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-The Project Gutenberg eBook of Briefe eines Malers an seine Schwester, by
-Rosalie Sandvoß
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Briefe eines Malers an seine Schwester
-
-Author: Rosalie Sandvoß
-
-Release Date: October 9, 2021 [eBook #66499]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net (This book was produced from scanned
- images of public domain material from the Google Books
- project.)
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE EINES MALERS AN SEINE
-SCHWESTER ***
-
-
-
-
- Briefe eines Malers
- an
- seine Schwester.
-
- Von
- Rosalie Sandvoß.
-
- Hamburg.
- Agentur des Rauhen Hauses.
-
- Druckerei des Rauhen Hauses. 1865.
-
-
-
-
- Burgwall, den 10. Juni 18--.
-
-Nun bin ich in der Heimath, vorgestern langte ich hier an. Es ist doch ein
-eignes Gefühl, wie ein Fremder, den Niemand kennt, den Keiner erwartet,
-für den nicht eine Seele einen freundlichen Gruß hat, in die Vaterstadt,
-in die Stadt seiner holdesten Erinnerungen zurück zu kehren. Du weißt,
-ich bin nicht sentimental, Pauline, aber da Du »Alles wissen willst, was
-sich zwischen mir und Burgwall ereignet,« so sei's gestanden, daß ich
-eine Art Herzweh fühlte, überall auf meinem Wege zum Gasthause Personen
-zu begegnen, die mich höchstens mit dem Blicke der Betrachtung beehrten.
-Und nun im Gasthause zu wohnen, ein wirklicher Gast, ein Fremder daheim zu
-sein!
-
-Das deutsche Haus, mit seinen Kastanien vor der Thüre -- sie standen
-richtig noch da -- lockte mich heimisch an: ihm gegenüber liegt ja das
-alte, liebe Haus, das meiner Phantasie immer als Heerd tiefsten Behagens
-vorgeschwebt hatte. Du erinnerst Dich gewiß, obgleich Du es als ein Kind
-von acht Jahren verließest, es steht mit dem Giebel nach der Straße, hat
-im zweiten Stock einen runden Ausbau, ist mit Schnitzwerk überladen und
-sieht auswendig gerade aus, wie ein Magister des sechszehnten Jahrhunderts
-sich der Welt präsentirt haben mag, künstlich, solid und pedantisch.
-Aber inwendig ist das anders. Gerade das Erkerstübchen war ein überaus
-behagliches, freundliches Zimmer, mit Blumen, vielem Lichte und duftigen
-Vorhängen. Ich erinnere mich, daß es grün decorirt war, und nußholzene
-Möbel hatte, die immer wie neu polirt glänzten. In der einen Ecke
-stand eine Harfe -- Mutter spielte sie wundervoll -- und mitten in einer
-Blumengruppe zog mich immer ein Bild an, ein Christus auf dem Meere. Das
-Gesicht der Hauptfigur hatte einen bezaubernden Ausdruck; es schwebt mir
-oft vor, und ich habe schon oft es zu malen gewünscht, aber seltsam! mit
-diesen Heiligenbildern will es mir nie gelingen. -- Mutter schien sich
-stets zu freuen, wenn ich bei den seltenen Gelegenheiten, da sich mir dies
-Zimmer öffnete, lange betrachtend vor dem Bilde stand, sie hatte eine
-etwas bigotte Richtung, die herrliche Seele, und hat sich, glaube ich,
-über die nichtssagendsten Dinge, das Leben schwer genug gemacht. Du hast
-Mutter kaum gekannt, Pauline, Du warst erst sechs Jahr alt, als sie starb,
-ich sechszehn. Sie war ein Engel -- aber etwas überspannt, ich glaube
-nicht, daß Vater ganz glücklich mit ihr war. Von einer alten Tante, so
-einer Art Nonne, erzogen, brachte sie eine Last von Vorurtheilen unserm
-lebensfrohen, geistvollen Vater zu, und nur seiner Liebe zu ihr ist es wohl
-zuzuschreiben, wenn er nie darüber klagte, daß sie in ihrer Ehe stets
-ihren eignen Gang ging und sich nicht zu Vaters Lebensanschauung erheben
-konnte. Kinder beobachten schärfer als man gewöhnlich glaubt, ich habe
-öfter bemerkt, wie still und ernst Mutter ihre Vorkehrungen traf, wenn
-Vater Gesellschaft gebeten hatte, wie erschreckt sie von ihrem Buche
-aufsah, wenn spät Abends ein munteres Gelächter oder jubelnde Toaste in
-das Schlafzimmer hinauf schallten, wo sie uns so sorglich gebettet hatte
-und dann lesend des Vaters harrte. -- Erinnerst Du Dich nicht, wie sie uns
-beten lehrte? -- Die liebe Heilige! Ich denke nicht ohne Rührung an sie,
-aber ich möchte um keinen Preis, daß Du ihr einst glichest. Ich bin
-kein Heide, aber mir schaudert vor dieser Pietisterei; sie vergällt die
-reinsten, unschuldigsten, harmlosesten Freuden, und verdammt ihre Opfer zur
-gänzlich unnöthigen, unfruchtbaren Selbstkasteiung.
-
-Leider sind unsere Verhältnisse der Art, daß ich nicht, wie ich möchte,
-auf Deine völlige Ausbildung einwirken kann, wir sind zu selten bei
-einander, und sind wir es, so können wir uns selten ungestört sprechen,
-immer kommt irgend ein zärtliches Wesen, den geliebten Verzug zu
-beaufsichtigen. Vermuthlich befürchten Deine alten Jungfern, ich bezwecke
-Dich ehestens aus ihrem verzauberten Schlosse zu entführen, um das kleine
-Wunder von Liebenswürdigkeit in der Welt für Geld sehen zu lassen.
-Wahrhaftig, ich kann ganz unbesorgt sein, welchen verdächtigen Anstrich
-auch zuweilen Deine Aeußerungen haben, eine Heilige wirst Du dennoch
-nicht, dafür sorgen besagte Damen mit allen Kräften. So will ich denn
-für diesmal meine Erziehungsgedanken fahren lassen und ganz einfach mit
-Dir in der Stadt umherspazieren. Hast Du hohe Erwartungen, so stimme herab,
-besonders für den heutigen Tag, es hat geregnet und ist grundlos in den
-Straßen, Pfütze an Pfütze. Rümpfe aber um alles in der Welt Deine
-hübsche Nase nicht, diese Pfützen sind ein Vorzug der guten, alten
-Stadt, wie mir Herr Brauer, mein behäbiger Wirth, alles Ernstes
-auseinandergesetzt hat. Du glaubst es nicht? -- nun so höre. Zweierlei
-Wohlthaten sind die Ursachen dieser kleinen Unannehmlichkeit: reger Verkehr
-und herrliches Röhrenwasser. Letzteres macht seine unterirdische Reise in
-ausgehöhlten Tannen, die im Laufe der Zeit nicht selten leidend werden, da
-wird denn das Pflaster aufgerissen und es kann dann leicht passiren, daß
-die Kieselmosaik nicht so recht sorgfältig wieder restaurirt wird. --
-
-Visiten können wir nicht viele machen, es ändert sich in zehn Jahren
-unglaublich viel. Die meisten Freunde unsers Vaters sind nicht mehr
-vorhanden -- todt, weggezogen, Andere erinnern sich des Knaben Justus Brand
-nur sehr nebelhaft, und ich bin nicht just von der Art, ihrem Gedächtnisse
-eifrig zu Hülfe zu kommen. Die freundlichste Aufnahme habe ich bei
-Bernwachts gefunden, einem außerordentlich töchterreichen Ehepaare.
-Wie solche Mädchen doch in die Höhe wachsen, als ich die vier ältesten
-zuletzt sahe, waren es Wildfänge zwischen vier und zehn Jahren, mit
-hängenden Schuhbändern, fliegenden Locken =et cetera=, jetzt, ich
-versichere Dich, man weiß nicht, wohin man die Augen wenden soll, aus
-jeder der zahlreichen Nebenthüren der großen Stube schwebt eine neue
-Huldin herein. Alle sind bildhübsch, ich bin neugierig zu erfahren,
-wie sie sonst beschaffen sind; die Alten haben mich, sehr großherzig,
-eingeladen, sie oft zu besuchen.
-
-Auf dem Schlosse bin ich noch nicht gewesen. Brrr! Kannst Du mich nicht
-davon erlösen? Fromm und vornehm, eine Heilige und eine Gräfin, alles in
-einer Person! Womit werden mich die vortrefflichen Herrschaften regaliren?
-Mit erhabenen Worten, hohen Mienen, und einer Weisung in bestimmte Grenzen?
-Mit gelehrten Redensarten über Malerei, mit Honigworten christlicher
-Liebe? Eins so widerwärtig wie das Andere; o könnte ich allen Dünkel,
-alle klugthuende Nichtswisserei und alle Formenreligiosität, die nur die
-innere Armuth bemänteln soll, schleudern in das Meer, da es am tiefsten
-ist! -- War das nicht etwas -- ja es muß so sein, ich irre nicht --
-es erinnert an einen Bibelvers, mir wird ganz besonders dabei. Warum
-eigentlich? Widerwille war es nicht -- ich muß sondiren, es liegt
-in meiner Natur -- war es etwa ein stummer, schweigender Vorwurf der
-»heiligen Schrift?« -- Wundere Dich nicht über mich, ich bin in
-Burgwall, Bilder der Kindheit umschweben mich, die alten Klänge werden
-wach, der Mann wird wieder zum Kinde, aber nur auf Augenblicke; sieh,
-da zieht es schon hin, das magische Blendwerk, all die frommen
-Legendengestalten, die ich in dem Giebelhause drüben einst kennen lernte,
-und die so mysteriös von ewigen Kronen und himmlischen Palmen sprachen.
-Der ganze Traum zerrinnt, fort sind sie. --
-
-Für heute genug. Dein Bruder
-
- _Justus_.
-
-
-
-
- Am 11. Juni.
-
-Pauline, ich habe mich wie ein Dummkopf benommen, wie ein vollendeter
-Dummkopf! Auf alles Mögliche war ich gefaßt, nur nicht auf eine
-liebenswürdige, einfache Frau, die dennoch, eben in ihrer schlichten
-Würde, mir gewaltig imponirte.
-
-Es ist sehr gut, daß wir diesen Briefwechsel verabredet haben, Kameraden
-sind nicht habhaft, die Burgwaller ersterben in Ehrfurcht vor der
-»Herrschaft,« und man kann mit ihnen kein freies, vernünftiges Wort
-über diese Halbgötter reden, und ich liebe den Austausch. Aber halt,
-was werde ich für meine famosen Berichte bekommen? Wenn nichts weiter,
-so bedinge ich Recension, eine detaillirte; ganz entschieden, Pauline, Du
-mußt mir gehörig antworten.
-
-Jetzt von der Gräfin.
-
-Es war gegen Mittag, als ich den Schloßberg, versteht sich in Galla,
-hinanstieg. Das Wetter war gut und die Gegend ist wirklich schön, der
-Spaziergang war ein Genuß; der Weg ist auch besser geworden, überhaupt
-ist für Verschönerung der Schloßumgebungen besonders, aber auch für die
-der Stadt, viel gethan. -- Eine Wallthür stand offen, und ich ging hinein.
-Gleich in der ersten Laube bot sich mir ein hübsches lebendes Bild dar.
-Eine junge Dame saß mitten unter einer Fülle herrlicher Blumen und
-ordnete sie zu Sträußen. Für einen Maler hat so etwas doppeltes
-Interesse, und weil mich die Schöne nicht sehen konnte -- sie hatte mir
-den Rücken halb zugedreht und war äußerst eifrig bei ihrer Arbeit --
-blieb ich einen Augenblick stehen und sah ihr zu.
-
-»Schnell den Bast, Johanne!« rief sie. Es erschien keine Johanne. Sie
-wartete einen Augenblick, sah auf, horchte, und vermuthlich überzeugt,
-daß keine Johanne sie gehört habe, gab sie die Hoffnung auf, gleich Bast
-zu bekommen, und legte den schön arrangirten Strauß behutsam auf den
-Tisch, um zum Ordnen des zweiten zu schreiten. Sie nahm eine Lilie, fügte
-Rosen hinzu, zettelte eine Epheuranke unter den Blumen hervor und -- um
-das erste Bouquet war's geschehn, es war aus der Fassung gekommen, fiel aus
-einander und theilweis zu Boden. Eiligst trete ich vor, ich Narr! und
-raffe die Blumen auf, sie der Dame wieder zuzureichen. Sie nahm sie etwas
-erstaunt, erwiederte meinen Gruß freundlich, und sah dann zur Laube
-hinaus, »wo ihre kleine Johanne wohl geblieben sein möchte.«
-
-»Vielleicht sehe ich sie unterwegs, mein Fräulein,« verhieß ich
-Kurzsichtiger, »und werde sie schicken.«
-
-»Wollen Sie in's Schloß?« fragte die Dame. -- Das war ja ganz
-vertraulich, ich entgegnete also ganz guter Dinge: »Ja wohl, zur Gräfin,
-wenn sie zu Hause ist.«
-
-»Dann nehmen Sie nur den Wallschlüssel mit, Johanne hat ihn ausgezogen,
--- Kinder machen sich so gerne mit Thüren zu schaffen -- und Sie haben
-wohl keinen Schlüssel, nicht wahr, die untere Thüre stand offen?«
-
-Ich bejahte, dankte, und weil nicht recht mehr was zu sprechen war, empfahl
-ich mich und ging meiner Wege, bereute aber bald nicht länger geblieben
-zu sein, es fielen mir, als ich im Vorzimmer wohl eine Viertelstunde warten
-mußte, der Fragen noch mancherlei ein. Endlich erschien die Gräfin, und
-wer war es? -- mein Fräulein vom Walle! O, ich Blinder! Hätte ich es
-der holden Frau nicht gleich ansehen können, daß sie kein gewöhnliches
-Menschenkind ist; würde ein Stadt- oder Hoffräulein mir ihren
-Wallschlüssel gegeben haben, wäre sie so unbefangen freundlich gewesen?!
-
-Während sie nun um Entschuldigung bat, mich warten gelassen zu haben,
-stand ich kümmerlicher Mensch, und konnte mich nicht in die rechte Form
-finden, wollte selbst entschuldigen und wußte nicht wie, und fühlte mich
-erröthen, wie ein Schüler. Natürlich schien sie nichts davon zu merken,
-sie war ganz gesprächig, redete zum Glück bald von Malerei und plauderte
-so nett darüber, daß ich meinen stichelnden Gedanken allmählig entrissen
-wurde. Die Gräfin scheint von der Sache just nicht viel zu verstehn, aber
-sie zu lieben und das ist auch gerade recht. -- Sie wird mir in nächster
-Woche sitzen, bis dahin wird sie »das Vergnügen gehabt haben, mich ihrem
-Gemahl vorgestellt zu haben.«
-
-Da hast Du die Geschichte; ich werde noch heute diesen Brief absenden, und
-grüße Dich herzlich als Dein Bruder
-
- _Justus_.
-
-
-
-
- Den 24. Juni.
-
-Mittsommertag, himmlisches Behagen! Ich möchte alle Ecken und Winkel
-meines Ichs von diesem Lichte durchströmen, von dieser Wärme erfüllen
-lassen. Es ist wundervoll! In meinem Leben habe ich solchen Sommer nicht
-kennen gelernt, bin ich so gründlich heiter und befriedigt gewesen, wie in
-diesem. Aber, meine Theuerste, Du hast auch keine Ahnung davon, von welcher
-Höhe herab ich auf die Auen und Wälder schaue, wie die Natur »zu meinen
-Füßen« daliegt. Es ist unbestrittene Wahrheit: je erhabener
-unser Standpunkt, desto schöner und harmonischer erscheinen uns die
-verschiedenen Einzelnheiten fernab. Steig auf den Kirchthurm, wenn Du's
-nicht glauben willst, wie bildhübsch und harmlos wird Dein altes Nest,
-Verzeihung! aussehen; die Kinder auf den Straßen spielen so nett und
-manierlich mit einander, das Geschrei und Gelärm, welches sie betreiben,
-dringt höchstens als sanftes Gemurmel in Deine Region, all die
-Häuserchen, die Hüttchen stehen so nett da, als wären sie aus einem
-Nürnberger Schächtelchen genommen, genug, es ist so, wie ich sagte. --
-Ich residire gegenwärtig auf Schloß Burgwall, vergiß es nicht, es auf
-Deinen Briefen gehörig zu bemerken. Meine Residenz ist sehr hoch, ja
-wirklich, denn die alten mächtigen Linden, die ihre Kronen bis zu den
-Fenstern der Gräfin emporstrecken, sind nur dann von meinem Reiche aus
-sichtbar, wenn ich mich aus dem Fenster zu ihnen hinabneige: ich wohne
-buchstäblich auf Schloß Burgwall, nämlich in zwei Dachstübchen, dicht
-neben dem Thurme.
-
-Keinen Stein auf die Gräfin, ich bitte sehr! Die Zimmer sind ganz meine
-Wahl, eben der Aussicht wegen. Als mir die Erlaubniß wurde im Schlosse zu
-wohnen, habe ich mir gerade diese kleinen Zimmer gewählt, welche mir schon
-früher bei Besichtigung des Schlosses besonders gefielen. In jeder Stube
-ist ein großes, tiefes Fenster, ausgezeichnet für die Aufstellung einer
-Staffelei geeignet. Für nette Einrichtung wurde sogleich gesorgt, und so
-wohne ich hier so angenehm wie möglich.
-
-Seit meinem Umzuge liegen schon zehn Tage dahinten, mir ist heut auf jeden
-Fall doch sehr anders zu Sinn, als da ich kam. Tags zuvor war ich dem
-Grafen erst vorgestellt. Er ist ein gewichtiger Mann, nicht mehr jung,
-gewiß, wenn nicht Funfzig, doch nahe daran; in seinem charakteristischen
-Gesichte nehmen die Züge des Wohlwollens und tiefen Ernstes sehr für
-ihn ein, und sein ganzes sicheres, bestimmtes und doch durchaus nicht
-anmaßendes Wesen beherrscht unwillkürlich seine Umgebung. Die Gräfin
-scheint ihn nahezu anzubeten, sie lebt in seinem Lichte. Wenn er spricht,
-so ist es gewiß, daß sie nichts anderes hört, tritt er in's Zimmer,
-so überfliegt ein Freudenschein ihre holden Züge. Nie habe ich solche
-Innigkeit, solch gegenseitiges Glück gesehn, als bei diesen beiden
-Menschen, und er ist wenigstens zwanzig Jahre älter als sie. So recht
-verständlich ist mir dies nicht; Ehrfurcht und töchterliche Gefühle
-könnte ich ihrerseits begreifen, aber sie liebt ihn anders und viel mehr,
-als ich überhaupt glaubte, daß man lieben könne.
-
-Tags nach meinem ersten Besuche bei dem Grafen wurde ich zu Tisch geladen,
-und da wurde es gleich ausgemacht, daß ich, der Bequemlichkeit wegen, bei
-ihnen wohnen sollte. So bin ich denn täglich, außer den Sitzungen -- der
-Graf hat den Anfang gemacht -- in der Gesellschaft der liebenswürdigen
-Familie. Meine Unbehaglichkeit schwindet immer mehr, und ich weiß nicht,
-welcher der edlen Herrschaften ich den Preis höchster Liebenswürdigkeit
-zuerkennen soll, ihm oder ihr. Eigentlich sind sie gar nicht zu trennen,
-vereint sind sie das Ideal vollendeter Freundschaft und einer rührenden
-Liebe. Auch die kleine Johanne, des Paares einziges sechsjähriges
-Töchterchen, ist etwas Liebreizendes. Das Kind besucht mich zuweilen, und
-letzt brachte sie ein Tractätchen mit und wollte mir etwas vorlesen, fing
-auch richtig an und es ging über Erwartung gut, aber ich fand doch für
-besser das Thema der Unterhaltung zu wechseln, und erzählte ihr das
-Märchen von Schneewittchen. Dabei saß sie auf einem kleinen mitgebrachten
-Stuhle und sah mich mit den großen Augen ganz ernsthaft an, während ich
-unverdrossen ein in Berlin angefangenes Bild nachfeilte und mich bemühte,
-einem winterlichen Himmel mehr das Ansehn zufriedener Ergebung als das der
-trostlosen Gleichgültigkeit zu geben, die sich in Berlin über das kleine
-Gemälde gelagert hatte.
-
-Als die Geschichte aus war, sagte sie: »Mama ist auch eine Stiefmutter,
-Max ist ihr Stiefsohn.«
-
-»Wo ist er?« fragte ich.
-
-»Weit weg,« erwiderte sie, »wo der König wohnt.«
-
-»Was thut er da?«
-
-»Das weiß ich nicht gewiß,« antwortete die Kleine höchst gewissenhaft,
-»aber ich glaube, der König gebraucht ihn; Mama sagt, er sei des Königs
-treuer Diener.« -- Was für eine Art Diener, ob Page oder Adjutant, das
-konnte ich nicht herausbringen.
-
-In der Stadt werde ich, will es mir scheinen, seit ich hier wohne, mit
-größerer Zuvorkommenheit behandelt. Ich meine im Allgemeinen, Bernwachts
-sind unverändert dieselben. Die Familie, obgleich ganz anders als die
-meiner erlauchten Beschützer, wird mir sehr lieb, und ich gehe fast
-täglich zu ihnen. Noch eine Bekanntschaft habe ich erneuert, Du könntest
-rathen, welche treue Seele ich meine. Julchen Hermann ist es. Sie wohnt im
-Hospitale, das heißt in einem neuerbauten Hause, neben der alten Behausung
-der Gebrechen und des Alters, für diejenigen Einsamen bestimmt, welche ein
-rundes Sümmchen für die Wohlthat sichern Daches und einiger Fuder Holz
-zahlen können. Früher wohnte sie in der Vorstadt, bei ihrer alten
-Mutter, Du mußt es noch wissen, wir besuchten sie zuweilen, und gingen nie
-unbeschenkt und ungeküßt von dannen.
-
-Die alte Mutter kam mir stets mit ihren großen leuchtenden Augen, wie
-eine Seherin vor, ihre Worte klangen alle so weise, wie Orakelsprüche.
-Sie liegt nun auch auf dem Katharinenhofe, nicht hundert Schritt von dem
-Stübchen ihrer Tochter. Julchen zeigte mir das Grab durch das Fenster, und
-später habe ich es auch aufgesucht, es ist das wohlunterhaltenste auf dem
-ganzen Kirchhofe.
-
-Von unserer Eltern Ruhestätte muß ich Dir etwas mittheilen, was mir
-hochpoetisch erscheint. Vater hat kein Monument, unser Vormund hatte es
-nicht für gut befunden, das Grab des Ehrenmannes zu bezeichnen, nur ein
-Baum, bald nach Vaters Tode von mir gepflanzt, wurzelt daran. An Mutters
-Grabe steht ein schönes, hohes Kreuz, Vater hat es setzen lassen. Auch
-dieses Grab hat ein Zeichen der Liebe von mir, einen Epheu, der die Jahre
-hindurch so mächtig gewachsen ist, daß nicht nur das Grab ganz, und das
-Kreuz größtentheils davon umschlungen wurde, sondern er hat auch die
-zu ihm niederhängenden Zweige der Traueresche umsponnen, sich an ihnen
-aufgerankt, und so stehen beide Gräber auch äußerlich, in der innigsten
-Verbindung. Das hat Natur gethan, und mir war es doch als hätten Mutters
-feine Finger, still und sinnig, die Zweige in einander geflochten. --
-
-
- Später.
-
-Endlich habe ich einen Brief von Dir. Meinst Du wirklich: ich sähe die
-Bibel mit den Augen der Weltkinder an, anders als ich sollte? die innere
-Bewegung damals, sei eine Warnung meines Engels gewesen?
-
-Liebes Kind, Kind des Lebens und nicht der Welt, Du scheinst wirklich
-auf einem andern Wege zu sein, als ich, aber wie natürlich! --
-Vergegenwärtige Dir eine Pilgerfahrt, nach irgend einem Heiligthume,
-meinetwegen nach dem heiligen Grabe. Es ist kein Kreuzzug, sondern eine
-Wallfahrt, Männer, Frauen, Jungfrauen, Greise, begeisterte Kinder --
-Alles vereint sich, zu demselben Ziele zu gelangen. Wird Jeder die Reise in
-derselben Weise machen, trägt die Mutter nicht das Kind, stützt der Mann
-nicht sein Weib, bedarf der Alte nicht des Stabes? Meinst Du nicht, daß
-die Kinder, im Gefühl ihrer Schwäche oft auf die Knie sinken, Gott um
-neue Kraft anflehend, daß vielleicht ein Stärkerer sich dann über sie
-erbarme?
-
-Siehst Du: Ein Ziel; der Eine erreicht es gehobenen, der Andere gebeugten
-Hauptes, Dieser stützend, Jener getragen, Einer schaut mit vollem Blick
-in das Morgenroth Canaans, während Viele auf ihre wunden Füße
-niederblicken, und auf den Weg, den sie wandeln müssen, damit sie
-die Steine des Anstoßes darauf vermeiden. -- Wir haben Alle Ein Ziel:
-Befriedigung. Du findest es, ich ahnte es, im Glauben, ich suche es im
-Leben, in der Kunst, überall. Jetzt bin ich hier, und ich weiß was
-hier meine Seele ganz erfüllen könnte -- kommt die Zukunft, die weite,
-unbestimmte, Du wirst wohl Ewigkeit sagen, etwas, was über das Grab hinaus
-währt, nun, so ist es immer Zeit auch dafür Entschlüsse zu fassen und
-zu handeln. Wer kann das früher, ehe er bestimmt weiß, wofür und wie? --
-Aber ich habe hier einsehen gelernt, daß bei der Heiligkeit nicht absolut
-Gefahr für das Lebensglück ist; kannst Du in dieser Façon Befriedigung
-erlangen, nun wohlan, Du hast meine brüderlichen Glückwünsche dazu. --
-
-Laß uns diese Sache nicht als abgemacht betrachten, ich versichere
-Dich, daß Dein Widerspruch mich wohl reizt, zum Nachdenken, wiederum zum
-Widerspruch, aber keineswegs zum Zorne. Hier meine Hand, liebe Schwester!
-Dein Brief hat Dich in meinen Augen um mindestens zehn Jahre erfahrener
-gemacht, um nicht älter zu sagen. Wie alt bist Du eigentlich? Achtzehn
-rechne ich eben. Wo lerntest Du so ernst sein? -- Grüße Deine alten,
-ehrbaren Damen von mir.
-
- _Dein Bruder Justus._
-
-
-
-
- Am 27. Juli.
-
-Gestern erhielt ich Deinen Brief. Warum ich nicht schon wieder geschrieben?
-Es beschäftigte mich Vieles, allerlei Begebenheiten kreuzten sich bunt
-durcheinander, ich war mitten darin, und doch waren sie kaum der Art, daß
-Dir meine Notizen darüber irgend wie wichtig erschienen wären. -- Mit
-großer Liebe habe ich des Grafen Bild vollendet, es ist gelungen und die
-Herrschaften finden es auch. Die Gräfin werde ich noch nicht malen, es
-sind Gäste hier, aus Schlesien, welche mich mit ihren Aufträgen beehrt
-haben, und ich bin jetzt dabei ein Kind zu malen, ein unbeschreiblich
-reizendes kleines Gesicht, mit großen, fragenden Augen, die mich
-unaufhörlich an Cäcilie Bernwacht, des Bürgermeisters dritte Tochter
-erinnern. Nicht, daß das junge Mädchen so schön, wie die kleine
-Felicitas, oder überhaupt sehr nach meinem Geschmacke wäre, aber es liegt
-etwas Verwandtes in den Augen beider Mädchen, so recht echter Kindersinn,
-Seele, viel Seele.
-
-Wenn ich so schöne Augen male, ist es mir oft, als sei in ihnen das
-Geschick der Besitzerinnen ausgesprochen. Bei denen der Felicitas denke ich
-zum Beispiel: was das Kind nicht Alles glaubt! Es glaubt an einen Himmel
-auf der Erde und an einen ewigen Himmel; es wird wahrscheinlich ewig
-ein Kind bleiben, und sehr viel vertrauen, und immer das Beste von allen
-Menschen denken, es wird auch sehr lieb haben, die ihm Liebes erweisen, und
-andere Menschen auch noch, und wird für alle seine Liebe nur etwas Treue
-erwarten und sie selten finden, vielleicht gerade dort nicht, wo es am
-sichersten darauf gerechnet hatte. Dann werden diese frommen Augen viel
-weinen, sehr viel, bis allmählig ihr milder Glanz erlischt, und sie sich
-schließen.
-
-»Mache einmal deine Augen zu, Felicitas,« sagte ich letzt zu ihr. Sie
-that es; ich sah sie lange an und vergaß in meinen Träumereien ihr zu
-sagen, sie könne sie wieder öffnen, bis sie endlich ganz geduldig fragte:
-»darf ich dich nun wieder ansehen?« --
-
-Es giebt große Geheimnisse. Pauline, wir begegnen ihnen täglich, die
-größten liegen in den Worten Herz und Schicksal. --
-
-Cäcilie Bernwacht ist gerade unter ihren Schwestern die mir fremdeste. Ich
-will Dir die kleine Gesellschaft skizziren. Therese, die Aelteste, ist ein
-hübsches, besonders verständiges Mädchen; sie ist Braut, und näht
-den ganzen Tag an ihrer Aussteuer, was sie indeß nicht verhindert,
-theilnehmend zu sein, ich mag sie sehr gern und unterhalte mich am
-anhaltendsten mit ihr. -- Ihre zweite Schwester, Ida, ist eine Schönheit,
-ja, sie ist wirklich schön und ich muß sie malen, es ist ein Genuß diese
-Formen, diese Frische, diese Grazie studiren und copiren zu dürfen. Das
-Mädchen ist auch nicht ohne Geist und wird auch wohl ein Herz haben, aber
-sie gefällt mir von ihren Schwestern am wenigsten, ihr Witz ist scharf,
-sie kann beißend sein, ich mag das nicht an Damen.
-
-Nun kommt Cäcilie, offenbar der Mutter Liebling, ein Mädchen von
-siebzehn Jahren, sehr zarter Gestalt, etwas blaß, mit herrlichem Haar und
-wundervollen Augen. Cäcilie ist vielleicht, um schön zu sein, etwas zu
-klein, und um im Allgemeinen so recht gefallen zu können, zu still, man
-kann sie kaum kennen lernen. -- Nun kommen ein Paar prächtige Wildfänge
-von dreizehn und elf Jahren, Burga und Berga genannt, Wallburga nämlich
-und Luitberga, komische Namen! Wo Burga ist, ist Berga, sie sitzen in einer
-Klasse, binden einen Kranz, spielen zusammen Klavier und Versteck,
-und umarmen gleichzeitig ihre Mutter, die sich auf ihre stürmischen
-Ueberfälle gewöhnlich schon durch Bergung ihrer Mützenbänder mit
-Resignation vorbereitet. Kürzlich hörte Berga, daß ihr Vater mein Pathe
-ist, und augenblicklich trug sie hocherfreut darauf an, mich Pathe nennen
-zu dürfen, Herr Brand gefalle ihr nicht, Herr Justus wäre freilich recht
-hübsch, aber ungewöhnlich, Justus schlicht weg, passe sich nicht, Pathing
-sei das Beste. Die Mutter schüttelte gewaltig mißbilligend den Kopf und
-entschuldigte, ich erlaubte natürlich dagegen der elfjährigen Berga mich
-Pathe nennen zu dürfen. »Burga muß aber auch so sagen, sonst kann ichs
-doch nicht,« behauptete sie und Burga bequemte sich. Es wurde gelacht, der
-Alte zog die Mädchen etwas auf und damit war es abgemacht.
-
-
- Am 4. August.
-
-Heute will ich diesen Brief an Dich abschicken. Dein letzter Brief war mehr
-als ernst, es sprach sich Unruhe, Besorgniß darin aus. Du schreibst: ich
-verkenne das Streben meiner Seele, nicht flüchtige Befriedigung, die
-man täglich in irgend einer Sache, einer Creatur finden könne, sei der
-Endpunkt derselben, sondern Frieden in Gott. -- Ist das nicht ein Spielen
-mit Worten, oder pedantische Festhaltung eines einmal so und nicht anders
-geformten Glaubenssatzes? Wir suchen was uns zu unserm Glücke fehlt,
-Jeder nach seiner Natur. Du bist ätherischer Natur als ich, und suchst
-geistigere, oder rein geistige, oder auch phantastische Genüsse, ich
-verstehe Dein Friedensverlangen nicht. Warum ist dieser Friede von Dir erst
-zu suchen, wodurch hast Du reines Kind ihn erschüttert, oder gar verbannt?
-Und warum ist mein Trachten nach Befriedigung verwerflich, da ich sie nicht
-im Unedlen, Rohen, Gemeinen suche? Widerstrebt mein Verlangen dem reinen
-Naturgeiste? -- Ich habe vor meiner Vergangenheit in keiner Weise zu
-erröthen, und brauche dem Frieden nicht nachzujagen, weil ich ihn habe.
-Beunruhige Dich meinetwegen nicht im Geringsten, meine theure Schwester,
-ich bin vollkommen glücklich!
-
-Lebe wohl!
-
- _Dein Bruder Justus._
-
-
-
-
- Den 16. August.
-
-Es will mir scheinen, als erkalte unser Briefwechsel, Du machst größere
-Pausen, als ich wünsche. Um meinerseits nichts dabei zu verschulden,
-schreibe ich dennoch, es ist mir wohlthuend -- auch eine kleine
-Befriedigung -- wenn ich an Dich schreibe und mich so von Grund aus
-ausspreche. --
-
-Weißt Du, wer Dir hier in Burgwall sehr gefallen würde, welche junge Dame
-mich oft, nicht an Deine Person, denn Du bist glänzender, aber an Deine
-Briefe erinnert? -- Cäcilie. -- Vor ein Paar Tagen hatte ich mehrere
-Stunden anhaltend an dem Bilde der Gräfin gemalt -- der Engelskopf der
-Felicitas steht auf der Staffelei im Dachstübchen -- der Graf hatte uns
-dabei vorgelesen, tiefsinnige, anziehende Sachen, die nachher von uns
-besprochen wurden. Pauline, letzt schrieb ich Dir ich sei glücklich, heute
-fühle ich mich, und schon seit einigen Tagen stürmisch aufgeregt, und
-nicht glücklich, nein! -- Wie kommt es nur, daß sie mich als Einen der
-Ihrigen betrachtet hatten, als einen Glaubensgenossen? Weil ich bei ihren
-Tischgebeten keine Störung veranlasse, sondern auch meine Hände falte? Es
-kann ja sein, daß die ewige Macht ein solcher Vater unser ist, als welchen
-sie sie anbeten! Ich bins zufrieden, aber ich weiß nicht obs wahr ist.
-Wahrscheinlich ist es wahr, ich glaube es fast, aber ich weiß es nicht,
-dabei muß ich verharren. Es mag für Tausende leicht sein, sich bei
-solchen Gelegenheiten, wie an jenem Tage, in ein Schweigen der Bewunderung
-zu versenken, oder in oftgehörten Phrasen Beifall zu zollen, ich kann es
-aber nicht. Ich sagte was ich meinte, und es ward lautlos still im
-Zimmer. Das erste Wort, was ich wieder hörte, war die Johannen gegebene
-Erlaubniß, das Zimmer zu verlassen. Es zog mir eisig durchs Herz, sie
-fürchteten für das Kind den Gifthauch der Gottlosigkeit. Gottlos!
-ein schreckliches Wort. Bin ich es? Antworte mir darauf. -- Dieser
-verehrungswürdige Mann, diese herrliche Frau schaudern vielleicht vor mir
-zusammen, sie beten vielleicht für mich, für den armen Sünder, denn in
-ihren Augen giebt es keine größere Sünde, als gottlos zu sein. Aber ich
-protestire, ich bin es nicht! An jenem Tage wurde der wunde Punkt nicht
-auf das Leiseste mehr berührt, doch fühlte ich mich unbehaglich und ging
-bald. Im Zimmer hatte ich nicht Ruhe, ich ging hinaus, durchstreifte
-den Wald, das Feld, kam, ohne es beabsichtigt zu haben, in die Nähe des
-Kirchhofs und stand an den Gräbern der Eltern. Mutters weißes Marmorkreuz
-sah mich matt an, es war mir, als spräche es traurig: gottlos, armer Sohn!
--- »Nein!« rief ich, beugte mich und küßte das Grab. Julchen fiel mir
-ein. Sie ist eine Dienerin des Gottes, den ich nicht kenne. Aufgeregt,
-wie ich war, sehnte ich mich ihre Meinung zu hören, ich wollte sie schon
-geschickt herauslocken, ohne mir eine Blöße zu geben; es braucht nicht
-alle Welt zu wissen, daß ich gottlos bin! --
-
-Ich ging dem Hause zu. Ihr Stübchen liegt zu ebner Erde, ich kann es
-vorübergehend übersehen. Ich warf einen Blick hinein und sah mit Unmuth,
-daß sie nicht allein war, Cäcilie war bei ihr. Als ich jedoch das junge
-Mädchen erkannte, kam etwas wie Segen über mich, es wurde stille, ganz
-stille in mir, jetzt wieder -- unerklärliche Wonne! --
-
-Ich blieb stehen und sah hinein, hören konnte ich nichts, wollte auch
-nicht, und gesehen konnte ich auch nicht werden. Es war Dämmerung und
-Julchen lag auf dem Sopha von vielen Kissen unterstützt, vor ihr, mit
-den Knien auf dem Estrich, Dielen sind für das Hospital Luxus, kniete das
-bleiche Kind, und drückte abwechselnd bald die eine, bald die andere Hand
-auf die Stirn der Kranken. Es war ein rührendes Bild. -- Nein Pauline,
-ich bin gewiß nicht gottlos, sieh, als ich wieder zwischen den Gräbern
-hinschritt, bat ich Mutter, Gott um den schönsten Segen für das stille
-Kind anzuflehn, und dieser Wunsch kam aus tiefstem Herzen, ich muß also
-glauben, trotz der vielen Wenns und Abers des Verstandes.
-
-Es ist mir ein süßer Gedanke, Cäcilien unter den Schutz meiner Mutter
-gestellt zu haben. --
-
-Gute Nacht, Schwester; ich habe eben am Fenster gestanden und auf die
-ruhende Welt hinabgeschaut, der Mond hält oben Wacht, es ist sehr schön
-draußen. Mein Herz ist in wunderbarer Aufregung, nie habe ich mich so
-ernstlich gefragt, ob ich Gott glaube, ob ich gottlos bin. Wie kam es, daß
-diese Frage mein Inneres so in Aufruhr gebracht hat? Das Verstummen zweier
-Menschen hats vermocht, zweier Menschen, die ich hochschätze. Wenn es
-einen persönlichen Gott giebt, Pauline, dann muß er eine unausdenkbare
-Größe sein. Denk Dir eine Macht, welche die Welt, die Natur in dieser
-wunderbaren Ordnung erhält, denke diesen raffinirten Naturgesetzen nach,
-denke Dir dazu eine Liebe, welche dies Alles erschaffen hat und erhält
-für Geschöpfe, die ihn verneinen, verhöhnen; ist ein Gott, so ist mir
-nicht bange, Gott wird und muß am größesten im Verzeihen sein. Es
-ist ein wonnereicher Gedanke: Gott. Entweder beginnt nun für mich ein
-besonders reiches Leben, oder ein sehr ödes, kaltes. Meine Seele ist nun
-einmal von einem Verlangen erfaßt, diesmal kann es nur Gott befriedigen.
-
- _Justus._
-
-
-
-
- Den 3. September.
-
-Die kleine Johanne ist an den Masern erkrankt, die Gäste haben das Schloß
-verlassen, und ich treibe mich umher, denn das Bild der Gräfin ruht
-natürlich, sie verläßt die Kleine nicht, um sich in Kostüm zu werfen
-und mir zu sitzen. Der Graf ist vielbeschäftigt, unsere Unterhaltung bei
-Tisch ist einsilbiger und dreht sich meist um die kleine Kranke. -- Ich
-erwarte Deinen Brief mit Spannung, aber nicht mehr mit der fieberhaften
-Unruhe wie Anfangs: ich weiß was ist, und fühle mich wohl dabei. --
-
-Berga hat mir einen Gruß für Dich aufgetragen. Ida schalt sie dafür, sie
-sollte nicht zudringlich sein. »Sie meint es ja ganz gut in ihrer Weise,
-Ida,« sagte Cäcilie sanft, »es ist wirklich nichts Unrechtes dabei.«
-
-Ida warf den Kopf sehr auf und erwiderte, Cäcilie scheine heute sehr
-gnädig zu sein, gestern habe sie Berga über ein ganz unschuldig
-hingeworfenes Wort eine lange Strafpredigt gehalten. Ich war gespannt,
-zu erfahren, was das für ein Wort gewesen sein mochte und fragte
-mein Pathchen. »Herr Jesus,« antwortete sie und senkte den Kopf ganz
-beschämt. -- »Sie thuts nicht wieder,« versicherte Burga, »es thut ihr
-selbst leid.« --
-
-Cäcilie sprach kein Wort weiter darüber, ich dachte aber, was würde
-Cäcilie sagen, wenn sie in meiner Seele lesen könnte. Später waren
-wir im Garten und ich wurde fortwährend von der Versuchung gepeinigt,
-Cäcilien zu fragen, was sie von mir denke, nur wartete ich auf eine
-günstige Gelegenheit dazu. Endlich waren wir einmal mitten in einem
-Laubengange allein und ich fragte mit dürren Worten: »liebes Pathchen,
-bin ich ein guter Mensch?«
-
-»Ich bin Ihre Pathin nicht,« erwiederte das junge Mädchen sehr ernst,
-»ich war weder Zeugin Ihrer Taufe noch -- fügte sie leise hinzu -- Ihrer
-Wiedergeburt.«
-
-Ist das nicht streng von solchem kleinen Mädchen von siebzehn Jahren, das
-so sanfte Züge hat? -- es kränkte mich auch etwas, aber es verdroß mich
-nicht.
-
-»So wiederhole ich denn Fräulein Bernwacht meine Frage,« sagte ich ganz
-treuherzig, und war begierig ihre Antwort zu vernehmen.
-
-»Ich halte Sie für warmherzig,« sagte sie. »Genügt das?« fragte ich.
-Sie schüttelte mit dem Kopfe und Ida rauschte heran; ich hätte gern mehr
-gehört. --
-
-
- Den 10. September.
-
-Dank für Deinen Brief, liebe Schwester. Es ist doch schön um sichere
-Liebe, wie die der Geschwister; Gott sei Dank, daß ich Dich habe. Ja, Gott
-sei Dank, Du weißt, ich kenne ihn nun. Du hast nie daran gezweifelt, mein
-Leben habe es bewiesen, daß ich ihm nicht fern sei, ich hätte ihn
-nur durch die dichten Schleier der Selbstüberschätzung, des geistigen
-Hochmuths gesehn. Kind, welche Worte! -- Indessen, es ist etwas Wahres
-daran, und die Schüchternheit, mit der Du diese harten Behauptungen
-aufstellst, und die Freudigkeit, mit welcher Du mich auch ein Gotteskind
-nennst, zeigen Deine eigne Demuth und Liebe hinreichend, um mich vor
-Bitterkeit zu bewahren.
-
-Da steht weiter: »Aber Du bist kein Christ, Gott führe Dich zu den
-Füßen des Heilands, der uns Allen zur Erlösung gegeben ist, und er wird
-es thun, ich fühle es mit köstlicher Bestimmtheit. Wenn Du auf meine
-tiefsten Herzenswünsche etwas giebst, so lies das neue Testament und suche
-die Unterhaltung gläubiger Menschen. Thu es nur zur Probe, wenn Du Deiner
-Sache augenblicklich ganz gewiß bist nichts weiter zu Deinem Heile zu
-bedürfen, als Deine jetzige Erkenntniß.«
-
-Dein Rath soll befolgt werden. Aber verlange nicht, daß ich aus Respect
-vor Euren vermeintlich unantastbaren Wahrheiten verstummen soll. Ist Eure
-Religion die beste, so muß sie Widerspruch vertragen können, und ihre
-Priester und Priesterinnen dürfen über ein freies Wort nicht gleich den
-Stab brechen, oder über den Andersdenkenden den Bann verhängen. --
-
-Mit wahrer Herzenserleichterung habe ich wahrgenommen, daß der Graf
-und seine Gemahlin mir nicht ihre Achtung entzogen haben. Wir verkehren
-ähnlich wie früher, nun Johanne wieder genesen ist und die Kleine besucht
-mich auch wieder. Durch diesen Zwischenact ist dennoch unser Verhältniß
-anders geworden, ich fühle etwas wie Mitleid aus der Art und Weise heraus,
-wie sich die hohe Frau gegen mich benimmt, und des Grafen Umgehung alles
-dessen, was sich auf Religion bezieht, ist es nicht Schonung? -- oder will
-er die Perlen nicht in den Bereich des Unreinen werfen? Ich glaube Besseres
-und verehre Beide um Vieles inniger noch, als zuvor. Oft wünsche ich,
-sie möchten sprechen, und ich würde ihnen dann sagen, wie es nun mit mir
-steht. -- Freilich würde es ihnen nicht genügen, aber sie doch vielleicht
-erfreuen.
-
-Lebe wohl, liebes Kind, und schreibe bald wieder Deinem Bruder
-
- _Justus_.
-
-
-
-
- Den 20. September.
-
-Gestern Abend bin ich bei Julchen Hermann gewesen und habe eine lange
-Unterredung mit ihr gehabt. Sie ist das, was Du eine echte Christin nennen
-würdest, liebreich, dienstfertig, freudig, genügsam, Alles »um des Herrn
-willen,« wie es auf ihrer heitern Stirn und in den großen grauen Augen
-klar steht. Ein religiöses Gespräch mit ihr anzuknüpfen, bedarf weiter
-keines Vorbedachtes, man kann nur nach einem Warum ihres Thuns fragen und
-man hat, was man will. Die Seligkeit, ihre und anderer Menschen, ist ihr
-Hauptgedanke, und sie ist der eignen so sicher, daß sie sich unter den
-Gräbern ringsum, und in der Gesellschaft eines Dutzend alter, einfältiger
-Weiber sogar schon wie im Vorhofe des Himmels fühlt. Ihre Sicherheit
-reizte mich mehr, als Du Dir vielleicht denken kannst, und ich ließ mich
-von meiner Heftigkeit zu Entgegnungen hinreißen, deren ich mich bei kaltem
-Blute schäme. »Toben Sie nur,« sagte sie ganz siegesgewiß und mit
-dem gütigsten Lächeln, »dieser Eifer ist mir ganz angenehm, er ist
-das Geschrei des angegriffenen alten Menschen, der alte Adam fürchtet
-überwunden zu werden.«
-
-»Ich bitte Sie, bestes Julchen,« rief ich anmuthig, »verschonen Sie mich
-mit diesen abgeschmackten, Ihrer ganz unwürdigen Redensarten, -- alter
-Adam!«
-
-»Fleischeswille, wenn Sie das lieber hören,« erwiederte sie ganz
-gelassen.
-
-»Was will denn mein Fleisch?« fragte ich lachend.
-
-»Herrschen, das Sinnliche, die Erde mit ihren Freuden zum Abgott machen.«
-
-»Ich denke nicht daran,« betheuerte ich.
-
-»Sie thaten es aber, und thun es noch,« beharrte sie. --
-
-Ich bat sie, mich dieser Anschuldigung zu überführen, allein sie meinte,
-es sei wohl besser, ich thäte das selbst, sie verstehe vom Disputiren
-wenig. Sie wisse das aber ganz gewiß, daß sie ohne Christus nicht
-bestehen könne, daß sie nur an seiner Hand auf Erden wandeln und im
-Himmel selig sein könne. Auf meine Aeußerung solche Ansichten seien
-Schwärmerei, schüttelte sie den Kopf und fragte mich, ob ich denn allen
-Ernstes glaube, den Himmel verdient zu haben? -- »Verdient,« sagte ich
-ihr, »zwar gerade nicht, aber für wen er denn sein solle, wenn nicht für
-Menschen, die ein richtiges Leben geführt hätten, ich sei kein Grausamer,
-kein Lüstling u. s. w.«
-
-»Sie meinen, Sie haben die Gebote gehalten?« fragte sie.
-
-»Gewiß,« behauptete ich. --
-
-Es erfolgte eine lange Pause, dann sagte sie: »In diesem Falle haben Sie
-den Himmel verdient; ich kann das von mir nicht sagen, ich habe keines der
-Gebote gehalten.«
-
-Ihr Ton war bei diesem demüthigen Bekenntniß ganz ruhig, ich fühlte, sie
-sprach ihres Herzens Meinung aus. Desto größer war mein Staunen. Julchen
-Hermann gilt allgemein als eins der vortrefflichsten Wesen, unsere Mutter
-war ihre Freundin, ihr ganzes langes Leben wird musterhaft genannt und
-sie sagt, sie habe alle Gebote übertreten. Ich dachte an das fünfte, das
-sechste, das siebente. »Das ist Selbstverblendung,« rief ich, »die ganze
-Stadt würde Ihnen widersprechen!«
-
-»Das ist Selbsterkenntniß,« entgegnete sie, »was weiß die Stadt von
-meiner Herzensgeschichte, und das Herz ist der Heerd, der stille, heimliche
-Heerd der geschehenen und ungeschehenen nur gewollten Thaten, die vor Gott
-alle gleich sind. Das Wort »Du sollst nicht begehren« steht in gleicher
-Reihe mit dem »Du sollst nicht fluchen, stehlen« u. s. w. Was die Stadt
-nicht weiß, soll Ihrer Mutter Sohn erfahren, und so hören Sie denn etwas
-aus dem Leben einer alten, unbescholtenen Jungfrau, und sehen Sie hinein
-wie in einen Spiegel, lieber Justus.« --
-
-Die Erzählung, welche ich Dir gewiß mittheilen darf, da Du meiner Mutter
-Tochter bist, hat einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht. Es wird mir
-nicht schwer werden, sie Dir ziemlich getreu mit Julchens eigenen Worten zu
-überliefern, das Ganze ist mir lebendig gegenwärtig.
-
-
-Aus Julchen Hermanns Leben.
-
-»So weit ich zurückdenken kann, ist es unverdiente Liebe, welche mich
-gepflegt, gehütet und geführt hat. Meine Mutter haben Sie gekannt, sie
-war einzig in ihrer Art, ich könnte stundenlang von ihren Eigenschaften
-reden, und hätte sie doch nicht vollständig geschildert. In ihren
-frühern Jahren war sie sehr lebendig und hat sich ihre geistige Frische
-auch bis ins höchste Alter erhalten, Sie müssen sich noch erinnern
-können, wie eindringlich all ihre Worte und wie ausdrucksvoll ihr
-Mienenspiel und all ihre Bewegungen waren. Mutters Worte hatten stets die
-größte Gewalt über mich. -- Mein lieber Vater war Geschäftsmann und
-hatte für meines Bruders und meine Erziehung nur wenig Zeit übrig, Mutter
-nahm uns also ganz unter ihre Leitung, und so war ich denn schon früh so
-glücklich das Gute in seiner Schönheit kennen, es lieben zu lernen, von
-Kind an war ich unsers himmlischen Schöpfers und seines Sohnes Eigenthum,
-das er vor tausend Gefahren von seinen Engeln bewachen ließ. Aber trotz
-dieser Leitung, trotz dieses Schutzes, trotz meiner Liebe zu dem Heiligen,
-habe ich oft tiefes Leid über meine Sündhaftigkeit tragen müssen, sie
-steckt zu tief, glauben Sie, wir werden ihrer erst ledig, wenn die Hülle
-zerbricht.«
-
-»Als mein Vater starb, der nur ein geringes Vermögen hinterließ, war
-mein Bruder auf dem Gymnasium, und ich ein Mädchen von sechszehn Jahren.
