zum Plätten haben, wenn ich Kleider und Anzüge nähe;
-niemand kann im Nähen etwas Ordentliches leisten, wenn er nicht eine
-Art Plätteisen hat.
-
-Isak versprach, den Schmied im Dorfe zu veranlassen, ein recht gutes
-Bügeleisen zu schmieden. Oh, Isak wollte alles tun, wollte immer
-nur tun, was Inger verlangte; denn das merkte er wohl, Inger hatte
-sehr viel gelernt und war außerordentlich tüchtig geworden. Auch
-ihre Sprache war eine andere geworden, eine bessere, gewähltere. Sie
-rief ihn jetzt nie mehr mit den alten Worten: Komm herein und iß!
-sondern sie sagte: Bitte zum Essen! Alles war anders geworden. In den
-alten Tagen hatte er höchstens gesagt: Ja, und noch eine gute Weile
-weitergearbeitet, ehe er hineinging. Jetzt antwortete er: Ja, danke,
-und kam sofort. Die Liebe macht den Klugen dumm, manchmal antwortete
-Isak: Danke, danke! Ja, gewiß war alles anders geworden, aber wurde es
-nicht allmählich ein wenig zu vornehm? Wenn Isak in der Muttersprache
-der Landwirtschaft redete und _Mist_ sagte, sagte Inger _Dung_, der
-Kinder wegen.
-
-Sie war sehr sorgfältig mit den Kindern, unterrichtete sie in allem und
-brachte sie vorwärts; die kleinwinzige Leopoldine machte Fortschritte
-im Häkeln und die Buben im Schreiben und in anderen Schulfächern,
-sie würden also nicht ganz unvorbereitet in die Dorfschule kommen.
-Besonders Eleseus war recht tüchtig geworden, der kleine Sivert dagegen
-war, geradeheraus gesagt, nichts Besonderes, nur ein Spaßvogel, ein
-Wildfang, er wagte es sogar, an der Nähmaschine seiner Mutter ein wenig
-zu drehen und hatte mit seinem Taschenmesser auch schon am Tisch und an
-den Stühlen herumgeschnitzelt. Jetzt war ihm schon mit der Wegnahme des
-Taschenmessers gedroht worden.
-
-Übrigens hatten die Kinder alle Tiere des Hofes zur Unterhaltung, und
-Eleseus hatte außerdem noch seinen farbigen Bleistift. Er gebrauchte
-ihn sehr vorsichtig und lieh ihn dem Bruder nur höchst ungern; mit der
-Zeit waren indes alle Wände mit Zeichnungen bedeckt, und der Bleistift
-wurde bedenklich kleiner. Schließlich sah sich Eleseus gezwungen,
-Sivert auf Ration zu setzen und ihm den Bleistift nur noch am Sonntag
-zu einer Zeichnung zu leihen. Das war nun nicht nach Siverts eigenem
-Wunsch, aber Eleseus war nicht der Mann, der sich etwas abhandeln ließ.
-Nicht gerade, weil Eleseus der Stärkere gewesen wäre, aber er hatte
-längere Arme und konnte sich bei Streitigkeiten besser herauswinden.
-
-Aber dieser Sivert! Ab und zu fand er ein Schneehuhnnest im Walde,
-einmal redete er von einem Mäusenest und machte sich groß damit, wieder
-einmal faselte er von einer Forelle im Fluß, die so groß sei wie ein
-Mensch; aber es war die reine Erfindung von ihm, er war nicht ganz
-frei davon, zu schwarz weiß zu sagen, aber sonst war er ein guter Kerl.
-Als die Katze Junge bekam, war er es, der ihr Milch brachte, weil
-sie Eleseus zu wütend anzischte, und Sivert wurde nicht müde, in die
-unruhige Kiste hineinzuschauen, diese Heimstätte, wo es von kleinen
-Pfoten wimmelte.
-
-Und dann die Hühner, die er täglich beobachtete! Da war der große Hahn
-mit seinem Kamm und seiner Federnpracht, die Hühner, die umherliefen
-und gackerten und Sand aufpickten und nach dem Eierlegen plötzlich
-ungeheuer verletzt zu schreien anfingen. Da war auch der große Widder.
-Der kleine Sivert war jetzt im Vergleich zu früher sehr belesen, konnte
-aber doch nicht von dem Widder sagen: Gott, welch eine römische Nase er
-hat! Nein, das konnte er nicht. Aber Sivert konnte das, was besser war:
-er kannte den Widder von klein auf, wo er noch ein kleines Lamm gewesen
-war; er liebte ihn und war eins mit ihm, wie mit einem Verwandten,
-einem Mitgeschöpf. Einmal war ein geheimnisvoller Ureindruck durch
-seine Sinne geflattert, und das war ein Augenblick, den Sivert nie mehr
-vergaß. Der Widder war draußen auf der Wiese und weidete, plötzlich
-warf er den Kopf zurück und fraß nicht mehr, blieb nur stehen und
-starrte geradeaus. Sivert sah unwillkürlich in dieselbe Richtung. --
-Nein, nichts Merkwürdiges! Aber da fühlte Sivert etwas Merkwürdiges
-in seinem Innern. Es ist fast, als sehe er in den Garten Eden hinein!
-dachte Sivert.
-
-Von den Kühen hatten die Kinder auch jeder zwei für sich, große,
-schwer schreitende Tiere, gutmütige, freundliche Tiere, die sich von
-den kleinen Menschenkindern jeden Augenblick einholen und streicheln
-ließen. Dann war da das Schwein, weiß und peinlich sauber mit seiner
-Person, wenn es gut gehalten wurde, das auf jeden Ton horchte, ein
-Komiker, gierig auf sein Futter aus, dabei kitzlig und scheu wie ein
-junges Mädchen. Und dann der Bock -- es war immer ein alter Ziegenbock
-auf Sellanraa; wenn der eine das Leben lassen mußte, rückte ein anderer
-an seine Stelle. Aber etwas so Bockmäßiges im Gesicht wie ein Bock!
-Gerade in diesen Tagen hatte er auf sehr viele Geißen aufzupassen;
-bisweilen jedoch wurde er seiner ganzen Gesellschaft überdrüssig und
-legte sich, grüblerisch und langbärtig wie er war, auf den Boden, ein
-Vater Abraham! Und dann plötzlich richtete er sich wieder auf die Knie
-auf und trottete den Geißen nach. Wo er ging, hinterließ er eine Wolke
-von scharfem Geruch.
-
-Das tägliche Leben auf dem Hofe geht weiter. Wenn ein seltenes Mal ein
-Wanderer, der über das Gebirge will, vorbeikommt und fragt: Und euch
-geht es wohl gut?, da antwortet Isak und antwortet Inger: Ja, danke für
-die Nachfrage!
-
-Isak schafft und schafft, und für jede einzelne Arbeit zieht er den
-Kalender zu Rat, er gibt auf den Mondwechsel acht und richtet sich nach
-den Wetterzeichen, schafft, schafft.
-
-Nun hat er ja durch das Ödland einen einigermaßen ordentlichen Weg
-hergestellt, so daß er mit Wagen und Pferd bis ins Dorf hinunterfahren
-kann, aber meist geht er lieber schwerbeladen zu Fuß, und da trägt
-er dann Ziegenkäse oder Felle oder Birkenrinde, Butter und Eier,
-lauter Waren, die er verkauft, und für die er andere Waren einholt.
-Nein, im Sommer fährt er nicht oft, weil der Weg von Breidablick bis
-vollends hinunter sehr schlecht ist. Er hat Brede Olsen aufgefordert,
-beim Herstellen des Weges mit Hand anzulegen, und Brede hat es wohl
-auch versprochen, aber nie Wort gehalten. Nun will Isak ihn nicht
-noch einmal darum bitten. Lieber trägt er schwere Lasten auf seinem
-Rücken. Inger sagt dann: Ich verstehe gar nicht, wie du das kannst! Du
-hältst alles aus! Ja, er hielt alles aus. Er hatte Stiefel, die waren
-so abenteuerlich dick und schwer, unter den Sohlen ganz mit Eisen
-beschlagen, sogar die Schnürriemen waren mit Nietnägeln angeheftet --
-schon das, daß ein Mann in solchen Stiefeln gehen konnte, war etwas
-Merkwürdiges!
-
-Als er nun wieder einmal ins Dorf hinuntergeht, trifft er an mehreren
-Stellen kleine Gruppen von Arbeitern. Sie mauern steinerne Grundpfeiler
-ein und stellen Telegraphenstangen auf. Die Leute sind teilweise
-aus der Gemeinde, Brede Olsen ist auch dabei, obgleich er sich hier
-niedergelassen hat, um Ackerbau zu treiben. Daß er Zeit übrig hat!
-denkt Isak.
-
-Der Aufseher fragt Isak, ob er Telegraphenstangen verkaufen wolle. --
-Nein. -- Auch nicht gegen gute Bezahlung? -- Nein. -- Oh, Isak ging
-es jetzt rascher von der Hand, er konnte nun schneller antworten.
-Wenn er jetzt Stangen verkaufte, bekam er nur etwas mehr Geld, einige
-Taler mehr, aber er hatte keinen Wald mehr, was für ein Vorteil war
-dann dabei? Nun kommt der Ingenieur selbst herbei und wiederholt sein
-Verlangen; aber Isak schlägt es auch ihm ab. -- Wir haben Stangen
-genug, sagte der Ingenieur, aber es wäre uns nur bequemer, sie in
-deinem Walde zu holen und die lange Herbeischaffung zu sparen. -- Ich
-habe selbst zuwenig Stangen und Stämme, erwiderte Isak; ich wollte mir
-übrigens ein kleines Sägewerk einrichten, denn ich habe keine Scheune
-und keine Wirtschaftsgebäude.
-
-Jetzt mischt Brede Olsen sich darein und sagt: Wenn ich du wäre,
-würde ich die Stangen verkaufen, Isak. -- Da blitzten die Augen des
-geduldigen Isak Brede wahrhaftig scharf an, und er erwiderte: Ja, das
-glaube ich schon. -- Wieso? fragte Brede. -- Aber ich bin eben nicht
-du, sagte Isak.
-
-Einige von den Arbeitern kicherten ein wenig über diese Antwort.
-
-Jawohl, Isak hatte einen besonderen Grund, seinen Nachbar etwas
-zurückzuweisen, gerade heute hatte er nämlich drei Schafe auf
-Breidablicks Grundstück gesehen, und das eine davon hatte Isak
-wiedererkannt, das mit den flachen Ohren, das Oline im Tauschhandel
-weggegeben hatte. Meinethalben mag Brede das Schaf behalten, dachte er
-da und ging seines Weges weiter, meinethalben können Brede und seine
-Frau sich an dem Schaf bereichern!
-
-Und ganz richtig. Das Sägewerk hatte er auch immer im Kopf. O ja, schon
-im Winter, als der Boden fest war, hatte er die große Kreissäge und
-die notwendigen Beschläge, die ihm der Kaufmann von Drontheim hatte
-kommen lassen, heraufgeschafft. Nun lagen diese Maschinenteile mit
-Leinöl bestrichen, um sie gegen Rost zu schützen, in seinem Schuppen.
-Einige von den Balken zum Sperrwerk hatte er auch schon herbeigefahren,
-er hätte mit dem Aufrichten des Gebäudes jeden Tag anfangen können,
-schob es aber noch hinaus. Was war das? Er begriff es nicht, nahmen
-seine Kräfte etwa allmählich ab? Andere würden sich nicht darüber
-wundern, aber ihm selbst kam es ganz unglaublich vor. War er schwindlig
-geworden? Früher war er vor keiner Arbeit zurückgescheut, hatte er
-sich denn verändert, seit er das Mahlhaus über einem ebenso großen
-Wasserfall errichtet hatte? Er konnte sich ja Hilfe vom Dorf nehmen,
-aber nun wollte er es erst einmal wieder allein versuchen und in den
-nächsten Tagen damit anfangen; Inger sollte ein wenig mit Hand anlegen.
-
-Er sprach mit Inger darüber. Hm, sagte er, wenn du einmal ein paar
-Stunden Zeit übrig hast, könntest du mir bei dem Sägewerk helfen. --
-Inger überlegte. Ja, wenn ich es einrichten kann, sagte sie. So, du
-willst ein Sägewerk bauen? -- Ja, das ist meine Absicht. Ich habe es
-mir jetzt genau überlegt. -- Ist es schwieriger als das Mahlhaus? --
-Viel schwieriger, zehnmal schwieriger, prahlte er. Was denkst du denn?
-Da muß alles bis aufs aller-, allergenaueste ineinanderpassen, und die
-große Kreissäge muß in der Mitte laufen. -- Wenn du es nur zustande
-bringst, Isak, entgegnete Inger in ihrer Gedankenlosigkeit. -- Isak
-fühlte sich von diesen Worten gekränkt und erwiderte: Das wird sich ja
-zeigen. -- Kannst du nicht einen in dieser Sache kundigen Mann zu Hilfe
-nehmen? -- Nein. -- Nun, dann wirst du es auch nicht zustande bringen,
-sagte sie und hielt nicht mit ihrer Meinung zurück.
-
-Isak hob langsam die Hand an seinen Kopf, es war, als hebe ein Bär die
-Tatze auf. -- Gerade das fürchte ich ja, daß ich es nicht fertigbringe,
-sagte er, deshalb sollst du, die es versteht, ja auch Hand mit anlegen,
-sagte er. -- Jawohl, da hatte der Bär getroffen, aber er errang keinen
-Sieg damit. Inger warf den Kopf zurück, wurde widerspenstig und schlug
-es ab, beim Sägewerk zu helfen. -- So, sagte Isak. -- Ja, soll ich
-vielleicht im Fluß stehen und meine Gesundheit aufs Spiel setzen? Und
-wer soll mit der Maschine nähen und das Vieh und den Haushalt und alles
-miteinander versorgen? -- Nein, nein, sagte Isak.
-
-Ach, aber es handelte sich ja nur um die vier Eckbalken und die zwei
-Mittelbalken auf den beiden Langseiten, nur dazu hätte sie ihm helfen
-sollen, sonst zu nichts! War denn Inger im tiefsten Innern während
-ihres langen Stadtlebens so zimperlich geworden?
-
-Jawohl, Inger hatte sich sehr verändert und dachte nicht mehr beständig
-an ihr gemeinsames Beste, sondern an sich selbst. Wohl hatte sie
-Kardätschen und Spinnrad und Webstuhl wieder in Gebrauch genommen, aber
-sie saß viel lieber an ihrer Nähmaschine, und als der Schlosser ihr
-ein Bügeleisen geschmiedet hatte, war sie fertig ausgerüstet, um sich
-im Schneidern als regelrecht ausgebildet zu zeigen. Das war ihr Beruf.
-Zuerst nähte sie ein paar Kleider für die kleine Leopoldine. Isak
-gefielen sie, und er lobte sie vielleicht ein wenig zu sehr; Inger
-deutete an, das sei noch gar nichts im Vergleich zu dem, was sie könne.
--- Aber sie sind zu kurz, sagte Isak. -- So werden sie in der Stadt
-getragen, sagte Inger, das verstehst du eben nicht. -- Isak war also
-zu weit gegangen, und er stellte Inger dafür ein Stück Tuch zu eigenem
-Gebrauch in Aussicht. -- Tuch zu einem Mantel? fragte Inger. -- Ja,
-oder wozu du es sonst willst. -- Inger entschied sich zu Tuch für einen
-Mantel und beschrieb Isak, wie es sein sollte.
-
-Aber als sie den Mantel fertig hatte, mußte sie auch jemand haben, dem
-sie sich darin zeigen konnte; sie begleitete deshalb die beiden Jungen
-ins Dorf, als sie dort in die Schule gebracht wurden. Und diese Reise
-war nicht von geringem Nutzen, sie hinterließ Spuren.
-
-Zuerst kamen sie an Breidablick vorüber, da kam die Frau mit ihren
-Kindern heraus und starrte die Vorüberfahrenden an. Inger und ihre
-beiden kleinen Jungen saßen auf dem Wagen, und sie fuhren wie
-Herrenleute, die beiden Jungen kamen wahrhaftig in die Schule, und
-Inger hatte einen Tuchmantel an! Bei diesem Anblick ging der Frau auf
-Breidablick ein Stich durchs Herz, den Mantel konnte sie entbehren,
-sie war gottlob nicht eitel, aber sie hatte selbst Kinder, das
-große Mädchen Barbro, Helge, den Zweitältesten, und Katrine, alle
-schulpflichtig. Natürlich waren die beiden älteren im Dorf schon in
-der Schule gewesen, aber als die Familie aufs Moor und auf dieses
-abgelegene Breidablick heraufzog, mußten ja die Kinder wieder Heiden
-werden.
-
-Hast du Lebensmittel für deine Buben mit? fragte die Frau. --
-Lebensmittel, jawohl. Siehst du die Kiste da nicht? Das ist mein
-Reisekoffer, den ich mitgebracht habe, und der ist ganz mit
-Lebensmitteln angefüllt. -- Was hast du mitgenommen? -- Was ich
-mitgenommen habe? Speck und Fleisch fürs Mittagessen und Butter und
-Brot und Käse für die anderen Mahlzeiten. -- Ja, ihr habt es großartig
-da droben, sagte die Frau, und ihre armen bleichwangigen Kinder
-sperrten Augen und Ohren auf, als diese herrlichen Sachen aufgezählt
-wurden. -- Wo willst du sie unterbringen? fragte die Frau weiter. --
-Beim Schmied. -- So, sagte die Frau. Ja, die meinigen sollen jetzt
-auch wieder in die Schule, und sie werden beim Lensmann wohnen. --
-So, sagte Inger. -- Ja, oder beim Doktor oder beim Pfarrer. Brede ist
-eben mit allen den Großen so gut bekannt, daher kommt es. -- Da strich
-Inger ihren Mantel zurecht und schob etliche schwarzseidene Fransen
-vorteilhaft hervor. -- Wo hast du den Mantel gekauft? fragte die Frau.
-Hast du ihn mitgebracht? -- Ich habe ihn selbst genäht. -- Ja, es
-ist, wie ich sage, ihr da droben sitzt bis über die Ohren in Geld und
-Herrlichkeit.
-
-Als Inger weiterfuhr, war ihr froh zumute, und sie war recht hochmütig,
-und als sie ins Dorf kam, ließ sie das ein wenig zu sehr hervortreten,
-jedenfalls nahm die Frau Lensmann Heyerdahl Ärgernis daran, daß sie
-in einem Mantel ankam. Sie sagte, die Frau auf Sellanraa vergesse
-offenbar, wer sie sei; ob sie denn vergessen habe, woher sie nach
-sechsjähriger Abwesenheit gekommen war? Aber Inger hatte nun jedenfalls
-ihren Mantel gezeigt, und weder die Frau des Kaufmanns noch die Frau
-des Schmieds noch die Frau des Schullehrers würden etwas dagegen gehabt
-haben, wenn sie selbst einen solchen Mantel besessen hätten; aber kommt
-Zeit, kommt Rat.
-
-Es dauerte gar nicht lange, bis Inger Kundschaft bekam. Einige Weiber
-von der andern Seite des Gebirges kamen aus Neugier. Oline hatte wohl
-gegen ihren Willen allerlei von Inger erzählt, und die nun kamen,
-brachten Nachrichten von Ingers Heimatort mit; dafür wurde ihnen
-aufgewartet, und sie durften die Nähmaschine sehen. Junge Mädchen kamen
-zu zwei und zwei von der Gemeinde an der Küste herauf und berieten
-sich mit Inger: es war Herbst, sie hatten zu einem neuen Kleid gespart,
-und nun konnte ihnen Inger über die Mode in der Welt draußen Auskunft
-geben, ja ab und zu auch den Stoff zuschneiden. Bei diesen Besuchen
-lebte Inger auf, sie blühte förmlich, war freundlich und hilfreich und
-dabei so tüchtig in ihrem Fach, daß sie aus freier Hand zuschneiden
-konnte; bisweilen nähte sie auch lange Säume auf ihrer Maschine ganz
-umsonst und gab dann den jungen Mädchen den Stoff zurück mit den
-herrlich scherzhaften Worten: So, die Knöpfe kannst du jetzt selbst
-annähen!
-
-Später, im Herbst, wurde Inger sogar gebeten, ins Dorf herunterzukommen
-und für die Großen zu nähen. Aber das konnte sie nicht, sie hatte ihre
-Familie und das Vieh und die häuslichen Pflichten, und sie hatte kein
-Dienstmädchen. Was hatte sie nicht? Ein Dienstmädchen!
-
-Sie sagte zu Isak: Wenn ich eine Hilfe hätte, könnte ich ruhiger an
-meiner Näharbeit bleiben. -- Isak verstand nicht, was sie meinte.
-Hilfe? fragte er. -- Ja, Hilfe im Hause, ein Dienstmädchen. -- Da
-drehte sich wohl alles im Kreise vor Isak, denn er lachte ein wenig
-in seinen roten Bart und hielt es für Spaß: Jawohl, wir sollten ein
-Dienstmädchen haben, sagte er. -- Das haben alle Hausfrauen in der
-Stadt, versetzte Inger. -- Ach so, sagte Isak.
-
-Seht, er war vielleicht nicht besonders froh und freundlich gestimmt,
-nicht gut aufgelegt, denn nun hatte er mit dem Bau seines Sägewerks
-angefangen, und es war nicht schnell vorwärtsgegangen; er konnte nicht
-mit der einen Hand den Pfosten halten, ihn mit der andern wagerecht
-leiten und zugleich die Schräghölzer befestigen. Aber als dann die
-Jungen wieder von der Schule heimkamen, ging es besser, die guten
-Jungen waren ihm eine große Hilfe. Sivert besonders war merkwürdig
-gewandt beim Einschlagen der Nägel, aber Eleseus war tüchtiger beim
-Loten mit der Schnur. Nach Verlauf von einer Woche hatten Isak und die
-Jungen wirklich die Pfosten aufgerichtet und mit Schräghölzern so dick
-wie Balken stark befestigt. Eine große Arbeit war bewältigt.
-
-Es ging -- alles ging. Aber woher es auch kommen mochte, Isak war
-jetzt an den Abenden oft müde. Es handelte sich ja nicht nur darum,
-ein Sägewerk zu bauen und damit Punktum, alles andere mußte auch getan
-werden. Das Heu war unter Dach, aber das Korn stand noch draußen
-und färbte sich allmählich golden, bald mußte es geschnitten und
-untergebracht werden, und auch die Kartoffelernte stand vor der Tür.
--- Aber Isak hatte eine ausgezeichnete Hilfe an seinen Jungen. Er
-bedankte sich indes nicht bei ihnen, das war nicht Sitte unter Leuten
-wie er und die Seinen, aber er war ungeheuer zufrieden mit ihnen. Ab
-und zu, jedoch nur selten einmal, setzten sie sich wohl auch mitten in
-der Arbeit zusammen und unterhielten sich miteinander, und da konnte
-der Vater sich im Ernst mit den Jungen darüber beraten, was sie zuerst
-und was nachher tun wollten. Das waren stolze Augenblicke für Eleseus
-und Sivert, und sie lernten dabei wohl zu überlegen, ehe sie redeten,
-um nicht unrecht zu bekommen. -- Es wäre doch schlimm, wenn wir das
-Sägewerk nicht unter Dach brächten, ehe die Herbststürme einsetzen,
-sagte der Vater.
-
-Wenn nur Inger noch wie in den alten Tagen gewesen wäre! Aber Ingers
-Gesundheit war wohl eben leider nicht mehr so gut wie früher, was ja
-auch nach der langen Einsperrung nicht anders zu erwarten war. Daß
-ihr Sinn sich verändert hatte, war eine Sache für sich, ach, sie war
-jetzt so viel weniger nachdenklich, war gleichsam oberflächlicher,
-leichtsinniger. Von dem Kinde, das sie umgebracht hatte, sagte sie: Ich
-bin eine recht dumme Person gewesen, wir hätten sie operieren und ihren
-Mund zunähen lassen können, dann hätte ich nicht nötig gehabt, sie zu
-erwürgen. Und niemals ging sie hinaus in den Wald an ein kleines Grab,
-wo sie einstmals die Erde mit den Händen zusammengescharrt und ein
-kleines Kreuz darauf gesetzt hatte.
-
-Aber Inger war keine unmenschliche Mutter, sie sorgte treulich für ihre
-anderen Kinder, hielt sie in Ordnung, nähte für sie und konnte bis spät
-in die Nacht hinein aufsitzen, um ihre Kleider zu flicken. Es war ihr
-höchster Traum, daß etwas Rechtes aus ihnen werden sollte.
-
-Dann wurde das Korn eingefahren, dann wurden die Kartoffeln
-herausgehackt, und dann wurde es Winter. Ach nein, das Sägewerk kam
-nicht unter Dach im Herbst! Aber da war nun nichts zu machen, es ging
-ja auch nicht ums Leben, und bis zum Sommer kam wohl Zeit und Rat.
-
-
-
-
-13
-
-
-Und im Winter kam die gewohnte Arbeit an die Reihe, Holz wurde
-gefahren, die Wirtschaftsgeräte und die Fuhrwerke wurden hergerichtet,
-Inger versorgte das Haus, schaffte und nähte, und die Jungen waren
-wieder für lange Zeit in der Schule. Seit mehreren Jahren schon hatten
-sie miteinander ein Paar Schneeschuhe gehabt, und dies eine Paar hatte
-für beide genügt, solange sie daheim gewesen waren. Da hatte der eine
-gewartet, solange der andere lief, oder der eine stellte sich hinter
-dem andern auf. Oh, es war gut gegangen, etwas Schöneres hatten sie
-sich gar nicht vorstellen können, sie waren unschuldig. Aber drunten
-im Dorf waren die Verhältnisse größer, in der Schule wimmelte es von
-Schneeschuhen, ja, es zeigte sich, daß sogar die Kinder auf Breidablick
-jedes ein eigenes Paar hatte. Da mußte schließlich Isak ein neues Paar
-für Eleseus machen, und Sivert durfte die alten behalten.
-
-Isak tat mehr, er kaufte den Jungen Winteranzüge und unzerreißbare
-Stiefel. Aber als dies getan war, ging Isak zum Kaufmann und bestellte
-einen Ring. -- Einen Ring? fragte der Kaufmann. -- Ja, einen
-Fingerring. Ich bin so hoffärtig geworden, daß ich meiner Frau einen
-Fingerring schenken will. -- Soll es ein silberner oder ein goldener
-sein oder nur einer aus Messing, der im Goldbad gewesen ist? -- Es
-soll ein silberner sein. -- Der Kaufmann überlegte lange, dann sagte
-er: Wenn du das tun willst, Isak, und wenn du deiner Frau einen Ring
-verehren willst, den sie zeigen kann -- so kaufe ihr einen goldenen
-Ring. -- Was? sagte Isak laut. Aber im innersten Herzen hatte er wohl
-selbst an einen goldenen Ring gedacht.
-
-Sie besprachen es nach allen Richtungen und einigten sich schließlich
-über Größe und Preis des Ringes; aber noch immer überlegte Isak und
-schüttelte den Kopf und meinte, das sei doch ein teures Stück; aber der
-Kaufmann wollte eben durchaus einen echt goldenen Ring bestellen. Als
-Isak heimwärts wanderte, war er eigentlich froh über seinen Entschluß,
-aber zugleich entsetzte er sich über die Ausgaben, zu denen einen die
-Liebe bringen konnte.
-
-Es war ein richtiger Schneewinter, und als gegen Neujahr eine gute
-Bahn war, fingen die Leute aus dem Dorf an, Telegraphenstangen über
-die Moore heraufzufahren und sie in gewissen Abständen voneinander
-abzuladen. Sie fuhren mit vielen Pferden an Breidablick vorüber, kamen
-auch an Sellanraa vorbei -- schließlich trafen sie mit anderen Pferden
-zusammen, die von jenseits des Gebirges Stangen herauffuhren, und da
-war die ganze Linie vollständig.
-
-So verging ein Tag um den andern ohne große Ereignisse. Was hätte
-geschehen sollen? Im Frühling begann man mit dem Aufstellen der
-Telegraphenstangen, Brede Olsen war auch wieder dabei, obgleich er die
-Frühjahrsarbeit auf seinem Hofe hätte besorgen sollen. Daß er Zeit dazu
-hat! fragte sich Isak wieder.
-
-Isak selbst hatte kaum Ruhe zum Essen und Schlafen, er konnte kaum
-alles zur rechten Zeit fertigbringen, seine Felder waren jetzt recht
-groß geworden.
-
-Aber dann vor der Erntezeit brachte er das Sägewerk unter Dach und
-konnte sich nun an das Einsetzen der Säge machen. Seht, es war kein
-Wunderwerk von einem Holzbau, den er fertiggebracht hatte, aber der
-Bau war riesenstark und stand nun da und war von großem Nutzen. Die
-Säge ging, die Säge schnitt, Isak hatte seine Augen gebraucht, wenn er
-drunten im Dorf in der Sägemühle gewesen war, und hatte sich alles wohl
-gemerkt. Es war eine herzlich kleine Sägemühle, die er da errichtet
-hatte, aber er war zufrieden mit ihr, er hieb die Jahreszahl über der
-Tür ein und setzte sein Hauszeichen darunter.
-
-Und in diesem Sommer ereignete sich nun doch mehr als gewöhnlich auf
-Sellanraa.
-
-Die Telegraphenarbeiter waren jetzt so weit heraufgekommen, daß die
-erste Gruppe eines Abends an dem Hofe anklopfte und um Obdach bat. Die
-Leute durften in der Scheune schlafen. Als die Tage vergingen, kam auch
-die zweite Gruppe, und alle fanden Obdach auf Sellanraa. Die Linie
-wurde am Hof vorbei weiter hinaufgeführt, aber die Leute kamen trotzdem
-noch auf den Hof, um da zu übernachten. Und an einem Samstagabend
-erschien der Ingenieur, um die Löhne auszuzahlen.
-
-Als Eleseus den Ingenieur sah, bekam er Herzklopfen, und er schlich
-sich zur Tür hinaus, um nicht nach dem farbigen Bleistift gefragt zu
-werden. Ach, das war ein böser Augenblick, und Sivert kam auch nicht
-heraus, an dem er ein wenig eine Stütze hätte haben können! Wie ein
-bleiches Gespenst glitt Eleseus um die Hausecke; endlich traf er die
-Mutter. Eleseus bat sie gleich, sie möchte Sivert herausschicken, er
-konnte sich nicht anders helfen.
-
-Sivert nahm die Sache weniger schwer, er hatte ja auch nicht die
-große Schuld auf sich liegen. Die Brüder setzten sich in ziemlicher
-Entfernung nieder, und Eleseus sagte: Wenn du es auf dich nehmen
-würdest! -- Ich? sagte Sivert. -- Denn du bist soviel kleiner, dir
-würde er nichts tun. -- Sivert überlegte, er sah, daß der Bruder in
-großer Not war, und es schmeichelte ihm auch, daß Eleseus ihn brauchte.
--- Ich könnte dir vielleicht eine Handreichung tun, sagte er altklug.
--- Du mußt es tun! rief Eleseus und drückte einfach seinem Bruder das
-Stückchen, das noch von dem farbigen Bleistift übrig war, in die Hand.
-Es soll dir gehören, sagte er.
-
-Sie wollten miteinander wieder hineingehen, aber Eleseus sagte, er habe
-noch etwas am Sägewerk zu tun oder vielmehr im Mahlhaus, etwas, was
-er nachsehen müsse, es gehe nicht so schnell, er werde kaum vor einer
-guten Weile fertig sein. Sivert ging allein hinein.
-
-Da saß der Ingenieur mit Silbergeld und Banknoten vor sich und zahlte
-die Löhne aus. Als das geschehen war, setzte ihm Inger einen Topf Milch
-nebst Glas vor, und er war dankbar dafür. Er trank. Dann plauderte er
-mit der kleinen Leopoldine, und als er die Zeichnungen an den Wänden
-sah, fragte er gleich, wer denn der Meister sei, der sie gemacht
-habe. Bist du es? fragte er Sivert. Der Ingenieur wollte sich wohl
-bei der Mutter für die Gastfreundschaft dankbar erweisen. Er erfreute
-die Mutter, indem er die Zeichnungen lobte, und Inger gab eine gute
-Erklärung. Ihre Buben hätten die Zeichnungen gemacht, beide Buben; bis
-sie heimgekommen und dafür gesorgt habe, hätten die Kinder kein Papier
-gehabt und deshalb die Wände bekritzelt, nun habe sie das Herz nicht,
-es abzuwaschen. -- Laß es nur stehen, sagte der Ingenieur. Papier?
-sagte er und legte eine Menge großer Bogen auf den Tisch. Da, zeichnet
-nur weiter, bis ich das nächste Mal wiederkomme! Wie steht es denn mit
-Bleistiften? -- Da trat Sivert ganz einfach mit dem Bleistiftstümpfchen
-vor und zeigte, wie klein es war. Und siehe, er bekam einen neuen, noch
-ungespitzten farbigen Bleistift! Zeichnet nur drauflos! Aber macht
-lieber das Pferd rot und den Bock blau. Nicht wahr, du hast noch kein
-blaues Pferd gesehen?
-
-Dann ging der Ingenieur wieder fort.
-
-Am selben Abend kam ein Mann vom Dorf herauf mit einem Ranzen auf dem
-Rücken. Er gab einige Flaschen für die Arbeiter ab und entfernte sich
-dann wieder. Aber nachdem er gegangen war, blieb es nicht mehr so still
-auf Sellanraa; die Ziehharmonika ertönte, es wurde laut gesprochen und
-gesungen und auf dem Hofplatz getanzt. Einer der Arbeiter forderte
-Inger zu einem kleinen Drehum auf, und Inger -- ja, wer verstand sich
-auf sie? Sie kicherte und tanzte wahrhaftig ein paarmal im Kreise
-herum. Als dies getan war, wollten die andern auch mit ihr tanzen, und
-da tanzte sie recht flott mit.
-
-Wer verstand sich auf Inger! Hier tanzte sie nun vielleicht ihren
-ersten seligen Tanz in ihrem Leben; man riß sich um sie, dreißig Männer
-waren hinter ihr her, sie war allein, die einzige, die gewählt werden
-konnte, keine andere stach sie aus. Und wie flott diese riesenhaften
-Telegraphenarbeiter sie vom Boden aufhoben! Warum nicht tanzen? Eleseus
-und Sivert schliefen schon drinnen in der Kammer wie Säcke trotz des
-Tumultes auf dem Hofe, die kleine Leopoldine aber war noch auf und
-stand dabei und sah mit großen verwunderten Augen den Sprüngen der
-Mutter zu.
-
-Isak war indessen die ganze Zeit nach dem Abendessen draußen auf dem
-Feld gewesen. Als er wieder hereinkam, um zu Bett zu gehen, wurde ihm
-aus einer Flasche zu trinken angeboten, und er trank auch ein wenig. Er
-setzte sich, nahm Leopoldine auf den Schoß und sah dem Tanzen zu. Da
-kannst du dich ordentlich herumschwingen! sagte er gutmütig zu Inger.
-Da kannst du wahrlich die Füße regen!
-
-Aber nach einer Weile hörte der Musikant auf zu spielen, und der Tanz
-war vorbei. Die Arbeiter machten sich nun fertig, den noch übrigen Teil
-der Nacht und den ganzen nächsten Tag im Dorf zu verbringen und erst
-am Montagmorgen wiederzukommen. Bald lag Sellanraa wieder ganz still
-da, nur ein paar ältere Männer blieben zurück und legten sich in der
-Scheune schlafen.
-
-Isak sah sich nach Inger um, damit sie hineingehe und Leopoldine zu
-Bett bringe; als er sie dann nirgends erblickte, ging er hinein und
-legte das Kind zu Bett. Und er selbst ging auch zur Ruhe.
-
-Gegen Morgen erwachte er, aber Inger war nicht da. Ist sie im Stall?
-dachte er. Dann stand er auf und ging in den Stall. Inger? fragte er.
-Keine Antwort. Die Kühe drehten die Köpfe und sahen ihn an. Alles
-war still. Aus alter Gewohnheit zählte er das Vieh, zählte auch das
-Kleinvieh, das eine Mutterschaf blieb so gern die Nacht über draußen --
-jetzt war es wieder draußen geblieben. Inger? fragte er wieder. Auch
-jetzt keine Antwort. Sie ist doch sicher nicht ganz mit hinunter ins
-Dorf gegangen, dachte er.
-
-Die Sommernacht war hell und warm; Isak blieb eine Weile unter der
-Haustür sitzen, dann stand er auf und ging in den Wald, um nach dem
-Mutterschaf zu sehen. Er fand Inger. Inger hier? Ja, Inger und noch
-einer. Sie saßen im Heidekraut, Inger ließ seine Schildmütze auf
-ihrem Zeigefinger tanzen, sie sprachen miteinander, Inger war wieder
-umworben.
-
-Isak ging leise zu ihnen hin. Inger wendete sich um und sah ihn. Da
-wurde sie weiß wie ein Leintuch, der Kopf sank ihr auf die Brust,
-sie ließ die Mütze fallen, war vernichtet. -- Hm! Weißt du, daß das
-Mutterschaf wieder fehlt? sagte Isak. Aber das weißt du natürlich
-nicht, sagte er.
-
-Der junge Telegraphenarbeiter hob seine Mütze auf und verzog sich
-seitwärts in die Büsche. Ich muß wohl den anderen nachgehen, sagte er.
-Ja, gute Nacht, sagte er und ging. Niemand erwiderte seinen Gruß.
-
-So, du sitzest hier? sagte Isak. Mußt du hier sitzen?
-
-Er wendete sich heimwärts, und Inger richtete sich auf die Knie auf;
-sie kam auf die Füße und ging ihm nach. So gingen sie dahin, der Mann
-voraus, die Frau hinterdrein, Tandem. Sie kamen heim.
-
-Inger hatte wohl indessen Zeit gehabt, sich zu fassen. Und sie faßte
-sich: Ich wollte gerade nach dem Mutterschaf sehen, sagte sie, denn ich
-hatte gesehen, daß es nicht da war. Dann kam der Mann, er hat mir beim
-Suchen geholfen. Wir hatten uns kaum hingesetzt gehabt, als du kamst.
-Wo willst du jetzt hin?
-
-Ich? Ich muß wohl nach dem Tier sehen.
-
-Nein, jetzt sollst du zu Bett gehen. Und wenn noch jemand suchen soll,
-so werde ich es tun. Geh du nur zur Ruhe, du kannst sie notwendig
-brauchen. Im übrigen kann das Schaf auch draußen übernachten, das hat
-es schon öfters getan.
-
-Ja, um von Raubtieren aufgefressen zu werden, sagte Isak und ging.
-
-Nein, du darfst nicht! rief sie und holte ihn ein. Du brauchst Schlaf,
-ich will gehen.
-
-Isak ließ sich überreden. Aber er wollte auch nichts davon hören, daß
-Inger noch nach dem Schaf suchen sollte, und so gingen beide hinein.
-
-Inger sah sofort nach den Kindern. Sie ging in die Kammer, trat an das
-Bett und tat, als sei sie aus den erlaubtesten Gründen draußen gewesen,
-ja, sie war nicht ganz frei davon, mit Isak ein wenig zu liebäugeln,
-wie wenn sie von ihm noch eine ganz andere Zuneigung erwartete, als ihr
-an dem ganzen Abend entgegengebracht worden war -- denn jetzt hatte er
-ja eine volle Erklärung, meinte sie. Aber nein, danke! Isak war nicht
-so leicht herumzubringen, er hätte es am liebsten gesehen, wenn sie so
-recht betrübt gewesen wäre und nicht gewußt hätte, was sie vor Reue
-tun sollte. Das hätte er am liebsten gesehen. Was war denn das, daß
-sie im Wald draußen etwas zusammengesunken war, das ärmliche bißchen
-Schrecken, als er sie im Wald entdeckt hatte -- was half das, wenn es
-so schnell wieder verflog!
-
-Am nächsten Tag, der doch ein Sonntag war, zeigte sich Isak noch
-durchaus nicht versöhnt, er wanderte draußen umher, sah nach seinem
-Sägewerk und seiner Mühle und betrachtete seine Felder, teils mit den
-Kindern, teils allein. Als Inger sich einmal anzuschließen versuchte,
-ging Isak gleich seines Wegs und sagte: Ich muß an den Fluß hinauf und
-nach etwas sehen. Irgend etwas nagte offenbar an ihm, aber er trug es
-in der Stille und donnerte nicht los. Oh, Isak war ein Großer, zum
-Beispiel Israel, dem das gelobte Land wohl verheißen war, der jedoch
-darum betrogen worden war, aber dennoch gläubig blieb.
-
-Am Montag war die Stimmung bedeutend leichter, und als die Tage
-vergingen, begann der ärgerliche Eindruck von jener Nacht sich
-allmählich zu verwischen. Die Zeit macht gar vieles wieder gut, mit
-Spucke und Lappen, mit Schlaf und Essen heilt sie alle Wunden. Isak war
-nicht zum schlimmsten dabei gefahren, er hatte nicht einmal Gewißheit,
-ob ihm Unrecht angetan worden war, außerdem hatte er an vieles andre
-zu denken, denn jetzt fing die Ernte an. Und schließlich war ja die
-Telegraphenlinie bald fertig, dann würde es wohl wieder ruhig auf dem
-Hof werden. Eine breite helle Straße zog sich nun durch den Laubwald
-hin, in ihrer Mitte standen die Stangen mit Drähten bis ganz hinauf
-aufs Gebirge.
-
-Am nächsten Samstag, an dem die letzte Lohnauszahlung stattfand,
-richtete es Isak so ein, daß er von zu Hause abwesend war; er wollte
-es selbst so. Er ging mit Butter und Käse ins Dorf hinunter und kam
-erst in der Nacht zum Montag wieder zurück. Die Arbeiter hatten da
-alle miteinander die Scheune verlassen, beinahe alle, der letzte Mann
-schwankte mit einem Sack auf dem Rücken eben zum Hof hinaus, beinahe
-der letzte Mann. Daß es doch noch nicht ganz sicher war, erriet Isak an
-einer Eßkiste, die noch in der Scheune stand; wo der Eigentümer war,
-wußte er nicht, wollte es auch nicht wissen, aber eine Schildmütze lag
-als anstößiger Beweis auf der Eßkiste.
-
-Isak schleuderte die Eßkiste auf den Hofplatz hinaus, und die Mütze
-flog hinterdrein, dann schloß er die Scheune ab, ging in den Stall und
-guckte durchs Fenster hinaus. Mag die Kiste da stehen und die Mütze da
-liegen bleiben, dachte er wohl; es ist mir einerlei, wem sie gehören,
-es ist eine schlechte Kiste, und ich verachte sie, dachte er wohl. Aber
-wenn er jetzt seine Eßkiste holen will, dann wird Isak hinausgehen und
-ihn ein wenig am Arm nehmen, daß er blau und grün wird. Und wo der Weg
-zum Hof hinausgeht, das soll er auch erfahren!
-
-Damit verließ Isak das Fenster im Pferdestall und ging zu den Kühen
-hinein und sah von dort aus zum Fenster hinaus und fand keine Ruhe.
-Die Kiste war mit einem Strick zusammengeschnürt, der jämmerliche
-Kerl hatte nicht einmal ein Schloß daran; der Strick war aufgegangen
--- hatte Isak wohl die Kiste zu fest angepackt? Woher es auch kommen
-mochte, aber Isak war nicht mehr so ganz sicher, ob er auch recht
-gehandelt habe. Bei seinem Gang durchs Dorf hatte er nach seinem neuen
-Reolpflug gefragt, einem besonders starken zum Umroden von Ödland, den
-er bestellt hatte; oh, eine ausgezeichnete Maschine, eine Gottesgabe,
-ja, und diese war eben angekommen! Da war es ihm gewesen, als komme
-Segen mit ihr in sein Haus. Die höhere Macht, die die Schritte der
-Menschen lenkt, war vielleicht jetzt nahe und sah ihm zu, ob er den
-Segen verdiene oder nicht; Isak war immer mit den höheren Mächten
-beschäftigt, ja, in einer Herbstnacht hatte er im Walde draußen Gott
-mit eigenen Augen gesehen; das war vor allem ein merkwürdiger Anblick
-gewesen.
-
-Isak ging auf den Hofplatz hinaus und blieb bei der fremden Kiste
-stehen. Noch überlegte er, ja, er schob seinen Hut schief und kratzte
-sich am Kopfe, dabei sah er ganz keck und flott aus, wie ein Spanier
-sah er aus. Aber dann mußte er ungefähr so gedacht haben: Ach, da
-stehe ich und bin weit davon entfernt, ein prächtiger, ausgezeichneter
-Mensch zu sein, ich bin ein Hund! Dann schnürte er den Strick um die
-Kiste fest zu, hob die Mütze auf und trug beides wieder in die Scheune
-hinein. Nun war es getan.
-
-Als er wieder aus der Scheune heraustrat und sich nach der Mühle
-wandte, weg von seinem Hause, weg von allem, da stand Inger nicht am
-Fenster, nein. Nun wohl, mag sie stehen, wo sie will, übrigens war
-sie wohl in ihrem Bett, wo hätte sie sonst sein sollen? Aber in den
-alten Tagen, in den ersten unschuldigen Jahren auf der Ansiedlung, da
-hatte Inger keine Ruhe gehabt, sondern war aufgeblieben und hatte auf
-ihn gewartet, wenn er auf dem Heimweg vom Dorfe war. Das war jetzt
-anders geworden, alles war anders geworden. Auch als er ihr den Ring
-gab -- ach, hätte etwas mehr mißglückt sein können? Isak war übermäßig
-bescheiden gewesen und weit entfernt, von einem echt goldenen Ring zu
-sprechen. Es ist nichts Besonderes, hatte er gesagt, steck ihn einmal
-an den Finger und probier, ob er dir paßt. -- Ist das Gold? fragte sie.
--- Ja, aber er ist nicht sehr breit, versetzte er. -- Doch! hätte sie
-erwidern sollen, sie sagte indes: Nein, aber gerade recht. -- Du kannst
-ihn ja jetzt behalten wie sonst eine Kleinigkeit, sagte er schließlich
-niedergeschlagen.
-
-Aber Inger war doch dankbar für den Ring, sie trug ihn an der rechten
-Hand und ließ ihn funkeln, wenn sie nähte; ab und zu durften ihn die
-Mädchen anprobieren und ihn eine Weile am Finger behalten, wenn sie bei
-ihr waren und sie wegen eines neuen Kleides um Rat fragten. Begriff
-denn Isak nicht, daß sie ungeheuer stolz auf den Ring war! ...
-
-Aber es war sehr einsam, da in der Mühle zu sitzen und die ganze
-lange Nacht dem Brausen des Sturzbaches zuzuhören. Isak hatte nichts
-Unrechtes getan und brauchte sich nicht zu verstecken, er ging also von
-der Mühle fort, heimwärts, in sein Haus. --
-
-Und nun wurde Isak ganz beschämt, wahrlich beschämt und froh. Brede
-Olsen saß da, der Nachbar, niemand anderer, er saß da und trank Kaffee.
-Ja, Inger war auf, die beiden saßen nur beieinander und tranken Kaffee.
-Da ist Isak! sagte Inger in freundlichem Ton, indem sie aufstand und
-ihm auch eine Schale Kaffee einschenkte. Guten Abend! sagte Brede
-ebenso freundlich.
-
-Isak merkte wohl, daß Brede bei dem Abschiedsfest der
-Telegraphenarbeiter mit dabei gewesen war; er sah übernächtigt aus,
-aber das tat nichts, er war fröhlich und freundlich. Natürlich
-tat er ein wenig groß: Eigentlich habe er keine Zeit zu dieser
-Telegraphenarbeit, denn er habe ja seinen Hof, aber er habe nicht nein
-sagen können, der Ingenieur sei so sehr in ihn gedrungen. Und dann habe
-es ja auch dazu geführt, daß Brede nun die Inspektorstelle über die
-Linie übernehmen müsse. Es sei nicht wegen der Bezahlung, sagte Brede,
-er könnte im Dorf drunten viel mehr verdienen, aber er habe nicht
-ungefällig sein wollen. Nun habe man ihm eine kleine glänzende Maschine
-an der Wand angebracht, die sei ganz unterhaltend, fast ein Telegraph
-selbst.
-
-Isak konnte mit dem besten Willen über diesen Prahlhans und Faulpelz
-nicht böse sein, dafür fühlte er sich zu erleichtert, als er an diesem
-Abend anstatt eines Fremden seinen Nachbar in seinem Hause vorfand.
-Isak hatte das Gleichgewicht des Bauern, dessen einfache Gefühle,
-dessen Handfestigkeit, dessen Langsamkeit; er stimmte Brede zu und
-nickte zu seiner Oberflächlichkeit. Hast du nicht noch eine Schale
-Kaffee für Brede? fragte er Inger. Und Inger schenkte ein.
-
-Übrigens erzählte Inger, der Ingenieur sei ein ganz ausgezeichnet
-freundlicher Herr. Er habe sich die Zeichnungen und das Geschriebene
-der Kinder angesehen und habe dann gesagt, er wolle Eleseus zu sich
-nehmen. -- Zu sich nehmen? fragte Isak. -- Ja, mit in die Stadt. Er
-solle für ihn schreiben, solle Schreiber auf seinem Büro werden, so
-sehr hätten ihm Eleseus' Zeichnungen und das Geschriebene gefallen.
--- So, sagte Isak. -- Ja, was meinst du dazu? Er will ihn auch dort
-konfirmieren lassen. Das sind doch schöne Aussichten, nicht wahr? --
-Das meine ich auch, sagte Brede. Und soweit kenne ich den Ingenieur,
-wenn der schon so etwas sagt, dann meint er es auch. -- Wir haben hier
-auf der Ansiedlung keinen Eleseus, den wir entbehren könnten, sagte
-Isak.
-
-Nach diesen Worten wurde es eine Weile ganz still und unbehaglich in
-der Stube. Natürlich war Isak nicht der Mann, mit dem sich reden ließ.
--- Wenn nun aber der Junge selbst vorwärtskommen will, und wenn er
-das Genie hat, etwas Rechtes zu werden! sagte Inger schließlich. --
-Wieder Stille. Doch nun sagte Brede lächelnd: Wenn doch der Ingenieur
-eines von meinen Kindern nehmen wollte! Ich habe genug Kinder. Aber
-das älteste ist die Barbro, und das ist ein Mädchen. -- Ja, ja, die
-Barbro ist recht und gut, sagte Inger, um höflich zu sein. -- O ja,
-daran fehlt es nicht, stimmte Brede bei, die Barbro ist ein tüchtiges
-Mädchen, sie kommt jetzt zum Lensmann in Dienst. -- Zum Lensmann? --
-Ja, ich habe es durchaus versprechen müssen. Die Frau Lensmann hat mir
-gar keine Ruhe gelassen.
-
-Es war jetzt schon gegen Morgen, und Brede rüstete sich zum Aufbruch.
--- Ich habe noch meine Mütze und meine Eßkiste in eurer Scheune stehen,
-sagte er. Wenn nicht etwa die Burschen alles miteinander mitgenommen
-haben, fügte er scherzhaft hinzu.
-
-
-
-
-14
-
-
-Und die Zeit verging.
-
-Ja, natürlich kam Eleseus in die Stadt, Inger setzte es durch. Nachdem
-er ein Jahr dort gewesen war, wurde er konfirmiert, dann blieb er fest
-auf dem Büro des Ingenieurs und wurde immer tüchtiger im Schreiben.
-Oh, was waren das für Briefe, die er heimschickte, bisweilen mit roter
-und blauer Tinte geschrieben, die reinen Gemälde! Und wie die Sprache
-darin, die Sätze! Ab und zu bat Eleseus um Geld, bat um Unterstützung:
-er brauchte Geld zu einer Taschenuhr samt Kette, damit er am Morgen
-nicht zu lange schlief; dann zu einer Pfeife und Tabak, wie es die
-andern jungen Schreiber in der Stadt hatten; dann zu etwas, das er
-Taschengeld nannte; dann zu etwas, das Abendschule hieß, wo er Zeichnen
-und Turnen und andere für seinen Stand und seine Stellung notwendige
-Dinge lernte. Alles in allem war Eleseus in einer Stellung in der Stadt
-nicht billig zu haben.
-
-Taschengeld? fragte Isak. Ist das Geld, das man in der Tasche hat?
--- Ja, das muß wohl so sein, man tut es wohl, damit man nicht ganz
-leer daherkommt. Und es ist ja gar nicht so viel, ein Taler ab und
-zu. -- Ganz richtig, ein Taler hier und ein Taler dort, antwortete
-Isak zornig. Aber er war zornig, weil Eleseus ihm fehlte und er ihn
-daheim haben wollte. Aber schließlich werden es viele Taler, fuhr er
-fort. Ich kann das nicht leisten, du mußt ihm schreiben, daß er nichts
-mehr bekommt. -- So, na ja, sagte Inger beleidigt. -- Der Sivert, was
-bekommt denn der als Taschengeld? fragte Isak. -- Inger erwiderte: Du
-bist nie in einer Stadt gewesen und verstehst das nicht, der Sivert
-braucht kein Taschengeld. Und im übrigen kommt der Sivert nicht zu
-kurz, wenn sein Oheim Sivert einmal stirbt. -- Das weißt du nicht. --
-Doch, das weiß ich.
-
-Und das war gewissermaßen richtig, der Oheim Sivert hatte sich dahin
-ausgesprochen, daß Klein-Sivert ihn beerben solle. Oheim Sivert hatte
-an Eleseus' Prahlerei und Vornehmtuerei in der Stadt Anstoß genommen,
-er hatte genickt und die Lippen zusammengekniffen und gesagt, ein
-Schwestersohn, der nach ihm genannt sei -- nach dem Oheim Sivert --
-brauche keineswegs zu verhungern. Aber was besaß der Oheim Sivert wohl?
-Besaß er neben seinem vernachlässigten Hof und seinem Bootsschuppen
-auch noch einen so großen Haufen Geld, wie man allgemein annahm?
-Niemand wußte es. Und dazu kam noch, daß Oheim Sivert ein eigensinniger
-Mensch war, er verlangte, Klein-Sivert solle zu ihm kommen und bei
-ihm bleiben. Oheim Sivert betrachtete das als Ehrensache: er wollte
-Klein-Sivert zu sich nehmen, wie der Ingenieur Eleseus zu sich genommen
-hatte. Aber wie sollte Klein-Sivert von zu Hause wegkommen? Das
-war unmöglich. Er war des Vaters einzige Hilfe. Außerdem hatte der
-Junge auch keine große Lust, zu dem Oheim zu gehen, dem berühmten
-Bezirkskassierer; er war schon einmal dort gewesen, aber dann lieber
-wieder heimgegangen. Er war jetzt konfirmiert, reckte und streckte sich
-und wuchs heran, feiner Flaum sproßte ihm auf den Wangen, und er hatte
-starke Hände mit Schwielen daran. Er schaffte wie ein Mann.
-
-Isak hätte ohne Siverts Hilfe niemals die neue Scheune aufrichten
-können, aber jetzt stand sie mit der Einfahrtsbrücke und den Luken
-und allem ebenso groß da wie die Pfarrscheune selbst. Natürlich war
-sie nur aus Fachwerk mit Bretterverschalung, aber besonders solid
-gebaut mit eisernen Klammern an den Ecken und mit zolldicken Brettern
-aus der eigenen Sägemühle verschalt. Ja, und da hatte Klein-Sivert
-mehr als einen Nagel eingeschlagen und hatte die schweren Balken fürs
-Sparrenwerk aufgehoben, daß er fast darunter umgesunken war. Sivert
-verstand sich ausgezeichnet mit seinem Vater und arbeitete ständig
-an seiner Seite, er war von des Vaters Art. Und er war nicht so fein
-und so verwöhnt, sondern ging nur jedesmal, ehe er sich auf den Weg
-zur Kirche machte, auf die Halde hinauf und rieb sich mit ein wenig
-Rainfarn ab, um einen guten Geruch an sich zu haben. Da fing wahrlich
-die kleine Leopoldine an, größere Ansprüche zu machen, was man ja auch
-nicht anders erwarten konnte, da sie ein Mädchen und dazu die einzige
-Tochter war. Jetzt im Sommer hatte sie ihre abendliche Grütze nicht
-ohne Sirup darauf essen können, nein, das gewann sie nicht über sich.
-Und sie leistete auch nicht viel bei der Arbeit.
-
-Inger hatte den Gedanken an ein Dienstmädchen nicht aufgegeben, und
-jeden Frühling hatte sie aufs neue davon angefangen, aber jedesmal war
-Isak unnachgiebig geblieben. Wieviel mehr Kleider hätte sie zuschneiden
-können, wieviel mehr nähen und feine Stoffe weben und gestickte
-Pantoffeln fertigbringen, wenn sie Zeit gehabt hätte! Aber eigentlich
-zeigte sich Isak gar nicht mehr so unnachgiebig wie früher, wenn er
-auch noch brummte. Hoho, beim erstenmal hatte er eine lange Rede
-gehalten, nicht aus Rechtsgefühl und Verständigkeit, auch nicht aus
-Hochmut, sondern leider nur aus Schwäche, aus Wut. Aber jetzt war es,
-als habe er etwas nachgegeben, und als schäme er sich.
-
-Wenn ich Hilfe im Haus haben soll, so ist jetzt die Zeit dazu, sagte
-Inger. Denn später ist Leopoldine größer und kann dies und jenes tun.
--- Hilfe? fragte Isak, wobei sollst du dir denn helfen lassen? -- Wobei
-ich mir helfen lassen will? Läßt du dir etwa nicht helfen? Wozu ist
-denn Sivert da?
-
-Was sollte Isak auf solchen Unverstand entgegnen? Er sagte: Ja, ja,
-wenn du eine Magd bekommst, dann werdet ihr wohl pflügen und ernten und
-den Hof besorgen. Dann können Sivert und ich unserer Wege gehen.
-
-Wie das auch sein mag, entgegnete Inger, jedenfalls könnte ich jetzt
-Barbro als Magd bekommen, sie hat ihrem Vater darüber geschrieben.
--- Welche Barbro? fragte Isak. Etwa Bredes Barbro? -- Ja, sie ist in
-Bergen. -- Bredes Barbro will ich nicht hier in meinem Hause haben,
-sagte er. Wen du auch sonst nehmen magst, fügte er hinzu.
-
-Er wies also nicht jede andere zurück.
-
-Seht, in Barbro von Breidablick hatte Isak kein Vertrauen; sie war
-unbeständig und oberflächlich wie der Vater -- vielleicht auch wie die
-Mutter --, war flüchtigen Sinnes, ohne Ausdauer. Beim Lensmann war sie
-nicht lange geblieben, nur ein Jahr; als sie dann konfirmiert war, kam
-sie zum Kaufmann, blieb aber auch da nur ein Jahr. Dann war sie erweckt
-und fromm geworden, und als die Heilsarmee ins Dorf kam, trat sie in
-diese ein, bekam eine rote Binde um den Arm und eine Gitarre in die
-Hände. In dieser Ausstaffierung reiste sie auf der Jacht des Kaufmanns
-nach Bergen. Das war im vorigen Jahr gewesen, und jetzt eben hatte
-sie ihre Photographie heim nach Breidablick geschickt; Isak hatte sie
-gesehen: ein fremdes Fräulein mit gekräuseltem Haar und einer langen
-Uhrkette über die Brust herunter. Die Eltern waren stolz auf ihre
-kleine Barbro und zeigten das Bild jedem, der an Breidablick vorbeikam;
-es war großartig, wie sie sich herausgemacht hatte, und sie hatte keine
-rote Binde mehr um den Arm und keine Gitarre mehr in den Händen.
-
-Ich habe es mitgenommen und es der Frau des Lensmanns gezeigt, die
-erkannte sie gar nicht wieder, sagte Brede. -- Bleibt sie in Bergen?
-fragte Isak mißtrauisch. -- Sie bleibt in Bergen, solange sie dort
-ihr Brot verdient, antwortete Brede. Wenn sie nicht lieber nach
-Christiania reist, setzte er hinzu. Was soll sie hier daheim! Sie
-hat jetzt eine neue Stelle, ist Haushälterin bei zwei Junggesellen,
-feinen Kontorherren. Und was sie für einen großen Lohn hat! -- Wieviel?
-fragte Isak. -- Das gibt sie in ihrem Brief nicht genau an. Aber daß
-er etwas Ungeheures ist gegen hier im Dorf, das merke ich daran, daß
-sie Weihnachtsgeschenke und viele andere Geschenke bekommen hat, ohne
-daß am Lohn etwas abgezogen worden wäre. -- So, sagt Isak. -- Ja, du
-möchtest sie wohl nicht als Magd haben? fragte Brede. -- Ich? entfuhr
-es Isak. -- Nein, hehe, ich hab' nur so gefragt. Denn die Barbro soll
-nur bleiben, wo sie ist. Aber was ich sagen wollte: Du hast nichts
-Besonderes am Telegraphen droben bemerkt? -- Am Telegraphen? Nein.
--- Ach nein, es ist nicht oft etwas in Unordnung daran, seit ich ihn
-übernommen habe. Und dann habe ich ja meine eigene Maschine an der
-Wand, die mir's anzeigt, wenn etwas daran fehlt. In den nächsten Tagen
-muß ich aber einmal die Linie abschreiten und nachsehen. Ich habe eben
-viel zuviel zu tun und zu besorgen, ein einziger Mann kann das nicht
-alles leisten. Aber da ich nun einmal Inspektor hier bin und dies
-öffentliche Amt habe, muß ich ihm eben auch nachkommen, solange ich
-es habe. -- Isak fragte: Du denkst doch nicht daran, es aufzugeben?
--- Ich weiß nicht, antwortete Brede, ich bin noch nicht entschlossen.
-Aber man läßt mir keine Ruhe, ich soll wieder ins Dorf hinunterkommen.
--- Wer läßt dir keine Ruhe? fragte Isak. -- Alle miteinander. Der
-Lensmann möchte mich wieder als Gerichtsdiener, dem Doktor fehle ich
-zum Überlandfahren, und die Frau Pfarrer hätte mich schon mehr als
-einmal zur Hilfe haben wollen, wenn nur nicht der Weg so weit wäre.
-Nun, wie war es denn, Isak, hast du wirklich so viel Geld für deinen
-Berg bekommen? -- Ja, das ist nicht gelogen, antwortete Isak. -- Aber
-was wollte denn der Geißler damit? Nun liegt er da. Das ist doch etwas
-Merkwürdiges. Jetzt ist ein Jahr ums andere darüber hingegangen. --
-Isak hatte selbst oft über dieses Rätsel nachgegrübelt, er hatte auch
-mit dem Lensmann darüber geredet, hatte nach Geißlers Adresse gefragt,
-um ihm zu schreiben. Gewiß war die Sache merkwürdig. -- Ich weiß
-nichts, sagte Isak.
-
-Brede verbarg nicht, daß ihn dieser Handel mit dem Berg sehr
-interessiere: Es heißt, es seien noch mehrere Berge wie die deinigen
-droben in der Allmende, sagte er; da können große Dinge drin sein, wir
-aber gehen hier umher wie die stummen Tiere und sehen es nicht. Ich
-habe mich nun entschlossen, an einem Tag einmal hinaufzugehen und da zu
-untersuchen. -- Ach so, du verstehst dich auf Felsen und Gesteinsarten?
-fragte Isak. -- Ja, ein wenig schon, und ich habe auch andere darüber
-befragt. Und wie es auch sein mag, so muß ich irgend etwas für mich
-finden, ich kann mit all den Meinen nicht von dem Hofe hier leben. Zum
-Kuckuck, das ist einfach unmöglich. Bei dir ist es ganz anders, du hast
-lauter Wald und guten Ackerboden. Bei mir ist nichts als Moor. -- Moor
-ist guter Boden, sagte Isak kurz. Ich habe selbst Moor. -- Es ist ganz
-unmöglich, es auszutrocknen, erwiderte Brede ...
-
-Aber es war nicht unmöglich, das Moor auszutrocknen. Als Isak an
-diesem Tag weiter hinunterkam, stieß er auf neue Ansiedlungen. Zwei
-lagen weiter unten, dem Dorfe zu, aber eine war hoch droben zwischen
-Breidablick und Sellanraa -- oh, es wurde allmählich im Ödland
-gearbeitet, in Isaks erster Zeit lag es ganz menschenleer da. Und diese
-drei Ansiedler waren von auswärts, es schienen Leute mit Verstand
-zu sein; das erste, was sie taten, war nicht, Geld aufzunehmen und
-sich ein Haus zu bauen, sie kamen in einem Jahr her, zogen Gräben
-und verschwanden wieder, genau wie wenn sie gestorben wären. Das war
-die richtige Art: Gräben ziehen, pflügen, säen. Axel Ström war jetzt
-Isaks nächster Nachbar, ein tüchtiger Mann, Junggeselle, von Geburt
-ein Helgeländer; er hatte Isaks neuen Reolpflug entlehnt, um seinen
-Moorboden damit umzupflügen, und erst im zweiten Jahr hatte er sich
-einen Heuschuppen und eine Gamme errichtet und sich ein paar Stück Vieh
-angeschafft. Sein Besitztum hieß Maaneland, Mondland, weil der Mond so
-schön darauf schien. Er hatte keine eigene Frauensperson zur Hilfe, und
-Hilfe im Sommer war an diesem abgelegenen Ort nur schwer zu haben, aber
-wie er seine Arbeit einteilte und ausführte, das war ganz und gar die
-richtige Art. Oder hätte er etwa wie Brede zuerst ein Haus bauen und
-dann mit seiner Familie und vielen kleinen Kindern ins Ödland kommen
-sollen, ohne Vieh oder Äcker, von denen er leben konnte? Was verstand
-Brede Olsen vom Entwässern des Moores oder Urbarmachen des Ödlandes?
-
-Brede Olsen verstand es, die Zeit mit Lappalien zu vergeuden; da kam
-er wirklich eines Tages an Sellanraa vorüber und wollte hinauf auf die
-Berge, um nach edlen Metallen zu suchen! Am Abend kehrte er zurück,
-hatte aber nichts Bestimmtes gefunden. Nur ein paar Anzeichen, sagte er
-und nickte dazu. Er wollte den Gang bald noch einmal machen und wollte
-auch die Berge nach Schweden zu untersuchen.
-
-Und ganz richtig, Brede kam wieder. Er hatte wohl Geschmack daran
-gewonnen, er schob es auf die Telegraphenlinie, er müsse sie nachsehen.
-Indessen versorgten Frau und Kinder den Hof daheim oder ließen alles
-ungetan liegen. Isak bekam Bredes Besuche bald satt, und er ging aus
-dem Hause, wenn er kam. Dann schwätzten Inger und Brede herzlich
-miteinander. Was konnten sie nur zu schwätzen haben? Oh, Brede war
-oft im Dorf drunten und wußte immer etwas Neues von den Großen dort,
-Inger aber hatte ihrerseits ihre berühmte Reise nach Drontheim und
-ihren Aufenthalt, von dem sie erzählen konnte. In den Jahren, die sie
-fortgewesen war, hatte sie schwätzen gelernt, sie fing mit jedermann
-gleich eine Unterhaltung an. Nein, sie war nicht mehr dieselbe
-treuherzige, rechtschaffene Inger von früher.
-
-Immer noch kamen Frauen und Mädchen nach Sellanraa, um sich Kleider
-zuschneiden oder im Handumdrehen wohl auch einen langen Saum auf
-der Maschine nähen zu lassen, und Inger unterhielt sie gut dabei.
-Auch Oline kam wieder, sie konnte es wahrscheinlich nicht aushalten,
-wegzubleiben, denn sie kam sowohl im Frühjahr als im Herbst, aalglatt,
-butterweich und falsch. -- Ich mußte einmal sehen, wie es bei euch
-steht, sagte sie jedesmal. Und ich habe so Heimweh nach den kleinen
-Knaben, sagte sie, ich habe sie so in mein Herz geschlossen, die lieben
-Engel, die sie damals waren. Ja, ja, jetzt sind es große Burschen; aber
-es ist ganz merkwürdig, ich muß immer daran denken, wie sie noch so
-klein waren und ich für sie zu sorgen hatte. Und ihr baut und baut und
-macht den Hof zu einer ganzen Stadt. Werdet ihr auch eine Glocke auf
-dem neuen Scheunendach anbringen, gerade wie im Pfarrhaus?
-
-Als Oline wieder einmal auf Sellanraa ankam, brachte sie eine andere
-Frau mit, und die beiden Frauen und Inger hatten einen guten Tag
-zusammen. Je mehr Menschen Inger um sich herumsitzen hatte, desto
-besser und desto schneller hantierte sie mit der Schere und nähte auf
-der Maschine; sie tat groß, schwang ihre Schere oder das Plätteisen.
-Das erinnerte sie an die Zeit in der Anstalt, wo sie so viele gewesen
-waren. Inger verbarg durchaus nicht, wo sie ihre Kunst und ihr Wissen
-her hatte, von Drontheim hatte sie's. Es war, als habe sie nicht auf
-gewöhnliche Weise dort eine Strafe abgesessen, sondern als sei sie
-in der Lehre gewesen: Schneidern, Weben, Färben und Schreiben, in
-all dem hatte sie Unterricht in Drontheim gehabt. Von der Anstalt
-redete sie mit einem gewissen Heimatgefühl, es waren so viele Leute
-dagewesen: Vorsteher und Aufsichtsbeamte und Wächter; als sie damals
-wieder heimgekommen war, sei es sehr einsam für sie gewesen, und es
-sei ihr überaus hart gefallen, sich von dem Gesellschaftsleben, an das
-sie nun gewohnt gewesen, zurückzuziehen. Sie tat sogar, als habe sie
-sich erkältet, weil sie in der rauhen Luft draußen gewesen war, ja,
-noch jahrelang nach ihrer Rückkehr sei es ihr nicht gut bekommen, in
-Wind und Wetter draußen zu sein. Zu der Arbeit außer dem Hause müßte
-sie eigentlich eine Magd haben. -- Ja, aber Herrgott im Himmel, sagte
-Oline, du mit deiner Gelehrsamkeit und mit deinem großen Haus, du
-müßtest doch eine Magd halten können!
-
-Es war recht angenehm, auf Verständnis zu stoßen, und Inger widersprach
-Oline nicht. Sie rasselte mit ihrer Maschine, daß es dröhnte, und ließ
-den Ring an ihrem Finger funkeln.
-
-Nun siehst du selbst, sagte Oline zu der andern Frau, ist es nicht
-wahr, daß Inger einen goldenen Ring bekommen hat? -- Wollt ihr ihn
-sehen? fragte Inger und zog ihn ab. Oline griff danach, sie schien
-nicht ganz sicher zu sein und untersuchte den Ring, wie ein Affe eine
-Nuß untersucht: sah auch nach dem Stempel: Ja, es ist, wie ich sagte,
-diese Inger mit all ihrem Reichtum und all ihren Mitteln. -- Die andere
-Frau nahm den Ring mit Ehrfurcht in die Hand und lächelte demütig. --
-Du darfst ihn eine Weile anbehalten, sagte Inger. Steck ihn nur an, er
-geht nicht entzwei!
-
-Und Inger war freundlich und gutherzig. Sie erzählte von der Domkirche
-in Drontheim und begann: Ihr habt wohl die Domkirche in Drontheim nicht
-gesehen? Nein, ihr seid ja nicht in Drontheim gewesen! Diese Domkirche
-war gleichsam Ingers eigene Domkirche; sie verteidigte sie, prahlte mit
-ihr, gab Höhe und Breite an, sie sei wie ein Märchen! Sieben Pfarrer
-predigten gleichzeitig in ihr und hörten doch nichts voneinander. Dann
-habt ihr wohl den Brunnen des heiligen Olaf auch nicht gesehen? Er
-liegt mitten in der Domkirche auf der einen Seite, und dieser Brunnen
-ist grundlos. Als wir da hingingen, hatten wir einen Stein mitgenommen,
-und den ließen wir hineinfallen, aber er erreichte den Grund nicht. --
-Er erreichte den Grund nicht! flüsterten die Frauen und schüttelten
-die Köpfe. -- Aber außerdem sind noch tausend andere Dinge in der
-Domkirche! rief Inger entzückt aus. Da ist nun der silberne Schrein,
-das ist der Schrein von Sankt Olaf dem Heiligen, ihm gehört er. Aber
-die Marmorkirche, die eine kleine Kirche ganz und gar aus Marmor war,
-aber diese Kirche, die haben uns die Dänen im Krieg genommen ...
-
-Die Frauen mußten aufbrechen. Oline zog Inger auf die Seite und
-mit sich in die Vorratskammer hinein, wo, wie sie wußte, die Käse
-lagen, und machte die Tür hinter sich zu. -- Was willst du von mir?
-fragte Inger. -- Oline flüsterte: Der Os-Anders wagt nicht mehr
-hierherzukommen. Ich habe es ihm gesagt. -- Ach so, sagte Inger.
--- Ich habe ihm gesagt, er solle es nur wagen, nach dem, was er dir
-angetan hat! -- Ja, ja, sagte Inger. Aber er ist seither mehrere Male
-hier gewesen, und im übrigen kann er gerne kommen, ich fürchte mich
-nicht vor ihm! -- Nein, sagte Oline, aber ich weiß, was ich weiß, und
-wenn du es willst, werde ich ihn anzeigen. -- So, sagte Inger, nein,
-das sollst du nicht tun.
-
-Aber es war ihr nicht widerwärtig, daß Oline auf ihrer Seite stand; es
-kostete sie zwar einen kleinen Ziegenkäse, aber Oline bedankte sich
-großartig dafür. Es ist, wie ich sage und immer gesagt habe. Inger
-besinnt sich nicht lange, wenn sie gibt, dann gebraucht sie beide
-Hände. Nein, du hast keine Angst vor Os-Anders, aber ich habe ihm
-nun verboten, dir je wieder unter die Augen zu kommen. Das war das
-mindeste, was ich für dich tun konnte. -- Da sagte Inger: Was kann es
-mir ausmachen, wenn er kommt, mir kann er nicht mehr schaden. -- Oline
-spitzte die Ohren: So, hast du ein Mittel dagegen erfahren? -- Ich
-bekomme keine Kinder mehr, sagte Inger.
-
-Da standen sie ja auf gleichem Fuß und hatten beide gleich gute
-Trümpfe. Oline wußte ja, daß der Lappe Os-Anders vorgestern gestorben
-war ...
-
-Warum sollte Inger keine Kinder mehr bekommen? Sie lebte nicht in
-Feindschaft mit ihrem Mann, sie waren nicht wie Hund und Katze, weit
-entfernt! Alle beide hatten ihre Eigenheiten, aber sie stritten sich
-selten und nie lange, nachher war alles wieder gut. Oftmals konnte
-auch Inger wieder wie in den alten Tagen sein und im Stall und auf den
-Feldern große Arbeit leisten; es war, als ginge sie da in sich und
-bekomme gesunde Rückfälle. Dann sah Isak seine Frau mit dankbaren Augen
-an, und wenn er zu denen gehört hätte, die sich gleich aussprechen,
-würde er wohl gesagt haben: Was? Hm! Was machst du für einen Spaß!
-oder etwas anderes Anerkennendes. Allein er schwieg zu lange, und sein
-Lob kam zu spät. Aber auf diese Weise machte es Inger keine Freude, und
-es lag nichts daran, ständig tüchtig zu sein.
-
-Sie hätte über fünfzig Jahre alt sein und noch Kinder bekommen können,
-aber so wie sie aussah, sich drehte und wendete, war sie vielleicht
-nicht einmal vierzig. Alles hatte sie in der Anstalt gelernt --
-hatte sie wohl auch einige Kunstgriffe für ihre Person gelernt?
-Außerordentlich wohlüberlegt und wohlunterrichtet kehrte sie von dem
-Umgang mit den andern Mörderinnen heim, vielleicht hatte sie auch dies
-und jenes von den Herren gehört, von den Aufsehern, den Ärzten? Einmal
-erzählte sie Isak, ein junger Mediziner habe über ihr ganzes Verbrechen
-gesagt: Warum sollte man jemand strafen, wenn er Kinder umbringt, ja,
-sogar gesunde Kinder, sogar wohlgestaltete? Die sind da doch nichts
-anderes als Fleischklumpen. -- Isak erwiderte: War er denn ein Untier?
--- Er! rief Inger, und dann erzählte sie, wie gut er gegen sie gewesen
-sei, gegen sie, Inger selbst, er gerade habe ja einen anderen Arzt
-veranlaßt, ihren Mund zu operieren und sie zu einem Menschen zu machen.
-Ja, jetzt habe sie nur eine Narbe.
-
-Ja, jetzt hatte sie nur eine Narbe, und sie war eine recht hübsche
-Frau geworden, groß, ohne Fettansatz, mit bräunlicher Haut und dichtem
-Haarwuchs. Im Sommer ging sie meist barfuß und hoch aufgeschürzt mit
-freimütigen Beinen. Isak sah sie, wer sah sie nicht!
-
-Sie stritten sich nicht, nein, Isak hatte nicht die Gabe dazu, und
-seine Frau war jetzt viel mundfertiger geworden. Zu einem guten
-gründlichen Streit brauchte dieser Klotz, dieser Mühlengeist Zeit,
-er verwirrte sich in ihren Worten und brachte nicht viel heraus, und
-außerdem hatte er auch ein Herz für sie, eine kräftige Liebe. Er
-brauchte sich auch gar nicht oft zu verteidigen, Inger griff ihn
-nicht an, er war in vieler Beziehung ein ausgezeichneter Mann, und
-Inger ließ ihn ungerügt. Worüber hätte sie sich beklagen sollen?
-Wahrlich, Isak war nicht zu verachten, sie hätte einen schlimmeren Mann
-bekommen können. War er alt geworden, abgerackert? Freilich hatte sie
-Anzeichen von Müdigkeit an ihm bemerkt, aber nicht so, daß es etwas
-ausgemacht hätte. Er war, sozusagen, erfüllt von alter Gesundheit und
-Unverbrauchtheit ebenso wie sie, und im Nachsommer ihrer Ehe leistete
-er seinen Teil an Zärtlichkeit mindestens ebenso warm wie sie.
-
-Aber eine besondere Pracht oder Schönheit war keineswegs an ihm.
-Nein, darin war Inger ihm überlegen. Bisweilen dachte sie wohl auch,
-sie habe schon Schöneres gesehen, Männer in feinen Kleidern und mit
-Spazierstöcken; Herren mit Taschentüchern und gestärkten Kragen, o
-diese Stadtherren! Deshalb behandelte sie Isak auch nur als den, der er
-war, sozusagen nur nach Verdienst, nicht besser: er war ein Ansiedler
-im Walde; wäre ihr Mund von jeher recht gewesen, so hätte sie ihn
-nie genommen, das wußte sie jetzt. Nein, dann hätte sie einen andern
-kriegen können. Diese Heimat, die ihr geworden war, dieses ganze öde
-Dasein, das ihr Isak bereitet hatte, war im Grunde genommen recht
-mäßig; jedenfalls hätte sie drunten in ihrer Heimatgemeinde verheiratet
-sein und Gesellschaft und Umgang genug haben können, anstatt hier oben
-im Ödland eine Hexe zu werden. Hier paßte sie nicht mehr her, sie hatte
-jetzt andere Anschauungen.
-
-War es nicht merkwürdig, wie sich die Ansichten ändern konnten! Es
-gelang Inger nicht mehr, sich über ein besonders schönes Kalb zu freuen
-oder die Hände vor Verwunderung zusammenzuschlagen, wenn Isak mit
-einer recht großen Beute vom Fischfang heimkam, nein, sie hatte sechs
-Jahre lang in größeren Verhältnissen gelebt. Ja, so ganz allmählich
-waren auch die Tage vorüber, wo sie ihn freundlich und liebreich zu
-den Mahlzeiten hereinrief. Jetzt sagte sie: Kommst du denn nicht zum
-Essen? War das eine Art! Zuerst wunderte er sich ein wenig über diese
-Veränderung, über eine so verdammt verdrießliche und unhöfliche Art,
-und er erwiderte: Ich habe nicht gewußt, daß das Essen fertig ist. --
-Aber als sie behauptete, er müsse das doch einigermaßen nach dem Stand
-der Sonne wissen, hörte er auf, etwas zu entgegnen und noch ein Wort
-darüber zu verlieren.
-
-Oh, aber einmal, da ertappte er sie und griff tüchtig zu! Das war, als
-sie ihm Geld stehlen wollte. Nicht weil er selbst so sehr aufs Geld aus
-gewesen wäre, sondern weil es durchaus und ganz allein ihm gehörte.
-Hoho, da hätte sie fürs ganze Leben einen Leibschaden davontragen
-können! Und doch war Inger da nicht ganz verworfen und gottvergessen
-gewesen; Eleseus sollte ja das Geld haben, der liebe Eleseus in der
-Stadt, der wieder um einen Taler gebeten hatte. Sollte er da zwischen
-all den andern feinen Leuten mit leeren Taschen umhergehen müssen?
-Hatte sie nicht ein Mutterherz? Sie hatte Geld von Isak verlangt, und
-da dies nicht half, hatte sie selbst zugegriffen. Woher es nun aber
-kommen mochte, ob Isak ihr mißtraute, oder ob es ein Zufall war --
-der böse Streich wurde jedenfalls gleich entdeckt, und in demselben
-Augenblick fühlte sich Inger an beiden Armen gefaßt; sie fühlte, daß
-sie zuerst in die Höhe gehoben und dann schwer auf den Boden gestoßen
-wurde. Das war etwas Ungewöhnliches, eine Art Bergsturz. Oh, da waren
-Isaks Hände nicht abgeschafft und müde! Inger stöhnte laut auf, ihr
-Kopf sank nach hinten, sie zitterte und streckte ihm den Taler hin.
-
-Auch jetzt sprach sich Isak nicht weiter aus, obgleich Inger ihn nicht
-daran hinderte, zu Wort zu kommen, er stieß eigentlich nur schnaufend
-hervor: Prügel gehören dir, sonst kann man dich nicht mehr im Zaum
-halten!
-
-Er war nicht wiederzuerkennen. Oh, er machte wohl lang unterdrücktem
-Ärger Luft!
-
-Nun verging ein trauriger Tag und eine lange Nacht und noch ein
-weiterer Tag. Isak ging fort und schlief draußen, obgleich er trockenes
-Heu liegen hatte, das eingefahren werden sollte; Sivert war bei dem
-Vater. Inger hatte Leopoldine und die Tiere um sich, aber sie fühlte
-sich allein, weinte die ganze Zeit und schüttelte den Kopf über sich
-selbst: eine so große Gemütsbewegung hatte sie nur einmal in ihrem
-Leben durchgemacht; jetzt mußte sie an damals denken, als sie ihr
-neugeborenes Kind umbrachte.
-
-Wo waren Isak und der Sohn? Sie waren nicht müßig gewesen; wohl
-stahlen sie einen Tag und mehr von der Heuernte, aber sie bauten ein
-Boot droben am Bergsee. Allerdings ein plumpes Fahrzeug ohne alle
-Ausschmückung, aber stark und dicht war es wie alles, was sie machten,
-und nun hatten sie ein Boot und konnten mit dem Netze fischen.
-
-Als sie wieder heimkamen, lag das Heu noch ebenso trocken da. Sie
-hatten dem Himmel den Streich gespielt, sich auf ihn zu verlassen,
-und hatten dabei noch gewonnen, der Vorteil war auf ihrer Seite. Da
-deutete Sivert plötzlich hinüber und rief: Die Mutter hat geheut! --
-Der Vater sah auf die Wiese hinunter und sagte: So. -- Isak hatte ja
-gleich gesehen, daß ein Teil des Heus verschwunden war, jetzt war Inger
-wohl drinnen bei der Hausarbeit. Das war eine ganz besondere Leistung,
-nachdem er ihr gestern mit Schlägen gedroht und sie geschüttelt hatte.
-Und es war schweres, kräftiges Heu, sie hatte hart arbeiten müssen, und
-außerdem hatte sie auch noch alle Kühe und Ziegen zu melken gehabt. --
-Geh hinein und iß! sagte Isak zu Sivert. -- Du nicht auch? -- Nein.
-
-Als Sivert eine Weile drinnen gewesen war, kam Inger heraus; sie blieb
-demütig auf der Türschwelle stehen und sagte: Kannst du dir's nicht
-selbst gönnen, daß du auch hereinkommst und etwas ißt? -- Darauf
-knurrte Isak nur und sagte: Hm. Aber Inger demütig zu sehen, war in
-der letzten Zeit ein so seltenes Erlebnis geworden, daß er in seinem
-Starrsinn etwas erschüttert wurde. -- Wenn du mir ein paar Zähne in
-meinen Rechen einsetzen würdest, dann könnte ich weiter rechen, sagte
-sie. Sie wendete sich mit einer Bitte an den Herrn des Hofes, an
-das Oberhaupt von allem, und sie war dankbar, daß er ihr nicht eine
-höhnische, abschlägige Antwort gab. -- Du hast jetzt genug gerecht und
-eingefahren, sagte er. -- Nein, es ist noch nicht genug. -- Ich habe
-jetzt keine Zeit, deinen Rechen zu flicken, du siehst, daß Regen kommt.
-
-Damit ging Isak an die Arbeit.
-
-Er wollte sie wohl schonen; die paar Minuten Zeit, die das Flicken des
-Rechens in Anspruch genommen hätte, wären zehnmal aufgewogen worden,
-wenn Inger mit auf der Wiese geblieben wäre. Nun kam überdies Inger mit
-dem Rechen, so wie er war, herbei und begann Heu zusammenzurechen, daß
-es eine Art hatte. Sivert kam mit Pferd und Heuwagen, alle strengten
-sich aufs äußerste an, der Schweiß lief ihnen herunter, und das Heu
-wurde geborgen. Das war ein Meisterstück. Und wieder versank Isak in
-Gedanken an jene höhere Macht, die alle unsere Schritte lenkt, von dem
-Stehlen eines Talers an bis zum Bergen einer großen Menge trockenen
-Heus. Außerdem lag nun auch das Boot fertig droben; nachdem er ein
-halbes Menschenalter lang über ein solches nachgegrübelt hatte, lag es
-nun droben im Gebirgssee. Ach ja, Herrgott im Himmel! sagte er.
-
-
-
-
-15
-
-
-Im ganzen genommen wurde das ein merkwürdiger Abend, ein Wendepunkt;
-Inger, die seit langer Zeit neben dem Geleise hergegangen war, war
-durch ein einziges Aufheben vom Boden wieder auf den richtigen Platz
-gekommen. Keines von ihnen sprach von dem Geschehenen; Isak hatte sich
-später wegen dieses Talers, der ja nicht viel Geld war, und den er doch
-herausgeben mußte, weil er selbst ihn dem Eleseus gönnte, geschämt. Und
-gehörte der Taler nicht überdies ebensogut Inger wie ihm? Es kam eine
-Zeit, da Isak der Demütige war.
-
-Es kamen allerhand Zeiten; Inger hatte also wieder ihren Sinn geändert.
-Ja, sie änderte sich wieder, gab allmählich ihre Vornehmtuerei auf und
-wurde wieder eine ernste und herzliche Frau auf einer Ansiedlung. Daß
-die Fäuste eines Mannes so Großes ausrichten konnten! Aber so sollte es
-sein, es handelte sich hier um ein starkes, tüchtiges Frauenzimmer, das
-ein langer Aufenthalt in künstlicher Luft verwirrt gemacht hatte -- sie
-stieß nach dem Manne, der aber zu fest auf seinen Füßen stand. Er hatte
-seinen natürlichen Platz auf der Erde, auf seinem Grund und Boden,
-nicht einen Augenblick verlassen. Er konnte nicht weggeschoben werden.
-
-Es kamen vielerlei Zeiten; im nächsten Jahr herrschte wieder
-Trockenheit, und wahrlich, sie verminderte die Ernte und zehrte am
-Mut der Menschen. Das Korn auf dem Felde verbrannte, die Kartoffeln
-jedoch -- die merkwürdigen Kartoffeln -- wurden nicht versengt, sondern
-blühten, blühten. Die Wiesen sahen allmählich grau aus, aber die
-Kartoffeln blühten. Eine höhere Macht leitete alle Dinge, aber die
-Wiesen fingen an grau zu werden.
-
-Da, eines Tages erschien Geißler, der frühere Lensmann Geißler, endlich
-kam er wieder. Es war wirklich seltsam, daß er nicht tot war, sondern
-wieder auftauchte. Warum kam er wohl?
-
-Diesmal hatte Geißler allerdings kein großes Gepäck und allerlei
-Dokumente über Gebirgskäufe und so weiter bei sich, er war im Gegenteil
-recht einfach gekleidet, sein Haar und Bart waren ergraut und seine
-Augen rot umrändert. Er brachte niemand mit, der ihm seine Sachen trug,
-er hatte nur eine Tasche mit Schriftstücken und nicht einmal einen
-Reisesack bei sich.
-
-Guten Tag! sagte Geißler.
-
-Guten Tag! erwiderten Isak und Inger. Seid Ihr wieder auf Reisen?
-
-Geißler nickte.
-
-Und ich danke auch für den Besuch in Drontheim! fügte Inger noch hinzu.
-
-Dazu nickte auch Isak und sagte: Ja, wir beide sagen schönen Dank dafür.
-
-Aber Geißler hatte die Gewohnheit, nicht nur Herz und Gefühl zu zeigen,
-er sagte gleich: Ich will übers Gebirge nach Schweden hinüber.
-
-Obgleich die Leute auf dem Hofe wegen der Trockenheit niedergedrückt
-waren, wurden sie durch Geißlers Besuch doch aufgeheitert; sie
-bewirteten ihn reichlich. Es war eine große Freude für sie, ihn
-herzlich aufnehmen zu können, er hatte ihnen ja so viel Gutes getan.
-
-Geißler selbst war nicht niedergedrückt; er redete sofort von allem
-möglichen, sah auf die Felder hinaus und nickte; oh, er war noch immer
-ganz aufrecht und sah aus, als habe er mehrere hundert Taler bei sich.
-Mit ihm kam Leben und Aufmunterung ins Haus; nicht daß er gelärmt
-hätte, aber er führte eine lebhafte Unterhaltung.
-
-Ein herrlicher Ort, dieses Sellanraa! sagte er. Und jetzt ziehen immer
-mehr Leute hier herauf, Isak, fünf Ansiedlungen hab' ich gezählt, oder
-sind es noch mehr?
-
-Sieben im ganzen, die beiden andern kann man vom Weg aus nicht sehen.
-
-Sieben Höfe, sagen wir fünfzig Menschen. Die Umgebung hier
-wird allmählich dicht bebaut. Habt ihr nicht auch schon eine
-Schulgerechtigkeit und eine Schulstube?
-
-Doch.
-
-Das habe ich gehört. Ein Schulhaus auf Bredes Grundstück, weil das mehr
-in der Mitte liegt. Also, Brede ist ein Ansiedler geworden! Geißler
-lachte verächtlich. Von dir habe ich reden hören, Isak, du bist der
-Meister hier. Das freut mich. Du sollst ja jetzt auch ein Sägewerk
-haben?
-
-Ja, so, wie es eben ist. Aber ich fahre gut dabei. Und ich habe auch
-schon öfters einen Balken für die da unten gesägt.
-
-So soll es sein!
-
-Es würde mich freuen, zu hören, was Ihr darüber sagt, Herr Lensmann,
-wenn Ihr mitgehen und das Sägewerk ansehen wolltet.
-
-Geißler nickte, wie wenn er ein Fachmann wäre, und sagte, das wolle
-er gerne tun, ja, er werde sich das Sägewerk ansehen und alles genau
-betrachten. Er fragte: Du hast doch _zwei_ Jungen, wo ist denn der
-andere? In der Stadt? Auf einem Büro? Hm! sagte Geißler. Aber dieser
-dort sieht aus wie ein Prachtkerl! Wie heißt du?
-
-Sivert.
-
-Und der andere?
-
-Eleseus.
-
-Auf so einem Ingenieurbüro ist er? Was lernt er denn dort? Das ist nur
-Hungerleiderei. Er hätte zu mir kommen können, sagte Geißler.
-
-O ja, versetzte Isak nur, um sich höflich zu zeigen. Geißler tat ihm
-leid. Oh, der gute Geißler sah nicht aus, als könne er sich jetzt
-fremde Hilfe halten, er hatte es vielleicht jetzt allein schwer genug,
-sein Rock war ja an den Handgelenken geradezu ausgefranst.
-
-Möchtet Ihr nicht ein Paar trockene Strümpfe anziehen? fragte Inger,
-indem sie ein Paar von ihren eigenen neuen herbeibrachte, ein Paar
-gereifelte und dünne aus ihren eigenen vornehmsten Tagen.
-
-Nein, danke, sagte Geißler kurz, obgleich er gewiß triefend nasse Füße
-hatte.
-
-Er hätte lieber zu mir kommen sollen, sagte er von Eleseus. Ich könnte
-ihn sehr notwendig brauchen, sagte er, indem er eine kleine silberne
-Tabaksdose aus der Tasche zog und damit spielte. Das war vielleicht das
-einzige Prachtstück, das er von früher her noch besaß.
-
-Aber er hatte keine rechte Ruhe und hielt sich nicht lange bei einem
-Gegenstand auf. Die silberne Dose wurde wieder eingesteckt, und er fing
-von etwas Neuem an. Aber wie grau doch die Wiese da draußen aussieht!
-Vorhin dachte ich, es sei der Schatten. Warum muß denn der Boden hier
-verbrennen? Komm einmal mit mir, Sivert!
-
-Rasch stand er von dem gedeckten Tisch auf, wendete sich der Tür zu,
-dankte Inger für das Essen und verschwand. Sivert ging mit ihm.
-
-Sie gingen nach dem Fluß. Geißler spähte die ganze Zeit mit klugen
-Augen umher; plötzlich blieb er stehen und sagte: Hier! Und dann
-erklärte er: Es geht durchaus nicht an, daß ihr den Boden verbrennen
-laßt, wenn ihr doch einen allmächtigen Fluß habt, wo ihr Wasser holen
-könnt. Morgen soll die Wiese wieder grün sein.
-
-Der erstaunte Sivert sagte nur: Ja.
-
-Jetzt hebst du hier schräg herunter einen mäßigen Graben aus, der Boden
-ist eben, und am Einlauf machen wir eine Rinne. Da ihr eine Sägemühle
-habt, habt ihr wohl auch ein paar lange Bretter? Gut! Hol Hacke und
-Spaten und fang hier an, ich komme gleich wieder und stecke die Linie
-ordentlich ab.
-
-Er lief wieder ins Haus hinein, es quietschte in seinen Stiefeln, so
-naß waren sie. Er stellte Isak bei den Holzrinnen an; er müsse viele
-Rinnen machen, und sie müßten da und dort, wo der Boden nicht durch
-einen Graben aufgerissen werden dürfe, gelegt werden. Isak versuchte
-einzuwenden, daß das Wasser vielleicht nicht bis dahin dringen würde,
-es sei ein sehr weiter Weg, der trockene Boden werde es aufsaugen,
-ehe es bis an die versengten Stellen gelange. Geißler erklärte,
-ja, es werde wohl eine Weile dauern, die Erde werde zuerst tüchtig
-aufschlucken, aber dann werde die Feuchtigkeit weitergehen. -- Morgen
-um diese Zeit werden Acker und Wiese wieder grün sein! -- So, sagte
-Isak und nagelte aus Leibeskräften Rinnen zusammen.
-
-Geißler ging zu Sivert zurück. So ist's recht, sagte er, mach nur so
-weiter, ich habe gleich gesehen, daß du ein Prachtkerl bist! Die Linie
-muß nach diesen Pflöcken laufen. Triffst du auf große Steine oder
-Felsblöcke, so weich aus, aber bleib in der gleichen Höhe. Verstehst
-du, in derselben Höhe!
-
-Wieder ging's zurück zu Isak. Jetzt hast du eine Rinne fertig, aber
-wir brauchen sechs. Spute dich, Isak, morgen wird alles grün sein, und
-deine Ernte ist gerettet!
-
-Geißler setzte sich auf den Hügel, legte beide Hände auf die Knie und
-war entzückt; er plauderte, blitzschnell kamen ihm die Gedanken. Hast
-du Pech, hast du Werg? Das ist ausgezeichnet, alles hast du. Denn im
-Anfang werden ja die Rinnen lecken, dann aber ziehen sie an und werden
-so dicht wie Flaschen. Du sagst, du habest Werg und Pech vom Bootbauen,
-nun, wo ist das Boot? Droben im Gebirgssee? Das will ich mir auch
-ansehen.
-
-Oh, der Geißler versprach so viel! Er war ein flüchtiger Herr und war
-noch unruhiger geworden als früher, alles mußte bei ihm sozusagen im
-Sprung geschehen. Aber dann ging es auch im Sturm. Er war nicht ohne
-Überlegenheit. Natürlich war er zu Übertreibungen geneigt. Acker und
-Wiese konnten unmöglich über Nacht grün werden; aber Geißler war rasch
-im Erfassen und Beschließen; wenn die Ernte auf Sellanraa gerettet
-wurde, war es wirklich diesem merkwürdigen Mann zu verdanken.
-
-Wie viele Rinnen hast du jetzt? Das ist zu wenig. Je mehr Holzrinnen du
-hast, desto glatter läuft das Wasser. Wenn du zehn bis zwölf zehn Ellen
-lange Rinnen zusammennagelst, so fährst du gut dabei. Was sagst du, du
-habest zwölf Ellen lange Bretter? Dann nimm sie, es bezahlt sich bis
-zum Herbst.
-
-Danach hatte Geißler wieder keine Ruhe mehr. Er stand auf und lief
-abermals zu Sivert hinüber. Großartig, Sivert, jetzt geht's gut! Dein
-Vater hämmert die Rinnen zusammen und dichtet sie, wir bekommen mehr,
-als ich mir zuerst dachte; geh jetzt und hole die Rinnen, wir wollen
-anfangen!
-
-Den ganzen Nachmittag herrschte ein großes Gehetze, das war die tollste
-Arbeit, die Sivert je mitgemacht hatte, ein ihm ganz unbekanntes Tempo.
-Sie gönnten sich keine Zeit, zum Essen hineinzugehen. Aber jetzt lief
-das Wasser! Da und dort mußten sie tiefer graben, da und dort mußte
-eine Rinne gehoben oder tiefer gelegt werden, aber das Wasser lief!
-Bis zum späten Abend gingen die drei Männer umher, verbesserten und
-förderten ihre Arbeit und waren ernsthaft davon erfüllt; und als die
-Flüssigkeit anfing, über die ausgetrockneten Stellen hinzurieseln,
-blitzte ein heller Freudenstrahl in den Herzen der Hofbewohner auf.
-
-Ich habe meine Uhr vergessen, wieviel Uhr ist es denn? fragte Geißler.
-Ja, grün, morgen um diese Zeit! sagte er.
-
-Sogar in der Nacht stand Sivert auf und sah nach der Wasserleitung. Er
-begegnete seinem Vater, der zu demselben Zweck draußen war. Ach Gott,
-welche Spannung und welches Ereignis im Ödland!
-
-Aber am nächsten Tag lag Geißler lange zu Bett und war schlaff; der
-Eifer hatte ihn verlassen. Er hatte keine Lust, das Boot droben
-anzusehen, und nur weil er sich schämte, ging er wenigstens nach dem
-Sägewerk. Nicht einmal für die Wasserleitung hatte er noch dasselbe
-Interesse. Als er sah, daß weder Acker noch Wiese über Nacht grün
-geworden waren, verlor er den Mut; er dachte nicht daran, daß das
-Wasser immer weiter lief und sich immer weiter ausbreitete. Doch hielt
-er sich einigermaßen aufrecht, und so sagte er: Möglicherweise kann es
-bis morgen dauern, ehe du den Erfolg siehst, aber du darfst den Mut
-nicht verlieren.
-
-Gegen Abend kam Brede Olsen dahergeschlendert. Er brachte
-Gesteinsproben mit, die er Geißler zeigen wollte. Sie sind meiner
-Ansicht nach außerordentlich merkwürdig, sagte er. -- Aber Geißler
-wollte Bredes Steine nicht sehen. Treibst du auf diese Weise Ackerbau
-hier, indem du herumläufst und Reichtümer entdecken willst? fragte er
-höhnisch. -- Brede hatte indes keine Lust mehr, von seinem früheren
-Lensmann Zurechtweisungen hinzunehmen, er gab es ihm tüchtig heim, fing
-an, ihn zu duzen, und sagte: Ich kümmere mich nicht um dich! -- Du tust
-ja heute noch nichts Rechtes, treibst nichts als Lappalien, versetzte
-Geißler. -- Und du etwa? sagte Brede. Was hast denn du diese ganze Zeit
-über getan? Du hast einen Berg da droben gekauft, der gar nichts wert
-ist und nur so daliegt. Hehe, ja, du bist mir der Rechte, du! -- Mach,
-daß du fortkommst! sagte Geißler. -- Und Brede hielt sich auch nicht
-länger auf, er hob seinen kleinen Sack auf die Schulter und kehrte ohne
-Abschied in sein Nest zurück.
-
-Geißler setzte sich wieder, blätterte in einigen Papieren und dachte
-eifrig nach. Es war, als habe er Blut geleckt und wolle nun nachsehen,
-wie es sich mit dem Kupferberg verhielt, mit dem Kontrakt, der Analyse:
-es war ja fast reines Kupfer, Schwarzkupfer da, er mußte etwas damit
-anfangen, durfte nicht wieder zusammenklappen.
-
-Der Grund, warum ich eigentlich gekommen bin, ist, dies hier in
-Ordnung zu bringen, sagte er zu Isak. Ich habe die Absicht, recht
-viele Leute hierherzuziehen und droben im Gebirge einen großen Betrieb
-einzurichten. Was denkst du dazu?
-
-Isak tat er wieder leid, deshalb widersprach er nicht.
-
-Das ist nicht gleichgültig für dich, fuhr Geißler fort. Es kommen
-dann viele Menschen hierher, und es gibt viel Umtrieb und Lärm
-und Sprengungen, ich weiß nicht, wie dir das gefallen wird. Aber
-andrerseits kommt Leben und Bewegung in den Bezirk, und du wirst großen
-Absatz für die Erzeugnisse deiner Milchwirtschaft bekommen. Du kannst
-dafür verlangen, was du willst.
-
-Ja, sagte Isak.
-
-Gar nicht davon zu reden, daß du von dem, was aus dem Berg gewonnen
-wird, hohe Prozente erhältst. Das wird viel Geld, Isak.
-
-Isak antwortete: Ich habe schon zu viel von Euch bekommen ...
-
-Am nächsten Morgen verließ Geißler den Hof und wanderte in östlicher
-Richtung weiter, Schweden zu. Als Isak sich erhob, ihn zu begleiten,
-sagte er kurz: Nein, ich danke. Es tat Isak fast weh, als er ihn so arm
-und allein fortgehen sah. Inger hatte ihm einen prächtigen Mundvorrat
-mitgegeben, sie hatte sogar Waffeln für ihn gebacken, aber sie waren
-bei weitem nicht gut genug, er hätte auch noch Sahne in einer Flasche
-und eine Menge Eier mitnehmen sollen; aber das wollte er nicht tragen.
-Inger war recht enttäuscht darüber.
-
-Geißler wurde es gewiß schwer, Sellanraa zu verlassen, ohne für seinen
-Aufenthalt zu bezahlen, wie er es gewohnt war. Er tat deshalb, als habe
-er bezahlt, als habe er wirklich einen größeren Geldschein hingelegt,
-denn er sagte zu der kleinen Leopoldine: Und nun sollst du auch noch
-etwas haben. Hier nimm! Damit gab er ihr seine Tabaksdose, die silberne
-Dose! -- Du kannst sie auswaschen und Nadeln drin aufheben. Übrigens
-paßt sie nicht gut dazu; wenn ich nur geschwind nach Hause könnte, dann
-solltest du etwas anderes bekommen, ich habe ja verschiedenes ...
-
-Aber die Wasserleitung lag nach Geißlers Besuch noch da, sie lag da
-und schaffte Tag und Nacht, Woche um Woche, sie machte die Felder
-grün, half den Kartoffeln zum Verblühen, half dem Korn in den Halm zu
-schießen.
-
-Die Ansiedler von weiter unten kamen einer nach dem andern herauf,
-um sich das Wunderwerk anzusehen. Auch Axel Ström kam, der Besitzer
-von Maaneland, der unverheiratet war und keine eigene weibliche Hilfe
-hatte, sondern alles selbst besorgte, auch er kam. Er war heute
-aufgeräumter und sagte, es sei ihm nun ein Mädchen zur Hilfe für den
-Sommer versprochen worden, nun sei dieser Kummer gestillt! Er nannte
-den Namen des Mädchens nicht, und Isak fragte nicht danach; aber es
-war Bredes Barbro, die man ihm versprochen hatte, es sollte ihn nur
-ein Telegramm nach Bergen kosten. Na, und Axel legte ja das Geld für
-dieses Telegramm aus, obgleich er gewiß ein äußerst sparsamer Mann, ja
-geradezu etwas geizig war.
-
-Die Wasserleitung war es, die Axel an diesem Tag heraufgelockt hatte;
-er sah sie sich von dem einen Ende bis zum andern an und interessierte
-sich ungeheuer dafür. Auf seinem Grundstück war zwar kein größerer
-Fluß, aber doch ein Bach, auch hatte er keine Bretter zu Rinnen, aber
-er wollte den ganzen Wasserlauf in die Erde graben, das ließ sich
-auch machen. Es sehe auch auf seinem tiefgelegenen Grundstück nicht
-so schlimm aus, wenn aber die Trockenheit anhalte, müsse er auch
-bewässern. -- Als er das gesehen hatte, was er hatte sehen wollen,
-sagte er Lebewohl. Isak und seine Frau luden ihn ein, hereinzukommen,
-aber er sagte, er habe keine Zeit, er wolle an diesem Abend noch mit
-dem Graben anfangen; dann ging er.
-
-Das war ein anderer Mann als Brede!
-
-Oh, jetzt hatte Brede Grund, über die Moore zu laufen, um über die
-Wasserleitung und das Wunderwerk auf Sellanraa zu schwatzen! Ja, es ist
-nicht gut, wenn man zu fleißig auf seinem Grundstück ist, sagte er. Da
-hat nun der Isak so viele Gräben zum Austrocknen gezogen, daß er jetzt
-wieder wässern muß.
-
-Isak war geduldig, aber er wünschte oft, er könnte diesen Menschen
-loswerden, diesen Schwätzer in der Nähe von Sellanraa. Brede war
-verpflichtet, die Telegraphenlinie in Ordnung zu halten, da er ja
-regelrecht dazu angestellt war. Aber die Telegraphenbehörde hatte ihm
-schon mehrere Male wegen seiner Nachlässigkeit einen Rüffel erteilen
-müssen, und jetzt war Isak abermals die Stelle angeboten worden. Nein,
-mit dem Telegraphen war Brede nicht beschäftigt, sondern mit den
-Metallen in den Bergen; es war eine wahre Sucht bei ihm geworden, eine
-fixe Idee.
-
-Jetzt geschah es auch recht oft, daß er in Sellanraa einkehrte und
-meinte, er habe den Schatz gefunden. Er nickte dann und sagte: Ich
-sag jetzt nichts mehr, aber ich habe etwas ganz Besonderes gefunden,
-das leugne ich nicht. Er verschwendete seine Zeit und seine Kräfte um
-nichts und wieder nichts. Wenn er dann müde in sein Haus zurückkehrte,
-warf er einen kleinen mit Gesteinsproben gefüllten Sack auf den Boden,
-pustete und schnaufte nach seinem Tagewerk und meinte, niemand arbeite
-so hart für seinen Unterhalt wie er. Er baute etwas Kartoffeln auf
-saurem Moorboden, mähte die Grasplätze ab, die von selbst um sein
-Haus her wuchsen, das war seine Feldarbeit. Er war in ein falsches
-Fahrwasser geraten, es mußte ein schlimmes Ende mit ihm nehmen.
-Jetzt war schon sein Torfdach zerfetzt und die Küchentreppe von der
-Dachtraufe verfault, ein kleiner Schleifstein lag umgestürzt am Boden,
-und das Fuhrwerk stand ewig unter freiem Himmel.
-
-Brede hatte es insofern gut, als er sich über solche Kleinigkeiten
-durchaus nicht abgrämte. Wenn die Kinder den Schleifstein beim
-Spielen umherrollten, war der Vater sehr gutmütig und lieb, ja, er
-half bisweilen selbst beim Rollen. Eine leichte und faule Natur,
-ohne Ernst, aber auch ohne Schwerlebigkeit, ein schwacher Charakter
-ohne Verantwortlichkeitsgefühl, aber er fand Auswege, sich den
-Lebensunterhalt zu verschaffen, wie er auch sein mochte; so lebte er
-mit den Seinen von der Hand in den Mund, sie lebten alle miteinander.
-Aber natürlich konnte der Kaufmann Brede und seine Familie nicht
-in alle Ewigkeit am Leben erhalten, das hatte er schon oft gesagt,
-und jetzt sagte er es in strengem Ton. Brede sah das selbst ein und
-versprach, nun werde er die Sache in Ordnung bringen; er wolle sein
-Grundstück verkaufen, vielleicht verdiene er gut dabei, und dann werde
-er den Kaufmann bezahlen.
-
-Ja, selbst wenn er daran verlor, wollte Brede verkaufen, was sollte er
-mit einem Grundstück! Er sehnte sich wieder ins Dorf hinunter, nach
-Leichtsinn, Klatschereien und dem Kaufladen -- dahin sehnte er sich,
-anstatt ruhig hier zu schaffen und zu wirken und die große Welt zu
-vergessen. Ach, hätte er die Weihnachtsfeiern mit dem Lichterbaum oder
-das Nationalfest am siebzehnten Mai oder die Wohltätigkeitsverkäufe
-im Gemeindehaus vergessen können! Er liebte es ja über alles, mit den
-Leuten zu schwatzen, sich nach Neuigkeiten zu erkundigen, aber mit
-wem hätte er sich hier auf den Mooren unterhalten können? Inger auf
-Sellanraa hatte eine Weile Anlage dazu gezeigt, jetzt war sie wieder
-ganz anders geworden, wieder ganz wortkarg. Und übrigens war sie im
-Gefängnis gewesen, und er war ein öffentlich angestellter Mann, das
-schickte sich nicht.
-
-Nein, er hatte sich selbst auf die Seite gestellt, als er das Dorf
-verließ. Jetzt sah er mit Eifersucht, daß der Lensmann einen andern
-Gerichtsboten und daß der Doktor einen andern Kutscher hatte; er
-war von den Menschen, die ihn brauchten, fortgelaufen, jetzt, da er
-nicht mehr zur Hand war, behalfen sie sich ohne ihn. Aber welch ein
-Gerichtsbote und welch ein Kutscher! Eigentlich müßte er -- Brede --
-mit Wagen und Pferd ins Dorf zurückgeholt werden!
-
-Aber da war nun Barbro, und warum hatte er denn versucht, sie auf
-Sellanraa unterzubringen? Oh, das hatte er nach reiflicher Überlegung
-mit seiner Frau getan. Wenn alles richtig ging, so hätte das Mädchen da
-Aussichten für die Zukunft gehabt, ja, vielleicht wären da Aussichten
-für die ganze Familie Brede gewesen. Die Haushälterinstelle bei den
-zwei Kontoristen in Bergen war ja schon recht, aber Gott mochte
-wissen, was Barbro da schließlich bekam? Barbro war ja hübsch und auf
-ihren Vorteil aus, sie hätte vielleicht hier bessere Gelegenheit,
-vorwärtszukommen. Es waren zwei Söhne auf Sellanraa.
-
-Aber als Brede merkte, daß dieser Plan fehlschlug, dachte er sich einen
-andern aus. Oh, im Grunde war es wirklich nichts Erstrebenswertes,
-mit Inger verwandt zu werden, mit einer bestraften Person, es gab
-noch andere Burschen als die auf Sellanraa! Da war nun Axel Ström. Er
-hatte Hof und Gamme, er war ein Mann, der schaffte und sparte und sich
-allmählich Vieh und andere Besitztümer anschaffte, aber keine Frau und
-keine weibliche Hilfe hatte. Das kann ich dir sagen, wenn du Barbro
-bekommst, so hast du alle Hilfe, die dir not tut! sagte er zu Axel. Und
-hier kannst du ihre Photographie sehen, sagte er.
-
-Ein paar Wochen vergingen, dann kam Barbro. Ja, Axel war nun schon
-mitten in der Heuernte, er mußte bei Nacht mähen und bei Tag wenden
-und hatte alles allein zu leisten; aber nun kam Barbro. Sie kam wie
-ein wirkliches Geschenk. Es zeigte sich auch, daß sie arbeiten konnte;
-sie scheuerte das Geschirr, wusch die Kleider und kochte das Essen,
-sie melkte die Tiere und half draußen beim Heurechen, jawohl, sie war
-mit draußen beim Heu und trug es mit herein, es fehlte nichts. Axel
-entschloß sich, ihr einen guten Lohn zu geben, er gewann doch noch
-dabei.
-
-Hier war sie nicht nur die Photographie einer feinen Dame. Barbro
-war groß und schlank, sie hatte eine etwas heisere Stimme, zeigte
-Reife und Erfahrung in vielem und war durchaus keine Neukonfirmierte.
-Axel begriff nicht, warum ihr Gesicht so mager und elend aussah: Ich
-sollte dich eigentlich vom Ansehen kennen, aber du gleichst deiner
-Photographie gar nicht. -- Das kommt von der Reise, erwiderte sie. Ja
-und von der Stadtluft. -- Es dauerte auch nicht lange, da wurde sie
-wieder rund und hübsch, und sie sagte: Glaub mir, so eine Reise und so
-eine Stadtluft, die zehren tüchtig an einem! Sie spielte auch auf die
-Versuchungen in Bergen an -- da müsse man sich in acht nehmen! Aber
-während sie sich weiter unterhielten, sagte sie, Axel solle sich auf
-eine Zeitung, eine Bergener Zeitung abonnieren, damit sie auch sehen
-könne, was in der Welt vorgehe. Sie sei jetzt ans Lesen, an Theater und
-Musik gewöhnt, hier sei es sehr einsam, sagte sie.
-
-Da Axel Ström mit seiner Sommeraushilfe so Glück gehabt hatte,
-abonnierte er auf die Zeitung und ertrug auch die Familie Brede, die
-recht oft auf seine Ansiedlung kam und da aß und trank. Er wollte
-seiner Dienstmagd Freude machen. Nichts konnte behaglicher sein als
-die Sonntagabende, wenn Barbro die Saiten ihrer Gitarre schlug und
-mit ihrer etwas heiseren Stimme dazu sang; Axel war über die fremden
-hübschen Lieder und darüber, daß wirklich jemand auf der Ansiedlung bei
-ihm war und sang, gerührt.
-
-Im Laufe des Sommers lernte er Barbro allerdings auch von anderen
-Seiten kennen, aber im großen und ganzen war er zufrieden. Sie war
-nicht ohne Launen, und sie konnte rasche Antworten geben, etwas zu
-rasche. An jenem Sonnabend, als Axel notwendig ins Dorf hinunter zum
-Kaufmann mußte, hätte Barbro das Vieh und die Hütte nicht verlassen und
-auch alles andere nicht einfach im Stich lassen dürfen. Die Ursache
-dazu war ein kleiner Streit gewesen. Und wo war sie hingegangen? Nur
-nach Hause, nach Breidablick, aber trotzdem. Als Axel in der Nacht
-zurückkam, war Barbro nicht da, er versorgte die Tiere, aß und ging
-schlafen. Gegen Morgen erschien Barbro. -- Ich wollte wieder einmal
-fühlen, wie es einem in einem Haus mit einem Bretterboden zumut ist,
-sagte sie recht höhnisch. -- Darauf konnte Axel eigentlich nichts
-erwidern, denn er hatte ja nur eine Torfhütte mit einem Lehmboden, aber
-er antwortete, er habe immerhin auch Bretter und werde wohl auch einmal
-ein Haus mit einem Bretterboden haben! -- Da war es, als gehe sie in
-sich; nein, schlimmer war Barbro nicht, und obgleich es Sonntag war,
-ging sie rasch in den Wald, holte Wacholderzweige für den Lehmboden und
-machte ihn hübsch.
-
-Aber da sie so ausgezeichnet und von Herzen gut war, mußte ja auch
-Axel mit dem hübschen Kopftuch herausrücken, das er am vorhergehenden
-Abend für sie gekauft hatte; er hatte eigentlich gedacht, er wolle es
-aufheben, um ordentlich etwas von ihr dafür zu erreichen. Aber nun
-gefiel es ihr sehr gut, sie probierte es sofort auf, ja, sie fragte
-ihn, ob es ihr nicht gut stehe. O doch, sehr gut, aber sie könnte gerne
-sein Felleisen auf den Kopf setzen, es würde ihr auch stehen. Da lachte
-sie und wollte auch recht liebenswürdig sein, deshalb sagte sie: Ich
-gehe lieber mit diesem Kopftuch in die Kirche und zum Abendmahl als im
-Hut. In Bergen trugen wir ja alle Hüte, ja, ausgenommen gewöhnliche
-Dienstmädchen, die vom Lande hereinkamen.
-
-Wieder lauter Freundschaft!
-
-Und als Axel mit der Zeitung herausrückte, die ihm auf der Post
-mitgegeben worden war, setzte sich Barbro hin und las die neuesten
-Nachrichten von der Welt draußen: von einem Einbruch bei einem
-Goldschmied in der Strandstraße, von einer Schlägerei zwischen
-Zigeunern, von einer Kindsleiche, die in den Stadtfjord hereingetrieben
-und in ein altes, unter den Armen quer abgeschnittenes Hemd
-eingewickelt gewesen war. Wer kann nur das Kind ins Wasser geworfen
-haben? fragte Barbro. Aus alter Gewohnheit las sie auch noch die
-Marktpreise.
-
-Und die Zeit verging.
-
-
-
-
-16
-
-
-Auf Sellanraa gab es große Veränderungen.
-
-Ja, nichts war von der ersten Zeit her wiederzuerkennen. Hier waren
-nun verschiedene Gebäude, ein Sägewerk und eine Mühle, und die öden
-Strecken waren wohlbebautes Land geworden. Und noch mehr stand bevor.
-Aber Inger war vielleicht noch am merkwürdigsten, ganz anders wieder
-und überaus tüchtig.
-
-Die Krise vom letzten Sommer hatte wohl nicht auf einmal ihren
-Leichtsinn besiegen können, im Anfang hatte sie mehrere Rückfälle;
-sie ertappte sich darauf, daß sie von der Anstalt und von Drontheims
-Domkirche sprechen wollte. Ach, so kleine unschuldige Dinge! Ihren
-Ring zog sie vom Finger, und ihre so freimütig kurzen Röcke machte sie
-länger. Sie war nachdenklich geworden, es wurde stiller auf dem Hofe,
-die Besuche nahmen ab, die fremden Mädchen und Frauen aus dem Dorf
-kamen seltener, weil sie sich nicht mehr mit ihnen einließ. Niemand
-kann im Ödland leben und nur immer lachen und scherzen, Freude ist
-nicht Lustigkeit.
-
-Droben im Ödland hat jede Jahreszeit ihre Wunder, aber immer und
-unveränderlich sind die dunklen, unermeßlichen Laute von Himmel und
-Erde, das Umringtsein nach allen Seiten hin, die Waldesdunkelheit, die
-Freundlichkeit der Bäume. Alles ist schwer und weich zugleich, kein
-Gedanke ist da unmöglich. Nördlich von Sellanraa lag ein ganz kleiner
-Teich, eine Lache, nur so groß wie ein Aquarium. Da tummelten sich
-winzige Fischkinder, die nie größer wurden; sie lebten und starben und
-waren zu nichts nütze, lieber Gott, zu rein gar nichts! Eines Abends
-stand Inger da und horchte auf die Kuhglocken. Sie hörte nichts, denn
-alles war totenstill ringsum, aber plötzlich vernahm sie Gesang aus dem
-Aquarium. Er war sehr schwach und beinahe nicht vernehmlich, nur wie
-hinsterbend. Das war das Lied der kleinwinzigen Fische.
-
-Sellanraa lag so günstig, daß die Bewohner jeden Herbst und Frühjahr
-die Wildgänse, die über das Ödland hinflogen, sahen und ihr Rufen und
-Locken in der Luft droben hören konnten, es klang wie verwirrtes Reden.
-Und dann war es, als stehe die Welt stille, bis der Zug vorüber war.
-Fühlten sich die Menschen da nicht von einer Art Schwäche überfallen?
-Sie nahmen ihre Arbeit wieder auf, aber zuvor taten sie einen tiefen
-Atemzug, ein Hauch aus dem Jenseits hatte sie gestreift.
-
-Große Wunder umgaben sie zu allen Zeiten. Im Winter die Sterne und auch
-die Nordlichter, ein flammendes Firmament, eine Feuersbrunst droben
-bei Gott. Hier und da, nicht oft, nicht für gewöhnlich, aber hier und
-da vernahmen sie auch donnern. Das war hauptsächlich im Herbst, und
-es war düster und feierlich für Menschen und Tiere. Die Haustiere,
-die auf der nahen Wiese weideten, drängten sich zusammen und blieben
-beieinander stehen. Worauf horchten sie? Warteten sie auf das Ende?
-Und worauf warteten die Menschen im Ödland, wenn sie beim Grollen des
-Donners mit gesenktem Kopfe dastanden?
-
-Der Frühling -- jawohl, dessen Eile und Ausgelassenheit und Entzücken;
-aber der Herbst! Der stimmte die Leute anders. Da fürchteten sie sich
-oft in der Dunkelheit, und sie nahmen ihre Zuflucht zum Abendgebet, sie
-wurden hellseherisch und hörten Vorboten. Manchmal gingen sie an einem
-Herbsttag hinaus, um etwas hereinzuholen, die Männer vielleicht Holz,
-die Frauen das Vieh, das jetzt wie unsinnig nach Pilzen suchte -- und
-sie kehrten zurück, das Herz von geheimnisvollen Dingen erfüllt. Waren
-sie unversehens auf eine Ameise getreten und hatten deren Hinterleib
-auf dem Pfad festgetreten, so daß der Vorderkörper nicht mehr loskommen
-konnte? Oder waren sie einem Schneehuhnnest zu nahe gekommen und war
-ihnen eine Mutter zischend entgegengeflattert? Und nicht einmal die
-großen Kuhpilze waren ohne Bedeutung. Der Mensch wird nicht starr und
-bleich, wenn er sie nur ansieht. Ein Kuhpilz blüht nicht und rührt sich
-nicht von der Stelle, aber es ist etwas Überwältigendes an ihm, und er
-ist ein Ungeheuer, er gleicht einer Lunge, die nackt und ohne hüllenden
-Körper ein eigenes Leben führt.
-
-Inger wurde schließlich recht schwermütig, das Ödland bedrückte sie,
-sie wurde fromm. Hätte sie dem entgehen können? Niemand im Ödland kann
-dem entgehen, da gibt es nicht nur irdisches Streben und Weltlichkeit,
-da ist Frömmigkeit und Gottesfurcht und viel Aberglauben. Inger meinte
-wohl, sie habe mehr Grund als andere, der Züchtigung des Himmels
-gewärtig sein zu müssen, diese würde wohl nicht ausbleiben; sie wußte,
-daß Gott an den Abenden durch das ganze Ödland streifte und fabelhaft
-gute Augen hatte, er würde sie schon finden. In ihrem täglichen Leben
-war nicht so sehr viel, was sie hätte anders machen können. Oh, sie
-konnte den goldenen Ring zuunterst in ihrer Truhe verbergen, und sie
-konnte an Eleseus schreiben, er solle sich auch bekehren; aber außerdem
-blieb wohl nichts anderes übrig, als selbst gute Arbeit zu leisten und
-sich nicht zu schonen. Ja, eines konnte sie doch noch tun! Sich in
-demütige Kleider hüllen und nur am Sonntag ein schmales blauseidenes
-Band um den Hals tragen, um einen Unterschied vom Werktag zu machen.
-Diese unechte und unnotwendige Armut war der Ausdruck für eine Art
-Philosophie, für Selbsterniedrigung, Stoizismus. Das blauseidene Band
-war nicht mehr neu, war von einer Mütze abgetrennt, die Leopoldine zu
-klein geworden war, es war da und dort verblichen und geradeheraus
-gesagt auch etwas schmutzig -- nun gebrauchte es Inger als einen
-demütigen Sonntagsstaat. Jawohl, sie übertrieb und machte die Armut
-in der Hütte nach, sie trug eine falsche Armut zur Schau -- wäre ihr
-Verdienst größer gewesen, wenn sie zu einem so geringen Staat gezwungen
-gewesen wäre? Laßt sie in Frieden, sie hat ein Recht auf Frieden!
-
-Sie übertrieb großartig und tat mehr, als sie mußte. Es waren zwei
-Männer auf dem Hofe, aber Inger paßte wohl auf, bis sie fort waren, und
-sägte dann Holz; wozu sollte nun diese Qual und Züchtigung gut sein?
-Sie war ein ganz unbedeutender, ganz geringer Mensch, ihre Fähigkeiten
-waren recht gewöhnlich, ihr Tod oder ihr Leben würde nirgends im Lande
-gemerkt werden, außer hier im Ödland. Hier war sie beinahe groß,
-jedenfalls war sie die größte, und sie meinte, sie sei aller der
-Züchtigung, die sie auf sich selbst verwendete, wohl wert. -- Ihr Mann
-sagte: Sivert und ich haben darüber gesprochen, wir wollen nichts davon
-wissen, daß du unser Holz sägst und dich überschaffst. -- Ich tue es um
-meines Gewissens willen, entgegnete Inger.
-
-Um des Gewissens willen? Das stimmte Isak wieder nachdenklich; er war
-jetzt ein Mann in Jahren, langsam im Überlegen, aber gewichtig, wenn
-er schließlich seine Ansicht sagte. Das Gewissen mußte doch recht
-kräftig sein, wenn es Inger so vollständig hatte umwenden können. Und
-was es nun auch sein mochte, aber Ingers Bekehrung wirkte auch auf ihn
-ein, sie steckte ihren Mann an, er wurde grüblerisch und zahm. Das
-war ein sehr schwerer, fast unüberwindlicher Winter; Isak suchte die
-Einsamkeit, suchte Verborgenheit. Um seinen eigenen Wald zu schonen,
-hatte er nun im Staatswald an der schwedischen Grenze einige Dutzend
-gute Stämme gekauft -- er wollte beim Fällen dieser Bäume niemand zu
-Hilfe haben, er wollte allein sein; Sivert wurde befohlen, daheim zu
-bleiben und auf die Mutter aufzupassen, damit sie sich nicht zu sehr
-anstrenge.
-
-In den kurzen Wintertagen ging also Isak noch in der Dunkelheit zum
-Wald und kam erst bei Dunkelheit wieder heim. Nicht immer schienen Mond
-und Sterne, manchmal waren seine eigenen Fußstapfen vom Morgen wieder
-zugeschneit, dann konnte er sich nur schwer zurechtfinden. Und an einem
-Abend hatte er ein Erlebnis.
-
-Er hatte schon den größten Teil des Wegs zurückgelegt, und bei
-dem hellen Mondschein sah er Sellanraa schon drüben auf der Halde
-liegen; da lag es hübsch und wohl gebaut, aber klein, fast wie ein
-unterirdisches Gehöft anzusehen, weil es so tief eingeschneit war.
-Aber jetzt bekam er wieder Bauholz, und Inger sowie die Kinder würden
-sich sehr verwundern, wozu er das Holz verwenden wollte, an was für
-ein überirdisches Gebäude er dachte. Er setzte sich in den Schnee und
-wollte ein wenig ausruhen, um nicht erschöpft heimzukommen.
-
-Ringsum ist es ganz still, und Gott sei Dank für diese Stille und seine
-eigene nachdenkliche Stimmung, sie ist nur vom Guten! Isak ist ja ein
-Ansiedler, und er schaut nach seinem Grundstück hinüber, wo er noch
-mehr Ödland umgraben muß. Er bricht in Gedanken große Steine aus, er
-hat ein entschiedenes Talent zum Entwässern. Und er weiß, dort drüben
-liegt noch eine recht tiefe Sumpfstrecke auf seinem Eigentum. Dieser
-Sumpf ist voller Erz, eine metallische Haut steht auf jeder Lache,
-den will er jetzt trockenlegen. Mit den Augen teilt er den Boden in
-Vierecke ein, er hat Pläne und Absichten mit diesen Vierecken, er will
-sie recht grün und fruchtbar machen. Oh, ein urbar gemachtes Feld war
-etwas sehr Gutes, es wirkte auf ihn wie Ordnung und Recht und dazu wie
-Genuß ...
-
-Er stand auf und fand sich nicht mehr ganz zurecht. Hm! Was war
-geschehen? Nichts, er hatte nur ein wenig ausgeruht. Jetzt aber steht
-etwas vor ihm, ein Wesen, ein Geist, graue Seide -- nein, es war
-nichts. Es wurde ihm sonderbar zumut, er machte einen kurzen unsicheren
-Schritt vorwärts und ging geradeswegs auf einen Blick zu, einen großen
-Blick, zwei Augen, gleichzeitig fangen die Espen in der Nähe zu
-rauschen und zu raunen an. Nun weiß jedermann, daß die Espe eine ganz
-infame, unbehagliche Art zu rauschen hat, jedenfalls hatte Isak noch
-niemals ein widerlicheres Rauschen gehört als jetzt, und er fühlte, wie
-ihm ein Schauer über den Rücken lief. Er griff auch mit der Hand nach
-vorne, aber dies war vielleicht die hilfloseste Bewegung, die diese
-Hand je gemacht hatte.
-
-Aber was war nun das da vor ihm, und hatte es eine Gestalt oder nicht?
-Isak hatte ja seiner Lebtag darauf geschworen, daß es eine höhere
-Macht gebe, und einmal hatte er sie auch gesehen, aber das, was er
-jetzt sah, glich Gott nicht. Ob der Heilige Geist wohl so aussah? Aber
-warum stand er dann jetzt hier -- auf dem weiten Feld zwei Augen, ein
-Blick und sonst nichts? War es, um ihn zu holen, um seine Seele zu
-holen, dann mochte es so sein, einmal würde es ja doch geschehen, dann
-wurde er selig und kam in den Himmel.
-
-Isak war gespannt, was geschehen würde, ein Schauder durchrieselte ihn,
-die Gestalt strömte ja Kälte und Frost aus, es mußte der Teufel sein.
-Hier betrat Isak sozusagen bekannten Boden, es war nicht unmöglich, daß
-es der Teufel war; aber was wollte er hier? Auf was hatte er Isak jetzt
-eben ertappt? Auf dem Gedanken, Ödland umzubrechen, aber das konnte ihn
-doch unmöglich geärgert haben. Von einer anderen Sünde, die er begangen
-haben konnte, wußte Isak nichts, er war nur auf dem Heimweg vom Walde,
-ein müder und hungriger Arbeiter, er wollte nach Sellanraa, alles in
-guter Absicht.
-
-Wieder machte er einen Schritt vorwärts, aber es war kein langer
-Schritt, und er wich überdies sofort wieder ebenso weit zurück. Da die
-Erscheinung nicht weichen wollte, runzelte Isak wahrhaftig die Stirne,
-als traue er der Sache nicht mehr recht. Wenn es der Teufel war, so
-mochte es der Teufel sein, der hatte jedoch nicht die höchste Macht.
-Luther hatte ihn einstmals beinahe umgebracht, und es gab viele, die
-ihn mit dem Kreuzeszeichen und Jesu Namen verscheucht hatten. Nicht,
-daß Isak die Gefahr herausgefordert und sich dann hingesetzt und
-darüber gelacht hätte, aber das Sterben und Seligwerden, das er zuerst
-im Sinne gehabt hatte, diesen Gedanken gab er jedenfalls auf, und jetzt
-machte er zwei Schritte auf die Erscheinung zu, bekreuzigte sich und
-rief: Im Namen Jesu!
-
-Hm? Als er seine eigene Stimme hörte, war es, als komme er plötzlich
-wieder zu sich, und er sah Sellanraa auf der Halde liegen. Die Espen
-rauschten nicht mehr, die beiden Augen waren aus der Luft verschwunden.
-
-Er zögerte nicht länger auf dem Weg und forderte die Gefahr nicht
-heraus. Aber als er auf seiner eigenen Türschwelle stand, räusperte
-er sich kräftig und erleichtert, und er ging erhobenen Hauptes in die
-Stube hinein wie ein Mann, ja, wie ein Held.
-
-Inger stutzte und fragte, warum er so leichenblaß aussähe.
-
-Da leugnete er nicht, daß er dem Teufel begegnet sei.
-
-Wo? fragte sie.
-
-Dort drüben. Uns gerade gegenüber.
-
-Inger zeigte keinen Neid. Ja, sie lobte ihn nicht gerade deshalb, aber
-in ihrer Miene lag nichts, was einem bösen Wort oder einem Fußtritt
-geglichen hätte. Ach, Ingers Gemüt hatte sich im Gegenteil in den
-letzten Tagen etwas aufgehellt, und sie war freundlicher geworden,
-woher es auch kommen mochte; nun fragte sie nur:
-
-Ist es der Teufel selbst gewesen?
-
-Isak nickte und sagte, soweit er habe sehen können, sei er es selbst
-gewesen.
-
-Wie bist du ihn losgeworden?
-
-Ich ging im Namen Jesu auf ihn los, antwortete Isak.
-
-Inger wiegte überwältigt den Kopf hin und her, und es dauerte eine
-Weile, bis sie das Essen auftragen konnte. Jedenfalls darfst du aber
-jetzt nicht mehr ganz allein in den Wald gehen, sagte sie.
-
-Sie zeigte sich besorgt um ihn, das tat ihm wohl. Er tat, als sei er
-noch gleich mutig und als kümmere er sich durchaus nicht um irgendeine
-Begleitung in den Wald, aber er tat nur so, um Inger mit seinem
-unheimlichen Erlebnis nicht mehr als notwendig zu erschrecken. Er war
-ja der Mann und das Oberhaupt des Hauses, der Schutz aller.
-
-Inger durchschaute ihn auch und sagte: Ja, ja, du willst mich nur nicht
-ängstlich machen, aber du mußt Sivert mitnehmen. -- Isak lächelte nur
-verächtlich. -- Du kannst im Walde krank und elend werden, und ich
-glaube, du bist auch in der letzten Zeit nicht so recht gesund gewesen.
--- Wieder lächelte Isak verächtlich. Krank? Abgeschunden und müde,
-jawohl; aber krank? Inger solle ihn nicht lächerlich machen, er sei
-und bleibe gesund, er esse, schlafe und arbeite, er sei ja geradezu
-unheilbar gesund. Einmal sei ein gefällter Baum auf ihn gestürzt und
-habe ihm das Ohr abgerissen, er habe das Ohr aufgehoben und es mit
-der Mütze Tag und Nacht an seinem Platz festgehalten, und da sei es
-wieder angewachsen. Für innere Unpäßlichkeiten nehme er Süßholzsaft in
-kochender Milch und komme dadurch in Schweiß, Lakritze also, die er
-beim Kaufmann hole, ein erprobtes Mittel, das Theriak der Alten. Wenn
-er sich in die Hand haue, lasse er sein Wasser über die Wunde laufen
-und salze sie ein, dann sei es in wenigen Tagen geheilt. Der Doktor sei
-noch nie nach Sellanraa geholt worden.
-
-Nein, Isak war nicht krank. Eine Begegnung mit dem Teufel konnte
-schließlich der Gesündeste haben. Isak fühlte auch von dem gefährlichen
-Abenteuer keine Nachwehen, im Gegenteil, es war, als sei er dadurch
-gestärkt worden. Als sich der Winter seinem Ende zuneigte und der
-Frühling nicht mehr so ewig weit entfernt war, fühlte sich der Mann
-und das Oberhaupt allmählich als eine Art Held: Ich verstehe mich auf
-solche Dinge, wir müssen nur meinem Rat folgen, zur Not kann ich sogar
-bannen.
-
-Im ganzen genommen waren ja die Tage länger und heller, Ostern war
-vorüber, die gefällten Bäume waren heimgefahren, alles leuchtete, die
-Menschen atmeten nach dem überstandenen Winter auf.
-
-Inger war wieder die erste, die sich aufrichtete, sie war jetzt schon
-lange in guter Laune. Woher das kam? Hoho, es hatte seine guten Gründe,
-sie war wieder dick geworden, sollte wieder ein Kind bekommen. Alles
-ebnete sich in ihrem Leben, nichts versagte. Aber das war ja die größte
-Barmherzigkeit nach all dem, was sie verbrochen hatte, sie hatte Glück,
-das Glück verfolgte sie! Isak wurde wahrhaftig eines Tages aufmerksam
-und mußte sie fragen: Ich glaube wirklich, es wird wieder etwas, wie
-ist das möglich? -- Ja, gottlob, es wird gewiß etwas! antwortete sie.
--- Beide waren gleich überrascht. Natürlich war Inger nicht zu alt;
-Isak kam sie nicht zu alt vor, aber trotzdem, wieder ein Kind, ja, ja!
-Die kleine Leopoldine war ja schon mehrere Male im Jahr für längere
-Zeit in der Schule auf Breidablick, da hatten sie keine Kleinen mehr zu
-Hause, und außerdem war Leopoldine jetzt auch schon ein großes Mädchen.
-
-Einige Tage vergingen, aber am nächsten Samstag machte sich Isak
-energisch auf den Weg ins Dorf, und er wollte erst am Montagmorgen
-zurückkommen. Er wollte nicht sagen, was er im Sinne hatte, aber
-siehe da, er kam mit einer Magd zurück. Sie hieß Jensine. -- Du bist
-wohl nicht recht klug, sagte Inger, ich brauche sie nicht. -- Isak
-erwiderte, jawohl, jetzt brauche sie eine Magd.
-
-Und jedenfalls war das nun ein so hübscher und gutherziger Einfall von
-Isak, daß Inger ganz beschämt und gerührt war; das neue Mädchen war die
-Tochter des Schmieds; sie sollte vorerst den Sommer über dableiben,
-später werde man weitersehen.
-
-Und außerdem, sagte Isak, habe ich an Eleseus telegraphiert.
-
-Inger zuckte zusammen. Telegraphiert? Wollte Isak sie rein umbringen
-mit seiner Gutherzigkeit? Seht, es war ja seit langer Zeit ihr großer
-Schmerz, daß Eleseus in der Stadt war, in der ruchlosen Stadt! Sie
-hatte an ihn vom lieben Gott geschrieben und ihm außerdem auch erklärt,
-der Vater werde allmählich alt, der Hof aber immer größer, Klein-Sivert
-könne nicht alles leisten, und er solle ja auch den Oheim Sivert einmal
-beerben -- und sie hatte ihm für alle Fälle einmal auch das Reisegeld
-geschickt. Aber Eleseus war ein Stadtmensch geworden und sehnte sich
-nicht ins Bauernleben zurück, er erwiderte, was er denn daheim ungefähr
-tun solle? Ob er auf dem Hofe schaffen und all sein Wissen und seine
-Gelehrtheit wegwerfen solle? Und tatsächlich habe ich keine Lust dazu,
-schrieb er. Und wenn du mir wieder etwas Stoff zu Wäsche schicken
-kannst, dann brauche ich deshalb keine Schulden zu machen, schrieb er.
--- O ja, die Mutter schickte Stoff zu Wäsche, sandte merkwürdig oft
-Stoff zu Wäsche; aber als sie erweckt und fromm geworden war, da war es
-ihr wie Schuppen von den Augen gefallen, und sie begriff, daß Eleseus
-den Stoff unter der Hand verkaufte und das Geld zu anderem benutzte.
-
-Dasselbe begriff auch der Vater. Er sagte nie ein Wort darüber, denn
-er wußte, daß Eleseus der Augapfel der Mutter war, daß sie über ihn
-weinte und den Kopf schüttelte; trotzdem aber verschwand ein Stück
-doppelseitiges Tuch nach dem andern. Darüber war sich Isak ganz klar,
-daß kein Mensch auf der weiten Welt soviel Wäsche auftragen könnte.
-Wenn er also alles in allem betrachtete, so mußte Isak deshalb als Mann
-und Oberhaupt wieder eingreifen. So ein Telegramm durch den Kaufmann
-kostete allerdings unverhältnismäßig viel, aber teils würde das
-Telegramm sicher eine ungeheure Wirkung auf den Sohn ausüben, teils war
-es ja für Isak selbst etwas ganz Außergewöhnliches, wenn er bei seiner
-Rückkehr Inger von dem Telegramm mitteilen konnte. Als er heimwärts
-wanderte, trug er sogar noch den Koffer der Magd auf dem Rücken; und er
-fühlte sich ebenso stolz und so geheimnisvoll wie an jenem Tage, als
-er Inger den goldenen Ring mitgebracht hatte ...
-
-Es kam eine herrliche Zeit, Inger wußte gar nicht, was Nützliches und
-Gutes sie nun alles tun sollte. Wie in alten Tagen sagte sie oft zu
-ihrem Mann: Du kannst alles zustande bringen! Und ein anderes Mal: Du
-schaffst dich zu Tode! Und abermals: Nein, jetzt mußt du hereinkommen
-und essen, ich habe Waffeln für dich gebacken! Um ihm eine Freude zu
-machen, fragte sie: Ich möchte nur wissen, was du mit diesen Balken
-vorhast und was du eigentlich bauen willst? -- Nein, das weiß ich noch
-nicht recht, antwortete er und tat sehr wichtig.
-
-Es war jetzt wieder ganz wie in den alten Tagen. Und nachdem das Kind
-geboren war -- es war ein Mädchen, ein großes, wohlgestaltetes Mädchen
---, hätte Isak ein Stein oder ein Hund sein müssen, wenn er nicht Gott
-dankbar gewesen wäre. Aber was wollte er bauen? Das wäre etwas für
-Oline, darüber könnte sie klatschen: einen Anbau ans Haus, noch eine
-Stube. Seht, die Familie auf Sellanraa war nun sehr zahlreich geworden:
-sie hatten eine Magd, sie erwarteten Eleseus nach Hause, und ein
-funkelnagelneues kleines Mädchen war angekommen -- die alte Stube mußte
-nun Schlafkammer werden, anders ging es nicht.
-
-Und natürlich mußte Isak das Inger eines Tages erzählen; sie war ja
-so neugierig darauf, es zu erfahren, und obgleich Inger das ganze
-Geheimnis vielleicht schon von Sivert gehört hatte -- sie tuschelten
-ja oft miteinander --, so tat sie ordentlich überrascht, ließ die Arme
-sinken und sagte: Das ist doch wohl nicht dein Ernst? -- Aber zum
-Platzen voll von innerem Glück erwiderte er: Du kommst mit so vielen
-neuen Kindern daher, wie soll ich sie denn unterbringen?
-
-Die Mannsleute waren nun jeden Tag eifrig beim Steinausbrechen für die
-neue Grundmauer. Sie waren einander jetzt ungefähr gleich bei dieser
-Arbeit; der eine frisch und fest in seinem jungen Körper und rasch im
-Erfassen der günstigsten Lage, im Erkennen der passendsten Steine,
-der andere alternd und zäh, mit langen Armen und das Brecheisen mit
-ungeheurem Gewicht einsetzend. Und wenn sie einmal so ein richtiges
-Kraftstück ausgeführt hatten, schnauften sie gerne eine Weile aus und
-hielten einen scherzhaften und zurückhaltenden Schwatz miteinander.
-
-Brede will ja verkaufen, sagte der Vater. -- Ja, versetzte der Sohn.
--- Möchte wissen, wieviel er verlangt. -- Ja, wieviel wohl? -- Du hast
-nichts gehört? -- Nein, doch, zweihundert. -- Der Vater überlegte eine
-Weile, dann sagte er: Was meinst du, gibt das hier einen Eckstein?
--- Es kommt darauf an, ob wir ihn zuhauen können, antwortete Sivert
-und stand augenblicklich auf, reichte dem Vater den Setzhammer und
-nahm selbst den Vorhammer. Er wurde rot und heiß, richtete sich in
-seiner ganzen Größe auf und ließ den Vorhammer niedersausen, richtete
-sich wieder auf und ließ ihn abermals niederfallen -- zwanzig gleiche
-Schläge, zwanzig Donnerschläge! Er schonte weder das Werkzeug noch
-sich selbst, er leistete tüchtige Arbeit, das Hemd kroch ihm über die
-Hose heraus und entblößte ihm den Bauch, bei jedem Schlag richtete er
-sich auf die Zehenspitzen auf, um dem Hammer noch größere Wucht zu
-verleihen. Zwanzig Schläge!
-
-Nun wollen wir sehen! rief der Vater. -- Der Sohn hielt inne und
-fragte: Hat er einen Sprung bekommen? -- Alle beide legten sich nieder
-und untersuchten den Stein, untersuchten den Kerl, den Halunken, nein,
-er hatte keinen Sprung bekommen. -- Jetzt will ich es einmal mit dem
-Vorhammer allein probieren, sagte der Vater und richtete sich auf.
-Noch gröbere Arbeit, einzig und allein mit Kraft, der Vorhammer wurde
-heiß, der Stahl gab nach, die Feder, mit der Isak schrieb, wurde
-stumpf. Er geht vom Stiel ab, sagte er von dem Vorhammer und hörte auf
-zu schlagen. Ich kann auch nicht mehr, sagte Isak. Oh, das meinte er
-nicht, daß er nicht mehr könne!
-
-Dieser Vater, dieser Prahm, unansehnlich, voller Geduld und Güte, er
-gönnte es dem Sohn, den letzten Schlag zu tun und den Stein zu spalten.
--- Da lag er nun in zwei Teilen. Ja, du hast einen kleinen Kniff dabei,
-sagte der Vater. Hm. Aus Breidablick könnte man schon etwas machen. --
-Ja, das sollte ich meinen. -- Ja, wenn das Moor mit Gräben durchzogen
-und umgegraben würde. -- Das Haus müßte hergerichtet werden. -- Ja,
-selbstverständlich, das Haus müßte hergerichtet werden, oh, es würde
-viel zu arbeiten geben dort, aber ... Wie war es, hast du gehört,
-ob die Mutter am Sonntag in die Kirche will? -- Ja, sie hat davon
-gesprochen. -- So. Aber komm, nun müssen wir uns ordentlich umschauen,
-damit wir eine schöne Steinschwelle für den Anbau finden. Du hast wohl
-noch nichts Passendes dazu gesehen? -- Nein, antwortete Sivert.
-
-Dann arbeiteten sie weiter.
-
-Ein paar Tage später meinten beide, nun hätten sie genug Steine
-zu der Mauer. Es war an einem Freitagabend, sie setzten sich, um
-auszuschnaufen, und plauderten wieder eine Weile.
-
-Hm. Nun, was meinst du, sagte der Vater, wollen wir ein wenig an
-Breidablick denken? -- Warum? fragte Sivert. Was sollen wir damit? --
-Ja, das weiß ich nicht. Das Schulhaus ist auch dort, und Breidablick
-liegt mittendrin. -- Ja, und? fragte der Sohn. -- Ich wüßte gar nichts
-damit anzufangen, denn man kann es zu nichts verwenden. -- Hast du
-daran gedacht? fragte Sivert. -- Der Vater antwortete: Nein. Ich denke
-an Eleseus, ob er wohl darauf arbeiten möchte? -- Eleseus? -- Ja, aber
-ich weiß nicht. -- Lange Überlegung auf beiden Seiten. Dann sammelte
-der Vater das Handwerkszeug zusammen, lud es sich auf und wendete sich
-heimwärts. -- Ich meine, du solltest mit ihm darüber reden, sagte
-Sivert schließlich. Und der Vater schloß das Gespräch mit den Worten:
-Nun haben wir auch heute keinen schönen Stein zu der Türschwelle
-gefunden.
-
-Der nächste Tag war ein Samstag, und da mußten sie schon sehr früh
-aufbrechen, um mit dem Kinde rechtzeitig übers Gebirge zu kommen.
-Jensine, die Magd, sollte auch mit, da hatten sie die eine Patin, die
-andern Gevattern mußten jenseits des Gebirges unter Ingers Verwandten
-aufgetrieben werden.
-
-Inger war sehr hübsch, sie hatte sich ein besonders kleidsames
-Kattunkleid genäht und trug überdies weiße Streifen um den Hals und
-an den Handgelenken. Das Kind war ganz in Weiß, nur unten am Saum war
-ein neues blauseidenes Band durchgezogen; aber es war ja auch ein
-ganz besonderes Kind, es lächelte und plauderte schon und horchte
-auf, wenn die Stubenuhr schlug. Der Vater hatte den Namen ausgewählt.
-Ihm kam dies zu, er wollte hier eingreifen -- laßt uns nur meinem Rat
-folgen! Er hatte zwischen Jakobine und Rebekka, die beide etwas mit
-Isak zusammenhingen, geschwankt, schließlich war er zu Inger gegangen
-und hatte ängstlich gesagt: Hm. Was meinst du zu Rebekka? -- O ja,
-antwortete Inger. -- Als Isak dies hörte, wurde er ordentlich männlich
-und sagte barsch: Wenn sie etwas heißen soll, so soll sie Rebekka
-heißen. Dafür stehe ich ein!
-
-Und natürlich wollte er mit in der Kirche sein, der Ordnung halber
-und auch, um das Kind zu tragen, der kleinen Rebekka sollte ein gutes
-Taufgeleite nicht fehlen. Er stutzte sich den Bart, zog wie in jüngeren
-Jahren ein frisches rotes Hemd an; es war zwar in der größten Hitze,
-aber er hatte einen schönen neuen Winteranzug, den legte er an.
-Übrigens war Isak nicht der Mann, der sich Verschwendung und Flottheit
-zur Pflicht machte, deshalb zog er zu der Wanderung übers Gebirge ein
-Paar von seinen märchenhaften Siebenmeilenstiefeln an.
-
-Sivert und Leopoldine mußten bei den Haustieren daheim bleiben.
-
-Sie ruderten im Boot über den Gebirgssee, und das war eine große
-Erleichterung gegen früher, wo sie immer außen herum hatten wandern
-müssen. Aber mitten auf dem Wasser, als Inger der Kleinen die Brust
-geben wollte, sah Isak etwas Glänzendes an einem Faden um ihren Hals
-hängen. -- Was konnte das sein? In der Kirche bemerkte er, daß sie den
-goldenen Ring am Finger trug. Oh, diese Inger, sie hatte sich es nicht
-versagen können!
-
-
-
-
-17
-
-
-Eleseus kam nach Hause.
-
-Er war jetzt mehrere Jahre fort gewesen und war größer als der
-Vater geworden, mit langen weißen Händen und einem kleinen dunklen
-Schnurrbart. Er spielte sich nicht auf, sondern schien sich ein
-natürliches, freundliches Wesen zur Pflicht zu machen; die Mutter war
-verwundert und froh darüber. Er bekam mit Sivert zusammen die Kammer,
-die Brüder waren gut Freund miteinander und spielten einander manchen
-Schabernack, an dem sie sich höchlich ergötzten. Aber natürlich mußte
-Eleseus beim Zimmern des Anbaus helfen, und da wurde er bald müde und
-erschöpft, weil er körperlicher Arbeit ganz ungewohnt war. Ganz schlimm
-wurde es, als Sivert die Arbeit aufgeben und sie den beiden andern
-überlassen mußte -- ja, da war dem Vater eher geschadet als gedient.
-
-Und wohin ging Sivert? Ja, war nicht eines Tages Oline übers Gebirge
-dahergekommen mit der Botschaft von Oheim Sivert, daß er im Sterben
-liege! Mußte da nicht Klein-Sivert hingehen? Das war ein Zustand! --
-Niemals hätte das Verlangen des Oheims, Sivert jetzt bei sich zu haben,
-ungelegener kommen können; aber da war nichts zu machen.
-
-Oline sagte: Ich hatte gar keine Zeit, den Auftrag zu übernehmen, nein,
-ganz und gar nicht, aber ich habe nun einmal die Liebe zu allen den
-Kindern hier und für Klein-Sivert besonders, und so wollte ich ihm zu
-seinem Erbe verhelfen. -- Ist denn der Oheim Sivert sehr krank? --
-Ach du lieber Gott, er nimmt mit jedem Tag mehr ab! -- Liegt er zu
-Bett? -- Zu Bett! Herr des Himmels, ihr solltet nicht so freventlich
-herausreden. Sivert springt und läuft nicht mehr auf dieser Welt.
-
-Nach dieser Antwort mußten sie ja annehmen, daß es mit dem Oheim Sivert
-stark auf das Ende zugehe, und Inger trieb Klein-Sivert noch tüchtig
-zur Eile an; sofort sollte er gehen.
-
-Aber der Oheim Sivert, der Halunke, der Schelm, lag durchaus nicht im
-Sterben, er lag nicht einmal beständig zu Bett. Als Klein-Sivert ankam,
-fand er eine fürchterliche Unordnung und Vernachlässigung auf dem
-kleinen Hofe vor, ja, die Frühjahrsarbeit war nicht einmal ordentlich
-getan worden, nein, nicht einmal der Winterdung war hinausgefahren,
-aber der Tod schien nicht augenblicklich bevorzustehen. Der Oheim
-Sivert war allerdings ein alter Mann, über siebzig, er war hinfällig
-und trieb sich halb angezogen im Hause umher, lag auch oft zu Bett
-und mußte für verschiedenes notwendig Hilfe haben; zum Beispiel mußte
-das Heringsnetz, das im Bootsschuppen hing und da schlecht aufgehoben
-war, ausgebessert werden. O ja, aber der Oheim war durchaus nicht so
-am Ende, daß er nicht noch gepökelte Fische essen und sein Pfeifchen
-rauchen konnte.
-
-Nachdem Sivert eine halbe Stunde dagewesen war und gesehen hatte, wie
-alles zusammenhing, wollte er gleich wieder heim. -- Heim? fragte der
-Alte. -- Ja, wir bauen eine Stube, und dem Vater fehlt meine Hilfe.
--- So, sagte der Alte, ist denn nicht Eleseus daheim? -- Doch, aber
-der ist diese Arbeit nicht gewohnt. -- Warum bist du dann gekommen? --
-Sivert erklärte, welche Botschaft Oline gebracht habe. -- Im Sterben?
-fragte der Alte. Meinte sie, ich liege im Sterben? Zum Teufel auch!
--- Hahaha! lachte Sivert. -- Der Alte sah den Neffen gekränkt an und
-sagte: Du machst dich über einen Sterbenden lustig, und du bist nach
-mir getauft worden! -- Sivert war zu jung, um eine betrübte Miene
-aufzusetzen, er hatte sich nie etwas aus dem Oheim gemacht, und jetzt
-wollte er wieder heim.
-
-Na, und du hast also auch gemeint, ich liege im Sterben und bist da
-gleich hergerannt, sagte der Alte. -- Oline hat es gesagt, beharrte
-Sivert. -- Nach kurzem Schweigen machte der Oheim ein Angebot: Wenn
-du mein Netz im Bootsschuppen flickst, darfst du etwas bei mir sehen.
--- So, sagte Sivert, und was ist es? -- Ach, das geht dich nichts an,
-versetzte der Alte mürrisch und legte sich wieder zu Bett.
-
-Die Verhandlungen brauchten offenbar Zeit. Sivert wußte nicht recht,
-was tun. Er ging hinaus und sah sich um, alles war unordentlich und
-vernachlässigt, die Arbeit hier in Angriff nehmen zu sollen, wäre ein
-Unding gewesen. Als er wieder hereinkam, war der Oheim auf und saß am
-Ofen.
-
-Siehst du dies? fragte er und deutete auf einen eichenen Schrein, der
-zwischen seinen Füßen auf dem Boden stand. Das war der Geldschrein.
-In Wirklichkeit war es einer von jenen Flaschenkasten, mit vielen
-Abteilungen, den Beamte und andere vornehme Leute in alten Tagen auf
-ihren Reisen mit sich geführt hatten; es waren jetzt keine Flaschen
-mehr drin, der alte Bezirkskassierer bewahrte Rechnungen und Gelder
-darin auf. Oh, diese Flaschenkiste, die Sage ging, daß sie den Reichtum
-der ganzen Welt berge, die Leute im Dorfe pflegten zu sagen: Wenn ich
-nur das Geld hätte, das der Sivert in seinem Schrein hat!
-
-Der Oheim Sivert entnahm dem Schrein ein Papier und sagte feierlich:
-Du kannst doch wohl Geschriebenes lesen? Lies dies Dokument! --
-Klein-Sivert war durchaus nicht überlegen im Lesen von Schriftstücken,
-nein, das war er nicht, aber jetzt las er, daß er zum Erben der ganzen
-Hinterlassenschaft des Oheims eingesetzt sei. -- Und nun kannst du tun,
-was du willst, sagte der Alte und legte das Dokument wieder in den
-Schrein.
-
-Sivert fühlte sich nicht besonders gerührt, das Dokument berichtete
-ihm eigentlich nicht mehr, als was er vorher gewußt hatte, schon von
-Kind auf hatte er ja nichts anderes gehört, als daß er den Oheim einmal
-beerben werde. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn er in dem Schrein
-Kostbarkeiten hätte zu sehen bekommen. -- Es ist wohl viel Merkwürdiges
-in dem Schrein, sagte er. -- Mehr als du denkst, versetzte der Oheim
-kurz.
-
-Er war so enttäuscht und ärgerlich über den Neffen, daß er den
-Schrein zuschloß und wieder zu Bett ging. Da lag er dann und gab
-verschiedene Mitteilungen kund: Dreißig Jahre lang bin ich hier im
-Dorf Bevollmächtigter und Herr der Gelder gewesen, ich habe es nicht
-nötig, jemand um eine Handreichung anzuflehen. Woher wußte denn Oline,
-daß ich am Sterben sei? Kann ich nicht, wenn ich will, drei Mann zum
-Doktor fahren lassen? Ihr sollt nicht euren Spott mit mir treiben. Und
-du, Sivert, kannst nicht warten, bis ich meinen Geist ausgehaucht habe.
-Ich will dir nur eins sagen: Jetzt hast du das Dokument gelesen, und es
-liegt in meinem Geldschrein; mehr sag ich nicht. Aber wenn du von mir
-fortgehst, dann richte deinem Bruder Eleseus aus, daß er hierherkommen
-soll. Er heißt nicht nach mir und trägt nicht meinen irdischen Namen --
-aber er soll nur kommen!
-
-Trotz der Drohung, die in diesen Worten lag, überlegte Sivert sich die
-Sache und sagte dann: Ich werde Eleseus deinen Auftrag ausrichten.
-
-Oline war noch auf Sellanraa, als Sivert zurückkam. Sie hatte Zeit
-gehabt, einen Gang durch die Gegend zu machen, ja sogar bis zu Axel
-Ström und Barbros Ansiedlung, dann kam sie wieder zurück und tat
-äußerst wichtig und geheimnisvoll. Die Barbro ist dicker geworden,
-sagte sie flüsternd, das wird doch nichts zu bedeuten haben? Aber sagt
-es niemand! Was, da bist du ja wieder, Sivert, da brauche ich ja wohl
-nicht erst zu fragen, ob dein Oheim entschlafen ist? Ja, ja, er war ein
-alter Mann und ein Greis am Rande des Grabes. Was -- er ist also nicht
-tot? Gott sei Lob und Dank! Was, ich hätte nur ein leeres Geschwätz
-verführt, sagst du? Wenn ich nur bei allem so frei von Schuld wäre!
-Konnte ich denn wissen, daß dein Oheim Gott ins Angesicht log? Er nimmt
-ab, das waren meine Worte, und diese werde ich einmal vor Gottes Thron
-wiederholen. Was sagst du, Sivert? Ja, aber lag nicht dein Oheim zu
-Bett und rauchte und faltete beide Hände auf der Brust und sagte, nun
-liege er da und kämpfe es aus?
-
-Mit Oline konnte man sich unmöglich in einen Streit einlassen, sie
-überwältigte ihren Gegner mit ihrem Geschwätz und machte ihn mundtot.
-Als sie hörte, daß der Oheim Sivert Eleseus zu sich rief, ergriff sie
-auch diesen Umstand sofort und verwendete ihn zu ihrem Vorteil. Da
-könnt ihr hören, ob ich ein leeres Geschwätz im Munde geführt habe. Der
-alte Sivert ruft seine Verwandten herbei und schmachtet nach seinem
-Fleisch und Blut, es ist am letzten bei ihm. Du mußt ihm das nicht
-abschlagen, Eleseus, geh nur gleich, damit du deinen Oheim noch am
-Leben triffst. Ich muß auch übers Gebirge, da können wir zusammen gehen.
-
-Oline verließ indes Sellanraa nicht, bis sie Inger auf die Seite
-gezogen und ihr noch über Barbro zugeflüstert hatte: Sag es niemand,
-aber sie hat die Anzeichen! Und nun meint sie wohl, sie werde die Frau
-auf der Ansiedlung. Manche Leute kommen obenauf, ob sie auch von Anfang
-an so klein sind wie Sandkörner am Meeresstrand. Wer hätte nun das
-von Barbro geglaubt! Axel ist sicher ein fleißiger Mann, und so große
-Güter und Höfe wie hier im Ödland gibt es nicht auf unserer Seite des
-Gebirges, das weißt du auch, Inger, du stammst ja aus unserer Gemeinde
-und bist dort geboren. Barbro hatte ein paar Pfund Wolle in einer
-Kiste, es war lauter Winterwolle, ich habe keine davon verlangt, und
-sie hat mir auch keine davon angeboten; wir sagten nur Grüßgott und
-Gutentag, obgleich ich sie von Kindesbeinen an gekannt habe, damals,
-als ich hier auf Sellanraa war, und du, Inger, fort in der Lehre --
-
-Jetzt weint die kleine Rebekka, warf Inger rasch ein, und dann steckte
-sie Oline noch eine Handvoll Wolle zu.
-
-Große Dankesbezeugung von Oline: Ja, ist es nicht, wie ich eben zu der
-Barbro gesagt habe, so freigebig wie die Inger gibt es niemand mehr,
-sie schenkt sich wahrhaftig lahm und wund und murrt nie darüber. Ja,
-geh nur hinein zu dem kleinen Engel, noch nie hat ein Kind seiner
-Mutter so ähnlich gesehen wie die kleine Rebekka dir. Ob sich Inger
-erinnern könne, was sie einmal gesagt habe, daß sie keine Kinder mehr
-bekomme? Da könne sie nun sehen! Nein, man solle auf die Alten hören,
-die selbst Kinder gehabt hätten, denn Gottes Wege sind unerforschlich,
-sagte Oline.
-
-Dann trabte sie hinter Eleseus durch den Wald aufwärts, vor Alter
-gebückt, fahl und grau und neugierig, immer dieselbe. Nun würde
-sie zum alten Sivert gehen und zu ihm sagen, sie -- Oline -- sei es
-gewesen, die Eleseus bestimmt habe, zu ihm zu kommen.
-
-Aber Eleseus hatte sich durchaus nicht nötigen lassen, es war nicht
-schwer gewesen, ihn zu überreden. Seht, im Grunde genommen war er
-besser, als es den Anschein hatte, er war wirklich auf seine Art
-ein guter Bursche, gutmütig und freundlich von Natur, nur ohne
-große körperliche Kräfte. Daß er aus der Stadt nur ungern aufs Land
-zurückkehrte, hatte seinen guten Grund, er wußte ja wohl, daß die
-Mutter wegen Kindsmord in der Strafanstalt gewesen war, in der Stadt
-hörte er nichts davon, aber da auf dem Lande wußten es wohl alle. War
-er nun nicht mehrere Jahre lang mit Kameraden zusammen gewesen, die ihm
-ein feineres Empfinden beigebracht hatten, als er früher gehabt hatte?
-War nicht eine Gabel ebenso notwendig wie ein Messer? Hatte er nicht
-alle Tage da drinnen nach Kronen und Öre gerechnet, und hier rechnete
-man immer noch nach dem alten Talerfuß. O ja, er wanderte sehr gern
-übers Gebirge in eine andere Gegend, daheim auf dem väterlichen Hofe
-mußte er ja jeden Augenblick seine Überlegenheit im Zaume halten. Er
-gab sich Mühe, sich den andern anzupassen, und es gelang ihm auch,
-aber er mußte auf der Hut sein, zum Beispiel, als er vor ein paar
-Wochen nach Sellanraa heimgekommen war. Er hatte ja einen hellgrauen
-Frühjahrsüberzieher mitgenommen, obgleich man mitten im Sommer war;
-als er ihn an einem Nagel in der Wohnstube aufhängte, hätte er gut
-das silberne Schild mit seinen Buchstaben darauf nach außen drehen
-können, aber er hatte es nicht getan. Ebenso war es mit dem Stock, dem
-Spazierstock! Es war allerdings nur ein Regenschirmstock, von dem er
-den Stoff und die Stahlschienen abgemacht hatte, aber auf Sellanraa
-hatte er ihn nicht getragen und lustig geschwungen, weit entfernt, er
-hatte ihn verborgen am Schenkel angelegt getragen.
-
-Nein, es war nicht verwunderlich, daß Eleseus übers Gebirge ging. Er
-taugte nicht zum Hausbauen, er taugte dazu, Buchstaben zu schreiben,
-das konnte nicht der erste beste, aber in seiner Heimat war niemand,
-der seine Gelehrsamkeit und seine Kunst zu schätzen wußte, ausgenommen
-vielleicht die Mutter. So wanderte er fröhlichen Herzens vor Oline her
-den Wald hinauf, er wollte weiter oben auf sie warten, er lief wie ein
-Kalb, hetzte ordentlich vorwärts. Eleseus hatte sich gewissermaßen vom
-Hofe weggestohlen, er hatte Angst, gesehen zu werden, jawohl, denn
-er hatte den Frühjahrsüberzieher und den Spazierstock mitgenommen.
-Jenseits des Gebirges konnte er ja hoffen, bessere Leute zu treffen
-und auch selbst gesehen zu werden, vielleicht sogar in die Kirche zu
-kommen. Deshalb plagte er sich in der Sonnenhitze mit dem überflüssigen
-Überrock.
-
-Und er hinterließ keine Lücke, wurde nicht vermißt beim Hausbau, im
-Gegenteil, nun bekam ja der Vater den Sivert wieder, der Sivert war von
-viel größerem Nutzen und hielt vom Morgen bis Abend aus. Sie brauchten
-auch nicht viel Zeit zum Aufrichten des Gebäudes, es war nur ein Anbau,
-drei Wände; sie brauchten auch die Stämme nicht zuzuhauen, das wurde
-im Sägewerk gemacht. Die Schwartenbretter kamen ihnen dann gleich
-beim Dachbau zugute. Eines schönen Tages stand wirklich die Stube vor
-ihren Augen fertig da, gedeckt, mit gelegtem Boden und eingesetzten
-Fenstern. Weiter konnten sie vor der Ernte nicht mehr damit kommen. Das
-Verschalen und Anstreichen mußte auf später warten.
-
-Da kam plötzlich Geißler mit großer Gefolgschaft übers Gebirge daher!
-Und das Gefolge war zu Pferde, auf glänzenden Pferden mit gelben
-Sätteln; es waren wohl reiche Reisende, sie waren sehr schwer und dick,
-die Pferde bogen sich unter ihnen durch. Mitten unter diesen großen
-Herren ging Geißler zu Fuß. Es waren im ganzen vier Herren und Geißler,
-dazu noch zwei Diener, von denen jeder ein Lastpferd führte.
-
-Auf dem Hofplatz stiegen die Reiter ab, und Geißler sagte: Da haben wir
-Isak, den Markgrafen selbst. Guten Tag, Isak! Du siehst, da komme ich
-wieder, wie ich gesagt habe.
-
-Geißler war noch ganz der alte; obgleich er zu Fuß kam, schien er sich
-keineswegs geringer zu fühlen als die andern, ja, sein abgetragener
-Rock hing ihm lang und leer über seinen eingefallenen Rücken hinunter,
-aber sein Gesicht zeigte einen überlegenen und hochmütigen Ausdruck. Er
-sagte: Diese Herren und ich haben die Absicht, ein Stück weit den Berg
-hinaufzuwandern; sie sind zu dick und möchten ein wenig Speck loswerden.
-
-Die Herren waren übrigens freundlich und gutmütig; sie lächelten zu
-Geißlers Worten und entschuldigten sich, daß sie wie im Krieg über den
-Hof hereinbrächen. Sie hätten Mundvorrat bei sich, würden ihn also
-nicht arm fressen, wären aber dankbar, wenn sie für die Nacht ein Dach
-über den Kopf bekommen könnten. Vielleicht dürften sie in dem neuen
-Gebäude da übernachten.
-
-Als sie eine Weile ausgeruht hatten und Geißler bei Inger und den
-Kindern drin gewesen war, gingen alle die Gäste auf den Berg und
-blieben bis zum späten Abend weg. Am Nachmittag hatten die Leute auf
-dem Hofe ab und zu ganz unerklärliche Laute, Schüsse, gehört, und bei
-der Rückkehr brachten die Herren neue Gesteinsproben in Säcken mit.
-Schwarzkupfer, sagten sie und nickten über den Steinen. Es entspann
-sich eine lange, gelehrte Unterredung, und sie guckten dabei in eine
-Karte, die sie in groben Strichen gezeichnet hatten. Unter den Herren
-waren ein Sachverständiger und ein Ingenieur, einer wurde Landrat
-genannt, einer Hüttenbesitzer. Luftbahn, sagten sie, Seilbahn, sagten
-sie. Geißler warf ab und zu ein Wort ein, und das schien die Herren
-jedesmal richtig aufzuklären; es wurde großes Gewicht auf seine Worte
-gelegt.
-
-Wem gehört das Land südlich vom See? fragte der Landrat Isak. -- Dem
-Staat, antwortete Geißler flugs. Er war wachsam und klug, in der
-Hand hielt er das Dokument, das Isak einst mit seinem Namenszeichen
-unterschrieben hatte. -- Ich habe ja schon gesagt, daß es dem Staat
-gehört, warum fragst du noch einmal danach? sagte er. Wenn du mich
-kontrollieren willst, bitte!
-
-Später am Abend nahm Geißler Isak allein mit sich hinein und sagte:
-Wollen wir den Kupferberg verkaufen? -- Isak antwortete: Aber der Herr
-Lensmann hat mir ja den Berg schon einmal abgekauft und bezahlt. --
-Richtig, sagte Geißler, ich habe den Berg gekauft. Aber du sollst doch
-auch Prozente vom weiteren Verkauf oder vom Betrieb haben; willst du
-diese Prozente verkaufen? -- Das verstand Isak nicht, und Geißler mußte
-es ihm erklären. Isak könne keine Grube in Betrieb setzen, er sei ein
-Landmann, er mache Land urbar; er, Geißler, könne aber auch keine Grube
-betreiben. Aber Geld, Kapital? Oh, soviel er wolle! Aber er habe keine
-Zeit, er habe gar so vielerlei vor, sei ständig auf Reisen, müsse für
-seine Güter im Norden und im Süden sorgen. Nun wolle er -- Geißler --
-an diese schwedischen Herren verkaufen, sie seien alle Verwandte seiner
-Frau und reiche Leute, Fachleute, sie könnten die Grube eröffnen und in
-Betrieb nehmen. Ob Isak es nun verstehe? -- Ich will, wie Sie wollen,
-sagte Isak.
-
-Merkwürdig -- dieses große Zutrauen tat dem armen Geißler wohl: Ja, ich
-weiß nun nicht, ob du gut dabei fährst, sagte er und überlegte. Doch
-plötzlich wurde er sicher und fuhr fort: Aber wenn du mir freie Hand
-gibst, werde ich jedenfalls besser für dich handeln, als du es selbst
-tun könntest. -- Isak fing an: Hm. Ihr seid von der ersten Stunde an
-hier ein guter Herr für uns gewesen ... Geißler runzelte die Stirn und
-unterbrach ihn: Also, es ist gut!
-
-Am nächsten Morgen setzten sich die Herren hin, um zu schreiben.
-Sehr ernsthafte Sachen schrieben sie; zuerst einen Kaufkontrakt
-auf vierzigtausend Kronen für den Kupferberg, dann ein Dokument,
-worin Geißler zugunsten seiner Frau und seiner Kinder auf jeden
-Heller von diesen vierzigtausend verzichtete. Isak und Sivert wurden
-hereingerufen, um diese Papiere als Zeugen zu unterschreiben. Als dies
-getan war, wollten die Herren Isak seine Prozente für eine Bagatelle
-abkaufen, für fünfhundert Kronen. Aber Geißler unterbrach sie mit den
-Worten: Scherz beiseite!
-
-Isak verstand nicht viel vom Ganzen, er hatte einmal verkauft und
-seine Bezahlung dafür erhalten, und im übrigen, Kronen -- das war gar
-nichts, es waren keine Taler. Sivert dagegen dachte sich mehr dabei,
-der Ton der Verhandlungen war ihm auffallend: das war gewiß eine
-Familiensache, die hier beigelegt und abgemacht wurde. So sagte einer
-der Herren: Lieber Geißler, du brauchtest wirklich nicht so rote Ränder
-um die Augen zu haben! Worauf Geißler scharfsinnig aber ausweichend
-antwortete: Nein, das brauche ich wirklich nicht. Aber es geht eben
-nicht nach Verdienst in dieser Welt.
-
-War es so, daß Frau Geißlers Brüder und Verwandte ihren Mann abfinden,
-sich vielleicht mit einem Schlag von seinen Besuchen befreien und
-die widerwärtige Verwandtschaft loswerden wollten? Nun war ja der
-Kupferberg wahrscheinlich nicht wertlos, das wurde von keinem
-behauptet, aber er war sehr abgelegen, die Herren sagten geradezu,
-sie kauften ihn jetzt, um ihn weiterzuverhandeln an Leute, die viel
-leichter eine Grube in Betrieb setzen und ausbauen könnten als sie.
-Darin lag nichts Unnatürliches. Sie sagten auch offen, sie wüßten
-nicht, wieviel der Berg eintragen könnte. Wenn eine Grube eröffnet
-würde, seien vielleicht vierzigtausend Kronen keine Bezahlung;
-wenn aber der Berg so liegen bleibe, wie er jetzt sei, dann sei es
-hinausgeworfenes Geld. Aber jedenfalls wollten sie reinen Tisch machen,
-und deshalb böten sie Isak fünfhundert Kronen für seinen Anteil.
-
-Ich bin Isaks Bevollmächtigter, sagte Geißler, und ich verkaufe sein
-Recht nicht unter zehn Prozent der Kaufsumme.
-
-Viertausend! sagten die Herren.
-
-Viertausend! beharrte Geißler. Der Berg ist Isaks Eigentum gewesen,
-er erhält viertausend. Mir hat er nicht gehört, ich bekomme
-vierzigtausend. Wollen sich die Herren wohl die Mühe nehmen und das
-bedenken.
-
-Ja, aber viertausend!
-
-Geißler stand auf und sagte: Jawohl oder gar kein Verkauf.
-
-Sie überlegten, tuschelten miteinander und gingen auf den Hofplatz
-hinaus, zogen die Sache in die Länge. Richtet die Pferde! riefen sie
-dann den Dienern zu. Einer der Herren ging zu Inger hinein, bezahlte
-fürstlich für den Kaffee, einige Eier und das Nachtquartier. Geißler
-ging anscheinend gleichgültig umher, aber er war noch ebenso wachsam:
-Wie ist es mit der Wasserleitung im vorigen Jahr gegangen? fragte er
-Sivert. -- Sie hat uns die ganze Ernte gerettet. -- Ich sehe, ihr habt
-den Sumpf dort umgerodet, seit ich das letztemal hier war. -- Ja. --
-Ihr müßt euch noch ein Pferd anschaffen, sagte Geißler. Er sah alles.
-
-Komm jetzt her, damit wir fertig werden! rief der Hüttenbesitzer.
-
-Darauf gingen alle miteinander in den Neubau, und Isaks viertausend
-wurden aufgezählt. Geißler bekam eine Urkunde; er steckte sie
-nachlässig in die Tasche, als hätte sie gar keinen Wert. Heb sie wohl
-auf, sagten die andern zu ihm, und deiner Frau wird das Bankbuch in
-einigen Tagen zugestellt werden, sagten sie. -- Geißler runzelte die
-Stirne und erwiderte: Es ist gut!
-
-Aber sie waren noch nicht fertig mit Geißler. Nicht als ob er den Mund
-aufgetan hätte, um etwas für sich zu verlangen, aber da stand er nun,
-und sie sahen, wie er dastand; vielleicht hatte er sich auch selbst
-einen kleinen Teil des Geldes ausbedungen. Als der Hüttenbesitzer ihm
-ein Banknotenbündel reichte, nickte Geißler nur und sagte wieder, es
-sei gut. Und nun trinken wir noch ein Glas mit Geißler, sagte der
-Hüttenbesitzer.
-
-Sie tranken, dann waren sie fertig und verabschiedeten sich von Geißler.
-
-In diesem Augenblick kam Brede Olsen einher. Was wollte der nun? Brede
-hatte natürlich die dröhnenden Schüsse am gestrigen Tage gehört und
-verstanden, daß droben im Gebirge etwas vor sich ging. Jetzt kam er
-und wollte auch Gebirgsstrecken verkaufen. Er ging an Geißler vorbei,
-wendete sich an die Herren und sagte: er habe einige merkwürdige
-Gesteinsarten entdeckt, ganz wunderbare, die einen seien rot wie Blut,
-andere hell wie Silber; er kenne jeden Winkel da droben und könne rasch
-mit den Herren hinaufgehen, er wisse mehrere lange Metalladern -- was
-das wohl für eine Art Metall sein könne? -- Hast du Proben bei dir?
-fragte der Bergbaukundige. -- Ja. Aber ob sie nicht ebensogut auf den
-Berg hinaufgehen könnten? Es sei nicht weit, Proben, jawohl! Viele
-Säcke voll, viele Kisten voll, er habe sie zwar nicht bei sich, aber
-daheim in seinem Hause; er könne rasch hinlaufen und sie holen. Aber
-er könne in kürzerer Zeit von den Bergen droben holen, wenn die Herren
-warten wollten. Die Herren jedoch schüttelten den Kopf und ritten
-davon.
-
-Brede sah ihnen gekränkt nach. Wenn die Hoffnung einen Augenblick in
-ihm aufgetaucht war, dann erlosch sie jetzt wieder; er arbeitete unter
-der Ungunst des Schicksals, nichts wollte ihm glücken. Nur gut, daß er
-einen leichten Sinn hatte, um das Leben trotzdem ertragen zu können.
-Er sah den Reitern nach und sagte schließlich: Na, viel Glück auf die
-Reise!
-
-Aber jetzt zeigte er sich wieder unterwürfig gegen Geißler, seinen
-früheren Lensmann, er duzte ihn nicht mehr, sondern verbeugte sich und
-sagte Ihr. Geißler hatte unter irgendeinem Vorwand seine Brieftasche
-herausgezogen und ließ sehen, wie sie von Banknoten strotzte. -- Könnt
-Ihr mir nicht helfen, Lensmann! sagte Brede. -- Geh heim und grabe
-dein Moor um! sagte Geißler und half ihm nicht im geringsten. -- Ich
-hätte gut eine ganze Traglast voll Steine mitbringen können, aber wäre
-es denn nicht viel besser gewesen, die Herren hätten die Berge selbst
-angesehen, da sie nun doch einmal hier waren? -- Geißler tat, als
-höre er nicht, was Brede sagte, sondern fragte Isak: Weißt du nicht,
-was ich mit dem Dokument gemacht habe? Es war äußerst wichtig, viele
-tausend Kronen wert. Ach, da ist es, mitten zwischen den Banknoten. --
-Was waren denn das für Leute, haben sie nur einen Ausflug zu Pferde
-gemacht? fragte Brede.
-
-Geißler war wohl vorher in großer Spannung gewesen, jetzt fiel er
-merklich ab. Aber er hatte doch noch Lust und Leben genug, um noch
-allerlei auszurichten. Sivert sollte mit ihm hinauf auf den Berg,
-Geißler hatte ein großes Papier bei sich, da zeichnete er die Grenze
-auf der Südseite des Wassers deutlich darauf ein. -- Was er wohl für
-einen Gedanken dabei hatte! Als er ein paar Stunden später wieder auf
-den Hof zurückkam, war Brede noch da, aber Geißler beantwortete keine
-einzige von seinen Fragen, sondern war müde und winkte ihm nur mit der
-Hand ab.
-
-Er schlief ununterbrochen bis zum nächsten Morgen, da stand er mit der
-Sonne auf und war wieder ganz frisch. Sellanraa! sagte er, als er auf
-dem Hofplatz stand und weit umherschaute.
-
-All das Geld, das ich bekommen habe, soll denn das mir gehören? fragte
-Isak.
-
-Was du sagst! erwiderte Geißler. Verstehst du denn nicht, daß du mehr
-hättest haben sollen? Und eigentlich hättest du sie nach unserem
-Kontrakt von mir haben sollen, aber wie du gesehen hast, ließ sich das
-nicht machen. Wieviel hast du bekommen? Nach alter Rechnung nur tausend
-Taler. Ich denke eben darüber nach, daß du noch ein Pferd für den Hof
-haben mußt. -- Ja. -- Ich weiß dir ein Pferd. Der jetzige Gerichtsbote
-bei Lensmann Heyerdahl läßt seinen Hof verfallen, das Herumreisen und
-die Leute auspfänden ist ihm unterhaltender. Er hat schon einen Teil
-seines Viehstandes verkauft, jetzt will er auch seinen Gaul los sein.
--- Ich werde mit ihm reden, sagte Isak.
-
-Geißler deutete mit der Hand weit herum und sagte: Alles gehört dem
-Markgrafen! Du hast Haus und Vieh und wohlbestellte Felder, niemand
-kann dich aushungern.
-
-Nein, antwortete Isak, wir haben alles, was Gott geschaffen hat.
-
-Geißler lief noch eine Weile auf dem Hof umher, dann ging er plötzlich
-zu Inger hinein. Kannst du wohl auch heute etwas Mundvorrat entbehren?
-fragte er. Wieder ein paar Waffeln, aber ohne Butter und Käse darauf;
-sie sind allein schon nahrhaft und fett genug. Nein, tu, wie ich sage,
-ich will nicht noch mehr tragen.
-
-Geißler ging wieder hinaus. Er hatte wohl allerlei Gedanken im Kopf. Im
-Neubau setzte er sich an den Tisch und begann zu schreiben. Er hatte
-sich die Sache schon vorher ausgedacht, deshalb brauchte er nicht viel
-Zeit dazu. Es sei eine Eingabe an den Staat, sagte er überlegen zu
-Isak. An das Ministerium des Innern, sagte er. Ich habe für so vieles
-zu sorgen!
-
-Als er seinen Mundvorrat bekommen hatte und sich verabschiedete, war
-es, als falle ihm plötzlich noch etwas ein. Ja, richtig, als ich das
-letztemal fortging, vergaß ich gewiß -- ich hatte einen Schein aus
-meiner Brieftasche genommen, hatte ihn dann aber in meine Westentasche
-gesteckt. Da habe ich ihn nachher gefunden. Ich habe so vielerlei
-Geschäfte. Damit steckte er Inger etwas in die Hand und ging.
-
-Ja, dann ging Geißler, und er schien ganz getrosten Mutes zu sein.
-Er war durchaus nicht herunter und starb auch noch lange nicht, kam
-auch wieder nach Sellanraa, und erst viele Jahre später starb er.
-Die Hofleute vermißten ihn aber sehr, als er nun gegangen war; Isak
-hatte ihn wegen Breidablick um Rat fragen wollen, war aber nicht dazu
-gekommen. Geißler hätte ihm wohl auch abgeraten, den Hof zu kaufen --
-für einen Kontoristen wie Eleseus Ödland zu kaufen!
-
-
-
-
-18
-
-
-Oheim Sivert war doch am Sterben. Eleseus war ungefähr drei Wochen
-bei dem Alten gewesen, da war er tot. Eleseus bestellte das Begräbnis
-und war recht tüchtig in dieser Richtung, er holte da und dort in den
-Häusern einige Fuchsiastöcke, entlehnte eine Flagge und hing sie auf
-Halbmast, kaufte schwarzen Flor beim Kaufmann zu heruntergelassenen
-Vorhängen. Isak und Inger wurden benachrichtigt und kamen zum
-Begräbnis. Eleseus war der eigentliche Wirt und verstand sich sehr
-wohl auf die Aufwartung für die Eingeladenen, ja, nachdem am Sarg
-noch gesungen worden war, sprach Eleseus sogar einige passende Worte,
-worüber seine Mutter vor lauter Stolz und Rührung ihr Taschentuch
-gebrauchen mußte. Alles ging ausgezeichnet.
-
-Auf dem Heimweg in seines Vaters Gesellschaft mußte Eleseus seinen
-Überzieher offen tragen, den Spazierstock aber verbarg er in seinem
-Ärmel. Es ging alles gut, bis sie im Boot übers Wasser fuhren; da stieß
-Isak aus Versehen an den Rock, und ein Krach ließ sich hören. -- Was
-war das? fragte Isak. -- O nichts, antwortete Eleseus.
-
-Aber der zerbrochene Stock wurde nicht weggeworfen; als sie heimkamen,
-suchte Eleseus nach einem passenden Ring um die Bruchstelle. -- Können
-wir ihn nicht speideln? fragte Sivert, der große Spaßvogel. Sieh
-hier, wenn wir auf beiden Seiten einen guten Holzspan legen und mit
-Pechdraht umwickeln ...? -- Ja, ich werde dich mit Pechdraht umwickeln!
-erwiderte Eleseus. -- Hahaha! Ach so, du willst wohl lieber ein rotes
-Strumpfband herumwickeln? -- Hahaha! lachte auch Eleseus, aber dann
-ging er zu seiner Mutter hinein, und bei ihr bekam er einen alten
-Fingerhut, von dem er den oberen Teil abfeilte, wodurch er dann einen
-sehr schönen Ring für den Spazierstock bekam. Oh, Eleseus war gar nicht
-so ungeschickt mit seinen langen Fingern.
-
-Die Brüder trieben immer noch ihren Spaß miteinander. Bekomme ich
-das, was der Oheim Sivert hinterlassen hat? fragte Eleseus. -- Ob du
-es bekommst? Wieviel ist es? versetzte Sivert. -- Hahaha! Du willst
-zuerst wissen, wieviel es ist, du Geizhals! -- Ja, du kannst es gern
-haben, sagte Sivert. -- Es wird zwischen fünf- und zehntausend sein. --
-Talern? rief Sivert; er konnte die Frage nicht zurückhalten. -- Eleseus
-rechnete ja nicht nach Talern, aber jetzt paßte es ihm, er nickte und
-ließ Sivert bis zum nächsten Tag in diesem Glauben.
-
-Dann kam Eleseus wieder auf die Sache zurück. Reut dich wohl dein
-Geschenk von gestern? fragte er. -- Du Dummkopf, versetzte Sivert;
-allerdings, aber fünftausend Taler waren nun einmal fünftausend Taler
-und keine Kleinigkeit; wenn der Bruder nicht ein Geizhals oder ein
-schlechter Kerl war, dann teilte er mit ihm. -- Nun will ich dir etwas
-sagen, erklärte endlich Eleseus, ich glaube nicht, daß ich von der
-Erbschaft fett werde. -- Sivert sah ihn überrascht an: So, nicht? --
-Nein, nicht besonders und nicht ~par excellence~ fett.
-
-Eleseus hatte ja gelernt, sich in Rechnungen auszukennen; der Schrein
-des Oheims, der berühmte Flaschenkasten, war vor ihm geöffnet worden,
-und er hatte alle Papiere und Summen durchgehen und Kassensturz
-halten müssen. Oheim Sivert hatte seinen Neffen nicht zu Landarbeit
-oder zum Flicken des Fischnetzes verwendet, sondern ihn in eine
-fürchterliche Unordnung von Zahlen und Rechnungen hineinversetzt. Wenn
-ein Steuerzahler vor zehn Jahren mit einer Ziege oder einer Kiste
-getrocknetem Kohlfisch bezahlt hatte, dann stand weder die Ziege noch
-der Kohlfisch da, sondern der alte Sivert holte den Mann aus seinem
-Gedächtnis hervor und sagte: Er hat bezahlt. -- Nun, dann streichen wir
-diesen Posten, sagte Eleseus.
-
-Hier war Eleseus der rechte Mann, er war freundlich und munterte den
-Kranken damit auf, daß er sagte, es stehe alles gut; die beiden hatten
-sich gut zusammen eingelebt, ja, ab und zu hatten sie sogar ihren Spaß
-miteinander. Eleseus war ja wohl in dem einen oder andern töricht,
-aber das war der alte Sivert auch; sie hatten geradezu hochtrabende
-Dokumente abgefaßt, nicht nur zum Vorteil von Klein-Sivert, sondern
-auch fürs Dorf, die Gemeinde, der der Alte dreißig Jahre gedient hatte.
--- Herrliche Tage waren es! -- Ich hätte wahrlich niemand Besseren
-bekommen können als dich, Eleseus! sagte Oheim Sivert. Er schickte
-jemand fort und ließ mitten im Sommer ein geschlachtetes Schaf kaufen,
-die Fische wurden ihm frisch aus dem Meer gebracht, und Eleseus wurde
-befohlen, aus dem Schrein zu bezahlen; sie lebten recht gut miteinander.
-
-Sie ließen Oline kommen, und sie hätten niemand Besseren haben können,
-um an einem Festmahl teilzunehmen, auch war niemand besser dazu
-geschaffen als sie, von des alten Siverts letzten Tagen großen Ruhm
-zu verbreiten. Und die Befriedigung war gegenseitig. Ich meine, wir
-sollten Oline auch mit einer kleinen Erbschaft bedenken, sagte der
-Oheim, sie ist jetzt Witwe und hat es recht knapp. Es bleibt trotzdem
-noch genug für Klein-Sivert. -- Es kostete Eleseus nur ein paar
-Federstriche mir geübter Hand, einen Nachtrag zu dem letzten Willen,
-und dann war auch Oline unter die Erben eingereiht. -- Ich werde für
-dich sorgen, sagte der alte Sivert zu ihr; falls ich nicht wieder
-gesund werden sollte und nicht mehr auf der Erde leben werde, will
-ich, daß du nicht Hunger leiden mußt, sagte er. -- Oline rief, sie sei
-sprachlos; aber das war sie gar nicht, sie war gerührt und weinte und
-dankte; niemand hätte solche Verbindung zwischen einer irdischen Gabe
-und zum Beispiel „der großen himmlischen Wiedervergeltung im Jenseits”
-finden können wie Oline. Nein, sprachlos war sie nicht.
-
-Aber Eleseus? Waren ihm vielleicht im Anfang die Verhältnisse des
-Oheims günstig und zufriedenstellend vorgekommen, so mußte er sich doch
-später die Sache neu überlegen und mit der Wahrheit herausrücken. Er
-versuchte es mit einem schwachen Einwand: Die Kasse ist ja nicht so
-ganz in Ordnung, sagte er. -- Jawohl, aber da ist ja alles, was ich
-sonst hinterlasse. -- Ja, und dann hast du wohl auch noch da und dort
-Geld auf der Bank? fragte Eleseus, denn so ging das Gerücht. -- Na,
-antwortete der Alte, das kann nun sein, wie es will. Aber das Großnetz,
-der Hof und die Häuser und das Vieh, und weiße Kühe und rote Kühe! Ich
-glaube, du faselst, mein guter Eleseus!
-
-Eleseus wußte nicht, wieviel das Großnetz wert sein konnte; aber das
-Vieh hatte er jedenfalls gesehen: es bestand aus einer Kuh. Sie war
-weiß und rot. Oheim Sivert redete vielleicht irre. Und Eleseus verstand
-auch des Alten Rechnungen nicht alle; sie waren in einem großen
-Durcheinander, der reine Wirrwarr, besonders seit dem Jahr, in dem der
-Münzfuß von Talern in Kronen übergegangen war. Der Bezirkskassierer
-hatte oft die kleinen Kronen für volle Taler gerechnet. Kein Wunder,
-daß er sich für reich hielt! Aber Eleseus fürchtete, wenn erst einmal
-alles geordnet sein würde, werde nicht viel übrigbleiben, vielleicht
-nichts, ja, vielleicht werde es nicht einmal hinreichen.
-
-Oh, Klein-Sivert konnte ihm leicht das versprechen, was der Oheim
-hinterlassen würde!
-
-Die Brüder scherzten darüber, Sivert war nicht niedergeschlagen, im
-Gegenteil, vielleicht hätte er sich schließlich mehr gegrämt, wenn er
-wirklich fünftausend Taler verschleudert hätte. Er wußte wohl, daß er
-aus reiner Berechnung nach dem Oheim genannt worden war, er hatte also
-auch nichts von ihm verdient. Jetzt zwang er Eleseus die Erbschaft
-förmlich auf: Ja, gewiß mußt du sie annehmen, komm, wir wollen es
-schriftlich machen! sagte er. Ich gönne es dir, wenn du reich wirst.
-Verschmäh es nicht!
-
-Sie hatten viel Spaß miteinander. Sivert war in der Tat der, der
-Eleseus am meisten half, das Leben daheim auszuhalten, vieles wäre ohne
-Sivert schwerer für Eleseus gewesen.
-
-Jetzt war übrigens Eleseus wieder tüchtig verdorben worden, die drei
-Wochen Müßiggang jenseits des Gebirges waren nicht vom Guten für ihn
-gewesen; er war da auch in die Kirche gegangen und hatte sich gut
-herausgeputzt, ja, er war auch mit jungen Mädchen zusammengetroffen.
-Daheim auf Sellanraa gab es keine. Jensine, die Magd, war nicht zu
-rechnen, sie war nur ein Arbeitstier, sie paßte besser für Sivert. --
-Ich möchte wohl wissen, wie die Barbro von Breidablick geworden ist,
-seit sie erwachsen ist, sagte er. -- Geh hinunter zu Axel Ström und
-sieh sie dir an, entgegnete Sivert.
-
-An einem Sonntag machte sich Eleseus auf den Weg. Jawohl, er war
-auswärts gewesen und hatte Mut und Lustigkeit wiedergefunden, hatte
-Blut geleckt, in Axels Gamme lebte er wieder auf. Barbro selbst war
-keineswegs zu verachten, jedenfalls war sie die einzige hier in der
-Gegend; sie spielte Gitarre und war witzig, außerdem roch sie nicht
-nach Rainfarn, sondern nach echten Sachen, nach Haarwasser. Seinerseits
-gab Eleseus zu verstehen, daß er nur in den Ferien daheim sei, das Büro
-werde ihn bald zurückberufen. Immerhin sei es angenehm, wieder einmal
-daheim zu sein, wieder in der alten Heimat, und er habe jetzt droben
-die Kammer für sich allein zum Bewohnen. Aber es sei eben doch nicht
-die Stadt!
-
-Nein, das weiß Gott, daß das Ödland nicht die Stadt ist! stimmte Barbro
-bei.
-
-Axel selbst kam diesen beiden Stadtkindern gegenüber nicht recht zur
-Geltung. Er langweilte sich und ging hinaus auf seine Felder. Nun
-hatten die beiden freie Hand, und Eleseus war großartig. Er erzählte,
-er sei im Nachbardorfe gewesen und habe dort einen Oheim begraben, auch
-vergaß er nicht zu sagen, daß er am Sarge eine Rede gehalten hatte.
-
-Als er ging, sagte er zu Barbro, sie solle ihn ein Stück Wegs
-begleiten. Aber nein, danke! -- Ist es Sitte und Brauch in der Stadt,
-daß die Damen die Herren heimbegleiten? fragte sie. -- Da wurde
-Eleseus wahrhaftig rot und verstand, daß er sie beleidigt hatte.
-
-Trotzdem ging er am nächsten Sonntag wieder aufs Nachbargut, und da
-trug er den Spazierstock in der Hand. Die beiden unterhielten sich
-wieder wie das letztemal, und Axel wurde wieder übersehen: Dein Vater
-hat jetzt einen großen Hof, er hat sehr viel gebaut, sagte er. -- O
-ja, und er hat auch das Geld zum Bauen. Vater kann alles, was er will!
-antwortete Eleseus und prahlte drauflos; für uns andere arme Schlucker
-ist es nicht so leicht. -- Wieso? -- Na, habt ihr es nicht gehört?
-Jetzt eben sind einige schwedische Millionäre bei ihm gewesen und haben
-ihm einen Kupferberg abgekauft. -- Was du da sagst? Und hat er viel
-Geld dafür bekommen? -- Kolossal viel. Ja, ja, ich will nicht prahlen,
-aber es waren jedenfalls viele Tausend. Aber was ich sagen wollte:
-Bauen, sagtest du? Ich sehe, du hast Zimmerholz draußen liegen, wann
-willst du selbst bauen? -- Niemals, warf Barbro ein.
-
-Niemals! Das war nun Vorwitz oder Übertreibung. Axel hatte im letzten
-Herbst Steine ausgebrochen und sie im Winter hergefahren; jetzt im
-Sommer hatte er die Mauer samt Keller und allem andern fertiggemacht,
-er brauchte nur noch das Haus aufzurichten. Er sagte, er hoffe das
-Haus schon im Herbst unter Dach zu bringen, er habe auch schon daran
-gedacht, Sivert zu bitten, ihm ein paar Tage zu helfen, was Eleseus
-dazu meine? -- O ja, meinte Eleseus. Aber du kannst mich bekommen,
-fügte er lächelnd hinzu. -- Euch? sagte Axel ehrerbietig und redete ihn
-plötzlich mit Euch an. Ihr habt Genie für andere Sachen. -- Wie das
-schmeckte, sogar hier im Ödland anerkannt zu werden. Ich fürchte sehr,
-daß diese meine Hände nicht dazu taugen, sagte Eleseus auch und tat
-äußerst vornehm. -- Laß mich sehen! sagte Barbro, indem sie seine Hand
-ergiff.
-
-Axel fühlte sich wieder auf die Seite gesetzt und ging hinaus; nun
-waren die beiden abermals allein. Sie waren gleichaltrig, waren
-zusammen in die Schule gegangen, hatten miteinander gespielt,
-umhergetollt und sich geküßt; jetzt frischten sie mit unendlicher
-Überlegenheit die Kindheitserinnerungen auf, und Barbro spielte sich
-ordentlich auf, das war nicht zu verkennen. Natürlich war Eleseus nicht
-zu vergleichen mit den großen Kontoristen in Bergen, die Kneifer und
-goldene Uhren hatten, aber hier auf dem Ödland war er unleugbar ein
-richtiger Herr. Und nun holte sie ihre Photographie von Bergen herbei
-und zeigte sie ihm: so habe sie damals ausgesehen, und wie jetzt! --
-Was soll dir denn jetzt fehlen? fragte er. -- So, du meinst, ich habe
-nicht verloren? -- Verloren? Ich will dir nur ein für allemal sagen,
-daß du jetzt doppelt so hübsch bist, überhaupt voller geworden, sagte
-er. Verloren? Nein, das ist klassisch! sagte er. -- Aber findest du
-mein Kleid, das am Hals und im Rücken ausgeschnitten ist, auf dem Bild
-nicht hübsch? Und dann hatte ich auch, wie du siehst, eine silberne
-Kette, die habe ich von einem der Kontoristen, bei denen ich war,
-geschenkt bekommen. Aber dann habe ich sie verloren; das heißt nicht
-geradezu verloren, sondern ich brauchte Geld, als ich heimreiste.
--- Eleseus fragte: Kann ich nicht die Photographie bekommen? -- Sie
-bekommen? Und was bekomme ich dafür? Oh, Eleseus wußte recht gut, was
-er am liebsten geantwortet hätte, aber er wagte es nicht zu sagen.
-Ich werde mich photographieren lassen, wenn ich wieder in der Stadt
-bin, dann bekommst du meine auch, sagte er dagegen. Sie aber nahm das
-Bild wieder an sich und sagte: Nein, ich habe nur noch die eine. -- Da
-wurde es düster in seinem jungen Herzen, und er streckte die Hand nach
-dem Bild aus. -- Ja, ja, dann gib mir gleich etwas dafür! sagte sie
-lachend. Oh, da griff er zu und küßte sie herzlich ab.
-
-Nun wurde es ungezwungener; Eleseus entfaltete sich, er wurde
-großartig. Sie liebäugelten und lachten und scherzten. Als du nach
-meiner Hand gefaßt hast, war das so weich wie ein Samtpfötchen, sagte
-er. -- Ja, ja, nun fährst du bald wieder in die Stadt, und dann
-kommst du wohl nie mehr hierher, sagte Barbro. -- Hältst du mich für
-so schlecht? versetzte Eleseus. -- Hast du niemand dort, der dich
-zurückhält? -- Nein. Unter uns gesagt, ich bin nicht verlobt, sagte er.
--- Doch, das bist du gewiß. -- Nein, es ist tatsächlich wahr, was ich
-sage.
-
-Sie scherzten und liebäugelten lange miteinander, Eleseus war ganz
-verliebt. Ich werde dir schreiben, sagte er, darf ich das? -- Ja,
-antwortete sie. -- Ja, denn ich will nicht kleinlich sein und es
-nicht ohne Erlaubnis tun! Doch plötzlich wurde er eifersüchtig und
-fragte: Es heißt, du seiest mit Axel hier verlobt. Ist es so? -- Mit
-ihm, dem Axel! sagte sie so verächtlich, daß es ihn tröstete. Er wird
-sich brennen! sagte sie. Dann bereute sie ihre Worte, und sie fügte
-hinzu: Der Axel ist schon recht. Und er hält eine Zeitung für mich
-und macht mir sehr oft Geschenke, ich kann nichts anderes sagen. --
-Gott bewahre mich, er kann in seiner Art ein höchst vorzüglicher und
-unvergleichlicher Mann sein, gab Eleseus zu, aber das ist nun einmal
-nicht der Kernpunkt.
-
-Aber bei dem Gedanken an Axel mußte sich Barbro wohl etwas beunruhigt
-fühlen, sie stand auf und sagte zu Eleseus: Nein, jetzt mußt du gehen,
-ich muß in den Stall.
-
-Am nächsten Sonntag ging Eleseus bedeutend später als sonst hinunter,
-und er hatte den Brief selbst mitgenommen. Das war ein Brief. Das
-Entzücken und Kopfzerbrechen einer ganzen Woche hatten ihn zustande
-gebracht, ihn ausgedacht! An Fräulein Barbro Bredesen, zwei- bis
-dreimal habe ich nun das für mich so unaussprechliche Glück gehabt,
-dich wiederzusehen ...
-
-Wenn er nun so spät am Abend ankam, mußte wohl Barbro im Stall fertig
-sein, ja, sie war vielleicht eben zu Bett gegangen. Doch das schadete
-nichts, es paßte im Gegenteil gerade gut.
-
-Barbro war jedoch auf und saß in der Gamme. Aber jetzt sah es plötzlich
-aus, als wolle sie gar nicht mehr zärtlich sein, nein, durchaus nicht.
-Eleseus bekam den Eindruck, daß Axel wohl hinter ihr her gewesen sein
-und sie ermahnt haben mußte. -- Bitte, hier ist der Brief, den ich dir
-versprochen habe. -- Danke! sagte sie, indem sie den Brief öffnete
-und ihn ohne ersichtliche Freude las. -- Ich hätte wohl ebensogut
-schreiben können wie du! sagte sie. -- Er war enttäuscht, was hatte sie
-nur? Und wo war Axel? Fort. Er war dieser törichten Sonntagsbesuche
-vielleicht überdrüssig und wollte nicht dabeisein; aber er konnte ja
-auch eine notwendige Besorgung gehabt haben, so daß er gestern ins Dorf
-hinuntergegangen war. Fort war er jedenfalls.
-
-Warum sitzt du denn an einem so schönen Abend in der dumpfen Gamme?
-Komm mit heraus! sagte Eleseus. -- Ich warte auf Axel, antwortete sie.
--- Auf Axel? Kannst du nicht ohne den Axel sein? -- Doch, aber soll er
-etwa nichts zu essen haben, wenn er kommt?
-
-Die Zeit verging, sie war vergeudet, die beiden kamen sich nicht
-näher; Barbro war und blieb launisch. Er versuchte ihr wieder vom
-Nachbardorf zu erzählen und vergaß wieder nicht, daß er eine Rede
-gehalten hatte: Ich hatte allerdings nicht so besonders viel zu sagen,
-aber einige waren doch zu Tränen gerührt. -- So, sagte sie. -- Und an
-einem Sonntag bin ich in der Kirche gewesen. -- Hast du da mit einer
-angebändelt? -- Ob ich mit einer angebändelt habe? Ich war nur dort und
-habe mich umgesehen. Der Pfarrer predigte nicht besonders nach meiner
-unmaßgeblichen Meinung, er hatte keinen guten Vortrag.
-
-Die Zeit verging.
-
-Was meinst du wohl, was Axel denken wird, wenn er dich so spät hier
-antrifft? fragte Barbro plötzlich. -- Ach, wenn sie ihm einen Stoß vor
-die Brust versetzt hätte, hätte er nicht mutloser werden können. Hatte
-sie denn das letztemal ganz vergessen? War nicht verabredet worden,
-daß er am heutigen Abend kommen sollte? Er war schwer gekränkt und
-murmelte: Ich kann ja wieder gehen! -- Darüber schien sie sich nicht zu
-entsetzen. -- Was habe ich dir getan? fragte er mit bebenden Lippen.
-Es schien ihm sehr tief zu gehen, er war in großer Not. -- Mir getan?
-Ach, du hast mir nichts getan. -- Aber was ist denn mit dir heute
-abend? -- Mit mir? Hahaha! Aber im übrigen kann ich mich nicht darüber
-wundern, wenn Axel böse wird. -- Ich werde gehen, wiederholte Eleseus.
-Aber sie erschrak wieder nicht darüber, sie machte sich nichts aus ihm,
-und es war ihr einerlei, daß er da vor ihr saß und mit seinen Gefühlen
-kämpfte. Oh, sie war eine Canaille!
-
-Nun begann der Ärger in ihm aufzukochen. Zuerst äußerte er ihn in
-feiner Weise: sie sei wahrlich keine vorteilhafte Repräsentantin des
-weiblichen Geschlechtes. Und als das nichts half -- oh, er hätte
-lieber schweigen und ertragen sollen, sie wurde nur immer schlimmer.
-Aber er wurde auch nicht besser, sondern sagte: Wenn ich gewußt hätte,
-wie du bist, wäre ich heute abend gar nicht heruntergekommen. -- Und
-was dann? versetzte sie. Dann hättest du deinen Stock, den du da in
-der Hand hältst, nicht spazierengetragen. -- Oh, Barbro war in Bergen
-gewesen, sie konnte spotten, sie hatte auch ordentliche Spazierstöcke
-gesehen, deshalb konnte sie jetzt so unverschämt fragen, was das für
-ein geflickter Regenschirmstock sei, mit dem er anstolziert komme?
--- Er ertrug es. Dann möchtest du wohl auch deine Photographie
-wiederhaben? fragte er. -- Wenn das nicht wirkte, dann wirkte nichts
-mehr. Ein Geschenk zurücknehmen, das war das Äußerste, was man sich
-im Ödland denken konnte! Was machst du dir denn daraus? antwortete
-sie ausweichend. -- Gut, erklärte er keck, ich werde sie dir sofort
-zurückschicken. Gib mir nun auch meinen Brief wieder.
-
-Damit stand er auf.
-
-Jawohl, sie gab ihm den Brief, aber da traten ihr auch die Tränen
-in die Augen, und ihre Laune schlug plötzlich um. Das Dienstmädchen
-war gerührt, der Freund verließ sie, leb' wohl zum letztenmal! Du
-brauchst nicht zu gehen, sagte sie, ich mache mir nichts daraus, was
-Axel glaubt. -- Aber jetzt wollte er seinen Vorteil ausnützen, und
-so verabschiedete er sich. Denn wenn eine Dame so ist wie du, dann
-absentiere ich mich, sagte er.
-
-Langsam wanderte er von der Gamme weg heimwärts, er pfiff und schwang
-seinen Stock und tat ganz unbekümmert. Bah! Eine kleine Weile nachher
-kam Barbro auch heraus und rief ihm ein paarmal nach. Jawohl, er blieb
-stehen, das tat er, aber er war ein beleidigter Löwe. Sie setzte sich
-ins Heidekraut und schien ihr Benehmen zu bereuen, sie zerrte an
-einem Heidekrautbüschel, und allmählich wurde er wieder vernünftiger,
-ja, er bat sie sogar noch um einen Kuß, zum letzten Abschied, sagte
-er. -- Nein, das wollte sie nicht. -- So sei doch so reizend wie das
-letztemal! sagte er. Er schwänzelte von allen Seiten um sie herum
-und ging immer rascher und rascher, um womöglich eine Gelegenheit zu
-erwischen. Aber sie wollte nicht reizend sein, sie erhob sich, und da
-stand sie. Da nickte er nur und ging.
-
-Als er außer Sehweite war, trat plötzlich Axel hinter einigen Büschen
-hervor. Barbro fuhr zusammen und fragte: Wie ist denn das, kommst du
-von oben herunter? -- Nein, ich komme von unten herauf, antwortete er,
-aber ich habe euch beide hier heraufgehen sehen. -- Ach so, wirklich!
-Ja, davon wirst du fett werden! rief sie auf einmal rasend, sie war
-auch jetzt ebenso schlechter Laune wie vorher! Was brauchst du da
-herumzuschnüffeln? Was geht es dich an? -- Axel war auch nicht gerade
-freundlich. -- So, er ist also heute auch wieder hier gewesen? -- Und
-wenn auch? Was willst du von ihm? -- Was _ich_ von ihm will? Nein, was
-willst _du_ von ihm? Du solltest dich schämen! -- Mich schämen? Sollen
-wir darüber schweigen, oder sollen wir darüber reden? fragte Barbro
-nach einer alten Redensart. Ich will nicht wie ein altes Steinbild in
-deiner Gamme sitzen, daß du es weißt. Warum ich mich schämen sollte?
-Wenn du eine andere Haushälterin nehmen willst, dann gehe ich meiner
-Wege. Du brauchst nur deinen Mund zu halten, wenn es nicht schändlich
-ist, dich überhaupt darum zu bitten. Da hast du meine Antwort. Jetzt
-werde ich auf der Stelle hineingehen, dir dein Essen anrichten und
-Kaffee kochen, dann kann ich nachher tun, was ich will.
-
-Unter fortwährendem Zanken ging sie hinein.
-
-Nein, Axel und Barbro waren nicht immer einig. Sie war nun schon
-zwei Jahre bei ihm, aber es hatte immer ab und zu Streit gegeben,
-hauptsächlich weil Barbro wieder fort wollte. Er drang in sie, wollte,
-sie solle für immer dableiben, sich ganz bei ihm niederlassen und
-seine Gamme und sein Leben mit ihm teilen, er wußte, wie schlimm es
-wäre, wenn er wieder ohne Hilfe sein müßte -- sie hatte ihm auch schon
-mehrere Male versprochen, seinen Antrag anzunehmen, ja, in liebevollen
-Stunden konnte sie sich gar nichts anderes denken als dazubleiben.
-Aber sobald sich ein Streit entspann, drohte sie mit dem Fortgehen,
-und wenn sie auch nichts anderes sagte als: sie wolle in die Stadt und
-ihre Zähne herrichten lassen, sie fielen ihr sonst aus. Fortgehen,
-fortgehen! Er mußte sie irgendwie an den Ort fesseln können.
-
-Fesseln? Es klang, als höhne sie einer jeden Fessel.
-
-So, du willst auch jetzt fortgehen? sagte er. -- Und wenn dem so
-wäre? versetzte sie. -- _Kannst_ du denn reisen? -- Kann ich nicht? Du
-meinst, ich sei in Not, weil es dem Winter zugeht, aber ich kann in
-Bergen jederzeit eine Stelle bekommen. -- Da sagte Axel sehr ruhig:
-Das kannst du jedenfalls vorderhand nicht! Du sollst doch ein Kind
-bekommen? -- Ein Kind? Nein, von was für einem Kind redest du da? --
-Axel starrte sie an. War Barbro verrückt geworden?
-
-Etwas anderes war, daß Axel selbst vielleicht etwas zu wenig
-nachsichtig war: seit er nun diesen Anspruch auf sie hatte, war er mit
-etwas zu großer Sicherheit aufgetreten; das war unklug, er brauchte
-ihr ja nicht sooft zu widersprechen und sie zu reizen; es wäre nicht
-notwendig gewesen, ihr im Frühjahr geradezu zu befehlen, die Kartoffeln
-zu legen, er hätte sie zur Not allein legen können. Wenn sie erst
-verheiratet wären, würde schon die Zeit kommen, wo er sich zum Herrn
-aufwerfen konnte, aber bis dahin mußte er seinen Verstand gebrauchen
-und nachgeben.
-
-Aber das Schmähliche war eben die Sache mit diesem Kontoristen,
-dem Eleseus, der mit glatten Redensarten und einem Spazierstock
-einhergeschlendert kam. War nun das ein Benehmen für ein verlobtes
-Mädchen in ihrem Zustand? War so etwas überhaupt zu begreifen? Bis
-jetzt war Axel ohne Nebenbuhler hier gewesen. Ja, so änderte sich die
-Lage!
-
-Hier sind neue Zeitungen für dich, sagte Axel. Und hier ist eine
-Kleinigkeit, die ich für dich gekauft habe. Du kannst nun sehen, ob es
-dir gefällt. -- Sie war kalt. Obgleich alle beide kochend heißen Kaffee
-tranken, antwortete sie eiskalt: Ich wette, es ist ein goldener Ring,
-den du mir schon seit über einem Jahr versprochen hast.
-
-Da hatte sie sich jedenfalls vergaloppiert, denn es war tatsächlich der
-Ring. Ein goldener Ring war es allerdings nicht, und einen solchen
-hatte er ihr auch nie versprochen, daran erinnerte sie sich jetzt: aber
-es war ein silberner Ring mit zwei vergoldeten Händen darauf, also ein
-echter karatgestempelter. Aber ach, der unglückselige Aufenthalt in
-Bergen! Barbro hatte dort richtige Verlobungsringe gesehen, man sollte
-ihr nur nichts weismachen wollen! -- Diesen Ring kannst du selbst
-behalten, sagte sie. -- Was fehlt denn daran? -- Was daran fehlt?
-Nichts fehlt daran, antwortete sie. Damit stand sie auf und begann
-den Tisch abzuräumen. -- Du kannst ja diesen vorläufig haben, später
-wird sich dann vielleicht auch noch ein anderer finden, sagte Axel. --
-Darauf erwiderte Barbro nichts.
-
-Übrigens war Barbro an dem Abend recht schlecht. War nicht ein neuer
-silberner Ring dankenswert? Dieser vornehme Kontorist hatte ihr wohl
-den Kopf verdreht. Axel konnte sich nicht enthalten zu sagen, was
-dieser Eleseus immer hier zu suchen habe. Was will er von dir? -- Von
-mir? -- Ja, sieht denn der Mensch nicht, wie es um dich bestellt ist?
-Sieht er dich denn nicht an? -- Barbro stellte sich vor Axel hin und
-sagte: So, du meinst wohl, du habest mich nun an dich gebunden, aber
-du sollst sehen, daß das erlogen ist. -- So, sagte Axel. -- Ja, und du
-sollst sehen, daß ich auch von hier fortgehe. -- Darauf verzog Axel nur
-den Mund zu einem leichten Lächeln, aber er tat es nicht einmal offen
-und in die Augen fallend, denn er wollte sie nicht reizen. Dann sagte
-er beruhigend wie zu einem Kinde: Nun sei einmal artig, Barbro. Du
-weißt ja, du und ich!
-
-Und natürlich, spät in der Nacht endete es damit, daß Barbro wieder
-freundlich wurde und sogar mit dem silbernen Ring am Finger einschlief.
-
-Oh, es würde wohl alles wieder gut werden!
-
-Für die beiden in der Gamme wurde wirklich alles wieder gut, aber für
-Eleseus war es schlimmer. Es fiel ihm schwer, die Kränkung, die er
-erlitten hatte, zu überwinden. Da er sich nicht auf Hysterie verstand,
-glaubte er, er sei aus reiner Bosheit genarrt worden; die Barbro auf
-Breidablick war ein wenig zu keck gewesen, selbst wenn man mit in
-Rechnung zog, daß sie in Bergen gewesen war.
-
-Die Photographie hatte er Barbro auf diese Weise zurückgeschickt, daß
-er sie selbst in einer Nacht zurückbrachte und zu ihr in den Heuboden
-hineinwarf, wo sie ihre Schlafstelle hatte. -- Er hatte es aber
-durchaus nicht in grober, unhöflicher Form getan, nein, weit entfernt;
-er hatte lange an der Tür herumgetastet, um sie aufzuwecken, und als
-sie sich auf den Ellbogen aufrichtete und fragte: Findest du denn heut
-nacht den Weg nicht herein? hatte diese vertrauliche Frage ihn wie mit
-einer Nadel oder einem Degen gestochen; aber er hatte nicht geschrien,
-sondern nur die Photographie hübsch auf den Fußboden hineingleiten
-lassen. Und dann war er seiner Wege gegangen. Gegangen? Tatsächlich
-war er nur ein paar Schritte gegangen, dann fing er an zu laufen, zu
-laufen; er war sehr aufgeregt, ja, förmlich lustig, das Herz hämmerte
-ihm in der Brust; hinter einem Buschwerk hielt er an und schaute
-zurück, nein, sie kam ihm nicht nach! Ach, er hatte es halb gehofft!
