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-The Project Gutenberg eBook of Die Hochzeit der Esther Franzenius, by
-Antonie "Toni" Schwabe
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Die Hochzeit der Esther Franzenius
- Roman
-
-Author: Antonie "Toni" Schwabe
-
-Release Date: October 7, 2021 [eBook #66491]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net (This book was produced from images made
- available by the HathiTrust Digital Library.)
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HOCHZEIT DER ESTHER
-FRANZENIUS ***
-
-
-
-
- Die Hochzeit
- der Esther Franzenius
-
- Roman
- von
- Toni Schwabe
-
- [Illustration]
-
- Albert Langen
- Verlag für Litteratur und Kunst
- München 1902
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Erster Abschnitt
-
-
-
-
-I
-
-
-Auf dem Fluß hingen des Morgens Nebel, die sich in zarten Tönungen auch
-noch über die Uferwiesen hin erstreckten. In den Straßen sangen nach
-altem thüringer Brauch die »Kurrendeschüler« mit ihren schwarzen
-Chormäntelchen angethan. Sie zogen von Haus zu Haus, sangen mit
-Engelsstimmen und schimpften einander dazwischen, als die Gassenbuben die
-sie waren. Von den Bäumen plauzten schon die reifen Kastanien, zerbarsten
-und rollten schillernd über den Weg.
-
-In wenig Tagen würde man auch das Schwimmbad schließen müssen, denn
-schon traute sich niemand mehr in das abgekühlte Wasser, ausgenommen
-Fräulein Esther Franzenius. Fräulein Esther aber würde gewiß nicht
-eher aufhören ihre sehr schlanken, kraftvollen Glieder gegen das Wasser zu
-spannen, bis ihr das erste Nachteis die Haut ritzte.
-
-Esther Franzenius ging über die Wiesen, da steifte sich ihr der Wind
-entgegen und zerrte an ihren vom Wasser feuchtdunklen Haarsträhnen, die
-immer zu lang in das Gesicht fielen. Und sie bog ein wenig den Oberkörper
-zurück, und eine Tragkraft ging durch ihren ganzen Leib, als sei er ein
-feiner, stolzer Bau, den festgefügte Steine gen Himmel heben.
-
-Dann ging sie durch die grauen Gassen mit dem Pflaster von Anno dazumal und
-zuletzt die kleine Anhöhe hinauf.
-
-Ja, ganz versteckt lag das Haus, in dem Esther wohnte. Eine hohe,
-breitbuchtende Ligusterhecke umsperrte den Garten.
-
-Maria kam über den Weg ihr entgegen. Maria war schön und strahlend
--- auch in ihrem Mißmut. Maria nahm alle Herzen hin, und selbst die
-Baumwürzelein freuten sich, wenn sie vom Kleidersaum der Allerschönsten
-gestreichelt wurden. Ja, Maria hatte ein gesegnetes Angesicht.
-
-»Ist er noch nicht bei Dir?« frug Esther die Schwester.
-
-»Oh, er wird schon kommen.«
-
-Und da war er auch schon.
-
-Erst gingen seine Augen zu der blonden Maria, wie das ganz natürlich war.
-Sie verfingen sich förmlich in ihren Blicken, sie ließen nicht los, so
-daß die Hände ungeleitet zu einander tasten mußten.
-
-In Esther klang das wieder, was er fühlte in diesem Augenblick: Es
-mußte ihm sein, wie ein Ausruhen nach langem ermüdendem Steigen -- ein
-Erlösungsgefühl -- und Dank.
-
-Immer wußte sie, was er empfinden würde bei all den kleinen, feinen
-Anlässen, in denen sich das Leben unter der Hülle der Geschehnisse
-abspielt. Sie besaß zu seiner die Schwesterseele -- aber das wußte nur
-sie.
-
-Sie erschrak förmlich, und ihr war, als hätte nun auch er ihre Gedanken
-begleitet, als er plötzlich die Hände seiner Braut losließ und sich nun
-zu ihr wandte.
-
-»Sie sind vorhin immer vor mir hergegangen, Esther -- ich habe Sie
-gesehen.«
-
-Sie erschrak, weil sie seine Worte wie die Brücke zu tieferem Sinn nahm --
-aber dann fiel ihr ein, daß ja nur sie es war, die ihn erkannt hatte. Da
-tauchte auch wieder die Wirklichkeit an die Oberfläche.
-
-»Jetzt ist Esther das Hausmütterchen, ja?« wandte sich nun Maria zu ihr.
--- Und sie gingen hinein in das Haus, und Esther trug Obst auf den Tisch
-und Wein, der aus einem feinen, hohen Krug gegossen wurde. Und alles
-ordnete sie Maria zu Händen. Und alles sah aus, als sei es nichts als ein
-Opfer, Marias Schönheit gebracht.
-
-»Die ungleichen Schwestern,« sagte Lothar; dabei hingen aber seine Augen
-selbstvergessen nur an der, die er liebte.
-
-Und Esther übersetzte in Gedanken seine Worte: Wir demütigen uns vor ihr.
--- Und sie lächelte zu der schönen Schwester hinüber.
-
-Maria erzählte von einem Lied, das sie gestern niedergeschrieben
-hatte. Sie dichtete in Tönen und Worten. Das stimmte auch zu ihrer
-Persönlichkeit. Esther und Lothar aber übten nur die schweigsame Kunst
-der Malerei, die sich im Bewundern und genießendem Verstehen bescheidet.
-
-Dann setzte sich Maria an das Klavier und gab zu einer einfachen Melodie
-ihr Lied, das sie nur mit ganz leiser, halb sprechender Stimme sang:
-
- »Legt Narzissen auf mein Grab,
- Ich habe mich zu viel gesehnt --
- Schwarze Tujazweige drüber,
- Weil mir keiner Liebe gab.
- Rote Rosen streut zu Füßen,
- Die bedeuten meine Träume,
- Und zu Häupten eine Lilie,
- Daß mich eure Engel grüßen --
- Und dann laßt mich dem Vergessen.«
-
-Es klang so weich und rührend, wie die schöne Maria mit ihrer zu
-schwachen Stimme sang. Man vergaß darüber, daß sie die _schöne_ Maria
-war, der ja alle Liebe stets zu Füßen lag, die nie eine vergebliche
-Sehnsucht gekannt hatte. Und das Herz that sich auf in Zärtlichkeit für
-diesen melancholischen Liebreiz.
-
-Esther verstand nicht mehr. Ein häßlicher Gedanke drängte sich ihr auf.
-»Tändeln mit dem Schmerz,« dachte sie.
-
-Sie sah hinüber zu Lothar. Der saß in die stumme Anbetung versunken, die
-man dem Leid eines geliebten Menschen weiht. Da stieg eine gegenstandslose
-Scham in ihr auf.
-
-»Aber die Dichter lügen zu viel!« -- Hatte sie selbst denn dieses
-spottsüchtige Citat gesprochen?
-
-Lothar sah sie mit ganz erstauntem Mißfallen an. Und Maria -- die arme,
-schöne Maria machte so hilflose Kinderaugen. -- -- --
-
-Als Lothar dann fortging, sprach er. Er traf mit Esther im Hausflur
-zusammen, denn er war zuletzt allein mit Maria gewesen, und sagte: »Warum
-haben Sie ihr das angethan? Man darf ihr nicht wehe thun -- Sie gehört zu
-den Menschen, denen man nicht weh thun darf.«
-
-Und Esther senkte den Kopf. »Ich weiß es. Ich weiß es wohl.«
-
- * * * * *
-
-Zuweilen kam eine Sehnsucht nach starken, heißen Farben über sie. Am Berg
-standen Ebereschen. Dort war es am schönsten, wenn die brennroten Beeren
-durch den Nebel schimmerten. Das gab ein Gefühl der Abgeschlossenheit mit
-dieser einzigen Farbe.
-
-Immer wieder mußte sie dorthin gehen wie zu einem Geheimnis. Sie lächelte
-über sich selbst.
-
-Ihr Weg führte an vielen Wachholdersträuchen vorüber, die sich wie
-sagenhafte Linien entfernter Pyramiden abhoben. Und über Felsgeröll
-mußte sie klettern, bis endlich das Plateau mit den Ebereschen erreicht
-war.
-
-Die roten Beeren aus dem Nebel leuchtend -- mit der grellen Deutlichkeit
-einer verzückten Vision -- -- -- --
-
-Ein unbeschreiblicher, verschwiegener Genuß.
-
-Zuweilen bettete der Nebel die Luft so dicht ein, daß sie unbeweglich
-lag -- Dann war das Gefühl jener köstlichen Gemeinsamkeit am
-stärksten. -- --
-
-Anders war es in den klaren Tagen. Da lag alles wie ein Spiegel stiller und
-weiter Gedanken.
-
-Das war eine gute und fruchtbare Einsamkeit, die auch oft zum Mitleben in
-andern, wesensfremden Naturen lockte.
-
-Da war die Freundschaft mit Lydia.
-
-Lydia besaß einen langen Hals und eine kränkliche Stimme. Und sie
-gehörte zu den Ausgestoßenen.
-
-»Du mußt mir erzählen wie es dort ist, wo du jetzt bist,« sagte Esther.
-
-Lydia errötete und schob das Kinn über den schwankenden Hals hinaus. »O,
-es gefällt mir ganz gut.«
-
-»Du wünschest dir nichts anderes?«
-
-»Nein.«
-
-»Sind auch die Leute gut zu dir?«
-
-»Was denn? Sie gehen mich nichts an. Ich will nichts von ihnen -- sie
-wollen nichts von mir, als daß ich ihren Kindern Stunden gebe. Warum
-sollten sie gut zu mir sein?«
-
-»Wolltest du nie jemanden, den du liebst, und der dich lieb hat, Lydia?«
-
-»Ich habe ja dich. Ich möchte niemand sonst.«
-
-»Möchtest du keinen Mann, wie die andern Mädchen?«
-
-Da kam eine plötzliche Energie in die Haltung des blassen Mädchens, und
-sie richtete ihre, sehr schönen, ausdrucksvollen Augen auf Esther: »Wer
-auch zu mir käme, ich wollte niemand als dich. Du bist gut zu mir gewesen
-wie sonst kein Mensch. Und ich habe alles von dir bekommen -- alles!«
-
-Esther dachte: Ich habe ja so wenig zu geben -- es ist alles so fest in
-mich eingewachsen, daß nicht Wort und nicht Gebärde es lösen könnte. --
-Ich gehöre ja zu denen, die schweigen müssen. Weshalb glaubt sie nur an
-mich? -- Und sie sagte: »Wenn du nur nicht einmal siehst, daß ich dir
-nicht genüge.«
-
-»Ich will nichts von dir. Ich will dich nur lieb haben dürfen,« sagte
-die andre.
-
-Und sie saßen nieder an einer Hügelböschung. Vor ihnen lief der Fluß,
-und das Wasser war so blank wie Glas. Drüben am andern Ufer wurde Heu
-gemacht. Das Uferschilf rasselte manchmal in die Stille hinein, wie ein
-wohlbewaffnetes Heer, das unversehens aus seinem Versteck brechen will. --
-
-Ganz plötzlich kam ihr der Wunsch wohlzuthun. Sie nahm die Hand des
-häßlichen Mädchens und küßte sie.
-
- * * * * *
-
-Später, zum Frühling hin, geschah es.
-
-Da war Esther einmal im Nebenzimmer, wie Maria und Lothar in der Dämmerung
-zusammensaßen. -- Ja, es war in der Dämmerung, wo sich die Seelen näher
-kommen, wo jenseits alles Fremden und Irreleitenden ein Ich zum andern
-findet.
-
-Esther hörte es.
-
-Sie hörte ihre freien, glücklichen Zärtlichkeiten und ihre Worte der
-Zusammengehörigkeit.
-
-Da streifte Maria das leichte Gewand der Melancholie herunter, und
-sie zeigte sich ihm, wie sie im Grunde war: die Glückspendende -- die
-Priesterin der Seligkeit.
-
-Sein Herzschlag mußte sich jetzt mit ihrem einen -- --
-
-Wie denn? -- Er lachte -- denn er konnte mit all seiner Schwermut und Herbe
-versinken in ihrem leichten Glückswagemut.
-
-Esther fühlte ihm nach --
-
-Nein, sie fühlte ihm nicht mehr nach! Zum erstenmal löste sich ihre
-Persönlichkeit von seiner, nicht um zurückzutreten, sondern sie stellte
-sich ihm entgegen. Sie fühlte, wie es sein müßte, wenn er zu ihr, zu
-Esther gefunden hätte. So ganz anders wäre das gewesen: Schwer und mit
-Thränen müßten sie zusammenkommen -- und es würde sein wie ein tiefes
-Leid. -- Und sie würden ringen aneinander, weil keiner zum andern fände
--- weil sie zu ähnlich waren und keiner den andern auslösen könnte. --
-
-Und drüben hörte sie seine entzückte Stimme. -- »Maria Liebe -- Liebste
-du --«
-
-Da war ihr, als müßte sie das Gesicht verbergen. Und sie lief hinaus in
-ihre Kammer. Und sie konnte nicht weinen -- und saß auf ihrem Bett
-und starrte in das Dunkel. -- Ja, sie sah das Dunkel von Angesicht zu
-Angesicht, wie es ihr schweigend entgegenblickte.
-
-Und da fand sie einen neuen Willen.
-
-
-
-
-II
-
-
-Esther wollte sich Neuland erobern.
-
-Doch es wurde Frühling und Sommer, bis sie ihren Plan ausführte. Sie hing
-so stark an der Heimatserde. Und sie dachte an die süße Hilflosigkeit
-Marias, und auch die praktische Abhängigkeit des Vaters, der als Gelehrter
-jeder Änderung seiner Gewohnheiten angstvoll, ratlos gegenüberstand, fiel
-ihr aufs Herz.
-
-Aber ihrer Familie gegenüber fand sich Ersatz für ihre Abwesenheit.
-
-Lydia kam in ihrer bescheidenen Selbstverständlichkeit. Lydia zog ein in
-Esthers Zimmer, und es war, als hätte sie nie einen andern Wunsch gehabt,
-als nun Hintergrund für Marias Schönheit zu sein.
-
-Am letzten Abend ging Esther mit Lydia durch den Garten. -- Sie strich ganz
-heimlich mit der Hand über die Zweige der Büsche und sah das Bild ihrer
-einstigen Heimkehr. Sie sah sich wiederkommen -- getrieben vom Heimweh nach
-alten Schmerzen -- und wollte doch davon nichts wissen, denn sie ging ja in
-das neue Leben, um zu überwinden.
-
-»So schwer wird mir das Fortgehen,« sagte sie müde.
-
-Und Lydia darauf: »Ich weiß, du läßt deine Jugend
-zurück.« -- -- -- --
-
-Den ganzen andern Tag hörte sie in sich dieses Wort nachklingen, stieß
-es zurück, holte es mit einer seltsamen heimlichen Lust an seinem Klang
-wieder hervor und verläugnete es um so heftiger.
-
-Sie reiste ganz nach dem Norden von Dänemark. Die Fahrt von Hamburg nach
-der kleinen Küstenstadt machte sie in der Nacht.
-
-Sie konnte nicht zum Schlafen kommen, saß die ganze Nacht über am
-geöffneten Fenster und spürte den tragischen Reiz der hellen nordischen
-Sommernacht.
-
-Lange, lange Wiesen mit dem weidenden Vieh, das jetzt zum Schlafen
-hingestreckt lag, aber gleich darauf vom Lärm des Zuges geschreckt in die
-dämmernde Ebene hineingaloppierte.
-
-Und am Himmel wechselte ein leuchtendes Farbenspiel. Dort glühten die
-sehnsüchtigen Wünsche über der verhaltenen Resignation der Ebene.
-
-Nach Mitternacht wehte Seeluft herüber. Und dann lag im Morgennebel der
-bläuliche Fjord mit seinen verträumten grünen Ufern.
-
-Weiter noch gen Norden blühte die Heide, wie in einem weiten, jubelnden
-Ton des Erwachens.
-
-Nun kamen die kleinen Ortschaften, alle durch eine hohe grüne Baumhecke
-gegen die Windseite geschützt, zuweilen aus ihrer Mitte den kahlen und
-nüchternen Bau einer Missionskirche förmlich ausstoßend. -- Und einzelne
-Bauernhöfe lagen am Weg mit den tiefgedachten Häusern, die sich ganz
-niederkauern im üppigen Grün ihrer Gärten, die in Wohllustschlaf
-versunken scheinen ob all dem Blühegeruch ringsum.
-
-Endlich, gegen Mittag kam das Reiseziel.
-
-Vor dem Bahnhof waren grüne Anlagen, in die man beim Einfahren hineinsah.
-Und ganz plötzlich kam bei diesem Anblick die wunderliche Vorstellung
-einer Heimkehr über Esther. Sie fühlte einen Augenblick lang diese
-Ankunft im fremden Land wie eine Wiederkehr zu alt vertrauter Umgebung.
-Ja, sie glaubte sogar die Wege schon zu kennen, die hinter den verdeckenden
-Bäumen in die Stadt hineinführen mußten.
-
-Sie stieg aus und wurde von fremden Menschen empfangen, und ging doch lange
-noch wie von einem Traum verwirrt.
-
- * * * * *
-
-Esther verstand reichlich wenig von der Tischunterhaltung, obschon ihre
-Mutter eine Dänin gewesen und früher zuweilen mit den Kindern in ihrer
-Muttersprache geredet hatte. -- Es war so ein großer lärmender Kreis,
-und es lag wie Kinderlust über den Menschen, eine Atmosphäre der
-Harmlosigkeit und leichtesten Lebensfreude, die Esther nicht sogleich
-aufzufassen vermochte. Doch das alles kam ihrem Herzen nahe.
-
-Da gab es noch fünf Gäste außer ihr, und sie alle waren mit einer schier
-unglaublichen Eß- und Lachlust angethan.
-
-Neben Esther saß Louise, die Tochter des Hauses. Sie hatte einen feinen,
-leicht vorgebeugten Nacken und eine liebliche Art, sich zu bewegen. --
-Esther sah immer wieder zu ihr hin, und dann war es, als ob eine ganz leise
-Melodie zwischen ihnen anhebe -- durch all den frohen Lärm hindurch eine
-ganz heimliche, einsame Melodie der Harmonie. -- -- -- --
-
-Esther wachte auf und hörte Musik.
-
-Es war ganz ruhig im Haus und schon dämmerig. Sie erinnerte sich, nach
-Tisch auf ihrem Bett eingeschlafen zu sein.
-
-Ein feiner, klagender Singsang erfüllte die Stille, und sie besann sich
-vergeblich, von welchem Instrument der wohl herrühren mochte.
-
-Dann ging sie den Klängen nach: durch den dämmerigen Hausflur, eine
-Treppe hinauf und zu einer angelehnten Thür hinein. Da stand sie nun in
-einem Zimmer voll altväterischer Möbel, zwischen denen ein Spinett, an
-dem Louise saß und spielte.
-
-Es war, als lägen die Erlebnisse weiter Vergangenheiten in diesem
-Raum, und wer auch zu den Fenstern hinaus auf das Meer sah, bekam ganz
-unwillkürlich den Blick gereifter Erfahrung in die Augen. --
-
-Luise brach plötzlich und scheu ihr Spiel ab, wie sie Esther kommen
-hörte.
-
-Sie sagte: »Oh, ich glaubte mich allein im Haus,« und strich mit
-einer verlegenen Bewegung über die Tasten, gleich als hätte sie einen
-entblößten Körper zu verdecken.
-
-»Und wolltest du nicht spielen, wenn jemand es hörte?«
-
-»Doch -- ja -- nur zuweilen darf niemand zuhören.«
-
-Esther antwortete nicht. Sie setzte sich an das Fenster, von dem aus man so
-weit über das Meer sehen konnte, daß es den Leuten einen gereiften Blick
-gab. Sie sagte erst nach einer Weile: »Was für ein Lied hast du gespielt
--- wenn du mir das sagen magst --?«
-
-»Ein ganz altes Volkslied ist es -- das Lied vom ›Herre Peder‹ und der
-Helelide.«
-
-»Willst du mir sagen, wie es geht?«
-
-Luise gab leise die Melodie in den zitternden Tönen des Spinetts an und
-sprach dazu:
-
- »Junkherr Peder warf Runen über den Pfad,
- Den Helelidens Fuß betrat.
- Dann lichtet' er sein Anker,
- Er hatte guten Wind,
- Und segelte von Dänemark
- Und seinen Frauen lind. --
- Holde Worte
- Erfreuen die Herzen,
- Holde Worte
- Verschulden die Schmerzen --
- Holde Worte!
-
- Helelide ging am Strande harrend,
- In die tiefen, salzen Wasser starrend.
- Dann lichtet' sie ihr Anker,
- Sie hatte guten Wind,
- Und segelte von Dänemark
- Mit ihren Frauen lind.
- Holde Worte
- Haben mich tief bethört,
- Holde Worte
- Haben mein Herz versehrt --
- Holde Worte!
-
- Da rief der Wächter, als das Schiff in Sicht:
- ›Uns bringt der Wind das Sonnenlicht!‹
- D'rauf hat der Junkherr Peder
- Vor Freuden schier gelacht,
- Als Helelide Ehre
- Und Treue ihm gebracht.
- Holde Worte
- Bringen viele Freuden,
- Holde Worte
- Schaffen manche Leiden --
- Holde Worte.«
-
-Luise stand auf und trat zu Esther ans Fenster. -- Esther fragte: »Waren
-die Runen Liebesworte, die Junkherr Peder zu Helelide sprach?«
-
-Und Luise: »Ich weiß es nicht. Aber ich meine, wir hören zuweilen einen
-Menschen etwas sagen, das kaum für uns berechnet war, das gewiß in keiner
-persönlichen Absicht zu uns gesprochen wurde, und doch kommt es zu uns, ja
-es -- ›verführt‹ uns.«
-
-Esther mochte nicht Louise ansehen. Sie neigte nur den Kopf und sah
-wie bisher weit hinaus auf das Meer. Und ganz da draußen, dort wo die
-Unendlichkeit beginnt, konnten sich vielleicht ihre Blicke begegnen. Und
-vielleicht wurde dort das Schweigen gebrochen, das sich hier jetzt über
-sie legte.
-
- * * * * *
-
-Am andern Tag wurde ein Ausflug nach einem benachbarten Gutshof gemacht.
-
-Man ging die braun-violetten Heidehügel bergan und bergab. Der Wind strich
-in unausgesetztem, immer gleich starkem Zug über das Land, so daß es
-klang wie der thränenlose Jammer des Wahnsinns.
-
-Stärker wurden die Stimmen und klang voller in der kräftigen Luft. Auch
-gab der weite Horizont dem Blick eine stolze Kühnheit.
-
-Am Gipfel des »Himmelsberges«, ein Hügel, der die andern Buchtungen um
-weniges überragte, lagerte man sich.
-
-Frau Olga Bergsö, die immer Lebensvolle, versammelte ihr kleines Heer um
-sich. Da lag sie halb aufgerichtet an einen hohen Merkstein gelehnt, mit
-ihrem seltsamen Dreimaster einem Feldherrn gleichend. Feine, energische
-Linien begrenzten ihr Profil wie einen Schattenriß am weißlich hellen
-Himmel.
-
-Ihr zur Seite rangen Julie und Alexandra, die beiden Sechzehnjährigen,
-im liebevollsten Zweikampf miteinander in den weichen Büscheln des
-Heidekrautes.
-
-Herr Bergsö ging mit der vierzehnjährigen Tule Arm in Arm, denn sie waren
-sehr gute Freunde.
-
-Hinter Frau Olga jedoch kauerte die zarte, stets von Bewunderung erfüllte
-Fräulein Missus. Sie war Olgas Lehrerin gewesen und besuchte diese nun
-in jedem Sommer, um ganz im Innern ihrer kleinen zerknirschten
-Gouvernantenseele wahre Orgien der Bewunderung für ihre frühere
-Schülerin zu feiern. Alexandra erzählte in Bezug auf sie die sehr
-seltsame Geschichte, daß sie, Alexandra, einmal zu noch morgendlicher
-Stunde am Fenster von Fräulein Missus' Stube vorbeigegangen sei. Zu ihrem
-großen Entsetzen hätte aber auf dem Kopfkissen des Fräuleins, statt
-deren wohlfrisiertem Haupt, nur ein großes, nacktes, gelbliches Ei
-gelegen. -- Diese denkwürdige Historie reizte fortan die jüngeren
-Bewohner des Hauses Bergsö zu morgendlichen Spaziergängen vor den nunmehr
-hoffnungslos verhängten Fenstern des armen Fräuleins. --
-
-»Für jeden sind zwei ›Boller‹ mitgebracht und Brot so viel ihr
-wollt,« erklärte Olga ihren Gästen.
-
-Und die Gäste griffen gehorsam zu, um sich ihr Anrecht auf die beiden
-zudiktierten Boller zu sichern. -- --
-
-Nun gab es nur noch einen kurzen Weg, und ganz unvermutet sah man
-»Eriksgaard« in einer kleinen Senkung liegen.
-
-Man trat aus der wehenden Haide ganz unversehens in das Schweigen eines
-sommerlichen Blumengartens ein. Hohe, grüne Mauern ließen hier den
-Wind verstummen. Und mitten auf dem Rasenplatz wiegte sich in üppigster
-Schönheit eine große rote Rose. -- »Sie heißt Camille de Rohan,« sagte
-Herr Adam Rude zu seinen Gästen.
-
-In dem weiten, steifmöblierten Saal des Hauses hatte Eliza Rude den Tisch
-gedeckt und die übliche Chokolade aufgetragen.
-
-»Eliza ist meine kleine Hausmutter,« sagte der alte Rude. Und das
-schlanke Kind mit den etwas zu weit auseinanderliegenden breiten Augen und
-dem keuschen Madonnenkinn lächelte in beginnender Koketterie. Sie nahm die
-Art einer Dame an und bat die Gäste würdevoll, einzutreten.
-
-Für »das deutsche Fräulein« hatte Eliza eine große und plötzliche
-Liebe gefaßt. Jene auf unfehlbarem Instinkt beruhende Leidenschaft
-der Seele, wie sie heranwachsende Menschen oft zu Personen des eigenen
-Geschlechtes überkommt. Ein Gefühl, das weder unter dem Begriff »Liebe«
-noch »Freundschaft« steht, vielmehr eine unendlich verfeinerte Essenz
-dieser beiden Empfindungen darstellt. Man könnte denken, es sei eben nur
-ein Vorrecht der ganz reinen Seelen, weil die vernünftigen und
-gereiften Menschen nur mit dem vernünftigen und gereiften Spott darauf
-herabzulächeln pflegen, den sie für alle hohen, der baren Nutzbarkeit
-entfremdeten Dinge bereit halten. --
-
-Eliza saß neben Esther und strich ihr heimlich unterm Tisch über die
-Hände. Sie war von Ungeduld erfüllt, die andere möge sich mit tieferen
-und innerlichen Worten ihr nähern, und wartete nur auf das erlösende
-bedeutsame Wort. -- Und sie quälte Esther mit wunderlichen Fragen und
-Forderungen.
-
-Endlich sagte sie noch: »Wie reden bei Ihnen die Leute, die sich lieb
-haben? Giebt es ein Lied, das von ihrer Liebe erzählt? Sagen Sie mir eins,
-das Sie selbst leiden mögen.«
-
-Esther fiel ein altes kleines Liedchen ein, und sie sprach es lächelnd:
-
- »Ich bin dein,
- Und du bist mein --
- Des sollst du gewisse sein.
- Du bist geschlossen in mein Herze ein,
- Verloren ist das Schlüsselein,
- Drum mußt du ewig drinnen sein.«
-
-Eliza ließ es sich zweimal sagen und Worte, die sie nicht verstand,
-übersetzen. Dann meinte sie nachdenklich: »Es ist ein schönes Lied. Ich
-werde es mir für Sie merken, Fräulein Esther.«
-
-Und dann: »Kommen Sie ein wenig mit mir, wo die andern nicht sind. Ich
-möchte einmal mit Ihnen allein gewesen sein.«
-
-Esther folgte ihr mit einem ernsten Lächeln. Sie stand noch nicht der
-Kindheit fern.
-
-So saßen sie in einer Lindenlaube und sahen durch das grüne Licht
-hinaus in den Garten, wo sich Camille de Rohan einsam in selbstbewußter
-Schönheit vor der Sonne neigte.
-
-»Dem Vater haben Sie auch gefallen,« fing das Kind wieder an. »Ich kann
-es an seinen Augen sehen, wenn ihm jemand gefällt. Hat er nicht schöne
-Augen, mein Vater? Und ist er nicht ein schöner Mann?«
-
-Esther sagte: »Ja, er ist ein schöner alter Herr.«
-
-»Und meinen Bruder Arne sollten Sie sehen! Er ist jetzt nicht hier. In
-Kopenhagen ist er. -- Schriftsteller!« Das letzte Wort sprach sie mit
-nachlässig verstecktem Stolz. -- »Aber wenn Sie ihn sehen würden -- er
-ist der schönste junge Mann, den ich kenne!«
-
-»Wie alt bist du eigentlich?« fragte Esther.
-
-»Im September ist mein sechzehnter Geburtstag.«
-
-Esther war erstaunt, sie hatte Eliza für jünger gehalten. Aber gleich
-darauf begriff sie. -- »Ah, du wirst also fünfzehn, wenn dein sechzehnter
-Geburts_tag_ ist?«
-
-»Nein, nein! -- Ja, es ist schon so, aber Sie müssen nicht immer alles
-gleich entdecken!« Eliza war sehr indigniert und auf einmal eine zürnende
-junge Dame geworden. Aber gleich darauf erklärte sie -- wieder Kind --:
-»Ich wollte ja nur nicht so viel jünger sein als Sie -- ich dachte, daß
-man sich um jüngere Kinder weniger kümmert. Aber wenn Sie mich auch so
-ein wenig gern haben, ist schon alles gut -- -- --«
-
-»Ja; ich habe dich ›auch so‹ gern!« --
-
-Drüben, im Sonnenlicht schaukelte Camille de Rohan. -- -- -- -- --
-
-»In nächster Zeit wollen wir Ihnen einen Besuch wegnehmen, Frau
-Bergsö,« sagte Herr Rude, als die Gäste sich verabschiedeten. Und Eliza
-drückte Esther bedeutungsvoll die Hand, denn es war zwischen ihnen schon
-ausgemacht, daß Esther den »sechzehnten Geburtstag« mit auf Eriksgaard
-feiern sollte.
-
-
-
-
-III
-
-
-Das war zu Ende des August, als Esther nach Eriksgaard kam.
-
-Sie wollte den Weg allein gehen. Eine plötzliche und starke Sehnsucht nach
-Einsamkeit drängte sie dazu. Denn schon lag alles Frohe und Leichte ihrer
-Umgebung wie am andern Ufer. Und es war wie ein zögerndes Umwenden und
-Zurückgrüßen, als sie das Haus am Meer verließ.
-
-Sie ging über die weiche, nun schon verblühende Heide wie über das
-zottige Fell jener Märchenungetüme, die vor verwunschenen Schlössern
-liegen. Sie sah am Himmelsrand in grauer Wolkenferne die Erdriesen
-kämpfen, und sie vernahm die Seufzer unstillbarer Sehnsucht aus dem Reich
-der Unterirdischen.
-
-Ja, alle Dinge sprachen zu ihr. Aber sie ging mit den stillen Augen des
-Lauschenden, und in ihr erstand eine zarte und weltfremde Liebe -- eben zur
-Welt. -- -- -- -- --
-
-Da lag Eriksgaard. Und Eliza kam mit ihrem keuschen, erwartungsvollen
-Lächeln ihr entgegen.
-
-»Du kommst allein über die Heide, Esther? Jeden Tag habe ich auf dich
-gewartet! Jeden Tag bin ich dir entgegengegangen.« -- Sie bemerkte gar
-nicht, daß sie plötzlich das Du brauchte.
-
-Dann faßte sie Esther bei der Hand, und sie traten ein in das Haus. In die
-Thür war ein Herz geschnitten, man konnte dadurch in das Innere des Hauses
-blicken, aber man sah nur das Dämmern des dunkleren Raumes, weil man
-im hellen Tageslicht stand. -- Esther dachte: ein Herz ist in die Thür
-geschnitten -- -- -- --
-
-»Vater! da ist sie!« rief Eliza.
-
-Adam Rude kam aus einem halbdunklen Zimmer und begrüßte den Gast. Seine
-Augen waren wie im Traum gewesen.
-
-»Dort hängt das Bild meiner Mutter,« sagte Eliza später. »Er geht
-zuweilen hin und ist mit ihr allein.« Sie sprach wie von einer lebenden
-Person von dem Bild der Toten.
-
-»Wie war deine Mutter?«
-
-»O -- zart und fein. Nicht sonderlich schön, aber voll Anmut. Und sie war
-gut gegen ›Gerechte und Ungerechte‹. Ich entsinne mich, wie unser Haus
-eben gebaut war, kam ein Bettelweib -- eine alte Frau, die oft betrunken
-war. Die hat meine Mutter nun überall herumgeführt und ihr alles gezeigt
-und sprach mit ihr, wie mit einer guten Bekannten. Dann hat sie ihr auch
-etwas gegeben -- wohl nicht viel, denn die Eltern waren nicht reich damals
-und meine Mutter ängstlich und sparsam. Aber ich habe die Frau dann
-fortgehen sehen -- mit einem so glücklichen Gesicht.«
-
-Eliza hatte eine seltsame frühreife Art zu sprechen. Die Art sehr
-gewissenhafter und beobachtender Menschen: es war wie eine plastische
-Nachgestaltung der Geschehnisse. -- Sie dachte ein wenig, wobei sie ganz
-unerwartet ihrem Vater ähnlich wurde und sprach fort: »Ja -- und dann
-erzählte Mutter uns aus der Geschichte. Aber alles, was schrecklich und
-traurig darin war, verschwieg sie uns. Ich weiß gar nicht, wie sie das
-möglich machte, aber wir erfuhren nichts über Tod und Entsetzen. So, daß
-wir es dann später gar nicht verstehen konnten, als sie uns starb. Wir
-hatten einfach den Schmerz nicht begreifen gelernt.«
-
-»Du und dein Bruder?«
-
-»Nein, der war schon von Hause fort. Ich und eine Schwester, die jetzt
-tot ist. Sie war zarter als ich und hat nie das Entbehren lernen können --
-obschon wir nicht sehr traurig waren, als Mutter starb.«
-
-Über Elizas Hände ging die letzte Sonne. Es waren überzarte Hände.
-Esther dachte: sie haben einen Zug der Unwirklichkeit.
-
-»Du verstehst alles so sehr,« sagte sie zu dem Kind und strich ihr über
-die Hände. Ja, es lag über diesen Händen wie die Ahnung von künftigem
-Leid.
-
-Da ließ das Mädchen mit einer sonderbar hilflosen Bewegung den Kopf auf
-Esthers Schulter sinken und weinte. --
-
-Sie weinte immer mehr und sagte dazwischen: »ich weiß gar nicht, warum es
-ist -- ich verstehe mich gar nicht.« -- Und Esther zog sie zu sich heran.
-Sie fühlte die Wärme ihres Körpers zu der andern übergehen wie im
-instinktiven Beschützenwollen erwachender Mütterlichkeit und spürte,
-daß Eliza ruhig wurde und auf ihren Herzschlag hörte.
-
-Doch da geschah etwas ganz Seltsames: Esther erhob die Augen von dem Kind,
-das da an ihrer Brust weinte und sah plötzlich in ein Gesicht, das mit
-dem Ausdruck verzehrender Sehnsucht zu ihr gewandt war. Sie sah ratlos zur
-Seite und dann wieder hin -- aber da stand im beschatteten Rahmen der Thür
-Adam Rude mit seinem gewohnten verschlossenen Gesichtsausdruck. Er nahm
-sich in der Dämmerung aus wie ein alter Van Dyck. Langsam kam er jetzt auf
-die beiden Mädchen zu und strich seiner Tochter über das Haar. Dabei
-sah er mit einem verlorenen Blick zum Fenster hinaus und sagte: »Kind --
-Kind.« -- Und wieder: »Kind, Kind!«
-
-Dann wandte er sich schwerfällig und verließ das Zimmer. -- --
-
-Zwischen den beiden Mädchen blieb es jetzt still. Draußen ging die
-Dämmerung und verhüllte das Land. Und an dem dichtgrünen Schutzzaun
-nagte der Wind, vergebens mit seinem leisen, gierigen Stöhnen Einlaß
-suchend. -- Über die Menschen kam ein Gefühl der Geborgenheit.
-
- * * * * *
-
-Esther war schon einige Wochen auf Eriksgaard und fühlte sich mehr
-und mehr mit der seltsamen Eintönigkeit des Hauses und seiner Bewohner
-verwachsen.
-
-Sie gewöhnte sich an Adam Rudes absonderliche Art, durch das Haus zu
-irren und zerstreute Worte zu stammeln. -- Sie wurde vertraut mit dem
-überreifen, so oft das Unwirkliche streifenden Wesen Elizas.
-
-Und in dieser traumhaften Umgebung versank ihre Kraft fast unmerklich aber
-stetig im erschlaffenden Nachgeben.
-
-Seltsame heiße Bilder, die nur ganz entfernt die Wirklichkeit berührten,
-kamen zu ihr. Die unterdrückte Sehnsucht nach dem einen geliebten Menschen
-lebte sich in ziel- und gestaltlosen mystischen Phantasien aus. --
-
-Und dann gab es eine Nacht, in der sie nach schlaflosem Hindämmern ganz
-plötzlich in ihrem Bett kniete -- den Kopf vornübergebeugt und die Hände
-verschränkt -- und immer liefen Thränen vor ihr nieder. Und sie warf den
-Kopf zurück und senkte ihn wieder und wollte -- beten? -- --
-
-Und immer liefen Thränen vor ihr nieder.
-
-Aber es gab kein Wort und keinen Gott -- nur allertiefste Verlassenheit war
-um sie.
-
-Und das Zeitgefühl schwand, und der Körper wurde wesenlos. Es war wie der
-Tod im Leben. --
-
-Und dann fand sie sich wieder: mit zurückgeworfenem Kopf und schlaff
-herabhängenden Armen -- schon lange thränenlos. Die Glieder waren ihr
-ganz kalt und taub geworden und gingen schwer zu bewegen. Und sie fand sich
-allmählich wieder ganz zurück in die Wirklichkeit und legte sich ruhig
-nieder -- ja ganz ruhig und -- gebrochen.
-
-
-
-
-IV
-
-
-Esther saß im Gartenzimmer und malte. Sie war allein im Haus geblieben,
-während Eliza mit ihrem Vater hinüber zu den Pächtersleuten ging, die
-den vom Wohnhaus ziemlich entfernt gelegenen Gutshof verwalteten.
-
-Über der stillen, weiten Stube lag etwas Festliches. Vielleicht war es nur
-der Sonnenschein und die Einsamkeit.
-
-Esther legte Pinsel und Palette nieder und betrachtete die Leinwand vor
-sich. Sie hatte ein Phantasiestück zu malen begonnen, das wenig Zeichnung
-und recht viel Farbenreiz enthielt. Es war nichts als Heide und Himmel: ein
-rechtes Motiv für Gedanken der Schwermut und Leidenschaft. -- -- --
-
-Esther errötete plötzlich und schob das Bild zur Seite. Sie stand auf und
-trat hinüber in den Sonnenschein. Sie streckte die Hände aus und fühlte
-darauf die prickelnde Wärme. Da beugte sie auch den Kopf, denn höher oben
-lag Schatten, bis sie im vollen Lichte stand.
-
-Die Einsamkeit machte es, daß sie auf ihr Atmen zu horchen begann -- und
-dann plötzlich fing sie an zu singen.
-
-Sie schloß die Augen vor dem Licht und ließ es über sich gleiten -- und
-sang dazu eine Melodie, die sie irgendwann einmal gehört hatte, von der
-die Worte längst vergessen waren.
-
-Da hörte sie die Hausthür gehen und war still. Sie setzte sich wieder zu
-ihrer Malerei, doch in ihr blieb eine leise, festliche Freudigkeit zurück.
-
-Und dann stand dort, wo sie eben noch gewesen war, ein anderer drüben im
-Sonnenschein.
-
-»Ich bin Arne Rude,« sagte er und verbeugte sich mit einem harmlosen
-kleinen Gut-Jungen-Lächeln.
-
-Esther war ein wenig verwirrt. »Herr Rude und Eliza sind ausgegangen,«
-sagte sie.
-
-»Sie werden wiederkommen,« meinte Arne in zuversichtlichem Ton. Und
-dann mußten sie beide lachen über den allzugroßen Geistesaufwand seiner
-Antwort.
-
-»Darf ich mich so lange ein bischen zu Ihnen setzen, Fräulein -- Esther?
--- Sie müssen nämlich wissen, daß man mir immer nur von ›Esther‹
-schreibt, so daß ich gar nicht zweifeln kann, nun ›Esther‹ vor mir zu
-sehen --«
-
-»Ja, ich bin ›Esther‹,« sagte sie freundlich. Dabei sah sie zufällig
-nieder und auf die langen, sehr modischen Schuhe des jungen Mannes. Sie
-mißfielen ihr ein wenig, und deshalb stieg ihr Blick an der ganzen elegant
-umschneiderten Person empor, bis sie an diesem gutmütig lächelnden,
-hübschen Jünglingsgesicht haften blieben, das recht wenig mit der
-leichten Geziertheit der Kleidung in Einklang stand.
-
-»Und das Ganze ist also ein ›Dichter‹,« zog sie für sich das
-Resumée ihrer Betrachtungen.
-
-Arne ließ sich im Bewußtsein seiner Vorzüge beruhigt mustern. Dabei
-stand der Ausdruck des innigsten Wohlgefallens sowohl an sich selbst, wie
-an der jungen und schönen Dame auf seinem Gesicht.
-
-»Sie haben gemalt?« fragte er dann und wollte sich dem Bild nähern.
-
-Esther schob es aber wie achtlos zur Seite. Um keinen Preis sollte er es
-sehen! -- Sie war selbst ganz erstaunt über die Heftigkeit dieses inneren
-Widerstrebens.
-
-Um abzulenken richtete sie rasch eine Frage an ihn: »Sie kommen direkt von
-Kopenhagen?«
-
-»Ja; ich pflege immer meine Familie recht unversehens zu überfallen. --
-Sie wissen, wir Leute der Feder sind gewöhnlich ein Stück ~bohémien~.
-Mir besonders sind lange Vorbereitungen entsetzlich. Leute, die sich den
-einen Tag überlegen, was sie an den sechs andern essen wollen, sind mir
-noch gruseliger, als Papierkragen und wollene Hemden -- Sie verzeihen!«
-
-»O, ich habe nichts zu verzeihen, ich trage ja keine,« erklärte Esther,
-die von seiner knabenhaften Lustigkeit angesteckt wurde, was über ihre
-sonst zu herbe Erscheinung eine ungewöhnliche Anmut brachte.
-
-»Wollen Sie nicht lieber den andern entgegengehen?« fragte sie bald
-darauf.
-
-»Ah -- Sie schicken mich fort?«
-
-»Nicht doch -- ich dachte nur --«
-
-»Ach, wenn Sie nur das nicht dachten, dann mögen Sie vielleicht auch
-Eliza entgegengehen -- und ich darf Sie begleiten?«
-
-»Nein,« sagte Esther. Und dann, um die Schroffheit der Antwort zu
-mildern: »Nein, ich muß noch eine Kleinigkeit fertig malen, sonst
-trocknen die Farben ein.«
-
-Arne ging also allein. --
-
-Esther war plötzlich verstimmt.
-
-Weshalb hatte sie diese kleine dumme Höflichkeitslüge gesagt?
-
-Da kam ein fremder großer Junge in Lackschuhen, mit dem redete sie
-allerhand alberne intime Sachen, und zuletzt glaubte sie noch eine kleine
-Zurückweisung mit einer Höflichkeitslüge umkleiden zu müssen.
-
-Sie packte die Malgeräte zusammen, trug sie hinauf in ihr Zimmer und
-stellte die Leinwand zum Trocknen auf. Dann sah sie mit mancherlei kleinen,
-zerstreuten Gedanken hinaus in den Abendhimmel, wo die große rote Sonne
-sich feierlich dem Horizont zuneigte. -- -- -- --
-
-Am Abendbrottisch dozierte Arne. -- Er besaß einen nach jeder Richtung hin
-unfehlbaren Geschmack.
-
-Unter anderm gab es da ein Buch von Peter Nansen -- »Gottesfriede«. --
-Esther hatte es schon vor einigen Jahren gelesen, Arne durch Zufall erst
-jetzt.
-
-»Ich bereue die Zeit, in der ich dieses Buch nicht kannte,« erklärte
-Arne.
-
-»Es ist das Hohelied vom Weibe. Es ist das holdeste und keuscheste Buch,
-das ich kenne. Wer dafür kein Verständnis hat, mit dem ist von vornherein
-nicht zu reden!«
-
-Esther lächelte. »Dann müssen Sie mit mir gewiß nicht drüber sprechen
--- mich hat es unwahr berührt.«
-
-Arne runzelte ungnädig die Stirn. »Was ist ›unwahr‹ daran?«
-
-»Es ist nicht ›rein‹, wenn ein Mädchen nichts anderes von der Liebe
-will, als Mutter werden --«
-
-»Das ist die Reinheit der Natur!«
-
-»Doch wohl nicht so ganz --« Esther zögerte ein wenig sich
-auszusprechen, aber dann sagte sie: »Das ist vielleicht die Natur des
-Tieres und ursprünglich des Menschen auch -- wie wir aber jetzt sind,
-haben wir zu sehr die zweite Natur: die Seele in uns entwickelt, als daß
-uns nicht andere und -- göttlichere Dinge zusammenführen. Mir scheint,
-eine vollkommene Liebe ist Sehnsucht nach der andern _Seele_ -- nicht nur
-Mittel zu einem Zweck der Natur.«
-
-Arne lächelte überlegen.
-
-Esther dachte: Wie nur alles Feine und Unantastbare so in die Verachtung
-der Menschen geraten kann -- nur weil es vielleicht zu lange schon ein
-mißverstandenes und mißbrauchtes Ideal gewesen sein mag? -- Und sie
-dachte weiter: alles, woran die Menschen eine Zeitlang mit ihren Gedanken
-rühren, wird so schmutzig und verbraucht, daß es ihnen zuletzt selbst zum
-Ekel und zum Wegwerfen ist. Und dann kommen ein paar Nachzügler, sammeln
-es aus der Verachtung heraus und machen es zu neuen und wieder verspotteten
-Heiligtümern. -- -- So dachte sie und vergaß wirklich dabei sich gegen das
-überlegene Lächeln zu wehren.
-
-Doch Arne begann noch einmal: »Verzeihen Sie, aber wie läßt sich eine
-›Seele‹ erkennen? Die Menschen haben edle und unedle Aufwallungen
--- ein Fazit läßt sich da kaum ziehen --, sie haben ansprechende und
-abstoßende Gesichtszüge -- und oft spiegelt ein bißchen Bleichsucht eine
-schöne Mädchenseele vor. Der Körper ist das einzige, was sich erkennen
-läßt -- und der erotische Instinkt ist von vornherein göttlich!«
-
-Esther schwieg noch immer. Der junge Mann wußte alles so genau. Er sprach
-mit einer so verblüffenden Sicherheit, die jede Gegenrede auszuschließen
-schien. -- So sagte sie nur noch ganz zögernd mehr für sich selbst als im
-Anschluß an das, was gesprochen wurde: »Ich meine, man müßte an einer
-Liebe, die nie die höchste Vereinigung erreichen kann oder doch will, zu
-Grunde gehen.«
-
-»Wir sind alle für die Einsamkeit geschaffen,« klang da die eintönige
-Stimme des alten Rude hinein.
-
-Diese Worte legten sich für den Augenblick wie eine trostverlassene
-Prophezeiung auf alle Anwesenden.
-
-Eliza blickte schutzflehend von einem zum andern.
-
-Aber da setzte die kraftfrohe, junge Stimme Arnes ein. Und er sagte so
-zuversichtlich: »Der Trost hierfür ist eben die Liebe -- die Liebe
-auf Gnade und Ungnade -- die Liebe um jeden Preis und über alle
-Unzulänglichkeiten hinaus!«
-
-Eliza lächelte ihrem Bruder zu. Sie stand mit der Zwanglosigkeit eines
-unerzogenen Kindes vom Tisch auf und ging mit ihren leichten, leichten
-Schritten hin vor einen Spiegel. Sie sah dort lange und ernsthaft sich
-selbst ins Gesicht, wandte sich dann um und sagte im Ton eines Babys:
-»Eliza bekommt Kummerfalten von euren traurigen Gesprächen!«
-
-»Eliza soll herkommen zu mir!« bat Arne.
-
-Eliza lehnte sich an seine Schulter. Da strich er ihr zärtlich über das
-Gesicht und sah sie mit guten, frohen Augen an.
-
-Diese Berührung schien das Mädchen seltsam wohlthuend und beruhigend zu
-empfinden. Es war, als ginge von seiner Hand Lebensfreude aus. --
-
-Esther dachte plötzlich, diese Hand müßte warm und trocken sein und ein
-wenig hart. In der Bewegung des Handgelenkes lag Energie und eine gewisse
-nervöse Sensitivität.
-
- * * * * *
-
-Arne war es, der neben Esther über den Kamm des Heidehügels ging. Er
-machte pompöse Handbewegungen, die rings das ganze Land einschlossen und
-philosophierte.
-
-»Es giebt eine neue Religion -- die Religion der Wissenschaft,« sagte
-er. »Die sollte man verbreiten im Volk, und der alte Aberglauben von einer
-Belohnung im Jenseits muß ihnen genommen werden. Sie müssen die Wahrheit
-verstehen lernen.
-
-Einen neuen Messias brauchen wir, der sie auf das Leben weist, der aus
-Stubenhockern Leute der Freiheit und Freude macht.«
-
-»Es könnten nicht alle die Hoffnung auf das Jenseits entbehren.«
-
-»Wollen Sie denn einen Himmel?«
-
-»Ich habe nicht von mir gesprochen.«
-
-Er fuhr fort: »Wir brauchen nicht mehr die trügerische Hoffnung.
-Wir haben die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse. Wir wissen, daß ein
-Fortleben unmöglich ist, weil das Leben nicht mehr ist, als die Wärme,
-die beim Zusammenreiben von zwei Steinen erzeugt wird. Sie entsteht und
-verflüchtigt sich. Die tote Materie bleibt zurück.«
-
-Esther dachte: Ob es nicht vielleicht in der Natur des Glückes liegt, sich
-die Ewigkeit erzwingen zu wollen -- über alle Erkenntnis hinaus? --
-
-Da sagte er: »Mich würde kein Schmerz fahnenflüchtig machen.«
-
-Sie lächelte vor sich hin. Wie war es doch gekommen, daß sie einzig
-_Glück_ als ein Gegenargument genommen hatte, sie, die doch das Glück
-nie kannte? -- Freilich, es mochte wohl meist der Schmerz sein, der die
-Menschen zwang, eine Hoffnung auf das Jenseits zu bauen -- der Schmerz,
-den sie keine Stunde tragen möchten, wenn nicht die mystische Wandlung zu
-ewiger Freude bevorstände. -- --
-
-Arne hielt ihr Schweigen für widerstandslose Einsicht. Er war sehr
-zufrieden mit dem Sieg der Wissenschaft und ein bißchen auch mit dem
-seines Geistes.
-
-Er sah sie an, folgte ihren Bewegungen, und das Gefühl seiner
-Überlegenheit steigerte nur die Freude an ihrer jungen und anmutigen
-Weiblichkeit.
-
-»Übrigens liebe ich es, wenn Frauen ein wenig Christentum haben,« sagte
-er da gönnerhaft.
-
-Sie hatte plötzlich Lust, ihn an den Ohren zu reißen und einen kleinen,
-dummen Jungen zu nennen. Sie sagte aber nur mit ironischer Demut: »Ich
-danke Ihnen im Namen aller Frauen!«
-
-Er schielte herüber, ob sie auch nicht zu sehr den Sinn seiner Worte
-verstanden habe und wurde verlegen. Er wurde so verlegen, daß es ihn nach
-einer Kraftäußerung gelüstete, und da kam ihm ein sumpfiger Kuhpfad zu
-statten, der hier den Weg überquerte.
-
-Eifrig rief er: »Sie müssen es schon erlauben!« und hob Esther auf seine
-Arme. Mit der leichten Kraft eines jungen Centauren trug er seine Last
-über den Sumpf.
-
-»Bin ich Ihnen denn nicht zu schwer?« fragte sie.
-
-Er lachte glücklich und verneinte.
-
-Sie sah nieder auf seinen jünglingshaften Hals. Sie war ihm gut -- und
-dankte ihm für etwas Unbestimmbares -- vielleicht daß so viel Jugend von
-ihm ausging.
-
-Neben einer Weide, die sich, aus einer Böschung herauswachsend, tief über
-den Weg bückte, ließ er sie wieder zu Boden gleiten.
-
-»Glaubten Sie denn, ich könnte nicht auf eignen Füßen gehen?« fragte
-sie lachend.
-
-Er errötete wie ein Knabe. »Doch -- Sie sind ein guter Kamerad,« sagte
-er.
-
-Sie wurde auf einmal ernst. »Lassen Sie mich das bleiben,« sagte sie
-frei.
-
-Er schüttelte heftig ihre dargebotene Hand.
-
- * * * * *
-
-»Heute abend geben wir ein Fest,« erklärte Arne eines Tages.
-
-»Vater mag nicht, wenn so viele Menschen kommen,« meinte Eliza.
-
-»Dummerlein! Gar keine Menschen sollen kommen! Wir geben das Fest ganz
-für uns allein.
-
-Diese Zimmer sind so ganz versunken in Traurigkeit und Langeweile -- man
-muß sie ein bißchen fröhlich machen!« -- --
-
-Nach dem Pachthof zu lag ein Wald. Die drei jungen Menschen machten sich
-auf zu einer Entdeckungsreise -- Ein Fest braucht Blumen und Kränze.
-
-Sie bahnten sich einen Weg durch Brombeerhecken und Haselnußgebüsch, sie
-gingen bis zu den Knöcheln im weichen, modernden Laub und wählten das
-Froheste unter den frohen Farben des Herbstes.
-
-Ein kleiner Hügel kam; auf dem gab es ein Rankengewirr aus
-Jelängerjelieber und Waldrebe, das schon von feinen staubweißen
-Samenperücken übersponnen war.
-
-Arne trat vor und schnitt ein paar lange Guirlanden herunter. An der einen
-saß noch ein Blütenbüschel. Er brach dieses rötliche Sträußchen und
-überreichte es Esther ganz feierlich. »Je länger -- je lieber.«
-
-Esther nahm es, drehte es zwischen den Fingern und lächelte. Sie lächelte
-und sah zwischen den Baumzweigen hindurch nach dem Himmel; der war von
-blauem Glas. -- Es roch gut nach feuchter Erde, fast wie Veilchen, und
-kräftig nach welkem Buchenlaub und Baumrinde, die schon des Nachts bereift
-gewesen. -- Beim Stillstehen fühlte sie das Blut wie heißen Wein durch
-ihren Körper rinnen.
-
-Und sie lächelte und drehte den Blütenstiel zwischen den Fingern -- ging
-ein paar Schritte -- drehte -- und ließ achtlos die Blüten fallen.
-
-Nur Eliza hatte es gesehen.
-
-Sie hob sie auf, trat hin zu Esther und fragte: »Warum thust du das?«
-
-Wie ein schmerzlicher Vorwurf klang dieses »Warum thust du das?« -- Und
-dann: »Wenn du sie nicht haben willst, gieb sie mir -- aber du darfst
-nicht fortwerfen, was er dir giebt.«
-
-Esther zog die Augenbrauen hoch, antwortete nichts und ging zur Seite.
-Eliza folgte ihr niedergeschlagen.
-
-Sie kamen auf einen Feldweg. Am Waldrand rief Arne: »Fräulein Esther!
-Eliza! Hier diesen Weg müssen wir zurück! Sie gehen falsch!«
-
-Eliza berührte mit den Fingerspitzen Esthers Arm und sagte ängstlich:
-»Er meint, wir gehen falsch!«
-
-Esther wandte ihr Gesicht, das in übermütiger Lustigkeit einen
-knabenhaften Zug erhielt, zu dem Kind und sagte: »Laß ihn nur -- er wird
-uns schon nachkommen!«
-
-»Das thut er nicht,« meinte Eliza zweifelnd.
-
-Aber da sahen sie schon wie Arne, den Kampf gegen die Ackerschollen
-aufnehmend, querfeldein herübergestiegen kam.
-
-Eliza bog den Kopf zur Seite und sah Esther sanft und verwundert an.
-
-Esther lächelte nur -- ein ganz kleines, spitzbübisches Lächeln.
-
-»Du bist anders geworden,« sagte Eliza.
-
- * * * * *
-
-Das Gartenzimmer stellte einen prächtigen Tanzsaal vor. -- Ein ganz
-besonderer Luxus war mit den hohen, dicken Wachskerzen getrieben, die
-ihr Licht so seltsam einschmeichelnd verteilen, wie eine Stimme, die von
-verborgner Liebe redet.
-
-In einer halberhellten Ecke saß der alte Rude in seinem steifen
-hochlehnigen Sessel. Er saß steif und aufrecht und glich mehr als je einem
-Gemälde der niederländischen Schule -- jenem Typ voll Charakter und fast
-einfältiger Würde, von dem man jedoch sicher ist, daß er klug zu reden
-und klug zu schweigen versteht.
-
-Eliza trug ein weißes Kleid. Sie mochte nie tanzen, saß auf einem Tisch
-und geigte. Sie machte große ernste Augen und spielte so ungewöhnlich
-leise. Ein recht eigenartiges Spiel war es: ganz ohne Kraft und Temperament
--- nur eine Tonreihe kleiner überzarter Liebkosungen.
-
-Es gab nur das eine Paar, das tanzte. -- Sie waren zusammengeheftet --
-konnten nicht aufhören.
-
-Die Lichter schwirrten -- warme Luft zog wellengleich vorüber. Esther
-fühlte sich ermatten -- so ganz weich, langsam, leise. -- Sie tanzte mit
-gelösten Gliedern.
-
-Und da war der, der sie hielt und leitete. Sie spürte seine warme,
-ruhige Kraft. -- Sie sah zu ihm auf und lächelte ein wenig unsicher. --
-Plötzlich sah sie -- rote Beeren durch den Nebel schimmern? -- Ja, es war
-dieses alte, alte Gefühl der Lust, das sie einmal überkam, wenn sie die
-roten Beeren der Eberesche durch den Nebel leuchten sah.
-
-Das Blut lief ihr mit einem heißen, schmerzhaften Ruck durch den
-Körper -- -- Rote -- Beeren -- durch den -- Nebel -- leuchten --
-
-»Ist Ihnen nicht wohl, Fräulein Esther?«
-
-»Nur ein bißchen schwindelig.«
-
-»Sie waren so blaß geworden. Setzen wir uns hier.« --
-
-»Woher haben Sie die rote Rose, die Sie mir vorhin gaben?«
-
-»Es ist die letzte Blüte von Camille de Rohan.«
-
-»Ich weiß noch, wie sie in der Sonne stand -- --«
-
-Sie waren still -- saßen nebeneinander und schwiegen. Auch Eliza hatte die
-Geige sinken lassen. Für einen Augenblick hörte man nur das Brennen der
-Kerzen wie einen leisen Atem durch den Raum.
-
-Esther dachte: Etwas kommt zu mir -- eine tiefe Angst. Ich verliere mich,
-und alles ist fremd und seltsam und bethörend -- --
-
-Sie sagte: »Ich bin müde -- möchte hinauf gehen.«
-
-Sie ging langsam durch das Zimmer und fing das Licht in ihren Augen auf,
-die vielen kleinen stolzen Flammen. Sie erhob den Kopf und war froh, und
-ein Gefühl der Macht ging ihr durch den Körper.
-
-»Gute Nacht, Herr Rude.«
-
-Der Alte hielt ein wenig ihre Hand. -- »Gute Nacht, Kind,« sagte er, gab
-aber ihre Hand noch nicht frei -- fügte dann ganz leise hinzu: »Kind --
-Kind -- Königin Esther!«
-
-Ihr erschien das nicht einmal wunderlich.
-
-Und sie beugte sich zu Eliza: »Gute Nacht, Eliza --«
-
-Das Kind bog sich leise zurück. -- »Gute Nacht.«
-
-»Du bist anders zu mir?«
-
-»Du bist es, die anders geworden ist. Ich kenne dich nicht mehr.«
-
-Esther senkte den Kopf. Das Weinen preßte ihr plötzlich die Kehle. Es war
-heute so, daß ein jedes Wort sie tief und innerlich traf und wie mit einer
-geheimnisvollen Bedeutung.
