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If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Meine Reise um die Welt. Zweite Abteilung - -Author: Mark Twain - -Release Date: November 5, 2021 [eBook #66673] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ZWEITE -ABTEILUNG *** - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - - Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder - unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua - gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so - dargestellt=. - - Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des - Buches. - - - - - Mark Twains - - Humoristische Schriften - - Neue Folge. 4. Band - - - - - Meine - Reise um die Welt - - Von - - Mark Twain - - Autorisiert - - Zweite Abteilung - - Inhalt: - - Indien. -- Südafrika. - - [Illustration] - - Stuttgart - Verlag von Robert Lutz - 1903. - - - - -Alle Rechte vorbehalten. - - -Druck von A. Bonz’ Erben in Stuttgart. - - - - -Inhalt der 2. Abteilung. - - -_Indien._ - -Kapitel 1--7. Seite 7--103. - -Auf der ›Oceana‹ nach Ceylon. -- Colombo. -- Trachten und Kleider. --- Bombay. -- Ein indisches Hotel. -- Die indische Krähe. -- -Lohnverhältnisse. -- Manuel und Satan. -- Der Besuch des Gottes. -- -Beim Fürsten des Palitanastaats. -- Die Türme des Schweigens. -- Eine -Dschaina-Gesandtschaft. -- Allerlei Hautfarbe. -- Eine Hindu-Hochzeit. --- Im Bahnhof und auf der Eisenbahn. -- Beim Gaikowar von Baroda. - -Kapitel 8--18. Seite 104--256. - -Die Thugs. -- Von Bombay nach Allahabad. -- Die Suttis. -- Major -Sleeman und die indische Witwe. -- ›Pyjamas‹. -- Indische Dörfer. --- Der geduldige Hindu. -- Die Messe von Allahabad. -- Ein Bungalow -in Benares. -- Indische Religionen. -- Wegweiser für die Pilger in -Benares. -- Das Gangeswasser. -- Der Verbrennungsplatz der Leichen. -- -Auf der Moschee. -- Der Gott Sri 108 und sein Schüler. -- Kalkutta und -das Denkmal von Ochterlony. -- Nach Dardschiling im Himalaja. -- Der -Bazar der Tibetaner. -- Eine Talfahrt auf der Draisine. -- Raubtiere -und Schlangen. -- Der indische Aufstand. -- Tadsch Mahal. -- Weitere -Reise durch Indien. -- Satans Entlassung. -- Der Festzug in Jeypore. - -_Südafrika._ - -Kapitel 19--23. Seite 257--330. - -Wonne und Erholung auf einer Seefahrt in den Tropen. -- Die Insel -Mauritius. -- Verwüstungen des Cyklone. -- Europäische Kolonien. -- -Die Delagoa-Bai. -- Im Hafen von Durban. -- Ein Trappistenkloster. --- Politische Zustände in Transvaal. -- Die Johannesburger und -Jamesons Einfall. -- Südafrikanische Goldfelder. -- Die Buren. -- Der -Diamantkrater bei Kimberley. -- Große Diamanten. -- Im Bureau der De -Beers-Gesellschaft. -- Cecil Rhodes. -- Kapstadt. -- Rückfahrt nach -England. - - - - -Erstes Kapitel. - - Vergib und vergiß! Das ist nicht schwer, wenn man’s nur - recht versteht: Wir sollen unbequeme Pflichten vergessen - und uns vergeben, daß wir sie vergessen haben. Bei strenger - Übung und festem Willen gewöhnt man sich leicht daran. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -_Montag, 23. Dezember 1895._ Von Sydney nach Ceylon in dem P. und O. -Dampfer ›Oceana‹ abgesegelt. Die Mannschaft besteht aus Laskaren, den -ersten, die ich je gesehen habe. Sie tragen weißbaumwollene Unterröcke -und Beinkleider, einen roten Schal als Gürtel; auf dem Kopf einen -Strohhut ohne Krempe; gehen barfuß; Gesichtsfarbe dunkelbraun, Haar -kurz, glatt und schwarz; schöner Schnurrbart, glänzend, seidenweich -und tiefschwarz. Sanfte, gute Gesichter; willige, gehorsame Leute, -auch arbeitstüchtig. Doch sagt man, daß sie in der Stunde der Gefahr -vor Angst völlig den Kopf verlieren. Sie kommen von Bombay und der -benachbarten Küste. - -Die ›Oceana‹ ist ein großes, prächtig ausgestattetes Schiff, das -alle Bequemlichkeit bietet; es hat geräumige Promenadendecks, große -Zimmer und eine gut ausgewählte Offiziersbibliothek, was nicht häufig -vorkommt ... Zu den Mahlzeiten wird man durch Hornsignale gerufen, wie -auf Kriegsschiffen; man ist froh das schreckliche Gong einmal los zu -sein ... Wir haben drei große Katzen an Bord, sehr leutselige Bummler, -die sich auf dem ganzen Schiff herumtreiben; die weiße Katze folgt -dem Proviantmeister überallhin wie ein Hund; auch ein Korb mit jungen -Kätzchen ist da. Wenn das Schiff in den Hafen kommt, sei es in England, -Indien oder Australien, so begibt sich der eine Kater ans Land, um zu -sehen, wie es seinen verschiedenen Familien ergeht, und man bekommt -ihn erst wieder zu Gesicht, wenn das Schiff im Begriff ist, die Anker -zu lichten. Woher er das Datum der Abfahrt weiß, kann niemand sagen; -vermutlich kommt er täglich nach dem Hafendamm und sieht sich um; wenn -viel Gepäck an Bord geschafft wird und die Passagiere sich einfinden, -merkt er daran, daß es auch für ihn Zeit ist, wieder das Schiff zu -besteigen. Wenigstens glauben das die Matrosen ... - -_Tischgespräche_: Ein Passagier äußerte: »Meinen Sie, echter Mokka -werde in der ganzen Welt verkauft? Denkt gar nicht daran! Sehr wenige -Fremde, außer dem Kaiser von Rußland, bekommen in ihrem ganzen -Leben auch nur eine Bohne davon zu sehen.« Ein anderer Mann sagte: -»Australischer Wein hat in Australien keinen Absatz. Man schickt -ihn nach Frankreich, von wo er als französische Sorte zurückkommt, -dann kaufen ihn die Leute.« -- Ich habe oft behaupten hören, daß der -französische Rotwein, welchen New York trinkt, meist in Kalifornien -gekeltert wird. Auch erinnerte ich mich, was mir Professor S. einmal -über Veuve Cliquot erzählt hat. Er war bei einem großen Weinhändler zu -Besuch, dessen Wohnort nicht weit von jenem berühmten Weinberg lag, und -sein Wirt fragte ihn, ob in Amerika viel Veuve Cliquot getrunken würde. - -»O ja,« erwiderte S., »außerordentlich viel.« - -»Kann man die Marke leicht bekommen?« - -»Ohne alle Schwierigkeit; sämtliche Hotels erster und zweiter Klasse -führen sie.« - -»Was bezahlt man dafür?« - -»Je nach dem Hotel fünfzehn bis zwanzig Franken die Flasche.« - -»Was für ein glückliches Land! Hier an Ort und Stelle kostet sie -mindestens hundert Franken.« - -»Nein!« - -»Doch!« - -»Sie glauben also, daß wir drüben bei uns nicht echten Veuve Cliquot -trinken?« - -»Keine Rede. Seit Columbus’ Zeiten ist noch nicht eine einzige Flasche -vom echten Gewächs nach Amerika gekommen. Der Weinberg, welcher es -liefert, ist so klein, daß er nicht allzuviele Flaschen ergibt, und der -Ertrag wird alljährlich einer einzigen Person zugeschickt -- dem Kaiser -von Rußland. Er kauft die ganze Ernte zum voraus, mag sie klein oder -groß sein.« - - * * * * * - -_4. Januar 1896._ Weihnachten in Melbourne, Neujahr in Adelaide. -Wiedersehen mit den meisten Bekannten in beiden Städten ... Jetzt -liegen wir hier in Westaustralien vor Albany im König Georgs Sund. Es -ist ein ganz vom Land eingeschlossener Hafen oder vielmehr eine Reede --- anscheinend sehr geräumig, aber kein tiefes Wasser. Ringsum kahle -Felsen und zerklüftete Hügelketten. Die Schiffe kommen jetzt in Menge -an, alles strömt nach der Goldgegend. Die Zeitungen wissen wunderbare -Dinge zu berichten, wie sie immer im Umlauf sind, wenn neue Goldfelder -entdeckt werden. Zum Beispiel: Ein junger Mann hatte eine Parzelle in -Besitz genommen, von der er die Hälfte für fünf Pfund verkaufen wollte; -aber, es fand sich kein Liebhaber. Vierzehn Tage lang harrte er aus, -trotz Hunger und Not, dann stieß er auf eine Goldader und verkaufte die -Grube für 10000 Pfund ... Gegen Sonnenuntergang erhob sich eine frische -Brise, und wir lichteten den Anker. Aus der kleinen tiefen Wasserlache, -auf der wir schwammen, führte ein schmaler, dicht mit Bojen besetzter -Kanal ins Meer hinaus. Ich blieb auf Deck, um zu sehen, wie unser -großes Schiff bei dem starken Wind die Durchfahrt bewerkstelligen -werde. Auf der Kommandobrücke stand der Kapitän, ein wahrer Riese, -neben ihm ein kleiner Lotse in prächtiger Uniform mit Goldschnüren; auf -dem Vorderdeck ein weißer Maat, ein paar Quartiermeister und eine bunte -Menge Laskaren, zur Arbeit gerüstet. Unser Heck war gerade auf den -Eingang des Kanals gerichtet, das Schiff mußte also in der Wasserlache -eine vollständige Schwenkung machen, und das war bei solchem Wind -keine Kleinigkeit. Aber es gelang ganz prächtig mit Hilfe eines -Klüvers. Wir wühlten zwar viel Schlamm auf, kamen aber nicht auf den -Grund und drehten uns in der eigenen Wasserspur um -- anscheinend ein -Ding der Unmöglichkeit. Als wir die Drehung glücklich gemacht hatten -und der Schiffsschnabel nach dem Kanal zu stand, lag die erste Boje -kaum noch hundert Meter vor uns. Es war mir eine Lust gewesen, das -Manöver mit anzusehen; die übrigen Passagiere verzehrten inzwischen ihr -Mittagbrot, meines kam der P. und O. Gesellschaft zugute ... Es zeigen -sich noch mehr Katzen. Smythe sagt, das englische Gesetz befiehlt, auf -der Fahrt Katzen mitzunehmen; er wußte von einem Fall, wo das Schiff -nicht unter Segel gehen durfte, bis man sich ein paar verschafft hatte. -Die Rechnung kam auch gleich mit: »Preis für zwei Katzen -- zwanzig -Schillinge« ... Wir haben einen Geier an Bord mit kahlem rotem Kopf von -seltsamer Form; am Körper hat er hier und da rote Stellen ohne Federn, -seine großen, schwarzen Augen sind von fleischigen, brennendroten -Rändern umgeben. Er sieht wie ein vollkommener Wüstling aus, wie ein -gewissenloser, eigensüchtiger Räuber und Mörder. Und doch bringt der -Vogel nichts Lebendiges um. Weshalb mag ihm die Natur nur eine so -grimmige Außenseite gegeben haben, die gar nicht zu seinem unschuldigen -Geschäft paßt! Er nährt sich nämlich nur von Aas, das ihm um so besser -zusagt, je älter es ist. Trüge er ein schäbiges, schwarzes Federkleid, -so wäre alles in Ordnung; er gliche dann einem Leichenbestatter und -sein Aeußeres würde mit seiner Beschäftigung im Einklang stehen. Der -Geier stammt aus der öffentlichen Menagerie von Adelaide, einer großen -und sehr interessanten Sammlung. - - * * * * * - -_5. Januar._ Um neun Uhr morgens kamen wir am Kap Leeuwin (Löwin) -vorüber und mußten nun, nach der ganz westlichen Fahrt längs dem -Südrande von Australien, unsere Richtung ändern. Wir fahren in einer -schrägen, nordwestlichen Linie nach Ceylon hinauf. Je höher wir kommen, -um so heißer wird es, aber kühl ist es auch hier nicht gerade. - - * * * * * - -_13. Januar._ Eine unerträgliche Hitze. Der Aequator kommt immer -näher; die Entfernung beträgt nur noch acht Grad. Da ist Ceylon! -O, wie wunderschön! Welche tropische Pracht, welcher Reichtum -üppigen Laubwerks! Die Hauptstadt Colombo ist ganz orientalisch und -unaussprechlich reizend ... - -In unserm vornehmen Schiff kleiden sich die Passagiere zu Mittag -um. Die schönen, buntfarbigen Toiletten der Damen passen ganz zu der -hochfeinen Ausstattung aller Räume und dem strahlenden Glanz der -elektrischen Beleuchtung. Auf dem stürmischen Atlantischen Ozean sieht -man die Passagiere nie im Gesellschaftsanzug. Höchstens einen Mann, -der sich aber nur einmal während der langen Reise blicken läßt -- am -Abend ehe das Schiff in den Hafen kommt, wenn das Konzert stattfindet -mit Dilettanten-Geheul und Deklamationen. Er übernimmt meist die -Tenorpartie ... Sonderbarerweise ist an Bord viel Cricket gespielt -worden; das Promenadendeck wurde mit Netzen überspannt, so daß der Ball -nicht ins Wasser fallen konnte. Das Spiel nahm einen guten Fortgang und -gewährte die nötige An- und Aufregung ... Jetzt sagen wir der ›Oceana‹ -Lebewohl. - - * * * * * - -_14. Januar._ Hotel Bristol. Der Diener Namens Brampy ist ein flinker, -sanfter, lachender, brauner Singhalese mit schönem, glänzend schwarzem -Haar. Er trägt es wie ein Mädchen zurückgekämmt, in einen Knoten -geschlungen und mit dem Schildpattkamm aufgesteckt. Brampy ist schlank -und hübsch von Gestalt. Unter der Jacke hat er ein weißes, baumwollenes -Gewand an, das ihm ohne Gürtel vom Hals bis zu den Füßen herabfällt. -Weder er noch sein Anzug hat irgend etwas Männliches; es ist eine -ordentliche Verlegenheit sich vor ihm auszukleiden. - -Wir fuhren nach dem Markt und benutzten zum erstenmal den japanischen -Jinrickscha, einen leichten Karren, den ein Eingeborener zieht. -Anfänglich geht die Fahrt gut von statten, aber für den Mann ist es -eine sauere Arbeit, er ist nicht stark genug. Nach der ersten halben -Stunde hört das Vergnügen auf, der Mann tut einem leid; man hat Mitleid -mit ihm, wie mit einem müden Pferde und kann an nichts anderes mehr -denken. Solche Rickschas sind in Menge vorhanden, und die Taxe ist -unglaublich billig. - -Vor Jahren war ich in Kairo; da ist man im Orient -- aber doch nicht -ganz, weil man eine unbestimmte Empfindung hat, daß noch etwas mangelt. -In Ceylon ist das anders, dort fehlt nichts mehr. Der Orient und die -Tropenwelt finden sich da in größter Vollkommenheit vereinigt und unser -natürliches Gefühl sagt uns, daß diese zwei zusammen gehören. Nein, man -vermißte gar nichts. Alle Kostüme waren echt, desgleichen die schwarzen -und braunen Menschen in ihrer unbewußten Nacktheit. Die Gaukler waren -da, mit dem unvermeidlichen Korb, den Schlangen, der Manguste und -allen Vorkehrungen, um aus dem Samenkorn einen Baum mit Laubwerk und -reifen Früchten emporwachsen zu lassen. Ueberall sah man Blumen und -Pflanzen, die man zwar aus Abbildungen kannte, aber in Wirklichkeit -nie erblickt hatte, weil diese seltenen, wunderbaren und köstlichen -Gewächse nur in der heißen Zone, am Aequator, gedeihen. Auch wußte man, -daß in der nächsten Umgegend die tödlichen Giftschlangen und grimmigen -Raubtiere hausen, samt den Affen und wilden Elefanten. In der Luft lag -eine Schwüle, wie sie nur in den Tropen vorkommt, eine erstickende -Hitze, von unbekannten Blumendüften geschwängert; dann verbreitete -sich plötzlich eine purpurne Finsternis, aus welcher grelle Blitze -zuckten; der Donner krachte, der Regen goß in Strömen -- gleich darauf -lachte wieder alles im Sonnenschein. Und weit ab, im undurchdringlichen -Dschungel und dem fernen Gebirge lagen die verfallenen Städte und alten -Tempelruinen als geheimnisvolle Ueberbleibsel von der Herrlichkeit -vergessener Tage und einer verschwundenen Menschenrasse. Auch dies -Bewußtsein war unentbehrlich, wenn es einem wirklich orientalisch zu -Mute werden sollte, denn dabei darf vor allem der Eindruck des Düstern, -Rätselhaften und Altertümlichen nicht fehlen. - -Die Fahrt durch die Stadt und am Seestrande entlang war wie ein -Traumbild von tropischem Glanz, Blütenpracht und orientalischem -Farbenreichtum. Die zu Fuß einherwandelnden Gruppen von Männern, -Frauen, Knaben, Mädchen und kleinen Kindern glühten wie Feuerflammen -in ihrer strahlenden Gewandung. Alle Farben des Regenbogens und -leuchtender Blitze mischten sich hier aufs wunderbarste und -verschmolzen zur wohltuendsten Harmonie. Nirgends fühlte sich das Auge -verletzt durch zu grelle Töne, keine Farbe stach unangenehm von der -andern ab; auch wenn verschiedene Gruppen in Berührung kamen, wurde -die wunderbare Farbenwirkung nicht im mindesten gestört. Die Kleider -waren aus dünnem, zartem, sich weich anschmiegendem Seidenstoff, meist -in ganz bestimmten, satten Farben: ein prächtiges Grün, ein prächtiges -Blau, ein prächtiges Gelb, ein prächtiges Lila, ein prächtiges Rubinrot -von leuchtendem Glanz -- so zogen sie in zahllosem Gewimmel, in Massen, -scharenweise vorüber, glühend, blitzend, strahlend -- dazwischen alle -Augenblicke ein so blendendes Feuerrot, daß einem das Herz im Leibe -lachte und man den Atem anhielt vor Staunen. Und wie anmutig waren -diese Trachten! Oft bestand der ganze Anzug einer Frau nur in der -Schärpe, die sie um den Kopf und Leib gewunden hatte, oder der Mann -hatte einen Turban auf und ein paar Lappen nachlässig um die Hüften -geschwungen. Bei beiden kam die dunkle glänzende Haut dazwischen -ungehindert zum Vorschein, und immer erfreute der Anblick der Gestalten -Auge und Herz. - -Noch heutigen Tages sehe ich dies köstliche Panorama in seiner -überschwenglichen Farbenfülle und dem Schmelz der bunten Schattierungen -vor mir; die geschmeidigen, halb unbekleideten Gestalten, die schönen -braunen Gesichter, die anmutigen Stellungen und freien, zwanglosen -Bewegungen, bei denen von Förmlichkeit und Steifheit keine Rede war. - -Aber ach, da kam ein schriller Mißklang in diesen paradiesischen -Zaubertraum: Aus der Tür einer Missionsschule schritten paarweise -sechzehn kleine, fromme, gesetzte, schwarze Christenmädchen in -europäischem Anzug. Ganz so ausstaffiert hätte man sie an einem -Sommersonntag in jedem englischen oder amerikanischen Dorfe sehen -können. Wie namenlos häßlich waren diese Kleider! Abscheulich, -barbarisch, geschmacklos, unanmutig, alle Gefühle verletzend! Ich -blickte auf die Kleider meiner Damen: sie glichen in vergrößertem -Maßstab genau den greulichen Verunstaltungen, mit denen man jene -armen, kleinen, mißhandelten Geschöpfe quälte -- ich schämte mich, mit -Frau und Tochter auf der Straße zu gehen. Nun sah ich meine eigene -Kleidung an und schämte mich vor mir selber. - -Aber was hilft es -- wir müssen uns darein ergeben unsere Kleider zu -tragen wie sie sind und können ihre Daseinsberechtigung nicht leugnen. -Freilich dienen sie dazu, gerade das auszuposaunen, was wir verbergen -möchten -- unsere Unaufrichtigkeit und versteckte Eitelkeit. Wir -heucheln für Anmut, Wohlgestalt und Farbenglanz eine Geringschätzung, -die wir nicht haben, und ziehen die häßlichen Kleider an, um diese -Lüge glaubhaft zu machen und weiter zu verbreiten. Doch täuschen -wir damit unsere Nächsten nicht, und wenn wir nach Ceylon kommen, -werden wir alsbald inne, daß wir uns nicht einmal selbst zu täuschen -vermögen. Ja, gestehen wir es nur: wir lieben leuchtende Farben -und anmutige Trachten, und wenn wir sie zu Hause bei einem Festzug -sehen können, achten wir weder Regen noch Sturm und beneiden die -geschmückten Teilnehmer. Wir gehen ins Theater, staunen die Kostüme -an und sind betrübt, daß wir uns nicht auch so kleiden können. Beehrt -uns der König mit einer Einladung zum Hofball, so betrachten wir -die prächtigen Uniformen und strahlenden Ordenszeichen mit wahrem -Hochgenuß. Wird uns gestattet, einer kaiserlichen Cour beizuwohnen, -so schließen wir uns vorher zu Hause ein, stolzieren stundenlang in -unserm schönen Gala-Anzug einher, bewundern uns im Spiegel und fühlen -uns unaussprechlich glücklich. Auch jeder Beamte im Stabe jedes -Gouverneurs im demokratischen Amerika macht es ebenso mit seiner -neuen Staatsuniform, und wenn man nicht aufpaßt, um ihn rechtzeitig -zu hindern, läßt er sich gewiß auch darin photographieren. So oft ich -die Diener des Lord-Mayors sehe, fühle ich mich unzufrieden mit meinem -Lose. Kurz und gut: unsere Kleider sind seit hundert Jahren nichts als -Lug und Trug gewesen. Sie sind ebenso unwahr wie unschön und vollkommen -geeignet unser inneres Scheinwesen und moralisches Verderben ins rechte -Licht zu stellen. - -Der kleine braune Junge, den ich zuletzt unter den sich drängenden -Scharen von Colombo bemerkte, hatte nichts an, außer einem um die -Hüften geschlungenen Bindfaden, aber in meiner Erinnerung bildet der -ehrliche Mangel seiner Bekleidung einen wohltuenden Gegensatz zu der -widerwärtig scheinheiligen Vermummung, in welche man die farbigen -Dämchen aus der Sonntagsschule gesteckt hatte. - - - - -Zweites Kapitel. - - Im Wohlstand kann man an seinen Grundsätzen am besten - festhalten. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -_14. Januar abends._ -- Die ›Rosetta‹, mit der wir absegeln, ist ein -schlechtes altes Schiff, das man versichern und untergehen lassen -sollte. Auch hier, wie auf der ›Oceana‹, hält man die Mittagstoilette -für eine Art frommer Pflicht. Aber dergleichen vornehme Formen stehen -in grellem Gegensatz zu der Aermlichkeit der schäbigen Ausstattung des -Fahrzeugs ... Wenn man zum Nachmittagstee eine Limonenscheibe haben -möchte, muß man erst am Schenktisch eine Anweisung unterzeichnen. Und -dabei kostet das Faß Limonen vierzehn Cents. - - * * * * * - -_18. Januar._ Nachdem wir das Arabische Meer durchschifft haben, sind -wir jetzt dicht an Bombay, das wir noch heute abend erreichen sollen. - - * * * * * - -_20. Januar._ Bombay! -- wie ein Märchen aus ›Tausend und eine Nacht‹, -entzückend, verwirrend, bezaubernd! Es ist eine ungeheure Stadt, mit -etwa einer Million Einwohnern, meist braune Leute; die wenigen Weißen, -die man zerstreut unter der Masse der Bevölkerung findet, kommen gegen -alle die dunkeln Gesichter kaum in Betracht. Hier ist es Winter: ein -himmlisches Juniwetter und frisches, köstliches Sommerlaub. Im Schatten -der großen prächtigen Baumreihe dem Hotel gegenüber sitzen malerische -Gruppen von Eingeborenen beiderlei Geschlechts; der Gaukler im Turban -mit den Schlangen und Zauberkünsten ist natürlich dabei. Den ganzen -Tag sieht man die verschiedenartigsten Trachten zu Fuß und zu Wagen -vorüberziehen; es ist, als könnte man nie müde werden, diese endlosen -Wandelbilder, dies glänzende und stets wechselnde Schauspiel zu -betrachten ... Die fest eingekeilte Masse der Eingeborenen im großen -Bazar bot einen wunderbaren Anblick; es war ein Meer von buntfarbigen -Turbans und faltigen Gewändern, zu dem die fremdartigen, prunkvollen -indischen Bauwerke gerade den richtigen Hintergrund bildeten. Bei -Sonnenuntergang folgte ein anderes Schauspiel: eine Fahrt am Seestrande -bis zur Malabar-Spitze, wo Lord Sandhurst, der Gouverneur der -Präsidentschaft Bombay, wohnt. Auf der ersten Hälfte des Weges, den -alle Welt fährt, steht ein schöner Parsenpalast neben dem andern. Die -Privatequipagen der reichen Engländer und vornehmen Eingeborenen haben -außer dem Kutscher noch drei Bediente in wundervollen orientalischen -Livreen. Zwei davon, prächtig anzuschauen, stehen als beturbante -Statuen hintenauf. Manchmal nehmen die öffentlichen Fuhrwerke -dergleichen überschüssige Diener mit: einen zum Fahren, einen um neben -dem Kutscher zu sitzen und ihm zuzusehen, und einen, der hinten auf -dem Tritt steht und schreit, wenn jemand im Wege ist; wenn niemand da -ist, schreit er auch, um nicht aus der Uebung zu kommen. Das alles -bringt Leben und Bewegung mit und erhöht den Gesamteindruck von Hast, -Schnelligkeit und Verwirrung. - -In der Nähe der ›Läster-Spitze‹ -- ein sehr bezeichnender Name -- sind -Felsen, auf denen man bequem sitzen kann, um nach der einen Seite -hin den herrlichen Blick auf das Meer zu genießen und auf der andern -die Menge der schön geschmückten Wagen bei der Hin- oder Rückfahrt -vorbeirasseln und -jagen zu sehen; dort haben die Frauen wohlhabender -Parsen in Gruppen Platz genommen, wahre Blumenbeete voll Farbenglanz, -ein unwiderstehlich fesselndes Bild. Trab, trab, trab, kommt es die -Straße entlang, einzeln, zu zweien, in Gruppen und Abteilungen -- -das sind Arbeiterscharen, Männer und Frauen, aber nicht gekleidet -wie bei uns. Der Mann, meist eine große, stolze Athletengestalt, hat -außer seinem Lendentuch nicht einen Fetzen an, seine Gesichtsfarbe ist -dunkelbraun, auf der glatten Haut, die wie Atlas glänzt, treten die -Muskeln in Wülsten hervor, als ob Eier darunter lägen. Die Frau ist -gewöhnlich schlank und wohlgebildet, kerzengerade wie ein Blitzableiter -und trägt nur _ein_ Kleidungsstück -- einen langen, hellfarbigen -Stoffstreifen, den sie um Kopf und Leib windet, fast bis zu den Knieen -herunter, und der sich so fest wie ihre eigene Haut an den Körper -schmiegt. Füße und Beine sind nackt, desgleichen die Arme, bis auf -die Gehänge von losen, verschlungenen Silberringen an den Armen und -Fußgelenken. Auch in der Nase trägt sie Schmuck und glänzende Ringe an -den Fußzehen. Beim Schlafengehen wird sie ihr Geschmeide wohl ablegen; -mehr kann sie nicht ausziehen, sonst würde sie sich erkälten. Man sieht -sie meist mit einem großen, schön geformten Wasserkrug von blankem -Metall, den sie mit erhobenem Arm auf dem Kopfe festhält. Aufrecht, -würdevoll und doch mit leichtem, anmutigem Gang kommt sie daher; -ihr gebogener Arm und der blanke Krug erhöhen noch die malerische -Wirkung und machen sie zu einer wahren Zierde für die Straße. Unsere -Arbeiterfrauen können es ihr darin auch nicht entfernt gleichtun. - -Farben, wohin man blickt, entzückende, bezaubernde Farben, rings umher -und längs der gewundenen Straße an der großen, bunt schillernden Bucht, -bis man das Haus des Gouverneurs erreicht. Dort stehen, den Turban auf -dem Kopf, die großen Chuprassies, die eingeborenen Diener in ihren -feuerroten Gewändern an der Eingangspforte gruppiert und bilden den -theatralischen Schluß des prächtigen Schauspiels. O, wäre ich doch ein -Chuprassy! - -Ja, das ist Indien! Das Land der Romantik und der Träume, wo -fabelhafter Reichtum und fabelhafte Armut wohnt, das Land der Pracht -und Herrlichkeit, der Lumpen, der Paläste und elenden Hütten, der Pest -und Hungersnot, der Schutzgeister und Riesen, wo Aladdins Lampe, Tiger, -Elefanten, die Kobra, der Dschungel zu finden sind, wo hunderterlei -Völker in hunderterlei Sprachen reden, das tausend Religionen und zwei -Millionen Götter hat. Indien ist die Wiege des Menschengeschlechts, -der Geburtsort der menschlichen Sprache, die Mutter der Geschichte, -die Großmutter der Sage, die Urgroßmutter der Ueberlieferung; was -für andere Völker graues Altertum ist, zählt zu Indiens jüngster -Vergangenheit. Es ist das einzige Land unter der Sonne, das für den -Fürsten und den Bettler, den Gebildeten und den Unwissenden, den Weisen -und den Toren, den Sklaven und den Freien den gleichen, unzerstörbaren -Reiz hat. Alle Menschen möchten es sehen, und wer es einmal auch nur -flüchtig geschaut hat, würde die Wonne dieses Anblicks nicht für alles -Schaugepränge eintauschen, das der gesamte übrige Erdball zu bieten -vermag. - -Selbst jetzt, nach Ablauf eines Jahres, ist mir die sinnverwirrende -Freude jener Tage in Bombay noch vollkommen gegenwärtig, und ich hoffe, -sie wird mich nie verlassen. Es war alles ganz neu und ungewohnt; auch -warteten die Ueberraschungen nicht erst bis zum nächsten Morgen, sie -waren da, sobald wir das Hotel betraten. In den Hallen und Vorsälen -wimmelte es von braunen Eingeborenen mit Turban, Fez oder gestickter -Mütze, die in baumwollenem Gewand barfuß durcheinander liefen oder -ruhig auf dem Boden saßen und hockten. Einige schwatzten mit großem -Nachdruck, andere saßen still und träumerisch da; im Speisezimmer stand -hinter dem Stuhl jedes Gastes sein farbiger Aufwärter, angekleidet wie -in einem Märchen aus ›Tausend und eine Nacht‹. - -Unsere Zimmer waren nach vorn hinaus in einem oberen Stock. Ein -Weißer -- es war ein handfester Deutscher -- führte uns hinauf und -nahm drei Hindus mit, um alles in Ordnung zu bringen. Etwa vierzehn -andere folgten in langem Zuge mit dem Handgepäck; jeder trug nicht mehr -als ein Stück, was es auch sein mochte. Ein starker Eingeborener trug -meinen Ueberzieher, ein anderer einen Sonnenschirm, der dritte eine -Schachtel Zigarren, der vierte einen Roman, und der letzte kam nur -noch mit einem Fächer beladen daher. Sie taten das alles mit großem -Ernst und Eifer; von vorn bis hinten war in dem ganzen Zuge auf keinem -Gesicht ein Lächeln zu sehen. Jeder einzelne wartete, ruhig, geduldig -und ohne die geringste Eile zu verraten, bis er ein Kupferstück -erhielt, dann verneigte er sich ehrfurchtsvoll, legte die Finger an die -Stirn und ging seiner Wege. Diese Leute scheinen sanften und milden -Gemüts zu sein; es lag etwas Rührendes in ihrem Verhalten, das zugleich -für sie einnahm. - -Eine große Glastür führte zum Balkon hinaus. Sie sollte geputzt oder -verriegelt werden -- was weiß ich -- und ein Hindu kniete auf dem -Boden, um die Arbeit zu tun. Anscheinend machte er seine Sache ganz -ordentlich, aber das mußte wohl nicht der Fall sein, denn die Miene des -Deutschen verriet Unzufriedenheit, und ohne ein Wort der Erklärung -schlug er den Hindu plötzlich derb ins Gesicht und sagte ihm dann erst, -was er falsch gemacht hatte. Der Diener nahm die Züchtigung demütig -und schweigend hin; auch zeigte weder sein Gesichtsausdruck noch -sein Wesen überhaupt den geringsten Groll. Mir schien es eine wahre -Schande, so etwas in unserer Gegenwart zu tun; seit fünfzig Jahren -hatte ich solchen Auftritt nicht erlebt. Urplötzlich fühlte ich mich -in meine Knabenzeit zurückversetzt und mir fiel ein, daß dies ja die -gewöhnliche Art sei, wie man einem Sklaven seine Wünsche begreiflich -machte -- eine Tatsache, die mir ganz entfallen war. Damals hatte ich -diese Methode richtig und natürlich gefunden, denn ich war von klein -auf daran gewöhnt und glaubte, man mache das nirgends anders; aber ich -erinnere mich recht gut, daß mir bei solchen stumm ertragenen Schlägen -der Empfänger stets leid tat und ich mich für den Strafenden schämte. -Mein Vater war ein edler, gütiger Mann, sehr ernst und enthaltsam, von -strengster Gerechtigkeit und Redlichkeit, ein rechtschaffener Charakter -durch und durch. Zwar war er nicht Mitglied irgend einer Kirche, sprach -auch nie von religiösen Dingen und nahm an den frommen Freuden seiner -presbyterianischen Familie keinen Anteil, doch schien er das nicht als -Entbehrung zu empfinden. Er hat mich, so lange er lebte, nur zweimal -körperlich gezüchtigt und gar nicht hart. Einmal, weil ich ihn belogen -hatte -- was mich höchlich überraschte und mir sein gutes Zutrauen -bewies, denn es war keineswegs mein erster Versuch gewesen. Mich schlug -er, wie gesagt, nur zweimal und seine anderen Kinder gar nicht; aber -unsern kleinen gutmütigen Sklaven Lewis ohrfeigte er häufig für die -geringfügigste Ungeschicklichkeit oder ein kleines Versehen. Mein Vater -hatte von Geburt an unter Sklaven gelebt, und wenn er sie schlug, so -tat er das nach damaliger Sitte, gegen seine Natur. -- Als ich zehn -Jahre alt war, sah ich einmal, wie ein Mann einem Sklaven im Zorn ein -Stück Eisenerz an den Kopf warf, weil er etwas ungeschickt gemacht -hatte -- als ob das ein Verbrechen wäre. Es sprang von seinem Schädel -ab, und der Mensch fiel hin, ohne einen Laut von sich zu geben. Nach -einer Stunde war er tot. -- Ich wußte wohl, daß der Herr das Recht -hatte, seinen Sklaven zu töten, wenn er wollte, aber doch kam es mir -erbärmlich vor und eigentlich unstatthaft, wiewohl ich nicht gescheit -genug gewesen wäre, um zu erklären, was unrecht daran sei, wenn man -mich gefragt hätte. Niemand in unserm Dorf billigte jene Mordtat, aber -es war natürlich nicht viel davon die Rede. - -Merkwürdig, wie der Gedanke Raum und Zeit überspringen kann! Eine -Sekunde lang war mein ganzes Ich in dem kleinen Dorf von Missouri -auf der andern Halbkugel der Erde; jene vergessenen Bilder von vor -fünfzig Jahren standen mir lebendig vor Augen, und alles übrige versank -gänzlich vor meinem Bewußtsein. In der nächsten Sekunde war ich schon -wieder in Bombay, während die Backe des knieenden Dieners noch von der -Ohrfeige brannte. Bis zur Knabenzeit -- fünfzig Jahre -- zurück ins -Alter -- abermals fünfzig, und ein Flug um den ganzen Erdball -- alles -in einem Zeitraum von zwei Sekunden! - -Verschiedene Eingeborene -- ich weiß nicht mehr wie viele -- begaben -sich nun in mein Schlafzimmer, brachten alles in Ordnung und -befestigten das Moskitonetz. Dann legte ich mich zu Bett, um meine -Erkältung rascher los zu werden. Es war etwa neun Uhr abends und an -Ruhe gar nicht zu denken. Drei Stunden lang dauerte das Geschrei und -Gekreisch der Eingeborenen in der Vorhalle noch ununterbrochen fort, -auch das sammetweiche Getrappel ihrer behenden, nackten Füße hörte -nicht auf. Nein, dieser Lärm! Alle Bestellungen und Botschaften wurden -drei Treppen hinunter geschrieen; es klang wie Aufruhr, Meuterei, -Revolution. Auch noch andere Geräusche kamen hinzu: von Zeit zu Zeit -ein furchtbarer Krach, als ob Dächer einfielen, Fenster zerbrächen, -Leute ermordet würden. Dann hörte man die Krähen krächzen, hohnlachen, -fluchen; Kanarienvögel kreischten, Affen schimpften, Papageien -plapperten, zuletzt erscholl wieder ein teuflisches Gelächter, gefolgt -von Dynamitexplosionen. Bis Mitternacht hatte ich alle nur erdenklichen -Schreckschüsse über mich ergehen lassen und wußte nun, daß mich nichts -mehr überraschen und stören konnte -- ich war auf alles gefaßt. Da trat -plötzlich Ruhe ein -- eine tiefe, feierliche Stille, die bis fünf Uhr -morgens dauerte. - -Dann ging der Spektakel aber von neuem los. Und wer hat ihn angefangen? -Die indische Krähe, dieser Vogel aller Vögel. Mit der Zeit lernte ich -ihn näher kennen und war dann ganz in ihn vernarrt. Ich glaube, er ist -der durchtriebenste Spitzbube, der Federn trägt und dabei so lustig -und selbstzufrieden wie kein anderer. Ein solcher Vogel konnte nicht -mit einemmal zu dem geschaffen werden, was er ist: unvordenkliche -Zeitalter haben an seiner Entwicklung gearbeitet. Er ist öfter -wiedergeboren als der Gott Schiwa und hat bei jeder Seelenwanderung -etwas zurückbehalten und es seinem Wesen einverleibt. Im Verlauf seines -stufenweisen Fortschritts, seines glorreichen Vorwärtsschreitens zu -schließlicher Vollendung, ist er ein Spieler gewesen, ein zuchtloser -Priester, ein Komödiant, ein zänkisches Weib, ein Schuft, ein Spötter, -ein Lügner, ein Dieb, ein Spion, ein Angeber, ein käuflicher Politiker, -ein Schwindler, ein berufsmäßiger Heuchler, ein bezahlter Patriot, auch -Reformator, Vorleser, Anwalt, Verschwörer, Rebell, Royalist, Demokrat; -er hat sich überall eingemischt, sich unehrerbietig und zudringlich -benommen, hat ein gottloses, sündhaftes Leben geführt, bloß weil es ihm -das größte Gaudium machte. Und das Ergebnis der stetigen Ansammlung -aller verwerflichsten Eigenschaften ist merkwürdigerweise, daß er -weder Sorge, noch Kummer, noch Reue kennt; sein Leben ist eine einzige -Kette von Wonne und Glückseligkeit, und er wird seiner Todesstunde -ruhig entgegengehen, da er weiß, daß er vielleicht als Schriftsteller -oder dergleichen wiedergeboren wird, um sich dann womöglich als noch -größerer Schwerenöter behaglicher zu fühlen denn je zuvor. - -Wenn die Krähe mit großen Schritten breitbeinig einherkommt, dann -seitlich ein paar kräftige Hopser macht, eine unverschämte, pfiffige -Miene aufsetzt und den Kopf schlau auf die Seite legt, erinnert sie an -die amerikanische Amsel. Doch ist sie viel größer und lange nicht so -schlank und wohlgebaut; auch ihr schäbiger grau und schwarzer Rock hat -natürlich nicht den herrlichen Metallglanz, in dem das Federkleid der -Amsel prangt. Die Krähe ist ein Vogel, der nicht schweigen kann; er -zankt, schwatzt, lacht, schnarrt, spottet und schimpft beständig. Seine -Ansicht äußert er über alles, auch wenn es ihn gar nichts angeht, mit -größter Heftigkeit und Rücksichtslosigkeit. Er nimmt sich nicht erst -Zeit nachzudenken, weil er keine Gelegenheit vorbeigehen lassen will, -ohne seine Meinung zum Besten zu geben, selbst wenn es sich gerade um -etwas ganz anderes handelt. - -Ich glaube, die indische Krähe hat keinen Feind unter den Menschen. Sie -wird weder von Weißen noch Mohammedanern belästigt, und der Hindu tötet -schon aus religiösen Rücksichten überhaupt kein Geschöpf; er schont das -Leben der Schlangen, Tiger, Flöhe und Ratten. Wenn ich an einem Ende -auf dem Balkon saß, pflegten sich die Krähen auf dem Gitter am andern -Ende zu versammeln und ihre Bemerkungen über mich zu machen; nach und -nach flogen sie näher herzu, bis ich sie fast mit der Hand erreichen -konnte. Da saßen sie und unterhielten sich ohne Scham und Scheu über -meine Kleider, mein Haar, meine Gesichtsfarbe und vermutlich auch über -meinen Charakter, Beruf und politischen Standpunkt, und wie ich nach -Indien gekommen sei, was ich schon alles getan hätte, wie viele Tage -mir zur Verfügung ständen, warum ich noch nicht an den Galgen gekommen -wäre, ob es mir noch lange glücken würde, dem Strick zu entgehen, ob -es da, wo ich herkäme, noch mehr Leute meines Schlages gäbe, und so -immer fort, bis ich es vor Verlegenheit nicht länger aushalten konnte -und sie wegscheuchte. Darauf kreisten sie eine Weile in der Luft, unter -Geschrei, Gespött und Hohngelächter, kamen dann wieder auf das Gitter -geflogen und fingen die ganze Geschichte noch einmal von vorne an. - -In wahrhaft überlästiger Weise zeigten sie aber ihre gesellige Neigung, -wenn es etwas zu essen gab. Ohne daß man ihnen erst zuzureden brauchte, -kamen sie auf den Tisch geflogen und halfen mir mein Frühstück -verzehren. Als ich einmal ins Nebenzimmer ging und sie allein ließ, -schleppten sie alles fort, was sie nur tragen konnten, und obendrein -lauter für sie ganz nutzlose Dinge. Man macht sich keinen Begriff -davon, in welcher Unzahl sie in Indien vorkommen, und der Lärm, den sie -verursachen, ist nicht zu beschreiben. Ich glaube, sie kosten dem Land -mehr als die Regierung, und das ist keine Kleinigkeit. Doch leisten sie -auch etwas dafür, und zwar durch ihre bloße Gegenwart. Wenn man ihre -lustige Stimme nicht mehr zu hören bekäme, so würde die ganze Gegend -einen trübseligen Anstrich erhalten. - - - - -Drittes Kapitel. - - Durch Übung lernt man leicht Unglück ertragen -- das - Unglück anderer Leute, meine ich. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -In unsicherm Glanz, wie das Mondlicht am Rande des Horizonts -erscheint, so tauchten die alten Träume von Indiens Herrlichkeit -allmählich wieder in meinem Bewußtsein auf. Das Bild, das mir in den -Knabenjahren lebendig vor der Seele gestanden hatte, als ich noch in -den Märchen des Orients schwelgte, erwachte wieder mit tausend längst -vergessenen Einzelheiten. Zum Beispiel, die barbarische Pracht und die -großartigen, volltönenden Fürstentitel, bei denen einem das Wasser im -Munde zusammenläuft: Nizam von Hyderabad, Maharadscha von Travancore, -Nabob von Jubbelpore, Begum von Bhopal, Nawab von Mysore, Raja von -Gulnare, Abkoond von Swat, Rao von Rohilkund, Gaikawar von Baroda. -Namen wachsen überhaupt dort im Lande wie Pilze. Der große Gott Wischnu -hat ihrer hundertundacht ganz besonders heilige -- sozusagen nur zum -Feiertagsgebrauch. Ich habe die hundertundacht Namen Wischnus einmal -alle auswendig gelernt, aber ich konnte sie nicht behalten und weiß -jetzt keinen einzigen mehr davon. - -Romantische Begebenheiten knüpfen sich noch heutigen Tages an die -Namen jener indischen Fürsten, gerade wie in alten Zeiten. Kurz vor -unserer Ankunft war ein solcher Roman vor einem englischen Gerichtshof -in Bombay zur Verhandlung gekommen: Ein junger sechzehnjähriger Prinz -hatte seine Güter, Titel und Würden vierzehn Jahre lang unbehelligt -genossen. Da ward plötzlich behauptet, daß er gar kein Fürstensohn, -sondern ein armes Bauernkind sei, welches man in die fürstliche Wiege -eingeschmuggelt hatte, als der wahre Erbe im Alter von drittehalb -Jahren gestorben war. Genau derselbe Stoff, der so vielen alten -orientalischen Geschichten zu Grunde liegt. - -Umgekehrt ging es mit dem Thron des Gaikawar von Baroda, für den -sich eine Zeitlang kein Erbe fand, bis man ihn in der Person eines -Bauernknaben erkannte, der, seiner hohen Abkunft unbewußt, im Schmutz -der Dorfstraße spielte. Sein Stammbaum war jedoch ganz in Ordnung, er -erwies sich als der wirkliche Prinz und herrscht seitdem unangefochten -in seinem Reich. - -Auf ähnliche Weise ist kürzlich der Erbe eines andern indischen -Fürstenhauses aufgefunden worden. Seit vierzehn Generationen hatten -seine Vorfahren in niedrigem Stande gelebt. Aber man entdeckte seinen -fürstlichen Ahnen in dem Verzeichnis eines der großen Wallfahrtsorte -der Hindus, wo die Herrscher ihren Namen und das Datum ihres Besuchs -einzuschreiben pflegen. Der eigentliche Zweck dieser Sitte ist, daß man -über die religiösen Angelegenheiten der Fürsten Buch führen und ihr -Seelenheil sichern kann; aber auch die Richtigkeit ihres Stammbaums -läßt sich aus solcher Liste feststellen, wodurch sie noch besonderen -Wert erhält. - -Wenn ich jetzt an Bombay denke, glaube ich in ein Kaleidoskop zu sehen; -ich höre das Klirren der Glasstückchen, wenn die schönen Bilder -wechseln und auseinander fallen, um sich zu immer neuen Formen und -Figuren zu vereinigen, bei deren Anblick jeder Nerv in mir vor Wonne -erbebt und Schauer des Entzückens durch meine Glieder rieseln. Die -ganz verschiedenartigen Erinnerungsbilder ziehen immer in gleicher -Reihenfolge, rasch wie ein Traum, an mir vorüber; sie lassen mir das -Gefühl zurück, als hätte das wirkliche Erlebnis kaum eine Stunde -gedauert, während es oft gewiß mehrere Tage in Anspruch genommen hat. - -Die Wandelbilder beginnen mit der Wahl eines eingeborenen Dieners, -eines ›Trägers‹, bei der man sehr sorgfältig zu Werke gehen muß, denn -solange er sein Amt versieht, kommt er uns fast so nahe auf den Leib, -wie unsere eigenen Kleider. - -In Indien wird der Tag damit eröffnet, daß der ›Träger‹ an die -Schlafzimmertür klopft und dazu eine gewisse Formel hersagt, welche -ausdrücken soll, daß das Bad bereit ist. Es kommt uns vor als ob sie -gar keinen Sinn hätte, aber das ist nur, weil man noch nicht an das -Träger-Englisch gewöhnt ist. Erst mit der Zeit lernt man es verstehen. - -Wo diese Sprache herstammt, ist ein Geheimnis; jedenfalls wird man -auf Erden nichts Aehnliches finden und im Paradiese erst recht -nicht -- möglicherweise aber unter den Verdammten. Man mietet einen -›Träger‹, sobald man den Boden Indiens betritt, denn niemand, ob -Mann oder Weib, kann ohne ihn bestehen. Er ist Bote, Kammerdiener, -Zimmermädchen, Aufwärter, Kurier, Jungfer -- alles in einer Person. Bei -seinem Eintritt bringt er, außer einem grobleinenen Wäschesack auch -eine Decke mit; er schläft auf den Steinfliesen vor der Stubentür; -wo und wann er seine Mahlzeiten hält, ist unbekannt; man weiß nur, -daß er im Hause kein Essen bekommt, mag man in einem Hotel wohnen -oder als Gast in einer Privatfamilie. Er bezieht einen hohen Lohn --- nach indischen Begriffen -- und sorgt selbst für seine Kost und -Kleidung. Wir hatten in drittehalb Monaten drei ›Träger‹, der erste -erhielt monatlich 30 Rupien -- etwa 27 Cents täglich -- die beiden -andern 40 Rupien den Monat. Eine fürstliche Bezahlung! In Indien -erhält der eingeborene Weichensteller auf der Eisenbahn höchstens -7 Rupien monatlich, desgleichen der eingeborene Bediente in einem -Privathaus, und der Knecht auf dem Lande nur 4 Rupien. Die beiden -ersteren beköstigen und kleiden sich und ihre Familien selbst; ob das -der Knecht bei dem Monatslohn von 1 Dollar 8 Cents auch tut, möchte -ich bezweifeln. Vermutlich nährt ihn das Land, und mit seinem Verdienst -bestreitet er den Unterhalt der Familie, nebst einer kleinen Abgabe -für den Priester. Kleidung und Wohnung der Seinigen kosten nichts; sie -leben in einer selbsterbauten Erdhütte, für die sie schwerlich Miete -zahlen und tragen die ersten besten Lumpen; bei Knaben ist selbst das -nicht vonnöten. Uebrigens sind für den Tagelöhner auf dem Lande jetzt -gute Zeiten, er hat nicht immer ein so üppiges Leben geführt. Als der -Hauptbevollmächtigte der Provinzen des Innern unlängst die Klagen einer -Abordnung von Eingeborenen in einem amtlichen Erlaß als unbegründet -zurückwies, erinnerte er sie daran, daß vor kurzem der Tagelohn noch -eine halbe Rupie monatlich betragen habe, täglich nicht ganz einen -Cent, $ 2.90 im Jahr. Wenn ein solcher Lohnarbeiter eine große Familie -hatte -- und mit diesem Reichtum beschenkt der Himmel die armen -Eingeborenen ohne Ausnahme -- so konnte er bei strengster Sparsamkeit -vielleicht 15 Cents vom Ertrag seiner Jahresarbeit erübrigen. Eine -Schuld von $ 13.50 hätte er in 90 Jahren abtragen können, wenn er Leben -und Gesundheit behielt. Man stelle sich nur einmal vor, was das sagen -will: Indien hat verhältnismäßig wenige Städte; fast das ganze Land -ist mit unabsehbaren Feldern bedeckt, die durch Lehmmauern von einander -getrennt sind. Die ungeheure Masse der Bevölkerung besteht also -einzig und allein aus landwirtschaftlichen Arbeitern. Kennt man diese -Tatsachen, so erhält man erst einen Begriff von der grenzenlosen Armut, -die sich hier ansammeln muß. - -Der erste Diener, der sich bei uns meldete, wartete unten und schickte -seine Zeugnisse herauf; es war am Morgen nach unserer Ankunft in -Bombay. Wir prüften sie sorgfältig und fanden nichts daran auszusetzen, -bis auf das eine: sie waren alle von Amerikanern ausgestellt. Wir sind -ein zu gutmütiges Volk und bringen es nicht übers Herz, einem armen -Menschen, der sein Brot verdienen muß, durch unser Urteil zu schaden. -So erwähnen wir in dem Zeugnis nur seine guten Eigenschaften, ja, -wir preisen sie nicht selten über Gebühr, und lassen die schlechten -auf sich beruhen. Ueber diese stumme Lüge machen wir uns keine -Gewissensbisse, und doch ist sie im Grunde verächtlicher als eine -ausgesprochene Unwahrheit, mit der man die Leute nicht so leicht -betrügt, weil sie sich durchschauen läßt. In Frankreich ist das -anders; dort hat man wenigstens die Entschuldigung, daß ein Herr -dem entlassenen Diener ein gutes Zeugnis geben und seine Fehler -verschweigen _muß_, er mag wollen oder nicht. Erwähnt man zum Schutz -für den nächsten Brotherrn die Untugenden des Dieners, so kann er auf -Schadenersatz klagen, und der Gerichtshof erkennt seine Forderungen an, -ja, er erteilt dem wahrheitsliebenden Herrn noch eine derbe Rüge, weil -er versucht hat, einen armen Menschen um sein Brot zu bringen und ihm -den guten Ruf abzuschneiden. -- Ich würde dergleichen nicht behaupten, -wüßte ich es nicht aus dem Munde eines berühmten französischen Arztes, -eines geborenen Parisers, der mir sagte, das sei nicht nur allgemein -bekannt, sondern er selber habe in dieser Hinsicht sehr schlimme -persönliche Erfahrungen gemacht. - -Die reisenden Amerikaner hatten, wie gesagt, den Manuel X. in seinem -Zeugnis so warm empfohlen, daß Sankt Petrus selbst ihn darauf hin -zum Himmelstor eingelassen hätte, wenn der Heilige, wie ich vermute, -mit den Gepflogenheiten meiner Landsleute nicht gerade sehr vertraut -ist. Der Diener war als ein Ausbund von Geschicklichkeit in allen -Künsten seines vielgestaltigen Berufs geschildert. Mit ganz besonderem -Entzücken wurde seine ausgezeichnete Kenntnis des Englischen erwähnt, -was mich sehr freute, denn ich hoffte, es würde doch etwas Wahres -daran sein. - -Einen Diener mußten wir unverzüglich haben; die Meinigen nahmen Manuel -daher für eine Woche zur Probe an und schickten ihn zu mir herauf. Ich -hütete wegen meines Bronchialkatarrhs das Zimmer und sehnte mich nach -einer kleinen Abwechslung und Unterhaltung. Da kam mir Manuel gerade -recht. Er war ungefähr fünfzig Jahre alt, groß und schlank, hielt sich -aus gewohnheitsmäßiger Ehrerbietung etwas vornüber gebeugt, hatte -ein Gesicht von europäischem Schnitt, kohlschwarzes Haar, ein paar -sanfte, fast furchtsame schwarze Augen, eine sehr dunkle Hautfarbe und -ein glattgeschorenes Kinn. Anders als barhaupt und barfuß habe ich -ihn während seiner Dienstwoche bei uns nie gesehen; die europäischen -Kleider, welche er anhatte, waren schlecht, dünn und sehr abgetragen. - -So stand er vor mir, verbeugte sich zum Gruß mit dem ganzen Oberkörper -nach der feierlichen Art der Inder und berührte seine Stirn mit den -Fingerspitzen der rechten Hand. - -»Offenbar bist du ein Hindu, Manuel,« sagte ich, »aber du hast einen -spanischen Namen -- wie kommt das?« - -Der Diener machte ein verblüfftes Gesicht; er hatte nichts verstanden -und wollte es sich doch nicht merken lassen. - -»Name Manuel. Ja Herr,« antwortete er gelassen. - -»Das weiß ich, aber woher hast du ihn?« - -»O ja, vermutlich. Wird wohl so sein. Vater heißt ebenso, Mutter nicht.« - -Ich versuchte mich einfacher auszudrücken, um von diesem gelehrten -Engländer verstanden zu werden, und sprach sehr langsam und deutlich: - -»Von -- wem -- hat -- dein -- Vater -- seinen -- Namen?« - -»O, der --« sein Gesicht erhellte sich -- »er Christ sein, -portugiesischer -- wohnen in Goa. Ich geboren Goa. Mutter nicht -Portugiesin -- Mutter Eingeborene -- Brahminenkaste -- oberste Stufe -- -keine Kaste so hoch wie diese. Ich auch hochgeborener Brahmine. Auch -Christ, wie Vater -- hoher christlicher Brahmine, Herr -- Heilsarmee.« - -Diese Worte brachte er stotternd und schwerfällig heraus. Dann kam es -plötzlich wie Begeisterung über ihn und er erging sich in einem langen -Schwall unverständlicher Reden. - -»Höre auf,« unterbrach ich ihn. »Hindustani verstehe ich nicht.« - -»Nicht Hindustani, Herr -- Englisch. Ich sprechen Englisch immer, den -ganzen Tag, manchmal.« - -»Gut, so lasse ich mir’s gefallen; es ist zwar nicht was ich nach -deinem Zeugnis erwartet und gehofft hatte, doch ist es verständlich. -Schmücke es nicht weiter aus. Sprachverschnörkelungen, die den Sinn -beeinträchtigen, sind mir verhaßt.« - -»Herr?« - -»Das war nur eine allgemeine Bemerkung. Aber sage mir, wie kommst du zu -deinem Englisch? Hast du es gelernt, oder ist es nur eine Gabe Gottes?