-Und wenn sie ihm wenigstens so annähernd Zuneigung gezeigt hätte. Aber
-zum Kuckuck, dann brauchte er auch nicht so zu laufen, wenn sie ihm
-nicht auf den Fersen folgte, nur im Hemd und Unterrock, verzweifelt,
-ja, zerschmettert über sich selbst und über die vertrauliche Frage, die
-nicht für ihn bestimmt gewesen war!
-
-Er wanderte heimwärts, ohne Stock und ohne zu pfeifen, nein, er war
-kein großer Herr mehr. Ein Stich in die Brust ist keine Kleinigkeit.
-
-Und war es damit zu Ende?
-
-An einem Sonntag ging er wieder hinunter, nur um Ausschau zu halten.
-Mit einer fast krankhaften unglaublichen Geduld lag er lauernd hinter
-dem Gebüsch und starrte nach der Hütte hinüber. Als sich endlich Leben
-und Bewegung zeigte, war es, als sollte er vollends vernichtet werden.
-Axel und Barbro traten beide aus der Gamme und gingen zusammen in
-den Stall. Sie waren jetzt zärtlich zueinander, ja, sie hatten eine
-freundliche Stunde, sie gingen Arm in Arm, er wollte ihr wohl im Stall
-helfen. Sieh einer!
-
-Eleseus betrachtete das Paar mit einer Miene, als habe er alles
-verloren, als sei er zugrunde gerichtet. Vielleicht dachte er ungefähr
-so: sie geht Arm in Arm mit Axel Ström, wie sie dazu gekommen ist, weiß
-ich nicht, einmal hat sie ihre Arme um mich geschlungen.
-
-Sie verschwanden im Stall.
-
-Na, meinetwegen! Bah! Sollte er hier im Gebüsch liegen und sich selbst
-vergessen? Das sollte er wohl tun, sich flach auf die Erde legen und
-sich so vergessen? Wer war sie? Aber er war der, der er war. Oh, noch
-einmal: Bah!
-
-Er sprang auf und stand aufrecht da. Dann streifte er Blätter und
-Heidekraut von seinen Hosen und richtete sich wieder hoch auf.
-Sein Zorn und sein Übermut traten auf seltsame Art zutage: er war
-desperat und fing an ein Lied von nicht unbedeutender Leichtfertigkeit
-anzustimmen. Und wenn er dann die schlimmsten Stellen recht absichtlich
-viel lauter sang, dann lag auf seinem Gesicht ein inniger Ausdruck.
-
-
-
-
-19
-
-
-Isak kam mit einem Pferd aus dem Dorfe zurück. Jawohl, er hatte das
-Pferd des Amtsdieners gekauft, es war, wie Geißler gesagt hatte, zu
-haben, aber es kostete zweihundertvierzig Kronen, gleich sechzig Taler.
-Die Pferdepreise waren jetzt ins Unerschwingliche gestiegen, in Isaks
-Kindheit hatte man die besten Pferde für fünfzig Taler haben können.
-
-Aber warum hatte er nicht selbst Pferde gezüchtet? Oh, er hatte es
-sich wohl überlegt, hatte an ein junges Füllen gedacht -- das er ein
-und auch zwei Jahre hätte aufziehen müssen. Das konnte der tun, dem
-seine Feldarbeit Zeit dazu ließ, einer, der seine Sümpfe so daliegen
-lassen konnte und sie nicht umzuroden brauchte, bis er einmal ein Pferd
-hatte, das ihm die Ernte heimfuhr. Wie der Amtsdiener sagte: Ich habe
-keine Lust, ein Pferd zu füttern; das Heu, das ich habe, können meine
-Frauenzimmer hereintragen, während ich auf Verdienst auswärts bin.
-
-Das neue Pferd war schon ein alter Gedanke von Isak, ein mehrjähriger
-Gedanke, nicht Geißler hatte ihn ihm erst in den Kopf gesetzt. Deshalb
-hatte er ja auch soweit möglich Vorbereitungen dafür getroffen, noch
-eine Raufe, noch einen Weidepfahl für den Sommer; Wagen und Karren
-hatte er mehrere, und weitere wollte er im Herbst anfertigen. Das
-Wichtigste von allem, das Futter, hatte er natürlich auch nicht
-vergessen; warum wäre es sonst so notwendig gewesen, das letzte Stück
-Moor schon im letzten Jahre umzubrechen, wenn er nicht hätte vorbeugen
-wollen, weil er sonst seinen Kuhbestand hätte vermindern müssen! Jetzt
-war auf dem Moor Grünfutter gesät worden, das war für die kalbenden
-Kühe bestimmt.
-
-Ja, alles war bedacht worden. Inger hatte wieder guten Grund, wie in
-alten Tagen vor Verwunderung die Hände zusammenzuschlagen.
-
-Isak brachte Neuigkeiten aus dem Dorf mit: Breidablick sollte verkauft
-werden, jetzt war es vom Kirchplatz aus bekanntgemacht worden. Die
-wenigen Felder, die bebaut waren, die Wiesen und die Kartoffeläcker,
-alles war inbegriffen, vielleicht auch das Vieh, ein paar Haustiere,
-Kleinvieh. Will er denn rump und stump alles verkaufen und sich ganz
-ausziehen? rief Inger. Und wo will er denn hinziehen? -- Ins Dorf. --
-
-Das war ganz richtig, Brede wollte ins Dorf ziehen. Allerdings hatte
-er zuerst versucht, sich bei Axel Ström einzuquartieren, wo ja Barbro
-schon war. Das ging jedoch nicht. Brede wollte um alles in der Welt
-das Verhältnis zwischen seiner Tochter und Axel nicht zerstören, und
-so nahm er sich wohl in acht, aufdringlich zu werden, aber natürlich
-war es ihm ein böser Strich durch die Rechnung. Axel wollte ja bis
-zum Herbst das neue Haus unter Dach bringen, wenn dann er und Barbro
-hineinzogen, hätte da nicht Brede mit seiner Familie die Gamme
-bekommen können? Nein! Seht, Brede dachte nicht als Ansiedler, er
-verstand nicht, daß Axel ausziehen mußte, weil er die Gamme für seinen
-wachsenden Viehstand brauchte; die Gamme mußte auch hier in den Stall
-verwandelt werden. Aber selbst nachdem Brede alles erklärt worden war,
-blieb ihm dieser Gedankengang fremd. Die Menschen kommen doch wohl vor
-den Tieren, sagte er. -- Nein, das war nicht des Ansiedlers Ansicht,
-oh, weit entfernt! Die Tiere zuerst, die Menschen konnten sich immer
-einen Winteraufenthalt verschaffen. -- Da mischte sich Barbro drein und
-sagte: So, du stellst die Tiere über die Menschen? Es ist gut, daß ich
-das erfahren habe! -- Wahrlich, Axel machte sich ja eine ganze Familie
-zum Feind, weil er kein Obdach für sie hatte. Aber er gab nicht nach.
-Er war ja auch nicht dumm und gutmütig, sondern im Gegenteil allmählich
-immer geiziger geworden; er wußte wohl, daß bei einer solchen
-Einquartierung mehr Mägen zu befriedigen sein würden.
-
-Brede beschwichtigte seine Tochter und gab ihr zu verstehen, daß er
-am liebsten wieder ins Dorf ziehe; er könne es auf dem Ödland nicht
-aushalten, sagte er, und allein aus diesem Grunde verkaufe er seinen
-Hof.
-
-Ja, aber im Grunde genommen war es nun nicht Brede Olsen, der
-verkaufte, sondern die Bank und der Kaufmann waren es, die Breidablick
-zu Geld machten, aber um den Schein zu wahren, sollte es in Bredes
-Namen geschehen. Auf diese Weise glaubte er der Schande zu entgehen.
-Und Brede war auch gar nicht so sehr niedergedrückt, als Isak mit ihm
-zusammentraf, er tröstete sich damit, daß er ja immer noch Inspektor
-über die Telegraphenlinie sei; das sei eine sichere Einnahme, und mit
-der Zeit werde er sich schon wieder zu seiner alten Stellung im Dorfe,
-zum allgemeinen Helfer und Begleiter des Lensmanns, emporarbeiten.
-
-Natürlich war Brede auch gerührt gewesen. Das gehörte dazu: es sei ja
-so eine Sache, sich von der Stelle, die er liebgewonnen und wo er so
-viele Jahre lang gelebt und geschafft und gearbeitet habe, zu trennen.
-Aber der gute Brede ließ sich nie dauernd unterkriegen, das war seine
-gute Seite, das Anziehende an ihm. Er hatte einmal die Eingebung
-bekommen, Ödland urbar zu machen, dieser Versuch war nicht glücklich
-ausgefallen; aber auf dieselbe lustige Weise hatte er auch in anderen
-Fragen gehandelt, und da war es ihm besser gelungen. Ja, wer konnte
-wissen, ob er nicht mit seinen Gesteinsproben noch einmal gewaltige
-Geschäfte machte! Und jedenfalls war da Barbro, die er auf Maaneland
-untergebracht hatte! Sie komme ja nie wieder von Axel Ström weg, das
-dürfe man wohl sagen, es sei jedermann offenkundig!
-
-Nein, solange er seine Gesundheit habe und für sich und die Seinen
-schaffen könne, stehe es nicht schlecht, sagte Brede Olsen. Und
-gerade jetzt seien alle seine Kinder allmählich erwachsen, sie zögen
-fort und sorgten für sich selbst, sagte er. Helge sei schon bei der
-Heringsfischerei, und Katrine komme zu Doktors in Dienst. Dann hätten
-sie nur zwei kleinere Kinder daheim -- allerdings komme bald noch ein
-drittes dazu, aber ...
-
-Isak brachte aus dem Dorf eine Neuigkeit mit: Die Frau des Lensmannes
-hatte ein Kleines bekommen. -- Inger fragte plötzlich lebhaft: Einen
-Jungen oder ein Mädchen? -- Das habe ich nicht gehört, antwortete Isak.
-
-Also die Frau des Lensmannes hatte ein Kind bekommen, sie, die immer
-im Frauenverein gegen die überhandnehmenden Geburten bei den Armen
-geeifert hatte. Man solle der Frau das Stimmrecht geben und ihr Einfluß
-auf ihr eigenes Schicksal einräumen, hatte sie gesagt. Jetzt war
-sie gefangen. Ja, sagte die Frau Pastor, sie hat ihren Einfluß wohl
-angewendet, hahaha, und doch ist sie ihrem Schicksal nicht entgangen!
-Dieses witzige Wort über Frau Heyerdahl ging im ganzen Dorf herum und
-wurde von sehr vielen verstanden; auch Inger verstand es vielleicht,
-nur Isak verstand nichts.
-
-Isak verstand zu arbeiten, verstand seine Hantierung zu betreiben.
-Er war jetzt ein reicher Mann mit einem großen Hof, aber von dem
-vielen baren Geld, das ihm der Zufall in den Schoß geworfen hatte,
-machte er nur einen schlechten Gebrauch: er hob es auf. Das Ödland
-rettete ihn. Hätte Isak im Dorf gewohnt, dann hätte vielleicht die
-große Welt auch etwas auf ihn eingewirkt; dort war so viel Schönes,
-so vornehme Verhältnisse, er würde Unnötiges gekauft haben und wäre
-am Werktag in einem roten Hemd gegangen. Hier im Ödland war er gegen
-alle Verschwendung geschützt, er lebte in reiner Luft, wusch sich
-am Sonntagmorgen und badete, wenn er droben am Gebirgssee war.
-Die tausend Taler -- jawohl, ein Geschenk vom Himmel, jeden Heller
-davon zum Aufbewahren! Wozu sonst? Isak konnte seine gewöhnlichen
-Ausgaben mit Leichtigkeit durch den Verkauf seiner Erträgnisse von dem
-Viehbestand und den Feldern bestreiten.
-
-Eleseus wußte ja besser Bescheid, er hatte dem Vater geraten, sein
-Geld auf der Bank anzulegen. Es war auch wohl möglich, daß dies das
-verständigste gewesen wäre, aber jedenfalls war es aufgeschoben worden,
-wurde vielleicht nie getan. Nicht, weil Isak immer den Rat des Sohnes
-überhört hätte, Eleseus war wahrlich nicht so schlimm, das hatte Isak
-in der letzten Zeit herausgefunden. Jetzt in der Heuernte hatte er
-es mit dem Mähen versucht -- nein, ein Meister wurde er darin nicht,
-und er mußte sich in Siverts Nähe halten und sich von ihm jedesmal
-die Sense wetzen lassen, aber Eleseus hatte lange Arme und konnte das
-Heu wie ein ganzer Mann zusammenraffen. Jetzt waren er und Sivert und
-Leopoldine und Jensine drüben auf der Wiese und setzten das erste Heu
-auf Heinzen, und Eleseus schonte sich da auch nicht, sondern arbeitete
-mit dem Rechen, bis er Blasen bekam und mit verbundenen Händen gehen
-mußte. Seit mehreren Wochen schon hatte er keinen rechten Appetit
-gehabt, war aber deshalb doch nicht arbeitsscheu geworden. Über den
-Jungen mußte etwas Neues gekommen sein, es sah aus, als sei ein
-gewisses Mißgeschick in einer gewissen Liebesangelegenheit oder etwas
-anderes in dieser Richtung, ein großer Schmerz oder eine Enttäuschung,
-vom Guten für ihn gewesen. Seht, jetzt hat er sogar seinen letzten von
-der Stadt mitgebrachten Tabak aufgeraucht, und das hätte vielleicht
-unter anderen Umständen einen Kontoristen dazu bringen können, die Türe
-zuzuschlagen oder sich über dies und jenes scharf auszusprechen; aber
-nein, Eleseus wurde dadurch nur ein gesetzter Bursche, fester in der
-Haltung, ja, wahrlich ein Mann.
-
-Auf was verfiel aber dann der Spaßvogel Sivert, um ihn zu reizen?
-
-An diesem Tag knieten beide Brüder auf Steinen im Fluß und tranken, und
-Sivert war so unvorsichtig, Eleseus anzubieten, ihm ein besonders gutes
-Moos zu Tabak zu trocknen -- oder vielleicht willst du es roh rauchen?
-sagte er. -- Ich werde dir Tabak geben, versetzte Eleseus, indem er den
-Arm ausstreckte und den Bruder bis an die Schultern ins Wasser tauchte.
-Ha, da bekam er's! Sivert lief noch lange mit einem nassen Kopf umher.
-
-Ich glaube, Eleseus wächst sich allmählich zu einem tüchtigen Kerl
-heraus, dachte der Vater, wenn er den Sohn bei der Arbeit sah. -- Hm.
-Ob der Eleseus nun für ganz daheimbleiben will? fragte er Inger. -- Sie
-sagte ebenso sonderbar vorsichtig: Das könnte ich nicht sagen. Nein,
-das will er nicht. -- So, hast du mit ihm darüber gesprochen? -- Ach
-nein. Doch, ich habe nur ein ganz klein wenig gesagt. Aber ich errate
-es. -- Ich möchte wissen, wie es wäre, wenn er einen eigenen Hof hätte?
--- Wieso? -- Ob er ihn bebauen würde? -- Nein. -- So, hast du mit ihm
-darüber geredet? -- Darüber geredet? Siehst du nicht, wie verändert er
-ist? Ich kenne ihn gar nicht mehr. -- Du brauchst ihn nicht schlecht
-zu machen, sagte Isak unparteiisch. Ich sehe nichts anderes, als daß
-er draußen ein gutes Tagewerk vollbringt. -- So, ja, ja, antwortete
-Inger schüchtern. -- Ich weiß nicht, was du gegen den Jungen hast! rief
-Isak erzürnt. Er leistet mit jedem Tag bessere Arbeit, kannst du mehr
-erwarten? -- Inger murmelte: Er ist nicht mehr, wie er war. Du solltest
-mit ihm wegen der Westen sprechen. -- Wegen der Westen? Wieso? -- Er
-sagt, daß er im Sommer in der Stadt weiße Westen getragen habe. --
-Isak dachte darüber nach und begriff nichts. Aber kann er denn nicht
-eine weiße Weste bekommen? fragte er. Isak war verwirrt, das Ganze war
-natürlich nur ein Weibergeschwätz, er meinte, der Junge sei mit der
-weißen Weste im Recht und begriff überdies nicht, was das bedeuten
-sollte, er wollte also rasch darüber weggehen. Nun, was würdest du dazu
-sagen, wenn er Bredes Ansiedlung zum Heraufarbeiten bekäme? -- Wer?
-fragte Inger. -- Eleseus. -- Breidablick? fragte Inger. Tu das ja nicht.
-
-Die Sache war nämlich die, daß sie den Plan schon mit Eleseus
-durchgesprochen hatte, sie kannte ihn wohl von Sivert, der den Mund
-nicht hatte halten können. Und im übrigen -- warum hätte Sivert über
-den Plan schweigen sollen, den der Vater sicher nur deshalb verraten
-hatte, damit er durchgesprochen würde? Es war nicht das erstemal, daß
-er Sivert auf diese Weise zum Vermittler machte. Na, aber was hatte
-Eleseus geantwortet? Wie früher, wie in seinen Briefen aus der Stadt:
-Nein, ich will das, was ich gelernt habe, nicht wegwerfen und wieder
-der reine Garnichts sein! Das hatte er geantwortet. Ja, dann war ja
-die Mutter mit ihren guten Gründen herausgerückt, aber Eleseus hatte
-für alles nur abschlägige Antworten gehabt und gesagt, er habe andere
-Pläne für sein Leben. Das junge Herz hat seine unerforschlichen Gründe;
-nach dem, was geschehen war, fand er es vielleicht auch unmöglich,
-der Nachbar von Barbro zu werden. Das konnte niemand wissen. Er hatte
-der Mutter gegenüber nur obenhin Auskunft gegeben und gesagt, er
-könne in der Stadt eine bessere Stelle bekommen, als er jetzt habe;
-er könne auch Schreiber beim Landrichter oder Landrat werden; man
-müsse hinaufkommen, in einigen Jahren werde er vielleicht Lensmann
-oder Leuchtturmwächter, oder er komme aufs Zollamt. Es gebe so viele
-Möglichkeiten für den, der etwas gelernt habe.
-
-Woher es nun auch kam, aber jedenfalls wurde die Mutter bekehrt, wurde
-mitgerissen, und sie war ja selbst so wenig sicher, die Welt konnte sie
-gar leicht wieder in ihre Schlingen ziehen. Im Winter hatte sie sogar
-in einem gewissen ausgezeichneten Andachtsbuch gelesen, das sie bei
-ihrem Weggang in der Anstalt in Drontheim bekommen hatte; aber jetzt?
-Ob denn Eleseus wirklich Lensmann werden könne? -- Jawohl, antwortete
-Eleseus. Was ist denn der Lensmann Heyerdahl anderes als ein früherer
-Schreiber auf einer Amtsstube?
-
-Große Aussichten! Die Mutter wollte Eleseus geradezu abraten, sein
-Leben zu ändern und sich wegzuwerfen. Was sollte ein solcher Mann im
-Ödland?
-
-Aber warum gab sich Eleseus jetzt so viele Mühe und schaffte so fleißig
-auf den Feldern der Heimat? Gott mochte es wissen, er hatte vielleicht
-eine Absicht dabei! Etwas Bauernehrgeiz hatte er wohl auch, er wollte
-nicht zurückstehen. Außerdem schadete es nicht, wenn er an dem Tag,
-an dem er die Heimat wieder verließ, mit dem Vater gut Freund war. Um
-die Wahrheit zu sagen, so hatte er verschiedene kleine Schulden in der
-Stadt, es wäre gut, wenn er diese bereinigen könnte. Das würde großen
-neuen Kredit bedeuten. Und hier handelte es sich nicht nur um einen
-Hundertkronenschein, sondern um etwas, das etwas war.
-
-Eleseus war nicht dumm, oh, weit entfernt, er war sogar auf seine Art
-schlau. Er hatte den Vater wohl heimkommen sehen und wußte, daß er
-in diesem Augenblick drinnen am Fenster saß und herüberschaute. Wenn
-sich da nun Eleseus besondere Mühe bei der Arbeit gab, gereichte ihm
-das vielleicht gerade jetzt zum Vorteil, und es geschah ja niemand ein
-Unrecht dadurch.
-
-Eleseus hatte etwas Verfeinertes an sich, was es nun auch sein mochte,
-aber zugleich auch etwas Verpfuschtes wie etwas Zerstörtes, er war
-nicht böse, aber ein wenig verstockt. Hatte ihm in den verflossenen
-Jahren eine starke Hand über sich gefehlt? Was konnte die Mutter jetzt
-für ihn tun? Einzig und allein ihm helfen. Sie konnte sich von den
-großen Zukunftsaussichten des Sohnes blenden lassen und ihm beim Vater
-die Stange halten. Das konnte sie.
-
-Aber Isak wurde schließlich ärgerlich über ihre abweisende Haltung,
-seiner Meinung nach war der Plan mit Breidablick gar nicht so übel.
-Heute auf dem Heimweg hatte er sogar der Versuchung nachgegeben und das
-Pferd angehalten, um sich in aller Eile einen sachkundigen Überblick
-über die vernachlässigte Ansiedlung zu verschaffen: unter arbeitsamen
-Händen konnte etwas daraus werden. -- Warum soll ich es nicht wagen?
-fragte er Inger jetzt. Ich habe so viel Herz für Eleseus übrig, daß
-ich ihm dazu verhelfen will. -- Ach, wenn du ein Herz für ihn hast, so
-nenne Breidablick vor ihm nicht mehr, versetzte sie. -- So. -- Nein,
-denn er hat viel größere Gedanken als wir.
-
-Isak ist ja selbst seiner Sache nicht ganz sicher, er kann also nicht
-so recht gewichtig reden, aber es ärgert ihn, daß er mit diesem Plan
-herausgerückt ist und so unvorsichtig offen geredet hat, deshalb will
-er ihn nur ungern aufgeben. Er soll tun, was er will, erklärte Isak
-plötzlich. Und er sagt es mit lauter, drohender Stimme zum Besten für
-Inger, falls sie zufällig nicht gut hören sollte. Ja, sieh mich nur an,
-aber ich sage jetzt nichts mehr. Das Schulhaus ist dort, und es ist
-auf dem halben Wege vom Dorfe hierher, und alles miteinander, was sind
-denn das für große Gedanken, die er hat? Mit einem Sohne wie er könnte
-ich leicht verhungern, ist das etwa besser? Aber nun frage ich, wie
-es kommt, daß mein eigenes Fleisch und Blut ungehorsam gegen -- mein
-eigenes Fleisch und Blut sein kann? -- Isak schwieg. Er begriff wohl,
-je mehr er redete, desto schlimmer wurde es. Er wollte jetzt erst
-einmal die Sonntagskleider ausziehen, in denen er im Dorfe gewesen war;
-aber nein, er änderte diesen Entschluß wieder und wollte so bleiben,
-wie er war -- was er wohl damit wollte? Du mußt versuchen, es mit
-Eleseus ins reine zu bringen, sagte er dann. -- Inger antwortete: Es
-wäre am besten, du würdest es ihm selbst sagen. Mir folgt er nicht!
--- Jawohl, Isak ist das Haupt für alle, das wollte er meinen. Eleseus
-sollte es nur versuchen, sich zu mucksen! Aber ob es nun war, weil er
-eine Niederlage befürchtete -- Isak weicht jetzt aus und sagt: Ja, das
-könnte ich tun, ich könnte es ihm selbst sagen. Aber da ich so vieles
-andere zu besorgen habe, so muß ich jetzt an anderes denken. -- So?
-fragt Inger verwundert.
-
-Nun geht Isak wieder fort, nur bis an die Grenze des Grundstücks,
-aber jedenfalls fort. Er ist sehr geheimnisvoll und will allein sein.
-Die Sache ist die, er ist heute mit einer dritten Neuigkeit vom Dorf
-zurückgekommen, und diese dritte ist größer als die beiden anderen, sie
-ist ungeheuer groß; er hat sie am Waldessaum versteckt. Da steht sie,
-in Sackleinwand und Papier eingebunden. Er packt sie aus, und es ist
-eine große Maschine. Seht, sie ist rot und blau, wunderbar, mit vielen
-Zähnen und vielen Messern, mit Gelenken, mit Armen, Rädern, Schrauben,
-eine Mähmaschine. Natürlich wäre das neue Pferd nicht gerade an diesem
-Tag geholt worden, wenn es nicht wegen der Mähmaschine hätte sein
-müssen.
-
-Isak steht mit einem ungeheuer scharfsinnigen Gesicht da und versucht,
-die Gebrauchsanweisung, die der Kaufmann ihm vorgelesen hatte, von
-einem Ende zum andern aus seinem Gedächtnis hervorzuholen; er befestigt
-eine Stahlfeder da und schiebt dort einen Bolzen ein, dann ölt er jedes
-Loch und jede Ritze, dann sieht er das Ganze noch einmal nach. Noch
-nie hat Isak einen solchen Augenblick erlebt. Eine Feder in die Hand
-nehmen und sein Hauszeichen unter ein Dokument setzen -- jawohl, auch
-das ist eine große Gefahr und Schwierigkeit. Ebenso mit dem Reolpflug,
-der viele gebogene Messer hat, die ineinandergreifen müssen. Und dann
-die große Kreissäge im Sägewerk, die haargenau in ihrem Lager ruhen muß
-und nicht nach Ost und West ausweichen oder gar herausspringen darf.
-Aber die Mähmaschine -- ein wahres Elsternest aus stählernen Zweigen
-und Haken und Vorrichtungen und Hunderten von Schrauben. Oh, Ingers
-Nähmaschine war nur eine Kleinigkeit dagegen!
-
-Dann spannte sich Isak selbst vor und probierte die Maschine. Das war
-gerade der große Augenblick. Deshalb wollte er zuerst im verborgenen
-mit der Maschine bleiben und auch sein eigenes Pferd sein.
-
-Denn wie, wenn nun die Maschine falsch zusammengesetzt war und ihre
-Arbeit nicht verrichtete, sondern mit einem Knall zersprang? Aber
-das geschah nicht, die Maschine mähte Gras. Das würde auch gerade
-noch fehlen! Isak hatte hier in tiefes Studium versunken stundenlang
-gestanden, die Sonne war indessen untergegangen. Wieder spannt er sich
-vor und probiert, die Maschine mäht Gras. Das fehlte auch gerade noch!
-
-Als gleich nach dem heißen Tag der Tau fiel und die beiden Brüder,
-jeder mit seiner Sense, auf der Wiese standen, um für den nächsten Tag
-zu mähen, tauchte Isak bei den Häusern auf und sagte: Hängt eure Sensen
-heute abend nur wieder hinein. Ihr könnt das neue Pferd anschirren und
-mit ihm hinüber an den Wald kommen.
-
-Damit ging aber Isak nicht ins Haus hinein, um sein Abendbrot zu essen,
-was die andern schon getan hatten, sondern er drehte auf dem Hofplatz
-gleich wieder um und ging aufs neue dahin, woher er gekommen war.
-
-Sollen wir den Karren anspannen? rief ihm Sivert nach.
-
-Nein, antwortete der Vater und ging weiter.
-
-Er strotzte förmlich von Geheimniskrämerei und war ganz übermütig, bei
-jedem Schritt wiegte er sich in den Knien, so nachdrücklich schritt er
-dahin. Ging es dem Tod und Untergang entgegen, so war er jedenfalls
-ein mutiger Mann, er trug nichts in den Händen, mit dem er sich hätte
-verteidigen können.
-
-Die Jungen kamen mit dem Pferd nach, jetzt sahen sie die Maschine, und
-sie hielten jäh an. Das war die erste Mähmaschine hier im Ödland, die
-erste auch im Dorfe, rot und blau, prachtvoll anzusehen. Der Vater, das
-Oberhaupt aller, rief gleichgültig und ganz wie sonst: Kommt her und
-spannt das Pferd vor diese Mähmaschine! -- Die Söhne spannten ein.
-
-Dann fuhren sie, der Vater fuhr. Brr! sagte die Maschine und mähte das
-Gras nieder. Die Söhne hinterher, ohne etwas in den Händen, ohne zu
-arbeiten, lächelnd. Jetzt hielt der Vater an und sah zurück -- na, es
-könnte besser gemäht sein. Er schraubte an ein paar Stellen, um die
-Messer näher an den Boden zu legen, und probierte wieder. Nein, so wird
-ungleich gemäht, uneben gemäht. Die Scheide, an der alle Messer sind,
-wackelt ein wenig auf und nieder. Vater und Söhne wechselten ein paar
-Worte. Eleseus hat die Gebrauchsanweisung gefunden und liest darin.
-
-Da steht, daß du dich auf den Sitz setzen sollst, Vater, dann gehe die
-Maschine ruhiger, sagt er. -- So, versetzte der Vater. Ja, das weiß ich
-wohl, fügte er hinzu, ich habe alles genau studiert. -- Er setzt sich
-auf den Sitz und fährt wieder, nun geht es ruhig. Aber plötzlich mäht
-die Maschine nicht mehr, nein, alle Messer stehen auf einmal still. Ho!
-Was nun? Der Vater springt vom Sitz herunter, aber jetzt ist er nicht
-mehr übermütig, sondern beugt ein kummervolles, fragendes Gesicht über
-die Maschine. Vater und Söhne starren diese an; etwas ist verkehrt.
-Eleseus hat die Gebrauchsanweisung in der Hand. -- Da liegt ein kleiner
-Bolzen! sagt Sivert, indem er ihn vom Boden aufhebt. -- Ach so, es ist
-gut, daß du ihn gefunden hast, sagt der Vater, als wäre das alles,
-was er brauchte, um die Maschine wieder in Ordnung zu bringen. Gerade
-diesen Bolzen habe ich gesucht. -- Aber nun konnten sie das Loch nicht
-finden; wo zum Kuckuck war das Loch zu dem Bolzen? Da, sagt Eleseus und
-deutet mit dem Finger.
-
-Und jetzt mußte sich Eleseus wohl der Sache etwas gewachsen fühlen,
-seine Fähigkeit, eine Gebrauchsanweisung zu erforschen, war hier
-unersetzlich; er deutete überflüssig lange auf das Loch und sagte:
-Nach der Illustration zu verstehen, muß der Bolzen hier hinein! --
-Jawohl muß er hier hinein, sagte auch der Vater, da hatte ich ihn ja
-eingesetzt! Und um seine Autorität wieder herzustellen, befahl er
-Sivert, nach noch weiteren Bolzen im Gras zu suchen. Es muß noch einer
-da sein, sagte er mit ungeheuer wichtiger Miene, wie wenn er alles im
-Kopf hätte. Findest du keinen mehr? Na, dann sitzt er wohl noch in
-seinem Loch!
-
-Dann wollte der Vater wieder fahren.
-
-Aber das ist falsch! ruft Eleseus. Oh, Eleseus steht mit der Zeichnung
-in der Hand, mit dem Gesetz in der Hand da, ihn darf man nicht auf
-die Seite schieben. Diese Feder hier muß außen sein! -- Ja? fragt
-der Vater. -- Jawohl, aber jetzt ist sie unten, du hast sie unten
-hingesetzt. Es ist eine Stahlfeder, die muß außen sein, sonst springt
-der Bolzen wieder heraus, und dann stehen alle Messer still. Hier
-steht es auf der Abbildung! -- Ich habe meine Brille nicht bei mir,
-deshalb kann ich die Zeichnung nicht deutlich sehen, sagte der Vater
-kleinlauter. Hier, du hast bessere Augen, schraube du die Feder ein.
-Aber mach es nun richtig. Wenn es nicht so weit wäre, würde ich meine
-Brille holen.
-
-Jetzt ist alles in Ordnung, und der Vater sitzt auf. Eleseus ruft ihm
-nach: Und dann mußt du ein bißchen schnell fahren, dann schneiden die
-Messer besser! Hier steht es!
-
-Isak fährt und fährt, und alles geht gut, und Brr! sagt die Maschine.
-Sie hinterläßt einen breiten Weg von gemähtem Gras, in einer schönen
-Linie liegt es da, fertig zum Ausbreiten. Jetzt kann man Isak vom Hause
-aus sehen, und alle Frauenzimmer eilen heraus. Inger trägt die kleine
-Rebekka auf dem Arm, obgleich die kleine Rebekka längst laufen kann.
-Aber jetzt kommen sie daher, vier Frauenzimmer, große und kleine, und
-sie eilen mit weit aufgerissenen Augen zu dem Wunderwerk hin, sie
-umdrängen es. Oh, wie mächtig Isak jetzt ist und richtig stolz; frei
-auf der Maschine droben sitzt er, im Sonntagsgewand, in vollem Staat,
-in Rock und Hut, obgleich ihm der Schweiß von der Stirne tropft. Er
-fährt in vier großen Winkeln über ein passendes Wiesenstück, schwingt
-um, fährt, mäht, kommt an den Frauen vorüber, die wie aus den Wolken
-gefallen sind, sie begreifen es nicht, und Brr! sagt die Maschine.
-
-Dann hält Isak an und steigt herunter. Seht, er sehnt sich gewißlich
-danach, zu hören, was die Menschen auf der Erde sagen, was sie jetzt
-wohl sprechen werden! Er hört leise Ausrufe, die Menschen wollen ihn
-auf seinem großen Posten nicht stören, aber sie stellen ängstliche
-Fragen aneinander, und diese Fragen hört Isak. Und jetzt, um ein
-freundliches väterliches Oberhaupt für alle zu sein, muntert Isak sie
-auf, indem er sagt: Ja, ja, ich mähe nun dieses Wiesenstück, dann
-könnt ihr das Heu morgen ausbreiten. -- Du hast wohl gar keine Zeit,
-hereinzukommen und zu essen? fragt Inger überwältigt. -- Nein, ich habe
-jetzt anderes zu tun, erwidert er.
-
-Dann ölt er die Maschine noch einmal und gibt den anderen zu verstehen,
-daß es sich hier um eigentliche Wissenschaft handle. Dann fährt er
-wieder und mäht weiter. Schließlich gehen die Frauenzimmer wieder
-hinein.
-
-Glücklicher Isak! Glückliche Menschen auf Sellanraa!
-
-Isak erwartet sehr bald, die Nachbarn von drunten ankommen zu sehen.
-Axel Ström hat sehr viel Interesse, er kommt vielleicht schon morgen.
-Aber Brede von Breidablick ist imstande und kommt noch heute nacht.
-Isak hätte gar nichts dagegen, ihnen die Mähmaschine zu erklären
-und darzutun, wie gut er sie in allem regieren kann. Er will darauf
-hinweisen, daß man mit der Sense unmöglich so glatt und gleichmäßig
-mähen könne. Aber was eine solche erstklassige blau und rote
-Mähmaschine kostet, das ist auch gar nicht zu sagen!
-
-Glücklicher Isak!
-
-Aber als er die Maschine zum drittenmal anhält und wieder ölt, fällt
-ihm wahrhaftig die Brille aus der Tasche. Und das schlimmste ist, daß
-seine Söhne es gesehen haben. War eine höhere Macht dabei im Spiel, war
-es eine Ermahnung, etwas weniger hochmütig zu sein? Er hatte ja auf dem
-Heimweg oft die Brille aufgesetzt und die Gebrauchsanweisung studiert,
-sie aber eben nicht verstanden, da hatte Eleseus eintreten müssen. Ach
-Gott im Himmel, ja, Kenntnisse sind etwas Gutes! Und um sich selbst
-zu demütigen, will Isak es nun aufgeben, Eleseus zum Landmann zu
-machen, er wollte nicht mehr davon reden. Nicht, daß die Jungen aus
-dem Mißgeschick mit der Brille eine große Sache gemacht hätten, im
-Gegenteil; der Spaßvogel Sivert konnte zwar nicht an sich halten, nein,
-das konnte er nicht, er zupfte Eleseus am Ärmel und sagte: Komm, jetzt
-gehen wir hinein und verbrennen unsere Sensen; Vater mäht für uns! --
-Dieser Scherz kam im rechten Augenblick.
-
-
-
-
-Zweiter Teil
-
-
-
-
-1
-
-
-Sellanraa ist nicht länger eine unbewohnte Stätte, sieben Menschen
-leben hier mit groß und klein. Aber während der kurzen Zeit der
-Heuernte kam auch noch der eine oder andere Besuch dazu, Leute, die
-gerne die Mähmaschine sehen wollten, Brede natürlich als der erste;
-aber auch Axel Ström kam und die Nachbarn bis zum Dorf hinunter. Und
-von der andern Seite des Gebirges kam Oline; sie war unverwüstlich.
-
-Auch diesmal kam Oline nicht ohne Neuigkeiten aus ihrem Dorfe; sie
-stellte sich nie leer ein: Jetzt war die Verrechnung von dem Nachlaß
-des alten Sivert fertig geworden, und es blieb kein Vermögen übrig! Gar
-keines!
-
-Hier kniff Oline den Mund zusammen, und ihre Blicke schweiften gespannt
-von einem zum andern. Na, tönte denn kein Seufzer durch die Stube,
-fiel nicht die Decke ein? Eleseus war der erste, der lächelte. Wie
-ist's denn, bist du nicht nach dem Ohm Sivert getauft? fragte er mit
-gedämpfter Stimme. Und Klein-Sivert antwortete ebenso gedämpft: Doch.
-Aber ich habe ja seinen ganzen Nachlaß dir verehrt. -- Wieviel war's
-denn? -- Zwischen fünf- und zehntausend. -- Taler? rief Eleseus schnell
-und machte Sivert genau nach.
-
-Oline meinte, es sei jetzt nicht Zeit zu spaßen, ach, wie war sie
-selbst geprellt worden, und sie hatte doch am Sarg des alten Sivert
-ihre ganze zähe Willenskraft aufgeboten und Tränen geweint. Eleseus
-wußte ja selbst am besten, was er geschrieben hatte: soundso viel
-für Oline als Stab und Stütze für ihr Alter. Was war aus diesem Stab
-geworden? Übers Knie gelegt und gebrochen.
-
-Arme Oline, sie hätte wohl eine Kleinigkeit erben dürfen, das wäre der
-einzige lichte Punkt in ihrem Leben gewesen! Sie war nicht verwöhnt.
-Geübt im Bösen, jawohl, daran gewöhnt, sich von Tag zu Tag mit Kniffen
-und kleinen Betrügereien durchzuschlagen, groß allein in der Kunst,
-Klatsch zu verbreiten, ihre Zunge gefürchtet zu machen, jawohl.
-Nichts hätte sie jetzt noch schlimmer machen können, eine Erbschaft
-am allerwenigsten. Sie hatte ihr ganzes Leben lang gearbeitet,
-hatte Kinder geboren und ihnen ihre eigenen paar Handfertigkeiten
-beigebracht, hatte für sie gebettelt, vielleicht auch gestohlen,
-aber sie doch ernährt -- eine Mutter in kleinen Verhältnissen. Ihre
-Gaben waren nicht geringer als die Gaben anderer Politiker, sie
-wirkte und schaffte für sich und die Ihrigen, richtete sich nach dem
-Augenblick und brachte sich durch, verdiente ein Käschen da und eine
-Handvoll Wolle dort und würde in alltäglicher und unaufrichtiger
-Schlagfertigkeit leben und sterben. Oline -- vielleicht hatte sich der
-alte Sivert an die Zeit erinnert, wo er sie noch als jung, rotwangig
-und hübsch gekannt hatte. Aber nun war sie alt und häßlich, ein
-Bild der Vergänglichkeit, sie sollte lieber tot sein. Wo wird sie
-begraben? Sie besitzt kein eigenes Erbbegräbnis, wahrscheinlich wird
-sie einmal in irgendeinem Kirchhof bei lauter fremden und unbekannten
-Knochenresten unter den Boden gebracht, da wird sie einmal landen.
-Oline, geboren und gestorben. Auch sie war einmal jung. Eine Erbschaft
-für sie jetzt noch zur elften Stunde! Jawohl, ein einziger lichter
-Punkt, und die Hände einer Sklavin der Arbeit würden sich für einen
-Augenblick gefaltet haben. Die Gerechtigkeit hätte ihr noch einen
-verspäteten Lohn gespendet, weil sie für ihre Kinder gebettelt,
-vielleicht auch gestohlen, sie aber jedenfalls ernährt hatte. Für einen
-Augenblick -- und wieder hätte Dunkel in ihr geherrscht, die Augen
-hätten geschielt, die Hände gesucht und getastet: Wieviel ist es? würde
-sie sagen. Was, nicht mehr? würde sie sagen. Und sie hätte wieder
-recht. Sie war vielfache Mutter und verstand das Leben einzuschätzen,
-das war großen Lohnes wert.
-
-Alles schlug fehl. Die Rechnungen des alten Sivert waren jetzt, nachdem
-Eleseus sie durchgesehen hatte, wohl einigermaßen in Ordnung, aber der
-kleine Hof und die Kuh, der Bootsschuppen und das Großnetz deckten nur
-knapp den Fehlbetrag in der Kasse. Und daß es überhaupt einigermaßen
-so gut ging, wie es ging, das war zum Teil Oline zu verdanken; sie
-war sehr versessen darauf, daß ein Rest für sie übrigbleibe, und so
-zog sie vergessene Posten, von denen sie als alte Klatschbase wußte,
-oder Posten, die der Revisor absichtlich übersehen hatte, um nicht
-achtenswerte Dorfgenossen in Schaden zu bringen, ans Licht. Diese
-verflixte Oline! Und sie beschuldigte nicht einmal den alten Sivert
-selbst; er hatte ja sicherlich aus gutem Herzen testiert und hätte
-auch reichlich Geld hinterlassen, jawohl; nein, die beiden Vertreter
-der Kreisverwaltung, die die Sache zu ordnen hatten, die hatten sie
-geprellt. Aber einst wird auch dies dem Allwissenden zu Ohren kommen!
-sagte Oline drohend.
-
-Merkwürdigerweise sah sie nichts Lächerliches darin, daß sie im
-Testamente genannt war; das war trotz allem eine Ehre, niemand sonst
-von den Ihrigen stand darin.
-
-Die Leute auf Sellanraa trugen das Unglück mit Geduld, sie waren ja
-auch nicht ganz unvorbereitet. Inger konnte es allerdings nicht recht
-fassen: Der Oheim Sivert, der seiner Lebtag so reich gewesen ist!
-sagte sie. -- Er hätte als aufrechter und reicher Mann vor den Thron
-des Lammes treten können, aber sie haben ihn beraubt! behauptete
-Oline. -- Isak war im Begriff, fortzugehen, und Oline sagte: Das ist
-sehr dumm, Isak, daß du fort willst, so kriege ich ja die Mähmaschine
-nicht zu sehen. Du hast doch eine Mähmaschine, nicht wahr? -- Jawohl.
--- Ja, jedermann spricht davon. Und daß sie rascher mäht als hundert
-Sensen. Was du dir nicht alles anschaffen kannst, Isak, mit deinem
-Geld und deinem Vermögen! Unser Pfarrer hat einen neuen Pflug mit zwei
-Pflugscharen, aber was ist der Pfarrer neben dir! Das würde ich ihm
-offen ins Gesicht sagen. -- Sivert kann dir mit der Maschine vormähen,
-er kann es schon viel besser als ich, sagte Isak und ging fort.
-
-Isak ging fort. Auf Breidablick ist Versteigerung gerade um die
-Mittagsstunde, und er kann eben noch rechtzeitig hinkommen.
-
-Nicht als ob Isak noch daran dachte, die Ansiedlung zu kaufen, aber das
-ist nun die erste Versteigerung in der Gegend, und da will er dabeisein.
-
-Als er bis nach Maaneland gekommen ist und Barbro da sieht, will er
-nur grüßen und weitergehen, aber Barbro redet ihn an und fragt ihn, ob
-er dort hinunter wolle? -- Ja, antwortet er und will weitergehen. Es
-ist Barbros Kinderheimat, die versteigert wird, deshalb antwortet er
-so kurz angebunden. -- Willst du zur Versteigerung? fragt sie. -- Zur
-Versteigerung? Na, ich gehe eben einmal hinunter. Wo ist denn Axel? --
-Axel? Ich weiß nicht, wo er ist. Er ist zur Versteigerung gegangen, er
-will wohl auch dies oder jenes zu einem Spottpreis ergattern.
-
-Wie dick doch Barbro war, und wie bissig, ganz rasend!
-
-Die Versteigerung hat schon angefangen. Isak hört des Lensmanns Aufrufe
-und sieht viele Leute. Als er näher kommt, sieht er, daß er nicht alle
-kennt; es sind verschiedene Leute von auswärts da, aber Brede treibt
-sich in seinem besten Anzug umher und ist lebhaft und gesprächig:
-Guten Tag, Isak! So, du erweist mir auch die Ehre und kommst zu meiner
-Versteigerung. Ich danke dir! Wir sind viele Jahre lang Nachbarn und
-gute Freunde gewesen, und niemals hat es ein böses Wort zwischen uns
-gegeben. -- Brede wird ganz gerührt: Es ist ja sonderbar, wenn man sich
-vorstellt, daß man einen Ort verlassen soll, für den man gelebt und
-gestrebt und den man liebgewonnen hat. Aber was hilft es, wenn es einem
-nun einmal so bestimmt ist. -- Vielleicht wird es jetzt für dich viel
-besser, tröstet Isak. -- Ja, weißt du, das glaube ich auch, erwiderte
-Brede rasch gefaßt. Es ist mir nicht leid, durchaus nicht. Ich habe
-hier auf dem Lande keine Seide gesponnen, das wird jetzt besser werden,
-die Kinder werden größer und fliegen aus dem Nest -- na, die Frau
-sorgt ja wieder für ein Kleines, aber trotzdem! Und plötzlich sagt
-Brede klipp und klar: Ich habe den Telegraphen aufgekündigt. -- Was?
-fragt Isak. -- Ich habe den Telegraphen aufgekündigt. -- Du hast den
-Telegraphen aufgekündigt? -- Ja, zu Neujahr. Was soll ich weiter damit?
-Und wenn ich im Verdienen wäre und den Lensmann oder den Pfarrer fahren
-müßte, dann hätte immer der Telegraph zu allererst kommen müssen. Nein,
-das gibt es nicht. Das kann einer machen, der überflüssige Zeit hat;
-die Telegraphenlinie entlang rennen, über Berg und Tal für eine kleine
-oder gar keine Bezahlung, das tut der Brede nicht! Und außerdem habe
-ich mich mit dem Vorstand, der mein Vorgesetzter ist, verkracht.
-
-Der Lensmann wiederholt immer noch die Angebote auf die Ansiedlung,
-und sie haben nun die wenigen hundert Kronen erreicht, die das Gut
-geschätzt wird, deshalb werden jetzt nur noch fünf oder zehn Kronen
-mehr auf einmal geboten. Ich glaube wahrhaftig, jetzt bietet der Axel!
-sagt Brede plötzlich und eilt neugierig zu ihm hinüber. Willst du
-meinen Hof kaufen? Ist dir deiner nicht groß genug? -- Ich biete für
-einen andern Mann, erwidert Axel etwas ausweichend. -- Na ja, das
-ist mir einerlei, so ist das nicht gemeint. -- Der Lensmann hebt den
-Hammer, ein neues Gebot wird gemacht, hundert Kronen mehr auf einmal;
-niemand geht höher, der Lensmann nennt das letzte Angebot noch ein
-paarmal, wartet eine Weile mit erhobenem Hammer und schlägt dann zu.
-
-Wer hatte geboten?
-
-Axel Ström. Für einen andern Mann.
-
-Der Lensmann schreibt ins Protokoll: Axel Ström pr. Kommission.
-
-Für wen kaufst du? fragte Brede. Nicht, als ob es mir nicht ganz
-einerlei wäre.
-
-Aber nun stecken einige Herren am Tische des Lensmannes die Köpfe
-zusammen. Da sitzt ein Vertreter der Bank, der Kaufmann ist, mit seinem
-Ladendiener da, etwas hat sich ereignet, die Forderungen der Gläubiger
-sind nicht gedeckt! Brede wird gerufen, leicht und sorglos kommt er
-daher und nickt nur, jawohl, ganz derselben Ansicht. Wer hätte auch
-denken können, daß der Hof nicht mehr bringen werde, sagte er. Und
-plötzlich verkündet er allen Anwesenden mit lauter Stimme: Da wir nun
-mit der Versteigerung fertig sind und ich doch einmal den Lensmann
-herbemüht habe, so will ich alles verkaufen, was ich hier habe. Den
-Wagen, die Tiere, eine Mistgabel, den Schleifstein, das brauche ich
-alles nicht mehr, ich verkaufe Rump und Stump.
-
-Geringe Angebote. Bredes Frau, auch sie leichtfüßig und sorglos, trotz
-ihres ungeheuren Umfangs, hat inzwischen begonnen, an einem Tisch
-Kaffee zu verkaufen; sie findet diese Beschäftigung unterhaltend, sie
-lächelt, und als Brede selbst kommt und Kaffee trinkt, verlangt sie zum
-Spaß auch von ihm Bezahlung. Und Brede zieht wirklich seinen mageren
-Beutel und bezahlt. Seht doch nur die Frau an! sagt er zu der ganzen
-Versammlung. Sie versteht's! sagt er.
-
-Der Wagen ist nicht viel wert, er hat zu oft unter freiem Himmel
-gestanden; aber Axel bietet schließlich noch ganze fünf Kronen mehr
-und ersteht auch den Wagen. Dann kauft Axel nichts mehr. Aber alles
-verwundert sich, daß der vorsichtige Mann so viel gekauft hat.
-
-Nun ging's an die Tiere. Sie standen heute im Stall, um in der Nähe zu
-sein. Was sollte Brede mit Tieren, wenn er kein Weideland mehr dafür
-hatte! Kühe hatte er gar nicht, er hatte seine Landwirtschaft mit zwei
-Geißen begonnen, jetzt hatte er vier. Außerdem hatte er sechs Schafe.
-Ein Pferd besaß er nicht.
-
-Isak kaufte ein gewisses Schaf mit flachen Ohren. Als Bredes Kinder
-dieses Schaf aus dem Stall herausführten, bot er sofort darauf; das
-erregte Aufmerksamkeit; Isak von Sellanraa war ja ein reicher und
-angesehener Mann, der brauchte doch nicht noch mehr Schafe, als er
-schon hatte. Bredes Frau hält einen Augenblick mit ihrem Kaffeeverkauf
-inne und sagt: Zu diesem Schaf kann man dir nur zureden, Isak; es ist
-zwar alt, aber es wirft jedes Jahr zwei oder drei Lämmer. -- Ja, das
-weiß ich, erwidert Isak und sieht sie voll an. Ich kenne das Schaf.
-
-Er macht sich mit Axel Ström zusammen auf den Heimweg und führt sein
-Schaf am Strick. Axel ist schweigsam, und irgend etwas scheint ihn zu
-wurmen, was es nun auch sein mag. Aber er hat doch eigentlich keine
-äußere Ursache, niedergeschlagen zu sein, denkt Isak. Seine Wirtschaft
-ist in gutem Stande, er hat das meiste Futter schon hereingebracht, und
-er ist eben dabei, sein Wohnhaus aufzurichten. Es geht bei Axel Ström,
-wie es gehen soll, ein wenig langsam, aber sicher. Jetzt hat er sich
-auch ein Pferd angeschafft.
-
-Du hast Bredes Hof gekauft, sagt Isak. Willst du ihn bewirtschaften? --
-Nein, ich will ihn nicht bewirtschaften. Ich habe ihn für einen andern
-gekauft. -- So. -- Was meinst du, habe ich zuviel bezahlt? -- O nein.
-Er hat gute Moore, wenn sie entwässert werden. -- Ich habe den Hof für
-meinen Bruder in Helgeland gekauft. -- So. -- Aber ich habe so halb und
-halb daran gedacht, mit ihm zu tauschen. -- Du willst mit ihm tauschen?
--- Wenn Barbro lieber da unten wohnen möchte.
-
-Schweigend gehen sie ein gutes Stück. Dann sagt Axel: Man ist
-sehr hinter mir her, ich soll den Telegraphen übernehmen. -- Den
-Telegraphen? So. Ja, ich habe gehört, der Brede habe ihn aufgekündigt.
--- So, antwortet Axel lächelnd; das ist nicht ganz genau so gewesen,
-ihm, dem Brede, ist aufgekündigt worden. -- Ja, ja, sagte Isak und
-versuchte Brede ein wenig zu entschuldigen; der Telegraph nimmt viel
-Zeit weg. -- Sie haben ihm zu Neujahr gekündigt, wenn er sich nicht
-bessere. -- So. -- Meinst du nicht, ich könnte den Posten übernehmen?
--- Isak dachte lange nach und antwortete dann: Ja, ja, das bringt Geld.
--- Sie wollen mir mehr geben. -- Wieviel? -- Das Doppelte. -- Das
-Doppelte? Ja, dann meine ich, du könntest es dir überlegen. -- Aber die
-Strecke ist etwas länger geworden. Nein, ich weiß doch nicht, was ich
-tun soll; es läßt sich jedoch jetzt weniger aus dem Wald herausschlagen
-als zu deiner Zeit, und ich muß mir noch mehr Geräte anschaffen, ich
-habe jetzt zu wenig. An bar Geld fehlt es immer, und mein Viehstand ist
-nicht so groß, daß ich davon verkaufen könnte. Ich meine, ich sollte
-es einmal ein Jahr mit dem Telegraphen versuchen ... Keinem der beiden
-fiel es ein, daß Brede sich bessern und seinen Posten behalten könnte.
-
-Als sie nach Maaneland kamen, ist auch Oline auf ihrem Heimweg dort
-angelangt, ja, Oline ist merkwürdig, sie kriecht fett und rund daher
-wie eine Raupe und ist doch über siebzig Jahre, aber sie kommt weiter.
-Sie sitzt in der Gamme und trinkt Kaffee, aber als sie die Männer
-gewahr wird, läßt sie alles liegen und stehen und kommt heraus. Guten
-Tag, Axel, zurück von der Versteigerung? fragt sie. Du hast doch nichts
-dagegen, daß ich Barbro einen Besuch mache? Und du baust ein Wohnhaus
-und wirst ein immer größerer Herr? Du hast ein Schaf gekauft, Isak?
--- Ja, erwidert Isak, kommt es dir nicht bekannt vor? -- Ob es mir
-bekannt vorkommt? Nein. -- Es hat aber doch diese flachen Ohren, sieh
-nur. -- Flache Ohren, wieso denn? Und wenn auch? Ja, was ich sagen
-wollte: Wer hat denn Bredes Hof gekauft? Eben habe ich zu der Barbro
-gesagt, wer wohl ihr Nachbar werden würde, habe ich gesagt. Die arme
-Barbro sitzt nur da und weint, wie nicht anders zu erwarten ist. Aber
-der Allmächtige hat ihr eine zweite Heimat hier auf Maaneland beschert.
-Flache Ohren? Ich habe in meinem Leben schon viele Schafe mit flachen
-Ohren gesehen. Und das ist wahr, Isak, diese Maschine, die du hast, ist
-fast mehr als meine alten Augen fassen können. Und was sie gekostet
-hat, danach will ich lieber gar nicht fragen, so hoch kann ich gar
-nicht zählen. Wenn du sie gesehen hast, Axel, dann weißt du, was ich
-meine, es war mir, als sähe ich Elias in seinem feurigen Wagen; Gott
-verzeih mir die Sünde ...
-
-Als das Heu unter Dach war, fing Eleseus an, sich zur Abreise zu
-rüsten. Er hatte dem Ingenieur geschrieben, er komme jetzt wieder, aber
-darauf die sonderbare Antwort erhalten, daß die Zeiten schlecht seien,
-man müsse sich einschränken, der Ingenieur könne den Posten nicht mehr
-besetzen und müsse von nun an alles selbst schreiben.
-
-Das war doch eine verfluchte Sache! Aber wozu brauchte auch dieser
-Bezirksingenieur einen Schreiber? Damals, als er den kleinen Jungen
-Eleseus von seinem Elternhaus wegnahm, wollte er sich wohl nur als
-großer Mann in der Gegend zeigen, und wenn er ihn bis über die
-Konfirmation genährt und gekleidet hatte, so hatte er auch ein wenig
-Hilfe auf dem Büro dafür gehabt. Jetzt war der Junge erwachsen, nun war
-es eine andere Sache.
-
-Aber, schrieb der Ingenieur, wenn Du zurückkommst, so will ich tun, was
-ich kann, um Dich auf einem anderen Büro unterzubringen, obgleich es
-wahrscheinlich schwierig sein wird. Es gibt so überflüssig viele junge
-Leute hier, die diese Laufbahn einschlagen. Freundliche Grüße.
-
-Gewiß wollte Eleseus zurück in die Stadt, ja, ganz zweifellos. Sollte
-er sich wegwerfen? Er wollte doch weiterkommen in der Welt. Und Eleseus
-sagte den Seinigen nichts von der veränderten Sachlage; das führte
-doch zu nichts, und außerdem war er etwas schlapp, also schwieg er.
-Das Leben auf Sellanraa wirkte wieder auf ihn, es war ein ruhmloses
-und alltägliches Dasein, es war ruhig und einschläfernd, man wurde ein
-Träumer, da war niemand, vor dem er sich hätte aufspielen, niemand,
-mit dem er sich hätte messen können. Das Stadtleben hatte sein Wesen
-gespalten, hatte ihn vornehmer gemacht als die andern, aber auch
-schwächer, er fühlte sich jetzt eigentlich überall heimatlos. Daß er
-wieder anfing, den Geruch des Rainfarn angenehm zu finden -- nun gut!
-Aber es hatte doch keinen Sinn, wenn ein Bauernjunge, der abends seine
-Mutter die Kühe melken hörte, dabei auf folgenden Gedanken kam: Jetzt
-wird gemolken, hör doch nur, es ist beinahe wunderbar anzuhören, es
-ist wie eine Art Lied, in lauter einzelnen Strahlen, ganz anders als
-die Hornmusik in der Stadt oder die Heilsarmee oder die Pfeife des
-Dampfschiffs. Der Milchstrahl, der in ein Gefäß rinnt ...
-
-Es war nicht Brauch auf Sellanraa, seine Gefühle sehr zu zeigen, und
-Eleseus fürchtete sich vor dem Augenblick des Abschieds. Er war jetzt
-gut ausgestattet, er sollte wieder einen Ballen Leinwand zu Unterzeug
-mitbekommen, und der Vater hatte Geld bereitgelegt, das Eleseus
-eingehändigt werden sollte, wenn er die Schwelle überschritt. Geld --
-konnte Isak wirklich Geld entbehren? Aber es ging nicht anders, Inger
-deutete ja an, daß es zum letztenmal sei. Eleseus werde bald aufrücken
-und für sich selbst sorgen. -- So, sagte Isak. -- Die Stimmung wurde
-feierlich, im Hause wurde es still, alle hatten zum Abschiedsessen ein
-gekochtes Ei bekommen, und Sivert stand schon draußen, fertig gerüstet,
-mitzugehen und das Gepäck zu tragen. Eleseus konnte mit dem Abschied
-anfangen.
-
-Er fing bei Leopoldine an. Ja, sie sagte ihm auch Lebewohl und machte
-das recht nett. Ebenso wiederholte die Magd Jensine, die eben Wolle
-kardätschte, den Abschiedsgruß. Aber beide Mädchen glotzten ihn ganz
-verflucht an, nur weil er vielleicht ein klein wenig rote Augen hatte.
-Er reichte seiner Mutter die Hand, und sie weinte natürlich laut auf
-und kümmerte sich den Henker darum, daß er das Weinen nicht leiden
-konnte. Laß dir's gut gehen! schluchzte sie. Der Abschied vom Vater war
-der schlimmste, unbedingt, aus tausend Gründen: er war so abgearbeitet
-und so unendlich getreu, hatte die Kinder auf den Armen getragen, ihnen
-von Möwen und anderen Vögeln erzählt und von Tieren und allen Wundern
-des Feldes. Das war gar nicht lange her, ein paar Jahre ...
-
-Der Vater steht am Fenster, dann dreht er sich plötzlich um, ergreift
-die Hand des Sohnes und sagt laut und ärgerlich: Ja, ja, leb wohl!
-Ich sehe, das neue Pferd hat sich dort losgerissen! Und hinaus
-läuft er und rennt davon. Ach, und er hatte sich ja selbst kurz
-vorher hingeschlichen und das Pferd losgebunden, und das wußte der
-Spitzbube Sivert recht gut, der draußen stand und dem Vater lächelnd
-nachschaute. Und außerdem war ja das Pferd auf der Nachmahd.
-
-Dann war Eleseus fertig.
-
-Doch da kam ihm die Mutter auf die Türschwelle nach, schluchzte noch
-mehr und sagte: Gott sei mit dir! und drückte ihm etwas in die Hand.
-Dies hier -- und du sollst ihm nicht danken, das mag er nicht. Und
-schreib auch fleißig!
-
-Zweihundert Kronen.
-
-Eleseus sah hinüber. Der Vater strengte sich ungeheuer an, einen
-Tüderpflock in die Erde zu rammen, was ihm anscheinend gar nicht
-gelingen wollte, obgleich es doch weicher Wiesengrund war.
-
-Die Brüder schritten fleißig aus, sie kamen nach Maaneland, da stand
-Barbro auf der Schwelle und lud sie ins Haus ein. Gehst du wieder fort,
-Eleseus? Dann mußt du aber hereinkommen und wenigstens eine Tasse
-Kaffee trinken.
-
-Sie gehen in die Gamme, und Eleseus ist nicht mehr verrückt vor
-Liebe und will zum Fenster hinausspringen oder Gift nehmen, nein, er
-legt seinen hellen Überrock über die Knie und sorgt dafür, daß das
-silberne Schild obenhin zu liegen kommt, danach fährt er sich mit dem
-Taschentuch übers Haar, und dann macht er die sehr feine Bemerkung: Ein
-klassisches Wetter heute!
-
-Barbro hat auch nicht die Fassung verloren, sie spielt mit ihrem
-silbernen Ring an der einen Hand und mit dem goldenen an der andern
--- ja, sie hatte wahrhaftig jetzt auch den goldenen Ring bekommen --,
-und sie hat eine Schürze an, die vom Hals bis zu den Füßen geht, so
-sieht man ihr wenigstens ihre Rundlichkeit nicht an. Und nachdem sie
-den Kaffee gekocht hat und während die Gäste ihn trinken, näht sie erst
-ein bißchen an einem weißen Tuch und häkelt dann ein bißchen an einem
-Kragen und betreibt allerlei jungfrauenhafte Arbeiten. Barbro ist nicht
-in Verlegenheit über den Besuch, und das ist gut, dadurch wird der Ton
-natürlich, und Eleseus kann wieder so obenhin und einnehmend tun.
-
-Wo ist denn Axel? fragt Sivert.
-
-Wo er ist? Irgendwo, antwortet Barbro und richtet sich auf. Ja, jetzt
-kommst du wohl nie wieder heim aufs Land? fragt sie Eleseus. -- Das
-ist höchst unwahrscheinlich, erwidert er. -- Hier ist nicht der rechte
-Ort für jemand, der an die Stadt gewöhnt ist. Ich wäre froh, wenn ich
-mit dir reisen könnte. -- Ach, das ist dir nicht Ernst. -- Nicht,
-meinst du? Oh, ich habe es erfahren, wie es ist, wenn man in der
-Stadt wohnt, und wie es auf dem Lande ist. Ich bin in einer größeren
-Stadt gewesen als du. Da ist es kein Wunder, wenn es mir hier nicht
-gefällt. -- Gewiß, so habe ich es nicht gemeint, du bist ja sogar in
-Bergen gewesen, beeilte er sich zu sagen. Es war ja schrecklich, wie
-hochfahrend sie war! -- Ja, wenn ich die Zeitung nicht hätte, so liefe
-ich sofort davon, sagte Barbro. -- Aber der Axel und alles miteinander,
-das habe ich gemeint. -- Ach, der Axel, das ginge mich nichts an.
-Und du selbst, hast du nicht vielleicht jemand in der Stadt, der auf
-dich wartet? -- Nun konnte Eleseus nicht anders, er mußte sich ein
-wenig aufspielen, er kniff die Augen zu und ließ es auf der Zunge
-zerschmelzen: daß er allerdings doch vielleicht jemand in der Stadt
-habe, der auf ihn warte. Ach ja, aber er hätte das alles noch ganz
-anders ausnützen können, wenn Sivert nicht dabeigesessen hätte; so
-konnte er nur sagen: Ach, Unsinn! -- Na, sagte sie verletzt, und es war
-eigentlich eine Schande, wie übellaunig sie war: Unsinn! Ja, du kannst
-von den Leuten auf Maaneland nicht mehr erwarten, wir sind nicht so
-großartig.
-
-Aber Eleseus kümmerte sich den Henker um sie, sie war recht fleckig im
-Gesicht geworden, und ihr Zustand war jetzt sogar seinen Kinderaugen
-aufgegangen. -- Willst du nicht ein wenig Gitarre spielen? fragte er.
--- Nein, erwiderte sie kurz angebunden. Was ich sagen wollte, Sivert,
-kannst du nicht kommen und Axel ein paar Tage beim Aufrichten des neuen
-Hauses helfen? Wie wär's, wenn du gleich morgen dabliebst, wenn du
-vom Dorf zurückkommst? -- Sivert überlegte: Ja, aber ich habe keinen
-Arbeitsanzug da, sagte er. -- Ich will heut abend hinlaufen und deine
-Werktagskleider holen, daß du sie hast, wenn du zurückkommst. -- Na ja,
-sagte Sivert, ich will mir's überlegen. -- Barbro wurde unnötig eifrig.
-Du mußt es aber gern tun! Der Sommer vergeht, und das Wohnhaus sollte
-noch vor den Herbsttagen aufgerichtet und gedeckt sein. Axel hat dich
-schon oft darum bitten wollen, aber er kommt immer nicht dazu. Nein, du
-mußt uns diese Handreichung gern tun. -- Wenn ich etwas helfen kann,
-dann tu ich es auch gern, erwiderte Sivert.
-
-Das war also abgemacht.
-
-Aber nun ist Eleseus wirklich berechtigt, sich beleidigt zu fühlen.
-Er sieht ja ein, daß es von Barbro recht klug ist, wenn sie um ihrer
-selbst und um Axels willen darauf aus ist, Hilfe für den Hausbau
-zu bekommen; aber sie tut das zu offenkundig. Sie ist noch nicht
-die Hausfrau auf dem Hofe, und es ist noch keine Ewigkeit her, seit
-er selbst sie geküßt hat, dieses Frauenzimmer! Hatte sie denn gar
-keine Scham im Leibe? -- Doch, sagt er darum plötzlich, ich werde
-wiederkommen und bei dir Gevatter stehen. -- Barbro warf ihm einen
-Blick zu und sagte ärgerlich: Gevatter? Und du willst von Unsinn
-sprechen! Außerdem werde ich dir Nachricht schicken, wenn ich einmal
-um einen Gevatter verlegen sein sollte. -- Was konnte Eleseus anderes
-tun, als beschämt lächeln und sich weit weg wünschen! -- Besten Dank
-für den Kaffee, sagte Sivert. -- Ja, Dank für den Kaffee, sagte auch
-Eleseus, aber er stand nicht auf und verbeugte sich auch nicht, nein,
-zum Henker; sie schwoll ja vor Gift und Galle!
-
-Laß doch einmal sehen, sagte Barbro. Ja, die Kontorherren, bei denen
-ich war, die hatten auch silberne Schildchen in den Röcken, noch viel
-größere, sagte sie. Nun, also du kommst zurück und bleibst hier über
-Nacht, Sivert? Ich hole deine Kleider.
-
-Das war der Abschied.
-
-Die Brüder gingen weiter, Eleseus hatte zwei große Banknoten in der
-Brusttasche, und die Barbro konnte seinetwegen der Kuckuck holen. Die
-Brüder hüteten sich wohl, auf irgendeinen rührenden Gesprächsstoff zu
-kommen, auf des Vaters sonderbaren Abschied und der Mutter Tränen, sie
-machten einen Umweg um Breidablick herum, um dort nicht angehalten zu
-werden, und führten scherzhafte Reden über diesen Streich. Als sie so
-weit hinuntergekommen waren, daß sie das Dorf sehen konnten, wo Sivert
-umdrehen sollte, übermannte es sie beide doch ein wenig. Sivert sagte:
-Es kann wohl sein, daß es jetzt ohne dich ein wenig einförmig wird.
--- Da fing Eleseus an zu pfeifen und seine Schuhe zu untersuchen, und
-er sah, daß er einen Spreißel im Finger hatte, und suchte in seinen
-Taschen -- nach Papieren, sagte er --, oh, wie schlau! Aber es wäre
-dennoch schlimm gegangen, wenn nicht Sivert sie beide gerettet hätte:
-Den Letzten! rief er, gab dem Bruder einen Schlag auf den Rücken und
-lief davon. Das half, sie riefen einander noch einige Abschiedsworte
-zu, und dann zog jeder seines Weges.
-
-Schicksal oder Glückszufall! Eleseus kehrte trotz allem in die Stadt
-zurück auf einen Posten, den er nicht mehr innehatte, aber durch
-dieselbe besondere Fügung bekam Axel Ström einen Arbeiter. Am 21.
-August fingen sie an das Blockhaus aufzurichten, und zehn Tage später
-war es unter Dach. Ach, es war kein großartiges Wohnhaus und nur
-ein paar Balkenlagen hoch, aber es war doch ein Blockhaus und keine
-Erdhütte, und das Vieh konnte nun in dem Raum, der seither menschliche
-Wohnung gewesen war, einen herrlichen Winterstall bekommen.
-
-
-
-
-2
-
-
-Am dritten September verschwand Barbro, das heißt, ganz verschwand
-sie nicht, sie war nur bei den Gebäuden nirgend zu finden. Axel
-schreinerte, so gut er konnte, er war dabei, ein Fenster und eine Tür
-in den Neubau einzusetzen, und war sehr in seine Arbeit vertieft.
-Als aber die Mittagszeit vorbei war und man ihn immer noch nicht
-hineinrief, ging er in die Gamme. Niemand war da. Er suchte sich selbst
-etwas Essen zusammen und schaute sich um, während er aß; Barbros
-Kleider hingen alle da, sie konnte also nur draußen irgendwo sein. Er
-ging wieder an seine Arbeit im Neubau und schaffte dort eine Weile,
-dann schaute er wieder in die Gamme -- noch immer niemand da. Sie mußte
-irgendwo liegengeblieben sein.
-
-Barbro! ruft er. Nichts. Er sucht in der Umgebung der Häuser, geht
-hinüber zu einigen Gebüschen bei den Feldern, er sucht lange,
-vielleicht eine Stunde, er ruft -- nichts! Endlich findet er sie weit
-entfernt; sie liegt auf der Erde hinter Gebüsch versteckt, der Bach
-läuft an ihren Füßen vorbei, sie ist barhäuptig und barfuß, und sie ist
-bis in den Rücken hinauf tropfnaß.
-
-Hier liegst du? sagt er. Warum hast du keine Antwort gegeben? -- Ich
-konnte nicht, flüsterte sie und war stockheiser. -- Was -- hast du
-denn im Wasser gelegen? -- Ja, ich bin ausgeglitten. Oh! -- Ist dir
-schlecht? -- Ja. Es ist vorbei. -- Ist es vorbei? fragt er. -- Ja.
-Jetzt mußt du mir helfen, daß ich nach Hause komme. -- Wo ist --? --
-Was? -- Wo ist das Kind? -- Es war tot. -- War es tot? -- Ja.
-
-Axel rührt sich nicht, er bleibt stehen. Wo ist es? fragt er.
-
-Das brauchst du nicht zu wissen, erwidert sie. Hilf mir nach Hause. Es
-war tot. Ich kann selbst gehen, wenn du mich nur ein wenig unter dem
-Arme faßt.
-
-Axel trägt sie nach Haus und setzt sie auf einen Stuhl, das Wasser
-läuft an ihr herab. -- Ist es tot gewesen? fragt er. -- Du hörst es ja,
-erwidert sie. -- Wo hast du es? -- Du willst es wohl ausschnüffeln?
-Hast du etwas zu essen gefunden, während ich fort war? -- Was wolltest
-du denn dort am Bach? -- Was ich am Bach wollte? Ich wollte Wacholder
-holen. -- Wacholder? -- Für die Milcheimer. -- Dort wächst doch kein
-Wacholder, sagt er. -- So geh doch an deine Arbeit! ruft sie heiser und
-ungeduldig. Was ich am Bach wollte? Ich wollte mir Besenreis holen.
-Ob du gegessen hast? frag ich. -- Gegessen? wiederholte er. Ist es
-dir sehr schlecht? -- Ach nein! -- Ich will den Doktor holen. -- Ja,
-untersteh dich! erwidert sie. Damit steht sie auf und fängt an, sich
-trockene Kleider zum Umziehen herbeizuholen. Weißt du sonst gar nicht,
-wie du dein Geld wegwerfen sollst?
-
-Axel geht wieder an seine Arbeit, verrichtet indes nicht viel; aber
-er klopft ein wenig und hobelt ein wenig, damit ihn Barbro hört;
-schließlich keilt er das Fenster ein und dichtet es mit Moos.
-
-Am Abend hat Barbro nicht viel Hunger, aber sie arbeitet hier ein wenig
-und dort ein wenig, sie geht in den Stall und melkt und steigt nur
-etwas vorsichtiger als sonst über die hohen Schwellen. Wie gewöhnlich,
-legte sie sich im Heustall schlafen, und die beiden Male, die Axel
-während der Nacht nach ihr schaute, schlief sie fest. Sie hatte eine
-gute Nacht.
-
-Am nächsten Morgen war Barbro beinahe wie sonst, nur gänzlich stimmlos
-vor Heiserkeit, und sie hatte sich einen langen Strumpf um den Hals
-gewickelt. Sie konnten nichts miteinander reden. Die Tage vergingen,
-und das Ereignis wurde alt, andere Dinge traten in den Vordergrund.
-Der Neubau sollte eigentlich leer stehen, daß die Balken sich setzen
-konnten, damit das Haus dicht und zugfrei werde, aber es blieb keine
-Zeit, das abzuwarten, es mußte sofort beziehbar gemacht und der Stall
-eingerichtet werden. Nachdem dies geschehen und der Umzug vollendet
-war, wurden die Kartoffeln herausgenommen und nachher das Korn
-geschnitten. Das Leben lief im gewohnten Geleise.
-
-Aber an vielen kleinen und großen Dingen merkte Axel, daß ihre
-Beziehungen lockerer geworden waren, Barbro fühlte sich in Maaneland
-jetzt nicht mehr zu Hause und auch nicht mehr gebunden als jedes andere
-Dienstmädchen. Das Band zwischen ihnen hatte sich gelockert, als das
-Kind starb. Axel hatte immer so großartig gedacht: Warte nur, bis das
-Kind da ist! Aber das Kind kam und ging wieder. Zuletzt legte Barbro
-auch noch die Fingerringe ab und trug keinen mehr davon. -- Was soll
-das bedeuten? fragte er. -- Was das bedeuten soll? sagte sie und warf
-den Kopf zurück.
-
-Aber das konnte doch nichts anderes als Arglist und Verrat von ihrer
-Seite sein.
-
-Jetzt hatte er die kleine Leiche am Ufer des Baches gefunden. Nicht
-als ob er weiter danach gesucht hätte, er wußte ja beinahe genau das
-Plätzchen, wo sie liegen mußte, aber er ließ es träge auf sich beruhen.
-Der Zufall wollte, daß er es nicht ganz vergaß: Vögel fingen an, über
-dieser Stätte zu kreisen, schreiende Elstern und Raben und eine Weile
-später auch ein Adlerpaar in schwindelnder Höhe. Es war gerade, als ob
-zuerst eine einzelne Elster gesehen hätte, daß hier etwas niedergelegt
-worden war, und als ob sie dann auch gerade wie ein Mensch nicht
-darüber hätte schweigen können, sondern hätte darüber schwatzen müssen.
-Dadurch wurde auch Axel aus seiner Gleichgültigkeit geweckt, und er
-wartete einen passenden Augenblick ab, sich hinzuschleichen. Er fand
-die Leiche unter Moos und Zweigen und ein paar Steinplatten in ein
-Tuch, einen großen Lappen, gewickelt. Mit einer Mischung von Neugier
-und Grausen öffnete er das Bündel ein wenig -- geschlossene Augen,
-dunkle Haare, ein Junge, gekreuzte Beine, mehr sah er nicht. Der Lappen
-war naß gewesen und war halb getrocknet, das Ganze sah aus wie ein halb
-ausgewundenes Bündel von Wäsche.
-
-Axel konnte die Leiche nicht so offen liegenlassen, im Innersten
-hatte er wohl auch Angst für sich selbst und für sein Haus; er lief
-heim, holte einen Spaten und machte das Grab tiefer; aber da es so
-nah am Bach war, sickerte das Wasser herein, und er mußte weiter oben
-am Hügel ein neues Grab schaufeln. Währenddem schwand seine Furcht,
-Barbro könnte kommen und ihn hier finden, er wurde trotzig und dachte,
-seinetwegen könne sie wohl kommen, ja, dann könnte sie, bitte, die
-kleine Leiche nett und ordentlich einhüllen, ob das Kind nun totgeboren
-war oder nicht. Er sah sehr wohl ein, was er mit dem Tode dieses Kindes
-verloren, daß er nun alle Aussicht hatte, in seinem Neubau ohne Hilfe
-zu sitzen, und zwar gerade jetzt, wo sein Viehstand mehr als dreimal
-so groß war wie vorher. Bitte schön, es wäre gar nicht zu viel, wenn
-sie käme! Aber Barbro -- es kann gut sein, daß sie entdeckt hatte,
-womit er beschäftigt war, jedenfalls kam sie nicht, er mußte selbst die
-kleine Leiche einhüllen, so gut er konnte, und sie in das neue Grab
-legen. Dann breitete er schließlich die Rasenstücke wieder darüber und
-verwischte jede Spur; nun war nichts weiter zu sehen als ein kleiner
-grüner Hügel im Gebüsch.
-
-Als er heimkehrte, traf er Barbro im Hofe. Wo bist du gewesen? fragte
-sie. -- Die Bitterkeit in seinem Herzen hatte sich wohl verloren, denn
-er antwortete: Nirgends. Wo bist denn du gewesen? Aber Barbro las wohl
-eine Warnung aus seinem Gesichtsausdruck, sie ging ins Haus, ohne noch
-ein Wort zu sagen.
-
-Axel ging ihr nach.
-
-Was soll denn das bedeuten, daß du deine Fingerringe nicht mehr trägst?
-fragte er geradezu. -- Vielleicht fand sie es am ratsamsten, ein klein
-wenig nachzugeben, sie lachte und sagte: Du bist so grimmig, daß ich
-lachen muß. Wenn du aber willst, daß ich die Ringe zuschanden arbeite,
-wenn ich sie werktags trage, so kann ich es ja tun! Damit suchte sie
-sie hervor und steckte sie an.
-
-Aber nun sah sie wohl, daß sein Gesicht einen dumm-zufriedenen Ausdruck
-annahm, und sie fragte dreist: Hast du noch mehr an mir auszusetzen? --
-Ich habe nichts an dir auszusetzen, erwiderte er. Du sollst nur wieder
-sein, wie du früher gewesen bist, ganz zu Anfang, als du herkamst.
-Das meine ich. -- Es ist nicht so leicht, immer gleich zu sein, sagte
-sie. -- Er fuhr fort: Daß ich deines Vaters Gut kaufte, geschah nur
-deshalb, daß wir dorthin ziehen könnten, wenn du lieber dort wohnen
-möchtest. Was meinst du dazu? -- Ho, nun hatte er verspielt, oh, er
-hatte nur Angst, er könnte seine weibliche Hilfe verlieren und mit
-seinem Viehstand und seinem Haushalt allein bleiben, das merkte sie
-gut. -- Das hast du schon einmal gesagt, erwiderte sie abweisend. --
-Jawohl, aber ich habe keine Antwort erhalten. -- Antwort? sagte sie.
-Ich ertrage es nicht, das noch einmal zu hören.
-
-Axel meinte, er sei ihr weit entgegengekommen. Er hatte die Familie
-Brede weiter auf Breidablick wohnen lassen, und obgleich er den
-kleinen Ertrag mit dem Gut gekauft hatte, so hatte er doch nur einige
-Fuhren Heu eingeführt und die Kartoffeln der Familie überlassen. Es war
-eine große Ungereimtheit von Barbro, jetzt böse zu werden, aber ihr war
-das ganz einerlei; sie fragte, als ob sie tief gekränkt wäre: Sollten
-wir nach Breidablick ziehen und meine ganze Familie obdachlos machen?
-
-Hörte er denn recht? Mit offenem Mund saß er da, dann fing er an zu
-schlucken, als bereite er sich zu einer langen Antwort vor, aber es
-wurde nichts daraus, und er fragte nur: Ziehen sie denn nicht ins Dorf?
--- Das weiß ich nicht, erwiderte sie. Hast du ihnen vielleicht dort
-eine Wohnung gemietet?
-
-Axel wollte nicht weiter mit ihr rechten, aber er konnte doch nicht
-ganz verschweigen, daß sie ihn einigermaßen in Verwunderung gesetzt
-habe, und so sagte er: Du wirst immer halsstarriger und verstockter,
-aber du meinst es nicht so. -- Ich meine alles, was ich sage,
-entgegnete sie. Und nun sag mir einmal, warum konnten meine Leute nicht
-lieber hierher ziehen? Dann hätte ich doch etwas Hilfe von meiner
-Mutter gehabt. Aber du meinst ja, ich hätte nicht so viel zu tun, daß
-ich Hilfe brauche.
-
-Sie hatte damit natürlich einigermaßen recht, aber auch sehr viel
-unrecht: Die Familie Brede hätte ja dann in der Gamme wohnen müssen,
-und Axel hätte wieder nicht gewußt, wohin mit seinem Vieh. Wo wollte
-sie denn hinaus, fehlte ihr denn aller Sinn und Verstand? -- Ich will
-dir etwas sagen, es ist besser, du bekommst eine Magd. -- Jetzt im
-Winter, wo es nicht mehr so viel zu tun gibt? Nein, ich danke. Damals,
-als ich eine brauchte, da hätte ich eine bekommen sollen, jawohl.
-
-Wieder hatte sie einigermaßen recht: sie hätte eine Magd haben müssen,
-als sie nicht wohl und in gesegneten Umständen war. Aber Barbro war ja
-niemals mit ihrer Arbeit im Rückstand geblieben, sie war eigentlich
-jetzt ebenso flink und tüchtig, tat alles, was geschehen mußte, und
-ließ niemals ein Wort von einer Magd verlauten. Aber sie hätte eine
-haben sollen. Ja, dann verstehe ich es nicht, sagte er mutlos.
-
-Schweigen.
-
-Dann fragte Barbro: Ich habe sagen hören, du wollest den Telegraphen
-übernehmen, den mein Vater hat? -- Wieso, wer hat das gesagt? -- Es
-geht das Gerede. -- Ja, es ist nicht unmöglich, erklärte Axel. -- So.
--- Warum fragst du? -- Ich frage, weil du meinem Vater Haus und Hof
-abgenommen hast und ihm nun auch noch seinen Lebensunterhalt nehmen
-willst.
-
-Schweigen.
-
-Aber nun wollte sich Axel doch nicht noch mehr gefallen lassen, und er
-rief: Ich will dir etwas sagen, du bist das gar nicht wert, was ich für
-dich und die Deinen tue.
-
-So, sagte Barbro.
-
-Nein! rief er und schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann stand er auf.
-
-Du brauchst nicht zu meinen, daß du mir Angst machen kannst, piepste
-sie mit schwacher Stimme und drückte sich näher an die Wand.
-
-Dir Angst machen! machte er ihr nach und blies verächtlich. Aber jetzt
-ist es Ernst, und ich will wissen, wie es mit dem Kind gewesen ist.
-Hast du es ertränkt?
-
-Ertränkt?
-
-Ja, es ist doch im Wasser gewesen.
-
-So, du hast das gesehen? sagte sie. Du hast wohl -- daran gerochen,
-hätte sie beinahe gesagt, wagte es aber nicht, denn es war vielleicht
-jetzt gerade nicht mit ihm zu spaßen. Du hast es also gesehen?
-
-Ich habe gesehen, daß es im Wasser gelegen hat.
-
-Ach, das hast du wohl sehen dürfen, versetzte sie. Es wurde im Wasser
-geboren, ich glitt aus und konnte nicht mehr aufstehen.
-
-So, du bist ausgeglitten?
-
-Ja, und in demselben Augenblick kam auch das Kind.
-
-So, sagte er. Aber du hast doch einen Lappen mitgenommen. Hast du
-geahnt, daß du ausgleiten würdest?
-
-Einen Lappen mitgenommen? wiederholte sie.
-
-Einen großen weißen Lappen, eines von meinen Hemden, das du quer
-abgeschnitten hattest.
-
-Jawohl, den Lappen habe ich mitgenommen, um Wacholder drin nach Hause
-zu tragen, sagte Barbro.
-
-Wacholder?
-
-Ja, Wacholder. Habe ich dir nicht gesagt, daß ich Wacholder holen
-wollte?
-
-Ja, oder Besenreis.
-
-Ach, das ist doch einerlei, was es war ...
-
-Allein trotz dieses starken Zusammenstoßes wurde es wieder gut zwischen
-den beiden, das heißt, es wurde nicht mehr gut, aber erträglich; Barbro
-war klug und zeigte sich nachgiebiger, sie witterte Gefahr. Aber unter
-diesen Verhältnissen wurde ja das Leben auf Maaneland immer gezwungener
-und unerträglicher, ohne Vertrauen, ohne Freude, immer auf der Hut.
-Es ging immer nur einen Tag um den andern, aber solange es überhaupt
-ging, mußte Axel zufrieden sein. Er hatte nun einmal dieses Mädchen zu
-sich genommen, er brauchte es, war ihr Liebster gewesen, hatte sich an
-sie gebunden, es war keine leichte Sache, sich und sein ganzes Leben
-zu ändern. Barbro wußte alles, was mit dem Neubau zusammenhing, wo
-Hab und Gut aufbewahrt war, wann die Kühe und Geißen werfen würden,
-ob das Winterfutter kärglich oder reichlich war, welche Milch zu
-Käsen bestimmt war und welche im Haushalt verbraucht werden durfte --
-eine Fremde wurde von nichts eine Ahnung haben, und eine Fremde war
-vielleicht gar nicht aufzutreiben.
-
-Ach, aber oft schon hatte Axel doch daran gedacht, Barbro
-fortzuschicken und ein anderes Mädchen dafür zu nehmen; sie war
-zuweilen ein wahrer Zankapfel, und er fürchtete sich beinahe vor ihr.
-Selbst zu der Zeit, in der er das Unglück gehabt hatte, Glück bei
-ihr zu haben, war er bisweilen vor ihrer merkwürdig grimmigen und
-unliebenswürdigen Art zurückgewichen. Allein sie war schön und hatte
-auch ihre süßen Stunden und begrub ihn gut in ihren Umarmungen. Doch
-das war einmal, jetzt hatte es aufgehört. Nein, danke schön, diese
-elende Geschichte wollte sie nicht noch einmal durchmachen! Aber es ist
-nicht so leicht, sich und sein ganzes Leben umzuformen. Dann wollen wir
-sofort heiraten, sagte Axel dringend. -- Sofort? erwiderte sie. Nein,
-ich fahre zuerst in die Stadt und lasse meine Zähne herrichten. Ich
-habe sie ja vor lauter Zahnweh beinahe alle verloren.
-
-Da mußte es nun eben weitergehen wie seither; Barbro bekam keinen
-bestimmten Lohn mehr, aber sie bekam viel mehr als ihren Lohn, und
-sooft sie Geld begehrte und es auch erhielt, dankte sie dafür, als ob
-es ein Geschenk wäre. Übrigens begriff Axel nicht, wozu sie das Geld
-brauchte; was sollte sie hier auf dem Lande mit Geld? Sparte sie es
-zusammen? Aber wozu in aller Welt sparte sie jahraus, jahrein zusammen?
-
-Es war da sehr viel, was Axel nicht begriff: hatte sie denn nicht
-den Verlobungsring, ja sogar einen goldenen Ring bekommen? Es hatte
-ja auch lange Zeit nach diesem letzten großen Geschenk ein gutes
-Verhältnis zwischen ihnen geherrscht, aber in alle Ewigkeit wirkte es
-doch nicht, keineswegs, und er konnte ihr doch nicht immer wieder Ringe
-kaufen. Kurz und gut: wollte ihn Barbro nicht? Frauenzimmer sind doch
-merkwürdige Geschöpfe! Stand sonst noch irgendwo ein Mann mit schönem
-Viehstand und einem neuen Wohnhaus für sie bereit? Axel hatte alles
-Recht, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen über die Dummheit und
-Launenhaftigkeit der Weiber.
-
-Es war ganz merkwürdig, Barbro schien keinen andern Gedanken im Kopf zu
-haben als das Leben in der Stadt und in Bergen. Aber um Gottes willen,
-warum war sie dann überhaupt wieder herauf in den Norden gekommen?
-Ein Telegramm ihres Vaters allein hätte sie nicht dazu vermocht, auch
-nur einen Fuß vor den andern zu setzen, sie mußte einen andern Grund
-gehabt haben. Hier war sie doch Jahr um Jahr von morgens bis abends
-unzufrieden. Holzgeschirre statt solcher aus Blech und Eisen, Kessel
-statt Kasserollen; dieses ewige Melken statt eines Spaziergangs in die
-Meierei; Bauernstiefel, Schmierseife, einen Heusack unter dem Kopf,
-niemals Hornmusik, keine Menschen. Hier war sie ...
-
-Nach dem großen Zusammenstoß haderten sie noch oftmals miteinander.
-Sollen wir darüber schweigen oder sollen wir darüber reden? sagte
-Barbro. Du denkst wohl gar nicht mehr daran, was du meinem Vater
-angetan hast? sagte sie. -- Axel fragte: So, was habe ich denn getan?
--- Das weißt du selbst am besten, sagte sie. Aber Inspektor wirst du
-nun übrigens doch nicht. -- So. -- Nein, das glaube ich nicht, bis ich
-es sehe. -- Du meinst wohl, ich sei nicht klug genug dazu? -- Es ist
-ja ganz gut für dich, wenn du klug bist, aber du liest nicht und du
-schreibst nicht, du nimmst auch niemals nur eine Zeitung in die Hand.
--- Ich kann so viel lesen und schreiben, als ich nötig habe, sagte er;
-aber du bist nichts als ein großes Lästermaul. -- Da hast du deinen
-Ring! schrie sie und warf den silbernen Ring auf den Tisch. -- So,
-und wo ist denn der andere? fragte er nach einer Weile. -- Wenn du
-deine Ringe wiedernehmen willst, so kannst du sie haben, sagte sie und
-mühte sich, den goldenen Ring abzustreifen. -- Dein Zorn macht keinen
-Eindruck auf mich, sagte er und ging hinaus.
-
-Und natürlich trug sie sehr bald beide Ringe wieder.
-
-Es machte Barbro auf die Dauer auch nichts aus, daß er sie wegen des
-Todes des Kindes im Verdacht hatte. Ganz im Gegenteil, sie pfiff darauf
-und war hochmütig. Nicht als ob sie etwas eingestanden hätte, aber sie
-sagte: Ja, und wenn ich es auch ertränkt hätte! Du lebst hier in der
-Einöde und weißt nichts davon, wie es sonst in der Welt zugeht. -- Als
-sie wieder einmal über diese Frage sprachen, dachte sie, sie wolle ihm
-einen Begriff davon beibringen, daß er die Sache viel zu ernsthaft
-nehme; sie selbst legte einem Kindsmord nicht mehr Wichtigkeit bei, als
-er verdiente. Sie wußte von zwei Mädchen in Bergen zu erzählen, die
-ihre Kinder umgebracht hatten, und die eine hatte einige Monate Strafe
-erhalten, weil sie so dumm gewesen war und es nicht selbst umgebracht,
-sondern es ausgesetzt hatte, damit es erfrieren sollte, und die andere
-war freigesprochen worden. Nein, das Gesetz ist jetzt hierin nicht mehr
-so unmenschlich wie früher, sagte Barbro. Und außerdem kommt es auch
-gar nicht immer heraus, sagte sie. Eines der Mädchen, die im Hotel in
-Bergen dienten, hat zwei Kinder umgebracht; sie war aus Christiania
-und trug einen Hut mit Federn darauf. Für das letzte Kind bekam sie
-drei Monate, aber das mit dem ersten ist nicht herausgekommen, erzählte
-Barbro.
-
-Axel hörte zu, und es graute ihm immer mehr vor ihr. Er suchte zu
-begreifen, suchte in dieser Finsternis irgend etwas zu erkennen, aber
-im Grunde hatte sie recht. Er nahm die Sache viel zu ernsthaft. Sie
-war mit all ihrer banalen Verderbtheit eines ernsthaften Gedankens
-gar nicht wert. Ein Kindsmord war für sie gar kein Begriff, hatte
-gar nichts Außerordentliches an sich, es war nur der Ausschlag der
-ganzen moralischen Sittenlosigkeit und des Leichtsinns, der von einem
-Dienstmädchen zu erwarten war. Das zeigte sich auch in den Tagen,
-die darauf folgten: da gab es keine Stunde des Nachdenkens, sie war
-genau wie früher voll überflüssigen Geschwätzes, ganz Dienstmädchen.
-Ich muß fort wegen meiner Zähne, sagte sie. Und dann sollte ich ein
-Mantlett haben. Ein „Mantlett” war eine Art kurzen Kragens, der nur bis
-zur Mitte reichte, das war einige Jahre lang Mode gewesen, und Barbro
-wollte auch ein Mantlett haben.
-
-Wenn Barbro alles so selbstverständlich hinnahm, was blieb Axel dann
-übrig, als sich auch zu beruhigen? Sein Verdacht stand auch nicht
-immer ganz fest, und sie gestand ja niemals etwas ein, im Gegenteil,
-sie hatte einmal ums andere alle Schuld geleugnet, ohne Zorn, ohne
-Halsstarrigkeit, aber zum Henker, genau so, wie ein Dienstmädchen
-leugnet, eine Schüssel zerschlagen zu haben, selbst wenn sie es getan
-hat. Ein paar Wochen vergingen, dann wurde es Axel doch zuviel,
-er blieb eines Tages mitten in der Stube stehen und hatte eine
-Offenbarung. Aber du großer Gott, alle hatten doch ihren Zustand
-gesehen, daß sie rund und dick und in anderen Umständen war! Und jetzt
-war sie wieder schlank, wo aber war das Kind? Wenn nun alle Menschen
-kämen und suchten? Sie würden eines Tages eine Erklärung verlangen.
-Und wenn also nichts Schlimmes geschehen war, so wäre es viel besser
-gewesen, die Leiche auf dem Friedhof zu begraben. Dann wäre sie fort
-aus dem Gebüsch, fort aus Maaneland.
-
-Nein, das hätte mir nur Unannehmlichkeiten bereitet, erklärte Barbro.
-Sie hätten das Kind geöffnet, und es hätte ein Verhör gegeben. Das
-wollte ich nicht haben.
-
-Wenn es nur später nicht viel schlimmer wird, sagte er.
-
-Barbro entgegnete: Warum denkst du so viel darüber nach? Laß es doch im
-Gebüsch! Ja, sie fragte lächelnd: Meinst du vielleicht, es komme hinter
-dir her? Du mußt nur den Mund halten und dich nicht mehr darum kümmern.
-
-So, na ja.
-
-Habe ich vielleicht das Kind ertränkt? Nein, es hat sich selbst
-ertränkt, als ich ins Wasser fiel. Es ist ja unglaublich, was du für
-Gedanken hast! Und außerdem kommt es nie heraus, sagte sie.
-
-Mit Inger von Sellanraa ist es doch auch herausgekommen, wie ich gehört
-habe, wendete er ein.
-
-Barbro dachte nach. Das beunruhigt mich gar nicht! sagte sie. Das
-Gesetz ist seither anders geworden; wenn du die Zeitung lesen würdest,
-hättest du es gesehen. Viele kriegen Kinder und töten sie, und niemand
-tut ihnen deshalb weiter etwas zuleide! Barbro sucht ihm das zu
-erklären, und sie versteht etwas von der Sache, sie ist nicht umsonst
-draußen in der Welt gewesen und hat viel gehört und gesehen und
-gelernt; jetzt saß sie vor ihm und war gescheiter als er. Sie hatte
-drei Hauptgründe, die sie immer wieder vorbrachte: erstens hatte sie es
-nicht getan, zweitens wäre es gar nicht so gefährlich, selbst wenn sie
-es getan hätte, und drittens würde es niemals herauskommen.
-
-Ich habe gemeint, es komme alles heraus, wendete er ein.
-
-O nein, bei weitem nicht! entgegnete sie. Und ob sie ihn nun verblüffen
-oder ihm Mut machen wollte, oder ob es aus Eitelkeit oder aus
-Großtuerei geschah, sie ließ in diesem Augenblick eine Bombe platzen:
-Ich habe selbst etwas getan, das nicht herausgekommen ist, sagte sie.
-
-Du? sagte er ungläubig. Was hast du denn getan?
-
-Was ich getan habe? Ich habe getötet.
-
-Vielleicht hatte sie nicht beabsichtigt, ganz so weit zu gehen, jetzt
-mußte sie aber noch weiter gehen, er saß ja da und starrte sie an. Ach,
-es war nicht einmal grenzenlose Frechheit von ihr, es war Zanksucht,
-Großtuerei, sie wollte überlegen sein und das letzte Wort behalten:
-Glaubst du mir nicht? rief sie. Erinnerst du dich an die Kindsleiche im
-Hafen? Die hatte ich hineingeworfen.
-
-Was! rief er.
-
-Die Kindsleiche damals. Du weißt auch gar nichts mehr! Wir haben doch
-in der Zeitung davon gelesen.
-
-Nach einer Weile brach er los: Du bist ein entsetzliches Weib!
-
-Aber seine Verwirrung stärkte sie, flößte ihr eine Art unnatürlicher
-Kraft ein, so daß sie Einzelheiten berichten konnte: Ich hatte es mit
-in meinem Koffer -- ja, es war tot, das hatte ich gleich getan, als es
-geboren war. Und als wir in den Hafen kamen, warf ich es hinaus.
-
-Axel saß finster und schweigend da; aber Barbro redete weiter, das sei
-jetzt schon lange her, schon mehrere Jahre, es sei damals gewesen, als
-sie nach Maaneland kam. Da könne er sehen, daß nicht alles herauskomme,
-bei weitem nicht alles. Was er meine, wie das wäre, wenn alles
-herauskäme, was alle Leute täten? Und was erst die verheirateten Leute
-in der Stadt täten! Die brächten ihre Kinder um, ehe sie geboren seien,
-es gebe besondere Ärzte dafür. Diese Leute wollten nicht mehr als ein
-Kind, höchstens zwei Kinder haben, und darum tötete es der Doktor im
-Mutterleib. Axel könne ihr glauben, daß das draußen in der Welt nicht
-schwer genommen werde.
-
-Axel fragte: Na, dann hast du wohl das zweite Kind auch umgebracht?
-
-Nein, erwiderte sie äußerst gleichgültig. Das habe ich nicht nötig
-gehabt, sagte sie. Aber sie kam noch einmal darauf zurück, daß es gar
-nicht so gefährlich gewesen wäre. Sie schien daran gewöhnt, dieser
-Frage in die Augen zu sehen, deshalb blieb sie so gleichgültig dabei.
-Beim erstenmal war es allerdings vielleicht etwas grausig, ein klein
-wenig unheimlich für sie gewesen, ein Kind umzubringen, aber das
-zweitemal? Sie konnte mit einer Art von geschichtlichem Gefühl an die
-Tat denken: das war geschehen und geschah auch wieder.
-
-Mit schwerem Kopf verließ Axel die Stube. Es focht ihn weiter nicht
-sehr an, daß Barbro ihr erstes Kind umgebracht hatte; das ging ihn
-nichts an. Und daß sie dieses Kind überhaupt gehabt hatte, darüber war
-auch nicht viel zu sagen. Eine Unschuld war sie nicht gewesen, und
-sie hatte sich auch nicht dafür ausgegeben, im Gegenteil, sie hatte
-ihre Erfahrenheit durchaus nicht verborgen und ihn sogar in manchem
-dunkeln Spiel unterwiesen. Gut. Aber dieses letzte Kind hätte er gerne
-behalten, ein kleiner Junge, ein weißes Geschöpfchen in einen Lappen
-gewickelt! Wenn sie schuld war an des Kindes Tod, so hatte sie ihm ein
-Unrecht zugefügt, ein Band zerschnitten, das ihm wertvoll war, und das
-ihm nie mehr ersetzt wurde. Aber es konnte ja sein, daß er ihr unrecht
-tat, daß sie wirklich im Bach ausgeglitten war und sich nicht mehr
-aufrichten konnte. Allerdings, der Lappen war ja da, das halbe Hemd,
-das sie mitgenommen hatte ...
-
-Die Stunden gingen auch jetzt hin, es wurde Mittag und es wurde
-Abend. Und als Axel zu Bett gegangen war und lange genug ins Dunkel
-hineingestarrt hatte, schlief er ein und schlief bis an den Morgen. Ein
-neuer Tag brach an, und nach diesem Tag kamen noch andere Tage.
-
-Barbro blieb immer dieselbe. Sie wußte sehr viel von der Welt und
-behandelte solche Kleinigkeiten, die hier auf dem Lande Gefahren
-waren und Schrecken verbreiteten, mit Gleichgültigkeit. Das war auch
-wieder tröstlich, sie war gescheit für beide, unbesorgt für beide.
-Übrigens sah sie auch nicht aus wie ein gefährlicher Mensch. Barbro
-ein Ungeheuer? Keine Spur. Sie war im Gegenteil ein schönes Mädchen,
-blauäugig mit einem Stumpfnäschen, und die Arbeit ging ihr flink von
-der Hand. Die Ansiedlung war ihr nur ein wenig verleidet, und verleidet
-waren ihr auch die Holzgeschirre, die sooft gescheuert werden mußten,
-und vielleicht war ihr auch der ganze Axel verleidet und das ganze
-verflucht zurückgezogene Leben, das sie führte. Aber sie brachte keines
-der Tiere um und stand auch nicht bei Nacht mit gezücktem Messer über
-ihm.
-
-Nur noch einmal kam es dazu, daß die beiden über die Kindsleiche
-draußen im Walde miteinander sprachen. Axel wiederholte noch einmal,
-sie hätte auf dem Kirchhof begraben und mit Erde bedeckt werden sollen,
-aber Barbro blieb auch jetzt dabei, daß ihre Handlungsweise ganz recht
-gewesen sei. Bei dieser Gelegenheit sagte sie etwas, das zeigte, daß
-auch sie überlegte, ho, und schlau war, und weiter sah, als ihre Nase
-reichte, ja, daß sie mit einem kleinen ärmlichen Negergehirn dachte:
-Und wenn es auch aufkommt, dann spreche ich mit dem Lensmann, ich habe
-bei ihm gedient, und die Frau Heyerdahl hilft mir. Es stehen nicht alle
-so gut wie ich, und sie werden doch freigesprochen. Und außerdem steht
-Vater gut mit den großen Herren, er ist Gerichtsbote und alles, was
-drum und dran ist.
-
-Axel schüttelte nur den Kopf.
-
-Du glaubst es nicht?
-
-Was du dir einbildest, daß dein Vater ausrichten könne!
-
-Was weißt denn du davon? rief sie ärgerlich. Denk daran, daß du ihn ins
-Elend gebracht hast, du hast ihm seinen Hof und seinen Lebensunterhalt
-genommen!
-
-Sicherlich hatte sie eine Art Vorstellung davon, daß ihres Vaters
-Ansehen in der letzten Zeit eingebüßt hatte und daß dies zum Schaden
-für sie selbst ausschlagen könnte. Was sollte Axel darauf antworten? Er
-schwieg. Er war ein Mann des Friedens, ein Mann der Arbeit.
-
-
-
-
-3
-
-
-Als es dem Winter zuging, war Axel wieder der einzige Mensch auf
-Maaneland. Barbro war gegangen. Ja, das war das Ende. Ihre Reise in die
-Stadt solle nicht lange dauern, sagte sie. Es sei ja keine Reise nach
-Bergen, aber sie wolle nicht einen Zahn nach dem andern verlieren und
-einen Mund bekommen wie ein Kalb. Was das kosten werde? fragte Axel. --
-Wie kann ich das wissen? erwiderte sie. Dich wird's jedenfalls nichts
-kosten, ich werde es abverdienen.
-
-Sie hatte ihm auch auseinandergesetzt, warum es am besten sei, wenn
-sie die Reise jetzt mache; jetzt seien nur zwei Kühe zu melken, bis
-zum Frühjahr würden noch zwei kalben und auch die Geißen Junge werfen,
-die Heuernte würde kommen, die Arbeit würde drängen bis über den Juni
-hinaus. -- Tu, was du willst, sagte Axel.
-
-Die Sache sollte ihn nichts kosten, gar nichts. Aber sie müsse doch
-etwas Geld haben, nur eine kleine Summe; sie brauche Geld zur Reise
-und für den Zahnarzt, außerdem brauche sie ein Mantlett und noch
-verschiedenes andere, aber das müsse ja nicht sein, wenn es ihm
-unangenehm sei. -- Du hast bis jetzt schon Geld genug bekommen, sagte
-Axel. -- So, erwiderte sie. Das ist aber jedenfalls nicht mehr da. --
-Hast du denn nichts zurückgelegt? -- Zurückgelegt? Du kannst ja in
-meiner Kiste nachsuchen. Ich habe auch in Bergen nichts zurückgelegt,
-und dort hatte ich doch einen viel größeren Lohn. -- Ich habe kein Geld
-für dich, sagte er.
-
-Axel hatte keinen rechten Glauben daran, daß Barbro von dieser
-Reise zurückkommen werde, und sie hatte seine Geduld mit ihrer
-Unliebenswürdigkeit so über alle Maßen geprüft, daß er anfing, ihrer
-überdrüssig zu werden. Es gelang ihr schließlich auch nicht, eine
-nennenswerte Summe aus ihm herauszuwinden, aber er sah durch die
-Finger, als sie sich einen ungeheuren Mundvorrat einpackte, ja, er
-selbst fuhr sie und ihre Kiste hinunter ins Dorf zum Postboot.
-
-Nun war es also geschehen.
-
-Er hätte ganz gut wieder allein auf der Ansiedlung sein können, er war
-es von früher her gewöhnt, aber er war jetzt durch seinen Viehstand
-allzusehr gebunden, und wenn er einmal von Hause abwesend sein mußte,
-waren die Tiere nicht versorgt. Der Kaufmann hatte ihm geraten, sich
-Oline kommen zu lassen, sie sei doch einmal mehrere Jahre auf Sellanraa
-gewesen, allerdings sei sie jetzt alt, aber noch rührig und arbeitsam.
-Ja, Axel hatte nach Oline geschickt, aber sie war nicht gekommen, und
-er hatte auch nichts von ihr gehört.
-
-Während Axel auf sie wartet, fällt er Holz im Walde, drischt seine
-kleine Kornernte und besorgt seinen Viehstand. Es war einsam und still
-um ihn. Ab und zu kam Sivert von Sellanraa vorbei auf der Fahrt ins
-Dorf oder vom Dorf zurück; hinunter führte er Brennholz oder Häute oder
-Käse, aber zurück kam er fast immer leer, der Hof Sellanraa brauchte
-nicht viel Waren zu kaufen.
-
-Dann und wann kam auch Brede Olsen an Maaneland vorbei und in der
-letzten Zeit häufiger als sonst -- wer konnte wissen, was er hier so
-eifrig, so fleißig zu laufen hatte! Es war, als ob er sich noch in den
-letzten Wochen an der Telegraphenlinie unentbehrlich machen und den
-Posten behalten wolle. Seit Barbro abgereist war, kam er nie mehr zu
-Axel herein, sondern ging nur rasch vorbei, und das war doch vielleicht
-ein gar zu arger Hochmut von ihm, da er immer noch auf Breidablick
-wohnen blieb und nicht abgezogen war. Eines Tages, als er vorbeigehen
-wollte, ohne auch nur zu grüßen, hielt ihn Axel an und fragte, bis wann
-er den Hof zu räumen gedenke. -- Auf welche Weise hast du dich von
-Barbro getrennt? fragte Brede dagegen. Das eine Wort gab das andere:
-Du hast sie ohne alle Mittel fortgeschickt. Es war nahe daran, daß sie
-nicht einmal bis Bergen gekommen wäre.
-
-So, sie ist also in Bergen? -- Ja, schließlich sei sie hingekommen,
-schreibt sie, aber dir hat sie nicht dafür zu danken. -- Ich werde dich
-jetzt sofort aus Breidablick hinauswerfen, sagte Axel. -- Ja, weil du
-seither so gutherzig gewesen bist, erwiderte der andere spöttisch. Nach
-Neujahr werfen wir uns selbst hinaus, fuhr er fort und ging dann seines
-Weges.
-
-So, Barbro war nach Bergen gereist, es war also genau so gegangen,
-wie Axel sich gedacht hatte. Er war nicht betrübt darüber. Betrübt?
-Weit entfernt, sie war ein Zankteufel, aber bis jetzt hatte er doch
-noch nicht alle Hoffnung aufgegeben gehabt, sie würde doch vielleicht
-wiederkommen. Er wußte beim Henker nicht, wie es zuging, er hing doch
-ein bißchen zu fest an dieser Person, an diesem Ungeheuer; zuzeiten
-konnte sie ihre süßen Stunden haben, unvergeßliche Stunden, und gerade,
-um sie daran zu hindern, ganz bis Bergen durchzubrennen, war er beim
-Abschied mit Geld so geizig gewesen. Und nun war sie doch auf und
-davon gegangen. Von ihren Kleidern hing noch dies und das da, und ein
-Strohhut mit einem Flügel darauf lag in Papier gehüllt droben auf
-dem Bodenraum; aber sie kam nicht, ihr Eigentum zu holen. Ach ja,
-vielleicht war er doch ein wenig betrübt! Wie Spott und Hohn erschien
-es ihm, daß er immer noch ihre Zeitung erhielt, und das würde wohl auch
-vor Neujahr nicht aufhören.
-
-Aber schließlich hatte er doch an anderes zu denken, er mußte ein Mann
-sein.
-
-Im Frühjahr mußte er an der Nordwand des Neubaus eine Scheune anfügen,
-jetzt im Winter mußten die Stämme dazu gefällt und die Bretter gesägt
-werden. Axel hatte keinen zusammenhängenden Wald mit großen Bäumen,
-aber da und dort standen auf seinem Grund und Boden mächtige Föhren,
-und er suchte sich solche am Wege nach Sellanraa aus, damit sich das
-Hinschaffen der Stämme nach dem Sägewerk leichter bewerkstelligen ließe.
-
-Eines Morgens füttert er sein Vieh sehr reichlich, damit es bis zum
-Abend aushalten kann, schließt die Türen hinter sich zu und geht
-in den Wald; außer Axt und Mundvorrat nimmt er noch eine hölzerne
-Schneeschaufel mit. Das Wetter ist mild, gestern tobte ein schwerer
-Sturm mit Niederschlägen, aber heute ist es still. Er geht den ganzen
-Weg an der Telegraphenlinie entlang, bis er zur Stelle ist; dort zieht
-er seine Jacke aus und fängt an zu hacken. Jeden Baum, den er fällt,
-zweigt er sofort ab, haut die Stämme glatt und schichtet Zweige und
-Äste auf Haufen.
-
-Brede Olsen kommt den Weg herauf, dann ist also die Linie wohl durch
-den gestrigen Sturm in Unordnung geraten. Aber vielleicht lief Brede
-auch ohne besonderen Grund die Linie ab, er war sehr eifrig im Dienst
-geworden, er hatte sich also doch gebessert. Die Männer sprachen nicht
-miteinander und grüßten sich auch nicht.
-
-Axel merkt wohl, daß das Wetter im Begriff ist umzuschlagen, der
-Wind wird immer stärker, aber Axel arbeitet nur eifrig weiter. Die
-Mittagsstunde ist längst vorbei, aber er hat noch nichts gegessen.
-Jetzt eben fällt er eine große Föhre, und diese schlägt ihn in ihrem
-Fall zu Boden. Wie ist das zugegangen? Unglück war unterwegs. Eine
-Riesenföhre schwankt auf ihrer Wurzel, der Mensch bestimmt ihr eine
-Seite zum Fallen, der Sturm eine andere. Der Mensch verliert. Es wäre
-noch angegangen, allein der Schnee deckte den unebenen Boden, Axel trat
-fehl, sprang auf die Seite und kam mit einem Bein in eine Felsspalte,
-nun lag er zwischen Felsen eingeklemmt und hatte eine große Föhre über
-sich.
-
-Jawohl, es hätte trotzdem noch angehen können, allein er lag so
-ausgesucht verdreht, allerdings, soweit er fühlen konnte, mit ganzen
-Gliedern, aber schief und ohne eine Möglichkeit, sich unter dem
-schweren Gewicht hervorzuarbeiten. Nach einer Weile hatte er die eine
-Hand frei, auf der andern aber liegt er, und er kann die Axt nicht
-erreichen. Er sieht sich um und überlegt, wie jedes gefangene Tier es
-auch gemacht hätte, sieht sich um und überlegt und arbeitet und müht
-sich unter dem Baum ab. Brede muß in einiger Zeit auf dem Rückweg
-wieder vorbeikommen, denkt er und müht sich ab und atmet schwer.
-
-Im Anfang nimmt Axel die Sache leicht und ist nur ärgerlich, daß er
-durch diesen Zufall, dieses elende Ungefähr festgehalten ist, er ist
-keine Spur besorgt für seine Gesundheit und noch weniger für sein
-Leben. Allerdings fühlt er, daß die Hand, auf der er liegt, allmählich
-gefühllos wird, und auch das Bein in der Felsenspalte wird kalt und
-auch gefühllos, aber das geht ja immer noch an. Brede kommt wohl bald.
-
-Aber Brede kommt nicht.
-
-Der Sturm nimmt zu und treibt Axel den Schnee gerade ins Gesicht. Jetzt
-wird's Ernst! denkt er, ist aber immer noch unbekümmert, ja, es ist
-beinahe, als ob er sich selbst durch den Schnee zublinzle: Aufgepaßt,
-jetzt wird's nämlich Ernst! Nach einer langen Weile stößt er einen
-einzelnen Hilferuf aus. Der ist wohl bei dem Sturm nicht weit zu
-hören, aber er geht die Linie entlang zu Brede. Axel liegt da mit ganz
-wertlosen Gedanken: wenn er doch nur die Axt erreichen könnte, dann
-könnte er sich vielleicht freihacken! Wenn er nur die Hand hervorziehen
-könnte! Diese lag auf etwas Spitzem, einem Stein, und der bohrte sich
-langsam und höflich allmählich in den Handrücken ein. Wenn nur dieser
-verflixte Stein weg gewesen wäre! Aber noch niemals hat jemand von
-einem Stein einen rührenden Zug berichten können.
-
-Die Zeit vergeht, das Schneetreiben wird schlimmer. Axel wird
-zugeschneit; er ist ganz hilflos, der Schnee legt sich harmlos und
-unschuldig auf sein Gesicht, eine Weile schmilzt er, dann wird das
-Gesicht kalt, und der Schnee schmilzt nicht mehr. Nun wird es wirklich
-Ernst!
-
-Jetzt stößt er zwei laute Hilferufe aus und horcht dann hinaus.
-
-Nun wird auch seine Axt zugeschneit, er sieht nur noch ein Stückchen
-Schaft hervorragen. Dort drüben hängt sein Beutel mit dem Mundvorrat;
-hätte er ihn nur erreichen können, dann hätte er etwas gegessen,
-einen ordentlichen Happen. Und wenn er schon in seinen Ansprüchen an
-das Leben so dreist war, so konnte er sich gleich auch seine Jacke
-herwünschen, denn es wird kalt. Wieder stößt er einen gewaltigen Ruf
-aus.
-
-Da steht Brede. Er ist stehengeblieben und sieht hinüber zu dem
-rufenden Mann, er bleibt nur einen Augenblick stehen und sieht hinüber,
-wie um zu ergründen, was los ist. Komm her und gib mir meine Axt! ruft
-Axel etwas kläglich. -- Brede sieht weg, er hat ergründet, was los ist,
-jetzt schaut er in die Höhe zu dem Telegraphendraht hinauf und will
-augenscheinlich anfangen zu pfeifen! War er denn verrückt? -- Komm her
-und gib mir die Axt, ich liege unter einem Baum! wiederholte Axel etwas
-lauter als vorher. Aber Brede hat sich so sehr gebessert und ist so
-eifrig in seinem Dienste, daß er nichts sieht als den Telegraphendraht
-und nur eifrig pfeift. Und wohlgemerkt, munter und rachgierig pfeift
-er! -- So, du willst mich umbringen und mir nicht einmal die Axt
-reichen! ruft Axel. -- Aber jetzt muß Brede offenbar notwendig noch
-weiter die Linie entlang gehen und nach dem Draht schauen, und er
-verschwindet im Schneetreiben.
-
-So, na ja! Aber jetzt wäre es doch ein rechter Staatsstreich, wenn Axel
-sich selbst so weit frei machte, daß er die Axt erreichen könnte!
-Er spannt Leib und Brust an, um die ungeheure Last zu heben, die
-ihn daniederhält, er bewegt den Baum, schüttelt ihn, erreicht aber
-damit nur, daß noch mehr Schnee auf ihn herabrieselt. Nach einigen
-vergeblichen Versuchen gibt er es auf.
-
-Es fängt an zu dunkeln. Brede ist gegangen, aber wie weit kann er
-inzwischen gekommen sein? Nicht sehr weit, Axel ruft wieder und redet
-dabei von der Leber weg: Willst du mich hier einfach liegenlassen, du
-Mörder? ruft er. Denkst du nicht an deiner Seelen Seligkeit? Du weißt,
-du könntest für eine einzige kleine Handreichung eine Kuh von mir
-bekommen, aber du bist ein Hund, Brede, und du willst mich umbringen!
-Aber ich werde dich anzeigen, so wahr ich hier liege, merk dir's!
-Kannst du nicht herkommen und mir die Axt geben?
-
-Stille. Axel strengt sich wieder unter seinem Baume an, hebt ihn ein
-wenig mit dem Leib und erreicht damit, daß immer noch mehr Schnee auf
-ihn herunterfällt. Dann ergibt er sich in sein Schicksal und seufzt,
-matt und schläfrig wird er auch. Sein Vieh steht jetzt in der Gamme und
-brüllt, es hat seit heute morgen nicht naß und nicht trocken bekommen,
-Barbro füttert es nicht mehr, sie ist davongelaufen, mit beiden
-Fingerringen noch dazu. Es wird dunkel, jawohl, es wird Abend, und es
-wird Nacht, aber das ginge ja noch an, allein es wird auch kalt, sein
-Bart vereist, seine Augen werden auch bald vereisen, die Jacke dort am
-Baume würde ihm guttun, und ist es denn möglich, das eine Bein ist bis
-zur Hüfte wie tot? Alles steht in Gottes Vaterhand! sagt er, er kann
-augenscheinlich ganz fromm reden, wenn er will. Es wird dunkel, jawohl,
-er kann auch ohne angezündete Lampe sterben! Er wird ganz weich und
-gut, und um recht demütig zu sein, lächelt er freundlich und albern
-ins Unwetter hinein, es ist ja der Schnee des Herrn, der unschuldige
-Schnee! Ja, er kann es ja auch lassen, Brede anzuzeigen.
-
-Er wird still und immer schläfriger, ganz lahm, als ob er vergiftet
-wäre, er sieht so viel Weiß vor den Augen, Wälder und Ebenen, große
-Schwingen, weiße Schleier, weiße Segel, weiß, weiß -- was kann das
-sein? Unsinn, er weiß ganz gut, daß das Schnee ist, er liegt im Freien,
-es ist kein Wahn, daß er unter einem Baum begraben ist. Dann ruft
-er wieder aufs Geratewohl, brüllt, da unten im Schnee liegt seine
-gewaltige haarige Brust und brüllt, es muß bis in die Gamme bei dem
-Vieh zu hören sein, er brüllt ein ums andere Mal. Du bist ein Schwein,
-ein Untier! ruft er Brede nach. Hast du bedacht, was du tust, wenn du
-mich so verkommen läßt? Willst du mir die Axt geben? frag ich. Bist du
-ein gemeines Vieh oder ein Mensch? Aber Glück zu, wenn es deine Absicht
-ist, mich hier liegenzulassen --
-
-Er muß geschlafen haben, er liegt ganz steif und leblos da, aber seine
-Augen stehen offen, zwar mit Eis umrändert, aber offen, er kann nicht
-damit blinzeln; hat er mit offenen Augen geschlafen? Vielleicht hat
-er nur ein paar Minuten oder auch eine Stunde geschlummert, Gott weiß
-es, aber jetzt steht Oline da. Axel hört, daß sie fragt: Im Namen Jesu
-Christi, lebst du noch? Und weiter fragt sie, warum er da liege, ob er
-verrückt sei? Jedenfalls steht Oline da.
-
-Ja, Oline hat etwas Witterndes, etwas Schakalartiges, sie taucht auf,
-wenn ein Unglück um den Weg ist, sie hat eine sehr scharfe Witterung.
-Wie hätte Oline im Leben vorwärtskommen können, wenn sie nicht so
-eifrig gewesen wäre und keine so scharfe Witterung gehabt hätte? Jetzt
-hatte sie also Axels Botschaft erhalten und war trotz ihrer siebzig
-Jahre über das Gebirge gekommen, um ihm zu helfen. Gestern hat sie der
-Sturm in Sellanraa festgehalten, heute kam sie nach Maaneland, fand
-niemand zu Hause, fütterte das Vieh, trat unter die Tür und horchte
-hinaus, melkte das Vieh, lauschte dann wieder, sie begriff gar nicht --
-
-Da hörte sie rufen und sagte sich: Entweder ist es der Axel oder einer
-der Unterirdischen, in beiden Fällen ist es der Mühe wert, ein wenig
-nachzusehen, die ewige Weisheit des Allmächtigen in so viel Unruhe im
-Walde zu ergründen -- und mir tut er nichts, ich bin nicht wert, ihm
-die Schuhriemen zu lösen --
-
-Hier steht sie nun.
-
-Die Axt? Oline gräbt und gräbt im Schnee und findet die Axt nicht.
-Sie versucht ohne Axt fertig zu werden und gibt sich Mühe, den Baum,
-so wie er daliegt, zu heben; aber sie ist wie ein kleines Kind und
-vermag nur die äußersten Zweige zu schütteln. Sie sucht wieder nach
-der Axt, es ist finster, aber sie gräbt mit Händen und Füßen. Axel
-kann nicht deuten, er kann nur sagen, wo die Axt einmal gelegen hatte,
-aber da ist sie nicht mehr. Wenn es nur nach Sellanraa nicht so weit
-wäre! sagt Axel. Aber nun fängt Oline an, nach ihrem eigenen Kopf zu
-suchen, und Axel ruft ihr zu, nein, nein, dort sei sie nicht. -- Nein,
-nein, sagt Oline, ich will nur überall nachsehen. Und was ist denn
-das? fragt sie. -- Hast du sie gefunden? fragt Axel. -- Ja, mit des
-Allmächtigen Beistand erwidert Oline hochtrabend. Aber Axel ist nicht
-sehr hochgemut, er gibt zu, daß er vielleicht nicht recht bei Verstand
-sei, er ist beinahe fertig. Und was denn Axel mit der Axt wolle? Er
-könne sich ja nicht rühren, sie, Oline, müsse ihn loshacken. Oh, Oline
-habe schon mehr Äxte in der Hand gehabt, habe schon mehr als einmal in
-ihrem Leben Holz gespalten!
-
-Axel kann nicht gehen, das eine Bein ist ihm bis zur Hälfte wie
-abgestorben, der Rücken ist ihm wie gerädert, heftige Stiche bringen
-ihn beinahe zum Heulen, im ganzen genommen fühlt er sich kaum als
-lebendiger Mensch, ein Teil von ihm liegt immer noch unter dem Baum.
-Es ist so sonderbar, und ich verstehe es nicht, sagt er. Oline versteht
-es gut und erklärt das Ganze mit wunderbaren Worten: ja, sie hat einen
-Menschen vom Tode errettet, und so viel weiß sie, der Allmächtige hat
-sie als sein geringes Werkzeug gebraucht, er hat keine himmlischen
-Heerscharen schicken wollen. Ob Axel nicht seinen weisen Ratschluß
-erkenne? Und wenn der Herr einen Wurm in der Erde hätte zu Hilfe
-schicken wollen, so hätte er das tun können. -- Ja, das weiß ich wohl,
-aber es ist mir so sonderbar zumut, sagte Axel. -- Sonderbar? Er
-solle nur ein ganz klein wenig warten, sich bewegen, sich vorbeugen
-und wieder aufrichten, ja, so, immer nur ein wenig auf einmal, seine
-Gelenke seien eingerostet und abgestorben, er solle seine Jacke
-anziehen, damit er warm werde. In ihrem ganzen Leben werde sie nun und
-nimmer den Engel des Herrn vergessen, der sie das letztemal vor die Tür
-gerufen habe -- und da hörte sie Rufe aus dem Walde. Es sei wie in den
-Tagen des Paradieses gewesen, als mit Posaunen geblasen wurde bei den
-Mauern von Jericho.
-
-Wunderbar! Aber während dieses Geschwätzes hat Axel Zeit, er übt seine
-Gelenke und lernt gehen.
-
-Langsam geht's dem Hause zu, Oline ist immer noch der Retter in der
-Not und stützt Axel. So geht es ganz gut. Als sie ein Stück Weges
-hinuntergekommen sind, begegnen sie Brede. -- Was ist denn das? fragt
-Brede. Bist du krank? Soll ich dir helfen? sagt er. -- Axel schweigt
-abweisend. Er hat Gott gelobt, sich nicht zu rächen und Brede nicht
-anzuzeigen, aber weiter ist er nicht gegangen. Und weshalb war Brede
-nun wieder auf dem Wege bergauf? Hatte er gesehen, daß Oline nach
-Maaneland gekommen war, und begriffen, daß sie die Hilferufe hören
-mußte? -- So, du bist da, Oline? sagt Brede geschwätzig. Wo hast du
-ihn gefunden? Unter einem Baum? Ja, ist es nicht sonderbar mit uns
-Menschen! legt er los. Ich sah eben die Telegraphenlinie nach, da
-hörte ich rufen. Wer sich sofort auf die Beine machte, das war ich;
-ich wollte Hilfe leisten, falls es nötig sein sollte. Also du bist es
-gewesen, Axel? Und du hast unter einem Baum gelegen? -- Jawohl, und du
-hast es gehört und gesehen, als du herunterkamst, aber du bist an mir
-vorbeigegangen, antwortete Axel. -- Gott sei mir Sünder gnädig! ruft
-Oline über solch schwarze Bosheit. -- Brede erklärt, wie es gewesen
-sei. Dich gesehen? Ich hab' dich gut gesehen. Aber du hättest mich doch
-rufen können, warum hast du nicht gerufen? Ich sah dich ausgezeichnet,
-aber ich dachte, du hättest dich ein wenig zum Ausruhen hingelegt. --
-Willst du den Mund halten! ruft Axel drohend. Du hast mich absichtlich
-liegenlassen.
-
-Oline sieht ein, daß Brede jetzt nicht eingreifen darf, das würde
-ihre eigene Unentbehrlichkeit verringern und ihr Rettungswerk nicht
-mehr ganz vollständig erscheinen lassen. Sie verhinderte Brede, Axel
-hilfreiche Hand zu reichen, ja, er darf nicht einmal den Rucksack oder
-die Axt tragen. Oh, in diesem Augenblick ist Oline vollständig auf
-Axels Seite; wenn sie später einmal zu Brede kommt und hinter einer
-Schale Kaffee sitzt, wird sie ganz auf seiner Seite sein. -- Laß mich
-doch wenigstens die Axt oder die Schneeschaufel tragen, sagt Brede.
--- Nein! erwidert Oline an Axels Statt. Die will er selbst tragen. --
-Brede bleibt dabei: Du hättest mich doch rufen können, Axel. Wir sind
-doch nicht so verfeindet, daß du mir das Wort nicht hättest gönnen
-können. Du hast gerufen? So, dann hättest du lauter rufen müssen, du
-mußt doch wissen, was für ein Schneesturm tobte. Und außerdem hättest
-du mir mit der Hand winken können. -- Ich hatte keine Hand frei, mit
-der ich hätte winken können, erwidert Axel. Du hast wohl gesehen, daß
-ich wie gefesselt dalag. -- Nein, das hab' ich nicht gesehen. So etwas
-ist mir doch noch nie vorgekommen! Laß mich doch deine Sachen tragen,
-hörst du! -- Oline sagt: Laß Axel in Frieden! Er ist krank.
-
-Aber jetzt hat auch Axels Hirn sich wieder erholt. Er hat schon früher
-allerlei von der alten Oline gehört und begreift, daß sie für alle
-Zukunft teuer und lästig für ihn werden würde, wenn sie die einzige
-wäre, die ihm das Leben gerettet hatte. Er will den Triumph ein wenig
-verteilen, Brede darf wirklich den Rucksack und die Werkzeuge tragen,
-ja, Axel ließ ein Wort fallen, daß ihm das eine Erleichterung sei, daß
-es ihm wohltue. Allein Oline will sich nicht darein finden, sie zerrt
-an dem Rucksack und erklärt, daß sie und sonst niemand tragen werde,
-was zu tragen sei. Die schlaue Einfalt ist im Streit von allen Seiten.
-Axel steht einen Augenblick ohne Stütze da, und Brede muß wahrhaftig
-den Rucksack fahren lassen, um Axel zu stützen, obgleich dieser gar
-nicht mehr wankt.
-
-Und nun geht es in der Weise weiter, daß Brede den schwachen Mann
-stützt und Oline die Last trägt. Sie schleppt und schleppt und ist
-voll Grimm und Bosheit. Sie hat sich den geringsten und gröbsten Teil
-der Arbeit auf dem Heimwege zuschieben lassen müssen! Was, zum Teufel,
-hatte Brede hier verloren? -- Du, Brede, sagte sie. Was muß ich hören?
-Dein Hof ist dir verkauft worden? -- Warum fragst du? erwiderte Brede
-keck. -- Warum ich frage? Ich hab' nicht gewußt, daß das geheimgehalten
-werden soll. -- Unsinn, Oline, du hättest kommen und auf den Hof bieten
-sollen! -- Ich? Du treibst deinen Spott mit einem alten Weibe. -- So,
-bist du denn nicht reich geworden? Es heißt doch, du habest des alten
-Sivert Goldschrein geerbt, hahaha! -- Es stimmte Oline nicht milder,
-daß sie an das fehlgeschlagene Erbe erinnert wurde. Ja, er, der alte
-Sivert, hat mir alles Gute gegönnt, das kann man nicht anders sagen,
-erwidert sie. Aber als er tot war, wurde er all seines irdischen
-Gutes beraubt. Du weißt es ja auch, Brede, wie es ist, wenn man
-ausgeplündert wird und kein eigenes Dach mehr über dem Kopf hat. Aber
-der alte Sivert, der hat jetzt große Säle und Paläste, und du und ich,
-Brede, wir sind noch auf der Erde, und jedermann wischt die Schuhe an
-uns ab. -- Was gehst denn du mich an, sagt Brede und wendet sich an
-Axel. Ich bin sehr froh, daß ich gerade vorbeigekommen bin und dir nach
-Hause helfen kann. Gehe ich dir auch nicht zu schnell? -- Nein.
-
-Aber mit Oline streiten, ein Wortgefecht mit Oline! Unmöglich!
-Niemals gab sie nach, und niemand kam ihr darin gleich, Himmel und
-Erde zusammenzumischen zu einem einzigen Gebräu von Bosheit und
-Freundschaft, Gift und Gefasel. Nun muß sie auch noch hören, daß es
-eigentlich Brede ist, der Axel nach Hause hilft. -- Was ich sagen
-wollte, fing sie an. Hast du eigentlich den großen Herren, die damals
-auf Sellanraa waren, deine Säcke mit Steinen gezeigt? -- Wenn du
-willst, Axel, so nehme ich dich einfach auf den Rücken und trage dich,
-sagt Brede. -- Nein, erwidert Axel. Aber ich danke dir für den guten
-Willen.
-
-Unterdessen gehen sie immer weiter, sie sind nun bald zu Hause, und
-Oline begreift, daß sie keine Zeit verlieren darf, wenn sie noch etwas
-erreichen will: Es wäre am besten gewesen, Brede, wenn _du_ Axel vom
-Tode errettet hättest, sagt sie. Aber wie war das, Brede, du hast
-seine Not gesehen und hast seine Hilferufe gehört und bist einfach
-vorbeigegangen? -- Halt nur deinen Mund, Oline! sagt Brede.
-
-Mundhalten wäre nun eigentlich auch das bequemste für sie gewesen,
-sie watete im Schnee und hatte schwer zu tragen; sie keuchte, aber
-den Mund hielt sie dennoch nicht. Sie hatte sich einen Trumpf für
-zuletzt aufgespart, eine gefährliche Sache, sollte sie es wagen? --
-Und die Barbro, die ist also auf und davon gegangen? fragt sie. -- Ja,
-erwidert Brede leichtfertig. Und dadurch hast du einen Winterverdienst
-bekommen. -- Aber hier bot sich Oline wieder eine gute Gelegenheit,
-sie konnte zu verstehen geben, wie sehr sie gesucht sei, begehrt weit
-herum in ihrer Gemeinde. Sie hätte zwei Plätze, ja eigentlich drei
-haben können. Im Pfarrhaus wolle man sie auch haben. Und zu gleicher
-Zeit gab sie etwas zu verstehen, was Axel wohl hören durfte, das konnte
-nichts schaden: es sei ihr soundso viel für den Winter geboten worden,
-dazu ein Paar neue Schuhe und das Futter für ein Schaf obendrein. Aber
-sie wisse, daß sie hier auf Maaneland zu einem besonders guten Mann
-komme, der sie überreich belohnen werde, und darum komme sie lieber
-hierher. Nein, Brede solle sich nur keine Sorge machen, bis jetzt habe
-ja der himmlische Vater eine Tür nach der andern vor ihr aufgetan
-und sie aufgefordert, einzutreten. Und es sehe ja aus, als ob Gott
-eine besondere Absicht dabei gehabt habe, als er sie nach Maaneland
-schickte, denn sie habe heute abend einen Menschen vom Tode errettet.
-
-Jetzt ist Axel ganz ermattet, und sein Bein versagt. Merkwürdig, bis
-dahin ist es immer besser gegangen, je mehr Wärme und Leben in seine
-Glieder zurückkehrten, jetzt jedoch hat er Brede dringend nötig, um
-sich aufrecht halten zu können! Es schien anzufangen, als Oline von
-ihrem Lohn sprach, und später, als sie ihm wieder das Leben gerettet
-hatte, da wurde es ganz schlimm. Wollte er ihren Triumph noch einmal
-herabsetzen? Gott weiß es, aber sein Hirn war jedenfalls wieder ganz in
-Ordnung. Als sie sich den Häusern nähern, bleibt Axel stehen und sagt:
-Ich glaube nicht, daß ich bis nach Hause kommen kann. Brede nimmt ihn
-ohne weiteres auf den Rücken. Und nun geht's weiter, Oline voll Gift
-und Galle, Axel, so lang er ist, auf Bredes Rücken. Aber wie ist denn
-das, sollte Barbro nicht ein Kind bekommen? -- Ein Kind? stöhnt Brede
-unter seiner Last. Es ist ein äußerst sonderbarer Aufzug, Axel läßt
-sich bis auf die Türschwelle tragen.
-
-Brede keucht unmäßig. Ja, oder war es etwa kein Kind? fragt Oline. --
-Hier fällt Axel ein und sagt zu Brede: Ich weiß wirklich nicht, wie
-ich heute abend hätte heimkommen sollen, wenn du nicht gewesen wärest!
-Aber er vergißt auch Oline nicht und sagt: Ich danke auch dir, Oline,
-du bist die erste gewesen, die mich gefunden hat. Ich danke euch allen
-beiden.
-
-Das war der Abend, an dem Axel gerettet wurde.
-
-In den folgenden Tagen ist Oline schwer dazu zu bringen, von etwas
-anderem zu reden als von dem großen Ereignis. Axel hat genug zu tun,
-sie etwas in den Schranken zu halten. Oline kann das Plätzchen in
-der Stube zeigen, wo sie stand, als der Engel des Herrn sie vor die
-Tür rief, damit sie die Hilferufe höre; Axel hat wieder anderes zu
-denken und muß ein Mann sein. Er fängt seine Arbeit im Walde wieder
-an, und als er mit dem Baumfällen fertig ist, fährt er die Stämme nach
-Sellanraa in die Sägemühle.
-
-Das ist eine glatte und ebene Winterarbeit: Stämme hinauf und
-zugeschnittene Bretter herunter! Aber es gilt, sich zu beeilen und
-vor Neujahr fertig zu werden, bevor der starke Frost einsetzt und das
-Sägewerk einfriert. Es geht sehr gut, alles wird fertig. Wenn Sivert
-von Sellanraa gerade leer aus dem Dorf zurückkommt, nimmt auch er
-einen Stamm auf seinen Schlitten und hilft seinem Nachbar. Die beiden
-halten dann einen ordentlichen Schwatz zusammen und haben ihre Freude
-aneinander.
-
-Was gibt's Neues im Dorf? fragt Axel. -- Nichts, erwidert Sivert. Es
-soll ein neuer Ansiedler hierherkommen.
-
-Ein neuer Ansiedler, oh, das war nicht nichts, es war nur Siverts Art
-zu sprechen. Jedes Jahr kam ein neuer Ansiedler in die Gegend und
-ließ sich da nieder; es waren jetzt fünf Ansiedlungen unterhalb von
-Breidablick, oberhalb ging es langsamer mit dem Kolonisieren, obgleich
-der Boden nach Süden zu überall mehr Ackerkrume und weniger Moorland
-aufwies. Der Ansiedler, der sich am weitesten hinausgewagt hatte, war
-Isak, als er Sellanraa gründete, er war der mutigste und klügste. Nach
-ihm kam Axel Ström. Nun hatte sich also ein neuer Mann angekauft. Der
-neue Mann sollte eine große Strecke Moorland zum Entwässern und Wald
-unterhalb Maaneland gekauft haben -- es war ja genug da.
-
-Hast du gehört, was für ein Mann es ist? fragt Axel. -- Nein, erwidert
-Sivert. Er kommt mit fertigen Häusern, die er herführen läßt und im
-Handumdrehen aufstellt. -- So, dann hat er also Geld? -- Das muß er
-wohl haben. Er kommt mit Familie, mit einer Frau und drei Kindern.
-Und er hat Vieh und Pferde. -- Ja, dann hat er Geld, sagt Axel. Hast
-du sonst nichts gehört? -- Nein. Er sei dreiunddreißig Jahre alt.
--- Wie heißt er denn? -- Aron, wird behauptet. Seinen Hof hat er
-Storborg genannt. -- So, also Storborg, die große Burg. Ja, ja, das
-ist nicht klein. -- Er ist von der Küste. Es heißt, er sei bis jetzt
-beim Fischhandel gewesen. -- Dann kommt es also darauf an, ob er etwas
-von der Landwirtschaft versteht, sagt Axel. Hast du sonst nichts von
-ihm gehört? -- Nein. Er hat bar bezahlt, als er den Kaufbrief bekam.
-Sonst hab' ich nichts gehört. Aber es heißt, er habe ein Heidengeld
-mit seiner Fischerei verdient. Jetzt wolle er sich hier niederlassen
-und Handel treiben. Ja, das wird behauptet. -- So, er will also Handel
-treiben!
-
-Das war das allerwichtigste, und die beiden Nachbarn besprachen
-die Sache nach allen Seiten, während sie dahinfuhren. Es war eine
-große Neuigkeit, vielleicht die größte in der ganzen Geschichte der
-Ansiedlung, und es gab viel zu besprechen: Mit wem wollte der neue
-Ansiedler Handel treiben? Mit den acht Gehöften auf der Allmende?
-Oder hoffte er auch auf Kunden aus dem Dorfe? Auf jeden Fall würde ein
-Kaufladen von großer Bedeutung sein, vielleicht vermehrte das auch die
-Kolonisierung, und die Güter stiegen im Preise, wer konnte es wissen!
-
-Wie sie redeten und der Sache nicht müde wurden! Diese beiden Männer
-hatten ihre Interessen und ihre Ziele, die ebenso wichtig waren wie
-die anderer, das Land war ihre Welt, die Arbeit, die Jahreszeiten,
-die Ernte waren die Abenteuer, die sie erlebten. War dabei nicht auch
-Spannung? Ho, Spannung genug! Oftmals konnten sie nur kurze Zeit
-schlafen, oftmals mußten sie über die Mahlzeiten weg arbeiten, sie
-konnten das ertragen, sie hatten die Gesundheit dazu; sieben Stunden
-unter einem Föhrenstamm schadete ihnen nichts an Leben und Gesundheit,
-wenn die Knochen ganz geblieben waren. Ein Leben in einer Welt ohne
-Weite, ohne Ausblick? So! Aber welch eine Welt von Ausblick bot dieses
-Storborg mit seinem Handel draußen auf dem Ödland!
-
-Bis Weihnachten wurde darüber geredet ...
-
-Axel hatte einen Brief erhalten, einen großen Brief mit einem Löwen
-darauf, der war vom Staate: er solle die Telegraphendrähte, die Geräte
-und das Werkzeug bei Brede Olsen abholen und von Neujahr an die
-Aufsicht über die Linie übernehmen.
-
-
-
-
-4
-
-
-Mit vielen Pferden wird über das Moor gefahren, die Häuser werden dem
-neuen Ansiedler zugefahren, eine Wagenladung nach der andern, tagelang.
-An einer Stelle, die später Storborg heißen soll, wird abgeladen; das
-Anwesen wird auch gewiß einmal sehr groß, vier Mann sind drüben am Hang
-und brechen Steine zu einer Mauer und zwei Kellern aus.
-
-Es wird gefahren und gefahren. Jeder Balken ist schon genau zugehauen,
-sie brauchen, wenn der Frühling kommt, nur zusammengefügt werden,
-das ist fein ausgerechnet; die Balken haben laufende Nummern, und es
-fehlt keine Tür, kein Fenster, ja nicht eine farbige Glasscheibe für
-die Veranda. Und eines Tages kommt ein Wagen mit einer hohen Last von
-Latten daher. Was ist das? Einer von den Ansiedlern unterhalb von
-Breidablick weiß es; er ist aus dem Süden und hat das schon früher
-gesehen. Das gibt einen Gartenzaun, sagt er. -- Der neue Mann will sich
-also hier im Ödland einen Garten anlegen, einen großen Garten.
-
-Das schien sich gut anzulassen, noch niemals hatte es einen solchen
-Verkehr über die Moore gegeben, und viele Pferdebesitzer verdienten ein
-schönes Geld durch Fuhren, die sie leisteten. Sie besprachen auch die
-Sache mündlich unter sich: Nun war Aussicht auf zukünftigen Verdienst,
-der Kaufmann würde seine Waren aus dem In- und Ausland beziehen, und
-sie mußten mit vielen Pferden von der See heraufgeführt werden.
-
-Es sah aus, als ob alles recht großartig werden würde. Ein junger
-Aufseher oder Bevollmächtigter war angekommen, der den Fuhrbetrieb
-leitete, er trieb und drängte und schien nicht Pferde genug auftreiben
-zu können, obgleich nicht mehr allzu viele Wagenladungen übrig waren.
-Es sind ja gar nicht so viele Wagenladungen von den Häusern mehr übrig,
-wurde ihm gesagt. -- Ja, aber alle Waren, erwiderte er. -- Sivert von
-Sellanraa kam wieder wie gewöhnlich mit leerem Wagen dahergefahren,
-und der Aufseher rief ihm zu: Warum kommst du leer? Du hättest doch
-eine Wagenladung für uns bis Storborg mitnehmen können. -- Das hätte
-ich wohl können, aber ich wußte nichts davon, entgegnete Sivert. -- Er
-ist von Sellanraa, und sie haben dort zwei Pferde, flüsterte jemand
-dem Aufseher zu. -- Ist es wahr, daß ihr zwei Pferde habt? fragte
-dieser. Komm mit beiden her und leiste Fuhren für uns, hier ist Geld
-zu verdienen. -- Ja, das wäre nicht so uneben, meinte Sievert. Aber
-jetzt gerade haben wir schlecht Zeit! -- Hast du keine Zeit, Geld zu
-verdienen? fragte der Aufseher.
-
-Nein, auf Sellanraa hatten sie nicht immer übrige Zeit, es war da gar
-zu viel zu tun. Und jetzt hatten sie sogar zum erstenmal Männer zur
-Hilfe gedingt, zwei schwedische Maurer sprengten Steine zu einem Stall.
-
-Dieser Stall war seit vielen Jahren Isaks großer Gedanke gewesen,
-die Gamme für das Vieh wurde allmählich zu klein und zu dürftig, ein
-steinerner Stall mit doppelten Mauern und einer richtigen Dungstätte
-sollte es werden. Aber es war so vieles, was gemacht werden sollte,
-das eine zog immer wieder das andere nach sich; jedenfalls hörte das
-Bauen niemals auf. Isak hatte ein Sägewerk und eine Mühle und einen
-Sommerstall, warum sollte er nicht auch eine Schmiede haben? Nur eine
-kleine Schmiede zur Nothilfe, es war ja so weit ins Dorf, wenn der
-Vorhammer sich bog oder man ein paar neue Hufeisen brauchte. Eine Esse
-und einen Amboß, warum sollte er die nicht haben? Im ganzen entstanden
-ja so viele große und kleine Gebäude auf Sellanraa.
-
-Der Hof wird immer größer, wird gewaltig groß, es geht auch nicht
-mehr ohne Dienstmagd, und Jensine muß ganz dableiben. Ihr Vater, der
-Schmied, fragt gelegentlich nach ihr, und ob sie nicht bald wieder
-heimkomme, aber er besteht nicht darauf, er ist sehr nachgiebig und
-hat wohl eine Absicht dabei. Sellanraa liegt am höchsten in der
-Allmende und nimmt immer mehr zu, nimmt zu an Häusern und an Grund
-und Boden, die Menschen sind immer dieselben. Die Lappen kommen jetzt
-nicht mehr vorbei und spielen sich als Herren in der Ansiedlung auf,
-das hat längst aufgehört. Die Lappen kommen überhaupt nicht mehr
-oft vorbei, sie machen lieber einen großen Bogen um den Hof herum,
-jedenfalls kommen sie nicht mehr ins Haus herein, sie bleiben draußen
-stehen, wenn sie überhaupt stehenbleiben. Die Lappen treiben sich in
-der Einöde, im Dunkeln herum; wenn sie in Licht und Luft gebracht
-werden, gehen sie ein wie Maden und Ungeziefer. Ab und zu verschwindet
-an einer entlegenen Stelle ein Kalb oder ein Lamm, ganz weit draußen,
-wo Sellanraa aufhört. Dagegen ist nichts zu machen. Natürlich kann
-Sellanraa das tragen. Und wenn Sivert auch schießen könnte, so hätte
-er doch keine Flinte, aber er kann nicht schießen, er ist lustig und
-unkriegerisch, ein großer Schelm. Außerdem ist das Abschießen von
-Lappen wohl verboten, sagt er.
-
-Sellanraa kann kleine Verluste seines Viehstandes verschmerzen, denn es
-ist groß und stark, aber es ist nicht ohne Sorgen, ach nein! Inger ist
-keineswegs das ganze Jahr hindurch mit sich und ihrem Leben zufrieden,
-nein, sie hat einmal eine große Reise gemacht, und da ist wohl eine
-Art verderblicher Abgespanntheit über sie gekommen. Die verschwindet
-und kommt wieder. Sie ist rasch und fleißig wie in ihren besten Tagen,
-und sie ist eine hübsche und gesunde Frau für ihren Mann, für den
-Mühlengeist, aber hat sie nicht auch Erinnerungen von Drontheim? Träumt
-sie niemals? Doch und besonders während des Winters. Da gärt zuweilen
-eine ganz verfluchte Lebenslust in ihr, und da sie nicht allein tanzen
-kann, gibt es keinen Ball. Schwere Gedanken und ein Andachtsbuch? Ach
-ja, jawohl, aber Gott weiß, das andere ist auch schön und herrlich! Sie
-ist genügsam geworden; die schwedischen Maurer sind jedenfalls fremde
-Menschen und ungewohnte Stimmen auf dem Hofe, aber es sind ältere und
-ruhige Männer, die nicht spielen, sondern arbeiten. Aber sie sind doch
-besser als gar nichts, sie bringen doch etwas Leben mit sich, der eine
-singt wunderschön, und Inger bleibt bisweilen stehen und hört ihm zu.
-Der Mann heißt Hjalmar.
-
-Aber damit ist noch nicht alles gut und recht auf Sellanraa. Da ist
-zum Beispiel die große Enttäuschung mit Eleseus. Von ihm war ein
-Brief gekommen, daß seine Stelle bei dem Ingenieur aufgehört habe,
-aber er werde bald eine andere bekommen, er müsse nur warten. Dann
-kam ein Brief, er könne, während er auf einen hohen Posten in einem
-Büro warte, nicht von nichts leben, und als ihm von zu Hause ein
-Hundertkronenschein geschickt wurde, schrieb er zurück, das habe gerade
-genügt, einige kleine Schulden zu decken. -- So, sagte Isak. Aber nun
-haben wir die Maurer und allerlei Auslagen, frag du nur den Eleseus, ob
-er nicht lieber heimkommen wolle und uns helfen! -- Inger schrieb, aber
-Eleseus wollte nicht wieder heimkommen, nein, er wollte die Reise nicht
-unnötig noch einmal machen, lieber wollte er hungern.
-
-Seht, es war wohl in der ganzen Stadt keine hohe Stelle in einem Büro
-frei, und Eleseus war vielleicht auch nicht Draufgänger genug, sich
-seinen Weg zu bahnen. Gott weiß, vielleicht war er auch nicht besonders
-tüchtig. Geschickt und fleißig im Schreiben war er wohl, aber ob er
-auch klug und gescheit war? Und wenn nicht, wie würde es ihm dann gehen?
-
-Als er mit den zweihundert Kronen von zu Hause in die Stadt
-zurückkehrte, kam diese sofort mit ihren unbezahlten Rechnungen daher,
-und nachdem er diese beglichen hatte, mußte er sich einen Stock kaufen,
-der alte Regenschirmstock tat es nicht mehr. Verschiedene andere Dinge,
-die er sich anschaffen mußte, lagen auch nahe, eine Pelzmütze für den
-Winter, wie alle seine Kameraden eine hatten, ein Paar Schlittschuhe,
-einen silbernen Zahnstocher, um sich damit die Zähne zu stochern und
-elegant damit zu deuten, wenn man bei einem Gläschen zusammensaß und
-schwatzte. Und solange er noch reich war, hielt er die andern frei,
-so gut er konnte; bei seinem Ankunftsfest ließ er mit der größten
-Sparsamkeit ein halbes Dutzend Bierflaschen aufziehen. -- Was, du gibst
-der Kellnerin zwanzig Öre? wurde er gefragt. Wir geben zehn. -- Nur
-nicht kleinlich sein! sagte Eleseus.
-
-Er war nicht kleinlich, nein, das stand ihm gar nicht an, er stammte
-von einem großen Hof, ja, von einem Herrenhof, sein Vater, der
-Markgraf, besaß unendliche Wälder und vier Pferde, dreißig Kühe
-und drei Mähmaschinen. Eleseus war kein Lügenbeutel, und nicht er
-hatte die Märe von dem Herrenhof Sellanraa verbreitet, das hatte der
-Bezirksingenieur seinerzeit getan und in der Stadt damit geprahlt.
-Aber es war Eleseus nicht gerade zuwider, daß dieses Märchen so halb
-und halb geglaubt wurde. Da er selber nichts war, konnte er wenigstens
-der Sohn von jemand sein, das verschaffte ihm Kredit, und er konnte
-sich durchschlagen. Aber auf die Dauer ging das doch nicht, endlich
-sollte er doch einmal bezahlen, und da saß er fest. Einer seiner
-Kameraden verschaffte ihm dann eine Anstellung im Geschäft seines
-Vaters. Es war ein Laden mit Bauernkundschaft, der die verschiedensten
-Waren führte; aber es war immerhin besser als gar nichts. Es war recht
-unangenehm für einen so alten Knaben, mit einem Anfängergehalt in einem
-Kramladen zu stehen, wenn er sich doch zum Lensmann hatte ausbilden
-wollen; aber er verdiente wenigstens seinen Lebensunterhalt dabei,
-es war ein vorläufiger Ausweg, ach, es war eigentlich gar nicht so
-schlimm. Eleseus war auch hier freundlich und gefällig und war bei den
-Kunden beliebt. Und er schrieb nach Hause, er sei jetzt zum Handel
-übergegangen.
-
-Aber das war nun die große Enttäuschung seiner Mutter. Wenn Eleseus
-hinter einem Ladentisch stand, so war er ja auch nicht mehr als
-der Ladendiener beim Kaufmann im Dorfe drunten. Früher war er
-unvergleichlich viel mehr gewesen, außer ihm hatte niemand je das Dorf
-verlassen und auf einem Büro gearbeitet. Hatte er denn sein großes
-Ziel aus dem Auge verloren? Inger war nicht so dumm, sie wußte, daß es
-einen Unterschied gab zwischen dem Gewöhnlichen und dem Ungewöhnlichen,
-aber sie konnte das vielleicht nicht so genau unterscheiden. Isak war
-einfältiger und einfacher, er rechnete jetzt immer weniger mit Eleseus,
-wenn er rechnete; sein ältester Sohn war gewissermaßen aus seinem
-Gesichtskreis hinausgeglitten, er hörte auf, sich Sellanraa zwischen
-seinen beiden Söhnen geteilt zu denken, wenn er einmal nicht mehr
-dasein sollte.
-
-Im Frühjahr kamen Ingenieure und Arbeiter aus Schweden; sie sollten
-Wege bauen, Baracken errichten, Grundstücke ausebnen, sprengen,
-Verbindungen mit Lebensmittellieferanten, mit Pferdebesitzern, mit
-Grundbesitzern an der See abschließen -- wozu das alles? Sind wir denn
-nicht im Ödland, wo alles still und tot ist? Doch, aber jetzt sollte
-ein Versuchsbetrieb auf dem Kupferberg eröffnet werden.
-
-So, nun wurde also doch etwas aus der Sache, Geißler hatte keine leeren
-Umtriebe gemacht.
-
-Es waren nicht dieselben großen Herren wie das letztemal, der Landrat
-fehlte, der Grubenbesitzer fehlte, aber es war der alte Sachverständige
-und der alte Ingenieur. Sie kauften Isak alle seine gesägten Bretter
-ab, die er nur entbehren konnte, sie kauften Nahrungsmittel und
-Getränke und bezahlten gut, dann unterhielten sie sich und waren
-freundlich und sagten, Sellanraa gefalle ihnen. Eine Seilbahn! sagten
-sie. Eine Luftbahn vom Berggipfel hinunter an die See, sagten sie. --
-Über alle Moore weg? fragte Isak, denn er war schwach im Denken. --
-Ach, da mußten sie lachen! Auf der andern Seite, sagten sie, nicht
-auf dieser Seite, das würde ja viele Meilen weit sein. Nein, auf der
-andern Seite des Berges, gleich zum Meer hinunter, da ist starkes
-Gefälle und gar keine Entfernung. Wir lassen das Erz durch die Luft
-in eisernen Trögen hinunter, du wirst sehen, es wird großartig! Aber
-zum Anfang wird das Erz hinuntergefahren, wir bauen einen Weg und
-lassen es mit den Pferden hinunterfahren -- oh, mit wenigstens fünfzig
-Pferden, auch das wird großartig. Und wir sind auch nicht nur so wenig
-Leute, wie du hier siehst. Was sind denn wir? Nichts! Von der andern
-Seite kommen noch mehr; ein ganzer Zug Arbeiter und fertige Baracken
-und Nahrungsmittel und alle Art von Gerätschaften, wir treffen oben
-auf der Höhe zusammen. Es kommt Zug in die Sache, Millionen, und das
-Erz kommt nach Südamerika. -- Ist der Landrat nicht mit dabei? fragte
-Isak. -- Was für ein Landrat? Ach der? Nein, der hat verkauft! -- Und
-der Grubenbesitzer? -- Der hat auch verkauft. So, du erinnerst dich an
-sie? Nein, die haben verkauft. Und die von ihnen abgekauft haben, haben
-wieder verkauft. Jetzt gehört der Kupferberg einer großen Gesellschaft,
-ungeheuer reichen Leuten. -- Wo mag wohl Geißler sein? fragte Isak.
--- Geißler? Kenne ich nicht. -- Der Lensmann Geißler, der damals den
-Kupferberg verkauft hat. -- Ach der! Hat der Geißler geheißen? Gott
-weiß, wo er hingekommen ist. Erinnerst du dich an den auch noch?
-
-Dann sprengten sie und arbeiteten in den Bergen mit vielen Leuten
-den ganzen Sommer über, es war ein großer Betrieb. Inger hatte
-einen ausgedehnten Handel mit Milch und Käse, und sie fand es recht
-unterhaltend, Handel zu treiben und viele Menschen kommen und gehen zu
-sehen. Isak schritt mit seinem dröhnenden Gang weit aus und bestellte
-sein Land, er ließ sich durch nichts stören. Die zwei Maurer und Sivert
-bauten den Stall. Es wurde ein großer Bau; aber es dauerte lange, bis
-er aufgerichtet war, es waren zu wenig Mann bei der Arbeit, und Sivert
-war außerdem oft nicht dabei, weil er bei der Feldarbeit helfen mußte.
-Jetzt war es gut, daß sie eine Mähmaschine hatten und drei flinke
-Frauenzimmer beim Heuwenden.
-
-Alles war gut geworden, das Ödland war zum Leben erwacht, Geld blühte
-allenthalben.
-
-Seht doch nur den Handelsplatz Storborg, war das nicht ein Geschäft
-im großen Stil? Dieser Aron mußte doch ein verfluchter Kerl sein, er
-mußte seinerzeit von der bevorstehenden Grubenarbeit Wind bekommen
-haben und war sofort heraufgezogen mit seinem Kramladen; er handelte,
-oh, er handelte wie eine Regierung, ja, wie ein König. Zuallererst
-verkaufte er allerlei Haushaltungsgegenstände und Arbeiteranzüge; aber
-die Grubenarbeiter, die Geld haben, sind nicht so sparsam damit, daß
-sie alle nur das Notwendige kaufen, nein, sie kaufen alles. Besonders
-an den Sonntagabenden wimmelte es auf dem Handelsplatz Storborg von
-Käufern, und Aron strich Geld ein; er hatte seinen Ladendiener und
-seine Frau zur Hilfe hinter dem Ladentisch und verkaufte selbst, was
-er vermochte, aber es wurde nicht leer in seinem Laden bis tief in die
-Nacht hinein. Und es zeigte sich, daß die Pferdebesitzer im Dorfe recht
-behielten, es gab einen gewaltigen Fuhrwerksbetrieb mit Waren hinauf
-nach Storborg, die Straße mußte an verschiedenen Stellen verlegt und
-ordentlich instand gesetzt werden, jetzt war es etwas ganz anderes als
-Isaks schmaler Fußweg durchs Ödland. Aron wurde der reine Wohltäter für
-die Gegend mit seinem Handel und seiner Straße. Er hieß übrigens nicht
-Aron, das war nur sein Taufname, er hieß Aronsen, so nannte er sich
-wenigstens selbst, und so hieß ihn seine Frau. Die Familie tat recht
-großartig und hielt zwei Dienstmägde und einen Knecht.
-
-Der Grund und Boden auf Storborg blieb vorläufig unbebaut liegen, sie
-hatten keine Zeit für Landwirtschaft, wer hätte auch im Moor Gräben
-ziehen wollen! Dafür hatte Aronsen einen Garten mit einem Lattenzaun
-und mit Johannisbeerensträuchern und Astern und Ebereschen und anderen
-gepflanzten Bäumen, einen feinen Garten. Es war ein breiter Gang darin,
-auf dem Aronsen an den Sonntagen auf und ab gehen und eine lange Pfeife
-rauchen konnte. Im Hintergrund lag die Veranda des Hauses mit roten und
-gelben und blauen Scheiben. Storborg! Drei kleine hübsche Kinder liefen
-herum, das Mädchen sollte lernen, Haustochter eines Kaufmanns zu sein,
-die Söhne sollten selbst die Handelsschaft erlernen; oh, drei Kinder
-mit einer Zukunft vor sich!
-
-Hätte Aronsen nicht an die Zukunft gedacht, so wäre er überhaupt nicht
-hierhergekommen. Er hätte bei seiner Fischerei bleiben, und wenn er
-Glück hatte, auch dabei viel Geld verdienen können; aber das war
-nicht so vornehm wie ein Handelsgeschäft, es brachte nicht so viel
-Hochachtung ein, die Hüte flogen da nicht vor einem von den Köpfen.
-Aronsen hatte seither gerudert, in Zukunft wollte er segeln. Er hatte
-eine Redensart: bom konstant. Seine Kinder sollten es mehr bom konstant
-haben, als er es gehabt hatte, sagte er, damit meinte er, sie sollten
-weniger hart arbeiten müssen.
-
-Und siehe da, die Sache ließ sich gut an, er und seine Frau, ja sogar
-seine Kinder wurden höflich gegrüßt. Man durfte es nicht gering
-anschlagen, daß sogar die Kinder gegrüßt wurden. Die Grubenarbeiter
-kamen vom Berg herunter und hatten seit langer Zeit keine Kinder mehr
-gesehen. Aronsens Kinder liefen ihnen bis vor den Hof entgegen, und
-die Arbeiter redeten gleich so freundlich mit ihnen, als hätten sie
-drei Pudelhunde vor sich. Sie hätten den Kindern gerne Geld geschenkt,
-weil es aber die Kinder des Kaufmanns waren, spielten sie ihnen statt
-dessen auf der Mundharmonika vor. Gustaf kam, der junge Wildfang mit
-dem Hut auf einem Ohre und dem munteren Geplauder, ja er kam herbei und
-schäkerte eine gute Weile mit den Kindern. Die Kinder kannten ihn auch
-gleich, wenn er ankam, und liefen ihm entgegen, er lud sie sich alle
-drei auf den Rücken und tanzte mit ihnen herum. Ho! sagte Gustaf und
-tanzte. Dann nahm er seine Mundharmonika und blies Lieder und Weisen,
-so schön, daß die beiden Dienstmägde herauskamen und Gustafs Spiel mit
-nassen Augen zuhörten. Gustaf wußte, was er tat, der ausgelassene Kerl!
-
-Nach einer Weile ging er in den Laden und klimperte mit seinem Geld und
-füllte seinen ganzen Rucksack mit den verschiedensten Sachen, und als
-er dann wieder heim in die Berge ging, hatte er einen ganzen kleinen
-Kramladen bei sich, den er auf Sellanraa auspackte und vorwies. Er
-hatte Briefpapier mit Blumen darauf und eine neue Pfeife und ein neues
-Hemd und ein Halstuch mit Fransen dran, hatte Süßigkeiten, die er an
-die Frauen austeilte; er hatte glänzende Sachen, eine Uhrkette mit
-einem Kompaß daran, ein Federmesser; ja, er hatte eine Menge Sachen,
-unter anderem auch Raketen, die er sich für den Sonntag gekauft hatte,
-um sich und andere damit zu unterhalten. Inger setzte ihm Milch zu
-trinken vor, und er spaßte mit Leopoldine und hob die kleine Rebekka
-hoch in die Luft. -- Na, steht der Stall bald? fragte er seine
-Landsleute, die Maurer, und war auch mit diesen gut Freund. -- Nein,
-sie hätten nicht Hilfe genug, sagten die Maurer. -- Dann wolle er ihnen
-helfen, sagte Gustaf zum Spaß. -- Das wäre sehr gut, meinte Inger, denn
-der Stall sollte bis zum Herbst fertig sein, wenn das Vieh nicht mehr
-draußen bleiben könne.
-
-Nun ließ Gustaf eine Rakete steigen, und nachdem er einmal eine
-abgebrannt hatte, konnte er auch gleich alle sechse steigen lassen,
-und die Weiberleute und die Kinder hielten den Atem an vor lauter
-Verwunderung über dieses Hexenwerk und den Hexenmeister, der es gemacht
-hatte. Inger hatte noch niemals eine Rakete gesehen, aber dieser
-sonderbare Blitz erinnerte sie an die große Welt. Was wollte jetzt
-eine Nähmaschine bedeuten! Und als Gustaf schließlich auch noch die
-Mundharmonika spielte, wäre ihm Inger am liebsten nachgezogen vor
-lauter Rührung...
-
-Die Grubenarbeit geht ihren Gang, und das Erz wird mit Pferden an die
-See hinuntergefahren; ein Dampfschiff ist schon damit beladen worden
-und nach Südamerika abgedampft, und dafür ist ein neues angekommen.
-Großer Betrieb. Jedermann, der überhaupt gehen kann, ist im Gebirge
-gewesen und hat sich die Wunder angeschaut, auch Brede Olsen ist mit
-seinen Gesteinsproben dort gewesen, ist jedoch abgewiesen worden,
-weil der Sachverständige wieder nach Schweden abgereist war. An den
-Sonntagen war große Völkerwanderung aus dem Dorfe, ja sogar Axel Ström,
-der keine Zeit zu verlieren hat, ist ein paarmal, als er die Linie
-nachsah, dagewesen. Jetzt gibt es bald niemand mehr, der die Wunder
-noch nicht gesehen hat. Da zieht wahrhaftig sogar Inger Sellanraa ihre
-schönen Kleider an, steckt den goldenen Ring an den Finger und geht in
-die Berge.
-
-Was will sie dort?
-
-Sie will eigentlich gar nichts, sie ist nicht einmal neugierig, zu
-sehen, wie der Berg geöffnet wird, sie will nur sich sehen lassen.
-Als Inger sah, daß andere Frauen in die Berge gingen, spürte sie, daß
-auch sie ihnen nach mußte. Sie hat eine entstellende Narbe an der
-Oberlippe und hat erwachsene Kinder, aber sie will den andern nach. Es
-ärgert sie, daß diese jung sind, aber sie will versuchen, es mit ihnen
-aufzunehmen; sie hat noch nicht angefangen, dick zu werden, sie ist
-groß und hübsch und sieht gut aus. Natürlich ist sie nicht mehr rot und
-weiß, und ihre zarte Pfirsichhaut ist schon längst vergangen, aber man
-würde schon sehen, sie kamen sicher, nickten und sagten: Die ist recht!
-
-Die Arbeiter kommen ihr mit großer Freundlichkeit entgegen, sie haben
-von Inger manchen Topf Milch erhalten und kennen sie; sie führen sie in
-den Gruben, in den Baracken, in den Ställen, in der Küche, im Keller,
-im Vorratshaus umher, die dreistesten unter ihnen rücken ihr auf den
-Leib und nehmen sie ein wenig in den Arm; aber das macht Inger nichts,
-das tut ihr wohl. Wenn sie Stufen hinauf- oder hinuntergeht, hebt sie
-den Rock hoch auf und läßt ihre Waden sehen, aber sie ist ganz gelassen
-dabei und tut, als ob nichts geschehen wäre. Die ist recht! denken die
-Arbeiter.
-
-Das alte Ding, sie ist trotz allem rührend: es war leicht zu merken,
-ein ihr zugeworfener Blick von diesen warmblütigen Mannsleuten kam
-ihr unerwartet, sie war dankbar dafür und vergalt ihn, es tat ihr
-ordentlich wohl, in Gefahr zu sein, sie war ein Frauenzimmer wie
-andere. Sie war wohl aus Mangel an Versuchung bisher ehrbar gewesen.
-
-Das alte Ding!
-
-Gustaf kam auch dazu. Er überließ zwei Mädchen aus dem Dorf einem
-Kameraden, nur um herbeikommen zu können. Gustaf wußte, was er tat; er
-schüttelte Inger mit überflüssiger Wärme die Hand zum Gruße, aber er
-drängte sich nicht auf. -- Na, Gustaf, kommst du nicht bald und hilfst
-uns beim Stallbau? fragte Inger und wird dabei dunkelrot. -- Gustaf
-antwortet, ja, nun komme er bald. Seine Kameraden hören das und sagen,
-sie kämen nun bald alle miteinander. -- Ja, werdet ihr denn nicht den
-ganzen Winter hier in den Bergen bleiben? fragt Inger. Die Arbeiter
-antworten zurückhaltend, nein, es sehe nicht danach aus. Gustaf ist
-kecker, er sagt lachend, sie hätten nun bald alles vorhandene Kupfer
-herausgekratzt. -- Das ist nicht dein Ernst! ruft Inger. -- Nein,
-erwiderten die andern Arbeiter, Gustaf solle sich in acht nehmen, so
-etwas zu sagen.
-
-Aber Gustaf nahm sich nicht in acht, er sagte lachend noch viel mehr,
-und was Inger betrifft, so gewann er sie für sich allein, obgleich
-er nicht zudringlich war. Ein anderer junger Mann spielte die
-Ziehharmonika, aber das war lange nicht dasselbe, wie wenn Gustaf die
-Mundharmonika blies. Ein dritter junger Mann, auch ein Tausendsassa,
-suchte dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, daß er auswendig
-ein Lied zur Ziehharmonika sang; aber es war auch das nichts
-Besonderes, obgleich er eine rollende Stimme hatte. Nach kurzer Zeit
-hatte Gustaf wahrhaftig Ingers goldenen Ring an seinem kleinen Finger
-stecken. Und wie war das zugegangen, da er sich doch nicht aufgedrängt
-hatte? Ei, er drängte sich genügend herzu, aber er machte es in aller
-Stille, gerade wie sie auch, es ging ohne Worte, sie tat, wie wenn sie
-es gar nicht merkte, als er sich mit ihrer Hand zu schaffen machte. Als
-sie dann später in der Barackenküche saß und Kaffee trank, hörte sie
-draußen etwas Lärm und Streit, und sie begriff, daß dies sozusagen ihr
-zu Ehren war. Das reizte sie auf, das alte Birkhuhn saß da und lauschte
-auf ein angenehmes Geräusch.
-
-Wie Inger an jenem Sonntagabend von den Bergen nach Hause kam? Ho,
-ausgezeichnet, ebenso tugendhaft, wie sie gegangen war, nicht mehr
-und nicht minder. Viele Männer gaben ihr das Geleite, und die vielen
-Männer wollten nicht umkehren, solange Gustaf bei ihr war, sie gaben
-nicht nach, sie wollten nicht nachgeben! Nicht einmal draußen in der
-großen Welt hatte es Inger so unterhaltend gehabt. -- Ob Inger nichts
-vermisse, fragten sie schließlich. -- Vermissen, nein. -- Den goldenen
-Ring! sagten sie. -- Nun mußte Gustaf damit herausrücken, er hatte ein
-ganzes Heer gegen sich. -- Es ist gut, daß du ihn gefunden hast, sagte
-Inger und beeilte sich, von ihrem Gefolge Abschied zu nehmen.
-
-Sie näherte sich Sellanraa und sah die vielen Dächer, dort unten war
-ihr Heim. Sie erwachte wieder zu der tüchtigen Frau, die sie war; sie
-geht einen Fußweg am Sommerstall vorbei, um nach dem Vieh zu sehen, und
-auf dem Wege dahin kommt sie an einer Stelle vorbei, die sie gut kennt:
-hier lag einmal ein kleines Kind begraben, sie hatte die Erde mit den
-Händen zusammengescharrt und ein kleines Kreuz darauf gesteckt. Ach,
-wie lange war das her! Und gleich denkt sie weiter: Ob wohl die Mädchen
-gemolken und für den Abend alles in Ordnung gebracht haben!
-
-Die Grubenarbeit geht weiter, jawohl, aber es wird gemunkelt, daß der
-Berg nicht halte, was er versprochen habe. Der Sachkundige, der nach
-Hause gereist war, kommt wieder und hat noch einen zweiten Sachkundigen
-bei sich, sie bohren und sprengen und untersuchen gründlich. Was ist
-denn nicht in Ordnung? Das Kupfer ist fein genug, daran fehlt es nicht,
-aber die Ader ist dünn, sie nimmt nach Süden an Dicke zu und fängt
-gerade da, wo die Grenzlinie der Gesellschaft geht, erst an, dick
-und herrlich zu werden, aber da ist die Allmende. Seht, die ersten
-Käufer hatten sich wohl nicht viel bei ihrem Kauf gedacht, es war ein
-Familienrat, Verwandte, die auf Spekulation kauften; sie hatten sich
-nicht den ganzen Berg gesichert, all die vielen Meilen bis zum nächsten
-Tale, nein, sie kauften ein Stückchen von Isak Sellanraa und Geißler
-und verkauften dann wieder.
-
-Und was ist nun zu tun? Die Herren und die Vorarbeiter und die
-Sachkundigen wissen das sehr gut, sie müssen sofort mit dem
-Staat verhandeln. Sie schicken also eine Stafette nach Hause mit
-Briefschaften und Karten und reiten danach selbst zum Lensmann, um
-Beschlag auf den ganzen Bergzug auf der Südseite des Wassers zu legen.
-Aber jetzt treffen sie auf allerlei Schwierigkeiten. Das Gesetz steht
-ihnen im Weg, sie sind Ausländer, sie können nicht direkt kaufen.
-Das wissen sie wohl, da haben sie vorgesorgt. Allein die Südseite des
-Berges ist bereits verkauft, das haben sie nicht gewußt. -- Verkauft?
-sagen die Herren. -- Schon lange, schon seit mehreren Jahren. -- Wer
-hat das Land gekauft? -- Geißler. -- Was für ein Geißler? Ach der? --
-Verbrieft und versiegelt, sagt der Lensmann. Es ist kahler Fels, er hat
-ihn beinahe für nichts bekommen. -- Aber zum Kuckuck, was ist denn das
-für ein Geißler, von dem wir immer wieder hören! Wo ist er? -- Gott
-weiß, wo er ist.
-
-Die Herren mußten eine neue Stafette nach Schweden schicken. Und sie
-mußten ja auch versuchen, herauszubringen, wer dieser Geißler war.
-Vorläufig konnten sie nicht mehr mit voller Mannschaft weiterarbeiten
-lassen.
-
-Nun kam Gustaf hinunter nach Sellanraa; er trug all sein irdisch Gut
-auf dem Rücken und sagte, nun komme er! Jawohl, Gustaf hatte den Dienst
-bei der Gesellschaft verlassen, das heißt, er hatte sich am letzten
-Sonntag etwas zu offenherzig über den Kupferberg geäußert, seine Worte
-waren dem Vorarbeiter und dem Ingenieur hinterbracht worden, und Gustaf
-hatte den Abschied erhalten. Glückliche Reise, und außerdem war es
-vielleicht gerade das, was er gewollt hatte: nun erweckte es keinen
-Verdacht, wenn er nach Sellanraa ging. Er bekam sofort Arbeit beim
-Stallbau.
-
-Sie mauern und mauern, und als kurz darauf noch ein Mann von den Bergen
-kommt, findet auch er einen Platz bei der Arbeit; nun konnten zwei
-Schichten gemacht werden, und die Arbeit ging rasch von der Hand. Der
-Stall würde bis zum Herbst doch noch fertig werden.
-
-Aber ein Arbeiter nach dem andern kam von den Bergen herunter, allen
-war aufgekündigt worden, und sie zogen wieder heim nach Schweden. Der
-Versuchsbetrieb sollte aufhören. Im Dorfe drunten ging es wie ein
-Seufzer durch alle Menschen; seht, sie waren so töricht, sie begriffen
-nicht, daß ein Probebetrieb ein Betrieb auf Probe ist, aber das war
-es. Mißmut und schlimme Ahnungen ergriffen die Menschen im Dorfe, das
-Geld wurde seltener, die Löhne wurden herabgesetzt, der Handelsplatz
-Storborg verödete. Was sollte das alles bedeuten? Nun war doch alles
-so schön im Gang, Aronsen hatte sich eine Flaggenstange und eine
-Flagge angeschafft, er hatte sich für den Winter ein Eisbärfell für
-seinen Familienschlitten gekauft und die ganze Familie mit großartigen
-Kleidern ausstaffiert. Das waren ja nur Kleinigkeiten, aber es waren
-auch große Dinge geschehen: zwei neue Ansiedler hatten sich Rodeland
-in der Gegend gekauft, hoch oben zwischen Maaneland und Sellanraa,
-das war keine unbedeutende Sache für diese kleine abgelegene Welt.
-Die beiden Ansiedler hatten ihre Gammen errichtet, hatten gerodet und
-Moore entwässert, es waren fleißige Leute, sie waren in kurzer Zeit
-weit gekommen. Den ganzen Sommer über hatten sie ihre Nahrungsmittel
-in Storborg gekauft, aber als sie das letztemal kamen, war fast
-nichts mehr zu haben. Waren -- was sollte Aronsen mit Waren, wenn
-der Grubenbetrieb aufgehört hatte? Nun hatte er beinahe keine Waren
-mehr, er hatte nur Geld. Von allen Leuten in der Gegend war vielleicht
-Aronsen der mißmutigste; er hatte sich mit seinem Überschlag gar zu
-sehr verrechnet. Als ihm geraten wurde, sein Land zu bebauen und bis
-bessere Zeiten kämen, davon zu leben, antwortete er: Das Land bebauen?
-Dazu bin ich mit den Meinen nicht hierhergekommen.
-
-Zuletzt hielt es Aronsen nicht mehr aus, er wollte selbst hinauf zu
-den Gruben und einmal nach der Sache sehen. Es war an einem Sonntag.
-Als er nach Sellanraa kam, wollte er Isak mit hinaufnehmen; aber Isak
-hatte noch keinen Fuß ins Gebirge gesetzt, seit dort der Betrieb
-angefangen hatte, er gedieh am besten auf seiner Halde. Inger mußte
-sich ins Mittel legen. Kannst du denn nicht mit Aronsen gehen, wenn er
-dich darum bittet, sagte sie. Sieh einmal an, Inger hatte wohl nichts
-dagegen, wenn Isak eine Weile von zu Hause weg war! Es war Sonntag, sie
-wollte ihn wohl gerne ein paar Stunden los sein. So ging Isak also mit.
-
-Sie sahen allerlei Neues auf dem Berge, Isak kannte sich in dieser
-neuen Stadt von Baracken und Wagenschuppen und gähnenden Gruben gar
-nicht mehr aus. Der Ingenieur selbst führte sie herum. Vielleicht
-war dem guten Ingenieur zurzeit nicht so ganz leicht zumute, aber er
-versuchte, der schweren Stimmung, die auf der ganzen Gegend und auf der
-Gemeinde lastete, entgegenzuarbeiten. Da war nun eine gute Gelegenheit,
-der Markgraf von Sellanraa selbst und der Kaufmann von Storborg waren
-auf dem Platze.
-
-Der Ingenieur erklärte die Gesteinsarten: Kies, Kupferkies, der
-enthielt Kupfer, Eisen und Schwefel. Ja, er wußte bis aufs Tüpfelchen,
-was der Berg enthielt, er enthielt sogar ein wenig Silber und Gold.
-Man trieb nicht Bergbau, ohne seine Sache zu können. Aber soll das
-nun aufhören? fragte Aronsen. -- Aufhören? wiederholte der Ingenieur
-erstaunt. Damit wäre Südamerika nicht gedient. Mit dem Versuchsbetrieb
-würde nun eine Weile Schluß gemacht, sie hätten ja jetzt gesehen, was
-vorhanden war, jetzt würde erst die Luftbahn gebaut, und dann erst
-werde es in dem Gebirge nach Süden zu losgehen. Isak wisse wohl nicht,
-wo dieser Geißler hingekommen sei? -- Nein. -- Na, er werde schon zu
-finden sein. Dann gehe es erst recht im Ernst los. Was, aufhören!
-
-Isak ist in Verwunderung und Bewegung geraten über eine kleine
-Maschine, die mit dem Fuß getreten wird; er erkennt sofort, was das
-ist; das ist ja eine kleine Schmiede, die auf einem Karren geführt und
-überall aufgestellt werden kann. -- Was kostet eine solche Maschine?
-fragt Isak. -- Diese? Die Feldesse? Oh, die kostet nicht viel. Sie
-hätten mehrere solche, aber sie hätten ganz andere Maschinen und
-Einrichtungen drunten an der See, ungeheure Maschinen. Isak werde wohl
-begreifen, daß man solchen tiefen Tälern und Abgründen in den Bergen
-nicht mit Nägeln zu Leibe gehen könne, hahaha.
-
-Sie gehen weiter, und der Ingenieur erzählt, daß er in den nächsten
-Tagen nach Schweden abzureisen gedenke. -- Aber Ihr kommt doch wieder?
-fragt Aronsen. -- Natürlich. Der Ingenieur war sich nichts bewußt,
-weshalb ihn die Regierung oder die Polizei zu Hause festsetzen könnte.
-Isak richtete es so ein, daß sie noch einmal vor die kleine Schmiede
-zu stehen kamen. Wieviel kann solch eine Esse kosten? fragt er. --
-Kosten. Das wußte der Ingenieur wahrhaftig nicht mehr. Sie kostet ja
-wohl einiges Geld, aber bei einem so großen Betrieb kommt das gar nicht
-in Betracht. Der prächtige Ingenieur, vielleicht war ihm jetzt gerade
-nicht ganz leicht zu Sinn, aber er wahrte den Schein und tat großartig
-bis zuletzt. Ob Isak eine Feldesse brauchen könne? Dann solle er nur
-diese nehmen. Seine Gesellschaft sei mächtig genug, sie schenke ihm die
-Feldesse!
-
-Eine Stunde später wandern Isak und Aronsen wieder nach Hause. Aronsen
-ist ruhiger geworden und hat ein wenig Hoffnung geschöpft, Isak
-schreitet den Berg hinunter mit der kostbaren Feldesse auf dem Rücken.
-Der alte Prahm war es gewöhnt, Lasten zu tragen! Der Ingenieur hatte
-angeboten, am nächsten Tag das Kleinod durch einen Mann nach Sellanraa
-zu schicken, aber Isak dankte und sagte, das sei nicht nötig. Er
-dachte, wie die zu Hause sich verwundern würden, wenn er mit einer
-Schmiede auf dem Rücken ankam!
-
-Aber es war Isak, der sich verwundern mußte, als er heimkam.
-
-Dort kam gerade ein Pferd mit einer ganz sonderbaren Wagenladung
-auf den Hof gefahren. Der Kutscher war ein Mann aus dem Dorfe, aber
-nebenher schritt ein Herr, den Isak verwundert anstarrte: es war
-Geißler.
-
-
-
-
-5
-
-
-Isak hätte sich auch sonst noch über das eine oder andere verwundern
-können, aber er war nicht dazu geschaffen, an viele Dinge auf einmal zu
-denken. Wo ist Inger? fragte er nur, als er an der Küchentür vorbeikam,
-denn er dachte daran, daß Geißler ordentlich bewirtet werden müsse.
-
-Inger? Sie war in die Beeren gegangen, war in den Beeren gewesen, seit
-Isak auf den Berg gestiegen war, sie mit Gustaf, dem Schweden. Das alte
-Ding, sie war so toll und verliebt; es ging zwar dem Herbst und dem
-Winter zu, aber sie fühlte wieder Sommerhitze in sich, ihr Herz blühte!
-Komm und zeig mir, wo Multebeeren wachsen, sagte Gustaf. Wer hätte da
-widerstehen können! Sie lief in ihre Kammer und war einige Minuten lang
-ernst und fromm; aber er stand draußen und wartete, die Welt war ihr
-dicht auf den Fersen; sie ordnete ihre Haare, beschaute sich nach allen
-Seiten im Spiegel und ging dann wieder hinaus. Was weiter, wer hätte
-das auch nicht getan! Die Frauen können den einen Mann nicht von dem
-andern unterscheiden, nicht immer, nicht oft. --
-
-Sie gehen also in die Beeren und pflücken, pflücken Multebeeren auf dem
-Moor, sie steigen von einem Erdhaufen auf den andern, sie hebt ihre
-Röcke in die Höhe und läßt ihre schönen Waden sehen. Rundum ist es
-still, das Schneehuhn hat schon große Junge und zischt nicht mehr, es
-gibt weiche Plätzchen im Gebüsch auf dem Moor. Sie sind noch nicht eine
-Stunde gegangen, und schon ruhen sie aus. Inger sagt: Bist du so einer!
-Ach, sie ist so schwach ihm gegenüber, sie lächelt verlegen, denn
-sie ist sehr verliebt; ach, wie ist doch Verliebtsein süß und bitter
-zugleich! Schick und Brauch verlangen wohl, sich zu wehren. Ja, um
-endlich doch nachzugeben. Inger ist sehr verliebt, sterblich und ohne
-Gnade verliebt, sie will ihm wohl und ist nur gut und herzlich gegen
-ihn.
-
-Das alte Ding!
-
-Wenn der Stall fertig ist, dann gehst du fort, sagt sie. -- Nein, er
-gehe nicht fort. Natürlich müsse er einmal fortgehen, aber nicht schon
-in einer Woche. -- Wollen wir nicht heimgehen? fragt sie. -- Nein.
-
-Sie pflücken Beeren, und nach einer Weile finden sie wieder weiche
-Plätzchen im Gebüsch, und Inger sagt: Du bist verrückt, Gustaf! Die
-Stunden vergehen, jetzt sind sie wohl im Gebüsch eingeschlafen. Sind
-sie eingeschlafen? Das ist ausgezeichnet, mitten im Ödland, in Eden.
-Da setzt sich Inger auf und horcht und sagt: Ich meine, ich höre weit
-drüben auf dem Weg einen Wagen fahren.
-
-Die Sonne sinkt; während sie heimgehen, werden die Heidehügel im
-Schatten dunkler. Sie kommen noch an vielen geschützten Stellen vorbei,
-Gustaf sieht sie, und Inger sieht sie wohl auch, aber sie meint die
-ganze Zeit, es fahre jemand vor ihnen her. Aber sich auf dem ganzen
-Heimweg gegen einen närrischen hübschen Jungen wehren müssen? Inger ist
-sehr schwach, sie lächelt nur und sagt: Nein, so einen wie dich hab'
-ich doch noch nie gesehen!
-
-Inger kommt allein nach Hause. Es ist gut, daß sie jetzt kommt,
-großartig ist es, eine Minute später wäre nicht so gut gewesen. Isak
-ist gerade mit seiner Schmiede und mit Aronsen in den Hof getreten,
-und ein Pferd mit einem Wagen hält auch eben vor der Tür.
-
-Guten Tag! sagt Geißler und begrüßt dann auch Inger.
-
-Da stehen diese Menschen und schauen einander an. Es könnte nicht
-besser passen.
-
-Geißler ist wiedergekommen. Er ist einige Jahre weggewesen, aber jetzt
-ist er wieder da, etwas älter und grauer, aber lebhaft wie immer, und
-jetzt ist er fein gekleidet, trägt eine weiße Weste und eine goldene
-Kette. Der Teufel versteht diesen Mann!
-
-Hat er Kunde erhalten, daß jetzt auf dem Kupferberg etwas vor sich
-ging, und wollte er die Sache untersuchen? Gut, hier war er. Er
-sieht hell wach aus, mustert Häuser und Felder, indem er den Kopf
-sachte hin und her dreht und die Blicke wandern läßt; er sieht große
-Veränderungen, der Markgraf hat seine Herrschaft erweitert. Geißler
-nickt befriedigt.
-
-Was schleppst du denn da herbei? fragte er Isak. Das ist ja eine ganze
-Pferdelast! sagt er. -- Eine Schmiedeesse, erklärt Isak. Die wird mir
-hier auf der Ansiedlung manches liebe Mal zugute kommen, sagt er und
-heißt Sellanraa immer noch eine Ansiedlung. -- Wo hast du sie her? --
-Der Ingenieur droben auf dem Berg hat sie mir geschenkt. -- Ist auf dem
-Berg ein Ingenieur? fragt Geißler, wie wenn er es nicht wüßte.
-
-Sollte Geißler hinter dem Ingenieur auf dem Berg zurückstehen? Ich habe
-gehört, daß du dir eine Mähmaschine gekauft hast, jetzt habe ich dir
-dazu einen Heurechen mitgebracht, sagt er und deutet auf den Wagen.
-Da stand die Maschine, rot und blau, ein unmäßig großer Kamm, ein
-Heurechen, der von einem Pferd gezogen wurde. Sie hoben die Maschine
-vom Wagen und betrachteten sie, Isak spannte sich vor und versuchte sie
-auf der nackten Erde. Der Mund stand ihm offen vor Verwunderung. Ein
-Wunder nach dem andern war nach Sellanraa gekommen.
-
-Sie sprachen über den Kupferberg, über das Bergwerk. Sie haben dort
-eifrig nach Euch gefragt, sagt Isak. -- Wer hat gefragt? -- Der
-Ingenieur und alle die Herren. Sie müßten Euch unbedingt auffinden,
-sagten sie. Ach, Isak machte sicher zuviel aus der Sache, Geißler
-vertrug das vielleicht nicht, er machte einen steifen Nacken und sagte:
-Da bin ich, wenn sie etwas von mir wollen.
-
-Den Tag darauf kamen die beiden Stafetten aus Schweden zurück, und mit
-ihnen kamen zwei von den Eigentümern des Bergwerks; sie waren zu Pferd,
-vornehme, dicke Herren und allem Anschein nach steinreich. Sie hielten
-auf Sellanraa fast nicht an, sondern erkundigten sich nur vom Pferd
-aus nach dem Wege und ritten weiter nach dem Berge zu. Sie taten, als
-ob sie Geißler gar nicht sähen, obgleich er ganz in der Nähe stand.
-Die Stafetten mit den beladenen Packpferden ruhten eine Stunde aus,
-unterhielten sich mit den Maurern, die am Stall arbeiteten, erfuhren,
-daß der alte Herr mit der weißen Weste und der goldenen Kette Geißler
-sei, und dann zogen auch sie weiter. Aber die eine der Stafetten kam
-noch am selben Abend wieder auf den Hof herunter mit der mündlichen
-Botschaft, Geißler solle zu den Herren hinaufkommen. Hier bin ich, wenn
-sie etwas von mir wollen, ließ Geißler antworten.
-
-Geißler war großartig geworden, er dachte vielleicht, er habe die
-ganze Welt in der Tasche, oder fand er eine mündliche Botschaft gar zu
-nachlässig? Aber wie ging es zu, daß er gerade in dem Augenblick nach
-Sellanraa kam, wo man ihn brauchte? War er denn allwissend? Na, als
-die Herren auf dem Berge diese Antwort bekamen, mußten sie sich wohl
-oder übel nach Sellanraa herabbemühen. Der Ingenieur und die beiden
-Sachverständigen kamen mit.
-
-Aber es waren noch allerlei Wendungen und Winkelzüge notwendig, ehe die
-Zusammenkunft zustande kam. Das versprach nicht viel Gutes, Geißler tat
-ungeheuer großartig.
-
-Die Herren waren jetzt recht höflich, sie baten Geißler, zu
-entschuldigen, daß sie gestern nach ihm geschickt hätten, sie seien
-von der Reise sehr ermüdet gewesen. Geißler war auch wieder höflich,
-er erwiderte, auch er sei von seiner Reise ermüdet gewesen, sonst wäre
-er hinaufgekommen. Ja, aber nun zur Sache: Ob er den Berg auf der
-Südseite des Wassers verkaufen wolle? -- Sind die Herren selbst Käufer
-oder spreche ich mit Zwischenhändlern? -- Das war die reine Bosheit von
-Geißlers Seite, er mußte doch sehen, daß diese vornehmen und dicken
-Herren keine Zwischenhändler sein konnten. Dann ging es weiter: Der
-Preis? fragten sie. -- Ja, der Preis! sagte auch Geißler und überlegte.
-Zwei Millionen, sagte er dann. -- Ach so, sagten die Herren und
-lächelten. -- Aber Geißler lächelte nicht.
-
-Der Ingenieur und die Sachverständigen hatten so obenhin den Berg
-untersucht, hatten einige Löcher gebohrt und gesprengt, und das
-Ergebnis lautete also: Das Vorkommen des Kupfers war auf Eruptionen
-zurückzuführen, die Kupferfunde waren sehr ungleich verteilt,
-nach der vorläufigen Untersuchung waren sie am mächtigsten an der
-Grenze zwischen dem Eigentum der Gesellschaft und dem von Geißler,
-weiterhin nahmen sie wieder ab. Auf der letzten halben Meile kam kein
-abbauwürdiger Kupferkies mehr vor.
-
-Geißler hörte diesem Bericht mit der größten Gleichgültigkeit zu. Er
-zog einige Dokumente aus der Tasche, die er aufmerksam durchsah, aber
-es waren keine Karten, und Gott weiß, ob sie überhaupt den Kupferberg
-betrafen. -- Es ist nur nicht tief genug gebohrt worden, sagte er, als
-ob er das aus seinen Papieren entnehme. Das gaben die Herren sofort
-zu; aber der Ingenieur fragte, wie Geißler das wissen könne, er habe
-ja überhaupt gar nicht gebohrt. -- Da lächelte Geißler, als ob er
-mindestens ein paar hundert Meter tief in den Erdball hineingebohrt,
-aber dann die Bohrlöcher unkenntlich gemacht habe.
-
-Bis Mittag redeten sie hin und her, dann schauten die Herren auf ihre
-Uhren. Geißler war mit seinen Ansprüchen bis auf eine Viertelmillion
-heruntergegangen, aber weiter herunter ging er nicht um Haaresbreite.
-Nein, sie mußten ihn ernstlich verletzt haben, sie gingen von der
-Anschauung aus, daß er gerne verkaufen würde, daß er genötigt sei
-zu verkaufen; aber das war er nicht, hoho, konnten sie denn nicht
-sehen, daß er beinahe ebenso vornehm und großartig war wie sie? --
-Fünfzehn- bis zwanzigtausend seien auch eine schöne Summe, meinten die
-Herren. -- Geißler sagte: Dagegen sei nichts einzuwenden, wenn man
-das Geld gerade nötig habe, aber zweihundertundfünfzigtausend seien
-mehr. -- Da sagte einer von den Herren, und er sagte das, um Geißler
-gleichsam niederzudrücken: Eben fällt mir ein, wir sollen Sie von Frau
-Geißlers Verwandten in Schweden grüßen. -- Danke! sagte Geißler. --
-Apropos! sagte der andere Herr, da dies nichts genützt hatte. Eine
-Viertelmillion! Es ist doch aber kein Gold, sondern Kupferkies. --
-Geißler nickte. Ja, es ist Kupferkies.
-
-Da wurden die Herren alle miteinander ungeduldig, fünf Uhrendeckel
-sprangen auf und klappten wieder zu, und jetzt war keine Zeit mehr
-zum Scherzen, jetzt war Mittag. Die Herren verlangten kein Essen auf
-Sellanraa, sie ritten zurück zu den Gruben und speisten dort ihr
-eigenes Essen.
-
-So verlief diese Zusammenkunft.
-
-Geißler blieb allein zurück.
-
-Was waren das wohl für Überlegungen, die ihn bewegten? Vielleicht
-gar keine, vielleicht war es ihm gleichgültig, und er überlegte gar
-nicht. O nein, er überlegte, aber er ließ keinerlei Unruhe merken. Nach
-dem Mittagessen sagte er zu Isak: Ich wollte eigentlich einen weiten
-Gang über meinen Berg machen und hätte wie das letztemal Sivert gerne
-mitgenommen. -- Isak sagte augenblicklich zu. -- Nein, er hat anderes
-zu tun, erklärte Geißler. -- Er soll sofort mit Euch gehen, sagte Isak
-und rief Sivert von seiner Maurerarbeit ab. -- Aber Geißler hob die
-Hand und sagte kurz: Nein!
-
-Er trieb sich auf dem ganzen Hof herum, kam auch mehrere Male wieder
-bei den Maurern vorbei und unterhielt sich da lebhaft mit ihnen. Daß
-er das konnte, wo ihn doch eben erst so etwas Wichtiges in Anspruch
-genommen hatte! Oh, vielleicht hatte er solange in unsicheren
-Verhältnissen gelebt, daß eigentlich für ihn gar nichts mehr auf dem
-Spiele zu stehen schien, einen schwindelnden Sturz würde er auf keinen
-Fall tun.
-
-Hier stand er nun vor einem reinen Glücksfall. Nachdem er das kleine
-Grubenstück an die Verwandten seiner Frau verkauft hatte, ging er
-stracks hin und kaufte den ganzen übrigen Berg; warum hatte er das
-getan? Wollte er die jetzigen Eigentümer dadurch ärgern, daß er ihr
-nächster Nachbar wurde? Ursprünglich hatte er wohl nur auf der Südseite
-des Wassers, da, wohin die Grubenstadt kommen mußte, wenn je ein
-Bergwerk errichtet wurde, einen Streifen haben wollen; Eigentümer des
-ganzen Berges aber wurde er, weil ihn dies beinahe nichts kostete, und
-weil er sich die Mühe einer weitläufigen Grenzabsperrung sparen wollte.
-Er wurde Bergkönig aus Gleichgültigkeit, ein kleiner Bauplatz für
-Baracken und Maschinenschuppen wurde zu einem Reiche, das bis hinunter
-ans Meer ging.
-
-In Schweden ging der erste kleine Grubenteil von Hand zu Hand, und
-Geißler hielt sich über dessen Schicksal stets unterrichtet. Natürlich
-hatten die ersten Besitzer dumm gekauft, verrückt dumm, der Familienrat
-war nicht sachverständig gewesen, und die Herren hatten sich kein
-genügend großes Stück des Berges gesichert, sie hatten nur einen
-gewissen Geißler abfinden und sich ihn vom Halse schaffen wollen.
-Aber die neuen Besitzer waren nicht weniger komische Leute, sie waren
-gewaltige Männer, die sich einen Scherz erlauben und nur so zum
-Vergnügen, etwa bei einem Gelage, kaufen konnten, wer weiß! Aber als es
-nun zu einem Versuchsbetrieb kam und Ernst aus der Sache wurde, standen
-sie plötzlich vor einer Mauer: Geißler.
-
-Sie sind Kinder! dachte Geißler vielleicht von seiner Höhe herunter, er
-war sehr mutig und steifnackig geworden. Die Herren hatten allerdings
-versucht, ihn mit kaltem Wasser zu begießen, sie hatten geglaubt, vor
-einem Dürftigen zu stehen und deshalb ein Wörtlein von so fünfzehn bis
-zwanzigtausend fallen lassen. Sie waren Kinder, sie kannten Geißler
-nicht. Hier stand er.
-
-Die Herren kamen an diesem Tage nicht mehr vom Berg herunter, sie
-meinten wohl, klug zu handeln, wenn sie sich nicht gar so eifrig
-zeigten. Am nächsten Morgen kamen sie indes doch, hatten ihr Packpferd
-bei sich und waren auf der Heimreise. Aber da war Geißler weggegangen.
-
-War Geißler weggegangen?
-
-Die Herren konnten unter diesen Umständen nichts vom Pferde aus
-abmachen, sie mußten absteigen und warten. Wohin war Geißler gegangen?
-Niemand wußte es, er ging überall herum, er interessierte sich für
-Sellanraa, zuletzt war er bei dem Sägewerk gesehen worden. Die
-Stafetten wurden ausgesandt, ihn zu suchen, aber er mußte wohl weit
-weggegangen sein, denn er gab keine Antwort, als er gerufen wurde. Die
-Herren schauten nach ihren Uhren und waren anfänglich sehr ärgerlich
-und sagten: Wir werden doch nicht die Narren sein und warten. Wenn
-Geißler verkaufen will, so soll er auch auf dem Platze sein! O ja,
-aber der große Ärger der Herren legte sich, sie warteten, ja, sie
-wurden scherzhaft, das war ja zum Verzweifeln, sie mußten hier an der
-Grenzscheide des Berges über Nacht bleiben. Das geht ja brillant,
-sagten sie. Unsere Angehörigen werden dereinst unsere gebleichten
-Gebeine finden!
-
-Endlich kam Geißler. Er hatte sich auf dem ganzen Gute umgesehen, und
-jetzt kam er eben vom Sommerstall. Es kommt mir vor, als ob auch der
-Sommerstall für dich zu klein würde, sagte er zu Isak. Wieviel Stück
-Vieh hast du denn alles in allem da droben? -- So konnte er sprechen,
-obgleich die Herren mit der Uhr in der Hand dastanden. Geißler hatte
-eine merkwürdige Röte im Gesicht, als ob er starke Getränke genossen
-hätte. Puh, ist mir von dem Gang warm geworden! sagte er.
-
-Wir hatten einigermaßen erwartet, Sie würden auf dem Platze sein,
-sagte einer der Herren. -- Darum hatten mich die Herren nicht gebeten,
-erwiderte Geißler. Sonst wäre ich auf dem Platze gewesen. -- Na, und
-der Handel? Ob Geißler heute ein vernünftiges Gebot annehmen wolle?
-Es würden ihm doch wohl nicht jeden Tag fünfzehn- bis zwanzigtausend
-angeboten, oder doch? -- Diese neue Andeutung verletzte Geißler
-bedeutend. War das auch eine Art? Und die Herren hätten sicherlich
-nicht so gesprochen, wenn sie nicht ärgerlich gewesen wären, und
-Geißler wäre nicht auf der Stelle blaß geworden, wenn er nicht vorher
-an einem einsamen Ort gewesen und rot geworden wäre. Jetzt erbleichte
-er und erwiderte kalt: Ich will nicht andeuten, was den Herren zu
-bezahlen vielleicht erschwinglich ist, dagegen weiß ich, was ich haben
-will. Ich will das Kindergeschwätz über den Berg nicht mehr hören.
-Mein Preis ist derselbe wie gestern. -- Eine Viertelmillion Kronen? --
-Ja. --
-
-Die Herren stiegen zu Pferd.
-
-Jetzt will ich Ihnen etwas sagen, Geißler, begann der eine. Wir wollen
-bis auf fünfundzwanzigtausend gehen. -- Sie sind immer noch scherzhaft
-aufgelegt, erwiderte Geißler. Ich will Ihnen einen ernsthaft gemeinten
-Gegenvorschlag machen: Wollen Sie mir Ihr kleines Grubenstückchen
-verkaufen? -- Ja, das lasse sich überlegen, sagten die einigermaßen
-überrumpelten Herren. -- Dann werde ich es kaufen, erklärte Geißler.
-
-Oh, dieser Geißler! Der ganze Hof stand voller Menschen, die ihn reden
-hörten, alle Leute von Sellanraa und die Maurer und die Herren und
-die Stafetten; er konnte sich vielleicht überhaupt kein Geld zu einem
-solchen Geschäft verschaffen, aber Gott weiß, ob er es nicht am Ende
-doch konnte, wer verstand sich auf ihn! Auf jeden Fall brachte er mit
-seinen wenigen Worten eine kleine Revolution unter den Herren hervor.
-Wollte er ihnen ein Schnippchen schlagen? Meinte er, seinen Berg durch
-dieses Vorgehen wertvoller zu machen?
-
-Die Herren überlegten wirklich, die Herren fingen an, leise miteinander
-darüber zu reden, sie stiegen wieder von den Pferden. Da mischte sich
-der Ingenieur in die Sache, sie kam ihm wohl zu erbärmlich vor, und er
-schien auch die Macht und die Gewalt dazu zu haben. Jetzt stand ja der
-ganze Hof voll von Leuten, die alle zuhörten. -- Wir verkaufen nicht!
-erklärte er bestimmt. -- Nicht? fragten die Herren. -- Nein!
-
-Sie flüsterten ein Weilchen zusammen, dann stiegen sie wirklich im
-Ernst zu Pferd. -- Fünfundzwanzigtausend! rief einer der Herren. --
-Geißler gab keine Antwort, er drehte sich um und ging wieder zu den
-Maurern.
-
-Und so verlief die letzte Zusammenkunft.
-
-Geißler tat den Folgen gegenüber ganz gleichgültig, er ging hin und
-her und sprach von dem und jenem, jetzt war er ganz davon hingenommen,
-daß die Maurer eben gewaltig große Deckenbalken über den ganzen Stall
-legten. Sie wollten noch in dieser Woche mit dem Stall fertig werden,
-es sollte nur ein Notdach errichtet werden, später würde man noch einen
-Heuboden auf den Stall aufsetzen.
-
-Isak hielt Sivert von der Arbeit am Stall zurück und ließ ihn nichts
-tun, damit Geißler zu jeder Zeit den jungen Mann zu einem Gang in die
-Berge bereit finde. Das war eine unnütze Vorsorge, Geißler hatte seine
-Absicht aufgegeben oder sie vielleicht auch vergessen. Nachdem er von
-Inger etwas Mundvorrat bekommen hatte, schlug er gegen Abend den Weg
-nach dem Dorf hinunter ein und blieb über das Abendessen fort.
-
-Er kam an den beiden neuen Ansiedlungen unterhalb Sellanraa vorbei
-und sprach mit den Leuten dort, er kam bis nach Maaneland und wollte
-sehen, was Ström in den letzten Jahren ausgerichtet hatte. Es war
-mit ihm nicht so sehr vorwärtsgegangen, aber er hatte doch viel Land
-urbar gemacht. Geißler interessierte sich auch für diese Ansiedlung
-und fragt: Hast du ein Pferd? -- Ja. -- Unten, weiter südlich, habe
-ich eine Mähmaschine und einen Reolpflug stehen, neue Sachen, die
-will ich dir schicken. -- Was! rief Axel und konnte sich eine solche
-Freigebigkeit gar nicht vorstellen; er dachte an Abzahlung. -- Ich
-will dir die Geräte schenken, sagte Geißler. -- Das ist doch nicht
-möglich! meinte Axel. -- Aber du mußt deinen beiden Nachbarn helfen
-und ihnen ein Stück Neuland umbrechen, verlangte Geißler. -- Das soll
-nicht fehlen, versprach Axel, aber er konnte den ganzen Geißler nicht
-verstehen. So, dann habt Ihr also Grundbesitz und Maschinen im Süden?
-fragte er. -- Geißler antwortete: Ach, ich habe gar vielerlei. --
-Seht, das hatte Geißler vielleicht gar nicht, er hatte nicht vielerlei
-Geschäfte, aber er tat oft so. Diese Mähmaschine und diesen Reolpflug
-brauchte er ja nur in irgendeiner Stadt zu kaufen und heraufzuschicken.
-
-Er hatte ein langes Gespräch mit Axel Ström über die andern Ansiedler
-in der Gegend, über das Handelshaus Storborg, über Axels Bruder, einen
-jung verheirateten Mann, der jetzt nach Breidablick gekommen war und
-angefangen hatte, die Moore zu entwässern. Axel beklagte sich darüber,
-daß keine weibliche Hilfe zu bekommen sei, er habe nur eine alte Frau
-namens Oline, sie sei nicht viel nütze, aber er müsse doch froh sein,
-solange er sie halten könne. Im Sommer habe er eine Zeitlang Tag und
-Nacht arbeiten müssen. Er hätte vielleicht eine weibliche Hilfe aus
-seinem Heimatort, aus Helgeland, bekommen können, aber dann hätte
-er ihr außer dem Lohn auch noch das Reisegeld bezahlen müssen. Er
-habe Ausgaben nach allen Seiten. Axel erzählte weiter, daß er die
-Aufsicht über die Telegraphenlinie übernommen habe, aber das reue ihn
-einigermaßen. -- Das ist etwas für Leute wie Brede, sagte Geißler. --
-Ja, das ist sehr richtig gesagt, gab Axel zu. Aber es war wegen des
-Geldes. -- Wie viele Kühe hast du? fragte Geißler. -- Vier. Und einen
-jungen Stier. Es ist sehr weit bis nach Sellanraa zum Stier.
-
-Aber eine viel wichtigere Sache, die er mit Geißler besprechen wollte,
-lag Axel Ström auf dem Herzen. Es war jetzt eine Untersuchung im Gang
-gegen Barbro. Ja, natürlich war die Sache herausgekommen. Barbro war
-guter Hoffnung gewesen, aber sie war frank und frei und ohne Kind von
-hier abgereist. Wie hing das zusammen? Als Geißler vernahm, um was es
-sich handelte, sagte er kurz und gut: Komm mit! und führte Axel weit
-von den Gebäuden weg. Dann setzte er eine äußerst wichtige Miene auf
-und benahm sich wie eine Art Obrigkeit. Sie ließen sich am Waldessaum
-nieder, und Geißler sagte: So, nun laß mich hören!
-
-Natürlich war die Sache herausgekommen, wie hätte es auch anders gehen
-können! Die Gegend war nicht mehr menschenleer, und außerdem war Oline
-gekommen. Was hatte Oline mit der Sache zu tun? Oh, die! Und außerdem
-hatte sich Brede mit ihr verkracht. Jetzt war an Oline nicht mehr
-länger vorbeizukommen, sie wohnte an Ort und Stelle und konnte Axel
-selbst allmählich ausforschen; sie lebte ja für verdächtige Sachen, ja
-sie lebte zum Teil davon, da war also wieder etwas mit der richtigen
-Witterung! Eigentlich war Oline jetzt zu alt, um Haus und Vieh auf
-Maaneland zu versorgen, sie hätte es aufgeben sollen, aber konnte sie
-das? Hätte sie einen Ort, wo ein so großes Geheimnis verborgen lag,
-ruhig verlassen können? Sie brachte die Winterarbeit fertig, ja sie
-schindete sich auch noch den Sommer hindurch, es kostete sie große
-Anstrengung, und sie hielt sich nur durch die Aussicht aufrecht, einer
-Tochter von Brede etwas nachweisen zu können. Kaum fing im Frühjahr
-der Schnee an zu schmelzen, so schnupperte Oline bereits in der Gegend
-umher, sie fand den kleinen Hügel am Bach und erkannte sofort, daß der
-Rasen in Stücken aufgelegt war; sie hatte auch eines Tages das Glück
-gehabt, Axel zu treffen, wie er das kleine Grab festtrat und es ebnete.
-Axel wußte also auch von der Sache. Oline nickte mit ihrem grauen Kopf,
-jetzt war ihre Zeit gekommen.
-
-Nicht Axels wegen. Axel war gar kein unguter Mann, um bei ihm zu sein,
-aber er war sehr genau und zählte seine Käse und wußte Bescheid von
-jedem Büschel Wolle. Oline hatte durchaus nicht freie Hand. Und bei
-der Rettung letztes Jahr, hatte sich Axel da als Herr gezeigt und sich
-freigebig erwiesen? Nein, im Gegenteil, er bestand auf seiner Teilung
-des Triumphes. Jawohl, sagte er, wäre Oline nicht gekommen, so hätte
-er in der Nacht erfrieren müssen, aber Brede sei ihm auf dem Heimweg
-auch eine gute Hilfe gewesen! Das war der Dank! Oline meinte, da müsse
-sich der Allmächtige über die Menschen empören! Hätte nicht Axel eine
-Kuh am Strick ergreifen, sie herausführen und sagen können: Das ist
-deine Kuh, Oline! Aber nein.
-
-Jetzt kam's darauf an, ob es ihn nicht mehr kosten würde als eine Kuh.
-
-Den Sommer über paßte Oline jeden einzelnen Menschen ab, der
-vorbeiging, sie flüsterte mit ihm und nickte und vertraute sich ihm
-an. Aber kein Wort weitersagen! gebot sie. Oline war auch ein paarmal
-drunten im Dorf. Und nun schwirrte es mit Gerüchten in der Gegend,
-die waren wie ein Nebel, der sich um die Gesichter legt und in die
-Ohren dringt, selbst die Kinder, die auf Breidablick in die Schule
-gingen, fingen an zu nicken und geheimnisvoll zu tun. Schließlich
-mußte sich auch der Lensmann rühren, mußte Bericht erstatten und seine
-Befehle entgegennehmen. Eines Tages kam er mit einem Begleiter und
-einem Protokoll nach Maaneland und untersuchte und schrieb und ging
-wieder heim. Aber drei Wochen danach kam er wieder und untersuchte und
-schrieb noch mehr, und diesmal öffnete er auch einen kleinen grünen
-Hügel am Bach und holte die Kindesleiche heraus. Oline war ihm dabei
-eine unentbehrliche Hilfe, und als Entgelt für ihre Mühe mußte er
-ihre vielen Fragen beantworten, und da sagte er unter anderem auch,
-ja, es könnte schon die Rede davon sein, Axel zu verhaften. Da schlug
-Oline die Hände zusammen über all die Schändlichkeit, in die sie hier
-hineingekommen sei, und wünschte sich weg, weit weg! Aber sie, die
-Barbro? flüsterte sie. -- Das Mädchen Barbro sitzt verhaftet in Bergen,
-sagte der Lensmann. Die Gerechtigkeit muß ihren Gang gehen, sagte er.
-Dann nahm er die Leiche mit sich und fuhr wieder fort.
-
-Es war also nicht verwunderlich, daß Axel in großer Spannung war. Er
-hatte dem Lensmann seine Aussagen gemacht und nichts geleugnet. Das
-Kind war sein, und er hatte ihm mit eigener Hand ein Grab gegraben.
-Nun erkundigte er sich bei Geißler, wie es wohl weitergehen werde. Er
-müsse wohl in die Stadt und ein viel schlimmeres Verhör und sonstige
-Widerwärtigkeiten erdulden?
-
-Geißler war nicht mehr der gleiche wie zuvor, nein, die umständliche
-Erzählung hatte ihn ermüdet, er schien schläfrig zu werden -- was nun
-auch der Grund sein mochte; ob vielleicht der Geist vom Morgen nicht
-mehr über ihm war? Er sah auf seine Uhr, stand auf und sagte: Das muß
-gründlich überlegt werden, ich will darüber nachdenken. Du sollst meine
-Antwort bekommen, ehe ich abreise.
-
-Damit ging Geißler.
-
-Gegen Abend kam er nach Sellanraa zurück, aß ein wenig und ging zu
-Bett. Er schlief bis tief in den Tag hinein, schlief und ruhte aus;
-er war wohl ermattet nach der Zusammenkunft mit den schwedischen
-Grubenbesitzern. Erst zwei Tage nachher machte er sich zur Abreise
-fertig. Da war er wieder großartig und überlegen, bezahlte reichlich
-und schenkte der kleinen Rebekka ein neues Kronenstück.
-
-Isak hielt er eine Rede und sagte: Es ist ganz einerlei, daß es jetzt
-nicht zu einem Verkauf gekommen ist, das wird schon noch werden.
-Vorläufig lege ich den Betrieb dort oben lahm. Das waren rechte Kinder,
-sie meinten mich übers Ohr hauen zu können. Hast du gehört, daß sie
-mir fünfundzwanzigtausend boten? -- Ja, sagte Isak. -- Nun, erwiderte
-Geißler und scheuchte mit einer Kopfbewegung jede Art von Schandangebot
-und jegliches Staubkorn weit weg. Es schadet dem Bezirk hier oben gar
-nichts, wenn ich den Betrieb lahmlege, im Gegenteil, es wird die Leute
-veranlassen, ihr Land zu bebauen. Aber drunten im Dorf, da wird man's
-merken. Es ist ja im Sommer viel Geld unter die Leute gekommen, schöne
-Kleider und süßen Brei gab's für jedermann; damit ist es jetzt aus.
-Siehst du, das Dorf hätte wohl gut Freund mit mir sein können, dann
-wäre es vielleicht anders gegangen. Jetzt habe _ich_ zu bestimmen.
-
-Er sah nun allerdings nicht so aus, als habe er über viel zu gebieten;
-als er ging, trug er ein Päckchen mit Mundvorrat in der Hand, und seine
-Weste war nicht mehr blendend weiß. Vielleicht hatte ihn seine gute
-Frau mit dem Rest der vierzigtausend Kronen, die sie einmal erhalten
-hatte, für diese Reise ausgestattet, Gott weiß, ob das nicht der Fall
-war. Aber nun kommt er kahl heim!
-
-Geißler vergaß nicht, auf dem Heimweg bei Axel Ström einzutreten und
-ihm Bescheid zu sagen. Ich habe darüber nachgedacht, die Sache ist nun
-einmal im Gang, du kannst jetzt nichts tun. Du wirst zu einem Verhör
-vorgeladen werden und mußt deine Aussagen machen ... Das war nur so ein
-Gerede, Geißler hatte vielleicht gar nicht mehr an die Sache gedacht.
-Und Axel sagte niedergeschlagen zu allem ja. Zum Schluß aber blies sich
-Geißler wieder zu einem gewaltigen Mann auf, er zog die Brauen hoch
-und sagte nachdenklich: Ob ich vielleicht in die Stadt kommen und bei
-der Verhandlung anwesend sein könnte? -- Ach ja, wenn Ihr das könntet!
-rief Axel. -- Im nächsten Augenblick entschied Geißler: Ich will sehen,
-ob ich nicht Zeit finden kann. Für heute leb wohl! Ich werde dir die
-Maschinen schicken.
-
-Geißler ging.
-
-Ob das nun wohl seine letzte Reise in die Gegend gewesen war?