-
-Und ihr war, als schickte sie sich an zu einem Verbrechen. Scham und
-Entsetzen waren in ihr. -- Was denn? -- Aber sie that doch nichts
-Häßliches?
-
-Nur die Schwermut war es, die von ihr wich -- nur diese glücksfremde, von
-Jugend und Leben gewandte Seele schwieg endlich einmal --
-
-Es starb -- es starb in ihr. -- --
-
-Auf der Treppe traf sie noch einmal mit Arne zusammen. Er sagte nichts --
-nahm nur ihre Hände und küßte sie.
-
-Und sie ließ ihm die Hände. Gab sie ihm wie einen Trunk und schaute zu.
--- Und sie fühlte seine Liebe kommen. Und seine Liebe trat bis heran zu
-ihrem Herzen.
-
-Und es war wie ein stiller, seliger Trost in ihr: nicht mehr allein --
-endlich nicht mehr allein sein -- -- -- --
-
-Dann zog sie leise die warmgeküßten Hände zu sich.
-
-Und seine frohe, junge Stimme kam ihr noch einmal im Gutenachtgruß nach.
-
-
-
-
-V
-
-
-Am nächsten Morgen kam Esther früher als die andern Hausbewohner ins
-Eßzimmer herunter. Erst stand sie ein wenig am Fenster und sah in den
-Garten. Dort, wo sich einst Camille de Rohan in der Sonne wiegte, graste
-jetzt der Wind am welken Laub der Beete. Ja, eingedrungen war der Sturm in
-den stillen Garten und hastete suchend um das Haus.
-
-Esther blickte fremd auf die beginnende Zerstörung. Sie fühlte nur das
-Geborgensein.
-
-Dann trat sie vom Fenster zurück, ging langsam durch das Zimmer. Immer
-noch schien niemand außer ihr aufgestanden zu sein.
-
-Sie wollte aber so gern mit irgend jemand reden -- gleichgültig was und
-mit wem. So eine Unruhe war in ihr. Vielleicht war die alte Karen in der
-Küche! --
-
-Nein, auch Karen war nicht zu finden. Nur das friedliche Summen von
-kochendem Wasser ließ sich hören. Über einen Nagel am Thürpfosten war
-ein Rock Arnes zum Ausbürsten aufgehängt. Esther trat hin und strich mit
-der Hand über den Ärmel. Dann horchte sie, ob auch niemand käme. Und
-sie that noch einmal dasselbe -- wie eine scheue Liebkosung war es. Und
-plötzlich drückte sie auch ihre Stirn hinein.
-
-Dann ging sie leise und wie mit einem kindlich bösen Gewissen wieder
-hinaus. Dabei war ihr im Innersten eine stille keimende Freude.
-
-Sie kam am Postkasten vorbei, der unter dem freien Herzausschnitt der
-Hausthür angebracht war. Man hatte ihn gestern vergessen zu leeren --
-
-Sonst würde sie diesen Brief von Lydia schon einen Tag früher gelesen
-haben.
-
-Sie that ihn zögernd von einer Hand in die andere. Plötzlich kam es ihr:
-Wenn sie ihn nun gar nicht öffnete? Wenn sie so alle Verbindung mit der
-Vergangenheit abbrechen könnte? So daß ihr Leben gleichsam neu wurde und
-rein von Schmerzen -- --
-
-Aber was waren das für sinnlose Gedanken! Nein, standhalten wollte sie von
-nun an allem, was dort drüben her ihrer Sehnsucht winkte. --
-
-Sie ging in die Stube zurück und las den Brief --
-
-Lydia erzählte allerhand Kleinigkeiten aus der Heimat, ihre eigne Person
-immer nur nebensächlich berührend.
-
-Da fand sich auch eine Stelle, als Esther die las, war der ganze übrige
-Brief vergessen. Sie las noch einmal -- da war schon das alte Herzweh
-wieder eingedrungen.
-
-»-- -- ja, es ist noch das alte Glück. Ich hörte ihn zu deiner Schwester
-sagen: ›Du bist es, die für mich ist‹. Und sie antwortete: ›Und du
-für mich‹ --«
-
-Weiter kam Esther nicht. Sie mußte dasselbe immer wieder lesen.
-
-Und da stieg ein Bild des Glückes vor ihr auf -- des Glückes in seiner
-Vollkommenheit. Es war nicht mehr die Liebe zu diesem Mann, der so gesegnet
-rein und voll empfinden konnte -- Sie hätte nur seine Worte nehmen mögen,
-stehlen mögen, um sie dem andern zu schenken, den sie liebte --
-
-Sie hätte zu dem kommen mögen, den sie liebte und allen Reichtum dieser
-Worte über ihn ausschütten: »Du bist es, der für mich ist.«
-
-Aber das -- das würde ja für sie nur eine neidische Lüge sein. Denn sie
-war genügsam geworden bei einem halben Verstehen, bei einschläfernden
-Zärtlichkeiten. Sie hatte gewußt, daß sich ihr nirgends Heimat bot --
-und da nahm sie die warme Hand, die sich ihr entgegenstreckte --
-
-Ja, der Wille zu einem Götterglück war allzufrüh in ihr gebrochen -- und
-da griff sie nach einem kleinen frohgemuten Trost. -- -- --
-
-Sie hatte nicht bemerkt, daß jemand eingetreten war.
-
-Arne ging auf sie zu mit einem frohen fragenden Blick.
-
-Sie gab ihm flüchtig die Hand. Seine Augen wurden ernst und die Frage
-darin eindringlicher.
-
-Sie spürte die Verpflichtung, etwas zu sagen, fand kein Wort und wurde
-dadurch verlegen.
-
-Er bemerkte den Brief in ihrer Hand. »Sie haben Nachrichten von zu Hause,
-Fräulein Esther?«
-
-»Ja, sie schreiben -- ich werde bald reisen müssen.«
-
-»Sie wollen wieder fort, Fräulein Esther? Hier im Hause hofft man, daß
-Sie immer bleiben möchten.«
-
-»Ich bin so lange schon fort,« sagte Esther eintönig.
-
-Er antwortete gar nicht, sah sie nur mit dem traurig befremdeten Blick
-eines Hundes an, der Güte und immer nur Güte von seinem Herrn zu erwarten
-gewohnt war und sich nun getäuscht sieht. Er ging. Es war ein stummes
-Richten.
-
-Aber sie dachte nichts als: es ist gut so, denn es wäre eine Lüge
-gewesen.
-
-Doch nun würde sie auch nicht länger in diesem Hause bleiben können.
-
-Die Heimkehr stieg vor ihr auf -- nicht die Heimkehr mit den tausend Masten
-der Sehnsucht -- es würde die stille dumpfe Heimkehr des Ausgestoßenen
-vom fremden Lande sein. Und wie gegen das Schicksal gerichtet erhob sich
-bei diesem Gedanken eine flehende Abwehr in ihr. Nur nicht zurück auf den
-Ausgangspunkt ihres Leides!
-
-Eine alte Sage fiel ihr ein: Der Tod kommt zu einem Mann und spricht: »In
-dieser Nacht noch schickt mich der Herr, dich zu holen.«
-
-Und von Entsetzen und Widerstand gegen das Schicksal ergriffen, will der
-Mann dem Gebot Gottes entfliehen. Er besteigt sein schnellstes Pferd und
-jagt über das Land. Er spornt das Tier, daß es die Luft schneidet, als
-bräche ein Sturm entgegen, daß es schäumt und keucht, lange Wolkenzüge
-von aufgewirbeltem Staub hinter sich läßt im rasenden Ritt.
-
-Und wie Mitternacht kommt, ist der Mann weit im Innern der Wüste
-angelangt, wo kein andrer Mensch mehr nah und fern zu finden ist.
-
-Da läßt er das erschöpfte Tier Schritt gehen, selbst in Mattigkeit
-zusammenbrechend.
-
-Doch plötzlich -- gar nicht weit von sich -- sieht er eine dunkle Gestalt
-in wartender Ruhe. Es zieht ihn hin -- da steht der Tod.
-
-»Wahrlich des Herrn Wege sind wunderbar,« spricht der Tod. »Fast
-zweifelte ich heute an der göttlichen Allwissenheit, als der
-Herr mir befahl, dich hier an dieser Stelle der Wüste zu
-erwarten.« -- -- -- -- --
-
-»Wollen Sie mit mir eine Tour über Land gehen?« fragte später am
-Nachmittag Adam Rude.
-
-Esther war gleich bereit. Eliza und Arne saßen schon seit Stunden überm
-Schachbrett, Esther hatte ein Buch genommen, aber die gelesenen Worte
-bekamen keinen Sinn in ihren Gedanken.
-
-Nun schritt sie neben dem alten Rude über das Heideland. Er hatte ihre
-Hand durch seinen Arm gezogen, »damit Sie nicht ermüden, denn wir wollen
-weit gehen«.
-
-»Wohin gehen wir?«
-
-»Nach einem Bauernhof, drüben im Rottbüllwald. Recht merkwürdige Leute
-sitzen dort, hören Sie nur:
-
-Vor zwanzig Jahren starb der Bauer. Er hatte aber ein Testament gemacht,
-nach dem die Bäuerin den Hof verlieren sollte, wenn sie innerhalb
-zwanzig Jahren wieder heiraten würde. So sehr hatte er sich ihrer Treue
-versichert!
-
-Kaum aber ist der Mann tot, so hat die Bäuerin nichts Eiligeres zu thun,
-als ihre Gunst dem Großknecht zu schenken. Aber heiraten dürfen sie nun
-ja mal nicht, weil sie sonst den Hof verlieren. Also sie warten zwanzig
-Jahre, und jetzt im Frühling hielten sie Hochzeit.
-
-Weil aber im Laufe dieser Zeit an zwölf Kinder gekommen waren, schlug
-ihnen der Pfarrer vor, die Hochzeit doch wenigstens etwas in der Stille
-zu feiern. Das war aber nun gar nicht nach ihrem Sinn -- es mußte im
-Gegenteil eine ganz große Hochzeit sein, denn sonst, wissen Sie, wären
-die Brautleute ja um die schon lange entbehrten Hochzeitsgeschenke
-gekommen!«
-
-Esther amüsierte sich. Der Alte konnte mit so viel verstecktem Humor
-erzählen, wie sie es seiner feierlichen Art gar nicht zugetraut hatte.
-
-Aber es that ihr wohl -- gerade heute. Und sein kräftiger Schritt
-unterstützte so harmonisch den ihren. Sie schmiegte sich an ihn und sah
-zutraulich zu ihm auf.
-
-Ein herber Wind ging über die abgeernteten Felder; er trug den Geruch von
-Erde und Gras, das auf sandigem Boden wächst. Auch überreife Brombeeren
-mochten dazwischen sein.
-
-Alles ringsum war klar und einfach -- allem heißen Zweifeln der Sinne und
-der Seele fremd.
-
-Was heute früh geschehen war, klang nur noch wie ganz aus der Ferne
-herüber. Ein hohes Bild verblaßte. Eine überzärtliche Sehnsucht
-entblätterte im Nordlandswind.
-
-War hier nicht alles gesund und stark und gut? Redeten nicht alle Dinge in
-einer herzlichen und bekannten Sprache zu ihr? Wozu dann einen festen
-und treuen Gewinn des Lebens aufgeben, um sich selbst ins Ungewisse zu
-verstoßen?
-
-Wie denn? Das waren alles Worte, um einen Willen zu verkleiden. Ja, ganz
-einfach: sie wußte, daß sie sich hier nicht loszureißen vermochte -- sie
-_wollte_ hier bleiben.
-
-Wieder sah sie mit einem freudigen und zuversichtlichen Ausdruck auf den
-Menschen, der neben ihr ging. Sie wollte ihm so gern etwas Liebes sagen.
-»Erzählen Sie mir ein wenig von sich selbst,« meinte sie plötzlich.
-
-»Das kann ich so schlecht,« antwortete er. »Ich bin nicht gewohnt, von
-mir zu sprechen.«
-
-Sie glaubte, daß er nun nicht weiter reden würde, aber er fing nach einem
-gewaltigen Besinnen wieder an, und es war, als müßte er erst die Worte
-aus schlafender Versunkenheit wecken.
-
-Und dann kam eine Geschichte von Arbeit und Entbehren. Absichtslos
-erzählt, ohne zu verdecken oder zu übertreiben -- von der einfältigen
-Wahrhaftigkeit eines Menschen, der noch vor keinem Spiegel in müßige
-Selbstbeschau versunken gewesen, und der in natürlicher Vornehmheit nichts
-zu verheimlichen oder zu verschönen an sich weiß.
-
-Und in diese Geschichte der Arbeit und des Enbehrens trat eine Frau.
-Sie ging einfach und klar hindurch -- und doch wie etwas Ungeahntes und
-Überirdisches. -- Sie erschien ihm so fein, daß er sie nicht anzurühren
-wagte mit seinen rauhen Arbeitshänden. Aber sie neigte sich ihm. Doch
-immer wenn er fort von ihr war, konnte er es noch nicht glauben, daß sie
-ihm gehörte -- wirklich ihm! Und er dachte die ganze Zeit, während er
-arbeitete, an sie, und daß er sich eilen wollte, wieder zu ihr zu kommen.
-Und auf seinem Heimweg sah er sie dann, wie sie ihm entgegenkam. Sie ging
-ihm entgegen mit dem sorgenvollen Blick, der ihr eigen war. Und sein Glück
-war es dann, zu erwarten, daß sie ihn erkannte: dann sah er, wie sich ihre
-Züge zur Freude veränderten. Ja, diese Wandlung immer wieder zu sehen,
-war das köstliche Glück seiner Tage. -- Er erzählte und kam immer wieder
-darauf zurück, und dann lächelte er -- und schwieg einen Augenblick --
-und erinnerte sich.
-
-Esther ging neben ihm und nahm sein Vertrauen wie ein Heiligtum entgegen,
-denn sie verstand wohl seinen Wert.
-
-Und wie er zu Ende war, da wußte sie nichts zu sagen, blieb an einem
-Berberitzenstrauch stehen und brach sich Zweige voll der roten Beeren.
-
-Und er griff auch in die Dornen und half ihr. Aber seine Hand zitterte,
-so daß ihn die Dornen verletzten. Und er wußte nicht, daß er ihr mit
-blutenden Händen den kindlichen Schmuck überreichte.
-
-Und sie nahm den Hut herunter und krönte sich mit den Zweigen in einer
-unbewußt feierlichen Gebärde. Und die roten Beeren hingen in ihrem Haar,
-wie Blut, das unter einem Dornenkranze niedertropft.
-
- * * * * *
-
-Späte, warme Tage kamen, so daß die langverblühte Heide noch einmal
-purpurn schillerte vor lauter Sonnenlicht.
-
-Nicht weit von Eriksgaard lag ein kleiner Friedhof. Gräber mit alten,
-verwitterten Steinen, in die so wunderliche Namen eingeschnitten waren,
-gab es dort. Esther ging oft allein dorthin und las die Geschichten von
-»Jung-Svend«, von »Eike« und »Gerdine«. Sie lasen sich einfältig und
-überzeugend wie alte Märchen. Mit trocknen Wirklichkeitsworten war dort
-von der Liebe über den Tod und vom Wiedersehen im Jenseits erzählt. Man
-wußte, weder Jung-Svend, Eike oder Gerdine, noch ihre Nachredner hatten
-diese Hoffnung auch nur in den Bereich des Geheimnisvollen verlegt -- sie
-war ihnen so selbstverständlich wie das Tagewerk und das Kinderzeugen
-gewesen.
-
-Reseden gab es noch auf den Gräbern und die nachzüglerischen Rosen
-des Kirchhofs. Über die Schutzmauer aus Feldgestein hob sich nur ein
-untersetzter Nußbaum mit seinen glatten blankflimmernden Blättern.
-
-Einmal, wie Esther durch das Kirchhofspförtchen trat, fand sie Arne unter
-dem Nußbaum. Er sah verlegen aus und war bemüht, das Zusammentreffen
-als ein zufälliges hinzustellen, denn sie waren sich in einem stillen
-Übereinkommen seit jenem Morgen ausgewichen.
-
-Esther ging auf seine Bemühungen ein. Es war etwas Hilfloses über
-ihm, das sie rührte. Sie setzte sich sogar neben ihm an die
-kleine Hügelböschung unter der Steinmauer und redete ein paar
-Gleichgültigkeiten, ihn dabei ernst und freundlich ansehend.
-
-Er schien ihr ein wenig verändert in dieser letzten Zeit, wenigstens
-war seine Kleidung nicht mehr so ~dandy like~, und auch der sonst so
-wohlfrisierte Scheitel war in wirren Knabenlocken verloren gegangen. Eine
-leichte Unrast lag in seinen Bewegungen.
-
-Plötzlich begann er ganz unvermittelt und vor unterdrückter Bewegung fast
-automatenhaft redend: »Wir sprachen neulich einmal über die Möglichkeit
-eines immateriellen Fortbestehens, Fräulein Esther.
-
-Wissen Sie noch, ich leugnete das Jenseits und die Seele? -- Ich habe
-Unrecht gehabt. Ich weiß jetzt, daß ich Unrecht hatte.
-
-Es giebt eine Seele, und es giebt einen Himmel, in dem uns wird, was
-wir auf Erden entbehrt haben. Das läßt sich nicht mit Sätzen der
-Wissenschaft beweisen -- das muß man gefühlt haben.
-
-Man muß nur einen Menschen über alles lieb haben, dann will man auch mit
-ihm die Ewigkeit. Dann will man nichts von der ewigen Seligkeit, als diesen
-einen Menschen -- dann glaubt man an das Jenseits und die ewige Vereinigung
-der Seelen -- trotz aller Erkenntnisse der Wissenschaft.«
-
-Er schwieg und sah sie erwartungsvoll an. Doch als sie nichts sagte,
-nur den Kopf tiefer senkte, fragte er wie mit zugeschnürter Stimme:
-»Fräulein Esther, wollten Sie keinen Himmel?«
-
-Sie sah ihn nicht an, antwortete nur still vor sich hin: »Menschen wie ich
-bin, wollen keinen Himmel. Es ist ihnen kein Verzichten auf Erkenntnis --
-es giebt ja zu viele unerklärliche Dinge, an die sie glauben, als daß
-nicht auch der Traum von einem Jenseits zur Wirklichkeit werden könnte.
--- Wir wollen nur keinen Himmel, weil wir dort drüben nicht zu leben
-verstünden. Denn wir sind nicht zur Freude geschaffen -- wir würden den
-Kampf entbehren -- und den Schmerz -- und die Einsamkeit. Denn das alles
-haben wir lieben gelernt, als uns die Erde nichts anderes zu bieten hatte.
-
-Wir können nie mehr in der Freude zu Hause sein.«
-
-Und wieder war es still zwischen ihnen, bis auf das heimliche, bebende
-Leben über den Gräbern. Ein leichter Wind rührte die Blätter des
-Nußbaums. Das war wie ein Aufseufzen der Toten, die Rede begehrten.
-
-Doch zwischen den Lebenden blieb das Schweigen. Nur war es Esther
-plötzlich, als würde sie weit fortgetragen -- weit, durch ein
-stürmisches, sonniges Land. Felsen sah sie ragen und rote, heiße Blumen
-an Abhängen blühen. Und das wilde Lied des Lebens klang um sie. --
-
-Sie sah auf und in ein bleiches, vor Erregung verzerrtes Gesicht.
-
-»Esther! Esther! Sie wissen, was ich sagen will -- Esther, deine Seele
-will ich -- --«
-
-Sie sah ihn starr und wie ganz aus der Ferne an. »Meine Seele?« sagte
-sie, und langsam gingen Thränen aus ihren Augen. Sie vergaß in diesem
-Augenblick den Menschen neben sich.
-
-Doch der sprach weiter: »Esther, ich glaubte zu wissen -- ja, Sie haben es
-mir gezeigt, daß ich Ihnen nicht gleichgültig bin -- Esther -- --«
-
-Sie sah plötzlich wieder sein gequältes Gesicht über sich -- und da
-legte sie ganz leise den Arm um seinen Hals und sagte: »Ja, ich habe dich
-lieb.«
-
-Und sie küßten einen leisen, zitternden Kuß.
-
-Und keines von ihnen wiederholte die Zärtlichkeit. Schweigend gingen sie
-nebeneinander zurück über die Heide, die purpurn schillerte vor lauter
-Sonnenlicht.
-
-
-
-
-VI
-
-
-Purpurn schillerte die Heide vor lauter Sonnenlicht.
-
-Sie gingen nicht mehr zusammen auf den kleinen Kirchhof -- sie suchten
-alles auf, was froh und leuchtend war.
-
-Wie die Kinder gingen sie miteinander Hand in Hand. Und sie machten
-Entdeckungen in der altgewohnten Umgebung, ihre Blicke waren so sonderbar
-für alle Außenwelt geschärft, und sie fanden auf einmal wundersam
-schön, was sie früher gar nicht beachtet hatten.
-
-In den Wald kamen sie am oftesten. Es gab da so viel Buschholz, daß man
-sich schon verirren konnte, oder sich doch auf Augenblicke der aufregenden
-Vorstellung hingeben, man wüßte nicht mehr den Heimweg zu finden, und
-wenn auch das einmal nicht möglich war, so konnte man wenigstens dem
-andern diese Möglichkeit vortäuschen.
-
-Esther gab sich in dieser Zeit ganz der Gegenwart hin.
-
-Eine übermütige Knabenlust, ihre Körperkräfte zu erproben, überfiel
-sie manchmal. Dann forderte sie Arne zum Ringkampf heraus und sie balgten
-sich miteinander wie Gassenbuben.
-
-Dann lagen sie wieder ausgetobt und beschaulich geworden am Waldsaum.
-
-»Ach wenn ich doch lieber ein Mann wäre!« seufzte Esther.
-
-»Dann wärst du kaum erst mit dem Gymnasium fertig -- ein Student in den
-ersten Semestern!«
-
-»Ja, das ist wahr: man kommt sich als Frau älter vor.
-
-Eine Zeitlang war ich ganz alt. Nun ist es aber wieder, als sollte
-alles erst anfangen -- fast als ob ich noch nicht mitrechnete unter den
-›Erwachsenen‹.
-
-Weißt du noch, wie man als Kind die Erwachsenen sieht: so unendlich weise
-und interessant und eingeweiht in die Geheimnisse des Lebens.
-
-Und man denkt daran, wie an eine ferne bevorstehende Ehrung, daß man auch
-einmal zu ihnen gehören wird.«
-
-Er sah sie an mit seinem strahlenden, frohgemuten Blick. »Mir ist es nun
-doch lieber, du bist eine Frau und kein Mann,« sagte er mit recht viel
-Überzeugung.
-
-Sie wurde nachdenklich. »Hast du noch nie eine Frau vor mir geliebt?«
-fragte sie ernst.
-
-»Nie,« sagte er. »Und wenn ich es wagte zu dir zu kommen, so ist es nur,
-weil du die erste bist.«
-
-Da beugte sie sich nieder und küßte seine Hand.
-
- * * * * *
-
-Adam Rude hatte wieder seine Tage, wo er in »böser Laune« umherging.
-
-Des Vaters »böse Laune« war ein nahezu geheiligter Zustand. Keinem fiel
-es ein, nach ihrer Ursache zu fragen -- man nahm einfach die Thatsache hin,
-beugte sich darunter wie unter das Schicksal.
-
-Mit finsterem Gesicht wanderte Adam Rude durch das Haus. Den größten Teil
-des Tages schloß er sich in dem Zimmer ein, wo das Bild seiner Frau hing
--- gleich einem Priester, der sein Leben im Marienkult verzehrt.
-
-Auch zu der Verlobung seines Sohnes mit Esther hatte er erst kein Wort
-geäußert. Kaum wußte man, ob er wirklich verstanden hatte, bis er
-plötzlich bei Tisch auf eine zugleich feierliche und finstere Art den
-beiden zutrank.
-
-»-- und dann ist es jetzt wohl an der Zeit,« fuhr er fort, »daß man
-auch mich nicht mehr ausschließt, wenn alle sich du nennen.«
-
-Er blickte zürnend um sich. Esther hatte im ersten Augenblick diese
-wunderliche Ausdrucksweise nicht verstanden, bis Arne über den Tisch rief:
-
-»Der Vater möchte dich du nennen, Esther!«
-
-Esther errötete. Sie sah Adam Rudes Blicke so unbegreiflich zornig und
-schmerzlich auf sich gerichtet, wurde davon ganz verwirrt und wußte keine
-Antwort. Sie hob nur in schweigender Erwiderung ihr Glas gegen ihn.
-
-Eine quälende Stille wurde nur ab und zu durch Arnes ungedämmte
-Fröhlichkeit unterbrochen. Eliza duckte sich ganz verstört zusammen wie
-ein Vogel im Gewitter.
-
-Nach Tisch ging Esther dem Alten nach. Sie sagte: »Sie sollen mir nicht
-böse sein, ich wollte ja so gern, daß Sie mich Du nennen -- aber ich habe
-es lieber, wenn ich zu Ihnen Sie sagen darf.«
-
-Vielleicht sah sie recht hilflos aus mit ihrer Bitte. Auf jeden Fall war
-etwas in ihrer Art, das seine Ritterlichkeit hervorrief.
-
-Er sagte: »Wie du willst, Kind -- wie du willst.«
-
-Und als sie nicht gleich wieder ging, beugte er sich mit einem seltsamen
-Ausdruck von Güte und Wehmut über sie und berührte mit den Lippen ihre
-Schläfe. -- Dann sagte er: »Wie du es willst, so wird es gut sein.«
-
-Danach aber versank er wieder in seine »böse Laune«.
-
- * * * * *
-
-Sie saßen allein zusammen in der Abenddämmerung und machten
-Zukunftspläne.
-
-Fast vergaßen sie die Gegenwart über den Gedanken an das Kommende. Esther
-sagte: »Du mußt erzählen, wie es dann sein wird.«
-
-»Dann« war nach der Hochzeit.
-
-Sie wollte immer hören, wie es »dann« wäre -- sie hatte eine feste und
-gläubige Zuversicht in dieses zukünftige Ereignis gefaßt, als ob damit
-durch eine magische Gewalt die letzten zögernden Vergangenheitszweifel
-vernichtet werden müßten.
-
-Ja, sie wollte ihm gehören -- sich ihm so mit allem Willen hingeben, daß
-einmal jenes letzte, seligste Wort auch zwischen ihnen zur Wahrheit werden
-könnte. -- -- -- --
-
-»Du mußt erzählen, wie es dann sein wird!«
-
-Er hatte die Hände in die Hosentaschen versenkt und lehnte sich zu ihr
-hinüber, so daß sie sein Haar roch, aus dem irgend ein künstlicher
-Wohlgeruch stieg. Er senkte die Stimme zu einem Flüstern, das Esther ein
-wenig affektiert klang, und erzählte die Geschichte mit den Worten, wie
-er sie jedesmal begann: »Am Abend kommen wir in Kopenhagen an -- und am
-andern Morgen zeige ich dir die Stadt.«
-
-Sie verspürte so eine unwiderstehliche Lust, über ihn zu lachen.
-Durch die Dämmerung sah sie aber, daß er jenen aus Zufriedenheit und
-Sentimentalität gemischten Ausdruck hatte, den zu unterbrechen man nicht
-leicht einem Menschen gegenüber genug Grausamkeit aufbringt.
-
-Sie bemühte sich also ernst zu bleiben, während er, an ihre Schulter
-gelehnt, lispelnd und mit gefühlvoller Betonung ein gefühlvolles Glück
-unter den Sensationen der Großstadt beschrieb.
-
-Nein, sie konnte es nicht mehr aushalten, ohne zu lachen! Sie griff irgend
-einen kleinen motivierenden Einfall auf, lachte und sagte: »Weißt du
-noch, Arne, was für kluge Dinge in deiner Novelle standen, die du mir
-neulich zeigtest?«
-
-»Welche?« fragte er unwillig über die Unterbrechung.
-
-»Sie hieß ›Moderne Frauen‹. Und die moderne Frau -- sie trug einen
-›~high life~-Gürtel‹, weil die Novelle im Jahre 95 geschrieben war
--- war so ungehalten über die ungesellschaftliche Pose, in der sie
-ihren Ehemann überraschte -- ich glaube, er saß rittlings über einer
-Stuhllehne --, daß sie sich von ihm scheiden ließ.«
-
-Er fuhr aus seiner nachlässigen Haltung auf und setzte sich kerzengerade.
-»Unsinn! Das hast du ganz falsch verstanden!« berichtigte er scharf.
-»Deshalb war es doch nicht, daß sie sich scheiden ließ!«
-
-»Ich dachte!« meinte Esther und trat leise vor sich hinsummend zum
-Fenster.
-
-Er ging ihr nach, und nun sah sie im hellen Mondlicht, daß er ein überaus
-beleidigtes Gesicht machte. Ja doch -- sie hatte ja seine Dichterwürde
-gekränkt!
-
-Wenn sie doch nur dieses dumme Lachen überwinden könnte! -- Sie sah ja,
-wie es ihn immer mehr reizte.
-
-Sie trug einen weißen Shawl; den schlang sie jetzt in nervöser Hast bald
-um die Schultern, bald um den Kopf. Das Heliotrop im Fenster roch stark zu
-ihnen herauf. Dicht vor ihr war das helle, nun durch den Zorn ein wenig ins
-Antike veredelte Gesicht Arnes.
-
-Fortwährend wurde sie von dem Gedanken gepeinigt, er werde nun gleich in
-Worte des Vorwurfs ausbrechen -- sein Schweigen begann sie schon zu quälen
--- aber trotzdem zwang diese Erregtheit sie, immer weiter zu lächeln.
-
-Sie zog den Shawl wieder über die Augen, so daß nur noch ihr lachender
-Mund im Mondlicht stand. Und da -- fühlte sie plötzlich seine schweren
-und heißen Lippen auf ihrem Mund -- fühlte sie ganz unerwartet und
-wie eine unerhörte Beleidigung seinen Kuß. Und er ließ sie nicht los,
-preßte seine Zähne nur fester gegen ihre Lippen, so daß sie aufstöhnte
-vor Schmerz und Empörung.
-
-Und sie riß sich los und lief in ihr Zimmer. Dort fing sie an sich zu
-waschen -- wusch sich immer wieder den Mund -- rieb und wusch, als wäre
-der Kuß eine äußerliche Verunreinigung gewesen.
-
- * * * * *
-
-Am andern Morgen begegneten sie sich mit einer zornigen Scheu. Esther
-versuchte anfänglich den Vorgang des letzten Abends zu ignorieren und ging
-mit ihm, wie sie sonst immer gethan, den alten Weg über die Heide nach dem
-Walde zu.
-
-Aber sie fanden kein zusammenführendes Wort -- gingen nur immer schneller,
-wie hastend nach einem rätselhaften Ziel.
-
-Da, wo Wald und Heide sich scheiden, ruhten sie nach alter Gewohnheit.
-
-Vielleicht suchte er nach einem versöhnenden Wort -- vielleicht sie --
-
-Aber beide vermochten sie das Schweigen nicht mehr zu entwirren, und wie
-von einem dumpfen Schicksalszwang getrieben warf er sich über sie und
-drückte ihren Kopf nieder in das Heidekraut und seine Lippen wühlten an
-ihrem Mund.
-
-Und da kam es, daß sie seine Küsse erwiderte, und ihr Körper zitterte
-unter ihm. --
-
-Und dann lösten sie sich langsam und sahen mit bethörten Augen weit, weit
-hinaus, wo sich die Heide vor ihnen hinstreckte -- purpurn schillernd vor
-lauter Sonnenlicht --
-
-Gleich dem lockenden Bild der Leidenschaft.
-
-
-
-
-VII
-
-
-Graue Tage kamen. Über der Heide hob und senkte sich der Nebel wie
-Atemzüge.
-
-Arne legte seinen Arm um Elizas Schulter und sah ihr in das kleine blasse
-Gesicht. »Was fehlt unserm Kleinsten?« fragte er zärtlich.
-
-»Es geht umher und friert.« Das Kind lächelte müde zu seinen Worten.
-
-»O nein, frieren lassen wir es doch nicht!« meinte Arne. »Wir wollen uns
-einmal recht amüsieren, daß wir die häßlichen Regentage ganz unvermerkt
-überspringen; dann wird dir auch schon wieder schön warm werden.«
-
-»Was wollen wir denn thun?« fragte Eliza zweifelnd.
-
-»Nun -- spielen wir vielleicht Theater? Wir bitten die Bewohner von Villa
-Marina dazu und spielen ein nettes, lustiges Stück.«
-
-Eliza war wie umgewandelt. »Ja! ja! Theater spielen wir!« rief sie und
-schlenkerte vergnügt mit den Armen durch die Luft.
-
-»Sind Ihrer Majestät, der Königin Esther, unsre Pläne angenehm?«
-wandte sich nun Arne zu Esther. Seine Augen leuchteten immer so zärtlich,
-wenn er mit ihr sprach.
-
-Ja, Ihre Majestät genehmigte den Vorschlag, und nun schleppte man alles
-herbei, was das Haus an dramatischer Litteratur bergen mochte.
-
-Vor allem mußte der gute alte Holberg herhalten, dem sein
-unvergleichlicher Humor nun einmal die ewige Jugend verliehen hat. Die
-große Schwierigkeit blieb nur, daß kein Stück die gebührenden Rollen
-für die Bewohner beider Häuser vereinigte. Man verfügte zwar recht
-kategorisch über die Abwesenden, kam aber doch zu keinem befriedigenden
-Beschluß.
-
-»Wenn wir nun ein paar Akte aus einem modernen Drama spielten und danach
-eine kürzere Holberg-Komödie?« meinte Esther endlich.
-
-Ja, so ging es.
-
-Man wählte ein Stück aus Hedda Gabler, das sich ganz gut außer
-Zusammenhang spielen läßt, und danach Holbergs »Der verwandelte
-Bräutigam«.
-
-»Ich bin Pernille!« bestimmte Eliza eifrig. Die andern mochten ihretwegen
-sehen, wie sie auskamen. Eliza begann im kokettesten Kammerzofenschritt
-umherzuwandeln, schon jetzt ihre Rolle vorkostend.
-
-»Aber wer ist Hedda Gabler?« meinte Esther nachdenklich.
-
-»Die bist du -- und er ist Ejlert Lövborg, der Dichter, natürlich!«
-erklärte Eliza.
-
-»O nein, dann bin ich schon lieber dein Tesmann, Frau Hedda -- du sollst
-mir auch im Spiel mit keinem andern verheiratet sein!«
-
-Eliza sagte: »Aber Ejlert ist doch er, den sie liebt!«
-
-»Aber Tesmann ist es, der sie hat,« entschied Arne selbstzufrieden.
-
-Esther dachte: geht denn auf einmal alles im Gleichnis?
-
-»Ich mag nicht Hedda Gabler sein!« sagte sie plötzlich.
-
-»Aber Esther! liebe, kluge Esther, verdirb es uns jetzt nicht!« bat
-Eliza.
-
-»Nun -- wenn Ihr es denn wollt -- --«
-
- * * * * *
-
-Mit dem Spiel kam Leben und Heiterkeit nach Eriksgaard.
-
-Da waren die vielen Proben, die wechselseitig in den beiden Häusern
-abgehalten wurden. Man spielte flüchtig die beiden Stücke durch, denn es
-war doch gewiß nicht nötig, daß sie schon so bald in untadeliger Glätte
-gingen und diesen angenehmen Zusammenkünften durch die Aufführung ein
-Ziel gesetzt wurde. Und nach den Proben kam erst noch die eigentliche
-Unterhaltung.
-
-Das weite Zimmer mit dem Spinett wurde zum Tanzsaal. Da klangen nun
-nicht mehr die alten sehnsüchtigen Liebeslieder unter verträumten
-Mädchenhänden -- Es war jetzt das Fräulein Luise, die junge wohlerzogene
-Dame, die ihre gut eingeübten Walzer der tanzlustigen Gesellschaft zum
-besten gab.
-
-Und spät in der Nacht dann fuhr man heim. In diesen kalten
-Spätherbstnächten, wo man die Sterne zucken sieht, so kalt ist es, und
-wo der Atemdampf des Pferdes den ganzen Wagen einhüllt, und wo die Töne
-scharf klingen und kurz abbrechen. -- --
-
-Ja doch -- man spielte »Hedda Gabler.«
-
-Da gab es einen neuen Gast bei Bergsös, das Fräulein Thora Ingermann.
-Zart und zierlich war sie und trug eine hellgelbe Lockenmähne -- darunter
-ein keckes freundliches Gesicht. Sie war wie geschaffen für die Rolle der
-Frau Elvsted.
-
-Und dann führten sie diese Scene auf, in der Hedda, die den Mann ihrer
-Liebe verloren hat, zusieht, wie sich ein leises, noch so harmloses
-Verständnis zwischen dieser kleinen harmlosen Frau und dem ehrbaren,
-allerharmlosesten Tesmann anspinnt. Wie auch der, dem sie die Treue eines
-Lebens geben wollte, ihren Händen entgleitet. -- -- -- --
-
-Fräulein Thora Ingermann war verlobt. Sie hatte eine Menge Bilder ihres
-Verlobten mit. Er war ein Seeoffizier mit prächtigem Schnurrbart.
-
-»Tesmann! Sehen Sie, ist er nicht einzig? Haben Sie schon je einen so
-schönen Mann gesehen?«
-
-Tesmann-Arne betrachtete das Bild und stimmte freundlich, wenn auch
-vielleicht nicht aus überzeugtem Herzen, zu.
-
-Das Fräulein machte ein schmachtendes Gesicht und sah Arne verführerisch
-an. »Ich liebe ihn so!« sagte sie. »Sie können es nicht begreifen, wie
-ich ihn liebe!« -- --
-
-Auf dem Rückweg meinte Arne zu Esther: »Ist es nicht ein liebes kleines
-Ding, der neue Besuch bei Bergsös? Sie hat so eine schöne rührende Liebe
-für ihren Verlobten.«
-
-»Ja, es ist rührend,« sagte Esther.
-
- * * * * *
-
-Arne suchte zwischen seinen Manuskripten. Sie lagen schön geordnet in
-einer geschnitzten Eichentruhe und waren stoßweise mit goldenen Schnüren
-umwickelt.
-
-Er war sehr eifrig. -- »Esther, was rätst du mir Fräulein Thora zu
-geben?«
-
-»Gieb ihr doch dein letztes Buch.«
-
-»Das will sie eben nicht. Sie sagt, sie möchte etwas Handschriftliches
-von mir lesen. Da wühle ich nun immerzu in meinen Sachen und weiß
-wirklich nichts Passendes zu finden!«
-
-»So schreibe ihr etwas Passendes.«
-
-»Ja, meinst du, daß ich das kann?«
-
-»Warum nicht, wenn du es willst?«
-
-Arne besann sich. »Ich werde etwas über sie und ihren Verlobten
-schreiben,« sagte er endlich.
-
-»Thu das, lieber Arne.«
-
-Arne zog sich für ein paar Stunden zurück. Dann kam er erhitzt und
-triumphierend mit einem kleinen Manuskript herein, das bereits recht sauber
-mit einer Goldschnur geheftet war.
-
-Esther las:
-
- »Im Frühsommer.
-
- »Eine ganze Bucht von Heckenrosen hängt über den Rand des Hohlweges,
- bauscht sich in blühender Fülle und wölbt lange, geschmeidige
- Zweige von einer Wand hinüber zur andern -- ganz, als sei für den
- einziehenden Sommer ein Triumphbogen errichtet. -- Und so zahllos sind
- die Blüten -- sie wetteifern mit dem Abendhimmel, wer das köstlichste
- Rot aufweisen kann.
-
- »Aber da, wo der Sommer einziehen sollte, kommt jetzt ein junges
- Menschenpaar. Wie im Traum gehen sie beide, und er hat ganz zaghaft den
- Arm um ihre Schulter gelegt. So leise berührt er sie, daß bei jedem
- Schritt seine Hand ein wenig zittert -- denn sie haben sich ja eben zum
- erstenmal von Liebe gesprochen. Nun wissen sie plötzlich nichts mehr
- zu reden. Es ist, als ob ringsum alles Stimmen bekommen hätte: Von
- den Rosen tönt eine ganz leise, feine, süße Melodie, und das Gras zu
- ihren Füßen seufzt -- nur die Luft im Hohlweg hält den Atem an und
- staut sich in dichten, berauschenden Duftwolken.
-
- »Und jeder Schritt, den sie vorwärts thun, führt tiefer -- tiefer in
- diese seltsame Märchenwelt hinein.
-
- »Nun kommt das Ende der Rosenhecke, schon sehen sie das Korn, welches
- dahinter steht, in blausilbernem Schimmer hindurchblinken -- und
- dazwischen die feurigen Mohnen. -- Ein leichtes Zurückschauern
- durchbebt das Mädchen -- --: der brennend, brennend rote
- Mohn -- -- --
-
- »Dann gehen sie ruhig weiter -- zwischen dem sommerduftenden Korn mit
- den heißroten Blumen -- immer noch schweigend -- nur seine Hand hat
- sich fester um ihre Schulter gelegt.«
-
-Esther gab es ihm zurück. -- »Ich dachte, du wolltest von Fräulein Thora
-und ihrem Verlobten schreiben?«
-
-Er lächelte verlegen. »Ja, aber von dem Verlobten weiß ich doch nichts
-Genaues -- so habe ich nur an Fräulein Thora gedacht -- und wie sie wohl
-sein könnte, wenn ein Mann sie liebt.
-
-Und dann ist nur so ganz im allgemeinen ein Bild der Liebe daraus geworden.
-
-Aber wie gefällt es dir?«
-
-Er sah mit herausfordernder Selbstgefälligkeit um sich. Sie hatte ihm
-sagen wollen, es sei das beste, was sie von ihm kannte. Zum erstenmal war
-er ihr seelisch nähergetreten durch seine Kunst -- fast als ob er mit
-ihren Worten spräche -- Nun war sie plötzlich unfähig, das verlangte Lob
-zu geben.
-
-»Es wird Fräulein Thora schon gefallen,« sagte sie nur.
-
-Er runzelte die Stirn: »Aber dein Urteil, Esther -- hast du auch daran
-wieder etwas auszusetzen?«
-
-»Du meinst, ob ich es fehlerlos finde?«
-
-»Nun?« Er sah sie mit der spöttischen Überlegenheit eines
-Handlungsgehilfen an.
-
-Sie hielt eine heftige Antwort zurück und gab dafür nur eine kühle
-Verstandeskritik.
-
-»Es stört mich nur eine Kleinigkeit -- das ist diese Zusammenstellung von
-Mohn und Heckenrosen, die in Wirklichkeit recht schlimm aussehen würde.«
-
-Arne wurde immer gereizter. »Du verstehst mich nicht. Ich brauche
-Heckenrosen und Mohn ja nur als Allegorie für die zarte Brautliebe und die
-Ahnung künftiger Leidenschaft.«
-
-»Ich weiß wohl -- aber ich meine, daß man auch beim Schreiben ein wenig
-die malerische Wirkung beachten müßte -- das heißt, wenn man Bilder
-gebraucht, muß man sie sich so vergegenwärtigen, daß man die Wirkung
-voll beurteilen kann.«
-
-Er antwortete nicht gleich, stand erst eine Weile mit gesenktem Kopf und
-klimperte nervös an seiner Uhrkette.
-
-»Es ist eben nur das eine, daß dir schon im vorhinein nichts gefällt,
-was ich arbeite,« sagte er dann mißmutig und verließ das Zimmer.
-
-Eliza hatte dem Gespräch schweigend zugehört. -- »War es denn so
-schlecht, was er geschrieben hatte?« fragte sie.
-
-»Nein -- es war gut.«
-
-»Und warum sagtest du ihm davon kein Wort?«
-
-Esther schwieg.
-
-»Du solltest ihm ein wenig Anerkennung geben. Er braucht das, glaube
-ich.«
-
-Esther antwortete wieder nicht. Sie wußte es ja -- er brauchte das. Er
-brauchte Bewunderung oder -- Nachsicht. Doch immer _Lob_.
-
-Sie sahen einander an, und ihre Augen hielten und verstanden sich.
-
-Esther dachte: Woher weißt du es nur -- weiß ich es denn schon selbst?
-Muß ich mich nicht schämen, daß du es weißt?
-
-Und plötzlich stand Eliza auf, hängte sich Esther um den Hals und weinte.
-Ganz stumm -- bis die Dämmerung sank.
-
-»Kommst du wieder zu mir, mein Liebling?« fragte Esther leise.
-
-Das Kind sagte: »Ja, weil du wieder traurig bist.«
-
-»Hast du mich denn nur lieb, wenn ich traurig bin?«
-
-»Ich weiß nicht --
-
-Ich verstehe alles Traurige --«
-
- * * * * *
-
-Arne kam herein -- jung, strahlend, liebenswürdig.
-
-»Seid Ihr denn schon zurück?« fragte Esther.
-
-»Ja; zu schade, daß du zu dieser Probe nicht mitfahren konntest! -- Aber
-wie geht es deinem Kopfschmerz?«
-
-Esther lächelte ein wenig müde. »Komm, setze dich zu mir und erzähle,
-wie es war.«
-
-»O, so lustig sind wir gewesen! Bis es Fräulein Luise zu viel wurde.
-Findest du nicht, daß sie ein bißchen altjüngferlich ist? Vor der Zeit
--- so ein klein wenig?«
-
-»Das habe ich nie gefunden.«
-
-»Na -- ja -- freilich. Ich mag nun die Leute nicht, die keinen kleinen
-Scherz vertragen können.
-
-Da ist Fräulein Thora ganz anders. Temperament hat sie -- das reine
-Zigeunerblut -- und ist doch zart und fein und rührend, wie ein kleines
-Kind!«
-
-»Hat sie wieder von ihrem Verlobten erzählt?«
-
-»Diesmal nicht. Wir machten nur lauter Tollheiten. Zuletzt war sie so
-müde davon, daß sie neben mir saß und beinahe schlief. Fast wäre sie
-gegen meine Schulter gesunken und eingeschlafen!«
-
-»Was sagte sie denn zu deinem Manuskript?«
-
-»Sie fand es schön. Sie sagte nicht viel, aber ich sah es an ihrem
-Gesicht.
-
-Aber etwas anderes hat sie gesagt. Wir sprachen von meinen andern Sachen,
-und sie hat alles gelesen. Und da sagte sie: ›Ich bin gewiß ein
-schlechter Kritiker -- aber mir gefällt alles so unmäßig, was Sie
-schreiben‹.«
-
-Er saß eine Weile ganz ruhig und sah vor sich hin. Dann redete er
-plötzlich wie aus einem Traum, und seine Stimme hatte einen gebrochenen
-Ton. »Ist das nicht das Zeichen, daß sie mich ganz verstanden hat,«
-sagte er, »daß sie es ist, die mich so ganz versteht --«
-
-Esther erhob sich und trat dicht zu ihm hin. In ihr war eine
-eigentümliche, fast unpersönliche Liebe.
-
-»Du mußt zu ihr gehen,« sagte sie. »Ihr gehört zusammen.«
-
-Er sah sie an. Es war, als könnte er nicht verstehen, als fühlte er nur
-hinter einem Verstehen das Entsetzen dämmern.
-
-»Was -- was sagst du da?
-
-Ja, ist es denn, daß du mich nicht mehr willst? Schickst du mich denn
-fort?«
-
-Und plötzlich kniete er vor ihr, und seine Arme schlangen sich zuckend um
-ihren Körper. »Geh nicht fort von mir! Geh nicht! -- Ich kann nicht ohne
-dich leben!«
-
-Sie war ganz ratlos. Alles schien ihr plötzlich unverständlich. Sie
-fühlte nur immer seine Küsse auf ihren Händen -- und dann auf dem
-Mund --
-
-Und unter diesen Küssen wurde sie so seltsam kühl und
-gleichgültig. -- --
-
- * * * * *
-
-Die Aufführung war überstanden. Man hatte auch getanzt und Bowle
-getrunken, bis die allgemeine Stimmung ihren Höhepunkt erreichte. Jeder
-beschäftigte sich nun nur noch mit sich selbst, und wenn es hoch kam, mit
-seinem Nachbar.
-
-Herr Nyblom aus Hönegaard stand neben Esther in der Fensternische.
-
-»Ihre fremdartige Aussprache paßte so gut für die Rolle der Hedda,«
-sagte er. »Sie haben sie noch anziehender und eigenartiger dadurch
-gemacht, gnädiges Fräulein.
-
-Überhaupt liebe ich so den deutschen Accent und alles Ausländische. Sie
-sind viel feuriger dort unten im Süden, als wie hier oben.
-
-Ho! Sie haben Feuer für Blut -- Wir sind Fische dagegen!
-
-Aber ich bin auch einmal in Deutschland gewesen -- bis hinunter nach
-Heidelberg. Meine Frau und ich, wir haben unsre Hochzeitsreise dorthin
-gemacht.
-
-Und die Studenten gaben gerade ein Fest -- mit Pechfackeln zogen sie
-vorbei -- und da schielten sie nun immer herüber zu meiner Frau --
-hahaha! -- --«
-
-Esther bemerkte, daß die Geschichte von Herrn Nybloms Hochzeitsreise nach
-Heidelberg sich auch ohne nachhelfende Antworten abzuwickeln vermochte und
-wandte ihre Aufmerksamkeit mehr der übrigen Gesellschaft zu.
-
-Nicht weit entfernt saß Arne neben Fräulein Thora auf einem Ecksofa.
-Sie hatten traurige Gesichter und schwiegen beide. Aber ihre Augen hingen
-ineinander.
-
-Dann sagte Fräulein Thora: »Ja, das ist es wohl -- es ist nun wohl das
-letzte Mal. Wir werden uns nie wiedersehn.«
-
-»Wir werden uns nie wiedersehn,« sprach Arne wie mechanisch nach und
-senkte seinen hellen Lockenkopf.
-
-»Ich hätte Ihnen noch etwas zu sagen,« fing Fräulein Thora wieder an,
-»wenn wir nur in andern Verhältnissen wären --
-
-O Gott! Ich werde selbst nicht aus mir klug -- es ist alles so
-wunderlich -- --!«
-
-Arne nickte stumm und sah mit einem demütig-sehnsüchtigen Ausdruck zu
-Fräulein Thora auf -- mit diesem rührenden Blick eines treuen Hundes, den
-Esther so wohl an ihm kannte. --
-
-»Ist das nicht komisch?!« hörte Esther Herrn Nybloms amüsierte Stimme
-neben sich. Und gleich darauf wiederholte er: »Gnädiges Fräulein, finden
-Sie das nicht auch recht toll?«
-
-»Ja, es ist toll,« sagte Esther und wandte sich langsam nach dem Fenster
-um.
-
-Und drüben lag das Meer -- weit und schwerdunkel -- nur nach den Ufern zu
-schäumten die Wellen weiß auf im Mondlicht.
-
-Lange stand sie so und sah hinaus, und als sie die Augen wieder
-zurückwandte, war alles so klein und vergänglich um sie her geworden, wie
-ein kurzes Komödienspiel. -- Und sie sah auf diese Menschen mit denen sie
-lebte -- und alles war fremd und ferngerückt. -- Und sie fühlte ihr Herz
-leer -- aber weit vor Sehnsucht zum Unbekannten. -- --
-
-
-
-
-VIII
-
-
-Und sie sprach noch einmal mit Arne.
-
-Sie sagte: »Zwischen uns ist ein Mißverständnis, Arne, wollen wir es
-nicht fortthun?
-
-Wir waren bestimmt Kameraden zu sein -- gute Kameraden, die einer am Leben
-des andern teilnehmen, aber nicht das Leben teilen. Wir haben uns geirrt.«
-
-Arne sah finster zu ihr auf. »Was willst du mir denn sagen -- mit deinen
-schöngewählten Worten -- du?«
-
-Das Blut stieg ihr heiß ins Gesicht. Er hatte sie so getroffen mit seiner
-verborgenen Anklage: sie wählte die Worte, weil sie nichts mehr fühlte.
-
-Sie sah ihn hilflos an und wartete, ob er noch sprechen wollte -- aber er
-schwieg.
-
-Zwischen beide drängte sich wie entschleiernd das helle, kalte Licht des
-Vormittags. Esther konnte jeden Zug seines Gesichtes deutlich unterscheiden
--- und er wurde ihr immer fremder. Zuletzt sah sie nur noch die malerische
-Wirkung der Linien.
-
-»Ich habe es ja gesehen -- gestern abend --« sagte sie endlich nur unter
-dem Gefühl, daß eine Antwort von ihr erwartet würde. Ihre Stimme war
-fast tonlos.
-
-»Was hast du gesehen?
-
-Du hast gesehen, daß mir jemand Kamerad und Freund wurde, weil du es nicht
-sein wolltest. Weil du mir nichts gegeben hast von deiner Seele -- und für
-meine kein Verstehen.
-
-Und trotz alledem ist mir noch jetzt ein gutes Wort von dir lieber, als die
-ganze Seele jeder andern Frau --
-
-Verstehst du das? Es ist, weil ich dich _liebe_! -- Und nur, weil ich
-weiß, daß ich deine Liebe nicht habe, war ich fortgegangen.«
-
-Da fühlte sie, wie seine Worte eine Schuld auf sie luden. Und sie preßte
-die Hände ineinander und wagte nicht mehr aufzusehen. Ja, das war es: ihre
-Liebe war der seinen nicht ebenbürtig.
-
-»Ich fühle mich so arm vor dir,« sagte sie endlich ganz leise und
-demütig.
-
-Er starrte sie an -- ohne zu begreifen. Ganz überrascht und entsetzt sah
-er aus, wie jemand, der ganz unvorbereitet etwas Unglaubliches erfährt.
-
-Esther sah das und dachte: So hat er nur seine Vorwürfe gemacht, um
-widerlegt zu werden? -- hat gar nicht daran geglaubt, daß alles dieses,
-was er sich selbst und mir zur Entschuldigung vorbringt, sich wirklich so
-verhalten könnte?
-
-Und sie erkannte ihn plötzlich, wie er sich unter der stets bereiten
-Selbstverzeihung einem Wohlgefallen hingegeben hatte, das bald der Liebe
-glich. Und dann war er plötzlich nach beiden Seiten gebunden, denn er
-konnte weder ihre Liebe, noch Thoras Bewunderung entbehren. Und -- er
-würde nicht lange einsam bleiben, wenn sie ihn jetzt verließ.
-
-Sie sah ihm ruhig, wie einem Fremden in das verstörte Gesicht. Eine
-leichte, fast mehr physische als seelische Abneigung stieg in ihr auf.
-
-»Also du -- du liebst mich nicht? Du hast mich nur in dieser ganzen Zeit
-betrogen?!« brach er gegen sie aus.
-
-Sie fühlte gar nicht seinen Zorn und die Absicht zu beleidigen -- »Ich
-habe dich nicht mehr betrogen, als mich selbst,« sagte sie. »Denn ich
-habe dich zu lieben geglaubt. Und ich habe keinen andern Willen gehabt, als
-die Liebe zu dir. Aber ich habe mich in mir selbst getäuscht.«
-
-»Das siehst du ein bischen spät ein!« fuhr er sie herausfordernd und
-höhnisch an. Er war ganz kampfbereit.
-
-Sie sah fremd und verwundert auf ihn und ging still aus dem Zimmer.
-
- * * * * *
-
-Nun kamen noch wenige Tage von jener quälenden, niederdrückenden
-Trostlosigkeit, wo wir das Leben ohne den Maskenstaat der Wünsche und
-Hoffnungen nur mehr in seiner plumpen Alltäglichkeit sehen -- wo wir
-uns fürchten aufzublicken, weil uns alle Dinge mit fremden, verzerrten
-Gesichtern anschauen könnten -- wo uns vor der köstlichsten Speise graut,
-weil wir den Ekel dahinter spüren. -- -- -- --
-
-Esther erwartete nur die Antwort einer Berliner Pensionsdame vor ihrer
-Abreise.
-
-Gleichgültig und ohne den kleinsten Aufschwung der Phantasie hatte sie den
-Beschluß gefaßt, sich dort im Malen auszubilden.
-
-Selten wohl ist jemand mit so geringen Erwartungen der Kunst
-entgegengegangen. -- --
-
-»Ich kann dich nicht halten, Kind -- ich weiß, daß ich dich hier nicht
-festhalten darf,« sagte der alte Rude zu Esther -- und dabei sah er sie
-doch suchend an, als könnte sie ihm jetzt noch sagen: alles soll gut
-werden.
-
-Und wie sie stumm blieb, wiederholte er sein altes Wort: »Wie du es
-willst, wird es schon recht sein.«
-
-Da trat sie mit einer leichten scheuen Bewegung zu ihm hin und lehnte sich
-an ihn. Und er legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich, bis
-sie ganz leise weinte an seiner Brust. Es war jedoch nicht lange gewesen,
-dann machte sie sich schon wieder los.
-
-Er sagte aber: »Ich danke dir.«
-
- * * * * *
-
-Eliza kam am letzten Abend zu ihr. Sie schlüpfte zu Esther ins Bett,
-weinte viel und ließ sich gerne trösten. Sie wollte immer neue
-Liebkosungen von Esther haben und spielte stundenlang eine kleine, sanfte
-Komödie des Schmerzes. Es war so schön, wenn Esther sie küßte und ihr
-gute Worte sagte! --
-
-So kam es, daß sie erst im letzten Augenblick die Trennung wirklich
-begriff. Und nun stand sie, mit ihren seltsamen Augen, die alles Traurige
-verstanden, starr vor sich hinblickend in stummer Erschütterung.
-
-Es wird erst kommen, wenn ich fort bin, dachte Esther, und ihr Herz
-zog sich bei dem Gedanken zusammen, daß sie nun nicht mehr dieses
-Kind schützen und trösten dürfe -- daß diese Seele mit der frühen
-Todesahnung dem Leben preisgegeben war. --
-
-Neben ihr im Wagen saß Arne. Er hatte darum gebeten, sie nach der Bahn
-fahren zu dürfen. -- Adam Rude hatte sich eingeschlossen und durch Arne
-einen Brief geschickt, den Esther erst unterwegs lesen sollte. »Es steht
-alles drin,« mußte Arne ausrichten.
-
-Arne hatte den hellen Kopf die ganze Zeit gesenkt, und Esther wunderte
-sich plötzlich, warum es ihr früher nie aufgefallen sei, daß seine
-Traurigkeit etwas so Unreifes, Knabenhaftes hatte -- es war jene
-Traurigkeit, für die ringsum die ganze Erde ein Garten des Trostes bleibt.
-
-Und sie wünschte ihm, schon wie aus der Ferne, ein künftiges Glück, als
-sie sich mit einem einfachen »Lebewohl« trennten. Sie saß schon im Zug
-und sah noch einmal zum Fenster hinaus, da wollte er noch etwas sagen
--- aber die Thränen nahmen seine Stimme. »Leicht getrocknete
-Jugendthränen,« dachte Esther. Und plötzlich sah sie ihn wieder, wie er
-mit seiner warmen, strahlenden Jugend zu ihr gekommen war -- zu ihr, die
-nur Schmerz und Schweigen kannte. Und ihr Herz füllte sich mit einem Dank,
-der ohne Bitterkeit war. --
-
-Neben ihr saß als einzige Reisegefährtin eine Pflegeschwester. Sie las
-erst aus einem kleinen, schwarzen Gebetbuch, wobei sie die Lippen bewegte
-und andächtig vor sich hinsah.
-
-Dann begann sie ein Gespräch. -- »Reisen Fräulein weit?«
-
-»O ja,« sagte Esther zerstreut.
-
-Die Schwester ließ sich nicht einschüchtern. »Wohl gar bis Kopenhagen?«
-fragte sie.
-
-»Bis Berlin.«
-
-Die Schwester machte andächtige Augen. »Ja, waren Sie denn schon einmal
-in Deutschland, und können Sie die Sprache verstehen?«
-
-»Ich bin Deutsche,« sagte Esther.
-
-Da drückte sich die Schwester ängstlich in eine Wagenecke und sah
-erschrocken und unentwegt auf das junge Mädchen. --
-
-Esther nahm den Brief des alten Rude heraus und öffnete ihn -- und las:
-
- »Mein einzig liebes Kind!
-
- Nun gehst Du fort, und ich konnte Dir nicht Lebewohl sagen. Ich konnte
- es nicht, weil ich meiner nicht sicher war, weil ich mich vielleicht
- verraten hätte. Und was soll die Liebe eines alten Mannes zu einem
- Kind?
-
- Du bist durch mein Leben gegangen wie ein lichter Traum; das ist es,
- was ich Dir zu danken habe.
-
- Zuerst sah ich Dich wie ein Kind -- ein schönes, liebes Kind, an dem
- ich meine Freude haben durfte. Aber Du bist vor mir gewachsen -- mit
- jedem Tag gewachsen zu dem einzig begehrten Weib.