« - -Manuel zögerte mit der Antwort. - -»Ja,« sagte er dann in frommem Ton. »Er sehr gut. Christengott -sehr gut, Hindugott auch sehr gut. Zwei Millionen Hindugott, ein -Christengott. Gehören alle mein, zwei Millionen und ein Gott -- ich -haben sehr viele. Manchmal ich beten zu sie allezeit, gehen jeden Tag -an Altar, geben Geld; gut für mich -- macht mich besserer Mann, gut für -meine Kinder auch, verdammt gut.« - -Nun fing er wieder an, allerhand unzusammenhängendes Zeug zu schwatzen, -bis ich unserm Gespräch ein Ende machte und ihm befahl, das Badezimmer -in Ordnung zu bringen und den Boden aufzuwischen -- ich wollte ihn los -sein. Er tat als verstünde er mich, nahm meine Kleider aus dem Schrank -und begann sie zu bürsten. Endlich, nachdem ich ihm meine Wünsche -noch mehrmals in immer einfacheren Worten kundgetan, begriff er was -ich wollte. Er ging hin und holte einen Kuli, um die Arbeit zu tun. -Wenn er sie selbst verrichtete, erklärte er mir, würde er das Gesetz -seiner Kaste übertreten und sich verunreinigen. Er könne sich dann nur -mit großer Not und Schwierigkeit wieder zu Ehren bringen. Dergleichen -Arbeit sei den höheren Kasten streng verboten, sie müßte von den Hindus -der untersten Kaste, den verachteten Sudras getan werden. - -Darin hatte Manuel vollkommen recht. Auch haben sich die armen Sudras -anscheinend seit Jahrhunderten in ihr elendes Los ergeben, das sie -sozusagen von Anbeginn der Welt dem Schimpf und der Bedrückung -preisgibt. In den Verordnungen des Manu (900 v. Chr.) steht, daß -wenn sich ein Sudra _nicht auf einen niedrigeren Platz setzt als der -Höhergestellte, er verbannt und gebrandmarkt werden soll_ ... beleidigt -er ein Mitglied der höheren Kaste, _so wird er mit dem Tode bestraft_. -Hört er zu, wenn die heiligen Bücher vorgelesen werden, so soll ihm -_siedendes Oel in die Ohren gegossen werden_; lernt er Stellen davon -auswendig, _so bringt man ihn um_; verheiratet er seine Tochter an -einen Brahminen, _so fährt der Gatte in die Hölle_, weil er sich -durch die Berührung mit einem so unendlich tief unter ihm stehenden -Weibe verunreinigt hat. Auch ist es dem Sudra verboten, _Reichtum zu -erwerben_. »Der Hauptbestandteil der indischen Bevölkerung« (heute -auf 300000000 geschätzt) sagt Bukle »sind die Sudras -- die Arbeiter, -Landbauer und Erzeuger des Wohlstands, und doch hat schon der Name -Sudra eine verächtliche Bedeutung.« - -Den armen alten Manuel konnten wir nicht gebrauchen; er mochte wohl -schon zu bejahrt für uns sein. Ueber seine Langsamkeit wollte man -schier verzweifeln und seine Vergeßlichkeit überstieg alle Grenzen. Um -eine Besorgung in der nächsten Straße zu machen, blieb er zwei Stunden -aus und vergaß unterwegs, was er holen sollte. Zum Packen eines Koffers -brauchte er eine Ewigkeit und wenn er schließlich damit zustande -kam, war der Inhalt ein unbeschreibliches Chaos. Auch die Aufwartung -bei Tische besorgte er schlecht, und das ist ein sehr wesentlicher -Mangel, denn wer sich in einem indischen Hotel nicht auf seinen eigenen -Diener verlassen darf, ist übel dran und muß meist hungrig von Tische -aufstehen. Sein Englisch verstanden wir ebensowenig wie er das unsrige, -und als sich herausstellte, daß er selbst nicht verstand was er sagte, -war es hohe Zeit uns von ihm zu trennen. Fortschicken mußte ich ihn, -das ließ sich nicht ändern, aber ich tat es so sanft und freundlich, -wie ich irgend konnte. »Wir müssen scheiden,« sagte ich, »doch hoffe -ich, daß wir uns in einer bessern Welt wiederfinden.« Die kleine -Unwahrheit nahm ich mir nicht übel, sie kostete nichts und ersparte ihm -eine Kränkung. - -Sobald er fort war, fiel mir eine Last vom Herzen, ich fühlte frische -Kraft und neuen Mut, meine Unternehmungslust wuchs und ich war bereit -zu allen Taten. Da kam auch schon Manuels neu gemieteter Nachfolger -hereingeflitzt; er berührte seine Stirn, flog hierhin und dorthin auf -sammetweichen Sohlen, brachte in fünf Minuten das ganze Zimmer in die -musterhafteste Ordnung und stand dann ehrerbietig da, weitere Befehle -erwartend. Potztausend, was war das für ein rühriges Kerlchen! Eine -wahre Erquickung nach der schläfrigen alten Schnecke, dem Manuel. Vom -ersten Augenblick an hing mein ganzes Herz voll Liebe und Bewunderung -an dem zweibeinigen, flinken, schwarzen Geschöpfchen, diesem -Inbegriff von Tatkraft, Schnelligkeit und Zuversicht, diesem klugen, -freundlichen, reizenden kleinen Teufel mit den blitzenden Augen. Das -flammendrote Fez mit der feurigen Troddel, das ihm oben auf dem Kopfe -saß und wie eine brennende Kohle glühte, kleidete ihn zum Entzücken. - -»Wir werden gut zusammen auskommen,« sagte ich mit innerlichster -Befriedigung. »Wie heißt du?« - -Er wickelte seinen Namen der ganzen Länge nach mit geläufiger Zunge ab. - -»Warte, laß mich meine Auswahl treffen, zum täglichen Gebrauch -- den -Rest versparen wir uns auf den Sonntag. Sage mir’s noch einmal, aber -abteilungsweise.« - -Er tat es; doch war kein kurzer Name darunter, außer Mausa, was mir -nicht passend schien; es erinnerte an Maus und war zu sanft und still -und viel zu unscheinbar für sein prächtiges Wesen. - -»Mausa ist kurz genug,« sagte ich nach einiger Ueberlegung, »aber -es gefällt mir nicht; es hat weder Saft noch Kraft und ist nicht -bezeichnend genug -- in solchen Dingen bin ich sehr empfindlich. Was -meinst du, wenn wir dich Satan nennten?« - -»Ja Herr -- Satan, sehr guter Name.« - -Es klopfte an der Tür; mit einem Sprunge war Satan dort, ein paar -Worte auf Hindustani wurden gewechselt, dann schlüpfte er hinaus. Drei -Minuten später stand er in militärischer Haltung wieder vor mir und -wartete auf meine Anrede. - -»Was gibt es, Satan?« - -»Gott ist da, wünschen Sie zu sprechen.« - -»Wer?« - -»Gott. Ich ihn sollen hereinführen?« - -»Wie ist denn das möglich? -- ich -- ich weiß wirklich nicht -- so ganz -unvorbereitet -- erkläre mir doch -- ein so ungewöhnlicher Besuch --« - -»Hier seine Karte, Herr.« - -War es nicht merkwürdig, schrecklich und staunenerregend, daß eine so -hohe Persönlichkeit mich armen Sterblichen besuchen wollte, und mir -wie ein gewöhnlicher Mensch seine Karte hereinschickte -- obendrein -durch Satan? -- Es schien mir ein völlig verwirrendes, undenkbares -Zusammentreffen. Aber wir waren ja in Indien, dem Märchenlande; es gibt -nichts, was dort nicht geschehen könnte! - -Die Unterredung fand statt. Satan hatte ganz recht. Mein Besucher war -in den Augen seiner Anhänger wirklich ein Gott und wurde von ihnen -als solcher in aller Demut verehrt und angebetet. An der Göttlichkeit -seines Amtes und Ursprungs zu zweifeln, liegt ihnen ferne. Sie glauben -an ihn, bringen ihm Gaben und Opfer dar und erlangen von ihm Vergebung -ihrer Sünden. Seine Person und alles was diese betrifft, ist ihnen -heilig; sie kaufen sich von dem Barbier die abgeschnittenen Fingernägel -des Gottes, fassen sie in Gold und tragen sie als kostbare Amulette. - -Ich versuchte eine ruhige Unterhaltung mit ihm zu führen, aber -ich brachte es nicht zustande. Hättet ihr es tun können? -- Meine -Aufregung, Verwunderung und Neugier waren zu groß; ich verschlang ihn -förmlich mit den Augen. Es war ein Gott, ein wirklicher, anerkannter -und beglaubigter Gott, den ich da vor mir sah; seine Person, sein -Anzug bis in die kleinsten Einzelheiten, hatte ein überwältigendes -Interesse für mich. »Was für ein Unterschied!« dachte ich: »selbst -der höchstgestellte Mensch muß sich am Zoll der Ehrerbietung und -Höflichkeit genügen lassen, den man ihm darbringt, aber _er_ ist der -Empfänger weit köstlicherer Geistesgaben -- vor ihm kniet man, ihn -betet man an! Männer und Frauen legen die Sorgen und Kümmernisse eines -schwerbeladenen Herzens ihm zu Füßen nieder und er verleiht ihnen -Trost und Frieden, so daß sie geheilt von dannen gehen.« - -In diesem Augenblick sagte mein erhabener Gast im einfachsten Tone von -der Welt: - -»Was mir an der Lebensweisheit Ihres Huckleberry Finn am besten -gefällt, ist --« und dann fuhr er fort, mir sein literarisches Urteil -auf klare und verständige Weise auseinander zu setzen. - -O, was für wunderbare Ueberraschungen erlebt man doch in Indien! Ich -gestehe, daß ich nicht ohne Ehrgeiz bin und gehofft hatte, Könige, -Präsidenten und Kaiser würden mich lesen -- aber _so hoch_ hatte ich -mich in meinen Erwartungen nie verstiegen. Wollte ich leugnen, daß mich -das unendlich beglückte, so wäre es falsche Bescheidenheit. Selbst die -größte Anerkennung von seiten eines Menschen hätte mir nicht solche -Freude gemacht, das bekenne ich ganz offen. - -Mein Gast blieb über eine halbe Stunde da und war sehr höflich und -liebenswürdig. Die göttliche Würde besteht schon lange in seiner -Familie, seit wann weiß ich nicht. Er ist eine mohammedanische Gottheit -und nimmt auf Erden den Rang eines persischen Prinzen ein, der in -gerader Linie vom Propheten abstammt. Er ist hübsch und noch recht -jung -- für einen Gott -- fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt. -Die göttliche Größe trägt er mit Ruhe und Gelassenheit, wie es sich -für seinen erhabenen Beruf ziemt, und dabei sprach er das Englische -geläufig und rein, wie ein geborener Engländer. Ich glaube nicht, daß -ich übertreibe; ich hatte vorher noch nie einen Gott gesehen, und er -machte mir einen sehr günstigen Eindruck. Als er sich erhob um Abschied -zu nehmen, ging die Tür auf, ich sah draußen ein rotes Fez aufleuchten -und hörte die ehrerbietige Frage: - -»Soll Satan Gott hinausbegleiten?« - -»Ja.« -- Die beiden unzusammengehörigen Wesen verschwanden vor meinen -Blicken, Satan ging voraus und der _Andere_ folgte ihm. - -[Illustration] - - - - -Viertes Kapitel. - - Glück zu ertragen verstehen nur wenige. Ich meine andrer - Leute Glück. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Das nächste Bild in meiner Erinnerung ist das Gouverneurshaus auf der -Malabar-Spitze, wo man von den Fenstern und großen Balkons weit ins -Meer hinausblickt. Seine Exzellenz, der Gouverneur der Präsidentschaft -Bombay, wohnt dort ganz nach europäischer Art, in einem Staatspalast, -der zugleich ein behagliches Heim ist; nur die Leibwache und die Diener -sind Eingeborene. Da war England vertreten mit seiner Macht und den -Errungenschaften seiner modernen Zivilisation; überall herrschten -stille Farben und gediegener Geschmack, ruhige Würde und Vornehmheit. - -Nun folgte ein Bild altindischer Kultur in der Behausung von Kumar -Shri Samatsinhji Bahadur, dem Fürsten des Palitana-Staats. Bei unserm -Besuch sahen wir auch dessen Sohn und Erben nebst seinem Schwesterchen. -Die hübsche braune kleine Elfe war zart gebaut, sehr ernsthaft, reizend -anzuschauen und gekleidet wie der zierlichste Schmetterling. Sie machte -uns zwar ein freundliches Gesicht, doch zog sie es anfänglich vor, -ihres Vaters Hand nicht loszulassen, um die Fremden erst näher kennen -zu lernen und zu sehen, wie weit man ihnen trauen dürfe. Die niedliche -kleine Märchenprinzessin mochte etwa acht Jahre alt sein; in drei oder -vier Jahren mußte sie also nach indischem Brauch heiraten. Dann war ihr -freies Leben in Luft und Sonnenschein zu Ende und von einem Verkehr -mit männlichen Besuchern durfte nicht mehr die Rede sein. Gleich ihrer -Mutter wird sie sich auf Lebenszeit im Frauengemach einschließen, sich -aus angeerbter Gewohnheit glücklich fühlen und ihre Beschränkung weder -als lästigen Zwang noch als trübselige Gefangenschaft ansehen. - -In seinen Mußestunden unterhält sich der Fürst mit einem Spiel -- -aber davon will ich lieber nicht reden; ich könnte es doch nicht so -beschreiben, daß man es versteht. Es ist sehr verwickelt, und obgleich -ich mir alle Mühe gab es zu begreifen, gelang es mir doch nicht; man -sagt, daß nur ein Inder das Spiel erlernen kann. Meine Frau und -Tochter besuchten unterdessen die Fürstin im Frauengemach -- eine -liebenswürdige Dame, die fließend Englisch spricht. -- Auch einen -Turban zu winden war ich nicht imstande; es sieht so einfach und leicht -aus, als wäre es gar keine Kunst, das beruht jedoch auf Täuschung. Der -Inder nimmt das eine Ende eines vierzig bis fünfzig Fuß langen und etwa -einen Fuß breiten, dünnen, zarten Gewebes in beide Hände, windet es -sorgfältig fest um den Kopf, wobei er den Stoff mehrmals dreht -- in -ein paar Minuten ist das Kunstwerk regelrecht vollendet und sitzt wie -angegossen. - -Wir interessierten uns sehr für die fürstliche Garderobe, die -Edelsteine und das schön geformte, prächtig verzierte Silbergerät. -Letzteres wird bei den Mahlzeiten gebraucht und im übrigen stets -verschlossen gehalten; nur der erste Diener und der Fürst selber -haben Schlüssel zum Silberschrank. Der Zweck dieser Maßregel ist aber -keineswegs den Silberschatz zu hüten, sondern vermutlich den Fürsten -vor einer Verunreinigung zu schützen, welcher seine Kaste ausgesetzt -wäre, wenn Diener aus einer niederen Kaste die Gefäße berührten; -vielleicht fürchtet seine Hoheit auch Gift! Ich glaube ein besoldeter -Vorkoster muß jede Speise versuchen, ehe der Fürst sie genießt. Das ist -eine alte, weise Sitte im Orient, die gar manchen Vorkoster an Stelle -seines Herren ins Jenseits brachte, denn natürlich ist es der Koch, der -das Gift in das Essen tut. Wäre ich ein indischer Fürst, so würde ich -mit dem Koch speisen und die Stelle des Vorkosters eingehen lassen. - -Alle Zeremonien flößen mir stets Interesse ein; auch mit dem indischen -Morgengruß ist eine solche verbunden: Der Sohn berührt dabei -ehrfurchtsvoll des Vaters Stirn mit einem kleinen silbernen Röhrchen, -das in Saft getaucht wird, welcher einen roten Punkt zurückläßt; -hierauf segnet der Vater den Sohn. Wenn wir uns damit begnügen, Guten -Morgen zu sagen, so paßt das zwar zu unsern formlosen Gewohnheiten, -aber für den Orient wäre es lange nicht umständlich und feierlich genug. - -Beim Schluß unseres angenehmen Besuchs legte man uns noch, wie es -die Sitte verlangt, große gelbe Blumenkränze um den Hals und versah -uns mit Betelnüssen zum Kauen. Dann begaben wir uns aus diesem -farbenprächtigen, sonnigen Leben nach einem Schauplatz ganz anderer -Art, nach den ›Türmen des Schweigens‹, wohin die Parsen ihre Toten -bringen. Der Name hat einen erhabenen eindrucksvollen Klang, über dem -die Stille des Todes schwebt. Wenn wir von Grabhügel, Grabgewölbe, -Gottesacker und Friedhof reden, so haben diese Wörter zwar auch, durch -die sich daran knüpfenden Gedanken, eine feierliche Bedeutung für uns -gewonnen, aber so majestätisch tönen sie doch nicht an unser Ohr. - -Auf einer Anhöhe, mitten in einem tropischen Paradies von Blumen und -Laubwerk, fern vom lärmenden Weltgetriebe, standen die ›Türme des -Schweigens‹ da; ringsum breiteten sich große Haine von Kakaopalmen -aus, dann die Stadt in meilenweitem Umkreis, dahinter das von Schiffen -wimmelnde Meer, und über allem schwebte dieselbe lautlose Stille, -welche droben den Platz der Toten umgab. Die Geier hatten sich -eingestellt; sie saßen am Rande des niedrigen festen Turmes in einem -großen Kreise dichtgedrängt, regungslos, wie aus Stein gemeißelt -- und -warteten. Man war fast versucht, sie für leblose Bildwerke zu halten. -Plötzlich traten die Anwesenden -- es mochten etwa zwanzig Personen -zugegen sein -- ehrfurchtsvoll beiseite, und das Gespräch verstummte. -Ein Leichenzug bewegte sich durch das große Gartentor nach dem Turme -hin. Der Tote lag auf einer flachen Bahre mit einem weißen Tuche -bedeckt, sonst aber unbekleidet; zwischen den Leichenträgern und dem -Trauergefolge ließ man einen Abstand von dreißig Fuß. Die paarweise -einherschreitenden Leidtragenden, in weiße Gewänder gehüllt, waren je -zwei und zwei mit Stricken oder Tüchern zusammengebunden -- das heißt, -im bildlichen Sinne -- eigentlich hielt nur jeder ein Ende in der Hand. -Hinter dem Zuge führte man einen Hund an der Leine. Als die Trauernden -unweit des Turmes angelangt waren -- es darf außer den Trägern mit der -Leiche kein Mensch näher kommen als bis auf dreißig Fuß -- kehrten sie -wieder um und begaben sich nach einem kleinen Tempel im Garten, um für -den abgeschiedenen Geist zu beten. Die Träger schlossen indessen die -Tür auf, welche den einzigen Gang zum Turme bildet und verschwanden -drinnen vor unsern Blicken. Nach einer Weile kamen sie wieder heraus, -Bahre und Leichentuch tragend, und verschlossen die Tür. Nun erhoben -sich die Geier im Kreise, schlugen mit den Flügeln und schossen in den -Turm hinunter, um die Leiche zu verzehren. Als der ganze Schwarm wenige -Minuten später wieder davonflog, blieb nur das völlig abgenagte Skelett -zurück. - -Der Gedanke, welcher bei einem Parsenbegräbnis allen Bestimmungen zu -Grunde liegt, ist die Reinheit. Nach den Lehren des Zoroaster sind -die Elemente Erde, Feuer und Wasser geheiligt und dürfen nicht durch -Berührung eines Leichnams befleckt werden. Daher kann man die Toten -weder verbrennen noch begraben, auch ist jedem untersagt, eine Leiche -zu berühren oder den Turm zu betreten, in dem sie liegt. Nur den von -Amtswegen dazu bestimmten Männern wird dies gestattet; sie erhalten -hohen Lohn, führen jedoch ein einsames, trübseliges Leben, denn sie -müssen allen Umgang mit andern Genossen meiden, weil sie sich durch -ihren Verkehr mit den Toten verunreinigen; wer sich zu ihnen gesellt, -wird gleichfalls befleckt. Bei ihrer Rückkehr aus dem Turm wechseln -sie ihre Kleider in einem innerhalb der Tore gelegenen, besonders dazu -bestimmten Gebäude. Den Anzug, welchen sie getragen haben, lassen sie -dort zurück, denn er ist unrein und darf nicht mit hinausgenommen, noch -überhaupt wieder benützt werden. Zu jedem Begräbnis kommen die Träger -in neuen Kleidern. Kein menschliches Wesen, außer den angestellten -Leichenträgern, hat je einen ›Turm des Schweigens‹ nach dessen -Einweihung betreten, bis auf einen einzigen Fall. Es ist jetzt gerade -hundert Jahre her, da drang einmal ein Europäer hinter den Trägern ins -Innere des Turmes, um seine rohe Neugier an dem verbotenen Anblick -des geheimnisvollen Ortes zu sättigen. Name und Stand des frechen -Eindringlings sind unbekannt geblieben; da er jedoch für sein schweres -Vergehen keine andere Strafe seitens der Regierung der Ostindischen -Kompagnie erhalten hat, als einen öffentlichen Verweis, so liegt die -Vermutung nahe, daß es ein Europäer aus angesehener Familie war. In -dem amtlichen Schreiben, welches jene feierliche Rüge enthielt, wurde -zugleich jedem, der sich künftig einer ähnlichen Uebertretung schuldig -machte, angekündigt, man werde ihn, falls er im Dienst der Kompagnie -stehe, sofort entlassen; Mitglieder des Kaufmannsstandes dagegen -sollten ihre Handelsberechtigung verlieren und aus Indien verbannt -werden. - -Die ›Türme des Schweigens‹ sind im Verhältnis zu ihrem Umfang nicht -hoch. Will man sich einen ungefähren Begriff von ihrer Form machen, so -stelle man sich einen Gasometer vor, der bis zur Hälfte seiner Höhe mit -festen Granitsteinen ausgemauert ist, durch welche man in der Mitte -einen breiten und tiefen Schacht gebohrt hat. Ringsum auf dem Mauerwerk -liegen die Toten in flachen, rinnenartigen Vertiefungen, welche wie -die Speichen eines Rades in schräger Richtung nach dem Brunnen zu -auslaufen und ihm das Regenwasser zuführen, das durch unterirdische -Kanäle mit Kohlenfiltern wieder abgeleitet wird. - -Hat das Skelett einen Monat lang, dem Regen und der glühenden Sonne -ausgesetzt, im Turm gelegen, so ist es vollkommen trocken und rein. -Dann kommen dieselben Träger behandschuht wieder, fassen es mit einer -Zange an und werfen es in den Schacht, wo es in Staub zerfällt. -Andere Völker scheiden ihre Toten voneinander und bewahren die -Standesunterschiede noch im Grabe. Sie bestatten die Leichen von -Königen, Staatsmännern, Generälen, in Tempeln und Pantheons, wie es -ihrem Range gebührt, und die Leichen der Armen und gemeinen Leute an -Orten, die ihrem niedern Stande angemessen sind. Die Parsen dagegen -glauben, daß im Tode alle Menschen gleich sind. Zum Zeichen ihrer -Armut trägt man sie nackt in die Grube, zum Zeichen ihrer Gleichheit -wirft man die Gebeine der Reichen, der Armen, der Berühmten und -der Unbekannten zusammen in denselben Brunnenschacht. Bei einem -Parsenbegräbnis sieht man keine Wagen; wer sich daran beteiligt, sei -er reich oder arm, muß zu Fuße gehen, mag die Entfernung auch noch -so groß sein. Seitdem die Parsen vor zweihundert Jahren, durch die -mohammedanischen Eroberer vertrieben, aus Persien nach jener Gegend -Indiens eingewandert sind, hat sich in den fünf vorhandenen ›Türmen des -Schweigens‹ der Staub aller ihrer Männer, Frauen und Kinder vermischt, -die in Bombay und dessen Umgegend gestorben sind. - -Was der Hund bei dem Begräbnis bedeutet, weiß niemand mehr recht zu -erklären; er soll bei den alten Parsen ein heiliges Tier gewesen sein, -das die abgeschiedenen Seelen zum Himmel geleitete. Der Hund, den ich -damals sah, machte mir einen tiefen Eindruck, er war ja ein Rätsel, -zu dem der Schlüssel verloren gegangen ist. Traurig und mit gesenktem -Kopf kam er daher, als sei er bemüht, sich das Sinnbild ins Gedächtnis -zurückzurufen, welches vorzustellen man ihn vor grauen Jahren -beauftragt hatte. Das heilige Feuer, das in der Nähe brennt, bekam ich -nicht zu sehen; die ursprüngliche Flamme soll seit zweihundert Jahren -nicht erloschen sein. - -Die Parsen behaupten, daß ihre Art der Totenbestattung der wirksamste -Schutz für die Lebenden ist. Weder Krankheitskeime noch Fäulnis, noch -irgend welche Unreinigkeit wird dadurch verbreitet; keine Hülle, kein -Kleidungsstück, das dem Toten angehört hat, darf wieder mit einem -Lebenden in Berührung kommen. Nichts geht von den Türmen des Schweigens -aus, was der Welt draußen Schaden zu bringen vermöchte. Wir können -den Parsen nur recht geben. In gesundheitlicher Beziehung hat ihr -System dieselben Vorzüge wie die Leichenverbrennung. Wir nähern uns -jetzt langsam aber sicher dieser Bestattungsart. Daß sich die Wandlung -rasch vollziehen wird, kann man nicht erwarten, aber wenn sie nur -allmählich und stetig fortschreitet, so genügt das vollständig. Ist die -Leichenverbrennung erst einmal zur allgemeinen Regel geworden, so wird -unser Grauen davor verschwinden; auch die Toten zu begraben würde uns -Schauer erregen, wenn wir uns vergegenwärtigen wollten, was im Grabe -vorgeht. - -Die Parsen sind eine merkwürdige Volksgemeinde. In Bombay leben etwa -60000 und halb so viel im übrigen Indien, aber was ihnen an Zahl -abgeht, ersetzen sie durch ihre Bedeutung. Sie sind hochgebildet, -tatkräftig, unternehmend, reich, dem Fortschritt huldigend, und nicht -einmal die Juden zeigen sich so freigebig und wohltätig gegen jedermann -ohne Unterschied. Viele Hospitäler für Menschen und Tiere sind von den -Parsen erbaut und mit reichen Geldmitteln ausgestattet worden. Sie -sowohl als ihre Frauen haben eine stets offene Hand, wo es sich um -irgend einen großen und guten Zweck handelt. In politischer Hinsicht -bilden sie eine Macht, welche der Regierung wesentliche Unterstützung -gewährt. Die Lehren ihrer Religion sind rein und erhaben, sie halten -unverbrüchlich an ihnen fest und richten ihr ganzes Leben danach ein. - -Ehe wir den Garten der ›Türme des Schweigens‹ verließen, warfen wir -noch einen Blick auf die wundervolle Aussicht, welche Ebene, Stadt -und Meer uns boten. Das letzte, was mir dabei ins Auge fiel, war ein -natürliches Sinnbild des Todes: auf einem freien Platz im Garten saß -ein Geier auf dem abgesägten Stumpf eines hohen, schlanken Palmbaums. -Er verharrte regungslos in seiner Stellung, wie ein Steinbild auf einer -Säule; dabei hatte er einen förmlichen Grabesblick, der ganz zu der -Stimmung des Ortes paßte. - - - - -Fünftes Kapitel. - - Es gibt einen alten goldenen Spruch, welcher lautet: »Wohl - dir, wenn du beim Aufstieg zum Hügel des Glücks keinem - Freunde begegnest.« - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Zunächst wurden wir von Bekannten nach einem Dschain-Tempel -mitgenommen; er war nicht groß und mit vielen flatternden Wimpeln -geschmückt, die an Flaggenstangen befestigt sind; auf den Zinnen des -Daches stehen ringsum eine Unmenge kleiner Götzenbilder. In der Mitte -des innern Raumes sagte ein einsamer Dschain laut seine Gebete her -und ließ sich durch unsere Gegenwart in keiner Weise stören. Seine -Andacht galt einem kleinen, sitzenden, rosig gefärbten Götzen, der sich -etwa zwölf Fuß vor ihm befand und einer schlecht geformten Wachsfigur -glich. Mr. Gandhi, der dem Kongreß der Weltreligionen in Chicago -als Abgeordneter beigewohnt hat, setzte uns die Lehren der Dschaina -in trefflichem Englisch auseinander, aber was er sagte ist meinem -Gedächtnis entschwunden. Ich weiß nur noch, daß sich ihre religiösen -Vorstellungen in erhabene Formen kleiden, und grobe Sinnlichkeit -ihnen fremd ist. Wie sich das mit der Anbetung des rohen Götzenbildes -vereinbaren läßt, kann ich nicht erklären. Vermutlich stellt dieses -ein Wesen dar, das nach vielhundertjährigen Seelenwanderungen, bei -stetiger Zunahme an Frömmigkeit und Tugend, zuletzt zu einem Heiligen, -einer Art Gottheit geworden ist, welche die Anbetung stellvertretend -entgegennimmt, um sie der Himmelsbehörde zu übermitteln. So denke ich -es mir wenigstens. - -Von dort begaben wir uns nach Mr. Premchand Roychands Bungalow im -Love Lane, Byculla, wo ein indischer Fürst, der kürzlich von der -Kaiserin Viktoria zum Ritter des indischen Sternordens ernannt worden -war, die Abgesandten der Dschaina empfangen wollte, welche ihm wegen -dieser hohen Ehre ihre Glückwünsche darbrachten. Selbst der größte -indische Fürst verschmäht die Auszeichnung nicht; er erläßt seinen -Untertanen die Steuern und gibt viel Geld aus zur Verbesserung der -öffentlichen Zustände, wenn er dafür die Ritterwürde erlangen kann. -Alljährlich verleiht die Kaiserin verschiedenen einheimischen Fürsten -zum Lohn für ihre Verdienste den Stern von Indien und teilt zugleich -Kanonen an sie aus, welche sie beim Salutschießen abfeuern dürfen. -Ein kleiner Fürst hat drei oder vier Kanonen, die ihm den Ehrengruß -bringen, und mit der Bedeutung des Fürsten nimmt auch die Zahl seiner -Kanonen zu, bis auf elf Stück, ja vielleicht haben manche noch mehr, -aber das weiß ich nicht bestimmt. Mir ist gesagt worden, daß wenn ein -vier Kanonen-Fürst die fünfte erhält, seine Umgebung sehr darunter -leidet, denn solange ihm die Sache noch neu ist, möchte er bei jeder -Gelegenheit Salutschüsse haben, und die ohrenzerreißende Musik will -gar kein Ende nehmen. Wie viele Kanonen so große Herrscher wie der -Nizam von Hyderabad und der Gaikawar von Baroda haben, vermag ich, wie -gesagt, nicht anzugeben. - -Als wir das Bungalow betraten, fanden wir die große Halle im Erdgeschoß -bereits voller Menschen, und noch immer kamen neue Wagen vorgefahren. -Die Versammlung bot ein hübsches Schauspiel; alles funkelte und blitzte -wie bei einem Feuerwerk, so bunt waren die Kostüme und so glänzend -die Farben. Ganz besonders merkwürdig fand ich die Ausstellung der -verschiedenen Turbans. Ihre wunderbare Mannigfaltigkeit erklärte sich -dadurch, daß die Mitglieder der Dschaina-Gesandtschaft aus allen Teilen -Indiens stammten und jeder einen Turban trug, wie er in seiner Gegend -Sitte war. - -Ich würde dort gern eine Konkurrenz-Ausstellung von christlichen -Trachten und Kopfbedeckungen veranstaltet haben. Dazu hätte ich nur -alle indische Herrlichkeit aus einer Hälfte des Raumes zu entfernen und -diese mit Christen aus Amerika, England und den Kolonien anzufüllen -brauchen, welche Hüte und Kleider trugen, wie sie vor zwanzig, -vierzig, fünfzig Jahren Mode waren oder wie man sie heutzutage hat. -Es wäre eine greuliche Sammlung gewesen, ein Anblick von ausgesuchter -Scheußlichkeit. Auch die weiße Gesichtsfarbe hätte ihr Teil dazu -beigetragen. Sie kommt uns zwar nicht gerade unleidlich vor, solange -wir uns unter lauter Weißen befinden, sehen wir sie aber zusammen -mit einer Menge brauner oder schwarzer Gesichter, so wird uns -augenblicklich klar, daß nur die Gewohnheit sie erträglich macht. Eine -schwarze oder braune Haut ist fast immer schön, eine weiße nur sehr -selten. Will man sich hiervon überzeugen, so braucht man nur an einem -Wochentage in Paris, New York oder London eine Straße hinunterzugehen --- nicht gerade im vornehmsten Viertel -- und sich zu merken, wie -vielen Menschen mit gutem Teint man auf einer etwa meilenlangen Strecke -begegnet. Neben dunkeln Gesichtern sehen die weißen ausgewaschen, -ungesund, oft förmlich gespensterhaft aus. Schon als Knabe hatte ich -daheim, zur Sklavenzeit vor dem Bürgerkrieg, Gelegenheit gehabt diese -Beobachtung zu machen. Wahrhaft bewundernswert erschien mir aber die -prächtige schwarze Haut der südafrikanischen Zulus aus Durban, die wie -Atlas glänzte. Ich sehe sie noch vor mir, diese schwarzen Athleten, -wie sie mit den Rickschas vor dem Hotel auf Kundschaft warteten. -Die schönen Gestalten waren nur wenig verhüllt durch die leichte -Sommerkleidung, deren schneeiges Weiß das tiefe Schwarz der Neger um -so mehr hervortreten ließ. In Gedanken vergleiche ich jene Zulu-Gruppe -mit den Bleichgesichtern, die soeben an meinem Fenster in London -vorübergehen: - -_Erste Dame_: Gesichtsfarbe: neues Pergament. - -_Zweite_: Altes Pergament. - -_Dritte_: Weiß und rot; sehr hübsch. - -_Ein Mann_: Graues Gesicht mit roten Flecken. - -_Ein anderer Mann_: Ungesunde, schuppige Haut. - -_Mädchen_: Blaßgelb mit Sommersprossen. - -_Alte Frau_: Weißlichgrau. - -_Metzgerbursche_: Stark gerötetes Gesicht. - -_Gelbsüchtiger Mann_: Helle Senffarbe. - -_Aeltere Dame_: Farblose Haut mit zwei großen Muttermälern. - -_Aelterer Mann_ (dem Trunk ergeben): Kartoffelnase in einem welken, von -feuerroten Falten durchzogenen Gesicht. - -_Gesunder junger Herr_: Schöner, frischer Teint. - -_Kranker junger Herr_: Weiß, wie ein Gespenst. - -Die Hautfarbe unzähliger Menschen ist nur eine matte, charakterlose -Abschattierung dessen, was wir fälschlich ›weiß‹ zu nennen pflegen. -Manche Gesichter sind mit Pusteln bedeckt oder tragen sonstige -Zeichen eines ungesunden Blutes, während andere grell abstechende -Narben und Flecken haben. Im Gesicht des weißen Mannes läßt sich -nichts verbergen; durch alle erdenklichen Zufälligkeiten werden seine -Reize beeinträchtigt. Die Damen schminken und pudern sich, brauchen -Schönheitswasser, Arsenik, und mancherlei Mittel um die Haut zu -glätten; sie streicheln und schmeicheln, sie schmieren und wirtschaften -an ihr herum und geben sich unsägliche Mühe sie zu verschönern. Alles -umsonst. Doch liefern ihre Anstrengungen uns den besten Beweis, welche -geringe Meinung sie von der Beschaffenheit der Haut im allgemeinen -haben. Was sie sich nachzuahmen bestreben, gewährt die Natur nur sehr, -sehr wenigen. Von hundert Personen haben neunundneunzig gewiß einen -schlechten Teint, und wie lange vermag der Hundertste, dem ein guter -verliehen ist, sich denselben zu erhalten? Höchstens zehn Jahre. - -Nein, der Zulu ist entschieden im Vorteil. Er hat von Anfang an seine -schöne Gesichtsfarbe und behält sie, solange er lebt. Und wie angenehm -und wohltuend für das Auge ist erst das bestimmte, glatte, fleckenlose -Braun des Inders; es braucht keine Farbe zu scheuen, es paßt zu allen -und erhöht ihren Reiz. Daß sich der Durchschnittsteint des Weißen mit -dieser wundervollen, köstlichen Färbung auch nur entfernt vergleichen -ließe, davon kann gar keine Rede sein. - -Doch kehren wir zum Bungalow zurück. Am prächtigsten gekleidet waren -einige Kinder. Von den leuchtenden Farben ihrer kostbaren Stoffe und -den Edelsteinen, mit denen sie behangen waren, ging ein förmlicher -Strahlenglanz aus. Man hielt sie für Mädchen, und doch waren es Knaben, -Natsch-Tänzer von Beruf. Einzeln, zu zweien oder zu vieren standen sie -auf und tanzten und sangen zu den unheimlichen Klängen der Begleitung. -Ihre Stellungen und Bewegungen waren höchst anmutig und kunstvoll, aber -die Stimmen scharf und unangenehm und die Melodien größtenteils sehr -eintönig. - -Nicht lange, so erhob sich draußen ein lautes Hurra und Jubelrufen. Es -galt dem Fürsten, der mit Gefolge seinen feierlichen Einzug hielt. Er -war ein stattlicher Herr in wundervollem Kostüm, bedeckt mit Schnüren -von Perlen und Edelsteinen; unter letzteren befanden sich einige -Smaragde von erstaunlicher Größe, die in ganz Bombay wegen ihrer -Schönheit und Kostbarkeit berühmt sind; das Auge konnte sich gar nicht -satt daran sehen. Auch der kleine Prinz, der den Fürsten begleitete, -war eine strahlende Erscheinung. - -Langwierige Zeremonien fanden nicht statt. Der Fürst schritt mit -ernster Würde und Majestät auf seinen Thron zu, neben welchem der des -Prinzen stand. Feierlich saßen die beiden da, während sich rechts und -links von ihnen das Gefolge gruppierte. Es war das getreue Abbild -einer Schaustellung, wie wir sie oft in Büchern beschrieben finden. -Seit Salomo einst die Königin von Saba empfing und seine Schätze vor -ihr ausbreitete, haben die Fürsten aller Zeiten es für ihre Pflicht -gehalten, sich mit solchem Gepränge zu zeigen. - -Der Führer der Dschaina-Abordnung verlas seine Glückwunschadresse und -steckte sie dann in ein schön verziertes Silberrohr, das er dem Fürsten -ehrfurchtsvoll überreichte, worauf dieser es ohne weiteres einem seiner -Beamten einhändigte. Ich will die Adresse hier mitteilen, denn es ist -interessant zu sehen, wofür die Untertanen eines indischen Fürsten -unter der heutigen englischen Herrschaft ihrem Monarchen alles zu -danken haben. Zur Zeit seines Großvaters, vor anderthalb Jahrhunderten, -als sich England noch nicht in die indische Verwaltung einmischte, -hätte man sich bei der Dankadresse sehr kurz fassen können. In jenen -Tagen der Freiheit würde das Volk dem Fürsten gedankt haben: - -1. Daß er nicht aus bloßer Laune zu viele seiner Untertanen erschlagen -habe. - -2. Daß er sie nicht durch Erhebung willkürlicher Abgaben gänzlich -ausgesogen und der Hungersnot preisgegeben habe. - -3. Daß er nicht unter nichtigem Vorwand die Reichen getötet und ihr -Vermögen eingezogen habe. - -4. Daß er die Angehörigen des Königshauses nicht getötet, geblendet, -eingekerkert oder verbannt habe, um seinen Thron gegen Verschwörungen -zu sichern. - -5. Daß er sich nicht habe bestechen lassen, irgend einen seiner -Untertanen heimlich den Banden berufsmäßiger Thugs zu überliefern, -damit sie ihn im Hinterhof des Fürstenschlosses nach Belieben ermorden -und ausplündern konnten. - -Das waren die gebräuchlichsten Maßregeln der Fürsten in alter Zeit; -aber diese sowohl wie einige andere, nicht minder harte, sind unter -der englischen Herrschaft schon längst abgeschafft worden. Bessere -Mittel und Zwecke sind seitdem an ihre Stelle getreten, wie uns die -Glückwunschadresse der Dschaina sofort beweisen wird. Dieselbe lautete: - - »Allergnädigster Fürst! -- Wir, die unterzeichneten Mitglieder - der Dschaina-Gemeinde von Bombay, nähern uns Eurer Hoheit mit - aufrichtiger Freude, um wegen der kürzlich erfolgten Ernennung - Eurer Hoheit zum Ritter des erhabenen Sternordens von Indien, - unsere herzlichsten Glückwünsche darzubringen. Vor zehn Jahren - durften wir Eure Hoheit unter Umständen in dieser Stadt - willkommen heißen, welche in der Geschichte Ihrer Herrschaft - eine denkwürdige Episode bezeichnen; denn ohne die Besonnenheit - und Großmut, welche Eure Hoheit in den Verhandlungen zwischen - dem Palitana Dunbar und der Dschain-Gemeinde an den Tag - legten, hätte der versöhnliche Geist unseres Volkes keine - Frucht tragen können. Das war der erste Schritt Eurer Hoheit - bei Uebernahme der Verwaltung, durch welchen Sie sich nicht nur - die dankbare Anerkennung der Dschain-Gemeinde, sondern auch - der Regierung von Bombay gesichert haben. Nachdem nun Eure - Hoheit zehn Jahre lang alle Erfahrung, Kraft und Fähigkeit - in den Dienst der Verwaltung gestellt hat, ist Eurer Hoheit - verdientermaßen die erhabene und ehrenvolle Auszeichnung der - Ernennung zum Ritter des Sternordens zu teil geworden, den - kein anderer Fürst vom Range Eurer Hoheit, soviel wir wissen, - je zuvor erhalten hat. Wir können Eurer Hoheit die untertänige - Versicherung geben, daß wir auf diese Ehrenbezeigung aus der - Hand Ihrer Majestät, unserer gnädigsten Kaiserin und Königin, - nicht weniger stolz sind als Eure Hoheit selbst. Wir verdanken - Eurer Hoheit während dieser zehn Jahre die Einrichtung vieler - Faktoreien, Schulen, Hospitäler und dergleichen im Staate, - und wir hoffen, daß Eure Hoheit noch lange mit Weisheit und - bewährter Umsicht über das Volk herrschen werde, um die vielen - von Eurer Hoheit gütigst angebahnten Reformen auch künftig - in Gnaden zu fördern. Indem wir nochmals unsere wärmsten - Glückwünsche aussprechen, verharren wir als Eurer Hoheit - untertänigste Diener.« - -Faktoreien, Schulen, Hospitäler, Reformen! Das sind die Sachen, welche -die Fürsten Indiens neuerdings unterstützen und wofür sie Orden und -Kanonen erhalten! - -Auf die Adresse antwortete der Fürst kurz und bündig, dann unterhielt -er sich noch ein paar Augenblicke mit dem einen oder andern der Gäste -auf Englisch und mit mehreren Beamten in einer indischen Sprache; -zuletzt wurden, wie gewöhnlich, Kränze verteilt und die Festlichkeit -war zu Ende. - - - - -Sechstes Kapitel. - - Jeder Mensch hat ein Geburtsrecht auf etwas, das alle - seine andern Besitztümer überdauert -- es ist sein letzter - Atemzug. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Am selben Abend, gegen Mitternacht, wohnten wir noch einem andern -Feste bei, nämlich einer Hindu-Hochzeit, oder richtiger gesagt, einer -Verlobungsfeier. Bisher hatte sich auf den Straßen, durch die wir -fuhren, stets ein buntes, malerisches Schauspiel entfaltet, sie waren -von einer zahlreichen, lärmenden Menge angefüllt gewesen; jetzt fand -nichts dergleichen statt. Es herrschte überall Totenstille; selbst das -Geschrei der Krähen war verstummt. Aber leer konnte man die Straßen -doch nicht nennen, denn auf dem Boden lagen schlafende Eingeborene zu -Hunderten, der Länge nach ausgestreckt und bis über den Kopf fest in -Decken gewickelt. So starr und regungslos lagen sie da, daß man sie für -Tote halten konnte. - -Damals hatte die Pest, welche jetzt in Bombay wütet, noch nicht ihren -Einzug in die Stadt gehalten. Heute[1] stehen die Läden verödet da, die -Hälfte der Bewohner hat die Flucht ergriffen und die Zurückgebliebenen -kommen massenhaft an der Krankheit um. Ohne Zweifel sehen die Straßen -jetzt bei Tage so aus wie damals zur Nachtzeit. Als wir immer weiter -in dem Hindu-Viertel vordrangen und in enge, düstere Gassen gelangten, -mußten wir sehr behutsam fahren, weil der Wagen beinah nicht Raum genug -fand, um zwischen den Schläfern durchzukommen, die sich allenthalben -gelagert hatten. Von Zeit zu Zeit huschte eine Schar Ratten in dem -ungewissen Dämmerschein dicht vor den Hufen der Pferde vorüber -- -dieselben Ratten, welche jetzt in Bombay die Pest von Haus zu Haus -schleppen. Die Kaufläden sind nur eine Art Verschläge -- kleine Buden, -die nach der Straße zu offen stehen. Man hatte die Waren fortgenommen -und ganze Familien schliefen auf den Ladentischen, meist beim Schein -einer Oellampe. Es sah aus wie eine Totenwacht. - - [1] Der Verfasser schrieb dies 1897. - -Endlich bogen wir um eine Ecke und hatten eine förmlich strahlende -Beleuchtung vor uns. Das Haus der Braut war in ein Lichtmeer von -Gasflammen getaucht, welche die mannigfaltigsten Figuren bildeten. -Auch drinnen prangte alles in hellstem Glanze -- Kostüme, Spiegel, -Beleuchtung, Farben brachten im Verein mit der ganzen Ausschmückung -der Räume eine so feenhafte Wirkung hervor, als hätte sie Aladdins -Wunderlampe hergezaubert. - -Die Braut war ein zierlich gebautes, schmuckes kleines Ding von zwölf -Jahren, sehr kostbar gekleidet, aber mehr wie ein Knabe. Sie bewegte -sich ungezwungen unter den Gästen oder blieb stehen, um sich mit -diesem oder jenem zu unterhalten und ihren Hochzeitsschmuck befühlen -und bewundern zu lassen. Am schönsten fand ich eine Schnur großer -Diamanten, an welcher ein prächtiger Smaragd hing. - -Der Bräutigam war nicht zugegen; er beging eine besondere -Verlobungsfeier in seinem väterlichen Hause. Wie man mir sagte, mußte -sowohl er wie die Braut eine Woche lang alle Abend Gäste empfangen, -welche fast die ganze Nacht hindurch im Hochzeitshause blieben. Dann -heirateten sich die Brautleute, falls sie noch am Leben waren. Die -Kinder zählten beide zwölf Jahre -- ein ältliches Paar nach indischen -Begriffen -- sie hätten schon seit einem Jahre verheiratet sein sollen; -einem Fremden kamen sie freilich noch jung genug vor. - -Etwas nach Mitternacht erschienen ein paar berühmte und hochgeschätzte -Natsch-Tänzerinnen in den prachtvollen Sälen, um ihre Kunst zu zeigen. -Zu ihrem Gesang und Tanz machten Männer auf sonderbaren Instrumenten -eine unheimliche, lärmende Musik, bei deren Klängen mich eine Gänsehaut -überlief. Ein Tanz der Mädchen sollte einen Schlangenzauber darstellen. -Mir schien zwar die Flötenbegleitung, welche dazu ertönte, wenig -geeignet, irgend etwas zu bezaubern, doch versicherte mir ein vornehmer -Hindu, daß die Schlangen solche Musik sehr lieben; sie kommen aus -ihren Höhlen heraus und lauschen ihr mit allen Zeichen von Wonne und -Wohlbehagen. Bei einer Vorstellung in seinem Garten, sagte er, seien -einmal sechs Schlangen von den Tönen der Flöte herbeigelockt worden und -man hätte sie nicht bewegen können sich wieder zu entfernen, bevor die -Musik zu Ende war. Ihre gefährliche Nähe war zwar keinem Anwesenden -erwünscht, weil sie sich frech und allzu vertraulich benahmen, aber -natürlich wollte niemand sie töten, denn der Hindu hält es für Sünde, -irgend ein Geschöpf umzubringen. - -Gegen zwei Uhr morgens verließen wir die Festlichkeit. Unterwegs sah -ich noch ein Bild, das sich mir tief ins Gedächtnis eingeprägt hat. -Eine glänzend erleuchtete Vorhalle, zu der mehrere Treppenstufen -emporführten, überall schwarze Gesichter und gespenstische, weiße -Gewänder; in ihrer Mitte eine wahre Riesengestalt, den Turban auf dem -Haupte, mit einem Namen, der zu ihrer Größe paßte: Rao Bahadur Baskirao -Balinkanje Pitale, Vakeel seiner Hoheit des Gaikawar von Baroda. Der -Mann gehörte notwendigerweise zur Vervollständigung des Gemäldes, -aber wenn er Smith hieße, hätte es den ganzen Eindruck verdorben. Auf -beiden Seiten der engen Straße hatte man die Häuser in der bei den -Hindus gebräuchlichen Weise illuminiert. Viele Dutzende von Gläsern -mit brennenden Lichtern waren wenige Zoll von einander auf großen -Lattengestellen befestigt, so daß sie leuchtende Sterne bildeten, deren -Strahlenglanz sich grell von dem schwarzen Hintergrund abhob. Als wir -weiter durch die düstern Gassen fuhren, verschmolzen in der Ferne alle -Sternbilder zu einer einzigen Lichtmasse, die wie eine große Sonne in -der Finsternis glühte. - -Dann folgte wieder jene tiefe Stille; Ratten huschten über den Weg, -überall lagen unbewegliche Gestalten auf der Erde und rechts und links -sah man die offenen Buden gleich Särgen, in denen Leichen zu liegen -schienen, welche von flackernden Totenlampen unheimlich beleuchtet -wurden. Seitdem ist ein Jahr vergangen, und wenn ich die Kabeldepeschen -aus Indien lese, meine ich das alles mit eigenen Augen im voraus -gesehen zu haben, wie in einem prophetischen Traum. Die eine Depesche -lautet: »In dem Stadtteil der Eingeborenen stocken die Geschäfte, -die meisten Läden sind geschlossen. Man hört nur Klagelaute und den -Schritt der Leichenträger, alles übrige Leben scheint erstorben.« In -einer andern heißt es: »325000 Bewohner haben die Stadt verlassen, und -verbreiten die Pest über das ganze Land.« Drei Tage später kommt die -Nachricht: »Die Einwohnerschaft ist auf die Hälfte herabgesunken.« -Die Flüchtlinge haben die Epidemie in Karachi eingeschleppt. »220 -Krankheitsfälle, 214 Tote.« Tags darauf: »52 neue Fälle, sämtlich mit -tödlichem Verlauf.« - -So fürchterliche Verwüstungen wie der ›Schwarze Tod‹ vermag keine -Krankheit anzurichten, es gibt keine, welche ähnliches Grauen und -Entsetzen im Gefolge hat. Wir können uns von dem Schrecken, der in -solcher verpesteten Stadt herrscht, nur eine schwache Vorstellung -machen. Zwar gibt die wilde Flucht einer halben Million Einwohner -Zeugnis von ihrem Seelenzustand, aber wer schildert die Qual und -Todesangst derer, die zurückbleiben müssen und sich rettungslos dem -unaufhaltsam nahenden Verhängnis preisgegeben sehen? - -Indien ist einzig in seiner Art und es hat das alleinige Recht auf -verschiedene Spezialitäten von überwältigender Großartigkeit. Wenn -irgend ein Land sonst eine Merkwürdigkeit besitzt, ist sie doch nicht -sein ausschließliches Eigentum; man findet das Gegenstück in einem -andern Lande. Aber Indien hat Wunderdinge erzeugt, die ihm allein -gehören, niemand wagt sein Patentrecht anzutasten, Nachahmungen sind -gänzlich ausgeschlossen. Und dabei welche Größenverhältnisse, welche -Majestät! Wie fremdländisch und unheimlich sind die meisten dieser -Erfindungen. - -Von dem Schwarzen Tod haben wir schon gesprochen. Er ist Indiens -eigenstes Werk. In Indien wurde dieser mächtige Fürst der Schrecken -geboren. - -Auch den Wagen des Juggernaut hat sich Indien ausgedacht. Desgleichen -die Suttis. Es leben noch Menschen, zu deren Zeit sich achthundert -Witwen in einem Jahre, freiwillig und unter Frohlocken, mit den -Leichen ihrer Ehemänner verbrennen ließen. Noch in diesem Jahre würden -es abermals achthundert tun, wenn die britische Regierung es ihnen -gestattete. - -Auch eine Hungersnot wie in Indien gibt es nirgends. Wenn anderswo -Mangel eintritt, ist es ein verhältnismäßig unbedeutendes, -vorübergehendes Ereignis; die indische Hungersnot aber bricht herein -gleich einer verheerenden Flut und tötet Millionen, wo an andern Orten -Hunderte sterben würden. - -Indien hat zwei Millionen Götter und betet sie sämtlich an. In -religiöser Beziehung sind alle andern Länder Bettler und Indien der -einzige Millionär. - -Alles nimmt dort einen Riesenmaßstab an -- sogar die indische Armut hat -nirgends auf Erden ihresgleichen. Der Reichtum aber verfügt über solche -Schätze, daß man für die größten Summen ganz kurze Wörter erfinden -mußte. Um hunderttausend auszudrücken, sagt man ein _~lakh~_, und ein -_~crore~_ bedeutet zehn Millionen. - -Im Innern seiner Granitberge hat Indien, mit namenloser Geduld, -Dutzende von großen Tempeln in den Fels gehauen, sie durch großartige -Säulenhallen und Statuen geschmückt und ihre ewigen Mauern mit stolzen -Gemälden bedeckt. Es hat sich starke Burgen von solchem Umfang -errichtet, daß selbst die großen Musterfestungen der übrigen Welt -dagegen wie Spielzeug aussehen. Seine Paläste sind aus dem erlesensten -Baumaterial und mit so viel Feinheit und Kunstfertigkeit ausgeführt, -daß man sie anstaunt wie Wunderwerke; um eins seiner Grabmäler -- den -Tadsch-Mahal -- zu sehen, reisen die Menschen rund um die Erde. Achtzig -Völker, die achtzig Sprachen reden, bewohnen das Land, ihre Zahl -beläuft sich auf dreihundert Millionen. - -Und zu Indiens merkwürdigsten Eigentümlichkeiten gehört noch das -Kastenwesen und das Geheimnis aller Geheimnisse -- die satanische -Genossenschaft der Thugs. - -Im Anfang aller Dinge hatte Indien einen Vorsprung vor der ganzen -übrigen Welt. Es besaß die früheste Kultur, die erste Anhäufung -materieller Reichtümer, eine Menge der tiefsten Denker, der größten -Weisen, Fruchtbarkeit des Bodens, reiche Bergwerke und große Wälder. -Hätte man da nicht meinen sollen, es würde seine Führerschaft auch -ferner behaupten und eines Tages, statt sich in Demut einem fremden -Machthaber zu unterwerfen, selbst die Welt beherrschen und jeder -Nation, jedem Volksstamm der Erde Gesetze vorschreiben? -- Und doch -ist eine solche Oberherrschaft Indiens von jeher unmöglich gewesen. Wo -es achtzig Völkerschaften und Hunderte von Regierungen gibt, kann von -einheitlicher Macht nicht die Rede sein. Das Hauptgeschäft des Lebens -wird Kampf und Streit, gemeinsame Ziele und Zwecke sind ausgeschlossen; -aus solchen Elementen entsteht keine Weltherrschaft. Nicht nur durch -die Verschiedenartigkeit der Sprachen, sondern vor allem durch das -Kastenwesen mag die Zersplitterung entstanden sein. Dadurch wurde -das Volk in einzelne Schichten geteilt und diese wieder in Ober- und -Unterschichten, welche kein Gefühl der Zusammengehörigkeit miteinander -verband. Bei solchen Zuständen war eine gesunde Entwicklung der -Vaterlandsliebe völlig undenkbar. - -Hätte es in Indien nicht so viele Reiche und Völker gegeben, so würden -auch die Thugs dort schwerlich haben entstehen und gedeihen können. -An jeder Grenze wurden Reisende und Kaufleute fortwährend belästigt, -denn überall stießen sie auf Wächter und Zollhäuser; Dolmetscher, -welche alle Sprachen verstanden, gab es so gut wie gar nicht, auch -herrschte ein fortgesetzter Kriegszustand bald in diesen bald in jenen -Reichen. Das alles hinderte die Sicherheit des allgemeinen Verkehrs und -öffnete dem Räuberwesen Tür und Tor -- was jedem gescheiten Menschen, -den seine angeborene Neigung zu diesem Beruf trieb, auf der Stelle -einleuchten mußte. Da es nun in Indien durchaus nicht an klugen Leuten -fehlte, die sich zum Räuberwesen hingezogen fühlten, bildete sich auf -ganz natürliche Weise die Genossenschaft der Thugs, um einem längst -empfundenen Bedürfnis zu entsprechen. - -Um welche Zeit das geschehen ist, weiß niemand; vermutlich schon -vor Jahrhunderten. Was uns am meisten dabei Wunder nimmt ist, daß -es gelingen konnte, die unheilvolle Verbindung so lange geheim zu -halten. Englische Kaufleute hatten schon seit zweihundert Jahren in -Indien Handel getrieben, ohne je etwas davon zu hören, und doch wurden -alljährlich Tausende in ihrer nächsten Nähe von den Thugs umgebracht. - -Daß es auch amtliche Berichte über die Thugs gibt, habe ich erst -neuerdings erfahren. Es war mir von großem Wert, das betreffende -Schriftstück eine Zeitlang zur Einsicht zu erhalten. - - - - -Siebentes Kapitel. - - Feind und Freund müssen zusammen wirken, um unserm Herzen - wehe zu tun; der eine streut die Verleumdung aus, der - andere hinterbringt sie uns. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -_Aus dem Tagebuch. 28. Januar._ -- Wir machen jetzt -Reisevorbereitungen, die hauptsächlich in der Anschaffung von Betten -bestehen. Im Schlafwagen der Eisenbahn, manchmal auch in Privathäusern -und in neun Zehnteln aller Hotels muß man Betten mitbringen. Das ist -unbegreiflich und doch wahr. Die Einrichtung stammt aus alter Zeit -und ist jetzt anscheinend unnötig, aber sie hat seltsamerweise alle -Zustände überlebt, die sie einst zur Notwendigkeit machten. Als sie -eingeführt wurde, gab es weder Eisenbahnen noch Hotels; der Weiße -machte seine gelegentlichen Reisen zu Pferde oder im Ochsenwagen und -fand die Nachtherberge auf einer der kleinen Poststationen, welche -die Regierung in gewissen Entfernungen von einander anlegen ließ --- sie boten ein Obdach, weiter nichts. Wer ein Bett haben wollte, -mußte selbst dafür sorgen. Jetzt wohnen die ansässigen Engländer -in geräumigen, bequem eingerichteten Häusern, und es muß sich -ganz sonderbar ausnehmen, wenn ein halbes Dutzend Gäste in solche -moderne Wohnung mit Decken und Kopfkissen einziehen, die sie überall -herumwerfen. Doch der Mensch findet sich in alles, sobald es Sitte und -Brauch ist. - -Man kann die Betten, nebst einem Behälter aus Gummistoff im ersten -besten Laden kaufen. Das hat nicht die geringste Schwierigkeit. - - * * * * * - -_30. Januar._ Vor Abgang des Zuges bot der Bahnhof ein merkwürdiges -Schauspiel. Das Gebäude ist sehr groß, aber es war als hätte sich dort -die ganze Welt versammelt: eine Hälfte drinnen, die andere draußen, -alle mit berghohen Bettstücken und anderm Gepäck beladen. Beide Hälften -versuchten zu gleicher Zeit aneinander vorbei durch eine enge Tür zu -kommen. Diese zwei Menschenströme bestanden aus sanften, geduldigen, -langmütigen Eingeborenen, unter denen sehr wenige Weiße verstreut -waren. Nur die Hindu-Diener der Europäer legten zeitweise ihre -natürliche Sanftmut ab und maßten sich das Vorrecht der Weißen an, alle -Farbigen beiseite zu schieben, um rascher für sich Bahn zu machen. Es -war eine Schande, wie herrisch und unverschämt sich zum Beispiel unser -Satan dabei benahm. Vermutlich ist er auf einer früheren Stufe der -Seelenwanderung ein fanatischer Thug gewesen. - -Drinnen im Bahnhof fluteten Massen von Eingeborenen, in sämtliche -Farben des Regenbogens gekleidet, nach allen Seiten wirr durcheinander. -Voll Eifer und Hast, in der Angst sich zu verspäten, strömten sie -nach den langen Wagenreihen hin, wo sie im Innern mit ihren Packen -und Bündeln verschwanden, von immer neuen Menschenfluten gefolgt. -Und mitten in diesem Wirrwarr und Getöse saßen -- anscheinend in -voller Gemütsruhe -- zahlreiche Gruppen von Farbigen auf den nackten -Steinfliesen: schlanke, braune Mädchen, alte, graue, runzlige Weiber, -kleine Kinder mit weichen Gliedern, alte und junge Männer und braune -Knaben; lauter arme Leute, aber der weibliche Teil, sowohl groß wie -klein, mit billigen, glänzenden Ringen an Nase, Zehen, Armen und -Beinen geschmückt, die vermutlich ihren einzigen Reichtum ausmachten. -Schweigend und geduldig saßen sie da mit ihren armseligen Bündeln, -Körben und Hausgeräten und warteten auf ihren Zug, der zu irgend einer -Stunde des Tages oder der Nacht abfahren würde. Sie hatten die Zeit -nicht gut berechnet, aber was schadete das -- vom Schicksal war es so -über sie verhängt, wozu sich da beunruhigen? Zeit hatten sie vollauf, -endlose Stunden lagen vor ihnen, und was geschehen sollte, würde -geschehen -- keine Macht der Erde konnte es beschleunigen. - -Die Eingeborenen reisten dritter Klasse für ein unglaublich billiges -Fahrgeld. Man packte sie eng zusammen in Wagen, von denen jeder etwa -fünfzig Personen fassen konnte. So geschah es oft, daß Brahminen der -höchsten Kaste in persönliche Berührung mit Leuten aus der niedrigsten -Kaste gebracht und folglich verunreinigt wurden, was natürlich jedem in -die Verhältnisse Eingeweihten höchst anstößig vorkam. Es konnte sich -leicht ereignen, daß ein Brahmine, der keine Rupie besaß, dicht neben -den reichen Erbherrn aus einer niedern Kaste zu stehen kam, welcher -Inhaber eines alten, mehrere Ellen langen Titels war. Trotz seiner -erhabenen Würde mußte der arme Brahmine sich darein ergeben, denn falls -einer von beiden Erlaubnis erhielt, bei den geheiligten Weißen Platz zu -nehmen, so war es sicherlich nicht er, sondern der unwürdige Reiche. -Der Zug hatte eine endlose Reihe solcher Wagen dritter Klasse, denn -die Hindus reisen in ganzen Horden. Was für eine erbärmliche Nacht -mögen sie da drinnen verlebt haben. - -Als wir bei unserm Wagen anlangten, fanden wir Satan und Barney -mit ihrem Gefolge von Hindus, welche Bettstücke, Sonnenschirme und -Zigarrenkisten trugen, schon in voller Tätigkeit. Barney war eine -Abkürzung; unsern zweiten Diener bei seinem eigentlichen Namen zu -nennen hätte zuviel Zeit gekostet. Wir fanden die innere Einrichtung -des Coupés keineswegs unbehaglich, aber von einer Einfachheit, wie -man sie selbst in Frankreich und Italien nicht kennt. Die Wände -aus billigen, zum Teil rohen Brettern gezimmert, mit dunkler Farbe -angestrichen ohne alle Verzierung. Der Boden war ohne Decke, aber nur -zu bald sollte fingerdicker Staub darauf liegen. An einer Seite des -Coupés befand sich ein Netz zur Aufnahme des Handgepäcks, auf der -entgegengesetzten eine Tür, die immer wieder aufsprang, man mochte sie -schließen so oft man wollte; sie führte in einen kleinen Toiletteraum, -wo man sein Handtuch aufhängen konnte, falls man eins hatte. Man -kauft die Handtücher mit den Betten, auf der Eisenbahn werden keine -geliefert. An jeder Seite der Wand lief der ganzen Länge nach ein -breites Ledersofa hin, und über demselben hing an Riemen ein flaches -Schlafbrett mit ledernem Ueberzug; es wird nachts heruntergelassen -und bei Tage an der Wand fest gemacht, wo es niemand im Wege ist. So -bleibt der große Mittelraum frei und man kann sich ungehindert darin -ausbreiten. Eine so bequeme Einrichtung habe ich noch in keinem Lande -gefunden, auch ist man ganz ungestört, weil meistens nur zwei Fahrgäste -in einem Coupé sitzen; aber selbst vier Personen haben hinreichend -Platz, ohne einander im geringsten zu beengen. Sogar auf unsern -amerikanischen Eisenbahnen, die sonst besser sind als alle andern, -fühlt man sich nicht so gemütlich wie hier, weil zu viele Reisende in -einem Wagen fahren. - -Ueber den Sofas befanden sich längs des ganzen Coupés große -blaugefärbte Fensterscheiben. Das blaue Licht sollte die Augen vor dem -blendenden Sonnenschein schützen, und wer Luft haben wollte, ließ die -Fenster herunter. Zwei Oellampen an der Decke brannten so hell, daß man -lesen konnte, wollte man es dunkel haben, so zog man einen Schirm aus -grünem Stoff davor. - -Während wir vor der Abfahrt draußen noch mit Freunden sprachen, -ordneten Barney und Satan drinnen unser Handgepäck, samt Büchern, -Früchten und Sodawasserflaschen in den Netzen; die Bettsäcke und das -schwere Gepäck schafften sie in das Waschkabinett, hingen Mäntel, -Sonnenhelme und Handtücher auf die Haken und befestigten die beiden -Schlafbretter an der Wand; dann nahmen sie ihre eigenen Betten auf die -Schulter und begaben sich nach der dritten Klasse. - -So waren wir nun in dem hübschen, großen, hellen, luftigen und -behaglichen Raum ganz für uns, konnten nach Belieben auf- und abgehen, -uns hinsetzen und schreiben oder bequem ausgestreckt lesen und rauchen. -Die Mitteltür am vorderen Ende des Coupés führte in ein zweites, genau -ebenso eingerichtetes, das meine Frau und Tochter inne hatten. Als wir -gegen neun Uhr abends an einer Station hielten, fanden sich Barney und -Satan wieder ein; sie schnallten die großen Bettsäcke auf und ordneten -die Matratzen, Bettücher, bunten wollenen Decken und Kopfkissen auf den -Sofas beider Coupés zu einem vollständigen Lager. Zimmermädchen gibt es -in Indien nicht, offenbar ist weibliche Bedienung dort ganz unbekannt. -Zuletzt schlossen die Diener die Verbindungstür, räumten flink bei uns -auf, legten unsere Nachthemden aufs Bett, stellten die Pantoffeln -zurecht und zogen sich wieder in ihr Quartier zurück. - - * * * * * - -_31. Januar._ Mir war das alles ganz neu und ich fühlte mich so -behaglich, daß ich solange wie möglich wach blieb und einen Bericht -über die merkwürdigen Thugs las. Sie folgten mir auch in meine Träume -und wollten mich erdrosseln. Ihr Anführer war der riesengroße Hindu, -welcher mir bei meiner Rückkehr von jener Verlobungsfeier um zwei Uhr -nachts in der grellen Beleuchtung einen so malerischen Eindruck gemacht -hatte -- Rao Bahadur Baskirao Balinkanje Pitale, Vakeel des Gaikawar -von Baroda. Durch ihn war mir die Einladung seines Herrn überbracht -worden, welche mich nach Baroda rief, um dem Fürsten eine Vorlesung -zu halten; ich war auf dem Wege dahin, und jetzt behandelte mich der -Mensch so schlecht! Aber im Traum ist ja alles möglich. - -_Baroda._ -- Wir kamen um sieben Uhr morgens an, als es eben dämmerte. -Es war ungemütlich, zu so früher Stunde an einem fremden Orte -auszusteigen, zumal die matt schimmernden Laternen im Bahnhof uns -den Eindruck machten, als sei es noch Nacht. Allein die Herren, die -sich mit großer Dienerschaft zu unserm Empfang eingefunden hatten, -ließen uns keine Zeit zum Besinnen. Bald waren wir draußen, dann -ging es rasch weiter im milden Dämmerlicht und binnen kurzem hatte -man uns alle behaglich untergebracht. Zahlreiche Diener standen zu -unserer Verfügung, deren Aufseher so vornehme Beamte waren, daß es -uns ordentlich in Verlegenheit setzte. Wir fügten uns jedoch der -Landessitte, das Benehmen der Herren war höchst verbindlich und -gastfreundlich, sie sprachen einheimisches Englisch, es ging alles -vortrefflich und das Frühstück kam uns sehr gelegen. - -Jenseits der Wiese sah man durch das offene Fenster einen indischen -Brunnen; zwei Ochsen gingen mit langsamen Schritten den allmählich -abfallenden Weg herauf und hinunter, um Wasser zu ziehen. Das -Klagegestöhn der Maschine unterbrach die Stille, es waren nicht gerade -melodische Laute, aber doch lag eine sanfte, träumerische Schwermut -darin, als wehklagten abgeschiedene Geister und als würden alte -Erinnerungen wieder lebendig; denn natürlich pflegten die Thugs ihre -Opfer in jenen Brunnen zu werfen, nachdem sie ihnen den Garaus gemacht -hatten. - -Nach dem Frühstück begann für uns ein sehr ereignisreicher Tag. Wir -fuhren auf gewundenen Pfaden durch einen ungeheuren Park mit stolzen -Waldbäumen, dicht verschlungenen Dschungels und einem Gewirr von -allerlei reizenden Gewächsen. An einer Stelle stürmten plötzlich -drei große graue Affen quer über den Weg. Das war keine angenehme -Ueberraschung; solche Bestien gehören in eine Menagerie, in der Wildnis -machen sie einen unnatürlichen Eindruck und sind nicht an ihrem Platze. - -Mit der Zeit erreichten wir die Stadt und fuhren mitten hindurch. Sie -war ganz und gar indisch, vermodert und zerfallen und schien über alle -Begriffe alt zu sein. Höchst merkwürdig fanden wir die Häuser, deren -ganze Vorderseite mit schön verschlungener Holzschnitzerei geschmückt -war, die der feinsten Spitzenarbeit glich, und außerdem mit rohen -Bildwerken, welche Elefanten, Fürsten und Götter in den schreiendsten -Farben darstellten. - -In den engen, winkligen Gassen lag im Erdgeschoß ein Laden am andern; -die winzigen Buden waren über und über mit unglaublichem Krimskrams -angefüllt, der verkauft werden sollte, oder es hockten darin fast -völlig nackte Eingeborene bei ihrer Arbeit; sie klopften, hämmerten, -verlöteten und bronzierten allerlei, sie nähten, kochten, maßen Korn ab -und mahlten es oder besserten Götzenbilder aus; gleichzeitig wälzte -sich eine zerlumpte, lärmende Menschenschar unter den Hufen unserer -Pferde und allenthalben umher. Und dazu diese Gerüche, diese Dünste, -dieser Gestank! Es war alles wundervoll und entzückend! - -Man stelle sich einmal vor, wie es sein muß, wenn ein Zug Elefanten -durch solche enge Straßen schreitet, auf beiden Seiten anstößt und -die Farbe von den Häusern wetzt. Wie groß müssen die Tiere und wie -klein dagegen die Gebäude aussehen! Und wenn die Elefanten gar in -ihren glänzenden Hof-Schabracken einherkommen, welcher Abstand gegen -diese schmutzige, armselige Umgebung! Liefe nun einmal ein Elefant -in rasender Wut durch diese Stadtteile und schlüge nach rechts und -links mit dem Rüssel um sich, wie sollten ihm da die Menschenmassen -ausweichen? Daß Elefanten manchmal Wutanfälle bekommen ist ja eine -erwiesene Sache. - -Wie alt mag die Stadt wohl sein? Man kommt an massiven Bauwerken und -Denkmälern vorbei, die so zerfallen und abgelebt aussehen, so müde -und altersschwach, so verstört und verdummt vor lauter Anstrengung -sich an Dinge zu erinnern, die sie längst vergessen hatten, ehe es -überhaupt eine Geschichte gab, daß man meinen sollte, sie stünden seit -Erschaffung der Welt auf ihrem Fleck. Baroda ist eins der ältesten -Reiche Indiens; es hat sich von jeher durch barbarische Pracht und -Herrlichkeit und die unermeßlichen Schätze seiner Fürsten berühmt -gemacht. - -Als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, fuhren wir lange durch -offenes Gelände an abgelegenen Dörfern vorbei, die ganz von tropischen -Pflanzen überwuchert waren. Ueberall herrschte Sabbatstille und man -hatte das Gefühl tiefster Einsamkeit, denn die Eingeborenen glitten wie -Geister vorüber, man vernahm keinen Tritt ihrer nackten Füße; andere -sah man gleich Traumgestalten in der Ferne verschwinden. Dann und wann -zog eine Reihe stattlicher Kamele auf den leisen Sohlen, die ihnen die -Natur verliehen hat, geräuschlos an uns vorbei -- ein interessanter -Anblick. Nur einmal ward die tiefe Ruhe dieses Paradieses unterbrochen, -als ein Zug eingeborener Strafgefangener mit dem Aufseher daherkam und -wir das Klirren ihrer Ketten vernahmen. An einem entlegenen Orte ruhte -ein heiliger Mann unter einem Baum -- ein nackter, schwarzer Fakir. Er -war nichts als Haut und Knochen und über und über mit weißlichgrauer -Asche bestreut. - -Nach einiger Zeit kamen wir zu den Elefantenställen und ich machte -einen Spazierritt. Man forderte mich dazu auf; ich selbst hatte nicht -das geringste Verlangen danach, aber ich tat es doch, damit man nicht -denken sollte, ich hätte Angst -- was allerdings der Fall war. Auf -Befehl kniet der Elefant nieder -- erst mit einem Vorderbein, dann mit -dem andern -- man steigt die Leiter hinauf in die Howdah, das Zelt auf -seinem Rücken, dann erhebt er sich wieder -- erst eine Seite, dann die -andere -- gerade wie ein Schiff über die Wogen fährt; wenn er dann -mit Riesenschritten umhergeht, erinnert auch sein Schwanken an die -Bewegung eines Schiffes. Sein Treiber, der Mahout, bohrt ihm mit einem -großen, eisernen Stachelstock in den Hinterkopf; man verwundert sich -über des Mannes Kühnheit und erwartet jeden Augenblick, daß der Elefant -die Geduld verlieren wird, aber es geschieht nichts dergleichen. Der -Treiber redet dem Elefanten die ganze Zeit über mit leiser Stimme -zu; dieser scheint ihn auch zu verstehen und ganz vergnügt zu sein, -er gehorcht wenigstens jedem Befehl aufs bereitwilligste. Unter -den fünfundzwanzig Elefanten waren zwei so große, wie sie mir noch -nie vorgekommen sind. Hätte ich geglaubt, daß ich mir die Furcht -abgewöhnen könnte, so würde ich mir einen davon hinter dem Rücken der -Polizei angeeignet haben. - -In dem Howdah-Haus sah ich viele silberne Sessel, auch einen von Gold -und einen von altem Elfenbein; Kissen und Baldachine waren aus reichen, -kostbaren Stoffen. Die Garderobe der Elefanten befand sich gleichfalls -dort: ungeheuere Sammetdecken mit schwerer Goldstickerei, silberne und -goldene Glocken, welche mit Stricken aus kostbarem Metall befestigt -werden, und riesige Reifen von massivem Gold, die der Elefant an -den Fußgelenken trägt, wenn er sich aus Staatsrücksichten bei einer -Prozession beteiligt. - -Die Kronjuwelen bekamen wir leider nicht zu sehen, worüber wir -sehr enttäuscht waren, denn ihre Menge und Kostbarkeit ist so -außerordentlich, daß sie die zweitgrößte Sammlung in Indien bilden. -Statt dessen zeigte man uns irrtümlicherweise den neuen Palast, mit -dessen Besichtigung wir alle Zeit verschwendeten, die uns noch zur -Verfügung stand. Das war sehr schade, denn der neue Palast ist ein -europäisch-amerikanischer Mischmasch, von dem sich nur sagen läßt, daß -er Unsummen gekostet hat. Nach Indien paßt er ganz und gar nicht; es -ist eine Frechheit von ihm, sich dort einzudrängen. Der Baumeister -hat zu seinem Glück rechtzeitig die Flucht ergriffen. Hier wären die -Thugs am Platze gewesen; man hat doch unrecht getan, sie ganz zu -unterdrücken. Der alte Palast dagegen ist orientalisch, wundervoll und -wie für das Land geschaffen. Er wäre schon groß, wenn er nur aus der -mächtigen Halle bestände, in denen die Durbars, die Staatsaudienzen -des Fürsten stattfinden. Zu Vorlesungen ist sie nicht geeignet wegen -der verschiedenen Echos, aber für Durbars und sonstige Staatsaktionen, -zu denen man sie braucht, ist sie ausgezeichnet. Wenn die Halle mir -gehörte, würde ich jeden Tag ein Durbar halten und nicht nur zweimal im -Jahre, wie es hier geschieht. - -Der Fürst ist ein gebildeter Herr, er besitzt europäische Kultur -und ist fünfmal in Europa gewesen. Man sagt, daß dies ein kostbares -Vergnügen für ihn ist, da er sich manchmal bei der Ueberfahrt genötigt -sieht aus Gefäßen zu trinken, deren sich auch andere Leute bedienen, -und das verunreinigt seine Kaste. Um wieder zu Ehren zu kommen muß er -nach verschiedenen berühmten Hindutempeln wallfahrten und dort ganze -Vermögen opfern. Seine Untertanen sind sehr fromm, wie alle Hindus, und -würden sich nicht zufrieden geben, solange ihr Fürst unrein ist. - -Wenn wir auch die Juwelen nicht besichtigen konnten, so haben wir -doch die silberne und die goldene Kanone des Fürsten gesehen -- es -schienen mir Sechspfünder zu sein. Sie werden nur bei ganz besondern -Staatsangelegenheiten zum Salutschießen gebraucht. Ein Ahnherr des -jetzigen Gaikawar ließ die silberne Kanone anfertigen und einer -seiner Nachfolger bestellte eine goldene, um ihn auszustechen. -Derartige Geschütze passen vortrefflich nach Baroda, wo man seit -alter Zeit Schaugepränge in großem Stil geliebt hat. Für Rajahs und -Vizekönige, die dort zum Besuch kamen, veranstaltete man oft Tiger- und -Elefantenkämpfe, Illuminationen und Elefanten-Prozessionen von wahrhaft -großartiger Pracht. - -Was ist dagegen unser Zirkus mit all seiner Herrlichkeit! -- - - - - -Achtes Kapitel. - - Hätte der Mensch immer Gelegenheit zum Morden, wenn ihn - Mordlust überfällt, so kämen viele an den Galgen. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -_Auf der Eisenbahn._ Vor fünfzig Jahren, in meiner Knabenzeit, drangen -in unser entlegenes, schwach bevölkertes Mississippi-Tal sagenhafte -Gerüchte von einer Genossenschaft berufsmäßiger Mörder, die in Indien -hausen sollte, einem Lande, das uns tatsächlich ebenso fern lag wie -die Sterne, die droben am Himmel funkelten. Man erzählte, es gäbe dort -eine Sekte, deren Mitglieder sich Thugs nennten und zu Ehren eines -Gottes, dem sie dienten, den Wanderern an einsamen Orten aufzulauern -und sie umzubringen pflegten. Jeder hörte diesen Geschichten gern zu, -aber man glaubte sie nicht, oder doch nur mit Vorbehalt. Man nahm an, -daß sie sich auf dem weiten Wege bis zu uns lawinenartig vergrößert -hätten, auch waren sie bald wieder verschollen. Da erschien Eugène Sues -›Ewiger Jude‹ und machte eine Zeitlang viel von sich reden. Eine Figur -des Romans ist ›Feringhea‹, der furchtbare, geheimnisvolle Inder, ein -Häuptling der Thugs, glatt, listig und todbringend wie eine Schlange. -Durch ihn wurde das Interesse für die Thugs von neuem erweckt, aber -nach kurzer Zeit schlief es abermals ein und zwar auf immer. - -Dies mag wohl auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, doch war -es der natürliche Lauf der Dinge, wenigstens auf unserer Halbkugel. -Was man von den Thugs wußte, stammte der Hauptsache nach aus einem -Regierungsbericht, von dem in Amerika schwerlich jemals etwas verlautet -ist. Man pflegt dergleichen amtliche Schriftstücke nicht ohne weiteres -in Umlauf zu setzen; nur gewissen Leuten läßt man sie zukommen, und ob -diese sie lesen ist noch sehr die Frage. Ich selbst habe vor einigen -Tagen zum allererstenmal von diesem Bericht gehört und ihn mir zu -verschaffen gewußt. Er fesselt mich ungemein und macht jene alten -Märchen aus meinen Knabenjahren zur Wirklichkeit. - -Major Sleeman, der in Indien diente, hat das Thug-Buch, von dem ich -rede, im Jahr 1839 abgefaßt. Es wurde 1840 in Kalkutta herausgegeben, -ein dicker, plumper Band, der uns zwar keine hohe Meinung vom damaligen -Stand der Buchdruckerkunst beibringt, aber vielleicht als Erzeugnis -einer amtlichen Druckerei aus alter Zeit und fernen Landen gar nicht -so übel war. Dem Major fiel die Riesenaufgabe zu, Indien von den -Thugs zu befreien und er hat sie mit siebzehn Gehilfen, die unter -seiner Oberleitung standen, glücklich vollbracht. Die Reinigung der -Augiasställe war nichts dagegen. - -Damals schrieb Hauptmann Valencey in einer Zeitung, die in Madras -erschien: »Wenn der Tag kommt, an dem jenes weit verbreitete Uebel -in Indien ausgerottet und nur noch dem Namen nach bekannt ist, wird -dies viel dazu beitragen, die britische Herrschaft im Orient auf ewige -Zeiten zu befestigen.« - -Er hat die Größe und Schwierigkeit des Werkes, durch dessen Vollendung -sich England ein unsterbliches Verdienst erworben hat, in keiner Weise -überschätzt. - -Von dem Vorhandensein der furchtbaren Sekte waren die britischen -Behörden schon seit 1810 unterrichtet, doch ahnte kein Mensch ihre -weite Ausdehnung; man legte ihr nur geringe Bedeutung bei und erst -1830 wurden systematische Maßnahmen zu ihrer Unterdrückung getroffen. -Damals war es Major Sleeman gelungen, den Thug-Häuptling Eugène Sues -in seine Gewalt zu bekommen, und der furchtbare Feringhea ließ sich -bewegen Kronzeuge zu werden. Die Enthüllungen, die er machte, waren -so ungeheuerlicher Art, daß sie Sleeman ganz unglaublich schienen. -Er hatte in dem Wahn gelebt, er kenne sämtliche Verbrecher in seinem -Bezirk und hatte die schlimmsten höchstens für Diebe und Spitzbuben -gehalten. Feringhea machte dem Major jedoch klar, daß er die ganze -Zeit über von Scharen berufsmäßiger Mörder umgeben gewesen sei, die -ihre Opfer in seiner nächsten Nähe begruben. Sleeman hielt das für -Hirngespinste, aber Feringhea sagte: »Komm und siehe selbst!« Er -führte ihn an eine Grube, in der hundert Leichname lagen, erzählte ihm -alle näheren Umstände ihrer Ermordung und nannte die Namen der Thugs, -welche die Tat vollbracht hatten. Sleeman traute seinen Augen kaum; -er nahm einige von jenen Thugs gefangen und stellte Einzelverhöre mit -ihnen an, nachdem er Sorge getragen, daß sie sich nicht unter einander -verständigen konnten. Auf die unbeglaubigten Aussagen eines Inders -wollte er sich nicht verlassen. Aber, o Schrecken! die gesammelten -Zeugnisse ergaben nicht nur, daß Feringhea die Wahrheit geredet hatte, -sondern lieferten zugleich den Beweis, daß die Banden der Thugs in -ganz Indien ihr furchtbares Gewerbe trieben. Nun tat die Regierung -ernstliche Schritte zur Vertilgung der Sekte und man verfolgte -sie zehn Jahre lang mit unerbittlicher Strenge, bis sie gänzlich -ausgerottet war. Eine Räuberbande nach der andern wurde gefangen, vor -Gericht gestellt und bestraft. Ueberall spürte man die Thugs in ihren -Schlupfwinkeln auf und machte Jagd auf sie. Die Regierung brachte alle -ihre Geheimnisse ans Licht und ließ die Namen sämtlicher Mitglieder -der Banden, sowie den Geburtsort und Wohnplatz jedes einzelnen aufs -genauste verzeichnen. - -Die Thugs waren Anbeter des Gottes Bhowanee, dem sie alle Wanderer -opferten, welche ihnen in die Hände fielen. Die Sachen der Getöteten -behielten sie jedoch für sich: dem Gotte war nur an dem Leichnam etwas -gelegen. Bei der Aufnahme in die Sekte fanden feierliche Zeremonien -statt; jeder neue Bekenner wurde unterwiesen, wie er die Erdrosselung -mit dem heiligen Tuch zu vollziehen habe, doch war ihm erst nach langer -Uebung gestattet, selbständig handelnd vorzugehen. Nur ein erfahrener -Würger war im stande, die Erdrosselung so rasch zu bewerkstelligen, -daß der dem Tode Geweihte auch keinen Laut mehr von sich geben konnte; -jeder dumpfe Schrei, jedes Stöhnen, Seufzen oder Schnappen nach Luft -mußte verhindert werden. In einem Augenblick schlang sich das Tuch -um den Hals des Opfers, es ward plötzlich zusammengezogen, der Kopf -fiel lautlos nach vorn, die Augen traten aus ihren Höhlen und alles -war vorüber. Vornehmlich gaben die Thugs wohl acht, daß sie auf keinen -Widerstand stießen, auch forderten sie ihr Opfer meist auf sich -niederzusetzen, weil sich das Geschäft so am bequemsten verrichten ließ. - -Alle Zustände und Einrichtungen Indiens waren den Thugs ausnehmend -günstig: Eine öffentliche Fahrgelegenheit gab es nicht, man konnte auch -kein Gefährt mieten. Der Reisende mußte zu Fuß gehen, wenn er nicht -einen Ochsenwagen benützen oder sich ein Pferd für die Gelegenheit -kaufen konnte. Sobald er die Grenze seines kleinen Fürstentums -überschritten hatte, war er unter Fremden; dort kannte ihn niemand, -er blieb unbeachtet, kein Mensch vermochte mehr anzugeben, wohin er -seine Schritte gelenkt hatte. Weder in Städten noch Dörfern pflegte der -Reisende einzukehren; er hielt außerhalb derselben Rast und schickte -seine Diener in den Ort, um Lebensmittel zu kaufen. Einzelne Höfe -gab es nicht; auf der öden Strecke zwischen zwei Dörfern fiel der -Wanderer dem Feinde leicht zur Beute, besonders da er meist bei Nacht -weiterzog, um der Hitze zu entgehen. Unterwegs gesellten sich häufig -Fremdlinge zu ihm und boten ihm an, zu gegenseitigem Schutz die Fahrt -gemeinsam fortzusetzen; das waren meistens Thugs, wie der Wanderer -bald zu seinem Verderben erfuhr. Die Güterbesitzer, die eingeborene -Polizei, die kleinen Fürsten, die Dorfrichter und Zollwächter steckten -oft mit den Räubern unter einer Decke, gewährten ihnen Schutz und -Obdach und lieferten ihnen die Reisenden aus, um Anteil an der Beute -zu haben. Dadurch ward es der Regierung zuerst fast unmöglich gemacht -die Uebeltäter zu fangen, weil die wachsamen Freunde ihnen zur Flucht -verhalfen. Und so zogen denn handeltreibende Leute aus allen Kasten -und Ständen, paarweise oder in Gruppen, schutzlos, bei schweigender -Nacht, auf den Pfaden des weiten Ländergebiets einher, Kostbarkeiten, -Geld, Juwelen, kleine Seidenballen, Gewürze und allerlei Waren mit sich -führend -- es war ein Paradies für die Thugs. - -Bei Eintritt des Herbstes pflegte die Genossenschaft ihre zum -voraus verabredeten Zusammenkünfte zu halten. Um sich untereinander -zu verständigen brauchten die Thugs, selbst wenn sie aus den -verschiedensten Gebieten stammten, keine Dolmetscher wie andere Völker. -Sie hatten ihre eigene Sprache und geheime Zeichen, an denen sich -die Genossen erkannten; alle waren untereinander befreundet, selbst -die Unterschiede der Kaste und Religion traten in den Hintergrund, wo -Hingebung an den Beruf ins Spiel kam. Der Moslem und der Hindu aus -höherer oder niederer Kaste, standen sich als Thugs gleich Brüdern -treulich zur Seite. - -War eine Bande versammelt, so ward Gottesdienst gehalten und man -wartete auf die Omen. Das Geschrei verschiedener Tiere hatte eine gute -oder schlechte Vorbedeutung, wie jedermann wußte. Erfolgte ein böses -Omen, so gab man das Vorhaben auf und die Leute gingen wieder nach -Hause. - -Schwert und Tuch galten als heilige Symbole der Thugs. Das Schwert -beteten sie daheim an, ehe sie zur Versammlung gingen, und das Tuch, -mit dem sie ihre Opfer würgten, verehrten sie gemeinschaftlich. Meist -verrichtete der Häuptling der Bande die religiösen Zeremonien selbst, -nur die Kaets beauftragten damit gewisse angestellte Erwürger, Chaurs -genannt. Diese Kaets hielten so streng an ihren gottesdienstlichen -Gebräuchen fest, daß es nur dem Chaur gestattet war, die geheiligten -Gefäße und was sie sonst dabei benützten, anzurühren. - -Zwei charakteristische Merkmale sind dem Raubsystem der Thugs -besonders eigen: die größte Vorsicht, Ausdauer und Geduld bei -Verfolgung der Beute und gänzliche Erbarmungslosigkeit im Moment der -Tat. - -Vor allem richteten sie ihr Augenmerk darauf, daß sie an Zahl der -Reisegesellschaft, welcher ihr Angriff galt, mindestens vierfach -überlegen waren. Offene Feindseligkeiten vermieden sie und überfielen -ihre Opfer nur, wenn diese nichts Böses ahnten. Oft reisten sie -tagelang in ihrer Gesellschaft und suchten durch allerlei Künste ihr -Vertrauen und ihre Freundschaft zu gewinnen. Sobald ihnen dies gelungen -war, gingen sie an ihr eigentliches Geschäft: Zuerst wurden ein paar -Thugs vorausgeschickt, um bei dunkler Nacht den günstigsten Schauplatz -für die Ermordung zu wählen und die _Gräber zu graben_. Wenn die -übrigen den Ort erreichten, ward unter dem Vorwand, etwas zu rasten -und eine Pfeife zu rauchen, Halt gemacht. Man schlug der Gesellschaft -vor, sich niederzusetzen. Auf einen Wink des Hauptmanns nahmen einige -Thugs den Reisenden gegenüber Platz, andere setzten sich neben sie und -fingen ein Gespräch mit ihnen an, während die geübtesten Würger sich, -des verabredeten Zeichens harrend, in ihrem Rücken aufstellten. Dies -Zeichen war gewöhnlich irgend eine alltägliche Bemerkung: »Bringt den -Tabak,« oder etwas derart. Oft verging noch eine beträchtliche Zeit, -nachdem jeder der Handelnden seinen bestimmten Platz eingenommen hatte; -der Hauptmann wartete erst, ob auch alles ganz sicher sei. Unterdessen -spann sich die Unterhaltung einförmig weiter; düstere Gestalten -huschten im Hintergrund hierhin und dorthin bei dem ungewissen -Dämmerschein; die Nacht war still und friedlich und die Reisenden -überließen sich arglos der angenehmen Ruhe, ohne zu ahnen, daß die -Todesengel sie von allen Seiten umgaben. Jetzt war der Augenblick da; -das verhängnisvolle Wort: »Bringt den Tabak,« wurde gesprochen. Sofort -entstand eine rasche aber lautlose Bewegung. Im gleichen Moment hielten -die Männer, welche neben den Reisenden saßen, ihre Hände fest, die vor -ihnen ergriffen ihre Füße und taten einen kräftigen Ruck, während ein -Mörder jedem Opfer von hinten das Tuch um den Kopf schlang und zuzog --- der Kopf des Erdrosselten sank auf die Brust, das Trauerspiel war -zu Ende. Nun wurden die Leichen ausgeplündert, und in den Gräbern -verscharrt; darauf packte man die Beute zusammen, die mitgenommen -werden sollte. Nachdem dann die Thugs noch zum Schluß dem Gotte -Bhowanee ihren frommen Dank dargebracht hatten, zogen sie weiter, um -noch mehr heilige Taten zu verrichten. - -Aus Major Sleemans Bericht ergibt sich, daß die Reisenden meist in -kleiner Anzahl beisammen waren, in der Regel nicht mehr als zwei, -drei oder vier. Die Thugs dagegen zogen in Banden von zehn, fünfzehn, -fünfundzwanzig, vierzig, sechzig, hundert, hundertfünfzig, zweihundert, -zweihundertundfünfzig Mann umher, ja, es wird sogar eine Bande von -dreihundertzehn Mann erwähnt. Bei solcher starken Ueberzahl kann man -ihren Fang nicht besonders groß nennen, wenn man bedenkt, daß sie -durchaus nicht wählerisch waren, sondern wo und wie sie konnten jeden -umbrachten, ob reich oder arm, oft sogar Kinder. Manchmal töteten -sie auch Frauen, aber das galt für sündhaft und brachte Unglück. Die -günstige Jahreszeit für ihre Raubzüge dauerte sechs bis acht Monate. -In einem solchen Jahrgang töteten zum Beispiel die sechs Banden -von Bundelkund und Gwalior, welche zusammen 712 Köpfe zählten, 210 -Menschen. Die Thugs von Malwa und Kandeisch waren 702 Mann stark und -mordeten 232. Die Kandeisch- und Berar-Banden, 963 Mann, brachten 385 -Leute um. - -Bettler gelten in Indien für heilig, und manche Banden schonten ihr -Leben, andere dagegen mordeten nicht nur sie, sondern sogar den Fakir, -diesen Inbegriff aller Heiligkeit, der nichts als Haut und Knochen ist, -sich Staub und Schmutz auf das buschige Haupthaar streut und seinen -nackten Körper über und über mit Asche bepudert, daß er aussieht wie -ein Gespenst. Mancher Fakir verließ sich jedoch allzu fest auf seine -unverletzliche Heiligkeit. Von einem solchen Fall wird uns in Sleemans -Buch unter andern Großtaten Feringheas berichtet. Er war einmal mit -vierzig Thugs ausgezogen und sie hatten schon neununddreißig Männer und -eine Frau getötet, ehe der Fakir zum Vorschein kam. - -»Wir näherten uns Doregow,« lautete der Bericht, »trafen auf drei -Brahminen, dann auf einen Fakir zu Pferde, der sich ganz mit Zucker -bekleistert hatte, um die Fliegen herbeizulocken, von denen er über und -über bedeckt war. Wir jagten ihn fort und töteten die drei andern. - -»Hinter Doregow stieß der Fakir nochmals zu unserer Gesellschaft und -zog mit uns bis Raojana; wir begegneten sechs Hindus, die von Bombay -nach Nagpore wollten. Den Fakir vertrieben wir durch Steinwürfe, -töteten die sechs Leute in ihrem Lager und begruben sie im Gebüsch. - -»Am nächsten Tage stellte sich der Fakir wieder ein; erst in Mana -wurden wir ihn los. Hinter dem Orte trafen wir drei Sepoys und hatten -fast den Platz erreicht, der zu ihrer Ermordung bestimmt war, als der -Fakir abermals erschien. Nun endlich riß uns die Geduld und wir gaben -Mithoo, einem unserer Gefährten, fünf Rupien, daß er ihn umbringen und -die Sünde auf sich nehmen sollte. Alle vier wurden erdrosselt, also -auch der Fakir. In seinem Gepäck fanden sich zu unserer Ueberraschung -dreißig Pfund Korallen, dreihundert fünfzig Schnüre kleine Perlen, -fünfzehn Schnüre große Perlen und ein vergoldetes Halsband.« - -Ob wohl Mithoo, der allein die Sünde trug, sich die unerwartete -Beute ganz aneignen durfte, oder ob er sie mit den Gefährten teilen -mußte und nur die Sünde für sich behielt? -- Wie schade, daß der -Regierungsbericht uns gerade diesen interessanten Umstand verschweigt! - -Feringhea fürchtete sich selbst nicht vor den Mächtigen der Erde. Einen -Elefantentreiber des Rajahs von Oodeypore erdrosselte er ohne weiteres. -Er hat auf jenem Raubzug nicht weniger als hundert Männer und fünf -Frauen umgebracht. - -Unter den Unglücklichen, welche den Thugs zum Opfer fielen, waren -Personen jeden Standes und Ranges; nur den Weißen taten sie nichts zu -Leide. Die Liste verzeichnet: - -Eingeborene, Soldaten, Fakirs, Bettler, Träger des heiligen Wassers, -Zimmerleute, Hausierer, Schneider, Schmiede, eingeborene Polizisten, -Kuchenbäcker, Stallknechte, Pilger, Chuprassies, Weber, Priester, -Bankiers, Schatz-Träger, Kinder, Kuhhirten, Gärtner, Ladenbesitzer, -Palankin-Träger, Landleute, Ochsentreiber, Diener, die Beschäftigung -suchten, Frauen, die sich verdingen wollten, Schafhirten, -Bogenschützen, Aufwärter, Bootsleute, Händler, Grasmäher. - -Selbst einen fürstlichen Koch verschonten sie nicht, ebenso wenig -den Wasserträger des Herrschers über alle Fürsten und Könige, des -Generalgouverneurs von Indien. Ja, eine Bande war sogar grausam genug, -armen, herumziehenden Komödianten das Leben zu nehmen, und trotzdem sie -auf demselben Raubzug auch noch einen Fakir und zwölf Bettler töteten, -beschützte sie ihr Gott Bhowanee: Sie wollten einen Mann im Walde -erdrosseln, während gerade viele Leute in der Nähe vorbeigingen, zogen -aber die Schlinge nicht fest genug, und der Mann stieß einen lauten -Schrei aus. Da ließ Bhowanee im gleichen Augenblick ein Kamel durch das -Dickicht brechen, dessen Gebrüll den Angstschrei übertönte, und ehe der -Mann den Mund wieder öffnen konnte, war sein Atem entflohen. - -Die Kuh ist in Indien ein so heiliges Tier, daß schon ihren Hirten -zu töten für frevelhaft gilt. Das wußten die Thugs recht gut, aber -bisweilen war ihr Blutdurst so groß, daß sie dennoch einige Kuhhirten -umbrachten. Ein Thug, der solche Missetat verübt hatte, bekennt: - -»Unser Glaube verbietet das aufs strengste; es kann nur Unheil daraus -entstehen. Ich lag nachher zehn Tage am Fieber darnieder. Tötet man -einen Mann, der eine Kuh führt, so bringt es Unglück; hat er keine Kuh -bei sich, dann schadet es nichts.« Ein anderer Thug, der bei dieser -Gelegenheit die Füße des Opfers gehalten hatte, fürchtete für sich -keine schlimmen Folgen, »weil das Mißgeschick für solche Tat immer nur -den Erwürger selbst, nicht seine Gehilfen bedroht, und wenn er deren -auch hundert gehabt hätte.« - -Während vieler Menschenalter durchwanderten Tausende von Thugs Indien -in allen Richtungen. Ihr Räuberhandwerk war zu einem Beruf geworden, -der sich vom Vater auf den Sohn und Enkel forterbte. Von sechzehn -Jahren an konnte ein Knabe schon Mitglied der Verbindung werden, und -siebzigjährige Greise waren noch in voller Tätigkeit. - -Was fesselte die Leute aber an ihr Mordgeschäft, worin bestand der Reiz -desselben? Teils trieb sie offenbar Frömmigkeit, teils Beutegier dazu, -aber das Hauptinteresse scheint doch das Vergnügen an der Jagd selbst -gewesen zu sein, die Mordlust, welche auch dem weißen Manne im Blute -steckt. Meadows Taylor schreibt in seinem Roman: ›Bekenntnisse eines -Thug‹: - -»Wie leidenschaftlich liebt ihr Engländer nicht die Jagd! Ganze Wochen -und Monate widmet ihr diesem aufregenden Zeitvertreib. Um Tiger, -Panther, Büffel oder Eber zu töten, strengt ihr eure ganze Tatkraft an, -ja ihr setzt selbst das Leben aufs Spiel. Wir Thugs aber verfolgen ein -weit edleres Wild!« - -Vielleicht liegt hierin wirklich der Schlüssel des Rätsels, das -die Entstehung und Verbreitung der furchtbaren Sekte umgibt. Dem -Menschengeschlecht im großen und ganzen ist die Mordgier eigen, es -ergötzt sich am Töten lebender Geschöpfe wie an einem Schauspiel. -Wir weißen Leute sind nur etwas verfeinerte Thugs, denen ihr dünner -Anstrich von Zivilisation wie ein lästiger Zwang erscheint. Als Thugs -haben wir uns vor noch gar nicht so langer Zeit an den Metzeleien -der römischen Arena ergötzt und später an dem Feuertod, welcher -zweifelhaften Christen durch rechtgläubige Christen auf öffentlichem -Marktplatz bereitet wurde. Noch jetzt gehen wir mit den Thugs in -Spanien oder in Nimes zu den blutigen Greueln der Stiergefechte hinaus. -Keiner unserer Reisenden, welches Geschlechts oder welcher Religion -er auch sein mag, hat je der Anziehungskraft der spanischen Arena zu -widerstehen vermocht, wenn sich ihm Gelegenheit bot, dem Schauspiel -beizuwohnen. Auch zur Jagdzeit sind wir fromme Thugs: wir hetzen das -harmlose Wild und töten es mit Wonne. Aber _einen_ Fortschritt haben -wir doch gemacht. Zwar ist er nur winzig und kaum der Rede wert, so -daß wir nicht nötig hätten besonders stolz darauf zu sein, aber es -ist immerhin ein Fortschritt zu nennen, daß es uns nicht mehr Freude -macht, hilflose Menschen niederzumetzeln oder zu verbrennen. Von diesem -höheren Standpunkt aus können wir mit selbstgefälligem Schaudern -auf die indischen Thugs herabsehen; auch dürfen wir zuversichtlich -hoffen, daß einst der Tag erscheinen wird, an dem unsere Nachkommen in -künftigen Jahrhunderten mit ähnlichen Gefühlen auf uns herabschauen. - - - - -Neuntes Kapitel. - - Der Kummer ist sich selbst genug; aber um eine Freude voll - und ganz zu genießen, muß man jemand haben, mit dem man sie - teilen kann. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Wir fuhren mit dem Nachtzug von Bombay nach Allahabad. In Indien ist es -Landessitte, das Reisen am Tage möglichst zu vermeiden; dabei ist nur -der Uebelstand, daß man sich zwar die beiden Sofas ›sichern‹ kann, wenn -man sie vorausbestellt, aber man erhält keinerlei Fahrkarte oder Marke, -durch welche man sein Eigentumsrecht zu beweisen vermag, falls dasselbe -in Zweifel gezogen wird. Das Wort ›besetzt‹ erscheint am Fenster des -Coupés, aber für wen weiß niemand. Kommt mein Satan mit meinem Barney -an, ehe ein anderer Diener zur Stelle ist, legen sie meine Betten auf -die beiden Sofas und stehen Wache bis wir eintreffen, dann geht alles -gut. Verlassen sie aber den Posten um eine Besorgung zu machen, so -können sie bei der Rückkehr finden, daß unsere sämtlichen Bettstücke -auf die oberen Schlafbretter befördert worden sind, und ein paar andere -Dämonen das Lager ihrer Herren auf unsern Sofas bereitet haben, vor -denen sie Wache halten. - -Dieses System lehrt uns Höflichkeit und Rücksicht üben, doch gestattet -es auch unberechtigte Uebergriffe. Ein junges Mädchen pflegt einer -älteren Dame, wenn diese später kommt, den Sofaplatz einzuräumen, den -die Dame meist mit freundlichem Danke annimmt. Aber bisweilen geht es -dabei auch anders zu. Als wir im Begriff waren Bombay zu verlassen, -lagen die Reisetaschen meiner Tochter auf ihrem Sofaplatz. Da kam im -letzten Augenblick eine amerikanische Dame mittleren Alters in das -Coupé gestürmt, hinter ihr die mit dem Gepäck beladenen eingeborenen -Träger. Sie schalt, brummte, knurrte und versuchte sich möglichst -unausstehlich zu machen, was ihr auch gelang. Ohne ein Wort der -Erklärung warf sie Reisekorb und Tasche meiner Tochter auf das obere -Brett und pflanzte sich breit auf das Sofa hin. - -Bei einem unserer Ausflüge verließen wir, Smythe und ich, auf einer -Station unser Coupé, um etwas auf und ab zu gehen; als wir zurückkamen, -fanden wir Smythes Betten im Hängebrett, und ein englischer -Kavallerie-Offizier lag lang und bequem ausgestreckt auf dem Sofa, wo -Smythe noch soeben geschlafen hatte. - -Es ist abscheulich, daß dergleichen unsereinem Spaß bereitet, aber wir -sind nun einmal so geschaffen. Wäre das Mißgeschick meinem ärgsten -Feinde zugestoßen, es hätte mir kein größeres Vergnügen machen können. -Wir freuen uns alle, wenn es andern Leuten schlecht geht, ohne daß -wir Unbequemlichkeiten davon haben. Smythes Aerger machte mich so -glücklich, daß ich gar nicht einschlafen konnte, weil ich mich in -Gedanken zu sehr daran ergötzte. Er glaubte natürlich, der Offizier -hätte den Raub selber begangen, während ihn der Diener zweifellos -ohne Wissen seines Herrn ausgeführt hatte. Den Groll über diesen -Vorfall bewahrte Smythe getreulich im Herzen; er schmachtete nach -einer Gelegenheit, sich dafür an irgend jemand schadlos zu halten, -und dies Verlangen ward ihm bald darauf in Kalkutta erfüllt. Von dort -unternahmen wir eine vierundzwanzigstündige Fahrt nach Dardschiling. -Da aber der Generaldirektor Barclay alle Vorkehrungen getroffen -hatte, damit wir es unterwegs recht bequem haben sollten -- wie -Smythe versicherte -- so beeilten wir uns nicht allzusehr auf den -Zug zu kommen. Im Bahnhof herrschte, wie gewöhnlich in Indien, ein -entsetzliches Gewühl, ein unbeschreiblicher Lärm und Wirrwarr. Der -Zug war übermäßig lang, denn sämtliche Eingeborene des Landes reisten -irgendwohin; die Bahnbeamten wußten nicht, wo ihnen der Kopf stand und -wie sie alle die aufgeregten Leute, die sich verspätet hatten, noch -unterbringen sollten. Wo das für uns bestimmte Coupé war, konnte uns -niemand sagen; keiner hatte Befehl erhalten dafür zu sorgen. Das war -eine große Enttäuschung, auch hatte es ganz den Anschein als würde -die Hälfte unserer Gesellschaft zurückbleiben müssen; da kam Satan -spornstreichs angerannt, um zu melden, daß er ein Coupé gefunden habe, -in dem noch ein Hängebrett und ein Sofa leer waren. Dort hatte er unser -Gepäck hineingeschafft und uns das Lager bereitet. Wir stiegen eilends -ein. Der Zug war gerade im Fortfahren, und die Schaffner schlugen -eine Waggontür nach der andern zu, als ein Beamter des ostindischen -Zivildienstes, unser guter Freund, atemlos gelaufen kam. »Ueberall habe -ich nach Ihnen gesucht,« rief er. »Wie kommen Sie hierher? Wissen Sie -denn nicht --« - -Indem fuhr der Zug ab, und der Schluß des Satzes entging uns. Jetzt -kam für Smythe die Gelegenheit seinen Racheplan auszuführen. Er nahm -sofort seine Betten vom Schlafbrett, tauschte sie gegen diejenigen -aus, welche herrenlos auf dem Sofa mir gegenüber lagen und begab sich -seelenvergnügt zur Ruhe. Gegen zehn Uhr nachts hielten wir irgendwo und -ein großer Engländer, der wie ein hoher Militär aussah, stieg bei uns -ein. Wir taten, als schliefen wir. Trotz der verdunkelten Lampen war es -aber hell genug, daß wir sehen konnten, welche Ueberraschung sich in -seinen Zügen malte. Hoch aufgerichtet stand er da, starrte sprachlos -auf Smythe herab und versuchte die Lage der Dinge zu begreifen. Nach -einer Weile sagte er: - -»Nein, so was!« -- weiter nichts. - -Aber es war mehr als genug und leicht verständlich. Es sollte heißen: -»So was ist doch unerhört! Eine solche Unverschämtheit ist mir mein -Lebtag noch nicht vorgekommen.« - -Er setzte sich auf seinen Koffer; wir aber schielten wohl zwanzig -Minuten lang mit halbgeschlossenen Augen zu ihm hinüber und -beobachteten, wie ihn die Bewegung des Zuges rüttelte und schüttelte. -Sobald wir an eine Station kamen, erhob er sich; wir hörten ihn noch im -Fortgehen murmeln: »Ich muß ein leeres Sofa finden, sonst warte ich bis -zum nächsten Zuge!« - -Bald darauf kam sein Diener, um das Gepäck zu holen. - -So war denn Smythes alte Wunde geheilt und sein Rachdurst gestillt. -Aber schlafen konnte er ebensowenig wie ich; unser Wagen war ein -ehrwürdiger, alter Kasten voller Schäden und Gebrechen. Die Tür ins -Waschkabinett zum Beispiel schlug fortwährend an und spottete aller -unserer Bemühungen sie zu befestigen. Als der Morgen dämmerte, standen -wir wie zerschlagen auf, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Auch jener -Engländer war auf der Station ausgestiegen und wir hörten, wie jemand -zu ihm sagte: - -»Also haben Sie Ihre Fahrt doch nicht unterbrochen?« - -»Nein,« lautete die Antwort, »der Schaffner konnte mir ein Coupé -anweisen, das zwar bestellt aber nicht besetzt worden war. Ich bekam -einen großen Salonwagen für mich ganz allein, wahrhaft fürstlich, -versichere ich Ihnen. Ein solcher Glücksfall ist mir noch nie -begegnet.« - -Natürlich war das unser Wagen. Wir siedelten sogleich mit der ganzen -Familie dahin über. Den Herrn Engländer lud ich jedoch ein zu bleiben, -was er auch annahm. Ein sehr liebenswürdiger Mann, Oberst bei der -Infanterie. Daß Smythe ihm sein Lager geraubt hat, erfuhr er nicht; er -glaubt, Smythes Diener hätten es ohne Wissen seines Herrn getan. Man -half ihm zu dieser Ueberzeugung und störte ihn nicht darin. - -In Indien werden die Züge ausschließlich von Eingeborenen bedient, auch -alle Stationsbeamten -- außer an Hauptplätzen -- sind Eingeborene, -desgleichen die Polizisten und die Angestellten im Post- und -Telegraphendienst. Lauter sehr freundliche und gefällige Leute. Eines -Tages war ich aus dem Schnellzug gestiegen, um mich mit Entzücken an -dem Schauspiel zu weiden, das jede große Station in Indien bietet. -Die bunten Scharen der Eingeborenen, welche auf dem breiten Perron -rastlos durcheinander wirbelten, fesselten mich dergestalt, daß ich -alles andere darüber vergaß. Als ich mich umwandte sah ich, daß mein -Zug soeben zum Bahnhof hinausfuhr. Ich wollte mich ruhig hinsetzen, um -den nächsten Zug abzuwarten, wie ich es zu Hause getan hätte; an eine -andere Möglichkeit dachte ich nicht. Da trat ein eingeborener Beamter, -der eine grüne Flagge in der Hand hielt, höflich auf mich zu: »Wollten -Sie nicht mit dem Zuge weiter?