-
-
-
-
-6
-
-
-Die letzte Gruppe von Arbeitern kommt vom Berg herunter, der Betrieb
-hat völlig aufgehört, jetzt liegt der Berg wieder verödet da. Auch der
-gemauerte Stall auf Sellanraa ist nun fertig. Er hat ein Notdach aus
-Rasenstücken für den Winter bekommen. Der große Raum ist in einzelne
-kleinere Räume eingeteilt, helle Räume, ein gewaltig großer Salon in
-der Mitte und große Kabinette an den beiden Enden, ja, es ist gerade
-wie für die Menschen. Isak hat einmal hier auf dem Platz mit einigen
-Geißen zusammen in einer Gamme gewohnt; jetzt ist auf Sellanraa keine
-Gamme mehr zu finden.
-
-Der Stall wird mit Abteilungen, mit Ständen und Holzverschlägen
-eingerichtet. Damit das alles rasch fertig wird, sind die beiden Maurer
-immer noch da, aber Gustaf sagt, er verstehe nichts von der Holzarbeit,
-und will nun weiter. Gustaf hat sich bei der Maurerarbeit als sehr
-brauchbar erwiesen und hat Lasten gehoben wie ein Bär. Abends war er
-allen zur Freude und Aufmunterung gewesen; er hatte die Mundharmonika
-gespielt und hatte außerdem den Frauen geholfen, schwere Kufen hinunter
-an den Fluß und wieder heraufzutragen. Aber jetzt will er abreisen.
-Nein, die Holzarbeit verstehe er nicht, sagt er. Es ist gerade, als ob
-er durchaus fort wolle.
-
-Du könntest wohl noch bis morgen bleiben, sagt Inger. -- Nein, es gebe
-jetzt hier keine Arbeit mehr für ihn, und er habe auch in den letzten
-Grubenarbeitern Begleitung übers Gebirge. -- Wer wird mir jetzt beim
-Wasserholen helfen? sagt Inger und lächelt wehmütig dabei. -- Da weiß
-der flinke Gustaf sofort einen guten Rat; er nennt Hjalmar. -- Hjalmar
-war der jüngste von den beiden Maurern, aber keiner von beiden war
-so jung wie Gustaf oder sonst im mindesten wie er. -- Ach was, der
-Hjalmar! erwidert Inger verächtlich. Aber plötzlich faßt sie sich und
-will Gustaf reizen und sagt: Jawohl, der Hjalmar ist gar nicht so übel.
-Und draußen auf dem Felsblock singt er schön. -- Ein Tausendsassa! sagt
-Gustaf, ohne sich reizen zu lassen. -- Aber er könne doch die Nacht
-über noch bleiben, meint Inger. -- Nein, dann ginge er der Begleitung
-verlustig.
-
-Oh, nun war Gustaf der Sache überdrüssig geworden. Es war ja prächtig
-gewesen, sie den Kameraden vor der Nase wegzuschnappen und sie die
-paar Wochen über, die er da arbeitete, zu haben. Aber nun wollte er
-weiter, an andere Arbeit, vielleicht zu einer Liebsten daheim, das
-waren neue Aussichten. Sollte er sich Ingers wegen hier ohne Arbeit
-umhertreiben? Er hatte so gute Gründe, ein Ende zu machen, daß es Inger
-doch wohl einsehen mußte. Aber sie war so keck geworden, dachte an
-keine Verantwortung mehr und kümmerte sich um nichts. Sehr lange war es
-allerdings nicht so zwischen den beiden gewesen, aber doch so lange,
-als die Maurerarbeit währte.
-
-Inger ist wirklich traurig, ja, sie geht in ihrer verirrten Treue so
-weit, daß sie sich grämt. Das ist nicht gut für sie, sie ist ohne
-Getue, einfach offen und ehrlich verliebt. Nein, sie schämt sich dessen
-nicht, sie ist ein kraftstrotzendes Weib voller Schwachheit, sie geht
-nur mit der Natur um sie her, sie ist voller Herbstglut. Während sie
-etwas Mundvorrat für Gustaf zusammenpackt, wogt ihr der Busen vor
-heftigen Gefühlen. Sie denkt nicht darüber nach, ob sie ein Recht dazu
-hat, oder ob Gefahr dabei sein könnte, sie gibt sich einfach hin, sie
-ist gierig geworden, zu schmecken, zu genießen. Isak könnte sie noch
-einmal bis an die Decke heben und sie dann wieder auf den Boden stoßen
--- jawohl, sie enthielte sich dennoch nicht.
-
-Nun geht sie mit ihrem Mundvorrat hinaus und gibt ihn ab. Sie hatte
-neben der Treppe eine Kufe zurechtgestellt, die ihr Gustaf zum
-letztenmal an den Fluß hinuntertragen helfen sollte. Vielleicht wollte
-sie ihm noch etwas sagen, vielleicht ihm etwas zustecken, den goldenen
-Ring, Gott weiß, es ist ihr alles zuzutrauen. Aber das muß jetzt ein
-Ende haben, Gustaf dankt für den Mundvorrat, sagt Lebewohl und geht.
-Und geht.
-
-Da steht sie.
-
-Hjalmar! ruft sie laut, ganz unnötig laut. Es klingt wie ein trotziger
-Jubelruf, wie ein Notschrei.
-
-Gustaf geht ...
-
-Den Herbst über wird nun in der ganzen Gegend bis zum Dorf hinunter die
-gewöhnliche Arbeit getan; die Kartoffeln werden herausgehackt, das Korn
-hereingeschafft, die Kühe werden auf die Weide gelassen. Es sind acht
-Ansiedlungen, und überall drängt die Arbeit; aber auf dem Handelsplatz
-Storborg haben sie kein Vieh und kein bestelltes Land, sie haben nur
-einen Garten, und Handel haben sie auch keinen mehr, auf Storborg
-gibt's keine dringende Arbeit.
-
-Auf Sellanraa haben sie eine neue Hackfrucht, die Turnips heißt, die
-steht grün und riesengroß da und weht mit den Blättern, und es ist
-ganz unmöglich, die Kühe davon fernzuhalten, diese brechen alle Gatter
-nieder und stürmen brüllend darauf zu. Darum müssen nun Leopoldine und
-die kleine Rebekka das Turnipsfeld hüten, die kleine Rebekka hat eine
-große Rute in der Hand und jagt die Kühe mit wütendem Eifer. Der Vater
-arbeitet in der Nähe, und von Zeit zu Zeit kommt er her, befühlt ihre
-Hände und Füße und fragt, ob sie nicht friere. Leopoldine, die groß
-und beinahe erwachsen ist, strickt beim Hüten Strümpfe und Socken für
-den Winter. Sie ist in Drontheim geboren und war fünf Jahre alt, als
-sie nach Sellanraa kam; die Erinnerung an eine große Stadt mit vielen
-Menschen und an eine weite Reise auf dem Dampfschiff gleitet bei ihr
-immer mehr in den Hintergrund, sie ist ein Landkind und kennt keine
-andere große Welt als das Dorf dort unten, wo sie einige Male in der
-Kirche gewesen und wo sie letztes Jahr konfirmiert worden ist ...
-
-Jetzt kommen einige Nebenarbeiten an die Reihe, so der Weg abwärts, der
-an einigen Stellen kaum fahrbar ist. Da die Erde noch nicht gefroren
-ist, fangen Isak und Sivert eines schönen Tages an, an dem Wege Gräben
-zu ziehen. Es sind noch zwei Stücke Moorland da, die entwässert werden
-müssen.
-
-Axel Ström hat versprochen, sich an dieser Arbeit zu beteiligen, weil
-auch er ein Pferd hat und den Weg braucht. Aber nun hat Axel ein
-dringendes Geschäft in der Stadt -- was in aller Welt wollte er denn
-dort --, es sei eine ganz dringende Sache, sagte er. Statt seiner
-schickt er seinen Bruder von Breidablick zu dem Wegbau. Fredrik heißt
-er.
-
-Dieser Mann war jung und neu verheiratet, ein leichtlebiger Kunde, der
-gerne sein Späßchen macht und trotzdem brauchbar ist. Er und Sivert
-sind einander recht ähnlich. Nun war Fredrik, als er morgens heraufkam,
-bei seinem nächsten Nachbarn Aronsen auf Storborg gewesen und noch ganz
-erfüllt von dem, was ihm der Kaufmann gesagt hatte. Es hatte damit
-angefangen, daß Fredrik eine Rolle Tabak verlangte. Ich werde dir
-eine Rolle Tabak verehren, wenn ich selbst eine habe, sagte Aronsen.
--- So, habt Ihr nicht einmal mehr Tabak? -- Nein, und ich lasse auch
-keinen mehr kommen, es ist ja niemand mehr da, der ihn kauft. Was
-meinst du denn, daß ich an einer Rolle Tabak verdiene? Aronsen war in
-recht schlechter Laune gewesen, er war der Ansicht, die schwedische
-Grubengesellschaft habe ihn an der Nase herumgeführt. Nun hatte er sich
-hier in der Einöde niedergelassen, um Handel zu treiben, und da wurde
-der Grubenbetrieb eingestellt!
-
-Fredrik lächelt behaglich über Aronsen und spottet über ihn: Nein, er
-hat gar kein Land bestellt und hat nicht einmal Futter für sein Vieh,
-das kauft er! Er ist bei mir gewesen und wollte Heu kaufen. Nein, ich
-hatte kein Heu zu verkaufen. So, du brauchst also kein Geld? fragte er,
-der Aronsen. Er meint, es sei alles, wenn man nur Geld habe, warf einen
-Hundertkronenschein auf den Tisch und sagte: Da ist Geld. -- Ja, Geld
-ist etwas Schönes, sagte ich. -- Das ist bom konstant, sagte er. Es ist
-gerade, als sei er ab und zu ein bißchen närrisch, und seine Frau läuft
-am hellen Werktag mit einer Taschenuhr umher -- was das nur für eine
-wichtige Stunde sein mag, die sie nicht vergessen darf.
-
-Sivert fragt: Hat der Aronsen nichts von einem Mann gesagt, der
-Geißler heißt? -- Doch, das sei einer, der seinen Berganteil nicht
-verkaufen wolle, sagte er. Aronsen war rasend: Ein abgesetzter
-Lensmann, sagte er, der vielleicht keine fünf Kronen im Beutel hat, er
-sollte totgeschossen werden! -- Ihr müßt nur ein wenig warten, sagte
-ich. Vielleicht verkauft er später. -- Nein, sagte der Aronsen, das
-darfst du nicht glauben. Das begreife ich als Kaufmann ganz gut, wenn
-die eine Partei zweihundertfünfzigtausend verlangt und die andere
-fünfundzwanzigtausend bietet, dann steht zuviel zwischen ihnen, das
-gibt kein Geschäft. Aber Glück zu! sagte der Aronsen, wenn nur ich mit
-den Meinigen den Fuß niemals in dieses Loch gesetzt hätte. -- Ja, denkt
-Ihr vielleicht daran, zu verkaufen? fragte ich. -- Ja, sagte er, genau
-an das denke ich. Diese Moorsümpfe, dieses Loch und diese Einöde! Ich
-nehme ja keine Krone mehr am Tag ein, sagte er.
-
-Die Männer lachten über Aronsen und hatten keinerlei Mitleid mit ihm.
-Glaubst du, daß er wirklich verkauft? fragte Isak. -- Ja, er tat so.
-Und er hat auch schon den Knecht entlassen. Ja, der Aronsen ist ein
-komischer Kerl, das ist gewißlich wahr. Den Knecht entläßt er, der
-das Holz für den Winter schlagen und mit seinem eigenen Pferd Heu
-einführen könnte, aber den Ladendiener behält er. Es ist wohl wahr, er
-verkauft nicht für eine Krone am Tag, denn er hat keine Waren mehr in
-seinem Laden, aber wozu braucht er dann den Ladendiener? Ich glaube, es
-ist nur Hochmut, Großtuerei. Er muß einen Mann haben, der am Pult steht
-und in große Bücher schreibt. Hahaha, ja, es ist gerade, als ob der
-Aronsen ein ganz klein wenig verrückt wäre.
-
-Die drei Männer arbeiten bis zur Mittagsstunde, verzehren dann ihr
-mitgebrachtes Essen und plaudern noch ein Weilchen. Sie haben ihre
-eigenen Angelegenheiten zu bereden, das Wohl und Wehe der Gegend
-und der Ansiedler, das sind keine Kleinigkeiten, aber sie behandeln
-sie mit Gelassenheit, sie sind gesetzte Männer, ihre Nerven sind
-unverbraucht und tun nicht, was sie nicht tun sollten. Nun kommt das
-Spätjahr, rundum im Wald ist es still geworden, die Berge stehen hier
-und die Sonne steht dort, am Abend kommen die Sterne und der Mond,
-das sind alles feste Verhältnisse, sie sind voller Freundlichkeit wie
-eine Umarmung. Hier haben die Menschen noch Zeit, sich im Heidekraut
-auszuruhen, mit dem einen Arm als Kopfkissen.
-
-Fredrik spricht von Breidablick und daß er dort noch nicht viel habe
-ausrichten können. Doch, sagte Isak, du hast schon viel getan, das
-hab' ich gesehen, als ich drunten war. -- Dieses Lob von dem ältesten
-Ansiedler in der Gegend, dem Riesen, tut Fredrik augenscheinlich
-wohl, er fragt ehrlich: Meint Ihr wirklich? Nein, es muß immer noch
-besser kommen. Ich bin in diesem Jahr sooft abgehalten worden. Das
-Wohnhaus mußte hergerichtet werden, es war nicht dicht und wurde immer
-schlimmer, und den Heuschuppen mußte ich einreißen und neu aufstellen.
-Die Stallgamme war zu klein, ich habe Kühe und Kälber, was der Brede
-zu seiner Zeit nicht gehabt hat, sagt Fredrik stolz. -- Gefällt es dir
-hier? fragt Isak. -- Ja, mir gefällt es, und meiner Frau gefällt es
-auch, warum sollte es uns nicht gefallen? Wir haben einen weiten Blick
-und sehen die Straße hinauf und hinunter. Das kleine Gehölz beim Hause
-ist nach unserer Meinung sehr hübsch, es sind Birken und Weiden darin,
-und wenn ich Zeit habe, will ich auf der andern Seite des Hofplatzes
-noch mehr Bäume pflanzen. Es ist großartig, wie trocken das Moor schon
-geworden ist, seit ich im Frühjahr Gräben gezogen habe. Nun wollen wir
-sehen, was heuer darauf wächst! Ob es uns gefällt? O ja, wenn doch
-meine Frau und ich Haus und Hof und Grund und Boden haben! -- Na, wollt
-ihr immer nur zu zweit bleiben? fragt Sivert listig. -- Nein, weißt du,
-es kann wohl sein, daß wir mehr werden, erwidert Fredrik munter. Und
-wenn wir schon davon reden, ob es uns hier gefällt, so habe ich meine
-Frau noch nie so gedeihlich gesehen wie jetzt.
-
-Sie arbeiten bis zum Abend. Zuweilen richten sie sich auf und schwatzen
-miteinander. Du hast also keinen Tabak bekommen? fragt Sivert. -- Nein,
-und das tat mir auch nicht leid. Ich rauche nicht, erwidert Fredrik.
--- Du rauchst nicht? -- Nein. Ich bin zu dem Aronsen nur hingegangen,
-um zu hören, was er sagt. Da lachten die beiden Spitzbuben und freuten
-sich diebisch.
-
-Auf dem Heimweg sind Vater und Sohn schweigsam wie gewöhnlich. Aber
-Isak muß sich etwas ausgedacht haben, denn er sagt: Du, Sivert? -- Ja?
-erwidert Sivert. -- Ach, nichts Besonderes, sagt Isak. -- Sie gehen
-eine lange Strecke weiter, dann spricht der Vater wieder: Kann denn
-Aronsen Handel treiben, wenn er keine Waren mehr hat? -- Nein, sagt
-Sivert. Aber es sind jetzt nicht mehr viele Menschen da, für die er
-Waren braucht. -- So, meinst du? Ja, du kannst recht haben. -- Sivert
-wundert sich ein wenig über diese Worte seines Vaters, und dieser fährt
-fort: Es sind jetzt allerdings nur acht Ansiedlungen hier, aber es
-können mehr und immer mehr werden. Wer weiß! -- Sivert wundert sich
-noch mehr, woran denkt sein Vater? Oh, an nichts. Wieder gehen die
-beiden eine lange Strecke weiter und sind beinahe zu Hause. Da fragt
-der Alte: Hm. Was meinst du wohl, daß der Aronsen für den Hof haben
-will? -- Ja, das kommt nun darauf an! antwortet Sivert. Willst du ihn
-kaufen? sagt er im Spaß. Aber plötzlich geht ihm ein Licht auf, wo sein
-Vater hinaus will: An Eleseus denkt der Alte. Oho, er hat ihn wohl
-nie vergessen gehabt, er hat ebenso getreulich an ihn gedacht wie die
-Mutter, nur auf seine eigene Weise, näher bei der Erde und auch näher
-bei Sellanraa. Da sagt Sivert: Der Preis wird wohl erschwinglich sein.
-Und als Sivert so viel gesagt hat, da merkt der Vater seinerseits, daß
-er verstanden worden ist, und wie wenn er Angst hätte, zu deutlich
-geworden zu sein, sagt er nun schnell ein paar Worte über den Wegbau
-und daß es gut sei, den hinter sich zu haben.
-
-In den nächsten Tagen steckten Sivert und seine Mutter die Köpfe
-zusammen, sie ratschlagten und hatten viel zu flüstern, auch schrieben
-sie einen Brief, und als der Samstag kam, bezeigte Sivert Lust, ins
-Dorf zu gehen. -- Was willst du denn schon wieder im Dorfe? du läufst
-nur unnötig deine Schuhe durch, sagte der Vater sehr ärgerlich, oh,
-viel grimmiger im Gesicht, als natürlich gewesen wäre; er merkte wohl,
-daß Sivert auf die Post wollte. -- Ich will in die Kirche, sagte
-Sivert. -- Einen besseren Grund fand er nicht, und der Vater sagte: Ja,
-wenn es nicht anders sein kann.
-
-Aber wenn Sivert schon einmal in die Kirche wollte, dann konnte er
-auch einspannen und die kleine Rebekka mitnehmen. Der kleinen Rebekka
-konnte man doch wirklich zum erstenmal in ihrem Leben dieses Vergnügen
-machen, sie hatte ja so eifrig das Turnipsfeld gehütet und war im
-großen ganzen die Blüte und die Perle von allen auf dem Hofe; ja, das
-war sie. Es wurde also angespannt, und Rebekka bekam die Magd Jensine
-zur Begleitung mit -- wogegen Sivert nichts einzuwenden hatte.
-
-Während sie fort sind, geschieht es, daß der Ladendiener von Storborg
-daherkommt. Was nun? Ei, nichts Besonderes, nur daß ein Ladendiener,
-ein Mann namens Andresen daherkommt; er soll in die Berge hinauf, sein
-Herr schickt ihn. Weiter ist es nichts. Und dieses Geschehnis bringt
-auch keine große Aufregung auf Sellanraa hervor, es ist nicht wie in
-alten Tagen, wo ein Fremder ein seltener Anblick auf der Ansiedlung
-war und Inger sich mehr oder minder darüber aufregte. Nein, Inger ist
-wieder in sich gegangen und ist still und ruhig.
-
-Ein merkwürdiges Ding, dieses Andachtsbuch, ein Führer, ja, ein Arm
-um den Hals! Als Inger sich selbst verloren hatte und in den Beeren
-irregegangen war, fand sie sich wieder beim Gedanken an ihre Kammer
-und an das Andachtsbuch, und zurzeit war sie wieder in sich versunken
-und gottesfürchtig. Sie gedenkt der längst verflossenen Jahre, als
-sie, wenn sie nähte und sich in den Finger stach, der Teufel auch!
-sagte. Das lernte sie von ihren Mitschwestern an dem großen Tisch in
-der Nähstube. Jetzt sticht sie sich mit der Nadel, daß es blutet,
-und saugt schweigsam das Blut aus. Es gehört nicht wenig Überwindung
-zu solcher Umkehr! Aber Inger ging noch weiter. Als der steinerne
-Stall fertiggebaut war und alle Arbeiter sich entfernt hatten und
-ganz Sellanraa wieder einsam und verlassen dalag, da hatte Inger eine
-Krisis und weinte viel und litt schwere Not. Sie bürdete niemand als
-sich selbst die Schuld dafür auf, und sie war tief demütig. Wenn
-sie nur mit Isak hätte reden und sich das Herz erleichtern können;
-aber auf Sellanraa sprach niemand von seinen Gefühlen, und niemand
-bekannte seine Fehler. So holte sie ihren Mann sehr fürsorglich zu den
-Mahlzeiten herein; sie ging dazu bis zu ihm hin und forderte ihn auf,
-statt nur unter der Haustür zu rufen, und abends sah sie seine Kleider
-durch und nähte die Knöpfe an. Ja, Inger ging sogar noch weiter. Eines
-Nachts stützte sie sich auf den Ellbogen und sagte: Du, Isak. -- Was
-gibt's? fragt Isak. -- So, wachst du? -- Ja. -- Ach, nichts Besonderes,
-sagt Inger. Aber ich bin nicht gewesen, wie ich hätte sein sollen. --
-Was? fragt Isak. Das entfuhr ihm, und auch er richtete sich auf den
-Ellbogen auf. Dann redeten sie weiter miteinander, sie ist nun eben
-doch eine prächtige Frau und hat das Herz voll. Ich bin nicht so gegen
-dich gewesen, wie ich hätte sein sollen, sagt sie. Das tut mir sehr
-leid. -- Diese einfachen Worte rühren ihn, sie rühren den Mühlengeist,
-und er will Inger gerne trösten; er versteht zwar nichts von der Sache,
-versteht nur so viel, daß es keine mehr gibt wie sie. -- Deshalb
-brauchst du nicht zu weinen, sagt Isak. Wir sind alle nicht, wie wir
-sein sollten. -- Ach nein, sagt sie dankbar. Oh, Isak hatte eine
-gesunde Art, die Dinge zu behandeln, er richtete sie wieder auf, wenn
-sie umfallen wollten. Wer ist, wie er sein sollte! Er hatte recht; der
-Gott des Herzens selbst, der doch ein Gott ist, geht auf Abenteuer aus,
-und wir können es ihm ansehen, dem Wildfang: an einem Tag taucht er in
-einen Rosenreichtum unter und wiegt sich wohlig darin und leckt sich
-die Lippen, am anderen Tag hat er sich einen Dorn in den Fuß getreten
-und zieht ihn mit verzweifeltem Gesicht heraus. Stirbt er daran? Oh,
-keine Spur. Er ist so gesund wie vorher. Das wäre was Schönes, wenn er
-daran stürbe!
-
-Auch mit Inger kam das alles wieder in die Reihe, sie überwindet
-es, aber sie bleibt bei ihren Andachtstunden und findet ihren Trost
-darin. Inger ist jeden Tag fleißig und geduldig und herzensgut, sie
-schätzt Isak vor allen Männern und wünscht sich keinen andern als
-ihn. Natürlich ist er dem äußeren Anschein nach kein Tausendsassa und
-Sänger, aber er ist schon recht, hoho, das wollte sie meinen! Und es
-bewahrheitete sich wieder, daß es ein großer Gewinn ist, gottesfürchtig
-und genügsam zu sein.
-
-Und nun kam also dieser kleine Ladenjüngling von Storborg, dieser
-Andresen, er kam Sonntags nach Sellanraa, und Inger wurde darüber nicht
-erregt, durchaus nicht, sie wollte nicht einmal selbst mit einem Topf
-Milch zu ihm hineingehen, und da die Magd nicht zu Hause war, schickte
-sie Leopoldine mit der Milch. Und Leopoldine trug ja auch den Topf
-Milch recht nett hinein und sagte Bitte! und wurde rot, obgleich sie
-doch ihre Sonntagskleider trug und keinen Grund hatte sich zu schämen.
--- Danke, das ist allzuviel, sagte Andresen. Ist dein Vater zu Hause?
-fragte er. -- Jawohl, er ist draußen irgendwo. -- Andresen trank,
-wischte sich den Mund mit dem Taschentuch ab und sah nach der Uhr. Ist
-es weit bis zu den Gruben? fragte er. -- Nein, es ist kaum eine Stunde.
--- Ich soll hinauf und sie mir für Aronsen, bei dem ich angestellt bin,
-ansehen. -- So. -- Ja, du kennst mich doch. Ich bin der Ladendiener bei
-Aronsen; du bist schon bei uns gewesen und hast eingekauft. -- Ja. --
-Ich erinnere mich deiner ganz gut, du hast zweimal bei uns eingekauft.
--- Das ist mehr, als ich erwarten konnte, daß Ihr Euch meiner erinnert,
-sagte Leopoldine, dann aber waren ihre Kräfte erschöpft, und sie hielt
-sich an einem Stuhl fest. Andresen jedoch hatte noch Kräfte übrig,
-er fuhr fort: Warum sollte ich mich nicht mehr an dich erinnern? Und
-weiter fragte er: Kannst du nicht mit mir zu den Gruben hinaufgehen?
-
-Allmählich wurde es Leopoldine ganz rot und sonderbar vor den Augen,
-der Fußboden schwankte unter ihr, und der Ladendiener Andresen sprach
-wie aus weiter Ferne: Hast du keine Zeit? -- Nein, sagte sie. Gott
-weiß, wie sie wieder hinauskam in die Küche. Die Mutter sah sie an und
-fragte: Was fehlt dir denn? -- Nichts.
-
-Nichts, o nein! Aber seht, jetzt war Leopoldine an der Reihe, erregt
-zu werden, nun begann der Kreislauf bei ihr. Sie war ganz geeignet
-dazu, rund und hübsch und neukonfirmiert, sie gab ein schönes Opfer.
-Ein Vogel zwitschert in ihrer Brust, ihre langen Hände sind wie die
-ihrer Mutter voller Zärtlichkeit, voller Weiblichkeit. Konnte sie nicht
-tanzen? O doch. Es war ein Wunder, wo sie es lernten, aber sie lernten
-tanzen, auch auf Sellanraa, Sivert konnte es, Leopoldine konnte es,
-es war ein Tanz, im Ödland entstanden, ein bodenständiges Drehen und
-Wenden mit vielen Kräften, Schottisch, Mazurka, Rheinländer und Walzer.
-Und warum sollte Leopoldine nicht auch sich putzen und verliebt sein
-und mit offenen Augen träumen? Genau wie andere! Als sie konfirmiert
-wurde, lieh ihr die Mutter ihren goldenen Ring, es war kein sündiger
-Gedanke dabei, es war nur hübsch, und am nächsten Tag, als sie zum
-Abendmahl ging, steckte sie übrigens den Ring erst an, als alles
-überstanden war. Sie konnte wohl mit einem goldenen Ring am Finger
-vor dem Altar stehen, sie war die Tochter eines mächtigen Mannes, des
-Markgrafen.
-
-Als der Ladendiener Andresen wieder vom Berg herunterkam, traf er
-Isak an und wurde ins Haus geladen. Er bekam Mittagessen und Kaffee.
-Alle Hausbewohner waren jetzt in der Stube versammelt und nahmen
-teil an der Unterhaltung. Der Ladendiener erklärte, Aronsen habe
-ihn hinaufgeschickt, er solle einmal untersuchen, wie es mit den
-Gruben stehe, ob Anzeichen zu sehen seien, daß der Betrieb und die
-Arbeit wieder aufgenommen werden würden. Gott weiß, der Ladendiener
-schwindelte vielleicht gewaltig, wenn er sagte, er sei geschickt
-worden, vielleicht hatte er den Gang auf eigene Rechnung gemacht,
-und jedenfalls konnte er in der kurzen Zeit, die er weggewesen war,
-nicht bis an die Gruben hinaufgekommen sein. -- So von außen kann man
-nicht sehen, ob die Gesellschaft wieder anfangen will, sagte Isak. --
-Nein, das räumte der Ladendiener ein, aber Aronsen habe ihn nun einmal
-heraufgeschickt, und es sei ja auch wahr, vier Augen sähen mehr als
-zwei.
-
-Aber nun konnte sich Inger nicht mehr halten, sie fragte: Ist es wahr,
-was die Leute sagen, daß der Aronsen verkaufen will? -- Der Ladendiener
-antwortete: Er spricht davon. Und ein Mann wie er kann tun, was er
-will, er hat das Geld zu allem. -- Na, hat er wirklich soviel Geld? --
-Ja, erwidert der Ladendiener und nickt, daran fehlt es nicht. -- Wieder
-kann Inger nicht schweigen, sie fragt: Was will er wohl für das Gut?
--- Doch jetzt greift Isak ein, er ist vielleicht noch neugieriger als
-Inger, aber der Gedanke, Storborg zu kaufen, soll nun einmal durchaus
-nicht von ihm herrühren, und so tut er, als ob ihn das gar nichts
-anginge. Er sagt: Weshalb fragst du denn, Inger? -- Ach, ich frage
-nur so, erwidert sie. -- Beide sehen gespannt den Ladendiener an und
-warten. Endlich rückt er mit der Antwort heraus.
-
-Er spricht sehr zurückhaltend, von dem Preis weiß er nichts, aber
-er weiß, was Aronsen selbst gesagt hat, daß Storborg ihn gekostet
-habe. -- Und wieviel ist das? fragt Inger, denn sie vermag nicht zu
-schweigen und den Mund zu halten. -- Sechzehnhundert Kronen, erwidert
-der Ladendiener. -- Ach so! Inger schlägt sofort die Hände zusammen,
-denn wenn die Weiberleute etwas nicht haben, so ist es, in Beziehung
-auf Güterpreise, Witz und Verstand. Aber sechzehnhundert Kronen sind
-nun einmal keine kleine Summe hier im Ödland, und Inger hat nur _eine_
-Angst, daß sich nämlich Isak dadurch abschrecken lassen könnte. Aber
-Isak ist unerschütterlich wie ein Fels und sagt nur: Das machen die
-großen Häuser. -- Ja, sagt auch der Ladendiener Andresen, das machen
-die gewaltig großen Häuser.
-
-Kurz ehe der Ladendiener geht, hat sich Leopoldine zur Tür
-hinausgedrückt. Es ist höchst sonderbar, aber es kommt ihr ganz
-unmöglich vor, ihm die Hand zu geben. Sie hat indes einen guten Platz
-gefunden, sie steht in dem neuen Stall und schaut zu einem der Fenster
-hinaus. Sie trägt ein blauseidenes Band um den Hals, das hatte sie
-vorher nicht gehabt, und das merkwürdigste ist, daß sie Zeit gefunden
-hat, es umzubinden. Da geht er vorbei, er ist etwas klein und rund, mit
-flinken Beinen, hat einen blonden Vollbart und ist acht bis zehn Jahre
-älter als sie. Er ist ganz nett, sollte sie meinen.
-
-Spät in der Nacht zwischen Sonntag und Montag kamen die Kirchgänger
-wieder zurück. Alles war gut gegangen, die kleine Rebekka hatte auf
-der Heimfahrt während der letzten Stunden geschlafen, und sie wurde
-auch schlafend aus dem Wagen gehoben und ins Haus getragen. Sivert hat
-viel Neues erfahren, aber als die Mutter fragt: Was gibt's denn Neues?
-sagt er nur: Oh, nichts Besonderes. Der Axel hat eine Mähmaschine und
-einen Reolpflug. -- Was du sagst? ruft der Vater mit großem Interesse.
-Hast du sie gesehen? -- Ja, ich habe sie gesehen, sie standen am
-Landungsplatz. -- So, deshalb ist er also in der Stadt gewesen! sagt
-der Vater. Und Sivert sitzt dick geschwollen von besserem Wissen da,
-sagt aber kein Wort mehr.
-
-Mochte der Vater glauben, Axel sei in die Stadt gefahren, um eine
-Mähmaschine und einen Reolpflug zu kaufen; auch die Mutter sollte das
-nur glauben. Ach, aber keines der beiden Eltern glaubte das wirklich,
-sie hatten auch munkeln hören, daß das mit einem neuen Kindsmord in
-der Gegend zusammenhing. -- Geh du jetzt nur zu Bett! sagt der Vater
-schließlich.
-
-Sivert, dick geschwollen von Wissen, geht und legt sich zu Bett. Axel
-ist zu einer Verhandlung vorgeladen, es war eine große Sache, der
-Lensmann ist mit ihm hingereist. Es war eine so große Sache, daß auch
-die Frau Lensmann, die wahrhaftig wieder ein Kleines hatte, ihr Kind
-verließ und mit in die Stadt reiste. Sie hatte gesagt, sie wolle ein
-Wort mit dem Gericht reden.
-
-Nun schwirrten Klatsch und allerlei Gerüchte durchs Dorf, und Sivert
-merkte gut, daß auch wieder von einem älteren Kindsmord geflüstert
-wurde. Vor der Kirche stockte jede Unterhaltung, wenn er sich nahte,
-und wäre er nicht der gewesen, der er war, so hätten ihm die Leute
-vielleicht den Rücken gekehrt. Es war recht gut, Sivert zu sein,
-erstens einmal von einem großen Hof zu stammen, eines reichen Mannes
-Sohn zu sein und dann auch selbst für einen tüchtigen Kerl, für
-einen guten Arbeiter zu gelten. Er wurde von anderen geschätzt und
-hochgeachtet, und er hatte auch jederzeit die Volksgunst genossen.
-Wenn jetzt nur nicht Jensine zu viel hörte, ehe sie wieder nach Hause
-fuhren. Sivert hatte übrigens so seine eigenen Gründe zur Beängstigung,
-auch die Leute auf dem Ödland können erröten und erbleichen. Er sah,
-wie Jensine mit der kleinen Rebekka aus der Kirche trat, sie hatte auch
-ihn gesehen, war aber einfach vorbeigegangen. So wartet er eine Weile
-und fährt dann beim Schmied vor, um die beiden abzuholen.
-
-Beim Schmied wird zu Mittag gegessen, das ganze Haus ist versammelt,
-und auch Sivert wird etwas zu essen angeboten, aber er hat schon
-gegessen und dankt. Sie wußten, daß er um diese Zeit kommen werde, sie
-hätten auch die kleine Weile auf ihn warten können, in Sellanraa hätte
-man das getan, aber hier tat man es nicht. -- Ach nein, du bist es
-jedenfalls besser gewöhnt, sagt die Frau des Schmieds. -- Hast du in
-der Kirche etwas Neues erfahren? fragte der Schmied, obgleich er selbst
-in der Kirche gewesen ist.
-
-Als Jensine und die kleine Rebekka auf dem Wagen sitzen, sagt die
-Schmiedfrau zu ihrer Tochter: Ja, ja, Jensine, laß es nun nicht zu
-lange anstehen, bis du wieder nach Hause kommst. -- Das kann man auf
-zwei Arten verstehen, dachte Sivert, aber er mischte sich nicht in die
-Sache. Wäre die Rede ein klein wenig bestimmter gewesen, so hätte er
-vielleicht Antwort gegeben. Er runzelt die Stirne und wartet -- nein,
-nichts mehr.
-
-Sie fahren heimwärts, und die kleine Rebekka ist die einzige, die etwas
-zu plaudern hat, sie ist erfüllt von dem Erlebnis ihres Kirchganges,
-von dem Geistlichen in seinem schwarzen Talar mit dem silbernen Kreuz,
-von dem Lichterglanz und dem Orgelschall. Nach einer langen Weile sagt
-Jensine: Das mit Barbro ist eine Schande! -- Was hat deine Mutter damit
-gemeint, daß du bald wieder nach Hause kommen sollest? fragt Sivert.
--- Was sie damit meinte? -- Willst du uns verlassen? -- Einmal muß ich
-ja doch wieder nach Hause, sagt sie. -- Prrr! ruft Sivert und hält das
-Pferd an. Soll ich jetzt gleich wieder mit dir umdrehen? fragt er.
--- Jensine sieht ihn an, er ist blaß wie der Tod. -- Nein, erwidert
-sie, und gleich darauf fängt sie an zu weinen. Die kleine Rebekka
-sieht erstaunt von einem zum andern. Ach, die kleine Rebekka war sehr
-nützlich auf einer solchen Fahrt, sie ergriff Partei für Jensine,
-streichelte sie und brachte sie wieder dazu, daß sie lächelte. Und als
-die kleine Rebekka ihrem Bruder drohte, sie werde vom Wagen springen
-und sich einen Stecken für ihn suchen, da mußte auch Sivert lächeln. --
-Aber nun muß ich fragen, was du gemeint hast? sagt Jensine. -- Sivert
-antwortet ohne Bedenken: Ich meinte, daß wir, wenn du uns verlassen
-wollest, eben sehen müßten, ohne dich fertig zu werden. -- Lange Zeit
-darauf sagte Jensine: Jawohl, die Leopoldine ist ja nun erwachsen und
-kann meine Arbeit tun.
-
-Es wurde eine wehmütige Heimfahrt.
-
-
-
-
-7
-
-
-Ein Mann geht übers Ödland hinauf. Es stürmt und regnet, die
-Herbstregen haben begonnen, aber darum kümmert sich dieser Mann
-nicht, er sieht froh aus und ist es auch; es ist Axel Ström, er
-kommt vom Verhör, wo er freigesprochen worden ist. Und er ist froh:
-erstens stehen eine Mähmaschine und ein Reolpflug für ihn drunten
-am Landungsplatz, und zweitens ist er freigesprochen. Er hat nicht
-geholfen, ein Kind zu ermorden. So kann es gehen!
-
-Aber was für schwere Stunden hat er durchgemacht! Als er dastand und
-Zeugnis ablegte, hatte dieser sich in täglicher Arbeit abmühende Mann
-die schwerste Arbeit seines Lebens vor sich gehabt. Er hatte keinen
-Nutzen davon, Barbros Schuld zu vergrößern, deshalb nahm er sich in
-acht, ja nicht zuviel zu sagen, ja, er sagte nicht einmal alles, was
-er wußte, jedes Wort mußte aus ihm herausgefragt werden, und meistens
-antwortete er nur mit ja und nein. War das nicht genug? Sollte die
-Sache noch größer gemacht werden, als sie schon war? Ach, es sah häufig
-aus, als ob es Ernst werden wollte; die hohe Obrigkeit war gar so
-schwarz gekleidet und gefährlich, mit wenigen Worten hätte sie alles
-zum Schlimmsten wenden und ihn vielleicht gar verurteilen können. Aber
-es waren nette Leute, sie wollten seinen Untergang nicht. Und außerdem
-traf es sich auch noch so, daß mächtige Kräfte in Tätigkeit waren, um
-Barbro zu retten, und das gereichte auch ihm zum Nutzen.
-
-Was in aller Welt konnte ihm nun noch geschehen?
-
-Barbro selbst konnte doch wohl nicht auf die Gedanken kommen, Aussagen
-zu machen, die ihren gewesenen Hausherrn und Liebsten belastet hätten;
-er war im Besitz eines gar zu furchtbaren Wissens, sowohl um diese wie
-um eine frühere Kindsangelegenheit, so dumm war Barbro nicht. Oh,
-und sie war schlau genug, sie lobte Axel und sagte, er habe nicht das
-mindeste von ihrer Niederkunft gewußt, bis alles vorüber gewesen sei.
-Er sei ziemlich eigen, und sie stimmten nicht überein, aber er sei ein
-stiller Mann und ein ausgezeichneter Mensch. Nein, daß er ein neues
-Grab gegraben und die Leiche hineingetan habe, das sei viel später
-geschehen, und zwar nur deshalb, weil er meinte, das erste Grab sei
-nicht trocken genug; das sei es übrigens doch gewesen, nur sei Axel
-eben gar so eigen.
-
-Was konnte also Axel geschehen, wenn Barbro so die ganze Schuld
-auf sich nahm? Und für Barbro selbst waren sehr mächtige Kräfte in
-Bewegung; die Frau Lensmann Heyerdahl war in Bewegung.
-
-Sie ging zu Hoch und Nieder und schonte sich keineswegs, sie verlangte
-als Zeugin verhört zu werden und hielt vor Gericht eine große Rede. Als
-sie an die Reihe kam, stand sie vor den Schranken als recht vornehme
-Dame, sie erfaßte die Frage des Kindsmordes in ihrer ganzen Breite
-und hielt dem Gericht eine Vorlesung; man hätte meinen können, sie
-habe sich die Erlaubnis dazu im voraus erwirkt. Man konnte von der
-Frau Lensmann sonst denken, was man wollte, aber Reden halten konnte
-sie, und gelehrt in Politik und allen sozialen Fragen war sie. Es war
-nur ein Wunder, wo sie alle die Worte hernahm. Ab und zu hatte es den
-Anschein, als wolle der Vorsitzende versuchen, sie zu veranlassen,
-etwas mehr zur Sache zu kommen, aber er hatte augenscheinlich nicht
-das Herz, sie zu unterbrechen, und so ließ er sie weiterreden. Und zum
-Schluß förderte sie einige brauchbare Aufklärungen zutage und machte
-dem Gericht einen aufsehenerregenden Vorschlag.
-
-Von rechtstechnischen Weitläufigkeiten abgesehen, ging die Geschichte
-zu wie folgt:
-
-Wir Frauen, sagte die Frau Lensmann, wir sind die unglückliche und
-unterdrückte Hälfte der Menschheit. Die Männer machen die Gesetze,
-wir Frauen haben keinen Einfluß darauf. Aber kann sich nun etwa ein
-Mann hineinversetzen in das, was es für eine Frau heißt, ein Kind zu
-gebären? Hat er ihre Angst gefühlt, hat er die unsäglichen Schmerzen
-gefühlt, und hat er ihre Weheschreie ausgestoßen?
-
-In dem Falle hier ist es ein Dienstmädchen, das ein Kind geboren
-hat. Sie ist unverheiratet, sie muß also die ganze Zeit ihrer
-Schwangerschaft über ihren Zustand zu verbergen suchen. Warum muß sie
-ihn verbergen? Der Vorurteile der menschlichen Gesellschaft wegen.
-Diese Gesellschaft verachtet die Ledige, die ein Kind unter dem Herzen
-trägt. Sie beschützt sie nicht allein nicht, nein, sie verfolgt sie
-auch noch mit Schande und Verachtung. Ist das nicht haarsträubend?
-Jawohl, und jeder Mensch mit einem Herz im Leibe muß sich darüber
-empören! Das Mädchen muß nicht nur ein Kind gebären, was an sich schon
-schlimm genug wäre, nein, es soll auch noch dafür als Verbrecherin
-gebrandmarkt werden. Ich kann nur sagen, für dieses Mädchen hier
-auf der Anklagebank war es ein Glück, daß ihr Kind durch einen
-unglücklichen Zufall im Bach zur Welt kam und sofort ersticken mußte.
-Es war ein Glück für sie und für das Kind. Solange die Gesellschaft so
-ist wie jetzt, müßte eine ledige Mutter straffrei ausgehen, und wenn
-sie auch ihr Kind absichtlich umbringt!
-
-Hier läßt der Vorsitzende ein schwaches Murren hören.
-
-Oder jedenfalls dürfte sie nur unbedeutend bestraft werden, sagt die
-Frau Lensmann. Selbstverständlich sind wir alle darüber einig, daß das
-Leben des Kindes erhalten bleiben muß, sagte sie, aber sollte denn
-von allen Gesetzen der Menschlichkeit gar kein einziges auch für die
-unglückliche Mutter gelten? Stellen Sie sich doch einmal vor, was sie
-alles während der Schwangerschaft durchgemacht hat, welche Qualen sie
-erduldet hat, um ihren Zustand zu verbergen, und wie sie keinen Ausweg
-mehr wußte weder für sich selbst, noch für ihr Kind. Darein kann sich
-überhaupt kein Mensch versetzen, sagte sie. Das Kind stirbt jedenfalls
-eines wohlgemeinten Todes. Die Mutter wünscht weder sich selbst noch
-diesem lieben Kinde etwas so Böses, daß es leben soll, die Schande
-ist ihr zu schwer zu tragen, und indessen reift der Plan in ihr, das
-Kind zu töten. So gebiert sie im geheimen, und vierundzwanzig Stunden
-lang ist sie so von Sinnen, daß sie bei der Tat unzurechnungsfähig
-ist. Sie hat sie sozusagen gar nicht wirklich verübt, so von Sinnen
-ist sie. Während ihr noch von der Niederkunft jeder Knochen und jeder
-Muskel im Leibe weh tut, muß sie das Kind umbringen und die Leiche
-wegschaffen -- stellen Sie sich einmal die Willensanspannung vor, die
-zu dieser Arbeit gehört! Aber natürlich wünschen wir alle, daß die
-Kinder am Leben bleiben, und es ist schwer zu beklagen, daß das Leben
-von einigen ausgelöscht wird. Aber das ist einzig und allein die Schuld
-der menschlichen Gesellschaft, dieser hoffnungslosen, unbarmherzigen,
-verleumderischen, verfolgungswütigen, boshaften Gesellschaft, die
-allzeit auf der Wacht steht, um die ledige Mutter mit allen Mitteln zu
-erdrosseln!
-
-Aber selbst nach dieser Behandlung seitens der Gesellschaft können sich
-die mißhandelten Mütter wieder erheben. Sehr oft fangen gerade diese
-Mädchen nach ihrem gesellschaftlichen Fehltritt an, ihre besten und
-edelsten Eigenschaften zu entwickeln. Das Gericht könnte sich ja einmal
-bei den Vorsteherinnen der Asyle, in denen Mutter und Kind aufgenommen
-werden, erkundigen, ob das nicht wahr ist! Und es ist erfahrungsgemäß
-erwiesen, daß gerade die Mädchen, die -- ja, die von der Gesellschaft
-gezwungen worden sind, ihr Kind zu töten, ausgezeichnete Kindermädchen
-werden. Das sollte doch jedermann Stoff zum Nachdenken geben.
-
-Eine andere Seite der Sache ist die: Warum soll der Mann straffrei
-ausgehen? Die Mutter, die einen Kindsmord begangen hat, wird gepeinigt
-und ins Gefängnis geworfen, er jedoch, der Vater des Kindes, der
-Verführer, dem geschieht nichts. Aber solange er der Urheber des Kindes
-ist, hat er auch teil an dem Morde, und zwar den größeren Anteil, ohne
-ihn wäre das Unglück überhaupt nicht geschehen. Warum geht er frank und
-frei aus? Weil die Gesetze von den Männern gemacht werden, das ist die
-Antwort. Man sollte laut den Himmel um Schutz gegen diese Männergesetze
-ausrufen! Und das wird niemals besser, solange wir Frauen nicht bei
-den Wahlen und in den gesetzgebenden Versammlungen ein Wort mitzureden
-haben.
-
-Aber, sagt die Frau Lensmann, wenn nun dieses grausame Gesetz die
-schuldige -- oder mehr oder minder schuldige -- unverheiratete Mutter
-trifft, die einen Kindsmord begeht, was sollen wir dann von der
-unschuldigen sagen, die nur des Mordes verdächtigt wird und gar keinen
-Kindsmord begangen hat? Welche Genugtuung gibt die Gesellschaft diesem
-ihrem Opfer? Keinerlei Genugtuung! Ich bezeuge, daß ich das hier
-sitzende angeklagte Mädchen kenne, seit es ein Kind gewesen ist; sie
-war in meinen Diensten, ihr Vater ist meines Mannes Amtsdiener. Wir
-Frauen erlauben uns, gerade entgegengesetzt zu denken und zu fühlen als
-die Männer mit ihren Anklagen und Verfolgungen, wir erlauben uns, eine
-Ansicht über die Dinge zu haben. Das Mädchen hier ist verhaftet und
-ihrer Freiheit beraubt, verdächtigt, erstens einmal im geheimen geboren
-und zweitens ihr Kind umgebracht zu haben. Sie hat -- daran zweifle
-ich durchaus nicht -- beides nicht getan. Das Gericht wird selbst zu
-dieser sonnenklaren Schlußfolgerung kommen. Im geheimen? Sie hat am
-hellen Tag geboren. Wohl ist sie allein gewesen, aber wer hätte bei
-ihr sein sollen? Sie wohnte weit droben im Ödland, der einzige Mensch
-außer ihr selbst, der zur Stelle war, das war ein Mann; hätte sie einen
-solchen in diesem Augenblick zur Hilfe rufen sollen? Wir Frauen empören
-uns schon allein bei diesem Gedanken, wir schlagen schamvoll die Augen
-nieder. -- Und dann soll sie das Kind getötet haben? Es wurde in einem
-Bach geboren, sie lag da in dem eiskalten Wasser, als sie gebar. Wie
-ist sie in den Bach gekommen? Sie ist ein Dienstmädchen, also eine
-Sklavin, sie hat ihre täglichen Pflichten zu erfüllen, sie wollte in
-den Wald, um Wacholder zum Scheuern ihres Melkeimers zu holen. Als sie
-durch den Bach watet, gleitet sie aus und fällt. Sie bleibt liegen, das
-Kind wird geboren und erstickt im Wasser.
-
-Die Frau Lensmann hält inne. Sie konnte es den Richtern und den
-Zuhörern ansehen, daß sie wunderbar gut gesprochen hatte, es war
-mäuschenstill im Saal, und nur Barbro trocknete sich von Zeit zu
-Zeit die Augen vor Rührung. Dann schließt die Frau Lensmann: Wir
-Frauen haben ein Herz; ich habe meine eigenen Kinder fremden Händen
-anvertraut, um hierherreisen, um für das unglückliche Mädchen, das hier
-sitzt, Zeugnis ablegen zu können. Männergesetze können einer Frau nicht
-verbieten zu denken: ich denke, daß das Mädchen hier ausreichend dafür
-bestraft ist, überhaupt nichts Böses getan zu haben. Sprechen Sie die
-Angeklagte frei, dann werde ich sie mit nach Hause nehmen, und sie wird
-das ausgezeichnetste Kindermädchen werden, das ich je gehabt habe.
-
-Die Frau Lensmann ist zu Ende.
-
-Der Vorsitzende bemerkt: Ja, aber wären es nun nach der Rede der Frau
-Lensmann nicht eigentlich die Kindsmörderinnen, die die ausgezeichneten
-Kindermädchen geben sollen? Oh, aber der Vorsitzende war nicht uneinig
-mit Frau Lensmann Heyerdahl, ganz im Gegenteil, auch er fühlte
-menschlich, ganz priesterlich mild. Während der Staatsanwalt dann noch
-ein paar Fragen an die Frau Lensmann richtete, saß der Vorsitzende
-ruhig auf seinem Stuhl und schrieb sich Anmerkungen auf.
-
-Es war nicht viel mehr als eine Vormittagsverhandlung, da nur sehr
-wenige Zeugen zu verhören waren und die Sache ja auch ganz klar
-lag. Axel Ström saß da und hoffte das Beste, da schienen sich indes
-plötzlich der Staatsanwalt und die Frau Lensmann zu vereinigen, um
-ihn in Ungelegenheiten zu bringen, weil er die Kindsleiche begraben
-hatte, statt den Todesfall zu melden. Er wurde mit Strenge verhört und
-hätte vielleicht diesen Punkt nicht allzu gut erklären können, wenn er
-nicht hinten im Saal Geißler wahrgenommen hätte. Ganz richtig, da saß
-Geißler! Das gab Axel eine Art Stütze, er fühlte sich nicht mehr einsam
-und verlassen der Obrigkeit gegenüber, die ihm zu Leibe wollte; Geißler
-nickte ihm zu.
-
-Jawohl, Geißler war in die Stadt gekommen. Er hatte sich zwar nicht als
-Zeuge gemeldet, aber er war doch zur Stelle. Er hatte auch vor Beginn
-der Verhandlung einige Tage dazu verwendet, sich Einsicht in den Fall
-zu verschaffen und das aufzuschreiben, was er noch von Axels Bericht
-auf Maaneland wußte. Die meisten der vorliegenden Dokumente waren in
-Geißlers Augen nur Wische; dieser Lensmann Heyerdahl war ein sehr
-beschränkter Mensch, er hatte es bei seiner Untersuchung von Anfang
-an darauf angelegt, Axel zum Mitwisser an dem Kindsmord zu stempeln.
-Dieser Esel, dieser Dummkopf, er verstand nicht das mindeste vom Leben
-im Ödland, er sah nicht ein, daß dieses Kind gerade das Band war, das
-die weibliche Hilfskraft an Axels Hof fesseln sollte.
-
-Geißler redete mit dem Staatsanwalt, aber er gewann den Eindruck, daß
-dies gar nicht nötig gewesen wäre. Er wollte Axel dazu verhelfen, daß
-er wieder auf seinen Hof im Ödland kam, aber Axel brauchte gar keine
-Hilfe. Nein, denn es sah ja sogar ganz vielversprechend für Barbro
-selbst aus, und wenn sie freigesprochen wurde, fiel Axels Mitschuld von
-selbst weg. Es kam nur noch auf die Zeugenaussagen an.
-
-Nachdem die paar Zeugen verhört waren -- Oline war nicht vorgeladen,
-aber der Lensmann, Axel, ein Sachverständiger und ein paar Mädchen aus
-der Gemeinde --, nachdem also diese verhört waren, wurde Mittagspause
-gemacht, und Geißler ging wieder zu dem Staatsanwalt hin. Nein, der
-Staatsanwalt hatte die Ansicht, daß es immer noch vielversprechend für
-Barbro aussehe. Frau Lensmann Heyerdahls Zeugnis war von großem Einfluß
-gewesen. Es komme auf die Geschworenen an.
-
-Nehmen Sie besonderen Anteil an diesem Mädchen? erkundigte sich der
-Staatsanwalt. -- Einigermaßen, erwiderte Geißler. Eigentlich nehme
-ich mehr Anteil an dem Manne. -- Hat sie auch bei Ihnen gedient?
--- Nein, sie hat nicht bei mir gedient. -- Ach so, an dem Manne
-also? Aber das Mädchen? Die Teilnahme des Gerichtes ist auf ihrer
-Seite. -- Nein, sie hat nicht bei mir gedient. -- Der Mann ist mehr
-verdächtig, sagt der Staatsanwalt. Er geht ganz allein hin und begräbt
-die Kindsleiche mitten im Wald. Das ist entschieden verdächtig. --
-Er wollte das Kind wohl nur richtig begraben, sagt Geißler, das war
-beim erstenmal nicht geschehen. -- Nun, sie war eine Frau und hatte
-nicht die Kraft eines Mannes zum Graben, und in dem Zustand, in dem
-sie sich befand, vermochte sie es nicht. Im großen ganzen, sagt der
-Staatsanwalt, haben wir uns zu einer menschlicheren Ansicht über diese
-Kindsmorde durchgerungen. Ich möchte es als Richter nicht auf mich
-nehmen, dieses Mädchen zu verurteilen, und wie die Sache liegt, kann
-ich ihre Verurteilung nicht beantragen. -- Das ist sehr erfreulich,
-sagte Geißler mit einer Verbeugung. -- Der Staatsanwalt fuhr fort: Als
-Mensch und Privatmann würde ich sogar noch weitergehen: ich würde keine
-einzige ledige Mutter, die ihr Kind umbringt, zur Strafe verurteilen.
--- Es ist sehr interessant, daß der Herr Staatsanwalt und die Dame,
-die heute Zeugnis abgelegt hat, gleicher Ansicht sind. -- Ach sie! Sie
-hat übrigens gut gesprochen. Aber wozu alle diese Verurteilungen? Eine
-ledige Mutter hat schon zum voraus so unerhörte Qualen erduldet und
-sie wird durch die Härte und Brutalität der Welt in allen menschlichen
-Verhältnissen so tief hinuntergedrückt, daß das Strafe genug ist.
--- Geißler erhob sich und sagte zum Schluß: Ja, aber die Kinder?
--- Allerdings, mit den Kindern ist es sehr traurig, erwiderte der
-Staatsanwalt. Aber schließlich ist es ja auch für die Kinder ein Segen.
-Und gerade solchen unehelichen Kindern, wie schlecht geht es ihnen
-gewöhnlich! Was wird aus ihnen? -- Geißler wollte vielleicht diesen
-wohlgenährten Mann ein wenig reizen, oder vielleicht wollte er sich
-auch nur als tiefsinnig und geheimnisvoll aufspielen, er sagte: Erasmus
-war ein lediges Kind. -- Erasmus? -- Erasmus von Rotterdam. -- Ach so.
--- Und Leonardo war ein lediges Kind. -- Leonardo da Vinci? So. Ja,
-Ausnahmen kommen natürlich vor, sie bestätigen nur die Regel. Aber im
-großen und ganzen! -- Wir schützen Vögel und Tiere, sagte Geißler,
-und es klingt etwas sonderbar, daß kleine Kinder nicht auch geschützt
-werden sollen. -- Der Staatsanwalt griff langsam und würdevoll nach
-einigen Papieren, zum Zeichen, daß er jetzt abbrechen müsse. Ja,
-sagte er geistesabwesend, ja, jawohl. Geißler bedankte sich für die
-außerordentlich lehrreiche Unterredung, der er gewürdigt worden sei,
-und ging.
-
-Er setzte sich in den Gerichtssaal, um beizeiten da zu sein. Seine
-geheime Macht kitzelte ihn wohl sehr: er wußte von einem gewissen
-abgeschnittenen Hemd, in dem -- Besenreis geholt werden sollte, und
-von einer Kindsleiche, die einmal im Stadthafen herumtrieb; er konnte
-das Gericht aufsitzen lassen, ein Wort von ihm würde so gut sein wie
-tausend Schwerter. Aber Geißler hatte gewiß nicht im Sinn, dieses
-Wort jetzt auszusprechen, wenn es nicht notwendig wurde. Das war ja
-ausgezeichnet, sogar der öffentliche Ankläger stand auf seiten der
-Angeklagten!
-
-Der Saal füllte sich, und das Gericht trat wieder zusammen.
-
-Das wurde eine reizende Komödie in der kleinen Stadt, der ermahnende
-Ernst des Staatsanwalts, des Verteidigers rührselige Beredsamkeit. Die
-Geschworenen saßen da und horchten zu, was sie wohl über Barbro und den
-Tod ihres Kindes zu denken hätten.
-
-Allerdings, so ganz einfach war es nun doch nicht, das herauszufinden.
-Der Staatsanwalt war ein schöner Mann von Ansehen, und er war gewiß
-auch ein guter Mensch, aber etwas mußte ihn ganz kürzlich erst
-geärgert haben, oder vielleicht war ihm eingefallen, daß er in der
-norwegischen Rechtspflege einen Standpunkt aufrechtzuerhalten habe,
-wer weiß! Es war unbegreiflich, aber er war nicht mehr so zugänglich
-wie am Vormittag, er rügte die Missetat, falls sie geschehen sei,
-scharf, sagte, es sei ein dunkles Blatt, wenn mit Bestimmtheit gesagt
-werden könne, daß die Sache wirklich so dunkel sei, wie man nach
-einzelnen Zeugenaussagen glauben und meinen könne. Darüber hätten die
-Gerichtsbeisitzer zu entscheiden. Er selbst möchte die Aufmerksamkeit
-auf drei Punkte lenken: der erste Punkt sei der, ob hier eine Geburt im
-geheimen vorliege, ob diese Frage den Herren Richtern klar sei? Hier
-machte er einige persönliche Bemerkungen. Der zweite Punkt sei das
-Kleidungsstück, das halbe Hemd, wozu die Angeklagte das mitgenommen
-habe? Ob sie eine Ahnung gehabt habe, daß sie es brauchen werde? Er
-entwickelte diesen Punkt noch weiter. Der dritte Punkt sei das sehr
-verdächtige heimliche Begräbnis, ohne den Todesfall dem Geistlichen
-und dem Lensmann zu melden. Hierbei sei der hier anwesende Mann die
-Hauptperson gewesen, und es sei von der größten Wichtigkeit für
-die Geschworenen, sich hier die richtige Ansicht zu bilden. Denn
-es sei ja doch einleuchtend, daß der Mann Mitwisser sei, und wenn
-er das Begräbnis auf eigene Hand vorgenommen hatte, so mußte sein
-Dienstmädchen eine Missetat begangen haben, deren Mitwisser er geworden
-war.
-
-Hm! ertönte es im Saale.
-
-Axel Ström merkte, daß er wieder in Gefahr war; er begegnete, als er
-aufsah, nicht einem einzigen Blick, aller Augen hingen an dem Redner.
-Aber ganz hinten im Saale saß Geißler wieder, er sah äußerst überlegen
-aus, als ob er platzen wolle vor Hochmut, mit seiner vorgeschobenen
-Unterlippe und mit gen Himmel gewandtem Gesicht. Diese ungeheure
-Gleichgültigkeit gegen den Ernst des Gerichtes, dieses laute gen Himmel
-gesandte Hm wirkte ermunternd auf Axel, er fühlte sich wieder der
-ganzen Welt gegenüber nicht mehr allein.
-
-Und nun kam endlich die Sache ins Blei, dieser Staatsanwalt schien
-endlich zu der Einsicht zu kommen, daß es nun genug sei, er hatte so
-viel Bosheit und Verdacht gegen Axel verbreitet, als irgend möglich
-war, nun hielt er inne. Ja, der Herr Staatsanwalt machte gewissermaßen
-vollkommen kehrt, er beantragte nicht einmal Barbros Verurteilung. Er
-sagte zum Schluß geradeheraus, daß er selbst nach den vorliegenden
-Zeugenaussagen nicht die Verurteilung der Angeklagten beantragen könne.
-
-Das ist ja sehr gut, dachte Axel. Dann hat die Geschichte ein Ende.
-
-Nun legte sich der Verteidiger ins Zeug, ein junger Mann, der die
-Juristerei studiert hatte und dem nun in diesem prächtigen Fall die
-Verteidigung anvertraut worden war. Es war auch nachher nur eine Stimme
-darüber, noch niemals sei ein Mann so sicher gewesen, eine Unschuldige
-zu verteidigen. Im Grunde war ihm diese Frau Lensmann Heyerdahl
-zuvorgekommen, sie hatte ihm am Vormittag verschiedene Argumente
-gestohlen, er war sehr unzufrieden damit, daß sie die Gesellschaft
-ausgenützt hatte. -- Oh, die Gesellschaft hatte auch bei ihm sehr viel
-auf dem Kerbholz! Er war ärgerlich auf den Vorsitzenden, daß er Frau
-Heyerdahl das Wort nicht entzogen hatte. Das war ja eine ganz richtige
-Verteidigungsrede gewesen, die sie gehalten hatte; was blieb da ihm
-noch übrig?
-
-Er fing mit dem allerersten Anfang von Barbro Bredes Lebenslauf an;
-sie stammte aus kleinen Verhältnissen, übrigens von strebsamen und
-achtungswerten Eltern, sie sei frühzeitig in den Dienst gekommen,
-und zwar zuerst zu dem Lensmann. Wir haben heute die Ansicht gehört,
-die ihre Dienstherrin, Frau Heyerdahl, von ihr hatte, sie könnte
-nicht strahlender sein. Dann sei Barbro nach Bergen gekommen. Der
-Verteidiger verbreitet sich eingehend über das sehr wohlmeinende
-Zeugnis, das ihr von den beiden Kontoristen in Bergen, bei denen sie
-eine Vertrauensstellung eingenommen hatte, ausgestellt worden war. Dann
-sei Barbro wieder heimgekommen, als Haushälterin bei einem Junggesellen
-draußen im Ödland. Hier habe ihr Unglück angefangen.
-
-Von diesem Junggesellen habe sie ein Kind unter dem Herzen getragen.
-Der geehrte Herr Staatsanwalt habe -- übrigens auf die allertaktvollste
-und schonendste Weise -- die Möglichkeit einer Geburt im geheimen
-angedeutet. Ob Barbro ihren Zustand verborgen, ob sie ihn verhehlt
-habe? Die beiden Zeuginnen, Mädchen aus ihrem Heimatdorf, hatten
-gemeint, daß sie guter Hoffnung sei, und als sie sie fragten, leugnete
-sie durchaus nicht, sie ging nur kurz darüber weg. So machten es junge
-Mädchen in diesen Fällen, sie gingen kurz darüber weg. Sonst sei Barbro
-überhaupt von niemand gefragt worden. Ob sie zu ihrer Frau gegangen sei
-und ihr gebeichtet habe? Sie habe keine Frau gehabt, sie sei selbst die
-Frau gewesen. Einen Hausherrn habe sie allerdings gehabt; aber so ein
-junges Mädchen gehe mit einem solchen Geheimnis nicht zu ihrem Herrn,
-sie trage ihr Kreuz allein, sie spreche nicht davon, sie flüstere nicht
-einmal, sie sei eine Trappistin. Sie verstecke sich nicht, aber sie
-halte sich in der Einsamkeit.
-
-Das Kind werde geboren, es sei ein ausgetragener und wohlgebildeter
-Junge, er habe nach der Geburt gelebt und geatmet, aber er sei
-erstickt. Das Schwurgericht kenne die näheren Umstände bei dieser
-Geburt, sie sei im Wasser vor sich gegangen, die Mutter sei im Bach
-gestürzt und habe dort geboren, sie sei nicht imstande gewesen, das
-Kind zu retten, sie habe liegenbleiben müssen und sich selbst erst
-nachher ans Land retten können. Nun gut, an dem Kinde sei keine Spur
-von ihm angetaner Gewalt zu entdecken gewesen, es trage keine Spuren
-davon an seinem Leibe, niemand habe seinen Tod gewollt, es sei im
-Wasser erstickt. Es sei gar nicht möglich, eine natürlichere Erklärung
-für seinen Tod zu finden.
-
-Der geehrte Herr Staatsanwalt habe auf ein Kleidungsstück hingedeutet:
-es sei ein dunkler Punkt, daß sie dieses halbe Hemd mit auf ihren Gang
-genommen habe. Aber nichts sei klarer als diese Dunkelheit; sie habe
-den Lappen mitgenommen, um Wacholderreis darein zu sammeln. Sie hätte
-ja auch -- sagen wir einmal -- einen Kissenbezug mitnehmen können,
-aber sie habe nun einmal das Stück Hemd mitgenommen; etwas habe sie
-ja doch haben müssen, sie hätte das Wacholderreis nicht in den Händen
-heimtragen können. Nein, hierüber könne sich das Gericht vollständig
-beruhigen.
-
-Aber es gäbe da noch einen anderen Punkt, der nicht ganz so klar sei.
-Ist der Angeklagten die Unterstützung und die Sorgfalt zuteil geworden,
-die ihr Zustand zu jener Zeit verlangte? Wurde sie von ihrem Hausherrn
-mit Schonung behandelt? Schön, wenn er es getan hat. Das Mädchen
-habe hier während des Verhörs mit Anerkennung von ihrem Hausherrn
-gesprochen, das deute auf eine gute und edle Gesinnung von ihr. Der
-Mann selbst, Axel Ström, habe in seinen Aussagen die Beklagte durchaus
-nicht belastet -- und darin habe er auch ganz recht getan, um nicht zu
-sagen klug, denn mit ihr würde auch er freigesprochen werden. Möglichst
-viel Schuld auf sie zu werfen, würde ja, wenn es zu ihrer Verurteilung
-führte, ihn selbst mit ins Verderben reißen.
-
-Es sei unmöglich, sich in der vorliegenden Sache in die Akten zu
-vertiefen, ohne vom innigsten Mitleid mit diesem Mädchen und ihrer
-Verlassenheit ergriffen zu werden. Und dennoch habe sie nicht nötig,
-die Barmherzigkeit anzurufen, sie wende sich nur an die Gerechtigkeit
-und das Verständnis. Sie und ihr Hausherr seien gewissermaßen verlobt
-miteinander, aber Uneinigkeit und entgegengesetzte Interessen schlössen
-die Ehe aus. Bei diesem Mann könne dieses Mädchen in der Zukunft nicht
-das Glück finden. Es sei nicht angenehm, davon zu reden, aber um noch
-einmal auf das mitgenommene Kleidungsstück zu kommen, wenn man der
-Sache nähertrete, so habe das Mädchen nicht eines von ihren eigenen,
-sondern eines von den Hemden ihres Hausherrn mitgenommen. Wir haben
-uns selbst gleich zu Anfang gefragt: War ihr dieses Hemd von ihm zur
-Verfügung gestellt worden? sagte der Verteidiger. Hier, meinten wir,
-könnte eine Möglichkeit bestehen, daß der Mann Axel die Hand mit im
-Spiel gehabt habe.
-
-Hm! machte es hinten im Saale. Das klang so hart und laut, daß der
-Redner innehielt, aller Augen suchten nach dem Urheber dieser
-Unterbrechung, und der Vorsitzende schleuderte einen scharfen Blick in
-jene Richtung.
-
-Aber, fuhr der Verteidiger fort, nachdem er sich wieder gefaßt hatte,
-auch über diesen Punkt können wir völlig beruhigt sein, dank der
-Angeklagten selbst. Obgleich es in ihrem Vorteil gelegen hätte, hier
-die Hälfte der Schuld von sich abzuwälzen, hat sie das doch nicht
-getan. Sie hat auf das bestimmteste Axel Ström von dem Verdacht
-freigesprochen, er habe etwas davon gewußt, daß sie sein Hemd statt des
-ihrigen an den Bach mitgenommen hatte -- ich meine, mit in den Wald, um
-Wacholderreis zu holen. Es liegt nicht der mindeste Grund vor, an den
-Worten der Angeklagten zu zweifeln; diese haben überall Stich gehalten
-und halten auch hier Stich. Hätte sie das Hemd aus des Mannes Hand
-entgegengenommen, so würde das den vollendeten Kindsmord voraussetzen,
-und die Angeklagte mit ihrer Wahrheitsliebe will nicht dazu beitragen,
-den Mann zu einem Verbrecher zu stempeln, der er gar nicht ist. Im
-ganzen genommen macht sie redliche und offene Aussagen und hat nicht
-versucht, irgendwelche Schuld auf andere zu schieben. Dieser schöne
-Zug, gegen andere gut zu sein, zeigt sich überall bei ihr, so hat
-sie zum Beispiel die kleine Leiche auf die beste Art und mit großer
-Sorgfalt eingehüllt. In diesem Zustand hat sie der Lensmann im Grabe
-gefunden.
-
-Der Vorsitzende will -- der Ordnung halber -- darauf hinweisen, daß es
-das Grab Nummer zwei war, das der Lensmann fand, und in das habe ja
-Axel das Kind gelegt.
-
-Jawohl, das ist so, und ich danke dem Herrn Vorsitzenden! sagt der
-Verteidiger mit all der Ehrerbietung, die man der Justiz schuldig
-ist. Jawohl, das ist so. Aber nun hat doch Axel selbst ausgesagt, er
-habe die Leiche nur in das neue Grab hinübergehoben und sie darein
-gebettet. Und es ist doch unzweifelhaft, daß eine Frau ein Kind besser
-einzuhüllen versteht als ein Mann. Und wer hüllt es am allerbesten
-ein? Doch eine Mutter mit ihren liebevollen Händen!
-
-Der Vorsitzende nickt beifällig.
-
-Übrigens hätte nicht das Mädchen -- wenn es wirklich zu der Sorte
-gehört hätte -- das Kind einfach nackt begraben können? Ich will so
-weit gehen, zu sagen, sie hätte es in einen Kehrichteimer legen können.
-Sie hätte es über der Erde unter einem Baum liegenlassen können, daß es
-hätte erfrieren müssen -- das heißt, wenn es nicht schon tot gewesen
-wäre. Sie hätte es in einem unbewachten Augenblick in den Ofen stecken
-und verbrennen können. Sie hätte es an den Bach von Sellanraa tragen
-und es dort hineinwerfen können. Aber von dem allem hat diese Mutter
-nichts getan, sie hat das Kind sorgfältig eingehüllt und begraben. Und
-wenn es so schön und gut eingewickelt war, wie es gefunden wurde, so
-ist es von einer Frau eingehüllt worden und nicht von einem Mann.
-
-Nun sagte der Verteidiger, jetzt hätten die Geschworenen darüber
-abzuurteilen, was von Schuld an dem Mädchen Barbro übrigbleibe, nach
-des Verteidigers Meinung bleibe keine übrig. Es könnte höchstens
-sein, daß die Geschworenen sie deshalb verurteilen wollten, weil sie
-den Todesfall nicht angezeigt habe. Aber das Kind sei nun einmal tot
-gewesen, es sei weit draußen im Ödland und viele Meilen zum Pfarrer und
-Lensmann, es habe seinen ewigen Schlaf in einem schönen Grabe im Walde
-schlafen dürfen. Wenn es ein Verbrechen sei, es so begraben zu haben,
-so teile die Beklagte dieses Verbrechen mit dem Vater des Kindes,
-aber dieses Verbrechen sei in jedem Fall verzeihlich. Man sei immer
-mehr davon abgekommen, die Verbrecher zu bestrafen, man suche sie zu
-bessern. In alten Zeiten sei man für alles mögliche gestraft worden,
-das sei nach dem Gesetz der Rache im Alten Testament gegangen: Auge um
-Auge, Zahn um Zahn. Nein, das sei nicht mehr der Geist, der jetzt in
-der Gesetzgebung walte; die moderne Rechtspflege sei menschlich; sie
-suche sich dem Grad der verbrecherischen _Gesinnung_ anzupassen, die
-die Betreffenden bewiesen hätten.
-
-Darum verurteilt dieses Mädchen nicht! rief der Verteidiger. Es
-handelt sich hier nicht darum, einen Verbrecher mehr zu fassen, nein,
-es handelt sich darum, der menschlichen Gesellschaft ein gutes und
-nützliches Mitglied zurückzugeben! Der Verteidiger deutete darauf
-hin, daß der Angeklagten nun in einer neuen Stelle, die ihr angeboten
-sei, die sorgfältigste Aufsicht zuteil werden würde. Frau Lensmann
-Heyerdahl habe aus reicher mütterlicher Erfahrung und weil sie Barbro
-seit vielen Jahren kenne, dieser ihr Haus weit aufgetan. Das Gericht
-möge nun im Vollgefühl seiner Verantwortung das Mädchen verurteilen
-oder freisprechen. Zum Schluß dankte der Verteidiger dem Staatsanwalt,
-daß er keine Verurteilung beantragt habe. Daran erkenne man sein tiefes
-menschliches Verständnis.
-
-Der Verteidiger setzte sich.
-
-Der Rest der Verhandlung nahm nicht mehr viel Zeit in Anspruch. Das
-Referat wiederholte dasselbe, von zwei Seiten gesehen, noch einmal, es
-gab eine kurze Übersicht über den ganzen Vorgang, trocken, langweilig
-und würdevoll. Es war alles sehr trefflich gegangen, sowohl der
-Staatsanwalt als der Verteidiger hatten in das Gebiet des Vorsitzenden
-hinübergegriffen, sie hatten ihm sein Amt leicht gemacht.
-
-Es wurde Licht angesteckt, zwei Hängelampen brannten und gaben ein
-erbärmliches Licht, bei dem der Vorsitzende kaum seine Anmerkungen
-lesen konnte. Er tadelte äußerst scharf, daß der Tod des Kindes den
-Behörden nicht gemeldet worden war; aber, sagte er, das wäre unter
-den vorliegenden Umständen weit eher dem Kindsvater zugekommen als
-der Mutter, da sie zu schwach dazu gewesen sei. Nun hätten also die
-Geschworenen zu entscheiden, ob Geburt im geheimen und Kindsmord
-vorliege. Alles wurde noch einmal von Anfang bis zu Ende erklärt.
-Darauf folgte die gebräuchliche Ermahnung, der Verantwortung eingedenk
-zu sein, warum das Gericht eingesetzt sei, und endlich der bekannte
-Rat, im Zweifelsfalle zugunsten der Angeklagten zu entscheiden.
-
-Nun war alles klar.
-
-Die Geschworenen verließen den Saal und zogen sich zurück. Sie sollten
-sich über den Fragebogen beraten, der dem einen von ihnen mitgegeben
-worden war. Fünf Minuten waren sie weg, dann traten sie wieder ein mit
-einem Nein auf alle Fragen.
-
-Nein, das Mädchen Barbro hatte ihr Kind nicht getötet.
-
-Nun redete der Vorsitzende noch einige Worte und erklärte, das Mädchen
-Barbro sei frei.
-
-Die Zuhörer verließen den Saal. Die Komödie war zu Ende ...
-
-Irgend jemand ergreift Axel am Arm, es ist Geißler. Er sagt: So, nun
-bist du also die Geschichte los. -- Ja, sagte Axel. -- Und sie haben
-dich ganz unnötig vorgeladen. -- Ja, sagte Axel wieder. Aber inzwischen
-hatte er sich etwas gefaßt und fuhr fort: Ich bin aber doch recht froh,
-daß ich so davongekommen bin. -- Das hätte auch gerade noch gefehlt!
-rief Geißler, und er betonte jedes Wort nachdrücklich. -- Davon bekam
-Axel den Eindruck, daß Geißler die Hand im Spiel gehabt, daß er
-eingegriffen habe. Gott mochte wissen, ob nicht am Ende Geißler das
-Gericht gelenkt und den Erfolg, den er selbst gewollt, herbeigeführt
-hatte. Das war dunkel.
-
-Allein so viel begriff Axel doch, daß Geißler den ganzen Tag über auf
-seiner Seite gestanden hatte. Ja, ich danke Euch vielmals, sagte er
-und wollte Geißler die Hand drücken. -- Wofür? fragte Geißler. --
-Für -- ja für alles miteinander. -- Geißler wies ihn kurz ab. Ich
-hatte gar nicht im Sinn, etwas zu tun, es war nicht der Mühe wert.
--- Aber Geißler hatte darum doch vielleicht nichts gegen diesen Dank
-einzuwenden, es war, als hätte er darauf gewartet und hätte ihn nun
-erhalten. Ich habe keine Zeit, mich gerade jetzt noch länger mit dir zu
-unterhalten, sagte er. Gehst du morgen wieder nach Hause? Das ist gut.
-Leb wohl und auf Wiedersehen! Geißler ging die Straße hinunter ...
-
-Auf der Heimfahrt traf Axel auf dem Dampfschiff den Lensmann und
-seine Frau, Barbro und die zwei Mädchen, die als Zeuginnen vorgeladen
-gewesen waren. Nun, bist du nicht froh über den Ausgang der Sache?
-fragte die Frau Lensmann. -- Doch, erwiderte Axel, er sei sehr froh,
-daß die Geschichte zu Ende sei. Auch der Lensmann ergriff das Wort und
-sagte: Das ist nun der zweite Kindsmordprozeß, den ich in der Gegend
-gehabt habe, der erste galt Inger von Sellanraa, jetzt bin ich auch den
-zweiten los. Nein, man darf solche Fälle nicht nur so hingehen lassen,
-dem Recht muß Genüge geschehen.
-
-Aber die Frau Lensmann begriff wohl, daß Axel ihr, wegen ihrer
-Aussagen gestern, nicht wohlgeneigt sein konnte, jetzt wollte sie das
-verwischen, wollte es wieder gutmachen. Du hast doch gestern begriffen,
-warum ich gegen dich gesprochen habe? sagte sie. -- Ja, jawohl,
-erwiderte Axel. -- Ja, du hast es gewiß eingesehen. Du hast doch sicher
-nicht gemeint, ich wolle dir schaden? Dich habe ich jederzeit für einen
-prächtigen Mann gehalten, das kann ich dir wohl sagen. -- So! war
-alles, was Axel sagte, allein er war froh und gerührt. -- Jawohl, das
-habe ich, sagte die Frau Lensmann. Aber ich war genötigt, dir einen
-kleinen Teil von der Schuld zuzuschieben, sonst wäre Barbro verurteilt
-worden, und du mit ihr. Es geschah meinerseits in der besten Absicht.
--- Jawohl, ja, und ich danke Euch bestens. -- Ich bin es gewesen und
-sonst niemand anders, die in der Stadt von Herodes zu Pilatus gelaufen
-ist und für euch beide gewirkt hat. Und du hast doch wohl begriffen,
-daß wir alle, wie wir es vor Gericht getan haben, einen Teil Schuld auf
-dich laden mußten, um euch beide frei zu bekommen! -- Ja, sagte Axel.
--- Und du hast doch wohl keinen Augenblick geglaubt, daß ich gegen dich
-sei, nicht wahr? Ich gegen dich sein, wo ich dich doch für so einen
-ausgezeichneten Mann halte!
-
-Wie tat das gut nach all den Demütigungen! Axel war jetzt jedenfalls
-so gerührt, daß er wahrhaftig der Frau Lensmann etwas schenken wollte,
-irgend etwas, um ihr seine Dankbarkeit zu beweisen, vielleicht ein
-Stück Schlachtvieh im Herbst. Er hatte einen jungen Ochsen.
-
-Die Frau Lensmann Heyerdahl hielt Wort: sie nahm Barbro zu sich. Auch
-schon hier auf dem Schiff nahm sie sich ihrer an und ließ sie weder
-frieren noch hungern, und sie duldete auch nicht, daß Barbro mit dem
-bergenschen Steuermann schäkerte. Als es das erstemal geschah, sagte
-Frau Heyerdahl nichts darüber, sie rief nur Barbro zu sich. Aber siehe
-da, bald stand Barbro wieder bei dem Steuermann und schäkerte mit ihm,
-sie machte einen schiefen Kopf, sprach bergenschen Dialekt und lächelte
-hold; da rief Frau Heyerdahl sie abermals zu sich und sagte: Es will
-mir nicht gefallen, Barbro, daß du dich jetzt auf Unterhaltungen mit
-Mannsleuten einläßt. Denk doch daran, was du durchgemacht hast und
-wo du herkommst. -- Ich habe nur gehört, daß er aus Bergen ist, und
-deshalb ein paar Worte mit ihm gesprochen, erwiderte Barbro.
-
-Axel sprach nicht mit ihr. Er bemerkte aber, daß ihre Haut fein und
-blaß war und daß sie schöne Zähne bekommen hatte. Seine Ringe trug sie
-nicht an den Fingern.
-
-Und nun schreitet Axel also wieder durchs Ödland hinauf. Es stürmt und
-regnet zwar, aber er ist seelenvergnügt, er hat die Mähmaschine und
-den Reolpflug am Landungsplatz gesehen. Ach, dieser Geißler! Kein Wort
-hat er in der Stadt von dieser Sendung verlauten lassen. Er war ein
-merkwürdiger Herr.
-
-
-
-
-8
-
-
-Axel hatte daheim keine lange Ruhezeit; mit den Herbststürmen begann
-eine persönliche Mühe und ein großer Verdruß, den er sich selbst
-zugezogen hatte: Der Telegraph an seiner Wand meldete, daß die Linie in
-Unordnung sei.
-
-Ach, er war zu gierig nach dem baren Geld gewesen, als er diesen Posten
-übernommen hatte! Alles war von Anfang an unangenehm gewesen, Brede
-Olsen hatte ihm gewissermaßen gedroht, als er die Telegraphensachen und
-das Werkzeug bei ihm abholte; er hatte gesagt: Du denkst wohl nicht
-mehr daran, daß ich dir im Winter das Leben gerettet habe? -- Oline
-hat mir das Leben gerettet, erwiderte Axel. -- So, habe ich dich nicht
-auf meinem eigenen armen Rücken nach Hause getragen? Und außerdem hast
-du im Sommer nur darauf gepaßt, mir meinen Hof abzukaufen und mich für
-den Winter heimatlos zu machen. Ja, Brede war tief gekränkt, er sagte:
-Nimm du nur den Telegraphen und das ganze Zeug mit dir. Ich und meine
-Familie, wir lassen uns im Dorf nieder und fangen etwas an; was es ist,
-weißt du nicht, aber es ist etwas mit einem Hotel und einem Platz,
-wo die Leute Kaffee trinken können. Oh, meinst du, wir werden nicht
-durchkommen? Meine Frau kann alle Arten von Lebensmitteln verkaufen,
-und ich selbst kann Geschäfte machen und viel mehr dabei verdienen als
-du. Aber ich will dir nur sagen, Axel, ich könnte dir allerlei Possen
-spielen, da ich den ganzen Telegraphen sehr gut kenne; ich könnte
-Stangen umwerfen und Drähte abreißen. Dann müßtest du mitten in der
-dringendsten Arbeit hinaus. Das will ich dir nur sagen, und du kannst
-es dir hinter die Ohren schreiben ...
-
-Jetzt aber hätte Axel notwendig die Maschinen vom Landungsplatz
-heraufholen sollen -- ach, jede davon war so schön vergoldet und bunt
-bemalt wie ein Bild, er hätte sie heute haben und sie besehen und
-sich genau in ihrem Gebrauch unterrichten können -- jetzt mußten sie
-stehenbleiben. Es war nicht gut, wenn er wegen der Telegraphenlinie
-wichtige Arbeit versäumen mußte. Aber es brachte doch Geld ein.
-
-Oben auf dem Berg trifft er Aronsen. Der Kaufmann Aronsen steht da und
-schaut in den Sturm hinaus, ja, er stand da wie eine Erscheinung. Was
-wollte er da oben? Er hatte wohl keine Ruhe mehr gehabt und war in die
-Berge gegangen, um selbst die Gruben zu untersuchen. Seht, das tat der
-Kaufmann Aronsen aus reiner Besorgnis für sich und seine Zukunft. Nun
-steht er da auf dem verlassenen Berg vor lauter Elend und Zerstörung:
-verrostete Maschinen, Handwerkszeug, Fuhrwerke, vieles davon unter
-freiem Himmel, alles ganz trostlos. An verschiedenen Stellen waren an
-den Wänden der Baracken geschriebene Zettel angeheftet, die verboten,
-die Gebäude, Gerätschaften und Wagen der Gesellschaft zu beschädigen
-oder etwas davon mitzunehmen.
-
-Axel fängt ein Gespräch mit dem zornigen Krämer an und fragt: Seid
-Ihr auf der Jagd? -- Ja, wenn ich ihn nur getroffen hätte! antwortete
-Aronsen. -- Wen hättet Ihr denn gerne getroffen? -- Wen denn sonst, als
-den Mann, der mich und alle hier herum ins Verderben bringt? Den Mann,
-der seinen Berg nicht verkaufen will und weder Bewegung, noch Handel,
-noch Geld unter die Leute kommen läßt. -- Meint Ihr den Geißler? --
-Ja, gerade den Kerl meine ich. Er müßte erschossen werden! -- Axel
-lacht und sagt: Der Geißler war jetzt vor wenigen Tagen in der Stadt,
-da hättet Ihr ihn treffen können. Aber nach meiner geringen Meinung
-glaube ich nicht, daß Ihr den Mann dafür verantwortlich machen solltet.
--- Warum nicht? fragte Aronsen wütend. -- Ich fürchte, er wäre etwas
-zu unergründlich und zu hochangesehen für Euch. -- Sie stritten eine
-Weile darüber, und Aronsen wurde immer heftiger. Zum Schluß fragte
-Axel im Scherz: Na, Ihr werdet uns hier im Ödland doch nicht stecken
-lassen und ganz von hier fortziehen wollen? -- Meinst du etwa, ich
-wolle hier in euren Sümpfen verfaulen und nicht einmal den Tabak für
-meine Pfeife verdienen? rief Aronsen ärgerlich. Wenn du mir einen
-Käufer verschaffst, so verkaufe ich auf der Stelle. -- Einen Käufer?
-rief Axel. Auf Eurem Grundstück ist guter Boden, wenn Ihr ihn bebauen
-wolltet. Bei der Größe des Grundstücks nährt es seinen Mann. -- Du
-hörst doch, daß ich nicht in der Erde graben mag! rief Aronsen wieder
-in den Sturm hinaus. Ich kann etwas Besseres tun. -- Axel meinte, ein
-Käufer werde wohl zu finden sein, aber Aronsen verhöhnte den bloßen
-Gedanken daran. Im ganzen Ödland ist kein einziger Mann, der mich
-auszahlen könnte. -- Nein, nicht gerade hier im Ödland. Aber es gibt
-noch andere. -- Ach, hier ist nichts als Armut und Elend! rief Aronsen
-wütend. -- Ja, das mag sein. Aber der Isak auf Sellanraa könnte Euch
-jeden Tag auszahlen, sagte Axel beleidigt. -- Das glaube ich nicht,
-entgegnete Aronsen. -- Es ist mir gleichgültig, was Ihr glaubt, sagte
-Axel und wollte weitergehen. -- Aber Aronsen rief ihm nach: Wart doch
-einen Augenblick! Meinst du wirklich, Isak könnte mich von Storborg
-befreien? -- Ja, erwidert Axel. Von fünf Storborg, was das Geld und die
-Mittel anbelangt.
-
-Aronsen war beim Aufstieg um Sellanraa herumgegangen, er hatte sich
-nicht sehen lassen wollen, jetzt auf dem Heimweg ging er hinein und
-hatte eine Unterredung mit Isak. Nein, sagte Isak und schüttelte nur
-den Kopf. Daran habe ich noch nie gedacht und habe es auch nicht im
-Sinn. --
-
-Aber als Eleseus zu Weihnachten nach Hause kam, war Isak nicht mehr
-ganz so ablehnend. Er selbst hatte jedenfalls noch nie so etwas
-Verrücktes gehört, wie Storborg zu kaufen, dieser Einfall wäre ihm
-jedenfalls nicht selbst gekommen, wenn aber Eleseus meinte, das
-Geschäft sei etwas für ihn, dann konnte man sich die Sache ja überlegen.
-
-Eleseus selbst schwankte. Er war nicht dafür, aber auch auch nicht
-dagegen. Blieb er jetzt zu Hause, so war es gewissermaßen mit ihm aus
-und vorbei; das Ödland war nicht die Stadt.
-
-Im Herbst, als die Leute aus der Gegend zu dem großen Verhör in der
-Stadt vorgeladen waren, vermied er es, sich zu zeigen, er hatte keine
-Lust, mit diesen Dörflern zusammenzutreffen, sie gehörten einer anderen
-Welt an. Und sollte er nun selbst in diese Welt zurückkehren?
-
-Seine Mutter wollte, man solle kaufen. Sivert wollte auch, daß gekauft
-werde; die beiden taten sich mit Eleseus zusammen, und eines schönen
-Tages fuhren alle drei nach Storborg hinunter, um sich dort die
-Herrlichkeit zu beschauen.
-
-Aber mit der Aussicht, sein Gut loszuwerden, wurde Aronsen sofort ein
-ganz anderer: er habe nicht nötig, zu verkaufen! Wenn er von hier
-fortgehe, so könne der Hof einfach liegenbleiben, der Hof sei bom
-konstant, ein prächtiges Gut, er könne es jeden Tag verkaufen. Ihr
-zahlt mir doch nicht, was ich dafür haben will, behauptete Aronsen.
--- Sie gingen durch alle Räume, waren im Stall, im Vorratshaus, sie
-besahen sich die armseligen Reste von Waren: einige Mundharmoniken,
-Uhrketten, Schachteln mit rosa Papier, Hängelampen mit Prismen, lauter
-bei den Ansiedlern unverkäufliche Sachen. Außerdem war noch ein Rest
-Baumwollstoffe vorhanden und einige Kisten mit Nägeln.
-
-Eleseus spielte sich auf und beschaute alles mit Sachkenntnis. Für
-diese Art Waren hab' ich keine Verwendung, sagte er. -- Ihr braucht
-sie ja nicht zu kaufen, erwiderte Aronsen. -- Aber ich biete Euch
-fünfzehnhundert Kronen für den Hof, so wie er dasteht, mit Waren und
-Viehstand und allem zusammen, sagte Eleseus. Oh, es war ihm sehr
-gleichgültig, sein Angebot war nur ein Spott, er wollte sich aufspielen.
-
-Dann fuhren sie wieder nach Hause. Nein, es wurde nichts aus dem
-Geschäft. Eleseus hatte Aronsen ein Schandangebot gemacht und ihn damit
-beleidigt: Ich höre überhaupt gar nicht hin, was du sagst, erklärte
-Aronsen und duzte ihn, duzte diesen städtischen Springinsfeld, der den
-Kaufmann Aronsen über Waren belehren wollte. -- Soviel ich weiß, habe
-ich nicht Brüderschaft mit dir getrunken, sagte Eleseus ebenso erzürnt.
-Oh, das mußte eine lebenslängliche Feindschaft geben!
-
-Aber warum war Aronsen vom ersten Augenblick an so aufgeblasen gewesen
-und hatte getan, wie wenn er nicht zum Verkaufen genötigt wäre? Das
-hatte seinen Grund, Aronsen hatte nämlich wieder eine Art Hoffnung.
-
-Im Dorf unten war eine Versammlung abgehalten worden, um den Zustand
-zu besprechen, der dadurch eingetreten war, daß Geißler seinen Berg
-nicht verkaufen wollte. Nicht nur das Ödland litt darunter, der ganze
-Bezirk kämpfte mit dem Tode. Aber warum konnten denn die Menschen
-jetzt nicht mehr ebenso gut oder schlecht leben wie damals, bevor der
-Versuchsbetrieb in Angriff genommen war? Nein, das konnten die Menschen
-nicht! Sie hatten sich jetzt an weiße Grütze gewöhnt und an weißes
-Brot, an gekaufte Kleiderstoffe, hohe Löhne, ein flottes Leben, ja,
-die Menschen hatten sich daran gewöhnt, viel Geld zu haben. Doch nun
-war der Geldstrom versiegt, wie ein Heringszug war er wieder im Meer
-verschwunden; lieber Gott, was war das für eine Not, was ließ sich da
-machen?
-
-Es war kein Zweifel, der ehemalige Lensmann Geißler wollte sich am
-Dorfe rächen, weil es dem Amtmann beigestanden hatte, ihn abzusetzen,
-und es war auch gar kein Zweifel, daß das Dorf diesen Mann unterschätzt
-hatte. Er war nicht so dumm. Mit dem ganz einfachen Mittel, eine
-schamlose Viertelmillion für ein Stück Berg zu verlangen, hielt er
-die ganze Entwicklung der Gemeinde auf. War er nicht mächtig? Axel
-Ström von Maaneland konnte hier mitreden, er hatte Geißler zuletzt
-gesprochen. Barbro, Bredes Tochter, war in der Stadt vor Gericht
-geladen gewesen und freigesprochen wieder nach Hause gekommen, und da
-war Geißler während der ganzen Verhandlung zugegen gewesen! Und wer
-etwa meinte, der Geißler habe abgewirtschaftet und liege danieder wie
-irgendein armer Schlucker, der brauchte ja nur die teuren Maschinen zu
-betrachten, die er Axel zum Geschenk gemacht hatte!
-
-Dieser Mann hielt also das Geschick des Bezirks in seiner Hand, und
-man mußte sich mit ihm abfinden. Um wieviel würde Geißler wohl im
-allerletzten Fall seinen Berg verkaufen? Darüber mußte man ins reine
-kommen. Die Schweden hatten ihm fünfundzwanzigtausend geboten, das
-hatte Geißler abgelehnt. Aber wie, wenn nun das Dorf, wenn die Gemeinde
-den Rest zuschoß, damit das Geschäft zustande kam? Wenn es nicht eine
-gar zu ungereimte Summe war, würde es sich lohnen. Sowohl der Kaufmann
-unten an der Küste, als auch der Kaufmann Aronsen auf Storborg würden
-ganz in der Stille und in aller Heimlichkeit einen Beitrag geben;
-eine solche jetzt gemachte Auslage würde ihnen mit der Zeit wieder
-hereinkommen.
-
-Schließlich waren zwei Mann beauftragt worden, zu Geißler zu reisen und
-mit ihm zu reden. Und die wurden nun bald zurückerwartet.
-
-Seht, darum hatte Aronsen wieder Hoffnung gefaßt und glaubte, einen
-Mann, der Storborg kaufen wollte, hochfahrend behandeln zu können. Aber
-er sollte nicht lange hochfahrend bleiben.
-
-Nach einer Woche kamen die zwei Abgesandten mit einer unbedingten
-Ablehnung heim. Ach, das schlimme an der Sache war schon von Anfang
-an, daß einer der beiden Abgesandten Brede Olsen war -- weil er so gut
-Zeit hatte. Die Männer hatten Geißler ganz richtig aufgefunden, aber
-Geißler hatte nur den Kopf geschüttelt und gelacht. Reist nur wieder
-nach Hause! hatte er gesagt; aber er hatte ihnen die Heimreise bezahlt.
-
-Und so mußte nun also der ganze Bezirk untergehen!
-
-Nachdem Aronsen eine Zeitlang getobt hatte und allmählich immer
-ratloser geworden war, ging er eines Tages hinauf nach Sellanraa und
-schloß den Handel ab. Ja, das tat Aronsen. Eleseus bekam, was er haben
-wollte, einen Hof mit Gebäuden und Vieh und Waren für fünfzehnhundert
-Kronen. Allerdings zeigte es sich bei der Übernahme, daß Aronsens Frau
-den größten Teil des Baumwollzeugs an sich genommen hatte; um solche
-Kleinigkeiten kümmerte sich jedoch ein Mann wie Eleseus nicht. Man darf
-nicht kleinlich sein! sagte er.
-
-Aber im ganzen genommen war Eleseus nichts weniger als entzückt. Nun
-war sein Lebenslauf also besiegelt, das Ödland würde sein Grab werden.
-Er mußte alle seine großen Pläne fahren lassen; Büroschreiber war er
-nicht mehr, Lensmann konnte er nicht werden, nein, er war nicht einmal
-ein städtischer Herr. Seinem Vater und den andern daheim gegenüber
-tat er ein wenig groß damit, daß er Storborg genau um den Preis, den
-er geboten, auch bekommen hatte, da konnten sie sehen, daß er sich auf
-die Sache verstand! Aber dieser kleine Triumph reichte nicht weit. Er
-hatte auch die Befriedigung, den Ladendiener Andresen mit übernehmen
-zu können, der ging gewissermaßen bei dem Handel mit drein, Aronsen
-brauchte ihn nicht mehr, solange er kein neues Geschäft hatte. Es
-kitzelte Eleseus ganz eigenartig, als Andresen kam und fragte, ob er
-nicht bleiben dürfe; da war er nun zum erstenmal Herr und Meister. Du
-kannst bleiben! sagte er. Ich muß hier am Platz einen Stellvertreter
-haben, wenn ich meine Geschäftsreisen mache und Handelsverbindungen mit
-Bergen und Drontheim anknüpfe, sagte er.
-
-Und Andresen war kein schlechter Stellvertreter, das sah er gleich;
-er war fleißig und hielt gute Aufsicht, während der Herr und Meister
-Eleseus abwesend war. Nur im Anfang hatte der Ladendiener Andresen hier
-im Ödland den großen und feinen Herrn herausgekehrt, und daran war
-sein Herr, Aronsen, schuld gewesen. Jetzt war es anders geworden. Als
-im Frühjahr die Moore etwas aufgetaut waren, kam Sivert von Sellanraa
-nach Storborg hinunter und fing an, bei seinem Bruder Gräben zu ziehen
--- und da ging wahrhaftig auch der Ladendiener Andresen hinaus aufs
-Moor und half Gräben ziehen aus was für einem Grunde es auch geschehen
-mochte, da er es eigentlich nicht nötig hatte; aber ein Mann von
-solcher Art war er. Der Boden war noch so wenig aufgetaut, daß sie
-lange nicht tief genug graben konnten, aber sie taten einstweilen
-wenigstens die halbe Arbeit, und das war schon viel getan. Es war des
-alten Isaks Gedanke, auf Storborg die Moore zu entwässern und Ackerbau
-zu treiben, der kleine Kramhandel sollte nur so nebenbei betrieben
-werden, daß die Leute im Ödland nicht nötig hatten, ins Dorf zu gehen,
-wenn sie eine Rolle Faden brauchten.
-
-So zogen also Sivert und Andresen Gräben und verschnauften sich
-zuweilen und führten eine muntere Unterhaltung. Andresen war auf
-irgendeine Weise in den Besitz eines goldenen Zwanzigkronenstücks
-gekommen, und nach diesem blitzblanken Goldstück verspürte Sivert
-großes Gelüste; aber Andresen wollte sich nicht davon trennen, er
-wickelte es in Seidenpapier und verwahrte es in seiner Truhe. Sivert
-schlug vor, sie wollten um das Geldstück losen, sie wollten darum
-kämpfen, aber darauf wagte Andresen sich nicht einzulassen. Sivert bot
-ihm dann zwanzig Kronen in Papier, und außerdem wollte er das ganze
-Moor allein entwässern, wenn er das Geldstück bekomme. Aber da war der
-Ladendiener Andresen beleidigt und sagte: So, damit du deinen Leuten
-zu Hause erzählen könntest, ich brächte es nicht fertig, im Moor zu
-arbeiten! Zuletzt einigten sie sich über fünfundzwanzig Kronen in
-Papier für das Goldstück, und Sivert lief in der Nacht nach Sellanraa
-und bekam das Papiergeld von seinem Vater.
-
-Ein jugendlicher Einfall, ein Einfall der wackeren, lebenskräftigen
-Jugend! Eine durchwachte Nacht, eine Meile hin, eine Meile her,
-den Tag darauf wieder die volle Arbeit -- das war nichts für den
-kräftigen jungen Mann, und es war ein schönes Goldstück. Es war nicht
-ausgeschlossen, daß sich Andresen wegen dieses guten Handels ein wenig
-über ihn lustig machte; aber da wußte Sivert guten Rat, er brauchte
-nur ein Wort von Leopoldine verlauten zu lassen, etwa: Ach ja, das ist
-wahr, ich sollte dich von Leopoldine grüßen! so hörte Andresen sofort
-auf und wurde dunkelrot.
-
-Es waren vergnügliche Tage für die beiden, während sie im Moor
-arbeiteten und sich zum Spaß stritten, wieder arbeiteten und wieder
-stritten. Zuweilen kam Eleseus zu ihnen heraus und half mit, aber
-er wurde rasch müde, er hatte weder einen starken Körper noch einen
-starken Willen, aber er war der liebenswürdigste Mensch. -- Da kommt
-die Oline! konnte der Schäker Sivert sagen. Nun mußt du heimgehen und
-ihr wieder ein halbes Pfund Kaffee verkaufen! Und das tat Eleseus
-gerne. Er ging hin und verkaufte Oline irgendeine Kleinigkeit. Solange
-brauchte er doch keine Schollen umzukehren.
-
-Und die arme Oline, sie mußte von Zeit zu Zeit ein paar Kaffeebohnen
-haben, ob sie nun ein seltenes Mal das Geld dazu von Axel bekam oder
-sich die Bohnen für einen kleinen Ziegenkäse eintauschte. Oline war
-nicht mehr so ganz unverändert, der Dienst auf Maaneland war im Grunde
-zu schwer für dies alte Weib und hatte an ihr gezehrt, aber doch nicht
-so sehr, daß sie ihr Alter oder ihre Hinfälligkeit zugegeben hätte,
-hoho, sie hätte ihre Meinung ordentlich gesagt, wenn ihr aufgekündigt
-worden wäre! Sie war zäh und nicht unterzukriegen, tat ihre Arbeit und
-fand noch Zeit, zu den Nachbarn zu wandern und einen kleinen, unendlich
-angenehmen Schwatz zu halten, den sie daheim vermissen mußte, denn Axel
-war kein Redner.
-
-Sie war unzufrieden mit der Gerichtsverhandlung, enttäuscht von dem
-Ausfall der Verhandlung, dem Freispruch auf der ganzen Linie. Daß
-Barbro, Bredes Tochter, ohne Strafe davonkam, wenn Inger auf Sellanraa
-acht Jahre bekommen hatte, das konnte Oline nicht fassen und begreifen,
-sie nahm ein ganz unchristliches Ärgernis daran, daß man gegen eine
-andere „so gütig gewesen war”. -- Aber der Allmächtige hat seine
-Meinung noch nicht kundgetan! sagte Oline und nickte mit dem Kopfe.
-Sie stellte damit ein mögliches späteres himmlisches Strafgericht in
-Aussicht. Natürlich war Oline außerstande, ihr Mißvergnügen über die
-Sache bei sich zu behalten; besonders wenn sie mit ihrem Hausherrn
-über das eine oder andere uneinig wurde, machte sie auf ihre Weise
-Andeutungen und wurde äußerst spitzig: Ja, ich weiß nicht, wie das
-Gesetz jetzt gegen die Sünder von Sodom und Gomorra geworden ist. Ich
-aber halte mich an Gottes Wort, so einfältig bin ich.
-
-Ach, Axel war seiner Haushälterin mehr als überdrüssig und wünschte sie
-dahin, wo der Pfeffer wächst. Nun kam das Frühjahr wieder, und er mußte
-wieder alle Feldarbeit allein verrichten. Dann kam die Heuernte, und
-er war verraten und verkauft. Das waren Aussichten! Seine Schwägerin
-auf Breidablick hatte heim nach Helgeland geschrieben und versucht,
-eine ordentliche weibliche Hilfskraft für ihn aufzutreiben, aber bis
-jetzt war es ihr noch nicht geglückt. Und jedenfalls hätte er dann das
-Reisegeld bezahlen müssen.
-
-Nein, das war eine böse und schlechte Tat von Barbro gewesen, das
-kleine Kind auf die Seite zu schaffen und selbst auf und davon zu
-gehen. Zwei Winter und einen Sommer hatte er sich nun mit Oline
-behelfen müssen, und es sah ganz so aus, als ob es noch länger so
-bleiben müßte. Aber nahm sich Barbro, die schlechte Person, dies
-irgendwie zu Herzen? Er hatte einmal während des Winters drunten
-im Dorf einige Worte mit ihr gesprochen, aber keine Träne war ihr
-langsam heruntergerollt und da festgefroren. -- Was ist aus den Ringen
-geworden, die ich dir gegeben habe? fragte er. -- Ringe? sagte sie. --
-Ja, Ringe. -- Die hab' ich nicht mehr. -- So, du hast sie nicht mehr?
--- Zwischen uns war ja alles aus, sagte sie, da konnte ich doch die
-Ringe nicht mehr tragen. Das ist nicht der Brauch, wenn doch alles aus
-ist. -- Ich möchte nur wissen, was du damit angefangen hast. -- Willst
-du sie wiederhaben? fragte sie. Ich hätte dich nicht für so gemein
-gehalten. -- Axel überlegte einen Augenblick, dann sagte er: Ich hätte
-dich dafür entschädigen können. Du hättest sie nicht umsonst hergeben
-müssen.
-
-Aber nichts da, Barbro hatte die Ringe abgelegt und gab Axel nicht
-einmal Gelegenheit, um einen billigen Preis zu einem goldenen und einem
-silbernen Ring zu kommen.
-
-Übrigens war Barbro nicht roh und häßlich, nein, das war sie
-keineswegs. Sie trug eine lange Schürze mit Trägern und Falten, und um
-ihren Hals stand ein weißer Streifen in die Höhe, das war hübsch. Die
-Leute behaupteten, sie habe sich im Dorf bereits wieder einen Schatz
-angeschafft, aber das war vielleicht nur Gerede; die Frau Lensmann
-hielt sie jedenfalls gut im Zaum und ließ sie in diesem Jahr durchaus
-nicht zum Weihnachtstanz gehen.
-
-Na, diese Frau Lensmann paßte wahrlich gut auf; während Axel auf der
-Straße mit seiner früheren Magd über zwei Ringe verhandelte, trat die
-Frau Lensmann plötzlich dazwischen und sagte: Du solltest mir doch
-etwas aus dem Laden holen, Barbro! -- Barbro lief davon. Nun wandte
-sich die Frau an Axel und sagte: Könntest du mir nicht irgendein Stück
-Schlachtvieh verkaufen? -- Hm! war alles, was Axel erwiderte, und er
-grüßte höflich.
-
-Es war ja gerade diese Frau Lensmann gewesen, die ihn im Herbst als
-einen ausgezeichneten, ja als einen der allerausgezeichnetsten Menschen
-gelobt und gepriesen hatte, das verdiente wohl ein Entgegenkommen.
-Axel kannte von früher her die ländliche Art des Benehmens, den
-großen Herren und der Obrigkeit gegenüber, und es hatte ihm ja auch
-gleich ein Stück Schlachtvieh, ein junges Rind, das er opfern könnte,
-vorgeschwebt. Aber es verging ein Tag um den andern, der ganze Herbst
-verging und ein Monat nach dem andern, und er sparte das Rind. Es sah
-nicht danach aus, als ob irgend etwas Schlimmes geschehen würde, wenn
-er es ganz behielte; er wäre jedenfalls um so viel ärmer, wenn er es
-weggäbe, und es war ein Staatsrind.
-
-Hm. Guten Tag! Nein, sagte Axel und schüttelte den Kopf, er habe kein
-Schlachtvieh. -- Es war, als ob die Frau seine innersten Gedanken
-erriete, denn sie sagte: Ich habe gehört, du habest ein junges Rind.
--- Jawohl, das hab' ich, erwiderte er. -- Willst du es aufziehen? --
-Ja, ich will es aufziehen. -- So, sagte die Frau Lensmann. Und hast du
-nicht einen Hammel? -- Nein, jetzt nicht. Ich habe nämlich nicht mehr
-Vieh behalten, als ich großziehen will. -- Nun ja, dann ist es eben
-nichts, sagte die Frau Lensmann, nickte ihm zu und ging.
-
-Axel fuhr nach Hause, aber er dachte weiter über diese Unterredung
-nach, und er fürchtete, er habe sich am Ende dumm benommen. Die
-Frau Lensmann war doch einmal eine wichtige Zeugin gewesen, für ihn
-und gegen ihn, aber eine wichtige Zeugin. Man hatte ihm ja allerlei
-nachgesagt, aber er war doch aus einer schwierigen und unheimlichen
-Geschichte mit einer Kindsleiche in seinem Walde glatt herausgekommen.
-Er mußte am Ende doch einen Hammel opfern.
-
-Übrigens merkwürdig, dieser Gedanke stand in einem fernen Zusammenhang
-mit Barbro. Wenn er mit einem Hammel zu ihrer Herrin kam, mußte Barbro
-doch einen gewissen Eindruck von ihm bekommen.
-
-Aber wieder verging ein Tag um den andern, und es geschah nichts
-Schlimmes durch den Aufschub. Als er wieder ins Dorf hinunterfuhr,
-nahm er keinen Hammel mit, nein; das tat er nicht. Aber im letzten
-Augenblick nahm er ein Lamm mit. Es war übrigens ein großes Lamm, also
-kein geringes Tier, und als er damit ankam, sagte er: Die Hammel haben
-ein zähes Fleisch, ich wollte Ihnen etwas wirklich Gutes bringen. --
-Aber die Frau Lensmann wollte nichts von einem Geschenk hören. Sag,
-was du für das Lamm haben willst, sagte sie. Diese Dame hielt etwas
-auf öffentliche Ordnung. Nein, danke, sie nahm keine Geschenke von den
-Leuten entgegen. Und die Sache lief wahrhaftig darauf hinaus, daß Axel
-sein Lamm gut bezahlt bekam.
-
-Barbro bekam er nicht zu Gesicht. Die Frau Lensmann hatte ihn wohl
-kommen sehen und Barbro aus dem Wege geschafft. Na, Glück zu, Barbro
-hatte ihn anderthalb Jahre lang um seine weibliche Hilfskraft betrogen!
-
-
-
-
-9
-
-
-Im Frühjahr ereignete sich etwas höchst Unerwartetes und dabei sehr
-Bedeutungsvolles: der Betrieb in den Kupfergruben sollte wieder
-aufgenommen werden, Geißler hatte seinen Berg verkauft. War das
-Unglaubliche geschehen? Ach, dieser Geißler war nun einmal ein
-unergründlicher Herr, er konnte tun und konnte lassen, verneinend den
-Kopf schütteln und bejahend nicken. Er konnte ein ganzes Dorf wieder
-zum Lächeln bringen.
-
-Hatte ihm am Ende doch das Gewissen geschlagen und wollte er den
-Bezirk, in dem er Lensmann gewesen war, nicht länger mit selbstgebauter
-Grütze und mit Geldmangel strafen? Oder hatte er gar seine
-Viertelmillion bekommen? Oder war vielleicht die Sache so, daß Geißler
-selbst Geld brauchte und den Berg für das, was er eben dafür bekam,
-verkaufen mußte? Fünfundzwanzigtausend oder fünfzigtausend sind ja
-schließlich auch ein schönes Geld. Es wurde übrigens behauptet, sein
-Sohn habe in seinem Namen das Geschäft abgeschlossen.
-
-Jedenfalls aber wurde der Betrieb wieder aufgenommen; derselbe
-Ingenieur mit verschiedener Arbeiterschaft kehrte zurück, und dieselbe
-Arbeit fing wieder an. Dieselbe Arbeit, ja, aber auf eine ganz andere
-Weise als früher, gerade umgekehrt.
-
-Alles schien ganz in Ordnung zu sein; die Schweden kamen mit Leuten
-und Dynamit und Geld, was konnte da noch fehlen? Und auch Aronsen
-kam wieder, der Kaufmann Aronsen, und wollte durchaus Storborg wieder
-kaufen. -- Nein, erklärte Eleseus, ich verkaufe nicht. -- Ihr werdet
-doch gewiß verkaufen, wenn Ihr Geld genug bekommt? -- Nein.
-
-Nein, Eleseus wollte Storborg nicht verkaufen. Die Sache war die, sein
-Dasein als Kaufmann auf dem Ödland kam ihm nicht mehr gar so elend
-vor; er hatte eine schöne Veranda mit bunten Glasscheiben, er hatte
-einen Ladendiener, der die Arbeit tat, er selbst konnte auf Reisen
-sein. Ja, reisen auf dem ersten Platz, zusammen mit vornehmen Leuten.
-Wenn er nur einmal ganz bis nach Amerika kommen könnte, daran hatte
-er schon oft gedacht. Schon allein von diesen Geschäftsreisen in die
-Städte im Süden, um Verbindungen anzuknüpfen, konnte er nachher immer
-noch lange zehren. Nicht, als ob er üppig gelebt hätte, mit eigenem
-Dampfschiff gefahren wäre und Orgien gefeiert hätte. Er und Orgien!
-Er war eigentlich ein sonderbarer Mensch, um Mädchen bekümmerte er
-sich gar nicht mehr, er ließ sie links liegen, hatte alles Herz für
-sie verloren. Nein, aber natürlich war er der Sohn des Markgrafen,
-der auf dem ersten Platz fuhr und vielerlei Waren kaufte. Er selbst
-kam jedesmal von seinen Ausflügen ein wenig feiner und vornehmer nach
-Hause, das letztemal kam er mit Galoschen an den Füßen zurück. Trägst
-du zwei Paar Schuhe? wurde er gefragt. -- Ja, ich leide an kalten
-Füßen, erklärte Eleseus. Und da hatte man herzliches Mitleid mit seinen
-kalten Füßen.
-
-Glückselige Tage, ein Herrenleben und Müßiggang! Nein, er wollte
-Storborg nicht verkaufen. Sollte er wieder in das Städtchen
-zurückkehren, von neuem in dem kleinen Bauernkramladen stehen und
-keinen Ladendiener unter sich haben? Übrigens hoffte er auch darauf, es
-werde sich von nun an ein ungeheurer Betrieb auf Storborg entwickeln;
-die Schweden waren zurückgekehrt und würden die Gegend mit Geld
-überschwemmen, er wäre ein Narr, wenn er verkaufen würde. Aronsen mußte
-einmal ums andere mit einer Absage seines Weges ziehen und entsetzte
-sich immer mehr über seine eigene Dummheit, das Ödland verlassen zu
-haben.
-
-Ach, Aronsen hätte mit seinen Selbstvorwürfen Maß halten und ebenso
-hätte Eleseus seine großen Erwartungen einschränken dürfen; aber vor
-allen Dingen hätten die Ansiedler und die Dorfbewohner weniger große
-Hoffnungen hegen und nicht lächeln und sich die Hände reiben sollen,
-wie es die Englein tun, weil sie selig sind; nein, das hätten die
-Ansiedler und Dorfbewohner durchaus nicht tun sollen, denn nun wurde
-die Enttäuschung gewaltig. Sollte man es glauben: die Grubenarbeit
-begann zwar ganz richtig, aber sie begann auf der andern Seite des
-Berges, zwei Meilen weit entfernt, am südlichen Ende von Geißlers
-Gebiet, weit drinnen in einem anderen Kirchspiel, das die diesseitigen
-Bewohner nichts anging. Von da aus sollte sich die Arbeit langsam nach
-Norden zu durchfressen, bis zu der ersten Fundstelle des Kupfers, bis
-zu Isaks Fundstelle, und ein Segen für das Ödland und das Dorf werden.
-Das würde im besten Fall viele Jahre dauern, vielleicht Menschenalter.
-
-Diese Erkenntnis kam und wirkte wie die ärgste Dynamitsprengung mit
-Bewußtlosigkeit und Taubheit. Die Dorfbewohner versanken in Kummer und
-Sorgen. Einige schimpften auf Geißler: dieser verfluchte Geißler habe
-ihnen wieder einen Possen gespielt; andere krochen zu einer Versammlung
-zusammen und schickten eine neue Gesandtschaft von Vertrauensmännern
-aus, diesmal zu der Grubengesellschaft, zu dem Ingenieur. Dieser
-Schritt führte zu gar nichts; der Ingenieur setzte ihnen auseinander,
-daß er mit der Arbeit auf der Südseite beginnen müsse, weil es von
-dort näher zum Meere sei, dort brauche man keine Luftbahn, dort sei
-fast gar kein Transport nötig. Nein, die Arbeit müsse auf der Südseite
-anfangen. Damit basta!
-
-Da reiste Aronsen sofort hinüber auf das neue Arbeitsfeld zu der neuen
-Goldgrube. Er wollte auch den Ladendiener Andresen mitnehmen. Wozu
-willst du hier im Ödland bleiben? sagte er. Es ist viel besser für
-dich, wenn du mit mir gehst. -- Aber der Ladendiener Andresen wollte
-das Ödland nicht verlassen, es war unbegreiflich, aber es war gerade,
-als ob ihn etwas hier fesselte; es schien ihm hier zu gefallen, er
-war hier festgewurzelt. Andresen selbst mußte sich verändert haben,
-das Ödland hatte sich nicht geändert. Hier waren die Leute und die
-Verhältnisse noch genau so wie früher: der Bergwerksbetrieb war zwar
-aus der Gegend verschwunden, aber keiner der Ödlandbewohner hatte
-darüber den Kopf verloren, sie hatten ihre Landwirtschaft, ihre Ernten
-und ihren Viehbestand. Bares Geld gab es allerdings nicht so viel bei
-ihnen, sie hatten alle Lebensbedürfnisse, einfach alle. Nicht einmal
-Eleseus verzweifelte darüber, daß der Geldstrom an ihm vorüberfloß;
-das schlimmste war, daß er in der ersten Begeisterung eine Menge
-unverkäuflicher Waren angeschafft hatte. Nun, die mußten eben vorläufig
-lagern bleiben, sie putzten den Laden heraus und dienten ihm zur Ehre.
-
-Nein, der Ödlandbauer verlor den Kopf nicht. Er fand die Luft nicht
-ungesund, hatte Bewunderer genug für seine neuen Kleider, er vermißte
-die Diamanten nicht, und Wein kannte er nur von der Hochzeit zu Kanaan.
-Der Ödlandbewohner quälte sich nicht wegen der Herrlichkeiten, auf die
-er verzichten mußte: Kunst, Zeitungen, Luxus, Politik waren gerade
-soviel wert, als die Menschen dafür bezahlen wollten, nicht mehr. Der
-Erntesegen aber mußte erarbeitet werden um jeden Preis, das war der
-Ursprung, die Quelle von allem und jedem.
-
-Was, das Leben des Ödlandbewohners öde und traurig? Hoho, nichts
-dergleichen! Er hatte seine höheren Mächte, seine Träume, sein
-Liebesleben, seinen reichen Aberglauben. Eines Abends geht Sivert
-den Fluß entlang und bleibt plötzlich stehen: im Wasser liegen zwei
-Wildenten, Ente und Enterich. Sie haben ihn entdeckt, haben den
-Menschen gesehen und sind scheu geworden, einer der Vögel sagt etwas,
-er stößt einen kurzen Laut aus, eine Melodie in drei Tönen, und der
-andere antwortet gleichlautend. Im selben Augenblick heben sie die
-Flügel und sausen wie zwei kleine Räder einen Steinwurf weit den Fluß
-hinauf, wo sie sich wieder aufs Wasser niederlassen. Da sagt der eine
-wieder etwas, und der andere antwortet; es ist dieselbe Sprache, wie
-das erstemal, aber so innig befreit, daß es eine kleine Seligkeit
-ist: die Töne sind zwei Oktaven höher gestimmt. Sivert steht da und
-betrachtet die Vögel, sieht an ihnen vorbei und weit ins Land der
-Träume hinein. Ein Laut ist in ihm erklungen, eine Süßigkeit in ihm
-aufgestiegen, er stand da mit einer zarten, feinen Erinnerung an etwas
-Wildes und Schönes, etwas früher Erlebtes, von dem die Erinnerung in
-ihm erloschen ist. Stille geht er nach Hause, er spricht nicht davon,
-plaudert nicht darüber, irdische Worte reichten dazu nicht aus. Es war
-Sivert von Sellanraa, jung und durchschnittlich ging er eines Tages aus
-und hatte dieses Erlebnis.
-
-Und das war nicht sein einziges Abenteuer, er erlebte noch andere. Aber
-er mußte auch das Abenteuer erleben, daß Jensine Sellanraa verließ. Das
-brachte große Unordnung in Siverts Gemütsleben.
-
-Ja, es kam wirklich so weit, daß Jensine fortging, sie wollte selbst
-gehen. Ach, Jensine war nicht die erste beste, das konnte niemand
-behaupten! Sivert hatte ihr einmal angeboten, sie wieder nach Hause
-zu fahren; bei der Gelegenheit hatte sie leider geweint, später aber
-hatten ihre Tränen sie gereut, und sie zeigte, daß sie bereute, sie
-kündigte. Jawohl, in aller Ordnung.
-
-Und nichts auf der Welt wäre Inger auf Sellanraa erwünschter gewesen,
-als daß Jensine ging; Inger hatte angefangen, unzufrieden mit ihrer
-Magd zu sein. Das war merkwürdig, denn sie hatte nichts an ihr
-auszusetzen, aber sie schien sie nur mit Überwindung ansehen und ihre
-Anwesenheit auf dem Hofe kaum noch ertragen zu können. Das hing wohl
-mit Ingers Gemütszustand zusammen: sie war den ganzen Winter über
-schwermütig und fromm gewesen und kam nicht darüber hinweg. Du willst
-gehen? Jawohl, geh nur, sagte Inger. Das war ein Segen, eine Erhörung
-nächtlicher Gebete. Es blieben trotzdem noch zwei erwachsene weibliche
-Personen auf dem Hofe, was sollte diese lebensfrische und mannbare
-Jensine hier? Mit Unwillen betrachtete Inger diese Mannbarkeit, und sie
-dachte wohl: gerade wie ich damals!
-
-Ihre große Frömmigkeit ließ nicht nach. Sie war nicht an sich
-lasterhaft, sie hatte gekostet, jawohl, sie hatte genippt, aber sie
-hatte nicht im Sinn, das bis ins Alter zu treiben, keine Rede davon.
-Inger wies diesen Gedanken mit Entsetzen von sich. Der Grubenbetrieb
-hörte auf, und alle Arbeiter verschwanden -- lieber Gott, nichts hätte
-besser sein können! Die Tugend war nicht nur erträglich, sie war
-notwendig, ein notwendiges Gut, eine Gnade.
-
-Allein die Welt war schlecht. Seht, da war nun Leopoldine, die kleine
-Leopoldine, ein Fruchtkeim, ein kleines Kind, und war zum Überfließen
-voll Gesundheit und Sünde. Wenn sich ihr ein Arm um die Mitte legte, so
-würde sie zusammensinken, pfui! Sie hatte Finnen im Gesicht bekommen,
-das deutete auf Wildheit im Blute, ach, die Mutter erinnerte sich
-wohl daran, damit begann die Wildheit im Blute. Die Mutter verdammte
-die Tochter durchaus nicht wegen dieser Finnen im Gesicht, aber sie
-wollte ihnen ein Ende machen. Leopoldine sollte damit aufhören. Was
-hatte auch dieser Ladendiener Andresen an den Sonntagen nach Sellanraa
-heraufzukommen und mit Isak von der Landwirtschaft zu schwatzen?
-Bildeten sich denn diese beiden Mannsleute ein, daß die kleine
-Leopoldine gar nichts merke? Oh, die Jugend war schon früher verrückt
-gewesen, vor dreißig, vierzig Jahren, aber jetzt war sie schlimmer
-geworden.
-
-Ja, wie es nun auch geht! sagte Isak, als sie davon sprachen. Jetzt
-ist das Frühjahr da, und Jensine ist fort, und wen können wir für die
-Sommerarbeit bekommen? -- Die Leopoldine und ich werden arbeiten,
-erklärte Inger. Lieber will ich Tag und Nacht arbeiten! rief sie erregt
-und dem Weinen nahe. -- Isak konnte sich diesen heftigen Ausbruch
-nicht erklären, aber er hatte seine eigenen Ansichten, deshalb ging
-er mit Hacke und Spaten an den Waldrand und fing an, einen Stein zu
-bearbeiten. Nein, wahrhaftig, Isak konnte nicht verstehen, daß die Magd
-Jensine fortgegangen war, sie war doch ein tüchtiges Mädchen gewesen.
-Er verstand im ganzen nur das Nächstliegende, die Arbeit, gesetzliches
-und natürliches Tun. Er war von rundem und gewaltigem Körperbau,
-niemand war weniger astral wie er, er aß wie ein rechter Mann, und es
-bekam ihm gut, deshalb kam er auch höchst selten aus dem Gleichgewicht.
-
-Da war nun also dieser Stein. Es waren noch viele andere Steine da,
-aber mit einem mußte er nun einmal anfangen. Isak sieht den Tag kommen,
-da er hier ein Häuschen bauen muß, eine Heimstätte für sich und Inger.
-Er will den Bauplatz ein wenig ebnen, während Sivert drunten auf
-Storborg ist, sonst muß er seinem Sohn eine Erklärung geben, und das
-möchte er vermeiden. Natürlich wird der Tag kommen, wo Sivert alle
-Gebäude auf dem Hofe für sich selbst braucht, dann müssen die Eltern
-eine Wohnung haben. Sie kamen ja mit dem Bauen auf Sellanraa niemals
-zu Ende, der große Futterboden auf dem steinernen Stall war auch noch
-nicht gebaut. Aber die Balken und die Bretter dazu lagen fertig da.
-
-Also da war nun dieser Stein. Was davon aus der Erde hervorragte, sah
-nicht besonders groß aus, aber er rührte und regte sich nicht, er mußte
-also doch ein gewaltiger Brocken sein. Isak grub rund darum herum und
-machte einen Versuch mit dem Spaten, aber der Stein rührte sich nicht.
-Er grub noch tiefer und versuchte es wieder -- nein. Nun mußte Isak
-nach Hause und eine Schaufel holen, um die lose Erde wegzuschaffen.
-Dann grub er wieder und probierte -- nein. Das ist einmal ein Block!
-dachte Isak in all seiner Geduld. Er grub nun schon eine gute Weile,
-der Stein reichte immer tiefer in die Erde hinunter, und er konnte
-ihn nirgends richtig anpacken. Es wäre doch recht ärgerlich, wenn er
-genötigt wäre, den Stein zu sprengen. Dann wären die Schläge, um das
-Bohrloch zu machen, weithin zu hören und würden alle Hausbewohner
-herbeirufen. Isak grub weiter, aber dann holte er eine Hebestange
-und versuchte es damit -- nein. Er grub wieder. Nun fing Isak doch
-allmählich an, etwas ärgerlich auf den Stein zu werden; er runzelte die
-Stirn und schaute ihn an, wie wenn er eben nur gekommen wäre, um die
-Steine hier ein wenig zu beaufsichtigen, und wie wenn gerade dieser
-Stein hier besonders dumm wäre. Er kritisierte ihn, er war so rund und
-dumm, er war nirgends zu fassen, ja, er meinte beinahe, er habe eine
-ganz verkehrte Form. Sollte er ihn sprengen? Keine Rede davon, wozu
-auch noch Pulver an ihn verschwenden! Oder sollte er ihn aufgeben,
-sollte er eine Art von Furcht zeigen, der Stein könnte ihm überlegen
-sein?
-
-Isak grub. Er mühte sich im Schweiße seines Angesichts, aber was war
-der Erfolg? Endlich bekam er die Spitze der Hebestange darunter und
-machte einen Versuch -- der Stein rührte sich nicht. Sachgemäß war an
-seinem Vorgehen nichts auszusetzen, aber es hatte keinen Erfolg. Was
-war denn das? Hatte er denn nicht auch sonst schon Steine ausgebrochen?
-War er alt geworden? Komisch, hehe! Lächerlich. Er hatte ja wohl
-neulich einmal Anzeichen von abnehmender Kraft bemerkt, das heißt,
-er hatte es nicht bemerkt, er hatte sich nicht darum gekümmert, es
-war Einbildung gewesen. Und nun geht er wieder an den Stein, völlig
-entschlossen, ihn zu heben.
-
-Oh, das war keine Kleinigkeit, wenn Isak sich über eine Hebestange
-legte und sich schwer machte! Da liegt er vorgebeugt und hebt und hebt,
-zyklopisch und mit außerordentlicher Kraft, mit einem Oberkörper, der
-bis zu den Knien zu reichen scheint. Es war ein gewisser Pomp und eine
-Pracht über ihm, sein Äquator war ungeheuer.
-
-Allein der Stein rührte sich nicht.
-
-Es half alles nichts, er mußte noch tiefer graben. Sollte er den Stein
-sprengen? Schweig still! Nein, aber er mußte noch tiefer graben. Er
-wurde sehr eifrig. Der Stein mußte und sollte heraus! Man konnte nicht
-sagen, es sei in diesem Trieb von seiten Isaks etwas Perverses gewesen;
-es war die alte Liebe des Ackerbauern zur Urbarmachung des Bodens, aber
-gänzlich ohne Zärtlichkeit. Es sah ganz närrisch aus, erst umkreiste
-er den Stein von allen Seiten, ehe er sich dranmachte, dann grub er
-ringsherum und betastete ihn und schaufelte die Erde mit den bloßen
-Händen weg, ja, das tat er. Aber das alles waren keine Liebkosungen.
-Es war ihm heiß geworden, aber heiß vor Eifer. Wie, wenn er es jetzt
-wieder mit der Hebestange versuchte? Er setzte sie da an, wo er sich am
-meisten Erfolg versprach -- nein. War das einmal ein merkwürdiger Trotz
-und Eigensinn von einem Stein! Aber jetzt schien es zu gehen. Isak
-versucht es noch einmal und bekommt Hoffnung, der Erdarbeiter hatte es
-im Gefühl, daß der Stein nicht mehr unüberwindlich war. Da glitt die
-Hebestange ab und warf Isak zu Boden. Verdammt! sagte er. Das fuhr ihm
-so heraus. Seine Mütze hatte zu gleicher Zeit einen Schupps gekriegt
-und saß nun so schief, daß er ganz spanisch, ganz räubermäßig aussah.
-Er spuckte aus.
-
-Da kommt Inger dahergegangen. Du mußt jetzt zum Essen kommen, Isak,
-sagt sie ganz lieb und freundlich. -- Ja, gibt er zur Antwort, aber
-er will nicht, daß sie näher herankommt, und er will kein Gerede.
-Ach, diese Inger, sie merkte gar nichts, sie kam näher. Was hast du
-dir jetzt wieder ausgedacht? fragt sie, denn sie möchte ihm damit
-schmeicheln, daß er sich fast jeden Tag etwas Neues und Großartiges
-ausdenkt. -- Aber Isak ist sehr grimmig, fürchterlich grimmig ist er,
-er erwidert: Das weiß ich nicht. -- Und Inger ihrerseits ist sehr
-töricht, sie fragt ihn und plaudert ihm noch allerlei vor und geht
-nicht. -- Da du es nun doch einmal gesehen hast, ich will diesen Stein
-herausheben, sagt er. -- So, du willst ihn herausheben? fragt sie. --
-Ja. -- Ich kann dir wohl nicht helfen? -- Isak schüttelt den Kopf. Aber
-es war doch ein hübscher Zug von Inger, daß sie ihm helfen wollte, und
-er konnte sie nicht länger zurückweisen. Wenn du ein klein wenig warten
-willst, sagt er und läuft nach Hause, um den Schmiedehammer und einen
-Meißel zu holen.
-
-Wenn er den Stein an der richtigen Stelle etwas uneben machte, indem
-er einen Splitter abschlug, so bekam die Hebestange einen besseren
-Halt. Inger hält den Meißel, und Isak schlägt zu. Ja, es gelingt, ein
-Splitter fällt ab. -- Ich danke dir für die Hilfe, sagt Isak. Und du
-sollst vorerst mit dem Essen nicht auf mich warten, ich will erst
-diesen Stein heraus haben.
-
-Allein Inger geht nicht, und im Grunde genommen ist es Isak auch lieb,
-daß sie stehenbleibt und ihm bei seiner Arbeit zuschaut, das hatte
-er schon in jungen Tagen gern gehabt. Und siehe da, er findet einen
-prächtigen Halt für die Hebestange und hebt -- der Stein bewegt sich!
--- Er bewegt sich! sagt Inger. -- Du willst mich doch nicht foppen?
-fragt Isak. -- Ich foppen! Er bewegt sich!
-
-Soweit war er gekommen, wahrhaftig, der Stein bewegte sich, er hatte
-den Stein für die Sache gewonnen, jetzt arbeiteten sie zusammen.
-Isak hebt und wiegt die Stange hin und her, und der Stein bewegt
-sich ein wenig, aber nicht mehr. Isak macht eine Weile so weiter,
-allein es führt zu nichts. Plötzlich sieht er ein, daß es sich nicht
-darum handelt, ob sein Körpergewicht zureicht, er hat nicht mehr
-die alte Kraft, das ist die Sache, er hat die zähe Biegsamkeit des
-Körpers eingebüßt. Körpergewicht? Es wäre ja gar nichts gewesen, sich
-über die schwere Stange zu legen und sie abzubrechen. Aber er hatte
-an Kraft verloren, so sah es aus. Das erfüllte den duldsamen Mann
-mit Bitterkeit; wenn nur wenigstens nicht Inger dabeigestanden und
-zugeschaut hätte!
-
-Plötzlich läßt er die Stange fahren und ergreift den Schmiedehammer.
-Der Zorn hatte ihn erfaßt, er war in der Stimmung, Gewalt zu
-gebrauchen. Seht, er hat immer noch die Mütze auf dem Ohre sitzen und
-sieht räubermäßig aus, jetzt läuft er mit gewaltigen Schritten rund
-um den Stein herum, als ob er sich selbst dem Stein gegenüber in das
-richtige Licht setzen wollte, ho, es sah aus, als ob er jetzt diesen
-Stein als eine Ruine hinter sich zurücklassen wollte. Warum sollte er
-das nicht tun? Einen Stein, den man tödlich haßt, zu zerschmettern, das
-ist nur Formsache. Und wenn der Stein Widerstand leistete, wenn er sich
-nicht zerschmettern ließ? Oh, es würde sich schon zeigen, wer von ihnen
-beiden der Überlebende sein würde!
-
-Aber jetzt redet Inger ein wenig ängstlich, denn sie merkt wohl, was in
-dem Manne gärt, sie sagt: Wie wär's, wenn wir uns beide auf den Balken
-da legten? und mit dem Balken meinte sie die Hebestange. -- Nein! rief
-Isak rasend. Aber nach einem Augenblick des Nachdenkens sagt er: ja,
-wenn du doch schon einmal da bist, aber ich begreife nicht, warum du
-nicht nach Hause gehst. Wir wollen's einmal versuchen!
-
-Und nun gelingt es ihnen, den Stein auf die Kante zu drehen. Es glückt.
-Puh! sagt Isak.
-
-Allein nun offenbart sich vor ihren Augen etwas Unerwartetes: die
-Unterseite des Steines ist eine Fläche, eine große schöne Fläche,
-eben, glatt wie der Fußboden. Der Stein ist also nur die Hälfte eines
-Steines, die andere Hälfte muß irgendwo in der Nähe liegen. Isak wußte
-wohl, daß die beiden Hälften eines Steines sehr gut eine verschiedene
-Lage in der Erde haben konnten, es war wohl der Frost gewesen, der sie
-im Laufe langer Zeiträume voneinander entfernt hatte. Aber dieser ganze
-Fund freut ihn außerordentlich. Oh, dieser Stein ist brauchbar, er gibt
-eine prächtige Türschwelle. Selbst eine größere Geldsumme würde das
-Herz des Ödlandbewohners nicht mit solcher Befriedigung erfüllt haben.
-Das ist eine feine Türschwelle, sagt er stolz, und Inger bricht im
-guten Glauben in die Worte aus: Ich begreife nur nicht, wie du das hast
-wissen können! -- Hm! sagt Isak. Meinst du, ich hätte für nichts hier
-in der Erde gegraben?
-
-Sie gehen zusammen nach Hause, Isak hat sich eine unverdiente
-Bewunderung erschlichen; die schmeckt aber nicht viel anders als die
-verdiente. Er setzt auseinander, daß er die ganze Zeit über auf der
-Jagd nach einer ordentlichen Türschwelle gewesen sei, jetzt habe er
-eine gefunden. Von jetzt an war es auch nicht mehr verdächtig, wenn er
-auf dem Bauplatz arbeitete, er konnte dort unter dem Vorwand nach der
-zweiten Hälfte der Türschwelle zu suchen, roden, soviel er wollte. Und
-als Sivert nach Hause kam, ließ sich Isak sogar von dem Sohne helfen.
-
-Aber wenn es so weit gekommen war, daß er nicht mehr allein hingehen
-und einen Stein aus der Erde brechen konnte, dann hatte sich viel
-geändert, dann sah es gefährlich aus, dann eilte es mit dem Bauplatz.
-Das Alter hatte Isak eingeholt, er fing an, für die Ausdingstube
-reif zu werden. Der Triumph, den er sich angeeignet hatte, als er
-die Türschwelle fand, verglühte im Laufe der Tage, er war unecht und
-undauerhaft gewesen. Isak fing an, etwas gebeugt zu gehen.
-
-War er denn nicht einstmals in seinem Leben aufmerksam und hellhörig
-geworden, sobald nur jemand Stein oder Graben zu ihm gesagt hatte? Das
-war noch gar nicht lange her, nur einige Jahre. Und damals mußte sich
-ja einer, der ein trocken gelegtes Moor nur mit einem schiefen Blick
-ansah, vor ihm in acht nehmen. Jetzt fing er so langsam und allmählich
-an, derartiges mit mehr Ruhe aufzufassen, ach ja, Herrgott im Himmel!
-Nichts war mehr so wie früher, das ganze Ödland hatte sich verändert,
-dieser breite Telegraphenweg durch den Wald war früher nicht da, die
-Berge droben am Wasser waren früher nicht gesprengt und durchwühlt
-gewesen. Und die Menschen? Sagten sie noch Grüß Gott! wenn sie kamen,
-und Behüt dich Gott! wenn sie gingen? Sie nickten nur, und oft das
-nicht einmal.
-
-Aber früher hatte es auch kein Sellanraa gegeben, nur eine Torfgamme;
-aber was war es jetzt? Und dann war auch früher kein Markgraf dagewesen.
-
-Ja, und was war der Markgraf jetzt! Nichts als ein trauriger und
-vertrockneter alter Mann. Was nützte es zu essen und gute Gedärme zu
-haben, wenn das keine Kraft mehr gab? Jetzt war es Sivert, der Kräfte
-hatte, und gottlob, daß er sie hatte; aber wie, wenn auch Isak selbst
-sie gehabt hätte! Wozu sollte es gut sein, daß sein Rad anfing sich
-langsamer zu drehen? Er hatte geschafft wie ein rechter Mann, sein
-Rücken hatte die Lasten eines Lasttiers getragen, jetzt sollte er
-Ausdauer darin zeigen, auf einem Hocker herumzusitzen.
-
-Isak ist mißvergnügt, Isak ist schwermütig.
-
-Da liegt ein alter Südwester auf dem Hügel und vermodert. Der Sturm
-hat ihn hierher an den Waldessaum geweht, oder vielleicht haben ihn
-auch die Kinder dorthin gebracht, als sie noch klein waren. Da liegt
-er nun ein Jahr ums andere und vermodert immer mehr, und er war doch
-einmal ein neuer Südwester gewesen, ein schöner gelber Südwester. Isak
-erinnert sich noch, wie er damit vom Kaufmann nach Hause kam, und wie
-Inger sagte, das sei ein schöner Südwester. Ein paar Jahre später ging
-er damit zum Maler ins Dorf hinunter und ließ ihn glänzend schwarz
-lackieren und den Schirm daran grün malen. Als er damit nach Hause kam,
-sagte Inger, er sei jetzt schöner als je. Inger gefiel immer alles
-ausgezeichnet, ach, das war eine schöne Zeit; er schlug Klafterholz,
-und Inger sah ihm zu, das war seine beste Zeit im Leben gewesen. Und
-wenn der März und April kam, dann wurden er und Inger verliebt, gerade
-wie die Vögel und Tiere des Waldes, und wenn der Mai kam, dann säte er
-Korn und legte Kartoffeln und arbeitete Tag und Nacht. Es gab Schlaf
-und Arbeit, Liebe und Träumerei, er war wie sein erster großer Stier,
-und der war ein Wundertier gewesen, groß und glänzend wie ein König,
-wenn er in seiner Pracht einherschritt. Aber einen solchen Mai bringen
-die Jahre jetzt nicht mehr, das gibt es nicht mehr.
-
-Einige Tage lang war Isak niedergeschlagen. Das waren dunkle
-Tage. Er fühlte weder Lust noch Kraft in sich, mit dem Aufbau des
-Futterspeichers zu beginnen. Das wird einmal Siverts Sache sein, jetzt
-galt es, das Ausdinghäuschen fertigzustellen. Auf die Dauer konnte er
-es nicht vor Sivert verborgen halten, daß es ein Bauplatz war, den er
-hier am Waldrand rodete, und eines Tages offenbarte er die Sache: Das
-da ist ein guter Stein, wenn wir einmal wieder etwas mauern wollen,
-sagte er. -- Und das da ist auch ein guter Stein, sagte er. -- Sivert
-verzog keine Miene, er erwiderte: Prächtige Grundsteine. -- Ja, was
-meinst du? sagt der Vater. Wir haben nun hier so lange nach der zweiten
-Türschwelle gegraben, daß ein ganz schöner Bauplatz entstanden ist.
-Aber ich weiß nicht. -- Das wäre wirklich kein dummer Bauplatz, sagte
-Sivert und läßt seinen Blick über den Platz hingleiten. -- So, meinst
-du? Wir könnten ja hier ein kleines Häuschen bauen für Besuche, wenn
-jemand kommt. -- Ja. -- Es müßte wohl eine Stube und eine Kammer
-sein? Du hast ja gesehen, wie es war, als die schwedischen Herren das
-letztemal hier waren, und jetzt haben wir keinen Neubau für sie. Aber
-was meinst du, eine kleine Küche müßte doch auch dabei sein, falls sie
-kochen wollten? -- Ja, ohne eine kleine Küche könnten sie nicht sein,
-sie müßten uns ja auslachen, sagt Sivert. -- So, meinst du?
-
-Der Vater schwieg. Aber der Sivert war doch ein wunderbarer Junge, wie
-schnell er begriff und einsah, was schwedische Herren alles notwendig
-brauchten; nicht eine einzige Frage stellte er, er sagte nur: Wenn ich
-du wäre, so würde ich an die Nordwand eine kleine Scheune anbauen.
-Es wäre sehr bequem für sie, wenn sie eine Scheune hätten, falls sie
-einmal nasse Kleider zum Trocknen aufhängen wollten.
-
-Der Vater fällt sofort ein: Da hast du recht!
-
-Nun schweigen beide und arbeiten an ihren Steinen weiter. Nach einer
-Weile fragt der Vater: Ist Eleseus noch nicht heimgekommen? -- Sivert
-erwidert ausweichend: Er kommt jetzt bald.
-
-Die Sache mit Eleseus war die, er war sehr häufig fort, wollte
-beständig reisen. Hätte er denn die Waren nicht auch schriftlich
-bestellen können, statt selbst hinzureisen und sie einzukaufen? Er
-bekam sie allerdings viel billiger, aber wieviel kosteten die Reisen!
-Er hatte eine so merkwürdige Art zu denken. Und was wollte er denn
-mit noch mehr Baumwollstoff und seidenen Bändern für Taufhäubchen und
-schwarzen und weißen Strohhüten und langen Tabakspfeifen? Derartiges
-kaufte doch kein Ödlandbewohner, und die Kunden aus dem Dorf kamen nur
-nach Storborg herauf, wenn sie kein Geld hatten. Eleseus war in seiner
-Art recht tüchtig, oh, man mußte nur einmal sehen, wie geschickt er
-auf Papier schrieb oder mit der Kreide rechnete! Wenn ich nur deinen
-Kopf hätte! sagten die Leute bei solchen Gelegenheiten. Das alles war
-ganz richtig, aber er hatte zuviel Geld ausstehen. Diese Dorfleute
-bezahlten ja niemals, was sie schuldig waren, und selbst so ein
-Bettelmann wie Brede Olsen war im Winter nach Storborg gekommen und
-hatte Baumwollstoff und Kaffee und Sirup und Kerzen auf Borg erhalten.
-
-Isak hat ja nun schon sehr viel Geld für Eleseus und sein Geschäft und
-seine Reisen ausgegeben, und so sehr viel von dem Reichtum, den er für
-den Kupferberg erhalten hat, ist nicht mehr übrig, und was dann? -- Wie
-glaubst du, daß das mit Eleseus weitergehen wird? fragt Isak plötzlich.
--- Weitergehen? fragt Sivert zurück, um Zeit zu gewinnen. -- Es sieht
-nicht aus, als ob es gehen wollte. -- Er selbst ist voll der besten
-Hoffnung, sagt Sivert. -- So, hast du mit ihm darüber gesprochen? --
-Nein, Andresen hat es gesagt. -- Der Vater denkt darüber nach und
-schüttelt den Kopf: Nein, es geht nicht, sagt er. Aber es ist schade um
-Eleseus!
-
-Und der Vater wird immer finsterer und war doch schon vorher nicht
-allzu leichten Sinnes gewesen.
-
-Da rückt Sivert mit einer Neuigkeit heraus: Es kommen jetzt noch
-mehr Ansiedler ins Ödland. -- Wieso? -- Ja, zwei neue Ansiedler. Sie
-haben sich noch weiter oben als wir angekauft. -- Isak bleibt mit dem
-Spaten in der Hand stehen, das war eine große Neuigkeit und eine gute
-Neuigkeit, eine von den besten. Dann sind wir zehn Ödlandbauern, sagt
-er. Isak bekommt nähere Auskunft, wo sich die neuen Ansiedler angekauft
-haben, er hat die ganze Geographie im Kopf und nickt: Ja, da haben sie
-recht getan, dort haben sie einen guten Wald für Brennholz und auch
-Hochstämme. Das Grundstück neigt sich gegen Südosten.
-
-Nein, nichts konnte die Ansiedler zurückhalten; es kamen immer mehr
-neue Leute her. Der Bergwerksbetrieb hörte allerdings auf, aber das war
-ja nur zum Nutzen der Landwirtschaft, es war nicht wahr, daß das Ödland
-tot dalag, im Gegenteil, es wimmelte da von Leben, zwei neue Ansiedler
-mehr, vier Hände mehr, Äcker, Wiesen und Häuser. Ach, die freien,
-grünen Halden im Walde, Hütten und Quellen, Kinder und Tiere! Korn
-wächst auf den Mooren, wo zuvor nur Schachtelhalme gestanden hatten,
-blaue Glockenblumen nicken von den Hügeln, Sonnengold leuchtet auf dem
-blühenden Hornklee vor den Häusern. Und Menschen sind da und sprechen
-und denken und sind eins mit Himmel und Erde.
-
-Hier steht nun der erste, der sich im Ödland niedergelassen hat. Als er
-kam, watete er bis an die Knie in Sumpf und Heide, er fand eine sonnige
-Halde und siedelte sich da an. Andere kamen nach ihm, sie traten einen
-Fußpfad durch die unbebaute Allmende, noch andere kamen, der Fußpfad
-wurde zu einem Fahrweg, nun fuhren sie mit Karren darauf. Isak muß sich
-zufrieden fühlen, Stolz muß ihn durchzucken, er hat den Grund zu dieser
-ganzen Ansiedlung gelegt, er ist der Markgraf.
-
-Ja, ja, aber wir können nicht ewig hier auf diesem Bauplatz
-weiterroden, wenn wir in diesem Jahr noch den Futterspeicher aufrichten
-wollen, sagt er.
-
-Und das sagte er wohl in einer plötzlichen frohen Laune, mit neuem
-Lebensmut.
-
-
-
-
-10
-
-
-Eine Frau wandert durch das Ödland hinauf. Es fällt ein milder
-Sommerregen, sie wird naß, aber darum kümmert sie sich nicht, sie hat
-anderes zu denken, sie ist sehr gespannt, ob -- es ist Barbro, und
-keine andere, Barbro, Bredes Tochter. Jawohl, sie darf wohl gespannt
-sein, sie kann nicht wissen, wie dieses Abenteuer ablaufen wird, aber
-sie ist von der Frau Lensmann entlassen und ist fort aus dem Dorf. So
-steht es.
-
-Sie macht einen Bogen um alle Ansiedlungen im Ödland herum, denn sie
-möchte alle Menschen vermeiden. Jedermann würde ja gleich erraten,
-wohin sie will, denn sie trägt ein Bündel mit Kleidern auf dem Rücken.
-Jawohl, sie will nach Maaneland und will wieder dort bleiben.
-
-Zehn Monate lang hat sie bei der Frau Lensmann gedient, und das ist
-keine kurze Zeit, wenn man sie in Tage und Nächte umrechnet, aber wenn
-man den Zwang und alle die hinausziehenden Gedanken bedenkt, dann ist
-es eine Ewigkeit. Im Anfang ging alles wirklich gut; Frau Heyerdahl war
-sehr besorgt um Barbro und gab ihr Schürzen und putzte sie heraus, es
-war eine Freude, in so schönen Kleidern in den Kaufladen geschickt zu
-werden. Barbro war ja schon als Kind hier im Dorf gewesen, sie kannte
-alle Leute von der Zeit her, wo sie hier in die Schule gegangen war
-und die Jungen geküßt und mit Steinen und Muscheln allerlei Spiele
-gespielt hatte. Ein paar Monate ging alles gut. Aber dann umsorgte die
-Frau Heyerdahl sie immer noch mehr, und als die Weihnachtsvergnügungen
-angingen, wurde Frau Heyerdahl streng. Aber wozu das alles, doch nur
-um das gute Verhältnis zu stören! Barbro hätte es überhaupt nicht
-ausgehalten, wenn sie nicht gewisse Nachtstunden für sich gehabt hätte:
-von zwei Uhr an bis morgens um sechs konnte sie ziemlich sicher sein,
-und sie gestattete sich manche verstohlene Freuden in diesen Stunden.
-Aber was für ein Mädchen war denn die Köchin, daß sie Barbro nicht
-anzeigte? Sie war das ganz gewöhnliche Dienstmädchen und ging selbst
-unerlaubterweise aus. Die beiden hielten abwechselnd Wache.
-
-Es verging auch eine recht lange Zeit, ehe sie entdeckt wurden. Barbro
-war keineswegs so leichtsinnig, daß ihr an die Stirn geschrieben
-gewesen wäre, an ihr sei nichts mehr zu verderben. Verderben?
-Sie widerstand so viel als nötig war. Wenn ein Bursche sie zum
-Weihnachtstanz einlud, so sagte sie das erstemal nein, das zweitemal
-auch, aber das drittemal sagte sie: Ich will sehen, ob ich von zwei
-bis sechs Uhr kommen kann. Seht, so antwortet ein anständiges Mädchen
-und macht sich nicht schlechter, als sie ist, und läßt keine Frechheit
-sehen. Sie war ein Dienstmädchen und diente die ganze Zeit und kannte
-kein anderes Vergnügen als Ausgelassenheit. Das war auch alles, was sie
-begehrte. Die Frau Lensmann hielt ihr lange Reden und borgte ihr Bücher
--- die Närrin! Barbro bildende Bücher leihen, die in Bergen gewesen
-war, Zeitungen gelesen und das Theater besucht hatte! Sie war doch
-nicht Gottes Wort vom Lande!
-
-Aber die Frau Lensmann mußte doch Verdacht geschöpft haben, eines
-Morgens um drei Uhr steht sie vor der Mägdekammer und ruft: Barbro!
--- Ja, antwortet die Köchin. -- Ist Barbro nicht da? Mach auf! --
-Die Köchin schließt auf und gibt die zuvor vereinbarte Erklärung:
-Barbro habe ganz notwendig auf der Stelle nach Hause laufen müssen.
--- Nach Hause, auf der Stelle? Es ist drei Uhr in der Nacht, sagt
-Frau Heyerdahl und hält mit ihrer Verwunderung darüber nicht zurück.
-Am anderen Morgen gab es ein großes Verhör; Brede wurde gerufen, und
-die Frau Lensmann fragte: Ist Barbro heute nacht um drei Uhr bei euch
-gewesen? -- Brede war nicht vorbereitet, aber er sagt sofort ja. --
-Jawohl um drei Uhr in der Nacht. Wir waren sogar solange aufgeblieben,
-weil wir etwas Wichtiges zu besprechen hatten, antwortete Barbros
-Vater. -- Darauf verkündet die Frau Lensmann feierlich: Barbro geht bei
-Nacht nicht mehr aus! -- Nein, gewiß nicht, erwidert Brede. -- Solange
-sie in meinem Hause ist wenigstens nicht. -- Nein. Ja, da hörst du's,
-Barbro, ich habe es dir gleich gesagt! spricht der Vater. -- Du kannst
-zuweilen vormittags zu deinen Eltern gehen, bestimmt die Frau Lensmann.
-
-Aber die wachsame Frau Lensmann hat darum ihren Verdacht doch nicht
-ganz aufgegeben; sie läßt eine Woche verstreichen, dann macht sie um
-vier Uhr morgens eine Stichprobe. Barbro! rief sie. Oh, aber diesmal
-war die Köchin aus, Barbro war daheim, und die Mägdekammer glänzte in
-Unschuld. Die Frau mußte schnell einen Vorwand erfinden. Hast du die
-Wäsche gestern abend hereingeholt? -- Ja! -- Das ist gut, denn es fängt
-an zu stürmen. Gute Nacht.
-
-Es war übrigens recht lästig für Frau Heyerdahl, sich von ihrem Mann in
-der Nacht wecken zu lassen und selbst zu den Mädchen hinüberzutappen,
-um nachzusehen, ob sie zu Hause seien! Geschehe, was da wolle, sie tat
-es nicht mehr.
-
-Und wenn nun das Glück sie nicht im Stich gelassen hätte, so hätte
-es Barbro auf diese Weise das Jahr durch mit ihrer Herrin aushalten
-können. Aber vor einigen Tagen hatte es einen Krach zwischen ihnen
-gegeben.
-
-Es war frühmorgens in der Küche. Zuerst hatte sich Barbro ein wenig
-mit der Köchin gezankt, ja, nicht nur so ganz wenig, sie sprachen
-lauter und lauter und vergaßen, daß Frau Heyerdahl kommen könnte.
-Die Köchin hatte sich schlecht benommen und hatte sich außer der
-Reihe fortgeschlichen, weil es Sonntagnacht gewesen war. Und womit
-entschuldigte sie sich? Sagte sie, sie habe fort müssen, um sich von
-einer teuren Schwester zu verabschieden, die nach Amerika reise?
-Keine Spur, sie entschuldigte sich gar nicht, sondern behauptete, sie
-habe diese Sonntagnacht gut gehabt. -- Daß du auch gar keine Ehre und
-Wahrhaftigkeit im Leibe hast, du Canaille! rief Barbro.
-
-Da stand Frau Heyerdahl unter der Tür.
-
-Sie hatte sich vielleicht ursprünglich nur eine Erklärung für dieses
-laute Geschrei ausbitten wollen, erwiderte auch noch den Mädchen ihren
-Morgengruß, aber dann sah sie plötzlich Barbro scharf an, sah Barbros
-Brusttuch an, beugte sich vor und sah noch näher zu. Das fing an
-unheimlich zu werden. Und plötzlich stößt Frau Heyerdahl einen Schrei
-aus und weicht zur Tür zurück. Was in aller Welt ist das? denkt Barbro
-und schaut an sich herunter. Lieber Gott, nichts als eine Laus! Barbro
-muß ein wenig lächeln, und da es ihr nicht ungewohnt ist, auch in
-außerordentlichen Umständen zu wissen, was sie zu tun hat, knipst sie
-die Laus weg. -- -- Was, auf den Fußboden! schreit die Frau Lensmann.
-Bist du verrückt! Gleich nimm das Tier auf! -- Ja, Barbro beginnt
-zu suchen und ist wieder rasch gefaßt, sie tut, als ob sie die Laus
-gefunden hätte und wirft sie großartig ins Küchenfeuer.
-
-Wo hast du die her? fragt die Frau erregt. -- Wo ich die her habe?
-antwortet Barbro. -- Ja, ich will wissen, wo du gewesen bist und sie
-dir geholt hast. Antworte! -- Nun machte Barbro den großen Fehler, daß
-sie nicht sagte: Im Kaufladen! Das wäre das einzig richtige gewesen.
-Nein, sie wußte nicht, wo sie die Laus aufgelesen haben könnte, aber
-sie deutete an, sie habe sie vielleicht durch die Köchin bekommen. Da
-fuhr die Köchin plötzlich hoch auf: Du von mir! Du bringst es für dich
-allein fertig, dir Läuse zu holen! -- Aber du warst es doch, die heute
-nacht aus war!
-
-Abermals ein großer Fehler, das hätte sie niemals sagen sollen. Nun
-hatte die Köchin auch keinen Grund mehr zu schweigen, und alles von
-den unglückseligen Nächten außer dem Hause kam an den Tag. Frau
-Heyerdahl ist in höchster Erregung; von der Köchin will sie nichts,
-ihre Erregung gilt Barbro, dem Mädchen, für das sie eingestanden ist.
-Und dennoch hätte vielleicht auch jetzt noch alles gerettet werden
-können, wenn Barbro ihr Haupt gebeugt hätte wie ein Schilfrohr, und zu
-Boden gesunken wäre und sich hoch und teuer verschworen hätte, es in
-Zukunft nie mehr zu tun. Aber nein, Frau Heyerdahl mußte schließlich
-ihr Kindermädchen daran erinnern, was sie alles für sie getan hatte,
-und da gab Barbro wahrhaftig Antwort, sie trumpfte auf, so dumm war
-sie. Ja, oder vielleicht war sie auch so klug, vielleicht wollte sie
-die Sache auf die Spitze treiben, um von da wegzukommen. Frau Heyerdahl
-sagte: Ich habe dich aus den Klauen des Löwen gerissen. -- Was das
-betrifft, erwiderte Barbro, so wäre es mir ebenso lieb, wenn Ihr es
-nicht getan hättet. -- Ist das der ganze Dank, den ich bekomme? rief
-Frau Heyerdahl. -- Ach, was soll das Gerede! sagte Barbro. Vielleicht
-wäre ich verurteilt worden, aber mehr als ein paar Monate hätte man mir
-jedenfalls nicht gegeben, und dann wäre ich die Geschichte los! -- Frau
-Heyerdahl ist einen Augenblick sprachlos, ja, eine Weile steht sie nur
-da, öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Das erste Wort, das sie
-herausbringt, ist die Kündigung. -- Ja, ganz wie Ihr wollt, ist alles,
-was Barbro erwidert.
-
-Während der Tage, die seither verflossen sind, hat sich Barbro bei
-ihren Eltern aufgehalten. Aber dort konnte sie nicht immer bleiben.
-Oh, es ging ihnen nicht schlecht, die Mutter trieb jetzt einen
-Kaffeeausschank, und es kamen immer viele Leute ins Haus; aber davon
-konnte Barbro nicht leben, und sie konnte ja auch andere gute Gründe
-haben, warum sie wieder in eine feste Stellung kommen wollte. So nahm
-sie also heute einen Sack mit Kleidern auf den Rücken und wanderte ins
-Ödland hinauf. Nun kam es darauf an, ob Axel Ström sie wieder aufnehmen
-würde! Aber sie hatte am letzten Sonntag das Aufgebot verkünden lassen.
-
-Es regnet, der Weg ist schmutzig, aber Barbro geht weiter. Es wird
-Abend, und da der Sankt-Olafstag noch nicht gewesen ist, wird es nicht
-dunkel. Arme Barbro, sie schont sich nicht, sie hat eine bestimmte
-Absicht, sie hat ein Ziel, und so nimmt sie den ersten Kampf auf.
-Sie hat sich im Grunde niemals geschont, ist niemals träge gewesen,
-darum ist sie auch ein schönes und feines Geschöpf. Barbro hat eine
-leichte Auffassungsgabe, gebraucht sie jedoch oftmals zu ihrem eigenen
-Verderben. Was war auch anderes zu erwarten? Sie hat gelernt, sich
-von einer Not in die andere zu retten, aber sie hat verschiedene gute
-Eigenschaften behalten; der Tod eines Kindes ist ihr nichts, aber ein
-lebendes Kind könnte es gut bei ihr haben. Außerdem hat sie ein sehr
-musikalisches Ohr, sie klimpert weich und richtig auf der Gitarre und
-singt mit etwas heiserer Stimme dazu, was angenehm und etwas wehmütig
-anzuhören ist. Sich selbst schonen? Ho, so wenig, daß sie sich selbst
-völlig weggeworfen und den Verlust nicht einmal empfunden hatte. Dann
-und wann weinte sie, und das Herz wollte ihr über dies und jenes in
-ihrem Leben fast brechen; das gehört dazu, das kommt von den rührenden
-Liedern, die sie singt, das ist die Poesie und die süße Wonne der
-Wehmut in ihr, sie hat häufig sich selbst und andere damit angeführt.
-Hätte sie ihre Gitarre mit sich nehmen können, so hätte sie heute abend
-Axel etwas vorgeklimmpert.
-
-Sie richtet sich so ein, daß sie spät anlangt, und auf Maaneland ist
-alles still, als sie den Hofraum betritt. Sieh, Axel hat schon in der
-Nähe des Hauses mit dem Mähen begonnen und wahrhaftig auch schon etwas
-trockenes Heu eingefahren! Nun überlegt sich Barbro, die alte Oline
-werde drinnen in der Schlafkammer schlafen und Axel in der Heuscheune,
-wo sie selbst früher geschlafen hatte. Wie ein Dieb in der Nacht
-schleicht sie auf die bekannte Tür zu, dann ruft sie leise: Axel! --
-Was gibt's? antwortet Axel sofort. -- Ich bin's nur, sagt Barbro und
-tritt zu ihm ein. Kannst du mich über Nacht hierbehalten?
-
-Axel schaut sie an, er ist etwas langsam, er sitzt in seinen
-Unterkleidern da und schaut sie an. So, du bist's? sagt er. Wo willst
-du hin? -- Ja, das kommt nun zuerst darauf an, ob du eine Hilfe für
-die Sommerarbeit brauchst, erwidert sie. -- Axel denkt darüber nach
-und fragt: Bleibst du nicht mehr dort, wo du gewesen bist? -- Nein,
-bei Lensmanns hab' ich Schluß gemacht. -- Ich könnte recht gut eine
-Hilfe für die Sommerzeit brauchen, sagt Axel. Aber was soll das heißen,
-willst du etwa wiederkommen? -- Nein, du brauchst dich gar nicht um
-mich zu kümmern, wehrt Barbro ab. Morgen geh ich weiter, ich geh nach
-Sellanraa und über die Berge, dort hab' ich eine Stelle. -- So, du hast
-dich verdingt? -- Ja. -- Ich könnte wohl eine Hilfe für den Sommer
-brauchen, wiederholt Axel.
-
-Barbro ist ganz naß, sie hat Kleider in ihrem Bündel bei sich und muß
-sich umziehen. Kümmere dich gar nicht darum, daß ich hier bin, sagt
-Axel und weicht nur ein wenig nach der Tür zurück. Barbro zieht die
-nassen Kleider aus, und währenddessen sprechen sie miteinander, und
-Axel dreht öfters den Kopf nach ihr um. -- Aber jetzt mußt du ein wenig
-hinausgehen, sagt Barbro. -- Hinausgehen? fragt er. Und es war auch
-wirklich kein Wetter zum Hinausgehen. Er steht da und sieht zu, wie
-sie immer nackter wird, er kann kein Auge von ihr abwenden; und wie
-gedankenlos Barbro ist, sie hätte gut immer ein trockenes Stück anlegen
-können, wenn sie das nasse abzog, aber das tat sie nicht. Ihr Hemd
-ist ganz dünn und klebt an ihrem Körper, sie knöpft es auf der einen
-Achsel auf und wendet sich um, sie ist sehr geübt. In diesem Augenblick
-schweigt Axel bumsstill und sieht, daß sie nur einen Griff oder zwei
-braucht, um das Hemd abzuziehen. Das ist prachtvoll gemacht, denkt er.
-Und da bleibt sie nun ganz gedankenlos stehen.
-
-Später liegen sie im Heu und unterhalten sich. Jawohl, er brauche eine
-Hilfe für den Sommer, das sei schon wahr. -- Ja, so sagte man mir,
-stimmt Barbro bei. -- Er habe auch in diesem Jahr wieder allein mit
-dem Mähen und Heumachen anfangen müssen, Barbro könne wohl verstehen,
-wie ratlos er sei. -- Ja, Barbro verstand alles. -- Andrerseits sei es
-doch gerade Barbro gewesen, die damals davongelaufen sei und ihn ohne
-weibliche Hilfe zurückgelassen habe; das könne er nicht vergessen, und
-die Ringe habe sie auch mitgenommen. Und zu aller Schmach sei auch
-noch ihre Zeitung immer weiter gekommen, diese Bergensche Zeitung,
-die er gar nicht loswerden konnte, und er habe sie hinterher noch
-für ein ganzes Jahr bezahlen müssen. -- Das war ja ein schändliches
-Blatt, sagte Barbro und stellte sich die ganze Zeit auf seine Seite.
-Aber bei so großer Willfährigkeit konnte auch Axel kein Unmensch
-sein, er gab zu, daß Barbro Grund gehabt haben könnte, sich auch über
-ihn zu ärgern, weil er die Aufsicht über die Telegraphenlinie ihrem
-Vater weggenommen hatte. Übrigens kann dein Vater den Telegraphen
-wiederhaben, ich mache mir nichts daraus, es ist nur Zeitverlust.
--- Ja, sagte Barbro. -- Axel überlegte eine Weile, dann fragte er
-geradezu: Ja, wie ist das, willst du nur den Sommer über bleiben? --
-Ach, das soll so werden, wie du es haben willst, entgegnete Barbro. --
-So, ist das deine aufrichtige Meinung? -- Ja, genau was du willst, das
-will ich auch. Du brauchst nicht mehr an mir zu zweifeln. -- So. --
-Nein. Und ich hab' uns auch in der Kirche aufbieten lassen.
-
-So. Das war keine schlimme Kunde. Axel blieb ruhig liegen und
-überlegte. Wenn es diesmal Ernst war und nicht wieder ein schändlicher
-Verrat, so hatte er die eigene Frau im Hause, und es war ihm für alle
-Zeit geholfen. -- Ich hätte eine Frau von daheim haben können, sagte
-er. Sie hat geschrieben, sie wolle mich haben. Aber ich hätte ihr die
-Rückreise von Amerika bezahlen müssen. -- Barbro fragt: So, ist sie in
-Amerika? -- Ja, sie ist voriges Jahr hingereist; aber es gefällt ihr
-nicht dort. -- Nein, du mußt dich nicht um sie kümmern! erklärt Barbro.
-Was würde sonst aus mir? fragt sie und beginnt zu weinen. -- Darum hab'
-ich es auch nicht fest mit ihr gemacht, sagt Axel.
-
-Nun wollte Barbro aber auch nicht zurückstehen, sie bekannte, daß sie
-in Bergen einen Mann hätte haben können, er sei Bierführer bei einer
-gewaltig großen Brauerei, und ihm sei viel anvertraut. Und er grämt
-sich gewiß immer noch um mich, sagt Barbro schluchzend. Aber weißt du,
-wenn zwei Leute so viel miteinander gehabt haben wie du und ich, Axel,
-dann kann ich nicht vergessen, wenn du auch längst vergessen hast. --
-Wer, ich? erwidert Axel. Nein, darum brauchst du nicht zu weinen, ich
-habe dich niemals vergessen. -- So.
-
-Dieses Zugeständnis ist Barbro eine große Hilfe, und sie sagt:
-Unsinn, was willst du denn das viele Reisegeld ganz von Amerika
-herüber bezahlen, wenn du es doch nicht nötig hast. -- Sie rät ihm von
-der ganzen Sache ab, es würde zu teuer, und er sei doch nicht dazu
-gezwungen. Barbro schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, sein
-Glück selbst zu begründen.
-
-Im Lauf der Nacht werden sie einig. Sie waren einander ja nicht fremd
-und hatten schon oft alles miteinander besprochen. Auch die notwendige
-Trauung sollte noch vor dem Sankt-Olafstag und der Heuernte vor sich
-gehen, sie hatten nicht nötig, sich zu verstellen, und Barbro drängte
-jetzt selbst am eifrigsten. Axel stieß sich nicht daran, daß Barbro
-es jetzt so eilig hatte, und es erweckte auch keinen Verdacht in ihm,
-im Gegenteil, ihre Eile schmeichelte ihm und feuerte ihn an. Jawohl,
-er war ein Ödlandbewohner, ein wetterfester Mann, er nahm es nicht so
-genau, war wahrlich nicht überfein, er war zu allerlei genötigt, er sah
-auf den Nutzen. Dazu kam noch, daß ihm Barbro wieder ganz neu und schön
-erschien, beinahe reizender als zuvor. Sie war ein frischer Apfel, und
-er biß hinein. Sie waren ja bereits aufgeboten.
-
-Über die Kindsleiche und die Gerichtsverhandlung schwiegen alle beide.
-
-Dagegen redeten sie von Oline, und wie sie sie loswerden könnten? Ja,
-sie muß zum Hause hinaus, erklärte Barbro. Wir sind ihr keinen Dank
-schuldig. Sie ist nichts als ein Klatschweib voller Bosheit. -- Aber es
-erwies sich als sehr schwierig, Oline loszuwerden.
-
-Gleich am ersten Morgen, als Barbro zum Vorschein kam, ahnte Oline
-ihr Schicksal. Ihr wurde sofort schlimm zumute, aber sie verbarg das
-und nickte und bot Barbro einen Stuhl an. Es war doch auf Maaneland
-einen Tag nach dem andern gegangen. Axel hatte Wasser und Brennholz
-herbeigetragen und ihr die schwersten Arbeiten abgenommen, und den
-Rest hatte Oline fertiggebracht. Im Lauf der Zeit hatte sie sich
-entschlossen, bis zum Ende ihres Lebens auf der Ansiedlung zu bleiben,
-aber da kam diese Barbro und machte diesen Plan zunichte.
-
-Wenn eine Kaffeebohne im Hause wäre, so hätte ich dir einen Kaffee
-gemacht, sagte sie zu Barbro. Willst du noch weiter hinauf in die
-Berge? -- Nein, erwiderte Barbro. -- So, du willst nicht weiter hinauf?
--- Nein. -- Nun, mich geht es ja nichts an, sagte Oline. Willst du
-wieder hinunter? -- Nein, auch das nicht, ich bleibe jetzt wieder hier.
--- So, du willst wieder hierbleiben? -- Ja, so wird's wohl kommen.
-
-Oline wartet eine Weile, sie gebraucht ihren alten Kopf, der steckt
-bereits voller Politik: Ja, sagt sie. Dann kann ich hier loskommen.
-Das freut mich sehr. -- So, ist Axel ein so scharfer Herr gewesen?
-sagt Barbro im Scherz. -- Scharf? Er? Geh doch und treibe nicht deinen
-Spaß mit einer alten Frau, die nur noch auf die Erlösung wartet. Er,
-der Axel ist wie ein Vater und eine höhere Fügung für mich gewesen,
-jeden Tag und jede Stunde, anders kann ich nicht sagen. Aber ich habe
-nun einmal niemand von den Meinigen hier in der Gegend, ich stehe
-einsam und verlassen auf anderer Leute Eigentum und habe alle meine
-Angehörigen auf der andern Seite des Gebirges.
-
-Aber Oline blieb da. Sie war nicht eher als nach der Trauung zu
-entbehren, und Oline sträubte sich lange, sagte aber endlich ja, sie
-wolle ihnen die Gefälligkeit erweisen und das Haus hüten und für
-das Vieh sorgen, während sie getraut würden. Das nahm zwei Tage in
-Anspruch. Als aber die Neuverheirateten heimkamen, ging Oline doch
-nicht. Sie verschob es immer wieder, den einen Tag behauptete sie, es
-sei ihr nicht gut, den andern sah es aus, als ob es regnen wollte.
-Sie schmeichelte Barbro, es sei jetzt auf Maaneland mit der Kost ganz
-anders geworden und doch auch Kaffee im Hause! Oh, Oline scheute vor
-nichts zurück, sie fragte Barbro bei Dingen um Rat, die sie selbst viel
-besser wußte. Was meinst du, soll ich die Kühe nach der Reihe melken,
-wie sie im Stall stehen, oder soll ich Bordelin zuerst nehmen? -- Das
-kannst du halten, wie du willst. -- Ja, hab' ich es nicht gesagt! ruft
-Oline. Du bist draußen in der Welt unter hohen und vornehmen Leuten
-gewesen und hast alles gelernt. Mir armen Person ist's nicht so gut
-gegangen.
-
-Nein, Oline scheute vor nichts zurück, sondern trieb Politik Tag und
-Nacht. Erzählte sie nicht Barbro, wie sehr gut Freund sie mit ihrem
-Vater, mit Brede Olsen, sei! Ho, sie habe manche vergnügte Stunde mit
-ihm verplaudert, er sei so ein netter und freundlicher Mann, der Brede,
-nie höre man ein unfreundliches Wort aus seinem Munde!
-
-Aber es ging doch nicht auf die Dauer, weder Axel noch Barbro wollte
-Oline länger im Hause behalten, und Barbro nahm ihr alle Arbeit aus der
-Hand. Oline beklagte sich nicht, aber sie sagte mit einem gefährlichen
-Seitenblick auf die Hausfrau und mit leicht verändertem Tone: Ja, ihr
-seid jetzt große Leute, sagte sie. Der Axel hat letzten Herbst eine
-Reise in die Stadt gemacht, hast du ihn dort getroffen? Ach nein, du
-bist ja in den Bergen gewesen. Er hatte etwas in der Stadt zu besorgen,
-er hat eine Mähmaschine und einen Reolpflug gekauft. Was sind die auf
-Sellanraa gegen euch? Gar nicht zu vergleichen!
-
-Oline versetzte kleine Nadelstiche, allein auch das half nichts, die
-Herrschaft fürchtete sich nicht vor ihr, Axel sagte ihr eines Tages
-geradeheraus, daß sie jetzt gehen müsse. -- Gehen? fragte Oline. Wie
-denn? Muß ich kriechen? Sie weigerte sich zu gehen unter dem Vorwand,
-daß sie nicht recht gesund sei und die Beine nicht rühren könne. Und so
-schlimm mußte es wirklich gehen: als ihr die Arbeit abgenommen war und
-sie kein Feld der Tätigkeit mehr hatte, da fiel sie zusammen und wurde
-tatsächlich krank. Sie schleppte sich noch eine Woche lang umher, Axel
-schaute sie wütend an, aber Oline blieb aus lauter Bosheit, und zuletzt
-mußte sie sich zu Bett legen.
-
-Aber nun lag sie keineswegs nur da und wartete auf ihre Erlösung, sie
-sprach im Gegenteil stundenlang davon, daß sie bald wieder gesund
-werde. Sie begehrte den Doktor, eine Großartigkeit, die im Ödland
-völlig unbekannt war. -- Den Doktor? sagte Axel fragend. Bist du nicht
-bei Trost? -- Wieso? fragte Oline sanft zurück und verstand rein gar
-nichts. Ja, sie war ganz sanft und mild und sprach sich so erfreut aus,
-daß sie niemand zur Last falle, sie könne den Doktor selbst bezahlen.
--- So, das kannst du? sagte Axel. -- So, kann ich es vielleicht nicht?
-entgegnete Oline. Und außerdem werde ich doch nicht angesichts des
-Erlösers wie ein Tier hier verenden sollen? -- Jetzt mischte sich
-Barbro ein und fragte unvorsichtigerweise: Was fehlt dir denn? Ich
-bringe dir doch deine Mahlzeiten. Aber den Kaffee habe ich dir in guter
-Absicht versagt. -- Bist das du, Barbro? fragt Oline und dreht nur die
-Augen nach ihr hin. Sie ist sehr elend und sieht mit den verdrehten
-Augen ganz unheimlich aus. Es wird wohl so sein, wie du sagst, Barbro,
-daß ich von einem winzigen Tröpfchen Kaffee, einem Löffelchen voll
-Kaffee viel kränker würde. -- Wenn du wärest wie ich, so hättest du
-jetzt an anderes zu denken als an Kaffee, sagte Barbro. -- Habe ich es
-nicht gesagt? Du hast noch nie eines Menschen Tod gewollt, sondern daß
-er sich bekehre und lebe. Aber was -- was sehe ich? Bist du denn in
-der Hoffnung, Barbro? -- Ich! rief Barbro und fügte wütend hinzu: Du
-gehörst auf den Mist geworfen mit deinem Mundwerk!
-
-Hier schweigt die Kranke einen Augenblick nachdenklich, und ihr Mund
-zittert, als ob er durchaus lächeln möchte und doch nicht dürfe. --
-Ich habe heute nacht jemand rufen hören, sagt sie. -- Sie ist nicht
-bei sich! flüstert Axel. -- Doch, ich bin ganz bei mir. Es war gerade,
-als ob jemand riefe. Es kam aus dem Wald oder vom Bach her. Es war
-sonderbar, gerade wie das Schreien eines kleinen Kindes. Ist Barbro
-hinausgegangen? -- Ja, sagte Axel, sie will deine Narrheiten nicht
-länger mit anhören. -- Ich spreche keine Narrheiten, ich bin nicht
-so von Sinnen, wie ihr meint, sagte Oline. Nein, das ist nicht des
-Allmächtigen Wunsch und Wille, daß ich jetzt schon mit allem, was ich
-von Maaneland weiß, zum Thron des Lammes eingehen soll. Ich werde wohl
-wieder gesund. Aber du sollst mir den Doktor holen, Axel, dann geht es
-schneller. Was ist das für eine Kuh, die du mir geben willst? -- Was
-für eine Kuh? -- Die Kuh, die du mir versprochen hast. Ist es Bordelin?
--- Du sprichst in den Tag hinein, sagt Axel. -- Du weißt, daß du mir
-eine Kuh versprochen hast, damals, als ich dir das Leben rettete. --
-Nein, das weiß ich nicht.
-
-Da hebt Oline den Kopf und schaut ihn an. Sie ist ganz kahlköpfig und
-grau, ihr Kopf sitzt auf einem langen Vogelhals, sie sieht hexenmäßig
-und fürchterlich aus, Axel fährt zurück und greift rückwärts nach der
-Türklinke. -- So, sagt Oline, du bist von der Sorte! Dann sprechen wir
-vorerst nicht mehr davon. Ich kann auch ohne die Kuh leben und werde
-sie nicht mehr in den Mund nehmen. Aber es ist gut, daß du dich genau
-als der Mann gezeigt hast, der du bist, so weiß ich es für ein andermal.
-
-Aber in der Nacht starb Oline, zu irgendeiner Stunde in der Nacht,
-jedenfalls war sie bereits kalt, als sie morgens zu ihr hereinkamen.
-
-Die alte Oline, geboren und gestorben ...
-
-Es war weder Axel noch Barbro unlieb, daß sie Oline für immer begraben
-konnten, sie brauchten jetzt nicht mehr so auf der Hut zu sein, sie
-konnten vergnügt leben. Barbro klagt wieder über Zahnweh, sonst ist
-alles gut. Aber dieses ewige wollene Tuch um den Mund, das sie immer
-wegziehen muß, wenn sie ein Wort reden will, ist keine kleine Plage,
-und Axel kann das viele Zahnweh nicht begreifen. Er hatte wohl die
-ganze Zeit her ihre vorsichtige Art zu kauen beobachtet, aber es fehlte
-ihr doch kein Zahn im Mund. -- Hast du dir denn keine neuen Zähne
-machen lassen? fragt er. -- Doch. -- Ja, tun die denn auch weh? --
-Spotte nicht so! erwidert Barbro erzürnt, obgleich er wirklich in gutem
-Glauben gefragt hatte. Und in ihrer Bitterkeit kommt sie dazu, bessere
-Auskunft zu geben: Du siehst doch, wie es mit mir steht.
-
-Wie es mit ihr stand? Axel sieht etwas näher zu und bemerkt, daß
-sie bereits anfängt einen dicken Leib zu bekommen. -- Du bist doch
-nicht in der Hoffnung? fragt er. -- Doch, das weißt du wohl, erwidert
-sie. -- Etwas vor den Kopf geschlagen starrt er sie an. In all
-seiner Langsamkeit sitzt er da und rechnet eine Weile: eine Woche,
-zwei Wochen, in der dritten Woche. -- Weiß ich das? sagt er. --
-Barbro ist sehr gereizt durch dieses Zwiegespräch und fängt an laut
-hinauszuweinen, ja gekränkt zu weinen. Du kannst mich nur auch gleich
-in die Erde graben, dann bist du mich los! ruft sie.
-
-Merkwürdig, was die Weiberleute für Gründe zum Weinen finden können!
-
-Nein, Axel will Barbro durchaus nicht in die Erde graben, er ist ein
-handfester Mann, der auf den Nutzen sieht; in einem Blumenflor zu
-waten, dazu hat er keine Lust. -- Dann kannst du im Sommer nicht auf
-dem Feld arbeiten? fragt er. -- Was, nicht auf dem Feld arbeiten?
-erwidert sie entsetzt. Und lieber Gott, worüber ein Frauenzimmer doch
-plötzlich wieder lächeln kann! Als es Axel auf diese Weise nahm,
-rieselte ein hysterisches Glücksgefühl durch Barbros Körper, und sie
-rief: Für zwei werde ich arbeiten! Du wirst sehen, Axel, daß ich alles
-arbeite, wobei du mich anstellst, und noch viel mehr. Ich will mich
-abrackern und noch vergnügt dabei sein, wenn du nur zufrieden bist!
-
-Es gab noch mehr Tränen und Lächeln und Zärtlichkeiten. Die beiden
-waren allein im Ödland, niemand war zu fürchten, offene Türen,
-Sommerwärme, Fliegengesumm. Sie war so willfährig und hingebend, alles
-wollte sie genau so wie er.
-
-Nach Sonnenuntergang ist Axel damit beschäftigt, seine Mähmaschine
-anzuspannen, er will noch ein kleines Stück abmähen für den nächsten
-Morgen. Barbro kommt hastig herausgelaufen, als ob sie etwas Wichtiges
-zu besorgen hätte, und sagt: Du, Axel, wie hast du überhaupt daran
-denken können, dir jemand aus Amerika kommen zu lassen? Sie wäre ja
-erst bis zum Winter hier gewesen, und was hättest du da noch mit ihr
-angefangen? -- Seht, auf diesen Gedanken war Barbro verfallen, und nun
-kam sie damit angelaufen, wie wenn das notwendig wäre!
-
-Aber es war keineswegs notwendig, Axel hatte von der ersten Stunde an
-eingesehen, daß er eine weibliche Hilfe für ein ganzes Jahr gewann,
-wenn er Barbro wieder zu sich nahm. Dieser Mann schwankt nicht, und
-er träumt sich nicht zu den Sternen hinauf. Nun hat er die eigene
-Frau im Hause und kann auch die Telegraphenlinie noch eine Zeitlang
-behalten. Im Jahre macht das doch viel Geld aus, und das ist ihm sehr
-willkommen, solange er nicht viel vom Ertrag des Hofes verkaufen kann.
-Alles geht und fügt sich ineinander, er ist mitten in der Wirklichkeit.
-Und von Brede, der jetzt sein Schwiegervater ist, erwartet er auf der
-Telegraphenlinie keinen Überfall mehr.
-
-Das Glück fängt an, Axel mit seinen Gaben zu überschütten.
-
-
-
-
-11
-
-
-Die Zeit vergeht, der Winter vergeht, es wird wieder Frühling.
-Natürlich mußte Isak eines Tages notwendig ins Dorf. Es wurde gefragt,
-was er dort wolle. Ich weiß es nicht recht, sagte er. Aber er putzte
-den Karren sehr rein, stellte den Sitz darauf und fuhr davon. Und
-natürlich hatte er verschiedentliche Eßwaren für Eleseus auf Storborg
-bei sich. Es fuhr ja kein Wagen von Sellanraa ab, der nicht irgend
-etwas für Eleseus mitnahm.
-
-Wenn Isak das Ödland hinunterfuhr, so war das kein unbedeutendes
-Ereignis; er selbst tat es nur selten, Sivert pflegte es an seiner
-Statt zu tun. In den zwei ersten Ansiedlungen stehen die Leute unter
-der Gammentür und sagen zueinander: das ist der Isak selbst, ich möchte
-nur wissen, warum er heute fährt. Als er nach Maaneland kommt, steht
-Barbro mit einem Kind auf dem Arm unter dem Fenster, und als sie ihn
-sieht, denkt sie: das ist der Isak selbst!
-
-Er kommt nach Storborg und hält an: Prrr! Ist Eleseus daheim? --
-Eleseus kommt heraus. Jawohl, er ist daheim, er ist noch nicht
-abgereist, aber er will abreisen, er will seinen Frühlingsausflug nach
-den Städten im Süden antreten. -- Da schickt dir die Mutter etwas, sagt
-der Vater. Ich weiß nicht, was es ist, es wird weiter nichts Besonderes
-sein. -- Eleseus nimmt die Gefäße entgegen, dankt und fragt: Hast du
-nicht auch einen Brief oder so etwas? -- Doch, antwortet der Vater
-und sucht in seinen Taschen. Er ist wohl von der kleinen Rebekka. --
-Eleseus bekommt den Brief, darauf hat er gewartet, er sieht, daß er
-schön dick ist, und sagt zu seinem Vater: Es ist sehr schade, daß du so
-früh kommst, zwei Tage zu früh. Aber wenn du ein bißchen warten willst,
-kannst du meinen Koffer gleich mitnehmen.
-
-Isak steigt ab und bindet das Pferd an. Dann macht er einen Gang
-über die Felder. Der kleine Ladendiener Andresen ist kein schlechter
-Landwirt auf Eleseus' Grund und Boden, Sivert ist ihm allerdings mit
-den Pferden von Sellanraa zu Hilfe gekommen, aber er hat auch auf
-eigene Faust Moor entwässert und einen Mann zu Hilfe genommen, der die
-Gräben mit Steinen auslegte. In diesem Jahr braucht auf Storborg kein
-Futter gekauft zu werden, und im nächsten Jahr konnte sich Eleseus
-vielleicht ein eigenes Pferd halten. Das hatte er Andresens Freude an
-der Landwirtschaft zu verdanken.
-
-Nach einiger Zeit ruft Eleseus, daß er seinen Koffer gepackt habe und
-fertig sei. Er selbst steht auch fertig da und will mitkommen, er
-hat einen schönen blauen Anzug an und trägt einen weißen Kragen um
-den Hals, Galoschen an den Füßen und einen Spazierstock in der Hand.
-Allerdings kommt er so mehr als zwei Tage zu früh für das Postboot,
-aber das macht nichts, er kann ja im Dorf solange warten; es ist ganz
-einerlei, wo er sich aufhält.
-
-Vater und Sohn fahren ab. Der Ladendiener Andresen steht unter der
-Ladentür und wünscht: Glückliche Reise!
-
-Der Vater ist besorgt für seinen Sohn und will ihm den Sitz allein
-überlassen, aber Eleseus lehnt sofort entschieden ab und setzt sich
-neben den Vater. Sie kommen an Breidablick vorbei, da fällt es Eleseus
-plötzlich ein, daß er etwas vergessen hat. Prrr! Was denn? fragt der
-Vater. Oh, es ist der Regenschirm, Eleseus hat seinen Regenschirm
-vergessen; das kann er nicht offen sagen, deshalb sagt er nur: Das
-hilft jetzt nichts, fahr zu! -- Wollen wir nicht umkehren? -- Nein,
-fahr zu! -- Aber es war eine verwünschte Sache, daß er auch so
-vergeßlich sein mußte! Das kam von der großen Eile, weil der Vater über
-die Felder wanderte und auf ihn wartete. Nun mußte sich Eleseus aber,
-wenn er nach Drontheim kam, einen neuen Regenschirm kaufen. Es tat ja
-auch nichts, wenn er zwei Regenschirme hatte. Aber er ist so ärgerlich
-auf sich selbst, daß er abspringt und hinter dem Wagen hergeht.
-
-Auf diese Weise können die beiden nicht viel miteinander reden, weil
-sich der Vater nun bei jedem Wort umdrehen und über die Achsel reden
-muß. Der Vater fragt: Wie lange bleibst du weg? und Eleseus antwortete:
-Drei bis vier Wochen etwa. -- Der Vater spricht seine Verwunderung aus
-darüber, daß sich die Leute in den großen Städten nicht verirren, aber
-Eleseus sagt ihm, er sei selbst an die großen Städte gewöhnt, er habe
-sich noch nie verirrt. -- Nun meint der Vater, es sei eine Schande, daß
-er allein auf dem Wagen sitze, und er sagt: Mußt du eine Weile fahren,
-ich mag nicht mehr. Eleseus will jedoch seinen Vater um keinen Preis
-von dem Sitz vertreiben und steigt lieber selbst wieder zu ihm auf.
-Aber vorher halten sie eine Mahlzeit aus des Vaters schönem Mundvorrat.
-Dann fahren sie weiter.
-
-Endlich kommen sie zu den beiden Ansiedlungen, die am weitesten unten
-im Tal liegen, und man merkt jetzt wohl, daß man in der Nähe des
-Dorfes ist; auf beiden Neusiedlungen hängen wahrhaftig an dem kleinen
-Stubenfenster, das nach der Straße geht, weiße Vorhänge, und auf dem
-Dachfirst des Heubodens ist eine kleine Stange für die Flagge zu Ehren
-des siebzehnten Mai aufgepflanzt. -- Das ist der Isak selbst, sagen die
-Leute der beiden Ansiedlungen, als sie die Reisenden sehen.
-
-Endlich vermag Eleseus seine Gedanken so weit von seiner eigenen
-Person und seinen eigenen Angelegenheiten abzulenken, daß er fragt:
-Was hast du eigentlich heute vor? -- Hm! eigentlich nichts Besonderes,
-erwidert sein Vater. Aber Eleseus reiste ja jedenfalls ab, so konnte
-es also nichts schaden, wenn er erfuhr, was der Vater vorhatte. -- Die
-Jensine vom Schmied will ich holen, erklärte der Vater, ja, gesteht er
-wirklich zu. -- Mußt du dir selbst die Mühe machen; hätte denn nicht
-Sivert fahren können? fragt Eleseus. -- Seht, Eleseus verstand es nicht
-besser, er meinte also, Sivert werde Jensine mit dem Wagen wiederholen,
-nachdem sie einmal so hochmütig getan hatte und von Sellanraa
-fortgegangen war!
-
-Nein, es war letztes Jahr mit dem Heumachen gar nicht gegangen.
-Inger hatte sich allerdings sehr darangehalten, wie sie versprochen
-hatte, Leopoldine tat auch ihre Arbeit, und dazu hatten sie auch den
-Heurechen, der von einem Pferd gezogen wurde. Aber das Heu war zum
-Teil schweres Timotheusgras und die Wiesen weit vom Hause entfernt.
-Sellanraa war jetzt ein großes Gut, die Frauen hatten dort anderes zu
-tun, als Heu zu machen; all das viele Vieh mußte versorgt werden, das
-Essen mußte zur rechten Zeit fertig sein, das Buttern und Käsemachen
-war zu besorgen, desgleichen das Waschen und das Backen, Mutter und
-Tochter schafften sich gar zu sehr ab. Einen solchen Sommer wollte
-Isak nicht noch einmal erleben, er bestimmte kurz und gut, daß
-Jensine wiederkommen solle, wenn sie zu haben sei. Inger hatte jetzt
-auch nichts mehr dagegen, sie hatte ihren Verstand wieder und sagte:
-Meinetwegen mach es, wie du willst. Oh, Inger war jetzt fügsamer
-geworden, es ist keine kleine Sache, wenn man seinen verlorenen
-Verstand wiederkriegt. Inger hatte keine heiße Glut mehr zu verstecken,
-keine innere Leidenschaft mehr im Zaum zu halten, der Winter hatte sie
-abgekühlt, sie hatte nur noch Glut genug für den Hausgebrauch. Sie fing
-jetzt an, an Körperfülle zuzunehmen, schön und stattlich sah sie aus.
-Es war merkwürdig, wie wenig sie alterte, sie wurde nicht stückweise
-alt und welk, vielleicht kam es daher, weil sie erst so spät aufgeblüht
-war. Gott mag wissen, woher alles kommt, nichts hat nur eine einzige
-Ursache, alles hat eine Ursachen_reihe_! Und hatte nicht Inger das
-größte Lob bei der Frau des Schmieds? Was konnte die Schmiedfrau
-ihr vorwerfen? Durch ihr verunziertes Gesicht war sie um ihren Lenz
-betrogen worden, später war sie in künstliche Luft versetzt worden, und
-dadurch waren ihr sechs Jahre ihres Sommers gestohlen; da sie aber doch
-heißes Blut hatte, mußte ihr Herbst wilde Schößlinge treiben. Inger
-ist besser als so eine Schmiedfrau, zwar ein bißchen beschädigt, ein
-bißchen verzerrt, aber eine gute Natur, eine tüchtige Natur ...
-
-Vater und Sohn fahren weiter, sie fahren an Brede Olsens Herberge vor
-und führen das Pferd in den Schuppen. Es ist Abend geworden. Sie selbst
-gehen ins Haus.
-
-Brede Olsen hat dieses Haus gemietet, es ist eigentlich ein
-Nebengebäude, das dem Kaufmann gehört, jetzt sind zwei Stuben und zwei
-Schlafkammern darin eingerichtet; es ist ganz erträglich, und die Lage
-ist gut, das Haus wird von Kaffeegästen besucht und außerdem von den
-Leuten in der Umgegend, die mit dem Postschiff fahren wollen.
-
-Brede scheint wirklich einmal Glück gehabt zu haben, er ist auf den
-richtigen Platz gekommen, und das hat er seiner Frau zu verdanken.
-Bredes Frau kam auf den Gedanken, dieses Kaffeehaus und diese Herberge
-einzurichten, als sie während der Versteigerung auf Breidablick
-Kaffee verkaufte; das war damals sehr unterhaltend gewesen, es war
-angenehm, Münze zwischen den Fingern zu haben, bares Geld. Seit sie
-hierhergekommen sind, ist alles gut gegangen, die Frau verkauft jetzt
-im Ernst Kaffee und beherbergt allerlei Leute, die kein Dach über dem
-Kopf haben. Sie wird auch von den Reisenden recht gelobt. Natürlich
-ist ihre Tochter Katrine, die jetzt ein großes Mädchen und eine flinke
-Aufwärterin ist, eine gute Hilfe. Aber ebenso natürlich ist es nur eine
-Zeitfrage, bis wann die kleine Katrine nicht mehr im Hause ihrer Eltern
-sein und da aufwarten wird. Aber inzwischen geht es ganz ordentlich
-mit dem Umsatz, und das ist die Hauptsache. Der Anfang war entschieden
-gut gewesen und hätte noch besser sein können, wenn sich der Kaufmann
-genügend mit Brezeln und Spekulatius zum Kaffee vorgesehen hätte; da
-saßen nun alle Leute, die den siebzehnten Mai feiern wollten, und
-riefen vergebens nach Kuchen zum Kaffee: Kaffeekuchen! Da lernte es der
-Kaufmann, sich mit Backwaren für die Feste des Dorfes zu versehen.
-
-Brede und die ganze Familie leben von diesem Betrieb, so gut es geht.
-Zu gar vielen Mahlzeiten gibt es nichts als Kaffee mit übriggebliebenem
-Kaffeekuchen, aber auch das hält Leib und Seele zusammen, und die
-Kinder bekommen davon ein feines, ja sozusagen ein verfeinertes
-Aussehen. Es haben nicht alle Kuchen zum Kaffee! sagten die Leute im
-Dorf. Der Familie Brede scheint es gut zu gehen, sie halten sogar
-einen Hund, der bei den Gästen herumschleicht, Bissen erschnappt und
-fett wird. Was ist doch so ein fetter Hund eine Anpreisung für die
-Verpflegung in einer Herberge!
-
-Brede Olsen nimmt also die Stelle des Hausherrn in diesem Betrieb ein
-und hat sich auch nebenher emporgearbeitet. Er ist wieder der Begleiter
-und Amtsdiener des Lensmannes geworden und hatte in dieser Stellung
-eine Zeitlang viel zu tun. Aber letzten Herbst hat seine Tochter
-Barbro mit der Frau Lensmann Streit bekommen, wegen einer Kleinigkeit,
-geradeheraus gesagt, wegen einer Laus, und seit der Zeit ist auch Brede
-bei der Herrschaft nicht mehr gern gesehen. Aber Brede hat dadurch
-nicht viel verloren, er hat andere Herrschaften, die ihn, gerade um
-die Frau Lensmann zu ärgern, aufsuchen, so daß er als Doktorkutscher
-ein gesuchter Mann ist, und die Frau Pfarrer hat gar nicht so viele
-Schweine, als sie Brede gerne schlachten lassen würde -- das sind seine
-eigenen Worte.
-
-Manchmal ist allerdings auch jetzt noch bei der Familie Brede
-Schmalhans Küchenmeister, und nicht alle sind so fett wie der Hund.
-Aber Gott sei Dank, Brede hat einen leichten Sinn: Die Kinder werden
-alle Tage größer, sagt er, obgleich auch immer wieder neue kleine
-dazukommen. Die Großen, die fortgezogen sind, sorgen ja nun für sich
-selbst und schicken zuweilen auch eine Kleinigkeit nach Hause. Barbro
-ist auf Maaneland verheiratet, und Helge ist beim Heringsfang; sie
-geben den Eltern Waren oder Geld, wenn sie es möglich machen können,
-ja, sogar Katrine, die zu Hause die Gäste bedient, hat im Winter
-einmal, als es recht trübe aussah, ihrem Vater einen Fünfkronenschein
-zustecken können. Das ist ein Mädchen! rühmte Brede, und er fragte
-nicht danach, von wem und wofür sie den Schein bekommen habe. So war
-es recht, die Kinder sollten ein Herz für ihre Eltern haben und ihnen
-beistehen!
-
-Mit seinem Sohn Helge ist Brede nicht ebenso zufrieden; zuweilen
-steht er im Kaufladen und entwickelt allen, die ihm zuhören wollen,
-seine Ansichten über die Pflichten der Kinder ihren Eltern gegenüber:
-Nehmt zum Beispiel meinen Sohn Helge. Wenn er ein bißchen Tabak
-raucht und gelegentlich einmal ein Gläschen trinkt, so hab' ich gar
-nichts dagegen, wir sind alle einmal jung gewesen. Aber er soll uns
-nicht einen Brief um den andern schicken mit nichts darin als schönen
-Grüßen. Er soll nicht die Ursache sein, daß seine Mutter weint. Das ist
-unrecht. In früherer Zeit war es anders. In früheren Zeiten waren sich
-die Kinder nicht zu gut dazu, sie gingen in einen Dienst und halfen
-ihren Eltern. So sollte es immer sein. Haben nicht Vater und Mutter sie
-unter dem Herzen getragen und blutigen Schweiß geschwitzt, bis sie sie
-großgezogen hatten? Das sollten sie nie vergessen.
-
-Es war gerade, als hätte Helge diese Rede seines Vaters mit angehört,
-denn eben jetzt kam ein Brief von ihm mit einem Geldschein, einem
-ganzen Fünfzigkronenschein. Und nun fing in der Familie Brede ein
-Herrenleben an; sie kauften in ihrem Übermut Fisch und Fleisch zum
-Mittagessen und eine Hängelampe mit Prismen dran in die beste Stube der
-Herberge.
-
-So verging ein Tag nach dem andern, und was will man mehr? Die Familie
-Brede lebte weiter, lebte von der Hand in den Mund, aber ohne sich
-große Sorgen zu machen, und was will man mehr?
-
-Das ist einmal ein seltener Besuch! rief Brede und führte Isak und
-Eleseus in die Stube mit der Prismenlampe. Aber was sehe ich! Du, Isak,
-wirst doch nicht verreisen wollen! -- Nein, ich habe nur beim Schmied
-etwas zu besorgen. -- So, dann ist es wohl Eleseus, der wieder seine
-Reise in die Städte antritt?
-
-Eleseus ist an das Leben in Gasthäusern gewöhnt, er macht sich's
-bequem, hängt seinen Überzieher und seinen Stock auf und verlangt
-Kaffee. Etwas zu essen hat der Vater mit. Katrine kommt mit Kaffee.
--- Nein, ihr dürft nichts bezahlen, erklärt Brede. Ich bin schon
-sooft in Sellanraa bewirtet worden, und bei Eleseus stehe ich auch im
-Schuldbuch. Du nimmst keine Öre, Katrine! -- Aber Eleseus bezahlt,
-er zieht den Beutel und bezahlt und gibt noch zwanzig Öre Trinkgeld.
-Nichts da! Kein Geschwätz!
-
-Isak geht zum Schmied, und Eleseus setzt sich wieder.
-
-Mit Katrine spricht er das Notwendigste, aber nicht mehr, er unterhält
-sich lieber mit ihrem Vater. Nein, Eleseus macht sich nichts aus den
-Mädchen, er ist einmal von ihnen schlecht behandelt worden, und jetzt
-will er nichts mehr von ihnen wissen. Vielleicht hat er überhaupt nie
-einen Liebesdrang gehabt, der der Rede wert gewesen wäre, da er sich
-gar nicht um sie kümmert. Ein wunderbarer Mann im Ödland, ein Herr mit
-schmächtigen Schreiberhänden und ganz weiblichem Sinn für Putz und
-Regenschirm und Spazierstock und Gummischuhe. Verschroben, verdreht,
-ein unverständlicher Junggeselle. Auf einer Oberlippe will nicht einmal
-ein rechter Bart wachsen. Aber vielleicht hatte dieser Junge einmal
-gute Anlagen gehabt, war einmal von Natur ordentlich ausgesteuert
-gewesen, war aber dann in unnatürliche Verhältnisse gekommen und zum
-Wechselbalg geworden. Ist er so fleißig auf einem Büro und in einem
-Kaufladen gewesen, daß all seine Ursprünglichkeit verlorengegangen
-ist? Vielleicht war es so. Jedenfalls ist er nun da, gewandt und
-leidenschaftslos, etwas schwächlich, etwas gleichgültig, und geht
-weiter und weiter auf seinem Abweg. Er könnte jeden einzelnen Mann im
-Ödland beneiden, allein nicht einmal dazu ist er imstande.
-
-Katrine ist daran gewöhnt, mit den Gästen zu scherzen, und nun zieht
-sie ihn auf, er wolle wohl wieder gen Süden zu seiner Liebsten? -- Ich
-habe andere Dinge im Kopf, erwidert Eleseus. Ich will Geschäfte machen,
-Verbindungen anknüpfen. -- Du mußt besseren Leuten gegenüber nicht so
-zudringlich sein, Katrine, ermahnt sie ihr Vater. Oh, Brede Olsen ist
-sehr höflich gegen Eleseus, ganz ungeheuer respektvoll. Das darf er
-auch wohl sein, es ist klug von ihm, er ist auf Storborg Geld schuldig
-und steht seinem Gläubiger gegenüber. Und Eleseus? Ho, ihm gefällt
-diese Höflichkeit, und er ist dafür gut und gnädig. Hochverehrtester!
-heißt er Brede im Spaß und spielt sich auf. Er spricht davon, daß er
-wieder seinen Regenschirm vergessen habe. Gerade in dem Augenblick,
-als wir an Breidablick vorbeifuhren, fiel mir mein Regenschirm ein! --
-Brede fragt: Ihr werdet wohl heute abend bei unserm kleinen Kaufmann
-ein Glas Toddy trinken? -- Und Eleseus antwortet: Ja, wenn ich allein
-wäre! Aber ich habe meinen Vater bei mir. -- Brede tut ganz behaglich
-und plaudert weiter: Übermorgen kommt ein Mann hierher, der wieder nach
-Amerika zurück will. -- Ist er zu Besuch daheim gewesen? -- Ja. Er
-ist vom Oberdorf. Er ist eine lange Reihe von Jahren drüben gewesen,
-aber nun hat er den Winter daheim zugebracht. Sein Koffer ist schon
-mit einer Fuhre heruntergekommen, das ist ein Riesenkoffer. -- Ich
-hab' auch schon daran gedacht, nach Amerika zu gehen, sagt Eleseus
-aufrichtig. -- Ihr? ruft Brede. Ihr habt das doch nicht nötig. -- Ich
-bliebe wahrscheinlich auch nicht für Zeit und Ewigkeit drüben, ich
-weiß nicht. Aber ich habe schon so viele Reisen gemacht, da könnte ich
-auch diese einmal machen. -- Gewiß. Und man muß drüben in dem Amerika
-wüst Geld verdienen. Nehmen wir nur einmal den Mann an, von dem ich
-vorhin gesprochen habe. Er hat jetzt im Winter droben im Oberdorf
-ein Weihnachtsvergnügen nach dem andern bezahlt, und wenn er zu mir
-kommt, so sagt er: Ich will einen ganzen Kessel Kaffee haben und allen
-Kaffeekuchen, den du hast! Ja, so sagt er. Wollt Ihr seinen Koffer
-sehen?
-
-Sie gingen in den Gang hinaus und betrachteten den Koffer. Ein wahres
-Weltwunder, glänzte auf allen Seiten von Metall und Beschlägen, mit
-drei Schnappschlössern dran, noch außer dem eigentlichen Schloß. --
-Diebssicher! sagte Brede, wie wenn er den Versuch gemacht hätte.
-
-Sie gingen wieder ins Zimmer hinein, aber Eleseus war still geworden.
-Dieser Mann aus dem Oberdorf machte ihn völlig zunichte, der trat
-auf Reisen wie der größte Beamte auf; Brede war augenscheinlich ganz
-von diesem Menschen erfüllt. Eleseus verlangte noch mehr Kaffee und
-versuchte auch reich zu tun; er verlangte Kuchen zu seinem Kaffee und
-fütterte den Hund damit. Ach ja, aber er fühlte sich dennoch gering
-und niedergeschmettert. Was war sein eigener Koffer diesem Wunderwerk
-gegenüber? Da stand er, schwarzes Wachstuch, die Ecken verstoßen
-und weiß geworden, ein Handkoffer -- bei Gott, er wollte sich einen
-prachtvollen Koffer kaufen, wenn er hinunterkam -- paßt nur auf! Gebt
-doch dem Hund nichts! sagte Brede. -- Aber Eleseus war wieder ein
-bißchen Mensch geworden und spielte sich auf. Das ist einmal ein riesig
-fetter Hund! sagte er.
-
-Von dem einen Gedanken kam er auf den andern, er brach die Unterhaltung
-mit Brede ab und ging hinaus, ging in den Schuppen zu dem Pferd. Dort
-machte er den Brief auf, den er in der Tasche hatte. Er hatte ihn nur
-eingesteckt und nicht nachgesehen, wieviel Geld er enthielt; er hatte
-solche Briefe von zu Hause schon öfters erhalten, und es waren immer
-verschiedene Geldscheine darin gewesen, eine Beisteuer zu der Reise.
-Was war aber jetzt das? Ein großes Stück graues Papier, über und über
-bemalt von der kleinen Rebekka für ihren lieben Bruder Eleseus, dabei
-ein Briefchen von der Mutter. Was sonst noch? Nichts mehr. Kein Geld.
-
-Die Mutter schrieb, sie habe den Vater nicht mehr um Geld bitten
-können, denn es sei jetzt von dem Reichtum, den sie seinerzeit für den
-Kupferberg bekommen hätten, nicht mehr viel übrig. Das Geld sei für den
-Ankauf von Storborg und seither für alle die Waren und für die vielen
-Reisen draufgegangen. Nun müsse er versuchen, sich das Geld für die
-Reise diesmal selbst zu beschaffen, denn das Geld, das jetzt noch da
-sei, müßten seine Geschwister bekommen, die dürften auch nicht ganz
-leer ausgehen. Glückliche Reise und herzliche Grüße!
-
-Kein Geld.
-
-Eleseus hatte selbst nicht genug Geld für die Reise, er hatte seine
-Ladenkasse umgekehrt, aber nicht viel darin gefunden. Ach, wie dumm war
-er gewesen; er hatte erst neulich seinem Lieferanten in Bergen einen
-Geldbrief geschickt und einige Rechnungen bezahlt. Das hätte warten
-können. Natürlich war es auch allzu sorglos von ihm gewesen, sich auf
-den Weg zu machen, ohne vorher den Brief zu öffnen, da hätte er sich
-die Wagenfahrt ins Dorf mit seinem elenden Koffer sparen können. Jetzt
-stand er da ...
-
-Der Vater kam vom Schmied zurück mit wohlgelungener Besorgung: Jensine
-wollte morgen mit ihm kommen. Seht, Jensine war durchaus nicht
-querköpfig gewesen und hatte sich nicht lange bitten lassen, sie hatte
-sofort begriffen, daß man auf Sellanraa eine Hilfe für die Sommerarbeit
-brauchte und hatte nichts dagegen, wiederzukommen. Wieder ein glatter
-Bescheid.
-
-Während der Vater erzählt, denkt Eleseus über seine eigenen
-Angelegenheiten nach. Er zeigt dem Vater den Koffer des Amerikaners und
-sagt: Ich wäre froh, wenn ich da stünde, wo dieser Koffer hergekommen
-ist! -- Und der Vater erwidert: Ja, das wäre noch nicht das schlimmste
-...
-
-Am nächsten Morgen macht sich der Vater zur Heimfahrt bereit; er
-frühstückt, spannt an und fährt beim Schmied vor, um Jensine und ihre
-Truhe abzuholen. Eleseus sieht ihnen lange nach, und als der Wagen im
-Walde verschwunden ist, bezahlt er in der Herberge und gibt wieder ein
-Trinkgeld. Laß meinen Koffer da stehen, bis ich zurückkomme, sagt er zu
-Katrine und geht fort.
-
-Wo geht Eleseus hin? Er hat nur einen Ort, wo er hingehen kann, er
-dreht um, er muß in sein Heim zurückkehren. Er nimmt den Weg hinauf
-unter die Füße und gibt sich Mühe, dem Vater und Jensine so nahe als
-möglich zu bleiben, ohne von ihnen gesehen zu werden. Er geht und
-geht, und jetzt fängt er wirklich an, jeden einzelnen Ödlandbauern zu
-beneiden.
-
-Es ist schade um Eleseus, er ist vom Leben so verdreht worden.
-
-Betreibt er denn nicht auf Storborg einen Kaufladen? Jawohl, aber
-dort Herr zu sein, das will doch gar nichts heißen, er macht zu viele
-vergnügliche Reisen, um Geschäftsverbindungen anzuknüpfen, die kosten
-zuviel, er reist nicht billig. Nur nicht kleinlich sein! sagt Eleseus
-und gibt zwanzig Öre Trinkgeld, wo zehn auch genug wären. Diesen
-flotten Herrn kann sein Geschäft nicht erhalten, er braucht Zuschuß von
-zu Hause. Jetzt erntet man auf Storborg Kartoffeln, Heu und Korn für
-den Haushalt, aber der Belag aufs Brot muß von Sellanraa kommen. Ist
-das alles? Sivert muß alle Waren umsonst von der Küste herauffahren.
-Ist das jetzt alles? Die Mutter muß ihm vom Vater das Geld zu seinen
-Reisen verschaffen. Ist das jetzt alles?
-
-Das Schlimmste kommt noch.
-
-Eleseus betreibt sein Geschäft wie ein Narr. Er fühlt sich so
-geschmeichelt, wenn die Leute aus dem Dorf zu ihm heraufkommen, um
-einzukaufen, daß er ihnen gern auf Borg gibt. Und als das einmal
-bekannt wird, kommen mehr und immer mehr und kaufen auf Borg; Eleseus
-ist entgegenkommend und borgt, sein Laden wird leer und füllt sich
-wieder. Das alles kostet Geld. Wer bezahlt? Der Vater.
-
-Im Anfang war die Mutter seine gläubige Fürsprecherin: Eleseus sei der
-helle Kopf in der Familie, man müsse ihm ordentlich vorwärts helfen.
-Bedenke nur, wie billig er Storborg bekommen hat, und wie er gleich
-haarscharf sagte, was er dafür geben wolle! Wenn der Vater meinte,
-Eleseus' Geschäft sei allmählich die reine Komödie, so erwiderte seine
-Mutter: Was ist das für ein Geschwätz! und sie gebrauchte so deutliche
-Redensarten, daß es war, als sei der gute Isak Eleseus gegenüber doch
-gar zu familiär geworden.
-
-Seht, die Mutter war selbst weggewesen und hatte Reisen gemacht, sie
-begriff, daß Eleseus hier im Ödland nicht recht gedeihen konnte, er war
-an feinere Sitten gewöhnt, hatte sich in allerlei Gesellschaftskreisen
-bewegt, und hier fehlten ihm Ebenbürtige. Allerdings, er borgte armen
-Leuten zuviel; aber das tat Eleseus nicht aus Bosheit und um seine
-Eltern zu ruinieren, er tat es aus guter und vornehmer Veranlagung,
-er hatte den Drang, den Leuten, die unter ihm standen, zu helfen.
-Du liebe Zeit, er war der einzige Mensch im Ödland mit einem weißen
-Taschentuch, das fortwährend gewaschen werden mußte. Wenn sich die
-Leute vertrauensvoll an ihn wandten und um Kredit baten und er hätte
-nein gesagt, so hätte das mißverstanden werden können, als sei er
-nicht der ausgezeichnete Mensch, für den er galt. Außerdem hatte er
-auch Pflichten als der Städter und das Genie unter den Bewohnern des
-Ödlandes.
-
-Dies alles zog die Mutter wohl in Betracht.
-
-Aber der Vater, der davon keinen Deut begriff, öffnete ihr eines Tages
-die Augen und die Ohren und sagte: Sieh her, das ist jetzt der Rest von
-dem Geld für das Kupferbergwerk. -- So, so, sagte sie. Und wo ist denn
-das andere hingekommen? -- Das hat alles Eleseus bekommen. -- Dann soll
-er endlich einmal seinen Verstand gebrauchen!
-
-Armer Eleseus, er ist zerfahren und verpfuscht. Er hätte Ödlandbauer
-bleiben sollen, jetzt ist er ein Mensch, der Buchstaben zu schreiben
-gelernt hat, er hat keinen Unternehmungsgeist, keine Tiefe. Aber ein
-kohlschwarzer Teufelskerl ist er auch nicht, er ist nicht verliebt und
-nicht ehrgeizig, er ist eigentlich gar nichts, nicht einmal ein großer
-Übeltäter.
-
-Der junge Mann hatte etwas Unglückliches, etwas Verurteiltes an
-sich, wie wenn er in seinem Innern Schaden genommen hätte. Der gute
-Bezirksingenieur aus der Stadt hätte ihn lieber in seiner Jugend
-nicht entdecken, ihn nicht zu sich nehmen und nicht etwas aus ihm
-machen sollen, da wurden dem Kinde die Wurzeln abgerissen, und es fuhr
-schlecht dabei. Alles, was er jetzt vornimmt, läßt einen Schaden bei
-ihm erkennen, etwas Dunkles auf hellem Grunde ...
-
-Eleseus geht und geht. Die beiden auf dem Wagen sind an Storborg
-vorbeigefahren. Eleseus macht einen Bogen darum herum und wandert auch
-an Storborg vorbei; was sollte er daheim in seinem Kaufladen? Die zwei
-auf dem Wagen kamen mit Anbruch der Nacht auf Sellanraa an, Eleseus
-ist ihnen dicht auf den Fersen. Er sieht, daß Sivert auf den Hofplatz
-herauskommt und verwundert Jensine betrachtet; die beiden geben
-einander die Hand und lachen ein wenig, dann nimmt Sivert das Pferd am
-Zügel und führt es in den Stall.
-
-Jetzt wagt sich auch Eleseus hervor, er, der Stolz der Familie wagt
-sich hervor. Er geht nicht, er schleicht, er trifft Sivert im Stall.
-Ich bin's nur, sagt er. -- Was, du bist auch da? ruft Sivert und ist
-von neuem verwundert.
-
-Die beiden Brüder reden leise miteinander, es handelt sich darum, ob
-Sivert wohl die Mutter dazu bringen kann, Geld herbeizuschaffen, eine
-Rettung, Reisegeld. So wie jetzt könne es nicht weitergehen.