-
- Du bist mir alles geworden, und ich hätte alles für Dich hingegeben,
- wenn ich nicht immer gewußt hätte, wie vergeblich solche Liebe ist.
- Und ich wollte Dir nichts anthun, Dich nicht damit erschrecken, mein
- einzig liebes Kind, darum habe ich immer geschwiegen.
-
- Aber heute, nun Du gehst, will ich Dir meine Liebe mitgeben wie einen
- Dank, und Du darfst sie nehmen, weil sie so ganz anspruchslos ist und
- nichts will, als Dich feiern.
-
- Lebe nun wohl, Du, die alles Glück zu vergeben hat -- und mögest Du
- den finden, der dieses Glückes würdig ist.
-
- Dein
-
- Adam Rude.«
-
-
-
-
-Zweiter Abschnitt
-
-
-
-
-IX
-
-
-In einem kleinen schleswigschen Grenzort wollte Esther nach der
-zehnstündigen Bahnfahrt übernachten.
-
-Es war ein langer, mühseliger Weg von der Bahnstation bis zum Gasthof.
-Esther ging ihn ganz allein, eine verschneite Landstraße hinauf, die nur
-durch Räderspuren kenntlich war. Sie trug ihre kleine Reisetasche bald in
-der einen, dann in der andern Hand. In der Kälte schmerzte der metallene
-Griff ihre Finger.
-
-Weithin über dem Schneeland stand ein purpurner Mond.
-
-Ein schwacher, gläserner Klang kam aus dem Dorf herüber: die Turmuhr
-schlug eine späte Abendstunde.
-
-Esther ging immer langsamer. Eine schwere, herabziehende Müdigkeit
-erfüllte sie mehr und mehr. Sie konnte kaum mehr denken, empfing nur dumpf
-die Außeneindrücke, an die sich zerflatternde Reflektionen knüpften.
-
-Neben der Straße lief ein halb zugeschneiter Graben. Da mußten im Sommer
-die vielen Feldstiefmütterchen wachsen -- so immer zu hunderten auf einem
-Fleck, daß es aussah, wie ein großer, schwellender Strauß. Aber jedes
-Blümchen hat sein eignes ernstes Gesicht unter der violetten Haube --
-und wenn der Wind ja einmal durch den Graben fährt, dann reiben sie
-sich rischelnd aneinander, wie Kinder, die sich in die Ohren
-flüstern -- -- -- --
-
-Dicht und hoch lag jetzt der Schnee -- -- So ein paar Schritte zur Seite
-machen und sich da hinein fallen lassen -- --
-
-Kein Mensch würde wissen --
-
-Und was ging sie überhaupt irgend ein Mensch an?
-
-Doch -- das ist ja nicht wahr --
-
-Wie ein fremdes Heiligtum stieg die Liebe Adam Rudes vor ihr auf. Doch
-ihr war, als müßte sie in Ehrfurcht wegsehen. Als dürften auch ihre
-heimlichsten Gedanken nicht daran rühren. --
-
-Eine ferne Sehnsucht kam über sie -- kam und ließ sich schwer
-niedersinken auf ihr Herz --
-
-Und dann war wieder alles wie einem andern Menschen angehörend -- oder so
-wunderlich vereinzelt, ohne inneren Zusammenhang.
-
-Und wieder kam eine lange, bittere und kummervolle Sehnsucht nach Eliza,
-dem Kind. Wie hatte sie es nur fertig gebracht sie allein zu lassen? Wenn
-sie schnell umkehrte? Morgen noch zurückreiste?
-
-Ein Ruck ging durch ihren Körper: Adam Rude! -- Aber das war ja Wahnsinn
--- Unmöglichkeit! --
-
-Sie griff nach dem Brief, den sie in der Kleidertasche trug --
-
-Und dann war plötzlich wieder alles Begreifen ausgelöscht -- nur noch
-eine träge dämmernde Sehnsucht nach diesem Haus, das sie lieb hatte, in
-das sie hätte zurücklaufen mögen, wie eine Katze, die man fortgetragen
-hat. --
-
-Und immer ging sie mechanisch weiter, den endlosen zugeschneiten Weg
-hinauf.
-
-Dann kam das Gasthaus.
-
-Sie mußte die Wirtsleute erst herausklopfen. Es waren freundliche Bauern,
-die sich in ihrem rauhen jütischen Dialekt nicht genug über die Ankunft
-einer Dame erstaunen konnten. Es schien, als gäbe es für diese Wirtschaft
-nichts Verwunderlicheres, als einen Gast!
-
-Esther wurde in die Familienwohnstube geführt. Dort mußte sie sofort ein
-paar riesige Filzsocken für die nassen Stiefel eintauschen. Die Wirtin
-befahl das mit einer Autorität, die jeden Widerspruch vergeblich machte.
-Dann wurde ihr ein Kübel voll schwarzbraunem Thee zudiktiert.
-
-Über dem Sofa hing das Bild des deutschen Kaisers neben einem andern, das
-die Photographie eines jungen Soldaten, wahrscheinlich der Sohn des
-Hauses, umgeben von allerlei »Scenen aus dem Soldatenleben« enthielt. Als
-Überschrift prangten die Worte: »Aus meiner Soldatenzeit.«
-
-Die Frau folgte Esthers Blicken, dann erklärte sie entschuldigend, er, der
-Sohn, wollte »das« dort haben. Und voll Groll und Verachtung: »Seit er
-gedient hat, ist er ja ein Deutscher!«
-
-Der Wirt, der mit einer langen Pfeife jenseits des Tisches saß, zog die
-Stirn in kummervolle Falten. Er sagte: »Die dort in Berlin, die werden
-sich freuen, daß sie ihn herumgekriegt haben! Bei der Leibgarde ist er
-gewesen -- so 'ne Schande!«
-
-Esther bekam ein ganz böses Gewissen, daß sie sich nicht als Deutsche
-eingeführt hatte; ganz gedankenlos hatte sie noch dänisch gesprochen. Sie
-fühlte sich recht bedrückt im Gedanken an die warmen Filzsocken und das
-Wohlwollen der Wirtin, die sie immer schlechtweg »Kind« anredete, -- das
-alles wäre der Deutschen gewiß nicht zugefallen!
-
-Und am nächsten Morgen gar, wie die Alte gehört hatte, daß Esther auch
-der entsetzlichen Stadt patriotischer Verführung zureiste, gab es so viele
-gute Wünsche und Ermahnungen, daß Esther vor Beschämung nicht mehr die
-Augen aufzuschlagen wagte.
-
-Aber sie konnte doch wirklich nicht jetzt auf einmal mit ihrer
-Enttäuschung herauskommen?
-
- * * * * *
-
-Und gegen Abend gelangte Esther an ihr Reiseziel.
-
-Die Droschke hielt vor einem hohen, eingezwängten Haus, dessen Eingang in
-der Pracht verschiedenster Imitationen strahlte. Eine imitierte Eichenthür
-öffnete sich in eine imitierte Marmorhalle, die mit imitierten Gobelins
-und imitierter Glasmalerei ausgestattet war.
-
-Der Hausmeister bemächtigte sich des Koffers, und in feierlich langsamer
-Fahrt hob sich der Lift zu seinem Endziel, der fünften Etage.
-
-»Also hier wohnt Fräulein Schulze?«
-
-»Jawoll, klingeln Sie man!«
-
-Nach einer Weile kam ein ältliches, verblaßtes Mädchen und öffnete. Sie
-führte Esther über einen kurzen, düsteren Flur, der nur in einer Ecke
-durch ein kleines stark riechendes Lämpchen erhellt wurde und dann durch
-ein langgestrecktes Zimmer.
-
-»Bei uns müssen wir immer durch die Berliner Stube gehn,« erläuterte
-das Mädchen.
-
-Eine große, starke Dame in Lahmannkleidung sah Esther mit unverhohlener
-Neugier nach und erwiderte ihren Gruß mit einem resoluten Nicken.
-
-Dagegen bemerkte sie erst im Hinausgehen, daß sich ein kleines,
-dunkelgekleidetes Geschöpf auf sie zu bewegte.
-
-»Verzeihen Sie -- ich bin Fräulein Schulze,« sagte die kleine Dame und
-sah Esther fragend unter einem spanisch drapierten Kopfputz hervor an.
-
-»Ich bin Esther Franzenius.« Esther mußte unwillkürlich dem kleinen
-fragenden Gesicht der Spanierin zulächeln.
-
-Fräulein Schulze machte ein paar ratlose Bewegungen nach rechts und links,
-dann kam es ihr wie eine Erleuchtung: »Darf ich Sie nach Ihrem Zimmer
-führen?« Und sie trippelte Esther und dem Kofferträger voran, zur Thür
-hinaus, über einen langen und niedrigen Korridor, den man gar nicht in dem
-prunkvoll imitierten Marmorpalais erwarten durfte, und öffnete die Thür
-zu einem kleinen viereckigen Zimmerchen, das durch ein winziges schräges
-Dachfenster nach dem Hof hinaus lag.
-
-Während Fräulein Schulze noch ein paar Fragen über die »gute Reise« an
-Esther richtete, bemühten sich das Mädchen und der Dienstmann, für den
-Koffer einen Platz zu ermöglichen.
-
-Endlich waren alle Ankunftsfeierlichkeiten bewältigt, und auch die
-Spanierin verließ das Zimmer.
-
-Esther nahm den Leuchter mit der dünnen übelriechenden Kerze
-und beleuchtete ihre Umgebung. Da gab es nur die allernötigsten
-Gebrauchsgegenstände, denen allen es wie ein Ausdruck schamhaftester
-Dürftigkeit anhing. Und jedes Ding schien sich zu bemühen, etwas
-anderes zu imitieren. Sogar das Bett hatte die Aufgabe, tagsüber ein
-Sofa darzustellen, und der Waschtisch war unter dem Äußern einer Komode
-verborgen. Als der Koffer untergebracht war, konnte man sich nur noch in
-einer kleinen Schlangenlinie durch das Zimmer winden. Esther lehnte sich
-unwillkürlich weit zum Fenster hinaus -- dort sah man in den Hof hinab,
-wie in einen spärlich beleuchteten Schacht. Dann führte sie das Licht an
-den Wänden entlang -- die Tapete trug ein Muster von lauter Lilien.
-
-Eine stumpfe Trostlosigkeit überkam Esther in diesem imitierten
-Liliengarten.
-
- * * * * *
-
-»Nancy! Nancy!«
-
-Esther erwachte. Wer rief denn da? Und wo war sie?
-
-Weshalb verflog doch so schnell der Traum von einem Frühlingsgarten und
-dem weißen Haus im Mondlicht? -- Sie wollte so gern weiterschlafen. Sie
-fürchtete das Erwachen. --
-
-»Nancy! Nancy! Schläfst du noch?«
-
-Das war wieder diese rauhe Stimme, und nun folgte ein endloser
-Hustenanfall.
-
-Esther sah sich um. Das war ja das Lilienzimmer. Diese kahlen und
-dürftigen Gegenstände, die aussahen, als seien unzählige verschwiegene
-Sorgen in sie gebettet, schienen ein kraftloses Grauen auszuströmen.
-
-Nancy mußte inzwischen geantwortet haben, denn die gequälte Stimme des
-Zimmernachbars begann von neuem: »Hast du gut geschlafen, Nancy? Wie
-fühlst du dich heute?«
-
-Und wieder nach einer Weile, während der Esther aufzustehen begann:
-»Mußt du nicht über die Hofjagd referieren? Wir könnten zusammen einen
-Wagen nehmen, wie?« -- Hier eine Pause für Nancys Antwort -- Und wieder:
-»Nancy! Nancy! Mir fällt etwas Köstliches ein! Paß auf: Ein Wagen
-kostet 10 Mark -- zu zahlen von meiner löblichen Redaktion! Ein Wagen
-für dich zu 10 Mark -- haben deine Braven zu blechen. Daß wir uns
-zusammenthun, geht niemanden was an. -- Bin ich nicht ein Rechengenie?!
-Hahaha!!«
-
-Und wieder ein gräulicher Hustenanfall.
-
-Esther machte ihre Anwesenheit bemerkbar und die nachbarlichen Stimmen
-verhandelten gedämpfter.
-
-»Wer wohnt da nebenan?« fragte Esther das Mädchen, das Feuer machte. Es
-baute mit virtuoser Vorsicht ein paar Holzspähne aneinander und deckte
-das spärliche Flämmchen mit den drei für »eine Heizung« abgezählten
-Preßkohlen.
-
-Ida warf über die Schulter einen verächtlichen Blick auf das
-Nachbarzimmer. »Ach, das ist man bloß Redakteur Engel,« sagte sie im Ton
-würdevollster Herablassung.
-
-»Ist der Herr sehr leidend?«
-
-»Ja -- er hat es auf der Brust. Seine Verlobte, das Fräulein Maceday
-auch. Schon den ganzen Winter. Und wie sie zu uns gekommen sind, sahen sie
-auch halbverhungert aus. Das Fräulein wohnt ja doch neben ihm, und sie
-pflegen sich immer nur einer den andern.«
-
-»Aber das ist ja schrecklich,« sagte Esther in bedauerndem Entsetzen
-unwillkürlich vor sich hin.
-
-Das Mädchen mißverstand die Worte. Es wurde plötzlich vertraulich und
-gesprächig. »Ja, nicht wahr, Fräulein? Uns ist das auch recht peinlich.
-Verlobt sind sie und wohnen Thür an Thür! -- Und dann wollen sie sich
-immer noch das Essen allein besorgen! Sie können es gar nicht billig genug
-kriegen. Und was für Sachen sie dann kochen! Ach Gotte doch! puh!«
-
-Ein unbestimmter Ekel -- vor diesem Geschwätz -- vor ihrer ganzen Umgebung
--- vor der Lage, in der sie sich befand, erfüllte Esther. Sie verließ
-die Stube und ging nach dem Eßzimmer, um zu frühstücken. Auf dem
-Gang begegnete ihr eine kleine abgehärmte Person mit den glühroten
-Backenknochen der Schwindsucht. Sie sah auf Esther mit glänzenden,
-argwöhnischen Augen.
-
-Und Esther hätte ihr etwas Gutes sagen mögen -- irgend eine kleine,
-gleichgültige Freundlichkeit erweisen. Sie grüßte höflich. Die andere
-dankte kurz, abweisend, höhnisch.
-
-Esther fiel eine kleine Begebenheit aus ihrer Kindheit ein: Wenn sie zur
-Schule ging, kam sie immer an einem vergitterten Hof vorüber, an dessen
-Thür ein mageres, jämmerliches Hündchen stand und giftig auf die
-Vorübergehenden bellte. Dann warfen die Jungen mit Steinen nach ihm,
-reizten und höhnten es; das nahm es aber nur wie die gebührende Antwort
-auf sein Gebell entgegen. Das Tier that Esther so leid. Sie versuchte es
-einmal, sich ihm freundlich zu nähern, es zu streicheln. Da geriet es aber
-ganz außer sich vor Wut. Und jedesmal, wenn Esther wieder vorüberging,
-wußte es sich in seinem Zorn gar nicht mehr zu lassen. Es hatte
-die Freundlichkeit augenscheinlich als unvergeßliche Beleidigung
-empfunden. --
-
-»So 'ne einjebildte Jöhre!« hörte Esther das Fräulein Nancy noch
-in der Stube des Verlobten in accentuiertem Berliner Jargon
-ausrufen. -- -- -- --
-
-Das war der Beginn der freiwillig angetretenen Epoche der Arbeit und
-Entbehrung.
-
-Später gab es Stunden, in denen Esther sich fragte, warum sie nicht einmal
-den Versuch gemacht hatte, diese besonders antipathische Umgebung mit einer
-andern zu vertauschen. Und sie kam auf die wunderliche Erklärung, daß die
-Macht des Ekels sie fesselte.
-
-Ja, wir haben diese seltsam kraftlosen Zeiten, in denen wir wie gelähmt
-vom Abscheu und unfähig zur Gegenwehr, auf eine krankhafte Weise angezogen
-auf das starren müssen, was unsern Ekel erregt.
-
-Wir sind unfähig, uns durch einen Entschluß loszureißen, ja irgend einen
-Entschluß zu fassen vermögen wir nicht einmal. Nur noch ein alter Wille
-leiert sich mechanisch in stumpfen Handlungen ab. Wie im Traum gehen wir da
--- und das kraftlose Entsetzen des Traumes bedrückt uns, während wir ganz
-im geheimen eine andere Wirklichkeit wie die Ahnung des Erwachens in uns
-tragen. Und so versäumen wir die Empörung gegen das Traumschicksal.
-
-
-
-
-X
-
-
-Arbeit -- Arbeit --
-
-Trübe, matte Tage schleppen sich in sinnloser Gleichförmigkeit vorüber.
-Es ist wie das Abschnurren eines aufgezogenen Rades.
-
-Die Seele schweigt. Nur kleine Erinnerungen ziehen vorbei -- der
-Zeitbegriff ist von ihnen genommen -- Begebenheiten aus der Kindheit
-scheinen ebenso nahe zu liegen, wie eben erlebte Geschehnisse. Doch ihre
-Verbindung mit der eignen Persönlichkeit ist gleichsam abgeschnitten.
-
-Arbeit -- Arbeit --
-
-Ein stumpfes, langsames Vorwärts -- ohne Kampf, ohne Ehrgeiz, ohne
-Zielbewußtsein. --
-
-Viele andere sind Esther voraus. Auch welche, die zu gleicher Zeit
-angefangen haben. Sie arbeiten so merkwürdig reinlich und abgerundet. Es
-ist, als wären sie schon mit dieser gewissen Manier zur Welt gekommen. So
-tadellos fertig sieht alles aus, was unter ihren Händen hervorgeht.
-Fast scheint es, sie verlieben sich in diese eintönigen mechanischen
-Schwierigkeiten der Anfangsgründe. Und das ist ihr gutes Recht. Es muß
-sie im voraus entschädigen für alle späteren Enttäuschungen. Denn sie
-werden versagen, sobald die Beweglichkeit der Natur im Gegensatz zu der
-methodischen Steifheit der Musterblätter sie zu verwirren beginnt.
-
-Arbeit -- Arbeit --
-
-Nicht zur Seite schauen. Stumpf abgeschlossen nach innen -- gleichgültig
-nach außen. Ein langsames, zähes Vorwärtskriechen -- ohne Kampf, ohne
-Ehrgeiz, ohne Zielbewußtsein. -- -- -- --
-
-Esther benutzte jede freie Zeit, besonders die langen Abende zu
-Zeichenstudien.
-
-In ihrem Lilienzimmer saß sie bei einer kleinen Stehlampe, die
-fortwährend Petroleum aus dem Behälter schwitzte. Vom Nachbarzimmer
-herüber drangen zuweilen vorsichtig gedämpfte Unterredungen des
-schwindsüchtigen Brautpaars.
-
-Fräulein Nancy schminkte sich jetzt seit einiger Zeit, und Herr Engel
-lebte nur noch von Morphium.
-
-Wenn sie miteinander sprachen, so schien es sich stets um irgend welche
-Berechnungen zu handeln, die sie mit ihren rauhen, kranken Stimmen
-aufstellten.
-
-Esther mußte daran denken, daß sie einmal »halbverhungert« hier
-aufgetaucht waren. Woher mochten sie kommen? Welchen Weg durch Entbehrungen
-mußten sie gegangen sein?
-
-Mißtrauisch und argwöhnisch zeigten sie sich gegen jeden, der sich ihnen
-nicht feindlich näherte, denn sie glaubten sofort, der wollte etwas von
-ihnen. Warum sollte er denn sonst auch freundlich sein?
-
-Unter jenen hatten sie gelebt, die sich auf den Fußbreit Erde drängen,
-den einer unter ihnen strauchelnd verliert. Sie hatten jeden Glauben an
-uneigennützige Güte verloren. Güte war ihnen nichts als Dummheit
-oder Verstellung. Selbst Fräulein Nancys Toilettenkünste mochten nicht
-weiblicher Gefallsucht, sondern einzig dem Ehrgeiz entspringen, noch als
-vollzählige Konkurrentin zu gelten -- vollwertig an Kraft und Gesundheit,
-eine nicht zu übersehende Nummer unter denen, die neiden und beneidet
-werden. Sie wollte bis zuletzt als Rivalin im Kampf um die Arbeit
-mitrechnen.
-
-Und doch gab es einen Funken von Güte auch unter ihnen. Das war die
-seltsame Liebe, die sie für einander hatten, diese rührende, oft grotesk
-wirkende Zärtlichkeit, deren unfreiwilliger Zeuge Esther zuweilen wurde.
-Die Besorgnis, die einer für das Wohlsein des andern hatte, und die sich
-oft im allernaivsten Materialismus ausdrückte.
-
-Esther beschäftigte sich so viel mit dem möglichen Schicksal dieser
-Nachbarschaft, daß sie es zuletzt förmlich noch zu allem andern sich
-selbst auflud -- zu allem Dumpfen und Erdbedrückten, was sie schon zu
-tragen hatte.
-
-Mit den andern Bewohnern der Pension kam sie selten außer den Mahlzeiten
-zusammen.
-
-Da gab es ein »Fräulein Doktor«, die nächst dem Baron Ehrhard von
-Dunkelmann den Stolz des Hauses bildete. Ja hier war sowohl der Geburtsadel
-wie der Adel des Geistes vertreten, wie Fräulein Schulze Esther gleich
-anfangs versicherte. Außerdem erschien noch eine kleine, zarte und sehr
-bescheidene Musikschülerin bei Tisch, die Fräulein Schulzes Wohlwollen
-unter der unausgesprochenen Voraussetzung besaß, daß sie sehr wenig aß.
-
-Fräulein Doktor Obenauf, Assistentin an der Frauenklinik des Professors
-D., führte zumeist die Unterhaltung. Sie war sehr aufgeklärt und benutzte
-gewöhnlich die mittäglichen Zusammenkünfte, um auch der übrigen
-Tischgesellschaft den Segen geistiger Freiheit zu gewähren.
-
-»Stellen Sie sich einmal vor,« schrie sie mit ihrem weithintönenden
-Organ, »wo sollte denn eine Seele sich verstecken? Das ist alles Humbug,
-alles!
-
-Glauben Sie nicht, ich habe genug Menschenleiber zersäbelt, um wissen zu
-können, wo eine Seele Raum haben könnte? Da ist ganz einfach kein Platz
-sage ich Ihnen, kein Platz!«
-
-Fräulein Schulz, die eine Pastorentochter war, machte hier einen Einwand:
-»Es glauben aber doch so viele Leute daran,« sagte sie und machte eine
-abwartende schiefe Kopfbewegung.
-
-»Glauben! Hahaha glauben! Als ob das nur der allergeringste Beweis
-wäre!« trompetete die Obenauf. »Ich als Ärztin sage Ihnen, daß kein
-Platz für eine Seele ist, und damit Punktum.«
-
-»So, so -- ja gewiß,« sagte Fräulein Schulze und kroch in sich
-zusammen. »Als Ärztin müssen Sie das natürlich wissen.«
-
-Esther hielt sich gern von solchen Debatten fern. Die kleine
-Musikschülerin schwieg, weil sie sich vor der Stimme der Ärztin zu
-fürchten schien, und weil sie sich vielleicht auch noch nicht weiter
-über seelische Angelegenheiten beunruhigt hatte. Der wirkliche Baron aber
-lächelte vielsagend.
-
-Man wußte sehr wenig über das Leben des Barons. Er hatte jedoch einmal
-den Ausspruch gethan, daß ein Künstler die moralische Verpflichtung habe,
-sich nie durch eine Ehe zu binden, denn in diesem Falle würde er durch
-den heiligen Egoismus des Genies sowohl sich als seine Frau unglücklich
-machen, denn er sei infolgedessen nicht fähig, die Verantwortung auch noch
-für eine andre Individualität zu übernehmen.
-
-Er sah sehr bewegt aus bei dieser Erklärung, und so schloß man fortan,
-daß er selbst zu jenen leidgekrönten Egoisten gehöre. Sobald die
-Rede auf eine Streitfrage der Kunst kam, mußte seine Autorität zur
-Entscheidung aufgerufen werden.
-
-Und er hatte dann eine ganz eigenartig rätselhafte Art, in der er seine
-Aussprüche hervorbrachte.
-
-»Die Dekadence vergleiche ich mit dem müden, rosigen Licht der
-Ampel,« sagte er. »Und ist dieses gedämpfte Licht der Nacht nicht
-sinnberückender als der grelle, plumpe Sonnenschein?«
-
-Fräulein Schulze horchte andächtig auf, wagte aber nichts zu antworten,
-weil sie befürchtete, es möchte vielleicht nicht zart genug ausfallen.
-
- * * * * *
-
-Zuweilen kamen die Briefe aus Dänemark. Esther öffnete sie immer wie
-unter einer dumpfen Angst.
-
-Es war kaum die Furcht vor schlimmen Nachrichten. Sie wußte ja, daß dort
-alles in dem lieben alten Gleichmaß vor sich ging. Aber die Erinnerung
-war es, die mit der Zeit immer mehr etwas unsäglich Bedrückendes für
-sie hatte -- ein unbestimmtes Schuldbewußtsein kam nach und nach an Stelle
-jenes Gefühls, nur nach einer Notwendigkeit gehandelt zu haben.
-
-Aber hätte es denn für sie eine andere Möglichkeit überhaupt gegeben?
-Hätte sie die Pflicht gehabt, dieses Verhältnis weiter zu tragen, weil
-sie es einmal eingegangen war?
-
-Ihre Begriffe begannen unsicher und schwankend zu werden.
-
-Und doch: _Hier_ lag nicht das Verfehlte -- aber dann wo? -- --
-
-Heftete sich das Unglück an ihre Person wohin sie trat? Gehörte sie zu
-den Vom-Schicksal-Gezeichneten, die überall das Unheil mit sich führen --
-ungewußt und ungewollt? -- --
-
-Ein Brief von Eliza kam, einer ihrer süßen unschuldigen Briefe, die ihre
-Art so unvermittelt übertragen konnten.
-
-Und sie erzählte diesmal von einer großen Neuigkeit in Eriksgaard: Arne
-hatte sich verlobt.
-
-Esther unterbrach sich im Lesen. Das war ja wie eine Erlösung!
-
-Also war sie doch im Recht gewesen, wenn sie geglaubt hatte, daß eine noch
-unbewußte Liebe zu Thora ihn in jene zwiespältige Lage gebracht hatte!
-Sie selbst war nur zur rechten Zeit gegangen, wo das Ende sich schon
-vorbereitete.
-
-Sie griff wieder zu dem Brief und las weiter --
-
-Aber was war denn das?
-
-»Seine Verlobte ist ein Fräulein Ingeborg Peersen, die er diesen Winter
-in Fredensborg kennen gelernt hat.«
-
-Esther ließ den Brief sinken.
-
-Sie schämte sich plötzlich. Es war kein großes, quälendes Schamgefühl
--- nur ein peinliches Erröten -- jenes Empfinden, unter dem ein
-anständiger Mensch immer den Wunsch hat, zur Seite zu sehen. --
-
-
-
-
-XI
-
-
-Esther war jetzt über die mechanischen Vorübungen hinausgekommen. Die
-Arbeit fing an ein tieferes Eingehen zu beanspruchen.
-
-Ihre Gedanken konnten nicht mehr wie bisher beständig die alten,
-ausgetretenen Wege, an toten und niedergehaltenen Empfindungen vorüber,
-gehen. Sie brauchte den ganzen Intellekt für ihre Thätigkeit, der sie
-sich mit immer größerem Eifer hingab.
-
-Fast unwillkürlich gewann sie sich aus den Eindrücken ihrer Umgebung nur
-mehr Studien über Licht- und Farbenwirkungen und beobachtete die Gesetze
-der Plastik, die so eigentümlich von der Beleuchtung abhängig sind.
-
-Erst jetzt verstand sie, wie viel Drangabe des reinen Intellektes jede
-Kunst beansprucht, die sich der Dilettant immer als eine mühelose
-Himmelsgabe vorstellt, wie viel Arbeit vor allem dazu gehört, den Zufall
-zu beherrschen.
-
-Denn was ein einziges Mal unwissend wohlgelungen ist, soll wieder und
-wieder gelingen können unter der Leitung eines bewußten Willens. Das erst
-ist Können -- Kunst!
-
-Und so kam es, daß sie nach und nach mit ihrer ganzen Persönlichkeit
-überging zur Arbeit.
-
-Ihr Gefühlsleben schrumpfte gleichsam zusammen bis zu jenen kleinen
-Alltagsempfindungen, die sozusagen zu den Anstandspflichten des Herzens
-gehören.
-
-Sie war Zuschauer, nichts als Zuschauer gegenüber dem Leben.
-
-Und das Leben rächte sich, so daß ihr jeder menschliche Eindruck zur
-hohlen, seelenlosen Karrikatur wurde.
-
- * * * * *
-
-In den freien Zeiten schlenderte sie oft durch die Straßen, ohne viel zu
-denken. Zuweilen erregten die Vorübergehenden ihre Aufmerksamkeit.
-Dann dachte sie noch einen Augenblick über sie nach, bis diese lässige
-Müdigkeit alles mit Gleichgültigkeit zudeckte.
-
-Und doch war es in diesen Stunden körperlicher und geistiger Abspannung,
-daß ein Erlebnis an sie herantreten wollte.
-
-Sie kam an einer der großen Kunsthandlungen vorüber, in deren
-Schaufenstern an jedem Sonnabend eine neue Ausstellung für die kommende
-Woche arrangiert wird.
-
-Nach ihrer Gewohnheit blieb sie stehen, um die Bilder zu betrachten.
-
-Und heute --
-
-Sie sah und sah --
-
-Und da war alles vergessen, was schwer auf ihr gelegen.
-
-»Die Schönheit,« dachte sie nur, »die Schönheit!«
-
-Auf der Höhe des Berges küßt der Mann in der Tracht eines fahrenden
-Sängers das Weib. Ganz zart berührt er ihre nackte Schönheit. Seine
-Augen sind geschlossen, um den Mund die Keuschheit des Betenden. Und über
-allem der stille, ruhende Ausdruck der Erlösung.
-
-In dichter Fülle schlingen sich Rosen unter der goldenen Leiste hin, die
-den Abschluß des Bildes angiebt. Schwere brokatene Vorhänge, die in
-ihrer massigen Farbenauftragung den Vordergrund bilden, sind wie vor einem
-Heiligenbild zurückgezogen.
-
-»Auf freier Höhe« heißt das Bild.
-
-Und Esther stand davor und sah bald in den zart verblassenden Himmel, von
-dem sich eine kleine zitternde Birke abhebt -- und dann auf die ruhige
-Schönheit der Frau, die mit einem entrückten Ausdruck ins Weite sieht,
-und sie betrachtete das Gesicht des Mannes, in dem noch die Qualen
-verflossener Jugendzweifel zu kennen sind hinter der Ruhe der Befreiung.
-
-Endlich riß sie sich los.
-
-Und es war, als sei noch einmal ihre Seele im Erblühen gewesen unter dem
-tiefen Eindruck der Schönheit.
-
-Sie sagte sich: das ist es, was ich einmal können will -- Aber giebt es
-denn noch etwas zu wollen, wenn das geschaffen ist? Ist nicht alles damit
-ausgesprochen, so daß jedes, was noch kommen kann, nur ein Stammeln und
-Nachbeten bleibt?
-
-Und dann kam eine kurze Zwischenzeit, die ein scheues Glück für sie
-brachte.
-
-An jedem Tag ging sie zu den Schaufenstern der Kunsthandlung. Und dort
-stand sie vor dem Bild, das in ihr die Sehnsucht geweckt hatte, auf die
-freien Höhen der Kunst zu gelangen.
-
-Immer wieder ging sie dorthin und träumte von einem kühlen, lichten
-Glück -- von der klaren, sanften Erlösung aus bedrückendem Menschentum
--- durch die Kunst. --
-
-Aber die Kunst will die freie Lust und den heißen Lebenswillen eines
-übervollen Herzens, und es heißt ihre Göttlichkeit beleidigen, wenn
-man ihr auf den Trümmern eines zerbrochenen Schicksals den Tempel erbauen
-will. --
-
-Als einmal das Bild nicht mehr im Fenster hing, sank Esther müde in sich
-zusammen -- wie beim Erlöschen des Lichts.
-
- * * * * *
-
-Noch in den ersten Tagen des März erweiterte sich Fräulein Schulzes
-Pension um einen neuen Gast.
-
-Um seinetwillen hatte man eine Tafel in den alten Ausziehetisch eingefügt,
-und der Braten erschien fortan auf einer noch pomphafteren Schüssel als
-bisher und lag in einem förmlichen Wald von Petersilienkraut versteckt,
-der seine Blätter üppig über den Schüsselrand hängen ließ.
-
-Ja, Fräulein Schulze wußte, was sie dem Rufe ihrer Pension schuldig war.
-
-Ihr kleines, bleiches Gesicht unter dem Spitzentuch erstrahlte förmlich
-bei der Vorstellung: »Fräulein von Preller -- Schriftstellerin.«
-
-Fräulein von Preller hatte ihren Platz zwischen Esther und der Ärztin
-bekommen.
-
-Esther sah flüchtig auf und begegnete dunklen Augen mit einem guten Blick,
-die den Haupteindruck in dem etwas fahlen Gesicht machten. Der Mund war
-stark und tiefgekerbt in den Winkeln. Es war eine ursprünglich rohe Form,
-die beim Sprechen durch den Ausdruck von Grazie und Lieblichkeit veredelt
-wurde.
-
-Die Doktor Obenauf nahm gleich Beschlag von ihrer Tischnachbarin.
-
-»Sie kommen hierher, um Studien in der Großstadt zu machen, nicht
-wahr? O, da könnte ich Sie mit Verhältnissen bekannt machen -- mit
-Verhältnissen --!«
-
-Sie ließ durch einen Augenaufschlag die Art dieser Verhältnisse ahnen,
-fuhr jedoch, als keine Nachfrage entstand, von selbst mit einer Schilderung
-fort:
-
-»Ich sage Ihnen, da kommt man manchmal in Häuser -- Menschliche Wohnungen
--- nein! menschliche Wohnungen ist nicht der passende Ausdruck für solche
-Viehställe!
-
-Denken Sie mal, da hat man kürzlich ein Gesetz erlassen, daß es
-verboten ist Schweine und Geflügel auf der Etage zu halten. Denn es ist
-vorgekommen, daß man in einem Zimmer den Hausherrn, die Hausfrau, zwei
-erwachsene Töchter, einen Zimmerherrn und ein Schwein einquartiert
-fand --
-
-Faktisch, ich sage Ihnen: das alles ganz gemütlich in einem Zimmer!
-
-Es lohnt sich wirklich, so was anzusehen!«
-
-Wie sie jetzt einen Augenblick schwieg und beifallsuchend über die
-verlegene Tischgesellschaft hinsah, erwiderte Fräulein von Preller mit
-ruhiger Liebenswürdigkeit im Ausdruck:
-
-»Ach nein, um solche Studien zu machen, bin ich keineswegs hergekommen.
-Es wäre mir zu unerträglich, derartige Zustände mit anzusehen, ohne da
-helfen zu können.
-
-Ich könnte mir denken, daß einen das ganz mut- und kraftlos macht für
-jede gewohnte Thätigkeit, wenn man einsehen muß, daß man so machtlos
-davorsteht.
-
-Ich wenigstens möchte einen solchen Versuch mir nicht zutrauen.«
-
-Doktorin Obenauf lachte dröhnend. »_Das_ müssen Sie sich aber
-abgewöhnen, wenn Sie Schriftstellerin sein wollen! Man muß alles sehen
-können! Leute mit Nerven taugen nichts!« schrie sie, so daß die kleine
-Musikschülerin entsetzt zusammenzuckte.
-
-Ehrhard, Baron von Dunkelmann lächelte überlegen.
-
-Als keine Antwort von seiten der Angeredeten erfolgte, knüpfte Doktorin
-Obenauf mit einer neuen Frage an:
-
-»Sie können gewiß gar nichts vertragen, nicht wahr?
-
-Da müßten Sie sich mal zur Abhärtung die Bilder in einem meiner
-medizinischen Werke betrachten! Donnerwetter, da würden Sie schön Ihre
-Nerven bekommen!
-
-Die könnten Sie nicht ansehen -- und da die Fräulein Franzenius auch
-nicht, -- das versichere ich Ihnen!«
-
-Die beiden also Zusammengestellten betrachteten sich unwillkürlich
-lächelnd. Dann wandte sich Fräulein von Preller zu der Doktorin.
-
-»Sie könnten vielleicht in Ihren Voraussetzungen recht haben, Fräulein
-Doktor,« sagte sie. »Darin nämlich, daß es nicht das Ziel meiner
-Wünsche ist, physiologische Abnormitäten mit Wohlgefallen betrachten
-zu lernen. Im übrigen kann ich Sie aber über den Zustand meiner Nerven
-vollkommen beruhigen.«
-
-Die Obenauf fühlte nun doch eine Zurückweisung durch und lenkte ein:
-
-»Wie wollen Sie denn aber als Schriftstellerin das Leben, wie es nun
-einmal ist, richtig beschreiben, wenn Sie sich vor jedem dritten Eindruck
-fürchten?«
-
-»Ich glaube, so viele Schriftsteller es giebt, aus so viel verschiedenen
-Gründen schreiben sie -- und eben so verschiedenartig sind die Eindrücke,
-die sie dazu veranlassen. Ich kenne zum Beispiel ein junges Mädchen, der
-es möglich ist, sich jeden Kummer wegzuschreiben. Manchmal fängt sie
-weinend an und über dem Arbeiten wird sie ganz froh und ruhig. Ihren
-Sachen sieht man es aber keineswegs an, daß sie alle unter Thränen und
-Traurigkeit entstanden sind -- sie reden alle von dem, wohin sich nur eines
-Menschen Sehnsucht gern verlieren mag.«
-
-»Das ist aber nicht das richtige. So egoistische Leute, die nur für sich
-allein was schaffen, sind keine Künstler,« erklärte die Ärztin. »Die
-Kunst muß social sein in allererster Linie.«
-
-»Es mag wohl sein, daß sie keine wirkliche Künstlerin ist,« sagte
-Fräulein von Preller. »Man kommt ja oft ganz von ungefähr zu seinem
-Titel -- So verdanke ich ihn im Augenblick nur Fräulein Schulzes
-Liebenswürdigkeit die --«
-
-»Aber gnädiges Fräulein!« rief hier Fräulein Schulze ganz ängstlich,
-»entschuldigen Sie doch, aber ich habe Ihnen heute selbst einen Brief
-gebracht, der so adressiert war!«
-
-Fräulein von Preller lachte. »Ja dann wird am Ende so eine fremde
-Redaktion besser wissen, was ich bin, als ich selbst!
-
-Den Titel aber überlasse ich trotzdem lieber denen, die sich einen Beruf
-aus dem machen, was mir etwa nur -- Erleichterung ist.«
-
-Da bekam die Ärztin ein ganz strenges Gesicht. Sie drückte ihren
-ausgestreckten Zeigefinger in die Schulter ihrer Nachbarin und fragte
-ausdrucksvoll: »Jetzt sagen Sie mir aber mal, mein bestes Fräulein, mit
-welchem Recht machen Sie mit ihren leichtsinnigen Anschauungen da
-denen Konkurrenz, die von nützlichen und angebrachten Dingen aus
-selbstgeschöpfter Erfahrung zu reden wissen, und die auch die
-Unannehmlichkeiten ihres Berufs nicht scheuen?«
-
-Da bekam das junge Mädchen einen ganz eigen hoheitsvollen und abweisenden
-Ausdruck.
-
-Es giebt Menschen, die ihre Wahrheiten in keiner Stunde der Intimität
-verraten, denen es aber nicht darauf ankommt, sie in freier Willkür
-gleichsam denen vor die Füße zu werfen, die ihnen mit unverständigen
-Angriffen begegnet sind. Es ist das ein unerklärliches Bedürfnis, sich
-gerade da auszusprechen, wo man gewiß ist, tauben Ohren zu begegnen.
-
-So sagte sie: »Ich schreibe, weil es so viele Dinge giebt, nach denen ich
-mich sehne -- Und ich schreibe, weil ich alles das loswerden will, was in
-meinem Leben traurig und verfehlt gewesen ist.
-
-Zu lange und zu schwer an den Dingen tragen entkräftet -- da wird man
-ihrer ledig -- in der Kunst --
-
-Und Ideale giebt es, die sind schön und zart über die Maßen -- aber sie
-taugen nicht in das Leben -- da trägt man sie hinüber in die Kunst.
-
-Denn es gilt vor allem, das Leben zu hüten, weil nur von einem ganzen
-Menschen ganze Kunst kommen kann.
-
-Aber sollte es dennoch eine Wahl geben zwischen Leben und Kunst, so würde
-ich immer sagen, ›das Leben ist das bessere -- das Leben!‹«
-
-»Welche Lästerung der Kunst!« schrie die Ärztin entsetzt, wandte sich
-ab und vertiefte sich fortan nur mehr in die Genüsse, die der Wald aus
-Petersilienkraut verbarg.
-
-
-
-
-XII
-
-
-Esther konnte oft des Nachts nicht schlafen. Sie hörte dieses gequälte
-Husten des Schwindsüchtigen, und wenn es so ganz unerträglich wurde,
-fühlte sie sich immer versucht, aufzuspringen und irgendwie zu helfen.
-
-Sie litt mit unter diesen entsetzlichen Anstrengungen des Atemholens. Sie
-machte jeden Anfall mit durch, der ihn mit einem leisen, keuchenden Husten
-durchschüttelte, und sie selbst atmete erleichtert auf, wenn sich endlich
-dieses verzweifelte Ringen nach Luft wieder legte. --
-
-In einer Nacht, da mußte es wohl besonders schlimm sein. Sie hörte ihn
-nach der Verlobten rufen:
-
-»Nancy! Nancy! Hilf --«
-
-Und nach einer halben Minute wieder: »Kommst du nicht?« --
-
-»Sei still, sei still!
-
-Bleib nur ganz ruhig liegen. Ich bin schon da.«
-
-Die Stimmen und Geräusche klangen mit einer hohlen Deutlichkeit durch die
-Stille der Nacht.
-
-Esther konnte hören, wie Nancy ihm sein Morphium gab und sich dann ans
-Bett setzte und hüstelte.
-
-»Ist dir auch nicht kalt, Nancy?«
-
-»Bewahre, ich bin abgehärtet.«
-
-Eine Weile war alles ruhig, dann: »Mir ist so gut jetzt -- aber magst du
-noch ein bißchen dableiben?«
-
-Esther verstand diesmal keine Antwort.
-
-»Erzähle mir, Nancy, sprich davon, wie es sein wird, wenn wir verheiratet
-sind und drüben in Königs-Wusterhausen in dem kleinen Häuschen am Walde
-wohnen --«
-
-»Ja, das wird gut sein,« sagte Nancy -- »gut für uns beide. Dann haben
-wir uns ein nettes bißchen Geld zusammengekratzt und können auf die
-elende Hetzerei mit den Redaktionen pfeifen.
-
-Dann schreibst du in aller Gemütsruhe an deinem Roman, und wenn die
-Hofjagden sind, dann verständigen wir uns mit ein paar Zeitungen und
-können in aller Bequemlichkeit das Material für die interessantesten
-Berichte sammeln.«
-
-»Ach Gott ja, mein Roman! -- Elend lange liegt der nun schon!«
-
-»Na Schatz, dann hast du ja doch Zeit die schwere Menge!« --
-
-»Famos ist Wusterhausen -- findest du nicht?
-
-Der Park mit den Linden --
-
-Und so überall diese Ruhe --
-
-Man sollte denken, da könnte eins in aller Geschwindigkeit wieder zu
-Kräften kommen!«
-
-»Sprich nicht so viel. Ich erzähle dir lieber --
-
-Weißt du noch, wie wir zum ersten Mal dort waren und über die Heide
-fuhren? So viele gelbe Blumen blühten gerade. Der Kutscher sagte, daß es
-Ginster wäre. Wir haben dann ja auch 'n ganzen Packen abgerupft, aber in
-der Bahn haben wir sie vergessen.
-
-Und dann bei der Mühle. Da hingen die Zweige von den Kastanienbäumen bis
-ganz ins Wasser -- höchst malerisch! muß man sagen. Man hätte 's gleich
-für 'n Gedicht verwenden können -- wenn man nicht die Lyrik so schlecht
-bezahlt wäre.«
-
-»Das elende, elende Geld!«
-
-»Gut genug, wenn man's hat!«
-
-»Nancy, rechne mal: wann haben wir genug zusammen?«
-
-»Na, warte mal --
-
-Wenn wir uns vielleicht an dem Preisausschreiben beteiligen -- wir können
-ja gut zusammenarbeiten -- und wenn wir dann vielleicht den dritten Preis
-zu 5000 Mark bekommen, dann steht doch überhaupt nichts mehr im Wege,
-dächt' ich?
-
-Dann gingen wir vielleicht erst noch den Winter über nach Davos -- Du
-weißt ja, da ist jetzt die großartige Einrichtung für unbemittelte
-Lungenkranke. Und wenn wir dann unser bißken los sind -- und 's wird recht
-schön warm bei uns hier -- so gegen Mai hin -- dann siedeln wir über.«
-
-»Nancy, weißt du's noch genau: wie heißen gleich die Bedingungen für
-das Preisausschreiben?«
-
-»Ein moderner Stoff, der Tagesfragen berührt -- nicht über 20.000
-Zeilen --«
-
-»Nicht über? -- Das ist gut! Als ob jemand mehr schriebe, wenn nicht
-Zeilenweise bezahlt wird!«
-
-»Tagesfragen -- liegen uns ja nahe.«
-
-»Können wir -- mit Leichtigkeit.«
-
-»M. w. -- m. w.!« sagte Fräulein Nancy.
-
-»Nancy -- war nicht neulich in der ›Litterarischen Praxis‹ nicht auch
-ein Preisausschreiben zur Reklame für eine Strumpfwirkerei?«
-
-»Jawohl: 300 Mark als erster Preis. M. w. ebenfalls.«
-
-»Nancy -- ich bin -- jetzt -- müde.«
-
-»Na, dann gute Nacht, mein Schatz!«
-
-Esther hörte Fräulein Nancy in ihr Zimmer zurückgehen. -- -- -- --
-
-Am nächsten Morgen kam Fräulein Schulze ganz verstört zu Esther
-hereingestürzt.
-
-»Ach Gott, mein liebstes, bestes Fräulein,« rief sie, »ich möchte
-ja nicht, daß es jemand anders erfährt, aber zu Ihnen muß ich mich nun
-aussprechen -- sie haben es auch am Ende so dicht nebenan schon selbst
-gehört: Ihr Zimmernachbar ist heute früh gestorben -- an einem Blutsturz
--- so ganz auf einmal!«
-
-Esther fühlte, wie sich ihr die Kehle zusammenschnürte vor Mitleid und
-Entsetzen.
-
-»Weiß es denn schon die Braut?« fragte sie endlich.
-
-»Jawohl, die sitzt bei ihm und will niemand bei sich haben. Sie sagt, daß
-sie ausziehen will, sowie er unter der Erde ist.«
-
-»Kann man denn nichts für sie thun?« fragte Esther mechanisch. Und dann
-noch einmal voll Wärme: »Besinnen Sie sich doch, Fräulein Schulze, was
-man da thun könnte!«
-
-»Da kann nur unser Herrgott helfen -- für mich ist dieses ganze
-Vorkommnis ja auch sehr peinlich -- wer weiß, ob niemand deshalb
-auszieht,« sagte Fräulein Schulze und wischte sich mit dem Taschentuch
-die Augen.
-
-»Ach nein, vielleicht ist es doch möglich,« meinte Esther, »ich will
-jetzt gleich vor der Malstunde einmal hinübergehen.« --
-
-Sie klopfte an und trat auf ein rauh hervorgestoßenes »Herein!« in das
-Zimmer.
-
-Es war ein ganz winziges Kämmerchen -- ungleich dürftiger noch als das
-ihre.
-
-Der Tote lag ausgestreckt auf seinem Bett. Er hatte ein leidensverzerrtes
-Christusgesicht.
-
-Esther ging auf Fräulein Nancy zu, die ihr feindlich entgegenstarrte. Sie
-wagte kein Wort des Beileids zu sagen, bot nur ganz schlicht ihre Hilfe an.
-
-»Lassen Sie mich in Ruhe,« sagte Fräulein Nancy, »ich gehe Sie
-nichts an, und Sie gehen mich nichts an. Das hier ist allein meine
-Angelegenheit.«
-
-Esther ging still wieder hinaus. Sie traf Fräulein Schulze im Gang.
-»Nun,« fragte die, »haben Sie was erreicht?«
-
-Esther verneinte niedergeschlagen.
-
-»Ich sagte es Ihnen ja, liebes Fräulein, da kann nur unser Herrgott
-helfen!«
-
-
-
-
-XIII
-
-
-In den Straßen ging die Luft weich und wehend. Esther spürte diesen
-feinen, durchdringenden Geruch des einbrechenden Frühlings, und da stieg
-es plötzlich in ihr auf wie eine leise Neugier nach fernen, fernen,
-halbvergessenen Dingen.
-
-Wie ist doch das?
-
-Man geht an Frühlingstagen wie durch ein Feld, auf dem Erwartung und
-Sehnsucht nach künftigem Genießen sproßt.
-
-Ist es wohl so? --
-
-Aber sie -- sie gehörte doch zu denen, die für sich selbst nichts mehr
-zu erwarten haben -- denen sich das Leben geweigert hat. Zu denen, die nur
-noch tapfer sein wollen.
-
-Doch der Wind streifte sie wie ein verwehter Klang der Heimatssprache.
-
-Wie träumend ging sie von dem gewohnten Rückweg aus der Malschule ab und
-verfolgte die Richtung nach dem Tiergarten.
-
-Überall standen an den Straßenecken Blumenverkäufer mit italienischen
-Anemonen und Mimosenzweigen, deren linder Geruch gleichsam die Luft
-verjüngte.
-
-Esther trat in einen Blumenkeller und kaufte ein paar Narzissen -- ihre
-Lieblingsblumen. Sie trug sie sinnend vor sich her.
-
-Über den Straßen des Tiergartenviertels glänzte weißes, trocknes Licht.
-Aus den Gärten herüber drang üppiger Blumenduft der ausländischen
-Pflanzen, vermischt mit dem herben Geruch von jung keimendem Grün.
-
-Und dann war der Tiergarten erreicht.
-
-Ein zartgrünes, durchdringendes Licht spiegelte von den jungen
-Blattknospen auf den Weg herab.
-
-Wie schön das alles war. Ja, sie wußte, daß alles das schön war,
-was sie umgab -- aber sie vermochte es nicht zu fühlen. Eine lähmende
-Starrheit lag über ihrer Seele, die der alte leichtbewegliche
-Schönheitssinn vergeblich zu durchbrechen suchte.
-
-Wie Scham über ein heimliches Gebrechen empfand sie diese Starrheit
-plötzlich. Und sie quälte sich damit und suchte nach Gründen.
-
-Sie dachte: Wie kann es nur sein, daß eine bloße Enttäuschung, die uns
-nicht einmal im tiefsten traf, so zu töten vermag, während ein großer,
-echter Schmerz lebenschaffend wirkt?
-
-Sie erinnerte sich, wie sie einmal das Leid getragen hatte wie ein
-heimliches Glück. Wie ringsum alles zu Leben erstand -- geheimnisreich und
-tief. Wie jeder Vorgang bedeutungsvoll wurde, weil er sich in einem heißen
-Herzen spiegelte.
-
-Doch dann war jener Irrtum des Fühlens gekommen, der die Lebenskraft
-langsam, fast unmerklich in sich sog, der sie ganz im geheimen leer
-und unfähig machte, während ihr schien, sie habe kaum etwas daran
-gesetzt. -- --
-
-Sie ging an den Teichen entlang, dann über eine Brücke.
-
-Schwäne kamen fauchend und mit erhobenen Flügeln angeschwommen. Wie ein
-hellgrünes Netz über schwarz-goldenem Grund spiegelten sich die jungen
-Knospen im Wasser.
-
-Esther blieb stehen, senkte den Kopf immer tiefer, lehnte sich an den
-Brückenpfeiler.
-
-Da kamen ihr ein paar Worte -- arme, geborgte Worte -- sie hatte wohl keine
-eigenen mehr: Verfehlte Liebe -- verfehltes Leben -- --
-
-Und die Schwäne reckten sich zischend zu ihr herauf, und die Worte fielen
-wie eine geheimnisvolle Last in das golden schwarze Wasser. -- -- -- --
-
-»Fräulein Franzenius, da stehen Sie nun immer und unterhalten sich mit
-den Schwänen?«
-
-Esther sah auf. Fräulein von Preller stand neben ihr.
-
-»Ich habe Sie gar nicht gesehen,« sagte Esther mit einem scheuen
-Lächeln.
-
-»Natürlich nicht,« meinte die andre und sah ihr mit einem sonderbar
-guten und warmen Blick entgegen.
-
-Esther dachte: »Sie ist schön.« Und dann: »Hat sie mir auch jetzt eben
-gewiß nichts ansehen können?«
-
-Nein, gewiß ahnte sie nichts dergleichen. Sie fragte ganz harmlos:
-»Darf ich nun mit Ihnen zurückgehen? Denn wir müssen doch gewiß recht
-pünktlich zum Mittagessen kommen, sonst machen wir das arme Fräulein
-Schulze ja unglücklich.«
-
-»Gern, wenn Sie mögen.«
-
-Esther war ganz erleichtert, daß sie sich nicht durchschaut fühlen
-mußte.
-
-So gingen sie nebeneinander durch den Tiergarten zurück.
-
-Fräulein von Preller machte kleine Bemerkungen über die Umgebung.
-»Schade, daß ich kein Brot für die Schwäne mithabe,« sagte sie. »Sie
-erwarten es eigentlich nicht anders von jedem Vorübergehenden. Sie stellen
-sich auf und fordern Zoll. Und wer nichts zu geben hat, den verfolgen
-sie höchst ärgerlich noch ein Stückchen auf dem Land, dort wo es ihnen
-eigentlich schon fast unmöglich ist, sich fortzubewegen. Alles das, weil
-sie sich recht sehr enttäuscht fühlen.«
-
-Dann kam ein Kinderfräulein vorbei mit einer Schar kleiner aufgeputzter
-Judenkinder. Sie trippelten alle ganz vorsichtig in ihrem Staat einher und
-hatten traurige, müde Augen.
-
-Fräulein von Preller sagte: »Es thut mir immer weh, wenn ich Kinder sehe,
-die nicht laufen und springen dürfen. Mir scheint, solche Kinder haben
-für ihre kleinen beständigen Entsagungen mehr zu dulden, als irgend ein
-Erwachsener über seinen reifen Kummer, den ihm das Schicksal auferlegt.
-Immer wenn ich solchen kleinen unglücklichen Wesen begegne, wünsche ich
-mir nichts mehr, als an Stelle dieser leeren Holzpuppen zu sein, und dann
-würde ich selbst mit den Kindern um die Wette Kinderstreiche machen. --
-Natürlich wäre ich dann bald genug von der betreffenden gnädigen Mama
-entlassen,« setzte sie lachend hinzu.
-
-Esther hörte gern zu. Die alleralltäglichsten Sachen klangen gut und warm
-durch die Art, wie sie gesprochen wurden, und die etwas tiefliegende Stimme
-war wie von Leben durchzittert.
-
-Da plötzlich nach einer kleinen stummen Pause brach Fräulein von Preller
-in die Worte aus: »Ich wollte, alle Geheimnisse wären so schön wie die
-eines Frühlingstages. Kein Mensch dürfte etwas Trauriges verbergen --
-dann würde ein jeder umhergehen und den andern glücklich machen mit dem,
-was er verschweigt.«
-
-»Was kann ein Mensch dazu thun, wenn er trübe Geheimnisse tragen muß?«
-sagte Esther leise.
-
-»Sie tot machen! Sie ganz ertöten und überwinden, und dann -- ein neues
-Glück darauf bauen!«
-
-»Glauben Sie nicht, daß es Verhältnisse giebt, die kein neues Glück
-zulassen -- die _das_ Glück nicht zulassen?«
-
-»Nein -- nie!«
-
-»Sie meinen?«
-
-»-- daß jedes Glück gewollt und erzwungen werden kann.«
-
-»Glauben Sie nicht, das ergäbe eine recht billige Moral?«
-
-»Ich weiß, daß sich das, was ich jetzt sagen will, sehr leicht
-mißverstehen läßt -- trotzdem: ich glaube, daß für jeden Menschen,
-auch für den, der gewohnt ist, nie nach billigen Moralen zu handeln,
-einmal der Augenblick kommt, wo er sich jenseits der Moral stellt. Es
-ist für ihn der Ausnahmefall -- das Zugeständnis an die Forderung des
-brutalen Lebens. _Wann_ diese Zeit aber gekommen ist, hat jeder anständige
-Mensch allein mit sich selbst abzumachen. Er allein muß wissen, wie viel
-Kampf und Schmerz er einzusetzen hat, ehe er sich sein Glück nimmt.
-
-Man hat viel von einer Moral gesprochen, die im Namen der Schönheit und
-Freiheit verkleideten Häßlichkeiten das Wort redet. Darüber sind wir
-jetzt hinaus. Unsre ganze Zeit ist darüber hinaus. Wir wissen nur mehr von
-einer Ästhetik, die sich mit Ethik deckt.
-
-Wir haben uns von den mißverstandenen Idealen der Freiheit entfernt und
-lassen wieder die Gesetze der Güte und Großmut über uns stehen, die im
-Grunde stets für den besseren Menschen gegolten haben. Und an wen es nun
-kommt, daß er abweichen muß, von dem, was er für gut hält, der hat
-einen strengen Kampf mit sich selbst zu führen -- und er wird ihn hart
-kämpfen -- nur sich nicht zerstören lassen.«
-
-»Aber könnte es nicht einmal -- die Pflicht eines Menschen sein, sich in
-diesem Sinn zerstören zu lassen!«
-
-»Nie. -- Allein schon darum nicht, weil ein gebrochener Mensch -- ganz
-objektiv geurteilt -- durch seine Person ebensoviel Unheil anrichten muß,
-wie er sonst Glück geben könnte. Sein Bestes kann ja nur noch Resignation
-sein.«
-
-»Und das Unglück, das er anrichtet, wenn er sich nimmt, was ihm nicht
-zukommt?«
-
-»Das -- muß er als ehrlicher Streiter thun. Und noch einmal: Er muß
-wissen, _wann_ er es thun darf -- er allein.
-
-Ein guter und ganzer Mensch wird immer von guten Instinkten geleitet -- ein
-gebrochener kann nur noch Unheil anrichten -- ganz unbewußt und ungewollt
-vielleicht.« --
-
-Sie gingen nun das letzte Stück schweigend nebeneinander. Das helle
-Frühlingslicht floß zitternd an ihnen herab. Esther war es, als hörte
-sie ganz von ferne Glocken klingen. Feiertagsglocken waren das -- wurde
-nicht das Leben eingeläutet?
-
-Das alles drängte sich ihr so heiß zu Herzen. Und auch das Traurige wurde
-milde.
-
-Esther dachte: »Das war es -- ja, das war es: ich mußte Unheil anrichten
--- überall wohin ich kam. Ich hatte nichts Ganzes und Gutes einzusetzen,
-weil ich dort nicht kämpfen durfte, wo meine Seele begehrte. -- --
-
-»_Mit meiner ganzen Seele begehre ich nach dir!_«
-
-Ja, mit diesen Worten dachte sie plötzlich an den alten Wunsch. Lebensvoll
-wie nur je trat er hervor aus langem, langem Schweigen.
-
-Der Kampf war zu Ende.
-
-
-
-
-Dritter Abschnitt
-
-
-
-
-XIV
-
-
-So oft hatte Esther sich die Heimkehr in Gedanken vorgestellt, daß nun die
-Wirklichkeit für sie gar kein Leben gewinnen wollte.
-
-Sie ging immer nur vor sich hin und dachte, ob es dies eine Mal auch gewiß
-kein Traum sei, wie so oft schon vorher.
-
-Es war ein weicher Märztag gegen die Dämmerung zu, und überall lag noch
-ein Duft von Sonnenwärme. Kein bekannter Mensch begegnete ihr unterwegs.
-So kam sie bis an den Garten.
-
-Sie konnte sich Zeit lassen. Niemand ahnte ja, daß sie schon hier war.
-Leise klinkte sie das Pförtchen auf und ging über die regenfeuchten
-Wege. Bräunlich war noch der Rasen von vergangenem Schnee, nur einzelne
-frischgrüne Lichter lagen darüber.
-
-Aber da -- hinter den großen Erlen wuchsen Schneeglöckchen!
-
-Wie oft hatte sie sich den Garten vorgestellt und immer gemeint, so bis
-auf alle Einzelheiten noch alles genau zu wissen. Und nun wuchsen da
-Schneeglöckchen, an die sie nie mehr gedacht hatte.