-Mein Bruder Leopold war sehr befähigt und Mutter und ich wünschten
-beide sehr, er möchte Theologie studiren, kein Opfer, welches wir uns zur
-Förderung dieses Zweckes auferlegten, schien uns zu schwer, wir entbehrten
-mit Freudigkeit und freuten uns über jede neue Bestellung an Näh- und
-Stickarbeiten, deren Ertrag für den Bruder zurückgelegt wurde. Leopold
-kam wirklich zur Universität und erleichterte Mutter den kostspieligen
-Unterhalt durch Stundengeben, so daß vorauszusehen war, es werde Alles gut
-gehen. Daß wir's an Bitten bei der rechten Behörde nicht fehlen ließen,
-können Sie sich denken -- aber Leopold irrte ab. Er trieb es sehr, sehr
-schlimm, mit der Theologie war es aus, er kam zu Haus und es sollte nun
-überlegt werden, was nun aus ihm werden könne. Ehe er ankam, war ich in
-der vortrefflichsten Stimmung, es war nicht schwer, neben der Mutter das
-Rechte zu finden: ich hatte nicht zu richten, sondern nur zu beten und zu
-bitten, auch konnte ich meinem lieben Herrn beweisen, bis zu welchem Grade
-von Sanftmuth ich es gebracht hatte, ich wollte mit schwesterlicher
-Liebe den zu halten suchen, der unbrüderlich den Lohn meines anhaltenden
-Fleißes verpraßt hatte, nur Lächeln anstatt Thränen zeigen.«
-
-»Alles gelang, bis Leopold auch in seiner Heimath das schreckliche Leben
-wieder begann, und die traurigsten Excesse unter unsern Augen verübte,
-obgleich Mutter alles Mögliche, was seine Verblendung zerstören konnte,
-anwendete, obgleich ich, nach meiner Meinung, mit der überzeugendsten
-Klarheit auseinandersetzte, daß der von ihm eingeschlagene Weg einzig
-in den Abgrund bodenloser Verderbtheit und Unheiles führen müsse. Er
-_wollte_ also nicht! Nun war es aus mit meiner großen, schönen Liebe, mit
-meiner Sanftmuth, da glaubte ich entschieden die Grenze zwischen ihm und
-mir gezogen, ich wendete mich kalt von ihm ab und betrachtete ihn mit dem
-Blicke der Verachtung. Mein Herz litt unsäglich dabei, aber ich
-hüllte mich in ein stolzes Schweigen, den Bruder vermeidend, die Mutter
-auffordernd, ihn zu lassen, wie ich es gethan, in mir den Ersatz zu suchen.
-Ja, ich wagte das Unglaubliche, ich war so stolz in meiner Tugend, die mich
-so hoch über den Bruder stellte -- aber Mutter hatte keine Antwort dafür,
-sie sah mich nur an, stumm und verwundert, schmerzlich befremdet.« --
-
-»Am Abende dieses Tages brachten Jünglinge den Leichnam meines Bruders,
-aber Gott sei gepriesen! er hatte sich nicht selbst entleibt, wie es
-mir bei dem ersten Anblicke qualvoll durch die Seele fuhr, er war
-verunglückt.« --
-
-Julchen schwieg einige Augenblicke, aber bald gefaßt, fuhr sie fort:
-
-»Ist es gewiß, daß mein abstoßendes Wesen nicht Ursach war, daß mein
-Bruder gerade an diesem Tage das Haus verließ, draußen umherirrte? --
-Hatte ich nicht jedenfalls Mutters Liebe von dem Unglücklichen zu reißen
-gesucht, hatte ich nicht Uebels von ihm geredet, während ich »ihn
-entschuldigen sollte und Alles zum Besten kehren!« --
-
-»Meiner Mutter Haupt richtete sich früher empor als das meinige, sie
-hatte ein gutes Gewissen. Aber sie tröstete mich mit liebevollen Worten,
-erinnerte mich an Gottes Weisheit und Güte, die Alles voraussieht, immer
-wacht, gern verzeiht, und hob mein, in der Seelenqual gesunkenes Vertrauen
-zu dem, der das zerbrochene Rohr nicht knickt und den glimmenden Docht
-nicht auslöscht. Durch Gottes und ihre Hülfe wurde ich wieder ruhiger,
-ich drückte die Hände meiner Freundinnen wieder wärmer, als in der Zeit
-des Elends. Viel Worte des Lobes und der Bewunderung wurden in jener Zeit
-über mich gesprochen, die öffentliche Meinung überschreitet leicht das
-Maaß, im Tadel wie im Lobe, man hinterbrachte sie mir, mich zu erfreuen,
-aber ich verbarg mich schamroth vor den kurzsichtigen Beobachtern. Die
-freundliche Aufnahme und Vertheidigung, die Leopold Anfangs bei mir
-gefunden hatte, dokumentirten aufs Neue mein vortreffliches Herz, meine
-spätere Kälte war untrüglicher Beweis meiner reinen Tugendhaftigkeit,
-die mit dem Unreinen durchaus keine Gemeinschaft haben könne, und dann,
-mein unverkennbar tiefer Schmerz nach Leopolds Tode -- wie rührend
-erschien er der Welt, mit welcher Zartheit begegnete man mir seinetwegen!«
-
-»Jahre verstrichen, ich war zwei und zwanzig Jahre alt geworden, und Gott
-hatte mir ein Glück geschenkt, das in seinem Umfange vorher nicht zu ahnen
-ist: ich meine die Liebe eines Freundes, in dessen Gemeinschaft uns die
-Welt verschwindet, wir uns nur selig vor dem Herrn aller Liebe fühlen.
-Mein Freund war unendlich mehr als ich, aber ich verstand ihn. Ich staunte
-über den Reichthum des innerlichen Lebens, den er mir erst zugänglich
-gemacht hatte; er war der Engel der mir lächelnd unser seliges Endziel und
-alle Hindernisse auf dem Wege dahin im Lichte der überwindenden Kraft
-der Gnade zeigte. Ich bin jetzt ein altes Mädchen, aber wenn ich von ihm
-spreche, so verkörpere ich nur ein freudiges Hallen der ihn feiernden
-Seele; ich liebe ihn noch, und freue mich ihm entgegen, aber staunen Sie,
-Niemand weiß es: ich wurde ihm ungetreu.«
-
-»Gott nahm ihn mir früh, ich sah ihn begraben; aber an seinem Grabe
-sprach ich das Gelübde aus, einsam meinen Weg zu wandeln; Keiner sollte
-so Theil an mir haben, wie er, Niemand so meine Theilnahme, mein Vertrauen,
-meine Freundschaft besitzen; er sollte mein Leitstern bleiben, bis wir
-wieder bei Gott vereint sein würden.«
-
-»In diesem Gelübde fand ich neue Kraft, ich hatte die Süßigkeit
-der innigsten Gemeinschaft zweier Herzen kennen gelernt und wollte, das
-vielleicht lange Leben hindurch, darauf verzichten; wollte mich mit der
-sekundairen, laueren Freundschaft derer begnügen, die mein Herz nur
-oberflächlich kannten, und in andern Verbindungen größere Befriedigung
-fanden.«
-
-»Meine Sehnsucht und Trauer war groß, ich habe Jahre lang viel gelitten,
-mehr als ein Christenherz um einen Heimgegangenen leiden sollte. Endlich
-erhob ich mich, mit Gottes Hülfe, zu größerer Klarheit, ich empfand
-wieder Freude bei seinem Andenken, ich freute mich in seinem Sinne handeln
-zu können, richtete meine Blicke und mein Herz wieder fester zu den
-Höhen, von wannen die Hülfe kommt. -- Da starb Mutter und ich war ganz
-verwaist. Es ist sehr schwer allein zu stehn, wenn man ein warmes Herz
-hat. Es fehlt freilich nie an Gelegenheiten zum Gutesthun, aber unsere
-Liebesthaten werden da unendlich wohlthätiger wirken, wo die Liebe sie
-empfängt; man will auch nicht verschwenden, weil man weiß, wie glücklich
-Liebe machen kann. Fühlen Sie, wie es kam, daß die welche als ein Muster
-felsenfester Treue galt, allmählig die Wünsche hegte, mit ihrem tiefsten
-Seyn, sich an ein anderes lebendes Wesen zu schließen, fühlen Sie aber
-auch die Kämpfe, Selbstanklagen und welches Verzagen diese arme Seele
-erschütterten? Der geistige Bund, die geistige Ehe, wenn Sie wollen, war
-entweihet, auf welche Tugend durfte ich noch bauen, wenn nicht auf diese
-Treue, auf mein freiwilliges Gelübde der feurigsten dankerfülltesten
-Liebe? -- Auf keine Tugend, keine Kraft war zu rechnen, in mir war kein
-Halt.«
-
-»Was giebt mir nun den Muth mich dem Himmel und meinem Freunde dennoch
-entgegen zu freuen?« fuhr die Erzählerin fort, »ich will es Ihnen
-sagen. Kennen Sie noch Worte wie diese: »Kommet her zu mir Alle, die ihr
-mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf euch
-mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig und von Herzen
-demüthig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen, und saget den
-verzagten Herzen, seid getrost, fürchtet euch nicht; ich bin der Herr dein
-Arzt; selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet -- wendet euch zu
-mir, so werdet ihr selig -- die Liebe decket der Sünden Menge -- verlasset
-euch auf den Herrn ewiglich -- durch Stillesein und Hoffen würdet ihr
-stark sein!«
-
-»Jetzt bin ich stark im Glauben, ich bin auch selig in Liebe und
-Hoffnung.«
-
-Das treffliche Mädchen schwieg und sah mich mit den leuchtenden Augen
-ihrer Mutter an. Ich küßte ihre Hand.
-
-»Haben Sie wirklich alle Gebote gehalten?« fragte sie.
-
-»Nein,« entgegnete ich. Sie drückte mir die Hand, und ich verließ sie
-voller bewegten Herzens. --
-
-Wenn ich einmal verheirathet sein werde, dann will ich Julchen Hermann für
-mein Haus zu gewinnen suchen, da soll sie noch viel Liebe finden. Meine
-Frau soll die Geschichte erfahren, und wenn sie sie jetzt nicht etwa schon
-liebt -- man kann's ja nicht wissen -- dann wird sie's nachher sicher.
-Julchen wird dieser Frau eine sehr kräftige Stütze werden, ich nenne sie
-freilich immer alt, deshalb ist sie aber noch nicht gebrechlich, und hat
-sie auch einmal Migräne, so legt meine Frau die Hände auf sie und Alles
-ist gut. --
-
-Gott segne alle guten Menschen, Dich auch recht sehr, liebe Pauline!
-Schreibe bald wieder.
-
- _Justus._
-
-
-
-
- Den 13. October.
-
-Kleines Mädchen, ich fühle mich sehr behaglich auf Gottes schöner
-Welt, und er hat mir einen netten Platz und entsprechende Arbeit darauf
-angewiesen. Der liebe, großmüthige Herr Gott hat mich ohne Zweifel
-wirklich recht lieb, sonst könnte er mir nicht so viele gute Menschen in
-den Weg schicken und mein Herz so fröhlich machen.
-
-Sonntags kam ich aus der Kirche, -- ich schäme mich dieses Ganges
-keineswegs, ich fühle mich darin ganz behaglich, ganz zu Hause, ich habe
-gesungen wie die Andern: Befiehl du deine Wege u. s. w. -- also ich kam aus
-der Kirche, und stehe mit der kleinen Johanne, die ihrer Bonne weg- und mir
-entgegen gelaufen ist, und plaudere ganz freundschaftlich, als »Grafs«
-kamen. Der liebe Engel grüßte, bevor ich meinen Hut herunter hatte, wie
-Maienlicht und steuerte auf uns los.
-
-»Wissen Sie, lieber Herr Brand, was wir in dieser Woche für ein Fest
-feiern?« frägt sie. Ich wußte von nichts. »Königs Geburtstag, am
-15.,« fuhr sie fort, »und ich führe zur Verherrlichung des Tages etwas
-im Schilde gegen Sie.« -- Ich stellte mich ihr mit allen meinen Kräften
-zur Disposition.
-
-»Eigentlich muthet Ihnen meine Frau ein starkes Stück zu,« bemerkte der
-Graf, »aber sie hat ein merkwürdiges Vertrauen zu Ihnen.«
-
-Ich fühlte mich erröthen und sah die edle Dame dankbar an; sie lächelte
-und sagte: »O ja, sein Sie dessen ganz gewiß, was ich aber wünsche, ist
-gerade nichts Gewaltiges, es handelt sich nur um ein Paar Transparente
-zum Festtage, nicht wahr, Sie machen sie gerne? wir wollen recht schön am
-Abende illuminiren.«
-
-Sie war dabei so erwartungsfroh wie ein Kind und ich versprach natürlich
-mein Möglichstes dabei zu thun. Da stehn sie nun, 3 Rahmen, mit dem
-königlichen Namenszuge, Adler, Laubwerk u. s. w., ich habe sie vorhin
-probirt, es ist eine wahre Pracht! -- Hast Du wohl beachtet: sie hat
-merkwürdiges Vertrauen zu mir!
-
-Uebermorgen Abend also glänzende Illumination, und in der Stadt Ball. Zu
-drei Tänzen habe ich bereits engagirt, Theresen zur Polonaise und Ida zum
-ersten Walzer und Cottillon. Cäcilie will nicht hingehen, sie wird Burga's
-und Berga's Kameradschaften mit Kuchen und =blanc manger= tractiren --
-Jeder nach seinem Geschmack! -- Nach dem großen Tage mehr.
-
-
- Am 16. October.
-
-Was steckt doch alles in einem und demselben Menschen; ich z. B. bin
-überraschend vielseitig, es kommt nur darauf an, mich dahin zu stellen,
-wo etwas fehlt, und man erlebt Staunenswerthes! -- Die Tage waren köstlich
-und ich werde Dir alles getreulich berichten, es ist ein Vergnügen noch
-einmal Alles durchzunehmen.
-
-Die Transparente waren also zur rechten Zeit fertig und ich glaubte bei
-den übrigen Vorbereitungen den Zuschauer abgeben zu können, aber weit
-gefehlt!
-
-Schon am frühen Morgen des 14. begann ein allseitiges Rumoren, die ganze
-Dienerschaft lief durcheinander, schleppte hierhin und dorthin, schrie und
-frohlockte, als sei es heute Pflicht und Schuldigkeit Menschen, welche
-von der Natur mit zarten Gehörnerven versehen sind, zur Verzweiflung zu
-bringen. Wie die Gräfin dies aushält, dachte ich, wo sie wohl steckt,
-während dieses Lärmens. -- Der Tag war einzig schön, ich öffnete das
-Fenster, setzte mich daran und begann zu malen. Es ging aber nicht, trotz
-des besten Willens, so beschloß ich Toilette zu machen und mir den
-Wirwarr draußen in der Nähe zu besehn, vielleicht daß ich ihm dann
-mehr Geschmack abgewönne. Aber zum ersten Male sah ich mich hier
-vernachlässigt, der Toilettentisch entbehrte des Nothwendigsten, wer denkt
-an den Maler im Dachstübchen, wenn Königs Geburtstag ist! Ich machte mich
-jedoch bemerklich und klingelte, einmal, und noch einmal, und als das
-nicht half, lief ich an die Wendeltreppe, und schrie um durchzudringen
-mit einigem Kraftaufwande erst nach dem Bedienten und dann ganz energisch
-»Waschwasser!« Leichte Schritte wurden in einem benachbarten Zimmer
-hörbar, sie entfernten sich, und nichts erfolgte. Nun galt es Geduld zu
-üben und mit Ergebung abzuwarten, was geschehen würde.
-
-Es dauerte nicht lange und das Zöfchen erschien, nach meinen Befehlen
-fragend, Frau Gräfin schicke sie. »Frisches Wasser, liebes Kind,« gab
-ich ganz bescheiden zur Antwort. Also ihre Erlaucht hatte ich vorhin mit
-meinem Befehle beehrt!
-
-Nach einer Viertelstunde stand ich im Eßsaale, wo aber ein großes Malheur
-passirt war. Ein ungeschickter Bedienter hatte einen Wandleuchter an Ort
-und Stelle bringen wollen, sich statt einer Treppe einer Leiter bedient,
-war damit auf dem geglätteten Fußboden ausgeglitten, niedergefallen, und
-dabei, um die Sache nicht allein abzumachen, hatte er einen in der Nähe
-stehenden großen Gypsengel bei einem Flügel ergriffen und ihn glücklich
-mit zu Falle gebracht. Mit Mienen stummer Verzweiflung umgab das fast
-vollständig gegenwärtige Dienstpersonal die jämmerliche Gestalt
-des schwerverletzten Schutzengels, der Sünder selbst stand da, mit
-leichenblassem Gesichte. Auch die Gräfin besichtigte den Schaden und
-befahl dann die Figur aus dem Saale zu schaffen, als ich bat die Sache
-etwas genauer untersuchen zu dürfen. Nun stellte es sich heraus, daß
-die Zierde des Saales noch zu retten war, zwar mußte der rechte Flügel
-dreimal gekittet und eine starke Schramme auf der Stirn ausgefüllt werden,
-aber das war auch das Schwierigste, die andern Defecte waren höchst
-unbedeutend. Die Gräfin schüttelte anfangs den Kopf zu meinem Entschlusse
-die Operation zu übernehmen, und meinte ein geflicktes Kunstwerk sei keine
-Zierde mehr, als ich jedoch erklärte es nicht übel nehmen zu wollen,
-wenn man den Geheilten verwerfen würde, und betheuerte ich würde nur sehr
-ungern von der Arbeit abstehen, gab sie lächelnd ihre Einwilligung. --
-Der Engel genaß vollkommen, jede Narbe verschwand unter einer angemessenen
-Dosis Marmormehl und am 15. Morgens war ihm von seinem =salto mortale=
-nichts mehr anzusehen. Ob nun zum Lohn für diese Kur oder nicht, das kann
-ich nicht entscheiden, genug, ich wurde eingeladen mit der Herrschaft gegen
-Abend durch den Park zu fahren, es war ein Genuß, in dieser Gesellschaft
-und unter den alten prächtigen Bäumen hin, die indessen schon bedeutend
-gelichtet sind und die reichste Schattirung zwischen Grün, Gold und Purpur
-bilden. Mehrere dieser Alleen sollten auch illuminirt werden, nur bedauerte
-die Gräfin, daß man nicht bei Zeiten daran gedacht habe, die Wege vom
-hochdaraufliegenden Laube säubern zu lassen, es sähe schlecht aus, und
-lasse sich auch nicht schön darin gehen und sie spaziere doch so gerne
-bei solchen Gelegenheiten in diesen Gängen, wo sie so viele freundliche
-Gesichter zu sehen bekomme. Der Graf bedauerte es ebenfalls, konnte aber
-nur versprechen die dem Schlosse zunächst liegenden Wege sauber herstellen
-zu lassen, seine Leute hätten schon reichliche Beschäftigung.
-
-Ganz bescheiden wagte ich es mich ein wenig in die Sache zu mischen und
-fragte, ob die armen Leute in der Stadt wohl nicht gern das Laub wegholen
-würden, wenn sie nur die Erlaubniß dazu bekämen. »Gern,« erwiederte
-der Graf, »aber bei solchen Gelegenheiten kennen die Leute nicht Maß noch
-Ziel. Würde ich die Erlaubniß zu morgen früh ertheilen, so könnte
-man sicher darauf rechnen, daß noch Mittags, wenn die Gäste kommen, der
-Schloßberg mit den Laubharkern besetzt ist, und da weiß ich doch nicht
-was vorzuziehen ist, besonders wenn ich bedenke, daß das Wild durch die
-Kinder auf mehrere Tage in den Hintergrund des Parkes gescheucht werden
-wird, wer kann solche verschiedenartigen, zahlreichen Arbeiten hüten?«
-
-Mir fuhr ein komischer Gedanke durch den Kopf. »Ich will's thun,
-Erlaucht,« sagte ich, »es wird mir ein Vergnügen sein.«
-
-»Ebenso wie mit der Natur?« fragte die Gräfin.
-
-»Ja,« antwortete ich, »gestatten Sie nur daß mir ein bespannter Wagen
-und eine Menge Säcke zur Verfügung gestellt werden, das Andere werde ich
-mit Vergnügen besorgen.« -- Der Graf fand das zwar unmöglich anzunehmen,
-aber seine liebe Frau bewies ihm die Möglichkeit ganz einfach.
-
-»Laß dem Herrn nur den Willen,« sagte sie schließlich, »Du hörst
-wohl, er thut so etwas gern, es ist gewiß wahr, da er es zweimal
-betheuert, und warum auch nicht? ich kann mir das Geschäft auch ganz nett
-denken.« -- Erlaucht war überwunden.
-
-Gleich nach der Abendtafel eilte ich in die Stadt, mein Plan war schon
-fix und fertig. Der Bürgermeister sollte eine Anzahl Personen nennen,
-mit denen etwas aufzustellen war, diese sollten für die Frühstunden des
-nächsten Tages zum Laubharken geworben werden, und für die Arbeit bekamen
-sie das Laub bis vor die Thüre gefahren. Bernwacht war im Familienzimmer,
-dort wurde die Geschichte also verhandelt. »Giebts denn schon was?«
-fragte Frau Bernwacht ganz erstaunt, wir haben ja noch gar keinen Frost
-gehabt.
-
-»Aber Kastanien Mama, bedenke Kastanien, die schon ganz kahl sind,«
-belehrte Berga, »und wie viel ist noch vom vorigen Jahre! Burga und ich
-wir gehen in der langen Allee manchmal zum Spaß durch das allertiefste
-Laub, und dann raschelt es sehr, Du solltest mal hören.« Für ihre
-Vertheidigung der Wichtigkeit meiner Angelegenheit beanspruchte sie für
-sich und Burga die Erlaubniß mit zu harken, sie könnten das Laub herrlich
-für ihre Kaninchen zum Einstreuen gebrauchen. Ida meinte: so eine Gräfin
-ist doch allmächtig, sie darf nur einen Wunsch äußern und man eilt
-ihn auszuführen und sollte man auch die merkwürdigsten Metamorphosen
-durchmachen.
-
-»Sanfte, liebenswürdige Damen,« entgegnete ich, »haben über jedes
-Männerherz zu gebieten.«
-
-»Das ist ja schrecklich,« spottete sie, »da hat ja keine Braut und
-Frau das Herz ihres Mannes für sich allein; fürchtest Du Dich nicht,
-Therese?«
-
-»Nicht im Geringsten,« erwiederte diese lachend, »ich werde mich
-bemühen Theodor als die sanfteste und liebenswürdigste Frau zu
-erscheinen, dann bin ich, nach eines Kenners Aussage, seiner größten
-Liebe gewiß.«
-
-»Sehr edel von Dir, dennoch theilen zu wollen,« sagte Ida pathetisch
-und hob den Kopf gewaltig, »ich meinerseits verlange entweder Alles oder
-Nichts.«
-
-An solchen Scherzen betheiligt sich Cäcilie nie. Sie sitzt dann ganz ruhig
-und strickt oder näht, oder zeichnet Muster, aber sie sieht oft aus, als
-verstände sie von dem, was um sie her vorgeht, nichts, als seien ihre
-Gedanken weit, weit weg. Ich möchte wohl wissen, wie es in einem Kopfe und
-Herzen wie dem dieses kleinen Mädchens aussieht.
-
-Am andern Morgen ertheilte ich meine Befehle als Laubkommissarius, wie
-Burga mich betitelte, und gegen zehn Uhr waren die Wege in schönster
-Ordnung, geharkt und gefegt, und als die Gäste durch den Thiergarten
-fuhren, war kein einziger Barfüßer mehr zu sehn. -- Um drei Uhr war
-großes Diner, es dauerte mehrere Stunden, und ich habe mich unter dem
-fremden hohen Adel weder gelangweilt noch gekränkt gefühlt, freilich war
-das auch nicht zu befürchten, da die Gäste, außer einigen Herren aus
-der Stadt, aus Freunden unserer gräflichen Familie bestanden, die ihnen
-natürlich geistesverwandt sein müssen. Einige Unruhe fühlte ich gegen
-Ende der langen Sitzung dennoch, ich dachte an das, was noch kommen sollte,
-besonders an den Ball auf dem Rathhause; endlich erhob man sich, ich war
-frei, und wollte eben aus der Thür schlüpfen, als ich den Blicken der
-Gräfin begegnete. Sie winkte. »Sie gehen zu Ball,« sprach sie huldreich,
-»und sprechen vorher bei Bernwachts ein, wollen Sie den Kindern nicht
-etwas Confect mitnehmen? Sie werden sich sehr dadurch insinuiren.« --
-Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, füllte einen Teller mit feinen
-Süßigkeiten an, nahm ihn ungenirt nach außen, schlug dort die ganze
-Bescherung in einen Bogen weißen Papiers und steckte das ansehnliche
-Paquet in die Rocktasche. Nun gings in Sätzen den Schloßberg hinunter
--- an der Toilette war nichts mehr zu ändern -- dem bürgermeisterlichen
-Hause zu. Man war natürlich noch nicht fort, denn der Papa mußte erst
-kommen, und der war bei meinem Abgange noch in ein Gespräch mit dem
-Landrathe vertieft, auch wollte man erst die Illumination sehen, denn bei
-dem schönen Wetter drohte dem Putze keine Gefahr, man hatte es früher
-auch schon gethan, und war ganz entschlossen. Ida in rosa Flor sah
-entzückend aus, sie hatte weiße Rosen im Haar und Perlen um Hals und Arme
-geschlungen. Als sie mir entgegen kam, blieb ich wie geblendet stehen,
-und hielt die Hand über die Augen. Sie lachte anmuthig und sagte: »Nicht
-wahr, ich bin wundervoll?« -- »Wundervoll!« echote ich. »Süperb?«
--- »Süperb!« Lachend gab sie Theresen die Hand und länderte durch das
-Zimmer. Sie kam mir reizender vor als je. Therese war weiß gekleidet; sie
-wäre vielleicht ebenso gern zu Hause geblieben, ihr Bräutigam war nicht
-da. -- Cäcilie kam mit einem Schlüsselbunde zum Vorschein und trug
-mächtige Körbe mit Aepfeln und Wallnüssen, das erinnerte mich an meine
-gespickte Tasche, und Burga und Berga empfingen überglücklich die Sendung
-der Gräfin. Darauf kam die Nachricht: die Erleuchtung sei im Gange, der
-Papa brachte sie selber, ich half den Damen sich einzuhüllen und nun
-gingen wir Alle dem Thiergarten zu.
-
-»Papa und Mama müssen unsere Lootsen sein,« meinte Berga.
-
-»Ja,« wiederholte die Andere, »es ist gewiß« -- »Schweig!« gebot
-Ida, »wir wissen allemal im Voraus, was die Zweite von Euch zu sagen hat,
-macht nicht so viel unnütze Worte.« --
-
-Die Kleinen hüpften zu Cäcilien, hakten unter und somit war ich auf
-die beiden Balldamen angewiesen, die denn auch geruhten mich zum Führer
-anzunehmen. --
-
-Oft habe ich Illuminationen gesehn, die diese einfache bei weitem
-überstrahlten, aber keine erschien mir so lieblich, kindlich möchte
-ich sagen, wie diese, und keine habe ich in so angenehmer Gesellschaft
-betrachtet. In den schönen Alleen wogte es nur so von Menschen, und alle
-waren mehr oder weniger von dem schönen Schauspiele entzückt. So schön
-war es noch nie gewesen, das hörten wir wenigstens zehnmal.
-
-»Das sagen sie alle Jahre,« bemerkte Ida.
-
-»Nein,« widersprach eine der naseweisen Kleinen; »Cäcilie sagt es
-selbst, so lieb ist es nie gewesen.« -- Ich sah mich nach dem Dreiblatt
-um. »Es ist heut Abend wunderschön,« lächelte das kleine blasse, süße
-Gesicht. -- »Ich denke lieb?« fragte ich. -- »Ja, recht lieb.« --
-
-Nun wurden die Transparente sichtbar, und ich erntete indirect
-überreichlichen Lohn für meine kleine, gern übernommene Mühe. Es war
-an der Stelle, von welcher man sie am besten sehen konnte, ein förmliches
-Gedränge. Ida wurde sehr unwillig, ihr Anzug verdürbe auf diese Weise
-ganz, sie müsse nur allein gehen und auszuweichen suchen; ich verbeugte
-mich und ließ sie gehen. Bald darauf sah sich auch Cäcilie treulos
-verlassen, die kleinen Schwestern waren zur Mutter gestürmt, um ihr etwas
-Nothwendiges über die Eindrücke zu sagen, welche dies Alles auf sie
-hervorgebracht hatte, sie stand ganz allein da und vertiefte ihre Augen
-in die Tausende von Sternen, die sich mit einem Male auf den schönen Wald
-niedergelassen hatten. »Wir müssen die junge Dame nur unter unsern Schutz
-nehmen,« flüsterte ich Theresen zu, und bot Cäcilien meinen Arm an, aber
--- sie dankte! Sie dankte recht sehr, ich möchte es aber -- aber nicht
-übel nehmen. --
-
-Ich nahm's ihr dennoch übel. --
-
-Nach einer guten halben Stunde eröffnete Ida an der Seite eines jungen
-Militairs den Ball, und man tanzte, tanzte und tanzte, das ist die
-Geschichte des Balles. Aber außerhalb des Balles trug sich an diesem
-Abende noch Etwas zu. Von Bedeutung? magst du fragen -- je nun, ich meine
-fast. Sieh, als ich die beiden Schwestern durch den Saal schweben sah, --
-sie sind Beide _sehr_ graciös -- fiel mir plötzlich Cäcilie, die kleine
-Unergründliche, ein. Ich dachte: wie sie wohl tanzen würde, gewiß
-hinreißender wie die Salome vor Zeiten, denn sie hat eine feenhafte kleine
-Gestalt, und schwebt überhaupt mehr als sie geht. Und, dachte ich weiter,
-was sie nun wohl treibt, und ob ihr Zuhausebleiben vom Ball wohl wirklich
-Geschmackssache war oder ein pietistisches Opfer, ob sie zu Hause wohl den
-Kopf ein wenig hängen läßt, und dachte so lange an dergleichen, bis ich
-mit einer Art Freude, die mir ganz neu war, mich daran erinnerte, daß mich
-ja nichts verhindere sie aufzusuchen, daß ich ja überhaupt so frei sei
-wie der Vogel in der Luft. Der Mantel wurde umgeworfen und bald war ich da.
-Am Fenster blieb ich lauschend stehn, lauter Gesang hoher Diskantstimmen
-schallte mir entgegen: »Heil Dir im Siegeskranz, Herrscher des
-Vaterlands!« -- eine schöne sanfte, aber sichere Altstimme führte das
-Steuer. Die zusammengezogenen Gardinen waren nicht allzu dicht, ich konnte
-vortrefflich hindurchschauen, da saß sie am Claviere und dirigirte; Burga
-und Berga mit wenigstens einem Dutzend künftiger Schönheiten standen
-ringsum und sangen nach Möglichkeit, Julchen Hermann, mit dem Ausdrucke
-innigster Freude, daneben.
-
-»Fühl in des Thrones Glanz,« sie sangen mit ganzer Seele, die Mädchen,
-ich mußte einstimmen, was gings mich an, wenn die Nachbarn etwa ihre
-Bemerkungen darüber machten, es war ja Patriotismus -- »Die hohe Wonne
-ganz, Liebling des Volks zu sein, Heil Liebling Dir!«
-
-Meine Einmischung hatte all die Oehrchen da drinnen gespitzt, Berga
-errieth, und sang sich gerade bei der letzten Zeile aus der Hausthür
-heraus.
-
-»König heißt es!« rief sie corrigirend, und sang, an meinem Arme
-hängend, und meine Variationen noch einmal berichtigend: »Heil
-König Dir!« als ich eben mit höflichem Gruße in der Versammlung der
-Sängerinnen erschien. Cäcilie nickte mir freundlich zu, ließ sich aber
-nicht stören, der Gesang nahm ununterbrochen seinen Fortgang.
-
-»Was wollen Sie denn eigentlich?« fragte mich Julchen, als wir Beide
-auf dem Sopha saßen. »Mich ruhen, erholen.« -- »Glaubten Sie hier Ruhe
-finden zu können?« -- »Ruhe und Frieden,« antwortete ich und sah ihr
-voll in die Augen. Sie lächelte und nickte mit dem Kopfe. »Ja,« sagte
-sie dann, »es ist ein großer Unterschied darin, den Lustbarkeiten
-Erwachsener sich hinzugeben oder den Spielen der Kinder zuzusehen; ich bin
-auch sehr gern unter Kindern.« --
-
-Dieses alte Mädchen hat ein sehr feines Verständniß, aber wenn ich
-einmal ein Geheimniß habe, soll sie es theilen.
-
-Nach dem Vortrage diverser Lieder tanzten die Kinder; Cäcilie spielte
-mit einer Geduld, welche die meinige ermüdete, endlich erbot sich ein
-liebenswürdiges Kind sie abzulösen, und sie setzte sich in unsere Nähe.
-Nun könnte ich sie vielleicht tanzen sehn, dachte ich, oder gar selbst mit
-ihr tanzen, sie wird aber ein rundes Nein bei der Hand haben, das will ich
-doch nicht so schnell riskiren. Da kam Burga und bat sie, und sie tanzte,
-nun versuchte ich mein Glück auch, und sie gab mir die kleine Hand ganz
-willig. Sie tanzte noch lieblicher, als ich es mir vorgestellt hatte,
-leise, leise, sinnig, lache nicht! -- sinnig, wiederhole ich -- sie thut
-nichts als in dieser holden Weise. Da war keine Hast, kein innerer Sturm,
-der sie trieb, keine Eitelkeit, die sich geltend machen wollte, sie hörte
-Musik und bewegte sich harmonisch, das war es; ich, auf dessen Arm sie sich
-lehnte, der ihr Führer hätte dabei sein sollen, konnte nicht anders als
-sie. Nie hatte ich so getanzt! --
-
-Nun tanzte sie nicht mehr, sie schlug es verschiedenen Kindern ab, ich
-wagte es nicht, sie noch einmal zu bitten. Julchen lobte sie deshalb, sie
-scheint sie für schwach zu halten. --
-
-Nach einiger Zeit wurde Pause gemacht und Erfrischungen gereicht, Cäcilie
-war die Vielbeschäftigte; ich hatte was ich wollte, und ging nach dem
-Rathhaussaale zurück, fühlte mich aber nicht sehr zum Tanz mehr aufgelegt
-und sah zu, bis der Cottillon kam, den Ida mir zugesagt hatte. Er dauerte
-sehr lange, und es schlug bereits vier Uhr als der Pförtner mich zum
-Schlosse herein ließ. --
-
-Heut war hier nun eine hübsche Nachfeier, die Armen wurden in den
-Laubengängen gespeist, und die Gräfin sah selbst mit ihren fröhlichen
-Augen überall hin, ob auch Jeder sein Recht bekomme. Es ist rührend zu
-denken, was Alles und wie so ein Frauenherz lieben kann. Spricht diese Frau
-von Mann und Kind, oder ruht nur ihr Auge auf ihnen, so ist es Einem, als
-füllten diese Geliebten ihre Seele ganz aus. Wer sie gestern zum ersten
-Male gesehen hätte, oder überhaupt während die Anstalten zum Feste
-gemacht wurden, der würde den Monarchen beneiden, dessen Namenstag mit so
-inniger Freude begrüßt wurde, wie von dieser Frau. Ihr Töchterchen lehrt
-sie beten für »den theuren König«, den Kindern in der Schule spricht
-sie, wie man sagt, begeistert von seiner väterlichen Treue, ihren Gatten
-und Sohn nennt sie mit Stolz Diener ihres königlichen Herrn. Heute flammte
-wieder der heilige Liebesstrahl in ihren Augen, und für die Armen, die
-ihr nichts Liebes erwiesen, die in ihrem innern und äußern Mangel so
-himmelweit verschieden von ihr sind. Erbarmen habe ich auch für diese
-Menschen -- wozu sage ich übrigens was du weißt und sich von selbst
-versteht, -- aber solches Gefühl ist mir fremd. Ich mußte sie oft
-betrachten. Ob sie es fühlte, weiß ich nicht, und wenn's der Fall war,
-dann muß ich ihr doppelt dankbar sein; einmal als ich in ihrer Nähe
-stand, sagte sie: »Wie glücklich bin ich heut, mehr als glücklich! Immer
-muß ich an die schönen lieben Segensworte denken: »Alles was ihr gethan
-habt Einem dieser Geringsten« -- ihr Auge wurde feucht, und sie brach ab,
-aber ganz leise hörte ich neben ihr die Worte flüstern: »das habt ihr
-mir gethan.« Es war Johanne, ihr kleines Abbild, welches den Vers so
-andächtig ausbetete. Die Mutter küßte sie und sah mich mit einem
-strahlenden Blicke an. Ihr Glaube macht sie selig.
-
-Nachmittags ging ich zu Bernwachts, mich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
-Die Alten waren im Garten, wo neue Anlagen vorbereitet wurden, Therese und
-Ida hielten Nachmittagsruhe und Cäcilie saß im stillen Zimmer und brachte
-Ida's Florkleid wieder in Ordnung, welches mit den Sporen des jungen
-Vaterlandsvertheidigers in unangenehme Berührung gekommen war. Ich
-setzte mich ein wenig zu ihr hin und fragte sie, ob sie das Märchen von
-Aschenbrödel kenne.
-
-»Sehr gut,« antwortete sie, »es war immer mein liebstes.« -- »Das
-läßt sich denken,« bemerkte ich, »wie sieht die Fee aus, sie ist wohl
-wunderschön?« -- »Ich denke, wie Ida ungefähr,« sagte sie munter in
-den Scherz eingehend, »ein schöneres Mädchengesicht als Ida's kann ich
-mir so leicht nicht vorstellen; ich freue mich recht, daß Sie sie malen
-wollen.«
-
-»Haben Sie Ida ganz besonders lieb?« forschte ich weiter.
-
-»Die Schwestern sind mir Alle gleich lieb,« entgegnete sie, »ich möchte
-sie Alle gern gemalt haben, wenn's eine aber doch nur sein soll, so muß es
-die Schönste sein.«
-
-»Sie lieben also das Schöne sehr?«
-
-»Sehr,« wiederholte sie, »ganz außerordentlich.«
-
-»Bei so viel Schönheitssinn,« behauptete ich, »muß ich Talente
-voraussetzen, die Sie neidisch verstecken, gewiß malen Sie ausgezeichnet,
-oder componiren oder dergleichen.«
-
-»Nichts von Allem,« entgegnete sie, »ich kann nur bewundern und lieben,
-aber sehr wenig leisten.« -- »Bewundern, lieben und die Fehler Anderer
-wieder gut machen,« sagte ich unwillkürlich, und wieder fiel mir
-Aschenbrödel ein. »Sie müssen mir entschieden zu einem Bilde sitzen, ich
-lasse Ihnen keine Ruhe anders,« kündigte ich ihr an; sie lächelte
-aber und meinte: erst solle ich nur Ida malen, dann könne das Weitere
-besprochen werden. Thut sie's, so wird diese Aschenbrödel ein süßes
-Bild. Ich gebe ihr etwas mehr Farbe, die ihrige ist fast zu zart, und lasse
-sie das herabflatternde Täubchen mit den erstaunten, fast erschrockenen
-Wunderaugen begrüßen, die sie so manchmal auf uns richtet, wenn ihr etwas
-Unerwartetes passirt, oder ich lasse sie vor der Fee stehn, und diese Augen
-mit dem Ausdrucke der Bewunderung auf sie heften, den ich schon manchmal
-mit einem zärtlichen Gefühle belauscht habe. Die Fee kann dann Ida sein,
-weil sie es gesagt hat, sie wird mit ihrer vollendeten Gestalt und den
-tadellosen Zügen prächtig werden. -- Sieh' Schwesterchen, so habe ich
-schon wieder eine Freude im Voraus, ich begreife nicht, wie man das Leben
-langweilig finden kann, wie z. B. Waldemar es thut, von dem ich erst
-kürzlich eine lange Jeremiade über die Nüchternheit des menschlichen
-Lebens aus Berlin erhalten habe.
-
-Nun will ich meinen langen Brief absenden und nur noch für den Deinigen
-danken. Ja, Julchen ist mir auch sehr theuer geworden, und ich werde sie
-öfter besuchen. Lebe wohl!
-
- _Dein Bruder Justus._
-
-
-
-
- Den 5. December.
-
-Du bist erstaunt über meine Brauchbarkeit nach so vielen Seiten hin --
-liebes Kind; Du weißt so viel wie nichts davon, Du wirst noch ganz andere
-Begriffe von mir bekommen, wenn Du diesen Brief gelesen hast. Aber ich
-übereile mich nicht damit, es wird ganz =en passant= kommen, ich werde den
-Faden des Berichtes da wieder aufnehmen, wo er abgerissen wurde. -- Nach
-dem denkwürdigen 15. October beschloß ich sehr fleißig zu arbeiten, weil
-mein Bewußtsein etwas unzufrieden geworden war. So vollendete ich denn das
-Bild der Gräfin zunächst und begann mit Eifer die Restauration der alten
-Familienportraits im Ahnensaale. Der Graf besuchte mich oft bei meiner
-Arbeit, sah mit Theilnahme zu und sprach manch gutes, anregendes Wort. Er
-ist ein ausgezeichneter Mann. Seine holde Gemahlin begleitet ihn zuweilen
-und das Kind kommt am oftesten, bringt mir zuweilen schönes Obst oder ein
-Paar Blumen, die es auf dem Walle für mich gepflückt hat, oder fühlt den
-Trieb, mir irgend eine wundersame Historie mitzutheilen, die Mama erzählt,
-oder es selbst in einem bilderreichen Elberfelder Büchlein gelesen hat.
-Dann thut es oft die seltsamsten Fragen, so auch einst, ob ich Joseph oder
-Timotheus lieber leiden möchte. Sie ihrerseits war geneigt, dem Jünger
-den Vorzug zu geben, obgleich Joseph auch sehr liebenswürdig und
-großmüthig gewesen sei, aber zweierlei fand sie nicht schön von ihm,
-erstens: daß er die stolzen Träume erzählt hatte, und zweitens: daß er
-bei der ersten Rückkehr der Brüder aus Aegypten seinem Vater keinen
-Trost gesendet hatte, »und er trug doch Leid um ihn!« sagte sie höchst
-mitleidig. Dann zeigte sie mir ein kleines Bild, wo Timotheus als Knabe zu
-den Füßen einer alten Frau saß und in der Bibel las. Die Mutter stand
-daneben und weidete sich an dem Anblicke. »Ist er nicht sehr nett?«
-fragte sie, »sieh nur, wie sie ihn lieb haben, der war schon von klein an
-ein Jünger Gottes, und nachher liebte er den Heiland so sehr, und dann
-war er des Apostels Paulus lieber Sohn; ich glaube, er ist noch besser als
-Joseph, aber Joseph ist auch sehr gut.«
-
-»Joseph war aber ein Jude,« wendete ich ein. »Das schadet nichts,«
-sagte sie, »er konnte ja damals nichts Besseres sein; weißt Du nicht, die
-Juden waren ja auch Gottes Kinder.«
-
-»Aber jetzt sind sie es wohl nicht mehr?« fragte ich.
-
-Sie sah mich groß an und sagte: »Alle Menschen gehören ja dem lieben
-Gott, die armen Heiden ja auch, und der liebe Gott will alle, alle Menschen
-in seinen schönen Himmel bringen, in sein großes, großes Reich,
-denk mal, wie viel Menschen da zusammenkommen werden; ob ich Dich wohl
-wiederfinde?« --
-
-»Der liebe Gott wird's wohl so einrichten,« gab ich ihr zur Antwort. --
-»Das ist wunderschön,« rief sie freudig, »ich mag Dich auch sehr gern
-leiden.« -- Ich küßte sie für diese wohlthuende Erklärung und nahm
-sie auf meine Knie, um meine Mappe mit ihr zu durchblättern: viele von den
-Bildern machten ihr große Freude und mir ihr Geplauder noch mehr.
-
-Zuweilen trat ich auch Mittwochs in den Betsaal, wo der Kaplan einen
-Vortrag hält und viel gesungen und gebetet wird; diese Versammlungen
-werden auch von Mehreren aus der Stadt besucht, namentlich habe ich
-Julchen und Cäcilie fast jedesmal dort bemerkt, wenn ich einsah, auch Frau
-Bernwacht und Therese zuweilen, Ida sehr selten. Ich blieb nicht immer die
-ganze Zeit über da, gewöhnlich während der Rede, oder ich kam gegen das
-Ende und wagte mich dann nicht über die Thür hinaus. Das lange Singen
-ermüdet mich bald, und die Begleitung ist auch nur sehr mittelmäßig,
-auf einem alten Klaviere, welches wahrscheinlich aus Rücksicht auf seine
-langjährigen Dienste an dieser Stätte noch in Activität bleibt. Vorigen
-Mittwoch war man nun in Verlegenheit, wer das Amt des Organisten in der
-Eile übernehmen sollte, der alte Kantor aus der Stadt, ein freundlicher
-Greis, der es bis dahin verwaltet, war unterwegs ausgeglitten und hatte
-sich die Hand verstaucht; die Gräfin war um ihn bemüht, schickte nach
-einem Arzte und bedauerte, daß ihr Mann verreist sei, er spiele so gut
-Choräle, der Sekretair spiele zwar auch Klavier, aber so viel sie wisse,
-nur moderne Sachen, nun es müsse auch ohne Begleitung einmal gehen, der
-Rentmeister sei ein zuverlässiger Sänger, der könne den Ton angeben. --
-Nun weißt Du, was geschah. Ja, ich spielte; ein mächtiges Choralbuch war
-ja da, und ich fühlte mich ganz wohl dabei; aber eigner Mensch, der
-ich bin, ich genirte mich nachher den Blicken Julchens und Cäciliens zu
-begegnen. -- Da der alte Mann sich noch schonen soll, werde ich noch einige
-Male den Platz am Instrumente einnehmen. Die Gräfin war sehr gütig und
-erlaubte mir, den Flügel im Speisesaale nach Gefallen zu benutzen, werde
-es aber nicht oft thun, die Zeit fliegt ohnehin fast allzuschnell dahin.
-
-Das ist Mittwochs. Freitags gehe ich mit dem Bürgermeister zu einer
-Parthie Schach nach dem Klubb, und Sonntags ist Leseabend bei Bernwachts,
-an welchem, außer Julchen, noch ein Paar junge Damen Theil nehmen, die
-mir gegenüber sehr schüchtern sind, und von denen ich kaum mehr als die
-Namen, und daß sie Cousinen Theodors, des Verlobten Theresens sind, weiß.
--- Die Lectüre wird durch die Mitglieder bestimmt; jede der Damen wird der
-Reihe nach für ein Buch sorgen, dann nach Cäcilien, als der Jüngsten,
-komme ich, und simulire öfter schon, was ich auswählen soll, um Alle zu
-befriedigen, ein solches Buch wird schwer zu finden sein; Dumas wäre etwas
-für Ida, Göthe für Theresen, aber ich möchte gar nicht Cäcilien den
-Grafen von Monte Christo oder Faust oder die Wahlverwandtschaften vorlesen
-hören. Neulich fragte ich sie nach ihren Lieblingsschriftstellern, da
-nannte sie mir mehrere Lyriker, dann Andersen, die Bremer, Nathusius,
-Namen, die mir zum Theil ganz unbekannt waren. Vielleicht kannst Du mir
-etwas vorschlagen.
-
-So unter Arbeit und in angenehmer Gesellschaft verstreicht die Zeit sehr
-schnell, und die Wochen entfliehen wie Tage. Als ich kam, blühten die
-Rosen, jetzt wirbelt der Schnee um's Fenster und die Raben sitzen auf den
-nackten Bäumen, und doch ist's mir, als hätte ich vor Kurzem erst das
-liebe Nest nach so manchem Jahr der Abwesenheit wieder gesehen. Gestern
-habe ich viel von Dir gesprochen und soll Dich auch von Julchen grüßen.
-Ebenso wie sie, hören die Mädchen im Bernwachtschen Hause gerne von Dir;
-ich habe Dich vor einigen Tagen, auf Ida's Begehr, vom Kopf bis zu den
-Füßen schildern müssen. Zuweilen lese ich ihnen Stellen aus Deinen
-Briefen vor, eigentlich nicht ihnen, sondern nur Theresen und Cäcilien,
-die sich am meisten dafür zu interessiren scheinen. Sie wünschen Alle,
-Du möchtest mal kommen. Ginge es nicht? Freilich nicht vor dem Frühlinge,
-und wo bin ich dann? -- Zwar habe ich außer meiner Arbeit hier im Schlosse
-noch zwei Bilder anzufertigen versprochen und ein drittes wünsche ich =in
-doublo= zu malen, aber zum Frühjahr werde ich mich doch wohl reisefertig
-machen müssen. Wohin? -- Das weiß ich noch nicht. Das Leben in den
-großen Städten, wo ich nirgends heimisch bin, wird mir nachher schlecht
-behagen, ich muß mich wohl irgendwo, auf irgend einem schönen Fleckchen
-der weiten Erde häuslich niederlassen. Was meinst Du dazu, erscheine ich
-Dir schon gereift genug zu einem Hausherrn, oder glaubst Du, daß ich meine
-Lehr- und Wanderjahre noch ausdehnen muß, um später mit um so sicherer
-Hand das Fundament zu meinem Lebensglücke zu legen? --
-
-Im Kreise solcher Familien, wie die des Grafen und Bernwachts, steigen bei
-dem flatterhaftesten Menschen solide Gedanken auf; ich könnte mir
-mein Haus in Zukunft sehr hübsch denken, es würde im Aeußeren etwas
-alterthümlich mit Schnitzwerk, Erker und schwerem Messinghammer an
-der eichenen Hausthüre sein, es würde tiefe, weite Fensternischen
-und behaglich eingerichtete Zimmer haben. Unten wären Empfang- und
-Wirthschaftszimmer, oben die des Hausherrn und das Kabinet der Frau, das
-wäre ein kleines licht- und blumenreiches Gemach, mit einem Fortepiano,
-Bücherschrank und schönen Gemälden, wüßte ich doch jenen Christus
-wieder aufzuspüren! -- In dem Erker würde eine Staffelei stehen können,
-vielleicht wäre sie der Frau nicht zuwider, und während ich malte,
-tauschten wir unsere Gedanken aus, oder sie läse oder spielte.
-
-Das Bild ist verlockend, ich muß es bedecken, mich davon abwenden,
-vielleicht ist es ebenso unerringbar wie jener spurlos verschwundene
-Christus. -- Doch genug, ich muß heute noch einen weiten Spaziergang
-machen und schließe mit einem Gruße warmer, brüderlicher Liebe.
-
- _Justus._
-
-
-
-
- Den 13. December.
-
-Liebe Schwester, ich habe eine Menge Aufträge für Dich. Du schriebst im
-letzten Briefe, Du würdest vor Weihnachten noch einmal nach Berlin reisen,
-das paßt ganz zu meinen Wünschen. Burga hat es nämlich bei ihren Eltern
-dahin gebracht, daß ich die Erlaubniß erhielt, den heiligen Abend des
-Weihnachtsfestes bei ihnen zuzubringen, und nun wollte ich Dich bitten,
-in Berlin passende Geschenke für die Familie auszusuchen. Ich denke,
-eine hübsche Schreibmappe mit schönem Papier würde Theresen nicht
-unwillkommen, eine Auswahl neuer Tänze oder irgend ein Putzgegenstand für
-Ida nicht unpassend sein. Burga und Berga müssen etwas Egales haben, oder
-Gemeinschaftliches, Noten zu vier Händen etwa, oder Spiele, oder eine
-wohleingerichtete Kochanstalt, was Du willst, Du wirst schon das Richtige
-treffen. Für Cäcilie etwas zu wählen, ist schon schwerer; ich habe an
-Scrivers Werke gedacht -- ich habe in diesen Büchern gelesen, sie stehen
-in der mir zugänglichen Bibliothek des Grafen -- aber wie könnte ich es
-wagen, ihr ein Erbauungsbuch zu schenken! Aber wenn Du dennoch meinst,
-es ginge, dann schicke sie, in recht würdigem, gediegenem Einbande.
-Vielleicht machten ihr auch Märchen, mit vielen Bildern im Text, Freude,
-es müßte aber schon etwas _sehr Gutes_ sein, gehaltvoll, in der Form
-gelungen, und jedenfalls in einer Prachtausgabe; erkundige Dich doch, was
-es Bestes in der Art giebt. Auch habe ich an Schmucksachen gedacht: ein
-Perlenhalsband mit schönem, goldenem Schlosse würde ihr vortrefflich
-stehn; doch Perlen bedeuten Thränen, mein Geschenk soll weiter keine
-Bedeutung haben, als ein Andenken an diesen heiligen Abend, die der
-Thränen gewiß nicht, und so ist es auch mit einem goldenen Kreuze,
-welches sie vielleicht trüge, aber nein, Kreuz bedeutet Leid.