-
-Eleseus habe es jetzt satt, er habe schon oft daran gedacht, und heute
-nacht solle es nun geschehen, eine lange Reise, Amerika, jetzt in
-dieser Nacht noch. -- Amerika! sagt Sivert laut. -- Pst! Ich habe schon
-oft daran gedacht, jetzt mußt du die Mutter dazu bringen, es geht so
-nicht weiter, ich habe schon oft daran gedacht. -- Aber Amerika! sagt
-Sivert. Nein, das darfst du nicht tun. -- Unbedingt! Ich gehe auf der
-Stelle wieder zurück, ich erreiche das Postschiff noch. -- Du wirst
-doch wohl vorher etwas essen? -- Ich bin nicht hungrig. -- Willst du
-nicht ein wenig schlafen? -- Nein.
-
-Sivert will seinem Bruder wohl und sucht ihn zurückzuhalten, allein
-Eleseus ist standhaft, zum erstenmal standhaft. Sivert ist ganz
-verwirrt, zuerst, als er Jensine sah, war ihm schon ein wenig sonderbar
-zumut geworden, und nun will Eleseus das Ödland vollständig verlassen,
-sozusagen diese Welt verlassen. -- Was willst du mit Storborg anfangen?
-fragt er. -- Andresen kann es haben, antwortet Eleseus. -- Andresen
-kann es haben, wieso denn? -- Bekommt er denn nicht Leopoldine? -- Das
-weiß ich nicht. Doch das kann wohl sein.
-
-Sie reden und reden immer leise weiter. Sivert meinte, es wäre am
-besten, wenn der Vater selbst herauskäme, so daß Eleseus mit ihm reden
-könnte; aber nein, nein! flüstert Eleseus zurück. Nein, das könne
-er nicht; er hat es noch nie vermocht, Gefahren von solcher Art ins
-Angesicht zu schauen, er hat stets einen Vermittler nötig gehabt.
-Sivert sagt: Du weißt ja, wie die Mutter ist. Mit ihr kommst du nicht
-weiter vor lauter Tränen und Zuständen, sie darf es nicht wissen. --
-Nein, sagt auch Eleseus, sie darf es nicht wissen.
-
-Sivert geht ins Haus, er bleibt eine Ewigkeit weg und kommt mit Geld
-zurück, mit viel Geld. Da sieh her, das ist alles, was er hat; meinst
-du, es sei genug? Zähl nach, er hat das Geld nicht gezählt. -- Was
-hat der Vater gesagt? -- Er hat nicht viel gesagt. Jetzt mußt du noch
-einen Augenblick warten, ich zieh nur noch etwas an und komme mit dir.
--- Das darfst du nicht, du mußt schlafen gehen. -- So? Fürchtest du
-dich vielleicht, wenn du in der Dunkelheit eine Weile allein im Stall
-bleiben sollst? fragt Sivert mit einem schwachen Versuch zu scherzen.
-
-Er bleibt nur einen Augenblick weg, kommt fertig angezogen zurück
-und bringt auch des Vaters Rucksack mit dem Mundvorrat mit. Wie sie
-hinausgehen, steht plötzlich der Vater vor ihnen: Was höre ich, du
-willst so weit fort? sagt er. -- Ja, erwiderte Eleseus, aber ich komme
-wieder. -- Ach, ich steh nur da und halte dich auf, murmelt der Alte
-und kehrt um. Glückliche Reise! ruft er noch mit sonderbar heiserer
-Stimme zurück und geht rasch seines Weges.
-
-Die Brüder wandern zusammen den Weg hinunter, und nach einer Weile
-setzen sie sich und essen. Eleseus ist hungrig, er kann kaum gesättigt
-werden. Es ist die herrlichste Frühlingsnacht, auf allen Hügeln balzen
-die Auerhähne, und dieser heimische Laut macht den Auswanderer einen
-Augenblick verzagt. Es ist schönes Wetter, sagt er. Aber jetzt mußt du
-umdrehen, Sivert. -- So, sagt Sivert und geht weiter. -- Sie kommen
-an Storborg vorbei, an Breidablick vorbei, die Auerhähne balzen auf
-dem ganzen Weg auf dem und jenem Hügel; es ist keine Hornmusik wie in
-den Städten, nein, aber es sind Stimmen, das öffentliche Aufgebot, das
-den Frühling verkündigt. Plötzlich hören sie den ersten Singvogel vom
-Gipfel eines Baumes, er weckt auch andere, sie fragen und antworten von
-allen Seiten, das ist mehr als ein Gesang, das ist ein Lobgesang. Der
-Auswanderer fühlt etwas Heimweh in sich aufsteigen, etwas Hilfloses, er
-soll nach Amerika, niemand ist dazu so reif wie er. -- Aber jetzt mußt
-du umkehren, Sivert, sagt er. -- Ja, erwiderte der Bruder, da du es
-durchaus willst.
-
-Sie setzen sich am Waldrand nieder und sehen das Dorf vor sich liegen,
-den Kaufladen, den Landungsplatz, Bredes Herberge. Beim Postschiff
-laufen einige Leute hin und her und machen sich zur Abreise fertig.
-
-Ich habe keine Zeit mehr, noch länger hier sitzenzubleiben, sagt
-Eleseus und steht wieder auf. -- Es ist recht schade, daß du so weit
-fortgehst, sagt Sivert. -- Eleseus erwidert: Aber ich komme wieder. Und
-dann reise ich nicht bloß mit einem Wachstuchkoffer.
-
-Als sie einander Lebewohl sagen, steckt Sivert dem Bruder ein kleines
-Ding zu, etwas, das in Papier gewickelt ist. -- Was ist das? fragt
-Eleseus. -- Sivert entgegnet: Schreib auch fleißig! dann geht er.
-
-Eleseus macht das Papier auf und sieht nach: es ist das Goldstück, die
-zwanzig Kronen in Gold. -- Nein, das sollst du mir nicht geben! ruft
-er dem Bruder nach. -- Aber Sivert geht weiter.
-
-Er geht eine Weile, dann dreht er um und setzt sich wieder am Waldrand
-nieder. Um das Postschiff her wird es immer lebhafter, er sieht, wie
-die Leute an Bord gehen, auch sein Bruder geht an Bord, und das Schiff
-fährt ab. Da reist Eleseus nach Amerika.
-
-Er kam niemals wieder.
-
-
-
-
-12
-
-
-Ein merkwürdiger Zug kommt nach Sellanraa herauf, vielleicht als Zug
-ein bißchen lächerlich, aber doch nicht nur lächerlich: es sind drei
-Männer mit ungeheuren Lasten auf dem Rücken, mit Säcken, die ihnen
-über die Brust und den Rücken herunterhängen. Sie gehen im Gänsemarsch
-und rufen einander Scherzworte zu, aber sie haben schwer zu tragen.
-Der kleine Ladendiener Andresen geht als erster im Zug, übrigens ist
-es auch sein Zug; er hat sich selbst, Sivert von Sellanraa und einen
-dritten, Fredrik Ström von Breidablick, zu diesem Zug ausgerüstet. Ein
-verfluchter kleiner Kerl, dieser Ladendiener Andresen; seine Schultern
-sind fast bis zur Erde gebeugt, und seine Jacke ist ihm vom Hals
-heruntergezerrt, aber er schleppt, er schleppt seine Last.
-
-Er hat nicht einfach Storborg und den Kaufladen gekauft, dazu hat er
-kein Geld, lieber wartet er eine Weile und bekommt dann vielleicht
-alles umsonst. Andresen ist kein unbrauchbarer Mensch, er hat
-einstweilen Storborg gepachtet und betreibt den Handel weiter.
-
-Er hat den ganzen Warenvorrat durchgesehen und da eine Menge
-unverkäuflicher Sachen vorgefunden, von Zahnbürsten an bis zu
-gestickten Tischläufern, ja, bis zu kleinen Vögeln auf Drähten, die
-„piep” sagten, wenn man sie an der richtigen Stelle klemmte.
-
-Mit all diesen Waren ist er jetzt auf die Wanderschaft gezogen, er will
-sie an die Grubenarbeiter jenseits des Berges verkaufen. Er hat von
-Aronsens Tagen her Erfahrung darin, daß Grubenarbeiter mit Geld in der
-Hand alles in der Welt kaufen. Jetzt ärgert er sich nur darüber, daß er
-sechs Schaukelpferde, die Eleseus auf seiner letzten Reise nach Bergen
-eingekauft hatte, zurücklassen mußte.
-
-Die Karawane kommt in den Hofraum von Sellanraa herein, und die Männer
-legen ihre Lasten ab. Sie ruhen nicht lange; nachdem sie Milch zu
-trinken bekommen und zum Spaß ihre Waren allen Leuten auf dem Hof
-angeboten haben, nehmen sie ihre Lasten wieder auf und gehen weiter.
-Sie sind nicht bloß zum Scherz ausgezogen. In südlicher Richtung durch
-den Wald schwanken sie mit ihrer Last weiter.
-
-Sie gehen bis zur Mittagszeit, essen zu Mittag und wandern dann weiter,
-bis es Abend wird. Dann machen sie ein Feuer an, lagern sich und
-schlafen eine Weile. Sivert schläft sitzend auf einem Stein, den er
-seinen Polsterstuhl nennt. Ja, Sivert versteht sich auf das Leben im
-Ödland, die Sonne hat den ganzen Tag auf den Stein gebrannt, und es
-ist gut darauf zu sitzen und zu schlafen. Seine Kameraden sind nicht
-so erfahren und nehmen auch keinen guten Rat an, sie legen sich ins
-Heidekraut und wachen frierend und niesend auf. Dann frühstücken sie
-und gehen weiter.
-
-Jetzt fangen sie an, die Ohren zu spitzen, ob sie keine Schüsse hören,
-und sie hoffen, im Laufe des Tages auf Leute zu stoßen und an die
-Gruben zu kommen. Die Arbeit kann inzwischen wohl von der See her weit
-in der Richtung auf Sellanraa zu vorgerückt sein. Sie hören keinen
-Schuß. Sie gehen bis zur Mittagszeit und begegnen keinem Menschen, aber
-sie kommen von Zeit zu Zeit an großen Löchern in der Erde vorbei, die
-die Leute zur Probe gegraben haben. Wie hängt das zusammen? Es muß
-wohl so sein, daß das Erz auf dieser Seite des Berges ganz überaus
-reich ist; es wird also im reinen, schweren Kupfer gearbeitet, und die
-Arbeiter rücken von der See her kaum vor.
-
-Nachmittags stoßen sie auf noch mehr Gruben, aber immer noch keine
-Menschen; sie gehen weiter bis zum Abend und erblicken schon das Meer
-unter sich, sie wandern durch ein Ödland von verlassenen Gruben und
-vernehmen keinen einzigen Schuß. Das ist doch gar zu merkwürdig, aber
-sie müssen noch einmal ein Feuer machen und sich wieder für die Nacht
-lagern. Sie beraten: Ist die Arbeit hier zu Ende? Sollen sie mit ihren
-Lasten wieder umkehren? Kein Gedanke! sagt der Ladendiener Andresen.
-
-Am nächsten Morgen kommt ein Mann an ihr Lager, ein blasser und
-vergrämter Mann, der die Brauen runzelt, die Leute betrachtet, sie
-mustert. Bist du das, Andresen? fragt er. Es ist Aronsen, der Kaufmann
-Aronsen; er hat nichts dagegen, von der Karawane Kaffee und etwas zu
-essen zu bekommen, und läßt sich bei den Männern nieder. Ich hab'
-euern Rauch gesehen und wollte ergründen, was das sei, erklärt er. Ich
-dachte: du wirst sehen, sie nehmen Vernunft an und beginnen wieder mit
-der Arbeit! Und nun seid nur ihr es! Wo wollt ihr hin? -- Wir wollen
-hierher. -- Was habt ihr in euren Säcken? -- Waren! -- Waren? schreit
-Aronsen. Wollt ihr hier Waren verkaufen? Hier wohnt niemand. Sie sind
-am Samstag abgezogen. -- Wer ist abgezogen? -- Alle miteinander. Hier
-ist alles leer und verlassen. Und außerdem hab' ich Waren genug; den
-ganzen Laden voll. Ihr könnt bei mir kaufen.
-
-Ach, nun ist der Kaufmann Aronsen wieder übel daran, mit dem
-Grubenbetrieb ist es zu Ende!
-
-Sie beruhigen ihn mit noch etwas mehr Kaffee und fragen ihn dann aus.
-
-Aronsen schüttelt ganz zerschmettert den Kopf: Es ist nicht zu sagen,
-es ist ganz unbegreiflich! sagt er. Alles war sehr gut gegangen, er
-hatte Waren verkauft und viel Geld eingenommen, das ganze Kirchspiel
-rund umher blühte und konnte sich weiße Grütze, ein neues Schulhaus
-und Lampen mit Prismen dran und städtisches Schuhwerk leisten. Da
-fanden die Herren plötzlich, daß es sich nicht mehr lohne, und sie
-machten Schluß. Lohnte es sich wirklich nicht mehr? Es hatte sich doch
-seither gelohnt, nicht wahr? Kam denn nicht das Kupfererz bei jeder
-Sprengung zutage? Das war einfach Betrug. Und sie bedenken nicht, daß
-sie damit einen Mann wie mich in die größten Ungelegenheiten bringen,
-sagte Aronsen. Aber es ist wohl so, wie behauptet wird, daß der Geißler
-wieder an allem schuld ist. Er ist genau in dem Augenblick gekommen,
-als die Arbeit stillgelegt wurde; es ist gerade, als ob er es gerochen
-hätte!
-
-Ist Geißler hier?
-
-Ob er hier ist! Er gehört erschossen! Er kam eines Tages mit dem
-Postschiff an und fragte den Ingenieur: Nun, wie geht's? -- Gut, soviel
-ich weiß, antwortet der Ingenieur. Aber der Geißler fragte nun noch
-einmal: So, es geht also gut? -- Ja, könnte nicht besser gehen, soviel
-ich weiß! erwiderte der Ingenieur. Na, ich danke! Als die Post geöffnet
-wurde, war ein Brief und ein Telegramm an den Ingenieur dabei, daß sich
-die Arbeit nicht mehr lohne, er solle Schluß machen.
-
-Die Teilnehmer der Karawane schauen einander an; aber der Führer, der
-schlaue Kerl Andresen, hat den Mut augenscheinlich noch nicht verloren.
--- Kehrt nur wieder um! rät Aronsen. -- Das tun wir nicht, sagt
-Andresen und packt den Kaffeekessel ein. -- Aronsen starrt alle drei
-einen nach dem andern an. Ihr seid verrückt! sagt er.
-
-Seht, der Ladendiener Andresen kümmert sich nicht sehr um seinen
-früheren Herrn, jetzt ist er selbst Herr, er hat diesen Zug in ferne
-Gaue ausgerüstet, er würde an Ansehen einbüßen, wenn er hier auf dem
-Berge umkehrte. -- Aber wo wollt ihr denn hin? fragt Aronsen erbittert.
--- Das weiß ich nicht, sagt Andresen. Aber er hat doch wohl seine
-Absicht, er denkt vielleicht an die Eingeborenen: daß er hier drei Mann
-stark mit Glasperlen und Fingerringen herkommt. -- Kommt, wir wollen
-gehen! sagt er zu seinen Kameraden.
-
-Nun hatte sich Aronsen eigentlich diesen Morgen länger draußen
-aufhalten wollen; da er einmal unterwegs war, wollte er vielleicht
-nachsehen, ob wirklich alle Gruben verlassen seien, ob es wahr sei, daß
-alle Menschen fort waren. Aber da diese Hausierer so eigensinnig sind
-und weiter wollen, wird er eigentlich an seinem Vorhaben gehindert,
-er muß ihnen immer und immer wieder von ihrem Weitermarsch abreden.
-Aronsen ist rasend, er geht vor der Karawane her den Berg hinunter,
-er dreht sich immer im Kreise und schreit ihnen zu, hält sie auf, er
-verteidigt sein Gebiet. So kommen sie zu der Barackenstadt hinunter.
-
-Da sieht es leer und trostlos aus. Die wichtigsten Geräte und Maschinen
-sind unter Dach gebracht, aber Balken, Bretter, zerbrochene Wagen,
-Kisten und Fässer liegen überall umher. An einigen Häusern prangt ein
-Plakat, das den Zutritt verbietet.
-
-Da seht ihr! ruft Aronsen. Nirgends ein Mensch! Wo wollt ihr denn hin?
-Und er droht der Karawane mit großem Unheil und mit dem Lensmann; er
-selbst wolle sie Schritt für Schritt begleiten und zusehen, ob sie
-nicht ungesetzliche Waren verkauften. Darauf stehe Zuchthaus und die
-Galeeren, bom konstant.
-
-Plötzlich wird Sivert von jemand angerufen. Die Stadt ist also doch
-nicht völlig verlassen, nicht ganz ausgestorben. Ein Mann an einer
-Hausecke winkt ihnen. Sivert schwankt mit seiner Last auf ihn zu und
-erkennt sofort, wer es ist: Es ist Geißler.
-
-Ein merkwürdiges Zusammentreffen! sagt Geißler. Er hat ein blühend
-rosiges Gesicht, aber seine Augen scheinen in der hellen Frühlingssonne
-Schaden gelitten zu haben, denn er trägt einen grauen Zwicker. Er
-spricht lebhaft wie immer. Ein glückliches Zusammentreffen! sagt
-er. Das spart mir den Weg nach Sellanraa, ich habe so viel zu
-besorgen. Wie viele Ansiedlungen sind jetzt dort auf der Allmende? --
-Zehn. -- Zehn Ansiedlungen? Das gefällt mir, da bin ich zufrieden.
-Zweiunddreißigtausend solche Männer wie dein Vater sollten im Lande
-sein, ich hab' es ausgerechnet! sagt er und nickt dazu.
-
-Kommst du, Sivert? ruft die Karawane. -- Geißler horcht auf und
-antwortet rasch: Nein! -- Ich komme nach! ruft Sivert und legt seine
-Last ab.
-
-Die beiden setzen sich und reden zusammen; über Geißler ist der Geist
-gekommen, und er schweigt nur, sooft Sivert eine kurze Antwort gibt,
-dann legt er wieder los: Ein ganz einzigartiges Zusammentreffen! Ich
-komme gar nicht davon weg! Meine ganze Reise ist so ausgezeichnet
-verlaufen, und nun treffe ich dich auch noch hier und kann mir
-den Umweg über Sellanraa sparen! Wie geht's zu Hause? -- Dank
-der Nachfrage. -- Habt ihr schon den Heuboden auf dem steinernen
-Stallgebäude aufgeschlagen? -- Ja. -- Ja, ich bin sehr überlastet, die
-Geschäfte wachsen mir allmählich über den Kopf. Sieh dir doch einmal
-an, wo wir jetzt sitzen, lieber Sivert! Auf der Ruine einer Stadt. Die
-haben nun die Menschen ihrem eigenen Vorteil gerade entgegen aufgebaut.
-Eigentlich bin ich die Ursache von dem allem, das heißt, ich bin einer
-der Vermittler in einem kleinen Komödienspiel des Schicksals. Es hat
-damit angefangen, daß dein Vater im Gebirge einige Steine fand und
-dich damit spielen ließ, als du noch ein Kind warst. Damit hat es
-angefangen. Ich wußte es ganz genau, daß diese Steine nur den Wert
-hatten, den die Menschen ihnen beilegten; gut, ich setzte einen Preis
-dafür fest und kaufte sie. Von da an gingen die Steine von Hand zu Hand
-und plünderten die Leute aus. Die Zeit verging. Vor einigen Tagen bin
-ich hier heraufgekommen, und weißt du, was ich hier will? Die Steine
-wieder zurückkaufen!
-
-Geißler schweigt und schaut Sivert an. Dabei fällt ihm auch der große
-Sack in die Augen, und er fragt plötzlich: Was hast du da? -- Waren
-antwortet Sivert. Wir wollen damit hinunter ins Kirchspiel.
-
-Geißler bezeigt keine besondere Teilnahme für diese Antwort, er hat sie
-vielleicht gar nicht gehört, er fährt fort: Ich will also die Steine
-zurückkaufen. Das letztemal ließ ich meinen Sohn verkaufen, der ist ein
-junger Mann deines Alters und weiter nichts. Er ist der Blitz in der
-Familie, ich bin der Nebel. Ich gehöre zu denen, die das Rechte wissen,
-aber es nicht tun. Er ist der Blitz, zurzeit hat er sich in den Dienst
-der Industrie gestellt. Er hat das letztemal in meinem Namen verkauft.
-Ich bin etwas, aber er ist nichts; er ist nur der Blitz, der rasche
-Mann der Gegenwart. Aber der Blitz als solcher ist unfruchtbar. Nehmen
-wir einmal euch Leute auf Sellanraa. Ihr seht alle Tage blaue Berge
-vor euch; das sind keine erfundenen Dinge, das sind alte Berge, die
-stehen da seit alter grauer Vorzeit, aber sie sind eure Kameraden. So
-geht ihr zusammen mit Himmel und Erde, seid eins mit ihnen, seid eins
-mit dieser Weite und seid bodenständig. Ihr braucht kein Schwert in der
-Faust, ihr geht unbewehrten Hauptes und mit unbewehrter Faust durchs
-Leben, umgeben von großer Freundlichkeit. Sieh, da ist die Natur, sie
-gehört dir und den Deinen. Der Mensch und die Natur bekämpfen einander
-nicht, sie geben einander recht, sie treten nicht in Wettbewerb, laufen
-nicht um die Wette irgendeinem Vorteil nach, sie gehen Hand in Hand.
-Mittendrin geht ihr Leute auf Sellanraa und gedeiht. Die Berge, der
-Wald, die Moore, die Matten, der Himmel und die Sterne -- ach, das
-alles ist nicht armselig und karg zugemessen, das ist ohne alles Maß!
-Hör auf mich, Sivert, sei zufrieden mit deinem Los! Ihr habt alles,
-was ihr zum Leben braucht, alles, wofür ihr lebt; ihr werdet geboren
-und erzeugt neue Geschlechter, ihr seid notwendig auf der Erde. Das
-sind nicht alle, aber ihr seid es: notwendig auf der Erde. Ihr erhaltet
-das Leben. Bei euch folgt ein Geschlecht dem andern, wenn das eine
-stirbt, tritt das nächste an seine Stelle. Das eben ist unter dem
-ewigen Leben zu verstehen. Und was habt ihr dafür? Ein Dasein in Recht
-und Gerechtigkeit, ein Dasein in wahrer und aufrichtiger Stellung zu
-allem. Was habt ihr weiter dafür? Nichts unterjocht und beherrscht
-euch Leute von Sellanraa, ihr habt Ruhe und Macht und Gewalt, ihr seid
-umschlossen von der großen Freundlichkeit. Das habt ihr dafür. Ihr
-liegt an einem warmen Busen und spielt mit einer weichen Mutterhand
-und trinkt euch satt. Ich denke an deinen Vater, er ist einer von den
-zweiunddreißigtausend. Was ist so mancher andere? Ich bin etwas, ich
-bin der Nebel, ich bin hier und ich bin dort, ich woge hin und her,
-zuweilen bin ich der Regen auf einer dürren Stätte. Aber die anderen?
-Mein Sohn ist der Blitz, der eigentlich nichts ist, ein nutzloses
-Aufleuchten, er kann Handel treiben. Mein Sohn ist der Typus des
-Menschen unserer Zeit, er glaubt aufrichtig an das, was die Zeit ihn
-gelehrt hat, was der Jude und der Yankee ihn gelehrt haben; ich jedoch
-schüttle den Kopf dazu. Aber ich bin nichts Geheimnisvolles, nur in
-meiner eigenen Familie bin ich der Nebel, da sitze ich und schüttle den
-Kopf. Die Sache ist die, mir fehlt die Gabe zu einem reuelosen Handeln.
-Hätte ich diese Gabe, dann könnte ich selbst der Blitz sein. So bin ich
-der Nebel.
-
-Plötzlich kommt Geißler gleichsam wieder zu sich und fragt: Habt ihr
-den Heuboden auf eurem steinernen Stallgebäude aufgeschlagen? -- Ja.
-Und der Vater hat auch noch ein Wohnhaus gebaut. -- Noch ein Wohnhaus?
--- Ja, für den Fall, daß jemand kommt, sagt er, für den Fall, daß der
-Geißler kommt, sagt er. -- Geißler denkt darüber nach und erklärt: Dann
-muß ich gewiß kommen. Doch, dann komm ich, sag das deinem Vater. Aber
-ich habe so viele Geschäfte. Jetzt bin ich hier heraufgekommen und habe
-zu dem Ingenieur gesagt: Grüßen Sie die Herren in Schweden und sagen
-Sie, ich sei Käufer. Und nun müssen wir sehen, was daraus wird. Mir
-ist es einerlei, ich habe keine Eile. Du hättest den Ingenieur sehen
-sollen! Er hat hier den Betrieb im Gang gehalten mit Menschen und
-Pferden und Geld und Maschinen und allem Zeug, er glaubte das Rechte
-zu tun, er wußte es nicht anders. Er meint, je mehr Steine er zu Geld
-mache, desto besser sei es und er tue etwas Verdienstvolles damit, daß
-er dem Kirchspiel, daß er dem Lande Geld verschafft, es rast mit ihm
-immer mehr dem Untergang entgegen, und er merkt es nicht. Nicht Geld
-braucht das Land, das Land hat Geld mehr als genug. Solche Männer, wie
-dein Vater einer ist, davon hat es nicht genug. Wenn man bedenkt, daß
-sie das Mittel zum Zweck machen und stolz darauf sind! Sie sind krank
-und verrückt, sie arbeiten nicht, sie kennen den Pflug nicht, sie
-kennen nur den Würfel. Haben sie denn keine Verdienste? sie reiben sich
-ja auf mit ihrer Narretei. Sieh sie an, setzen sie denn nicht ihr alles
-ein? Der Fehler dabei ist nur, daß dieses Spiel nicht Übermut ist,
-nicht einmal Mut, es ist Schrecken. Weißt du, was Glücksspiel ist? Es
-ist Angst, die einem den Schweiß auf die Stirne treibt, das ist es. Der
-Fehler ist, daß sie nicht im Takt mit dem Leben schreiten wollen, sie
-wollen rascher gehen als das Leben, sie jagen, sie treiben sich selbst
-wie Keile ins Leben hinein. Aber dann sagen ja ihre Flanken -- halt,
-es knackt, such einen Ausweg, halt inne, die Flanken! Dann zerbricht
-sie das Leben, höflich, aber bestimmt. Und dann beginnen die Klagen
-über das Leben, das Toben gegen das Leben. Jeder nach seinem Gefallen,
-einige haben wohl Grund zur Klage, andere nicht, aber niemand sollte
-gegen das Leben toben. Man sollte das Leben nicht hart und streng
-und gerecht beurteilen, man sollte barmherzig gegen es sein und es
-verteidigen: bedenke doch, mit welchen Mitspielern das Leben sein Spiel
-spielen muß!
-
-Geißler kommt wieder zu sich und sagt: Wir wollen das auf sich
-beruhen lassen. Er ist augenscheinlich müde, er gähnt. Willst du
-hinunter? fragt er. -- Ja. -- Das eilt nicht. Du bist mir noch einen
-weiten Gang über die Berge schuldig, lieber Sivert, weißt du noch?
-Ich erinnere mich noch an alles und jedes. Ich erinnere mich noch,
-wie ich anderthalb Jahre alt war: da stand ich schwankend auf der
-Scheunenbrücke auf dem Hof Garmo in Lom und roch einen bestimmten
-Geruch. Diesen Geruch kenne ich immer noch. Aber wir wollen auch das
-auf sich beruhen lassen. Wir hätten jetzt den Gang über die Berge
-machen können, wenn du nicht den Sack da tragen müßtest. Was hast du in
-dem Sack? -- Waren. Andresen will sie verkaufen. -- Ich bin also ein
-Mann, der das Richtige weiß, aber es nicht tut, sagt Geißler. Das ist
-buchstäblich zu verstehen. Ich bin der Nebel. An einem der nächsten
-Tage kaufe ich vielleicht den Berg wieder, das ist gar nicht unmöglich.
-Aber in diesem Falle stelle ich mich nicht hin, schaue in die Luft
-und sage: Luftbahn, Südamerika! Das ist etwas für Glücksspieler. Die
-Leute hier meinen, ich sei der leibhaftige Teufel, weil ich wußte, daß
-es hier einen Krach geben werde. Aber es ist nichts Geheimnisvolles
-an mir, die ganze Sache ist sehr einfach: die neuen Kupferlager in
-Montana. Die Yankees sind schlauere Spieler als wir, die schlagen uns
-mit ihrem Wettbewerb in Südamerika tot. Unser Erz ist zu arm. Mein
-Sohn ist der Blitz, er hörte ein Vögelchen davon singen, da bin ich
-hergeschwommen. So einfach ist es. Ich war nur den Herren in Schweden
-ein paar Stunden voraus, das ist alles.
-
-Geißler gähnt wieder, steht auf und sagt: Wenn du hinunter willst, so
-wollen wir jetzt gehen.
-
-Sie gehen miteinander den Berg hinunter, Geißler stapft hinterdrein und
-ist schlapp und müde. Die Karawane hat am Landungsplatz haltgemacht,
-der muntere Fredrik Ström ist dabei, Aronsen steigen zu lassen. Ich
-habe keinen Tabak mehr, habt ihr Tabak? -- Ich werde dir Tabak geben!
-ruft Aronsen. -- Fredrik lacht und tröstet ihn: Nehmt es doch nicht
-so schwer, Aronsen! Wir wollen jetzt nur diese Waren vor Euren Augen
-verkaufen, dann gehen wir wieder heim. -- Halt deinen ungewaschenen
-Mund! ruft Aronsen erbost. -- Hahaha, nein, Ihr sollt nicht so
-aufgeregt umherlaufen, Ihr sollt wie eine ruhige Landschaft sein!
-
-Geißler ist müde, sehr müde, nicht einmal der graue Zwicker hilft
-mehr, die Augen wollen ihm in dem hellen Frühlingsschein zufallen. Leb
-wohl, lieber Sivert! sagt er plötzlich. Nein, ich kann diesmal doch
-nicht nach Sellanraa kommen, sag das deinem Vater. Ich habe so viel zu
-besorgen. Aber sag ihm, daß ich später einmal komme. --
-
-Aronsen spuckt hinter ihm aus und sagt noch einmal: Er gehört
-totgeschossen!
-
-In drei Tagen verkauft die Karawane ihre Säcke leer und bekommt gute
-Preise. Es wurde ein glänzendes Geschäft. Die Leute des Kirchspiels
-hatten noch herrlich viel Geld trotz des Krachs und waren in
-bester Übung, es auszugeben; sie brauchten diese Vögel auf Draht
-notwendig, sie stellten sie auf ihre Kommoden und kauften auch schöne
-Papiermesser, um ihre Kalender damit aufzuschneiden. Aronsen tobte:
-Als ob ich nicht geradeso schöne Sachen in meinem Laden hätte!
-
-Der Kaufmann Aronsen war in großer Not, er wollte ja dabeisein und
-diese Hausierer bewachen, aber die trennten sich, und jeder ging
-allein seines Wegs, und er hätte sich in Stücke reißen müssen, um
-allen dreien nachzulaufen. So gab er zuerst Fredrik Ström auf, der das
-ungewaschenste Mundwerk hatte, dann Sivert, der ihm niemals auch nur
-ein einziges Wort erwiderte, sondern nur immer verkaufte. Aronsen zog
-vor, seinem alten Ladendiener Andresen nachzulaufen und in den Häusern
-gegen ihn zu arbeiten. Oh, aber der Ladendiener Andresen kannte ja
-seinen alten Herrn und dessen Unwissenheit in Beziehung aufs Geschäft
-und auf verbotene Waren. So, englischer Faden ist nicht verboten?
-fragte Aronsen und stellte sich kundig. -- Doch, erwiderte Andresen.
-Ich habe aber auch keine einzige Fadenrolle hier. Die kann ich im
-Ödland auch verkaufen. Ich habe keine einzige Fadenrolle, da seht
-selbst! -- Das ist schon möglich. Aber du siehst, ich weiß auch, was
-verboten ist, da machst du mir nichts weis.
-
-Einen Tag lang hielt es Aronsen aus, dann gab er auch Andresen auf und
-ging heim. Die Hausierer hatten jetzt keine Aufsicht mehr.
-
-Und von nun an ging alles ausgezeichnet. In jenen Tagen trugen die
-Frauen falsche Haarzöpfe, und der Ladendiener Andresen war ein Meister
-darin, solche Zöpfe zu verkaufen, ja, im Notfall verkaufte er helle
-Zöpfe an schwarzhaarige Mädchen und bedauerte nur, daß er nicht noch
-hellere Zöpfe habe, oder graue, die die teuersten seien. Jeden Abend
-kamen die drei jungen Männer an einem vorher bestimmten Platz zusammen
-und erstatteten Bericht und halfen einander mit nicht ausverkauften
-Sachen aus, und Andresen setzte sich dann gerne mit einer Feile in der
-Hand hin und feilte eine deutsche Fabrikmarke auf einer Jagdflinte aus
-oder entfernte den Namen Faber von den Bleistiften. Andresen war und
-blieb ein Teufelskerl.
-
-Sivert dagegen war eine Enttäuschung. Nicht als ob er faul gewesen wäre
-und keine Waren abgesetzt hätte, er setzte sogar die meisten ab. Aber
-er bekam zuwenig Geld dafür. Du sprichst nicht genug, erklärte Andresen.
-
-Nein, Sivert hielt keine langen Reden, er war ein Ödlandbauer, war
-wortkarg und gelassen. Was war da lange zu schwatzen? Außerdem wollte
-Sivert bis zum Sonntag fertig sein und wieder nach Hause gehen,
-es gab gar viel Arbeit auf dem Ödland. -- Die Jensine zieht ihn,
-behauptete Fredrik Ström. -- Derselbe Fredrik hatte übrigens selbst
-die Frühjahrsbestellung zu besorgen und wenig Zeit zu verlieren, aber
-trotzdem mußte er am letzten Tag noch zu Aronsen gehen und eine Weile
-mit ihm streiten. Ich will ihm die leeren Säcke verkaufen, sagte er.
-
-Andresen und Sivert gingen wieder hinaus und warteten auf ihn. Sie
-hörten den herrlichsten Wortwechsel aus dem Kaufladen herausdringen und
-ab und zu auch Fredriks Gelächter. Dann machte Aronsen seine Ladentür
-auf und wies den Gast hinaus. Oh, aber Fredrik kam nicht, nein, er ließ
-sich Zeit und redete in einem fort; das letzte, was sie hörten, war,
-daß er den Versuch machte, die Schaukelpferde an Aronsen zu verhandeln.
-
-Dann zog die Karawane heimwärts, drei junge Männer voll Jugendlust
-und Gesundheit. Sie sangen, während sie dahinschritten, schliefen
-eine Weile im Gebirge und wanderten dann weiter. Als sie am Montag
-in Sellanraa ankamen, hatte Isak mit dem Säen begonnen. Es war das
-richtige Wetter dazu: feuchte Luft, dann und wann drang die Sonne
-durch, und ein ungeheurer Regenbogen spannte sich über den Himmel hin.
-
-Die Karawane löste sich auf: Leb wohl, leb wohl! ...
-
-Dort schreitet Isak übers Feld und sät, er ist ein Mühlengeist von
-Gestalt, ein Klotz. Er trägt hausgewebte Kleider, die Wolle stammt von
-seinen eigenen Schafen, die Stiefel stammen von seinen eigenen Kälbern
-und Kühen. Er geht nach frommer Sitte barhaupt, während er sät; auf dem
-Wirbel ist er kahl, sonst aber überaus haarig, ein ganzer Kranz von
-Haar und Bart steht um seinen Kopf. Das ist Isak der Markgraf.
-
-Er wußte selten das genaue Datum, wozu hätte er es wissen sollen? Er
-hatte keine Papiere einzulösen. Die Kreuze im Kalender zeigten an,
-wann jede Kuh kalben sollte. Aber er wußte, daß bis zum Sankt-Olafstag
-im Herbst alles Heu hereingebracht sein mußte, und er wußte, wann im
-Frühjahr der Viehmarkt war und daß drei Wochen danach der Bär aus
-seiner Höhle ging. Da mußte die Saat in der Erde sein. Das Notwendige
-wußte er.
-
-Er ist Ödlandbauer bis in die Knochen und Landwirt vom Scheitel bis
-zur Sohle. Ein Wiedererstandener aus der Vorzeit, der in die Zukunft
-hinausdeutet, ein Mann aus der Zeit des Ackerbaus, ein Landnamsmann,
-neunhundert Jahre alt und doch auch wieder der Mann des Tages.
-
-Nein, er hatte nichts mehr übrig von dem Geld für den Kupferberg, das
-war in alle Winde verflogen. Und wer hatte jetzt noch etwas davon, da
-der Berg wieder verlassen war? Aber die Allmende liegt da und trägt
-zehn Neusiedlungen und wartet auf weitere Hunderte.
-
-Wächst und gedeiht hier nichts? Hier wächst und gedeiht alles, Menschen
-und Tiere und die Früchte des Feldes. Isak sät. Die Abendsonne
-bescheint das Korn, er streut es im Bogen aus seiner Hand, und wie ein
-Goldregen sinkt es auf die Erde. Da kommt Sivert und eggt, nachher
-walzt er, dann eggt er wieder. Der Wald und die Berge stehen da und
-schauen zu, alles ist Macht und Hoheit, hier ist ein Zusammenhang und
-ein Ziel.
-
-Klingeling! sagen die Kuhglocken auf den Halden, sie kommen näher
-und näher, das Vieh zieht seinem Stalle zu. Es sind fünfzehn Kühe
-und fünfundvierzig Stück Kleinvieh, im ganzen sechzig Stück Vieh. Da
-gehen die Frauen mit ihren Melkkübeln dem Sommerstall zu, sie tragen
-sie am Joch über den Schultern, es ist Leopoldine, Jensine und die
-kleine Rebekka. Alle drei gehen barfuß. Die Markgräfin, Inger selbst,
-ist nicht mit dabei, sie ist im Haus, sie kocht das Abendessen; hoch
-und stattlich schreitet sie durch ihr Haus, eine Vestalin, die das
-Feuer in einem Kochherd unterhält. Nun, Inger ist auf das weite Meer
-hinausgesegelt, sie ist in der Stadt gewesen, jetzt ist sie wieder
-daheim. Die Welt ist weit, es wimmelt auf ihr von Punkten, Inger hat
-mitgewimmelt. Sie war beinahe ein Nichts unter den Menschen, nur ein
-einzelner unter ihnen.
-
-Und nun wird es Abend.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-Dieses Werk ist eine Veröffentlichung der
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- Druck von
- A. Seydel & Cie. Aktiengesellschaft,
- Berlin ~SW~ 61
-
-
-
-
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- | Anmerkungen zur Transkription |
- | |
- | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen |
- | gebräuchlich waren, wie: |
- | |
- | anderen -- andern |
- | daheimbleiben -- daheim bleiben |
- | Felsenspalte -- Felsspalte |
- | Kindesleiche -- Kindsleiche |
- | Lensmannes -- Lensmanns |
- | Mühlengeist -- Mühlgeist |
- | sollest -- sollst |
- | unserem -- unserm |
- | |
- | Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert. |
- | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: |
- | |
- | S. 29 »halbangekleidet« in »halb angekleidet« geändert. |
- | S. 48 »wie wie du selbst« in »wie du selbst« geändert. |
- | S. 152 »Aband« in »Abend« geändert. |
- | S. 168 »Gebirgsee« in »Gebirgssee« geändert. |
- | S. 170 »bei sei« in »bei sich« geändert. |
- | S. 197 »Handwerkzeug« in »Handwerkszeug« geändert. |
- | S. 205 »Gofolgschaft« in »Gefolgschaft« geändert. |
- | S. 236 »mit mit Eleseus« in »mit Eleseus« geändert. |
- | S. 281 »bemerkstelligen« in »bewerkstelligen« geändert. |
- | S. 338 »Inge« in »Inger« geändert. |
- | S. 339 »Tausendsasa« in »Tausendsassa« geändert. |
- | S. 366 »Jetzt aben« in »Jetzt aber« geändert. |
- | S. 407 »Tröpfen Kaffee« in »Tröpfchen Kaffee« geändert. |
- | S. 418 »keinen Öre« in »keine Öre« geändert. |
- | S. 439 »Aronson« in »Aronsen« geändert. |
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-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SEGEN DER ERDE ***
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- The Project Gutenberg eBook of Segen Der Erde, by Knut Hamsun .
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-<div style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of Segen der Erde, by Knut Hamsun</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
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-country where you are located before using this eBook.
-</div>
-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Segen der Erde</p>
-
-<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Knut Hamsun</div>
-
-<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Translator: Pauline Klaiber-Gottschau</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: September 17, 2021 [eBook #66326]</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div>
-
-<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net</div>
-
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SEGEN DER ERDE ***</div>
-
-
-<p class="center big140">Knut Hamsun / Segen der Erde</p>
-
-
-
-<p class="center pagebreak big160"><i>Knut Hamsun</i></p>
-
-
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-<h1>Segen<br />
-der<br />
-Erde</h1>
-
-<p class="center big160 p2"><i>Roman</i></p>
-
-<div class="signet" style="width: 376px;">
-<img src="images/signet.png" width="376" height="532" alt="" />
-</div>
-
-
-<div class="center p2">
-<table class="center" border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="Verlagsangaben">
-<tr><td align="center" colspan="5"><span class="big160"><i>Deutsche Buch-Gemeinschaft</i></span></td></tr>
-<tr><td align="center"><span class="antiqua">G.</span></td><td align="center"><span class="antiqua">m.</span></td><td /><td align="center"><span class="antiqua">b.</span></td><td align="center"><span class="antiqua">H.</span></td></tr>
-<tr><td /><td /><td align="center"><span class="smcap big160"><span class="antiqua">Berlin</span></span></td><td /><td /></tr>
-</table>
-</div>
-
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-
-<p class="center pagebreak p6">Berechtigte Übersetzung von</p>
-
-<p class="center"><em class="gesperrt">Pauline Klaiber-Gottschau</em></p>
-
-<p class="center">Revidiert von</p>
-
-<p class="center"><em class="gesperrt">J. Sandmeier</em></p>
-
-<p class="center">Copyright 1918 by Albert Langen, Munich</p>
-
-<p class="center">Printed in Germany</p>
-
-<p class="center">Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung,
-Dramatisierung, Verfilmung und Radiosendung,
-vorbehalten
-</p>
-
-<p class="center"><em class="gesperrt">Knut Hamsun</em>        <em class="gesperrt">Albert Langen</em>
-</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[S. 5]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h2>Erster Teil</h2>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[S. 7]</a></span></p>
-
-
-<h3>1</h3>
-
-
-<p>Der lange, lange Pfad über das Moor in den
-Wald hinein &mdash; wer hat ihn ausgetreten? Der
-Mann, der Mensch, der erste, der hier war. Für
-ihn war noch kein Pfad vorhanden. Später folgte dann
-das eine oder andere Tier der schwachen Spur über
-Sümpfe und Moore und machte sie deutlicher, und wieder
-später schnupperte allmählich der oder jener Lappe
-den Pfad auf und benützte ihn, wenn er von Berg zu
-Berg wanderte, um nach seinen Renntieren zu sehen. So
-entstand der Weg durch die weite Allmende, die niemand
-gehörte, durch das herrenlose Land.</p>
-
-<p>Der Mann kommt in nördlicher Richtung gegangen.
-Er trägt einen Sack, den Sack, der Mundvorrat und
-einiges Handwerkszeug enthält. Der Mann ist stark und
-derb, er hat einen rostigen Bart und kleine Narben im
-Gesicht und an den Händen &mdash; diese Wundenzeichen, hat
-er sie sich bei der Arbeit oder im Kampf geholt? Er
-kommt vielleicht aus dem Gefängnis und will sich verbergen,
-vielleicht ist er ein Philosoph und sucht Frieden,
-jedenfalls aber kommt er dahergewandert, ein Mensch
-mitten in dieser ungeheuren Einsamkeit. Er geht und geht,
-still ist es ringsum, kein Vogel, kein Tier ist zu hören,
-bisweilen redet er ein paar Worte mit sich selbst. Ach ja,
-Herrgott im Himmel! sagt er. Wenn er auf seiner Wanderung
-an Moore und wirtliche Stellen oder offene<span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[S. 8]</a></span>
-freie Plätze im Walde kommt, legt er seinen Sack ab,
-geht umher und untersucht die Bodenverhältnisse; nach
-einer Weile kehrt er zurück, nimmt seinen Sack wieder
-auf den Rücken und wandert weiter. Dies währt den
-ganzen Tag, er sieht an der Sonne, welche Zeit es ist,
-es wird Nacht, und er wirft sich ins Heidekraut und
-schläft auf seinem Arm.</p>
-
-<p>Nach einigen Stunden geht er wieder weiter. Ach ja,
-Herrgott im Himmel! geht wieder geradeaus nach Norden,
-sieht an der Sonne die Tageszeit, hält Mittagsrast
-mit einem Stück Hartbrot und Ziegenkäse, trinkt Wasser
-aus einem Bach dazu und setzt seinen Weg fort. Auch
-diesen ganzen Tag wandert er ununterbrochen weiter,
-denn er muß sehr viele wirtliche Plätze im Walde untersuchen.
-Was sucht er? Land, Erde? Er ist vielleicht ein
-Auswanderer aus den Dörfern, denn er schaut sich scharf
-und spähend um, manchmal ersteigt er auch einen Hügel
-und späht von da umher. Jetzt ist die Sonne wieder am
-Untergehen.</p>
-
-<p>Er befindet sich jetzt auf der Westseite eines langgestreckten
-Tales mit gemischtem Wald, hier ist auch
-Laubwald, und Weideflächen mischen sich darein, stundenlang
-geht es so fort; es dämmert, aber der Mann hört
-das leise Rauschen eines Flusses, und dieses leichte Rauschen
-ist wie etwas Lebendiges und muntert ihn auf. Als
-er die Höhe erreicht, sieht er das Tal im Halbdunkel
-vor sich liegen und weit draußen nach Süden den Himmel
-darüber. Nun legt er sich schlafen.</p>
-
-<p>Am Morgen sieht er eine Landschaft mit Wald und
-Weideland vor sich ausgebreitet. Er steigt hinunter: da
-ist ein grüner Berghang, weit unten erblickt er ein Stück
-des Flusses und einen Hasen, der in einem Sprung darüber
-hinwegsetzt. Der Mann nickt, als sei es ihm gerade
-recht, daß der Fluß nicht breiter ist als ein Hasensprung.
-Ein brütendes Schneehuhn flattert plötzlich zu seinen<span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[S. 9]</a></span>
-Füßen auf und zischt ihn wild an, und wieder nickt der
-Mann: hier sind Tiere und Vögel, das ist abermals gerade
-recht! Seine Füße waten durch Blaubeerenbüsche
-und Preiselbeerkraut, durch siebengezackte Waldsterne
-und niedere Farnkräuter; wenn er da und dort anhält
-und mit einem Eisen in der Erde gräbt, findet er hier
-Walderde und dort mit Laub und verrotteten Zweigen
-seit Tausenden von Jahren gedüngten Moorboden. Der
-Mann nickt, hier will er sich niederlassen, ja, hier sich
-niederlassen, das will er. Noch zwei weitere Tage streift
-er in der Gegend umher, kehrt aber am Abend immer
-wieder zu dieser Halde zurück. Des Nachts schläft er auf
-seinem Lager aus Tannenzweigen, er ist ganz daheim
-hier, er hat ja schon ein Lager unter einem Felsvorsprung.</p>
-
-<p>Das schlimmste war gewesen, den Ort zu finden, einen
-Ort, der niemand gehörte, der sein war; jetzt kamen die
-Tage der Arbeit. Er fing sofort an, in den etwas weiter
-entfernten Wäldern Rinde von den Birken zu schälen,
-jetzt, während der Saft noch in den Bäumen war. Dann
-legte er die Rinden fest zusammen, beschwerte sie mit
-Steinen und ließ sie trocknen. Wenn er eine große Last
-beisammen hatte, trug er sie die vielen Meilen zurück ins
-Dorf und verkaufte sie als Baumaterial. Und auf seine
-Halde dort droben brachte er neue Säcke mit Lebensmitteln
-und Werkzeug heim: Mehl, Speck, einen Kochtopf,
-einen Spaten; unverdrossen wanderte er den Pfad
-hin und her und schleppte sich ab. Ein geborener Lastträger,
-ein Prahm, der durch die Wälder ging, oh, es
-war, als liebe er diesen seinen Beruf, viel zu geben
-und viel zu tragen, als dünke ihn, ohne Last auf dem
-Rücken zu gehen, ein faules Dasein, das für ihn nicht
-passe.</p>
-
-<p>Eines Tages kam er dahergewandert mit seiner schweren
-Last auf dem Rücken und außerdem mit zwei Ziegen
-und einem jungen Bock an der Leine. Er war so beglückt<span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span>
-über die Ziegen, gerade als seien es Kühe, und er war
-gut gegen sie. Der erste fremde Mensch kam vorüber,
-ein wandernder Lappe. Dieser sah die Ziegen und erriet,
-daß er auf einen Mann traf, der sich da niedergelassen
-hatte, und sagte:</p>
-
-<p>Willst du hier dauernd wohnen? &mdash; Ja, antwortete
-der Mann. &mdash; Wie heißt du? &mdash; Isak. Weißt du keine
-Magd für mich? &mdash; Nein, aber ich will darüber reden,
-dort, wo ich vorüberkomme. &mdash; Ja, tu das! Sage, daß
-ich Haustiere habe, aber niemand, der sie besorgt.</p>
-
-<p>Isak also, ja, auch das wollte der Lappe ausrichten.
-Der Mann auf der Halde war kein Flüchtling, er sagte
-seinen Namen. Er ein Flüchtling? Dann hätte man ihn
-aufgespürt. Er war nur ein unverdrossener Arbeiter, er
-sammelte Winterfutter für seine Ziegen, fing an Boden
-urbar zu machen, einen Acker zu roden, Steine wegzuschaffen,
-Steinwälle aufzurichten. Im Herbst hatte er
-eine Wohnung fertig, eine Erdhütte, eine Gamme, die
-war dicht und warm, sie krachte nicht in den Fugen beim
-Sturm, und sie konnte nicht abbrennen. Er konnte in
-diese Heimstätte hineingehen, die Türe hinter sich zumachen
-und da drinnen bleiben, oder er konnte vor der
-Türöffnung stehen und sich als den Herrn seines Hauses
-zeigen, wenn jemand vorbeikäme. Die Gamme war in
-zwei Teile geteilt, in dem einen wohnte er selbst, im
-andern seine Tiere. Ganz innen unter dem Felsen hatte
-er seinen Heuboden errichtet. Alles war da.</p>
-
-<p>Wieder kommen ein paar Lappen vorüber, Vater und
-Sohn. Sie bleiben stehen, stützen sich mit beiden Händen
-auf ihre langen Stöcke, betrachten die Hütte und das
-urbar gemachte Land und hören die Ziegenglocken oben
-am Hang.</p>
-
-<p>Ja, guten Tag, sagen sie, hier sind ja große Leute hergekommen.
-Die Lappen schmeicheln immer.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span></p>
-
-<p>Ihr wißt wohl keine Magd für mich? versetzt Isak,
-denn er hat nur das eine im Kopf.</p>
-
-<p>Eine Magd zur Hilfe? Nein. Aber wir wollen es weitersagen.
-&mdash; Ja, wenn ihr so gut sein wollt. Und daß ich
-ein Haus und Ackerland und Vieh habe, aber keine Magd
-zur Hilfe, das sollt ihr sagen.</p>
-
-<p>Ach, sooft er mit seinen Birkenrinden drunten im
-Dorfe war, hatte er nach dieser Magd zur Hilfe ausgeschaut,
-aber keine gefunden. Sie hatten ihn betrachtet,
-eine Witwe, ein paar ältere Mädchen, es aber nicht gewagt,
-ihm Hilfe zu versprechen; woher das kommen
-mochte, das begriff Isak nicht. Begriff er es wirklich
-nicht? Wer wollte bei einem Manne dienen, draußen im
-Ödland, meilenweit von den Menschen, ja eine Tagereise
-von der nächsten menschlichen Behausung entfernt! Und
-der Mann selbst war nicht die Spur lieb und hübsch, im
-Gegenteil, wenn er sprach, war er kein Tenor mit gen
-Himmel gerichteten Augen, sondern hatte eine etwas tierische
-und grobe Stimme.</p>
-
-<p>Dann mußte er eben allein bleiben.</p>
-
-<p>Im Winter machte er große Holztröge, verkaufte diese
-im Dorfe und kam mit Säcken voll Lebensmitteln und
-Werkzeug durch den Schnee zurück. Das waren harte
-Tage, ja er hatte eine schwere Last. Er hatte ja Haustiere,
-und die konnte er nicht längere Zeit verlassen. Wie hielt
-er es da? Die Not macht erfinderisch, sein Gehirn war
-stark und unverbraucht, und er übte es immer mehr.
-Das erste, was er tat, wenn er fortging, war, die Ziegen
-loszulassen, so daß sie an den Zweigen im Walde ihren
-Hunger stillen konnten. Aber er wußte auch noch einen
-anderen Ausweg. Er hängte am Fluß ein großes Holzgefäß
-auf und ließ ein kleines Rinnsal hineinlaufen; es
-dauerte vierzehn Stunden, bis dies Gefäß voll war.
-Wenn das Gefäß bis zum Überlaufen voll war, dann
-hatte es gerade das rechte Gewicht, daß es heruntersank,<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[S. 12]</a></span>
-aber indem es sank, zog es an einer Leine, die mit dem
-Heuboden in Verbindung stand, eine Luke öffnete sich,
-drei abgemessene Geißenmahlzeiten fielen herunter, und
-die Tiere hatten ihre Nahrung.</p>
-
-<p>Auf diese Weise machte er es.</p>
-
-<p>Eine geistreiche Erfindung, ja vielleicht eine Eingebung
-von Gott, dem Manne war geholfen. Es ging gut bis
-in den Spätherbst, dann kam Schnee, dann Regen, dann
-wieder Schnee, dauernd Schnee; da wirkte die Einrichtung
-mit der Heuversorgung verkehrt, das Gefäß füllte
-sich mit Regenwasser und öffnete die Luke vor der Zeit.
-Der Mann deckte das Gefäß zu, dann ging es wieder eine
-Weile gut, aber als der Winter einsetzte, fror das Rinnsal
-ein, und die Einrichtung versagte gänzlich.</p>
-
-<p>Da mußten die Ziegen und auch der Mann selbst entbehren
-lernen.</p>
-
-<p>Das waren harte Tage, der Mann mußte Hilfe haben,
-hatte jedoch keine. Er wurde aber deshalb doch nicht ratlos.
-Er schaffte an seinem Heim weiter, machte ein Fenster
-in die Hütte, ein Fenster mit zwei Glasscheiben. Das
-war ein merkwürdiger und heller Tag in seinem Leben,
-als er nicht auf dem Herd Feuer anzünden mußte, um
-sehen zu können, nun konnte er drinnen sitzenbleiben und
-bei Tageslicht Tröge aus Holz anfertigen. Es wurde
-besser für ihn und lichter. Ach ja, Herrgott im Himmel!
-Er las nie in einem Buche, seine Gedanken beschäftigten
-sich aber oft mit Gott, er konnte nicht anders, Vertrauen
-und Ehrfurcht wohnten in seiner Seele. Der Sternenhimmel,
-das Rauschen des Waldes, die Einsamkeit, die
-Schneemassen, die Gewalten auf der Erde und über der
-Erde stimmten ihn oftmals am Tage nachdenklich und
-andächtig; er fühlte sich sündig und war gottesfürchtig,
-des Sonntags wusch er sich zur Ehre des Feiertages,
-arbeitete aber sonst wie alle Tage.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span></p>
-
-<p>Der Frühling kam heran, er bebaute seinen kleinen
-Acker und steckte Kartoffeln. Er hatte jetzt einen größeren
-Viehbestand, jede Ziege hatte Zwillinge gebracht, es
-waren jetzt sieben Geißen, groß und klein zusammengerechnet.
-Mit der Zukunft vor Augen erweiterte er seinen
-Stall und setzte auch da ein paar Fensterscheiben ein.
-Es wurde heller und tagte in jeder Weise.</p>
-
-<p>Eines Tages kam die Hilfe. Droben auf der Halde
-wanderte sie lange hin und her, ehe sie sich hervorwagte.
-Es wurde Abend, bis sie herankam, aber dann kam sie &mdash;
-ein großes, braunäugiges Mädchen; sie war so üppig und
-derb, mit festen guten Händen, mit Lappenschuhen an den
-Füßen, obgleich sie keine Lappin war, und mit einem
-Kalbfellsack auf dem Rücken. Sie war wohl schon etwas
-bei Jahren, höflich gesprochen, nahe an den Dreißigern.</p>
-
-<p>Warum sollte sie sich denn fürchten? Sie grüßte, fügte
-jedoch rasch hinzu: Ich muß nur über die Berge, darum
-bin ich diesen Weg gegangen. &mdash; So, sagte der Mann. Er
-verstand sie nicht ganz, sie redete undeutlich und wendete
-überdies das Gesicht weg. &mdash; Ja, sagte sie. Und es ist ein
-sehr weiter Weg. &mdash; Ja, antwortete er. Willst du über
-das Gebirge? &mdash; Ja. &mdash; Was willst du dort? &mdash; Ich habe
-meine Leute dort. &mdash; So, hast du deine Leute dort? Wie
-heißt du? &mdash; Inger, und wie heißt du? &mdash; Isak. &mdash; So,
-Isak. Wohnst du hier? &mdash; Ja, ich wohne hier und habe
-es so, wie du hier siehst. &mdash; Das ist wohl nicht übel, sagte
-sie lobend.</p>
-
-<p>Isak war im Denken ein ganzer Mann geworden, und
-nun kam ihm der Gedanke, daß sie wohl im Auftrag von
-jemand gekommen sei und nicht weiter wolle. Sie hatte
-vielleicht gehört, daß ihm weibliche Hilfe fehle.</p>
-
-<p>Komm herein und ruh dich aus! sagte er.</p>
-
-<p>Sie traten in die Hütte, aßen von ihrem Mundvorrat
-und tranken von seiner Geißenmilch; dann kochten sie
-Kaffee, den sie in einer Blase bei sich hatte. Sie hatten<span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span>
-es sehr behaglich beim Kaffee, ehe sie schlafen gingen.
-Nachts lag er da und war gierig nach ihr und bekam sie.</p>
-
-<p>Am Morgen ging sie nicht wieder weg und den Tag
-über auch nicht; sie machte sich nützlich, melkte die Ziegen
-und scheuerte die Holzgefäße mit feinem Sand und
-machte sie sauber. Sie ging nie wieder fort. Inger hieß
-sie, Isak hieß er.</p>
-
-<p>Nun begann ein anderes Leben für den einsamen
-Mann. Das einzige war, daß seine Frau undeutlich redete
-und wegen einer Hasenscharte immer das Gesicht wegwendete,
-aber das war nichts, um sich darüber zu beklagen.
-Ohne diesen verunstalteten Mund wäre sie wohl nie
-zu ihm gekommen, die Hasenscharte war sein Glück. Und
-er selbst, war er ohne Fehl? Isak mit dem rostigen Vollbart
-und dem zu untersetzten Körper, er war wie ein
-greulicher Mühlgeist, ja wie durch eine verzerrende Fensterscheibe
-gesehen. Und wer sonst ging mit einem solchen
-Ausdruck im Gesicht umher? Es war, als könne er jeden
-Augenblick eine Art von Barrabas loslassen. Es bedeutete
-schon viel, daß Inger nicht davonlief.</p>
-
-<p>Sie lief nicht davon. Wenn er fort war und wieder
-heimkam, war Inger bei der Hütte, die beiden waren
-eins, die Hütte und sie.</p>
-
-<p>Er hatte nun einen Menschen mehr zu versorgen, aber
-es lohnte sich, er konnte länger fort sein, er konnte sich
-rühren. Da war der Fluß, ein freundlicher Fluß, der
-neben seinem freundlichen Aussehen auch tief und raschen
-Laufes war; es war durchaus kein geringer Fluß, er mußte
-aus einem großen See droben im Gebirge kommen. Nun
-verschaffte Isak sich Fischgeräte und suchte diesen See
-auf; wenn er dann am Abend heimkam, brachte er eine
-ordentliche Anzahl Forellen und Alpensalme mit. Inger
-empfing ihn mit großer Verwunderung, sie war ganz
-überwältigt, schlug die Hände zusammen und rief: Um
-alles in der Welt! Sie merkte wohl, wie erfreut und stolz<span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span>
-er über ihr Lob war, und da sagte sie noch mehr freundliche
-Worte: daß sie so etwas noch nie gesehen habe und
-gar nicht verstehe, wie er das zuwege bringen konnte.</p>
-
-<p>Auch auf andere Weise war Inger ein Segen für ihn.
-Obgleich sie nicht gerade ein schönes Gesicht und Verstand
-im Kopfe hatte, so hatte sie doch bei einem ihrer Leute
-zwei Schafe mit ihren Lämmern stehen, und die holte sie.
-Das war das Notwendigste, was jetzt in die Gamme gebracht
-werden konnte, Schafe mit Wolle und Lämmern,
-vier lebende Tiere, der Viehstand vermehrte sich im großen
-Stil, wunderbar war es, wie er zunahm. Inger holte
-außerdem noch ihre Kleider und andere Sachen, die ihr
-gehörten, einen Spiegel, eine Schnur mit einigen hübschen
-Glasperlen daran, Kardätschen und ein Spinnrad. Sieh,
-wenn sie so weiter machte, war bald alles voll vom Boden
-bis zur Decke, und die Gamme hatte nicht Raum für
-alles! Isak war natürlich sehr bewegt beim Anblick dieser
-irdischen Reichtümer; aber da er von Natur wortkarg
-war, fiel es ihm schwer, sich darüber auszusprechen, er
-ging hinaus vors Haus, sah nach dem Wetter und kam
-wieder herein. Ja, gewiß hatte er großes Glück gehabt,
-und er fühlte immer mehr einen heißen Drang in sich aufsteigen,
-Zuneigung oder Liebe, oder was es nun genannt
-werden konnte.</p>
-
-<p>Du brauchst nicht so viel mitzubringen, sagte er. &mdash;
-Ich habe sogar anderswo noch mehr. Und dann habe ich
-den Oheim Sivert, den Bruder meiner Mutter, hast du
-von ihm gehört? &mdash; Nein. &mdash; Das ist ein reicher Mann,
-er ist Bezirkskassierer der Gemeinde.</p>
-
-<p>Die Liebe macht den Klugen dumm; Isak wollte sich
-auf seine Weise angenehm zeigen, und da tat er zuviel.</p>
-
-<p>Was ich sagen wollte, begann er; du sollst die Kartoffeln
-nicht hacken. Ich werde sie hacken, wenn ich heute
-abend heimkomme.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span></p>
-
-<p>Damit nahm er die Axt und ging in den Wald. Sie
-hörte ihn im Walde Bäume fällen, es war nicht weit
-weg, und sie hörte am Krachen, daß er große Stämme
-fällte. Nachdem sie eine Weile zugehört hatte, ging sie
-hinaus und hackte die Kartoffeln. Die Liebe macht den
-Dummen klug.</p>
-
-<p>Am Abend kam er mit einem großen Balken an, den
-er an einem Seil hinter sich herschleppte. Ach, der grobe,
-treuherzige Isak, er machte so viel Lärm mit dem Balken,
-als er nur konnte, räusperte sich und hustete, damit sie
-herauskommen und sich nicht wenig über ihn verwundern
-sollte.</p>
-
-<p>Ganz richtig, als er daherkam, rief sie auch: Ich glaube,
-du bist verrückt! Du bist doch wohl ein Mensch! sagte sie.
-Der Mann erwiderte nichts. Das fiel ihm nicht ein. Im
-Vergleich zu einem Baumstamm etwas mehr als ein
-Mensch zu sein, das war nicht der Rede wert. &mdash; Und
-wozu willst du denn den Stamm? fragte sie. &mdash; Ach, das
-weiß ich selbst noch nicht, antwortete er wichtig tuend.</p>
-
-<p>Aber jetzt sah er, daß sie die Kartoffeln schon gehackt
-hatte, und dadurch zeigte sie sich fast ebenso tüchtig wie er.
-Das war jedoch nicht nach seinem Sinn, da machte er das
-Seil von dem Baumstamm los und ging damit fort.
-Gehst du wieder? fragte sie. &mdash; Ja, antwortete er beleidigt.</p>
-
-<p>Er kam mit einem zweiten Baumstamm daher,
-schnaufte nicht, lärmte nicht, sondern zog ihn nur wie ein
-Ochse bis zur Gamme heran und ließ ihn da liegen.</p>
-
-<p>Im Laufe des Sommers schleppte er noch viele Baumstämme
-vor die Gamme.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>2</h3>
-
-
-<p>Eines Tages legte Inger wieder Mundvorrat in
-ihren Kalbfellsack und sagte: Jetzt mach ich wieder
-einen kurzen Besuch bei meinen Leuten. &mdash; So,
-sagte Isak. &mdash; Ja, ich muß nur einiges mit ihnen besprechen.</p>
-
-<p>Isak ging nicht zugleich mit ihr hinaus, sondern zögerte
-noch lange in der Gamme. Als er endlich auf die Schwelle
-trat und gar nicht neugierig tat, aber voll banger Ahnungen
-war, verschwand Inger gerade am Waldesrand. Hm.
-Kommst du wieder? konnte er nicht unterlassen, ihr nachzurufen.
-&mdash; Nicht wiederkommen! erwiderte sie. Ich
-glaube, du spottest. &mdash; So.</p>
-
-<p>Dann war er wieder allein. Ach ja, Herrgott im Himmel!
-Mit seinen Arbeitskräften und seiner Arbeitslust
-konnte er nicht nur in der Gamme aus und ein gehen
-und sich nur selbst im Wege sein, da fing er an zu arbeiten;
-er zweigte seine Baumstämme ab und hieb sie auf zwei
-Seiten flach. Bis zum Abend schaffte er daran, dann
-melkte er die Ziegen und legte sich schlafen.</p>
-
-<p>Öde und stille war's in der Gamme, dumpfes Schweigen
-schlug ihm entgegen vom Lehmboden und von den
-Torfwänden. Aber das Spinnrad und die Kardätschen
-waren an ihrem Platz, und die Perlen an ihrem Faden
-lagen wohlverwahrt in einem Beutel unter dem Dach.
-Inger hatte nichts mitgenommen. Isak war jedoch so
-unendlich dumm, daß er sich in der hellen Sommernacht
-vor der Dunkelheit fürchtete und bald dies, bald das an
-den Fensterscheiben vorbeischleichen sah. Als es nach der
-Helligkeit draußen ungefähr zwei Uhr sein mochte, stand
-er lieber wieder auf und aß sein Frühstück. Er kochte
-eine ungeheure Schüssel Grütze, gleich für den ganzen
-Tag, damit er nicht noch mehr Zeit aufs Kochen ver<span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span>wenden
-müßte. Bis zum Abend brach er zur Erweiterung
-des Kartoffelackers Neuland um.</p>
-
-<p>Drei Tage lang behaute er abwechslungsweise Baumstämme
-und brach Land um, am nächsten Tag kam dann
-wohl Inger. Es wäre nicht zuviel, wenn er bei ihrer Ankunft
-Fische für sie bereit hätte, dachte er; aber er wollte
-sich nicht auf den Weg machen und ihr geradeswegs übers
-Gebirge entgegengehen, deshalb machte er einen Umweg
-nach dem Fischplatz. Dabei kam er in unbekannte Gegenden
-des Gebirges; da waren nun graue Felsen und braunes
-Geröll, ganz schwere Steine, die aus Blei oder
-Kupfer sein konnten. Vieles konnte in diesen Steinen enthalten
-sein, vielleicht Silber und Gold; er verstand sich
-jedoch nicht darauf, und so konnte es ihm einerlei sein.
-Er kam an das Fischwasser; die Fische bissen bei dem
-schnakenvollen Wetter in dieser Nacht gut an, es gab wieder
-eine schwere Menge Salme und Forellen, und Inger
-würde aufschauen. Als er bei Tagesanbruch auf demselben
-Umweg, auf dem er hergekommen war, wieder zurückging,
-nahm er ein paar Stücke von dem Geröll mit, sie
-waren braun mit dunkelblauen Flecken darin und gewaltig
-schwer.</p>
-
-<p>Inger war nicht gekommen und kam auch nicht. Nun
-war es schon der vierte Tag. Er melkte die Ziegen wie damals,
-wo er noch allein mit ihnen gewesen war und niemand
-anderen zu dieser Arbeit hatte, dann ging er zur
-Geröllhalde und trug große Haufen zu einer Mauer passender
-Steine auf den Hofplatz. Er hatte wahrlich vielerlei
-Arbeit.</p>
-
-<p>Am fünften Abend ging er mit leisem Mißtrauen im
-Herzen zu Bett, im übrigen waren ja aber das Spinnrad
-und die Kardätschen noch da und auch die Perlen. Dieselbe
-Öde in der Hütte und nirgends ein Laut! Das wurden
-lange Stunden, und als er endlich eine Art Schritt draußen
-vernahm, dachte er, das sei nur etwas, was er sich<span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span>
-einbilde. Ach ja, Herrgott im Himmel! sagte er in seiner
-Verlassenheit, und solche Worte sprach Isak nicht, wenn
-er sie nicht wirklich meinte. Jetzt hörte er die Schritte aufs
-neue, und kurz nachher sah er etwas am Fenster vorbeigleiten,
-was es nun auch sein mochte, aber etwas mit
-Hörnern war es, leibhaftig. Er sprang auf und zum
-Hause hinaus, und da sah er etwas! Gott oder Teufel!
-murmelte er, und so etwas sagte Isak nicht, ohne daß er
-sich dazu gezwungen fühlte. Er sah eine Kuh, Inger und
-eine Kuh, die im Stalle verschwanden.</p>
-
-<p>Wenn er nun nicht Inger im Stall noch leise mit der
-Kuh hätte reden hören, hätte er wahrlich seinen Augen
-nicht getraut, aber er hörte sie, und im selben Augenblick
-stieg ihm eine böse Ahnung auf: Himmel! Natürlich war
-sie eine ausgezeichnete, verteufelte Frau, aber zu viel war
-zu viel. Spinnrad und Kardätsche, das mochte hingehen,
-die Perlen waren bedenklich vornehm, aber auch die mochten
-hingehen. Aber eine Kuh, vielleicht auf einem Weg
-oder auf der Weide eines Bauern gefunden, die von dem
-Besitzer vermißt wurde und nach der man forschen würde!</p>
-
-<p>Jetzt trat Inger wieder aus dem Stall und sagte stolz
-lächelnd: Ich habe nur meine Kuh mitgebracht! &mdash; So,
-erwiderte er. &mdash; Es dauerte so lange, weil ich nicht rascher
-mit ihr übers Gebirge konnte; sie ist trächtig. &mdash; Hast du
-eine Kuh mitgebracht? sagte er. &mdash; Ja, antwortete sie,
-und war vom Reichtum dieser Erde bis zum Zerspringen
-erfüllt. Oder meinst du, ich lüge dich an? sagte sie. Isak
-fürchtete das Schlimmste, hielt sich aber im Zaum und
-sagte nur: Komm jetzt herein und iß etwas.</p>
-
-<p>Hast du die Kuh gesehen? Ist sie nicht schön? &mdash;
-Prächtig. Woher hast du sie? fragte er so gleichgültig, als
-er konnte. &mdash; Sie heißt Goldhorn. Was willst du mit der
-Mauer, die du da aufgeführt hast? Du schindest dich
-noch zu Tode, ja, das tust du. Ach, komm und sieh dir
-die Kuh an!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span></p>
-
-<p>Sie gingen hinaus, Isak war in Unterkleidern, aber
-das tat nichts. Sie betrachteten die Kuh unendlich genau
-und von allen Seiten, den Kopf, das Euter, das Kreuz,
-die Lenden; rot und weiß, gut gebaut.</p>
-
-<p>Isak sagte vorsichtig: Für wie alt hältst du sie? &mdash;
-Halten? entgegnete Inger. Sie ist ganz genau, aufs
-Tüpfelchen genau, im vierten Sommer. Ich habe sie selbst
-aufgezogen, und alle sagten damals, es sei das netteste
-Kalb, das sie von ihrer Kindheit an gesehen hätten. Was
-meinst du, haben wir Futter für sie?</p>
-
-<p>Isak fing an, das zu glauben, was er gerne glauben
-wollte, und erklärte: Was das Futter betrifft, so werden
-wir genug für sie haben.</p>
-
-<p>Dann gingen sie hinein und aßen und tranken und
-legten sich zur Ruhe. Aber sie redeten noch lange von der
-Kuh, von dem großen Ereignis. Ja, aber ist es nicht eine
-schöne Kuh? Jetzt bekommt sie das zweite Kalb. Sie heißt
-Goldhorn. Schläfst du, Isak? &mdash; Nein. &mdash; Und denk
-dir, sie hat mich sofort wiedererkannt und ist mir gestern
-wie ein Lamm gefolgt. Wir haben heute nacht eine Weile
-auf dem Gebirge ausgeruht. &mdash; So? &mdash; Wir müssen sie
-aber den ganzen Sommer auf der Weide anbinden, sonst
-reißt sie aus, denn Kuh ist Kuh. &mdash; Wo ist sie vorher
-gewesen? fragte Isak schließlich. &mdash; Bei meinen Leuten,
-die haben sie versorgt. Sie wollten sie nicht hergeben, und
-die Kinder weinten, als ich sie mitnahm.</p>
-
-<p>War es möglich, daß Inger so herrlich lügen konnte?
-Sie sprach natürlich die Wahrheit, und die Kuh gehörte
-ihr. Nun wurde es großartig und behaglich auf dem
-Hofe, bald gab es nichts mehr, was noch fehlte! O diese
-Inger, er liebte sie, und sie liebte ihn wieder, sie waren
-genügsam, sie lebten im Zeitalter des Holzlöffels und
-hatten es gut. Wir wollen schlafen! dachten sie. Und
-dann schliefen sie. Bei Morgengrauen erwachten sie zum
-nächsten Tag; es gab wohl allerlei, mit dem man sich<span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span>
-abplagen mußte, jawohl, Kampf und Freude, wie das
-Leben eben ist.</p>
-
-<p>Da waren nun zum Beispiel diese Balken. Sollte er
-versuchen, sie aufzulegen? Isak hatte sich wohl umgesehen,
-als er im Dorfe war, und sich die Bauart ausgedacht,
-er konnte eine Eckfuge aushauen. Und mußte er
-es nicht durchaus tun? Jetzt waren Schafe auf den Hof
-gekommen, eine Kuh war gekommen, der Ziegen waren
-es viele geworden und würden immer mehr werden, der
-Viehstand sprengte den einen Raum der Gamme, er
-mußte einen Ausweg finden. Am besten war es, er fing
-gleich an, solange die Kartoffeln blühten und die Heuernte
-noch nicht begonnen hatte; Inger mußte da und
-dort mit Hand anlegen.</p>
-
-<p>In der Nacht erwacht Isak und steht auf. Inger schläft,
-fest und tief schläft sie nach ihrer Wanderung. Er geht
-wieder in den Stall. Jetzt redet er die Kuh ja nicht so an,
-daß es in widerliche Schmeicheleien übergeht, aber er
-tätschelt sie freundlich und untersucht sie aufs neue nach
-allen Richtungen, ob sie nicht irgendein Merkmal, ein
-Zeichen von einem fremden Eigentümer habe. Aber er
-findet kein Zeichen und geht erleichtert fort.</p>
-
-<p>Da liegt das Bauholz. Er fängt an, es auseinander
-zu rollen, es in einem Viereck auf die Mauer zu heben, ein
-großes Viereck für die Stube und ein kleines Viereck für
-die Kammer. Es war sehr unterhaltend und nahm ihn so
-in Anspruch, daß er darüber die Zeit vergaß. Jetzt rauchte
-es aus dem Dachloch der Gamme, Inger trat heraus und
-meldete, das Frühstück sei fertig. Und was hast du denn
-hier vor? fragte sie. &mdash; Bist du aufgestanden? erwiderte
-Isak.</p>
-
-<p>Seht, dieser Isak, er tat sehr geheimnisvoll, aber es
-gefiel ihm gut, daß sie fragte und neugierig war und ein
-Wesen aus seinem Vorhaben machte. Als er gegessen<span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span>
-hatte, blieb er noch ziemlich lange in der Gamme sitzen,
-ehe er wieder hinausging. Worauf wartete er?</p>
-
-<p>Nein, ich bleibe hier sitzen! sagte er schließlich und
-stand auf. Und ich habe doch so viel zu tun! sagte er. &mdash;
-Baust du ein Haus? fragte sie. Kannst du nicht antworten?
-&mdash; Er antwortete aus Gnade, ja, er fühlte sich
-außerordentlich groß, weil er ein Haus baute und dem
-Ganzen vorstand, deshalb antwortete er: Du siehst doch
-wohl, daß ich baue. &mdash; So? Ja, ja. &mdash; Kann ich denn
-anders? sagte er. Du kommst wahrhaftig mit einer ganzen
-Kuh daher, und da muß ich doch einen Stall für sie
-haben.</p>
-
-<p>Arme Inger, sie war nicht so unmenschlich klug wie er,
-wie Isak, der Herr der Schöpfung. Und es war, ehe sie
-ihn kennenlernte, ehe sie seine Art zu sprechen verstand.
-Inger sagte: Aber du wirst doch nicht am Ende einen
-Stall bauen? &mdash; So, sagte er. &mdash; Du führst mich wohl
-an, denn es wäre ja viel besser, du bautest ein Haus. &mdash;
-So, meinst du das? erwiderte er und sah sie mit verstellt
-ausdrucksloser Miene an, ja, als ob ihm bei ihrer Frage
-erst ein Licht aufginge. &mdash; Ja, dann können die Tiere die
-Gamme bekommen. &mdash; Er überlegte und sagte dann:
-Ich glaube wirklich, so wird es am besten sein! &mdash; Da
-siehst du, sagte die siegende Inger, ich bin auch nicht so
-ganz auf den Kopf gefallen. &mdash; Nein. Und was meinst du
-zu einer Kammer neben der Stube? &mdash; Eine Kammer?
-Dann wäre es bei uns wie bei anderen Leuten. Ja, wenn
-uns das widerfahren würde.</p>
-
-<p>Und es widerfuhr ihnen. Isak baute und hieb Eckfugen
-aus; er legte die Balken im Viereck, und zugleich mauerte
-er eine Feuerstelle aus dazu passenden Steinen; aber diese
-letzte Arbeit gelang ihm am wenigsten, und er war zuzeiten
-recht unzufrieden mit sich. Als die Heuernte begann,
-muß er von seinem Bauwerk heruntersteigen, um weitum<span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span>
-in den Halden das Gras zu mähen; danach trug er das
-Heu in ungeheuren Lasten nach Hause.</p>
-
-<p>An einem Regentag sagte Isak, er müsse hinunter ins
-Dorf.</p>
-
-<p>Was willst du dort? fragte Inger. &mdash; Ich weiß es
-selbst nicht genau, antwortete er.</p>
-
-<p>Er ging, war zwei volle Tage abwesend und brachte
-dann einen Kochherd angeschleppt &mdash; der Prahm kam
-durch den Wald dahergesegelt mit einem Kochherd auf
-dem Rücken.</p>
-
-<p>Du bist nicht wie ein Mensch gegen dich selbst, sagte
-Inger. Nun riß Isak die Feuerstelle, die sich in dem neuen
-Haus so schlecht ausnahm, wieder ein und stellte den
-Herd an ihren Platz. Nicht alle Leute haben einen Kochherd,
-sagte Inger, und nun haben wir einen! sagte sie.</p>
-
-<p>Die Heuernte ging ihren Gang, Isak brachte Heu in
-Massen heim, denn Waldgras ist leider nicht dasselbe
-wie Wiesengras, sondern viel geringer. Nun konnte er
-bloß an Regentagen an seinem Haus bauen, da ging es
-langsam vorwärts, und im August, als Isak alles Heu
-unter dem Felsenhang wohlgeborgen hatte, war das
-neue Haus erst halb gebaut.</p>
-
-<p>Im September sagte Isak zu Inger: So geht es nicht,
-ich glaube, du mußt hinunter ins Dorf gehen und mir
-einen Mann zur Hilfe holen. Inger aber war in der letzten
-Zeit etwas schweratmig geworden und konnte nicht
-mehr so schnell laufen, doch machte sie sich selbstverständlich
-fertig, seinen Auftrag auszurichten.</p>
-
-<p>Aber indessen hatte der Mann es sich anders überlegt,
-er wurde wieder hoffärtig und wollte alles allein machen.
-Es ist nicht der Mühe wert, die Leute darum anzugehen,
-sagte er, ich bringe es schon allein fertig. &mdash; Nein, du
-kannst es nicht schaffen, versetzte Inger. &mdash; Doch, hilf
-mir nur mit den Balken.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span></p>
-
-<p>Als der Oktober herangekommen war, sagte Inger:
-Ich kann nicht mehr! Das war nun sehr schlimm. Die
-Dachbalken sollten und mußten aufgesetzt werden, damit
-das Haus gedeckt wurde, ehe die Herbstregen einsetzten,
-es war höchste Zeit. Was hatte Inger nur? Sie wurde
-doch nicht krank?</p>
-
-<p>Wohl bereitete sie ab und zu noch Ziegenkäse, sonst
-aber leistete sie nichts mehr, als die Kuh Goldhorn auf
-der Weide viele Male am Tage an einen andern Platz
-anzubinden. &mdash; Bring einen großen Korb oder eine Kiste
-oder so etwas mit, wenn du wieder ins Dorf gehst, hatte
-Inger gesagt. &mdash; Was willst du damit? fragte Isak. &mdash;
-Ich brauche es, antwortete sie nur.</p>
-
-<p>Isak zog die Dachbalken an Seilen hinauf, und Inger
-schob mit einer Hand nach; es war, als helfe es schon,
-wenn sie nur dabei war. Allmählich ging es doch vorwärts;
-es war ja kein sehr hohes Dach, aber die Balken
-waren abenteuerlich groß und dick für das kleine Haus.</p>
-
-<p>Das gute Herbstwetter hielt sich einigermaßen, Inger
-hackte alle Kartoffeln allein heraus, und Isak bekam das
-Haus unter Dach, ehe der Regen endgültig einsetzte. Die
-Ziegen waren jetzt schon nachts bei den Menschen in der
-Hütte drinnen, auch das ging, alles ging. Die Menschen
-klagten nicht darüber. Isak machte sich wieder zu einem
-seiner Gänge ins Dorf fertig. Du solltest für mich einen
-großen Korb oder eine Kiste mitbringen, sagte Inger
-wieder, und es klang wie ein demütiger Wunsch. &mdash; Ich
-habe mir einige Fenster mit Glasscheiben bestellt, die ich
-holen muß, erwiderte Isak. Und ich habe auch zwei angestrichene
-Türen bestellt, fügte er überlegen hinzu. &mdash; Nun
-ja, dann muß der Korb eben warten. &mdash; Was willst du
-mit dem? &mdash; Was ich damit will? Ja, hast du denn keine
-Augen im Kopf?</p>
-
-<p>In tiefe Gedanken versunken, ging Isak seines Wegs
-dahin, und als er nach zwei Tagen zurückkam, brachte er<span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span>
-nicht allein ein Fenster, eine Tür zur Wohnstube und eine
-Tür zur Schlafkammer mit, sondern über die Brust herunter
-hing ihm auch die Kiste für Inger, und in der
-Kiste waren verschiedene Eßwaren.</p>
-
-<p>Inger sagte: Wenn du dich nur nicht eines Tages noch
-zu Tode abschleppst! &mdash; Hoho, zu Tode! Isak war so
-unendlich weit davon entfernt, sich zu Tode zu schleppen,
-daß er aus seiner Tasche eine Arzneiflasche mit Naphtha
-zog und sie Inger mit der Ermahnung übergab, recht
-tüchtig davon zu trinken, damit sie wieder gesund werde.
-Und da waren nun die Fenster und die angestrichenen
-Türen, mit denen er großtun konnte, und er machte sich
-auch gleich daran, sie einzusetzen. Ach, diese kleinen Türen,
-und gebraucht waren sie auch schon, aber gemalt waren
-sie hübsch mit weißen und roten Farben, die schmückten
-die Stuben wie Bilder an den Wänden.</p>
-
-<p>Jetzt zogen sie in das neue Haus ein, und der Viehbestand
-wurde in der ganzen Gamme verteilt. Zu der
-Kuh wurde ein Mutterschaf mit seinen Lämmern hineingestellt,
-damit sie es nicht gar so einsam hätte.</p>
-
-<p>Die Leute auf dem Ödland hatten es nun weit gebracht,
-wunderbar weit!</p>
-
-
-
-<h3>3</h3>
-
-
-<p>Solange das Erdreich noch weich war, brach Isak
-Steine und Wurzelstöcke heraus und richtete sein
-Land fürs nächste Jahr, und als dann der Boden
-gefror, ging er in den Wald und fällte große Mengen
-Klafterholz.</p>
-
-<p>Was willst du mit all dem Holz? konnte Inger fragen.
-&mdash; Das weiß ich nicht so genau, antwortete Isak; aber er
-wußte es recht wohl. Der alte düstere Urwald stand noch
-zu dicht ans Haus heran und versperrte jede Erweiterung
-des Wiesenlandes, außerdem wollte er das Klafterholz<span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span>
-während des Winters auf irgendeine Weise ins Dorf hinunterschaffen
-und es an Leute verkaufen, die kein Brennholz
-hatten. Isak war überzeugt, daß das ein sehr guter
-Gedanke sei, deshalb fällte er fleißig Bäume und hieb sie
-zu Klafterholz zurecht. Inger kam oft heraus und sah
-ihm zu; er tat zwar, als sei ihm das gleichgültig und als
-sei das gar nicht notwendig von ihr, aber sie fühlte doch,
-daß sie ihm dadurch wohltat.</p>
-
-<p>Manchmal fielen dabei merkwürdige Worte zwischen
-ihnen. Hast du nichts anderes zu tun, als hier herauszulaufen
-und dich zu Tode zu frieren? sagte Isak. &mdash; Ich
-friere nicht, antwortete Inger, aber du wirst dich noch
-krank schaffen. &mdash; Jetzt ziehst du gleich meine Jacke an,
-die dort drüben liegt. &mdash; Das fiele mir gerade noch ein,
-ich kann doch nicht hierbleiben, wenn Goldhorn eben am
-Kalben ist. &mdash; Ach so, Goldhorn ist am Kalben? &mdash; Hast
-du das nicht gewußt? Und was meinst du, sollen wir das
-Kalb aufziehen? &mdash; Das machst du, wie du willst, ich
-weiß es nicht. &mdash; Aber wir können doch das Kalb nicht
-aufessen, so viel ist gewiß. Denn dann hätten wir immer
-wieder nur eine einzige Kuh. &mdash; Und ich bin auch fest
-überzeugt, du möchtest gar nicht, daß wir das Kalb aufäßen,
-sagte Isak.</p>
-
-<p>Diese einsamen Menschen, so ungeschlacht und zu sehr
-ihren Trieben ergeben, aber voller Güte gegeneinander,
-gegen das Vieh und gegen die Erde!</p>
-
-<p>Dann brachte Goldhorn ein Kalb zur Welt. Das war
-ein bedeutungsvoller Tag im Ödland, eine überaus große
-Freude und ein großes Glück. Goldhorn bekam guten
-Mehltrank, und Isak sagte: Spar nicht am Mehl! obgleich
-er es auf seinem Rücken heraufgetragen hatte. Da
-lag nun ein hübsches Kalb, eine Schönheit von einem
-Kalb, rosig war es auch, sonderbar verwirrt nach dem
-Wunder, das es durchgemacht hatte. In ein paar Jahren
-würde es selbst Mutter sein. Dieses Kalb wird eine pracht<span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span>volle
-Kuh werden, sagte Inger, und ich weiß gar nicht,
-wie es heißen soll, sagte sie. Inger war etwas kindisch
-und hatte für so etwas nur eine schlechte Erfindungsgabe.
-&mdash; Heißen? sagte Isak. Du kannst keinen passenderen
-Namen finden als Silberhorn.</p>
-
-<p>Nun fiel der erste Schnee, und sobald der Schnee fest
-und tragfähig war, zog Isak hinunter ins Dorf. Er tat
-geheimnisvoll wie immer und wollte Inger nicht sagen,
-was er im Sinn hatte. Und er kehrte zurück, zur größten
-Überraschung &mdash; mit Pferd und Schlitten. Ich glaube, du
-treibst deinen Scherz, sagte Inger, und du hast doch wohl
-das Pferd nicht genommen? &mdash; Ich, das Pferd genommen!
-&mdash; Gefunden, meine ich! Ach, wenn Isak jetzt hätte
-sagen können: mein Pferd, unser Pferd! Aber er hatte
-es nur für einige Zeit leihweise bekommen, er wollte sein
-Klafterholz mit ihm hinunterführen.</p>
-
-<p>Isak fuhr Klafterholz ins Dorf und brachte dafür
-allerlei Eßwaren und Mehl und Heringe mit herauf. Und
-einmal kam er mit einem jungen Stier auf dem Schlitten,
-er hatte ihn unglaublich billig bekommen, weil im Dorf
-bereits Futtermangel herrschte. Mager und zottig war
-der Stier, und er konnte nicht so recht brüllen, aber er
-war keine Mißgeburt und würde sich bei guter Pflege
-bald herausmachen, er war eben zweijährig. Inger sagte:
-Du bringst doch alles mit.</p>
-
-<p>Ja, Isak brachte alles; er brachte Planken und Bretter,
-die er für Klafterholz eingetauscht hatte, er brachte einen
-Schleifstein, ein Waffeleisen, Handwerkszeug, alles für
-Klafterholz eingetauscht. Inger schwoll vor Reichtum,
-und sie sagte jedesmal: Bringst du noch mehr? Jetzt
-haben wir einen Stier und alles, was wir uns nur denken
-können! &mdash; Und eines Tages antwortete Isak: Nein, jetzt
-bringe ich übrigens nichts mehr.</p>
-
-<p>Sie hatten jetzt genug für lange Zeit und waren wohlgeborgene
-Leute. Was würde sich Isak nun im Frühjahr<span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span>
-vornehmen? An die hundertmal hatte er es sich ausgedacht,
-wenn er hinter seiner Holzfuhre hergeschritten
-war: er wollte auf der Halde weiter umroden, wollte den
-Boden urbar machen, Klafterholz zurechtmachen, es im
-Sommer trocknen lassen und im nächsten Winter noch
-einmal so viel hinunterfahren. Die Rechnung stimmte,
-es war kein Fehler darin. Und an die hundertmal hatte
-Isak auch an etwas anderes gedacht, nämlich an die Kuh
-Goldhorn. Woher kam sie, wem gehörte sie? So eine
-Frau wie Inger gab es nicht mehr, oh, sie war ein tolles
-Mädchen, und sie wollte alles, was er von ihr wollte und
-war zufrieden damit. Aber eines schönen Tages konnte
-jemand kommen und Goldhorn zurückverlangen und sie
-an einem Strick davonführen. Und viel Schlimmeres
-konnte daraus erwachsen. Du hast doch wohl das Pferd
-nicht genommen oder es gefunden? hatte Inger gesagt.
-Das war ihr erster Gedanke gewesen; man konnte ihr
-wohl nicht so recht glauben, und was sollte er tun? Daran
-hatte er gedacht. Hatte er nicht auch einen Stier für Goldhorn,
-vielleicht für eine gestohlene Kuh erstanden?</p>
-
-<p>Und nun mußte das Pferd zurückgegeben werden. Das
-war schade, denn das Pferd war klein und rund und sehr
-zutraulich geworden. O ja, aber du hast schon sehr Großes
-damit geleistet, sagte Inger tröstend. &mdash; Aber im Frühjahr
-sollte ich eben das Pferd haben, da würde ich es so
-notwendig brauchen! versetzte Isak.</p>
-
-<p>Im Morgendämmern fuhr er mit seiner letzten Holzladung
-langsam von zu Hause fort und blieb zwei volle
-Tage weg. Als er wieder zu Fuß heimwärts wanderte,
-hörte er vor dem Hause einen sonderbaren Ton. Was
-konnte das sein? Er blieb lauschend stehen. Kindergeschrei
-&mdash; ach ja, Herrgott im Himmel, es war nicht anders,
-aber es war schrecklich und sonderbar, und Inger hatte
-nichts gesagt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span></p>
-
-<p>Er trat ein und sah zuerst die Kiste, die vielbesprochene
-Kiste, die er auf seiner Brust heraufgetragen hatte! Sie
-hing nun an zwei Stricken vom Dachfirst herunter und
-war eine Wiege und eine Schaukel für das Kind. Inger
-ging halb angekleidet umher, ja, sie hatte wahrhaftig auch
-die Kuh und die Ziegen gemolken!</p>
-
-<p>Als das Kind schwieg, fragte Isak: Hast du das alles
-schon getan? &mdash; Ja, jetzt ist es getan. &mdash; So. &mdash; Es kam
-an dem Tag, an dem du wegfuhrst, am Abend. &mdash; So.
-&mdash; Ich mußte mich nur noch recken, um die Kiste aufzuhängen,
-dann war alles vorbereitet; aber das konnte ich
-nicht ertragen, es wurde mir übel danach. &mdash; Warum hast
-du mir nichts davon gesagt? &mdash; Konnte ich denn die Zeit
-so genau wissen? Es ist ein Junge. &mdash; Ach so, es ist ein
-Junge. &mdash; Und wenn ich jetzt nur wüßte, wie er heißen
-soll! sagte Inger.</p>
-
-<p>Isak durfte das kleine rote Gesicht sehen; es war wohlgeformt
-und hatte keine Hasenscharte, und es hatte dichtes
-Haar auf dem Kopf. Ein hübscher kleiner Kerl war er,
-seinem Stand und seiner Stellung nach, wie er da in
-seiner Kiste lag. Isak war es ganz seltsam zumute, und
-er fühlte sich ordentlich schwach; der Mühlengeist stand
-vor dem Wunder; es war einmal in einem heiligen Nebel
-entstanden, es zeigte sich im Leben mit einem kleinen
-Gesicht wie ein Sinnbild. Tage und Jahre würden das
-Wunder zu einem Menschen machen.</p>
-
-<p>Komm und iß etwas, sagte Inger ...</p>
-
-<p>Isak fällt Bäume und schichtet Klafterholz. Er ist jetzt
-weitergekommen, als er war. Er hat eine Säge. Er sägt
-Brennholz, und die Klafterbeugen werden gewaltig groß,
-er macht eine Straße aus ihnen, ein ganzes Dorf. Inger
-ist jetzt mehr ans Haus gebunden und kann den Mann
-nicht bei seiner Arbeit besuchen, aber dafür macht Isak
-kleine Abstecher zu ihr. Putzig mit so einem winzigen Kerl
-in einer Kiste! Es konnte Isak nicht einfallen, sich um<span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span>
-ihn zu kümmern, und außerdem war es ja nur ein kleiner
-Wurm, mochte er da liegenbleiben! Aber man war doch
-ein Mensch und konnte das Geschrei nicht teilnahmslos
-mit anhören, so ein kleines Geschrei.</p>
-
-<p>Nein, faß ihn nicht an! sagte Inger. Denn du hast
-gewiß Harz an den Händen, sagte sie. &mdash; Ich, Harz an
-den Händen? Du bist wohl verrückt! erwiderte Isak.
-Seit das Haus fertig geworden ist, habe ich kein Harz
-mehr an den Händen gehabt. Gib den Jungen her, dann
-will ich ihn in Schlaf wiegen! &mdash; Nein, jetzt ist er gleich
-still ...</p>
-
-<p>Im Mai kommt eine fremde Frauensperson übers Gebirge
-zu der einsamen Ansiedlung; sie ist eine Verwandte
-von Inger und wird gut aufgenommen. Sie sagt: Ich
-wollte nur sehen, wie es Goldhorn geht, seit sie von uns
-fortgekommen ist! &mdash; Die Leute fragen nicht viel nach
-dir, nach so einem kleinen Kerl, flüstert Inger betrübt
-dem Kinde zu. &mdash; Ach, er &mdash; nun das seh ich ja, wie es
-ihm geht. Es ist ein prächtiger Junge, das seh ich! Und
-wenn mir jemand das vor einem Jahr gesagt hätte, daß
-ich dich hier wiederfinden würde, Inger, mit Mann und
-Kind und Haus und allem übrigen! &mdash; Von mir sollst
-du nicht reden, das ist nicht der Mühe wert. Aber da ist
-nun er, der mich so genommen hat, wie ich war! &mdash; Seid
-ihr getraut? So, ihr seid noch nicht getraut? &mdash; Aber wir
-werden jetzt sehen, wenn der Kleine getauft wird, sagt
-Inger. Wir haben uns schon trauen lassen wollen, aber
-es hat sich nicht einrichten lassen. Was sagst du dazu,
-Isak? &mdash; Ja, trauen lassen &mdash; versteht sich. &mdash; Kannst du
-nicht nach der Heuernte hierherkommen, Oline, und das
-Vieh versorgen, während wir die Reise machen? fragte
-Inger. &mdash; O doch, das versprach der Besuch. &mdash; Wir werden
-dich dafür schadlos halten. &mdash; Ja, das wisse sie
-wohl ... Und nun wollt ihr noch weiter bauen, sehe ich.
-Was baut ihr denn? Habt ihr noch nicht genug? &mdash; Inger<span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span>
-schüttelt den Kopf und sagt: Ja, frag du ihn, ich bekomme
-es nicht zu wissen. &mdash; Was ich baue? sagt Isak,
-es ist nicht der Rede wert. Einen kleinen Schuppen, für
-den Fall, daß ich einen brauche. Aber du hast ja nach
-Goldhorn gefragt, willst du sie sehen? fragt er den Gast.</p>
-
-<p>Sie gehen in den Stall, Kuh und Kalb werden gezeigt.
-Der Stier ist ein prächtiges Stück Vieh, der Gast nickt
-wohlgefällig über das Vieh und den Stall, sagt, sie seien
-von bester Art, und die ausgesuchte Reinlichkeit, die sei
-großartig. Ich stehe bei Inger für alles ein, was gute
-und erfahrene Behandlung der Tiere betrifft, sagte die
-Verwandte.</p>
-
-<p>Isak fragt: So, also die Kuh Goldhorn ist vorher bei
-dir gewesen? &mdash; Ja, von ihrer Geburt an! Ja, nicht gerade
-bei mir, sondern bei meinem Sohn; aber das ist
-dasselbe. Wir haben sogar noch ihre Mutter in unserm
-Stall!</p>
-
-<p>Isak hatte seit langer Zeit keine angenehmere Botschaft
-gehört, und ein Stein fiel ihm vom Herzen, jetzt war
-Goldhorn mit Recht seine und Ingers Kuh. Um die
-Wahrheit zu sagen, so hatte er sich halb und halb den
-traurigen Ausweg aus seiner Ungewißheit ausgedacht gehabt,
-Goldhorn im Herbst zu schlachten, die Haare von
-der Haut zu schaben, die Hörner in der Erde zu vergraben
-und so jegliche Spur von der Kuh Goldhorn zu vertilgen.
-Jetzt war dies unnötig. Er wurde so stolz auf Inger, daß
-er sagte: Reinlich? Ja, so wie sie gibt es keine mehr. Es
-muß mir wahrhaftig vorher bestimmt gewesen sein, daß
-ich eine vermögliche Frau bekommen sollte! &mdash; Das war
-nicht anders zu erwarten! sagt die Verwandte.</p>
-
-<p>Diese Frau von jenseits des Gebirges, eine freundliche
-Person mit wohlgesetzter Rede, ein verständiges
-Menschenkind namens Oline, sie blieb nur ein paar Tage
-da und schlief in der Kammer nebenan. Als sie wieder
-fortging, bekam sie etwas Wolle von Ingers Schafen,<span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span>
-die sie jedoch, einerlei aus welchem Grunde, vor Isak
-verbarg.</p>
-
-<p>Das Kind, Isak und die Frau &mdash; die Welt wurde dann
-wieder dieselbe, tägliche Arbeit, viele kleine und große
-Freuden, Goldhorn gab reichlich Milch, die Ziegen hatten
-junge Zicklein und gaben auch reichlich Milch, Inger verfertigte
-eine Reihe weißer und roter Käse und stellte sie
-zum Reifen auf. Ihr Plan war, so viele Käslaibe herzustellen,
-daß sie sich einen Webstuhl dafür kaufen konnte
-&mdash; o diese Inger, sie konnte weben!</p>
-
-<p>Und Isak baute einen Schuppen, auch er hatte wohl
-einen Plan. Er errichtete den neuen Anbau an die Gamme
-mit einer doppelten Bretterwand, machte eine Tür hinein
-und ein nettes kleines Fenster mit vier Scheiben; dann
-legte er vorläufig ein Notdach darauf und wartete mit
-der Birkenrinde, bis der Boden auftauen würde und er
-Wasen ausstechen könnte. Nur das Notwendigste wurde
-gemacht, kein Bretterboden, keine gehobelten Wände, aber
-Isak zimmerte einen Stand wie für ein Pferd und machte
-eine Krippe.</p>
-
-<p>Es war schon Ende Mai, als die Sonne die Hügel aufgetaut
-hatte und Isak seinen Schuppen mit Wasen decken
-konnte; nun war das neue Gebäude fertig. Dann eines
-Morgens aß er eine Mahlzeit, die einen Tag ausreichen
-konnte, nahm außerdem noch Mundvorrat mit, legte
-Hacke und Spaten über die Schulter und ging ins Dorf.</p>
-
-<p>Kannst du vier Ellen Zitz mitbringen? rief ihm Inger
-nach. &mdash; Was willst du damit? versetzte Isak.</p>
-
-<p>Es sah aus, als wollte er für immer fortbleiben. Inger
-sah jeden Tag nach dem Wetter, nach der Windrichtung,
-als erwarte sie ein Schiff, ging in der Nacht hinaus und
-lauschte, sie dachte daran, das Kind auf den Arm zu
-nehmen und ihm nachzulaufen. Endlich kehrte er zurück
-mit Pferd und Wagen. Ptro! sagte Isak laut vor der
-Tür, und obgleich das Pferd ruhig und fromm dastand<span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span>
-und wiedererkennend nach der Hütte wieherte, rief Isak
-ins Haus hinein: Kannst du herauskommen und das
-Pferd ein wenig halten?</p>
-
-<p>Inger kam heraus. Was ist das? rief sie. Sag, hast
-du es wirklich wieder entlehnen können? Wo bist du denn
-die ganze Zeit gewesen? Heut ist der siebente Tag. &mdash; Wo
-sollte ich gewesen sein? Ich mußte an vielen Stellen erst
-den Weg bahnen, um mit meinem Wagen durchzukommen.
-Halt das Pferd ein wenig, hab ich gesagt! &mdash; Mit
-deinem Wagen? Du hast doch, soviel ich weiß, den Wagen
-nicht gekauft?</p>
-
-<p>Isak blieb stumm, ganz geschwollen vor Stummheit.
-Er fängt an, den Karren abzuladen; Pflug und Egge,
-die er sich angeschafft hat, Nägel, Eßwaren, einen Spaten,
-einen Sack voll Saatkorn. Wie geht es dem Kinde?
-fragt er.</p>
-
-<p>Das Kind leidet keine Not. Hast du den Karren gekauft?
-frage ich. Und ich quäle und quäle mich um einen
-Webstuhl ab, sagt sie richtig scherzhaft, so froh war sie,
-daß er wieder daheim war.</p>
-
-<p>Isak schwieg wieder eine lange Weile und war mit sich
-selbst beschäftigt. Er überlegte und schaute sich um, wo er
-alle die Waren und die Geräte unterbringen sollte. Es
-schien gar nicht so leicht, auf dem Hofe Platz für alles
-zu finden. Aber als Inger es aufgab, noch weiter zu fragen
-und statt dessen mit dem Pferde plauderte, brach
-Isak das Schweigen und sagte: Hast du schon einen Hof
-ohne Pferd und Wagen und Pflug und Egge und alles,
-was noch dazu gehört, gesehen? Und da du es wissen
-willst, ja, ich habe das Pferd und den Karren und alles,
-was darauf ist, gekauft. &mdash; Danach konnte Inger nur
-den Kopf schütteln und sagen: Um alles in der Welt!</p>
-
-<p>Und nun war Isak nicht klein und verzagt, es war,
-als habe er wie ein großer Herr für Goldhorn bezahlt:
-Bitte &mdash; in runder Summe meinerseits ein Pferd! Er<span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span>
-war so muskelstark, daß er den Pflug noch einmal aufnahm,
-ihn mit einer Hand an die Hauswand trug und da
-aufstellte. So ein Herrscher war er! Und dann trug er
-die Egge, den Spaten, eine neue Heugabel, die er gekauft
-hatte, alle die teuren landwirtschaftlichen Geräte, die
-Kleinode, in den Neubau. Großartig, oh, volle Ausrüstung,
-jetzt fehlte nichts mehr!</p>
-
-<p>Hm. Und es wird wohl auch zu einem Webstuhl reichen,
-sagte er, vorausgesetzt, daß ich gesund bleibe. Da
-ist der Zitz, sie hatten nichts anderes als diesen blauen
-Kattun.</p>
-
-<p>Er war grundlos und schöpfte immer mehr. So war's
-immer, wenn er vom Dorf kam.</p>
-
-<p>Inger sagte: Es war recht schade, daß die Oline nicht
-das alles zu sehen bekam, solange sie hier war.</p>
-
-<p>Lauter Getue und Eitelkeit von seiten des Weibes, und
-der Mann lächelte verächtlich über ihre Worte. Oh, aber
-er hätte gewiß nichts dagegen gehabt, wenn Oline diese
-ganze Herrlichkeit gesehen hätte.</p>
-
-<p>Das Kind weinte.</p>
-
-<p>Geh wieder zu dem Jungen hinein, sagte Isak. Denn
-nun hat sich das Pferd beruhigt.</p>
-
-<p>Er spannt aus und führt das Pferd in den Stall hinein
-&mdash; stellte sein Pferd in den Stall. Er füttert und
-striegelt es und liebkost es. Was er für Pferd und Karren
-schuldig war? Alles, die ganze Summe, eine sehr große
-Schuld, aber sie sollte nicht älter werden, als bis Ende
-des Sommers. Er hatte Klafterholz dafür, etwas getrocknete
-Birkenrinde zum Bauen vom vorigen Jahr und
-schließlich noch einige gute Stämme. Aber das hielt nicht
-vor. Als sich später die Spannkraft und der kecke Mut
-etwas gelegt hatten, stellte sich manche bittere Stunde
-der Furcht und Besorgnis ein; jetzt kam alles auf den
-Sommer und den Herbst an!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span></p>
-
-<p>Die Tage waren mit Feldarbeit ausgefüllt, mit immer
-mehr Feldarbeit! Er reinigte neue Strecken von Wurzeln
-und Steinen, pflügte sie um, düngte, pflügte, hackte, zerkleinerte
-Klumpen mit den Händen und mit den Absätzen,
-war überall ein fleißiger Ackermann und machte
-den Acker so glatt wie Plüsch. Dann wartete er ein paar
-Tage, und als es nach Regen aussah, säte er Korn.</p>
-
-<p>Seit mehreren hundert Jahren hatten wohl seine Vorfahren
-Korn gesät. Das war eine Arbeit, die an einem
-milden, windstillen Abend in Andacht vollbracht wurde,
-am liebsten bei einem geeigneten feinen Staubregen, so es
-möglich war, am liebsten, gleich wenn die Wildgänse gezogen
-kamen. Die Kartoffel war eine neue Frucht, da
-war nichts Geheimnisvolles dabei, nichts Religiöses.
-Frauen und Kinder konnten beim Legen dabeisein, beim
-Legen dieser Erdäpfel, die von einem fremden Lande
-kamen, gerade wie der Kaffee, ein großartiges, herrliches
-Lebensmittel, aber von der Familie der Rüben.
-Korn, das war das Brot, Korn oder nicht Korn, das
-war Leben oder Tod. Isak schritt barhäuptig und in Jesu
-Namen dahin und säte; er war wie ein Baumstumpf mit
-Händen, aber innerlich war er wie ein Kind. Auf jeden
-seiner Samenwürfe verwendete er größte Sorgfalt, er
-war freundlich und ergeben gestimmt. Seht, jetzt keimt
-das Korn und wird zu Ähren mit vielen Körnern, und so
-ist es auf der ganzen Welt, wenn Korn gesät wird. Im
-Morgenland, in Amerika, im Gudbrandstal &mdash; ach, wie
-groß die Erde ist, und das winzig kleine Feld, auf das
-Isak säte! Das war der Mittelpunkt von allem. Fächer
-von Körnern strahlten aus seiner Hand. Der Himmel
-war bewölkt und günstig, es sah nach einem ganz feinen
-Staubregen aus.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[S. 36]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>4</h3>
-
-
-<p>Zwischen Frühjahrs- und Herbstarbeit kamen und
-gingen die Tage, aber Oline kam nicht.</p>
-
-<p>Isak hatte jetzt seine Felder bestellt, er richtete
-zwei Sensen und zwei Rechen zur Heuernte, machte
-einen langen Boden auf seinen Karren, damit er Heu
-darauf laden konnte, richtete sich auch Kufen und geeignetes
-Holz zu einem Arbeitsschlitten für den Winter
-her. Er machte viele gute Sachen. Und was zwei Borte
-an der Wand in der Stube betraf, so brachte er auch diese
-an, so daß man die verschiedensten Dinge darauf legen
-konnte, den Kalender, den er sich endlich gekauft hatte,
-und Quirle und Schöpfkellen, die nicht im Gebrauch
-waren. Inger sagte, diese beiden Bretter seien etwas
-außerordentlich Gutes.</p>
-
-<p>Inger fand alles außerordentlich gut. Seht, Goldhorn
-wollte nun nicht mehr durchgehen, sondern sie vergnügte
-sich mit dem Kalb und dem Stier und weidete den
-lieben langen Tag im Walde. Seht, die Ziegen gediehen
-so, daß ihre schweren Euter fast auf dem Boden schleppten.
-Inger nähte ein langes Kleidchen aus blauem Kattun
-und ein Mützchen von demselben Stoff, es war das Hübscheste,
-was man sehen konnte, es war der Taufanzug.
-Das Kind selbst lag ganz still da und verfolgte das Werk
-mit seinen Augen, es war schon ein rechter Junge geworden,
-und wenn er durchaus Eleseus heißen sollte, so
-wollte sich Isak auch nicht länger dagegen sträuben. Als
-das Kleidchen fertig war, hatte es eine zwei Ellen lange
-Schleppe, und jede Elle kostete ihr Geld, aber das half
-nichts, das Kind war nun einmal der Erstgeborene. &mdash;
-Wenn dein Perlenhalsband einmal getragen werden soll,
-so ist es wohl diesmal an der Zeit, sagte Isak. &mdash; Oh,
-Inger hatte auch schon an die Perlen gedacht, sie war
-nicht umsonst Mutter, sondern durchaus einfältig und<span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[S. 37]</a></span>
-stolz. Die Perlen reichten dem Jungen nicht um den
-Hals, aber sie würden vorne auf der Mütze hübsch aussehen,
-und da brachte sie sie an.</p>
-
-<p>Aber Oline kam nicht.</p>
-
-<p>Wäre es nicht wegen der Tiere gewesen, dann hätten
-alle Bewohner das Haus verlassen und mit dem getauften
-Kinde nach drei bis vier Tagen zurückkommen
-können. Und wäre es nicht wegen der Trauung gewesen,
-so hätte Inger allein reisen können. &mdash; Ob wir nicht die
-Trauung so lange verschieben könnten? sagte Isak. &mdash;
-Aber Inger antwortete: Es wird zehn bis zwölf Jahre
-dauern, bis Eleseus daheim bleiben und melken kann.</p>
-
-<p>Nun, da mußte Isak seinen Verstand gebrauchen.
-Eigentlich war das Ganze nicht am Anfang begonnen
-worden, und die Trauung war vielleicht ebenso notwendig
-wie die Taufe, was wußte er. Jetzt sah es nach Trockenheit
-aus, nach richtiger böser Trockenheit; wenn nicht bald
-Regen kam, verbrannte der Ertrag der Felder, aber alles
-stand in Gottes Hand. Isak machte sich fertig, ins Dorf
-hinunterzueilen und sich nach einem Menschen zur Aushilfe
-umzusehen. Da mußte er wieder viele Meilen laufen.</p>
-
-<p>All diese Beschwer einer Trauung und einer Taufe
-wegen! Die Leute im Ödland haben wirklich viele kleine
-und große Sorgen!</p>
-
-<p>Dann kam Oline ...</p>
-
-<p>Jetzt waren sie verheiratet und getauft, alles war in
-Ordnung, sie waren sogar darauf bedacht gewesen, sich
-zuerst trauen zu lassen, damit das Kind ehelich wurde.
-Aber die Trockenheit hielt an, und nun verbrannten die
-kleinen Kornäcker, verbrannten diese Plüschteppiche, und
-warum nur? Alles stand in Gottes Hand. Isak mähte
-seine Wiesenstücke, aber es stand kein hohes Gras darauf,
-obgleich der Boden im Frühjahr gedüngt worden war. Er
-mähte und mähte auch auf weit entfernten Halden und
-wurde nicht müde, zu mähen, zu trocknen und Futter<span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[S. 38]</a></span>
-heimzuführen, denn er hatte ja jetzt ein Pferd und einen
-großen Viehstand. Aber mitten im Juli mußte er auch
-das Korn zu Grünfutter mähen, zu anderem war es nicht
-zu gebrauchen. So, und nun kam es nur noch auf die
-Kartoffeln an.</p>
-
-<p>Wie stand es mit der Kartoffel? War sie nur eine
-Kaffeeart aus fremdem Lande, die entbehrt werden
-konnte? Oh, die Kartoffel ist eine unvergleichliche Frucht,
-sie steht draußen in Trockenheit, steht in Nässe, wächst
-aber doch. Sie trotzt dem Wetter und hält viel aus, bekommt
-sie nur eine einigermaßen gute Behandlung von
-den Menschen, so lohnt sie es fünfzehnfach. Seht, die
-Kartoffel hat nicht das Blut der Traube, aber sie hat das
-Fleisch der Kastanie, man kann sie braten und kochen und
-zu allem benutzen. Ein Mensch kann Mangel an Brot
-haben, hat er Kartoffeln, dann ist er nicht ohne Nahrung.
-Die Kartoffeln können in warmer Asche gebraten werden
-und ein Abendessen sein, sie können in Wasser gekocht
-werden und zum Frühstück dienen. Was brauchen sie an
-Zuspeise? Wenig. Die Kartoffeln sind genügsam, eine
-Schale Milch, ein Hering ist genug für sie. Der Reichtum
-ißt Butter dazu, die Armut taucht sie in ein bißchen Salz
-auf einem Teller. Isak verzehrte sie als Sonntagsspeise
-mit ein wenig Sahne von Goldhorns Milch. Die mißachtete,
-gesegnete Kartoffel!</p>
-
-<p>Aber jetzt spukte es auch für die Kartoffel.</p>
-
-<p>Unzählige Male am Tag sah Isak nach dem Himmel.
-Der Himmel war blau. Manchen Abend sah es nach
-einem Regenschauer aus. Dann ging Isak hinein und
-sagte: Möchte wissen, ob es nicht doch Regen gibt. Aber
-nach ein paar Stunden war alle Hoffnung wieder verschwunden.</p>
-
-<p>Jetzt hatte die Trockenheit schon sieben Wochen gedauert,
-und die Hitze war sehr groß. Die Kartoffel stand
-in all dieser Zeit in voller Blüte, sie blühte unnatürlich<span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span>
-und wunderbar prächtig. Die Äcker sahen von ferne aus
-wie Schneefelder. Wie sollte das schließlich werden? Der
-Kalender gab keinen Wink, der derzeitige Kalender war
-nicht mehr wie früher, der taugte gar nichts. Jetzt sah
-es wieder nach Regen aus, und Isak ging zu Inger hinein
-und sagte: Mit Gottes Hilfe wird nun heute nacht doch
-Regen kommen! &mdash; Sieht es nach Regen aus? &mdash; Ja,
-und das Pferd schüttelt sich im Geschirr.</p>
-
-<p>Inger schaute zur Tür hinaus und sagte: Ja, jetzt wirst
-du sehen! &mdash; Ein paar Tropfen fielen. Die Stunden vergingen,
-die Leute legten sich zur Ruhe, und als Isak in
-der Nacht einmal hinausging, um nachzusehen, war der
-Himmel blau.</p>
-
-<p>Ach du lieber Gott im Himmel! sagte Inger. Nun,
-dann wird morgen auch dein letztes Laub trocken, sagte
-sie und tröstete, so gut sie konnte.</p>
-
-<p>Jawohl, Isak hatte auch Laub gesammelt und besaß
-nun eine Menge vom besten Laub. Das war wertvolles
-Futter, er behandelte es wie Heu und bedeckte es mit
-Birkenrinde im Walde. Jetzt war nur noch ein kleiner
-Rest draußen, deshalb antwortete er Inger tief verzweifelt
-und gleichgültig: Ich nehme es nicht herein, und
-wenn es auch ganz austrocknet. &mdash; Du weißt nicht, was
-du redest, versetzte Inger.</p>
-
-<p>Am nächsten Tag holte er es also nicht herein &mdash; da er
-es nun einmal gesagt hatte, holte er das Laub nicht herein.
-Es konnte draußen bleiben, es kam ja doch kein
-Regen, mochte es in Gottes Namen draußen sein! Er
-konnte es vor Weihnachten einmal hereinnehmen, wenn
-es bis dahin die Sonne nicht ganz und gar versengt habe.</p>
-
-<p>Ganz tief und vollständig gekränkt fühlte er sich, es
-war ihm keine Freude mehr, unter der Haustür zu sitzen
-und über seinen Grund und Boden hinzusehen und alles
-zu besitzen. Da standen nun die Kartoffeläcker, blühten
-wie verrückt und vertrockneten, dann mochte auch das<span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span>
-Laub bleiben, wo es war, bitte! Oh, aber Isak &mdash; vielleicht
-hatte er mitten in seiner dicken Treuherzigkeit doch
-einen kleinen schlauen Hintergedanken, vielleicht tat er
-es aus Berechnung und wollte versuchen, jetzt beim
-Mondwechsel den blauen Himmel herauszufordern.</p>
-
-<p>Am Abend sah es wiederum nach Regen aus. Du
-hättest das Laub hereinholen sollen, sagte Inger. &mdash;
-Warum denn? fragte Isak und tat äußerst unzugänglich.
-&mdash; Ja, ja, du spottest, aber es könnte jetzt doch Regen
-kommen. &mdash; Du siehst doch wohl, daß in diesem Jahr
-kein Regen kommt.</p>
-
-<p>Aber in der Nacht war es doch, als würden die Glasscheiben
-ganz dunkel, und es war auch, als jage etwas dagegen
-und mache sie naß, was es nun auch sein mochte.</p>
-
-<p>Inger erwachte und sagte: Es regnet! Sieh die Fenster
-an. &mdash; Isak schnaubte nur verächtlich und erwiderte:
-Regen? Das ist kein Regen. Ich verstehe nicht, was du
-sagst. &mdash; Ach, du sollst nicht spotten, sagte Inger.</p>
-
-<p>Isak spottete, ja. Und er betrog sich nur selbst. Gewiß
-regnete es, und zwar einen tüchtigen Schauer; aber als
-Isaks Laub ordentlich durchnäßt war, hörte es auf zu
-regnen. Der Himmel war wieder blau. Ich hab' es ja vorhergesagt,
-daß kein Regen kommt, sagte Isak eigensinnig
-und recht sündhaft.</p>
-
-<p>Für die Kartoffeln nützte dieser Regenschauer nichts,
-die Tage kamen und gingen. Der Himmel war blau. Da
-machte sich Isak an die Herstellung seines Holzschlittens.
-Er gab sich alle Mühe damit. Er beugte sein Herz und
-hobelte demütig Kufen und Stangen. Ach ja, Herrgott im
-Himmel! Seht, die Tage kamen und gingen ja, das Kind
-wuchs heran, Inger machte Butter und Käse, es war
-eigentlich nicht so schlimm, ein Mißjahr überlebten tüchtige
-Leute draußen im Ödland wohl. Und außerdem &mdash;
-als neun Wochen vergangen waren, kam auch richtiger,
-segensreicher Regen; einen ganzen Tag und eine ganze<span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span>
-Nacht hindurch regnete es, sechzehn Stunden lang goß
-es in Strömen, die Himmel hatten sich geöffnet. Wenn
-es nun vierzehn Tage früher gewesen wäre, dann hätte
-Isak gesagt: Es ist zu spät. Jetzt aber sagte er zu Inger:
-Du wirst sehen, es hilft den Kartoffeln doch noch ein
-wenig auf. &mdash; O ja, antwortete Inger tröstend, es hilft
-ihnen noch ganz und gar.</p>
-
-<p>Und dann sah es allmählich besser aus; jeden Tag fiel
-ein Regenschauer, das Gras wurde wieder grün wie durch
-Zauber, die Kartoffeln blühten, jawohl, und zwar mehr
-als zuerst, und an den Stengeln wuchsen große Beeren,
-und das war eigentlich ganz richtig, aber niemand wußte,
-was unten an den Wurzeln war; Isak wagte nicht nachzusehen.
-Dann kam eines Tages Inger daher, und sie
-hatte unter einem Stock zwanzig kleine Kartoffeln gefunden.
-Und jetzt haben sie noch fünf Wochen zum Wachsen!
-sagte Inger. &mdash; Diese Inger, sie mußte immerfort
-trösten und gut zureden mit ihrer Hasenscharte! Und eine
-jämmerliche Stimme hatte sie, sie zischte, es war, wie
-wenn ein Ventil etwas Dampf herausläßt; aber ihr Trösten
-war eine Wohltat draußen im Ödland. Und eine
-lebensfrohe Natur hatte sie auch. &mdash; Wenn du noch eine
-Bettstatt zimmern könntest, sagte sie zu Isak. &mdash; So?
-sagte er. &mdash; Ja, ja, es eilt nicht gerade, sagte sie.</p>
-
-<p>Sie machten sich an die Kartoffelernte und wurden
-nach altem Herkommen bis Michaelis damit fertig. Es
-wurde ein mittelmäßiges Jahr, ein gutes Jahr; es zeigte
-sich wieder, daß die Kartoffeln nicht so sehr vom Wetter
-abhängig sind, sondern viel aushalten und doch heranwachsen.
-Natürlich war es, wenn sie genau nachrechneten,
-nicht gerade ein so recht mittelmäßiges und gutes Jahr,
-aber in diesem Jahr konnten sie nicht so genau nachrechnen.
-Eines Tages war ein Lappe vorübergekommen und
-hatte sich über all die Kartoffeln auf der Ansiedlung<span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span>
-sehr verwundert; in den Dörfern sei es viel schlimmer,
-sagte er.</p>
-
-<p>Dann hatte Isak wieder einige Wochen vor sich, während
-der er Land roden konnte, ehe die Kälte einsetzte und
-der Boden gefror. Jetzt weidete das Vieh auf den Feldern
-und wo es wollte. Es machte Isak Freude, mit den
-Tieren zusammen zu arbeiten und ihre Glocken zu hören.
-Es hielt ihn zwar auch von der Arbeit ab, denn der Stier
-stieß gar zu gerne mit seinen Hörnern in die Laubhaufen
-hinein, oder die Geißen waren droben und drunten und
-überall, sogar auf dem Dach der Hütte.</p>
-
-<p>Kleine und große Sorgen!</p>
-
-<p>Eines Tages hörte Isak einen lauten Schrei. Inger
-steht vor dem Hause mit dem Kind auf dem Arm und
-deutet auf den Stier und die kleine Kuh Silberhorn; die
-sind Liebesleute. Isak wirft die Haue weg und rennt hinunter,
-aber es ist zu spät, das Unglück ist geschehen. Sieh
-die Hexe, die ist zeitig dran, erst ein Jahr alt, ein halbes
-Jahr zu früh, die Hexe, das Kind. Isak bringt sie in den
-Stall hinein, aber es ist wohl zu spät. Ja, ja, sagt Inger,
-es ist nun gewissermaßen gut, sonst wären beide Kühe
-im Herbst trächtig geworden. &mdash; Ach, diese Inger, nein,
-sie hatte keinen guten Kopf, aber sie hatte vielleicht gewußt,
-was sie tat, als sie am Morgen Silberhorn und
-den Stier zusammen herausließ.</p>
-
-<p>Es wurde Winter, Inger kardätschte und spann, Isak
-fuhr Klafterholz zu Tal, ungeheure Ladungen von trockenem
-Holz auf guter Schlittenbahn; alle Schulden wurden
-getilgt, Pferd und Wagen, Pflug und Egge gehörten
-nun ihm. Er fuhr mit Ingers Ziegenkäse zu Tal und
-brachte Webgarn, Webstuhl, Haspel und Scherbaum dafür
-nach Hause, und wieder brachte er Mehl und Eßwaren,
-und wieder Bretter, Dielen und Nägel; eines
-Tages kam er sogar mit einer Lampe an. So wahr ich hier
-dastehe, rief Inger, du bist verrückt! Aber sie hatte schon<span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span>
-lange erraten, daß die Lampe kommen würde. Am Abend
-zündeten sie sie an und waren wie im Paradies, der kleine
-Eleseus glaubte gewiß, es sei die Sonne. Siehst du, wie
-verwundert er ist! sagte Isak. Von da an konnte Inger
-bei Lampenlicht spinnen.</p>
-
-<p>Isak brachte Leinwand zu Hemden und neue Schuhe
-für Inger. Sie hatte ihn um verschiedene Farben zum
-Färben der Wolle gebeten, und er brachte auch diese.
-Aber eines Tages kam er wahrhaftig mit einer Uhr an!
-Mit was? Mit einer Uhr! Da war Inger wie aus den
-Wolken gefallen, und sie konnte eine Weile kein Wort
-herausbringen.</p>
-
-<p>Isak hing die Uhr mit vorsichtigen Händen an die
-Wand und stellte sie nach seiner Schätzung; er zog die
-Gewichte auf und ließ die Uhr schlagen. Das Kind drehte
-die Augen nach dem tiefen Klang und sah dann die Mutter
-an. Ja, du kannst dich wohl verwundern! sagte sie und
-nahm den Jungen auf den Schoß und war selbst gerührt.
-Denn von allem Guten hier in der Einsamkeit konnte sich
-nichts mit der Wanduhr vergleichen, die den ganzen dunklen
-Winter hindurch ging und die Stunden richtig schlug.</p>
-
-<p>Dann war alles Holz fortgeschafft, Isak ging wieder
-in den Wald und fällte wieder Bäume; er machte seine
-Straßen und seine Stadt aus Klafterholzstapeln für den
-nächsten Winter. Er mußte jetzt immer weiter von seinem
-Haus weggehen, eine große, weite Halde lag da schon
-zum Bebauen bereit, und er wollte jetzt nicht noch mehr
-Boden ganz abholzen, sondern von jetzt an nur die ältesten
-Bäume mit vertrockneten Wipfeln fällen.</p>
-
-<p>Natürlich hatte er auch schon längst verstanden, warum
-Inger von einem zweiten Bett gesprochen hatte, jetzt
-durfte er es wohl nicht länger hinausschieben, sondern
-mußte sich beeilen. Als er an einem dunklen Abend aus
-dem Walde heimkehrte, da war es geschehen: die Familie
-hatte sich vermehrt, wieder um einen Jungen. Inger lag<span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span>
-zu Bett. Diese Inger! Am Morgen hatte sie ihn ins Dorf
-hinunterschicken wollen. Du solltest das Pferd ein wenig
-bewegen, hatte sie gesagt. Denn es steht nur in seinem
-Stand und scharrt. &mdash; Ich habe keine Zeit zu solchem Unsinn,
-sagte Isak und ging fort. Jetzt merkte er, daß sie
-ihn nur aus dem Wege hatte haben wollen, aber warum?
-Es wäre doch vielleicht gut gewesen, wenn sie ihn in der
-Nähe gehabt hätte. &mdash; Wie kommt es nur, daß du einem
-nie ein Zeichen geben kannst? sagte er. &mdash; Nun mußt du
-dir eine eigene Bettstatt richten und in der Kammer schlafen,
-erwiderte sie.</p>
-
-<p>Aber mit der Bettlade war es nicht getan, es gehörten
-auch Bettstücke hinein. Sie hatten keine zwei Felldecken
-und konnten sich auch vor dem nächsten Herbst, wo sie
-einige Hämmel schlachten würden, keine zweite Felldecke
-verschaffen; aber selbst von zwei Hämmeln bekam man
-noch keine Decke. In der nächsten Zeit hatte es Isak nicht
-gut, er fror jämmerlich bei Nacht. Er versuchte, sich in
-das Heu unter dem Felsenhang einzugraben, versuchte,
-bei den Kühen zu schlafen, obdachlos war er. Zum Glück
-war es schon Mai, dann kam der Juni, der Juli ...</p>
-
-<p>Merkwürdig, wieviel hier in nur drei Jahren zustande
-gebracht worden war: eine Behausung für Menschen, ein
-Stall und urbar gemachtes Land. Was baute Isak jetzt?
-Einen neuen Schuppen, eine Scheune, einen Anbau ans
-Wohnhaus? Es dröhnte durchs Haus, wenn er die acht
-Zoll langen Nägel hineinschlug, und Inger kam ab und
-zu heraus und bat um Gnade für die Kleinen. Jawohl,
-die Kleinen! Unterhalte sie einstweilen. Sing ihnen was
-vor, gib dem Eleseus den Eimerdeckel, dann kann er damit
-lärmen! Die großen Nägel werden bald hineingeschlagen
-sein, sie müssen eben gerade hier sitzen, in den Streckbalken,
-mit denen der Anbau am Haus festgemacht wird.
-Nachher hab' ich nur noch Bretter und zweieinhalb Zoll
-lange Nägel, das ist das reine Kinderspiel.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span></p>
-
-<p>Hätte er es vermeiden können, zu hämmern? Bisher
-wurden die Heringstonne, das Mehl und andere Eßwaren
-im Stall aufbewahrt, damit sie nicht unter freiem
-Himmel stehen mußten; aber der Speck bekam einen
-Stallgeschmack, eine Vorratskammer war die reinste Notwendigkeit.
-Die kleinen Jungen mußten sich auch an so
-ein paar Hammerschläge an die Wand gewöhnen; Eleseus
-war allerdings etwas zart und schwächlich geworden, aber
-der andere saugte wie ein Posaunenengel, und wenn er
-nicht schrie, dann schlief er. Ein prächtiger Junge! Isak
-wollte sich dem nicht widersetzen, daß er Sivert heißen
-sollte, es war vielleicht am besten so, obgleich er abermals
-an den Namen Jakob gedacht hatte. In manchen Fällen
-hatte Inger recht, Eleseus war nach ihrem Pfarrer getauft,
-und es war ein vornehmer Name, aber Sivert hieß
-Ingers Oheim, der Bezirkskassierer, der ein Junggeselle
-und ein vermöglicher Mann ohne Erben war. Was hätte
-dem Kinde Besseres widerfahren können, als Sivert zu
-heißen!</p>
-
-<p>Dann kam wieder die Frühjahrsarbeit, und alles wurde
-vor Pfingsten in die Erde gelegt. Damals, als Inger nur
-Eleseus ihr eigen nannte, hatte sie nie Zeit gehabt, ihrem
-Manne zu helfen, so sehr hatte sie der Erstgeborene in
-Anspruch genommen. Jetzt, da sie zwei Kinder hatte,
-jätete sie das Unkraut aus und verrichtete noch vieles andere;
-sie half viele Stunden lang beim Kartoffellegen,
-säte auch Karotten und Rüben. Eine solche Frau fand sich
-nicht so leicht wieder. Und hatte sie nicht auch Tuch auf
-dem Webstuhl? Jeden Augenblick nützte sie aus, um in
-die Kammer zu laufen und ein paar Spulen abzuweben;
-es war halbwollenes Tuch zu Wäsche für den Winter.
-Nachdem das Garn gefärbt war, webte sie blau und roten
-Kleiderstoff für sich und die Kinder; dann legte sie noch
-mehr Farben ein und machte Bettbezüge für Isak. Lauter
-notwendige, nützliche und höchst dauerhafte Sachen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span></p>
-
-<p>Seht, nun war die Familie im Ödland schon recht heraufgekommen,
-und wenn dieses Jahr gut einschlug, waren
-die Ansiedler geradezu zu beneiden. Was fehlte ihnen
-noch? Ein Heuschuppen natürlich, eine Scheune mit einer
-Tenne in der Mitte, das war ein Zukunftsziel, und es
-würde erreicht werden wie die andern Ziele auch. Mit der
-Zeit, ja! Jetzt hatte die kleine Silberhorn ein Kalb, und
-die Ziegen hatten Zicklein, und die Schafe hatten Lämmer,
-es wimmelte von kleinen Tieren auf der Weide. Und die
-Menschen? Eleseus konnte schon auf seinen eigenen Beinen
-gehen, wohin er wollte, und der kleine Sivert war
-getauft. Und Inger? Sie war gewiß schon wieder guter
-Hoffnung, sie sah so rundlich aus. Was war auch ein
-Kind für sie? Nichts &mdash; das heißt große Dinge, nette
-kleine Leute, sie war stolz auf ihre Kinder und gab zu
-verstehen, daß Gott nicht allen Leuten solche großen,
-hübschen Kinder anvertraue. Inger war ganz davon in
-Anspruch genommen, jung zu sein. Sie hatte ein verunstaltetes
-Gesicht und hatte ihre ganze Jugend als eine
-Ausgestoßene verbracht, die Burschen hatten sie nicht angesehen,
-obgleich sie tanzen und arbeiten konnte, sie hatten
-ihre gute Weiblichkeit verschmäht, sie hatten sich weggewendet
-&mdash; jetzt war ihre Zeit, sie entfaltete sich, sie stand
-ununterbrochen in voller Blüte und war guter Hoffnung.
-Isak selbst, der Hausvater, war und blieb ein ernster
-Mann, aber er hatte guten Erfolg gehabt und war zufrieden.
-Wie und womit er sich das Leben erträglich gemacht
-hatte, ehe Inger kam, war sehr dunkel; mit Kartoffeln
-und Ziegenmilch, ja mit gewagten Gerichten ohne
-Namen; jetzt hatte er alles, was ein Mann in seinen Verhältnissen
-nur verlangen konnte.</p>
-
-<p>Wieder kam große Trockenheit, wieder ein Mißjahr.
-Der Lappe Os-Anders, der mit seinem Hund vorüberkam,
-konnte berichten, daß die Leute im Dorfe schon alles
-Getreide zu Viehfutter abgemäht hätten. &mdash; So, sie hat<span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span>ten
-also keine Hoffnung mehr? fragte Inger. &mdash; Nein,
-aber dafür haben sie einen guten Heringsfang gemacht.
-Dein Oheim Sivert bekommt seinen Anteil als Strandbesitzer.
-Und er hat doch vorher schon ein bißchen etwas
-in Küche und Keller gehabt. Gerade wie du, Inger. &mdash;
-Ja, Gott sei Dank, ich habe nichts zu klagen. Was sagen
-sie denn daheim von mir? &mdash; Os-Anders wiegt den Kopf
-hin und her und sagt schmeichlerisch, er habe keine Worte
-dafür! &mdash; Wenn du eine Schale süße Milch möchtest, so
-brauchst du es nur zu sagen, versetzt Inger. &mdash; Du sollst
-dich nicht in Unkosten stürzen. Aber hast du ein wenig für
-den Hund?</p>
-
-<p>Die Milch kam, das Futter für den Hund auch. Der
-Lappe hörte Musik aus der Stube heraus und lauschte:
-Was ist das? &mdash; Das ist unsere Wanduhr, die schlägt,
-sagt Inger; sie ist am Platzen vor lauter Stolz.</p>
-
-<p>Wieder wiegte der Lappe den Kopf hin und her und
-sagte: Ihr habt Haus und Pferd und Wohlbehagen,
-kannst du mir sagen, was ihr nicht habt? &mdash; Nein, wir
-können Gott nicht genug danken. &mdash; Oline hat mir einen
-Gruß an dich aufgetragen. &mdash; So. Wie geht es ihr? &mdash;
-Es geht. Wo ist dein Mann? &mdash; Er ist auf dem Feld
-draußen. &mdash; Es heißt, er habe nicht gekauft! wirft der
-Lappe hin. &mdash; Gekauft? Wer sagt das? &mdash; Es heißt so.
-&mdash; Von wem sollte er denn kaufen? Es ist Allmende. &mdash;
-Ja, ja. &mdash; Und viele Schweißtropfen hat er in diesen
-Grund und Boden hineinfallen lassen. &mdash; Es heißt, euer
-Boden gehöre dem Staat.</p>
-
-<p>Inger verstand davon nichts und sagte: Ja, das kann
-schon sein. Hat etwa sie, die Oline, das gesagt? &mdash; Ich erinnere
-mich nicht, wer es war, antwortete der Lappe, und
-er ließ seine unsteten Augen in allen Richtungen umherschweifen.
-Inger wunderte sich darüber, daß er nicht um
-etwas bettelte, das tat Os-Anders sonst immer, alle Lappen
-betteln. Os-Anders aber sitzt ruhig da, stopft seine<span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span>
-kurze Kreidepfeife und zündet sie an. Das ist eine Pfeife!
-Er raucht und pafft so, daß sein ganzes runzliges Gesicht
-aussieht wie ein Rindenstück. &mdash; Ja, ich brauche nicht
-zu fragen, ob das deine Kinder sind, sagte er noch schmeichlerischer.
-Denn sie sind dir so ähnlich. Genau so nett wie
-du selbst, als du klein warst.</p>
-
-<p>Inger, die eine Mißgeburt und ein Auswurf gewesen
-war &mdash; natürlich war es verkehrt, aber ihr Herz schwoll
-doch vor Stolz. Selbst ein Lappe kann ein Mutterherz
-froh machen. Wenn dein Sack nicht schon so voll wäre,
-so würde ich dir ein bißchen was hineintun, sagte sie. &mdash;
-Nein, du sollst dich nicht in Unkosten stürzen!</p>
-
-<p>Inger geht mit dem Kind auf dem Arm hinein, während
-Eleseus bei dem Lappen draußen bleibt. Die beiden
-kommen gut miteinander aus. Der Junge darf etwas
-Merkwürdiges aus des Lappen Sack sehen, etwas Haariges,
-er darf es streicheln. Der Hund winselt und bellt.
-Als Inger mit etwas Mundvorrat herauskommt, stößt
-sie einen kleinen Seufzer aus und sinkt auf die Türschwelle.
-Was hast du da? fragt sie. &mdash; Ach nichts, es
-ist ein Hase. &mdash; Das hab' ich gesehen. &mdash; Dein Kleiner
-wollte ihn sehen. Mein Hund hat ihn heute gejagt und
-umgebracht. &mdash; Da ist dein Essen, sagt Inger.</p>
-
-
-
-<h3>5</h3>
-
-
-<p>Es ist eine alte Erfahrung, daß wenigstens zwei
-Mißjahre aufeinander folgen. Isak war geduldig
-geworden und fand sich in sein Los. Das Getreide
-verbrannte auf dem Felde, und die Heuernte war mittelmäßig,
-aber die Kartoffeln sahen wieder aus, als würden
-sie sich erholen; es war demnach zwar schlimm genug,
-aber doch keine Not. Isak hatte auch noch Klafterholz und
-Balken, die er ins Dorf hinunterschaffen konnte, und da<span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span>
-an der ganzen Küste der Heringsfang gut ausgefallen
-war, hatten die Leute Geld genug zum Holzkaufen. Es
-sah fast wie eine Fügung aus, daß die Getreideernte fehlschlug,
-denn wie hätte er dieses Korn dreschen sollen, ohne
-eine Scheune mit einer Tenne? Ja, laß Fügung Fügung
-sein, das schadet auf die Dauer nichts!</p>
-
-<p>Eine andere Sache war die, daß Neues auftauchte und
-ihn beunruhigte. Was war nun das, was ein gewisser
-Lappe im Sommer zu Inger gesagt hatte &mdash; daß er nicht
-gekauft habe? Hätte er kaufen sollen, warum denn? Der
-Boden lag ja da, der Wald stand da, er machte Land
-urbar, errichtete sich ein Haus mitten in der Urnatur, ernährte
-seine Familie und seinen Viehstand, war niemand
-etwas schuldig, arbeitete, arbeitete. Schon wiederholt hatte
-er, wenn er drunten im Dorfe war, daran gedacht, mit
-dem Lensmann zu sprechen, dies aber immer wieder hinausgeschoben.
-Der Lensmann war nicht beliebt, und Isak
-war wortkarg. Was sollte er sagen, wenn er ankam, welchen
-Grund angeben, warum er gekommen sei?</p>
-
-<p>Eines Tages im Winter kam indes der Lensmann
-selbst in die Ansiedlung dahergefahren; er hatte einen
-Mann bei sich und brachte eine von Papieren strotzende
-Tasche mit &mdash; und es war der Lensmann Geißler selbst.
-Er sah die große offene Halde, die abgeholzt war und
-glatt und eben unter dem Schnee lag, und er meinte
-wohl, die ganze weite Fläche sei angebaut, deshalb sagte
-er: Das ist ja ein großes Anwesen, meinst du, das bekommst
-du umsonst?</p>
-
-<p>Nun war es da! Isak erschrak bis ins innerste Mark
-und erwiderte nichts.</p>
-
-<p>Du hättest zu mir kommen und den Boden kaufen sollen,
-sagte der Lensmann. &mdash; Ja. &mdash; Der Lensmann sprach
-von Einschätzung, von Grenzscheiden, von Steuer, &#8222;Kronsteuer&#8221;,
-sagte er; als Isak einigermaßen Aufklärung bekam,
-fand er es immer weniger ungereimt. Der Lensmann<span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span>
-neckte seinen Begleiter und sagte: Nun, du Schätzungsmann,
-wie groß ist die Ansiedlung? Aber er wartete nicht
-auf Antwort, sondern schrieb die Größe aufs Geratewohl
-hin. Dann fragte er Isak nach den Heulasten und nach
-den Kartoffeltonnen. Und wie sie es mit der Grenzscheide
-halten wollten? Sie könnten doch nicht die Grenzscheide
-in mannshohem Schnee abschreiten, und im Sommer
-könnten Menschen nicht hier heraufkommen. Was Isak
-sich selbst als Weideland und Wald ausgedacht habe? &mdash;
-Das wußte Isak nicht, bis jetzt hatte er, so weit er blickte,
-für sein Eigentum betrachtet. Der Lensmann sagte, der
-Staat setzt Grenzen. Je mehr Land du bekommst, desto
-mehr kostet es, sagte er. &mdash; So? &mdash; Ja, du bekommst
-nicht so viel, als du überschauen kannst, sondern so viel,
-als du brauchst. &mdash; So? &mdash;</p>
-
-<p>Inger setzte Milch vor, und der Lensmann und sein
-Begleiter tranken. Sie brachte noch mehr Milch. Der
-Lensmann sollte streng sein? Er strich sogar Eleseus übers
-Haar und sagte: Spielt er mit Steinen? Laß mich die
-Steine mal sehen! Was ist denn das? Die sind aber
-schwer, da ist gewiß irgendein Metall drin! &mdash; Ja, von
-denen gibt's genug oben im Gebirge, sagt Isak.</p>
-
-<p>Der Lensmann kehrte zum Geschäftlichen zurück. &mdash;
-Südlich und westlich ist es wohl am vorteilhaftesten für
-dich? sagte er zu Isak. Sagen wir eine Viertelmeile südwärts!
-&mdash; Was, eine ganze Viertelmeile? rief der Begleiter
-des Lensmannes. &mdash; Du allerdings könntest keine
-zweihundert Ellen umbrechen, versetzte der Lensmann
-kurz. &mdash; Isak fragte: Was kostet eine Viertelmeile? &mdash;
-Das weiß ich nicht, antwortete der Lensmann, das weiß
-niemand. Aber ich werde einen niederen Preis vorschlagen.
-Es ist ja meilenweit im Ödland drinnen, ohne jegliche
-Zufahrt.</p>
-
-<p>Ja, aber eine ganze Viertelmeile! sagte der Begleiter
-wieder.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span></p>
-
-<p>Der Lensmann schrieb eine Viertelmeile südwärts und
-fragte: Und aufwärts nach den Bergen? &mdash; Ja, da muß
-ich es bis zum See haben. Dort ist ein großer See, antwortete
-Isak.</p>
-
-<p>Der Lensmann schrieb weiter. Jetzt nach Norden? &mdash;
-Da kommt es nicht so genau drauf an, auf dem Moor ist
-kein ordentlicher Wald, meinte Isak.</p>
-
-<p>Der Lensmann schrieb nach seinem eigenen Kopf eine
-halbe Viertelmeile. Nach Osten? &mdash; Da ist es auch nicht
-so genau. Dort ist nur Gebirge nach Schweden hinüber.</p>
-
-<p>Der Lensmann schrieb.</p>
-
-<p>Als er fertig war, rechnete er das Ganze in einem
-Augenblick zusammen und sagte: Natürlich wird das ein
-großes Besitztum, und wenn es drunten in der Gemeinde
-läge, könnte niemand es kaufen. Ich will hundert Taler
-für alles miteinander vorschlagen. Was meinst du? fragte
-er seinen Begleiter. &mdash; Das ist ja gar kein Preis, antwortete
-dieser. &mdash; Hundert Taler! sagte Inger. Du
-brauchst gar nicht so viel Land. &mdash; Nein, sagte Isak. &mdash;
-Der Begleiter fiel ein: Es ist, wie ich sage. Was wolltet
-ihr mit so viel Land?</p>
-
-<p>Der Lensmann sagte: Es roden.</p>
-
-<p>Nun hatte er dagesessen, sich abgemüht und niedergeschrieben;
-ab und zu schrie ein Kind in der Stube, er hätte
-nur ungern das Ganze noch einmal geschrieben, er kam
-auch erst spät in der Nacht wieder heim, nein, erst gegen
-Morgen sogar. So steckte er entschlossen die Urkunde in
-seine Tasche. Geh hinaus und spann an! befahl er seinem
-Begleiter. Dann wendete er sich an Isak und sagte:
-Eigentlich hättest du den Platz umsonst haben sollen und
-noch Bezahlung obendrein, so wie du geschafft hast. Und
-das will ich bei meinem Vorschlag auch sagen. Dann werden
-wir sehen, was der Staat für einen Kaufbrief verlangt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span></p>
-
-<p>Isak &mdash; Gott weiß, wie ihm zumute war. Es war, als
-hätte er nichts dagegen, daß ein hoher Preis für seine Ansiedlung
-und seine ungeheure Arbeit hier angesetzt würde.
-Er hielt es wohl nicht für unmöglich, mit der Zeit hundert
-Taler abzubezahlen, deshalb sagte er nichts mehr; er
-konnte wie vorher arbeiten, das Land bebauen und überständigen
-Wald in Klafterholz umwandeln. Isak gehörte
-nicht zu denen, die umherspähen, er stand nicht auf dem
-Ausguck nach Glückszufällen, er arbeitete.</p>
-
-<p>Inger bedankte sich beim Lensmann und bat ihn, beim
-Staat ein gutes Wort für sie einzulegen.</p>
-
-<p>Jawohl. Aber die Entscheidung liegt ja nicht bei mir,
-ich gebe nur mein Gutachten dazu. Wie alt ist denn der
-Kleinste da? &mdash; Gut ein halbes Jahr. &mdash; Junge oder
-Mädchen? &mdash; Ein Junge.</p>
-
-<p>Der Lensmann war nicht hart, sondern oberflächlich
-und wenig gewissenhaft. Seinen Vertrauens- und
-Schätzungsmann, den Gerichtsboten Brede Olsen, hörte
-er nicht an, das wichtige Geschäft ordnete er aufs Geratewohl
-und nach Gutdünken; diese große Sache, entscheidend
-für Isak und seine Frau und entscheidend auch für
-ihre Nachkommen vielleicht in zahllosen Geschlechtern,
-entschied er auf gut Glück, er schrieb nur so hin. Aber er
-erwies den Ansiedlern viel Freundlichkeit, er zog ein glänzendes
-Geldstück aus der Tasche und gab es dem kleinen
-Sivert in die Hand, dann nickte er noch freundlich und
-ging hinaus zum Schlitten.</p>
-
-<p>Plötzlich fragte er: Wie heißt der Ort?</p>
-
-<p>Heißen? &mdash; Welchen Namen hat er? Wir müssen ihm
-einen Namen geben.</p>
-
-<p>Daran hatten die Leute nicht gedacht, und Inger und
-Isak sahen einander an.</p>
-
-<p>Sellanraa? sagte der Lensmann. Er hatte diesen
-Namen wohl erfunden, es war vielleicht gar kein Name,
-aber er wiederholte: Sellanraa! nickte und fuhr davon.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span></p>
-
-<p>Alles aufs Geratewohl, die Grenzscheide, den Preis,
-den Namen ...</p>
-
-<p>Einige Wochen später, als Isak im Dorfe war, hörte
-er, daß es mit dem Lensmann Schwierigkeiten gegeben
-habe. Es war nach verschiedenen Geldern geforscht worden,
-über die er nicht Rechenschaft hatte ablegen können,
-und man hatte ihn deshalb beim Landrichter angezeigt.
-So schlimm kann es kommen; manche Menschen taumeln
-so durchs Leben dahin, dann kommen sie an denen, die
-bedächtigen Schrittes gehen, zu Fall!</p>
-
-<p>Eines Tages, als Isak mit einer seiner letzten Holzfuhren
-im Dorf gewesen war und sich auf dem Heimweg
-befand, geschah es, daß er den Lensmann fahren sollte.
-Der Lensmann trat ohne weiteres mit einer Reisetasche
-in der Hand aus dem Walde heraus und sagte: Laß mich
-bei dir aufsitzen!</p>
-
-<p>Sie fuhren eine Weile, keiner von beiden sprach ein
-Wort. Ab und zu zog der Lensmann eine Flasche heraus
-und trank einen Schluck; er bot auch Isak an, der aber
-dankte. Ich fürchte für meinen Magen auf dieser Reise,
-sagte der Lensmann.</p>
-
-<p>Dann sprach er von Isaks Hofangelegenheit und sagte:
-Ich habe die Sache gleich weiterbefördert und sie warm
-empfohlen. Sellanraa ist ein hübscher Name. Eigentlich
-hättest du das Land umsonst haben sollen, aber wenn ich
-das geschrieben hätte, wäre der Staat unverschämt geworden
-und hätte seinen eigenen Preis angesetzt. Ich habe
-fünfzig Taler geschrieben. &mdash; Ach so, habt Ihr also nicht
-hundert Taler geschrieben? &mdash; Der Lensmann runzelte die
-Stirn und überlegte, dann sagte er: Soviel ich mich erinnere,
-habe ich fünfzig Taler geschrieben.</p>
-
-<p>Wohin reist Ihr jetzt? fragte Isak. &mdash; Nach Vesterbotten,
-zur Familie meiner Frau. &mdash; In dieser Jahreszeit?
-Das ist ein böser Weg, um da hinüberzukommen.
-&mdash; Oh, es wird schon gehen. Kannst du mich nicht ein<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span>
-Stück weit begleiten? &mdash; Doch. Ihr dürft nicht allein
-gehen.</p>
-
-<p>Sie erreichten die Ansiedlung, und der Lensmann übernachtete
-in der Kammer. Am Morgen nahm er wieder
-einen Schluck aus seiner Flasche und sagte: Ich ruiniere
-mir gewiß den Magen auf dieser Reise. Sonst war er
-ganz wie bei seinem letzten Besuch, wohlwollend entschieden,
-aber etwas fahrig und nur wenig mit seinem eigenen
-Schicksal beschäftigt; vielleicht war es auch gar nicht so
-trostlos. Als Isak sagte, nicht die ganze Halde sei angebaut,
-sondern nur ein kleines Stück davon, nur ein paar
-Felder, gab der Lensmann die überraschende Antwort:
-Das hab' ich wohl verstanden, als ich damals hier saß und
-schrieb. Aber mein Fuhrmann Brede verstand nichts davon,
-er ist ein Esel. Das Ministerium hat eine Art Tabelle.
-Wenn nun auf so einer großen Landstrecke so wenig
-Heulasten und so wenig Kartoffeltonnen geerntet werden,
-dann sagt die Tabelle des Ministeriums, das sei
-elender Boden, billiger Boden. Ich bin auf deiner Seite
-gewesen, und ich verpfände gern meine Seligkeit auf dieses
-Schelmenstück. Ja, zwei- bis dreitausend solcher Männer,
-wie du einer bist, sollten wir hier im Lande haben.
-Der Lensmann nickte und wendete sich dann an Inger:
-Wie alt ist der Kleinste? &mdash; Jetzt ist er dreiviertel Jahr
-alt. &mdash; Und es ist ein Junge? &mdash; Ja. &mdash;</p>
-
-<p>Aber du mußt dich ins Zeug legen und deine Hofangelegenheit
-so rasch wie möglich in Ordnung bringen,
-sagte der Lensmann zu Isak. Es ist noch ein Mann da,
-der ungefähr auf halbem Wege zwischen hier und dem
-Dorf kaufen will, und dann steigt der Boden im Wert.
-Kauf du nur zuerst, dann mag der Preis nachher steigen.
-Du aber hast dann doch etwas von all deiner Arbeit. Du
-hast den Anfang gemacht hier im Ödland.</p>
-
-<p>Die Leute waren ihm dankbar für seinen Rat und fragten
-ihn, ob er denn nicht selbst die Angelegenheit zum<span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span>
-Abschluß bringen werde. Er antwortete, er habe nun das
-seinige dabei getan, es komme jetzt nur noch auf den
-Staat an. Ich reise jetzt nach Vesterbotten und kehre nicht
-mehr hierher zurück, sagte er geradeheraus.</p>
-
-<p>Er gab Inger ein Geldstück, aber das war wirklich zu
-viel. Vergiß nicht, meiner Familie im Dorf etwas zum
-Schlachten mitzubringen, ein Kalb oder ein Schaf, meine
-Frau bezahlt dir's. Nimm auch ab und zu ein paar Ziegenkäse
-mit, meine Kinder essen ihn so gern, sagte er.</p>
-
-<p>Isak begleitet ihn übers Gebirge; auf der Höhe lag
-fester Harsch, man konnte also gut vorwärts kommen.
-Isak bekam einen ganzen Taler.</p>
-
-<p>So zog denn Lensmann Geißler fort und kehrte nicht
-mehr ins Dorf zurück. Die Leute sagten, es sei ihnen
-einerlei; man hielt ihn für einen unzuverlässigen Menschen
-und einen Abenteurer. Nicht, daß er nicht genug gewußt
-hätte, er war ein wohlunterrichteter Mann, der viel
-gelernt hatte, aber er tat sich zu viel darauf zugut und
-verbrauchte anderer Leute Geld. Es wurde ruchbar, daß
-er auf ein scharfes Schreiben von Amtmann Pleym hin
-durchgebrannt war; aber seiner Familie geschah nichts
-Böses, sie bestand aus der Frau und drei Kindern, und
-die blieben noch längere Zeit in der Gemeinde wohnen.
-Übrigens dauerte es nicht lange, bis die fehlenden Gelder
-von Schweden aus geschickt wurden; die Lensmannsfamilie
-war dann nicht mehr als Pfand da, sondern blieb
-aus freiem Willen, weil sie selbst es wollte.</p>
-
-<p>Für Isak und Inger war dieser Geißler kein schlechter
-Mensch gewesen, im Gegenteil. Gott mochte wissen, wie
-sich nun der neue Lensmann zu der Sache stellen würde,
-ob am Ende das ganze Geschäft mit der Ansiedlung noch
-einmal gemacht werden mußte!</p>
-
-<p>Der Amtmann schickte einen von seinen Schreibern in
-die Gemeinde, das war der neue Lensmann. Es war ein
-Mann in den Vierzigern, der Sohn eines Vogts und<span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span>
-hieß Heyerdahl; er war zu arm gewesen, um zu studieren
-und Beamter zu werden, aber er hatte auf einer Gerichtsstube
-gesessen und war da fünfzehn Jahre lang
-Schreiber gewesen. Da er niemals Geld genug zum Heiraten
-gehabt hatte, war er Junggeselle; der Amtmann
-Pleym hatte ihn von seinem Vorgänger geerbt und gab
-ihm dasselbe armselige Gehalt, das er vorher bezogen
-hatte. Heyerdahl empfing sein Gehalt und schrieb weiter.
-Er wurde ein mißmutiger, vertrockneter, aber zuverlässiger
-und rechtschaffener Mann, war dabei auch, soweit
-seine Begabung reichte, sehr tüchtig zu den Arbeiten, die
-er einmal gelernt hatte. Jetzt, da er Lensmann geworden
-war, stieg sein Selbstgefühl bedeutend.</p>
-
-<p>Isak faßte sich ein Herz und ging zu ihm.</p>
-
-<p>Die Sache Sellanraa &mdash; ja, da ist sie, vom Ministerium
-zurückgekommen. Die Herren wollen über vieles
-noch Aufklärung haben, das Ganze ist ja von der Hand
-dieses Geißlers das reine Durcheinander, sagte der Lensmann.
-Das Königliche Ministerium will wissen, ob da
-vielleicht große herrliche Multebeerenmoore auf dem
-Platze sind. Ob Hochwald da ist. Ob sich möglicherweise
-Erze und verschiedene andere Metalle in den Bergen
-ringsum finden. Es sei ein großer Gebirgssee genannt,
-ob es da Fische gebe. Dieser Geißler hat allerdings einige
-Aufklärung gegeben, aber es ist ja kein Verlaß auf ihn,
-ich muß hier alles von ihm genau durchgehen. Ich werde
-also so bald wie möglich auf deine Ansiedlung nach
-Sellanraa hinaufkommen und alles untersuchen und es
-einschätzen. Wie viele Meilen ist es hinauf? Das Königliche
-Ministerium will, daß die Grenzen ordentlich abgeschritten
-werden. &mdash; Es wird sehr schwierig sein, die
-Grenzscheide vor dem Sommer abzuschreiten, sagte Isak.
-&mdash; Ach, es wird sich schon machen lassen. Wir können das
-Ministerium nicht bis zum Sommer auf Antwort warten
-lassen, versetzte Heyerdahl. Ich komme in den nächsten<span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span>
-Tagen hinauf. Bei derselben Gelegenheit soll vom Staat
-aus auch noch an einen andern Mann Siedlungsland verkauft
-werden. &mdash; Ist das der Mann, der auf halbem
-Wege von der Gemeinde bis zu mir herauf Land kaufen
-will? &mdash; Das weiß ich nicht, aber vielleicht ist er es. Ein
-Mann von hier übrigens, mein Schätzungsmann, mein
-Amtsdiener. Er hat schon bei Geißler wegen des Kaufs
-angefragt; aber Geißler hatte ihn abgewiesen und gesagt,
-er könne ja nicht einmal zweihundert Ellen umgraben.
-Da hat der Mann an das Landgericht selbst geschrieben,
-und jetzt ist mir die Sache zur Begutachtung übergeben.
-Ja, dieser Geißler!</p>
-
-<p>Lensmann Heyerdahl kam zur Ansiedlung und hatte
-den Schätzungsmann Brede bei sich. Sie waren sehr naß
-geworden beim Überschreiten des Moors und wurden noch
-nasser, als sie dann im schmelzenden Frühjahrsschnee die
-Grenze den Berghang hinauf abschreiten sollten. Am
-ersten Tag war der Lensmann sehr eifrig, am zweiten
-ging er müde dahin und blieb weit unten stehen, rief nur
-und deutete. Nein, es war nicht mehr die Rede davon,
-die &#8222;Berge ringsum abzuschürfen&#8221;, und die Multebeermoore
-sollten erst auf dem Heimweg genau untersucht
-werden, sagte er.</p>
-
-<p>Das Ministerium hatte viele Fragen gestellt, es hatte
-wohl wieder eine Tabelle vor; die einzige von diesen Fragen,
-die einen Sinn hatte, war die nach dem Walde.
-Ganz richtig, es war etwas Hochwald da, und er stand
-innerhalb Isaks Viertelmeile, aber es war kein Bauholz
-zum Verkauf da, nur gerade genug für den eigenen Bedarf.
-Aber selbst wenn hier Bauholz gestanden hätte,
-wer hätte es meilenweit ins Dorf hinunterschaffen sollen?
-Das konnte nur der Mühlengeist Isak, wenn er im Laufe
-des Winters ein paar Stämme hinunterfuhr und dafür
-Balken und Bretter bekam.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span></p>
-
-<p>Es zeigte sich, daß dieser merkwürdige Mann Geißler
-eine Darstellung gegeben hatte, die man nicht außer acht
-lassen konnte. Da saß nun der neue Lensmann und versuchte,
-seinem Vorgänger etwas am Zeuge zu flicken und
-Fehler zu finden, mußte dieses Bemühen aber aufgeben.
-So fragte er nur öfter als Geißler seinen Begleiter und
-Schätzungsmann um Rat und richtete sich nach dessen
-Worten, und derselbe Schätzungsmann mußte sich wohl
-bekehrt und eine andere Ansicht bekommen haben, seit er
-selbst Allmende vom Staat kaufen wollte. &mdash; Was denkst
-du über diesen Preis? fragte der Lensmann. &mdash; Fünfzig
-Taler ist mehr als genug für den, der es kaufen muß,
-antwortete der Schätzungsmann. &mdash; Der Lensmann faßte
-das Gesuch in wohlgesetzten Worten ab. Geißler hatte
-geschrieben: Der Mann will von jetzt an auch jährliche
-Steuer bezahlen, er sieht sich nicht in der Lage, eine höhere
-Kaufsumme zu entrichten als fünfzig Taler, auf zehn
-Jahre verteilt. Der Staat muß dieses Angebot annehmen
-oder dem Mann sein Land und seine Arbeit entziehen.
-&mdash; Heyerdahl schrieb: Der Mann ersucht ehrerbietig das
-hohe Ministerium, das Grundstück, das ihm nicht gehört,
-auf das er aber bedeutende Arbeit verwendet hat, behalten
-zu dürfen für 50 &mdash; fünfzig &mdash; Speziestaler, zu
-bezahlen in Terminen nach dem wohlwollenden Ermessen
-des Ministeriums.</p>
-
-<p>Ich glaube, es wird mir gelingen, dir das Grundstück
-zu sichern, sagte Lensmann Heyerdahl zu Isak.</p>
-
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>6</h3>
-
-
-<p>Heute soll der große Stier fortgeführt werden. Er
-ist ein ungeheures Tier geworden und zu wertvoll,
-um noch länger auf der Ansiedlung zu bleiben.
-Isak will hinunter ins Dorf mit ihm, ihn verkaufen
-und dafür einen netten jungen Stier mitbringen.</p>
-
-<p>Inger ist es, die das durchgesetzt hat, und Inger wußte
-wohl, was sie tat, wenn sie Isak gerade an diesem Tag
-fort haben wollte.</p>
-
-<p>Wenn du gehen willst, muß es heute sein, sagte sie.
-Der Stier ist gemästet, gemästete Ware steht im Frühjahr
-gut im Preis, er kann in die Stadt geschickt werden.
-Da werden Riesensummen bezahlt. &mdash; Ja, ja, sagte Isak.
-&mdash; Die einzige Gefahr ist, daß der Stier auf dem Hinunterweg
-wild werden könnte, fuhr Inger fort. &mdash; Darauf
-gab Isak keine Antwort. &mdash; Aber seit einer Woche
-ist er immer etwas draußen gewesen, hat sich umgesehen
-und sich ans Freie gewöhnt. &mdash; Isak schwieg; aber er
-hängte ein großes Messer am Riemen um und führte
-den Stier heraus.</p>
-
-<p>Ach, was für ein Koloß, prächtig und furchtbar zugleich,
-seine Lenden schwankten bei jedem Schritt! Er war
-ziemlich kurzbeinig; wenn er dahinschritt, brach er mit
-der Brust den Jungwald nieder, er war wie eine Lokomotive.
-Sein Hals war gewaltig bis zur Unförmigkeit,
-in diesem Hals wohnte die Stärke eines Elefanten.</p>
-
-<p>Wenn er jetzt nur nicht wild wird und auf dich losgeht,
-sagte Inger. &mdash; Erst nach einer Weile antwortete
-Isak: Nun, dann muß ich ihn eben unterwegs schlachten
-und das Fleisch fortschaffen.</p>
-
-<p>Inger setzte sich auf die Türschwelle. Es war ihr übel,
-und ihr Gesicht war brennend rot. Sie hatte sich aufrecht
-gehalten, bis Isak gegangen war, jetzt verschwand er mit
-dem Stier im Walde, und Inger konnte ohne Gefahr<span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span>
-stöhnen. Der kleine Eleseus kann schon sprechen, und er
-fragt: Mutter weh? &mdash; Ja, weh. &mdash; Er ahmt seine
-Mutter nach, greift sich nach dem Rücken und stöhnt
-auch. Klein-Sivert schläft.</p>
-
-<p>Inger nimmt Eleseus mit sich hinein, gibt ihm allerlei
-Sachen, womit er auf dem Boden spielen kann, und
-legt sich selbst zu Bett. Ihre Stunde war gekommen.
-Sie ist die ganze Zeit bei vollem Bewußtsein, gibt auf
-Eleseus acht, läßt ihren Blick über die Wiege hinschweifen
-und sieht auf die Uhr an der Wand. Sie schreit nicht,
-bewegt sich kaum; ein Kampf geht in ihren Eingeweiden
-vor sich, eine Last gleitet plötzlich von ihr ab. Fast im
-selben Augenblick hört sie ein fremdes Geschrei in ihrem
-Bett, ein liebes Stimmchen weint. Und jetzt hat Inger
-keine Ruhe mehr, sie richtet sich auf und schaut an sich
-hinunter. Was sieht sie? Ihr Gesicht wird im selben
-Augenblick aschgrau und starr, ohne Ausdruck und Verstand,
-ein Ächzen wird laut, ein so unnatürliches, so erschütterndes,
-wie ein Heulen aus ihrem Innersten heraus.</p>
-
-<p>Sie sinkt zurück. Eine Minute vergeht, sie hat keine
-Ruhe, das Weinen im Bett wird lauter, sie richtet sich
-wieder auf und schaut &mdash; ach Gott, das schlimmste von
-allem, ohne Gnade, und das Kind ist überdies ein
-Mädchen!</p>
-
-<p>Isak konnte vielleicht noch nicht eine halbe Meile weit
-gekommen sein, und es war jetzt kaum eine Stunde vergangen,
-seit er den Hof verlassen hatte. In zehn Minuten
-war das Kind geboren und umgebracht ...</p>
-
-<p>Am dritten Tag kehrte Isak zurück; er führte einen
-mageren, halb verhungerten Stier, der kaum vorwärts
-kommen konnte, an der Leine, deshalb war er so lange
-unterwegs gewesen.</p>
-
-<p>Wie ist es gegangen? fragte Inger, und doch war sie
-selbst recht gedrückt und krank.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span></p>
-
-<p>Oh, es war ganz leidlich gegangen. Ja, ja, während der
-letzten halben Meile war der Stier allerdings wild geworden.
-Isak hatte ihn anbinden und Hilfe aus dem
-Dorfe holen müssen. Als er zurück kam, hatte der Stier
-sich losgerissen, und sie hatten ihn lange suchen müssen.
-Na, es war ja alles noch gut abgelaufen. Der Händler,
-der Schlachtvieh für die Stadt aufkaufte, hatte gut bezahlt.
-&mdash; Und da ist nun der neue Stier, sagte Isak,
-bring die Kinder heraus und seht ihn euch an!</p>
-
-<p>Das gleiche Interesse für jedes neue Stück Vieh. Inger
-betrachtete den Stier, befühlte ihn und fragte nach dem
-Preis. Klein-Sivert durfte auf seinem Rücken sitzen. &mdash;
-Es tut mir leid um den großen Stier, sagte Inger, er
-war so glänzend und brav! Wenn sie ihn jetzt nur ordentlich
-abschlachten!</p>
-
-<p>Die Tage waren mit Frühjahrsarbeit ausgefüllt, die
-Tiere waren hinausgelassen worden, in dem leeren Stall
-standen Kisten und Kasten voll Saatkartoffeln. Isak säte
-in diesem Jahr mehr Korn als sonst und wandte seinen
-äußersten Fleiß auf, um es gut in die Erde zu bringen,
-er richtete Beete für Karotten und Rüben, und Inger
-streute den Samen hinein. Alles ging wie früher.</p>
-
-<p>Eine Zeitlang trug Inger ein Heukissen auf dem Leib,
-um dick auszusehen. Allmählich verminderte sie das Heu,
-und schließlich ließ sie den Sack weg. Endlich eines Tages
-fiel es Isak auf, und er fragte verwundert: Was ist denn
-das? Ist diesmal nichts daraus geworden? &mdash; Nein,
-sagte sie, diesmal nicht. &mdash; So, warum nicht? &mdash; Ach,
-es war eben so. Was glaubst du, Isak, bis wann du alles
-das umgebrochen haben wirst, das wir da vor uns sehen?
-&mdash; Ist es eine Fehlgeburt gewesen? fragte er. &mdash; Ja. &mdash;
-So. Und du hast keinen Schaden davongetragen? &mdash;
-Nein. Du, Isak, ich habe schon sooft gedacht, ob wir
-uns nicht Schweine aufziehen sollten. &mdash; Isak, der sehr
-bedächtig war, sagte nach einer Weile: Ja, ein Schwein.<span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span>
-Ich hab' in jedem Frühjahr daran gedacht. Aber solange
-wir nicht mehr Eßkartoffeln und auch Futterkartoffeln
-und etwas mehr Getreide haben, haben wir kein Futter
-für ein Schwein. Nun, wir wollen in diesem Jahr einmal
-sehen. &mdash; Es wäre sehr schön, wenn wir ein Schwein
-hätten. &mdash; Ja.</p>
-
-<p>Die Tage vergehen. Regen fällt, und Acker und Wiese
-stehen schön, in diesem Jahr darf man auf Gutes hoffen!
-Große und kleine Erlebnisse folgen einander, es gibt
-Mahlzeiten, Schlaf und Arbeit, Sonntage mit rein gewaschenen
-Gesichtern und gekämmten Haaren, Isak trägt
-sein neues rotes Hemd, das Inger gewebt und genäht
-hat. Da geschieht es, daß das gleichmäßige Leben durch
-ein großes Ereignis aufgescheucht wird. Ein Mutterschaf
-mit seinem Lamm hat sich in einem Felsenspalt eingeklemmt;
-die anderen Schafe kommen am Abend heim,
-Inger vermißt sofort die beiden, die fehlen. Isak geht
-hinaus, sie zu suchen. Sein erster Gedanke ist, wenn ein
-Unglück geschehen sei, so sei es nur gut, daß es gerade
-Sonntag sei und er somit nicht von der Arbeit weg müsse.
-Er sucht stundenlang, endlos ist das Weideland, er geht
-und geht. Daheim ist das ganze Haus in Aufregung;
-die Mutter beschwichtigt ihre Kinder mit kurzen Worten:
-Zwei Schafe fehlen, schweigt! Alle tragen an der Sorge
-mit, die ganze kleine Gesellschaft, selbst die Kühe merken,
-daß etwas Ungewöhnliches vorgeht, und brüllen, denn bisweilen
-ist Inger draußen und lockt mit lauter Stimme
-nach dem Walde hin, obgleich die Nacht schon herannaht.
-Dies ist ein Ereignis im Ödland, ein allgemeines Unglück.
-Als Inger die Kinder zu Bett gebracht hat, geht sie selbst
-hinaus und sucht auch; dazwischen ruft sie, bekommt aber
-keine Antwort, Isak ist wohl auch weit weg.</p>
-
-<p>Wo können die Schafe nur sein, was ist ihnen geschehen?
-Sind Bären unterwegs? Sind Wölfe von Schweden
-und Finnland übers Gebirge herübergekommen?<span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span>
-Keins von beiden. Als Isak die Vermißten findet, ist
-das Mutterschaf in eine Felsenspalte eingeklemmt mit
-einem gebrochenen Bein und stark verletztem Euter. Es
-muß lange in der Felsenspalte festgehalten worden sein,
-denn obgleich es ernstlich verwundet ist, hat es doch das
-Gras um sich her bis an die Wurzeln abgenagt. Isak hebt
-das Schaf heraus, und das erste, was dieses tut, ist, nach
-Futter zu suchen. Das Lamm saugt sofort an der Mutter,
-es ist die reine Heilung für das arme wunde Euter, daß
-es geleert wird.</p>
-
-<p>Nun sucht Isak Steine und wirft sie in die gefährliche
-Felsenspalte; diese heimtückische Öffnung soll nie wieder
-ein Schafbein brechen! Isak trägt lederne Hosenträger,
-er zieht sie aus, legt sie um das Schaf und hält dadurch
-das aufgerissene Euter an seinem Platz. Dann hebt er
-das Schaf auf seine Schulter und trägt es heim. Das
-Lamm läuft hinter ihm her.</p>
-
-<p>Und nachher? Schienen und Teerlappen. In einigen
-Tagen fängt das Schaf an, mit dem kranken Fuß zu
-zappeln, weil die Wunde beißt und heilt. Ja, alles miteinander
-wird wieder gut &mdash; bis sich wieder etwas ereignet.</p>
-
-<p>Das tägliche Leben, Ereignisse, die das Leben der Ansiedler
-ganz ausfüllen. Ach, das sind keineswegs Kleinigkeiten,
-es ist das Schicksal, es gilt Glück, Behagen und
-Wohlfahrt.</p>
-
-<p>Isak benutzt die Zeit zwischen Frühjahr- und Sommerarbeit,
-um ein paar neue Stämme zu behauen, die
-gefällt daliegen; er hat wohl einen Plan mit ihnen.
-Außerdem bricht er viele nützliche Steine aus und schafft
-sie zum Hofe hin. Wenn er genug Steine beisammen hat,
-schichtet er sie zu einer Mauer. Wäre es nun noch wie vor
-einem Jahr gewesen, so wäre Inger neugierig geworden
-und hätte sich gefragt, was denn ihr Mann im Sinne
-habe; aber jetzt beschäftigte sie sich lieber mit ihren eigenen<span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span>
-Sachen und stellte keine Fragen mehr. Inger ist so
-fleißig wie früher; sie versorgt das Haus und die Kinder
-und die Tiere, aber sie hat angefangen zu singen, und
-das tat sie früher nicht. Sie hat Eleseus ein Abendgebet
-gelehrt, das hatte sie früher nicht getan. Isak vermißt
-ihre Fragen; ihre Neugierde und ihr Lob über das, was
-er leistete, waren es, die ihn zu einem zufriedenen und
-einem ausgezeichneten Mann gemacht hatten. Jetzt geht
-sie an ihm vorbei und sagt höchstens, er werde sich noch
-zu Tode schinden. Es muß ihr beim letztenmal doch recht
-schlecht gegangen sein! denkt Isak.</p>
-
-<p>Oline kommt wieder zu Besuch. Wäre es nun noch wie
-im vorigen Jahre gewesen, so hätte man sie sehr willkommen
-geheißen; aber jetzt ist es anders. Inger begegnet
-ihr vom ersten Augenblick an feindselig; was nun
-auch der Grund sein mag, aber Inger ist ihr feindselig
-gesinnt.</p>
-
-<p>Ich dachte halb und halb, ich würde zu rechter Zeit
-kommen, sagt Oline mit feiner Anspielung. &mdash; Wieso?
-&mdash; Ja, daß das dritte getauft werden sollte. Wie steht
-es damit? &mdash; Ach, sagte Inger, darum hättest du dich
-nicht herzubemühen brauchen. &mdash; So.</p>
-
-<p>Dann fängt Oline an zu loben, die beiden Jungen
-seien so groß und hübsch geworden, und Isak sei so
-fleißig, und es sehe aus, als wolle er wieder bauen &mdash;
-großartig sei es hier, so einen Hof gebe es nicht wieder!
-Und kannst du mir sagen, was er jetzt bauen will? &mdash;
-Nein, das kann ich nicht, du mußt ihn selbst danach fragen.
-&mdash; Nein, sagt Oline, das geht mich nichts an. Ich
-wollte nur sehen, wie es euch geht, denn dies ist eine
-große Freude und Beruhigung für mich. Nach Goldhorn
-will ich gar nicht fragen oder ihren Namen in den Mund
-nehmen, sie hat es ja so gut wie nur möglich.</p>
-
-<p>Eine Weile vergeht unter guter Unterhaltung, und
-Inger ist nicht mehr so unfreundlich. Als die Uhr an der<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span>
-Wand ihre herrlichen Schläge ertönen läßt, treten Oline
-die Tränen in die Augen; sie sagt, sie habe in ihrem
-ganzen armen Leben noch nie so eine Kirchenorgel gehört.
-Da fühlt sich Inger wieder reich und großmütig aufgelegt
-gegen die arme Verwandte, und sie sagt: Komm mit
-in die Kammer, ich zeig dir meinen Webstuhl.</p>
-
-<p>Oline bleibt den Tag über da. Sie spricht mit Isak
-und lobt alles, was er getan hat. &mdash; Ich höre, du hast
-nach jeder Richtung hin eine Meile gekauft, hättest du
-es nicht umsonst haben können? Wer hat es dir mißgönnt?</p>
-
-<p>Jetzt bekam Isak die Lobsprüche, die ihm gefehlt hatten,
-und er fühlte sich wieder mehr anerkannt und obenauf.
-Ich kaufe es von der Regierung, antwortet er. &mdash;
-Jawohl, aber sie soll nicht wie ein Raubtier gegen dich
-sein, diese Regierung. Was baust du? &mdash; Das weiß ich
-noch nicht. Es wird nichts Besonderes herauskommen.
-&mdash; Du schindest dich und baust, du hast gemalte Türen
-und eine Wanduhr in der Stube, dann baust du wohl
-eine Großstube? &mdash; Ach, spotte nicht! erwidert Isak. Aber
-es gefällt ihm gut, und er sagt zu Inger: Kannst du
-nicht ein klein wenig Sahnengrütze für unsern Gast
-kochen? &mdash; Nein, antwortete Inger, denn ich habe erst gebuttert.
-&mdash; Ich spotte nicht, ich bin nur ein einfältiges
-Frauenzimmer, das Fragen stellt, beeilte sich Oline einzuwerfen.
-Na ja, wenn es keine Großstube ist, so wird
-es wohl ein mächtiges Gebäude zu einer Scheune. Du
-hast Acker und Wiesen, und alles wächst heran, und es
-ist so, wie es in der Bibel steht, hier fließen Milch und
-Honig.</p>
-
-<p>Isak fragt: Wie sind die Aussichten heuer in eurer
-Gegend? &mdash; Ach, es geht an. Wenn nur unser Herrgott
-nicht auch diesmal Feuer drauf fallen und es verbrennen
-läßt, Gott verzeih mir meine Sünden! Alles steht in<span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span>
-seiner Hand und Allmacht. Aber so großartig wie hier
-bei euch steht es nirgends bei uns, o weit, weit entfernt!</p>
-
-<p>Inger erkundigte sich nach einigen von ihren anderen
-Verwandten, besonders nach dem Oheim Sivert, dem
-Bezirkskassierer, der ist der große Mann der Familie,
-besitzt ein Großnetz und einen Bootsschuppen, er weiß
-bald nicht mehr, was er mit all seinem Reichtum anfangen
-soll.</p>
-
-<p>Während dieser Unterhaltung versinkt Isak mehr und
-mehr in Gedanken, und sein neuer Bauplan ist vergessen.
-Schließlich sagt er: Nun, da du es durchaus wissen willst,
-Oline, so ist es eben eine kleine Scheune mit einer Dreschtenne,
-die ich zu bauen versuchen will.</p>
-
-<p>Das hab' ich mir gedacht, sagte Oline. Rechte Leute
-pflegen vorwärts und rückwärts zu denken und alles im
-Kopf zu haben. Hier ist keine Kanne und kein Gefäß,
-die du dir nicht im voraus ausgedacht hättest. Und mit
-einer Tenne, hast du gesagt, nicht wahr?</p>
-
-<p>Isak ist ein großes Kind, Olines Lobhudeleien steigen
-ihm zu Kopf, und er macht sich ein wenig lächerlich. Ja,
-was das neue Haus betrifft, so soll eine Tenne drinnen
-sein, das ist meine Meinung und Absicht, sagt er. &mdash; Eine
-Tenne! sagt Oline bewundernd und wiegt den Kopf hin
-und her. &mdash; Ja, denn was sollen wir mit Korn auf dem
-Acker, wenn wir es nicht dreschen können? sagt er. &mdash;
-Es ist, wie ich sage, du denkst dir alles im Kopf aus,
-versetzt Oline.</p>
-
-<p>Inger ist wieder unfreundlich geworden, das Gerede
-zwischen den beiden hat sie wohl aufgeregt, und sie sagt
-plötzlich: Sahnengrütze &mdash; wo soll ich denn die Sahne
-hernehmen? Gibt es etwa Sahne im Fluß?</p>
-
-<p>Oline weicht der Gefahr aus. Liebste, beste Inger, versteh
-mich doch recht! Du brauchst dich nicht wegen der
-Sahnengrütze zu entschuldigen oder auch nur ein Wort<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span>
-darüber zu verlieren. Wegen einer Person wie ich, die
-sich nur auf den Höfen herumtreibt!</p>
-
-<p>Isak bleibt noch eine Weile sitzen, dann sagt er: Nein,
-hier sitze ich und sollte doch Steine zu meiner Mauer ausbrechen.
-&mdash; Ja, zu so einer Mauer wie diese hier braucht
-man viele Steine! &mdash; Viele Steine? erwiderte Isak. Ja,
-es ist gerade, als wären es niemals genug.</p>
-
-<p>Als Isak gegangen ist, werden die beiden Frauen wieder
-einträchtiger, sie haben so viel über die Gemeinde
-miteinander zu reden. Die Stunden vergehen. Am Abend
-bekommt Oline zu sehen, wie der Viehstand gewachsen
-ist. Zwei Kühe mit dem Stier, zwei Kälber, ein Gewimmel
-von Ziegen und Schafen. Wo will das noch hinaus!
-sagt Oline und schlägt die Augen zum Himmel auf.</p>
-
-<p>Sie bleibt über Nacht.</p>
-
-<p>Aber am nächsten Tag geht sie. Wieder hat sie etwas
-in einem Bündel mitbekommen; da Isak im Steinbruch
-ist, macht sie einen kleinen Umweg, um ihn zu vermeiden.</p>
-
-<p>Zwei Stunden später erscheint Oline wieder in der Ansiedlung;
-sie tritt ein und fragt: Wo ist Isak?</p>
-
-<p>Inger ist beim Geschirraufwaschen. Sie merkt, daß
-Oline bei Isak und den Kindern, die im Steinbruch sind,
-vorbeigekommen sein muß, und sie ahnt gleich Unrat.
-Oline, was willst du von Isak? fragt sie. &mdash; Oh, nichts
-Besonderes! Aber ich habe ihm nicht Lebewohl gesagt.
-&mdash; Schweigen. Oline sinkt ohne weiteres auf eine Bank
-nieder, wie wenn sie ihre Beine nicht mehr tragen wollten.
-Sie läßt absichtlich etwas Ungewöhnliches ahnen,
-gerade indem sie zeigt, daß sie am Umsinken ist. Nun
-kann sich Inger nicht länger beherrschen, ihr Gesicht ist
-verzerrt und drückt Wut und Entsetzen aus. Sie sagt:
-Ich hab' einen Gruß von dir bekommen durch Os-Anders.
-Es war ein netter Gruß. &mdash; Was denn? &mdash; Es war ein
-Hase. &mdash; Was du nicht sagst? versetzte Oline merkwürdig
-freundlich. &mdash; Wage nicht, es zu leugnen! ruft Inger<span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span>
-mit irren Augen. Ich schlage dir mit der Holzkelle hier
-mitten ins Gesicht! So, da!</p>
-
-<p>Schlug sie zu? Ja, gewiß. Und da Oline nicht beim
-ersten Schlag zurücktaumelt, sondern im Gegenteil aufsässig
-wird und ruft: Nimm dich in acht! Ich weiß, was
-ich von dir weiß! da gebraucht Inger die Holzkelle weiter
-und schlägt Oline zu Boden, zwingt sie unter sich und
-setzt ihr das Knie auf die Brust.</p>
-
-<p>Willst du mich ganz töten? fragt Oline. Sie hatte
-diesen schrecklichen Hasenmund über sich, eine große,
-starke Frau mit einem wahren Prügel von einem Holzlöffel
-in der Hand. Oline hatte schon Beulen von den
-Schlägen, sie blutete, aber sie knurrte noch mehr und
-gab nicht nach. So, du willst mich <em class="gesperrt">auch</em> umbringen?
-&mdash; Ja &mdash; dich umbringen, antwortet Inger und schlägt
-weiter. Da hast du! Ich werde dich totschlagen! &mdash; Sie
-hatte jetzt die Gewißheit, daß Oline ihr Geheimnis
-kannte, und es war ihr alles einerlei. &mdash; Da hast du eins
-auf deinen Rachen! &mdash; Meinen Rachen! <em class="gesperrt">Du</em> hast einen
-Rachen! stöhnt Oline. Unser Herrgott hat dir ein Kreuz
-ins Gesicht geschnitten.</p>
-
-<p>Da Oline zu zäh ist, um überwältigt werden zu können,
-ja, verdammt zäh, muß Inger mit ihren Schlägen
-aufhören; es nützt alles nichts, sie erschöpft sich nur
-selbst. Aber sie droht &mdash; oh, sie droht Oline mit der
-Holzkelle dicht vor den Augen, oh, sie werde noch bekommen,
-sie werde noch für alle Zeiten genug bekommen!
-Ich hab' auch ein Küchenmesser, du wirst es gleich
-sehen!</p>
-
-<p>Sie richtet sich auf, wie um nach dem Messer zu greifen,
-nach dem großen Tischmesser; aber jetzt ist ihre erste
-Aufregung vorüber, und sie gebraucht nur noch den
-Mund. Oline richtet sich auch auf und setzt sich wieder
-auf die Bank, blau und gelb im Gesicht, voller Beulen
-und blutig. Sie streicht sich das Haar zurück, rückt ihr<span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span>
-Kopftuch zurecht, spuckt aus; ihr Mund ist verschwollen!
-Du Vieh! sagt sie.</p>
-
-<p>Du bist im Wald gewesen und hast herumgeschnüffelt!
-ruft Inger; dazu hast du die Stunden angewendet, und
-du hast das kleine Grab gefunden. Aber du hättest gleich
-ein Loch für dich selbst graben sollen! &mdash; Du wirst schon
-sehen! erwidert Oline, und ihre Augen funkeln vor Rachgier.
-Ich sage nichts mehr, aber nun wirst du keine Stube
-nebst Kammer und Orgelwerk mehr haben. &mdash; Das
-kannst du nicht bestimmen! &mdash; Oh, das werden die Oline
-und ich bestimmen!</p>
-
-<p>Die zwei Weiber zanken sich weiter. Oline ist nicht so
-grob und laut, sie ist in ihrer häßlichen Bosheit geradezu
-friedlich, aber sie ist verbissen und gefährlich. Ich gehe,
-um mein Bündel zu holen, ich bereue, daß ich es im
-Wald hab' liegen lassen. Ich gebe dir die Wolle zurück,
-ich will sie gar nicht haben. &mdash; So, du denkst wohl, ich
-hätte sie gestohlen. &mdash; Das weißt du selbst, was du getan
-hast.</p>
-
-<p>Darüber zanken sie sich wieder. Inger sagt, sie wolle
-das Schaf zeigen, von dem sie die Wolle geschoren habe.
-Oline erwidert friedlich und gelassen: Jawohl, aber wer
-weiß, wo du das erste Schaf herhast? &mdash; Inger nennt
-Namen und Ort, wo ihre ersten Schafe und Lämmer in
-Futter gestanden haben. Und das sag ich dir, nimm dich
-ein für allemal mit deinem Mund in acht! droht sie.
-&mdash; Haha! lacht Oline verächtlich. Sie hat immer eine
-Antwort bereit und gibt nicht nach. Meinen Mund! Und
-deinen eigenen Mund! Sie deutet auf Ingers Hasenscharte
-und sagt, sie sei ein Abscheu vor Gott und den
-Menschen. Inger antwortet wutschnaubend, und da Oline
-dick ist, schimpft sie sie einen Fettwanst &mdash; ein solcher
-gemeiner Fettwanst, wie du bist! Und ich danke dir auch
-für den Hasen, den du mir geschickt hast. &mdash; Hasen?
-Wenn ich in allem so frei von Schuld wäre wie bei dem<span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span>
-Hasen! Wie sah er denn aus? &mdash; Wie sieht ein Hase
-aus? &mdash; Wie du! Ganz genau wie du! Und du hättest
-es gar nicht nötig, Hasen anzusehen. &mdash; Jetzt machst du,
-daß du hinauskommst! schreit Inger. Du hast Os-Anders
-mit dem Hasen hierhergeschickt. Ich werde dich
-strafen lassen. &mdash; Strafen lassen! Hast du strafen lassen
-gesagt? &mdash; Du bist voller Neid, du gönnst mir nichts von
-allem, was ich habe, und du verbrennst fast vor Neid darüber,
-fährt Inger fort. Seit ich verheiratet bin und
-Isak und alles, was hier ist, bekommen habe, hast du
-vor lauter Mißgunst fast kein Auge mehr zugetan.
-Großer Gott und Vater im Himmel, was willst du denn
-von mir? Ist es meine Schuld, daß deine Kinder nicht
-irgendwohin kamen, wo etwas aus ihnen geworden ist?
-Du kannst es nicht ertragen, daß meine Kinder wohlgestaltet
-sind und schönere Namen haben als die deinigen, aber
-kann ich etwas dafür, daß sie von besserem Fleisch und
-Blut sind, als deine waren!</p>
-
-<p>Konnte etwas Oline rasend machen, so war es dies.
-Sie hatte so viele Kinder geboren und besaß nichts als
-diese Kinder, so wie sie nun einmal waren; sie sagte, sie
-seien gut und prahlte mit ihnen, sie log ihnen Verdienste
-an, die sie nicht hatten, und verbarg ihre Fehler. &mdash;
-Was hast du gesagt? erwiderte sie Inger. Daß du nicht
-vor Scham in die Erde versinkst. Meine Kinder, die im
-Vergleich zu den deinen wie eine himmlische Engelschar
-waren! Wagst du es, meine Kinder in den Mund zu
-nehmen? Alle sieben waren als klein wahre Gottesgeschöpfe
-und jetzt als erwachsen sind sie alle miteinander
-groß und wohlgestaltet. Nimm dich in acht, du! &mdash;
-Und die Lise, kam sie nicht ins Gefängnis, wie war denn
-das? fragt Inger. &mdash; Sie hatte nichts getan, sie war so
-unschuldig wie eine Blume, sagt Oline. Und jetzt ist sie in
-Bergen verheiratet und geht im Hut. Aber was tust du?
-&mdash; Und wie war's mit Nils? &mdash; Es ist mir nicht der<span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span>
-Mühe wert, dir zu antworten. Aber du hast eines drüben
-im Walde liegen, was hast du mit dem getan? Du hast
-es umgebracht. &mdash; Pack dich und mach, daß du hinauskommst!
-schreit Inger wieder, und sie dringt aufs neue
-auf Oline ein.</p>
-
-<p>Aber Oline weicht nicht, sie steht nicht einmal auf.
-Diese Unerschrockenheit, die wie Verstocktheit aussieht,
-lähmt Inger abermals, und sie sagt nur: Jetzt hole ich
-aber gleich das Hackmesser! &mdash; Laß das lieber sein, rät
-Oline, ich gehe schon von selbst. Aber was das betrifft,
-daß du deine eigenen Verwandten hinauswirfst, so bist
-du ein Vieh. &mdash; Ja, aber mach nur, daß du fortkommst.</p>
-
-<p>Aber Oline geht nicht. Die beiden Frauen zanken sich
-noch eine gute Weile, und sooft die Wanduhr halb oder
-ganz schlägt, stößt Oline ein Hohngelächter aus und macht
-Inger rasend. Schließlich beruhigen sich beide doch ein
-wenig, und Oline macht sich zum Gehen fertig. Ich habe
-einen weiten Weg und die Nacht vor mir, sagt sie. Und
-es war recht dumm, ich hätte von daheim etwas zum
-Essen mitnehmen sollen, sagt sie.</p>
-
-<p>Darauf gibt Inger keine Antwort, sie ist jetzt wieder
-vernünftig geworden; sie füllt Wasser in ein Becken und
-sagt: Da, wenn du dich abreiben willst! Oline sieht ein,
-daß sie sich waschen muß, ehe sie geht, aber da sie nicht
-weiß, wo sie blutig ist, wäscht sie an den verkehrten Stellen.
-Inger sieht ihr eine Weile zu, dann deutet sie. Da
-&mdash; fahr auch über die Schläfe, nein, die andere Schläfe,
-ich deute ja darauf. &mdash; Hab' ich wissen können, auf welche
-Seite du gedeutet hast? versetzt Oline. &mdash; An deinem
-Mund sitzt auch noch etwas. Bist du vielleicht wasserscheu?
-fragt Inger.</p>
-
-<p>Schließlich muß Inger selbst die Verwundete waschen
-und ihr ein Handtuch hinwerfen.</p>
-
-<p>Was ich sagen wollte, beginnt Oline, während sie sich
-abtrocknet, und sie ist jetzt wieder vollkommen friedlich,<span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span>
-wie soll Isak mit den Kindern das überstehen? &mdash; Weiß
-er's? fragt Inger. &mdash; Ob er es weiß! Er kam dazu und
-sah es. &mdash; Was sagte er? &mdash; Was konnte er sagen! Er
-war sprachlos, wie ich auch.</p>
-
-<p>Schweigen.</p>
-
-<p>Du, du bist an allem miteinander schuld! klagt Inger
-und bricht in Tränen aus. &mdash; Wenn ich nur an allem so
-frei von Schuld wäre! &mdash; Ich werde ihn, den Os-Anders,
-fragen, darauf kannst du dich verlassen! &mdash; Ja, tu das!</p>
-
-<p>Sie sprechen es in Ruhe durch, und Oline scheint jetzt
-weniger rachsüchtig zu sein. Oh, sie ist ein Politikus ersten
-Ranges und gewohnt, Auswege zu finden, jetzt äußert
-sie sogar eine Art Mitgefühl, indem sie sagt, wenn es nun
-herauskomme, dann täten ihr Isak und auch die Kinder
-herzlich leid. &mdash; Ja, sagt Inger und weint noch mehr.
-Ich habe Tag und Nacht gegrübelt und gegrübelt. Als
-Ausweg fällt es nun Oline plötzlich ein, daß sie eine Hilfe
-sein könne, sie könne vielleicht herkommen und auf der
-Ansiedlung bleiben, wenn Inger ins Gefängnis müsse.</p>
-
-<p>Jetzt weint Inger nicht mehr, sie horcht gleichsam
-plötzlich auf und überlegt. Nein, du versorgst die Kinder
-nicht, sagt sie. &mdash; Soll ich die Kinder nicht versorgen?
-Du spottest! &mdash; So. &mdash; Ja, denn wenn ich für etwas
-ein Herz habe, so sind es Kinder. &mdash; Ja, für deine eigenen,
-aber wie wirst du gegen die meinigen sein? Und
-wenn ich daran denke, daß du mir den Hasen geschickt
-hast, nur um mich zu verderben, so bist du ganz und gar
-schuld daran. &mdash; Ich? fragt Oline. Meinst du mich? &mdash;
-Ja, dich meine ich, antwortet Inger mit lautem Schluchzen.
-Du bist das größte Scheusal gegen mich gewesen,
-und ich trau dir nichts Gutes zu. Und außerdem würdest
-du uns nur alle Wolle stehlen, wenn du hierher kämst.
-Und einen Ziegenkäse nach dem andern würden deine
-Leute bekommen und nicht die meinigen. &mdash; Du bist ein
-Vieh, sagt Oline.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span></p>
-
-<p>Inger weint, wischt sich die Augen und spricht ab und
-zu ein paar Worte. Oline sagt, sie wolle sich gewiß nicht
-aufdrängen, denn sie könne bei ihrem Sohn Nils sein,
-wo sie schon immer gewohnt habe. Wenn nun aber Inger
-ins Gefängnis komme, so wäre Isak mit den unschuldigen
-Kleinen ganz verlassen, da könne sie hierher kommen
-und auf sie aufpassen. Sie stellt das recht verlockend
-hin, es werde gewiß nicht schlimm gehen. Du kannst es
-dir nun überlegen, sagt sie.</p>
-
-<p>Inger ist mutlos; sie weint und schüttelt den Kopf
-und schaut zu Boden. Wie eine Schlafwandlerin geht sie
-in die Vorratskammer und macht für den Gast Mundvorrat
-zurecht. &mdash; Nein, du sollst dich nicht in Unkosten
-stürzen, sagt Oline. &mdash; Und du sollst nicht ohne Mundvorrat
-übers Gebirge gehen, entgegnet Inger.</p>
-
-<p>Als Oline gegangen ist, schleicht sich Inger hinaus,
-sieht sich um, horcht. Kein Laut vom Steinbruch herüber!
-Sie geht näher hin und hört die Kinder; sie spielen
-mit Geröll. Isak hat sich gesetzt; er hält den Spaten
-zwischen den Knien und stützt sich darauf, wie auf einen
-Stock. Da sitzt er.</p>
-
-<p>Inger schleicht sich zum Waldsaum hin. Sie hatte ein
-kleines Kreuz in die Erde gesteckt; das Kreuz liegt am
-Boden, aber da, wo es gestanden hat, ist der Rasen weggenommen
-und die Erde aufgewühlt. Inger setzt sich
-nieder und scharrt die Erde mit den Händen wieder zusammen.
-Und da sitzt sie.</p>
-
-<p>Sie kam aus Neugier, um zu sehen, wie tief Oline in
-dem kleinen Grab gewühlt hat, sie bleibt sitzen, weil die
-Haustiere noch nicht heimgekommen sind. Sie weint und
-schüttelt den Kopf und sieht zu Boden.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>7</h3>
-
-
-<p>Die Tage vergehen. Es ist ein ausgezeichnetes Wetter
-für das Feld, mit Sonnenschein und Regenschauern,
-und die Frucht wächst dementsprechend
-heran. Die Ansiedler sind mit der Heuernte schon fast fertig,
-und sie bekommen eine Menge Heu; fast ist nicht
-alles unter Dach und Fach zu bringen, sie stopfen es unter
-vorspringende Felsen, in den Stall, unter das Wohnhaus,
-räumen das Vorratshaus ganz aus und stopfen dieses
-auch bis zum Dache voll. Früh und spät arbeitet Inger
-mit als unentbehrliche Hilfe und Stütze. Isak benützt jeden
-Regenaugenblick, um die neue Scheune unter Dach
-zu bringen und auf jeden Fall die Südseite vollständig
-fertigzumachen, dann kann so viel Heu untergebracht
-werden, als es nur gibt. Es geht tüchtig vorwärts, es
-wird schon recht werden!</p>
-
-<p>Das große, traurige Ereignis mit seiner Sorge war da,
-die Tat war getan, und die Folgen würden nicht ausbleiben.
-Das Gute geht oft einen spurlosen Weg, das
-Böse zieht immer seine Folgen nach sich. Isak faßte die
-Sache von Anfang an verständig auf und sagte nichts
-weiter zu seiner Frau, als: Wie bist du nur dazu gekommen?
-&mdash; Darauf antwortete Inger nichts. Und nach einer
-Weile sagte Isak wieder: Hast du es erwürgt? &mdash; Ja,
-sagte Inger. &mdash; Das hättest du nicht tun sollen. &mdash;
-Nein, antwortete sie. &mdash; Und ich verstehe nicht, wie du
-es hast tun können. &mdash; Sie hat genau so ausgesehen wie
-ich, sagte Inger. &mdash; Wieso? &mdash; Am Mund. &mdash; Isak
-dachte lange nach, dann sagte er: Ja, ja.</p>
-
-<p>Weiter wurde vorerst nichts darüber gesprochen, und
-als die Tage genau so ruhig vergingen wie vorher und
-außerdem sehr viel Heu hereingeschafft und untergebracht
-werden mußte, auch besonders viel Feldarbeit zu verrichten
-war, trat die Missetat allmählich in ihren Ge<span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span>danken
-zurück. Aber sie hing die ganze Zeit über den
-Menschen und über der ganzen Ansiedlung. Die Eheleute
-konnten nicht hoffen, daß Oline schweigen würde, das
-war zu unsicher. Und selbst wenn Oline schwieg, konnten
-dann die stummen Zeugen nicht eine Stimme bekommen,
-die Wände des Hauses oder die Bäume im Walde rings
-um das kleine Grab? Os-Anders konnte Andeutungen
-machen, Inger selbst konnte sich wachend oder schlafend
-verraten. Sie waren auf das Schlimmste gefaßt.</p>
-
-<p>Was konnte Isak anders tun, als die Sache verständig
-auffassen? Jetzt begriff er, warum Inger jedesmal bei
-der Geburt hatte allein sein wollen, allein hatte sie die
-große Angst über die Wohlgestaltetheit des Kindes ausstehen,
-allein der Gefahr entgegengehen wollen. Dreimal
-hatte sich das wiederholt. Isak schüttelte den Kopf, und
-sie tat ihm sehr leid mit ihrem Unglück, die arme Inger.
-Und als er von der Sendung des Lappen mit dem Hasen
-hörte, da sprach er Inger frei. Das führte zu großer
-Liebe zwischen ihnen, einer verrückten Liebe, sie schmiegten
-sich aneinander an in der Gefahr, sie war voll urwüchsiger
-Süßigkeit gegen ihn, und er wurde wild und unmäßig
-gierig nach ihr, der Mühlengeist, der Klotz. Als Schuhwerk
-gebrauchte sie nur Lappenschuhe, aber sie hatte nichts
-von einer Lappennatur an sich, sie war nicht klein und
-welk, sondern im Gegenteil herrlich und groß. Jetzt im
-Sommer ging sie barfuß und kurzgeschürzt, mit nackten
-Waden, und von diesen nackten Waden konnte Isak seine
-Augen nicht losreißen.</p>
-
-<p>Den ganzen Sommer hindurch sang sie Bruchstücke
-von Kirchenliedern und lehrte auch Eleseus Gebete hersagen;
-aber sie haßte alle Lappen ganz unchristlich und
-sagte denen, die vorbeizogen, ihre Meinung geradeheraus.
-Sie könnten ja wieder von jemand geschickt sein,
-könnten einen Hasen in ihrem Fellsack haben, sie sollten
-nur weitergehen! &mdash; Einen Hasen? Was für einen Hasen?<span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span>
-&mdash; Na, hast du nicht gehört, was Os-Anders getan
-hat? &mdash; Nein. &mdash; Ich kann es dir gern selbst sagen. Er
-kam mit einem Hasen hierher, als ich guter Hoffnung
-war. &mdash; Hat man je so etwas gehört? Hast du einen
-Schaden davon gehabt? &mdash; Das kümmert dich nichts,
-geh jetzt nur! Da hast du einen Bissen und dann mach,
-daß du weiterkommst! &mdash; Du hast wohl nicht ein Stück
-Leder, womit ich meine Schuhe ausbessern kann? &mdash;
-Nein, aber einen Stecken kannst du zu fühlen bekommen,
-wenn du jetzt nicht gehst.</p>
-
-<p>Ein Lappe bettelt demütig, bekommt er jedoch nichts,
-dann wird er rachsüchtig und droht. Jetzt kam ein Lappenpaar
-mit zwei Kindern an der Siedlung vorüber; die
-Kinder wurden ins Haus geschickt, um zu betteln, sie
-kamen zurück und meldeten, es sei niemand daheim. Die
-Familie blieb eine Weile stehen und redete lappisch miteinander,
-dann ging der Mann hinein, um nachzusehen.
-Er kam nicht wieder. Da ging die Frau ihm nach und
-zuletzt auch die Kinder, sie blieben alle in der Stube stehen
-und flüsterten in der Lappensprache. Der Mann steckt
-den Kopf in die Kammer hinein, auch da war niemand.
-Jetzt schlägt die Wanduhr, die Familie lauscht verwundert
-und bleibt stehen.</p>
-
-<p>Inger mußte geahnt haben, daß fremde Leute auf den
-Hof kamen, jetzt lief sie rasch die Halde herunter. Als
-sie sieht, daß es Lappen sind, und dazu Lappen, die sie
-nicht kennt, sagt sie geradeheraus: Was wollt ihr hier?
-Habt ihr nicht gesehen, daß niemand daheim war? &mdash;
-O ja, sagt der Mann. &mdash; Inger sagt: Macht, daß ihr
-fortkommt!</p>
-
-<p>Die Familie rückt langsam und widerwillig hinaus.
-Wir sind stehengeblieben und haben dieser Uhr zugehört,
-sagt der Mann. Sie hat so wundervoll geschlagen. &mdash; Du
-hast wohl nicht einen Brotlaib für uns? sagt die Frau.
-&mdash; Woher kommt ihr? fragt Inger. &mdash; Von Vatnan auf<span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span>
-der andern Seite. Wir sind die ganze Nacht hindurch
-gewandert. &mdash; Wohin wollt ihr? &mdash; Übers Gebirge.</p>
-
-<p>Inger geht hinein und richtet etwas Mundvorrat; als
-sie wieder herauskommt, bettelt die Frau noch um Stoff
-zu einer Mütze, um einen Knäuel Wolle, um ein Stück
-Ziegenkäse, alles kann sie gebrauchen. Inger hat keine
-Zeit, Isak und die Kinder sind auf der gemähten Wiese.
-Jetzt geht nur, sagt sie.</p>
-
-<p>Die Frau versucht es mit Schmeicheln: Wir haben
-dein Vieh auf der Weide gesehen, es sind so viele Tiere,
-gerade wie die Sterne am Himmel. &mdash; Großartig! sagt
-auch der Mann. Hättest du nicht ein paar alte Lappenschuhe?</p>
-
-<p>Inger schließt die Haustür und geht zu ihrer Arbeit
-zurück. Da rief der Mann ihr etwas nach, sie tat jedoch,
-als höre sie es nicht, und ging nur weiter, aber sie hatte
-es gut gehört. Ist es richtig, daß du Hasen kaufst?</p>
-
-<p>Das war nicht mißzuverstehen. Der Lappe hatte vielleicht
-in gutem Glauben gefragt, vielleicht hatte es ihm
-jemand weisgemacht, vielleicht fragte er auch aus Bosheit,
-aber Inger hatte jedenfalls eine Warnung erhalten.
-Das Schicksal meldete sich ...</p>
-
-<p>Die Tage vergingen. Die Ansiedler waren gesunde
-Menschen, was kommen sollte, mochte kommen, sie taten
-ihre Arbeit und warteten. Sie lebten dicht beieinander
-wie Tiere im Walde, sie schliefen und aßen, die Jahreszeit
-war schon so vorgeschritten, daß sie die neuen Kartoffeln
-versuchten; sie waren groß und mehlig. Der
-Schlag &mdash; warum fiel der Schlag nicht? Jetzt war es
-schon Ende August, bald kam der September, sollten sie
-den Winter über verschont bleiben? Sie waren beständig
-auf der Wacht, jeden Abend krochen sie in ihrer Höhle
-zusammen, froh darüber, daß der Tag ohne etwas
-Schlimmes vergangen war. So verstrich die Zeit bis zum
-Oktober, da erschien der Lensmann mit einem Mann und<span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span>
-einer Aktenmappe bei ihnen. Das Gesetz schritt zur Tür
-herein.</p>
-
-<p>Die Nachforschungen brauchten Zeit, Inger wurde
-unter vier Augen verhört. Sie leugnete nichts; das Grab
-im Walde wurde geöffnet und geleert und die kleine
-Leiche zur Untersuchung eingeschickt. Die kleine Leiche war
-in Eleseus' Taufkleid gehüllt und hatte die Mütze mit den
-Perlen auf dem Köpfchen.</p>
-
-<p>Da fand Isak gleichsam seine Sprache wieder. Ja, ja,
-jetzt steht es so schlimm für uns, als es nur kann, sagte
-er. Ich sage eben auch jetzt noch dasselbe, du hättest es
-nicht tun sollen. &mdash; Nein, gibt Inger zu. &mdash; Wie hast du
-es gemacht? &mdash; Inger gab keine Antwort. &mdash; Und daß
-du es übers Herz hast bringen können! &mdash; Sie war genau
-so wie ich. Da legte ich sie aufs Gesicht. Isak schüttelte
-den Kopf. &mdash; Und dann starb sie, fuhr Inger fort und
-brach in lautes Weinen aus. Isak schwieg eine Weile.
-Ja, ja, jetzt ist es zu spät zum Weinen, sagte er dann. &mdash;
-Sie hatte braunes Haar im Nacken, schluchzte Inger.</p>
-
-<p>Damit war die Angelegenheit wieder zu Ende.</p>
-
-<p>Und wieder vergingen die Tage. Inger wurde nicht
-festgenommen, die Obrigkeit ließ Milde walten. Lensmann
-Heyerdahl fragte sie aus, wie er jeden anderen
-Menschen ausgefragt hätte, und sagte nur: Es ist traurig,
-daß so etwas vorkommt! Als Inger fragte, wer sie angezeigt
-habe, antwortete der Lensmann, niemand, es seien
-ihm von verschiedenen Seiten Andeutungen über die
-Sache gemacht worden. Ob sie sich nicht selbst teilweise
-bei einigen Lappen verraten habe? &mdash; Inger antwortete:
-Ja, sie habe einigen Lappen von Os-Anders erzählt, der
-mitten im Sommer mit einem Hasen zu ihr gekommen
-sei, und davon habe das Kind unter ihrem Herzen eine
-Hasenscharte bekommen. Und Oline habe doch sicher den
-Hasen geschickt! &mdash; Davon wußte der Lensmann nichts.
-Aber wie es auch sein mochte, solche Unwissenheit und<span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span>
-solchen Aberglauben würde er nicht einmal in sein Protokoll
-aufnehmen. &mdash; Meine Mutter bekam einen Hasen
-zu sehen, als sie mich unter dem Herzen trug, sagte
-Inger ...</p>
-
-<p>Die Scheune war fertig, es war eine geräumige Hütte
-mit einem Heuverschlag auf beiden Seiten und einer
-Tenne in der Mitte. Das Vorratshaus und die anderen
-vorläufigen Aufbewahrungsorte wurden geräumt und
-das Heu in die Scheune geschafft. Das Korn wurde geschnitten,
-auf Heinzen getrocknet und dann eingefahren.
-Inger grub die Karotten und Rüben heraus. Nun war
-alles unter Dach. Jetzt wäre alles gut gewesen, Wohlstand
-herrschte auf der Ansiedlung, Isak rodete wieder
-Neuland, bevor der Frost kam, und vergrößerte den Kornacker,
-und er war ein wirklicher Roder, das war er. Aber
-im November sagte Inger: Jetzt wäre sie ein halbes
-Jahr alt und hätte uns alle gekannt! &mdash; Da ist nichts
-mehr daran zu ändern, sagte Isak.</p>
-
-<p>Im Winter drosch Isak auf der neuen Scheunentenne
-Korn, Inger half ihm viele Stunden lang und führte
-ihren Dreschflegel so gut wie er, während die Kinder im
-Heu spielten. Die Ähren gaben große dicke Körner. Gegen
-Neujahr war eine gute Schlittenbahn, und Isak fing an
-Klafterholz fürs Dorf zu richten; er hatte jetzt feste Käufer,
-und sein im Sommer getrocknetes Holz wurde gut
-bezahlt.</p>
-
-<p>Eines Tages kam er mit Inger überein, das fette
-Kalb, das von Goldhorn stammte, mitzunehmen und es
-zu Madam Geißler zu bringen nebst einem Ziegenkäse.
-Die Madam war entzückt und fragte ihn, was die Sachen
-kosteten. &mdash; Nichts, sagte Isak, der Lensmann hat es
-schon bezahlt. &mdash; Gott segne ihn, hat er das getan? sagte
-Frau Geißler gerührt. Sie gab Isak für Eleseus und
-Sivert Bilderbücher und Kuchen und Spielsachen mit. Als
-Isak heimkam und Inger die Sachen sah, wendete sie sich<span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span>
-ab und begann zu weinen. Was hast du denn? fragte
-Isak. &mdash; Nichts, antwortete Inger. Aber gerade jetzt
-wäre sie ein Jahr alt gewesen und hätte alles dieses sehen
-können. &mdash; Jawohl, aber du weißt doch, wie sie gewesen
-ist, erwiderte Isak, um Inger zu trösten. Und außerdem
-ist es möglich, daß es nicht so schlimm ausfällt. Ich habe
-mich erkundigt, wo Geißler sich aufhält. &mdash; Inger horchte
-auf. Ja, kann er uns denn helfen? fragte sie. &mdash; Das
-weiß ich nicht.</p>
-
-<p>Dann fuhr Isak das Korn in die Mühle, es wurde gemahlen,
-und er brachte Mehl nach Hause. Dann ging er
-wieder in den Wald und fällte Bäume für das Klafterholz
-des nächsten Jahres. Sein Leben ging von einer
-Arbeit zur andern, je nach den Jahreszeiten vom Feld
-in den Wald und vom Wald wieder aufs Feld. Jetzt
-hatte Isak sechs Jahre auf seiner Ansiedlung gearbeitet
-und Inger fünf; alles war recht und gut, wenn es so
-weiter ging. Aber es ging nicht so weiter. Inger warf das
-Weberschiffchen hin und her und versorgte ihren Viehstand,
-sie sang auch fleißig geistliche Lieder, aber, ach, du
-lieber Gott, ihr Gesang war eine Glocke ohne Klöppel!</p>
-
-<p>Sobald der Weg gangbar war, wurde sie zum Verhör
-ins Dorf hinuntergeholt. Isak mußte daheim bleiben.
-Während er da allein war, nahm er sich vor, nach Schweden
-hinüberzuwandern und Geißler aufzusuchen, der
-wohlwollende Lensmann würde den Leuten auf Sellanraa
-vielleicht noch einmal freundlich entgegenkommen. Aber
-als Inger zurückkam, hatte sie schon nach allem gefragt
-und wußte über das Urteil einigermaßen Bescheid. Eigentlich
-sei es lebenslänglich, Paragraph 1, aber ... Seht,
-sie hatte sich mitten vor den heiligen Richterstuhl des Gesetzes
-hingestellt und einfach alles gestanden; die beiden
-Zeugen der Gemeinde hatten sie mitleidig angesehen, und
-der Hardesvogt hatte sie freundlich ausgefragt; aber sie
-war den hellen Köpfen der Herren vom Gesetz doch unter<span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span>legen.
-Die hohen Herren Juristen sind so tüchtig, die kennen
-ihre Paragraphen, sie haben sie auswendig gelernt
-und im Gedächtnis, so helle Köpfe sind sie. Und sie sind
-auch nicht ohne Verstand neben ihrem Amt, nicht einmal
-ohne Herz. Inger konnte sich nicht über das Gericht beklagen;
-sie hatte nichts von dem Hasen gesagt, aber als sie
-unter Tränen gestand, daß sie ihrem mißgestalteten Kind
-nichts so Böses habe antun wollen, wie es am Leben zu
-lassen, da hatte der Hardesvogt ernst und sachte mit dem
-Kopf genickt. Aber, hatte er gesagt, du hast ja selbst eine
-Hasenscharte, und dir ist es doch gut ergangen. &mdash; Ja,
-Gott sei Dank! hatte Inger nur geantwortet. Und sie
-hatte nichts von den geheimen Leiden ihrer Kindheit und
-Jugend vorbringen können.</p>
-
-<p>Aber der Hardesvogt mußte doch das eine und andere
-gemerkt haben, er schleppte selbst einen Klumpfuß herum
-und hatte niemals tanzen können. Das Urteil &mdash; nein,
-das weiß ich noch nicht. Eigentlich ist es lebenslängliches
-Gefängnis, aber ... Und ich weiß nicht, ob wir es in die
-nächsten Stufen hinunterbringen, in die zweite oder dritte
-Stufe, fünfzehn bis zwölf, zwölf bis neun Jahre. Da
-sitzen einige Männer und humanisieren das Strafgesetz,
-werden aber nicht damit fertig. Aber wir müssen das
-Beste hoffen, sagte er.</p>
-
-<p>Inger kam in einer stumpfen Gelassenheit zurück, es
-war nicht nötig gewesen, sie in Haft zu behalten. Ein
-paar Monate vergingen, und als Isak eines Abends vom
-Fischen heimkam, waren der Lensmann und sein neuer
-Gerichtsbote auf Sellanraa gewesen. Inger war lieb und
-gut gegen Isak und lobte ihn, obgleich er nicht viel Fische
-gefangen hatte.</p>
-
-<p>Was wollte ich doch sagen, sind Fremde hier gewesen?