-
-Nein, es war kein Traum, diesmal!
-
-Ein unendlich zärtliches Gefühl -- eine kindliche, kindliche Freude
-erfüllte sie. Und sie meinte, es hätte ihr kein lieblicheres Erlebnis
-werden können, als daß daheim die Schneeglöckchen blühten.
-
-Weich und fast heiter war sie, während ihr stille, warme Thränen
-über das Gesicht liefen. Alle großen, leidenschaftlichen und dunklen
-Empfindungen schwiegen vor der kleinen, kindlichen Freude.
-
-Alles war gut und milde in ihr, und sie war bereit, unter glückliche
-Menschen zu treten. --
-
-Sie ging langsam auf das Haus zu. Amseln rannten vor ihr über den Weg und
-versteckten sich zwitschernd in den kahlen Büschen. Das Haus lag stolz und
-feierlich vor ihr. Alles war ihrem Herzen ein weiches Entzücken.
-
-Da trat jemand auf die Veranda heraus. War das Lydia? Sie schien so viel
-weiblicher, anmutiger.
-
-Sie ging hin und her, dann blieb sie am Geländer stehen, und ihre Finger
-spielten in den dürren Weinranken.
-
-Esther kam langsam auf sie zu. »Lydia!«
-
-Das Mädchen griff sich nach dem Herzen. Dann schritt sie zögernd die
-Stufen hinunter in den Garten, während Esther unwillkürlich stehen blieb.
-
-»Ach du, mir war es, als müßtest du da sein,« sagte Lydia. »Deshalb
-bin ich herausgekommen.«
-
-Sie gaben sich die Hand, denn es waren nie nähere Zärtlichkeiten zwischen
-ihnen üblich gewesen. Aber Esther fühlte die ganze alte Treue in dieser
-einfachen Begrüßung.
-
-Dann gingen sie miteinander, sich noch immer bei der Hand haltend, ins Haus
-hinein.
-
-»Ich bringe sie Euch!« sagte Lydia, und Esther sah die beiden zusammen,
-die sie in Gedanken hatte trennen wollen.
-
-Sie waren schöner noch geworden -- beide. Und es schien, als könne man
-sich keinen ohne den andern denken. Sie paßten zusammen, wie ein Bildwerk,
-das der Künstler aus einem einzigen Marmorblock gemeißelt.
-
-Fast schien es, daß eine körperliche Ähnlichkeit zwischen ihnen
-entstanden war.
-
-Maria nahm die Schwester in ihre zarten Arme und küßte sie. Esther
-fühlte einen warmen, schmeichelnden Hauch im Gesicht.
-
-Wie war es doch? War sie nicht gekommen, um dieser da das Glück zu rauben?
-
-Das alles lag so fern.
-
-Sie fühlte sich auf eine neue, feinere Art eins mit ihnen allen. Das
-tödliche Begehren schwieg.
-
-»Wie schön, daß Sie gekommen sind, Esther,« sagte Lothar.
-
-Esther fühlte etwas Fremdes an ihm -- vielleicht, daß seine Freudigkeit
-leichter, harmloser als früher war. Er hatte ja auch im Glück gelebt.
-
-»Ja, wir wollen es jetzt gut miteinander haben -- und nie wieder gehst du
-fort, Schwesterlein, ja? Versprich uns das!«
-
-Und Maria hob sich ein wenig auf die Fußspitzen, während ihre Hände
-auf Esthers Schultern ruhten. So waren sie gleich groß, daß sich die
-Gesichter gegenüberstanden. Maria lächelte zärtlich.
-
-»Wenn du wüßtest, wie glücklich ich bin, wieder hier zu sein,« sagte
-Esther.
-
-»Ja -- nicht wahr? Ich habe nie begreifen können, daß du fort
-mochtest.«
-
-Nun mußte Esther erzählen. Sie wunderte sich selbst, wenn sie so
-leicht über die vielen Kleinigkeiten reden konnte, die teils aus einem
-allzubedeutungsvollen Leben stammten, teils aus jener toten Zeit, wo alles
-Äußerliche an ihr vorüberging, wie ein gelesenes Wort, das nicht zum
-Herzen dringt.
-
-Zuweilen begegnete sie Lydias gutem Lächeln.
-
-»Aber ich will nun zum Vater,« sagte Esther.
-
-Ach richtig, der Vater! Ihn hatte man ja ganz vergessen.
-
-»Mein liebes Kind -- mein liebes Kind,« sagte der alte Franzenius immer
-wieder und schüttelte seiner Tochter die Hand.
-
-»Vater --« Esther sprach es ganz leise, gleichsam, wie um sich zu
-erinnern.
-
-»Wie geht es dir denn, mein liebes Kind?« Er besann sich sehr, um etwas
-zu reden. Eigentlich gab es ja gar nichts zwischen ihnen, was sie sich
-mitteilen mußten. Sie hatten eben nur immer nebeneinander hergelebt und
-nur das besprochen, was der Alltag mit sich führte. --
-
-Und dann saßen sie alle zusammen um den großen runden Tisch. Und Lydia
-hatte die Theemaschine vor sich und sah sehr hausmütterlich aus. Alle
-behandelten sie mit sehr viel Respekt und zugleich mit einer Art, als ob
-sie ganz schrecklich abhängig von ihr wären.
-
-Lydia hatte Würde bekommen.
-
-Es lag etwas Zufriedenes, Beglücktes über einem jeden von ihnen. Esther
-fühlte, hier war sie nicht entbehrt worden.
-
- * * * * *
-
-Am nächsten Tag ging sie mit Maria durch den Garten.
-
-Maria ließ die knospenschweren Zweige durch ihre Finger gleiten. »Bald
-werden wir Blüten haben,« sagte sie. »Und auch heiraten können wir
-dann.«
-
-Esther traf es so tief und schneidend. Sie hätte sich aufbäumen mögen,
-wie ein verwundetes Tier.
-
-Sie blieb vor Maria stehen.
-
-»Hör' mich, Maria, ich muß dir etwas sagen --«
-
-Maria sah ihr ruhig und unschuldig ins Gesicht.
-
-Nun mußte sie der Schwester gestehen, daß sie gekommen war, um ihr
-den Geliebten zu nehmen. Ja, das mußte sie jetzt, damit es ehrlich war,
-zwischen ihnen.
-
-»Hör' mich, Maria, ich muß dir etwas sagen,« wiederholte sie zögernd.
-
-Und dann zitterte ihr Blick fort von den klaren, fragenden Augen der andern
--- und sie ging wortlos weiter.
-
-»Was war es, das du mir sagen wolltest?« fragte Maria neben ihr
-hinschreitend.
-
-»Nichts -- o, nichts von Bedeutung.«
-
-»Arme Esther, du siehst so gequält aus -- du mußt viel gelitten
-haben,« sagte die schöne Maria. Und über ihr wiegten sich segnend die
-blütenverheißenden Zweige, und die Blümlein freuten sich, wenn sie das
-Kleid der Allerschönsten streifte. --
-
-Lothar kam in den Garten. Und wie von je suchten seine Augen Marias
-gesegnetes Angesicht. Aber nicht mit dem müden, schweren Ausdruck von
-einst kam er zu ihr -- die Frohheit und Sicherheit des Glückes hatte auch
-ihn durchdrungen.
-
-Esther dachte: wir sind uns so viel fremder geworden. Ich muß ihm ja nicht
-mehr wie damals mit Schmerzen folgen -- er ist glücklich.
-
-Und das Gefühl der Einsamkeit, das vor der ersten Heimatsfreude
-zurückgewichen war, durchdrang sie wieder.
-
-Nie wird es sich aus einem Menschen löschen, wenn er einsam gewesen ist in
-jener bittern, schweren, sehnsüchtigen Einsamkeit, die zu keusch ist, um
-nach »Menschen« zu greifen.
-
-Die lieber ihr Leid trägt, als sich an ihrer Schmerzen Heiligkeit
-vergreift.
-
-Und die doch so arm und tiefgebeugt werden kann, daß sie sich sehnt, mit
-weggewandtem Gesicht die Hand auszustrecken, bettelnd, ohne den Geber
-zu sehen -- um dann doch immer nur die Gabe verschmäht aus den Händen
-gleiten zu lassen.
-
-Denn heiliger sind alle Schmerzen der Sehnsucht, als jede Erfüllung aus
-fremder Hand. --
-
-Und sie dachte: Ich möchte dich hinabziehen zu meinen Schmerzen, zu meinen
-Entbehrungen und Kümmernissen. Nur daß ich dich für mich allein hätte.
-
-Du bist mir fremd geworden in deinem Glück. Ich aber sehne mich nach
-Schmerz und Erdenschwere an deiner Seite.
-
-Alle Güte war von ihr gewichen. Sie sah auch nicht die Lieblichkeit der
-Schwester mehr.
-
-Sie sah Lothar mit einem dunklen Blick an. »Ich muß dich zu mir sehnen
-können,« dachte sie.
-
-Seine Augen aber glitten an ihr vorüber. Und er verstand sie nicht. --
-
-O sie wußte wohl, er war nicht von jener feilen Art, die sich durch ein
-Wohlgefallen von ihrer Liebe ablocken läßt, wie jener, an dem sie sich
-geirrt hatte --
-
-Aber das was sie ihm bot, mußte er doch fühlen als das Kostbarste, was je
-ein Mensch dem andern bewahrte -- die Sehnsucht eines ganzen Lebens --
-
-Diese todesstarke Sehnsucht mußte ihn zu ihr zwingen. --
-
-
-
-
-XV
-
-
-Und der Frühling kam so mit Macht!
-
-Einmal noch hatte der Winter das frühe Grün überdeckt, aber nun tauten
-schon wieder die Wasser von den Bergen und schossen durch das Flußbett.
-Weidenruten wurden im raschen Vorüberbrausen ergriffen, bogen sich,
-wehrten sich, wurden von der Strömung in die Länge gezogen und schnellten
-das Wasser peitschend zurück. Die Wiesen aber glichen Teichen, aus
-denen das Erlengesträuch mit hilflos erhobenen Armen emporstarrte. Und
-fortwährend war ein Rauschen in der Luft, als stürme die Sehnsucht durch
-das Land.
-
-Ja, alle Einsamkeit wollte sterben, und in jedem Auge war Hoffnung. --
-
-Esther fühlte sich so eng verbunden mit ihrer Heimat, mit diesem Land,
-wo der Frühling so anders kommt als anderwärts. Wo er kommt wie ein
-plötzlicher starker Wille nach langer Beherrschung, wie ein Wille, der
-niedergekämpft lag in langen Zeiten -- niedergehalten mit ehrlicher
-Kraft. Und nun steht er auf -- wild und riesenstark geworden, während er
-gebändigt darniederlag.
-
-Esther fühlte sich so eng verbunden mit ihrer Heimat, mit diesem
-Land. -- -- -- --
-
-Und das Wasser trat zurück und leuchtete in der stolzen schimmernden Ruhe
-der Blütenzeit.
-
-Wie mit weißem Schaum bedeckt standen die Bäume. Und war es nicht, als
-hörte man die Erde knistern unter dem Hervorbrechen der Blumen?
-
-Alle Farben waren blank und glatt vor Unberührtheit. Ein feiner,
-schwebender Duft ging wie Liebesahnung durch die Natur, wurde voller und
-stärker und strömte zuletzt wie ein einziger tiefer Klang über alles
-Land. --
-
-Hätte jetzt jemand Esther gefragt: »Ist es so? Ist es das: Du gehst umher
-und suchst den mit Gewalt an dich zu reißen, den du liebst -- du bist
-schön geworden, weil du siegen willst, ist es das, Esther?« -- Hätte
-jemand so gesprochen, so würde sie antworten müssen: »Ja, so ist es.«
-Und sie hätte auch noch gesagt: »Sieht mir das nicht ein jeder an? Ich
-bin schön geworden, weil ich seiner begehre!«
-
-Wie eine köstliche Gewißheit trug sie es in sich, daß er zu ihr kommen
-würde, kommen mußte eines Tages. Ihr schien, sie hätte nicht mehr
-gejubelt und nicht mehr geweint, wäre es so gekommen -- sie hätte es
-souverän entgegengenommen, als das was ihr gebührte.
-
-Da war kein Zweifel mehr und auch kein Zurückschrecken vor dem Leid, das
-sie der Schwester damit thun wollte --
-
-Es gab nur noch das eine Recht, das sie sich kraft einer todesstarken
-Sehnsucht errungen hatte. -- --
-
-Sie ging im Garten und hörte auf seinen Schritt. Sie wußte immer im
-voraus, wenn er kommen würde. Sie brauchte sich nicht einmal nach
-ihm umzusehen -- sie kannte ein jedes Geräusch, das mit seinem Kommen
-zusammenhing.
-
-An den Fliederbäumen blieb sie stehen, die ihre kleinen Blüten noch wie
-Fäustchen ballten.
-
-»Bis der Flieder blüht, sollst du mir gehören,« dachte sie.
-
-Und wenn er vor ihr stand, sagten ihre Augen: »Komm zu mir! Komm zu mir!«
-
-Und sie ging hinaus in die Berge. Und dort, wo alle verschwiegenen Plätze
-ihre alten Geheimnisse kannten, warf sie sich an den Erdboden -- mitten
-hinein in die honigduftenden, sonnengelben Schlüsselblumen und dehnte ihre
-festen jungen Glieder und that die Augen weit auf vor dem Licht.
-
-Und dann fühlte sie die Liebe wie ein leises Beben am Herzen und horchte
--- horchte hinein in den Frühlingstag. -- -- -- --
-
-Einmal aber, wie sie draußen vor dem Gartenzaun vorbeiging, hörte sie
-dort drinnen Lothar zu Maria sprechen. Und er sagte: »Esther ist so schön
-geworden -- anders noch als früher. Man möchte immer von ihr denken, daß
-sie ein beglückendes Geheimnis in sich trägt.«
-
-Und Maria lachte. Leicht und sorglos lachte Maria. Maria, die Schönste,
-Maria, die Geliebteste hatte keine Antwort als ein kleines Lachen.
-
-
-
-
-XVI
-
-
-Und es kamen die stillen, schweren Tage des Frühsommers.
-
-Alles Blühen wurde farbenreicher und üppig, und die Luft stand zitternd
-und hell über der Erde.
-
-Es war gegen Abend.
-
-Esther saß mit der Schwester und Lothar im Garten.
-
-Die Vögel stießen schrille, scharfe Locktöne aus, die in der unbewegten
-Luft wie erstickt abbrachen.
-
-»Es ist noch immer so heiß,« sagte Maria. »Die Büsche sind so dicht
-geworden und halten die Tageshitze gefangen. Wollen wir nicht einmal nach
-dem Berggarten sehen?«
-
-Und sie gingen den grünen Heckenweg hinter der Stadt hinaus und erstiegen
-einen Berg, an dessen Hang sich Weingärten hinzogen.
-
-Es war schon ein wenig dämmerig im Thal, droben aber lag noch das
-weißliche, schon abgetönte Licht des Sommerabends.
-
-Ganz hinauf stiegen sie, bis zu einem kleinen Steinbruch, der von
-Schlehengestrüpp durchwachsen war.
-
-Da hatten sie unter sich den weiten, blühenden Hang, der einmal ein
-wohlgepflegter Weinberg gewesen. Jetzt aber wucherten die tiefen Farben
-der Akelei zwischen den Reben, und weiße, scharfduftende Rosen waren im
-Erblühen.
-
-Weit, weit unten lag die Stadt, aus deren Dämmern sich kleine, unsichere
-Lichtfunken hoben, und aus den fernen bläulichen Kornfeldern, die sich mit
-dem Sinken des Abends entfärbten, roch es frisch herüber.
-
-Das Schönste aber waren die weißen Irisblüten.
-
-Hell und gleißend erhoben sie sich dicht vor ihnen gegen den Abendhimmel.
-
-Der Mond kam leicht und durchsichtig hinter den jenseitigen Bergen hervor
-und strich zögernd über den Himmel.
-
-Die Irisblüten waren wie weiße, flackernde Flammen. Esther beugte sich
-tief hinab zwischen die glatten, glänzenden Stiele, die sich knirschend
-aneinander rieben und atmete den kühlen, unsagbar feinen Duft. Von der
-Nachtluft leicht bewegt, flatterten die Blütenblätter mit einem sirrenden
-Ton, der wie Seidenrauschen klang.
-
-Maria erhob sich von dem steinernen Sitz und trat unter die Schwertlilien.
-Sie bog die Stengel auseinander und legte sich mitten unter sie.
-
-Esther sah hinüber zu Lothar. Der blickte weit hinaus in das nächtige
-Land.
-
-Aber der Nachtwind strich vorbei wie eine Sehnsucht nach kühlen,
-rätselhaften Geheimnissen.
-
-»Ich liebe dich,« dachte Esther. »Ich liebe dich -- --
-
-Dringt es denn nicht zu dir? Kann meine Liebe noch für dich schweigen in
-dieser Nacht?«
-
-Doch er schwieg und sah weit hinaus in das nächtige Land.
-
-Da war ihr, als müsse sie sich jetzt erheben und zu ihm gehen und seine
-Hand fühlen. Als müsse sie sagen: »Komm nun zu mir, denn du bist bei mir
-zu Hause -- bei mir allein.«
-
-Aber sie regte sich nicht, folgte nur seinem fernen Blick.
-
-Und es wurde ganz ruhig in ihr, ruhig wie zu einem angestrengten Horchen.
-Und ihr war, als sehe sie dort draußen im unbestimmten Licht zwei Seelen
-zusammenfließen -- dort draußen -- weit -- zwischen Himmel und Erde.
-
-Und ein tiefes, geheimnistrunkenes Glück verschleierte alle Wirklichkeit.
-Sie gab sich ganz dem Entzücken des Traumes hin.
-
-Sie dachte: »Was geht mich die Erfüllung an und die Ewigkeit der Seligen?
-Liegt nicht alle Ewigkeit in diesem Augenblick?« --
-
-Maria richtete sich halb zwischen den Irisblüten auf. »Was denkst du
-jetzt?« fragte sie Lothar.
-
-Der wandte sich wie zögernd ihr zu.
-
-»Ich dachte, wie leicht es sei, auf die Ewigkeit zu verzichten, da man sie
-doch fühlen kann in einem Augenblick.«
-
-Da wußte Esther, es gab keine Täuschung mehr: Fern von der Welt der
-Wirklichkeit und des Bewußtseins hatten sich ihre Seelen berührt.
-
-Und sie weinte ganz still -- sie weinte die wunderbaren Thränen um eine
-erste bräutliche Berührung. -- -- -- --
-
-Maria war es, die zuerst sagte: »Es wird spät, wir müssen heim.«
-
-Und wie sie wieder den Weg hinabgingen, schmerzte es Esther gar nicht mehr,
-daß Lothar und Maria sich an der Hand hielten wie Menschen, die allein
-für einander bestimmt sind.
-
-
-
-
-XVII
-
-
-Die Schwermut des Verblühens lag über dem Land.
-
-Im Garten beugten sich die Lilien, die Reseda wucherte in den Rosenbeeten,
-und das Grün der Blätter vertiefte sich.
-
-Ein schwerer Duft rang sich aus der Erde los, und die Schatten waren sehr
-dunkel. --
-
-In dieser Zeit traf es sich einmal, daß Esther mit Lothar allein war.
-
-Sie gingen nebeneinander den Kiesweg auf und ab, der ganz unten im Garten
-an der Ligusterhecke entlang führte.
-
-Und Esther fühlte die Zeit verrinnen, als sei sie kostbar wie das Wasser,
-das der Durstende in der hohlen Hand geschöpft, und das nun Tropfen um
-Tropfen zwischen den Fingern hindurchgleitet.
-
-Endlich sagte Lothar: »Sie muß bald kommen.« Er dachte an Maria.
-
-»Ja, sehr bald,« antwortete Esther. Sie dachte: Tropfen für Tropfen
-verrinnt -- Tropfen für Tropfen. Aber was will ich denn noch? Ist nicht
-jeder Wunsch zur Ruhe gegangen in jenem geheimnisvollen Glück?
-
-Und sie fühlte, wie ihr die schwermütige Lieblichkeit des
-Spätsommertages zu Herzen ging -- sie gleichsam heimatlich berührte.
-
-Lothar sagte: »Ich liebe diese Zeit in der Natur mehr als irgend eine
-andere. Sie ist mir näher, vertrauter als manche, die ich schöner
-finde.«
-
-Esther lächelte nur, wie er ihre Gedanken aussprach. Sie sagte: »Es giebt
-so viele Dinge, mit denen es so ist. Wir gehen vielleicht von ihnen fort,
-um etwas anderes über die Maßen schön zu finden -- aber dann treibt es
-uns eines Tages doch wieder zurück zu dem, was uns heimatlich ist.«
-
-Lothar fiel ihr ins Wort. »Und dann das -- es ist das Sonderbarste: Wir
-wissen uns verwandt mit irgend einer fernen Zeit -- einer Zeit, die lange
-vor uns lag. Und alles, was uns im Leben von dorther berührt, macht uns
-Heimweh.«
-
-»Ja,« sagte Esther, »ich habe auch zuweilen gedacht, daß es jene Zeit
-ist, der wir angehören sollten. Nun glaube ich aber mehr noch, es ist die
-Verlassenheit, die auf allem Zurückgebliebenen aus fernen Zeiten liegt, es
-ist die Vergangenheit an sich, die so bethören kann.
-
-Dort suchen wir uns dann eine Heimat, wohin wir alle erträumte
-Schönheit tragen können -- eine Heimat, die sie mit uns vor den Menschen
-verschweigt.«
-
-Esther sprach nicht weiter und fühlte nun seinen Blick. Sie hörte auch
-seinen Atem wie in Erregung tiefer gehen, sah aber nicht auf zu ihm.
-
-»Esther -- Sie sagen das -- was in mir ist --«
-
-Seine Worte waren zögernd, wie eine Frage gesprochen.
-
-Esther dachte: »Warum soll er es nicht wissen, daß wir einander ähnlich
-sind wie nie zwei Menschen zuvor? --«
-
-Und sie erwiderte ihm nichts.
-
-Da sagte er, und seine Stimme klang seltsam bewegt: »Ja, Esther, wir sind
-uns sehr gleich. Und es thut gut, einen Kameraden im Leben zu wissen, zu
-dem die Dinge kommen wie zu uns selbst.
-
-Maria ist anders.
-
-Marias Heimat liegt in dieser Zeit und doch in einer höhern Welt. Zu ihr
-kommen die Geschehnisse schon geläutert und vergeistigt -- gleichsam wie
-mit Engelsflügeln.
-
-Aber alles Frohe und Leichte bedarf der Schonung. Es giebt so viele
-Freudenzerstörer. Sie braucht jemand, der sie schützt vor allem Schmerz
--- einen von uns Schweren, die in der Erde wurzeln und die Heimat in
-irdischen Vergangenheiten suchen. Einen von uns, die wir noch die Sehnsucht
-als Schmerz und Vereinsamung empfinden -- und eben deshalb lieben müssen,
-was strahlend und leicht und erdenfern ist.
-
-Einen von uns, dem sie Erlösung und Erhöhung ist.
-
-Niemand kann wie Sie meine Liebe zu Maria verstehen, Esther --«
-
-»Ja, das kann ich,« sagte Esther so langsam und leise, daß ihre Stimme
-klang wie ein verwehter Ton. --
-
-Marias weißes Kleid schimmerte schon durch die Büsche --
-
-Und dann kam sie selbst -- schön und gütig wie das Licht.
-
-
-
-
-XVIII
-
-
-Da kam ein Brief aus Dänemark von Eliza.
-
-Sie schrieb zuweilen diese kleinen Briefe, die klangen wie zärtliches
-Vogelgezwitscher. Und Esther waren sie immer eine schmerzliche Freude.
-
-Als Esther den Umschlag öffnete, fiel aus dem zusammengefalteten
-Briefbogen eine Karte Adam Rudes. Die las sie zuerst, denn sie fürchtete
-schlimme Nachrichten.
-
-Er schrieb:
-
- »Mein liebes Kind!
-
- Wenn es Dir möglich ist, thue es Eliza, worum sie Dich bittet. Sie ist
- recht krank und meint immer, daß sie durch Dich gesund werden kann.
-
- Denke nicht an die Worte eines alten Mannes, die Dir vielleicht Deinen
- Entschluß erschweren könnten.
-
- Ich verspreche Dir, das Vergangene soll Dir nichts anhaben, und ich
- selbst will Dich rein halten von meinem Schicksal, wie es geschah --
- bis auf das eine Mal.
-
- Dein
-
- Adam Rude. --«
-
-Zitternd faltete Esther Elizas Brief auseinander.
-
-Da stand:
-
- »Meine süße Esther!
-
- Wenn Du es doch thun wolltest und zu mir kämst. Ich sehne mich so sehr
- nach Dir.
-
- Ich bin krank und sehne mich, daß Du gut zu mir bist. Komm doch!
-
- Deine
-
- Eliza,
-
- die sich so schrecklich freuen würde,
- wenn Du kämst!«
-
-»Was hast du denn, Esther?« fragte Maria, die der Schwester allein
-gegenübersaß.
-
-»Fort -- ich muß gleich fort!« sagte Esther wie geistesabwesend.
-
-Sie fragte niemand, sie zog niemand zu Rate -- es war, als sei ihr ganzes
-Wesen schon dorthin enteilt, wo ihre sorgenden Gedanken waren.
-
-Maria klagte: »Aber dann wirst du ja nicht hier sein zur Hochzeit!«
-
-»Nein, das werde ich dann nicht,« sagte Esther mit einem seltsamen
-Lächeln und strich sich das Haar aus den Schläfen.
-
-»Ach -- aber -- gelt, du bist doch nicht böse, wenn wir nicht warten bis
-du wiederkommst, Schwesterchen?
-
-Du weißt doch, wir haben schon so lange warten müssen, bis Lothar die
-Anstellung bekam.
-
-Lydia kann ja --«
-
-»Ja, ich weiß, Lydia kann mich hier ersetzen,« sagte Esther und ging
-hinaus, ihren Koffer zu packen.
-
-Dann telegraphierte sie nach Eriksgaard: »Ich reise morgen früh ab.« --
-
-Am Abend saß sie mit Lydia und dem Brautpaar noch zusammen.
-
-Lydias liebevolle Besorgnis nahm sie heute ungerecht auf. Es erinnerte
-sie so sehr daran, daß Lydia sie so ganz, so lückenlos ersetzen würde.
-Keiner würde sie, nicht einmal äußerlich, entbehren.
-
-Man sprach sehr wenig. Es lag auf allen wie eine scheue Ahnung, daß eines
-unter ihnen war, das Schmerzliches in sich trug.
-
-Lothar erbot sich schließlich, vorzulesen.
-
-Und er nahm eins der Bücher, die er immer für Maria mitbrachte. Esther
-sah, daß es von selbst aufblätterte, nach Art der Bücher, die eine oft
-gelesene Lieblingsstelle enthalten.
-
-Und er las ein Gedicht von Clemens Brentano:
-
- Einsam will ich untergehn,
- Keiner soll mein Leiden wissen,
- Wird der Stern, den ich gesehn,
- Je vom Himmel mir gerissen,
- Will ich einsam untergehn
- Wie ein Pilger in der Wüste!
-
- Einsam will ich untergehn
- Wie ein Pilger in der Wüste!
- Wenn der Stern, den ich gesehn
- Mich zum letzten Male grüßte,
- Will ich einsam untergehn
- Wie ein Bettler auf der Heide!
-
- Einsam will ich untergehn
- Wie ein Bettler auf der Heide!
- Giebt der Stern, den ich gesehn,
- Mir nicht weiter das Geleite,
- Will ich einsam untergehn
- Wie der Tag im Abendgrauen.
-
- Einsam will ich untergehn
- Wie der Tag im Abendgrauen!
- Will der Stern, den ich gesehn,
- Nicht mehr auf mich niederschauen,
- Will ich einsam untergehn
- Wie ein Sklave an der Kette!
-
- Einsam will ich untergehn
- Wie ein Sklave an der Kette!
- Scheint der Stern, den ich gesehn,
- Nicht mehr auf mein Dornenbette,
- Will ich einsam untergehn
- Wie ein Schwanenlied im Tode!
-
- Einsam will ich untergehn
- Wie ein Schwanenlied im Tode!
- Wird der Stern, den ich gesehn,
- Mir nicht mehr ein Friedensbote,
- Will ich einsam untergehn
- Wie ein Schiff in wüsten Meeren!
-
- Einsam will ich untergehn
- Wie ein Schiff in wüsten Meeren!
- Wird den Stern, den ich gesehn,
- Jemals meine Schuld verscherzen,
- Will ich einsam untergehn
- Wie der Trost in stummen Schmerzen!
-
- Einsam will ich untergehn
- Wie der Trost in stummen Schmerzen!
- Soll den Stern, den ich gesehn,
- Jemals meine Schuld verscherzen,
- Will ich einsam untergehn
- Wie mein Herz in deinem Herzen!
-
-Er schwieg und sah mit einem verlorenen, träumerischen Ernst auf Maria.
-
-Jenes leichte, lässige Gefühl der Glückssicherheit, das ihn in dieser
-Zeit meist an der Oberfläche gehalten hatte, war plötzlich von ihm
-gewichen.
-
-Esther fühlte, ihm war nicht die Kraft verloren gegangen und nicht der
-Ernst, schwer am Leben zu tragen.
-
-Und sie wußte, daß diese Worte, die er eben gelesen hatte, das Tiefste in
-ihm berührten -- daß es das Glaubensbekenntnis seiner Liebe war zu Maria,
-der Einzigen.
-
-Wie eine Nachtwandlerin that sie noch, was geschehen mußte.
-
-Sie verabschiedete sich von Lothar, ohne den Ausdruck einer starren Ruhe,
-der den ganzen Abend über ihrem Gesicht lag, zu verändern.
-
-Und während sie ihm die Hand gab, sah sie ganz tief in seinen Augen
-etwas wie ein leises Verstehen aufglimmen -- ein fernes, unterdrücktes
-Verstehen, das nicht erst jetzt entstanden sein konnte.
-
-Und sie fühlte wie ihr eigner Blick so ganz fest und ruhig wurde -- wie um
-ein jedes Einverständnis abzuweisen.
-
-Wenn er später an diesen Augenblick zurückdenken würde, so sollte es
-ohne die niederziehende Last einer Gemeinsamkeit zwischen ihnen sein. Sie
-konnte ihn so ganz verstehen: Seine Liebe mochte keine fremde Berührung
-auf sich dulden.
-
-Ja, sie gab ihm mit diesem ruhigen, kühlen Blick die Fremdheit wieder, die
-zwischen ihnen bestehen sollte. --
-
-Dann ging sie hinauf in ihr Zimmer.
-
-
-
-
-XIX
-
-
-Sollte es schlimmer mit Eliza gehen? Da war niemand zur Bahn gekommen, um
-Esther abzuholen, wie es sonst gewiß geschehen wäre.
-
-Esther fühlte, wie sich ihre Kehle in einer plötzlichen Angst
-zusammenpreßte.
-
-Und dann lief sie, ohne um sich zu sehen, den wohlbekannten Weg über die
-Heide. Zuweilen tauchte ganz in der Ferne eine menschliche Gestalt auf.
-Vielleicht war es nur eine Verspätung, und sie würde unterwegs noch einem
-Bewohner von Eriksgaard begegnen. -- Aber jedesmal war es ein Fremder, ein
-Bauer, der mit hervorgestoßenem »go' dau!« vorüberstolperte, oder
-ein neugieriger Sommerfrischler, der den Hut zog und sich dann heimlich
-umblickte.
-
-Esther lief immer schneller gegen den Wind an, der einen süß-scharfen
-Geruch vom blühenden Heidekraut aufwühlte.
-
-Endlich kam Eriksgaard.
-
-Der Hof lag wie ausgestorben, und die Thür mit dem Herzeinschnitt war nur
-angelehnt.
-
-Esther ging durch den Hausflur in das Gartenzimmer. Dort lag nur das
-Sonnenlicht über dem einsamen Raum.
-
-Sie ging hinaus in den Garten.
-
-Dort wiegte sich wie einst Camille de Rohan in üppigem Blühen vor der
-Sonne.
-
-Die Erinnerung preßte ihr das Herz zusammen. --
-
-Aber da -- drüben aus der Lindenlaube kam jemand auf sie zu --
-
-War das Arne?
-
-So totenblaß im vollen Sonnenschein -- und neben ihm -- das war wohl seine
-junge Frau --
-
-»Nicht Thora, sondern die Letzte,« dachte Esther ganz mechanisch.
-
-Sie war ganz hellblond und lieblich, und wie es schien in gesegneten
-Umständen.
-
-Das alles nahm Esther mit einem Blick in sich auf, dann schritt sie auf
-Arne zu --
-
-»Um Gottes willen, Arne, was ist?«
-
-»Hast du denn mein Telegramm nicht bekommen?« fragte der mit verhaltenem
-Entsetzen.
-
-»Nein. -- Sprich doch, sprich!«
-
-Er machte nur eine stumme Bewegung der Abwehr.
-
-»Ist -- Eliza -- was ist -- tot --?« stammelte Esther verwirrt.
-
-Er machte eine bejahende Bewegung, doch ohne, daß sich der starre Ausdruck
-des Entsetzens in seinen Zügen löste.
-
-»Wo ist sie?« fragte Esther tonlos. »Wo ist der Vater?« fügte sie
-dringender hinzu.
-
-Da -- wieder diese entsetzenschwere Pause --
-
-»Er ist verschwunden,« sagte da eine dünne, hohe Stimme hinter Arne. Es
-war seine junge Frau.
-
-»Er war zuweilen so verstört in den letzten Jahren -- wir fürchten das
-Schlimmste,« sagte Arne. »Die Leute sind immer aus, ihn zu suchen.«
-
-»Ja, hat er denn zu keinem was gesagt?«
-
-»Nein.«
-
-»Dann laß mich jetzt zu Eliza.«
-
-»Sie liegt noch in ihrem Zimmer.« --
-
-Esther trat an das Bett der Toten.
-
-Da lag sie in ihrer unsagbaren Lieblichkeit, jungfräulicher geworden, und
-der Ernst des Todes hatte ihr jenen Ausdruck gegeben, mit dem sie einmal zu
-Esther gesagt hatte: »Ich verstehe alles Traurige im Leben.«
-
-»Wie -- wie ist es denn nur gekommen?« fragte Esther.
-
-»Sie war nicht krank, schien es uns. Sie wurde schwächer -- und starb.«
-
-Esther war thränenlos in ihrem Schmerz. Sie rang nur immer die
-festgefalteten Hände ineinander, so daß die Fingerknöchel weiß
-heraustraten.
-
-Eine stumme Verzweiflung, die nicht zu begreifen vermag, was sie vor sich
-sieht, beherrschte sie.
-
-Und dann fiel ihr wieder das andere ein. Und aufschreckend fragte sie
-sinnlose Dinge, wie: »Hat man ihn noch immer nicht gefunden?« Als ob
-zwischen diesem Augenblick und jener Mitteilung lange Stunden gelegen
-hätten.
-
-Da sagte Arne plötzlich: »Sie wollte immer mit dem Vater allein sein und
-von dir sprechen, Esther.«
-
-Und nach einem langen, langen Schweigen ganz leise: »Morgen müssen wir
-sie begraben.«
-
- * * * * *
-
-Eliza wurde begraben, ohne daß man von ihrem Vater eine Spur auffand.
-
-Der kleine Kirchhof dehnte seine letzte Gräberreihe um einen Hügel näher
-nach dem Nußbaum aus.
-
-Im Hause begann wieder jene unheimliche, tote Geschäftigkeit des Wartens,
-die mit der Trauer um die Verschiedene gemischt, die Gestalt eines Wartens
-auf den Tod annahm.
-
-Und immer noch war keine Spur zu entdecken. --
-
-Einmal war Arne mit Esther allein im Zimmer.
-
-Er hatte jetzt etwas so Schlaffes, Haltloses bekommen.
-
-Plötzlich beugte er sich nieder und zog Esthers Hand an seine Stirn.
-
-»O Gott, Esther, ich habe dich so sehr geliebt,« klagte er.
-
-Esther fuhr entsetzt zurück.
-
-»Das -- jetzt --?« fragte sie von Grauen und Ekel überwältigt.
-
-»Nun -- was willst du -- ich bin so unglücklich --
-
-Warum kannst du nicht gut zu mir sein, wenn ich so unglücklich bin.«
-
-Von Widerwillen geschüttelt, sah sie auf ihn nieder, stand auf und trat
-von ihm weg ans Fenster. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, das Zimmer
-zu verlassen. Er sank stöhnend in sich zusammen.
-
-Erst als sie eine ganze Weile darüber gedacht hatte, empfand sie, wie ihr
-dieser peinliche Zwischenfall nun das Hierbleiben unmöglich machte. Sie
-hatte Arne noch zu sehr als Nebenperson gefühlt.
-
-Sie würde nun das Haus verlassen müssen -- und diese entsetzliche
-Ungewißheit mit sich nehmen.
-
-»Ja, es bleibt nichts andres, als daß ich gehe,« dachte sie. »Aber
-wohin?«
-
-Und sie horchte hinaus auf jeden Schritt, der durch das Haus schallte.
-
-Würde er kommen?
-
-Würde er einmal wieder da sein, wo alles von ihm sprach --: der Garten,
-den er mit schweigsamer Fürsorge gepflegt hatte -- das Haus, das die
-Geheimnisse seines schwermütigen Lebens barg?
-
-Würde er wiederkommen und durfte sie noch ein Wort des Trostes für ihn
-haben? --
-
-Die junge Frau ging mit langsamen, schlürfenden Schritten über den Flur
-und kam herein.
-
-Sie trat auf Arne zu, der immer noch in sich zusammengesunken saß.
-
-»Arne, du darfst dich nicht zu sehr dem Kummer hingeben,« sagte sie und
-strich ihm über die Stirn.
-
-Er nahm mit einer ritterlichen Bewegung ihre Hand, küßte sie und sagte:
-»Du hast recht, Liebste.«
-
-Seine Augen irrten dabei zu Esther. Die errötete tief, als trüge sie eine
-Schuld. Sie verließ das Zimmer.
-
- * * * * *
-
-Gegen Abend kam der Postbote vorbei und brachte einen Brief für Esther.
-
-Sie fühlte ihr Herz zusammenzucken und stille stehen, wie sie die
-Aufschrift sah. Es war die Schrift Adam Rudes.
-
-Sie riß den Umschlag auf und las:
-
-»Du brauchst nicht mehr zu kommen. Eliza ist tot, und der dies schreibt,
-lebt nicht mehr, wenn Du seinen Brief erhältst.
-
-Ich weiß es: Gott nimmt mir mit dem Kind die letzte Pflicht, mit dieser
-unseligen Liebe weiterzuleben. Das Meer soll mich aufnehmen.« --
-
-Ganz so -- ohne Anrede und Unterschrift stand es da. Wie ein zorniger Ruf
--- wie eine Anklage?
-
-Esther drehte den Bogen hin und her, als müßte sich noch etwas ganz
-anderes -- irgend eine Aufklärung finden.
-
-Erst dann begriff sie ganz: Sie hielt ja die letzten Worte eines Toten in
-der Hand. --
-
-Sie betrachtete den Poststempel: Der Brief war erst nach Deutschland
-geschickt und dann an seinen Ausgangsort zurückgekehrt.
-
-Esther ließ ihn fallen.
-
-Sie dachte gar nicht daran, es den andern mitzuteilen.
-
-Sie wußte nur noch eins: Sie gehörte zu dem, der ihr diese Worte aus dem
-Tode nachsandte.
-
-Sie nahm die Schuld auf sich.
-
-Sie gehörte zu ihm.
-
- * * * * *
-
-Es waren die hellen, kurzen Sommernächte, die sich über das Land legen
-und wie mit brennenden Küssen den Duft, den versehrend starken Duft aus
-der Erde saugen.
-
-Es waren jene Nächte, die sind wie ein Seufzer der blühenden Erde, die
-ihren heißen, sehnsüchtigen Atem an die Brust des Himmels haucht.
-
-Es waren jene Nächte, da Tod und Liebe einander in die Augen
-lächeln. -- -- -- --
-
-Als Esther über die Heide ging, war es noch hell um sie her, trotz der
-späten Abendstunde.
-
-Niemand wußte, daß sie das Haus verlassen.
-
-In Eriksgaard gingen sie nur ratlos wie die Verdammten umher und kannten
-noch nicht den Inhalt des Briefes --
-
-Ja, den Inhalt des Briefes hätte sie ihnen wohl erst noch mitzuteilen
-gehabt --
-
-Gleichviel -- jetzt gab es kein Umkehren mehr.
-
-Sie würden den Zettel schon selbst finden -- kein Umkehren gab es
-mehr. --
-
-In der Heide wühlte raschelnd der Nachtwind. Er roch nach dem weiten
-salzigen Wasser und dem blühenden Kraut --
-
-Wie Perlen waren die rötlichen Blüten ringsum verstreut.
-
-Am Himmel stieg langsam und pomphaft das heiße Farbenspiel der Dämmerung
-auf. Dann verblaßte es zögernd in die weiche, helle Tönung der Nacht.
-
-Und Esther ging durch diese duftende, duftende Sommernacht, -- ja, wie
-Garben mähte der Wind den Duft --
-
-Sie ging, das Gesicht zum Himmel erhoben.
-
-Sie ging und ging über die dämmerbleichen Hügel -- dort auf den
-verschwimmenden Streifen des Wassers zu.
-
-Sie wußte: Der vor ihr war denselben Weg gegangen.
-
-Und sie sah vor sich das Ufer mit dem abgebrochenen Steg, der ziellos
-hinausführte -- hinaus in die Unendlichkeit.
-
-Ohne Anhalten ging Esther --
-
-Ging und ging vorwärts --
-
-Unter ihren Tritten bogen sich die Bretter -- gaben nach -- -- -- --
-
-Weich -- weich umfing sie das Wasser -- -- -- -- --
-
-Zärtliche, starke, hochzeitliche Arme umfingen sie --
-
-Dicht an ihrem Ohre klang es: »Kommst du doch noch zu mir --
-Geliebte« -- -- -- --
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst München
-
-
-Deutsche Autoren
-
- Geheftet
-
- *#Franz Adamus# Familie Wawroch Drama Mark 2.--
- *#Hermann Bahr# Der Apostel Schauspiel " 3.--
- * -- -- Der Krampus Komödie " 3.--
- #Leo Berg# Der Übermensch in der modernen Litteratur Essay " 3.50
- *#F. A. Beyerlein# Das graue Leben Roman " 3.50
- *#Karl Bleibtreu# Die Edelsten der Nation Komödie " 2.50
- *#Hans Blum# Persönliche Erinnerungen an den Fürsten Bismarck " 6.--
- *#Emanuel von Bodman# Jakob Schläpfle Novellen " 1.--
- -- -- -- Erde Ein Gedichtbuch " 2.--
- *#Der Burenkrieg# Album " 1.--
- #Paul Cahrs# Josef Geiger Roman " 2.50
- *#Etzel und Ewers# Ein Fabelbuch " 3.50
- #Marcel Herwegh# 1848 Briefe von und an Georg Herwegh " 3.--
- #Arthur Holitscher# An die Schönheit Trauerspiel " 2.--
- -- -- Weiße Liebe Roman " 3.--
- * -- -- Der vergiftete Brunnen Roman " 4.--
- *#Korfiz Holm# Schloß Übermut Novelle " 1.--
- * -- -- Mesalliancen 12 Liebes- und Ehegeschichten " 1.--
- -- -- Arbeit Schauspiel " 2.--
- * -- -- Die Könige Dramatisches Gedicht " 2.--
- *#Mia Holm# Verse " 2.--
- -- -- Mutterlieder ill. Prachtausg. geb. " 10.--
- * -- -- -- -- wohlfeile Ausgabe " 1.--
- #Martin Langen# Edith Drama " 2.--
- -- -- Drei Dramen " 3.--
- *#Lieber Simplicissimus# 100 Simplicissimus-Anekdoten " 1.--
- -- -- Neue Folge -- -- " 1.--
- *#Heinrich Mann# Das Wunderbare Novellen " 1.--
- * -- -- Im Schlaraffenland Roman " 4.50
- *#Fritz Mauthner# Der wilde Jockey Novellen " 1.--
- * -- -- Die böhmische Handschrift Roman " 3.--
- * -- -- Die bunte Reihe Berliner Roman " 4.--
- #Adolf Paul# Ein gefallener Prophet Roman " 3.--
- *#Anton von Perfall# Die Malschule Novelle " 1.--
- *#Rainer Maria Rilke# Das tägliche Leben Drama " 2.--
- *#Hugo Salus# Gedichte " 2.--
- * -- -- Neue Gedichte " 2.--
- * -- -- Reigen Gedichte " 1.50
- * -- -- Susanna im Bade Schauspiel " 2.--
- *#Peter Schlemihl# Grobheiten Simplicissimus-Gedichte " 1.--
- *#Freiherr von Schlicht# Alarm Militär-Humoresken " 1.--
- * -- -- Der nervöse Leutnant " " 1.--
- * -- -- Der Parademarsch " " 3.--
- *#Ludwig Thoma# Assessor Karlchen Humoresken " 1.--
- -- -- Die Medaille Komödie " 1.50
- *#Jakob Wassermann# Schläfst du, Mutter? Ruth Novellen " 1.--
- * -- -- Die Schaffnerin. Die Mächtigen. Novellen " 1.--
- -- -- Melusine Ein Liebesroman " 2.50
- * -- -- Die Juden von Zirndorf Roman " 4.50
- #Frank Wedekind# Die Fürstin Russalka Novellen und Gedichte " 3.--
- -- -- Der Erdgeist Tragödie " 2.50
- * -- -- Marquis von Keith Schauspiel " 2.50
- * -- -- Der Liebestrank Schwank " 2.--
- * -- -- Die junge Welt Komödie " 2.--
- * -- -- Der Kammersänger Drei Scenen " 1.--
- *#Alois Wohlmuth# Gedichte " 2.--
- *#Ernst von Wolzogen# Vom Peperl u. anderen Raritäten
- Humoresken " 1.--
- #Theodor Wolff# Die stille Insel Schauspiel " 1.--
- -- -- Niemand weiß es Schauspiel " 1.50
-
- Jeder Band mit mehrfarbigem künstlerischem Umschlag
-
- *Auch elegant gebunden vorrätig
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-
-Druck von Hesse & Becker in Leipzig
-
-
-
-
-[ Hinweise zur Transkription
-
-
-Der Schmutztitel wurde entfernt.
-
-Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.
-
-Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, ~Antiqua~, #fett#.
-
-Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
-Ausnahmen,
-
- Seite 6:
- im Original "Warum hahen Sie ihr das angethan?"
- geändert in "Warum haben Sie ihr das angethan?"
-
- Seite 81:
- im Original "»Aber wer ist Hedda Gabler?"
- geändert in "»Aber wer ist Hedda Gabler?«"
-
- Seite 116:
- im Original "sie pflegen sich immer nur einer den andern."
- geändert in "sie pflegen sich immer nur einer den andern.«"
-
- Seite 135:
- im Original "daß einem das ganz mut- und kraftlos macht"
- geändert in "daß einen das ganz mut- und kraftlos macht" ]
-
-
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-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HOCHZEIT DER ESTHER
-FRANZENIUS ***
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
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-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
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-<div style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of Die Hochzeit der Esther Franzenius, by Antonie "Toni" Schwabe</div>
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-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
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-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
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-are not located in the United States, you will have to check the laws of the
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-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Die Hochzeit der Esther Franzenius</p>
-<p style='display:block; margin-top:0; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:0;'>Roman</p>
-
-<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Antonie "Toni" Schwabe</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: October 7, 2021 [eBook #66491]</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div>
-
-<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.)</div>
-
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HOCHZEIT DER ESTHER FRANZENIUS ***</div>
-
-
-<h1 class="pb"><b>Die Hochzeit<br />
-der Esther Franzenius</b></h1>
-
-<p class="ce lh2"><span class="fsl ge">Roman</span><br />
-von<br />
-<span class="fsxl"><b>Toni Schwabe</b></span></p>
-
-<p class="ce mt2"><img src="images/a003i.png" alt="A L" /></p>
-
-<p class="ce lh1 mt2"><span class="fsl ge">Albert Langen</span><br />
-Verlag für Litteratur und Kunst<br />
-<span class="fsl"><b>München 1902</b></span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="lh2"><img src="images/p001i.png" alt="" /><br />
-
-<span class="ge">Erster Abschnitt</span></h2>
-
-
-
-
-<h3>I</h3>
-
-
-<p>Auf dem Fluß hingen des Morgens Nebel,
-die sich in zarten Tönungen auch noch über
-die Uferwiesen hin erstreckten. In den Straßen
-sangen nach altem thüringer Brauch die »Kurrendeschüler«
-mit ihren schwarzen Chormäntelchen
-angethan. Sie zogen von Haus zu Haus,
-sangen mit Engelsstimmen und schimpften einander
-dazwischen, als die Gassenbuben die sie
-waren. Von den Bäumen plauzten schon die
-reifen Kastanien, zerbarsten und rollten schillernd
-über den Weg.</p>
-
-<p>In wenig Tagen würde man auch das
-Schwimmbad schließen müssen, denn schon
-traute sich niemand mehr in das abgekühlte
-Wasser, ausgenommen Fräulein Esther Franzenius.
-Fräulein Esther aber würde gewiß
-nicht eher aufhören ihre sehr schlanken, kraftvollen
-Glieder gegen das Wasser zu spannen,
-bis ihr das erste Nachteis die Haut ritzte.</p>
-
-<p>Esther Franzenius ging über die Wiesen, da
-steifte sich ihr der Wind entgegen und zerrte an
-ihren vom Wasser feuchtdunklen Haarsträhnen,
-die immer zu lang in das Gesicht fielen. Und
-sie bog ein wenig den Oberkörper zurück, und
-eine Tragkraft ging durch ihren ganzen Leib,
-als sei er ein feiner, stolzer Bau, den festgefügte
-Steine gen Himmel heben.</p>
-
-<p>Dann ging sie durch die grauen Gassen mit
-dem Pflaster von Anno dazumal und zuletzt die
-kleine Anhöhe hinauf.</p>
-
-<p>Ja, ganz versteckt lag das Haus, in dem
-Esther wohnte. Eine hohe, breitbuchtende Ligusterhecke
-umsperrte den Garten.</p>
-
-<p>Maria kam über den Weg ihr entgegen.
-Maria war schön und strahlend &ndash; auch in
-ihrem Mißmut. Maria nahm alle Herzen hin,
-und selbst die Baumwürzelein freuten sich, wenn
-sie vom Kleidersaum der Allerschönsten gestreichelt
-wurden. Ja, Maria hatte ein gesegnetes
-Angesicht.</p>
-
-<p>»Ist er noch nicht bei Dir?« frug Esther
-die Schwester.</p>
-
-<p>»Oh, er wird schon kommen.«</p>
-
-<p>Und da war er auch schon.</p>
-
-<p>Erst gingen seine Augen zu der blonden
-Maria, wie das ganz natürlich war. Sie verfingen
-sich förmlich in ihren Blicken, sie ließen
-nicht los, so daß die Hände ungeleitet zu einander
-tasten mußten.</p>
-
-<p>In Esther klang das wieder, was er fühlte
-in diesem Augenblick: Es mußte ihm sein, wie
-ein Ausruhen nach langem ermüdendem Steigen &ndash;
-ein Erlösungsgefühl &ndash; und Dank.</p>
-
-<p>Immer wußte sie, was er empfinden würde
-bei all den kleinen, feinen Anlässen, in denen
-sich das Leben unter der Hülle der Geschehnisse
-abspielt. Sie besaß zu seiner die Schwesterseele &ndash;
-aber das wußte nur sie.</p>
-
-<p>Sie erschrak förmlich, und ihr war, als
-hätte nun auch er ihre Gedanken begleitet, als
-er plötzlich die Hände seiner Braut losließ und
-sich nun zu ihr wandte.</p>
-
-<p>»Sie sind vorhin immer vor mir hergegangen,
-Esther &ndash; ich habe Sie gesehen.«</p>
-
-<p>Sie erschrak, weil sie seine Worte wie die
-Brücke zu tieferem Sinn nahm &ndash; aber dann
-fiel ihr ein, daß ja nur sie es war, die ihn erkannt
-hatte. Da tauchte auch wieder die Wirklichkeit
-an die Oberfläche.</p>
-
-<p>»Jetzt ist Esther das Hausmütterchen, ja?«
-wandte sich nun Maria zu ihr. &ndash; Und sie
-gingen hinein in das Haus, und Esther trug
-Obst auf den Tisch und Wein, der aus einem
-feinen, hohen Krug gegossen wurde. Und alles
-ordnete sie Maria zu Händen. Und alles sah
-aus, als sei es nichts als ein Opfer, Marias
-Schönheit gebracht.</p>
-
-<p>»Die ungleichen Schwestern,« sagte Lothar;
-dabei hingen aber seine Augen selbstvergessen
-nur an der, die er liebte.</p>
-
-<p>Und Esther übersetzte in Gedanken seine
-Worte: Wir demütigen uns vor ihr. &ndash; Und
-sie lächelte zu der schönen Schwester hinüber.</p>
-
-<p>Maria erzählte von einem Lied, das sie
-gestern niedergeschrieben hatte. Sie dichtete in
-Tönen und Worten. Das stimmte auch zu ihrer
-Persönlichkeit. Esther und Lothar aber übten
-nur die schweigsame Kunst der Malerei, die
-sich im Bewundern und genießendem Verstehen
-bescheidet.</p>
-
-<p>Dann setzte sich Maria an das Klavier und
-gab zu einer einfachen Melodie ihr Lied, das
-sie nur mit ganz leiser, halb sprechender
-Stimme sang:</p>
-
-<table class="fss" summary="" border="0" cellpadding="1">
- <tr><td class="tdl">»Legt Narzissen auf mein Grab,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Ich habe mich zu viel gesehnt&nbsp;&ndash;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Schwarze Tujazweige drüber,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Weil mir keiner Liebe gab.</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Rote Rosen streut zu Füßen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Die bedeuten meine Träume,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und zu Häupten eine Lilie,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Daß mich eure Engel grüßen&nbsp;&ndash;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und dann laßt mich dem Vergessen.«</td></tr>
-</table>
-
-<p>Es klang so weich und rührend, wie die
-schöne Maria mit ihrer zu schwachen Stimme
-sang. Man vergaß darüber, daß sie die
-<em class="ge">schöne</em> Maria war, der ja alle Liebe stets
-zu Füßen lag, die nie eine vergebliche Sehnsucht
-gekannt hatte. Und das Herz that sich
-auf in Zärtlichkeit für diesen melancholischen
-Liebreiz.</p>
-
-<p>Esther verstand nicht mehr. Ein häßlicher
-Gedanke drängte sich ihr auf. »Tändeln mit
-dem Schmerz,« dachte sie.</p>
-
-<p>Sie sah hinüber zu Lothar. Der saß in die
-stumme Anbetung versunken, die man dem Leid
-eines geliebten Menschen weiht. Da stieg eine
-gegenstandslose Scham in ihr auf.</p>
-
-<p>»Aber die Dichter lügen zu viel!« &ndash; Hatte
-sie selbst denn dieses spottsüchtige Citat gesprochen?</p>
-
-<p>Lothar sah sie mit ganz erstauntem Mißfallen
-an. Und Maria &ndash; die arme, schöne
-Maria machte so hilflose Kinderaugen.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Als Lothar dann fortging, sprach er. Er
-traf mit Esther im Hausflur zusammen, denn
-er war zuletzt allein mit Maria gewesen,
-und sagte: »Warum haben Sie ihr das angethan?
-Man darf ihr nicht wehe thun &ndash; Sie
-gehört zu den Menschen, denen man nicht weh
-thun darf.«</p>
-
-<p>Und Esther senkte den Kopf. »Ich weiß es.
-Ich weiß es wohl.«</p>
-
-<hr />
-
-<p>Zuweilen kam eine Sehnsucht nach starken,
-heißen Farben über sie. Am Berg standen
-Ebereschen. Dort war es am schönsten, wenn
-die brennroten Beeren durch den Nebel schimmerten.
-Das gab ein Gefühl der Abgeschlossenheit
-mit dieser einzigen Farbe.</p>
-
-<p>Immer wieder mußte sie dorthin gehen wie
-zu einem Geheimnis. Sie lächelte über sich selbst.</p>
-
-<p>Ihr Weg führte an vielen Wachholdersträuchen
-vorüber, die sich wie sagenhafte Linien
-entfernter Pyramiden abhoben. Und über Felsgeröll
-mußte sie klettern, bis endlich das Plateau
-mit den Ebereschen erreicht war.</p>
-
-<p>Die roten Beeren aus dem Nebel leuchtend &ndash;
-mit der grellen Deutlichkeit einer verzückten
-Vision&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ein unbeschreiblicher, verschwiegener Genuß.</p>
-
-<p>Zuweilen bettete der Nebel die Luft so dicht
-ein, daß sie unbeweglich lag &ndash; Dann war
-das Gefühl jener köstlichen Gemeinsamkeit am
-stärksten.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Anders war es in den klaren Tagen. Da
-lag alles wie ein Spiegel stiller und weiter Gedanken.</p>
-
-<p>Das war eine gute und fruchtbare Einsamkeit,
-die auch oft zum Mitleben in andern,
-wesensfremden Naturen lockte.</p>
-
-<p>Da war die Freundschaft mit Lydia.</p>
-
-<p>Lydia besaß einen langen Hals und eine
-kränkliche Stimme. Und sie gehörte zu den
-Ausgestoßenen.</p>
-
-<p>»Du mußt mir erzählen wie es dort ist, wo
-du jetzt bist,« sagte Esther.</p>
-
-<p>Lydia errötete und schob das Kinn über
-den schwankenden Hals hinaus. »O, es gefällt
-mir ganz gut.«</p>
-
-<p>»Du wünschest dir nichts anderes?«</p>
-
-<p>»Nein.«</p>
-
-<p>»Sind auch die Leute gut zu dir?«</p>
-
-<p>»Was denn? Sie gehen mich nichts an.
-Ich will nichts von ihnen &ndash; sie wollen
-nichts von mir, als daß ich ihren Kindern
-Stunden gebe. Warum sollten sie gut zu mir
-sein?«</p>
-
-<p>»Wolltest du nie jemanden, den du liebst,
-und der dich lieb hat, Lydia?«</p>
-
-<p>»Ich habe ja dich. Ich möchte niemand
-sonst.«</p>
-
-<p>»Möchtest du keinen Mann, wie die andern
-Mädchen?«</p>
-
-<p>Da kam eine plötzliche Energie in die Haltung
-des blassen Mädchens, und sie richtete ihre,
-sehr schönen, ausdrucksvollen Augen auf Esther:
-»Wer auch zu mir käme, ich wollte niemand
-als dich. Du bist gut zu mir gewesen wie sonst
-kein Mensch. Und ich habe alles von dir bekommen &ndash;
-alles!«</p>
-
-<p>Esther dachte: Ich habe ja so wenig zu
-geben &ndash; es ist alles so fest in mich eingewachsen,
-daß nicht Wort und nicht Gebärde
-es lösen könnte. &ndash; Ich gehöre ja zu denen,
-die schweigen müssen. Weshalb glaubt sie
-nur an mich? &ndash; Und sie sagte: »Wenn du
-nur nicht einmal siehst, daß ich dir nicht
-genüge.«</p>
-
-<p>»Ich will nichts von dir. Ich will dich
-nur lieb haben dürfen,« sagte die andre.</p>
-
-<p>Und sie saßen nieder an einer Hügelböschung.
-Vor ihnen lief der Fluß, und das Wasser war
-so blank wie Glas. Drüben am andern Ufer
-wurde Heu gemacht. Das Uferschilf rasselte
-manchmal in die Stille hinein, wie ein wohlbewaffnetes
-Heer, das unversehens aus seinem
-Versteck brechen will.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ganz plötzlich kam ihr der Wunsch wohlzuthun.