-
-Du siehst wohl, für Cäcilien weiß ich garnichts, suche Du nur etwas aus,
-was für ein frommes, sinniges und schönes junges Mädchen paßt, vergiß
-aber nicht, mir auch all die Sachen, welche ich angedeutet habe, mit zu
-besorgen, es könnte doch sein, daß mir das Eine oder Andere davon noch
-wünschenswerth für sie erschiene. Gern malte ich ihr etwas, aber was? Sie
-hat so viel Schönheitssinn, so viel Kunstverstand, werde ich ihr in der
-kurzen Zeit, neben den mir aufgetragenen Arbeiten, noch etwas Würdiges
-schaffen können? Ich bezweifle es. Für die kleine Johanne habe ich
-ein Album machen lassen, welches ich mit Zeichnungen aus der biblischen
-Geschichte schmücke, ein kleines Büchlein nur. Ein Album wäre auch etwas
-Passendes für Cäcilie, aber ich müßte es ihr fast leer überreichen,
-und das möchte ich nicht. Höre, Kind, besorge doch auch eine Prachtmappe
-von Sammet und einfachem Golddruck, es könnte sein, daß ich unter meiner
-Sammlung noch so viel Gutes zusammenfände, was ich ihr, ohne lächerlich
-zu erscheinen, anbieten dürfte. --
-
-Lebe wohl, liebes Kind, ich habe es sehr eilig.
-
- _Dein Bruder Justus._
-
-Um allem Irrthum vorzubeugen, füge ich diesem Briefe ein einfaches
-Register derjenigen Dinge bei, welche ich für Cäcilien besorgt zu haben
-wünschte: 1) Scrivers Werke, 2) Märchen, 3) ein Perlenhalsband, 4) ein
-goldenes Kreuz, 5) eine Mappe, und 6) Verschiedenes, durch welches Dein
-Geschmack meiner Rathlosigkeit zu Hülfe kommen könnte.
-
- J.
-
-Was meinst Du, schenke ich auch den Alten etwas? Es wäre wohl nicht gut
-angebracht, aber Julchen muß etwas haben; sinne nach, was es sein kann.
-Spare ja nicht, ich lege einen Wechsel von 50 Rthl. bei, und reicht das
-Geld nicht, so lege nur für mich aus.
-
- _Dein Bruder._
-
-
-
-
- Den 20. December.
-
-Welche Wichtigkeit ein Bräutigam ist! Kommt so ein Mensch in's Haus, so
-erschallt vom First bis in's Souterrain ein Jubel: er ist da, Heil, er ist
-gekommen! Selbst Cäcilie, ja gerade Cäcilie läuft mir da heute Morgen
-entgegen, daß die schwarze Sammetschleife im Haar in ungewohnten Schwung
-kommt, sieht mich mit beiden Augen freudenvoll an und ruft: »Theodor ist
-hier!« -- »So?« fragte ich ganz kühl; ich fühlte gar keine so große
-Veranlassung zur Freude. -- »Ja, und bleibt bis acht Tage nach Neujahr,
-kommen Sie, ich werde Sie vorstellen,« und hin ging's zu dem Herrn
-Theodor, der doch auch Seinesgleichen in der Welt hat. Sonst ist er ganz
-nett, -- er hat in der That etwas sehr Einnehmendes, und durch die Briefe
-seiner Braut von meiner Einbürgerung im schwiegerväterlichen Hause
-benachrichtigt, reichte er mir mit offener Herzlichkeit gleich die Hand
-zur Einleitung eines freundschaftlichen Verkehres. -- Ich bin neugierig
-zu wissen, ob man mit mir, wenn ich einmal Bräutigam sein werde, auch so
-viele Umstände macht. --
-
-Deine Sendung ist noch nicht angekommen, ich erwarte sie täglich. -- Die
-Vorfreuden des Festes beginnen, Pfeffernüsse durchduften fast alle Häuser
-seit längerer Zeit, und Tannenbäume schleichen in der Dämmerung durch
-die Straßen, um unbemerkt in die Häuser zu schlüpfen, die Geheimnisse
-mehren sich.
-
-Die Gräfin ist ganz Glück, so recht in ihrem Elemente, aber wann ist sie
-dies nicht? -- Ohne Unterlaß gehen Boten mit Commissionszetteln nach
-allen Himmelsgegenden; verschiedene alte und junge sanfte Frauengesichter
-erscheinen geheimnißvoll mit großen Körben voller Sachen im Schlosse
-und ziehen sich, ihrer Bürde entledigt, mit augenscheinlicher Befriedigung
-wieder zurück. Sie scheinen den Frommen anzugehören, denn diese mögen
-alt oder jung, hübsch oder häßlich sein, ein gemeinsames Kennzeichen
-haben sie Alle, sie zeigen fast beständig ein heiteres Gesicht,
-ein ruhiges Auge, die Seufzer über das menschliche Elend sind nur
-vorübergehend, der liebe Herr macht alles, was uneben ist, ihnen wieder
-gerade. Julchen ist mir das Ideal solcher Frommen. Man möge diese Leute
-in Zukunft in meiner Gegenwart nicht wieder angreifen, ich werde sie
-entschlossen, mit dem Muthe der Ueberzeugung vertheidigen. Sehr möglich,
-daß es auch unter ihnen Heuchler giebt, aber wo giebt es keine? Wie viele
-Freigeister, die ihre Thaten ihr Gottsein beweisen lassen wollen, verbergen
-bedächtig viele ihrer schmutzigen Werke vor den Augen der Welt, verstecken
-unter Phrasen über Berechtigung, Freiheit und dergl. die an sich
-wohl erkannten Flecken. Hier ist es anders, und wer sich wohl fühlen,
-vereinfachen will, wieder in das Paradies der Kindheit zurückversetzen
-möchte, komme nach Burgwall, wo nichts von der verschrieenen Kopfhängerei
-an den Gläubigen zu merken ist, wo Hoch und Niedrig das Band Einer Liebe,
-Eines Glaubens verbindet. Halte mich wegen dieses Zeugnisses aber ja nicht
-für einen mit ihnen in Christo Verbündeten, Du würdest sehr irren. Ich
-möchte es wohl sein, weil ich sehe, wie innigst befriedigt sich diese
-Menschen fühlen, welche Geduld sie beweisen, welche Todesfreudigkeit sie
-haben. Auch das habe ich nicht aus Schilderungen, denn fern ist diesen
-Leuten Proselytenmacherei; sie brauchen nicht klüglich zu sprechen, um
-für sich und ihre Lehre zu werben, sie sind anziehend, das ist mehr
-als Jenes. -- Ich hörte öfter von einem alten, sehr leidenden Manne im
-Bernwachtschen Hause reden, und ging eines Abends zu ihm. Möchte ich einst
-so heiter sterben, wie dieser Greis! -- Als ich ihn fragte, ob ich ihm
-irgendwie dienen, ihn mit etwas erquicken könnte, deutete er auf ein
-Buch und einen Gesang, den ich ihm daraus vorlesen sollte; ich that es mit
-Schüchternheit, das kindliche Verlangen nach der frohen Ewigkeit, welches
-in diesem Liede lebte, war mir fremd, der Alte kannte es. Und dann wie
-dankbar war er. »Der Herr wird es Ihnen lohnen,« verhieß er. Einige
-Tage später war er bei seinem Herrn. Ich sagte es Bernwachts, als ich
-es gehört hatte, sie wußten es schon, und Cäcilie sagte mit freudigen
-Augen: »Wie schön wird er Weihnachten feiern!«
-
-Solch ein Glaube kann da schwerlich einziehen, wo er so lange belächelt
-ist; ich habe ihn nicht, aber ich muß ihn ehren. --
-
-Gestern Abend nach Tisch war ich noch im Familienzimmer, wo wir
-ausnahmsweise gegessen hatten, als die Gräfin ein dickes Buch hervorholte,
-um ein Weihnachtslied auszuwählen. Der Graf, der sich mit mir unterhielt,
-wurde zu Rath gezogen, und endlich ein Gesang zum Festliede ausersehen.
-Es gefiel auch mir besonders, und als die Gräfin Anstalt machte es
-abzuschreiben und viele Quartblätter schnitt, welche zeigten, daß sie es
-in vielen Exemplaren haben wollte, bot ich meine Hülfe an. Ein freudiger
-Blick lohnte mir. »Finden Sie das Lied schön?« fragte sie. -- »Ja,«
-erwiederte ich, »es sagt mir sehr zu.«
-
-»O, das ist auch eine Festfreude,« sagte sie herzlich, und reichte mir
-die Hand zum Drucke; ich küßte sie aber demuthsvoll.
-
-»Die Wahrheit ist eine siegreiche Macht,« sprach der Graf, »und eine so
-selige,« fügte seine Frau hinzu.
-
-»Aber mein Herz und mein Verstand sind sehr trotzig,« entgegnete
-ich, »sie wehren sich selbst dann noch, wenn sie schon die Größe des
-Ueberwinders ahnen und ehren.«
-
-»Es wird Ihnen nichts helfen,« sagte der Graf, und drückte mir warm die
-Hand; »die Wahrheit bedarf nur geringen Raumes, um bald siegreich das Feld
-zu behaupten. Gott segne das Fest an Ihrem Herzen!«
-
-»Amen!« hallte die Gräfin.
-
-Ein Jahr zurück, nur ein halbes, und wie anders damals und jetzt! Was ich
-jetzt zu sein wünsche, verlachte ich damals, Glauben nenne ich, was damals
-Vorurtheil hieß, Aufklärung, was Befangenheit genannt wurde. Und dieser
-Umschwung geschah in aller Stille, und was das Traurige dabei ist, ich
-stehe nur draußen vor der Schwelle des Heiligthums, höre mit dem einen
-Ohr die Harmonie drinnen, mit dem andern das Spotten ehemaliger Genossen.
-Dennoch beschwere ich mich keineswegs, und wenn ich die ganze Wahrheit
-sagen soll, so bin ich auf die Entwickelung dieses Seelenprozesses
-neugierig. Wie und wann werde ich so glückselig werden wie der Graf,
-oder sein Gärtner, oder Julchen, oder wird eine Reaction eintreten? Ich
-wünschte, jene Leute wären wirklich in der Wahrheit, und Gott hülfe mir
-auch dazu zu kommen. Gottes und Marien Sohn! --
-
-Julchen sagte vor einigen Tagen zu mir: »Worin liegt denn eigentlich das
-Unglück, wo steckt der Knoten?«
-
-»Ich möchte gern ein Christ sein, wie andere mir liebe Menschen, und bin
-es nicht im Stande.«
-
-»Warum wollen Sie es denn sein?«
-
-»Weil ich das Beste nicht für zu gut für mich halte, als Gottes Kind
-könnte ich ja auch wohl ein Christ sein.« -- Sie lächelte, mußte aber
-wieder fragen, warum ich das Christenthum für »das Beste« hielte,
-und ich sagte ihr, daß ich die Wirkungen seiner Vortrefflichkeit nun
-hinlänglich wahrgenommen hätte, um zu diesem Schlusse zu kommen, und
-zweitens gedächte ich zuweilen mit einem peinvollen Gefühle an meine
-mögliche Verblendung, an meine Undankbarkeit, wenn Christus nämlich
-wirklich der wäre, den ich nicht glauben könne.
-
-»Wenn es so steht, dann wenden Sie sich nur mit Ihrem Verlangen an Ihren
-Schöpfer, beten Sie nur das schönste Gebet, welches wir haben, Sie beten
-dann zu Ihrem Gott, und ganz im Sinne dessen, den Sie suchen, mit seinen
-eigenen Worten.« --
-
-»Das thue ich auch, und lasse es nun auf Ihn ankommen, lese auch fleißig
-in der Bibel. Zuweilen prüfe ich, da nicht zu verkennen ist, daß ich
-gewissermaßen mich der Kindheit wieder nähere, ob ich in meinem Urtheile
-über andere Dinge auch anders, etwa schwächer, geworden bin, ob mein
-Auswendiges gelitten hat, so fest hänge ich an Vorurtheilen! Aber lachend
-muß ich mir gestehen, daß ich noch alle meine Gaben gut bei einander
-habe, und mein der Freude so gern offenes Herz mit vielen schönen
-Gefühlen angefüllt ist.
-
-Das Lied will ich Dir abschreiben, es ist von Gerhard Tersteegen und
-heißt:
-
- Jauchzet ihr Himmel! frohlocket ihr englischen Chöre,
- Singet dem Herren, dem Heiland der Menschen zu Ehre;
- Sehet doch da! Gott will so freundlich und nah
- Zu den Verlornen sich kehren.
-
- Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Enden der Erden!
- Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden;
- Friede und Freud' wird uns verkündiget heut';
- Freuet euch Hirten und Heerden.
-
- Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget!
- Sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget!
- Gott wird ein Kind, träget und hebet die Sünd':
- Alles anbetet und schweiget.
-
- Gott ist im Fleische, wer kann dies Geheimniß verstehen?
- Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen,
- Gehet hinein, macht euch dem Kinde gemein,
- Die ihr zum Vater wollt gehen.
-
- Hast du denn, Höchster, auch meiner noch wollen gedenken?
- Du willst dich selber, dein Herze der Liebe, mir schenken?
- Sollt' nicht mein Sinn innigst sich freuen darin
- Und sich in Demuth versenken? --
-
- König der Ehren, aus Liebe geworden zum Kinde,
- Dem ich auch wieder mein Herze in Liebe verbinde,
- Du sollst es sein, den ich erwähle allein,
- Ewig entsag' ich der Sünde.
-
- Süßer Immanuel, werd' auch geboren inwendig,
- Komm doch, mein Heiland, und laß mich nicht länger elendig,
- Wohne in mir, mach mich ganz Eines mit dir,
- Und mich belebe beständig.
-
- Menschenfreund Jesu, dich lieb' ich, dich will ich erheben,
- Laß mich doch einzig nach deinem Gefallen nur leben,
- Gieb mir auch bald, Jesu, die Kindesgestalt,
- An dir alleine zu kleben.
-
-Zuweilen drückt sich der Verfasser ein bischen wunderlich aus, aber paßt
-das Gedicht nicht genau auf mich und meinen gegenwärtigen Zustand? So
-finde ich es auch mit vielen Bibelstellen, oft finde ich Worte des
-Rathes in der Bibel, die mir fast wie ein Wunder vorkommen, denn vor fast
-zweitausend Jahren geschrieben, beantworten sie genau eine nur gedachte
-Frage der Gegenwart. Wenn Jesus doch noch auf Erden lebte! -- Das sieht
-nun aus wie der fromme Seufzer eines Heiligen, während ich, weit davon
-entfernt, durchaus ein Kind dieser Welt bin, und den Heiligen eigentlich so
-ziemlich gänzlich verleugne. --
-
-Gute Nacht, liebe Schwester; es ist bei meinem Schreiben spät geworden.
-Wie die Sterne draußen funkeln! Der Schnee liegt hoch, weit und breit, die
-Natur feiert auch auf ihre Weise. -- Ich lege diesen Brief auf ein
-Bild, welches Du Dir längst gewünscht hast, und schicke es Dir mit den
-wärmsten Grüßen. Lebe wohl!
-
- _Dein Bruder Justus._
-
-
-
-
- Am 2. Weihnachtsfeiertage.
-
-Es läutet eben zum Nachmittagsgottesdienst, die Sonne lacht heiter in's
-Fenster und läßt die vergoldeten Aepfel an meinem Weihnachtsbaume hell
-erglühen. Dein Brief, der mit all den vielen empfangenen Geschenken
-darunter liegt, redet mir zu zu schreiben, und -- hier bin ich.
-
-Ich bin in einer wundervoll friedereichen Stimmung. Das Leben ist
-kein Traum, aber ein Räthsel, ein unerschöpflicher Glückesborn, ein
-sinnreicher Lehrmeister, der zugleich beschämt und beseligt. Warum es
-mir so einzig im Kopf und Herzen klingt, kann ich nicht genau
-auseinandersetzen, in Summa aber ist es die Liebe, die mich jubeln und
-danken läßt. Liebe überall! -- »Also hat Gott die Welt geliebt«
--- kennst Du das auch, daß irgend eine Strophe oder ein anderes Wort
-unablässig im Ohre klingt, daß man es gar nicht los werden kann? So geht
-es mir heute mit den Worten: »also hat Gott die Welt geliebt.« --
-Die Welt hat diese Liebe begriffen, wie entzückt sieht sie aus, wie
-verschwenderisch ist sie im Nachahmen jener Liebe, auch ich werde damit
-überschüttet, aber ich erwiedere, verlaß Dich darauf! --
-
-Ich möchte, ich könnte Dir auch all die schönen Sachen zeigen, die mir
-am heiligen Abend bescheert wurden, da liegen sie festlich im Sonnenglanze:
-ein neues Testament von der Frau Gräfin, ein warmer, weicher Reisepelz
-von dem Grafen, von Johannen der Baum -- das süße Geschöpf mit seinen
-prächtigen Einfällen! -- Nun kommen die aus dem Bernwachtschen Hause:
-eine Specialkarte der Provinz vom Alten, ein riesiger Pfefferkuchen
-von Frau Bernwacht; Therese hat mir eine Uhrschnur gearbeitet, Ida ein
-Notizbuch gestickt, Cäcilie drei Lesezeichen, Burga und Berga ein
-Paar farbenreiche Morgenschuhe. Auch von Julchen liegt etwas da, etwas
-Rührendes: es ist ein Brief von unserer Mutter, ich will ihn Dir
-abschreiben.
-
-Liebes Julchen. Hier schicke ich Dir das Probehemdchen für Paulinen, die
-neuen müssen aber eine handbreit länger und weiter gemacht und auch in
-den Aermeln verhältnißmäßig größer werden. Gern hätte ich es Dir
-selbst gebracht, Du weißt, ich wünschte schon am Sonntag bei Euch zu
-sein, aber mein Justus ist unwohl, und ich mag ihn, da er so stürmisch
-ist und seine Vorsätze leicht vergißt, nicht verlassen, er könnte leicht
-etwas thun, was ihm schadete, das Mutterherz ist so ängstlich! --
-
-Gott befohlen!
-
- _Deine Marie._
-
-Die alte Zeit lebt auf, ich sehe der Mutter zarte Gestalt, ihr sorgsames
-Auge. Das Wort, das längst ungewohnte, _mein_ Justus, weckte ein Sehnen
-in mir, oder schärfte es nur -- aber ich will nicht mehr stürmisch sein,
-Pauline, meine guten Vorsätze sollen erstarken.
-
-Wie es im Feste war? Schön. Erst allgemeine Bescheerung hier im Schlosse,
-die ganze Bewahranstalt, alle Waisenkinder waren da. Ehe sie in den
-Speisesaal, wo Alles arrangirt war, eingelassen wurden, war Andacht im
-daranstoßenden Betsaale, ähnlich wie schon manchmal, nur viel freudiger
-noch. Auch die Bernwachtschen Töchter waren sämmtlich da. »Mama baut
-auf,« flüsterte Berga, »freuest Du Dich nicht schrecklich?« -- »Nein,
-ich freute mich recht schön, für Niemanden zum Erschrecken, ganz sanft
-wie ein gutes Kind, ähnlich vielleicht wie Cäcilie.« --
-
-Die von der Gräfin für die Kinder bestimmten Geschenke waren durch
-freiwillige Beiträge aus der Stadt bedeutend vermehrt; ich entdeckte auch
-hübsche, braun- und rothgestreifte Schürzchen, welche ich unter Theresens
-Händen entstehen gesehen, und eine Menge kleiner gestrickter Handschuhe
-wollten mich an ein junges Mädchen erinnern, dessen Fleiß ich in den
-Leseabenden zu bewundern Gelegenheit gefunden hatte. -- Allgemeine Freude
-auf dem Schlosse und ebenso bei Bernwachts, Jeder gab, Jeder empfing und
-war in bewegter Stimmung. --
-
-Deine Einkäufe habe ich mit vieler Freude empfangen und ausgetheilt,
-doch anders wie ich anfangs beabsichtigte. Als ich den Berg Geschenke für
-Cäcilie erblickte, stieg's wie Spott über meine Zuversichtlichkeit in mir
-auf: mit welchem Rechte durfte ich sie so auffallend vor ihren Schwestern
-auszeichnen? Nur Amarant, welches ich Deiner Wahl verdankte, und das mich
-gleich, nachdem ich hineingesehn und ein Paar Verse gelesen hatte, für
-sich entschied, legte ich, nebst einem frischen Bouquet aus dem Treibhause,
-auf ihren Platz unter dem Baume, das andere Buch, »die weite, weite
-Welt,« will ich für die Leseabende aufheben. Therese erhielt zu ihrer
-Briefmappe die Perlen, Ida zu den Noten das Kreuz, Julchen außer dem Muff
-Scrivers Werke, und den Kleinen steckte ich die Mappe voll Zeichnungen.
-Alle fanden sich sehr reich beschenkt; noch an demselben Abend sah ich
-Cäciliens Wangen sich höher färben durch -- Amarant. Sie findet es
-schön, und hat es ihrerseits zum Beitrag für die Leseabende bestimmt,
-obgleich Theodor sie mit den herrlichen Briefen »Wilhelm von Humboldts an
-eine Freundin,« beschenkt hat. -- Nun auch Dir Dank, Schwesterherz!
-Dank für jeden Ausdruck Deiner Liebe. -- Dein Rath, mich mit meinen
-Ansiedlungsplänen nicht zu übereilen, ist begründet, und soll befolgt
-werden -- ich sagte es Dir ja, ich habe nicht die leiseste Hoffnung,
-daß der süße Traum einst verwirklicht werden könne; ich will nichts
-übereilen, sondern still abwarten, wie Gott es will. Mein herzliches
-Lebewohl!
-
- _Justus._
-
-
-
-
- Den 15. Februar.
-
-Du mahnst mich an mein Versprechen, keine Lücke in unserm Briefwechsel
-entstehen zu lassen, so will ich schreiben, es ist jedoch wenig zu
-berichten. -- Des Tags bin ich meist sehr fleißig, und die Abende
-verfließen in Dir bekannter, lieber Weise, nur lesen wir zweimal in der
-Woche, statt einmal. Wir sind bei der weiten, weiten Welt, und mit Ausnahme
-Ida's, die gleich durch den etwas breiten Anfang des Buches gegen dasselbe
-eingenommen wurde, findet es allgemeinen Beifall, besonders bei meinem
-kleinen, frommen Lieblinge, der Cäcilie. Sie schwärmt für Helene
-Montgomery, für Alice und St. John, sie liebt Master Vanbrunt, und
-entschuldigt -- auf Ida's Angriffe -- selbst alle vorkommenden kleinen
-Teufeleien, welche die wilde kleine Person, Helenens Plagegeist, ausübt,
-damit, daß das Alles nachher ihr leid genug gethan habe, und mehr
-könne man nicht verlangen. -- Da fällt mir noch etwas Anderes bei, was
-charakteristisch ist. Vor einiger Zeit war ich Nachmittags bei Bernwachts.
-Draußen, vom wildesten Schneegestöber umstürmt, standen ein Mann und ein
-junges Mädchen, er drehte die Orgel, sie sang, und sang mit einer Ruhe und
-Resignation, aber dennoch melancholischer Stimme und Weise, das Lied -- ich
-weiß seinen Anfang nicht -- welches zum Refrain die Worte hat: »Das Leben
-ist ja nur ein Traum.«
-
-Frau Bernwacht schickte einige Münze hinaus und sagte: »Die junge Person
-hätte besser gethan, in ihrem Dorfe zu bleiben, als in der Welt herum
-zu reisen; was hat sie nun davon? Ich sollte denken, die schwerste Arbeit
-wäre ein Vergnügen gegen diese Lebensweise.«
-
-»Sie mag aus der Stadt sein, Mama,« entgegnete Therese nachdenklich,
-»und Du weißt, wie schwer es Vielen in den großen Städten wird, sich
-ehrlich zu ernähren, sie hat vielleicht schon Mancherlei vergeblich
-versucht und nothgedrungen dies Wanderleben begonnen.«
-
-»Vielleicht hat sie eine arme, kranke Mutter zu Haus,« sagte Cäcilie
-mitleidig, und betrachtete sie ernst mit ihren warmen Blicken; »sie sieht
-recht so aus, als wenn ihr das Herz weh thäte.«
-
-»In dem Falle hätte sie lieber die Barmherzigkeit der Menschen ansprechen
-sollen, und die Mutter pflegen,« beharrte die Bürgermeisterin, »dies
-Vagabondiren ist der Ruin für solche Mädchen. War es vorhin für sie
-schwer, ein Unterkommen oder Unterhalt zu finden, dann wird es ihr nachher
-fast unmöglich sein. Wer nimmt wohl ein Mädchen, was sich zu solchem
-Leben einmal bequemt hat, in Dienst? ich gewiß nicht.«
-
-Ida war auch theilnehmend geworden und vertheidigte das Mädchen: sie
-arbeite ja auch, das sei, nach ihrer Meinung, immer besser als betteln. So
-lange man irgend Kräfte habe, müsse man Andern doch nicht lästig fallen
-wollen. Wenn sie z. B. in so unglücklicher Lage wäre zwischen Betteln und
-Straßensingen wählen zu müssen, so würde sie ihr Angesicht verhüllen
-und singen.
-
-»Ich nicht,« sagte Cäcilie erregt, und reichte dem vorübergehenden
-Mädchen ein winziges, weißes Päckchen aus dem Fenster, »mir würde das
-Bitten gar nicht so schwer werden. Das Geben ist ja eine Freude, man
-kann sich ja mit seinen Bitten an solche Leute wenden, die dadurch nicht
-belästigt werden, und nun gar für Andere! -- ich habe doch mehr Muth als
-Du, Ida.«
-
-»Demuth,« sagte die Mutter. Cäcilie erschrak fast und senkte die Augen;
-sie sah gerade so aus, als dächte sie: Demuth -- ich?
-
-»Demuth -- ja,« wiederholte Ida kühn, »aber Muth -- nein: Du
-würdest lieber vergehen, als ein Leben führen, was unter dem Banne
-der öffentlichen Meinung steht, Du würdest fürchten im Bereiche des
-Niedrigen und Unreinen auch bei Dir selbst zu verlieren, Du bist überhaupt
-nicht sicher, trotz Allem, immer stehen zu können.«
-
-»Nein, das bin ich nicht,« erwiederte die Schwester sanft, »ich mache
-ja alle Tage die Erfahrung, daß ich der göttlichen Hülfe und Gnade
-bedarf.« --
-
-Bin ich ein Thor, Pauline, daß ich der Neugierde den Zügel schießen
-ließ, daß ich mich in ihre kleinen Geheimnisse eindränge? Ich habe das
-singende Paar in einer Spelunke aufgesucht und mir das Zettelchen zeigen
-lassen. Hergeben wollte ihn das Mädchen um keinen Preis, ich bot ihr viel,
-aber sie blieb fest, und warum soll ich ihr den Talisman, den Engelgruß
-nehmen, da sie ein armes, elendes Geschöpf ist, was vielleicht nichts
-Heiliges weiter in der Welt hat! -- Auf dem Zettel, auf dem noch deutlich
-die Spur des eingewickelten Geldstückes zu sehen war, stand:
-
- Habe Gott vor Augen und im Herzen, und hüte Dich, daß Du in keine
- Sünde willigest, noch thuest wider Gottes Gebot. -- Wirf dein Anliegen
- auf den Herrn, der wird Dich versorgen. Gott sei mit Dir, Amen.
-
-Ich beschenkte sie reichlich und sie trug mir auf, der jungen Dame zu sagen
--- was natürlich wohl nie geschehen kann -- daß sie nie wieder so singen
-würde. Sie sei einer allzu strengen Herrin entlaufen, Angehörige habe
-sie nicht mehr, ein Dienst sei nicht zu finden gewesen, sie habe Schulden
-machen müssen -- so sei es gekommen. Nun sollte ein anderes Leben begonnen
-werden. -- Ob ich ihr nicht den Namen des Fräuleins sagen wolle, sie wolle
-ihn dem lieben Gott nennen. »Glauben Sie denn an Gott?« fragte ich schon
-in der Thüre. »Ach,« seufzte sie da, »Sie dachten, ich wäre ganz
-verworfen!«
-
-Ida's Bild ist bald fertig; ich habe Dir wohl noch nicht geschrieben, daß
-die Familienhäupter sich dem Aschenbrödelproject entschieden widersetzen.
-Die jungen Damen fanden es ganz hübsch und hätten ihre Einwilligung
-vielleicht nicht versagt. Zu Anfang der nächsten Woche gedenke ich
-Cäcilien zu malen, hier im Schlosse bin ich bald fertig. Noch bin
-ich unschlüssig, wohin ich von hier gehe, zuweilen denke ich an das
-Morgenland, es wären interessante Studien dort zu machen, und vielleicht
--- ich träume wieder! nein, ich will nur in der Nähe bleiben. --
-
-Weißt Du, ich habe ein Lied gehört, das Du Dir in einer
-Musikalienhandlung suchen mußt. Von wem es gedichtet und componirt ist,
-weiß ich nicht, aber ich habe es singen hören, kann Dir auch den Text
-schreiben. -- Ida war bei der letzten Sitzung mißgestimmt, und ich wollte,
-weil ich diese Linien des Verdrusses nicht in das Portrait einfließen
-lassen mochte, zu malen aufhören, als Therese Cäcilien bat, dies Lied
-zu singen, sie meinte mit Recht, dann würde die Wolke wohl verfliegen.
-Du magst den Text sehr einfach finden, vielleicht ganz unbedeutend, ich
-versichere Dich aber, das Ganze war von ergreifender Wirkung.
-
- Du Tropfen Thau, seh ich dich an,
- Kommt mir die Thräne süß und still,
- Weil du so treu dein Blümlein liebst,
- Wie ich wohl einmal lieben will.
-
- Und trennt dich auch an jedem Tag
- Von deinem Lieb der Sonnenschein,
- Du kehrst am Abend stets zurück,
- So muß wohl treue Liebe sein.
-
- Und stirbt dein Lieb vom Sonnenbrand,
- Dann stirbst auch du im letzten Kuß,
- Ich seh dich an und sinne still;
- Wie solch ein Tod beglücken muß! --
-
-Wie ich wohl einmal lieben will! Sie weiß es nicht, das Kind, und doch
-dieser hinreißende Vortrag, dieser unvergleichliche Ausdruck! Es liegt
-gewiß darin, daß es ihr angeboren ist, nie Mißgriffe zu begehen, in
-Allem vollendet zu sein. -- Ida wurde ganz sanft und schön, ich unruhig,
-mir klopfte das Herz vor schmerzlicher Wemuth. Cäcilie und ich, welch ein
-Unterschied! Kannst Du mir nichts nennen, was die Kluft ausfüllen könnte?
-Doch wie spreche ich, wie solltest Du junges Kind wissen, was der Weiseste
-auf Erden nicht erdenken könnte. Lebe recht, recht wohl!
-
- _Justus._
-
-
-
-
- Am 2. März.
-
-Bin bei der süßesten Arbeit, Du weißt bei welcher. Natürlich sind wir
-nie allein, aber wozu auch? ich würde ihr doch nichts sagen, nicht von
-fern meine schneeweiße Lilie beunruhigen. Wir plaudern herrlich unbefangen
-mit einander und ich bin auch, ihr gegenüber, vollständig befriedigt. Was
-könnte ich noch Schöneres wünschen, als sie ansehen, ihre freundliche
-Stimme hören zu dürfen, die mir des Lieblichen so viel sagt: -- Sie ist
-ganz vertrauungsvoll, und plaudert, was ihr in den Sinn kommt. »Was wird
-Theodor sagen,« meinte sie gestern, »wenn er wiederkommt und mich auch
-gemalt sieht; ich habe es immer für Scherz gehalten, wenn Sie davon
-sprachen.« -- »Warum,« fragte ich, »sah ich so spaßhaft dabei aus?«
-
-»Auch wohl, und ich bleibe ja bei den Eltern.« --
-
-»Ida ja auch,« wendete ich ein, als wäre das kein Grund. Sie lächelte.
-»Wenn Sie wieder kommen, müssen Sie Theresen auch malen,« fuhr sie
-fort, »in spätestens zwei Jahren ist ihre Hochzeit und dann verläßt sie
-Burgwall.«
-
-»Komm ich denn wieder?« fragte ich.
-
-»Ich dachte,« antwortete sie ganz erstaunt.
-
-»Und so bald?« fuhr ich zu fragen fort.
-
-»Das müssen Sie am besten wissen.« -- Ich schüttelte den Kopf; es
-schien mir gerade in diesem Augenblicke, als sei es doch besser, ich kehre
-in Jahr und Tag nicht wieder hierher zurück. -- Zuweilen erzählt sie
-etwas aus ihrer Kinderzeit, und wie frisch lacht sie dabei! Neulich wurde
-das Gespräch zwischen ihr und den Schwestern sehr lebhaft, man neckte sie
-mit vergangenen Zeiten, da hatte sie sich zu vertheidigen, und dann mußte
-sie wieder lachen, sie wurde ganz unruhig auf ihrem Stuhle und wendete sich
-bald hier und bald dorthin, ich vergaß das Malen darüber und sah sie an.
-Plötzlich fiel ihr Blick auf mich, wie ich dasaß, nichts that und sie
-betrachtete, sogleich setzte sie sich in Positur, neigte sich mir etwas
-entgegen und flüsterte: »Sie sind eigentlich sehr gut -- nicht wahr
-Mama?«
-
-»Was denn?« fragte diese.
-
-»Herr Brand ist sehr gütig, so geduldig zu warten.« --
-
-Hätte sie die Sache nicht unter uns lassen können? -- aber nein, sie hat
-nichts zu verheimlichen, was mich angeht.
-
-Julchen Hermann hatte, als sie an der Reihe war, kein Buch mitgebracht, und
-appellirte an die Großmuth der Jugend, die da nichts verlangen werde, wo
-nichts sei, sie habe keine belletristischen Bücher. Sie kam aber mit
-ihren schönen Reden nicht durch, sondern mußte sich bequemen frei eine
-Erzählung aus dem Leben vorzutragen, und wenn nicht aus ihrem eigenen
-Leben, so doch aus ihrer Zeit.
-
-Nach einigem Weigern that sie's, und ich will sie Dir copiren.
-
-
-Der Sohn der Wittwe.
-
-Nicht weit von der Försterei zu Drosehalm, liegt ein kleines Haus, welches
-vor mehreren Jahren einer Wittwe gehörte, die mit ihrem einzigen Sohne,
-einem lebhaften, gescheuten Knaben, in der einförmigsten Weise darin
-lebte. Während Ludwig, so hieß der kleine Wildfang, der die Gedanken der
-stillen Frau fast beständig beschäftigte, in der Schule war, besorgte sie
-das kleine Hauswesen, führte die Ziegen auf die Weide, arbeitete in dem
-Gärtchen, welches die Vorüberfahrenden, wenn sie um die Waldecke bogen --
-das Haus lag an der Landstraße -- vom Frühling bis zum Herbste, wie
-ein unerwarteter, freundlicher Gruß, durch seine lachenden Blumen
-überraschte, oder sie saß auch im Zimmer und spann. That sie Letzteres,
-dann konnte man sicher daraus rechnen, daß irgend ein Erbauungsbuch, die
-Bibel war ihr das liebste, aufgeschlagen neben ihr lag, denn durch die
-jahrelange Uebung hatte sie es dahin gebracht, daß sie neben dem Spinnen
-auch lesen konnte. -- Zuweilen erhielt die Wittwe auch Besuch aus der
-Stadt, von Solchen, die ihr befreundet waren, und die auf der Reise nach
-der Nachbarstadt, vor ihrer Thüre vorbei mußten, oder von dieser oder
-jener armen Frau, die in großer Verlegenheit war, und Frau Schmidt um
-Rath, Unterstützung oder Fürsprache bitten wollte, denn es war bekannt,
-daß die einfache Frau im Waldhause unter den vornehmen Damen Gönnerinnen
-hatte, die sie an manchem lieblichen Abende in ihrem stillen Hause
-aufsuchten. Alle Besuchenden fanden dieselbe Aufnahme, sie erhielten
-sämmtlich zum Gruße ein freundliches Gesicht, die Hand zum Drucke und
-ein herzliches Willkommen. Alle gingen auch in der Regel befriedigt von
-ihr fort, die Bittenden, nachdem sie erhalten, was sie wünschten, die
-Trostesbedürftigen mit erneutem Muthe im Herzen, denn Frau Schmidt hatte
-stets guten Muth, sie konnte unter allen Umständen, zu jeder Zeit davon
-mittheilen. Auch die großmüthigen Damen, welche die Wittwe dann und wann
-besuchten -- obgleich sie, trotz der Bitten der Kinder namentlich, nie
-in ihren Häusern in der Stadt zu sehen war -- fanden sich in ihrer
-Gesellschaft und der stillen Stube, welche im Sommer eine schöne Linde
-beschattete, sehr behaglich. Die Kinder, welche sie mitbrachten, tummelten
-sich, während die Frauen sich drinnen unterhielten, auf dem freien
-Platze vor dem Hause, herum, oder näherten sich vorsichtig dem kleinen
-Flüßchen, das noch sehr jung und unerfahren, mit großer Eile, über
-Stock und Stein, durch den grünen Thalgrund, dem größeren, bedächtiger
-fließenden Fluße zu eilte, der sich um die Stadt schlingt. In den Garten
-zu gehen, wagten sie erst dann, wenn Frau Schmidt es ihnen ausdrücklich
-erlaubte, oder wenn Ludwig aus der Schule kam, der dann sogleich sein
-Bücherpaquet sammt Riemen in die erste, beste Ecke schleuderte, um als
-galanter Wirth sich seinen Gästen zur Disposition zu stellen. Heidi, dann
-gings lustig zu! kein ansehnlicher Schmetterling war seines Lebens
-sicher, er mochte flattern wo er wollte, über dem Bache oder über den
-Lilienkelchen, ihm wurde rücksichtslos nachgestellt. Ferner wurde den
-kleinen, schlanken Fischen aufgelauert, die ganz harmlos schaarenweise,
-zwischen den bemoosten Steinen, sich so wohlig dahinwanden; zuweilen war
-denn auch wohl eine schöne bunte Forelle darunter, die durfte dann nie
-entwischen, denn Forellen sind theure wohlschmeckende, vornehme Fische,
-wohlgeeignet für die Tische reicher Leute und Ludwig schenkte gerne. Er
-hatte sich dazu einen Topf mit durchlöchertem Deckel, von seinem Spargelde
-gekauft, damit er, so oft das Glück ihm wohlwollte, lebendige Forellen,
-auf seinem Schulwege der Frau Pastorin, oder Stadträthin, oder irgend
-einer namhaften Dame, mitnehmen konnte. Von vorn herein hatte er sich so
-zu stellen gewußt, daß man ihm solche Lieferungen nicht bezahlen konnte,
-nein, er nahm nichts, er durfte auch nicht, er dankte sehr, höchstens
-waren ihm ein Paar Aepfel aufzunöthigen, und die nahm er dann mit einer so
-tiefen Verbeugung, und bedankte sich so ernst, daß es aussah, als glaubte
-er, der besonders, hauptsächlich Beschenkte zu sein.
-
-Aber Ludwig war durchaus nicht so bescheiden, wie es im Allgemeinen von ihm
-hieß, er war vielmehr stolz, und baute nicht, wie er durfte, Hoffnungen
-auf seine ihm von Gott verliehenen Gaben, sondern er pochte auf sie. Er war
-klug, geschickt und muthig, was lag nun daran, daß er nur eines schlichten
-Bergmannes Sohn und nicht der Sprößling einer Patrizierfamilie war? Das
-Blättchen kann sich wenden im Leben, dachte er, und blickte stolz dabei
-umher, was niedrig ist, kann hoch, und was hoch ist, kann ganz klein
-werden.
-
-Einmal hörte seine Mutter einen solchen laut gewordenen Gedanken, da
-sagte sie: »Wenn Gott will -- aber dem Demüthigen giebt Er Gnade.« --
-»Erkundige Dich doch, was die Leute von mir sagen,« entgegnete ihr der
-vierzehn Jahre alte Knabe, »Niemand wird mich hochmüthig nennen.« --
-»Du kannst wohl Menschen, aber nicht Gott betrügen,« erwiederte ihm
-seine Mutter sehr ernst, und nun hütete er sich wohl, seine innersten
-Gedanken wieder laut werden zu lassen.
-
-Ostern darauf wurde Ludwig eingesegnet und zu einem geschickten Tischler
-in die Lehre gebracht, obgleich er seine Mutter fast fußfällig um die
-Erlaubniß bat, einen höhern Beruf wählen zu dürfen. Auch seine Lehrer
-riethen der Wittwe, dem Sohne eine umfassendere Ausbildung geben zu
-lassen, als die Schule es bisher thun konnte, denn seine Gaben seien nicht
-unbedeutend, und ein in ihm wohnender, nicht zu verkennender Ehrgeiz werde
-ihn spornen, ihre Opfer zu vergelten. Aber die sonst so sanfte Mutter
-zeigte hier eine große Festigkeit und blieb beharrlich bei ihrem
-Entschlusse, den Sohn ein Handwerk erlernen zu lassen, welches -- das möge
-er selbst bestimmen. Eben sein Ehrgeiz sei es, der sie in dieser Sache so
-entschlossen mache, sie wolle das Ihrige dazu thun, diesen hochstrebenden
-Sinn zu demüthigen, damit er einst fähig werden könne, nach wahrhaft
-hohen Dingen zu trachten.
-
-»Mutter, ist es denn etwas Gefährliches, ein guter Lehrer oder gar
-Prediger werden zu wollen?« fragte Ludwig mit Thränen in den Augen,
-»kann ich nicht dem lieben Gott viel besser dienen, wenn ich den Beruf
-habe von seiner Größe und Liebe den Menschen zu erzählen, als wenn ich
-dastehe und schmiede, oder leime, oder so etwas?«
-
-»Wenn Du wirklich viel von seiner Größe wüßtest, und von heiliger
-Liebe getrieben würdest, mein Sohn, dann würdest Du demüthiger sein,«
-antwortete die Mutter, »etwas Sündlicheres kann ich mir kaum denken, als
-einen Geistlichen, der auf die Kanzel mit dem Gedanken kommt: heute werde
-ich gewiß bewundert werden, der mit seiner Predigt sich verherrlichen
-will; der das Kreuz predigt und den eigenen Ruhm vor Augen hat. Nein,
-Ludwig, bleib in unserm Stande, Du kannst darin sicherer selig werden.«
-
-Ludwig sah sehr finster dazu aus, und er seufzte tief über der Mutter
-schreckliche, sein Lebensglück zerstörende, Verblendung, aber er konnte
-nichts dagegen ausrichten und so wurde er ein Tischlerlehrling.
-
-Sein Meister nannte ihn musterhaft: er war fleißig, anständig in seiner
-äußern Erscheinung, zuvorkommend, ernst, zuverlässig, sein Lob ertönte
-reichlich, namentlich fand der Lehrherr es so rühmenswerth, daß er stets
-pünktlich an Ort und Stelle war, sei es zur Arbeit, zu Tisch, zur Kirche,
-oder sonst irgendwo, einem Versprechen oder Auftrage zu folgen; was er
-versprach, hielt er mit gewissenhafter Genauigkeit.
-
-»Er wird einmal ein gemachter Mann,« prophezeihete er, »ich sehe schon
-den künftigen Gewerksvorsteher, wenn nicht Senator der Stadt in ihm.« --
-Wohl freute sich die Mutter über das Lob ihres Lieblings, aber sie bat den
-Meister inständig, es den Knaben nicht hören zu lassen.
-
-»Glauben Sie, es ist Wasser auf seine Mühle,« stellte sie ihm vor, »es
-bewegt seinen Sinn die leidige Eitelkeit ohnehin genug.«
-
-»Nun was schadet die Eitelkeit?« entgegnete der Meister fast unwillig,
-»wenn sie das Rad der Thätigkeit in Bewegung setzt und den Jungen alle
-seine Kräfte mit Lust gebrauchen läßt? Nichts für ungut, Frau Schmidt,
-aber Weibererziehung ist nicht für solchen aufstrebenden kleinen Menschen,
-Ihr möchtet aus lauter Zaghaftigkeit alle frischen Sproßen seiner
-kernigen Wurzel streng beschneiden, damit sie möglicher Weise nicht zu
-einer Wildniß heranwachsen.«
-
-»Gott hat ihm doch den Vater genommen, und mich für ihn bestellt,«
-erwiederte die Mutter ganz sicher, »darum muß ich ihn nach der Einsicht
-erziehen, die Er mir gegeben hat.«
-
-Die Lehrzeit verfloß. Zwei Jahre blieb Ludwig noch am Orte, dann schnürte
-er sein Bündel und ging in die Fremde. Der Abschiedstag war ein schwerer
-für seine Mutter, sie hatte nichts weiter auf der Welt, daran ihr Herz
-so ganz hing, wie diesen einen Sohn, und trotz seiner Fehler, als Sohn
-war Ludwig musterhaft! Aber es mußte geschieden sein, und die Liebe macht
-stark, besonders eine Mutter, welche freudigen Glauben zu Gott dem Herrn
-hat, sie küßte und segnete ihn, begleitete ihn auch über das Weichbild
-der Stadt hinaus und kehrte dann ergeben in ihr einsames Haus zurück. --
-Ihre Lebensweise blieb dieselbe wie bisher, nur daß sie nicht mehr wie
-früher, Sonntags auf der Brücke, die über den kleinen Fluß führte,
-stand und nach der Stadt hinsah, von welcher ihr Sohn sonst kam, und daß
-sie jetzt noch mehr betete als las.
-
-Ein Festtag war allemal für sie, wenn der Postbote auf ihr Haus zuschritt.
-O, ihr Herz fühlte dann einen wahren Freudenrausch! -- Die Nachrichten
-waren anfangs meist gut, Ludwig hatte fast immer in großen Städten Arbeit
-gesucht und gefunden, und schrieb gewöhnlich erfreut über das Gute, das
-man auf Reisen kennen lernen und einsammeln kann. Selten klagte er, auch
-vom Heimweh hatte er nicht gerade zu leiden, doch war seine innige Liebe
-zur Mutter unverkennbar. Mehr als es der bescheidenen Frau lieb war,
-deutete er an, wie er es ganz anders für die Zukunft mit ihr beabsichtige,
-sie sollte einst bequemer, schöner wohnen, ein Haus in der Nähe der Stadt
-haben, schon damit der Kirchweg ein kürzerer sei; er wollte dieses Haus
-mit den schönsten Möbeln schmücken, für wen er denn sonst etwas lerne,
-wenn nicht für sie? In diesem Tone schrieb er oft, wenn auch die Mutter
-zu mäßigen suchte, und darauf hinwies, daß ihr Glück nicht im
-Aeußerlichen bestehe, daß sie auch für ihren Stand und ihre Gewohnheit
-hinreichend mit dem Nöthigen, ja Angenehmen versehen sei.
-
-Jahre verstrichen wieder, die Wittwe hatte ein ganzes Kistchen voller
-Briefe, sie hatte auch des Sohnes Bild und freute sich sehr darüber: es
-lächelte sie an und sah stattlich aus, der Jüngling war zum Manne heran
-gereift, nur schien es ihr, als wisse diese breite Stirn von Trotz, als
-läge in der ganzen Haltung eine Energie, die sich gegen jede zugemuthete
-Unterwerfung sofort empören würde. Aber seine Briefe waren ja so
-liebevoll, _ihr_ war er doch ergeben, das war gewiß, sie wollte auch nicht
-zu ängstlich sorgen, sondern alle ihre Sorge auf Ihn werfen, der für uns
-sorgen will.
-
-Dann kam aber eine Zeit, da seine Briefe das deutliche Gepräge des
-Mißmuthes trugen; er klagte, es werde den Abhängigen zu schwer gemacht
-sich den, ihren Fähigkeiten gemäßen, Standpunkt zu erringen, der Lohn
-sei im Verhältniß zur Arbeit zu gering, die Behandlung nicht selten
-unwürdig, die Besitzenden seien meistentheils herzlos -- die Mutter
-wisse es nur nicht, wie es in der Welt zugehe, und er danke Gott, daß sie
-dieselbe nicht gebrauche. Die Mutter hatte genug zu ermahnen und
-schrieb auch, wenn es ihm draußen nicht gefalle, dann möchte er doch
-wiederkommen, sie sehne sich ohnehin so sehr nach ihm. Gewiß hätte er so
-viel gelernt, um die Innung mit einem Meisterstück zufrieden stellen zu
-können, dann könnte er in der großen Stube seine Werkstatt aufschlagen
-und sie würden Beide ein so recht seliges Leben, nach der langen Trennung
-mit einander führen. Diese liebevolle Einladung hatte aber eine sehr
-heftige Entgegnung zur Folge. Ob er darum so weit und lange gereist sei, um
-mit leerer Hand, als ein armseliger Gesell wieder zu kehren, und der Mutter
-Besitz zu seiner Etablirung zu benutzen? Nimmermehr! Er fühle hinlänglich
-Kraft in sich, es mit der Feindseligkeit einer ganzen verkehrten Welt
-aufzunehmen!
-
-Dieser harte Brief kam im Waldhause bei Winterszeit an, als der Schnee hoch
-lag und die Wittwe schon wochenlang nicht aus dem Hause gekommen war. Wie
-sehnte sie sich nach der Kirche! Zwar war ihr Herz selber ein dem Herrn
-geweihter Tempel, und Haus und Garten und der stille Wald kannten den
-Austausch ihrer Gefühle gegen den Segen himmlischen Trostes, aber dort, wo
-sie die Weihe der Sakramente empfangen, sie und ihr Sohn, dort betete sie
-besonders freudig für den geliebten Fernen. Nun ging es nicht, sie konnte
-kaum zur Försterin kommen, um sich in ihrer Herzensbeklemmung an einigen
-freundlichen Worten der Försterin zu erquicken, sie war mit ihrer Unruhe
-in das Haus gebannt. »Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch
-auf Erden, hilf dazu!« das waren Worte, die sich oft, vielleicht ihr
-unbewußt, über die Lippen drängten, ihr Herz fühlte das Flehen
-beständig.
-
-Und die Zeit der Finsterniß ging vorüber, der Schnee schmolz, die Sonne
-lachte heiter durch die kleinen Scheiben des Fensters, wo über Rosen- und
-Myrthenstöcken des Sohnes Bild hing; er schien die Mutter anzulächeln
-und -- o der Freude! da kam auch der Mann mit der Briefmappe wieder, kaum
-konnte die Mutter sein herzliches »Gott grüß!« erwiedern, so bewegt
-war sie von der Erwartung, ob der liebe Herr, ihr treuer Helfer, des Sohnes
-Herz gemildert habe, ob er, der Ferne, auch Sonnenschein um sich sehe und
-in sich spüre. Und es war gut, Alles gut! Er schrieb reuig, bat wegen
-seiner Heftigkeit um Verzeihung, erzählte von bessern Tagen, die ihm
-angebrochen, und von der Aussicht auf Verwirklichung seiner Wünsche. -- An
-diesem Tage hätte Mutter Schmidt sich recht gern arm geschenkt, vielleicht
-hätte sie dies überhaupt schon längst gethan, wenn sie den Sohn nicht
-gehabt hätte. Zum Glück sah sie, noch ehe die Sonne unterging, die
-liebe, freundliche, theilnehmende Sonne! auf dem Wege drüben ein Paar
-arme Kinder, die holte sie, fragte redselig wie nie, nach ihren geheimsten
-Wünschen, und fand sich so reich, diese befriedigen zu können. Einen
-so seligen Tag hatte sie lange nicht gehabt. Ja, das Herz ist tief zu
-bejammern, welches so gerne opfern möchte, und keinen Altar finden kann,
-auf dem es geschehen könnte. Es gehört zuweilen Muth dazu, ihn zu suchen
-und viel Zeit, ihn zu finden, aber es giebt ihrer unzählige um uns herum.
-Möge Gott zu allen Zeiten unsere Augen leiten, daß wir das Rechte sehen,
-und unser Herz, daß wir das Rechte thun!