-fragte er. &mdash; Fremde? Warum fragst du? &mdash; Ich sehe
-neue Fußstapfen draußen. Spuren von Stiefeln. &mdash; Es
-ist niemand anders dagewesen als der Lensmann und<span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span>
-noch einer. &mdash; So. Was wollten sie? &mdash; Das wirst du
-dir denken können. &mdash; Wollten sie dich holen? &mdash; Mich
-holen? Nein, es war nur das Urteil. Und das kann ich
-dir sagen, Isak, Gott ist gnädig gewesen, es ist nicht so,
-wie ich gefürchtet habe. &mdash; So, sagte Isak gespannt,
-dann ist es vielleicht doch nicht sehr lang? &mdash; Nein, nur
-einige Jahre. &mdash; Wie viele? &mdash; Ja, ja, du wirst wohl finden,
-es seien viele Jahre, aber ich danke Gott, daß ich
-wenigstens mit dem Leben davonkomme.</p>
-
-<p>Inger nannte die Zahl nicht. Später am Abend fragte
-Isak, um welche Zeit man sie holen würde; aber das
-wußte sie nicht, oder sie wollte es nicht sagen. Sie war
-jetzt wieder sehr nachdenklich, redete davon, daß sie nicht
-wisse, wie alles gehen solle, aber Oline werde wohl kommen,
-und Isak wußte auch keinen anderen Ausweg. Wo
-war übrigens Oline geblieben? Sie war in diesem Jahr
-nicht wie sonst gekommen. War es ihre Absicht, ganz
-wegzubleiben, nachdem sie bei ihnen alles aus dem Geleise
-gebracht hatte? Sie machten die Feldarbeit, aber
-Oline kam nicht. Sollte man sie vielleicht holen? Ach,
-sie würde schon dahergeschwankt kommen, der Fettwanst,
-das Untier!</p>
-
-<p>Endlich eines Tages kam sie. Welch ein Frauenzimmer!
-Es war, als sei zwischen ihr und dem Ehepaar gar nichts
-vorgefallen, sie strickte sogar ein Paar gereifelte Strümpfe
-für Eleseus, wie sie sagte. Ich wollte nur sehen, wie ihr
-es hier auf dieser Seite des Gebirges habt, begann sie.
-Es zeigte sich, daß sie ihre Kleider und Sachen in einem
-Sack im Walde liegen hatte und darauf eingerichtet war,
-dazubleiben.</p>
-
-<p>Am Abend nahm Inger ihren Mann auf die Seite und
-sagte: Hast du nicht gesagt, du wollest versuchen, Geißler
-aufzufinden? Jetzt ist ruhige Zeit. &mdash; Ja, antwortete
-Isak, da Oline jetzt da ist, breche ich gleich morgen früh
-auf. &mdash; Inger sagte, sie wäre ihm dankbar dafür. Und<span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span>
-du mußt alles bare Geld mitnehmen, das du hast, sagte
-sie. &mdash; So. Kannst du es nicht aufheben? &mdash; Nein.</p>
-
-<p>Inger machte reichlich Mundvorrat für ihn zurecht,
-und Isak wachte bereits in der Nacht auf und machte sich
-zum Aufbruch fertig. Inger begleitete ihn bis zur Haustür,
-sie weinte nicht und jammerte nicht, aber sie sagte:
-Jetzt können sie jeden Tag kommen, um mich zu holen.
-&mdash; Weißt du etwas? &mdash; Nein, wie sollte ich etwas wissen?
-Und es wird wohl auch noch nicht so bald sein,
-aber ... Wenn du jetzt nur den Geißler fändest und er
-dir irgendeinen guten Rat geben könnte!</p>
-
-<p>Was hätte Geißler jetzt noch tun können? Nichts. Aber
-Isak ging doch.</p>
-
-<p>Aber ja, Inger hatte wohl etwas gewußt. Sie hatte
-vielleicht auch durch irgend jemand Oline Nachricht zukommen
-lassen. Als Isak von Schweden heimkam, war
-Inger abgeholt worden, und Oline war bei den beiden
-Kindern geblieben.</p>
-
-<p>Das war eine traurige Nachricht für Isak bei seiner
-Heimkehr, als er mit lauter Stimme nach Inger rief und
-keine Antwort bekam. Ist sie fort? fragte er. &mdash; Ja,
-antwortete Oline. &mdash; An welchem Tag war es? &mdash; Am
-Tag, nachdem du weggegangen warst. &mdash; Jetzt erriet
-Isak, daß Inger bei der Entscheidung wieder allein hatte
-sein wollen und sie ihn deshalb auch gebeten hatte, alles
-Geld mitzunehmen. Ach, Inger hätte gern ein paar
-Groschen für die große Reise haben können!</p>
-
-<p>Aber die kleinen Jungen waren gleich ganz in Anspruch
-genommen von dem netten gelben Ferkelchen, das Isak
-mitgebracht hatte. Das war übrigens auch das einzige,
-was er mitbrachte. Geißlers Adresse war veraltet. Geißler
-war nicht mehr in Schweden, er war in Drontheim.
-Aber das Ferkelchen hatte Isak auf seinen Armen von
-Schweden herübergetragen, er hatte es mit Milch aus
-seiner Flasche geatzt und im Gebirge mit ihm auf der<span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span>
-Brust geschlafen. Er hatte Inger eine Freude machen
-wollen, jetzt spielten Eleseus und Sivert damit und hatten
-großen Spaß daran. Das zerstreute Isak ein wenig. Dazu
-kam noch, daß Oline vom Lensmann grüßen konnte und
-ausrichtete, der Staat sei endlich auf den Verkauf von
-Sellanraa eingegangen, und Isak solle nur in die Amtsstube
-des Lensmanns hinunterkommen und bezahlen. Das
-war eine gute Nachricht, und sie riß Isak aus seiner tiefsten
-Niedergeschlagenheit heraus. Obgleich er noch recht
-müde und steifbeinig von seiner Reise war, packte er neuen
-Mundvorrat zusammen und wanderte gleich ins Dorf
-hinunter. Er hatte wohl eine leise Hoffnung, Inger noch
-dort zu treffen.</p>
-
-<p>Aber diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung, Inger
-war fort, für acht Jahre. Isak wurde es öde und düster
-zumute, und er verstand nur das eine und andere von
-dem, was der Lensmann sagte. Es sei traurig, daß so
-etwas vorkommen könne. Er hoffe, es werde Inger eine
-Lehre sein, daß sie sich bekehre und ein besserer Mensch
-werde und ihre Kinder nicht mehr umbringe.</p>
-
-<p>Lensmann Heyerdahl war seit dem vorigen Jahr verheiratet.
-Seine Frau wollte nicht Mutter werden und
-wollte keine Kinder haben &mdash; sie bedankte sich dafür.
-Und sie hatte auch keine.</p>
-
-<p>Endlich kann ich auch die Sache Sellanraa abschließen,
-sagte der Lensmann dann. Das Königliche Ministerium
-ist einigermaßen nach meinen Vorschlägen auf den Verkauf
-eingegangen. &mdash; So, sagte Isak. &mdash; Es hat lang
-gedauert, aber ich habe die Befriedigung, daß meine
-Arbeit nicht vergeblich gewesen ist! Was ich geschrieben
-habe, ist beinahe Punkt für Punkt durchgegangen. &mdash;
-Punkt für Punkt, wiederholte Isak und nickte. &mdash; Hier
-ist die Urkunde. Du kannst sie beim nächsten Thing
-verlesen lassen. &mdash; Ja, sagte Isak. Was muß ich bezahlen?
-&mdash; Zehn Taler jährlich. Hier hat das Ministerium<span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span>
-allerdings eine kleine Veränderung vorgenommen, anstatt
-fünf Taler jährlich zehn. Ich weiß nicht, wie du das
-aufnimmst? &mdash; Wenn ich es nur leisten kann, antwortete
-Isak. &mdash; Und zehn Jahre lang. &mdash; Isak sah erschrocken
-auf. &mdash; Ja, das Ministerium will auf nichts anderes eingehen,
-sagte der Lensmann. &mdash; Und das ist auch gar keine
-Bezahlung für ein so großes Grundstück, urbar gemacht
-und so angebaut, wie es nun dasteht.</p>
-
-<p>Isak hatte die zehn Taler für dieses Jahr, er hatte sie
-für Klafterholz und die Ziegenkäse bekommen, die Inger
-zusammengespart hatte. Er bezahlte, und es blieb ihm
-noch ein Rest übrig.</p>
-
-<p>Es ist wirklich ein Glück für dich, daß das Ministerium
-nichts von der Tat deiner Frau erfahren hat, fuhr der
-Lensmann fort. Sonst hätten sie vielleicht einen anderen
-Käufer dafür genommen. &mdash; So, sagte Isak, und dann
-fragte er: Und sie ist also nun für volle acht Jahre fort?
-&mdash; Ja, das läßt sich nicht ändern, die Gerechtigkeit muß
-ihren Lauf haben. Ihre Strafe ist übrigens milder als
-mild. Das nächste, was du nun zu tun hast, ist, eine deutliche
-Grenzscheide zwischen dir und dem Staatseigentum
-auszuhauen. Rode alles mit Stumpf und Stiel aus, in
-gerader Linie nach den Merkzeichen, die ich angegeben und
-in mein Protokoll eingetragen habe. Das Holz gehört
-dir. Ich werde später hinaufkommen und nachsehen.</p>
-
-<p>Isak wanderte heim.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>8</h3>
-
-
-<p>Die Jahre vergehen rasch? Ja, für den, der altert.
-Isak war weder alt noch geschwächt, ihm wurden
-die Jahre lang. Er arbeitete auf seinem
-Hofe und ließ seinen rostroten Bart wachsen, wie er
-wollte.</p>
-
-<p>Ab und zu, wenn ein Lappe vorbeikam oder sich dies
-und jenes im Viehstand ereignete, wurde die Einförmigkeit
-im Ödland unterbrochen. Einmal kamen viele Männer
-vorbeigewandert; sie ruhten auf Sellanraa aus, aßen
-und tranken Milch dazu und fragten Isak und Oline nach
-dem Weg übers Gebirge aus; sie sollten eine Telegraphenlinie
-abschreiten, sagten sie. Ein anderes Mal erschien
-Geißler &mdash; kein Geringerer als Geißler. Er kam
-frisch und froh vom Dorfe heraufmarschiert und hatte
-zwei Mann bei sich mit Bergwerksgeräten und Pickel und
-Spaten.</p>
-
-<p>Dieser Geißler! Er war ganz derselbe wie früher, ganz
-unverändert. Er sagte guten Tag, plauderte mit den Kindern,
-ging ins Haus und kam wieder heraus, betrachtete
-die Felder, öffnete die Türen von Stall und Scheune und
-schaute hinein. Ausgezeichnet! sagte er. Isak, hast du die
-kleinen Steine noch? &mdash; Die kleinen Steine? &mdash; Ja, die
-kleinen schweren Steine, mit denen dein Junge gespielt
-hat, als ich das letztemal hier war?</p>
-
-<p>Die Steine waren im Vorratshaus, sie lagen als Gewicht
-auf den Mausefallen, nun wurden sie hereingeholt.
-Der Lensmann und die beiden Männer untersuchten sie,
-besprachen sich darüber, klopften darauf und wogen sie
-in der Hand. Schwarzkupfer! sagten sie. &mdash; Kannst du
-mit ins Gebirge gehen und uns zeigen, wo du die Steine
-gefunden hast? fragte der Lensmann.</p>
-
-<p>Alle miteinander gingen in die Berge, und es war nicht
-weit bis zur Fundstätte; aber sie wanderten doch ein paar<span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span>
-Tage umher, suchten nach Metall und sprengten da und
-dort einen Stein los. Als sie in den Hof zurückkehrten,
-brachten sie zwei schwere Säcke voll Steine mit.</p>
-
-<p>Währenddem hatte Isak mit Geißler seine ganze Lage
-besprochen, auch daß der Preis für den Hof auf hundert
-Taler anstatt auf fünfzig festgesetzt worden war. &mdash; Ach,
-das spielt keine Rolle, sagte Geißler leichthin. Du hast
-vielleicht Kostbarkeiten in deinem Gestein, die Tausende
-wert sind. &mdash; So, sagte Isak. &mdash; Aber du mußt die gerichtliche
-Bestätigung der Urkunde so rasch wie möglich
-ins Werk setzen. &mdash; Ja. &mdash; Damit dir der Staat nicht
-einen Prügel in den Weg wirft, verstehst du? sagte er. &mdash;
-Isak verstand. Ja, ja, aber das Schlimmste ist doch die
-Sache mit Inger, erwiderte er. &mdash; Ach ja, sagte Geißler,
-und er überlegte für seine Art ungewöhnlich lange. Der
-Fall könnte vielleicht noch einmal aufgenommen werden.
-Wenn alles an den Tag käme, würde ihre Strafe vielleicht
-etwas heruntergesetzt. Aber wir könnten vielleicht
-um Begnadigung einkommen und damit ungefähr dasselbe
-erreichen. &mdash; So, meint Ihr das? &mdash; Um Begnadigung
-können wir zwar vorderhand noch nicht einkommen,
-da muß erst einige Zeit verstrichen sein. Aber was ich
-sagen wollte: Du hast meiner Familie ein Kalb und
-Ziegenkäse gebracht, was bin ich dir dafür schuldig? &mdash;
-Nichts, Ihr habt schon dafür bezahlt. &mdash; Ich? &mdash; Und
-Ihr habt uns so viel geholfen. &mdash; Nein, sagte Geißler
-kurz, indem er einige Talerscheine auf den Tisch legte.
-Hier nimm dies! sagte er.</p>
-
-<p>Er war ein Mann, der nichts umsonst wollte, und es
-schienen auch noch genug Geldscheine in seiner Brusttasche
-zu stecken, so dick war sie. Gott mochte wissen, ob
-er wirklich so reich war!</p>
-
-<p>Aber sie schreibt, sie habe es gut, sagte Isak, der nur
-an seine Angelegenheiten dachte. &mdash; Ach so, deine Frau?
-&mdash; Ja, seit sie das kleine Mädchen bekommen hat &mdash; sie<span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span>
-hat ein kräftiges, wohlgestaltetes Mädchen bekommen. &mdash;
-Das ist ausgezeichnet! &mdash; Ja, und die anderen helfen ihr
-alle miteinander, und jedermann sei gut gegen sie, schreibt
-sie.</p>
-
-<p>Geißler sagte: Jetzt schicke ich diese kleinen Steine hier
-an einige gesteinskundige Herren, um zu erfahren,
-woraus sie bestehen. Wenn ordentlich Kupfer drin ist,
-bekommst du viel Geld. &mdash; So, sagte Isak. Und wann
-meint Ihr wohl, daß wir um Begnadigung einkommen
-können? &mdash; In einiger Zeit. Ich werde für dich hinschreiben,
-und ich komme später auch selbst wieder her.
-Was hast du gesagt? Hat deine Frau ein Kind bekommen,
-seit sie von hier fort ist? &mdash; Ja. &mdash; Dann haben sie sie
-in schwangerem Zustand hier weggeholt? Das hätten sie
-nicht dürfen. &mdash; Nicht? &mdash; Nein, und das ist ein Grund
-mehr, daß sie nach einer bestimmten Zeit frei wird. &mdash;
-Das wäre ja sehr gut, sagte Isak dankbar.</p>
-
-<p>Isak wußte nicht, daß die Obrigkeit schon viele und
-lange Aktenstücke wegen der schwangeren Frau hatte hin
-und her schicken müssen. Sie hatte es seinerzeit aus zweierlei
-Gründen unterlassen, Inger von ihrem Hause weg in
-Haft zu nehmen. Erstens hatte es an einem Arrestlokal
-für sie gefehlt, und zweitens hatte die Obrigkeit milde
-sein wollen. Die Folgen waren unberechenbar. Später,
-als Inger festgenommen werden sollte, hatte niemand
-nach ihrem Zustand gefragt, und sie selbst hatte nichts
-gesagt. Vielleicht hatte sie auch absichtlich geschwiegen, um
-das Kind in den bösen Jahren in ihrer Nähe zu haben;
-wenn sie sich gut aufführte, durfte sie es vielleicht ab
-und zu einmal sehen. Vielleicht war sie aber auch nur
-stumpf gewesen und war trotz ihres Zustandes gleichgültig
-darauf eingegangen, von zu Hause fortgeführt zu werden.</p>
-
-<p>Isak arbeitete auf seinem Grund und Boden, er entwässerte
-und brach seine Äcker um, hieb die Grenzscheide
-zwischen sich und dem Staat aus, und die dabei gefällten<span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span>
-Bäume gaben Klafterholz für ein ganzes Jahr. Aber da
-er Inger nicht mehr hatte, die ihn mit ihren Lobsprüchen
-anfeuerte, so schaffte er mehr aus Gewohnheit als aus
-Lust. Nun hatte er auch schon zwei Thinge vorübergehen
-lassen, ohne die Bestätigung seiner Urkunde einzuholen,
-weil es ihm eben nicht so sehr am Herzen gelegen hatte.
-Jetzt erst im Herbst raffte er sich dazu auf. Es stand bei
-ihm nicht alles, wie es sein sollte. Geduldig und besonnen,
-ja gewiß, das war er, aber er war geduldig und besonnen,
-weil er von Natur dazu angelegt war. Er suchte seine
-Häute zusammen, seine Ziegenfelle und Kalbfelle, legte
-sie in den Fluß, schabte später die Haare herunter, gerbte
-sie und machte sie zur Verarbeitung für Schuhwerk fertig.
-Im Winter stellte er schon beim ersten Schnee sein Saatkorn
-fürs nächste Frühjahr auf die Seite, damit das getan
-war, denn es war am besten, wenn es bereit stand;
-er war ein Mann der Ordnung. Aber er war ein freudloser,
-einsamer Mann geworden, ach ja, wieder ein unverheirateter
-Mann mit allem, was drum und dran war.</p>
-
-<p>Welche Freude war es für ihn jetzt, am Sonntag in
-seiner Stube zu sitzen, gewaschen und sauber in seinem
-roten Hemd, wenn er niemand mehr hatte, für den er
-sich hübsch machen konnte? Die Sonntage waren die längsten
-von allen Tagen, sie verdammten ihn zum Müßiggang
-und zu traurigen Gedanken; er konnte nichts tun,
-als sich auf seinem Grundstück umhertreiben und nach
-allem sehen, was getan werden mußte. Jedesmal nahm
-er seine kleinen Jungen mit, immer einen von ihnen
-auf dem Arm. Es war so nett, ihr Geplauder anzuhören
-und auf ihre Fragen zu antworten.</p>
-
-<p>Die alte Oline hatte er, weil er niemand andern hatte.
-Und im Grunde genommen war es nicht so übel, Oline zu
-haben. Sie kardätschte Wolle und spann, strickte Strümpfe
-und Fausthandschuhe, bereitete auch Ziegenkäse; aber sie
-hatte keine glückliche Hand und arbeitete ohne Liebe; von<span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span>
-dem, was sie in die Hand nahm, gehörte ihr ja nichts zu
-eigen. Da hatte nun Isak einmal zu Ingers Zeit eine besonders
-hübsche Dose beim Händler gekauft, die ihren
-Platz auf dem Wandbrett hatte, sie war aus Ton und
-hatte einen Hundekopf auf dem Deckel, eigentlich war es
-eine Art Tabaksdose; Oline nahm einmal den Deckel ab
-und ließ ihn auf den Boden fallen. Inger hatte einige
-Fuchsiaableger in einer Kiste hinterlassen, die mit Glas
-zugedeckt waren; Oline nahm die Gläser ab und drückte
-sie nachher hart und fest wieder darauf. &mdash; Am nächsten
-Tage waren alle Ableger tot. Es war wohl nicht so ganz
-leicht für Isak, all dies mit anzusehen, und er machte
-vielleicht ein Gesicht, und da nichts Weiches oder
-Schwammhaftes an ihm war, so war es vielleicht ein
-gefährliches Gesicht. Oline war unverfroren und zungenfertig
-und muckte auf. Kann ich etwas dafür? sagte sie.
-&mdash; Das weiß ich nicht, erwiderte Isak, aber du hättest
-die Hand davon lassen können. &mdash; Ich werde ihre Blumen
-nicht mehr anrühren, sagte Oline darauf; aber nun
-waren sie ja tot.</p>
-
-<p>Und wozu kamen jetzt sooft Lappen nach Sellanraa,
-jetzt viel öfters als früher? Was hatte Os-Anders da zu
-tun, konnte er nicht einfach vorübergehen? In einem
-Sommer kam er zweimal übers Gebirge gewandert; aber
-Os-Anders hatte ja keine Renntiere, nach denen er hätte
-sehen müssen, sondern lebte vom Bettel und von Besuchen
-bei anderen Lappen. Wenn er auf die Ansiedlung
-kam, ließ Oline alle Arbeit liegen und klatschte mit ihm
-über alle Leute im Dorfe, und wenn er wieder ging, war
-sein Sack schwer von allem möglichen. Zwei Jahre lang
-schwieg Isak geduldig dazu.</p>
-
-<p>Dann wollte Oline wieder neue Schuhe haben, und da
-schwieg er nicht länger. Es war im Herbst, und Oline
-trug jeden Tag Lederschuhe, anstatt in Lappenschuhen oder
-Holzpantinen zu gehen. Isak sagte: Es ist schönes Wetter<span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span>
-heute. Hm! So fing er an. &mdash; Ja, sagte Oline. &mdash; Hast
-du nicht heute morgen an den Ziegenkäsen bis auf zehn
-gezählt, Eleseus? fragte Isak. &mdash; Doch, antwortete Eleseus.
-&mdash; Aber jetzt sind es nur noch neun.</p>
-
-<p>Eleseus zählte wieder nach und überlegte in seinem
-kleinen Kopf, dann sagte er: Ja, und dann der, den Os-Anders
-bekommen hat, dann sind es zehn.</p>
-
-<p>Schweigen rings in der Stube. Aber der kleine Sivert
-wollte auch zählen, und so wiederholte er die Worte des
-Bruders: Dann sind es zehn.</p>
-
-<p>Wieder Schweigen ringsum. Da mußte Oline schließlich
-eine Erklärung geben. Ja, er hat einen ganz kleinen
-Käse bekommen, ich habe nicht gedacht, daß das etwas
-ausmacht. Aber die Kinder sind noch nicht groß, und es
-zeigt sich jetzt schon, was in ihnen steckt. Ich kann wohl
-sehen und ausrechnen, wem sie nachschlagen! Dir jedenfalls
-nicht, Isak, das weiß ich.</p>
-
-<p>Das war eine Andeutung, die Isak zurückweisen mußte.
-Die Kinder sind schon recht, sagte er. Aber kannst du mir
-sagen, welche Wohltaten Os-Anders mir und den Meinigen
-erwiesen hat? &mdash; Wohltaten? versetzte Oline. &mdash;
-Ja. &mdash; Er, Os-Anders? wiederholte sie. &mdash; Ja, weil ich
-ihm Ziegenkäse schuldig bin. &mdash; Oline hat nun Zeit zum
-Überlegen gehabt und gibt folgende Antwort: Gott bewahre
-mich, Isak! Bin ich es gewesen, die mit Os-Anders
-angefangen hat, so soll mich gleich der Schlag rühren!</p>
-
-<p>Ausgezeichnet! Isak muß nachgeben, wie so manches
-Mal vorher.</p>
-
-<p>Oline gab nicht nach: Und wenn ich jetzt, wo es dem
-Winter zugeht, hier barfuß laufen und das nicht zu eigen
-haben soll, was Gott zu Schuhen für die Füße geschaffen
-hat, dann sag es lieber geradeheraus. Schon vor drei
-bis vier Wochen habe ich von Schuhen gesprochen, aber
-ich habe noch nichts von ihnen gesehen und muß nun mit<span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span>
-denen hier herumlaufen. &mdash; Isak erwiderte: Was fehlt
-denn eigentlich deinen Holzschuhen, daß du sie nicht
-trägst? &mdash; Was ihnen fehlt? fragte Oline überrumpelt.
-&mdash; Ja, das möchte ich fragen. &mdash; Den Holzschuhen? &mdash;
-Ja. &mdash; Du sagst nichts davon, daß ich Wolle kardätsche
-und spinne, das Vieh versorge und die Kinder aufziehe,
-davon sagst du nichts. Und zum Kuckuck, deine Frau, die
-im Gefängnis sitzt, die ist doch wohl auch nicht barfuß
-im Schnee herumgelaufen. &mdash; Nein, sie trug Holzschuhe,
-sagte Isak. Und wenn sie in die Kirche oder zu ordentlichen
-Leuten ging, dann trug sie Lappenschuhe, sagte er. &mdash;
-Ja, ja, antwortete Oline, sie war eben soviel besser! &mdash;
-Ja, das war sie. Und wenn sie im Sommer Lappenschuhe
-trug, so hatte sie nichts als dürres Gras darin. Aber du,
-du trägst das ganze Jahr Strümpfe und Schuhe.</p>
-
-<p>Oline sagte: Was das betrifft, so werde ich meine Holzschuhe
-wohl noch abnützen. Ich habe nicht geglaubt, daß
-es so große Eile hätte, meine eigenen Holzschuhe durchzulaufen.
-&mdash; Sie sprach leise und gedämpft, aber sie kniff
-die Augen halb zu, oh, sie war klug und schlau. Die
-Inger, sagt sie, der Wechselbalg, wie wir sie genannt
-haben, ist unter meinen Kindern umhergegangen und hat
-da in all den Jahren dies und jenes gelernt. Jetzt haben
-wir den Dank dafür. Wenn meine Tochter in Bergen
-einen Hut trägt, dann tut das Inger vielleicht südwärts
-da drunten auch, ja, vielleicht ist sie nach Drontheim gereist,
-um sich einen Hut zu kaufen, haha!</p>
-
-<p>Isak stand auf und wollte hinausgehen. Aber jetzt
-war Oline das Herz aufgegangen, und sie zeigte, wie
-schwarz es war, ja, sie strahlte wahrhaftig Dunkelheit
-aus, sagte, keine von ihren Töchtern habe ein Gesicht
-wie ein feuerspeiendes Raubtier, könne sie gern sagen,
-aber deshalb seien sie doch gut genug. Nicht alle hätten
-Geschick dazu, Kinder umzubringen. &mdash; Jetzt nimm dich
-aber in acht! rief Isak, und um sich recht klar verständlich<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span>
-zu machen, fügte er noch hinzu: Du verdammtes Weibsbild.</p>
-
-<p>Aber Oline nahm sich nicht in acht, nein. Haha! sagte
-sie und sah zum Himmel auf und deutete an, daß es
-eigentlich übertrieben sei, mit einer solchen Hasenscharte
-herumzulaufen wie gewisse Leute. Man könne auch darin
-Maß halten.</p>
-
-<p>Isak war wohl froh, als er endlich glücklich aus dem
-Hause draußen war. Und was blieb ihm anderes übrig,
-als Oline Lederschuhe zu verschaffen! Er war ein Ansiedler
-im Walde und war nicht einmal so weit den Göttern
-ähnlich, daß er seine Arme über der Brust kreuzen
-und zu seinem Dienstboten sagen konnte: Geh! Eine so
-unentbehrliche Haushälterin wie Oline war in Sicherheit,
-sie mochte sagen und tun, was sie wollte.</p>
-
-<p>Die Nächte sind kühl, und es ist Vollmond, die Moore
-erstarren so weit, daß sie zur Not einen Mann tragen; bei
-Tag taut die Sonne sie wieder auf und macht sie ungangbar.
-Isak wandert in einer kühlen Nacht ins Dorf
-hinunter, um Schuhe für Oline zu bestellen. Er hat zwei
-Ziegenkäse mit für Frau Geißler.</p>
-
-<p>Auf halbem Wege nach dem Dorf hat sich nun der
-neue Ansiedler niedergelassen. Er war wohl ein vermöglicher
-Mann, da er Zimmerleute vom Dorfe bestellt hatte,
-die ihm sein Haus bauten, und dazu noch Taglöhner, um
-ein Stück sandiges Moor für Kartoffeln umzugraben; er
-selbst tat nichts oder nur wenig. Der Mann war Brede
-Olsen, Amtsdiener und Gerichtsbote, ein Mann, an den
-man sich wenden mußte, wenn der Doktor geholt oder
-bei der Pfarrfrau ein Schwein geschlachtet werden sollte.
-Brede Olsen war noch nicht dreißig Jahre alt, hatte aber
-schon vier Kinder zu versorgen, außer seiner Frau, die
-eigentlich auch noch ein Kind war. Ach, Bredes Mittel
-waren wohl nicht so sehr groß, es warf nicht so sehr viel
-ab, Topf und Pfanne zu sein und zu Auspfändungen zu<span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span>
-fahren; jetzt wollte er es mit der Landwirtschaft versuchen.
-Für seinen Hausbau hatte er auf der Bank Geld aufgenommen.
-Sein Grundstück hieß Breidablick, Lensmann
-Heyerdahls Frau hatte ihm diesen herrlichen Namen gegeben.</p>
-
-<p>Isak geht an der Ansiedlung vorüber und nimmt sich
-nicht Zeit, hineinzugehen, aber so früh am Morgen es
-auch ist, am Fenster stehen schon dichtgedrängt die Kinder
-und schauen heraus. Isak eilt vorüber, er will beim nächsten
-Nachtfrost schon wieder hier zurück sein. Im Ödland
-draußen hat ein Mann gar viel zu bedenken und sich zu
-überlegen, wie er es auf die beste Weise einrichtet. Er hat
-zwar jetzt gerade nicht so übermäßig viel Arbeit, aber er
-hat Heimweh nach den Kindern, die daheim bei Oline
-zurückgeblieben sind.</p>
-
-<p>Während er so dahinschreitet, muß er unwillkürlich an
-seine erste Wanderung hier denken. Die Zeit ist dahingegangen,
-die beiden letzten Jahre sind sehr lang gewesen;
-vieles ist gut gewesen auf Sellanraa, aber etwas ist
-schlimm gewesen, ach ja, Herrgott im Himmel! Nun war
-also eine neue Ansiedlung hier entstanden; Isak erkannte
-die Stelle gut wieder, dies war einer von den wirklichen
-Plätzen, die er auf seiner ersten Wanderung untersucht,
-dann aber wieder aufgegeben hatte. Es war hier näher
-beim Dorf, jawohl, aber der Wald war nicht so gut; es
-war hier Ebene, aber Moor, die Erde war leicht umzubrechen,
-aber das Entwässern war schwierig. Der gute
-Brede hatte noch keinen Acker damit, daß er Moorboden
-umgrub. Und was sollte das heißen, wollte denn Brede
-nicht einen Schuppen an die Scheune anbauen für Geräte
-und Fahrzeuge? Isak sah einen zweirädrigen Karren
-unter offenem Himmel gerade vor dem Hause stehen.</p>
-
-<p>Er macht seine Besorgung beim Schuhmacher, aber
-Geißler ist weggereist; da verkauft er seine Ziegenkäse
-an den Krämer. Am Abend geht er heimwärts. Es gefriert<span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span>
-immer mehr, so daß man leicht übers Moor gehen kann;
-aber Isaks Gang ist schwer. Gott mochte wissen, wann
-Geißler nun wiederkam, da seine Frau verreist war, vielleicht
-kam er nie wieder. Inger war fort, die Zeit verging.</p>
-
-<p>Er geht auch jetzt auf dem Rückweg nicht zu Bredes
-hinein, nein, er macht einen Bogen um Breidablick herum
-und kommt so ungesehen vorbei. Er will nicht mit
-Menschen reden, er will nur weitergehen. Noch immer
-steht Bredes Fuhrwerk im Freien. Ich möchte wissen, ob
-es da stehenbleibt? denkt Isak. Na, jeder hat das Seine!
-Jetzt hat er ja selbst, er, Isak, ein Fuhrwerk und einen
-Schuppen dazu, aber es ist deshalb doch nicht besser gegangen,
-sein Heim ist nur halb, einmal war es ganz, jetzt
-ist es nur halb.</p>
-
-<p>Als er bei vollem Tageslicht so weit gekommen ist, daß
-er sein Haus auf der Halde droben sehen kann, wird ihm
-leichter ums Herz, obgleich er müde und matt ist nach der
-zweitägigen Wanderung. Die Gebäude stehen noch da.
-Rauch steigt vom Schornstein auf, beide Jungen sind
-im Freien, sowie sie ihn sehen, stürmen sie ihm entgegen.
-Er geht hinein, in der Stube sitzen zwei Lappen. Oline
-steht überrascht vom Hocker auf und sagt: Was &mdash; bist
-du schon wieder da? Sie kocht Kaffee auf dem Herd.
-Kaffee? Kaffee!</p>
-
-<p>Isak hat es wohl schon früher bemerkt: wenn Os-Anders
-oder andere Lappen dagewesen sind, kocht Oline
-sich lange Zeit nachher in Ingers kleinem Kessel Kaffee.
-Sie tut es, wenn Isak im Wald oder auf dem Feld ist;
-und wenn er unerwartet heimkommt und es sieht,
-schweigt er. Aber er weiß, daß er jedesmal um ein Bündel
-Wolle oder einen Ziegenkäse ärmer geworden ist. Deshalb
-ist es sehr gut von Isak, daß er Oline jetzt nicht
-packt und zwischen seinen Händen zerschmettert für ihre
-Niedertracht. Ja, im ganzen genommen versucht es Isak
-in Wahrheit, ein immer besserer Mensch zu werden, was<span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span>
-er auch dabei im Sinne haben mag, ob er es um des
-lieben Friedens willen tut oder weil er hofft, Gott werde
-ihm dann Inger früher zurückgeben. Er hat einen Hang
-zum Grübeln und zum Aberglauben; selbst die Bauernschlauheit,
-die er hat, ist treuherzig. Jetzt eben im Herbst
-hatte es sich gezeigt, daß das Torfdach auf seinem Stall
-auf das Pferd herabzusinken drohte; da kaute Isak ein
-paarmal an seinem rostigen Bart, aber dann lächelte er
-wie jemand, der einen Spaß versteht, er richtete das
-Dach auf und stützte es mit Sparren. Kein böses Wort
-entfuhr ihm. Ein anderer Zug: Das Vorratshaus, in dem
-alle seine Lebensmittel untergebracht waren, stand nur
-mit den Ecken auf hohen steinernen Füßen. Nun gelangten
-durch die große Öffnung in der Grundmauer kleine
-Vögel ins Vorratshaus hinein, flatterten darin herum
-und fanden den Weg nicht mehr hinaus. Oline klagte, die
-kleinen Vögel pickten an den Eßwaren herum, liefen auf
-dem Speck hin und her, ja, sie täten auch das, was noch
-schlimmer sei, darauf. Isak sagte: Ja, es ist auch schlimm,
-daß die kleinen Vögel hereinkommen und den Weg nicht
-mehr hinausfinden! Und mitten in der strengen Arbeitszeit
-brach er Steine aus und füllte die Mauer damit auf.</p>
-
-<p>Gott mochte wissen, was er sich dabei dachte, ob er
-hoffte, er werde, wenn er sich so gut aufführe, Inger
-schon bald zurückbekommen.</p>
-
-
-
-<h3>9</h3>
-
-
-<p>Die Jahre vergehen.</p>
-
-<p>Wieder kam ein Ingenieur mit einem Vorarbeiter
-und zwei Arbeitern nach Sellanraa, und sie wollten
-wieder eine Telegraphenlinie übers Gebirge abschreiten.
-So, wie sie jetzt abschritten, würde die Linie nicht weit
-von Isaks Haus zu liegen kommen, und ein gerader Weg
-würde durch den Wald geführt werden. Aber das schadete<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span>
-nichts, es würde den Ort weniger öde machen, die Welt
-würde hereinkommen und ihn erhellen.</p>
-
-<p>Der Ingenieur sagte: Dieser Platz hier wird nun der
-Mittelpunkt zwischen zwei Tälern, man wird dir vielleicht
-die Aufsicht über die Linie nach beiden Seiten hin
-anbieten. &mdash; So, sagte Isak. &mdash; Du bekommst fünfundzwanzig
-Taler im Jahr dafür. &mdash; So, sagte Isak, aber
-was habe ich dafür zu tun? &mdash; Die Leitung in Ordnung
-halten, die Drähte ausbessern, wenn sie abgerissen sind,
-die Büsche weghauen, wenn sie in die Linie hineinwachsen.
-Du bekommst eine nette kleine Maschine an deine Wand,
-die dir zeigt, wenn du hinaus mußt. Dann mußt du
-augenblicklich alles liegen und stehen lassen und gehen.</p>
-
-<p>Isak überlegte: Im Winter könnte ich die Arbeit übernehmen,
-sagte er dann. &mdash; Nein, es muß das ganze Jahr
-hindurch sein, das ganze Jahr natürlich, Sommer wie
-Winter. &mdash; Aber Isak erklärte: Im Frühjahr und im
-Sommer und im Herbst habe ich meine Feldarbeit und
-keine Zeit für anderes.</p>
-
-<p>Da mußte der Ingenieur Isak eine gute Weile ansehen,
-ehe er die folgende erstaunte Frage tat: Kannst
-du damit mehr verdienen? &mdash; Verdienen? sagte Isak. &mdash;
-Ob du an den Tagen, die du bei der Aufsicht der Telegraphenlinie
-verbringen mußt, mit Feldarbeit mehr verdienen
-kannst? &mdash; Das weiß ich nicht, antwortete Isak.
-Aber es ist nun einmal so, daß ich wegen der Felder hier
-bin. Ich habe für das Leben von vielen Menschen und von
-noch mehr Haustieren zu sorgen. Wir leben von dem
-Grundstück. &mdash; Ja, ja, ich kann den Posten auch einem
-andern anbieten, versetzte der Ingenieur.</p>
-
-<p>Diese Drohung schien wahrhaftig Isak das Herz nur
-zu erleichtern, er wollte dem hohen Herrn wohl nur ungern
-eine abschlägige Antwort geben, und so erklärte er:
-Ich habe ein Pferd und fünf Kühe, dazu einen Stier.
-Dann habe ich zwanzig Schafe und sechzehn Ziegen. Die<span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span>
-Tiere geben uns Nahrung und Wolle und Felle, sie
-müssen Futter haben. &mdash; Ja, das ist klar, sagte der Ingenieur
-kurz. &mdash; Jawohl. Und nun sage ich nichts weiter
-als, wie sollte ich das Futter für sie herschaffen, wenn
-ich mitten in der Heuernte fortgehen müßte und nach dem
-Telegraphen sehen? &mdash; Der Ingenieur erwiderte: Wir
-wollen gar nicht mehr darüber reden. Der Mann da
-unten, Brede Olsen, soll die Aufsicht bekommen, er übernimmt
-sie wohl gerne. &mdash; Dann wendete er sich an seine
-Leute und befahl: Kommt, wir wollen weitergehen!</p>
-
-<p>Nun erriet wohl Oline an dem Ton, daß Isak steif und
-unvernünftig gewesen war, das mußte ihr zugute kommen.
-Was hast du gesagt, Isak? Sechzehn Ziegen? Es
-sind doch nicht mehr als fünfzehn. &mdash; Isak sah sie an,
-und Oline sah ihn an, sah ihm mitten ins Gesicht. &mdash;
-Sind es nicht sechzehn Ziegen? &mdash; Nein, versetzte sie und
-sah den fremden Herrn über Isaks Unvernunft ratlos
-an. &mdash; So, sagte Isak leise. Er nahm einen Büschel seines
-Bartes zwischen die Zähne und begann darauf zu kauen.</p>
-
-<p>Der Ingenieur und seine Leute entfernten sich.</p>
-
-<p>Wenn es nun Isak darum zu tun gewesen wäre, sich
-mit Oline unzufrieden zu zeigen und sie vielleicht zu schlagen,
-so hätte er jetzt eine gute Gelegenheit, oh, eine herrliche
-Gelegenheit dazu gehabt. Sie waren wieder allein
-in der Stube, die Kinder waren mit den Fremden hinausgelaufen
-und verschwunden. Isak stand mitten im
-Zimmer, und Oline saß am Herd. Isak räusperte sich ein
-paarmal, um sie verstehen zu lassen, daß er nicht weit
-davon entfernt sei, sich auszusprechen. Aber er schwieg.
-Das war seine Seelenstärke. Sollte er etwa nicht wissen,
-wie viele Ziegen er hatte, konnte er sie nicht an den Fingern
-herzählen, war das Weib verrückt? Sollte eines von
-den Tieren im Stall, mit denen er persönlich umging,
-mit denen er täglich plauderte, verschwunden sein, eine
-von den Ziegen, die sechzehn an der Zahl waren! Dann<span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span>
-hatte wohl Oline die eine Ziege um irgend etwas vertauscht,
-gestern, als die Frau von Breidablick dagewesen
-war und sich umgesehen hatte.</p>
-
-<p>Hm! sagte Isak, und er war nahe daran, noch mehr
-zu sagen. Was hatte Oline getan? Es war vielleicht nicht
-geradezu ein Mord, aber doch nicht weit davon. Er konnte
-in tödlichem Ernst von der sechzehnten Ziege reden.</p>
-
-<p>Er konnte jedoch nicht in alle Ewigkeit hier mitten in
-der Stube stehen und schweigen. Er sagte: Hm! So, es
-sind also jetzt nicht mehr als fünfzehn Ziegen? &mdash; Nein,
-antwortete Oline freundlich. Ja, du kannst sie ja selbst
-zählen, ich bekomme nicht mehr als fünfzehn heraus.</p>
-
-<p>Jetzt, in diesem Augenblick hätte er es tun können: die
-Hände ausstrecken und Oline in der Gestalt bedeutend
-verändern, nur mit einem guten Griff. Das hätte er tun
-können. Er tat es nicht, aber er sagte laut, indem er nach
-der Tür ging: Ich sage jetzt nichts weiter! Damit ging er
-hinaus, wie wenn es beim nächsten Male von seiner Seite
-nicht an deutlichen Worten fehlen sollte.</p>
-
-<p>Eleseus! rief er.</p>
-
-<p>Wo war Eleseus, wo waren beide Jungen geblieben?
-Der Vater wollte eine Frage an sie stellen, sie waren jetzt
-große Jungen und hatten Augen im Kopfe. Er fand sie
-unter dem Scheunenboden, sie waren da ganz hineingekrochen
-und vollständig unsichtbar, aber sie verrieten
-sich durch ein ängstliches Flüstern. Dann kamen sie zum
-Vorschein wie zwei Sünder.</p>
-
-<p>Die Sache war die, daß Eleseus ein Stück farbigen
-Bleistift gefunden hatte, das dem Ingenieur gehörte;
-aber als er ihm damit nachlaufen wollte, waren die weitausschreitenden
-erwachsenen Männer schon ein Stück droben
-im Walde drin, und Eleseus blieb stehen. Der Gedanke
-stieg in ihm auf, er könnte am Ende den Bleistift
-behalten &mdash; ach, wenn er das könnte! Er zog den kleinen
-Sivert mit sich fort, damit er die Verantwortung<span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span>
-nicht allein hätte, und dann krochen die zwei mit ihrer
-Beute in einen Winkel unter dem Scheunenboden. Ach,
-dieses kurze Stück Bleistift &mdash; es war eine Merkwürdigkeit
-in ihrem Leben, ein Wunder! Sie suchten sich Holzspäne
-und bedeckten sie mit allerlei Strichen, und der
-Bleistift zeichnete rot mit dem einen Ende und blau mit
-dem andern; die Jungen wechselten ab, wer ihn haben
-durfte. Als nun der Vater so eindringlich und laut rief,
-flüsterte Eleseus: Die Fremden sind wohl zurückgekommen,
-um den Bleistift zu holen! Da war die Freude daran
-plötzlich verschwunden, sie war wie aus ihrer Seele
-weggewischt, und die kleinen Herzen begannen ängstlich
-zu schlagen und zu hämmern. Die Brüder krochen hervor;
-Eleseus hielt dem Vater den Bleistift auf Armlänge
-entgegen, um ihm zu zeigen, daß sie ihn nicht zerbrochen
-hatten, aber sie wünschten, sie hätten ihn nie
-gesehen.</p>
-
-<p>Doch sie sahen keinen Ingenieur, da beruhigten sich
-ihre Herzen wieder und fühlten einen wahren Gottesfrieden
-nach der Spannung.</p>
-
-<p>War gestern eine Frau hier? fragte der Vater. &mdash;
-Ja. &mdash; Die Frau von drunten? Habt ihr sie gesehen, als
-sie wegging? &mdash; Ja. &mdash; Hatte sie eine Ziege bei sich? &mdash;
-Nein, sagten die Kinder. Eine Ziege? &mdash; Hatte sie nicht
-eine Ziege bei sich, als sie wieder heimging? &mdash; Nein.
-Was für eine Ziege?</p>
-
-<p>Isak überlegte und grübelte nach, und am Abend, als
-das Vieh von der Weide zurückkam, zählte er die Ziegen
-zum erstenmal: es waren sechzehn. Er zählte sie noch einmal,
-zählte fünfmal &mdash; es waren sechzehn Ziegen. Keine
-fehlte.</p>
-
-<p>Isak atmete erleichtert auf. Wie war das zu verstehen?
-Oline, diese Kreatur, hatte wohl nicht bis sechzehn zählen
-können. Er sagte in ärgerlichem Ton zu ihr: Was faselst
-du denn, es sind ja sechzehn Ziegen! &mdash; Sind es sechzehn?<span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span>
-fragte sie unschuldig. &mdash; Ja. &mdash; So, ja, ja. &mdash; Ja, du
-bist mir ein guter Rechenmeister. &mdash; Darauf erwiderte
-Oline ruhig und gekränkt: Nun, wenn alle Ziegen da sind,
-dann hat Oline Gott sei Dank keine von ihnen aufgefressen.
-Ich bin recht froh für sie!</p>
-
-<p>Sie verwirrte ihn mit diesem Streich und brachte ihn
-dazu, sich die Sache aus dem Kopf zu schlagen. Er zählte
-nun den Viehstand nicht mehr, es fiel ihm auch nicht ein,
-die Schafe zu zählen. Natürlich war Oline nicht so
-schlimm, sie führte ihm gewissermaßen das Hauswesen,
-versorgte sein Vieh, sie war nur sehr dumm &mdash; aber
-dadurch schadet sie sich selbst und nicht ihm. Mochte sie
-dableiben und weiterleben, sie war nicht mehr wert. Aber
-es war düster und freudlos, in einem solchen Leben der
-Isak zu sein.</p>
-
-<p>Die Jahre waren vergangen. Jetzt war Gras auf dem
-Hausdach gewachsen, ja, sogar das Scheunendach, das
-mehrere Jahre jünger war, stand grün. Die Eingeborene
-des Waldes, die Feldmaus, hatte längst im Vorratshaus
-ihren Einzug gehalten. Es schwirrte von Meisen und anderen
-kleinen Vögeln auf der Ansiedlung, auf der Halde
-gab es Auerhähne, ja, auch Krähen und Elstern waren
-herbeigekommen. Aber das Merkwürdigste hatte sich doch
-im letzten Sommer begeben, da waren Möwen von der
-Meeresküste heraufgeflogen und hatten sich auf dieses
-Grundstück im Ödland herabgesenkt. So bekannt war die
-Ansiedlung unter der ganzen Schöpfung geworden. Und
-was meint ihr, welche Gedanken in Eleseus und dem kleinen
-Sivert aufstiegen, als sie die Möwen sahen? Oh, es
-waren fremde Vögel von weit her, und sie waren nicht
-sehr zahlreich, aber es waren doch sechs Stück, weiße
-Vögel, alle ganz gleich; sie spazierten auf den Feldern
-umher, zuweilen bissen sie Gras ab. &mdash; Vater, warum
-sind sie hierhergekommen? fragten die kleinen Buben. &mdash;
-Weil sie auf dem Meer einen Sturm erwarteten. &mdash; Ach,<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span>
-wie sonderbar und geheimnisvoll war das mit den
-Möwen!</p>
-
-<p>Und vieles andere Gute lehrte Isak seine Kinder. Sie
-waren jetzt so alt, daß sie in die Schule gehen sollten,
-aber die Schule war drunten im Dorfe, viele Meilen
-entfernt und nicht zu erreichen. An den Sonntagen hatte
-Isak den Kindern selbst das Abc beigebracht, aber irgendeinem
-höheren Unterricht war er nicht gewachsen, nein,
-dazu war dieser geborene Landmann nicht geschaffen. Der
-Katechismus, die biblische Geschichte lagen deshalb ruhig
-auf dem Wandbrett neben den Ziegenkäsen. So wie Isak
-die Kinder heranwachsen ließ, mußte er wohl denken,
-Unkenntnis in Buchweisheit sei für den Menschen bis zu
-einem gewissen Grad eine Kraft. Beide Jungen waren
-ihm eine Herzensfreude; Isak mußte oft daran denken,
-wie ihre Mutter, als sie noch ganz klein waren, ihm verboten
-hatte, sie anzufassen, weil er Harz an den Händen
-habe. Oh, Harz, das Reinste auf der Welt! Teer und
-Ziegenmilch und zum Beispiel Mark &mdash; sind auch gesund
-und vortrefflich; aber Harz, Tannenharz &mdash; o schweigt!</p>
-
-<p>Ja, da gingen also die Kinder in einem Paradies von
-Schmutz und Unwissenheit umher; aber es waren hübsche
-Kinder, wenn sie sich ein seltenes Mal wuschen, und
-Klein-Sivert war geradezu ein Prachtkerl; aber Eleseus
-war feiner und tiefer angelegt. &mdash; Ja, aber woher können
-die Möwen wissen, daß ein Sturm droht? fragte er.
-&mdash; Sie werden wetterkrank, antwortete der Vater. Aber
-außerdem sind sie nicht mehr wetterkrank als die Fliegen,
-fuhr er fort, was diese auch haben mögen, ob sie Gicht
-bekommen oder ob ihnen schwindlig wird oder so etwas.
-Aber schlagt nie nach einer Fliege, denn dann wird sie
-nur schlimmer, sagte er. Vergeßt das nicht, Jungen! Die
-Bremse ist von anderer Art, sie stirbt von selbst. Ganz
-unversehens kommt die Bremse im Sommer eines Tages
-daher, und hast du nicht gesehen, so ist sie auch wieder<span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span>
-verschwunden! &mdash; Wo bleibt sie? fragte Eleseus. &mdash; Wo
-sie bleibt? Das Fett erstarrt in ihr, und dann bleibt sie
-liegen!</p>
-
-<p>An jedem Tag mehr Gelehrsamkeit: Wenn die Kinder
-von hohen Felsblöcken heruntersprangen, sollten sie die
-Zunge gut im Munde behalten, damit sie ihnen nicht
-zwischen die Zähne komme. Wenn sie größer würden und
-für die Kirche gut riechen wollten, sollten sie sich mit
-etwas Rainfarn, der auf der Halde droben wuchs, einreiben.
-Der Vater war voller Weisheit. Er erzählte den
-Kindern von den Steinen und vom Feuerstein, und daß
-der weiße Stein härter sei als der graue; aber wenn er
-einen Feuerstein fand, mußte er auch einen Feuerschwamm
-suchen, den er in Lauge kochte und aus dem er dann Zunder
-machte. Dann schlug er Feuer. Er erzählte ihnen vom
-Mond und sagte, wenn sie mit der linken Hand in die
-Mondsichel hineingreifen könnten, dann sei der Mond
-im Zunehmen, könnten sie das aber mit der rechten tun,
-dann sei er im Abnehmen. &mdash; Vergeßt das nicht, Jungen!
-Ein seltenes Mal ging Isak indes zu weit, und da wurde
-er sonderbar und unverständlich: einmal kam er mit
-einem Ausspruch daher, der darauf hinauslief, es sei
-schwieriger für ein Kamel in den Himmel zu kommen, als
-für einen Menschen durch ein Nadelöhr zu gehen. Ein
-anderes Mal, als er ihnen von dem Glanz der Engel
-berichtete, sagte er, die Engel hätten die Sterne statt Beschlägen
-an die Absätze ihrer Schuhe genagelt. Das war
-ein guter, treuherziger Unterricht, der auf die Ansiedlung
-paßte, der Schullehrer im Dorf drunten würde darüber
-gelächelt haben; Isaks Kinder dagegen nährten ihre
-Phantasie ziemlich stark damit. Sie wurden für ihre
-eigene enge Welt erzogen und unterrichtet; was hätte
-besser sein können? Beim Schlachten im Herbst waren
-die Jungen höchst neugierig; für die Tiere, die geschlachtet
-werden sollten, hatten sie große Angst, und ihre kleinen<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span>
-Herzen waren tief betrübt. Da mußte nun Isak mit der
-einen Hand das Tier festhalten und mit der andern zustechen,
-und Oline rührte das Blut um. Jetzt wurde der
-alte Bock herausgeführt, weiß und bärtig war er, die
-beiden kleinen Burschen standen an der Hausecke und
-guckten hervor.</p>
-
-<p>Das ist doch ein abscheulicher Wind heuer, sagte Eleseus
-und wendete sich ab und wischte sich die Augen. Der
-kleine Sivert weinte offenherziger, er konnte sich nicht
-beherrschen, sondern rief: Ach, der arme alte Bock!</p>
-
-<p>Als der Bock gestochen war, trat Isak zu seinen Kindern
-und gab ihnen folgende Lehre: Ihr sollt nie ein
-Schlachtopfer bedauern und nicht armes Tier sagen.
-Denn sonst wird es nur lebenszäher. Vergeßt das nicht!</p>
-
-<p>So waren die Jahre vergangen, und abermals näherte
-sich der Frühling.</p>
-
-<p>Inger hatte wieder geschrieben, daß sie es gut habe
-und in der Anstalt sehr viel lerne. Ihr kleines Kind sei
-jetzt ein großes Mädchen, sie heiße Leopoldine nach dem
-Tag ihrer Geburt, dem 15. November. Sie könne alles
-und sei ein wahres Genie im Häkeln und Nähen, alles
-sei wunderschön gearbeitet, einerlei, ob auf Stoff oder
-Stramin.</p>
-
-<p>Das Merkwürdige an diesem letzten Brief war, daß
-Inger ihn selbst buchstabiert und geschrieben hatte. Isak
-war nicht so geschickt, er mußte sich den Brief beim Händler
-im Dorf vorlesen lassen; aber als er ihn erst im Kopf
-hatte, saß er auch fest darin, und als Isak heimkam,
-konnte er ihn auswendig.</p>
-
-<p>Nun setzte er sich mit großer Feierlichkeit oben an den
-Tisch, breitete den Brief aus und las ihn seinen Jungen
-vor. Oline sollte auch gerne sehen, daß er Geschriebenes
-fließend lesen konnte, aber sonst richtete er nicht einmal
-das Wort an sie. Als er fertig war, sagte er: Da könnt
-ihr hören, du, Eleseus, und du, Sivert, eure Mutter hat<span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span>
-diesen Brief selbst geschrieben und hat alles mögliche gelernt.
-Und euer kleines Schwesterchen kann jetzt schon
-mehr als wir alle miteinander. Vergeßt das nicht, Jungen!
-&mdash; Die Kinder saßen ganz still da und wunderten
-sich. &mdash; Ja, das ist großartig, sagte Oline.</p>
-
-<p>Was meinte sie damit? Zog sie Ingers Wahrhaftigkeit
-in Zweifel? Oder traute sie Isaks Vorlesen nicht?
-Olines wahre Meinung war nicht leicht zu ergründen,
-wenn sie mit ihrem sanften Gesicht so dasaß und Zweideutigkeiten
-sagte. Isak beschloß, sie gar nicht zu beachten.</p>
-
-<p>Und wenn eure Mutter nun heimkommt, dann müßt
-ihr auch schreiben lernen, sagte er zu den beiden Kindern.</p>
-
-<p>Oline machte sich mit ein paar Kleidungsstücken zu
-schaffen, die am Ofen zum Trocknen hingen, schob einen
-Kessel hin und her, hängte die Kleidungsstücke wieder um
-und tat überhaupt sehr geschäftig. Aber sie überlegte die
-ganze Zeit. &mdash; Wenn es dann so großartig hier im Walde
-wird, dann hättest du auch ein halbes Pfund Kaffee
-kaufen und mitbringen können, sagte sie. &mdash; <em class="gesperrt">Kaffee?</em>
-sagte Isak, das Wort entfuhr ihm unwillkürlich. &mdash; Oline
-antwortete ruhig: Bis jetzt habe ich immer ein wenig
-von meinem eigenen Geld gekauft.</p>
-
-<p>Kaffee, der für Isak ein Traum und ein Märchen
-war, ein Regenbogen! Oline spottete natürlich, er wurde
-nicht böse auf sie; aber schließlich fiel dem langsam denkenden
-Mann Olines Tauschhandel mit den Lappen ein,
-und er sagte zornig: Ja, ich werde dir Kaffee kaufen!
-Ein halbes Pfund hast du gesagt? Du hättest ein ganzes
-Pfund sagen sollen. Es soll wahrlich nicht fehlen. &mdash; Du
-brauchst nicht so zu spotten, Isak, sagte sie. Mein Bruder
-Nils hat Kaffee, und drunten bei Bredes auf Breidablick
-haben sie Kaffee. &mdash; Jawohl, denn sie haben keine Milch,
-gar keine Milch. &mdash; Nun, das weiß ich nicht, und es ist
-mir auch einerlei. Aber du, der so viel weiß und Geschriebenes
-so gut lesen kann wie eine Renntierkuh laufen,<span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span>
-du weißt wohl, daß es jetzt in allen Häusern Kaffee gibt.
-&mdash; Kreatur! sagte Isak.</p>
-
-<p>Da setzte sich Oline auf den Hocker und wollte durchaus
-nicht schweigen. Und was Inger betrifft, sagte sie,
-wenn ich ein so großes Wort überhaupt in den Mund
-nehmen darf. &mdash; Du kannst sagen, was du willst, ich
-kümmere mich nicht darum. &mdash; Sie kommt heim und hat
-alles gelernt. Und dann hat sie wohl Perlen und Federn
-auf dem Hut? &mdash; Ja, das hat sie wohl. &mdash; Ja, ja, sagte
-Oline, nun kann sie sich bei mir ein bißchen für alle diese
-Größe bedanken, die sie erreicht hat. &mdash; Bei dir? entfuhr
-es Isak. &mdash; Oline antwortete demütig: Da ich ja als geringes
-Werkzeug dazu gedient habe, sie fortzubringen.</p>
-
-<p>Darauf konnte Isak nichts mehr sagen, die Worte blieben
-ihm im Halse stecken, er saß still da und starrte vor
-sich hin. Hatte er recht gehört? Oline sah aus, als habe
-sie gar nichts Besonderes gesagt. Nein, in einem Wortstreit
-zog Isak den kürzeren.</p>
-
-<p>Düsteren Sinnes trieb er sich draußen herum. Oline,
-dieses Vieh, das sich von Bosheit nährte und fett dabei
-wurde &mdash; oh, es war wohl verkehrt von ihm gewesen, daß
-er sie nicht gleich im ersten Jahr erschlagen hatte, dachte
-er und tat vor sich selbst groß. Dazu hätte er der Mann
-sein sollen, dachte er weiter. Mann &mdash; er? O ja, niemand
-konnte fürchterlicher sein.</p>
-
-<p>Und nun folgt ein komischer Auftritt: er geht in den
-Stall und zählt seine Ziegen; da stehen sie mit ihren
-Zicklein und sind vollzählig. Er zählt die Kühe, das
-Schwein, vierzehn Hühner, zwei Kälber. Und die Schafe
-habe ich fast vergessen! sagt er laut zu sich selbst. Er zählt
-auch die Schafe und tut, als sei er sehr gespannt, ob sie
-vollzählig sind. Isak weiß sehr wohl, daß ein Schaf fehlt,
-ja, er hat es schon lange gewußt, warum also tun, als
-wüßte er es nicht? Die Sache ist die: Oline hatte ihn ja
-damals verwirrt gemacht und eine Ziege verleugnet, ob<span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span>gleich
-alle Ziegen dagewesen waren. Damals war er tüchtig
-ins Zeug gefahren, es war aber nichts dabei herausgekommen.
-Bei einem Streit mit Oline kam nie etwas
-heraus. Als er im Herbst schlachten wollte, hatte er gleich
-gemerkt, daß ein Mutterschaf fehlte, aber er hatte nicht
-das Herz gehabt, sofort Rechenschaft dafür zu verlangen,
-und auch später war ihm der Mut dazu nicht gekommen.</p>
-
-<p>Aber heute ist er grimmig, ja, heute ist Isak grimmig,
-Oline hat ihn wütend gemacht. Er zählt die Schafe noch
-einmal, legt den Zeigefinger auf jedes einzelne und zählt
-laut. &mdash; Oline darf es gern hören, falls sie draußen steht
-und horcht. Und er sagt mit lauter Stimme viel Schlechtes
-über Oline: sie habe eine ganz neue Art, die Schafe
-zu füttern, so daß plötzlich eines verschwinde, ein Mutterschaf!
-Sie sei eine abgefeimte Diebshure, ob sie das verstehe!
-Oh, Oline dürfe gern vor der Tür stehen und einen
-ordentlichen Schrecken bekommen!</p>
-
-<p>Er schreitet zum Stall hinaus, geht in den Pferdestall
-und zählt das Pferd, von da will er ins Haus gehen und
-sich aussprechen. Er geht so schnell, daß sein Kittel wie
-ein erregter Kittel von seinem Rücken wegsteht. Aber
-Oline hat vielleicht vom Fenster aus dies und jenes gemerkt,
-sie tritt ruhig und sicher zur Haustür heraus, die
-Milcheimer in den Händen, und will in den Stall gehen.</p>
-
-<p>Was hast du mit dem Mutterschaf mit den flachen
-Ohren gemacht? fragt er. &mdash; Mit dem Mutterschaf? &mdash;
-Ja, und wenn es hier gewesen wäre, hätte es jetzt schon
-zwei Lämmer; was hast du mit ihm gemacht? Es hatte
-immer zwei Lämmer. Auf diese Weise hast du mir drei
-Schafe genommen; verstehst du das?</p>
-
-<p>Oline ist ganz überwältigt, vollständig vernichtet von
-der Beschuldigung, sie wackelt mit dem Kopf, und ihre
-Beine scheinen unter ihr wegzuschmelzen, so daß sie
-schließlich umfallen und sich einen Schaden antun kann.
-Aber ihr Kopf überlegt die ganze Zeit, ihre Geistesgegen<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span>wart
-hat ihr immer geholfen, hatte ihr immer Vorteile
-gebracht, sie durfte sie auch jetzt nicht verlassen.</p>
-
-<p>Ich stehle Ziegen und ich stehle Schafe, sagt sie still.
-Ich möchte wissen, was ich mit ihnen tue. Ich esse sie
-wohl auf. &mdash; Ja, das weißt du selbst, was du damit tust.
-&mdash; So, dann müßte ich hier in deinem Haus, Isak, nicht
-Essen und Trinken im Überfluß haben, ich wäre gezwungen,
-mir dazu zu stehlen. Aber das kann ich hinter deinem
-Rücken sagen, daß ich das in all diesen Jahren nicht
-nötig gehabt habe. &mdash; Aber was hast du dann mit dem
-Schaf gemacht? Hat Os-Anders es bekommen? &mdash; Os-Anders?
-Oline muß geradezu die Melkeimer abstellen
-und die Hände zusammenschlagen: Wenn ich nur so frei
-von aller Schuld wäre! Was ist denn das für ein Schaf
-mit seinen Lämmern, von dem du redest? Ist es die eine
-Ziege, die flache Ohren hat? &mdash; Kreatur! sagt Isak und
-will gehen. &mdash; Du bist doch ein komischer Kauz, Isak. Da
-hast du nun genug Vieh von jeder Art und ein wahres
-Sternenheer von Tieren in deinem Stall, aber du hast
-noch nicht genug! Kann ich wissen, welches Schaf und
-welche Lämmer du von mir verlangst? Du müßtest Gott
-für seine Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied danken.
-Wenn jetzt dieser Sommer und ein Stück vom Winter
-vorbei sind, dann werfen deine Schafe wieder Lämmer,
-und du bekommst dreimal soviel, als du jetzt hast!</p>
-
-<p>O diese Oline!</p>
-
-<p>Isak ging fort, wie ein Bär brummend. Was für ein
-Dummkopf war ich, daß ich sie nicht am ersten Tag erschlagen
-habe! sagte er sich und warf sich selbst allerlei
-Schimpfnamen an den Kopf. Was für ein Narr, ein
-Roßdreck war ich doch! Aber es ist noch nicht zu spät,
-warte nur, mag sie in den Stall gehen! Es ist nicht ratsam,
-an diesem Abend noch etwas mit ihr anzufangen,
-aber morgen, da ist es ratsam. Drei Schafe verloren!
-Kaffee! sagte sie.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>10</h3>
-
-
-<p>Der nächste Tag sollte ein großes Ereignis bringen:
-Gäste kamen auf die Ansiedlung, Geißler
-kam. Auf den Mooren war es noch nicht einmal
-Sommer, aber Geißler machte sich nichts aus dem Weg,
-er kam zu Fuß in prächtigen Schaftstiefeln mit breitem
-lackiertem Umschlag; gelbe Handschuhe hatte er an, und er
-sah vornehm aus. Ein Mann aus dem Dorfe trug sein
-Gepäck.</p>
-
-<p>Er komme nun eigentlich, um eine Strecke Bergland
-von Isak zu kaufen, eine Kupfermine, welchen Preis er
-dafür verlange? Übrigens könne er von Inger grüßen &mdash;
-eine tüchtige Frau, sehr beliebt; er komme von Drontheim
-und habe sie da gesprochen. Isak, du hast ja hier mächtig
-gearbeitet! &mdash; O ja. So, Ihr habt mit Inger gesprochen?
-&mdash; Was ist das dort drüben? Hast du eine Mühle errichtet?
-Und mahlst du dein eigenes Mehl? Ausgezeichnet.
-Und du hast sehr viel Boden umgebrochen, seit ich
-das letztemal hier war. &mdash; Und es ging ihr gut? &mdash; Ja,
-es geht gut. Ach so, deiner Frau! Ja, jetzt sollst du hören.
-Komm, wir wollen in die Kammer gehen. &mdash; Nein, es
-ist nicht so schön drinnen, sagt Oline, aus mehreren Gründen
-abwehrend.</p>
-
-<p>Aber die beiden gingen doch in die Kammer und machten
-die Tür hinter sich zu; Oline stand allein in der
-Stube und bekam nichts zu hören.</p>
-
-<p>Der Lensmann Geißler setzte sich, schlug sich einmal
-kräftig auf die Knie und saß da mit Isaks Schicksal in
-der Hand. Du hast doch wohl dein Kupferfeld nicht verkauft?
-fragte er. &mdash; Nein. &mdash; Gut. Ich kaufe es. Ja,
-ich habe mit Inger und mit mehreren andern gesprochen.
-Sie wird gewiß in allernächster Zeit frei, es liegt jetzt
-beim König. &mdash; Beim König! &mdash; Beim König. Ich bin zu
-deiner Frau gegangen, für mich hatte es natürlich keine<span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span>
-Schwierigkeiten, hineinzukommen, und wir haben lange
-miteinander gesprochen: Nun, Inger, es geht dir ja gut,
-richtig gut? &mdash; Ja, ich habe nichts zu klagen. &mdash; Sehnst
-du dich nicht nach Hause? &mdash; Doch, das kann ich nicht
-leugnen. &mdash; Du sollst bald heimkommen, sagte ich. Und
-das kann ich dir sagen, Isak, sie ist ein tüchtiges Weib;
-keine Tränen, im Gegenteil, sie lächelte und lachte &mdash; ihr
-Mund ist übrigens operiert und zusammengenäht worden.
-Nun lebe wohl, sagte ich zu ihr, du sollst nicht mehr
-lange hierbleiben, mein Wort darauf.</p>
-
-<p>Dann ging ich zum Direktor, es hätte ja nur gefehlt,
-daß er mich nicht empfangen hätte. Sie haben eine Frau
-hier, die hinaus und wieder heim gehört, sagte ich, Inger
-Sellanraa. &mdash; Inger? versetzte er. Ja, sie ist ein guter
-Mensch, ich würde sie gerne zwanzig Jahre hier behalten,
-sagte er. &mdash; Davon kann keine Rede sein, sagte ich, sie ist
-schon zu lange hier gewesen. &mdash; Zu lange? sagte er. Kennen
-Sie den Fall? &mdash; Ja, ich kenne den Fall von Grund
-aus, ich bin ihr Lensmann gewesen. &mdash; Bitte, setzen Sie
-sich, sagte er da. &mdash; Es hätte auch gerade noch gefehlt! &mdash;
-Ja, wir sorgen so gut wie möglich für Inger, sagte der
-Direktor, und auch für ihr kleines Mädchen, jawohl. So,
-die Frau ist also aus Ihrer Gegend? Wir haben ihr zu
-einer eigenen Nähmaschine verholfen, sie hat ihr Gesellenstück
-in der Werkstatt gemacht, und wir haben sie
-in Verschiedenem unterrichtet; sie hat ordentlich weben,
-ordentlich nähen, färben und schneidern gelernt. Und
-Sie sagen, sie sei schon zu lange hier gewesen? &mdash; Ich
-wußte wohl, was ich zu antworten hatte, aber ich wollte
-damit noch etwas warten, und so sagte ich: Ja, der Fall
-ist schlecht geführt worden und muß wieder aufgenommen
-werden, jetzt nach der Revision des Strafgesetzes würde
-sie vielleicht ganz freigesprochen werden. Es ist ihr ein
-Hase zugeschickt worden, als sie schwanger war. &mdash; Ein
-Hase? fragte der Direktor. &mdash; Ein Hase, sagte ich. Und<span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span>
-das Kind bekam eine Hasenscharte. &mdash; Der Direktor
-lächelte. So also. Ihrer Meinung nach ist also auf diesen
-Punkt nicht genug Rücksicht genommen worden? &mdash; Nein,
-antwortete ich, dieser Punkt wurde gar nicht berührt. &mdash;
-Nun, das ist wohl auch nicht so gefährlich. &mdash; Für sie war
-es gefährlich genug. &mdash; Meinen Sie, ein Hase könne
-Wundertaten verrichten? &mdash; Ich erwiderte: Wieweit ein
-Hase Wundertaten verrichten kann oder nicht, damit will
-ich Sie nicht unterhalten, Herr Direktor. Die Frage ist die,
-welche Wirkung der Anblick eines Hasen unter gewissen
-Umständen auf eine Frau, die eine Hasenscharte hat,
-haben kann! &mdash; Der Direktor überlegte eine Weile, dann
-sagte er: Ja, ja, aber hier in der Anstalt haben wir die
-Verurteilten ja nur aufzunehmen, wir revidieren das
-Urteil nicht. Nach dem Urteil ist Inger nicht zu lange hier
-gewesen.</p>
-
-<p>Jetzt kam ich mit dem heraus, was gesagt werden
-mußte. Bei der Inhaftnehmung von Inger Sellanraa
-sind Fehler gemacht worden. &mdash; Fehler? &mdash; Erstens hätte
-sie in dem Zustand, in dem sie war, gar nicht transportiert
-werden dürfen. &mdash; Der Direktor sah mich scharf an. &mdash;
-Das ist richtig, sagte er dann. Aber das ist nicht unsere
-Sache hier im Gefängnis. &mdash; Zweitens, fuhr ich fort, hätte
-sie nicht zwei Monate lang in vollem Gewahrsam sein
-dürfen, bis ihr Zustand der Behörde hier am Gefängnis
-offenbar wurde. Das saß. Der Direktor schwieg lange. &mdash;
-Haben Sie Vollmacht, für die Frau zu handeln? fragte
-er. &mdash; Ja, sagte ich. &mdash; Wie gesagt, wir sind hier zufrieden
-mit Inger und behandeln sie auch danach, schwatzte
-der Direktor, und wieder zählte er auf, was Inger alles
-gelernt habe, ja, sie hätten sie auch schreiben gelehrt, sagte
-er. Und die kleine Tochter hätten sie bei jemand gut untergebracht
-und so weiter. &mdash; Ich erklärte ihm, wie die Verhältnisse
-in Ingers Heim seien: da auch zwei kleine Kinder,
-gemietete Hilfe, um sie zu versorgen, und so weiter.<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span>
-Ich habe eine Darlegung von ihrem Manne, sagte ich, die
-kann beigelegt werden, ob der Fall nun wieder aufgenommen
-werden soll oder ob man für die Frau um Begnadigung
-einkommen will. &mdash; Lassen Sie mich diese
-Darlegung sehen, sagte der Direktor. &mdash; Ich werde sie
-Ihnen morgen in der Besuchszeit bringen, versetzte ich.</p>
-
-<p>Isak hörte aufmerksam zu, das war ergreifend, ein
-Märchen aus fremdem Land. Unverwandt hingen seine
-Augen an Geißlers Mund.</p>
-
-<p>Geißler erzählte weiter. Ich ging zurück ins Gasthaus
-und setzte eine Darlegung auf, ich machte die Sache zu
-der meinigen und unterschrieb Isak Sellanraa. Aber du
-mußt ja nicht glauben, ich hätte ein Wort davon verlauten
-lassen, daß im Gefängnis etwas Unrichtiges gemacht
-worden sei. Keine Silbe davon! Rührte nicht daran.
-Und am nächsten Tage brachte ich das Dokument hin.
-&mdash; Bitte setzen Sie sich! sagte der Direktor sofort. Er
-las meine Darlegung, nickte ab und zu, schließlich sagte
-er: Ausgezeichnet. Sie genügt zwar nicht zur Wiederaufnahme
-des Falles, aber ... &mdash; Doch, mit einer Beilage,
-die ich ebenfalls hier habe, sagte ich, und ich traf da wieder
-recht gut. Der Direktor beeilte sich zu sagen: Ich habe
-mir die Sache seit gestern überlegt und finde gute Gründe
-dafür, ein Gesuch um Begnadigung für Inger einzureichen.
-&mdash; Das Sie im gegebenen Fall unterstützen werden,
-Herr Direktor? fragte ich. &mdash; Ich werde es befürworten,
-es warm befürworten. &mdash; Da verbeugte ich mich
-und sagte: Dann ist die Begnadigung sicher. Ich danke
-Ihnen im Namen eines unglücklichen Mannes und eines
-verlassenen Hauses. &mdash; Ich glaube nicht, daß wir weitere
-Auskunft aus Ihrem Heimatort einzuholen brauchen,
-sagte der Direktor, Sie kennen sie ja? &mdash; Ich erriet wohl,
-warum die Sache sozusagen in aller Stille abgemacht
-werden sollte, und erwiderte: Die Auskunft von daheim
-würde die Sache nur in die Länge ziehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span></p>
-
-<p>Da hast du die ganze Geschichte, Isak. &mdash; Geißler sah
-auf seine Uhr. Und nun zur Sache selbst! Kannst du
-mich noch einmal nach dem Kupferberg begleiten?</p>
-
-<p>Isak war ein Stein und ein Klotz, er konnte nicht so
-augenblicklich von einem zum andern überspringen. Aufs
-höchste verwundert und in tiefe Gedanken versunken, saß
-er da; dann stellte er noch allerlei Fragen. Er erfuhr,
-daß das Gesuch an den König abgegangen war und in
-einer der ersten Sitzungen des Staatsrats entschieden werden
-konnte! Wunderbar! sagte er.</p>
-
-<p>Sie gingen auf den Berg. Geißler, sein Begleiter und
-Isak, und sie blieben ein paar Stunden weg. In dieser
-kurzen Zeit verfolgte Geißler den Lauf der Kupferader
-über einen langen Berg hin und steckte die Grenzen für
-den Bereich ab, den er kaufen wollte. Wie ein Wiesel lief
-er. Aber dumm war der Mann nicht, sein rasches Urteil
-war merkwürdig sicher.</p>
-
-<p>Als er auf den Hof zurückkam &mdash; mit einem Sack voll
-neuer Gesteinsproben &mdash;, bat er um Feder und Tinte und
-Papier und setzte sich zum Schreiben hin. Aber er schrieb
-nicht immerfort eilig, sondern plauderte auch dazwischen:
-Ja, Isak, große Summen bekommst du diesmal nicht
-für deinen Berg, aber ein paar hundert Taler kannst du
-haben! Dann schrieb er wieder. Vergiß nicht, mich daran
-zu erinnern, daß ich auch noch deine Mühle ansehen will,
-ehe ich gehe, sagte er. Dann fielen ihm einige rote und
-blaue Striche an dem Webstuhl auf, und er sagte: Wer
-hat das gezeichnet? &mdash; Ja, Eleseus hatte ein Pferd und
-einen Bock gezeichnet, er versuchte sich mit seinem bunten
-Bleistift auf dem Webstuhl und anderem Holzwerk, weil
-er kein Papier hatte. Geißler sagte: Das ist gar nicht
-schlecht gemacht, und schenkte Eleseus eine Münze.</p>
-
-<p>Wieder schrieb Geißler eine Weile, dann sagte er: Es
-werden jetzt wohl bald mehrere neue Ansiedler durchs
-Ödland hier heraufkommen! &mdash; Sein Begleiter fiel ein:<span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span>
-Sie sind schon gekommen. &mdash; Wer denn? &mdash; Vorerst ist
-da Breidablick, wie sie es nennen, der Brede auf Breidablick
-drunten. &mdash; Ach der! lächelte Geißler verächtlich. &mdash;
-Jawohl, und dann haben noch ein paar andere Grund
-und Boden gekauft. &mdash; Wenn sie nur etwas taugen,
-sagte Geißler. Und da er in demselben Augenblick entdeckte,
-daß zwei kleine Jungen in der Stube waren, zog
-er Klein-Sivert zu sich heran und gab auch ihm eine
-Münze. Ein merkwürdiger Mann, dieser Geißler! Jetzt
-waren überdies seine Augen wie etwas entzündet, die
-Ränder waren wie von rotem Reif umgeben. Das konnte
-von Nachtwachen kommen, manchmal kommt aber so
-etwas auch von starken Getränken. Aber er machte nicht
-den Eindruck, als gehe es bergab mit ihm; während er
-so über alles mögliche schwatzte, dachte er gewiß die ganze
-Zeit an das Dokument vor sich, denn plötzlich ergriff er
-rasch die Feder wieder und schrieb ein Stück weiter.</p>
-
-<p>Jetzt schien er fertig zu sein.</p>
-
-<p>Er wendete sich an Isak. Ja, wie gesagt, ein reicher
-Mann wirst du nicht bei diesem Geschäft. Aber es kann
-später noch mehr werden. Wir wollen es so aufsetzen,
-daß du später mehr bekommst. Zweihundert kannst du
-jedoch jetzt gleich haben.</p>
-
-<p>Isak verstand nicht viel vom Ganzen, aber zweihundert
-Taler, das war jedenfalls wieder ein Wunder und eine
-großartige Bezahlung. Er würde sie wohl nur auf dem
-Papier bekommen, natürlich nicht bar, aber es war ihm
-auch so recht; er hatte ganz anderes im Kopf und fragte:
-Und Ihr glaubt, daß sie begnadigt wird? &mdash; Deine Frau?
-Wenn ein Telegraph im Dorf wäre, dann würde ich in
-Drontheim anfragen, ob sie nicht schon frei ist, antwortete
-Geißler. &mdash; Isak hatte wohl vom Telegraphen reden
-hören; das war etwas Merkwürdiges, ein Draht auf
-hohen Stangen, etwas Überirdisches &mdash; jetzt schlich sich
-fast etwas wie Mißtrauen gegen Geißlers große Worte<span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span>
-in sein Herz, und er wendete ein: Aber wenn es der König
-abschlägt? &mdash; In dem Fall schicke ich meine Beilage
-zu der Darlegung ein, die alles enthält, und dann <em class="gesperrt">muß</em>
-deine Frau frei werden. Zweifle nicht daran!</p>
-
-<p>Dann las er vor, was er geschrieben hatte, den Kaufvertrag
-für den Berg, zweihundert Taler in die Hand
-und später ordentlich hohe Prozente beim Betrieb oder
-bei einem Weiterverkauf des Kupferfundes. Unterschreib,
-hier! sagte Geißler.</p>
-
-<p>Isak würde augenblicklich unterschrieben haben, aber
-er war kein Schriftkundiger, sein ganzes Leben lang hatte
-er nur Buchstaben in Holz geschnitten. Ach, und da stand
-die abscheuliche Oline und sah zu! Er ergriff die Feder,
-diesen Greuel von einem leichten Ding, neigte das richtige
-Ende nach unten und <em class="gesperrt">schrieb</em> &mdash; schrieb seinen
-Namen. Danach setzte Geißler noch etwas darunter, vermutlich
-eine Erklärung, und sein Begleiter unterschrieb
-als Zeuge.</p>
-
-<p>Fertig.</p>
-
-<p>Aber immer noch blieb Oline unbeweglich stehen, ja,
-eigentlich wurde sie jetzt erst steif. Was würde geschehen?</p>
-
-<p>Stell das Essen auf den Tisch, Oline! sagte Isak, und
-er war vielleicht ein wenig hochmütig, seit er auf Papier
-geschrieben hatte. Ihr müßt eben vorliebnehmen, wie wir
-es haben! sagte er zu Geißler.</p>
-
-<p>Es riecht gut nach Fleisch und Brühe, sagte Geißler.
-Da sieh her, Isak, hier ist das Geld! &mdash; Damit zog Geißler
-sein Taschenbuch heraus, das dick und strotzend war,
-er nahm zwei Bündel Banknoten heraus, zählte sie und
-legte sie auf den Tisch: Zähl selbst! sagte er.</p>
-
-<p>Schweigen. Stille.</p>
-
-<p>Isak! rief Geißler.</p>
-
-<p>Ja. Na ja, sagte Isak, und er murmelte überwältigt:
-Das ist nun nicht mein Anspruch &mdash; nach allem, was Ihr
-schon getan habt. &mdash; Es müssen zehn Zehner und zwanzig<span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span>
-Fünfer sein, sagte Geißler kurz. Ich hoffe, es wird einmal
-viel mehr für dich herauskommen.</p>
-
-<p>Da kam Oline wieder zu sich. Das Wunder war geschehen.
-Sie stellte das Essen auf den Tisch.</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen ging Geißler nach dem Flusse
-und besah sich die Mühle. Alles war klein und roh zusammengezimmert,
-ja, es war wie eine Mühle für die
-Unterirdischen, aber stark und nützlich zum Gebrauch für
-Menschen. Isak führte seinen Gast noch etwas weiter den
-Fluß hinauf und zeigte ihm eine zweite Stromschnelle,
-wo er auch schon etwas gearbeitet hatte; es sollte ein kleines
-Sägewerk werden, wenn ihm Gott die Gesundheit
-erhielt.</p>
-
-<p>Das einzige ist, daß wir hier so weit von der Schule
-entfernt sind, sagte er. Ich muß die Jungen drunten im
-Dorf in Kost geben. &mdash; Der bewegliche Geißler sah darin
-keine größere Unannehmlichkeit. Gerade jetzt lassen sich
-immer mehr Ansiedler hier in dieser Gegend nieder, und
-dann kommt eine Schule her. &mdash; Ach, das kommt wohl
-erst so weit, wenn meine Kleinen groß sind. &mdash; Und was
-tut's, wenn du sie drunten unterbringst? Du fährst mit
-den Jungen und mit Lebensmitteln hinunter und holst
-sie nach drei oder sechs Wochen wieder ab, das ist doch
-gar nichts für dich. &mdash; Nein.</p>
-
-<p>Nein, eigentlich war es gar nichts, wenn Inger jetzt
-heim kam. Haus und Hof, Nahrung und sonst viel Schönes
-hatte er, viel Geld hatte er also jetzt auch und dazu
-eine eiserne Gesundheit. O diese Gesundheit, stark und
-ungeschwächt in jeder Beziehung, die Gesundheit eines
-ganzen Mannes!</p>
-
-<p>Als Geißler abgezogen war, begann Isak über viele
-hoffärtige Dinge nachzudenken. Jawohl, denn dieser gute
-Geißler hatte zum Schlusse noch die aufmunternden
-Worte gesagt, daß er Isak gleich Nachricht schicken wolle,
-sobald er zum Telegraphen komme. In vierzehn Tagen<span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span>
-kannst du drunten auf der Post einmal nachfragen, hatte
-er gesagt. Das allein war schon etwas Großen, und Isak
-machte sich nun daran, eine Sitzbank auf seinem Karren
-zu verfertigen. Wahrhaftig einen Wagenstuhl, der zu den
-Feldarbeiten abgenommen, aber wieder aufgesetzt wurde,
-wenn man ins Dorf fuhr. Als jedoch der Wagenstuhl
-fertig war, sah er so weiß und neu aus, daß er etwas
-dunkler angestrichen werden mußte. Und außerdem, was
-war nicht alles zu machen! Der ganze Hof mußte angestrichen
-werden. Hatte Isak nicht schon seit Jahren daran
-gedacht, eine große Scheuer mit einer Einfahrtsbrücke
-zu bauen, um das Heu in den oberen Raum hineinfahren
-zu können? Und hatte er nicht das Sägewerk bald
-fertigstellen, sein ganzes Grundstück einfriedigen und ein
-Boot für den Gebirgssee bauen wollen? Vieles hatte er
-sich vorgenommen. Aber es half alles nichts, und wenn
-er auch seine Kräfte vertausendfachen könnte, die <em class="gesperrt">Zeit</em>
-reichte nicht aus. Es war Sonntag, ehe er sich's versah,
-und gleich darauf war es schon wieder Sonntag.</p>
-
-<p>Aber anstreichen wollte er jedenfalls. Die Häuser standen
-ja jetzt so nackt und grau da wie Häuser in Hemdärmeln.
-Er hatte noch Zeit vor der Feldarbeit, es war ja
-noch gar nicht eigentlich Frühling, das Kleinvieh war
-zwar schon draußen, aber der Boden war noch überall
-gefroren.</p>
-
-<p>Isak packt einige Mandeln Eier ein, um sie zu verkaufen,
-geht ins Dorf und kehrt mit Ölfarbe zurück. Sie
-reichte zu einem Gebäude, zu der Scheune, diese wurde
-rot angestrichen. Er holt neue Farbe und gelben Ocker
-fürs Wohnhaus. &mdash; Ja, es ist, wie ich sage, hier wird's
-jetzt vornehm, murmelt Oline täglich. O Oline, sie
-merkte wohl, daß ihre Zeit auf Sellanraa bald zu Ende
-sein würde, sie war zäh und stark genug, es zu ertragen,
-aber doch nicht ohne Bitterkeit. Isak seinerseits hielt nun
-keine Abrechnung mehr mit ihr, obgleich sie in der letzten<span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span>
-Zeit gehörig stahl und unterschlug. Isak schenkte ihr sogar
-einen jungen Widder, denn sie war ja eigentlich jetzt
-schon recht lange um wenig Lohn bei ihm. Übrigens war
-Oline auch nicht schlecht gegen seine Kinder gewesen; sie
-war nicht streng und rechtschaffen und dergleichen, aber
-sie hatte eine bequeme Art für die Kinder, gab Rede und
-Antwort, wenn sie fragten, und erlaubte ihnen fast alles.
-Kamen sie herbei, wenn sie Käse machte, dann durften
-sie versuchen, und wenn sie an einem Sonntag einmal
-vor dem Gesichtwaschen auskneifen wollten, dann ließ
-sie sie laufen.</p>
-
-<p>Als die Häuser mit der Grundfarbe angestrichen
-waren, holte Isak im Dorf so viel Farbe, als er nur tragen
-konnte, und das war nicht wenig. Dreimal strich er
-die Häuser an, und die Fensterkreuze und -rahmen machte
-er weiß. Wenn er jetzt aus dem Dorfe zurückkam und
-sein Heim da auf der Halde sah, war es ihm, als sehe er
-das Märchenschloß Soria Moria vor sich! Das Ödland
-war bebaut und nicht mehr zu erkennen, Segen ruhte darauf,
-Leben war entstanden aus einem langen Traum,
-Menschen lebten da, Kinder spielten um die Häuser her.
-Bis hinauf zu den blauen Bergen dehnte sich schöner großer
-Wald aus.</p>
-
-<p>Und als Isak wieder einmal zum Kaufmann kam, gab
-dieser ihm einen blauen Brief mit einem Wappen drauf,
-und der Brief kostete fünf Schilling. Der Brief war ein
-Telegramm, das mit der Post weitergeschickt worden war,
-und es war vom Lensmann Geißler. Nein, dieser Geißler,
-was für ein merkwürdiger Mensch war er doch! Er telegraphierte
-die wenigen Worte: Inger frei, kommt baldigst,
-Geißler.</p>
-
-<p>Aber jetzt drehte sich der Kaufladen im Kreise vor
-Isak, und es war, als wichen der Ladentisch und die
-Menschen weit, weit in den Hintergrund zurück. Er fühlte
-mehr, als er es vernahm, daß er sagte: Gott sei Lob und<span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span>
-Dank! &mdash; Du kannst sie möglicherweise schon morgen hier
-haben, wenn sie zeitig genug von Drontheim abgereist
-ist. &mdash; So, sagte Isak.</p>
-
-<p>Er wartete bis zum nächsten Tag. Das Boot, das die
-Post von der Dampfschiffstation mitbrachte, kam allerdings,
-aber Inger war nicht an Bord. &mdash; Dann kann
-sie erst in der nächsten Woche hier sein, sagte der Kaufmann.</p>
-
-<p>Es war fast gut, daß Isak so viel Zeit vor sich hatte,
-denn es war noch sehr viel zu tun. Sollte er alles vergessen
-und seine Felder vernachlässigen? Er geht heim
-und fährt den Dung hinaus. Das ist bald geschehen. Er
-sticht mit dem Spaten in die Erde und verfolgt das Auftauen
-von Tag zu Tag. Die Sonne steht jetzt kräftig
-und groß am Himmel, der Schnee ist verschwunden, es
-grünt überall, auch das Rindvieh ist aus dem Stalle. An
-einem Tag pflügt Isak, ein paar Tage darauf sät er sein
-Korn und legt Kartoffeln. Die kleinen Jungen legen die
-Kartoffeln wie mit Engelshänden, sie haben sehr geschickte
-Hände und kommen dem Vater weit voraus.</p>
-
-<p>Dann wäscht Isak seinen Wagen am Fluß und befestigt
-den Sitz darauf. Dann spricht er mit den Kindern von
-einem Ausflug, den er nach dem Dorfe machen müsse. &mdash;
-Aber gehst du denn nicht zu Fuß? fragen sie. &mdash; Nein,
-ich habe die Absicht, diesmal mit Wagen und Pferd zu
-fahren. &mdash; Dürfen wir nicht auch mitfahren? &mdash; Nein,
-ihr müßt artige Jungen sein und diesmal zu Hause bleiben.
-Jetzt kommt eure Mutter heim, und dann könnt ihr
-vieles bei ihr lernen. &mdash; Eleseus, der gerne lernen will,
-fragt: Als du damals auf Papier geschrieben hast, wie
-war denn das? &mdash; Ich habe es fast nicht gefühlt, antwortete
-der Vater, es ist, als sei die Hand ganz leer
-dabei. &mdash; Will sie nicht davonlaufen, gerade wie auf dem
-Eis? &mdash; Wer? &mdash; Die Feder, mit der du geschrieben hast?<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span>
-&mdash; O doch. Jawohl, aber man muß eben lernen, sie zu
-lenken.</p>
-
-<p>Der kleine Sivert jedoch war von anderer Art und sagte
-nichts von der Feder, er wollte aufsitzen, wollte nur auf
-dem Wagenbrett sitzen, einen unbespannten Wagen antreiben
-und ungeheuer schnell fahren. Er brachte es so
-weit, daß der Vater beide Jungen ein großes Stück Wegs
-mitfahren ließ.</p>
-
-
-
-<h3>11</h3>
-
-
-<p>Isak fährt, bis er an ein Moorloch kommt. Da hält
-er an. Ein schwarzes, tiefes Moorloch, die blaue
-Wasserfläche liegt regungslos da; Isak wußte, wozu
-sie gut war, er hatte wohl kaum je in seinem Leben
-einen anderen Spiegel gebraucht als ein solches Moorloch.
-Seht, er ist heute in seinem roten Hemd sehr hübsch und
-ordentlich angezogen, jetzt zieht er eine Schere heraus und
-schneidet sich den Bart. Der eitle Mühlengeist, wollte er
-sich geradezu prachtvoll machen und sich von seinem fünf
-Jahre alten Vollbart trennen? Er schneidet und schneidet
-und besieht sich im Wasser. Natürlich hätte er diese Arbeit
-heute auch daheim verrichten können; aber er scheute
-sich vor Oline, es war schon sehr viel gewesen, daß er gerade
-vor ihrer Nase das rote Hemd angezogen hatte. Er
-schert und schert, ein gutes Teil Barthaare fallen auf den
-Spiegel. Als das Pferd nicht länger ruhig stehen will,
-hört er auf und erklärt sich für fertig. O jawohl, er fühlt
-sich bedeutend jünger. &mdash; Ja zum Kuckuck, wenn er es
-verstand, auch bedeutend schlanker sogar.</p>
-
-<p>Dann fährt er ins Dorf.</p>
-
-<p>Am nächsten Tag kommt das Boot. Isak sitzt auf
-einem Felsblock neben dem Schuppen des Kaufmanns
-und späht hinaus, aber auch diesmal erscheint Inger nicht.<span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[S. 121]</a></span>
-Lieber Gott, es stiegen ziemlich viel Reisende aus, Erwachsene
-und Kinder, aber Inger war nicht darunter.
-Isak hatte sich im Hintergrund gehalten, sich auf diesen
-Felsblock gesetzt, nun hatte er keinen Grund mehr, noch
-länger da sitzenzubleiben, und so ging er zum Boot hin.
-Immer noch kamen Kisten und Tonnen, Leute und Postsachen
-aus dem Achtriemer heraus, aber Isak sah Inger
-nicht. Dagegen sah er eine Frau mit einem kleinen Mädchen,
-die schon drüben an der Tür des Bootshauses
-stand, aber die Frau war hübscher als Inger, obgleich
-Inger nicht häßlich war. &mdash; Aber wie &mdash; das <em class="gesperrt">war</em> ja
-Inger. Hm! sagte Isak und eilte hinüber. Sie begrüßten
-einander; Inger sagte guten Tag und reichte ihm die
-Hand, etwas erkältet und blaß noch von der Seekrankheit
-und der Reise. Isak stand ganz still da, schließlich sagte
-er: Ja, es ist recht schönes Wetter! &mdash; Ich habe dich gut
-dort drüben gesehen, sagte Inger, aber ich wollte mich
-nicht durchdrängen. Bist du heute ohnedies im Dorf?
-fragte sie. &mdash; Ja. Hm. &mdash; Es geht euch allen doch wohl
-gut? &mdash; Ja, danke der Nachfrage. &mdash; Dies ist die Leopoldine,
-sie ist auf der Reise viel wohler gewesen als ich.
-Sieh, das ist dein Vater, nun mußt du deinen Vater
-begrüßen, Leopoldine. &mdash; Hm! sagte Isak auch jetzt wieder;
-es war ihm höchst sonderbar zumute, oh, er war ein
-Fremder unter ihnen. &mdash; Inger sagte: Wenn du am Boot
-drunten eine Nähmaschine siehst &mdash; sie gehört mir. Und
-dann habe ich noch eine Kiste. &mdash; Isak ging sofort; mehr
-als gerne ging er. Die Bootsleute zeigten ihm die Kiste,
-aber wegen der Nähmaschine mußte Inger selbst kommen
-und sie heraussuchen. Es war ein schöner Kasten von unbekannter
-Form, mit einem runden Deckel und einem
-Henkel zum Tragen &mdash; eine Nähmaschine in dieser
-Gegend! Isak lud sich die Kiste und die Nähmaschine auf
-und sagte zu seiner Familie: Ich laufe rasch mit diesem
-hinauf ins Dorf, komme aber gleich wieder und trage<span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[S. 122]</a></span>
-dann sie, sagte er. &mdash; Wen tragen? fragte Inger lächelnd.
-Meinst du, das große Mädchen könne nicht gehen?</p>
-
-<p>Sie gingen miteinander zu dem Pferd und dem Wagen
-hin. Hast du ein neues Pferd gekauft? fragte Inger.
-Und hast du einen Wagen mit einem Wagenstuhl? &mdash;
-Ja, das versteht sich. Doch was ich sagen wollte: Möchtest
-du nicht erst ein wenig essen? Ich habe Mundvorrat mitgebracht.
-&mdash; Das kann warten, bis wir das Dorf hinter
-uns haben, sagte sie. Was meinst du, Leopoldine, kannst
-du allein da sitzen? &mdash; Aber das wollte der Vater nicht
-leiden. Nein, sie könnte auf die Räder herunterfallen.
-Setz du dich mit ihr hinauf und nimm selbst die Zügel.</p>
-
-<p>So fuhren sie ab, und Isak ging hinter dem Wagen her.</p>
-
-<p>Er betrachtete die beiden auf dem Wagen. Da war
-nun Inger gekommen, fremd nach Anzug und Aussehen,
-vornehm, ohne Hasenscharte, nur mit einem roten Streifen
-auf der Oberlippe. Sie zischte nicht mehr, das war
-das Merkwürdige, sie sprach ganz rein. Ein grau und rot
-gestreiftes wollenes Kopftuch mit Fransen daran sah
-prachtvoll aus zu ihrem dunklen Haar. Sie wendete sich
-auf dem Sitz um und sagte: Es wäre gut, wenn du ein
-Fell mitgebracht hättest, es kann heute abend kühl für
-das Kind werden. &mdash; &mdash; Sie kann meine Jacke haben,
-und wenn wir erst im Wald sind, so ist dort ein Fell,
-ich habe es dort hinterlegt. &mdash; So, du hast ein Fell im
-Wald! &mdash; Ja, ich habe es nicht den ganzen Weg auf dem
-Wagen mitnehmen wollen, falls ihr heute nicht gekommen
-wäret. &mdash; So. Was hast du gesagt, geht es den beiden
-Jungen auch gut? &mdash; Jawohl, danke der Nachfrage.
-&mdash; Sie werden jetzt groß sein, das kann ich mir denken.
-&mdash; Ja, daran fehlt's nicht. Sie haben jetzt gerade die
-Kartoffeln gelegt. &mdash; Ach so, sagte die Mutter und schüttelte
-den Kopf. Können sie schon Kartoffeln legen? &mdash;
-Eleseus geht mir bis hierher und Sivert bis hierher, versetzte
-Isak und maß an sich.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[S. 123]</a></span></p>
-
-<p>Die kleine Leopoldine bat um etwas zu essen. Ach, das
-nette kleine Geschöpf, ein Marienkäferchen auf einem
-Fuhrwerk. Sie sprach mit einem singenden Tonfall, in
-einer merkwürdigen Sprache von Drontheim, der Vater
-mußte es sich bisweilen übersetzen lassen. Sie hatte dieselben
-Züge wie die Jungen, die braunen Augen und die
-länglichen Wangen, die alle drei Kinder von der Mutter
-geerbt hatten; die Kinder waren der Mutter Kinder, und
-das war gut so! Isak war seinem Töchterchen gegenüber
-ein wenig schüchtern, angesichts ihrer kleinen Schuhe, der
-langen dünnen Wollstrümpfe und des kurzen Kleides!
-Als sie den fremden Vater begrüßte, hatte sie sich verneigt
-und ihm ein winziges Händchen hingereicht.</p>
-
-<p>Im Walde angekommen, rasteten sie und aßen, das
-Pferd bekam sein Futter, und Leopoldine hüpfte mit ihrem
-Brot in der Hand im Heidekraut umher.</p>
-
-<p>Du hast dich nicht sehr verändert, sagte Inger, indem
-sie ihren Mann betrachtete. &mdash; Isak sah auf die Seite und
-antwortete: So, meinst du? Aber du bist sehr vornehm
-geworden! &mdash; Haha! Nein, ich bin jetzt alt, erwiderte sie
-so recht scherzhaft. &mdash; Es war offenbar, Isak fühlte sich
-nicht recht sicher, er blieb zurückhaltend, war wie verschüchtert.
-Wie alt war wohl seine Frau? Sie konnte
-nicht jünger als dreißig sein &mdash; das heißt, sie konnte nicht
-mehr sein, unmöglich. Und obgleich Isak aß, riß er doch
-ein Zweiglein Heidekraut ab und kaute auch daran. Was,
-ißt du auch Heidekraut? rief Inger lachend. Isak warf
-das Heidekraut weg und steckte einen Bissen in den
-Mund, dann ging er hin und hob das Pferd vorne in
-die Höhe. Inger folgte diesem Auftritt mit Erstaunen,
-sie sah, daß das Pferd auf zwei Beinen stand. &mdash; Warum
-tust du das? fragte sie. &mdash; Es ist so zutraulich, sagte er
-von dem Pferd und ließ es wieder los. Warum hatte er
-das nur getan? Er hatte wohl eine mächtige Lust dazu<span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[S. 124]</a></span>
-verspürt. Vielleicht hatte er seine Verlegenheit dahinter
-verbergen wollen.</p>
-
-<p>Dann brachen sie wieder auf, und alle drei gingen eine
-Strecke zu Fuß. Eine Ansiedlung kam in Sicht. Was ist
-das? fragte Inger. &mdash; Das ist Bredes Grundstück, er
-hat es gekauft. &mdash; Brede? &mdash; Und es heißt Breidablick!
-Es sind große Moore da, aber wenig Wald. &mdash; Als sie
-an Breidablick vorbei waren, sprachen sie weiter darüber,
-Isak aber hatte gesehen, daß Bredes Wagen unter freiem
-Himmel stand.</p>
-
-<p>Doch jetzt wurde das Kind schläfrig, da nahm der Vater
-es fürsorglich auf den Arm und trug es. Sie wanderten
-weiter, Leopoldine war bald eingeschlafen, und Inger
-sagte: Nun legen wir sie in dem Fell auf den Wagen,
-dann kann sie schlafen, solange sie will. &mdash; Sie wird da
-so sehr gerüttelt, meinte der Vater und wollte sie lieber
-tragen. Sie kommen über das Moor und in den Wald
-hinein, und Ptro sagt Inger. Sie hält das Pferd an,
-nimmt Isak das Kind ab und sagt, er solle die Kiste und
-die Nähmaschine zusammenrücken, dann könne Leopoldine
-hinten im Wagen liegen. Da wird sie gar nicht geschüttelt
-und gerüttelt, was ist das für Unsinn! &mdash; Isak
-tut, wie sie sagt, hüllt seine kleine Tochter in das Fell und
-schiebt ihr seine Jacke unter den Kopf. Dann fahren sie
-weiter.</p>
-
-<p>Der Mann und die Frau gehen zu Fuß und reden von
-Verschiedenem. Die Sonne scheint bis spät am Abend, und
-das Wetter ist warm. Oline &mdash; wo schläft sie für gewöhnlich?
-fragt Inger. &mdash; In der Kammer. &mdash; So, und
-die Buben? &mdash; Die liegen in ihrem eigenen Bett in der
-Stube. Es sind zwei Bettladen in der Stube, noch genau
-so wie damals, als du fortgegangen bist. &mdash; Ich betrachte
-dich immerfort, sagt Inger, du siehst genau so
-aus wie früher. Und allerlei Lasten haben deine Schultern
-durchs Ödland heraufgetragen, aber sie sind darum<span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span>
-nicht schwächer geworden. &mdash; O nein. Aber was ich sagen
-wollte: ist es dir in allen den Jahren erträglich gegangen?
-&mdash; Oh, Isak war ganz bewegt, bei dieser Frage zitterte
-ihm die Stimme. Inger antwortete, ja, sie könne nicht
-klagen.</p>
-
-<p>Es kam zu einer gefühlvollen Aussprache zwischen
-ihnen, und Isak fragte, ob sie nicht müde sei und lieber
-fahren wolle. &mdash; Nein, danke, antwortete Inger. Aber
-ich weiß nicht, was mit mir ist, seit sich die Seekrankheit
-ganz verzogen hat, bin ich immerfort hungrig. &mdash; Möchtest
-du noch etwas essen? &mdash; Ja, wenn ich uns nicht zu
-sehr aufhalte. O diese Inger, sie selbst war wohl nicht
-hungrig, aber sie gönnte Isak noch etwas, er hatte ja
-seine letzte Mahlzeit mit dem Heidekrautstengel unterbrochen.</p>
-
-<p>Da der Abend warm und hell war und sie noch einen
-weiten Weg vor sich hatten, fingen sie wieder an zu essen.</p>
-
-<p>Inger holte ein Paket aus ihrer Kiste heraus und
-sagte: Ich habe ein paar Sachen für die kleinen Buben.
-Komm, wir wollen zu dem Gebüsch hinübergehen, da
-ist es sonnig. &mdash; Sie setzten sich unter das Gebüsch, und
-Inger zeigte die Sachen für die Jungen: hübsche Hosenträger
-mit Schnallen daran, Schreibbücher mit Vorschriften
-darin, für jeden einen Bleistift, ein Taschenmesser für
-jeden. Für sich selbst hatte sie ein ausgezeichnetes Buch.
-Hier sieh, mein Name steht darauf, es ist ein Andachtsbuch.
-Sie hatte es von dem Direktor zur Erinnerung
-bekommen. Isak bewunderte alles mit leisen Worten. Sie
-zeigte auch eine Anzahl Kragen, die Leopoldine gehörten,
-und Isak gab sie ein schwarzes, wie Seide glänzendes
-Halstuch. &mdash; Soll ich das haben? fragte er. &mdash; Ja, das
-bekommst du. &mdash; Isak nahm es vorsichtig in die Hand
-und strich darüber hin. &mdash; Ist es nicht hübsch? &mdash; Ach,
-hübsch! Damit könnte ich in der ganzen Welt umher<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span>reisen!
-Aber seine Finger waren so rauh, daß sie an der
-merkwürdigen Seide überall hängen blieben.</p>
-
-<p>Jetzt hatte Inger nichts mehr vorzuweisen, aber als
-sie wieder zusammenpackte, saß sie so, daß ihre Waden
-in den rotgestreiften Strümpfen zum Vorschein kamen.
-&mdash; Hm! Das sind wohl Stadtstrümpfe? fragte er. &mdash;
-Ja, es ist Garn aus der Stadt, aber ich habe sie selbst
-geknüpft &mdash; gestrickt, wie wir dort sagten. Es sind ganz
-lange Strümpfe, bis über die Knie, sieh her ... Kurz
-darauf hörte sie sich selbst flüstern: Du &mdash; du bist noch
-ganz derselbe &mdash; wie früher!</p>
-
-<p>Eine Weile später fuhren sie weiter, Inger sitzt jetzt
-droben und lenkt das Pferd. Ich habe auch ein Paket
-Kaffee mitgebracht, sagt sie, aber heute abend kannst du
-ihn nicht mehr versuchen, denn er ist noch nicht gebrannt.
-&mdash; Du sollst dich auch nicht damit plagen, erwidert er.</p>
-
-<p>Wieder nach einer Weile ist die Sonne untergegangen,
-und es wird kühl. Inger will absteigen und gehen. Sie
-decken Leopoldine dichter mit dem Fell zu und lächeln darüber,
-daß sie so lange schlafen kann. Dann unterhalten
-sich Mann und Frau wieder im Weitergehen. Es ist ein
-wahres Vergnügen, Inger jetzt sprechen zu hören, niemand
-hätte besser sprechen können, als Inger jetzt sprach.</p>
-
-<p>Haben wir nicht vier Kühe? fragt sie. &mdash; O nein, wir
-haben jetzt mehr, antwortet er stolz, wir haben acht. &mdash;
-<em class="gesperrt">Acht</em> Kühe! &mdash; Ja, wenn man den Stier mitrechnet. &mdash;
-Habt ihr Butter verkauft? &mdash; O ja, und Eier. &mdash; Haben
-wir denn auch Hühner? &mdash; Ja, das versteht sich. Und
-ein Schwein. &mdash; Inger muß sich über die Maßen verwundern,
-sie kann das Gehörte kaum fassen und hält
-einen Augenblick das Pferd an: Ptro! Und Isak ist stolz
-und legt es darauf an, sie ganz zu überwältigen. Der
-Geißler, sagt er, du weißt, der Geißler, der ist vor kurzem
-hier gewesen. &mdash; So? &mdash; Ja, und er hat uns einen
-Kupferberg abgekauft. &mdash; So, was ist denn das, ein<span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[S. 127]</a></span>
-Kupferberg? &mdash; Ein Berg aus Kupfer. Er liegt droben
-im Gebirge an der ganzen Nordseite des Sees. &mdash; So.
-Und das ist etwas, für das du eine Bezahlung bekommen
-hast? &mdash; Jawohl, der Geißler ist nicht der Mann, der
-nicht bezahlt. &mdash; Was hast du bekommen? &mdash; Hm. Du
-wirst es nicht glauben wollen, aber es sind zweihundert
-Taler. &mdash; Die hast du bekommen! ruft Inger und hält
-wieder einen Augenblick das Pferd an: Ptro! &mdash; Habe
-ich bekommen, jawohl. Und den Hof habe ich auch längst
-bezahlt. &mdash; Ach, du bist großartig!</p>
-
-<p>Es war in Wahrheit ein Vergnügen, Inger in Verwunderung
-zu setzen und sie zu einer reichen Frau zu
-machen; deshalb fügte Isak noch hinzu, daß er auch weder
-beim Kaufmann noch bei sonst jemand Schulden stehen
-habe. Und er habe nicht allein Geißlers zweihundert
-Taler noch unberührt daliegen, sondern noch mehr, noch
-hundertsechzig Taler darüber. Sie hätten also allen
-Grund, Gott dankbar zu sein. Sie sprachen noch weiter
-von Geißler, und Inger konnte Aufklärung über das
-geben, was er für ihre Freilassung getan hatte. Es war
-doch nicht alles so glatt gegangen; er hatte lange damit
-zu tun gehabt und war sehr oft beim Direktor gewesen.
-Geißler hatte auch ein Schreiben an die Staatsräte selbst
-oder an einige andere von der Behörde geschickt, aber das
-hatte er hinter dem Rücken des Direktors getan, und
-als der Direktor das erfuhr, war er böse geworden und
-hatte sich gekränkt gefühlt, was ja auch nicht anders zu
-erwarten gewesen war. Aber Geißler hatte sich dadurch
-nicht einschüchtern lassen, er verlangte ein neues Verhör
-und ein neues Gerichtsverfahren und alles miteinander.
-Und da hatte der König unterschreiben müssen.</p>
-
-<p>Der frühere Lensmann Geißler war für diese beiden
-Menschen immer ein guter Herr gewesen, und sie hatten
-sich oft besonnen, aus welchem Grunde er es wohl getan
-haben mochte, er hatte alles miteinander um den ein<span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span>fachen
-Dank getan, es war nicht zu begreifen. Inger
-hatte in Drontheim mit ihm gesprochen, war aber dadurch
-nicht klüger geworden. Alle andern in der Gemeinde
-sind ihm ganz einerlei, ausgenommen wir, erklärte
-Inger. &mdash; Hat er das gesagt? &mdash; Ja, er ist wütend
-auf die Gemeinde hier. Und er werde es ihr schon noch
-zeigen! sagte er. &mdash; So. &mdash; Und sie würden es schon noch
-bereuen, daß sie ihn verloren hätten, sagte er.</p>
-
-<p>Jetzt kamen sie aus dem Wald heraus, und da lag
-Sellanraa vor ihnen. Es waren mehr Gebäude als
-früher, die Häuser waren hübsch angestrichen; Inger
-kannte sich nicht mehr aus und hielt jäh an: Du willst
-doch nicht sagen, daß das da &mdash; daß das da bei uns ist!
-rief sie aus.</p>
-
-<p>Die kleine Leopoldine erwachte endlich und richtete sich
-auf. Sie war ganz ausgeruht, wurde heruntergehoben,
-durfte zu Fuß gehen! Gehen wir dorthin? fragte sie. &mdash;
-Ja, ist es nicht schön?</p>
-
-<p>Drüben am Haus bewegten sich kleine Gestalten; das
-waren Eleseus und Sivert, die Ausguck hielten, nun
-kamen sie dahergelaufen. Inger schien plötzlich erkältet
-zu sein, sie hatte heftigen Husten und Schnupfen. Ja,
-die Erkältung zog ihr sogar in die Augen, sie standen voll
-Wasser. Man erkältet sich so leicht an Bord, ganz nasse
-Augen bekommt man vor lauter Schnupfen.</p>
-
-<p>Aber als die kleinen Burschen näher herankamen, hielten
-sie mitten in ihrem Lauf inne und starrten nur noch.
-Wie ihre Mutter aussah, das hatten sie vergessen, und
-ihre kleine Schwester hatten sie ja noch nie gesehen. Aber
-der Vater &mdash; ihn erkannten sie erst wieder, als er ganz
-nahe herangekommen war. Er hatte sich seinen großen
-Bart abgeschnitten.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>12</h3>
-
-
-<p>Nun ist alles gut. Isak sät seinen Hafer, eggt ihn
-und führt die Walze darüber. Leopoldine kommt
-heraus und will auf der Walze sitzen. Was, auf
-einer Walze sitzen &mdash; sie ist so klein und kennt so was gar
-nicht, ihre Brüder wissen es besser, es ist ja kein Sitz auf
-Vaters Walze.</p>
-
-<p>Aber den Vater freut es, daß die kleine Leopoldine zu
-ihm herkommt und schon so zutraulich ist; er redet mit
-ihr und sagt, sie müsse vorsichtig auf den Acker treten,
-damit sie nicht die Schuhe voll Erde bekomme. Ja, und
-was seh ich, du hast wahrhaftig heute ein blaues Kleid
-an! Laß mich sehen, ja gewiß, es ist blau. Und einen Gürtel
-hast du daran und alles miteinander. Kannst du dich
-an das große Schiff erinnern, auf dem du hergefahren
-bist? Hast du die Maschine darin gesehen? Ja, jetzt geh
-nur mit deinen Brüdern hinein, dann spielen sie mit dir.</p>
-
-<p>Seit Oline abgezogen ist, hat Inger ihre alte Arbeit
-in Haus und Stall wieder übernommen. Sie übertreibt
-es vielleicht ein wenig mit der Reinlichkeit und Ordnung,
-um zu zeigen, daß die Dinge jetzt eine andere Art bekommen
-sollen, und es war auch merkwürdig, welche
-große Veränderung bald mit allem vorging, sogar die
-Glasscheiben in der Viehgamme wurden gewaschen und
-die Stände gescheuert.</p>
-
-<p>Aber das war nur in den ersten Tagen, in der ersten
-Woche so, dann ließ Inger nach. Eigentlich war es nicht
-nötig, im Stall alles so blitzblank zu machen, die Zeit
-konnte besser angewendet werden. Inger hatte in der
-Stadt viel gelernt, und dieses Wissen sollte ihr nun zugute
-kommen. Sie nahm wieder Spinnrad und Webstuhl
-in Gebrauch, und wahrlich, sie war noch geschickter
-und flinker geworden, etwas zu flink, hui! besonders für
-Isak, wenn er ihr zusah; er begriff nicht, daß ein Mensch<span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span>
-es lernen konnte, so mit seinen Fingern umzugehen, diese
-langen, hübschen Finger an Ingers großer Hand! Aber
-mittendrin gab Inger die eine Arbeit auf und machte
-sich an eine andere. Jawohl, sie hatte jetzt verschiedenes
-mehr zu besorgen als früher und in größerem Umfang,
-vielleicht war sie auch nicht ganz so geduldigen Herzens
-wie einst, etwas Unruhe hatte sich ihr wohl ins Herz
-geschlichen.</p>
-
-<p>Gleich zuerst waren da die Blumen, die sie mitgebracht
-hatte, es waren Knollen und Ableger, kleine Leben, an
-die auch gedacht werden mußte. Die Fenster waren zu
-klein dafür, die Gesimse zu schmal, man konnte da keine
-Blumentöpfe aufstellen, sie hatte auch keine Töpfe, und
-Isak mußte ihr ganz kleine Kästen für Begonien, Fuchsien
-und Rosen anfertigen. Und überdies genügte auch
-ein Fenster nicht, was war ein Fenster für eine ganze
-Stube!</p>
-
-<p>Und außerdem, sagte Inger, habe ich auch kein Bügeleisen.
-Ich sollte ein Bügeleisen zum Plätten haben, wenn
-ich Kleider und Anzüge nähe; niemand kann im Nähen
-etwas Ordentliches leisten, wenn er nicht eine Art Plätteisen
-hat.</p>
-
-<p>Isak versprach, den Schmied im Dorfe zu veranlassen,
-ein recht gutes Bügeleisen zu schmieden. Oh, Isak wollte
-alles tun, wollte immer nur tun, was Inger verlangte;
-denn das merkte er wohl, Inger hatte sehr viel gelernt
-und war außerordentlich tüchtig geworden. Auch ihre
-Sprache war eine andere geworden, eine bessere, gewähltere.
-Sie rief ihn jetzt nie mehr mit den alten Worten:
-Komm herein und iß! sondern sie sagte: Bitte zum Essen!
-Alles war anders geworden. In den alten Tagen hatte er
-höchstens gesagt: Ja, und noch eine gute Weile weitergearbeitet,
-ehe er hineinging. Jetzt antwortete er: Ja,
-danke, und kam sofort. Die Liebe macht den Klugen
-dumm, manchmal antwortete Isak: Danke, danke! Ja,<span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span>
-gewiß war alles anders geworden, aber wurde es nicht
-allmählich ein wenig zu vornehm? Wenn Isak in der
-Muttersprache der Landwirtschaft redete und <em class="gesperrt">Mist</em> sagte,
-sagte Inger <em class="gesperrt">Dung</em>, der Kinder wegen.</p>
-
-<p>Sie war sehr sorgfältig mit den Kindern, unterrichtete
-sie in allem und brachte sie vorwärts; die kleinwinzige
-Leopoldine machte Fortschritte im Häkeln und die Buben
-im Schreiben und in anderen Schulfächern, sie würden
-also nicht ganz unvorbereitet in die Dorfschule kommen.
-Besonders Eleseus war recht tüchtig geworden, der kleine
-Sivert dagegen war, geradeheraus gesagt, nichts Besonderes,
-nur ein Spaßvogel, ein Wildfang, er wagte es
-sogar, an der Nähmaschine seiner Mutter ein wenig zu
-drehen und hatte mit seinem Taschenmesser auch schon
-am Tisch und an den Stühlen herumgeschnitzelt. Jetzt
-war ihm schon mit der Wegnahme des Taschenmessers
-gedroht worden.</p>
-
-<p>Übrigens hatten die Kinder alle Tiere des Hofes zur
-Unterhaltung, und Eleseus hatte außerdem noch seinen
-farbigen Bleistift. Er gebrauchte ihn sehr vorsichtig und
-lieh ihn dem Bruder nur höchst ungern; mit der Zeit
-waren indes alle Wände mit Zeichnungen bedeckt, und der
-Bleistift wurde bedenklich kleiner. Schließlich sah sich
-Eleseus gezwungen, Sivert auf Ration zu setzen und ihm
-den Bleistift nur noch am Sonntag zu einer Zeichnung
-zu leihen. Das war nun nicht nach Siverts eigenem
-Wunsch, aber Eleseus war nicht der Mann, der sich etwas
-abhandeln ließ. Nicht gerade, weil Eleseus der Stärkere
-gewesen wäre, aber er hatte längere Arme und konnte
-sich bei Streitigkeiten besser herauswinden.</p>
-
-<p>Aber dieser Sivert! Ab und zu fand er ein Schneehuhnnest
-im Walde, einmal redete er von einem Mäusenest
-und machte sich groß damit, wieder einmal faselte
-er von einer Forelle im Fluß, die so groß sei wie ein
-Mensch; aber es war die reine Erfindung von ihm, er<span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span>
-war nicht ganz frei davon, zu schwarz weiß zu sagen,
-aber sonst war er ein guter Kerl. Als die Katze Junge
-bekam, war er es, der ihr Milch brachte, weil sie Eleseus
-zu wütend anzischte, und Sivert wurde nicht müde, in
-die unruhige Kiste hineinzuschauen, diese Heimstätte, wo
-es von kleinen Pfoten wimmelte.</p>
-
-<p>Und dann die Hühner, die er täglich beobachtete! Da
-war der große Hahn mit seinem Kamm und seiner
-Federnpracht, die Hühner, die umherliefen und gackerten
-und Sand aufpickten und nach dem Eierlegen plötzlich
-ungeheuer verletzt zu schreien anfingen. Da war auch der
-große Widder. Der kleine Sivert war jetzt im Vergleich
-zu früher sehr belesen, konnte aber doch nicht von dem
-Widder sagen: Gott, welch eine römische Nase er hat!
-Nein, das konnte er nicht. Aber Sivert konnte das, was
-besser war: er kannte den Widder von klein auf, wo er
-noch ein kleines Lamm gewesen war; er liebte ihn und
-war eins mit ihm, wie mit einem Verwandten, einem
-Mitgeschöpf. Einmal war ein geheimnisvoller Ureindruck
-durch seine Sinne geflattert, und das war ein Augenblick,
-den Sivert nie mehr vergaß. Der Widder war draußen
-auf der Wiese und weidete, plötzlich warf er den Kopf
-zurück und fraß nicht mehr, blieb nur stehen und starrte
-geradeaus. Sivert sah unwillkürlich in dieselbe Richtung.
-&mdash; Nein, nichts Merkwürdiges! Aber da fühlte Sivert
-etwas Merkwürdiges in seinem Innern. Es ist fast, als
-sehe er in den Garten Eden hinein! dachte Sivert.</p>
-
-<p>Von den Kühen hatten die Kinder auch jeder zwei für
-sich, große, schwer schreitende Tiere, gutmütige, freundliche
-Tiere, die sich von den kleinen Menschenkindern
-jeden Augenblick einholen und streicheln ließen. Dann
-war da das Schwein, weiß und peinlich sauber mit seiner
-Person, wenn es gut gehalten wurde, das auf jeden Ton
-horchte, ein Komiker, gierig auf sein Futter aus, dabei
-kitzlig und scheu wie ein junges Mädchen. Und dann der<span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span>
-Bock &mdash; es war immer ein alter Ziegenbock auf Sellanraa;
-wenn der eine das Leben lassen mußte, rückte ein
-anderer an seine Stelle. Aber etwas so Bockmäßiges im
-Gesicht wie ein Bock! Gerade in diesen Tagen hatte er
-auf sehr viele Geißen aufzupassen; bisweilen jedoch wurde
-er seiner ganzen Gesellschaft überdrüssig und legte sich,
-grüblerisch und langbärtig wie er war, auf den Boden,
-ein Vater Abraham! Und dann plötzlich richtete er sich
-wieder auf die Knie auf und trottete den Geißen nach. Wo
-er ging, hinterließ er eine Wolke von scharfem Geruch.</p>
-
-<p>Das tägliche Leben auf dem Hofe geht weiter. Wenn
-ein seltenes Mal ein Wanderer, der über das Gebirge
-will, vorbeikommt und fragt: Und euch geht es wohl
-gut?, da antwortet Isak und antwortet Inger: Ja, danke
-für die Nachfrage!</p>
-
-<p>Isak schafft und schafft, und für jede einzelne Arbeit
-zieht er den Kalender zu Rat, er gibt auf den Mondwechsel
-acht und richtet sich nach den Wetterzeichen,
-schafft, schafft.</p>
-
-<p>Nun hat er ja durch das Ödland einen einigermaßen
-ordentlichen Weg hergestellt, so daß er mit Wagen und
-Pferd bis ins Dorf hinunterfahren kann, aber meist
-geht er lieber schwerbeladen zu Fuß, und da trägt er dann
-Ziegenkäse oder Felle oder Birkenrinde, Butter und Eier,
-lauter Waren, die er verkauft, und für die er andere
-Waren einholt. Nein, im Sommer fährt er nicht oft,
-weil der Weg von Breidablick bis vollends hinunter sehr
-schlecht ist. Er hat Brede Olsen aufgefordert, beim Herstellen
-des Weges mit Hand anzulegen, und Brede hat es
-wohl auch versprochen, aber nie Wort gehalten. Nun will
-Isak ihn nicht noch einmal darum bitten. Lieber trägt er
-schwere Lasten auf seinem Rücken. Inger sagt dann: Ich
-verstehe gar nicht, wie du das kannst! Du hältst alles
-aus! Ja, er hielt alles aus. Er hatte Stiefel, die waren so
-abenteuerlich dick und schwer, unter den Sohlen ganz<span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span>
-mit Eisen beschlagen, sogar die Schnürriemen waren mit
-Nietnägeln angeheftet &mdash; schon das, daß ein Mann in
-solchen Stiefeln gehen konnte, war etwas Merkwürdiges!</p>
-
-<p>Als er nun wieder einmal ins Dorf hinuntergeht, trifft
-er an mehreren Stellen kleine Gruppen von Arbeitern.
-Sie mauern steinerne Grundpfeiler ein und stellen Telegraphenstangen
-auf. Die Leute sind teilweise aus der Gemeinde,
-Brede Olsen ist auch dabei, obgleich er sich hier
-niedergelassen hat, um Ackerbau zu treiben. Daß er Zeit
-übrig hat! denkt Isak.</p>
-
-<p>Der Aufseher fragt Isak, ob er Telegraphenstangen
-verkaufen wolle. &mdash; Nein. &mdash; Auch nicht gegen gute Bezahlung?
-&mdash; Nein. &mdash; Oh, Isak ging es jetzt rascher von
-der Hand, er konnte nun schneller antworten. Wenn er
-jetzt Stangen verkaufte, bekam er nur etwas mehr Geld,
-einige Taler mehr, aber er hatte keinen Wald mehr, was
-für ein Vorteil war dann dabei? Nun kommt der Ingenieur
-selbst herbei und wiederholt sein Verlangen; aber
-Isak schlägt es auch ihm ab. &mdash; Wir haben Stangen genug,
-sagte der Ingenieur, aber es wäre uns nur bequemer,
-sie in deinem Walde zu holen und die lange
-Herbeischaffung zu sparen. &mdash; Ich habe selbst zuwenig
-Stangen und Stämme, erwiderte Isak; ich wollte mir
-übrigens ein kleines Sägewerk einrichten, denn ich habe
-keine Scheune und keine Wirtschaftsgebäude.</p>
-
-<p>Jetzt mischt Brede Olsen sich darein und sagt: Wenn ich
-du wäre, würde ich die Stangen verkaufen, Isak. &mdash;
-Da blitzten die Augen des geduldigen Isak Brede wahrhaftig
-scharf an, und er erwiderte: Ja, das glaube ich
-schon. &mdash; Wieso? fragte Brede. &mdash; Aber ich bin eben nicht
-du, sagte Isak.</p>
-
-<p>Einige von den Arbeitern kicherten ein wenig über diese
-Antwort.</p>
-
-<p>Jawohl, Isak hatte einen besonderen Grund, seinen
-Nachbar etwas zurückzuweisen, gerade heute hatte er<span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span>
-nämlich drei Schafe auf Breidablicks Grundstück gesehen,
-und das eine davon hatte Isak wiedererkannt, das
-mit den flachen Ohren, das Oline im Tauschhandel weggegeben
-hatte. Meinethalben mag Brede das Schaf behalten,
-dachte er da und ging seines Weges weiter,
-meinethalben können Brede und seine Frau sich an dem
-Schaf bereichern!</p>
-
-<p>Und ganz richtig. Das Sägewerk hatte er auch immer
-im Kopf. O ja, schon im Winter, als der Boden fest war,
-hatte er die große Kreissäge und die notwendigen Beschläge,
-die ihm der Kaufmann von Drontheim hatte
-kommen lassen, heraufgeschafft. Nun lagen diese Maschinenteile
-mit Leinöl bestrichen, um sie gegen Rost zu
-schützen, in seinem Schuppen. Einige von den Balken zum
-Sperrwerk hatte er auch schon herbeigefahren, er hätte
-mit dem Aufrichten des Gebäudes jeden Tag anfangen
-können, schob es aber noch hinaus. Was war das? Er
-begriff es nicht, nahmen seine Kräfte etwa allmählich
-ab? Andere würden sich nicht darüber wundern, aber
-ihm selbst kam es ganz unglaublich vor. War er schwindlig
-geworden? Früher war er vor keiner Arbeit zurückgescheut,
-hatte er sich denn verändert, seit er das Mahlhaus
-über einem ebenso großen Wasserfall errichtet hatte?
-Er konnte sich ja Hilfe vom Dorf nehmen, aber nun
-wollte er es erst einmal wieder allein versuchen und in
-den nächsten Tagen damit anfangen; Inger sollte ein
-wenig mit Hand anlegen.</p>
-
-<p>Er sprach mit Inger darüber. Hm, sagte er, wenn du
-einmal ein paar Stunden Zeit übrig hast, könntest du
-mir bei dem Sägewerk helfen. &mdash; Inger überlegte. Ja,
-wenn ich es einrichten kann, sagte sie. So, du willst ein
-Sägewerk bauen? &mdash; Ja, das ist meine Absicht. Ich habe
-es mir jetzt genau überlegt. &mdash; Ist es schwieriger als
-das Mahlhaus? &mdash; Viel schwieriger, zehnmal schwieriger,
-prahlte er. Was denkst du denn? Da muß alles bis<span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span>
-aufs aller-, allergenaueste ineinanderpassen, und die
-große Kreissäge muß in der Mitte laufen. &mdash; Wenn du
-es nur zustande bringst, Isak, entgegnete Inger in ihrer
-Gedankenlosigkeit. &mdash; Isak fühlte sich von diesen Worten
-gekränkt und erwiderte: Das wird sich ja zeigen. &mdash;
-Kannst du nicht einen in dieser Sache kundigen Mann
-zu Hilfe nehmen? &mdash; Nein. &mdash; Nun, dann wirst du es
-auch nicht zustande bringen, sagte sie und hielt nicht mit
-ihrer Meinung zurück.</p>
-
-<p>Isak hob langsam die Hand an seinen Kopf, es war,
-als hebe ein Bär die Tatze auf. &mdash; Gerade das fürchte
-ich ja, daß ich es nicht fertigbringe, sagte er, deshalb
-sollst du, die es versteht, ja auch Hand mit anlegen, sagte
-er. &mdash; Jawohl, da hatte der Bär getroffen, aber er errang
-keinen Sieg damit. Inger warf den Kopf zurück,
-wurde widerspenstig und schlug es ab, beim Sägewerk zu
-helfen. &mdash; So, sagte Isak. &mdash; Ja, soll ich vielleicht im
-Fluß stehen und meine Gesundheit aufs Spiel setzen?
-Und wer soll mit der Maschine nähen und das Vieh und
-den Haushalt und alles miteinander versorgen? &mdash; Nein,
-nein, sagte Isak.</p>
-
-<p>Ach, aber es handelte sich ja nur um die vier Eckbalken
-und die zwei Mittelbalken auf den beiden Langseiten,
-nur dazu hätte sie ihm helfen sollen, sonst zu nichts!
-War denn Inger im tiefsten Innern während ihres langen
-Stadtlebens so zimperlich geworden?</p>
-
-<p>Jawohl, Inger hatte sich sehr verändert und dachte
-nicht mehr beständig an ihr gemeinsames Beste, sondern
-an sich selbst. Wohl hatte sie Kardätschen und Spinnrad
-und Webstuhl wieder in Gebrauch genommen, aber sie
-saß viel lieber an ihrer Nähmaschine, und als der Schlosser
-ihr ein Bügeleisen geschmiedet hatte, war sie fertig
-ausgerüstet, um sich im Schneidern als regelrecht ausgebildet
-zu zeigen. Das war ihr Beruf. Zuerst nähte sie
-ein paar Kleider für die kleine Leopoldine. Isak gefielen<span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span>
-sie, und er lobte sie vielleicht ein wenig zu sehr; Inger
-deutete an, das sei noch gar nichts im Vergleich zu dem,
-was sie könne. &mdash; Aber sie sind zu kurz, sagte Isak. &mdash;
-So werden sie in der Stadt getragen, sagte Inger, das
-verstehst du eben nicht. &mdash; Isak war also zu weit gegangen,
-und er stellte Inger dafür ein Stück Tuch zu eigenem
-Gebrauch in Aussicht. &mdash; Tuch zu einem Mantel? fragte
-Inger. &mdash; Ja, oder wozu du es sonst willst. &mdash; Inger
-entschied sich zu Tuch für einen Mantel und beschrieb
-Isak, wie es sein sollte.</p>
-
-<p>Aber als sie den Mantel fertig hatte, mußte sie auch
-jemand haben, dem sie sich darin zeigen konnte; sie begleitete
-deshalb die beiden Jungen ins Dorf, als sie dort
-in die Schule gebracht wurden. Und diese Reise war nicht
-von geringem Nutzen, sie hinterließ Spuren.</p>
-
-<p>Zuerst kamen sie an Breidablick vorüber, da kam die
-Frau mit ihren Kindern heraus und starrte die Vorüberfahrenden
-an. Inger und ihre beiden kleinen Jungen saßen
-auf dem Wagen, und sie fuhren wie Herrenleute, die
-beiden Jungen kamen wahrhaftig in die Schule, und
-Inger hatte einen Tuchmantel an! Bei diesem Anblick
-ging der Frau auf Breidablick ein Stich durchs Herz, den
-Mantel konnte sie entbehren, sie war gottlob nicht eitel,
-aber sie hatte selbst Kinder, das große Mädchen Barbro,
-Helge, den Zweitältesten, und Katrine, alle schulpflichtig.
-Natürlich waren die beiden älteren im Dorf schon in der
-Schule gewesen, aber als die Familie aufs Moor und
-auf dieses abgelegene Breidablick heraufzog, mußten ja
-die Kinder wieder Heiden werden.</p>
-
-<p>Hast du Lebensmittel für deine Buben mit? fragte die
-Frau. &mdash; Lebensmittel, jawohl. Siehst du die Kiste da
-nicht? Das ist mein Reisekoffer, den ich mitgebracht habe,
-und der ist ganz mit Lebensmitteln angefüllt. &mdash; Was
-hast du mitgenommen? &mdash; Was ich mitgenommen habe?
-Speck und Fleisch fürs Mittagessen und Butter und Brot<span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span>
-und Käse für die anderen Mahlzeiten. &mdash; Ja, ihr habt
-es großartig da droben, sagte die Frau, und ihre armen
-bleichwangigen Kinder sperrten Augen und Ohren auf,
-als diese herrlichen Sachen aufgezählt wurden. &mdash; Wo
-willst du sie unterbringen? fragte die Frau weiter. &mdash;
-Beim Schmied. &mdash; So, sagte die Frau. Ja, die meinigen
-sollen jetzt auch wieder in die Schule, und sie werden beim
-Lensmann wohnen. &mdash; So, sagte Inger. &mdash; Ja, oder
-beim Doktor oder beim Pfarrer. Brede ist eben mit allen
-den Großen so gut bekannt, daher kommt es. &mdash; Da
-strich Inger ihren Mantel zurecht und schob etliche
-schwarzseidene Fransen vorteilhaft hervor. &mdash; Wo hast
-du den Mantel gekauft? fragte die Frau. Hast du ihn
-mitgebracht? &mdash; Ich habe ihn selbst genäht. &mdash; Ja, es ist,
-wie ich sage, ihr da droben sitzt bis über die Ohren in
-Geld und Herrlichkeit.</p>
-
-<p>Als Inger weiterfuhr, war ihr froh zumute, und sie
-war recht hochmütig, und als sie ins Dorf kam, ließ
-sie das ein wenig zu sehr hervortreten, jedenfalls nahm
-die Frau Lensmann Heyerdahl Ärgernis daran, daß sie
-in einem Mantel ankam. Sie sagte, die Frau auf Sellanraa
-vergesse offenbar, wer sie sei; ob sie denn vergessen
-habe, woher sie nach sechsjähriger Abwesenheit gekommen
-war? Aber Inger hatte nun jedenfalls ihren Mantel gezeigt,
-und weder die Frau des Kaufmanns noch die Frau
-des Schmieds noch die Frau des Schullehrers würden
-etwas dagegen gehabt haben, wenn sie selbst einen solchen
-Mantel besessen hätten; aber kommt Zeit, kommt Rat.</p>
-
-<p>Es dauerte gar nicht lange, bis Inger Kundschaft bekam.
-Einige Weiber von der andern Seite des Gebirges
-kamen aus Neugier. Oline hatte wohl gegen ihren Willen
-allerlei von Inger erzählt, und die nun kamen, brachten
-Nachrichten von Ingers Heimatort mit; dafür wurde
-ihnen aufgewartet, und sie durften die Nähmaschine
-sehen. Junge Mädchen kamen zu zwei und zwei von der<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span>
-Gemeinde an der Küste herauf und berieten sich mit
-Inger: es war Herbst, sie hatten zu einem neuen Kleid
-gespart, und nun konnte ihnen Inger über die Mode in
-der Welt draußen Auskunft geben, ja ab und zu auch den
-Stoff zuschneiden. Bei diesen Besuchen lebte Inger auf,
-sie blühte förmlich, war freundlich und hilfreich und dabei
-so tüchtig in ihrem Fach, daß sie aus freier Hand zuschneiden
-konnte; bisweilen nähte sie auch lange Säume
-auf ihrer Maschine ganz umsonst und gab dann den jungen
-Mädchen den Stoff zurück mit den herrlich scherzhaften
-Worten: So, die Knöpfe kannst du jetzt selbst
-annähen!</p>
-
-<p>Später, im Herbst, wurde Inger sogar gebeten, ins
-Dorf herunterzukommen und für die Großen zu nähen.
-Aber das konnte sie nicht, sie hatte ihre Familie und das
-Vieh und die häuslichen Pflichten, und sie hatte kein
-Dienstmädchen. Was hatte sie nicht? Ein Dienstmädchen!</p>
-
-<p>Sie sagte zu Isak: Wenn ich eine Hilfe hätte, könnte
-ich ruhiger an meiner Näharbeit bleiben. &mdash; Isak verstand
-nicht, was sie meinte. Hilfe? fragte er. &mdash; Ja, Hilfe
-im Hause, ein Dienstmädchen. &mdash; Da drehte sich wohl
-alles im Kreise vor Isak, denn er lachte ein wenig in
-seinen roten Bart und hielt es für Spaß: Jawohl, wir
-sollten ein Dienstmädchen haben, sagte er. &mdash; Das haben
-alle Hausfrauen in der Stadt, versetzte Inger. &mdash; Ach
-so, sagte Isak.</p>
-
-<p>Seht, er war vielleicht nicht besonders froh und freundlich
-gestimmt, nicht gut aufgelegt, denn nun hatte er mit
-dem Bau seines Sägewerks angefangen, und es war
-nicht schnell vorwärtsgegangen; er konnte nicht mit der
-einen Hand den Pfosten halten, ihn mit der andern wagerecht
-leiten und zugleich die Schräghölzer befestigen.
-Aber als dann die Jungen wieder von der Schule heimkamen,
-ging es besser, die guten Jungen waren ihm eine
-große Hilfe. Sivert besonders war merkwürdig gewandt<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span>
-beim Einschlagen der Nägel, aber Eleseus war tüchtiger
-beim Loten mit der Schnur. Nach Verlauf von einer
-Woche hatten Isak und die Jungen wirklich die Pfosten
-aufgerichtet und mit Schräghölzern so dick wie Balken
-stark befestigt. Eine große Arbeit war bewältigt.</p>
-
-<p>Es ging &mdash; alles ging. Aber woher es auch kommen
-mochte, Isak war jetzt an den Abenden oft müde. Es
-handelte sich ja nicht nur darum, ein Sägewerk zu bauen
-und damit Punktum, alles andere mußte auch getan werden.
-Das Heu war unter Dach, aber das Korn stand noch
-draußen und färbte sich allmählich golden, bald mußte
-es geschnitten und untergebracht werden, und auch die
-Kartoffelernte stand vor der Tür. &mdash; Aber Isak hatte
-eine ausgezeichnete Hilfe an seinen Jungen. Er bedankte
-sich indes nicht bei ihnen, das war nicht Sitte unter Leuten
-wie er und die Seinen, aber er war ungeheuer zufrieden
-mit ihnen. Ab und zu, jedoch nur selten einmal,
-setzten sie sich wohl auch mitten in der Arbeit zusammen
-und unterhielten sich miteinander, und da konnte der
-Vater sich im Ernst mit den Jungen darüber beraten,
-was sie zuerst und was nachher tun wollten. Das waren
-stolze Augenblicke für Eleseus und Sivert, und sie lernten
-dabei wohl zu überlegen, ehe sie redeten, um nicht unrecht
-zu bekommen. &mdash; Es wäre doch schlimm, wenn wir
-das Sägewerk nicht unter Dach brächten, ehe die Herbststürme
-einsetzen, sagte der Vater.</p>
-
-<p>Wenn nur Inger noch wie in den alten Tagen gewesen
-wäre! Aber Ingers Gesundheit war wohl eben leider
-nicht mehr so gut wie früher, was ja auch nach der langen
-Einsperrung nicht anders zu erwarten war. Daß ihr Sinn
-sich verändert hatte, war eine Sache für sich, ach, sie war
-jetzt so viel weniger nachdenklich, war gleichsam oberflächlicher,
-leichtsinniger. Von dem Kinde, das sie umgebracht
-hatte, sagte sie: Ich bin eine recht dumme Person
-gewesen, wir hätten sie operieren und ihren Mund<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span>
-zunähen lassen können, dann hätte ich nicht nötig gehabt,
-sie zu erwürgen. Und niemals ging sie hinaus in den
-Wald an ein kleines Grab, wo sie einstmals die Erde mit
-den Händen zusammengescharrt und ein kleines Kreuz
-darauf gesetzt hatte.</p>
-
-<p>Aber Inger war keine unmenschliche Mutter, sie sorgte
-treulich für ihre anderen Kinder, hielt sie in Ordnung,
-nähte für sie und konnte bis spät in die Nacht hinein
-aufsitzen, um ihre Kleider zu flicken. Es war ihr höchster
-Traum, daß etwas Rechtes aus ihnen werden sollte.</p>
-
-<p>Dann wurde das Korn eingefahren, dann wurden die
-Kartoffeln herausgehackt, und dann wurde es Winter.
-Ach nein, das Sägewerk kam nicht unter Dach im Herbst!
-Aber da war nun nichts zu machen, es ging ja auch nicht
-ums Leben, und bis zum Sommer kam wohl Zeit und
-Rat.</p>
-
-
-
-<h3>13</h3>
-
-
-<p>Und im Winter kam die gewohnte Arbeit an die
-Reihe, Holz wurde gefahren, die Wirtschaftsgeräte
-und die Fuhrwerke wurden hergerichtet, Inger
-versorgte das Haus, schaffte und nähte, und die Jungen
-waren wieder für lange Zeit in der Schule. Seit mehreren
-Jahren schon hatten sie miteinander ein Paar Schneeschuhe
-gehabt, und dies eine Paar hatte für beide genügt,
-solange sie daheim gewesen waren. Da hatte der eine gewartet,
-solange der andere lief, oder der eine stellte sich
-hinter dem andern auf. Oh, es war gut gegangen, etwas
-Schöneres hatten sie sich gar nicht vorstellen können, sie
-waren unschuldig. Aber drunten im Dorf waren die Verhältnisse
-größer, in der Schule wimmelte es von Schneeschuhen,
-ja, es zeigte sich, daß sogar die Kinder auf Breidablick
-jedes ein eigenes Paar hatte. Da mußte schließlich<span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span>
-Isak ein neues Paar für Eleseus machen, und Sivert
-durfte die alten behalten.</p>
-
-<p>Isak tat mehr, er kaufte den Jungen Winteranzüge
-und unzerreißbare Stiefel. Aber als dies getan war, ging
-Isak zum Kaufmann und bestellte einen Ring. &mdash; Einen
-Ring? fragte der Kaufmann. &mdash; Ja, einen Fingerring.
-Ich bin so hoffärtig geworden, daß ich meiner Frau einen
-Fingerring schenken will. &mdash; Soll es ein silberner oder
-ein goldener sein oder nur einer aus Messing, der im
-Goldbad gewesen ist? &mdash; Es soll ein silberner sein. &mdash;
-Der Kaufmann überlegte lange, dann sagte er: Wenn du
-das tun willst, Isak, und wenn du deiner Frau einen
-Ring verehren willst, den sie zeigen kann &mdash; so kaufe ihr
-einen goldenen Ring. &mdash; Was? sagte Isak laut. Aber im
-innersten Herzen hatte er wohl selbst an einen goldenen
-Ring gedacht.</p>
-
-<p>Sie besprachen es nach allen Richtungen und einigten
-sich schließlich über Größe und Preis des Ringes; aber
-noch immer überlegte Isak und schüttelte den Kopf und
-meinte, das sei doch ein teures Stück; aber der Kaufmann
-wollte eben durchaus einen echt goldenen Ring
-bestellen. Als Isak heimwärts wanderte, war er eigentlich
-froh über seinen Entschluß, aber zugleich entsetzte er
-sich über die Ausgaben, zu denen einen die Liebe bringen
-konnte.</p>
-
-<p>Es war ein richtiger Schneewinter, und als gegen Neujahr
-eine gute Bahn war, fingen die Leute aus dem Dorf
-an, Telegraphenstangen über die Moore heraufzufahren
-und sie in gewissen Abständen voneinander abzuladen.
-Sie fuhren mit vielen Pferden an Breidablick vorüber,
-kamen auch an Sellanraa vorbei &mdash; schließlich trafen
-sie mit anderen Pferden zusammen, die von jenseits des
-Gebirges Stangen herauffuhren, und da war die ganze
-Linie vollständig.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[S. 143]</a></span></p>
-
-<p>So verging ein Tag um den andern ohne große Ereignisse.
-Was hätte geschehen sollen? Im Frühling begann
-man mit dem Aufstellen der Telegraphenstangen,
-Brede Olsen war auch wieder dabei, obgleich er die Frühjahrsarbeit
-auf seinem Hofe hätte besorgen sollen. Daß
-er Zeit dazu hat! fragte sich Isak wieder.</p>
-
-<p>Isak selbst hatte kaum Ruhe zum Essen und Schlafen,
-er konnte kaum alles zur rechten Zeit fertigbringen,
-seine Felder waren jetzt recht groß geworden.</p>
-
-<p>Aber dann vor der Erntezeit brachte er das Sägewerk
-unter Dach und konnte sich nun an das Einsetzen der
-Säge machen. Seht, es war kein Wunderwerk von einem
-Holzbau, den er fertiggebracht hatte, aber der Bau war
-riesenstark und stand nun da und war von großem
-Nutzen. Die Säge ging, die Säge schnitt, Isak hatte seine
-Augen gebraucht, wenn er drunten im Dorf in der Sägemühle
-gewesen war, und hatte sich alles wohl gemerkt.
-Es war eine herzlich kleine Sägemühle, die er da errichtet
-hatte, aber er war zufrieden mit ihr, er hieb die Jahreszahl
-über der Tür ein und setzte sein Hauszeichen darunter.</p>
-
-<p>Und in diesem Sommer ereignete sich nun doch mehr
-als gewöhnlich auf Sellanraa.</p>
-
-<p>Die Telegraphenarbeiter waren jetzt so weit heraufgekommen,
-daß die erste Gruppe eines Abends an dem
-Hofe anklopfte und um Obdach bat. Die Leute durften
-in der Scheune schlafen. Als die Tage vergingen, kam
-auch die zweite Gruppe, und alle fanden Obdach auf
-Sellanraa. Die Linie wurde am Hof vorbei weiter hinaufgeführt,
-aber die Leute kamen trotzdem noch auf den
-Hof, um da zu übernachten. Und an einem Samstagabend
-erschien der Ingenieur, um die Löhne auszuzahlen.</p>
-
-<p>Als Eleseus den Ingenieur sah, bekam er Herzklopfen,
-und er schlich sich zur Tür hinaus, um nicht nach dem
-farbigen Bleistift gefragt zu werden. Ach, das war ein<span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span>
-böser Augenblick, und Sivert kam auch nicht heraus, an
-dem er ein wenig eine Stütze hätte haben können! Wie
-ein bleiches Gespenst glitt Eleseus um die Hausecke; endlich
-traf er die Mutter. Eleseus bat sie gleich, sie möchte
-Sivert herausschicken, er konnte sich nicht anders helfen.</p>
-
-<p>Sivert nahm die Sache weniger schwer, er hatte ja
-auch nicht die große Schuld auf sich liegen. Die Brüder
-setzten sich in ziemlicher Entfernung nieder, und Eleseus
-sagte: Wenn du es auf dich nehmen würdest! &mdash; Ich?
-sagte Sivert. &mdash; Denn du bist soviel kleiner, dir würde
-er nichts tun. &mdash; Sivert überlegte, er sah, daß der Bruder
-in großer Not war, und es schmeichelte ihm auch,
-daß Eleseus ihn brauchte. &mdash; Ich könnte dir vielleicht
-eine Handreichung tun, sagte er altklug. &mdash; Du mußt es
-tun! rief Eleseus und drückte einfach seinem Bruder das
-Stückchen, das noch von dem farbigen Bleistift übrig
-war, in die Hand. Es soll dir gehören, sagte er.</p>
-
-<p>Sie wollten miteinander wieder hineingehen, aber
-Eleseus sagte, er habe noch etwas am Sägewerk zu tun
-oder vielmehr im Mahlhaus, etwas, was er nachsehen
-müsse, es gehe nicht so schnell, er werde kaum vor einer
-guten Weile fertig sein. Sivert ging allein hinein.</p>
-
-<p>Da saß der Ingenieur mit Silbergeld und Banknoten
-vor sich und zahlte die Löhne aus. Als das geschehen war,
-setzte ihm Inger einen Topf Milch nebst Glas vor, und
-er war dankbar dafür. Er trank. Dann plauderte er mit
-der kleinen Leopoldine, und als er die Zeichnungen an
-den Wänden sah, fragte er gleich, wer denn der Meister
-sei, der sie gemacht habe. Bist du es? fragte er Sivert.
-Der Ingenieur wollte sich wohl bei der Mutter für die
-Gastfreundschaft dankbar erweisen. Er erfreute die Mutter,
-indem er die Zeichnungen lobte, und Inger gab eine
-gute Erklärung. Ihre Buben hätten die Zeichnungen gemacht,
-beide Buben; bis sie heimgekommen und dafür
-gesorgt habe, hätten die Kinder kein Papier gehabt und<span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span>
-deshalb die Wände bekritzelt, nun habe sie das Herz
-nicht, es abzuwaschen. &mdash; Laß es nur stehen, sagte der Ingenieur.
-Papier? sagte er und legte eine Menge großer
-Bogen auf den Tisch. Da, zeichnet nur weiter, bis ich das
-nächste Mal wiederkomme! Wie steht es denn mit Bleistiften?
-&mdash; Da trat Sivert ganz einfach mit dem Bleistiftstümpfchen
-vor und zeigte, wie klein es war. Und siehe,
-er bekam einen neuen, noch ungespitzten farbigen Bleistift!
-Zeichnet nur drauflos! Aber macht lieber das Pferd
-rot und den Bock blau. Nicht wahr, du hast noch kein
-blaues Pferd gesehen?</p>
-
-<p>Dann ging der Ingenieur wieder fort.</p>
-
-<p>Am selben Abend kam ein Mann vom Dorf herauf
-mit einem Ranzen auf dem Rücken. Er gab einige Flaschen
-für die Arbeiter ab und entfernte sich dann wieder.
-Aber nachdem er gegangen war, blieb es nicht mehr so
-still auf Sellanraa; die Ziehharmonika ertönte, es wurde
-laut gesprochen und gesungen und auf dem Hofplatz getanzt.
-Einer der Arbeiter forderte Inger zu einem kleinen
-Drehum auf, und Inger &mdash; ja, wer verstand sich auf sie?
-Sie kicherte und tanzte wahrhaftig ein paarmal im Kreise
-herum. Als dies getan war, wollten die andern auch mit
-ihr tanzen, und da tanzte sie recht flott mit.</p>
-
-<p>Wer verstand sich auf Inger! Hier tanzte sie nun vielleicht
-ihren ersten seligen Tanz in ihrem Leben; man riß
-sich um sie, dreißig Männer waren hinter ihr her, sie war
-allein, die einzige, die gewählt werden konnte, keine andere
-stach sie aus. Und wie flott diese riesenhaften Telegraphenarbeiter
-sie vom Boden aufhoben! Warum nicht
-tanzen? Eleseus und Sivert schliefen schon drinnen in der
-Kammer wie Säcke trotz des Tumultes auf dem Hofe,
-die kleine Leopoldine aber war noch auf und stand dabei
-und sah mit großen verwunderten Augen den Sprüngen
-der Mutter zu.</p>
-
-<p>Isak war indessen die ganze Zeit nach dem Abendessen<span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span>
-draußen auf dem Feld gewesen. Als er wieder hereinkam,
-um zu Bett zu gehen, wurde ihm aus einer Flasche zu
-trinken angeboten, und er trank auch ein wenig. Er setzte
-sich, nahm Leopoldine auf den Schoß und sah dem Tanzen
-zu. Da kannst du dich ordentlich herumschwingen!
-sagte er gutmütig zu Inger. Da kannst du wahrlich die
-Füße regen!</p>
-
-<p>Aber nach einer Weile hörte der Musikant auf zu spielen,
-und der Tanz war vorbei. Die Arbeiter machten sich
-nun fertig, den noch übrigen Teil der Nacht und den
-ganzen nächsten Tag im Dorf zu verbringen und erst am
-Montagmorgen wiederzukommen. Bald lag Sellanraa
-wieder ganz still da, nur ein paar ältere Männer blieben
-zurück und legten sich in der Scheune schlafen.</p>
-
-<p>Isak sah sich nach Inger um, damit sie hineingehe
-und Leopoldine zu Bett bringe; als er sie dann nirgends
-erblickte, ging er hinein und legte das Kind zu Bett. Und
-er selbst ging auch zur Ruhe.</p>
-
-<p>Gegen Morgen erwachte er, aber Inger war nicht da.
-Ist sie im Stall? dachte er. Dann stand er auf und ging
-in den Stall. Inger? fragte er. Keine Antwort. Die Kühe
-drehten die Köpfe und sahen ihn an. Alles war still. Aus
-alter Gewohnheit zählte er das Vieh, zählte auch das
-Kleinvieh, das eine Mutterschaf blieb so gern die Nacht
-über draußen &mdash; jetzt war es wieder draußen geblieben.
-Inger? fragte er wieder. Auch jetzt keine Antwort. Sie ist
-doch sicher nicht ganz mit hinunter ins Dorf gegangen,
-dachte er.</p>
-
-<p>Die Sommernacht war hell und warm; Isak blieb eine
-Weile unter der Haustür sitzen, dann stand er auf und
-ging in den Wald, um nach dem Mutterschaf zu sehen.
-Er fand Inger. Inger hier? Ja, Inger und noch einer.
-Sie saßen im Heidekraut, Inger ließ seine Schildmütze
-auf ihrem Zeigefinger tanzen, sie sprachen miteinander,
-Inger war wieder umworben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span></p>
-
-<p>Isak ging leise zu ihnen hin. Inger wendete sich um
-und sah ihn. Da wurde sie weiß wie ein Leintuch, der
-Kopf sank ihr auf die Brust, sie ließ die Mütze fallen,
-war vernichtet. &mdash; Hm! Weißt du, daß das Mutterschaf
-wieder fehlt? sagte Isak. Aber das weißt du natürlich
-nicht, sagte er.</p>
-
-<p>Der junge Telegraphenarbeiter hob seine Mütze auf
-und verzog sich seitwärts in die Büsche. Ich muß wohl
-den anderen nachgehen, sagte er. Ja, gute Nacht, sagte
-er und ging. Niemand erwiderte seinen Gruß.</p>
-
-<p>So, du sitzest hier? sagte Isak. Mußt du hier sitzen?</p>
-
-<p>Er wendete sich heimwärts, und Inger richtete sich auf
-die Knie auf; sie kam auf die Füße und ging ihm nach.
-So gingen sie dahin, der Mann voraus, die Frau hinterdrein,
-Tandem. Sie kamen heim.</p>
-
-<p>Inger hatte wohl indessen Zeit gehabt, sich zu fassen.
-Und sie faßte sich: Ich wollte gerade nach dem Mutterschaf
-sehen, sagte sie, denn ich hatte gesehen, daß es nicht
-da war. Dann kam der Mann, er hat mir beim Suchen
-geholfen. Wir hatten uns kaum hingesetzt gehabt, als du
-kamst. Wo willst du jetzt hin?</p>
-
-<p>Ich? Ich muß wohl nach dem Tier sehen.</p>
-
-<p>Nein, jetzt sollst du zu Bett gehen. Und wenn noch
-jemand suchen soll, so werde ich es tun. Geh du nur zur
-Ruhe, du kannst sie notwendig brauchen. Im übrigen
-kann das Schaf auch draußen übernachten, das hat es
-schon öfters getan.</p>
-
-<p>Ja, um von Raubtieren aufgefressen zu werden, sagte
-Isak und ging.</p>
-
-<p>Nein, du darfst nicht! rief sie und holte ihn ein. Du
-brauchst Schlaf, ich will gehen.</p>
-
-<p>Isak ließ sich überreden. Aber er wollte auch nichts
-davon hören, daß Inger noch nach dem Schaf suchen
-sollte, und so gingen beide hinein.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span></p>
-
-<p>Inger sah sofort nach den Kindern. Sie ging in die
-Kammer, trat an das Bett und tat, als sei sie aus den
-erlaubtesten Gründen draußen gewesen, ja, sie war nicht
-ganz frei davon, mit Isak ein wenig zu liebäugeln, wie
-wenn sie von ihm noch eine ganz andere Zuneigung erwartete,
-als ihr an dem ganzen Abend entgegengebracht
-worden war &mdash; denn jetzt hatte er ja eine volle Erklärung,
-meinte sie. Aber nein, danke! Isak war nicht so
-leicht herumzubringen, er hätte es am liebsten gesehen,
-wenn sie so recht betrübt gewesen wäre und nicht gewußt
-hätte, was sie vor Reue tun sollte. Das hätte er am liebsten
-gesehen. Was war denn das, daß sie im Wald draußen
-etwas zusammengesunken war, das ärmliche bißchen
-Schrecken, als er sie im Wald entdeckt hatte &mdash; was half
-das, wenn es so schnell wieder verflog!</p>
-
-<p>Am nächsten Tag, der doch ein Sonntag war, zeigte
-sich Isak noch durchaus nicht versöhnt, er wanderte draußen
-umher, sah nach seinem Sägewerk und seiner Mühle
-und betrachtete seine Felder, teils mit den Kindern, teils
-allein. Als Inger sich einmal anzuschließen versuchte, ging
-Isak gleich seines Wegs und sagte: Ich muß an den Fluß
-hinauf und nach etwas sehen. Irgend etwas nagte offenbar
-an ihm, aber er trug es in der Stille und donnerte
-nicht los. Oh, Isak war ein Großer, zum Beispiel Israel,
-dem das gelobte Land wohl verheißen war, der jedoch
-darum betrogen worden war, aber dennoch gläubig blieb.</p>
-
-<p>Am Montag war die Stimmung bedeutend leichter,
-und als die Tage vergingen, begann der ärgerliche Eindruck
-von jener Nacht sich allmählich zu verwischen. Die
-Zeit macht gar vieles wieder gut, mit Spucke und Lappen,
-mit Schlaf und Essen heilt sie alle Wunden. Isak war
-nicht zum schlimmsten dabei gefahren, er hatte nicht einmal
-Gewißheit, ob ihm Unrecht angetan worden war,
-außerdem hatte er an vieles andre zu denken, denn jetzt
-fing die Ernte an. Und schließlich war ja die Telegraphen<span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span>linie
-bald fertig, dann würde es wohl wieder ruhig auf
-dem Hof werden. Eine breite helle Straße zog sich nun
-durch den Laubwald hin, in ihrer Mitte standen die Stangen
-mit Drähten bis ganz hinauf aufs Gebirge.</p>
-
-<p>Am nächsten Samstag, an dem die letzte Lohnauszahlung
-stattfand, richtete es Isak so ein, daß er von zu
-Hause abwesend war; er wollte es selbst so. Er ging mit
-Butter und Käse ins Dorf hinunter und kam erst in der
-Nacht zum Montag wieder zurück. Die Arbeiter hatten
-da alle miteinander die Scheune verlassen, beinahe alle,
-der letzte Mann schwankte mit einem Sack auf dem
-Rücken eben zum Hof hinaus, beinahe der letzte Mann.
-Daß es doch noch nicht ganz sicher war, erriet Isak an
-einer Eßkiste, die noch in der Scheune stand; wo der
-Eigentümer war, wußte er nicht, wollte es auch nicht
-wissen, aber eine Schildmütze lag als anstößiger Beweis
-auf der Eßkiste.</p>
-
-<p>Isak schleuderte die Eßkiste auf den Hofplatz hinaus,
-und die Mütze flog hinterdrein, dann schloß er die
-Scheune ab, ging in den Stall und guckte durchs Fenster
-hinaus. Mag die Kiste da stehen und die Mütze da liegen
-bleiben, dachte er wohl; es ist mir einerlei, wem sie gehören,
-es ist eine schlechte Kiste, und ich verachte sie, dachte
-er wohl. Aber wenn er jetzt seine Eßkiste holen will, dann
-wird Isak hinausgehen und ihn ein wenig am Arm nehmen,
-daß er blau und grün wird. Und wo der Weg zum
-Hof hinausgeht, das soll er auch erfahren!</p>
-
-<p>Damit verließ Isak das Fenster im Pferdestall und
-ging zu den Kühen hinein und sah von dort aus zum Fenster
-hinaus und fand keine Ruhe. Die Kiste war mit
-einem Strick zusammengeschnürt, der jämmerliche Kerl
-hatte nicht einmal ein Schloß daran; der Strick war aufgegangen
-&mdash; hatte Isak wohl die Kiste zu fest angepackt?
-Woher es auch kommen mochte, aber Isak war nicht mehr
-so ganz sicher, ob er auch recht gehandelt habe. Bei seinem<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span>
-Gang durchs Dorf hatte er nach seinem neuen Reolpflug
-gefragt, einem besonders starken zum Umroden von Ödland,
-den er bestellt hatte; oh, eine ausgezeichnete Maschine,
-eine Gottesgabe, ja, und diese war eben angekommen!
-Da war es ihm gewesen, als komme Segen mit ihr
-in sein Haus. Die höhere Macht, die die Schritte der
-Menschen lenkt, war vielleicht jetzt nahe und sah ihm zu,
-ob er den Segen verdiene oder nicht; Isak war immer
-mit den höheren Mächten beschäftigt, ja, in einer Herbstnacht
-hatte er im Walde draußen Gott mit eigenen Augen
-gesehen; das war vor allem ein merkwürdiger Anblick
-gewesen.</p>
-
-<p>Isak ging auf den Hofplatz hinaus und blieb bei der
-fremden Kiste stehen. Noch überlegte er, ja, er schob seinen
-Hut schief und kratzte sich am Kopfe, dabei sah er ganz
-keck und flott aus, wie ein Spanier sah er aus. Aber
-dann mußte er ungefähr so gedacht haben: Ach, da stehe
-ich und bin weit davon entfernt, ein prächtiger, ausgezeichneter
-Mensch zu sein, ich bin ein Hund! Dann schnürte
-er den Strick um die Kiste fest zu, hob die Mütze auf und
-trug beides wieder in die Scheune hinein. Nun war es
-getan.</p>
-
-<p>Als er wieder aus der Scheune heraustrat und sich
-nach der Mühle wandte, weg von seinem Hause, weg von
-allem, da stand Inger nicht am Fenster, nein. Nun wohl,
-mag sie stehen, wo sie will, übrigens war sie wohl in
-ihrem Bett, wo hätte sie sonst sein sollen? Aber in den
-alten Tagen, in den ersten unschuldigen Jahren auf der
-Ansiedlung, da hatte Inger keine Ruhe gehabt, sondern
-war aufgeblieben und hatte auf ihn gewartet, wenn er
-auf dem Heimweg vom Dorfe war. Das war jetzt anders
-geworden, alles war anders geworden. Auch als er ihr
-den Ring gab &mdash; ach, hätte etwas mehr mißglückt sein
-können? Isak war übermäßig bescheiden gewesen und weit
-entfernt, von einem echt goldenen Ring zu sprechen. Es<span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span>
-ist nichts Besonderes, hatte er gesagt, steck ihn einmal an
-den Finger und probier, ob er dir paßt. &mdash; Ist das Gold?
-fragte sie. &mdash; Ja, aber er ist nicht sehr breit, versetzte er.
-&mdash; Doch! hätte sie erwidern sollen, sie sagte indes: Nein,
-aber gerade recht. &mdash; Du kannst ihn ja jetzt behalten wie
-sonst eine Kleinigkeit, sagte er schließlich niedergeschlagen.</p>
-
-<p>Aber Inger war doch dankbar für den Ring, sie trug
-ihn an der rechten Hand und ließ ihn funkeln, wenn sie
-nähte; ab und zu durften ihn die Mädchen anprobieren
-und ihn eine Weile am Finger behalten, wenn sie bei ihr
-waren und sie wegen eines neuen Kleides um Rat fragten.
-Begriff denn Isak nicht, daß sie ungeheuer stolz auf
-den Ring war! ...</p>
-
-<p>Aber es war sehr einsam, da in der Mühle zu sitzen
-und die ganze lange Nacht dem Brausen des Sturzbaches
-zuzuhören. Isak hatte nichts Unrechtes getan und brauchte
-sich nicht zu verstecken, er ging also von der Mühle fort,
-heimwärts, in sein Haus. &mdash;</p>
-
-<p>Und nun wurde Isak ganz beschämt, wahrlich beschämt
-und froh. Brede Olsen saß da, der Nachbar, niemand
-anderer, er saß da und trank Kaffee. Ja, Inger war auf,
-die beiden saßen nur beieinander und tranken Kaffee.
-Da ist Isak! sagte Inger in freundlichem Ton, indem sie
-aufstand und ihm auch eine Schale Kaffee einschenkte.
-Guten Abend! sagte Brede ebenso freundlich.</p>
-
-<p>Isak merkte wohl, daß Brede bei dem Abschiedsfest der
-Telegraphenarbeiter mit dabei gewesen war; er sah übernächtigt
-aus, aber das tat nichts, er war fröhlich und
-freundlich. Natürlich tat er ein wenig groß: Eigentlich
-habe er keine Zeit zu dieser Telegraphenarbeit, denn er
-habe ja seinen Hof, aber er habe nicht nein sagen können,
-der Ingenieur sei so sehr in ihn gedrungen. Und dann
-habe es ja auch dazu geführt, daß Brede nun die Inspektorstelle
-über die Linie übernehmen müsse. Es sei
-nicht wegen der Bezahlung, sagte Brede, er könnte im<span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span>
-Dorf drunten viel mehr verdienen, aber er habe nicht ungefällig
-sein wollen. Nun habe man ihm eine kleine glänzende
-Maschine an der Wand angebracht, die sei ganz
-unterhaltend, fast ein Telegraph selbst.</p>
-
-<p>Isak konnte mit dem besten Willen über diesen Prahlhans
-und Faulpelz nicht böse sein, dafür fühlte er sich zu
-erleichtert, als er an diesem Abend anstatt eines Fremden
-seinen Nachbar in seinem Hause vorfand. Isak hatte
-das Gleichgewicht des Bauern, dessen einfache Gefühle,
-dessen Handfestigkeit, dessen Langsamkeit; er stimmte
-Brede zu und nickte zu seiner Oberflächlichkeit. Hast du
-nicht noch eine Schale Kaffee für Brede? fragte er Inger.
-Und Inger schenkte ein.</p>
-
-<p>Übrigens erzählte Inger, der Ingenieur sei ein ganz
-ausgezeichnet freundlicher Herr. Er habe sich die Zeichnungen
-und das Geschriebene der Kinder angesehen und
-habe dann gesagt, er wolle Eleseus zu sich nehmen. &mdash;
-Zu sich nehmen? fragte Isak. &mdash; Ja, mit in die Stadt.
-Er solle für ihn schreiben, solle Schreiber auf seinem
-Büro werden, so sehr hätten ihm Eleseus' Zeichnungen
-und das Geschriebene gefallen. &mdash; So, sagte Isak. &mdash;
-Ja, was meinst du dazu? Er will ihn auch dort konfirmieren
-lassen. Das sind doch schöne Aussichten, nicht
-wahr? &mdash; Das meine ich auch, sagte Brede. Und soweit
-kenne ich den Ingenieur, wenn der schon so etwas sagt,
-dann meint er es auch. &mdash; Wir haben hier auf der Ansiedlung
-keinen Eleseus, den wir entbehren könnten, sagte
-Isak.</p>
-
-<p>Nach diesen Worten wurde es eine Weile ganz still und
-unbehaglich in der Stube. Natürlich war Isak nicht der
-Mann, mit dem sich reden ließ. &mdash; Wenn nun aber der
-Junge selbst vorwärtskommen will, und wenn er das
-Genie hat, etwas Rechtes zu werden! sagte Inger schließlich.
-&mdash; Wieder Stille. Doch nun sagte Brede lächelnd:
-Wenn doch der Ingenieur eines von meinen Kindern neh<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span>men
-wollte! Ich habe genug Kinder. Aber das älteste ist
-die Barbro, und das ist ein Mädchen. &mdash; Ja, ja, die
-Barbro ist recht und gut, sagte Inger, um höflich zu
-sein. &mdash; O ja, daran fehlt es nicht, stimmte Brede bei,
-die Barbro ist ein tüchtiges Mädchen, sie kommt jetzt
-zum Lensmann in Dienst. &mdash; Zum Lensmann? &mdash; Ja,
-ich habe es durchaus versprechen müssen. Die Frau Lensmann
-hat mir gar keine Ruhe gelassen.</p>
-
-<p>Es war jetzt schon gegen Morgen, und Brede rüstete
-sich zum Aufbruch. &mdash; Ich habe noch meine Mütze und
-meine Eßkiste in eurer Scheune stehen, sagte er. Wenn
-nicht etwa die Burschen alles miteinander mitgenommen
-haben, fügte er scherzhaft hinzu.</p>
-
-
-
-<h3>14</h3>
-
-
-<p>Und die Zeit verging.</p>
-
-<p>Ja, natürlich kam Eleseus in die Stadt, Inger
-setzte es durch. Nachdem er ein Jahr dort gewesen
-war, wurde er konfirmiert, dann blieb er fest auf dem
-Büro des Ingenieurs und wurde immer tüchtiger im
-Schreiben. Oh, was waren das für Briefe, die er heimschickte,
-bisweilen mit roter und blauer Tinte geschrieben,
-die reinen Gemälde! Und wie die Sprache darin, die
-Sätze! Ab und zu bat Eleseus um Geld, bat um Unterstützung:
-er brauchte Geld zu einer Taschenuhr samt Kette,
-damit er am Morgen nicht zu lange schlief; dann zu einer
-Pfeife und Tabak, wie es die andern jungen Schreiber in
-der Stadt hatten; dann zu etwas, das er Taschengeld
-nannte; dann zu etwas, das Abendschule hieß, wo er
-Zeichnen und Turnen und andere für seinen Stand und
-seine Stellung notwendige Dinge lernte. Alles in allem
-war Eleseus in einer Stellung in der Stadt nicht billig
-zu haben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span></p>
-
-<p>Taschengeld? fragte Isak. Ist das Geld, das man in
-der Tasche hat? &mdash; Ja, das muß wohl so sein, man tut
-es wohl, damit man nicht ganz leer daherkommt. Und es
-ist ja gar nicht so viel, ein Taler ab und zu. &mdash; Ganz
-richtig, ein Taler hier und ein Taler dort, antwortete
-Isak zornig. Aber er war zornig, weil Eleseus ihm fehlte
-und er ihn daheim haben wollte. Aber schließlich werden
-es viele Taler, fuhr er fort. Ich kann das nicht leisten, du
-mußt ihm schreiben, daß er nichts mehr bekommt. &mdash; So,
-na ja, sagte Inger beleidigt. &mdash; Der Sivert, was bekommt
-denn der als Taschengeld? fragte Isak. &mdash; Inger
-erwiderte: Du bist nie in einer Stadt gewesen und verstehst
-das nicht, der Sivert braucht kein Taschengeld. Und
-im übrigen kommt der Sivert nicht zu kurz, wenn sein
-Oheim Sivert einmal stirbt. &mdash; Das weißt du nicht. &mdash;
-Doch, das weiß ich.</p>
-
-<p>Und das war gewissermaßen richtig, der Oheim Sivert
-hatte sich dahin ausgesprochen, daß Klein-Sivert ihn beerben
-solle. Oheim Sivert hatte an Eleseus' Prahlerei
-und Vornehmtuerei in der Stadt Anstoß genommen, er
-hatte genickt und die Lippen zusammengekniffen und gesagt,
-ein Schwestersohn, der nach ihm genannt sei &mdash; nach
-dem Oheim Sivert &mdash; brauche keineswegs zu verhungern.
-Aber was besaß der Oheim Sivert wohl? Besaß er neben
-seinem vernachlässigten Hof und seinem Bootsschuppen
-auch noch einen so großen Haufen Geld, wie man allgemein
-annahm? Niemand wußte es. Und dazu kam noch,
-daß Oheim Sivert ein eigensinniger Mensch war, er verlangte,
-Klein-Sivert solle zu ihm kommen und bei ihm
-bleiben. Oheim Sivert betrachtete das als Ehrensache:
-er wollte Klein-Sivert zu sich nehmen, wie der Ingenieur
-Eleseus zu sich genommen hatte. Aber wie sollte Klein-Sivert
-von zu Hause wegkommen? Das war unmöglich.
-Er war des Vaters einzige Hilfe. Außerdem hatte der
-Junge auch keine große Lust, zu dem Oheim zu gehen,<span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span>
-dem berühmten Bezirkskassierer; er war schon einmal dort
-gewesen, aber dann lieber wieder heimgegangen. Er war
-jetzt konfirmiert, reckte und streckte sich und wuchs heran,
-feiner Flaum sproßte ihm auf den Wangen, und er hatte
-starke Hände mit Schwielen daran. Er schaffte wie ein
-Mann.</p>
-
-<p>Isak hätte ohne Siverts Hilfe niemals die neue
-Scheune aufrichten können, aber jetzt stand sie mit der
-Einfahrtsbrücke und den Luken und allem ebenso groß da
-wie die Pfarrscheune selbst. Natürlich war sie nur aus
-Fachwerk mit Bretterverschalung, aber besonders solid
-gebaut mit eisernen Klammern an den Ecken und mit
-zolldicken Brettern aus der eigenen Sägemühle verschalt.
-Ja, und da hatte Klein-Sivert mehr als einen Nagel
-eingeschlagen und hatte die schweren Balken fürs Sparrenwerk
-aufgehoben, daß er fast darunter umgesunken
-war. Sivert verstand sich ausgezeichnet mit seinem Vater
-und arbeitete ständig an seiner Seite, er war von des
-Vaters Art. Und er war nicht so fein und so verwöhnt,
-sondern ging nur jedesmal, ehe er sich auf den Weg zur
-Kirche machte, auf die Halde hinauf und rieb sich mit ein
-wenig Rainfarn ab, um einen guten Geruch an sich zu
-haben. Da fing wahrlich die kleine Leopoldine an, größere
-Ansprüche zu machen, was man ja auch nicht anders erwarten
-konnte, da sie ein Mädchen und dazu die einzige
-Tochter war. Jetzt im Sommer hatte sie ihre abendliche
-Grütze nicht ohne Sirup darauf essen können, nein, das
-gewann sie nicht über sich. Und sie leistete auch nicht viel
-bei der Arbeit.</p>
-
-<p>Inger hatte den Gedanken an ein Dienstmädchen nicht
-aufgegeben, und jeden Frühling hatte sie aufs neue davon
-angefangen, aber jedesmal war Isak unnachgiebig
-geblieben. Wieviel mehr Kleider hätte sie zuschneiden
-können, wieviel mehr nähen und feine Stoffe weben und
-gestickte Pantoffeln fertigbringen, wenn sie Zeit gehabt<span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span>
-hätte! Aber eigentlich zeigte sich Isak gar nicht mehr so
-unnachgiebig wie früher, wenn er auch noch brummte.
-Hoho, beim erstenmal hatte er eine lange Rede gehalten,
-nicht aus Rechtsgefühl und Verständigkeit, auch nicht
-aus Hochmut, sondern leider nur aus Schwäche, aus
-Wut. Aber jetzt war es, als habe er etwas nachgegeben,
-und als schäme er sich.</p>
-
-<p>Wenn ich Hilfe im Haus haben soll, so ist jetzt die
-Zeit dazu, sagte Inger. Denn später ist Leopoldine größer
-und kann dies und jenes tun. &mdash; Hilfe? fragte Isak,
-wobei sollst du dir denn helfen lassen? &mdash; Wobei ich mir
-helfen lassen will? Läßt du dir etwa nicht helfen? Wozu
-ist denn Sivert da?</p>
-
-<p>Was sollte Isak auf solchen Unverstand entgegnen? Er
-sagte: Ja, ja, wenn du eine Magd bekommst, dann werdet
-ihr wohl pflügen und ernten und den Hof besorgen.
-Dann können Sivert und ich unserer Wege gehen.</p>
-
-<p>Wie das auch sein mag, entgegnete Inger, jedenfalls
-könnte ich jetzt Barbro als Magd bekommen, sie hat
-ihrem Vater darüber geschrieben. &mdash; Welche Barbro?
-fragte Isak. Etwa Bredes Barbro? &mdash; Ja, sie ist in Bergen.
-&mdash; Bredes Barbro will ich nicht hier in meinem
-Hause haben, sagte er. Wen du auch sonst nehmen magst,
-fügte er hinzu.</p>
-
-<p>Er wies also nicht jede andere zurück.</p>
-
-<p>Seht, in Barbro von Breidablick hatte Isak kein Vertrauen;
-sie war unbeständig und oberflächlich wie der
-Vater &mdash; vielleicht auch wie die Mutter &mdash;, war flüchtigen
-Sinnes, ohne Ausdauer. Beim Lensmann war sie nicht
-lange geblieben, nur ein Jahr; als sie dann konfirmiert
-war, kam sie zum Kaufmann, blieb aber auch da nur
-ein Jahr. Dann war sie erweckt und fromm geworden,
-und als die Heilsarmee ins Dorf kam, trat sie in diese ein,
-bekam eine rote Binde um den Arm und eine Gitarre
-in die Hände. In dieser Ausstaffierung reiste sie auf der<span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span>
-Jacht des Kaufmanns nach Bergen. Das war im vorigen
-Jahr gewesen, und jetzt eben hatte sie ihre Photographie
-heim nach Breidablick geschickt; Isak hatte sie gesehen:
-ein fremdes Fräulein mit gekräuseltem Haar und einer
-langen Uhrkette über die Brust herunter. Die Eltern
-waren stolz auf ihre kleine Barbro und zeigten das Bild
-jedem, der an Breidablick vorbeikam; es war großartig,
-wie sie sich herausgemacht hatte, und sie hatte keine rote
-Binde mehr um den Arm und keine Gitarre mehr in den
-Händen.</p>
-
-<p>Ich habe es mitgenommen und es der Frau des Lensmanns
-gezeigt, die erkannte sie gar nicht wieder, sagte
-Brede. &mdash; Bleibt sie in Bergen? fragte Isak mißtrauisch.
-&mdash; Sie bleibt in Bergen, solange sie dort ihr Brot verdient,
-antwortete Brede. Wenn sie nicht lieber nach Christiania
-reist, setzte er hinzu. Was soll sie hier daheim!
-Sie hat jetzt eine neue Stelle, ist Haushälterin bei zwei
-Junggesellen, feinen Kontorherren. Und was sie für einen
-großen Lohn hat! &mdash; Wieviel? fragte Isak. &mdash; Das gibt
-sie in ihrem Brief nicht genau an. Aber daß er etwas
-Ungeheures ist gegen hier im Dorf, das merke ich daran,
-daß sie Weihnachtsgeschenke und viele andere Geschenke
-bekommen hat, ohne daß am Lohn etwas abgezogen worden
-wäre. &mdash; So, sagt Isak. &mdash; Ja, du möchtest sie
-wohl nicht als Magd haben? fragte Brede. &mdash; Ich? entfuhr
-es Isak. &mdash; Nein, hehe, ich hab' nur so gefragt.
-Denn die Barbro soll nur bleiben, wo sie ist. Aber was
-ich sagen wollte: Du hast nichts Besonderes am Telegraphen
-droben bemerkt? &mdash; Am Telegraphen? Nein. &mdash;
-Ach nein, es ist nicht oft etwas in Unordnung daran, seit
-ich ihn übernommen habe. Und dann habe ich ja meine
-eigene Maschine an der Wand, die mir's anzeigt, wenn
-etwas daran fehlt. In den nächsten Tagen muß ich aber
-einmal die Linie abschreiten und nachsehen. Ich habe eben
-viel zuviel zu tun und zu besorgen, ein einziger Mann<span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span>
-kann das nicht alles leisten. Aber da ich nun einmal Inspektor
-hier bin und dies öffentliche Amt habe, muß ich
-ihm eben auch nachkommen, solange ich es habe. &mdash; Isak
-fragte: Du denkst doch nicht daran, es aufzugeben? &mdash;
-Ich weiß nicht, antwortete Brede, ich bin noch nicht entschlossen.
-Aber man läßt mir keine Ruhe, ich soll wieder
-ins Dorf hinunterkommen. &mdash; Wer läßt dir keine Ruhe?
-fragte Isak. &mdash; Alle miteinander. Der Lensmann möchte
-mich wieder als Gerichtsdiener, dem Doktor fehle ich
-zum Überlandfahren, und die Frau Pfarrer hätte mich
-schon mehr als einmal zur Hilfe haben wollen, wenn
-nur nicht der Weg so weit wäre. Nun, wie war es denn,
-Isak, hast du wirklich so viel Geld für deinen Berg bekommen?
-&mdash; Ja, das ist nicht gelogen, antwortete Isak.
-&mdash; Aber was wollte denn der Geißler damit? Nun liegt
-er da. Das ist doch etwas Merkwürdiges. Jetzt ist ein
-Jahr ums andere darüber hingegangen. &mdash; Isak hatte
-selbst oft über dieses Rätsel nachgegrübelt, er hatte auch
-mit dem Lensmann darüber geredet, hatte nach Geißlers
-Adresse gefragt, um ihm zu schreiben. Gewiß war die
-Sache merkwürdig. &mdash; Ich weiß nichts, sagte Isak.</p>
-
-<p>Brede verbarg nicht, daß ihn dieser Handel mit dem
-Berg sehr interessiere: Es heißt, es seien noch mehrere
-Berge wie die deinigen droben in der Allmende, sagte
-er; da können große Dinge drin sein, wir aber gehen hier
-umher wie die stummen Tiere und sehen es nicht. Ich
-habe mich nun entschlossen, an einem Tag einmal hinaufzugehen
-und da zu untersuchen. &mdash; Ach so, du verstehst
-dich auf Felsen und Gesteinsarten? fragte Isak. &mdash; Ja,
-ein wenig schon, und ich habe auch andere darüber befragt.
-Und wie es auch sein mag, so muß ich irgend etwas
-für mich finden, ich kann mit all den Meinen nicht von
-dem Hofe hier leben. Zum Kuckuck, das ist einfach unmöglich.
-Bei dir ist es ganz anders, du hast lauter Wald
-und guten Ackerboden. Bei mir ist nichts als Moor. &mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span>
-Moor ist guter Boden, sagte Isak kurz. Ich habe selbst
-Moor. &mdash; Es ist ganz unmöglich, es auszutrocknen, erwiderte
-Brede ...</p>
-
-<p>Aber es war nicht unmöglich, das Moor auszutrocknen.
-Als Isak an diesem Tag weiter hinunterkam, stieß er
-auf neue Ansiedlungen. Zwei lagen weiter unten, dem
-Dorfe zu, aber eine war hoch droben zwischen Breidablick
-und Sellanraa &mdash; oh, es wurde allmählich im Ödland
-gearbeitet, in Isaks erster Zeit lag es ganz menschenleer
-da. Und diese drei Ansiedler waren von auswärts, es
-schienen Leute mit Verstand zu sein; das erste, was sie
-taten, war nicht, Geld aufzunehmen und sich ein Haus
-zu bauen, sie kamen in einem Jahr her, zogen Gräben
-und verschwanden wieder, genau wie wenn sie gestorben
-wären. Das war die richtige Art: Gräben ziehen, pflügen,
-säen. Axel Ström war jetzt Isaks nächster Nachbar, ein
-tüchtiger Mann, Junggeselle, von Geburt ein Helgeländer;
-er hatte Isaks neuen Reolpflug entlehnt, um seinen
-Moorboden damit umzupflügen, und erst im zweiten
-Jahr hatte er sich einen Heuschuppen und eine Gamme
-errichtet und sich ein paar Stück Vieh angeschafft. Sein
-Besitztum hieß Maaneland, Mondland, weil der Mond
-so schön darauf schien. Er hatte keine eigene Frauensperson
-zur Hilfe, und Hilfe im Sommer war an diesem
-abgelegenen Ort nur schwer zu haben, aber wie er seine
-Arbeit einteilte und ausführte, das war ganz und gar
-die richtige Art. Oder hätte er etwa wie Brede zuerst ein
-Haus bauen und dann mit seiner Familie und vielen
-kleinen Kindern ins Ödland kommen sollen, ohne Vieh
-oder Äcker, von denen er leben konnte? Was verstand
-Brede Olsen vom Entwässern des Moores oder Urbarmachen
-des Ödlandes?</p>
-
-<p>Brede Olsen verstand es, die Zeit mit Lappalien zu
-vergeuden; da kam er wirklich eines Tages an Sellanraa
-vorüber und wollte hinauf auf die Berge, um nach edlen<span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span>
-Metallen zu suchen! Am Abend kehrte er zurück, hatte
-aber nichts Bestimmtes gefunden. Nur ein paar Anzeichen,
-sagte er und nickte dazu. Er wollte den Gang
-bald noch einmal machen und wollte auch die Berge nach
-Schweden zu untersuchen.</p>
-
-<p>Und ganz richtig, Brede kam wieder. Er hatte wohl
-Geschmack daran gewonnen, er schob es auf die Telegraphenlinie,
-er müsse sie nachsehen. Indessen versorgten
-Frau und Kinder den Hof daheim oder ließen alles ungetan
-liegen. Isak bekam Bredes Besuche bald satt, und
-er ging aus dem Hause, wenn er kam. Dann schwätzten
-Inger und Brede herzlich miteinander. Was konnten sie
-nur zu schwätzen haben? Oh, Brede war oft im Dorf
-drunten und wußte immer etwas Neues von den Großen
-dort, Inger aber hatte ihrerseits ihre berühmte Reise nach
-Drontheim und ihren Aufenthalt, von dem sie erzählen
-konnte. In den Jahren, die sie fortgewesen war, hatte sie
-schwätzen gelernt, sie fing mit jedermann gleich eine
-Unterhaltung an. Nein, sie war nicht mehr dieselbe treuherzige,
-rechtschaffene Inger von früher.</p>
-
-<p>Immer noch kamen Frauen und Mädchen nach Sellanraa,
-um sich Kleider zuschneiden oder im Handumdrehen
-wohl auch einen langen Saum auf der Maschine
-nähen zu lassen, und Inger unterhielt sie gut dabei.
-Auch Oline kam wieder, sie konnte es wahrscheinlich
-nicht aushalten, wegzubleiben, denn sie kam sowohl im
-Frühjahr als im Herbst, aalglatt, butterweich und falsch.
-&mdash; Ich mußte einmal sehen, wie es bei euch steht, sagte
-sie jedesmal. Und ich habe so Heimweh nach den kleinen
-Knaben, sagte sie, ich habe sie so in mein Herz geschlossen,
-die lieben Engel, die sie damals waren. Ja, ja, jetzt sind
-es große Burschen; aber es ist ganz merkwürdig, ich muß
-immer daran denken, wie sie noch so klein waren und
-ich für sie zu sorgen hatte. Und ihr baut und baut und
-macht den Hof zu einer ganzen Stadt. Werdet ihr auch<span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span>
-eine Glocke auf dem neuen Scheunendach anbringen, gerade
-wie im Pfarrhaus?</p>
-
-<p>Als Oline wieder einmal auf Sellanraa ankam, brachte
-sie eine andere Frau mit, und die beiden Frauen und
-Inger hatten einen guten Tag zusammen. Je mehr Menschen
-Inger um sich herumsitzen hatte, desto besser und
-desto schneller hantierte sie mit der Schere und nähte auf
-der Maschine; sie tat groß, schwang ihre Schere oder
-das Plätteisen. Das erinnerte sie an die Zeit in der Anstalt,
-wo sie so viele gewesen waren. Inger verbarg durchaus
-nicht, wo sie ihre Kunst und ihr Wissen her hatte,
-von Drontheim hatte sie's. Es war, als habe sie nicht auf
-gewöhnliche Weise dort eine Strafe abgesessen, sondern
-als sei sie in der Lehre gewesen: Schneidern, Weben,
-Färben und Schreiben, in all dem hatte sie Unterricht in
-Drontheim gehabt. Von der Anstalt redete sie mit einem
-gewissen Heimatgefühl, es waren so viele Leute dagewesen:
-Vorsteher und Aufsichtsbeamte und Wächter; als
-sie damals wieder heimgekommen war, sei es sehr einsam
-für sie gewesen, und es sei ihr überaus hart gefallen,
-sich von dem Gesellschaftsleben, an das sie nun gewohnt
-gewesen, zurückzuziehen. Sie tat sogar, als habe sie sich
-erkältet, weil sie in der rauhen Luft draußen gewesen
-war, ja, noch jahrelang nach ihrer Rückkehr sei es ihr
-nicht gut bekommen, in Wind und Wetter draußen zu
-sein. Zu der Arbeit außer dem Hause müßte sie eigentlich
-eine Magd haben. &mdash; Ja, aber Herrgott im Himmel,
-sagte Oline, du mit deiner Gelehrsamkeit und mit deinem
-großen Haus, du müßtest doch eine Magd halten können!</p>
-
-<p>Es war recht angenehm, auf Verständnis zu stoßen,
-und Inger widersprach Oline nicht. Sie rasselte mit ihrer
-Maschine, daß es dröhnte, und ließ den Ring an ihrem
-Finger funkeln.</p>
-
-<p>Nun siehst du selbst, sagte Oline zu der andern Frau,
-ist es nicht wahr, daß Inger einen goldenen Ring be<span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span>kommen
-hat? &mdash; Wollt ihr ihn sehen? fragte Inger und
-zog ihn ab. Oline griff danach, sie schien nicht ganz sicher
-zu sein und untersuchte den Ring, wie ein Affe eine Nuß
-untersucht: sah auch nach dem Stempel: Ja, es ist, wie
-ich sagte, diese Inger mit all ihrem Reichtum und all
-ihren Mitteln. &mdash; Die andere Frau nahm den Ring mit
-Ehrfurcht in die Hand und lächelte demütig. &mdash; Du darfst
-ihn eine Weile anbehalten, sagte Inger. Steck ihn nur
-an, er geht nicht entzwei!</p>
-
-<p>Und Inger war freundlich und gutherzig. Sie erzählte
-von der Domkirche in Drontheim und begann: Ihr habt
-wohl die Domkirche in Drontheim nicht gesehen? Nein,
-ihr seid ja nicht in Drontheim gewesen! Diese Domkirche
-war gleichsam Ingers eigene Domkirche; sie verteidigte
-sie, prahlte mit ihr, gab Höhe und Breite an, sie sei wie
-ein Märchen! Sieben Pfarrer predigten gleichzeitig in
-ihr und hörten doch nichts voneinander. Dann habt ihr
-wohl den Brunnen des heiligen Olaf auch nicht gesehen?
-Er liegt mitten in der Domkirche auf der einen Seite,
-und dieser Brunnen ist grundlos. Als wir da hingingen,
-hatten wir einen Stein mitgenommen, und den ließen
-wir hineinfallen, aber er erreichte den Grund nicht. &mdash;
-Er erreichte den Grund nicht! flüsterten die Frauen und
-schüttelten die Köpfe. &mdash; Aber außerdem sind noch tausend
-andere Dinge in der Domkirche! rief Inger entzückt
-aus. Da ist nun der silberne Schrein, das ist der Schrein
-von Sankt Olaf dem Heiligen, ihm gehört er. Aber die
-Marmorkirche, die eine kleine Kirche ganz und gar aus
-Marmor war, aber diese Kirche, die haben uns die Dänen
-im Krieg genommen ...</p>
-
-<p>Die Frauen mußten aufbrechen. Oline zog Inger auf
-die Seite und mit sich in die Vorratskammer hinein, wo,
-wie sie wußte, die Käse lagen, und machte die Tür hinter
-sich zu. &mdash; Was willst du von mir? fragte Inger. &mdash;
-Oline flüsterte: Der Os-Anders wagt nicht mehr hierher<span class="pagenum"><a name="Seite_163" id="Seite_163">[S. 163]</a></span>zukommen.
-Ich habe es ihm gesagt. &mdash; Ach so, sagte
-Inger. &mdash; Ich habe ihm gesagt, er solle es nur wagen,
-nach dem, was er dir angetan hat! &mdash; Ja, ja, sagte Inger.
-Aber er ist seither mehrere Male hier gewesen, und im
-übrigen kann er gerne kommen, ich fürchte mich nicht vor
-ihm! &mdash; Nein, sagte Oline, aber ich weiß, was ich weiß,
-und wenn du es willst, werde ich ihn anzeigen. &mdash; So,
-sagte Inger, nein, das sollst du nicht tun.</p>
-
-<p>Aber es war ihr nicht widerwärtig, daß Oline auf ihrer
-Seite stand; es kostete sie zwar einen kleinen Ziegenkäse,
-aber Oline bedankte sich großartig dafür. Es ist, wie ich
-sage und immer gesagt habe. Inger besinnt sich nicht
-lange, wenn sie gibt, dann gebraucht sie beide Hände.
-Nein, du hast keine Angst vor Os-Anders, aber ich habe
-ihm nun verboten, dir je wieder unter die Augen zu
-kommen. Das war das mindeste, was ich für dich tun
-konnte. &mdash; Da sagte Inger: Was kann es mir ausmachen,
-wenn er kommt, mir kann er nicht mehr schaden. &mdash;
-Oline spitzte die Ohren: So, hast du ein Mittel dagegen
-erfahren? &mdash; Ich bekomme keine Kinder mehr, sagte
-Inger.</p>
-
-<p>Da standen sie ja auf gleichem Fuß und hatten beide
-gleich gute Trümpfe. Oline wußte ja, daß der Lappe Os-Anders
-vorgestern gestorben war ...</p>
-
-<p>Warum sollte Inger keine Kinder mehr bekommen?
-Sie lebte nicht in Feindschaft mit ihrem Mann, sie waren
-nicht wie Hund und Katze, weit entfernt! Alle beide hatten
-ihre Eigenheiten, aber sie stritten sich selten und nie lange,
-nachher war alles wieder gut. Oftmals konnte auch Inger
-wieder wie in den alten Tagen sein und im Stall und
-auf den Feldern große Arbeit leisten; es war, als ginge
-sie da in sich und bekomme gesunde Rückfälle. Dann sah
-Isak seine Frau mit dankbaren Augen an, und wenn er
-zu denen gehört hätte, die sich gleich aussprechen, würde
-er wohl gesagt haben: Was? Hm! Was machst du für<span class="pagenum"><a name="Seite_164" id="Seite_164">[S. 164]</a></span>
-einen Spaß! oder etwas anderes Anerkennendes. Allein
-er schwieg zu lange, und sein Lob kam zu spät. Aber auf
-diese Weise machte es Inger keine Freude, und es lag
-nichts daran, ständig tüchtig zu sein.</p>
-
-<p>Sie hätte über fünfzig Jahre alt sein und noch Kinder
-bekommen können, aber so wie sie aussah, sich drehte und
-wendete, war sie vielleicht nicht einmal vierzig. Alles hatte
-sie in der Anstalt gelernt &mdash; hatte sie wohl auch einige
-Kunstgriffe für ihre Person gelernt? Außerordentlich
-wohlüberlegt und wohlunterrichtet kehrte sie von dem
-Umgang mit den andern Mörderinnen heim, vielleicht
-hatte sie auch dies und jenes von den Herren gehört,
-von den Aufsehern, den Ärzten? Einmal erzählte sie Isak,
-ein junger Mediziner habe über ihr ganzes Verbrechen
-gesagt: Warum sollte man jemand strafen, wenn er Kinder
-umbringt, ja, sogar gesunde Kinder, sogar wohlgestaltete?
-Die sind da doch nichts anderes als Fleischklumpen.
-&mdash; Isak erwiderte: War er denn ein Untier? &mdash; Er! rief
-Inger, und dann erzählte sie, wie gut er gegen sie gewesen
-sei, gegen sie, Inger selbst, er gerade habe ja einen
-anderen Arzt veranlaßt, ihren Mund zu operieren und
-sie zu einem Menschen zu machen. Ja, jetzt habe sie nur
-eine Narbe.</p>
-
-<p>Ja, jetzt hatte sie nur eine Narbe, und sie war eine recht
-hübsche Frau geworden, groß, ohne Fettansatz, mit bräunlicher
-Haut und dichtem Haarwuchs. Im Sommer ging
-sie meist barfuß und hoch aufgeschürzt mit freimütigen
-Beinen. Isak sah sie, wer sah sie nicht!</p>
-
-<p>Sie stritten sich nicht, nein, Isak hatte nicht die Gabe
-dazu, und seine Frau war jetzt viel mundfertiger geworden.
-Zu einem guten gründlichen Streit brauchte dieser
-Klotz, dieser Mühlengeist Zeit, er verwirrte sich in
-ihren Worten und brachte nicht viel heraus, und außerdem
-hatte er auch ein Herz für sie, eine kräftige Liebe.
-Er brauchte sich auch gar nicht oft zu verteidigen, Inger<span class="pagenum"><a name="Seite_165" id="Seite_165">[S. 165]</a></span>
-griff ihn nicht an, er war in vieler Beziehung ein ausgezeichneter
-Mann, und Inger ließ ihn ungerügt. Worüber
-hätte sie sich beklagen sollen? Wahrlich, Isak war
-nicht zu verachten, sie hätte einen schlimmeren Mann bekommen
-können. War er alt geworden, abgerackert? Freilich
-hatte sie Anzeichen von Müdigkeit an ihm bemerkt,
-aber nicht so, daß es etwas ausgemacht hätte. Er war,
-sozusagen, erfüllt von alter Gesundheit und Unverbrauchtheit
-ebenso wie sie, und im Nachsommer ihrer Ehe leistete
-er seinen Teil an Zärtlichkeit mindestens ebenso warm
-wie sie.</p>
-
-<p>Aber eine besondere Pracht oder Schönheit war keineswegs
-an ihm. Nein, darin war Inger ihm überlegen.
-Bisweilen dachte sie wohl auch, sie habe schon Schöneres
-gesehen, Männer in feinen Kleidern und mit Spazierstöcken;
-Herren mit Taschentüchern und gestärkten Kragen,
-o diese Stadtherren! Deshalb behandelte sie Isak
-auch nur als den, der er war, sozusagen nur nach Verdienst,
-nicht besser: er war ein Ansiedler im Walde; wäre
-ihr Mund von jeher recht gewesen, so hätte sie ihn nie
-genommen, das wußte sie jetzt. Nein, dann hätte sie einen
-andern kriegen können. Diese Heimat, die ihr geworden
-war, dieses ganze öde Dasein, das ihr Isak bereitet hatte,
-war im Grunde genommen recht mäßig; jedenfalls hätte
-sie drunten in ihrer Heimatgemeinde verheiratet sein und
-Gesellschaft und Umgang genug haben können, anstatt
-hier oben im Ödland eine Hexe zu werden. Hier paßte sie
-nicht mehr her, sie hatte jetzt andere Anschauungen.</p>
-
-<p>War es nicht merkwürdig, wie sich die Ansichten ändern
-konnten! Es gelang Inger nicht mehr, sich über ein besonders
-schönes Kalb zu freuen oder die Hände vor Verwunderung
-zusammenzuschlagen, wenn Isak mit einer
-recht großen Beute vom Fischfang heimkam, nein, sie hatte
-sechs Jahre lang in größeren Verhältnissen gelebt. Ja, so
-ganz allmählich waren auch die Tage vorüber, wo sie ihn<span class="pagenum"><a name="Seite_166" id="Seite_166">[S. 166]</a></span>
-freundlich und liebreich zu den Mahlzeiten hereinrief.
-Jetzt sagte sie: Kommst du denn nicht zum Essen? War
-das eine Art! Zuerst wunderte er sich ein wenig über diese
-Veränderung, über eine so verdammt verdrießliche und
-unhöfliche Art, und er erwiderte: Ich habe nicht gewußt,
-daß das Essen fertig ist. &mdash; Aber als sie behauptete, er
-müsse das doch einigermaßen nach dem Stand der Sonne
-wissen, hörte er auf, etwas zu entgegnen und noch ein
-Wort darüber zu verlieren.</p>
-
-<p>Oh, aber einmal, da ertappte er sie und griff tüchtig
-zu! Das war, als sie ihm Geld stehlen wollte. Nicht weil
-er selbst so sehr aufs Geld aus gewesen wäre, sondern
-weil es durchaus und ganz allein ihm gehörte. Hoho, da
-hätte sie fürs ganze Leben einen Leibschaden davontragen
-können! Und doch war Inger da nicht ganz verworfen
-und gottvergessen gewesen; Eleseus sollte ja das Geld
-haben, der liebe Eleseus in der Stadt, der wieder um
-einen Taler gebeten hatte. Sollte er da zwischen all den
-andern feinen Leuten mit leeren Taschen umhergehen
-müssen? Hatte sie nicht ein Mutterherz? Sie hatte Geld
-von Isak verlangt, und da dies nicht half, hatte sie selbst
-zugegriffen. Woher es nun aber kommen mochte, ob Isak
-ihr mißtraute, oder ob es ein Zufall war &mdash; der böse
-Streich wurde jedenfalls gleich entdeckt, und in demselben
-Augenblick fühlte sich Inger an beiden Armen gefaßt;
-sie fühlte, daß sie zuerst in die Höhe gehoben und dann
-schwer auf den Boden gestoßen wurde. Das war etwas
-Ungewöhnliches, eine Art Bergsturz. Oh, da waren Isaks
-Hände nicht abgeschafft und müde! Inger stöhnte laut
-auf, ihr Kopf sank nach hinten, sie zitterte und streckte
-ihm den Taler hin.</p>
-
-<p>Auch jetzt sprach sich Isak nicht weiter aus, obgleich
-Inger ihn nicht daran hinderte, zu Wort zu kommen, er
-stieß eigentlich nur schnaufend hervor: Prügel gehören
-dir, sonst kann man dich nicht mehr im Zaum halten!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_167" id="Seite_167">[S. 167]</a></span></p>
-
-<p>Er war nicht wiederzuerkennen. Oh, er machte wohl
-lang unterdrücktem Ärger Luft!</p>
-
-<p>Nun verging ein trauriger Tag und eine lange Nacht
-und noch ein weiterer Tag. Isak ging fort und schlief
-draußen, obgleich er trockenes Heu liegen hatte, das eingefahren
-werden sollte; Sivert war bei dem Vater. Inger
-hatte Leopoldine und die Tiere um sich, aber sie fühlte
-sich allein, weinte die ganze Zeit und schüttelte den Kopf
-über sich selbst: eine so große Gemütsbewegung hatte
-sie nur einmal in ihrem Leben durchgemacht; jetzt mußte
-sie an damals denken, als sie ihr neugeborenes Kind
-umbrachte.</p>
-
-<p>Wo waren Isak und der Sohn? Sie waren nicht müßig
-gewesen; wohl stahlen sie einen Tag und mehr von der
-Heuernte, aber sie bauten ein Boot droben am Bergsee.
-Allerdings ein plumpes Fahrzeug ohne alle Ausschmückung,
-aber stark und dicht war es wie alles, was
-sie machten, und nun hatten sie ein Boot und konnten
-mit dem Netze fischen.</p>
-
-<p>Als sie wieder heimkamen, lag das Heu noch ebenso
-trocken da. Sie hatten dem Himmel den Streich gespielt,
-sich auf ihn zu verlassen, und hatten dabei noch gewonnen,
-der Vorteil war auf ihrer Seite. Da deutete Sivert
-plötzlich hinüber und rief: Die Mutter hat geheut! &mdash; Der
-Vater sah auf die Wiese hinunter und sagte: So. &mdash;
-Isak hatte ja gleich gesehen, daß ein Teil des Heus verschwunden
-war, jetzt war Inger wohl drinnen bei der
-Hausarbeit. Das war eine ganz besondere Leistung, nachdem
-er ihr gestern mit Schlägen gedroht und sie geschüttelt
-hatte. Und es war schweres, kräftiges Heu, sie hatte
-hart arbeiten müssen, und außerdem hatte sie auch noch
-alle Kühe und Ziegen zu melken gehabt. &mdash; Geh hinein
-und iß! sagte Isak zu Sivert. &mdash; Du nicht auch? &mdash; Nein.</p>
-
-<p>Als Sivert eine Weile drinnen gewesen war, kam
-Inger heraus; sie blieb demütig auf der Türschwelle<span class="pagenum"><a name="Seite_168" id="Seite_168">[S. 168]</a></span>
-stehen und sagte: Kannst du dir's nicht selbst gönnen, daß
-du auch hereinkommst und etwas ißt? &mdash; Darauf knurrte
-Isak nur und sagte: Hm. Aber Inger demütig zu sehen,
-war in der letzten Zeit ein so seltenes Erlebnis geworden,
-daß er in seinem Starrsinn etwas erschüttert wurde. &mdash;
-Wenn du mir ein paar Zähne in meinen Rechen einsetzen
-würdest, dann könnte ich weiter rechen, sagte sie.
-Sie wendete sich mit einer Bitte an den Herrn des Hofes,
-an das Oberhaupt von allem, und sie war dankbar, daß
-er ihr nicht eine höhnische, abschlägige Antwort gab. &mdash; Du
-hast jetzt genug gerecht und eingefahren, sagte er. &mdash;
-Nein, es ist noch nicht genug. &mdash; Ich habe jetzt keine Zeit,
-deinen Rechen zu flicken, du siehst, daß Regen kommt.</p>
-
-<p>Damit ging Isak an die Arbeit.</p>
-
-<p>Er wollte sie wohl schonen; die paar Minuten Zeit, die
-das Flicken des Rechens in Anspruch genommen hätte,
-wären zehnmal aufgewogen worden, wenn Inger mit auf
-der Wiese geblieben wäre. Nun kam überdies Inger mit
-dem Rechen, so wie er war, herbei und begann Heu zusammenzurechen,
-daß es eine Art hatte. Sivert kam mit
-Pferd und Heuwagen, alle strengten sich aufs äußerste
-an, der Schweiß lief ihnen herunter, und das Heu wurde
-geborgen. Das war ein Meisterstück. Und wieder versank
-Isak in Gedanken an jene höhere Macht, die alle unsere
-Schritte lenkt, von dem Stehlen eines Talers an bis zum
-Bergen einer großen Menge trockenen Heus. Außerdem
-lag nun auch das Boot fertig droben; nachdem er ein halbes
-Menschenalter lang über ein solches nachgegrübelt
-hatte, lag es nun droben im Gebirgssee. Ach ja, Herrgott
-im Himmel! sagte er.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_169" id="Seite_169">[S. 169]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>15</h3>
-
-
-<p>Im ganzen genommen wurde das ein merkwürdiger
-Abend, ein Wendepunkt; Inger, die seit langer Zeit
-neben dem Geleise hergegangen war, war durch ein
-einziges Aufheben vom Boden wieder auf den richtigen
-Platz gekommen. Keines von ihnen sprach von dem Geschehenen;
-Isak hatte sich später wegen dieses Talers, der
-ja nicht viel Geld war, und den er doch herausgeben
-mußte, weil er selbst ihn dem Eleseus gönnte, geschämt.
-Und gehörte der Taler nicht überdies ebensogut Inger
-wie ihm? Es kam eine Zeit, da Isak der Demütige war.</p>
-
-<p>Es kamen allerhand Zeiten; Inger hatte also wieder
-ihren Sinn geändert. Ja, sie änderte sich wieder, gab
-allmählich ihre Vornehmtuerei auf und wurde wieder
-eine ernste und herzliche Frau auf einer Ansiedlung. Daß
-die Fäuste eines Mannes so Großes ausrichten konnten!
-Aber so sollte es sein, es handelte sich hier um ein starkes,
-tüchtiges Frauenzimmer, das ein langer Aufenthalt in
-künstlicher Luft verwirrt gemacht hatte &mdash; sie stieß nach
-dem Manne, der aber zu fest auf seinen Füßen stand.
-Er hatte seinen natürlichen Platz auf der Erde, auf seinem
-Grund und Boden, nicht einen Augenblick verlassen. Er
-konnte nicht weggeschoben werden.</p>
-
-<p>Es kamen vielerlei Zeiten; im nächsten Jahr herrschte
-wieder Trockenheit, und wahrlich, sie verminderte die
-Ernte und zehrte am Mut der Menschen. Das Korn auf
-dem Felde verbrannte, die Kartoffeln jedoch &mdash; die merkwürdigen
-Kartoffeln &mdash; wurden nicht versengt, sondern
-blühten, blühten. Die Wiesen sahen allmählich grau aus,
-aber die Kartoffeln blühten. Eine höhere Macht leitete
-alle Dinge, aber die Wiesen fingen an grau zu werden.</p>
-
-<p>Da, eines Tages erschien Geißler, der frühere Lensmann
-Geißler, endlich kam er wieder. Es war wirklich<span class="pagenum"><a name="Seite_170" id="Seite_170">[S. 170]</a></span>
-seltsam, daß er nicht tot war, sondern wieder auftauchte.
-Warum kam er wohl?</p>
-
-<p>Diesmal hatte Geißler allerdings kein großes Gepäck
-und allerlei Dokumente über Gebirgskäufe und so weiter
-bei sich, er war im Gegenteil recht einfach gekleidet, sein
-Haar und Bart waren ergraut und seine Augen rot umrändert.
-Er brachte niemand mit, der ihm seine Sachen
-trug, er hatte nur eine Tasche mit Schriftstücken und
-nicht einmal einen Reisesack bei sich.</p>
-
-<p>Guten Tag! sagte Geißler.</p>
-
-<p>Guten Tag! erwiderten Isak und Inger. Seid Ihr
-wieder auf Reisen?</p>
-
-<p>Geißler nickte.</p>
-
-<p>Und ich danke auch für den Besuch in Drontheim!
-fügte Inger noch hinzu.</p>
-
-<p>Dazu nickte auch Isak und sagte: Ja, wir beide sagen
-schönen Dank dafür.</p>
-
-<p>Aber Geißler hatte die Gewohnheit, nicht nur Herz
-und Gefühl zu zeigen, er sagte gleich: Ich will übers
-Gebirge nach Schweden hinüber.</p>
-
-<p>Obgleich die Leute auf dem Hofe wegen der Trockenheit
-niedergedrückt waren, wurden sie durch Geißlers Besuch
-doch aufgeheitert; sie bewirteten ihn reichlich. Es
-war eine große Freude für sie, ihn herzlich aufnehmen
-zu können, er hatte ihnen ja so viel Gutes getan.</p>
-
-<p>Geißler selbst war nicht niedergedrückt; er redete sofort
-von allem möglichen, sah auf die Felder hinaus und
-nickte; oh, er war noch immer ganz aufrecht und sah aus,
-als habe er mehrere hundert Taler bei sich. Mit ihm kam
-Leben und Aufmunterung ins Haus; nicht daß er gelärmt
-hätte, aber er führte eine lebhafte Unterhaltung.</p>
-
-<p>Ein herrlicher Ort, dieses Sellanraa! sagte er. Und
-jetzt ziehen immer mehr Leute hier herauf, Isak, fünf
-Ansiedlungen hab' ich gezählt, oder sind es noch mehr?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_171" id="Seite_171">[S. 171]</a></span></p>
-
-<p>Sieben im ganzen, die beiden andern kann man vom
-Weg aus nicht sehen.</p>
-
-<p>Sieben Höfe, sagen wir fünfzig Menschen. Die Umgebung
-hier wird allmählich dicht bebaut. Habt ihr nicht
-auch schon eine Schulgerechtigkeit und eine Schulstube?</p>
-
-<p>Doch.</p>
-
-<p>Das habe ich gehört. Ein Schulhaus auf Bredes
-Grundstück, weil das mehr in der Mitte liegt. Also, Brede
-ist ein Ansiedler geworden! Geißler lachte verächtlich. Von
-dir habe ich reden hören, Isak, du bist der Meister hier.
-Das freut mich. Du sollst ja jetzt auch ein Sägewerk
-haben?</p>
-
-<p>Ja, so, wie es eben ist. Aber ich fahre gut dabei. Und
-ich habe auch schon öfters einen Balken für die da unten
-gesägt.</p>
-
-<p>So soll es sein!</p>
-
-<p>Es würde mich freuen, zu hören, was Ihr darüber
-sagt, Herr Lensmann, wenn Ihr mitgehen und das Sägewerk
-ansehen wolltet.</p>
-
-<p>Geißler nickte, wie wenn er ein Fachmann wäre, und
-sagte, das wolle er gerne tun, ja, er werde sich das Sägewerk
-ansehen und alles genau betrachten. Er fragte: Du
-hast doch <em class="gesperrt">zwei</em> Jungen, wo ist denn der andere? In der
-Stadt? Auf einem Büro? Hm! sagte Geißler. Aber
-dieser dort sieht aus wie ein Prachtkerl! Wie heißt du?</p>
-
-<p>Sivert.</p>
-
-<p>Und der andere?</p>
-
-<p>Eleseus.</p>
-
-<p>Auf so einem Ingenieurbüro ist er? Was lernt er
-denn dort? Das ist nur Hungerleiderei. Er hätte zu mir
-kommen können, sagte Geißler.</p>
-
-<p>O ja, versetzte Isak nur, um sich höflich zu zeigen.
-Geißler tat ihm leid. Oh, der gute Geißler sah nicht aus,
-als könne er sich jetzt fremde Hilfe halten, er hatte es<span class="pagenum"><a name="Seite_172" id="Seite_172">[S. 172]</a></span>
-vielleicht jetzt allein schwer genug, sein Rock war ja an
-den Handgelenken geradezu ausgefranst.</p>
-
-<p>Möchtet Ihr nicht ein Paar trockene Strümpfe anziehen?
-fragte Inger, indem sie ein Paar von ihren eigenen
-neuen herbeibrachte, ein Paar gereifelte und dünne
-aus ihren eigenen vornehmsten Tagen.</p>
-
-<p>Nein, danke, sagte Geißler kurz, obgleich er gewiß
-triefend nasse Füße hatte.</p>
-
-<p>Er hätte lieber zu mir kommen sollen, sagte er von
-Eleseus. Ich könnte ihn sehr notwendig brauchen, sagte
-er, indem er eine kleine silberne Tabaksdose aus der
-Tasche zog und damit spielte. Das war vielleicht das einzige
-Prachtstück, das er von früher her noch besaß.</p>
-
-<p>Aber er hatte keine rechte Ruhe und hielt sich nicht
-lange bei einem Gegenstand auf. Die silberne Dose wurde
-wieder eingesteckt, und er fing von etwas Neuem an.
-Aber wie grau doch die Wiese da draußen aussieht! Vorhin
-dachte ich, es sei der Schatten. Warum muß denn
-der Boden hier verbrennen? Komm einmal mit mir,
-Sivert!</p>
-
-<p>Rasch stand er von dem gedeckten Tisch auf, wendete
-sich der Tür zu, dankte Inger für das Essen und verschwand.
-Sivert ging mit ihm.</p>
-
-<p>Sie gingen nach dem Fluß. Geißler spähte die ganze
-Zeit mit klugen Augen umher; plötzlich blieb er stehen
-und sagte: Hier! Und dann erklärte er: Es geht durchaus
-nicht an, daß ihr den Boden verbrennen laßt, wenn
-ihr doch einen allmächtigen Fluß habt, wo ihr Wasser
-holen könnt. Morgen soll die Wiese wieder grün sein.</p>
-
-<p>Der erstaunte Sivert sagte nur: Ja.</p>
-
-<p>Jetzt hebst du hier schräg herunter einen mäßigen Graben
-aus, der Boden ist eben, und am Einlauf machen
-wir eine Rinne. Da ihr eine Sägemühle habt, habt ihr
-wohl auch ein paar lange Bretter? Gut! Hol Hacke und<span class="pagenum"><a name="Seite_173" id="Seite_173">[S. 173]</a></span>
-Spaten und fang hier an, ich komme gleich wieder und
-stecke die Linie ordentlich ab.</p>
-
-<p>Er lief wieder ins Haus hinein, es quietschte in seinen
-Stiefeln, so naß waren sie. Er stellte Isak bei den Holzrinnen
-an; er müsse viele Rinnen machen, und sie müßten
-da und dort, wo der Boden nicht durch einen Graben aufgerissen
-werden dürfe, gelegt werden. Isak versuchte einzuwenden,
-daß das Wasser vielleicht nicht bis dahin dringen
-würde, es sei ein sehr weiter Weg, der trockene Boden
-werde es aufsaugen, ehe es bis an die versengten Stellen
-gelange. Geißler erklärte, ja, es werde wohl eine Weile
-dauern, die Erde werde zuerst tüchtig aufschlucken, aber
-dann werde die Feuchtigkeit weitergehen. &mdash; Morgen um
-diese Zeit werden Acker und Wiese wieder grün sein! &mdash;
-So, sagte Isak und nagelte aus Leibeskräften Rinnen
-zusammen.</p>
-
-<p>Geißler ging zu Sivert zurück. So ist's recht, sagte
-er, mach nur so weiter, ich habe gleich gesehen, daß du
-ein Prachtkerl bist! Die Linie muß nach diesen Pflöcken
-laufen. Triffst du auf große Steine oder Felsblöcke, so
-weich aus, aber bleib in der gleichen Höhe. Verstehst du,
-in derselben Höhe!</p>
-
-<p>Wieder ging's zurück zu Isak. Jetzt hast du eine Rinne
-fertig, aber wir brauchen sechs. Spute dich, Isak, morgen
-wird alles grün sein, und deine Ernte ist gerettet!</p>
-
-<p>Geißler setzte sich auf den Hügel, legte beide Hände
-auf die Knie und war entzückt; er plauderte, blitzschnell
-kamen ihm die Gedanken. Hast du Pech, hast du Werg?