-Sie nahm die Hand des häßlichen
-Mädchens und küßte sie.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Später, zum Frühling hin, geschah es.</p>
-
-<p>Da war Esther einmal im Nebenzimmer,
-wie Maria und Lothar in der Dämmerung
-zusammensaßen. &ndash; Ja, es war in der Dämmerung,
-wo sich die Seelen näher kommen, wo
-jenseits alles Fremden und Irreleitenden ein
-Ich zum andern findet.</p>
-
-<p>Esther hörte es.</p>
-
-<p>Sie hörte ihre freien, glücklichen Zärtlichkeiten
-und ihre Worte der Zusammengehörigkeit.</p>
-
-<p>Da streifte Maria das leichte Gewand der
-Melancholie herunter, und sie zeigte sich ihm,
-wie sie im Grunde war: die Glückspendende &ndash;
-die Priesterin der Seligkeit.</p>
-
-<p>Sein Herzschlag mußte sich jetzt mit ihrem
-einen&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wie denn? &ndash; Er lachte &ndash; denn er konnte
-mit all seiner Schwermut und Herbe versinken
-in ihrem leichten Glückswagemut.</p>
-
-<p>Esther fühlte ihm nach&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nein, sie fühlte ihm nicht mehr nach! Zum
-erstenmal löste sich ihre Persönlichkeit von seiner,
-nicht um zurückzutreten, sondern sie stellte sich
-ihm entgegen. Sie fühlte, wie es sein müßte,
-wenn er zu ihr, zu Esther gefunden hätte. So
-ganz anders wäre das gewesen: Schwer und
-mit Thränen müßten sie zusammenkommen &ndash;
-und es würde sein wie ein tiefes Leid. &ndash; Und
-sie würden ringen aneinander, weil keiner zum
-andern fände &ndash; weil sie zu ähnlich waren und
-keiner den andern auslösen könnte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und drüben hörte sie seine entzückte Stimme. &ndash;
-»Maria Liebe &ndash; Liebste du&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Da war ihr, als müßte sie das Gesicht verbergen.
-Und sie lief hinaus in ihre Kammer.
-Und sie konnte nicht weinen &ndash; und saß auf ihrem
-Bett und starrte in das Dunkel. &ndash; Ja, sie sah
-das Dunkel von Angesicht zu Angesicht, wie es
-ihr schweigend entgegenblickte.</p>
-
-<p>Und da fand sie einen neuen Willen.</p>
-
-
-
-
-<h3>II</h3>
-
-
-<p>Esther wollte sich Neuland erobern.</p>
-
-<p>Doch es wurde Frühling und Sommer, bis
-sie ihren Plan ausführte. Sie hing so stark an
-der Heimatserde. Und sie dachte an die süße
-Hilflosigkeit Marias, und auch die praktische Abhängigkeit
-des Vaters, der als Gelehrter jeder
-Änderung seiner Gewohnheiten angstvoll, ratlos
-gegenüberstand, fiel ihr aufs Herz.</p>
-
-<p>Aber ihrer Familie gegenüber fand sich
-Ersatz für ihre Abwesenheit.</p>
-
-<p>Lydia kam in ihrer bescheidenen Selbstverständlichkeit.
-Lydia zog ein in Esthers Zimmer,
-und es war, als hätte sie nie einen andern
-Wunsch gehabt, als nun Hintergrund für Marias
-Schönheit zu sein.</p>
-
-<p>Am letzten Abend ging Esther mit Lydia
-durch den Garten. &ndash; Sie strich ganz heimlich
-mit der Hand über die Zweige der Büsche und
-sah das Bild ihrer einstigen Heimkehr. Sie sah
-sich wiederkommen &ndash; getrieben vom Heimweh
-nach alten Schmerzen &ndash; und wollte doch davon
-nichts wissen, denn sie ging ja in das neue Leben,
-um zu überwinden.</p>
-
-<p>»So schwer wird mir das Fortgehen,« sagte
-sie müde.</p>
-
-<p>Und Lydia darauf: »Ich weiß, du läßt
-deine Jugend zurück.«&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Den ganzen andern Tag hörte sie in sich
-dieses Wort nachklingen, stieß es zurück, holte
-es mit einer seltsamen heimlichen Lust an seinem
-Klang wieder hervor und verläugnete es um so
-heftiger.</p>
-
-<p>Sie reiste ganz nach dem Norden von Dänemark.
-Die Fahrt von Hamburg nach der kleinen
-Küstenstadt machte sie in der Nacht.</p>
-
-<p>Sie konnte nicht zum Schlafen kommen, saß
-die ganze Nacht über am geöffneten Fenster und
-spürte den tragischen Reiz der hellen nordischen
-Sommernacht.</p>
-
-<p>Lange, lange Wiesen mit dem weidenden
-Vieh, das jetzt zum Schlafen hingestreckt lag,
-aber gleich darauf vom Lärm des Zuges geschreckt
-in die dämmernde Ebene hineingaloppierte.</p>
-
-<p>Und am Himmel wechselte ein leuchtendes
-Farbenspiel. Dort glühten die sehnsüchtigen
-Wünsche über der verhaltenen Resignation der
-Ebene.</p>
-
-<p>Nach Mitternacht wehte Seeluft herüber. Und
-dann lag im Morgennebel der bläuliche Fjord
-mit seinen verträumten grünen Ufern.</p>
-
-<p>Weiter noch gen Norden blühte die Heide,
-wie in einem weiten, jubelnden Ton des Erwachens.</p>
-
-<p>Nun kamen die kleinen Ortschaften, alle
-durch eine hohe grüne Baumhecke gegen die
-Windseite geschützt, zuweilen aus ihrer Mitte
-den kahlen und nüchternen Bau einer Missionskirche
-förmlich ausstoßend. &ndash; Und einzelne
-Bauernhöfe lagen am Weg mit den tiefgedachten
-Häusern, die sich ganz niederkauern
-im üppigen Grün ihrer Gärten, die in Wohllustschlaf
-versunken scheinen ob all dem Blühegeruch
-ringsum.</p>
-
-<p>Endlich, gegen Mittag kam das Reiseziel.</p>
-
-<p>Vor dem Bahnhof waren grüne Anlagen,
-in die man beim Einfahren hineinsah. Und
-ganz plötzlich kam bei diesem Anblick die
-wunderliche Vorstellung einer Heimkehr über
-Esther. Sie fühlte einen Augenblick lang diese
-Ankunft im fremden Land wie eine Wiederkehr
-zu alt vertrauter Umgebung. Ja, sie glaubte
-sogar die Wege schon zu kennen, die hinter den
-verdeckenden Bäumen in die Stadt hineinführen
-mußten.</p>
-
-<p>Sie stieg aus und wurde von fremden Menschen
-empfangen, und ging doch lange noch wie
-von einem Traum verwirrt.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Esther verstand reichlich wenig von der Tischunterhaltung,
-obschon ihre Mutter eine Dänin
-gewesen und früher zuweilen mit den Kindern
-in ihrer Muttersprache geredet hatte. &ndash; Es
-war so ein großer lärmender Kreis, und es
-lag wie Kinderlust über den Menschen, eine
-Atmosphäre der Harmlosigkeit und leichtesten
-Lebensfreude, die Esther nicht sogleich aufzufassen
-vermochte. Doch das alles kam ihrem
-Herzen nahe.</p>
-
-<p>Da gab es noch fünf Gäste außer ihr, und
-sie alle waren mit einer schier unglaublichen
-Eß- und Lachlust angethan.</p>
-
-<p>Neben Esther saß Louise, die Tochter des
-Hauses. Sie hatte einen feinen, leicht vorgebeugten
-Nacken und eine liebliche Art, sich zu
-bewegen. &ndash; Esther sah immer wieder zu ihr
-hin, und dann war es, als ob eine ganz leise
-Melodie zwischen ihnen anhebe &ndash; durch all
-den frohen Lärm hindurch eine ganz heimliche,
-einsame Melodie der Harmonie.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Esther wachte auf und hörte Musik.</p>
-
-<p>Es war ganz ruhig im Haus und schon
-dämmerig. Sie erinnerte sich, nach Tisch auf
-ihrem Bett eingeschlafen zu sein.</p>
-
-<p>Ein feiner, klagender Singsang erfüllte die
-Stille, und sie besann sich vergeblich, von welchem
-Instrument der wohl herrühren mochte.</p>
-
-<p>Dann ging sie den Klängen nach: durch
-den dämmerigen Hausflur, eine Treppe hinauf
-und zu einer angelehnten Thür hinein. Da stand
-sie nun in einem Zimmer voll altväterischer
-Möbel, zwischen denen ein Spinett, an dem
-Louise saß und spielte.</p>
-
-<p>Es war, als lägen die Erlebnisse weiter
-Vergangenheiten in diesem Raum, und wer
-auch zu den Fenstern hinaus auf das Meer sah,
-bekam ganz unwillkürlich den Blick gereifter Erfahrung
-in die Augen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Luise brach plötzlich und scheu ihr Spiel ab,
-wie sie Esther kommen hörte.</p>
-
-<p>Sie sagte: »Oh, ich glaubte mich allein im
-Haus,« und strich mit einer verlegenen Bewegung
-über die Tasten, gleich als hätte sie einen entblößten
-Körper zu verdecken.</p>
-
-<p>»Und wolltest du nicht spielen, wenn jemand
-es hörte?«</p>
-
-<p>»Doch &ndash; ja &ndash; nur zuweilen darf niemand
-zuhören.«</p>
-
-<p>Esther antwortete nicht. Sie setzte sich an
-das Fenster, von dem aus man so weit über
-das Meer sehen konnte, daß es den Leuten einen
-gereiften Blick gab. Sie sagte erst nach einer
-Weile: »Was für ein Lied hast du gespielt &ndash;
-wenn du mir das sagen magst&nbsp;&ndash;?«</p>
-
-<p>»Ein ganz altes Volkslied ist es &ndash; das Lied
-vom ›Herre Peder‹ und der Helelide.«</p>
-
-<p>»Willst du mir sagen, wie es geht?«</p>
-
-<p>Luise gab leise die Melodie in den
-zitternden Tönen des Spinetts an und sprach
-dazu:</p>
-
-<table class="fss" summary="" border="0" cellpadding="1">
- <tr><td class="tdl">»Junkherr Peder warf Runen über den Pfad,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Den Helelidens Fuß betrat.</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Dann lichtet' er sein Anker,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Er hatte guten Wind,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und segelte von Dänemark</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und seinen Frauen lind.&nbsp;&ndash;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Holde Worte</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Erfreuen die Herzen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Holde Worte</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Verschulden die Schmerzen&nbsp;&ndash;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Holde Worte!</td></tr>
- <tr><td class="fsxs">&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Helelide ging am Strande harrend,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">In die tiefen, salzen Wasser starrend.</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Dann lichtet' sie ihr Anker,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Sie hatte guten Wind,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und segelte von Dänemark</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Mit ihren Frauen lind.</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Holde Worte</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Haben mich tief bethört,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Holde Worte</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Haben mein Herz versehrt &ndash;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Holde Worte!</td></tr>
- <tr><td class="fsxs">&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Da rief der Wächter, als das Schiff in Sicht:</td></tr>
- <tr><td class="tdl">›Uns bringt der Wind das Sonnenlicht!‹</td></tr>
- <tr><td class="tdl">D'rauf hat der Junkherr Peder</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Vor Freuden schier gelacht,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Als Helelide Ehre</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und Treue ihm gebracht.</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Holde Worte</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Bringen viele Freuden,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Holde Worte</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Schaffen manche Leiden&nbsp;&ndash;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Holde Worte.«</td></tr>
-</table>
-
-<p>Luise stand auf und trat zu Esther ans
-Fenster. &ndash; Esther fragte: »Waren die Runen
-Liebesworte, die Junkherr Peder zu Helelide
-sprach?«</p>
-
-<p>Und Luise: »Ich weiß es nicht. Aber ich
-meine, wir hören zuweilen einen Menschen
-etwas sagen, das kaum für uns berechnet war,
-das gewiß in keiner persönlichen Absicht zu uns
-gesprochen wurde, und doch kommt es zu uns,
-ja es &ndash; ›verführt‹ uns.«</p>
-
-<p>Esther mochte nicht Louise ansehen. Sie
-neigte nur den Kopf und sah wie bisher weit
-hinaus auf das Meer. Und ganz da draußen,
-dort wo die Unendlichkeit beginnt, konnten sich
-vielleicht ihre Blicke begegnen. Und vielleicht
-wurde dort das Schweigen gebrochen, das sich
-hier jetzt über sie legte.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Am andern Tag wurde ein Ausflug nach
-einem benachbarten Gutshof gemacht.</p>
-
-<p>Man ging die braun-violetten Heidehügel
-bergan und bergab. Der Wind strich in unausgesetztem,
-immer gleich starkem Zug über
-das Land, so daß es klang wie der thränenlose
-Jammer des Wahnsinns.</p>
-
-<p>Stärker wurden die Stimmen und klang
-voller in der kräftigen Luft. Auch gab
-der weite Horizont dem Blick eine stolze
-Kühnheit.</p>
-
-<p>Am Gipfel des »Himmelsberges«, ein Hügel,
-der die andern Buchtungen um weniges überragte,
-lagerte man sich.</p>
-
-<p>Frau Olga Bergsö, die immer Lebensvolle,
-versammelte ihr kleines Heer um sich. Da lag
-sie halb aufgerichtet an einen hohen Merkstein
-gelehnt, mit ihrem seltsamen Dreimaster einem
-Feldherrn gleichend. Feine, energische Linien
-begrenzten ihr Profil wie einen Schattenriß am
-weißlich hellen Himmel.</p>
-
-<p>Ihr zur Seite rangen Julie und Alexandra,
-die beiden Sechzehnjährigen, im liebevollsten
-Zweikampf miteinander in den weichen Büscheln
-des Heidekrautes.</p>
-
-<p>Herr Bergsö ging mit der vierzehnjährigen
-Tule Arm in Arm, denn sie waren sehr gute
-Freunde.</p>
-
-<p>Hinter Frau Olga jedoch kauerte die zarte,
-stets von Bewunderung erfüllte Fräulein Missus.
-Sie war Olgas Lehrerin gewesen und besuchte
-diese nun in jedem Sommer, um ganz im
-Innern ihrer kleinen zerknirschten Gouvernantenseele
-wahre Orgien der Bewunderung für ihre
-frühere Schülerin zu feiern. Alexandra erzählte
-in Bezug auf sie die sehr seltsame Geschichte,
-daß sie, Alexandra, einmal zu noch morgendlicher
-Stunde am Fenster von Fräulein Missus' Stube
-vorbeigegangen sei. Zu ihrem großen Entsetzen
-hätte aber auf dem Kopfkissen des Fräuleins,
-statt deren wohlfrisiertem Haupt, nur ein großes,
-nacktes, gelbliches Ei gelegen. &ndash; Diese denkwürdige
-Historie reizte fortan die jüngeren Bewohner
-des Hauses Bergsö zu morgendlichen
-Spaziergängen vor den nunmehr hoffnungslos
-verhängten Fenstern des armen Fräuleins.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Für jeden sind zwei ›Boller‹ mitgebracht
-und Brot so viel ihr wollt,« erklärte Olga ihren
-Gästen.</p>
-
-<p>Und die Gäste griffen gehorsam zu, um sich
-ihr Anrecht auf die beiden zudiktierten Boller zu
-sichern.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nun gab es nur noch einen kurzen Weg,
-und ganz unvermutet sah man »Eriksgaard«
-in einer kleinen Senkung liegen.</p>
-
-<p>Man trat aus der wehenden Haide ganz
-unversehens in das Schweigen eines sommerlichen
-Blumengartens ein. Hohe, grüne Mauern
-ließen hier den Wind verstummen. Und mitten
-auf dem Rasenplatz wiegte sich in üppigster
-Schönheit eine große rote Rose. &ndash; »Sie heißt
-Camille de Rohan,« sagte Herr Adam Rude zu
-seinen Gästen.</p>
-
-<p>In dem weiten, steifmöblierten Saal des
-Hauses hatte Eliza Rude den Tisch gedeckt und
-die übliche Chokolade aufgetragen.</p>
-
-<p>»Eliza ist meine kleine Hausmutter,« sagte
-der alte Rude. Und das schlanke Kind mit
-den etwas zu weit auseinanderliegenden breiten
-Augen und dem keuschen Madonnenkinn lächelte
-in beginnender Koketterie. Sie nahm die Art
-einer Dame an und bat die Gäste würdevoll,
-einzutreten.</p>
-
-<p>Für »das deutsche Fräulein« hatte Eliza eine
-große und plötzliche Liebe gefaßt. Jene auf
-unfehlbarem Instinkt beruhende Leidenschaft der
-Seele, wie sie heranwachsende Menschen oft zu
-Personen des eigenen Geschlechtes überkommt.
-Ein Gefühl, das weder unter dem Begriff
-»Liebe« noch »Freundschaft« steht, vielmehr eine
-unendlich verfeinerte Essenz dieser beiden Empfindungen
-darstellt. Man könnte denken, es sei
-eben nur ein Vorrecht der ganz reinen Seelen,
-weil die vernünftigen und gereiften Menschen
-nur mit dem vernünftigen und gereiften Spott
-darauf herabzulächeln pflegen, den sie für alle
-hohen, der baren Nutzbarkeit entfremdeten Dinge
-bereit halten.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Eliza saß neben Esther und strich ihr heimlich
-unterm Tisch über die Hände. Sie war
-von Ungeduld erfüllt, die andere möge sich mit
-tieferen und innerlichen Worten ihr nähern, und
-wartete nur auf das erlösende bedeutsame Wort. &ndash;
-Und sie quälte Esther mit wunderlichen Fragen
-und Forderungen.</p>
-
-<p>Endlich sagte sie noch: »Wie reden bei
-Ihnen die Leute, die sich lieb haben? Giebt
-es ein Lied, das von ihrer Liebe erzählt?
-Sagen Sie mir eins, das Sie selbst leiden
-mögen.«</p>
-
-<p>Esther fiel ein altes kleines Liedchen ein, und
-sie sprach es lächelnd:</p>
-
-<table class="fss" summary="" border="0" cellpadding="1">
- <tr><td class="tdl">»Ich bin dein,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und du bist mein&nbsp;&ndash;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Des sollst du gewisse sein.</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Du bist geschlossen in mein Herze ein,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Verloren ist das Schlüsselein,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Drum mußt du ewig drinnen sein.«</td></tr>
-</table>
-
-<p>Eliza ließ es sich zweimal sagen und Worte,
-die sie nicht verstand, übersetzen. Dann meinte
-sie nachdenklich: »Es ist ein schönes Lied. Ich
-werde es mir für Sie merken, Fräulein Esther.«</p>
-
-<p>Und dann: »Kommen Sie ein wenig mit
-mir, wo die andern nicht sind. Ich möchte einmal
-mit Ihnen allein gewesen sein.«</p>
-
-<p>Esther folgte ihr mit einem ernsten Lächeln.
-Sie stand noch nicht der Kindheit fern.</p>
-
-<p>So saßen sie in einer Lindenlaube und sahen
-durch das grüne Licht hinaus in den Garten,
-wo sich Camille de Rohan einsam in selbstbewußter
-Schönheit vor der Sonne neigte.</p>
-
-<p>»Dem Vater haben Sie auch gefallen,« fing
-das Kind wieder an. »Ich kann es an seinen
-Augen sehen, wenn ihm jemand gefällt. Hat
-er nicht schöne Augen, mein Vater? Und ist er
-nicht ein schöner Mann?«</p>
-
-<p>Esther sagte: »Ja, er ist ein schöner alter
-Herr.«</p>
-
-<p>»Und meinen Bruder Arne sollten Sie sehen!
-Er ist jetzt nicht hier. In Kopenhagen ist er. &ndash;
-Schriftsteller!« Das letzte Wort sprach sie mit
-nachlässig verstecktem Stolz. &ndash; »Aber wenn Sie
-ihn sehen würden &ndash; er ist der schönste junge
-Mann, den ich kenne!«</p>
-
-<p>»Wie alt bist du eigentlich?« fragte Esther.</p>
-
-<p>»Im September ist mein sechzehnter Geburtstag.«</p>
-
-<p>Esther war erstaunt, sie hatte Eliza für jünger
-gehalten. Aber gleich darauf begriff sie. &ndash;
-»Ah, du wirst also fünfzehn, wenn dein sechzehnter
-Geburts<em class="ge">tag</em> ist?«</p>
-
-<p>»Nein, nein! &ndash; Ja, es ist schon so, aber
-Sie müssen nicht immer alles gleich entdecken!«
-Eliza war sehr indigniert und auf einmal eine
-zürnende junge Dame geworden. Aber gleich
-darauf erklärte sie &ndash; wieder Kind&nbsp;&ndash;: »Ich
-wollte ja nur nicht so viel jünger sein als
-Sie &ndash; ich dachte, daß man sich um jüngere
-Kinder weniger kümmert. Aber wenn Sie mich
-auch so ein wenig gern haben, ist schon alles
-gut&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ja; ich habe dich ›auch so‹ gern!«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Drüben, im Sonnenlicht schaukelte Camille
-de Rohan.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»In nächster Zeit wollen wir Ihnen einen
-Besuch wegnehmen, Frau Bergsö,« sagte Herr
-Rude, als die Gäste sich verabschiedeten. Und
-Eliza drückte Esther bedeutungsvoll die Hand,
-denn es war zwischen ihnen schon ausgemacht,
-daß Esther den »sechzehnten Geburtstag« mit
-auf Eriksgaard feiern sollte.</p>
-
-
-
-
-<h3>III</h3>
-
-
-<p>Das war zu Ende des August, als Esther
-nach Eriksgaard kam.</p>
-
-<p>Sie wollte den Weg allein gehen. Eine
-plötzliche und starke Sehnsucht nach Einsamkeit
-drängte sie dazu. Denn schon lag alles Frohe
-und Leichte ihrer Umgebung wie am andern
-Ufer. Und es war wie ein zögerndes Umwenden
-und Zurückgrüßen, als sie das Haus am
-Meer verließ.</p>
-
-<p>Sie ging über die weiche, nun schon verblühende
-Heide wie über das zottige Fell jener
-Märchenungetüme, die vor verwunschenen
-Schlössern liegen. Sie sah am Himmelsrand in
-grauer Wolkenferne die Erdriesen kämpfen, und
-sie vernahm die Seufzer unstillbarer Sehnsucht
-aus dem Reich der Unterirdischen.</p>
-
-<p>Ja, alle Dinge sprachen zu ihr. Aber sie
-ging mit den stillen Augen des Lauschenden,
-und in ihr erstand eine zarte und weltfremde
-Liebe &ndash; eben zur Welt.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Da lag Eriksgaard. Und Eliza kam mit
-ihrem keuschen, erwartungsvollen Lächeln ihr
-entgegen.</p>
-
-<p>»Du kommst allein über die Heide, Esther?
-Jeden Tag habe ich auf dich gewartet! Jeden
-Tag bin ich dir entgegengegangen.« &ndash; Sie bemerkte
-gar nicht, daß sie plötzlich das Du
-brauchte.</p>
-
-<p>Dann faßte sie Esther bei der Hand, und
-sie traten ein in das Haus. In die Thür war
-ein Herz geschnitten, man konnte dadurch in das
-Innere des Hauses blicken, aber man sah nur
-das Dämmern des dunkleren Raumes, weil man
-im hellen Tageslicht stand. &ndash; Esther dachte: ein
-Herz ist in die Thür geschnitten&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Vater! da ist sie!« rief Eliza.</p>
-
-<p>Adam Rude kam aus einem halbdunklen
-Zimmer und begrüßte den Gast. Seine Augen
-waren wie im Traum gewesen.</p>
-
-<p>»Dort hängt das Bild meiner Mutter,« sagte
-Eliza später. »Er geht zuweilen hin und ist
-mit ihr allein.« Sie sprach wie von einer lebenden
-Person von dem Bild der Toten.</p>
-
-<p>»Wie war deine Mutter?«</p>
-
-<p>»O &ndash; zart und fein. Nicht sonderlich schön,
-aber voll Anmut. Und sie war gut gegen
-›Gerechte und Ungerechte‹. Ich entsinne mich,
-wie unser Haus eben gebaut war, kam ein
-Bettelweib &ndash; eine alte Frau, die oft betrunken
-war. Die hat meine Mutter nun überall herumgeführt
-und ihr alles gezeigt und sprach mit ihr,
-wie mit einer guten Bekannten. Dann hat sie
-ihr auch etwas gegeben &ndash; wohl nicht viel, denn
-die Eltern waren nicht reich damals und meine
-Mutter ängstlich und sparsam. Aber ich habe
-die Frau dann fortgehen sehen &ndash; mit einem so
-glücklichen Gesicht.«</p>
-
-<p>Eliza hatte eine seltsame frühreife Art zu
-sprechen. Die Art sehr gewissenhafter und beobachtender
-Menschen: es war wie eine plastische
-Nachgestaltung der Geschehnisse. &ndash; Sie dachte
-ein wenig, wobei sie ganz unerwartet ihrem
-Vater ähnlich wurde und sprach fort: »Ja &ndash;
-und dann erzählte Mutter uns aus der Geschichte.
-Aber alles, was schrecklich und traurig darin
-war, verschwieg sie uns. Ich weiß gar nicht,
-wie sie das möglich machte, aber wir erfuhren
-nichts über Tod und Entsetzen. So, daß wir
-es dann später gar nicht verstehen konnten, als
-sie uns starb. Wir hatten einfach den Schmerz
-nicht begreifen gelernt.«</p>
-
-<p>»Du und dein Bruder?«</p>
-
-<p>»Nein, der war schon von Hause fort. Ich
-und eine Schwester, die jetzt tot ist. Sie war
-zarter als ich und hat nie das Entbehren lernen
-können &ndash; obschon wir nicht sehr traurig waren,
-als Mutter starb.«</p>
-
-<p>Über Elizas Hände ging die letzte Sonne.
-Es waren überzarte Hände. Esther dachte: sie
-haben einen Zug der Unwirklichkeit.</p>
-
-<p>»Du verstehst alles so sehr,« sagte sie zu
-dem Kind und strich ihr über die Hände. Ja,
-es lag über diesen Händen wie die Ahnung von
-künftigem Leid.</p>
-
-<p>Da ließ das Mädchen mit einer sonderbar
-hilflosen Bewegung den Kopf auf Esthers Schulter
-sinken und weinte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie weinte immer mehr und sagte dazwischen:
-»ich weiß gar nicht, warum es ist &ndash; ich verstehe
-mich gar nicht.« &ndash; Und Esther zog sie zu
-sich heran. Sie fühlte die Wärme ihres Körpers
-zu der andern übergehen wie im instinktiven
-Beschützenwollen erwachender Mütterlichkeit und
-spürte, daß Eliza ruhig wurde und auf ihren
-Herzschlag hörte.</p>
-
-<p>Doch da geschah etwas ganz Seltsames:
-Esther erhob die Augen von dem Kind, das da
-an ihrer Brust weinte und sah plötzlich in ein
-Gesicht, das mit dem Ausdruck verzehrender
-Sehnsucht zu ihr gewandt war. Sie sah ratlos
-zur Seite und dann wieder hin &ndash; aber da stand
-im beschatteten Rahmen der Thür Adam Rude
-mit seinem gewohnten verschlossenen Gesichtsausdruck.
-Er nahm sich in der Dämmerung
-aus wie ein alter Van Dyck. Langsam kam
-er jetzt auf die beiden Mädchen zu und strich
-seiner Tochter über das Haar. Dabei sah er
-mit einem verlorenen Blick zum Fenster hinaus
-und sagte: »Kind &ndash; Kind.« &ndash; Und wieder:
-»Kind, Kind!«</p>
-
-<p>Dann wandte er sich schwerfällig und verließ
-das Zimmer.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Zwischen den beiden Mädchen blieb es jetzt
-still. Draußen ging die Dämmerung und verhüllte
-das Land. Und an dem dichtgrünen
-Schutzzaun nagte der Wind, vergebens mit seinem
-leisen, gierigen Stöhnen Einlaß suchend. &ndash;
-Über die Menschen kam ein Gefühl der Geborgenheit.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Esther war schon einige Wochen auf Eriksgaard
-und fühlte sich mehr und mehr mit der
-seltsamen Eintönigkeit des Hauses und seiner
-Bewohner verwachsen.</p>
-
-<p>Sie gewöhnte sich an Adam Rudes absonderliche
-Art, durch das Haus zu irren und zerstreute
-Worte zu stammeln. &ndash; Sie wurde vertraut mit
-dem überreifen, so oft das Unwirkliche streifenden
-Wesen Elizas.</p>
-
-<p>Und in dieser traumhaften Umgebung versank
-ihre Kraft fast unmerklich aber stetig im
-erschlaffenden Nachgeben.</p>
-
-<p>Seltsame heiße Bilder, die nur ganz entfernt
-die Wirklichkeit berührten, kamen zu ihr. Die
-unterdrückte Sehnsucht nach dem einen geliebten
-Menschen lebte sich in ziel- und gestaltlosen
-mystischen Phantasien aus.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und dann gab es eine Nacht, in der sie
-nach schlaflosem Hindämmern ganz plötzlich in
-ihrem Bett kniete &ndash; den Kopf vornübergebeugt
-und die Hände verschränkt &ndash; und immer liefen
-Thränen vor ihr nieder. Und sie warf den
-Kopf zurück und senkte ihn wieder und wollte &ndash;
-beten?&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und immer liefen Thränen vor ihr nieder.</p>
-
-<p>Aber es gab kein Wort und keinen Gott &ndash;
-nur allertiefste Verlassenheit war um sie.</p>
-
-<p>Und das Zeitgefühl schwand, und der Körper
-wurde wesenlos. Es war wie der Tod im Leben.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und dann fand sie sich wieder: mit zurückgeworfenem
-Kopf und schlaff herabhängenden
-Armen &ndash; schon lange thränenlos. Die Glieder
-waren ihr ganz kalt und taub geworden und
-gingen schwer zu bewegen. Und sie fand sich
-allmählich wieder ganz zurück in die Wirklichkeit
-und legte sich ruhig nieder &ndash; ja ganz ruhig
-und &ndash; gebrochen.</p>
-
-
-
-
-<h3>IV</h3>
-
-
-<p>Esther saß im Gartenzimmer und malte.
-Sie war allein im Haus geblieben, während
-Eliza mit ihrem Vater hinüber zu den Pächtersleuten
-ging, die den vom Wohnhaus ziemlich
-entfernt gelegenen Gutshof verwalteten.</p>
-
-<p>Über der stillen, weiten Stube lag etwas
-Festliches. Vielleicht war es nur der Sonnenschein
-und die Einsamkeit.</p>
-
-<p>Esther legte Pinsel und Palette nieder und
-betrachtete die Leinwand vor sich. Sie hatte ein
-Phantasiestück zu malen begonnen, das wenig
-Zeichnung und recht viel Farbenreiz enthielt.
-Es war nichts als Heide und Himmel: ein
-rechtes Motiv für Gedanken der Schwermut und
-Leidenschaft.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Esther errötete plötzlich und schob das Bild
-zur Seite. Sie stand auf und trat hinüber in
-den Sonnenschein. Sie streckte die Hände aus
-und fühlte darauf die prickelnde Wärme. Da
-beugte sie auch den Kopf, denn höher oben lag
-Schatten, bis sie im vollen Lichte stand.</p>
-
-<p>Die Einsamkeit machte es, daß sie auf ihr
-Atmen zu horchen begann &ndash; und dann plötzlich
-fing sie an zu singen.</p>
-
-<p>Sie schloß die Augen vor dem Licht und
-ließ es über sich gleiten &ndash; und sang dazu
-eine Melodie, die sie irgendwann einmal gehört
-hatte, von der die Worte längst vergessen
-waren.</p>
-
-<p>Da hörte sie die Hausthür gehen und war
-still. Sie setzte sich wieder zu ihrer Malerei,
-doch in ihr blieb eine leise, festliche Freudigkeit
-zurück.</p>
-
-<p>Und dann stand dort, wo sie eben noch gewesen
-war, ein anderer drüben im Sonnenschein.</p>
-
-<p>»Ich bin Arne Rude,« sagte er und verbeugte
-sich mit einem harmlosen kleinen Gut-Jungen-Lächeln.</p>
-
-<p>Esther war ein wenig verwirrt. »Herr Rude
-und Eliza sind ausgegangen,« sagte sie.</p>
-
-<p>»Sie werden wiederkommen,« meinte Arne
-in zuversichtlichem Ton. Und dann mußten sie
-beide lachen über den allzugroßen Geistesaufwand
-seiner Antwort.</p>
-
-<p>»Darf ich mich so lange ein bischen zu Ihnen
-setzen, Fräulein &ndash; Esther? &ndash; Sie müssen nämlich
-wissen, daß man mir immer nur von ›Esther‹
-schreibt, so daß ich gar nicht zweifeln kann,
-nun ›Esther‹ vor mir zu sehen&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ja, ich bin ›Esther‹,« sagte sie freundlich.
-Dabei sah sie zufällig nieder und auf die langen,
-sehr modischen Schuhe des jungen Mannes. Sie
-mißfielen ihr ein wenig, und deshalb stieg ihr
-Blick an der ganzen elegant umschneiderten
-Person empor, bis sie an diesem gutmütig lächelnden,
-hübschen Jünglingsgesicht haften blieben,
-das recht wenig mit der leichten Geziertheit
-der Kleidung in Einklang stand.</p>
-
-<p>»Und das Ganze ist also ein ›Dichter‹,« zog
-sie für sich das Resumée ihrer Betrachtungen.</p>
-
-<p>Arne ließ sich im Bewußtsein seiner Vorzüge
-beruhigt mustern. Dabei stand der Ausdruck
-des innigsten Wohlgefallens sowohl an sich selbst,
-wie an der jungen und schönen Dame auf seinem
-Gesicht.</p>
-
-<p>»Sie haben gemalt?« fragte er dann und
-wollte sich dem Bild nähern.</p>
-
-<p>Esther schob es aber wie achtlos zur Seite.
-Um keinen Preis sollte er es sehen! &ndash; Sie war
-selbst ganz erstaunt über die Heftigkeit dieses inneren
-Widerstrebens.</p>
-
-<p>Um abzulenken richtete sie rasch eine Frage
-an ihn: »Sie kommen direkt von Kopenhagen?«</p>
-
-<p>»Ja; ich pflege immer meine Familie recht
-unversehens zu überfallen. &ndash; Sie wissen, wir
-Leute der Feder sind gewöhnlich ein Stück
-<i>bohémien</i>. Mir besonders sind lange Vorbereitungen
-entsetzlich. Leute, die sich den
-einen Tag überlegen, was sie an den sechs
-andern essen wollen, sind mir noch gruseliger,
-als Papierkragen und wollene Hemden &ndash; Sie
-verzeihen!«</p>
-
-<p>»O, ich habe nichts zu verzeihen, ich trage
-ja keine,« erklärte Esther, die von seiner knabenhaften
-Lustigkeit angesteckt wurde, was über ihre
-sonst zu herbe Erscheinung eine ungewöhnliche
-Anmut brachte.</p>
-
-<p>»Wollen Sie nicht lieber den andern entgegengehen?«
-fragte sie bald darauf.</p>
-
-<p>»Ah &ndash; Sie schicken mich fort?«</p>
-
-<p>»Nicht doch &ndash; ich dachte nur&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ach, wenn Sie nur das nicht dachten, dann
-mögen Sie vielleicht auch Eliza entgegengehen &ndash;
-und ich darf Sie begleiten?«</p>
-
-<p>»Nein,« sagte Esther. Und dann, um die
-Schroffheit der Antwort zu mildern: »Nein, ich
-muß noch eine Kleinigkeit fertig malen, sonst
-trocknen die Farben ein.«</p>
-
-<p>Arne ging also allein.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Esther war plötzlich verstimmt.</p>
-
-<p>Weshalb hatte sie diese kleine dumme Höflichkeitslüge
-gesagt?</p>
-
-<p>Da kam ein fremder großer Junge in Lackschuhen,
-mit dem redete sie allerhand alberne
-intime Sachen, und zuletzt glaubte sie noch eine
-kleine Zurückweisung mit einer Höflichkeitslüge
-umkleiden zu müssen.</p>
-
-<p>Sie packte die Malgeräte zusammen, trug
-sie hinauf in ihr Zimmer und stellte die Leinwand
-zum Trocknen auf. Dann sah sie mit
-mancherlei kleinen, zerstreuten Gedanken hinaus
-in den Abendhimmel, wo die große rote Sonne
-sich feierlich dem Horizont zuneigte.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Am Abendbrottisch dozierte Arne. &ndash; Er
-besaß einen nach jeder Richtung hin unfehlbaren
-Geschmack.</p>
-
-<p>Unter anderm gab es da ein Buch von
-Peter Nansen &ndash; »Gottesfriede«. &ndash; Esther hatte
-es schon vor einigen Jahren gelesen, Arne durch
-Zufall erst jetzt.</p>
-
-<p>»Ich bereue die Zeit, in der ich dieses Buch
-nicht kannte,« erklärte Arne.</p>
-
-<p>»Es ist das Hohelied vom Weibe. Es ist
-das holdeste und keuscheste Buch, das ich kenne.
-Wer dafür kein Verständnis hat, mit dem ist von
-vornherein nicht zu reden!«</p>
-
-<p>Esther lächelte. »Dann müssen Sie mit mir
-gewiß nicht drüber sprechen &ndash; mich hat es unwahr
-berührt.«</p>
-
-<p>Arne runzelte ungnädig die Stirn. »Was
-ist ›unwahr‹ daran?«</p>
-
-<p>»Es ist nicht ›rein‹, wenn ein Mädchen
-nichts anderes von der Liebe will, als Mutter
-werden&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Das ist die Reinheit der Natur!«</p>
-
-<p>»Doch wohl nicht so ganz&nbsp;&ndash;« Esther zögerte
-ein wenig sich auszusprechen, aber dann sagte
-sie: »Das ist vielleicht die Natur des Tieres
-und ursprünglich des Menschen auch &ndash; wie wir
-aber jetzt sind, haben wir zu sehr die zweite
-Natur: die Seele in uns entwickelt, als daß
-uns nicht andere und &ndash; göttlichere Dinge zusammenführen.
-Mir scheint, eine vollkommene
-Liebe ist Sehnsucht nach der andern <em class="ge">Seele</em> &ndash;
-nicht nur Mittel zu einem Zweck der Natur.«</p>
-
-<p>Arne lächelte überlegen.</p>
-
-<p>Esther dachte: Wie nur alles Feine und Unantastbare
-so in die Verachtung der Menschen
-geraten kann &ndash; nur weil es vielleicht zu lange
-schon ein mißverstandenes und mißbrauchtes
-Ideal gewesen sein mag? &ndash; Und sie dachte
-weiter: alles, woran die Menschen eine Zeitlang
-mit ihren Gedanken rühren, wird so
-schmutzig und verbraucht, daß es ihnen zuletzt
-selbst zum Ekel und zum Wegwerfen ist. Und
-dann kommen ein paar Nachzügler, sammeln es
-aus der Verachtung heraus und machen es zu
-neuen und wieder verspotteten Heiligtümern. &ndash; &ndash;
-So dachte sie und vergaß wirklich dabei sich gegen
-das überlegene Lächeln zu wehren.</p>
-
-<p>Doch Arne begann noch einmal: »Verzeihen
-Sie, aber wie läßt sich eine ›Seele‹ erkennen?
-Die Menschen haben edle und unedle Aufwallungen &ndash;
-ein Fazit läßt sich da kaum
-ziehen&nbsp;&ndash;, sie haben ansprechende und abstoßende
-Gesichtszüge &ndash; und oft spiegelt ein
-bißchen Bleichsucht eine schöne Mädchenseele vor.
-Der Körper ist das einzige, was sich erkennen
-läßt &ndash; und der erotische Instinkt ist von vornherein
-göttlich!«</p>
-
-<p>Esther schwieg noch immer. Der junge Mann
-wußte alles so genau. Er sprach mit einer so
-verblüffenden Sicherheit, die jede Gegenrede auszuschließen
-schien. &ndash; So sagte sie nur noch ganz
-zögernd mehr für sich selbst als im Anschluß
-an das, was gesprochen wurde: »Ich meine,
-man müßte an einer Liebe, die nie die höchste
-Vereinigung erreichen kann oder doch will, zu
-Grunde gehen.«</p>
-
-<p>»Wir sind alle für die Einsamkeit geschaffen,«
-klang da die eintönige Stimme des alten Rude
-hinein.</p>
-
-<p>Diese Worte legten sich für den Augenblick
-wie eine trostverlassene Prophezeiung auf alle
-Anwesenden.</p>
-
-<p>Eliza blickte schutzflehend von einem zum
-andern.</p>
-
-<p>Aber da setzte die kraftfrohe, junge Stimme
-Arnes ein. Und er sagte so zuversichtlich: »Der
-Trost hierfür ist eben die Liebe &ndash; die Liebe auf
-Gnade und Ungnade &ndash; die Liebe um jeden Preis
-und über alle Unzulänglichkeiten hinaus!«</p>
-
-<p>Eliza lächelte ihrem Bruder zu. Sie stand
-mit der Zwanglosigkeit eines unerzogenen Kindes
-vom Tisch auf und ging mit ihren leichten,
-leichten Schritten hin vor einen Spiegel. Sie
-sah dort lange und ernsthaft sich selbst ins Gesicht,
-wandte sich dann um und sagte im Ton
-eines Babys: »Eliza bekommt Kummerfalten
-von euren traurigen Gesprächen!«</p>
-
-<p>»Eliza soll herkommen zu mir!« bat Arne.</p>
-
-<p>Eliza lehnte sich an seine Schulter. Da strich
-er ihr zärtlich über das Gesicht und sah sie mit
-guten, frohen Augen an.</p>
-
-<p>Diese Berührung schien das Mädchen seltsam
-wohlthuend und beruhigend zu empfinden. Es
-war, als ginge von seiner Hand Lebensfreude
-aus.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Esther dachte plötzlich, diese Hand müßte
-warm und trocken sein und ein wenig hart. In
-der Bewegung des Handgelenkes lag Energie
-und eine gewisse nervöse Sensitivität.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Arne war es, der neben Esther über den
-Kamm des Heidehügels ging. Er machte pompöse
-Handbewegungen, die rings das ganze Land
-einschlossen und philosophierte.</p>
-
-<p>»Es giebt eine neue Religion &ndash; die Religion
-der Wissenschaft,« sagte er. »Die sollte man verbreiten
-im Volk, und der alte Aberglauben von
-einer Belohnung im Jenseits muß ihnen genommen
-werden. Sie müssen die Wahrheit verstehen
-lernen.</p>
-
-<p>Einen neuen Messias brauchen wir, der
-sie auf das Leben weist, der aus Stubenhockern
-Leute der Freiheit und Freude
-macht.«</p>
-
-<p>»Es könnten nicht alle die Hoffnung auf das
-Jenseits entbehren.«</p>
-
-<p>»Wollen Sie denn einen Himmel?«</p>
-
-<p>»Ich habe nicht von mir gesprochen.«</p>
-
-<p>Er fuhr fort: »Wir brauchen nicht mehr die
-trügerische Hoffnung. Wir haben die Wissenschaft
-und ihre Erkenntnisse. Wir wissen, daß
-ein Fortleben unmöglich ist, weil das Leben
-nicht mehr ist, als die Wärme, die beim Zusammenreiben
-von zwei Steinen erzeugt wird.
-Sie entsteht und verflüchtigt sich. Die tote Materie
-bleibt zurück.«</p>
-
-<p>Esther dachte: Ob es nicht vielleicht in der
-Natur des Glückes liegt, sich die Ewigkeit erzwingen
-zu wollen &ndash; über alle Erkenntnis
-hinaus?&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Da sagte er: »Mich würde kein Schmerz
-fahnenflüchtig machen.«</p>
-
-<p>Sie lächelte vor sich hin. Wie war es doch
-gekommen, daß sie einzig <em class="ge">Glück</em> als ein Gegenargument
-genommen hatte, sie, die doch das
-Glück nie kannte? &ndash; Freilich, es mochte wohl
-meist der Schmerz sein, der die Menschen zwang,
-eine Hoffnung auf das Jenseits zu bauen &ndash;
-der Schmerz, den sie keine Stunde tragen möchten,
-wenn nicht die mystische Wandlung zu ewiger
-Freude bevorstände.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Arne hielt ihr Schweigen für widerstandslose
-Einsicht. Er war sehr zufrieden mit dem Sieg
-der Wissenschaft und ein bißchen auch mit dem
-seines Geistes.</p>
-
-<p>Er sah sie an, folgte ihren Bewegungen,
-und das Gefühl seiner Überlegenheit steigerte
-nur die Freude an ihrer jungen und anmutigen
-Weiblichkeit.</p>
-
-<p>Ȇbrigens liebe ich es, wenn Frauen ein wenig
-Christentum haben,« sagte er da gönnerhaft.</p>
-
-<p>Sie hatte plötzlich Lust, ihn an den Ohren
-zu reißen und einen kleinen, dummen Jungen
-zu nennen. Sie sagte aber nur mit ironischer
-Demut: »Ich danke Ihnen im Namen aller
-Frauen!«</p>
-
-<p>Er schielte herüber, ob sie auch nicht zu sehr
-den Sinn seiner Worte verstanden habe und
-wurde verlegen. Er wurde so verlegen, daß es
-ihn nach einer Kraftäußerung gelüstete, und da
-kam ihm ein sumpfiger Kuhpfad zu statten, der
-hier den Weg überquerte.</p>
-
-<p>Eifrig rief er: »Sie müssen es schon erlauben!«
-und hob Esther auf seine Arme. Mit
-der leichten Kraft eines jungen Centauren trug
-er seine Last über den Sumpf.</p>
-
-<p>»Bin ich Ihnen denn nicht zu schwer?«
-fragte sie.</p>
-
-<p>Er lachte glücklich und verneinte.</p>
-
-<p>Sie sah nieder auf seinen jünglingshaften
-Hals. Sie war ihm gut &ndash; und dankte ihm
-für etwas Unbestimmbares &ndash; vielleicht daß so
-viel Jugend von ihm ausging.</p>
-
-<p>Neben einer Weide, die sich, aus einer Böschung
-herauswachsend, tief über den Weg bückte,
-ließ er sie wieder zu Boden gleiten.</p>
-
-<p>»Glaubten Sie denn, ich könnte nicht auf
-eignen Füßen gehen?« fragte sie lachend.</p>
-
-<p>Er errötete wie ein Knabe. »Doch &ndash; Sie
-sind ein guter Kamerad,« sagte er.</p>
-
-<p>Sie wurde auf einmal ernst. »Lassen Sie
-mich das bleiben,« sagte sie frei.</p>
-
-<p>Er schüttelte heftig ihre dargebotene Hand.</p>
-
-<hr />
-
-<p>»Heute abend geben wir ein Fest,« erklärte
-Arne eines Tages.</p>
-
-<p>»Vater mag nicht, wenn so viele Menschen
-kommen,« meinte Eliza.</p>
-
-<p>»Dummerlein! Gar keine Menschen sollen
-kommen! Wir geben das Fest ganz für uns
-allein.</p>
-
-<p>Diese Zimmer sind so ganz versunken in
-Traurigkeit und Langeweile &ndash; man muß sie
-ein bißchen fröhlich machen!«&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nach dem Pachthof zu lag ein Wald. Die
-drei jungen Menschen machten sich auf zu einer
-Entdeckungsreise &ndash; Ein Fest braucht Blumen
-und Kränze.</p>
-
-<p>Sie bahnten sich einen Weg durch Brombeerhecken
-und Haselnußgebüsch, sie gingen bis zu
-den Knöcheln im weichen, modernden Laub und
-wählten das Froheste unter den frohen Farben
-des Herbstes.</p>
-
-<p>Ein kleiner Hügel kam; auf dem gab es ein
-Rankengewirr aus Jelängerjelieber und Waldrebe,
-das schon von feinen staubweißen Samenperücken
-übersponnen war.</p>
-
-<p>Arne trat vor und schnitt ein paar lange
-Guirlanden herunter. An der einen saß noch
-ein Blütenbüschel. Er brach dieses rötliche
-Sträußchen und überreichte es Esther ganz feierlich.
-»Je länger &ndash; je lieber.«</p>
-
-<p>Esther nahm es, drehte es zwischen den
-Fingern und lächelte. Sie lächelte und sah
-zwischen den Baumzweigen hindurch nach dem
-Himmel; der war von blauem Glas. &ndash; Es
-roch gut nach feuchter Erde, fast wie Veilchen,
-und kräftig nach welkem Buchenlaub und Baumrinde,
-die schon des Nachts bereift gewesen. &ndash;
-Beim Stillstehen fühlte sie das Blut wie heißen
-Wein durch ihren Körper rinnen.</p>
-
-<p>Und sie lächelte und drehte den Blütenstiel
-zwischen den Fingern &ndash; ging ein paar Schritte &ndash;
-drehte &ndash; und ließ achtlos die Blüten fallen.</p>
-
-<p>Nur Eliza hatte es gesehen.</p>
-
-<p>Sie hob sie auf, trat hin zu Esther und fragte:
-»Warum thust du das?«</p>
-
-<p>Wie ein schmerzlicher Vorwurf klang dieses
-»Warum thust du das?« &ndash; Und dann: »Wenn
-du sie nicht haben willst, gieb sie mir &ndash; aber
-du darfst nicht fortwerfen, was er dir giebt.«</p>
-
-<p>Esther zog die Augenbrauen hoch, antwortete
-nichts und ging zur Seite. Eliza folgte
-ihr niedergeschlagen.</p>
-
-<p>Sie kamen auf einen Feldweg. Am Waldrand
-rief Arne: »Fräulein Esther! Eliza! Hier
-diesen Weg müssen wir zurück! Sie gehen
-falsch!«</p>
-
-<p>Eliza berührte mit den Fingerspitzen Esthers
-Arm und sagte ängstlich: »Er meint, wir gehen
-falsch!«</p>
-
-<p>Esther wandte ihr Gesicht, das in übermütiger
-Lustigkeit einen knabenhaften Zug erhielt,
-zu dem Kind und sagte: »Laß ihn nur &ndash;
-er wird uns schon nachkommen!«</p>
-
-<p>»Das thut er nicht,« meinte Eliza zweifelnd.</p>
-
-<p>Aber da sahen sie schon wie Arne, den
-Kampf gegen die Ackerschollen aufnehmend,
-querfeldein herübergestiegen kam.</p>
-
-<p>Eliza bog den Kopf zur Seite und sah
-Esther sanft und verwundert an.</p>
-
-<p>Esther lächelte nur &ndash; ein ganz kleines, spitzbübisches
-Lächeln.</p>
-
-<p>»Du bist anders geworden,« sagte Eliza.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Das Gartenzimmer stellte einen prächtigen
-Tanzsaal vor. &ndash; Ein ganz besonderer Luxus
-war mit den hohen, dicken Wachskerzen getrieben,
-die ihr Licht so seltsam einschmeichelnd
-verteilen, wie eine Stimme, die von verborgner
-Liebe redet.</p>
-
-<p>In einer halberhellten Ecke saß der alte
-Rude in seinem steifen hochlehnigen Sessel. Er
-saß steif und aufrecht und glich mehr als je
-einem Gemälde der niederländischen Schule &ndash;
-jenem Typ voll Charakter und fast einfältiger
-Würde, von dem man jedoch sicher ist, daß er
-klug zu reden und klug zu schweigen versteht.</p>
-
-<p>Eliza trug ein weißes Kleid. Sie mochte
-nie tanzen, saß auf einem Tisch und geigte.
-Sie machte große ernste Augen und spielte so
-ungewöhnlich leise. Ein recht eigenartiges Spiel
-war es: ganz ohne Kraft und Temperament &ndash;
-nur eine Tonreihe kleiner überzarter Liebkosungen.</p>
-
-<p>Es gab nur das eine Paar, das tanzte. &ndash;
-Sie waren zusammengeheftet &ndash; konnten nicht
-aufhören.</p>
-
-<p>Die Lichter schwirrten &ndash; warme Luft zog
-wellengleich vorüber. Esther fühlte sich ermatten &ndash;
-so ganz weich, langsam, leise. &ndash; Sie tanzte
-mit gelösten Gliedern.</p>
-
-<p>Und da war der, der sie hielt und leitete.
-Sie spürte seine warme, ruhige Kraft. &ndash; Sie
-sah zu ihm auf und lächelte ein wenig unsicher. &ndash;
-Plötzlich sah sie &ndash; rote Beeren durch den Nebel
-schimmern? &ndash; Ja, es war dieses alte, alte
-Gefühl der Lust, das sie einmal überkam, wenn
-sie die roten Beeren der Eberesche durch den
-Nebel leuchten sah.</p>
-
-<p>Das Blut lief ihr mit einem heißen, schmerzhaften
-Ruck durch den Körper&nbsp;&ndash; &ndash; Rote &ndash;
-Beeren &ndash; durch den &ndash; Nebel &ndash; leuchten&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ist Ihnen nicht wohl, Fräulein Esther?«</p>
-
-<p>»Nur ein bißchen schwindelig.«</p>
-
-<p>»Sie waren so blaß geworden. Setzen wir
-uns hier.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Woher haben Sie die rote Rose, die Sie
-mir vorhin gaben?«</p>
-
-<p>»Es ist die letzte Blüte von Camille de
-Rohan.«</p>
-
-<p>»Ich weiß noch, wie sie in der Sonne
-stand&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Sie waren still &ndash; saßen nebeneinander und
-schwiegen. Auch Eliza hatte die Geige sinken
-lassen. Für einen Augenblick hörte man nur das
-Brennen der Kerzen wie einen leisen Atem durch
-den Raum.</p>
-
-<p>Esther dachte: Etwas kommt zu mir &ndash; eine
-tiefe Angst. Ich verliere mich, und alles ist fremd
-und seltsam und bethörend&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie sagte: »Ich bin müde &ndash; möchte hinauf
-gehen.«</p>
-
-<p>Sie ging langsam durch das Zimmer und
-fing das Licht in ihren Augen auf, die vielen
-kleinen stolzen Flammen. Sie erhob den Kopf
-und war froh, und ein Gefühl der Macht ging
-ihr durch den Körper.</p>
-
-<p>»Gute Nacht, Herr Rude.«</p>
-
-<p>Der Alte hielt ein wenig ihre Hand. &ndash;
-»Gute Nacht, Kind,« sagte er, gab aber
-ihre Hand noch nicht frei &ndash; fügte dann
-ganz leise hinzu: »Kind &ndash; Kind &ndash; Königin
-Esther!«</p>
-
-<p>Ihr erschien das nicht einmal wunderlich.</p>
-
-<p>Und sie beugte sich zu Eliza: »Gute Nacht,
-Eliza&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Das Kind bog sich leise zurück. &ndash; »Gute
-Nacht.«</p>
-
-<p>»Du bist anders zu mir?«</p>
-
-<p>»Du bist es, die anders geworden ist. Ich
-kenne dich nicht mehr.«</p>
-
-<p>Esther senkte den Kopf. Das Weinen
-preßte ihr plötzlich die Kehle. Es war heute
-so, daß ein jedes Wort sie tief und innerlich
-traf und wie mit einer geheimnisvollen Bedeutung.</p>
-
-<p>Und ihr war, als schickte sie sich an zu einem
-Verbrechen. Scham und Entsetzen waren in
-ihr. &ndash; Was denn? &ndash; Aber sie that doch nichts
-Häßliches?</p>
-
-<p>Nur die Schwermut war es, die von ihr
-wich &ndash; nur diese glücksfremde, von Jugend
-und Leben gewandte Seele schwieg endlich einmal&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Es starb &ndash; es starb in ihr.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Auf der Treppe traf sie noch einmal mit
-Arne zusammen. Er sagte nichts &ndash; nahm
-nur ihre Hände und küßte sie.</p>
-
-<p>Und sie ließ ihm die Hände. Gab sie ihm
-wie einen Trunk und schaute zu. &ndash; Und sie
-fühlte seine Liebe kommen. Und seine Liebe trat
-bis heran zu ihrem Herzen.</p>
-
-<p>Und es war wie ein stiller, seliger Trost in
-ihr: nicht mehr allein &ndash; endlich nicht mehr
-allein sein&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Dann zog sie leise die warmgeküßten Hände
-zu sich.</p>
-
-<p>Und seine frohe, junge Stimme kam ihr noch
-einmal im Gutenachtgruß nach.</p>
-
-
-
-
-<h3>V</h3>
-
-
-<p>Am nächsten Morgen kam Esther früher
-als die andern Hausbewohner ins Eßzimmer
-herunter. Erst stand sie ein wenig am Fenster
-und sah in den Garten. Dort, wo sich einst
-Camille de Rohan in der Sonne wiegte,
-graste jetzt der Wind am welken Laub der
-Beete. Ja, eingedrungen war der Sturm in
-den stillen Garten und hastete suchend um das
-Haus.</p>
-
-<p>Esther blickte fremd auf die beginnende Zerstörung.
-Sie fühlte nur das Geborgensein.</p>
-
-<p>Dann trat sie vom Fenster zurück, ging langsam
-durch das Zimmer. Immer noch schien
-niemand außer ihr aufgestanden zu sein.</p>
-
-<p>Sie wollte aber so gern mit irgend jemand
-reden &ndash; gleichgültig was und mit wem. So
-eine Unruhe war in ihr. Vielleicht war die
-alte Karen in der Küche!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nein, auch Karen war nicht zu finden. Nur
-das friedliche Summen von kochendem Wasser
-ließ sich hören. Über einen Nagel am Thürpfosten
-war ein Rock Arnes zum Ausbürsten
-aufgehängt. Esther trat hin und strich mit der
-Hand über den Ärmel. Dann horchte sie, ob
-auch niemand käme. Und sie that noch einmal
-dasselbe &ndash; wie eine scheue Liebkosung war es.
-Und plötzlich drückte sie auch ihre Stirn hinein.</p>
-
-<p>Dann ging sie leise und wie mit einem kindlich
-bösen Gewissen wieder hinaus. Dabei war
-ihr im Innersten eine stille keimende Freude.</p>
-
-<p>Sie kam am Postkasten vorbei, der unter
-dem freien Herzausschnitt der Hausthür angebracht
-war. Man hatte ihn gestern vergessen
-zu leeren&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sonst würde sie diesen Brief von Lydia schon
-einen Tag früher gelesen haben.</p>
-
-<p>Sie that ihn zögernd von einer Hand in die
-andere. Plötzlich kam es ihr: Wenn sie ihn
-nun gar nicht öffnete? Wenn sie so alle Verbindung
-mit der Vergangenheit abbrechen könnte?
-So daß ihr Leben gleichsam neu wurde und rein
-von Schmerzen&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber was waren das für sinnlose Gedanken!
-Nein, standhalten wollte sie von nun an allem,
-was dort drüben her ihrer Sehnsucht winkte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie ging in die Stube zurück und las den
-Brief&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Lydia erzählte allerhand Kleinigkeiten aus
-der Heimat, ihre eigne Person immer nur nebensächlich
-berührend.</p>
-
-<p>Da fand sich auch eine Stelle, als Esther
-die las, war der ganze übrige Brief vergessen.
-Sie las noch einmal &ndash; da war schon das alte
-Herzweh wieder eingedrungen.</p>
-
-<p>»&ndash; &ndash; ja, es ist noch das alte Glück. Ich
-hörte ihn zu deiner Schwester sagen: ›Du bist es,
-die für mich ist‹. Und sie antwortete: ›Und du
-für mich‹&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Weiter kam Esther nicht. Sie mußte dasselbe
-immer wieder lesen.</p>
-
-<p>Und da stieg ein Bild des Glückes vor ihr
-auf &ndash; des Glückes in seiner Vollkommenheit.
-Es war nicht mehr die Liebe zu diesem Mann,
-der so gesegnet rein und voll empfinden konnte &ndash;
-Sie hätte nur seine Worte nehmen mögen,
-stehlen mögen, um sie dem andern zu schenken,
-den sie liebte&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie hätte zu dem kommen mögen, den sie
-liebte und allen Reichtum dieser Worte über ihn
-ausschütten: »Du bist es, der für mich ist.«</p>
-
-<p>Aber das &ndash; das würde ja für sie nur eine
-neidische Lüge sein. Denn sie war genügsam
-geworden bei einem halben Verstehen, bei einschläfernden
-Zärtlichkeiten. Sie hatte gewußt,
-daß sich ihr nirgends Heimat bot &ndash; und da
-nahm sie die warme Hand, die sich ihr entgegenstreckte&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ja, der Wille zu einem Götterglück war
-allzufrüh in ihr gebrochen &ndash; und da griff sie
-nach einem kleinen frohgemuten Trost.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie hatte nicht bemerkt, daß jemand eingetreten
-war.</p>
-
-<p>Arne ging auf sie zu mit einem frohen fragenden
-Blick.</p>
-
-<p>Sie gab ihm flüchtig die Hand. Seine
-Augen wurden ernst und die Frage darin eindringlicher.</p>
-
-<p>Sie spürte die Verpflichtung, etwas zu
-sagen, fand kein Wort und wurde dadurch verlegen.</p>
-
-<p>Er bemerkte den Brief in ihrer Hand. »Sie
-haben Nachrichten von zu Hause, Fräulein
-Esther?«</p>
-
-<p>»Ja, sie schreiben &ndash; ich werde bald reisen
-müssen.«</p>
-
-<p>»Sie wollen wieder fort, Fräulein Esther?