-
-Vergiß nicht, Pauline, daß ich nur wieder erzähle, ich spreche das
-Gehörte nach, aber ich spreche auch mit. Ja, Gott helfe allewege! --
-
-Nach wenigen Wochen kam abermals ein Brief, und diesmal von einem reichen
-Geschenke von Kleidungsstücken begleitet. Das war nicht nach dem Sinne der
-Mutter, sie wurde wieder nachdenklicher, aber der Frühling wollte es nicht
-leiden, er lockte sie nach draußen und zeigte ihr die Verschwendung an
-Prachtgewändern, welche der liebe Gott den Blumen gestattete. Tausende
-blühten gestern und lagen heute welk, verblüht zu den Füßen
-Neugeschmückter, das ganze Thal war im farbenreichsten zartesten Schmucke,
-der Reichthum sproßte als saftige Zweige aus den Bäumen, breitete sich
-als bunt gewirkte Decke über die Hügel, wogte in der Farbe der Hoffnung
-über die im Herbst bestellten Aecker. Das Leben däuchte ihr wieder
-wunderschön, selbst so getrennt von dem geliebtesten Kinde, sie übergab
-ihn wieder beruhigt der Obhut des reichen Gottes, dessen Ehre die Himmel
-erzählen, und des Vaters voller Gnade und Treue, von dessen wundervoller
-Liebe die Erde, seiner Hände Werk, fröhliches Zeugniß ablegte. --
-
-Ludwigs Briefe wurden zwar von nun an etwas seltener, enthielten aber
-immer verständlichere Andeutungen eines innern Triumphes. Es war viel von
-Manneskraft und Aufsichselbstverlassen die Rede, nur blieb es dunkel, was
-eigentlich Bedeutendes erreicht war. Seit jenem freudenreichen Briefe
-im Frühjahre datirten alle Briefe aus einem kleinen Orte an der Ostsee,
-welcher aber in Ludwigs Atlas von dem Sohne des Försters durchaus nicht
-zu entdecken war. Er hielt sich daselbst beim Gastwirth auf, der sein Haus
-ausbauen ließ, und noch längere Zeit Arbeit für ihn haben würde. Wie
-dieses Verhältniß Ludwigs ehrgeizige oder liebevolle Pläne fördern
-konnte, war schwer zu ergründen; nach der Mutter Meinung hätte er da,
-in dem armen kleinen Orte, als welchen er ihn selbst bezeichnete, nur
-bescheidener in seinen Wünschen werden müssen. --
-
-So verstrich ein Jahr unter Hoffen und Fürchten. Zu Weihnachten war
-wieder eine bedeutende Sendung schöner Sachen angekommen: Kaffee, Zucker,
-Gewürze, selbst schöner Wein, aber die Mutter ließ den Ueberfluß für
-kommende Zeiten liegen und blieb bei ihrer einfachen Lebensweise. -- Als
-der Frühling wieder erschien, wurde ihr sehr bang um's Herz, denn die
-Briefe ihres Sohnes blieben ganz aus; vergebens hatte sie gehofft, zu
-ihrem Geburtstage, den Ludwig stets als Festtag betrachtet hatte, durch
-Nachricht, vielleicht gar seines baldigen Kommens erfreut zu werden, aber
-die Blumensträuße, welche ihre alten und jungen Freundinnen ihr gebracht
-hatten, verwelkten, ohne das Gesicht der Gefeierten im Lichtglanze der
-Freude gesehen zu haben.
-
-Als dieser qualvolle Zustand einige Monate gedauert hatte, wurde Frau
-Schmidt heiterer, sie lächelte wieder, wurde sehr thätig -- in ihrer
-Herzensangst hatte sie oft, die Hände in den Schooß gelegt, dagesessen
--- ging auch nach dem Gottesdienste eines Sonntags in das Pfarrhaus zum
-Besuch, mit einem Worte, sie schien ganz aufzuleben. Aber man sollte noch
-Ungewohnteres, als Besuche in der Stadt, an ihr erleben; zuerst kam die
-Reihe des Erstaunens an die Försterin, welche gebeten wurde, die Ziegen
-und Hühner der alten Frau bei ihrem Vieh aufzunehmen, und dann und wann
-so gütig zu sein, einen Blick nach ihrem Heimwesen zu werfen, weil sie es
-verlassen müsse. Eine innere Stimme ermahne sie beständig, ihren Ludwig
-aufzusuchen, der in Noth wäre, sie sei dazu entschlossen, und schon am
-nächsten Tage solle die Reise angetreten werden. -- In aller Frühe des
-folgenden Morgens brach sie auf, und mancher der Vorübergehenden blieb an
-diesem Tage dem Hause gegenüber stehen, und dachte darüber nach, was es
-wohl mit den verschlossenen Laden für eine Bewandtniß haben könnte. Es
-wurde auch von einer entschlossenen Frau daran geklopft, die Schmidt konnte
-ja heftig erkrankt sein und hülflos daliegen, es antwortete aber weder ein
-Wort noch ein Seufzen, und kopfschüttelnd ging die gute Frau ihrer Wege.
-Dies geschah im Juni. Zwei Monate vorher hatte auch Ludwig eine Reise
-angetreten, aber ehe ich sage wohin, muß ich erst von _Pranbeck_ reden,
-und von der Zeit, die Ludwig darin verlebte.
-
-Als er vor fast anderthalb Jahren nach der, von dem Kirchdorfe Pranbeck
-ungefähr fünf Meilen entfernten größeren Hafenstadt wandern wollte, und
-in das Gasthaus des kleinen Ortes trat, war er so recht zerfallen mit der
-Welt, die so viel des Lockenden und Reizenden für ihn hatte, es ihm,
-wie er meinte, höhnisch vorhielt, und, so oft er die Hände darnach
-ausstrecken wollte, schnell entzog. Selten hatte er etwas Vollkommenes
-gefunden, besonders in den letzten Jahren: war der Meister gut, so taugten
-die Gesellen nichts; fand er Gelegenheit viel zu verdienen, so war die
-Familie seines Vorgesetzten entweder aufgeblasen oder gar zu ungebildet,
-so daß er sich nicht mit ihr befassen konnte. Ging er in diesem letztern
-Falle seinen eigenen Weg, so fehlte es wieder nicht an bornirten Versuchen,
-sich über ihn lustig zu machen. Nein, dies Beugen und Fürliebnehmen
-war zu unausstehlich, und wurde ihm immer lästiger! Hätte er es nur
-verstanden Geld zusammen zu scharren wie diese Pilze, deren Herz gegen
-jedes gute Gefühl durch einen Harnisch geschützt war, diese Schwämme,
-die alles in ihrer Nähe Befindliche gewissenlos aussaugen, und dann
-wohlgefällig auf ihre magern Nachbarn herabblicken, ja dann, dann konnte
-er zeigen, wie der Hausstand eines christlichen Handwerkers eingerichtet
-sein müsse, wie man sich den Lernenden, Helfenden gegenüber zu betragen
-habe. -- Freilich, beschränkte Menschen, das stand fest, würde er nie in
-seine Werkstatt aufnehmen, sondern nur solche, deren tüchtiger Verstand
-sich gleich durch ein anständig freies Wesen bekunde, was auf den ersten
-Blick von der tölpelhaften Selbstgefälligkeit einfältiger Menschen zu
-unterscheiden sei. --
-
-So ungefähr dachte und sprach Ludwig, der Sohn der demüthigen,
-zufriedenen Wittwe im Waldhause, mit dieser Neigung die gesellschaftlichen
-Zustände von ihrer trübsten Seite aufzufassen und zu verurtheilen, sah er
-zum ersten Male das Meer in seiner unabsehbaren Ausdehnung. Es machte
-einen tiefen Eindruck auf ihn, aber keinen guten, es half nur in seiner ihm
-unverständlichen Größe seine Ansichten befestigen. Es war ein trauriger
-Tag, als Ludwig zum ersten Male an einer Küste stand, der Wind stürmte
-seewärts auf ihn ein und trieb die schäumenden Wogen, dunkel wie der
-wolkenbedeckte Himmel, stürmisch gegen den niedern Hügel, von dessen
-Rücken er in das unruhige Element schaute. »Ja,« sprach er bei sich
-selbst, »Woge auf Woge, Tag auf Tag! Es ist alles einerlei, Seelen- und
-Geschickeszwang und Zwang in der Natur, Niemand und Nichts kann gegen sein
-Verhängniß; kann er Gefallen daran finden, der liebe Gott im Himmel, wie
-die Mutter sagt?« --
-
-Ein verächtliches Lächeln entstellte sein sonst hübsches Gesicht, und er
-drehte dem Meere den Rücken, um ein Obdach zu suchen.
-
-Nun ist Pranbeck zwar nur ein kleiner Ort, und auch kein sehr wohlhabender,
-aber ein stattliches Gasthaus befindet sich doch da, und ein ebenso
-stattlicher Wirth, ein ganz gewandter Mann, dessen Bildung auch für ein
-Hôtel ausgereicht haben würde, darin. Als Ludwig durchnäßt, denn es
-hatte den ganzen Morgen geregnet, auf seiner Schwelle erschien, beging er
-nicht den Mißgriff, ihn in die ordinaire Gaststube nach dem Hofe hinaus,
-wo Knechte, Boten, lotterige Handwerksburschen und dergl. placirt wurden,
-zu verweisen, sondern er führte ihn mit einigen freundlichen Worten des
-Bedauerns ob des schlechten Reisewetters in das behagliche Zimmer, wo
-Landherrschaften und die Honoratioren des Dorfes sich häufig des Abends
-zu versammeln pflegten, das des Tages aber in der Regel nur ganz flüchtige
-Besuche Solcher empfing, die nicht ausgehen konnten, ohne im Wirthshause
-die Frage: Was giebts Neues? auszusprechen, und ein Gläschen zu trinken.
-Selten kamen Reisende anderer Art, als die Genannten, nach Pranbeck, daher
-mochte es kommen, daß die Erscheinung des für einen Handwerksburschen
-sehr nobel gekleideten Fremden dem Wirthe sehr angenehm war. -- Bald hatte
-Ludwig seine Kleider gewechselt, etwas Stärkendes genossen und war mit
-dem Wirthe in der besten Unterhaltung, die damit endete, daß er versprach
-vorläufig in Pranbeck zu bleiben, um dem einzigen Tischler des Ortes, dem
-die Gesellen wegen seiner zänkischen Hausfrau allzuschnell davon liefen,
-zu helfen und die obere Etage des noch unvollendeten Wohnhauses mit den
-nothwendigen Tischlerarbeiten zu versehen. Dabei wurde gleich abgemacht,
-daß Ludwig im Gasthause selbst und nicht bei dem Meister wohnen solle. --
-
-So weit war Alles gut, aber das Schlimme lauerte dahinter. Nicht daß
-Ludwig ein Schlemmer wurde, und wie so mancher tägliche Besucher des
-Gasthauses, dem Laster des Trunkes fröhnen lernte -- er fühlte einen
-Abscheu vor solcher Verirrung, er wendete sein Auge weg, wenn so ein
-lallender, schwankender Mensch versuchte Witze zu reißen oder zu beweisen,
-daß er wirklich nur »angetrunken sei, nur genippt habe!« -- Eine solche
-Erniedrigung war für ihn nicht zu befürchten, seine Mutter dachte kaum
-daran; Ludwig war ja stolz, wie konnte er sich zum Gegenstande des Ekels,
-des Spottes herabwürdigen! --
-
-Der Wirth war ein reicher Mann, er hatte Felder und Wiesen, Haus und Hof,
-und ein reich versorgtes Waarenlager, da er das Recht hatte Handel zu
-treiben. Sein Verkehr als Handelsmann war ganz großartig, doch wußten
-nicht Viele genau darum, er ging meist in der Stille der Nacht vor sich,
-aber dafür war er desto ergiebiger. Nach kaum einem Monate war Ludwig
-Mitwisser dieses geheimnißvollen Verkehrs, und wenige Wochen später
-Compagnon des Wirthes. Nun wurde der Ton zwischen beiden Männern noch
-verbindlicher und das nächtliche Geschäft noch gewinnbringender, denn
-Ludwig war höchst thätig, umsichtig und kühn, gerade ein solcher Mann,
-wie er für den Wirth paßte, und dieser war die Freundschaft selbst gegen
-ihn.
-
-Zum ersten Male hatte es nun Ludwig so, wie er es wünschte: einen
-gescheuten, aufgeklärten Vorgesetzten, achtungsvolle Behandlung,
-Anerkennung seiner Fähigkeiten und Leistungen, und reichlichen Gewinn.
-Dennoch sah er nicht aus wie ein Mensch, über dem die Glückssonne
-strahlt; er war viel schweigsamer geworden, sein Blick hatte an Offenheit
-verloren und über sein Gesicht flog oft etwas dem Argwohn ähnliches; sein
-durchdringender Blick schien dann zu fragen: wer wagt es, mein Thun und
-Lassen zu beurtheilen? Ich, ich allein bin Herr meiner Entschlüsse und
-Handlungen!
-
-Pranbeck liegt ganz nahe an der Grenzlinie, und der Wirth war durch kühn
-getriebene Schmuggelei reich geworden. Aus Zuneigung zu Ludwig, wie er
-sagte, hatte er ihm gezeigt, wie leicht man es dahin bringen könne, die
-oft langweilige Berufsarbeit nur =pro forma= zur Hand zu nehmen, wenn man
-nämlich nur genug Entschlossenheit besitze, mit einigen Vorurtheilen
-zu brechen. Und dann hatte der Wirth ihm in fließender Rede auseinander
-gesetzt, wie ungerecht die Besteuerung der ausländischen Produkte sei,
-das arme Volk müsse sie fast ganz entbehren, mäßig Begüterte sie mit
-äußerster Einschränkung genießen, während man höher hinauf damit
-schwelge und sie verprasse. In solche Behauptungen stimmte nun zwar Ludwig
-nicht mit ein, aber in ihre Consequenzen, er vergaß die Worte: »seid
-unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat,« und »gebet dem
-Kaiser, was des Kaisers ist,« -- und ward Schleichhändler wie sein
-Verführer.
-
-Die Geschäfte gingen nach Wunsch, denn von den drei Officianten, welche in
-Pranbeck stationirt waren, drückten zwei ihre Augen bei den nächtlichen
-Affairen des Wirthes zu, denn dieser wußte ebenso gut zu zahlen wie
-zu sprechen, und der Dritte war schon ein älterer Mann, der leicht zu
-täuschen war. Bald war Ludwig so gut bei Kasse wie nie vorher, daraus
-erklären sich seine Hoffnungen, Briefe und Geschenke nach Waldhaus.
-
-Etwas länger als ein Jahr mochte Ludwig in Pranbeck sein, als bei
-furchtbaren Aequinoctialstürmen ein Schiff in der Nähe des Oertchens
-strandete. Die Mannschaft rettete sich, und die reichen Waaren, die es
-trug, wurden glücklich im Wachthäuschen auf einem Küstenvorsprunge
-und dem daneben stehenden Wachtthurme geborgen. Das Schiff gehörte einem
-Lübecker Kaufmanne und war in einer Anstalt versichert, die einen Agenten
-in der Provinzialhauptstadt hatte. Dieser, schnell benachrichtigt, war
-selbst bei der Bergung zugegen gewesen, hatte die Bekanntschaft des
-zuvorkommenden Wirthes und auch Ludwigs gemacht, der bei dem Unglücke
-sich sehr muthvoll und menschenfreundlich bewiesen hatte. Am Tage nach des
-Agenten Abreise sollten die Sachen auf schon bestellte Wagen gepackt und
-ihm nachgeschickt werden.
-
-Die nun hereinbrechende Nacht wurde verhängnißvoll für Ludwig. --
-
-Der Wirth war am Nachmittage schon äußerst splendid mit Wein gewesen,
-aufgeregt war man ohnehin von den Begebenheiten. Man redete viel von Muth,
-Recht und lächerlicher Peinlichkeit, und endlich stand so viel fest,
-daß, wer es wage die geborgenen Sachen sich zuzueignen, einen Hauptstreich
-ausführe, der ersprießlichere Folgen haben werde, als die Arbeit
-von wenigstens zwanzig Jahren, und der Verlust sei nur der der
-Versicherungsgesellschaft, komme auf Niemanden eigentlich merklich.
-
-Ludwig stand auf und wollte der Versuchung entfliehen, sein Zimmer
-aufsuchen, aber dort war es ihm zu eng, er hüllte sich dicht ein und
-ging zum Dorfe hinaus, wo das Rauschen des Meeres -- ein wunderlicher
-Sirenengesang! -- ihn zog und lockte, bis er am Strande stand.
-
-Weithin ringsum hörte man nichts anderes als Wind und Wasser, und wäre
-auch ein leises Geräusch entstanden, es wäre ungehört erstorben in
-diesem unnachahmlichen Zwiegespräch. Da kam der Wirth mit seinem Knechte
-in der Dunkelheit daher, auch die beiden ungetreuen, eidbrüchigen
-Grenzbeamten folgten. Sie schritten so eilig dem alten Wachtthurme zu, als
-beflügle der Pflichteifer ihre Schritte, als seien sie so ganz sicher, auf
-richtigen Wegen zu gehen. Ludwigs Blut pulsirte heftig, er sollte Mitwisser
-dieses Unternehmens werden, halber Theilnehmer, und keiner Gewinn davon
-haben, wo so großer Gewinn zu hoffen war? Es kostete dem Wirth nur wenige
-Worte und Ludwig ging mit ihm. Es war freilich eine That, die er nie,
-selbst nicht in Zukunft seinem Weibe vertrauen durfte, aber für seine
-Ueberwindung zahlte sie auch mit dem eigenen Herde!
-
-Nur eine Schwierigkeit war bei der Geschichte zu fürchten, und das war die
-mögliche Widersetzlichkeit des Wächters. Zwar war er ein bequemer Mann
-und hatte bei der Schmuggelei oft seine Hand zur Hülfe geliehen, aber hier
-war's gefährlich für ihn, und wenn er sich weigerte, gemeinschaftliche
-Sache mit ihnen zu machen, dann mußte man auf den Fang verzichten. Es war,
-wie man gefürchtet hatte, der Wächter war unbestechlich. Vergebens
-waren all die glatten Worte des Wirthes, der Plan schien dem Alten zu
-handgreiflich: ohne Zuchthaus, meinte er, könnte das unmöglich enden.
-
-Der Knecht erhielt von seinem Herrn einen Wink und begab sich wieder nach
-Pranbeck zurück, die Uebrigen schienen ihre verbrecherischen Wünsche
-aufgegeben zu haben, der Wirth schmollte zwar etwas, nahm aber die
-Einladung zu einer Parthie Landsknecht an, und setzte sich zum Spiele an
-den Tisch.
-
-»Halt!« rief er plötzlich nach einer Weile, »ich habe einen
-unbezahlbaren Einfall. Wir wollen unsern Aerger hinunterspülen. Einen
-Bohrer her!«
-
-»Wozu?« fragte der Strandwächter.
-
-»Sollt schon sehen, altes Hasenherz. Wo ist der Schlüssel zur Remise?«
-
-»Gut verwahrt,« erhielt er lachend zur Antwort.
-
-»Keine Dummheiten!« schalt Jener, »glaubt Ihr denn, wir werden Euch
-wider Willen die Sachen wegnehmen, die Ihr nicht theilen wollt? Nein, das
-führte höchstens zu einem Jahre Wolle spinnen in Gesellschaft, aber wir
-wollen die hübschen Fäßchen ein Bischen erleichtern, und Eure Gesundheit
-in gekapertem Weine trinken.«
-
-»Geht doch nicht an,« wehrte der Alte, »'s ist gleich zu merken, sie
-brauchen bloß das Faß anzurühren, so --«
-
-»Giebts denn kein Wasser in der Welt mehr?« unterbrach ihn der Wirth
-lachend, »nur einen Bohrer her, für das Uebrige werde ich sorgen.«
-
-Der Wächter, nach dem verführerischen Getränke lüstern, war's
-zufrieden; bald war Wein in Fülle da, und von Neuem begann ein
-lästerliches Trinken und Durcheinandergerede schlechter Dinge. Ludwig war
-nur Zuschauer dieser Scene geblieben; das, was er hörte, war ihm ekelhaft,
-er hätte dies gern gesagt, oder durch sein Entfernen angedeutet, aber er
-merkte, daß der Wirth noch etwas im Schilde führte, sah deutlich seinen
-Triumph, als der Wächter, von dem reichlich genossenen Weine betäubt und
-verwirrt, allmählig ein albernes Gewäsch zu reden anfing, in welches der
-feine Wirth lustig mit einstimmte, dann mit übersichtigen Augen, wie
-im Traume, bald hier, bald dorthin starrte, und endlich sich in die Ecke
-lehnte und einschlief. Jedenfalls wollte er abwarten, wie die Geschichte
-sich noch entwickeln würde.
-
-»Das hat Mühe genug gekostet,« flüsterte der Wirth und deutete auf den
-Trunkenen, der von seinen Sinnen nicht wußte, »aber nun schnell, Johann
-wird längst mit dem großen Wagen draußen halten; ich wußte, wie
-es kommen würde, und habe meine Vorkehrungen getroffen. Hier ist der
-Schlüssel, ich stecke die Laterne an und komme nach.«
-
-Ludwig stand noch da, ohne sich zu regen. Ein Rest der alten Gesinnungen
-war noch vorhanden, eine Scheu warnte ihn, nicht ein so großes Uebel zu
-thun und wider den Herrn seinen Gott zu sündigen. --
-
-»Alle Mann heran!« scherzte frohlockend der Wirth, und rieb sich die
-Hände, »das giebt einen köstlichen Spaß!«
-
-»Aber,« wendete Ludwig ein, »Kraaß wird natürlich Alles erzählen.«
-
-»Bewahre!« entgegnete der Andere, »wir rühren hier im Thurme nicht das
-Mindeste an. Wenn er morgen aufwacht, wird's sein, daß man ihn,
-entsetzt über den leeren Speicher, herausdonnert. Jeder Mensch wird dem
-verschlafenen, alten Säufer die Unschuld gleich an der Nase ansehen, und
-er wird sich hüten, die auf Verdacht anzuklagen, die als Freunde sehr
-vortheilhaft, als Feinde aber sehr gefährlich sein würden.« --
-
-Ludwig betheiligte sich an dem Diebstahle. Es wurde gleich abgemacht, daß
-bei der Theilung keine Gewinnstufen stattfinden sollten, nur der Knecht
-mußte sich mit einem Antheile von 50 Rthl. zufrieden erklären.
-
-Gegen 2 Uhr Nachts fuhr die erste Ladung in die ungepflasterte Auffahrt des
-Wirthshauses. Ludwig begleitete sie, um die Waaren nach Weisung des
-Wirthes unterzubringen. Während dieser Zeit belud man den schon harrenden
-Einspänner und berechnete, wann Alles abgemacht sein könnte, als der
-Wächter laut scheltend und fluchend vor dem Thurme erschien, und mit
-vielen Schwüren betheuerte, er werde diesen Diebstahl verhindern. Den
-Dieben trat der Angstschweiß auf die Stirn, zum Glück tobte freilich das
-Meer, aber der Mann hatte eine gellende Stimme.
-
-»Schweigt, Unsinniger,« sprach der Wirth drohend auf ihn ein, »es ist zu
-spät, legt Euch und schlaft, Ihr wißt von Nichts!«
-
-»Oho!« schrie der Andere, »ich weiß von Nichts? -- wir wollen doch
-einmal sehen!« und damit ging er trotzig in den Thurm. Wie der Wind war
-der Wirth hinter ihm her. Aber da klang es schon durch die Nacht hin --
-Glockenschlag -- der Alte hatte die Nothglocke angeschlagen, einmal aber
-nur, dann mußte er sich beruhigt haben, vielleicht war er in seiner
-Trunkenheit umgefallen. Es wurde ganz still im Thurme. --
-
-Am andern Morgen verbreitete sich mit reißender Schnelligkeit das
-Gerücht: der Strandwächter Kraaß sei erdrosselt, und ein großer Theil
-der Ladung des gestrandeten Schiffes Hieroglyph gestohlen.
-
-Einer von denen, die durchaus dieses Gerücht nicht glauben konnten, war
-der Wirth in Pranbeck, und als sich die Thatsache dennoch herausstellte,
-war er eifrig damit beschäftigt zu beweisen, daß Seeleute dies Verbrechen
-verübt haben müßten. Trotz seines Unglaubens und seiner Gründe wendete
-sich aber der Verdacht sehr bald gegen ihn selbst, und acht Tage nach jener
-schrecklichen Nacht ward er, die beiden jüngern Grenzbeamten, sein Knecht
-und Ludwig Schmidt, der bei ihm arbeitende Tischlergesell, auf einem Wagen
-nach der nächsten Kreisstadt eskortirt. Die Gefangenen waren gefesselt und
-zwei Gensdarmen begleiteten sie.
-
-In dieser Zeit war es, als die alte Mutter im Waldhause so vergeblich und
-unruhig auf einen Brief von ihrem Sohne wartete. In dieser Zeit beugte sich
-auch ein Mensch, der lange Zeit mit seinem Gotte unzufrieden gewesen war,
-und ihn gemeistert hatte, mit durchgreifender Zerknirschung tief, tief in
-den Staub. Gleich in dem ersten Verhöre hatte er seine Schuld gestanden;
-vom Morde wußte er nichts. Das mußte aber erst erwiesen werden; zwei
-der andern Gefangenen gingen gerade so weit wie Ludwig, des Diebstahls
-bekannten sie sich schuldig, des Mordes nicht, und der Wirth und sein
-Knecht wollten anfangs sogar von gar keiner Schuld wissen, die gefundenen
-Sachen waren rechtmäßig erworbene Lagervorräthe, alle erschwerenden
-Umstände des Verdachtes beklagenswerther Zufall. --
-
-In seiner einsamen Zelle erschienen Ludwig am Tage und in den langen
-schlaflosen Nächten liebliche und doch so schmerzenbringende Bilder. Seine
-Jugendzeit, das stille, heimische, so oft verachtete Haus, besonders
-aber die Mutter mit ihrer reichen Liebe, ihren Thränen und ihren tausend
-Opfern. Auch seine stolzen Gedanken von früher und alle seine hohen
-Versprechungen kamen zurück und sahen ihn höhnend an. Dann hätte er laut
-aufschreien mögen, zu qualvoll war's, zu schrecklich!
-
-»O Mutter, Mutter!« rief er laut. -- Der Schlüssel klirrte im Schlosse,
-die Thür ging auf, Ludwig raffte sich auf vom Boden, er hatte auf den
-Knien gelegen, aber er stieß einen furchtbaren Schrei aus, verhüllte sein
-Antlitz und beugte es ganz hinab, daß es nichts mehr sehen konnte, auch
-all sein Elend nicht zeigte. Seine Mutter stand ja vor ihm, wirklich vor
-ihm, bleich und liebevoll, weinend ihm entgegen lächelnd. Sie streckte
-auch die Arme aus, aber wie hätte er es wagen dürfen, dahinein zu sinken,
-er, der Verbrecher im Kerker, in die Arme dieser Mutter!
-
-Aber hatte der Anblick die Mutter denn getödtet? Er hörte ja nichts von
-ihr, kein Wort, keine Bewegung. Er mußte es wagen, seine Augen zu ihr zu
-erheben. Da lag sie auf ihren Knien, und ihre Hände und Blicke und ihr
-ganzes Herz waren nach oben gerichtet, und ihre Lippen bewegten sich ganz
-leise. Da das der Sohn sahe, wand er sich kniend zu ihr hin und reichte ihr
-die heilige Schrift, wie sie da aufgeschlagen gelegen hatte, und deutete
-mit dem Blicke auf eine Stelle, die er täglich wohl hundert Mal gelesen
-und immer wiederholt hatte. Und die Mutter warf nur einen Blick hinein,
-und dann sprach sie laut und klangvoll, daß das Herz des Sohnes erbebte:
-»Herr Gott, Dich lobe ich; dieser mein Sohn war todt und ist wieder
-lebendig geworden, er war verloren und ist wieder gefunden worden!«
-
-Ludwigs Abwesenheit vom Schauplatze des Verbrechens zur Zeit des Absterbens
-des Alten, stellte sich im Laufe der Untersuchung sicher heraus; er ward
-von der Anklage auf muthmaßlichen Mord freigesprochen. Anders war's mit
-dem Diebstahle, den er selbst eingestanden, dafür wurde er zu zwei Jahren
-Zuchthaus verurtheilt, die er, begleitet von seiner Mutter, die sich
-nie wieder von ihm trennen wollte, abbüßte. Die alte Frau,
-vom Untersuchungsrichter empfohlen, fand in der Familie eines
-Strafanstaltsbeamten ein Unterkommen als Kinderwärterin und durfte
-täglich ihren Sohn sehen, auch mit ihm Morgens und Abends in dem großen
-Betsaale des Zuchthauses ihr Gebet mit dem seinigen vereinigen.
-
-Als die Strafzeit zu Ende war, kehrten Mutter und Sohn in die Heimath
-zurück. Ludwig konnte nach den Gesetzen der Innung nicht Meister seines
-Gewerkes werden, aber er fand dennoch allerlei Beschäftigung und viel
-weniger hartes Urtheil, als man gewöhnlich über Gefallene hört. Sein
-stilles Wesen, sein Fleiß, seine Kindesliebe, und vor Allem seine Demuth
-und Anspruchslosigkeit söhnten die Menschen mit ihm aus, und seine Mutter
-fühlte sich so glücklich in seiner Gesellschaft wie nimmer zuvor. --
-
-»Lebt sie noch?« fragte Cäcilie.
-
-»Nein,« antwortete Julchen, »aber Du kennst den Sohn ganz gut, es ist
-der Missionsbote für unsern Kreis.« --
-
-»Schmidt?« fragten die Mädchen verwundert.
-
-»Ich habe ihn ja immer bei seinem Namen genannt,« erwiederte Julchen
-lächelnd.
-
-»Es giebt viele dieses Namens, aber nun weiß ich, wovon er es versteht,
-so wunderschöne ausgelegte Kästchen zu verfertigen,« meinte Ida.
-
-»Und warum er, der geschickte Mann, diese Beschäftigung erwählt hat,«
-setzte Cäcilie hinzu. »Ja, wie viele Menschen würden wir mit ganz andern
-Augen ansehen, wenn wir ihre Geschichte so genau kennten.«
-
-»Und ihr Herz,« sprach ich leise.
-
-»Das gehört ja zusammen,« erwiederte sie nachdenklich, »ich glaube
-wenigstens.« --
-
-Ein unerhört langer Brief. Ich habe mehrere Abende daran geschrieben, that
-es aber recht gern. Schade daß Du die Augen nicht dazu siehst, die mir
-dabei oft vorschwebten. In diesen Augen spiegeln sich treu alle Gefühle:
-Besorgniß, Trauer, Hoffnung, Beifall, Andacht, nur eins sah ich noch nicht
-darin, werde es auch wohl nie sehen. Zuweilen senken sich auch diese Augen
-beharrlich, dann möchte ich erst recht wissen, was sie zu verbergen sich
-bemühen. -- Lebe wohl.
-
- _Dein Justus._
-
-
-
-
- Am 6. März.
-
-Dank für Deinen lieben Brief, besonders für die Stelle, welche meine
-Frage so schön beantwortet. Gemeinsames Streben also, Ein Zier, Ein
-Glaube, Eine Liebe, Eine Hoffnung verwischen alle sonstige Verschiedenheit
-und bedecken der Flecken Menge. Ein Streben -- ja das ist vorhanden, zur
-höchsten Klarheit, aber Glaube, Liebe, Hoffnung, darin erscheint sie mir
-vollendet, und ich bin nur ein schüchterner Anfänger darin; es ist nicht
-unmännlich, die Wahrheit zu gestehen, sie mag heißen, wie sie will. --
-
-Ich werde jetzt stark in Versuchung geführt, etwas zu wagen: unser
-elterliches Haus soll verkauft werden, aber es ist nur eine Versuchung
-Unruhe und Schmerzen hervorzurufen, ich will mich davon losreißen. --
-Dienstag über acht Tage werde ich abreisen, dann fährt der Graf nach
-Berlin und ich mit ihm. Vielleicht ist dies also der letzte Brief aus
-Burgwall, er soll Dir innige, treue Grüße bringen. --
-
-
- Den 15. März.
-
-Der Brief liegt noch, die letzte Zeit war voller Unruhe, nun will ich
-aber unsere Burgwaller Correspondenz schließen. Auf morgen früh ist die
-Abreise festgesetzt, der Koffer ist gepackt und die leidigen Visiten sind
-überstanden, nur Bernwachts und Julchen habe ich noch aufgespart, die sind
-für sich. -- Cäcilie ist seit einiger Zeit leidend, möglich, daß ich
-sie nur noch auf Augenblicke sehe. Ich liebe das junge Mädchen, Pauline,
-es ist keine Phantasie, keine Passion, es ist ein unwiderstehlicher Zug des
-Herzens, der mich an sie fesselt, ich fühle das jetzt mit einer Klarheit,
-die mir den Abschied sehr schwer, aber ganz unumgänglich nothwendig macht.
--- Das Kind ist so zart, wenn sie stürbe! Ich zittere bei dem Gedanken.
-Wüßte sie, daß ich leide, dann würde sie traurig werden, trauriger muß
-ich sagen, denn in ihrem leidenden Zustande sieht sie matt und angegriffen
-aus, auch seelenmatt, sie lächelt viel seltener als sonst, aber ihr
-würde auch unheimlich dabei, denn sie kennt ja keine Liebe, die Schmerzen
-bereitet. Sie sei Gott empfohlen, Seine Engel werden sie beschirmen. --
-
-Ich werde nun in die Stadt gehen, auch auf den Friedhof, und will für Dich
-ein Epheublatt mitbringen vom Grabe der Mutter. --
-
-Sobald ich kann, werde ich Dich aufsuchen. Die Zukunft sieht mich
-allzuschaal und nüchtern an, kaum mag ich an sie denken. Lebe wohl!
-
- _Justus._
-
-
-
-
- Berlin, den 20. März.
-
-Du wirst es gleich diesen Schriftzügen ansehen, daß etwas Großes mit mir
-geschehen ist, nicht wahr, Schwesterherz? Falte Deine Hände und bete für
-Deinen Bruder, mein Herz ist nicht im Stande, allein dem Herrn die heiligen
-Opfer darzubringen, die ihm gebühren, Du mußt helfen dabei! Sei
-auch nicht unwillig, wenn ich ungewöhnlich spreche, es ist ja nur Dir
-gegenüber, wo das Herz und der Mund klingen dürfen, wie sie wollen, die
-Welt hört nichts davon und ich kann ja nicht anders.
-
-Ich schrieb Dir traurig zuletzt, -- da auf den vorigen Seiten steht es noch
--- und beklemmten Herzens ging ich zu Bernwachts hinab.
-
-»Cäcilie ist krank,« flüsterte mir Burga zu, als ich mich dem Hause
-näherte, »Du mußt ja leise gehen, und die Thür nicht so hastig
-aufmachen, sie ist so schreckhaft.«
-
-»Sie hat das Fieber,« setzte Berga hinzu, »Mama meint, sie fiebere.« --
-»Nein,« widersprach die Andere, »sie hat ein Herzleiden. Vorhin war ich
-oben bei ihr, und wir sprachen ganz ruhig, ich sagte, das Wetter wäre so
-schön zu Deiner Reise, da sah ich, daß sie die Hand auf die Brust
-legte. Thut's da weh? fragte ich, da sagte sie: nein, aber es klopft viel
-heftiger, als es soll und, darf. Nach einer ganzen Weile sagte sie erst:
-so, nun ist es gut.«
-
-Mit Schrecken gedachte ich ihrer stets sehr zarten Farbe und in letzter
-Zeit war sie wirklich auffallend blaß gewesen. Die Mutter begegnete mir
-auf dem Flur, ich fragte gleich nach Cäcilien und erhielt tröstliche
-Nachricht. Es sei durchaus nichts von Bedeutung, sie sei auch unten im
-Wohnzimmer. So war es auch. Ich fühlte mich nicht behaglich, der Abschied
-lag mir wie eine Bürde auf dem Herzen, daher brach ich früh auf. Alle
-sprachen liebe Worte, auch Cäcilie reichte mir ihre liebe Hand und sah
-mich lange sanft und freundlich an. »Sie wollen ja nicht wieder kommen,«
-sagte sie, »nun will ich mir schon Ihre Züge recht einprägen. Sie sind
-stets gütig gegen mich gewesen.«
-
-Ich küßte ihr schweigend die Hand und ging dann zu Julchen und nahm
-Abschied von den Gräbern.
-
-Als ich zurückkehrte, sah ich in Cäciliens Zimmer helles Licht, ich
-wußte ganz bestimmt, daß diese Stube im obern Stock die ihrige war. Gern
-hätte ich noch einen Schimmer ihrer Gestalt gesehn; ich harrte, da kam sie
-an das Fenster und sah zum Himmel hinan, droben aber funkelten die Sterne
-in wundervoller Pracht! Ich faßte gar keinen Entschluß, ich überlegte
-nichts, aber ich ging zu ihr, ich konnte nicht anders.
-
-Niemand begegnete mir, im Dunkeln fand ich mich hin, bald stand ich vor der
-Thür und klopfte an: ich durfte eintreten. Sie stand noch am Fenster, nun
-wendete sie sich mir zu, ihre Hand legte sie leise aufs Herz, dann setzte
-sie sich wie erschöpft, fast wankend auf den Sopha und beugte einen Moment
-ihre Stirn in die Kissen nieder. »Sie sind sehr krank,« sagte ich heftig
-ergriffen. »Nein,« erwiederte sie, »nur sehr schwach, und ich verdiene
-diese Strafe vollkommen.«
-
-»Welche?« fragte ich. »Daß Sie mich so sehen.« Ich verstand sie nicht.
-»Ich bin sehr heftig,« fuhr sie fort, »die erste große Versuchung, die
-der Herr mir schickt, zeigt mir meine gänzliche Hülflosigkeit, aber im
-Bekennen wächst die Kraft, so, nun wird es besser!«
-
-Sie richtete bei diesen Worten ihren Blick mit Begeisterung auf ein Bild
-ihr gegenüber, ich folgte und war versucht an Wunder zu glauben; das
-Christusbild aus meiner Mutter Kabinet war Cäciliens Eigenthum!
-
-»Ich kenne den Grund Ihrer Selbstanklagen nicht,« sprach ich mit tiefer
-Erregung, »ich kann nicht ahnen, was Sie so tief bewegt, aber Sie sollen
-wissen, mit welchem Schmerze ich von hier scheide; ich wollte schweigen,
-aber ich kann es nicht.«
-
-Und nun erzählte ich ihr all die schönen Träume, die mich in Burgwall
-umschwebt, von dem Erkerstübchen, von all den wonnigen Phantasien, die
-mit ihm zusammenhingen, daß ich ihnen entsagen müßte, weil ich mich der
-vollen Huld eines geliebten Wesens, welches für mich der Inbegriff aller
-menschlichen Liebenswürdigkeit sei, unwürdig fühlte, daß ihr ganzes
-Benehmen mir auch zeige, wie wenig sie meine Liebe verstanden habe und
-erwiedere. Jetzt sei sie leidend, eine dunkle Unruhe hätte mich getrieben,
-sie noch einmal aufzusuchen, sie möge verzeihen, um der Liebe willen, die
-ihr geweiht sei. Und ich verstummte vor seligem Entzücken, entzündet an
-ihrem, an Cäciliens, die mich, mich liebt. Du glaubst es nicht, Du fragst,
-ob dies möglich ist; es ist durch Gottes reiche Huld volle köstliche
-Wahrheit!
-
-Viel hätte ich zu erzählen von ihrer Demuth, die von Glück sprach,
-von ihrer himmlischen Offenheit, die mir gestand, wie sie bei meiner
-herannahenden Abreise Blicke in ihr Herz gethan und gefunden habe, daß
-es zagte, eine Oede zu werden, wenn sie fern von mir sein würde, wie sie
-befürchtet, Gott müsse zürnen, daß sie sein Geschöpf so sehr, zu sehr
-liebe. Und sie hat recht: bin ich dessen würdig? -- Aber nun strahlte ihr
-kleines blasses, süßes Gesicht im Glanze der Verklärung: Gott war ihren
-Gefühlen gnädig, er segnete sie!
-
-Wir gingen Hand in Hand hinab. Nichts von dem allgemeinen Staunen, Du
-kannst Dir's denken. Die Alten waren anfangs vor Ueberraschung stumm,
-Cäcilie hing aber an ihrem Halse und Burga und Berga umarmten mich,
-Therese und Ida kamen auch, da bekamen sie die Sprache wieder und Thränen
-dazu, und ich erhielt ihr Engelskind mit dem vollsten wärmsten Segen.
-
-Nur wenige Stunden war ich noch in ihrem Kreise, hatte auch
-Geistesgegenwart genug an den Kauf unsers Vaterhauses zu denken, mein
-_Schwiegervater_, -- wie klingt das, Pauline? ich sage Dir wie ein Segen!
--- also mein Schwiegervater wird diese Angelegenheit besorgen.
-
-Zum letzten Male erstieg ich den Schloßberg. Ich blieb oft stehen und sah
-gen Himmel. Gott, welcher Reichthum droben und hier, ich staune, ich bete
-an, ich bitte um Verzeihung! Mein Glück wird endelos sein, Gott hat es mir
-gegeben; es ist auch ein solches, welches noch wachsen wird, denn Er wird
-es pflegen und behüten, ich fühle es.
-
-Am nächsten Morgen verkündigte ich dieses Glück der gräflichen Familie
-und empfing ihre freudigen Glückwünsche, dann nahm ich Abschied von der
-verehrten Frau, und bald lag Burgwall hinter mir, aber trotz Abschied und
-Ferne, damals und jetzt, erhebe ich meine Hände und mein Herz hinan zum
-Himmel, Ihm Dank und Preis darzubringen, der so Großes an mir gethan
-hat; der meiner Seele half, als sie rang nach dem neuen Leben, der alle
-Dunkelheit und alles Bangen vernichtete, und in seinem Liebesrath mir den
-Engel beigesellte, dessen lichte Klarheit mir in Zukunft jeden Schatten von
-meinem Pfade verscheuchen wird!
-
-Aber Du mußt sehen, Pauline, Du sollst und mußt Deine Schwester bald
-kennen lernen. Zu Pfingsten erwarten wir Dich bestimmt in Burgwall.
-
-Schreibe bald, grüße auch Deine edlen, alten Freundinnen, und sei so
-glücklich wie
-
- _Dein Bruder Justus_.
-
-
-
-
-=Empfehlenswerthe Bücher=
-
-=aus dem=
-
-=Verlage der Agentur des Rauhen Hauses=,
-
-=durch alle Buchhandlungen zu beziehen=.
-
-
-Für Frauen und Jungfrauen:
-
-
-Die Pflegerin.
-
- Von _Rosalie Sandvoß_. 90 S. br. 7½ Sgr.
-
-Grüße an die christl. Mädchenwelt.
-
- Gesammelt für kindliche Jungfrauen von einer Freundin der Jugend.
- 108 S. cart. 4½ Sgr.
-
-Lucile.
-
- Ein Buch für Leser der heiligen Schrift. Von _Adolph Monod_. 332 S.
- br. 22½ Sgr.
-
-Madelaine.
-
- Eine Dorfgeschichte, wahren Ereignissen nacherzählt. Von _Julie
- Kavanagh_. 370 S. br. 22½ Sgr.
-
-Hanna More,
-
- auch ein Schriftstellerleben, von der Verfasserin des »Lebens der Frau
- Elisabeth Fry.« 388 S. br. 27 Sgr.
-
-Sara Martin, die Schneiderin.
-
- Eine Lebensgeschichte erzählt von _Friedrich Eckart_. 2. Aufl. 131 S.
- cart. 7½ Sgr.
-
-Vier kleine Festgeschichten
-
- auf Weihnachten, Charfreitag, Ostern und Pfingsten. 3. Aufl. 84 S. br.
- 5 Sgr.
-
-
-
-
-[ Hinweise zur Transkription
-
-
-Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.
-
-Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua=.
-
-Auf den Seiten 72 und 118 wurde das Währungssymbol für "Reichsthaler"
-ersetzt durch die Abkürzung "Rthl."
-
-Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
-Ausnahmen,
-
- (Seite 21)
- im Original "»Mache einmal deine Augen zu, Felicitas,"
- geändert in "»Mache einmal deine Augen zu, Felicitas,«"
-
- (Seite 22)
- im Original "um schön zu sei, etwas zu klein"
- geändert in "um schön zu sein, etwas zu klein"
-
- (Seite 22)
- im Original "dreizehn und elf Jahren Burga und Berga genannt"
- geändert in "dreizehn und elf Jahren, Burga und Berga genannt"
-
- (Seite 40)
- im Original "Gott nahm ihn mir früh"
- geändert in "»Gott nahm ihn mir früh"
-
- (Seite 41)
- im Original "fuhr die Erzählerin fort,« ich will es Ihnen sagen"
- geändert in "fuhr die Erzählerin fort, »ich will es Ihnen sagen"
-
- (Seite 44)
- im Original "»Sie war dabei so erwartungsfroh wie ein Kind"
- geändert in "Sie war dabei so erwartungsfroh wie ein Kind"
-
- (Seite 47)
- im Original "und betheuerthe ich würde nur sehr ungern"
- geändert in "und betheuerte ich würde nur sehr ungern"
-
- (Seite 48)
- im Original "die dem Schloße zunächst liegenden Wege"
- geändert in "die dem Schlosse zunächst liegenden Wege"
-
- (Seite 49)
- im Original "»Ja,« antwortete ich,« gestatten Sie nur"
- geändert in "»Ja,« antwortete ich, »gestatten Sie nur"
-
- (Seite 60)
- im Original "»es war immer mein liebstes."
- geändert in "»es war immer mein liebstes.«"
-
- (Seite 78)
- im Original "»Das thue ich auch, und lasse es nun"
- geändert in "Das thue ich auch, und lasse es nun"
-
- (Seite 89)
- im Original "hier im Schloße bin ich bald fertig"
- geändert in "hier im Schlosse bin ich bald fertig"
-
- (Seite 96)
- im Original "»Wenn, Gott will -- aber dem Demüthigen"
- geändert in "»Wenn Gott will -- aber dem Demüthigen"
-
- (Seite 98)
- im Original "Du kannst darin sicherer selig werden."
- geändert in "Du kannst darin sicherer selig werden.«"
-
- (Seite 124)
- im Original "alle sonstige Verschiedenheit und bedecken"
- geändert in "alle sonstige Verschie-schiedenheit und bedecken"
-
- (Seite 126)
- im Original "»Cäcilie ist krank, flüsterte mir Burga zu"
- geändert in "»Cäcilie ist krank,« flüsterte mir Burga zu"
-
- (Seite 127)
- im Original "sagte sie »nun will ich mir schon"
- geändert in "sagte sie, »nun will ich mir schon" ]
-
-
-
-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE EINES MALERS AN SEINE
-SCHWESTER ***
-
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-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
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-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation
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-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
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-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
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-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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-The Foundation's business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation's website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
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-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without
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-<title>The Project Gutenberg eBook of
-Briefe eines Malers an seine Schwester
-by
-Rosalie Sandvoß</title>
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-<div style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of Briefe eines Malers an seine Schwester, by Rosalie Sandvoß</div>
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-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
-at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you
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-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Briefe eines Malers an seine Schwester</p>
-
-<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Rosalie Sandvoß</div>
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-<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: October 9, 2021 [eBook #66499]</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div>
-
-<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Books project.)</div>
-
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE EINES MALERS AN SEINE SCHWESTER ***</div>
-
-
-<h1><span class="ge pb"><span class="fsxl">Briefe eines Malers</span><br />
-an<br />
-<span class="fsl">seine Schwester.</span></span></h1>
-
-<p class="ce mt2 lh1"><span class="ge">Von</span><br />
-<span class="fsl">Rosalie Sandvoß.</span></p>
-
-<p class="ce mt2 lh1">Hamburg.<br />
-<span class="ge fss">Agentur des Rauhen Hauses.</span></p>
-
-<p class="ce fsxs">Druckerei des Rauhen Hauses. 1865.</p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Burgwall, den 10. Juni 18&ndash;&ndash;.</h2>
-
-<p><b>N</b>un bin ich in der Heimath, vorgestern langte ich
-hier an. Es ist doch ein eignes Gefühl, wie ein Fremder,
-den Niemand kennt, den Keiner erwartet, für den
-nicht eine Seele einen freundlichen Gruß hat, in die
-Vaterstadt, in die Stadt seiner holdesten Erinnerungen
-zurück zu kehren. Du weißt, ich bin nicht sentimental,
-Pauline, aber da Du »Alles wissen willst, was sich
-zwischen mir und Burgwall ereignet,« so sei's gestanden,
-daß ich eine Art Herzweh fühlte, überall auf meinem
-Wege zum Gasthause Personen zu begegnen, die mich
-höchstens mit dem Blicke der Betrachtung beehrten. Und
-nun im Gasthause zu wohnen, ein wirklicher Gast, ein
-Fremder daheim zu sein!</p>
-
-<p>Das deutsche Haus, mit seinen Kastanien vor der
-Thüre &ndash; sie standen richtig noch da &ndash; lockte mich heimisch
-an: ihm gegenüber liegt ja das alte, liebe Haus,
-das meiner Phantasie immer als Heerd tiefsten Behagens
-vorgeschwebt hatte. Du erinnerst Dich gewiß, obgleich
-Du es als ein Kind von acht Jahren verließest, es steht
-mit dem Giebel nach der Straße, hat im zweiten Stock
-einen runden Ausbau, ist mit Schnitzwerk überladen und
-sieht auswendig gerade aus, wie ein Magister des sechszehnten
-Jahrhunderts sich der Welt präsentirt haben mag,
-künstlich, solid und pedantisch. Aber inwendig ist das
-anders. Gerade das Erkerstübchen war ein überaus behagliches,
-freundliches Zimmer, mit Blumen, vielem Lichte
-und duftigen Vorhängen. Ich erinnere mich, daß es
-grün decorirt war, und nußholzene Möbel hatte, die
-immer wie neu polirt glänzten. In der einen Ecke stand
-eine Harfe &ndash; Mutter spielte sie wundervoll &ndash; und
-mitten in einer Blumengruppe zog mich immer ein Bild
-an, ein Christus auf dem Meere. Das Gesicht der
-Hauptfigur hatte einen bezaubernden Ausdruck; es schwebt
-mir oft vor, und ich habe schon oft es zu malen gewünscht,
-aber seltsam! mit diesen Heiligenbildern will es
-mir nie gelingen. &ndash; Mutter schien sich stets zu freuen,
-wenn ich bei den seltenen Gelegenheiten, da sich mir
-dies Zimmer öffnete, lange betrachtend vor dem Bilde
-stand, sie hatte eine etwas bigotte Richtung, die herrliche
-Seele, und hat sich, glaube ich, über die nichtssagendsten
-Dinge, das Leben schwer genug gemacht. Du hast Mutter
-kaum gekannt, Pauline, Du warst erst sechs Jahr alt,
-als sie starb, ich sechszehn. Sie war ein Engel &ndash; aber
-etwas überspannt, ich glaube nicht, daß Vater ganz glücklich
-mit ihr war. Von einer alten Tante, so einer Art
-Nonne, erzogen, brachte sie eine Last von Vorurtheilen
-unserm lebensfrohen, geistvollen Vater zu, und nur seiner
-Liebe zu ihr ist es wohl zuzuschreiben, wenn er nie darüber
-klagte, daß sie in ihrer Ehe stets ihren eignen Gang
-ging und sich nicht zu Vaters Lebensanschauung erheben
-konnte. Kinder beobachten schärfer als man gewöhnlich
-glaubt, ich habe öfter bemerkt, wie still und ernst Mutter
-ihre Vorkehrungen traf, wenn Vater Gesellschaft gebeten
-hatte, wie erschreckt sie von ihrem Buche aufsah, wenn
-spät Abends ein munteres Gelächter oder jubelnde Toaste
-in das Schlafzimmer hinauf schallten, wo sie uns so
-sorglich gebettet hatte und dann lesend des Vaters harrte.
-&ndash; Erinnerst Du Dich nicht, wie sie uns beten lehrte?