-Das ist ausgezeichnet, alles hast du. Denn im Anfang
-werden ja die Rinnen lecken, dann aber ziehen sie an
-und werden so dicht wie Flaschen. Du sagst, du habest
-Werg und Pech vom Bootbauen, nun, wo ist das Boot?
-Droben im Gebirgssee? Das will ich mir auch ansehen.</p>
-
-<p>Oh, der Geißler versprach so viel! Er war ein flüchtiger
-Herr und war noch unruhiger geworden als früher,<span class="pagenum"><a name="Seite_174" id="Seite_174">[S. 174]</a></span>
-alles mußte bei ihm sozusagen im Sprung geschehen.
-Aber dann ging es auch im Sturm. Er war nicht ohne
-Überlegenheit. Natürlich war er zu Übertreibungen geneigt.
-Acker und Wiese konnten unmöglich über Nacht
-grün werden; aber Geißler war rasch im Erfassen und
-Beschließen; wenn die Ernte auf Sellanraa gerettet wurde,
-war es wirklich diesem merkwürdigen Mann zu verdanken.</p>
-
-<p>Wie viele Rinnen hast du jetzt? Das ist zu wenig. Je
-mehr Holzrinnen du hast, desto glatter läuft das Wasser.
-Wenn du zehn bis zwölf zehn Ellen lange Rinnen zusammennagelst,
-so fährst du gut dabei. Was sagst du, du
-habest zwölf Ellen lange Bretter? Dann nimm sie, es
-bezahlt sich bis zum Herbst.</p>
-
-<p>Danach hatte Geißler wieder keine Ruhe mehr. Er
-stand auf und lief abermals zu Sivert hinüber. Großartig,
-Sivert, jetzt geht's gut! Dein Vater hämmert die
-Rinnen zusammen und dichtet sie, wir bekommen mehr,
-als ich mir zuerst dachte; geh jetzt und hole die Rinnen,
-wir wollen anfangen!</p>
-
-<p>Den ganzen Nachmittag herrschte ein großes Gehetze,
-das war die tollste Arbeit, die Sivert je mitgemacht hatte,
-ein ihm ganz unbekanntes Tempo. Sie gönnten sich
-keine Zeit, zum Essen hineinzugehen. Aber jetzt lief das
-Wasser! Da und dort mußten sie tiefer graben, da und
-dort mußte eine Rinne gehoben oder tiefer gelegt werden,
-aber das Wasser lief! Bis zum späten Abend gingen
-die drei Männer umher, verbesserten und förderten ihre
-Arbeit und waren ernsthaft davon erfüllt; und als die
-Flüssigkeit anfing, über die ausgetrockneten Stellen hinzurieseln,
-blitzte ein heller Freudenstrahl in den Herzen
-der Hofbewohner auf.</p>
-
-<p>Ich habe meine Uhr vergessen, wieviel Uhr ist es denn?
-fragte Geißler. Ja, grün, morgen um diese Zeit! sagte er.</p>
-
-<p>Sogar in der Nacht stand Sivert auf und sah nach der<span class="pagenum"><a name="Seite_175" id="Seite_175">[S. 175]</a></span>
-Wasserleitung. Er begegnete seinem Vater, der zu demselben
-Zweck draußen war. Ach Gott, welche Spannung
-und welches Ereignis im Ödland!</p>
-
-<p>Aber am nächsten Tag lag Geißler lange zu Bett und
-war schlaff; der Eifer hatte ihn verlassen. Er hatte keine
-Lust, das Boot droben anzusehen, und nur weil er sich
-schämte, ging er wenigstens nach dem Sägewerk. Nicht
-einmal für die Wasserleitung hatte er noch dasselbe Interesse.
-Als er sah, daß weder Acker noch Wiese über
-Nacht grün geworden waren, verlor er den Mut; er
-dachte nicht daran, daß das Wasser immer weiter lief
-und sich immer weiter ausbreitete. Doch hielt er sich
-einigermaßen aufrecht, und so sagte er: Möglicherweise
-kann es bis morgen dauern, ehe du den Erfolg siehst,
-aber du darfst den Mut nicht verlieren.</p>
-
-<p>Gegen Abend kam Brede Olsen dahergeschlendert. Er
-brachte Gesteinsproben mit, die er Geißler zeigen wollte.
-Sie sind meiner Ansicht nach außerordentlich merkwürdig,
-sagte er. &mdash; Aber Geißler wollte Bredes Steine
-nicht sehen. Treibst du auf diese Weise Ackerbau hier,
-indem du herumläufst und Reichtümer entdecken willst?
-fragte er höhnisch. &mdash; Brede hatte indes keine Lust mehr,
-von seinem früheren Lensmann Zurechtweisungen hinzunehmen,
-er gab es ihm tüchtig heim, fing an, ihn zu
-duzen, und sagte: Ich kümmere mich nicht um dich! &mdash;
-Du tust ja heute noch nichts Rechtes, treibst nichts als
-Lappalien, versetzte Geißler. &mdash; Und du etwa? sagte
-Brede. Was hast denn du diese ganze Zeit über getan?
-Du hast einen Berg da droben gekauft, der gar nichts
-wert ist und nur so daliegt. Hehe, ja, du bist mir der
-Rechte, du! &mdash; Mach, daß du fortkommst! sagte Geißler.
-&mdash; Und Brede hielt sich auch nicht länger auf, er hob
-seinen kleinen Sack auf die Schulter und kehrte ohne
-Abschied in sein Nest zurück.</p>
-
-<p>Geißler setzte sich wieder, blätterte in einigen Papieren<span class="pagenum"><a name="Seite_176" id="Seite_176">[S. 176]</a></span>
-und dachte eifrig nach. Es war, als habe er Blut geleckt
-und wolle nun nachsehen, wie es sich mit dem Kupferberg
-verhielt, mit dem Kontrakt, der Analyse: es war ja fast
-reines Kupfer, Schwarzkupfer da, er mußte etwas damit
-anfangen, durfte nicht wieder zusammenklappen.</p>
-
-<p>Der Grund, warum ich eigentlich gekommen bin, ist,
-dies hier in Ordnung zu bringen, sagte er zu Isak. Ich
-habe die Absicht, recht viele Leute hierherzuziehen und
-droben im Gebirge einen großen Betrieb einzurichten.
-Was denkst du dazu?</p>
-
-<p>Isak tat er wieder leid, deshalb widersprach er nicht.</p>
-
-<p>Das ist nicht gleichgültig für dich, fuhr Geißler fort.
-Es kommen dann viele Menschen hierher, und es gibt viel
-Umtrieb und Lärm und Sprengungen, ich weiß nicht, wie
-dir das gefallen wird. Aber andrerseits kommt Leben und
-Bewegung in den Bezirk, und du wirst großen Absatz
-für die Erzeugnisse deiner Milchwirtschaft bekommen. Du
-kannst dafür verlangen, was du willst.</p>
-
-<p>Ja, sagte Isak.</p>
-
-<p>Gar nicht davon zu reden, daß du von dem, was aus
-dem Berg gewonnen wird, hohe Prozente erhältst. Das
-wird viel Geld, Isak.</p>
-
-<p>Isak antwortete: Ich habe schon zu viel von Euch bekommen
-...</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen verließ Geißler den Hof und
-wanderte in östlicher Richtung weiter, Schweden zu. Als
-Isak sich erhob, ihn zu begleiten, sagte er kurz: Nein, ich
-danke. Es tat Isak fast weh, als er ihn so arm und allein
-fortgehen sah. Inger hatte ihm einen prächtigen Mundvorrat
-mitgegeben, sie hatte sogar Waffeln für ihn gebacken,
-aber sie waren bei weitem nicht gut genug, er
-hätte auch noch Sahne in einer Flasche und eine Menge
-Eier mitnehmen sollen; aber das wollte er nicht tragen.
-Inger war recht enttäuscht darüber.</p>
-
-<p>Geißler wurde es gewiß schwer, Sellanraa zu ver<span class="pagenum"><a name="Seite_177" id="Seite_177">[S. 177]</a></span>lassen,
-ohne für seinen Aufenthalt zu bezahlen, wie er
-es gewohnt war. Er tat deshalb, als habe er bezahlt, als
-habe er wirklich einen größeren Geldschein hingelegt, denn
-er sagte zu der kleinen Leopoldine: Und nun sollst du auch
-noch etwas haben. Hier nimm! Damit gab er ihr seine
-Tabaksdose, die silberne Dose! &mdash; Du kannst sie auswaschen
-und Nadeln drin aufheben. Übrigens paßt sie
-nicht gut dazu; wenn ich nur geschwind nach Hause
-könnte, dann solltest du etwas anderes bekommen, ich
-habe ja verschiedenes ...</p>
-
-<p>Aber die Wasserleitung lag nach Geißlers Besuch noch
-da, sie lag da und schaffte Tag und Nacht, Woche um
-Woche, sie machte die Felder grün, half den Kartoffeln
-zum Verblühen, half dem Korn in den Halm zu schießen.</p>
-
-<p>Die Ansiedler von weiter unten kamen einer nach dem
-andern herauf, um sich das Wunderwerk anzusehen. Auch
-Axel Ström kam, der Besitzer von Maaneland, der unverheiratet
-war und keine eigene weibliche Hilfe hatte,
-sondern alles selbst besorgte, auch er kam. Er war heute
-aufgeräumter und sagte, es sei ihm nun ein Mädchen zur
-Hilfe für den Sommer versprochen worden, nun sei dieser
-Kummer gestillt! Er nannte den Namen des Mädchens
-nicht, und Isak fragte nicht danach; aber es war Bredes
-Barbro, die man ihm versprochen hatte, es sollte ihn
-nur ein Telegramm nach Bergen kosten. Na, und Axel
-legte ja das Geld für dieses Telegramm aus, obgleich er
-gewiß ein äußerst sparsamer Mann, ja geradezu etwas
-geizig war.</p>
-
-<p>Die Wasserleitung war es, die Axel an diesem Tag
-heraufgelockt hatte; er sah sie sich von dem einen Ende
-bis zum andern an und interessierte sich ungeheuer dafür.
-Auf seinem Grundstück war zwar kein größerer
-Fluß, aber doch ein Bach, auch hatte er keine Bretter
-zu Rinnen, aber er wollte den ganzen Wasserlauf in
-die Erde graben, das ließ sich auch machen. Es sehe auch<span class="pagenum"><a name="Seite_178" id="Seite_178">[S. 178]</a></span>
-auf seinem tiefgelegenen Grundstück nicht so schlimm aus,
-wenn aber die Trockenheit anhalte, müsse er auch bewässern.
-&mdash; Als er das gesehen hatte, was er hatte sehen
-wollen, sagte er Lebewohl. Isak und seine Frau luden
-ihn ein, hereinzukommen, aber er sagte, er habe keine
-Zeit, er wolle an diesem Abend noch mit dem Graben
-anfangen; dann ging er.</p>
-
-<p>Das war ein anderer Mann als Brede!</p>
-
-<p>Oh, jetzt hatte Brede Grund, über die Moore zu laufen,
-um über die Wasserleitung und das Wunderwerk
-auf Sellanraa zu schwatzen! Ja, es ist nicht gut, wenn
-man zu fleißig auf seinem Grundstück ist, sagte er. Da
-hat nun der Isak so viele Gräben zum Austrocknen gezogen,
-daß er jetzt wieder wässern muß.</p>
-
-<p>Isak war geduldig, aber er wünschte oft, er könnte
-diesen Menschen loswerden, diesen Schwätzer in der Nähe
-von Sellanraa. Brede war verpflichtet, die Telegraphenlinie
-in Ordnung zu halten, da er ja regelrecht dazu angestellt
-war. Aber die Telegraphenbehörde hatte ihm schon
-mehrere Male wegen seiner Nachlässigkeit einen Rüffel
-erteilen müssen, und jetzt war Isak abermals die Stelle
-angeboten worden. Nein, mit dem Telegraphen war
-Brede nicht beschäftigt, sondern mit den Metallen in den
-Bergen; es war eine wahre Sucht bei ihm geworden,
-eine fixe Idee.</p>
-
-<p>Jetzt geschah es auch recht oft, daß er in Sellanraa
-einkehrte und meinte, er habe den Schatz gefunden. Er
-nickte dann und sagte: Ich sag jetzt nichts mehr, aber
-ich habe etwas ganz Besonderes gefunden, das leugne ich
-nicht. Er verschwendete seine Zeit und seine Kräfte um
-nichts und wieder nichts. Wenn er dann müde in sein
-Haus zurückkehrte, warf er einen kleinen mit Gesteinsproben
-gefüllten Sack auf den Boden, pustete und
-schnaufte nach seinem Tagewerk und meinte, niemand
-arbeite so hart für seinen Unterhalt wie er. Er baute<span class="pagenum"><a name="Seite_179" id="Seite_179">[S. 179]</a></span>
-etwas Kartoffeln auf saurem Moorboden, mähte die
-Grasplätze ab, die von selbst um sein Haus her wuchsen,
-das war seine Feldarbeit. Er war in ein falsches Fahrwasser
-geraten, es mußte ein schlimmes Ende mit ihm
-nehmen. Jetzt war schon sein Torfdach zerfetzt und die
-Küchentreppe von der Dachtraufe verfault, ein kleiner
-Schleifstein lag umgestürzt am Boden, und das Fuhrwerk
-stand ewig unter freiem Himmel.</p>
-
-<p>Brede hatte es insofern gut, als er sich über solche
-Kleinigkeiten durchaus nicht abgrämte. Wenn die Kinder
-den Schleifstein beim Spielen umherrollten, war der
-Vater sehr gutmütig und lieb, ja, er half bisweilen selbst
-beim Rollen. Eine leichte und faule Natur, ohne Ernst,
-aber auch ohne Schwerlebigkeit, ein schwacher Charakter
-ohne Verantwortlichkeitsgefühl, aber er fand Auswege,
-sich den Lebensunterhalt zu verschaffen, wie er auch sein
-mochte; so lebte er mit den Seinen von der Hand in
-den Mund, sie lebten alle miteinander. Aber natürlich
-konnte der Kaufmann Brede und seine Familie nicht in
-alle Ewigkeit am Leben erhalten, das hatte er schon oft
-gesagt, und jetzt sagte er es in strengem Ton. Brede sah
-das selbst ein und versprach, nun werde er die Sache in
-Ordnung bringen; er wolle sein Grundstück verkaufen,
-vielleicht verdiene er gut dabei, und dann werde er den
-Kaufmann bezahlen.</p>
-
-<p>Ja, selbst wenn er daran verlor, wollte Brede verkaufen,
-was sollte er mit einem Grundstück! Er sehnte
-sich wieder ins Dorf hinunter, nach Leichtsinn, Klatschereien
-und dem Kaufladen &mdash; dahin sehnte er sich, anstatt
-ruhig hier zu schaffen und zu wirken und die große Welt
-zu vergessen. Ach, hätte er die Weihnachtsfeiern mit
-dem Lichterbaum oder das Nationalfest am siebzehnten
-Mai oder die Wohltätigkeitsverkäufe im Gemeindehaus
-vergessen können! Er liebte es ja über alles, mit
-den Leuten zu schwatzen, sich nach Neuigkeiten zu erkun<span class="pagenum"><a name="Seite_180" id="Seite_180">[S. 180]</a></span>digen,
-aber mit wem hätte er sich hier auf den Mooren
-unterhalten können? Inger auf Sellanraa hatte eine
-Weile Anlage dazu gezeigt, jetzt war sie wieder ganz anders
-geworden, wieder ganz wortkarg. Und übrigens war
-sie im Gefängnis gewesen, und er war ein öffentlich angestellter
-Mann, das schickte sich nicht.</p>
-
-<p>Nein, er hatte sich selbst auf die Seite gestellt, als
-er das Dorf verließ. Jetzt sah er mit Eifersucht, daß der
-Lensmann einen andern Gerichtsboten und daß der Doktor
-einen andern Kutscher hatte; er war von den Menschen,
-die ihn brauchten, fortgelaufen, jetzt, da er nicht
-mehr zur Hand war, behalfen sie sich ohne ihn. Aber
-welch ein Gerichtsbote und welch ein Kutscher! Eigentlich
-müßte er &mdash; Brede &mdash; mit Wagen und Pferd ins Dorf
-zurückgeholt werden!</p>
-
-<p>Aber da war nun Barbro, und warum hatte er denn
-versucht, sie auf Sellanraa unterzubringen? Oh, das
-hatte er nach reiflicher Überlegung mit seiner Frau getan.
-Wenn alles richtig ging, so hätte das Mädchen da
-Aussichten für die Zukunft gehabt, ja, vielleicht wären
-da Aussichten für die ganze Familie Brede gewesen. Die
-Haushälterinstelle bei den zwei Kontoristen in Bergen
-war ja schon recht, aber Gott mochte wissen, was Barbro
-da schließlich bekam? Barbro war ja hübsch und auf ihren
-Vorteil aus, sie hätte vielleicht hier bessere Gelegenheit,
-vorwärtszukommen. Es waren zwei Söhne auf Sellanraa.</p>
-
-<p>Aber als Brede merkte, daß dieser Plan fehlschlug,
-dachte er sich einen andern aus. Oh, im Grunde war es
-wirklich nichts Erstrebenswertes, mit Inger verwandt zu
-werden, mit einer bestraften Person, es gab noch andere
-Burschen als die auf Sellanraa! Da war nun Axel
-Ström. Er hatte Hof und Gamme, er war ein Mann,
-der schaffte und sparte und sich allmählich Vieh und
-andere Besitztümer anschaffte, aber keine Frau und keine<span class="pagenum"><a name="Seite_181" id="Seite_181">[S. 181]</a></span>
-weibliche Hilfe hatte. Das kann ich dir sagen, wenn du
-Barbro bekommst, so hast du alle Hilfe, die dir not tut!
-sagte er zu Axel. Und hier kannst du ihre Photographie
-sehen, sagte er.</p>
-
-<p>Ein paar Wochen vergingen, dann kam Barbro. Ja,
-Axel war nun schon mitten in der Heuernte, er mußte bei
-Nacht mähen und bei Tag wenden und hatte alles allein
-zu leisten; aber nun kam Barbro. Sie kam wie ein wirkliches
-Geschenk. Es zeigte sich auch, daß sie arbeiten
-konnte; sie scheuerte das Geschirr, wusch die Kleider und
-kochte das Essen, sie melkte die Tiere und half draußen
-beim Heurechen, jawohl, sie war mit draußen beim Heu
-und trug es mit herein, es fehlte nichts. Axel entschloß
-sich, ihr einen guten Lohn zu geben, er gewann doch noch
-dabei.</p>
-
-<p>Hier war sie nicht nur die Photographie einer feinen
-Dame. Barbro war groß und schlank, sie hatte eine etwas
-heisere Stimme, zeigte Reife und Erfahrung in vielem
-und war durchaus keine Neukonfirmierte. Axel begriff
-nicht, warum ihr Gesicht so mager und elend aussah: Ich
-sollte dich eigentlich vom Ansehen kennen, aber du gleichst
-deiner Photographie gar nicht. &mdash; Das kommt von der
-Reise, erwiderte sie. Ja und von der Stadtluft. &mdash; Es
-dauerte auch nicht lange, da wurde sie wieder rund und
-hübsch, und sie sagte: Glaub mir, so eine Reise und so
-eine Stadtluft, die zehren tüchtig an einem! Sie spielte
-auch auf die Versuchungen in Bergen an &mdash; da müsse
-man sich in acht nehmen! Aber während sie sich weiter
-unterhielten, sagte sie, Axel solle sich auf eine Zeitung,
-eine Bergener Zeitung abonnieren, damit sie auch sehen
-könne, was in der Welt vorgehe. Sie sei jetzt ans Lesen,
-an Theater und Musik gewöhnt, hier sei es sehr einsam,
-sagte sie.</p>
-
-<p>Da Axel Ström mit seiner Sommeraushilfe so Glück
-gehabt hatte, abonnierte er auf die Zeitung und ertrug<span class="pagenum"><a name="Seite_182" id="Seite_182">[S. 182]</a></span>
-auch die Familie Brede, die recht oft auf seine Ansiedlung
-kam und da aß und trank. Er wollte seiner Dienstmagd
-Freude machen. Nichts konnte behaglicher sein als die
-Sonntagabende, wenn Barbro die Saiten ihrer Gitarre
-schlug und mit ihrer etwas heiseren Stimme dazu sang;
-Axel war über die fremden hübschen Lieder und darüber,
-daß wirklich jemand auf der Ansiedlung bei ihm war und
-sang, gerührt.</p>
-
-<p>Im Laufe des Sommers lernte er Barbro allerdings
-auch von anderen Seiten kennen, aber im großen und
-ganzen war er zufrieden. Sie war nicht ohne Launen,
-und sie konnte rasche Antworten geben, etwas zu rasche.
-An jenem Sonnabend, als Axel notwendig ins Dorf hinunter
-zum Kaufmann mußte, hätte Barbro das Vieh
-und die Hütte nicht verlassen und auch alles andere nicht
-einfach im Stich lassen dürfen. Die Ursache dazu war ein
-kleiner Streit gewesen. Und wo war sie hingegangen?
-Nur nach Hause, nach Breidablick, aber trotzdem. Als
-Axel in der Nacht zurückkam, war Barbro nicht da, er
-versorgte die Tiere, aß und ging schlafen. Gegen Morgen
-erschien Barbro. &mdash; Ich wollte wieder einmal fühlen,
-wie es einem in einem Haus mit einem Bretterboden zumut
-ist, sagte sie recht höhnisch. &mdash; Darauf konnte Axel
-eigentlich nichts erwidern, denn er hatte ja nur eine Torfhütte
-mit einem Lehmboden, aber er antwortete, er habe
-immerhin auch Bretter und werde wohl auch einmal ein
-Haus mit einem Bretterboden haben! &mdash; Da war es,
-als gehe sie in sich; nein, schlimmer war Barbro nicht,
-und obgleich es Sonntag war, ging sie rasch in den Wald,
-holte Wacholderzweige für den Lehmboden und machte
-ihn hübsch.</p>
-
-<p>Aber da sie so ausgezeichnet und von Herzen gut war,
-mußte ja auch Axel mit dem hübschen Kopftuch herausrücken,
-das er am vorhergehenden Abend für sie gekauft
-hatte; er hatte eigentlich gedacht, er wolle es aufheben,<span class="pagenum"><a name="Seite_183" id="Seite_183">[S. 183]</a></span>
-um ordentlich etwas von ihr dafür zu erreichen. Aber
-nun gefiel es ihr sehr gut, sie probierte es sofort auf,
-ja, sie fragte ihn, ob es ihr nicht gut stehe. O doch, sehr
-gut, aber sie könnte gerne sein Felleisen auf den Kopf
-setzen, es würde ihr auch stehen. Da lachte sie und wollte
-auch recht liebenswürdig sein, deshalb sagte sie: Ich gehe
-lieber mit diesem Kopftuch in die Kirche und zum Abendmahl
-als im Hut. In Bergen trugen wir ja alle Hüte,
-ja, ausgenommen gewöhnliche Dienstmädchen, die vom
-Lande hereinkamen.</p>
-
-<p>Wieder lauter Freundschaft!</p>
-
-<p>Und als Axel mit der Zeitung herausrückte, die ihm
-auf der Post mitgegeben worden war, setzte sich Barbro
-hin und las die neuesten Nachrichten von der Welt draußen:
-von einem Einbruch bei einem Goldschmied in der
-Strandstraße, von einer Schlägerei zwischen Zigeunern,
-von einer Kindsleiche, die in den Stadtfjord hereingetrieben
-und in ein altes, unter den Armen quer abgeschnittenes
-Hemd eingewickelt gewesen war. Wer kann nur das
-Kind ins Wasser geworfen haben? fragte Barbro. Aus
-alter Gewohnheit las sie auch noch die Marktpreise.</p>
-
-<p>Und die Zeit verging.</p>
-
-
-
-<h3>16</h3>
-
-
-<p>Auf Sellanraa gab es große Veränderungen.</p>
-
-<p>Ja, nichts war von der ersten Zeit her wiederzuerkennen.
-Hier waren nun verschiedene Gebäude,
-ein Sägewerk und eine Mühle, und die öden Strecken
-waren wohlbebautes Land geworden. Und noch mehr stand
-bevor. Aber Inger war vielleicht noch am merkwürdigsten,
-ganz anders wieder und überaus tüchtig.</p>
-
-<p>Die Krise vom letzten Sommer hatte wohl nicht auf
-einmal ihren Leichtsinn besiegen können, im Anfang hatte
-sie mehrere Rückfälle; sie ertappte sich darauf, daß sie<span class="pagenum"><a name="Seite_184" id="Seite_184">[S. 184]</a></span>
-von der Anstalt und von Drontheims Domkirche sprechen
-wollte. Ach, so kleine unschuldige Dinge! Ihren Ring
-zog sie vom Finger, und ihre so freimütig kurzen Röcke
-machte sie länger. Sie war nachdenklich geworden, es
-wurde stiller auf dem Hofe, die Besuche nahmen ab, die
-fremden Mädchen und Frauen aus dem Dorf kamen seltener,
-weil sie sich nicht mehr mit ihnen einließ. Niemand
-kann im Ödland leben und nur immer lachen und
-scherzen, Freude ist nicht Lustigkeit.</p>
-
-<p>Droben im Ödland hat jede Jahreszeit ihre Wunder,
-aber immer und unveränderlich sind die dunklen, unermeßlichen
-Laute von Himmel und Erde, das Umringtsein
-nach allen Seiten hin, die Waldesdunkelheit, die Freundlichkeit
-der Bäume. Alles ist schwer und weich zugleich,
-kein Gedanke ist da unmöglich. Nördlich von Sellanraa
-lag ein ganz kleiner Teich, eine Lache, nur so groß wie ein
-Aquarium. Da tummelten sich winzige Fischkinder, die
-nie größer wurden; sie lebten und starben und waren zu
-nichts nütze, lieber Gott, zu rein gar nichts! Eines Abends
-stand Inger da und horchte auf die Kuhglocken. Sie
-hörte nichts, denn alles war totenstill ringsum, aber
-plötzlich vernahm sie Gesang aus dem Aquarium. Er war
-sehr schwach und beinahe nicht vernehmlich, nur wie hinsterbend.
-Das war das Lied der kleinwinzigen Fische.</p>
-
-<p>Sellanraa lag so günstig, daß die Bewohner jeden
-Herbst und Frühjahr die Wildgänse, die über das Ödland
-hinflogen, sahen und ihr Rufen und Locken in der
-Luft droben hören konnten, es klang wie verwirrtes Reden.
-Und dann war es, als stehe die Welt stille, bis der
-Zug vorüber war. Fühlten sich die Menschen da nicht von
-einer Art Schwäche überfallen? Sie nahmen ihre Arbeit
-wieder auf, aber zuvor taten sie einen tiefen Atemzug,
-ein Hauch aus dem Jenseits hatte sie gestreift.</p>
-
-<p>Große Wunder umgaben sie zu allen Zeiten. Im Winter
-die Sterne und auch die Nordlichter, ein flammendes<span class="pagenum"><a name="Seite_185" id="Seite_185">[S. 185]</a></span>
-Firmament, eine Feuersbrunst droben bei Gott. Hier und
-da, nicht oft, nicht für gewöhnlich, aber hier und da vernahmen
-sie auch donnern. Das war hauptsächlich im
-Herbst, und es war düster und feierlich für Menschen
-und Tiere. Die Haustiere, die auf der nahen Wiese weideten,
-drängten sich zusammen und blieben beieinander
-stehen. Worauf horchten sie? Warteten sie auf das Ende?
-Und worauf warteten die Menschen im Ödland, wenn sie
-beim Grollen des Donners mit gesenktem Kopfe dastanden?</p>
-
-<p>Der Frühling &mdash; jawohl, dessen Eile und Ausgelassenheit
-und Entzücken; aber der Herbst! Der stimmte die
-Leute anders. Da fürchteten sie sich oft in der Dunkelheit,
-und sie nahmen ihre Zuflucht zum Abendgebet, sie
-wurden hellseherisch und hörten Vorboten. Manchmal
-gingen sie an einem Herbsttag hinaus, um etwas hereinzuholen,
-die Männer vielleicht Holz, die Frauen das
-Vieh, das jetzt wie unsinnig nach Pilzen suchte &mdash; und
-sie kehrten zurück, das Herz von geheimnisvollen Dingen
-erfüllt. Waren sie unversehens auf eine Ameise getreten
-und hatten deren Hinterleib auf dem Pfad festgetreten,
-so daß der Vorderkörper nicht mehr loskommen konnte?
-Oder waren sie einem Schneehuhnnest zu nahe gekommen
-und war ihnen eine Mutter zischend entgegengeflattert?
-Und nicht einmal die großen Kuhpilze waren ohne
-Bedeutung. Der Mensch wird nicht starr und bleich, wenn
-er sie nur ansieht. Ein Kuhpilz blüht nicht und rührt sich
-nicht von der Stelle, aber es ist etwas Überwältigendes
-an ihm, und er ist ein Ungeheuer, er gleicht einer Lunge,
-die nackt und ohne hüllenden Körper ein eigenes Leben
-führt.</p>
-
-<p>Inger wurde schließlich recht schwermütig, das Ödland
-bedrückte sie, sie wurde fromm. Hätte sie dem entgehen
-können? Niemand im Ödland kann dem entgehen, da
-gibt es nicht nur irdisches Streben und Weltlichkeit, da<span class="pagenum"><a name="Seite_186" id="Seite_186">[S. 186]</a></span>
-ist Frömmigkeit und Gottesfurcht und viel Aberglauben.
-Inger meinte wohl, sie habe mehr Grund als andere,
-der Züchtigung des Himmels gewärtig sein zu müssen,
-diese würde wohl nicht ausbleiben; sie wußte, daß Gott
-an den Abenden durch das ganze Ödland streifte und
-fabelhaft gute Augen hatte, er würde sie schon finden. In
-ihrem täglichen Leben war nicht so sehr viel, was sie
-hätte anders machen können. Oh, sie konnte den goldenen
-Ring zuunterst in ihrer Truhe verbergen, und sie konnte
-an Eleseus schreiben, er solle sich auch bekehren; aber
-außerdem blieb wohl nichts anderes übrig, als selbst gute
-Arbeit zu leisten und sich nicht zu schonen. Ja, eines
-konnte sie doch noch tun! Sich in demütige Kleider hüllen
-und nur am Sonntag ein schmales blauseidenes Band
-um den Hals tragen, um einen Unterschied vom Werktag
-zu machen. Diese unechte und unnotwendige Armut war
-der Ausdruck für eine Art Philosophie, für Selbsterniedrigung,
-Stoizismus. Das blauseidene Band war nicht
-mehr neu, war von einer Mütze abgetrennt, die Leopoldine
-zu klein geworden war, es war da und dort verblichen
-und geradeheraus gesagt auch etwas schmutzig
-&mdash; nun gebrauchte es Inger als einen demütigen Sonntagsstaat.
-Jawohl, sie übertrieb und machte die Armut in
-der Hütte nach, sie trug eine falsche Armut zur Schau
-&mdash; wäre ihr Verdienst größer gewesen, wenn sie zu einem
-so geringen Staat gezwungen gewesen wäre? Laßt sie in
-Frieden, sie hat ein Recht auf Frieden!</p>
-
-<p>Sie übertrieb großartig und tat mehr, als sie mußte.
-Es waren zwei Männer auf dem Hofe, aber Inger paßte
-wohl auf, bis sie fort waren, und sägte dann Holz; wozu
-sollte nun diese Qual und Züchtigung gut sein? Sie war
-ein ganz unbedeutender, ganz geringer Mensch, ihre
-Fähigkeiten waren recht gewöhnlich, ihr Tod oder ihr
-Leben würde nirgends im Lande gemerkt werden, außer
-hier im Ödland. Hier war sie beinahe groß, jedenfalls<span class="pagenum"><a name="Seite_187" id="Seite_187">[S. 187]</a></span>
-war sie die größte, und sie meinte, sie sei aller der Züchtigung,
-die sie auf sich selbst verwendete, wohl wert. &mdash;
-Ihr Mann sagte: Sivert und ich haben darüber gesprochen,
-wir wollen nichts davon wissen, daß du unser Holz
-sägst und dich überschaffst. &mdash; Ich tue es um meines
-Gewissens willen, entgegnete Inger.</p>
-
-<p>Um des Gewissens willen? Das stimmte Isak wieder
-nachdenklich; er war jetzt ein Mann in Jahren, langsam
-im Überlegen, aber gewichtig, wenn er schließlich seine
-Ansicht sagte. Das Gewissen mußte doch recht kräftig
-sein, wenn es Inger so vollständig hatte umwenden können.
-Und was es nun auch sein mochte, aber Ingers Bekehrung
-wirkte auch auf ihn ein, sie steckte ihren Mann
-an, er wurde grüblerisch und zahm. Das war ein sehr
-schwerer, fast unüberwindlicher Winter; Isak suchte die
-Einsamkeit, suchte Verborgenheit. Um seinen eigenen
-Wald zu schonen, hatte er nun im Staatswald an der
-schwedischen Grenze einige Dutzend gute Stämme gekauft
-&mdash; er wollte beim Fällen dieser Bäume niemand zu
-Hilfe haben, er wollte allein sein; Sivert wurde befohlen,
-daheim zu bleiben und auf die Mutter aufzupassen, damit
-sie sich nicht zu sehr anstrenge.</p>
-
-<p>In den kurzen Wintertagen ging also Isak noch in der
-Dunkelheit zum Wald und kam erst bei Dunkelheit wieder
-heim. Nicht immer schienen Mond und Sterne,
-manchmal waren seine eigenen Fußstapfen vom Morgen
-wieder zugeschneit, dann konnte er sich nur schwer zurechtfinden.
-Und an einem Abend hatte er ein Erlebnis.</p>
-
-<p>Er hatte schon den größten Teil des Wegs zurückgelegt,
-und bei dem hellen Mondschein sah er Sellanraa schon
-drüben auf der Halde liegen; da lag es hübsch und wohl
-gebaut, aber klein, fast wie ein unterirdisches Gehöft anzusehen,
-weil es so tief eingeschneit war. Aber jetzt bekam
-er wieder Bauholz, und Inger sowie die Kinder
-würden sich sehr verwundern, wozu er das Holz ver<span class="pagenum"><a name="Seite_188" id="Seite_188">[S. 188]</a></span>wenden
-wollte, an was für ein überirdisches Gebäude er
-dachte. Er setzte sich in den Schnee und wollte ein wenig
-ausruhen, um nicht erschöpft heimzukommen.</p>
-
-<p>Ringsum ist es ganz still, und Gott sei Dank für diese
-Stille und seine eigene nachdenkliche Stimmung, sie ist
-nur vom Guten! Isak ist ja ein Ansiedler, und er schaut
-nach seinem Grundstück hinüber, wo er noch mehr Ödland
-umgraben muß. Er bricht in Gedanken große Steine aus,
-er hat ein entschiedenes Talent zum Entwässern. Und er
-weiß, dort drüben liegt noch eine recht tiefe Sumpfstrecke
-auf seinem Eigentum. Dieser Sumpf ist voller Erz, eine
-metallische Haut steht auf jeder Lache, den will er jetzt
-trockenlegen. Mit den Augen teilt er den Boden in Vierecke
-ein, er hat Pläne und Absichten mit diesen Vierecken,
-er will sie recht grün und fruchtbar machen. Oh,
-ein urbar gemachtes Feld war etwas sehr Gutes, es
-wirkte auf ihn wie Ordnung und Recht und dazu wie
-Genuß ...</p>
-
-<p>Er stand auf und fand sich nicht mehr ganz zurecht.
-Hm! Was war geschehen? Nichts, er hatte nur ein wenig
-ausgeruht. Jetzt aber steht etwas vor ihm, ein Wesen,
-ein Geist, graue Seide &mdash; nein, es war nichts. Es wurde
-ihm sonderbar zumut, er machte einen kurzen unsicheren
-Schritt vorwärts und ging geradeswegs auf einen Blick
-zu, einen großen Blick, zwei Augen, gleichzeitig fangen
-die Espen in der Nähe zu rauschen und zu raunen an. Nun
-weiß jedermann, daß die Espe eine ganz infame, unbehagliche
-Art zu rauschen hat, jedenfalls hatte Isak noch niemals
-ein widerlicheres Rauschen gehört als jetzt, und
-er fühlte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Er
-griff auch mit der Hand nach vorne, aber dies war vielleicht
-die hilfloseste Bewegung, die diese Hand je gemacht
-hatte.</p>
-
-<p>Aber was war nun das da vor ihm, und hatte es eine
-Gestalt oder nicht? Isak hatte ja seiner Lebtag darauf<span class="pagenum"><a name="Seite_189" id="Seite_189">[S. 189]</a></span>
-geschworen, daß es eine höhere Macht gebe, und einmal
-hatte er sie auch gesehen, aber das, was er jetzt sah, glich
-Gott nicht. Ob der Heilige Geist wohl so aussah? Aber
-warum stand er dann jetzt hier &mdash; auf dem weiten Feld
-zwei Augen, ein Blick und sonst nichts? War es, um ihn
-zu holen, um seine Seele zu holen, dann mochte es so
-sein, einmal würde es ja doch geschehen, dann wurde er
-selig und kam in den Himmel.</p>
-
-<p>Isak war gespannt, was geschehen würde, ein Schauder
-durchrieselte ihn, die Gestalt strömte ja Kälte und
-Frost aus, es mußte der Teufel sein. Hier betrat Isak
-sozusagen bekannten Boden, es war nicht unmöglich, daß
-es der Teufel war; aber was wollte er hier? Auf was
-hatte er Isak jetzt eben ertappt? Auf dem Gedanken, Ödland
-umzubrechen, aber das konnte ihn doch unmöglich
-geärgert haben. Von einer anderen Sünde, die er begangen
-haben konnte, wußte Isak nichts, er war nur
-auf dem Heimweg vom Walde, ein müder und hungriger
-Arbeiter, er wollte nach Sellanraa, alles in guter
-Absicht.</p>
-
-<p>Wieder machte er einen Schritt vorwärts, aber es war
-kein langer Schritt, und er wich überdies sofort wieder
-ebenso weit zurück. Da die Erscheinung nicht weichen
-wollte, runzelte Isak wahrhaftig die Stirne, als traue
-er der Sache nicht mehr recht. Wenn es der Teufel war,
-so mochte es der Teufel sein, der hatte jedoch nicht die
-höchste Macht. Luther hatte ihn einstmals beinahe umgebracht,
-und es gab viele, die ihn mit dem Kreuzeszeichen
-und Jesu Namen verscheucht hatten. Nicht, daß
-Isak die Gefahr herausgefordert und sich dann hingesetzt
-und darüber gelacht hätte, aber das Sterben und Seligwerden,
-das er zuerst im Sinne gehabt hatte, diesen Gedanken
-gab er jedenfalls auf, und jetzt machte er zwei
-Schritte auf die Erscheinung zu, bekreuzigte sich und rief:
-Im Namen Jesu!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_190" id="Seite_190">[S. 190]</a></span></p>
-
-<p>Hm? Als er seine eigene Stimme hörte, war es, als
-komme er plötzlich wieder zu sich, und er sah Sellanraa
-auf der Halde liegen. Die Espen rauschten nicht mehr, die
-beiden Augen waren aus der Luft verschwunden.</p>
-
-<p>Er zögerte nicht länger auf dem Weg und forderte die
-Gefahr nicht heraus. Aber als er auf seiner eigenen Türschwelle
-stand, räusperte er sich kräftig und erleichtert,
-und er ging erhobenen Hauptes in die Stube hinein wie
-ein Mann, ja, wie ein Held.</p>
-
-<p>Inger stutzte und fragte, warum er so leichenblaß aussähe.</p>
-
-<p>Da leugnete er nicht, daß er dem Teufel begegnet sei.</p>
-
-<p>Wo? fragte sie.</p>
-
-<p>Dort drüben. Uns gerade gegenüber.</p>
-
-<p>Inger zeigte keinen Neid. Ja, sie lobte ihn nicht gerade
-deshalb, aber in ihrer Miene lag nichts, was einem bösen
-Wort oder einem Fußtritt geglichen hätte. Ach, Ingers
-Gemüt hatte sich im Gegenteil in den letzten Tagen etwas
-aufgehellt, und sie war freundlicher geworden, woher es
-auch kommen mochte; nun fragte sie nur:</p>
-
-<p>Ist es der Teufel selbst gewesen?</p>
-
-<p>Isak nickte und sagte, soweit er habe sehen können, sei
-er es selbst gewesen.</p>
-
-<p>Wie bist du ihn losgeworden?</p>
-
-<p>Ich ging im Namen Jesu auf ihn los, antwortete Isak.</p>
-
-<p>Inger wiegte überwältigt den Kopf hin und her, und
-es dauerte eine Weile, bis sie das Essen auftragen konnte.
-Jedenfalls darfst du aber jetzt nicht mehr ganz allein
-in den Wald gehen, sagte sie.</p>
-
-<p>Sie zeigte sich besorgt um ihn, das tat ihm wohl. Er
-tat, als sei er noch gleich mutig und als kümmere er sich
-durchaus nicht um irgendeine Begleitung in den Wald,
-aber er tat nur so, um Inger mit seinem unheimlichen
-Erlebnis nicht mehr als notwendig zu erschrecken. Er war<span class="pagenum"><a name="Seite_191" id="Seite_191">[S. 191]</a></span>
-ja der Mann und das Oberhaupt des Hauses, der Schutz
-aller.</p>
-
-<p>Inger durchschaute ihn auch und sagte: Ja, ja, du willst
-mich nur nicht ängstlich machen, aber du mußt Sivert
-mitnehmen. &mdash; Isak lächelte nur verächtlich. &mdash; Du kannst
-im Walde krank und elend werden, und ich glaube, du
-bist auch in der letzten Zeit nicht so recht gesund gewesen.
-&mdash; Wieder lächelte Isak verächtlich. Krank? Abgeschunden
-und müde, jawohl; aber krank? Inger solle ihn nicht
-lächerlich machen, er sei und bleibe gesund, er esse, schlafe
-und arbeite, er sei ja geradezu unheilbar gesund. Einmal
-sei ein gefällter Baum auf ihn gestürzt und habe ihm das
-Ohr abgerissen, er habe das Ohr aufgehoben und es mit
-der Mütze Tag und Nacht an seinem Platz festgehalten,
-und da sei es wieder angewachsen. Für innere Unpäßlichkeiten
-nehme er Süßholzsaft in kochender Milch und
-komme dadurch in Schweiß, Lakritze also, die er beim
-Kaufmann hole, ein erprobtes Mittel, das Theriak der
-Alten. Wenn er sich in die Hand haue, lasse er sein Wasser
-über die Wunde laufen und salze sie ein, dann sei es
-in wenigen Tagen geheilt. Der Doktor sei noch nie nach
-Sellanraa geholt worden.</p>
-
-<p>Nein, Isak war nicht krank. Eine Begegnung mit dem
-Teufel konnte schließlich der Gesündeste haben. Isak
-fühlte auch von dem gefährlichen Abenteuer keine Nachwehen,
-im Gegenteil, es war, als sei er dadurch gestärkt
-worden. Als sich der Winter seinem Ende zuneigte und
-der Frühling nicht mehr so ewig weit entfernt war, fühlte
-sich der Mann und das Oberhaupt allmählich als eine
-Art Held: Ich verstehe mich auf solche Dinge, wir müssen
-nur meinem Rat folgen, zur Not kann ich sogar bannen.</p>
-
-<p>Im ganzen genommen waren ja die Tage länger und
-heller, Ostern war vorüber, die gefällten Bäume waren
-heimgefahren, alles leuchtete, die Menschen atmeten nach
-dem überstandenen Winter auf.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_192" id="Seite_192">[S. 192]</a></span></p>
-
-<p>Inger war wieder die erste, die sich aufrichtete, sie
-war jetzt schon lange in guter Laune. Woher das kam?
-Hoho, es hatte seine guten Gründe, sie war wieder dick
-geworden, sollte wieder ein Kind bekommen. Alles ebnete
-sich in ihrem Leben, nichts versagte. Aber das war ja die
-größte Barmherzigkeit nach all dem, was sie verbrochen
-hatte, sie hatte Glück, das Glück verfolgte sie! Isak wurde
-wahrhaftig eines Tages aufmerksam und mußte sie fragen:
-Ich glaube wirklich, es wird wieder etwas, wie ist
-das möglich? &mdash; Ja, gottlob, es wird gewiß etwas! antwortete
-sie. &mdash; Beide waren gleich überrascht. Natürlich
-war Inger nicht zu alt; Isak kam sie nicht zu alt vor,
-aber trotzdem, wieder ein Kind, ja, ja! Die kleine Leopoldine
-war ja schon mehrere Male im Jahr für längere Zeit
-in der Schule auf Breidablick, da hatten sie keine Kleinen
-mehr zu Hause, und außerdem war Leopoldine jetzt auch
-schon ein großes Mädchen.</p>
-
-<p>Einige Tage vergingen, aber am nächsten Samstag
-machte sich Isak energisch auf den Weg ins Dorf, und
-er wollte erst am Montagmorgen zurückkommen. Er
-wollte nicht sagen, was er im Sinne hatte, aber siehe da,
-er kam mit einer Magd zurück. Sie hieß Jensine. &mdash; Du
-bist wohl nicht recht klug, sagte Inger, ich brauche sie
-nicht. &mdash; Isak erwiderte, jawohl, jetzt brauche sie eine
-Magd.</p>
-
-<p>Und jedenfalls war das nun ein so hübscher und gutherziger
-Einfall von Isak, daß Inger ganz beschämt und
-gerührt war; das neue Mädchen war die Tochter des
-Schmieds; sie sollte vorerst den Sommer über dableiben,
-später werde man weitersehen.</p>
-
-<p>Und außerdem, sagte Isak, habe ich an Eleseus telegraphiert.</p>
-
-<p>Inger zuckte zusammen. Telegraphiert? Wollte Isak
-sie rein umbringen mit seiner Gutherzigkeit? Seht, es
-war ja seit langer Zeit ihr großer Schmerz, daß Eleseus<span class="pagenum"><a name="Seite_193" id="Seite_193">[S. 193]</a></span>
-in der Stadt war, in der ruchlosen Stadt! Sie hatte an
-ihn vom lieben Gott geschrieben und ihm außerdem auch
-erklärt, der Vater werde allmählich alt, der Hof aber
-immer größer, Klein-Sivert könne nicht alles leisten, und
-er solle ja auch den Oheim Sivert einmal beerben &mdash; und
-sie hatte ihm für alle Fälle einmal auch das Reisegeld geschickt.
-Aber Eleseus war ein Stadtmensch geworden und
-sehnte sich nicht ins Bauernleben zurück, er erwiderte,
-was er denn daheim ungefähr tun solle? Ob er auf dem
-Hofe schaffen und all sein Wissen und seine Gelehrtheit
-wegwerfen solle? Und tatsächlich habe ich keine Lust dazu,
-schrieb er. Und wenn du mir wieder etwas Stoff zu
-Wäsche schicken kannst, dann brauche ich deshalb keine
-Schulden zu machen, schrieb er. &mdash; O ja, die Mutter
-schickte Stoff zu Wäsche, sandte merkwürdig oft Stoff
-zu Wäsche; aber als sie erweckt und fromm geworden
-war, da war es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen,
-und sie begriff, daß Eleseus den Stoff unter der
-Hand verkaufte und das Geld zu anderem benutzte.</p>
-
-<p>Dasselbe begriff auch der Vater. Er sagte nie ein Wort
-darüber, denn er wußte, daß Eleseus der Augapfel der
-Mutter war, daß sie über ihn weinte und den Kopf schüttelte;
-trotzdem aber verschwand ein Stück doppelseitiges
-Tuch nach dem andern. Darüber war sich Isak ganz klar,
-daß kein Mensch auf der weiten Welt soviel Wäsche auftragen
-könnte. Wenn er also alles in allem betrachtete,
-so mußte Isak deshalb als Mann und Oberhaupt wieder
-eingreifen. So ein Telegramm durch den Kaufmann
-kostete allerdings unverhältnismäßig viel, aber teils
-würde das Telegramm sicher eine ungeheure Wirkung
-auf den Sohn ausüben, teils war es ja für Isak selbst
-etwas ganz Außergewöhnliches, wenn er bei seiner Rückkehr
-Inger von dem Telegramm mitteilen konnte. Als
-er heimwärts wanderte, trug er sogar noch den Koffer
-der Magd auf dem Rücken; und er fühlte sich ebenso stolz<span class="pagenum"><a name="Seite_194" id="Seite_194">[S. 194]</a></span>
-und so geheimnisvoll wie an jenem Tage, als er Inger
-den goldenen Ring mitgebracht hatte ...</p>
-
-<p>Es kam eine herrliche Zeit, Inger wußte gar nicht,
-was Nützliches und Gutes sie nun alles tun sollte. Wie
-in alten Tagen sagte sie oft zu ihrem Mann: Du kannst
-alles zustande bringen! Und ein anderes Mal: Du schaffst
-dich zu Tode! Und abermals: Nein, jetzt mußt du hereinkommen
-und essen, ich habe Waffeln für dich gebacken!
-Um ihm eine Freude zu machen, fragte sie: Ich möchte
-nur wissen, was du mit diesen Balken vorhast und was
-du eigentlich bauen willst? &mdash; Nein, das weiß ich noch
-nicht recht, antwortete er und tat sehr wichtig.</p>
-
-<p>Es war jetzt wieder ganz wie in den alten Tagen. Und
-nachdem das Kind geboren war &mdash; es war ein Mädchen,
-ein großes, wohlgestaltetes Mädchen &mdash;, hätte Isak ein
-Stein oder ein Hund sein müssen, wenn er nicht Gott
-dankbar gewesen wäre. Aber was wollte er bauen? Das
-wäre etwas für Oline, darüber könnte sie klatschen: einen
-Anbau ans Haus, noch eine Stube. Seht, die Familie
-auf Sellanraa war nun sehr zahlreich geworden: sie
-hatten eine Magd, sie erwarteten Eleseus nach Hause,
-und ein funkelnagelneues kleines Mädchen war angekommen
-&mdash; die alte Stube mußte nun Schlafkammer werden,
-anders ging es nicht.</p>
-
-<p>Und natürlich mußte Isak das Inger eines Tages erzählen;
-sie war ja so neugierig darauf, es zu erfahren,
-und obgleich Inger das ganze Geheimnis vielleicht schon
-von Sivert gehört hatte &mdash; sie tuschelten ja oft miteinander
-&mdash;, so tat sie ordentlich überrascht, ließ die Arme
-sinken und sagte: Das ist doch wohl nicht dein Ernst? &mdash;
-Aber zum Platzen voll von innerem Glück erwiderte er:
-Du kommst mit so vielen neuen Kindern daher, wie soll
-ich sie denn unterbringen?</p>
-
-<p>Die Mannsleute waren nun jeden Tag eifrig beim
-Steinausbrechen für die neue Grundmauer. Sie waren<span class="pagenum"><a name="Seite_195" id="Seite_195">[S. 195]</a></span>
-einander jetzt ungefähr gleich bei dieser Arbeit; der eine
-frisch und fest in seinem jungen Körper und rasch im Erfassen
-der günstigsten Lage, im Erkennen der passendsten
-Steine, der andere alternd und zäh, mit langen Armen
-und das Brecheisen mit ungeheurem Gewicht einsetzend.
-Und wenn sie einmal so ein richtiges Kraftstück ausgeführt
-hatten, schnauften sie gerne eine Weile aus und
-hielten einen scherzhaften und zurückhaltenden Schwatz
-miteinander.</p>
-
-<p>Brede will ja verkaufen, sagte der Vater. &mdash; Ja, versetzte
-der Sohn. &mdash; Möchte wissen, wieviel er verlangt.
-&mdash; Ja, wieviel wohl? &mdash; Du hast nichts gehört? &mdash; Nein,
-doch, zweihundert. &mdash; Der Vater überlegte eine Weile,
-dann sagte er: Was meinst du, gibt das hier einen Eckstein?
-&mdash; Es kommt darauf an, ob wir ihn zuhauen können,
-antwortete Sivert und stand augenblicklich auf,
-reichte dem Vater den Setzhammer und nahm selbst den
-Vorhammer. Er wurde rot und heiß, richtete sich in seiner
-ganzen Größe auf und ließ den Vorhammer niedersausen,
-richtete sich wieder auf und ließ ihn abermals niederfallen
-&mdash; zwanzig gleiche Schläge, zwanzig Donnerschläge!
-Er schonte weder das Werkzeug noch sich selbst,
-er leistete tüchtige Arbeit, das Hemd kroch ihm über die
-Hose heraus und entblößte ihm den Bauch, bei jedem
-Schlag richtete er sich auf die Zehenspitzen auf, um dem
-Hammer noch größere Wucht zu verleihen. Zwanzig
-Schläge!</p>
-
-<p>Nun wollen wir sehen! rief der Vater. &mdash; Der Sohn
-hielt inne und fragte: Hat er einen Sprung bekommen?
-&mdash; Alle beide legten sich nieder und untersuchten den
-Stein, untersuchten den Kerl, den Halunken, nein, er
-hatte keinen Sprung bekommen. &mdash; Jetzt will ich es einmal
-mit dem Vorhammer allein probieren, sagte der
-Vater und richtete sich auf. Noch gröbere Arbeit, einzig
-und allein mit Kraft, der Vorhammer wurde heiß, der<span class="pagenum"><a name="Seite_196" id="Seite_196">[S. 196]</a></span>
-Stahl gab nach, die Feder, mit der Isak schrieb, wurde
-stumpf. Er geht vom Stiel ab, sagte er von dem Vorhammer
-und hörte auf zu schlagen. Ich kann auch nicht
-mehr, sagte Isak. Oh, das meinte er nicht, daß er nicht
-mehr könne!</p>
-
-<p>Dieser Vater, dieser Prahm, unansehnlich, voller Geduld
-und Güte, er gönnte es dem Sohn, den letzten
-Schlag zu tun und den Stein zu spalten. &mdash; Da lag er
-nun in zwei Teilen. Ja, du hast einen kleinen Kniff dabei,
-sagte der Vater. Hm. Aus Breidablick könnte man
-schon etwas machen. &mdash; Ja, das sollte ich meinen. &mdash;
-Ja, wenn das Moor mit Gräben durchzogen und umgegraben
-würde. &mdash; Das Haus müßte hergerichtet werden.
-&mdash; Ja, selbstverständlich, das Haus müßte hergerichtet
-werden, oh, es würde viel zu arbeiten geben dort,
-aber ... Wie war es, hast du gehört, ob die Mutter am
-Sonntag in die Kirche will? &mdash; Ja, sie hat davon gesprochen.
-&mdash; So. Aber komm, nun müssen wir uns
-ordentlich umschauen, damit wir eine schöne Steinschwelle
-für den Anbau finden. Du hast wohl noch nichts Passendes
-dazu gesehen? &mdash; Nein, antwortete Sivert.</p>
-
-<p>Dann arbeiteten sie weiter.</p>
-
-<p>Ein paar Tage später meinten beide, nun hätten sie
-genug Steine zu der Mauer. Es war an einem Freitagabend,
-sie setzten sich, um auszuschnaufen, und plauderten
-wieder eine Weile.</p>
-
-<p>Hm. Nun, was meinst du, sagte der Vater, wollen wir
-ein wenig an Breidablick denken? &mdash; Warum? fragte
-Sivert. Was sollen wir damit? &mdash; Ja, das weiß ich
-nicht. Das Schulhaus ist auch dort, und Breidablick liegt
-mittendrin. &mdash; Ja, und? fragte der Sohn. &mdash; Ich wüßte
-gar nichts damit anzufangen, denn man kann es zu nichts
-verwenden. &mdash; Hast du daran gedacht? fragte Sivert. &mdash;
-Der Vater antwortete: Nein. Ich denke an Eleseus, ob
-er wohl darauf arbeiten möchte? &mdash; Eleseus? &mdash; Ja, aber<span class="pagenum"><a name="Seite_197" id="Seite_197">[S. 197]</a></span>
-ich weiß nicht. &mdash; Lange Überlegung auf beiden Seiten.
-Dann sammelte der Vater das Handwerkszeug zusammen,
-lud es sich auf und wendete sich heimwärts. &mdash; Ich
-meine, du solltest mit ihm darüber reden, sagte Sivert
-schließlich. Und der Vater schloß das Gespräch mit den
-Worten: Nun haben wir auch heute keinen schönen Stein
-zu der Türschwelle gefunden.</p>
-
-<p>Der nächste Tag war ein Samstag, und da mußten sie
-schon sehr früh aufbrechen, um mit dem Kinde rechtzeitig
-übers Gebirge zu kommen. Jensine, die Magd, sollte auch
-mit, da hatten sie die eine Patin, die andern Gevattern
-mußten jenseits des Gebirges unter Ingers Verwandten
-aufgetrieben werden.</p>
-
-<p>Inger war sehr hübsch, sie hatte sich ein besonders
-kleidsames Kattunkleid genäht und trug überdies weiße
-Streifen um den Hals und an den Handgelenken. Das
-Kind war ganz in Weiß, nur unten am Saum war ein
-neues blauseidenes Band durchgezogen; aber es war ja
-auch ein ganz besonderes Kind, es lächelte und plauderte
-schon und horchte auf, wenn die Stubenuhr schlug. Der
-Vater hatte den Namen ausgewählt. Ihm kam dies zu,
-er wollte hier eingreifen &mdash; laßt uns nur meinem Rat
-folgen! Er hatte zwischen Jakobine und Rebekka, die
-beide etwas mit Isak zusammenhingen, geschwankt,
-schließlich war er zu Inger gegangen und hatte ängstlich
-gesagt: Hm. Was meinst du zu Rebekka? &mdash; O ja, antwortete
-Inger. &mdash; Als Isak dies hörte, wurde er ordentlich
-männlich und sagte barsch: Wenn sie etwas heißen
-soll, so soll sie Rebekka heißen. Dafür stehe ich ein!</p>
-
-<p>Und natürlich wollte er mit in der Kirche sein, der
-Ordnung halber und auch, um das Kind zu tragen, der
-kleinen Rebekka sollte ein gutes Taufgeleite nicht fehlen.
-Er stutzte sich den Bart, zog wie in jüngeren Jahren ein
-frisches rotes Hemd an; es war zwar in der größten
-Hitze, aber er hatte einen schönen neuen Winteranzug, den<span class="pagenum"><a name="Seite_198" id="Seite_198">[S. 198]</a></span>
-legte er an. Übrigens war Isak nicht der Mann, der sich
-Verschwendung und Flottheit zur Pflicht machte, deshalb
-zog er zu der Wanderung übers Gebirge ein Paar von
-seinen märchenhaften Siebenmeilenstiefeln an.</p>
-
-<p>Sivert und Leopoldine mußten bei den Haustieren daheim
-bleiben.</p>
-
-<p>Sie ruderten im Boot über den Gebirgssee, und das
-war eine große Erleichterung gegen früher, wo sie immer
-außen herum hatten wandern müssen. Aber mitten auf
-dem Wasser, als Inger der Kleinen die Brust geben
-wollte, sah Isak etwas Glänzendes an einem Faden um
-ihren Hals hängen. &mdash; Was konnte das sein? In der
-Kirche bemerkte er, daß sie den goldenen Ring am Finger
-trug. Oh, diese Inger, sie hatte sich es nicht versagen
-können!</p>
-
-
-
-<h3>17</h3>
-
-
-<p>Eleseus kam nach Hause.</p>
-
-<p>Er war jetzt mehrere Jahre fort gewesen und war
-größer als der Vater geworden, mit langen weißen
-Händen und einem kleinen dunklen Schnurrbart. Er
-spielte sich nicht auf, sondern schien sich ein natürliches,
-freundliches Wesen zur Pflicht zu machen; die Mutter
-war verwundert und froh darüber. Er bekam mit Sivert
-zusammen die Kammer, die Brüder waren gut Freund
-miteinander und spielten einander manchen Schabernack,
-an dem sie sich höchlich ergötzten. Aber natürlich mußte
-Eleseus beim Zimmern des Anbaus helfen, und da wurde
-er bald müde und erschöpft, weil er körperlicher Arbeit
-ganz ungewohnt war. Ganz schlimm wurde es, als Sivert
-die Arbeit aufgeben und sie den beiden andern überlassen
-mußte &mdash; ja, da war dem Vater eher geschadet als gedient.</p>
-
-<p>Und wohin ging Sivert? Ja, war nicht eines Tages
-Oline übers Gebirge dahergekommen mit der Botschaft<span class="pagenum"><a name="Seite_199" id="Seite_199">[S. 199]</a></span>
-von Oheim Sivert, daß er im Sterben liege! Mußte da
-nicht Klein-Sivert hingehen? Das war ein Zustand! &mdash;
-Niemals hätte das Verlangen des Oheims, Sivert jetzt
-bei sich zu haben, ungelegener kommen können; aber da
-war nichts zu machen.</p>
-
-<p>Oline sagte: Ich hatte gar keine Zeit, den Auftrag zu
-übernehmen, nein, ganz und gar nicht, aber ich habe nun
-einmal die Liebe zu allen den Kindern hier und für Klein-Sivert
-besonders, und so wollte ich ihm zu seinem Erbe
-verhelfen. &mdash; Ist denn der Oheim Sivert sehr krank? &mdash;
-Ach du lieber Gott, er nimmt mit jedem Tag mehr ab!
-&mdash; Liegt er zu Bett? &mdash; Zu Bett! Herr des Himmels,
-ihr solltet nicht so freventlich herausreden. Sivert springt
-und läuft nicht mehr auf dieser Welt.</p>
-
-<p>Nach dieser Antwort mußten sie ja annehmen, daß es
-mit dem Oheim Sivert stark auf das Ende zugehe, und
-Inger trieb Klein-Sivert noch tüchtig zur Eile an; sofort
-sollte er gehen.</p>
-
-<p>Aber der Oheim Sivert, der Halunke, der Schelm,
-lag durchaus nicht im Sterben, er lag nicht einmal beständig
-zu Bett. Als Klein-Sivert ankam, fand er eine
-fürchterliche Unordnung und Vernachlässigung auf dem
-kleinen Hofe vor, ja, die Frühjahrsarbeit war nicht einmal
-ordentlich getan worden, nein, nicht einmal der Winterdung
-war hinausgefahren, aber der Tod schien nicht
-augenblicklich bevorzustehen. Der Oheim Sivert war
-allerdings ein alter Mann, über siebzig, er war hinfällig
-und trieb sich halb angezogen im Hause umher, lag auch
-oft zu Bett und mußte für verschiedenes notwendig Hilfe
-haben; zum Beispiel mußte das Heringsnetz, das im
-Bootsschuppen hing und da schlecht aufgehoben war, ausgebessert
-werden. O ja, aber der Oheim war durchaus
-nicht so am Ende, daß er nicht noch gepökelte Fische essen
-und sein Pfeifchen rauchen konnte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_200" id="Seite_200">[S. 200]</a></span></p>
-
-<p>Nachdem Sivert eine halbe Stunde dagewesen war
-und gesehen hatte, wie alles zusammenhing, wollte er
-gleich wieder heim. &mdash; Heim? fragte der Alte. &mdash; Ja,
-wir bauen eine Stube, und dem Vater fehlt meine Hilfe.
-&mdash; So, sagte der Alte, ist denn nicht Eleseus daheim? &mdash;
-Doch, aber der ist diese Arbeit nicht gewohnt. &mdash; Warum
-bist du dann gekommen? &mdash; Sivert erklärte, welche Botschaft
-Oline gebracht habe. &mdash; Im Sterben? fragte der
-Alte. Meinte sie, ich liege im Sterben? Zum Teufel auch!
-&mdash; Hahaha! lachte Sivert. &mdash; Der Alte sah den Neffen gekränkt
-an und sagte: Du machst dich über einen Sterbenden
-lustig, und du bist nach mir getauft worden! &mdash;
-Sivert war zu jung, um eine betrübte Miene aufzusetzen,
-er hatte sich nie etwas aus dem Oheim gemacht, und jetzt
-wollte er wieder heim.</p>
-
-<p>Na, und du hast also auch gemeint, ich liege im Sterben
-und bist da gleich hergerannt, sagte der Alte. &mdash;
-Oline hat es gesagt, beharrte Sivert. &mdash; Nach kurzem
-Schweigen machte der Oheim ein Angebot: Wenn du
-mein Netz im Bootsschuppen flickst, darfst du etwas bei
-mir sehen. &mdash; So, sagte Sivert, und was ist es? &mdash; Ach,
-das geht dich nichts an, versetzte der Alte mürrisch und
-legte sich wieder zu Bett.</p>
-
-<p>Die Verhandlungen brauchten offenbar Zeit. Sivert
-wußte nicht recht, was tun. Er ging hinaus und sah sich
-um, alles war unordentlich und vernachlässigt, die Arbeit
-hier in Angriff nehmen zu sollen, wäre ein Unding gewesen.
-Als er wieder hereinkam, war der Oheim auf und
-saß am Ofen.</p>
-
-<p>Siehst du dies? fragte er und deutete auf einen eichenen
-Schrein, der zwischen seinen Füßen auf dem Boden
-stand. Das war der Geldschrein. In Wirklichkeit war es
-einer von jenen Flaschenkasten, mit vielen Abteilungen,
-den Beamte und andere vornehme Leute in alten Tagen
-auf ihren Reisen mit sich geführt hatten; es waren jetzt<span class="pagenum"><a name="Seite_201" id="Seite_201">[S. 201]</a></span>
-keine Flaschen mehr drin, der alte Bezirkskassierer bewahrte
-Rechnungen und Gelder darin auf. Oh, diese
-Flaschenkiste, die Sage ging, daß sie den Reichtum der
-ganzen Welt berge, die Leute im Dorfe pflegten zu sagen:
-Wenn ich nur das Geld hätte, das der Sivert in seinem
-Schrein hat!</p>
-
-<p>Der Oheim Sivert entnahm dem Schrein ein Papier
-und sagte feierlich: Du kannst doch wohl Geschriebenes
-lesen? Lies dies Dokument! &mdash; Klein-Sivert war durchaus
-nicht überlegen im Lesen von Schriftstücken, nein,
-das war er nicht, aber jetzt las er, daß er zum Erben der
-ganzen Hinterlassenschaft des Oheims eingesetzt sei. &mdash;
-Und nun kannst du tun, was du willst, sagte der Alte und
-legte das Dokument wieder in den Schrein.</p>
-
-<p>Sivert fühlte sich nicht besonders gerührt, das Dokument
-berichtete ihm eigentlich nicht mehr, als was er vorher
-gewußt hatte, schon von Kind auf hatte er ja nichts
-anderes gehört, als daß er den Oheim einmal beerben
-werde. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn er in dem
-Schrein Kostbarkeiten hätte zu sehen bekommen. &mdash; Es
-ist wohl viel Merkwürdiges in dem Schrein, sagte er.
-&mdash; Mehr als du denkst, versetzte der Oheim kurz.</p>
-
-<p>Er war so enttäuscht und ärgerlich über den Neffen,
-daß er den Schrein zuschloß und wieder zu Bett ging. Da
-lag er dann und gab verschiedene Mitteilungen kund:
-Dreißig Jahre lang bin ich hier im Dorf Bevollmächtigter
-und Herr der Gelder gewesen, ich habe es nicht nötig,
-jemand um eine Handreichung anzuflehen. Woher wußte
-denn Oline, daß ich am Sterben sei? Kann ich nicht,
-wenn ich will, drei Mann zum Doktor fahren lassen?
-Ihr sollt nicht euren Spott mit mir treiben. Und du,
-Sivert, kannst nicht warten, bis ich meinen Geist ausgehaucht
-habe. Ich will dir nur eins sagen: Jetzt hast du
-das Dokument gelesen, und es liegt in meinem Geldschrein;
-mehr sag ich nicht. Aber wenn du von mir fort<span class="pagenum"><a name="Seite_202" id="Seite_202">[S. 202]</a></span>gehst,
-dann richte deinem Bruder Eleseus aus, daß er
-hierherkommen soll. Er heißt nicht nach mir und trägt
-nicht meinen irdischen Namen &mdash; aber er soll nur
-kommen!</p>
-
-<p>Trotz der Drohung, die in diesen Worten lag, überlegte
-Sivert sich die Sache und sagte dann: Ich werde
-Eleseus deinen Auftrag ausrichten.</p>
-
-<p>Oline war noch auf Sellanraa, als Sivert zurückkam.
-Sie hatte Zeit gehabt, einen Gang durch die Gegend zu
-machen, ja sogar bis zu Axel Ström und Barbros Ansiedlung,
-dann kam sie wieder zurück und tat äußerst
-wichtig und geheimnisvoll. Die Barbro ist dicker geworden,
-sagte sie flüsternd, das wird doch nichts zu bedeuten
-haben? Aber sagt es niemand! Was, da bist du ja wieder,
-Sivert, da brauche ich ja wohl nicht erst zu fragen, ob
-dein Oheim entschlafen ist? Ja, ja, er war ein alter Mann
-und ein Greis am Rande des Grabes. Was &mdash; er ist also
-nicht tot? Gott sei Lob und Dank! Was, ich hätte nur ein
-leeres Geschwätz verführt, sagst du? Wenn ich nur bei
-allem so frei von Schuld wäre! Konnte ich denn wissen,
-daß dein Oheim Gott ins Angesicht log? Er nimmt ab,
-das waren meine Worte, und diese werde ich einmal vor
-Gottes Thron wiederholen. Was sagst du, Sivert? Ja,
-aber lag nicht dein Oheim zu Bett und rauchte und faltete
-beide Hände auf der Brust und sagte, nun liege er da und
-kämpfe es aus?</p>
-
-<p>Mit Oline konnte man sich unmöglich in einen Streit
-einlassen, sie überwältigte ihren Gegner mit ihrem Geschwätz
-und machte ihn mundtot. Als sie hörte, daß der
-Oheim Sivert Eleseus zu sich rief, ergriff sie auch diesen
-Umstand sofort und verwendete ihn zu ihrem Vorteil. Da
-könnt ihr hören, ob ich ein leeres Geschwätz im Munde
-geführt habe. Der alte Sivert ruft seine Verwandten herbei
-und schmachtet nach seinem Fleisch und Blut, es ist
-am letzten bei ihm. Du mußt ihm das nicht abschlagen,<span class="pagenum"><a name="Seite_203" id="Seite_203">[S. 203]</a></span>
-Eleseus, geh nur gleich, damit du deinen Oheim noch am
-Leben triffst. Ich muß auch übers Gebirge, da können
-wir zusammen gehen.</p>
-
-<p>Oline verließ indes Sellanraa nicht, bis sie Inger auf
-die Seite gezogen und ihr noch über Barbro zugeflüstert
-hatte: Sag es niemand, aber sie hat die Anzeichen! Und
-nun meint sie wohl, sie werde die Frau auf der Ansiedlung.
-Manche Leute kommen obenauf, ob sie auch von
-Anfang an so klein sind wie Sandkörner am Meeresstrand.
-Wer hätte nun das von Barbro geglaubt! Axel
-ist sicher ein fleißiger Mann, und so große Güter und
-Höfe wie hier im Ödland gibt es nicht auf unserer Seite
-des Gebirges, das weißt du auch, Inger, du stammst ja
-aus unserer Gemeinde und bist dort geboren. Barbro
-hatte ein paar Pfund Wolle in einer Kiste, es war lauter
-Winterwolle, ich habe keine davon verlangt, und sie hat
-mir auch keine davon angeboten; wir sagten nur Grüßgott
-und Gutentag, obgleich ich sie von Kindesbeinen an
-gekannt habe, damals, als ich hier auf Sellanraa war,
-und du, Inger, fort in der Lehre &mdash;</p>
-
-<p>Jetzt weint die kleine Rebekka, warf Inger rasch ein,
-und dann steckte sie Oline noch eine Handvoll Wolle zu.</p>
-
-<p>Große Dankesbezeugung von Oline: Ja, ist es nicht,
-wie ich eben zu der Barbro gesagt habe, so freigebig wie
-die Inger gibt es niemand mehr, sie schenkt sich wahrhaftig
-lahm und wund und murrt nie darüber. Ja, geh
-nur hinein zu dem kleinen Engel, noch nie hat ein Kind
-seiner Mutter so ähnlich gesehen wie die kleine Rebekka
-dir. Ob sich Inger erinnern könne, was sie einmal gesagt
-habe, daß sie keine Kinder mehr bekomme? Da könne sie
-nun sehen! Nein, man solle auf die Alten hören, die
-selbst Kinder gehabt hätten, denn Gottes Wege sind unerforschlich,
-sagte Oline.</p>
-
-<p>Dann trabte sie hinter Eleseus durch den Wald aufwärts,
-vor Alter gebückt, fahl und grau und neugierig,<span class="pagenum"><a name="Seite_204" id="Seite_204">[S. 204]</a></span>
-immer dieselbe. Nun würde sie zum alten Sivert gehen
-und zu ihm sagen, sie &mdash; Oline &mdash; sei es gewesen, die
-Eleseus bestimmt habe, zu ihm zu kommen.</p>
-
-<p>Aber Eleseus hatte sich durchaus nicht nötigen lassen,
-es war nicht schwer gewesen, ihn zu überreden. Seht, im
-Grunde genommen war er besser, als es den Anschein
-hatte, er war wirklich auf seine Art ein guter Bursche,
-gutmütig und freundlich von Natur, nur ohne große körperliche
-Kräfte. Daß er aus der Stadt nur ungern aufs
-Land zurückkehrte, hatte seinen guten Grund, er wußte
-ja wohl, daß die Mutter wegen Kindsmord in der Strafanstalt
-gewesen war, in der Stadt hörte er nichts davon,
-aber da auf dem Lande wußten es wohl alle. War er nun
-nicht mehrere Jahre lang mit Kameraden zusammen gewesen,
-die ihm ein feineres Empfinden beigebracht hatten,
-als er früher gehabt hatte? War nicht eine Gabel ebenso
-notwendig wie ein Messer? Hatte er nicht alle Tage da
-drinnen nach Kronen und Öre gerechnet, und hier rechnete
-man immer noch nach dem alten Talerfuß. O ja, er wanderte
-sehr gern übers Gebirge in eine andere Gegend,
-daheim auf dem väterlichen Hofe mußte er ja jeden
-Augenblick seine Überlegenheit im Zaume halten. Er gab
-sich Mühe, sich den andern anzupassen, und es gelang ihm
-auch, aber er mußte auf der Hut sein, zum Beispiel, als
-er vor ein paar Wochen nach Sellanraa heimgekommen
-war. Er hatte ja einen hellgrauen Frühjahrsüberzieher
-mitgenommen, obgleich man mitten im Sommer war;
-als er ihn an einem Nagel in der Wohnstube aufhängte,
-hätte er gut das silberne Schild mit seinen Buchstaben
-darauf nach außen drehen können, aber er hatte es nicht
-getan. Ebenso war es mit dem Stock, dem Spazierstock!
-Es war allerdings nur ein Regenschirmstock, von dem er
-den Stoff und die Stahlschienen abgemacht hatte, aber
-auf Sellanraa hatte er ihn nicht getragen und lustig ge<span class="pagenum"><a name="Seite_205" id="Seite_205">[S. 205]</a></span>schwungen,
-weit entfernt, er hatte ihn verborgen am
-Schenkel angelegt getragen.</p>
-
-<p>Nein, es war nicht verwunderlich, daß Eleseus übers
-Gebirge ging. Er taugte nicht zum Hausbauen, er taugte
-dazu, Buchstaben zu schreiben, das konnte nicht der erste
-beste, aber in seiner Heimat war niemand, der seine Gelehrsamkeit
-und seine Kunst zu schätzen wußte, ausgenommen
-vielleicht die Mutter. So wanderte er fröhlichen
-Herzens vor Oline her den Wald hinauf, er wollte weiter
-oben auf sie warten, er lief wie ein Kalb, hetzte ordentlich
-vorwärts. Eleseus hatte sich gewissermaßen vom Hofe
-weggestohlen, er hatte Angst, gesehen zu werden, jawohl,
-denn er hatte den Frühjahrsüberzieher und den Spazierstock
-mitgenommen. Jenseits des Gebirges konnte er ja
-hoffen, bessere Leute zu treffen und auch selbst gesehen
-zu werden, vielleicht sogar in die Kirche zu kommen. Deshalb
-plagte er sich in der Sonnenhitze mit dem überflüssigen
-Überrock.</p>
-
-<p>Und er hinterließ keine Lücke, wurde nicht vermißt beim
-Hausbau, im Gegenteil, nun bekam ja der Vater den
-Sivert wieder, der Sivert war von viel größerem Nutzen
-und hielt vom Morgen bis Abend aus. Sie brauchten
-auch nicht viel Zeit zum Aufrichten des Gebäudes, es war
-nur ein Anbau, drei Wände; sie brauchten auch die
-Stämme nicht zuzuhauen, das wurde im Sägewerk gemacht.
-Die Schwartenbretter kamen ihnen dann gleich
-beim Dachbau zugute. Eines schönen Tages stand wirklich
-die Stube vor ihren Augen fertig da, gedeckt, mit
-gelegtem Boden und eingesetzten Fenstern. Weiter konnten
-sie vor der Ernte nicht mehr damit kommen. Das
-Verschalen und Anstreichen mußte auf später warten.</p>
-
-<p>Da kam plötzlich Geißler mit großer Gefolgschaft
-übers Gebirge daher! Und das Gefolge war zu Pferde,
-auf glänzenden Pferden mit gelben Sätteln; es waren
-wohl reiche Reisende, sie waren sehr schwer und dick, die<span class="pagenum"><a name="Seite_206" id="Seite_206">[S. 206]</a></span>
-Pferde bogen sich unter ihnen durch. Mitten unter diesen
-großen Herren ging Geißler zu Fuß. Es waren im ganzen
-vier Herren und Geißler, dazu noch zwei Diener, von
-denen jeder ein Lastpferd führte.</p>
-
-<p>Auf dem Hofplatz stiegen die Reiter ab, und Geißler
-sagte: Da haben wir Isak, den Markgrafen selbst. Guten
-Tag, Isak! Du siehst, da komme ich wieder, wie ich gesagt
-habe.</p>
-
-<p>Geißler war noch ganz der alte; obgleich er zu Fuß
-kam, schien er sich keineswegs geringer zu fühlen als
-die andern, ja, sein abgetragener Rock hing ihm lang und
-leer über seinen eingefallenen Rücken hinunter, aber sein
-Gesicht zeigte einen überlegenen und hochmütigen Ausdruck.
-Er sagte: Diese Herren und ich haben die Absicht,
-ein Stück weit den Berg hinaufzuwandern; sie sind zu
-dick und möchten ein wenig Speck loswerden.</p>
-
-<p>Die Herren waren übrigens freundlich und gutmütig;
-sie lächelten zu Geißlers Worten und entschuldigten sich,
-daß sie wie im Krieg über den Hof hereinbrächen. Sie
-hätten Mundvorrat bei sich, würden ihn also nicht arm
-fressen, wären aber dankbar, wenn sie für die Nacht ein
-Dach über den Kopf bekommen könnten. Vielleicht dürften
-sie in dem neuen Gebäude da übernachten.</p>
-
-<p>Als sie eine Weile ausgeruht hatten und Geißler bei
-Inger und den Kindern drin gewesen war, gingen alle
-die Gäste auf den Berg und blieben bis zum späten Abend
-weg. Am Nachmittag hatten die Leute auf dem Hofe ab
-und zu ganz unerklärliche Laute, Schüsse, gehört, und
-bei der Rückkehr brachten die Herren neue Gesteinsproben
-in Säcken mit. Schwarzkupfer, sagten sie und
-nickten über den Steinen. Es entspann sich eine lange, gelehrte
-Unterredung, und sie guckten dabei in eine Karte,
-die sie in groben Strichen gezeichnet hatten. Unter den
-Herren waren ein Sachverständiger und ein Ingenieur,
-einer wurde Landrat genannt, einer Hüttenbesitzer. Luft<span class="pagenum"><a name="Seite_207" id="Seite_207">[S. 207]</a></span>bahn,
-sagten sie, Seilbahn, sagten sie. Geißler warf ab
-und zu ein Wort ein, und das schien die Herren jedesmal
-richtig aufzuklären; es wurde großes Gewicht auf seine
-Worte gelegt.</p>
-
-<p>Wem gehört das Land südlich vom See? fragte der
-Landrat Isak. &mdash; Dem Staat, antwortete Geißler flugs.
-Er war wachsam und klug, in der Hand hielt er das
-Dokument, das Isak einst mit seinem Namenszeichen
-unterschrieben hatte. &mdash; Ich habe ja schon gesagt, daß
-es dem Staat gehört, warum fragst du noch einmal danach?
-sagte er. Wenn du mich kontrollieren willst, bitte!</p>
-
-<p>Später am Abend nahm Geißler Isak allein mit sich
-hinein und sagte: Wollen wir den Kupferberg verkaufen?
-&mdash; Isak antwortete: Aber der Herr Lensmann hat mir
-ja den Berg schon einmal abgekauft und bezahlt. &mdash;
-Richtig, sagte Geißler, ich habe den Berg gekauft. Aber
-du sollst doch auch Prozente vom weiteren Verkauf oder
-vom Betrieb haben; willst du diese Prozente verkaufen?
-&mdash; Das verstand Isak nicht, und Geißler mußte es ihm
-erklären. Isak könne keine Grube in Betrieb setzen, er
-sei ein Landmann, er mache Land urbar; er, Geißler,
-könne aber auch keine Grube betreiben. Aber Geld, Kapital?
-Oh, soviel er wolle! Aber er habe keine Zeit, er habe
-gar so vielerlei vor, sei ständig auf Reisen, müsse für
-seine Güter im Norden und im Süden sorgen. Nun wolle
-er &mdash; Geißler &mdash; an diese schwedischen Herren verkaufen,
-sie seien alle Verwandte seiner Frau und reiche Leute,
-Fachleute, sie könnten die Grube eröffnen und in Betrieb
-nehmen. Ob Isak es nun verstehe? &mdash; Ich will,
-wie Sie wollen, sagte Isak.</p>
-
-<p>Merkwürdig &mdash; dieses große Zutrauen tat dem armen
-Geißler wohl: Ja, ich weiß nun nicht, ob du gut dabei
-fährst, sagte er und überlegte. Doch plötzlich wurde er
-sicher und fuhr fort: Aber wenn du mir freie Hand gibst,
-werde ich jedenfalls besser für dich handeln, als du es<span class="pagenum"><a name="Seite_208" id="Seite_208">[S. 208]</a></span>
-selbst tun könntest. &mdash; Isak fing an: Hm. Ihr seid von
-der ersten Stunde an hier ein guter Herr für uns gewesen
-... Geißler runzelte die Stirn und unterbrach ihn:
-Also, es ist gut!</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen setzten sich die Herren hin, um
-zu schreiben. Sehr ernsthafte Sachen schrieben sie; zuerst
-einen Kaufkontrakt auf vierzigtausend Kronen für den
-Kupferberg, dann ein Dokument, worin Geißler zugunsten
-seiner Frau und seiner Kinder auf jeden Heller von
-diesen vierzigtausend verzichtete. Isak und Sivert wurden
-hereingerufen, um diese Papiere als Zeugen zu unterschreiben.
-Als dies getan war, wollten die Herren Isak
-seine Prozente für eine Bagatelle abkaufen, für fünfhundert
-Kronen. Aber Geißler unterbrach sie mit den
-Worten: Scherz beiseite!</p>
-
-<p>Isak verstand nicht viel vom Ganzen, er hatte einmal
-verkauft und seine Bezahlung dafür erhalten, und
-im übrigen, Kronen &mdash; das war gar nichts, es waren
-keine Taler. Sivert dagegen dachte sich mehr dabei, der
-Ton der Verhandlungen war ihm auffallend: das war
-gewiß eine Familiensache, die hier beigelegt und abgemacht
-wurde. So sagte einer der Herren: Lieber Geißler,
-du brauchtest wirklich nicht so rote Ränder um die Augen
-zu haben! Worauf Geißler scharfsinnig aber ausweichend
-antwortete: Nein, das brauche ich wirklich nicht. Aber es
-geht eben nicht nach Verdienst in dieser Welt.</p>
-
-<p>War es so, daß Frau Geißlers Brüder und Verwandte
-ihren Mann abfinden, sich vielleicht mit einem Schlag
-von seinen Besuchen befreien und die widerwärtige Verwandtschaft
-loswerden wollten? Nun war ja der Kupferberg
-wahrscheinlich nicht wertlos, das wurde von keinem
-behauptet, aber er war sehr abgelegen, die Herren sagten
-geradezu, sie kauften ihn jetzt, um ihn weiterzuverhandeln
-an Leute, die viel leichter eine Grube in Betrieb
-setzen und ausbauen könnten als sie. Darin lag nichts<span class="pagenum"><a name="Seite_209" id="Seite_209">[S. 209]</a></span>
-Unnatürliches. Sie sagten auch offen, sie wüßten nicht,
-wieviel der Berg eintragen könnte. Wenn eine Grube
-eröffnet würde, seien vielleicht vierzigtausend Kronen
-keine Bezahlung; wenn aber der Berg so liegen bleibe,
-wie er jetzt sei, dann sei es hinausgeworfenes Geld. Aber
-jedenfalls wollten sie reinen Tisch machen, und deshalb
-böten sie Isak fünfhundert Kronen für seinen Anteil.</p>
-
-<p>Ich bin Isaks Bevollmächtigter, sagte Geißler, und
-ich verkaufe sein Recht nicht unter zehn Prozent der Kaufsumme.</p>
-
-<p>Viertausend! sagten die Herren.</p>
-
-<p>Viertausend! beharrte Geißler. Der Berg ist Isaks
-Eigentum gewesen, er erhält viertausend. Mir hat er nicht
-gehört, ich bekomme vierzigtausend. Wollen sich die Herren
-wohl die Mühe nehmen und das bedenken.</p>
-
-<p>Ja, aber viertausend!</p>
-
-<p>Geißler stand auf und sagte: Jawohl oder gar kein
-Verkauf.</p>
-
-<p>Sie überlegten, tuschelten miteinander und gingen auf
-den Hofplatz hinaus, zogen die Sache in die Länge. Richtet
-die Pferde! riefen sie dann den Dienern zu. Einer der
-Herren ging zu Inger hinein, bezahlte fürstlich für den
-Kaffee, einige Eier und das Nachtquartier. Geißler ging
-anscheinend gleichgültig umher, aber er war noch ebenso
-wachsam: Wie ist es mit der Wasserleitung im vorigen
-Jahr gegangen? fragte er Sivert. &mdash; Sie hat uns die
-ganze Ernte gerettet. &mdash; Ich sehe, ihr habt den Sumpf
-dort umgerodet, seit ich das letztemal hier war. &mdash; Ja.
-&mdash; Ihr müßt euch noch ein Pferd anschaffen, sagte Geißler.
-Er sah alles.</p>
-
-<p>Komm jetzt her, damit wir fertig werden! rief der
-Hüttenbesitzer.</p>
-
-<p>Darauf gingen alle miteinander in den Neubau, und
-Isaks viertausend wurden aufgezählt. Geißler bekam eine
-Urkunde; er steckte sie nachlässig in die Tasche, als hätte<span class="pagenum"><a name="Seite_210" id="Seite_210">[S. 210]</a></span>
-sie gar keinen Wert. Heb sie wohl auf, sagten die andern
-zu ihm, und deiner Frau wird das Bankbuch in einigen
-Tagen zugestellt werden, sagten sie. &mdash; Geißler runzelte
-die Stirne und erwiderte: Es ist gut!</p>
-
-<p>Aber sie waren noch nicht fertig mit Geißler. Nicht
-als ob er den Mund aufgetan hätte, um etwas für sich
-zu verlangen, aber da stand er nun, und sie sahen, wie
-er dastand; vielleicht hatte er sich auch selbst einen kleinen
-Teil des Geldes ausbedungen. Als der Hüttenbesitzer ihm
-ein Banknotenbündel reichte, nickte Geißler nur und sagte
-wieder, es sei gut. Und nun trinken wir noch ein Glas
-mit Geißler, sagte der Hüttenbesitzer.</p>
-
-<p>Sie tranken, dann waren sie fertig und verabschiedeten
-sich von Geißler.</p>
-
-<p>In diesem Augenblick kam Brede Olsen einher. Was
-wollte der nun? Brede hatte natürlich die dröhnenden
-Schüsse am gestrigen Tage gehört und verstanden, daß
-droben im Gebirge etwas vor sich ging. Jetzt kam er
-und wollte auch Gebirgsstrecken verkaufen. Er ging an
-Geißler vorbei, wendete sich an die Herren und sagte: er
-habe einige merkwürdige Gesteinsarten entdeckt, ganz
-wunderbare, die einen seien rot wie Blut, andere hell
-wie Silber; er kenne jeden Winkel da droben und könne
-rasch mit den Herren hinaufgehen, er wisse mehrere lange
-Metalladern &mdash; was das wohl für eine Art Metall sein
-könne? &mdash; Hast du Proben bei dir? fragte der Bergbaukundige.
-&mdash; Ja. Aber ob sie nicht ebensogut auf den
-Berg hinaufgehen könnten? Es sei nicht weit, Proben,
-jawohl! Viele Säcke voll, viele Kisten voll, er habe sie
-zwar nicht bei sich, aber daheim in seinem Hause; er
-könne rasch hinlaufen und sie holen. Aber er könne in
-kürzerer Zeit von den Bergen droben holen, wenn die
-Herren warten wollten. Die Herren jedoch schüttelten
-den Kopf und ritten davon.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_211" id="Seite_211">[S. 211]</a></span></p>
-
-<p>Brede sah ihnen gekränkt nach. Wenn die Hoffnung
-einen Augenblick in ihm aufgetaucht war, dann erlosch
-sie jetzt wieder; er arbeitete unter der Ungunst des Schicksals,
-nichts wollte ihm glücken. Nur gut, daß er einen
-leichten Sinn hatte, um das Leben trotzdem ertragen zu
-können. Er sah den Reitern nach und sagte schließlich: Na,
-viel Glück auf die Reise!</p>
-
-<p>Aber jetzt zeigte er sich wieder unterwürfig gegen Geißler,
-seinen früheren Lensmann, er duzte ihn nicht mehr,
-sondern verbeugte sich und sagte Ihr. Geißler hatte unter
-irgendeinem Vorwand seine Brieftasche herausgezogen
-und ließ sehen, wie sie von Banknoten strotzte. &mdash; Könnt
-Ihr mir nicht helfen, Lensmann! sagte Brede. &mdash; Geh
-heim und grabe dein Moor um! sagte Geißler und half
-ihm nicht im geringsten. &mdash; Ich hätte gut eine ganze
-Traglast voll Steine mitbringen können, aber wäre es
-denn nicht viel besser gewesen, die Herren hätten die
-Berge selbst angesehen, da sie nun doch einmal hier
-waren? &mdash; Geißler tat, als höre er nicht, was Brede
-sagte, sondern fragte Isak: Weißt du nicht, was ich mit
-dem Dokument gemacht habe? Es war äußerst wichtig,
-viele tausend Kronen wert. Ach, da ist es, mitten zwischen
-den Banknoten. &mdash; Was waren denn das für Leute,
-haben sie nur einen Ausflug zu Pferde gemacht? fragte
-Brede.</p>
-
-<p>Geißler war wohl vorher in großer Spannung gewesen,
-jetzt fiel er merklich ab. Aber er hatte doch noch
-Lust und Leben genug, um noch allerlei auszurichten.
-Sivert sollte mit ihm hinauf auf den Berg, Geißler
-hatte ein großes Papier bei sich, da zeichnete er die Grenze
-auf der Südseite des Wassers deutlich darauf ein. &mdash;
-Was er wohl für einen Gedanken dabei hatte! Als er
-ein paar Stunden später wieder auf den Hof zurückkam,
-war Brede noch da, aber Geißler beantwortete keine ein<span class="pagenum"><a name="Seite_212" id="Seite_212">[S. 212]</a></span>zige
-von seinen Fragen, sondern war müde und winkte
-ihm nur mit der Hand ab.</p>
-
-<p>Er schlief ununterbrochen bis zum nächsten Morgen,
-da stand er mit der Sonne auf und war wieder ganz
-frisch. Sellanraa! sagte er, als er auf dem Hofplatz stand
-und weit umherschaute.</p>
-
-<p>All das Geld, das ich bekommen habe, soll denn das
-mir gehören? fragte Isak.</p>
-
-<p>Was du sagst! erwiderte Geißler. Verstehst du denn
-nicht, daß du mehr hättest haben sollen? Und eigentlich
-hättest du sie nach unserem Kontrakt von mir haben
-sollen, aber wie du gesehen hast, ließ sich das nicht
-machen. Wieviel hast du bekommen? Nach alter Rechnung
-nur tausend Taler. Ich denke eben darüber nach,
-daß du noch ein Pferd für den Hof haben mußt. &mdash; Ja.
-&mdash; Ich weiß dir ein Pferd. Der jetzige Gerichtsbote bei
-Lensmann Heyerdahl läßt seinen Hof verfallen, das Herumreisen
-und die Leute auspfänden ist ihm unterhaltender.
-Er hat schon einen Teil seines Viehstandes verkauft,
-jetzt will er auch seinen Gaul los sein. &mdash; Ich werde mit
-ihm reden, sagte Isak.</p>
-
-<p>Geißler deutete mit der Hand weit herum und sagte:
-Alles gehört dem Markgrafen! Du hast Haus und Vieh
-und wohlbestellte Felder, niemand kann dich aushungern.</p>
-
-<p>Nein, antwortete Isak, wir haben alles, was Gott geschaffen
-hat.</p>
-
-<p>Geißler lief noch eine Weile auf dem Hof umher,
-dann ging er plötzlich zu Inger hinein. Kannst du wohl
-auch heute etwas Mundvorrat entbehren? fragte er. Wieder
-ein paar Waffeln, aber ohne Butter und Käse darauf;
-sie sind allein schon nahrhaft und fett genug. Nein,
-tu, wie ich sage, ich will nicht noch mehr tragen.</p>
-
-<p>Geißler ging wieder hinaus. Er hatte wohl allerlei
-Gedanken im Kopf. Im Neubau setzte er sich an den
-Tisch und begann zu schreiben. Er hatte sich die Sache<span class="pagenum"><a name="Seite_213" id="Seite_213">[S. 213]</a></span>
-schon vorher ausgedacht, deshalb brauchte er nicht viel
-Zeit dazu. Es sei eine Eingabe an den Staat, sagte er
-überlegen zu Isak. An das Ministerium des Innern,
-sagte er. Ich habe für so vieles zu sorgen!</p>
-
-<p>Als er seinen Mundvorrat bekommen hatte und sich
-verabschiedete, war es, als falle ihm plötzlich noch etwas
-ein. Ja, richtig, als ich das letztemal fortging, vergaß
-ich gewiß &mdash; ich hatte einen Schein aus meiner Brieftasche
-genommen, hatte ihn dann aber in meine Westentasche
-gesteckt. Da habe ich ihn nachher gefunden. Ich
-habe so vielerlei Geschäfte. Damit steckte er Inger etwas
-in die Hand und ging.</p>
-
-<p>Ja, dann ging Geißler, und er schien ganz getrosten
-Mutes zu sein. Er war durchaus nicht herunter und starb
-auch noch lange nicht, kam auch wieder nach Sellanraa,
-und erst viele Jahre später starb er. Die Hofleute vermißten
-ihn aber sehr, als er nun gegangen war; Isak
-hatte ihn wegen Breidablick um Rat fragen wollen, war
-aber nicht dazu gekommen. Geißler hätte ihm wohl auch
-abgeraten, den Hof zu kaufen &mdash; für einen Kontoristen
-wie Eleseus Ödland zu kaufen!</p>
-
-
-
-<h3>18</h3>
-
-
-<p>Oheim Sivert war doch am Sterben. Eleseus war
-ungefähr drei Wochen bei dem Alten gewesen, da
-war er tot. Eleseus bestellte das Begräbnis und
-war recht tüchtig in dieser Richtung, er holte da und dort
-in den Häusern einige Fuchsiastöcke, entlehnte eine Flagge
-und hing sie auf Halbmast, kaufte schwarzen Flor beim
-Kaufmann zu heruntergelassenen Vorhängen. Isak und
-Inger wurden benachrichtigt und kamen zum Begräbnis.
-Eleseus war der eigentliche Wirt und verstand sich sehr<span class="pagenum"><a name="Seite_214" id="Seite_214">[S. 214]</a></span>
-wohl auf die Aufwartung für die Eingeladenen, ja, nachdem
-am Sarg noch gesungen worden war, sprach Eleseus
-sogar einige passende Worte, worüber seine Mutter vor
-lauter Stolz und Rührung ihr Taschentuch gebrauchen
-mußte. Alles ging ausgezeichnet.</p>
-
-<p>Auf dem Heimweg in seines Vaters Gesellschaft mußte
-Eleseus seinen Überzieher offen tragen, den Spazierstock
-aber verbarg er in seinem Ärmel. Es ging alles gut, bis
-sie im Boot übers Wasser fuhren; da stieß Isak aus Versehen
-an den Rock, und ein Krach ließ sich hören. &mdash; Was
-war das? fragte Isak. &mdash; O nichts, antwortete Eleseus.</p>
-
-<p>Aber der zerbrochene Stock wurde nicht weggeworfen;
-als sie heimkamen, suchte Eleseus nach einem passenden
-Ring um die Bruchstelle. &mdash; Können wir ihn nicht speideln?
-fragte Sivert, der große Spaßvogel. Sieh hier,
-wenn wir auf beiden Seiten einen guten Holzspan legen
-und mit Pechdraht umwickeln ...? &mdash; Ja, ich werde dich
-mit Pechdraht umwickeln! erwiderte Eleseus. &mdash; Hahaha!
-Ach so, du willst wohl lieber ein rotes Strumpfband herumwickeln?
-&mdash; Hahaha! lachte auch Eleseus, aber dann
-ging er zu seiner Mutter hinein, und bei ihr bekam er
-einen alten Fingerhut, von dem er den oberen Teil abfeilte,
-wodurch er dann einen sehr schönen Ring für den
-Spazierstock bekam. Oh, Eleseus war gar nicht so ungeschickt
-mit seinen langen Fingern.</p>
-
-<p>Die Brüder trieben immer noch ihren Spaß miteinander.
-Bekomme ich das, was der Oheim Sivert hinterlassen
-hat? fragte Eleseus. &mdash; Ob du es bekommst? Wieviel
-ist es? versetzte Sivert. &mdash; Hahaha! Du willst zuerst
-wissen, wieviel es ist, du Geizhals! &mdash; Ja, du kannst es
-gern haben, sagte Sivert. &mdash; Es wird zwischen fünf-
-und zehntausend sein. &mdash; Talern? rief Sivert; er konnte
-die Frage nicht zurückhalten. &mdash; Eleseus rechnete ja nicht
-nach Talern, aber jetzt paßte es ihm, er nickte und ließ
-Sivert bis zum nächsten Tag in diesem Glauben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_215" id="Seite_215">[S. 215]</a></span></p>
-
-<p>Dann kam Eleseus wieder auf die Sache zurück. Reut
-dich wohl dein Geschenk von gestern? fragte er. &mdash; Du
-Dummkopf, versetzte Sivert; allerdings, aber fünftausend
-Taler waren nun einmal fünftausend Taler und keine
-Kleinigkeit; wenn der Bruder nicht ein Geizhals oder ein
-schlechter Kerl war, dann teilte er mit ihm. &mdash; Nun will
-ich dir etwas sagen, erklärte endlich Eleseus, ich glaube
-nicht, daß ich von der Erbschaft fett werde. &mdash; Sivert
-sah ihn überrascht an: So, nicht? &mdash; Nein, nicht besonders
-und nicht <span class="antiqua">par excellence</span> fett.</p>
-
-<p>Eleseus hatte ja gelernt, sich in Rechnungen auszukennen;
-der Schrein des Oheims, der berühmte Flaschenkasten,
-war vor ihm geöffnet worden, und er hatte alle
-Papiere und Summen durchgehen und Kassensturz halten
-müssen. Oheim Sivert hatte seinen Neffen nicht zu Landarbeit
-oder zum Flicken des Fischnetzes verwendet, sondern
-ihn in eine fürchterliche Unordnung von Zahlen und
-Rechnungen hineinversetzt. Wenn ein Steuerzahler vor
-zehn Jahren mit einer Ziege oder einer Kiste getrocknetem
-Kohlfisch bezahlt hatte, dann stand weder die Ziege noch
-der Kohlfisch da, sondern der alte Sivert holte den Mann
-aus seinem Gedächtnis hervor und sagte: Er hat bezahlt.
-&mdash; Nun, dann streichen wir diesen Posten, sagte Eleseus.</p>
-
-<p>Hier war Eleseus der rechte Mann, er war freundlich
-und munterte den Kranken damit auf, daß er sagte, es
-stehe alles gut; die beiden hatten sich gut zusammen eingelebt,
-ja, ab und zu hatten sie sogar ihren Spaß miteinander.
-Eleseus war ja wohl in dem einen oder andern
-töricht, aber das war der alte Sivert auch; sie hatten
-geradezu hochtrabende Dokumente abgefaßt, nicht nur
-zum Vorteil von Klein-Sivert, sondern auch fürs Dorf,
-die Gemeinde, der der Alte dreißig Jahre gedient hatte.
-&mdash; Herrliche Tage waren es! &mdash; Ich hätte wahrlich niemand
-Besseren bekommen können als dich, Eleseus! sagte
-Oheim Sivert. Er schickte jemand fort und ließ mitten<span class="pagenum"><a name="Seite_216" id="Seite_216">[S. 216]</a></span>
-im Sommer ein geschlachtetes Schaf kaufen, die Fische
-wurden ihm frisch aus dem Meer gebracht, und Eleseus
-wurde befohlen, aus dem Schrein zu bezahlen; sie lebten
-recht gut miteinander.</p>
-
-<p>Sie ließen Oline kommen, und sie hätten niemand
-Besseren haben können, um an einem Festmahl teilzunehmen,
-auch war niemand besser dazu geschaffen als
-sie, von des alten Siverts letzten Tagen großen Ruhm
-zu verbreiten. Und die Befriedigung war gegenseitig. Ich
-meine, wir sollten Oline auch mit einer kleinen Erbschaft
-bedenken, sagte der Oheim, sie ist jetzt Witwe und hat
-es recht knapp. Es bleibt trotzdem noch genug für Klein-Sivert.
-&mdash; Es kostete Eleseus nur ein paar Federstriche
-mir geübter Hand, einen Nachtrag zu dem letzten Willen,
-und dann war auch Oline unter die Erben eingereiht. &mdash;
-Ich werde für dich sorgen, sagte der alte Sivert zu ihr;
-falls ich nicht wieder gesund werden sollte und nicht mehr
-auf der Erde leben werde, will ich, daß du nicht Hunger
-leiden mußt, sagte er. &mdash; Oline rief, sie sei sprachlos;
-aber das war sie gar nicht, sie war gerührt und weinte
-und dankte; niemand hätte solche Verbindung zwischen
-einer irdischen Gabe und zum Beispiel &#8222;der großen
-himmlischen Wiedervergeltung im Jenseits&#8221; finden können
-wie Oline. Nein, sprachlos war sie nicht.</p>
-
-<p>Aber Eleseus? Waren ihm vielleicht im Anfang die
-Verhältnisse des Oheims günstig und zufriedenstellend
-vorgekommen, so mußte er sich doch später die Sache
-neu überlegen und mit der Wahrheit herausrücken. Er
-versuchte es mit einem schwachen Einwand: Die Kasse ist
-ja nicht so ganz in Ordnung, sagte er. &mdash; Jawohl, aber
-da ist ja alles, was ich sonst hinterlasse. &mdash; Ja, und dann
-hast du wohl auch noch da und dort Geld auf der Bank?
-fragte Eleseus, denn so ging das Gerücht. &mdash; Na, antwortete
-der Alte, das kann nun sein, wie es will. Aber
-das Großnetz, der Hof und die Häuser und das Vieh,<span class="pagenum"><a name="Seite_217" id="Seite_217">[S. 217]</a></span>
-und weiße Kühe und rote Kühe! Ich glaube, du faselst,
-mein guter Eleseus!</p>
-
-<p>Eleseus wußte nicht, wieviel das Großnetz wert sein
-konnte; aber das Vieh hatte er jedenfalls gesehen: es
-bestand aus einer Kuh. Sie war weiß und rot. Oheim
-Sivert redete vielleicht irre. Und Eleseus verstand auch
-des Alten Rechnungen nicht alle; sie waren in einem
-großen Durcheinander, der reine Wirrwarr, besonders seit
-dem Jahr, in dem der Münzfuß von Talern in Kronen
-übergegangen war. Der Bezirkskassierer hatte oft die kleinen
-Kronen für volle Taler gerechnet. Kein Wunder, daß
-er sich für reich hielt! Aber Eleseus fürchtete, wenn erst
-einmal alles geordnet sein würde, werde nicht viel übrigbleiben,
-vielleicht nichts, ja, vielleicht werde es nicht einmal
-hinreichen.</p>
-
-<p>Oh, Klein-Sivert konnte ihm leicht das versprechen,
-was der Oheim hinterlassen würde!</p>
-
-<p>Die Brüder scherzten darüber, Sivert war nicht niedergeschlagen,
-im Gegenteil, vielleicht hätte er sich schließlich
-mehr gegrämt, wenn er wirklich fünftausend Taler verschleudert
-hätte. Er wußte wohl, daß er aus reiner Berechnung
-nach dem Oheim genannt worden war, er hatte
-also auch nichts von ihm verdient. Jetzt zwang er Eleseus
-die Erbschaft förmlich auf: Ja, gewiß mußt du sie annehmen,
-komm, wir wollen es schriftlich machen! sagte
-er. Ich gönne es dir, wenn du reich wirst. Verschmäh es
-nicht!</p>
-
-<p>Sie hatten viel Spaß miteinander. Sivert war in der
-Tat der, der Eleseus am meisten half, das Leben daheim
-auszuhalten, vieles wäre ohne Sivert schwerer für
-Eleseus gewesen.</p>
-
-<p>Jetzt war übrigens Eleseus wieder tüchtig verdorben
-worden, die drei Wochen Müßiggang jenseits des Gebirges
-waren nicht vom Guten für ihn gewesen; er war<span class="pagenum"><a name="Seite_218" id="Seite_218">[S. 218]</a></span>
-da auch in die Kirche gegangen und hatte sich gut herausgeputzt,
-ja, er war auch mit jungen Mädchen zusammengetroffen.
-Daheim auf Sellanraa gab es keine. Jensine,
-die Magd, war nicht zu rechnen, sie war nur ein Arbeitstier,
-sie paßte besser für Sivert. &mdash; Ich möchte wohl wissen,
-wie die Barbro von Breidablick geworden ist, seit sie
-erwachsen ist, sagte er. &mdash; Geh hinunter zu Axel Ström
-und sieh sie dir an, entgegnete Sivert.</p>
-
-<p>An einem Sonntag machte sich Eleseus auf den Weg.
-Jawohl, er war auswärts gewesen und hatte Mut und
-Lustigkeit wiedergefunden, hatte Blut geleckt, in Axels
-Gamme lebte er wieder auf. Barbro selbst war keineswegs
-zu verachten, jedenfalls war sie die einzige hier
-in der Gegend; sie spielte Gitarre und war witzig, außerdem
-roch sie nicht nach Rainfarn, sondern nach echten
-Sachen, nach Haarwasser. Seinerseits gab Eleseus zu
-verstehen, daß er nur in den Ferien daheim sei, das
-Büro werde ihn bald zurückberufen. Immerhin sei es
-angenehm, wieder einmal daheim zu sein, wieder in der
-alten Heimat, und er habe jetzt droben die Kammer für
-sich allein zum Bewohnen. Aber es sei eben doch nicht die
-Stadt!</p>
-
-<p>Nein, das weiß Gott, daß das Ödland nicht die Stadt
-ist! stimmte Barbro bei.</p>
-
-<p>Axel selbst kam diesen beiden Stadtkindern gegenüber
-nicht recht zur Geltung. Er langweilte sich und ging hinaus
-auf seine Felder. Nun hatten die beiden freie Hand,
-und Eleseus war großartig. Er erzählte, er sei im Nachbardorfe
-gewesen und habe dort einen Oheim begraben,
-auch vergaß er nicht zu sagen, daß er am Sarge eine Rede
-gehalten hatte.</p>
-
-<p>Als er ging, sagte er zu Barbro, sie solle ihn ein Stück
-Wegs begleiten. Aber nein, danke! &mdash; Ist es Sitte und
-Brauch in der Stadt, daß die Damen die Herren heim<span class="pagenum"><a name="Seite_219" id="Seite_219">[S. 219]</a></span>begleiten?
-fragte sie. &mdash; Da wurde Eleseus wahrhaftig
-rot und verstand, daß er sie beleidigt hatte.</p>
-
-<p>Trotzdem ging er am nächsten Sonntag wieder aufs
-Nachbargut, und da trug er den Spazierstock in der Hand.
-Die beiden unterhielten sich wieder wie das letztemal,
-und Axel wurde wieder übersehen: Dein Vater hat jetzt
-einen großen Hof, er hat sehr viel gebaut, sagte er. &mdash;
-O ja, und er hat auch das Geld zum Bauen. Vater kann
-alles, was er will! antwortete Eleseus und prahlte drauflos;
-für uns andere arme Schlucker ist es nicht so leicht.
-&mdash; Wieso? &mdash; Na, habt ihr es nicht gehört? Jetzt eben
-sind einige schwedische Millionäre bei ihm gewesen und
-haben ihm einen Kupferberg abgekauft. &mdash; Was du da
-sagst? Und hat er viel Geld dafür bekommen? &mdash; Kolossal
-viel. Ja, ja, ich will nicht prahlen, aber es waren
-jedenfalls viele Tausend. Aber was ich sagen wollte:
-Bauen, sagtest du? Ich sehe, du hast Zimmerholz draußen
-liegen, wann willst du selbst bauen? &mdash; Niemals,
-warf Barbro ein.</p>
-
-<p>Niemals! Das war nun Vorwitz oder Übertreibung.
-Axel hatte im letzten Herbst Steine ausgebrochen und sie
-im Winter hergefahren; jetzt im Sommer hatte er die
-Mauer samt Keller und allem andern fertiggemacht, er
-brauchte nur noch das Haus aufzurichten. Er sagte, er
-hoffe das Haus schon im Herbst unter Dach zu bringen,
-er habe auch schon daran gedacht, Sivert zu bitten, ihm
-ein paar Tage zu helfen, was Eleseus dazu meine? &mdash;
-O ja, meinte Eleseus. Aber du kannst mich bekommen,
-fügte er lächelnd hinzu. &mdash; Euch? sagte Axel ehrerbietig
-und redete ihn plötzlich mit Euch an. Ihr habt Genie für
-andere Sachen. &mdash; Wie das schmeckte, sogar hier im Ödland
-anerkannt zu werden. Ich fürchte sehr, daß diese
-meine Hände nicht dazu taugen, sagte Eleseus auch und
-tat äußerst vornehm. &mdash; Laß mich sehen! sagte Barbro,
-indem sie seine Hand ergiff.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_220" id="Seite_220">[S. 220]</a></span></p>
-
-<p>Axel fühlte sich wieder auf die Seite gesetzt und ging
-hinaus; nun waren die beiden abermals allein. Sie waren
-gleichaltrig, waren zusammen in die Schule gegangen,
-hatten miteinander gespielt, umhergetollt und sich geküßt;
-jetzt frischten sie mit unendlicher Überlegenheit die
-Kindheitserinnerungen auf, und Barbro spielte sich
-ordentlich auf, das war nicht zu verkennen. Natürlich war
-Eleseus nicht zu vergleichen mit den großen Kontoristen
-in Bergen, die Kneifer und goldene Uhren hatten, aber
-hier auf dem Ödland war er unleugbar ein richtiger Herr.
-Und nun holte sie ihre Photographie von Bergen herbei
-und zeigte sie ihm: so habe sie damals ausgesehen, und
-wie jetzt! &mdash; Was soll dir denn jetzt fehlen? fragte er. &mdash;
-So, du meinst, ich habe nicht verloren? &mdash; Verloren? Ich
-will dir nur ein für allemal sagen, daß du jetzt doppelt
-so hübsch bist, überhaupt voller geworden, sagte er. Verloren?
-Nein, das ist klassisch! sagte er. &mdash; Aber findest
-du mein Kleid, das am Hals und im Rücken ausgeschnitten
-ist, auf dem Bild nicht hübsch? Und dann hatte ich
-auch, wie du siehst, eine silberne Kette, die habe ich von
-einem der Kontoristen, bei denen ich war, geschenkt bekommen.
-Aber dann habe ich sie verloren; das heißt nicht
-geradezu verloren, sondern ich brauchte Geld, als ich heimreiste.
-&mdash; Eleseus fragte: Kann ich nicht die Photographie
-bekommen? &mdash; Sie bekommen? Und was bekomme ich
-dafür? Oh, Eleseus wußte recht gut, was er am liebsten
-geantwortet hätte, aber er wagte es nicht zu sagen. Ich
-werde mich photographieren lassen, wenn ich wieder in der
-Stadt bin, dann bekommst du meine auch, sagte er dagegen.
-Sie aber nahm das Bild wieder an sich und sagte:
-Nein, ich habe nur noch die eine. &mdash; Da wurde es düster
-in seinem jungen Herzen, und er streckte die Hand nach
-dem Bild aus. &mdash; Ja, ja, dann gib mir gleich etwas dafür!
-sagte sie lachend. Oh, da griff er zu und küßte sie
-herzlich ab.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_221" id="Seite_221">[S. 221]</a></span></p>
-
-<p>Nun wurde es ungezwungener; Eleseus entfaltete sich,
-er wurde großartig. Sie liebäugelten und lachten und
-scherzten. Als du nach meiner Hand gefaßt hast, war das
-so weich wie ein Samtpfötchen, sagte er. &mdash; Ja, ja,
-nun fährst du bald wieder in die Stadt, und dann kommst
-du wohl nie mehr hierher, sagte Barbro. &mdash; Hältst du
-mich für so schlecht? versetzte Eleseus. &mdash; Hast du niemand
-dort, der dich zurückhält? &mdash; Nein. Unter uns
-gesagt, ich bin nicht verlobt, sagte er. &mdash; Doch, das bist
-du gewiß. &mdash; Nein, es ist tatsächlich wahr, was ich sage.</p>
-
-<p>Sie scherzten und liebäugelten lange miteinander,
-Eleseus war ganz verliebt. Ich werde dir schreiben, sagte
-er, darf ich das? &mdash; Ja, antwortete sie. &mdash; Ja, denn ich
-will nicht kleinlich sein und es nicht ohne Erlaubnis tun!
-Doch plötzlich wurde er eifersüchtig und fragte: Es heißt,
-du seiest mit Axel hier verlobt. Ist es so? &mdash; Mit ihm,
-dem Axel! sagte sie so verächtlich, daß es ihn tröstete. Er
-wird sich brennen! sagte sie. Dann bereute sie ihre Worte,
-und sie fügte hinzu: Der Axel ist schon recht. Und er hält
-eine Zeitung für mich und macht mir sehr oft Geschenke,
-ich kann nichts anderes sagen. &mdash; Gott bewahre mich, er
-kann in seiner Art ein höchst vorzüglicher und unvergleichlicher
-Mann sein, gab Eleseus zu, aber das ist nun einmal
-nicht der Kernpunkt.</p>
-
-<p>Aber bei dem Gedanken an Axel mußte sich Barbro
-wohl etwas beunruhigt fühlen, sie stand auf und sagte zu
-Eleseus: Nein, jetzt mußt du gehen, ich muß in den Stall.</p>
-
-<p>Am nächsten Sonntag ging Eleseus bedeutend später
-als sonst hinunter, und er hatte den Brief selbst mitgenommen.
-Das war ein Brief. Das Entzücken und
-Kopfzerbrechen einer ganzen Woche hatten ihn zustande
-gebracht, ihn ausgedacht! An Fräulein Barbro Bredesen,
-zwei- bis dreimal habe ich nun das für mich so unaussprechliche
-Glück gehabt, dich wiederzusehen ...</p>
-
-<p>Wenn er nun so spät am Abend ankam, mußte wohl<span class="pagenum"><a name="Seite_222" id="Seite_222">[S. 222]</a></span>
-Barbro im Stall fertig sein, ja, sie war vielleicht eben
-zu Bett gegangen. Doch das schadete nichts, es paßte im
-Gegenteil gerade gut.</p>
-
-<p>Barbro war jedoch auf und saß in der Gamme. Aber
-jetzt sah es plötzlich aus, als wolle sie gar nicht mehr
-zärtlich sein, nein, durchaus nicht. Eleseus bekam den Eindruck,
-daß Axel wohl hinter ihr her gewesen sein und sie
-ermahnt haben mußte. &mdash; Bitte, hier ist der Brief, den
-ich dir versprochen habe. &mdash; Danke! sagte sie, indem sie
-den Brief öffnete und ihn ohne ersichtliche Freude las. &mdash;
-Ich hätte wohl ebensogut schreiben können wie du! sagte
-sie. &mdash; Er war enttäuscht, was hatte sie nur? Und wo
-war Axel? Fort. Er war dieser törichten Sonntagsbesuche
-vielleicht überdrüssig und wollte nicht dabeisein; aber er
-konnte ja auch eine notwendige Besorgung gehabt haben,
-so daß er gestern ins Dorf hinuntergegangen war. Fort
-war er jedenfalls.</p>
-
-<p>Warum sitzt du denn an einem so schönen Abend in der
-dumpfen Gamme? Komm mit heraus! sagte Eleseus. &mdash;
-Ich warte auf Axel, antwortete sie. &mdash; Auf Axel? Kannst
-du nicht ohne den Axel sein? &mdash; Doch, aber soll er etwa
-nichts zu essen haben, wenn er kommt?</p>
-
-<p>Die Zeit verging, sie war vergeudet, die beiden kamen
-sich nicht näher; Barbro war und blieb launisch. Er versuchte
-ihr wieder vom Nachbardorf zu erzählen und vergaß
-wieder nicht, daß er eine Rede gehalten hatte: Ich
-hatte allerdings nicht so besonders viel zu sagen, aber
-einige waren doch zu Tränen gerührt. &mdash; So, sagte sie.
-&mdash; Und an einem Sonntag bin ich in der Kirche gewesen.
-&mdash; Hast du da mit einer angebändelt? &mdash; Ob ich mit einer
-angebändelt habe? Ich war nur dort und habe mich umgesehen.
-Der Pfarrer predigte nicht besonders nach meiner
-unmaßgeblichen Meinung, er hatte keinen guten
-Vortrag.</p>
-
-<p>Die Zeit verging.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_223" id="Seite_223">[S. 223]</a></span></p>
-
-<p>Was meinst du wohl, was Axel denken wird, wenn er
-dich so spät hier antrifft? fragte Barbro plötzlich. &mdash; Ach,
-wenn sie ihm einen Stoß vor die Brust versetzt hätte,
-hätte er nicht mutloser werden können. Hatte sie denn
-das letztemal ganz vergessen? War nicht verabredet worden,
-daß er am heutigen Abend kommen sollte? Er war
-schwer gekränkt und murmelte: Ich kann ja wieder
-gehen! &mdash; Darüber schien sie sich nicht zu entsetzen. &mdash;
-Was habe ich dir getan? fragte er mit bebenden Lippen.
-Es schien ihm sehr tief zu gehen, er war in großer Not.
-&mdash; Mir getan? Ach, du hast mir nichts getan. &mdash; Aber
-was ist denn mit dir heute abend? &mdash; Mit mir? Hahaha!
-Aber im übrigen kann ich mich nicht darüber wundern,
-wenn Axel böse wird. &mdash; Ich werde gehen, wiederholte
-Eleseus. Aber sie erschrak wieder nicht darüber, sie machte
-sich nichts aus ihm, und es war ihr einerlei, daß er da
-vor ihr saß und mit seinen Gefühlen kämpfte. Oh, sie war
-eine Canaille!</p>
-
-<p>Nun begann der Ärger in ihm aufzukochen. Zuerst
-äußerte er ihn in feiner Weise: sie sei wahrlich keine vorteilhafte
-Repräsentantin des weiblichen Geschlechtes. Und
-als das nichts half &mdash; oh, er hätte lieber schweigen und
-ertragen sollen, sie wurde nur immer schlimmer. Aber
-er wurde auch nicht besser, sondern sagte: Wenn ich gewußt
-hätte, wie du bist, wäre ich heute abend gar nicht
-heruntergekommen. &mdash; Und was dann? versetzte sie.
-Dann hättest du deinen Stock, den du da in der Hand
-hältst, nicht spazierengetragen. &mdash; Oh, Barbro war in
-Bergen gewesen, sie konnte spotten, sie hatte auch ordentliche
-Spazierstöcke gesehen, deshalb konnte sie jetzt so unverschämt
-fragen, was das für ein geflickter Regenschirmstock
-sei, mit dem er anstolziert komme? &mdash; Er ertrug es.
-Dann möchtest du wohl auch deine Photographie wiederhaben?
-fragte er. &mdash; Wenn das nicht wirkte, dann wirkte
-nichts mehr. Ein Geschenk zurücknehmen, das war das<span class="pagenum"><a name="Seite_224" id="Seite_224">[S. 224]</a></span>
-Äußerste, was man sich im Ödland denken konnte! Was
-machst du dir denn daraus? antwortete sie ausweichend.
-&mdash; Gut, erklärte er keck, ich werde sie dir sofort zurückschicken.
-Gib mir nun auch meinen Brief wieder.</p>
-
-<p>Damit stand er auf.</p>
-
-<p>Jawohl, sie gab ihm den Brief, aber da traten ihr
-auch die Tränen in die Augen, und ihre Laune schlug
-plötzlich um. Das Dienstmädchen war gerührt, der Freund
-verließ sie, leb' wohl zum letztenmal! Du brauchst nicht
-zu gehen, sagte sie, ich mache mir nichts daraus, was
-Axel glaubt. &mdash; Aber jetzt wollte er seinen Vorteil ausnützen,
-und so verabschiedete er sich. Denn wenn eine
-Dame so ist wie du, dann absentiere ich mich, sagte er.</p>
-
-<p>Langsam wanderte er von der Gamme weg heimwärts,
-er pfiff und schwang seinen Stock und tat ganz
-unbekümmert. Bah! Eine kleine Weile nachher kam Barbro
-auch heraus und rief ihm ein paarmal nach. Jawohl,
-er blieb stehen, das tat er, aber er war ein beleidigter
-Löwe. Sie setzte sich ins Heidekraut und schien ihr Benehmen
-zu bereuen, sie zerrte an einem Heidekrautbüschel,
-und allmählich wurde er wieder vernünftiger, ja, er bat
-sie sogar noch um einen Kuß, zum letzten Abschied, sagte
-er. &mdash; Nein, das wollte sie nicht. &mdash; So sei doch so reizend
-wie das letztemal! sagte er. Er schwänzelte von allen Seiten
-um sie herum und ging immer rascher und rascher, um
-womöglich eine Gelegenheit zu erwischen. Aber sie wollte
-nicht reizend sein, sie erhob sich, und da stand sie. Da
-nickte er nur und ging.</p>
-
-<p>Als er außer Sehweite war, trat plötzlich Axel hinter
-einigen Büschen hervor. Barbro fuhr zusammen und
-fragte: Wie ist denn das, kommst du von oben herunter?
-&mdash; Nein, ich komme von unten herauf, antwortete er,
-aber ich habe euch beide hier heraufgehen sehen. &mdash; Ach
-so, wirklich! Ja, davon wirst du fett werden! rief sie auf<span class="pagenum"><a name="Seite_225" id="Seite_225">[S. 225]</a></span>
-einmal rasend, sie war auch jetzt ebenso schlechter Laune
-wie vorher! Was brauchst du da herumzuschnüffeln?
-Was geht es dich an? &mdash; Axel war auch nicht gerade
-freundlich. &mdash; So, er ist also heute auch wieder hier gewesen?
-&mdash; Und wenn auch? Was willst du von ihm? &mdash;
-Was <em class="gesperrt">ich</em> von ihm will? Nein, was willst <em class="gesperrt">du</em> von ihm?
-Du solltest dich schämen! &mdash; Mich schämen? Sollen wir
-darüber schweigen, oder sollen wir darüber reden? fragte
-Barbro nach einer alten Redensart. Ich will nicht wie ein
-altes Steinbild in deiner Gamme sitzen, daß du es weißt.
-Warum ich mich schämen sollte? Wenn du eine andere
-Haushälterin nehmen willst, dann gehe ich meiner Wege.
-Du brauchst nur deinen Mund zu halten, wenn es nicht
-schändlich ist, dich überhaupt darum zu bitten. Da hast du
-meine Antwort. Jetzt werde ich auf der Stelle hineingehen,
-dir dein Essen anrichten und Kaffee kochen, dann
-kann ich nachher tun, was ich will.</p>
-
-<p>Unter fortwährendem Zanken ging sie hinein.</p>
-
-<p>Nein, Axel und Barbro waren nicht immer einig. Sie
-war nun schon zwei Jahre bei ihm, aber es hatte immer
-ab und zu Streit gegeben, hauptsächlich weil Barbro
-wieder fort wollte. Er drang in sie, wollte, sie solle für
-immer dableiben, sich ganz bei ihm niederlassen und seine
-Gamme und sein Leben mit ihm teilen, er wußte, wie
-schlimm es wäre, wenn er wieder ohne Hilfe sein müßte
-&mdash; sie hatte ihm auch schon mehrere Male versprochen,
-seinen Antrag anzunehmen, ja, in liebevollen Stunden
-konnte sie sich gar nichts anderes denken als dazubleiben.
-Aber sobald sich ein Streit entspann, drohte sie mit dem
-Fortgehen, und wenn sie auch nichts anderes sagte als:
-sie wolle in die Stadt und ihre Zähne herrichten lassen,
-sie fielen ihr sonst aus. Fortgehen, fortgehen! Er mußte
-sie irgendwie an den Ort fesseln können.</p>
-
-<p>Fesseln? Es klang, als höhne sie einer jeden Fessel.</p>
-
-<p>So, du willst auch jetzt fortgehen? sagte er. &mdash; Und<span class="pagenum"><a name="Seite_226" id="Seite_226">[S. 226]</a></span>
-wenn dem so wäre? versetzte sie. &mdash; <em class="gesperrt">Kannst</em> du denn
-reisen? &mdash; Kann ich nicht? Du meinst, ich sei in Not,
-weil es dem Winter zugeht, aber ich kann in Bergen
-jederzeit eine Stelle bekommen. &mdash; Da sagte Axel sehr
-ruhig: Das kannst du jedenfalls vorderhand nicht! Du
-sollst doch ein Kind bekommen? &mdash; Ein Kind? Nein,
-von was für einem Kind redest du da? &mdash; Axel starrte sie
-an. War Barbro verrückt geworden?</p>
-
-<p>Etwas anderes war, daß Axel selbst vielleicht etwas zu
-wenig nachsichtig war: seit er nun diesen Anspruch auf sie
-hatte, war er mit etwas zu großer Sicherheit aufgetreten;
-das war unklug, er brauchte ihr ja nicht sooft zu widersprechen
-und sie zu reizen; es wäre nicht notwendig gewesen,
-ihr im Frühjahr geradezu zu befehlen, die Kartoffeln
-zu legen, er hätte sie zur Not allein legen können.
-Wenn sie erst verheiratet wären, würde schon die Zeit
-kommen, wo er sich zum Herrn aufwerfen konnte, aber
-bis dahin mußte er seinen Verstand gebrauchen und nachgeben.</p>
-
-<p>Aber das Schmähliche war eben die Sache mit diesem
-Kontoristen, dem Eleseus, der mit glatten Redensarten
-und einem Spazierstock einhergeschlendert kam. War nun
-das ein Benehmen für ein verlobtes Mädchen in ihrem
-Zustand? War so etwas überhaupt zu begreifen? Bis jetzt
-war Axel ohne Nebenbuhler hier gewesen. Ja, so änderte
-sich die Lage!</p>
-
-<p>Hier sind neue Zeitungen für dich, sagte Axel. Und hier
-ist eine Kleinigkeit, die ich für dich gekauft habe. Du
-kannst nun sehen, ob es dir gefällt. &mdash; Sie war kalt.
-Obgleich alle beide kochend heißen Kaffee tranken, antwortete
-sie eiskalt: Ich wette, es ist ein goldener Ring,
-den du mir schon seit über einem Jahr versprochen hast.</p>
-
-<p>Da hatte sie sich jedenfalls vergaloppiert, denn es war
-tatsächlich der Ring. Ein goldener Ring war es allerdings<span class="pagenum"><a name="Seite_227" id="Seite_227">[S. 227]</a></span>
-nicht, und einen solchen hatte er ihr auch nie versprochen,
-daran erinnerte sie sich jetzt: aber es war ein silberner
-Ring mit zwei vergoldeten Händen darauf, also ein echter
-karatgestempelter. Aber ach, der unglückselige Aufenthalt
-in Bergen! Barbro hatte dort richtige Verlobungsringe
-gesehen, man sollte ihr nur nichts weismachen wollen!
-&mdash; Diesen Ring kannst du selbst behalten, sagte sie. &mdash;
-Was fehlt denn daran? &mdash; Was daran fehlt? Nichts
-fehlt daran, antwortete sie. Damit stand sie auf und
-begann den Tisch abzuräumen. &mdash; Du kannst ja diesen
-vorläufig haben, später wird sich dann vielleicht auch noch
-ein anderer finden, sagte Axel. &mdash; Darauf erwiderte Barbro
-nichts.</p>
-
-<p>Übrigens war Barbro an dem Abend recht schlecht.
-War nicht ein neuer silberner Ring dankenswert? Dieser
-vornehme Kontorist hatte ihr wohl den Kopf verdreht.
-Axel konnte sich nicht enthalten zu sagen, was dieser
-Eleseus immer hier zu suchen habe. Was will er von dir?
-&mdash; Von mir? &mdash; Ja, sieht denn der Mensch nicht, wie es
-um dich bestellt ist? Sieht er dich denn nicht an? &mdash; Barbro
-stellte sich vor Axel hin und sagte: So, du meinst
-wohl, du habest mich nun an dich gebunden, aber du sollst
-sehen, daß das erlogen ist. &mdash; So, sagte Axel. &mdash; Ja,
-und du sollst sehen, daß ich auch von hier fortgehe. &mdash;
-Darauf verzog Axel nur den Mund zu einem leichten
-Lächeln, aber er tat es nicht einmal offen und in die
-Augen fallend, denn er wollte sie nicht reizen. Dann sagte
-er beruhigend wie zu einem Kinde: Nun sei einmal artig,
-Barbro. Du weißt ja, du und ich!</p>
-
-<p>Und natürlich, spät in der Nacht endete es damit, daß
-Barbro wieder freundlich wurde und sogar mit dem silbernen
-Ring am Finger einschlief.</p>
-
-<p>Oh, es würde wohl alles wieder gut werden!</p>
-
-<p>Für die beiden in der Gamme wurde wirklich alles<span class="pagenum"><a name="Seite_228" id="Seite_228">[S. 228]</a></span>
-wieder gut, aber für Eleseus war es schlimmer. Es fiel
-ihm schwer, die Kränkung, die er erlitten hatte, zu überwinden.
-Da er sich nicht auf Hysterie verstand, glaubte
-er, er sei aus reiner Bosheit genarrt worden; die Barbro
-auf Breidablick war ein wenig zu keck gewesen, selbst
-wenn man mit in Rechnung zog, daß sie in Bergen gewesen
-war.</p>
-
-<p>Die Photographie hatte er Barbro auf diese Weise zurückgeschickt,
-daß er sie selbst in einer Nacht zurückbrachte
-und zu ihr in den Heuboden hineinwarf, wo sie ihre
-Schlafstelle hatte. &mdash; Er hatte es aber durchaus nicht in
-grober, unhöflicher Form getan, nein, weit entfernt; er
-hatte lange an der Tür herumgetastet, um sie aufzuwecken,
-und als sie sich auf den Ellbogen aufrichtete und
-fragte: Findest du denn heut nacht den Weg nicht herein?
-hatte diese vertrauliche Frage ihn wie mit einer Nadel
-oder einem Degen gestochen; aber er hatte nicht geschrien,
-sondern nur die Photographie hübsch auf den Fußboden
-hineingleiten lassen. Und dann war er seiner Wege gegangen.
-Gegangen? Tatsächlich war er nur ein paar Schritte
-gegangen, dann fing er an zu laufen, zu laufen; er war
-sehr aufgeregt, ja, förmlich lustig, das Herz hämmerte
-ihm in der Brust; hinter einem Buschwerk hielt er an und
-schaute zurück, nein, sie kam ihm nicht nach! Ach, er hatte
-es halb gehofft! Und wenn sie ihm wenigstens so annähernd
-Zuneigung gezeigt hätte. Aber zum Kuckuck,
-dann brauchte er auch nicht so zu laufen, wenn sie ihm
-nicht auf den Fersen folgte, nur im Hemd und Unterrock,
-verzweifelt, ja, zerschmettert über sich selbst und über die
-vertrauliche Frage, die nicht für ihn bestimmt gewesen
-war!</p>
-
-<p>Er wanderte heimwärts, ohne Stock und ohne zu
-pfeifen, nein, er war kein großer Herr mehr. Ein Stich
-in die Brust ist keine Kleinigkeit.</p>
-
-<p>Und war es damit zu Ende?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_229" id="Seite_229">[S. 229]</a></span></p>
-
-<p>An einem Sonntag ging er wieder hinunter, nur um
-Ausschau zu halten. Mit einer fast krankhaften unglaublichen
-Geduld lag er lauernd hinter dem Gebüsch und
-starrte nach der Hütte hinüber. Als sich endlich Leben und
-Bewegung zeigte, war es, als sollte er vollends vernichtet
-werden. Axel und Barbro traten beide aus der
-Gamme und gingen zusammen in den Stall. Sie waren
-jetzt zärtlich zueinander, ja, sie hatten eine freundliche
-Stunde, sie gingen Arm in Arm, er wollte ihr wohl im
-Stall helfen. Sieh einer!</p>
-
-<p>Eleseus betrachtete das Paar mit einer Miene, als
-habe er alles verloren, als sei er zugrunde gerichtet. Vielleicht
-dachte er ungefähr so: sie geht Arm in Arm mit
-Axel Ström, wie sie dazu gekommen ist, weiß ich nicht,
-einmal hat sie ihre Arme um mich geschlungen.</p>
-
-<p>Sie verschwanden im Stall.</p>
-
-<p>Na, meinetwegen! Bah! Sollte er hier im Gebüsch
-liegen und sich selbst vergessen? Das sollte er wohl tun,
-sich flach auf die Erde legen und sich so vergessen? Wer
-war sie? Aber er war der, der er war. Oh, noch einmal:
-Bah!</p>
-
-<p>Er sprang auf und stand aufrecht da. Dann streifte
-er Blätter und Heidekraut von seinen Hosen und richtete
-sich wieder hoch auf. Sein Zorn und sein Übermut
-traten auf seltsame Art zutage: er war desperat und
-fing an ein Lied von nicht unbedeutender Leichtfertigkeit
-anzustimmen. Und wenn er dann die schlimmsten Stellen
-recht absichtlich viel lauter sang, dann lag auf seinem
-Gesicht ein inniger Ausdruck.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_230" id="Seite_230">[S. 230]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>19</h3>
-
-
-<p>Isak kam mit einem Pferd aus dem Dorfe zurück.
-Jawohl, er hatte das Pferd des Amtsdieners gekauft,
-es war, wie Geißler gesagt hatte, zu haben,
-aber es kostete zweihundertvierzig Kronen, gleich sechzig
-Taler. Die Pferdepreise waren jetzt ins Unerschwingliche
-gestiegen, in Isaks Kindheit hatte man die besten Pferde
-für fünfzig Taler haben können.</p>
-
-<p>Aber warum hatte er nicht selbst Pferde gezüchtet?
-Oh, er hatte es sich wohl überlegt, hatte an ein junges
-Füllen gedacht &mdash; das er ein und auch zwei Jahre hätte
-aufziehen müssen. Das konnte der tun, dem seine Feldarbeit
-Zeit dazu ließ, einer, der seine Sümpfe so daliegen
-lassen konnte und sie nicht umzuroden brauchte,
-bis er einmal ein Pferd hatte, das ihm die Ernte heimfuhr.
-Wie der Amtsdiener sagte: Ich habe keine Lust, ein
-Pferd zu füttern; das Heu, das ich habe, können meine
-Frauenzimmer hereintragen, während ich auf Verdienst
-auswärts bin.</p>
-
-<p>Das neue Pferd war schon ein alter Gedanke von Isak,
-ein mehrjähriger Gedanke, nicht Geißler hatte ihn ihm
-erst in den Kopf gesetzt. Deshalb hatte er ja auch soweit
-möglich Vorbereitungen dafür getroffen, noch eine Raufe,
-noch einen Weidepfahl für den Sommer; Wagen und
-Karren hatte er mehrere, und weitere wollte er im Herbst
-anfertigen. Das Wichtigste von allem, das Futter, hatte
-er natürlich auch nicht vergessen; warum wäre es sonst
-so notwendig gewesen, das letzte Stück Moor schon im
-letzten Jahre umzubrechen, wenn er nicht hätte vorbeugen
-wollen, weil er sonst seinen Kuhbestand hätte vermindern
-müssen! Jetzt war auf dem Moor Grünfutter gesät worden,
-das war für die kalbenden Kühe bestimmt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_231" id="Seite_231">[S. 231]</a></span></p>
-
-<p>Ja, alles war bedacht worden. Inger hatte wieder
-guten Grund, wie in alten Tagen vor Verwunderung die
-Hände zusammenzuschlagen.</p>
-
-<p>Isak brachte Neuigkeiten aus dem Dorf mit: Breidablick
-sollte verkauft werden, jetzt war es vom Kirchplatz
-aus bekanntgemacht worden. Die wenigen Felder, die
-bebaut waren, die Wiesen und die Kartoffeläcker, alles
-war inbegriffen, vielleicht auch das Vieh, ein paar Haustiere,
-Kleinvieh. Will er denn rump und stump alles verkaufen
-und sich ganz ausziehen? rief Inger. Und wo will
-er denn hinziehen? &mdash; Ins Dorf. &mdash;</p>
-
-<p>Das war ganz richtig, Brede wollte ins Dorf ziehen.
-Allerdings hatte er zuerst versucht, sich bei Axel Ström
-einzuquartieren, wo ja Barbro schon war. Das ging jedoch
-nicht. Brede wollte um alles in der Welt das Verhältnis
-zwischen seiner Tochter und Axel nicht zerstören,
-und so nahm er sich wohl in acht, aufdringlich zu werden,
-aber natürlich war es ihm ein böser Strich durch
-die Rechnung. Axel wollte ja bis zum Herbst das neue
-Haus unter Dach bringen, wenn dann er und Barbro
-hineinzogen, hätte da nicht Brede mit seiner Familie die
-Gamme bekommen können? Nein! Seht, Brede dachte
-nicht als Ansiedler, er verstand nicht, daß Axel ausziehen
-mußte, weil er die Gamme für seinen wachsenden Viehstand
-brauchte; die Gamme mußte auch hier in den Stall
-verwandelt werden. Aber selbst nachdem Brede alles erklärt
-worden war, blieb ihm dieser Gedankengang fremd.
-Die Menschen kommen doch wohl vor den Tieren, sagte
-er. &mdash; Nein, das war nicht des Ansiedlers Ansicht, oh, weit
-entfernt! Die Tiere zuerst, die Menschen konnten sich
-immer einen Winteraufenthalt verschaffen. &mdash; Da mischte
-sich Barbro drein und sagte: So, du stellst die Tiere über
-die Menschen? Es ist gut, daß ich das erfahren habe!
-&mdash; Wahrlich, Axel machte sich ja eine ganze Familie zum
-Feind, weil er kein Obdach für sie hatte. Aber er gab nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_232" id="Seite_232">[S. 232]</a></span>
-nach. Er war ja auch nicht dumm und gutmütig, sondern
-im Gegenteil allmählich immer geiziger geworden; er
-wußte wohl, daß bei einer solchen Einquartierung mehr
-Mägen zu befriedigen sein würden.</p>
-
-<p>Brede beschwichtigte seine Tochter und gab ihr zu verstehen,
-daß er am liebsten wieder ins Dorf ziehe; er könne
-es auf dem Ödland nicht aushalten, sagte er, und allein
-aus diesem Grunde verkaufe er seinen Hof.</p>
-
-<p>Ja, aber im Grunde genommen war es nun nicht
-Brede Olsen, der verkaufte, sondern die Bank und der
-Kaufmann waren es, die Breidablick zu Geld machten,
-aber um den Schein zu wahren, sollte es in Bredes
-Namen geschehen. Auf diese Weise glaubte er der Schande
-zu entgehen. Und Brede war auch gar nicht so sehr niedergedrückt,
-als Isak mit ihm zusammentraf, er tröstete
-sich damit, daß er ja immer noch Inspektor über die
-Telegraphenlinie sei; das sei eine sichere Einnahme, und
-mit der Zeit werde er sich schon wieder zu seiner alten
-Stellung im Dorfe, zum allgemeinen Helfer und Begleiter
-des Lensmanns, emporarbeiten.</p>
-
-<p>Natürlich war Brede auch gerührt gewesen. Das gehörte
-dazu: es sei ja so eine Sache, sich von der Stelle,
-die er liebgewonnen und wo er so viele Jahre lang gelebt
-und geschafft und gearbeitet habe, zu trennen. Aber der
-gute Brede ließ sich nie dauernd unterkriegen, das war
-seine gute Seite, das Anziehende an ihm. Er hatte einmal
-die Eingebung bekommen, Ödland urbar zu machen,
-dieser Versuch war nicht glücklich ausgefallen; aber auf
-dieselbe lustige Weise hatte er auch in anderen Fragen
-gehandelt, und da war es ihm besser gelungen. Ja, wer
-konnte wissen, ob er nicht mit seinen Gesteinsproben noch
-einmal gewaltige Geschäfte machte! Und jedenfalls war
-da Barbro, die er auf Maaneland untergebracht hatte!
-Sie komme ja nie wieder von Axel Ström weg, das
-dürfe man wohl sagen, es sei jedermann offenkundig!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_233" id="Seite_233">[S. 233]</a></span></p>
-
-<p>Nein, solange er seine Gesundheit habe und für sich
-und die Seinen schaffen könne, stehe es nicht schlecht,
-sagte Brede Olsen. Und gerade jetzt seien alle seine Kinder
-allmählich erwachsen, sie zögen fort und sorgten für sich
-selbst, sagte er. Helge sei schon bei der Heringsfischerei,
-und Katrine komme zu Doktors in Dienst. Dann hätten
-sie nur zwei kleinere Kinder daheim &mdash; allerdings komme
-bald noch ein drittes dazu, aber ...</p>
-
-<p>Isak brachte aus dem Dorf eine Neuigkeit mit: Die
-Frau des Lensmannes hatte ein Kleines bekommen. &mdash;
-Inger fragte plötzlich lebhaft: Einen Jungen oder ein
-Mädchen? &mdash; Das habe ich nicht gehört, antwortete Isak.</p>
-
-<p>Also die Frau des Lensmannes hatte ein Kind bekommen,
-sie, die immer im Frauenverein gegen die überhandnehmenden
-Geburten bei den Armen geeifert hatte. Man
-solle der Frau das Stimmrecht geben und ihr Einfluß
-auf ihr eigenes Schicksal einräumen, hatte sie gesagt. Jetzt
-war sie gefangen. Ja, sagte die Frau Pastor, sie hat
-ihren Einfluß wohl angewendet, hahaha, und doch ist
-sie ihrem Schicksal nicht entgangen! Dieses witzige Wort
-über Frau Heyerdahl ging im ganzen Dorf herum und
-wurde von sehr vielen verstanden; auch Inger verstand
-es vielleicht, nur Isak verstand nichts.</p>
-
-<p>Isak verstand zu arbeiten, verstand seine Hantierung
-zu betreiben. Er war jetzt ein reicher Mann mit einem
-großen Hof, aber von dem vielen baren Geld, das ihm
-der Zufall in den Schoß geworfen hatte, machte er nur
-einen schlechten Gebrauch: er hob es auf. Das Ödland
-rettete ihn. Hätte Isak im Dorf gewohnt, dann hätte vielleicht
-die große Welt auch etwas auf ihn eingewirkt; dort
-war so viel Schönes, so vornehme Verhältnisse, er würde
-Unnötiges gekauft haben und wäre am Werktag in einem
-roten Hemd gegangen. Hier im Ödland war er gegen
-alle Verschwendung geschützt, er lebte in reiner Luft,
-wusch sich am Sonntagmorgen und badete, wenn er<span class="pagenum"><a name="Seite_234" id="Seite_234">[S. 234]</a></span>
-droben am Gebirgssee war. Die tausend Taler &mdash; jawohl,
-ein Geschenk vom Himmel, jeden Heller davon zum Aufbewahren!
-Wozu sonst? Isak konnte seine gewöhnlichen
-Ausgaben mit Leichtigkeit durch den Verkauf seiner Erträgnisse
-von dem Viehbestand und den Feldern bestreiten.</p>
-
-<p>Eleseus wußte ja besser Bescheid, er hatte dem Vater
-geraten, sein Geld auf der Bank anzulegen. Es war auch
-wohl möglich, daß dies das verständigste gewesen wäre,
-aber jedenfalls war es aufgeschoben worden, wurde vielleicht
-nie getan. Nicht, weil Isak immer den Rat des
-Sohnes überhört hätte, Eleseus war wahrlich nicht so
-schlimm, das hatte Isak in der letzten Zeit herausgefunden.
-Jetzt in der Heuernte hatte er es mit dem Mähen
-versucht &mdash; nein, ein Meister wurde er darin nicht, und
-er mußte sich in Siverts Nähe halten und sich von ihm
-jedesmal die Sense wetzen lassen, aber Eleseus hatte lange
-Arme und konnte das Heu wie ein ganzer Mann zusammenraffen.
-Jetzt waren er und Sivert und Leopoldine
-und Jensine drüben auf der Wiese und setzten das erste
-Heu auf Heinzen, und Eleseus schonte sich da auch nicht,
-sondern arbeitete mit dem Rechen, bis er Blasen bekam
-und mit verbundenen Händen gehen mußte. Seit mehreren
-Wochen schon hatte er keinen rechten Appetit gehabt,
-war aber deshalb doch nicht arbeitsscheu geworden. Über
-den Jungen mußte etwas Neues gekommen sein, es sah
-aus, als sei ein gewisses Mißgeschick in einer gewissen
-Liebesangelegenheit oder etwas anderes in dieser Richtung,
-ein großer Schmerz oder eine Enttäuschung, vom
-Guten für ihn gewesen. Seht, jetzt hat er sogar seinen
-letzten von der Stadt mitgebrachten Tabak aufgeraucht,
-und das hätte vielleicht unter anderen Umständen einen
-Kontoristen dazu bringen können, die Türe zuzuschlagen
-oder sich über dies und jenes scharf auszusprechen; aber<span class="pagenum"><a name="Seite_235" id="Seite_235">[S. 235]</a></span>
-nein, Eleseus wurde dadurch nur ein gesetzter Bursche,
-fester in der Haltung, ja, wahrlich ein Mann.</p>
-
-<p>Auf was verfiel aber dann der Spaßvogel Sivert,
-um ihn zu reizen?</p>
-
-<p>An diesem Tag knieten beide Brüder auf Steinen im
-Fluß und tranken, und Sivert war so unvorsichtig, Eleseus
-anzubieten, ihm ein besonders gutes Moos zu Tabak
-zu trocknen &mdash; oder vielleicht willst du es roh rauchen?
-sagte er. &mdash; Ich werde dir Tabak geben, versetzte Eleseus,
-indem er den Arm ausstreckte und den Bruder bis an die
-Schultern ins Wasser tauchte. Ha, da bekam er's! Sivert
-lief noch lange mit einem nassen Kopf umher.</p>
-
-<p>Ich glaube, Eleseus wächst sich allmählich zu einem
-tüchtigen Kerl heraus, dachte der Vater, wenn er den
-Sohn bei der Arbeit sah. &mdash; Hm. Ob der Eleseus nun
-für ganz daheimbleiben will? fragte er Inger. &mdash; Sie
-sagte ebenso sonderbar vorsichtig: Das könnte ich nicht
-sagen. Nein, das will er nicht. &mdash; So, hast du mit ihm
-darüber gesprochen? &mdash; Ach nein. Doch, ich habe nur
-ein ganz klein wenig gesagt. Aber ich errate es. &mdash; Ich
-möchte wissen, wie es wäre, wenn er einen eigenen Hof
-hätte? &mdash; Wieso? &mdash; Ob er ihn bebauen würde? &mdash; Nein.
-&mdash; So, hast du mit ihm darüber geredet? &mdash; Darüber
-geredet? Siehst du nicht, wie verändert er ist? Ich kenne
-ihn gar nicht mehr. &mdash; Du brauchst ihn nicht schlecht zu
-machen, sagte Isak unparteiisch. Ich sehe nichts anderes,
-als daß er draußen ein gutes Tagewerk vollbringt. &mdash;
-So, ja, ja, antwortete Inger schüchtern. &mdash; Ich weiß
-nicht, was du gegen den Jungen hast! rief Isak erzürnt.
-Er leistet mit jedem Tag bessere Arbeit, kannst du mehr
-erwarten? &mdash; Inger murmelte: Er ist nicht mehr, wie
-er war. Du solltest mit ihm wegen der Westen sprechen.
-&mdash; Wegen der Westen? Wieso? &mdash; Er sagt, daß er im
-Sommer in der Stadt weiße Westen getragen habe. &mdash;
-Isak dachte darüber nach und begriff nichts. Aber kann<span class="pagenum"><a name="Seite_236" id="Seite_236">[S. 236]</a></span>
-er denn nicht eine weiße Weste bekommen? fragte er.
-Isak war verwirrt, das Ganze war natürlich nur ein
-Weibergeschwätz, er meinte, der Junge sei mit der weißen
-Weste im Recht und begriff überdies nicht, was das bedeuten
-sollte, er wollte also rasch darüber weggehen. Nun,
-was würdest du dazu sagen, wenn er Bredes Ansiedlung
-zum Heraufarbeiten bekäme? &mdash; Wer? fragte Inger. &mdash;
-Eleseus. &mdash; Breidablick? fragte Inger. Tu das ja nicht.</p>
-
-<p>Die Sache war nämlich die, daß sie den Plan schon mit
-Eleseus durchgesprochen hatte, sie kannte ihn wohl
-von Sivert, der den Mund nicht hatte halten können.
-Und im übrigen &mdash; warum hätte Sivert über den Plan
-schweigen sollen, den der Vater sicher nur deshalb verraten
-hatte, damit er durchgesprochen würde? Es war
-nicht das erstemal, daß er Sivert auf diese Weise zum
-Vermittler machte. Na, aber was hatte Eleseus geantwortet?
-Wie früher, wie in seinen Briefen aus der Stadt:
-Nein, ich will das, was ich gelernt habe, nicht wegwerfen
-und wieder der reine Garnichts sein! Das hatte er geantwortet.
-Ja, dann war ja die Mutter mit ihren guten
-Gründen herausgerückt, aber Eleseus hatte für alles nur
-abschlägige Antworten gehabt und gesagt, er habe andere
-Pläne für sein Leben. Das junge Herz hat seine unerforschlichen
-Gründe; nach dem, was geschehen war,
-fand er es vielleicht auch unmöglich, der Nachbar von
-Barbro zu werden. Das konnte niemand wissen. Er hatte
-der Mutter gegenüber nur obenhin Auskunft gegeben und
-gesagt, er könne in der Stadt eine bessere Stelle bekommen,
-als er jetzt habe; er könne auch Schreiber beim
-Landrichter oder Landrat werden; man müsse hinaufkommen,
-in einigen Jahren werde er vielleicht Lensmann
-oder Leuchtturmwächter, oder er komme aufs Zollamt.
-Es gebe so viele Möglichkeiten für den, der etwas gelernt
-habe.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_237" id="Seite_237">[S. 237]</a></span></p>
-
-<p>Woher es nun auch kam, aber jedenfalls wurde die
-Mutter bekehrt, wurde mitgerissen, und sie war ja selbst
-so wenig sicher, die Welt konnte sie gar leicht wieder in
-ihre Schlingen ziehen. Im Winter hatte sie sogar in einem
-gewissen ausgezeichneten Andachtsbuch gelesen, das sie bei
-ihrem Weggang in der Anstalt in Drontheim bekommen
-hatte; aber jetzt? Ob denn Eleseus wirklich Lensmann
-werden könne? &mdash; Jawohl, antwortete Eleseus. Was ist
-denn der Lensmann Heyerdahl anderes als ein früherer
-Schreiber auf einer Amtsstube?</p>
-
-<p>Große Aussichten! Die Mutter wollte Eleseus geradezu
-abraten, sein Leben zu ändern und sich wegzuwerfen.
-Was sollte ein solcher Mann im Ödland?</p>
-
-<p>Aber warum gab sich Eleseus jetzt so viele Mühe und
-schaffte so fleißig auf den Feldern der Heimat? Gott
-mochte es wissen, er hatte vielleicht eine Absicht dabei!
-Etwas Bauernehrgeiz hatte er wohl auch, er wollte nicht
-zurückstehen. Außerdem schadete es nicht, wenn er an dem
-Tag, an dem er die Heimat wieder verließ, mit dem
-Vater gut Freund war. Um die Wahrheit zu sagen, so
-hatte er verschiedene kleine Schulden in der Stadt, es
-wäre gut, wenn er diese bereinigen könnte. Das würde
-großen neuen Kredit bedeuten. Und hier handelte es sich
-nicht nur um einen Hundertkronenschein, sondern um
-etwas, das etwas war.</p>
-
-<p>Eleseus war nicht dumm, oh, weit entfernt, er war
-sogar auf seine Art schlau. Er hatte den Vater wohl heimkommen
-sehen und wußte, daß er in diesem Augenblick
-drinnen am Fenster saß und herüberschaute. Wenn sich
-da nun Eleseus besondere Mühe bei der Arbeit gab, gereichte
-ihm das vielleicht gerade jetzt zum Vorteil, und
-es geschah ja niemand ein Unrecht dadurch.</p>
-
-<p>Eleseus hatte etwas Verfeinertes an sich, was es nun
-auch sein mochte, aber zugleich auch etwas Verpfuschtes
-wie etwas Zerstörtes, er war nicht böse, aber ein wenig<span class="pagenum"><a name="Seite_238" id="Seite_238">[S. 238]</a></span>
-verstockt. Hatte ihm in den verflossenen Jahren eine
-starke Hand über sich gefehlt? Was konnte die Mutter
-jetzt für ihn tun? Einzig und allein ihm helfen. Sie
-konnte sich von den großen Zukunftsaussichten des Sohnes
-blenden lassen und ihm beim Vater die Stange halten.
-Das konnte sie.</p>
-
-<p>Aber Isak wurde schließlich ärgerlich über ihre abweisende
-Haltung, seiner Meinung nach war der Plan
-mit Breidablick gar nicht so übel. Heute auf dem Heimweg
-hatte er sogar der Versuchung nachgegeben und das
-Pferd angehalten, um sich in aller Eile einen sachkundigen
-Überblick über die vernachlässigte Ansiedlung zu verschaffen:
-unter arbeitsamen Händen konnte etwas daraus
-werden. &mdash; Warum soll ich es nicht wagen? fragte
-er Inger jetzt. Ich habe so viel Herz für Eleseus übrig,
-daß ich ihm dazu verhelfen will. &mdash; Ach, wenn du ein
-Herz für ihn hast, so nenne Breidablick vor ihm nicht
-mehr, versetzte sie. &mdash; So. &mdash; Nein, denn er hat viel
-größere Gedanken als wir.</p>
-
-<p>Isak ist ja selbst seiner Sache nicht ganz sicher, er
-kann also nicht so recht gewichtig reden, aber es ärgert
-ihn, daß er mit diesem Plan herausgerückt ist und so unvorsichtig
-offen geredet hat, deshalb will er ihn nur ungern
-aufgeben. Er soll tun, was er will, erklärte Isak
-plötzlich. Und er sagt es mit lauter, drohender Stimme
-zum Besten für Inger, falls sie zufällig nicht gut hören
-sollte. Ja, sieh mich nur an, aber ich sage jetzt nichts
-mehr. Das Schulhaus ist dort, und es ist auf dem halben
-Wege vom Dorfe hierher, und alles miteinander, was
-sind denn das für große Gedanken, die er hat? Mit
-einem Sohne wie er könnte ich leicht verhungern, ist das
-etwa besser? Aber nun frage ich, wie es kommt, daß
-mein eigenes Fleisch und Blut ungehorsam gegen &mdash; mein
-eigenes Fleisch und Blut sein kann? &mdash; Isak schwieg. Er
-begriff wohl, je mehr er redete, desto schlimmer wurde<span class="pagenum"><a name="Seite_239" id="Seite_239">[S. 239]</a></span>
-es. Er wollte jetzt erst einmal die Sonntagskleider ausziehen,
-in denen er im Dorfe gewesen war; aber nein,
-er änderte diesen Entschluß wieder und wollte so bleiben,
-wie er war &mdash; was er wohl damit wollte? Du mußt
-versuchen, es mit Eleseus ins reine zu bringen, sagte er
-dann. &mdash; Inger antwortete: Es wäre am besten, du würdest
-es ihm selbst sagen. Mir folgt er nicht! &mdash; Jawohl,
-Isak ist das Haupt für alle, das wollte er meinen. Eleseus
-sollte es nur versuchen, sich zu mucksen! Aber ob es
-nun war, weil er eine Niederlage befürchtete &mdash; Isak
-weicht jetzt aus und sagt: Ja, das könnte ich tun, ich
-könnte es ihm selbst sagen. Aber da ich so vieles andere
-zu besorgen habe, so muß ich jetzt an anderes denken. &mdash;
-So? fragt Inger verwundert.</p>
-
-<p>Nun geht Isak wieder fort, nur bis an die Grenze des
-Grundstücks, aber jedenfalls fort. Er ist sehr geheimnisvoll
-und will allein sein. Die Sache ist die, er ist heute
-mit einer dritten Neuigkeit vom Dorf zurückgekommen,
-und diese dritte ist größer als die beiden anderen, sie ist
-ungeheuer groß; er hat sie am Waldessaum versteckt.
-Da steht sie, in Sackleinwand und Papier eingebunden.
-Er packt sie aus, und es ist eine große Maschine. Seht,
-sie ist rot und blau, wunderbar, mit vielen Zähnen und
-vielen Messern, mit Gelenken, mit Armen, Rädern,
-Schrauben, eine Mähmaschine. Natürlich wäre das neue
-Pferd nicht gerade an diesem Tag geholt worden, wenn
-es nicht wegen der Mähmaschine hätte sein müssen.</p>
-
-<p>Isak steht mit einem ungeheuer scharfsinnigen Gesicht
-da und versucht, die Gebrauchsanweisung, die der Kaufmann
-ihm vorgelesen hatte, von einem Ende zum andern
-aus seinem Gedächtnis hervorzuholen; er befestigt eine
-Stahlfeder da und schiebt dort einen Bolzen ein, dann
-ölt er jedes Loch und jede Ritze, dann sieht er das Ganze
-noch einmal nach. Noch nie hat Isak einen solchen Augenblick
-erlebt. Eine Feder in die Hand nehmen und sein<span class="pagenum"><a name="Seite_240" id="Seite_240">[S. 240]</a></span>
-Hauszeichen unter ein Dokument setzen &mdash; jawohl, auch
-das ist eine große Gefahr und Schwierigkeit. Ebenso mit
-dem Reolpflug, der viele gebogene Messer hat, die ineinandergreifen
-müssen. Und dann die große Kreissäge
-im Sägewerk, die haargenau in ihrem Lager ruhen muß
-und nicht nach Ost und West ausweichen oder gar herausspringen
-darf. Aber die Mähmaschine &mdash; ein wahres
-Elsternest aus stählernen Zweigen und Haken und Vorrichtungen
-und Hunderten von Schrauben. Oh, Ingers
-Nähmaschine war nur eine Kleinigkeit dagegen!</p>
-
-<p>Dann spannte sich Isak selbst vor und probierte die
-Maschine. Das war gerade der große Augenblick. Deshalb
-wollte er zuerst im verborgenen mit der Maschine
-bleiben und auch sein eigenes Pferd sein.</p>
-
-<p>Denn wie, wenn nun die Maschine falsch zusammengesetzt
-war und ihre Arbeit nicht verrichtete, sondern mit
-einem Knall zersprang? Aber das geschah nicht, die Maschine
-mähte Gras. Das würde auch gerade noch fehlen!
-Isak hatte hier in tiefes Studium versunken stundenlang
-gestanden, die Sonne war indessen untergegangen. Wieder
-spannt er sich vor und probiert, die Maschine mäht
-Gras. Das fehlte auch gerade noch!</p>
-
-<p>Als gleich nach dem heißen Tag der Tau fiel und die
-beiden Brüder, jeder mit seiner Sense, auf der Wiese
-standen, um für den nächsten Tag zu mähen, tauchte
-Isak bei den Häusern auf und sagte: Hängt eure Sensen
-heute abend nur wieder hinein. Ihr könnt das neue
-Pferd anschirren und mit ihm hinüber an den Wald
-kommen.</p>
-
-<p>Damit ging aber Isak nicht ins Haus hinein, um sein
-Abendbrot zu essen, was die andern schon getan hatten,
-sondern er drehte auf dem Hofplatz gleich wieder um und
-ging aufs neue dahin, woher er gekommen war.</p>
-
-<p>Sollen wir den Karren anspannen? rief ihm Sivert
-nach.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_241" id="Seite_241">[S. 241]</a></span></p>
-
-<p>Nein, antwortete der Vater und ging weiter.</p>
-
-<p>Er strotzte förmlich von Geheimniskrämerei und war
-ganz übermütig, bei jedem Schritt wiegte er sich in den
-Knien, so nachdrücklich schritt er dahin. Ging es dem
-Tod und Untergang entgegen, so war er jedenfalls ein
-mutiger Mann, er trug nichts in den Händen, mit dem
-er sich hätte verteidigen können.</p>
-
-<p>Die Jungen kamen mit dem Pferd nach, jetzt sahen
-sie die Maschine, und sie hielten jäh an. Das war die
-erste Mähmaschine hier im Ödland, die erste auch im
-Dorfe, rot und blau, prachtvoll anzusehen. Der Vater,
-das Oberhaupt aller, rief gleichgültig und ganz wie sonst:
-Kommt her und spannt das Pferd vor diese Mähmaschine!
-&mdash; Die Söhne spannten ein.</p>
-
-<p>Dann fuhren sie, der Vater fuhr. Brr! sagte die Maschine
-und mähte das Gras nieder. Die Söhne hinterher,
-ohne etwas in den Händen, ohne zu arbeiten, lächelnd.
-Jetzt hielt der Vater an und sah zurück &mdash; na, es könnte
-besser gemäht sein. Er schraubte an ein paar Stellen,
-um die Messer näher an den Boden zu legen, und probierte
-wieder. Nein, so wird ungleich gemäht, uneben gemäht.
-Die Scheide, an der alle Messer sind, wackelt ein
-wenig auf und nieder. Vater und Söhne wechselten ein
-paar Worte. Eleseus hat die Gebrauchsanweisung gefunden
-und liest darin.</p>
-
-<p>Da steht, daß du dich auf den Sitz setzen sollst, Vater,
-dann gehe die Maschine ruhiger, sagt er. &mdash; So, versetzte
-der Vater. Ja, das weiß ich wohl, fügte er hinzu,
-ich habe alles genau studiert. &mdash; Er setzt sich auf den
-Sitz und fährt wieder, nun geht es ruhig. Aber plötzlich
-mäht die Maschine nicht mehr, nein, alle Messer stehen
-auf einmal still. Ho! Was nun? Der Vater springt vom
-Sitz herunter, aber jetzt ist er nicht mehr übermütig, sondern
-beugt ein kummervolles, fragendes Gesicht über die
-Maschine. Vater und Söhne starren diese an; etwas ist<span class="pagenum"><a name="Seite_242" id="Seite_242">[S. 242]</a></span>
-verkehrt. Eleseus hat die Gebrauchsanweisung in der
-Hand. &mdash; Da liegt ein kleiner Bolzen! sagt Sivert, indem
-er ihn vom Boden aufhebt. &mdash; Ach so, es ist gut,
-daß du ihn gefunden hast, sagt der Vater, als wäre das
-alles, was er brauchte, um die Maschine wieder in Ordnung
-zu bringen. Gerade diesen Bolzen habe ich gesucht.
-&mdash; Aber nun konnten sie das Loch nicht finden; wo zum
-Kuckuck war das Loch zu dem Bolzen? Da, sagt Eleseus
-und deutet mit dem Finger.</p>
-
-<p>Und jetzt mußte sich Eleseus wohl der Sache etwas
-gewachsen fühlen, seine Fähigkeit, eine Gebrauchsanweisung
-zu erforschen, war hier unersetzlich; er deutete überflüssig
-lange auf das Loch und sagte: Nach der Illustration
-zu verstehen, muß der Bolzen hier hinein! &mdash; Jawohl
-muß er hier hinein, sagte auch der Vater, da hatte ich
-ihn ja eingesetzt! Und um seine Autorität wieder herzustellen,
-befahl er Sivert, nach noch weiteren Bolzen im
-Gras zu suchen. Es muß noch einer da sein, sagte er mit
-ungeheuer wichtiger Miene, wie wenn er alles im Kopf
-hätte. Findest du keinen mehr? Na, dann sitzt er wohl
-noch in seinem Loch!</p>
-
-<p>Dann wollte der Vater wieder fahren.</p>
-
-<p>Aber das ist falsch! ruft Eleseus. Oh, Eleseus steht
-mit der Zeichnung in der Hand, mit dem Gesetz in der
-Hand da, ihn darf man nicht auf die Seite schieben.
-Diese Feder hier muß außen sein! &mdash; Ja? fragt der
-Vater. &mdash; Jawohl, aber jetzt ist sie unten, du hast sie
-unten hingesetzt. Es ist eine Stahlfeder, die muß außen
-sein, sonst springt der Bolzen wieder heraus, und dann
-stehen alle Messer still. Hier steht es auf der Abbildung!
-&mdash; Ich habe meine Brille nicht bei mir, deshalb kann ich
-die Zeichnung nicht deutlich sehen, sagte der Vater kleinlauter.
-Hier, du hast bessere Augen, schraube du die Feder
-ein. Aber mach es nun richtig. Wenn es nicht so weit
-wäre, würde ich meine Brille holen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_243" id="Seite_243">[S. 243]</a></span></p>
-
-<p>Jetzt ist alles in Ordnung, und der Vater sitzt auf.
-Eleseus ruft ihm nach: Und dann mußt du ein bißchen
-schnell fahren, dann schneiden die Messer besser! Hier
-steht es!</p>
-
-<p>Isak fährt und fährt, und alles geht gut, und Brr!
-sagt die Maschine. Sie hinterläßt einen breiten Weg von
-gemähtem Gras, in einer schönen Linie liegt es da, fertig
-zum Ausbreiten. Jetzt kann man Isak vom Hause aus
-sehen, und alle Frauenzimmer eilen heraus. Inger trägt
-die kleine Rebekka auf dem Arm, obgleich die kleine
-Rebekka längst laufen kann. Aber jetzt kommen sie daher,
-vier Frauenzimmer, große und kleine, und sie eilen
-mit weit aufgerissenen Augen zu dem Wunderwerk hin,
-sie umdrängen es. Oh, wie mächtig Isak jetzt ist und
-richtig stolz; frei auf der Maschine droben sitzt er, im
-Sonntagsgewand, in vollem Staat, in Rock und Hut,
-obgleich ihm der Schweiß von der Stirne tropft. Er
-fährt in vier großen Winkeln über ein passendes Wiesenstück,
-schwingt um, fährt, mäht, kommt an den Frauen
-vorüber, die wie aus den Wolken gefallen sind, sie begreifen
-es nicht, und Brr! sagt die Maschine.</p>
-
-<p>Dann hält Isak an und steigt herunter. Seht, er sehnt
-sich gewißlich danach, zu hören, was die Menschen auf
-der Erde sagen, was sie jetzt wohl sprechen werden! Er
-hört leise Ausrufe, die Menschen wollen ihn auf seinem
-großen Posten nicht stören, aber sie stellen ängstliche
-Fragen aneinander, und diese Fragen hört Isak. Und
-jetzt, um ein freundliches väterliches Oberhaupt für alle
-zu sein, muntert Isak sie auf, indem er sagt: Ja, ja, ich
-mähe nun dieses Wiesenstück, dann könnt ihr das Heu
-morgen ausbreiten. &mdash; Du hast wohl gar keine Zeit, hereinzukommen
-und zu essen? fragt Inger überwältigt. &mdash;
-Nein, ich habe jetzt anderes zu tun, erwidert er.</p>
-
-<p>Dann ölt er die Maschine noch einmal und gibt den
-anderen zu verstehen, daß es sich hier um eigentliche<span class="pagenum"><a name="Seite_244" id="Seite_244">[S. 244]</a></span>
-Wissenschaft handle. Dann fährt er wieder und mäht
-weiter. Schließlich gehen die Frauenzimmer wieder hinein.</p>
-
-<p>Glücklicher Isak! Glückliche Menschen auf Sellanraa!</p>
-
-<p>Isak erwartet sehr bald, die Nachbarn von drunten ankommen
-zu sehen. Axel Ström hat sehr viel Interesse, er
-kommt vielleicht schon morgen. Aber Brede von Breidablick
-ist imstande und kommt noch heute nacht. Isak hätte
-gar nichts dagegen, ihnen die Mähmaschine zu erklären
-und darzutun, wie gut er sie in allem regieren kann. Er
-will darauf hinweisen, daß man mit der Sense unmöglich
-so glatt und gleichmäßig mähen könne. Aber was eine
-solche erstklassige blau und rote Mähmaschine kostet, das
-ist auch gar nicht zu sagen!</p>
-
-<p>Glücklicher Isak!</p>
-
-<p>Aber als er die Maschine zum drittenmal anhält und
-wieder ölt, fällt ihm wahrhaftig die Brille aus der
-Tasche. Und das schlimmste ist, daß seine Söhne es gesehen
-haben. War eine höhere Macht dabei im Spiel, war
-es eine Ermahnung, etwas weniger hochmütig zu sein?
-Er hatte ja auf dem Heimweg oft die Brille aufgesetzt
-und die Gebrauchsanweisung studiert, sie aber eben nicht
-verstanden, da hatte Eleseus eintreten müssen. Ach Gott
-im Himmel, ja, Kenntnisse sind etwas Gutes! Und um sich
-selbst zu demütigen, will Isak es nun aufgeben, Eleseus
-zum Landmann zu machen, er wollte nicht mehr davon
-reden. Nicht, daß die Jungen aus dem Mißgeschick mit
-der Brille eine große Sache gemacht hätten, im Gegenteil;
-der Spaßvogel Sivert konnte zwar nicht an sich
-halten, nein, das konnte er nicht, er zupfte Eleseus am
-Ärmel und sagte: Komm, jetzt gehen wir hinein und verbrennen
-unsere Sensen; Vater mäht für uns! &mdash; Dieser
-Scherz kam im rechten Augenblick.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_245" id="Seite_245">[S. 245]</a></span></p>
-
-
-
-<h2>Zweiter Teil</h2>
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_247" id="Seite_247">[S. 247]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>1</h3>
-
-
-<p>Sellanraa ist nicht länger eine unbewohnte Stätte,
-sieben Menschen leben hier mit groß und klein.
-Aber während der kurzen Zeit der Heuernte kam
-auch noch der eine oder andere Besuch dazu, Leute, die
-gerne die Mähmaschine sehen wollten, Brede natürlich
-als der erste; aber auch Axel Ström kam und die Nachbarn
-bis zum Dorf hinunter. Und von der andern Seite
-des Gebirges kam Oline; sie war unverwüstlich.</p>
-
-<p>Auch diesmal kam Oline nicht ohne Neuigkeiten aus
-ihrem Dorfe; sie stellte sich nie leer ein: Jetzt war die
-Verrechnung von dem Nachlaß des alten Sivert fertig
-geworden, und es blieb kein Vermögen übrig! Gar
-keines!</p>
-
-<p>Hier kniff Oline den Mund zusammen, und ihre Blicke
-schweiften gespannt von einem zum andern. Na, tönte
-denn kein Seufzer durch die Stube, fiel nicht die Decke
-ein? Eleseus war der erste, der lächelte. Wie ist's denn,
-bist du nicht nach dem Ohm Sivert getauft? fragte er
-mit gedämpfter Stimme. Und Klein-Sivert antwortete
-ebenso gedämpft: Doch. Aber ich habe ja seinen ganzen
-Nachlaß dir verehrt. &mdash; Wieviel war's denn? &mdash; Zwischen
-fünf- und zehntausend. &mdash; Taler? rief Eleseus
-schnell und machte Sivert genau nach.</p>
-
-<p>Oline meinte, es sei jetzt nicht Zeit zu spaßen, ach, wie
-war sie selbst geprellt worden, und sie hatte doch am<span class="pagenum"><a name="Seite_248" id="Seite_248">[S. 248]</a></span>
-Sarg des alten Sivert ihre ganze zähe Willenskraft aufgeboten
-und Tränen geweint. Eleseus wußte ja selbst am
-besten, was er geschrieben hatte: soundso viel für Oline
-als Stab und Stütze für ihr Alter. Was war aus diesem
-Stab geworden? Übers Knie gelegt und gebrochen.</p>
-
-<p>Arme Oline, sie hätte wohl eine Kleinigkeit erben dürfen,
-das wäre der einzige lichte Punkt in ihrem Leben
-gewesen! Sie war nicht verwöhnt. Geübt im Bösen, jawohl,
-daran gewöhnt, sich von Tag zu Tag mit Kniffen
-und kleinen Betrügereien durchzuschlagen, groß allein in
-der Kunst, Klatsch zu verbreiten, ihre Zunge gefürchtet zu
-machen, jawohl. Nichts hätte sie jetzt noch schlimmer
-machen können, eine Erbschaft am allerwenigsten. Sie
-hatte ihr ganzes Leben lang gearbeitet, hatte Kinder geboren
-und ihnen ihre eigenen paar Handfertigkeiten beigebracht,
-hatte für sie gebettelt, vielleicht auch gestohlen,
-aber sie doch ernährt &mdash; eine Mutter in kleinen Verhältnissen.
-Ihre Gaben waren nicht geringer als die
-Gaben anderer Politiker, sie wirkte und schaffte für sich
-und die Ihrigen, richtete sich nach dem Augenblick und
-brachte sich durch, verdiente ein Käschen da und eine
-Handvoll Wolle dort und würde in alltäglicher und unaufrichtiger
-Schlagfertigkeit leben und sterben. Oline &mdash;
-vielleicht hatte sich der alte Sivert an die Zeit erinnert,
-wo er sie noch als jung, rotwangig und hübsch gekannt
-hatte. Aber nun war sie alt und häßlich, ein Bild der
-Vergänglichkeit, sie sollte lieber tot sein. Wo wird sie begraben?
-Sie besitzt kein eigenes Erbbegräbnis, wahrscheinlich
-wird sie einmal in irgendeinem Kirchhof bei
-lauter fremden und unbekannten Knochenresten unter den
-Boden gebracht, da wird sie einmal landen. Oline, geboren
-und gestorben. Auch sie war einmal jung. Eine
-Erbschaft für sie jetzt noch zur elften Stunde! Jawohl,
-ein einziger lichter Punkt, und die Hände einer Sklavin
-der Arbeit würden sich für einen Augenblick gefaltet<span class="pagenum"><a name="Seite_249" id="Seite_249">[S. 249]</a></span>
-haben. Die Gerechtigkeit hätte ihr noch einen verspäteten
-Lohn gespendet, weil sie für ihre Kinder gebettelt, vielleicht
-auch gestohlen, sie aber jedenfalls ernährt hatte. Für
-einen Augenblick &mdash; und wieder hätte Dunkel in ihr geherrscht,
-die Augen hätten geschielt, die Hände gesucht und
-getastet: Wieviel ist es? würde sie sagen. Was, nicht
-mehr? würde sie sagen. Und sie hätte wieder recht. Sie
-war vielfache Mutter und verstand das Leben einzuschätzen,
-das war großen Lohnes wert.</p>
-
-<p>Alles schlug fehl. Die Rechnungen des alten Sivert
-waren jetzt, nachdem Eleseus sie durchgesehen hatte, wohl
-einigermaßen in Ordnung, aber der kleine Hof und die
-Kuh, der Bootsschuppen und das Großnetz deckten nur
-knapp den Fehlbetrag in der Kasse. Und daß es überhaupt
-einigermaßen so gut ging, wie es ging, das war zum
-Teil Oline zu verdanken; sie war sehr versessen darauf,
-daß ein Rest für sie übrigbleibe, und so zog sie vergessene
-Posten, von denen sie als alte Klatschbase wußte, oder
-Posten, die der Revisor absichtlich übersehen hatte, um
-nicht achtenswerte Dorfgenossen in Schaden zu bringen,
-ans Licht. Diese verflixte Oline! Und sie beschuldigte nicht
-einmal den alten Sivert selbst; er hatte ja sicherlich aus
-gutem Herzen testiert und hätte auch reichlich Geld hinterlassen,
-jawohl; nein, die beiden Vertreter der Kreisverwaltung,
-die die Sache zu ordnen hatten, die hatten sie
-geprellt. Aber einst wird auch dies dem Allwissenden zu
-Ohren kommen! sagte Oline drohend.</p>
-
-<p>Merkwürdigerweise sah sie nichts Lächerliches darin,
-daß sie im Testamente genannt war; das war trotz allem
-eine Ehre, niemand sonst von den Ihrigen stand darin.</p>
-
-<p>Die Leute auf Sellanraa trugen das Unglück mit Geduld,
-sie waren ja auch nicht ganz unvorbereitet. Inger
-konnte es allerdings nicht recht fassen: Der Oheim
-Sivert, der seiner Lebtag so reich gewesen ist! sagte sie.
-&mdash; Er hätte als aufrechter und reicher Mann vor den<span class="pagenum"><a name="Seite_250" id="Seite_250">[S. 250]</a></span>
-Thron des Lammes treten können, aber sie haben ihn
-beraubt! behauptete Oline. &mdash; Isak war im Begriff, fortzugehen,
-und Oline sagte: Das ist sehr dumm, Isak, daß
-du fort willst, so kriege ich ja die Mähmaschine nicht zu
-sehen. Du hast doch eine Mähmaschine, nicht wahr? &mdash;
-Jawohl. &mdash; Ja, jedermann spricht davon. Und daß sie
-rascher mäht als hundert Sensen. Was du dir nicht alles
-anschaffen kannst, Isak, mit deinem Geld und deinem
-Vermögen! Unser Pfarrer hat einen neuen Pflug mit
-zwei Pflugscharen, aber was ist der Pfarrer neben dir!
-Das würde ich ihm offen ins Gesicht sagen. &mdash; Sivert
-kann dir mit der Maschine vormähen, er kann es schon
-viel besser als ich, sagte Isak und ging fort.</p>
-
-<p>Isak ging fort. Auf Breidablick ist Versteigerung gerade
-um die Mittagsstunde, und er kann eben noch rechtzeitig
-hinkommen.</p>
-
-<p>Nicht als ob Isak noch daran dachte, die Ansiedlung
-zu kaufen, aber das ist nun die erste Versteigerung in der
-Gegend, und da will er dabeisein.</p>
-
-<p>Als er bis nach Maaneland gekommen ist und Barbro
-da sieht, will er nur grüßen und weitergehen, aber Barbro
-redet ihn an und fragt ihn, ob er dort hinunter wolle?
-&mdash; Ja, antwortet er und will weitergehen. Es ist Barbros
-Kinderheimat, die versteigert wird, deshalb antwortet
-er so kurz angebunden. &mdash; Willst du zur Versteigerung?
-fragt sie. &mdash; Zur Versteigerung? Na, ich
-gehe eben einmal hinunter. Wo ist denn Axel? &mdash; Axel?
-Ich weiß nicht, wo er ist. Er ist zur Versteigerung gegangen,
-er will wohl auch dies oder jenes zu einem Spottpreis
-ergattern.</p>
-
-<p>Wie dick doch Barbro war, und wie bissig, ganz rasend!</p>
-
-<p>Die Versteigerung hat schon angefangen. Isak hört
-des Lensmanns Aufrufe und sieht viele Leute. Als er
-näher kommt, sieht er, daß er nicht alle kennt; es sind
-verschiedene Leute von auswärts da, aber Brede treibt<span class="pagenum"><a name="Seite_251" id="Seite_251">[S. 251]</a></span>
-sich in seinem besten Anzug umher und ist lebhaft und
-gesprächig: Guten Tag, Isak! So, du erweist mir auch
-die Ehre und kommst zu meiner Versteigerung. Ich danke
-dir! Wir sind viele Jahre lang Nachbarn und gute
-Freunde gewesen, und niemals hat es ein böses Wort
-zwischen uns gegeben. &mdash; Brede wird ganz gerührt: Es
-ist ja sonderbar, wenn man sich vorstellt, daß man einen
-Ort verlassen soll, für den man gelebt und gestrebt und
-den man liebgewonnen hat. Aber was hilft es, wenn es
-einem nun einmal so bestimmt ist. &mdash; Vielleicht wird es
-jetzt für dich viel besser, tröstet Isak. &mdash; Ja, weißt du,
-das glaube ich auch, erwiderte Brede rasch gefaßt. Es
-ist mir nicht leid, durchaus nicht. Ich habe hier auf dem
-Lande keine Seide gesponnen, das wird jetzt besser werden,
-die Kinder werden größer und fliegen aus dem Nest
-&mdash; na, die Frau sorgt ja wieder für ein Kleines, aber
-trotzdem! Und plötzlich sagt Brede klipp und klar: Ich
-habe den Telegraphen aufgekündigt. &mdash; Was? fragt
-Isak. &mdash; Ich habe den Telegraphen aufgekündigt. &mdash;
-Du hast den Telegraphen aufgekündigt? &mdash; Ja, zu
-Neujahr. Was soll ich weiter damit? Und wenn ich im
-Verdienen wäre und den Lensmann oder den Pfarrer
-fahren müßte, dann hätte immer der Telegraph zu allererst
-kommen müssen. Nein, das gibt es nicht. Das kann
-einer machen, der überflüssige Zeit hat; die Telegraphenlinie
-entlang rennen, über Berg und Tal für eine kleine
-oder gar keine Bezahlung, das tut der Brede nicht! Und
-außerdem habe ich mich mit dem Vorstand, der mein
-Vorgesetzter ist, verkracht.</p>
-
-<p>Der Lensmann wiederholt immer noch die Angebote
-auf die Ansiedlung, und sie haben nun die wenigen hundert
-Kronen erreicht, die das Gut geschätzt wird, deshalb
-werden jetzt nur noch fünf oder zehn Kronen mehr
-auf einmal geboten. Ich glaube wahrhaftig, jetzt bietet
-der Axel! sagt Brede plötzlich und eilt neugierig zu ihm<span class="pagenum"><a name="Seite_252" id="Seite_252">[S. 252]</a></span>
-hinüber. Willst du meinen Hof kaufen? Ist dir deiner
-nicht groß genug? &mdash; Ich biete für einen andern Mann,
-erwidert Axel etwas ausweichend. &mdash; Na ja, das ist mir
-einerlei, so ist das nicht gemeint. &mdash; Der Lensmann hebt
-den Hammer, ein neues Gebot wird gemacht, hundert
-Kronen mehr auf einmal; niemand geht höher, der Lensmann
-nennt das letzte Angebot noch ein paarmal, wartet
-eine Weile mit erhobenem Hammer und schlägt dann zu.</p>
-
-<p>Wer hatte geboten?</p>
-
-<p>Axel Ström. Für einen andern Mann.</p>
-
-<p>Der Lensmann schreibt ins Protokoll: Axel Ström
-pr. Kommission.</p>
-
-<p>Für wen kaufst du? fragte Brede. Nicht, als ob es
-mir nicht ganz einerlei wäre.</p>
-
-<p>Aber nun stecken einige Herren am Tische des Lensmannes
-die Köpfe zusammen. Da sitzt ein Vertreter der
-Bank, der Kaufmann ist, mit seinem Ladendiener da,
-etwas hat sich ereignet, die Forderungen der Gläubiger
-sind nicht gedeckt! Brede wird gerufen, leicht und sorglos
-kommt er daher und nickt nur, jawohl, ganz derselben
-Ansicht. Wer hätte auch denken können, daß der
-Hof nicht mehr bringen werde, sagte er. Und plötzlich
-verkündet er allen Anwesenden mit lauter Stimme: Da
-wir nun mit der Versteigerung fertig sind und ich doch
-einmal den Lensmann herbemüht habe, so will ich alles
-verkaufen, was ich hier habe. Den Wagen, die Tiere,
-eine Mistgabel, den Schleifstein, das brauche ich alles
-nicht mehr, ich verkaufe Rump und Stump.</p>
-
-<p>Geringe Angebote. Bredes Frau, auch sie leichtfüßig
-und sorglos, trotz ihres ungeheuren Umfangs, hat inzwischen
-begonnen, an einem Tisch Kaffee zu verkaufen;
-sie findet diese Beschäftigung unterhaltend, sie lächelt,
-und als Brede selbst kommt und Kaffee trinkt, verlangt
-sie zum Spaß auch von ihm Bezahlung. Und Brede zieht<span class="pagenum"><a name="Seite_253" id="Seite_253">[S. 253]</a></span>
-wirklich seinen mageren Beutel und bezahlt. Seht doch
-nur die Frau an! sagt er zu der ganzen Versammlung.
-Sie versteht's! sagt er.</p>
-
-<p>Der Wagen ist nicht viel wert, er hat zu oft unter
-freiem Himmel gestanden; aber Axel bietet schließlich noch
-ganze fünf Kronen mehr und ersteht auch den Wagen.
-Dann kauft Axel nichts mehr. Aber alles verwundert
-sich, daß der vorsichtige Mann so viel gekauft hat.</p>
-
-<p>Nun ging's an die Tiere. Sie standen heute im Stall,
-um in der Nähe zu sein. Was sollte Brede mit Tieren,
-wenn er kein Weideland mehr dafür hatte! Kühe hatte
-er gar nicht, er hatte seine Landwirtschaft mit zwei Geißen
-begonnen, jetzt hatte er vier. Außerdem hatte er sechs
-Schafe. Ein Pferd besaß er nicht.</p>
-
-<p>Isak kaufte ein gewisses Schaf mit flachen Ohren.
-Als Bredes Kinder dieses Schaf aus dem Stall herausführten,
-bot er sofort darauf; das erregte Aufmerksamkeit;
-Isak von Sellanraa war ja ein reicher und angesehener
-Mann, der brauchte doch nicht noch mehr Schafe,
-als er schon hatte. Bredes Frau hält einen Augenblick
-mit ihrem Kaffeeverkauf inne und sagt: Zu diesem Schaf
-kann man dir nur zureden, Isak; es ist zwar alt, aber
-es wirft jedes Jahr zwei oder drei Lämmer. &mdash; Ja, das
-weiß ich, erwidert Isak und sieht sie voll an. Ich kenne
-das Schaf.</p>
-
-<p>Er macht sich mit Axel Ström zusammen auf den
-Heimweg und führt sein Schaf am Strick. Axel ist
-schweigsam, und irgend etwas scheint ihn zu wurmen,
-was es nun auch sein mag. Aber er hat doch eigentlich
-keine äußere Ursache, niedergeschlagen zu sein, denkt Isak.
-Seine Wirtschaft ist in gutem Stande, er hat das meiste
-Futter schon hereingebracht, und er ist eben dabei, sein
-Wohnhaus aufzurichten. Es geht bei Axel Ström, wie
-es gehen soll, ein wenig langsam, aber sicher. Jetzt hat
-er sich auch ein Pferd angeschafft.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_254" id="Seite_254">[S. 254]</a></span></p>
-
-<p>Du hast Bredes Hof gekauft, sagt Isak. Willst du ihn
-bewirtschaften? &mdash; Nein, ich will ihn nicht bewirtschaften.
-Ich habe ihn für einen andern gekauft. &mdash; So. &mdash;
-Was meinst du, habe ich zuviel bezahlt? &mdash; O nein. Er
-hat gute Moore, wenn sie entwässert werden. &mdash; Ich
-habe den Hof für meinen Bruder in Helgeland gekauft.
-&mdash; So. &mdash; Aber ich habe so halb und halb daran gedacht,
-mit ihm zu tauschen. &mdash; Du willst mit ihm tauschen? &mdash;
-Wenn Barbro lieber da unten wohnen möchte.</p>
-
-<p>Schweigend gehen sie ein gutes Stück. Dann sagt
-Axel: Man ist sehr hinter mir her, ich soll den Telegraphen
-übernehmen. &mdash; Den Telegraphen? So. Ja, ich
-habe gehört, der Brede habe ihn aufgekündigt. &mdash; So,
-antwortet Axel lächelnd; das ist nicht ganz genau so gewesen,
-ihm, dem Brede, ist aufgekündigt worden. &mdash;
-Ja, ja, sagte Isak und versuchte Brede ein wenig zu
-entschuldigen; der Telegraph nimmt viel Zeit weg. &mdash;
-Sie haben ihm zu Neujahr gekündigt, wenn er sich nicht
-bessere. &mdash; So. &mdash; Meinst du nicht, ich könnte den Posten
-übernehmen? &mdash; Isak dachte lange nach und antwortete
-dann: Ja, ja, das bringt Geld. &mdash; Sie wollen mir mehr
-geben. &mdash; Wieviel? &mdash; Das Doppelte. &mdash; Das Doppelte?
-Ja, dann meine ich, du könntest es dir überlegen. &mdash; Aber
-die Strecke ist etwas länger geworden. Nein, ich weiß
-doch nicht, was ich tun soll; es läßt sich jedoch jetzt weniger
-aus dem Wald herausschlagen als zu deiner Zeit, und
-ich muß mir noch mehr Geräte anschaffen, ich habe jetzt
-zu wenig. An bar Geld fehlt es immer, und mein Viehstand
-ist nicht so groß, daß ich davon verkaufen könnte.
-Ich meine, ich sollte es einmal ein Jahr mit dem Telegraphen
-versuchen ... Keinem der beiden fiel es ein, daß
-Brede sich bessern und seinen Posten behalten könnte.</p>
-
-<p>Als sie nach Maaneland kamen, ist auch Oline auf
-ihrem Heimweg dort angelangt, ja, Oline ist merkwürdig,
-sie kriecht fett und rund daher wie eine Raupe und<span class="pagenum"><a name="Seite_255" id="Seite_255">[S. 255]</a></span>
-ist doch über siebzig Jahre, aber sie kommt weiter. Sie
-sitzt in der Gamme und trinkt Kaffee, aber als sie die
-Männer gewahr wird, läßt sie alles liegen und stehen
-und kommt heraus. Guten Tag, Axel, zurück von der
-Versteigerung? fragt sie. Du hast doch nichts dagegen,
-daß ich Barbro einen Besuch mache? Und du baust ein
-Wohnhaus und wirst ein immer größerer Herr? Du hast
-ein Schaf gekauft, Isak? &mdash; Ja, erwidert Isak, kommt
-es dir nicht bekannt vor? &mdash; Ob es mir bekannt vorkommt?
-Nein. &mdash; Es hat aber doch diese flachen Ohren,
-sieh nur. &mdash; Flache Ohren, wieso denn? Und wenn auch?
-Ja, was ich sagen wollte: Wer hat denn Bredes Hof
-gekauft? Eben habe ich zu der Barbro gesagt, wer wohl
-ihr Nachbar werden würde, habe ich gesagt. Die arme
-Barbro sitzt nur da und weint, wie nicht anders zu erwarten
-ist. Aber der Allmächtige hat ihr eine zweite Heimat
-hier auf Maaneland beschert. Flache Ohren? Ich
-habe in meinem Leben schon viele Schafe mit flachen
-Ohren gesehen. Und das ist wahr, Isak, diese Maschine,
-die du hast, ist fast mehr als meine alten Augen fassen
-können. Und was sie gekostet hat, danach will ich lieber
-gar nicht fragen, so hoch kann ich gar nicht zählen. Wenn
-du sie gesehen hast, Axel, dann weißt du, was ich meine,
-es war mir, als sähe ich Elias in seinem feurigen Wagen;
-Gott verzeih mir die Sünde ...</p>
-
-<p>Als das Heu unter Dach war, fing Eleseus an, sich
-zur Abreise zu rüsten. Er hatte dem Ingenieur geschrieben,
-er komme jetzt wieder, aber darauf die sonderbare
-Antwort erhalten, daß die Zeiten schlecht seien, man müsse
-sich einschränken, der Ingenieur könne den Posten nicht
-mehr besetzen und müsse von nun an alles selbst schreiben.</p>
-
-<p>Das war doch eine verfluchte Sache! Aber wozu
-brauchte auch dieser Bezirksingenieur einen Schreiber?
-Damals, als er den kleinen Jungen Eleseus von seinem
-Elternhaus wegnahm, wollte er sich wohl nur als großer<span class="pagenum"><a name="Seite_256" id="Seite_256">[S. 256]</a></span>
-Mann in der Gegend zeigen, und wenn er ihn bis über
-die Konfirmation genährt und gekleidet hatte, so hatte
-er auch ein wenig Hilfe auf dem Büro dafür gehabt.
-Jetzt war der Junge erwachsen, nun war es eine andere
-Sache.</p>
-
-<p>Aber, schrieb der Ingenieur, wenn Du zurückkommst,
-so will ich tun, was ich kann, um Dich auf einem anderen
-Büro unterzubringen, obgleich es wahrscheinlich
-schwierig sein wird. Es gibt so überflüssig viele junge
-Leute hier, die diese Laufbahn einschlagen. Freundliche
-Grüße.</p>
-
-<p>Gewiß wollte Eleseus zurück in die Stadt, ja, ganz
-zweifellos. Sollte er sich wegwerfen? Er wollte doch weiterkommen
-in der Welt. Und Eleseus sagte den Seinigen
-nichts von der veränderten Sachlage; das führte doch zu
-nichts, und außerdem war er etwas schlapp, also schwieg
-er. Das Leben auf Sellanraa wirkte wieder auf ihn,
-es war ein ruhmloses und alltägliches Dasein, es
-war ruhig und einschläfernd, man wurde ein Träumer,
-da war niemand, vor dem er sich hätte aufspielen, niemand,
-mit dem er sich hätte messen können. Das Stadtleben
-hatte sein Wesen gespalten, hatte ihn vornehmer
-gemacht als die andern, aber auch schwächer, er fühlte
-sich jetzt eigentlich überall heimatlos. Daß er wieder anfing,
-den Geruch des Rainfarn angenehm zu finden &mdash;
-nun gut! Aber es hatte doch keinen Sinn, wenn ein
-Bauernjunge, der abends seine Mutter die Kühe melken
-hörte, dabei auf folgenden Gedanken kam: Jetzt wird
-gemolken, hör doch nur, es ist beinahe wunderbar anzuhören,
-es ist wie eine Art Lied, in lauter einzelnen Strahlen,
-ganz anders als die Hornmusik in der Stadt oder die
-Heilsarmee oder die Pfeife des Dampfschiffs. Der Milchstrahl,
-der in ein Gefäß rinnt ...</p>
-
-<p>Es war nicht Brauch auf Sellanraa, seine Gefühle
-sehr zu zeigen, und Eleseus fürchtete sich vor dem Augen<span class="pagenum"><a name="Seite_257" id="Seite_257">[S. 257]</a></span>blick
-des Abschieds. Er war jetzt gut ausgestattet, er sollte
-wieder einen Ballen Leinwand zu Unterzeug mitbekommen,
-und der Vater hatte Geld bereitgelegt, das Eleseus
-eingehändigt werden sollte, wenn er die Schwelle überschritt.
-Geld &mdash; konnte Isak wirklich Geld entbehren?
-Aber es ging nicht anders, Inger deutete ja an, daß es
-zum letztenmal sei. Eleseus werde bald aufrücken und für
-sich selbst sorgen. &mdash; So, sagte Isak. &mdash; Die Stimmung
-wurde feierlich, im Hause wurde es still, alle hatten zum
-Abschiedsessen ein gekochtes Ei bekommen, und Sivert
-stand schon draußen, fertig gerüstet, mitzugehen und das
-Gepäck zu tragen. Eleseus konnte mit dem Abschied anfangen.</p>
-
-<p>Er fing bei Leopoldine an. Ja, sie sagte ihm auch Lebewohl
-und machte das recht nett. Ebenso wiederholte die
-Magd Jensine, die eben Wolle kardätschte, den Abschiedsgruß.
-Aber beide Mädchen glotzten ihn ganz verflucht an,
-nur weil er vielleicht ein klein wenig rote Augen hatte.
-Er reichte seiner Mutter die Hand, und sie weinte natürlich
-laut auf und kümmerte sich den Henker darum, daß
-er das Weinen nicht leiden konnte. Laß dir's gut gehen!
-schluchzte sie. Der Abschied vom Vater war der schlimmste,
-unbedingt, aus tausend Gründen: er war so abgearbeitet
-und so unendlich getreu, hatte die Kinder auf den Armen
-getragen, ihnen von Möwen und anderen Vögeln erzählt
-und von Tieren und allen Wundern des Feldes.
-Das war gar nicht lange her, ein paar Jahre ...</p>
-
-<p>Der Vater steht am Fenster, dann dreht er sich plötzlich
-um, ergreift die Hand des Sohnes und sagt laut und
-ärgerlich: Ja, ja, leb wohl! Ich sehe, das neue Pferd hat
-sich dort losgerissen! Und hinaus läuft er und rennt davon.
-Ach, und er hatte sich ja selbst kurz vorher hingeschlichen
-und das Pferd losgebunden, und das wußte
-der Spitzbube Sivert recht gut, der draußen stand und<span class="pagenum"><a name="Seite_258" id="Seite_258">[S. 258]</a></span>
-dem Vater lächelnd nachschaute. Und außerdem war ja
-das Pferd auf der Nachmahd.</p>
-
-<p>Dann war Eleseus fertig.</p>
-
-<p>Doch da kam ihm die Mutter auf die Türschwelle
-nach, schluchzte noch mehr und sagte: Gott sei mit dir!
-und drückte ihm etwas in die Hand. Dies hier &mdash; und
-du sollst ihm nicht danken, das mag er nicht. Und schreib
-auch fleißig!</p>
-
-<p>Zweihundert Kronen.</p>
-
-<p>Eleseus sah hinüber. Der Vater strengte sich ungeheuer
-an, einen Tüderpflock in die Erde zu rammen, was ihm
-anscheinend gar nicht gelingen wollte, obgleich es doch
-weicher Wiesengrund war.</p>
-
-<p>Die Brüder schritten fleißig aus, sie kamen nach
-Maaneland, da stand Barbro auf der Schwelle und lud
-sie ins Haus ein. Gehst du wieder fort, Eleseus? Dann
-mußt du aber hereinkommen und wenigstens eine Tasse
-Kaffee trinken.</p>
-
-<p>Sie gehen in die Gamme, und Eleseus ist nicht mehr
-verrückt vor Liebe und will zum Fenster hinausspringen
-oder Gift nehmen, nein, er legt seinen hellen Überrock
-über die Knie und sorgt dafür, daß das silberne Schild
-obenhin zu liegen kommt, danach fährt er sich mit dem
-Taschentuch übers Haar, und dann macht er die sehr
-feine Bemerkung: Ein klassisches Wetter heute!</p>
-
-<p>Barbro hat auch nicht die Fassung verloren, sie spielt
-mit ihrem silbernen Ring an der einen Hand und mit
-dem goldenen an der andern &mdash; ja, sie hatte wahrhaftig
-jetzt auch den goldenen Ring bekommen &mdash;, und sie hat
-eine Schürze an, die vom Hals bis zu den Füßen geht,
-so sieht man ihr wenigstens ihre Rundlichkeit nicht an.
-Und nachdem sie den Kaffee gekocht hat und während
-die Gäste ihn trinken, näht sie erst ein bißchen an einem<span class="pagenum"><a name="Seite_259" id="Seite_259">[S. 259]</a></span>
-weißen Tuch und häkelt dann ein bißchen an einem Kragen
-und betreibt allerlei jungfrauenhafte Arbeiten. Barbro
-ist nicht in Verlegenheit über den Besuch, und das
-ist gut, dadurch wird der Ton natürlich, und Eleseus
-kann wieder so obenhin und einnehmend tun.</p>
-
-<p>Wo ist denn Axel? fragt Sivert.</p>
-
-<p>Wo er ist? Irgendwo, antwortet Barbro und richtet
-sich auf. Ja, jetzt kommst du wohl nie wieder heim aufs
-Land? fragt sie Eleseus. &mdash; Das ist höchst unwahrscheinlich,
-erwidert er. &mdash; Hier ist nicht der rechte Ort für jemand,
-der an die Stadt gewöhnt ist. Ich wäre froh,
-wenn ich mit dir reisen könnte. &mdash; Ach, das ist dir nicht
-Ernst. &mdash; Nicht, meinst du? Oh, ich habe es erfahren,
-wie es ist, wenn man in der Stadt wohnt, und wie es
-auf dem Lande ist. Ich bin in einer größeren Stadt gewesen
-als du. Da ist es kein Wunder, wenn es mir hier
-nicht gefällt. &mdash; Gewiß, so habe ich es nicht gemeint, du
-bist ja sogar in Bergen gewesen, beeilte er sich zu sagen.
-Es war ja schrecklich, wie hochfahrend sie war! &mdash; Ja,
-wenn ich die Zeitung nicht hätte, so liefe ich sofort davon,
-sagte Barbro. &mdash; Aber der Axel und alles miteinander,
-das habe ich gemeint. &mdash; Ach, der Axel, das
-ginge mich nichts an. Und du selbst, hast du nicht vielleicht
-jemand in der Stadt, der auf dich wartet? &mdash; Nun
-konnte Eleseus nicht anders, er mußte sich ein wenig aufspielen,
-er kniff die Augen zu und ließ es auf der Zunge
-zerschmelzen: daß er allerdings doch vielleicht jemand in
-der Stadt habe, der auf ihn warte. Ach ja, aber er hätte
-das alles noch ganz anders ausnützen können, wenn
-Sivert nicht dabeigesessen hätte; so konnte er nur sagen:
-Ach, Unsinn! &mdash; Na, sagte sie verletzt, und es war eigentlich
-eine Schande, wie übellaunig sie war: Unsinn! Ja, du
-kannst von den Leuten auf Maaneland nicht mehr erwarten,
-wir sind nicht so großartig.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_260" id="Seite_260">[S. 260]</a></span></p>
-
-<p>Aber Eleseus kümmerte sich den Henker um sie, sie war
-recht fleckig im Gesicht geworden, und ihr Zustand war
-jetzt sogar seinen Kinderaugen aufgegangen. &mdash; Willst
-du nicht ein wenig Gitarre spielen? fragte er. &mdash; Nein,
-erwiderte sie kurz angebunden. Was ich sagen wollte,
-Sivert, kannst du nicht kommen und Axel ein paar Tage
-beim Aufrichten des neuen Hauses helfen? Wie wär's,
-wenn du gleich morgen dabliebst, wenn du vom Dorf
-zurückkommst? &mdash; Sivert überlegte: Ja, aber ich habe
-keinen Arbeitsanzug da, sagte er. &mdash; Ich will heut abend
-hinlaufen und deine Werktagskleider holen, daß du sie
-hast, wenn du zurückkommst. &mdash; Na ja, sagte Sivert, ich
-will mir's überlegen. &mdash; Barbro wurde unnötig eifrig.
-Du mußt es aber gern tun! Der Sommer vergeht, und
-das Wohnhaus sollte noch vor den Herbsttagen aufgerichtet
-und gedeckt sein. Axel hat dich schon oft darum
-bitten wollen, aber er kommt immer nicht dazu. Nein,
-du mußt uns diese Handreichung gern tun. &mdash; Wenn ich
-etwas helfen kann, dann tu ich es auch gern, erwiderte
-Sivert.</p>
-
-<p>Das war also abgemacht.</p>
-
-<p>Aber nun ist Eleseus wirklich berechtigt, sich beleidigt
-zu fühlen. Er sieht ja ein, daß es von Barbro recht klug
-ist, wenn sie um ihrer selbst und um Axels willen darauf
-aus ist, Hilfe für den Hausbau zu bekommen; aber
-sie tut das zu offenkundig. Sie ist noch nicht die Hausfrau
-auf dem Hofe, und es ist noch keine Ewigkeit her,
-seit er selbst sie geküßt hat, dieses Frauenzimmer! Hatte
-sie denn gar keine Scham im Leibe? &mdash; Doch, sagt er
-darum plötzlich, ich werde wiederkommen und bei dir
-Gevatter stehen. &mdash; Barbro warf ihm einen Blick zu und
-sagte ärgerlich: Gevatter? Und du willst von Unsinn
-sprechen! Außerdem werde ich dir Nachricht schicken, wenn
-ich einmal um einen Gevatter verlegen sein sollte. &mdash;
-Was konnte Eleseus anderes tun, als beschämt lächeln<span class="pagenum"><a name="Seite_261" id="Seite_261">[S. 261]</a></span>
-und sich weit weg wünschen! &mdash; Besten Dank für den
-Kaffee, sagte Sivert. &mdash; Ja, Dank für den Kaffee, sagte
-auch Eleseus, aber er stand nicht auf und verbeugte sich
-auch nicht, nein, zum Henker; sie schwoll ja vor Gift
-und Galle!</p>
-
-<p>Laß doch einmal sehen, sagte Barbro. Ja, die Kontorherren,
-bei denen ich war, die hatten auch silberne Schildchen
-in den Röcken, noch viel größere, sagte sie. Nun,
-also du kommst zurück und bleibst hier über Nacht,
-Sivert? Ich hole deine Kleider.</p>
-
-<p>Das war der Abschied.</p>
-
-<p>Die Brüder gingen weiter, Eleseus hatte zwei große
-Banknoten in der Brusttasche, und die Barbro konnte
-seinetwegen der Kuckuck holen. Die Brüder hüteten sich
-wohl, auf irgendeinen rührenden Gesprächsstoff zu kommen,
-auf des Vaters sonderbaren Abschied und der Mutter
-Tränen, sie machten einen Umweg um Breidablick
-herum, um dort nicht angehalten zu werden, und führten
-scherzhafte Reden über diesen Streich. Als sie so weit
-hinuntergekommen waren, daß sie das Dorf sehen konnten,
-wo Sivert umdrehen sollte, übermannte es sie beide
-doch ein wenig. Sivert sagte: Es kann wohl sein, daß es
-jetzt ohne dich ein wenig einförmig wird. &mdash; Da fing
-Eleseus an zu pfeifen und seine Schuhe zu untersuchen,
-und er sah, daß er einen Spreißel im Finger hatte, und
-suchte in seinen Taschen &mdash; nach Papieren, sagte er &mdash;,
-oh, wie schlau! Aber es wäre dennoch schlimm gegangen,
-wenn nicht Sivert sie beide gerettet hätte: Den Letzten!
-rief er, gab dem Bruder einen Schlag auf den Rücken
-und lief davon. Das half, sie riefen einander noch einige
-Abschiedsworte zu, und dann zog jeder seines Weges.</p>
-
-<p>Schicksal oder Glückszufall! Eleseus kehrte trotz allem
-in die Stadt zurück auf einen Posten, den er nicht mehr
-innehatte, aber durch dieselbe besondere Fügung bekam
-Axel Ström einen Arbeiter. Am 21. August fingen sie<span class="pagenum"><a name="Seite_262" id="Seite_262">[S. 262]</a></span>
-an das Blockhaus aufzurichten, und zehn Tage später
-war es unter Dach. Ach, es war kein großartiges Wohnhaus
-und nur ein paar Balkenlagen hoch, aber es war
-doch ein Blockhaus und keine Erdhütte, und das Vieh
-konnte nun in dem Raum, der seither menschliche Wohnung
-gewesen war, einen herrlichen Winterstall bekommen.</p>
-
-
-
-<h3>2</h3>
-
-
-<p>Am dritten September verschwand Barbro, das
-heißt, ganz verschwand sie nicht, sie war nur bei
-den Gebäuden nirgend zu finden. Axel schreinerte,
-so gut er konnte, er war dabei, ein Fenster und eine Tür
-in den Neubau einzusetzen, und war sehr in seine Arbeit
-vertieft. Als aber die Mittagszeit vorbei war und man
-ihn immer noch nicht hineinrief, ging er in die Gamme.
-Niemand war da. Er suchte sich selbst etwas Essen zusammen
-und schaute sich um, während er aß; Barbros Kleider
-hingen alle da, sie konnte also nur draußen irgendwo
-sein. Er ging wieder an seine Arbeit im Neubau und
-schaffte dort eine Weile, dann schaute er wieder in die
-Gamme &mdash; noch immer niemand da. Sie mußte irgendwo
-liegengeblieben sein.</p>
-
-<p>Barbro! ruft er. Nichts. Er sucht in der Umgebung
-der Häuser, geht hinüber zu einigen Gebüschen bei den
-Feldern, er sucht lange, vielleicht eine Stunde, er ruft
-&mdash; nichts! Endlich findet er sie weit entfernt; sie liegt
-auf der Erde hinter Gebüsch versteckt, der Bach läuft an
-ihren Füßen vorbei, sie ist barhäuptig und barfuß, und
-sie ist bis in den Rücken hinauf tropfnaß.</p>
-
-<p>Hier liegst du? sagt er. Warum hast du keine Antwort
-gegeben? &mdash; Ich konnte nicht, flüsterte sie und war stockheiser.
-&mdash; Was &mdash; hast du denn im Wasser gelegen? &mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_263" id="Seite_263">[S. 263]</a></span>
-Ja, ich bin ausgeglitten. Oh! &mdash; Ist dir schlecht? &mdash; Ja.
-Es ist vorbei. &mdash; Ist es vorbei? fragt er. &mdash; Ja. Jetzt
-mußt du mir helfen, daß ich nach Hause komme. &mdash; Wo
-ist &mdash;? &mdash; Was? &mdash; Wo ist das Kind? &mdash; Es war tot.
-&mdash; War es tot? &mdash; Ja.</p>
-
-<p>Axel rührt sich nicht, er bleibt stehen. Wo ist es?
-fragt er.</p>
-
-<p>Das brauchst du nicht zu wissen, erwidert sie. Hilf
-mir nach Hause. Es war tot. Ich kann selbst gehen, wenn
-du mich nur ein wenig unter dem Arme faßt.</p>
-
-<p>Axel trägt sie nach Haus und setzt sie auf einen Stuhl,
-das Wasser läuft an ihr herab. &mdash; Ist es tot gewesen?
-fragt er. &mdash; Du hörst es ja, erwidert sie. &mdash; Wo hast du
-es? &mdash; Du willst es wohl ausschnüffeln? Hast du etwas
-zu essen gefunden, während ich fort war? &mdash; Was wolltest
-du denn dort am Bach? &mdash; Was ich am Bach wollte?
-Ich wollte Wacholder holen. &mdash; Wacholder? &mdash; Für die
-Milcheimer. &mdash; Dort wächst doch kein Wacholder, sagt er.
-&mdash; So geh doch an deine Arbeit! ruft sie heiser und ungeduldig.
-Was ich am Bach wollte? Ich wollte mir
-Besenreis holen. Ob du gegessen hast? frag ich. &mdash; Gegessen?
-wiederholte er. Ist es dir sehr schlecht? &mdash; Ach
-nein! &mdash; Ich will den Doktor holen. &mdash; Ja, untersteh
-dich! erwidert sie. Damit steht sie auf und fängt an, sich
-trockene Kleider zum Umziehen herbeizuholen. Weißt du
-sonst gar nicht, wie du dein Geld wegwerfen sollst?</p>
-
-<p>Axel geht wieder an seine Arbeit, verrichtet indes nicht
-viel; aber er klopft ein wenig und hobelt ein wenig,
-damit ihn Barbro hört; schließlich keilt er das Fenster
-ein und dichtet es mit Moos.</p>
-
-<p>Am Abend hat Barbro nicht viel Hunger, aber sie
-arbeitet hier ein wenig und dort ein wenig, sie geht in
-den Stall und melkt und steigt nur etwas vorsichtiger
-als sonst über die hohen Schwellen. Wie gewöhnlich, legte
-sie sich im Heustall schlafen, und die beiden Male, die<span class="pagenum"><a name="Seite_264" id="Seite_264">[S. 264]</a></span>
-Axel während der Nacht nach ihr schaute, schlief sie fest.
-Sie hatte eine gute Nacht.</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen war Barbro beinahe wie sonst,
-nur gänzlich stimmlos vor Heiserkeit, und sie hatte sich
-einen langen Strumpf um den Hals gewickelt. Sie konnten
-nichts miteinander reden. Die Tage vergingen, und
-das Ereignis wurde alt, andere Dinge traten in den Vordergrund.
-Der Neubau sollte eigentlich leer stehen, daß
-die Balken sich setzen konnten, damit das Haus dicht und
-zugfrei werde, aber es blieb keine Zeit, das abzuwarten,
-es mußte sofort beziehbar gemacht und der Stall eingerichtet
-werden. Nachdem dies geschehen und der Umzug
-vollendet war, wurden die Kartoffeln herausgenommen
-und nachher das Korn geschnitten. Das Leben lief im
-gewohnten Geleise.</p>
-
-<p>Aber an vielen kleinen und großen Dingen merkte
-Axel, daß ihre Beziehungen lockerer geworden waren,
-Barbro fühlte sich in Maaneland jetzt nicht mehr zu
-Hause und auch nicht mehr gebunden als jedes andere
-Dienstmädchen. Das Band zwischen ihnen hatte sich gelockert,
-als das Kind starb. Axel hatte immer so großartig
-gedacht: Warte nur, bis das Kind da ist! Aber das Kind
-kam und ging wieder. Zuletzt legte Barbro auch noch die
-Fingerringe ab und trug keinen mehr davon. &mdash; Was
-soll das bedeuten? fragte er. &mdash; Was das bedeuten soll?
-sagte sie und warf den Kopf zurück.</p>
-
-<p>Aber das konnte doch nichts anderes als Arglist und
-Verrat von ihrer Seite sein.</p>
-
-<p>Jetzt hatte er die kleine Leiche am Ufer des Baches gefunden.
-Nicht als ob er weiter danach gesucht hätte, er
-wußte ja beinahe genau das Plätzchen, wo sie liegen
-mußte, aber er ließ es träge auf sich beruhen. Der Zufall
-wollte, daß er es nicht ganz vergaß: Vögel fingen an,
-über dieser Stätte zu kreisen, schreiende Elstern und<span class="pagenum"><a name="Seite_265" id="Seite_265">[S. 265]</a></span>
-Raben und eine Weile später auch ein Adlerpaar in
-schwindelnder Höhe. Es war gerade, als ob zuerst eine
-einzelne Elster gesehen hätte, daß hier etwas niedergelegt
-worden war, und als ob sie dann auch gerade wie ein
-Mensch nicht darüber hätte schweigen können, sondern
-hätte darüber schwatzen müssen. Dadurch wurde auch Axel
-aus seiner Gleichgültigkeit geweckt, und er wartete einen
-passenden Augenblick ab, sich hinzuschleichen. Er fand die
-Leiche unter Moos und Zweigen und ein paar Steinplatten
-in ein Tuch, einen großen Lappen, gewickelt. Mit einer
-Mischung von Neugier und Grausen öffnete er das Bündel
-ein wenig &mdash; geschlossene Augen, dunkle Haare, ein
-Junge, gekreuzte Beine, mehr sah er nicht. Der Lappen
-war naß gewesen und war halb getrocknet, das Ganze
-sah aus wie ein halb ausgewundenes Bündel von Wäsche.</p>
-
-<p>Axel konnte die Leiche nicht so offen liegenlassen, im
-Innersten hatte er wohl auch Angst für sich selbst und
-für sein Haus; er lief heim, holte einen Spaten und
-machte das Grab tiefer; aber da es so nah am Bach war,
-sickerte das Wasser herein, und er mußte weiter oben am
-Hügel ein neues Grab schaufeln. Währenddem schwand
-seine Furcht, Barbro könnte kommen und ihn hier finden,
-er wurde trotzig und dachte, seinetwegen könne sie
-wohl kommen, ja, dann könnte sie, bitte, die kleine Leiche
-nett und ordentlich einhüllen, ob das Kind nun totgeboren
-war oder nicht. Er sah sehr wohl ein, was er mit
-dem Tode dieses Kindes verloren, daß er nun alle Aussicht
-hatte, in seinem Neubau ohne Hilfe zu sitzen, und
-zwar gerade jetzt, wo sein Viehstand mehr als dreimal so
-groß war wie vorher. Bitte schön, es wäre gar nicht zu
-viel, wenn sie käme! Aber Barbro &mdash; es kann gut sein,
-daß sie entdeckt hatte, womit er beschäftigt war, jedenfalls
-kam sie nicht, er mußte selbst die kleine Leiche einhüllen,
-so gut er konnte, und sie in das neue Grab legen.