« fragte er. - -Als ich dies bejahte, ließ er seine Flagge wehen, der Zug kam zurück, -und er half mir mit solcher Ehrerbietung einsteigen, als wäre ich der -Generaldirektor selber gewesen. Ein gutherziges Volk, diese Hindus! -Unfreundliche, mürrische Mienen, welche Bosheit und schlechte Gemütsart -verraten, sind eine solche Seltenheit, daß es mir oft vorkam, als müsse -ich die Mordgeschichten der Thugs geträumt haben. Freilich wird es auch -unter den Indern schlechte Menschen geben, aber jedenfalls in großer -Minderzahl. Eins ist gewiß: es ist das interessanteste Volk in der -ganzen Welt und dabei unerklärlich und unbegreiflich in seinem Wesen -wie kein anderes. Sein Charakter, seine Geschichte, seine Religion, -seine Sitten sind voller Rätsel, die nur noch unverständlicher werden, -wenn man uns Aufschluß darüber gibt. Weshalb und auf welche Weise so -seltsame Dinge wie die verschiedenen Kasten, die Thugs, die Suttis -entstanden sein können, geht über unsere Begriffe. - -Für die Sitte der Witwenverbrennung hat man zum Beispiel folgende -Erklärung: Eine Frau, die ihr Leben freiwillig hingibt, wenn ihr Gatte -stirbt, wird augenblicklich wieder mit ihm vereinigt, und sie genießen -fortan im Himmel zusammen ewige Freuden; die Familie errichtet ihr -ein Denkmal oder einen Tempel und hält ihr Andenken in hohen Ehren. -Der Opfertod der Frau verleiht auch allen ihren Angehörigen eine -besondere Auszeichnung in den Augen des Volkes, die sich dauernd auf -ihre Nachkommenschaft vererbt. Bleibt sie dagegen am Leben, so erwartet -sie Schmach und Schande; wieder verheiraten kann sie sich nicht, -die Familie verachtet sie und sagt sich von ihr los; freundlos und -verlassen fristet sie ihr jammervolles Dasein. - -Daß sie es vorzieht solchem Elend durch den Tod zu entfliehen, ist -sehr begreiflich. Aber was der Ursprung dieser seltsamen Sitte ist, -bleibt trotzdem ein Rätsel. Vielleicht wurde sie auf Befehl der Götter -eingeführt; aber haben diese auch bestimmt, daß man eine so grausame -Todesart wählen sollte? Hätte ein sanfterer Tod nicht dieselben Dienste -getan? Kein Mensch weiß darauf eine Antwort. - -Man wäre geneigt anzunehmen, daß die Witwen sich überhaupt nicht -freiwillig verbrennen ließen, sondern es nur nicht wagten sich der -öffentlichen Meinung zu widersetzen. Dieser Standpunkt läßt sich -jedoch unmöglich festhalten; er stimmt nicht mit den geschichtlichen -Tatsachen überein. Major Sleeman erzählt in einem seiner Bücher einen -höchst charakteristischen Fall: - -Als er im März 1828 die Verwaltung am Nerbuddastrom übernahm, beschloß -er kühn, dem Zug seines mitleidigen Herzens zu folgen und die Suttis -auf eigene Verantwortung in seinem Bezirk zu verbieten. Daß sie acht -Monate später auf Befehl der Ostindischen Regierung gänzlich untersagt -werden würden, konnte er nicht voraussehen. Am 24. November -- einem -Dienstag -- starb Omed Sing Opaddia, das Haupt einer der angesehensten -und zahlreichsten Brahminenfamilien der Gegend, und eine Abordnung -seiner Söhne und Enkel erschien vor Sleeman, mit der Bitte, der alten -Witwe zu gestatten sich mit der Leiche ihres Gemahls verbrennen zu -lassen. Der Major drohte jedoch, jeden streng zu bestrafen, der seinem -Befehl zuwider handeln und der Selbstverbrennung der Witwe Vorschub -leisten würde. Er stellte eine Polizeiwache am Nerbudda-Ufer auf, wo -die fünfundsechzigjährige Witwe schon seit dem frühen Morgen bei ihrem -Toten saß und wartete. Als die abschlägige Antwort eintraf, blieb sie -Tag und Nacht am Rande des Wassers sitzen, ohne zu essen und zu trinken. - -Am folgenden Morgen wurde die Leiche ihres Gemahls in einer etwa acht -Quadratfuß breiten und drei bis vier Fuß tiefen Grube in Anwesenheit -von mehreren tausend Zuschauern verbrannt. Hierauf watete die Witwe -nach einem nackten Felsen im Bette der Nerbudda; alle Fremden hatten -sich zerstreut, nur ihre Söhne und Enkel blieben in ihrer Nähe, -während die übrigen Anverwandten des Majors Haus umringten, um ihn -zu überreden, sein Verbot zurückzunehmen. Die Witwe widerstand allen -Bitten der Ihrigen, die sie sehr liebten und ihr Leben zu erhalten -wünschten, sie verweigerte jede Nahrung und blieb auf dem nackten -Felsen sitzen, der sengenden Sonnenhitze bei Tag und der strengen -Kälte bei Nacht ausgesetzt, nur mit einem dünnen Stück Zeug über der -Schulter. Am Donnerstag setzte sie, zum Beweis, daß nichts sie von -ihrem Vorhaben abbringen könne, die Dhadscha, einen groben, roten -Turban auf und brach ihre Armbänder in Stücke, wodurch sie gesetzlich -für tot galt und auf immer aus ihrer Kaste ausgeschlossen war. Hätte -sie jetzt noch das Leben erwählen wollen, so konnte sie nie mehr zu -ihrer Familie zurückkehren. Sleeman wußte sich keinen Rat. Wenn sich -die Frau zu Tode hungerte, so war ihre Familie beschimpft und die -Aermste starb unter langsameren Qualen, als wenn man ihr gestattete -sich zu verbrennen. Als der Major sie am vierten Tage nach dem Tode -ihres Mannes noch mit der Dhadscha auf dem Kopfe an derselben Stelle -sitzen fand, redete er sie an. Sie sagte ihm mit großer Gelassenheit, -daß sie entschlossen sei, ihre Asche mit der ihres verstorbenen Gatten -zu mischen; sie würde geduldig seine Erlaubnis abwarten, überzeugt, -Gott werde ihr Kraft geben, ihr Dasein bis dahin zu fristen, obgleich -sie weder essen noch trinken wolle. Dann blickte sie nach der Sonne, -die eben über der Nerbudda aufging und sagte ruhig: »Meine Seele weilt -schon fünf Tage lang bei der meines Gatten, in der Nähe jener Sonne, -nur meine irdische Hülle ist noch übrig, und ich weiß, du wirst bald -gestatten, daß sie sich in jener Grube mit seiner Asche vermischt, weil -es nicht in deinem Wesen und Brauch ist, die Qual einer armen, alten -Frau mutwillig zu verlängern.« - -Sleeman versicherte ihr, es sei sein Wunsch und seine Pflicht sie zu -retten und zu erhalten. Er wolle den Ihrigen die Schmach ersparen für -ihre Mörder zu gelten. Doch sie erwiderte, deswegen sei sie unbesorgt. -Ihre Kinder hätten alles mögliche getan, um sie zu bewegen unter ihnen -zu leben. »Hätte ich eingewilligt, so würden sie mich geliebt und -geehrt haben, das weiß ich. Doch übergebe ich sie alle deiner Obhut und -gehe zu meinem Gatten Omed Sing Opaddia, mit dessen Asche die meinige -sich schon dreimal auf dem Scheiterhaufen vermischte.« - -Dies bezog sich auf die Seelenwanderung. Sie waren nach ihrer -Ueberzeugung schon dreimal als Mann und Weib auf Erden gewesen. -Seit sie ihre Armbänder zerbrochen und den roten Turban aufgesetzt -hatte, hielt sie sich für bereits gestorben, sonst hätte sie nicht so -unehrerbietig sein können, den Namen ihres Gatten auszusprechen. Es war -das erstemal in ihrem Leben, daß sie dies tat, denn in Indien nennt -keine Frau, aus welchem Stande sie auch sei, jemals den Namen ihres -Mannes. - -Sleeman hoffte noch immer sie zu überreden. Er drohte ihr, die -Regierung werde die steuerfreien Güter, von denen ihre Familie so lange -gelebt habe, einziehen; auch werde kein Stein den Platz bezeichnen, -wo sie sterbe, im Fall sie auf ihrem Entschluß beharre. Bliebe sie -aber am Leben, so solle eine glänzende Wohnung unter den Tempeln ihrer -Ahnen für sie gebaut und eine schöne Summe zu ihrem Unterhalt bestimmt -werden. Aber sie lächelte nur, streckte den Arm aus und sagte: »Mein -Puls hat lange aufgehört zu schlagen, mein Geist ist entwichen; ich -werde bei dem Verbrennen nicht leiden. Wenn du einen Beweis willst, so -laß Feuer bringen und sieh, wie es diesen Arm verzehrt, ohne daß es mir -Schmerz verursacht.« - -Da der Major erkannte, daß alle seine Bemühungen vergebens waren, ließ -er die Oberhäupter der Familie rufen und erklärte ihnen, er werde -gestatten, daß sich die Witwe verbrennen dürfe, wenn sie sich alle -durch eine feierliche Urkunde verpflichten wollten, in ihrer Familie -nie wieder eine Sutti zu halten. Sie gingen darauf ein und die Schrift -ward aufgesetzt und unterzeichnet. Als man der Witwe am Sonnabend gegen -Mittag den Beschluß verkündete, zeigte sie sich hocherfreut. Um drei -Uhr waren die Zeremonien des Badens vorüber, und in der Grube brannte -ein helles Feuer. Fast fünf Tage hatte die Frau ohne Speise und Trank -zugebracht; als sie vom Felsen ans Ufer kam, netzte sie erst ihr Tuch -im Wasser des heiligen Stromes, denn ohne diese Vorsichtsmaßregel wäre -sie durch jeden Schatten, der auf sie fiel, verunreinigt worden. Von -ihrem ältesten Sohn und einem Neffen gestützt schritt sie nach dem -Feuer hin, eine Entfernung von etwa 150 Metern. - -Wachen waren aufgestellt, und niemand durfte sich auf fünf Schritt -nähern. Sie kam mit ruhigem freudevollem Gesicht herbei, blieb einmal -stehen, schaute aufwärts und sagte: »Warum hat man mich fünf Tage -von dir, mein Gatte, entfernt gehalten?« Als sie zu den Wachen kam, -blieben ihre Begleiter zurück; sie schritt noch einmal um die Grube, -hielt einen Augenblick inne und während sie ein Gebet murmelte, warf -sie einige Blumen ins Feuer. Dann trat sie ruhig und standhaft bis an -den Rand, stieg mitten in die Flamme, setzte sich nieder und lehnte -sich zurück als ruhe sie auf einem Lager; ohne einen Schrei auszustoßen -oder ein Zeichen des Schmerzes von sich zu geben, wurde sie vom Feuer -verzehrt. - -Das ist schön und großartig! Es erfüllt uns mit Ehrfurcht und -Hochachtung. Was der altgewohnten Sitte ihre unwiderstehliche Macht -verlieh war die Riesenkraft eines Glaubens, welcher durch immer neue -Todesopfer lebendig erhalten wurde. Aber, wie die ersten Witwen dazu -kamen, die Sitte einzuführen, bleibt in Dunkel gehüllt. - -Sleeman sagt, daß bei der Witwenverbrennung gewöhnlich einige -Musikinstrumente spielten, aber nicht, wie man gemeinhin glaubt, um das -Geschrei der Märtyrerin zu ersticken, sondern um zu verhüten, daß ihre -letzten Worte gehört werden; denn diese galten für prophetisch, und -wenn sie Unglück weissagten, hielt man es für besser, daß die Lebenden -darüber in Unkenntnis blieben. - - - - -Zehntes Kapitel. - - Er hatte viel mit Aerzten zu tun gehabt und sagte: Es gibt - nur ein Mittel um gesund zu bleiben, man muß essen was - einem nicht schmeckt, trinken, was man nicht mag und tun, - was man lieber bleiben ließe. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Es war eine lange Reise, zwei Nächte und anderthalb Tage von Bombay -ostwärts nach Allahabad, aber sehr interessant und nicht ermüdend. -Das heißt, zuerst fühlte ich mich höchst unbehaglich, aber daran -waren die ›Pyjamas‹ schuld. Dieser lästige Nachtanzug besteht aus -Jacke und Beinkleidern; er ist entweder von Seide oder aus einem -rauhen, kratzigen, dünnen Wollstoff, der einem die Haut reibt wie -Sandpapier. Die Hosen haben Elefantenbeine und eine Elefantentaille, -keine Knöpfe am Bund, sondern eine Schnur, um die überflüssige Weite -zusammenzuziehen; die lose Jacke wird vorn zugeknöpft. In einer warmen -Nacht sind einem die Pyjamas zu heiß, und man friert darin, wenn -die Nacht kalt ist. Ich wollte nicht gegen die Sitte verstoßen und -versuchte es mit dem Kleidungsstück, aber es war mir unerträglich, ich -mußte es wieder ablegen. Der Unterschied zwischen Tag- und Nachtanzug -ist nicht groß genug. In einem Nachthemd fühlt man sich wohlig und -erfrischt, von beengendem Zwang erlöst, frei und ungebunden. Statt -dessen hatte ich die erstickende, bedrückende, aufreibende und quälende -Empfindung, angekleidet im Bette zu liegen. Während der warmen Hälfte -der Nacht bekam ich von der rauhen Wolle ein solches Jucken auf der -Haut, daß ich wie gekocht und im Fieber dalag; verfiel ich auf kurze -Zeit in Schlaf, so peinigten mich Träume, wie die Verdammten sie -haben mögen -- oder haben sollten. In der kalten Hälfte der Nacht -fand ich aber keine Zeit zum Schlafen, weil ich genug damit zu tun -hatte, mir wollene Decken zu stehlen. Aber was nützen wollene Decken -unter solchen Umständen? Je mehr man aufeinander häuft, um so fester -korkt man die Kälte ein, daß sie nicht heraus kann. Die Beine werden -einem zu Eisklumpen und man weiß genau, wie es sein wird, wenn man -eines Tages im Grabe liegt. Sobald ich einen Augenblick zu Verstande -kam, entledigte ich mich der Pyjamas und genoß mein Leben fortan auf -vernünftige und behagliche Weise. - -Der Tag fängt auf dem Lande in Indien früh an. Endlos dehnt sich die -vollkommen flache Ebene im grauen Dämmerlicht nach allen Seiten aus. -Schmale, festgetretene Fußpfade durchziehen sie überall; nur von Zeit -zu Zeit ragt auf der ungeheuern Fläche eine Gruppe gespenstischer -Bäume empor, zum Zeichen, daß da ein Dorf liegt. Auf den Pfaden -sieht man allenthalben braune, hagere, nackte Männergestalten und -schlanke Frauen, die an ihr Tagewerk eilen; die Frauen mit kupfernen -Wassergefäßen auf dem Kopf, die Männer mit der Hacke in der Hand. -Uebrigens ist der Mann nicht ganz nackt, einen weißen Lappen hat er -immer um; dies Lendentuch ist eine Art Binde, ein weißer Strich auf -seiner braunen Person, wie der Silberbeschlag, der mitten um ein -Pfeifenrohr läuft. Trägt er noch einen luftigen, bauschigen Turban, -dann ist das der zweite Strich. »Ein Mensch, dessen Kleidung aus einem -Turban und einem Taschentuch besteht,« so beschreibt Miß Gordon -Cumming sehr richtig den Eingeborenen. - -Den ganzen Tag lang fährt man durch die einförmige, staubfarbene -Ebene, an den verstreuten Baumgruppen und den Lehmhütten der Dörfer -vorbei. Daß Indien nicht überall schön ist, läßt sich nicht leugnen, -und doch übt es einen unwiderstehlich bestrickenden Zauber aus. Woher -das kommt ist schwer zu sagen; man hat nur das unbestimmte Gefühl, daß -es der uralte, geschichtliche Boden ist, dem dieser Reiz entspringt. -Die Wüsten Australiens und die starren Eisfelder Grönlands besitzen -keine solche Macht über uns; wir sehen sie in ihrer ganzen Kahlheit und -Häßlichkeit, weil sie keine ehrwürdige Geschichte haben, die uns von -menschlichen Leiden und Freuden in längst vergangenen Jahrhunderten -erzählt. - -Auf der langen Fahrt bis Allahabad kamen wir nur an Dörfern vorbei, -die innerhalb verfallener Mauern lagen. Ein solches indisches Dorf -ist nicht schön; ein Teil der schmutzfarbenen Lehmhütten ist meist -vom Regen verwittert, so daß sie vermoderten Ruinen gleichen. Auch -Viehherden und Ungeziefer leben innerhalb der Mauern, wie mir scheint, -denn ich sah dort Kühe und Ochsen ein- und ausgehen, und so oft ich -einen der Dorfbewohner gewahrte, juckte er sich. Letzteres ist zwar -nur ein Indizienbeweis, aber ich glaube, daß er schwerlich trügt. - -Mich interessierten die indischen Dörfer, weil ich in Major Sleemans -Büchern allerlei darüber gelesen hatte. Er schildert die Teilung -der Arbeit, die unter der Bevölkerung herrscht. Der Grund und Boden -Indiens, sagt er, bestehe aus lauter einzelnen Feldern, die zu -den Dörfern gehören. Neun Zehntel der ganzen Einwohnerschaft sind -Ackerbauer und wohnen in den Dörfern. Doch hält sich jedes Dorf auch -gewisse bezahlte Arbeiter, Handwerker und andere Leute zum allgemeinen -Dienst, deren Geschäft in der Familie bleibt und sich von Vater auf -Sohn weiter erbt. Solche Berufsarten sind: Priester, Grobschmied, -Zimmermann, Rechnungsführer, Waschmann, Korbflechter, Töpfer, Wächter, -Barbier, Schuhmacher, Klempner, Zuckerbäcker, Weber, Färber u. a. m. Zu -Sleemans Zeit gab es auch viele Hexen, und aus praktischen Gründen ließ -niemand seine Tochter gern in eine Familie heiraten, zu der keine Hexe -gehörte. Man brauchte ihre guten Dienste, um die Kinder vor dem Unheil -zu schützen, das ihnen sonst die Hexen der Nachbarfamilien ohne Zweifel -angetan hätten. - -Der Beruf der Hebamme blieb stets in der Familie des Korbflechters. -Seiner Frau gehörte das Amt, mochte sie etwas davon verstehen oder -nicht. Ihre Einnahme war nicht so groß: für einen Knaben erhielt sie -25 Cents, und halb so viel für ein Mädchen. Die Geburt einer Tochter -kam unerwünscht, wegen der furchtbaren Kosten, die sie mit der Zeit -verursachen würde. Sobald sie alt genug war, um der Sitte gemäß -Kleider tragen zu müssen, galt es für eine Schande, wenn die Familie -sie nicht verheiratete. Den Vater brachte jedoch die Heirat der -Tochter an den Bettelstab, denn er mußte, nach altem Herkommen, beim -Hochzeitsgepränge und dem Festschmaus alles verausgaben, was er besaß -und entlehnen konnte, so daß er vielleicht nie wieder im stande war -sich emporzuarbeiten. - -Aus Furcht vor solchem unvermeidlichen Ruin tötete man in früherer -Zeit viele Mädchen gleich nach der Geburt, bis England die grausame -Sitte mit eiserner Strenge abschaffte. »Bei dem Spiel der Dorfkinder,« -sagt Sleeman, »hörte man niemals Mädchenstimmen.« Schon aus dieser -gelegentlichen Bemerkung läßt sich entnehmen, wie allgemein der -Mädchenmord in Indien verbreitet war. - -Das Hochzeitsgepränge besteht nach wie vor im Lande, weshalb auch noch -hie und da neugeborene Mädchen umgebracht werden, aber ganz heimlich, -weil die Regierung sehr wachsam ist und jede Uebertretung des Gesetzes -mit strengen Strafen bedroht. - -In einigen Teilen Indiens gibt es in den Dörfern noch drei besondere -Angestellte. Erstens den Astrologen, der dem Bauer sagt, wann er säen -und pflanzen, eine Reise machen oder ein Weib nehmen soll, wann er -ein Kind erwürgen, einen Hund entlehnen, auf einen Baum steigen, eine -Ratte fangen und seinen Nachbar betrügen darf, ohne die Rache des -Himmels auf sein Haupt zu ziehen. Auch die Träume legt er ihm aus, -falls der Mann nicht klug genug ist, sie sich selbst aus der Mahlzeit -zu erklären, die er vor Schlafengehen zu sich genommen hat. Die beiden -andern Angestellten sind der Tiger- und der Hagelbeschwörer. Ersterer -hält die Tiger fern, wenn er kann und bezieht auf alle Fälle sein -Gehalt; letzterer beschützt das Dorf vor Hagelschlag oder gibt an, -aus welchem Grund sein Geschäft mißlungen sei und läßt sich denselben -Lohn bezahlen, mag der Hagel kommen oder ausbleiben. Wer in Indien -seinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann, muß wirklich auf den Kopf -gefallen sein. - -Auch die Gewerkvereine und der Boykott sind alte indische -Einrichtungen. Es gibt eben nichts, was nicht dort seinen Ursprung -hätte. »Die Straßenkehrer,« sagt Sleeman, »zählen zur niedrigsten -Kaste; alle andern Kasten verachten sie und ihr Amt, aber sie selbst -sind stolz darauf und dulden keine Eingriffe in ihr Monopol. Das -Recht, in einem gewissen Stadtteil die Straßen zu kehren, gehört einem -bestimmten Mitglied der Kaste an; wagt sich ein anderes Mitglied in -diesen Bezirk, so wird es ausgestoßen -- niemand darf mehr aus seiner -Pfeife rauchen oder aus seinem Kruge trinken -- der Missetäter kann die -Wiederaufnahme in die Kaste nur dadurch erlangen, daß er für sämtliche -Straßenkehrer ein Festmahl veranstaltet. Beleidigt ein Hausbesitzer -den Straßenkehrer seines Bezirks, so bleibt aller Abfall und Kehricht -solange bei ihm liegen, bis er den Mann wieder versöhnt hat, kein -anderer Straßenkehrer getraut sich den Schmutz fortzuschaffen. Die -Bürger der Städte müssen sich von diesen Leuten oft unglaublich viel -gefallen lassen; ja die Tyrannei, welche die Innung der Straßenkehrer -ausübt, ist noch heutigen Tages eins der größten Hindernisse aller -sanitären Reformen in Indien. Zwingen kann man diese Menschen nicht, -denn kein Hindu oder Muselmann würde ihre Arbeit verrichten, und -sollte es ihm das Leben kosten; nicht einmal prügeln würde er den -widerspenstigen Straßenkehrer, um sich nicht zu verunreinigen.« - -Allahabad bedeutet die ›Stadt Gottes‹. Das Hindu-Viertel habe ich nicht -gesehen; der englische Teil der Stadt hat schöne, breite Alleen und -auf Raumersparnis ist gar keine Rücksicht genommen. Alle Einrichtungen -lassen auf Luxus und Bequemlichkeit schließen; mir scheint, die Leute -führen dort ein so heiteres, sorgloses Leben, wie man es nur bei einem -guten Gewissen haben kann, wenn diesem ein genügendes Konto auf der -Bank zur Seite steht. - -Am Morgen nach unserer Ankunft in Allahabad stand ich in aller Frühe -auf und ging auf der Veranda, die rings um das Haus läuft, an den -schlafenden Dienern vorbei, die bis über die Ohren in ihre wollenen -Decken gewickelt, vor der Tür ihrer Herren lagen. Ich glaube, kein -indischer Diener schläft jemals in einem Zimmer. Vor einer Tür sah ich -einen Hindu kauern. Die gelben Schuhe seines Herrn waren geputzt und -bereit gestellt; nun hatte er nichts mehr zu tun als zu warten, bis -er gerufen würde. Es war bitter kalt, aber der Mensch blieb geduldig -und regungslos wie ein Steinbild auf demselben Fleck. Ich konnte es -kaum mit ansehen. Gern hätte ich zu ihm gesagt: »Stehe doch auf und -mache dir Bewegung, um dich zu erwärmen, was hockst du da in der -Eiseskälte, das verlangt niemand von dir.« Allein mir fehlten die -Wörter. Die einzige Redensart, die mir einfiel war »Jeldy jow,« und -was sie bedeutete, wußte ich nicht. So ging ich denn notgedrungen -stumm vorbei, entschlossen nicht mehr an den Menschen zu denken; aber -seine nackten Beine und Füße kamen mir nicht aus dem Sinn und zwangen -mich immer wieder, die Sonnenseite zu verlassen und bis zu dem Punkt -zurückzugehen, wo ich ihn sehen konnte. Eine Stunde verging, ohne daß -er seine Stellung auch nur im geringsten veränderte. Ob das Sanftmut -und Geduld, Seelenstärke oder Gleichgültigkeit verriet, will ich nicht -entscheiden; aber der Anblick quälte mich und verdarb mir den ganzen -Morgen. Nach zwei Stunden riß ich mich endlich aus seiner Nähe los; -mochte er sich nun allein weiter kasteien so viel er wollte. Bis dahin -war er um keines Haares Breite von seinem Platz gewichen; ich sehe ihn -noch immer deutlich vor mir und werde die Erinnerung wohl ewig mit -mir herumtragen. Wenn ich von der Geduld und Ergebung der Inder bei -ungerechter Behandlung, in Schmerz und Unglück lese, so steigt sein -Bild vor mir auf. »Jeldy jow!« (mach daß du weiter kommst!) ruft man -dem Inder in seiner Not seit ungezählten Jahrhunderten zu. Hätte ich -es nur damals auch gesagt, es wäre gerade das Richtige gewesen; aber -leider war mir, wie gesagt, die Bedeutung des Wortes entfallen. - -Im Morgenlicht unternahmen wir eine lange zum Teil wunderschöne Fahrt -nach der Festung. Der Weg führte unter hohen Bäumen an Häusergruppen -und am Dorfbrunnen vorbei, wo man zu andern Tageszeiten malerische -Scharen von Eingeborenen fortwährend lachend und schwatzend hin- und -hergehen sieht. Diesmal trafen wir sie bei ihren Waschungen; die -kräftigen Männer ließen das klare Wasser reichlich über die braunen -Körper strömen, ein erfrischender Anblick, der meinen Neid erregte, -denn die Sonne hatte sich schon an ihr Geschäft gemacht, den Tag -über tüchtig in Indien einzuheizen. Viele Hindus nahmen ein solches -Morgenbad; die Frühstückstunde nahte heran, und kein Hindu darf essen, -ehe er die vorgeschriebene Waschung beendet hat. - -Als wir in die heiße Ebene kamen, wimmelte es auf allen Pfaden von -Wallfahrern und Wallfahrerinnen. Hinter der Festung, wo die heiligen -Ströme Ganges und Jumna ineinander fließen, sollte eine der großen -religiösen Messen Indiens gehalten werden. Eigentlich gibt es drei -heilige Ströme; der dritte fließt zwar unter der Erde und niemand -hat ihn gesehen, aber das schadet nichts, wenn man nur weiß, daß -er da ist. Die Pilger stammten aus den verschiedensten Gegenden -Indiens; einige waren monatelang unterwegs gewesen; arm, hungrig und -abgemattet, waren sie bei Staub und Hitze geduldig weiter gewandert, -von unerschütterlichem Glauben und Vertrauen gestützt und aufrecht -erhalten. Jetzt strahlten alle vor Glück und Zufriedenheit, denn bald -winkte ihnen der reichste Lohn für ihre Mühsal. Sie sollten Läuterung -von jeder Sünde und Unreinheit in dem heiligen Wasser finden, welches -alles was es berührt, sogar Totes und Verwestes, rein machen kann. Wie -wunderbar ist doch die Kraft eines Glaubens, welcher Alte und Schwache, -Junge und Leidende treibt, ohne Zaudern und ohne Klage die unerhörten -Anstrengungen einer solchen Reise, samt allen Entbehrungen, die sie mit -sich bringt, geduldig auf sich zu nehmen! Ob es aus Furcht geschieht -oder aus Liebe, weiß ich nicht, aber was auch immer der Beweggrund -sein mag, die Sache selbst ist für uns kühle Verstandesmenschen -vollkommen unbegreiflich. Nur wenige auserlesene Naturen unter den -Weißen besäßen einen ähnlichen Opfermut; wir übrigen wissen genau, daß -wir außer stande wären, uns dazu aufzuschwingen. Da wir aber alle die -Selbstaufopferung gern im Munde führen, so darf ich hoffen, daß wir -wenigstens groß genug denken, um sie bei dem Hindu würdigen zu können. - -Jedes Jahr strömen zwei Millionen Eingeborene zu dieser Messe herbei. -Wie viele die Reise antreten und unterwegs vor Alter, Mühsal, Krankheit -und Mangel sterben, weiß niemand. Alle zwölf Jahre ist ein besonderes -Gnadenjahr, und die Pilger kommen in noch größeren Massen gezogen, -das ist schon seit undenklichen Zeiten so gewesen. Man sagt übrigens, -daß es für den Ganges nur noch _ein_ zwölftes Jahr geben wird, dann -soll dieser heiligste aller Flüsse seine Kraft verlieren und erst nach -Jahrhunderten werden die Pilger wieder zu seinen Ufern wallfahrten, -wenn die Brahminen verkünden, daß er seine Heiligkeit wiedergewonnen -hat. Was die Priester damit bezwecken, daß sie sich diese Goldmine -verschließen, kann ich nicht sagen. Aber mir ist nicht bange, sie -werden wohl wissen was sie tun. Ehe man sich’s versieht werden sie -dem Volk der Inder eine Ueberraschung bereiten, welche beweist, daß -sie ihren Vorteil nicht aus den Augen gelassen haben, als sie auf den -Marktwert des Ganges verzichteten. - -Wir begegneten vielen Eingeborenen, welche heiliges Wasser aus den -Flüssen geholt hatten. Man bietet es in ganz Indien zum Verkauf aus, -auch soll es oft bei Hochzeiten becherweise verteilt werden. - - * * * * * - -Die Festung ist ein ungeheueres, altes Gebäude und hat in religiöser -Beziehung Erlebnisse der mannigfaltigsten Art zu verzeichnen. In dem -großen Hof steht seit über zweitausend Jahren ein Monolith mit einer -buddhistischen Inschrift. Vor dreihundert Jahren wurde die Festung von -einem mohammedanischen Kaiser erbaut und nach dem Ritus seiner Religion -eingeweiht; auch ein Hindutempel mit unterirdischen Gängen voller -Heiligtümer und Götzenbilder befindet sich daselbst, und seitdem die -Festung den Engländern gehört, besitzt sie eine christliche Kirche. So -ist für das Seelenheil aller gesorgt. - -Von den hohen Wällen schauten wir auf die heiligen Flüsse hinab, die -sich an diesem Punkt vereinigen. Das Wasser des blaßgrauen Jumna -sieht klar und rein aus, der schlammige Ganges aber ist trübe, gelb -und schmutzig. Auf der schmalen, gebogenen Landzunge zwischen den -Flüssen erhob sich eine Zeltstadt mit zahllosen, wehenden Wimpeln und -großen Scharen von Pilgern. Man hatte Mühe dorthin zu gelangen, aber -interessant war es, sobald man unten ankam, wenn auch sehr unruhig. -Eine ganze Welt bewegte sich dort in rastloser, lärmender Tätigkeit, -teils mit religiösen, teils mit kaufmännischen Angelegenheiten -beschäftigt. Die Mohammedaner fluchen und verkaufen, während die Hindus -kaufen und beten, denn die Messe ist zugleich ein Jahrmarkt und ein -religiöses Fest. Eine Unmenge von Leuten badete, betete und trank -das heilige Wasser; kranke Pilger kamen von weither im Palankin, um -durch ein Bad Heilung von ihrem Uebel zu finden oder an den gesegneten -Ufern zu sterben und sicher in den Himmel zu kommen. Auch viele Fakirs -waren da; sie hatten sich ganz mit Asche bestreut und ihr Haar mit -Kuhdünger zusammengeklebt, denn die Kuh und alles was von ihr stammt -ist heilig. Der gute Hindubauer malt oft die Wand seiner Hütte mit dem -Dünger an oder formt daraus allerlei Figuren, mit denen er den Estrich -des Fußbodens verziert. In den Zelten saßen auch ganze Familien bei -einander, die schrecklich und wunderbar bemalt waren und nach ihrer -Stellung und Gruppierung zu urteilen, die Angehörigen großer Gottheiten -vorstellten. Ein heiliger Mann saß dort schon Wochen lang nackt auf -spitzen Eisenstäben und schien sich gar nichts daraus zu machen. -Ein anderer Heiliger stand den ganzen Tag auf einem Fleck und hielt -seine abgezehrten Arme regungslos in die Höhe; er soll das schon seit -Jahren tun. Neben jedem dieser frommen Büßer lag ein Tuch am Boden, -auf das milde Spenden gelegt wurden; selbst die ärmsten Leute gaben -eine Kleinigkeit in der Hoffnung, das Opfer werde ihnen Segen bringen. -Zuletzt kam noch eine Prozession nackter, heiliger Männer singend -vorbeigezogen -- da riß ich mich los und ging meiner Wege. - - - - -Elftes Kapitel. - - Wer sich seiner Sittsamkeit rühmt, gleicht einer Statue mit - dem Feigenblatt. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Die Reise nach Benares nahm nur wenige Stunden in Anspruch. Wir machten -sie bei Tage; der Staub spottete aller Beschreibung -- er legte sich in -einer dicken, aschgrauen Schicht auf den Menschen und verwandelte ihn -in einen Fakir, bei dem nur der Kuhdünger und die Heiligkeit fehlte. -Nachmittags hatten wir in Mogul-Serai Wagenwechsel -- ich glaube, -so heißt der Ort -- und mußten zwei Stunden auf den Zug nach Benares -warten. Wir hätten auch einen andern Wagen nehmen und nach der heiligen -Stadt fahren können, aber dann wären wir um die schöne Wartezeit -gekommen. In andern Ländern ist ein langer Aufenthalt auf einer Station -unangenehm und ermüdend, aber in Indien hat man kein Recht, sich über -Mangel an Unterhaltung zu beklagen. Das Gewimmel der Eingeborenen in -ihrem bunten Schmuck, das Gedränge, das Leben, der Wirrwarr, der stets -wechselnde Glanz der verschiedenen Trachten -- wo fände man Worte, um -diesen Anblick in seinem ganzen Zauber zu schildern! Die zweistündige -Wartezeit verging nur allzu schnell. Ein besonders interessantes -Schauspiel gewährte uns noch ein eingeborener kleiner Fürst aus -den Hinterwäldern mit seiner Ehrengarde, einer Bande von fünfzig -dunkeln Barbaren, zerlumpt aber sehr farbenprächtig und mit rostigen -Feuersteingewehren bewaffnet. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, -daß die bunte Mannigfaltigkeit des Gesamtbildes noch irgend welchen -Zuwachs erhalten könnte, als aber dieser ›Falstaff mit seinen Gesellen‹ -anmarschiert kam, trat alles andere dagegen in den Hintergrund. - -Mit der Zeit fuhren wir ab und erreichten bald die Vorstädte von -Benares, dann mußten wir wieder warten. Auch hier gab es etwas -zu beobachten, nämlich eine Gruppe kleiner Palankins. An solchem -Leinwandkasten hat man nicht viel zu sehen, wenn er leer ist; sitzt -aber eine Dame darin, so erwacht unser Interesse. Die Kasten, -welche etwas abseits standen, waren dreiviertel Stunden lang den -erbarmungslosen Strahlen der Sonne preisgegeben. Ihre Insassen mußten -kerzengerade darin ausharren, sie hatten keinen Raum, um ihre Glieder -zu strecken; da es jedoch Haremsdamen waren, die ihr Lebtag in der -Gefangenschaft ihres Frauengemachs schmachten müssen, so machte es -ihnen vielleicht weniger aus. Wenn die Haremsdamen auf Reisen gehen, -trägt man sie in solchen Leinwandkasten bis zur Bahn, und im Zuge -werden sie vor allen Blicken verborgen. Viele Leute bedauern sie, und -früher tat ich das auch ganz aus freien Stücken, doch jetzt zweifle ich -stark, ob das Mitgefühl überhaupt angebracht ist. Während wir in Indien -waren, machten einige gutherzige Europäer in einer Stadt den Vorschlag, -man möchte den Haremsdamen einen großen Park zur Verfügung stellen, wo -sie in sicherer Abgeschlossenheit unverschleiert umhergehen könnten, -um sich an Luft und Sonnenschein zu erfreuen, wie noch nie in ihrem -Leben. Obgleich man die wohlwollende Absicht nicht verkannte, welche -dem Plan zu Grunde lag, so wurde er doch im Namen der Haremsdamen -auf das entschiedenste abgelehnt. Sie hatten den Gedanken offenbar -höchst anstößig gefunden, etwa wie wenn man Europäerinnen auffordern -wollte, sich in mangelhafter und wenig anständiger Bekleidung in einem -abgelegenen Privatpark zusammen zu finden. So verschieden sind die -Begriffe von Schicklichkeit! - -Major Sleeman schildert einmal die Entrüstung einer Dame aus vornehmer -Kaste, als sie ein paar englische Mädchen unverschleiert über die -Straße gehen sah. Der Anblick verletzte ihr Anstandsgefühl aufs tiefste -und sie begriff nicht, wie jemand so schamlos sein könne, sich über -alle Regeln hinwegzusetzen und seine Person auf solche Art zur Schau zu -stellen. Dabei waren aber die Beine der sittlich empörten Dame bis weit -über die Kniee entblößt. Kein Zweifel, sowohl die jungen Engländerinnen -als die indische Dame waren die Lauterkeit und Sittsamkeit selbst; sie -betrachteten die Sache nur von verschiedenem Standpunkt aus. Da es nun -Millionen verschiedener Regeln über Sitte und Anstand gibt, so ist auch -der Standpunkt der Menschen ein millionenfach verschiedener und keiner -kann den seinigen ohne Schaden mit dem eines andern vertauschen. Ich -glaube, alle menschlichen Regeln sind mehr oder weniger blödsinnig, -aber das schadet nichts. Wie die Sachen jetzt stehen ist in den -Irrenhäusern nur so viel Platz als man für die vernünftigen Menschen -brauchen würde; wollten wir alle Verrückten einsperren, so würde uns -bald das nötige Baumaterial mangeln. -- - -Man hat eine weite Fahrt durch die Vorstädte von Benares, ehe man das -Hotel erreicht. Ueberall sieht es trübselig aus. Staubiges, dürres -Land, zertrümmerte Tempel, eingesunkene Gräber, verfallene Lehmmauern, -ärmliche Hütten; wohin man blickt Altersschwäche und Dürftigkeit. -Zehntausend Hungerjahre sind vonnöten, um einen solchen Zustand -hervorzubringen. Das Hotel sah recht behaglich aus, aber wir zogen vor, -in einem etwas entfernten Nebenbau zu wohnen, der einstöckig war wie -ein Bungalow und rings von einer Veranda umgeben. Es gibt zwar Türen in -Indien, aber ich möchte wohl wissen wozu! Schließen kann man sie nicht, -und gewöhnlich hängt ein Vorhang in der Oeffnung, zum Schutz gegen die -grelle Sonne. Doch dringt hier niemand unbefugt in die Privatgemächer -ein und man ist sicher, nicht gestört zu werden. Weiße Leute lassen -sich natürlich vorher anmelden, und die eingeborenen Diener zählen -nicht mit. Sie gleiten barfuß und geräuschlos herein und stehen mitten -im Zimmer, ehe man sich’s versieht. Zuerst bekommt man einen Schreck -und gerät manchmal in Verlegenheit, aber man muß sich darein finden und -wird es mit der Zeit gewöhnt. - -In unserm ›Compound‹, dem eingezäunten Hof, stand ein heiliger -Feigenbaum, auf dem ein Affe wohnte. Für den Baum interessierte ich -mich anfangs sehr, denn es war der berühmte ›Peepul‹, in dessen -Schatten man keine Lüge sagen kann; er bestand jedoch die Probe -nicht, und ich ging enttäuscht von dannen. Nicht weit davon war ein -Brunnen, aus dem ein paar Ochsen stundenlang, unter leisem Knarren -der Winde, Wasser heraufzogen; die Kleidung der beiden Hindus, welche -dies Geschäft beaufsichtigten, bestand wie gewöhnlich aus ›Turban und -Taschentuch‹. Außer dem Baum und Brunnen war im Hofe nichts zu sehen, -und mir machte die vollkommene Ruhe und Einsamkeit nach dem ewigen Lärm -und Gewirr den wohltuendsten Eindruck. - -Wir bewohnten unser Bungalow ganz allein und gingen zu Tische in das -Hotel, wo die übrigen Gäste abgestiegen waren. Angenehmer hätten wir -es gar nicht haben können. Zu jedem Zimmer gehörte das gewöhnliche Bad, -ein Raum von zehn bis zwölf Fuß im Quadrat, mit einer ausgemauerten und -gepflasterten Vertiefung in der Mitte. Wasser gab es so viel man wollte -und es wäre herrlich gewesen, hätte man nur bei der Hitze das warme -Wasser ganz fortlassen und ein kaltes Bad nehmen dürfen, aber das war -verboten, weil es der Gesundheit schädlich ist. Man warnt den Fremden -davor, in Indien kalt zu baden; doch selbst die klügsten Fremden sind -töricht genug, den guten Rat nicht zu befolgen und müssen es büßen. Ich -war der klügste Tor, der in jenem Jahre des Weges kam. Zwar bin ich -jetzt noch klüger -- aber leider zu spät! - -Benares hat mich nicht getäuscht. Es verdient seinen Ruf als große -Sehenswürdigkeit. An einer tiefen Bucht des Ganges amphitheatralisch -auf einem Hügel erbaut, den es ganz bedeckt, bildet es eine feste -Masse, die nach allen Richtungen hin von labyrinthartig verschlungenen -Spalten durchzogen wird, welche Straßen vorstellen. Mit seinen hohen -schlanken Minarets und den beflaggten Tempelkuppeln und Spitzen gewährt -die Stadt vom Fluß aus gesehen einen höchst malerischen Anblick. Es -wimmelt darin wie in einem Ameisenhaufen; ein Wirrwarr ohne gleichen -herrscht in den engen Straßen. Auch die heilige Kuh läuft dort nach -Belieben umher, holt sich ihren Zehnten aus den Kornläden, ist überall -im Wege und eine große Plage für alle Welt, weil man sie nicht -belästigen darf. - -Benares ist zweimal so alt wie die Geschichte, Ueberlieferung und Sage -zusammengenommen. In Mr. Parkers klar und übersichtlich geschriebenem -›Führer durch Benares‹ steht, daß nach Anschauung der Hindus die -Erschaffung der Welt dort ihren Anfang genommen hat. Mitten in das -uferlose Meer stellte der gute Gott Wischnu ein aufrechtes ›Lingam‹ -hin, das zuerst nicht größer war als ein Ofenrohr; allmählich -erweiterte er es, bis es zehn Meilen im Durchmesser hatte. Da ihm -aber das noch immer nicht genügte, baute er die ganze Erdkugel herum. -Also liegt Benares in ihrem Mittelpunkt, und das wird als ein Vorzug -angesehen. - -Die Geschichte der Stadt ist sowohl in geistlicher als in weltlicher -Beziehung höchst wechselvoll gewesen. Ursprünglich herrschten die -Brahmanen dort viele Jahrhunderte lang, dann trat in neuerer Zeit, -vor etwa 2500 Jahren Buddha auf, und während zwölf Jahrhunderten war -Benares buddhistisch. Die Brahmanen bekamen jedoch abermals die -Oberhand und haben sich seitdem nicht wieder verdrängen lassen. In -den Augen der Hindus ist die Stadt unbeschreiblich heilig, aber sie -ist auch ebenso ungesund und riecht ganz pestilenzialisch. Benares -gilt als Hauptquartier des Brahmanismus, und die Priester bilden ein -Achtel seiner Gesamtbevölkerung, doch sind ihrer nicht zu viel, da ganz -Indien für ihren Unterhalt sorgt. Aus allen Himmelsgegenden drängen -sich die Pilger herbei, um mit ihren Ersparnissen die Taschen der -Priester zu füllen. Der Strom der frommen Spenden versiegt nie. So eine -Priesterstelle am Ufer des Ganges ist der einträglichste Posten von der -Welt. Ihr heiliger Inhaber sitzt sein Lebenlang in großem Staat unter -seinem Regenschirm, segnet alle Pilger, steckt seine Gebühren ein und -wird fett und reich dabei; die Stelle erbt sich von Vater auf Sohn -weiter und weiter durch alle Zeiten hindurch und bleibt als dauernder, -gewinnbringender Besitz in der Familie. - -Als mir ein amerikanischer Missionar in Bombay sagte, die Zahl aller -protestantischen Missionare in Indien beliefe sich auf 640, kam mir -das zuerst sehr viel vor. Nachher überlegte ich mir die Sache. _Ein_ -Missionar auf 500000 Eingeborene, das ist ja so gut wie nichts; wenn -die 640 gegen das wohlverschanzte Lager von 300000000 anmarschieren, -ist doch das Verhältnis gar zu ungleich, die Uebermacht zu groß. -In Benares allein hätten 640 Missionare alle Hände voll zu tun, um -gegen die 8000 Brahmanenpriester aufzukommen, die ihnen feindlich -gegenüberstehen. Unsere Missionare haben von jeher in alle Teile der -Welt eine starke Ausrüstung von Hoffnung und Vertrauen mitgenommen. -Die besitzt auch Mr. Parker, sonst würde er nicht aus statistischen -Angaben, welche andern Mathematikern höchst bedenklich erscheinen, so -günstige Schlüsse ziehen. Er sagt zum Beispiel: - -»Während der letzten Jahre haben die Scharen der Pilger fortwährend -zugenommen, wie wir aus sicherer Quelle wissen. Aber diese religiöse -Erweckung -- wenn man den Ausdruck gebrauchen darf -- trägt alle Spuren -des Todes an sich. Es ist nur noch ein krampfhaftes Ringen, ehe die -völlige Auflösung eintritt.« - -Auf ähnliche Weise hat man bei uns seit Jahrhunderten den Untergang -der römisch-katholischen Macht vorausgesagt. Oft schon waren wir ganz -bereit sie zu Grabe zu tragen, und doch mußte die Bestattung aus -allerlei Gründen -- weil das Wetter zu schlecht war oder dergleichen -- -immer wieder verschoben werden. Durch diese Erfahrung klug geworden, -sollten wir, meine ich, erst abwarten, bis sich der Leichenzug in -Bewegung setzt, ehe wir den Hut in die Hand nehmen, um uns am Begräbnis -des Brahmanismus zu beteiligen. Eine Religion zu Grabe zu tragen ist -offenbar eine der ungewissesten Unternehmungen auf dieser Welt. - -Gern hätte ich mir irgend welchen Begriff von der Theologie der Inder -gemacht, aber die Sache war allzu verwickelt und die Schwierigkeiten -unüberwindlich. Nicht einmal über das Abc kommt man hinaus. Es gibt -eine Dreieinigkeit -- Brahma, Wischnu und Schiwa -- scheinbar von -einander unabhängige Mächte, aber ganz sicher ist das nicht, denn in -einem Tempel steht ein Bildwerk, das alle drei Gottheiten in einer -Person zusammenfaßt. Jeder der drei Götter hat mehrere Benennungen, er -hat auch Frauen mit verschiedenen Namen und Kinder, die bald so bald -so heißen; dadurch entsteht eine heillose Verwirrung, aus der man sich -in keiner Weise zurechtfinden kann. Ein Versuch, sich die Scharen der -niederen Gottheiten einzuprägen, ist nicht der Mühe wert; ihre Unmenge -ist allzu groß. - -Will man sich einiges sparen, so könnte man füglich den obersten von -allen Göttern, Brahma, ganz beiseite lassen, denn er scheint keine -große Rolle in Indien zu spielen. Am meisten Verehrung genießen Schiwa -und Wischnu nebst ihren sämtlichen Angehörigen. Schiwas Symbol, das -›Lingam‹, mit welchem Wischnu die Schöpfung begann, wird allgemein -angebetet; man begegnet ihm in Benares auf Schritt und Tritt, das Volk -bekränzt es mit Blumen und bringt ihm Gaben dar. Meist sieht es aus wie -ein aufrecht stehender Stein in Form eines länglichen Fingerhuts und -Mr. Parker sagt, daß es mehr ›Linga‹ als Einwohner in Benares gibt. - -Die Stadt hat viele mohammedanische Moscheen, und Hindutempel ohne -Zahl. Diese wunderlich geformten, mit reichen Steinornamenten -versehenen Pagoden füllen alle Straßen. Aber auch der Ganges selbst, ja -jeder einzelne Wassertropfen darin gilt als Heiligtum. Das Hauptprodukt -von Benares, dieser heiligsten aller heiligen Städte, für welche der -fromme Hindu eine unbegrenzte Liebe und Verehrung empfindet, ist -_Religion_. Alle andern Erzeugnisse des Bodens oder Gewerbefleißes -haben im Vergleich hierzu nicht die geringste Bedeutung. - -»Wenn der Pilger,« sagt Mr. Parker, »der sich vor Alter und Müdigkeit -fast nicht mehr auf den Füßen zu halten vermag, schweißtriefend, vom -Staub geblendet und halbtot vor Erschöpfung, der Backofenhitze seines -Eisenbahnwagens entsteigt und kaum den heiligen Boden berührt hat, so -hebt er die abgezehrten Hände empor und ruft mit frommer Begeisterung: -›Kaschi ji ki jai -- jai -- jai! Heiliges Kaschi (Benares), sei mir -gegrüßt! Heil, Heil dir!‹ Erwähnt ein Europäer in irgend einer fernen -Stadt Indiens gelegentlich im Bazar, daß er früher einmal in Benares -gewohnt hat, so werden gleich Stimmen laut, welche Glück und Segen auf -sein Haupt herabwünschen. Denn, wer in Benares geweilt hat, ist der -Seligste aller Sterblichen.« - -Liest man diese rührende Beschreibung, so erscheinen dagegen unsere -eigenen religiösen Gefühle farblos und kalt. Da nun aber die Religion -ihr Leben aus dem Herzen schöpft und nicht aus dem Kopfe, so werden wir -das von Mr. Parker angekündigte Begräbnis des Brahmanismus wohl noch -auf unbestimmte Zeit vertagen müssen. - - - - -Zwölftes Kapitel. - - Wer einem Volk seinen Aberglauben vorschreibt, hat mehr - Einfluß als wer ihm seine Gesetze macht, oder seine Gesänge. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Die Stadt Benares ist eine einzige große Kirche, eine Art religiöser -Bienenstock, in dem jede Zelle als Tempel, Altar oder Moschee dient. -In diesem großen theologischen Vorratshaus kann man sich alle nur -erdenklichen irdischen oder himmlischen Güter verschaffen. - -Ich will hier einen Wegweiser für den Pilger zusammenstellen, aus dem -sich erkennen läßt, wie brauchbar, wie nützlich und vollständig dieses -Religions-System ist. Wer mit dem ernstlichen Wunsch, seine geistliche -Wohlfahrt zu fördern, nach Benares geht, wird es mir Dank wissen. Daß -die Tatsachen, die ich angebe, richtig sind, unterliegt keinem Zweifel; -ich habe sie teils in Mr. Parkers ›Führer durch Benares‹ gefunden, -teils hat er sie mir bei unserer mündlichen Unterhaltung mitgeteilt. - -1. _Reinigung._ -- Bei Sonnenaufgang gehe zum Ganges hinab, bade dort, -bete und trinke etwas Wasser. Dies dient zur allgemeinen Läuterung. - -2. _Schutz gegen den Hunger._ Um dich im Kampf gegen dies traurige -Erdenübel zu stärken, verrichte eine kurze Andacht im Tempel der Kuh. -Am Eingang steht ein Bildnis von Ganesch, einem Sohne des Gottes -Schiwa, das einen Elefantenkopf auf einem menschlichen Körper trägt, -Gesicht und Hände sind aus Silber. Bete es an und gehe dann weiter auf -eine bedeckte Veranda, in der roh geschnitzte, häßliche Götzenbilder -stehen. Dort findest du Andächtige, die mit Hilfe ihrer Lehrer in -den heiligen Büchern lesen. Gib eine Beisteuer zu ihrem Unterhalt -und betritt dann den Tempel, einen düstern, übelriechenden Raum voll -heiliger Kühe und Bettler. Letzteren spende ein Almosen und küsse allen -Kühen, die frei herumlaufen, ehrfurchtsvoll den Schwanz, denn dieser -ist ganz besonders heilig; tust du das, so wirst du an selbigem Tage -keinen Hunger leiden. - -3. _Der Freund des armen Mannes._ -- Diesen Gott mußt du zunächst -anbeten. Er wohnt im Grunde eines steinernen Brunnens im Tempel zu -Dalbhyesvar, der im Schatten eines hohen Peepul-Baumes auf einem -Felsvorsprung am Ganges steht. Gehe daher zum Fluß zurück. Der ›Freund -des armen Mannes‹ ist der Gott weltlichen Glückes im allgemeinen und -außerdem auch ein Regengott. Er wird dir irdische Güter gewähren, wenn -du ihn anbetest, oder einen Regenguß -- vielleicht auch beides. Er ist -Schiwa unter fremdem Namen und weilt in Form eines steinernen ›Lingam‹ -auf dem Grunde des Brunnens. Begieße ihn mit Gangeswasser und er wird -dir zum Dank für die Huldigung seine Gaben spenden. Kommt der Regen -nicht gleich, so gieße immer mehr Wasser in den Brunnen, bis er ganz -voll ist. Dann bleibt der Regen gewiß nicht aus. - -4. _Fieber._ Der Kedar Ghaut ist eine breite steinerne Treppe, die zum -Fluß hinabführt. Auf halber Höhe findest du einen Behälter, in dem -das Schmutzwasser zusammenläuft. Trinke davon soviel du willst, es -vertreibt das Fieber. - -5. _Blattern._ -- Gehe von da geradeswegs nach dem Haupt-Ghaut. -Stromaufwärts kommst du an ein kleines weißgetünchtes Gebäude; es -ist ein Tempel, welcher der Göttin der Blattern, Sitala, geheiligt -ist. Doch findest du nur ihre Stellvertreterin, dort hinter einem -Metallschirm, eine rohe menschliche Gestalt, der du Anbetung erweisen -sollst. - -6. _Der Schicksalsbrunnen._ -- Den suche zunächst auf. Er gehört zum -Dandpan-Tempel, der in der Stadt liegt. Durch ein viereckiges Loch im -Mauerwerk fällt von oben das Licht herein. Tritt mit scheuer Ehrfurcht -herzu, denn es handelt sich hier um die wichtigsten Dinge. Beuge dich -nieder und schaue hinein. Sind die Schicksalsgötter deinem Leben -günstig, so erblickst du dein Antlitz tief unten im Brunnen. Haben -sie dein Verderben beschlossen, so verhüllt plötzlich eine Wolke die -Sonne und du kannst nichts sehen. Dann hast du kaum noch ein halbes -Jahr zu leben. Vielleicht stehst du schon an des Todes Tür. Verliere -keine Zeit, laß ab von dieser Welt, bereite dich auf das Jenseits. Dazu -bietet sich dir die beste Gelegenheit dicht nebenan. Wende dich um und -bete zu dem Bilde des großen Schicksalsgottes Maha Kal, das sichert -dein Glück im künftigen Leben. Ist dein Atem noch nicht entflohen, so -mache einen letzten Versuch, ob dir nicht eine kleine Verlängerung -deines Lebens auf Erden gewährt wird. Die Möglichkeit ist nicht -ausgeschlossen, denn in dem wundervoll eingerichteten Vorratshaus für -weltliche und geistliche Güter kann man alles haben. Laß dich - -7. -- nach dem _Lebensbrunnen_ tragen. Er ist im Vorhof des verfallenen -ehrwürdigen Briddhkal-Tempels, der zu den ältesten Heiligtümern von -Benares gehört. An einem Steinbilde des Affengottes Hanuman vorbei, -gelangt man auf den mit Trümmern bedeckten Höfen zu einer seichten -Zisterne mit stehendem Wasser. Sie riecht wie der beste Limburger -Käse; der Schmutz von den Waschungen aller Kranken und Aussätzigen hat -sich dort angesammelt. Aber was tut das? Bade dich darin mit Dank und -Andacht, denn dies ist der Jungbrunnen, das ›Wasser des langen Lebens‹. -Dein graues Haar wird verschwinden mit allen Runzeln; Gliederweh, -Sorgenlast und Altersschwäche werden von dir abfallen; jung, frisch, -elastisch, und begierig den Wettlauf des Lebens von neuem zu beginnen, -entsteigst du dem Bade. Natürlich stürmen nun auch die mannigfachen -Träume und Wünsche der holden Jugendzeit wieder auf dich ein. Deshalb -gehe dahin, wo du - -8. -- die _Erfüllung der Wünsche_ findest, nämlich in den -Kemeschwar-Tempel, welcher Schiwa, dem Herrn der Wünsche geweiht -ist und hole dir die Gewährung der deinigen. Liegt dir etwas an -Götzenbildern, so kannst du dort in den zahllosen Tempeln genug zu -sehen bekommen, um ein ganzes Museum auszustaffieren. Vermutlich wirst -du nun mit neuem Eifer anfangen Sünden zu begehen; ich kann dir daher -nur raten, häufig eine Stätte aufzusuchen, wo du - -9. _zeitweilige Reinigung von Sünden_ erhältst. Dies ist der Brunnen -des Ohr-Rings, der weihevollste Ort in ganz Benares, das Allerheiligste -in der Vorstellung des Volkes, dem man sich nur in tiefster Ehrfurcht -nahen darf. Das Wasserbecken ist mit einem Gitter umgeben, zu dem -steinerne Treppen hinabführen. Natürlich ist das Wasser nicht rein; wie -wäre das möglich, da fortwährend Menschen darin baden. Wie lange man -auch dort stehen mag, immer sieht man die Sünder in ununterbrochener -Reihe hinab- und heraufsteigen. Mit Sünde beladen gehen sie hinunter -und frei von Schuld kommen sie wieder herauf. »Der Lügner, der Dieb, -der Mörder, der Ehebrecher, waschen sich hier und werden rein,« sagt -Mr. Parker in seinem Buch. Gut, daß ich Mr. Parker kenne und glaube was -er sagt; hätte jemand anderes das behauptet, so würde ich ihm raten, -sofort ins Wasser hinunterzusteigen und sich tüchtig abzuwaschen. -- -Jugend, langes Leben, Sündenreinheit sind zwar köstliche Gaben, aber -das ist noch nicht genug. Vor allem mußt du dich - -10. _deiner Seligkeit versichern_. Das kannst du auf mancherlei Art. -Erstens, wenn du im Ganges ertrinkst, aber das ist nicht angenehm. -Oder du stirbst in Benares; dabei ist jedoch zu bedenken, daß du gerade -außerhalb der Stadt sein könntest, wenn dein letztes Stündlein kommt. -Am sichersten ist eine Wallfahrt rund um die Stadt. Du mußt sie barfuß -machen und der Weg ist vierundvierzig Meilen lang, weil er eine Strecke -weit über Land führt, so daß der Marsch wohl fünf bis sechs Tage -dauern kann. An Gesellschaft wird es dir aber nicht mangeln. Scharen -beglückter Pilger ziehen dieselbe Straße; der Farbenglanz ihrer Kleider -gewährt dir ein schönes Schauspiel, auch erheitern ihre Loblieder und -heiligen Triumphgesänge dir das Herz und lassen dich keine Ermüdung -spüren. Von Zeit zu Zeit triffst du auf einen Tempel, wo du ausruhen -und dich mit Speise erfrischen kannst. Ist deine Wallfahrt zu Ende, so -hast du dir die Seligkeit sicher erworben. Aber du wirst ihrer doch -vielleicht nicht teilhaftig, außer wenn du - -11. _deine Erlösung eintragen_ lässest. -- Dies kannst du im Sakhi -Binayak Tempel tun. Du darfst es ja nicht versäumen, weil du sonst -nicht beweisen kannst, daß du die Pilgerfahrt wirklich gemacht hast, -falls man es dir einst bestreiten sollte. Ueber der Tür dieses -Heiligtums, das hinter dem Kuh-Tempel liegt, ist ein rotes Bildnis -von Ganesch mit dem Elefantenkopf, dem Sohn und Erben des Gottes -Schiwa, der sozusagen Kronprinz des theologischen Kaisertums ist. -Der Gott im Tempel hat das Amt deine Wallfahrt einzutragen und sich -für dich zu verbürgen. Ihn selber bekommst du zwar nicht zu sehen, -aber ein Brahmane empfängt dich, besorgt dein Geschäft und läßt sich -das Geld dafür auszahlen. Falls er letzteres vergißt, darfst du ihn -daran erinnern. Er weiß jetzt, daß deine Seligkeit gesichert ist, aber -natürlich möchtest du es auch gern selbst erfahren, dazu brauchst du nur - -12. an den _Brunnen zur Kenntnis der Seligkeit_ zu gehen. Er ist dicht -beim Goldenen Tempel. Da steht ein Stier aus einem einzigen schwarzen -Marmorblock gemeißelt und viel größer als irgend ein lebendiger Stier, -der dir jemals vorgekommen ist; auch ein Bildnis von Schiwa wird dort -gezeigt, eine große Seltenheit! Sein Lingam hast du vielleicht schon -fünfzehntausendmal gesehen, aber dies hier ist Schiwa selbst und -man sagt, das Porträt sei sehr ähnlich. Es hat drei Augen; so viele -besitzt kein anderer Gott. Ueber dem Brunnen ist ein schöner steinerner -Baldachin, der auf vierzig Säulen ruht; wie allenthalben in Benares, -beten auch hier Scharen von andächtigen Pilgern. Das heilige Wasser -wird ihnen eingelöffelt, und dabei durchströmt sie zugleich die klare -und feste Zuversicht ihrer Erlösung. Man sieht es ihnen am Gesicht an, -daß sie das höchste Glück gefunden haben, welches es auf Erden gibt, -dem sich keine andere Freude vergleichen läßt. Wer das Wasser getrunken -und seine Einzahlung gemacht hat, was sollte der noch begehren? Gold, -Edelsteine, Macht oder Ruhm? -- In einem Augenblick ist das alles -nichtig und wertlos geworden und zu Staub und Asche zerfallen. Die Welt -hat dem Menschen nichts mehr zu bieten, sie muß sich ihm gegenüber für -bankerott erklären. -- - -Ich will nicht behaupten, daß alle Pilger ihre Andacht immer genau -in der Reihenfolge verrichten, wie mein Wegweiser sie angibt, aber -es wäre gar nicht so übel, wenn sie es täten. Sie hätten dann -einige feste Anhaltspunkte, ein bestimmtes Ziel und brauchten ihre -gottesdienstlichen Uebungen nicht aufs Geratewohl zu betreiben: Das -Gangesbad am Morgen erregt des Pilgers Eßlust; sie vergeht ihm, wenn -er die Kuhschwänze küßt. Nun sehnt er sich nach weltlichen Gütern; er -eilt hin und gießt Wasser auf Schiwas Symbol. Das sichert ihm sein -irdisches Glück, bringt ihm aber auch einen Regenschauer, von dem -er das Fieber bekommt. Zur Heilung trinkt er das Schmutzwasser am -Khedar Ghaut, das Fieber verläßt ihn, aber er bekommt die Blattern. -Um zu wissen, welche Wendung es mit ihm nehmen wird, geht er zum -Dandpan-Tempel und sieht in den Brunnen hinab. Die Sonne umwölkt sich, -sie zeigt ihm, daß er dem Tode nahe ist. Was kann er da Besseres tun, -als sich seine Seligkeit im Jenseits zu sichern? Das geschieht mit -Hilfe des großen Schicksalsgottes. Nun ist ihm der Himmel gewiß, er -wird daher vermutlich Sorge tragen, noch solange wie möglich auf Erden -zu bleiben. In dieser Absicht geht er zum Briddhkal-Tempel und gewinnt -Jugend und langes Leben durch ein Bad in der scheußlichen Pfütze, die -selbst eine Mikrobe umbringen würde. Die Sündenlust erwacht mit der -Jugend von neuem; er sucht den Tempel der ›Erfüllung der Wünsche‹ auf, -um sein Verlangen zu stillen. Im Brunnen des Ohr-Rings reinigt er sich -dann von Zeit zu Zeit von Sünden und stärkt sich zu ferneren verbotenen -Genüssen. Da er aber ein Mensch ist, kann er sich der Zukunftsgedanken -nicht entschlagen. Deshalb macht er die große Wallfahrt rund um die -Stadt, sichert sich seine Erlösung, läßt sie eintragen und verschafft -sich noch die persönliche Gewißheit seines künftigen Heils durch einen -Gang nach dem Brunnen zur ›Kenntnis der Seligkeit‹. -- Nun ist er aller -Sorgen ledig, er kann tun und lassen was er will und genießt einen -Vorzug, den er einzig und allein seiner Religion verdankt: Sollte er -hinfort auch noch Millionen Sünden begehen, so schadet es nichts und -niemand kann ihm etwas dafür anhaben. - -So ist das ganze System klar und übersichtlich zusammengestellt und -läßt an Vollständigkeit nichts zu wünschen übrig; ich möchte es allen -empfehlen, denen die andern Religionen zu anspruchsvoll in ihren -Forderungen erscheinen und zu beschwerlich für die kurze Spanne unseres -mühevollen Erdenlebens. - -Aber ich will niemand durch falsche Vorspiegelungen täuschen und so -muß ich noch eines Umstands erwähnen, der in meinem Wegweiser fehlt. -Trotz aller Mühe und Kosten, die sich der Pilger gemacht hat, kann sein -ganzes Werk zu Schanden werden, wenn er zufällig auf das andere Ufer -des Ganges gerät und dort stirbt. Er würde dann sofort wieder lebendig -werden, jedoch in der Gestalt eines Esels. Gegen die Verwandlung in -einen Esel hat der Hindu aber eine merkwürdige Abneigung -- und doch -wäre es für ihn gar kein schlechter Tausch. Er fände dadurch Erlösung -aus der sklavischen Abhängigkeit von 2000000 Göttern und 20000000 -Priestern, Fakirn, heiligen Bettlern und andern frommen Bazillen; auch -der Hindu-Hölle könnte er entfliehen und desgleichen dem Hindu-Himmel. -Würde sich der Hindu nur aller dieser Vorteile bewußt, er ginge sofort -über den Ganges und stürbe am andern Ufer. - -Benares ist ein religiöser Vulkan. In seinen Eingeweiden sind die -theologischen Kräfte schon seit Jahrtausenden geschäftig; es donnert -und grollt und kracht, es wühlt und erbebt, es brodelt und kocht, es -flammt und raucht darin ohne Unterlaß. Am Fuß des Kraters aber haben -kleine Gruppen von Missionaren voller Hoffnung Posten gefaßt. Sie -gehören zu den Missionsgesellschaften der Baptisten, der Wesleyaner, -der Londoner Mission, der Kirchenmission, der Zenana-Bibelmission und -der Heilsmission. Die Haupterfolge erzielen sie in ihren Schulen unter -den Kindern. Das ist auch sehr natürlich, denn erwachsene Menschen -halten sich überall mit Vorliebe an das Religionsbekenntnis, in dem sie -erzogen worden sind. - - - - -Dreizehntes Kapitel. - - Runzeln sollten nur die zurückgebliebenen Spuren des - Lachens sein. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -In einem der Tempel von Benares sahen wir einen frommen Mann, der -auf seltsame Weise »schaffte, daß er selig würde«. Er hatte einen -ungeheuern Klumpen Lehm neben sich liegen und knetete daraus winzige -Götter, kaum größer als eine Erbse; in jeden steckte er ein Reiskorn, -vermutlich an Stelle des Lingams. Die Arbeit ging ihm bei der großen -Uebung, die er hatte, sehr schnell von der Hand; täglich verfertigte -er zweitausend solche Götter und warf sie dann in den heiligen -Gangesstrom. Für dies fromme Werk wurde ihm hohe Anerkennung von allen -Gläubigen zu teil -- und viele Kupfermünzen. So hatte er ein sicheres -Einkommen auf Erden und erwarb sich zugleich einen Ehrenplatz im -Jenseits. - -Von der Flußseite gesehen, gewährt Benares einen herrlichen Anblick. -Drei Meilen weit sind die hohen Felsenufer von oben bis hinunter -zum Wasserspiegel mit lauter prachtvollen und malerischen Bauwerken -besetzt; der Fels selbst ist ganz verschwunden, Tempel, Hallen, Paläste -wechseln miteinander in bunter Reihe und viele breite Treppen aus -Marmorquadern führen zum Fluß hinab. Ueberall ist Leben und Bewegung; -in alle Farben des Regenbogens gekleidet, strömt die Menge die Stufen -herauf und hinunter, oder drängt sich auf den langgestreckten Terrassen -am Uferrand, wie ein großer wandelnder Blumengarten. - -Alle jene Prachtbauten sind Werke der Frömmigkeit. Die Paläste gehören -eingeborenen Fürsten, deren Heimat meist fern von Benares ist. Doch -kommen sie von Zeit zu Zeit zur heiligen Stadt, um sich Seele und -Leib durch den Anblick ihres angebeteten Ganges und ein Bad in seinen -Fluten zu erquicken. Auch die schönen Treppen sind fromme Stiftungen, -so gut wie die zahllosen, reich geschmückten kleinen Tempel, durch -deren Errichtung sich die wohlhabenden Hindus irdisches Ansehen und -die Hoffnung auf künftige Belohnung erwerben. Ein reicher Christ, der -bedeutende Summen für religiöse Zwecke verwendet, ist eine Seltenheit; -aber unter den Hindus lebt niemand, der seiner Religion nicht die -größten Geldopfer brächte. Auch bei uns gibt der Arme etwas für die -Kirche aus, behält jedoch noch das Nötigste zu seinem Lebensunterhalt -zurück. Der arme Inder bringt sich dagegen täglich für seine Religion -an den Bettelstab. Trotz seiner vielen frommen Spenden bleibt dem -reichen Hindu noch immer genug an weltlichen Gütern übrig und er erntet -obendrein hohen Ruhm; aber der arme Hindu ist wirklich zu bemitleiden: -er gibt alles hin, was er hat, und es trägt ihm doch keine Ehre ein. - -Wir machten zwei- bis dreimal die gebräuchliche Fahrt flußaufwärts -und abwärts, wobei wir auf dem Deck der großen Arche, die mit Rudern -fortbewegt wird, unter einem Zeltdach auf Stühlen saßen. Ich hätte noch -vielmals so hin- und herfahren können und zwar mit stets gesteigertem -Interesse und Genuß, denn je öfter man die Paläste und Tempel sieht, um -so mehr bewundert man sie, was ja bei dergleichen Prachtgebäuden der -Fall ist. Auch den Badenden hätte ich gern noch länger zugeschaut; es -war ein Vergnügen zu sehen, wie geschickt sie aus ihren Kleidern hinaus -und wieder hereinschlüpften ohne zuviel von ihrer bronzefarbenen Haut -zu zeigen; ihr frommes Gebärdenspiel und die andächtige Art, wie sie -die Gebetskügelchen durch die Finger gleiten ließen, wäre mir nicht zum -Ueberdruß geworden. - -Nur eins konnte ich kaum noch mit ansehen, nämlich wie sie sich den -Mund mit dem scheußlichen Wasser ausspülten und es tranken. An einer -Stelle, wo wir eine Weile anlegten, ergoß sich ein stinkender Strom -aus einem Abzugskanal und machte das Wasser rings umher trübe und -schmutzig; auch ein angeschwemmter Leichnam kreiste darin und tauchte -auf und nieder. Zehn Schritte unterhalb aber, standen Männer, Frauen -und hübsche junge Mädchen bis an die Brust im Wasser, schöpften es in -der hohlen Hand und tranken. Ja, der Glaube kann Wunder wirken, davon -erhielt ich hier den Beweis. Die Leute tranken das greuliche Zeug nicht -etwa um ihren Durst zu löschen, sondern um Seele und Leib inwendig zu -läutern. Nach ihrer Lehre macht das Gangeswasser augenblicklich alles -was es berührt vollkommen rein. Deshalb nahmen sie weder an dem Schmutz -des Abzugskanals noch an der Leiche den geringsten Anstoß; das heilige -Wasser hatte sie ja berührt, sie waren so rein wie frisch gefallener -Schnee und konnten niemand besudeln. Jener Anblick wird mir ewig -unvergeßlich sein -- aber sehr gegen meinen Willen. - -Noch ein Wort über das schmutzige Gangeswasser, das doch alles zu -reinigen vermag: Als wir mehrere Wochen später nach Agra kamen, -hatte sich dort gerade ein Wunder zugetragen -- den Gelehrten war -eine große wissenschaftliche Entdeckung geglückt. Durch dieselbe -wurde festgestellt, daß das von uns vielgeschmähte Gangeswasser -wirklich das mächtigste Reinigungsmittel der Welt ist. Eine bedeutende -Errungenschaft der modernen Naturkunde! Man hatte sich schon längst -darüber verwundert, daß die Cholera zwar in Benares häufig wütet, sich -jedoch nie über den Stadtbezirk hinaus verbreitet. Mr. Henkin, ein von -der Regierung zu Agra angestellter Naturforscher, beschloß das Wasser -zu untersuchen. Er ging nach Benares und schöpfte Wasser am Ausfluß -der Abzugskanäle in der Nähe der Badetreppen. Die Probe ergab, daß ein -Kubikzentimeter dieses Wassers Millionen von Cholerabazillen enthielt; -nach Ablauf von sechs Stunden waren sie alle tot. Nun zog Henkin -einen schwimmenden Leichnam ans Land; in dem Wasser, das von diesem -abtropfte, wimmelte es von Cholerakeimen, aber nach sechs Stunden lebte -kein einziger mehr. Auch sämtliche Bazillen, die Henkin in großer -Menge in das Gangeswasser brachte, starben unfehlbar innerhalb sechs -Stunden. Er wiederholte denselben Versuch mehrmals mit reinem Wasser, -das gänzlich bakterienfrei war. Sobald er Cholerakeime hineinbrachte, -vermehrten sie sich massenhaft, und nach sechs Stunden lebten viele -Millionen darin. - -Jahrhunderte lang sind die Hindus fest überzeugt gewesen, daß das -Gangeswasser nicht nur vollkommen rein ist und durch nichts beschmutzt -werden kann, sondern auch unfehlbar alles läutert, was damit in -Berührung kommt. Weil sie das auch heutigen Tages noch glauben, trinken -sie es und baden darin, ohne sich um schwimmende Leichen oder den -_scheinbaren_ Schmutz zu kümmern. Durch die Wissenschaft belehrt, -werden wir die Hindus jetzt wohl kaum noch deswegen verspotten dürfen, -wie wir es seit vielen Generationen getan haben. Wie mögen sie wohl vor -grauen Jahren hinter das Geheimnis des Wassers gekommen sein? Hatten -sie vielleicht schon damals Bakteriologen? -- Wir wissen es nicht. Nur -soviel wissen wir, daß sie bereits eine Zivilisation besaßen, als wir -noch tief in der Barbarei steckten. - -Doch jetzt möchte ich von etwas anderem reden, nämlich von dem -Verbrennungsplatz der Leichen. Fakirs pflegt man nicht zu verbrennen; -sie bekommen, dank ihrer Heiligkeit, auch ohnedies im Jenseits einen -guten Platz, wenn man sie den Wellen des geweihten Stromes übergibt. -Wir sahen, wie man einen solchen frommen Bettler bis in die Mitte des -Ganges ruderte und dort über Bord warf. Er war zwischen zwei großen -Steinplatten festgeklemmt. - -Eine halbe Stunde lag unser Boot am Verbrennungsghat und wir sahen -neun Leichen von den Flammen verzehren. Dann hatte ich ganz genug. -Das Trauergefolge begleitet die Bahre durch die Stadt und bis hinab -zum Ghat; dort überlassen die Träger den Toten mehreren Eingeborenen -aus einer niederen Kaste, ›Doms‹ genannt, und die Trauernden begeben -sich auf den Heimweg. Ich hörte kein Schluchzen, sah keine Tränen, der -Abschied ging ruhig vor sich. Alle Ausbrüche von Kummer und Schmerz -werden offenbar in häuslicher Zurückgezogenheit abgemacht. Die toten -Frauen bringt man in einer roten, die Männer in einer weißen Umhüllung. -Man legt sie am Uferrand ins Wasser, während der Holzstoß bereitet wird. - -Der erste Tote, welchen die ›Doms‹ auswickelten um ihn zu waschen, war -ein wohlgenährter, stark gebauter, schöner alter Herr gewesen, dem -man keine Krankheit ansah. Aus trockenem Holz wurde ein Haufen lose -zusammengeschichtet, der Leichnam darauf gelegt und mit brennbaren -Stoffen bedeckt. Dann begann ein nackter heiliger Mann, der etwas -abseits auf einer Erhöhung saß, mit großem Nachdruck zu reden und zu -schreien. Der Lärm dauerte eine ganze Weile und stellte vermutlich -die Leichenpredigt vor. Einer der Leidtragenden war zurückgeblieben, -als sich die andern entfernten, nämlich der Sohn des Verstorbenen, ein -hübscher, brauner etwa zwölfjähriger Knabe mit ernster, gefaßter Miene. -Er war in ein weißes, wallendes Gewand gekleidet und hatte die Pflicht, -seinen Vater zu verbrennen. Man gab ihm eine Fackel in die Hand, und -während er siebenmal langsam um den Holzstoß schritt, predigte der -nackte Schwarze auf der Anhöhe noch lauter und ungestümer als zuvor. -Als der Knabe den siebenten Rundgang beendet hatte, berührte er mit -der Fackel zuerst seines Vaters Haupt und dann die Füße. Helle Flammen -sprangen scharf knisternd empor, und der Knabe zog sich zurück. Der -Hindu wünscht sich keine Tochter, weil ihre Hochzeit unerschwingliche -Kosten verursacht, er wünscht sich einen Sohn, um einst im Tode auf -ehrenvolle Art aus der Welt scheiden zu können. Und eine größere Ehre -gibt es nicht für den Vater, als wenn ihm sein Sohn den Scheiterhaufen -anzündet. Wer keinen Sohn hat, ist übel daran und sehr beklagenswert. -Im Hinblick auf die Unsicherheit des menschlichen Lebens heiratet der -Hindu schon als Knabe, um einen Sohn zu bekommen, der ihm nach dem Tode -den letzten Dienst erweisen soll. Wird ihm kein Sohn geboren, so nimmt -er einen Knaben an Kindesstatt an. Das genügt für alle Zwecke. - -Unterdessen nahm die Verbrennung jenes Leichnams und einiger andern -ihren Fortgang. Es war ein grausiges Geschäft. Die Heizer blieben dabei -nicht müßig; sie liefen flink umher, schürten das Feuer mit langen -Stäben und warfen von Zeit zu Zeit mehr Holz hinein; auch hoben sie -oft Schädel und Knochen in die Höhe, um sie zu zerschlagen und wieder -in die Flammen zu stoßen, damit sie rascher von der Glut verzehrt -würden. Ein widerwärtiger Anblick! Für die Hinterbliebenen hätte er -unerträglich sein müssen. Mein Verlangen, die Leichenverbrennung zu -sehen, war ohnehin nicht groß gewesen und wurde bald gänzlich gestillt. -Aus Gesundheitsrücksichten wäre es zwar ratsam, die Feuerbestattung -allgemein einzuführen, aber diese Form derselben wirkt höchst abstoßend -und ist durchaus nicht empfehlenswert. - -Natürlich gilt das Feuer für heilig und muß bezahlt werden. -Gewöhnliches Feuer ist verboten, weil es kein Geld einbrächte. Man -sagte mir, daß eine einzige Person -- vermutlich ein Priester -- das -Monopol besitzt, alles heilige Feuer zu liefern, für das er einen -beliebigen Preis fordern kann. Mancher Leidtragende hat für eine -Feuerbestattung schon tausend Rupien entrichtet. Von Indien aus ins -Paradies zu kommen ist wirklich ein sehr kostspieliges Ding; man muß -jede einzelne Kleinigkeit, die dazu gehört, teuer bezahlen, um die -Priester zu mästen. - -In der Nähe des Verbrennungsplatzes stehen ein paar altersgraue -Steine aus der Zeit, als die Sutti noch gestattet war. Ein Mann und -eine Frau, die Hand in Hand miteinander gehen, sind roh in den Stein -geschnitten, der die Stelle bezeichnet, wo die Witwe ehemals den -Feuertod erlitten hat. Mr. Parker sagt auch, daß sich die Witwen noch -heutigen Tages verbrennen lassen würden, wenn die englische Regierung -es nicht strengstens untersagte. Jede Familie, die auf einen der -kleinen Denksteine zeigen und sagen kann: »Hier hat sich unsre Ahnfrau -verbrannt!« wird von allen beneidet. - -Ein seltsames Volk, diese Hindus! Alles Leben ist ihnen heilig, nur -das des Menschen nicht. Selbst das Ungeziefer verschonen sie, und -der fromme Dschain setzt sich auf keinen Stuhl, ohne ihn vorher -abzuwischen, um ja auch nicht das winzigste Insekt zu töten. Es -betrübt ihn, daß er Wasser trinken muß, weil der Inhalt seines Magens -vielleicht den Mikroben nicht zuträglich sein könnte. Und doch ist -Indien die Heimat der Thugs und der Sutti. Es wird unsereinem schwer, -das zusammen zu reimen. - -Wir gingen auch zu dem Tempel der Thug-Göttin Bhowanee oder Kali oder -Durga -- sie trägt alle diese Namen und noch viele andere. Sie ist die -einzige Gottheit, der etwas Lebendiges geopfert wird; man schlachtet -ihr Ziegenböcke. Affen wären billiger und sind überreichlich vorhanden. -Da sie heilige Tiere sind, benehmen sie sich sehr unbescheiden und -klettern überall herum, wo sie wollen. Der Tempel und die Vorhalle -sind mit wunderschönen steinernen Ornamenten geschmückt, desto -häßlicher ist das Götzenbild. Es ist wirklich kein Vergnügen Bhowanee -anzusehen; sie hat ein Gesicht von Silber mit einer heraushängenden, -hochrot angemalten, geschwollenen Zunge und trägt ein Halsband von -Totenschädeln. - -Ueberhaupt sind die zahllosen Götzenbilder in Benares alle roh, häßlich -und mißgestaltet. Die ganze Stadt ist voll davon; sie ängstigen einen -nachts im Traum, und nirgends hat man Ruhe vor ihnen. Kann man ihren -Anblick in den Tempeln nicht länger ertragen und geht zum Strom hinaus, -so findet man dort riesengroße, mit bunten Farben bemalte Götzen -nebeneinander am Ufer hingestreckt, und wo irgend noch Raum ist, steht -ein Lingam. Schwerlich hat Wischnu vorausgesehen, was aus seiner Stadt -werden würde, sonst hätte er sie Götzenheim oder Lingamburg genannt. - -Die höchsten Türme von Benares sind die beiden schlanken, weißen -Minarets auf der Moschee des Aurengzib, die einem überall zuerst ins -Auge fallen. Die Aussicht von oben ist wundervoll, doch wurde sie mir -ganz durch einen großen, grauen Affen verdorben, der auf dem Dach der -Moschee die wildesten Sprünge machte. Es ist kaum zu glauben, wie -unvernünftig ein solches Tier ist! Der Affe schwang sich über dem -gähnenden Abgrund durch den leeren Raum bis zu irgendeinem steinernen -Vorsprung, der viel zu weit entfernt für ihn war, so daß er ihn nur mit -knapper Not erreichte und sich mit den Zähnen festhalten mußte. Mich -machte das so nervös, daß _ich_ immer nur nach dem Affen hinsah und die -Aussicht ganz darüber vergaß. So oft er einen seiner tollkühnen Sätze -ins Blaue hineintat, verging mir der Atem; wenn er nach einem Anhalt -griff, klammerte ich mich selbst aus Mitgefühl krampfhaft fest und -schnappte nach Luft, während er sich ganz gleichgültig und unbekümmert -stellte. Wohl ein Dutzendmal kam er nur gerade noch mit dem Leben davon -und beunruhigte mich dermaßen, daß ich ihn am liebsten auf der Stelle -totgeschossen hätte; doch ging mich die Sache im Grunde ja gar nichts -an. - -Die Aussicht möchte ich allen Fremden aufs dringendste empfehlen, was -man davon genießt ist prachtvoll. Ganz Benares, der Fluß und die Gegend -ringsum liegen ausgebreitet vor unsern Blicken da. Wenn nur der Affe -nicht wäre! -- Mein Rat ist also: nehmt eine Flinte mit und seht euch -die Aussicht an! - -Der nächste Anblick, der sich uns bot, war weniger aufregend: -Ein Eingeborener malte ein Bild auf Wasser -- eine mir ganz neue -Kunstleistung. Der Mann streute verschiedenfarbigen feinen Staub -auf die Oberfläche eines Wasserbeckens und daraus entwickelte sich -allmählich ein hübsches, zartes Gemälde, das durch einen Hauch wieder -zerstört werden konnte. Es kam mir vor wie ein Gleichnis und Sinnbild, -welches die Unbeständigkeit alles Irdischen predigt. Nach meinem vielen -Umherstöbern unter den verfallenen Tempeln, die auf Ruinen standen, -welche wiederum auf den Trümmern und Ruinen früherer Zeitalter erbaut -gewesen waren, lag mir der Gedanke nahe, daß alle die gewaltigen -Steinbauten in ihrer Art ganz ebenso vergänglich sind, wie Bilder, die -man auf Wasser malt. - -In Benares ist es auch gewesen, wo der kühne Generalgouverneur von -Ostindien, Warren Hastings, im Jahre 1781 mit knapper Not einer großen -Gefahr entging. Mit einer Handvoll eingeborener Soldaten und drei -jungen englischen Offizieren hatte er den Rajah Cheit Singh in seiner -eigenen Festung gefangen genommen, weil dieser sich weigerte, eine -Geldstrafe von 500000 Pfund Sterling zu bezahlen, die Hastings im Namen -der Ostindischen Kompagnie über ihn verhängt hatte. So fest war damals -seine Herrschaft in Indien begründet und so zuversichtlich rechneten -die Engländer auf die oft erprobte Unterwürfigkeit des indischen -Volkes, daß sie bei dem Zug in das entlegene Fürstentum, wo sie von -aller Hilfe abgeschnitten waren, nur leere Kanonen mitnahmen und -ihren Pulvervorrat zurückließen. Durch einen Zufall ward dies jedoch -verraten, und nun brach ein Aufstand los, bei dem die drei Engländer -samt den hilflosen Sepoys erschlagen wurden. Hastings selbst entkam -im Dunkel der Nacht glücklich aus Benares. Vor Ablauf eines Monats -kehrte er jedoch mit genügenden Streitkräften zurück, stellte Ruhe und -Ordnung wieder her, entthronte den Rajah und gab dem Fürstentum einen -andern Herrscher. - -In eine so kritische Lage hat sich Hastings nie wieder gebracht. Er -war ein hochbegabter Mann, und wenn auch an seinem Namen mancher -Flecken haftet, den nichts zu tilgen vermag, so läßt sich doch nicht -bestreiten, daß er das indische Reich für England gerettet hat. Einen -bessern Dienst hätte er aber zugleich auch der indischen Nation nicht -leisten können, welche seit Jahrtausenden unter dem Druck einer -erbarmungslosen Tyrannei geschmachtet hatte. - - - - -Vierzehntes Kapitel. - - Es zeugt von Mangel an Ehrfurcht, wenn man den Gott anderer - Menschen mißachtet. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -In Benares besuchte ich auch einen lebendigen Gott; es war der zweite, -den ich zu sehen bekam. Von allen großen und kleinen Weltwundern, die -mir je vorgekommen sind -- und ich habe, so viel ich weiß, fast alle -besichtigt -- hat mir, glaube ich, nichts einen so überwältigenden -Eindruck gemacht wie diese beiden Götter. Eine Erklärung hierfür zu -finden fällt mir nicht schwer: Wenn wir etwas ein Wunder nennen, so tun -wir das in der Regel nicht, weil es _uns_ außergewöhnlich erscheint, -sondern weil _andere_ Leute etwas Besonderes darin sehen. Fast alle -Wunder bekommen wir erst aus zweiter Hand. Ist ein Ding berühmt, so -brennen wir vor Verlangen danach und wenn wir es sehen, erfüllt es -stets unsere Erwartung. Der Anblick eines Gegenstandes, welcher in den -Herzen einer großen Menschenzahl Begeisterung und Ehrfurcht entzündet -oder ihre Liebe und Bewunderung weckt, gewährt uns einen Genuß, den -wir mehr als alles andere schätzen. Wir fühlen uns hoch beglückt und -dauernd bereichert, wir möchten die Erinnerung daran um keinen Preis -hergeben. - -Wie manche Sehenswürdigkeit der Welt haben wir von tausend -Schriftstellern unser Lebenlang mit Entzücken preisen hören! Wir -pilgern um den Erdball, sind von ihrem Anblick berauscht und halten die -Gefühle, welche uns überwältigen, für unsere eigenen, während wir nur -von der Blume eines Weines trunken sind, der andern Leuten gehört. Aber -alle Erdenherrlichkeit, die wir staunend erblicken, ist doch nichts -im Vergleich zu einer Person, die lebt, atmet, redet, und von vielen -Millionen Menschen in frommem, aufrichtigem, unerschütterlichem Glauben -für einen Gott gehalten und in Demut angebetet wird. - -Als ich den Gott sah, war er sechzig Jahre alt. Er heißt Sri 108 Swami -Bhaskarananda Saraswati; doch ist das nur _eine_ Form seines Namens, -eine Abkürzung, wie man sie etwa im Gespräch mit ihm wählen würde. -Wollte man ihm einen Brief schreiben, so würde es sich schon aus -Höflichkeit empfehlen, eine längere Anrede zu gebrauchen; nicht etwa -den ganzen Namen, aber wenigstens so viel davon: - -Sri 108 Matparamahansaparivraiakacharyaswamibhaskaranandasaraswati. - -Hochwohlgeboren auf der Adresse hinzuzufügen ist unnötig. Das Wort Sri, -mit dem der ganze Schwall beginnt, ist an sich schon ein Ehrentitel. -›108‹ gibt, glaube ich, die Zahl seiner übrigen Namen an. Da auch -Wischnu 108 Namen hat, die er nur bei besonderen Gelegenheiten braucht, -wird es wohl eine beliebte Sitte im Orden der Götter sein, sich -solchen Extravorrat anzulegen. Aber auch ohne die 108 andern ist der -abgekürzte Name schon ein recht hübsches Besitztum; er besteht aus 58 -Buchstaben, wenn ich mich nicht verzählt habe. Dagegen können selbst -die längsten deutschen Wörter nicht aufkommen und sind ein für allemal -vom Wettbewerb ausgeschlossen. - -Sri 108 S. B. Saraswati hat erreicht, was die Hindus den ›Zustand der -Vollendung‹ nennen. Andere Hindus gelangen dazu nur durch zahllose -Seelenwanderungen, bei welchen sie wieder und immer wieder in den -verschiedensten Gestalten auf Erden geboren werden. Das ist eine -langwierige Arbeit, die oft Jahrhunderte oder Jahrtausende in Anspruch -nimmt, und bei der man allerlei Gefahr läuft. Man kann zum Beispiel, -wie bereits erwähnt, das Unglück haben, einmal auf dem falschen Ufer -des Ganges zu sterben und als Esel wieder zur Welt zu kommen, so -daß man einen ganz neuen Anlauf nehmen und viele Entwicklungsstufen -nochmals durchmachen muß. Von alledem ist Sri 108 S. B. S., als er -zur Vollendung hindurchdrang, auf immer erlöst worden. Er nimmt -nicht länger teil an dem Wesen dieser Welt; alles Irdische ist von -ihm ausgeschieden, er ist vollkommen heilig und rein. Ja, er gehört -überhaupt nicht mehr der Erde an, sondern steht ihr fremd gegenüber, -ihre Schmerzen, Kümmernisse und Sorgen erreichen ihn nicht. Seine -Heiligkeit kann durch nichts mehr entweiht, seine Reinheit durch nichts -befleckt werden. Wenn er stirbt geht er zum Nirwana ein, wird in das -Wesen der höchsten Gottheit mit aufgenommen und hat Frieden in Ewigkeit. - -Die heiligen Schriften der Inder lehren, wie man zu diesem Zustand -emporklimmen kann, aber es kommt höchstens einmal in tausend Jahren -vor, daß ein Prüfungskandidat ihn wirklich erreicht. Sri 108 hat -sämtliche vorgeschriebene Stufen von Anfang bis zu Ende durchgemacht, -und ihm bleibt nun nichts mehr zu tun übrig, als zu warten, bis er aus -dieser Welt abberufen wird, von welcher sein Los getrennt ist und die -ihm nichts mehr zu bieten hat. In der ersten Stufe war er ein Schüler -und erwarb Kenntnis der heiligen Bücher. In der zweiten wurde er -Bürger, Hausvorstand, Gatte und Vater. Dann nahm er, wie geboten ist, -auf immer Abschied von seiner Familie und wanderte fort. Er zog in eine -ferne Wüste und brachte die vorschriftsmäßige Zeit als Einsiedler zu. -Darauf wurde er zunächst Bettler, »wie es die Schrift befiehlt«; er -durchwanderte Indien und nährte sich von den Gaben der Mildtätigkeit. -Vor einem Vierteljahrhundert erreichte er die höchste Reinheit, welche -keines Gewandes bedarf, denn Nacktheit ist ihr Symbol. Er legte daher -das Lendentuch ab, dessen er sich zuvor bedient hatte. Jetzt könnte -er sich nach Belieben wieder damit gürten, denn ihn kann nichts mehr -beflecken -- für gewöhnlich verschmäht er es jedoch. - -Ich glaube, das sind noch nicht alle Stufen, aber die andern fallen mir -gerade nicht ein; jedenfalls hat er sie durchgemacht. Während seiner -langen Prüfungszeit hörte er nicht auf, sich in frommer Weisheit zu -vervollkommnen und Erklärungen der heiligen Bücher zu schreiben. Auch -in religiöse Betrachtungen über Brahma hat er sich versenkt und das tut -er noch. - -In ganz Indien wird sein Bildnis aus weißem Marmor verkauft; er bewohnt -ein gutes Haus in Benares, das von einem schönen, großen Garten umgeben -und eingerichtet ist, wie es seinem hohen Range zukommt. Auf der -Straße kann er sich natürlich nicht blicken lassen. Für Götter wäre -es in allen Ländern mit Unbequemlichkeiten verbunden, wenn sie frei -umhergingen. Wollte jemand, den wir als Gott anerkennen und verehren, -durch unsere Stadt spazieren und man erführe an welchem Tage, so -würden alle Geschäfte stillstehen und der Verkehr ins Stocken geraten. - -Das Wohnhaus des Gottes ist zwar behaglich, aber doch in Anbetracht -der Umstände sehr bescheiden. Er brauchte nur den Wunsch zu äußern, -so würden ihm seine Anhänger mit Freuden einen Palast bauen. Manchmal -empfängt er die Gläubigen einen Augenblick, spricht ihnen Trost zu -und gibt ihnen seinen Segen; darauf küssen sie ihm die Füße und gehen -beglückt von dannen. Da er ein Gott ist, legt er auf Rang und Stand -keinen Wert, vor ihm sind alle Menschen gleich. Er empfängt wen er will -oder verweigert seinen Anblick. Manchmal läßt er einen Fürsten vor -und schickt den Bettler fort; ein andermal empfängt er den Bettler, -und der Fürst muß seiner Wege gehen. Doch nimmt er überhaupt nur -wenige Besucher irgendwelcher Klasse an, da er die Zeit für seine -Betrachtungen zu Rate halten muß. Mr. Parker, den Missionar, würde er, -glaube ich, jederzeit empfangen, weil er ihm leid tut. Er selbst tut -aber Mr. Parker ebenso leid, und dies Mitgefühl ist gewiß ein Segen für -alle beide. - -Bei unserer Ankunft mußten wir noch eine Weile im Garten herumstehen; -die Aussichten waren nicht sehr günstig, denn Sri 108 S. B. S. hatte an -diesem Tage alle Maharajas fortgeschickt und nur den gemeinen Pöbel -empfangen; da wir nun weder das eine noch das andere waren, ließ sich -nicht voraussagen, was wir zu erwarten hatten. Bald erschien jedoch ein -Diener und sagte, es wäre schon recht, der Gott würde kommen. - -Ja, er kam wirklich und ich habe ihn gesehen, diesen Gegenstand der -Anbetung für Millionen. Mich durchbebte ein nie gekanntes Gefühl -- ich -wollte, es strömte mir noch durch die Adern. Und doch war er für mich -kein Gott, sondern nur ein Schaustück. Der heilige Schauer, der mich -durchzitterte, war nicht mein eigener; ich empfing ihn aus zweiter Hand -von den unsichtbaren Millionen seiner Anbeter. Durch die Berührung mit -ihrem Gott war ich in elektrische Verbindung mit ihrer Riesenbatterie -geraten und bekam die ganze Ladung auf einmal zu fühlen. - -Sri 108 S. B. S. war groß und hager. Sein scharfgeschnittenes Gesicht -hatte einen ungewöhnlich durchgeistigten Ausdruck und er sah mich mit -dem tiefen Blick seiner Augen gütig an. Er schien viel älter als seine -Jahre, aber das mochte wohl von seinen Studien und Betrachtungen, dem -Fasten und Beten und dem harten Leben herrühren, das er als Einsiedler -und Bettler geführt hatte. Empfängt er Eingeborene hohen oder niederen -Ranges, so geht er ganz nackt; aber jetzt trug er ein weißes Tuch um -die Lenden, ein Zugeständnis, das er vermutlich den Vorurteilen der -Fremden machte. - -Sobald sich meine Verzückung etwas gelegt hatte, kamen wir gut -miteinander aus, und er erwies sich mir als ein sehr angenehmer -und freundlicher Gott. Er hatte viel vom Religionskongreß und der -Weltausstellung in Chicago gehört und sprach mit großem Interesse -darüber. Wenn die Leute in Indien auch von Amerika sonst nichts wissen, -dies Ereignis ist ihnen bekannt, und sie werden Chicago sobald nicht -vergessen. - -Zu meiner Freude schlug der Gott mir vor, ob wir nicht unsere -Autographen austauschen wollten. Zufolge dieser zarten Aufmerksamkeit -glaubte ich an ihn, wenn ich auch vorher meine Zweifel gehabt -hatte. Er schrieb mir eine Widmung in sein Buch, das ich stets mit -ehrfurchtsvoller Scheu betrachtete, obgleich die Wörter von rechts -nach links gehen und ich es daher nicht lesen kann. Diese Art Bücher -zu drucken, halte ich für ganz verkehrt. Das Werk enthält die von ihm -verfaßten, umfangreichen Erklärungen zu den heiligen Schriften der -Hindus; könnte ich sie entziffern, so würde ich selbst versuchen -nach der Vollendung zu streben. Ich überreichte ihm ein Exemplar von -Huckleberry Finn, weil ich glaubte, es würde ihm zur Abwechslung von -seinen Betrachtungen über Brahma eine kleine Erholung sein. Er sah -recht müde aus, und wenn ihm mein Buch auch vielleicht nichts nützt, so -wird es ihm doch gewiß nichts schaden. - -Sri 108 S. B. S. hat einen Schüler, der unter ihm seine Studien -betreibt -- Mina Bahadur Rana -- doch bekamen wir ihn nicht zu -sehen. Er trägt Kleider und ist noch sehr unvollkommen. Eine kleine -Abhandlung, die er über seinen Meister geschrieben hat, habe ich mir -angeschafft. Es ist auch ein Holzschnitt darin, welcher Lehrer und -Schüler zusammen auf einer Matte im Garten sitzend darstellt. Das Bild -ist sehr gut getroffen und die Stellung genau dieselbe, welche Brahma -mit Vorliebe einnimmt; man braucht dazu lange Arme und geschmeidige -Beine; nur Götter können diese so übereinander schlagen -- Götter und -der Kautschukmann. In der gleichen Stellung ist auch im Garten ein -Marmorbild von Sri 108 S. B. S. in Lebensgröße zu sehen. - -Eine sonderbare Welt, in der wir leben -- und am allermerkwürdigsten -geht es in Indien zu. Jener Schüler, Mina Bahadur Rana, ist ganz und -gar kein gewöhnlicher Mensch, er besitzt eine außerordentliche Begabung -und hohe Bildung; eine glänzende weltliche Laufbahn lag vor ihm. Noch -vor zwanzig Jahren stand er im Dienst der Regierung von Nepal und -nahm am Hofe des Vizekönigs von Indien eine hervorragende Stellung -ein. Er war tüchtig in seinem Beruf, ein tiefer Denker, wohlhabend -und kenntnisreich. Da ergriff ihn plötzlich das Verlangen, sich einem -religiösen Leben zu weihen, er legte sein Amt nieder, wandte der -Eitelkeit und allem Behagen dieser Welt den Rücken, zog sich in die -Einsamkeit zurück und lebte in einer armen Hütte. Dort studierte er die -heiligen Schriften und vertiefte sich in Betrachtungen über Tugend und -Frömmigkeit, die er zu erringen strebte. Diese Art Religion gleicht -der unsrigen. Christus hat den Reichen geboten ihre Güter den Armen -zu geben und ihm nachzufolgen, nicht in weltlichem Wohlleben, sondern -in Dürftigkeit. Unsere amerikanischen und englischen Millionäre tun -das täglich und bezeugen so vor aller Welt den ungeheueren Einfluß der -Religion; aber von manchen Leuten werden sie wegen dieser Entsagung -und Pflichttreue verhöhnt und auch über Mina Bahadur Rana wird man -spotten und sagen, er sei verrückt geworden. Gleich vielen Christen -von edlem Charakter und hohen Geistesgaben hat auch er sich das -Studium seiner heiligen Schriften und die Abfassung von Büchern zu -ihrer Erklärung und Auslegung als Lebensaufgabe gewählt; er hat sich -diesem Beruf mit aller Liebe hingegeben und ist fest überzeugt, daß -es keine törichte, nutzlose Zeitverschwendung, sondern die würdigste -und ehrenvollste Beschäftigung ist, der er sich widmen kann. Dennoch -gibt es viele Leute, welche jene Christen verehren und preisen, den -Inder aber einen Narren schelten. Das tue ich nicht. Er besitzt meine -vollste Hochachtung und die biete ich ihm nicht als etwas Gemeines und -Alltägliches dar, sondern als eine große Seltenheit und Kostbarkeit. -Die gewöhnliche Hochachtung und Ehrfurcht, wie sie gang und gäbe ist, -kostet nichts. Ehrfurcht vor dem, was uns selbst heilig ist: vor -Eltern, Religion, Gesetz, Vaterland, Achtung vor unsern eigensten -Ueberzeugungen, sind uns so natürliche Gefühle, daß wir ohne sie -ebensowenig leben könnten, wie ohne zu atmen. Das Atemholen rechnet man -sich aber nicht als persönliches Verdienst an. Schwer und verdienstvoll -ist dagegen eine andere Art der Ehrfurcht, nämlich die Hochachtung, -die wir aus freien Stücken den politischen und religiösen Anschauungen -eines Menschen zollen, obgleich sie nicht die unsrigen sind. Wir können -seine Götter nicht anbeten und seine Politik nicht teilen -- das -erwartet auch niemand von uns; aber seinen Glauben an sie könnten wir -doch achten, wenn es uns auch sauer wird; ja, wir könnten ihn selber -achten, wollten wir uns rechte Mühe geben. Freilich, schwer ist es, -ganz entsetzlich schwer, fast ein Ding der Unmöglichkeit, und deshalb -versuchen wir es lieber gar nicht. Glaubt ein Mensch nicht wie wir -glauben, so nennen wir ihn einen Toren, und dabei bleibt es. Das heißt -in unsern Tagen, weil wir ihn jetzt nicht mehr verbrennen können. - -Als wir von dem Gott in Benares Abschied nahmen und uns entfernten, -trafen wir am Gartentor mit einer Gruppe von Eingeborenen zusammen, -welche ehrerbietig warteten -- ein Rajah, der aus einem entlegenen Teil -Indiens kam und einige weniger vornehme Leute. Der Gott winkte sie zu -sich heran, und im Hinausgehen sahen wir noch, wie der Rajah vor ihm -kniete und demutsvoll seine heiligen Füße küßte. - -Eine bequeme Eisenbahnfahrt von siebzehn und einer halben Stunde -brachte uns nach Kalkutta, der Hauptstadt Indiens, die zugleich auch -die Hauptstadt von Bengalen ist. Die Bevölkerung besteht wie in Bombay -aus fast einer Million Eingeborenen und einer kleinen Zahl Weißer. -Kalkutta ist eine riesengroße und schöne Stadt, man nennt es die -Stadt der Paläste. Es ist reich an geschichtlichen Erinnerungen und -reich an britischen Errungenschaften auf militärischem, politischem -und kaufmännischem Gebiet. Man bekommt dort die Früchte des Wirkens -der beiden großen Helden Clive und Hastings zu genießen, aber das 250 -Fuß hohe Monument, welches man meilenweit in der Runde sieht, trägt -den Namen Ochterlony. Mag man in Kalkutta sein wo man will, überall -muß man an Ochterlony denken und sich den Kopf darüber zerbrechen, -was das Denkmal wohl zu bedeuten hat. Gut, daß Clive nicht von den -Toten zurückkommen kann, er würde sonst glauben, es sollte seinen Sieg -bei Plassey verewigen und müßte zu seiner Kränkung erfahren, daß er -sich geirrt hat. »Mit dreitausend Mann,« würde er sagen, »habe ich -sechzigtausend bezwungen und das Reich gegründet, aber man hat mir -kein Denkmal gesetzt. In der Schlacht bei Ochterlony hat der General -vielleicht mit einem Dutzend Soldaten eine Billion Feinde geschlagen -und die Welt errettet.« - -Aber das ist nicht richtig. Ochterlony war ein Mann, keine Schlacht. Er -hat dem Lande auch gute und ehrenhafte Dienste geleistet, wie hundert -andere tapfere, rechtschaffene und hochbegabte Engländer. Indien ist -ein fruchtbarer Boden, um Männer zu erzeugen, die groß sind im Kriege -wie im Frieden und bescheiden bei all ihrer Größe. Daß man ihnen -Denkmäler setzt, erwarten sie nicht; auch Ochterlony hat das schwerlich -getan -- wenigstens sicherlich nicht, ehe Clive und Hastings versorgt -waren. - -Wollte man in Indien jedem zum Lohn für ausgezeichnete Taten, treue -Pflichterfüllung und fleckenlosen Lebenswandel ein Denkmal setzen, es -würde der Gegend ein einförmiges Ansehen geben. Die Handvoll Engländer -regieren die Myriaden Inder anscheinend mit Leichtigkeit und ohne daß -irgend welche Reibung entsteht. Sie können das, weil sie richtigen -Takt, Tüchtigkeit und treffliche Verwaltungskunst besitzen, welche von -gerechten, freisinnigen Gesetzen unterstützt wird, und weil sie den -Eingeborenen stets Wort halten, wenn sie ihnen ein Versprechen gegeben -haben. - -England liegt weit von Indien; man erfährt dort wenig von den großen -Diensten, welche die indischen Beamten dem Lande leisten; denn der -Ruhm wird durch Zeitungskorrespondenten verbreitet, und diese schickt -England nicht nach Indien, sondern nach dem europäischen Festland, um -über die Taten aller kleiner Fürsten und Herzöge Bericht zu erstatten, -damit man weiß, wo sie auf Besuch sind und wen sie heiraten. Ein -britischer Beamter kann oft dreißig oder vierzig Jahre in Indien -gelebt haben und wegen seiner hohen Verdienste von einer Ehrenstufe -zur andern gestiegen sein, bis er Vizekönig wird und ein großes Reich -mit vielen Millionen Untertanen regiert. In jedem andern Lande wäre er -ein berühmter Mann, aber, wenn er wieder nach England kommt, ist er im -Grunde so gut wie unbekannt und zieht sich in ein bescheidenes Eckchen -zurück. Erst nach seinem Tode liest man mit Staunen den Bericht über -seine glänzende Laufbahn in irgend einer Londoner Zeitung. - -In Kalkutta gab es viel zu sehen, aber wir hatten nur wenig Zeit -dazu. Die von Clive erbaute Festung, der große botanische Garten, die -Spazierfahrt der vornehmen Welt auf dem Maidan und eine glänzende Revue -der Garnison nebst den Manövern der eingeborenen Soldaten, bei denen -alle Waffengattungen große militärische Tüchtigkeit bewiesen und deren -Schluß die Erstürmung eines indischen Forts bildete -- das waren die -Hauptsehenswürdigkeiten, die wir in Augenschein nahmen. Dann machten -wir noch eine Lustfahrt auf dem Hugli und teilten unsere übrige Zeit -zwischen geselligem Verkehr und dem indischen Museum. Letzteres ist -eine wahre Schatzkammer für indische Altertümer, zu deren Besichtigung -man mindestens einen Monat haben sollte; ja, ich könnte diese schönen -und wunderbaren Dinge ein halbes Jahr lang ansehen, ohne daß sie ihren -Reiz für mich verlieren würden. - -Es war Winter in Kalkutta, ›kaltes Wetter‹, wie uns jedermann -versicherte. Aber, wer an 138° im Schatten gewöhnt ist, hat kein Urteil -über dergleichen. Jedenfalls war dies kalte Wetter zu warm für die -Fremden, und wir brachen deshalb nach Dardschiling am Himalaja auf. Es -ist eine Reise von vierundzwanzig Stunden. - - - - -Fünfzehntes Kapitel. - - Es gibt 869 verschiedene Arten der Lüge; aber nur eine von - allen ist ausdrücklich verboten: »Du sollst nicht falsch - Zeugnis reden wider deinen Nächsten.« - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -_Aus dem Tagebuch. 14. Februar._ Wir reisten nachmittags um 4.30 ab und -fuhren bis zur Dämmerung durch tropische Vegetation; dann bestiegen wir -ein Boot, das uns ans andere Ufer des Ganges brachte. - - * * * * * - -_15. Februar._ -- Mit der Sonne aufgestanden. Ein strahlender, -frostkalter Morgen. Doppelte Flanellunterkleider machen sich notwendig. -Die Gegend ist vollständig eben und dehnt sich in verschwommenen Farben -weiter und immer weiter, bis ins Unendliche aus. -- Wie üppig, wie -hoch und mächtig ist doch der Bambus mit seinem duftig zarten Laub! -Wohin das Auge blickt, sieht man die baumartigen Gräser gleich riesigen -Pflanzengeysern emporschießen, bis ihr grüner Sprühregen sich in der -Ferne in Dunstwolken zu verwandeln scheint. Auch an Bananenfeldern -kamen wir vorbei, wo der Sonnenschein die glasierte Oberfläche der -großen niederhängenden Blätter streifte. Häufig sahen wir Palmenhaine -und vereinzelte Exemplare dieser malerischen Familie, die eine -wirkungsvolle Abwechslung in das Landschaftsbild brachten. An den hohen -schlanken Stämmen hingen die Blätter zerrissen und zerfetzt umher, -als wollte die Natur einen Regenschirm darstellen, der unversehens in -einen Wirbelsturm geraten ist und es sich nicht merken lassen will. -Und überall sahen wir im gedämpften Morgenlichte Dörfer auftauchen, -zahllose Dörfer, die kein Ende nehmen wollten. Mit Stroh gedeckt, aus -reinen, neuen Rohrmatten aufgebaut, lagen sie dichtgedrängt zwischen -Palmengruppen und Bambusgräsern. In Abständen von kaum dreihundert -Metern kamen immer neue dutzendweise zum Vorschein. Es war eine -mächtige, viele hundert Meilen lange und breite Stadt, die aus lauter -Dörfern bestand. Eine so ungeheure Stadt habe ich noch nie gesehen, es -gibt keine zweite auf der ganzen Erde, und eine Einwohnerzahl hat sie, -wie ein europäisches Königreich. Wir sahen diese Menschen auf beiden -Seiten der Eisenbahn und vor uns, soweit das Auge reichte -- eine -endlose Menge nackter Gestalten. Meile auf Meile flogen wir dahin, aber -immer waren sie da, auf beiden Seiten und vor uns, die braunen nackten -Männer und Knaben, die auf den Feldern ackerten und pflügten. Wir -gewahrten kein einziges Weib, kein Mädchen bei der Feldarbeit, während -der ganzen zweistündigen Fahrt. - -Wenn wir den armen Heiden die neueste Zivilisation bringen, sollten -wir zugleich die Gelegenheit benützen, auch unsere Kultur durch einige -ihrer barbarischen Sitten zu bereichern. Das Recht hierzu kann uns -niemand bestreiten. Heben wir jene Völker auf eine höhere Stufe, so -sind wir auch befugt, uns selbst mit ihrer Hilfe um neun oder zehn -Grade aufwärts zu bringen. Vor Jahren verlebte ich einige Wochen in dem -bayrischen Bade Tölz. Die Gegend ist katholisch, und nicht einmal in -Benares ist die Bevölkerung so durch und durch religiös und so eifrig -in ihrer Frömmigkeit, das erkennt man auf den ersten Blick. Damals -schrieb ich in mein Tagebuch: »Gestern machten wir eine wunderschöne -Spazierfahrt über Land; doch wurde mein Vergnügen durch den Anblick -ehrwürdiger Großmütter mit grauen Haaren, die im Felde arbeiteten, sehr -beeinträchtigt. Siebzig- und achtzigjährige Frauen mähten Korn, banden -Garben oder luden das Heu auf den Wagen.