-&ndash; Die liebe Heilige! Ich denke nicht ohne Rührung an
-sie, aber ich möchte um keinen Preis, daß Du ihr einst
-glichest. Ich bin kein Heide, aber mir schaudert vor
-dieser Pietisterei; sie vergällt die reinsten, unschuldigsten,
-harmlosesten Freuden, und verdammt ihre Opfer zur
-gänzlich unnöthigen, unfruchtbaren Selbstkasteiung.</p>
-
-<p>Leider sind unsere Verhältnisse der Art, daß ich
-nicht, wie ich möchte, auf Deine völlige Ausbildung einwirken
-kann, wir sind zu selten bei einander, und sind
-wir es, so können wir uns selten ungestört sprechen,
-immer kommt irgend ein zärtliches Wesen, den geliebten
-Verzug zu beaufsichtigen. Vermuthlich befürchten Deine
-alten Jungfern, ich bezwecke Dich ehestens aus ihrem
-verzauberten Schlosse zu entführen, um das kleine Wunder
-von Liebenswürdigkeit in der Welt für Geld sehen zu
-lassen. Wahrhaftig, ich kann ganz unbesorgt sein, welchen
-verdächtigen Anstrich auch zuweilen Deine Aeußerungen
-haben, eine Heilige wirst Du dennoch nicht, dafür sorgen
-besagte Damen mit allen Kräften. So will ich denn
-für diesmal meine Erziehungsgedanken fahren lassen und
-ganz einfach mit Dir in der Stadt umherspazieren. Hast
-Du hohe Erwartungen, so stimme herab, besonders für
-den heutigen Tag, es hat geregnet und ist grundlos in
-den Straßen, Pfütze an Pfütze. Rümpfe aber um alles
-in der Welt Deine hübsche Nase nicht, diese Pfützen sind
-ein Vorzug der guten, alten Stadt, wie mir Herr Brauer,
-mein behäbiger Wirth, alles Ernstes auseinandergesetzt
-hat. Du glaubst es nicht? &ndash; nun so höre. Zweierlei
-Wohlthaten sind die Ursachen dieser kleinen Unannehmlichkeit:
-reger Verkehr und herrliches Röhrenwasser. Letzteres
-macht seine unterirdische Reise in ausgehöhlten Tannen,
-die im Laufe der Zeit nicht selten leidend werden,
-da wird denn das Pflaster aufgerissen und es kann dann
-leicht passiren, daß die Kieselmosaik nicht so recht sorgfältig
-wieder restaurirt wird.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Visiten können wir nicht viele machen, es ändert
-sich in zehn Jahren unglaublich viel. Die meisten Freunde
-unsers Vaters sind nicht mehr vorhanden &ndash; todt, weggezogen,
-Andere erinnern sich des Knaben Justus Brand
-nur sehr nebelhaft, und ich bin nicht just von der Art,
-ihrem Gedächtnisse eifrig zu Hülfe zu kommen. Die
-freundlichste Aufnahme habe ich bei Bernwachts gefunden,
-einem außerordentlich töchterreichen Ehepaare. Wie solche
-Mädchen doch in die Höhe wachsen, als ich die vier
-ältesten zuletzt sahe, waren es Wildfänge zwischen vier
-und zehn Jahren, mit hängenden Schuhbändern, fliegenden
-Locken <i>et cetera</i>, jetzt, ich versichere Dich, man weiß
-nicht, wohin man die Augen wenden soll, aus jeder der
-zahlreichen Nebenthüren der großen Stube schwebt eine
-neue Huldin herein. Alle sind bildhübsch, ich bin neugierig
-zu erfahren, wie sie sonst beschaffen sind; die Alten
-haben mich, sehr großherzig, eingeladen, sie oft zu besuchen.</p>
-
-<p>Auf dem Schlosse bin ich noch nicht gewesen. Brrr!
-Kannst Du mich nicht davon erlösen? Fromm und vornehm,
-eine Heilige und eine Gräfin, alles in einer
-Person! Womit werden mich die vortrefflichen Herrschaften
-regaliren? Mit erhabenen Worten, hohen Mienen,
-und einer Weisung in bestimmte Grenzen? Mit gelehrten
-Redensarten über Malerei, mit Honigworten christlicher
-Liebe? Eins so widerwärtig wie das Andere; o könnte
-ich allen Dünkel, alle klugthuende Nichtswisserei und alle
-Formenreligiosität, die nur die innere Armuth bemänteln
-soll, schleudern in das Meer, da es am tiefsten ist! &ndash;
-War das nicht etwas &ndash; ja es muß so sein, ich irre
-nicht &ndash; es erinnert an einen Bibelvers, mir wird ganz
-besonders dabei. Warum eigentlich? Widerwille war es
-nicht &ndash; ich muß sondiren, es liegt in meiner Natur &ndash;
-war es etwa ein stummer, schweigender Vorwurf der
-»heiligen Schrift?« &ndash; Wundere Dich nicht über mich,
-ich bin in Burgwall, Bilder der Kindheit umschweben
-mich, die alten Klänge werden wach, der Mann wird
-wieder zum Kinde, aber nur auf Augenblicke; sieh, da
-zieht es schon hin, das magische Blendwerk, all die
-frommen Legendengestalten, die ich in dem Giebelhause
-drüben einst kennen lernte, und die so mysteriös von
-ewigen Kronen und himmlischen Palmen sprachen. Der
-ganze Traum zerrinnt, fort sind sie.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Für heute genug. Dein Bruder</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Justus</span>.</p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Am 11. Juni.</h2>
-
-<p>Pauline, ich habe mich wie ein Dummkopf benommen,
-wie ein vollendeter Dummkopf! Auf alles Mögliche
-war ich gefaßt, nur nicht auf eine liebenswürdige, einfache
-Frau, die dennoch, eben in ihrer schlichten Würde,
-mir gewaltig imponirte.</p>
-
-<p>Es ist sehr gut, daß wir diesen Briefwechsel verabredet
-haben, Kameraden sind nicht habhaft, die Burgwaller
-ersterben in Ehrfurcht vor der »Herrschaft,« und
-man kann mit ihnen kein freies, vernünftiges Wort über
-diese Halbgötter reden, und ich liebe den Austausch.
-Aber halt, was werde ich für meine famosen Berichte
-bekommen? Wenn nichts weiter, so bedinge ich Recension,
-eine detaillirte; ganz entschieden, Pauline, Du mußt mir
-gehörig antworten.</p>
-
-<p>Jetzt von der Gräfin.</p>
-
-<p>Es war gegen Mittag, als ich den Schloßberg,
-versteht sich in Galla, hinanstieg. Das Wetter war gut
-und die Gegend ist wirklich schön, der Spaziergang war
-ein Genuß; der Weg ist auch besser geworden, überhaupt
-ist für Verschönerung der Schloßumgebungen besonders,
-aber auch für die der Stadt, viel gethan. &ndash; Eine Wallthür
-stand offen, und ich ging hinein. Gleich in der
-ersten Laube bot sich mir ein hübsches lebendes Bild dar.
-Eine junge Dame saß mitten unter einer Fülle herrlicher
-Blumen und ordnete sie zu Sträußen. Für einen Maler
-hat so etwas doppeltes Interesse, und weil mich die
-Schöne nicht sehen konnte &ndash; sie hatte mir den Rücken
-halb zugedreht und war äußerst eifrig bei ihrer Arbeit
-&ndash; blieb ich einen Augenblick stehen und sah ihr zu.</p>
-
-<p>»Schnell den Bast, Johanne!« rief sie. Es erschien
-keine Johanne. Sie wartete einen Augenblick, sah auf,
-horchte, und vermuthlich überzeugt, daß keine Johanne
-sie gehört habe, gab sie die Hoffnung auf, gleich Bast
-zu bekommen, und legte den schön arrangirten Strauß
-behutsam auf den Tisch, um zum Ordnen des zweiten
-zu schreiten. Sie nahm eine Lilie, fügte Rosen hinzu,
-zettelte eine Epheuranke unter den Blumen hervor und
-&ndash; um das erste Bouquet war's geschehn, es war aus
-der Fassung gekommen, fiel aus einander und theilweis
-zu Boden. Eiligst trete ich vor, ich Narr! und raffe
-die Blumen auf, sie der Dame wieder zuzureichen. Sie
-nahm sie etwas erstaunt, erwiederte meinen Gruß freundlich,
-und sah dann zur Laube hinaus, »wo ihre kleine
-Johanne wohl geblieben sein möchte.«</p>
-
-<p>»Vielleicht sehe ich sie unterwegs, mein Fräulein,«
-verhieß ich Kurzsichtiger, »und werde sie schicken.«</p>
-
-<p>»Wollen Sie in's Schloß?« fragte die Dame. &ndash;
-Das war ja ganz vertraulich, ich entgegnete also ganz
-guter Dinge: »Ja wohl, zur Gräfin, wenn sie zu
-Hause ist.«</p>
-
-<p>»Dann nehmen Sie nur den Wallschlüssel mit,
-Johanne hat ihn ausgezogen, &ndash; Kinder machen sich so
-gerne mit Thüren zu schaffen &ndash; und Sie haben wohl
-keinen Schlüssel, nicht wahr, die untere Thüre stand
-offen?«</p>
-
-<p>Ich bejahte, dankte, und weil nicht recht mehr was
-zu sprechen war, empfahl ich mich und ging meiner
-Wege, bereute aber bald nicht länger geblieben zu sein,
-es fielen mir, als ich im Vorzimmer wohl eine Viertelstunde
-warten mußte, der Fragen noch mancherlei ein.
-Endlich erschien die Gräfin, und wer war es? &ndash; mein
-Fräulein vom Walle! O, ich Blinder! Hätte ich es der
-holden Frau nicht gleich ansehen können, daß sie kein
-gewöhnliches Menschenkind ist; würde ein Stadt- oder
-Hoffräulein mir ihren Wallschlüssel gegeben haben, wäre
-sie so unbefangen freundlich gewesen?!</p>
-
-<p>Während sie nun um Entschuldigung bat, mich
-warten gelassen zu haben, stand ich kümmerlicher Mensch,
-und konnte mich nicht in die rechte Form finden, wollte
-selbst entschuldigen und wußte nicht wie, und fühlte mich
-erröthen, wie ein Schüler. Natürlich schien sie nichts
-davon zu merken, sie war ganz gesprächig, redete zum
-Glück bald von Malerei und plauderte so nett darüber,
-daß ich meinen stichelnden Gedanken allmählig entrissen
-wurde. Die Gräfin scheint von der Sache just nicht
-viel zu verstehn, aber sie zu lieben und das ist auch
-gerade recht. &ndash; Sie wird mir in nächster Woche sitzen,
-bis dahin wird sie »das Vergnügen gehabt haben, mich
-ihrem Gemahl vorgestellt zu haben.«</p>
-
-<p>Da hast Du die Geschichte; ich werde noch heute
-diesen Brief absenden, und grüße Dich herzlich als
-Dein Bruder</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Justus</span>.</p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Den 24. Juni.</h2>
-
-<p>Mittsommertag, himmlisches Behagen! Ich möchte
-alle Ecken und Winkel meines Ichs von diesem Lichte
-durchströmen, von dieser Wärme erfüllen lassen. Es ist
-wundervoll! In meinem Leben habe ich solchen Sommer
-nicht kennen gelernt, bin ich so gründlich heiter und
-befriedigt gewesen, wie in diesem. Aber, meine Theuerste,
-Du hast auch keine Ahnung davon, von welcher Höhe
-herab ich auf die Auen und Wälder schaue, wie die
-Natur »zu meinen Füßen« daliegt. Es ist unbestrittene
-Wahrheit: je erhabener unser Standpunkt, desto schöner
-und harmonischer erscheinen uns die verschiedenen Einzelnheiten
-fernab. Steig auf den Kirchthurm, wenn
-Du's nicht glauben willst, wie bildhübsch und harmlos
-wird Dein altes Nest, Verzeihung! aussehen; die Kinder
-auf den Straßen spielen so nett und manierlich mit einander,
-das Geschrei und Gelärm, welches sie betreiben,
-dringt höchstens als sanftes Gemurmel in Deine Region,
-all die Häuserchen, die Hüttchen stehen so nett da, als
-wären sie aus einem Nürnberger Schächtelchen genommen,
-genug, es ist so, wie ich sagte. &ndash; Ich residire
-gegenwärtig auf Schloß Burgwall, vergiß es nicht, es
-auf Deinen Briefen gehörig zu bemerken. Meine Residenz
-ist sehr hoch, ja wirklich, denn die alten mächtigen
-Linden, die ihre Kronen bis zu den Fenstern der Gräfin
-emporstrecken, sind nur dann von meinem Reiche aus
-sichtbar, wenn ich mich aus dem Fenster zu ihnen hinabneige:
-ich wohne buchstäblich auf Schloß Burgwall, nämlich
-in zwei Dachstübchen, dicht neben dem Thurme.</p>
-
-<p>Keinen Stein auf die Gräfin, ich bitte sehr! Die
-Zimmer sind ganz meine Wahl, eben der Aussicht wegen.
-Als mir die Erlaubniß wurde im Schlosse zu wohnen,
-habe ich mir gerade diese kleinen Zimmer gewählt, welche
-mir schon früher bei Besichtigung des Schlosses besonders
-gefielen. In jeder Stube ist ein großes, tiefes Fenster,
-ausgezeichnet für die Aufstellung einer Staffelei geeignet.
-Für nette Einrichtung wurde sogleich gesorgt, und so
-wohne ich hier so angenehm wie möglich.</p>
-
-<p>Seit meinem Umzuge liegen schon zehn Tage dahinten,
-mir ist heut auf jeden Fall doch sehr anders zu
-Sinn, als da ich kam. Tags zuvor war ich dem Grafen
-erst vorgestellt. Er ist ein gewichtiger Mann, nicht mehr
-jung, gewiß, wenn nicht Funfzig, doch nahe daran; in
-seinem charakteristischen Gesichte nehmen die Züge des
-Wohlwollens und tiefen Ernstes sehr für ihn ein, und
-sein ganzes sicheres, bestimmtes und doch durchaus nicht
-anmaßendes Wesen beherrscht unwillkürlich seine Umgebung.
-Die Gräfin scheint ihn nahezu anzubeten, sie
-lebt in seinem Lichte. Wenn er spricht, so ist es gewiß,
-daß sie nichts anderes hört, tritt er in's Zimmer, so
-überfliegt ein Freudenschein ihre holden Züge. Nie habe
-ich solche Innigkeit, solch gegenseitiges Glück gesehn, als
-bei diesen beiden Menschen, und er ist wenigstens zwanzig
-Jahre älter als sie. So recht verständlich ist mir
-dies nicht; Ehrfurcht und töchterliche Gefühle könnte ich
-ihrerseits begreifen, aber sie liebt ihn anders und viel
-mehr, als ich überhaupt glaubte, daß man lieben könne.</p>
-
-<p>Tags nach meinem ersten Besuche bei dem Grafen
-wurde ich zu Tisch geladen, und da wurde es gleich ausgemacht,
-daß ich, der Bequemlichkeit wegen, bei ihnen
-wohnen sollte. So bin ich denn täglich, außer den
-Sitzungen &ndash; der Graf hat den Anfang gemacht &ndash; in
-der Gesellschaft der liebenswürdigen Familie. Meine
-Unbehaglichkeit schwindet immer mehr, und ich weiß nicht,
-welcher der edlen Herrschaften ich den Preis höchster
-Liebenswürdigkeit zuerkennen soll, ihm oder ihr. Eigentlich
-sind sie gar nicht zu trennen, vereint sind sie das
-Ideal vollendeter Freundschaft und einer rührenden Liebe.
-Auch die kleine Johanne, des Paares einziges sechsjähriges
-Töchterchen, ist etwas Liebreizendes. Das Kind
-besucht mich zuweilen, und letzt brachte sie ein Tractätchen
-mit und wollte mir etwas vorlesen, fing auch richtig an
-und es ging über Erwartung gut, aber ich fand doch
-für besser das Thema der Unterhaltung zu wechseln, und
-erzählte ihr das Märchen von Schneewittchen. Dabei
-saß sie auf einem kleinen mitgebrachten Stuhle und sah
-mich mit den großen Augen ganz ernsthaft an, während
-ich unverdrossen ein in Berlin angefangenes Bild nachfeilte
-und mich bemühte, einem winterlichen Himmel mehr
-das Ansehn zufriedener Ergebung als das der trostlosen
-Gleichgültigkeit zu geben, die sich in Berlin über das
-kleine Gemälde gelagert hatte.</p>
-
-<p>Als die Geschichte aus war, sagte sie: »Mama ist
-auch eine Stiefmutter, Max ist ihr Stiefsohn.«</p>
-
-<p>»Wo ist er?« fragte ich.</p>
-
-<p>»Weit weg,« erwiderte sie, »wo der König wohnt.«</p>
-
-<p>»Was thut er da?«</p>
-
-<p>»Das weiß ich nicht gewiß,« antwortete die Kleine
-höchst gewissenhaft, »aber ich glaube, der König gebraucht
-ihn; Mama sagt, er sei des Königs treuer Diener.« &ndash;
-Was für eine Art Diener, ob Page oder Adjutant, das
-konnte ich nicht herausbringen.</p>
-
-<p>In der Stadt werde ich, will es mir scheinen, seit
-ich hier wohne, mit größerer Zuvorkommenheit behandelt.
-Ich meine im Allgemeinen, Bernwachts sind unverändert
-dieselben. Die Familie, obgleich ganz anders als die
-meiner erlauchten Beschützer, wird mir sehr lieb, und ich
-gehe fast täglich zu ihnen. Noch eine Bekanntschaft habe
-ich erneuert, Du könntest rathen, welche treue Seele ich
-meine. Julchen Hermann ist es. Sie wohnt im Hospitale,
-das heißt in einem neuerbauten Hause, neben der
-alten Behausung der Gebrechen und des Alters, für diejenigen
-Einsamen bestimmt, welche ein rundes Sümmchen
-für die Wohlthat sichern Daches und einiger Fuder Holz
-zahlen können. Früher wohnte sie in der Vorstadt, bei
-ihrer alten Mutter, Du mußt es noch wissen, wir besuchten
-sie zuweilen, und gingen nie unbeschenkt und
-ungeküßt von dannen.</p>
-
-<p>Die alte Mutter kam mir stets mit ihren großen
-leuchtenden Augen, wie eine Seherin vor, ihre Worte
-klangen alle so weise, wie Orakelsprüche. Sie liegt nun
-auch auf dem Katharinenhofe, nicht hundert Schritt von
-dem Stübchen ihrer Tochter. Julchen zeigte mir das
-Grab durch das Fenster, und später habe ich es auch
-aufgesucht, es ist das wohlunterhaltenste auf dem ganzen
-Kirchhofe.</p>
-
-<p>Von unserer Eltern Ruhestätte muß ich Dir etwas
-mittheilen, was mir hochpoetisch erscheint. Vater hat
-kein Monument, unser Vormund hatte es nicht für gut
-befunden, das Grab des Ehrenmannes zu bezeichnen, nur
-ein Baum, bald nach Vaters Tode von mir gepflanzt,
-wurzelt daran. An Mutters Grabe steht ein schönes,
-hohes Kreuz, Vater hat es setzen lassen. Auch dieses
-Grab hat ein Zeichen der Liebe von mir, einen Epheu,
-der die Jahre hindurch so mächtig gewachsen ist, daß
-nicht nur das Grab ganz, und das Kreuz größtentheils
-davon umschlungen wurde, sondern er hat auch die zu
-ihm niederhängenden Zweige der Traueresche umsponnen,
-sich an ihnen aufgerankt, und so stehen beide Gräber
-auch äußerlich, in der innigsten Verbindung. Das hat
-Natur gethan, und mir war es doch als hätten Mutters
-feine Finger, still und sinnig, die Zweige in einander
-geflochten.&nbsp;&ndash;</p>
-
-
-<h3 class="datum">Später.</h3>
-
-<p>Endlich habe ich einen Brief von Dir. Meinst
-Du wirklich: ich sähe die Bibel mit den Augen der
-Weltkinder an, anders als ich sollte? die innere Bewegung
-damals, sei eine Warnung meines Engels gewesen?</p>
-
-<p>Liebes Kind, Kind des Lebens und nicht der Welt,
-Du scheinst wirklich auf einem andern Wege zu sein, als
-ich, aber wie natürlich! &ndash; Vergegenwärtige Dir eine
-Pilgerfahrt, nach irgend einem Heiligthume, meinetwegen
-nach dem heiligen Grabe. Es ist kein Kreuzzug, sondern
-eine Wallfahrt, Männer, Frauen, Jungfrauen,
-Greise, begeisterte Kinder &ndash; Alles vereint sich, zu demselben
-Ziele zu gelangen. Wird Jeder die Reise in
-derselben Weise machen, trägt die Mutter nicht das Kind,
-stützt der Mann nicht sein Weib, bedarf der Alte nicht
-des Stabes? Meinst Du nicht, daß die Kinder, im Gefühl
-ihrer Schwäche oft auf die Knie sinken, Gott um
-neue Kraft anflehend, daß vielleicht ein Stärkerer sich
-dann über sie erbarme?</p>
-
-<p>Siehst Du: Ein Ziel; der Eine erreicht es gehobenen,
-der Andere gebeugten Hauptes, Dieser stützend,
-Jener getragen, Einer schaut mit vollem Blick in das
-Morgenroth Canaans, während Viele auf ihre wunden
-Füße niederblicken, und auf den Weg, den sie wandeln
-müssen, damit sie die Steine des Anstoßes darauf vermeiden.
-&ndash; Wir haben Alle Ein Ziel: Befriedigung.
-Du findest es, ich ahnte es, im Glauben, ich suche es
-im Leben, in der Kunst, überall. Jetzt bin ich hier,
-und ich weiß was hier meine Seele ganz erfüllen könnte
-&ndash; kommt die Zukunft, die weite, unbestimmte, Du wirst
-wohl Ewigkeit sagen, etwas, was über das Grab hinaus
-währt, nun, so ist es immer Zeit auch dafür Entschlüsse
-zu fassen und zu handeln. Wer kann das früher, ehe
-er bestimmt weiß, wofür und wie? &ndash; Aber ich habe
-hier einsehen gelernt, daß bei der Heiligkeit nicht absolut
-Gefahr für das Lebensglück ist; kannst Du in dieser
-Façon Befriedigung erlangen, nun wohlan, Du hast
-meine brüderlichen Glückwünsche dazu.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Laß uns diese Sache nicht als abgemacht betrachten,
-ich versichere Dich, daß Dein Widerspruch mich wohl
-reizt, zum Nachdenken, wiederum zum Widerspruch, aber
-keineswegs zum Zorne. Hier meine Hand, liebe Schwester!
-Dein Brief hat Dich in meinen Augen um mindestens
-zehn Jahre erfahrener gemacht, um nicht älter
-zu sagen. Wie alt bist Du eigentlich? Achtzehn rechne
-ich eben. Wo lerntest Du so ernst sein? &ndash; Grüße
-Deine alten, ehrbaren Damen von mir.</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Dein Bruder Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Am 27. Juli.</h2>
-
-<p>Gestern erhielt ich Deinen Brief. Warum ich nicht
-schon wieder geschrieben? Es beschäftigte mich Vieles,
-allerlei Begebenheiten kreuzten sich bunt durcheinander,
-ich war mitten darin, und doch waren sie kaum der Art,
-daß Dir meine Notizen darüber irgend wie wichtig erschienen
-wären. &ndash; Mit großer Liebe habe ich des Grafen
-Bild vollendet, es ist gelungen und die Herrschaften finden
-es auch. Die Gräfin werde ich noch nicht malen,
-es sind Gäste hier, aus Schlesien, welche mich mit ihren
-Aufträgen beehrt haben, und ich bin jetzt dabei ein Kind
-zu malen, ein unbeschreiblich reizendes kleines Gesicht,
-mit großen, fragenden Augen, die mich unaufhörlich an
-Cäcilie Bernwacht, des Bürgermeisters dritte Tochter erinnern.
-Nicht, daß das junge Mädchen so schön, wie
-die kleine Felicitas, oder überhaupt sehr nach meinem
-Geschmacke wäre, aber es liegt etwas Verwandtes in
-den Augen beider Mädchen, so recht echter Kindersinn,
-Seele, viel Seele.</p>
-
-<p>Wenn ich so schöne Augen male, ist es mir oft,
-als sei in ihnen das Geschick der Besitzerinnen ausgesprochen.
-Bei denen der Felicitas denke ich zum Beispiel:
-was das Kind nicht Alles glaubt! Es glaubt an
-einen Himmel auf der Erde und an einen ewigen Himmel;
-es wird wahrscheinlich ewig ein Kind bleiben, und
-sehr viel vertrauen, und immer das Beste von allen
-Menschen denken, es wird auch sehr lieb haben, die ihm
-Liebes erweisen, und andere Menschen auch noch, und
-wird für alle seine Liebe nur etwas Treue erwarten und
-sie selten finden, vielleicht gerade dort nicht, wo es am
-sichersten darauf gerechnet hatte. Dann werden diese
-frommen Augen viel weinen, sehr viel, bis allmählig
-ihr milder Glanz erlischt, und sie sich schließen.</p>
-
-<p>»Mache einmal deine Augen zu, Felicitas,« sagte
-ich letzt zu ihr. Sie that es; ich sah sie lange an und
-vergaß in meinen Träumereien ihr zu sagen, sie könne
-sie wieder öffnen, bis sie endlich ganz geduldig fragte:
-»darf ich dich nun wieder ansehen?«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Es giebt große Geheimnisse. Pauline, wir begegnen
-ihnen täglich, die größten liegen in den Worten Herz
-und Schicksal.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Cäcilie Bernwacht ist gerade unter ihren Schwestern
-die mir fremdeste. Ich will Dir die kleine Gesellschaft
-skizziren. Therese, die Aelteste, ist ein hübsches, besonders
-verständiges Mädchen; sie ist Braut, und näht den
-ganzen Tag an ihrer Aussteuer, was sie indeß nicht
-verhindert, theilnehmend zu sein, ich mag sie sehr gern
-und unterhalte mich am anhaltendsten mit ihr. &ndash; Ihre
-zweite Schwester, Ida, ist eine Schönheit, ja, sie ist
-wirklich schön und ich muß sie malen, es ist ein Genuß
-diese Formen, diese Frische, diese Grazie studiren und
-copiren zu dürfen. Das Mädchen ist auch nicht ohne
-Geist und wird auch wohl ein Herz haben, aber sie gefällt
-mir von ihren Schwestern am wenigsten, ihr Witz
-ist scharf, sie kann beißend sein, ich mag das nicht an
-Damen.</p>
-
-<p>Nun kommt Cäcilie, offenbar der Mutter Liebling,
-ein Mädchen von siebzehn Jahren, sehr zarter Gestalt,
-etwas blaß, mit herrlichem Haar und wundervollen Augen.
-Cäcilie ist vielleicht, um schön zu sein, etwas zu klein,
-und um im Allgemeinen so recht gefallen zu können, zu
-still, man kann sie kaum kennen lernen. &ndash; Nun kommen
-ein Paar prächtige Wildfänge von dreizehn und elf
-Jahren, Burga und Berga genannt, Wallburga nämlich
-und Luitberga, komische Namen! Wo Burga ist, ist
-Berga, sie sitzen in einer Klasse, binden einen Kranz,
-spielen zusammen Klavier und Versteck, und umarmen
-gleichzeitig ihre Mutter, die sich auf ihre stürmischen
-Ueberfälle gewöhnlich schon durch Bergung ihrer Mützenbänder
-mit Resignation vorbereitet. Kürzlich hörte Berga,
-daß ihr Vater mein Pathe ist, und augenblicklich trug sie
-hocherfreut darauf an, mich Pathe nennen zu dürfen,
-Herr Brand gefalle ihr nicht, Herr Justus wäre freilich
-recht hübsch, aber ungewöhnlich, Justus schlicht weg, passe
-sich nicht, Pathing sei das Beste. Die Mutter schüttelte
-gewaltig mißbilligend den Kopf und entschuldigte, ich erlaubte
-natürlich dagegen der elfjährigen Berga mich Pathe
-nennen zu dürfen. »Burga muß aber auch so sagen,
-sonst kann ichs doch nicht,« behauptete sie und Burga
-bequemte sich. Es wurde gelacht, der Alte zog die Mädchen
-etwas auf und damit war es abgemacht.</p>
-
-
-<h3 class="datum">Am 4. August.</h3>
-
-<p>Heute will ich diesen Brief an Dich abschicken.
-Dein letzter Brief war mehr als ernst, es sprach sich
-Unruhe, Besorgniß darin aus. Du schreibst: ich verkenne
-das Streben meiner Seele, nicht flüchtige Befriedigung,
-die man täglich in irgend einer Sache, einer Creatur
-finden könne, sei der Endpunkt derselben, sondern Frieden
-in Gott. &ndash; Ist das nicht ein Spielen mit Worten,
-oder pedantische Festhaltung eines einmal so und nicht
-anders geformten Glaubenssatzes? Wir suchen was uns zu
-unserm Glücke fehlt, Jeder nach seiner Natur. Du bist ätherischer
-Natur als ich, und suchst geistigere, oder rein geistige,
-oder auch phantastische Genüsse, ich verstehe Dein Friedensverlangen
-nicht. Warum ist dieser Friede von Dir erst
-zu suchen, wodurch hast Du reines Kind ihn erschüttert,
-oder gar verbannt? Und warum ist mein Trachten nach
-Befriedigung verwerflich, da ich sie nicht im Unedlen,
-Rohen, Gemeinen suche? Widerstrebt mein Verlangen
-dem reinen Naturgeiste? &ndash; Ich habe vor meiner Vergangenheit
-in keiner Weise zu erröthen, und brauche dem
-Frieden nicht nachzujagen, weil ich ihn habe. Beunruhige
-Dich meinetwegen nicht im Geringsten, meine
-theure Schwester, ich bin vollkommen glücklich!</p>
-
-<p>Lebe wohl!</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Dein Bruder Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Den 16. August.</h2>
-
-<p>Es will mir scheinen, als erkalte unser Briefwechsel,
-Du machst größere Pausen, als ich wünsche. Um meinerseits
-nichts dabei zu verschulden, schreibe ich dennoch, es
-ist mir wohlthuend &ndash; auch eine kleine Befriedigung &ndash;
-wenn ich an Dich schreibe und mich so von Grund aus
-ausspreche.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Weißt Du, wer Dir hier in Burgwall sehr gefallen
-würde, welche junge Dame mich oft, nicht an Deine
-Person, denn Du bist glänzender, aber an Deine Briefe
-erinnert? &ndash; Cäcilie. &ndash; Vor ein Paar Tagen hatte
-ich mehrere Stunden anhaltend an dem Bilde der Gräfin
-gemalt &ndash; der Engelskopf der Felicitas steht auf der
-Staffelei im Dachstübchen &ndash; der Graf hatte uns dabei
-vorgelesen, tiefsinnige, anziehende Sachen, die nachher
-von uns besprochen wurden. Pauline, letzt schrieb ich
-Dir ich sei glücklich, heute fühle ich mich, und schon seit
-einigen Tagen stürmisch aufgeregt, und nicht glücklich,
-nein! &ndash; Wie kommt es nur, daß sie mich als Einen
-der Ihrigen betrachtet hatten, als einen Glaubensgenossen?
-Weil ich bei ihren Tischgebeten keine Störung veranlasse,
-sondern auch meine Hände falte? Es kann ja sein, daß
-die ewige Macht ein solcher Vater unser ist, als welchen
-sie sie anbeten! Ich bins zufrieden, aber ich weiß nicht
-obs wahr ist. Wahrscheinlich ist es wahr, ich glaube es
-fast, aber ich weiß es nicht, dabei muß ich verharren.
-Es mag für Tausende leicht sein, sich bei solchen Gelegenheiten,
-wie an jenem Tage, in ein Schweigen der
-Bewunderung zu versenken, oder in oftgehörten Phrasen
-Beifall zu zollen, ich kann es aber nicht. Ich sagte
-was ich meinte, und es ward lautlos still im Zimmer.
-Das erste Wort, was ich wieder hörte, war die Johannen
-gegebene Erlaubniß, das Zimmer zu verlassen. Es
-zog mir eisig durchs Herz, sie fürchteten für das Kind
-den Gifthauch der Gottlosigkeit. Gottlos! ein schreckliches
-Wort. Bin ich es? Antworte mir darauf. &ndash; Dieser
-verehrungswürdige Mann, diese herrliche Frau schaudern
-vielleicht vor mir zusammen, sie beten vielleicht für mich,
-für den armen Sünder, denn in ihren Augen giebt es
-keine größere Sünde, als gottlos zu sein. Aber ich
-protestire, ich bin es nicht! An jenem Tage wurde der
-wunde Punkt nicht auf das Leiseste mehr berührt, doch
-fühlte ich mich unbehaglich und ging bald. Im Zimmer
-hatte ich nicht Ruhe, ich ging hinaus, durchstreifte den
-Wald, das Feld, kam, ohne es beabsichtigt zu haben, in
-die Nähe des Kirchhofs und stand an den Gräbern der
-Eltern. Mutters weißes Marmorkreuz sah mich matt
-an, es war mir, als spräche es traurig: gottlos, armer
-Sohn! &ndash; »Nein!« rief ich, beugte mich und küßte das
-Grab. Julchen fiel mir ein. Sie ist eine Dienerin des
-Gottes, den ich nicht kenne. Aufgeregt, wie ich war,
-sehnte ich mich ihre Meinung zu hören, ich wollte sie
-schon geschickt herauslocken, ohne mir eine Blöße zu
-geben; es braucht nicht alle Welt zu wissen, daß ich
-gottlos bin!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ich ging dem Hause zu. Ihr Stübchen liegt zu
-ebner Erde, ich kann es vorübergehend übersehen. Ich
-warf einen Blick hinein und sah mit Unmuth, daß sie
-nicht allein war, Cäcilie war bei ihr. Als ich jedoch
-das junge Mädchen erkannte, kam etwas wie Segen
-über mich, es wurde stille, ganz stille in mir, jetzt wieder
-&ndash; unerklärliche Wonne!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ich blieb stehen und sah hinein, hören konnte ich
-nichts, wollte auch nicht, und gesehen konnte ich auch
-nicht werden. Es war Dämmerung und Julchen lag
-auf dem Sopha von vielen Kissen unterstützt, vor ihr,
-mit den Knien auf dem Estrich, Dielen sind für das
-Hospital Luxus, kniete das bleiche Kind, und drückte abwechselnd
-bald die eine, bald die andere Hand auf die
-Stirn der Kranken. Es war ein rührendes Bild. &ndash;
-Nein Pauline, ich bin gewiß nicht gottlos, sieh, als ich
-wieder zwischen den Gräbern hinschritt, bat ich Mutter,
-Gott um den schönsten Segen für das stille Kind anzuflehn,
-und dieser Wunsch kam aus tiefstem Herzen, ich
-muß also glauben, trotz der vielen Wenns und Abers
-des Verstandes.</p>
-
-<p>Es ist mir ein süßer Gedanke, Cäcilien unter den
-Schutz meiner Mutter gestellt zu haben.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Gute Nacht, Schwester; ich habe eben am Fenster
-gestanden und auf die ruhende Welt hinabgeschaut, der
-Mond hält oben Wacht, es ist sehr schön draußen.
-Mein Herz ist in wunderbarer Aufregung, nie habe ich
-mich so ernstlich gefragt, ob ich Gott glaube, ob ich
-gottlos bin. Wie kam es, daß diese Frage mein Inneres
-so in Aufruhr gebracht hat? Das Verstummen
-zweier Menschen hats vermocht, zweier Menschen, die ich
-hochschätze. Wenn es einen persönlichen Gott giebt,
-Pauline, dann muß er eine unausdenkbare Größe sein.
-Denk Dir eine Macht, welche die Welt, die Natur in
-dieser wunderbaren Ordnung erhält, denke diesen raffinirten
-Naturgesetzen nach, denke Dir dazu eine Liebe,
-welche dies Alles erschaffen hat und erhält für Geschöpfe,
-die ihn verneinen, verhöhnen; ist ein Gott, so ist mir
-nicht bange, Gott wird und muß am größesten im Verzeihen
-sein. Es ist ein wonnereicher Gedanke: Gott.
-Entweder beginnt nun für mich ein besonders reiches
-Leben, oder ein sehr ödes, kaltes. Meine Seele ist nun
-einmal von einem Verlangen erfaßt, diesmal kann es
-nur Gott befriedigen.</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Den 3. September.</h2>
-
-<p>Die kleine Johanne ist an den Masern erkrankt,
-die Gäste haben das Schloß verlassen, und ich treibe
-mich umher, denn das Bild der Gräfin ruht natürlich,
-sie verläßt die Kleine nicht, um sich in Kostüm zu werfen
-und mir zu sitzen. Der Graf ist vielbeschäftigt, unsere
-Unterhaltung bei Tisch ist einsilbiger und dreht sich meist
-um die kleine Kranke. &ndash; Ich erwarte Deinen Brief mit
-Spannung, aber nicht mehr mit der fieberhaften Unruhe
-wie Anfangs: ich weiß was ist, und fühle mich wohl
-dabei.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Berga hat mir einen Gruß für Dich aufgetragen.
-Ida schalt sie dafür, sie sollte nicht zudringlich sein.
-»Sie meint es ja ganz gut in ihrer Weise, Ida,« sagte
-Cäcilie sanft, »es ist wirklich nichts Unrechtes dabei.«</p>
-
-<p>Ida warf den Kopf sehr auf und erwiderte, Cäcilie
-scheine heute sehr gnädig zu sein, gestern habe sie
-Berga über ein ganz unschuldig hingeworfenes Wort eine
-lange Strafpredigt gehalten. Ich war gespannt, zu erfahren,
-was das für ein Wort gewesen sein mochte und
-fragte mein Pathchen. »Herr Jesus,« antwortete sie und
-senkte den Kopf ganz beschämt. &ndash; »Sie thuts nicht
-wieder,« versicherte Burga, »es thut ihr selbst leid.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Cäcilie sprach kein Wort weiter darüber, ich dachte
-aber, was würde Cäcilie sagen, wenn sie in meiner Seele
-lesen könnte. Später waren wir im Garten und ich
-wurde fortwährend von der Versuchung gepeinigt, Cäcilien
-zu fragen, was sie von mir denke, nur wartete ich
-auf eine günstige Gelegenheit dazu. Endlich waren wir
-einmal mitten in einem Laubengange allein und ich
-fragte mit dürren Worten: »liebes Pathchen, bin ich ein
-guter Mensch?«</p>
-
-<p>»Ich bin Ihre Pathin nicht,« erwiederte das junge
-Mädchen sehr ernst, »ich war weder Zeugin Ihrer Taufe
-noch &ndash; fügte sie leise hinzu &ndash; Ihrer Wiedergeburt.«</p>
-
-<p>Ist das nicht streng von solchem kleinen Mädchen
-von siebzehn Jahren, das so sanfte Züge hat? &ndash; es
-kränkte mich auch etwas, aber es verdroß mich nicht.</p>
-
-<p>»So wiederhole ich denn Fräulein Bernwacht meine
-Frage,« sagte ich ganz treuherzig, und war begierig ihre
-Antwort zu vernehmen.</p>
-
-<p>»Ich halte Sie für warmherzig,« sagte sie. »Genügt
-das?« fragte ich. Sie schüttelte mit dem Kopfe
-und Ida rauschte heran; ich hätte gern mehr gehört.&nbsp;&ndash;</p>
-
-
-<h3 class="datum">Den 10. September.</h3>
-
-<p>Dank für Deinen Brief, liebe Schwester. Es ist
-doch schön um sichere Liebe, wie die der Geschwister; Gott
-sei Dank, daß ich Dich habe. Ja, Gott sei Dank, Du
-weißt, ich kenne ihn nun. Du hast nie daran gezweifelt,
-mein Leben habe es bewiesen, daß ich ihm nicht fern
-sei, ich hätte ihn nur durch die dichten Schleier der
-Selbstüberschätzung, des geistigen Hochmuths gesehn.
-Kind, welche Worte! &ndash; Indessen, es ist etwas Wahres
-daran, und die Schüchternheit, mit der Du diese harten
-Behauptungen aufstellst, und die Freudigkeit, mit welcher
-Du mich auch ein Gotteskind nennst, zeigen Deine eigne
-Demuth und Liebe hinreichend, um mich vor Bitterkeit
-zu bewahren.</p>
-
-<p>Da steht weiter: »Aber Du bist kein Christ, Gott
-führe Dich zu den Füßen des Heilands, der uns Allen
-zur Erlösung gegeben ist, und er wird es thun, ich fühle
-es mit köstlicher Bestimmtheit. Wenn Du auf meine
-tiefsten Herzenswünsche etwas giebst, so lies das neue
-Testament und suche die Unterhaltung gläubiger Menschen.
-Thu es nur zur Probe, wenn Du Deiner Sache
-augenblicklich ganz gewiß bist nichts weiter zu Deinem
-Heile zu bedürfen, als Deine jetzige Erkenntniß.«</p>
-
-<p>Dein Rath soll befolgt werden. Aber verlange
-nicht, daß ich aus Respect vor Euren vermeintlich unantastbaren
-Wahrheiten verstummen soll. Ist Eure Religion
-die beste, so muß sie Widerspruch vertragen können,
-und ihre Priester und Priesterinnen dürfen über ein
-freies Wort nicht gleich den Stab brechen, oder über
-den Andersdenkenden den Bann verhängen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Mit wahrer Herzenserleichterung habe ich wahrgenommen,
-daß der Graf und seine Gemahlin mir nicht
-ihre Achtung entzogen haben. Wir verkehren ähnlich
-wie früher, nun Johanne wieder genesen ist und die
-Kleine besucht mich auch wieder. Durch diesen Zwischenact
-ist dennoch unser Verhältniß anders geworden, ich
-fühle etwas wie Mitleid aus der Art und Weise heraus,
-wie sich die hohe Frau gegen mich benimmt, und des
-Grafen Umgehung alles dessen, was sich auf Religion
-bezieht, ist es nicht Schonung? &ndash; oder will er die
-Perlen nicht in den Bereich des Unreinen werfen? Ich
-glaube Besseres und verehre Beide um Vieles inniger
-noch, als zuvor. Oft wünsche ich, sie möchten sprechen,
-und ich würde ihnen dann sagen, wie es nun mit mir
-steht. &ndash; Freilich würde es ihnen nicht genügen, aber
-sie doch vielleicht erfreuen.</p>
-
-<p>Lebe wohl, liebes Kind, und schreibe bald wieder
-Deinem Bruder</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Justus</span>.</p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Den 20. September.</h2>
-
-<p>Gestern Abend bin ich bei Julchen Hermann gewesen
-und habe eine lange Unterredung mit ihr gehabt.
-Sie ist das, was Du eine echte Christin nennen würdest,
-liebreich, dienstfertig, freudig, genügsam, Alles »um des
-Herrn willen,« wie es auf ihrer heitern Stirn und in
-den großen grauen Augen klar steht. Ein religiöses
-Gespräch mit ihr anzuknüpfen, bedarf weiter keines Vorbedachtes,
-man kann nur nach einem Warum ihres Thuns
-fragen und man hat, was man will. Die Seligkeit,
-ihre und anderer Menschen, ist ihr Hauptgedanke, und
-sie ist der eignen so sicher, daß sie sich unter den Gräbern
-ringsum, und in der Gesellschaft eines Dutzend
-alter, einfältiger Weiber sogar schon wie im Vorhofe des
-Himmels fühlt. Ihre Sicherheit reizte mich mehr, als
-Du Dir vielleicht denken kannst, und ich ließ mich von
-meiner Heftigkeit zu Entgegnungen hinreißen, deren ich
-mich bei kaltem Blute schäme. »Toben Sie nur,« sagte
-sie ganz siegesgewiß und mit dem gütigsten Lächeln,
-»dieser Eifer ist mir ganz angenehm, er ist das Geschrei
-des angegriffenen alten Menschen, der alte Adam fürchtet
-überwunden zu werden.«</p>
-
-<p>»Ich bitte Sie, bestes Julchen,« rief ich anmuthig,
-»verschonen Sie mich mit diesen abgeschmackten, Ihrer
-ganz unwürdigen Redensarten, &ndash; alter Adam!«</p>
-
-<p>»Fleischeswille, wenn Sie das lieber hören,« erwiederte
-sie ganz gelassen.</p>
-
-<p>»Was will denn mein Fleisch?« fragte ich lachend.</p>
-
-<p>»Herrschen, das Sinnliche, die Erde mit ihren
-Freuden zum Abgott machen.«</p>
-
-<p>»Ich denke nicht daran,« betheuerte ich.</p>
-
-<p>»Sie thaten es aber, und thun es noch,« beharrte
-sie.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ich bat sie, mich dieser Anschuldigung zu überführen,
-allein sie meinte, es sei wohl besser, ich thäte
-das selbst, sie verstehe vom Disputiren wenig. Sie wisse
-das aber ganz gewiß, daß sie ohne Christus nicht bestehen
-könne, daß sie nur an seiner Hand auf Erden
-wandeln und im Himmel selig sein könne. Auf meine
-Aeußerung solche Ansichten seien Schwärmerei, schüttelte
-sie den Kopf und fragte mich, ob ich denn allen Ernstes
-glaube, den Himmel verdient zu haben? &ndash; »Verdient,«
-sagte ich ihr, »zwar gerade nicht, aber für wen er denn
-sein solle, wenn nicht für Menschen, die ein richtiges
-Leben geführt hätten, ich sei kein Grausamer, kein Lüstling
-u.&nbsp;s.&nbsp;w.«</p>
-
-<p>»Sie meinen, Sie haben die Gebote gehalten?«
-fragte sie.</p>
-
-<p>»Gewiß,« behauptete ich.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Es erfolgte eine lange Pause, dann sagte sie: »In
-diesem Falle haben Sie den Himmel verdient; ich kann
-das von mir nicht sagen, ich habe keines der Gebote
-gehalten.«</p>
-
-<p>Ihr Ton war bei diesem demüthigen Bekenntniß
-ganz ruhig, ich fühlte, sie sprach ihres Herzens Meinung
-aus. Desto größer war mein Staunen. Julchen Hermann
-gilt allgemein als eins der vortrefflichsten Wesen,
-unsere Mutter war ihre Freundin, ihr ganzes langes Leben
-wird musterhaft genannt und sie sagt, sie habe alle Gebote
-übertreten. Ich dachte an das fünfte, das sechste,
-das siebente. »Das ist Selbstverblendung,« rief ich, »die
-ganze Stadt würde Ihnen widersprechen!«</p>
-
-<p>»Das ist Selbsterkenntniß,« entgegnete sie, »was
-weiß die Stadt von meiner Herzensgeschichte, und das
-Herz ist der Heerd, der stille, heimliche Heerd der geschehenen
-und ungeschehenen nur gewollten Thaten, die
-vor Gott alle gleich sind. Das Wort »Du sollst
-nicht begehren« steht in gleicher Reihe mit dem »Du
-sollst nicht fluchen, stehlen« u.&nbsp;s.&nbsp;w. Was die Stadt
-nicht weiß, soll Ihrer Mutter Sohn erfahren, und so
-hören Sie denn etwas aus dem Leben einer alten, unbescholtenen
-Jungfrau, und sehen Sie hinein wie in
-einen Spiegel, lieber Justus.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die Erzählung, welche ich Dir gewiß mittheilen
-darf, da Du meiner Mutter Tochter bist, hat einen
-nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht. Es wird mir
-nicht schwer werden, sie Dir ziemlich getreu mit Julchens
-eigenen Worten zu überliefern, das Ganze ist mir lebendig
-gegenwärtig.</p>
-
-
-<h3><span class="ge">Aus Julchen Hermanns Leben.</span></h3>
-
-<p>»So weit ich zurückdenken kann, ist es unverdiente
-Liebe, welche mich gepflegt, gehütet und geführt hat.
-Meine Mutter haben Sie gekannt, sie war einzig in
-ihrer Art, ich könnte stundenlang von ihren Eigenschaften
-reden, und hätte sie doch nicht vollständig geschildert.
-In ihren frühern Jahren war sie sehr lebendig und hat
-sich ihre geistige Frische auch bis ins höchste Alter erhalten,
-Sie müssen sich noch erinnern können, wie eindringlich
-all ihre Worte und wie ausdrucksvoll ihr
-Mienenspiel und all ihre Bewegungen waren. Mutters
-Worte hatten stets die größte Gewalt über mich. &ndash;
-Mein lieber Vater war Geschäftsmann und hatte für
-meines Bruders und meine Erziehung nur wenig Zeit
-übrig, Mutter nahm uns also ganz unter ihre Leitung,
-und so war ich denn schon früh so glücklich das Gute
-in seiner Schönheit kennen, es lieben zu lernen, von
-Kind an war ich unsers himmlischen Schöpfers und
-seines Sohnes Eigenthum, das er vor tausend Gefahren
-von seinen Engeln bewachen ließ. Aber trotz dieser Leitung,
-trotz dieses Schutzes, trotz meiner Liebe zu dem
-Heiligen, habe ich oft tiefes Leid über meine Sündhaftigkeit
-tragen müssen, sie steckt zu tief, glauben Sie,
-wir werden ihrer erst ledig, wenn die Hülle zerbricht.«</p>
-
-<p>»Als mein Vater starb, der nur ein geringes Vermögen
-hinterließ, war mein Bruder auf dem Gymnasium,
-und ich ein Mädchen von sechszehn Jahren. Mein Bruder
-Leopold war sehr befähigt und Mutter und ich wünschten
-beide sehr, er möchte Theologie studiren, kein Opfer,
-welches wir uns zur Förderung dieses Zweckes auferlegten,
-schien uns zu schwer, wir entbehrten mit Freudigkeit und
-freuten uns über jede neue Bestellung an Näh- und
-Stickarbeiten, deren Ertrag für den Bruder zurückgelegt
-wurde. Leopold kam wirklich zur Universität und erleichterte
-Mutter den kostspieligen Unterhalt durch Stundengeben,
-so daß vorauszusehen war, es werde Alles gut
-gehen. Daß wir's an Bitten bei der rechten Behörde
-nicht fehlen ließen, können Sie sich denken &ndash; aber
-Leopold irrte ab. Er trieb es sehr, sehr schlimm, mit
-der Theologie war es aus, er kam zu Haus und es
-sollte nun überlegt werden, was nun aus ihm werden
-könne. Ehe er ankam, war ich in der vortrefflichsten
-Stimmung, es war nicht schwer, neben der Mutter das
-Rechte zu finden: ich hatte nicht zu richten, sondern nur
-zu beten und zu bitten, auch konnte ich meinem lieben
-Herrn beweisen, bis zu welchem Grade von Sanftmuth
-ich es gebracht hatte, ich wollte mit schwesterlicher Liebe
-den zu halten suchen, der unbrüderlich den Lohn meines
-anhaltenden Fleißes verpraßt hatte, nur Lächeln anstatt
-Thränen zeigen.«</p>
-
-<p>»Alles gelang, bis Leopold auch in seiner Heimath
-das schreckliche Leben wieder begann, und die traurigsten
-Excesse unter unsern Augen verübte, obgleich Mutter
-alles Mögliche, was seine Verblendung zerstören konnte,
-anwendete, obgleich ich, nach meiner Meinung, mit der
-überzeugendsten Klarheit auseinandersetzte, daß der von
-ihm eingeschlagene Weg einzig in den Abgrund bodenloser
-Verderbtheit und Unheiles führen müsse. Er <em class="ge">wollte</em>
-also nicht! Nun war es aus mit meiner großen, schönen
-Liebe, mit meiner Sanftmuth, da glaubte ich entschieden
-die Grenze zwischen ihm und mir gezogen, ich wendete
-mich kalt von ihm ab und betrachtete ihn mit dem Blicke
-der Verachtung. Mein Herz litt unsäglich dabei, aber
-ich hüllte mich in ein stolzes Schweigen, den Bruder
-vermeidend, die Mutter auffordernd, ihn zu lassen, wie
-ich es gethan, in mir den Ersatz zu suchen. Ja, ich
-wagte das Unglaubliche, ich war so stolz in meiner Tugend,
-die mich so hoch über den Bruder stellte &ndash; aber
-Mutter hatte keine Antwort dafür, sie sah mich nur an,
-stumm und verwundert, schmerzlich befremdet.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Am Abende dieses Tages brachten Jünglinge den
-Leichnam meines Bruders, aber Gott sei gepriesen! er
-hatte sich nicht selbst entleibt, wie es mir bei dem ersten
-Anblicke qualvoll durch die Seele fuhr, er war verunglückt.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Julchen schwieg einige Augenblicke, aber bald gefaßt,
-fuhr sie fort:</p>
-
-<p>»Ist es gewiß, daß mein abstoßendes Wesen nicht
-Ursach war, daß mein Bruder gerade an diesem Tage
-das Haus verließ, draußen umherirrte? &ndash; Hatte ich
-nicht jedenfalls Mutters Liebe von dem Unglücklichen zu
-reißen gesucht, hatte ich nicht Uebels von ihm geredet,
-während ich »ihn entschuldigen sollte und Alles zum
-Besten kehren!«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Meiner Mutter Haupt richtete sich früher empor
-als das meinige, sie hatte ein gutes Gewissen. Aber
-sie tröstete mich mit liebevollen Worten, erinnerte mich
-an Gottes Weisheit und Güte, die Alles voraussieht,
-immer wacht, gern verzeiht, und hob mein, in der Seelenqual
-gesunkenes Vertrauen zu dem, der das zerbrochene
-Rohr nicht knickt und den glimmenden Docht nicht auslöscht.