-Dann breitete er schließlich die Rasenstücke wieder darüber<span class="pagenum"><a name="Seite_266" id="Seite_266">[S. 266]</a></span>
-und verwischte jede Spur; nun war nichts weiter zu
-sehen als ein kleiner grüner Hügel im Gebüsch.</p>
-
-<p>Als er heimkehrte, traf er Barbro im Hofe. Wo bist
-du gewesen? fragte sie. &mdash; Die Bitterkeit in seinem Herzen
-hatte sich wohl verloren, denn er antwortete: Nirgends.
-Wo bist denn du gewesen? Aber Barbro las wohl
-eine Warnung aus seinem Gesichtsausdruck, sie ging ins
-Haus, ohne noch ein Wort zu sagen.</p>
-
-<p>Axel ging ihr nach.</p>
-
-<p>Was soll denn das bedeuten, daß du deine Fingerringe
-nicht mehr trägst? fragte er geradezu. &mdash; Vielleicht
-fand sie es am ratsamsten, ein klein wenig nachzugeben,
-sie lachte und sagte: Du bist so grimmig, daß
-ich lachen muß. Wenn du aber willst, daß ich die Ringe
-zuschanden arbeite, wenn ich sie werktags trage, so kann
-ich es ja tun! Damit suchte sie sie hervor und steckte
-sie an.</p>
-
-<p>Aber nun sah sie wohl, daß sein Gesicht einen dumm-zufriedenen
-Ausdruck annahm, und sie fragte dreist: Hast
-du noch mehr an mir auszusetzen? &mdash; Ich habe nichts
-an dir auszusetzen, erwiderte er. Du sollst nur wieder
-sein, wie du früher gewesen bist, ganz zu Anfang, als du
-herkamst. Das meine ich. &mdash; Es ist nicht so leicht, immer
-gleich zu sein, sagte sie. &mdash; Er fuhr fort: Daß ich deines
-Vaters Gut kaufte, geschah nur deshalb, daß wir dorthin
-ziehen könnten, wenn du lieber dort wohnen möchtest.
-Was meinst du dazu? &mdash; Ho, nun hatte er verspielt, oh,
-er hatte nur Angst, er könnte seine weibliche Hilfe verlieren
-und mit seinem Viehstand und seinem Haushalt
-allein bleiben, das merkte sie gut. &mdash; Das hast du schon
-einmal gesagt, erwiderte sie abweisend. &mdash; Jawohl, aber
-ich habe keine Antwort erhalten. &mdash; Antwort? sagte sie.
-Ich ertrage es nicht, das noch einmal zu hören.</p>
-
-<p>Axel meinte, er sei ihr weit entgegengekommen. Er
-hatte die Familie Brede weiter auf Breidablick wohnen<span class="pagenum"><a name="Seite_267" id="Seite_267">[S. 267]</a></span>
-lassen, und obgleich er den kleinen Ertrag mit dem Gut
-gekauft hatte, so hatte er doch nur einige Fuhren Heu
-eingeführt und die Kartoffeln der Familie überlassen.
-Es war eine große Ungereimtheit von Barbro, jetzt böse
-zu werden, aber ihr war das ganz einerlei; sie fragte, als
-ob sie tief gekränkt wäre: Sollten wir nach Breidablick
-ziehen und meine ganze Familie obdachlos machen?</p>
-
-<p>Hörte er denn recht? Mit offenem Mund saß er da,
-dann fing er an zu schlucken, als bereite er sich zu einer
-langen Antwort vor, aber es wurde nichts daraus, und
-er fragte nur: Ziehen sie denn nicht ins Dorf? &mdash; Das
-weiß ich nicht, erwiderte sie. Hast du ihnen vielleicht dort
-eine Wohnung gemietet?</p>
-
-<p>Axel wollte nicht weiter mit ihr rechten, aber er konnte
-doch nicht ganz verschweigen, daß sie ihn einigermaßen
-in Verwunderung gesetzt habe, und so sagte er: Du wirst
-immer halsstarriger und verstockter, aber du meinst es
-nicht so. &mdash; Ich meine alles, was ich sage, entgegnete sie.
-Und nun sag mir einmal, warum konnten meine Leute
-nicht lieber hierher ziehen? Dann hätte ich doch etwas
-Hilfe von meiner Mutter gehabt. Aber du meinst ja, ich
-hätte nicht so viel zu tun, daß ich Hilfe brauche.</p>
-
-<p>Sie hatte damit natürlich einigermaßen recht, aber auch
-sehr viel unrecht: Die Familie Brede hätte ja dann in
-der Gamme wohnen müssen, und Axel hätte wieder nicht
-gewußt, wohin mit seinem Vieh. Wo wollte sie denn hinaus,
-fehlte ihr denn aller Sinn und Verstand? &mdash; Ich
-will dir etwas sagen, es ist besser, du bekommst eine
-Magd. &mdash; Jetzt im Winter, wo es nicht mehr so viel zu
-tun gibt? Nein, ich danke. Damals, als ich eine brauchte,
-da hätte ich eine bekommen sollen, jawohl.</p>
-
-<p>Wieder hatte sie einigermaßen recht: sie hätte eine
-Magd haben müssen, als sie nicht wohl und in gesegneten
-Umständen war. Aber Barbro war ja niemals mit ihrer
-Arbeit im Rückstand geblieben, sie war eigentlich jetzt<span class="pagenum"><a name="Seite_268" id="Seite_268">[S. 268]</a></span>
-ebenso flink und tüchtig, tat alles, was geschehen mußte,
-und ließ niemals ein Wort von einer Magd verlauten.
-Aber sie hätte eine haben sollen. Ja, dann verstehe ich es
-nicht, sagte er mutlos.</p>
-
-<p>Schweigen.</p>
-
-<p>Dann fragte Barbro: Ich habe sagen hören, du wollest
-den Telegraphen übernehmen, den mein Vater hat? &mdash;
-Wieso, wer hat das gesagt? &mdash; Es geht das Gerede. &mdash;
-Ja, es ist nicht unmöglich, erklärte Axel. &mdash; So. &mdash;
-Warum fragst du? &mdash; Ich frage, weil du meinem Vater
-Haus und Hof abgenommen hast und ihm nun auch noch
-seinen Lebensunterhalt nehmen willst.</p>
-
-<p>Schweigen.</p>
-
-<p>Aber nun wollte sich Axel doch nicht noch mehr gefallen
-lassen, und er rief: Ich will dir etwas sagen, du
-bist das gar nicht wert, was ich für dich und die Deinen
-tue.</p>
-
-<p>So, sagte Barbro.</p>
-
-<p>Nein! rief er und schlug mit der Faust auf den Tisch.
-Dann stand er auf.</p>
-
-<p>Du brauchst nicht zu meinen, daß du mir Angst machen
-kannst, piepste sie mit schwacher Stimme und drückte sich
-näher an die Wand.</p>
-
-<p>Dir Angst machen! machte er ihr nach und blies verächtlich.
-Aber jetzt ist es Ernst, und ich will wissen, wie
-es mit dem Kind gewesen ist. Hast du es ertränkt?</p>
-
-<p>Ertränkt?</p>
-
-<p>Ja, es ist doch im Wasser gewesen.</p>
-
-<p>So, du hast das gesehen? sagte sie. Du hast wohl &mdash;
-daran gerochen, hätte sie beinahe gesagt, wagte es aber
-nicht, denn es war vielleicht jetzt gerade nicht mit ihm
-zu spaßen. Du hast es also gesehen?</p>
-
-<p>Ich habe gesehen, daß es im Wasser gelegen hat.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_269" id="Seite_269">[S. 269]</a></span></p>
-
-<p>Ach, das hast du wohl sehen dürfen, versetzte sie. Es
-wurde im Wasser geboren, ich glitt aus und konnte nicht
-mehr aufstehen.</p>
-
-<p>So, du bist ausgeglitten?</p>
-
-<p>Ja, und in demselben Augenblick kam auch das Kind.</p>
-
-<p>So, sagte er. Aber du hast doch einen Lappen mitgenommen.
-Hast du geahnt, daß du ausgleiten würdest?</p>
-
-<p>Einen Lappen mitgenommen? wiederholte sie.</p>
-
-<p>Einen großen weißen Lappen, eines von meinen Hemden,
-das du quer abgeschnitten hattest.</p>
-
-<p>Jawohl, den Lappen habe ich mitgenommen, um Wacholder
-drin nach Hause zu tragen, sagte Barbro.</p>
-
-<p>Wacholder?</p>
-
-<p>Ja, Wacholder. Habe ich dir nicht gesagt, daß ich
-Wacholder holen wollte?</p>
-
-<p>Ja, oder Besenreis.</p>
-
-<p>Ach, das ist doch einerlei, was es war ...</p>
-
-<p>Allein trotz dieses starken Zusammenstoßes wurde es
-wieder gut zwischen den beiden, das heißt, es wurde nicht
-mehr gut, aber erträglich; Barbro war klug und zeigte
-sich nachgiebiger, sie witterte Gefahr. Aber unter diesen
-Verhältnissen wurde ja das Leben auf Maaneland immer
-gezwungener und unerträglicher, ohne Vertrauen, ohne
-Freude, immer auf der Hut. Es ging immer nur einen
-Tag um den andern, aber solange es überhaupt ging,
-mußte Axel zufrieden sein. Er hatte nun einmal dieses
-Mädchen zu sich genommen, er brauchte es, war ihr Liebster
-gewesen, hatte sich an sie gebunden, es war keine
-leichte Sache, sich und sein ganzes Leben zu ändern. Barbro
-wußte alles, was mit dem Neubau zusammenhing,
-wo Hab und Gut aufbewahrt war, wann die Kühe und
-Geißen werfen würden, ob das Winterfutter kärglich oder
-reichlich war, welche Milch zu Käsen bestimmt war und
-welche im Haushalt verbraucht werden durfte &mdash; eine<span class="pagenum"><a name="Seite_270" id="Seite_270">[S. 270]</a></span>
-Fremde wurde von nichts eine Ahnung haben, und eine
-Fremde war vielleicht gar nicht aufzutreiben.</p>
-
-<p>Ach, aber oft schon hatte Axel doch daran gedacht,
-Barbro fortzuschicken und ein anderes Mädchen dafür zu
-nehmen; sie war zuweilen ein wahrer Zankapfel, und er
-fürchtete sich beinahe vor ihr. Selbst zu der Zeit, in der
-er das Unglück gehabt hatte, Glück bei ihr zu haben, war
-er bisweilen vor ihrer merkwürdig grimmigen und unliebenswürdigen
-Art zurückgewichen. Allein sie war schön
-und hatte auch ihre süßen Stunden und begrub ihn gut
-in ihren Umarmungen. Doch das war einmal, jetzt hatte
-es aufgehört. Nein, danke schön, diese elende Geschichte
-wollte sie nicht noch einmal durchmachen! Aber es ist
-nicht so leicht, sich und sein ganzes Leben umzuformen.
-Dann wollen wir sofort heiraten, sagte Axel dringend.
-&mdash; Sofort? erwiderte sie. Nein, ich fahre zuerst in die
-Stadt und lasse meine Zähne herrichten. Ich habe sie ja
-vor lauter Zahnweh beinahe alle verloren.</p>
-
-<p>Da mußte es nun eben weitergehen wie seither; Barbro
-bekam keinen bestimmten Lohn mehr, aber sie bekam
-viel mehr als ihren Lohn, und sooft sie Geld begehrte
-und es auch erhielt, dankte sie dafür, als ob es ein Geschenk
-wäre. Übrigens begriff Axel nicht, wozu sie das
-Geld brauchte; was sollte sie hier auf dem Lande mit
-Geld? Sparte sie es zusammen? Aber wozu in aller Welt
-sparte sie jahraus, jahrein zusammen?</p>
-
-<p>Es war da sehr viel, was Axel nicht begriff: hatte sie
-denn nicht den Verlobungsring, ja sogar einen goldenen
-Ring bekommen? Es hatte ja auch lange Zeit nach diesem
-letzten großen Geschenk ein gutes Verhältnis zwischen
-ihnen geherrscht, aber in alle Ewigkeit wirkte es doch nicht,
-keineswegs, und er konnte ihr doch nicht immer wieder
-Ringe kaufen. Kurz und gut: wollte ihn Barbro nicht?
-Frauenzimmer sind doch merkwürdige Geschöpfe! Stand
-sonst noch irgendwo ein Mann mit schönem Viehstand und<span class="pagenum"><a name="Seite_271" id="Seite_271">[S. 271]</a></span>
-einem neuen Wohnhaus für sie bereit? Axel hatte alles
-Recht, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen über die
-Dummheit und Launenhaftigkeit der Weiber.</p>
-
-<p>Es war ganz merkwürdig, Barbro schien keinen andern
-Gedanken im Kopf zu haben als das Leben in der Stadt
-und in Bergen. Aber um Gottes willen, warum war sie
-dann überhaupt wieder herauf in den Norden gekommen?
-Ein Telegramm ihres Vaters allein hätte sie nicht dazu
-vermocht, auch nur einen Fuß vor den andern zu setzen,
-sie mußte einen andern Grund gehabt haben. Hier war sie
-doch Jahr um Jahr von morgens bis abends unzufrieden.
-Holzgeschirre statt solcher aus Blech und Eisen, Kessel
-statt Kasserollen; dieses ewige Melken statt eines Spaziergangs
-in die Meierei; Bauernstiefel, Schmierseife,
-einen Heusack unter dem Kopf, niemals Hornmusik,
-keine Menschen. Hier war sie ...</p>
-
-<p>Nach dem großen Zusammenstoß haderten sie noch oftmals
-miteinander. Sollen wir darüber schweigen oder sollen
-wir darüber reden? sagte Barbro. Du denkst wohl
-gar nicht mehr daran, was du meinem Vater angetan
-hast? sagte sie. &mdash; Axel fragte: So, was habe ich denn
-getan? &mdash; Das weißt du selbst am besten, sagte sie. Aber
-Inspektor wirst du nun übrigens doch nicht. &mdash; So. &mdash;
-Nein, das glaube ich nicht, bis ich es sehe. &mdash; Du meinst
-wohl, ich sei nicht klug genug dazu? &mdash; Es ist ja ganz gut
-für dich, wenn du klug bist, aber du liest nicht und du
-schreibst nicht, du nimmst auch niemals nur eine Zeitung
-in die Hand. &mdash; Ich kann so viel lesen und schreiben, als
-ich nötig habe, sagte er; aber du bist nichts als ein großes
-Lästermaul. &mdash; Da hast du deinen Ring! schrie sie und
-warf den silbernen Ring auf den Tisch. &mdash; So, und wo ist
-denn der andere? fragte er nach einer Weile. &mdash; Wenn
-du deine Ringe wiedernehmen willst, so kannst du sie
-haben, sagte sie und mühte sich, den goldenen Ring abzu<span class="pagenum"><a name="Seite_272" id="Seite_272">[S. 272]</a></span>streifen.
-&mdash; Dein Zorn macht keinen Eindruck auf mich,
-sagte er und ging hinaus.</p>
-
-<p>Und natürlich trug sie sehr bald beide Ringe wieder.</p>
-
-<p>Es machte Barbro auf die Dauer auch nichts aus, daß
-er sie wegen des Todes des Kindes im Verdacht hatte.
-Ganz im Gegenteil, sie pfiff darauf und war hochmütig.
-Nicht als ob sie etwas eingestanden hätte, aber sie sagte:
-Ja, und wenn ich es auch ertränkt hätte! Du lebst hier
-in der Einöde und weißt nichts davon, wie es sonst in der
-Welt zugeht. &mdash; Als sie wieder einmal über diese Frage
-sprachen, dachte sie, sie wolle ihm einen Begriff davon
-beibringen, daß er die Sache viel zu ernsthaft nehme;
-sie selbst legte einem Kindsmord nicht mehr Wichtigkeit
-bei, als er verdiente. Sie wußte von zwei Mädchen in
-Bergen zu erzählen, die ihre Kinder umgebracht hatten,
-und die eine hatte einige Monate Strafe erhalten, weil
-sie so dumm gewesen war und es nicht selbst umgebracht,
-sondern es ausgesetzt hatte, damit es erfrieren sollte, und
-die andere war freigesprochen worden. Nein, das Gesetz
-ist jetzt hierin nicht mehr so unmenschlich wie früher,
-sagte Barbro. Und außerdem kommt es auch gar nicht
-immer heraus, sagte sie. Eines der Mädchen, die im Hotel
-in Bergen dienten, hat zwei Kinder umgebracht; sie war
-aus Christiania und trug einen Hut mit Federn darauf.
-Für das letzte Kind bekam sie drei Monate, aber das mit
-dem ersten ist nicht herausgekommen, erzählte Barbro.</p>
-
-<p>Axel hörte zu, und es graute ihm immer mehr vor
-ihr. Er suchte zu begreifen, suchte in dieser Finsternis
-irgend etwas zu erkennen, aber im Grunde hatte sie recht.
-Er nahm die Sache viel zu ernsthaft. Sie war mit all
-ihrer banalen Verderbtheit eines ernsthaften Gedankens
-gar nicht wert. Ein Kindsmord war für sie gar kein Begriff,
-hatte gar nichts Außerordentliches an sich, es war
-nur der Ausschlag der ganzen moralischen Sittenlosigkeit
-und des Leichtsinns, der von einem Dienstmädchen zu er<span class="pagenum"><a name="Seite_273" id="Seite_273">[S. 273]</a></span>warten
-war. Das zeigte sich auch in den Tagen, die darauf
-folgten: da gab es keine Stunde des Nachdenkens, sie
-war genau wie früher voll überflüssigen Geschwätzes,
-ganz Dienstmädchen. Ich muß fort wegen meiner Zähne,
-sagte sie. Und dann sollte ich ein Mantlett haben. Ein
-&#8222;Mantlett&#8221; war eine Art kurzen Kragens, der nur bis
-zur Mitte reichte, das war einige Jahre lang Mode gewesen,
-und Barbro wollte auch ein Mantlett haben.</p>
-
-<p>Wenn Barbro alles so selbstverständlich hinnahm, was
-blieb Axel dann übrig, als sich auch zu beruhigen? Sein
-Verdacht stand auch nicht immer ganz fest, und sie gestand
-ja niemals etwas ein, im Gegenteil, sie hatte einmal
-ums andere alle Schuld geleugnet, ohne Zorn, ohne
-Halsstarrigkeit, aber zum Henker, genau so, wie ein
-Dienstmädchen leugnet, eine Schüssel zerschlagen zu
-haben, selbst wenn sie es getan hat. Ein paar Wochen
-vergingen, dann wurde es Axel doch zuviel, er blieb eines
-Tages mitten in der Stube stehen und hatte eine Offenbarung.
-Aber du großer Gott, alle hatten doch ihren Zustand
-gesehen, daß sie rund und dick und in anderen Umständen
-war! Und jetzt war sie wieder schlank, wo aber
-war das Kind? Wenn nun alle Menschen kämen und
-suchten? Sie würden eines Tages eine Erklärung verlangen.
-Und wenn also nichts Schlimmes geschehen war,
-so wäre es viel besser gewesen, die Leiche auf dem Friedhof
-zu begraben. Dann wäre sie fort aus dem Gebüsch,
-fort aus Maaneland.</p>
-
-<p>Nein, das hätte mir nur Unannehmlichkeiten bereitet,
-erklärte Barbro. Sie hätten das Kind geöffnet, und es
-hätte ein Verhör gegeben. Das wollte ich nicht haben.</p>
-
-<p>Wenn es nur später nicht viel schlimmer wird, sagte er.</p>
-
-<p>Barbro entgegnete: Warum denkst du so viel darüber
-nach? Laß es doch im Gebüsch! Ja, sie fragte lächelnd:
-Meinst du vielleicht, es komme hinter dir her? Du<span class="pagenum"><a name="Seite_274" id="Seite_274">[S. 274]</a></span>
-mußt nur den Mund halten und dich nicht mehr darum
-kümmern.</p>
-
-<p>So, na ja.</p>
-
-<p>Habe ich vielleicht das Kind ertränkt? Nein, es hat
-sich selbst ertränkt, als ich ins Wasser fiel. Es ist ja unglaublich,
-was du für Gedanken hast! Und außerdem
-kommt es nie heraus, sagte sie.</p>
-
-<p>Mit Inger von Sellanraa ist es doch auch herausgekommen,
-wie ich gehört habe, wendete er ein.</p>
-
-<p>Barbro dachte nach. Das beunruhigt mich gar nicht!
-sagte sie. Das Gesetz ist seither anders geworden; wenn
-du die Zeitung lesen würdest, hättest du es gesehen. Viele
-kriegen Kinder und töten sie, und niemand tut ihnen
-deshalb weiter etwas zuleide! Barbro sucht ihm das zu
-erklären, und sie versteht etwas von der Sache, sie ist
-nicht umsonst draußen in der Welt gewesen und hat viel
-gehört und gesehen und gelernt; jetzt saß sie vor ihm
-und war gescheiter als er. Sie hatte drei Hauptgründe,
-die sie immer wieder vorbrachte: erstens hatte sie es
-nicht getan, zweitens wäre es gar nicht so gefährlich,
-selbst wenn sie es getan hätte, und drittens würde es niemals
-herauskommen.</p>
-
-<p>Ich habe gemeint, es komme alles heraus, wendete
-er ein.</p>
-
-<p>O nein, bei weitem nicht! entgegnete sie. Und ob sie
-ihn nun verblüffen oder ihm Mut machen wollte, oder
-ob es aus Eitelkeit oder aus Großtuerei geschah, sie ließ
-in diesem Augenblick eine Bombe platzen: Ich habe selbst
-etwas getan, das nicht herausgekommen ist, sagte sie.</p>
-
-<p>Du? sagte er ungläubig. Was hast du denn getan?</p>
-
-<p>Was ich getan habe? Ich habe getötet.</p>
-
-<p>Vielleicht hatte sie nicht beabsichtigt, ganz so weit zu
-gehen, jetzt mußte sie aber noch weiter gehen, er saß ja
-da und starrte sie an. Ach, es war nicht einmal grenzenlose
-Frechheit von ihr, es war Zanksucht, Großtuerei, sie<span class="pagenum"><a name="Seite_275" id="Seite_275">[S. 275]</a></span>
-wollte überlegen sein und das letzte Wort behalten:
-Glaubst du mir nicht? rief sie. Erinnerst du dich an die
-Kindsleiche im Hafen? Die hatte ich hineingeworfen.</p>
-
-<p>Was! rief er.</p>
-
-<p>Die Kindsleiche damals. Du weißt auch gar nichts
-mehr! Wir haben doch in der Zeitung davon gelesen.</p>
-
-<p>Nach einer Weile brach er los: Du bist ein entsetzliches
-Weib!</p>
-
-<p>Aber seine Verwirrung stärkte sie, flößte ihr eine Art
-unnatürlicher Kraft ein, so daß sie Einzelheiten berichten
-konnte: Ich hatte es mit in meinem Koffer &mdash; ja, es war
-tot, das hatte ich gleich getan, als es geboren war. Und
-als wir in den Hafen kamen, warf ich es hinaus.</p>
-
-<p>Axel saß finster und schweigend da; aber Barbro redete
-weiter, das sei jetzt schon lange her, schon mehrere Jahre,
-es sei damals gewesen, als sie nach Maaneland kam. Da
-könne er sehen, daß nicht alles herauskomme, bei weitem
-nicht alles. Was er meine, wie das wäre, wenn alles
-herauskäme, was alle Leute täten? Und was erst die verheirateten
-Leute in der Stadt täten! Die brächten ihre
-Kinder um, ehe sie geboren seien, es gebe besondere Ärzte
-dafür. Diese Leute wollten nicht mehr als ein Kind, höchstens
-zwei Kinder haben, und darum tötete es der Doktor
-im Mutterleib. Axel könne ihr glauben, daß das draußen
-in der Welt nicht schwer genommen werde.</p>
-
-<p>Axel fragte: Na, dann hast du wohl das zweite Kind
-auch umgebracht?</p>
-
-<p>Nein, erwiderte sie äußerst gleichgültig. Das habe ich
-nicht nötig gehabt, sagte sie. Aber sie kam noch einmal
-darauf zurück, daß es gar nicht so gefährlich gewesen
-wäre. Sie schien daran gewöhnt, dieser Frage in die
-Augen zu sehen, deshalb blieb sie so gleichgültig dabei.
-Beim erstenmal war es allerdings vielleicht etwas grausig,
-ein klein wenig unheimlich für sie gewesen, ein Kind
-umzubringen, aber das zweitemal? Sie konnte mit einer<span class="pagenum"><a name="Seite_276" id="Seite_276">[S. 276]</a></span>
-Art von geschichtlichem Gefühl an die Tat denken: das
-war geschehen und geschah auch wieder.</p>
-
-<p>Mit schwerem Kopf verließ Axel die Stube. Es focht
-ihn weiter nicht sehr an, daß Barbro ihr erstes Kind
-umgebracht hatte; das ging ihn nichts an. Und daß sie
-dieses Kind überhaupt gehabt hatte, darüber war auch
-nicht viel zu sagen. Eine Unschuld war sie nicht gewesen,
-und sie hatte sich auch nicht dafür ausgegeben, im Gegenteil,
-sie hatte ihre Erfahrenheit durchaus nicht verborgen
-und ihn sogar in manchem dunkeln Spiel unterwiesen.
-Gut. Aber dieses letzte Kind hätte er gerne behalten, ein
-kleiner Junge, ein weißes Geschöpfchen in einen Lappen
-gewickelt! Wenn sie schuld war an des Kindes Tod, so
-hatte sie ihm ein Unrecht zugefügt, ein Band zerschnitten,
-das ihm wertvoll war, und das ihm nie mehr ersetzt
-wurde. Aber es konnte ja sein, daß er ihr unrecht tat, daß
-sie wirklich im Bach ausgeglitten war und sich nicht mehr
-aufrichten konnte. Allerdings, der Lappen war ja da, das
-halbe Hemd, das sie mitgenommen hatte ...</p>
-
-<p>Die Stunden gingen auch jetzt hin, es wurde Mittag
-und es wurde Abend. Und als Axel zu Bett gegangen
-war und lange genug ins Dunkel hineingestarrt hatte,
-schlief er ein und schlief bis an den Morgen. Ein neuer
-Tag brach an, und nach diesem Tag kamen noch andere
-Tage.</p>
-
-<p>Barbro blieb immer dieselbe. Sie wußte sehr viel von
-der Welt und behandelte solche Kleinigkeiten, die hier
-auf dem Lande Gefahren waren und Schrecken verbreiteten,
-mit Gleichgültigkeit. Das war auch wieder tröstlich,
-sie war gescheit für beide, unbesorgt für beide. Übrigens
-sah sie auch nicht aus wie ein gefährlicher Mensch. Barbro
-ein Ungeheuer? Keine Spur. Sie war im Gegenteil ein
-schönes Mädchen, blauäugig mit einem Stumpfnäschen,
-und die Arbeit ging ihr flink von der Hand. Die Ansiedlung
-war ihr nur ein wenig verleidet, und verleidet waren<span class="pagenum"><a name="Seite_277" id="Seite_277">[S. 277]</a></span>
-ihr auch die Holzgeschirre, die sooft gescheuert werden
-mußten, und vielleicht war ihr auch der ganze Axel verleidet
-und das ganze verflucht zurückgezogene Leben, das
-sie führte. Aber sie brachte keines der Tiere um und stand
-auch nicht bei Nacht mit gezücktem Messer über ihm.</p>
-
-<p>Nur noch einmal kam es dazu, daß die beiden über die
-Kindsleiche draußen im Walde miteinander sprachen. Axel
-wiederholte noch einmal, sie hätte auf dem Kirchhof begraben
-und mit Erde bedeckt werden sollen, aber Barbro
-blieb auch jetzt dabei, daß ihre Handlungsweise ganz recht
-gewesen sei. Bei dieser Gelegenheit sagte sie etwas, das
-zeigte, daß auch sie überlegte, ho, und schlau war, und
-weiter sah, als ihre Nase reichte, ja, daß sie mit einem
-kleinen ärmlichen Negergehirn dachte: Und wenn es auch
-aufkommt, dann spreche ich mit dem Lensmann, ich habe
-bei ihm gedient, und die Frau Heyerdahl hilft mir. Es
-stehen nicht alle so gut wie ich, und sie werden doch freigesprochen.
-Und außerdem steht Vater gut mit den großen
-Herren, er ist Gerichtsbote und alles, was drum und
-dran ist.</p>
-
-<p>Axel schüttelte nur den Kopf.</p>
-
-<p>Du glaubst es nicht?</p>
-
-<p>Was du dir einbildest, daß dein Vater ausrichten
-könne!</p>
-
-<p>Was weißt denn du davon? rief sie ärgerlich. Denk
-daran, daß du ihn ins Elend gebracht hast, du hast ihm
-seinen Hof und seinen Lebensunterhalt genommen!</p>
-
-<p>Sicherlich hatte sie eine Art Vorstellung davon, daß
-ihres Vaters Ansehen in der letzten Zeit eingebüßt hatte
-und daß dies zum Schaden für sie selbst ausschlagen
-könnte. Was sollte Axel darauf antworten? Er schwieg.
-Er war ein Mann des Friedens, ein Mann der Arbeit.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_278" id="Seite_278">[S. 278]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>3</h3>
-
-
-<p>Als es dem Winter zuging, war Axel wieder der
-einzige Mensch auf Maaneland. Barbro war gegangen.
-Ja, das war das Ende. Ihre Reise in die
-Stadt solle nicht lange dauern, sagte sie. Es sei ja keine
-Reise nach Bergen, aber sie wolle nicht einen Zahn nach
-dem andern verlieren und einen Mund bekommen wie ein
-Kalb. Was das kosten werde? fragte Axel. &mdash; Wie kann
-ich das wissen? erwiderte sie. Dich wird's jedenfalls nichts
-kosten, ich werde es abverdienen.</p>
-
-<p>Sie hatte ihm auch auseinandergesetzt, warum es am
-besten sei, wenn sie die Reise jetzt mache; jetzt seien nur
-zwei Kühe zu melken, bis zum Frühjahr würden noch
-zwei kalben und auch die Geißen Junge werfen, die Heuernte
-würde kommen, die Arbeit würde drängen bis über
-den Juni hinaus. &mdash; Tu, was du willst, sagte Axel.</p>
-
-<p>Die Sache sollte ihn nichts kosten, gar nichts. Aber
-sie müsse doch etwas Geld haben, nur eine kleine Summe;
-sie brauche Geld zur Reise und für den Zahnarzt, außerdem
-brauche sie ein Mantlett und noch verschiedenes andere,
-aber das müsse ja nicht sein, wenn es ihm unangenehm
-sei. &mdash; Du hast bis jetzt schon Geld genug bekommen,
-sagte Axel. &mdash; So, erwiderte sie. Das ist aber
-jedenfalls nicht mehr da. &mdash; Hast du denn nichts zurückgelegt?
-&mdash; Zurückgelegt? Du kannst ja in meiner Kiste
-nachsuchen. Ich habe auch in Bergen nichts zurückgelegt,
-und dort hatte ich doch einen viel größeren Lohn. &mdash;
-Ich habe kein Geld für dich, sagte er.</p>
-
-<p>Axel hatte keinen rechten Glauben daran, daß Barbro
-von dieser Reise zurückkommen werde, und sie hatte seine
-Geduld mit ihrer Unliebenswürdigkeit so über alle Maßen
-geprüft, daß er anfing, ihrer überdrüssig zu werden. Es
-gelang ihr schließlich auch nicht, eine nennenswerte
-Summe aus ihm herauszuwinden, aber er sah durch die<span class="pagenum"><a name="Seite_279" id="Seite_279">[S. 279]</a></span>
-Finger, als sie sich einen ungeheuren Mundvorrat einpackte,
-ja, er selbst fuhr sie und ihre Kiste hinunter ins
-Dorf zum Postboot.</p>
-
-<p>Nun war es also geschehen.</p>
-
-<p>Er hätte ganz gut wieder allein auf der Ansiedlung
-sein können, er war es von früher her gewöhnt, aber er
-war jetzt durch seinen Viehstand allzusehr gebunden, und
-wenn er einmal von Hause abwesend sein mußte, waren
-die Tiere nicht versorgt. Der Kaufmann hatte ihm geraten,
-sich Oline kommen zu lassen, sie sei doch einmal
-mehrere Jahre auf Sellanraa gewesen, allerdings sei sie
-jetzt alt, aber noch rührig und arbeitsam. Ja, Axel hatte
-nach Oline geschickt, aber sie war nicht gekommen, und
-er hatte auch nichts von ihr gehört.</p>
-
-<p>Während Axel auf sie wartet, fällt er Holz im Walde,
-drischt seine kleine Kornernte und besorgt seinen Viehstand.
-Es war einsam und still um ihn. Ab und zu kam
-Sivert von Sellanraa vorbei auf der Fahrt ins Dorf
-oder vom Dorf zurück; hinunter führte er Brennholz
-oder Häute oder Käse, aber zurück kam er fast immer
-leer, der Hof Sellanraa brauchte nicht viel Waren zu
-kaufen.</p>
-
-<p>Dann und wann kam auch Brede Olsen an Maaneland
-vorbei und in der letzten Zeit häufiger als sonst &mdash; wer
-konnte wissen, was er hier so eifrig, so fleißig zu laufen
-hatte! Es war, als ob er sich noch in den letzten Wochen
-an der Telegraphenlinie unentbehrlich machen und den
-Posten behalten wolle. Seit Barbro abgereist war, kam
-er nie mehr zu Axel herein, sondern ging nur rasch vorbei,
-und das war doch vielleicht ein gar zu arger Hochmut
-von ihm, da er immer noch auf Breidablick wohnen blieb
-und nicht abgezogen war. Eines Tages, als er vorbeigehen
-wollte, ohne auch nur zu grüßen, hielt ihn Axel
-an und fragte, bis wann er den Hof zu räumen gedenke.
-&mdash; Auf welche Weise hast du dich von Barbro getrennt?<span class="pagenum"><a name="Seite_280" id="Seite_280">[S. 280]</a></span>
-fragte Brede dagegen. Das eine Wort gab das andere:
-Du hast sie ohne alle Mittel fortgeschickt. Es war nahe
-daran, daß sie nicht einmal bis Bergen gekommen wäre.</p>
-
-<p>So, sie ist also in Bergen? &mdash; Ja, schließlich sei sie
-hingekommen, schreibt sie, aber dir hat sie nicht dafür
-zu danken. &mdash; Ich werde dich jetzt sofort aus Breidablick
-hinauswerfen, sagte Axel. &mdash; Ja, weil du seither so gutherzig
-gewesen bist, erwiderte der andere spöttisch. Nach
-Neujahr werfen wir uns selbst hinaus, fuhr er fort und
-ging dann seines Weges.</p>
-
-<p>So, Barbro war nach Bergen gereist, es war also
-genau so gegangen, wie Axel sich gedacht hatte. Er war
-nicht betrübt darüber. Betrübt? Weit entfernt, sie war
-ein Zankteufel, aber bis jetzt hatte er doch noch nicht
-alle Hoffnung aufgegeben gehabt, sie würde doch vielleicht
-wiederkommen. Er wußte beim Henker nicht, wie
-es zuging, er hing doch ein bißchen zu fest an dieser Person,
-an diesem Ungeheuer; zuzeiten konnte sie ihre süßen
-Stunden haben, unvergeßliche Stunden, und gerade, um
-sie daran zu hindern, ganz bis Bergen durchzubrennen,
-war er beim Abschied mit Geld so geizig gewesen. Und
-nun war sie doch auf und davon gegangen. Von ihren
-Kleidern hing noch dies und das da, und ein Strohhut
-mit einem Flügel darauf lag in Papier gehüllt droben
-auf dem Bodenraum; aber sie kam nicht, ihr Eigentum
-zu holen. Ach ja, vielleicht war er doch ein wenig betrübt!
-Wie Spott und Hohn erschien es ihm, daß er immer
-noch ihre Zeitung erhielt, und das würde wohl auch vor
-Neujahr nicht aufhören.</p>
-
-<p>Aber schließlich hatte er doch an anderes zu denken,
-er mußte ein Mann sein.</p>
-
-<p>Im Frühjahr mußte er an der Nordwand des Neubaus
-eine Scheune anfügen, jetzt im Winter mußten die
-Stämme dazu gefällt und die Bretter gesägt werden.
-Axel hatte keinen zusammenhängenden Wald mit großen<span class="pagenum"><a name="Seite_281" id="Seite_281">[S. 281]</a></span>
-Bäumen, aber da und dort standen auf seinem Grund
-und Boden mächtige Föhren, und er suchte sich solche am
-Wege nach Sellanraa aus, damit sich das Hinschaffen
-der Stämme nach dem Sägewerk leichter bewerkstelligen
-ließe.</p>
-
-<p>Eines Morgens füttert er sein Vieh sehr reichlich, damit
-es bis zum Abend aushalten kann, schließt die Türen
-hinter sich zu und geht in den Wald; außer Axt und
-Mundvorrat nimmt er noch eine hölzerne Schneeschaufel
-mit. Das Wetter ist mild, gestern tobte ein schwerer
-Sturm mit Niederschlägen, aber heute ist es still. Er
-geht den ganzen Weg an der Telegraphenlinie entlang,
-bis er zur Stelle ist; dort zieht er seine Jacke aus und
-fängt an zu hacken. Jeden Baum, den er fällt, zweigt er
-sofort ab, haut die Stämme glatt und schichtet Zweige
-und Äste auf Haufen.</p>
-
-<p>Brede Olsen kommt den Weg herauf, dann ist also die
-Linie wohl durch den gestrigen Sturm in Unordnung geraten.
-Aber vielleicht lief Brede auch ohne besonderen
-Grund die Linie ab, er war sehr eifrig im Dienst geworden,
-er hatte sich also doch gebessert. Die Männer
-sprachen nicht miteinander und grüßten sich auch nicht.</p>
-
-<p>Axel merkt wohl, daß das Wetter im Begriff ist umzuschlagen,
-der Wind wird immer stärker, aber Axel arbeitet
-nur eifrig weiter. Die Mittagsstunde ist längst vorbei,
-aber er hat noch nichts gegessen. Jetzt eben fällt er
-eine große Föhre, und diese schlägt ihn in ihrem Fall zu
-Boden. Wie ist das zugegangen? Unglück war unterwegs.
-Eine Riesenföhre schwankt auf ihrer Wurzel, der Mensch
-bestimmt ihr eine Seite zum Fallen, der Sturm eine
-andere. Der Mensch verliert. Es wäre noch angegangen,
-allein der Schnee deckte den unebenen Boden, Axel trat
-fehl, sprang auf die Seite und kam mit einem Bein
-in eine Felsspalte, nun lag er zwischen Felsen eingeklemmt
-und hatte eine große Föhre über sich.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_282" id="Seite_282">[S. 282]</a></span></p>
-
-<p>Jawohl, es hätte trotzdem noch angehen können, allein
-er lag so ausgesucht verdreht, allerdings, soweit er fühlen
-konnte, mit ganzen Gliedern, aber schief und ohne eine
-Möglichkeit, sich unter dem schweren Gewicht hervorzuarbeiten.
-Nach einer Weile hatte er die eine Hand frei,
-auf der andern aber liegt er, und er kann die Axt nicht
-erreichen. Er sieht sich um und überlegt, wie jedes gefangene
-Tier es auch gemacht hätte, sieht sich um und
-überlegt und arbeitet und müht sich unter dem Baum ab.
-Brede muß in einiger Zeit auf dem Rückweg wieder vorbeikommen,
-denkt er und müht sich ab und atmet schwer.</p>
-
-<p>Im Anfang nimmt Axel die Sache leicht und ist nur
-ärgerlich, daß er durch diesen Zufall, dieses elende Ungefähr
-festgehalten ist, er ist keine Spur besorgt für seine
-Gesundheit und noch weniger für sein Leben. Allerdings
-fühlt er, daß die Hand, auf der er liegt, allmählich gefühllos
-wird, und auch das Bein in der Felsenspalte
-wird kalt und auch gefühllos, aber das geht ja immer
-noch an. Brede kommt wohl bald.</p>
-
-<p>Aber Brede kommt nicht.</p>
-
-<p>Der Sturm nimmt zu und treibt Axel den Schnee
-gerade ins Gesicht. Jetzt wird's Ernst! denkt er, ist aber
-immer noch unbekümmert, ja, es ist beinahe, als ob er
-sich selbst durch den Schnee zublinzle: Aufgepaßt, jetzt
-wird's nämlich Ernst! Nach einer langen Weile stößt er
-einen einzelnen Hilferuf aus. Der ist wohl bei dem
-Sturm nicht weit zu hören, aber er geht die Linie entlang
-zu Brede. Axel liegt da mit ganz wertlosen Gedanken:
-wenn er doch nur die Axt erreichen könnte, dann könnte
-er sich vielleicht freihacken! Wenn er nur die Hand hervorziehen
-könnte! Diese lag auf etwas Spitzem, einem
-Stein, und der bohrte sich langsam und höflich allmählich
-in den Handrücken ein. Wenn nur dieser verflixte Stein
-weg gewesen wäre! Aber noch niemals hat jemand von
-einem Stein einen rührenden Zug berichten können.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_283" id="Seite_283">[S. 283]</a></span></p>
-
-<p>Die Zeit vergeht, das Schneetreiben wird schlimmer.
-Axel wird zugeschneit; er ist ganz hilflos, der Schnee legt
-sich harmlos und unschuldig auf sein Gesicht, eine Weile
-schmilzt er, dann wird das Gesicht kalt, und der Schnee
-schmilzt nicht mehr. Nun wird es wirklich Ernst!</p>
-
-<p>Jetzt stößt er zwei laute Hilferufe aus und horcht
-dann hinaus.</p>
-
-<p>Nun wird auch seine Axt zugeschneit, er sieht nur noch
-ein Stückchen Schaft hervorragen. Dort drüben hängt
-sein Beutel mit dem Mundvorrat; hätte er ihn nur erreichen
-können, dann hätte er etwas gegessen, einen
-ordentlichen Happen. Und wenn er schon in seinen Ansprüchen
-an das Leben so dreist war, so konnte er sich
-gleich auch seine Jacke herwünschen, denn es wird kalt.
-Wieder stößt er einen gewaltigen Ruf aus.</p>
-
-<p>Da steht Brede. Er ist stehengeblieben und sieht hinüber
-zu dem rufenden Mann, er bleibt nur einen Augenblick
-stehen und sieht hinüber, wie um zu ergründen, was
-los ist. Komm her und gib mir meine Axt! ruft Axel
-etwas kläglich. &mdash; Brede sieht weg, er hat ergründet,
-was los ist, jetzt schaut er in die Höhe zu dem Telegraphendraht
-hinauf und will augenscheinlich anfangen
-zu pfeifen! War er denn verrückt? &mdash; Komm her und
-gib mir die Axt, ich liege unter einem Baum! wiederholte
-Axel etwas lauter als vorher. Aber Brede hat sich so sehr
-gebessert und ist so eifrig in seinem Dienste, daß er nichts
-sieht als den Telegraphendraht und nur eifrig pfeift.
-Und wohlgemerkt, munter und rachgierig pfeift er! &mdash;
-So, du willst mich umbringen und mir nicht einmal die
-Axt reichen! ruft Axel. &mdash; Aber jetzt muß Brede offenbar
-notwendig noch weiter die Linie entlang gehen und
-nach dem Draht schauen, und er verschwindet im Schneetreiben.</p>
-
-<p>So, na ja! Aber jetzt wäre es doch ein rechter Staatsstreich,
-wenn Axel sich selbst so weit frei machte, daß er<span class="pagenum"><a name="Seite_284" id="Seite_284">[S. 284]</a></span>
-die Axt erreichen könnte! Er spannt Leib und Brust an,
-um die ungeheure Last zu heben, die ihn daniederhält, er
-bewegt den Baum, schüttelt ihn, erreicht aber damit nur,
-daß noch mehr Schnee auf ihn herabrieselt. Nach einigen
-vergeblichen Versuchen gibt er es auf.</p>
-
-<p>Es fängt an zu dunkeln. Brede ist gegangen, aber wie
-weit kann er inzwischen gekommen sein? Nicht sehr weit,
-Axel ruft wieder und redet dabei von der Leber weg:
-Willst du mich hier einfach liegenlassen, du Mörder?
-ruft er. Denkst du nicht an deiner Seelen Seligkeit? Du
-weißt, du könntest für eine einzige kleine Handreichung
-eine Kuh von mir bekommen, aber du bist ein Hund,
-Brede, und du willst mich umbringen! Aber ich werde
-dich anzeigen, so wahr ich hier liege, merk dir's! Kannst
-du nicht herkommen und mir die Axt geben?</p>
-
-<p>Stille. Axel strengt sich wieder unter seinem Baume
-an, hebt ihn ein wenig mit dem Leib und erreicht damit,
-daß immer noch mehr Schnee auf ihn herunterfällt.
-Dann ergibt er sich in sein Schicksal und seufzt, matt und
-schläfrig wird er auch. Sein Vieh steht jetzt in der Gamme
-und brüllt, es hat seit heute morgen nicht naß und nicht
-trocken bekommen, Barbro füttert es nicht mehr, sie ist
-davongelaufen, mit beiden Fingerringen noch dazu. Es
-wird dunkel, jawohl, es wird Abend, und es wird Nacht,
-aber das ginge ja noch an, allein es wird auch kalt, sein
-Bart vereist, seine Augen werden auch bald vereisen, die
-Jacke dort am Baume würde ihm guttun, und ist es denn
-möglich, das eine Bein ist bis zur Hüfte wie tot? Alles
-steht in Gottes Vaterhand! sagt er, er kann augenscheinlich
-ganz fromm reden, wenn er will. Es wird dunkel,
-jawohl, er kann auch ohne angezündete Lampe sterben!
-Er wird ganz weich und gut, und um recht demütig zu
-sein, lächelt er freundlich und albern ins Unwetter hinein,
-es ist ja der Schnee des Herrn, der unschuldige
-Schnee! Ja, er kann es ja auch lassen, Brede anzuzeigen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_285" id="Seite_285">[S. 285]</a></span></p>
-
-<p>Er wird still und immer schläfriger, ganz lahm, als
-ob er vergiftet wäre, er sieht so viel Weiß vor den Augen,
-Wälder und Ebenen, große Schwingen, weiße Schleier,
-weiße Segel, weiß, weiß &mdash; was kann das sein? Unsinn,
-er weiß ganz gut, daß das Schnee ist, er liegt im Freien,
-es ist kein Wahn, daß er unter einem Baum begraben ist.
-Dann ruft er wieder aufs Geratewohl, brüllt, da unten
-im Schnee liegt seine gewaltige haarige Brust und brüllt,
-es muß bis in die Gamme bei dem Vieh zu hören sein,
-er brüllt ein ums andere Mal. Du bist ein Schwein,
-ein Untier! ruft er Brede nach. Hast du bedacht, was du
-tust, wenn du mich so verkommen läßt? Willst du mir
-die Axt geben? frag ich. Bist du ein gemeines Vieh oder
-ein Mensch? Aber Glück zu, wenn es deine Absicht ist,
-mich hier liegenzulassen &mdash;</p>
-
-<p>Er muß geschlafen haben, er liegt ganz steif und leblos
-da, aber seine Augen stehen offen, zwar mit Eis
-umrändert, aber offen, er kann nicht damit blinzeln;
-hat er mit offenen Augen geschlafen? Vielleicht hat er
-nur ein paar Minuten oder auch eine Stunde geschlummert,
-Gott weiß es, aber jetzt steht Oline da. Axel hört,
-daß sie fragt: Im Namen Jesu Christi, lebst du noch?
-Und weiter fragt sie, warum er da liege, ob er verrückt
-sei? Jedenfalls steht Oline da.</p>
-
-<p>Ja, Oline hat etwas Witterndes, etwas Schakalartiges,
-sie taucht auf, wenn ein Unglück um den Weg ist,
-sie hat eine sehr scharfe Witterung. Wie hätte Oline im
-Leben vorwärtskommen können, wenn sie nicht so eifrig
-gewesen wäre und keine so scharfe Witterung gehabt
-hätte? Jetzt hatte sie also Axels Botschaft erhalten und
-war trotz ihrer siebzig Jahre über das Gebirge gekommen,
-um ihm zu helfen. Gestern hat sie der Sturm in Sellanraa
-festgehalten, heute kam sie nach Maaneland, fand
-niemand zu Hause, fütterte das Vieh, trat unter die<span class="pagenum"><a name="Seite_286" id="Seite_286">[S. 286]</a></span>
-Tür und horchte hinaus, melkte das Vieh, lauschte dann
-wieder, sie begriff gar nicht &mdash;</p>
-
-<p>Da hörte sie rufen und sagte sich: Entweder ist es der
-Axel oder einer der Unterirdischen, in beiden Fällen ist
-es der Mühe wert, ein wenig nachzusehen, die ewige
-Weisheit des Allmächtigen in so viel Unruhe im Walde
-zu ergründen &mdash; und mir tut er nichts, ich bin nicht
-wert, ihm die Schuhriemen zu lösen &mdash;</p>
-
-<p>Hier steht sie nun.</p>
-
-<p>Die Axt? Oline gräbt und gräbt im Schnee und findet
-die Axt nicht. Sie versucht ohne Axt fertig zu werden
-und gibt sich Mühe, den Baum, so wie er daliegt, zu
-heben; aber sie ist wie ein kleines Kind und vermag nur
-die äußersten Zweige zu schütteln. Sie sucht wieder nach
-der Axt, es ist finster, aber sie gräbt mit Händen und
-Füßen. Axel kann nicht deuten, er kann nur sagen, wo die
-Axt einmal gelegen hatte, aber da ist sie nicht mehr. Wenn
-es nur nach Sellanraa nicht so weit wäre! sagt Axel.
-Aber nun fängt Oline an, nach ihrem eigenen Kopf zu
-suchen, und Axel ruft ihr zu, nein, nein, dort sei sie nicht.
-&mdash; Nein, nein, sagt Oline, ich will nur überall nachsehen.
-Und was ist denn das? fragt sie. &mdash; Hast du sie gefunden?
-fragt Axel. &mdash; Ja, mit des Allmächtigen Beistand
-erwidert Oline hochtrabend. Aber Axel ist nicht sehr hochgemut,
-er gibt zu, daß er vielleicht nicht recht bei Verstand
-sei, er ist beinahe fertig. Und was denn Axel mit
-der Axt wolle? Er könne sich ja nicht rühren, sie, Oline,
-müsse ihn loshacken. Oh, Oline habe schon mehr Äxte in
-der Hand gehabt, habe schon mehr als einmal in ihrem
-Leben Holz gespalten!</p>
-
-<p>Axel kann nicht gehen, das eine Bein ist ihm bis zur
-Hälfte wie abgestorben, der Rücken ist ihm wie gerädert,
-heftige Stiche bringen ihn beinahe zum Heulen, im ganzen
-genommen fühlt er sich kaum als lebendiger Mensch,
-ein Teil von ihm liegt immer noch unter dem Baum.<span class="pagenum"><a name="Seite_287" id="Seite_287">[S. 287]</a></span>
-Es ist so sonderbar, und ich verstehe es nicht, sagt er.
-Oline versteht es gut und erklärt das Ganze mit wunderbaren
-Worten: ja, sie hat einen Menschen vom Tode
-errettet, und so viel weiß sie, der Allmächtige hat sie als
-sein geringes Werkzeug gebraucht, er hat keine himmlischen
-Heerscharen schicken wollen. Ob Axel nicht seinen
-weisen Ratschluß erkenne? Und wenn der Herr einen
-Wurm in der Erde hätte zu Hilfe schicken wollen, so
-hätte er das tun können. &mdash; Ja, das weiß ich wohl, aber
-es ist mir so sonderbar zumut, sagte Axel. &mdash; Sonderbar?
-Er solle nur ein ganz klein wenig warten, sich bewegen,
-sich vorbeugen und wieder aufrichten, ja, so, immer nur
-ein wenig auf einmal, seine Gelenke seien eingerostet und
-abgestorben, er solle seine Jacke anziehen, damit er warm
-werde. In ihrem ganzen Leben werde sie nun und nimmer
-den Engel des Herrn vergessen, der sie das letztemal
-vor die Tür gerufen habe &mdash; und da hörte sie Rufe aus
-dem Walde. Es sei wie in den Tagen des Paradieses gewesen,
-als mit Posaunen geblasen wurde bei den Mauern
-von Jericho.</p>
-
-<p>Wunderbar! Aber während dieses Geschwätzes hat Axel
-Zeit, er übt seine Gelenke und lernt gehen.</p>
-
-<p>Langsam geht's dem Hause zu, Oline ist immer noch
-der Retter in der Not und stützt Axel. So geht es ganz
-gut. Als sie ein Stück Weges hinuntergekommen sind,
-begegnen sie Brede. &mdash; Was ist denn das? fragt Brede.
-Bist du krank? Soll ich dir helfen? sagt er. &mdash; Axel
-schweigt abweisend. Er hat Gott gelobt, sich nicht zu
-rächen und Brede nicht anzuzeigen, aber weiter ist er
-nicht gegangen. Und weshalb war Brede nun wieder auf
-dem Wege bergauf? Hatte er gesehen, daß Oline nach
-Maaneland gekommen war, und begriffen, daß sie die
-Hilferufe hören mußte? &mdash; So, du bist da, Oline? sagt
-Brede geschwätzig. Wo hast du ihn gefunden? Unter einem
-Baum? Ja, ist es nicht sonderbar mit uns Menschen!<span class="pagenum"><a name="Seite_288" id="Seite_288">[S. 288]</a></span>
-legt er los. Ich sah eben die Telegraphenlinie nach, da
-hörte ich rufen. Wer sich sofort auf die Beine machte,
-das war ich; ich wollte Hilfe leisten, falls es nötig sein
-sollte. Also du bist es gewesen, Axel? Und du hast unter
-einem Baum gelegen? &mdash; Jawohl, und du hast es gehört
-und gesehen, als du herunterkamst, aber du bist an mir
-vorbeigegangen, antwortete Axel. &mdash; Gott sei mir Sünder
-gnädig! ruft Oline über solch schwarze Bosheit. &mdash;
-Brede erklärt, wie es gewesen sei. Dich gesehen? Ich hab'
-dich gut gesehen. Aber du hättest mich doch rufen können,
-warum hast du nicht gerufen? Ich sah dich ausgezeichnet,
-aber ich dachte, du hättest dich ein wenig zum Ausruhen
-hingelegt. &mdash; Willst du den Mund halten! ruft Axel
-drohend. Du hast mich absichtlich liegenlassen.</p>
-
-<p>Oline sieht ein, daß Brede jetzt nicht eingreifen darf,
-das würde ihre eigene Unentbehrlichkeit verringern und
-ihr Rettungswerk nicht mehr ganz vollständig erscheinen
-lassen. Sie verhinderte Brede, Axel hilfreiche Hand zu
-reichen, ja, er darf nicht einmal den Rucksack oder die Axt
-tragen. Oh, in diesem Augenblick ist Oline vollständig auf
-Axels Seite; wenn sie später einmal zu Brede kommt und
-hinter einer Schale Kaffee sitzt, wird sie ganz auf seiner
-Seite sein. &mdash; Laß mich doch wenigstens die Axt oder die
-Schneeschaufel tragen, sagt Brede. &mdash; Nein! erwidert
-Oline an Axels Statt. Die will er selbst tragen. &mdash; Brede
-bleibt dabei: Du hättest mich doch rufen können, Axel.
-Wir sind doch nicht so verfeindet, daß du mir das Wort
-nicht hättest gönnen können. Du hast gerufen? So, dann
-hättest du lauter rufen müssen, du mußt doch wissen, was
-für ein Schneesturm tobte. Und außerdem hättest du mir
-mit der Hand winken können. &mdash; Ich hatte keine Hand
-frei, mit der ich hätte winken können, erwidert Axel. Du
-hast wohl gesehen, daß ich wie gefesselt dalag. &mdash; Nein,
-das hab' ich nicht gesehen. So etwas ist mir doch noch
-nie vorgekommen! Laß mich doch deine Sachen tragen,<span class="pagenum"><a name="Seite_289" id="Seite_289">[S. 289]</a></span>
-hörst du! &mdash; Oline sagt: Laß Axel in Frieden! Er ist
-krank.</p>
-
-<p>Aber jetzt hat auch Axels Hirn sich wieder erholt. Er
-hat schon früher allerlei von der alten Oline gehört und
-begreift, daß sie für alle Zukunft teuer und lästig für
-ihn werden würde, wenn sie die einzige wäre, die ihm das
-Leben gerettet hatte. Er will den Triumph ein wenig verteilen,
-Brede darf wirklich den Rucksack und die Werkzeuge
-tragen, ja, Axel ließ ein Wort fallen, daß ihm das
-eine Erleichterung sei, daß es ihm wohltue. Allein Oline
-will sich nicht darein finden, sie zerrt an dem Rucksack
-und erklärt, daß sie und sonst niemand tragen werde, was
-zu tragen sei. Die schlaue Einfalt ist im Streit von allen
-Seiten. Axel steht einen Augenblick ohne Stütze da, und
-Brede muß wahrhaftig den Rucksack fahren lassen, um
-Axel zu stützen, obgleich dieser gar nicht mehr wankt.</p>
-
-<p>Und nun geht es in der Weise weiter, daß Brede den
-schwachen Mann stützt und Oline die Last trägt. Sie
-schleppt und schleppt und ist voll Grimm und Bosheit.
-Sie hat sich den geringsten und gröbsten Teil der Arbeit
-auf dem Heimwege zuschieben lassen müssen! Was, zum
-Teufel, hatte Brede hier verloren? &mdash; Du, Brede, sagte
-sie. Was muß ich hören? Dein Hof ist dir verkauft worden?
-&mdash; Warum fragst du? erwiderte Brede keck. &mdash;
-Warum ich frage? Ich hab' nicht gewußt, daß das geheimgehalten
-werden soll. &mdash; Unsinn, Oline, du hättest
-kommen und auf den Hof bieten sollen! &mdash; Ich? Du
-treibst deinen Spott mit einem alten Weibe. &mdash; So, bist
-du denn nicht reich geworden? Es heißt doch, du habest
-des alten Sivert Goldschrein geerbt, hahaha! &mdash; Es
-stimmte Oline nicht milder, daß sie an das fehlgeschlagene
-Erbe erinnert wurde. Ja, er, der alte Sivert, hat mir
-alles Gute gegönnt, das kann man nicht anders sagen,
-erwidert sie. Aber als er tot war, wurde er all seines
-irdischen Gutes beraubt. Du weißt es ja auch, Brede, wie<span class="pagenum"><a name="Seite_290" id="Seite_290">[S. 290]</a></span>
-es ist, wenn man ausgeplündert wird und kein eigenes
-Dach mehr über dem Kopf hat. Aber der alte Sivert,
-der hat jetzt große Säle und Paläste, und du und ich,
-Brede, wir sind noch auf der Erde, und jedermann wischt
-die Schuhe an uns ab. &mdash; Was gehst denn du mich an,
-sagt Brede und wendet sich an Axel. Ich bin sehr froh,
-daß ich gerade vorbeigekommen bin und dir nach Hause
-helfen kann. Gehe ich dir auch nicht zu schnell? &mdash; Nein.</p>
-
-<p>Aber mit Oline streiten, ein Wortgefecht mit Oline!
-Unmöglich! Niemals gab sie nach, und niemand kam
-ihr darin gleich, Himmel und Erde zusammenzumischen
-zu einem einzigen Gebräu von Bosheit und Freundschaft,
-Gift und Gefasel. Nun muß sie auch noch hören, daß es
-eigentlich Brede ist, der Axel nach Hause hilft. &mdash; Was ich
-sagen wollte, fing sie an. Hast du eigentlich den großen
-Herren, die damals auf Sellanraa waren, deine Säcke
-mit Steinen gezeigt? &mdash; Wenn du willst, Axel, so nehme
-ich dich einfach auf den Rücken und trage dich, sagt Brede.
-&mdash; Nein, erwidert Axel. Aber ich danke dir für den guten
-Willen.</p>
-
-<p>Unterdessen gehen sie immer weiter, sie sind nun bald
-zu Hause, und Oline begreift, daß sie keine Zeit verlieren
-darf, wenn sie noch etwas erreichen will: Es wäre am
-besten gewesen, Brede, wenn <em class="gesperrt">du</em> Axel vom Tode errettet
-hättest, sagt sie. Aber wie war das, Brede, du hast seine
-Not gesehen und hast seine Hilferufe gehört und bist einfach
-vorbeigegangen? &mdash; Halt nur deinen Mund, Oline!
-sagt Brede.</p>
-
-<p>Mundhalten wäre nun eigentlich auch das bequemste
-für sie gewesen, sie watete im Schnee und hatte schwer
-zu tragen; sie keuchte, aber den Mund hielt sie dennoch
-nicht. Sie hatte sich einen Trumpf für zuletzt aufgespart,
-eine gefährliche Sache, sollte sie es wagen? &mdash; Und die
-Barbro, die ist also auf und davon gegangen? fragt sie.
-&mdash; Ja, erwidert Brede leichtfertig. Und dadurch hast du<span class="pagenum"><a name="Seite_291" id="Seite_291">[S. 291]</a></span>
-einen Winterverdienst bekommen. &mdash; Aber hier bot sich
-Oline wieder eine gute Gelegenheit, sie konnte zu verstehen
-geben, wie sehr sie gesucht sei, begehrt weit herum
-in ihrer Gemeinde. Sie hätte zwei Plätze, ja eigentlich
-drei haben können. Im Pfarrhaus wolle man sie auch
-haben. Und zu gleicher Zeit gab sie etwas zu verstehen,
-was Axel wohl hören durfte, das konnte nichts schaden:
-es sei ihr soundso viel für den Winter geboten worden,
-dazu ein Paar neue Schuhe und das Futter für ein Schaf
-obendrein. Aber sie wisse, daß sie hier auf Maaneland
-zu einem besonders guten Mann komme, der sie überreich
-belohnen werde, und darum komme sie lieber hierher.
-Nein, Brede solle sich nur keine Sorge machen, bis
-jetzt habe ja der himmlische Vater eine Tür nach der andern
-vor ihr aufgetan und sie aufgefordert, einzutreten.
-Und es sehe ja aus, als ob Gott eine besondere Absicht
-dabei gehabt habe, als er sie nach Maaneland schickte,
-denn sie habe heute abend einen Menschen vom Tode
-errettet.</p>
-
-<p>Jetzt ist Axel ganz ermattet, und sein Bein versagt.
-Merkwürdig, bis dahin ist es immer besser gegangen, je
-mehr Wärme und Leben in seine Glieder zurückkehrten,
-jetzt jedoch hat er Brede dringend nötig, um sich aufrecht
-halten zu können! Es schien anzufangen, als Oline von
-ihrem Lohn sprach, und später, als sie ihm wieder das
-Leben gerettet hatte, da wurde es ganz schlimm. Wollte
-er ihren Triumph noch einmal herabsetzen? Gott weiß
-es, aber sein Hirn war jedenfalls wieder ganz in Ordnung.
-Als sie sich den Häusern nähern, bleibt Axel stehen
-und sagt: Ich glaube nicht, daß ich bis nach Hause kommen
-kann. Brede nimmt ihn ohne weiteres auf den
-Rücken. Und nun geht's weiter, Oline voll Gift und
-Galle, Axel, so lang er ist, auf Bredes Rücken. Aber wie
-ist denn das, sollte Barbro nicht ein Kind bekommen?
-&mdash; Ein Kind? stöhnt Brede unter seiner Last. Es ist ein<span class="pagenum"><a name="Seite_292" id="Seite_292">[S. 292]</a></span>
-äußerst sonderbarer Aufzug, Axel läßt sich bis auf die
-Türschwelle tragen.</p>
-
-<p>Brede keucht unmäßig. Ja, oder war es etwa kein
-Kind? fragt Oline. &mdash; Hier fällt Axel ein und sagt zu
-Brede: Ich weiß wirklich nicht, wie ich heute abend hätte
-heimkommen sollen, wenn du nicht gewesen wärest! Aber
-er vergißt auch Oline nicht und sagt: Ich danke auch dir,
-Oline, du bist die erste gewesen, die mich gefunden hat.
-Ich danke euch allen beiden.</p>
-
-<p>Das war der Abend, an dem Axel gerettet wurde.</p>
-
-<p>In den folgenden Tagen ist Oline schwer dazu zu bringen,
-von etwas anderem zu reden als von dem großen
-Ereignis. Axel hat genug zu tun, sie etwas in den Schranken
-zu halten. Oline kann das Plätzchen in der Stube
-zeigen, wo sie stand, als der Engel des Herrn sie vor die
-Tür rief, damit sie die Hilferufe höre; Axel hat wieder
-anderes zu denken und muß ein Mann sein. Er fängt seine
-Arbeit im Walde wieder an, und als er mit dem Baumfällen
-fertig ist, fährt er die Stämme nach Sellanraa in
-die Sägemühle.</p>
-
-<p>Das ist eine glatte und ebene Winterarbeit: Stämme
-hinauf und zugeschnittene Bretter herunter! Aber es gilt,
-sich zu beeilen und vor Neujahr fertig zu werden, bevor
-der starke Frost einsetzt und das Sägewerk einfriert. Es
-geht sehr gut, alles wird fertig. Wenn Sivert von Sellanraa
-gerade leer aus dem Dorf zurückkommt, nimmt
-auch er einen Stamm auf seinen Schlitten und hilft seinem
-Nachbar. Die beiden halten dann einen ordentlichen
-Schwatz zusammen und haben ihre Freude aneinander.</p>
-
-<p>Was gibt's Neues im Dorf? fragt Axel. &mdash; Nichts,
-erwidert Sivert. Es soll ein neuer Ansiedler hierherkommen.</p>
-
-<p>Ein neuer Ansiedler, oh, das war nicht nichts, es war
-nur Siverts Art zu sprechen. Jedes Jahr kam ein neuer
-Ansiedler in die Gegend und ließ sich da nieder; es waren<span class="pagenum"><a name="Seite_293" id="Seite_293">[S. 293]</a></span>
-jetzt fünf Ansiedlungen unterhalb von Breidablick, oberhalb
-ging es langsamer mit dem Kolonisieren, obgleich
-der Boden nach Süden zu überall mehr Ackerkrume und
-weniger Moorland aufwies. Der Ansiedler, der sich am
-weitesten hinausgewagt hatte, war Isak, als er Sellanraa
-gründete, er war der mutigste und klügste. Nach ihm
-kam Axel Ström. Nun hatte sich also ein neuer Mann angekauft.
-Der neue Mann sollte eine große Strecke Moorland
-zum Entwässern und Wald unterhalb Maaneland
-gekauft haben &mdash; es war ja genug da.</p>
-
-<p>Hast du gehört, was für ein Mann es ist? fragt Axel.
-&mdash; Nein, erwidert Sivert. Er kommt mit fertigen Häusern,
-die er herführen läßt und im Handumdrehen aufstellt.
-&mdash; So, dann hat er also Geld? &mdash; Das muß er
-wohl haben. Er kommt mit Familie, mit einer Frau und
-drei Kindern. Und er hat Vieh und Pferde. &mdash; Ja, dann
-hat er Geld, sagt Axel. Hast du sonst nichts gehört? &mdash;
-Nein. Er sei dreiunddreißig Jahre alt. &mdash; Wie heißt er
-denn? &mdash; Aron, wird behauptet. Seinen Hof hat er Storborg
-genannt. &mdash; So, also Storborg, die große Burg. Ja,
-ja, das ist nicht klein. &mdash; Er ist von der Küste. Es heißt,
-er sei bis jetzt beim Fischhandel gewesen. &mdash; Dann kommt
-es also darauf an, ob er etwas von der Landwirtschaft
-versteht, sagt Axel. Hast du sonst nichts von ihm gehört?
-&mdash; Nein. Er hat bar bezahlt, als er den Kaufbrief bekam.
-Sonst hab' ich nichts gehört. Aber es heißt, er habe
-ein Heidengeld mit seiner Fischerei verdient. Jetzt wolle er
-sich hier niederlassen und Handel treiben. Ja, das wird
-behauptet. &mdash; So, er will also Handel treiben!</p>
-
-<p>Das war das allerwichtigste, und die beiden Nachbarn
-besprachen die Sache nach allen Seiten, während sie dahinfuhren.
-Es war eine große Neuigkeit, vielleicht die
-größte in der ganzen Geschichte der Ansiedlung, und es
-gab viel zu besprechen: Mit wem wollte der neue Ansiedler
-Handel treiben? Mit den acht Gehöften auf der<span class="pagenum"><a name="Seite_294" id="Seite_294">[S. 294]</a></span>
-Allmende? Oder hoffte er auch auf Kunden aus dem
-Dorfe? Auf jeden Fall würde ein Kaufladen von großer
-Bedeutung sein, vielleicht vermehrte das auch die Kolonisierung,
-und die Güter stiegen im Preise, wer konnte es
-wissen!</p>
-
-<p>Wie sie redeten und der Sache nicht müde wurden!
-Diese beiden Männer hatten ihre Interessen und ihre
-Ziele, die ebenso wichtig waren wie die anderer, das Land
-war ihre Welt, die Arbeit, die Jahreszeiten, die Ernte
-waren die Abenteuer, die sie erlebten. War dabei nicht
-auch Spannung? Ho, Spannung genug! Oftmals konnten
-sie nur kurze Zeit schlafen, oftmals mußten sie über
-die Mahlzeiten weg arbeiten, sie konnten das ertragen,
-sie hatten die Gesundheit dazu; sieben Stunden unter
-einem Föhrenstamm schadete ihnen nichts an Leben und
-Gesundheit, wenn die Knochen ganz geblieben waren. Ein
-Leben in einer Welt ohne Weite, ohne Ausblick? So!
-Aber welch eine Welt von Ausblick bot dieses Storborg
-mit seinem Handel draußen auf dem Ödland!</p>
-
-<p>Bis Weihnachten wurde darüber geredet ...</p>
-
-<p>Axel hatte einen Brief erhalten, einen großen Brief
-mit einem Löwen darauf, der war vom Staate: er solle
-die Telegraphendrähte, die Geräte und das Werkzeug bei
-Brede Olsen abholen und von Neujahr an die Aufsicht
-über die Linie übernehmen.</p>
-
-
-
-<h3>4</h3>
-
-
-<p>Mit vielen Pferden wird über das Moor gefahren,
-die Häuser werden dem neuen Ansiedler
-zugefahren, eine Wagenladung nach der andern,
-tagelang. An einer Stelle, die später Storborg heißen
-soll, wird abgeladen; das Anwesen wird auch gewiß
-einmal sehr groß, vier Mann sind drüben am Hang und
-brechen Steine zu einer Mauer und zwei Kellern aus.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_295" id="Seite_295">[S. 295]</a></span></p>
-
-<p>Es wird gefahren und gefahren. Jeder Balken ist
-schon genau zugehauen, sie brauchen, wenn der Frühling
-kommt, nur zusammengefügt werden, das ist fein ausgerechnet;
-die Balken haben laufende Nummern, und es
-fehlt keine Tür, kein Fenster, ja nicht eine farbige Glasscheibe
-für die Veranda. Und eines Tages kommt ein
-Wagen mit einer hohen Last von Latten daher. Was ist
-das? Einer von den Ansiedlern unterhalb von Breidablick
-weiß es; er ist aus dem Süden und hat das schon
-früher gesehen. Das gibt einen Gartenzaun, sagt er. &mdash;
-Der neue Mann will sich also hier im Ödland einen Garten
-anlegen, einen großen Garten.</p>
-
-<p>Das schien sich gut anzulassen, noch niemals hatte es
-einen solchen Verkehr über die Moore gegeben, und viele
-Pferdebesitzer verdienten ein schönes Geld durch Fuhren,
-die sie leisteten. Sie besprachen auch die Sache mündlich
-unter sich: Nun war Aussicht auf zukünftigen Verdienst,
-der Kaufmann würde seine Waren aus dem In- und
-Ausland beziehen, und sie mußten mit vielen Pferden
-von der See heraufgeführt werden.</p>
-
-<p>Es sah aus, als ob alles recht großartig werden würde.
-Ein junger Aufseher oder Bevollmächtigter war angekommen,
-der den Fuhrbetrieb leitete, er trieb und drängte
-und schien nicht Pferde genug auftreiben zu können, obgleich
-nicht mehr allzu viele Wagenladungen übrig waren.
-Es sind ja gar nicht so viele Wagenladungen von den
-Häusern mehr übrig, wurde ihm gesagt. &mdash; Ja, aber
-alle Waren, erwiderte er. &mdash; Sivert von Sellanraa kam
-wieder wie gewöhnlich mit leerem Wagen dahergefahren,
-und der Aufseher rief ihm zu: Warum kommst du leer?
-Du hättest doch eine Wagenladung für uns bis Storborg
-mitnehmen können. &mdash; Das hätte ich wohl können, aber
-ich wußte nichts davon, entgegnete Sivert. &mdash; Er ist von
-Sellanraa, und sie haben dort zwei Pferde, flüsterte
-jemand dem Aufseher zu. &mdash; Ist es wahr, daß ihr zwei<span class="pagenum"><a name="Seite_296" id="Seite_296">[S. 296]</a></span>
-Pferde habt? fragte dieser. Komm mit beiden her und
-leiste Fuhren für uns, hier ist Geld zu verdienen. &mdash; Ja,
-das wäre nicht so uneben, meinte Sievert. Aber jetzt gerade
-haben wir schlecht Zeit! &mdash; Hast du keine Zeit, Geld
-zu verdienen? fragte der Aufseher.</p>
-
-<p>Nein, auf Sellanraa hatten sie nicht immer übrige
-Zeit, es war da gar zu viel zu tun. Und jetzt hatten sie
-sogar zum erstenmal Männer zur Hilfe gedingt, zwei
-schwedische Maurer sprengten Steine zu einem Stall.</p>
-
-<p>Dieser Stall war seit vielen Jahren Isaks großer Gedanke
-gewesen, die Gamme für das Vieh wurde allmählich
-zu klein und zu dürftig, ein steinerner Stall mit
-doppelten Mauern und einer richtigen Dungstätte sollte es
-werden. Aber es war so vieles, was gemacht werden
-sollte, das eine zog immer wieder das andere nach sich;
-jedenfalls hörte das Bauen niemals auf. Isak hatte ein
-Sägewerk und eine Mühle und einen Sommerstall, warum
-sollte er nicht auch eine Schmiede haben? Nur eine
-kleine Schmiede zur Nothilfe, es war ja so weit ins Dorf,
-wenn der Vorhammer sich bog oder man ein paar neue
-Hufeisen brauchte. Eine Esse und einen Amboß, warum
-sollte er die nicht haben? Im ganzen entstanden ja so
-viele große und kleine Gebäude auf Sellanraa.</p>
-
-<p>Der Hof wird immer größer, wird gewaltig groß, es
-geht auch nicht mehr ohne Dienstmagd, und Jensine muß
-ganz dableiben. Ihr Vater, der Schmied, fragt gelegentlich
-nach ihr, und ob sie nicht bald wieder heimkomme,
-aber er besteht nicht darauf, er ist sehr nachgiebig und
-hat wohl eine Absicht dabei. Sellanraa liegt am höchsten
-in der Allmende und nimmt immer mehr zu, nimmt zu
-an Häusern und an Grund und Boden, die Menschen sind
-immer dieselben. Die Lappen kommen jetzt nicht mehr
-vorbei und spielen sich als Herren in der Ansiedlung auf,
-das hat längst aufgehört. Die Lappen kommen überhaupt<span class="pagenum"><a name="Seite_297" id="Seite_297">[S. 297]</a></span>
-nicht mehr oft vorbei, sie machen lieber einen großen
-Bogen um den Hof herum, jedenfalls kommen sie nicht
-mehr ins Haus herein, sie bleiben draußen stehen, wenn
-sie überhaupt stehenbleiben. Die Lappen treiben sich in
-der Einöde, im Dunkeln herum; wenn sie in Licht und
-Luft gebracht werden, gehen sie ein wie Maden und Ungeziefer.
-Ab und zu verschwindet an einer entlegenen
-Stelle ein Kalb oder ein Lamm, ganz weit draußen, wo
-Sellanraa aufhört. Dagegen ist nichts zu machen. Natürlich
-kann Sellanraa das tragen. Und wenn Sivert auch
-schießen könnte, so hätte er doch keine Flinte, aber er
-kann nicht schießen, er ist lustig und unkriegerisch, ein
-großer Schelm. Außerdem ist das Abschießen von Lappen
-wohl verboten, sagt er.</p>
-
-<p>Sellanraa kann kleine Verluste seines Viehstandes verschmerzen,
-denn es ist groß und stark, aber es ist nicht
-ohne Sorgen, ach nein! Inger ist keineswegs das ganze
-Jahr hindurch mit sich und ihrem Leben zufrieden, nein,
-sie hat einmal eine große Reise gemacht, und da ist wohl
-eine Art verderblicher Abgespanntheit über sie gekommen.
-Die verschwindet und kommt wieder. Sie ist rasch und
-fleißig wie in ihren besten Tagen, und sie ist eine hübsche
-und gesunde Frau für ihren Mann, für den Mühlengeist,
-aber hat sie nicht auch Erinnerungen von Drontheim?
-Träumt sie niemals? Doch und besonders während des
-Winters. Da gärt zuweilen eine ganz verfluchte Lebenslust
-in ihr, und da sie nicht allein tanzen kann, gibt es
-keinen Ball. Schwere Gedanken und ein Andachtsbuch?
-Ach ja, jawohl, aber Gott weiß, das andere ist auch schön
-und herrlich! Sie ist genügsam geworden; die schwedischen
-Maurer sind jedenfalls fremde Menschen und ungewohnte
-Stimmen auf dem Hofe, aber es sind ältere und ruhige
-Männer, die nicht spielen, sondern arbeiten. Aber sie sind
-doch besser als gar nichts, sie bringen doch etwas Leben
-mit sich, der eine singt wunderschön, und Inger bleibt<span class="pagenum"><a name="Seite_298" id="Seite_298">[S. 298]</a></span>
-bisweilen stehen und hört ihm zu. Der Mann heißt
-Hjalmar.</p>
-
-<p>Aber damit ist noch nicht alles gut und recht auf Sellanraa.
-Da ist zum Beispiel die große Enttäuschung mit
-Eleseus. Von ihm war ein Brief gekommen, daß seine
-Stelle bei dem Ingenieur aufgehört habe, aber er werde
-bald eine andere bekommen, er müsse nur warten. Dann
-kam ein Brief, er könne, während er auf einen hohen
-Posten in einem Büro warte, nicht von nichts leben,
-und als ihm von zu Hause ein Hundertkronenschein geschickt
-wurde, schrieb er zurück, das habe gerade genügt,
-einige kleine Schulden zu decken. &mdash; So, sagte Isak. Aber
-nun haben wir die Maurer und allerlei Auslagen, frag
-du nur den Eleseus, ob er nicht lieber heimkommen
-wolle und uns helfen! &mdash; Inger schrieb, aber Eleseus
-wollte nicht wieder heimkommen, nein, er wollte die Reise
-nicht unnötig noch einmal machen, lieber wollte er
-hungern.</p>
-
-<p>Seht, es war wohl in der ganzen Stadt keine hohe
-Stelle in einem Büro frei, und Eleseus war vielleicht
-auch nicht Draufgänger genug, sich seinen Weg zu bahnen.
-Gott weiß, vielleicht war er auch nicht besonders
-tüchtig. Geschickt und fleißig im Schreiben war er wohl,
-aber ob er auch klug und gescheit war? Und wenn nicht,
-wie würde es ihm dann gehen?</p>
-
-<p>Als er mit den zweihundert Kronen von zu Hause in
-die Stadt zurückkehrte, kam diese sofort mit ihren unbezahlten
-Rechnungen daher, und nachdem er diese beglichen
-hatte, mußte er sich einen Stock kaufen, der alte
-Regenschirmstock tat es nicht mehr. Verschiedene andere
-Dinge, die er sich anschaffen mußte, lagen auch nahe, eine
-Pelzmütze für den Winter, wie alle seine Kameraden eine
-hatten, ein Paar Schlittschuhe, einen silbernen Zahnstocher,
-um sich damit die Zähne zu stochern und elegant
-damit zu deuten, wenn man bei einem Gläschen zu<span class="pagenum"><a name="Seite_299" id="Seite_299">[S. 299]</a></span>sammensaß
-und schwatzte. Und solange er noch reich war,
-hielt er die andern frei, so gut er konnte; bei seinem Ankunftsfest
-ließ er mit der größten Sparsamkeit ein halbes
-Dutzend Bierflaschen aufziehen. &mdash; Was, du gibst der
-Kellnerin zwanzig Öre? wurde er gefragt. Wir geben
-zehn. &mdash; Nur nicht kleinlich sein! sagte Eleseus.</p>
-
-<p>Er war nicht kleinlich, nein, das stand ihm gar nicht
-an, er stammte von einem großen Hof, ja, von einem
-Herrenhof, sein Vater, der Markgraf, besaß unendliche
-Wälder und vier Pferde, dreißig Kühe und drei Mähmaschinen.
-Eleseus war kein Lügenbeutel, und nicht er
-hatte die Märe von dem Herrenhof Sellanraa verbreitet,
-das hatte der Bezirksingenieur seinerzeit getan und in
-der Stadt damit geprahlt. Aber es war Eleseus nicht gerade
-zuwider, daß dieses Märchen so halb und halb geglaubt
-wurde. Da er selber nichts war, konnte er wenigstens
-der Sohn von jemand sein, das verschaffte ihm Kredit,
-und er konnte sich durchschlagen. Aber auf die Dauer
-ging das doch nicht, endlich sollte er doch einmal bezahlen,
-und da saß er fest. Einer seiner Kameraden verschaffte
-ihm dann eine Anstellung im Geschäft seines Vaters. Es
-war ein Laden mit Bauernkundschaft, der die verschiedensten
-Waren führte; aber es war immerhin besser als gar
-nichts. Es war recht unangenehm für einen so alten Knaben,
-mit einem Anfängergehalt in einem Kramladen zu
-stehen, wenn er sich doch zum Lensmann hatte ausbilden
-wollen; aber er verdiente wenigstens seinen Lebensunterhalt
-dabei, es war ein vorläufiger Ausweg, ach, es war
-eigentlich gar nicht so schlimm. Eleseus war auch hier
-freundlich und gefällig und war bei den Kunden beliebt.
-Und er schrieb nach Hause, er sei jetzt zum Handel übergegangen.</p>
-
-<p>Aber das war nun die große Enttäuschung seiner Mutter.
-Wenn Eleseus hinter einem Ladentisch stand, so war
-er ja auch nicht mehr als der Ladendiener beim Kaufmann<span class="pagenum"><a name="Seite_300" id="Seite_300">[S. 300]</a></span>
-im Dorfe drunten. Früher war er unvergleichlich viel
-mehr gewesen, außer ihm hatte niemand je das Dorf
-verlassen und auf einem Büro gearbeitet. Hatte er denn
-sein großes Ziel aus dem Auge verloren? Inger war
-nicht so dumm, sie wußte, daß es einen Unterschied gab
-zwischen dem Gewöhnlichen und dem Ungewöhnlichen,
-aber sie konnte das vielleicht nicht so genau unterscheiden.
-Isak war einfältiger und einfacher, er rechnete jetzt immer
-weniger mit Eleseus, wenn er rechnete; sein ältester Sohn
-war gewissermaßen aus seinem Gesichtskreis hinausgeglitten,
-er hörte auf, sich Sellanraa zwischen seinen beiden
-Söhnen geteilt zu denken, wenn er einmal nicht mehr
-dasein sollte.</p>
-
-<p>Im Frühjahr kamen Ingenieure und Arbeiter aus
-Schweden; sie sollten Wege bauen, Baracken errichten,
-Grundstücke ausebnen, sprengen, Verbindungen mit Lebensmittellieferanten,
-mit Pferdebesitzern, mit Grundbesitzern
-an der See abschließen &mdash; wozu das alles? Sind
-wir denn nicht im Ödland, wo alles still und tot ist?
-Doch, aber jetzt sollte ein Versuchsbetrieb auf dem Kupferberg
-eröffnet werden.</p>
-
-<p>So, nun wurde also doch etwas aus der Sache, Geißler
-hatte keine leeren Umtriebe gemacht.</p>
-
-<p>Es waren nicht dieselben großen Herren wie das letztemal,
-der Landrat fehlte, der Grubenbesitzer fehlte, aber
-es war der alte Sachverständige und der alte Ingenieur.
-Sie kauften Isak alle seine gesägten Bretter ab, die er nur
-entbehren konnte, sie kauften Nahrungsmittel und Getränke
-und bezahlten gut, dann unterhielten sie sich und
-waren freundlich und sagten, Sellanraa gefalle ihnen.
-Eine Seilbahn! sagten sie. Eine Luftbahn vom Berggipfel
-hinunter an die See, sagten sie. &mdash; Über alle Moore weg?
-fragte Isak, denn er war schwach im Denken. &mdash; Ach, da
-mußten sie lachen! Auf der andern Seite, sagten sie, nicht
-auf dieser Seite, das würde ja viele Meilen weit sein.<span class="pagenum"><a name="Seite_301" id="Seite_301">[S. 301]</a></span>
-Nein, auf der andern Seite des Berges, gleich zum Meer
-hinunter, da ist starkes Gefälle und gar keine Entfernung.
-Wir lassen das Erz durch die Luft in eisernen Trögen hinunter,
-du wirst sehen, es wird großartig! Aber zum Anfang
-wird das Erz hinuntergefahren, wir bauen einen
-Weg und lassen es mit den Pferden hinunterfahren &mdash;
-oh, mit wenigstens fünfzig Pferden, auch das wird großartig.
-Und wir sind auch nicht nur so wenig Leute, wie du
-hier siehst. Was sind denn wir? Nichts! Von der andern
-Seite kommen noch mehr; ein ganzer Zug Arbeiter und
-fertige Baracken und Nahrungsmittel und alle Art von
-Gerätschaften, wir treffen oben auf der Höhe zusammen.
-Es kommt Zug in die Sache, Millionen, und das Erz
-kommt nach Südamerika. &mdash; Ist der Landrat nicht mit
-dabei? fragte Isak. &mdash; Was für ein Landrat? Ach der?
-Nein, der hat verkauft! &mdash; Und der Grubenbesitzer? &mdash;
-Der hat auch verkauft. So, du erinnerst dich an sie? Nein,
-die haben verkauft. Und die von ihnen abgekauft haben,
-haben wieder verkauft. Jetzt gehört der Kupferberg einer
-großen Gesellschaft, ungeheuer reichen Leuten. &mdash; Wo
-mag wohl Geißler sein? fragte Isak. &mdash; Geißler? Kenne
-ich nicht. &mdash; Der Lensmann Geißler, der damals den
-Kupferberg verkauft hat. &mdash; Ach der! Hat der Geißler
-geheißen? Gott weiß, wo er hingekommen ist. Erinnerst
-du dich an den auch noch?</p>
-
-<p>Dann sprengten sie und arbeiteten in den Bergen mit
-vielen Leuten den ganzen Sommer über, es war ein großer
-Betrieb. Inger hatte einen ausgedehnten Handel mit
-Milch und Käse, und sie fand es recht unterhaltend,
-Handel zu treiben und viele Menschen kommen und gehen
-zu sehen. Isak schritt mit seinem dröhnenden Gang weit
-aus und bestellte sein Land, er ließ sich durch nichts stören.
-Die zwei Maurer und Sivert bauten den Stall. Es wurde
-ein großer Bau; aber es dauerte lange, bis er aufgerichtet
-war, es waren zu wenig Mann bei der Arbeit, und Sivert<span class="pagenum"><a name="Seite_302" id="Seite_302">[S. 302]</a></span>
-war außerdem oft nicht dabei, weil er bei der Feldarbeit
-helfen mußte. Jetzt war es gut, daß sie eine Mähmaschine
-hatten und drei flinke Frauenzimmer beim Heuwenden.</p>
-
-<p>Alles war gut geworden, das Ödland war zum Leben
-erwacht, Geld blühte allenthalben.</p>
-
-<p>Seht doch nur den Handelsplatz Storborg, war das
-nicht ein Geschäft im großen Stil? Dieser Aron mußte
-doch ein verfluchter Kerl sein, er mußte seinerzeit von der
-bevorstehenden Grubenarbeit Wind bekommen haben und
-war sofort heraufgezogen mit seinem Kramladen; er handelte,
-oh, er handelte wie eine Regierung, ja, wie ein
-König. Zuallererst verkaufte er allerlei Haushaltungsgegenstände
-und Arbeiteranzüge; aber die Grubenarbeiter,
-die Geld haben, sind nicht so sparsam damit, daß sie alle
-nur das Notwendige kaufen, nein, sie kaufen alles. Besonders
-an den Sonntagabenden wimmelte es auf dem
-Handelsplatz Storborg von Käufern, und Aron strich
-Geld ein; er hatte seinen Ladendiener und seine Frau zur
-Hilfe hinter dem Ladentisch und verkaufte selbst, was er
-vermochte, aber es wurde nicht leer in seinem Laden bis
-tief in die Nacht hinein. Und es zeigte sich, daß die
-Pferdebesitzer im Dorfe recht behielten, es gab einen gewaltigen
-Fuhrwerksbetrieb mit Waren hinauf nach Storborg,
-die Straße mußte an verschiedenen Stellen verlegt
-und ordentlich instand gesetzt werden, jetzt war es etwas
-ganz anderes als Isaks schmaler Fußweg durchs Ödland.
-Aron wurde der reine Wohltäter für die Gegend mit
-seinem Handel und seiner Straße. Er hieß übrigens nicht
-Aron, das war nur sein Taufname, er hieß Aronsen,
-so nannte er sich wenigstens selbst, und so hieß ihn seine
-Frau. Die Familie tat recht großartig und hielt zwei
-Dienstmägde und einen Knecht.</p>
-
-<p>Der Grund und Boden auf Storborg blieb vorläufig
-unbebaut liegen, sie hatten keine Zeit für Landwirtschaft,
-wer hätte auch im Moor Gräben ziehen wollen! Dafür<span class="pagenum"><a name="Seite_303" id="Seite_303">[S. 303]</a></span>
-hatte Aronsen einen Garten mit einem Lattenzaun und
-mit Johannisbeerensträuchern und Astern und Ebereschen
-und anderen gepflanzten Bäumen, einen feinen Garten.
-Es war ein breiter Gang darin, auf dem Aronsen an den
-Sonntagen auf und ab gehen und eine lange Pfeife rauchen
-konnte. Im Hintergrund lag die Veranda des Hauses
-mit roten und gelben und blauen Scheiben. Storborg!
-Drei kleine hübsche Kinder liefen herum, das Mädchen
-sollte lernen, Haustochter eines Kaufmanns zu sein, die
-Söhne sollten selbst die Handelsschaft erlernen; oh, drei
-Kinder mit einer Zukunft vor sich!</p>
-
-<p>Hätte Aronsen nicht an die Zukunft gedacht, so wäre
-er überhaupt nicht hierhergekommen. Er hätte bei seiner
-Fischerei bleiben, und wenn er Glück hatte, auch dabei viel
-Geld verdienen können; aber das war nicht so vornehm
-wie ein Handelsgeschäft, es brachte nicht so viel Hochachtung
-ein, die Hüte flogen da nicht vor einem von den
-Köpfen. Aronsen hatte seither gerudert, in Zukunft wollte
-er segeln. Er hatte eine Redensart: bom konstant. Seine
-Kinder sollten es mehr bom konstant haben, als er es
-gehabt hatte, sagte er, damit meinte er, sie sollten weniger
-hart arbeiten müssen.</p>
-
-<p>Und siehe da, die Sache ließ sich gut an, er und seine
-Frau, ja sogar seine Kinder wurden höflich gegrüßt. Man
-durfte es nicht gering anschlagen, daß sogar die Kinder
-gegrüßt wurden. Die Grubenarbeiter kamen vom Berg
-herunter und hatten seit langer Zeit keine Kinder mehr
-gesehen. Aronsens Kinder liefen ihnen bis vor den Hof
-entgegen, und die Arbeiter redeten gleich so freundlich
-mit ihnen, als hätten sie drei Pudelhunde vor sich. Sie
-hätten den Kindern gerne Geld geschenkt, weil es aber
-die Kinder des Kaufmanns waren, spielten sie ihnen statt
-dessen auf der Mundharmonika vor. Gustaf kam, der
-junge Wildfang mit dem Hut auf einem Ohre und dem
-munteren Geplauder, ja er kam herbei und schäkerte eine<span class="pagenum"><a name="Seite_304" id="Seite_304">[S. 304]</a></span>
-gute Weile mit den Kindern. Die Kinder kannten ihn
-auch gleich, wenn er ankam, und liefen ihm entgegen,
-er lud sie sich alle drei auf den Rücken und tanzte mit
-ihnen herum. Ho! sagte Gustaf und tanzte. Dann nahm
-er seine Mundharmonika und blies Lieder und Weisen,
-so schön, daß die beiden Dienstmägde herauskamen und
-Gustafs Spiel mit nassen Augen zuhörten. Gustaf wußte,
-was er tat, der ausgelassene Kerl!</p>
-
-<p>Nach einer Weile ging er in den Laden und klimperte
-mit seinem Geld und füllte seinen ganzen Rucksack mit
-den verschiedensten Sachen, und als er dann wieder heim
-in die Berge ging, hatte er einen ganzen kleinen Kramladen
-bei sich, den er auf Sellanraa auspackte und vorwies.
-Er hatte Briefpapier mit Blumen darauf und eine
-neue Pfeife und ein neues Hemd und ein Halstuch mit
-Fransen dran, hatte Süßigkeiten, die er an die Frauen
-austeilte; er hatte glänzende Sachen, eine Uhrkette mit
-einem Kompaß daran, ein Federmesser; ja, er hatte eine
-Menge Sachen, unter anderem auch Raketen, die er sich
-für den Sonntag gekauft hatte, um sich und andere damit
-zu unterhalten. Inger setzte ihm Milch zu trinken
-vor, und er spaßte mit Leopoldine und hob die kleine
-Rebekka hoch in die Luft. &mdash; Na, steht der Stall bald?
-fragte er seine Landsleute, die Maurer, und war auch mit
-diesen gut Freund. &mdash; Nein, sie hätten nicht Hilfe genug,
-sagten die Maurer. &mdash; Dann wolle er ihnen helfen, sagte
-Gustaf zum Spaß. &mdash; Das wäre sehr gut, meinte Inger,
-denn der Stall sollte bis zum Herbst fertig sein, wenn
-das Vieh nicht mehr draußen bleiben könne.</p>
-
-<p>Nun ließ Gustaf eine Rakete steigen, und nachdem er
-einmal eine abgebrannt hatte, konnte er auch gleich alle
-sechse steigen lassen, und die Weiberleute und die Kinder
-hielten den Atem an vor lauter Verwunderung über dieses
-Hexenwerk und den Hexenmeister, der es gemacht
-hatte. Inger hatte noch niemals eine Rakete gesehen, aber<span class="pagenum"><a name="Seite_305" id="Seite_305">[S. 305]</a></span>
-dieser sonderbare Blitz erinnerte sie an die große Welt.
-Was wollte jetzt eine Nähmaschine bedeuten! Und als
-Gustaf schließlich auch noch die Mundharmonika spielte,
-wäre ihm Inger am liebsten nachgezogen vor lauter Rührung...</p>
-
-<p>Die Grubenarbeit geht ihren Gang, und das Erz wird
-mit Pferden an die See hinuntergefahren; ein Dampfschiff
-ist schon damit beladen worden und nach Südamerika
-abgedampft, und dafür ist ein neues angekommen.
-Großer Betrieb. Jedermann, der überhaupt gehen
-kann, ist im Gebirge gewesen und hat sich die Wunder
-angeschaut, auch Brede Olsen ist mit seinen Gesteinsproben
-dort gewesen, ist jedoch abgewiesen worden, weil
-der Sachverständige wieder nach Schweden abgereist war.
-An den Sonntagen war große Völkerwanderung aus dem
-Dorfe, ja sogar Axel Ström, der keine Zeit zu verlieren
-hat, ist ein paarmal, als er die Linie nachsah, dagewesen.
-Jetzt gibt es bald niemand mehr, der die Wunder noch
-nicht gesehen hat. Da zieht wahrhaftig sogar Inger
-Sellanraa ihre schönen Kleider an, steckt den goldenen
-Ring an den Finger und geht in die Berge.</p>
-
-<p>Was will sie dort?</p>
-
-<p>Sie will eigentlich gar nichts, sie ist nicht einmal neugierig,
-zu sehen, wie der Berg geöffnet wird, sie will
-nur sich sehen lassen. Als Inger sah, daß andere Frauen
-in die Berge gingen, spürte sie, daß auch sie ihnen nach
-mußte. Sie hat eine entstellende Narbe an der Oberlippe
-und hat erwachsene Kinder, aber sie will den andern
-nach. Es ärgert sie, daß diese jung sind, aber sie will versuchen,
-es mit ihnen aufzunehmen; sie hat noch nicht angefangen,
-dick zu werden, sie ist groß und hübsch und
-sieht gut aus. Natürlich ist sie nicht mehr rot und weiß,
-und ihre zarte Pfirsichhaut ist schon längst vergangen,
-aber man würde schon sehen, sie kamen sicher, nickten und
-sagten: Die ist recht!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_306" id="Seite_306">[S. 306]</a></span></p>
-
-<p>Die Arbeiter kommen ihr mit großer Freundlichkeit
-entgegen, sie haben von Inger manchen Topf Milch erhalten
-und kennen sie; sie führen sie in den Gruben, in
-den Baracken, in den Ställen, in der Küche, im Keller,
-im Vorratshaus umher, die dreistesten unter ihnen rücken
-ihr auf den Leib und nehmen sie ein wenig in den Arm;
-aber das macht Inger nichts, das tut ihr wohl. Wenn
-sie Stufen hinauf- oder hinuntergeht, hebt sie den Rock
-hoch auf und läßt ihre Waden sehen, aber sie ist ganz gelassen
-dabei und tut, als ob nichts geschehen wäre. Die
-ist recht! denken die Arbeiter.</p>
-
-<p>Das alte Ding, sie ist trotz allem rührend: es war
-leicht zu merken, ein ihr zugeworfener Blick von diesen
-warmblütigen Mannsleuten kam ihr unerwartet, sie war
-dankbar dafür und vergalt ihn, es tat ihr ordentlich wohl,
-in Gefahr zu sein, sie war ein Frauenzimmer wie andere.
-Sie war wohl aus Mangel an Versuchung bisher ehrbar
-gewesen.</p>
-
-<p>Das alte Ding!</p>
-
-<p>Gustaf kam auch dazu. Er überließ zwei Mädchen aus
-dem Dorf einem Kameraden, nur um herbeikommen zu
-können. Gustaf wußte, was er tat; er schüttelte Inger
-mit überflüssiger Wärme die Hand zum Gruße, aber er
-drängte sich nicht auf. &mdash; Na, Gustaf, kommst du nicht
-bald und hilfst uns beim Stallbau? fragte Inger und
-wird dabei dunkelrot. &mdash; Gustaf antwortet, ja, nun
-komme er bald. Seine Kameraden hören das und sagen,
-sie kämen nun bald alle miteinander. &mdash; Ja, werdet ihr
-denn nicht den ganzen Winter hier in den Bergen bleiben?
-fragt Inger. Die Arbeiter antworten zurückhaltend,
-nein, es sehe nicht danach aus. Gustaf ist kecker, er sagt
-lachend, sie hätten nun bald alles vorhandene Kupfer
-herausgekratzt. &mdash; Das ist nicht dein Ernst! ruft Inger.
-&mdash; Nein, erwiderten die andern Arbeiter, Gustaf solle sich
-in acht nehmen, so etwas zu sagen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_307" id="Seite_307">[S. 307]</a></span></p>
-
-<p>Aber Gustaf nahm sich nicht in acht, er sagte lachend
-noch viel mehr, und was Inger betrifft, so gewann er
-sie für sich allein, obgleich er nicht zudringlich war. Ein
-anderer junger Mann spielte die Ziehharmonika, aber
-das war lange nicht dasselbe, wie wenn Gustaf die
-Mundharmonika blies. Ein dritter junger Mann, auch
-ein Tausendsassa, suchte dadurch die Aufmerksamkeit auf
-sich zu ziehen, daß er auswendig ein Lied zur Ziehharmonika
-sang; aber es war auch das nichts Besonderes,
-obgleich er eine rollende Stimme hatte. Nach kurzer Zeit
-hatte Gustaf wahrhaftig Ingers goldenen Ring an seinem
-kleinen Finger stecken. Und wie war das zugegangen,
-da er sich doch nicht aufgedrängt hatte? Ei, er drängte
-sich genügend herzu, aber er machte es in aller Stille,
-gerade wie sie auch, es ging ohne Worte, sie tat, wie
-wenn sie es gar nicht merkte, als er sich mit ihrer Hand
-zu schaffen machte. Als sie dann später in der Barackenküche
-saß und Kaffee trank, hörte sie draußen etwas
-Lärm und Streit, und sie begriff, daß dies sozusagen ihr
-zu Ehren war. Das reizte sie auf, das alte Birkhuhn saß
-da und lauschte auf ein angenehmes Geräusch.</p>
-
-<p>Wie Inger an jenem Sonntagabend von den Bergen
-nach Hause kam? Ho, ausgezeichnet, ebenso tugendhaft,
-wie sie gegangen war, nicht mehr und nicht minder. Viele
-Männer gaben ihr das Geleite, und die vielen Männer
-wollten nicht umkehren, solange Gustaf bei ihr war, sie
-gaben nicht nach, sie wollten nicht nachgeben! Nicht einmal
-draußen in der großen Welt hatte es Inger so unterhaltend
-gehabt. &mdash; Ob Inger nichts vermisse, fragten sie
-schließlich. &mdash; Vermissen, nein. &mdash; Den goldenen Ring!
-sagten sie. &mdash; Nun mußte Gustaf damit herausrücken,
-er hatte ein ganzes Heer gegen sich. &mdash; Es ist gut, daß
-du ihn gefunden hast, sagte Inger und beeilte sich, von
-ihrem Gefolge Abschied zu nehmen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_308" id="Seite_308">[S. 308]</a></span></p>
-
-<p>Sie näherte sich Sellanraa und sah die vielen Dächer,
-dort unten war ihr Heim. Sie erwachte wieder zu der
-tüchtigen Frau, die sie war; sie geht einen Fußweg am
-Sommerstall vorbei, um nach dem Vieh zu sehen, und
-auf dem Wege dahin kommt sie an einer Stelle vorbei,
-die sie gut kennt: hier lag einmal ein kleines Kind begraben,
-sie hatte die Erde mit den Händen zusammengescharrt
-und ein kleines Kreuz darauf gesteckt. Ach,
-wie lange war das her! Und gleich denkt sie weiter: Ob
-wohl die Mädchen gemolken und für den Abend alles in
-Ordnung gebracht haben!</p>
-
-<p>Die Grubenarbeit geht weiter, jawohl, aber es wird gemunkelt,
-daß der Berg nicht halte, was er versprochen
-habe. Der Sachkundige, der nach Hause gereist war,
-kommt wieder und hat noch einen zweiten Sachkundigen
-bei sich, sie bohren und sprengen und untersuchen gründlich.
-Was ist denn nicht in Ordnung? Das Kupfer ist
-fein genug, daran fehlt es nicht, aber die Ader ist dünn,
-sie nimmt nach Süden an Dicke zu und fängt gerade da,
-wo die Grenzlinie der Gesellschaft geht, erst an, dick und
-herrlich zu werden, aber da ist die Allmende. Seht, die
-ersten Käufer hatten sich wohl nicht viel bei ihrem Kauf
-gedacht, es war ein Familienrat, Verwandte, die auf
-Spekulation kauften; sie hatten sich nicht den ganzen Berg
-gesichert, all die vielen Meilen bis zum nächsten Tale,
-nein, sie kauften ein Stückchen von Isak Sellanraa und
-Geißler und verkauften dann wieder.</p>
-
-<p>Und was ist nun zu tun? Die Herren und die Vorarbeiter
-und die Sachkundigen wissen das sehr gut, sie
-müssen sofort mit dem Staat verhandeln. Sie schicken
-also eine Stafette nach Hause mit Briefschaften und
-Karten und reiten danach selbst zum Lensmann, um Beschlag
-auf den ganzen Bergzug auf der Südseite des
-Wassers zu legen. Aber jetzt treffen sie auf allerlei
-Schwierigkeiten. Das Gesetz steht ihnen im Weg, sie sind<span class="pagenum"><a name="Seite_309" id="Seite_309">[S. 309]</a></span>
-Ausländer, sie können nicht direkt kaufen. Das wissen
-sie wohl, da haben sie vorgesorgt. Allein die Südseite
-des Berges ist bereits verkauft, das haben sie nicht gewußt.
-&mdash; Verkauft? sagen die Herren. &mdash; Schon lange,
-schon seit mehreren Jahren. &mdash; Wer hat das Land gekauft?
-&mdash; Geißler. &mdash; Was für ein Geißler? Ach der?
-&mdash; Verbrieft und versiegelt, sagt der Lensmann. Es ist
-kahler Fels, er hat ihn beinahe für nichts bekommen. &mdash;
-Aber zum Kuckuck, was ist denn das für ein Geißler,
-von dem wir immer wieder hören! Wo ist er? &mdash; Gott
-weiß, wo er ist.</p>
-
-<p>Die Herren mußten eine neue Stafette nach Schweden
-schicken. Und sie mußten ja auch versuchen, herauszubringen,
-wer dieser Geißler war. Vorläufig konnten sie
-nicht mehr mit voller Mannschaft weiterarbeiten lassen.</p>
-
-<p>Nun kam Gustaf hinunter nach Sellanraa; er trug all
-sein irdisch Gut auf dem Rücken und sagte, nun komme
-er! Jawohl, Gustaf hatte den Dienst bei der Gesellschaft
-verlassen, das heißt, er hatte sich am letzten Sonntag
-etwas zu offenherzig über den Kupferberg geäußert, seine
-Worte waren dem Vorarbeiter und dem Ingenieur hinterbracht
-worden, und Gustaf hatte den Abschied erhalten.
-Glückliche Reise, und außerdem war es vielleicht gerade
-das, was er gewollt hatte: nun erweckte es keinen
-Verdacht, wenn er nach Sellanraa ging. Er bekam sofort
-Arbeit beim Stallbau.</p>
-
-<p>Sie mauern und mauern, und als kurz darauf noch
-ein Mann von den Bergen kommt, findet auch er einen
-Platz bei der Arbeit; nun konnten zwei Schichten gemacht
-werden, und die Arbeit ging rasch von der Hand. Der
-Stall würde bis zum Herbst doch noch fertig werden.</p>
-
-<p>Aber ein Arbeiter nach dem andern kam von den Bergen
-herunter, allen war aufgekündigt worden, und sie
-zogen wieder heim nach Schweden. Der Versuchsbetrieb
-sollte aufhören. Im Dorfe drunten ging es wie ein Seufzer<span class="pagenum"><a name="Seite_310" id="Seite_310">[S. 310]</a></span>
-durch alle Menschen; seht, sie waren so töricht, sie begriffen
-nicht, daß ein Probebetrieb ein Betrieb auf Probe
-ist, aber das war es. Mißmut und schlimme Ahnungen
-ergriffen die Menschen im Dorfe, das Geld wurde seltener,
-die Löhne wurden herabgesetzt, der Handelsplatz
-Storborg verödete. Was sollte das alles bedeuten? Nun
-war doch alles so schön im Gang, Aronsen hatte sich eine
-Flaggenstange und eine Flagge angeschafft, er hatte sich
-für den Winter ein Eisbärfell für seinen Familienschlitten
-gekauft und die ganze Familie mit großartigen
-Kleidern ausstaffiert. Das waren ja nur Kleinigkeiten,
-aber es waren auch große Dinge geschehen: zwei neue
-Ansiedler hatten sich Rodeland in der Gegend gekauft,
-hoch oben zwischen Maaneland und Sellanraa, das war
-keine unbedeutende Sache für diese kleine abgelegene
-Welt. Die beiden Ansiedler hatten ihre Gammen errichtet,
-hatten gerodet und Moore entwässert, es waren fleißige
-Leute, sie waren in kurzer Zeit weit gekommen. Den
-ganzen Sommer über hatten sie ihre Nahrungsmittel
-in Storborg gekauft, aber als sie das letztemal kamen,
-war fast nichts mehr zu haben. Waren &mdash; was sollte
-Aronsen mit Waren, wenn der Grubenbetrieb aufgehört
-hatte? Nun hatte er beinahe keine Waren mehr, er hatte
-nur Geld. Von allen Leuten in der Gegend war vielleicht
-Aronsen der mißmutigste; er hatte sich mit seinem Überschlag
-gar zu sehr verrechnet. Als ihm geraten wurde,
-sein Land zu bebauen und bis bessere Zeiten kämen, davon
-zu leben, antwortete er: Das Land bebauen? Dazu bin
-ich mit den Meinen nicht hierhergekommen.</p>
-
-<p>Zuletzt hielt es Aronsen nicht mehr aus, er wollte selbst
-hinauf zu den Gruben und einmal nach der Sache sehen.
-Es war an einem Sonntag. Als er nach Sellanraa kam,
-wollte er Isak mit hinaufnehmen; aber Isak hatte noch
-keinen Fuß ins Gebirge gesetzt, seit dort der Betrieb angefangen
-hatte, er gedieh am besten auf seiner Halde.<span class="pagenum"><a name="Seite_311" id="Seite_311">[S. 311]</a></span>
-Inger mußte sich ins Mittel legen. Kannst du denn nicht
-mit Aronsen gehen, wenn er dich darum bittet, sagte sie.
-Sieh einmal an, Inger hatte wohl nichts dagegen, wenn
-Isak eine Weile von zu Hause weg war! Es war Sonntag,
-sie wollte ihn wohl gerne ein paar Stunden los sein.
-So ging Isak also mit.</p>
-
-<p>Sie sahen allerlei Neues auf dem Berge, Isak kannte
-sich in dieser neuen Stadt von Baracken und Wagenschuppen
-und gähnenden Gruben gar nicht mehr aus. Der
-Ingenieur selbst führte sie herum. Vielleicht war dem
-guten Ingenieur zurzeit nicht so ganz leicht zumute, aber
-er versuchte, der schweren Stimmung, die auf der ganzen
-Gegend und auf der Gemeinde lastete, entgegenzuarbeiten.
-Da war nun eine gute Gelegenheit, der Markgraf
-von Sellanraa selbst und der Kaufmann von Storborg
-waren auf dem Platze.</p>
-
-<p>Der Ingenieur erklärte die Gesteinsarten: Kies,
-Kupferkies, der enthielt Kupfer, Eisen und Schwefel.
-Ja, er wußte bis aufs Tüpfelchen, was der Berg enthielt,
-er enthielt sogar ein wenig Silber und Gold. Man
-trieb nicht Bergbau, ohne seine Sache zu können. Aber
-soll das nun aufhören? fragte Aronsen. &mdash; Aufhören?
-wiederholte der Ingenieur erstaunt. Damit wäre Südamerika
-nicht gedient. Mit dem Versuchsbetrieb würde
-nun eine Weile Schluß gemacht, sie hätten ja jetzt gesehen,
-was vorhanden war, jetzt würde erst die Luftbahn
-gebaut, und dann erst werde es in dem Gebirge nach
-Süden zu losgehen. Isak wisse wohl nicht, wo dieser
-Geißler hingekommen sei? &mdash; Nein. &mdash; Na, er werde
-schon zu finden sein. Dann gehe es erst recht im Ernst
-los. Was, aufhören!</p>
-
-<p>Isak ist in Verwunderung und Bewegung geraten über
-eine kleine Maschine, die mit dem Fuß getreten wird;
-er erkennt sofort, was das ist; das ist ja eine kleine<span class="pagenum"><a name="Seite_312" id="Seite_312">[S. 312]</a></span>
-Schmiede, die auf einem Karren geführt und überall
-aufgestellt werden kann. &mdash; Was kostet eine solche Maschine?
-fragt Isak. &mdash; Diese? Die Feldesse? Oh, die kostet
-nicht viel. Sie hätten mehrere solche, aber sie hätten ganz
-andere Maschinen und Einrichtungen drunten an der See,
-ungeheure Maschinen. Isak werde wohl begreifen, daß
-man solchen tiefen Tälern und Abgründen in den Bergen
-nicht mit Nägeln zu Leibe gehen könne, hahaha.</p>
-
-<p>Sie gehen weiter, und der Ingenieur erzählt, daß er
-in den nächsten Tagen nach Schweden abzureisen gedenke.
-&mdash; Aber Ihr kommt doch wieder? fragt Aronsen.
-&mdash; Natürlich. Der Ingenieur war sich nichts bewußt,
-weshalb ihn die Regierung oder die Polizei zu Hause
-festsetzen könnte. Isak richtete es so ein, daß sie noch
-einmal vor die kleine Schmiede zu stehen kamen. Wieviel
-kann solch eine Esse kosten? fragt er. &mdash; Kosten. Das
-wußte der Ingenieur wahrhaftig nicht mehr. Sie kostet
-ja wohl einiges Geld, aber bei einem so großen Betrieb
-kommt das gar nicht in Betracht. Der prächtige Ingenieur,
-vielleicht war ihm jetzt gerade nicht ganz leicht
-zu Sinn, aber er wahrte den Schein und tat großartig bis
-zuletzt. Ob Isak eine Feldesse brauchen könne? Dann solle
-er nur diese nehmen. Seine Gesellschaft sei mächtig genug,
-sie schenke ihm die Feldesse!</p>
-
-<p>Eine Stunde später wandern Isak und Aronsen wieder
-nach Hause. Aronsen ist ruhiger geworden und hat
-ein wenig Hoffnung geschöpft, Isak schreitet den Berg
-hinunter mit der kostbaren Feldesse auf dem Rücken. Der
-alte Prahm war es gewöhnt, Lasten zu tragen! Der Ingenieur
-hatte angeboten, am nächsten Tag das Kleinod
-durch einen Mann nach Sellanraa zu schicken, aber Isak
-dankte und sagte, das sei nicht nötig. Er dachte, wie die
-zu Hause sich verwundern würden, wenn er mit einer
-Schmiede auf dem Rücken ankam!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_313" id="Seite_313">[S. 313]</a></span></p>
-
-<p>Aber es war Isak, der sich verwundern mußte, als er
-heimkam.</p>
-
-<p>Dort kam gerade ein Pferd mit einer ganz sonderbaren
-Wagenladung auf den Hof gefahren. Der Kutscher
-war ein Mann aus dem Dorfe, aber nebenher schritt ein
-Herr, den Isak verwundert anstarrte: es war Geißler.</p>
-
-
-
-<h3>5</h3>
-
-
-<p>Isak hätte sich auch sonst noch über das eine oder
-andere verwundern können, aber er war nicht dazu
-geschaffen, an viele Dinge auf einmal zu denken.
-Wo ist Inger? fragte er nur, als er an der Küchentür
-vorbeikam, denn er dachte daran, daß Geißler ordentlich
-bewirtet werden müsse.</p>
-
-<p>Inger? Sie war in die Beeren gegangen, war in den
-Beeren gewesen, seit Isak auf den Berg gestiegen war,
-sie mit Gustaf, dem Schweden. Das alte Ding, sie war
-so toll und verliebt; es ging zwar dem Herbst und dem
-Winter zu, aber sie fühlte wieder Sommerhitze in sich,
-ihr Herz blühte! Komm und zeig mir, wo Multebeeren
-wachsen, sagte Gustaf. Wer hätte da widerstehen können!
-Sie lief in ihre Kammer und war einige Minuten lang
-ernst und fromm; aber er stand draußen und wartete,
-die Welt war ihr dicht auf den Fersen; sie ordnete ihre
-Haare, beschaute sich nach allen Seiten im Spiegel und
-ging dann wieder hinaus. Was weiter, wer hätte das
-auch nicht getan! Die Frauen können den einen Mann
-nicht von dem andern unterscheiden, nicht immer, nicht
-oft. &mdash;</p>
-
-<p>Sie gehen also in die Beeren und pflücken, pflücken
-Multebeeren auf dem Moor, sie steigen von einem Erdhaufen
-auf den andern, sie hebt ihre Röcke in die Höhe
-und läßt ihre schönen Waden sehen. Rundum ist es still,<span class="pagenum"><a name="Seite_314" id="Seite_314">[S. 314]</a></span>
-das Schneehuhn hat schon große Junge und zischt nicht
-mehr, es gibt weiche Plätzchen im Gebüsch auf dem Moor.
-Sie sind noch nicht eine Stunde gegangen, und schon
-ruhen sie aus. Inger sagt: Bist du so einer! Ach, sie ist
-so schwach ihm gegenüber, sie lächelt verlegen, denn sie
-ist sehr verliebt; ach, wie ist doch Verliebtsein süß und
-bitter zugleich! Schick und Brauch verlangen wohl, sich
-zu wehren. Ja, um endlich doch nachzugeben. Inger ist
-sehr verliebt, sterblich und ohne Gnade verliebt, sie will
-ihm wohl und ist nur gut und herzlich gegen ihn.</p>
-
-<p>Das alte Ding!</p>
-
-<p>Wenn der Stall fertig ist, dann gehst du fort, sagt sie.
-&mdash; Nein, er gehe nicht fort. Natürlich müsse er einmal
-fortgehen, aber nicht schon in einer Woche. &mdash; Wollen
-wir nicht heimgehen? fragt sie. &mdash; Nein.</p>
-
-<p>Sie pflücken Beeren, und nach einer Weile finden sie
-wieder weiche Plätzchen im Gebüsch, und Inger sagt: Du
-bist verrückt, Gustaf! Die Stunden vergehen, jetzt sind
-sie wohl im Gebüsch eingeschlafen. Sind sie eingeschlafen?
-Das ist ausgezeichnet, mitten im Ödland, in Eden. Da
-setzt sich Inger auf und horcht und sagt: Ich meine, ich
-höre weit drüben auf dem Weg einen Wagen fahren.</p>
-
-<p>Die Sonne sinkt; während sie heimgehen, werden die
-Heidehügel im Schatten dunkler. Sie kommen noch an
-vielen geschützten Stellen vorbei, Gustaf sieht sie, und
-Inger sieht sie wohl auch, aber sie meint die ganze Zeit,
-es fahre jemand vor ihnen her. Aber sich auf dem ganzen
-Heimweg gegen einen närrischen hübschen Jungen wehren
-müssen? Inger ist sehr schwach, sie lächelt nur und
-sagt: Nein, so einen wie dich hab' ich doch noch nie gesehen!</p>
-
-<p>Inger kommt allein nach Hause. Es ist gut, daß sie
-jetzt kommt, großartig ist es, eine Minute später wäre
-nicht so gut gewesen. Isak ist gerade mit seiner Schmiede<span class="pagenum"><a name="Seite_315" id="Seite_315">[S. 315]</a></span>
-und mit Aronsen in den Hof getreten, und ein Pferd
-mit einem Wagen hält auch eben vor der Tür.</p>
-
-<p>Guten Tag! sagt Geißler und begrüßt dann auch
-Inger.</p>
-
-<p>Da stehen diese Menschen und schauen einander an.
-Es könnte nicht besser passen.</p>
-
-<p>Geißler ist wiedergekommen. Er ist einige Jahre weggewesen,
-aber jetzt ist er wieder da, etwas älter und
-grauer, aber lebhaft wie immer, und jetzt ist er fein gekleidet,
-trägt eine weiße Weste und eine goldene Kette.
-Der Teufel versteht diesen Mann!</p>
-
-<p>Hat er Kunde erhalten, daß jetzt auf dem Kupferberg
-etwas vor sich ging, und wollte er die Sache untersuchen?
-Gut, hier war er. Er sieht hell wach aus, mustert Häuser
-und Felder, indem er den Kopf sachte hin und her
-dreht und die Blicke wandern läßt; er sieht große Veränderungen,
-der Markgraf hat seine Herrschaft erweitert.
-Geißler nickt befriedigt.</p>
-
-<p>Was schleppst du denn da herbei? fragte er Isak. Das
-ist ja eine ganze Pferdelast! sagt er. &mdash; Eine Schmiedeesse,
-erklärt Isak. Die wird mir hier auf der Ansiedlung
-manches liebe Mal zugute kommen, sagt er und
-heißt Sellanraa immer noch eine Ansiedlung. &mdash; Wo
-hast du sie her? &mdash; Der Ingenieur droben auf dem Berg
-hat sie mir geschenkt. &mdash; Ist auf dem Berg ein Ingenieur?
-fragt Geißler, wie wenn er es nicht wüßte.</p>
-
-<p>Sollte Geißler hinter dem Ingenieur auf dem Berg
-zurückstehen? Ich habe gehört, daß du dir eine Mähmaschine
-gekauft hast, jetzt habe ich dir dazu einen Heurechen
-mitgebracht, sagt er und deutet auf den Wagen. Da
-stand die Maschine, rot und blau, ein unmäßig großer
-Kamm, ein Heurechen, der von einem Pferd gezogen
-wurde. Sie hoben die Maschine vom Wagen und betrachteten
-sie, Isak spannte sich vor und versuchte sie auf der
-nackten Erde. Der Mund stand ihm offen vor Verwunde<span class="pagenum"><a name="Seite_316" id="Seite_316">[S. 316]</a></span>rung.
-Ein Wunder nach dem andern war nach Sellanraa
-gekommen.</p>
-
-<p>Sie sprachen über den Kupferberg, über das Bergwerk.
-Sie haben dort eifrig nach Euch gefragt, sagt Isak. &mdash;
-Wer hat gefragt? &mdash; Der Ingenieur und alle die Herren.
-Sie müßten Euch unbedingt auffinden, sagten sie. Ach,
-Isak machte sicher zuviel aus der Sache, Geißler vertrug
-das vielleicht nicht, er machte einen steifen Nacken und
-sagte: Da bin ich, wenn sie etwas von mir wollen.</p>
-
-<p>Den Tag darauf kamen die beiden Stafetten aus
-Schweden zurück, und mit ihnen kamen zwei von den
-Eigentümern des Bergwerks; sie waren zu Pferd, vornehme,
-dicke Herren und allem Anschein nach steinreich.
-Sie hielten auf Sellanraa fast nicht an, sondern erkundigten
-sich nur vom Pferd aus nach dem Wege und ritten
-weiter nach dem Berge zu. Sie taten, als ob sie Geißler
-gar nicht sähen, obgleich er ganz in der Nähe stand. Die
-Stafetten mit den beladenen Packpferden ruhten eine
-Stunde aus, unterhielten sich mit den Maurern, die am
-Stall arbeiteten, erfuhren, daß der alte Herr mit der
-weißen Weste und der goldenen Kette Geißler sei, und
-dann zogen auch sie weiter. Aber die eine der Stafetten
-kam noch am selben Abend wieder auf den Hof herunter
-mit der mündlichen Botschaft, Geißler solle zu den Herren
-hinaufkommen. Hier bin ich, wenn sie etwas von mir
-wollen, ließ Geißler antworten.</p>
-
-<p>Geißler war großartig geworden, er dachte vielleicht,
-er habe die ganze Welt in der Tasche, oder fand er eine
-mündliche Botschaft gar zu nachlässig? Aber wie ging
-es zu, daß er gerade in dem Augenblick nach Sellanraa
-kam, wo man ihn brauchte? War er denn allwissend?
-Na, als die Herren auf dem Berge diese Antwort bekamen,
-mußten sie sich wohl oder übel nach Sellanraa
-herabbemühen. Der Ingenieur und die beiden Sachverständigen
-kamen mit.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_317" id="Seite_317">[S. 317]</a></span></p>
-
-<p>Aber es waren noch allerlei Wendungen und Winkelzüge
-notwendig, ehe die Zusammenkunft zustande kam.
-Das versprach nicht viel Gutes, Geißler tat ungeheuer
-großartig.</p>
-
-<p>Die Herren waren jetzt recht höflich, sie baten Geißler,
-zu entschuldigen, daß sie gestern nach ihm geschickt hätten,
-sie seien von der Reise sehr ermüdet gewesen. Geißler war
-auch wieder höflich, er erwiderte, auch er sei von seiner
-Reise ermüdet gewesen, sonst wäre er hinaufgekommen.
-Ja, aber nun zur Sache: Ob er den Berg auf der Südseite
-des Wassers verkaufen wolle? &mdash; Sind die Herren
-selbst Käufer oder spreche ich mit Zwischenhändlern? &mdash;
-Das war die reine Bosheit von Geißlers Seite, er mußte
-doch sehen, daß diese vornehmen und dicken Herren keine
-Zwischenhändler sein konnten. Dann ging es weiter: Der
-Preis? fragten sie. &mdash; Ja, der Preis! sagte auch Geißler
-und überlegte. Zwei Millionen, sagte er dann. &mdash; Ach
-so, sagten die Herren und lächelten. &mdash; Aber Geißler
-lächelte nicht.</p>
-
-<p>Der Ingenieur und die Sachverständigen hatten so
-obenhin den Berg untersucht, hatten einige Löcher gebohrt
-und gesprengt, und das Ergebnis lautete also: Das Vorkommen
-des Kupfers war auf Eruptionen zurückzuführen,
-die Kupferfunde waren sehr ungleich verteilt, nach
-der vorläufigen Untersuchung waren sie am mächtigsten
-an der Grenze zwischen dem Eigentum der Gesellschaft
-und dem von Geißler, weiterhin nahmen sie wieder ab.
-Auf der letzten halben Meile kam kein abbauwürdiger
-Kupferkies mehr vor.</p>
-
-<p>Geißler hörte diesem Bericht mit der größten Gleichgültigkeit
-zu. Er zog einige Dokumente aus der Tasche, die
-er aufmerksam durchsah, aber es waren keine Karten,
-und Gott weiß, ob sie überhaupt den Kupferberg betrafen.
-&mdash; Es ist nur nicht tief genug gebohrt worden,
-sagte er, als ob er das aus seinen Papieren entnehme.<span class="pagenum"><a name="Seite_318" id="Seite_318">[S. 318]</a></span>
-Das gaben die Herren sofort zu; aber der Ingenieur
-fragte, wie Geißler das wissen könne, er habe ja überhaupt
-gar nicht gebohrt. &mdash; Da lächelte Geißler, als ob
-er mindestens ein paar hundert Meter tief in den Erdball
-hineingebohrt, aber dann die Bohrlöcher unkenntlich gemacht
-habe.</p>
-
-<p>Bis Mittag redeten sie hin und her, dann schauten die
-Herren auf ihre Uhren. Geißler war mit seinen Ansprüchen
-bis auf eine Viertelmillion heruntergegangen,
-aber weiter herunter ging er nicht um Haaresbreite. Nein,
-sie mußten ihn ernstlich verletzt haben, sie gingen von
-der Anschauung aus, daß er gerne verkaufen würde, daß
-er genötigt sei zu verkaufen; aber das war er nicht, hoho,
-konnten sie denn nicht sehen, daß er beinahe ebenso vornehm
-und großartig war wie sie? &mdash; Fünfzehn- bis
-zwanzigtausend seien auch eine schöne Summe, meinten
-die Herren. &mdash; Geißler sagte: Dagegen sei nichts einzuwenden,
-wenn man das Geld gerade nötig habe, aber
-zweihundertundfünfzigtausend seien mehr. &mdash; Da sagte
-einer von den Herren, und er sagte das, um Geißler
-gleichsam niederzudrücken: Eben fällt mir ein, wir sollen
-Sie von Frau Geißlers Verwandten in Schweden grüßen.
-&mdash; Danke! sagte Geißler. &mdash; Apropos! sagte der andere
-Herr, da dies nichts genützt hatte. Eine Viertelmillion!
-Es ist doch aber kein Gold, sondern Kupferkies. &mdash; Geißler
-nickte. Ja, es ist Kupferkies.</p>
-
-<p>Da wurden die Herren alle miteinander ungeduldig,
-fünf Uhrendeckel sprangen auf und klappten wieder zu,
-und jetzt war keine Zeit mehr zum Scherzen, jetzt war
-Mittag. Die Herren verlangten kein Essen auf Sellanraa,
-sie ritten zurück zu den Gruben und speisten dort ihr
-eigenes Essen.</p>
-
-<p>So verlief diese Zusammenkunft.</p>
-
-<p>Geißler blieb allein zurück.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_319" id="Seite_319">[S. 319]</a></span></p>
-
-<p>Was waren das wohl für Überlegungen, die ihn bewegten?
-Vielleicht gar keine, vielleicht war es ihm gleichgültig,
-und er überlegte gar nicht. O nein, er überlegte,
-aber er ließ keinerlei Unruhe merken. Nach dem Mittagessen
-sagte er zu Isak: Ich wollte eigentlich einen weiten
-Gang über meinen Berg machen und hätte wie das letztemal
-Sivert gerne mitgenommen. &mdash; Isak sagte augenblicklich
-zu. &mdash; Nein, er hat anderes zu tun, erklärte
-Geißler. &mdash; Er soll sofort mit Euch gehen, sagte Isak
-und rief Sivert von seiner Maurerarbeit ab. &mdash; Aber
-Geißler hob die Hand und sagte kurz: Nein!</p>
-
-<p>Er trieb sich auf dem ganzen Hof herum, kam auch
-mehrere Male wieder bei den Maurern vorbei und unterhielt
-sich da lebhaft mit ihnen. Daß er das konnte, wo
-ihn doch eben erst so etwas Wichtiges in Anspruch genommen
-hatte! Oh, vielleicht hatte er solange in unsicheren
-Verhältnissen gelebt, daß eigentlich für ihn gar
-nichts mehr auf dem Spiele zu stehen schien, einen schwindelnden
-Sturz würde er auf keinen Fall tun.</p>
-
-<p>Hier stand er nun vor einem reinen Glücksfall. Nachdem
-er das kleine Grubenstück an die Verwandten seiner
-Frau verkauft hatte, ging er stracks hin und kaufte den
-ganzen übrigen Berg; warum hatte er das getan? Wollte
-er die jetzigen Eigentümer dadurch ärgern, daß er ihr
-nächster Nachbar wurde? Ursprünglich hatte er wohl nur
-auf der Südseite des Wassers, da, wohin die Grubenstadt
-kommen mußte, wenn je ein Bergwerk errichtet
-wurde, einen Streifen haben wollen; Eigentümer des
-ganzen Berges aber wurde er, weil ihn dies beinahe nichts
-kostete, und weil er sich die Mühe einer weitläufigen
-Grenzabsperrung sparen wollte. Er wurde Bergkönig aus
-Gleichgültigkeit, ein kleiner Bauplatz für Baracken und
-Maschinenschuppen wurde zu einem Reiche, das bis hinunter
-ans Meer ging.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_320" id="Seite_320">[S. 320]</a></span></p>
-
-<p>In Schweden ging der erste kleine Grubenteil von
-Hand zu Hand, und Geißler hielt sich über dessen Schicksal
-stets unterrichtet. Natürlich hatten die ersten Besitzer
-dumm gekauft, verrückt dumm, der Familienrat war
-nicht sachverständig gewesen, und die Herren hatten sich
-kein genügend großes Stück des Berges gesichert, sie hatten
-nur einen gewissen Geißler abfinden und sich ihn vom
-Halse schaffen wollen. Aber die neuen Besitzer waren
-nicht weniger komische Leute, sie waren gewaltige Männer,
-die sich einen Scherz erlauben und nur so zum Vergnügen,
-etwa bei einem Gelage, kaufen konnten, wer
-weiß! Aber als es nun zu einem Versuchsbetrieb kam
-und Ernst aus der Sache wurde, standen sie plötzlich vor
-einer Mauer: Geißler.</p>
-
-<p>Sie sind Kinder! dachte Geißler vielleicht von seiner
-Höhe herunter, er war sehr mutig und steifnackig geworden.
-Die Herren hatten allerdings versucht, ihn mit
-kaltem Wasser zu begießen, sie hatten geglaubt, vor einem
-Dürftigen zu stehen und deshalb ein Wörtlein von so
-fünfzehn bis zwanzigtausend fallen lassen. Sie waren
-Kinder, sie kannten Geißler nicht. Hier stand er.</p>
-
-<p>Die Herren kamen an diesem Tage nicht mehr vom
-Berg herunter, sie meinten wohl, klug zu handeln, wenn
-sie sich nicht gar so eifrig zeigten. Am nächsten Morgen
-kamen sie indes doch, hatten ihr Packpferd bei sich und
-waren auf der Heimreise. Aber da war Geißler weggegangen.</p>
-
-<p>War Geißler weggegangen?</p>
-
-<p>Die Herren konnten unter diesen Umständen nichts
-vom Pferde aus abmachen, sie mußten absteigen und
-warten. Wohin war Geißler gegangen? Niemand wußte
-es, er ging überall herum, er interessierte sich für Sellanraa,
-zuletzt war er bei dem Sägewerk gesehen worden.
-Die Stafetten wurden ausgesandt, ihn zu suchen, aber er
-mußte wohl weit weggegangen sein, denn er gab keine<span class="pagenum"><a name="Seite_321" id="Seite_321">[S. 321]</a></span>
-Antwort, als er gerufen wurde. Die Herren schauten nach
-ihren Uhren und waren anfänglich sehr ärgerlich und
-sagten: Wir werden doch nicht die Narren sein und warten.
-Wenn Geißler verkaufen will, so soll er auch auf dem
-Platze sein! O ja, aber der große Ärger der Herren legte
-sich, sie warteten, ja, sie wurden scherzhaft, das war ja
-zum Verzweifeln, sie mußten hier an der Grenzscheide
-des Berges über Nacht bleiben. Das geht ja brillant,
-sagten sie. Unsere Angehörigen werden dereinst unsere gebleichten
-Gebeine finden!</p>
-
-<p>Endlich kam Geißler. Er hatte sich auf dem ganzen
-Gute umgesehen, und jetzt kam er eben vom Sommerstall.
-Es kommt mir vor, als ob auch der Sommerstall
-für dich zu klein würde, sagte er zu Isak. Wieviel Stück
-Vieh hast du denn alles in allem da droben? &mdash; So
-konnte er sprechen, obgleich die Herren mit der Uhr in
-der Hand dastanden. Geißler hatte eine merkwürdige
-Röte im Gesicht, als ob er starke Getränke genossen hätte.
-Puh, ist mir von dem Gang warm geworden! sagte er.</p>
-
-<p>Wir hatten einigermaßen erwartet, Sie würden auf
-dem Platze sein, sagte einer der Herren. &mdash; Darum hatten
-mich die Herren nicht gebeten, erwiderte Geißler. Sonst
-wäre ich auf dem Platze gewesen. &mdash; Na, und der Handel?
-Ob Geißler heute ein vernünftiges Gebot annehmen
-wolle? Es würden ihm doch wohl nicht jeden Tag fünfzehn-
-bis zwanzigtausend angeboten, oder doch? &mdash; Diese
-neue Andeutung verletzte Geißler bedeutend. War das
-auch eine Art? Und die Herren hätten sicherlich nicht so
-gesprochen, wenn sie nicht ärgerlich gewesen wären, und
-Geißler wäre nicht auf der Stelle blaß geworden, wenn
-er nicht vorher an einem einsamen Ort gewesen und rot
-geworden wäre. Jetzt erbleichte er und erwiderte kalt:
-Ich will nicht andeuten, was den Herren zu bezahlen vielleicht
-erschwinglich ist, dagegen weiß ich, was ich haben
-will. Ich will das Kindergeschwätz über den Berg nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_322" id="Seite_322">[S. 322]</a></span>
-mehr hören. Mein Preis ist derselbe wie gestern. &mdash; Eine
-Viertelmillion Kronen? &mdash; Ja. &mdash;</p>
-
-<p>Die Herren stiegen zu Pferd.</p>
-
-<p>Jetzt will ich Ihnen etwas sagen, Geißler, begann der
-eine. Wir wollen bis auf fünfundzwanzigtausend gehen.
-&mdash; Sie sind immer noch scherzhaft aufgelegt, erwiderte
-Geißler. Ich will Ihnen einen ernsthaft gemeinten Gegenvorschlag
-machen: Wollen Sie mir Ihr kleines Grubenstückchen
-verkaufen? &mdash; Ja, das lasse sich überlegen,
-sagten die einigermaßen überrumpelten Herren. &mdash; Dann
-werde ich es kaufen, erklärte Geißler.</p>
-
-<p>Oh, dieser Geißler! Der ganze Hof stand voller Menschen,
-die ihn reden hörten, alle Leute von Sellanraa
-und die Maurer und die Herren und die Stafetten; er
-konnte sich vielleicht überhaupt kein Geld zu einem solchen
-Geschäft verschaffen, aber Gott weiß, ob er es nicht
-am Ende doch konnte, wer verstand sich auf ihn! Auf
-jeden Fall brachte er mit seinen wenigen Worten eine
-kleine Revolution unter den Herren hervor. Wollte er
-ihnen ein Schnippchen schlagen? Meinte er, seinen Berg
-durch dieses Vorgehen wertvoller zu machen?</p>
-
-<p>Die Herren überlegten wirklich, die Herren fingen an,
-leise miteinander darüber zu reden, sie stiegen wieder von
-den Pferden. Da mischte sich der Ingenieur in die Sache,
-sie kam ihm wohl zu erbärmlich vor, und er schien auch
-die Macht und die Gewalt dazu zu haben. Jetzt stand
-ja der ganze Hof voll von Leuten, die alle zuhörten. &mdash;
-Wir verkaufen nicht! erklärte er bestimmt. &mdash; Nicht?
-fragten die Herren. &mdash; Nein!</p>
-
-<p>Sie flüsterten ein Weilchen zusammen, dann stiegen
-sie wirklich im Ernst zu Pferd. &mdash; Fünfundzwanzigtausend!
-rief einer der Herren. &mdash; Geißler gab keine
-Antwort, er drehte sich um und ging wieder zu den
-Maurern.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_323" id="Seite_323">[S. 323]</a></span></p>
-
-<p>Und so verlief die letzte Zusammenkunft.</p>
-
-<p>Geißler tat den Folgen gegenüber ganz gleichgültig, er
-ging hin und her und sprach von dem und jenem, jetzt
-war er ganz davon hingenommen, daß die Maurer eben
-gewaltig große Deckenbalken über den ganzen Stall legten.
-Sie wollten noch in dieser Woche mit dem Stall
-fertig werden, es sollte nur ein Notdach errichtet werden,
-später würde man noch einen Heuboden auf den Stall
-aufsetzen.</p>
-
-<p>Isak hielt Sivert von der Arbeit am Stall zurück und
-ließ ihn nichts tun, damit Geißler zu jeder Zeit den jungen
-Mann zu einem Gang in die Berge bereit finde. Das
-war eine unnütze Vorsorge, Geißler hatte seine Absicht
-aufgegeben oder sie vielleicht auch vergessen. Nachdem
-er von Inger etwas Mundvorrat bekommen hatte, schlug
-er gegen Abend den Weg nach dem Dorf hinunter ein
-und blieb über das Abendessen fort.</p>
-
-<p>Er kam an den beiden neuen Ansiedlungen unterhalb
-Sellanraa vorbei und sprach mit den Leuten dort, er kam
-bis nach Maaneland und wollte sehen, was Ström in
-den letzten Jahren ausgerichtet hatte. Es war mit ihm
-nicht so sehr vorwärtsgegangen, aber er hatte doch viel
-Land urbar gemacht. Geißler interessierte sich auch für
-diese Ansiedlung und fragt: Hast du ein Pferd? &mdash; Ja.
-&mdash; Unten, weiter südlich, habe ich eine Mähmaschine und
-einen Reolpflug stehen, neue Sachen, die will ich dir
-schicken. &mdash; Was! rief Axel und konnte sich eine solche
-Freigebigkeit gar nicht vorstellen; er dachte an Abzahlung.
-&mdash; Ich will dir die Geräte schenken, sagte Geißler. &mdash;
-Das ist doch nicht möglich! meinte Axel. &mdash; Aber du mußt
-deinen beiden Nachbarn helfen und ihnen ein Stück Neuland
-umbrechen, verlangte Geißler. &mdash; Das soll nicht
-fehlen, versprach Axel, aber er konnte den ganzen Geißler
-nicht verstehen. So, dann habt Ihr also Grundbesitz
-und Maschinen im Süden? fragte er. &mdash; Geißler ant<span class="pagenum"><a name="Seite_324" id="Seite_324">[S. 324]</a></span>wortete:
-Ach, ich habe gar vielerlei. &mdash; Seht, das hatte
-Geißler vielleicht gar nicht, er hatte nicht vielerlei Geschäfte,
-aber er tat oft so. Diese Mähmaschine und diesen
-Reolpflug brauchte er ja nur in irgendeiner Stadt zu
-kaufen und heraufzuschicken.</p>
-
-<p>Er hatte ein langes Gespräch mit Axel Ström über
-die andern Ansiedler in der Gegend, über das Handelshaus
-Storborg, über Axels Bruder, einen jung verheirateten
-Mann, der jetzt nach Breidablick gekommen war und
-angefangen hatte, die Moore zu entwässern. Axel beklagte
-sich darüber, daß keine weibliche Hilfe zu bekommen
-sei, er habe nur eine alte Frau namens Oline, sie
-sei nicht viel nütze, aber er müsse doch froh sein, solange
-er sie halten könne. Im Sommer habe er eine Zeitlang
-Tag und Nacht arbeiten müssen. Er hätte vielleicht eine
-weibliche Hilfe aus seinem Heimatort, aus Helgeland,
-bekommen können, aber dann hätte er ihr außer dem
-Lohn auch noch das Reisegeld bezahlen müssen. Er habe
-Ausgaben nach allen Seiten. Axel erzählte weiter, daß
-er die Aufsicht über die Telegraphenlinie übernommen
-habe, aber das reue ihn einigermaßen. &mdash; Das ist etwas
-für Leute wie Brede, sagte Geißler. &mdash; Ja, das ist sehr
-richtig gesagt, gab Axel zu. Aber es war wegen des Geldes.
-&mdash; Wie viele Kühe hast du? fragte Geißler. &mdash;
-Vier. Und einen jungen Stier. Es ist sehr weit bis nach
-Sellanraa zum Stier.</p>
-
-<p>Aber eine viel wichtigere Sache, die er mit Geißler besprechen
-wollte, lag Axel Ström auf dem Herzen. Es
-war jetzt eine Untersuchung im Gang gegen Barbro. Ja,
-natürlich war die Sache herausgekommen. Barbro war
-guter Hoffnung gewesen, aber sie war frank und frei
-und ohne Kind von hier abgereist. Wie hing das zusammen?
-Als Geißler vernahm, um was es sich handelte,
-sagte er kurz und gut: Komm mit! und führte Axel
-weit von den Gebäuden weg. Dann setzte er eine äußerst<span class="pagenum"><a name="Seite_325" id="Seite_325">[S. 325]</a></span>
-wichtige Miene auf und benahm sich wie eine Art Obrigkeit.
-Sie ließen sich am Waldessaum nieder, und Geißler
-sagte: So, nun laß mich hören!</p>
-
-<p>Natürlich war die Sache herausgekommen, wie hätte
-es auch anders gehen können! Die Gegend war nicht mehr
-menschenleer, und außerdem war Oline gekommen. Was
-hatte Oline mit der Sache zu tun? Oh, die! Und außerdem
-hatte sich Brede mit ihr verkracht. Jetzt war an
-Oline nicht mehr länger vorbeizukommen, sie wohnte an
-Ort und Stelle und konnte Axel selbst allmählich ausforschen;
-sie lebte ja für verdächtige Sachen, ja sie lebte
-zum Teil davon, da war also wieder etwas mit der richtigen
-Witterung! Eigentlich war Oline jetzt zu alt, um
-Haus und Vieh auf Maaneland zu versorgen, sie hätte
-es aufgeben sollen, aber konnte sie das? Hätte sie einen
-Ort, wo ein so großes Geheimnis verborgen lag, ruhig
-verlassen können? Sie brachte die Winterarbeit fertig,
-ja sie schindete sich auch noch den Sommer hindurch, es
-kostete sie große Anstrengung, und sie hielt sich nur durch
-die Aussicht aufrecht, einer Tochter von Brede etwas nachweisen
-zu können. Kaum fing im Frühjahr der Schnee
-an zu schmelzen, so schnupperte Oline bereits in der Gegend
-umher, sie fand den kleinen Hügel am Bach und
-erkannte sofort, daß der Rasen in Stücken aufgelegt war;
-sie hatte auch eines Tages das Glück gehabt, Axel zu
-treffen, wie er das kleine Grab festtrat und es ebnete.
-Axel wußte also auch von der Sache. Oline nickte mit
-ihrem grauen Kopf, jetzt war ihre Zeit gekommen.</p>
-
-<p>Nicht Axels wegen. Axel war gar kein unguter Mann,
-um bei ihm zu sein, aber er war sehr genau und zählte
-seine Käse und wußte Bescheid von jedem Büschel Wolle.
-Oline hatte durchaus nicht freie Hand. Und bei der Rettung
-letztes Jahr, hatte sich Axel da als Herr gezeigt und
-sich freigebig erwiesen? Nein, im Gegenteil, er bestand
-auf seiner Teilung des Triumphes. Jawohl, sagte er,<span class="pagenum"><a name="Seite_326" id="Seite_326">[S. 326]</a></span>
-wäre Oline nicht gekommen, so hätte er in der Nacht erfrieren
-müssen, aber Brede sei ihm auf dem Heimweg
-auch eine gute Hilfe gewesen! Das war der Dank! Oline
-meinte, da müsse sich der Allmächtige über die Menschen
-empören! Hätte nicht Axel eine Kuh am Strick ergreifen,
-sie herausführen und sagen können: Das ist deine Kuh,
-Oline! Aber nein.</p>
-
-<p>Jetzt kam's darauf an, ob es ihn nicht mehr kosten
-würde als eine Kuh.</p>
-
-<p>Den Sommer über paßte Oline jeden einzelnen Menschen
-ab, der vorbeiging, sie flüsterte mit ihm und nickte
-und vertraute sich ihm an. Aber kein Wort weitersagen!
-gebot sie. Oline war auch ein paarmal drunten im Dorf.
-Und nun schwirrte es mit Gerüchten in der Gegend, die
-waren wie ein Nebel, der sich um die Gesichter legt und
-in die Ohren dringt, selbst die Kinder, die auf Breidablick
-in die Schule gingen, fingen an zu nicken und geheimnisvoll
-zu tun. Schließlich mußte sich auch der Lensmann
-rühren, mußte Bericht erstatten und seine Befehle entgegennehmen.
-Eines Tages kam er mit einem Begleiter
-und einem Protokoll nach Maaneland und untersuchte
-und schrieb und ging wieder heim. Aber drei Wochen danach
-kam er wieder und untersuchte und schrieb noch mehr,
-und diesmal öffnete er auch einen kleinen grünen Hügel
-am Bach und holte die Kindesleiche heraus. Oline war
-ihm dabei eine unentbehrliche Hilfe, und als Entgelt für
-ihre Mühe mußte er ihre vielen Fragen beantworten, und
-da sagte er unter anderem auch, ja, es könnte schon die
-Rede davon sein, Axel zu verhaften. Da schlug Oline die
-Hände zusammen über all die Schändlichkeit, in die sie
-hier hineingekommen sei, und wünschte sich weg, weit
-weg! Aber sie, die Barbro? flüsterte sie. &mdash; Das Mädchen
-Barbro sitzt verhaftet in Bergen, sagte der Lensmann. Die
-Gerechtigkeit muß ihren Gang gehen, sagte er. Dann
-nahm er die Leiche mit sich und fuhr wieder fort.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_327" id="Seite_327">[S. 327]</a></span></p>
-
-<p>Es war also nicht verwunderlich, daß Axel in großer
-Spannung war. Er hatte dem Lensmann seine Aussagen
-gemacht und nichts geleugnet. Das Kind war sein, und
-er hatte ihm mit eigener Hand ein Grab gegraben. Nun
-erkundigte er sich bei Geißler, wie es wohl weitergehen
-werde. Er müsse wohl in die Stadt und ein viel schlimmeres
-Verhör und sonstige Widerwärtigkeiten erdulden?</p>
-
-<p>Geißler war nicht mehr der gleiche wie zuvor, nein,
-die umständliche Erzählung hatte ihn ermüdet, er schien
-schläfrig zu werden &mdash; was nun auch der Grund sein
-mochte; ob vielleicht der Geist vom Morgen nicht mehr
-über ihm war? Er sah auf seine Uhr, stand auf und sagte:
-Das muß gründlich überlegt werden, ich will darüber
-nachdenken. Du sollst meine Antwort bekommen, ehe ich
-abreise.</p>
-
-<p>Damit ging Geißler.</p>
-
-<p>Gegen Abend kam er nach Sellanraa zurück, aß ein
-wenig und ging zu Bett. Er schlief bis tief in den Tag
-hinein, schlief und ruhte aus; er war wohl ermattet nach
-der Zusammenkunft mit den schwedischen Grubenbesitzern.
-Erst zwei Tage nachher machte er sich zur Abreise fertig.
-Da war er wieder großartig und überlegen, bezahlte reichlich
-und schenkte der kleinen Rebekka ein neues Kronenstück.</p>
-
-<p>Isak hielt er eine Rede und sagte: Es ist ganz einerlei,
-daß es jetzt nicht zu einem Verkauf gekommen ist, das
-wird schon noch werden. Vorläufig lege ich den Betrieb
-dort oben lahm. Das waren rechte Kinder, sie meinten
-mich übers Ohr hauen zu können. Hast du gehört, daß
-sie mir fünfundzwanzigtausend boten? &mdash; Ja, sagte Isak.
-&mdash; Nun, erwiderte Geißler und scheuchte mit einer Kopfbewegung
-jede Art von Schandangebot und jegliches
-Staubkorn weit weg. Es schadet dem Bezirk hier oben gar
-nichts, wenn ich den Betrieb lahmlege, im Gegenteil, es
-wird die Leute veranlassen, ihr Land zu bebauen. Aber<span class="pagenum"><a name="Seite_328" id="Seite_328">[S. 328]</a></span>
-drunten im Dorf, da wird man's merken. Es ist ja im
-Sommer viel Geld unter die Leute gekommen, schöne
-Kleider und süßen Brei gab's für jedermann; damit ist
-es jetzt aus. Siehst du, das Dorf hätte wohl gut Freund
-mit mir sein können, dann wäre es vielleicht anders gegangen.
-Jetzt habe <em class="gesperrt">ich</em> zu bestimmen.</p>
-
-<p>Er sah nun allerdings nicht so aus, als habe er über
-viel zu gebieten; als er ging, trug er ein Päckchen mit
-Mundvorrat in der Hand, und seine Weste war nicht mehr
-blendend weiß. Vielleicht hatte ihn seine gute Frau mit
-dem Rest der vierzigtausend Kronen, die sie einmal erhalten
-hatte, für diese Reise ausgestattet, Gott weiß, ob
-das nicht der Fall war. Aber nun kommt er kahl heim!</p>
-
-<p>Geißler vergaß nicht, auf dem Heimweg bei Axel
-Ström einzutreten und ihm Bescheid zu sagen. Ich habe
-darüber nachgedacht, die Sache ist nun einmal im Gang,
-du kannst jetzt nichts tun. Du wirst zu einem Verhör vorgeladen
-werden und mußt deine Aussagen machen ...
-Das war nur so ein Gerede, Geißler hatte vielleicht gar
-nicht mehr an die Sache gedacht. Und Axel sagte niedergeschlagen
-zu allem ja. Zum Schluß aber blies sich Geißler
-wieder zu einem gewaltigen Mann auf, er zog die
-Brauen hoch und sagte nachdenklich: Ob ich vielleicht in
-die Stadt kommen und bei der Verhandlung anwesend
-sein könnte? &mdash; Ach ja, wenn Ihr das könntet! rief Axel.
-&mdash; Im nächsten Augenblick entschied Geißler: Ich will
-sehen, ob ich nicht Zeit finden kann. Für heute leb wohl!
-Ich werde dir die Maschinen schicken.</p>
-
-<p>Geißler ging.</p>
-
-<p>Ob das nun wohl seine letzte Reise in die Gegend gewesen
-war?</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_329" id="Seite_329">[S. 329]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>6</h3>
-
-
-<p>Die letzte Gruppe von Arbeitern kommt vom Berg
-herunter, der Betrieb hat völlig aufgehört, jetzt
-liegt der Berg wieder verödet da. Auch der gemauerte
-Stall auf Sellanraa ist nun fertig. Er hat ein
-Notdach aus Rasenstücken für den Winter bekommen.
-Der große Raum ist in einzelne kleinere Räume eingeteilt,
-helle Räume, ein gewaltig großer Salon in der Mitte
-und große Kabinette an den beiden Enden, ja, es ist gerade
-wie für die Menschen. Isak hat einmal hier auf dem
-Platz mit einigen Geißen zusammen in einer Gamme gewohnt;
-jetzt ist auf Sellanraa keine Gamme mehr zu
-finden.</p>
-
-<p>Der Stall wird mit Abteilungen, mit Ständen und
-Holzverschlägen eingerichtet. Damit das alles rasch fertig
-wird, sind die beiden Maurer immer noch da, aber Gustaf
-sagt, er verstehe nichts von der Holzarbeit, und will nun
-weiter. Gustaf hat sich bei der Maurerarbeit als sehr
-brauchbar erwiesen und hat Lasten gehoben wie ein Bär.
-Abends war er allen zur Freude und Aufmunterung gewesen;
-er hatte die Mundharmonika gespielt und hatte
-außerdem den Frauen geholfen, schwere Kufen hinunter
-an den Fluß und wieder heraufzutragen. Aber jetzt will
-er abreisen. Nein, die Holzarbeit verstehe er nicht, sagt er.
-Es ist gerade, als ob er durchaus fort wolle.</p>
-
-<p>Du könntest wohl noch bis morgen bleiben, sagt Inger.
-&mdash; Nein, es gebe jetzt hier keine Arbeit mehr für ihn, und
-er habe auch in den letzten Grubenarbeitern Begleitung
-übers Gebirge. &mdash; Wer wird mir jetzt beim Wasserholen
-helfen? sagt Inger und lächelt wehmütig dabei. &mdash; Da
-weiß der flinke Gustaf sofort einen guten Rat; er nennt
-Hjalmar. &mdash; Hjalmar war der jüngste von den beiden
-Maurern, aber keiner von beiden war so jung wie Gustaf
-oder sonst im mindesten wie er. &mdash; Ach was, der Hjal<span class="pagenum"><a name="Seite_330" id="Seite_330">[S. 330]</a></span>mar!
-erwidert Inger verächtlich. Aber plötzlich faßt sie
-sich und will Gustaf reizen und sagt: Jawohl, der Hjalmar
-ist gar nicht so übel. Und draußen auf dem Felsblock
-singt er schön. &mdash; Ein Tausendsassa! sagt Gustaf, ohne
-sich reizen zu lassen. &mdash; Aber er könne doch die Nacht
-über noch bleiben, meint Inger. &mdash; Nein, dann ginge er
-der Begleitung verlustig.</p>
-
-<p>Oh, nun war Gustaf der Sache überdrüssig geworden.
-Es war ja prächtig gewesen, sie den Kameraden vor der
-Nase wegzuschnappen und sie die paar Wochen über, die
-er da arbeitete, zu haben. Aber nun wollte er weiter, an
-andere Arbeit, vielleicht zu einer Liebsten daheim, das
-waren neue Aussichten. Sollte er sich Ingers wegen hier
-ohne Arbeit umhertreiben? Er hatte so gute Gründe, ein
-Ende zu machen, daß es Inger doch wohl einsehen mußte.
-Aber sie war so keck geworden, dachte an keine Verantwortung
-mehr und kümmerte sich um nichts. Sehr lange
-war es allerdings nicht so zwischen den beiden gewesen,
-aber doch so lange, als die Maurerarbeit währte.</p>
-
-<p>Inger ist wirklich traurig, ja, sie geht in ihrer verirrten
-Treue so weit, daß sie sich grämt. Das ist nicht gut für
-sie, sie ist ohne Getue, einfach offen und ehrlich verliebt.
-Nein, sie schämt sich dessen nicht, sie ist ein kraftstrotzendes
-Weib voller Schwachheit, sie geht nur mit der Natur
-um sie her, sie ist voller Herbstglut. Während sie etwas
-Mundvorrat für Gustaf zusammenpackt, wogt ihr der
-Busen vor heftigen Gefühlen. Sie denkt nicht darüber
-nach, ob sie ein Recht dazu hat, oder ob Gefahr dabei
-sein könnte, sie gibt sich einfach hin, sie ist gierig geworden,
-zu schmecken, zu genießen. Isak könnte sie noch einmal
-bis an die Decke heben und sie dann wieder auf den
-Boden stoßen &mdash; jawohl, sie enthielte sich dennoch nicht.</p>
-
-<p>Nun geht sie mit ihrem Mundvorrat hinaus und gibt
-ihn ab. Sie hatte neben der Treppe eine Kufe zurechtgestellt,
-die ihr Gustaf zum letztenmal an den Fluß hin<span class="pagenum"><a name="Seite_331" id="Seite_331">[S. 331]</a></span>untertragen
-helfen sollte. Vielleicht wollte sie ihm noch
-etwas sagen, vielleicht ihm etwas zustecken, den goldenen
-Ring, Gott weiß, es ist ihr alles zuzutrauen. Aber das
-muß jetzt ein Ende haben, Gustaf dankt für den Mundvorrat,
-sagt Lebewohl und geht. Und geht.</p>
-
-<p>Da steht sie.</p>
-
-<p>Hjalmar! ruft sie laut, ganz unnötig laut. Es klingt
-wie ein trotziger Jubelruf, wie ein Notschrei.</p>
-
-<p>Gustaf geht ...</p>
-
-<p>Den Herbst über wird nun in der ganzen Gegend bis
-zum Dorf hinunter die gewöhnliche Arbeit getan; die
-Kartoffeln werden herausgehackt, das Korn hereingeschafft,
-die Kühe werden auf die Weide gelassen. Es sind
-acht Ansiedlungen, und überall drängt die Arbeit; aber
-auf dem Handelsplatz Storborg haben sie kein Vieh und
-kein bestelltes Land, sie haben nur einen Garten, und
-Handel haben sie auch keinen mehr, auf Storborg gibt's
-keine dringende Arbeit.</p>
-
-<p>Auf Sellanraa haben sie eine neue Hackfrucht, die Turnips
-heißt, die steht grün und riesengroß da und weht mit
-den Blättern, und es ist ganz unmöglich, die Kühe davon
-fernzuhalten, diese brechen alle Gatter nieder und stürmen
-brüllend darauf zu. Darum müssen nun Leopoldine
-und die kleine Rebekka das Turnipsfeld hüten, die kleine
-Rebekka hat eine große Rute in der Hand und jagt die
-Kühe mit wütendem Eifer. Der Vater arbeitet in der
-Nähe, und von Zeit zu Zeit kommt er her, befühlt ihre
-Hände und Füße und fragt, ob sie nicht friere. Leopoldine,
-die groß und beinahe erwachsen ist, strickt beim Hüten
-Strümpfe und Socken für den Winter. Sie ist in Drontheim
-geboren und war fünf Jahre alt, als sie nach Sellanraa
-kam; die Erinnerung an eine große Stadt mit
-vielen Menschen und an eine weite Reise auf dem Dampfschiff
-gleitet bei ihr immer mehr in den Hintergrund, sie
-ist ein Landkind und kennt keine andere große Welt als<span class="pagenum"><a name="Seite_332" id="Seite_332">[S. 332]</a></span>
-das Dorf dort unten, wo sie einige Male in der Kirche
-gewesen und wo sie letztes Jahr konfirmiert worden ist ...</p>
-
-<p>Jetzt kommen einige Nebenarbeiten an die Reihe, so
-der Weg abwärts, der an einigen Stellen kaum fahrbar
-ist. Da die Erde noch nicht gefroren ist, fangen Isak
-und Sivert eines schönen Tages an, an dem Wege Gräben
-zu ziehen. Es sind noch zwei Stücke Moorland da,
-die entwässert werden müssen.</p>
-
-<p>Axel Ström hat versprochen, sich an dieser Arbeit zu
-beteiligen, weil auch er ein Pferd hat und den Weg
-braucht. Aber nun hat Axel ein dringendes Geschäft in der
-Stadt &mdash; was in aller Welt wollte er denn dort &mdash;,
-es sei eine ganz dringende Sache, sagte er. Statt seiner
-schickt er seinen Bruder von Breidablick zu dem Wegbau.
-Fredrik heißt er.</p>
-
-<p>Dieser Mann war jung und neu verheiratet, ein leichtlebiger
-Kunde, der gerne sein Späßchen macht und trotzdem
-brauchbar ist. Er und Sivert sind einander recht
-ähnlich. Nun war Fredrik, als er morgens heraufkam,
-bei seinem nächsten Nachbarn Aronsen auf Storborg gewesen
-und noch ganz erfüllt von dem, was ihm der Kaufmann
-gesagt hatte. Es hatte damit angefangen, daß Fredrik
-eine Rolle Tabak verlangte. Ich werde dir eine Rolle
-Tabak verehren, wenn ich selbst eine habe, sagte Aronsen.
-&mdash; So, habt Ihr nicht einmal mehr Tabak? &mdash; Nein, und
-ich lasse auch keinen mehr kommen, es ist ja niemand
-mehr da, der ihn kauft. Was meinst du denn, daß ich an
-einer Rolle Tabak verdiene? Aronsen war in recht schlechter
-Laune gewesen, er war der Ansicht, die schwedische
-Grubengesellschaft habe ihn an der Nase herumgeführt.
-Nun hatte er sich hier in der Einöde niedergelassen, um
-Handel zu treiben, und da wurde der Grubenbetrieb eingestellt!</p>
-
-<p>Fredrik lächelt behaglich über Aronsen und spottet über
-ihn: Nein, er hat gar kein Land bestellt und hat nicht ein<span class="pagenum"><a name="Seite_333" id="Seite_333">[S. 333]</a></span>mal
-Futter für sein Vieh, das kauft er! Er ist bei mir
-gewesen und wollte Heu kaufen. Nein, ich hatte kein
-Heu zu verkaufen. So, du brauchst also kein Geld? fragte
-er, der Aronsen. Er meint, es sei alles, wenn man nur
-Geld habe, warf einen Hundertkronenschein auf den Tisch
-und sagte: Da ist Geld. &mdash; Ja, Geld ist etwas Schönes,
-sagte ich. &mdash; Das ist bom konstant, sagte er. Es ist gerade,
-als sei er ab und zu ein bißchen närrisch, und seine Frau
-läuft am hellen Werktag mit einer Taschenuhr umher &mdash;
-was das nur für eine wichtige Stunde sein mag, die sie
-nicht vergessen darf.</p>
-
-<p>Sivert fragt: Hat der Aronsen nichts von einem Mann
-gesagt, der Geißler heißt? &mdash; Doch, das sei einer, der
-seinen Berganteil nicht verkaufen wolle, sagte er. Aronsen
-war rasend: Ein abgesetzter Lensmann, sagte er, der vielleicht
-keine fünf Kronen im Beutel hat, er sollte totgeschossen
-werden! &mdash; Ihr müßt nur ein wenig warten,
-sagte ich. Vielleicht verkauft er später. &mdash; Nein, sagte
-der Aronsen, das darfst du nicht glauben. Das begreife
-ich als Kaufmann ganz gut, wenn die eine Partei zweihundertfünfzigtausend
-verlangt und die andere fünfundzwanzigtausend
-bietet, dann steht zuviel zwischen ihnen,
-das gibt kein Geschäft. Aber Glück zu! sagte der Aronsen,
-wenn nur ich mit den Meinigen den Fuß niemals in dieses
-Loch gesetzt hätte. &mdash; Ja, denkt Ihr vielleicht daran,
-zu verkaufen? fragte ich. &mdash; Ja, sagte er, genau an das
-denke ich. Diese Moorsümpfe, dieses Loch und diese Einöde!
-Ich nehme ja keine Krone mehr am Tag ein,
-sagte er.</p>
-
-<p>Die Männer lachten über Aronsen und hatten keinerlei
-Mitleid mit ihm. Glaubst du, daß er wirklich verkauft?
-fragte Isak. &mdash; Ja, er tat so. Und er hat auch
-schon den Knecht entlassen. Ja, der Aronsen ist ein komischer
-Kerl, das ist gewißlich wahr. Den Knecht entläßt
-er, der das Holz für den Winter schlagen und mit seinem<span class="pagenum"><a name="Seite_334" id="Seite_334">[S. 334]</a></span>
-eigenen Pferd Heu einführen könnte, aber den Ladendiener
-behält er. Es ist wohl wahr, er verkauft nicht für
-eine Krone am Tag, denn er hat keine Waren mehr in
-seinem Laden, aber wozu braucht er dann den Ladendiener?
-Ich glaube, es ist nur Hochmut, Großtuerei. Er
-muß einen Mann haben, der am Pult steht und in große
-Bücher schreibt. Hahaha, ja, es ist gerade, als ob der
-Aronsen ein ganz klein wenig verrückt wäre.</p>
-
-<p>Die drei Männer arbeiten bis zur Mittagsstunde, verzehren
-dann ihr mitgebrachtes Essen und plaudern noch
-ein Weilchen. Sie haben ihre eigenen Angelegenheiten zu
-bereden, das Wohl und Wehe der Gegend und der Ansiedler,
-das sind keine Kleinigkeiten, aber sie behandeln
-sie mit Gelassenheit, sie sind gesetzte Männer, ihre Nerven
-sind unverbraucht und tun nicht, was sie nicht tun
-sollten. Nun kommt das Spätjahr, rundum im Wald
-ist es still geworden, die Berge stehen hier und die Sonne
-steht dort, am Abend kommen die Sterne und der Mond,
-das sind alles feste Verhältnisse, sie sind voller Freundlichkeit
-wie eine Umarmung. Hier haben die Menschen
-noch Zeit, sich im Heidekraut auszuruhen, mit dem einen
-Arm als Kopfkissen.</p>
-
-<p>Fredrik spricht von Breidablick und daß er dort noch
-nicht viel habe ausrichten können. Doch, sagte Isak, du
-hast schon viel getan, das hab' ich gesehen, als ich drunten
-war. &mdash; Dieses Lob von dem ältesten Ansiedler in der
-Gegend, dem Riesen, tut Fredrik augenscheinlich wohl,
-er fragt ehrlich: Meint Ihr wirklich? Nein, es muß
-immer noch besser kommen. Ich bin in diesem Jahr sooft
-abgehalten worden. Das Wohnhaus mußte hergerichtet
-werden, es war nicht dicht und wurde immer schlimmer,
-und den Heuschuppen mußte ich einreißen und neu aufstellen.
-Die Stallgamme war zu klein, ich habe Kühe
-und Kälber, was der Brede zu seiner Zeit nicht gehabt
-hat, sagt Fredrik stolz. &mdash; Gefällt es dir hier? fragt<span class="pagenum"><a name="Seite_335" id="Seite_335">[S. 335]</a></span>
-Isak. &mdash; Ja, mir gefällt es, und meiner Frau gefällt es
-auch, warum sollte es uns nicht gefallen? Wir haben
-einen weiten Blick und sehen die Straße hinauf und hinunter.
-Das kleine Gehölz beim Hause ist nach unserer
-Meinung sehr hübsch, es sind Birken und Weiden darin,
-und wenn ich Zeit habe, will ich auf der andern Seite des
-Hofplatzes noch mehr Bäume pflanzen. Es ist großartig,
-wie trocken das Moor schon geworden ist, seit ich im
-Frühjahr Gräben gezogen habe. Nun wollen wir sehen,
-was heuer darauf wächst! Ob es uns gefällt? O ja, wenn
-doch meine Frau und ich Haus und Hof und Grund
-und Boden haben! &mdash; Na, wollt ihr immer nur zu zweit
-bleiben? fragt Sivert listig. &mdash; Nein, weißt du, es kann
-wohl sein, daß wir mehr werden, erwidert Fredrik munter.
-Und wenn wir schon davon reden, ob es uns hier gefällt,
-so habe ich meine Frau noch nie so gedeihlich gesehen
-wie jetzt.</p>
-
-<p>Sie arbeiten bis zum Abend. Zuweilen richten sie sich
-auf und schwatzen miteinander. Du hast also keinen Tabak
-bekommen? fragt Sivert. &mdash; Nein, und das tat mir
-auch nicht leid. Ich rauche nicht, erwidert Fredrik. &mdash; Du
-rauchst nicht? &mdash; Nein. Ich bin zu dem Aronsen nur hingegangen,
-um zu hören, was er sagt. Da lachten die beiden
-Spitzbuben und freuten sich diebisch.</p>
-
-<p>Auf dem Heimweg sind Vater und Sohn schweigsam
-wie gewöhnlich. Aber Isak muß sich etwas ausgedacht
-haben, denn er sagt: Du, Sivert? &mdash; Ja? erwidert
-Sivert. &mdash; Ach, nichts Besonderes, sagt Isak. &mdash; Sie
-gehen eine lange Strecke weiter, dann spricht der Vater
-wieder: Kann denn Aronsen Handel treiben, wenn er
-keine Waren mehr hat? &mdash; Nein, sagt Sivert. Aber es
-sind jetzt nicht mehr viele Menschen da, für die er Waren
-braucht. &mdash; So, meinst du? Ja, du kannst recht haben. &mdash;
-Sivert wundert sich ein wenig über diese Worte seines
-Vaters, und dieser fährt fort: Es sind jetzt allerdings<span class="pagenum"><a name="Seite_336" id="Seite_336">[S. 336]</a></span>
-nur acht Ansiedlungen hier, aber es können mehr und
-immer mehr werden. Wer weiß! &mdash; Sivert wundert sich
-noch mehr, woran denkt sein Vater? Oh, an nichts. Wieder
-gehen die beiden eine lange Strecke weiter und sind
-beinahe zu Hause. Da fragt der Alte: Hm. Was meinst
-du wohl, daß der Aronsen für den Hof haben will? &mdash;
-Ja, das kommt nun darauf an! antwortet Sivert. Willst
-du ihn kaufen? sagt er im Spaß. Aber plötzlich geht ihm
-ein Licht auf, wo sein Vater hinaus will: An Eleseus
-denkt der Alte. Oho, er hat ihn wohl nie vergessen gehabt,
-er hat ebenso getreulich an ihn gedacht wie die
-Mutter, nur auf seine eigene Weise, näher bei der Erde
-und auch näher bei Sellanraa. Da sagt Sivert: Der
-Preis wird wohl erschwinglich sein. Und als Sivert so viel
-gesagt hat, da merkt der Vater seinerseits, daß er verstanden
-worden ist, und wie wenn er Angst hätte, zu
-deutlich geworden zu sein, sagt er nun schnell ein paar
-Worte über den Wegbau und daß es gut sei, den hinter
-sich zu haben.</p>
-
-<p>In den nächsten Tagen steckten Sivert und seine Mutter
-die Köpfe zusammen, sie ratschlagten und hatten viel
-zu flüstern, auch schrieben sie einen Brief, und als der
-Samstag kam, bezeigte Sivert Lust, ins Dorf zu gehen.
-&mdash; Was willst du denn schon wieder im Dorfe? du läufst
-nur unnötig deine Schuhe durch, sagte der Vater sehr
-ärgerlich, oh, viel grimmiger im Gesicht, als natürlich
-gewesen wäre; er merkte wohl, daß Sivert auf die Post
-wollte. &mdash; Ich will in die Kirche, sagte Sivert. &mdash; Einen
-besseren Grund fand er nicht, und der Vater sagte: Ja,
-wenn es nicht anders sein kann.</p>
-
-<p>Aber wenn Sivert schon einmal in die Kirche wollte,
-dann konnte er auch einspannen und die kleine Rebekka
-mitnehmen. Der kleinen Rebekka konnte man doch wirklich
-zum erstenmal in ihrem Leben dieses Vergnügen
-machen, sie hatte ja so eifrig das Turnipsfeld gehütet<span class="pagenum"><a name="Seite_337" id="Seite_337">[S. 337]</a></span>
-und war im großen ganzen die Blüte und die Perle von
-allen auf dem Hofe; ja, das war sie. Es wurde also angespannt,
-und Rebekka bekam die Magd Jensine zur Begleitung
-mit &mdash; wogegen Sivert nichts einzuwenden
-hatte.</p>
-
-<p>Während sie fort sind, geschieht es, daß der Ladendiener
-von Storborg daherkommt. Was nun? Ei, nichts
-Besonderes, nur daß ein Ladendiener, ein Mann namens
-Andresen daherkommt; er soll in die Berge hinauf, sein
-Herr schickt ihn. Weiter ist es nichts. Und dieses Geschehnis
-bringt auch keine große Aufregung auf Sellanraa
-hervor, es ist nicht wie in alten Tagen, wo ein Fremder
-ein seltener Anblick auf der Ansiedlung war und Inger
-sich mehr oder minder darüber aufregte. Nein, Inger
-ist wieder in sich gegangen und ist still und ruhig.</p>
-
-<p>Ein merkwürdiges Ding, dieses Andachtsbuch, ein
-Führer, ja, ein Arm um den Hals! Als Inger sich selbst
-verloren hatte und in den Beeren irregegangen war,
-fand sie sich wieder beim Gedanken an ihre Kammer und
-an das Andachtsbuch, und zurzeit war sie wieder in sich
-versunken und gottesfürchtig. Sie gedenkt der längst verflossenen
-Jahre, als sie, wenn sie nähte und sich in den
-Finger stach, der Teufel auch! sagte. Das lernte sie von
-ihren Mitschwestern an dem großen Tisch in der Nähstube.
-Jetzt sticht sie sich mit der Nadel, daß es blutet,
-und saugt schweigsam das Blut aus. Es gehört nicht
-wenig Überwindung zu solcher Umkehr! Aber Inger ging
-noch weiter. Als der steinerne Stall fertiggebaut war
-und alle Arbeiter sich entfernt hatten und ganz Sellanraa
-wieder einsam und verlassen dalag, da hatte Inger
-eine Krisis und weinte viel und litt schwere Not. Sie
-bürdete niemand als sich selbst die Schuld dafür auf,
-und sie war tief demütig. Wenn sie nur mit Isak hätte
-reden und sich das Herz erleichtern können; aber auf
-Sellanraa sprach niemand von seinen Gefühlen, und nie<span class="pagenum"><a name="Seite_338" id="Seite_338">[S. 338]</a></span>mand
-bekannte seine Fehler. So holte sie ihren Mann
-sehr fürsorglich zu den Mahlzeiten herein; sie ging dazu
-bis zu ihm hin und forderte ihn auf, statt nur unter
-der Haustür zu rufen, und abends sah sie seine Kleider
-durch und nähte die Knöpfe an. Ja, Inger ging sogar
-noch weiter. Eines Nachts stützte sie sich auf den Ellbogen
-und sagte: Du, Isak. &mdash; Was gibt's? fragt Isak.
-&mdash; So, wachst du? &mdash; Ja. &mdash; Ach, nichts Besonderes,
-sagt Inger. Aber ich bin nicht gewesen, wie ich hätte sein
-sollen. &mdash; Was? fragt Isak. Das entfuhr ihm, und auch
-er richtete sich auf den Ellbogen auf. Dann redeten sie
-weiter miteinander, sie ist nun eben doch eine prächtige
-Frau und hat das Herz voll. Ich bin nicht so gegen dich
-gewesen, wie ich hätte sein sollen, sagt sie. Das tut mir
-sehr leid. &mdash; Diese einfachen Worte rühren ihn, sie rühren
-den Mühlengeist, und er will Inger gerne trösten;
-er versteht zwar nichts von der Sache, versteht nur so
-viel, daß es keine mehr gibt wie sie. &mdash; Deshalb brauchst
-du nicht zu weinen, sagt Isak. Wir sind alle nicht, wie wir
-sein sollten. &mdash; Ach nein, sagt sie dankbar. Oh, Isak
-hatte eine gesunde Art, die Dinge zu behandeln, er richtete
-sie wieder auf, wenn sie umfallen wollten. Wer ist,
-wie er sein sollte! Er hatte recht; der Gott des Herzens
-selbst, der doch ein Gott ist, geht auf Abenteuer aus,
-und wir können es ihm ansehen, dem Wildfang: an einem
-Tag taucht er in einen Rosenreichtum unter und wiegt
-sich wohlig darin und leckt sich die Lippen, am anderen
-Tag hat er sich einen Dorn in den Fuß getreten und zieht
-ihn mit verzweifeltem Gesicht heraus. Stirbt er daran?
-Oh, keine Spur. Er ist so gesund wie vorher. Das wäre
-was Schönes, wenn er daran stürbe!</p>
-
-<p>Auch mit Inger kam das alles wieder in die Reihe, sie
-überwindet es, aber sie bleibt bei ihren Andachtstunden
-und findet ihren Trost darin. Inger ist jeden Tag fleißig
-und geduldig und herzensgut, sie schätzt Isak vor allen<span class="pagenum"><a name="Seite_339" id="Seite_339">[S. 339]</a></span>
-Männern und wünscht sich keinen andern als ihn. Natürlich
-ist er dem äußeren Anschein nach kein Tausendsassa
-und Sänger, aber er ist schon recht, hoho, das wollte
-sie meinen! Und es bewahrheitete sich wieder, daß es ein
-großer Gewinn ist, gottesfürchtig und genügsam zu sein.</p>
-
-<p>Und nun kam also dieser kleine Ladenjüngling von
-Storborg, dieser Andresen, er kam Sonntags nach Sellanraa,
-und Inger wurde darüber nicht erregt, durchaus
-nicht, sie wollte nicht einmal selbst mit einem Topf Milch
-zu ihm hineingehen, und da die Magd nicht zu Hause
-war, schickte sie Leopoldine mit der Milch. Und Leopoldine
-trug ja auch den Topf Milch recht nett hinein und
-sagte Bitte! und wurde rot, obgleich sie doch ihre Sonntagskleider
-trug und keinen Grund hatte sich zu schämen.
-&mdash; Danke, das ist allzuviel, sagte Andresen. Ist dein
-Vater zu Hause? fragte er. &mdash; Jawohl, er ist draußen
-irgendwo. &mdash; Andresen trank, wischte sich den Mund mit
-dem Taschentuch ab und sah nach der Uhr. Ist es weit bis
-zu den Gruben? fragte er. &mdash; Nein, es ist kaum eine
-Stunde. &mdash; Ich soll hinauf und sie mir für Aronsen,
-bei dem ich angestellt bin, ansehen. &mdash; So. &mdash; Ja, du
-kennst mich doch. Ich bin der Ladendiener bei Aronsen;
-du bist schon bei uns gewesen und hast eingekauft. &mdash;
-Ja. &mdash; Ich erinnere mich deiner ganz gut, du hast zweimal
-bei uns eingekauft. &mdash; Das ist mehr, als ich erwarten
-konnte, daß Ihr Euch meiner erinnert, sagte Leopoldine,
-dann aber waren ihre Kräfte erschöpft, und sie
-hielt sich an einem Stuhl fest. Andresen jedoch hatte noch
-Kräfte übrig, er fuhr fort: Warum sollte ich mich nicht
-mehr an dich erinnern? Und weiter fragte er: Kannst du
-nicht mit mir zu den Gruben hinaufgehen?</p>
-
-<p>Allmählich wurde es Leopoldine ganz rot und sonderbar
-vor den Augen, der Fußboden schwankte unter ihr,
-und der Ladendiener Andresen sprach wie aus weiter
-Ferne: Hast du keine Zeit? &mdash; Nein, sagte sie. Gott<span class="pagenum"><a name="Seite_340" id="Seite_340">[S. 340]</a></span>
-weiß, wie sie wieder hinauskam in die Küche. Die Mutter
-sah sie an und fragte: Was fehlt dir denn? &mdash; Nichts.</p>
-
-<p>Nichts, o nein! Aber seht, jetzt war Leopoldine an der
-Reihe, erregt zu werden, nun begann der Kreislauf bei
-ihr. Sie war ganz geeignet dazu, rund und hübsch und
-neukonfirmiert, sie gab ein schönes Opfer. Ein Vogel
-zwitschert in ihrer Brust, ihre langen Hände sind wie die
-ihrer Mutter voller Zärtlichkeit, voller Weiblichkeit.
-Konnte sie nicht tanzen? O doch. Es war ein Wunder,
-wo sie es lernten, aber sie lernten tanzen, auch auf
-Sellanraa, Sivert konnte es, Leopoldine konnte es, es
-war ein Tanz, im Ödland entstanden, ein bodenständiges
-Drehen und Wenden mit vielen Kräften, Schottisch, Mazurka,
-Rheinländer und Walzer. Und warum sollte Leopoldine
-nicht auch sich putzen und verliebt sein und mit
-offenen Augen träumen? Genau wie andere! Als sie konfirmiert
-wurde, lieh ihr die Mutter ihren goldenen Ring,
-es war kein sündiger Gedanke dabei, es war nur hübsch,
-und am nächsten Tag, als sie zum Abendmahl ging,
-steckte sie übrigens den Ring erst an, als alles überstanden
-war. Sie konnte wohl mit einem goldenen Ring am
-Finger vor dem Altar stehen, sie war die Tochter eines
-mächtigen Mannes, des Markgrafen.</p>
-
-<p>Als der Ladendiener Andresen wieder vom Berg herunterkam,
-traf er Isak an und wurde ins Haus geladen.
-Er bekam Mittagessen und Kaffee. Alle Hausbewohner
-waren jetzt in der Stube versammelt und nahmen teil
-an der Unterhaltung. Der Ladendiener erklärte, Aronsen
-habe ihn hinaufgeschickt, er solle einmal untersuchen, wie
-es mit den Gruben stehe, ob Anzeichen zu sehen seien,
-daß der Betrieb und die Arbeit wieder aufgenommen werden
-würden. Gott weiß, der Ladendiener schwindelte vielleicht
-gewaltig, wenn er sagte, er sei geschickt worden,
-vielleicht hatte er den Gang auf eigene Rechnung gemacht,
-und jedenfalls konnte er in der kurzen Zeit, die er weg<span class="pagenum"><a name="Seite_341" id="Seite_341">[S. 341]</a></span>gewesen
-war, nicht bis an die Gruben hinaufgekommen
-sein. &mdash; So von außen kann man nicht sehen, ob die
-Gesellschaft wieder anfangen will, sagte Isak. &mdash; Nein,
-das räumte der Ladendiener ein, aber Aronsen habe ihn
-nun einmal heraufgeschickt, und es sei ja auch wahr, vier
-Augen sähen mehr als zwei.</p>
-
-<p>Aber nun konnte sich Inger nicht mehr halten, sie
-fragte: Ist es wahr, was die Leute sagen, daß der Aronsen
-verkaufen will? &mdash; Der Ladendiener antwortete: Er
-spricht davon. Und ein Mann wie er kann tun, was er
-will, er hat das Geld zu allem. &mdash; Na, hat er wirklich
-soviel Geld? &mdash; Ja, erwidert der Ladendiener und nickt,
-daran fehlt es nicht. &mdash; Wieder kann Inger nicht schweigen,
-sie fragt: Was will er wohl für das Gut? &mdash; Doch
-jetzt greift Isak ein, er ist vielleicht noch neugieriger als
-Inger, aber der Gedanke, Storborg zu kaufen, soll nun
-einmal durchaus nicht von ihm herrühren, und so tut
-er, als ob ihn das gar nichts anginge. Er sagt: Weshalb
-fragst du denn, Inger? &mdash; Ach, ich frage nur so, erwidert
-sie. &mdash; Beide sehen gespannt den Ladendiener an und
-warten. Endlich rückt er mit der Antwort heraus.</p>
-
-<p>Er spricht sehr zurückhaltend, von dem Preis weiß er
-nichts, aber er weiß, was Aronsen selbst gesagt hat, daß
-Storborg ihn gekostet habe. &mdash; Und wieviel ist das? fragt
-Inger, denn sie vermag nicht zu schweigen und den Mund
-zu halten. &mdash; Sechzehnhundert Kronen, erwidert der
-Ladendiener. &mdash; Ach so! Inger schlägt sofort die Hände
-zusammen, denn wenn die Weiberleute etwas nicht haben,
-so ist es, in Beziehung auf Güterpreise, Witz und Verstand.
-Aber sechzehnhundert Kronen sind nun einmal
-keine kleine Summe hier im Ödland, und Inger hat nur
-<em class="gesperrt">eine</em> Angst, daß sich nämlich Isak dadurch abschrecken
-lassen könnte. Aber Isak ist unerschütterlich wie ein Fels
-und sagt nur: Das machen die großen Häuser. &mdash; Ja,<span class="pagenum"><a name="Seite_342" id="Seite_342">[S. 342]</a></span>
-sagt auch der Ladendiener Andresen, das machen die gewaltig
-großen Häuser.</p>
-
-<p>Kurz ehe der Ladendiener geht, hat sich Leopoldine zur
-Tür hinausgedrückt. Es ist höchst sonderbar, aber es
-kommt ihr ganz unmöglich vor, ihm die Hand zu geben.
-Sie hat indes einen guten Platz gefunden, sie steht in
-dem neuen Stall und schaut zu einem der Fenster hinaus.
-Sie trägt ein blauseidenes Band um den Hals, das hatte
-sie vorher nicht gehabt, und das merkwürdigste ist, daß
-sie Zeit gefunden hat, es umzubinden. Da geht er vorbei,
-er ist etwas klein und rund, mit flinken Beinen, hat
-einen blonden Vollbart und ist acht bis zehn Jahre älter
-als sie. Er ist ganz nett, sollte sie meinen.</p>
-
-<p>Spät in der Nacht zwischen Sonntag und Montag
-kamen die Kirchgänger wieder zurück. Alles war gut gegangen,
-die kleine Rebekka hatte auf der Heimfahrt während
-der letzten Stunden geschlafen, und sie wurde auch
-schlafend aus dem Wagen gehoben und ins Haus getragen.
-Sivert hat viel Neues erfahren, aber als die Mutter
-fragt: Was gibt's denn Neues? sagt er nur: Oh, nichts
-Besonderes. Der Axel hat eine Mähmaschine und einen
-Reolpflug. &mdash; Was du sagst? ruft der Vater mit großem
-Interesse. Hast du sie gesehen? &mdash; Ja, ich habe sie gesehen,
-sie standen am Landungsplatz. &mdash; So, deshalb ist
-er also in der Stadt gewesen! sagt der Vater. Und Sivert
-sitzt dick geschwollen von besserem Wissen da, sagt aber
-kein Wort mehr.</p>
-
-<p>Mochte der Vater glauben, Axel sei in die Stadt gefahren,
-um eine Mähmaschine und einen Reolpflug zu
-kaufen; auch die Mutter sollte das nur glauben. Ach,
-aber keines der beiden Eltern glaubte das wirklich, sie
-hatten auch munkeln hören, daß das mit einem neuen
-Kindsmord in der Gegend zusammenhing. &mdash; Geh du
-jetzt nur zu Bett! sagt der Vater schließlich.</p>
-
-<p>Sivert, dick geschwollen von Wissen, geht und legt sich<span class="pagenum"><a name="Seite_343" id="Seite_343">[S. 343]</a></span>
-zu Bett. Axel ist zu einer Verhandlung vorgeladen, es
-war eine große Sache, der Lensmann ist mit ihm hingereist.
-Es war eine so große Sache, daß auch die Frau
-Lensmann, die wahrhaftig wieder ein Kleines hatte, ihr
-Kind verließ und mit in die Stadt reiste. Sie hatte gesagt,
-sie wolle ein Wort mit dem Gericht reden.</p>
-
-<p>Nun schwirrten Klatsch und allerlei Gerüchte durchs
-Dorf, und Sivert merkte gut, daß auch wieder von einem
-älteren Kindsmord geflüstert wurde. Vor der Kirche
-stockte jede Unterhaltung, wenn er sich nahte, und wäre
-er nicht der gewesen, der er war, so hätten ihm die Leute
-vielleicht den Rücken gekehrt. Es war recht gut, Sivert
-zu sein, erstens einmal von einem großen Hof zu stammen,
-eines reichen Mannes Sohn zu sein und dann auch
-selbst für einen tüchtigen Kerl, für einen guten Arbeiter
-zu gelten. Er wurde von anderen geschätzt und hochgeachtet,
-und er hatte auch jederzeit die Volksgunst genossen.
-Wenn jetzt nur nicht Jensine zu viel hörte, ehe
-sie wieder nach Hause fuhren. Sivert hatte übrigens so
-seine eigenen Gründe zur Beängstigung, auch die Leute
-auf dem Ödland können erröten und erbleichen. Er sah,
-wie Jensine mit der kleinen Rebekka aus der Kirche trat,
-sie hatte auch ihn gesehen, war aber einfach vorbeigegangen.
-So wartet er eine Weile und fährt dann beim
-Schmied vor, um die beiden abzuholen.</p>
-
-<p>Beim Schmied wird zu Mittag gegessen, das ganze
-Haus ist versammelt, und auch Sivert wird etwas zu
-essen angeboten, aber er hat schon gegessen und dankt.
-Sie wußten, daß er um diese Zeit kommen werde, sie
-hätten auch die kleine Weile auf ihn warten können, in
-Sellanraa hätte man das getan, aber hier tat man es
-nicht. &mdash; Ach nein, du bist es jedenfalls besser gewöhnt,
-sagt die Frau des Schmieds. &mdash; Hast du in der Kirche
-etwas Neues erfahren? fragte der Schmied, obgleich er
-selbst in der Kirche gewesen ist.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_344" id="Seite_344">[S. 344]</a></span></p>
-
-<p>Als Jensine und die kleine Rebekka auf dem Wagen
-sitzen, sagt die Schmiedfrau zu ihrer Tochter: Ja, ja,
-Jensine, laß es nun nicht zu lange anstehen, bis du wieder
-nach Hause kommst. &mdash; Das kann man auf zwei
-Arten verstehen, dachte Sivert, aber er mischte sich nicht
-in die Sache. Wäre die Rede ein klein wenig bestimmter
-gewesen, so hätte er vielleicht Antwort gegeben. Er runzelt
-die Stirne und wartet &mdash; nein, nichts mehr.</p>
-
-<p>Sie fahren heimwärts, und die kleine Rebekka ist die
-einzige, die etwas zu plaudern hat, sie ist erfüllt von
-dem Erlebnis ihres Kirchganges, von dem Geistlichen in
-seinem schwarzen Talar mit dem silbernen Kreuz, von
-dem Lichterglanz und dem Orgelschall. Nach einer langen
-Weile sagt Jensine: Das mit Barbro ist eine Schande!
-&mdash; Was hat deine Mutter damit gemeint, daß du bald
-wieder nach Hause kommen sollest? fragt Sivert. &mdash;
-Was sie damit meinte? &mdash; Willst du uns verlassen? &mdash;
-Einmal muß ich ja doch wieder nach Hause, sagt sie. &mdash;
-Prrr! ruft Sivert und hält das Pferd an. Soll ich jetzt
-gleich wieder mit dir umdrehen? fragt er. &mdash; Jensine
-sieht ihn an, er ist blaß wie der Tod. &mdash; Nein, erwidert
-sie, und gleich darauf fängt sie an zu weinen. Die kleine
-Rebekka sieht erstaunt von einem zum andern. Ach, die
-kleine Rebekka war sehr nützlich auf einer solchen Fahrt,
-sie ergriff Partei für Jensine, streichelte sie und brachte
-sie wieder dazu, daß sie lächelte. Und als die kleine Rebekka
-ihrem Bruder drohte, sie werde vom Wagen springen
-und sich einen Stecken für ihn suchen, da mußte
-auch Sivert lächeln. &mdash; Aber nun muß ich fragen, was
-du gemeint hast? sagt Jensine. &mdash; Sivert antwortet ohne
-Bedenken: Ich meinte, daß wir, wenn du uns verlassen
-wollest, eben sehen müßten, ohne dich fertig zu werden.
-&mdash; Lange Zeit darauf sagte Jensine: Jawohl, die Leopoldine
-ist ja nun erwachsen und kann meine Arbeit tun.</p>
-
-<p>Es wurde eine wehmütige Heimfahrt.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_345" id="Seite_345">[S. 345]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>7</h3>
-
-
-<p>Ein Mann geht übers Ödland hinauf. Es stürmt
-und regnet, die Herbstregen haben begonnen, aber
-darum kümmert sich dieser Mann nicht, er sieht
-froh aus und ist es auch; es ist Axel Ström, er kommt
-vom Verhör, wo er freigesprochen worden ist. Und er ist
-froh: erstens stehen eine Mähmaschine und ein Reolpflug
-für ihn drunten am Landungsplatz, und zweitens ist er
-freigesprochen. Er hat nicht geholfen, ein Kind zu ermorden.
-So kann es gehen!</p>
-
-<p>Aber was für schwere Stunden hat er durchgemacht!
-Als er dastand und Zeugnis ablegte, hatte dieser sich in
-täglicher Arbeit abmühende Mann die schwerste Arbeit
-seines Lebens vor sich gehabt. Er hatte keinen Nutzen davon,
-Barbros Schuld zu vergrößern, deshalb nahm er
-sich in acht, ja nicht zuviel zu sagen, ja, er sagte nicht
-einmal alles, was er wußte, jedes Wort mußte aus ihm
-herausgefragt werden, und meistens antwortete er nur
-mit ja und nein. War das nicht genug? Sollte die Sache
-noch größer gemacht werden, als sie schon war? Ach, es
-sah häufig aus, als ob es Ernst werden wollte; die hohe
-Obrigkeit war gar so schwarz gekleidet und gefährlich,
-mit wenigen Worten hätte sie alles zum Schlimmsten
-wenden und ihn vielleicht gar verurteilen können. Aber
-es waren nette Leute, sie wollten seinen Untergang nicht.
-Und außerdem traf es sich auch noch so, daß mächtige
-Kräfte in Tätigkeit waren, um Barbro zu retten, und
-das gereichte auch ihm zum Nutzen.</p>
-
-<p>Was in aller Welt konnte ihm nun noch geschehen?</p>
-
-<p>Barbro selbst konnte doch wohl nicht auf die Gedanken
-kommen, Aussagen zu machen, die ihren gewesenen
-Hausherrn und Liebsten belastet hätten; er war im Besitz
-eines gar zu furchtbaren Wissens, sowohl um diese
-wie um eine frühere Kindsangelegenheit, so dumm war<span class="pagenum"><a name="Seite_346" id="Seite_346">[S. 346]</a></span>
-Barbro nicht. Oh, und sie war schlau genug, sie lobte
-Axel und sagte, er habe nicht das mindeste von ihrer
-Niederkunft gewußt, bis alles vorüber gewesen sei. Er
-sei ziemlich eigen, und sie stimmten nicht überein, aber
-er sei ein stiller Mann und ein ausgezeichneter Mensch.
-Nein, daß er ein neues Grab gegraben und die Leiche hineingetan
-habe, das sei viel später geschehen, und zwar
-nur deshalb, weil er meinte, das erste Grab sei nicht
-trocken genug; das sei es übrigens doch gewesen, nur
-sei Axel eben gar so eigen.</p>
-
-<p>Was konnte also Axel geschehen, wenn Barbro so die
-ganze Schuld auf sich nahm? Und für Barbro selbst
-waren sehr mächtige Kräfte in Bewegung; die Frau Lensmann
-Heyerdahl war in Bewegung.</p>
-
-<p>Sie ging zu Hoch und Nieder und schonte sich keineswegs,
-sie verlangte als Zeugin verhört zu werden und
-hielt vor Gericht eine große Rede. Als sie an die Reihe
-kam, stand sie vor den Schranken als recht vornehme
-Dame, sie erfaßte die Frage des Kindsmordes in ihrer
-ganzen Breite und hielt dem Gericht eine Vorlesung;
-man hätte meinen können, sie habe sich die Erlaubnis
-dazu im voraus erwirkt. Man konnte von der Frau Lensmann
-sonst denken, was man wollte, aber Reden halten
-konnte sie, und gelehrt in Politik und allen sozialen Fragen
-war sie. Es war nur ein Wunder, wo sie alle die
-Worte hernahm. Ab und zu hatte es den Anschein, als
-wolle der Vorsitzende versuchen, sie zu veranlassen, etwas
-mehr zur Sache zu kommen, aber er hatte augenscheinlich
-nicht das Herz, sie zu unterbrechen, und so ließ er sie
-weiterreden. Und zum Schluß förderte sie einige brauchbare
-Aufklärungen zutage und machte dem Gericht einen
-aufsehenerregenden Vorschlag.</p>
-
-<p>Von rechtstechnischen Weitläufigkeiten abgesehen, ging
-die Geschichte zu wie folgt:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_347" id="Seite_347">[S. 347]</a></span></p>
-
-<p>Wir Frauen, sagte die Frau Lensmann, wir sind die
-unglückliche und unterdrückte Hälfte der Menschheit. Die
-Männer machen die Gesetze, wir Frauen haben keinen
-Einfluß darauf. Aber kann sich nun etwa ein Mann hineinversetzen
-in das, was es für eine Frau heißt, ein Kind
-zu gebären? Hat er ihre Angst gefühlt, hat er die unsäglichen
-Schmerzen gefühlt, und hat er ihre Weheschreie
-ausgestoßen?</p>
-
-<p>In dem Falle hier ist es ein Dienstmädchen, das ein
-Kind geboren hat. Sie ist unverheiratet, sie muß also
-die ganze Zeit ihrer Schwangerschaft über ihren Zustand
-zu verbergen suchen. Warum muß sie ihn verbergen?
-Der Vorurteile der menschlichen Gesellschaft wegen.
-Diese Gesellschaft verachtet die Ledige, die ein Kind unter
-dem Herzen trägt. Sie beschützt sie nicht allein nicht,
-nein, sie verfolgt sie auch noch mit Schande und Verachtung.
-Ist das nicht haarsträubend? Jawohl, und jeder
-Mensch mit einem Herz im Leibe muß sich darüber empören!
-Das Mädchen muß nicht nur ein Kind gebären,
-was an sich schon schlimm genug wäre, nein, es soll auch
-noch dafür als Verbrecherin gebrandmarkt werden. Ich
-kann nur sagen, für dieses Mädchen hier auf der Anklagebank
-war es ein Glück, daß ihr Kind durch einen
-unglücklichen Zufall im Bach zur Welt kam und sofort
-ersticken mußte. Es war ein Glück für sie und für das
-Kind. Solange die Gesellschaft so ist wie jetzt, müßte eine
-ledige Mutter straffrei ausgehen, und wenn sie auch ihr
-Kind absichtlich umbringt!</p>
-
-<p>Hier läßt der Vorsitzende ein schwaches Murren hören.</p>
-
-<p>Oder jedenfalls dürfte sie nur unbedeutend bestraft
-werden, sagt die Frau Lensmann. Selbstverständlich sind
-wir alle darüber einig, daß das Leben des Kindes erhalten
-bleiben muß, sagte sie, aber sollte denn von allen
-Gesetzen der Menschlichkeit gar kein einziges auch für die
-unglückliche Mutter gelten? Stellen Sie sich doch ein<span class="pagenum"><a name="Seite_348" id="Seite_348">[S. 348]</a></span>mal
-vor, was sie alles während der Schwangerschaft
-durchgemacht hat, welche Qualen sie erduldet hat, um
-ihren Zustand zu verbergen, und wie sie keinen Ausweg
-mehr wußte weder für sich selbst, noch für ihr Kind.
-Darein kann sich überhaupt kein Mensch versetzen, sagte
-sie. Das Kind stirbt jedenfalls eines wohlgemeinten
-Todes. Die Mutter wünscht weder sich selbst noch diesem
-lieben Kinde etwas so Böses, daß es leben soll, die
-Schande ist ihr zu schwer zu tragen, und indessen reift
-der Plan in ihr, das Kind zu töten. So gebiert sie im
-geheimen, und vierundzwanzig Stunden lang ist sie so
-von Sinnen, daß sie bei der Tat unzurechnungsfähig
-ist. Sie hat sie sozusagen gar nicht wirklich verübt, so von
-Sinnen ist sie. Während ihr noch von der Niederkunft
-jeder Knochen und jeder Muskel im Leibe weh tut, muß
-sie das Kind umbringen und die Leiche wegschaffen &mdash;
-stellen Sie sich einmal die Willensanspannung vor, die
-zu dieser Arbeit gehört! Aber natürlich wünschen wir
-alle, daß die Kinder am Leben bleiben, und es ist schwer
-zu beklagen, daß das Leben von einigen ausgelöscht wird.
-Aber das ist einzig und allein die Schuld der menschlichen
-Gesellschaft, dieser hoffnungslosen, unbarmherzigen, verleumderischen,
-verfolgungswütigen, boshaften Gesellschaft,
-die allzeit auf der Wacht steht, um die ledige Mutter
-mit allen Mitteln zu erdrosseln!</p>
-
-<p>Aber selbst nach dieser Behandlung seitens der Gesellschaft
-können sich die mißhandelten Mütter wieder erheben.
-Sehr oft fangen gerade diese Mädchen nach ihrem
-gesellschaftlichen Fehltritt an, ihre besten und edelsten
-Eigenschaften zu entwickeln. Das Gericht könnte sich ja
-einmal bei den Vorsteherinnen der Asyle, in denen Mutter
-und Kind aufgenommen werden, erkundigen, ob das nicht
-wahr ist! Und es ist erfahrungsgemäß erwiesen, daß gerade
-die Mädchen, die &mdash; ja, die von der Gesellschaft gezwungen
-worden sind, ihr Kind zu töten, ausgezeichnete<span class="pagenum"><a name="Seite_349" id="Seite_349">[S. 349]</a></span>
-Kindermädchen werden. Das sollte doch jedermann Stoff
-zum Nachdenken geben.</p>
-
-<p>Eine andere Seite der Sache ist die: Warum soll der
-Mann straffrei ausgehen? Die Mutter, die einen Kindsmord
-begangen hat, wird gepeinigt und ins Gefängnis
-geworfen, er jedoch, der Vater des Kindes, der Verführer,
-dem geschieht nichts. Aber solange er der Urheber
-des Kindes ist, hat er auch teil an dem Morde, und
-zwar den größeren Anteil, ohne ihn wäre das Unglück
-überhaupt nicht geschehen. Warum geht er frank und
-frei aus? Weil die Gesetze von den Männern gemacht
-werden, das ist die Antwort. Man sollte laut den Himmel
-um Schutz gegen diese Männergesetze ausrufen! Und
-das wird niemals besser, solange wir Frauen nicht bei
-den Wahlen und in den gesetzgebenden Versammlungen
-ein Wort mitzureden haben.</p>
-
-<p>Aber, sagt die Frau Lensmann, wenn nun dieses grausame
-Gesetz die schuldige &mdash; oder mehr oder minder
-schuldige &mdash; unverheiratete Mutter trifft, die einen Kindsmord
-begeht, was sollen wir dann von der unschuldigen
-sagen, die nur des Mordes verdächtigt wird und gar
-keinen Kindsmord begangen hat? Welche Genugtuung
-gibt die Gesellschaft diesem ihrem Opfer? Keinerlei Genugtuung!
-Ich bezeuge, daß ich das hier sitzende angeklagte
-Mädchen kenne, seit es ein Kind gewesen ist; sie
-war in meinen Diensten, ihr Vater ist meines Mannes
-Amtsdiener. Wir Frauen erlauben uns, gerade entgegengesetzt
-zu denken und zu fühlen als die Männer mit
-ihren Anklagen und Verfolgungen, wir erlauben uns, eine
-Ansicht über die Dinge zu haben. Das Mädchen hier ist
-verhaftet und ihrer Freiheit beraubt, verdächtigt, erstens
-einmal im geheimen geboren und zweitens ihr Kind umgebracht
-zu haben. Sie hat &mdash; daran zweifle ich durchaus
-nicht &mdash; beides nicht getan. Das Gericht wird selbst zu
-dieser sonnenklaren Schlußfolgerung kommen. Im ge<span class="pagenum"><a name="Seite_350" id="Seite_350">[S. 350]</a></span>heimen?
-Sie hat am hellen Tag geboren. Wohl ist sie
-allein gewesen, aber wer hätte bei ihr sein sollen? Sie
-wohnte weit droben im Ödland, der einzige Mensch außer
-ihr selbst, der zur Stelle war, das war ein Mann; hätte
-sie einen solchen in diesem Augenblick zur Hilfe rufen
-sollen? Wir Frauen empören uns schon allein bei diesem
-Gedanken, wir schlagen schamvoll die Augen nieder. &mdash;
-Und dann soll sie das Kind getötet haben? Es wurde in
-einem Bach geboren, sie lag da in dem eiskalten Wasser,
-als sie gebar. Wie ist sie in den Bach gekommen? Sie
-ist ein Dienstmädchen, also eine Sklavin, sie hat ihre
-täglichen Pflichten zu erfüllen, sie wollte in den Wald,
-um Wacholder zum Scheuern ihres Melkeimers zu holen.
-Als sie durch den Bach watet, gleitet sie aus und fällt.
-Sie bleibt liegen, das Kind wird geboren und erstickt im
-Wasser.</p>
-
-<p>Die Frau Lensmann hält inne. Sie konnte es den Richtern
-und den Zuhörern ansehen, daß sie wunderbar gut
-gesprochen hatte, es war mäuschenstill im Saal, und
-nur Barbro trocknete sich von Zeit zu Zeit die Augen vor
-Rührung. Dann schließt die Frau Lensmann: Wir Frauen
-haben ein Herz; ich habe meine eigenen Kinder fremden
-Händen anvertraut, um hierherreisen, um für das unglückliche
-Mädchen, das hier sitzt, Zeugnis ablegen zu
-können. Männergesetze können einer Frau nicht verbieten
-zu denken: ich denke, daß das Mädchen hier ausreichend
-dafür bestraft ist, überhaupt nichts Böses getan zu haben.
-Sprechen Sie die Angeklagte frei, dann werde ich sie mit
-nach Hause nehmen, und sie wird das ausgezeichnetste
-Kindermädchen werden, das ich je gehabt habe.</p>
-
-<p>Die Frau Lensmann ist zu Ende.</p>
-
-<p>Der Vorsitzende bemerkt: Ja, aber wären es nun nach
-der Rede der Frau Lensmann nicht eigentlich die Kindsmörderinnen,
-die die ausgezeichneten Kindermädchen
-geben sollen? Oh, aber der Vorsitzende war nicht uneinig<span class="pagenum"><a name="Seite_351" id="Seite_351">[S. 351]</a></span>
-mit Frau Lensmann Heyerdahl, ganz im Gegenteil, auch
-er fühlte menschlich, ganz priesterlich mild. Während der
-Staatsanwalt dann noch ein paar Fragen an die Frau
-Lensmann richtete, saß der Vorsitzende ruhig auf seinem
-Stuhl und schrieb sich Anmerkungen auf.</p>
-
-<p>Es war nicht viel mehr als eine Vormittagsverhandlung,
-da nur sehr wenige Zeugen zu verhören waren und
-die Sache ja auch ganz klar lag. Axel Ström saß da und
-hoffte das Beste, da schienen sich indes plötzlich der
-Staatsanwalt und die Frau Lensmann zu vereinigen,
-um ihn in Ungelegenheiten zu bringen, weil er die Kindsleiche
-begraben hatte, statt den Todesfall zu melden. Er
-wurde mit Strenge verhört und hätte vielleicht diesen
-Punkt nicht allzu gut erklären können, wenn er nicht hinten
-im Saal Geißler wahrgenommen hätte. Ganz richtig,
-da saß Geißler! Das gab Axel eine Art Stütze, er fühlte
-sich nicht mehr einsam und verlassen der Obrigkeit gegenüber,
-die ihm zu Leibe wollte; Geißler nickte ihm zu.</p>
-
-<p>Jawohl, Geißler war in die Stadt gekommen. Er hatte
-sich zwar nicht als Zeuge gemeldet, aber er war doch zur
-Stelle. Er hatte auch vor Beginn der Verhandlung einige
-Tage dazu verwendet, sich Einsicht in den Fall zu verschaffen
-und das aufzuschreiben, was er noch von Axels
-Bericht auf Maaneland wußte. Die meisten der vorliegenden
-Dokumente waren in Geißlers Augen nur Wische;
-dieser Lensmann Heyerdahl war ein sehr beschränkter
-Mensch, er hatte es bei seiner Untersuchung von Anfang
-an darauf angelegt, Axel zum Mitwisser an dem Kindsmord
-zu stempeln. Dieser Esel, dieser Dummkopf, er
-verstand nicht das mindeste vom Leben im Ödland, er
-sah nicht ein, daß dieses Kind gerade das Band war, das
-die weibliche Hilfskraft an Axels Hof fesseln sollte.</p>
-
-<p>Geißler redete mit dem Staatsanwalt, aber er gewann
-den Eindruck, daß dies gar nicht nötig gewesen wäre. Er
-wollte Axel dazu verhelfen, daß er wieder auf seinen Hof<span class="pagenum"><a name="Seite_352" id="Seite_352">[S. 352]</a></span>
-im Ödland kam, aber Axel brauchte gar keine Hilfe.
-Nein, denn es sah ja sogar ganz vielversprechend für
-Barbro selbst aus, und wenn sie freigesprochen wurde,
-fiel Axels Mitschuld von selbst weg. Es kam nur noch auf
-die Zeugenaussagen an.</p>
-
-<p>Nachdem die paar Zeugen verhört waren &mdash; Oline war
-nicht vorgeladen, aber der Lensmann, Axel, ein Sachverständiger
-und ein paar Mädchen aus der Gemeinde &mdash;,
-nachdem also diese verhört waren, wurde Mittagspause
-gemacht, und Geißler ging wieder zu dem Staatsanwalt
-hin. Nein, der Staatsanwalt hatte die Ansicht, daß es
-immer noch vielversprechend für Barbro aussehe. Frau
-Lensmann Heyerdahls Zeugnis war von großem Einfluß
-gewesen. Es komme auf die Geschworenen an.</p>
-
-<p>Nehmen Sie besonderen Anteil an diesem Mädchen?
-erkundigte sich der Staatsanwalt. &mdash; Einigermaßen, erwiderte
-Geißler. Eigentlich nehme ich mehr Anteil an
-dem Manne. &mdash; Hat sie auch bei Ihnen gedient? &mdash; Nein,
-sie hat nicht bei mir gedient. &mdash; Ach so, an dem Manne
-also? Aber das Mädchen? Die Teilnahme des Gerichtes
-ist auf ihrer Seite. &mdash; Nein, sie hat nicht bei mir gedient.
-&mdash; Der Mann ist mehr verdächtig, sagt der Staatsanwalt.
-Er geht ganz allein hin und begräbt die Kindsleiche
-mitten im Wald. Das ist entschieden verdächtig. &mdash; Er
-wollte das Kind wohl nur richtig begraben, sagt Geißler,
-das war beim erstenmal nicht geschehen. &mdash; Nun, sie
-war eine Frau und hatte nicht die Kraft eines Mannes
-zum Graben, und in dem Zustand, in dem sie sich befand,
-vermochte sie es nicht. Im großen ganzen, sagt der
-Staatsanwalt, haben wir uns zu einer menschlicheren Ansicht
-über diese Kindsmorde durchgerungen. Ich möchte es
-als Richter nicht auf mich nehmen, dieses Mädchen zu
-verurteilen, und wie die Sache liegt, kann ich ihre Verurteilung
-nicht beantragen. &mdash; Das ist sehr erfreulich,
-sagte Geißler mit einer Verbeugung. &mdash; Der Staats<span class="pagenum"><a name="Seite_353" id="Seite_353">[S. 353]</a></span>anwalt
-fuhr fort: Als Mensch und Privatmann würde
-ich sogar noch weitergehen: ich würde keine einzige ledige
-Mutter, die ihr Kind umbringt, zur Strafe verurteilen.
-&mdash; Es ist sehr interessant, daß der Herr Staatsanwalt
-und die Dame, die heute Zeugnis abgelegt hat, gleicher
-Ansicht sind. &mdash; Ach sie! Sie hat übrigens gut gesprochen.
-Aber wozu alle diese Verurteilungen? Eine ledige Mutter
-hat schon zum voraus so unerhörte Qualen erduldet und
-sie wird durch die Härte und Brutalität der Welt in allen
-menschlichen Verhältnissen so tief hinuntergedrückt, daß
-das Strafe genug ist. &mdash; Geißler erhob sich und sagte
-zum Schluß: Ja, aber die Kinder? &mdash; Allerdings, mit
-den Kindern ist es sehr traurig, erwiderte der Staatsanwalt.
-Aber schließlich ist es ja auch für die Kinder ein
-Segen. Und gerade solchen unehelichen Kindern, wie
-schlecht geht es ihnen gewöhnlich! Was wird aus ihnen?
-&mdash; Geißler wollte vielleicht diesen wohlgenährten Mann
-ein wenig reizen, oder vielleicht wollte er sich auch nur
-als tiefsinnig und geheimnisvoll aufspielen, er sagte:
-Erasmus war ein lediges Kind. &mdash; Erasmus? &mdash;
-Erasmus von Rotterdam. &mdash; Ach so. &mdash; Und Leonardo
-war ein lediges Kind. &mdash; Leonardo da Vinci? So. Ja,
-Ausnahmen kommen natürlich vor, sie bestätigen nur
-die Regel. Aber im großen und ganzen! &mdash; Wir schützen
-Vögel und Tiere, sagte Geißler, und es klingt etwas
-sonderbar, daß kleine Kinder nicht auch geschützt werden
-sollen. &mdash; Der Staatsanwalt griff langsam und würdevoll
-nach einigen Papieren, zum Zeichen, daß er jetzt
-abbrechen müsse. Ja, sagte er geistesabwesend, ja, jawohl.
-Geißler bedankte sich für die außerordentlich lehrreiche
-Unterredung, der er gewürdigt worden sei, und
-ging.</p>
-
-<p>Er setzte sich in den Gerichtssaal, um beizeiten da zu
-sein. Seine geheime Macht kitzelte ihn wohl sehr: er wußte
-von einem gewissen abgeschnittenen Hemd, in dem &mdash;<span class="pagenum"><a name="Seite_354" id="Seite_354">[S. 354]</a></span>
-Besenreis geholt werden sollte, und von einer Kindsleiche,
-die einmal im Stadthafen herumtrieb; er konnte
-das Gericht aufsitzen lassen, ein Wort von ihm würde so
-gut sein wie tausend Schwerter. Aber Geißler hatte gewiß
-nicht im Sinn, dieses Wort jetzt auszusprechen, wenn
-es nicht notwendig wurde. Das war ja ausgezeichnet,
-sogar der öffentliche Ankläger stand auf seiten der Angeklagten!</p>
-
-<p>Der Saal füllte sich, und das Gericht trat wieder zusammen.</p>
-
-<p>Das wurde eine reizende Komödie in der kleinen Stadt,
-der ermahnende Ernst des Staatsanwalts, des Verteidigers
-rührselige Beredsamkeit. Die Geschworenen saßen
-da und horchten zu, was sie wohl über Barbro und den
-Tod ihres Kindes zu denken hätten.</p>
-
-<p>Allerdings, so ganz einfach war es nun doch nicht, das
-herauszufinden. Der Staatsanwalt war ein schöner Mann
-von Ansehen, und er war gewiß auch ein guter Mensch,
-aber etwas mußte ihn ganz kürzlich erst geärgert haben,
-oder vielleicht war ihm eingefallen, daß er in der norwegischen
-Rechtspflege einen Standpunkt aufrechtzuerhalten
-habe, wer weiß! Es war unbegreiflich, aber er war
-nicht mehr so zugänglich wie am Vormittag, er rügte die
-Missetat, falls sie geschehen sei, scharf, sagte, es sei ein
-dunkles Blatt, wenn mit Bestimmtheit gesagt werden
-könne, daß die Sache wirklich so dunkel sei, wie man nach
-einzelnen Zeugenaussagen glauben und meinen könne.
-Darüber hätten die Gerichtsbeisitzer zu entscheiden. Er
-selbst möchte die Aufmerksamkeit auf drei Punkte lenken:
-der erste Punkt sei der, ob hier eine Geburt im geheimen
-vorliege, ob diese Frage den Herren Richtern klar sei?
-Hier machte er einige persönliche Bemerkungen. Der
-zweite Punkt sei das Kleidungsstück, das halbe Hemd,
-wozu die Angeklagte das mitgenommen habe? Ob sie
-eine Ahnung gehabt habe, daß sie es brauchen werde?<span class="pagenum"><a name="Seite_355" id="Seite_355">[S. 355]</a></span>
-Er entwickelte diesen Punkt noch weiter. Der dritte Punkt
-sei das sehr verdächtige heimliche Begräbnis, ohne den
-Todesfall dem Geistlichen und dem Lensmann zu melden.