« - -An andern Orten in Bayern sah ich, wie Weiber schwere mit Bierfässern -beladene Karren zogen. In Oesterreich fand ich oft eine Frau neben -einer Kuh an den Pflug gespannt, den ein Mann führte. Ich sah ein altes -gebücktes Weib, zusammen mit einem Hunde angeschirrt, einen beladenen -Schlitten über gepflasterte und ungepflasterte Straßen ziehen, während -der Fuhrmann, ein kräftiger Mensch von kaum dreißig Jahren, nebenher -ging und seine Pfeife rauchte. Auch die Wäscherinnen in Frankreich kann -ich nicht vergessen, die bei strömendem Regen und so naßkaltem Wetter, -daß man keinen Hund hinausjagen würde, in ihrer gewöhnlichen Kleidung -vor meinen Hotelfenstern in der Rhone wuschen, bis die Dunkelheit ihrer -Arbeit ein Ende machte. Dann kam ein starker Bursche -- vielleicht der -Enkel der alten Großmutter -- im sichern Schutz seines Regenschirms, -trocken und wohlbehalten auf einem Eselwagen gefahren und befahl den -Weibern in herrischem Ton, die sechs schweren Körbe mit nasser Wäsche -aufzuladen, die ein Mann kaum von der Stelle gebracht hätte. Die bis -auf die Haut durchnäßten Frauen gehorchten ohne Murren, und während der -Franzose vom Wagen stieg und ins Wirtshaus ging, wo ich ihn später bei -einer Flasche Wein sitzen sah, trabten sie geduldig heimwärts hinter -dem Karren drein. - -Doch ich kehre nach Indien zurück. Im Lauf des Nachmittags näherten wir -uns dem Gebirge. Wir verließen den Hauptbahnzug und stiegen in eine -Zweigbahn, die aus kleinen mit Leinwand gedeckten Wagen bestand, von -denen jeder etwa für zwölf Personen Platz hatte. Wurden die Vorhänge -aufgezogen, so saß man ganz im Freien, fühlte sich äußerst behaglich, -konnte die frische Luft einatmen und sich nach allen Seiten umsehen. -Es war eine Vergnügungsfahrt, nicht nur dem Namen nach, sondern in -Wirklichkeit. - -Nach einer Weile hielten wir an einem kleinen hölzernen Bahngebäude -mitten im dichten Walde unter großen Bäumen, Gebüsch und -Schlingpflanzen in der Nähe eines düstern Dschungels. Hier haust der -bengalische Königstiger in großer Menge und benimmt sich sehr frech und -rücksichtslos. Von der einsamen kleinen Station wurde einmal folgende -Depesche an den Bahnhofsinspektor in Kalkutta abgesandt: »Ein Tiger -frißt eben den Bahnwärter auf der vorderen Veranda. Telegraphieren Sie -mir Verhaltungsmaßregeln.« - -Ich ging dort zum erstenmal auf die Tigerjagd und tötete vierzehn -Stück. Bald fuhren wir weiter, und der Zug klomm den Berg hinauf. An -einer Stelle kamen sieben wilde Elefanten über die Schienen, aber zwei -von ihnen liefen davon, ehe ich sie erreichen konnte. Die Fahrt im -Gebirge beträgt vierzig Meilen und dauert acht Stunden. Sie sollte eine -ganze Woche in Anspruch nehmen, weil sie so interessant, aufregend, -wild und entzückend ist. Die tropische Vegetation war vollständig -vertreten. Ich glaube der Dschungel enthielt Exemplare jeder seltenen -oder merkwürdigen Baum- und Buschart, von der wir jemals gehört haben. -Aus dieser Schatzkammer der Pflanzenwelt muß der ganze Erdball mit -allen Gewächsen versehen worden sein, die für uns am köstlichsten und -wertvollsten sind. Es ist reizend, wie sich der Weg fortwährend dreht -und windet. Er führt bald unter hohen Felsenklippen hin und her, die -in Laubwerk und Schlingpflanzen förmlich begraben sind, bald am Abhang -unergründlich tiefer Schluchten entlang. Dabei begegnet man fort -und fort endlosen Reihen malerisch aussehender Eingeborener, welche -Lasten den Berg hinauftragen oder von ihrer Arbeit in den Teegärten -droben zurückkehren. Einmal trafen wir auch auf einen Hochzeitszug im -bunten Flitterstaat. Die hübsche, kindliche Braut guckte zwischen den -Vorhängen ihres Palankins heraus und zeigte ihr Gesicht mit solchem -Vergnügen, wie es nur junge und glückliche Menschen empfinden, wenn sie -etwas Verbotenes tun. - -Wir kamen allmählich bis zu den Wolken hinauf und schauten von unserer -luftigen Höhe hernieder auf ein wunderbares Bild: Von Wolkenschatten -gefleckt, mit glänzenden Strömen durchzogen, lag die indische Ebene -vollkommen flach, aber weich und anmutig in der glühenden Hitze da. -Gerade unter uns, tiefer und immer tiefer, bis zum Tal hinab, schob -sich ein Gewirr kahler Bergspitzen durcheinander, über welche sich -Straßen und Pfade, gleich mattgelben, schmalen Bändern, in zahllosen -deutlich erkennbaren Krümmungen und Windungen schlängelten. - -Als wir die Höhe von 6000 Fuß erreichten, umgab uns eine dichte -Wolkenschicht, welche die übrige Welt vor unsern Blicken derart -verhüllte, daß sie überhaupt nicht wieder zum Vorschein kam. Wir -klommen nun noch 1000 Fuß höher, dann senkte sich der Weg und wir -erreichten Dardschiling, das 6000 Fuß über der Ebene liegt. - -Auf unserer Fahrt hatten wir in vielen Gebirgsdörfern eine ganz -neue Gattung Eingeborener zu sehen bekommen, die größtenteils dem -kriegerischen Stamme der Ghurkas angehörten. Sie sind nicht groß, aber -stark gebaut und voll Tatkraft, auch liefern sie die besten Soldaten -unter den eingeborenen britischen Truppen. Ihre Frauen kamen uns -scharenweise entgegen; sie kletterten den steilen Weg vom Tal bis zu -ihrer Wohnstätte in den Bergen vierzig Meilen weit empor und hatten -dabei noch schwere Körbe auf dem Rücken, zu deren besserem Halt sie ein -Gurtband um die Stirn trugen. Wieviele hundert Pfund die Last wog, will -ich gar nicht erst sagen; es würde mir doch niemand glauben. Es waren -noch junge Frauen, die unter ihrer zentnerschweren Bürde so leicht -einherschritten, als ob sie zum Tanze gingen. Man sagte mir, eine Frau -könne ein Klavier auf dem Rücken den Berg hinan tragen, und das hätten -schon viele getan. Wären es alte Frauen gewesen, so würde ich die -Ghurkas für ebenso unzivilisiert halten wie die Europäer. - -Am Bahnhof von Dardschiling warten auf den Reisenden statt der -Droschken eine Menge offener Särge, in die man steigt, um sich von -Männern auf der Schulter die steilen Wege zur Stadt hinan tragen zu -lassen. - -Oben fanden wir ein ziemlich behagliches Hotel, dessen Besitzer die -Bequemlichkeit und Sorglosigkeit selber war. Er überläßt die Wirtschaft -dem Heer seiner indischen Diener und kümmert sich um nichts. Das -heißt, nein -- die Rechnung sieht er doch durch, und der Fremde wird -wohl daran tun, seinem Beispiel zu folgen. Ein Bewohner des Hotels -sagte mir, daß der Gipfel des Kinchinjunga oft von Wolken verhüllt -wird, so daß die Fremden schon manchmal drei Wochen lang gewartet -haben und zuletzt doch fortgehen mußten, ohne ihn zu Gesicht zu -bekommen. Trotzdem waren sie nicht enttäuscht, denn als man ihnen die -Hotelrechnung einhändigte, fanden sie diese so hoch, daß sie überzeugt -waren, es könne überhaupt nichts Höheres auf dem Himalaja zu sehen -geben. Doch das halte ich für erlogen. - -Nach meiner Vorlesung ging ich noch abends in das Klubhaus, wo es mir -sehr gut gefiel. Wegen seiner hohen Lage bietet es umfassende Aussicht; -man kann dreißig Meilen weit bis zur Grenze sehen, wo drei oder vier -Länder zusammenstoßen, Nepal glaube ich und Tibet, die beiden andern -weiß ich nicht mehr. - -Am nächsten Morgen, es war Sonntag, kamen Bekannte in aller Frühe -mit Pferden, und unsere Gesellschaft unternahm einen Ritt nach -dem Aussichtspunkt, von wo sich Kinchinjunga und Mount Everest am -vorteilhaftesten darstellen. Ich zog jedoch vor, zu Hause zu bleiben, -denn ich fand es kalt, und die Pferde waren mir so wie so fremd. Mit -ein paar wollenen Decken und meiner Pfeife saß ich zwei Stunden lang -am Fenster und sah wie die Sonne die Morgennebel vertrieb, wie sie die -Schneespitzen eine nach der andern blaßrot und goldig malte und zuletzt -den ganzen mächtigen Gebirgsstock in ein Meer der herrlichsten Farben -tauchte. - -Der Kinchinjunga kam zwar nur dann und wann zum Vorschein, doch hob er -sich jedesmal mit großer Klarheit gegen den Himmel ab. Er ragte 28000 -Fuß über der Meeresfläche in das blaue Gewölbe hinauf, meilenweit über -mir, so hoch wie ich mein Lebtag kein Land gesehen hatte. Mount Everest -ist noch 1000 Fuß höher, doch gehörte er nicht zu dem Haufen von -Bergspitzen, die sich da vor mir auftürmten. Daß ich ihn nicht zu sehen -bekam, machte mir keinen Kummer; ein Berg von so übermäßiger Höhe würde -mir unangenehm gewesen sein. - -Von den Hinterfenstern des Hauses ging ich dann nach der Vorderseite, -wo ich den Rest des Morgens damit verbrachte, die dunkelfarbigen -Genossen der verschiedenen Stämme vorbeifluten zu sehen, die aus ihren -fernen Heimstätten im Himalaja kamen. - -Jedes Alter und Geschlecht war vertreten und die Rassen waren mir ganz -neu, obwohl die Tibetaner durch ihre Tracht an Chinesen erinnerten. Daß -die Gebetsmühle häufig in Anwendung kam, brachte mir die Leute näher --- ich fühlte mich ihnen verwandt. Auch wir lassen uns oft beim Gebet -durch unsern Pfarrer vertreten; zwar wirbeln wir ihn nicht um einen -Stock herum, doch ist das kein wesentlicher Unterschied. -- - -Stundenlang sah ich den Strom an mir vorübereilen; schade, daß das -seltsame, fesselnde Bild dort so gut wie verloren war. Hätte sich der -bunte Schwarm durch die Städte Europas oder Amerikas ergossen, welches -Labsal wäre es für die Menschen gewesen, denen das ewige Einerlei der -Zirkusvorstellungen nicht mehr genügt. Was führte aber die Eingeborenen -in solcher Unmenge herbei? -- Sie hatten sich aufgemacht, um den Bazar -zu besuchen, wo sie Waren zum Verkauf ausbieten wollten. Später nahmen -wir diesen fremdartigen Kongreß wilder Völkerschaften gleichfalls in -Augenschein. Wir drängten uns hier und da durch die Menge und kamen -zu dem Schluß, daß es schon allein um dieses Schauspiels willen der -Mühe wert sein würde, von Kalkutta herzureisen, selbst wenn es keinen -Kinchinjunga und Mount Everest auf der Welt gäbe. - - - - -Sechzehntes Kapitel. - - Es gibt zwei Zeiten des Lebens, in denen der Mensch sich - hüten sollte zu spekulieren: wenn seine Mittel es ihm nicht - erlauben, und wenn sie es ihm erlauben. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Am Montag und Dienstag genossen wir bei Sonnenaufgang eine mittelgute -Aussicht auf die großartige Gebirgslandschaft. Inzwischen hatten wir -uns erfrischt und abgekühlt, so daß wir uns stark genug fühlten, es -wieder mit der Hitze der unteren Welt aufzunehmen. - -Wir fuhren mit dem gewöhnlichen Zug noch die fünf Meilen bis zum -höchsten Punkt hinauf, um von da aus die 35 Meilen lange Rückfahrt -anzutreten. Wir bestiegen eine kleine sechssitzige, mit Leinwand -überspannte Draisine, welche die Größe eines Schlittens hatte und so -niedrig war, daß sie den Boden zu berühren schien. Eine Lokomotive -oder sonstige Triebkraft brauchte sie auf den abschüssigen Wegen nicht, -nur eine starke Bremse, um ihre Fahrgeschwindigkeit zu mäßigen, und -damit war sie versehen. Man erzählte uns von einer Unglücksfahrt, die -der Generalleutnant von Bengalen einmal mit solcher Draisine gemacht -hat: Der Wagen war aus den Schienen gekommen und hatte die Insassen in -den Abgrund geschleudert. Zwar ist die Geschichte gänzlich erfunden, -doch verfehlte sie ihre Wirkung auf mich nicht, denn sie machte mich -ängstlich. Ein Mensch der Angst hat ist aber nicht schlafmützig, -sondern munter und aufgeweckt; seine Spannung bei einem neuen und -gewagten Unternehmen wird durch die Furcht wesentlich erhöht. Daß -ein Unfall leicht möglich war, lag auf der Hand: ein kleiner Stein, -der aus Zufall auf die Schienen geriet oder in böswilliger Absicht -dorthin gelegt wurde, genügte, um den Wagen an irgend einer scharfen -Biegung zu entgleisen und nach Indien hinunter zu befördern. War auch -der Generalleutnant der Gefahr entgangen, so gab mir das noch keine -Bürgschaft dafür, daß ich ebensoviel Glück haben würde. Als ich dastand -und von meiner luftigen Höhe hinabsah auf das indische Kaiserreich, -das 7000 Fuß unter mir lag, kam es mir doch recht unangenehm und -halsbrecherisch vor, aus dem Wagen in eine solche Tiefe geschleudert zu -werden. - -Für mich war übrigens die Gefahr nicht groß. Wenn uns Unglück drohte, -so befiel es jedenfalls Mr. Pugh, den Inspektor der indischen Polizei, -unter dessen Schutz wir von Kalkutta heraufgekommen waren. Er hatte -lange als Artillerieoffizier gedient, war nicht so ängstlich wie -ich, und wollte uns, mit einem Ghurka und einem andern Eingeborenen, -als Lotse in einer Draisine vorausfahren. Sahen wir seinen Wagen in -den Abgrund stürzen, so brauchten wir nur so rasch wie möglich zu -bremsen und uns nach einem andern Lotsen umzutun. Das war eine höchst -zweckmäßige Einrichtung. Auch daß Mr. Barnard, der erste Ingenieur des -Bergbezirks, die Leitung unseres Wagens übernahm, diente mir zu großer -Beruhigung, denn er hatte die Fahrt schon sehr oft gemacht. - -Anscheinend war alles sicher, nur _ein_ Punkt blieb unentschieden: der -fahrplanmäßige Zug sollte unmittelbar nach unserm Wagen abgelassen -werden und konnte uns leicht über den Haufen rennen. Ich war im stillen -überzeugt, es würde geschehen. - -Vor uns fiel die Straße steil ab und wand sich dann wie ein -Korkzieher, um Klippen und an Abgründen entlang, tiefer und immer -tiefer hinunter. Eine steile Rutschbahn, die in endlosen Krümmungen -abwärts führt, hätte nicht ungemütlicher aussehen können. - -Jetzt ließ Mr. Pugh seine Flagge wehen und flog davon, wie der Pfeil -vom Bogen, und ehe ich noch Zeit hatte, aus dem Wagen zu springen, -fuhren wir ihm nach. Mich durchrieselte ein Schauer, wie ich ihn -ähnlich nur bei meiner allerersten Schlittenfahrt von einem steilen -Berggipfel empfunden habe. Der Atem verging mir, aber doch war es ein -Gefühl himmlischer Lust, eine plötzliche ungeheuere Aufregung, eine -Mischung von Todesangst und unaussprechlichem Entzücken, die für uns -Menschen, glaube ich, die höchste Wonne auf Erden ist. - -Wie eine Schwalbe im Flug über den Boden schießt, so glitt der -Lotsenwagen den Berg hinunter; leicht, rasch und anmutig schwebte er -auf den geraden Strecken dahin und überwand spielend alle Biegungen -und Krümmungen. Wir jagten ihm nach und flogen mit Blitzesschnelle an -Vorgebirgen und Klippen vorbei; zuweilen hatten wir ihn fast eingeholt --- wir hofften schon, es würde uns gelingen. Aber der Lotse trieb nur -seinen Scherz mit uns; kaum kamen wir ihm in die Nähe, so ließ er die -Bremse los, der Wagen tat einen Satz um die Ecke, und wenn wir ihn ein -paar Sekunden später wieder zu Gesicht bekamen, sah er nicht größer -als ein Schubkarren aus, so weit war er entfernt. Auch wir machten uns -einen ähnlichen Spaß mit dem Eisenbahnzug. Oft stiegen wir aus, um -Blumen zu pflücken oder am Abgrund sitzend die Aussicht zu bewundern; -dann hörten wir plötzlich ein dumpfes Brüllen, das immer lauter -wurde, und sahen den Zug hinter und über uns in Schlangenwindungen -heranstürmen. Wir brauchten jedoch erst abzufahren, wenn die Lokomotive -dicht bei uns war -- im Nu blieb sie weit dahinten. Sie mußte bei jeder -Station Halt machen, und das gab uns immer wieder einen Vorsprung. -Unsere Bremsvorrichtung war so ausgezeichnet, daß wir den Wagen auf dem -steilsten Abhang augenblicklich zum Stillstand bringen konnten. - -Das wunderschöne Landschaftsbild bot die großartigste Abwechslung, -und wir hatten alle Muße es zu betrachten, ohne daß uns der Zug dabei -hinderlich war. Brauchte er die Straße für sich, so bogen wir rasch -in ein anderes Geleise, ließen ihn vorbeifahren, holten ihn dann -später ein und stachen ihn unsererseits wieder aus. Einmal hielten -wir an, um den Gladstone-Felsen zu betrachten, auf dem die Natur im -Laufe der Jahrtausende ein sprechend ähnliches Bildnis des ehrwürdigen -englischen Staatsmannes gemeißelt hat, das als Huldigung für ihn gerade -rechtzeitig fertig geworden ist. - -Wir sahen auch einen Banianen- oder Götzenbaum, welcher von seinen -sechzig Fuß hohen Zweigen herab, säulenförmige Stützen zur Erde sandte; -ganz wie der große, spinnebeinige Banianenbaum mit seiner Wildnis von -Pflanzensäulen, den wir im botanischen Garten zu Kalkutta bewundert -hatten. Auch ganz laublose Bäume fielen uns auf, deren zahllose Aeste -und Zweige von einer Unmenge feurig leuchtender Schmetterlinge bedeckt -schienen. Es waren aber in Wirklichkeit Blüten, welche scharlachroten -Schmetterlingen täuschend ähnlich sahen. - -Als wir einige Meilen bergab gefahren waren, machten wir Halt, um eine -tibetanische Theatervorstellung mit anzusehen, welche am Bergabhang -unter freiem Himmel stattfand. Die Zuhörerschaft bestand aus Ghurkas, -Tibetanern und andern absonderlichen Leuten. Ebenso fremdartig wie -das Stück selbst, waren auch die Kostüme der Darsteller. Sie traten -einer nach dem andern vor und begannen sich mit ungeheuerer Kraft und -Schnelligkeit im Kreise zu drehen, was von den übrigen mit furchtbarem -Lärm und Getöse begleitet wurde. Zuletzt wirbelte die ganze Truppe wie -der Wind tanzend und singend umher und wühlte den Staub auf. Es war ein -altes, berühmtes, geschichtliches Schauspiel, das die Leute aufführten; -ein Chinese erklärte es mir auf Pidgin-Englisch, während es vor sich -ging. Das Stück war schon ohne die Erklärung unverständlich genug, aber -durch diese wurde sein Sinn erst recht dunkel. Als Drama mochte das -alte, historische Kunstwerk wohl seine Mängel haben, aber betrachtete -man es als wilde, barbarische Darstellung, so spottete es jeder Kritik. - -Weiter abwärts stiegen wir wieder aus, um zu beobachten, welche -merkwürdige Schleife die Bahn hier macht. Als der Zug in die Kurve -einbog, sahen wir die Lokomotive unter der Brücke verschwinden auf der -wir standen, gleich darauf kam sie wieder zum Vorschein und jagte ihrem -eigenen Schwanze nach; sie erreichte ihn, überholte ihn, lief an den -letzten Wagen vorbei und begann nun ein Wettrennen mit dem hintern Ende -des Zuges. Es kam mir vor wie eine Schlange, die sich selber auffrißt. - -Auf halber Höhe des Berges hielten wir eine Stunde Rast in Mr. Barnards -Hause und nahmen Erfrischungen ein. Während wir auf der Veranda saßen -und durch eine Lichtung des Waldes nach dem fernen Gebirgspanorama -hinüberblickten, hätten wir fast gesehen, wie ein Leopard ein Kalb -zerriß, (er hatte es tags zuvor getan). Es ist eine wilde, reizende -Gegend. Ringsum in den Wäldern ertönte Vogelgesang, auch ein paar -Vögel, die mir damals noch unbekannt waren, ließen ihr Lied erschallen: -der Gehirnteufel und der Kupferschmied. Der Gehirnteufel fängt leise -an zu singen, aber sein Ton wird beständig lauter und lauter, er -steigt in spiralförmigen Windungen in die Höhe, immer schärfer, immer -schneidender, quälender, schmerzhafter, unleidlicher, aufdringlicher, -unerträglicher; zum Wahnsinn treibend, bohrt er sich tiefer und tiefer -in des Hörers Kopf, bis zuletzt bei ihm eine Gehirnentzündung eintritt, -die den Tod zur Folge hat. Ich bringe einige dieser Vögel mit nach -Amerika, wo sie ohne Zweifel großes Aufsehen erregen werden; man -glaubt, daß sie sich in unserm Klima so rasch vermehren lassen, wie die -Kaninchen. - -Der Gesang des Kupferschmieds klingt in gewisser Entfernung wie -Hammerschläge auf Granitgestein; geht man weiter, so nimmt das Hämmern -einen metallischen Klang an, man meint, der Vogel bessere einen -Kupferkessel aus. In noch größerer Entfernung klingt es zwar auch laut -und kräftig, aber ganz als würden Fässer verspundet; merkwürdigerweise -tönt das Klopfen in nächster Nähe sanft und melodisch, doch hört es gar -nicht auf und wird zuletzt so einförmig, daß man aus der Haut fahren -möchte; man fühlt sich unsäglich elend, der Kopf schmerzt einem zum -Zerspringen und man verliert den Verstand. Auch diesen Vogel nehme ich -mit und will ihn bei uns einbürgern. - -Neu gestärkt stiegen wir wieder in die Draisine und fuhren weiter den -Berg hinunter; bald flogen wir, bald machten wir Halt, bis wir die -Ebene erreichten und in den gewöhnlichen Personenzug nach Kalkutta -einstiegen. Das war der genußreichste Tag, den ich auf Erden verlebt -habe. Es gibt kein himmlischeres, aufregenderes, entzückenderes -Vergnügen, als eine Fahrt in der Draisine vom Himalaja hinunter. -Nichts, gar nichts läßt der wonnevolle Ausflug zu wünschen übrig, außer -daß er statt fünfunddreißig Meilen mindestens fünfhundert Meilen lang -sein möchte. - - - - -Siebzehntes Kapitel. - - Gib deine Illusionen nicht auf. Hast du sie verloren, so - magst du zwar noch dein Dasein fristen, aber _leben_ im - eigentlichen Sinne kannst du nicht mehr. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -So weit ich es beurteilen kann, hat sich der Mensch mit der Natur um -die Wette bemüht, Indien zu dem merkwürdigsten Lande zu machen, welches -die Sonne bescheint. Unter all seinen Wundern habe ich bis jetzt eines -noch unerwähnt gelassen, nämlich den großen Reichtum an blutgierigen -Raubtieren, den es besitzt. - -Seit vielen Jahren ist die britische Regierung unausgesetzt bemüht -gewesen, die gefährlichen wilden Tiere in Indien auszurotten. Sie -hat es sich große Summen Geldes kosten lassen, doch kann man aus den -jährlich von ihr veröffentlichten Listen ersehen, wie schwierig das -Unternehmen ist. - -Diese amtlichen Berichte weisen eine ganz ähnliche Gleichförmigkeit -auf, wie die statistischen Angaben über die Todesfälle und Todesarten -in den Hauptstädten der Welt. Man braucht sich nur mit der -betreffenden Statistik der letzten Jahre vertraut zu machen, um fast -genau vorhersagen zu können, wie viele Menschen in London, Paris oder -New York nächstes Jahr durch Selbstmord enden oder an der Schwindsucht, -dem Krebs, der Tollwut sterben, wie viele aus dem Fenster fallen oder -von Droschken überfahren werden. So läßt sich auch im indischen Reich -mit Sicherheit aus den Verzeichnissen früherer Jahre schließen, wie -viele Leute durch Bären, Wölfe oder Tiger im laufenden Jahre umkommen -oder wie viele dieser Bestien von der Regierung erlegt werden. Ja man -kann diese Zahlen mit ziemlicher Genauigkeit auf fünf Jahre im voraus -berechnen. - -Mir liegt ein statistisches Verzeichnis aus sechs aufeinander folgenden -Jahren vor, aus dem sich ergibt, daß der Tiger in Indien alljährlich -800 und einige Personen tötet und die Regierung doppelt so viele Tiger. -In sechs Jahren hat der Tiger 5000 Menschen weniger 50 umgebracht und -die Regierung 10000 Tiger weniger 400. - -Der Wolf tötet etwa 700 Personen im Jahr, und 5000 von seinem Stamme -fallen dafür zum Opfer; der Leopard bringt durchschnittlich 230 Leute -um, verliert aber 3300 Anverwandte, und dem Bären kosten die 100 -Personen, die er im Jahre tötet, 1250 seiner eigenen Familie. - -Den gewaltigsten Kampf mit dem Menschen besteht jedoch der Elefant, -der König des Dschungels; er verliert jährlich vier von seiner -Genossenschaft, rächt sich aber durch den Tod von 45 Personen. Tiere -bringt der Elefant nur wenige um, vielleicht 100 in sechs Jahren, meist -die Pferde der Jäger; in demselben Zeitraum tötet der Tiger mehr als -84000 Stück Vieh, der Leopard 100000, der Bär 4000, der Wolf 70000, die -Hyäne mehr als 13000, andere Raubtiere 27000 und die Schlangen 19000, -was die großartige Gesamtsumme von 300000 oder durchschnittlich 50000 -Stück im Jahr ausmacht. -- Die Regierung vertilgt während der nämlichen -Zeit 3201234 Raubtiere und Schlangen. Zehn für eins. - -Die Schlangen töten viel lieber Menschen als Tiere, und es wimmelt -in Indien von gefährlichen Giftschlangen. Die schlimmste, die es -überhaupt gibt, ist die Kobra; gegen sie erscheint die Klapperschlange -als das harmloseste Geschöpf von der Welt. Bei meinen statistischen -Ermittelungen bin ich zu dem Ergebnis gelangt, daß die Raubtiere in -sechs Jahren 20000 Personen töteten und die Schlangen 103000. In -demselben Zeitraum vertilgt die Regierung 1073546 Schlangen. Es -bleiben noch immer genug übrig. - -In Indien schwebt man beständig in Todesgefahr und kommt oft nur knapp -mit dem Leben davon. In jenem Dschungel, wo ich so viele Elefanten und -sechzehn Tiger erlegt habe, wurde ich von einer Kobra gebissen; die -Wunde heilte jedoch wieder, was alle Welt in Erstaunen setzte. So etwas -kommt in zehn Jahren höchstens einmal vor. Im gewöhnlichen Lauf der -Dinge wäre schon nach einer Viertelstunde der Tod eingetreten. - - * * * * * - -Von Kalkutta aus verfolgten wir bei unserer Fahrt durch Indien eine -Art Zickzackweg in nordwestlicher Richtung. Wir fuhren durch lange -Strecken, die wie ein einziger Garten aussahen: viele Meilen weit war -alles mit den schönen Blumen bedeckt, aus deren Saft das Opium bereitet -wird, und bei Muzaffurpore gerieten wir mitten in die Indigokultur. -Eine Zweigbahn sollte uns in der Nähe von Dinapore an den Ganges -bringen, doch sie hielt an jedem Dorfe an, ohne daß jemand einstieg -oder Fracht verladen wurde; überall schwatzten die Eingeborenen wer -weiß wie lange mit ihren Freunden, die Zeit verstrich, und wir machten -uns schon darauf gefaßt, statt sechs Stunden, eine Woche unterwegs zu -bleiben. Da beschlossen die englischen Offiziere, diese Schneckenbahn -in einen Schnellzug umzuwandeln. Sie gaben dem Lokomotivführer eine -Rupie, und das Mittel half. Es ging nun wie der Wind; der Zug machte -neunzig Meilen in der Stunde. Im Morgengrauen fuhren wir über den -Ganges und erreichten noch glücklich unsern Anschluß. Bald waren wir -wieder in Benares, und nach einem vierundzwanzigstündigen Aufenthalt an -diesem merkwürdigen Hauptsitz der Frömmigkeit, setzten wir unsere Reise -nach Lucknow fort, wo die Engländer während des indischen Aufstands -im Jahre 1857 die großartigsten Beweise von Mut und Standhaftigkeit -gegeben haben, welche die britische Geschichte jemals zu verzeichnen -hatte. - -Die Hitze war unbeschreiblich, alles Gras auf der weiten Ebene versengt -und verdorrt von der glühenden Sonne, der Boden mit gelblichem -Staub bedeckt, der in Wolken durch die Luft wirbelte. Aber zu jener -Schreckenszeit, als die Entsatztruppen nach dem belagerten Lucknow -marschierten, herrschte noch eine ganz andere Temperatur -- 138 Grad -Fahrenheit im Schatten. - -Es scheint jetzt eine ausgemachte Sache zu sein, daß eine der -Hauptursachen des Aufstandes die Besitzergreifung des Königreichs -Oudh durch die Ostindische Kompagnie war, eine Tat, welche Sir Henry -Lawrence »die größte Ungerechtigkeit« nennt, »die je verübt worden -ist«. -- Schon im Frühling 1857 machte sich ein aufrührerischer Geist -in vielen eingeborenen Regimentern bemerkbar, der mit jedem Tag weiter -um sich griff. Die jüngeren Offiziere nahmen die Sache sehr ernst; sie -hätten den Ungehorsam gern sofort im Keime erstickt, doch fehlte ihnen -die nötige Machtbefugnis. Die höheren Militärs waren meist bejahrte -Männer, die längst nicht mehr hätten im aktiven Dienst sein sollen. -Sie legten den etwaigen mißlichen Vorkommnissen wenig Wert bei, da sie -große Stücke auf die eingeborenen Truppen hielten und nicht glaubten, -daß diese sich durch irgend welche Umstände zur Empörung treiben lassen -würden. Lächelnd hörten die Greise das unterirdische Grollen des -Vulkans, auf dem sie standen und meinten, es habe nichts zu bedeuten. - -So hatten denn die Anstifter des Aufstandes völlig freie Hand. -Ungehindert zogen sie von einem Lager zum andern, schilderten den -eingeborenen Soldaten, wie ungerecht die Bedrückung des Volks durch -die Engländer sei und fachten unversöhnlichen Groll und Rachedurst in -allen Herzen an. Sie wurden überdies in ihrem Vorhaben durch zweierlei -sehr wesentlich unterstützt: Zu Clives Zeiten waren die eingeborenen -Truppen nur ungeordnete, schlecht bewaffnete Haufen gewesen, gegen -welche die gutgeschulten englischen Soldaten, trotz ihrer Minderzahl, -leichtes Spiel gehabt hatten. Jetzt bestand fast die ganze britische -Kriegsmacht aus eingeborenen Regimentern, die wohlgeübt, trefflich -bewehrt und von den Briten selbst in der Kriegführung unterrichtet -waren; sie hatten alle Macht in Händen, denn die wenigen englischen -Bataillone, über welche Indien verfügte, waren im ganzen Lande -zerstreut. Noch größeren Einfluß auf die unzufriedenen Gemüter übte -aber eine alte Prophezeiung, welche besagte, daß genau hundert Jahre -nach der Schlacht, durch welche Clive das Reich gegründet hatte, die -Macht der Briten in Indien von den Eingeborenen zerstört und ihrer -Herrschaft ein Ende gemacht würde. Die eingeborenen Truppen hatten im -allgemeinen eine heilsame Furcht vor den englischen Soldaten und würden -vielleicht allen Ueberredungskünsten der Aufwiegler widerstanden haben, -aber einer Prophezeiung vermag kein Inder sein Ohr zu verschließen. - -Der indische Aufstand brach am 10. Mai 1857 zu Mirat aus und -hatte eine lange Reihe von Greueltaten im Gefolge. Nana Sahibs -Niedermetzelung der wehrlosen Besatzung nach der Uebergabe von Cawnpore -fand im Juni statt, und dann begann die lange Belagerung von Lucknow. -England hat eine alte, ruhmvolle Kriegsgeschichte hinter sich, aber -in keinem Abschnitt derselben erscheint es uns größer, als bei der -Unterwerfung des Aufstandes. Die Briten wurden sozusagen im Schlafe -überfallen; sie waren unvorbereitet und zählten nur wenige Tausend in -einem Meer von feindlichen Völkerschaften. Monate mußten vergehen, -bis die Nachricht England erreichte und Hilfe kam. Aber die tapfern -Offiziere verloren keinen Augenblick durch Zaudern und Schwanken. Mit -heldenhafter Entschlossenheit und Hingebung leisteten sie Widerstand -gegen die erdrückende Uebermacht und führten den scheinbar völlig -aussichtslosen Kampf zum glänzenden Siege. - -Ich habe alle denkwürdigen Orte besucht, welche damals Zeugen der -entsetzlichsten Schreckensszenen und des größten Heldenmutes gewesen -sind; auch das kostbare Denkmal über dem Brunnen in Cawnpore habe -ich gesehen, in welchen Nana Sahib die verstümmelten Leichen der -hingemordeten Frauen und Kinder werfen ließ. Das Andenken an die -furchtbaren Leiden und Großtaten jener Zeit wird von den Nachkommen -heilig gehalten und in treuer Erinnerung bewahrt. - -In Agra und später in Dehli sahen wir viele Forts, Moscheen und -Grabmäler aus der Glanzzeit der mohammedanischen Kaiserherrschaft, -welche an Größe, Pracht und Reichtum alles übertrafen, was die -übrige Welt in dieser Beziehung zu bieten vermag. Die Kostbarkeit -des Baumaterials und der Ausschmückung machen sie zu Wunderwerken -ersten Ranges. Zum Glück hatte ich noch nicht viel darüber gelesen -und folglich auch meine Phantasie nicht übermäßig erhitzt; ich konnte -einen natürlichen und vernünftigen Maßstab anlegen und mich durch den -herrlichen Anblick innerlich ergreifen, beglücken und erheben lassen, -ohne Trauer und Enttäuschung zu empfinden. - -Ich will ihre Pracht und Schönheit nicht eingehend beschreiben; nur von -einem dieser weltbekannten Bauwerke, dem berühmtesten von allen, dem -Tadsch Mahal bei Agra möchte ich noch ein Wort sagen. Ich hatte mich -im voraus viel zu viel mit den verschiedenen literarischen Ergüssen -über den Tadsch beschäftigt. Jetzt sah ich ihn bei Tage und sah ihn im -Mondlicht, von nah und von ferne; ich wußte, daß er ein Weltwunder war -und seinesgleichen weder auf Erden hatte noch jemals haben würde -- -aber _mein_ Tadsch war es nicht. Meinen Tadsch hatte ich mir nach den -Phantasiegebilden einer Schar leicht erregbarer Literaten erbaut, und -er hatte sich so fest in meinem Kopfe eingenistet, daß er durch nichts -wieder herauszubringen war. - -Wie hatten mir diese Schriftsteller aber den Tadsch geschildert? -- Ich -will nur einige Auszüge wiedergeben: »Die innere Ausschmückung,« heißt -es, »besteht aus kostbaren Steinen, Achat, Jaspis und dergleichen, -mit denen jede vorspringende Stelle geschmückt ist -- in dekorativer -Beziehung steht der Tadsch einzig in der Welt da -- er bildet die -Grenze, wo die Baukunst aufhört und die Juwelierarbeit beginnt -- der -Tadsch besteht ganz aus Marmor und Edelsteinen -- er ist mit reicher -Mosaikarbeit aus Juwelen verziert, welche köstliche Blumenmuster bildet --- der Tadsch ist ein Kunstwerk von vollendeter Schönheit -- ein -Mausoleum von ungeheuerer Größe -- ein Marmor-Wunder mit Blumen aus -Edelgestein u. s. w. --« - -Das ist alles wahr und richtig. Auch wissen die Schriftsteller -selbst recht gut, wie es gemeint ist, denn sie kennen den Wert ihrer -Worte. Der Leser aber faßt diese ganz anders auf. Er nimmt seine -Einbildungskraft zu Hilfe, und ehe er sich’s versieht, erhebt sich vor -seinen Blicken ein über und über mit Juwelen bedeckter Tadsch, so hoch -wie das Matterhorn. - -Es ist mit solchen Beschreibungen ein eigenes Ding; sie stimmen zwar -mit der Wahrheit überein, aber doch dienen die Worte meist nur dazu, -die Tatsachen zu verdunkeln. - -Als ich den Niagarafall zum erstenmal sah, schaute ich gen Himmel, denn -ich erwartete einen mindestens sechzig Meilen breiten und sechs Meilen -hohen Wassersturz zu erblicken -- ein Atlantischer Ozean sollte sich -meiner Meinung nach von einem Gipfel so hoch wie der Himalaja ergießen. -Als ich statt dessen die kleine nasse Schürze gewahrte, die man zum -Trocknen aufgehängt hatte, überwältigte mich die spielzeugartige -Wirklichkeit dergestalt, daß ich auf der Stelle in Ohnmacht fiel. - -Niemals hätte ich weder dem Niagara noch dem Tadsch Mahal in die Nähe -kommen sollen! Wäre ich meilenweit fortgeblieben, so würde ich mir -meinen eigenen mächtigen Niagara, der vom Himmelsgewölbe herabstürzt, -unversehrt erhalten haben, und mein Tadsch würde sich noch jetzt aus -farbigen Nebelgebilden auf Regenbogen von Edelsteinen erbauen, die auf -Säulenhallen aus Mondschein ruhen. Wer seiner Phantasie nicht Zaum und -Zügel anlegen kann, sollte niemals ausziehen, um eins der berühmten -Weltwunder mit Augen zu sehen. Seine Vorstellung davon wird immer -mindestens vierzigmal besser und schöner sein als die Wirklichkeit. - -Vor vielen vielen Jahren habe ich mir in den Kopf gesetzt, daß der -Tadsch unter den Kunstschöpfungen des Menschen, was Anmut, Schönheit, -Glanz und Pracht betrifft, genau denselben Platz einnimmt, auf den -unter den Schaustellungen der Natur der Rauhreif ein Anrecht hat. Ich -habe den Tadsch niemals mit irgend einem Tempel oder Palast verglichen, -welchen Menschenhand erbaut hat, er war für mich nichts mehr und nichts -weniger als die architektonische Verkörperung des Rauhreifs. - -Hier in London sprach ich neulich einmal voll Begeisterung mit meinen -englischen Freunden vom amerikanischen Rauhreif; aber sonderbarerweise -hatten sie nie etwas davon gehört und verstanden mich nicht. Ein Herr -sagte, er habe den Rauhreif noch in keinem Buch erwähnt gefunden. -Das ist sehr sonderbar, aber ich erinnere mich auch nicht, je etwas -darüber gelesen zu haben, während sich doch andere Naturerscheinungen --- zum Beispiel die Färbung des amerikanischen Herbstlaubs -- der -allgemeinsten Aufmerksamkeit erfreuen. - -Und doch erregt der Rauhreif jedesmal bei uns das größte Aufsehen. -Wenn er kommt, fliegt die Kunde durch das ganze Haus von Zimmer zu -Zimmer, und selbst der trägste Schläfer springt aus dem Bette, um -ans Fenster zu eilen. Meist tritt er mitten im Winter ein und treibt -sein Zauberwesen bei nächtlicher Stille und Dunkelheit. Ein feiner -Sprühregen fällt viele Stunden lang auf die kahlen Zweige und Aeste -der Bäume und gefriert daran fest. Bald ist der Stamm und das ganze -Geäst, ja selbst das kleinste Zweiglein mit einer Kruste von klarem Eis -überzogen, der Baum sieht aus wie ein Skelett aus kristallhellem Glas. -Ueberall hängen Fransen von kleinen Eiszapfen herab, manchmal auch nur -runde Perlen, gleich gefrorenen Tränen. - -In der Morgendämmerung hellt sich das Wetter auf, die Luft ist frisch -und rein, der Himmel wolkenlos, es herrscht tiefe Stille, kein -Windhauch erhebt sich. Schnell ist die Nachricht verbreitet; Große und -Kleine kommen in Decken und Tücher gehüllt an das Fenster gestürzt, wo -sie dicht aneinander gedrängt regungslos verharren und schweigend die -feenhafte Erscheinung in den Anlagen betrachten. Alle wissen, was jetzt -kommen wird und warten auf das Wunder. Man vernimmt keinen Laut, außer -dem Ticken der Wanduhr, und eine Minute nach der andern verrinnt. Da -schießt plötzlich die Sonne feurige Strahlen auf jeden der Geisterbäume -und verwandelt ihn in lauter glitzernde funkelnde Diamanten. Die -Zuschauer halten den Atem an, die Augen werden ihnen feucht, doch ihre -Spannung läßt nicht nach -- es kommt noch mehr. Die Sonne steigt höher, -sie überflutet den Baum vom höchsten Gipfel bis zum niedrigsten Ast -mit einem weißen Strahlengewand, und dann geschieht urplötzlich ohne -jede Vorbereitung das Wunder aller Wunder, das seinesgleichen nicht -auf Erden hat: ein Windstoß bewegt auf einmal die Aeste und der ganze -weiße Baum zerstäubt und sprüht nach rechts und links und überallhin -funkelnde Edelsteine von allen nur denkbaren Farben. Wie er sich -rüttelt und schüttelt wirbeln blitzende Rubinen, Smaragde, Diamanten -und Saphire durch die Luft. Es ist das glänzendste, köstlichste, -blendendste, feenhafteste Schauspiel, das man auf Erden haben kann -- -eine Erscheinung von so göttlicher, berauschender Schönheit und so -unaussprechlichem, überirdischem Glanz, wie man sie außerhalb der -Himmelstore schwerlich wieder zu sehen bekommt. - -Warum hat denn kein Maler je versucht, den Rauhreif auf die Leinwand -zu zaubern? -- Farben und Pinsel müssen wohl außer stande sein, -die Herrlichkeit dieser sonnendurchglühten Juwelen naturgetreu -wiederzugeben. Eine größere Strahlenpracht findet man nirgends im -Reiche der Schöpfung; unter den Menschenwerken aber läßt sich, nach -meinem Gefühl, nur der Tadsch Mahal mit der Schönheit des Rauhreifs -vergleichen. - - - - -Achtzehntes Kapitel. - - Nimm dir vor, an jedem Tage etwas zu tun, wozu du keine - Lust hast. Dann wird dir die Erfüllung deiner Pflichten - bald keine Last mehr sein. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Wir wanderten nun zufriedenen Sinnes weiter durch das indische Land. In -Lahore lieh mir der Vizestatthalter einen Elefanten. Eine so großartige -Aufmerksamkeit hatte mir noch niemand erwiesen, und da es ein schönes, -wohlerzogenes, leutseliges Tier war, fürchtete ich mich auch nicht -vor ihm. Ich ritt sogar ganz zuversichtlich durch die engen Gassen -im Stadtteil der Eingeborenen, wo alle Pferde beim Anblick meines -Elefanten vor Schrecken scheu wurden, und die Kinder ihm fortwährend -vor die Füße kamen. Er schritt mit mir majestätisch mitten auf der -Straße einher und zwang alle Welt ihm auszuweichen oder sich die Folgen -selbst zuzuschreiben. Ich glaube, mit der Zeit würde ich einen Ritt auf -dem Elefanten jeder Beförderungsart vorziehen. Wer auf seinem Rücken -thront, dem braucht vor keinem Zusammenstoß zu bangen, wie gewöhnlich -beim Reiten oder Fahren. Auf dem hohen Platz genießt man das Bewußtsein -großer Würde und eine wunderschöne Aussicht ins Weite; man kann aber -auch allen Leuten in die Fenster sehen und wissen, was sie in ihren -Familien treiben. - -Wir fuhren bis nach Rawal Pindi an der afghanischen Grenze und dann -wieder zurück nach Dehli, um die alten wundervollen Bauwerke in -Augenschein zu nehmen, ohne sie zu beschreiben. Wir suchten auch den -Schauplatz des tollkühnen Angriffs auf, durch den die Briten beim -indischen Aufstand Dehli mit Sturm nahmen und sich unsterblichen -Ruhm erwarben. In dem Hause, wo damals das Hauptquartier des -englischen Generals war, fanden wir gastliche Aufnahme und konnten -uns von allen Reiseanstrengungen ausruhen. Die Besitzung gehörte -jetzt einem Engländer, der so gänzlich zum Orientalen geworden war, -daß er sogar einen Harem hatte. Ein weitherziger Mann, wie es wenige -gibt: für seinen Harem hat er eine Moschee gebaut und für sich eine -englische Kirche. Sein historisch interessantes Wohnhaus steht in -einem großen Garten und ist von stattlichen Bäumen umgeben, in denen -Affen hausen. Die Affen sind unverschämt und unternehmungslustig, sie -kennen keine Furcht, überfallen das Haus bei jeder Gelegenheit und -schleppen alles fort, was ihnen in die Hände fällt -- lauter Dinge, -die sie nicht brauchen können. Eines Morgens, als der Hausherr sein -Bad nahm, war das Fenster offen geblieben, und auf dem Sims stand -ein Topf mit gelber Farbe, in welchem der Pinsel steckte. Ein paar -Affen zeigten sich am Fenster, und um sie zu verscheuchen warf der -Herr seinen Schwamm nach ihnen. Statt zu erschrecken kamen sie ins -Zimmer gesprungen, bespritzten ihn über und über mit dem Farbenpinsel -und jagten ihn hinaus. Darauf strichen sie die Wände, den Fußboden, -den Wasserbehälter, die Fenster und Möbel gelb an; sie wollten eben -auch noch das Ankleidezimmer auf gleiche Weise malen, als die Diener -herbeikamen und sie vertrieben. - -Zwei dieser ungezogenen Gesellen stahlen sich morgens früh in mein -Zimmer durch ein Fenster, dessen Läden ich nicht geschlossen hatte. -Als ich aufwachte, sah ich den einen vor dem Spiegel stehen und sein -Haar bürsten, während der andere sich meines Taschenbuchs bemächtigt -hatte, die humoristischen Notizen las -- und weinte. Der Affe mit der -Haarbürste kümmerte mich nicht, aber das Benehmen des andern kränkte -mich tief; es kränkt mich heute noch. Ich warf meinen Schuh nach ihm --- das hätte ich nicht tun sollen, denn unser Wirt hatte mir gesagt, -man dürfe sich nie mit den Affen einlassen. Aus Rache bombardierten sie -mich nun mit allen Sachen, die sie aufheben konnten, dann wollten sie -noch mehr aus dem Badezimmer holen, aber ich warf rasch die Tür hinter -ihnen ins Schloß. - - * * * * * - -Zu Jeypore in Rajputana machten wir einen längeren Aufenthalt. Wir -wohnten dort in der kleinen Vorstadt der europäischen Beamten, welche -einige Meilen von der Hindustadt entfernt liegt. Es waren überhaupt nur -vierzehn Europäer da und wir fühlten uns ganz wie zu Hause. - -Der indische Diener ist in mancher Beziehung ein wahrer Schatz, nur -muß man ihn beaufsichtigen, und das tun die Engländer. Wenn sie ihn -ausschicken um eine Besorgung zu machen, genügt ihnen nicht, daß der -Mann sagt, er hätte den Auftrag erfüllt. Schickte man uns Obst oder -Gemüse, so kam immer eine Quittung mit, die wir unterzeichnen mußten, -sonst hätten die Eßwaren vielleicht nicht den Ort ihrer Bestimmung -erreicht. Stellte uns ein Herr seinen Wagen zur Verfügung, so stand auf -dem Papier von dann und dann, bis dann und dann -- so daß der Kutscher -und seine zwei oder drei Untergebenen uns nicht mit einem Teil der -festgesetzten Zeit abspeisen konnten, um sich selbst mit dem Rest eine -lustige Stunde zu machen. - -Wir wohnten sehr angenehm in unserm zweistöckigen Gasthaus mit dem -großen Hof, den eine mannshohe Lehmmauer umgab. Die Gasthofsbesitzer, -neun Hindubrüder, waren mit ihren Familien in einem einstöckigen -Gebäude einquartiert, das auf einer Seite des Hofes lag; die Veranda -sah man stets von Scharen hübscher brauner Kinder besetzt, zwischen -denen mehrere Väter eingekeilt saßen und ihre Huka rauchten. Neben -der Veranda stand ein Palmbaum, auf dem ein Affe sein einsames Leben -führte; er sah immer traurig und schwermütig aus und die Krähen plagten -ihn sehr. - -Daß die Kuh frei umherlief gab dem Hof ein ländliches Ansehen; auch -ein Hund war da, der stets in der Sonne lag und schlief, so daß er den -allgemeinen Eindruck von Ruhe und Stille verstärken half, wenn die -Krähen einmal durch Abwesenheit glänzten. Diener in weißen, faltigen -Gewändern gingen zwar fortwährend ab und zu, aber sie glitten nur wie -Gespenster lautlos auf ihren nackten Füßen vorüber. Ein Stück die Gasse -hinunter hauste ein Elefant unter einem hohen Baum. Er wiegte sich hin -und her und streckte den Rüssel aus; bald bettelte er um Speise bei -seiner braunen Herrin, bald schäkerte er mit den Kindern, die zu seinen -Füßen spielten. Auch Kamele waren in der Nähe, aber sie gehen auf -sammetweichen Sohlen und paßten ganz zu der friedlichen Heiterkeit der -Umgebung. - -Nur eines machte mich unglücklich: Wir hatten unsern Satan verloren; -er war zu meinem tiefsten Kummer kürzlich von uns geschieden und meine -Trauer um ihn war groß. Noch jetzt, nach vielen Monaten, vermisse ich -ihn schmerzlich. Nie werde ich vergessen, wie er alles im Umsehen -fertig brachte, er flog nur so von einem Geschäft zum andern. Zwar -machte er es nicht immer recht, aber _gemacht_ wurde es jedenfalls und -zwar urplötzlich, ohne Zeitverlust. Man sagte ihm zum Beispiel: »Packe -die Koffer und Handtaschen, Satan!« - -»Ja, Herr!« - -Dann entstand rasch ein Klopfen und Hämmern, ein Sausen und Brausen -- -Kleider, Jacken, Röcke und Stiefel wirbelten eine Zeitlang durch die -Luft, und schon im nächsten Augenblick berührte Satan seine Stirn und -verbeugte sich: - -»Alles fertig, Herr!« - -Es war unglaublich; mir wurde ordentlich schwindlig davon. Zwar -zerknitterte er die Kleider sehr und hatte anfänglich keinen andern -Plan bei der Arbeit, als jedes Ding in den falschen Koffer zu tun. Aber -darin besserte er sich bald, obgleich er es sich nie ganz abgewöhnte. -Noch bis zuletzt pflegte er in die der Literatur geheiligte Reisetasche -allen Kram hineinzupfropfen, für den sich sonst kein bequemer Platz -fand. Verbot man ihm das bei Todesstrafe, so geriet er nicht im -geringsten aus der Fassung; er machte ein freundliches Gesicht, sagte: -»Ja, Herr!« und tat es schon am nächsten Tage wieder. - -Satan war immer geschäftig; rechtzeitig waren die Zimmer aufgeräumt, -die Stiefel glänzend gewichst, die Kleider gebürstet, die Waschschalen -mit reinem Wasser gefüllt. Schon eine Stunde, ehe ich meinen -Gesellschaftsanzug zur Vorlesung brauchte, lag alles für mich bereit -und Satan kleidete mich von Kopf bis zu Fuß an, trotz meines festen -Vorsatzes dies selbst zu tun, wie ich es mein Lebenlang gewohnt gewesen -war. - -Er schien zum Herrschen geboren und tat nichts lieber als mit -Untergebenen zu streiten, sie herunterzumachen und zu überschreien. Am -meisten in seinem Element war er auf der Eisenbahn. Durch die dichteste -Masse der Eingeborenen stieß und drängte er sich, bis der Weg für ihn -und die neunzehn Kulis in seinem Gefolge frei war; jeder von ihnen trug -irgend ein kleines Gepäckstück, einen Handkoffer, Sonnenschirm, Schal, -Fächer oder dergleichen, keiner mehr als einen Gegenstand, und je -länger der Zug, um so zufriedener war mein Satan. Meist steuerte er auf -irgend einen bestellten Schlafwagen los, verschwor sich hoch und teuer, -daß er uns gehöre und fing an des Besitzers Sachen hinauszubefördern. -War unser eigener Wagen gefunden, so hatte er in zwei Minuten die -Bündel aufgeschnallt, die Betten gemacht und alles zurecht gelegt; -dann steckte er den Kopf zum Fenster hinaus und verschaffte sich den -köstlichen Genuß, auf seine Bande Kulis zu schimpfen und mit ihnen nach -Herzenslust über die Bezahlung zu streiten, bis wir ankamen, dem Lärm -ein Ende machten und ihm befahlen, die Leute zu befriedigen. - -Ich glaube, der kleine schwarze Teufel war der größte Krakeeler in -ganz Indien, und das will viel sagen. Mir persönlich war sein Lärmen -sehr angenehm, aber die Meinigen gerieten oft ganz außer sich darüber. -Sie konnten sich nicht daran gewöhnen und fanden es unleidlich; es -verstieß gegen alle ihre Begriffe von Wohlanständigkeit. Wenn wir -noch sechshundert Meter weit von einem der großen Bahnhöfe waren, -hörten wir oft einen wahren Heidenlärm, ein gellendes Geschrei und -Gekreisch, ein Poltern und Wüten. Ich ergötzte mich dann sehr über den -Höllenspektakel, aber meine Familie sagte voll tiefer Beschämung: - -»Da kannst du’s wieder hören -- das ist Satan! Weshalb gibst du ihm -nicht seinen Laufpaß?« - -Und richtig -- mitten in dem riesigen Menschengewühl stand der kleine -schwarze Knirps und zappelte an allen Gliedern, wie eine Spinne, die -Bauchgrimmen hat. Seine schwarzen Augen blitzten, die Troddel auf -seinem Fez tanzte in der Luft und sein Mund strömte ganze Fluten von -Schelt- und Schimpfwörtern über die erstaunten Kulis aus, die um ihren -Lohn bettelten. - -Ich war ganz verliebt in ihn, das leugne ich nicht; aber meine -Angehörigen konnten kaum mehr von ihm sprechen ohne sich aufzuregen. -Noch heutigen Tages bin ich untröstlich über seinen Verlust und wünsche -ihn mir zurück, während bei ihnen das gerade Gegenteil stattfindet. -Er war aus Surat gebürtig; zwischen seiner Vaterstadt und Manuels -Geburtsort lagen zwanzig Breitegrade, aber der Abstand zwischen ihren -Charakteren, ihrer beiderseitigen Gemütsart und Handlungsweise war noch -unendlich viel größer. Manuel hatte ich gern; aber meinen Satan liebte -ich. Sein wirklicher Name war so recht indisch, daß ich ihn nie recht -begriffen habe, er klang wie Bunder Rao Ram Chunder Clam Chowder; für -den Alltagsgebrauch war eine Abkürzung entschieden bequemer. - -Als er etwa zwei oder drei Wochen bei uns war, fing er an allerlei -Mißgriffe zu begehen, die ich nur mit Mühe wieder gutmachen konnte. In -der Nähe von Benares stieg er zum Beispiel auf einer Station aus, um zu -sehen, ob er nicht mit irgend jemand Streit anfangen könnte. Nach der -langen, ermüdenden Fahrt bedurfte er einer Erholung. Er fand auch was -er suchte, setzte jedoch sein Spektakeln etwas zu lange fort, und der -Zug fuhr ohne ihn ab. Da waren wir nun in der fremden Stadt und hatten -kein Zimmermädchen -- eine große Unbequemlichkeit! Wir sagten ihm, das -dürfe nicht wieder vorkommen, worauf er sich verbeugte und »Ja, Herr!