-Durch Gottes und ihre Hülfe wurde ich wieder
-ruhiger, ich drückte die Hände meiner Freundinnen wieder
-wärmer, als in der Zeit des Elends. Viel Worte des
-Lobes und der Bewunderung wurden in jener Zeit über
-mich gesprochen, die öffentliche Meinung überschreitet
-leicht das Maaß, im Tadel wie im Lobe, man hinterbrachte
-sie mir, mich zu erfreuen, aber ich verbarg mich
-schamroth vor den kurzsichtigen Beobachtern. Die freundliche
-Aufnahme und Vertheidigung, die Leopold Anfangs
-bei mir gefunden hatte, dokumentirten aufs Neue mein
-vortreffliches Herz, meine spätere Kälte war untrüglicher
-Beweis meiner reinen Tugendhaftigkeit, die mit dem
-Unreinen durchaus keine Gemeinschaft haben könne, und
-dann, mein unverkennbar tiefer Schmerz nach Leopolds
-Tode &ndash; wie rührend erschien er der Welt, mit welcher
-Zartheit begegnete man mir seinetwegen!«</p>
-
-<p>»Jahre verstrichen, ich war zwei und zwanzig Jahre
-alt geworden, und Gott hatte mir ein Glück geschenkt,
-das in seinem Umfange vorher nicht zu ahnen ist: ich
-meine die Liebe eines Freundes, in dessen Gemeinschaft
-uns die Welt verschwindet, wir uns nur selig vor dem
-Herrn aller Liebe fühlen. Mein Freund war unendlich
-mehr als ich, aber ich verstand ihn. Ich staunte über
-den Reichthum des innerlichen Lebens, den er mir erst
-zugänglich gemacht hatte; er war der Engel der mir lächelnd
-unser seliges Endziel und alle Hindernisse auf dem
-Wege dahin im Lichte der überwindenden Kraft der Gnade
-zeigte. Ich bin jetzt ein altes Mädchen, aber wenn ich von
-ihm spreche, so verkörpere ich nur ein freudiges Hallen der
-ihn feiernden Seele; ich liebe ihn noch, und freue mich ihm
-entgegen, aber staunen Sie, Niemand weiß es: ich wurde
-ihm ungetreu.«</p>
-
-<p>»Gott nahm ihn mir früh, ich sah ihn begraben;
-aber an seinem Grabe sprach ich das Gelübde aus, einsam
-meinen Weg zu wandeln; Keiner sollte so Theil an mir
-haben, wie er, Niemand so meine Theilnahme, mein Vertrauen,
-meine Freundschaft besitzen; er sollte mein Leitstern
-bleiben, bis wir wieder bei Gott vereint sein würden.«</p>
-
-<p>»In diesem Gelübde fand ich neue Kraft, ich hatte
-die Süßigkeit der innigsten Gemeinschaft zweier Herzen
-kennen gelernt und wollte, das vielleicht lange Leben hindurch,
-darauf verzichten; wollte mich mit der sekundairen,
-laueren Freundschaft derer begnügen, die mein Herz nur
-oberflächlich kannten, und in andern Verbindungen größere
-Befriedigung fanden.«</p>
-
-<p>»Meine Sehnsucht und Trauer war groß, ich habe
-Jahre lang viel gelitten, mehr als ein Christenherz um
-einen Heimgegangenen leiden sollte. Endlich erhob ich
-mich, mit Gottes Hülfe, zu größerer Klarheit, ich empfand
-wieder Freude bei seinem Andenken, ich freute mich
-in seinem Sinne handeln zu können, richtete meine Blicke
-und mein Herz wieder fester zu den Höhen, von wannen
-die Hülfe kommt. &ndash; Da starb Mutter und ich war ganz
-verwaist. Es ist sehr schwer allein zu stehn, wenn man
-ein warmes Herz hat. Es fehlt freilich nie an Gelegenheiten
-zum Gutesthun, aber unsere Liebesthaten werden
-da unendlich wohlthätiger wirken, wo die Liebe sie empfängt;
-man will auch nicht verschwenden, weil man weiß,
-wie glücklich Liebe machen kann. Fühlen Sie, wie es kam,
-daß die welche als ein Muster felsenfester Treue galt,
-allmählig die Wünsche hegte, mit ihrem tiefsten Seyn, sich
-an ein anderes lebendes Wesen zu schließen, fühlen Sie
-aber auch die Kämpfe, Selbstanklagen und welches Verzagen
-diese arme Seele erschütterten? Der geistige
-Bund, die geistige Ehe, wenn Sie wollen, war entweihet,
-auf welche Tugend durfte ich noch bauen, wenn nicht
-auf diese Treue, auf mein freiwilliges Gelübde der feurigsten
-dankerfülltesten Liebe? &ndash; Auf keine Tugend,
-keine Kraft war zu rechnen, in mir war kein Halt.«</p>
-
-<p>»Was giebt mir nun den Muth mich dem Himmel
-und meinem Freunde dennoch entgegen zu freuen?« fuhr
-die Erzählerin fort, »ich will es Ihnen sagen. Kennen
-Sie noch Worte wie diese: »Kommet her zu mir Alle,
-die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.
-Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn
-ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig, so werdet
-ihr Ruhe finden für eure Seelen, und saget den verzagten
-Herzen, seid getrost, fürchtet euch nicht; ich bin
-der Herr dein Arzt; selig ist der Mann, der die Anfechtung
-erduldet &ndash; wendet euch zu mir, so werdet ihr
-selig &ndash; die Liebe decket der Sünden Menge &ndash; verlasset
-euch auf den Herrn ewiglich &ndash; durch Stillesein und
-Hoffen würdet ihr stark sein!«</p>
-
-<p>»Jetzt bin ich stark im Glauben, ich bin auch selig
-in Liebe und Hoffnung.«</p>
-
-<p>Das treffliche Mädchen schwieg und sah mich mit
-den leuchtenden Augen ihrer Mutter an. Ich küßte
-ihre Hand.</p>
-
-<p>»Haben Sie wirklich alle Gebote gehalten?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Nein,« entgegnete ich. Sie drückte mir die Hand,
-und ich verließ sie voller bewegten Herzens.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wenn ich einmal verheirathet sein werde, dann will
-ich Julchen Hermann für mein Haus zu gewinnen suchen,
-da soll sie noch viel Liebe finden. Meine Frau soll die
-Geschichte erfahren, und wenn sie sie jetzt nicht etwa schon
-liebt &ndash; man kann's ja nicht wissen &ndash; dann wird sie's
-nachher sicher. Julchen wird dieser Frau eine sehr kräftige
-Stütze werden, ich nenne sie freilich immer alt, deshalb
-ist sie aber noch nicht gebrechlich, und hat sie auch einmal
-Migräne, so legt meine Frau die Hände auf sie und
-Alles ist gut.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Gott segne alle guten Menschen, Dich auch recht sehr,
-liebe Pauline! Schreibe bald wieder.</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Den 13. October.</h2>
-
-<p>Kleines Mädchen, ich fühle mich sehr behaglich auf
-Gottes schöner Welt, und er hat mir einen netten Platz
-und entsprechende Arbeit darauf angewiesen. Der liebe,
-großmüthige Herr Gott hat mich ohne Zweifel wirklich
-recht lieb, sonst könnte er mir nicht so viele gute Menschen
-in den Weg schicken und mein Herz so fröhlich
-machen.</p>
-
-<p>Sonntags kam ich aus der Kirche, &ndash; ich schäme
-mich dieses Ganges keineswegs, ich fühle mich darin ganz
-behaglich, ganz zu Hause, ich habe gesungen wie die
-Andern: Befiehl du deine Wege u.&nbsp;s.&nbsp;w. &ndash; also ich kam
-aus der Kirche, und stehe mit der kleinen Johanne, die
-ihrer Bonne weg- und mir entgegen gelaufen ist, und
-plaudere ganz freundschaftlich, als »Grafs« kamen. Der
-liebe Engel grüßte, bevor ich meinen Hut herunter hatte,
-wie Maienlicht und steuerte auf uns los.</p>
-
-<p>»Wissen Sie, lieber Herr Brand, was wir in dieser
-Woche für ein Fest feiern?« frägt sie. Ich wußte von
-nichts. »Königs Geburtstag, am 15.,« fuhr sie fort,
-»und ich führe zur Verherrlichung des Tages etwas im
-Schilde gegen Sie.« &ndash; Ich stellte mich ihr mit allen
-meinen Kräften zur Disposition.</p>
-
-<p>»Eigentlich muthet Ihnen meine Frau ein starkes
-Stück zu,« bemerkte der Graf, »aber sie hat ein merkwürdiges
-Vertrauen zu Ihnen.«</p>
-
-<p>Ich fühlte mich erröthen und sah die edle Dame
-dankbar an; sie lächelte und sagte: »O ja, sein Sie dessen
-ganz gewiß, was ich aber wünsche, ist gerade nichts Gewaltiges,
-es handelt sich nur um ein Paar Transparente
-zum Festtage, nicht wahr, Sie machen sie gerne? wir
-wollen recht schön am Abende illuminiren.«</p>
-
-<p>Sie war dabei so erwartungsfroh wie ein Kind
-und ich versprach natürlich mein Möglichstes dabei zu
-thun. Da stehn sie nun, 3 Rahmen, mit dem königlichen
-Namenszuge, Adler, Laubwerk u.&nbsp;s.&nbsp;w., ich habe sie
-vorhin probirt, es ist eine wahre Pracht! &ndash; Hast Du
-wohl beachtet: sie hat merkwürdiges Vertrauen zu mir!</p>
-
-<p>Uebermorgen Abend also glänzende Illumination,
-und in der Stadt Ball. Zu drei Tänzen habe ich bereits
-engagirt, Theresen zur Polonaise und Ida zum ersten
-Walzer und Cottillon. Cäcilie will nicht hingehen, sie
-wird Burga's und Berga's Kameradschaften mit Kuchen
-und <i>blanc manger</i> tractiren &ndash; Jeder nach seinem Geschmack!
-&ndash; Nach dem großen Tage mehr.</p>
-
-
-<h3 class="datum">Am 16. October.</h3>
-
-<p>Was steckt doch alles in einem und demselben Menschen;
-ich z.&nbsp;B. bin überraschend vielseitig, es kommt
-nur darauf an, mich dahin zu stellen, wo etwas fehlt,
-und man erlebt Staunenswerthes! &ndash; Die Tage waren
-köstlich und ich werde Dir alles getreulich berichten, es ist
-ein Vergnügen noch einmal Alles durchzunehmen.</p>
-
-<p>Die Transparente waren also zur rechten Zeit fertig
-und ich glaubte bei den übrigen Vorbereitungen den Zuschauer
-abgeben zu können, aber weit gefehlt!</p>
-
-<p>Schon am frühen Morgen des 14. begann ein
-allseitiges Rumoren, die ganze Dienerschaft lief durcheinander,
-schleppte hierhin und dorthin, schrie und frohlockte,
-als sei es heute Pflicht und Schuldigkeit Menschen, welche
-von der Natur mit zarten Gehörnerven versehen sind,
-zur Verzweiflung zu bringen. Wie die Gräfin dies aushält,
-dachte ich, wo sie wohl steckt, während dieses
-Lärmens. &ndash; Der Tag war einzig schön, ich öffnete das
-Fenster, setzte mich daran und begann zu malen. Es
-ging aber nicht, trotz des besten Willens, so beschloß ich
-Toilette zu machen und mir den Wirwarr draußen in
-der Nähe zu besehn, vielleicht daß ich ihm dann mehr
-Geschmack abgewönne. Aber zum ersten Male sah ich mich
-hier vernachlässigt, der Toilettentisch entbehrte des Nothwendigsten,
-wer denkt an den Maler im Dachstübchen,
-wenn Königs Geburtstag ist! Ich machte mich jedoch
-bemerklich und klingelte, einmal, und noch einmal, und
-als das nicht half, lief ich an die Wendeltreppe, und
-schrie um durchzudringen mit einigem Kraftaufwande erst
-nach dem Bedienten und dann ganz energisch »Waschwasser!«
-Leichte Schritte wurden in einem benachbarten
-Zimmer hörbar, sie entfernten sich, und nichts erfolgte.
-Nun galt es Geduld zu üben und mit Ergebung abzuwarten,
-was geschehen würde.</p>
-
-<p>Es dauerte nicht lange und das Zöfchen erschien,
-nach meinen Befehlen fragend, Frau Gräfin schicke sie.
-»Frisches Wasser, liebes Kind,« gab ich ganz bescheiden
-zur Antwort. Also ihre Erlaucht hatte ich vorhin mit
-meinem Befehle beehrt!</p>
-
-<p>Nach einer Viertelstunde stand ich im Eßsaale, wo
-aber ein großes Malheur passirt war. Ein ungeschickter
-Bedienter hatte einen Wandleuchter an Ort und Stelle
-bringen wollen, sich statt einer Treppe einer Leiter bedient,
-war damit auf dem geglätteten Fußboden ausgeglitten,
-niedergefallen, und dabei, um die Sache nicht allein
-abzumachen, hatte er einen in der Nähe stehenden großen
-Gypsengel bei einem Flügel ergriffen und ihn glücklich
-mit zu Falle gebracht. Mit Mienen stummer Verzweiflung
-umgab das fast vollständig gegenwärtige Dienstpersonal
-die jämmerliche Gestalt des schwerverletzten Schutzengels,
-der Sünder selbst stand da, mit leichenblassem Gesichte.
-Auch die Gräfin besichtigte den Schaden und befahl dann
-die Figur aus dem Saale zu schaffen, als ich bat die
-Sache etwas genauer untersuchen zu dürfen. Nun stellte
-es sich heraus, daß die Zierde des Saales noch zu retten
-war, zwar mußte der rechte Flügel dreimal gekittet und
-eine starke Schramme auf der Stirn ausgefüllt werden,
-aber das war auch das Schwierigste, die andern Defecte
-waren höchst unbedeutend. Die Gräfin schüttelte anfangs
-den Kopf zu meinem Entschlusse die Operation zu übernehmen,
-und meinte ein geflicktes Kunstwerk sei keine
-Zierde mehr, als ich jedoch erklärte es nicht übel nehmen
-zu wollen, wenn man den Geheilten verwerfen würde,
-und betheuerte ich würde nur sehr ungern von der Arbeit
-abstehen, gab sie lächelnd ihre Einwilligung. &ndash; Der
-Engel genaß vollkommen, jede Narbe verschwand unter
-einer angemessenen Dosis Marmormehl und am 15.
-Morgens war ihm von seinem <i>salto mortale</i> nichts
-mehr anzusehen. Ob nun zum Lohn für diese Kur oder
-nicht, das kann ich nicht entscheiden, genug, ich wurde
-eingeladen mit der Herrschaft gegen Abend durch den Park
-zu fahren, es war ein Genuß, in dieser Gesellschaft und
-unter den alten prächtigen Bäumen hin, die indessen schon
-bedeutend gelichtet sind und die reichste Schattirung zwischen
-Grün, Gold und Purpur bilden. Mehrere dieser Alleen
-sollten auch illuminirt werden, nur bedauerte die Gräfin,
-daß man nicht bei Zeiten daran gedacht habe, die Wege
-vom hochdaraufliegenden Laube säubern zu lassen, es
-sähe schlecht aus, und lasse sich auch nicht schön darin
-gehen und sie spaziere doch so gerne bei solchen Gelegenheiten
-in diesen Gängen, wo sie so viele freundliche
-Gesichter zu sehen bekomme. Der Graf bedauerte es
-ebenfalls, konnte aber nur versprechen die dem Schlosse
-zunächst liegenden Wege sauber herstellen zu lassen, seine
-Leute hätten schon reichliche Beschäftigung.</p>
-
-<p>Ganz bescheiden wagte ich es mich ein wenig in die
-Sache zu mischen und fragte, ob die armen Leute in der
-Stadt wohl nicht gern das Laub wegholen würden, wenn
-sie nur die Erlaubniß dazu bekämen. »Gern,« erwiederte
-der Graf, »aber bei solchen Gelegenheiten kennen die
-Leute nicht Maß noch Ziel. Würde ich die Erlaubniß
-zu morgen früh ertheilen, so könnte man sicher darauf
-rechnen, daß noch Mittags, wenn die Gäste kommen, der
-Schloßberg mit den Laubharkern besetzt ist, und da weiß
-ich doch nicht was vorzuziehen ist, besonders wenn ich
-bedenke, daß das Wild durch die Kinder auf mehrere
-Tage in den Hintergrund des Parkes gescheucht werden
-wird, wer kann solche verschiedenartigen, zahlreichen Arbeiten
-hüten?«</p>
-
-<p>Mir fuhr ein komischer Gedanke durch den Kopf.
-»Ich will's thun, Erlaucht,« sagte ich, »es wird mir ein
-Vergnügen sein.«</p>
-
-<p>»Ebenso wie mit der Natur?« fragte die Gräfin.</p>
-
-<p>»Ja,« antwortete ich, »gestatten Sie nur daß mir
-ein bespannter Wagen und eine Menge Säcke zur Verfügung
-gestellt werden, das Andere werde ich mit Vergnügen
-besorgen.« &ndash; Der Graf fand das zwar unmöglich anzunehmen,
-aber seine liebe Frau bewies ihm die Möglichkeit
-ganz einfach.</p>
-
-<p>»Laß dem Herrn nur den Willen,« sagte sie schließlich,
-»Du hörst wohl, er thut so etwas gern, es ist gewiß
-wahr, da er es zweimal betheuert, und warum auch nicht?
-ich kann mir das Geschäft auch ganz nett denken.« &ndash;
-Erlaucht war überwunden.</p>
-
-<p>Gleich nach der Abendtafel eilte ich in die Stadt,
-mein Plan war schon fix und fertig. Der Bürgermeister
-sollte eine Anzahl Personen nennen, mit denen etwas
-aufzustellen war, diese sollten für die Frühstunden des
-nächsten Tages zum Laubharken geworben werden, und
-für die Arbeit bekamen sie das Laub bis vor die Thüre
-gefahren. Bernwacht war im Familienzimmer, dort wurde
-die Geschichte also verhandelt. »Giebts denn schon was?«
-fragte Frau Bernwacht ganz erstaunt, wir haben ja noch
-gar keinen Frost gehabt.</p>
-
-<p>»Aber Kastanien Mama, bedenke Kastanien, die
-schon ganz kahl sind,« belehrte Berga, »und wie viel ist
-noch vom vorigen Jahre! Burga und ich wir gehen in der
-langen Allee manchmal zum Spaß durch das allertiefste
-Laub, und dann raschelt es sehr, Du solltest mal hören.«
-Für ihre Vertheidigung der Wichtigkeit meiner Angelegenheit
-beanspruchte sie für sich und Burga die Erlaubniß
-mit zu harken, sie könnten das Laub herrlich für ihre
-Kaninchen zum Einstreuen gebrauchen. Ida meinte: so
-eine Gräfin ist doch allmächtig, sie darf nur einen Wunsch
-äußern und man eilt ihn auszuführen und sollte man
-auch die merkwürdigsten Metamorphosen durchmachen.</p>
-
-<p>»Sanfte, liebenswürdige Damen,« entgegnete ich,
-»haben über jedes Männerherz zu gebieten.«</p>
-
-<p>»Das ist ja schrecklich,« spottete sie, »da hat ja
-keine Braut und Frau das Herz ihres Mannes für sich
-allein; fürchtest Du Dich nicht, Therese?«</p>
-
-<p>»Nicht im Geringsten,« erwiederte diese lachend, »ich
-werde mich bemühen Theodor als die sanfteste und liebenswürdigste
-Frau zu erscheinen, dann bin ich, nach
-eines Kenners Aussage, seiner größten Liebe gewiß.«</p>
-
-<p>»Sehr edel von Dir, dennoch theilen zu wollen,«
-sagte Ida pathetisch und hob den Kopf gewaltig, »ich
-meinerseits verlange entweder Alles oder Nichts.«</p>
-
-<p>An solchen Scherzen betheiligt sich Cäcilie nie. Sie
-sitzt dann ganz ruhig und strickt oder näht, oder zeichnet
-Muster, aber sie sieht oft aus, als verstände sie von dem,
-was um sie her vorgeht, nichts, als seien ihre Gedanken
-weit, weit weg. Ich möchte wohl wissen, wie es in einem
-Kopfe und Herzen wie dem dieses kleinen Mädchens
-aussieht.</p>
-
-<p>Am andern Morgen ertheilte ich meine Befehle als
-Laubkommissarius, wie Burga mich betitelte, und gegen
-zehn Uhr waren die Wege in schönster Ordnung, geharkt
-und gefegt, und als die Gäste durch den Thiergarten
-fuhren, war kein einziger Barfüßer mehr zu sehn. &ndash;
-Um drei Uhr war großes Diner, es dauerte mehrere
-Stunden, und ich habe mich unter dem fremden hohen
-Adel weder gelangweilt noch gekränkt gefühlt, freilich war
-das auch nicht zu befürchten, da die Gäste, außer einigen
-Herren aus der Stadt, aus Freunden unserer gräflichen
-Familie bestanden, die ihnen natürlich geistesverwandt sein
-müssen. Einige Unruhe fühlte ich gegen Ende der langen
-Sitzung dennoch, ich dachte an das, was noch kommen
-sollte, besonders an den Ball auf dem Rathhause; endlich
-erhob man sich, ich war frei, und wollte eben aus der
-Thür schlüpfen, als ich den Blicken der Gräfin begegnete.
-Sie winkte. »Sie gehen zu Ball,« sprach sie huldreich,
-»und sprechen vorher bei Bernwachts ein, wollen Sie
-den Kindern nicht etwas Confect mitnehmen? Sie werden
-sich sehr dadurch insinuiren.« &ndash; Ich ließ mir das nicht
-zweimal sagen, füllte einen Teller mit feinen Süßigkeiten
-an, nahm ihn ungenirt nach außen, schlug dort die ganze
-Bescherung in einen Bogen weißen Papiers und steckte
-das ansehnliche Paquet in die Rocktasche. Nun gings in
-Sätzen den Schloßberg hinunter &ndash; an der Toilette war
-nichts mehr zu ändern &ndash; dem bürgermeisterlichen Hause
-zu. Man war natürlich noch nicht fort, denn der Papa
-mußte erst kommen, und der war bei meinem Abgange
-noch in ein Gespräch mit dem Landrathe vertieft, auch
-wollte man erst die Illumination sehen, denn bei dem
-schönen Wetter drohte dem Putze keine Gefahr, man hatte
-es früher auch schon gethan, und war ganz entschlossen.
-Ida in rosa Flor sah entzückend aus, sie hatte weiße
-Rosen im Haar und Perlen um Hals und Arme geschlungen.
-Als sie mir entgegen kam, blieb ich wie geblendet
-stehen, und hielt die Hand über die Augen.
-Sie lachte anmuthig und sagte: »Nicht wahr, ich bin
-wundervoll?« &ndash; »Wundervoll!« echote ich. »Süperb?«
-&ndash; »Süperb!« Lachend gab sie Theresen die Hand und
-länderte durch das Zimmer. Sie kam mir reizender vor
-als je. Therese war weiß gekleidet; sie wäre vielleicht
-ebenso gern zu Hause geblieben, ihr Bräutigam war
-nicht da. &ndash; Cäcilie kam mit einem Schlüsselbunde zum
-Vorschein und trug mächtige Körbe mit Aepfeln und
-Wallnüssen, das erinnerte mich an meine gespickte Tasche,
-und Burga und Berga empfingen überglücklich die Sendung
-der Gräfin. Darauf kam die Nachricht: die Erleuchtung
-sei im Gange, der Papa brachte sie selber, ich
-half den Damen sich einzuhüllen und nun gingen wir
-Alle dem Thiergarten zu.</p>
-
-<p>»Papa und Mama müssen unsere Lootsen sein,«
-meinte Berga.</p>
-
-<p>»Ja,« wiederholte die Andere, »es ist gewiß« &ndash;
-»Schweig!« gebot Ida, »wir wissen allemal im Voraus,
-was die Zweite von Euch zu sagen hat, macht nicht so
-viel unnütze Worte.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die Kleinen hüpften zu Cäcilien, hakten unter und
-somit war ich auf die beiden Balldamen angewiesen, die
-denn auch geruhten mich zum Führer anzunehmen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Oft habe ich Illuminationen gesehn, die diese einfache
-bei weitem überstrahlten, aber keine erschien mir so
-lieblich, kindlich möchte ich sagen, wie diese, und keine
-habe ich in so angenehmer Gesellschaft betrachtet. In
-den schönen Alleen wogte es nur so von Menschen, und
-alle waren mehr oder weniger von dem schönen Schauspiele
-entzückt. So schön war es noch nie gewesen, das
-hörten wir wenigstens zehnmal.</p>
-
-<p>»Das sagen sie alle Jahre,« bemerkte Ida.</p>
-
-<p>»Nein,« widersprach eine der naseweisen Kleinen;
-»Cäcilie sagt es selbst, so lieb ist es nie gewesen.« &ndash;
-Ich sah mich nach dem Dreiblatt um. »Es ist heut
-Abend wunderschön,« lächelte das kleine blasse, süße
-Gesicht. &ndash; »Ich denke lieb?« fragte ich. &ndash; »Ja, recht
-lieb.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nun wurden die Transparente sichtbar, und ich
-erntete indirect überreichlichen Lohn für meine kleine,
-gern übernommene Mühe. Es war an der Stelle, von
-welcher man sie am besten sehen konnte, ein förmliches
-Gedränge. Ida wurde sehr unwillig, ihr Anzug verdürbe
-auf diese Weise ganz, sie müsse nur allein gehen
-und auszuweichen suchen; ich verbeugte mich und ließ sie
-gehen. Bald darauf sah sich auch Cäcilie treulos verlassen,
-die kleinen Schwestern waren zur Mutter gestürmt,
-um ihr etwas Nothwendiges über die Eindrücke zu sagen,
-welche dies Alles auf sie hervorgebracht hatte, sie stand
-ganz allein da und vertiefte ihre Augen in die Tausende
-von Sternen, die sich mit einem Male auf den schönen
-Wald niedergelassen hatten. »Wir müssen die junge
-Dame nur unter unsern Schutz nehmen,« flüsterte ich
-Theresen zu, und bot Cäcilien meinen Arm an, aber &ndash;
-sie dankte! Sie dankte recht sehr, ich möchte es aber &ndash;
-aber nicht übel nehmen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ich nahm's ihr dennoch übel.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nach einer guten halben Stunde eröffnete Ida an
-der Seite eines jungen Militairs den Ball, und man
-tanzte, tanzte und tanzte, das ist die Geschichte des
-Balles. Aber außerhalb des Balles trug sich an diesem
-Abende noch Etwas zu. Von Bedeutung? magst du fragen
-&ndash; je nun, ich meine fast. Sieh, als ich die beiden
-Schwestern durch den Saal schweben sah, &ndash; sie sind
-Beide <em class="ge">sehr</em> graciös &ndash; fiel mir plötzlich Cäcilie, die
-kleine Unergründliche, ein. Ich dachte: wie sie wohl
-tanzen würde, gewiß hinreißender wie die Salome vor
-Zeiten, denn sie hat eine feenhafte kleine Gestalt, und
-schwebt überhaupt mehr als sie geht. Und, dachte ich
-weiter, was sie nun wohl treibt, und ob ihr Zuhausebleiben
-vom Ball wohl wirklich Geschmackssache war oder
-ein pietistisches Opfer, ob sie zu Hause wohl den Kopf
-ein wenig hängen läßt, und dachte so lange an dergleichen,
-bis ich mit einer Art Freude, die mir ganz neu
-war, mich daran erinnerte, daß mich ja nichts verhindere
-sie aufzusuchen, daß ich ja überhaupt so frei sei wie der
-Vogel in der Luft. Der Mantel wurde umgeworfen und
-bald war ich da. Am Fenster blieb ich lauschend stehn,
-lauter Gesang hoher Diskantstimmen schallte mir entgegen:
-»Heil Dir im Siegeskranz, Herrscher des Vaterlands!«
-&ndash; eine schöne sanfte, aber sichere Altstimme
-führte das Steuer. Die zusammengezogenen Gardinen
-waren nicht allzu dicht, ich konnte vortrefflich hindurchschauen,
-da saß sie am Claviere und dirigirte; Burga
-und Berga mit wenigstens einem Dutzend künftiger Schönheiten
-standen ringsum und sangen nach Möglichkeit,
-Julchen Hermann, mit dem Ausdrucke innigster Freude,
-daneben.</p>
-
-<p>»Fühl in des Thrones Glanz,« sie sangen mit
-ganzer Seele, die Mädchen, ich mußte einstimmen, was
-gings mich an, wenn die Nachbarn etwa ihre Bemerkungen
-darüber machten, es war ja Patriotismus &ndash;
-»Die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein,
-Heil Liebling Dir!«</p>
-
-<p>Meine Einmischung hatte all die Oehrchen da drinnen
-gespitzt, Berga errieth, und sang sich gerade bei der
-letzten Zeile aus der Hausthür heraus.</p>
-
-<p>»König heißt es!« rief sie corrigirend, und sang,
-an meinem Arme hängend, und meine Variationen noch
-einmal berichtigend: »Heil König Dir!« als ich eben mit
-höflichem Gruße in der Versammlung der Sängerinnen
-erschien. Cäcilie nickte mir freundlich zu, ließ sich aber
-nicht stören, der Gesang nahm ununterbrochen seinen
-Fortgang.</p>
-
-<p>»Was wollen Sie denn eigentlich?« fragte mich
-Julchen, als wir Beide auf dem Sopha saßen. »Mich
-ruhen, erholen.« &ndash; »Glaubten Sie hier Ruhe finden
-zu können?« &ndash; »Ruhe und Frieden,« antwortete ich
-und sah ihr voll in die Augen. Sie lächelte und nickte
-mit dem Kopfe. »Ja,« sagte sie dann, »es ist ein großer
-Unterschied darin, den Lustbarkeiten Erwachsener sich hinzugeben
-oder den Spielen der Kinder zuzusehen; ich bin
-auch sehr gern unter Kindern.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Dieses alte Mädchen hat ein sehr feines Verständniß,
-aber wenn ich einmal ein Geheimniß habe, soll sie
-es theilen.</p>
-
-<p>Nach dem Vortrage diverser Lieder tanzten die Kinder;
-Cäcilie spielte mit einer Geduld, welche die meinige
-ermüdete, endlich erbot sich ein liebenswürdiges Kind sie
-abzulösen, und sie setzte sich in unsere Nähe. Nun könnte
-ich sie vielleicht tanzen sehn, dachte ich, oder gar selbst
-mit ihr tanzen, sie wird aber ein rundes Nein bei der
-Hand haben, das will ich doch nicht so schnell riskiren.
-Da kam Burga und bat sie, und sie tanzte, nun versuchte
-ich mein Glück auch, und sie gab mir die kleine
-Hand ganz willig. Sie tanzte noch lieblicher, als ich
-es mir vorgestellt hatte, leise, leise, sinnig, lache nicht!
-&ndash; sinnig, wiederhole ich &ndash; sie thut nichts als in dieser
-holden Weise. Da war keine Hast, kein innerer Sturm,
-der sie trieb, keine Eitelkeit, die sich geltend machen wollte,
-sie hörte Musik und bewegte sich harmonisch, das war
-es; ich, auf dessen Arm sie sich lehnte, der ihr Führer
-hätte dabei sein sollen, konnte nicht anders als sie. Nie
-hatte ich so getanzt!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nun tanzte sie nicht mehr, sie schlug es verschiedenen
-Kindern ab, ich wagte es nicht, sie noch einmal zu
-bitten. Julchen lobte sie deshalb, sie scheint sie für
-schwach zu halten.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nach einiger Zeit wurde Pause gemacht und Erfrischungen
-gereicht, Cäcilie war die Vielbeschäftigte; ich
-hatte was ich wollte, und ging nach dem Rathhaussaale
-zurück, fühlte mich aber nicht sehr zum Tanz mehr aufgelegt
-und sah zu, bis der Cottillon kam, den Ida mir
-zugesagt hatte. Er dauerte sehr lange, und es schlug
-bereits vier Uhr als der Pförtner mich zum Schlosse
-herein ließ.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Heut war hier nun eine hübsche Nachfeier, die
-Armen wurden in den Laubengängen gespeist, und die
-Gräfin sah selbst mit ihren fröhlichen Augen überall
-hin, ob auch Jeder sein Recht bekomme. Es ist rührend
-zu denken, was Alles und wie so ein Frauenherz lieben
-kann. Spricht diese Frau von Mann und Kind, oder
-ruht nur ihr Auge auf ihnen, so ist es Einem, als
-füllten diese Geliebten ihre Seele ganz aus. Wer sie
-gestern zum ersten Male gesehen hätte, oder überhaupt
-während die Anstalten zum Feste gemacht wurden, der
-würde den Monarchen beneiden, dessen Namenstag mit
-so inniger Freude begrüßt wurde, wie von dieser Frau.
-Ihr Töchterchen lehrt sie beten für »den theuren König«,
-den Kindern in der Schule spricht sie, wie man sagt,
-begeistert von seiner väterlichen Treue, ihren Gatten und
-Sohn nennt sie mit Stolz Diener ihres königlichen Herrn.
-Heute flammte wieder der heilige Liebesstrahl in ihren
-Augen, und für die Armen, die ihr nichts Liebes erwiesen,
-die in ihrem innern und äußern Mangel so himmelweit
-verschieden von ihr sind. Erbarmen habe ich auch für
-diese Menschen &ndash; wozu sage ich übrigens was du weißt
-und sich von selbst versteht, &ndash; aber solches Gefühl ist mir
-fremd. Ich mußte sie oft betrachten. Ob sie es fühlte,
-weiß ich nicht, und wenn's der Fall war, dann muß ich
-ihr doppelt dankbar sein; einmal als ich in ihrer Nähe
-stand, sagte sie: »Wie glücklich bin ich heut, mehr als
-glücklich! Immer muß ich an die schönen lieben Segensworte
-denken: »Alles was ihr gethan habt Einem dieser
-Geringsten« &ndash; ihr Auge wurde feucht, und sie brach
-ab, aber ganz leise hörte ich neben ihr die Worte flüstern:
-»das habt ihr mir gethan.« Es war Johanne, ihr
-kleines Abbild, welches den Vers so andächtig ausbetete.
-Die Mutter küßte sie und sah mich mit einem strahlenden
-Blicke an. Ihr Glaube macht sie selig.</p>
-
-<p>Nachmittags ging ich zu Bernwachts, mich nach
-ihrem Befinden zu erkundigen. Die Alten waren im
-Garten, wo neue Anlagen vorbereitet wurden, Therese
-und Ida hielten Nachmittagsruhe und Cäcilie saß im
-stillen Zimmer und brachte Ida's Florkleid wieder in
-Ordnung, welches mit den Sporen des jungen Vaterlandsvertheidigers
-in unangenehme Berührung gekommen
-war. Ich setzte mich ein wenig zu ihr hin und fragte
-sie, ob sie das Märchen von Aschenbrödel kenne.</p>
-
-<p>»Sehr gut,« antwortete sie, »es war immer mein
-liebstes.« &ndash; »Das läßt sich denken,« bemerkte ich, »wie
-sieht die Fee aus, sie ist wohl wunderschön?« &ndash; »Ich
-denke, wie Ida ungefähr,« sagte sie munter in den Scherz
-eingehend, »ein schöneres Mädchengesicht als Ida's kann
-ich mir so leicht nicht vorstellen; ich freue mich recht,
-daß Sie sie malen wollen.«</p>
-
-<p>»Haben Sie Ida ganz besonders lieb?« forschte
-ich weiter.</p>
-
-<p>»Die Schwestern sind mir Alle gleich lieb,« entgegnete
-sie, »ich möchte sie Alle gern gemalt haben,
-wenn's eine aber doch nur sein soll, so muß es die
-Schönste sein.«</p>
-
-<p>»Sie lieben also das Schöne sehr?«</p>
-
-<p>»Sehr,« wiederholte sie, »ganz außerordentlich.«</p>
-
-<p>»Bei so viel Schönheitssinn,« behauptete ich, »muß
-ich Talente voraussetzen, die Sie neidisch verstecken, gewiß
-malen Sie ausgezeichnet, oder componiren oder
-dergleichen.«</p>
-
-<p>»Nichts von Allem,« entgegnete sie, »ich kann nur
-bewundern und lieben, aber sehr wenig leisten.« &ndash;
-»Bewundern, lieben und die Fehler Anderer wieder gut
-machen,« sagte ich unwillkürlich, und wieder fiel mir
-Aschenbrödel ein. »Sie müssen mir entschieden zu einem
-Bilde sitzen, ich lasse Ihnen keine Ruhe anders,« kündigte
-ich ihr an; sie lächelte aber und meinte: erst solle ich
-nur Ida malen, dann könne das Weitere besprochen
-werden. Thut sie's, so wird diese Aschenbrödel ein süßes
-Bild. Ich gebe ihr etwas mehr Farbe, die ihrige ist
-fast zu zart, und lasse sie das herabflatternde Täubchen
-mit den erstaunten, fast erschrockenen Wunderaugen begrüßen,
-die sie so manchmal auf uns richtet, wenn ihr
-etwas Unerwartetes passirt, oder ich lasse sie vor der
-Fee stehn, und diese Augen mit dem Ausdrucke der Bewunderung
-auf sie heften, den ich schon manchmal mit
-einem zärtlichen Gefühle belauscht habe. Die Fee kann
-dann Ida sein, weil sie es gesagt hat, sie wird mit ihrer
-vollendeten Gestalt und den tadellosen Zügen prächtig
-werden. &ndash; Sieh' Schwesterchen, so habe ich schon wieder
-eine Freude im Voraus, ich begreife nicht, wie man das
-Leben langweilig finden kann, wie z.&nbsp;B. Waldemar es
-thut, von dem ich erst kürzlich eine lange Jeremiade über
-die Nüchternheit des menschlichen Lebens aus Berlin
-erhalten habe.</p>
-
-<p>Nun will ich meinen langen Brief absenden und
-nur noch für den Deinigen danken. Ja, Julchen ist
-mir auch sehr theuer geworden, und ich werde sie öfter
-besuchen. Lebe wohl!</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Dein Bruder Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Den 5. December.</h2>
-
-<p>Du bist erstaunt über meine Brauchbarkeit nach so
-vielen Seiten hin &ndash; liebes Kind; Du weißt so viel wie
-nichts davon, Du wirst noch ganz andere Begriffe von
-mir bekommen, wenn Du diesen Brief gelesen hast. Aber
-ich übereile mich nicht damit, es wird ganz <i>en passant</i>
-kommen, ich werde den Faden des Berichtes da wieder
-aufnehmen, wo er abgerissen wurde. &ndash; Nach dem denkwürdigen
-15.&nbsp;October beschloß ich sehr fleißig zu arbeiten,
-weil mein Bewußtsein etwas unzufrieden geworden war.
-So vollendete ich denn das Bild der Gräfin zunächst
-und begann mit Eifer die Restauration der alten Familienportraits
-im Ahnensaale. Der Graf besuchte mich oft
-bei meiner Arbeit, sah mit Theilnahme zu und sprach
-manch gutes, anregendes Wort. Er ist ein ausgezeichneter
-Mann. Seine holde Gemahlin begleitet ihn zuweilen
-und das Kind kommt am oftesten, bringt mir
-zuweilen schönes Obst oder ein Paar Blumen, die es
-auf dem Walle für mich gepflückt hat, oder fühlt den
-Trieb, mir irgend eine wundersame Historie mitzutheilen,
-die Mama erzählt, oder es selbst in einem bilderreichen
-Elberfelder Büchlein gelesen hat. Dann thut es oft die
-seltsamsten Fragen, so auch einst, ob ich Joseph oder
-Timotheus lieber leiden möchte. Sie ihrerseits war geneigt,
-dem Jünger den Vorzug zu geben, obgleich Joseph
-auch sehr liebenswürdig und großmüthig gewesen sei,
-aber zweierlei fand sie nicht schön von ihm, erstens: daß
-er die stolzen Träume erzählt hatte, und zweitens: daß
-er bei der ersten Rückkehr der Brüder aus Aegypten
-seinem Vater keinen Trost gesendet hatte, »und er trug
-doch Leid um ihn!« sagte sie höchst mitleidig. Dann
-zeigte sie mir ein kleines Bild, wo Timotheus als Knabe
-zu den Füßen einer alten Frau saß und in der Bibel
-las. Die Mutter stand daneben und weidete sich an dem
-Anblicke. »Ist er nicht sehr nett?« fragte sie, »sieh nur,
-wie sie ihn lieb haben, der war schon von klein an ein
-Jünger Gottes, und nachher liebte er den Heiland so
-sehr, und dann war er des Apostels Paulus lieber
-Sohn; ich glaube, er ist noch besser als Joseph, aber
-Joseph ist auch sehr gut.«</p>
-
-<p>»Joseph war aber ein Jude,« wendete ich ein.
-»Das schadet nichts,« sagte sie, »er konnte ja damals
-nichts Besseres sein; weißt Du nicht, die Juden waren
-ja auch Gottes Kinder.«</p>
-
-<p>»Aber jetzt sind sie es wohl nicht mehr?« fragte ich.</p>
-
-<p>Sie sah mich groß an und sagte: »Alle Menschen
-gehören ja dem lieben Gott, die armen Heiden ja auch,
-und der liebe Gott will alle, alle Menschen in seinen
-schönen Himmel bringen, in sein großes, großes Reich,
-denk mal, wie viel Menschen da zusammenkommen werden;
-ob ich Dich wohl wiederfinde?«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Der liebe Gott wird's wohl so einrichten,« gab
-ich ihr zur Antwort. &ndash; »Das ist wunderschön,« rief sie
-freudig, »ich mag Dich auch sehr gern leiden.« &ndash; Ich
-küßte sie für diese wohlthuende Erklärung und nahm sie
-auf meine Knie, um meine Mappe mit ihr zu durchblättern:
-viele von den Bildern machten ihr große Freude
-und mir ihr Geplauder noch mehr.</p>
-
-<p>Zuweilen trat ich auch Mittwochs in den Betsaal,
-wo der Kaplan einen Vortrag hält und viel gesungen
-und gebetet wird; diese Versammlungen werden auch
-von Mehreren aus der Stadt besucht, namentlich habe
-ich Julchen und Cäcilie fast jedesmal dort bemerkt, wenn
-ich einsah, auch Frau Bernwacht und Therese zuweilen,
-Ida sehr selten. Ich blieb nicht immer die ganze Zeit
-über da, gewöhnlich während der Rede, oder ich kam
-gegen das Ende und wagte mich dann nicht über die
-Thür hinaus. Das lange Singen ermüdet mich bald,
-und die Begleitung ist auch nur sehr mittelmäßig, auf
-einem alten Klaviere, welches wahrscheinlich aus Rücksicht
-auf seine langjährigen Dienste an dieser Stätte noch in
-Activität bleibt. Vorigen Mittwoch war man nun in
-Verlegenheit, wer das Amt des Organisten in der Eile
-übernehmen sollte, der alte Kantor aus der Stadt, ein
-freundlicher Greis, der es bis dahin verwaltet, war unterwegs
-ausgeglitten und hatte sich die Hand verstaucht;
-die Gräfin war um ihn bemüht, schickte nach einem Arzte
-und bedauerte, daß ihr Mann verreist sei, er spiele so
-gut Choräle, der Sekretair spiele zwar auch Klavier,
-aber so viel sie wisse, nur moderne Sachen, nun es
-müsse auch ohne Begleitung einmal gehen, der Rentmeister
-sei ein zuverlässiger Sänger, der könne den Ton
-angeben. &ndash; Nun weißt Du, was geschah. Ja, ich
-spielte; ein mächtiges Choralbuch war ja da, und ich
-fühlte mich ganz wohl dabei; aber eigner Mensch, der
-ich bin, ich genirte mich nachher den Blicken Julchens
-und Cäciliens zu begegnen. &ndash; Da der alte Mann sich
-noch schonen soll, werde ich noch einige Male den Platz
-am Instrumente einnehmen. Die Gräfin war sehr gütig
-und erlaubte mir, den Flügel im Speisesaale nach Gefallen
-zu benutzen, werde es aber nicht oft thun, die
-Zeit fliegt ohnehin fast allzuschnell dahin.</p>
-
-<p>Das ist Mittwochs. Freitags gehe ich mit dem
-Bürgermeister zu einer Parthie Schach nach dem Klubb,
-und Sonntags ist Leseabend bei Bernwachts, an welchem,
-außer Julchen, noch ein Paar junge Damen Theil nehmen,
-die mir gegenüber sehr schüchtern sind, und von
-denen ich kaum mehr als die Namen, und daß sie Cousinen
-Theodors, des Verlobten Theresens sind, weiß. &ndash;
-Die Lectüre wird durch die Mitglieder bestimmt; jede
-der Damen wird der Reihe nach für ein Buch sorgen,
-dann nach Cäcilien, als der Jüngsten, komme ich, und
-simulire öfter schon, was ich auswählen soll, um Alle
-zu befriedigen, ein solches Buch wird schwer zu finden
-sein; Dumas wäre etwas für Ida, Göthe für Theresen,
-aber ich möchte gar nicht Cäcilien den Grafen von
-Monte Christo oder Faust oder die Wahlverwandtschaften
-vorlesen hören. Neulich fragte ich sie nach ihren Lieblingsschriftstellern,
-da nannte sie mir mehrere Lyriker,
-dann Andersen, die Bremer, Nathusius, Namen, die mir
-zum Theil ganz unbekannt waren. Vielleicht kannst Du
-mir etwas vorschlagen.</p>
-
-<p>So unter Arbeit und in angenehmer Gesellschaft
-verstreicht die Zeit sehr schnell, und die Wochen entfliehen
-wie Tage. Als ich kam, blühten die Rosen, jetzt wirbelt
-der Schnee um's Fenster und die Raben sitzen auf den
-nackten Bäumen, und doch ist's mir, als hätte ich vor
-Kurzem erst das liebe Nest nach so manchem Jahr der
-Abwesenheit wieder gesehen. Gestern habe ich viel von
-Dir gesprochen und soll Dich auch von Julchen grüßen.
-Ebenso wie sie, hören die Mädchen im Bernwachtschen
-Hause gerne von Dir; ich habe Dich vor einigen Tagen,
-auf Ida's Begehr, vom Kopf bis zu den Füßen schildern
-müssen. Zuweilen lese ich ihnen Stellen aus Deinen
-Briefen vor, eigentlich nicht ihnen, sondern nur Theresen
-und Cäcilien, die sich am meisten dafür zu interessiren
-scheinen. Sie wünschen Alle, Du möchtest mal kommen.
-Ginge es nicht? Freilich nicht vor dem Frühlinge, und
-wo bin ich dann? &ndash; Zwar habe ich außer meiner
-Arbeit hier im Schlosse noch zwei Bilder anzufertigen
-versprochen und ein drittes wünsche ich <i>in doublo</i> zu
-malen, aber zum Frühjahr werde ich mich doch wohl reisefertig
-machen müssen. Wohin? &ndash; Das weiß ich noch
-nicht. Das Leben in den großen Städten, wo ich nirgends
-heimisch bin, wird mir nachher schlecht behagen,
-ich muß mich wohl irgendwo, auf irgend einem schönen
-Fleckchen der weiten Erde häuslich niederlassen. Was meinst
-Du dazu, erscheine ich Dir schon gereift genug zu einem
-Hausherrn, oder glaubst Du, daß ich meine Lehr- und
-Wanderjahre noch ausdehnen muß, um später mit um
-so sicherer Hand das Fundament zu meinem Lebensglücke
-zu legen?&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Im Kreise solcher Familien, wie die des Grafen
-und Bernwachts, steigen bei dem flatterhaftesten Menschen
-solide Gedanken auf; ich könnte mir mein Haus in Zukunft
-sehr hübsch denken, es würde im Aeußeren etwas
-alterthümlich mit Schnitzwerk, Erker und schwerem Messinghammer
-an der eichenen Hausthüre sein, es würde
-tiefe, weite Fensternischen und behaglich eingerichtete Zimmer
-haben. Unten wären Empfang- und Wirthschaftszimmer,
-oben die des Hausherrn und das Kabinet der
-Frau, das wäre ein kleines licht- und blumenreiches Gemach,
-mit einem Fortepiano, Bücherschrank und schönen
-Gemälden, wüßte ich doch jenen Christus wieder aufzuspüren!
-&ndash; In dem Erker würde eine Staffelei stehen
-können, vielleicht wäre sie der Frau nicht zuwider, und
-während ich malte, tauschten wir unsere Gedanken aus,
-oder sie läse oder spielte.</p>
-
-<p>Das Bild ist verlockend, ich muß es bedecken, mich
-davon abwenden, vielleicht ist es ebenso unerringbar wie
-jener spurlos verschwundene Christus. &ndash; Doch genug,
-ich muß heute noch einen weiten Spaziergang machen
-und schließe mit einem Gruße warmer, brüderlicher Liebe.</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Den 13. December.</h2>
-
-<p>Liebe Schwester, ich habe eine Menge Aufträge für
-Dich. Du schriebst im letzten Briefe, Du würdest vor
-Weihnachten noch einmal nach Berlin reisen, das paßt
-ganz zu meinen Wünschen. Burga hat es nämlich bei
-ihren Eltern dahin gebracht, daß ich die Erlaubniß erhielt,
-den heiligen Abend des Weihnachtsfestes bei ihnen
-zuzubringen, und nun wollte ich Dich bitten, in Berlin
-passende Geschenke für die Familie auszusuchen. Ich
-denke, eine hübsche Schreibmappe mit schönem Papier
-würde Theresen nicht unwillkommen, eine Auswahl neuer
-Tänze oder irgend ein Putzgegenstand für Ida nicht
-unpassend sein. Burga und Berga müssen etwas Egales
-haben, oder Gemeinschaftliches, Noten zu vier Händen
-etwa, oder Spiele, oder eine wohleingerichtete Kochanstalt,
-was Du willst, Du wirst schon das Richtige treffen.
-Für Cäcilie etwas zu wählen, ist schon schwerer; ich habe
-an Scrivers Werke gedacht &ndash; ich habe in diesen Büchern
-gelesen, sie stehen in der mir zugänglichen Bibliothek des
-Grafen &ndash; aber wie könnte ich es wagen, ihr ein Erbauungsbuch
-zu schenken! Aber wenn Du dennoch meinst,
-es ginge, dann schicke sie, in recht würdigem, gediegenem
-Einbande. Vielleicht machten ihr auch Märchen, mit
-vielen Bildern im Text, Freude, es müßte aber schon
-etwas <em class="ge">sehr Gutes</em> sein, gehaltvoll, in der Form gelungen,
-und jedenfalls in einer Prachtausgabe; erkundige
-Dich doch, was es Bestes in der Art giebt. Auch habe
-ich an Schmucksachen gedacht: ein Perlenhalsband mit
-schönem, goldenem Schlosse würde ihr vortrefflich stehn;
-doch Perlen bedeuten Thränen, mein Geschenk soll weiter
-keine Bedeutung haben, als ein Andenken an diesen heiligen
-Abend, die der Thränen gewiß nicht, und so ist
-es auch mit einem goldenen Kreuze, welches sie vielleicht
-trüge, aber nein, Kreuz bedeutet Leid.</p>
-
-<p>Du siehst wohl, für Cäcilien weiß ich garnichts,
-suche Du nur etwas aus, was für ein frommes, sinniges
-und schönes junges Mädchen paßt, vergiß aber nicht,
-mir auch all die Sachen, welche ich angedeutet habe, mit
-zu besorgen, es könnte doch sein, daß mir das Eine oder
-Andere davon noch wünschenswerth für sie erschiene.