-Hierbei sei der hier anwesende Mann die Hauptperson
-gewesen, und es sei von der größten Wichtigkeit
-für die Geschworenen, sich hier die richtige Ansicht zu
-bilden. Denn es sei ja doch einleuchtend, daß der Mann
-Mitwisser sei, und wenn er das Begräbnis auf eigene
-Hand vorgenommen hatte, so mußte sein Dienstmädchen
-eine Missetat begangen haben, deren Mitwisser er geworden
-war.</p>
-
-<p>Hm! ertönte es im Saale.</p>
-
-<p>Axel Ström merkte, daß er wieder in Gefahr war;
-er begegnete, als er aufsah, nicht einem einzigen Blick,
-aller Augen hingen an dem Redner. Aber ganz hinten
-im Saale saß Geißler wieder, er sah äußerst überlegen
-aus, als ob er platzen wolle vor Hochmut, mit seiner vorgeschobenen
-Unterlippe und mit gen Himmel gewandtem
-Gesicht. Diese ungeheure Gleichgültigkeit gegen den Ernst
-des Gerichtes, dieses laute gen Himmel gesandte Hm
-wirkte ermunternd auf Axel, er fühlte sich wieder der ganzen
-Welt gegenüber nicht mehr allein.</p>
-
-<p>Und nun kam endlich die Sache ins Blei, dieser Staatsanwalt
-schien endlich zu der Einsicht zu kommen, daß es
-nun genug sei, er hatte so viel Bosheit und Verdacht gegen
-Axel verbreitet, als irgend möglich war, nun hielt er inne.
-Ja, der Herr Staatsanwalt machte gewissermaßen vollkommen
-kehrt, er beantragte nicht einmal Barbros Verurteilung.
-Er sagte zum Schluß geradeheraus, daß er
-selbst nach den vorliegenden Zeugenaussagen nicht die
-Verurteilung der Angeklagten beantragen könne.</p>
-
-<p>Das ist ja sehr gut, dachte Axel. Dann hat die Geschichte
-ein Ende.</p>
-
-<p>Nun legte sich der Verteidiger ins Zeug, ein junger
-Mann, der die Juristerei studiert hatte und dem nun in<span class="pagenum"><a name="Seite_356" id="Seite_356">[S. 356]</a></span>
-diesem prächtigen Fall die Verteidigung anvertraut worden
-war. Es war auch nachher nur eine Stimme darüber,
-noch niemals sei ein Mann so sicher gewesen, eine Unschuldige
-zu verteidigen. Im Grunde war ihm diese Frau
-Lensmann Heyerdahl zuvorgekommen, sie hatte ihm am
-Vormittag verschiedene Argumente gestohlen, er war sehr
-unzufrieden damit, daß sie die Gesellschaft ausgenützt
-hatte. &mdash; Oh, die Gesellschaft hatte auch bei ihm sehr
-viel auf dem Kerbholz! Er war ärgerlich auf den Vorsitzenden,
-daß er Frau Heyerdahl das Wort nicht entzogen
-hatte. Das war ja eine ganz richtige Verteidigungsrede
-gewesen, die sie gehalten hatte; was blieb da ihm
-noch übrig?</p>
-
-<p>Er fing mit dem allerersten Anfang von Barbro Bredes
-Lebenslauf an; sie stammte aus kleinen Verhältnissen,
-übrigens von strebsamen und achtungswerten
-Eltern, sie sei frühzeitig in den Dienst gekommen, und
-zwar zuerst zu dem Lensmann. Wir haben heute die Ansicht
-gehört, die ihre Dienstherrin, Frau Heyerdahl, von
-ihr hatte, sie könnte nicht strahlender sein. Dann sei Barbro
-nach Bergen gekommen. Der Verteidiger verbreitet
-sich eingehend über das sehr wohlmeinende Zeugnis, das
-ihr von den beiden Kontoristen in Bergen, bei denen sie
-eine Vertrauensstellung eingenommen hatte, ausgestellt
-worden war. Dann sei Barbro wieder heimgekommen,
-als Haushälterin bei einem Junggesellen draußen im
-Ödland. Hier habe ihr Unglück angefangen.</p>
-
-<p>Von diesem Junggesellen habe sie ein Kind unter dem
-Herzen getragen. Der geehrte Herr Staatsanwalt habe
-&mdash; übrigens auf die allertaktvollste und schonendste Weise
-&mdash; die Möglichkeit einer Geburt im geheimen angedeutet.
-Ob Barbro ihren Zustand verborgen, ob sie ihn verhehlt
-habe? Die beiden Zeuginnen, Mädchen aus ihrem Heimatdorf,
-hatten gemeint, daß sie guter Hoffnung sei, und
-als sie sie fragten, leugnete sie durchaus nicht, sie ging<span class="pagenum"><a name="Seite_357" id="Seite_357">[S. 357]</a></span>
-nur kurz darüber weg. So machten es junge Mädchen in
-diesen Fällen, sie gingen kurz darüber weg. Sonst sei
-Barbro überhaupt von niemand gefragt worden. Ob sie
-zu ihrer Frau gegangen sei und ihr gebeichtet habe? Sie
-habe keine Frau gehabt, sie sei selbst die Frau gewesen.
-Einen Hausherrn habe sie allerdings gehabt; aber so ein
-junges Mädchen gehe mit einem solchen Geheimnis nicht
-zu ihrem Herrn, sie trage ihr Kreuz allein, sie spreche
-nicht davon, sie flüstere nicht einmal, sie sei eine Trappistin.
-Sie verstecke sich nicht, aber sie halte sich in der
-Einsamkeit.</p>
-
-<p>Das Kind werde geboren, es sei ein ausgetragener
-und wohlgebildeter Junge, er habe nach der Geburt gelebt
-und geatmet, aber er sei erstickt. Das Schwurgericht
-kenne die näheren Umstände bei dieser Geburt, sie sei im
-Wasser vor sich gegangen, die Mutter sei im Bach gestürzt
-und habe dort geboren, sie sei nicht imstande gewesen, das
-Kind zu retten, sie habe liegenbleiben müssen und sich
-selbst erst nachher ans Land retten können. Nun gut,
-an dem Kinde sei keine Spur von ihm angetaner Gewalt
-zu entdecken gewesen, es trage keine Spuren davon
-an seinem Leibe, niemand habe seinen Tod gewollt,
-es sei im Wasser erstickt. Es sei gar nicht möglich, eine natürlichere
-Erklärung für seinen Tod zu finden.</p>
-
-<p>Der geehrte Herr Staatsanwalt habe auf ein Kleidungsstück
-hingedeutet: es sei ein dunkler Punkt, daß
-sie dieses halbe Hemd mit auf ihren Gang genommen
-habe. Aber nichts sei klarer als diese Dunkelheit; sie habe
-den Lappen mitgenommen, um Wacholderreis darein zu
-sammeln. Sie hätte ja auch &mdash; sagen wir einmal &mdash;
-einen Kissenbezug mitnehmen können, aber sie habe nun
-einmal das Stück Hemd mitgenommen; etwas habe sie ja
-doch haben müssen, sie hätte das Wacholderreis nicht in
-den Händen heimtragen können. Nein, hierüber könne
-sich das Gericht vollständig beruhigen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_358" id="Seite_358">[S. 358]</a></span></p>
-
-<p>Aber es gäbe da noch einen anderen Punkt, der nicht
-ganz so klar sei. Ist der Angeklagten die Unterstützung
-und die Sorgfalt zuteil geworden, die ihr Zustand zu
-jener Zeit verlangte? Wurde sie von ihrem Hausherrn
-mit Schonung behandelt? Schön, wenn er es getan hat.
-Das Mädchen habe hier während des Verhörs mit Anerkennung
-von ihrem Hausherrn gesprochen, das deute
-auf eine gute und edle Gesinnung von ihr. Der Mann
-selbst, Axel Ström, habe in seinen Aussagen die Beklagte
-durchaus nicht belastet &mdash; und darin habe er auch ganz
-recht getan, um nicht zu sagen klug, denn mit ihr würde
-auch er freigesprochen werden. Möglichst viel Schuld auf
-sie zu werfen, würde ja, wenn es zu ihrer Verurteilung
-führte, ihn selbst mit ins Verderben reißen.</p>
-
-<p>Es sei unmöglich, sich in der vorliegenden Sache in
-die Akten zu vertiefen, ohne vom innigsten Mitleid mit
-diesem Mädchen und ihrer Verlassenheit ergriffen zu
-werden. Und dennoch habe sie nicht nötig, die Barmherzigkeit
-anzurufen, sie wende sich nur an die Gerechtigkeit und
-das Verständnis. Sie und ihr Hausherr seien gewissermaßen
-verlobt miteinander, aber Uneinigkeit und entgegengesetzte
-Interessen schlössen die Ehe aus. Bei diesem
-Mann könne dieses Mädchen in der Zukunft nicht das
-Glück finden. Es sei nicht angenehm, davon zu reden, aber
-um noch einmal auf das mitgenommene Kleidungsstück
-zu kommen, wenn man der Sache nähertrete, so habe das
-Mädchen nicht eines von ihren eigenen, sondern eines
-von den Hemden ihres Hausherrn mitgenommen. Wir
-haben uns selbst gleich zu Anfang gefragt: War ihr dieses
-Hemd von ihm zur Verfügung gestellt worden? sagte
-der Verteidiger. Hier, meinten wir, könnte eine Möglichkeit
-bestehen, daß der Mann Axel die Hand mit im
-Spiel gehabt habe.</p>
-
-<p>Hm! machte es hinten im Saale. Das klang so hart
-und laut, daß der Redner innehielt, aller Augen suchten<span class="pagenum"><a name="Seite_359" id="Seite_359">[S. 359]</a></span>
-nach dem Urheber dieser Unterbrechung, und der Vorsitzende
-schleuderte einen scharfen Blick in jene Richtung.</p>
-
-<p>Aber, fuhr der Verteidiger fort, nachdem er sich wieder
-gefaßt hatte, auch über diesen Punkt können wir völlig
-beruhigt sein, dank der Angeklagten selbst. Obgleich es
-in ihrem Vorteil gelegen hätte, hier die Hälfte der Schuld
-von sich abzuwälzen, hat sie das doch nicht getan. Sie hat
-auf das bestimmteste Axel Ström von dem Verdacht freigesprochen,
-er habe etwas davon gewußt, daß sie sein
-Hemd statt des ihrigen an den Bach mitgenommen hatte
-&mdash; ich meine, mit in den Wald, um Wacholderreis zu
-holen. Es liegt nicht der mindeste Grund vor, an den
-Worten der Angeklagten zu zweifeln; diese haben überall
-Stich gehalten und halten auch hier Stich. Hätte sie
-das Hemd aus des Mannes Hand entgegengenommen,
-so würde das den vollendeten Kindsmord voraussetzen,
-und die Angeklagte mit ihrer Wahrheitsliebe will nicht
-dazu beitragen, den Mann zu einem Verbrecher zu stempeln,
-der er gar nicht ist. Im ganzen genommen macht
-sie redliche und offene Aussagen und hat nicht versucht,
-irgendwelche Schuld auf andere zu schieben. Dieser schöne
-Zug, gegen andere gut zu sein, zeigt sich überall bei ihr, so
-hat sie zum Beispiel die kleine Leiche auf die beste Art
-und mit großer Sorgfalt eingehüllt. In diesem Zustand
-hat sie der Lensmann im Grabe gefunden.</p>
-
-<p>Der Vorsitzende will &mdash; der Ordnung halber &mdash; darauf
-hinweisen, daß es das Grab Nummer zwei war, das der
-Lensmann fand, und in das habe ja Axel das Kind gelegt.</p>
-
-<p>Jawohl, das ist so, und ich danke dem Herrn Vorsitzenden!
-sagt der Verteidiger mit all der Ehrerbietung,
-die man der Justiz schuldig ist. Jawohl, das ist so. Aber
-nun hat doch Axel selbst ausgesagt, er habe die Leiche nur
-in das neue Grab hinübergehoben und sie darein gebettet.
-Und es ist doch unzweifelhaft, daß eine Frau ein
-Kind besser einzuhüllen versteht als ein Mann. Und wer<span class="pagenum"><a name="Seite_360" id="Seite_360">[S. 360]</a></span>
-hüllt es am allerbesten ein? Doch eine Mutter mit ihren
-liebevollen Händen!</p>
-
-<p>Der Vorsitzende nickt beifällig.</p>
-
-<p>Übrigens hätte nicht das Mädchen &mdash; wenn es wirklich
-zu der Sorte gehört hätte &mdash; das Kind einfach nackt begraben
-können? Ich will so weit gehen, zu sagen, sie
-hätte es in einen Kehrichteimer legen können. Sie hätte
-es über der Erde unter einem Baum liegenlassen können,
-daß es hätte erfrieren müssen &mdash; das heißt, wenn
-es nicht schon tot gewesen wäre. Sie hätte es in einem
-unbewachten Augenblick in den Ofen stecken und verbrennen
-können. Sie hätte es an den Bach von Sellanraa
-tragen und es dort hineinwerfen können. Aber von dem
-allem hat diese Mutter nichts getan, sie hat das Kind
-sorgfältig eingehüllt und begraben. Und wenn es so schön
-und gut eingewickelt war, wie es gefunden wurde, so ist
-es von einer Frau eingehüllt worden und nicht von einem
-Mann.</p>
-
-<p>Nun sagte der Verteidiger, jetzt hätten die Geschworenen
-darüber abzuurteilen, was von Schuld an dem Mädchen
-Barbro übrigbleibe, nach des Verteidigers Meinung
-bleibe keine übrig. Es könnte höchstens sein, daß die Geschworenen
-sie deshalb verurteilen wollten, weil sie den
-Todesfall nicht angezeigt habe. Aber das Kind sei nun
-einmal tot gewesen, es sei weit draußen im Ödland und
-viele Meilen zum Pfarrer und Lensmann, es habe seinen
-ewigen Schlaf in einem schönen Grabe im Walde schlafen
-dürfen. Wenn es ein Verbrechen sei, es so begraben zu
-haben, so teile die Beklagte dieses Verbrechen mit dem
-Vater des Kindes, aber dieses Verbrechen sei in jedem
-Fall verzeihlich. Man sei immer mehr davon abgekommen,
-die Verbrecher zu bestrafen, man suche sie zu bessern.
-In alten Zeiten sei man für alles mögliche gestraft
-worden, das sei nach dem Gesetz der Rache im Alten
-Testament gegangen: Auge um Auge, Zahn um Zahn.<span class="pagenum"><a name="Seite_361" id="Seite_361">[S. 361]</a></span>
-Nein, das sei nicht mehr der Geist, der jetzt in der Gesetzgebung
-walte; die moderne Rechtspflege sei menschlich;
-sie suche sich dem Grad der verbrecherischen <em class="gesperrt">Gesinnung</em>
-anzupassen, die die Betreffenden bewiesen
-hätten.</p>
-
-<p>Darum verurteilt dieses Mädchen nicht! rief der Verteidiger.
-Es handelt sich hier nicht darum, einen Verbrecher
-mehr zu fassen, nein, es handelt sich darum, der
-menschlichen Gesellschaft ein gutes und nützliches Mitglied
-zurückzugeben! Der Verteidiger deutete darauf hin,
-daß der Angeklagten nun in einer neuen Stelle, die ihr
-angeboten sei, die sorgfältigste Aufsicht zuteil werden
-würde. Frau Lensmann Heyerdahl habe aus reicher mütterlicher
-Erfahrung und weil sie Barbro seit vielen Jahren
-kenne, dieser ihr Haus weit aufgetan. Das Gericht möge
-nun im Vollgefühl seiner Verantwortung das Mädchen
-verurteilen oder freisprechen. Zum Schluß dankte der
-Verteidiger dem Staatsanwalt, daß er keine Verurteilung
-beantragt habe. Daran erkenne man sein tiefes
-menschliches Verständnis.</p>
-
-<p>Der Verteidiger setzte sich.</p>
-
-<p>Der Rest der Verhandlung nahm nicht mehr viel Zeit
-in Anspruch. Das Referat wiederholte dasselbe, von zwei
-Seiten gesehen, noch einmal, es gab eine kurze Übersicht
-über den ganzen Vorgang, trocken, langweilig und würdevoll.
-Es war alles sehr trefflich gegangen, sowohl der
-Staatsanwalt als der Verteidiger hatten in das Gebiet
-des Vorsitzenden hinübergegriffen, sie hatten ihm sein
-Amt leicht gemacht.</p>
-
-<p>Es wurde Licht angesteckt, zwei Hängelampen brannten
-und gaben ein erbärmliches Licht, bei dem der Vorsitzende
-kaum seine Anmerkungen lesen konnte. Er tadelte äußerst
-scharf, daß der Tod des Kindes den Behörden nicht gemeldet
-worden war; aber, sagte er, das wäre unter den
-vorliegenden Umständen weit eher dem Kindsvater zu<span class="pagenum"><a name="Seite_362" id="Seite_362">[S. 362]</a></span>gekommen
-als der Mutter, da sie zu schwach dazu gewesen
-sei. Nun hätten also die Geschworenen zu entscheiden,
-ob Geburt im geheimen und Kindsmord vorliege.
-Alles wurde noch einmal von Anfang bis zu Ende
-erklärt. Darauf folgte die gebräuchliche Ermahnung, der
-Verantwortung eingedenk zu sein, warum das Gericht
-eingesetzt sei, und endlich der bekannte Rat, im Zweifelsfalle
-zugunsten der Angeklagten zu entscheiden.</p>
-
-<p>Nun war alles klar.</p>
-
-<p>Die Geschworenen verließen den Saal und zogen sich
-zurück. Sie sollten sich über den Fragebogen beraten, der
-dem einen von ihnen mitgegeben worden war. Fünf Minuten
-waren sie weg, dann traten sie wieder ein mit
-einem Nein auf alle Fragen.</p>
-
-<p>Nein, das Mädchen Barbro hatte ihr Kind nicht getötet.</p>
-
-<p>Nun redete der Vorsitzende noch einige Worte und erklärte,
-das Mädchen Barbro sei frei.</p>
-
-<p>Die Zuhörer verließen den Saal. Die Komödie war zu
-Ende ...</p>
-
-<p>Irgend jemand ergreift Axel am Arm, es ist Geißler.
-Er sagt: So, nun bist du also die Geschichte los. &mdash; Ja,
-sagte Axel. &mdash; Und sie haben dich ganz unnötig vorgeladen.
-&mdash; Ja, sagte Axel wieder. Aber inzwischen hatte
-er sich etwas gefaßt und fuhr fort: Ich bin aber doch
-recht froh, daß ich so davongekommen bin. &mdash; Das hätte
-auch gerade noch gefehlt! rief Geißler, und er betonte
-jedes Wort nachdrücklich. &mdash; Davon bekam Axel den Eindruck,
-daß Geißler die Hand im Spiel gehabt, daß er
-eingegriffen habe. Gott mochte wissen, ob nicht am Ende
-Geißler das Gericht gelenkt und den Erfolg, den er selbst
-gewollt, herbeigeführt hatte. Das war dunkel.</p>
-
-<p>Allein so viel begriff Axel doch, daß Geißler den ganzen
-Tag über auf seiner Seite gestanden hatte. Ja, ich<span class="pagenum"><a name="Seite_363" id="Seite_363">[S. 363]</a></span>
-danke Euch vielmals, sagte er und wollte Geißler die
-Hand drücken. &mdash; Wofür? fragte Geißler. &mdash; Für &mdash;
-ja für alles miteinander. &mdash; Geißler wies ihn kurz ab.
-Ich hatte gar nicht im Sinn, etwas zu tun, es war nicht
-der Mühe wert. &mdash; Aber Geißler hatte darum doch vielleicht
-nichts gegen diesen Dank einzuwenden, es war, als
-hätte er darauf gewartet und hätte ihn nun erhalten.
-Ich habe keine Zeit, mich gerade jetzt noch länger mit
-dir zu unterhalten, sagte er. Gehst du morgen wieder nach
-Hause? Das ist gut. Leb wohl und auf Wiedersehen!
-Geißler ging die Straße hinunter ...</p>
-
-<p>Auf der Heimfahrt traf Axel auf dem Dampfschiff den
-Lensmann und seine Frau, Barbro und die zwei Mädchen,
-die als Zeuginnen vorgeladen gewesen waren. Nun, bist
-du nicht froh über den Ausgang der Sache? fragte die
-Frau Lensmann. &mdash; Doch, erwiderte Axel, er sei sehr
-froh, daß die Geschichte zu Ende sei. Auch der Lensmann
-ergriff das Wort und sagte: Das ist nun der zweite
-Kindsmordprozeß, den ich in der Gegend gehabt habe, der
-erste galt Inger von Sellanraa, jetzt bin ich auch den
-zweiten los. Nein, man darf solche Fälle nicht nur so
-hingehen lassen, dem Recht muß Genüge geschehen.</p>
-
-<p>Aber die Frau Lensmann begriff wohl, daß Axel ihr,
-wegen ihrer Aussagen gestern, nicht wohlgeneigt sein
-konnte, jetzt wollte sie das verwischen, wollte es wieder
-gutmachen. Du hast doch gestern begriffen, warum ich
-gegen dich gesprochen habe? sagte sie. &mdash; Ja, jawohl,
-erwiderte Axel. &mdash; Ja, du hast es gewiß eingesehen. Du
-hast doch sicher nicht gemeint, ich wolle dir schaden? Dich
-habe ich jederzeit für einen prächtigen Mann gehalten,
-das kann ich dir wohl sagen. &mdash; So! war alles, was
-Axel sagte, allein er war froh und gerührt. &mdash; Jawohl,
-das habe ich, sagte die Frau Lensmann. Aber ich war
-genötigt, dir einen kleinen Teil von der Schuld zuzuschieben,
-sonst wäre Barbro verurteilt worden, und du<span class="pagenum"><a name="Seite_364" id="Seite_364">[S. 364]</a></span>
-mit ihr. Es geschah meinerseits in der besten Absicht. &mdash;
-Jawohl, ja, und ich danke Euch bestens. &mdash; Ich bin es
-gewesen und sonst niemand anders, die in der Stadt von
-Herodes zu Pilatus gelaufen ist und für euch beide gewirkt
-hat. Und du hast doch wohl begriffen, daß wir
-alle, wie wir es vor Gericht getan haben, einen Teil
-Schuld auf dich laden mußten, um euch beide frei zu bekommen!
-&mdash; Ja, sagte Axel. &mdash; Und du hast doch wohl
-keinen Augenblick geglaubt, daß ich gegen dich sei, nicht
-wahr? Ich gegen dich sein, wo ich dich doch für so einen
-ausgezeichneten Mann halte!</p>
-
-<p>Wie tat das gut nach all den Demütigungen! Axel
-war jetzt jedenfalls so gerührt, daß er wahrhaftig der
-Frau Lensmann etwas schenken wollte, irgend etwas, um
-ihr seine Dankbarkeit zu beweisen, vielleicht ein Stück
-Schlachtvieh im Herbst. Er hatte einen jungen Ochsen.</p>
-
-<p>Die Frau Lensmann Heyerdahl hielt Wort: sie nahm
-Barbro zu sich. Auch schon hier auf dem Schiff nahm
-sie sich ihrer an und ließ sie weder frieren noch hungern,
-und sie duldete auch nicht, daß Barbro mit dem bergenschen
-Steuermann schäkerte. Als es das erstemal geschah,
-sagte Frau Heyerdahl nichts darüber, sie rief nur Barbro
-zu sich. Aber siehe da, bald stand Barbro wieder bei dem
-Steuermann und schäkerte mit ihm, sie machte einen schiefen
-Kopf, sprach bergenschen Dialekt und lächelte hold;
-da rief Frau Heyerdahl sie abermals zu sich und sagte:
-Es will mir nicht gefallen, Barbro, daß du dich jetzt auf
-Unterhaltungen mit Mannsleuten einläßt. Denk doch
-daran, was du durchgemacht hast und wo du herkommst.
-&mdash; Ich habe nur gehört, daß er aus Bergen ist, und deshalb
-ein paar Worte mit ihm gesprochen, erwiderte
-Barbro.</p>
-
-<p>Axel sprach nicht mit ihr. Er bemerkte aber, daß ihre
-Haut fein und blaß war und daß sie schöne Zähne bekommen
-hatte. Seine Ringe trug sie nicht an den Fingern.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_365" id="Seite_365">[S. 365]</a></span></p>
-
-<p>Und nun schreitet Axel also wieder durchs Ödland hinauf.
-Es stürmt und regnet zwar, aber er ist seelenvergnügt,
-er hat die Mähmaschine und den Reolpflug am
-Landungsplatz gesehen. Ach, dieser Geißler! Kein Wort
-hat er in der Stadt von dieser Sendung verlauten lassen.
-Er war ein merkwürdiger Herr.</p>
-
-
-
-<h3>8</h3>
-
-
-<p>Axel hatte daheim keine lange Ruhezeit; mit den
-Herbststürmen begann eine persönliche Mühe und
-ein großer Verdruß, den er sich selbst zugezogen
-hatte: Der Telegraph an seiner Wand meldete, daß die
-Linie in Unordnung sei.</p>
-
-<p>Ach, er war zu gierig nach dem baren Geld gewesen,
-als er diesen Posten übernommen hatte! Alles war von
-Anfang an unangenehm gewesen, Brede Olsen hatte ihm
-gewissermaßen gedroht, als er die Telegraphensachen und
-das Werkzeug bei ihm abholte; er hatte gesagt: Du denkst
-wohl nicht mehr daran, daß ich dir im Winter das Leben
-gerettet habe? &mdash; Oline hat mir das Leben gerettet, erwiderte
-Axel. &mdash; So, habe ich dich nicht auf meinem eigenen
-armen Rücken nach Hause getragen? Und außerdem
-hast du im Sommer nur darauf gepaßt, mir meinen Hof
-abzukaufen und mich für den Winter heimatlos zu
-machen. Ja, Brede war tief gekränkt, er sagte: Nimm
-du nur den Telegraphen und das ganze Zeug mit dir.
-Ich und meine Familie, wir lassen uns im Dorf nieder
-und fangen etwas an; was es ist, weißt du nicht, aber
-es ist etwas mit einem Hotel und einem Platz, wo die
-Leute Kaffee trinken können. Oh, meinst du, wir werden
-nicht durchkommen? Meine Frau kann alle Arten von
-Lebensmitteln verkaufen, und ich selbst kann Geschäfte
-machen und viel mehr dabei verdienen als du. Aber ich<span class="pagenum"><a name="Seite_366" id="Seite_366">[S. 366]</a></span>
-will dir nur sagen, Axel, ich könnte dir allerlei Possen
-spielen, da ich den ganzen Telegraphen sehr gut kenne;
-ich könnte Stangen umwerfen und Drähte abreißen.
-Dann müßtest du mitten in der dringendsten Arbeit hinaus.
-Das will ich dir nur sagen, und du kannst es dir
-hinter die Ohren schreiben ...</p>
-
-<p>Jetzt aber hätte Axel notwendig die Maschinen vom
-Landungsplatz heraufholen sollen &mdash; ach, jede davon war
-so schön vergoldet und bunt bemalt wie ein Bild, er hätte
-sie heute haben und sie besehen und sich genau in ihrem
-Gebrauch unterrichten können &mdash; jetzt mußten sie stehenbleiben.
-Es war nicht gut, wenn er wegen der Telegraphenlinie
-wichtige Arbeit versäumen mußte. Aber es
-brachte doch Geld ein.</p>
-
-<p>Oben auf dem Berg trifft er Aronsen. Der Kaufmann
-Aronsen steht da und schaut in den Sturm hinaus, ja, er
-stand da wie eine Erscheinung. Was wollte er da oben?
-Er hatte wohl keine Ruhe mehr gehabt und war in die
-Berge gegangen, um selbst die Gruben zu untersuchen.
-Seht, das tat der Kaufmann Aronsen aus reiner Besorgnis
-für sich und seine Zukunft. Nun steht er da auf
-dem verlassenen Berg vor lauter Elend und Zerstörung:
-verrostete Maschinen, Handwerkszeug, Fuhrwerke, vieles
-davon unter freiem Himmel, alles ganz trostlos. An verschiedenen
-Stellen waren an den Wänden der Baracken
-geschriebene Zettel angeheftet, die verboten, die Gebäude,
-Gerätschaften und Wagen der Gesellschaft zu beschädigen
-oder etwas davon mitzunehmen.</p>
-
-<p>Axel fängt ein Gespräch mit dem zornigen Krämer an
-und fragt: Seid Ihr auf der Jagd? &mdash; Ja, wenn ich ihn
-nur getroffen hätte! antwortete Aronsen. &mdash; Wen hättet
-Ihr denn gerne getroffen? &mdash; Wen denn sonst, als den
-Mann, der mich und alle hier herum ins Verderben
-bringt? Den Mann, der seinen Berg nicht verkaufen will
-und weder Bewegung, noch Handel, noch Geld unter die<span class="pagenum"><a name="Seite_367" id="Seite_367">[S. 367]</a></span>
-Leute kommen läßt. &mdash; Meint Ihr den Geißler? &mdash; Ja,
-gerade den Kerl meine ich. Er müßte erschossen werden!
-&mdash; Axel lacht und sagt: Der Geißler war jetzt vor wenigen
-Tagen in der Stadt, da hättet Ihr ihn treffen können.
-Aber nach meiner geringen Meinung glaube ich nicht, daß
-Ihr den Mann dafür verantwortlich machen solltet. &mdash;
-Warum nicht? fragte Aronsen wütend. &mdash; Ich fürchte,
-er wäre etwas zu unergründlich und zu hochangesehen für
-Euch. &mdash; Sie stritten eine Weile darüber, und Aronsen
-wurde immer heftiger. Zum Schluß fragte Axel im
-Scherz: Na, Ihr werdet uns hier im Ödland doch nicht
-stecken lassen und ganz von hier fortziehen wollen? &mdash;
-Meinst du etwa, ich wolle hier in euren Sümpfen verfaulen
-und nicht einmal den Tabak für meine Pfeife verdienen?
-rief Aronsen ärgerlich. Wenn du mir einen Käufer
-verschaffst, so verkaufe ich auf der Stelle. &mdash; Einen
-Käufer? rief Axel. Auf Eurem Grundstück ist guter Boden,
-wenn Ihr ihn bebauen wolltet. Bei der Größe des
-Grundstücks nährt es seinen Mann. &mdash; Du hörst doch,
-daß ich nicht in der Erde graben mag! rief Aronsen wieder
-in den Sturm hinaus. Ich kann etwas Besseres tun.
-&mdash; Axel meinte, ein Käufer werde wohl zu finden sein,
-aber Aronsen verhöhnte den bloßen Gedanken daran. Im
-ganzen Ödland ist kein einziger Mann, der mich auszahlen
-könnte. &mdash; Nein, nicht gerade hier im Ödland. Aber es
-gibt noch andere. &mdash; Ach, hier ist nichts als Armut und
-Elend! rief Aronsen wütend. &mdash; Ja, das mag sein. Aber
-der Isak auf Sellanraa könnte Euch jeden Tag auszahlen,
-sagte Axel beleidigt. &mdash; Das glaube ich nicht, entgegnete
-Aronsen. &mdash; Es ist mir gleichgültig, was Ihr
-glaubt, sagte Axel und wollte weitergehen. &mdash; Aber Aronsen
-rief ihm nach: Wart doch einen Augenblick! Meinst
-du wirklich, Isak könnte mich von Storborg befreien?
-&mdash; Ja, erwidert Axel. Von fünf Storborg, was das
-Geld und die Mittel anbelangt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_368" id="Seite_368">[S. 368]</a></span></p>
-
-<p>Aronsen war beim Aufstieg um Sellanraa herumgegangen,
-er hatte sich nicht sehen lassen wollen, jetzt
-auf dem Heimweg ging er hinein und hatte eine Unterredung
-mit Isak. Nein, sagte Isak und schüttelte nur
-den Kopf. Daran habe ich noch nie gedacht und habe es
-auch nicht im Sinn. &mdash;</p>
-
-<p>Aber als Eleseus zu Weihnachten nach Hause kam,
-war Isak nicht mehr ganz so ablehnend. Er selbst hatte
-jedenfalls noch nie so etwas Verrücktes gehört, wie Storborg
-zu kaufen, dieser Einfall wäre ihm jedenfalls nicht
-selbst gekommen, wenn aber Eleseus meinte, das Geschäft
-sei etwas für ihn, dann konnte man sich die Sache
-ja überlegen.</p>
-
-<p>Eleseus selbst schwankte. Er war nicht dafür, aber auch
-auch nicht dagegen. Blieb er jetzt zu Hause, so war es gewissermaßen
-mit ihm aus und vorbei; das Ödland war
-nicht die Stadt.</p>
-
-<p>Im Herbst, als die Leute aus der Gegend zu dem
-großen Verhör in der Stadt vorgeladen waren, vermied
-er es, sich zu zeigen, er hatte keine Lust, mit diesen Dörflern
-zusammenzutreffen, sie gehörten einer anderen Welt
-an. Und sollte er nun selbst in diese Welt zurückkehren?</p>
-
-<p>Seine Mutter wollte, man solle kaufen. Sivert wollte
-auch, daß gekauft werde; die beiden taten sich mit Eleseus
-zusammen, und eines schönen Tages fuhren alle drei nach
-Storborg hinunter, um sich dort die Herrlichkeit zu beschauen.</p>
-
-<p>Aber mit der Aussicht, sein Gut loszuwerden, wurde
-Aronsen sofort ein ganz anderer: er habe nicht nötig, zu
-verkaufen! Wenn er von hier fortgehe, so könne der Hof
-einfach liegenbleiben, der Hof sei bom konstant, ein
-prächtiges Gut, er könne es jeden Tag verkaufen. Ihr
-zahlt mir doch nicht, was ich dafür haben will, behauptete
-Aronsen. &mdash; Sie gingen durch alle Räume, waren im
-Stall, im Vorratshaus, sie besahen sich die armseligen<span class="pagenum"><a name="Seite_369" id="Seite_369">[S. 369]</a></span>
-Reste von Waren: einige Mundharmoniken, Uhrketten,
-Schachteln mit rosa Papier, Hängelampen mit Prismen,
-lauter bei den Ansiedlern unverkäufliche Sachen. Außerdem
-war noch ein Rest Baumwollstoffe vorhanden und
-einige Kisten mit Nägeln.</p>
-
-<p>Eleseus spielte sich auf und beschaute alles mit Sachkenntnis.
-Für diese Art Waren hab' ich keine Verwendung,
-sagte er. &mdash; Ihr braucht sie ja nicht zu kaufen, erwiderte
-Aronsen. &mdash; Aber ich biete Euch fünfzehnhundert Kronen
-für den Hof, so wie er dasteht, mit Waren und Viehstand
-und allem zusammen, sagte Eleseus. Oh, es war
-ihm sehr gleichgültig, sein Angebot war nur ein Spott, er
-wollte sich aufspielen.</p>
-
-<p>Dann fuhren sie wieder nach Hause. Nein, es wurde
-nichts aus dem Geschäft. Eleseus hatte Aronsen ein
-Schandangebot gemacht und ihn damit beleidigt: Ich höre
-überhaupt gar nicht hin, was du sagst, erklärte Aronsen
-und duzte ihn, duzte diesen städtischen Springinsfeld, der
-den Kaufmann Aronsen über Waren belehren wollte. &mdash;
-Soviel ich weiß, habe ich nicht Brüderschaft mit dir getrunken,
-sagte Eleseus ebenso erzürnt. Oh, das mußte
-eine lebenslängliche Feindschaft geben!</p>
-
-<p>Aber warum war Aronsen vom ersten Augenblick an
-so aufgeblasen gewesen und hatte getan, wie wenn er
-nicht zum Verkaufen genötigt wäre? Das hatte seinen
-Grund, Aronsen hatte nämlich wieder eine Art Hoffnung.</p>
-
-<p>Im Dorf unten war eine Versammlung abgehalten
-worden, um den Zustand zu besprechen, der dadurch eingetreten
-war, daß Geißler seinen Berg nicht verkaufen
-wollte. Nicht nur das Ödland litt darunter, der ganze
-Bezirk kämpfte mit dem Tode. Aber warum konnten
-denn die Menschen jetzt nicht mehr ebenso gut oder schlecht
-leben wie damals, bevor der Versuchsbetrieb in Angriff
-genommen war? Nein, das konnten die Menschen nicht!<span class="pagenum"><a name="Seite_370" id="Seite_370">[S. 370]</a></span>
-Sie hatten sich jetzt an weiße Grütze gewöhnt und an
-weißes Brot, an gekaufte Kleiderstoffe, hohe Löhne, ein
-flottes Leben, ja, die Menschen hatten sich daran gewöhnt,
-viel Geld zu haben. Doch nun war der Geldstrom versiegt,
-wie ein Heringszug war er wieder im Meer verschwunden;
-lieber Gott, was war das für eine Not, was
-ließ sich da machen?</p>
-
-<p>Es war kein Zweifel, der ehemalige Lensmann Geißler
-wollte sich am Dorfe rächen, weil es dem Amtmann beigestanden
-hatte, ihn abzusetzen, und es war auch gar
-kein Zweifel, daß das Dorf diesen Mann unterschätzt
-hatte. Er war nicht so dumm. Mit dem ganz einfachen
-Mittel, eine schamlose Viertelmillion für ein Stück Berg
-zu verlangen, hielt er die ganze Entwicklung der Gemeinde
-auf. War er nicht mächtig? Axel Ström von
-Maaneland konnte hier mitreden, er hatte Geißler zuletzt
-gesprochen. Barbro, Bredes Tochter, war in der
-Stadt vor Gericht geladen gewesen und freigesprochen
-wieder nach Hause gekommen, und da war Geißler während
-der ganzen Verhandlung zugegen gewesen! Und wer
-etwa meinte, der Geißler habe abgewirtschaftet und liege
-danieder wie irgendein armer Schlucker, der brauchte ja
-nur die teuren Maschinen zu betrachten, die er Axel zum
-Geschenk gemacht hatte!</p>
-
-<p>Dieser Mann hielt also das Geschick des Bezirks in
-seiner Hand, und man mußte sich mit ihm abfinden.
-Um wieviel würde Geißler wohl im allerletzten Fall seinen
-Berg verkaufen? Darüber mußte man ins reine kommen.
-Die Schweden hatten ihm fünfundzwanzigtausend geboten,
-das hatte Geißler abgelehnt. Aber wie, wenn nun
-das Dorf, wenn die Gemeinde den Rest zuschoß, damit
-das Geschäft zustande kam? Wenn es nicht eine gar zu
-ungereimte Summe war, würde es sich lohnen. Sowohl
-der Kaufmann unten an der Küste, als auch der Kaufmann
-Aronsen auf Storborg würden ganz in der Stille<span class="pagenum"><a name="Seite_371" id="Seite_371">[S. 371]</a></span>
-und in aller Heimlichkeit einen Beitrag geben; eine solche
-jetzt gemachte Auslage würde ihnen mit der Zeit wieder
-hereinkommen.</p>
-
-<p>Schließlich waren zwei Mann beauftragt worden, zu
-Geißler zu reisen und mit ihm zu reden. Und die wurden
-nun bald zurückerwartet.</p>
-
-<p>Seht, darum hatte Aronsen wieder Hoffnung gefaßt
-und glaubte, einen Mann, der Storborg kaufen wollte,
-hochfahrend behandeln zu können. Aber er sollte nicht
-lange hochfahrend bleiben.</p>
-
-<p>Nach einer Woche kamen die zwei Abgesandten mit
-einer unbedingten Ablehnung heim. Ach, das schlimme
-an der Sache war schon von Anfang an, daß einer der
-beiden Abgesandten Brede Olsen war &mdash; weil er so gut
-Zeit hatte. Die Männer hatten Geißler ganz richtig aufgefunden,
-aber Geißler hatte nur den Kopf geschüttelt
-und gelacht. Reist nur wieder nach Hause! hatte er gesagt;
-aber er hatte ihnen die Heimreise bezahlt.</p>
-
-<p>Und so mußte nun also der ganze Bezirk untergehen!</p>
-
-<p>Nachdem Aronsen eine Zeitlang getobt hatte und allmählich
-immer ratloser geworden war, ging er eines
-Tages hinauf nach Sellanraa und schloß den Handel ab.
-Ja, das tat Aronsen. Eleseus bekam, was er haben
-wollte, einen Hof mit Gebäuden und Vieh und Waren
-für fünfzehnhundert Kronen. Allerdings zeigte es sich
-bei der Übernahme, daß Aronsens Frau den größten Teil
-des Baumwollzeugs an sich genommen hatte; um solche
-Kleinigkeiten kümmerte sich jedoch ein Mann wie Eleseus
-nicht. Man darf nicht kleinlich sein! sagte er.</p>
-
-<p>Aber im ganzen genommen war Eleseus nichts weniger
-als entzückt. Nun war sein Lebenslauf also besiegelt, das
-Ödland würde sein Grab werden. Er mußte alle seine
-großen Pläne fahren lassen; Büroschreiber war er nicht
-mehr, Lensmann konnte er nicht werden, nein, er war
-nicht einmal ein städtischer Herr. Seinem Vater und den<span class="pagenum"><a name="Seite_372" id="Seite_372">[S. 372]</a></span>
-andern daheim gegenüber tat er ein wenig groß damit,
-daß er Storborg genau um den Preis, den er geboten,
-auch bekommen hatte, da konnten sie sehen, daß er sich
-auf die Sache verstand! Aber dieser kleine Triumph
-reichte nicht weit. Er hatte auch die Befriedigung, den
-Ladendiener Andresen mit übernehmen zu können, der
-ging gewissermaßen bei dem Handel mit drein, Aronsen
-brauchte ihn nicht mehr, solange er kein neues Geschäft
-hatte. Es kitzelte Eleseus ganz eigenartig, als Andresen
-kam und fragte, ob er nicht bleiben dürfe; da war er nun
-zum erstenmal Herr und Meister. Du kannst bleiben!
-sagte er. Ich muß hier am Platz einen Stellvertreter
-haben, wenn ich meine Geschäftsreisen mache und Handelsverbindungen
-mit Bergen und Drontheim anknüpfe,
-sagte er.</p>
-
-<p>Und Andresen war kein schlechter Stellvertreter, das
-sah er gleich; er war fleißig und hielt gute Aufsicht,
-während der Herr und Meister Eleseus abwesend war.
-Nur im Anfang hatte der Ladendiener Andresen hier im
-Ödland den großen und feinen Herrn herausgekehrt, und
-daran war sein Herr, Aronsen, schuld gewesen. Jetzt war
-es anders geworden. Als im Frühjahr die Moore etwas
-aufgetaut waren, kam Sivert von Sellanraa nach Storborg
-hinunter und fing an, bei seinem Bruder Gräben zu
-ziehen &mdash; und da ging wahrhaftig auch der Ladendiener
-Andresen hinaus aufs Moor und half Gräben ziehen aus
-was für einem Grunde es auch geschehen mochte, da
-er es eigentlich nicht nötig hatte; aber ein Mann von
-solcher Art war er. Der Boden war noch so wenig aufgetaut,
-daß sie lange nicht tief genug graben konnten,
-aber sie taten einstweilen wenigstens die halbe Arbeit, und
-das war schon viel getan. Es war des alten Isaks Gedanke,
-auf Storborg die Moore zu entwässern und Ackerbau
-zu treiben, der kleine Kramhandel sollte nur so nebenbei
-betrieben werden, daß die Leute im Ödland nicht nötig<span class="pagenum"><a name="Seite_373" id="Seite_373">[S. 373]</a></span>
-hatten, ins Dorf zu gehen, wenn sie eine Rolle Faden
-brauchten.</p>
-
-<p>So zogen also Sivert und Andresen Gräben und verschnauften
-sich zuweilen und führten eine muntere Unterhaltung.
-Andresen war auf irgendeine Weise in den Besitz
-eines goldenen Zwanzigkronenstücks gekommen, und
-nach diesem blitzblanken Goldstück verspürte Sivert großes
-Gelüste; aber Andresen wollte sich nicht davon trennen, er
-wickelte es in Seidenpapier und verwahrte es in seiner
-Truhe. Sivert schlug vor, sie wollten um das Geldstück
-losen, sie wollten darum kämpfen, aber darauf wagte
-Andresen sich nicht einzulassen. Sivert bot ihm dann
-zwanzig Kronen in Papier, und außerdem wollte er das
-ganze Moor allein entwässern, wenn er das Geldstück bekomme.
-Aber da war der Ladendiener Andresen beleidigt
-und sagte: So, damit du deinen Leuten zu Hause erzählen
-könntest, ich brächte es nicht fertig, im Moor zu arbeiten!
-Zuletzt einigten sie sich über fünfundzwanzig Kronen in
-Papier für das Goldstück, und Sivert lief in der Nacht
-nach Sellanraa und bekam das Papiergeld von seinem
-Vater.</p>
-
-<p>Ein jugendlicher Einfall, ein Einfall der wackeren,
-lebenskräftigen Jugend! Eine durchwachte Nacht, eine
-Meile hin, eine Meile her, den Tag darauf wieder die
-volle Arbeit &mdash; das war nichts für den kräftigen jungen
-Mann, und es war ein schönes Goldstück. Es war nicht
-ausgeschlossen, daß sich Andresen wegen dieses guten
-Handels ein wenig über ihn lustig machte; aber da wußte
-Sivert guten Rat, er brauchte nur ein Wort von Leopoldine
-verlauten zu lassen, etwa: Ach ja, das ist wahr, ich
-sollte dich von Leopoldine grüßen! so hörte Andresen sofort
-auf und wurde dunkelrot.</p>
-
-<p>Es waren vergnügliche Tage für die beiden, während
-sie im Moor arbeiteten und sich zum Spaß stritten, wieder
-arbeiteten und wieder stritten. Zuweilen kam Eleseus<span class="pagenum"><a name="Seite_374" id="Seite_374">[S. 374]</a></span>
-zu ihnen heraus und half mit, aber er wurde rasch müde,
-er hatte weder einen starken Körper noch einen starken
-Willen, aber er war der liebenswürdigste Mensch. &mdash;
-Da kommt die Oline! konnte der Schäker Sivert sagen.
-Nun mußt du heimgehen und ihr wieder ein halbes Pfund
-Kaffee verkaufen! Und das tat Eleseus gerne. Er ging
-hin und verkaufte Oline irgendeine Kleinigkeit. Solange
-brauchte er doch keine Schollen umzukehren.</p>
-
-<p>Und die arme Oline, sie mußte von Zeit zu Zeit ein
-paar Kaffeebohnen haben, ob sie nun ein seltenes Mal
-das Geld dazu von Axel bekam oder sich die Bohnen für
-einen kleinen Ziegenkäse eintauschte. Oline war nicht mehr
-so ganz unverändert, der Dienst auf Maaneland war im
-Grunde zu schwer für dies alte Weib und hatte an ihr
-gezehrt, aber doch nicht so sehr, daß sie ihr Alter oder ihre
-Hinfälligkeit zugegeben hätte, hoho, sie hätte ihre Meinung
-ordentlich gesagt, wenn ihr aufgekündigt worden
-wäre! Sie war zäh und nicht unterzukriegen, tat ihre
-Arbeit und fand noch Zeit, zu den Nachbarn zu wandern
-und einen kleinen, unendlich angenehmen Schwatz zu
-halten, den sie daheim vermissen mußte, denn Axel war
-kein Redner.</p>
-
-<p>Sie war unzufrieden mit der Gerichtsverhandlung,
-enttäuscht von dem Ausfall der Verhandlung, dem Freispruch
-auf der ganzen Linie. Daß Barbro, Bredes Tochter,
-ohne Strafe davonkam, wenn Inger auf Sellanraa
-acht Jahre bekommen hatte, das konnte Oline nicht fassen
-und begreifen, sie nahm ein ganz unchristliches Ärgernis
-daran, daß man gegen eine andere &#8222;so gütig gewesen
-war&#8221;. &mdash; Aber der Allmächtige hat seine Meinung noch
-nicht kundgetan! sagte Oline und nickte mit dem Kopfe.
-Sie stellte damit ein mögliches späteres himmlisches
-Strafgericht in Aussicht. Natürlich war Oline außerstande,
-ihr Mißvergnügen über die Sache bei sich zu behalten;
-besonders wenn sie mit ihrem Hausherrn über<span class="pagenum"><a name="Seite_375" id="Seite_375">[S. 375]</a></span>
-das eine oder andere uneinig wurde, machte sie auf ihre
-Weise Andeutungen und wurde äußerst spitzig: Ja, ich
-weiß nicht, wie das Gesetz jetzt gegen die Sünder von
-Sodom und Gomorra geworden ist. Ich aber halte mich
-an Gottes Wort, so einfältig bin ich.</p>
-
-<p>Ach, Axel war seiner Haushälterin mehr als überdrüssig
-und wünschte sie dahin, wo der Pfeffer wächst. Nun kam
-das Frühjahr wieder, und er mußte wieder alle Feldarbeit
-allein verrichten. Dann kam die Heuernte, und er war
-verraten und verkauft. Das waren Aussichten! Seine
-Schwägerin auf Breidablick hatte heim nach Helgeland
-geschrieben und versucht, eine ordentliche weibliche Hilfskraft
-für ihn aufzutreiben, aber bis jetzt war es ihr noch
-nicht geglückt. Und jedenfalls hätte er dann das Reisegeld
-bezahlen müssen.</p>
-
-<p>Nein, das war eine böse und schlechte Tat von Barbro
-gewesen, das kleine Kind auf die Seite zu schaffen und
-selbst auf und davon zu gehen. Zwei Winter und einen
-Sommer hatte er sich nun mit Oline behelfen müssen,
-und es sah ganz so aus, als ob es noch länger so bleiben
-müßte. Aber nahm sich Barbro, die schlechte Person, dies
-irgendwie zu Herzen? Er hatte einmal während des Winters
-drunten im Dorf einige Worte mit ihr gesprochen,
-aber keine Träne war ihr langsam heruntergerollt und
-da festgefroren. &mdash; Was ist aus den Ringen geworden,
-die ich dir gegeben habe? fragte er. &mdash; Ringe? sagte sie.
-&mdash; Ja, Ringe. &mdash; Die hab' ich nicht mehr. &mdash; So, du
-hast sie nicht mehr? &mdash; Zwischen uns war ja alles aus,
-sagte sie, da konnte ich doch die Ringe nicht mehr tragen.
-Das ist nicht der Brauch, wenn doch alles aus ist. &mdash; Ich
-möchte nur wissen, was du damit angefangen hast. &mdash;
-Willst du sie wiederhaben? fragte sie. Ich hätte dich nicht
-für so gemein gehalten. &mdash; Axel überlegte einen Augenblick,
-dann sagte er: Ich hätte dich dafür entschädigen
-können. Du hättest sie nicht umsonst hergeben müssen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_376" id="Seite_376">[S. 376]</a></span></p>
-
-<p>Aber nichts da, Barbro hatte die Ringe abgelegt und
-gab Axel nicht einmal Gelegenheit, um einen billigen
-Preis zu einem goldenen und einem silbernen Ring zu
-kommen.</p>
-
-<p>Übrigens war Barbro nicht roh und häßlich, nein, das
-war sie keineswegs. Sie trug eine lange Schürze mit
-Trägern und Falten, und um ihren Hals stand ein weißer
-Streifen in die Höhe, das war hübsch. Die Leute behaupteten,
-sie habe sich im Dorf bereits wieder einen Schatz
-angeschafft, aber das war vielleicht nur Gerede; die Frau
-Lensmann hielt sie jedenfalls gut im Zaum und ließ sie
-in diesem Jahr durchaus nicht zum Weihnachtstanz gehen.</p>
-
-<p>Na, diese Frau Lensmann paßte wahrlich gut auf;
-während Axel auf der Straße mit seiner früheren Magd
-über zwei Ringe verhandelte, trat die Frau Lensmann
-plötzlich dazwischen und sagte: Du solltest mir doch etwas
-aus dem Laden holen, Barbro! &mdash; Barbro lief davon.
-Nun wandte sich die Frau an Axel und sagte: Könntest
-du mir nicht irgendein Stück Schlachtvieh verkaufen?
-&mdash; Hm! war alles, was Axel erwiderte, und er grüßte
-höflich.</p>
-
-<p>Es war ja gerade diese Frau Lensmann gewesen, die
-ihn im Herbst als einen ausgezeichneten, ja als einen der
-allerausgezeichnetsten Menschen gelobt und gepriesen
-hatte, das verdiente wohl ein Entgegenkommen. Axel
-kannte von früher her die ländliche Art des Benehmens,
-den großen Herren und der Obrigkeit gegenüber, und es
-hatte ihm ja auch gleich ein Stück Schlachtvieh, ein junges
-Rind, das er opfern könnte, vorgeschwebt. Aber es verging
-ein Tag um den andern, der ganze Herbst verging
-und ein Monat nach dem andern, und er sparte das Rind.
-Es sah nicht danach aus, als ob irgend etwas Schlimmes
-geschehen würde, wenn er es ganz behielte; er wäre jedenfalls
-um so viel ärmer, wenn er es weggäbe, und es
-war ein Staatsrind.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_377" id="Seite_377">[S. 377]</a></span></p>
-
-<p>Hm. Guten Tag! Nein, sagte Axel und schüttelte den
-Kopf, er habe kein Schlachtvieh. &mdash; Es war, als ob die
-Frau seine innersten Gedanken erriete, denn sie sagte:
-Ich habe gehört, du habest ein junges Rind. &mdash; Jawohl,
-das hab' ich, erwiderte er. &mdash; Willst du es aufziehen?
-&mdash; Ja, ich will es aufziehen. &mdash; So, sagte die Frau
-Lensmann. Und hast du nicht einen Hammel? &mdash; Nein,
-jetzt nicht. Ich habe nämlich nicht mehr Vieh behalten,
-als ich großziehen will. &mdash; Nun ja, dann ist es eben
-nichts, sagte die Frau Lensmann, nickte ihm zu und ging.</p>
-
-<p>Axel fuhr nach Hause, aber er dachte weiter über diese
-Unterredung nach, und er fürchtete, er habe sich am Ende
-dumm benommen. Die Frau Lensmann war doch einmal
-eine wichtige Zeugin gewesen, für ihn und gegen ihn,
-aber eine wichtige Zeugin. Man hatte ihm ja allerlei
-nachgesagt, aber er war doch aus einer schwierigen und
-unheimlichen Geschichte mit einer Kindsleiche in seinem
-Walde glatt herausgekommen. Er mußte am Ende doch
-einen Hammel opfern.</p>
-
-<p>Übrigens merkwürdig, dieser Gedanke stand in einem
-fernen Zusammenhang mit Barbro. Wenn er mit einem
-Hammel zu ihrer Herrin kam, mußte Barbro doch einen
-gewissen Eindruck von ihm bekommen.</p>
-
-<p>Aber wieder verging ein Tag um den andern, und es
-geschah nichts Schlimmes durch den Aufschub. Als er
-wieder ins Dorf hinunterfuhr, nahm er keinen Hammel
-mit, nein; das tat er nicht. Aber im letzten Augenblick
-nahm er ein Lamm mit. Es war übrigens ein großes
-Lamm, also kein geringes Tier, und als er damit ankam,
-sagte er: Die Hammel haben ein zähes Fleisch, ich wollte
-Ihnen etwas wirklich Gutes bringen. &mdash; Aber die Frau
-Lensmann wollte nichts von einem Geschenk hören. Sag,
-was du für das Lamm haben willst, sagte sie. Diese
-Dame hielt etwas auf öffentliche Ordnung. Nein, danke,
-sie nahm keine Geschenke von den Leuten entgegen. Und<span class="pagenum"><a name="Seite_378" id="Seite_378">[S. 378]</a></span>
-die Sache lief wahrhaftig darauf hinaus, daß Axel sein
-Lamm gut bezahlt bekam.</p>
-
-<p>Barbro bekam er nicht zu Gesicht. Die Frau Lensmann
-hatte ihn wohl kommen sehen und Barbro aus dem Wege
-geschafft. Na, Glück zu, Barbro hatte ihn anderthalb
-Jahre lang um seine weibliche Hilfskraft betrogen!</p>
-
-
-
-<h3>9</h3>
-
-
-<p>Im Frühjahr ereignete sich etwas höchst Unerwartetes
-und dabei sehr Bedeutungsvolles: der Betrieb
-in den Kupfergruben sollte wieder aufgenommen
-werden, Geißler hatte seinen Berg verkauft. War das
-Unglaubliche geschehen? Ach, dieser Geißler war nun einmal
-ein unergründlicher Herr, er konnte tun und konnte
-lassen, verneinend den Kopf schütteln und bejahend nicken.
-Er konnte ein ganzes Dorf wieder zum Lächeln bringen.</p>
-
-<p>Hatte ihm am Ende doch das Gewissen geschlagen und
-wollte er den Bezirk, in dem er Lensmann gewesen war,
-nicht länger mit selbstgebauter Grütze und mit Geldmangel
-strafen? Oder hatte er gar seine Viertelmillion
-bekommen? Oder war vielleicht die Sache so, daß Geißler
-selbst Geld brauchte und den Berg für das, was er
-eben dafür bekam, verkaufen mußte? Fünfundzwanzigtausend
-oder fünfzigtausend sind ja schließlich auch ein
-schönes Geld. Es wurde übrigens behauptet, sein Sohn
-habe in seinem Namen das Geschäft abgeschlossen.</p>
-
-<p>Jedenfalls aber wurde der Betrieb wieder aufgenommen;
-derselbe Ingenieur mit verschiedener Arbeiterschaft
-kehrte zurück, und dieselbe Arbeit fing wieder an. Dieselbe
-Arbeit, ja, aber auf eine ganz andere Weise als
-früher, gerade umgekehrt.</p>
-
-<p>Alles schien ganz in Ordnung zu sein; die Schweden
-kamen mit Leuten und Dynamit und Geld, was konnte<span class="pagenum"><a name="Seite_379" id="Seite_379">[S. 379]</a></span>
-da noch fehlen? Und auch Aronsen kam wieder, der Kaufmann
-Aronsen, und wollte durchaus Storborg wieder
-kaufen. &mdash; Nein, erklärte Eleseus, ich verkaufe nicht. &mdash;
-Ihr werdet doch gewiß verkaufen, wenn Ihr Geld genug
-bekommt? &mdash; Nein.</p>
-
-<p>Nein, Eleseus wollte Storborg nicht verkaufen. Die
-Sache war die, sein Dasein als Kaufmann auf dem Ödland
-kam ihm nicht mehr gar so elend vor; er hatte eine
-schöne Veranda mit bunten Glasscheiben, er hatte einen
-Ladendiener, der die Arbeit tat, er selbst konnte auf Reisen
-sein. Ja, reisen auf dem ersten Platz, zusammen mit
-vornehmen Leuten. Wenn er nur einmal ganz bis nach
-Amerika kommen könnte, daran hatte er schon oft gedacht.
-Schon allein von diesen Geschäftsreisen in die
-Städte im Süden, um Verbindungen anzuknüpfen,
-konnte er nachher immer noch lange zehren. Nicht, als
-ob er üppig gelebt hätte, mit eigenem Dampfschiff gefahren
-wäre und Orgien gefeiert hätte. Er und Orgien!
-Er war eigentlich ein sonderbarer Mensch, um Mädchen
-bekümmerte er sich gar nicht mehr, er ließ sie links liegen,
-hatte alles Herz für sie verloren. Nein, aber natürlich
-war er der Sohn des Markgrafen, der auf dem ersten
-Platz fuhr und vielerlei Waren kaufte. Er selbst kam
-jedesmal von seinen Ausflügen ein wenig feiner und vornehmer
-nach Hause, das letztemal kam er mit Galoschen
-an den Füßen zurück. Trägst du zwei Paar Schuhe?
-wurde er gefragt. &mdash; Ja, ich leide an kalten Füßen, erklärte
-Eleseus. Und da hatte man herzliches Mitleid mit
-seinen kalten Füßen.</p>
-
-<p>Glückselige Tage, ein Herrenleben und Müßiggang!
-Nein, er wollte Storborg nicht verkaufen. Sollte er wieder
-in das Städtchen zurückkehren, von neuem in dem
-kleinen Bauernkramladen stehen und keinen Ladendiener
-unter sich haben? Übrigens hoffte er auch darauf, es
-werde sich von nun an ein ungeheurer Betrieb auf Stor<span class="pagenum"><a name="Seite_380" id="Seite_380">[S. 380]</a></span>borg
-entwickeln; die Schweden waren zurückgekehrt und
-würden die Gegend mit Geld überschwemmen, er wäre
-ein Narr, wenn er verkaufen würde. Aronsen mußte einmal
-ums andere mit einer Absage seines Weges ziehen
-und entsetzte sich immer mehr über seine eigene Dummheit,
-das Ödland verlassen zu haben.</p>
-
-<p>Ach, Aronsen hätte mit seinen Selbstvorwürfen Maß
-halten und ebenso hätte Eleseus seine großen Erwartungen
-einschränken dürfen; aber vor allen Dingen hätten
-die Ansiedler und die Dorfbewohner weniger große Hoffnungen
-hegen und nicht lächeln und sich die Hände reiben
-sollen, wie es die Englein tun, weil sie selig sind; nein,
-das hätten die Ansiedler und Dorfbewohner durchaus
-nicht tun sollen, denn nun wurde die Enttäuschung gewaltig.
-Sollte man es glauben: die Grubenarbeit begann
-zwar ganz richtig, aber sie begann auf der andern Seite
-des Berges, zwei Meilen weit entfernt, am südlichen
-Ende von Geißlers Gebiet, weit drinnen in einem anderen
-Kirchspiel, das die diesseitigen Bewohner nichts anging.
-Von da aus sollte sich die Arbeit langsam nach Norden
-zu durchfressen, bis zu der ersten Fundstelle des Kupfers,
-bis zu Isaks Fundstelle, und ein Segen für das Ödland
-und das Dorf werden. Das würde im besten Fall viele
-Jahre dauern, vielleicht Menschenalter.</p>
-
-<p>Diese Erkenntnis kam und wirkte wie die ärgste Dynamitsprengung
-mit Bewußtlosigkeit und Taubheit. Die
-Dorfbewohner versanken in Kummer und Sorgen. Einige
-schimpften auf Geißler: dieser verfluchte Geißler habe
-ihnen wieder einen Possen gespielt; andere krochen zu einer
-Versammlung zusammen und schickten eine neue Gesandtschaft
-von Vertrauensmännern aus, diesmal zu der Grubengesellschaft,
-zu dem Ingenieur. Dieser Schritt führte
-zu gar nichts; der Ingenieur setzte ihnen auseinander,
-daß er mit der Arbeit auf der Südseite beginnen müsse,
-weil es von dort näher zum Meere sei, dort brauche man<span class="pagenum"><a name="Seite_381" id="Seite_381">[S. 381]</a></span>
-keine Luftbahn, dort sei fast gar kein Transport nötig.
-Nein, die Arbeit müsse auf der Südseite anfangen. Damit
-basta!</p>
-
-<p>Da reiste Aronsen sofort hinüber auf das neue Arbeitsfeld
-zu der neuen Goldgrube. Er wollte auch den Ladendiener
-Andresen mitnehmen. Wozu willst du hier im
-Ödland bleiben? sagte er. Es ist viel besser für dich,
-wenn du mit mir gehst. &mdash; Aber der Ladendiener Andresen
-wollte das Ödland nicht verlassen, es war unbegreiflich,
-aber es war gerade, als ob ihn etwas hier fesselte; es
-schien ihm hier zu gefallen, er war hier festgewurzelt.
-Andresen selbst mußte sich verändert haben, das Ödland
-hatte sich nicht geändert. Hier waren die Leute und die
-Verhältnisse noch genau so wie früher: der Bergwerksbetrieb
-war zwar aus der Gegend verschwunden, aber
-keiner der Ödlandbewohner hatte darüber den Kopf verloren,
-sie hatten ihre Landwirtschaft, ihre Ernten und
-ihren Viehbestand. Bares Geld gab es allerdings nicht
-so viel bei ihnen, sie hatten alle Lebensbedürfnisse, einfach
-alle. Nicht einmal Eleseus verzweifelte darüber, daß
-der Geldstrom an ihm vorüberfloß; das schlimmste war,
-daß er in der ersten Begeisterung eine Menge unverkäuflicher
-Waren angeschafft hatte. Nun, die mußten eben
-vorläufig lagern bleiben, sie putzten den Laden heraus
-und dienten ihm zur Ehre.</p>
-
-<p>Nein, der Ödlandbauer verlor den Kopf nicht. Er fand
-die Luft nicht ungesund, hatte Bewunderer genug für
-seine neuen Kleider, er vermißte die Diamanten nicht, und
-Wein kannte er nur von der Hochzeit zu Kanaan. Der
-Ödlandbewohner quälte sich nicht wegen der Herrlichkeiten,
-auf die er verzichten mußte: Kunst, Zeitungen,
-Luxus, Politik waren gerade soviel wert, als die Menschen
-dafür bezahlen wollten, nicht mehr. Der Erntesegen aber
-mußte erarbeitet werden um jeden Preis, das war der
-Ursprung, die Quelle von allem und jedem.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_382" id="Seite_382">[S. 382]</a></span></p>
-
-<p>Was, das Leben des Ödlandbewohners öde und traurig?
-Hoho, nichts dergleichen! Er hatte seine höheren
-Mächte, seine Träume, sein Liebesleben, seinen reichen
-Aberglauben. Eines Abends geht Sivert den Fluß entlang
-und bleibt plötzlich stehen: im Wasser liegen zwei
-Wildenten, Ente und Enterich. Sie haben ihn entdeckt,
-haben den Menschen gesehen und sind scheu geworden,
-einer der Vögel sagt etwas, er stößt einen kurzen Laut
-aus, eine Melodie in drei Tönen, und der andere antwortet
-gleichlautend. Im selben Augenblick heben sie die
-Flügel und sausen wie zwei kleine Räder einen Steinwurf
-weit den Fluß hinauf, wo sie sich wieder aufs Wasser
-niederlassen. Da sagt der eine wieder etwas, und der
-andere antwortet; es ist dieselbe Sprache, wie das erstemal,
-aber so innig befreit, daß es eine kleine Seligkeit
-ist: die Töne sind zwei Oktaven höher gestimmt. Sivert
-steht da und betrachtet die Vögel, sieht an ihnen vorbei
-und weit ins Land der Träume hinein. Ein Laut ist in
-ihm erklungen, eine Süßigkeit in ihm aufgestiegen, er
-stand da mit einer zarten, feinen Erinnerung an etwas
-Wildes und Schönes, etwas früher Erlebtes, von dem
-die Erinnerung in ihm erloschen ist. Stille geht er nach
-Hause, er spricht nicht davon, plaudert nicht darüber,
-irdische Worte reichten dazu nicht aus. Es war Sivert
-von Sellanraa, jung und durchschnittlich ging er eines
-Tages aus und hatte dieses Erlebnis.</p>
-
-<p>Und das war nicht sein einziges Abenteuer, er erlebte
-noch andere. Aber er mußte auch das Abenteuer erleben,
-daß Jensine Sellanraa verließ. Das brachte große Unordnung
-in Siverts Gemütsleben.</p>
-
-<p>Ja, es kam wirklich so weit, daß Jensine fortging, sie
-wollte selbst gehen. Ach, Jensine war nicht die erste beste,
-das konnte niemand behaupten! Sivert hatte ihr einmal
-angeboten, sie wieder nach Hause zu fahren; bei der Gelegenheit
-hatte sie leider geweint, später aber hatten ihre<span class="pagenum"><a name="Seite_383" id="Seite_383">[S. 383]</a></span>
-Tränen sie gereut, und sie zeigte, daß sie bereute, sie
-kündigte. Jawohl, in aller Ordnung.</p>
-
-<p>Und nichts auf der Welt wäre Inger auf Sellanraa
-erwünschter gewesen, als daß Jensine ging; Inger hatte
-angefangen, unzufrieden mit ihrer Magd zu sein. Das
-war merkwürdig, denn sie hatte nichts an ihr auszusetzen,
-aber sie schien sie nur mit Überwindung ansehen und ihre
-Anwesenheit auf dem Hofe kaum noch ertragen zu können.
-Das hing wohl mit Ingers Gemütszustand zusammen:
-sie war den ganzen Winter über schwermütig und
-fromm gewesen und kam nicht darüber hinweg. Du willst
-gehen? Jawohl, geh nur, sagte Inger. Das war ein
-Segen, eine Erhörung nächtlicher Gebete. Es blieben
-trotzdem noch zwei erwachsene weibliche Personen auf dem
-Hofe, was sollte diese lebensfrische und mannbare Jensine
-hier? Mit Unwillen betrachtete Inger diese Mannbarkeit,
-und sie dachte wohl: gerade wie ich damals!</p>
-
-<p>Ihre große Frömmigkeit ließ nicht nach. Sie war nicht
-an sich lasterhaft, sie hatte gekostet, jawohl, sie hatte genippt,
-aber sie hatte nicht im Sinn, das bis ins Alter zu
-treiben, keine Rede davon. Inger wies diesen Gedanken
-mit Entsetzen von sich. Der Grubenbetrieb hörte auf, und
-alle Arbeiter verschwanden &mdash; lieber Gott, nichts hätte
-besser sein können! Die Tugend war nicht nur erträglich,
-sie war notwendig, ein notwendiges Gut, eine Gnade.</p>
-
-<p>Allein die Welt war schlecht. Seht, da war nun Leopoldine,
-die kleine Leopoldine, ein Fruchtkeim, ein kleines
-Kind, und war zum Überfließen voll Gesundheit und
-Sünde. Wenn sich ihr ein Arm um die Mitte legte, so
-würde sie zusammensinken, pfui! Sie hatte Finnen im
-Gesicht bekommen, das deutete auf Wildheit im Blute,
-ach, die Mutter erinnerte sich wohl daran, damit begann
-die Wildheit im Blute. Die Mutter verdammte die Tochter
-durchaus nicht wegen dieser Finnen im Gesicht, aber
-sie wollte ihnen ein Ende machen. Leopoldine sollte da<span class="pagenum"><a name="Seite_384" id="Seite_384">[S. 384]</a></span>mit
-aufhören. Was hatte auch dieser Ladendiener Andresen
-an den Sonntagen nach Sellanraa heraufzukommen
-und mit Isak von der Landwirtschaft zu schwatzen?
-Bildeten sich denn diese beiden Mannsleute ein, daß die
-kleine Leopoldine gar nichts merke? Oh, die Jugend war
-schon früher verrückt gewesen, vor dreißig, vierzig Jahren,
-aber jetzt war sie schlimmer geworden.</p>
-
-<p>Ja, wie es nun auch geht! sagte Isak, als sie davon
-sprachen. Jetzt ist das Frühjahr da, und Jensine ist fort,
-und wen können wir für die Sommerarbeit bekommen?
-&mdash; Die Leopoldine und ich werden arbeiten, erklärte
-Inger. Lieber will ich Tag und Nacht arbeiten! rief sie
-erregt und dem Weinen nahe. &mdash; Isak konnte sich diesen
-heftigen Ausbruch nicht erklären, aber er hatte seine eigenen
-Ansichten, deshalb ging er mit Hacke und Spaten an
-den Waldrand und fing an, einen Stein zu bearbeiten.
-Nein, wahrhaftig, Isak konnte nicht verstehen, daß die
-Magd Jensine fortgegangen war, sie war doch ein tüchtiges
-Mädchen gewesen. Er verstand im ganzen nur das
-Nächstliegende, die Arbeit, gesetzliches und natürliches
-Tun. Er war von rundem und gewaltigem Körperbau,
-niemand war weniger astral wie er, er aß wie ein rechter
-Mann, und es bekam ihm gut, deshalb kam er auch
-höchst selten aus dem Gleichgewicht.</p>
-
-<p>Da war nun also dieser Stein. Es waren noch viele
-andere Steine da, aber mit einem mußte er nun einmal
-anfangen. Isak sieht den Tag kommen, da er hier ein
-Häuschen bauen muß, eine Heimstätte für sich und
-Inger. Er will den Bauplatz ein wenig ebnen, während
-Sivert drunten auf Storborg ist, sonst muß er seinem
-Sohn eine Erklärung geben, und das möchte er vermeiden.
-Natürlich wird der Tag kommen, wo Sivert alle
-Gebäude auf dem Hofe für sich selbst braucht, dann müssen
-die Eltern eine Wohnung haben. Sie kamen ja mit
-dem Bauen auf Sellanraa niemals zu Ende, der große<span class="pagenum"><a name="Seite_385" id="Seite_385">[S. 385]</a></span>
-Futterboden auf dem steinernen Stall war auch noch nicht
-gebaut. Aber die Balken und die Bretter dazu lagen fertig
-da.</p>
-
-<p>Also da war nun dieser Stein. Was davon aus der
-Erde hervorragte, sah nicht besonders groß aus, aber er
-rührte und regte sich nicht, er mußte also doch ein gewaltiger
-Brocken sein. Isak grub rund darum herum und
-machte einen Versuch mit dem Spaten, aber der Stein
-rührte sich nicht. Er grub noch tiefer und versuchte es
-wieder &mdash; nein. Nun mußte Isak nach Hause und eine
-Schaufel holen, um die lose Erde wegzuschaffen. Dann
-grub er wieder und probierte &mdash; nein. Das ist einmal
-ein Block! dachte Isak in all seiner Geduld. Er grub nun
-schon eine gute Weile, der Stein reichte immer tiefer in
-die Erde hinunter, und er konnte ihn nirgends richtig
-anpacken. Es wäre doch recht ärgerlich, wenn er genötigt
-wäre, den Stein zu sprengen. Dann wären die Schläge,
-um das Bohrloch zu machen, weithin zu hören und würden
-alle Hausbewohner herbeirufen. Isak grub weiter,
-aber dann holte er eine Hebestange und versuchte es damit
-&mdash; nein. Er grub wieder. Nun fing Isak doch allmählich
-an, etwas ärgerlich auf den Stein zu werden; er
-runzelte die Stirn und schaute ihn an, wie wenn er eben
-nur gekommen wäre, um die Steine hier ein wenig zu beaufsichtigen,
-und wie wenn gerade dieser Stein hier besonders
-dumm wäre. Er kritisierte ihn, er war so rund
-und dumm, er war nirgends zu fassen, ja, er meinte beinahe,
-er habe eine ganz verkehrte Form. Sollte er ihn
-sprengen? Keine Rede davon, wozu auch noch Pulver
-an ihn verschwenden! Oder sollte er ihn aufgeben, sollte
-er eine Art von Furcht zeigen, der Stein könnte ihm
-überlegen sein?</p>
-
-<p>Isak grub. Er mühte sich im Schweiße seines Angesichts,
-aber was war der Erfolg? Endlich bekam er die
-Spitze der Hebestange darunter und machte einen Ver<span class="pagenum"><a name="Seite_386" id="Seite_386">[S. 386]</a></span>such
-&mdash; der Stein rührte sich nicht. Sachgemäß war an
-seinem Vorgehen nichts auszusetzen, aber es hatte keinen
-Erfolg. Was war denn das? Hatte er denn nicht auch
-sonst schon Steine ausgebrochen? War er alt geworden?
-Komisch, hehe! Lächerlich. Er hatte ja wohl neulich einmal
-Anzeichen von abnehmender Kraft bemerkt, das
-heißt, er hatte es nicht bemerkt, er hatte sich nicht darum
-gekümmert, es war Einbildung gewesen. Und nun geht
-er wieder an den Stein, völlig entschlossen, ihn zu heben.</p>
-
-<p>Oh, das war keine Kleinigkeit, wenn Isak sich über eine
-Hebestange legte und sich schwer machte! Da liegt er vorgebeugt
-und hebt und hebt, zyklopisch und mit außerordentlicher
-Kraft, mit einem Oberkörper, der bis zu den
-Knien zu reichen scheint. Es war ein gewisser Pomp und
-eine Pracht über ihm, sein Äquator war ungeheuer.</p>
-
-<p>Allein der Stein rührte sich nicht.</p>
-
-<p>Es half alles nichts, er mußte noch tiefer graben.
-Sollte er den Stein sprengen? Schweig still! Nein, aber
-er mußte noch tiefer graben. Er wurde sehr eifrig. Der
-Stein mußte und sollte heraus! Man konnte nicht sagen,
-es sei in diesem Trieb von seiten Isaks etwas Perverses
-gewesen; es war die alte Liebe des Ackerbauern zur Urbarmachung
-des Bodens, aber gänzlich ohne Zärtlichkeit.
-Es sah ganz närrisch aus, erst umkreiste er den Stein von
-allen Seiten, ehe er sich dranmachte, dann grub er ringsherum
-und betastete ihn und schaufelte die Erde mit den
-bloßen Händen weg, ja, das tat er. Aber das alles waren
-keine Liebkosungen. Es war ihm heiß geworden, aber heiß
-vor Eifer. Wie, wenn er es jetzt wieder mit der Hebestange
-versuchte? Er setzte sie da an, wo er sich am meisten
-Erfolg versprach &mdash; nein. War das einmal ein merkwürdiger
-Trotz und Eigensinn von einem Stein! Aber
-jetzt schien es zu gehen. Isak versucht es noch einmal und
-bekommt Hoffnung, der Erdarbeiter hatte es im Gefühl,
-daß der Stein nicht mehr unüberwindlich war. Da glitt<span class="pagenum"><a name="Seite_387" id="Seite_387">[S. 387]</a></span>
-die Hebestange ab und warf Isak zu Boden. Verdammt!
-sagte er. Das fuhr ihm so heraus. Seine Mütze hatte
-zu gleicher Zeit einen Schupps gekriegt und saß nun so
-schief, daß er ganz spanisch, ganz räubermäßig aussah.
-Er spuckte aus.</p>
-
-<p>Da kommt Inger dahergegangen. Du mußt jetzt zum
-Essen kommen, Isak, sagt sie ganz lieb und freundlich.
-&mdash; Ja, gibt er zur Antwort, aber er will nicht, daß sie
-näher herankommt, und er will kein Gerede. Ach, diese
-Inger, sie merkte gar nichts, sie kam näher. Was hast du
-dir jetzt wieder ausgedacht? fragt sie, denn sie möchte ihm
-damit schmeicheln, daß er sich fast jeden Tag etwas Neues
-und Großartiges ausdenkt. &mdash; Aber Isak ist sehr grimmig,
-fürchterlich grimmig ist er, er erwidert: Das weiß
-ich nicht. &mdash; Und Inger ihrerseits ist sehr töricht, sie fragt
-ihn und plaudert ihm noch allerlei vor und geht nicht. &mdash;
-Da du es nun doch einmal gesehen hast, ich will diesen
-Stein herausheben, sagt er. &mdash; So, du willst ihn herausheben?
-fragt sie. &mdash; Ja. &mdash; Ich kann dir wohl nicht
-helfen? &mdash; Isak schüttelt den Kopf. Aber es war doch
-ein hübscher Zug von Inger, daß sie ihm helfen wollte,
-und er konnte sie nicht länger zurückweisen. Wenn du
-ein klein wenig warten willst, sagt er und läuft nach
-Hause, um den Schmiedehammer und einen Meißel zu
-holen.</p>
-
-<p>Wenn er den Stein an der richtigen Stelle etwas uneben
-machte, indem er einen Splitter abschlug, so bekam
-die Hebestange einen besseren Halt. Inger hält den Meißel,
-und Isak schlägt zu. Ja, es gelingt, ein Splitter
-fällt ab. &mdash; Ich danke dir für die Hilfe, sagt Isak. Und
-du sollst vorerst mit dem Essen nicht auf mich warten,
-ich will erst diesen Stein heraus haben.</p>
-
-<p>Allein Inger geht nicht, und im Grunde genommen
-ist es Isak auch lieb, daß sie stehenbleibt und ihm bei
-seiner Arbeit zuschaut, das hatte er schon in jungen Tagen<span class="pagenum"><a name="Seite_388" id="Seite_388">[S. 388]</a></span>
-gern gehabt. Und siehe da, er findet einen prächtigen
-Halt für die Hebestange und hebt &mdash; der Stein bewegt
-sich! &mdash; Er bewegt sich! sagt Inger. &mdash; Du willst mich
-doch nicht foppen? fragt Isak. &mdash; Ich foppen! Er bewegt
-sich!</p>
-
-<p>Soweit war er gekommen, wahrhaftig, der Stein bewegte
-sich, er hatte den Stein für die Sache gewonnen,
-jetzt arbeiteten sie zusammen. Isak hebt und wiegt die
-Stange hin und her, und der Stein bewegt sich ein wenig,
-aber nicht mehr. Isak macht eine Weile so weiter, allein
-es führt zu nichts. Plötzlich sieht er ein, daß es sich nicht
-darum handelt, ob sein Körpergewicht zureicht, er hat
-nicht mehr die alte Kraft, das ist die Sache, er hat die
-zähe Biegsamkeit des Körpers eingebüßt. Körpergewicht?
-Es wäre ja gar nichts gewesen, sich über die schwere
-Stange zu legen und sie abzubrechen. Aber er hatte an
-Kraft verloren, so sah es aus. Das erfüllte den duldsamen
-Mann mit Bitterkeit; wenn nur wenigstens nicht
-Inger dabeigestanden und zugeschaut hätte!</p>
-
-<p>Plötzlich läßt er die Stange fahren und ergreift den
-Schmiedehammer. Der Zorn hatte ihn erfaßt, er war
-in der Stimmung, Gewalt zu gebrauchen. Seht, er hat
-immer noch die Mütze auf dem Ohre sitzen und sieht
-räubermäßig aus, jetzt läuft er mit gewaltigen Schritten
-rund um den Stein herum, als ob er sich selbst dem
-Stein gegenüber in das richtige Licht setzen wollte, ho,
-es sah aus, als ob er jetzt diesen Stein als eine Ruine
-hinter sich zurücklassen wollte. Warum sollte er das nicht
-tun? Einen Stein, den man tödlich haßt, zu zerschmettern,
-das ist nur Formsache. Und wenn der Stein Widerstand
-leistete, wenn er sich nicht zerschmettern ließ? Oh,
-es würde sich schon zeigen, wer von ihnen beiden der
-Überlebende sein würde!</p>
-
-<p>Aber jetzt redet Inger ein wenig ängstlich, denn sie
-merkt wohl, was in dem Manne gärt, sie sagt: Wie<span class="pagenum"><a name="Seite_389" id="Seite_389">[S. 389]</a></span>
-wär's, wenn wir uns beide auf den Balken da legten?
-und mit dem Balken meinte sie die Hebestange. &mdash; Nein!
-rief Isak rasend. Aber nach einem Augenblick des Nachdenkens
-sagt er: ja, wenn du doch schon einmal da bist,
-aber ich begreife nicht, warum du nicht nach Hause gehst.
-Wir wollen's einmal versuchen!</p>
-
-<p>Und nun gelingt es ihnen, den Stein auf die Kante zu
-drehen. Es glückt. Puh! sagt Isak.</p>
-
-<p>Allein nun offenbart sich vor ihren Augen etwas Unerwartetes:
-die Unterseite des Steines ist eine Fläche,
-eine große schöne Fläche, eben, glatt wie der Fußboden.
-Der Stein ist also nur die Hälfte eines Steines, die andere
-Hälfte muß irgendwo in der Nähe liegen. Isak
-wußte wohl, daß die beiden Hälften eines Steines sehr
-gut eine verschiedene Lage in der Erde haben konnten, es
-war wohl der Frost gewesen, der sie im Laufe langer
-Zeiträume voneinander entfernt hatte. Aber dieser ganze
-Fund freut ihn außerordentlich. Oh, dieser Stein ist
-brauchbar, er gibt eine prächtige Türschwelle. Selbst eine
-größere Geldsumme würde das Herz des Ödlandbewohners
-nicht mit solcher Befriedigung erfüllt haben. Das
-ist eine feine Türschwelle, sagt er stolz, und Inger bricht
-im guten Glauben in die Worte aus: Ich begreife nur
-nicht, wie du das hast wissen können! &mdash; Hm! sagt Isak.
-Meinst du, ich hätte für nichts hier in der Erde gegraben?</p>
-
-<p>Sie gehen zusammen nach Hause, Isak hat sich eine
-unverdiente Bewunderung erschlichen; die schmeckt aber
-nicht viel anders als die verdiente. Er setzt auseinander,
-daß er die ganze Zeit über auf der Jagd nach einer ordentlichen
-Türschwelle gewesen sei, jetzt habe er eine gefunden.
-Von jetzt an war es auch nicht mehr verdächtig, wenn
-er auf dem Bauplatz arbeitete, er konnte dort unter dem
-Vorwand nach der zweiten Hälfte der Türschwelle zu<span class="pagenum"><a name="Seite_390" id="Seite_390">[S. 390]</a></span>
-suchen, roden, soviel er wollte. Und als Sivert nach Hause
-kam, ließ sich Isak sogar von dem Sohne helfen.</p>
-
-<p>Aber wenn es so weit gekommen war, daß er nicht
-mehr allein hingehen und einen Stein aus der Erde
-brechen konnte, dann hatte sich viel geändert, dann sah
-es gefährlich aus, dann eilte es mit dem Bauplatz. Das
-Alter hatte Isak eingeholt, er fing an, für die Ausdingstube
-reif zu werden. Der Triumph, den er sich angeeignet
-hatte, als er die Türschwelle fand, verglühte im Laufe
-der Tage, er war unecht und undauerhaft gewesen. Isak
-fing an, etwas gebeugt zu gehen.</p>
-
-<p>War er denn nicht einstmals in seinem Leben aufmerksam
-und hellhörig geworden, sobald nur jemand Stein
-oder Graben zu ihm gesagt hatte? Das war noch gar nicht
-lange her, nur einige Jahre. Und damals mußte sich ja
-einer, der ein trocken gelegtes Moor nur mit einem schiefen
-Blick ansah, vor ihm in acht nehmen. Jetzt fing er so
-langsam und allmählich an, derartiges mit mehr Ruhe
-aufzufassen, ach ja, Herrgott im Himmel! Nichts war
-mehr so wie früher, das ganze Ödland hatte sich verändert,
-dieser breite Telegraphenweg durch den Wald war
-früher nicht da, die Berge droben am Wasser waren
-früher nicht gesprengt und durchwühlt gewesen. Und die
-Menschen? Sagten sie noch Grüß Gott! wenn sie kamen,
-und Behüt dich Gott! wenn sie gingen? Sie nickten nur,
-und oft das nicht einmal.</p>
-
-<p>Aber früher hatte es auch kein Sellanraa gegeben, nur
-eine Torfgamme; aber was war es jetzt? Und dann war
-auch früher kein Markgraf dagewesen.</p>
-
-<p>Ja, und was war der Markgraf jetzt! Nichts als ein
-trauriger und vertrockneter alter Mann. Was nützte es
-zu essen und gute Gedärme zu haben, wenn das keine
-Kraft mehr gab? Jetzt war es Sivert, der Kräfte hatte,
-und gottlob, daß er sie hatte; aber wie, wenn auch Isak
-selbst sie gehabt hätte! Wozu sollte es gut sein, daß sein<span class="pagenum"><a name="Seite_391" id="Seite_391">[S. 391]</a></span>
-Rad anfing sich langsamer zu drehen? Er hatte geschafft
-wie ein rechter Mann, sein Rücken hatte die Lasten eines
-Lasttiers getragen, jetzt sollte er Ausdauer darin zeigen,
-auf einem Hocker herumzusitzen.</p>
-
-<p>Isak ist mißvergnügt, Isak ist schwermütig.</p>
-
-<p>Da liegt ein alter Südwester auf dem Hügel und vermodert.
-Der Sturm hat ihn hierher an den Waldessaum
-geweht, oder vielleicht haben ihn auch die Kinder dorthin
-gebracht, als sie noch klein waren. Da liegt er nun
-ein Jahr ums andere und vermodert immer mehr, und
-er war doch einmal ein neuer Südwester gewesen, ein
-schöner gelber Südwester. Isak erinnert sich noch, wie er
-damit vom Kaufmann nach Hause kam, und wie Inger
-sagte, das sei ein schöner Südwester. Ein paar Jahre
-später ging er damit zum Maler ins Dorf hinunter und
-ließ ihn glänzend schwarz lackieren und den Schirm daran
-grün malen. Als er damit nach Hause kam, sagte Inger,
-er sei jetzt schöner als je. Inger gefiel immer alles ausgezeichnet,
-ach, das war eine schöne Zeit; er schlug Klafterholz,
-und Inger sah ihm zu, das war seine beste Zeit
-im Leben gewesen. Und wenn der März und April kam,
-dann wurden er und Inger verliebt, gerade wie die Vögel
-und Tiere des Waldes, und wenn der Mai kam, dann
-säte er Korn und legte Kartoffeln und arbeitete Tag und
-Nacht. Es gab Schlaf und Arbeit, Liebe und Träumerei,
-er war wie sein erster großer Stier, und der war ein
-Wundertier gewesen, groß und glänzend wie ein König,
-wenn er in seiner Pracht einherschritt. Aber einen solchen
-Mai bringen die Jahre jetzt nicht mehr, das gibt es nicht
-mehr.</p>
-
-<p>Einige Tage lang war Isak niedergeschlagen. Das
-waren dunkle Tage. Er fühlte weder Lust noch Kraft in
-sich, mit dem Aufbau des Futterspeichers zu beginnen.
-Das wird einmal Siverts Sache sein, jetzt galt es, das
-Ausdinghäuschen fertigzustellen. Auf die Dauer konnte er<span class="pagenum"><a name="Seite_392" id="Seite_392">[S. 392]</a></span>
-es nicht vor Sivert verborgen halten, daß es ein Bauplatz
-war, den er hier am Waldrand rodete, und eines Tages
-offenbarte er die Sache: Das da ist ein guter Stein, wenn
-wir einmal wieder etwas mauern wollen, sagte er. &mdash;
-Und das da ist auch ein guter Stein, sagte er. &mdash; Sivert
-verzog keine Miene, er erwiderte: Prächtige Grundsteine.
-&mdash; Ja, was meinst du? sagt der Vater. Wir haben nun
-hier so lange nach der zweiten Türschwelle gegraben, daß
-ein ganz schöner Bauplatz entstanden ist. Aber ich weiß
-nicht. &mdash; Das wäre wirklich kein dummer Bauplatz, sagte
-Sivert und läßt seinen Blick über den Platz hingleiten.
-&mdash; So, meinst du? Wir könnten ja hier ein kleines
-Häuschen bauen für Besuche, wenn jemand kommt. &mdash;
-Ja. &mdash; Es müßte wohl eine Stube und eine Kammer
-sein? Du hast ja gesehen, wie es war, als die schwedischen
-Herren das letztemal hier waren, und jetzt haben wir
-keinen Neubau für sie. Aber was meinst du, eine kleine
-Küche müßte doch auch dabei sein, falls sie kochen wollten?
-&mdash; Ja, ohne eine kleine Küche könnten sie nicht sein,
-sie müßten uns ja auslachen, sagt Sivert. &mdash; So, meinst
-du?</p>
-
-<p>Der Vater schwieg. Aber der Sivert war doch ein wunderbarer
-Junge, wie schnell er begriff und einsah, was
-schwedische Herren alles notwendig brauchten; nicht eine
-einzige Frage stellte er, er sagte nur: Wenn ich du wäre,
-so würde ich an die Nordwand eine kleine Scheune anbauen.
-Es wäre sehr bequem für sie, wenn sie eine
-Scheune hätten, falls sie einmal nasse Kleider zum Trocknen
-aufhängen wollten.</p>
-
-<p>Der Vater fällt sofort ein: Da hast du recht!</p>
-
-<p>Nun schweigen beide und arbeiten an ihren Steinen
-weiter. Nach einer Weile fragt der Vater: Ist Eleseus
-noch nicht heimgekommen? &mdash; Sivert erwidert ausweichend:
-Er kommt jetzt bald.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_393" id="Seite_393">[S. 393]</a></span></p>
-
-<p>Die Sache mit Eleseus war die, er war sehr häufig
-fort, wollte beständig reisen. Hätte er denn die Waren
-nicht auch schriftlich bestellen können, statt selbst hinzureisen
-und sie einzukaufen? Er bekam sie allerdings viel
-billiger, aber wieviel kosteten die Reisen! Er hatte eine
-so merkwürdige Art zu denken. Und was wollte er denn
-mit noch mehr Baumwollstoff und seidenen Bändern für
-Taufhäubchen und schwarzen und weißen Strohhüten
-und langen Tabakspfeifen? Derartiges kaufte doch kein
-Ödlandbewohner, und die Kunden aus dem Dorf kamen
-nur nach Storborg herauf, wenn sie kein Geld hatten.
-Eleseus war in seiner Art recht tüchtig, oh, man mußte
-nur einmal sehen, wie geschickt er auf Papier schrieb oder
-mit der Kreide rechnete! Wenn ich nur deinen Kopf hätte!
-sagten die Leute bei solchen Gelegenheiten. Das alles war
-ganz richtig, aber er hatte zuviel Geld ausstehen. Diese
-Dorfleute bezahlten ja niemals, was sie schuldig waren,
-und selbst so ein Bettelmann wie Brede Olsen war im
-Winter nach Storborg gekommen und hatte Baumwollstoff
-und Kaffee und Sirup und Kerzen auf Borg erhalten.</p>
-
-<p>Isak hat ja nun schon sehr viel Geld für Eleseus und
-sein Geschäft und seine Reisen ausgegeben, und so sehr
-viel von dem Reichtum, den er für den Kupferberg erhalten
-hat, ist nicht mehr übrig, und was dann? &mdash; Wie
-glaubst du, daß das mit Eleseus weitergehen wird? fragt
-Isak plötzlich. &mdash; Weitergehen? fragt Sivert zurück, um
-Zeit zu gewinnen. &mdash; Es sieht nicht aus, als ob es gehen
-wollte. &mdash; Er selbst ist voll der besten Hoffnung, sagt
-Sivert. &mdash; So, hast du mit ihm darüber gesprochen? &mdash;
-Nein, Andresen hat es gesagt. &mdash; Der Vater denkt darüber
-nach und schüttelt den Kopf: Nein, es geht nicht,
-sagt er. Aber es ist schade um Eleseus!</p>
-
-<p>Und der Vater wird immer finsterer und war doch
-schon vorher nicht allzu leichten Sinnes gewesen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_394" id="Seite_394">[S. 394]</a></span></p>
-
-<p>Da rückt Sivert mit einer Neuigkeit heraus: Es kommen
-jetzt noch mehr Ansiedler ins Ödland. &mdash; Wieso? &mdash;
-Ja, zwei neue Ansiedler. Sie haben sich noch weiter oben
-als wir angekauft. &mdash; Isak bleibt mit dem Spaten in
-der Hand stehen, das war eine große Neuigkeit und eine
-gute Neuigkeit, eine von den besten. Dann sind wir zehn
-Ödlandbauern, sagt er. Isak bekommt nähere Auskunft,
-wo sich die neuen Ansiedler angekauft haben, er hat die
-ganze Geographie im Kopf und nickt: Ja, da haben sie
-recht getan, dort haben sie einen guten Wald für Brennholz
-und auch Hochstämme. Das Grundstück neigt sich
-gegen Südosten.</p>
-
-<p>Nein, nichts konnte die Ansiedler zurückhalten; es
-kamen immer mehr neue Leute her. Der Bergwerksbetrieb
-hörte allerdings auf, aber das war ja nur zum Nutzen der
-Landwirtschaft, es war nicht wahr, daß das Ödland tot
-dalag, im Gegenteil, es wimmelte da von Leben, zwei
-neue Ansiedler mehr, vier Hände mehr, Äcker, Wiesen
-und Häuser. Ach, die freien, grünen Halden im Walde,
-Hütten und Quellen, Kinder und Tiere! Korn wächst auf
-den Mooren, wo zuvor nur Schachtelhalme gestanden
-hatten, blaue Glockenblumen nicken von den Hügeln,
-Sonnengold leuchtet auf dem blühenden Hornklee vor
-den Häusern. Und Menschen sind da und sprechen und
-denken und sind eins mit Himmel und Erde.</p>
-
-<p>Hier steht nun der erste, der sich im Ödland niedergelassen
-hat. Als er kam, watete er bis an die Knie in
-Sumpf und Heide, er fand eine sonnige Halde und siedelte
-sich da an. Andere kamen nach ihm, sie traten einen
-Fußpfad durch die unbebaute Allmende, noch andere
-kamen, der Fußpfad wurde zu einem Fahrweg, nun fuhren
-sie mit Karren darauf. Isak muß sich zufrieden fühlen,
-Stolz muß ihn durchzucken, er hat den Grund zu
-dieser ganzen Ansiedlung gelegt, er ist der Markgraf.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_395" id="Seite_395">[S. 395]</a></span></p>
-
-<p>Ja, ja, aber wir können nicht ewig hier auf diesem
-Bauplatz weiterroden, wenn wir in diesem Jahr noch den
-Futterspeicher aufrichten wollen, sagt er.</p>
-
-<p>Und das sagte er wohl in einer plötzlichen frohen
-Laune, mit neuem Lebensmut.</p>
-
-
-
-<h3>10</h3>
-
-
-<p>Eine Frau wandert durch das Ödland hinauf. Es
-fällt ein milder Sommerregen, sie wird naß, aber
-darum kümmert sie sich nicht, sie hat anderes zu
-denken, sie ist sehr gespannt, ob &mdash; es ist Barbro, und
-keine andere, Barbro, Bredes Tochter. Jawohl, sie darf
-wohl gespannt sein, sie kann nicht wissen, wie dieses
-Abenteuer ablaufen wird, aber sie ist von der Frau Lensmann
-entlassen und ist fort aus dem Dorf. So steht es.</p>
-
-<p>Sie macht einen Bogen um alle Ansiedlungen im Ödland
-herum, denn sie möchte alle Menschen vermeiden.
-Jedermann würde ja gleich erraten, wohin sie will, denn
-sie trägt ein Bündel mit Kleidern auf dem Rücken. Jawohl,
-sie will nach Maaneland und will wieder dort
-bleiben.</p>
-
-<p>Zehn Monate lang hat sie bei der Frau Lensmann gedient,
-und das ist keine kurze Zeit, wenn man sie in
-Tage und Nächte umrechnet, aber wenn man den Zwang
-und alle die hinausziehenden Gedanken bedenkt, dann ist
-es eine Ewigkeit. Im Anfang ging alles wirklich gut;
-Frau Heyerdahl war sehr besorgt um Barbro und gab
-ihr Schürzen und putzte sie heraus, es war eine Freude,
-in so schönen Kleidern in den Kaufladen geschickt zu werden.
-Barbro war ja schon als Kind hier im Dorf gewesen,
-sie kannte alle Leute von der Zeit her, wo sie hier
-in die Schule gegangen war und die Jungen geküßt und
-mit Steinen und Muscheln allerlei Spiele gespielt hatte.<span class="pagenum"><a name="Seite_396" id="Seite_396">[S. 396]</a></span>
-Ein paar Monate ging alles gut. Aber dann umsorgte die
-Frau Heyerdahl sie immer noch mehr, und als die Weihnachtsvergnügungen
-angingen, wurde Frau Heyerdahl
-streng. Aber wozu das alles, doch nur um das gute Verhältnis
-zu stören! Barbro hätte es überhaupt nicht ausgehalten,
-wenn sie nicht gewisse Nachtstunden für sich
-gehabt hätte: von zwei Uhr an bis morgens um sechs
-konnte sie ziemlich sicher sein, und sie gestattete sich manche
-verstohlene Freuden in diesen Stunden. Aber was für ein
-Mädchen war denn die Köchin, daß sie Barbro nicht anzeigte?
-Sie war das ganz gewöhnliche Dienstmädchen und
-ging selbst unerlaubterweise aus. Die beiden hielten abwechselnd
-Wache.</p>
-
-<p>Es verging auch eine recht lange Zeit, ehe sie entdeckt
-wurden. Barbro war keineswegs so leichtsinnig, daß ihr
-an die Stirn geschrieben gewesen wäre, an ihr sei nichts
-mehr zu verderben. Verderben? Sie widerstand so viel als
-nötig war. Wenn ein Bursche sie zum Weihnachtstanz
-einlud, so sagte sie das erstemal nein, das zweitemal auch,
-aber das drittemal sagte sie: Ich will sehen, ob ich von
-zwei bis sechs Uhr kommen kann. Seht, so antwortet ein
-anständiges Mädchen und macht sich nicht schlechter, als
-sie ist, und läßt keine Frechheit sehen. Sie war ein Dienstmädchen
-und diente die ganze Zeit und kannte kein anderes
-Vergnügen als Ausgelassenheit. Das war auch alles,
-was sie begehrte. Die Frau Lensmann hielt ihr lange
-Reden und borgte ihr Bücher &mdash; die Närrin! Barbro
-bildende Bücher leihen, die in Bergen gewesen war, Zeitungen
-gelesen und das Theater besucht hatte! Sie war
-doch nicht Gottes Wort vom Lande!</p>
-
-<p>Aber die Frau Lensmann mußte doch Verdacht geschöpft
-haben, eines Morgens um drei Uhr steht sie vor
-der Mägdekammer und ruft: Barbro! &mdash; Ja, antwortet
-die Köchin. &mdash; Ist Barbro nicht da? Mach auf! &mdash; Die
-Köchin schließt auf und gibt die zuvor vereinbarte Er<span class="pagenum"><a name="Seite_397" id="Seite_397">[S. 397]</a></span>klärung:
-Barbro habe ganz notwendig auf der Stelle
-nach Hause laufen müssen. &mdash; Nach Hause, auf der
-Stelle? Es ist drei Uhr in der Nacht, sagt Frau Heyerdahl
-und hält mit ihrer Verwunderung darüber nicht
-zurück. Am anderen Morgen gab es ein großes Verhör;
-Brede wurde gerufen, und die Frau Lensmann fragte:
-Ist Barbro heute nacht um drei Uhr bei euch gewesen? &mdash;
-Brede war nicht vorbereitet, aber er sagt sofort ja. &mdash;
-Jawohl um drei Uhr in der Nacht. Wir waren sogar
-solange aufgeblieben, weil wir etwas Wichtiges zu besprechen
-hatten, antwortete Barbros Vater. &mdash; Darauf
-verkündet die Frau Lensmann feierlich: Barbro geht bei
-Nacht nicht mehr aus! &mdash; Nein, gewiß nicht, erwidert
-Brede. &mdash; Solange sie in meinem Hause ist wenigstens
-nicht. &mdash; Nein. Ja, da hörst du's, Barbro, ich habe es
-dir gleich gesagt! spricht der Vater. &mdash; Du kannst zuweilen
-vormittags zu deinen Eltern gehen, bestimmt die
-Frau Lensmann.</p>
-
-<p>Aber die wachsame Frau Lensmann hat darum ihren
-Verdacht doch nicht ganz aufgegeben; sie läßt eine Woche
-verstreichen, dann macht sie um vier Uhr morgens eine
-Stichprobe. Barbro! rief sie. Oh, aber diesmal war die
-Köchin aus, Barbro war daheim, und die Mägdekammer
-glänzte in Unschuld. Die Frau mußte schnell einen Vorwand
-erfinden. Hast du die Wäsche gestern abend hereingeholt?
-&mdash; Ja! &mdash; Das ist gut, denn es fängt an zu
-stürmen. Gute Nacht.</p>
-
-<p>Es war übrigens recht lästig für Frau Heyerdahl, sich
-von ihrem Mann in der Nacht wecken zu lassen und selbst
-zu den Mädchen hinüberzutappen, um nachzusehen, ob
-sie zu Hause seien! Geschehe, was da wolle, sie tat es
-nicht mehr.</p>
-
-<p>Und wenn nun das Glück sie nicht im Stich gelassen
-hätte, so hätte es Barbro auf diese Weise das Jahr durch<span class="pagenum"><a name="Seite_398" id="Seite_398">[S. 398]</a></span>
-mit ihrer Herrin aushalten können. Aber vor einigen
-Tagen hatte es einen Krach zwischen ihnen gegeben.</p>
-
-<p>Es war frühmorgens in der Küche. Zuerst hatte sich
-Barbro ein wenig mit der Köchin gezankt, ja, nicht nur
-so ganz wenig, sie sprachen lauter und lauter und vergaßen,
-daß Frau Heyerdahl kommen könnte. Die Köchin
-hatte sich schlecht benommen und hatte sich außer der
-Reihe fortgeschlichen, weil es Sonntagnacht gewesen
-war. Und womit entschuldigte sie sich? Sagte sie, sie habe
-fort müssen, um sich von einer teuren Schwester zu
-verabschieden, die nach Amerika reise? Keine Spur, sie
-entschuldigte sich gar nicht, sondern behauptete, sie habe
-diese Sonntagnacht gut gehabt. &mdash; Daß du auch gar
-keine Ehre und Wahrhaftigkeit im Leibe hast, du Canaille!
-rief Barbro.</p>
-
-<p>Da stand Frau Heyerdahl unter der Tür.</p>
-
-<p>Sie hatte sich vielleicht ursprünglich nur eine Erklärung
-für dieses laute Geschrei ausbitten wollen, erwiderte
-auch noch den Mädchen ihren Morgengruß, aber
-dann sah sie plötzlich Barbro scharf an, sah Barbros
-Brusttuch an, beugte sich vor und sah noch näher zu.
-Das fing an unheimlich zu werden. Und plötzlich stößt
-Frau Heyerdahl einen Schrei aus und weicht zur Tür
-zurück. Was in aller Welt ist das? denkt Barbro und
-schaut an sich herunter. Lieber Gott, nichts als eine Laus!
-Barbro muß ein wenig lächeln, und da es ihr nicht ungewohnt
-ist, auch in außerordentlichen Umständen zu
-wissen, was sie zu tun hat, knipst sie die Laus weg. &mdash;
-&mdash; Was, auf den Fußboden! schreit die Frau Lensmann.
-Bist du verrückt! Gleich nimm das Tier auf! &mdash; Ja,
-Barbro beginnt zu suchen und ist wieder rasch gefaßt, sie
-tut, als ob sie die Laus gefunden hätte und wirft sie
-großartig ins Küchenfeuer.</p>
-
-<p>Wo hast du die her? fragt die Frau erregt. &mdash; Wo
-ich die her habe? antwortet Barbro. &mdash; Ja, ich will<span class="pagenum"><a name="Seite_399" id="Seite_399">[S. 399]</a></span>
-wissen, wo du gewesen bist und sie dir geholt hast. Antworte!
-&mdash; Nun machte Barbro den großen Fehler, daß
-sie nicht sagte: Im Kaufladen! Das wäre das einzig
-richtige gewesen. Nein, sie wußte nicht, wo sie die Laus
-aufgelesen haben könnte, aber sie deutete an, sie habe sie
-vielleicht durch die Köchin bekommen. Da fuhr die Köchin
-plötzlich hoch auf: Du von mir! Du bringst es für dich
-allein fertig, dir Läuse zu holen! &mdash; Aber du warst es
-doch, die heute nacht aus war!</p>
-
-<p>Abermals ein großer Fehler, das hätte sie niemals
-sagen sollen. Nun hatte die Köchin auch keinen Grund
-mehr zu schweigen, und alles von den unglückseligen
-Nächten außer dem Hause kam an den Tag. Frau Heyerdahl
-ist in höchster Erregung; von der Köchin will sie
-nichts, ihre Erregung gilt Barbro, dem Mädchen, für
-das sie eingestanden ist. Und dennoch hätte vielleicht auch
-jetzt noch alles gerettet werden können, wenn Barbro
-ihr Haupt gebeugt hätte wie ein Schilfrohr, und zu
-Boden gesunken wäre und sich hoch und teuer verschworen
-hätte, es in Zukunft nie mehr zu tun. Aber nein, Frau
-Heyerdahl mußte schließlich ihr Kindermädchen daran erinnern,
-was sie alles für sie getan hatte, und da gab
-Barbro wahrhaftig Antwort, sie trumpfte auf, so dumm
-war sie. Ja, oder vielleicht war sie auch so klug, vielleicht
-wollte sie die Sache auf die Spitze treiben, um von da
-wegzukommen. Frau Heyerdahl sagte: Ich habe dich aus
-den Klauen des Löwen gerissen. &mdash; Was das betrifft,
-erwiderte Barbro, so wäre es mir ebenso lieb, wenn Ihr
-es nicht getan hättet. &mdash; Ist das der ganze Dank, den
-ich bekomme? rief Frau Heyerdahl. &mdash; Ach, was soll das
-Gerede! sagte Barbro. Vielleicht wäre ich verurteilt worden,
-aber mehr als ein paar Monate hätte man mir jedenfalls
-nicht gegeben, und dann wäre ich die Geschichte los!
-&mdash; Frau Heyerdahl ist einen Augenblick sprachlos, ja, eine
-Weile steht sie nur da, öffnet den Mund und schließt ihn<span class="pagenum"><a name="Seite_400" id="Seite_400">[S. 400]</a></span>
-wieder. Das erste Wort, das sie herausbringt, ist die
-Kündigung. &mdash; Ja, ganz wie Ihr wollt, ist alles, was
-Barbro erwidert.</p>
-
-<p>Während der Tage, die seither verflossen sind, hat sich
-Barbro bei ihren Eltern aufgehalten. Aber dort konnte
-sie nicht immer bleiben. Oh, es ging ihnen nicht schlecht,
-die Mutter trieb jetzt einen Kaffeeausschank, und es
-kamen immer viele Leute ins Haus; aber davon konnte
-Barbro nicht leben, und sie konnte ja auch andere gute
-Gründe haben, warum sie wieder in eine feste Stellung
-kommen wollte. So nahm sie also heute einen Sack mit
-Kleidern auf den Rücken und wanderte ins Ödland hinauf.
-Nun kam es darauf an, ob Axel Ström sie wieder
-aufnehmen würde! Aber sie hatte am letzten Sonntag
-das Aufgebot verkünden lassen.</p>
-
-<p>Es regnet, der Weg ist schmutzig, aber Barbro geht
-weiter. Es wird Abend, und da der Sankt-Olafstag noch
-nicht gewesen ist, wird es nicht dunkel. Arme Barbro,
-sie schont sich nicht, sie hat eine bestimmte Absicht, sie hat
-ein Ziel, und so nimmt sie den ersten Kampf auf. Sie hat
-sich im Grunde niemals geschont, ist niemals träge gewesen,
-darum ist sie auch ein schönes und feines Geschöpf.
-Barbro hat eine leichte Auffassungsgabe, gebraucht sie jedoch
-oftmals zu ihrem eigenen Verderben. Was war auch
-anderes zu erwarten? Sie hat gelernt, sich von einer Not
-in die andere zu retten, aber sie hat verschiedene gute
-Eigenschaften behalten; der Tod eines Kindes ist ihr
-nichts, aber ein lebendes Kind könnte es gut bei ihr haben.
-Außerdem hat sie ein sehr musikalisches Ohr, sie klimpert
-weich und richtig auf der Gitarre und singt mit etwas
-heiserer Stimme dazu, was angenehm und etwas wehmütig
-anzuhören ist. Sich selbst schonen? Ho, so wenig,
-daß sie sich selbst völlig weggeworfen und den Verlust
-nicht einmal empfunden hatte. Dann und wann weinte
-sie, und das Herz wollte ihr über dies und jenes in ihrem<span class="pagenum"><a name="Seite_401" id="Seite_401">[S. 401]</a></span>
-Leben fast brechen; das gehört dazu, das kommt von
-den rührenden Liedern, die sie singt, das ist die Poesie
-und die süße Wonne der Wehmut in ihr, sie hat häufig
-sich selbst und andere damit angeführt. Hätte sie ihre
-Gitarre mit sich nehmen können, so hätte sie heute abend
-Axel etwas vorgeklimmpert.</p>
-
-<p>Sie richtet sich so ein, daß sie spät anlangt, und auf
-Maaneland ist alles still, als sie den Hofraum betritt.
-Sieh, Axel hat schon in der Nähe des Hauses mit dem
-Mähen begonnen und wahrhaftig auch schon etwas trockenes
-Heu eingefahren! Nun überlegt sich Barbro, die alte
-Oline werde drinnen in der Schlafkammer schlafen und
-Axel in der Heuscheune, wo sie selbst früher geschlafen
-hatte. Wie ein Dieb in der Nacht schleicht sie auf die bekannte
-Tür zu, dann ruft sie leise: Axel! &mdash; Was gibt's?
-antwortet Axel sofort. &mdash; Ich bin's nur, sagt Barbro
-und tritt zu ihm ein. Kannst du mich über Nacht hierbehalten?</p>
-
-<p>Axel schaut sie an, er ist etwas langsam, er sitzt in
-seinen Unterkleidern da und schaut sie an. So, du bist's?
-sagt er. Wo willst du hin? &mdash; Ja, das kommt nun zuerst
-darauf an, ob du eine Hilfe für die Sommerarbeit
-brauchst, erwidert sie. &mdash; Axel denkt darüber nach und
-fragt: Bleibst du nicht mehr dort, wo du gewesen bist?
-&mdash; Nein, bei Lensmanns hab' ich Schluß gemacht. &mdash; Ich
-könnte recht gut eine Hilfe für die Sommerzeit brauchen,
-sagt Axel. Aber was soll das heißen, willst du etwa
-wiederkommen? &mdash; Nein, du brauchst dich gar nicht um
-mich zu kümmern, wehrt Barbro ab. Morgen geh ich
-weiter, ich geh nach Sellanraa und über die Berge, dort
-hab' ich eine Stelle. &mdash; So, du hast dich verdingt? &mdash; Ja.
-&mdash; Ich könnte wohl eine Hilfe für den Sommer brauchen,
-wiederholt Axel.</p>
-
-<p>Barbro ist ganz naß, sie hat Kleider in ihrem Bündel
-bei sich und muß sich umziehen. Kümmere dich gar nicht<span class="pagenum"><a name="Seite_402" id="Seite_402">[S. 402]</a></span>
-darum, daß ich hier bin, sagt Axel und weicht nur ein
-wenig nach der Tür zurück. Barbro zieht die nassen Kleider
-aus, und währenddessen sprechen sie miteinander, und
-Axel dreht öfters den Kopf nach ihr um. &mdash; Aber jetzt
-mußt du ein wenig hinausgehen, sagt Barbro. &mdash; Hinausgehen?
-fragt er. Und es war auch wirklich kein Wetter
-zum Hinausgehen. Er steht da und sieht zu, wie sie immer
-nackter wird, er kann kein Auge von ihr abwenden; und
-wie gedankenlos Barbro ist, sie hätte gut immer ein
-trockenes Stück anlegen können, wenn sie das nasse abzog,
-aber das tat sie nicht. Ihr Hemd ist ganz dünn und
-klebt an ihrem Körper, sie knöpft es auf der einen Achsel
-auf und wendet sich um, sie ist sehr geübt. In diesem
-Augenblick schweigt Axel bumsstill und sieht, daß sie
-nur einen Griff oder zwei braucht, um das Hemd abzuziehen.
-Das ist prachtvoll gemacht, denkt er. Und da
-bleibt sie nun ganz gedankenlos stehen.</p>
-
-<p>Später liegen sie im Heu und unterhalten sich. Jawohl,
-er brauche eine Hilfe für den Sommer, das sei
-schon wahr. &mdash; Ja, so sagte man mir, stimmt Barbro bei.
-&mdash; Er habe auch in diesem Jahr wieder allein mit dem
-Mähen und Heumachen anfangen müssen, Barbro könne
-wohl verstehen, wie ratlos er sei. &mdash; Ja, Barbro verstand
-alles. &mdash; Andrerseits sei es doch gerade Barbro gewesen,
-die damals davongelaufen sei und ihn ohne weibliche
-Hilfe zurückgelassen habe; das könne er nicht vergessen,
-und die Ringe habe sie auch mitgenommen. Und
-zu aller Schmach sei auch noch ihre Zeitung immer weiter
-gekommen, diese Bergensche Zeitung, die er gar nicht
-loswerden konnte, und er habe sie hinterher noch für ein
-ganzes Jahr bezahlen müssen. &mdash; Das war ja ein schändliches
-Blatt, sagte Barbro und stellte sich die ganze Zeit
-auf seine Seite. Aber bei so großer Willfährigkeit konnte
-auch Axel kein Unmensch sein, er gab zu, daß Barbro
-Grund gehabt haben könnte, sich auch über ihn zu ärgern,<span class="pagenum"><a name="Seite_403" id="Seite_403">[S. 403]</a></span>
-weil er die Aufsicht über die Telegraphenlinie ihrem Vater
-weggenommen hatte. Übrigens kann dein Vater den Telegraphen
-wiederhaben, ich mache mir nichts daraus, es
-ist nur Zeitverlust. &mdash; Ja, sagte Barbro. &mdash; Axel überlegte
-eine Weile, dann fragte er geradezu: Ja, wie ist
-das, willst du nur den Sommer über bleiben? &mdash; Ach,
-das soll so werden, wie du es haben willst, entgegnete
-Barbro. &mdash; So, ist das deine aufrichtige Meinung? &mdash;
-Ja, genau was du willst, das will ich auch. Du brauchst
-nicht mehr an mir zu zweifeln. &mdash; So. &mdash; Nein. Und ich
-hab' uns auch in der Kirche aufbieten lassen.</p>
-
-<p>So. Das war keine schlimme Kunde. Axel blieb ruhig
-liegen und überlegte. Wenn es diesmal Ernst war und
-nicht wieder ein schändlicher Verrat, so hatte er die eigene
-Frau im Hause, und es war ihm für alle Zeit geholfen.
-&mdash; Ich hätte eine Frau von daheim haben können, sagte
-er. Sie hat geschrieben, sie wolle mich haben. Aber ich
-hätte ihr die Rückreise von Amerika bezahlen müssen. &mdash;
-Barbro fragt: So, ist sie in Amerika? &mdash; Ja, sie ist
-voriges Jahr hingereist; aber es gefällt ihr nicht dort. &mdash;
-Nein, du mußt dich nicht um sie kümmern! erklärt Barbro.
-Was würde sonst aus mir? fragt sie und beginnt
-zu weinen. &mdash; Darum hab' ich es auch nicht fest mit ihr
-gemacht, sagt Axel.</p>
-
-<p>Nun wollte Barbro aber auch nicht zurückstehen, sie
-bekannte, daß sie in Bergen einen Mann hätte haben
-können, er sei Bierführer bei einer gewaltig großen
-Brauerei, und ihm sei viel anvertraut. Und er grämt
-sich gewiß immer noch um mich, sagt Barbro schluchzend.
-Aber weißt du, wenn zwei Leute so viel miteinander gehabt
-haben wie du und ich, Axel, dann kann ich nicht
-vergessen, wenn du auch längst vergessen hast. &mdash; Wer,
-ich? erwidert Axel. Nein, darum brauchst du nicht zu weinen,
-ich habe dich niemals vergessen. &mdash; So.</p>
-
-<p>Dieses Zugeständnis ist Barbro eine große Hilfe, und<span class="pagenum"><a name="Seite_404" id="Seite_404">[S. 404]</a></span>
-sie sagt: Unsinn, was willst du denn das viele Reisegeld
-ganz von Amerika herüber bezahlen, wenn du es doch
-nicht nötig hast. &mdash; Sie rät ihm von der ganzen Sache
-ab, es würde zu teuer, und er sei doch nicht dazu gezwungen.
-Barbro schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben,
-sein Glück selbst zu begründen.</p>
-
-<p>Im Lauf der Nacht werden sie einig. Sie waren einander
-ja nicht fremd und hatten schon oft alles miteinander
-besprochen. Auch die notwendige Trauung sollte
-noch vor dem Sankt-Olafstag und der Heuernte vor sich
-gehen, sie hatten nicht nötig, sich zu verstellen, und Barbro
-drängte jetzt selbst am eifrigsten. Axel stieß sich nicht
-daran, daß Barbro es jetzt so eilig hatte, und es erweckte
-auch keinen Verdacht in ihm, im Gegenteil, ihre Eile
-schmeichelte ihm und feuerte ihn an. Jawohl, er war ein
-Ödlandbewohner, ein wetterfester Mann, er nahm es
-nicht so genau, war wahrlich nicht überfein, er war zu
-allerlei genötigt, er sah auf den Nutzen. Dazu kam noch,
-daß ihm Barbro wieder ganz neu und schön erschien, beinahe
-reizender als zuvor. Sie war ein frischer Apfel,
-und er biß hinein. Sie waren ja bereits aufgeboten.</p>
-
-<p>Über die Kindsleiche und die Gerichtsverhandlung
-schwiegen alle beide.</p>
-
-<p>Dagegen redeten sie von Oline, und wie sie sie loswerden
-könnten? Ja, sie muß zum Hause hinaus, erklärte
-Barbro. Wir sind ihr keinen Dank schuldig. Sie ist nichts
-als ein Klatschweib voller Bosheit. &mdash; Aber es erwies
-sich als sehr schwierig, Oline loszuwerden.</p>
-
-<p>Gleich am ersten Morgen, als Barbro zum Vorschein
-kam, ahnte Oline ihr Schicksal. Ihr wurde sofort schlimm
-zumute, aber sie verbarg das und nickte und bot Barbro
-einen Stuhl an. Es war doch auf Maaneland einen Tag
-nach dem andern gegangen. Axel hatte Wasser und
-Brennholz herbeigetragen und ihr die schwersten Arbeiten
-abgenommen, und den Rest hatte Oline fertiggebracht.<span class="pagenum"><a name="Seite_405" id="Seite_405">[S. 405]</a></span>
-Im Lauf der Zeit hatte sie sich entschlossen, bis zum Ende
-ihres Lebens auf der Ansiedlung zu bleiben, aber da kam
-diese Barbro und machte diesen Plan zunichte.</p>
-
-<p>Wenn eine Kaffeebohne im Hause wäre, so hätte ich dir
-einen Kaffee gemacht, sagte sie zu Barbro. Willst du
-noch weiter hinauf in die Berge? &mdash; Nein, erwiderte
-Barbro. &mdash; So, du willst nicht weiter hinauf? &mdash; Nein.
-&mdash; Nun, mich geht es ja nichts an, sagte Oline. Willst
-du wieder hinunter? &mdash; Nein, auch das nicht, ich bleibe
-jetzt wieder hier. &mdash; So, du willst wieder hierbleiben? &mdash;
-Ja, so wird's wohl kommen.</p>
-
-<p>Oline wartet eine Weile, sie gebraucht ihren alten Kopf,
-der steckt bereits voller Politik: Ja, sagt sie. Dann kann
-ich hier loskommen. Das freut mich sehr. &mdash; So, ist
-Axel ein so scharfer Herr gewesen? sagt Barbro im
-Scherz. &mdash; Scharf? Er? Geh doch und treibe nicht deinen
-Spaß mit einer alten Frau, die nur noch auf die Erlösung
-wartet. Er, der Axel ist wie ein Vater und eine höhere
-Fügung für mich gewesen, jeden Tag und jede Stunde,
-anders kann ich nicht sagen. Aber ich habe nun einmal niemand
-von den Meinigen hier in der Gegend, ich stehe einsam
-und verlassen auf anderer Leute Eigentum und habe
-alle meine Angehörigen auf der andern Seite des Gebirges.</p>
-
-<p>Aber Oline blieb da. Sie war nicht eher als nach der
-Trauung zu entbehren, und Oline sträubte sich lange,
-sagte aber endlich ja, sie wolle ihnen die Gefälligkeit erweisen
-und das Haus hüten und für das Vieh sorgen,
-während sie getraut würden. Das nahm zwei Tage in
-Anspruch. Als aber die Neuverheirateten heimkamen,
-ging Oline doch nicht. Sie verschob es immer wieder, den
-einen Tag behauptete sie, es sei ihr nicht gut, den andern
-sah es aus, als ob es regnen wollte. Sie schmeichelte
-Barbro, es sei jetzt auf Maaneland mit der Kost ganz
-anders geworden und doch auch Kaffee im Hause! Oh,<span class="pagenum"><a name="Seite_406" id="Seite_406">[S. 406]</a></span>
-Oline scheute vor nichts zurück, sie fragte Barbro bei Dingen
-um Rat, die sie selbst viel besser wußte. Was meinst
-du, soll ich die Kühe nach der Reihe melken, wie sie im
-Stall stehen, oder soll ich Bordelin zuerst nehmen? &mdash;
-Das kannst du halten, wie du willst. &mdash; Ja, hab' ich es
-nicht gesagt! ruft Oline. Du bist draußen in der Welt
-unter hohen und vornehmen Leuten gewesen und hast
-alles gelernt. Mir armen Person ist's nicht so gut gegangen.</p>
-
-<p>Nein, Oline scheute vor nichts zurück, sondern trieb
-Politik Tag und Nacht. Erzählte sie nicht Barbro, wie
-sehr gut Freund sie mit ihrem Vater, mit Brede Olsen,
-sei! Ho, sie habe manche vergnügte Stunde mit ihm verplaudert,
-er sei so ein netter und freundlicher Mann, der
-Brede, nie höre man ein unfreundliches Wort aus seinem
-Munde!</p>
-
-<p>Aber es ging doch nicht auf die Dauer, weder Axel noch
-Barbro wollte Oline länger im Hause behalten, und Barbro
-nahm ihr alle Arbeit aus der Hand. Oline beklagte
-sich nicht, aber sie sagte mit einem gefährlichen Seitenblick
-auf die Hausfrau und mit leicht verändertem Tone:
-Ja, ihr seid jetzt große Leute, sagte sie. Der Axel hat letzten
-Herbst eine Reise in die Stadt gemacht, hast du ihn
-dort getroffen? Ach nein, du bist ja in den Bergen gewesen.
-Er hatte etwas in der Stadt zu besorgen, er hat
-eine Mähmaschine und einen Reolpflug gekauft. Was
-sind die auf Sellanraa gegen euch? Gar nicht zu vergleichen!</p>
-
-<p>Oline versetzte kleine Nadelstiche, allein auch das half
-nichts, die Herrschaft fürchtete sich nicht vor ihr, Axel
-sagte ihr eines Tages geradeheraus, daß sie jetzt gehen
-müsse. &mdash; Gehen? fragte Oline. Wie denn? Muß ich
-kriechen? Sie weigerte sich zu gehen unter dem Vorwand,
-daß sie nicht recht gesund sei und die Beine nicht rühren
-könne. Und so schlimm mußte es wirklich gehen: als ihr<span class="pagenum"><a name="Seite_407" id="Seite_407">[S. 407]</a></span>
-die Arbeit abgenommen war und sie kein Feld der Tätigkeit
-mehr hatte, da fiel sie zusammen und wurde tatsächlich
-krank. Sie schleppte sich noch eine Woche lang umher,
-Axel schaute sie wütend an, aber Oline blieb aus
-lauter Bosheit, und zuletzt mußte sie sich zu Bett legen.</p>
-
-<p>Aber nun lag sie keineswegs nur da und wartete auf
-ihre Erlösung, sie sprach im Gegenteil stundenlang davon,
-daß sie bald wieder gesund werde. Sie begehrte den
-Doktor, eine Großartigkeit, die im Ödland völlig unbekannt
-war. &mdash; Den Doktor? sagte Axel fragend. Bist du
-nicht bei Trost? &mdash; Wieso? fragte Oline sanft zurück und
-verstand rein gar nichts. Ja, sie war ganz sanft und
-mild und sprach sich so erfreut aus, daß sie niemand zur
-Last falle, sie könne den Doktor selbst bezahlen. &mdash; So,
-das kannst du? sagte Axel. &mdash; So, kann ich es vielleicht
-nicht? entgegnete Oline. Und außerdem werde ich doch
-nicht angesichts des Erlösers wie ein Tier hier verenden
-sollen? &mdash; Jetzt mischte sich Barbro ein und fragte unvorsichtigerweise:
-Was fehlt dir denn? Ich bringe dir
-doch deine Mahlzeiten. Aber den Kaffee habe ich dir in
-guter Absicht versagt. &mdash; Bist das du, Barbro? fragt
-Oline und dreht nur die Augen nach ihr hin. Sie ist sehr
-elend und sieht mit den verdrehten Augen ganz unheimlich
-aus. Es wird wohl so sein, wie du sagst, Barbro, daß
-ich von einem winzigen Tröpfchen Kaffee, einem Löffelchen
-voll Kaffee viel kränker würde. &mdash; Wenn du wärest
-wie ich, so hättest du jetzt an anderes zu denken als an
-Kaffee, sagte Barbro. &mdash; Habe ich es nicht gesagt? Du
-hast noch nie eines Menschen Tod gewollt, sondern daß
-er sich bekehre und lebe. Aber was &mdash; was sehe ich? Bist
-du denn in der Hoffnung, Barbro? &mdash; Ich! rief Barbro
-und fügte wütend hinzu: Du gehörst auf den Mist geworfen
-mit deinem Mundwerk!</p>
-
-<p>Hier schweigt die Kranke einen Augenblick nachdenklich,
-und ihr Mund zittert, als ob er durchaus lächeln<span class="pagenum"><a name="Seite_408" id="Seite_408">[S. 408]</a></span>
-möchte und doch nicht dürfe. &mdash; Ich habe heute nacht
-jemand rufen hören, sagt sie. &mdash; Sie ist nicht bei sich!
-flüstert Axel. &mdash; Doch, ich bin ganz bei mir. Es war gerade,
-als ob jemand riefe. Es kam aus dem Wald oder
-vom Bach her. Es war sonderbar, gerade wie das Schreien
-eines kleinen Kindes. Ist Barbro hinausgegangen? &mdash;
-Ja, sagte Axel, sie will deine Narrheiten nicht länger
-mit anhören. &mdash; Ich spreche keine Narrheiten, ich bin
-nicht so von Sinnen, wie ihr meint, sagte Oline. Nein,
-das ist nicht des Allmächtigen Wunsch und Wille, daß
-ich jetzt schon mit allem, was ich von Maaneland weiß,
-zum Thron des Lammes eingehen soll. Ich werde wohl
-wieder gesund. Aber du sollst mir den Doktor holen, Axel,
-dann geht es schneller. Was ist das für eine Kuh, die du
-mir geben willst? &mdash; Was für eine Kuh? &mdash; Die Kuh,
-die du mir versprochen hast. Ist es Bordelin? &mdash; Du
-sprichst in den Tag hinein, sagt Axel. &mdash; Du weißt, daß
-du mir eine Kuh versprochen hast, damals, als ich dir
-das Leben rettete. &mdash; Nein, das weiß ich nicht.</p>
-
-<p>Da hebt Oline den Kopf und schaut ihn an. Sie ist
-ganz kahlköpfig und grau, ihr Kopf sitzt auf einem langen
-Vogelhals, sie sieht hexenmäßig und fürchterlich aus,
-Axel fährt zurück und greift rückwärts nach der Türklinke.
-&mdash; So, sagt Oline, du bist von der Sorte! Dann
-sprechen wir vorerst nicht mehr davon. Ich kann auch ohne
-die Kuh leben und werde sie nicht mehr in den Mund
-nehmen. Aber es ist gut, daß du dich genau als der Mann
-gezeigt hast, der du bist, so weiß ich es für ein andermal.</p>
-
-<p>Aber in der Nacht starb Oline, zu irgendeiner Stunde
-in der Nacht, jedenfalls war sie bereits kalt, als sie morgens
-zu ihr hereinkamen.</p>
-
-<p>Die alte Oline, geboren und gestorben ...</p>
-
-<p>Es war weder Axel noch Barbro unlieb, daß sie Oline
-für immer begraben konnten, sie brauchten jetzt nicht mehr
-so auf der Hut zu sein, sie konnten vergnügt leben. Bar<span class="pagenum"><a name="Seite_409" id="Seite_409">[S. 409]</a></span>bro
-klagt wieder über Zahnweh, sonst ist alles gut. Aber
-dieses ewige wollene Tuch um den Mund, das sie immer
-wegziehen muß, wenn sie ein Wort reden will, ist keine
-kleine Plage, und Axel kann das viele Zahnweh nicht
-begreifen. Er hatte wohl die ganze Zeit her ihre vorsichtige
-Art zu kauen beobachtet, aber es fehlte ihr doch kein
-Zahn im Mund. &mdash; Hast du dir denn keine neuen Zähne
-machen lassen? fragt er. &mdash; Doch. &mdash; Ja, tun die denn
-auch weh? &mdash; Spotte nicht so! erwidert Barbro erzürnt,
-obgleich er wirklich in gutem Glauben gefragt hatte. Und
-in ihrer Bitterkeit kommt sie dazu, bessere Auskunft zu
-geben: Du siehst doch, wie es mit mir steht.</p>
-
-<p>Wie es mit ihr stand? Axel sieht etwas näher zu und
-bemerkt, daß sie bereits anfängt einen dicken Leib zu bekommen.
-&mdash; Du bist doch nicht in der Hoffnung? fragt
-er. &mdash; Doch, das weißt du wohl, erwidert sie. &mdash; Etwas
-vor den Kopf geschlagen starrt er sie an. In all seiner
-Langsamkeit sitzt er da und rechnet eine Weile: eine
-Woche, zwei Wochen, in der dritten Woche. &mdash; Weiß ich
-das? sagt er. &mdash; Barbro ist sehr gereizt durch dieses
-Zwiegespräch und fängt an laut hinauszuweinen, ja gekränkt
-zu weinen. Du kannst mich nur auch gleich in die
-Erde graben, dann bist du mich los! ruft sie.</p>
-
-<p>Merkwürdig, was die Weiberleute für Gründe zum
-Weinen finden können!</p>
-
-<p>Nein, Axel will Barbro durchaus nicht in die Erde
-graben, er ist ein handfester Mann, der auf den Nutzen
-sieht; in einem Blumenflor zu waten, dazu hat er keine
-Lust. &mdash; Dann kannst du im Sommer nicht auf dem
-Feld arbeiten? fragt er. &mdash; Was, nicht auf dem Feld
-arbeiten? erwidert sie entsetzt. Und lieber Gott, worüber
-ein Frauenzimmer doch plötzlich wieder lächeln kann! Als
-es Axel auf diese Weise nahm, rieselte ein hysterisches
-Glücksgefühl durch Barbros Körper, und sie rief: Für
-zwei werde ich arbeiten! Du wirst sehen, Axel, daß ich<span class="pagenum"><a name="Seite_410" id="Seite_410">[S. 410]</a></span>
-alles arbeite, wobei du mich anstellst, und noch viel mehr.
-Ich will mich abrackern und noch vergnügt dabei sein,
-wenn du nur zufrieden bist!</p>
-
-<p>Es gab noch mehr Tränen und Lächeln und Zärtlichkeiten.
-Die beiden waren allein im Ödland, niemand war
-zu fürchten, offene Türen, Sommerwärme, Fliegengesumm.
-Sie war so willfährig und hingebend, alles
-wollte sie genau so wie er.</p>
-
-<p>Nach Sonnenuntergang ist Axel damit beschäftigt, seine
-Mähmaschine anzuspannen, er will noch ein kleines Stück
-abmähen für den nächsten Morgen. Barbro kommt hastig
-herausgelaufen, als ob sie etwas Wichtiges zu besorgen
-hätte, und sagt: Du, Axel, wie hast du überhaupt daran
-denken können, dir jemand aus Amerika kommen zu lassen?
-Sie wäre ja erst bis zum Winter hier gewesen,
-und was hättest du da noch mit ihr angefangen? &mdash;
-Seht, auf diesen Gedanken war Barbro verfallen, und
-nun kam sie damit angelaufen, wie wenn das notwendig
-wäre!</p>
-
-<p>Aber es war keineswegs notwendig, Axel hatte von
-der ersten Stunde an eingesehen, daß er eine weibliche
-Hilfe für ein ganzes Jahr gewann, wenn er Barbro wieder
-zu sich nahm. Dieser Mann schwankt nicht, und er
-träumt sich nicht zu den Sternen hinauf. Nun hat er die
-eigene Frau im Hause und kann auch die Telegraphenlinie
-noch eine Zeitlang behalten. Im Jahre macht das
-doch viel Geld aus, und das ist ihm sehr willkommen,
-solange er nicht viel vom Ertrag des Hofes verkaufen
-kann. Alles geht und fügt sich ineinander, er ist mitten
-in der Wirklichkeit. Und von Brede, der jetzt sein Schwiegervater
-ist, erwartet er auf der Telegraphenlinie keinen
-Überfall mehr.</p>
-
-<p>Das Glück fängt an, Axel mit seinen Gaben zu überschütten.</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_411" id="Seite_411">[S. 411]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h3>11</h3>
-
-
-<p>Die Zeit vergeht, der Winter vergeht, es wird wieder
-Frühling. Natürlich mußte Isak eines Tages
-notwendig ins Dorf. Es wurde gefragt, was er
-dort wolle. Ich weiß es nicht recht, sagte er. Aber er putzte
-den Karren sehr rein, stellte den Sitz darauf und fuhr davon.
-Und natürlich hatte er verschiedentliche Eßwaren für
-Eleseus auf Storborg bei sich. Es fuhr ja kein Wagen von
-Sellanraa ab, der nicht irgend etwas für Eleseus mitnahm.</p>
-
-<p>Wenn Isak das Ödland hinunterfuhr, so war das kein
-unbedeutendes Ereignis; er selbst tat es nur selten, Sivert
-pflegte es an seiner Statt zu tun. In den zwei ersten Ansiedlungen
-stehen die Leute unter der Gammentür und
-sagen zueinander: das ist der Isak selbst, ich möchte nur
-wissen, warum er heute fährt. Als er nach Maaneland
-kommt, steht Barbro mit einem Kind auf dem Arm
-unter dem Fenster, und als sie ihn sieht, denkt sie: das
-ist der Isak selbst!</p>
-
-<p>Er kommt nach Storborg und hält an: Prrr! Ist
-Eleseus daheim? &mdash; Eleseus kommt heraus. Jawohl, er ist
-daheim, er ist noch nicht abgereist, aber er will abreisen,
-er will seinen Frühlingsausflug nach den Städten im
-Süden antreten. &mdash; Da schickt dir die Mutter etwas, sagt
-der Vater. Ich weiß nicht, was es ist, es wird weiter
-nichts Besonderes sein. &mdash; Eleseus nimmt die Gefäße entgegen,
-dankt und fragt: Hast du nicht auch einen Brief
-oder so etwas? &mdash; Doch, antwortet der Vater und sucht
-in seinen Taschen. Er ist wohl von der kleinen Rebekka.
-&mdash; Eleseus bekommt den Brief, darauf hat er gewartet,
-er sieht, daß er schön dick ist, und sagt zu seinem Vater:
-Es ist sehr schade, daß du so früh kommst, zwei Tage zu
-früh. Aber wenn du ein bißchen warten willst, kannst du
-meinen Koffer gleich mitnehmen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_412" id="Seite_412">[S. 412]</a></span></p>
-
-<p>Isak steigt ab und bindet das Pferd an. Dann macht
-er einen Gang über die Felder. Der kleine Ladendiener
-Andresen ist kein schlechter Landwirt auf Eleseus' Grund
-und Boden, Sivert ist ihm allerdings mit den Pferden
-von Sellanraa zu Hilfe gekommen, aber er hat auch auf
-eigene Faust Moor entwässert und einen Mann zu Hilfe
-genommen, der die Gräben mit Steinen auslegte. In
-diesem Jahr braucht auf Storborg kein Futter gekauft
-zu werden, und im nächsten Jahr konnte sich Eleseus vielleicht
-ein eigenes Pferd halten. Das hatte er Andresens
-Freude an der Landwirtschaft zu verdanken.</p>
-
-<p>Nach einiger Zeit ruft Eleseus, daß er seinen Koffer
-gepackt habe und fertig sei. Er selbst steht auch fertig da
-und will mitkommen, er hat einen schönen blauen Anzug
-an und trägt einen weißen Kragen um den Hals, Galoschen
-an den Füßen und einen Spazierstock in der Hand.
-Allerdings kommt er so mehr als zwei Tage zu früh für
-das Postboot, aber das macht nichts, er kann ja im
-Dorf solange warten; es ist ganz einerlei, wo er sich
-aufhält.</p>
-
-<p>Vater und Sohn fahren ab. Der Ladendiener Andresen
-steht unter der Ladentür und wünscht: Glückliche Reise!</p>
-
-<p>Der Vater ist besorgt für seinen Sohn und will ihm
-den Sitz allein überlassen, aber Eleseus lehnt sofort entschieden
-ab und setzt sich neben den Vater. Sie kommen
-an Breidablick vorbei, da fällt es Eleseus plötzlich ein,
-daß er etwas vergessen hat. Prrr! Was denn? fragt der
-Vater. Oh, es ist der Regenschirm, Eleseus hat seinen
-Regenschirm vergessen; das kann er nicht offen sagen,
-deshalb sagt er nur: Das hilft jetzt nichts, fahr zu! &mdash;
-Wollen wir nicht umkehren? &mdash; Nein, fahr zu! &mdash; Aber
-es war eine verwünschte Sache, daß er auch so vergeßlich
-sein mußte! Das kam von der großen Eile, weil der Vater
-über die Felder wanderte und auf ihn wartete. Nun
-mußte sich Eleseus aber, wenn er nach Drontheim kam,<span class="pagenum"><a name="Seite_413" id="Seite_413">[S. 413]</a></span>
-einen neuen Regenschirm kaufen. Es tat ja auch nichts,
-wenn er zwei Regenschirme hatte. Aber er ist so ärgerlich
-auf sich selbst, daß er abspringt und hinter dem Wagen
-hergeht.</p>
-
-<p>Auf diese Weise können die beiden nicht viel miteinander
-reden, weil sich der Vater nun bei jedem Wort
-umdrehen und über die Achsel reden muß. Der Vater
-fragt: Wie lange bleibst du weg? und Eleseus antwortete:
-Drei bis vier Wochen etwa. &mdash; Der Vater spricht seine
-Verwunderung aus darüber, daß sich die Leute in den
-großen Städten nicht verirren, aber Eleseus sagt ihm,
-er sei selbst an die großen Städte gewöhnt, er habe sich
-noch nie verirrt. &mdash; Nun meint der Vater, es sei eine
-Schande, daß er allein auf dem Wagen sitze, und er sagt:
-Mußt du eine Weile fahren, ich mag nicht mehr. Eleseus
-will jedoch seinen Vater um keinen Preis von dem Sitz
-vertreiben und steigt lieber selbst wieder zu ihm auf. Aber
-vorher halten sie eine Mahlzeit aus des Vaters schönem
-Mundvorrat. Dann fahren sie weiter.</p>
-
-<p>Endlich kommen sie zu den beiden Ansiedlungen, die
-am weitesten unten im Tal liegen, und man merkt jetzt
-wohl, daß man in der Nähe des Dorfes ist; auf beiden
-Neusiedlungen hängen wahrhaftig an dem kleinen Stubenfenster,
-das nach der Straße geht, weiße Vorhänge,
-und auf dem Dachfirst des Heubodens ist eine kleine
-Stange für die Flagge zu Ehren des siebzehnten Mai
-aufgepflanzt. &mdash; Das ist der Isak selbst, sagen die Leute
-der beiden Ansiedlungen, als sie die Reisenden sehen.</p>
-
-<p>Endlich vermag Eleseus seine Gedanken so weit von
-seiner eigenen Person und seinen eigenen Angelegenheiten
-abzulenken, daß er fragt: Was hast du eigentlich heute
-vor? &mdash; Hm! eigentlich nichts Besonderes, erwidert sein
-Vater. Aber Eleseus reiste ja jedenfalls ab, so konnte es
-also nichts schaden, wenn er erfuhr, was der Vater vorhatte.
-&mdash; Die Jensine vom Schmied will ich holen, er<span class="pagenum"><a name="Seite_414" id="Seite_414">[S. 414]</a></span>klärte
-der Vater, ja, gesteht er wirklich zu. &mdash; Mußt du
-dir selbst die Mühe machen; hätte denn nicht Sivert fahren
-können? fragt Eleseus. &mdash; Seht, Eleseus verstand
-es nicht besser, er meinte also, Sivert werde Jensine mit
-dem Wagen wiederholen, nachdem sie einmal so hochmütig
-getan hatte und von Sellanraa fortgegangen war!</p>
-
-<p>Nein, es war letztes Jahr mit dem Heumachen gar
-nicht gegangen. Inger hatte sich allerdings sehr darangehalten,
-wie sie versprochen hatte, Leopoldine tat auch
-ihre Arbeit, und dazu hatten sie auch den Heurechen, der
-von einem Pferd gezogen wurde. Aber das Heu war zum
-Teil schweres Timotheusgras und die Wiesen weit vom
-Hause entfernt. Sellanraa war jetzt ein großes Gut, die
-Frauen hatten dort anderes zu tun, als Heu zu machen;
-all das viele Vieh mußte versorgt werden, das Essen
-mußte zur rechten Zeit fertig sein, das Buttern und Käsemachen
-war zu besorgen, desgleichen das Waschen und
-das Backen, Mutter und Tochter schafften sich gar zu
-sehr ab. Einen solchen Sommer wollte Isak nicht noch
-einmal erleben, er bestimmte kurz und gut, daß Jensine
-wiederkommen solle, wenn sie zu haben sei. Inger hatte
-jetzt auch nichts mehr dagegen, sie hatte ihren Verstand
-wieder und sagte: Meinetwegen mach es, wie du willst.
-Oh, Inger war jetzt fügsamer geworden, es ist keine kleine
-Sache, wenn man seinen verlorenen Verstand wiederkriegt.
-Inger hatte keine heiße Glut mehr zu verstecken,
-keine innere Leidenschaft mehr im Zaum zu halten, der
-Winter hatte sie abgekühlt, sie hatte nur noch Glut genug
-für den Hausgebrauch. Sie fing jetzt an, an Körperfülle
-zuzunehmen, schön und stattlich sah sie aus. Es war
-merkwürdig, wie wenig sie alterte, sie wurde nicht stückweise
-alt und welk, vielleicht kam es daher, weil sie erst
-so spät aufgeblüht war. Gott mag wissen, woher alles
-kommt, nichts hat nur eine einzige Ursache, alles hat eine
-Ursachen<em class="gesperrt">reihe</em>! Und hatte nicht Inger das größte Lob<span class="pagenum"><a name="Seite_415" id="Seite_415">[S. 415]</a></span>
-bei der Frau des Schmieds? Was konnte die Schmiedfrau
-ihr vorwerfen? Durch ihr verunziertes Gesicht war
-sie um ihren Lenz betrogen worden, später war sie in
-künstliche Luft versetzt worden, und dadurch waren ihr
-sechs Jahre ihres Sommers gestohlen; da sie aber doch
-heißes Blut hatte, mußte ihr Herbst wilde Schößlinge
-treiben. Inger ist besser als so eine Schmiedfrau, zwar
-ein bißchen beschädigt, ein bißchen verzerrt, aber eine gute
-Natur, eine tüchtige Natur ...</p>
-
-<p>Vater und Sohn fahren weiter, sie fahren an Brede
-Olsens Herberge vor und führen das Pferd in den Schuppen.
-Es ist Abend geworden. Sie selbst gehen ins Haus.</p>
-
-<p>Brede Olsen hat dieses Haus gemietet, es ist eigentlich
-ein Nebengebäude, das dem Kaufmann gehört, jetzt
-sind zwei Stuben und zwei Schlafkammern darin eingerichtet;
-es ist ganz erträglich, und die Lage ist gut, das
-Haus wird von Kaffeegästen besucht und außerdem von
-den Leuten in der Umgegend, die mit dem Postschiff
-fahren wollen.</p>
-
-<p>Brede scheint wirklich einmal Glück gehabt zu haben,
-er ist auf den richtigen Platz gekommen, und das hat er
-seiner Frau zu verdanken. Bredes Frau kam auf den
-Gedanken, dieses Kaffeehaus und diese Herberge einzurichten,
-als sie während der Versteigerung auf Breidablick
-Kaffee verkaufte; das war damals sehr unterhaltend gewesen,
-es war angenehm, Münze zwischen den Fingern
-zu haben, bares Geld. Seit sie hierhergekommen sind,
-ist alles gut gegangen, die Frau verkauft jetzt im Ernst
-Kaffee und beherbergt allerlei Leute, die kein Dach über
-dem Kopf haben. Sie wird auch von den Reisenden recht
-gelobt. Natürlich ist ihre Tochter Katrine, die jetzt ein
-großes Mädchen und eine flinke Aufwärterin ist, eine
-gute Hilfe. Aber ebenso natürlich ist es nur eine Zeitfrage,
-bis wann die kleine Katrine nicht mehr im Hause ihrer
-Eltern sein und da aufwarten wird. Aber inzwischen geht<span class="pagenum"><a name="Seite_416" id="Seite_416">[S. 416]</a></span>
-es ganz ordentlich mit dem Umsatz, und das ist die Hauptsache.
-Der Anfang war entschieden gut gewesen und hätte
-noch besser sein können, wenn sich der Kaufmann genügend
-mit Brezeln und Spekulatius zum Kaffee vorgesehen
-hätte; da saßen nun alle Leute, die den siebzehnten
-Mai feiern wollten, und riefen vergebens nach Kuchen
-zum Kaffee: Kaffeekuchen! Da lernte es der Kaufmann,
-sich mit Backwaren für die Feste des Dorfes zu versehen.</p>
-
-<p>Brede und die ganze Familie leben von diesem Betrieb,
-so gut es geht. Zu gar vielen Mahlzeiten gibt es nichts
-als Kaffee mit übriggebliebenem Kaffeekuchen, aber auch
-das hält Leib und Seele zusammen, und die Kinder bekommen
-davon ein feines, ja sozusagen ein verfeinertes
-Aussehen. Es haben nicht alle Kuchen zum Kaffee! sagten
-die Leute im Dorf. Der Familie Brede scheint es gut zu
-gehen, sie halten sogar einen Hund, der bei den Gästen
-herumschleicht, Bissen erschnappt und fett wird. Was ist
-doch so ein fetter Hund eine Anpreisung für die Verpflegung
-in einer Herberge!</p>
-
-<p>Brede Olsen nimmt also die Stelle des Hausherrn in
-diesem Betrieb ein und hat sich auch nebenher emporgearbeitet.
-Er ist wieder der Begleiter und Amtsdiener
-des Lensmannes geworden und hatte in dieser Stellung
-eine Zeitlang viel zu tun. Aber letzten Herbst hat seine
-Tochter Barbro mit der Frau Lensmann Streit bekommen,
-wegen einer Kleinigkeit, geradeheraus gesagt, wegen
-einer Laus, und seit der Zeit ist auch Brede bei der Herrschaft
-nicht mehr gern gesehen. Aber Brede hat dadurch
-nicht viel verloren, er hat andere Herrschaften, die ihn,
-gerade um die Frau Lensmann zu ärgern, aufsuchen, so
-daß er als Doktorkutscher ein gesuchter Mann ist, und
-die Frau Pfarrer hat gar nicht so viele Schweine, als sie
-Brede gerne schlachten lassen würde &mdash; das sind seine eigenen
-Worte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_417" id="Seite_417">[S. 417]</a></span></p>
-
-<p>Manchmal ist allerdings auch jetzt noch bei der Familie
-Brede Schmalhans Küchenmeister, und nicht alle sind so
-fett wie der Hund. Aber Gott sei Dank, Brede hat einen
-leichten Sinn: Die Kinder werden alle Tage größer, sagt
-er, obgleich auch immer wieder neue kleine dazukommen.
-Die Großen, die fortgezogen sind, sorgen ja nun
-für sich selbst und schicken zuweilen auch eine Kleinigkeit
-nach Hause. Barbro ist auf Maaneland verheiratet, und
-Helge ist beim Heringsfang; sie geben den Eltern Waren
-oder Geld, wenn sie es möglich machen können, ja, sogar
-Katrine, die zu Hause die Gäste bedient, hat im
-Winter einmal, als es recht trübe aussah, ihrem Vater
-einen Fünfkronenschein zustecken können. Das ist ein
-Mädchen! rühmte Brede, und er fragte nicht danach, von
-wem und wofür sie den Schein bekommen habe. So war
-es recht, die Kinder sollten ein Herz für ihre Eltern haben
-und ihnen beistehen!</p>
-
-<p>Mit seinem Sohn Helge ist Brede nicht ebenso zufrieden;
-zuweilen steht er im Kaufladen und entwickelt allen,
-die ihm zuhören wollen, seine Ansichten über die Pflichten
-der Kinder ihren Eltern gegenüber: Nehmt zum Beispiel
-meinen Sohn Helge. Wenn er ein bißchen Tabak
-raucht und gelegentlich einmal ein Gläschen trinkt, so
-hab' ich gar nichts dagegen, wir sind alle einmal jung
-gewesen. Aber er soll uns nicht einen Brief um den andern
-schicken mit nichts darin als schönen Grüßen. Er
-soll nicht die Ursache sein, daß seine Mutter weint. Das
-ist unrecht. In früherer Zeit war es anders. In früheren
-Zeiten waren sich die Kinder nicht zu gut dazu, sie gingen
-in einen Dienst und halfen ihren Eltern. So sollte es
-immer sein. Haben nicht Vater und Mutter sie unter
-dem Herzen getragen und blutigen Schweiß geschwitzt, bis
-sie sie großgezogen hatten? Das sollten sie nie vergessen.</p>
-
-<p>Es war gerade, als hätte Helge diese Rede seines
-Vaters mit angehört, denn eben jetzt kam ein Brief von<span class="pagenum"><a name="Seite_418" id="Seite_418">[S. 418]</a></span>
-ihm mit einem Geldschein, einem ganzen Fünfzigkronenschein.
-Und nun fing in der Familie Brede ein Herrenleben
-an; sie kauften in ihrem Übermut Fisch und Fleisch
-zum Mittagessen und eine Hängelampe mit Prismen dran
-in die beste Stube der Herberge.</p>
-
-<p>So verging ein Tag nach dem andern, und was will
-man mehr? Die Familie Brede lebte weiter, lebte von der
-Hand in den Mund, aber ohne sich große Sorgen zu
-machen, und was will man mehr?</p>
-
-<p>Das ist einmal ein seltener Besuch! rief Brede und
-führte Isak und Eleseus in die Stube mit der Prismenlampe.
-Aber was sehe ich! Du, Isak, wirst doch nicht verreisen
-wollen! &mdash; Nein, ich habe nur beim Schmied etwas
-zu besorgen. &mdash; So, dann ist es wohl Eleseus, der wieder
-seine Reise in die Städte antritt?</p>
-
-<p>Eleseus ist an das Leben in Gasthäusern gewöhnt, er
-macht sich's bequem, hängt seinen Überzieher und seinen
-Stock auf und verlangt Kaffee. Etwas zu essen hat der
-Vater mit. Katrine kommt mit Kaffee. &mdash; Nein, ihr
-dürft nichts bezahlen, erklärt Brede. Ich bin schon sooft
-in Sellanraa bewirtet worden, und bei Eleseus stehe ich
-auch im Schuldbuch. Du nimmst keine Öre, Katrine! &mdash;
-Aber Eleseus bezahlt, er zieht den Beutel und bezahlt
-und gibt noch zwanzig Öre Trinkgeld. Nichts da! Kein
-Geschwätz!</p>
-
-<p>Isak geht zum Schmied, und Eleseus setzt sich wieder.</p>
-
-<p>Mit Katrine spricht er das Notwendigste, aber nicht
-mehr, er unterhält sich lieber mit ihrem Vater. Nein,
-Eleseus macht sich nichts aus den Mädchen, er ist einmal
-von ihnen schlecht behandelt worden, und jetzt will er
-nichts mehr von ihnen wissen. Vielleicht hat er überhaupt
-nie einen Liebesdrang gehabt, der der Rede wert gewesen
-wäre, da er sich gar nicht um sie kümmert. Ein wunderbarer
-Mann im Ödland, ein Herr mit schmächtigen
-Schreiberhänden und ganz weiblichem Sinn für Putz und<span class="pagenum"><a name="Seite_419" id="Seite_419">[S. 419]</a></span>
-Regenschirm und Spazierstock und Gummischuhe. Verschroben,
-verdreht, ein unverständlicher Junggeselle. Auf
-einer Oberlippe will nicht einmal ein rechter Bart wachsen.
-Aber vielleicht hatte dieser Junge einmal gute Anlagen
-gehabt, war einmal von Natur ordentlich ausgesteuert
-gewesen, war aber dann in unnatürliche Verhältnisse
-gekommen und zum Wechselbalg geworden. Ist er
-so fleißig auf einem Büro und in einem Kaufladen gewesen,
-daß all seine Ursprünglichkeit verlorengegangen
-ist? Vielleicht war es so. Jedenfalls ist er nun da, gewandt
-und leidenschaftslos, etwas schwächlich, etwas
-gleichgültig, und geht weiter und weiter auf seinem Abweg.
-Er könnte jeden einzelnen Mann im Ödland beneiden,
-allein nicht einmal dazu ist er imstande.</p>
-
-<p>Katrine ist daran gewöhnt, mit den Gästen zu scherzen,
-und nun zieht sie ihn auf, er wolle wohl wieder gen
-Süden zu seiner Liebsten? &mdash; Ich habe andere Dinge im
-Kopf, erwidert Eleseus. Ich will Geschäfte machen, Verbindungen
-anknüpfen. &mdash; Du mußt besseren Leuten
-gegenüber nicht so zudringlich sein, Katrine, ermahnt sie
-ihr Vater. Oh, Brede Olsen ist sehr höflich gegen Eleseus,
-ganz ungeheuer respektvoll. Das darf er auch wohl sein,
-es ist klug von ihm, er ist auf Storborg Geld schuldig und
-steht seinem Gläubiger gegenüber. Und Eleseus? Ho, ihm
-gefällt diese Höflichkeit, und er ist dafür gut und gnädig.
-Hochverehrtester! heißt er Brede im Spaß und spielt sich
-auf. Er spricht davon, daß er wieder seinen Regenschirm
-vergessen habe. Gerade in dem Augenblick, als wir an
-Breidablick vorbeifuhren, fiel mir mein Regenschirm ein!
-&mdash; Brede fragt: Ihr werdet wohl heute abend bei unserm
-kleinen Kaufmann ein Glas Toddy trinken? &mdash; Und
-Eleseus antwortet: Ja, wenn ich allein wäre! Aber ich
-habe meinen Vater bei mir. &mdash; Brede tut ganz behaglich
-und plaudert weiter: Übermorgen kommt ein Mann hierher,
-der wieder nach Amerika zurück will. &mdash; Ist er zu<span class="pagenum"><a name="Seite_420" id="Seite_420">[S. 420]</a></span>
-Besuch daheim gewesen? &mdash; Ja. Er ist vom Oberdorf.
-Er ist eine lange Reihe von Jahren drüben gewesen, aber
-nun hat er den Winter daheim zugebracht. Sein Koffer
-ist schon mit einer Fuhre heruntergekommen, das ist ein
-Riesenkoffer. &mdash; Ich hab' auch schon daran gedacht, nach
-Amerika zu gehen, sagt Eleseus aufrichtig. &mdash; Ihr? ruft
-Brede. Ihr habt das doch nicht nötig. &mdash; Ich bliebe wahrscheinlich
-auch nicht für Zeit und Ewigkeit drüben, ich
-weiß nicht. Aber ich habe schon so viele Reisen gemacht, da
-könnte ich auch diese einmal machen. &mdash; Gewiß. Und man
-muß drüben in dem Amerika wüst Geld verdienen. Nehmen
-wir nur einmal den Mann an, von dem ich vorhin
-gesprochen habe. Er hat jetzt im Winter droben im Oberdorf
-ein Weihnachtsvergnügen nach dem andern bezahlt,
-und wenn er zu mir kommt, so sagt er: Ich will einen
-ganzen Kessel Kaffee haben und allen Kaffeekuchen, den
-du hast! Ja, so sagt er. Wollt Ihr seinen Koffer sehen?</p>
-
-<p>Sie gingen in den Gang hinaus und betrachteten den
-Koffer. Ein wahres Weltwunder, glänzte auf allen Seiten
-von Metall und Beschlägen, mit drei Schnappschlössern
-dran, noch außer dem eigentlichen Schloß. &mdash;
-Diebssicher! sagte Brede, wie wenn er den Versuch gemacht
-hätte.</p>
-
-<p>Sie gingen wieder ins Zimmer hinein, aber Eleseus
-war still geworden. Dieser Mann aus dem Oberdorf
-machte ihn völlig zunichte, der trat auf Reisen wie der
-größte Beamte auf; Brede war augenscheinlich ganz von
-diesem Menschen erfüllt. Eleseus verlangte noch mehr
-Kaffee und versuchte auch reich zu tun; er verlangte
-Kuchen zu seinem Kaffee und fütterte den Hund damit.
-Ach ja, aber er fühlte sich dennoch gering und niedergeschmettert.
-Was war sein eigener Koffer diesem Wunderwerk
-gegenüber? Da stand er, schwarzes Wachstuch, die
-Ecken verstoßen und weiß geworden, ein Handkoffer &mdash;
-bei Gott, er wollte sich einen prachtvollen Koffer kaufen,<span class="pagenum"><a name="Seite_421" id="Seite_421">[S. 421]</a></span>
-wenn er hinunterkam &mdash; paßt nur auf! Gebt doch dem
-Hund nichts! sagte Brede. &mdash; Aber Eleseus war wieder
-ein bißchen Mensch geworden und spielte sich auf. Das ist
-einmal ein riesig fetter Hund! sagte er.</p>
-
-<p>Von dem einen Gedanken kam er auf den andern, er
-brach die Unterhaltung mit Brede ab und ging hinaus,
-ging in den Schuppen zu dem Pferd. Dort machte er den
-Brief auf, den er in der Tasche hatte. Er hatte ihn nur
-eingesteckt und nicht nachgesehen, wieviel Geld er enthielt;
-er hatte solche Briefe von zu Hause schon öfters erhalten,
-und es waren immer verschiedene Geldscheine darin
-gewesen, eine Beisteuer zu der Reise. Was war aber
-jetzt das? Ein großes Stück graues Papier, über und über
-bemalt von der kleinen Rebekka für ihren lieben Bruder
-Eleseus, dabei ein Briefchen von der Mutter. Was sonst
-noch? Nichts mehr. Kein Geld.</p>
-
-<p>Die Mutter schrieb, sie habe den Vater nicht mehr um
-Geld bitten können, denn es sei jetzt von dem Reichtum,
-den sie seinerzeit für den Kupferberg bekommen hätten,
-nicht mehr viel übrig. Das Geld sei für den Ankauf von
-Storborg und seither für alle die Waren und für die
-vielen Reisen draufgegangen. Nun müsse er versuchen,
-sich das Geld für die Reise diesmal selbst zu beschaffen,
-denn das Geld, das jetzt noch da sei, müßten seine Geschwister
-bekommen, die dürften auch nicht ganz leer ausgehen.
-Glückliche Reise und herzliche Grüße!</p>
-
-<p>Kein Geld.</p>
-
-<p>Eleseus hatte selbst nicht genug Geld für die Reise, er
-hatte seine Ladenkasse umgekehrt, aber nicht viel darin
-gefunden. Ach, wie dumm war er gewesen; er hatte erst
-neulich seinem Lieferanten in Bergen einen Geldbrief geschickt
-und einige Rechnungen bezahlt. Das hätte warten
-können. Natürlich war es auch allzu sorglos von ihm gewesen,
-sich auf den Weg zu machen, ohne vorher den
-Brief zu öffnen, da hätte er sich die Wagenfahrt ins Dorf<span class="pagenum"><a name="Seite_422" id="Seite_422">[S. 422]</a></span>
-mit seinem elenden Koffer sparen können. Jetzt stand er
-da ...</p>
-
-<p>Der Vater kam vom Schmied zurück mit wohlgelungener
-Besorgung: Jensine wollte morgen mit ihm kommen.
-Seht, Jensine war durchaus nicht querköpfig gewesen
-und hatte sich nicht lange bitten lassen, sie hatte sofort
-begriffen, daß man auf Sellanraa eine Hilfe für die
-Sommerarbeit brauchte und hatte nichts dagegen, wiederzukommen.
-Wieder ein glatter Bescheid.</p>
-
-<p>Während der Vater erzählt, denkt Eleseus über seine
-eigenen Angelegenheiten nach. Er zeigt dem Vater den
-Koffer des Amerikaners und sagt: Ich wäre froh, wenn
-ich da stünde, wo dieser Koffer hergekommen ist! &mdash; Und
-der Vater erwidert: Ja, das wäre noch nicht das
-schlimmste ...</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen macht sich der Vater zur Heimfahrt
-bereit; er frühstückt, spannt an und fährt beim
-Schmied vor, um Jensine und ihre Truhe abzuholen.
-Eleseus sieht ihnen lange nach, und als der Wagen im
-Walde verschwunden ist, bezahlt er in der Herberge und
-gibt wieder ein Trinkgeld. Laß meinen Koffer da stehen,
-bis ich zurückkomme, sagt er zu Katrine und geht fort.</p>
-
-<p>Wo geht Eleseus hin? Er hat nur einen Ort, wo er hingehen
-kann, er dreht um, er muß in sein Heim zurückkehren.
-Er nimmt den Weg hinauf unter die Füße und
-gibt sich Mühe, dem Vater und Jensine so nahe als möglich
-zu bleiben, ohne von ihnen gesehen zu werden. Er geht
-und geht, und jetzt fängt er wirklich an, jeden einzelnen
-Ödlandbauern zu beneiden.</p>
-
-<p>Es ist schade um Eleseus, er ist vom Leben so verdreht
-worden.</p>
-
-<p>Betreibt er denn nicht auf Storborg einen Kaufladen?
-Jawohl, aber dort Herr zu sein, das will doch gar nichts
-heißen, er macht zu viele vergnügliche Reisen, um Geschäftsverbindungen
-anzuknüpfen, die kosten zuviel, er<span class="pagenum"><a name="Seite_423" id="Seite_423">[S. 423]</a></span>
-reist nicht billig. Nur nicht kleinlich sein! sagt Eleseus
-und gibt zwanzig Öre Trinkgeld, wo zehn auch genug
-wären. Diesen flotten Herrn kann sein Geschäft nicht erhalten,
-er braucht Zuschuß von zu Hause. Jetzt erntet
-man auf Storborg Kartoffeln, Heu und Korn für den
-Haushalt, aber der Belag aufs Brot muß von Sellanraa
-kommen. Ist das alles? Sivert muß alle Waren umsonst
-von der Küste herauffahren. Ist das jetzt alles? Die
-Mutter muß ihm vom Vater das Geld zu seinen Reisen
-verschaffen. Ist das jetzt alles?</p>
-
-<p>Das Schlimmste kommt noch.</p>
-
-<p>Eleseus betreibt sein Geschäft wie ein Narr. Er fühlt
-sich so geschmeichelt, wenn die Leute aus dem Dorf zu ihm
-heraufkommen, um einzukaufen, daß er ihnen gern auf
-Borg gibt. Und als das einmal bekannt wird, kommen
-mehr und immer mehr und kaufen auf Borg; Eleseus ist
-entgegenkommend und borgt, sein Laden wird leer und
-füllt sich wieder. Das alles kostet Geld. Wer bezahlt? Der
-Vater.</p>
-
-<p>Im Anfang war die Mutter seine gläubige Fürsprecherin:
-Eleseus sei der helle Kopf in der Familie, man müsse
-ihm ordentlich vorwärts helfen. Bedenke nur, wie billig
-er Storborg bekommen hat, und wie er gleich haarscharf
-sagte, was er dafür geben wolle! Wenn der Vater meinte,
-Eleseus' Geschäft sei allmählich die reine Komödie, so erwiderte
-seine Mutter: Was ist das für ein Geschwätz! und
-sie gebrauchte so deutliche Redensarten, daß es war, als
-sei der gute Isak Eleseus gegenüber doch gar zu familiär
-geworden.</p>
-
-<p>Seht, die Mutter war selbst weggewesen und hatte
-Reisen gemacht, sie begriff, daß Eleseus hier im Ödland
-nicht recht gedeihen konnte, er war an feinere Sitten gewöhnt,
-hatte sich in allerlei Gesellschaftskreisen bewegt,
-und hier fehlten ihm Ebenbürtige. Allerdings, er borgte
-armen Leuten zuviel; aber das tat Eleseus nicht aus Bos<span class="pagenum"><a name="Seite_424" id="Seite_424">[S. 424]</a></span>heit
-und um seine Eltern zu ruinieren, er tat es aus guter
-und vornehmer Veranlagung, er hatte den Drang, den
-Leuten, die unter ihm standen, zu helfen. Du liebe Zeit,
-er war der einzige Mensch im Ödland mit einem weißen
-Taschentuch, das fortwährend gewaschen werden mußte.
-Wenn sich die Leute vertrauensvoll an ihn wandten und
-um Kredit baten und er hätte nein gesagt, so hätte das
-mißverstanden werden können, als sei er nicht der ausgezeichnete
-Mensch, für den er galt. Außerdem hatte er
-auch Pflichten als der Städter und das Genie unter den
-Bewohnern des Ödlandes.</p>
-
-<p>Dies alles zog die Mutter wohl in Betracht.</p>
-
-<p>Aber der Vater, der davon keinen Deut begriff, öffnete
-ihr eines Tages die Augen und die Ohren und sagte: Sieh
-her, das ist jetzt der Rest von dem Geld für das Kupferbergwerk.
-&mdash; So, so, sagte sie. Und wo ist denn das andere
-hingekommen? &mdash; Das hat alles Eleseus bekommen. &mdash;
-Dann soll er endlich einmal seinen Verstand gebrauchen!</p>
-
-<p>Armer Eleseus, er ist zerfahren und verpfuscht. Er
-hätte Ödlandbauer bleiben sollen, jetzt ist er ein Mensch,
-der Buchstaben zu schreiben gelernt hat, er hat keinen
-Unternehmungsgeist, keine Tiefe. Aber ein kohlschwarzer
-Teufelskerl ist er auch nicht, er ist nicht verliebt und nicht
-ehrgeizig, er ist eigentlich gar nichts, nicht einmal ein
-großer Übeltäter.</p>
-
-<p>Der junge Mann hatte etwas Unglückliches, etwas
-Verurteiltes an sich, wie wenn er in seinem Innern
-Schaden genommen hätte. Der gute Bezirksingenieur aus
-der Stadt hätte ihn lieber in seiner Jugend nicht entdecken,
-ihn nicht zu sich nehmen und nicht etwas aus ihm machen
-sollen, da wurden dem Kinde die Wurzeln abgerissen,
-und es fuhr schlecht dabei. Alles, was er jetzt vornimmt,
-läßt einen Schaden bei ihm erkennen, etwas Dunkles auf
-hellem Grunde ...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_425" id="Seite_425">[S. 425]</a></span></p>
-
-<p>Eleseus geht und geht. Die beiden auf dem Wagen
-sind an Storborg vorbeigefahren. Eleseus macht einen
-Bogen darum herum und wandert auch an Storborg
-vorbei; was sollte er daheim in seinem Kaufladen? Die
-zwei auf dem Wagen kamen mit Anbruch der Nacht auf
-Sellanraa an, Eleseus ist ihnen dicht auf den Fersen. Er
-sieht, daß Sivert auf den Hofplatz herauskommt und verwundert
-Jensine betrachtet; die beiden geben einander die
-Hand und lachen ein wenig, dann nimmt Sivert das
-Pferd am Zügel und führt es in den Stall.</p>
-
-<p>Jetzt wagt sich auch Eleseus hervor, er, der Stolz der
-Familie wagt sich hervor. Er geht nicht, er schleicht, er
-trifft Sivert im Stall. Ich bin's nur, sagt er. &mdash; Was,
-du bist auch da? ruft Sivert und ist von neuem verwundert.</p>
-
-<p>Die beiden Brüder reden leise miteinander, es handelt
-sich darum, ob Sivert wohl die Mutter dazu bringen
-kann, Geld herbeizuschaffen, eine Rettung, Reisegeld. So
-wie jetzt könne es nicht weitergehen.</p>
-
-<p>Eleseus habe es jetzt satt, er habe schon oft daran gedacht,
-und heute nacht solle es nun geschehen, eine lange
-Reise, Amerika, jetzt in dieser Nacht noch. &mdash; Amerika!
-sagt Sivert laut. &mdash; Pst! Ich habe schon oft daran gedacht,
-jetzt mußt du die Mutter dazu bringen, es geht so
-nicht weiter, ich habe schon oft daran gedacht. &mdash; Aber
-Amerika! sagt Sivert. Nein, das darfst du nicht tun. &mdash;
-Unbedingt! Ich gehe auf der Stelle wieder zurück, ich erreiche
-das Postschiff noch. &mdash; Du wirst doch wohl vorher
-etwas essen? &mdash; Ich bin nicht hungrig. &mdash; Willst du nicht
-ein wenig schlafen? &mdash; Nein.</p>
-
-<p>Sivert will seinem Bruder wohl und sucht ihn zurückzuhalten,
-allein Eleseus ist standhaft, zum erstenmal
-standhaft. Sivert ist ganz verwirrt, zuerst, als er Jensine
-sah, war ihm schon ein wenig sonderbar zumut geworden,<span class="pagenum"><a name="Seite_426" id="Seite_426">[S. 426]</a></span>
-und nun will Eleseus das Ödland vollständig verlassen,
-sozusagen diese Welt verlassen. &mdash; Was willst du mit
-Storborg anfangen? fragt er. &mdash; Andresen kann es
-haben, antwortet Eleseus. &mdash; Andresen kann es haben,
-wieso denn? &mdash; Bekommt er denn nicht Leopoldine? &mdash;
-Das weiß ich nicht. Doch das kann wohl sein.</p>
-
-<p>Sie reden und reden immer leise weiter. Sivert
-meinte, es wäre am besten, wenn der Vater selbst herauskäme,
-so daß Eleseus mit ihm reden könnte; aber nein,
-nein! flüstert Eleseus zurück. Nein, das könne er nicht;
-er hat es noch nie vermocht, Gefahren von solcher Art ins
-Angesicht zu schauen, er hat stets einen Vermittler nötig
-gehabt. Sivert sagt: Du weißt ja, wie die Mutter ist.
-Mit ihr kommst du nicht weiter vor lauter Tränen und
-Zuständen, sie darf es nicht wissen. &mdash; Nein, sagt auch
-Eleseus, sie darf es nicht wissen.</p>
-
-<p>Sivert geht ins Haus, er bleibt eine Ewigkeit weg und
-kommt mit Geld zurück, mit viel Geld. Da sieh her, das
-ist alles, was er hat; meinst du, es sei genug? Zähl nach,
-er hat das Geld nicht gezählt. &mdash; Was hat der Vater gesagt?
-&mdash; Er hat nicht viel gesagt. Jetzt mußt du noch einen
-Augenblick warten, ich zieh nur noch etwas an und komme
-mit dir. &mdash; Das darfst du nicht, du mußt schlafen gehen.
-&mdash; So? Fürchtest du dich vielleicht, wenn du in der Dunkelheit
-eine Weile allein im Stall bleiben sollst? fragt
-Sivert mit einem schwachen Versuch zu scherzen.</p>
-
-<p>Er bleibt nur einen Augenblick weg, kommt fertig angezogen
-zurück und bringt auch des Vaters Rucksack mit
-dem Mundvorrat mit. Wie sie hinausgehen, steht plötzlich
-der Vater vor ihnen: Was höre ich, du willst so weit
-fort? sagt er. &mdash; Ja, erwiderte Eleseus, aber ich komme
-wieder. &mdash; Ach, ich steh nur da und halte dich auf, murmelt
-der Alte und kehrt um. Glückliche Reise! ruft er
-noch mit sonderbar heiserer Stimme zurück und geht rasch
-seines Weges.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_427" id="Seite_427">[S. 427]</a></span></p>
-
-<p>Die Brüder wandern zusammen den Weg hinunter,
-und nach einer Weile setzen sie sich und essen. Eleseus ist
-hungrig, er kann kaum gesättigt werden. Es ist die herrlichste
-Frühlingsnacht, auf allen Hügeln balzen die Auerhähne,
-und dieser heimische Laut macht den Auswanderer
-einen Augenblick verzagt. Es ist schönes Wetter, sagt er.
-Aber jetzt mußt du umdrehen, Sivert. &mdash; So, sagt Sivert
-und geht weiter. &mdash; Sie kommen an Storborg vorbei, an
-Breidablick vorbei, die Auerhähne balzen auf dem ganzen
-Weg auf dem und jenem Hügel; es ist keine Hornmusik
-wie in den Städten, nein, aber es sind Stimmen, das
-öffentliche Aufgebot, das den Frühling verkündigt. Plötzlich
-hören sie den ersten Singvogel vom Gipfel eines
-Baumes, er weckt auch andere, sie fragen und antworten
-von allen Seiten, das ist mehr als ein Gesang, das ist
-ein Lobgesang. Der Auswanderer fühlt etwas Heimweh
-in sich aufsteigen, etwas Hilfloses, er soll nach Amerika,
-niemand ist dazu so reif wie er. &mdash; Aber jetzt mußt du
-umkehren, Sivert, sagt er. &mdash; Ja, erwiderte der Bruder,
-da du es durchaus willst.</p>
-
-<p>Sie setzen sich am Waldrand nieder und sehen das Dorf
-vor sich liegen, den Kaufladen, den Landungsplatz, Bredes
-Herberge. Beim Postschiff laufen einige Leute hin und
-her und machen sich zur Abreise fertig.</p>
-
-<p>Ich habe keine Zeit mehr, noch länger hier sitzenzubleiben,
-sagt Eleseus und steht wieder auf. &mdash; Es ist recht
-schade, daß du so weit fortgehst, sagt Sivert. &mdash; Eleseus
-erwidert: Aber ich komme wieder. Und dann reise ich nicht
-bloß mit einem Wachstuchkoffer.</p>
-
-<p>Als sie einander Lebewohl sagen, steckt Sivert dem
-Bruder ein kleines Ding zu, etwas, das in Papier gewickelt
-ist. &mdash; Was ist das? fragt Eleseus. &mdash; Sivert entgegnet:
-Schreib auch fleißig! dann geht er.</p>
-
-<p>Eleseus macht das Papier auf und sieht nach: es ist
-das Goldstück, die zwanzig Kronen in Gold. &mdash; Nein, das<span class="pagenum"><a name="Seite_428" id="Seite_428">[S. 428]</a></span>
-sollst du mir nicht geben! ruft er dem Bruder nach. &mdash;
-Aber Sivert geht weiter.</p>
-
-<p>Er geht eine Weile, dann dreht er um und setzt sich
-wieder am Waldrand nieder. Um das Postschiff her wird
-es immer lebhafter, er sieht, wie die Leute an Bord gehen,
-auch sein Bruder geht an Bord, und das Schiff fährt ab.
-Da reist Eleseus nach Amerika.</p>
-
-<p>Er kam niemals wieder.</p>
-
-
-
-<h3>12</h3>
-
-
-<p>Ein merkwürdiger Zug kommt nach Sellanraa herauf,
-vielleicht als Zug ein bißchen lächerlich, aber
-doch nicht nur lächerlich: es sind drei Männer mit
-ungeheuren Lasten auf dem Rücken, mit Säcken, die ihnen
-über die Brust und den Rücken herunterhängen. Sie
-gehen im Gänsemarsch und rufen einander Scherzworte
-zu, aber sie haben schwer zu tragen. Der kleine Ladendiener
-Andresen geht als erster im Zug, übrigens ist es
-auch sein Zug; er hat sich selbst, Sivert von Sellanraa
-und einen dritten, Fredrik Ström von Breidablick, zu
-diesem Zug ausgerüstet. Ein verfluchter kleiner Kerl, dieser
-Ladendiener Andresen; seine Schultern sind fast bis
-zur Erde gebeugt, und seine Jacke ist ihm vom Hals heruntergezerrt,
-aber er schleppt, er schleppt seine Last.</p>
-
-<p>Er hat nicht einfach Storborg und den Kaufladen gekauft,
-dazu hat er kein Geld, lieber wartet er eine Weile
-und bekommt dann vielleicht alles umsonst. Andresen ist
-kein unbrauchbarer Mensch, er hat einstweilen Storborg
-gepachtet und betreibt den Handel weiter.</p>
-
-<p>Er hat den ganzen Warenvorrat durchgesehen und da
-eine Menge unverkäuflicher Sachen vorgefunden, von
-Zahnbürsten an bis zu gestickten Tischläufern, ja, bis<span class="pagenum"><a name="Seite_429" id="Seite_429">[S. 429]</a></span>
-zu kleinen Vögeln auf Drähten, die &#8222;piep&#8221; sagten, wenn
-man sie an der richtigen Stelle klemmte.</p>
-
-<p>Mit all diesen Waren ist er jetzt auf die Wanderschaft
-gezogen, er will sie an die Grubenarbeiter jenseits des
-Berges verkaufen. Er hat von Aronsens Tagen her Erfahrung
-darin, daß Grubenarbeiter mit Geld in der Hand
-alles in der Welt kaufen. Jetzt ärgert er sich nur darüber,
-daß er sechs Schaukelpferde, die Eleseus auf seiner letzten
-Reise nach Bergen eingekauft hatte, zurücklassen mußte.</p>
-
-<p>Die Karawane kommt in den Hofraum von Sellanraa
-herein, und die Männer legen ihre Lasten ab. Sie ruhen
-nicht lange; nachdem sie Milch zu trinken bekommen und
-zum Spaß ihre Waren allen Leuten auf dem Hof angeboten
-haben, nehmen sie ihre Lasten wieder auf und gehen
-weiter. Sie sind nicht bloß zum Scherz ausgezogen. In
-südlicher Richtung durch den Wald schwanken sie mit ihrer
-Last weiter.</p>
-
-<p>Sie gehen bis zur Mittagszeit, essen zu Mittag und
-wandern dann weiter, bis es Abend wird. Dann machen
-sie ein Feuer an, lagern sich und schlafen eine Weile.
-Sivert schläft sitzend auf einem Stein, den er seinen
-Polsterstuhl nennt. Ja, Sivert versteht sich auf das Leben
-im Ödland, die Sonne hat den ganzen Tag auf den Stein
-gebrannt, und es ist gut darauf zu sitzen und zu schlafen.
-Seine Kameraden sind nicht so erfahren und nehmen
-auch keinen guten Rat an, sie legen sich ins Heidekraut
-und wachen frierend und niesend auf. Dann frühstücken
-sie und gehen weiter.</p>
-
-<p>Jetzt fangen sie an, die Ohren zu spitzen, ob sie keine
-Schüsse hören, und sie hoffen, im Laufe des Tages auf
-Leute zu stoßen und an die Gruben zu kommen. Die
-Arbeit kann inzwischen wohl von der See her weit in der
-Richtung auf Sellanraa zu vorgerückt sein. Sie hören
-keinen Schuß. Sie gehen bis zur Mittagszeit und begegnen
-keinem Menschen, aber sie kommen von Zeit zu Zeit<span class="pagenum"><a name="Seite_430" id="Seite_430">[S. 430]</a></span>
-an großen Löchern in der Erde vorbei, die die Leute zur
-Probe gegraben haben. Wie hängt das zusammen? Es
-muß wohl so sein, daß das Erz auf dieser Seite des Berges
-ganz überaus reich ist; es wird also im reinen, schweren
-Kupfer gearbeitet, und die Arbeiter rücken von der
-See her kaum vor.</p>
-
-<p>Nachmittags stoßen sie auf noch mehr Gruben, aber
-immer noch keine Menschen; sie gehen weiter bis zum
-Abend und erblicken schon das Meer unter sich, sie wandern
-durch ein Ödland von verlassenen Gruben und vernehmen
-keinen einzigen Schuß. Das ist doch gar zu merkwürdig,
-aber sie müssen noch einmal ein Feuer machen
-und sich wieder für die Nacht lagern. Sie beraten: Ist
-die Arbeit hier zu Ende? Sollen sie mit ihren Lasten wieder
-umkehren? Kein Gedanke! sagt der Ladendiener Andresen.</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen kommt ein Mann an ihr Lager,
-ein blasser und vergrämter Mann, der die Brauen runzelt,
-die Leute betrachtet, sie mustert. Bist du das, Andresen?
-fragt er. Es ist Aronsen, der Kaufmann Aronsen;
-er hat nichts dagegen, von der Karawane Kaffee und
-etwas zu essen zu bekommen, und läßt sich bei den Männern
-nieder. Ich hab' euern Rauch gesehen und wollte
-ergründen, was das sei, erklärt er. Ich dachte: du wirst
-sehen, sie nehmen Vernunft an und beginnen wieder mit
-der Arbeit! Und nun seid nur ihr es! Wo wollt ihr hin?
-&mdash; Wir wollen hierher. &mdash; Was habt ihr in euren Säcken?
-&mdash; Waren! &mdash; Waren? schreit Aronsen. Wollt ihr hier
-Waren verkaufen? Hier wohnt niemand. Sie sind am
-Samstag abgezogen. &mdash; Wer ist abgezogen? &mdash; Alle miteinander.
-Hier ist alles leer und verlassen. Und außerdem
-hab' ich Waren genug; den ganzen Laden voll. Ihr könnt
-bei mir kaufen.</p>
-
-<p>Ach, nun ist der Kaufmann Aronsen wieder übel daran,
-mit dem Grubenbetrieb ist es zu Ende!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_431" id="Seite_431">[S. 431]</a></span></p>
-
-<p>Sie beruhigen ihn mit noch etwas mehr Kaffee und
-fragen ihn dann aus.</p>
-
-<p>Aronsen schüttelt ganz zerschmettert den Kopf: Es ist
-nicht zu sagen, es ist ganz unbegreiflich! sagt er. Alles
-war sehr gut gegangen, er hatte Waren verkauft und
-viel Geld eingenommen, das ganze Kirchspiel rund umher
-blühte und konnte sich weiße Grütze, ein neues Schulhaus
-und Lampen mit Prismen dran und städtisches Schuhwerk
-leisten. Da fanden die Herren plötzlich, daß es sich
-nicht mehr lohne, und sie machten Schluß. Lohnte es sich
-wirklich nicht mehr? Es hatte sich doch seither gelohnt,
-nicht wahr? Kam denn nicht das Kupfererz bei jeder
-Sprengung zutage? Das war einfach Betrug. Und sie
-bedenken nicht, daß sie damit einen Mann wie mich in die
-größten Ungelegenheiten bringen, sagte Aronsen. Aber es
-ist wohl so, wie behauptet wird, daß der Geißler wieder
-an allem schuld ist. Er ist genau in dem Augenblick gekommen,
-als die Arbeit stillgelegt wurde; es ist gerade,
-als ob er es gerochen hätte!</p>
-
-<p>Ist Geißler hier?</p>
-
-<p>Ob er hier ist! Er gehört erschossen! Er kam eines
-Tages mit dem Postschiff an und fragte den Ingenieur:
-Nun, wie geht's? &mdash; Gut, soviel ich weiß, antwortet der
-Ingenieur. Aber der Geißler fragte nun noch einmal: So,
-es geht also gut? &mdash; Ja, könnte nicht besser gehen, soviel
-ich weiß! erwiderte der Ingenieur. Na, ich danke! Als
-die Post geöffnet wurde, war ein Brief und ein Telegramm
-an den Ingenieur dabei, daß sich die Arbeit nicht
-mehr lohne, er solle Schluß machen.</p>
-
-<p>Die Teilnehmer der Karawane schauen einander an;
-aber der Führer, der schlaue Kerl Andresen, hat den Mut
-augenscheinlich noch nicht verloren. &mdash; Kehrt nur wieder
-um! rät Aronsen. &mdash; Das tun wir nicht, sagt Andresen
-und packt den Kaffeekessel ein. &mdash; Aronsen starrt alle
-drei einen nach dem andern an. Ihr seid verrückt! sagt er.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_432" id="Seite_432">[S. 432]</a></span></p>
-
-<p>Seht, der Ladendiener Andresen kümmert sich nicht sehr
-um seinen früheren Herrn, jetzt ist er selbst Herr, er hat
-diesen Zug in ferne Gaue ausgerüstet, er würde an Ansehen
-einbüßen, wenn er hier auf dem Berge umkehrte.
-&mdash; Aber wo wollt ihr denn hin? fragt Aronsen erbittert.
-&mdash; Das weiß ich nicht, sagt Andresen. Aber er hat doch
-wohl seine Absicht, er denkt vielleicht an die Eingeborenen:
-daß er hier drei Mann stark mit Glasperlen und Fingerringen
-herkommt. &mdash; Kommt, wir wollen gehen! sagt
-er zu seinen Kameraden.</p>
-
-<p>Nun hatte sich Aronsen eigentlich diesen Morgen länger
-draußen aufhalten wollen; da er einmal unterwegs war,
-wollte er vielleicht nachsehen, ob wirklich alle Gruben verlassen
-seien, ob es wahr sei, daß alle Menschen fort waren.
-Aber da diese Hausierer so eigensinnig sind und weiter
-wollen, wird er eigentlich an seinem Vorhaben gehindert,
-er muß ihnen immer und immer wieder von ihrem Weitermarsch
-abreden. Aronsen ist rasend, er geht vor der
-Karawane her den Berg hinunter, er dreht sich immer
-im Kreise und schreit ihnen zu, hält sie auf, er verteidigt
-sein Gebiet. So kommen sie zu der Barackenstadt hinunter.</p>
-
-<p>Da sieht es leer und trostlos aus. Die wichtigsten Geräte
-und Maschinen sind unter Dach gebracht, aber Balken,
-Bretter, zerbrochene Wagen, Kisten und Fässer liegen
-überall umher. An einigen Häusern prangt ein Plakat,
-das den Zutritt verbietet.</p>
-
-<p>Da seht ihr! ruft Aronsen. Nirgends ein Mensch! Wo
-wollt ihr denn hin? Und er droht der Karawane mit großem
-Unheil und mit dem Lensmann; er selbst wolle sie
-Schritt für Schritt begleiten und zusehen, ob sie nicht ungesetzliche
-Waren verkauften. Darauf stehe Zuchthaus und
-die Galeeren, bom konstant.</p>
-
-<p>Plötzlich wird Sivert von jemand angerufen. Die Stadt
-ist also doch nicht völlig verlassen, nicht ganz ausgestor<span class="pagenum"><a name="Seite_433" id="Seite_433">[S. 433]</a></span>ben.
-Ein Mann an einer Hausecke winkt ihnen. Sivert
-schwankt mit seiner Last auf ihn zu und erkennt sofort,
-wer es ist: Es ist Geißler.</p>
-
-<p>Ein merkwürdiges Zusammentreffen! sagt Geißler. Er
-hat ein blühend rosiges Gesicht, aber seine Augen scheinen
-in der hellen Frühlingssonne Schaden gelitten zu haben,
-denn er trägt einen grauen Zwicker. Er spricht lebhaft wie
-immer. Ein glückliches Zusammentreffen! sagt er. Das
-spart mir den Weg nach Sellanraa, ich habe so viel zu
-besorgen. Wie viele Ansiedlungen sind jetzt dort auf der
-Allmende? &mdash; Zehn. &mdash; Zehn Ansiedlungen? Das gefällt
-mir, da bin ich zufrieden. Zweiunddreißigtausend solche
-Männer wie dein Vater sollten im Lande sein, ich hab'
-es ausgerechnet! sagt er und nickt dazu.</p>
-
-<p>Kommst du, Sivert? ruft die Karawane. &mdash; Geißler
-horcht auf und antwortet rasch: Nein! &mdash; Ich komme
-nach! ruft Sivert und legt seine Last ab.</p>
-
-<p>Die beiden setzen sich und reden zusammen; über Geißler
-ist der Geist gekommen, und er schweigt nur, sooft
-Sivert eine kurze Antwort gibt, dann legt er wieder los:
-Ein ganz einzigartiges Zusammentreffen! Ich komme gar
-nicht davon weg! Meine ganze Reise ist so ausgezeichnet
-verlaufen, und nun treffe ich dich auch noch hier und
-kann mir den Umweg über Sellanraa sparen! Wie geht's
-zu Hause? &mdash; Dank der Nachfrage. &mdash; Habt ihr schon
-den Heuboden auf dem steinernen Stallgebäude aufgeschlagen?
-&mdash; Ja. &mdash; Ja, ich bin sehr überlastet, die Geschäfte
-wachsen mir allmählich über den Kopf. Sieh dir
-doch einmal an, wo wir jetzt sitzen, lieber Sivert! Auf der
-Ruine einer Stadt. Die haben nun die Menschen ihrem
-eigenen Vorteil gerade entgegen aufgebaut. Eigentlich bin
-ich die Ursache von dem allem, das heißt, ich bin einer
-der Vermittler in einem kleinen Komödienspiel des
-Schicksals. Es hat damit angefangen, daß dein Vater im
-Gebirge einige Steine fand und dich damit spielen ließ,<span class="pagenum"><a name="Seite_434" id="Seite_434">[S. 434]</a></span>
-als du noch ein Kind warst. Damit hat es angefangen.
-Ich wußte es ganz genau, daß diese Steine nur den Wert
-hatten, den die Menschen ihnen beilegten; gut, ich setzte
-einen Preis dafür fest und kaufte sie. Von da an gingen
-die Steine von Hand zu Hand und plünderten die Leute
-aus. Die Zeit verging. Vor einigen Tagen bin ich hier
-heraufgekommen, und weißt du, was ich hier will? Die
-Steine wieder zurückkaufen!</p>
-
-<p>Geißler schweigt und schaut Sivert an. Dabei fällt
-ihm auch der große Sack in die Augen, und er fragt plötzlich:
-Was hast du da? &mdash; Waren antwortet Sivert. Wir
-wollen damit hinunter ins Kirchspiel.</p>
-
-<p>Geißler bezeigt keine besondere Teilnahme für diese Antwort,
-er hat sie vielleicht gar nicht gehört, er fährt fort:
-Ich will also die Steine zurückkaufen. Das letztemal ließ
-ich meinen Sohn verkaufen, der ist ein junger Mann deines
-Alters und weiter nichts. Er ist der Blitz in der Familie,
-ich bin der Nebel. Ich gehöre zu denen, die das
-Rechte wissen, aber es nicht tun. Er ist der Blitz, zurzeit
-hat er sich in den Dienst der Industrie gestellt. Er hat das
-letztemal in meinem Namen verkauft. Ich bin etwas, aber
-er ist nichts; er ist nur der Blitz, der rasche Mann der
-Gegenwart. Aber der Blitz als solcher ist unfruchtbar.
-Nehmen wir einmal euch Leute auf Sellanraa. Ihr seht
-alle Tage blaue Berge vor euch; das sind keine erfundenen
-Dinge, das sind alte Berge, die stehen da seit alter
-grauer Vorzeit, aber sie sind eure Kameraden. So geht
-ihr zusammen mit Himmel und Erde, seid eins mit ihnen,
-seid eins mit dieser Weite und seid bodenständig. Ihr
-braucht kein Schwert in der Faust, ihr geht unbewehrten
-Hauptes und mit unbewehrter Faust durchs Leben, umgeben
-von großer Freundlichkeit. Sieh, da ist die Natur,
-sie gehört dir und den Deinen. Der Mensch und die Natur
-bekämpfen einander nicht, sie geben einander recht, sie
-treten nicht in Wettbewerb, laufen nicht um die Wette<span class="pagenum"><a name="Seite_435" id="Seite_435">[S. 435]</a></span>
-irgendeinem Vorteil nach, sie gehen Hand in Hand.
-Mittendrin geht ihr Leute auf Sellanraa und gedeiht. Die
-Berge, der Wald, die Moore, die Matten, der Himmel
-und die Sterne &mdash; ach, das alles ist nicht armselig und
-karg zugemessen, das ist ohne alles Maß! Hör auf mich,
-Sivert, sei zufrieden mit deinem Los! Ihr habt alles, was
-ihr zum Leben braucht, alles, wofür ihr lebt; ihr werdet
-geboren und erzeugt neue Geschlechter, ihr seid notwendig
-auf der Erde. Das sind nicht alle, aber ihr seid es: notwendig
-auf der Erde. Ihr erhaltet das Leben. Bei euch
-folgt ein Geschlecht dem andern, wenn das eine stirbt,
-tritt das nächste an seine Stelle. Das eben ist unter dem
-ewigen Leben zu verstehen. Und was habt ihr dafür? Ein
-Dasein in Recht und Gerechtigkeit, ein Dasein in wahrer
-und aufrichtiger Stellung zu allem. Was habt ihr weiter
-dafür? Nichts unterjocht und beherrscht euch Leute von
-Sellanraa, ihr habt Ruhe und Macht und Gewalt, ihr
-seid umschlossen von der großen Freundlichkeit. Das habt
-ihr dafür. Ihr liegt an einem warmen Busen und spielt
-mit einer weichen Mutterhand und trinkt euch satt. Ich
-denke an deinen Vater, er ist einer von den zweiunddreißigtausend.
-Was ist so mancher andere? Ich bin
-etwas, ich bin der Nebel, ich bin hier und ich bin dort,
-ich woge hin und her, zuweilen bin ich der Regen auf
-einer dürren Stätte. Aber die anderen? Mein Sohn ist der
-Blitz, der eigentlich nichts ist, ein nutzloses Aufleuchten,
-er kann Handel treiben. Mein Sohn ist der Typus des
-Menschen unserer Zeit, er glaubt aufrichtig an das, was
-die Zeit ihn gelehrt hat, was der Jude und der Yankee
-ihn gelehrt haben; ich jedoch schüttle den Kopf dazu. Aber
-ich bin nichts Geheimnisvolles, nur in meiner eigenen
-Familie bin ich der Nebel, da sitze ich und schüttle den
-Kopf. Die Sache ist die, mir fehlt die Gabe zu einem reuelosen
-Handeln. Hätte ich diese Gabe, dann könnte ich
-selbst der Blitz sein. So bin ich der Nebel.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_436" id="Seite_436">[S. 436]</a></span></p>
-
-<p>Plötzlich kommt Geißler gleichsam wieder zu sich und
-fragt: Habt ihr den Heuboden auf eurem steinernen
-Stallgebäude aufgeschlagen? &mdash; Ja. Und der Vater hat
-auch noch ein Wohnhaus gebaut. &mdash; Noch ein Wohnhaus?
-&mdash; Ja, für den Fall, daß jemand kommt, sagt er, für den
-Fall, daß der Geißler kommt, sagt er. &mdash; Geißler denkt
-darüber nach und erklärt: Dann muß ich gewiß kommen.
-Doch, dann komm ich, sag das deinem Vater. Aber ich
-habe so viele Geschäfte. Jetzt bin ich hier heraufgekommen
-und habe zu dem Ingenieur gesagt: Grüßen Sie die
-Herren in Schweden und sagen Sie, ich sei Käufer. Und
-nun müssen wir sehen, was daraus wird. Mir ist es einerlei,
-ich habe keine Eile. Du hättest den Ingenieur sehen
-sollen! Er hat hier den Betrieb im Gang gehalten mit
-Menschen und Pferden und Geld und Maschinen und
-allem Zeug, er glaubte das Rechte zu tun, er wußte es
-nicht anders. Er meint, je mehr Steine er zu Geld mache,
-desto besser sei es und er tue etwas Verdienstvolles damit,
-daß er dem Kirchspiel, daß er dem Lande Geld verschafft,
-es rast mit ihm immer mehr dem Untergang entgegen,
-und er merkt es nicht. Nicht Geld braucht das
-Land, das Land hat Geld mehr als genug. Solche Männer,
-wie dein Vater einer ist, davon hat es nicht genug.
-Wenn man bedenkt, daß sie das Mittel zum Zweck machen
-und stolz darauf sind! Sie sind krank und verrückt, sie
-arbeiten nicht, sie kennen den Pflug nicht, sie kennen nur
-den Würfel. Haben sie denn keine Verdienste? sie reiben
-sich ja auf mit ihrer Narretei. Sieh sie an, setzen sie denn
-nicht ihr alles ein? Der Fehler dabei ist nur, daß dieses
-Spiel nicht Übermut ist, nicht einmal Mut, es ist
-Schrecken. Weißt du, was Glücksspiel ist? Es ist Angst,
-die einem den Schweiß auf die Stirne treibt, das ist es.
-Der Fehler ist, daß sie nicht im Takt mit dem Leben schreiten
-wollen, sie wollen rascher gehen als das Leben, sie
-jagen, sie treiben sich selbst wie Keile ins Leben hinein.<span class="pagenum"><a name="Seite_437" id="Seite_437">[S. 437]</a></span>
-Aber dann sagen ja ihre Flanken &mdash; halt, es knackt, such
-einen Ausweg, halt inne, die Flanken! Dann zerbricht
-sie das Leben, höflich, aber bestimmt. Und dann beginnen
-die Klagen über das Leben, das Toben gegen das
-Leben. Jeder nach seinem Gefallen, einige haben wohl
-Grund zur Klage, andere nicht, aber niemand sollte gegen
-das Leben toben. Man sollte das Leben nicht hart und
-streng und gerecht beurteilen, man sollte barmherzig gegen
-es sein und es verteidigen: bedenke doch, mit welchen
-Mitspielern das Leben sein Spiel spielen muß!</p>
-
-<p>Geißler kommt wieder zu sich und sagt: Wir wollen
-das auf sich beruhen lassen. Er ist augenscheinlich müde,
-er gähnt. Willst du hinunter? fragt er. &mdash; Ja. &mdash; Das
-eilt nicht. Du bist mir noch einen weiten Gang über die
-Berge schuldig, lieber Sivert, weißt du noch? Ich erinnere
-mich noch an alles und jedes. Ich erinnere mich noch, wie
-ich anderthalb Jahre alt war: da stand ich schwankend
-auf der Scheunenbrücke auf dem Hof Garmo in Lom und
-roch einen bestimmten Geruch. Diesen Geruch kenne ich
-immer noch. Aber wir wollen auch das auf sich beruhen
-lassen. Wir hätten jetzt den Gang über die Berge machen
-können, wenn du nicht den Sack da tragen müßtest. Was
-hast du in dem Sack? &mdash; Waren. Andresen will sie verkaufen.
-&mdash; Ich bin also ein Mann, der das Richtige weiß,
-aber es nicht tut, sagt Geißler. Das ist buchstäblich zu verstehen.
-Ich bin der Nebel. An einem der nächsten Tage
-kaufe ich vielleicht den Berg wieder, das ist gar nicht unmöglich.
-Aber in diesem Falle stelle ich mich nicht hin,
-schaue in die Luft und sage: Luftbahn, Südamerika! Das
-ist etwas für Glücksspieler. Die Leute hier meinen, ich sei
-der leibhaftige Teufel, weil ich wußte, daß es hier einen
-Krach geben werde. Aber es ist nichts Geheimnisvolles
-an mir, die ganze Sache ist sehr einfach: die neuen
-Kupferlager in Montana. Die Yankees sind schlauere
-Spieler als wir, die schlagen uns mit ihrem Wettbewerb<span class="pagenum"><a name="Seite_438" id="Seite_438">[S. 438]</a></span>
-in Südamerika tot. Unser Erz ist zu arm. Mein Sohn ist
-der Blitz, er hörte ein Vögelchen davon singen, da bin ich
-hergeschwommen. So einfach ist es. Ich war nur den
-Herren in Schweden ein paar Stunden voraus, das ist
-alles.</p>
-
-<p>Geißler gähnt wieder, steht auf und sagt: Wenn du
-hinunter willst, so wollen wir jetzt gehen.</p>
-
-<p>Sie gehen miteinander den Berg hinunter, Geißler
-stapft hinterdrein und ist schlapp und müde. Die Karawane
-hat am Landungsplatz haltgemacht, der muntere
-Fredrik Ström ist dabei, Aronsen steigen zu lassen. Ich
-habe keinen Tabak mehr, habt ihr Tabak? &mdash; Ich werde
-dir Tabak geben! ruft Aronsen. &mdash; Fredrik lacht und
-tröstet ihn: Nehmt es doch nicht so schwer, Aronsen! Wir
-wollen jetzt nur diese Waren vor Euren Augen verkaufen,
-dann gehen wir wieder heim. &mdash; Halt deinen ungewaschenen
-Mund! ruft Aronsen erbost. &mdash; Hahaha, nein, Ihr
-sollt nicht so aufgeregt umherlaufen, Ihr sollt wie eine
-ruhige Landschaft sein!</p>
-
-<p>Geißler ist müde, sehr müde, nicht einmal der graue
-Zwicker hilft mehr, die Augen wollen ihm in dem hellen
-Frühlingsschein zufallen. Leb wohl, lieber Sivert! sagt er
-plötzlich. Nein, ich kann diesmal doch nicht nach Sellanraa
-kommen, sag das deinem Vater. Ich habe so viel zu besorgen.
-Aber sag ihm, daß ich später einmal komme. &mdash;</p>
-
-<p>Aronsen spuckt hinter ihm aus und sagt noch einmal:
-Er gehört totgeschossen!</p>
-
-<p>In drei Tagen verkauft die Karawane ihre Säcke leer
-und bekommt gute Preise. Es wurde ein glänzendes Geschäft.
-Die Leute des Kirchspiels hatten noch herrlich viel
-Geld trotz des Krachs und waren in bester Übung, es
-auszugeben; sie brauchten diese Vögel auf Draht notwendig,
-sie stellten sie auf ihre Kommoden und kauften auch
-schöne Papiermesser, um ihre Kalender damit aufzuschnei<span class="pagenum"><a name="Seite_439" id="Seite_439">[S. 439]</a></span>den.
-Aronsen tobte: Als ob ich nicht geradeso schöne
-Sachen in meinem Laden hätte!</p>
-
-<p>Der Kaufmann Aronsen war in großer Not, er wollte
-ja dabeisein und diese Hausierer bewachen, aber die trennten
-sich, und jeder ging allein seines Wegs, und er hätte
-sich in Stücke reißen müssen, um allen dreien nachzulaufen.
-So gab er zuerst Fredrik Ström auf, der das
-ungewaschenste Mundwerk hatte, dann Sivert, der ihm
-niemals auch nur ein einziges Wort erwiderte, sondern
-nur immer verkaufte. Aronsen zog vor, seinem alten
-Ladendiener Andresen nachzulaufen und in den Häusern
-gegen ihn zu arbeiten. Oh, aber der Ladendiener Andresen
-kannte ja seinen alten Herrn und dessen Unwissenheit in
-Beziehung aufs Geschäft und auf verbotene Waren. So,
-englischer Faden ist nicht verboten? fragte Aronsen und
-stellte sich kundig. &mdash; Doch, erwiderte Andresen. Ich habe
-aber auch keine einzige Fadenrolle hier. Die kann ich im
-Ödland auch verkaufen. Ich habe keine einzige Fadenrolle,
-da seht selbst! &mdash; Das ist schon möglich. Aber du siehst,
-ich weiß auch, was verboten ist, da machst du mir nichts
-weis.</p>
-
-<p>Einen Tag lang hielt es Aronsen aus, dann gab er
-auch Andresen auf und ging heim. Die Hausierer hatten
-jetzt keine Aufsicht mehr.</p>
-
-<p>Und von nun an ging alles ausgezeichnet. In jenen
-Tagen trugen die Frauen falsche Haarzöpfe, und der
-Ladendiener Andresen war ein Meister darin, solche Zöpfe
-zu verkaufen, ja, im Notfall verkaufte er helle Zöpfe
-an schwarzhaarige Mädchen und bedauerte nur, daß er
-nicht noch hellere Zöpfe habe, oder graue, die die teuersten
-seien. Jeden Abend kamen die drei jungen Männer an
-einem vorher bestimmten Platz zusammen und erstatteten
-Bericht und halfen einander mit nicht ausverkauften
-Sachen aus, und Andresen setzte sich dann gerne mit einer
-Feile in der Hand hin und feilte eine deutsche Fabrik<span class="pagenum"><a name="Seite_440" id="Seite_440">[S. 440]</a></span>marke
-auf einer Jagdflinte aus oder entfernte den Namen
-Faber von den Bleistiften. Andresen war und blieb ein
-Teufelskerl.</p>
-
-<p>Sivert dagegen war eine Enttäuschung. Nicht als ob
-er faul gewesen wäre und keine Waren abgesetzt hätte,
-er setzte sogar die meisten ab. Aber er bekam zuwenig
-Geld dafür. Du sprichst nicht genug, erklärte Andresen.</p>
-
-<p>Nein, Sivert hielt keine langen Reden, er war ein
-Ödlandbauer, war wortkarg und gelassen. Was war da
-lange zu schwatzen? Außerdem wollte Sivert bis zum
-Sonntag fertig sein und wieder nach Hause gehen, es
-gab gar viel Arbeit auf dem Ödland. &mdash; Die Jensine zieht
-ihn, behauptete Fredrik Ström. &mdash; Derselbe Fredrik hatte
-übrigens selbst die Frühjahrsbestellung zu besorgen und
-wenig Zeit zu verlieren, aber trotzdem mußte er am letzten
-Tag noch zu Aronsen gehen und eine Weile mit ihm
-streiten. Ich will ihm die leeren Säcke verkaufen, sagte er.</p>
-
-<p>Andresen und Sivert gingen wieder hinaus und warteten
-auf ihn. Sie hörten den herrlichsten Wortwechsel
-aus dem Kaufladen herausdringen und ab und zu auch
-Fredriks Gelächter. Dann machte Aronsen seine Ladentür
-auf und wies den Gast hinaus. Oh, aber Fredrik kam
-nicht, nein, er ließ sich Zeit und redete in einem fort; das
-letzte, was sie hörten, war, daß er den Versuch machte, die
-Schaukelpferde an Aronsen zu verhandeln.</p>
-
-<p>Dann zog die Karawane heimwärts, drei junge Männer
-voll Jugendlust und Gesundheit. Sie sangen, während
-sie dahinschritten, schliefen eine Weile im Gebirge
-und wanderten dann weiter. Als sie am Montag in
-Sellanraa ankamen, hatte Isak mit dem Säen begonnen.
-Es war das richtige Wetter dazu: feuchte Luft, dann und
-wann drang die Sonne durch, und ein ungeheurer Regenbogen
-spannte sich über den Himmel hin.</p>
-
-<p>Die Karawane löste sich auf: Leb wohl, leb wohl! ...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_441" id="Seite_441">[S. 441]</a></span></p>
-
-<p>Dort schreitet Isak übers Feld und sät, er ist ein Mühlengeist
-von Gestalt, ein Klotz. Er trägt hausgewebte
-Kleider, die Wolle stammt von seinen eigenen Schafen,
-die Stiefel stammen von seinen eigenen Kälbern und
-Kühen. Er geht nach frommer Sitte barhaupt, während
-er sät; auf dem Wirbel ist er kahl, sonst aber überaus
-haarig, ein ganzer Kranz von Haar und Bart steht um
-seinen Kopf. Das ist Isak der Markgraf.</p>
-
-<p>Er wußte selten das genaue Datum, wozu hätte er es
-wissen sollen? Er hatte keine Papiere einzulösen. Die
-Kreuze im Kalender zeigten an, wann jede Kuh kalben
-sollte. Aber er wußte, daß bis zum Sankt-Olafstag im
-Herbst alles Heu hereingebracht sein mußte, und er
-wußte, wann im Frühjahr der Viehmarkt war und daß
-drei Wochen danach der Bär aus seiner Höhle ging. Da
-mußte die Saat in der Erde sein. Das Notwendige
-wußte er.</p>
-
-<p>Er ist Ödlandbauer bis in die Knochen und Landwirt
-vom Scheitel bis zur Sohle. Ein Wiedererstandener aus
-der Vorzeit, der in die Zukunft hinausdeutet, ein Mann
-aus der Zeit des Ackerbaus, ein Landnamsmann, neunhundert
-Jahre alt und doch auch wieder der Mann des
-Tages.</p>
-
-<p>Nein, er hatte nichts mehr übrig von dem Geld für
-den Kupferberg, das war in alle Winde verflogen. Und
-wer hatte jetzt noch etwas davon, da der Berg wieder
-verlassen war? Aber die Allmende liegt da und trägt
-zehn Neusiedlungen und wartet auf weitere Hunderte.</p>
-
-<p>Wächst und gedeiht hier nichts? Hier wächst und gedeiht
-alles, Menschen und Tiere und die Früchte des
-Feldes. Isak sät. Die Abendsonne bescheint das Korn, er
-streut es im Bogen aus seiner Hand, und wie ein Goldregen
-sinkt es auf die Erde. Da kommt Sivert und eggt,
-nachher walzt er, dann eggt er wieder. Der Wald und die<span class="pagenum"><a name="Seite_442" id="Seite_442">[S. 442]</a></span>
-Berge stehen da und schauen zu, alles ist Macht und
-Hoheit, hier ist ein Zusammenhang und ein Ziel.</p>
-
-<p>Klingeling! sagen die Kuhglocken auf den Halden, sie
-kommen näher und näher, das Vieh zieht seinem Stalle
-zu. Es sind fünfzehn Kühe und fünfundvierzig Stück
-Kleinvieh, im ganzen sechzig Stück Vieh. Da gehen die
-Frauen mit ihren Melkkübeln dem Sommerstall zu, sie
-tragen sie am Joch über den Schultern, es ist Leopoldine,
-Jensine und die kleine Rebekka. Alle drei gehen barfuß.
-Die Markgräfin, Inger selbst, ist nicht mit dabei, sie ist
-im Haus, sie kocht das Abendessen; hoch und stattlich
-schreitet sie durch ihr Haus, eine Vestalin, die das Feuer
-in einem Kochherd unterhält. Nun, Inger ist auf das
-weite Meer hinausgesegelt, sie ist in der Stadt gewesen,
-jetzt ist sie wieder daheim. Die Welt ist weit, es wimmelt
-auf ihr von Punkten, Inger hat mitgewimmelt. Sie
-war beinahe ein Nichts unter den Menschen, nur ein
-einzelner unter ihnen.</p>
-
-<p>Und nun wird es Abend.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-
-
-
-
-<h2 class="pagebreak" title="Werbung"></h2>
-
-<div class="signet" style="width: 376px;">
-<img src="images/signet.png" width="376" height="532" alt="" />
-</div>
-
-
-<p class="center">Dieses Werk ist eine Veröffentlichung der</p>
-
-<p class="center big160">Deutschen Buch-Gemeinschaft</p>
-
-<p class="center">
-Wien       Berlin SW 68       New York</p>
-<p class="center">
-<small>Alte Jakobstraße 156/157</small>
-</p>
-
-<p class="werbung">Guten und doch billigen Büchern in vorbildlicher
-Formgebung und bester Ausstattung
-den Weg in alle Schichten
-unseres Volkes zu bahnen, ist die Aufgabe
-der Deutschen Buch-Gemeinschaft. Sie
-erreicht dies durch Herstellung und Vertrieb
-in eigenem Wirkungsbereich.</p>
-
-<p class="werbung">Jedermann wird durch Beitritt zur
-Deutschen Buch-Gemeinschaft die vorteilhafteste
-Gelegenheit gegeben, sich unter
-neuen Bezugsformen eine eigene und
-wertvolle Hausbibliothek anzuschaffen.</p>
-
-<p class="center">Ausführliche, reich illustrierte Werbeschrift wird auf
-Wunsch kostenlos zugesandt.</p>
-
-
-
-<p class="pagebreak center p6">
-<small>Druck von<br />
-A. Seydel &amp; Cie. Aktiengesellschaft,<br />
-Berlin <span class="antiqua">SW</span> 61</small>
-</p>
-
-
-
-<div class="transnote pagebreak p4">
-<h2>Anmerkungen zur Transkription.</h2>
-
-Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen
-gebräuchlich waren, wie:
-
-<ul class="index">
-<li>anderen &mdash; andern</li>
-<li>daheimbleiben &mdash; daheim bleiben</li>
-<li>Felsenspalte &mdash; Felsspalte</li>
-<li>Kindesleiche &mdash; Kindsleiche</li>
-<li>Lensmannes &mdash; Lensmanns</li>
-<li>Mühlengeist &mdash; Mühlgeist</li>
-<li>sollest &mdash; sollst</li>
-<li>unserem &mdash; unserm</li>
-</ul>
-
-
-Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert.
-Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:
-
-<ul class="index">
-<li>S. 29 »halbangekleidet« in »halb angekleidet« geändert.</li>
-<li>S. 48 »wie wie du selbst« in »wie du selbst« geändert.</li>
-<li>S. 152 »Aband« in »Abend« geändert.</li>
-<li>S. 168 »Gebirgsee« in »Gebirgssee« geändert.</li>
-<li>S. 170 »bei sei« in »bei sich« geändert.</li>
-<li>S. 197 »Handwerkzeug« in »Handwerkszeug« geändert.</li>
-<li>S. 205 »Gofolgschaft« in »Gefolgschaft« geändert.</li>
-<li>S. 236 »mit mit Eleseus« in »mit Eleseus« geändert.</li>
-<li>S. 281 »bemerkstelligen« in »bewerkstelligen« geändert.</li>
-<li>S. 338 »Inge« in »Inger« geändert.</li>
-<li>S. 339 »Tausendsasa« in »Tausendsassa« geändert.</li>
-<li>S. 366 »Jetzt aben« in »Jetzt aber« geändert.</li>
-<li>S. 407 »Tröpfen Kaffee« in »Tröpfchen Kaffee« geändert.</li>
-<li>S. 418 »keinen Öre« in »keine Öre« geändert.</li>
-<li>S. 439 »Aronson« in »Aronsen« geändert.</li>
-</ul>
-
-
-</div>
-
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SEGEN DER ERDE ***</div>
-<div style='text-align:left'>
-
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-forth in Section 3 below.
-</div>
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-1.F.
-</div>
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-</div>
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-</div>
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-or any Project Gutenberg&#8482; work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg&#8482; work, and (c) any
-Defect you cause.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg&#8482;&#8217;s
-goals and ensuring that the Project Gutenberg&#8482; collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg&#8482; and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-</div>
-
-</div>
-
-</body>
-</html>
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