« -sagte, so lieb und freundlich wie immer. - -In Lucknow beging er den großen Irrtum sich zu betrinken. Ich sagte, -der arme Mensch hätte das Fieber bekommen, und die Meinigen gaben ihm -aus Mitgefühl und Besorgnis ein Chininpulver ein, das ihm wie Feuer -in den Eingeweiden brannte. Die Gesichter, welche er dabei schnitt, -brachten mir einen bessern Begriff vom Erdbeben in Lissabon bei, -als alle Gemälde und Beschreibungen dieses Naturereignisses. Auch -am nächsten Morgen war sein Rausch noch nicht verflogen, doch hätte -ich der Familie seinen Zustand gewiß verbergen können, wäre er nur -zu bewegen gewesen, noch ein Chininpulver einzunehmen. Aber obgleich -er nicht recht bei Sinnen war, kam ihm doch dann und wann wieder ein -lichter Augenblick. Er machte einen ungeschickten Versuch sich zu -verbeugen und lallte mit unbeschreiblich dummem Lächeln: »Bitte nicht, -Mem Saheb, bitte nicht, Missy Saheb, kein Pulver für Satan, bitte.« - -Eine innere Stimme verriet ihnen, daß er betrunken sei, und nun wurde -ihm aufs bestimmteste angekündigt, man werde ihn augenblicklich -entlassen, falls so etwas wieder vorkäme. »Bitte, bitte«, murmelte er -in rührselig weinerlichem Ton unter vielen Verbeugungen. - -Es verging kaum eine Woche, da hatte sich der Unglücksmensch schon -wieder betrunken und diesmal, o Jammer, nicht im Hotel, sondern im -Privathause eines englischen Herrn und obendrein in Agra! Also mußte -er fort. Als ich es ihm ankündigte, sagte er demutsvoll: »Ja, Herr!« -machte seine Abschiedsverbeugung und verließ uns auf Nimmerwiederkehr. -Gott weiß, ich hätte lieber hundert Engel hergegeben als diesen einen -reizenden Teufel. Wie vornehm sah er aus, wenn er in einem feinen Hotel -oder Privathaus Staat machen wollte! Er war dann vom Kopf bis zu den -nackten Füßen ganz in schneeweißen Musselin gekleidet, hatte einen -feuerroten, mit Goldfaden gestickten Gürtel um die Hüften, und auf dem -Haupt einen seegrünen Turban, wie ihn nur der Großtürke trägt. - -Ein Lügner war er nicht; doch wird er wohl mit der Zeit einer werden. -Einmal sagte er mir: als Knabe hätte er die Kokosnüsse immer mit den -Zähnen aufgebissen. Als ich ihn fragte, wie er sie habe in den Mund -stecken können, antwortete er, damals sei er sechs Fuß hoch gewesen -und habe einen ungewöhnlich großen Mund gehabt. Um ihn in die Enge zu -treiben, erkundigte ich mich, wie ihm denn der sechste Fuß abhanden -gekommen wäre, worauf er erwiderte, ein Haus sei auf ihn gefallen -und er habe seitdem seine frühere Statur nie wieder erlangen können. --- Wenn ein sonst wahrheitsliebender Mensch sich einmal derartige -Abschweifungen von dem wirklichen Sachverhalt gestattet, gerät er -leicht immer tiefer in die Unwahrheit hinein, bis er schließlich zum -Lügner wird. - -Satans Nachfolger war ein Moslemin -- Sahadat Mohammed Khan, ein sehr -dunkler, sehr großer und sehr ernster Mann. Er trug lange faltige -weiße Gewänder, schlich geräuschlos umher, sah aus wie ein Gespenst -und sprach mit leiser Stimme. Wir waren mit ihm zufrieden, denn er tat -seine Pflicht, aber wo _er_ schaltete und waltete schien die ganze -Woche über Sonntag zu sein. Das war zu Satans Zeit anders gewesen. - - * * * * * - -Jeypore ist eine ganz indische Stadt, zeichnet sich aber durch -mancherlei Einrichtungen aus, die es der europäischen Wissenschaft und -dem europäischen Interesse für das Gemeinwohl verdankt. Ich erwähne -nur eine reichliche Wasserversorgung durch Leitungen, welche auf -Staatskosten angelegt sind; allerlei hygienische Vorkehrungen, die -Jeypore zu einem für indische Verhältnisse ungewöhnlich gesunden Orte -machen; einen herrlichen Lustgarten, wo der Eintritt an bestimmten -Tagen nur den Frauen gestattet ist; Schulen, in denen die eingeborene -Jugend in allen schönen und nützlichen Künsten unterwiesen wird, -sowie einen neuen, prächtigen Palast, der ein höchst wertvolles und -interessantes Museum enthält. Wenn der Maharaja kein Verständnis für -solche wohltätige Einrichtungen hätte und sie nicht mit Geldmitteln -unterstützte, würden sie nicht bestehen können; aber _er_ gilt für -einen aufgeklärten und großmütigen Mann, der jedem Fortschritt -zugänglich ist. - -Die Bauart von Jeypore ist höchst eigentümlich; es liegt innerhalb -einer hohen mit Türmen besetzten Mauer und wird durch vollkommen -gerade, über hundert Fuß breite Straßen in sechs Teile geteilt. Die -lange Front der Häuser zeigt viele sehr anziehende architektonische -Eigenheiten; kleine malerische Altane mit Säulen und mancherlei -Zieraten unterbrechen überall die Einförmigkeit der geraden Linie; -lauschige Nischen, Simse und vorspringende Erker fallen bald hier -bald da ins Auge; auch sieht man an manchen Häusern merkwürdige -Malereien, und das Ganze hat eine Färbung von schönem, zartem Rosa, -wie Erdbeereis. Wer die breite Hauptstraße hinunterblickt, kann sich -kaum vorstellen, daß sie aus wirklichen Gebäuden besteht. Man hat den -Eindruck, als sähe man ein Gemälde oder Theaterkulissen. - -Diese Illusion war besonders stark an einem großen Tage, den wir in -Jeypore erlebten: Ein reicher Hindu hatte auf seine Kosten eine Menge -Götzenbilder anfertigen lassen, die um zehn Uhr morgens in feierlichem -Zuge durch die Stadt gefahren wurden. Die langen Reihen der Dächer, -die zahllosen Balkone, die phantastischen Vogelkäfige und behaglichen -kleinen Nestchen an der Vorderseite der Häuser, waren dicht mit -Eingeborenen besetzt. Jede dieser Gruppen bildete eine feste Masse, die -in den glänzendsten Farben strahlend, sich prächtig gegen den blauen -Himmel abhob und von der Sonne Indiens in ein feuriges Flammenmeer -verwandelt wurde. Auch die breite Straße selbst war, so weit das -Auge reichte, mit bunt geschmückten Menschen angefüllt, die alle -durcheinander wimmelten, sich hierher und dorthin wälzten, sich bald -vom Strom vorwärts treiben, bald im Kreise drehen ließen. Und dabei -diese wundervollen Farben! Von den zartesten, blassesten, weichsten -Schattierungen, bis zu den stärksten, lebhaftesten, grellsten und -glänzendsten Tönen, als käme ein Riesenschwarm bunter Wickenblüten auf -den Flügeln der Windsbraut einhergestürmt. Plötzlich teilte sich dieses -Farbenmeer, um den majestätischen Zug der Elefanten durchzulassen, -die mit ihrem prächtigsten Schmuck angetan, schwankenden Schrittes -daherkamen, gefolgt von langen Reihen phantastischer Wagen und Karren, -welche die verschiedenen Gruppen der ebenso seltsamen wie kostbaren -Götzenbilder trugen. Den Schluß bildete der zahlreiche Nachtrab -stattlicher Kamele mit ihren malerisch gekleideten Reitern. - -Alles war so neu und fremdartig, so unbeschreiblich eindrucksvoll und -farbenprächtig, daß wir uns von dem fesselnden Anblick kaum loszureißen -vermochten. Es war der sinnenberückendste Aufzug, den ich je gesehen -habe, und etwas Aehnliches zu erblicken, wird mir schwerlich noch -einmal im Leben zu teil werden. - - - - -Neunzehntes Kapitel. - - Katzen haben ein zähes Leben, - Lügen ein noch viel zäheres. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Ende März segelten wir von Kalkutta ab, hielten uns einen Tag in -Madras, drei Tage in Ceylon auf und fuhren dann westwärts, nach der -Insel Mauritius. - - * * * * * - -_Aus dem Tagebuch, 7. April._ -- Wir sind jetzt weit draußen auf der -glatten Wasserwüste des Indischen Ozeans. Unter dem großen Leinwandzelt -sitzt sich’s behaglich und friedlich im Schatten; wir führen ein Leben, -das ganz ideal genannt werden kann. - -Unser Kapitän hat die Eigentümlichkeit, daß die Wahrheit in seinem -Munde immer unglaubwürdig klingt, während ein ernster Schotte an -unserer Tafel jede Lüge, die er vorbringt, wahrscheinlich zu machen -weiß. Tut der Kapitän eine Aeußerung, so sehen sich die Zuhörer -fragend an, jeder denkt: »Ist das auch wahr?« Stellt der Schotte eine -Behauptung auf, so liest man in allen Blicken: »Wie interessant, wie -merkwürdig!« Diese Tatsache läßt sich nur aus der verschiedenen Art und -Weise beider Männer erklären. Der Kapitän trägt aus Schüchternheit und -Mangel an Selbstvertrauen, bei den einfachsten Angaben, die er macht, -eine ängstliche Miene zur Schau. Der Schotte sagt die offenkundigsten -Lügen mit einem Schein strengster Wahrhaftigkeit, so daß man, selbst -gegen besseres Wissen, gezwungen ist ihm zu glauben. - -Einmal erzählte uns der Schotte, er habe sich im Springbrunnen seines -Gewächshauses einen zahmen fliegenden Fisch gehalten, der selbst für -seinen Unterhalt sorgte, und sich in den umliegenden Feldern, Vögel, -Frösche und Ratten zur Nahrung fing. Man sah deutlich, daß keiner der -Tischgäste an dieser Geschichte zweifelte. - -Als dann später von Zollbelästigungen die Rede war, und der Kapitän -berichtete, wie es ihm einmal in Neapel ergangen sei, tat er es mit so -unsicherem Wesen, daß niemand seinen Worten Glauben schenkte. - -Er sagte: »Der Beamte fragte mich mehrmals, ob ich etwas Verzollbares -bei mir hätte und sah mich sehr zweifelnd an, als ich es verneinte. Nun -forderte mich ein Passagier auf, zum Abschied ein Glas Wein mit ihm zu -trinken, was ich jedoch mit dem Bemerken ausschlug, ich hätte soeben an -Bord einen Schluck Cognac genommen. Das hörte der Beamte und ließ sich -einen Sixpence Zollgebühren für den Cognac bezahlen, ferner fünf Pfund -Sterling als Strafe für undeklarierte Ware, fünf Pfund wegen falscher -Angabe, daß ich nichts Verzollbares hätte, fünf Pfund, weil die Ware -verborgen worden sei und fünf Pfund wegen unerlaubten Schmuggels. Alles -in allem fünfundsechzig Pfund und Sixpence für solche Kleinigkeit.« - -Ich bin überzeugt, der Schotte sagt lauter Lügen und man glaubt ihm -alles, während der Kapitän, so viel ich weiß, immer die Wahrheit -spricht und doch für einen Lügner gehalten wird. Das ist fast so -merkwürdig wie die Erfahrung, welche ich selbst als Schriftsteller in -dieser Beziehung gemacht habe: ich konnte nie eine Lüge sagen, welche -Zweifel erregte, noch eine Wahrheit, der jemand Glauben schenkte. - - * * * * * - -_10. April._ -- Die See ist blau wie das Mittelmeer, und das ist wohl -eine der himmlischsten Farben, welche die Natur besitzt. -- - -Wie wunderbar ist doch die verschwenderische Großmut, mit welcher -die Natur ihre Geschöpfe bedacht hat! Das heißt, alle, mit Ausnahme -des Menschen. Für die, welche fliegen, hat sie ein Haus gebaut, das -vierzig Meilen hoch ist, den ganzen Erdball umgibt und ihnen kein -Hindernis bietet. Denen, welche schwimmen, weist sie ein Gebiet an, wie -es kein Kaiser besitzt, ein Gebiet, das vier Fünftel der Erde bedeckt -und meilenweit in die Tiefe geht. Den Menschen dagegen speist die -Natur mit allerlei Brocken und Ueberbleibseln der Schöpfung ab. Sie -hat ihm nur die obere Schicht gegeben, die magere Haut, mit welcher -ein Fünftel der Erde so dünn überzogen ist, daß überall die nackten -Knochen hervorragen. Obendrein liefert die Hälfte seines Gebietes -nichts als Schnee, Eis, Sand und Felsgestein. So verbleibt ihm denn -nur noch ein Zehntel des ganzen Familienerbes als wirklich wertvoller -Besitz. Er kann im Schweiße seines Angesichts kaum genug erwerben, um -sein Leben zu fristen, denn er muß außerdem noch für den Unterhalt -der Könige und Soldaten sorgen, und Pulver herbeischaffen, damit die -Segnungen der Zivilisation weiter ausgebreitet werden. Und doch glaubt -der Mensch, weil er nicht zu rechnen versteht, in seiner Einfalt und -Selbstgefälligkeit, daß die Mutter Natur ihn als das wichtigste Glied -der Familie betrachtet, daß er ihr Lieblingskind ist. Es müßte doch -wahrlich selbst seinem blöden Verstande zuweilen auffallen, welche -sonderbare Art sie hat, ihre Vorliebe zu beweisen. - - * * * * * - -_Nachmittags._ -- Der Kapitän hat uns soeben erzählt, es sei auf -einer seiner Fahrten im Nördlichen Eismeer so kalt gewesen, daß der -Schatten des Schiffsmaats auf dem Deck festfror, und man nur mit -Gewalt zwei Drittel davon wieder loseisen konnte. Alle schwiegen bei -dieser Mitteilung, niemand äußerte ein Wort, und der Kapitän ging ganz -betreten davon. -- Er wird noch alle Lust verlieren, überhaupt etwas zu -sagen. - -Es gibt doch nichts Ruhevolleres als einen Tag auf dem Tropenmeer: -die blaue See ist glatt und ohne Bewegung, nur die schnelle Fahrt -des Schiffes erzeugt einen frischen Lufthauch, und bis zum fernsten -Horizont kann man nicht das kleinste Segel erspähen. Es kommen keine -Briefe an, die gelesen und beantwortet werden müssen, man wird nicht -durch Zeitungsnachrichten aufgeregt, durch Telegramme beunruhigt -und erschreckt; die Welt liegt weit abseits, sie ist für uns nicht -vorhanden -- anfangs verblaßte sie wie ein Traum, jetzt ist sie ins -Wesenlose versunken. All ihr Arbeiten und Streben, ihr Glück und -Unglück, ihre Wonne und Verzweiflung, ihre Freuden und Kümmernisse, -ihre Sorgen und Qualen, haben nichts mehr mit unserem Leben zu -schaffen, sie sind vorübergezogen wie ein Sturm, auf den tiefe -Windstille gefolgt ist. - -Die in schneeweißes Linnen gekleideten Passagiere versammeln sich in -Gruppen auf dem Deck; sie lesen, rauchen, spielen Karten, plaudern, -halten ein Mittagsschläfchen, kurz tun was sie wollen. Auf andern -Schiffen stellt man fortwährend Berechnungen an, wie lange die Fahrt -noch dauern wird, auf diesen Meeren geschieht das höchst selten. -Kein Mensch kümmert sich um das Anschlagebrett, wo die tägliche -Fahrgeschwindigkeit verzeichnet wird, auch wettet man natürlich nicht -auf den Lauf des Schiffes, wie das bei Reisen über den Atlantischen -Ozean zu geschehen pflegt. - -Mir selbst ist es vollständig gleichgültig, wann wir in den Hafen -kommen; auch habe ich noch keinen der andern Passagiere darnach fragen -hören. Wenn es nach mir ginge, würden wir überhaupt nie mehr landen; -denn dies Leben auf dem Wasser hat für mich einen unaussprechlichen -Reiz. Da gibt es weder Ermüdung, noch Abspannung, noch Mißstimmung, man -hat keine Sorge, keine Arbeit, keine Verantwortlichkeit. Wo wäre wohl -auf dem Lande solches Behagen, solche Heiterkeit, solcher Friede und -ein so volles Genügen zu finden? Hätte ich die Wahl, ich segelte endlos -weiter auf diesem wundervollen Meer und schlüge meinen Wohnsitz nie -wieder am festen Lande auf. - - * * * * * - -_Mittwoch 15. April._ -- Mauritius. -- Um zwei Uhr nachmittags gingen -wir bei Port Louis vor Anker. Die Klippen und Spitzen der zerklüfteten -Felsengruppen sind bis zum höchsten Gipfel hinauf bewaldet; auf der -grünen Ebene liegen die Wohnhäuser zwischen tropischen Gebüschen -verstreut. Hier ist der Schauplatz der Geschichte von Paul und Virginie. - - * * * * * - -_Donnerstag 16. April._ -- In Port Louis ans Land gegangen. Wir -fanden in der kleinen Stadt die mannigfaltigsten Nationalitäten und -Hautschattierungen, die uns bisher vorgekommen waren: Franzosen, -Engländer, Chinesen, Araber, Afrikaner mit Wollköpfen oder glattem -Haar, Ostindier, Mischlinge, Quadronen in den verschiedensten Trachten -und Farben. -- Die Geschichte von Mauritius verzeichnet offenbar nur -_eine_ wichtige Begebenheit, und diese hat sich obendrein niemals -zugetragen. Ich meine den romantischen Aufenthalt von Paul und -Virginie, welcher jedermann mit dem Namen der Insel vertraut machte, -während ihre geographische Lage aller Welt verborgen blieb. - - * * * * * - -_18. April._ -- Dies ist das einzige Land auf Erden, wo man den Fremden -nicht fragt: »Wie gefällt Ihnen unsere Gegend?« Alles Reden über die -Insel geht von den Bewohnern selbst aus, der Reisende braucht nur -zuzuhören und erhält allerlei Belehrung. Von einem Bürger erfährt er, -daß Mauritius zuerst erschaffen wurde und dann der Himmel nach dem -Vorbild von Mauritius. Ein anderer erklärt das für Uebertreibung und -behauptet, man lebe in Mauritius durchaus nicht wie im Himmel; wer zum -Beispiel nicht gezwungen wäre in Port Louis zu wohnen, würde sich den -Aufenthaltsort gewiß nicht wählen. - -Ein Engländer sagte mir: - -»Die Insel ist bekannt wegen der ungewöhnlich langen Quarantäne, welche -die Schiffe für nichts und wieder nichts halten müssen; dieselbe dauert -oft drei bis vier Wochen. Einmal wurde sogar die Quarantäne über ein -Schiff verhängt, weil der Kapitän als Knabe die Blattern gehabt habe. -Außerdem war er auch Engländer. Der französische Einfluß ist von -früherher noch immer am vorherrschendsten auf der Insel; die Zahl der -Engländer ist gering und der Gouvernementsrat besteht fast nur aus -Franzosen. - -»Die Bevölkerung beträgt etwa 375000. Die meisten sind Ostindier; außer -ihnen gibt es Mischlinge und Neger, welche Abkömmlinge der Sklaven -aus der Zeit der französischen Herrschaft sind; ferner Franzosen und -Engländer. Die Mischlinge stammen aus Verbindungen von Weißen und -Schwarzen, Mulatten, Quadronen oder Quarteronen; es sind daher alle -nur denkbaren Schattierungen vertreten: ebenholzschwarz, mahagoni, -kastanienbraun, fuchsrot, syrupfarben, dunkelbernsteingelb, hellgelb, -crêmefarben, elfenbeinweiß und aschgrau. Letzteres ist die Farbe, -welche der Angelsachse bei längerem Aufenthalt im Tropenklima annimmt. - -»Die meisten Bewohner von Mauritius kennen nichts als ihre Insel und -haben weder viel gelernt noch gelesen -- außer der Bibel oft nur -Paul und Virginie. Von diesem Roman werden jährlich viele Exemplare -verkauft, und es gibt Leute, welche glauben, er wäre ein Teil der -Bibel. Es ist das berühmteste Buch, das je über Mauritius geschrieben -worden ist -- aber auch das einzige. Die drei Hauptländer der Erde -sind nach Ansicht der Bürger: Judäa, Frankreich und Mauritius, und daß -sie in einem der drei geboren sind, erfüllt sie mit Stolz. Rußland -und Deutschland gehören, ihres Wissens, zu England und von letzterem -haben sie keine große Meinung. Wer über die Vereinigten Staaten und den -Aequator etwas hat verlauten hören, glaubt, das seien zwei Königreiche. - -»Der Buchhandel auf der Insel ist unbedeutend; für Bildung und -Unterhaltung des Volks müssen die Zeitungen sorgen, welche aus zwei -ureinfach gedruckten Seiten bestehen, die eine mit französischem, die -andere mit englischem Text. Die englische Seite ist eine Uebersetzung -der französischen; einen Korrekturleser gibt es nicht -- der Mann ist -gestorben. - -»Und was steht darin? Wo nimmt man auf der kleinen, entlegenen Insel -mitten im indischen Ozean täglich den Stoff her, um eine ganze -Druckseite zu füllen? -- Den muß Madagaskar liefern, Madagaskar und -Frankreich. Ratschläge, die man der Regierung erteilt und abfällige -Bemerkungen über die englische Verwaltung bilden den übrigen Inhalt der -Tagesblätter, deren Besitzer und Herausgeber französische Kreolen sind. - -»Das Französische ist Landessprache. Jeder muß es sprechen, er mag -wollen oder nicht. Besonders ohne das Mischlings-Französisch, das die -Leute mit den vielen verschiedenfarbigen Gesichtern reden, kann man -sich hier gar nicht verständlich machen. - -»Mauritius war früher sehr wohlhabend, denn man macht hier den besten -Zucker in der ganzen Welt. Aber zuerst verdarb der Suez-Kanal die -Handelsverbindungen der Insel, und dann verschloß ihr der Rübenzucker -mit Hilfe der Zuckerprämien den europäischen Markt. Viele der -größten Zuckerpflanzer befinden sich in Geldverlegenheit und würden -ihre Besitzungen gern für die Hälfte der Summen hergeben, die sie -hineingesteckt haben. Wenn ein Land erst anfängt die Teekultur zu -betreiben, so ist das ein sicheres Zeichen für den Rückgang seines -Hauptprodukts, dafür liefern Bengalen und Ceylon den Beweis. Auch in -Mauritius macht man jetzt Versuche mit der Teekultur.« - - * * * * * - -_20. April._ -- Der jährliche Cyklone richtet oft große Verwüstungen -in den Zuckerfeldern an. Im Jahre 1892 wurden Hunderte von Menschen -durch den Cyklone getötet oder zu Krüppeln gemacht, und der -sündflutartige Regen, der dabei Port Louis überschwemmte, erzeugte -großen Wassermangel. Das ist buchstäblich wahr, denn er zerstörte das -Wasserwerk und die Leitungsröhren, und als sich die Flut verlaufen -hatte, herrschte eine Zeitlang arge Not, weil man kein Wasser bekommen -konnte. -- Die Wut jenes Wirbelsturms war fürchterlich; er machte -ganze Straßen von Port Louis zu Trümmerhaufen, entwurzelte Bäume, -deckte Dächer ab, schmetterte einen Obelisken zu Boden, riß Schiffe -vom Anker los und schleuderte ein amerikanisches Fahrzeug bis in den -Wald hinauf. Ueber eine Stunde lang krachte der Donner ohne Unterlaß, -die Blitze zuckten und der Wind heulte -- es war ein Höllenlärm ohne -gleichen. Dann trat plötzlich Ruhe ein, heller Sonnenschein und völlige -Windstille; die Menschen wagten sich hinaus, um den Verwundeten -beizustehen und nach ihren Freunden und Angehörigen zu suchen. Da brach -der rasende Sturm unvermutet aus einer andern Himmelsgegend von neuem -los und richtete vollends alles zu Grunde. - -Die Wege auf der Insel sind fest und eben, die Bungalows bequem -ausgestattet, die Höfe sehr geräumig; längs der Fahrstraßen wachsen -hohe grüne Bambushecken, und -- was ich noch nie gesehen habe -- -Hecken von roten und weißen Azaleen, die sich wunderhübsch ausnehmen. -Mauritius ist ein einziger, großer, gartenähnlicher Park. Die wogenden -Zuckerrohrfelder mit ihrem frischen Grün tun dem Auge wohl; überall -entfaltet sich tropischer Pflanzenwuchs in üppigster Fülle, helles -und dunkles Grün, dicht verschlungenes Unterholz von hohen Palmen -überragt, große schattige Wälder mit klaren Flüssen, die sich bald im -Dunkel verlieren, bald lustig wieder ans Tageslicht gesprungen kommen; -auch kleine Berge mit spielzeugartigen Klippen und Felsengruppen hat -Mauritius aufzuweisen und dann und wann einen Durchblick auf das Meer -mit dem weißen Schaum der Brandung. Die Insel ist sehr hübsch in ihrer -Art, doch fehlt ihr das Erhabene, Großartige, Geheimnisvolle, wie -es unersteigliche Bergeshöhen mit Gipfeln, die in den Himmel ragen, -und weite Fernsichten einer Gegend verleihen; der Gesamteindruck ist -reizend, aber nicht überwältigend, er berührt uns angenehm, dringt aber -nicht bis in die Tiefe der Seele. - -Als die Franzosen noch Mauritius besaßen, belästigten sie von dort aus -die indischen Kauffahrteischiffe; deshalb nahm ihnen England die Insel -fort und auch das benachbarte Bourbon. Letzteres gab es jedoch wieder -an Frankreich heraus und ließ sich auch Madagaskar fortschnappen, -was sehr zu beklagen ist. England hätte mit geringer Anstrengung die -harmlosen Eingeborenen vor dem Unheil der französischen Zivilisation -schützen können. Leider hat es das unterlassen, und jetzt ist es zu -spät. - -Vor der Sünde, einen Raub an Frankreich zu begehen, hätte sich England -schwerlich gescheut. Aller Grundbesitz sämtlicher Staaten der Erde --- Amerika natürlich nicht ausgeschlossen -- besteht aus gestohlenem -Gut, aus Ländereien, die andern Nationen gehörten, denen man sie -entrissen hat. In Europa, Asien und Afrika ist jeder Fußbreit Land -schon Millionen mal wieder und wieder gestohlen worden. Ein Verbrechen -aber, das seit Jahrtausenden verübt wird, hört auf ein Verbrechen -zu sein und wird zur Tugend. Das Gewohnheitsrecht ist stärker als -jedes andere Gesetz. Auch werden ja heutzutage unter den christlichen -Regierungen die allseitigen Pläne solchen Länderraubs ganz frei und -offen verhandelt. - -Ohne Frage lassen die Zeichen der Zeit deutlich erkennen, welchen -Verlauf die Sache nehmen wird: Alle noch unzivilisierten Länder der -Erde müssen unter die Herrschaft der christlichen Staaten Europas -kommen. Mir macht das keinen Kummer, im Gegenteil, ich freue mich -darüber. Vor zweihundert Jahren wäre dies unabwendbare Geschick noch -ein Unheil für die wilden Völker gewesen, aber jetzt wird es, unter -gewissen Umständen, für manche ein Segen sein. Die Europäer sollen nur -je eher je lieber alles Land in Besitz nehmen, damit Friede, Ordnung -und Gerechtigkeit an die Stelle der Bedrückung, des Blutvergießens -und der Gesetzlosigkeit tritt, unter der die Wilden Jahrhunderte lang -geschmachtet haben. Wenn man bedenkt, was zum Beispiel Indien zu der -Zeit gewesen ist, als die Hindus und die Mohammedaner es beherrschten, -und wie es jetzt um das Land steht, wenn man an das frühere Elend der -Millionen zurückdenkt, die heutzutage Schutz und eine menschenwürdige -Behandlung genießen, so wird man zugeben müssen, daß es für Indien kein -größeres Glück geben konnte, als unter britische Oberherrschaft zu -kommen. Geht nun alles Land der wilden Völker in europäischen Besitz -über, und müssen sie selbst sich den fremden Herrschern auf Gnade oder -Ungnade unterwerfen, so wollen wir von Herzen hoffen und wünschen, daß -alle Wilden bei dem Tausch nur gewinnen möchten. - - - - -Zwanzigstes Kapitel. - - In der Staatskunst bringe alle Formalitäten in Ordnung und - kümmere dich nicht um die Moralitäten. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -_28. April._ -- Nach Afrika abgesegelt. -- ›Arundel Castle‹ ist das -schönste Dampfboot, in dem ich auf diesen Meeren gefahren bin, es ist -durch und durch modern und das will viel sagen. An einem Mangel, den -man überall trifft, leidet aber auch dieses Schiff: die Betten lassen -zu wünschen übrig. Es ist ein großer Fehler, daß man die Auswahl der -Betten stets dem ersten besten Mann mit starkem Rückgrat anvertraut, -statt einer zarten Frau dies Amt zu übertragen, die von Kindheit auf -an Schlaflosigkeit und Gliederweh gelitten hat. Nichts ist sowohl -diesseits wie jenseits des Ozeans eine größere Seltenheit, als Betten, -welche allen Anforderungen entsprechen. Zwar sind sie in einigen -Hotels der Erde zu finden, aber auf keinem Schiff, weder jetzt noch -in vergangenen Zeiten. In der Arche Noäh waren die Betten geradezu -niederträchtig, und darin liegt die Wurzel des Uebels. Noah hat die -Mode eingeführt und die Welt wird sie mit geringen Abänderungen bis -zur nächsten Sündflut beibehalten. - - * * * * * - -_8 Uhr abends._ -- An der Insel Bourbon vorbeigesegelt; ihr -zerklüftetes, vulkanisches Gebirge hebt sich klar gegen den Himmel ab. --- Wie töricht ist es doch, erholungsbedürftige Menschen nach Europa zu -schicken. Das Rasseln von Stadt zu Stadt bei Rauch und Kohlendunst, das -ewige Besichtigen von Schlössern und Galerien, ist doch kein Ausruhen -zu nennen! Man trifft fortwährend alte und neue Bekannte, wird zum -Frühstück, zu Mittag, zum Tee ausgebeten und erhält aufregende Briefe -und Depeschen. Auch die Fahrt über den Atlantischen Ozean nützt nichts; -die Reise ist zu kurz und das Meer zu unruhig. Wahre Heilung für Seele -und Leib findet man nur auf dem friedlichen Indischen und dem Stillen -Ozean, wo sich die Zeit so behaglich lang ausdehnt. - - * * * * * - -_2. Mai nachmittags._ -- Ein schönes großes Schiff in Sicht -- fast -das erste, das wir auf der wochenlangen einsamen Seefahrt erblickt -haben. Wir sind jetzt im Kanal von Mozambique zwischen Madagaskar und -Südafrika und steuern in westlicher Richtung nach der Delagoabai. - - * * * * * - -_Montag 4. Mai._ -- Wir dampfen langsam in die ungeheure Bai hinein; -ihre Arme erstrecken sich weit ins Land, bis sie den Blicken -entschwinden. Hier wäre Raum genug für sämtliche Schiffe der Welt, aber -die Bai hat nur geringe Tiefe; oftmals zeigte unser Senkblei nicht mehr -als viertehalb Faden. - -Eine 150 Fuß hohe und etwa eine Meile breite Felswand von stark -rötlicher Färbung steigt senkrecht vor uns auf. Auf dem Tafelland -über den roten Felsen sieht man Gruppen hübscher Häuser und Bäume, -dazwischen die grüne, wellenförmige Ebene, wie in England. Siebzig -Meilen lang, bis zur Grenze, gehört die Eisenbahn den Portugiesen --- täglich fährt ein Personenzug -- weiterhin ist die Bahn Eigentum -der Niederländischen Kompagnie. Haufenweise lagen die Frachtgüter am -Strande umher; Schuppen, um sie unterzubringen, waren nicht vorhanden. -Das ist echt portugiesisch -- Trägheit, Frömmigkeit, Armut und -Unfähigkeit im schönsten Verein. - -Die Mannschaft der kleinen Boote und Schlepper besteht aus sehr -muskulösen, kohlschwarzen Wollköpfen. - - * * * * * - -_Winter._ -- Der südafrikanische Winter hat eben angefangen, aber nur -Sachverständige können ihn vom Sommer unterscheiden. Mir ist das sehr -recht, denn ich habe den Sommer herzlich satt, der jetzt für uns schon -ununterbrochen elf Monate lang dauert. - -Den Nachmittag brachten wir in Delagoabai am Ufer zu. Der Ort ist -klein; er hat keine Sehenswürdigkeiten, keine Wagen. Die drei -Rickschas waren Privateigentum, wir konnten sie nicht mieten. Die -Portugiesen hier haben eine schöne braune Hautfarbe, wie einige unserer -Indianerstämme; man sieht auch Schwarze mit länglicher Kopfform und -sehr langem Kinn, wie die Neger in den Bilderbüchern, aber die meisten -gleichen den Schwarzen in unsern Südstaaten, haben runde Gesichter mit -platten Nasen und sind gutmütige, lustige Geschöpfe. - -Scharen schwarzer Weiber zogen vorüber mit zentnerschweren -Frachtstücken auf dem Kopf. Sie waren Packträgerinnen und arbeiteten -wie die stärksten Männer; doch mußten sie ihre ganze Kraft anstrengen, -um die Last zu bewältigen, man sah, wie ihnen jedesmal beim Aufsetzen -der Füße die Beine zitterten. Wenn sie unbeladen einherkommen, haben -sie einen aufrechten Gang und eine ebenso schöne und stolze Haltung -wie die Indianerinnen. Die Gewohnheit Lasten auf dem Kopf zu tragen, -bringt das mit sich. -- Man sah keine bunten Farben, obgleich es hier -viele Hindus gibt. - - * * * * * - -_6. Mai. -- 3 Uhr nachmittags._ Ganz allmählich machte das Schiff -langsamere Fahrt und dampfte vorsichtig und bedächtig in den hübschen -Hafen von Durban in Südafrika ein. - - * * * * * - -_Aus dem Tagebuch. Hotel Royal._ -- Sehr behaglich; gutes Essen, -gute Bedienung von Eingeborenen; ein sonderbares Gemisch von Altem -und Neuem, Dorf und Stadt, Ureinfachheit und ihrem Gegenteil. Die -elektrischen Glocken geben keinen Ton; der Aufseher im Bureau sagte -mir, sie wären vermutlich in Unordnung geraten, weil einige klingelten -und andere nicht. Als ich ihn fragte, ob es nicht ratsam wäre, sie in -Ordnung zu bringen, sah er mich zweifelnd an, wie jemand der seiner -Sache nicht gewiß ist -- stimmte mir dann aber doch bei. - - * * * * * - -_7. Mai._ -- Um sechs Uhr klopft es laut an meine Tür: Ob meine Stiefel -geputzt werden sollen? Eine Viertelstunde später wiederholtes Klopfen: -Ob wir Kaffee wünschen? Nach abermals fünfzehn Minuten: das Bad für -meine Frau ist fertig; gleich darauf: mein Bad ist fertig. Es klopft -noch zweimal, weshalb weiß ich nicht mehr. Die Diener lärmen draußen -und schreien einander bald dies bald das zu -- gerade wie in einem -indischen Hotel. - - * * * * * - -_Abends._ -- Um vier Uhr nachmittags herrscht drückende Schwüle; eine -halbe Stunde nach Sonnenuntergang zieht man den Sommerüberzieher an, um -acht Uhr den Wintermantel. Daß Durban eine hübsche, saubere Stadt ist, -sieht der Fremde von selbst, man braucht ihn nicht darauf aufmerksam -zu machen. -- Die Rickschas werden von prächtig gewachsenen schwarzen -Zulus gezogen, mit so überschüssiger Kraft, daß es ein wahres Vergnügen -ist ihnen zuzusehen. Gutmütige Menschen -- wie sie lachen und ihre -Zähne zeigen! Die Stunde kostet für eine Person 2 Schilling, für zwei -Personen 3; jede Fahrt drei Pence für die Person. Ein Rickscha-Mann -darf nicht trinken. - -Die Polizei besteht nur aus heidnischen Zulus; christliche werden -nicht angestellt. Nach dem Abendläuten darf kein Eingeborener ohne Paß -ausgehen. In Natal kommen auf einen Weißen zehn Schwarze. Die Weiber -sind handfeste, rundliche Gestalten. Sie kämmen ihre Wolle auf dem -Kopf in die Höhe und machen sie mit rotbraunem Lehm steif, daß sie -stehen bleibt. Ist dieser Turm bis zur Hälfte gefärbt, so bedeutet es -Verlobung; die verheiratete Frau färbt ihn ganz. - - * * * * * - -_9. Mai._ -- Gestern machte ich mit Bekannten eine Ausfahrt. Sehr -schöne Straßen über die Hügel, von wo man einen herrlichen Blick auf -die ganze Stadt, den Hafen und das Meer genießt. Ueberall Wohnhäuser, -von grünem Rasen und Buschwerk umgeben; hie und da bildet die brennend -scharlachrote Euphorbia einen scharfen Gegensatz zu dem saftigen Grün -ringsum; Kaktusbäume der verschiedensten Art in Kandelaberform und -einer, dessen Zweige so verrenkt und gekrümmt sind, daß sie aussehen -wie lauter graue, sich windende Schlangen. Auf allen Seiten sieht man -eine Menge der prächtigsten, uns völlig unbekannten Bäume, einige mit -so dichtem, dunkelgrünem Laub, daß sie sofort ins Auge fallen, trotz -der vielen Orangenbäume daneben. Ein Baum hat wunderschöne rote, -aufrechtstehende Büschel, die zwischen seiner grünen Blätterpracht -leuchten wie feurige Kohlen. Auch Gummibäume sind da, und ein paar -hochgewachsene Norfolktannen strecken ihre grünen Wedel himmelan, dann -kommt wieder hohes Bambusgebüsch. Ich sah nur _einen_ Vogel; sie sind -hier selten und singen nicht. Die Blumen haben wenig Duft, sie wachsen -zu schnell. Nirgends habe ich eine so große Mannigfaltigkeit der -herrlichsten Bäume gesehen wie hier, außer in der Nähe von Dardschiling -im Himalaja. Vermutlich ist Natal der Garten von Südafrika, aber ich -habe noch niemand dies Land so nennen hören. - - * * * * * - -Colenso war Bischof von Natal, als er durch seine Schriften einen -solchen Sturm in der theologischen Welt erregte. Noch jetzt sind -alle religiösen Angelegenheiten hier von großer Wichtigkeit. Die -Sonntagsruhe wird eifersüchtig bewacht. Museen und dergleichen -gefährliche Vergnügungsorte sind geschlossen. Eine Fahrt auf der Bai -ist gestattet, aber das Cricketspiel gilt für sündhaft. Eine Zeitlang -fanden Sonntags-Konzerte statt, bei denen kein Eintrittsgeld bezahlt -wurde, sondern der Klingelbeutel herum ging. Dadurch kam jedoch so -beunruhigend viel zusammen, daß man die Sache wieder eingehen ließ. In -betreff der Säuglinge ist man sehr streng. Ein Geistlicher verweigerte -einem Kinde das kirchliche Begräbnis, weil es nicht getauft worden -war. Da ist der Hindu weitherziger. Er verbrennt kein Kind unter drei -Jahren, weil er glaubt, daß es noch nicht der Läuterung bedarf. - -Zwei Stunden von Durban entfernt liegt ein großes Trappisten-Kloster, -das ich in Gesellschaft von Mr. Milligan und Mr. Hunter, dem -Generalinspektor der Staatseisenbahnen von Natal, in Augenschein nahm. -Die beiden Herren kannten die Vorsteher des Klosters. - -Es war wirklich alles da, was man für so unglaublich hält, wenn man -es in Büchern liest: die harte Arbeit, das Aufstehen zu unmöglichen -Stunden, die karge Nahrung, das grobe Gewand, das harte Lager, das -Verbot der menschlichen Rede, des geselligen Verkehrs, der Gegenwart -irgend eines weiblichen Wesens, jeder Erholung, Abwechslung und -Unterhaltung. Alles wurde durchgeführt -- es war kein Traum, keine -Lüge. Aber selbst wenn man die Tatsache leibhaftig vor sich hatte, -blieb sie ebenso unerklärlich. Es streitet zu sehr gegen die Natur, die -Individualität des Menschen so gänzlich zu unterdrücken. - -Wie mag La Trappe nur herausgefunden haben, daß es Menschen gibt, die -in solchem Elend einen Genuß finden? Hätte er mich oder dich um Rat -gefragt, wir würden ihm versichert haben, daß sein Plan zu sehr aller -Reize entbehrte und niemals verwirklicht werden könnte. Aber, da steht -das Kloster und liefert den Beweis, was für ein Menschenkenner La -Trappe gewesen ist. Er hat alles aus dem Leben verbannt, was das Herz -wünscht und begehrt, und dennoch hat der Erfolg seit zweihundert Jahren -sein Werk gekrönt und es wird ohne Zweifel auch ferner blühen und -gedeihen. - -Wir Menschen lieben persönliche Auszeichnung -- dort im Kloster gibt -es nichts dergleichen. Wir sind wählerisch in betreff der Speisen --- die Mönche erhalten Bohnen, Brot und Tee und nicht einmal genug -um sich satt zu essen. Wir betten uns gern weich -- sie liegen auf -Sandmatratzen und haben zwar ein Kissen und eine Decke, aber keine -Leintücher. Bei Tische lachen und plaudern wir gern in Gesellschaft von -Freunden -- hier liest ein Mönch während der Mahlzeit laut aus einem -frommen Buche vor und niemand spricht ein Wort. Wenn wir mit vielen -Gefährten zusammen sind, so machen wir uns einen lustigen Abend und -gehen spät zur Ruhe; hier begeben sich alle schweigend um acht Uhr zu -Bett und obendrein im Dunkeln; sie brauchen nur die lose, braune Kutte -abzulegen, da wäre ein Licht ganz unnötig. Wir schlafen gern in den Tag -hinein -- hier stehen die Mönche nachts zweimal auf zum Gottesdienst -und gehen um zwei Uhr morgens an ihr Tagewerk. Wir wünschen uns leichte -Arbeit oder gar keine -- hier wird den ganzen Tag auf dem Felde -geschafft oder in der Schmiede und andern Werkstätten, wo man Sattler-, -Schuhmacher-, Tischlerarbeit und dergleichen betreibt. Wir lieben die -Gesellschaft von Frauen und Mädchen -- die fehlt hier gänzlich. Wir -sind gern von unsern Kindern umringt und scherzen und spielen mit ihnen --- Kinder gibt es hier nicht. Es ist kein Billardtisch vorhanden, man -hat keine Spiele im Freien, weder Konzert noch Theater, noch gesellige -Freuden. Auch das Wetten ist hier verboten; wer in Zorn gerät darf -seinen Aerger nicht am ersten besten auslassen, der ihm gerade in den -Weg kommt; man darf sich kein Lieblingstier halten. Nicht einmal das -Rauchen ist gestattet. Weder Tageblätter noch Zeitschriften werden hier -gelesen. Wenn wir fern von der Heimat sind, möchten wir wissen, wie es -unsern Eltern und Geschwistern ergeht und ob sie sich nach uns sehnen --- hier erfährt man das nicht. Wir lieben freundliche Wohnungen, eine -gefällige Einrichtung, hübsche Möbel, allerlei niedliche Sächelchen und -schöne Farben -- hier ist alles kahl, armselig und düster. Was wünscht -sich der Mensch nicht alles -- führt die Liste selbst weiter fort! -- -Aber was ihr auch nennen mögt, in diesem Kloster ist es nicht zu finden. - -Und zum Lohn für alle diese Entbehrungen kann man dort weiter nichts -erwerben, wie mir gesagt wurde, als die Rettung seiner Seele. - -Es ist wirklich höchst sonderbar und unbegreiflich. Aber La Trappe -kannte, wie gesagt, das Menschengeschlecht und den mächtigen Reiz, der -in diesem reizlosen Dasein lag. Er wußte, daß auf manche Leute ein -solches Leben um so größere Anziehungskraft übt, je abstoßender und -unbehaglicher es ist. - -Das Mutterkloster wurde vor fünfzehn Jahren von deutschen Mönchen -gegründet, die arm und fremd waren und keine Unterstützung fanden; -jetzt besitzt es 15000 Morgen Land, baut Korn, Obst und Wein und -betreibt alle möglichen Gewerbe. In seinen Werkstätten werden -eingeborene Lehrlinge in den verschiedensten Handwerken unterrichtet, -mit denen sie sich nach der Entlassung ihr Brot verdienen können, auch -lehrt man sie Lesen und Schreiben. Elf Zweiganstalten des Klosters sind -in ganz Südafrika verbreitet, in denen 1200 eingeborene Knaben und -Mädchen christlich erzogen und zu tüchtigen Handwerkern ausgebildet -werden. Von dem Wirken der protestantischen Mission unter den Heiden -hat man in den kaufmännischen Kreisen der weißen Kolonisten meist keine -hohe Meinung; ihre Zöglinge tragen den Spitznamen ›Reis-Christen‹, -womit ungelernte Müßiggänger gemeint sind, die sich nur um äußerer -Vorteile willen in die Kirche aufnehmen lassen. An der Tätigkeit dieser -katholischen Mönche wird sich aber schwerlich etwas aussetzen lassen, -und ich glaube, es hat auch noch niemand gewagt, sich abfällig darüber -zu äußern. - - * * * * * - -_Dienstag 12. Mai._ -- Die Transvaal-Politik ist in große Verwirrung -geraten. Zuerst jagte die schwere Verurteilung der Johannesburger -Rädelsführer England einen großen Schrecken ein. Unmittelbar nachher -veröffentlichte Krüger die Korrespondenz in Chiffreschrift, aus welcher -hervorgeht, daß der Einfall in Transvaal von Cecil Rhodes und Beit mit -der Absicht geplant worden ist, sich des Landes zu bemächtigen, um es -dem englischen Reich einzuverleiben. Dies brachte einen Umschwung in -den Gefühlen Englands hervor und entfesselte einen Sturm der Entrüstung -gegen Rhodes und die Chartered Company, weil sie der britischen Ehre zu -nahe getreten seien. - -Lange war ich außer stande klug aus der Sache zu werden -- sie war mir -zu verwickelt. Aber endlich glaube ich durch Geduld und Nachdenken doch -dahinter gekommen zu sein: Soviel ich verstehe, waren die Uitlanders -und die andern Holländer unzufrieden, weil die Engländer ihnen nicht -gestatteten an der Regierung teil zu nehmen, nur ihre Steuern durften -sie bezahlen. Da geschah es, daß ~Dr.~ Krüger und ~Dr.~ Jameson, denen -ihr ärztlicher Beruf nicht genug einbrachte, in das Matabeleland -einfielen mit der Absicht, die Hauptstadt Johannesburg zu erobern und -Frauen und Kinder als Geißeln gefangen zu halten, bis die Uitlanders -und andere Buren ihnen und der Chartered Company die politischen -Rechte zugestehen wollten, die man ihnen bisher vorenthalten hatte. -Dieser kühne Plan wäre sicherlich gelungen, hätten sich nicht Cecil -Rhodes, Mr. Beit und andere Häuptlinge der Matabele eingemischt -und ihre Landsleute aufgereizt sich zu empören und Deutschland den -Gehorsam aufzusagen. Nun stachelte letzteres wieder den König von -Abessynien auf, die italienische Armee zu vernichten und Johannesburg -zu überfallen. Das alles hatte Cecil Rhodes aber angestiftet, um die -Aktien in die Höhe zu treiben. - - - - -Einundzwanzigstes Kapitel. - - Man soll des Buren Fell nicht verkaufen, man fange ihn denn - zuvor. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Als ich vor einem Jahr den letzten Paragraphen des vorigen Kapitels in -mein Notizbuch kritzelte, tat ich es, um auf drastische Weise zweierlei -zum Ausdruck zu bringen: Erstens, wie widersprechend die Berichte -sind, welche der Fremde von den Einheimischen über die südafrikanische -Politik erhält, und zweitens, was für ein Wirrwarr dadurch im Kopfe des -Fremden entsteht. - -Ich sehe jetzt ein, daß ich damals den Zustand der Dinge naturgetreuer -geschildert habe, als ich selber wußte. In jener unruhigen und -aufgeregten Zeit konnten die dortigen Bürger unmöglich die -südafrikanische Politik klar und vernünftig auffassen; nicht nur ihre -persönlichen Interessen, sondern auch ihre politischen Vorurteile -standen ihnen sehr dabei im Wege. Der Fremde aber war natürlich nicht -im stande aus ihren verworrenen Mitteilungen klug zu werden und den -Zusammenhang der Ereignisse zu begreifen. - -Mein Aufenthalt in Südafrika war nicht von langer Dauer. Als ich ankam -befand sich das Land noch in der größten politischen Gärung. Vier -Monate waren vergangen, seit Jameson mit 600 bewaffneten Reitern zum -»Schutz der Frauen und Kinder in Johannesburg« die Grenze von Transvaal -überschritten hatte. Am vierten Tage nach seinem Einmarsch besiegten -ihn die Buren in einer Schlacht und führten ihn mit seinen Leuten -gefangen nach der Hauptstadt Prätoria. Jameson und seine Offiziere -waren zur Bestrafung an Großbritannien ausgeliefert und nach England -eingeschifft worden, wo ihr Verhör stattfand. Inzwischen wurden in -Johannesburg vierundsechzig der angesehensten Bürger als Jamesons -Mitverschworene festgenommen. Präsident Krüger verurteilte die vier -Haupträdelsführer zum Tode, die übrigen zu Gefängnis; er verwandelte -jedoch die Strafen in längere oder kürzere Kerkerhaft, in welcher die -vierundsechzig Leute damals noch schmachteten. Vor Mitte des Sommers -waren alle wieder in Freiheit, außer zweien, welche sich weigerten ein -Begnadigungsgesuch zu unterzeichnen. Achtundfünfzig von ihnen mußten -eine Geldbuße von je 10000 Dollars zahlen und die vier Rädelsführer -125000 Dollars per Mann; auf immer aus dem Lande verbannt wurde nur -einer. - -Das war eine hochinteressante Zeit für den Fremden; ich schätzte mich -glücklich, mitten in die Aufregung hineingekommen zu sein. Jedermann -äußerte ohne Rückhalt seine Meinung und ich hoffte bestimmt, daß mir -die ganze Angelegenheit, wenigstens von _einer_ Seite, binnen kurzem -verständlich sein würde. - -Darin täuschte ich mich jedoch. Die Sache hatte so viel Eigenartiges, -Schwieriges und Unerklärliches, daß ich ihrer nicht Herr wurde. -Persönliche Beziehungen zu den Buren besaß ich nicht, die Anschauungen -ihrer Partei blieben also für mich ein Geheimnis, soweit ich sie nicht -aus den öffentlichen Bekanntmachungen erfuhr. Bald empfand ich denn -auch das tiefste Mitgefühl für die Johannesburger, die im Kerker von -Prätoria lagen, sowie für ihre Freunde und Angehörigen. Durch eifrige -Erkundigungen bei letzteren hatte ich mich über alle Einzelheiten des -Streits in Kenntnis gesetzt und glaubte sie zu verstehen; das heißt, -von ihrem Gesichtspunkt aus und bis auf _einen_ Umstand: Was die -Johannesburger durch eine bewaffnete Erhebung zu erreichen gedachten, -schien niemand zu wissen. - -Im Laufe des folgenden Jahres wurde in die Verwirrung jener Tage -genügendes Licht gebracht. ~Dr.~ Jameson ist vor den englischen -Geschworenen erschienen; auch Cecil Rhodes und andere an dem -feindlichen Einfall in Transvaal direkt oder indirekt beteiligte -Personen haben ihre Aussage vor Gericht erstattet, desgleichen Lionel -Philipps und sonstige Mitglieder der Johannesburger Reformpartei, -welche die Revolution als totgeborenes Kind zur Welt brachten. -Weitere Aufklärung erhielt ich auch durch verschiedene Bücher, deren -Verfasser entweder für die Buren oder für Cecil Rhodes oder für die -Johannesburger Partei nahmen. Nachdem ich nun alle jene Aussagen -voreingenommener Zeugen nebst den einseitigen Darstellungen der Bücher -gesammelt hatte, mischte ich sie gut durcheinander, knetete alles -tüchtig durch und tat den Teig in meinen eigenen (vorurteilsvollen) -Backtrog. Durch dies Verfahren bin ich schließlich der verwickelten -südafrikanischen Frage doch noch auf den Grund gekommen. Ich weiß nun, -daß es sich damit in Wahrheit folgendermaßen verhielt: - -1. Die Kapitalisten und sonstigen angesehenen Bürger von Johannesburg -litten unter gewissen politischen und finanziellen Unbilden und Lasten, -welche die Transvaal-Regierung ihnen auferlegte. Die Uitlanders -bezahlten vier Fünftel aller Steuern, hatten kein Wahlrecht, konnten -erst nach längerem Aufenthalt im Lande Staatsbürger werden und nach -vierzehn Jahren in den ersten Volksraad gelangen, während die Buren -alle höheren Aemter bekleideten und schon im Alter von sechzehn -Jahren das volle Bürgerrecht hatten. So suchten denn die Uitlanders -durch verschiedene Eingaben, Bittschriften und Vorschläge zu -Gesetzesveränderungen auf friedlichem Wege eine Verbesserung ihrer Lage -herbeizuführen. - -2. Cecil Rhodes, Ministerpräsident der Kapkolonie, Millionär, Gründer -und Direktor der sogenannten Chartered Company, verfolgte schon seit -einigen Jahren den Plan, alle südafrikanischen Staaten zu einem -großen Reich unter dem Schutz und Schirm der britischen Flagge zu -vereinigen. So benutzte er denn die Unzufriedenheit der Johannesburger -Reformpartei, um sie zur gewaltsamen Empörung gegen die Burenregierung -zu bewegen. Wenn es zu einem blutigen Zusammenstoß kam, konnte sich -Großbritannien ins Mittel legen; das würden sich die Buren nicht -gefallen lassen, und um sie für ihren Widerstand zu strafen, besetzte -dann England selbstverständlich Transvaal und vereinigte es mit seinem -übrigen südafrikanischen Länderbesitz. Der Plan war keineswegs aus der -Luft gegriffen, sondern ganz verständig und ausführbar. - -Von seinem fernen Posten in Kapstadt aus wußte Rhodes die Mißstimmung -der Uitlanders von Johannesburg auf geschickte Weise zu schüren; -er half auch, sie mit Waffen zu versehen. Mehrere Kanonen und -fünfzehnhundert Gewehre wurden, in großen Oelbehältern und Kohlenwagen -versteckt, in die Stadt geschmuggelt. Im Dezember 1895 war das -Reformkomite schon von Bitten zu Drohungen übergegangen, und der -Ausbruch der Revolution schien nicht mehr fern. - -Rhodes hatte mit Jameson, dem Befehlshaber der Truppen der Chartered -Company verabredet, daß dieser über die Grenze gehen und mit -sechshundert Mann in Johannesburg einrücken solle. Vorher verlangte -Jameson jedoch -- wahrscheinlich auf Veranlassung seines Herrn und -Meisters -- das Reformkomite solle ihm eine förmliche Aufforderung -schicken, der Stadt zu Hilfe zu kommen. So erhielt er den berühmten -Brief, in dem er gebeten wird nach Johannesburg zu eilen, um sich der -»schutzlosen Frauen und Kinder anzunehmen«. Das war kein schlechter -Gedanke, denn die Verantwortlichkeit für den feindlichen Ueberfall -wurde dadurch zum größten Teil der Reformpartei zugeschoben. Die -Führer derselben mochten dies wohl zu ihrem Schrecken einsehen, denn -sie wollten das verfängliche Schriftstück schon den Tag nach dessen -Absendung an Jameson wieder zurück haben. Es wurde ihnen jedoch -bedeutet, dazu sei es zu spät. Das Original des Briefes war schon an -Rhodes nach der Kapstadt abgegangen. Doch hatte Jameson wohlweislich -eine Abschrift zurückbehalten. - -In Johannesburg versuchte man nun mit aller Anstrengung, Jameson von -der Ausführung des Planes abzubringen. Es herrschte Uneinigkeit in -der Stadt; einige wollten Krieg, einige Frieden. Manche stimmten für -eine neue Regierung, andere wünschten die alte beizubehalten und zu -reformieren. Zu Gunsten einer kaiserlich-britischen Kolonialherrschaft -die Regierung in Prätoria zu stürzen, hatten nur ganz einzelne im Sinn. -Und doch trat das Gerücht von Stunde zu Stunde bestimmter auf, daß dies -der Zweck sei, den Cecil Rhodes mit seinem unwillkommenen Beistand -verfolge. - -Drei Tage lang ließ sich Jameson zurückhalten, dann beschloß er nicht -länger zu warten. Ohne Befehl -- Rhodes hüllte sich in vorsichtiges -Schweigen -- zerschnitt er die Telegraphendrähte am 29. Dezember und -ging im Dunkel der Nacht über die Grenze. Er hatte 150 Meilen bis -Johannesburg zurückzulegen und hoffte die Stadt ohne Hindernisse zu -erreichen. Allein die Nachricht von seinem Einfall verbreitete sich wie -ein Lauffeuer -- man hatte übersehen, daß _ein_ Telegraphendraht nicht -zerschnitten worden war. Schon wenige Stunden später kamen die Buren -von allen Seiten in Windeseile herbeigeritten, um ihn am Vordringen zu -hindern. - -In Johannesburg herrschte Furcht und Schrecken; Frauen und Kinder -wurden bei dem Nahen ihrer Retter eiligst nach Australien eingeschifft -und die friedliebenden Bürger flüchteten scharenweise auf die -Eisenbahnen. Wer zuerst da war hatte es am besten, er konnte sich -einen Platz im Zuge sichern, wenn er ihn acht Stunden vor der Abfahrt -besetzte. - -Rhodes telegraphierte den Johannesburger Brief mit dem rührenden -Hilferuf ohne Zeitverlust an die Londoner Presse. Ein so altersgraues -Dokument hatte das Kabel noch nie befördert; der Brief war schon vor -zwei Monaten geschrieben, doch das wußte niemand, das falsche Datum -lautete ja auf den 20. Dezember. - -Am Neujahrstag wurde Jameson von den Buren geschlagen; tags darauf -streckte er die Waffen. Er trug die Abschrift des Briefes bei sich, -und wenn er die Anweisung erhalten hatte, im Notfall dafür zu sorgen, -daß das Schriftstück den Buren in die Hände fiele, so führte er -den Befehl pünktlich aus. Man fand den Brief auf dem Schlachtfeld -in Jamesons Satteltasche -- er war ohne jegliche Geheimschrift -in englischer Sprache abgefaßt und mit dem Namen der beteiligten -Personen unterzeichnet. Die Schuld an dem Einfall wurde dadurch auf -die Reformpartei gewälzt, so paßte es in Rhodes’ Berechnung. Das -Original war ja überdies in Amerika, in England und dem übrigen Europa -bekannt, ehe Jameson seine Abschrift auf dem Schlachtfelde verlor. -Letzterer wurde dadurch im Lauf einer einzigen Woche in England zu -einem berühmten Helden gestempelt, in Prätoria zu einem Räuberhauptmann -und in Johannesburg zu einem Narren und ehrlosen Verräter -- das alles -hatte jener alte Brief bewirkt! - -Die Mitglieder der Reformpartei waren in einer schwierigen Lage -gewesen. Hindernisse und Verwicklungen engten sie auf allen Seiten -ein. Wie sollten sie ihren vielen und mannigfaltigen Obliegenheiten -nachkommen? -- - -1. Mußten sie ~Dr.