-Gern malte ich ihr etwas, aber was? Sie hat so viel
-Schönheitssinn, so viel Kunstverstand, werde ich ihr in
-der kurzen Zeit, neben den mir aufgetragenen Arbeiten,
-noch etwas Würdiges schaffen können? Ich bezweifle es.
-Für die kleine Johanne habe ich ein Album machen
-lassen, welches ich mit Zeichnungen aus der biblischen
-Geschichte schmücke, ein kleines Büchlein nur. Ein Album
-wäre auch etwas Passendes für Cäcilie, aber ich müßte
-es ihr fast leer überreichen, und das möchte ich nicht.
-Höre, Kind, besorge doch auch eine Prachtmappe von
-Sammet und einfachem Golddruck, es könnte sein, daß
-ich unter meiner Sammlung noch so viel Gutes zusammenfände,
-was ich ihr, ohne lächerlich zu erscheinen, anbieten
-dürfte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Lebe wohl, liebes Kind, ich habe es sehr eilig.</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Dein Bruder Justus.</span></p>
-
-<p>Um allem Irrthum vorzubeugen, füge ich diesem
-Briefe ein einfaches Register derjenigen Dinge bei, welche
-ich für Cäcilien besorgt zu haben wünschte: 1)&nbsp;Scrivers
-Werke, 2)&nbsp;Märchen, 3)&nbsp;ein Perlenhalsband, 4)&nbsp;ein goldenes
-Kreuz, 5)&nbsp;eine Mappe, und 6)&nbsp;Verschiedenes,
-durch welches Dein Geschmack meiner Rathlosigkeit zu
-Hülfe kommen könnte.</p>
-
-<p class="si">J.</p>
-
-<p>Was meinst Du, schenke ich auch den Alten etwas?
-Es wäre wohl nicht gut angebracht, aber Julchen muß
-etwas haben; sinne nach, was es sein kann. Spare ja
-nicht, ich lege einen Wechsel von 50&nbsp;Rthl. bei, und reicht
-das Geld nicht, so lege nur für mich aus.</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Dein Bruder.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Den 20. December.</h2>
-
-<p>Welche Wichtigkeit ein Bräutigam ist! Kommt so
-ein Mensch in's Haus, so erschallt vom First bis in's
-Souterrain ein Jubel: er ist da, Heil, er ist gekommen!
-Selbst Cäcilie, ja gerade Cäcilie läuft mir da heute
-Morgen entgegen, daß die schwarze Sammetschleife im
-Haar in ungewohnten Schwung kommt, sieht mich mit
-beiden Augen freudenvoll an und ruft: »Theodor ist
-hier!« &ndash; »So?« fragte ich ganz kühl; ich fühlte gar
-keine so große Veranlassung zur Freude. &ndash; »Ja, und
-bleibt bis acht Tage nach Neujahr, kommen Sie, ich
-werde Sie vorstellen,« und hin ging's zu dem Herrn
-Theodor, der doch auch Seinesgleichen in der Welt hat.
-Sonst ist er ganz nett, &ndash; er hat in der That etwas
-sehr Einnehmendes, und durch die Briefe seiner Braut
-von meiner Einbürgerung im schwiegerväterlichen Hause
-benachrichtigt, reichte er mir mit offener Herzlichkeit gleich
-die Hand zur Einleitung eines freundschaftlichen Verkehres.
-&ndash; Ich bin neugierig zu wissen, ob man mit
-mir, wenn ich einmal Bräutigam sein werde, auch so
-viele Umstände macht.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Deine Sendung ist noch nicht angekommen, ich erwarte
-sie täglich. &ndash; Die Vorfreuden des Festes beginnen,
-Pfeffernüsse durchduften fast alle Häuser seit längerer
-Zeit, und Tannenbäume schleichen in der Dämmerung
-durch die Straßen, um unbemerkt in die Häuser zu
-schlüpfen, die Geheimnisse mehren sich.</p>
-
-<p>Die Gräfin ist ganz Glück, so recht in ihrem Elemente,
-aber wann ist sie dies nicht? &ndash; Ohne Unterlaß
-gehen Boten mit Commissionszetteln nach allen Himmelsgegenden;
-verschiedene alte und junge sanfte Frauengesichter
-erscheinen geheimnißvoll mit großen Körben voller
-Sachen im Schlosse und ziehen sich, ihrer Bürde entledigt,
-mit augenscheinlicher Befriedigung wieder zurück.
-Sie scheinen den Frommen anzugehören, denn diese
-mögen alt oder jung, hübsch oder häßlich sein, ein gemeinsames
-Kennzeichen haben sie Alle, sie zeigen fast
-beständig ein heiteres Gesicht, ein ruhiges Auge, die
-Seufzer über das menschliche Elend sind nur vorübergehend,
-der liebe Herr macht alles, was uneben ist, ihnen
-wieder gerade. Julchen ist mir das Ideal solcher Frommen.
-Man möge diese Leute in Zukunft in meiner
-Gegenwart nicht wieder angreifen, ich werde sie entschlossen,
-mit dem Muthe der Ueberzeugung vertheidigen.
-Sehr möglich, daß es auch unter ihnen Heuchler giebt,
-aber wo giebt es keine? Wie viele Freigeister, die ihre
-Thaten ihr Gottsein beweisen lassen wollen, verbergen
-bedächtig viele ihrer schmutzigen Werke vor den Augen
-der Welt, verstecken unter Phrasen über Berechtigung,
-Freiheit und dergl. die an sich wohl erkannten Flecken.
-Hier ist es anders, und wer sich wohl fühlen, vereinfachen
-will, wieder in das Paradies der Kindheit zurückversetzen
-möchte, komme nach Burgwall, wo nichts von
-der verschrieenen Kopfhängerei an den Gläubigen zu
-merken ist, wo Hoch und Niedrig das Band Einer Liebe,
-Eines Glaubens verbindet. Halte mich wegen dieses
-Zeugnisses aber ja nicht für einen mit ihnen in Christo
-Verbündeten, Du würdest sehr irren. Ich möchte es
-wohl sein, weil ich sehe, wie innigst befriedigt sich diese
-Menschen fühlen, welche Geduld sie beweisen, welche
-Todesfreudigkeit sie haben. Auch das habe ich nicht aus
-Schilderungen, denn fern ist diesen Leuten Proselytenmacherei;
-sie brauchen nicht klüglich zu sprechen, um für
-sich und ihre Lehre zu werben, sie sind anziehend, das
-ist mehr als Jenes. &ndash; Ich hörte öfter von einem alten,
-sehr leidenden Manne im Bernwachtschen Hause reden,
-und ging eines Abends zu ihm. Möchte ich einst so
-heiter sterben, wie dieser Greis! &ndash; Als ich ihn fragte,
-ob ich ihm irgendwie dienen, ihn mit etwas erquicken
-könnte, deutete er auf ein Buch und einen Gesang, den
-ich ihm daraus vorlesen sollte; ich that es mit Schüchternheit,
-das kindliche Verlangen nach der frohen Ewigkeit,
-welches in diesem Liede lebte, war mir fremd, der
-Alte kannte es. Und dann wie dankbar war er. »Der
-Herr wird es Ihnen lohnen,« verhieß er. Einige Tage
-später war er bei seinem Herrn. Ich sagte es Bernwachts,
-als ich es gehört hatte, sie wußten es schon, und
-Cäcilie sagte mit freudigen Augen: »Wie schön wird er
-Weihnachten feiern!«</p>
-
-<p>Solch ein Glaube kann da schwerlich einziehen, wo
-er so lange belächelt ist; ich habe ihn nicht, aber ich
-muß ihn ehren.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Gestern Abend nach Tisch war ich noch im Familienzimmer,
-wo wir ausnahmsweise gegessen hatten, als
-die Gräfin ein dickes Buch hervorholte, um ein Weihnachtslied
-auszuwählen. Der Graf, der sich mit mir
-unterhielt, wurde zu Rath gezogen, und endlich ein
-Gesang zum Festliede ausersehen. Es gefiel auch mir
-besonders, und als die Gräfin Anstalt machte es abzuschreiben
-und viele Quartblätter schnitt, welche zeigten,
-daß sie es in vielen Exemplaren haben wollte, bot ich
-meine Hülfe an. Ein freudiger Blick lohnte mir. »Finden
-Sie das Lied schön?« fragte sie. &ndash; »Ja,« erwiederte
-ich, »es sagt mir sehr zu.«</p>
-
-<p>»O, das ist auch eine Festfreude,« sagte sie herzlich,
-und reichte mir die Hand zum Drucke; ich küßte sie
-aber demuthsvoll.</p>
-
-<p>»Die Wahrheit ist eine siegreiche Macht,« sprach
-der Graf, »und eine so selige,« fügte seine Frau hinzu.</p>
-
-<p>»Aber mein Herz und mein Verstand sind sehr
-trotzig,« entgegnete ich, »sie wehren sich selbst dann noch,
-wenn sie schon die Größe des Ueberwinders ahnen und
-ehren.«</p>
-
-<p>»Es wird Ihnen nichts helfen,« sagte der Graf,
-und drückte mir warm die Hand; »die Wahrheit bedarf
-nur geringen Raumes, um bald siegreich das Feld zu
-behaupten. Gott segne das Fest an Ihrem Herzen!«</p>
-
-<p>»Amen!« hallte die Gräfin.</p>
-
-<p>Ein Jahr zurück, nur ein halbes, und wie anders
-damals und jetzt! Was ich jetzt zu sein wünsche, verlachte
-ich damals, Glauben nenne ich, was damals Vorurtheil
-hieß, Aufklärung, was Befangenheit genannt
-wurde. Und dieser Umschwung geschah in aller Stille,
-und was das Traurige dabei ist, ich stehe nur draußen
-vor der Schwelle des Heiligthums, höre mit dem einen
-Ohr die Harmonie drinnen, mit dem andern das Spotten
-ehemaliger Genossen. Dennoch beschwere ich mich keineswegs,
-und wenn ich die ganze Wahrheit sagen soll, so
-bin ich auf die Entwickelung dieses Seelenprozesses neugierig.
-Wie und wann werde ich so glückselig werden
-wie der Graf, oder sein Gärtner, oder Julchen, oder
-wird eine Reaction eintreten? Ich wünschte, jene Leute
-wären wirklich in der Wahrheit, und Gott hülfe mir
-auch dazu zu kommen. Gottes und Marien Sohn!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Julchen sagte vor einigen Tagen zu mir: »Worin
-liegt denn eigentlich das Unglück, wo steckt der Knoten?«</p>
-
-<p>»Ich möchte gern ein Christ sein, wie andere mir
-liebe Menschen, und bin es nicht im Stande.«</p>
-
-<p>»Warum wollen Sie es denn sein?«</p>
-
-<p>»Weil ich das Beste nicht für zu gut für mich
-halte, als Gottes Kind könnte ich ja auch wohl ein
-Christ sein.« &ndash; Sie lächelte, mußte aber wieder fragen,
-warum ich das Christenthum für »das Beste« hielte,
-und ich sagte ihr, daß ich die Wirkungen seiner Vortrefflichkeit
-nun hinlänglich wahrgenommen hätte, um zu
-diesem Schlusse zu kommen, und zweitens gedächte ich
-zuweilen mit einem peinvollen Gefühle an meine mögliche
-Verblendung, an meine Undankbarkeit, wenn Christus
-nämlich wirklich der wäre, den ich nicht glauben könne.</p>
-
-<p>»Wenn es so steht, dann wenden Sie sich nur mit
-Ihrem Verlangen an Ihren Schöpfer, beten Sie nur
-das schönste Gebet, welches wir haben, Sie beten dann
-zu Ihrem Gott, und ganz im Sinne dessen, den Sie
-suchen, mit seinen eigenen Worten.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Das thue ich auch, und lasse es nun auf Ihn
-ankommen, lese auch fleißig in der Bibel. Zuweilen
-prüfe ich, da nicht zu verkennen ist, daß ich gewissermaßen
-mich der Kindheit wieder nähere, ob ich in meinem
-Urtheile über andere Dinge auch anders, etwa schwächer,
-geworden bin, ob mein Auswendiges gelitten hat, so fest
-hänge ich an Vorurtheilen! Aber lachend muß ich mir
-gestehen, daß ich noch alle meine Gaben gut bei einander
-habe, und mein der Freude so gern offenes Herz mit
-vielen schönen Gefühlen angefüllt ist.</p>
-
-<p>Das Lied will ich Dir abschreiben, es ist von Gerhard
-Tersteegen und heißt:</p>
-
-<table class="fss" summary="" border="0" cellpadding="1">
- <tr><td class="tdl">&emsp;Jauchzet ihr Himmel! frohlocket ihr englischen Chöre,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Singet dem Herren, dem Heiland der Menschen zu Ehre;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Sehet doch da! Gott will so freundlich und nah</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Zu den Verlornen sich kehren.</td></tr>
- <tr class="fsxs"><td>&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">&emsp;Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Enden der Erden!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Friede und Freud' wird uns verkündiget heut';</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Freuet euch Hirten und Heerden.</td></tr>
- <tr class="fsxs"><td>&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">&emsp;Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget!</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Gott wird ein Kind, träget und hebet die Sünd':</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Alles anbetet und schweiget.</td></tr>
- <tr class="fsxs"><td>&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">&emsp;Gott ist im Fleische, wer kann dies Geheimniß verstehen?</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Gehet hinein, macht euch dem Kinde gemein,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Die ihr zum Vater wollt gehen.</td></tr>
- <tr class="fsxs"><td>&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">&emsp;Hast du denn, Höchster, auch meiner noch wollen gedenken?</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Du willst dich selber, dein Herze der Liebe, mir schenken?</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Sollt' nicht mein Sinn innigst sich freuen darin</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und sich in Demuth versenken?&nbsp;&ndash;</td></tr>
- <tr class="fsxs"><td>&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">&emsp;König der Ehren, aus Liebe geworden zum Kinde,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Dem ich auch wieder mein Herze in Liebe verbinde,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Du sollst es sein, den ich erwähle allein,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Ewig entsag' ich der Sünde.</td></tr>
- <tr class="fsxs"><td>&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">&emsp;Süßer Immanuel, werd' auch geboren inwendig,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Komm doch, mein Heiland, und laß mich nicht länger elendig,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wohne in mir, mach mich ganz Eines mit dir,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Und mich belebe beständig.</td></tr>
- <tr class="fsxs"><td>&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">&emsp;Menschenfreund Jesu, dich lieb' ich, dich will ich erheben,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Laß mich doch einzig nach deinem Gefallen nur leben,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Gieb mir auch bald, Jesu, die Kindesgestalt,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">An dir alleine zu kleben.</td></tr>
-</table>
-
-<p>Zuweilen drückt sich der Verfasser ein bischen wunderlich
-aus, aber paßt das Gedicht nicht genau auf mich
-und meinen gegenwärtigen Zustand? So finde ich es
-auch mit vielen Bibelstellen, oft finde ich Worte des
-Rathes in der Bibel, die mir fast wie ein Wunder vorkommen,
-denn vor fast zweitausend Jahren geschrieben,
-beantworten sie genau eine nur gedachte Frage der Gegenwart.
-Wenn Jesus doch noch auf Erden lebte! &ndash;
-Das sieht nun aus wie der fromme Seufzer eines Heiligen,
-während ich, weit davon entfernt, durchaus ein
-Kind dieser Welt bin, und den Heiligen eigentlich so
-ziemlich gänzlich verleugne.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Gute Nacht, liebe Schwester; es ist bei meinem
-Schreiben spät geworden. Wie die Sterne draußen funkeln!
-Der Schnee liegt hoch, weit und breit, die Natur
-feiert auch auf ihre Weise. &ndash; Ich lege diesen Brief auf
-ein Bild, welches Du Dir längst gewünscht hast, und
-schicke es Dir mit den wärmsten Grüßen. Lebe wohl!</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Dein Bruder Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Am 2. Weihnachtsfeiertage.</h2>
-
-<p>Es läutet eben zum Nachmittagsgottesdienst, die
-Sonne lacht heiter in's Fenster und läßt die vergoldeten
-Aepfel an meinem Weihnachtsbaume hell erglühen. Dein
-Brief, der mit all den vielen empfangenen Geschenken
-darunter liegt, redet mir zu zu schreiben, und &ndash; hier
-bin ich.</p>
-
-<p>Ich bin in einer wundervoll friedereichen Stimmung.
-Das Leben ist kein Traum, aber ein Räthsel, ein unerschöpflicher
-Glückesborn, ein sinnreicher Lehrmeister, der
-zugleich beschämt und beseligt. Warum es mir so einzig
-im Kopf und Herzen klingt, kann ich nicht genau auseinandersetzen,
-in Summa aber ist es die Liebe, die
-mich jubeln und danken läßt. Liebe überall! &ndash; »Also
-hat Gott die Welt geliebt« &ndash; kennst Du das auch, daß
-irgend eine Strophe oder ein anderes Wort unablässig
-im Ohre klingt, daß man es gar nicht los werden kann?
-So geht es mir heute mit den Worten: »also hat Gott
-die Welt geliebt.« &ndash; Die Welt hat diese Liebe begriffen,
-wie entzückt sieht sie aus, wie verschwenderisch ist sie im
-Nachahmen jener Liebe, auch ich werde damit überschüttet,
-aber ich erwiedere, verlaß Dich darauf!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ich möchte, ich könnte Dir auch all die schönen
-Sachen zeigen, die mir am heiligen Abend bescheert wurden,
-da liegen sie festlich im Sonnenglanze: ein neues
-Testament von der Frau Gräfin, ein warmer, weicher
-Reisepelz von dem Grafen, von Johannen der Baum
-&ndash; das süße Geschöpf mit seinen prächtigen Einfällen!
-&ndash; Nun kommen die aus dem Bernwachtschen Hause:
-eine Specialkarte der Provinz vom Alten, ein riesiger
-Pfefferkuchen von Frau Bernwacht; Therese hat mir eine
-Uhrschnur gearbeitet, Ida ein Notizbuch gestickt, Cäcilie
-drei Lesezeichen, Burga und Berga ein Paar farbenreiche
-Morgenschuhe. Auch von Julchen liegt etwas da, etwas
-Rührendes: es ist ein Brief von unserer Mutter, ich
-will ihn Dir abschreiben.</p>
-
-<p>Liebes Julchen. Hier schicke ich Dir das Probehemdchen
-für Paulinen, die neuen müssen aber eine handbreit
-länger und weiter gemacht und auch in den Aermeln
-verhältnißmäßig größer werden. Gern hätte ich es Dir
-selbst gebracht, Du weißt, ich wünschte schon am Sonntag
-bei Euch zu sein, aber mein Justus ist unwohl, und
-ich mag ihn, da er so stürmisch ist und seine Vorsätze
-leicht vergißt, nicht verlassen, er könnte leicht etwas thun,
-was ihm schadete, das Mutterherz ist so ängstlich!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Gott befohlen!</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Deine Marie.</span></p>
-
-<p>Die alte Zeit lebt auf, ich sehe der Mutter zarte
-Gestalt, ihr sorgsames Auge. Das Wort, das längst
-ungewohnte, <em class="ge">mein</em> Justus, weckte ein Sehnen in mir,
-oder schärfte es nur &ndash; aber ich will nicht mehr stürmisch
-sein, Pauline, meine guten Vorsätze sollen erstarken.</p>
-
-<p>Wie es im Feste war? Schön. Erst allgemeine
-Bescheerung hier im Schlosse, die ganze Bewahranstalt,
-alle Waisenkinder waren da. Ehe sie in den Speisesaal,
-wo Alles arrangirt war, eingelassen wurden, war Andacht
-im daranstoßenden Betsaale, ähnlich wie schon manchmal,
-nur viel freudiger noch. Auch die Bernwachtschen Töchter
-waren sämmtlich da. »Mama baut auf,« flüsterte
-Berga, »freuest Du Dich nicht schrecklich?« &ndash; »Nein,
-ich freute mich recht schön, für Niemanden zum Erschrecken,
-ganz sanft wie ein gutes Kind, ähnlich vielleicht
-wie Cäcilie.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Die von der Gräfin für die Kinder bestimmten
-Geschenke waren durch freiwillige Beiträge aus der Stadt
-bedeutend vermehrt; ich entdeckte auch hübsche, braun-
-und rothgestreifte Schürzchen, welche ich unter Theresens
-Händen entstehen gesehen, und eine Menge kleiner gestrickter
-Handschuhe wollten mich an ein junges Mädchen
-erinnern, dessen Fleiß ich in den Leseabenden zu bewundern
-Gelegenheit gefunden hatte. &ndash; Allgemeine Freude
-auf dem Schlosse und ebenso bei Bernwachts, Jeder gab,
-Jeder empfing und war in bewegter Stimmung.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Deine Einkäufe habe ich mit vieler Freude empfangen
-und ausgetheilt, doch anders wie ich anfangs beabsichtigte.
-Als ich den Berg Geschenke für Cäcilie erblickte,
-stieg's wie Spott über meine Zuversichtlichkeit in
-mir auf: mit welchem Rechte durfte ich sie so auffallend
-vor ihren Schwestern auszeichnen? Nur Amarant, welches
-ich Deiner Wahl verdankte, und das mich gleich, nachdem
-ich hineingesehn und ein Paar Verse gelesen hatte,
-für sich entschied, legte ich, nebst einem frischen Bouquet
-aus dem Treibhause, auf ihren Platz unter dem Baume,
-das andere Buch, »die weite, weite Welt,« will ich für
-die Leseabende aufheben. Therese erhielt zu ihrer Briefmappe
-die Perlen, Ida zu den Noten das Kreuz, Julchen
-außer dem Muff Scrivers Werke, und den Kleinen steckte
-ich die Mappe voll Zeichnungen. Alle fanden sich sehr
-reich beschenkt; noch an demselben Abend sah ich Cäciliens
-Wangen sich höher färben durch &ndash; Amarant.
-Sie findet es schön, und hat es ihrerseits zum Beitrag
-für die Leseabende bestimmt, obgleich Theodor sie mit den
-herrlichen Briefen »Wilhelm von Humboldts an eine
-Freundin,« beschenkt hat. &ndash; Nun auch Dir Dank,
-Schwesterherz! Dank für jeden Ausdruck Deiner Liebe.
-&ndash; Dein Rath, mich mit meinen Ansiedlungsplänen nicht
-zu übereilen, ist begründet, und soll befolgt werden &ndash;
-ich sagte es Dir ja, ich habe nicht die leiseste Hoffnung,
-daß der süße Traum einst verwirklicht werden könne; ich
-will nichts übereilen, sondern still abwarten, wie Gott
-es will. Mein herzliches Lebewohl!</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Den 15. Februar.</h2>
-
-<p>Du mahnst mich an mein Versprechen, keine Lücke
-in unserm Briefwechsel entstehen zu lassen, so will ich
-schreiben, es ist jedoch wenig zu berichten. &ndash; Des Tags
-bin ich meist sehr fleißig, und die Abende verfließen in
-Dir bekannter, lieber Weise, nur lesen wir zweimal in
-der Woche, statt einmal. Wir sind bei der weiten, weiten
-Welt, und mit Ausnahme Ida's, die gleich durch
-den etwas breiten Anfang des Buches gegen dasselbe
-eingenommen wurde, findet es allgemeinen Beifall, besonders
-bei meinem kleinen, frommen Lieblinge, der
-Cäcilie. Sie schwärmt für Helene Montgomery, für
-Alice und St.&nbsp;John, sie liebt Master Vanbrunt, und
-entschuldigt &ndash; auf Ida's Angriffe &ndash; selbst alle vorkommenden
-kleinen Teufeleien, welche die wilde kleine
-Person, Helenens Plagegeist, ausübt, damit, daß das
-Alles nachher ihr leid genug gethan habe, und mehr
-könne man nicht verlangen. &ndash; Da fällt mir noch etwas
-Anderes bei, was charakteristisch ist. Vor einiger Zeit
-war ich Nachmittags bei Bernwachts. Draußen, vom
-wildesten Schneegestöber umstürmt, standen ein Mann
-und ein junges Mädchen, er drehte die Orgel, sie sang,
-und sang mit einer Ruhe und Resignation, aber dennoch
-melancholischer Stimme und Weise, das Lied &ndash;
-ich weiß seinen Anfang nicht &ndash; welches zum Refrain
-die Worte hat: »Das Leben ist ja nur ein Traum.«</p>
-
-<p>Frau Bernwacht schickte einige Münze hinaus und
-sagte: »Die junge Person hätte besser gethan, in ihrem
-Dorfe zu bleiben, als in der Welt herum zu reisen;
-was hat sie nun davon? Ich sollte denken, die schwerste
-Arbeit wäre ein Vergnügen gegen diese Lebensweise.«</p>
-
-<p>»Sie mag aus der Stadt sein, Mama,« entgegnete
-Therese nachdenklich, »und Du weißt, wie schwer es
-Vielen in den großen Städten wird, sich ehrlich zu ernähren,
-sie hat vielleicht schon Mancherlei vergeblich versucht
-und nothgedrungen dies Wanderleben begonnen.«</p>
-
-<p>»Vielleicht hat sie eine arme, kranke Mutter zu
-Haus,« sagte Cäcilie mitleidig, und betrachtete sie ernst
-mit ihren warmen Blicken; »sie sieht recht so aus, als
-wenn ihr das Herz weh thäte.«</p>
-
-<p>»In dem Falle hätte sie lieber die Barmherzigkeit
-der Menschen ansprechen sollen, und die Mutter pflegen,«
-beharrte die Bürgermeisterin, »dies Vagabondiren ist der
-Ruin für solche Mädchen. War es vorhin für sie schwer,
-ein Unterkommen oder Unterhalt zu finden, dann wird
-es ihr nachher fast unmöglich sein. Wer nimmt wohl
-ein Mädchen, was sich zu solchem Leben einmal bequemt
-hat, in Dienst? ich gewiß nicht.«</p>
-
-<p>Ida war auch theilnehmend geworden und vertheidigte
-das Mädchen: sie arbeite ja auch, das sei, nach
-ihrer Meinung, immer besser als betteln. So lange
-man irgend Kräfte habe, müsse man Andern doch nicht
-lästig fallen wollen. Wenn sie z.&nbsp;B. in so unglücklicher
-Lage wäre zwischen Betteln und Straßensingen wählen
-zu müssen, so würde sie ihr Angesicht verhüllen und
-singen.</p>
-
-<p>»Ich nicht,« sagte Cäcilie erregt, und reichte dem
-vorübergehenden Mädchen ein winziges, weißes Päckchen
-aus dem Fenster, »mir würde das Bitten gar nicht so
-schwer werden. Das Geben ist ja eine Freude, man
-kann sich ja mit seinen Bitten an solche Leute wenden,
-die dadurch nicht belästigt werden, und nun gar für Andere!
-&ndash; ich habe doch mehr Muth als Du, Ida.«</p>
-
-<p>»Demuth,« sagte die Mutter. Cäcilie erschrak fast
-und senkte die Augen; sie sah gerade so aus, als dächte
-sie: Demuth &ndash; ich?</p>
-
-<p>»Demuth &ndash; ja,« wiederholte Ida kühn, »aber
-Muth &ndash; nein: Du würdest lieber vergehen, als ein Leben
-führen, was unter dem Banne der öffentlichen Meinung
-steht, Du würdest fürchten im Bereiche des Niedrigen und
-Unreinen auch bei Dir selbst zu verlieren, Du bist überhaupt
-nicht sicher, trotz Allem, immer stehen zu können.«</p>
-
-<p>»Nein, das bin ich nicht,« erwiederte die Schwester
-sanft, »ich mache ja alle Tage die Erfahrung, daß ich
-der göttlichen Hülfe und Gnade bedarf.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Bin ich ein Thor, Pauline, daß ich der Neugierde
-den Zügel schießen ließ, daß ich mich in ihre kleinen
-Geheimnisse eindränge? Ich habe das singende Paar in
-einer Spelunke aufgesucht und mir das Zettelchen zeigen
-lassen. Hergeben wollte ihn das Mädchen um keinen
-Preis, ich bot ihr viel, aber sie blieb fest, und warum
-soll ich ihr den Talisman, den Engelgruß nehmen, da
-sie ein armes, elendes Geschöpf ist, was vielleicht nichts
-Heiliges weiter in der Welt hat! &ndash; Auf dem Zettel,
-auf dem noch deutlich die Spur des eingewickelten Geldstückes
-zu sehen war, stand:</p>
-
-<p class="ci">Habe Gott vor Augen und im Herzen, und hüte
-Dich, daß Du in keine Sünde willigest, noch thuest wider
-Gottes Gebot. &ndash; Wirf dein Anliegen auf den Herrn,
-der wird Dich versorgen. Gott sei mit Dir, Amen.</p>
-
-<p>Ich beschenkte sie reichlich und sie trug mir auf, der
-jungen Dame zu sagen &ndash; was natürlich wohl nie geschehen
-kann &ndash; daß sie nie wieder so singen würde.
-Sie sei einer allzu strengen Herrin entlaufen, Angehörige
-habe sie nicht mehr, ein Dienst sei nicht zu finden gewesen,
-sie habe Schulden machen müssen &ndash; so sei es gekommen.
-Nun sollte ein anderes Leben begonnen werden. &ndash; Ob
-ich ihr nicht den Namen des Fräuleins sagen wolle, sie
-wolle ihn dem lieben Gott nennen. »Glauben Sie denn
-an Gott?« fragte ich schon in der Thüre. »Ach,«
-seufzte sie da, »Sie dachten, ich wäre ganz verworfen!«</p>
-
-<p>Ida's Bild ist bald fertig; ich habe Dir wohl noch
-nicht geschrieben, daß die Familienhäupter sich dem Aschenbrödelproject
-entschieden widersetzen. Die jungen Damen
-fanden es ganz hübsch und hätten ihre Einwilligung
-vielleicht nicht versagt. Zu Anfang der nächsten Woche
-gedenke ich Cäcilien zu malen, hier im Schlosse bin ich
-bald fertig. Noch bin ich unschlüssig, wohin ich von
-hier gehe, zuweilen denke ich an das Morgenland, es
-wären interessante Studien dort zu machen, und vielleicht
-&ndash; ich träume wieder! nein, ich will nur in der
-Nähe bleiben.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Weißt Du, ich habe ein Lied gehört, das Du Dir
-in einer Musikalienhandlung suchen mußt. Von wem es
-gedichtet und componirt ist, weiß ich nicht, aber ich habe
-es singen hören, kann Dir auch den Text schreiben. &ndash;
-Ida war bei der letzten Sitzung mißgestimmt, und ich
-wollte, weil ich diese Linien des Verdrusses nicht in das
-Portrait einfließen lassen mochte, zu malen aufhören,
-als Therese Cäcilien bat, dies Lied zu singen, sie meinte
-mit Recht, dann würde die Wolke wohl verfliegen. Du
-magst den Text sehr einfach finden, vielleicht ganz unbedeutend,
-ich versichere Dich aber, das Ganze war von
-ergreifender Wirkung.</p>
-
-<table class="fss" summary="" border="0" cellpadding="1">
- <tr><td class="tdl">&emsp;Du Tropfen Thau, seh ich dich an,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Kommt mir die Thräne süß und still,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Weil du so treu dein Blümlein liebst,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie ich wohl einmal lieben will.</td></tr>
- <tr class="fsxs"><td>&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">&emsp;Und trennt dich auch an jedem Tag</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Von deinem Lieb der Sonnenschein,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Du kehrst am Abend stets zurück,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">So muß wohl treue Liebe sein.</td></tr>
- <tr class="fsxs"><td>&nbsp;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">&emsp;Und stirbt dein Lieb vom Sonnenbrand,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Dann stirbst auch du im letzten Kuß,</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Ich seh dich an und sinne still;</td></tr>
- <tr><td class="tdl">Wie solch ein Tod beglücken muß!&nbsp;&ndash;</td></tr>
-</table>
-
-<p>Wie ich wohl einmal lieben will! Sie weiß es nicht,
-das Kind, und doch dieser hinreißende Vortrag, dieser
-unvergleichliche Ausdruck! Es liegt gewiß darin, daß es
-ihr angeboren ist, nie Mißgriffe zu begehen, in Allem
-vollendet zu sein. &ndash; Ida wurde ganz sanft und schön,
-ich unruhig, mir klopfte das Herz vor schmerzlicher Wemuth.
-Cäcilie und ich, welch ein Unterschied! Kannst
-Du mir nichts nennen, was die Kluft ausfüllen könnte?
-Doch wie spreche ich, wie solltest Du junges Kind wissen,
-was der Weiseste auf Erden nicht erdenken könnte. Lebe
-recht, recht wohl!</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Am 2. März.</h2>
-
-<p>Bin bei der süßesten Arbeit, Du weißt bei welcher.
-Natürlich sind wir nie allein, aber wozu auch? ich würde
-ihr doch nichts sagen, nicht von fern meine schneeweiße
-Lilie beunruhigen. Wir plaudern herrlich unbefangen
-mit einander und ich bin auch, ihr gegenüber, vollständig
-befriedigt. Was könnte ich noch Schöneres wünschen,
-als sie ansehen, ihre freundliche Stimme hören zu dürfen,
-die mir des Lieblichen so viel sagt: &ndash; Sie ist ganz
-vertrauungsvoll, und plaudert, was ihr in den Sinn
-kommt. »Was wird Theodor sagen,« meinte sie gestern,
-»wenn er wiederkommt und mich auch gemalt sieht; ich
-habe es immer für Scherz gehalten, wenn Sie davon
-sprachen.« &ndash; »Warum,« fragte ich, »sah ich so spaßhaft
-dabei aus?«</p>
-
-<p>»Auch wohl, und ich bleibe ja bei den Eltern.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ida ja auch,« wendete ich ein, als wäre das kein
-Grund. Sie lächelte. »Wenn Sie wieder kommen, müssen
-Sie Theresen auch malen,« fuhr sie fort, »in spätestens
-zwei Jahren ist ihre Hochzeit und dann verläßt sie
-Burgwall.«</p>
-
-<p>»Komm ich denn wieder?« fragte ich.</p>
-
-<p>»Ich dachte,« antwortete sie ganz erstaunt.</p>
-
-<p>»Und so bald?« fuhr ich zu fragen fort.</p>
-
-<p>»Das müssen Sie am besten wissen.« &ndash; Ich schüttelte
-den Kopf; es schien mir gerade in diesem Augenblicke,
-als sei es doch besser, ich kehre in Jahr und Tag nicht
-wieder hierher zurück. &ndash; Zuweilen erzählt sie etwas
-aus ihrer Kinderzeit, und wie frisch lacht sie dabei! Neulich
-wurde das Gespräch zwischen ihr und den Schwestern
-sehr lebhaft, man neckte sie mit vergangenen Zeiten, da
-hatte sie sich zu vertheidigen, und dann mußte sie wieder
-lachen, sie wurde ganz unruhig auf ihrem Stuhle und
-wendete sich bald hier und bald dorthin, ich vergaß das
-Malen darüber und sah sie an. Plötzlich fiel ihr Blick
-auf mich, wie ich dasaß, nichts that und sie betrachtete,
-sogleich setzte sie sich in Positur, neigte sich mir etwas
-entgegen und flüsterte: »Sie sind eigentlich sehr gut &ndash; nicht
-wahr Mama?«</p>
-
-<p>»Was denn?« fragte diese.</p>
-
-<p>»Herr Brand ist sehr gütig, so geduldig zu
-warten.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Hätte sie die Sache nicht unter uns lassen können?
-&ndash; aber nein, sie hat nichts zu verheimlichen, was
-mich angeht.</p>
-
-<p>Julchen Hermann hatte, als sie an der Reihe war,
-kein Buch mitgebracht, und appellirte an die Großmuth
-der Jugend, die da nichts verlangen werde, wo nichts sei,
-sie habe keine belletristischen Bücher. Sie kam aber mit
-ihren schönen Reden nicht durch, sondern mußte sich bequemen
-frei eine Erzählung aus dem Leben vorzutragen,
-und wenn nicht aus ihrem eigenen Leben, so doch aus
-ihrer Zeit.</p>
-
-<p>Nach einigem Weigern that sie's, und ich will sie
-Dir copiren.</p>
-
-
-<h3><span class="ge">Der Sohn der Wittwe.</span></h3>
-
-<p>Nicht weit von der Försterei zu Drosehalm, liegt
-ein kleines Haus, welches vor mehreren Jahren einer
-Wittwe gehörte, die mit ihrem einzigen Sohne, einem
-lebhaften, gescheuten Knaben, in der einförmigsten Weise
-darin lebte. Während Ludwig, so hieß der kleine Wildfang,
-der die Gedanken der stillen Frau fast beständig
-beschäftigte, in der Schule war, besorgte sie das kleine
-Hauswesen, führte die Ziegen auf die Weide, arbeitete
-in dem Gärtchen, welches die Vorüberfahrenden, wenn sie
-um die Waldecke bogen &ndash; das Haus lag an der Landstraße
-&ndash; vom Frühling bis zum Herbste, wie ein unerwarteter,
-freundlicher Gruß, durch seine lachenden Blumen
-überraschte, oder sie saß auch im Zimmer und spann.
-That sie Letzteres, dann konnte man sicher daraus rechnen,
-daß irgend ein Erbauungsbuch, die Bibel war ihr das
-liebste, aufgeschlagen neben ihr lag, denn durch die jahrelange
-Uebung hatte sie es dahin gebracht, daß sie neben
-dem Spinnen auch lesen konnte. &ndash; Zuweilen erhielt
-die Wittwe auch Besuch aus der Stadt, von Solchen, die
-ihr befreundet waren, und die auf der Reise nach der
-Nachbarstadt, vor ihrer Thüre vorbei mußten, oder von
-dieser oder jener armen Frau, die in großer Verlegenheit
-war, und Frau Schmidt um Rath, Unterstützung oder
-Fürsprache bitten wollte, denn es war bekannt, daß die
-einfache Frau im Waldhause unter den vornehmen Damen
-Gönnerinnen hatte, die sie an manchem lieblichen Abende
-in ihrem stillen Hause aufsuchten. Alle Besuchenden
-fanden dieselbe Aufnahme, sie erhielten sämmtlich zum
-Gruße ein freundliches Gesicht, die Hand zum Drucke
-und ein herzliches Willkommen. Alle gingen auch in der
-Regel befriedigt von ihr fort, die Bittenden, nachdem sie
-erhalten, was sie wünschten, die Trostesbedürftigen mit
-erneutem Muthe im Herzen, denn Frau Schmidt hatte
-stets guten Muth, sie konnte unter allen Umständen, zu
-jeder Zeit davon mittheilen. Auch die großmüthigen
-Damen, welche die Wittwe dann und wann besuchten &ndash;
-obgleich sie, trotz der Bitten der Kinder namentlich, nie
-in ihren Häusern in der Stadt zu sehen war &ndash; fanden
-sich in ihrer Gesellschaft und der stillen Stube, welche
-im Sommer eine schöne Linde beschattete, sehr behaglich.
-Die Kinder, welche sie mitbrachten, tummelten sich, während
-die Frauen sich drinnen unterhielten, auf dem freien Platze
-vor dem Hause, herum, oder näherten sich vorsichtig dem
-kleinen Flüßchen, das noch sehr jung und unerfahren, mit
-großer Eile, über Stock und Stein, durch den grünen
-Thalgrund, dem größeren, bedächtiger fließenden Fluße
-zu eilte, der sich um die Stadt schlingt. In den Garten
-zu gehen, wagten sie erst dann, wenn Frau Schmidt es
-ihnen ausdrücklich erlaubte, oder wenn Ludwig aus der
-Schule kam, der dann sogleich sein Bücherpaquet sammt
-Riemen in die erste, beste Ecke schleuderte, um als galanter
-Wirth sich seinen Gästen zur Disposition zu stellen. Heidi,
-dann gings lustig zu! kein ansehnlicher Schmetterling
-war seines Lebens sicher, er mochte flattern wo er wollte,
-über dem Bache oder über den Lilienkelchen, ihm wurde
-rücksichtslos nachgestellt. Ferner wurde den kleinen, schlanken
-Fischen aufgelauert, die ganz harmlos schaarenweise,
-zwischen den bemoosten Steinen, sich so wohlig dahinwanden;
-zuweilen war denn auch wohl eine schöne bunte
-Forelle darunter, die durfte dann nie entwischen, denn
-Forellen sind theure wohlschmeckende, vornehme Fische,
-wohlgeeignet für die Tische reicher Leute und Ludwig
-schenkte gerne. Er hatte sich dazu einen Topf mit
-durchlöchertem Deckel, von seinem Spargelde gekauft,
-damit er, so oft das Glück ihm wohlwollte, lebendige
-Forellen, auf seinem Schulwege der Frau Pastorin, oder
-Stadträthin, oder irgend einer namhaften Dame, mitnehmen
-konnte. Von vorn herein hatte er sich so zu
-stellen gewußt, daß man ihm solche Lieferungen nicht
-bezahlen konnte, nein, er nahm nichts, er durfte auch
-nicht, er dankte sehr, höchstens waren ihm ein Paar Aepfel
-aufzunöthigen, und die nahm er dann mit einer so tiefen
-Verbeugung, und bedankte sich so ernst, daß es aussah,
-als glaubte er, der besonders, hauptsächlich Beschenkte
-zu sein.</p>
-
-<p>Aber Ludwig war durchaus nicht so bescheiden, wie
-es im Allgemeinen von ihm hieß, er war vielmehr stolz,
-und baute nicht, wie er durfte, Hoffnungen auf seine
-ihm von Gott verliehenen Gaben, sondern er pochte auf
-sie. Er war klug, geschickt und muthig, was lag nun
-daran, daß er nur eines schlichten Bergmannes Sohn und
-nicht der Sprößling einer Patrizierfamilie war? Das
-Blättchen kann sich wenden im Leben, dachte er, und
-blickte stolz dabei umher, was niedrig ist, kann hoch, und
-was hoch ist, kann ganz klein werden.</p>
-
-<p>Einmal hörte seine Mutter einen solchen laut gewordenen
-Gedanken, da sagte sie: »Wenn Gott will &ndash;
-aber dem Demüthigen giebt Er Gnade.« &ndash; »Erkundige
-Dich doch, was die Leute von mir sagen,« entgegnete ihr
-der vierzehn Jahre alte Knabe, »Niemand wird mich hochmüthig
-nennen.« &ndash; »Du kannst wohl Menschen, aber
-nicht Gott betrügen,« erwiederte ihm seine Mutter sehr
-ernst, und nun hütete er sich wohl, seine innersten Gedanken
-wieder laut werden zu lassen.</p>
-
-<p>Ostern darauf wurde Ludwig eingesegnet und zu
-einem geschickten Tischler in die Lehre gebracht, obgleich
-er seine Mutter fast fußfällig um die Erlaubniß bat, einen
-höhern Beruf wählen zu dürfen. Auch seine Lehrer
-riethen der Wittwe, dem Sohne eine umfassendere Ausbildung
-geben zu lassen, als die Schule es bisher thun
-konnte, denn seine Gaben seien nicht unbedeutend, und
-ein in ihm wohnender, nicht zu verkennender Ehrgeiz werde
-ihn spornen, ihre Opfer zu vergelten. Aber die sonst so
-sanfte Mutter zeigte hier eine große Festigkeit und blieb
-beharrlich bei ihrem Entschlusse, den Sohn ein Handwerk
-erlernen zu lassen, welches &ndash; das möge er selbst bestimmen.
-Eben sein Ehrgeiz sei es, der sie in dieser Sache
-so entschlossen mache, sie wolle das Ihrige dazu thun,
-diesen hochstrebenden Sinn zu demüthigen, damit er einst
-fähig werden könne, nach wahrhaft hohen Dingen zu
-trachten.</p>
-
-<p>»Mutter, ist es denn etwas Gefährliches, ein guter
-Lehrer oder gar Prediger werden zu wollen?« fragte
-Ludwig mit Thränen in den Augen, »kann ich nicht
-dem lieben Gott viel besser dienen, wenn ich den Beruf
-habe von seiner Größe und Liebe den Menschen zu erzählen,
-als wenn ich dastehe und schmiede, oder leime,
-oder so etwas?«</p>
-
-<p>»Wenn Du wirklich viel von seiner Größe wüßtest,
-und von heiliger Liebe getrieben würdest, mein Sohn,
-dann würdest Du demüthiger sein,« antwortete die Mutter,
-»etwas Sündlicheres kann ich mir kaum denken, als einen
-Geistlichen, der auf die Kanzel mit dem Gedanken kommt:
-heute werde ich gewiß bewundert werden, der mit seiner
-Predigt sich verherrlichen will; der das Kreuz predigt und
-den eigenen Ruhm vor Augen hat. Nein, Ludwig, bleib in
-unserm Stande, Du kannst darin sicherer selig werden.«</p>
-
-<p>Ludwig sah sehr finster dazu aus, und er seufzte tief
-über der Mutter schreckliche, sein Lebensglück zerstörende,
-Verblendung, aber er konnte nichts dagegen ausrichten
-und so wurde er ein Tischlerlehrling.</p>
-
-<p>Sein Meister nannte ihn musterhaft: er war fleißig,
-anständig in seiner äußern Erscheinung, zuvorkommend,
-ernst, zuverlässig, sein Lob ertönte reichlich, namentlich
-fand der Lehrherr es so rühmenswerth, daß er stets pünktlich
-an Ort und Stelle war, sei es zur Arbeit, zu Tisch,
-zur Kirche, oder sonst irgendwo, einem Versprechen oder
-Auftrage zu folgen; was er versprach, hielt er mit gewissenhafter
-Genauigkeit.</p>
-
-<p>»Er wird einmal ein gemachter Mann,« prophezeihete
-er, »ich sehe schon den künftigen Gewerksvorsteher, wenn
-nicht Senator der Stadt in ihm.« &ndash; Wohl freute sich
-die Mutter über das Lob ihres Lieblings, aber sie bat
-den Meister inständig, es den Knaben nicht hören zu
-lassen.</p>
-
-<p>»Glauben Sie, es ist Wasser auf seine Mühle,«
-stellte sie ihm vor, »es bewegt seinen Sinn die leidige
-Eitelkeit ohnehin genug.«</p>
-
-<p>»Nun was schadet die Eitelkeit?« entgegnete der
-Meister fast unwillig, »wenn sie das Rad der Thätigkeit
-in Bewegung setzt und den Jungen alle seine Kräfte mit
-Lust gebrauchen läßt? Nichts für ungut, Frau Schmidt,
-aber Weibererziehung ist nicht für solchen aufstrebenden
-kleinen Menschen, Ihr möchtet aus lauter Zaghaftigkeit
-alle frischen Sproßen seiner kernigen Wurzel streng beschneiden,
-damit sie möglicher Weise nicht zu einer Wildniß
-heranwachsen.«</p>
-
-<p>»Gott hat ihm doch den Vater genommen, und
-mich für ihn bestellt,« erwiederte die Mutter ganz sicher,
-»darum muß ich ihn nach der Einsicht erziehen, die Er
-mir gegeben hat.«</p>
-
-<p>Die Lehrzeit verfloß. Zwei Jahre blieb Ludwig
-noch am Orte, dann schnürte er sein Bündel und ging
-in die Fremde. Der Abschiedstag war ein schwerer für
-seine Mutter, sie hatte nichts weiter auf der Welt, daran
-ihr Herz so ganz hing, wie diesen einen Sohn, und trotz
-seiner Fehler, als Sohn war Ludwig musterhaft! Aber
-es mußte geschieden sein, und die Liebe macht stark, besonders
-eine Mutter, welche freudigen Glauben zu Gott
-dem Herrn hat, sie küßte und segnete ihn, begleitete ihn
-auch über das Weichbild der Stadt hinaus und kehrte
-dann ergeben in ihr einsames Haus zurück. &ndash; Ihre
-Lebensweise blieb dieselbe wie bisher, nur daß sie nicht
-mehr wie früher, Sonntags auf der Brücke, die über den
-kleinen Fluß führte, stand und nach der Stadt hinsah, von
-welcher ihr Sohn sonst kam, und daß sie jetzt noch mehr
-betete als las.</p>
-
-<p>Ein Festtag war allemal für sie, wenn der Postbote
-auf ihr Haus zuschritt. O, ihr Herz fühlte dann
-einen wahren Freudenrausch! &ndash; Die Nachrichten waren
-anfangs meist gut, Ludwig hatte fast immer in großen
-Städten Arbeit gesucht und gefunden, und schrieb gewöhnlich
-erfreut über das Gute, das man auf Reisen kennen
-lernen und einsammeln kann. Selten klagte er, auch vom
-Heimweh hatte er nicht gerade zu leiden, doch war seine
-innige Liebe zur Mutter unverkennbar. Mehr als es
-der bescheidenen Frau lieb war, deutete er an, wie er es
-ganz anders für die Zukunft mit ihr beabsichtige, sie
-sollte einst bequemer, schöner wohnen, ein Haus in der
-Nähe der Stadt haben, schon damit der Kirchweg ein
-kürzerer sei; er wollte dieses Haus mit den schönsten Möbeln
-schmücken, für wen er denn sonst etwas lerne, wenn
-nicht für sie? In diesem Tone schrieb er oft, wenn auch
-die Mutter zu mäßigen suchte, und darauf hinwies, daß
-ihr Glück nicht im Aeußerlichen bestehe, daß sie auch für
-ihren Stand und ihre Gewohnheit hinreichend mit dem
-Nöthigen, ja Angenehmen versehen sei.</p>
-
-<p>Jahre verstrichen wieder, die Wittwe hatte ein ganzes
-Kistchen voller Briefe, sie hatte auch des Sohnes Bild
-und freute sich sehr darüber: es lächelte sie an und sah
-stattlich aus, der Jüngling war zum Manne heran gereift,
-nur schien es ihr, als wisse diese breite Stirn von
-Trotz, als läge in der ganzen Haltung eine Energie, die
-sich gegen jede zugemuthete Unterwerfung sofort empören
-würde. Aber seine Briefe waren ja so liebevoll, <em class="ge">ihr</em>
-war er doch ergeben, das war gewiß, sie wollte auch nicht
-zu ängstlich sorgen, sondern alle ihre Sorge auf Ihn
-werfen, der für uns sorgen will.</p>
-
-<p>Dann kam aber eine Zeit, da seine Briefe das
-deutliche Gepräge des Mißmuthes trugen; er klagte, es
-werde den Abhängigen zu schwer gemacht sich den, ihren
-Fähigkeiten gemäßen, Standpunkt zu erringen, der Lohn
-sei im Verhältniß zur Arbeit zu gering, die Behandlung
-nicht selten unwürdig, die Besitzenden seien meistentheils
-herzlos &ndash; die Mutter wisse es nur nicht, wie es in der
-Welt zugehe, und er danke Gott, daß sie dieselbe nicht
-gebrauche. Die Mutter hatte genug zu ermahnen und
-schrieb auch, wenn es ihm draußen nicht gefalle, dann
-möchte er doch wiederkommen, sie sehne sich ohnehin so sehr
-nach ihm. Gewiß hätte er so viel gelernt, um die Innung
-mit einem Meisterstück zufrieden stellen zu können, dann
-könnte er in der großen Stube seine Werkstatt aufschlagen
-und sie würden Beide ein so recht seliges Leben, nach
-der langen Trennung mit einander führen. Diese liebevolle
-Einladung hatte aber eine sehr heftige Entgegnung zur
-Folge. Ob er darum so weit und lange gereist sei, um
-mit leerer Hand, als ein armseliger Gesell wieder zu
-kehren, und der Mutter Besitz zu seiner Etablirung zu
-benutzen? Nimmermehr! Er fühle hinlänglich Kraft in
-sich, es mit der Feindseligkeit einer ganzen verkehrten Welt
-aufzunehmen!</p>
-
-<p>Dieser harte Brief kam im Waldhause bei Winterszeit
-an, als der Schnee hoch lag und die Wittwe schon
-wochenlang nicht aus dem Hause gekommen war. Wie
-sehnte sie sich nach der Kirche! Zwar war ihr Herz selber
-ein dem Herrn geweihter Tempel, und Haus und Garten
-und der stille Wald kannten den Austausch ihrer Gefühle
-gegen den Segen himmlischen Trostes, aber dort, wo sie
-die Weihe der Sakramente empfangen, sie und ihr Sohn,
-dort betete sie besonders freudig für den geliebten Fernen.