-Hier im Hause hofft man, daß Sie immer bleiben
-möchten.«</p>
-
-<p>»Ich bin so lange schon fort,« sagte Esther
-eintönig.</p>
-
-<p>Er antwortete gar nicht, sah sie nur mit
-dem traurig befremdeten Blick eines Hundes
-an, der Güte und immer nur Güte von seinem
-Herrn zu erwarten gewohnt war und sich nun
-getäuscht sieht. Er ging. Es war ein stummes
-Richten.</p>
-
-<p>Aber sie dachte nichts als: es ist gut so,
-denn es wäre eine Lüge gewesen.</p>
-
-<p>Doch nun würde sie auch nicht länger in
-diesem Hause bleiben können.</p>
-
-<p>Die Heimkehr stieg vor ihr auf &ndash; nicht die
-Heimkehr mit den tausend Masten der Sehnsucht &ndash;
-es würde die stille dumpfe Heimkehr
-des Ausgestoßenen vom fremden Lande sein.
-Und wie gegen das Schicksal gerichtet erhob sich
-bei diesem Gedanken eine flehende Abwehr in
-ihr. Nur nicht zurück auf den Ausgangspunkt
-ihres Leides!</p>
-
-<p>Eine alte Sage fiel ihr ein: Der Tod kommt
-zu einem Mann und spricht: »In dieser Nacht
-noch schickt mich der Herr, dich zu holen.«</p>
-
-<p>Und von Entsetzen und Widerstand gegen
-das Schicksal ergriffen, will der Mann dem Gebot
-Gottes entfliehen. Er besteigt sein schnellstes
-Pferd und jagt über das Land. Er spornt das
-Tier, daß es die Luft schneidet, als bräche ein
-Sturm entgegen, daß es schäumt und keucht,
-lange Wolkenzüge von aufgewirbeltem Staub
-hinter sich läßt im rasenden Ritt.</p>
-
-<p>Und wie Mitternacht kommt, ist der Mann
-weit im Innern der Wüste angelangt, wo kein
-andrer Mensch mehr nah und fern zu finden ist.</p>
-
-<p>Da läßt er das erschöpfte Tier Schritt gehen,
-selbst in Mattigkeit zusammenbrechend.</p>
-
-<p>Doch plötzlich &ndash; gar nicht weit von sich &ndash;
-sieht er eine dunkle Gestalt in wartender Ruhe.
-Es zieht ihn hin &ndash; da steht der Tod.</p>
-
-<p>»Wahrlich des Herrn Wege sind wunderbar,«
-spricht der Tod. »Fast zweifelte ich heute an
-der göttlichen Allwissenheit, als der Herr mir
-befahl, dich hier an dieser Stelle der Wüste zu
-erwarten.«&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Wollen Sie mit mir eine Tour über Land
-gehen?« fragte später am Nachmittag Adam
-Rude.</p>
-
-<p>Esther war gleich bereit. Eliza und Arne
-saßen schon seit Stunden überm Schachbrett,
-Esther hatte ein Buch genommen, aber die gelesenen
-Worte bekamen keinen Sinn in ihren
-Gedanken.</p>
-
-<p>Nun schritt sie neben dem alten Rude über
-das Heideland. Er hatte ihre Hand durch seinen
-Arm gezogen, »damit Sie nicht ermüden, denn
-wir wollen weit gehen«.</p>
-
-<p>»Wohin gehen wir?«</p>
-
-<p>»Nach einem Bauernhof, drüben im Rottbüllwald.
-Recht merkwürdige Leute sitzen dort,
-hören Sie nur:</p>
-
-<p>Vor zwanzig Jahren starb der Bauer. Er
-hatte aber ein Testament gemacht, nach dem die
-Bäuerin den Hof verlieren sollte, wenn sie innerhalb
-zwanzig Jahren wieder heiraten würde.
-So sehr hatte er sich ihrer Treue versichert!</p>
-
-<p>Kaum aber ist der Mann tot, so hat die
-Bäuerin nichts Eiligeres zu thun, als ihre Gunst
-dem Großknecht zu schenken. Aber heiraten
-dürfen sie nun ja mal nicht, weil sie sonst den
-Hof verlieren. Also sie warten zwanzig Jahre,
-und jetzt im Frühling hielten sie Hochzeit.</p>
-
-<p>Weil aber im Laufe dieser Zeit an zwölf
-Kinder gekommen waren, schlug ihnen der
-Pfarrer vor, die Hochzeit doch wenigstens etwas
-in der Stille zu feiern. Das war aber nun gar
-nicht nach ihrem Sinn &ndash; es mußte im Gegenteil
-eine ganz große Hochzeit sein, denn sonst,
-wissen Sie, wären die Brautleute ja um die
-schon lange entbehrten Hochzeitsgeschenke gekommen!«</p>
-
-<p>Esther amüsierte sich. Der Alte konnte mit
-so viel verstecktem Humor erzählen, wie sie
-es seiner feierlichen Art gar nicht zugetraut
-hatte.</p>
-
-<p>Aber es that ihr wohl &ndash; gerade heute.
-Und sein kräftiger Schritt unterstützte so harmonisch
-den ihren. Sie schmiegte sich an ihn
-und sah zutraulich zu ihm auf.</p>
-
-<p>Ein herber Wind ging über die abgeernteten
-Felder; er trug den Geruch von Erde und Gras,
-das auf sandigem Boden wächst. Auch überreife
-Brombeeren mochten dazwischen sein.</p>
-
-<p>Alles ringsum war klar und einfach &ndash;
-allem heißen Zweifeln der Sinne und der Seele
-fremd.</p>
-
-<p>Was heute früh geschehen war, klang nur
-noch wie ganz aus der Ferne herüber. Ein
-hohes Bild verblaßte. Eine überzärtliche Sehnsucht
-entblätterte im Nordlandswind.</p>
-
-<p>War hier nicht alles gesund und stark und
-gut? Redeten nicht alle Dinge in einer herzlichen
-und bekannten Sprache zu ihr? Wozu dann
-einen festen und treuen Gewinn des Lebens
-aufgeben, um sich selbst ins Ungewisse zu verstoßen?</p>
-
-<p>Wie denn? Das waren alles Worte, um
-einen Willen zu verkleiden. Ja, ganz einfach:
-sie wußte, daß sie sich hier nicht loszureißen vermochte &ndash;
-sie <em class="ge">wollte</em> hier bleiben.</p>
-
-<p>Wieder sah sie mit einem freudigen und zuversichtlichen
-Ausdruck auf den Menschen, der
-neben ihr ging. Sie wollte ihm so gern etwas
-Liebes sagen. »Erzählen Sie mir ein wenig von
-sich selbst,« meinte sie plötzlich.</p>
-
-<p>»Das kann ich so schlecht,« antwortete er.
-»Ich bin nicht gewohnt, von mir zu sprechen.«</p>
-
-<p>Sie glaubte, daß er nun nicht weiter reden
-würde, aber er fing nach einem gewaltigen Besinnen
-wieder an, und es war, als müßte er
-erst die Worte aus schlafender Versunkenheit
-wecken.</p>
-
-<p>Und dann kam eine Geschichte von Arbeit
-und Entbehren. Absichtslos erzählt, ohne zu
-verdecken oder zu übertreiben &ndash; von der einfältigen
-Wahrhaftigkeit eines Menschen, der noch
-vor keinem Spiegel in müßige Selbstbeschau versunken
-gewesen, und der in natürlicher Vornehmheit
-nichts zu verheimlichen oder zu verschönen
-an sich weiß.</p>
-
-<p>Und in diese Geschichte der Arbeit und des
-Enbehrens trat eine Frau. Sie ging einfach
-und klar hindurch &ndash; und doch wie etwas Ungeahntes
-und Überirdisches. &ndash; Sie erschien ihm
-so fein, daß er sie nicht anzurühren wagte mit
-seinen rauhen Arbeitshänden. Aber sie neigte
-sich ihm. Doch immer wenn er fort von ihr
-war, konnte er es noch nicht glauben, daß sie
-ihm gehörte &ndash; wirklich ihm! Und er dachte
-die ganze Zeit, während er arbeitete, an sie,
-und daß er sich eilen wollte, wieder zu ihr zu
-kommen. Und auf seinem Heimweg sah er sie
-dann, wie sie ihm entgegenkam. Sie ging ihm
-entgegen mit dem sorgenvollen Blick, der ihr
-eigen war. Und sein Glück war es dann, zu
-erwarten, daß sie ihn erkannte: dann sah er,
-wie sich ihre Züge zur Freude veränderten. Ja,
-diese Wandlung immer wieder zu sehen, war
-das köstliche Glück seiner Tage. &ndash; Er erzählte
-und kam immer wieder darauf zurück, und dann
-lächelte er &ndash; und schwieg einen Augenblick &ndash;
-und erinnerte sich.</p>
-
-<p>Esther ging neben ihm und nahm sein Vertrauen
-wie ein Heiligtum entgegen, denn sie verstand
-wohl seinen Wert.</p>
-
-<p>Und wie er zu Ende war, da wußte sie
-nichts zu sagen, blieb an einem Berberitzenstrauch
-stehen und brach sich Zweige voll der roten
-Beeren.</p>
-
-<p>Und er griff auch in die Dornen und half
-ihr. Aber seine Hand zitterte, so daß ihn die
-Dornen verletzten. Und er wußte nicht, daß er
-ihr mit blutenden Händen den kindlichen Schmuck
-überreichte.</p>
-
-<p>Und sie nahm den Hut herunter und krönte
-sich mit den Zweigen in einer unbewußt feierlichen
-Gebärde. Und die roten Beeren hingen
-in ihrem Haar, wie Blut, das unter einem
-Dornenkranze niedertropft.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Späte, warme Tage kamen, so daß die langverblühte
-Heide noch einmal purpurn schillerte
-vor lauter Sonnenlicht.</p>
-
-<p>Nicht weit von Eriksgaard lag ein kleiner
-Friedhof. Gräber mit alten, verwitterten Steinen,
-in die so wunderliche Namen eingeschnitten
-waren, gab es dort. Esther ging oft allein
-dorthin und las die Geschichten von »Jung-Svend«,
-von »Eike« und »Gerdine«. Sie lasen
-sich einfältig und überzeugend wie alte Märchen.
-Mit trocknen Wirklichkeitsworten war dort von
-der Liebe über den Tod und vom Wiedersehen
-im Jenseits erzählt. Man wußte, weder Jung-Svend,
-Eike oder Gerdine, noch ihre Nachredner
-hatten diese Hoffnung auch nur in den Bereich
-des Geheimnisvollen verlegt &ndash; sie war ihnen
-so selbstverständlich wie das Tagewerk und das
-Kinderzeugen gewesen.</p>
-
-<p>Reseden gab es noch auf den Gräbern und
-die nachzüglerischen Rosen des Kirchhofs. Über
-die Schutzmauer aus Feldgestein hob sich nur ein
-untersetzter Nußbaum mit seinen glatten blankflimmernden
-Blättern.</p>
-
-<p>Einmal, wie Esther durch das Kirchhofspförtchen
-trat, fand sie Arne unter dem Nußbaum.
-Er sah verlegen aus und war bemüht,
-das Zusammentreffen als ein zufälliges hinzustellen,
-denn sie waren sich in einem stillen Übereinkommen
-seit jenem Morgen ausgewichen.</p>
-
-<p>Esther ging auf seine Bemühungen ein. Es
-war etwas Hilfloses über ihm, das sie rührte.
-Sie setzte sich sogar neben ihm an die kleine
-Hügelböschung unter der Steinmauer und redete
-ein paar Gleichgültigkeiten, ihn dabei ernst und
-freundlich ansehend.</p>
-
-<p>Er schien ihr ein wenig verändert in dieser
-letzten Zeit, wenigstens war seine Kleidung nicht
-mehr so <i>dandy like</i>, und auch der sonst so
-wohlfrisierte Scheitel war in wirren Knabenlocken
-verloren gegangen. Eine leichte Unrast
-lag in seinen Bewegungen.</p>
-
-<p>Plötzlich begann er ganz unvermittelt und
-vor unterdrückter Bewegung fast automatenhaft
-redend: »Wir sprachen neulich einmal über die
-Möglichkeit eines immateriellen Fortbestehens,
-Fräulein Esther.</p>
-
-<p>Wissen Sie noch, ich leugnete das Jenseits
-und die Seele? &ndash; Ich habe Unrecht gehabt.
-Ich weiß jetzt, daß ich Unrecht hatte.</p>
-
-<p>Es giebt eine Seele, und es giebt einen
-Himmel, in dem uns wird, was wir auf Erden
-entbehrt haben. Das läßt sich nicht mit Sätzen
-der Wissenschaft beweisen &ndash; das muß man
-gefühlt haben.</p>
-
-<p>Man muß nur einen Menschen über alles
-lieb haben, dann will man auch mit ihm die
-Ewigkeit. Dann will man nichts von der ewigen
-Seligkeit, als diesen einen Menschen &ndash; dann
-glaubt man an das Jenseits und die ewige
-Vereinigung der Seelen &ndash; trotz aller Erkenntnisse
-der Wissenschaft.«</p>
-
-<p>Er schwieg und sah sie erwartungsvoll an.
-Doch als sie nichts sagte, nur den Kopf
-tiefer senkte, fragte er wie mit zugeschnürter
-Stimme: »Fräulein Esther, wollten Sie keinen
-Himmel?«</p>
-
-<p>Sie sah ihn nicht an, antwortete nur still
-vor sich hin: »Menschen wie ich bin, wollen
-keinen Himmel. Es ist ihnen kein Verzichten
-auf Erkenntnis &ndash; es giebt ja zu viele unerklärliche
-Dinge, an die sie glauben, als daß
-nicht auch der Traum von einem Jenseits zur
-Wirklichkeit werden könnte. &ndash; Wir wollen nur
-keinen Himmel, weil wir dort drüben nicht zu
-leben verstünden. Denn wir sind nicht zur
-Freude geschaffen &ndash; wir würden den Kampf
-entbehren &ndash; und den Schmerz &ndash; und die Einsamkeit.
-Denn das alles haben wir lieben gelernt,
-als uns die Erde nichts anderes zu bieten
-hatte.</p>
-
-<p>Wir können nie mehr in der Freude zu
-Hause sein.«</p>
-
-<p>Und wieder war es still zwischen ihnen, bis
-auf das heimliche, bebende Leben über den
-Gräbern. Ein leichter Wind rührte die Blätter
-des Nußbaums. Das war wie ein Aufseufzen
-der Toten, die Rede begehrten.</p>
-
-<p>Doch zwischen den Lebenden blieb das
-Schweigen. Nur war es Esther plötzlich, als
-würde sie weit fortgetragen &ndash; weit, durch ein
-stürmisches, sonniges Land. Felsen sah sie
-ragen und rote, heiße Blumen an Abhängen
-blühen. Und das wilde Lied des Lebens klang
-um sie.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie sah auf und in ein bleiches, vor Erregung
-verzerrtes Gesicht.</p>
-
-<p>»Esther! Esther! Sie wissen, was ich sagen
-will &ndash; Esther, deine Seele will ich&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Sie sah ihn starr und wie ganz aus der
-Ferne an. »Meine Seele?« sagte sie, und langsam
-gingen Thränen aus ihren Augen. Sie
-vergaß in diesem Augenblick den Menschen
-neben sich.</p>
-
-<p>Doch der sprach weiter: »Esther, ich glaubte
-zu wissen &ndash; ja, Sie haben es mir gezeigt,
-daß ich Ihnen nicht gleichgültig bin &ndash;
-Esther&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Sie sah plötzlich wieder sein gequältes Gesicht
-über sich &ndash; und da legte sie ganz leise den
-Arm um seinen Hals und sagte: »Ja, ich habe
-dich lieb.«</p>
-
-<p>Und sie küßten einen leisen, zitternden Kuß.</p>
-
-<p>Und keines von ihnen wiederholte die Zärtlichkeit.
-Schweigend gingen sie nebeneinander
-zurück über die Heide, die purpurn schillerte
-vor lauter Sonnenlicht.</p>
-
-
-
-
-<h3>VI</h3>
-
-
-<p>Purpurn schillerte die Heide vor lauter
-Sonnenlicht.</p>
-
-<p>Sie gingen nicht mehr zusammen auf den
-kleinen Kirchhof &ndash; sie suchten alles auf, was
-froh und leuchtend war.</p>
-
-<p>Wie die Kinder gingen sie miteinander Hand
-in Hand. Und sie machten Entdeckungen in der
-altgewohnten Umgebung, ihre Blicke waren so
-sonderbar für alle Außenwelt geschärft, und sie
-fanden auf einmal wundersam schön, was sie
-früher gar nicht beachtet hatten.</p>
-
-<p>In den Wald kamen sie am oftesten. Es
-gab da so viel Buschholz, daß man sich schon
-verirren konnte, oder sich doch auf Augenblicke
-der aufregenden Vorstellung hingeben, man
-wüßte nicht mehr den Heimweg zu finden, und
-wenn auch das einmal nicht möglich war, so
-konnte man wenigstens dem andern diese Möglichkeit
-vortäuschen.</p>
-
-<p>Esther gab sich in dieser Zeit ganz der Gegenwart
-hin.</p>
-
-<p>Eine übermütige Knabenlust, ihre Körperkräfte
-zu erproben, überfiel sie manchmal.
-Dann forderte sie Arne zum Ringkampf heraus
-und sie balgten sich miteinander wie Gassenbuben.</p>
-
-<p>Dann lagen sie wieder ausgetobt und beschaulich
-geworden am Waldsaum.</p>
-
-<p>»Ach wenn ich doch lieber ein Mann wäre!«
-seufzte Esther.</p>
-
-<p>»Dann wärst du kaum erst mit dem Gymnasium
-fertig &ndash; ein Student in den ersten Semestern!«</p>
-
-<p>»Ja, das ist wahr: man kommt sich als Frau
-älter vor.</p>
-
-<p>Eine Zeitlang war ich ganz alt. Nun ist
-es aber wieder, als sollte alles erst anfangen &ndash;
-fast als ob ich noch nicht mitrechnete unter den
-›Erwachsenen‹.</p>
-
-<p>Weißt du noch, wie man als Kind die Erwachsenen
-sieht: so unendlich weise und interessant
-und eingeweiht in die Geheimnisse des
-Lebens.</p>
-
-<p>Und man denkt daran, wie an eine ferne
-bevorstehende Ehrung, daß man auch einmal zu
-ihnen gehören wird.«</p>
-
-<p>Er sah sie an mit seinem strahlenden, frohgemuten
-Blick. »Mir ist es nun doch lieber,
-du bist eine Frau und kein Mann,« sagte er
-mit recht viel Überzeugung.</p>
-
-<p>Sie wurde nachdenklich. »Hast du noch nie
-eine Frau vor mir geliebt?« fragte sie ernst.</p>
-
-<p>»Nie,« sagte er. »Und wenn ich es wagte
-zu dir zu kommen, so ist es nur, weil du die
-erste bist.«</p>
-
-<p>Da beugte sie sich nieder und küßte seine Hand.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Adam Rude hatte wieder seine Tage, wo
-er in »böser Laune« umherging.</p>
-
-<p>Des Vaters »böse Laune« war ein nahezu
-geheiligter Zustand. Keinem fiel es ein, nach
-ihrer Ursache zu fragen &ndash; man nahm einfach
-die Thatsache hin, beugte sich darunter wie unter
-das Schicksal.</p>
-
-<p>Mit finsterem Gesicht wanderte Adam Rude
-durch das Haus. Den größten Teil des Tages
-schloß er sich in dem Zimmer ein, wo das Bild
-seiner Frau hing &ndash; gleich einem Priester, der
-sein Leben im Marienkult verzehrt.</p>
-
-<p>Auch zu der Verlobung seines Sohnes mit
-Esther hatte er erst kein Wort geäußert. Kaum
-wußte man, ob er wirklich verstanden hatte, bis
-er plötzlich bei Tisch auf eine zugleich feierliche
-und finstere Art den beiden zutrank.</p>
-
-<p>»&ndash; und dann ist es jetzt wohl an der
-Zeit,« fuhr er fort, »daß man auch mich nicht
-mehr ausschließt, wenn alle sich du nennen.«</p>
-
-<p>Er blickte zürnend um sich. Esther hatte im
-ersten Augenblick diese wunderliche Ausdrucksweise
-nicht verstanden, bis Arne über den
-Tisch rief:</p>
-
-<p>»Der Vater möchte dich du nennen, Esther!«</p>
-
-<p>Esther errötete. Sie sah Adam Rudes Blicke
-so unbegreiflich zornig und schmerzlich auf sich
-gerichtet, wurde davon ganz verwirrt und wußte
-keine Antwort. Sie hob nur in schweigender
-Erwiderung ihr Glas gegen ihn.</p>
-
-<p>Eine quälende Stille wurde nur ab und zu
-durch Arnes ungedämmte Fröhlichkeit unterbrochen.
-Eliza duckte sich ganz verstört zusammen
-wie ein Vogel im Gewitter.</p>
-
-<p>Nach Tisch ging Esther dem Alten nach.
-Sie sagte: »Sie sollen mir nicht böse sein, ich
-wollte ja so gern, daß Sie mich Du nennen &ndash;
-aber ich habe es lieber, wenn ich zu Ihnen Sie
-sagen darf.«</p>
-
-<p>Vielleicht sah sie recht hilflos aus mit ihrer
-Bitte. Auf jeden Fall war etwas in ihrer Art,
-das seine Ritterlichkeit hervorrief.</p>
-
-<p>Er sagte: »Wie du willst, Kind &ndash; wie du
-willst.«</p>
-
-<p>Und als sie nicht gleich wieder ging,
-beugte er sich mit einem seltsamen Ausdruck
-von Güte und Wehmut über sie und berührte
-mit den Lippen ihre Schläfe. &ndash; Dann
-sagte er: »Wie du es willst, so wird es
-gut sein.«</p>
-
-<p>Danach aber versank er wieder in seine
-»böse Laune«.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Sie saßen allein zusammen in der Abenddämmerung
-und machten Zukunftspläne.</p>
-
-<p>Fast vergaßen sie die Gegenwart über den
-Gedanken an das Kommende. Esther sagte:
-»Du mußt erzählen, wie es dann sein wird.«</p>
-
-<p>»Dann« war nach der Hochzeit.</p>
-
-<p>Sie wollte immer hören, wie es »dann«
-wäre &ndash; sie hatte eine feste und gläubige Zuversicht
-in dieses zukünftige Ereignis gefaßt, als
-ob damit durch eine magische Gewalt die
-letzten zögernden Vergangenheitszweifel vernichtet
-werden müßten.</p>
-
-<p>Ja, sie wollte ihm gehören &ndash; sich ihm so
-mit allem Willen hingeben, daß einmal jenes
-letzte, seligste Wort auch zwischen ihnen zur
-Wahrheit werden könnte.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Du mußt erzählen, wie es dann sein wird!«</p>
-
-<p>Er hatte die Hände in die Hosentaschen versenkt
-und lehnte sich zu ihr hinüber, so daß sie
-sein Haar roch, aus dem irgend ein künstlicher
-Wohlgeruch stieg. Er senkte die Stimme zu
-einem Flüstern, das Esther ein wenig affektiert
-klang, und erzählte die Geschichte mit den
-Worten, wie er sie jedesmal begann: »Am
-Abend kommen wir in Kopenhagen an &ndash;
-und am andern Morgen zeige ich dir die
-Stadt.«</p>
-
-<p>Sie verspürte so eine unwiderstehliche Lust,
-über ihn zu lachen. Durch die Dämmerung sah
-sie aber, daß er jenen aus Zufriedenheit und
-Sentimentalität gemischten Ausdruck hatte, den
-zu unterbrechen man nicht leicht einem Menschen
-gegenüber genug Grausamkeit aufbringt.</p>
-
-<p>Sie bemühte sich also ernst zu bleiben,
-während er, an ihre Schulter gelehnt, lispelnd
-und mit gefühlvoller Betonung ein gefühlvolles
-Glück unter den Sensationen der Großstadt beschrieb.</p>
-
-<p>Nein, sie konnte es nicht mehr aushalten,
-ohne zu lachen! Sie griff irgend einen kleinen
-motivierenden Einfall auf, lachte und sagte:
-»Weißt du noch, Arne, was für kluge Dinge
-in deiner Novelle standen, die du mir neulich
-zeigtest?«</p>
-
-<p>»Welche?« fragte er unwillig über die Unterbrechung.</p>
-
-<p>»Sie hieß ›Moderne Frauen‹. Und die moderne
-Frau &ndash; sie trug einen ›<i>high life</i>-Gürtel‹,
-weil die Novelle im Jahre 95 geschrieben war &ndash;
-war so ungehalten über die ungesellschaftliche
-Pose, in der sie ihren Ehemann überraschte &ndash;
-ich glaube, er saß rittlings über
-einer Stuhllehne&nbsp;&ndash;, daß sie sich von ihm
-scheiden ließ.«</p>
-
-<p>Er fuhr aus seiner nachlässigen Haltung
-auf und setzte sich kerzengerade. »Unsinn! Das
-hast du ganz falsch verstanden!« berichtigte er
-scharf. »Deshalb war es doch nicht, daß sie sich
-scheiden ließ!«</p>
-
-<p>»Ich dachte!« meinte Esther und trat leise
-vor sich hinsummend zum Fenster.</p>
-
-<p>Er ging ihr nach, und nun sah sie im hellen
-Mondlicht, daß er ein überaus beleidigtes Gesicht
-machte. Ja doch &ndash; sie hatte ja seine Dichterwürde
-gekränkt!</p>
-
-<p>Wenn sie doch nur dieses dumme Lachen
-überwinden könnte! &ndash; Sie sah ja, wie es ihn
-immer mehr reizte.</p>
-
-<p>Sie trug einen weißen Shawl; den schlang
-sie jetzt in nervöser Hast bald um die Schultern,
-bald um den Kopf. Das Heliotrop im Fenster
-roch stark zu ihnen herauf. Dicht vor ihr war
-das helle, nun durch den Zorn ein wenig ins
-Antike veredelte Gesicht Arnes.</p>
-
-<p>Fortwährend wurde sie von dem Gedanken
-gepeinigt, er werde nun gleich in Worte des
-Vorwurfs ausbrechen &ndash; sein Schweigen begann
-sie schon zu quälen &ndash; aber trotzdem zwang diese
-Erregtheit sie, immer weiter zu lächeln.</p>
-
-<p>Sie zog den Shawl wieder über die Augen,
-so daß nur noch ihr lachender Mund im Mondlicht
-stand. Und da &ndash; fühlte sie plötzlich seine
-schweren und heißen Lippen auf ihrem Mund &ndash;
-fühlte sie ganz unerwartet und wie eine unerhörte
-Beleidigung seinen Kuß. Und er ließ
-sie nicht los, preßte seine Zähne nur fester gegen
-ihre Lippen, so daß sie aufstöhnte vor Schmerz
-und Empörung.</p>
-
-<p>Und sie riß sich los und lief in ihr Zimmer.
-Dort fing sie an sich zu waschen &ndash; wusch sich
-immer wieder den Mund &ndash; rieb und wusch,
-als wäre der Kuß eine äußerliche Verunreinigung
-gewesen.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Am andern Morgen begegneten sie sich mit
-einer zornigen Scheu. Esther versuchte anfänglich
-den Vorgang des letzten Abends zu ignorieren
-und ging mit ihm, wie sie sonst immer
-gethan, den alten Weg über die Heide nach dem
-Walde zu.</p>
-
-<p>Aber sie fanden kein zusammenführendes
-Wort &ndash; gingen nur immer schneller, wie hastend
-nach einem rätselhaften Ziel.</p>
-
-<p>Da, wo Wald und Heide sich scheiden, ruhten
-sie nach alter Gewohnheit.</p>
-
-<p>Vielleicht suchte er nach einem versöhnenden
-Wort &ndash; vielleicht sie&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber beide vermochten sie das Schweigen
-nicht mehr zu entwirren, und wie von einem
-dumpfen Schicksalszwang getrieben warf er sich
-über sie und drückte ihren Kopf nieder in das
-Heidekraut und seine Lippen wühlten an ihrem
-Mund.</p>
-
-<p>Und da kam es, daß sie seine Küsse erwiderte,
-und ihr Körper zitterte unter ihm.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und dann lösten sie sich langsam und sahen
-mit bethörten Augen weit, weit hinaus, wo
-sich die Heide vor ihnen hinstreckte &ndash; purpurn
-schillernd vor lauter Sonnenlicht&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Gleich dem lockenden Bild der Leidenschaft.</p>
-
-
-
-
-<h3>VII</h3>
-
-
-<p>Graue Tage kamen. Über der Heide hob
-und senkte sich der Nebel wie Atemzüge.</p>
-
-<p>Arne legte seinen Arm um Elizas Schulter
-und sah ihr in das kleine blasse Gesicht. »Was
-fehlt unserm Kleinsten?« fragte er zärtlich.</p>
-
-<p>»Es geht umher und friert.« Das Kind
-lächelte müde zu seinen Worten.</p>
-
-<p>»O nein, frieren lassen wir es doch nicht!«
-meinte Arne. »Wir wollen uns einmal recht
-amüsieren, daß wir die häßlichen Regentage ganz
-unvermerkt überspringen; dann wird dir auch
-schon wieder schön warm werden.«</p>
-
-<p>»Was wollen wir denn thun?« fragte Eliza
-zweifelnd.</p>
-
-<p>»Nun &ndash; spielen wir vielleicht Theater? Wir
-bitten die Bewohner von Villa Marina dazu
-und spielen ein nettes, lustiges Stück.«</p>
-
-<p>Eliza war wie umgewandelt. »Ja! ja!
-Theater spielen wir!« rief sie und schlenkerte
-vergnügt mit den Armen durch die Luft.</p>
-
-<p>»Sind Ihrer Majestät, der Königin Esther,
-unsre Pläne angenehm?« wandte sich nun Arne
-zu Esther. Seine Augen leuchteten immer so
-zärtlich, wenn er mit ihr sprach.</p>
-
-<p>Ja, Ihre Majestät genehmigte den Vorschlag,
-und nun schleppte man alles herbei, was
-das Haus an dramatischer Litteratur bergen
-mochte.</p>
-
-<p>Vor allem mußte der gute alte Holberg herhalten,
-dem sein unvergleichlicher Humor nun
-einmal die ewige Jugend verliehen hat. Die
-große Schwierigkeit blieb nur, daß kein Stück
-die gebührenden Rollen für die Bewohner beider
-Häuser vereinigte. Man verfügte zwar recht
-kategorisch über die Abwesenden, kam aber doch
-zu keinem befriedigenden Beschluß.</p>
-
-<p>»Wenn wir nun ein paar Akte aus einem
-modernen Drama spielten und danach eine
-kürzere Holberg-Komödie?« meinte Esther
-endlich.</p>
-
-<p>Ja, so ging es.</p>
-
-<p>Man wählte ein Stück aus Hedda Gabler,
-das sich ganz gut außer Zusammenhang spielen
-läßt, und danach Holbergs »Der verwandelte
-Bräutigam«.</p>
-
-<p>»Ich bin Pernille!« bestimmte Eliza eifrig.
-Die andern mochten ihretwegen sehen, wie sie
-auskamen. Eliza begann im kokettesten Kammerzofenschritt
-umherzuwandeln, schon jetzt ihre Rolle
-vorkostend.</p>
-
-<p>»Aber wer ist Hedda Gabler?« meinte Esther
-nachdenklich.</p>
-
-<p>»Die bist du &ndash; und er ist Ejlert Lövborg,
-der Dichter, natürlich!« erklärte Eliza.</p>
-
-<p>»O nein, dann bin ich schon lieber dein
-Tesmann, Frau Hedda &ndash; du sollst mir
-auch im Spiel mit keinem andern verheiratet
-sein!«</p>
-
-<p>Eliza sagte: »Aber Ejlert ist doch er, den
-sie liebt!«</p>
-
-<p>»Aber Tesmann ist es, der sie hat,« entschied
-Arne selbstzufrieden.</p>
-
-<p>Esther dachte: geht denn auf einmal alles im
-Gleichnis?</p>
-
-<p>»Ich mag nicht Hedda Gabler sein!« sagte
-sie plötzlich.</p>
-
-<p>»Aber Esther! liebe, kluge Esther, verdirb es
-uns jetzt nicht!« bat Eliza.</p>
-
-<p>»Nun &ndash; wenn Ihr es denn wollt&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<hr />
-
-<p>Mit dem Spiel kam Leben und Heiterkeit
-nach Eriksgaard.</p>
-
-<p>Da waren die vielen Proben, die wechselseitig
-in den beiden Häusern abgehalten wurden.
-Man spielte flüchtig die beiden Stücke durch,
-denn es war doch gewiß nicht nötig, daß sie
-schon so bald in untadeliger Glätte gingen und
-diesen angenehmen Zusammenkünften durch die
-Aufführung ein Ziel gesetzt wurde. Und nach
-den Proben kam erst noch die eigentliche Unterhaltung.</p>
-
-<p>Das weite Zimmer mit dem Spinett wurde
-zum Tanzsaal. Da klangen nun nicht mehr
-die alten sehnsüchtigen Liebeslieder unter verträumten
-Mädchenhänden &ndash; Es war jetzt das
-Fräulein Luise, die junge wohlerzogene Dame,
-die ihre gut eingeübten Walzer der tanzlustigen
-Gesellschaft zum besten gab.</p>
-
-<p>Und spät in der Nacht dann fuhr man heim.
-In diesen kalten Spätherbstnächten, wo man die
-Sterne zucken sieht, so kalt ist es, und wo der
-Atemdampf des Pferdes den ganzen Wagen einhüllt,
-und wo die Töne scharf klingen und kurz
-abbrechen.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ja doch &ndash; man spielte »Hedda Gabler.«</p>
-
-<p>Da gab es einen neuen Gast bei Bergsös,
-das Fräulein Thora Ingermann. Zart und
-zierlich war sie und trug eine hellgelbe Lockenmähne &ndash;
-darunter ein keckes freundliches Gesicht.
-Sie war wie geschaffen für die Rolle der
-Frau Elvsted.</p>
-
-<p>Und dann führten sie diese Scene auf, in
-der Hedda, die den Mann ihrer Liebe verloren
-hat, zusieht, wie sich ein leises, noch so harmloses
-Verständnis zwischen dieser kleinen harmlosen
-Frau und dem ehrbaren, allerharmlosesten
-Tesmann anspinnt. Wie auch der, dem sie die
-Treue eines Lebens geben wollte, ihren Händen
-entgleitet.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Fräulein Thora Ingermann war verlobt.
-Sie hatte eine Menge Bilder ihres Verlobten
-mit. Er war ein Seeoffizier mit prächtigem
-Schnurrbart.</p>
-
-<p>»Tesmann! Sehen Sie, ist er nicht einzig?
-Haben Sie schon je einen so schönen Mann
-gesehen?«</p>
-
-<p>Tesmann-Arne betrachtete das Bild und
-stimmte freundlich, wenn auch vielleicht nicht aus
-überzeugtem Herzen, zu.</p>
-
-<p>Das Fräulein machte ein schmachtendes Gesicht
-und sah Arne verführerisch an. »Ich liebe
-ihn so!« sagte sie. »Sie können es nicht begreifen,
-wie ich ihn liebe!«&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Auf dem Rückweg meinte Arne zu Esther:
-»Ist es nicht ein liebes kleines Ding, der neue
-Besuch bei Bergsös? Sie hat so eine schöne
-rührende Liebe für ihren Verlobten.«</p>
-
-<p>»Ja, es ist rührend,« sagte Esther.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Arne suchte zwischen seinen Manuskripten.
-Sie lagen schön geordnet in einer geschnitzten
-Eichentruhe und waren stoßweise mit goldenen
-Schnüren umwickelt.</p>
-
-<p>Er war sehr eifrig. &ndash; »Esther, was rätst
-du mir Fräulein Thora zu geben?«</p>
-
-<p>»Gieb ihr doch dein letztes Buch.«</p>
-
-<p>»Das will sie eben nicht. Sie sagt, sie möchte
-etwas Handschriftliches von mir lesen. Da wühle
-ich nun immerzu in meinen Sachen und weiß
-wirklich nichts Passendes zu finden!«</p>
-
-<p>»So schreibe ihr etwas Passendes.«</p>
-
-<p>»Ja, meinst du, daß ich das kann?«</p>
-
-<p>»Warum nicht, wenn du es willst?«</p>
-
-<p>Arne besann sich. »Ich werde etwas über
-sie und ihren Verlobten schreiben,« sagte er
-endlich.</p>
-
-<p>»Thu das, lieber Arne.«</p>
-
-<p>Arne zog sich für ein paar Stunden zurück.
-Dann kam er erhitzt und triumphierend mit
-einem kleinen Manuskript herein, das bereits
-recht sauber mit einer Goldschnur geheftet war.</p>
-
-<p>Esther las:</p>
-
-<p class="mt2 ce"><span class="ge">»Im Frühsommer.</span></p>
-
-<p class="ci">»Eine ganze Bucht von Heckenrosen hängt
-über den Rand des Hohlweges, bauscht sich in
-blühender Fülle und wölbt lange, geschmeidige
-Zweige von einer Wand hinüber zur andern &ndash;
-ganz, als sei für den einziehenden Sommer ein
-Triumphbogen errichtet. &ndash; Und so zahllos
-sind die Blüten &ndash; sie wetteifern mit dem
-Abendhimmel, wer das köstlichste Rot aufweisen
-kann.</p>
-
-<p class="ci">»Aber da, wo der Sommer einziehen sollte,
-kommt jetzt ein junges Menschenpaar. Wie
-im Traum gehen sie beide, und er hat ganz
-zaghaft den Arm um ihre Schulter gelegt. So
-leise berührt er sie, daß bei jedem Schritt seine
-Hand ein wenig zittert &ndash; denn sie haben sich
-ja eben zum erstenmal von Liebe gesprochen.
-Nun wissen sie plötzlich nichts mehr zu reden.
-Es ist, als ob ringsum alles Stimmen bekommen
-hätte: Von den Rosen tönt eine ganz leise, feine,
-süße Melodie, und das Gras zu ihren Füßen
-seufzt &ndash; nur die Luft im Hohlweg hält den
-Atem an und staut sich in dichten, berauschenden
-Duftwolken.</p>
-
-<p class="ci">»Und jeder Schritt, den sie vorwärts thun,
-führt tiefer &ndash; tiefer in diese seltsame Märchenwelt
-hinein.</p>
-
-<p class="ci">»Nun kommt das Ende der Rosenhecke, schon
-sehen sie das Korn, welches dahinter steht, in
-blausilbernem Schimmer hindurchblinken &ndash; und
-dazwischen die feurigen Mohnen. &ndash; Ein leichtes
-Zurückschauern durchbebt das Mädchen&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;:
-der brennend, brennend rote Mohn&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p class="ci mb2">»Dann gehen sie ruhig weiter &ndash; zwischen
-dem sommerduftenden Korn mit den heißroten
-Blumen &ndash; immer noch schweigend &ndash; nur seine
-Hand hat sich fester um ihre Schulter gelegt.«</p>
-
-
-<p>Esther gab es ihm zurück. &ndash; »Ich dachte,
-du wolltest von Fräulein Thora und ihrem Verlobten
-schreiben?«</p>
-
-<p>Er lächelte verlegen. »Ja, aber von dem
-Verlobten weiß ich doch nichts Genaues &ndash; so
-habe ich nur an Fräulein Thora gedacht &ndash;
-und wie sie wohl sein könnte, wenn ein Mann
-sie liebt.</p>
-
-<p>Und dann ist nur so ganz im allgemeinen
-ein Bild der Liebe daraus geworden.</p>
-
-<p>Aber wie gefällt es dir?«</p>
-
-<p>Er sah mit herausfordernder Selbstgefälligkeit
-um sich. Sie hatte ihm sagen wollen, es
-sei das beste, was sie von ihm kannte. Zum
-erstenmal war er ihr seelisch nähergetreten durch
-seine Kunst &ndash; fast als ob er mit ihren Worten
-spräche &ndash; Nun war sie plötzlich unfähig, das
-verlangte Lob zu geben.</p>
-
-<p>»Es wird Fräulein Thora schon gefallen,«
-sagte sie nur.</p>
-
-<p>Er runzelte die Stirn: »Aber dein Urteil,
-Esther &ndash; hast du auch daran wieder etwas
-auszusetzen?«</p>
-
-<p>»Du meinst, ob ich es fehlerlos finde?«</p>
-
-<p>»Nun?« Er sah sie mit der spöttischen
-Überlegenheit eines Handlungsgehilfen an.</p>
-
-<p>Sie hielt eine heftige Antwort zurück und
-gab dafür nur eine kühle Verstandeskritik.</p>
-
-<p>»Es stört mich nur eine Kleinigkeit &ndash; das
-ist diese Zusammenstellung von Mohn und
-Heckenrosen, die in Wirklichkeit recht schlimm
-aussehen würde.«</p>
-
-<p>Arne wurde immer gereizter. »Du verstehst
-mich nicht. Ich brauche Heckenrosen und Mohn
-ja nur als Allegorie für die zarte Brautliebe und
-die Ahnung künftiger Leidenschaft.«</p>
-
-<p>»Ich weiß wohl &ndash; aber ich meine, daß
-man auch beim Schreiben ein wenig die malerische
-Wirkung beachten müßte &ndash; das heißt,
-wenn man Bilder gebraucht, muß man sie sich
-so vergegenwärtigen, daß man die Wirkung voll
-beurteilen kann.«</p>
-
-<p>Er antwortete nicht gleich, stand erst eine
-Weile mit gesenktem Kopf und klimperte nervös
-an seiner Uhrkette.</p>
-
-<p>»Es ist eben nur das eine, daß dir schon
-im vorhinein nichts gefällt, was ich arbeite,«
-sagte er dann mißmutig und verließ das
-Zimmer.</p>
-
-<p>Eliza hatte dem Gespräch schweigend zugehört. &ndash;
-»War es denn so schlecht, was er
-geschrieben hatte?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Nein &ndash; es war gut.«</p>
-
-<p>»Und warum sagtest du ihm davon kein
-Wort?«</p>
-
-<p>Esther schwieg.</p>
-
-<p>»Du solltest ihm ein wenig Anerkennung
-geben. Er braucht das, glaube ich.«</p>
-
-<p>Esther antwortete wieder nicht. Sie wußte es
-ja &ndash; er brauchte das. Er brauchte Bewunderung
-oder &ndash; Nachsicht. Doch immer <em class="ge">Lob</em>.</p>
-
-<p>Sie sahen einander an, und ihre Augen hielten
-und verstanden sich.</p>
-
-<p>Esther dachte: Woher weißt du es nur &ndash;
-weiß ich es denn schon selbst? Muß ich mich
-nicht schämen, daß du es weißt?</p>
-
-<p>Und plötzlich stand Eliza auf, hängte sich
-Esther um den Hals und weinte. Ganz stumm &ndash;
-bis die Dämmerung sank.</p>
-
-<p>»Kommst du wieder zu mir, mein Liebling?«
-fragte Esther leise.</p>
-
-<p>Das Kind sagte: »Ja, weil du wieder
-traurig bist.«</p>
-
-<p>»Hast du mich denn nur lieb, wenn ich
-traurig bin?«</p>
-
-<p>»Ich weiß nicht&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ich verstehe alles Traurige&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<hr />
-
-<p>Arne kam herein &ndash; jung, strahlend, liebenswürdig.</p>
-
-<p>»Seid Ihr denn schon zurück?« fragte Esther.</p>
-
-<p>»Ja; zu schade, daß du zu dieser Probe nicht
-mitfahren konntest! &ndash; Aber wie geht es deinem
-Kopfschmerz?«</p>
-
-<p>Esther lächelte ein wenig müde. »Komm,
-setze dich zu mir und erzähle, wie es war.«</p>
-
-<p>»O, so lustig sind wir gewesen! Bis es
-Fräulein Luise zu viel wurde. Findest du nicht,
-daß sie ein bißchen altjüngferlich ist? Vor der
-Zeit &ndash; so ein klein wenig?«</p>
-
-<p>»Das habe ich nie gefunden.«</p>
-
-<p>»Na &ndash; ja &ndash; freilich. Ich mag nun die
-Leute nicht, die keinen kleinen Scherz vertragen
-können.</p>
-
-<p>Da ist Fräulein Thora ganz anders. Temperament
-hat sie &ndash; das reine Zigeunerblut &ndash;
-und ist doch zart und fein und rührend, wie ein
-kleines Kind!«</p>
-
-<p>»Hat sie wieder von ihrem Verlobten erzählt?«</p>
-
-<p>»Diesmal nicht. Wir machten nur lauter
-Tollheiten. Zuletzt war sie so müde davon, daß
-sie neben mir saß und beinahe schlief. Fast
-wäre sie gegen meine Schulter gesunken und eingeschlafen!«</p>
-
-<p>»Was sagte sie denn zu deinem Manuskript?«</p>
-
-<p>»Sie fand es schön. Sie sagte nicht viel,
-aber ich sah es an ihrem Gesicht.</p>
-
-<p>Aber etwas anderes hat sie gesagt. Wir
-sprachen von meinen andern Sachen, und sie
-hat alles gelesen. Und da sagte sie: ›Ich bin
-gewiß ein schlechter Kritiker &ndash; aber mir gefällt
-alles so unmäßig, was Sie schreiben‹.«</p>
-
-<p>Er saß eine Weile ganz ruhig und sah
-vor sich hin. Dann redete er plötzlich wie
-aus einem Traum, und seine Stimme hatte
-einen gebrochenen Ton. »Ist das nicht das
-Zeichen, daß sie mich ganz verstanden hat,«
-sagte er, »daß sie es ist, die mich so ganz
-versteht&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Esther erhob sich und trat dicht zu ihm hin.
-In ihr war eine eigentümliche, fast unpersönliche
-Liebe.</p>
-
-<p>»Du mußt zu ihr gehen,« sagte sie. »Ihr
-gehört zusammen.«</p>
-
-<p>Er sah sie an. Es war, als könnte er nicht
-verstehen, als fühlte er nur hinter einem Verstehen
-das Entsetzen dämmern.</p>
-
-<p>»Was &ndash; was sagst du da?</p>
-
-<p>Ja, ist es denn, daß du mich nicht mehr
-willst? Schickst du mich denn fort?«</p>
-
-<p>Und plötzlich kniete er vor ihr, und seine
-Arme schlangen sich zuckend um ihren Körper.
-»Geh nicht fort von mir! Geh nicht! &ndash; Ich
-kann nicht ohne dich leben!«</p>
-
-<p>Sie war ganz ratlos. Alles schien ihr plötzlich
-unverständlich. Sie fühlte nur immer seine
-Küsse auf ihren Händen &ndash; und dann auf dem
-Mund&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und unter diesen Küssen wurde sie so seltsam
-kühl und gleichgültig.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<hr />
-
-<p>Die Aufführung war überstanden. Man
-hatte auch getanzt und Bowle getrunken, bis
-die allgemeine Stimmung ihren Höhepunkt erreichte.
-Jeder beschäftigte sich nun nur noch mit
-sich selbst, und wenn es hoch kam, mit seinem
-Nachbar.</p>
-
-<p>Herr Nyblom aus Hönegaard stand neben
-Esther in der Fensternische.</p>
-
-<p>»Ihre fremdartige Aussprache paßte so gut
-für die Rolle der Hedda,« sagte er. »Sie haben
-sie noch anziehender und eigenartiger dadurch
-gemacht, gnädiges Fräulein.</p>
-
-<p>Überhaupt liebe ich so den deutschen Accent
-und alles Ausländische. Sie sind viel feuriger
-dort unten im Süden, als wie hier oben.</p>
-
-<p>Ho! Sie haben Feuer für Blut &ndash; Wir sind
-Fische dagegen!</p>
-
-<p>Aber ich bin auch einmal in Deutschland
-gewesen &ndash; bis hinunter nach Heidelberg. Meine
-Frau und ich, wir haben unsre Hochzeitsreise
-dorthin gemacht.</p>
-
-<p>Und die Studenten gaben gerade ein Fest &ndash;
-mit Pechfackeln zogen sie vorbei &ndash; und da
-schielten sie nun immer herüber zu meiner
-Frau &ndash; hahaha!&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Esther bemerkte, daß die Geschichte von
-Herrn Nybloms Hochzeitsreise nach Heidelberg
-sich auch ohne nachhelfende Antworten abzuwickeln
-vermochte und wandte ihre Aufmerksamkeit
-mehr der übrigen Gesellschaft zu.</p>
-
-<p>Nicht weit entfernt saß Arne neben Fräulein
-Thora auf einem Ecksofa. Sie hatten traurige
-Gesichter und schwiegen beide. Aber ihre Augen
-hingen ineinander.</p>
-
-<p>Dann sagte Fräulein Thora: »Ja, das ist es
-wohl &ndash; es ist nun wohl das letzte Mal. Wir
-werden uns nie wiedersehn.«</p>
-
-<p>»Wir werden uns nie wiedersehn,« sprach
-Arne wie mechanisch nach und senkte seinen hellen
-Lockenkopf.</p>
-
-<p>»Ich hätte Ihnen noch etwas zu sagen,«
-fing Fräulein Thora wieder an, »wenn wir nur
-in andern Verhältnissen wären&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>O Gott! Ich werde selbst nicht aus mir
-klug &ndash; es ist alles so wunderlich&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;!«</p>
-
-<p>Arne nickte stumm und sah mit einem demütig-sehnsüchtigen
-Ausdruck zu Fräulein Thora
-auf &ndash; mit diesem rührenden Blick eines treuen
-Hundes, den Esther so wohl an ihm kannte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ist das nicht komisch?!« hörte Esther
-Herrn Nybloms amüsierte Stimme neben sich.
-Und gleich darauf wiederholte er: »Gnädiges
-Fräulein, finden Sie das nicht auch recht toll?«</p>
-
-<p>»Ja, es ist toll,« sagte Esther und wandte
-sich langsam nach dem Fenster um.</p>
-
-<p>Und drüben lag das Meer &ndash; weit und
-schwerdunkel &ndash; nur nach den Ufern zu schäumten
-die Wellen weiß auf im Mondlicht.</p>
-
-<p>Lange stand sie so und sah hinaus, und als
-sie die Augen wieder zurückwandte, war alles
-so klein und vergänglich um sie her geworden,
-wie ein kurzes Komödienspiel. &ndash; Und sie sah
-auf diese Menschen mit denen sie lebte &ndash; und
-alles war fremd und ferngerückt. &ndash; Und sie
-fühlte ihr Herz leer &ndash; aber weit vor Sehnsucht
-zum Unbekannten.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-
-
-
-<h3>VIII</h3>
-
-
-<p>Und sie sprach noch einmal mit Arne.</p>
-
-<p>Sie sagte: »Zwischen uns ist ein Mißverständnis,
-Arne, wollen wir es nicht fortthun?</p>
-
-<p>Wir waren bestimmt Kameraden zu sein &ndash;
-gute Kameraden, die einer am Leben des andern
-teilnehmen, aber nicht das Leben teilen. Wir
-haben uns geirrt.«</p>
-
-<p>Arne sah finster zu ihr auf. »Was willst
-du mir denn sagen &ndash; mit deinen schöngewählten
-Worten &ndash; du?«</p>
-
-<p>Das Blut stieg ihr heiß ins Gesicht. Er
-hatte sie so getroffen mit seiner verborgenen
-Anklage: sie wählte die Worte, weil sie nichts
-mehr fühlte.</p>
-
-<p>Sie sah ihn hilflos an und wartete, ob er
-noch sprechen wollte &ndash; aber er schwieg.</p>
-
-<p>Zwischen beide drängte sich wie entschleiernd
-das helle, kalte Licht des Vormittags. Esther
-konnte jeden Zug seines Gesichtes deutlich unterscheiden &ndash;
-und er wurde ihr immer fremder.
-Zuletzt sah sie nur noch die malerische Wirkung
-der Linien.</p>
-
-<p>»Ich habe es ja gesehen &ndash; gestern abend&nbsp;&ndash;«
-sagte sie endlich nur unter dem Gefühl, daß eine
-Antwort von ihr erwartet würde. Ihre Stimme
-war fast tonlos.</p>
-
-<p>»Was hast du gesehen?</p>
-
-<p>Du hast gesehen, daß mir jemand Kamerad
-und Freund wurde, weil du es nicht sein
-wolltest. Weil du mir nichts gegeben hast
-von deiner Seele &ndash; und für meine kein Verstehen.</p>
-
-<p>Und trotz alledem ist mir noch jetzt ein gutes
-Wort von dir lieber, als die ganze Seele jeder
-andern Frau&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Verstehst du das? Es ist, weil ich dich
-<em class="ge">liebe</em>! &ndash; Und nur, weil ich weiß, daß
-ich deine Liebe nicht habe, war ich fortgegangen.«</p>
-
-<p>Da fühlte sie, wie seine Worte eine Schuld
-auf sie luden. Und sie preßte die Hände ineinander
-und wagte nicht mehr aufzusehen. Ja,
-das war es: ihre Liebe war der seinen nicht
-ebenbürtig.</p>
-
-<p>»Ich fühle mich so arm vor dir,« sagte sie
-endlich ganz leise und demütig.</p>
-
-<p>Er starrte sie an &ndash; ohne zu begreifen. Ganz
-überrascht und entsetzt sah er aus, wie jemand,
-der ganz unvorbereitet etwas Unglaubliches erfährt.</p>
-
-<p>Esther sah das und dachte: So hat er nur
-seine Vorwürfe gemacht, um widerlegt zu
-werden? &ndash; hat gar nicht daran geglaubt, daß
-alles dieses, was er sich selbst und mir zur
-Entschuldigung vorbringt, sich wirklich so verhalten
-könnte?</p>
-
-<p>Und sie erkannte ihn plötzlich, wie er sich
-unter der stets bereiten Selbstverzeihung einem
-Wohlgefallen hingegeben hatte, das bald der
-Liebe glich. Und dann war er plötzlich nach
-beiden Seiten gebunden, denn er konnte weder
-ihre Liebe, noch Thoras Bewunderung entbehren.
-Und &ndash; er würde nicht lange einsam bleiben,
-wenn sie ihn jetzt verließ.</p>
-
-<p>Sie sah ihm ruhig, wie einem Fremden
-in das verstörte Gesicht. Eine leichte, fast
-mehr physische als seelische Abneigung stieg in
-ihr auf.</p>
-
-<p>»Also du &ndash; du liebst mich nicht? Du hast
-mich nur in dieser ganzen Zeit betrogen?!«
-brach er gegen sie aus.</p>
-
-<p>Sie fühlte gar nicht seinen Zorn und die
-Absicht zu beleidigen &ndash; »Ich habe dich nicht
-mehr betrogen, als mich selbst,« sagte sie. »Denn
-ich habe dich zu lieben geglaubt. Und ich habe
-keinen andern Willen gehabt, als die Liebe zu
-dir. Aber ich habe mich in mir selbst getäuscht.«</p>
-
-<p>»Das siehst du ein bischen spät ein!« fuhr
-er sie herausfordernd und höhnisch an. Er war
-ganz kampfbereit.</p>
-
-<p>Sie sah fremd und verwundert auf ihn und
-ging still aus dem Zimmer.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Nun kamen noch wenige Tage von jener
-quälenden, niederdrückenden Trostlosigkeit, wo
-wir das Leben ohne den Maskenstaat der
-Wünsche und Hoffnungen nur mehr in seiner
-plumpen Alltäglichkeit sehen &ndash; wo wir uns
-fürchten aufzublicken, weil uns alle Dinge mit
-fremden, verzerrten Gesichtern anschauen könnten &ndash;
-wo uns vor der köstlichsten Speise graut, weil
-wir den Ekel dahinter spüren.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Esther erwartete nur die Antwort einer Berliner
-Pensionsdame vor ihrer Abreise.</p>
-
-<p>Gleichgültig und ohne den kleinsten Aufschwung
-der Phantasie hatte sie den Beschluß
-gefaßt, sich dort im Malen auszubilden.</p>
-
-<p>Selten wohl ist jemand mit so geringen Erwartungen
-der Kunst entgegengegangen.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ich kann dich nicht halten, Kind &ndash;
-ich weiß, daß ich dich hier nicht festhalten
-darf,« sagte der alte Rude zu Esther &ndash;
-und dabei sah er sie doch suchend an, als
-könnte sie ihm jetzt noch sagen: alles soll gut
-werden.</p>
-
-<p>Und wie sie stumm blieb, wiederholte er sein
-altes Wort: »Wie du es willst, wird es schon
-recht sein.«</p>
-
-<p>Da trat sie mit einer leichten scheuen Bewegung
-zu ihm hin und lehnte sich an ihn.
-Und er legte seinen Arm um ihre Schulter
-und zog sie an sich, bis sie ganz leise
-weinte an seiner Brust. Es war jedoch nicht
-lange gewesen, dann machte sie sich schon
-wieder los.</p>
-
-<p>Er sagte aber: »Ich danke dir.«</p>
-
-<hr />
-
-<p>Eliza kam am letzten Abend zu ihr. Sie
-schlüpfte zu Esther ins Bett, weinte viel und
-ließ sich gerne trösten. Sie wollte immer neue
-Liebkosungen von Esther haben und spielte
-stundenlang eine kleine, sanfte Komödie des
-Schmerzes. Es war so schön, wenn Esther sie
-küßte und ihr gute Worte sagte!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>So kam es, daß sie erst im letzten Augenblick
-die Trennung wirklich begriff. Und nun stand
-sie, mit ihren seltsamen Augen, die alles Traurige
-verstanden, starr vor sich hinblickend in stummer
-Erschütterung.</p>
-
-<p>Es wird erst kommen, wenn ich fort bin,
-dachte Esther, und ihr Herz zog sich bei dem
-Gedanken zusammen, daß sie nun nicht mehr
-dieses Kind schützen und trösten dürfe &ndash; daß
-diese Seele mit der frühen Todesahnung dem
-Leben preisgegeben war.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Neben ihr im Wagen saß Arne. Er hatte
-darum gebeten, sie nach der Bahn fahren zu
-dürfen. &ndash; Adam Rude hatte sich eingeschlossen
-und durch Arne einen Brief geschickt, den Esther
-erst unterwegs lesen sollte. »Es steht alles drin,«
-mußte Arne ausrichten.</p>
-
-<p>Arne hatte den hellen Kopf die ganze Zeit
-gesenkt, und Esther wunderte sich plötzlich, warum
-es ihr früher nie aufgefallen sei, daß seine
-Traurigkeit etwas so Unreifes, Knabenhaftes
-hatte &ndash; es war jene Traurigkeit, für die
-ringsum die ganze Erde ein Garten des Trostes
-bleibt.</p>
-
-<p>Und sie wünschte ihm, schon wie aus der
-Ferne, ein künftiges Glück, als sie sich mit einem
-einfachen »Lebewohl« trennten. Sie saß schon im
-Zug und sah noch einmal zum Fenster hinaus,
-da wollte er noch etwas sagen &ndash; aber die Thränen
-nahmen seine Stimme. »Leicht getrocknete
-Jugendthränen,« dachte Esther. Und plötzlich
-sah sie ihn wieder, wie er mit seiner warmen,
-strahlenden Jugend zu ihr gekommen war &ndash;
-zu ihr, die nur Schmerz und Schweigen kannte.
-Und ihr Herz füllte sich mit einem Dank, der
-ohne Bitterkeit war.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Neben ihr saß als einzige Reisegefährtin eine
-Pflegeschwester. Sie las erst aus einem kleinen,
-schwarzen Gebetbuch, wobei sie die Lippen bewegte
-und andächtig vor sich hinsah.</p>
-
-<p>Dann begann sie ein Gespräch. &ndash; »Reisen
-Fräulein weit?«</p>
-
-<p>»O ja,« sagte Esther zerstreut.</p>
-
-<p>Die Schwester ließ sich nicht einschüchtern.
-»Wohl gar bis Kopenhagen?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Bis Berlin.«</p>
-
-<p>Die Schwester machte andächtige Augen.
-»Ja, waren Sie denn schon einmal in
-Deutschland, und können Sie die Sprache verstehen?«</p>
-
-<p>»Ich bin Deutsche,« sagte Esther.</p>
-
-<p>Da drückte sich die Schwester ängstlich in eine
-Wagenecke und sah erschrocken und unentwegt
-auf das junge Mädchen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Esther nahm den Brief des alten Rude heraus
-und öffnete ihn &ndash; und las:</p>
-
-
-<p class="ce mt2">»Mein einzig liebes Kind!</p>
-
-<p class="ci nopb">Nun gehst Du fort, und ich konnte Dir nicht
-Lebewohl sagen. Ich konnte es nicht, weil ich
-meiner nicht sicher war, weil ich mich vielleicht
-verraten hätte. Und was soll die Liebe eines
-alten Mannes zu einem Kind?</p>
-
-<p class="ci">Du bist durch mein Leben gegangen wie
-ein lichter Traum; das ist es, was ich Dir zu
-danken habe.</p>
-
-<p class="ci">Zuerst sah ich Dich wie ein Kind &ndash; ein
-schönes, liebes Kind, an dem ich meine Freude
-haben durfte. Aber Du bist vor mir gewachsen &ndash;
-mit jedem Tag gewachsen zu dem einzig
-begehrten Weib.</p>
-
-<p class="ci">Du bist mir alles geworden, und ich hätte
-alles für Dich hingegeben, wenn ich nicht immer
-gewußt hätte, wie vergeblich solche Liebe ist.