-Nun ging es nicht, sie konnte kaum zur Försterin kommen,
-um sich in ihrer Herzensbeklemmung an einigen freundlichen
-Worten der Försterin zu erquicken, sie war mit
-ihrer Unruhe in das Haus gebannt. »Dein Wille geschehe
-wie im Himmel, also auch auf Erden, hilf dazu!«
-das waren Worte, die sich oft, vielleicht ihr unbewußt,
-über die Lippen drängten, ihr Herz fühlte das Flehen
-beständig.</p>
-
-<p>Und die Zeit der Finsterniß ging vorüber, der Schnee
-schmolz, die Sonne lachte heiter durch die kleinen Scheiben
-des Fensters, wo über Rosen- und Myrthenstöcken des
-Sohnes Bild hing; er schien die Mutter anzulächeln
-und &ndash; o der Freude! da kam auch der Mann mit der
-Briefmappe wieder, kaum konnte die Mutter sein herzliches
-»Gott grüß!« erwiedern, so bewegt war sie von
-der Erwartung, ob der liebe Herr, ihr treuer Helfer,
-des Sohnes Herz gemildert habe, ob er, der Ferne, auch
-Sonnenschein um sich sehe und in sich spüre. Und es
-war gut, Alles gut! Er schrieb reuig, bat wegen seiner
-Heftigkeit um Verzeihung, erzählte von bessern Tagen,
-die ihm angebrochen, und von der Aussicht auf Verwirklichung
-seiner Wünsche. &ndash; An diesem Tage hätte Mutter
-Schmidt sich recht gern arm geschenkt, vielleicht hätte sie
-dies überhaupt schon längst gethan, wenn sie den Sohn
-nicht gehabt hätte. Zum Glück sah sie, noch ehe die
-Sonne unterging, die liebe, freundliche, theilnehmende
-Sonne! auf dem Wege drüben ein Paar arme Kinder,
-die holte sie, fragte redselig wie nie, nach ihren geheimsten
-Wünschen, und fand sich so reich, diese befriedigen
-zu können. Einen so seligen Tag hatte sie lange nicht
-gehabt. Ja, das Herz ist tief zu bejammern, welches
-so gerne opfern möchte, und keinen Altar finden kann,
-auf dem es geschehen könnte. Es gehört zuweilen Muth
-dazu, ihn zu suchen und viel Zeit, ihn zu finden, aber
-es giebt ihrer unzählige um uns herum. Möge Gott
-zu allen Zeiten unsere Augen leiten, daß wir das Rechte
-sehen, und unser Herz, daß wir das Rechte thun!</p>
-
-<p>Vergiß nicht, Pauline, daß ich nur wieder erzähle,
-ich spreche das Gehörte nach, aber ich spreche auch mit.
-Ja, Gott helfe allewege!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Nach wenigen Wochen kam abermals ein Brief,
-und diesmal von einem reichen Geschenke von Kleidungsstücken
-begleitet. Das war nicht nach dem Sinne der
-Mutter, sie wurde wieder nachdenklicher, aber der Frühling
-wollte es nicht leiden, er lockte sie nach draußen
-und zeigte ihr die Verschwendung an Prachtgewändern,
-welche der liebe Gott den Blumen gestattete. Tausende
-blühten gestern und lagen heute welk, verblüht zu den
-Füßen Neugeschmückter, das ganze Thal war im farbenreichsten
-zartesten Schmucke, der Reichthum sproßte als
-saftige Zweige aus den Bäumen, breitete sich als bunt
-gewirkte Decke über die Hügel, wogte in der Farbe der
-Hoffnung über die im Herbst bestellten Aecker. Das
-Leben däuchte ihr wieder wunderschön, selbst so getrennt
-von dem geliebtesten Kinde, sie übergab ihn wieder beruhigt
-der Obhut des reichen Gottes, dessen Ehre die
-Himmel erzählen, und des Vaters voller Gnade und
-Treue, von dessen wundervoller Liebe die Erde, seiner
-Hände Werk, fröhliches Zeugniß ablegte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ludwigs Briefe wurden zwar von nun an etwas
-seltener, enthielten aber immer verständlichere Andeutungen
-eines innern Triumphes. Es war viel von Manneskraft
-und Aufsichselbstverlassen die Rede, nur blieb es
-dunkel, was eigentlich Bedeutendes erreicht war. Seit
-jenem freudenreichen Briefe im Frühjahre datirten alle
-Briefe aus einem kleinen Orte an der Ostsee, welcher
-aber in Ludwigs Atlas von dem Sohne des Försters
-durchaus nicht zu entdecken war. Er hielt sich daselbst
-beim Gastwirth auf, der sein Haus ausbauen ließ, und
-noch längere Zeit Arbeit für ihn haben würde. Wie
-dieses Verhältniß Ludwigs ehrgeizige oder liebevolle Pläne
-fördern konnte, war schwer zu ergründen; nach der
-Mutter Meinung hätte er da, in dem armen kleinen
-Orte, als welchen er ihn selbst bezeichnete, nur bescheidener
-in seinen Wünschen werden müssen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>So verstrich ein Jahr unter Hoffen und Fürchten.
-Zu Weihnachten war wieder eine bedeutende Sendung
-schöner Sachen angekommen: Kaffee, Zucker, Gewürze,
-selbst schöner Wein, aber die Mutter ließ den Ueberfluß
-für kommende Zeiten liegen und blieb bei ihrer einfachen
-Lebensweise. &ndash; Als der Frühling wieder erschien, wurde
-ihr sehr bang um's Herz, denn die Briefe ihres Sohnes
-blieben ganz aus; vergebens hatte sie gehofft, zu ihrem
-Geburtstage, den Ludwig stets als Festtag betrachtet hatte,
-durch Nachricht, vielleicht gar seines baldigen Kommens
-erfreut zu werden, aber die Blumensträuße, welche ihre
-alten und jungen Freundinnen ihr gebracht hatten, verwelkten,
-ohne das Gesicht der Gefeierten im Lichtglanze
-der Freude gesehen zu haben.</p>
-
-<p>Als dieser qualvolle Zustand einige Monate gedauert
-hatte, wurde Frau Schmidt heiterer, sie lächelte
-wieder, wurde sehr thätig &ndash; in ihrer Herzensangst hatte
-sie oft, die Hände in den Schooß gelegt, dagesessen &ndash;
-ging auch nach dem Gottesdienste eines Sonntags in
-das Pfarrhaus zum Besuch, mit einem Worte, sie schien
-ganz aufzuleben. Aber man sollte noch Ungewohnteres,
-als Besuche in der Stadt, an ihr erleben; zuerst kam die
-Reihe des Erstaunens an die Försterin, welche gebeten
-wurde, die Ziegen und Hühner der alten Frau bei ihrem
-Vieh aufzunehmen, und dann und wann so gütig zu
-sein, einen Blick nach ihrem Heimwesen zu werfen, weil
-sie es verlassen müsse. Eine innere Stimme ermahne
-sie beständig, ihren Ludwig aufzusuchen, der in Noth
-wäre, sie sei dazu entschlossen, und schon am nächsten
-Tage solle die Reise angetreten werden. &ndash; In aller
-Frühe des folgenden Morgens brach sie auf, und mancher
-der Vorübergehenden blieb an diesem Tage dem Hause
-gegenüber stehen, und dachte darüber nach, was es wohl
-mit den verschlossenen Laden für eine Bewandtniß haben
-könnte. Es wurde auch von einer entschlossenen Frau
-daran geklopft, die Schmidt konnte ja heftig erkrankt
-sein und hülflos daliegen, es antwortete aber weder ein
-Wort noch ein Seufzen, und kopfschüttelnd ging die gute
-Frau ihrer Wege. Dies geschah im Juni. Zwei Monate
-vorher hatte auch Ludwig eine Reise angetreten,
-aber ehe ich sage wohin, muß ich erst von <em class="ge">Pranbeck</em>
-reden, und von der Zeit, die Ludwig darin verlebte.</p>
-
-<p>Als er vor fast anderthalb Jahren nach der, von
-dem Kirchdorfe Pranbeck ungefähr fünf Meilen entfernten
-größeren Hafenstadt wandern wollte, und in das Gasthaus
-des kleinen Ortes trat, war er so recht zerfallen
-mit der Welt, die so viel des Lockenden und Reizenden
-für ihn hatte, es ihm, wie er meinte, höhnisch vorhielt,
-und, so oft er die Hände darnach ausstrecken wollte,
-schnell entzog. Selten hatte er etwas Vollkommenes
-gefunden, besonders in den letzten Jahren: war der
-Meister gut, so taugten die Gesellen nichts; fand er
-Gelegenheit viel zu verdienen, so war die Familie seines
-Vorgesetzten entweder aufgeblasen oder gar zu ungebildet,
-so daß er sich nicht mit ihr befassen konnte. Ging er
-in diesem letztern Falle seinen eigenen Weg, so fehlte es
-wieder nicht an bornirten Versuchen, sich über ihn lustig
-zu machen. Nein, dies Beugen und Fürliebnehmen war
-zu unausstehlich, und wurde ihm immer lästiger! Hätte
-er es nur verstanden Geld zusammen zu scharren wie
-diese Pilze, deren Herz gegen jedes gute Gefühl durch
-einen Harnisch geschützt war, diese Schwämme, die alles
-in ihrer Nähe Befindliche gewissenlos aussaugen, und dann
-wohlgefällig auf ihre magern Nachbarn herabblicken, ja
-dann, dann konnte er zeigen, wie der Hausstand eines
-christlichen Handwerkers eingerichtet sein müsse, wie man
-sich den Lernenden, Helfenden gegenüber zu betragen
-habe. &ndash; Freilich, beschränkte Menschen, das stand fest,
-würde er nie in seine Werkstatt aufnehmen, sondern nur
-solche, deren tüchtiger Verstand sich gleich durch ein anständig
-freies Wesen bekunde, was auf den ersten Blick
-von der tölpelhaften Selbstgefälligkeit einfältiger Menschen
-zu unterscheiden sei.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>So ungefähr dachte und sprach Ludwig, der Sohn
-der demüthigen, zufriedenen Wittwe im Waldhause, mit
-dieser Neigung die gesellschaftlichen Zustände von ihrer
-trübsten Seite aufzufassen und zu verurtheilen, sah er
-zum ersten Male das Meer in seiner unabsehbaren Ausdehnung.
-Es machte einen tiefen Eindruck auf ihn,
-aber keinen guten, es half nur in seiner ihm unverständlichen
-Größe seine Ansichten befestigen. Es war
-ein trauriger Tag, als Ludwig zum ersten Male an
-einer Küste stand, der Wind stürmte seewärts auf ihn
-ein und trieb die schäumenden Wogen, dunkel wie der
-wolkenbedeckte Himmel, stürmisch gegen den niedern Hügel,
-von dessen Rücken er in das unruhige Element
-schaute. »Ja,« sprach er bei sich selbst, »Woge auf
-Woge, Tag auf Tag! Es ist alles einerlei, Seelen- und
-Geschickeszwang und Zwang in der Natur, Niemand
-und Nichts kann gegen sein Verhängniß; kann er Gefallen
-daran finden, der liebe Gott im Himmel, wie die
-Mutter sagt?«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ein verächtliches Lächeln entstellte sein sonst hübsches
-Gesicht, und er drehte dem Meere den Rücken, um
-ein Obdach zu suchen.</p>
-
-<p>Nun ist Pranbeck zwar nur ein kleiner Ort, und
-auch kein sehr wohlhabender, aber ein stattliches Gasthaus
-befindet sich doch da, und ein ebenso stattlicher Wirth,
-ein ganz gewandter Mann, dessen Bildung auch für ein
-Hôtel ausgereicht haben würde, darin. Als Ludwig
-durchnäßt, denn es hatte den ganzen Morgen geregnet,
-auf seiner Schwelle erschien, beging er nicht den Mißgriff,
-ihn in die ordinaire Gaststube nach dem Hofe hinaus,
-wo Knechte, Boten, lotterige Handwerksburschen
-und dergl. placirt wurden, zu verweisen, sondern er
-führte ihn mit einigen freundlichen Worten des Bedauerns
-ob des schlechten Reisewetters in das behagliche
-Zimmer, wo Landherrschaften und die Honoratioren des
-Dorfes sich häufig des Abends zu versammeln pflegten,
-das des Tages aber in der Regel nur ganz flüchtige
-Besuche Solcher empfing, die nicht ausgehen konnten,
-ohne im Wirthshause die Frage: Was giebts Neues?
-auszusprechen, und ein Gläschen zu trinken. Selten
-kamen Reisende anderer Art, als die Genannten, nach
-Pranbeck, daher mochte es kommen, daß die Erscheinung
-des für einen Handwerksburschen sehr nobel gekleideten
-Fremden dem Wirthe sehr angenehm war. &ndash; Bald hatte
-Ludwig seine Kleider gewechselt, etwas Stärkendes genossen
-und war mit dem Wirthe in der besten Unterhaltung,
-die damit endete, daß er versprach vorläufig in
-Pranbeck zu bleiben, um dem einzigen Tischler des Ortes,
-dem die Gesellen wegen seiner zänkischen Hausfrau allzuschnell
-davon liefen, zu helfen und die obere Etage des noch
-unvollendeten Wohnhauses mit den nothwendigen Tischlerarbeiten
-zu versehen. Dabei wurde gleich abgemacht,
-daß Ludwig im Gasthause selbst und nicht bei dem Meister
-wohnen solle.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>So weit war Alles gut, aber das Schlimme lauerte
-dahinter. Nicht daß Ludwig ein Schlemmer wurde, und
-wie so mancher tägliche Besucher des Gasthauses, dem
-Laster des Trunkes fröhnen lernte &ndash; er fühlte einen
-Abscheu vor solcher Verirrung, er wendete sein Auge weg,
-wenn so ein lallender, schwankender Mensch versuchte
-Witze zu reißen oder zu beweisen, daß er wirklich nur
-»angetrunken sei, nur genippt habe!« &ndash; Eine solche
-Erniedrigung war für ihn nicht zu befürchten, seine
-Mutter dachte kaum daran; Ludwig war ja stolz, wie
-konnte er sich zum Gegenstande des Ekels, des Spottes
-herabwürdigen!&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der Wirth war ein reicher Mann, er hatte Felder
-und Wiesen, Haus und Hof, und ein reich versorgtes
-Waarenlager, da er das Recht hatte Handel zu treiben.
-Sein Verkehr als Handelsmann war ganz großartig,
-doch wußten nicht Viele genau darum, er ging meist in
-der Stille der Nacht vor sich, aber dafür war er desto
-ergiebiger. Nach kaum einem Monate war Ludwig Mitwisser
-dieses geheimnißvollen Verkehrs, und wenige Wochen
-später Compagnon des Wirthes. Nun wurde der Ton
-zwischen beiden Männern noch verbindlicher und das
-nächtliche Geschäft noch gewinnbringender, denn Ludwig
-war höchst thätig, umsichtig und kühn, gerade ein solcher
-Mann, wie er für den Wirth paßte, und dieser war die
-Freundschaft selbst gegen ihn.</p>
-
-<p>Zum ersten Male hatte es nun Ludwig so, wie er
-es wünschte: einen gescheuten, aufgeklärten Vorgesetzten,
-achtungsvolle Behandlung, Anerkennung seiner Fähigkeiten
-und Leistungen, und reichlichen Gewinn. Dennoch
-sah er nicht aus wie ein Mensch, über dem die Glückssonne
-strahlt; er war viel schweigsamer geworden, sein
-Blick hatte an Offenheit verloren und über sein Gesicht
-flog oft etwas dem Argwohn ähnliches; sein durchdringender
-Blick schien dann zu fragen: wer wagt es, mein
-Thun und Lassen zu beurtheilen? Ich, ich allein bin
-Herr meiner Entschlüsse und Handlungen!</p>
-
-<p>Pranbeck liegt ganz nahe an der Grenzlinie, und
-der Wirth war durch kühn getriebene Schmuggelei reich
-geworden. Aus Zuneigung zu Ludwig, wie er sagte,
-hatte er ihm gezeigt, wie leicht man es dahin bringen
-könne, die oft langweilige Berufsarbeit nur <i>pro forma</i>
-zur Hand zu nehmen, wenn man nämlich nur genug
-Entschlossenheit besitze, mit einigen Vorurtheilen zu brechen.
-Und dann hatte der Wirth ihm in fließender Rede auseinander
-gesetzt, wie ungerecht die Besteuerung der ausländischen
-Produkte sei, das arme Volk müsse sie fast
-ganz entbehren, mäßig Begüterte sie mit äußerster Einschränkung
-genießen, während man höher hinauf damit
-schwelge und sie verprasse. In solche Behauptungen
-stimmte nun zwar Ludwig nicht mit ein, aber in ihre
-Consequenzen, er vergaß die Worte: »seid unterthan der
-Obrigkeit, die Gewalt über euch hat,« und »gebet dem
-Kaiser, was des Kaisers ist,« &ndash; und ward Schleichhändler
-wie sein Verführer.</p>
-
-<p>Die Geschäfte gingen nach Wunsch, denn von den
-drei Officianten, welche in Pranbeck stationirt waren,
-drückten zwei ihre Augen bei den nächtlichen Affairen
-des Wirthes zu, denn dieser wußte ebenso gut zu zahlen
-wie zu sprechen, und der Dritte war schon ein älterer
-Mann, der leicht zu täuschen war. Bald war Ludwig
-so gut bei Kasse wie nie vorher, daraus erklären sich
-seine Hoffnungen, Briefe und Geschenke nach Waldhaus.</p>
-
-<p>Etwas länger als ein Jahr mochte Ludwig in
-Pranbeck sein, als bei furchtbaren Aequinoctialstürmen
-ein Schiff in der Nähe des Oertchens strandete. Die
-Mannschaft rettete sich, und die reichen Waaren, die
-es trug, wurden glücklich im Wachthäuschen auf einem
-Küstenvorsprunge und dem daneben stehenden Wachtthurme
-geborgen. Das Schiff gehörte einem Lübecker Kaufmanne
-und war in einer Anstalt versichert, die einen Agenten
-in der Provinzialhauptstadt hatte. Dieser, schnell benachrichtigt,
-war selbst bei der Bergung zugegen gewesen,
-hatte die Bekanntschaft des zuvorkommenden Wirthes und
-auch Ludwigs gemacht, der bei dem Unglücke sich sehr
-muthvoll und menschenfreundlich bewiesen hatte. Am
-Tage nach des Agenten Abreise sollten die Sachen auf
-schon bestellte Wagen gepackt und ihm nachgeschickt werden.</p>
-
-<p>Die nun hereinbrechende Nacht wurde verhängnißvoll
-für Ludwig.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Der Wirth war am Nachmittage schon äußerst splendid
-mit Wein gewesen, aufgeregt war man ohnehin von
-den Begebenheiten. Man redete viel von Muth, Recht
-und lächerlicher Peinlichkeit, und endlich stand so viel
-fest, daß, wer es wage die geborgenen Sachen sich zuzueignen,
-einen Hauptstreich ausführe, der ersprießlichere
-Folgen haben werde, als die Arbeit von wenigstens
-zwanzig Jahren, und der Verlust sei nur der der Versicherungsgesellschaft,
-komme auf Niemanden eigentlich
-merklich.</p>
-
-<p>Ludwig stand auf und wollte der Versuchung entfliehen,
-sein Zimmer aufsuchen, aber dort war es ihm
-zu eng, er hüllte sich dicht ein und ging zum Dorfe
-hinaus, wo das Rauschen des Meeres &ndash; ein wunderlicher
-Sirenengesang! &ndash; ihn zog und lockte, bis er am
-Strande stand.</p>
-
-<p>Weithin ringsum hörte man nichts anderes als
-Wind und Wasser, und wäre auch ein leises Geräusch
-entstanden, es wäre ungehört erstorben in diesem unnachahmlichen
-Zwiegespräch. Da kam der Wirth mit seinem
-Knechte in der Dunkelheit daher, auch die beiden ungetreuen,
-eidbrüchigen Grenzbeamten folgten. Sie schritten
-so eilig dem alten Wachtthurme zu, als beflügle der
-Pflichteifer ihre Schritte, als seien sie so ganz sicher, auf
-richtigen Wegen zu gehen. Ludwigs Blut pulsirte heftig,
-er sollte Mitwisser dieses Unternehmens werden, halber
-Theilnehmer, und keiner Gewinn davon haben, wo so
-großer Gewinn zu hoffen war? Es kostete dem Wirth
-nur wenige Worte und Ludwig ging mit ihm. Es war
-freilich eine That, die er nie, selbst nicht in Zukunft
-seinem Weibe vertrauen durfte, aber für seine Ueberwindung
-zahlte sie auch mit dem eigenen Herde!</p>
-
-<p>Nur eine Schwierigkeit war bei der Geschichte zu
-fürchten, und das war die mögliche Widersetzlichkeit des
-Wächters. Zwar war er ein bequemer Mann und hatte
-bei der Schmuggelei oft seine Hand zur Hülfe geliehen,
-aber hier war's gefährlich für ihn, und wenn er sich
-weigerte, gemeinschaftliche Sache mit ihnen zu machen,
-dann mußte man auf den Fang verzichten. Es war,
-wie man gefürchtet hatte, der Wächter war unbestechlich.
-Vergebens waren all die glatten Worte des Wirthes,
-der Plan schien dem Alten zu handgreiflich: ohne Zuchthaus,
-meinte er, könnte das unmöglich enden.</p>
-
-<p>Der Knecht erhielt von seinem Herrn einen Wink
-und begab sich wieder nach Pranbeck zurück, die Uebrigen
-schienen ihre verbrecherischen Wünsche aufgegeben zu haben,
-der Wirth schmollte zwar etwas, nahm aber die Einladung
-zu einer Parthie Landsknecht an, und setzte sich
-zum Spiele an den Tisch.</p>
-
-<p>»Halt!« rief er plötzlich nach einer Weile, »ich habe
-einen unbezahlbaren Einfall. Wir wollen unsern Aerger
-hinunterspülen. Einen Bohrer her!«</p>
-
-<p>»Wozu?« fragte der Strandwächter.</p>
-
-<p>»Sollt schon sehen, altes Hasenherz. Wo ist der
-Schlüssel zur Remise?«</p>
-
-<p>»Gut verwahrt,« erhielt er lachend zur Antwort.</p>
-
-<p>»Keine Dummheiten!« schalt Jener, »glaubt Ihr
-denn, wir werden Euch wider Willen die Sachen wegnehmen,
-die Ihr nicht theilen wollt? Nein, das führte
-höchstens zu einem Jahre Wolle spinnen in Gesellschaft,
-aber wir wollen die hübschen Fäßchen ein Bischen erleichtern,
-und Eure Gesundheit in gekapertem Weine
-trinken.«</p>
-
-<p>»Geht doch nicht an,« wehrte der Alte, »'s ist gleich
-zu merken, sie brauchen bloß das Faß anzurühren, so&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Giebts denn kein Wasser in der Welt mehr?«
-unterbrach ihn der Wirth lachend, »nur einen Bohrer
-her, für das Uebrige werde ich sorgen.«</p>
-
-<p>Der Wächter, nach dem verführerischen Getränke
-lüstern, war's zufrieden; bald war Wein in Fülle da,
-und von Neuem begann ein lästerliches Trinken und
-Durcheinandergerede schlechter Dinge. Ludwig war nur
-Zuschauer dieser Scene geblieben; das, was er hörte,
-war ihm ekelhaft, er hätte dies gern gesagt, oder durch
-sein Entfernen angedeutet, aber er merkte, daß der Wirth
-noch etwas im Schilde führte, sah deutlich seinen Triumph,
-als der Wächter, von dem reichlich genossenen Weine
-betäubt und verwirrt, allmählig ein albernes Gewäsch
-zu reden anfing, in welches der feine Wirth lustig mit
-einstimmte, dann mit übersichtigen Augen, wie im Traume,
-bald hier, bald dorthin starrte, und endlich sich in die
-Ecke lehnte und einschlief. Jedenfalls wollte er abwarten,
-wie die Geschichte sich noch entwickeln würde.</p>
-
-<p>»Das hat Mühe genug gekostet,« flüsterte der Wirth
-und deutete auf den Trunkenen, der von seinen Sinnen
-nicht wußte, »aber nun schnell, Johann wird längst mit
-dem großen Wagen draußen halten; ich wußte, wie es
-kommen würde, und habe meine Vorkehrungen getroffen.
-Hier ist der Schlüssel, ich stecke die Laterne an und
-komme nach.«</p>
-
-<p>Ludwig stand noch da, ohne sich zu regen. Ein
-Rest der alten Gesinnungen war noch vorhanden, eine
-Scheu warnte ihn, nicht ein so großes Uebel zu thun
-und wider den Herrn seinen Gott zu sündigen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Alle Mann heran!« scherzte frohlockend der Wirth,
-und rieb sich die Hände, »das giebt einen köstlichen
-Spaß!«</p>
-
-<p>»Aber,« wendete Ludwig ein, »Kraaß wird natürlich
-Alles erzählen.«</p>
-
-<p>»Bewahre!« entgegnete der Andere, »wir rühren
-hier im Thurme nicht das Mindeste an. Wenn er morgen
-aufwacht, wird's sein, daß man ihn, entsetzt über
-den leeren Speicher, herausdonnert. Jeder Mensch wird
-dem verschlafenen, alten Säufer die Unschuld gleich an
-der Nase ansehen, und er wird sich hüten, die auf Verdacht
-anzuklagen, die als Freunde sehr vortheilhaft, als
-Feinde aber sehr gefährlich sein würden.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ludwig betheiligte sich an dem Diebstahle. Es
-wurde gleich abgemacht, daß bei der Theilung keine Gewinnstufen
-stattfinden sollten, nur der Knecht mußte sich
-mit einem Antheile von 50&nbsp;Rthl. zufrieden erklären.</p>
-
-<p>Gegen 2&nbsp;Uhr Nachts fuhr die erste Ladung in die
-ungepflasterte Auffahrt des Wirthshauses. Ludwig begleitete
-sie, um die Waaren nach Weisung des Wirthes
-unterzubringen. Während dieser Zeit belud man den
-schon harrenden Einspänner und berechnete, wann Alles
-abgemacht sein könnte, als der Wächter laut scheltend
-und fluchend vor dem Thurme erschien, und mit vielen
-Schwüren betheuerte, er werde diesen Diebstahl verhindern.
-Den Dieben trat der Angstschweiß auf die Stirn,
-zum Glück tobte freilich das Meer, aber der Mann hatte
-eine gellende Stimme.</p>
-
-<p>»Schweigt, Unsinniger,« sprach der Wirth drohend
-auf ihn ein, »es ist zu spät, legt Euch und schlaft, Ihr
-wißt von Nichts!«</p>
-
-<p>»Oho!« schrie der Andere, »ich weiß von Nichts?
-&ndash; wir wollen doch einmal sehen!« und damit ging er
-trotzig in den Thurm. Wie der Wind war der Wirth
-hinter ihm her. Aber da klang es schon durch die Nacht
-hin &ndash; Glockenschlag &ndash; der Alte hatte die Nothglocke
-angeschlagen, einmal aber nur, dann mußte er sich beruhigt
-haben, vielleicht war er in seiner Trunkenheit
-umgefallen. Es wurde ganz still im Thurme.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Am andern Morgen verbreitete sich mit reißender
-Schnelligkeit das Gerücht: der Strandwächter Kraaß sei
-erdrosselt, und ein großer Theil der Ladung des gestrandeten
-Schiffes Hieroglyph gestohlen.</p>
-
-<p>Einer von denen, die durchaus dieses Gerücht nicht
-glauben konnten, war der Wirth in Pranbeck, und als
-sich die Thatsache dennoch herausstellte, war er eifrig damit
-beschäftigt zu beweisen, daß Seeleute dies Verbrechen
-verübt haben müßten. Trotz seines Unglaubens und
-seiner Gründe wendete sich aber der Verdacht sehr bald
-gegen ihn selbst, und acht Tage nach jener schrecklichen
-Nacht ward er, die beiden jüngern Grenzbeamten, sein
-Knecht und Ludwig Schmidt, der bei ihm arbeitende
-Tischlergesell, auf einem Wagen nach der nächsten Kreisstadt
-eskortirt. Die Gefangenen waren gefesselt und
-zwei Gensdarmen begleiteten sie.</p>
-
-<p>In dieser Zeit war es, als die alte Mutter im
-Waldhause so vergeblich und unruhig auf einen Brief
-von ihrem Sohne wartete. In dieser Zeit beugte sich
-auch ein Mensch, der lange Zeit mit seinem Gotte unzufrieden
-gewesen war, und ihn gemeistert hatte, mit
-durchgreifender Zerknirschung tief, tief in den Staub.
-Gleich in dem ersten Verhöre hatte er seine Schuld gestanden;
-vom Morde wußte er nichts. Das mußte aber
-erst erwiesen werden; zwei der andern Gefangenen gingen
-gerade so weit wie Ludwig, des Diebstahls bekannten sie
-sich schuldig, des Mordes nicht, und der Wirth und sein
-Knecht wollten anfangs sogar von gar keiner Schuld
-wissen, die gefundenen Sachen waren rechtmäßig erworbene
-Lagervorräthe, alle erschwerenden Umstände des Verdachtes
-beklagenswerther Zufall.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In seiner einsamen Zelle erschienen Ludwig am
-Tage und in den langen schlaflosen Nächten liebliche
-und doch so schmerzenbringende Bilder. Seine Jugendzeit,
-das stille, heimische, so oft verachtete Haus, besonders
-aber die Mutter mit ihrer reichen Liebe, ihren
-Thränen und ihren tausend Opfern. Auch seine stolzen
-Gedanken von früher und alle seine hohen Versprechungen
-kamen zurück und sahen ihn höhnend an. Dann
-hätte er laut aufschreien mögen, zu qualvoll war's, zu
-schrecklich!</p>
-
-<p>»O Mutter, Mutter!« rief er laut. &ndash; Der
-Schlüssel klirrte im Schlosse, die Thür ging auf, Ludwig
-raffte sich auf vom Boden, er hatte auf den Knien
-gelegen, aber er stieß einen furchtbaren Schrei aus,
-verhüllte sein Antlitz und beugte es ganz hinab, daß es
-nichts mehr sehen konnte, auch all sein Elend nicht
-zeigte. Seine Mutter stand ja vor ihm, wirklich vor
-ihm, bleich und liebevoll, weinend ihm entgegen lächelnd.
-Sie streckte auch die Arme aus, aber wie hätte er es
-wagen dürfen, dahinein zu sinken, er, der Verbrecher im
-Kerker, in die Arme dieser Mutter!</p>
-
-<p>Aber hatte der Anblick die Mutter denn getödtet?
-Er hörte ja nichts von ihr, kein Wort, keine Bewegung.
-Er mußte es wagen, seine Augen zu ihr zu erheben.
-Da lag sie auf ihren Knien, und ihre Hände und Blicke
-und ihr ganzes Herz waren nach oben gerichtet, und
-ihre Lippen bewegten sich ganz leise. Da das der Sohn
-sahe, wand er sich kniend zu ihr hin und reichte ihr die
-heilige Schrift, wie sie da aufgeschlagen gelegen hatte,
-und deutete mit dem Blicke auf eine Stelle, die er täglich
-wohl hundert Mal gelesen und immer wiederholt
-hatte. Und die Mutter warf nur einen Blick hinein,
-und dann sprach sie laut und klangvoll, daß das Herz
-des Sohnes erbebte: »Herr Gott, Dich lobe ich; dieser
-mein Sohn war todt und ist wieder lebendig geworden,
-er war verloren und ist wieder gefunden worden!«</p>
-
-<p>Ludwigs Abwesenheit vom Schauplatze des Verbrechens
-zur Zeit des Absterbens des Alten, stellte sich
-im Laufe der Untersuchung sicher heraus; er ward von
-der Anklage auf muthmaßlichen Mord freigesprochen.
-Anders war's mit dem Diebstahle, den er selbst eingestanden,
-dafür wurde er zu zwei Jahren Zuchthaus
-verurtheilt, die er, begleitet von seiner Mutter, die sich
-nie wieder von ihm trennen wollte, abbüßte. Die alte
-Frau, vom Untersuchungsrichter empfohlen, fand in der
-Familie eines Strafanstaltsbeamten ein Unterkommen als
-Kinderwärterin und durfte täglich ihren Sohn sehen,
-auch mit ihm Morgens und Abends in dem großen
-Betsaale des Zuchthauses ihr Gebet mit dem seinigen
-vereinigen.</p>
-
-<p>Als die Strafzeit zu Ende war, kehrten Mutter
-und Sohn in die Heimath zurück. Ludwig konnte nach
-den Gesetzen der Innung nicht Meister seines Gewerkes
-werden, aber er fand dennoch allerlei Beschäftigung und
-viel weniger hartes Urtheil, als man gewöhnlich über
-Gefallene hört. Sein stilles Wesen, sein Fleiß, seine
-Kindesliebe, und vor Allem seine Demuth und Anspruchslosigkeit
-söhnten die Menschen mit ihm aus, und seine
-Mutter fühlte sich so glücklich in seiner Gesellschaft wie
-nimmer zuvor.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Lebt sie noch?« fragte Cäcilie.</p>
-
-<p>»Nein,« antwortete Julchen, »aber Du kennst den
-Sohn ganz gut, es ist der Missionsbote für unsern
-Kreis.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Schmidt?« fragten die Mädchen verwundert.</p>
-
-<p>»Ich habe ihn ja immer bei seinem Namen genannt,«
-erwiederte Julchen lächelnd.</p>
-
-<p>»Es giebt viele dieses Namens, aber nun weiß ich,
-wovon er es versteht, so wunderschöne ausgelegte Kästchen
-zu verfertigen,« meinte Ida.</p>
-
-<p>»Und warum er, der geschickte Mann, diese Beschäftigung
-erwählt hat,« setzte Cäcilie hinzu. »Ja, wie
-viele Menschen würden wir mit ganz andern Augen ansehen,
-wenn wir ihre Geschichte so genau kennten.«</p>
-
-<p>»Und ihr Herz,« sprach ich leise.</p>
-
-<p>»Das gehört ja zusammen,« erwiederte sie nachdenklich,
-»ich glaube wenigstens.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ein unerhört langer Brief. Ich habe mehrere
-Abende daran geschrieben, that es aber recht gern. Schade
-daß Du die Augen nicht dazu siehst, die mir dabei oft
-vorschwebten. In diesen Augen spiegeln sich treu alle
-Gefühle: Besorgniß, Trauer, Hoffnung, Beifall, Andacht,
-nur eins sah ich noch nicht darin, werde es auch
-wohl nie sehen. Zuweilen senken sich auch diese Augen
-beharrlich, dann möchte ich erst recht wissen, was sie zu
-verbergen sich bemühen. &ndash; Lebe wohl.</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Dein Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Am 6. März.</h2>
-
-<p>Dank für Deinen lieben Brief, besonders für die
-Stelle, welche meine Frage so schön beantwortet. Gemeinsames
-Streben also, Ein Zier, Ein Glaube, Eine
-Liebe, Eine Hoffnung verwischen alle sonstige Verschiedenheit
-und bedecken der Flecken Menge. Ein Streben
-&ndash; ja das ist vorhanden, zur höchsten Klarheit, aber
-Glaube, Liebe, Hoffnung, darin erscheint sie mir vollendet,
-und ich bin nur ein schüchterner Anfänger darin;
-es ist nicht unmännlich, die Wahrheit zu gestehen, sie
-mag heißen, wie sie will.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ich werde jetzt stark in Versuchung geführt, etwas
-zu wagen: unser elterliches Haus soll verkauft werden,
-aber es ist nur eine Versuchung Unruhe und Schmerzen
-hervorzurufen, ich will mich davon losreißen. &ndash; Dienstag
-über acht Tage werde ich abreisen, dann fährt der
-Graf nach Berlin und ich mit ihm. Vielleicht ist dies
-also der letzte Brief aus Burgwall, er soll Dir innige,
-treue Grüße bringen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-
-<h3 class="datum">Den 15. März.</h3>
-
-<p>Der Brief liegt noch, die letzte Zeit war voller
-Unruhe, nun will ich aber unsere Burgwaller Correspondenz
-schließen. Auf morgen früh ist die Abreise festgesetzt,
-der Koffer ist gepackt und die leidigen Visiten
-sind überstanden, nur Bernwachts und Julchen habe ich
-noch aufgespart, die sind für sich. &ndash; Cäcilie ist seit
-einiger Zeit leidend, möglich, daß ich sie nur noch auf
-Augenblicke sehe. Ich liebe das junge Mädchen, Pauline,
-es ist keine Phantasie, keine Passion, es ist ein
-unwiderstehlicher Zug des Herzens, der mich an sie fesselt,
-ich fühle das jetzt mit einer Klarheit, die mir den Abschied
-sehr schwer, aber ganz unumgänglich nothwendig
-macht. &ndash; Das Kind ist so zart, wenn sie stürbe! Ich
-zittere bei dem Gedanken. Wüßte sie, daß ich leide,
-dann würde sie traurig werden, trauriger muß ich sagen,
-denn in ihrem leidenden Zustande sieht sie matt und
-angegriffen aus, auch seelenmatt, sie lächelt viel seltener
-als sonst, aber ihr würde auch unheimlich dabei, denn
-sie kennt ja keine Liebe, die Schmerzen bereitet. Sie sei
-Gott empfohlen, Seine Engel werden sie beschirmen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ich werde nun in die Stadt gehen, auch auf den
-Friedhof, und will für Dich ein Epheublatt mitbringen
-vom Grabe der Mutter.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Sobald ich kann, werde ich Dich aufsuchen. Die
-Zukunft sieht mich allzuschaal und nüchtern an, kaum mag
-ich an sie denken. Lebe wohl!</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Justus.</span></p>
-
-
-
-
-<h2 class="datum">Berlin, den 20. März.</h2>
-
-<p>Du wirst es gleich diesen Schriftzügen ansehen, daß
-etwas Großes mit mir geschehen ist, nicht wahr, Schwesterherz?
-Falte Deine Hände und bete für Deinen
-Bruder, mein Herz ist nicht im Stande, allein dem Herrn
-die heiligen Opfer darzubringen, die ihm gebühren, Du
-mußt helfen dabei! Sei auch nicht unwillig, wenn ich
-ungewöhnlich spreche, es ist ja nur Dir gegenüber, wo
-das Herz und der Mund klingen dürfen, wie sie wollen,
-die Welt hört nichts davon und ich kann ja nicht
-anders.</p>
-
-<p>Ich schrieb Dir traurig zuletzt, &ndash; da auf den vorigen
-Seiten steht es noch &ndash; und beklemmten Herzens
-ging ich zu Bernwachts hinab.</p>
-
-<p>»Cäcilie ist krank,« flüsterte mir Burga zu, als ich
-mich dem Hause näherte, »Du mußt ja leise gehen, und
-die Thür nicht so hastig aufmachen, sie ist so schreckhaft.«</p>
-
-<p>»Sie hat das Fieber,« setzte Berga hinzu, »Mama
-meint, sie fiebere.« &ndash; »Nein,« widersprach die Andere,
-»sie hat ein Herzleiden. Vorhin war ich oben bei ihr,
-und wir sprachen ganz ruhig, ich sagte, das Wetter wäre
-so schön zu Deiner Reise, da sah ich, daß sie die Hand
-auf die Brust legte. Thut's da weh? fragte ich, da sagte
-sie: nein, aber es klopft viel heftiger, als es soll und,
-darf. Nach einer ganzen Weile sagte sie erst: so, nun
-ist es gut.«</p>
-
-<p>Mit Schrecken gedachte ich ihrer stets sehr zarten Farbe
-und in letzter Zeit war sie wirklich auffallend blaß gewesen.
-Die Mutter begegnete mir auf dem Flur, ich fragte gleich
-nach Cäcilien und erhielt tröstliche Nachricht. Es sei
-durchaus nichts von Bedeutung, sie sei auch unten im
-Wohnzimmer. So war es auch. Ich fühlte mich nicht
-behaglich, der Abschied lag mir wie eine Bürde auf
-dem Herzen, daher brach ich früh auf. Alle sprachen
-liebe Worte, auch Cäcilie reichte mir ihre liebe Hand
-und sah mich lange sanft und freundlich an. »Sie
-wollen ja nicht wieder kommen,« sagte sie, »nun will
-ich mir schon Ihre Züge recht einprägen. Sie sind stets
-gütig gegen mich gewesen.«</p>
-
-<p>Ich küßte ihr schweigend die Hand und ging dann
-zu Julchen und nahm Abschied von den Gräbern.</p>
-
-<p>Als ich zurückkehrte, sah ich in Cäciliens Zimmer
-helles Licht, ich wußte ganz bestimmt, daß diese Stube
-im obern Stock die ihrige war. Gern hätte ich noch
-einen Schimmer ihrer Gestalt gesehn; ich harrte, da kam
-sie an das Fenster und sah zum Himmel hinan, droben
-aber funkelten die Sterne in wundervoller Pracht! Ich
-faßte gar keinen Entschluß, ich überlegte nichts, aber ich
-ging zu ihr, ich konnte nicht anders.</p>
-
-<p>Niemand begegnete mir, im Dunkeln fand ich mich
-hin, bald stand ich vor der Thür und klopfte an: ich
-durfte eintreten. Sie stand noch am Fenster, nun wendete
-sie sich mir zu, ihre Hand legte sie leise aufs Herz,
-dann setzte sie sich wie erschöpft, fast wankend auf den
-Sopha und beugte einen Moment ihre Stirn in die
-Kissen nieder. »Sie sind sehr krank,« sagte ich heftig
-ergriffen. »Nein,« erwiederte sie, »nur sehr schwach, und
-ich verdiene diese Strafe vollkommen.«</p>
-
-<p>»Welche?« fragte ich. »Daß Sie mich so sehen.«
-Ich verstand sie nicht. »Ich bin sehr heftig,« fuhr sie
-fort, »die erste große Versuchung, die der Herr mir schickt,
-zeigt mir meine gänzliche Hülflosigkeit, aber im Bekennen
-wächst die Kraft, so, nun wird es besser!«</p>
-
-<p>Sie richtete bei diesen Worten ihren Blick mit Begeisterung
-auf ein Bild ihr gegenüber, ich folgte und
-war versucht an Wunder zu glauben; das Christusbild
-aus meiner Mutter Kabinet war Cäciliens Eigenthum!</p>
-
-<p>»Ich kenne den Grund Ihrer Selbstanklagen nicht,«
-sprach ich mit tiefer Erregung, »ich kann nicht ahnen,
-was Sie so tief bewegt, aber Sie sollen wissen, mit
-welchem Schmerze ich von hier scheide; ich wollte schweigen,
-aber ich kann es nicht.«</p>
-
-<p>Und nun erzählte ich ihr all die schönen Träume,
-die mich in Burgwall umschwebt, von dem Erkerstübchen,
-von all den wonnigen Phantasien, die mit ihm zusammenhingen,
-daß ich ihnen entsagen müßte, weil ich mich der
-vollen Huld eines geliebten Wesens, welches für mich der
-Inbegriff aller menschlichen Liebenswürdigkeit sei, unwürdig
-fühlte, daß ihr ganzes Benehmen mir auch zeige, wie
-wenig sie meine Liebe verstanden habe und erwiedere.
-Jetzt sei sie leidend, eine dunkle Unruhe hätte mich getrieben,
-sie noch einmal aufzusuchen, sie möge verzeihen,
-um der Liebe willen, die ihr geweiht sei. Und ich verstummte
-vor seligem Entzücken, entzündet an ihrem, an
-Cäciliens, die mich, mich liebt. Du glaubst es nicht,
-Du fragst, ob dies möglich ist; es ist durch Gottes reiche
-Huld volle köstliche Wahrheit!</p>
-
-<p>Viel hätte ich zu erzählen von ihrer Demuth, die
-von Glück sprach, von ihrer himmlischen Offenheit, die
-mir gestand, wie sie bei meiner herannahenden Abreise
-Blicke in ihr Herz gethan und gefunden habe, daß es
-zagte, eine Oede zu werden, wenn sie fern von mir sein
-würde, wie sie befürchtet, Gott müsse zürnen, daß sie sein
-Geschöpf so sehr, zu sehr liebe. Und sie hat recht: bin
-ich dessen würdig? &ndash; Aber nun strahlte ihr kleines blasses,
-süßes Gesicht im Glanze der Verklärung: Gott war ihren
-Gefühlen gnädig, er segnete sie!</p>
-
-<p>Wir gingen Hand in Hand hinab. Nichts von dem
-allgemeinen Staunen, Du kannst Dir's denken. Die
-Alten waren anfangs vor Ueberraschung stumm, Cäcilie
-hing aber an ihrem Halse und Burga und Berga umarmten
-mich, Therese und Ida kamen auch, da bekamen
-sie die Sprache wieder und Thränen dazu, und ich erhielt
-ihr Engelskind mit dem vollsten wärmsten Segen.</p>
-
-<p>Nur wenige Stunden war ich noch in ihrem Kreise,
-hatte auch Geistesgegenwart genug an den Kauf unsers
-Vaterhauses zu denken, mein <em class="ge">Schwiegervater</em>, &ndash; wie
-klingt das, Pauline? ich sage Dir wie ein Segen! &ndash;
-also mein Schwiegervater wird diese Angelegenheit besorgen.</p>
-
-<p>Zum letzten Male erstieg ich den Schloßberg. Ich
-blieb oft stehen und sah gen Himmel. Gott, welcher
-Reichthum droben und hier, ich staune, ich bete an, ich
-bitte um Verzeihung! Mein Glück wird endelos sein,
-Gott hat es mir gegeben; es ist auch ein solches, welches
-noch wachsen wird, denn Er wird es pflegen und behüten,
-ich fühle es.</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen verkündigte ich dieses Glück
-der gräflichen Familie und empfing ihre freudigen Glückwünsche,
-dann nahm ich Abschied von der verehrten Frau,
-und bald lag Burgwall hinter mir, aber trotz Abschied
-und Ferne, damals und jetzt, erhebe ich meine Hände
-und mein Herz hinan zum Himmel, Ihm Dank und
-Preis darzubringen, der so Großes an mir gethan hat;
-der meiner Seele half, als sie rang nach dem neuen Leben,
-der alle Dunkelheit und alles Bangen vernichtete, und in
-seinem Liebesrath mir den Engel beigesellte, dessen lichte
-Klarheit mir in Zukunft jeden Schatten von meinem
-Pfade verscheuchen wird!</p>
-
-<p>Aber Du mußt sehen, Pauline, Du sollst und mußt
-Deine Schwester bald kennen lernen. Zu Pfingsten erwarten
-wir Dich bestimmt in Burgwall.</p>
-
-<p>Schreibe bald, grüße auch Deine edlen, alten Freundinnen,
-und sei so glücklich wie</p>
-
-<p class="si"><span class="ge">Dein Bruder Justus</span>.</p>
-
-<hr />
-
-
-
-
-<h2 class="fsl lh1 mt2"><i><b>Empfehlenswerthe Bücher</b><br />
-<span class="fsxs">aus dem</span><br />
-<span class="ge fss"><i>Verlage der Agentur des Rauhen Hauses</i></span><br />
-<span class="fsxs"><b>durch alle Buchhandlungen zu beziehen</b></span></i>.</h2>
-
-
-<p class="ce fsl">Für Frauen und Jungfrauen:</p>
-
-
-<table class="fss mw36" summary="" border="1" cellpadding="10">
- <tr>
- <td class="tdc fsl"><b>Die Pflegerin.</b></td>
- <td class="tdl2">Von <span class="ge">Rosalie Sandvoß</span>. 90&nbsp;S. br. 7½&nbsp;Sgr.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdc"><b>Grüße an die<br /><span class="fsl">christl. Mädchenwelt.</span></b></td>
- <td class="tdl2">Gesammelt für kindliche Jungfrauen von einer Freundin
- der Jugend. 108&nbsp;S. cart. 4½&nbsp;Sgr.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdc fsl">Lucile.</td>
- <td class="tdl2">Ein Buch für Leser der heiligen Schrift.
- Von <span class="ge">Adolph Monod</span>. 332&nbsp;S. br. 22½&nbsp;Sgr.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdc fsl"><b>Madelaine.</b></td>
- <td class="tdl2">Eine Dorfgeschichte, wahren Ereignissen
- nacherzählt. Von <span class="ge">Julie Kavanagh</span>.
- 370&nbsp;S. br. 22½&nbsp;Sgr.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdc fsl"><b>Hanna More,</b></td>
- <td class="tdl2">auch ein Schriftstellerleben, von der Verfasserin
- des »Lebens der Frau Elisabeth
- Fry.« 388&nbsp;S. br. 27&nbsp;Sgr.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdc"><b><span class="fsl">Sara Martin,</span><br />die Schneiderin.</b></td>
- <td class="tdl2">Eine Lebensgeschichte erzählt von <span class="ge">Friedrich
- Eckart</span>. 2.&nbsp;Aufl. 131&nbsp;S. cart. 7½&nbsp;Sgr.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="tdc"><b>Vier kleine<br /><span class="fsl">Festgeschichten</span></b></td>
- <td class="tdl2">auf Weihnachten, Charfreitag, Ostern und
- Pfingsten. 3.&nbsp;Aufl. 84&nbsp;S. br. 5&nbsp;Sgr.</td>
- </tr>
-</table>
-
-
-
-
-<h2 class="fsl">Hinweise zur Transkription</h2>
-
-
-<div class="mw36">
-<p class="in0">Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.</p>
-
-<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten: <span class="ge">gesperrt</span>, <i>Antiqua</i>.</p>
-
-<p class="in0">Auf den Seiten 72 und 118 wurde das Währungssymbol für "Reichsthaler" ersetzt durch die
-Abkürzung "Rthl."</p>
-
-<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
-Ausnahmen,</p>
-
-<p class="ci">(Seite 21)<br />
-im Original "»Mache einmal deine Augen zu, Felicitas,"<br />
-geändert in "»Mache einmal deine Augen zu, Felicitas,«"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 22)<br />
-im Original "um schön zu sei, etwas zu klein"<br />
-geändert in "um schön zu sein, etwas zu klein"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 22)<br />
-im Original "dreizehn und elf Jahren Burga und Berga genannt"<br />
-geändert in "dreizehn und elf Jahren, Burga und Berga genannt"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 40)<br />
-im Original "Gott nahm ihn mir früh"<br />
-geändert in "»Gott nahm ihn mir früh"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 41)<br />
-im Original "fuhr die Erzählerin fort,« ich will es Ihnen sagen"<br />
-geändert in "fuhr die Erzählerin fort, »ich will es Ihnen sagen"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 44)<br />
-im Original "»Sie war dabei so erwartungsfroh wie ein Kind"<br />
-geändert in "Sie war dabei so erwartungsfroh wie ein Kind"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 47)<br />
-im Original "und betheuerthe ich würde nur sehr ungern"<br />
-geändert in "und betheuerte ich würde nur sehr ungern"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 48)<br />
-im Original "die dem Schloße zunächst liegenden Wege"<br />
-geändert in "die dem Schlosse zunächst liegenden Wege"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 49)<br />
-im Original "»Ja,« antwortete ich,« gestatten Sie nur"<br />
-geändert in "»Ja,« antwortete ich, »gestatten Sie nur"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 60)<br />
-im Original "»es war immer mein liebstes."<br />
-geändert in "»es war immer mein liebstes.«"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 78)<br />
-im Original "»Das thue ich auch, und lasse es nun"<br />
-geändert in "Das thue ich auch, und lasse es nun"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 89)<br />
-im Original "hier im Schloße bin ich bald fertig"<br />
-geändert in "hier im Schlosse bin ich bald fertig"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 96)<br />
-im Original "»Wenn, Gott will &ndash; aber dem Demüthigen"<br />
-geändert in "»Wenn Gott will &ndash; aber dem Demüthigen"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 98)<br />
-im Original "Du kannst darin sicherer selig werden."<br />
-geändert in "Du kannst darin sicherer selig werden.«"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 124)<br />
-im Original "alle sonstige Verschiedenheit und bedecken"<br />
-geändert in "alle sonstige Verschie-schiedenheit und bedecken"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 126)<br />
-im Original "»Cäcilie ist krank, flüsterte mir Burga zu"<br />
-geändert in "»Cäcilie ist krank,« flüsterte mir Burga zu"</p>
-
-<p class="ci">(Seite 127)<br />
-im Original "sagte sie »nun will ich mir schon"<br />
-geändert in "sagte sie, »nun will ich mir schon"</p>
-</div>
-
-<hr />
-
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE EINES MALERS AN SEINE SCHWESTER ***</div>
-<div style='text-align:left'>
-
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-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
-</div>
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-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-</div>
-
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-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg&#8482;&#8217;s
-goals and ensuring that the Project Gutenberg&#8482; collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg&#8482; and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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-</div>
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