-Und ich wollte Dir nichts anthun, Dich nicht
-damit erschrecken, mein einzig liebes Kind, darum
-habe ich immer geschwiegen.</p>
-
-<p class="ci">Aber heute, nun Du gehst, will ich Dir meine
-Liebe mitgeben wie einen Dank, und Du darfst
-sie nehmen, weil sie so ganz anspruchslos ist
-und nichts will, als Dich feiern.</p>
-
-<p class="ci">Lebe nun wohl, Du, die alles Glück zu vergeben
-hat &ndash; und mögest Du den finden, der
-dieses Glückes würdig ist.</p>
-
-<p class="si lh1 nopb"><span class="mr6">Dein</span><br />
-Adam Rude.«</p>
-
-
-
-
-<h2><span class="ge">Zweiter Abschnitt</span></h2>
-
-
-
-
-<h3>IX</h3>
-
-
-<p>In einem kleinen schleswigschen Grenzort
-wollte Esther nach der zehnstündigen Bahnfahrt
-übernachten.</p>
-
-<p>Es war ein langer, mühseliger Weg von
-der Bahnstation bis zum Gasthof. Esther ging
-ihn ganz allein, eine verschneite Landstraße
-hinauf, die nur durch Räderspuren kenntlich
-war. Sie trug ihre kleine Reisetasche bald in
-der einen, dann in der andern Hand. In
-der Kälte schmerzte der metallene Griff ihre
-Finger.</p>
-
-<p>Weithin über dem Schneeland stand ein purpurner
-Mond.</p>
-
-<p>Ein schwacher, gläserner Klang kam aus dem
-Dorf herüber: die Turmuhr schlug eine späte
-Abendstunde.</p>
-
-<p>Esther ging immer langsamer. Eine schwere,
-herabziehende Müdigkeit erfüllte sie mehr und
-mehr. Sie konnte kaum mehr denken, empfing
-nur dumpf die Außeneindrücke, an die sich zerflatternde
-Reflektionen knüpften.</p>
-
-<p>Neben der Straße lief ein halb zugeschneiter
-Graben. Da mußten im Sommer die vielen
-Feldstiefmütterchen wachsen &ndash; so immer zu
-hunderten auf einem Fleck, daß es aussah, wie
-ein großer, schwellender Strauß. Aber jedes
-Blümchen hat sein eignes ernstes Gesicht unter
-der violetten Haube &ndash; und wenn der Wind ja
-einmal durch den Graben fährt, dann reiben sie
-sich rischelnd aneinander, wie Kinder, die sich in
-die Ohren flüstern&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Dicht und hoch lag jetzt der Schnee&nbsp;&ndash; &ndash;
-So ein paar Schritte zur Seite machen und sich
-da hinein fallen lassen&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Kein Mensch würde wissen&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und was ging sie überhaupt irgend ein
-Mensch an?</p>
-
-<p>Doch &ndash; das ist ja nicht wahr&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wie ein fremdes Heiligtum stieg die Liebe
-Adam Rudes vor ihr auf. Doch ihr war, als
-müßte sie in Ehrfurcht wegsehen. Als dürften
-auch ihre heimlichsten Gedanken nicht daran
-rühren.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Eine ferne Sehnsucht kam über sie &ndash; kam
-und ließ sich schwer niedersinken auf ihr
-Herz&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und dann war wieder alles wie einem
-andern Menschen angehörend &ndash; oder so
-wunderlich vereinzelt, ohne inneren Zusammenhang.</p>
-
-<p>Und wieder kam eine lange, bittere und
-kummervolle Sehnsucht nach Eliza, dem Kind.
-Wie hatte sie es nur fertig gebracht sie allein
-zu lassen? Wenn sie schnell umkehrte? Morgen
-noch zurückreiste?</p>
-
-<p>Ein Ruck ging durch ihren Körper: Adam
-Rude! &ndash; Aber das war ja Wahnsinn &ndash; Unmöglichkeit!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie griff nach dem Brief, den sie in der
-Kleidertasche trug&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und dann war plötzlich wieder alles Begreifen
-ausgelöscht &ndash; nur noch eine träge dämmernde
-Sehnsucht nach diesem Haus, das sie lieb hatte, in
-das sie hätte zurücklaufen mögen, wie eine Katze,
-die man fortgetragen hat.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und immer ging sie mechanisch weiter, den
-endlosen zugeschneiten Weg hinauf.</p>
-
-<p>Dann kam das Gasthaus.</p>
-
-<p>Sie mußte die Wirtsleute erst herausklopfen.
-Es waren freundliche Bauern, die sich in ihrem
-rauhen jütischen Dialekt nicht genug über die
-Ankunft einer Dame erstaunen konnten. Es
-schien, als gäbe es für diese Wirtschaft nichts
-Verwunderlicheres, als einen Gast!</p>
-
-<p>Esther wurde in die Familienwohnstube geführt.
-Dort mußte sie sofort ein paar riesige
-Filzsocken für die nassen Stiefel eintauschen. Die
-Wirtin befahl das mit einer Autorität, die jeden
-Widerspruch vergeblich machte. Dann wurde
-ihr ein Kübel voll schwarzbraunem Thee zudiktiert.</p>
-
-<p>Über dem Sofa hing das Bild des deutschen
-Kaisers neben einem andern, das die Photographie
-eines jungen Soldaten, wahrscheinlich
-der Sohn des Hauses, umgeben von allerlei
-»Scenen aus dem Soldatenleben« enthielt. Als
-Überschrift prangten die Worte: »Aus meiner
-Soldatenzeit.«</p>
-
-<p>Die Frau folgte Esthers Blicken, dann erklärte
-sie entschuldigend, er, der Sohn, wollte
-»das« dort haben. Und voll Groll und Verachtung:
-»Seit er gedient hat, ist er ja ein
-Deutscher!«</p>
-
-<p>Der Wirt, der mit einer langen Pfeife jenseits
-des Tisches saß, zog die Stirn in kummervolle
-Falten. Er sagte: »Die dort in Berlin,
-die werden sich freuen, daß sie ihn herumgekriegt
-haben! Bei der Leibgarde ist er gewesen &ndash; so
-'ne Schande!«</p>
-
-<p>Esther bekam ein ganz böses Gewissen, daß
-sie sich nicht als Deutsche eingeführt hatte; ganz
-gedankenlos hatte sie noch dänisch gesprochen.
-Sie fühlte sich recht bedrückt im Gedanken an
-die warmen Filzsocken und das Wohlwollen der
-Wirtin, die sie immer schlechtweg »Kind« anredete, &ndash;
-das alles wäre der Deutschen gewiß
-nicht zugefallen!</p>
-
-<p>Und am nächsten Morgen gar, wie die Alte
-gehört hatte, daß Esther auch der entsetzlichen
-Stadt patriotischer Verführung zureiste, gab es so
-viele gute Wünsche und Ermahnungen, daß
-Esther vor Beschämung nicht mehr die Augen
-aufzuschlagen wagte.</p>
-
-<p>Aber sie konnte doch wirklich nicht jetzt auf
-einmal mit ihrer Enttäuschung herauskommen?</p>
-
-<hr />
-
-<p>Und gegen Abend gelangte Esther an ihr
-Reiseziel.</p>
-
-<p>Die Droschke hielt vor einem hohen, eingezwängten
-Haus, dessen Eingang in der Pracht
-verschiedenster Imitationen strahlte. Eine imitierte
-Eichenthür öffnete sich in eine imitierte
-Marmorhalle, die mit imitierten Gobelins und
-imitierter Glasmalerei ausgestattet war.</p>
-
-<p>Der Hausmeister bemächtigte sich des Koffers,
-und in feierlich langsamer Fahrt hob sich der
-Lift zu seinem Endziel, der fünften Etage.</p>
-
-<p>»Also hier wohnt Fräulein Schulze?«</p>
-
-<p>»Jawoll, klingeln Sie man!«</p>
-
-<p>Nach einer Weile kam ein ältliches, verblaßtes
-Mädchen und öffnete. Sie führte Esther
-über einen kurzen, düsteren Flur, der nur in einer
-Ecke durch ein kleines stark riechendes Lämpchen
-erhellt wurde und dann durch ein langgestrecktes
-Zimmer.</p>
-
-<p>»Bei uns müssen wir immer durch die Berliner
-Stube gehn,« erläuterte das Mädchen.</p>
-
-<p>Eine große, starke Dame in Lahmannkleidung
-sah Esther mit unverhohlener Neugier
-nach und erwiderte ihren Gruß mit einem resoluten
-Nicken.</p>
-
-<p>Dagegen bemerkte sie erst im Hinausgehen,
-daß sich ein kleines, dunkelgekleidetes Geschöpf
-auf sie zu bewegte.</p>
-
-<p>»Verzeihen Sie &ndash; ich bin Fräulein Schulze,«
-sagte die kleine Dame und sah Esther fragend
-unter einem spanisch drapierten Kopfputz hervor
-an.</p>
-
-<p>»Ich bin Esther Franzenius.« Esther mußte
-unwillkürlich dem kleinen fragenden Gesicht der
-Spanierin zulächeln.</p>
-
-<p>Fräulein Schulze machte ein paar ratlose
-Bewegungen nach rechts und links, dann kam
-es ihr wie eine Erleuchtung: »Darf ich Sie
-nach Ihrem Zimmer führen?« Und sie trippelte
-Esther und dem Kofferträger voran, zur
-Thür hinaus, über einen langen und niedrigen
-Korridor, den man gar nicht in dem prunkvoll
-imitierten Marmorpalais erwarten durfte, und
-öffnete die Thür zu einem kleinen viereckigen
-Zimmerchen, das durch ein winziges schräges
-Dachfenster nach dem Hof hinaus lag.</p>
-
-<p>Während Fräulein Schulze noch ein paar
-Fragen über die »gute Reise« an Esther richtete,
-bemühten sich das Mädchen und der Dienstmann,
-für den Koffer einen Platz zu ermöglichen.</p>
-
-<p>Endlich waren alle Ankunftsfeierlichkeiten
-bewältigt, und auch die Spanierin verließ das
-Zimmer.</p>
-
-<p>Esther nahm den Leuchter mit der dünnen
-übelriechenden Kerze und beleuchtete ihre Umgebung.
-Da gab es nur die allernötigsten Gebrauchsgegenstände,
-denen allen es wie ein Ausdruck
-schamhaftester Dürftigkeit anhing. Und
-jedes Ding schien sich zu bemühen, etwas anderes
-zu imitieren. Sogar das Bett hatte die Aufgabe,
-tagsüber ein Sofa darzustellen, und der
-Waschtisch war unter dem Äußern einer Komode
-verborgen. Als der Koffer untergebracht
-war, konnte man sich nur noch in einer kleinen
-Schlangenlinie durch das Zimmer winden. Esther
-lehnte sich unwillkürlich weit zum Fenster hinaus &ndash;
-dort sah man in den Hof hinab, wie in
-einen spärlich beleuchteten Schacht. Dann führte
-sie das Licht an den Wänden entlang &ndash; die
-Tapete trug ein Muster von lauter Lilien.</p>
-
-<p>Eine stumpfe Trostlosigkeit überkam Esther
-in diesem imitierten Liliengarten.</p>
-
-<hr />
-
-<p>»Nancy! Nancy!«</p>
-
-<p>Esther erwachte. Wer rief denn da? Und
-wo war sie?</p>
-
-<p>Weshalb verflog doch so schnell der Traum
-von einem Frühlingsgarten und dem weißen
-Haus im Mondlicht? &ndash; Sie wollte so gern
-weiterschlafen. Sie fürchtete das Erwachen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Nancy! Nancy! Schläfst du noch?«</p>
-
-<p>Das war wieder diese rauhe Stimme, und
-nun folgte ein endloser Hustenanfall.</p>
-
-<p>Esther sah sich um. Das war ja das Lilienzimmer.
-Diese kahlen und dürftigen Gegenstände,
-die aussahen, als seien unzählige verschwiegene
-Sorgen in sie gebettet, schienen ein kraftloses
-Grauen auszuströmen.</p>
-
-<p>Nancy mußte inzwischen geantwortet haben,
-denn die gequälte Stimme des Zimmernachbars
-begann von neuem: »Hast du gut geschlafen,
-Nancy? Wie fühlst du dich heute?«</p>
-
-<p>Und wieder nach einer Weile, während der
-Esther aufzustehen begann: »Mußt du nicht
-über die Hofjagd referieren? Wir könnten zusammen
-einen Wagen nehmen, wie?« &ndash; Hier
-eine Pause für Nancys Antwort &ndash; Und wieder:
-»Nancy! Nancy! Mir fällt etwas Köstliches
-ein! Paß auf: Ein Wagen kostet 10&nbsp;Mark &ndash;
-zu zahlen von meiner löblichen Redaktion! Ein
-Wagen für dich zu 10&nbsp;Mark &ndash; haben deine
-Braven zu blechen. Daß wir uns zusammenthun,
-geht niemanden was an. &ndash; Bin ich nicht
-ein Rechengenie?! Hahaha!!«</p>
-
-<p>Und wieder ein gräulicher Hustenanfall.</p>
-
-<p>Esther machte ihre Anwesenheit bemerkbar
-und die nachbarlichen Stimmen verhandelten gedämpfter.</p>
-
-<p>»Wer wohnt da nebenan?« fragte Esther
-das Mädchen, das Feuer machte. Es baute
-mit virtuoser Vorsicht ein paar Holzspähne aneinander
-und deckte das spärliche Flämmchen
-mit den drei für »eine Heizung« abgezählten
-Preßkohlen.</p>
-
-<p>Ida warf über die Schulter einen verächtlichen
-Blick auf das Nachbarzimmer. »Ach, das ist
-man bloß Redakteur Engel,« sagte sie im Ton
-würdevollster Herablassung.</p>
-
-<p>»Ist der Herr sehr leidend?«</p>
-
-<p>»Ja &ndash; er hat es auf der Brust. Seine
-Verlobte, das Fräulein Maceday auch. Schon
-den ganzen Winter. Und wie sie zu uns gekommen
-sind, sahen sie auch halbverhungert
-aus. Das Fräulein wohnt ja doch neben ihm,
-und sie pflegen sich immer nur einer den andern.«</p>
-
-<p>»Aber das ist ja schrecklich,« sagte Esther
-in bedauerndem Entsetzen unwillkürlich vor
-sich hin.</p>
-
-<p>Das Mädchen mißverstand die Worte. Es
-wurde plötzlich vertraulich und gesprächig. »Ja,
-nicht wahr, Fräulein? Uns ist das auch recht
-peinlich. Verlobt sind sie und wohnen Thür an
-Thür! &ndash; Und dann wollen sie sich immer noch
-das Essen allein besorgen! Sie können es gar
-nicht billig genug kriegen. Und was für Sachen
-sie dann kochen! Ach Gotte doch! puh!«</p>
-
-<p>Ein unbestimmter Ekel &ndash; vor diesem Geschwätz &ndash;
-vor ihrer ganzen Umgebung &ndash; vor
-der Lage, in der sie sich befand, erfüllte Esther.
-Sie verließ die Stube und ging nach dem Eßzimmer,
-um zu frühstücken. Auf dem Gang
-begegnete ihr eine kleine abgehärmte Person
-mit den glühroten Backenknochen der Schwindsucht.
-Sie sah auf Esther mit glänzenden, argwöhnischen
-Augen.</p>
-
-<p>Und Esther hätte ihr etwas Gutes sagen
-mögen &ndash; irgend eine kleine, gleichgültige Freundlichkeit
-erweisen. Sie grüßte höflich. Die andere
-dankte kurz, abweisend, höhnisch.</p>
-
-<p>Esther fiel eine kleine Begebenheit aus ihrer
-Kindheit ein: Wenn sie zur Schule ging, kam
-sie immer an einem vergitterten Hof vorüber,
-an dessen Thür ein mageres, jämmerliches
-Hündchen stand und giftig auf die Vorübergehenden
-bellte. Dann warfen die Jungen mit
-Steinen nach ihm, reizten und höhnten es; das
-nahm es aber nur wie die gebührende Antwort
-auf sein Gebell entgegen. Das Tier that Esther
-so leid. Sie versuchte es einmal, sich ihm freundlich
-zu nähern, es zu streicheln. Da geriet es
-aber ganz außer sich vor Wut. Und jedesmal,
-wenn Esther wieder vorüberging, wußte es sich
-in seinem Zorn gar nicht mehr zu lassen. Es
-hatte die Freundlichkeit augenscheinlich als unvergeßliche
-Beleidigung empfunden.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»So 'ne einjebildte Jöhre!« hörte Esther
-das Fräulein Nancy noch in der Stube des
-Verlobten in accentuiertem Berliner Jargon
-ausrufen.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Das war der Beginn der freiwillig angetretenen
-Epoche der Arbeit und Entbehrung.</p>
-
-<p>Später gab es Stunden, in denen Esther sich
-fragte, warum sie nicht einmal den Versuch gemacht
-hatte, diese besonders antipathische Umgebung
-mit einer andern zu vertauschen. Und
-sie kam auf die wunderliche Erklärung, daß die
-Macht des Ekels sie fesselte.</p>
-
-<p>Ja, wir haben diese seltsam kraftlosen Zeiten,
-in denen wir wie gelähmt vom Abscheu und
-unfähig zur Gegenwehr, auf eine krankhafte
-Weise angezogen auf das starren müssen, was
-unsern Ekel erregt.</p>
-
-<p>Wir sind unfähig, uns durch einen Entschluß
-loszureißen, ja irgend einen Entschluß zu fassen
-vermögen wir nicht einmal. Nur noch ein alter
-Wille leiert sich mechanisch in stumpfen Handlungen
-ab. Wie im Traum gehen wir da &ndash;
-und das kraftlose Entsetzen des Traumes bedrückt
-uns, während wir ganz im geheimen eine
-andere Wirklichkeit wie die Ahnung des Erwachens
-in uns tragen. Und so versäumen wir
-die Empörung gegen das Traumschicksal.</p>
-
-
-
-
-<h3>X</h3>
-
-
-<p>Arbeit &ndash; Arbeit&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Trübe, matte Tage schleppen sich in sinnloser
-Gleichförmigkeit vorüber. Es ist wie das Abschnurren
-eines aufgezogenen Rades.</p>
-
-<p>Die Seele schweigt. Nur kleine Erinnerungen
-ziehen vorbei &ndash; der Zeitbegriff ist von ihnen
-genommen &ndash; Begebenheiten aus der Kindheit
-scheinen ebenso nahe zu liegen, wie eben erlebte
-Geschehnisse. Doch ihre Verbindung mit der
-eignen Persönlichkeit ist gleichsam abgeschnitten.</p>
-
-<p>Arbeit &ndash; Arbeit&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ein stumpfes, langsames Vorwärts &ndash; ohne
-Kampf, ohne Ehrgeiz, ohne Zielbewußtsein.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Viele andere sind Esther voraus. Auch
-welche, die zu gleicher Zeit angefangen haben.
-Sie arbeiten so merkwürdig reinlich und abgerundet.
-Es ist, als wären sie schon mit dieser
-gewissen Manier zur Welt gekommen. So tadellos
-fertig sieht alles aus, was unter ihren
-Händen hervorgeht. Fast scheint es, sie verlieben
-sich in diese eintönigen mechanischen Schwierigkeiten
-der Anfangsgründe. Und das ist ihr
-gutes Recht. Es muß sie im voraus entschädigen
-für alle späteren Enttäuschungen. Denn
-sie werden versagen, sobald die Beweglichkeit
-der Natur im Gegensatz zu der methodischen
-Steifheit der Musterblätter sie zu verwirren
-beginnt.</p>
-
-<p>Arbeit &ndash; Arbeit&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nicht zur Seite schauen. Stumpf abgeschlossen
-nach innen &ndash; gleichgültig nach außen. Ein langsames,
-zähes Vorwärtskriechen &ndash; ohne Kampf,
-ohne Ehrgeiz, ohne Zielbewußtsein.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Esther benutzte jede freie Zeit, besonders die
-langen Abende zu Zeichenstudien.</p>
-
-<p>In ihrem Lilienzimmer saß sie bei einer kleinen
-Stehlampe, die fortwährend Petroleum aus dem
-Behälter schwitzte. Vom Nachbarzimmer herüber
-drangen zuweilen vorsichtig gedämpfte Unterredungen
-des schwindsüchtigen Brautpaars.</p>
-
-<p>Fräulein Nancy schminkte sich jetzt seit
-einiger Zeit, und Herr Engel lebte nur noch von
-Morphium.</p>
-
-<p>Wenn sie miteinander sprachen, so schien es
-sich stets um irgend welche Berechnungen zu
-handeln, die sie mit ihren rauhen, kranken
-Stimmen aufstellten.</p>
-
-<p>Esther mußte daran denken, daß sie einmal
-»halbverhungert« hier aufgetaucht waren. Woher
-mochten sie kommen? Welchen Weg durch
-Entbehrungen mußten sie gegangen sein?</p>
-
-<p>Mißtrauisch und argwöhnisch zeigten sie sich
-gegen jeden, der sich ihnen nicht feindlich näherte,
-denn sie glaubten sofort, der wollte etwas von
-ihnen. Warum sollte er denn sonst auch freundlich
-sein?</p>
-
-<p>Unter jenen hatten sie gelebt, die sich auf den
-Fußbreit Erde drängen, den einer unter ihnen
-strauchelnd verliert. Sie hatten jeden Glauben
-an uneigennützige Güte verloren. Güte war
-ihnen nichts als Dummheit oder Verstellung.
-Selbst Fräulein Nancys Toilettenkünste mochten
-nicht weiblicher Gefallsucht, sondern einzig dem
-Ehrgeiz entspringen, noch als vollzählige Konkurrentin
-zu gelten &ndash; vollwertig an Kraft und
-Gesundheit, eine nicht zu übersehende Nummer
-unter denen, die neiden und beneidet werden.
-Sie wollte bis zuletzt als Rivalin im Kampf um
-die Arbeit mitrechnen.</p>
-
-<p>Und doch gab es einen Funken von Güte
-auch unter ihnen. Das war die seltsame Liebe,
-die sie für einander hatten, diese rührende, oft
-grotesk wirkende Zärtlichkeit, deren unfreiwilliger
-Zeuge Esther zuweilen wurde. Die Besorgnis,
-die einer für das Wohlsein des andern hatte,
-und die sich oft im allernaivsten Materialismus
-ausdrückte.</p>
-
-<p>Esther beschäftigte sich so viel mit dem möglichen
-Schicksal dieser Nachbarschaft, daß sie es
-zuletzt förmlich noch zu allem andern sich selbst
-auflud &ndash; zu allem Dumpfen und Erdbedrückten,
-was sie schon zu tragen hatte.</p>
-
-<p>Mit den andern Bewohnern der Pension
-kam sie selten außer den Mahlzeiten zusammen.</p>
-
-<p>Da gab es ein »Fräulein Doktor«, die nächst
-dem Baron Ehrhard von Dunkelmann den Stolz
-des Hauses bildete. Ja hier war sowohl der
-Geburtsadel wie der Adel des Geistes vertreten,
-wie Fräulein Schulze Esther gleich anfangs versicherte.
-Außerdem erschien noch eine kleine, zarte
-und sehr bescheidene Musikschülerin bei Tisch, die
-Fräulein Schulzes Wohlwollen unter der unausgesprochenen
-Voraussetzung besaß, daß sie sehr
-wenig aß.</p>
-
-<p>Fräulein Doktor Obenauf, Assistentin an der
-Frauenklinik des Professors D., führte zumeist
-die Unterhaltung. Sie war sehr aufgeklärt und
-benutzte gewöhnlich die mittäglichen Zusammenkünfte,
-um auch der übrigen Tischgesellschaft den
-Segen geistiger Freiheit zu gewähren.</p>
-
-<p>»Stellen Sie sich einmal vor,« schrie sie mit
-ihrem weithintönenden Organ, »wo sollte denn
-eine Seele sich verstecken? Das ist alles Humbug,
-alles!</p>
-
-<p>Glauben Sie nicht, ich habe genug Menschenleiber
-zersäbelt, um wissen zu können, wo eine
-Seele Raum haben könnte? Da ist ganz einfach
-kein Platz sage ich Ihnen, kein Platz!«</p>
-
-<p>Fräulein Schulz, die eine Pastorentochter war,
-machte hier einen Einwand: »Es glauben aber
-doch so viele Leute daran,« sagte sie und machte
-eine abwartende schiefe Kopfbewegung.</p>
-
-<p>»Glauben! Hahaha glauben! Als ob das
-nur der allergeringste Beweis wäre!« trompetete
-die Obenauf. »Ich als Ärztin sage Ihnen,
-daß kein Platz für eine Seele ist, und damit
-Punktum.«</p>
-
-<p>»So, so &ndash; ja gewiß,« sagte Fräulein Schulze
-und kroch in sich zusammen. »Als Ärztin müssen
-Sie das natürlich wissen.«</p>
-
-<p>Esther hielt sich gern von solchen Debatten
-fern. Die kleine Musikschülerin schwieg, weil
-sie sich vor der Stimme der Ärztin zu fürchten
-schien, und weil sie sich vielleicht auch noch nicht
-weiter über seelische Angelegenheiten beunruhigt
-hatte. Der wirkliche Baron aber lächelte vielsagend.</p>
-
-<p>Man wußte sehr wenig über das Leben des
-Barons. Er hatte jedoch einmal den Ausspruch
-gethan, daß ein Künstler die moralische Verpflichtung
-habe, sich nie durch eine Ehe zu
-binden, denn in diesem Falle würde er durch
-den heiligen Egoismus des Genies sowohl sich
-als seine Frau unglücklich machen, denn er sei
-infolgedessen nicht fähig, die Verantwortung
-auch noch für eine andre Individualität zu übernehmen.</p>
-
-<p>Er sah sehr bewegt aus bei dieser Erklärung,
-und so schloß man fortan, daß er
-selbst zu jenen leidgekrönten Egoisten gehöre.
-Sobald die Rede auf eine Streitfrage der Kunst
-kam, mußte seine Autorität zur Entscheidung
-aufgerufen werden.</p>
-
-<p>Und er hatte dann eine ganz eigenartig
-rätselhafte Art, in der er seine Aussprüche hervorbrachte.</p>
-
-<p>»Die Dekadence vergleiche ich mit dem müden,
-rosigen Licht der Ampel,« sagte er. »Und ist
-dieses gedämpfte Licht der Nacht nicht sinnberückender
-als der grelle, plumpe Sonnenschein?«</p>
-
-<p>Fräulein Schulze horchte andächtig auf,
-wagte aber nichts zu antworten, weil sie befürchtete,
-es möchte vielleicht nicht zart genug
-ausfallen.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Zuweilen kamen die Briefe aus Dänemark.
-Esther öffnete sie immer wie unter einer dumpfen
-Angst.</p>
-
-<p>Es war kaum die Furcht vor schlimmen
-Nachrichten. Sie wußte ja, daß dort alles in
-dem lieben alten Gleichmaß vor sich ging. Aber
-die Erinnerung war es, die mit der Zeit immer
-mehr etwas unsäglich Bedrückendes für sie hatte &ndash;
-ein unbestimmtes Schuldbewußtsein kam nach
-und nach an Stelle jenes Gefühls, nur nach einer
-Notwendigkeit gehandelt zu haben.</p>
-
-<p>Aber hätte es denn für sie eine andere Möglichkeit
-überhaupt gegeben? Hätte sie die Pflicht
-gehabt, dieses Verhältnis weiter zu tragen, weil
-sie es einmal eingegangen war?</p>
-
-<p>Ihre Begriffe begannen unsicher und schwankend
-zu werden.</p>
-
-<p>Und doch: <em class="ge">Hier</em> lag nicht das Verfehlte &ndash;
-aber dann wo?&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Heftete sich das Unglück an ihre Person wohin
-sie trat? Gehörte sie zu den Vom-Schicksal-Gezeichneten,
-die überall das Unheil mit sich
-führen &ndash; ungewußt und ungewollt?&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ein Brief von Eliza kam, einer ihrer süßen
-unschuldigen Briefe, die ihre Art so unvermittelt
-übertragen konnten.</p>
-
-<p>Und sie erzählte diesmal von einer großen
-Neuigkeit in Eriksgaard: Arne hatte sich verlobt.</p>
-
-<p>Esther unterbrach sich im Lesen. Das war ja
-wie eine Erlösung!</p>
-
-<p>Also war sie doch im Recht gewesen, wenn
-sie geglaubt hatte, daß eine noch unbewußte
-Liebe zu Thora ihn in jene zwiespältige Lage
-gebracht hatte! Sie selbst war nur zur rechten
-Zeit gegangen, wo das Ende sich schon vorbereitete.</p>
-
-<p>Sie griff wieder zu dem Brief und las
-weiter&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber was war denn das?</p>
-
-<p>»Seine Verlobte ist ein Fräulein Ingeborg
-Peersen, die er diesen Winter in Fredensborg
-kennen gelernt hat.«</p>
-
-<p>Esther ließ den Brief sinken.</p>
-
-<p>Sie schämte sich plötzlich. Es war kein großes,
-quälendes Schamgefühl &ndash; nur ein peinliches Erröten &ndash;
-jenes Empfinden, unter dem ein anständiger
-Mensch immer den Wunsch hat, zur
-Seite zu sehen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-
-
-
-<h3>XI</h3>
-
-
-<p>Esther war jetzt über die mechanischen Vorübungen
-hinausgekommen. Die Arbeit fing an
-ein tieferes Eingehen zu beanspruchen.</p>
-
-<p>Ihre Gedanken konnten nicht mehr wie
-bisher beständig die alten, ausgetretenen Wege,
-an toten und niedergehaltenen Empfindungen
-vorüber, gehen. Sie brauchte den ganzen Intellekt
-für ihre Thätigkeit, der sie sich mit immer
-größerem Eifer hingab.</p>
-
-<p>Fast unwillkürlich gewann sie sich aus den
-Eindrücken ihrer Umgebung nur mehr Studien
-über Licht- und Farbenwirkungen und beobachtete
-die Gesetze der Plastik, die so eigentümlich
-von der Beleuchtung abhängig sind.</p>
-
-<p>Erst jetzt verstand sie, wie viel Drangabe
-des reinen Intellektes jede Kunst beansprucht,
-die sich der Dilettant immer als eine mühelose
-Himmelsgabe vorstellt, wie viel Arbeit vor allem
-dazu gehört, den Zufall zu beherrschen.</p>
-
-<p>Denn was ein einziges Mal unwissend wohlgelungen
-ist, soll wieder und wieder gelingen
-können unter der Leitung eines bewußten Willens.
-Das erst ist Können &ndash; Kunst!</p>
-
-<p>Und so kam es, daß sie nach und nach mit
-ihrer ganzen Persönlichkeit überging zur Arbeit.</p>
-
-<p>Ihr Gefühlsleben schrumpfte gleichsam zusammen
-bis zu jenen kleinen Alltagsempfindungen,
-die sozusagen zu den Anstandspflichten
-des Herzens gehören.</p>
-
-<p>Sie war Zuschauer, nichts als Zuschauer
-gegenüber dem Leben.</p>
-
-<p>Und das Leben rächte sich, so daß ihr jeder
-menschliche Eindruck zur hohlen, seelenlosen
-Karrikatur wurde.</p>
-
-<hr />
-
-<p>In den freien Zeiten schlenderte sie oft durch
-die Straßen, ohne viel zu denken. Zuweilen
-erregten die Vorübergehenden ihre Aufmerksamkeit.
-Dann dachte sie noch einen Augenblick
-über sie nach, bis diese lässige Müdigkeit alles
-mit Gleichgültigkeit zudeckte.</p>
-
-<p>Und doch war es in diesen Stunden körperlicher
-und geistiger Abspannung, daß ein Erlebnis
-an sie herantreten wollte.</p>
-
-<p>Sie kam an einer der großen Kunsthandlungen
-vorüber, in deren Schaufenstern an jedem
-Sonnabend eine neue Ausstellung für die kommende
-Woche arrangiert wird.</p>
-
-<p>Nach ihrer Gewohnheit blieb sie stehen, um
-die Bilder zu betrachten.</p>
-
-<p>Und heute&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie sah und sah&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und da war alles vergessen, was schwer
-auf ihr gelegen.</p>
-
-<p>»Die Schönheit,« dachte sie nur, »die
-Schönheit!«</p>
-
-<p>Auf der Höhe des Berges küßt der Mann in
-der Tracht eines fahrenden Sängers das Weib.
-Ganz zart berührt er ihre nackte Schönheit. Seine
-Augen sind geschlossen, um den Mund die Keuschheit
-des Betenden. Und über allem der stille,
-ruhende Ausdruck der Erlösung.</p>
-
-<p>In dichter Fülle schlingen sich Rosen unter
-der goldenen Leiste hin, die den Abschluß des
-Bildes angiebt. Schwere brokatene Vorhänge,
-die in ihrer massigen Farbenauftragung den
-Vordergrund bilden, sind wie vor einem Heiligenbild
-zurückgezogen.</p>
-
-<p>»Auf freier Höhe« heißt das Bild.</p>
-
-<p>Und Esther stand davor und sah bald in
-den zart verblassenden Himmel, von dem sich
-eine kleine zitternde Birke abhebt &ndash; und dann
-auf die ruhige Schönheit der Frau, die mit
-einem entrückten Ausdruck ins Weite sieht, und
-sie betrachtete das Gesicht des Mannes, in dem
-noch die Qualen verflossener Jugendzweifel zu
-kennen sind hinter der Ruhe der Befreiung.</p>
-
-<p>Endlich riß sie sich los.</p>
-
-<p>Und es war, als sei noch einmal ihre Seele
-im Erblühen gewesen unter dem tiefen Eindruck
-der Schönheit.</p>
-
-<p>Sie sagte sich: das ist es, was ich einmal
-können will &ndash; Aber giebt es denn noch etwas
-zu wollen, wenn das geschaffen ist? Ist nicht
-alles damit ausgesprochen, so daß jedes, was
-noch kommen kann, nur ein Stammeln und
-Nachbeten bleibt?</p>
-
-<p>Und dann kam eine kurze Zwischenzeit, die
-ein scheues Glück für sie brachte.</p>
-
-<p>An jedem Tag ging sie zu den Schaufenstern
-der Kunsthandlung. Und dort stand
-sie vor dem Bild, das in ihr die Sehnsucht geweckt
-hatte, auf die freien Höhen der Kunst zu
-gelangen.</p>
-
-<p>Immer wieder ging sie dorthin und träumte
-von einem kühlen, lichten Glück &ndash; von der klaren,
-sanften Erlösung aus bedrückendem Menschentum &ndash;
-durch die Kunst.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber die Kunst will die freie Lust und den
-heißen Lebenswillen eines übervollen Herzens,
-und es heißt ihre Göttlichkeit beleidigen, wenn
-man ihr auf den Trümmern eines zerbrochenen
-Schicksals den Tempel erbauen will.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Als einmal das Bild nicht mehr im Fenster
-hing, sank Esther müde in sich zusammen &ndash;
-wie beim Erlöschen des Lichts.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Noch in den ersten Tagen des März erweiterte
-sich Fräulein Schulzes Pension um einen
-neuen Gast.</p>
-
-<p>Um seinetwillen hatte man eine Tafel in
-den alten Ausziehetisch eingefügt, und der
-Braten erschien fortan auf einer noch pomphafteren
-Schüssel als bisher und lag in einem
-förmlichen Wald von Petersilienkraut versteckt,
-der seine Blätter üppig über den Schüsselrand
-hängen ließ.</p>
-
-<p>Ja, Fräulein Schulze wußte, was sie dem
-Rufe ihrer Pension schuldig war.</p>
-
-<p>Ihr kleines, bleiches Gesicht unter dem
-Spitzentuch erstrahlte förmlich bei der Vorstellung:
-»Fräulein von Preller &ndash; Schriftstellerin.«</p>
-
-<p>Fräulein von Preller hatte ihren Platz zwischen
-Esther und der Ärztin bekommen.</p>
-
-<p>Esther sah flüchtig auf und begegnete
-dunklen Augen mit einem guten Blick, die den
-Haupteindruck in dem etwas fahlen Gesicht
-machten. Der Mund war stark und tiefgekerbt
-in den Winkeln. Es war eine ursprünglich
-rohe Form, die beim Sprechen durch
-den Ausdruck von Grazie und Lieblichkeit veredelt
-wurde.</p>
-
-<p>Die Doktor Obenauf nahm gleich Beschlag
-von ihrer Tischnachbarin.</p>
-
-<p>»Sie kommen hierher, um Studien in der
-Großstadt zu machen, nicht wahr? O, da könnte
-ich Sie mit Verhältnissen bekannt machen &ndash; mit
-Verhältnissen&nbsp;&ndash;!«</p>
-
-<p>Sie ließ durch einen Augenaufschlag die Art
-dieser Verhältnisse ahnen, fuhr jedoch, als keine
-Nachfrage entstand, von selbst mit einer Schilderung
-fort:</p>
-
-<p>»Ich sage Ihnen, da kommt man manchmal
-in Häuser &ndash; Menschliche Wohnungen &ndash;
-nein! menschliche Wohnungen ist nicht der
-passende Ausdruck für solche Viehställe!</p>
-
-<p>Denken Sie mal, da hat man kürzlich ein
-Gesetz erlassen, daß es verboten ist Schweine
-und Geflügel auf der Etage zu halten. Denn
-es ist vorgekommen, daß man in einem Zimmer
-den Hausherrn, die Hausfrau, zwei erwachsene
-Töchter, einen Zimmerherrn und ein Schwein
-einquartiert fand&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Faktisch, ich sage Ihnen: das alles ganz
-gemütlich in einem Zimmer!</p>
-
-<p>Es lohnt sich wirklich, so was anzusehen!«</p>
-
-<p>Wie sie jetzt einen Augenblick schwieg und
-beifallsuchend über die verlegene Tischgesellschaft
-hinsah, erwiderte Fräulein von Preller mit
-ruhiger Liebenswürdigkeit im Ausdruck:</p>
-
-<p>»Ach nein, um solche Studien zu machen,
-bin ich keineswegs hergekommen. Es wäre mir
-zu unerträglich, derartige Zustände mit anzusehen,
-ohne da helfen zu können.</p>
-
-<p>Ich könnte mir denken, daß einen das ganz
-mut- und kraftlos macht für jede gewohnte
-Thätigkeit, wenn man einsehen muß, daß man
-so machtlos davorsteht.</p>
-
-<p>Ich wenigstens möchte einen solchen Versuch
-mir nicht zutrauen.«</p>
-
-<p>Doktorin Obenauf lachte dröhnend. »<em class="ge">Das</em>
-müssen Sie sich aber abgewöhnen, wenn Sie
-Schriftstellerin sein wollen! Man muß alles
-sehen können! Leute mit Nerven taugen nichts!«
-schrie sie, so daß die kleine Musikschülerin entsetzt
-zusammenzuckte.</p>
-
-<p>Ehrhard, Baron von Dunkelmann lächelte
-überlegen.</p>
-
-<p>Als keine Antwort von seiten der Angeredeten
-erfolgte, knüpfte Doktorin Obenauf
-mit einer neuen Frage an:</p>
-
-<p>»Sie können gewiß gar nichts vertragen,
-nicht wahr?</p>
-
-<p>Da müßten Sie sich mal zur Abhärtung die
-Bilder in einem meiner medizinischen Werke
-betrachten! Donnerwetter, da würden Sie schön
-Ihre Nerven bekommen!</p>
-
-<p>Die könnten Sie nicht ansehen &ndash; und da
-die Fräulein Franzenius auch nicht, &ndash; das versichere
-ich Ihnen!«</p>
-
-<p>Die beiden also Zusammengestellten betrachteten
-sich unwillkürlich lächelnd. Dann wandte
-sich Fräulein von Preller zu der Doktorin.</p>
-
-<p>»Sie könnten vielleicht in Ihren Voraussetzungen
-recht haben, Fräulein Doktor,« sagte
-sie. »Darin nämlich, daß es nicht das Ziel
-meiner Wünsche ist, physiologische Abnormitäten
-mit Wohlgefallen betrachten zu lernen. Im
-übrigen kann ich Sie aber über den Zustand
-meiner Nerven vollkommen beruhigen.«</p>
-
-<p>Die Obenauf fühlte nun doch eine Zurückweisung
-durch und lenkte ein:</p>
-
-<p>»Wie wollen Sie denn aber als Schriftstellerin
-das Leben, wie es nun einmal ist, richtig
-beschreiben, wenn Sie sich vor jedem dritten
-Eindruck fürchten?«</p>
-
-<p>»Ich glaube, so viele Schriftsteller es giebt,
-aus so viel verschiedenen Gründen schreiben
-sie &ndash; und eben so verschiedenartig sind die
-Eindrücke, die sie dazu veranlassen. Ich kenne
-zum Beispiel ein junges Mädchen, der es
-möglich ist, sich jeden Kummer wegzuschreiben.
-Manchmal fängt sie weinend an und über dem
-Arbeiten wird sie ganz froh und ruhig. Ihren
-Sachen sieht man es aber keineswegs an, daß
-sie alle unter Thränen und Traurigkeit entstanden
-sind &ndash; sie reden alle von dem, wohin
-sich nur eines Menschen Sehnsucht gern verlieren
-mag.«</p>
-
-<p>»Das ist aber nicht das richtige. So egoistische
-Leute, die nur für sich allein was schaffen,
-sind keine Künstler,« erklärte die Ärztin. »Die
-Kunst muß social sein in allererster Linie.«</p>
-
-<p>»Es mag wohl sein, daß sie keine wirkliche
-Künstlerin ist,« sagte Fräulein von Preller.
-»Man kommt ja oft ganz von ungefähr zu
-seinem Titel &ndash; So verdanke ich ihn im Augenblick
-nur Fräulein Schulzes Liebenswürdigkeit
-die&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Aber gnädiges Fräulein!« rief hier Fräulein
-Schulze ganz ängstlich, »entschuldigen Sie
-doch, aber ich habe Ihnen heute selbst einen
-Brief gebracht, der so adressiert war!«</p>
-
-<p>Fräulein von Preller lachte. »Ja dann wird
-am Ende so eine fremde Redaktion besser wissen,
-was ich bin, als ich selbst!</p>
-
-<p>Den Titel aber überlasse ich trotzdem lieber
-denen, die sich einen Beruf aus dem machen,
-was mir etwa nur &ndash; Erleichterung ist.«</p>
-
-<p>Da bekam die Ärztin ein ganz strenges Gesicht.
-Sie drückte ihren ausgestreckten Zeigefinger
-in die Schulter ihrer Nachbarin und
-fragte ausdrucksvoll: »Jetzt sagen Sie mir aber
-mal, mein bestes Fräulein, mit welchem Recht
-machen Sie mit ihren leichtsinnigen Anschauungen
-da denen Konkurrenz, die von nützlichen
-und angebrachten Dingen aus selbstgeschöpfter
-Erfahrung zu reden wissen, und die auch die
-Unannehmlichkeiten ihres Berufs nicht scheuen?«</p>
-
-<p>Da bekam das junge Mädchen einen ganz
-eigen hoheitsvollen und abweisenden Ausdruck.</p>
-
-<p>Es giebt Menschen, die ihre Wahrheiten in
-keiner Stunde der Intimität verraten, denen es
-aber nicht darauf ankommt, sie in freier Willkür
-gleichsam denen vor die Füße zu werfen, die
-ihnen mit unverständigen Angriffen begegnet
-sind. Es ist das ein unerklärliches Bedürfnis,
-sich gerade da auszusprechen, wo man gewiß ist,
-tauben Ohren zu begegnen.</p>
-
-<p>So sagte sie: »Ich schreibe, weil es so viele
-Dinge giebt, nach denen ich mich sehne &ndash; Und
-ich schreibe, weil ich alles das loswerden will,
-was in meinem Leben traurig und verfehlt gewesen
-ist.</p>
-
-<p>Zu lange und zu schwer an den Dingen
-tragen entkräftet &ndash; da wird man ihrer ledig &ndash;
-in der Kunst&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und Ideale giebt es, die sind schön und zart
-über die Maßen &ndash; aber sie taugen nicht in
-das Leben &ndash; da trägt man sie hinüber in die
-Kunst.</p>
-
-<p>Denn es gilt vor allem, das Leben zu hüten,
-weil nur von einem ganzen Menschen ganze
-Kunst kommen kann.</p>
-
-<p>Aber sollte es dennoch eine Wahl geben
-zwischen Leben und Kunst, so würde ich immer
-sagen, ›das Leben ist das bessere &ndash; das Leben!‹«</p>
-
-<p>»Welche Lästerung der Kunst!« schrie die
-Ärztin entsetzt, wandte sich ab und vertiefte sich
-fortan nur mehr in die Genüsse, die der Wald
-aus Petersilienkraut verbarg.</p>
-
-
-
-
-<h3>XII</h3>
-
-
-<p>Esther konnte oft des Nachts nicht schlafen.
-Sie hörte dieses gequälte Husten des Schwindsüchtigen,
-und wenn es so ganz unerträglich
-wurde, fühlte sie sich immer versucht, aufzuspringen
-und irgendwie zu helfen.</p>
-
-<p>Sie litt mit unter diesen entsetzlichen Anstrengungen
-des Atemholens. Sie machte jeden
-Anfall mit durch, der ihn mit einem leisen,
-keuchenden Husten durchschüttelte, und sie selbst
-atmete erleichtert auf, wenn sich endlich dieses
-verzweifelte Ringen nach Luft wieder legte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In einer Nacht, da mußte es wohl besonders
-schlimm sein. Sie hörte ihn nach der Verlobten
-rufen:</p>
-
-<p>»Nancy! Nancy! Hilf&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Und nach einer halben Minute wieder:
-»Kommst du nicht?«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Sei still, sei still!</p>
-
-<p>Bleib nur ganz ruhig liegen. Ich bin
-schon da.«</p>
-
-<p>Die Stimmen und Geräusche klangen mit
-einer hohlen Deutlichkeit durch die Stille der
-Nacht.</p>
-
-<p>Esther konnte hören, wie Nancy ihm sein
-Morphium gab und sich dann ans Bett setzte
-und hüstelte.</p>
-
-<p>»Ist dir auch nicht kalt, Nancy?«</p>
-
-<p>»Bewahre, ich bin abgehärtet.«</p>
-
-<p>Eine Weile war alles ruhig, dann: »Mir
-ist so gut jetzt &ndash; aber magst du noch ein bißchen
-dableiben?«</p>
-
-<p>Esther verstand diesmal keine Antwort.</p>
-
-<p>»Erzähle mir, Nancy, sprich davon, wie es
-sein wird, wenn wir verheiratet sind und drüben
-in Königs-Wusterhausen in dem kleinen Häuschen
-am Walde wohnen&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ja, das wird gut sein,« sagte Nancy &ndash;
-»gut für uns beide. Dann haben wir uns ein
-nettes bißchen Geld zusammengekratzt und können
-auf die elende Hetzerei mit den Redaktionen
-pfeifen.</p>
-
-<p>Dann schreibst du in aller Gemütsruhe an
-deinem Roman, und wenn die Hofjagden sind,
-dann verständigen wir uns mit ein paar
-Zeitungen und können in aller Bequemlichkeit
-das Material für die interessantesten Berichte
-sammeln.«</p>
-
-<p>»Ach Gott ja, mein Roman! &ndash; Elend lange
-liegt der nun schon!«</p>
-
-<p>»Na Schatz, dann hast du ja doch Zeit die
-schwere Menge!«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Famos ist Wusterhausen &ndash; findest du
-nicht?</p>
-
-<p>Der Park mit den Linden&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und so überall diese Ruhe&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Man sollte denken, da könnte eins in aller
-Geschwindigkeit wieder zu Kräften kommen!«</p>
-
-<p>»Sprich nicht so viel. Ich erzähle dir
-lieber&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Weißt du noch, wie wir zum ersten Mal
-dort waren und über die Heide fuhren? So
-viele gelbe Blumen blühten gerade. Der Kutscher
-sagte, daß es Ginster wäre. Wir haben
-dann ja auch 'n ganzen Packen abgerupft, aber
-in der Bahn haben wir sie vergessen.</p>
-
-<p>Und dann bei der Mühle. Da hingen die
-Zweige von den Kastanienbäumen bis ganz ins
-Wasser &ndash; höchst malerisch! muß man sagen.
-Man hätte 's gleich für 'n Gedicht verwenden
-können &ndash; wenn man nicht die Lyrik so schlecht
-bezahlt wäre.«</p>
-
-<p>»Das elende, elende Geld!«</p>
-
-<p>»Gut genug, wenn man's hat!«</p>
-
-<p>»Nancy, rechne mal: wann haben wir genug
-zusammen?«</p>
-
-<p>»Na, warte mal&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wenn wir uns vielleicht an dem Preisausschreiben
-beteiligen &ndash; wir können ja gut
-zusammenarbeiten &ndash; und wenn wir dann vielleicht
-den dritten Preis zu 5000 Mark bekommen,
-dann steht doch überhaupt nichts mehr
-im Wege, dächt' ich?</p>
-
-<p>Dann gingen wir vielleicht erst noch den
-Winter über nach Davos &ndash; Du weißt ja,
-da ist jetzt die großartige Einrichtung für
-unbemittelte Lungenkranke. Und wenn wir
-dann unser bißken los sind &ndash; und 's
-wird recht schön warm bei uns hier &ndash;
-so gegen Mai hin &ndash; dann siedeln wir
-über.«</p>
-
-<p>»Nancy, weißt du's noch genau: wie heißen
-gleich die Bedingungen für das Preisausschreiben?«</p>
-
-<p>»Ein moderner Stoff, der Tagesfragen berührt &ndash;
-nicht über 20.000 Zeilen&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Nicht über? &ndash; Das ist gut! Als ob jemand
-mehr schriebe, wenn nicht Zeilenweise bezahlt
-wird!«</p>
-
-<p>»Tagesfragen &ndash; liegen uns ja nahe.«</p>
-
-<p>»Können wir &ndash; mit Leichtigkeit.«</p>
-
-<p>»M.&nbsp;w. &ndash; m.&nbsp;w.!« sagte Fräulein Nancy.</p>
-
-<p>»Nancy &ndash; war nicht neulich in der ›Litterarischen
-Praxis‹ nicht auch ein Preisausschreiben
-zur Reklame für eine Strumpfwirkerei?«</p>
-
-<p>»Jawohl: 300 Mark als erster Preis. M.&nbsp;w.
-ebenfalls.«</p>
-
-<p>»Nancy &ndash; ich bin &ndash; jetzt &ndash; müde.«</p>
-
-<p>»Na, dann gute Nacht, mein Schatz!«</p>
-
-<p>Esther hörte Fräulein Nancy in ihr Zimmer
-zurückgehen.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen kam Fräulein Schulze
-ganz verstört zu Esther hereingestürzt.</p>
-
-<p>»Ach Gott, mein liebstes, bestes Fräulein,«
-rief sie, »ich möchte ja nicht, daß es jemand
-anders erfährt, aber zu Ihnen muß ich mich
-nun aussprechen &ndash; sie haben es auch am
-Ende so dicht nebenan schon selbst gehört: Ihr
-Zimmernachbar ist heute früh gestorben &ndash; an
-einem Blutsturz &ndash; so ganz auf einmal!«</p>
-
-<p>Esther fühlte, wie sich ihr die Kehle zusammenschnürte
-vor Mitleid und Entsetzen.</p>
-
-<p>»Weiß es denn schon die Braut?« fragte
-sie endlich.</p>
-
-<p>»Jawohl, die sitzt bei ihm und will niemand
-bei sich haben. Sie sagt, daß sie ausziehen will,
-sowie er unter der Erde ist.«</p>
-
-<p>»Kann man denn nichts für sie thun?«
-fragte Esther mechanisch. Und dann noch
-einmal voll Wärme: »Besinnen Sie sich
-doch, Fräulein Schulze, was man da thun
-könnte!«</p>
-
-<p>»Da kann nur unser Herrgott helfen &ndash; für
-mich ist dieses ganze Vorkommnis ja auch sehr
-peinlich &ndash; wer weiß, ob niemand deshalb auszieht,«
-sagte Fräulein Schulze und wischte sich
-mit dem Taschentuch die Augen.</p>
-
-<p>»Ach nein, vielleicht ist es doch möglich,«
-meinte Esther, »ich will jetzt gleich vor der
-Malstunde einmal hinübergehen.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie klopfte an und trat auf ein rauh hervorgestoßenes
-»Herein!« in das Zimmer.</p>
-
-<p>Es war ein ganz winziges Kämmerchen &ndash;
-ungleich dürftiger noch als das ihre.</p>
-
-<p>Der Tote lag ausgestreckt auf seinem Bett.
-Er hatte ein leidensverzerrtes Christusgesicht.</p>
-
-<p>Esther ging auf Fräulein Nancy zu, die ihr
-feindlich entgegenstarrte. Sie wagte kein Wort
-des Beileids zu sagen, bot nur ganz schlicht ihre
-Hilfe an.</p>
-
-<p>»Lassen Sie mich in Ruhe,« sagte Fräulein
-Nancy, »ich gehe Sie nichts an, und Sie gehen
-mich nichts an. Das hier ist allein meine Angelegenheit.«</p>
-
-<p>Esther ging still wieder hinaus. Sie traf
-Fräulein Schulze im Gang. »Nun,« fragte die,
-»haben Sie was erreicht?«</p>
-
-<p>Esther verneinte niedergeschlagen.</p>
-
-<p>»Ich sagte es Ihnen ja, liebes Fräulein, da
-kann nur unser Herrgott helfen!«</p>
-
-
-
-
-<h3>XIII</h3>
-
-
-<p>In den Straßen ging die Luft weich und
-wehend. Esther spürte diesen feinen, durchdringenden
-Geruch des einbrechenden Frühlings,
-und da stieg es plötzlich in ihr auf wie eine leise
-Neugier nach fernen, fernen, halbvergessenen
-Dingen.</p>
-
-<p>Wie ist doch das?</p>
-
-<p>Man geht an Frühlingstagen wie durch ein
-Feld, auf dem Erwartung und Sehnsucht nach
-künftigem Genießen sproßt.</p>
-
-<p>Ist es wohl so?&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber sie &ndash; sie gehörte doch zu denen, die
-für sich selbst nichts mehr zu erwarten haben &ndash;
-denen sich das Leben geweigert hat. Zu denen,
-die nur noch tapfer sein wollen.</p>
-
-<p>Doch der Wind streifte sie wie ein verwehter
-Klang der Heimatssprache.</p>
-
-<p>Wie träumend ging sie von dem gewohnten
-Rückweg aus der Malschule ab und verfolgte die
-Richtung nach dem Tiergarten.</p>
-
-<p>Überall standen an den Straßenecken Blumenverkäufer
-mit italienischen Anemonen und Mimosenzweigen,
-deren linder Geruch gleichsam die
-Luft verjüngte.</p>
-
-<p>Esther trat in einen Blumenkeller und kaufte
-ein paar Narzissen &ndash; ihre Lieblingsblumen. Sie
-trug sie sinnend vor sich her.</p>
-
-<p>Über den Straßen des Tiergartenviertels
-glänzte weißes, trocknes Licht. Aus den Gärten
-herüber drang üppiger Blumenduft der ausländischen
-Pflanzen, vermischt mit dem herben
-Geruch von jung keimendem Grün.</p>
-
-<p>Und dann war der Tiergarten erreicht.</p>
-
-<p>Ein zartgrünes, durchdringendes Licht spiegelte
-von den jungen Blattknospen auf den Weg
-herab.</p>
-
-<p>Wie schön das alles war. Ja, sie wußte,
-daß alles das schön war, was sie umgab &ndash;
-aber sie vermochte es nicht zu fühlen. Eine
-lähmende Starrheit lag über ihrer Seele, die der
-alte leichtbewegliche Schönheitssinn vergeblich zu
-durchbrechen suchte.</p>
-
-<p>Wie Scham über ein heimliches Gebrechen
-empfand sie diese Starrheit plötzlich. Und sie
-quälte sich damit und suchte nach Gründen.</p>
-
-<p>Sie dachte: Wie kann es nur sein, daß eine
-bloße Enttäuschung, die uns nicht einmal im
-tiefsten traf, so zu töten vermag, während ein
-großer, echter Schmerz lebenschaffend wirkt?</p>
-
-<p>Sie erinnerte sich, wie sie einmal das Leid
-getragen hatte wie ein heimliches Glück. Wie
-ringsum alles zu Leben erstand &ndash; geheimnisreich
-und tief. Wie jeder Vorgang bedeutungsvoll
-wurde, weil er sich in einem heißen Herzen
-spiegelte.</p>
-
-<p>Doch dann war jener Irrtum des Fühlens
-gekommen, der die Lebenskraft langsam, fast
-unmerklich in sich sog, der sie ganz im geheimen
-leer und unfähig machte, während ihr schien, sie
-habe kaum etwas daran gesetzt.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie ging an den Teichen entlang, dann über
-eine Brücke.</p>
-
-<p>Schwäne kamen fauchend und mit erhobenen
-Flügeln angeschwommen. Wie ein hellgrünes
-Netz über schwarz-goldenem Grund spiegelten
-sich die jungen Knospen im Wasser.</p>
-
-<p>Esther blieb stehen, senkte den Kopf immer
-tiefer, lehnte sich an den Brückenpfeiler.</p>
-
-<p>Da kamen ihr ein paar Worte &ndash; arme,
-geborgte Worte &ndash; sie hatte wohl keine eigenen
-mehr: Verfehlte Liebe &ndash; verfehltes Leben&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und die Schwäne reckten sich zischend zu
-ihr herauf, und die Worte fielen wie eine geheimnisvolle
-Last in das golden schwarze
-Wasser.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Fräulein Franzenius, da stehen Sie nun
-immer und unterhalten sich mit den Schwänen?«</p>
-
-<p>Esther sah auf. Fräulein von Preller stand
-neben ihr.</p>
-
-<p>»Ich habe Sie gar nicht gesehen,« sagte
-Esther mit einem scheuen Lächeln.</p>
-
-<p>»Natürlich nicht,« meinte die andre und sah
-ihr mit einem sonderbar guten und warmen
-Blick entgegen.</p>
-
-<p>Esther dachte: »Sie ist schön.« Und dann:
-»Hat sie mir auch jetzt eben gewiß nichts ansehen
-können?«</p>
-
-<p>Nein, gewiß ahnte sie nichts dergleichen.
-Sie fragte ganz harmlos: »Darf ich nun mit
-Ihnen zurückgehen? Denn wir müssen doch
-gewiß recht pünktlich zum Mittagessen kommen,
-sonst machen wir das arme Fräulein Schulze ja
-unglücklich.«</p>
-
-<p>»Gern, wenn Sie mögen.«</p>
-
-<p>Esther war ganz erleichtert, daß sie sich nicht
-durchschaut fühlen mußte.</p>
-
-<p>So gingen sie nebeneinander durch den Tiergarten
-zurück.</p>
-
-<p>Fräulein von Preller machte kleine Bemerkungen
-über die Umgebung. »Schade, daß
-ich kein Brot für die Schwäne mithabe,« sagte
-sie. »Sie erwarten es eigentlich nicht anders
-von jedem Vorübergehenden. Sie stellen sich
-auf und fordern Zoll. Und wer nichts zu geben
-hat, den verfolgen sie höchst ärgerlich noch ein
-Stückchen auf dem Land, dort wo es ihnen
-eigentlich schon fast unmöglich ist, sich fortzubewegen.
-Alles das, weil sie sich recht sehr
-enttäuscht fühlen.«</p>
-
-<p>Dann kam ein Kinderfräulein vorbei mit
-einer Schar kleiner aufgeputzter Judenkinder.
-Sie trippelten alle ganz vorsichtig in ihrem
-Staat einher und hatten traurige, müde Augen.</p>
-
-<p>Fräulein von Preller sagte: »Es thut mir
-immer weh, wenn ich Kinder sehe, die nicht
-laufen und springen dürfen. Mir scheint, solche
-Kinder haben für ihre kleinen beständigen Entsagungen
-mehr zu dulden, als irgend ein Erwachsener
-über seinen reifen Kummer, den ihm
-das Schicksal auferlegt. Immer wenn ich solchen
-kleinen unglücklichen Wesen begegne, wünsche ich
-mir nichts mehr, als an Stelle dieser leeren
-Holzpuppen zu sein, und dann würde ich selbst
-mit den Kindern um die Wette Kinderstreiche
-machen. &ndash; Natürlich wäre ich dann bald genug
-von der betreffenden gnädigen Mama entlassen,«
-setzte sie lachend hinzu.</p>
-
-<p>Esther hörte gern zu. Die alleralltäglichsten
-Sachen klangen gut und warm durch die Art,
-wie sie gesprochen wurden, und die etwas tiefliegende
-Stimme war wie von Leben durchzittert.</p>
-
-<p>Da plötzlich nach einer kleinen stummen
-Pause brach Fräulein von Preller in die Worte
-aus: »Ich wollte, alle Geheimnisse wären so
-schön wie die eines Frühlingstages. Kein Mensch
-dürfte etwas Trauriges verbergen &ndash; dann würde
-ein jeder umhergehen und den andern glücklich
-machen mit dem, was er verschweigt.«</p>
-
-<p>»Was kann ein Mensch dazu thun, wenn er
-trübe Geheimnisse tragen muß?« sagte Esther leise.</p>
-
-<p>»Sie tot machen! Sie ganz ertöten und überwinden,
-und dann &ndash; ein neues Glück darauf
-bauen!«</p>
-
-<p>»Glauben Sie nicht, daß es Verhältnisse giebt,
-die kein neues Glück zulassen &ndash; die <em class="ge">das</em> Glück
-nicht zulassen?«</p>
-
-<p>»Nein &ndash; nie!«</p>
-
-<p>»Sie meinen?«</p>
-
-<p>»&ndash; daß jedes Glück gewollt und erzwungen
-werden kann.«</p>
-
-<p>»Glauben Sie nicht, das ergäbe eine recht
-billige Moral?«</p>
-
-<p>»Ich weiß, daß sich das, was ich jetzt sagen
-will, sehr leicht mißverstehen läßt &ndash; trotzdem:
-ich glaube, daß für jeden Menschen, auch für
-den, der gewohnt ist, nie nach billigen Moralen
-zu handeln, einmal der Augenblick kommt, wo
-er sich jenseits der Moral stellt. Es ist für ihn
-der Ausnahmefall &ndash; das Zugeständnis an die
-Forderung des brutalen Lebens. <em class="ge">Wann</em> diese
-Zeit aber gekommen ist, hat jeder anständige
-Mensch allein mit sich selbst abzumachen. Er
-allein muß wissen, wie viel Kampf und
-Schmerz er einzusetzen hat, ehe er sich sein
-Glück nimmt.</p>
-
-<p>Man hat viel von einer Moral gesprochen,
-die im Namen der Schönheit und Freiheit verkleideten
-Häßlichkeiten das Wort redet. Darüber
-sind wir jetzt hinaus. Unsre ganze Zeit ist darüber
-hinaus. Wir wissen nur mehr von einer
-Ästhetik, die sich mit Ethik deckt.</p>
-
-<p>Wir haben uns von den mißverstandenen
-Idealen der Freiheit entfernt und lassen wieder
-die Gesetze der Güte und Großmut über uns
-stehen, die im Grunde stets für den besseren
-Menschen gegolten haben. Und an wen es
-nun kommt, daß er abweichen muß, von dem,
-was er für gut hält, der hat einen strengen
-Kampf mit sich selbst zu führen &ndash; und er
-wird ihn hart kämpfen &ndash; nur sich nicht zerstören
-lassen.«</p>
-
-<p>»Aber könnte es nicht einmal &ndash; die Pflicht
-eines Menschen sein, sich in diesem Sinn zerstören
-zu lassen!«</p>
-
-<p>»Nie. &ndash; Allein schon darum nicht, weil ein
-gebrochener Mensch &ndash; ganz objektiv geurteilt &ndash;
-durch seine Person ebensoviel Unheil anrichten
-muß, wie er sonst Glück geben könnte. Sein
-Bestes kann ja nur noch Resignation sein.«</p>
-
-<p>»Und das Unglück, das er anrichtet, wenn er
-sich nimmt, was ihm nicht zukommt?«</p>
-
-<p>»Das &ndash; muß er als ehrlicher Streiter thun.
-Und noch einmal: Er muß wissen, <em class="ge">wann</em> er
-es thun darf &ndash; er allein.</p>
-
-<p>Ein guter und ganzer Mensch wird immer
-von guten Instinkten geleitet &ndash; ein gebrochener
-kann nur noch Unheil anrichten &ndash; ganz unbewußt
-und ungewollt vielleicht.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie gingen nun das letzte Stück schweigend
-nebeneinander. Das helle Frühlingslicht floß
-zitternd an ihnen herab. Esther war es, als
-hörte sie ganz von ferne Glocken klingen. Feiertagsglocken
-waren das &ndash; wurde nicht das Leben
-eingeläutet?</p>
-
-<p>Das alles drängte sich ihr so heiß zu Herzen.
-Und auch das Traurige wurde milde.</p>
-
-<p>Esther dachte: »Das war es &ndash; ja, das war
-es: ich mußte Unheil anrichten &ndash; überall wohin
-ich kam. Ich hatte nichts Ganzes und Gutes
-einzusetzen, weil ich dort nicht kämpfen durfte,
-wo meine Seele begehrte.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»<em class="ge">Mit meiner ganzen Seele begehre
-ich nach dir!</em>«</p>
-
-<p>Ja, mit diesen Worten dachte sie plötzlich an
-den alten Wunsch. Lebensvoll wie nur je trat
-er hervor aus langem, langem Schweigen.</p>
-
-<p>Der Kampf war zu Ende.</p>
-
-
-
-
-<h2><span class="ge">Dritter Abschnitt</span></h2>
-
-
-
-
-<h3>XIV</h3>
-
-
-<p>So oft hatte Esther sich die Heimkehr in
-Gedanken vorgestellt, daß nun die Wirklichkeit
-für sie gar kein Leben gewinnen wollte.</p>
-
-<p>Sie ging immer nur vor sich hin und dachte,
-ob es dies eine Mal auch gewiß kein Traum
-sei, wie so oft schon vorher.</p>
-
-<p>Es war ein weicher Märztag gegen die
-Dämmerung zu, und überall lag noch ein Duft
-von Sonnenwärme. Kein bekannter Mensch
-begegnete ihr unterwegs. So kam sie bis an
-den Garten.</p>
-
-<p>Sie konnte sich Zeit lassen. Niemand ahnte
-ja, daß sie schon hier war. Leise klinkte sie das
-Pförtchen auf und ging über die regenfeuchten
-Wege. Bräunlich war noch der Rasen von vergangenem
-Schnee, nur einzelne frischgrüne Lichter
-lagen darüber.</p>
-
-<p>Aber da &ndash; hinter den großen Erlen wuchsen
-Schneeglöckchen!</p>
-
-<p>Wie oft hatte sie sich den Garten vorgestellt
-und immer gemeint, so bis auf alle Einzelheiten
-noch alles genau zu wissen. Und nun
-wuchsen da Schneeglöckchen, an die sie nie mehr
-gedacht hatte.</p>
-
-<p>Nein, es war kein Traum, diesmal!</p>
-
-<p>Ein unendlich zärtliches Gefühl &ndash; eine kindliche,
-kindliche Freude erfüllte sie. Und sie
-meinte, es hätte ihr kein lieblicheres Erlebnis
-werden können, als daß daheim die Schneeglöckchen
-blühten.</p>
-
-<p>Weich und fast heiter war sie, während ihr
-stille, warme Thränen über das Gesicht liefen.
-Alle großen, leidenschaftlichen und dunklen Empfindungen
-schwiegen vor der kleinen, kindlichen
-Freude.</p>
-
-<p>Alles war gut und milde in ihr, und sie war
-bereit, unter glückliche Menschen zu treten.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie ging langsam auf das Haus zu. Amseln
-rannten vor ihr über den Weg und versteckten
-sich zwitschernd in den kahlen Büschen. Das
-Haus lag stolz und feierlich vor ihr. Alles
-war ihrem Herzen ein weiches Entzücken.</p>
-
-<p>Da trat jemand auf die Veranda heraus.
-War das Lydia? Sie schien so viel weiblicher,
-anmutiger.</p>
-
-<p>Sie ging hin und her, dann blieb sie am
-Geländer stehen, und ihre Finger spielten in den
-dürren Weinranken.</p>
-
-<p>Esther kam langsam auf sie zu. »Lydia!«</p>
-
-<p>Das Mädchen griff sich nach dem Herzen.
-Dann schritt sie zögernd die Stufen hinunter in
-den Garten, während Esther unwillkürlich stehen
-blieb.</p>
-
-<p>»Ach du, mir war es, als müßtest du da
-sein,« sagte Lydia. »Deshalb bin ich herausgekommen.«</p>
-
-<p>Sie gaben sich die Hand, denn es waren nie
-nähere Zärtlichkeiten zwischen ihnen üblich gewesen.
-Aber Esther fühlte die ganze alte Treue
-in dieser einfachen Begrüßung.</p>
-
-<p>Dann gingen sie miteinander, sich noch immer
-bei der Hand haltend, ins Haus hinein.</p>
-
-<p>»Ich bringe sie Euch!« sagte Lydia, und
-Esther sah die beiden zusammen, die sie in Gedanken
-hatte trennen wollen.</p>
-
-<p>Sie waren schöner noch geworden &ndash; beide.
-Und es schien, als könne man sich keinen ohne
-den andern denken. Sie paßten zusammen, wie
-ein Bildwerk, das der Künstler aus einem einzigen
-Marmorblock gemeißelt.</p>
-
-<p>Fast schien es, daß eine körperliche Ähnlichkeit
-zwischen ihnen entstanden war.</p>
-
-<p>Maria nahm die Schwester in ihre zarten
-Arme und küßte sie. Esther fühlte einen warmen,
-schmeichelnden Hauch im Gesicht.</p>
-
-<p>Wie war es doch? War sie nicht gekommen,
-um dieser da das Glück zu rauben?</p>
-
-<p>Das alles lag so fern.</p>
-
-<p>Sie fühlte sich auf eine neue, feinere Art
-eins mit ihnen allen. Das tödliche Begehren
-schwieg.</p>
-
-<p>»Wie schön, daß Sie gekommen sind, Esther,«
-sagte Lothar.</p>
-
-<p>Esther fühlte etwas Fremdes an ihm &ndash; vielleicht,
-daß seine Freudigkeit leichter, harmloser als
-früher war. Er hatte ja auch im Glück gelebt.</p>
-
-<p>»Ja, wir wollen es jetzt gut miteinander
-haben &ndash; und nie wieder gehst du fort, Schwesterlein,
-ja? Versprich uns das!«</p>
-
-<p>Und Maria hob sich ein wenig auf die
-Fußspitzen, während ihre Hände auf Esthers
-Schultern ruhten. So waren sie gleich groß,
-daß sich die Gesichter gegenüberstanden. Maria
-lächelte zärtlich.</p>
-
-<p>»Wenn du wüßtest, wie glücklich ich bin,
-wieder hier zu sein,« sagte Esther.</p>
-
-<p>»Ja &ndash; nicht wahr? Ich habe nie begreifen
-können, daß du fort mochtest.«</p>
-
-<p>Nun mußte Esther erzählen. Sie wunderte
-sich selbst, wenn sie so leicht über die vielen
-Kleinigkeiten reden konnte, die teils aus einem
-allzubedeutungsvollen Leben stammten, teils aus
-jener toten Zeit, wo alles Äußerliche an ihr vorüberging,
-wie ein gelesenes Wort, das nicht zum
-Herzen dringt.</p>
-
-<p>Zuweilen begegnete sie Lydias gutem
-Lächeln.</p>
-
-<p>»Aber ich will nun zum Vater,« sagte Esther.</p>
-
-<p>Ach richtig, der Vater! Ihn hatte man ja
-ganz vergessen.</p>
-
-<p>»Mein liebes Kind &ndash; mein liebes Kind,«
-sagte der alte Franzenius immer wieder und
-schüttelte seiner Tochter die Hand.</p>
-
-<p>»Vater&nbsp;&ndash;« Esther sprach es ganz leise,
-gleichsam, wie um sich zu erinnern.</p>
-
-<p>»Wie geht es dir denn, mein liebes Kind?«
-Er besann sich sehr, um etwas zu reden. Eigentlich
-gab es ja gar nichts zwischen ihnen, was
-sie sich mitteilen mußten. Sie hatten eben nur
-immer nebeneinander hergelebt und nur das
-besprochen, was der Alltag mit sich führte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und dann saßen sie alle zusammen um den
-großen runden Tisch. Und Lydia hatte die
-Theemaschine vor sich und sah sehr hausmütterlich
-aus. Alle behandelten sie mit sehr viel
-Respekt und zugleich mit einer Art, als ob sie
-ganz schrecklich abhängig von ihr wären.</p>
-
-<p>Lydia hatte Würde bekommen.</p>
-
-<p>Es lag etwas Zufriedenes, Beglücktes über
-einem jeden von ihnen. Esther fühlte, hier war
-sie nicht entbehrt worden.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Am nächsten Tag ging sie mit Maria durch
-den Garten.</p>
-
-<p>Maria ließ die knospenschweren Zweige durch
-ihre Finger gleiten. »Bald werden wir Blüten
-haben,« sagte sie. »Und auch heiraten können
-wir dann.«</p>
-
-<p>Esther traf es so tief und schneidend. Sie
-hätte sich aufbäumen mögen, wie ein verwundetes
-Tier.</p>
-
-<p>Sie blieb vor Maria stehen.</p>
-
-<p>»Hör' mich, Maria, ich muß dir etwas
-sagen&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Maria sah ihr ruhig und unschuldig ins
-Gesicht.</p>
-
-<p>Nun mußte sie der Schwester gestehen, daß
-sie gekommen war, um ihr den Geliebten zu
-nehmen. Ja, das mußte sie jetzt, damit es ehrlich
-war, zwischen ihnen.</p>
-
-<p>»Hör' mich, Maria, ich muß dir etwas sagen,«
-wiederholte sie zögernd.</p>
-
-<p>Und dann zitterte ihr Blick fort von den
-klaren, fragenden Augen der andern &ndash; und sie
-ging wortlos weiter.</p>
-
-<p>»Was war es, das du mir sagen wolltest?«
-fragte Maria neben ihr hinschreitend.</p>
-
-<p>»Nichts &ndash; o, nichts von Bedeutung.«</p>
-
-<p>»Arme Esther, du siehst so gequält aus &ndash;
-du mußt viel gelitten haben,« sagte die schöne
-Maria. Und über ihr wiegten sich segnend die
-blütenverheißenden Zweige, und die Blümlein
-freuten sich, wenn sie das Kleid der Allerschönsten
-streifte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Lothar kam in den Garten. Und wie von
-je suchten seine Augen Marias gesegnetes Angesicht.
-Aber nicht mit dem müden, schweren
-Ausdruck von einst kam er zu ihr &ndash; die Frohheit
-und Sicherheit des Glückes hatte auch ihn
-durchdrungen.</p>
-
-<p>Esther dachte: wir sind uns so viel fremder
-geworden. Ich muß ihm ja nicht mehr wie
-damals mit Schmerzen folgen &ndash; er ist glücklich.</p>
-
-<p>Und das Gefühl der Einsamkeit, das vor
-der ersten Heimatsfreude zurückgewichen war,
-durchdrang sie wieder.</p>
-
-<p>Nie wird es sich aus einem Menschen löschen,
-wenn er einsam gewesen ist in jener bittern,
-schweren, sehnsüchtigen Einsamkeit, die zu keusch
-ist, um nach »Menschen« zu greifen.</p>
-
-<p>Die lieber ihr Leid trägt, als sich an ihrer
-Schmerzen Heiligkeit vergreift.</p>
-
-<p>Und die doch so arm und tiefgebeugt werden
-kann, daß sie sich sehnt, mit weggewandtem
-Gesicht die Hand auszustrecken, bettelnd, ohne
-den Geber zu sehen &ndash; um dann doch immer
-nur die Gabe verschmäht aus den Händen gleiten
-zu lassen.</p>
-
-<p>Denn heiliger sind alle Schmerzen der Sehnsucht,
-als jede Erfüllung aus fremder Hand.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und sie dachte: Ich möchte dich hinabziehen
-zu meinen Schmerzen, zu meinen Entbehrungen
-und Kümmernissen. Nur daß ich dich für mich
-allein hätte.</p>
-
-<p>Du bist mir fremd geworden in deinem
-Glück. Ich aber sehne mich nach Schmerz und
-Erdenschwere an deiner Seite.</p>
-
-<p>Alle Güte war von ihr gewichen. Sie sah
-auch nicht die Lieblichkeit der Schwester mehr.</p>
-
-<p>Sie sah Lothar mit einem dunklen Blick
-an. »Ich muß dich zu mir sehnen können,«
-dachte sie.</p>
-
-<p>Seine Augen aber glitten an ihr vorüber.
-Und er verstand sie nicht.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>O sie wußte wohl, er war nicht von jener
-feilen Art, die sich durch ein Wohlgefallen von
-ihrer Liebe ablocken läßt, wie jener, an dem sie
-sich geirrt hatte&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber das was sie ihm bot, mußte er doch
-fühlen als das Kostbarste, was je ein Mensch
-dem andern bewahrte &ndash; die Sehnsucht eines
-ganzen Lebens&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Diese todesstarke Sehnsucht mußte ihn zu
-ihr zwingen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-
-
-
-<h3>XV</h3>
-
-
-<p>Und der Frühling kam so mit Macht!</p>
-
-<p>Einmal noch hatte der Winter das frühe
-Grün überdeckt, aber nun tauten schon wieder
-die Wasser von den Bergen und schossen durch
-das Flußbett. Weidenruten wurden im raschen
-Vorüberbrausen ergriffen, bogen sich, wehrten
-sich, wurden von der Strömung in die Länge
-gezogen und schnellten das Wasser peitschend
-zurück. Die Wiesen aber glichen Teichen, aus
-denen das Erlengesträuch mit hilflos erhobenen
-Armen emporstarrte. Und fortwährend war ein
-Rauschen in der Luft, als stürme die Sehnsucht
-durch das Land.</p>
-
-<p>Ja, alle Einsamkeit wollte sterben, und in
-jedem Auge war Hoffnung.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Esther fühlte sich so eng verbunden mit ihrer
-Heimat, mit diesem Land, wo der Frühling so
-anders kommt als anderwärts. Wo er kommt
-wie ein plötzlicher starker Wille nach langer
-Beherrschung, wie ein Wille, der niedergekämpft
-lag in langen Zeiten &ndash; niedergehalten mit ehrlicher
-Kraft. Und nun steht er auf &ndash; wild und
-riesenstark geworden, während er gebändigt darniederlag.</p>
-
-<p>Esther fühlte sich so eng verbunden mit ihrer
-Heimat, mit diesem Land.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und das Wasser trat zurück und leuchtete in
-der stolzen schimmernden Ruhe der Blütenzeit.</p>
-
-<p>Wie mit weißem Schaum bedeckt standen
-die Bäume. Und war es nicht, als hörte man
-die Erde knistern unter dem Hervorbrechen der
-Blumen?</p>
-
-<p>Alle Farben waren blank und glatt vor Unberührtheit.
-Ein feiner, schwebender Duft ging
-wie Liebesahnung durch die Natur, wurde voller
-und stärker und strömte zuletzt wie ein einziger
-tiefer Klang über alles Land.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Hätte jetzt jemand Esther gefragt: »Ist es
-so? Ist es das: Du gehst umher und suchst
-den mit Gewalt an dich zu reißen, den du
-liebst &ndash; du bist schön geworden, weil du siegen
-willst, ist es das, Esther?« &ndash; Hätte jemand so
-gesprochen, so würde sie antworten müssen: »Ja,
-so ist es.« Und sie hätte auch noch gesagt: »Sieht
-mir das nicht ein jeder an? Ich bin schön geworden,
-weil ich seiner begehre!«</p>
-
-<p>Wie eine köstliche Gewißheit trug sie es in
-sich, daß er zu ihr kommen würde, kommen
-mußte eines Tages. Ihr schien, sie hätte nicht
-mehr gejubelt und nicht mehr geweint, wäre es
-so gekommen &ndash; sie hätte es souverän entgegengenommen,
-als das was ihr gebührte.</p>
-
-<p>Da war kein Zweifel mehr und auch kein
-Zurückschrecken vor dem Leid, das sie der
-Schwester damit thun wollte&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Es gab nur noch das eine Recht, das sie
-sich kraft einer todesstarken Sehnsucht errungen
-hatte.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie ging im Garten und hörte auf seinen
-Schritt. Sie wußte immer im voraus, wenn
-er kommen würde. Sie brauchte sich nicht
-einmal nach ihm umzusehen &ndash; sie kannte ein
-jedes Geräusch, das mit seinem Kommen zusammenhing.</p>
-
-<p>An den Fliederbäumen blieb sie stehen, die
-ihre kleinen Blüten noch wie Fäustchen ballten.</p>
-
-<p>»Bis der Flieder blüht, sollst du mir gehören,«
-dachte sie.</p>
-
-<p>Und wenn er vor ihr stand, sagten ihre
-Augen: »Komm zu mir! Komm zu mir!«</p>
-
-<p>Und sie ging hinaus in die Berge. Und
-dort, wo alle verschwiegenen Plätze ihre alten
-Geheimnisse kannten, warf sie sich an den Erdboden &ndash;
-mitten hinein in die honigduftenden,
-sonnengelben Schlüsselblumen und dehnte ihre
-festen jungen Glieder und that die Augen weit
-auf vor dem Licht.</p>
-
-<p>Und dann fühlte sie die Liebe wie ein leises
-Beben am Herzen und horchte &ndash; horchte hinein
-in den Frühlingstag.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Einmal aber, wie sie draußen vor dem
-Gartenzaun vorbeiging, hörte sie dort drinnen
-Lothar zu Maria sprechen. Und er sagte:
-»Esther ist so schön geworden &ndash; anders noch
-als früher. Man möchte immer von ihr
-denken, daß sie ein beglückendes Geheimnis in
-sich trägt.«</p>
-
-<p>Und Maria lachte. Leicht und sorglos lachte
-Maria. Maria, die Schönste, Maria, die Geliebteste
-hatte keine Antwort als ein kleines
-Lachen.</p>
-
-
-
-
-<h3>XVI</h3>
-
-
-<p>Und es kamen die stillen, schweren Tage des
-Frühsommers.</p>
-
-<p>Alles Blühen wurde farbenreicher und üppig,
-und die Luft stand zitternd und hell über der
-Erde.</p>
-
-<p>Es war gegen Abend.</p>
-
-<p>Esther saß mit der Schwester und Lothar im
-Garten.</p>
-
-<p>Die Vögel stießen schrille, scharfe Locktöne
-aus, die in der unbewegten Luft wie erstickt
-abbrachen.</p>
-
-<p>»Es ist noch immer so heiß,« sagte Maria.
-»Die Büsche sind so dicht geworden und halten
-die Tageshitze gefangen. Wollen wir nicht einmal
-nach dem Berggarten sehen?«</p>
-
-<p>Und sie gingen den grünen Heckenweg hinter
-der Stadt hinaus und erstiegen einen Berg, an
-dessen Hang sich Weingärten hinzogen.</p>
-
-<p>Es war schon ein wenig dämmerig im Thal,
-droben aber lag noch das weißliche, schon abgetönte
-Licht des Sommerabends.</p>
-
-<p>Ganz hinauf stiegen sie, bis zu einem kleinen
-Steinbruch, der von Schlehengestrüpp durchwachsen
-war.</p>
-
-<p>Da hatten sie unter sich den weiten, blühenden
-Hang, der einmal ein wohlgepflegter Weinberg
-gewesen. Jetzt aber wucherten die tiefen
-Farben der Akelei zwischen den Reben, und
-weiße, scharfduftende Rosen waren im Erblühen.</p>
-
-<p>Weit, weit unten lag die Stadt, aus deren
-Dämmern sich kleine, unsichere Lichtfunken hoben,
-und aus den fernen bläulichen Kornfeldern, die
-sich mit dem Sinken des Abends entfärbten, roch
-es frisch herüber.</p>
-
-<p>Das Schönste aber waren die weißen Irisblüten.</p>
-
-<p>Hell und gleißend erhoben sie sich dicht vor
-ihnen gegen den Abendhimmel.</p>
-
-<p>Der Mond kam leicht und durchsichtig hinter
-den jenseitigen Bergen hervor und strich zögernd
-über den Himmel.</p>
-
-<p>Die Irisblüten waren wie weiße, flackernde
-Flammen. Esther beugte sich tief hinab zwischen
-die glatten, glänzenden Stiele, die sich knirschend
-aneinander rieben und atmete den kühlen, unsagbar
-feinen Duft. Von der Nachtluft leicht bewegt,
-flatterten die Blütenblätter mit einem
-sirrenden Ton, der wie Seidenrauschen klang.</p>
-
-<p>Maria erhob sich von dem steinernen Sitz
-und trat unter die Schwertlilien. Sie bog die
-Stengel auseinander und legte sich mitten
-unter sie.</p>
-
-<p>Esther sah hinüber zu Lothar. Der blickte
-weit hinaus in das nächtige Land.</p>
-
-<p>Aber der Nachtwind strich vorbei wie eine
-Sehnsucht nach kühlen, rätselhaften Geheimnissen.</p>
-
-<p>»Ich liebe dich,« dachte Esther. »Ich liebe
-dich&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Dringt es denn nicht zu dir? Kann meine
-Liebe noch für dich schweigen in dieser Nacht?«</p>
-
-<p>Doch er schwieg und sah weit hinaus in das
-nächtige Land.</p>
-
-<p>Da war ihr, als müsse sie sich jetzt erheben
-und zu ihm gehen und seine Hand fühlen. Als
-müsse sie sagen: »Komm nun zu mir, denn du
-bist bei mir zu Hause &ndash; bei mir allein.«</p>
-
-<p>Aber sie regte sich nicht, folgte nur seinem
-fernen Blick.</p>
-
-<p>Und es wurde ganz ruhig in ihr, ruhig
-wie zu einem angestrengten Horchen. Und ihr
-war, als sehe sie dort draußen im unbestimmten
-Licht zwei Seelen zusammenfließen &ndash; dort
-draußen &ndash; weit &ndash; zwischen Himmel und Erde.</p>
-
-<p>Und ein tiefes, geheimnistrunkenes Glück
-verschleierte alle Wirklichkeit. Sie gab sich ganz
-dem Entzücken des Traumes hin.</p>
-
-<p>Sie dachte: »Was geht mich die Erfüllung
-an und die Ewigkeit der Seligen? Liegt nicht
-alle Ewigkeit in diesem Augenblick?«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Maria richtete sich halb zwischen den Irisblüten
-auf. »Was denkst du jetzt?« fragte sie
-Lothar.</p>
-
-<p>Der wandte sich wie zögernd ihr zu.</p>
-
-<p>»Ich dachte, wie leicht es sei, auf die Ewigkeit
-zu verzichten, da man sie doch fühlen kann
-in einem Augenblick.«</p>
-
-<p>Da wußte Esther, es gab keine Täuschung
-mehr: Fern von der Welt der Wirklichkeit und
-des Bewußtseins hatten sich ihre Seelen berührt.</p>
-
-<p>Und sie weinte ganz still &ndash; sie weinte die
-wunderbaren Thränen um eine erste bräutliche
-Berührung.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Maria war es, die zuerst sagte: »Es wird
-spät, wir müssen heim.«</p>
-
-<p>Und wie sie wieder den Weg hinabgingen,
-schmerzte es Esther gar nicht mehr, daß Lothar
-und Maria sich an der Hand hielten wie Menschen,
-die allein für einander bestimmt sind.</p>
-
-
-
-
-<h3>XVII</h3>
-
-
-<p>Die Schwermut des Verblühens lag über
-dem Land.</p>
-
-<p>Im Garten beugten sich die Lilien, die Reseda
-wucherte in den Rosenbeeten, und das Grün der
-Blätter vertiefte sich.</p>
-
-<p>Ein schwerer Duft rang sich aus der Erde
-los, und die Schatten waren sehr dunkel.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In dieser Zeit traf es sich einmal, daß Esther
-mit Lothar allein war.</p>
-
-<p>Sie gingen nebeneinander den Kiesweg auf
-und ab, der ganz unten im Garten an der
-Ligusterhecke entlang führte.</p>
-
-<p>Und Esther fühlte die Zeit verrinnen, als
-sei sie kostbar wie das Wasser, das der Durstende
-in der hohlen Hand geschöpft, und das
-nun Tropfen um Tropfen zwischen den Fingern
-hindurchgleitet.</p>
-
-<p>Endlich sagte Lothar: »Sie muß bald
-kommen.« Er dachte an Maria.</p>
-
-<p>»Ja, sehr bald,« antwortete Esther. Sie
-dachte: Tropfen für Tropfen verrinnt &ndash; Tropfen
-für Tropfen. Aber was will ich denn noch? Ist
-nicht jeder Wunsch zur Ruhe gegangen in jenem
-geheimnisvollen Glück?</p>
-
-<p>Und sie fühlte, wie ihr die schwermütige
-Lieblichkeit des Spätsommertages zu Herzen ging &ndash;
-sie gleichsam heimatlich berührte.</p>
-
-<p>Lothar sagte: »Ich liebe diese Zeit in der
-Natur mehr als irgend eine andere. Sie ist
-mir näher, vertrauter als manche, die ich schöner
-finde.«</p>
-
-<p>Esther lächelte nur, wie er ihre Gedanken
-aussprach. Sie sagte: »Es giebt so viele Dinge,
-mit denen es so ist. Wir gehen vielleicht von
-ihnen fort, um etwas anderes über die Maßen
-schön zu finden &ndash; aber dann treibt es uns
-eines Tages doch wieder zurück zu dem, was
-uns heimatlich ist.«</p>
-
-<p>Lothar fiel ihr ins Wort. »Und dann das &ndash;
-es ist das Sonderbarste: Wir wissen uns verwandt
-mit irgend einer fernen Zeit &ndash; einer
-Zeit, die lange vor uns lag. Und alles, was
-uns im Leben von dorther berührt, macht uns
-Heimweh.«</p>
-
-<p>»Ja,« sagte Esther, »ich habe auch zuweilen
-gedacht, daß es jene Zeit ist, der wir angehören
-sollten. Nun glaube ich aber mehr noch, es ist
-die Verlassenheit, die auf allem Zurückgebliebenen
-aus fernen Zeiten liegt, es ist die Vergangenheit
-an sich, die so bethören kann.</p>
-
-<p>Dort suchen wir uns dann eine Heimat,
-wohin wir alle erträumte Schönheit tragen
-können &ndash; eine Heimat, die sie mit uns vor den
-Menschen verschweigt.«</p>
-
-<p>Esther sprach nicht weiter und fühlte nun
-seinen Blick. Sie hörte auch seinen Atem wie in
-Erregung tiefer gehen, sah aber nicht auf zu ihm.</p>
-
-<p>»Esther &ndash; Sie sagen das &ndash; was in mir
-ist&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Seine Worte waren zögernd, wie eine Frage
-gesprochen.</p>
-
-<p>Esther dachte: »Warum soll er es nicht
-wissen, daß wir einander ähnlich sind wie nie
-zwei Menschen zuvor?&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Und sie erwiderte ihm nichts.</p>
-
-<p>Da sagte er, und seine Stimme klang seltsam
-bewegt: »Ja, Esther, wir sind uns sehr
-gleich. Und es thut gut, einen Kameraden im
-Leben zu wissen, zu dem die Dinge kommen wie
-zu uns selbst.</p>
-
-<p>Maria ist anders.</p>
-
-<p>Marias Heimat liegt in dieser Zeit und
-doch in einer höhern Welt. Zu ihr kommen
-die Geschehnisse schon geläutert und vergeistigt &ndash;
-gleichsam wie mit Engelsflügeln.</p>
-
-<p>Aber alles Frohe und Leichte bedarf der
-Schonung. Es giebt so viele Freudenzerstörer.
-Sie braucht jemand, der sie schützt vor allem
-Schmerz &ndash; einen von uns Schweren, die in
-der Erde wurzeln und die Heimat in irdischen
-Vergangenheiten suchen. Einen von uns, die
-wir noch die Sehnsucht als Schmerz und Vereinsamung
-empfinden &ndash; und eben deshalb lieben
-müssen, was strahlend und leicht und erdenfern
-ist.</p>
-
-<p>Einen von uns, dem sie Erlösung und Erhöhung
-ist.</p>
-
-<p>Niemand kann wie Sie meine Liebe zu
-Maria verstehen, Esther&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ja, das kann ich,« sagte Esther so langsam
-und leise, daß ihre Stimme klang wie ein verwehter
-Ton.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Marias weißes Kleid schimmerte schon durch
-die Büsche&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Und dann kam sie selbst &ndash; schön und gütig
-wie das Licht.</p>
-
-
-
-
-<h3>XVIII</h3>
-
-
-<p>Da kam ein Brief aus Dänemark von Eliza.</p>
-
-<p>Sie schrieb zuweilen diese kleinen Briefe, die
-klangen wie zärtliches Vogelgezwitscher. Und
-Esther waren sie immer eine schmerzliche Freude.</p>
-
-<p>Als Esther den Umschlag öffnete, fiel aus
-dem zusammengefalteten Briefbogen eine Karte
-Adam Rudes. Die las sie zuerst, denn sie fürchtete
-schlimme Nachrichten.</p>
-
-<p>Er schrieb:</p>
-
-
-<div class="mw36">
-<p class="ce mt2">»Mein liebes Kind!</p>
-
-<p class="ci nopb">Wenn es Dir möglich ist, thue es Eliza,
-worum sie Dich bittet. Sie ist recht krank und
-meint immer, daß sie durch Dich gesund werden
-kann.</p>
-
-<p class="ci">Denke nicht an die Worte eines alten
-Mannes, die Dir vielleicht Deinen Entschluß
-erschweren könnten.</p>
-
-<p class="ci">Ich verspreche Dir, das Vergangene soll
-Dir nichts anhaben, und ich selbst will Dich
-rein halten von meinem Schicksal, wie es geschah &ndash;
-bis auf das eine Mal.</p>
-
-<p class="si lh1 mb2 nopb"><span class="mr6">Dein</span><br />
-Adam Rude.&nbsp;&ndash;«</p>
-</div>
-
-
-<p>Zitternd faltete Esther Elizas Brief auseinander.</p>
-
-<p>Da stand:</p>
-
-
-<div class="mw36">
-<p class="ce mt2">»Meine süße Esther!</p>
-
-<p class="ci nopb">Wenn Du es doch thun wolltest und zu mir
-kämst. Ich sehne mich so sehr nach Dir.</p>
-
-<p class="ci">Ich bin krank und sehne mich, daß Du gut
-zu mir bist. Komm doch!</p>
-
-<p class="ce lh1 mb2 nopb">Deine<br />
-&emsp;&emsp;&emsp;&emsp;Eliza,<br />
-die sich so schrecklich freuen würde,<br />
-wenn Du kämst!«</p>
-</div>
-
-
-<p>»Was hast du denn, Esther?« fragte Maria,
-die der Schwester allein gegenübersaß.</p>
-
-<p>»Fort &ndash; ich muß gleich fort!« sagte Esther
-wie geistesabwesend.</p>
-
-<p>Sie fragte niemand, sie zog niemand zu Rate &ndash;
-es war, als sei ihr ganzes Wesen schon
-dorthin enteilt, wo ihre sorgenden Gedanken
-waren.</p>
-
-<p>Maria klagte: »Aber dann wirst du ja nicht
-hier sein zur Hochzeit!«</p>
-
-<p>»Nein, das werde ich dann nicht,« sagte
-Esther mit einem seltsamen Lächeln und strich
-sich das Haar aus den Schläfen.</p>
-
-<p>»Ach &ndash; aber &ndash; gelt, du bist doch nicht
-böse, wenn wir nicht warten bis du wiederkommst,
-Schwesterchen?</p>
-
-<p>Du weißt doch, wir haben schon so
-lange warten müssen, bis Lothar die Anstellung
-bekam.</p>
-
-<p>Lydia kann ja&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Ja, ich weiß, Lydia kann mich hier ersetzen,«
-sagte Esther und ging hinaus, ihren
-Koffer zu packen.</p>
-
-<p>Dann telegraphierte sie nach Eriksgaard:
-»Ich reise morgen früh ab.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Am Abend saß sie mit Lydia und dem
-Brautpaar noch zusammen.</p>
-
-<p>Lydias liebevolle Besorgnis nahm sie heute
-ungerecht auf. Es erinnerte sie so sehr daran,
-daß Lydia sie so ganz, so lückenlos ersetzen
-würde. Keiner würde sie, nicht einmal äußerlich,
-entbehren.</p>
-
-<p>Man sprach sehr wenig. Es lag auf allen
-wie eine scheue Ahnung, daß eines unter ihnen
-war, das Schmerzliches in sich trug.</p>
-
-<p>Lothar erbot sich schließlich, vorzulesen.</p>
-
-<p>Und er nahm eins der Bücher, die er
-immer für Maria mitbrachte. Esther sah,
-daß es von selbst aufblätterte, nach Art der
-Bücher, die eine oft gelesene Lieblingsstelle enthalten.</p>
-
-<p>Und er las ein Gedicht von Clemens Brentano:</p>
-
-<table class="fss" summary="" border="0" cellpadding="1">
- <tr><td class="tdl">Einsam will ich untergehn,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Keiner soll mein Leiden wissen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wird der Stern, den ich gesehn,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Je vom Himmel mir gerissen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Will ich einsam untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Pilger in der Wüste!</td></tr>
- <tr><td class="tdl fsxs">&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Einsam will ich untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Pilger in der Wüste!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wenn der Stern, den ich gesehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Mich zum letzten Male grüßte,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Will ich einsam untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Bettler auf der Heide!</td></tr>
- <tr><td class="tdl fsxs">&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Einsam will ich untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Bettler auf der Heide!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Giebt der Stern, den ich gesehn,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Mir nicht weiter das Geleite,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Will ich einsam untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie der Tag im Abendgrauen.</td></tr>
- <tr><td class="tdl fsxs">&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Einsam will ich untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie der Tag im Abendgrauen!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Will der Stern, den ich gesehn,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Nicht mehr auf mich niederschauen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Will ich einsam untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Sklave an der Kette!</td></tr>
- <tr><td class="tdl fsxs">&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Einsam will ich untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Sklave an der Kette!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Scheint der Stern, den ich gesehn,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Nicht mehr auf mein Dornenbette,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Will ich einsam untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Schwanenlied im Tode!</td></tr>
- <tr><td class="tdl fsxs">&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Einsam will ich untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Schwanenlied im Tode!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wird der Stern, den ich gesehn,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Mir nicht mehr ein Friedensbote,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Will ich einsam untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Schiff in wüsten Meeren!</td></tr>
- <tr><td class="tdl fsxs">&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Einsam will ich untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ein Schiff in wüsten Meeren!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wird den Stern, den ich gesehn,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Jemals meine Schuld verscherzen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Will ich einsam untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie der Trost in stummen Schmerzen!</td></tr>
- <tr><td class="tdl fsxs">&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Einsam will ich untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie der Trost in stummen Schmerzen!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Soll den Stern, den ich gesehn,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Jemals meine Schuld verscherzen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Will ich einsam untergehn</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie mein Herz in deinem Herzen!</td></tr>
-</table>
-
-<p>Er schwieg und sah mit einem verlorenen,
-träumerischen Ernst auf Maria.</p>
-
-<p>Jenes leichte, lässige Gefühl der Glückssicherheit,
-das ihn in dieser Zeit meist an der
-Oberfläche gehalten hatte, war plötzlich von ihm
-gewichen.</p>
-
-<p>Esther fühlte, ihm war nicht die Kraft verloren
-gegangen und nicht der Ernst, schwer am
-Leben zu tragen.</p>
-
-<p>Und sie wußte, daß diese Worte, die er eben
-gelesen hatte, das Tiefste in ihm berührten &ndash;
-daß es das Glaubensbekenntnis seiner Liebe
-war zu Maria, der Einzigen.</p>
-
-<p>Wie eine Nachtwandlerin that sie noch, was
-geschehen mußte.</p>
-
-<p>Sie verabschiedete sich von Lothar, ohne den
-Ausdruck einer starren Ruhe, der den ganzen
-Abend über ihrem Gesicht lag, zu verändern.</p>
-
-<p>Und während sie ihm die Hand gab, sah
-sie ganz tief in seinen Augen etwas wie ein
-leises Verstehen aufglimmen &ndash; ein fernes, unterdrücktes
-Verstehen, das nicht erst jetzt entstanden
-sein konnte.</p>
-
-<p>Und sie fühlte wie ihr eigner Blick so ganz
-fest und ruhig wurde &ndash; wie um ein jedes Einverständnis
-abzuweisen.</p>
-
-<p>Wenn er später an diesen Augenblick zurückdenken
-würde, so sollte es ohne die niederziehende
-Last einer Gemeinsamkeit zwischen ihnen sein.
-Sie konnte ihn so ganz verstehen: Seine Liebe
-mochte keine fremde Berührung auf sich dulden.</p>
-
-<p>Ja, sie gab ihm mit diesem ruhigen, kühlen
-Blick die Fremdheit wieder, die zwischen ihnen
-bestehen sollte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Dann ging sie hinauf in ihr Zimmer.</p>
-
-
-
-
-<h3>XIX</h3>
-
-
-<p>Sollte es schlimmer mit Eliza gehen? Da
-war niemand zur Bahn gekommen, um Esther
-abzuholen, wie es sonst gewiß geschehen wäre.</p>
-
-<p>Esther fühlte, wie sich ihre Kehle in einer
-plötzlichen Angst zusammenpreßte.</p>
-
-<p>Und dann lief sie, ohne um sich zu sehen,
-den wohlbekannten Weg über die Heide. Zuweilen
-tauchte ganz in der Ferne eine menschliche
-Gestalt auf. Vielleicht war es nur eine
-Verspätung, und sie würde unterwegs noch
-einem Bewohner von Eriksgaard begegnen. &ndash;
-Aber jedesmal war es ein Fremder, ein Bauer,
-der mit hervorgestoßenem »go' dau!« vorüberstolperte,
-oder ein neugieriger Sommerfrischler,
-der den Hut zog und sich dann heimlich umblickte.</p>
-
-<p>Esther lief immer schneller gegen den Wind
-an, der einen süß-scharfen Geruch vom blühenden
-Heidekraut aufwühlte.</p>
-
-<p>Endlich kam Eriksgaard.</p>
-
-<p>Der Hof lag wie ausgestorben, und die Thür
-mit dem Herzeinschnitt war nur angelehnt.</p>
-
-<p>Esther ging durch den Hausflur in das
-Gartenzimmer. Dort lag nur das Sonnenlicht
-über dem einsamen Raum.</p>
-
-<p>Sie ging hinaus in den Garten.</p>
-
-<p>Dort wiegte sich wie einst Camille de Rohan
-in üppigem Blühen vor der Sonne.</p>
-
-<p>Die Erinnerung preßte ihr das Herz zusammen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber da &ndash; drüben aus der Lindenlaube
-kam jemand auf sie zu&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>War das Arne?</p>
-
-<p>So totenblaß im vollen Sonnenschein &ndash; und
-neben ihm &ndash; das war wohl seine junge Frau&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Nicht Thora, sondern die Letzte,« dachte
-Esther ganz mechanisch.</p>
-
-<p>Sie war ganz hellblond und lieblich, und wie
-es schien in gesegneten Umständen.</p>
-
-<p>Das alles nahm Esther mit einem Blick in
-sich auf, dann schritt sie auf Arne zu&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Um Gottes willen, Arne, was ist?«</p>
-
-<p>»Hast du denn mein Telegramm nicht bekommen?«
-fragte der mit verhaltenem Entsetzen.</p>
-
-<p>»Nein. &ndash; Sprich doch, sprich!«</p>
-
-<p>Er machte nur eine stumme Bewegung der
-Abwehr.</p>
-
-<p>»Ist &ndash; Eliza &ndash; was ist &ndash; tot&nbsp;&ndash;?« stammelte
-Esther verwirrt.</p>
-
-<p>Er machte eine bejahende Bewegung, doch
-ohne, daß sich der starre Ausdruck des Entsetzens
-in seinen Zügen löste.</p>
-
-<p>»Wo ist sie?« fragte Esther tonlos. »Wo ist
-der Vater?« fügte sie dringender hinzu.</p>
-
-<p>Da &ndash; wieder diese entsetzenschwere Pause&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Er ist verschwunden,« sagte da eine dünne,
-hohe Stimme hinter Arne. Es war seine junge
-Frau.</p>
-
-<p>»Er war zuweilen so verstört in den letzten
-Jahren &ndash; wir fürchten das Schlimmste,« sagte
-Arne. »Die Leute sind immer aus, ihn zu
-suchen.«</p>
-
-<p>»Ja, hat er denn zu keinem was gesagt?«</p>
-
-<p>»Nein.«</p>
-
-<p>»Dann laß mich jetzt zu Eliza.«</p>
-
-<p>»Sie liegt noch in ihrem Zimmer.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Esther trat an das Bett der Toten.</p>
-
-<p>Da lag sie in ihrer unsagbaren Lieblichkeit,
-jungfräulicher geworden, und der Ernst des
-Todes hatte ihr jenen Ausdruck gegeben, mit
-dem sie einmal zu Esther gesagt hatte: »Ich
-verstehe alles Traurige im Leben.«</p>
-
-<p>»Wie &ndash; wie ist es denn nur gekommen?«
-fragte Esther.</p>
-
-<p>»Sie war nicht krank, schien es uns. Sie
-wurde schwächer &ndash; und starb.«</p>
-
-<p>Esther war thränenlos in ihrem Schmerz.
-Sie rang nur immer die festgefalteten Hände ineinander,
-so daß die Fingerknöchel weiß heraustraten.</p>
-
-<p>Eine stumme Verzweiflung, die nicht zu begreifen
-vermag, was sie vor sich sieht, beherrschte
-sie.</p>
-
-<p>Und dann fiel ihr wieder das andere ein.
-Und aufschreckend fragte sie sinnlose Dinge, wie:
-»Hat man ihn noch immer nicht gefunden?«
-Als ob zwischen diesem Augenblick und jener
-Mitteilung lange Stunden gelegen hätten.</p>
-
-<p>Da sagte Arne plötzlich: »Sie wollte immer
-mit dem Vater allein sein und von dir sprechen,
-Esther.«</p>
-
-<p>Und nach einem langen, langen Schweigen
-ganz leise: »Morgen müssen wir sie begraben.«</p>
-
-<hr />
-
-<p>Eliza wurde begraben, ohne daß man von
-ihrem Vater eine Spur auffand.</p>
-
-<p>Der kleine Kirchhof dehnte seine letzte Gräberreihe
-um einen Hügel näher nach dem Nußbaum
-aus.</p>
-
-<p>Im Hause begann wieder jene unheimliche,
-tote Geschäftigkeit des Wartens, die mit der
-Trauer um die Verschiedene gemischt, die Gestalt
-eines Wartens auf den Tod annahm.</p>
-
-<p>Und immer noch war keine Spur zu entdecken.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Einmal war Arne mit Esther allein im
-Zimmer.</p>
-
-<p>Er hatte jetzt etwas so Schlaffes, Haltloses
-bekommen.</p>
-
-<p>Plötzlich beugte er sich nieder und zog Esthers
-Hand an seine Stirn.</p>
-
-<p>»O Gott, Esther, ich habe dich so sehr geliebt,«
-klagte er.</p>
-
-<p>Esther fuhr entsetzt zurück.</p>
-
-<p>»Das &ndash; jetzt&nbsp;&ndash;?« fragte sie von Grauen
-und Ekel überwältigt.</p>
-
-<p>»Nun &ndash; was willst du &ndash; ich bin so unglücklich&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Warum kannst du nicht gut zu mir sein,
-wenn ich so unglücklich bin.«</p>
-
-<p>Von Widerwillen geschüttelt, sah sie auf ihn
-nieder, stand auf und trat von ihm weg ans
-Fenster. Sie machte sich nicht einmal die Mühe,
-das Zimmer zu verlassen. Er sank stöhnend in
-sich zusammen.</p>
-
-<p>Erst als sie eine ganze Weile darüber gedacht
-hatte, empfand sie, wie ihr dieser peinliche
-Zwischenfall nun das Hierbleiben unmöglich
-machte. Sie hatte Arne noch zu sehr als Nebenperson
-gefühlt.</p>
-
-<p>Sie würde nun das Haus verlassen müssen &ndash;
-und diese entsetzliche Ungewißheit mit sich
-nehmen.</p>
-
-<p>»Ja, es bleibt nichts andres, als daß ich
-gehe,« dachte sie. »Aber wohin?«</p>
-
-<p>Und sie horchte hinaus auf jeden Schritt, der
-durch das Haus schallte.</p>
-
-<p>Würde er kommen?</p>
-
-<p>Würde er einmal wieder da sein, wo alles
-von ihm sprach&nbsp;&ndash;: der Garten, den er mit
-schweigsamer Fürsorge gepflegt hatte &ndash; das
-Haus, das die Geheimnisse seines schwermütigen
-Lebens barg?</p>
-
-<p>Würde er wiederkommen und durfte sie noch
-ein Wort des Trostes für ihn haben?&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die junge Frau ging mit langsamen, schlürfenden
-Schritten über den Flur und kam herein.</p>
-
-<p>Sie trat auf Arne zu, der immer noch in
-sich zusammengesunken saß.</p>
-
-<p>»Arne, du darfst dich nicht zu sehr dem
-Kummer hingeben,« sagte sie und strich ihm
-über die Stirn.</p>
-
-<p>Er nahm mit einer ritterlichen Bewegung
-ihre Hand, küßte sie und sagte: »Du hast recht,
-Liebste.«</p>
-
-<p>Seine Augen irrten dabei zu Esther. Die
-errötete tief, als trüge sie eine Schuld. Sie
-verließ das Zimmer.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Gegen Abend kam der Postbote vorbei und
-brachte einen Brief für Esther.</p>
-
-<p>Sie fühlte ihr Herz zusammenzucken und stille
-stehen, wie sie die Aufschrift sah. Es war die
-Schrift Adam Rudes.</p>
-
-<p>Sie riß den Umschlag auf und las:</p>
-
-<p>»Du brauchst nicht mehr zu kommen. Eliza
-ist tot, und der dies schreibt, lebt nicht mehr,
-wenn Du seinen Brief erhältst.</p>
-
-<p>Ich weiß es: Gott nimmt mir mit dem
-Kind die letzte Pflicht, mit dieser unseligen
-Liebe weiterzuleben. Das Meer soll mich aufnehmen.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ganz so &ndash; ohne Anrede und Unterschrift
-stand es da. Wie ein zorniger Ruf &ndash; wie eine
-Anklage?</p>
-
-<p>Esther drehte den Bogen hin und her, als
-müßte sich noch etwas ganz anderes &ndash; irgend
-eine Aufklärung finden.</p>
-
-<p>Erst dann begriff sie ganz: Sie hielt ja die
-letzten Worte eines Toten in der Hand.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie betrachtete den Poststempel: Der Brief
-war erst nach Deutschland geschickt und dann
-an seinen Ausgangsort zurückgekehrt.</p>
-
-<p>Esther ließ ihn fallen.</p>
-
-<p>Sie dachte gar nicht daran, es den andern
-mitzuteilen.</p>
-
-<p>Sie wußte nur noch eins: Sie gehörte zu dem,
-der ihr diese Worte aus dem Tode nachsandte.</p>
-
-<p>Sie nahm die Schuld auf sich.</p>
-
-<p>Sie gehörte zu ihm.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Es waren die hellen, kurzen Sommernächte,
-die sich über das Land legen und wie mit brennenden
-Küssen den Duft, den versehrend starken
-Duft aus der Erde saugen.</p>
-
-<p>Es waren jene Nächte, die sind wie ein
-Seufzer der blühenden Erde, die ihren heißen,
-sehnsüchtigen Atem an die Brust des Himmels
-haucht.</p>
-
-<p>Es waren jene Nächte, da Tod und Liebe
-einander in die Augen lächeln.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Als Esther über die Heide ging, war es noch
-hell um sie her, trotz der späten Abendstunde.</p>
-
-<p>Niemand wußte, daß sie das Haus verlassen.</p>
-
-<p>In Eriksgaard gingen sie nur ratlos wie
-die Verdammten umher und kannten noch nicht
-den Inhalt des Briefes&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ja, den Inhalt des Briefes hätte sie ihnen
-wohl erst noch mitzuteilen gehabt&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Gleichviel &ndash; jetzt gab es kein Umkehren
-mehr.</p>
-
-<p>Sie würden den Zettel schon selbst finden &ndash;
-kein Umkehren gab es mehr.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In der Heide wühlte raschelnd der Nachtwind.
-Er roch nach dem weiten salzigen Wasser
-und dem blühenden Kraut&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wie Perlen waren die rötlichen Blüten ringsum
-verstreut.</p>
-
-<p>Am Himmel stieg langsam und pomphaft
-das heiße Farbenspiel der Dämmerung auf.
-Dann verblaßte es zögernd in die weiche, helle
-Tönung der Nacht.</p>
-
-<p>Und Esther ging durch diese duftende, duftende
-Sommernacht, &ndash; ja, wie Garben mähte der Wind
-den Duft&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sie ging, das Gesicht zum Himmel erhoben.</p>
-
-<p>Sie ging und ging über die dämmerbleichen
-Hügel &ndash; dort auf den verschwimmenden Streifen
-des Wassers zu.</p>
-
-<p>Sie wußte: Der vor ihr war denselben Weg
-gegangen.</p>
-
-<p>Und sie sah vor sich das Ufer mit dem abgebrochenen
-Steg, der ziellos hinausführte &ndash;
-hinaus in die Unendlichkeit.</p>
-
-<p>Ohne Anhalten ging Esther&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ging und ging vorwärts&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Unter ihren Tritten bogen sich die Bretter &ndash;
-gaben nach&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Weich &ndash; weich umfing sie das Wasser&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Zärtliche, starke, hochzeitliche Arme umfingen
-sie&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Dicht an ihrem Ohre klang es: »Kommst
-du doch noch zu mir &ndash; Geliebte«&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p class="ce mt2 nopb"><img src="images/p194i.png" alt="" /></p>
-
-
-
-
-<h2><span class="fss">Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst München</span></h2>
-
-
-<p class="ce fsl"><b>Deutsche Autoren</b></p>
-
-<table class="fss" summary="" border="0" cellpadding="0">
- <tr>
- <td>&nbsp;</td>
- <td colspan="2" class="tdc lh2">Geheftet</td>
- </tr>
-
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Franz Adamus</b>&emsp;Familie Wawroch&emsp;Drama</td>
- <td class="tdc">Mark</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Hermann Bahr</b>&emsp;Der Apostel&emsp;Schauspiel</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Der Krampus&emsp;Komödie</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;<b>Leo Berg</b>&emsp;Der Übermensch in der modernen Litteratur&emsp;Essay</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>F. A. Beyerlein</b>&emsp;Das graue Leben&emsp;Roman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Karl Bleibtreu</b>&emsp;Die Edelsten der Nation&emsp;Komödie</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Hans Blum</b>&emsp;Persönliche Erinnerungen an den Fürsten Bismarck</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">6.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Emanuel von Bodman</b>&emsp;Jakob Schläpfle&emsp;Novellen</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ensp;Erde&emsp;Ein Gedichtbuch</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Der Burenkrieg</b>&emsp;Album</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;<b>Paul Cahrs</b>&emsp;Josef Geiger&emsp;Roman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Etzel und Ewers</b>&emsp;Ein Fabelbuch</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;<b>Marcel Herwegh</b>&emsp;1848&emsp;Briefe von und an Georg Herwegh</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;<b>Arthur Holitscher</b>&emsp;An die Schönheit&emsp;Trauerspiel</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;Weiße Liebe&emsp;Roman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;Der vergiftete Brunnen&emsp;Roman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">4.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Korfiz Holm</b>&emsp;Schloß Übermut&emsp;Novelle</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Mesalliancen&emsp;12 Liebes- und Ehegeschichten</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Arbeit&emsp;Schauspiel</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Die Könige&emsp;Dramatisches Gedicht</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Mia Holm</b>&emsp;Verse</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Mutterlieder&emsp;ill. Prachtausg. geb.</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">10.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;wohlfeile Ausgabe</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;<b>Martin Langen</b>&emsp;Edith&emsp;Drama</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ensp;Drei Dramen</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Lieber Simplicissimus</b>&emsp;100 Simplicissimus-Anekdoten</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&emsp;Neue Folge&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Heinrich Mann</b>&emsp;Das Wunderbare&emsp;Novellen</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Im Schlaraffenland&emsp;Roman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">4.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Fritz Mauthner</b>&emsp;Der wilde Jockey&emsp;Novellen</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ensp;Die böhmische Handschrift&emsp;Roman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ensp;Die bunte Reihe&emsp;Berliner Roman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">4.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;<b>Adolf Paul</b>&emsp;Ein gefallener Prophet&emsp;Roman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Anton von Perfall</b>&emsp;Die Malschule&emsp;Novelle</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Rainer Maria Rilke</b>&emsp;Das tägliche Leben&emsp;Drama</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Hugo Salus</b>&emsp;Gedichte</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Neue Gedichte</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Reigen&emsp;Gedichte</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Susanna im Bade&emsp;Schauspiel</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Peter Schlemihl</b>&emsp;Grobheiten&emsp;Simplicissimus-Gedichte</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Freiherr von Schlicht</b>&emsp;Alarm&emsp;Militär-Humoresken</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&emsp;&ensp;Der nervöse Leutnant&emsp;"</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&emsp;&ensp;Der Parademarsch&ensp;&emsp;&emsp;"</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Ludwig Thoma</b>&emsp;Assessor Karlchen&emsp;Humoresken</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Die Medaille&emsp;Komödie</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Jakob Wassermann</b>&emsp;Schläfst du, Mutter?&emsp;Ruth&emsp;Novellen</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&emsp;Die Schaffnerin.&emsp;Die Mächtigen.&emsp;Novellen</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&emsp;Melusine&emsp;Ein Liebesroman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&emsp;Die Juden von Zirndorf&emsp;Roman</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">4.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;<b>Frank Wedekind</b>&emsp;Die Fürstin Russalka&emsp;Novellen und Gedichte</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">3.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;Der Erdgeist&emsp;Tragödie</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;Marquis von Keith&emsp;Schauspiel</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.50</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;Der Liebestrank&emsp;Schwank</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;Die junge Welt&emsp;Komödie</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;Der Kammersänger&emsp;Drei Scenen</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Alois Wohlmuth</b>&emsp;Gedichte</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">2.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">*<b>Ernst von Wolzogen</b>&emsp;Vom Peperl u. anderen Raritäten&emsp;Humoresken</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;<b>Theodor Wolff</b>&emsp;Die stille Insel&emsp;Schauspiel</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.&ndash;&ndash;</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdl">&ensp;&ensp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;&emsp;&ndash;&emsp;&emsp;Niemand weiß es&emsp;Schauspiel</td>
- <td class="tdc">"</td>
- <td class="tdr">1.50</td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="ce lh1">Jeder Band mit mehrfarbigem künstlerischem Umschlag<br />
-*Auch elegant gebunden vorrätig</p>
-
-<p class="ce">Druck von Hesse &amp; Becker in Leipzig</p>
-
-<hr />
-
-
-
-<h2><span class="fss">Hinweise zur Transkription</span></h2>
-
-
-<div class="mw36">
-<p class="in0">Der Schmutztitel wurde entfernt.</p>
-
-<p class="in0">Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.</p>
-
-<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten:
-<span class="ge">gesperrt</span>, <i>Antiqua</i>, <b>fett</b>.</p>
-
-<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
-Ausnahmen,</p>
-
-<p class="ci in0">Seite 6:<br />
-im Original "Warum hahen Sie ihr das angethan?"<br />
-geändert in "Warum haben Sie ihr das angethan?"</p>
-
-<p class="ci in0">Seite 81:<br />
-im Original "»Aber wer ist Hedda Gabler?"<br />
-geändert in "»Aber wer ist Hedda Gabler?«"</p>
-
-<p class="ci in0">Seite 116:<br />
-im Original "sie pflegen sich immer nur einer den andern."<br />
-geändert in "sie pflegen sich immer nur einer den andern.«"</p>
-
-<p class="ci in0">Seite 135:<br />
-im Original "daß einem das ganz mut- und kraftlos macht"<br />
-geändert in "daß einen das ganz mut- und kraftlos macht"</p>
-</div>
-
-<hr />
-
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HOCHZEIT DER ESTHER FRANZENIUS ***</div>
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-</div>
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-additions or deletions to any Project Gutenberg&#8482; work, and (c) any
-Defect you cause.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg&#8482;&#8217;s
-goals and ensuring that the Project Gutenberg&#8482; collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg&#8482; and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
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-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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-</div>
-
-</div>
-
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+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/66491-h/images/p194i.png b/old/66491-h/images/p194i.png
deleted file mode 100644
index 9c0917b..0000000
--- a/old/66491-h/images/p194i.png
+++ /dev/null
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