~ Jamesons widerrechtlichen Einfall verdammen und -ihm trotzdem beistehen. - -2. Waren sie genötigt der Burenregierung Treue zu schwören und den -Rebellen Reitpferde zu liefern. - -3. Mußten sie alle offenen Feindseligkeiten gegen die Burenregierung -verbieten und Waffen unter deren Gegner verteilen. - -4. Durften sie nicht in Zwiespalt mit der englischen Regierung geraten, -mußten Jameson unterstützen und der Burenregierung entblößten Hauptes -den neuen Fahneneid leisten. - -Sie entledigten sich dieser Pflichten so gut sie konnten; ja, sie -erfüllten sie tatsächlich alle, nur nicht zu gleicher Zeit, sondern -nacheinander; die gleichzeitige Erfüllung derselben wäre wirklich ein -Ding der Unmöglichkeit gewesen. - -Bei der ganzen Angelegenheit hat für mich die militärische Frage -ein größeres Interesse als die politische, denn ich habe immer eine -besondere Vorliebe für den Krieg gehabt. Das heißt, ich meine für -Reden über den Krieg und Erteilung militärischer Ratschläge. Wäre ich -am Morgen nach der Grenzüberschreitung bei Jameson gewesen, ich hätte -ihm geraten, wieder umzukehren. Die Truppen, die er befehligte, waren -nicht alte, kriegstüchtige Briten, sondern größtenteils ungeübte junge -Burschen. Wie sollten sie vom Pferde herab, im Gewühl der Schlacht -sicher zielen und treffen? Das war unmöglich, besonders weil es gar -nichts gab, wonach man schießen konnte, als Felsen, hinter denen nach -altem Brauch und Herkommen die Buren steckten, denn auf freiem Felde -kämpften sie niemals. Die dreihundert Scharfschützen der Buren hinter -den Felsen konnten aber natürlich Jamesons Reitern übel mitspielen. Um -im Kampf gegen die Buren Sieger zu bleiben, brauchten die Engländer -nicht allein Mut, sondern auch Vorsicht, ganz wie wir beim Krieg gegen -die Rothäute. Die tapfern Briten, die den verborgenen Buren offen -entgegentraten, hatten sich die Folgen selbst zuzuschreiben. - -Das Land war voller Hügelketten, Klippenreihen, Bodensenkungen, Gräben -und Moränen -- für Reitergefechte völlig unbrauchbar. Jameson feuerte -seine Geschütze auf die Felsen ab -- er verdarb die guten Felsen -und verschwendete seine Munition -- aber wieviel Schaden er auch -anrichtete, die Buren zeigten sich nicht. Nun strömten seine Scharen -in langer Linie kühn voran, die Buren schossen aus dem Hinterhalt und -nach der ersten Salve waren zwanzig englische Sättel leer. Es dauerte -nicht lange, so lagen sechzig Prozent der Angreifer tot oder verwundet -am Boden; letztere wurden von den Buren gefangen in das Hospital nach -Krügersdorp gebracht; sie selbst hatten nur vier Mann eingebüßt, von -denen zwei aus Versehen durch ihre eigenen Leute getötet worden waren. -Jamesons Truppen kamen den Buren überhaupt nicht nahe genug, um sie -»rund um Transvaal herumzujagen«, wie sie geprahlt hatten. Nachdem auch -ein letzter verzweifelter Angriff fehlgeschlagen war, ließ Jameson die -weiße Flagge wehen und ergab sich. - -Die britische Methode der Kriegsführung läßt sich, wie gesagt, den -Buren gegenüber durchaus nicht mit Glück anwenden. Wenn mir die -Führung eines solchen Feldzugs übertragen worden wäre, hätte ich -die Sache ganz anders angefangen. Den Charakter des Buren habe ich -studiert: Am meisten schätzt er die Bibel, und sein Lieblingsessen ist -›Biltong‹ -- an der Sonne getrocknete Fleischstreifen. Die liebt er -leidenschaftlich, und es ist ihm auch gar nicht zu verdenken. - -Um die Buren zu bekriegen, wäre ich nur mit Flinten ausgezogen und -hätte die schweren Kanonen zu Hause gelassen, die nur unnütz den Marsch -aufhalten. Heimlich würde ich mich bei Nacht bis zu einer Stelle -schleichen, die etwa eine Viertelmeile vom Lager der Buren entfernt -ist, um dort eine fünfzig Fuß hohe Pyramide von Biltong und Bibeln zu -bauen und meine Leute dahinter zu verbergen. Am nächsten Morgen würden -die Buren Kundschafter ausschicken, der ganze Schwarm käme auf einmal -herbeigestürmt, meine Truppen könnten sie umringen und Mann gegen Mann -im freien Felde kämpfen. Dann würden sich die Verluste auf beiden -Seiten etwas gleichmäßiger verteilen. - - - - -Zweiundzwanzigstes Kapitel. - - Selbst die Tinte, mit der die Weltgeschichte geschrieben - wird, ist nichts als flüssig gemachtes Vorurteil. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Der Herzog von Fife hat als Zeuge ausgesagt, daß Mr. Rhodes ihn -betrogen habe. Mit den Johannesburgern hat es Mr. Rhodes ganz ebenso -gemacht. Er hat sie ins Unglück gestürzt, ist aber selbst weit vom -Schuß geblieben. Ein gescheiter Kopf war er von jeher, darüber sind -alle einig. Nur einmal hätte man fast an dieser Tatsache irre werden -können. Es war zur Zeit seines letzten Raubzugs im Matabele-Land; das -Kabel verkündete laut, er sei unbewaffnet dahin gegangen, um einige -feindliche Häuptlinge zu besuchen. Als man aber dies tollkühne Beginnen -bei Lichte besah, stellte sich heraus, daß eine Dame teil daran -genommen hatte, welche ebenfalls unbewaffnet war. - -Manche Leute glauben, Mr. Rhodes sei gleichbedeutend mit Südafrika; -andere halten ihn nur für einen wichtigen Teil des Landes. Nach ihrer -Meinung besteht Südafrika aus dem Tafelberg, den Diamantgruben, den -Johannesburger Goldfeldern und Cecil Rhodes. Die Goldfelder sind -wirklich höchst wunderbar. In sieben oder acht Jahren wuchs dort in -der Wüste eine Stadt von 100000 Einwohnern empor, Schwarze und Weiße -zusammengenommen; aber nicht etwa eine gewöhnliche Bergwerksstadt -von hölzernen Baracken, sondern durch und durch aus dauerhafterem -Baumaterial. Nirgends in der Welt findet man einen solchen Goldreichtum -wie in der Umgegend von Johannesburg. Mr. Bonamici, mein dortiger -Geschäftsführer, gab mir eine kleine Goldstufe, auf welcher -statistische Angaben über den Goldertrag seit der frühesten Zeit bis -Juli 1895 eingeritzt waren. Sie bekunden den Riesenfortschritt in der -Ausbeute. Im Jahre 1888 belief sich der Ertrag auf 4162440 $; in den -nächsten sechstehalb Jahren betrug die Totalsumme 17585894 $ und in dem -einen Jahr bis Juni 1895 gewann man einen Goldwert von 45553700 $. - -Das Kapital für den Bergwerksbetrieb stammt aus England, die -Grubeningenieure kommen aber aus Amerika; auch bei den Diamantgruben -spielen sie die erste Rolle. Südafrika ist das Paradies für den -wissenschaftlich gebildeten Hüttenmann. Die Amerikaner nehmen dort die -besten Stellen ein und werden sie auch zu behaupten wissen; ihr Gehalt -ist so hoch, wie es nicht ein einzelner, sondern eine ganze Familie von -Ingenieuren in Amerika beziehen würde. - -Die Aktionäre der einträglichen Goldgruben erhalten bedeutende -Dividenden, und doch ist das Gestein nicht sehr reich nach -kalifornischen Begriffen; wenn eine Tonne den Wert von zehn oder -zwölf Dollars liefert, ist man schon zufrieden. Das Gold ist so sehr -mit unedlen Metallen versetzt, daß der Ertrag vor zwanzig Jahren -nur etwa halb so groß gewesen wäre, als jetzt. Damals machte es -sich nicht bezahlt, wenn man aus solchem Gestein noch etwas anderes -als das grobkörnige reine Gold gewinnen wollte. Bei dem heutigen -Cyanid-Verfahren aber beträgt die Gesamtausbeute an Gold in der ganzen -Welt jährlich fünfzig Millionen mehr, die früher zu den Abfällen -geworfen wurden. - -Das Cyanid-Verfahren war für mich ganz neu und sehr interessant; auch -von den großartigen und kostspieligen Bergwerksmaschinen hatte ich -manche noch nie gesehen; mit dem übrigen Betrieb der Goldbergwerke war -ich jedoch völlig vertraut. Da ich früher einmal selbst Goldgräber -gewesen bin, verstand ich gerade so viel davon wie die Leute in -Johannesburg, nur nicht, wie man Geld damit erwirbt. Dagegen erfuhr -ich viel Neues über die Buren, von denen ich noch nichts wußte. Was -man mir dort sagte, wurde mir später auch in andern Teilen Südafrikas -bestätigt. Fasse ich nun alle jene Berichte zusammen, so erhalte ich -von dem Buren folgendes Bild: - -Er ist sehr fromm, entsetzlich unwissend, schwerfällig, eigensinnig, -gastfrei, bigott und träge; schmutzig in seinen Gewohnheiten, -ehrlich bei Unterhandlungen mit den Weißen, hartherzig gegen seine -schwarzen Diener, ein guter Schütze und Reiter, der Jagd sehr ergeben; -eifersüchtig auf seine politische Unabhängigkeit, ein guter Gatte -und Vater. Die Buren leben ungern in Städten zusammengedrängt, sie -lieben die Einsamkeit und Absonderung auf dem großen, entlegenen, -menschenleeren ›Veld‹. Ihre Eßlust ist ungeheuer und sie sind nicht -wählerisch bei Befriedigung derselben -- haben sie Schweinefleisch, -Mais und Biltong in genügender Menge, so verlangen sie weiter -nichts. Um ein Tanzvergnügen mitzumachen, bei dem auch die Nacht -hindurch wacker geschmaust und gejubelt wird, scheuen sie einen -tüchtigen Ritt nicht; aber zu einer Gebetsversammlung reiten sie gern -noch zweimal so weit. Sie sind stolz auf ihre Abstammung von den -Holländern und Hugenotten, stolz auf ihre religiöse und militärische -Vergangenheit, auf die Großtaten ihres Volks in Südafrika -- ihre -kühnen Entdeckungsreisen in feindliche und unbekannte Einöden, wo sie -den Belästigungen der ihnen verhaßten Engländer entgehen konnten. -Sie rühmen sich ihrer Siege über die Eingeborenen und die Briten, -am meisten jedoch der persönlichen und überschwenglichen Gnade und -Fürsorge, welche die Gottheit ihren Angelegenheiten allezeit hat zu -teil werden lassen. - -Die Buren können durchschnittlich weder lesen noch schreiben, Zeitungen -sind zwar vorhanden, aber niemand fragt danach; bis vor kurzem gab -es keine Schulen, die Kinder lernten nichts. Was in der Welt Neues -geschieht, ist dem Buren gleichgültig, es geht ihn nichts an. Das -Steuerzahlen ist ihm verhaßt, und er lehnt sich dagegen auf. Seit -drittehalb Jahrhunderten hat er in Südafrika stockstill gestanden -und würde am liebsten bis ans Ende aller Zeiten auf demselben Fleck -bleiben, denn die fortschrittlichen Gedanken der Uitlanders sind ihm -ein Greuel. Zwar dürstet er nach Reichtum, wie andere Menschen auch, -aber ein reicher Viehstand ist ihm lieber als schöne Kleider und -Häuser, Gold und Diamanten. »Hätte man das Gold und die Diamanten doch -nie entdeckt,« denkt er, »dann wäre der gottlose Fremdling nicht ins -Land gekommen, der Unruhstifter mit seiner Sittenverderbnis!« - -Jeder, der Olive Schreiners Bücher kennt, wird was ich hier anführe in -der Hauptsache bestätigt finden. Und daß sie ein ungünstiges Vorurteil -für den Buren hat, ist ihr noch von niemand vorgeworfen worden. - -Was läßt sich nun aber nach alledem von dem Buren erwarten? Was -kann aus solchem Stoff entstehen? Eine Gesetzgebung, sollte man -meinen, welche die Religionsfreiheit einschränkt, dem Fremden die -Wahlberechtigung und Wählbarkeit verweigert, den Bildungs- und -Erziehungsanstalten wenig förderlich ist, die Goldproduktion -einschränkt, das Eisenbahnnetz nicht erweitert, den Ausländer hoch -besteuert und den Buren freiläßt. - -Die Uitlanders scheinen indessen ganz andere Dinge erwartet zu haben. -Warum weiß ich nicht. Es ließ sich vernünftigerweise nichts anderes -voraussehen. Ein runder Mensch paßt nicht gleich in ein viereckiges -Loch; man muß ihm erst Zeit lassen, seine Form zu ändern. Gewisse -Verbesserungen wurden schon vor Jamesons Ueberfall vorgenommen und -seitdem ist noch manche Reform eingeführt worden. Es sitzen weise -Männer im Rate der Transvaal-Regierung und ihnen ist der Fortschritt -zu danken, welchem die große Masse der Buren bis jetzt noch kaum -zugänglich ist. Wäre die Regierung weniger weise, so hätte sie Jameson -aufgehängt und aus einem gewöhnlichen Piraten einen heiligen Märtyrer -gemacht. Aber auch die Weisheit hat ihre Grenzen, und wenn man Mr. -Rhodes jemals fängt, wird man ihn sicherlich aufknüpfen und zu einem -Heiligen machen. Diese höchste aller menschlichen Würden sollte ihm -noch verliehen werden, nachdem er schon alle übrigen Titel getragen -hat, welche irdische Größen bezeichnen. - -Den Johannesburgern sind bereits viele ihrer ursprünglichen -Forderungen bewilligt worden; auch ihre übrigen Beschwerden dürften mit -der Zeit schwinden. Sie sollten froh sein, daß die Steuern, mit denen -sie so unzufrieden waren, von der Burenregierung erhoben wurden, statt -von ihrem Freunde Rhodes und seiner raubsüchtigen Südafrikanischen -Gesellschaft; denn letztere nimmt die Hälfte von allem in Beschlag, -was die Opfer ihrer Habgier beim Grubenbau gewinnen, sie begnügt sich -nicht mit einem Prozentsatz. Stünden die Johannesburger unter _ihrer_ -Gerichtsbarkeit, sie wären längst im Armenhaus. Der Name Rhodesia ist -gut gewählt, um das Land zu bezeichnen, wo Raub und Plünderung an der -Tagesordnung sind und unter dem Schutz des Gesetzes nach Gutdünken -betrieben werden können. - -Auf mehreren langen Fahrten lernten wir die Eisenbahnen der Kapkolonie -kennen. Alle Einrichtungen sind bequem, man findet die größte -Sauberkeit und in den Nachtzügen behagliche Betten. Es war Anfang Juni -und Winterzeit: bei Tage eine angenehme Wärme, nachts frisch und kühl. -Während man durch das Land fuhr, atmete man den ganzen Tag über mit -Wonne die kräftige Luft und schaute auf die braune sammetweiche Ebene -hinaus, an deren Horizont mattschimmernde Hügelketten wie in einem -fernen Traumland zu verschwimmen schienen. Wie tief blickte man in den -Himmel hinein mit seinen fremden, seltsamen Wolkengebilden, wie flutete -ringsum der herrlichste Sonnenglanz in verschwenderischer Fülle! Für -mich hatte der Veld im ersten Winterkleid einen ganz besonderen Reiz. -Wir kamen durch weite Strecken, wo der Boden sich wellenförmig hebt -und senkt und sich endlos ausdehnt, gleich dem Ozean. Von dem hellsten -bis ins dunkelste Braun waren dort alle Schattierungen vertreten, die -sich zum schönsten Orangegelb, Purpur und Scharlachrot wandelten, wo -die Ebene mit den bewaldeten Hügeln und den nackten, roten Felsklippen -zusammenfließt und der Himmel die Erde berührt. - -Ueberall, von Kapstadt bis Kimberley und von Kimberley bis Port -Elizabeth und East London haben die Städte eine zahlreiche Bevölkerung -von zahmen Eingeborenen. Man hatte sie nicht nur gezähmt, sondern -vermutlich auch christianisiert, denn sie trugen die abscheuliche -Kleidung, wie sie bei unsern christlichen zivilisierten Völkern -Sitte ist. Einige von ihnen hätten sich sonst durch hervorragende -Schönheit ausgezeichnet. Die häßlichen Kleider, der ihnen eigene -schleppende Gang, das sorglose Lachen und ihre gutmütigen Gesichter -mit dem zufriedenen, glücklichen Ausdruck machten sie zu einem -täuschenden Ebenbild unserer amerikanischen Schwarzen. Wo nun alles -andere vollkommen harmonisch und durch und durch afrikanisch war, -kam plötzlich ein Schwarm solcher Eingeborenen gegangen, die gar -nicht dorthin paßten. Sie brachten einen Mißklang in die Stimmung, es -entstand ein halb afrikanisches, halb amerikanisches Gemisch und der -ganze Eindruck war verdorben. - -An einem Sonntag sah ich in King Williams Town wohl ein Dutzend -farbige Weiber, die nach neuster Mode kostbar und auffallend in die -widersprechendsten und grellsten Farben gekleidet waren. Sie kamen über -den großen, leeren Platz geschritten und zeigten in Gang und Miene jene -schmachtende Vornehmtuerei, jenes innige Wohlgefallen an ihrem Putz, -das ich so genau kannte und das für mich stets eine wahre Augenweide -ist. Mir war, als sei ich nach fünfzigjähriger Trennung wieder unter -guten alten Freunden und ich blieb stehen, um sie herzlich zu begrüßen. -Sie brachen in ein kameradschaftliches Lachen aus, ihre weißen Zähne -blitzten mir entgegen; alle antworteten auf einmal, doch verstand ich -kein Wort von dem was sie sagten. Das verwunderte mich höchlich; es war -mir auch nicht im Traum eingefallen, daß sie eine andere Sprache reden -könnten als Amerikanisch. - -Auch die weichen, wohlklingenden Stimmen der afrikanischen Frauen -erinnerten mich an die Sklavinnen aus meiner Kinderzeit. Ich folgte -einigen bis in den Oranje-Freistaat, das heißt, durch die ganze -Hauptstadt Bloemfontein, nur um den Laut ihrer Stimme und ihr lustiges -Lachen zu hören. - -Auf unsern Eisenbahnfahrten durch das Land hatte ich Gelegenheit -viele Buren zu sehen, die auf dem einsamen Veld leben. Eines Tages -stiegen in einem Dorf hundert zusammen aus der dritten Klasse, um sich -auf der Station gütlich zu tun. Ihr Anzug interessierte mich. Etwas -so Häßliches an Form und unharmonischer Zusammenstellung der Farben -war mir noch nicht vorgekommen. Der Anblick regte mich in seiner Art -fast ebenso auf, wie das Schauspiel, welches mir die geschmackvollen -Trachten und schönen glänzenden Gewänder auf den indischen Stationen -bereitet hatten. Ein Mann trug Beinkleider aus geripptem Baumwollzeug -von dem abscheulichsten verschossenen Gelbbraun, das ich je gesehen -habe, und sie waren obendrein neu, die Farbe war absichtlich -gewählt, nicht durch irgend ein Mißgeschick entstanden. Ein langer, -vierschrötiger Lümmel hatte einen zerknitterten grauen Schlapphut mit -breiter Krempe auf dem Kopf, rosinfarbene Hosen und einen scheußlichen, -nagelneuen Tuchrock, der mit seinen wellenförmigen, breiten gelben -und braunen Streifen ein Tigerfell nachahmen sollte. Nach meiner -Meinung verdiente der Mensch gehängt zu werden; als ich aber den -Stationsvorsteher fragte, ob sich das nicht bewerkstelligen ließe, -verneinte er es auf grobe Weise und mit ganz unnötiger Heftigkeit. Im -Fortgehen murmelte er noch etwas in den Bart, das wie ›Esel‹ klang; -auch lenkte er die öffentliche Aufmerksamkeit auf mich und man zeigte -mit Fingern nach mir. Das hat man davon, wenn man versucht etwas Gutes -zu tun, es ist der Lohn der Welt! - -An jenem Tage erzählte mir ein Mitreisender im Zuge noch allerlei von -den Buren. Er sagte, daß sie früh aufstehen und ihre Schwarzen an die -Arbeit treiben (sie müssen die Herden draußen auf der Weide hüten), -dann setzen sie sich hin um zu essen, zu rauchen und zu schlafen; gegen -Abend überwachen sie das Melken u. dgl., essen, rauchen und schlafen -wieder, und gehen bei Dunkelwerden wieder zu Bett in den wohlriechenden -Kleidern, die sie den ganzen Tag über und an jedem Werktag seit Jahren -getragen haben. Auch von ihrer bekannten Gastfreiheit wußte er ein -Beispiel zu berichten: Einmal machte ein hochwürdiger Bischof von Amts -wegen eine Reise durch den Veld, wo es keine Gasthäuser gibt. Zur Nacht -kehrte er bei einem Buren ein, und als das Abendessen vorüber war, wies -man ihm sein Bett an. Er war müde und angegriffen von seinem Tagewerk, -kleidete sich aus und lag bald in tiefem Schlaf. In der Nacht ward ihm -so eng und beklommen zu Mute, daß er erwachte; da sah er den alten -Buren und seine dicke Frau rechts und links von ihm im Bett liegen; sie -hatten alle ihre Kleider anbehalten und schnarchten laut. Ihm blieb -nichts übrig als sich still zu verhalten und sein Geschick zu ertragen; -er quälte sich wachend bis zur Morgendämmerung, dann schlummerte er -noch ein Stündchen ein. Als er die Augen wieder aufschlug, war der alte -Bur fort, aber die Frau lag noch an seiner Seite. - - - - -Dreiundzwanzigstes Kapitel. - - Es gibt keinen Breitegrad auf der ganzen Erdkugel, der sich - nicht einbildet, daß er eigentlich von Rechts wegen der - Aequator sein solle. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Unter den Naturerscheinungen von Südafrika interessierte mich -- -nächst Mr. Rhodes -- der Diamantkrater am meisten. Die Goldfelder im -›Rand‹ sind von erstaunlicher Größe; keine Goldgrube der Welt kann -sich neben ihnen blicken lassen, aber, wie gesagt, den Betrieb kannte -ich schon. Auch der Veld macht einen gewaltigen Eindruck, doch ist er -im Grunde nur eine edlere, schönere Abart unserer großen Prairie. Die -Eingeborenen boten mir viel Anziehendes aber wenig Neues, und in den -Städten fand ich mich meist von Anfang an ohne Führer zurecht, denn -ich kannte die Straßen auswendig, da ich sie unter andern Namen in den -Städten anderer Länder genau so gesehen hatte. Nur die Diamantgruben -waren für mich eine vollständige Neuheit, die mich ganz und gar -gefangen nahm. Es leben nur wenige Leute, die den Diamanten in seiner -Heimat besucht haben. Gold findet man an zahlreichen Orten, aber -der Diamant ist nur an drei oder vier Stellen in der Welt heimisch; -es lohnt wohl der Mühe um den Erdball zu segeln, wenn man dafür die -kostbarste und auserlesenste Seltenheit aus der Schatzkammer der Natur -zu sehen bekommt. - -Die Diamantlager bei Kimberley wurden im Jahre 1869 entdeckt; in -Anbetracht der besonderen Umstände muß man sich nur verwundern, daß die -Afrikaner sie nicht schon seit fünftausend Jahren kennen und ausbeuten. -Man fand die ersten Diamanten offen auf der Oberfläche liegen; sie -waren glatt und durchsichtig und schienen Feuer zu speien, wenn die -Sonne sie bestrahlte. Hätte man nicht meinen sollen, der Wilde würde -sie jederzeit höher geschätzt haben als alles andere auf der Welt, -mit Ausnahme von Glasperlen? -- Seit zwei oder drei Jahrhunderten -haben wir ihm sein Land, sein Vieh, seinen Nachbar und alles was -er sonst noch zu verkaufen hatte, für Glasperlen abgehandelt. Es -ist daher höchst verwunderlich, daß er sich den Diamanten gegenüber -so gleichgültig verhalten hat; denn er muß sie, ohne Zweifel, -unzähligemale aufgelesen haben. Daß die Afrikaner nicht versuchten -sie an die Weißen zu verkaufen, ist sehr natürlich, denn die Weißen -besaßen ja schon Glasperlen von viel gefälligerer Form in Hülle und -Fülle. Aber die ärmeren Schwarzen, deren Mittel ihnen nicht erlaubten -sich mit wirklichem Glas zu schmücken, hätten sich doch damit begnügen -können die glitzernden Dinger zu tragen; sie wären dem weißen Händler -aufgefallen, er hätte eine Probe mit nach Hause genommen und nachdem -ihre Natur erkannt worden war, würden die Glücksjäger scharenweise nach -Afrika geströmt sein. Die Weltgeschichte ist manchmal recht sonderbar, -eines ihrer seltsamsten Vorkommnisse ist aber ohne Frage, daß man die -Diamanten Jahrhunderte lang auf der Erde funkeln ließ, ohne daß sich -irgend ein Mensch darum kümmerte. - -Durch einen Zufall wurde die Wahrheit endlich offenbar: In einer -Burenhütte auf der weiten, einsamen Ebene bemerkte ein fremder -Reisender, daß ein Kind mit einem glänzenden Gegenstand spielte. Man -sagte ihm, es sei ein Glasstückchen, das auf dem Veld gefunden worden -wäre. Er kaufte es für eine Kleinigkeit, nahm es mit, und da er kein -ehrlicher Mann war, machte er einem anderen Fremdling weiß, es sei ein -Diamant. Er ließ sich 125 Dollars dafür bezahlen und war so vergnügt -über den ungerechten Handel, als ob er ein gutes Werk getan hätte. In -Paris verkaufte der betrogene Fremde das vermeintliche Glasstück für -10000 Dollars an einen Pfandverleiher; dieser ließ sich dafür von einer -Gräfin 90000 Dollars zahlen; die Gräfin verkaufte es einem Bierbrauer -für 800000 Dollars, der Bierbrauer ließ sich dafür vom König ein -Herzogtum und einen Stammbaum verleihen und der König verpfändete den -Diamanten. So hat sich die Sache in Wirklichkeit zugetragen. - -Die Kunde von der großen Entdeckung verbreitete sich mit -Blitzesschnelle und das südafrikanische Diamantenfieber brach aus. -Jener erste Reisende, der so unehrlich war, erinnerte sich auf einmal, -daß er gesehen hatte, wie ein Fuhrmann auf steilem Wege sein Wagenrad -mit einem Diamanten gehemmt hatte, der so groß war wie ein Kinderkopf. -Sofort gab er alle andern Geschäfte auf und zog aus, um jenen Diamanten -zu suchen. Dabei hatte er jedoch keineswegs die Absicht, irgend jemand -wieder um 125 Dollars zu betrügen, denn er war unterdessen in sich -gegangen. - -Wir wollen die Sache nun von ihrer lehrreichen Seite betrachten: -Die Diamanten liegen nicht in fünfzig Meilen langen Felsschichten -eingebettet, wie das Johannesburger Gold, sondern sie verteilen sich in -den Schuttmassen, welche, wenn man so sagen will, den Schacht eines -scharf abgegrenzten Brunnens ausfüllen; außerhalb der Brunnenwände -finden sich keine Diamanten. Dieser Schacht ist nichts anderes als ein -großer Krater, dessen Oberfläche mit Gras überwachsen ist und sich auf -keine Weise von der Ebene ringsumher unterscheidet. Das Weideland über -dem Diamantenkrater von Kimberley war groß genug, um einer Kuh Nahrung -zu geben, und von der Weide, die im Innern verborgen war, hätte sich -ein Königreich satt essen können. Aber die Kuh wußte nichts davon und -verscherzte ihr Glück. - -Der Kimberley-Krater hat einen solchen Umfang, daß das römische -Kolosseum Platz darin fände; wie weit sich die Einsenkung in die -Tiefe erstreckt, weiß niemand, denn man ist noch nicht bis zum Boden -des Kraters gekommen. Ursprünglich war das ganze senkrechte Loch mit -einer festen, bläulichen Masse von vulkanischem Tuffstein angefüllt, -in welcher sich die Diamanten verteilen gleich den Rosinen in einem -Pudding. So tief wie sich das blaue Gestein in das Erdinnere erstreckt, -wird man auch Diamanten darin finden. - -In der Nähe gibt es noch drei oder vier berühmte Krater, alle in -einem Umkreis von kaum drei Meilen Durchmesser. Sie gehören der De -Beers-Gesellschaft, die vor zwölf oder vierzehn Jahren von Mr. Rhodes -gegründet wurde. Auch noch andere Krater, die zur Zeit das Gras -bedeckt, sind Eigentum der De Beers, welche genau wissen, wo sie liegen -und sie eines schönen Tages öffnen werden, wenn die Gelegenheit günstig -ist. - -Anfänglich waren die Diamantenlager im Besitz des Oranje-Freistaats; -aber durch eine wohlüberlegte ›Berichtigung‹ der Grenzlinie wurden -sie der Kapkolonie einverleibt und kamen unter britische Herrschaft. -Ein hoher Beamter des Freistaats sagte mir, man habe der Republik -400000 Dollars Entschädigung, Schmerzensgeld, oder wie man es nennen -will, ausgezahlt, und nach seiner Meinung hätte die Regierung klug -daran getan, die Summe anzunehmen und jeden Streit zu vermeiden, da -alle Macht auf der einen und alle Schwäche auf der anderen Seite war. -Jetzt gräbt die De Beers-Gesellschaft wöchentlich Diamanten im Wert von -400000 Dollars aus. Das Kapland hat zwar den Grund und Boden erhalten, -aber nicht den Gewinn, denn die Gruben sind, wie gesagt, Eigentum von -Mr. Rhodes, den Rothschilds und anderen De Beers-Leuten, die keine -Abgaben bezahlen. - -Heutzutage stehen die Gruben unter Leitung der fähigsten -amerikanischen Grubeningenieure und werden nach wissenschaftlichen -Grundsätzen ausgebeutet. Großartige Maschinen sind in Tätigkeit, -um das blaue Gestein zu zerkleinern, aufzuweichen und solange zu -bearbeiten, bis jeder Diamant, den es enthält, aufgefunden und in -Sicherheit gebracht worden ist. Ich sah den ›Konzentratoren‹ bei ihrer -Arbeit zu; sie standen vor großen Behältern voll Schlamm, Wasser -und unsichtbaren Diamanten, und man sagte mir, daß ein Mann täglich -dreihundert Wagenladungen aufgeweichtes Gestein -- zu 1600 Pfund die -Ladung -- durchrühren, auspumpen, zubereiten und in drei Wagenladungen -Schlamm umwandeln könne. Man brachte in meinem Beisein die drei -Wagenladungen Schlamm auf die Siebsetzmaschine, welche sie auf eine -Viertelladung reinen, dunkelfarbigen Sandes reduzierte. Dann ging es -zu den Sortier-Tischen, wo ich sah, wie die Arbeiter den Sand rasch -und geschickt ausbreiteten, ihn hin- und herfegten und jeden Diamanten -herausnahmen, den sie aufblitzen sahen. Ich beteiligte mich eine -Weile daran und fand einen Diamanten, der halb so groß war wie eine -Mandel. Dies Fischen ist sehr aufregend; mich durchbebte jedesmal -ein Freudenschauer, wenn ich einen der funkelnden Steine aus dem -dunkeln Sand hervorglänzen sah. Könnte ich mir doch dann und wann zum -Festtagsspaß diesen Zeitvertreib machen! - -Natürlich fehlt es dabei auch nicht an Enttäuschungen. Zuweilen findet -man einen Diamanten, der keiner ist, sondern nur ein Stück Bergkrystall -oder ein ähnlich wertloses Ding. Der Sachverständige unterscheidet es -meist von dem Edelstein, den es nachäffen will. Im Zweifelfall legt er -es auf eine Eisenplatte und schlägt mit dem Schmiedehammer darauf. Ist -es ein Diamant, so bleibt es heil und ganz, alles andere wird zu Pulver -zermalmt. Diese Probe gefiel mir so sehr, daß ich immer wieder mit -Vergnügen zusah, wie oft sie auch vorgenommen wurde. Man setzt dabei -nichts aufs Spiel, und die Spannung ist ein großer Genuß. - -Die De Beers-Gesellschaft läßt täglich 8000 Wagenladungen -- etwa 6000 -Tonnen -- blaues Gestein verarbeiten und gewinnt daraus drei Pfund -Diamanten, die in rohem Zustand einen Wert von 50000 bis 70000 Dollars -haben. Nachdem sie geschliffen sind, wiegen sie weniger als ein Pfund, -ihr Wert ist aber vier- bis fünfmal größer als vorher. - -Die ganze Ebene in jener Gegend ist einen Fuß hoch mit dem blauen -Gestein bedeckt, so daß sie aussieht wie ein gepflügtes Feld. Die -Gesellschaft läßt die Stücke ausbreiten, um sie längere Zeit der Luft -auszusetzen, weil sie dann leichter zu bearbeiten sind, als wenn sie -unmittelbar aus der Grube kommen. Würde der Betrieb jetzt eingestellt, -so könnte man von dem Gestein, das dort auf dem Felde liegt, noch drei -Jahre lang täglich 8000 Wagenladungen nach den Sortierwerken bringen. -Die Felder sind eingezäunt, sie werden bewacht und nachts durch hohe -elektrische Scheinwerfer beleuchtet, was sehr zweckmäßig ist, da dort -Diamanten im Wert von fünfzig bis sechzig Millionen Dollars liegen und -an unternehmungslustigen Dieben kein Mangel herrscht. - -Auch im Schmutz der Straßen von Kimberley sind Reichtümer verborgen. -Vor einiger Zeit erteilte man den Bewohnern unbeschränkte Erlaubnis sie -aufzuwaschen. Von allen Seiten strömten Leute herbei, die Arbeit wurde -sehr gründlich verrichtet und eine reichliche Diamanternte gehalten. - -Die Grubenarbeiter sind Eingeborene, die zu vielen Hunderten in Hütten -wohnen, welche innerhalb eines großen, umzäunten Hofes stehen. Es -ist ein lustiges, gutmütiges Volk und sehr gefällig; der Kriegstanz, -den sie vor uns aufführten, war das wildeste Schauspiel, das ich je -gesehen habe. Während ihrer Dienstzeit, welche, wenn ich nicht irre, in -der Regel drei Monate dauert, dürfen sie den Hof nicht verlassen. Sie -steigen in den Schacht hinunter, tun ihre Arbeit, kommen wieder herauf, -werden durchsucht und gehen zu Bett oder machen sich irgendwo eine -Kurzweil auf dem Hofe. Das ist ihr Lebenslauf, tagaus, tagein. - -Man glaubt, daß es ihnen jetzt nur selten gelingt, Diamanten zu -stehlen. Früher verschluckten sie dieselben oder erfanden andere -Methoden sie zu verbergen. Aber der Weiße läßt sich jetzt schwer -überlisten. Ein Mann schnitt sich sogar ins Bein und versteckte einen -Diamanten in der Wunde, doch selbst dieser Kunstgriff schlug fehl. Wenn -die Leute einen schönen, großen Diamanten finden, liefern sie ihn im -allgemeinen lieber ab, statt ihn zu stehlen. Im erstern Falle erhalten -sie eine Belohnung, im letzteren kommen sie höchstwahrscheinlich -in Ungelegenheiten. Vor einigen Jahren fand ein Schwarzer in einer -Grube, die nicht den De Beers gehörte, den Diamanten, von welchem man -sagt, er sei der größte, den die Welt je gesehen habe. Zum Lohn dafür -wurde er vom Dienst befreit, erhielt eine wollene Decke, ein Pferd -und 500 Dollars. Das machte ihn zu einem Krösus; er konnte sich vier -Weiber kaufen und behielt noch Geld übrig. Ein Eingeborener, der vier -Weiber hat, braucht nicht mehr für seinen Unterhalt zu sorgen und keine -Hand zur Arbeit zu rühren, er ist ein vollkommen unabhängiger Mensch. - -Jener Riesen-Diamant wiegt 971 Karat. Er soll so groß sein, wie ein -Stück Alaun oder wie ein Mundvoll Zuckerkant, manche behaupten sogar, -wie ein Klumpen Eis. Aber diese Angaben schienen mir unwichtig und -obendrein unzuverlässig. Der Diamant hat einen Fehler im Innern, -sonst würde er von völlig unerschwinglichem Werte sein. So wie er -ist, schätzt man ihn auf 2000000 Dollars, folglich müßte er nach dem -Schleifen 5000000 bis 8000000 Dollars kosten; wer den Diamanten jetzt -kauft, kann also viel Geld ersparen. Er ist Eigentum eines Syndikats -und hat bisher keinen zahlungsfähigen Käufer gefunden, so ist er denn -ein totes Kapital, bringt nichts ein und hat, außer dem glücklichen -Finder, noch niemand reich gemacht. - -Der Eingeborene fand ihn in einer Grube, welche im Kontrakt bearbeitet -wurde. Das heißt, eine Gesellschaft hatte sich für eine bestimmte Summe -und eine Abgabe vom Ertrag das Vorrecht erkauft, 5000000 Wagenladungen -blaues Gestein aus der Grube zu holen. Bei der Spekulation war kein -Gewinn erzielt worden; doch gerade am Tage, ehe der Kontrakt ablief, -kam der Schwarze mit dem Diamanten angegangen. Auch die Diamantenfelder -sind nicht arm an überraschenden Episoden, wie man sieht. - -Zwar wird der bekannte Koh-i-Noor mit Recht wegen seiner Größe und -Kostbarkeit gepriesen, doch kann er sich nicht mit drei andern -Diamanten messen, die zu den Kronjuwelen von Portugal und Rußland -gehören sollen, und von denen einer den Wert von 20000000 Dollars hat, -während der zweite auf 25000000 Dollars geschätzt wird und der dritte -auf 28000000 Dollars. - -Das sind in der Tat wunderbare Diamanten -- mögen sie der Sage -angehören oder der Wirklichkeit -- aber der Edelstein, mit welchem -jener Fuhrmann, von dem ich oben sprach, auf dem steilen Weg seinen -Wagen gehemmt hat, war doch noch viel größer. In Kimberley traf ich mit -dem Manne zusammen, der vor achtundzwanzig Jahren selbst mit angesehen -hatte, wie der Bur den Diamanten unter das Wagenrad schob. Als er -mir versicherte, der Stein sei eine Billion Dollars wert, wenn nicht -darüber, glaubte ich es ihm aufs Wort. Der Mann hat siebenundzwanzig -Jahre seines Lebens darauf verwendet nach dem Diamanten zu suchen und -wird wohl seiner Sache gewiß sein. - -Wer sich das langwierige, mühevolle und kostspielige Verfahren -angesehen hat, durch welches die Diamanten aus der Tiefe der Erde -ans Licht gefördert und von den Schlacken befreit werden, die sie -einschließen, der sollte zum Schluß nicht verfehlen, dem Bureau -der De Beers in Kimberley einen Besuch abzustatten, wo täglich der -Ertrag der Gruben abgeliefert, gewogen, sortiert, geschätzt und bis -zum Einschiffen in eisernen Schränken verwahrt wird. Ohne besondere -Empfehlungen erhält niemand Einlaß an diesem Ort, und aus den -zahlreichen Warnungstafeln und Schutzvorrichtungen, die allenthalben -angebracht sind, können selbst bekannte und gutempfohlene Personen -leicht ersehen, daß sie keine Diamanten stehlen dürfen, wenn sie sich -nicht Unannehmlichkeiten aussetzen wollen. - -Wir sahen die Ausbeute jenes Tages in glänzenden kleinen Häufchen auf -weißen Papierbogen liegen. Zwischen den einzelnen Diamanthäufchen -war auf dem Tisch immer ein Fußbreit Raum gelassen. Der Tagesertrag -stellte einen Wert von 70000 Dollars dar. Im Lauf eines Jahres kommen -dort auf die Wage etwa eine halbe Tonne Diamanten, welche achtzehn -bis zwanzig Millionen Dollars einbringen; der Profit beträgt ungefähr -12000000 Dollars. - -Das Sortieren wird von jungen Mädchen besorgt; es ist eine hübsche, -reinliche, nette, aber vermutlich recht qualvolle Arbeit. Täglich -lassen die Mädchen reiche Schätze auf der Hand funkeln und durch die -Finger gleiten und gehen doch abends so arm zu Bette, wie sie morgens -aufgestanden sind, und das einen Tag wie alle Tage. - -Auch in ihrem Urzustand sind die Diamanten wunderhübsch anzusehen; -sie haben verschiedene Formen, eine glatte Oberfläche und abgerundete -Ränder, niemals scharfe Ecken. Es gibt Diamanten in allen Farben und -Schattierungen, vom klarsten Weiß des Tautropfens bis zum wirklichen -Schwarz; die meisten sind hell und strohfarben. Wenn sie so glatt -und rund, so durchsichtig und schillernd daliegen, meint man einen -Haufen Fruchtbonbons zu sehen. Mir schien, als müßten diese rohen -Edelsteine weit schöner sein als geschliffene. Erst als eine Sammlung -geschliffener Diamanten hereingebracht wurde, erkannte ich meinen -Irrtum. Einem Rosen-Diamanten mit natürlichem Farbenspiel läßt sich -an Schönheit nichts vergleichen, außer ein Ding, das ganz und gar -nicht kostbar ist und ihm doch täuschend ähnlich sieht. Das ist vom -Sonnenlicht durchglühtes Meerwasser, dessen Wellen den weißen Ufersand -bespülen. - - * * * * * - -Noch vor Mitte Juli kamen wir nach Kapstadt, dem Endpunkt unserer -Reise in Afrika. Nun waren wir ganz befriedigt, denn als wir den hohen -Tafelberg über uns thronen sahen, wußten wir, daß wir alle großen -südafrikanischen Sehenswürdigkeiten in Augenschein genommen hatten, -außer Cecil Rhodes. -- Ich weiß wohl, das ist keine unbedeutende -Ausnahme. Denn mag nun Mr. Rhodes der erhabene und verehrungswürdige -Patriot und Staatsmann sein, für welchen ihn viele halten, oder der -Teufel in Menschengestalt, für den ihn die übrige Welt ansieht, -jedenfalls ist er die imposanteste Persönlichkeit im britischen Reich, -außerhalb Englands: Wenn er auf dem Kap der Guten Hoffnung steht, -fällt sein Schatten bis zum Zambesi. Er ist der einzige Kolonist in -den britischen Besitzungen, dessen Kommen und Gehen allerwärts auf der -Erde besprochen und verzeichnet wird, dessen Reden das Kabel unverkürzt -nach allen Enden der Welt entsendet und der einzige Ausländer von nicht -königlichem Geblüt, dessen Ankunft in London ebenso viel Aufsehen -macht, wie eine Sonnenfinsternis. - -Daß er kein Findelkind des Glückes, sondern ein außerordentlicher -Mensch ist, leugnen auch seine liebsten südafrikanischen Feinde nicht, -soweit mir ihr Zeugnis bekannt ist. Die ganze Welt Südafrikas -- Freund -wie Feind -- sieht mit ehrfurchtsvollem Schauer zu ihm empor. Dem einen -Teil erscheint er als Bote Gottes, dem andern als ein Abgesandter -des Satans; das Volk ist sein Eigentum, mit einem Hauch kann er es -beglücken oder ins Verderben stürzen; viele beten ihn an, viele -verabscheuen ihn, aber kein kluger Mann wagt ihm zu fluchen, und selbst -die Unvorsichtigen tun es nur in leisem Flüsterton. - -Was verschafft ihm aber diese gefürchtete Oberhoheit? Ist es sein -ungeheuerer Reichtum, von dessen Fettöpfen für eine Menge Menschen Lohn -und Unterhalt herabträufeln, was sie zu einem willfährigen Untergebenen -macht? Ist es seine persönliche Anziehungskraft und Ueberredungskunst, -mit der er alles hypnotisiert, was in den Bannkreis seines Einflusses -gerät? Sind es seine majestätischen Gedanken und Riesenpläne für -die Machterweiterung des britischen Reiches, sein patriotischer und -selbstloser Ehrgeiz? Will er den segensreichen Schutz und die gerechte -Herrschaft Englands über die weiten Länder des heidnischen Afrikas -ausbreiten, damit der dunkle Erdteil vom Ruhme des britischen Namens -wiederstrahlt? Oder beansprucht er die Erde als sein Eigentum und -halten seine Freunde so standhaft an ihm fest, weil sie glauben, er -wird sie bekommen und auch ihnen etwas abgeben? -- Was auch immer des -Rätsels Lösung ist, das Endresultat bleibt dasselbe. - -Jedenfalls steht die Tatsache fest, daß Rhodes tun kann was er will, -ohne seine Herrschaft und seinen ungeheuern Anhang zu verlieren. Der -Herzog von Fife sagt selbst, ›er habe ihn betrogen‹, doch läßt sich -der Herzog in seiner Ergebenheit dadurch nicht irre machen. Rhodes -bringt die Reformpartei durch seinen Einfall in Transvaal in große -Not, aber die meisten glauben, er habe es gut gemeint. Er beklagt -die schwerbesteuerten Johannesburger und macht sie sich zu Freunden; -gleichzeitig verlangt er von seinen Ansiedlern in Rhodesia fünfzig -Prozent und sichert sich dadurch ihr Vertrauen und ihre Zuneigung in -solchem Maße, daß sie in Verzweiflung geraten, sobald sich nur das -Gerücht verbreitet, die Chartered Company solle aufgelöst werden. -Er fällt ins Land der Matabele ein, die er beraubt, erschlägt, und -sich dienstbar macht; dafür wird er von allen Charter-Christen mit -Lobsprüchen überhäuft. Er hat die Briten verführt, tonnenweise -wertlose Charter-Papiere für Noten der Bank von England zu kaufen, -und doch streuen ihm die Beraubten Weihrauch, als dem Gott künftigen -Ueberflusses. Er hat alles getan, was sich irgend tun ließ, um seinen -Sturz vorzubereiten; ein Dutzend großer Männer wären an seiner Stelle -sicherlich zu Fall gekommen. Er aber steht bis zum heutigen Tage auf -seiner schwindelnden Höhe unter dem Himmelsdom, als ein Wunder seiner -Zeit, als das Geheimnis des Jahrhunderts; die eine Hälfte der Welt -hält ihn für einen geflügelten Erzengel und die andere für einen -geschwänzten Teufel. - -Ich bewundere ihn sehr, das gestehe ich ganz offen, und wenn seine Zeit -kommt, will ich mir ein Ende von seinem hanfenen Strick zum Andenken -kaufen. - - - - -Vierundzwanzigstes Kapitel. - - Ich bin mehr gereist als irgend ein Mensch und habe die - Entdeckung gemacht, daß selbst die Engel kein reines - Englisch sprechen. - - _Querkopf Wilsons Kalender._ - - -Den majestätischen Tafelberg habe ich jedenfalls gesehen. Er ist 3000 -Fuß hoch; hat aber auch eine Höhe von 17000 Fuß. Man kann sich auf -diese Zahlen verlassen, denn ich weiß sie aus dem Munde der zwei -Bürger von Kapstadt, welche am besten darüber unterrichtet sind, -weil sie sich das Studium des Tafelbergs zum Lebensberuf gemacht -haben. Die Tafelbai wird so genannt, weil sie ganz eben ist. Das -Schloß des kommandierenden Generals ist vor dreihundert Jahren von -der Holländisch-Ostindischen Kompagnie erbaut worden. Auch die St. -Simons-Bai habe ich gesehen, wo der Admiral wohnt, ferner war ich -im Gouvernements-Haus und im Parlament, wo sich die Abgeordneten in -zwei Sprachen stritten und sich in keiner verständigten. Ich besuchte -den Klub und fuhr auf den schönen, gewundenen Straßen, die sich am -Meeresufer und an den Bergen entlang ziehen, durch das Paradies, wo die -Villen liegen. Auch in den hübschen alten holländischen Wohnhäusern aus -früherer Zeit, die noch jetzt so behaglich sind, verweilte ich als Gast. - - * * * * * - -Am 15. Juli traten wir in dem ›Norman‹, einem prächtigen, trefflich -ausgestatteten Schiff, die Rückfahrt nach England an, die kaum vierzehn -Tage währte, und bei der wir uns nur in Madeira aufhielten. Eine solche -Reise ist wie zum Ausruhen geschaffen für müde Leute, und deren hatten -wir viele an Bord. Mir war zu Mute, als hätte ich statt ein Jahr lang, -Jahrhunderte lang Vorlesungen gehalten, und die meisten Johannesburger -auf unserm Schiff waren noch sehr angegriffen von ihrer fünfmonatlichen -Einkerkerung im Gefängnis zu Prätoria. - -Unsere Reise um die Erde endigte am Landungsplatz von Southampton, -wo sie vor dreizehn Monaten begonnen hatte. Eine Weltumsegelung in -so kurzer Zeit schien mir eine schöne und große Tat, auf die ich mir -heimlich nicht wenig einbildete. Aber nur einen Augenblick. Dann -kam ein astronomischer Bericht von der Sternwarte und verdarb mir -die ganze Freude: In der fernsten Ferne des Himmelsraumes war erst -kürzlich ein neuer großer Weltkörper aufgetaucht, dessen Licht mit -solcher Schnelligkeit reiste, daß es in ¹/₇ Sekunde die ganze Strecke -durchmessen könnte, die ich zurückgelegt hatte. -- Des Menschen Stolz -verlohnt sich nicht der Mühe; immer lauert etwas im Hinterhalt, das ihn -zu Falle bringt. - -[Illustration] - - - - - Die folgenden Ankündigungen des Verlags - werden gefl. Beachtung empfohlen. - - - - -Verlag von =Robert Lutz= in =Stuttgart=. - - - =Bismarck-Anekdoten.= Heitere Szenen, Scherze und Charakterzüge - aus dem Leben des ersten deutschen Reichskanzlers. - Bearbeitet von =Fr. Schmidt-Hennigker=. 4. vermehrte Aufl. - 239 S. Preis geh. M. 2.50 eleg. i. L. geb. M. 3.50. - -Das Buch enthält eine Fülle von Anekdoten, angefangen mit Bismarcks -frühester Jugend und fortgeführt bis an seinen Lebensabend, und fesselt -den Leser von Anfang bis zu Ende. Der Charakter des großen Deutschen -Bismarck kann dem Leser nicht besser offenbart oder näher gerückt -werden als durch diese zahlreichen kleinen Züge. - - - =Humor Friedrichs des Großen.= Anekdoten, heitere Szenen und - charakteristische Züge aus dem Leben König Friedrichs II. - Bearb. von =Fr. Schmidt-Hennigker=. 5. vermehrte Aufl. - 192 S. Preis geh. M. 2.--, eleg. i. L. geb. M. 3.--. - - - =Marokkanische Geschichten= v. =A. J. Dawson=. Autoris. - Uebersetzung von =Hans Lindner=. 2 Bände ~à~ M. 2.50 - brosch., M. 3.50 eleg. geb. -- Jeder Band einzeln käuflich. - -Das =Berliner Tageblatt= schreibt: »Diese Geschichten tragen den -Stempel der Wahrheit und die echte maurische Farbe. Man liest da von -schrecklichen Kerkern, von barbarischen Zuständen, kulturfeindlichen -Sitten, seltsamen Menschenschicksalen, von fanatischen Anschauungen, -und innerhalb dieser Bücher tauchen stolze Rassefiguren auf, verwegene -Scheikhs, opfermutige Mädchen mit glutvollen Augen und hingebender -Liebe, heißblütige Haremsdamen und fanatische Muselmänner. Alles, -was diesem halbzivilisierten Volke seine Physiognomie gibt, bildet -in diesem Buche die Steine zu einem charakteristischen Kulturbilde -im farbenprächtigen Rahmen einer vom Sonnenlicht umflossenen -Orientlandschaft.« - - -Bret Harte’s - -Ausgewählte Erzählungen. - -In 4 Oktavbänden ~à~ M. 2.-- brosch., M. 3.-- eleg. geb. - -Jeder Band einzeln käuflich. - -=Inhalt=: Bd. I. =Drei Teilhaber.= Roman. -- Bd. II. =Jack Hamlin als -Vermittler= u. a. Erz. -- Bd. III. =Das jüngste Fräulein Piper= u. -a. Erz. -- Bd. IV. =Das Licht im Felsenkessel= nebst einigen kleinen -Geschichten. - -Bret Harte ist neben Mark Twain in Europa der beliebteste und -gelesenste Schriftsteller Amerikas. Er ist unerschöpflich in der -Kunst, dem fernen Westen Amerikas eigentümliche Charakterfiguren und -originelle Handlungen zu schaffen. Die Sammlung bringt eine Auswahl -seiner besten Erzählungen der neueren Zeit und zumeist solche, die =zum -erstenmale in deutscher Sprache= erscheinen. Bd. 3 und 4 befinden sich -in Vorbereitung. - - -=Trilby.= Roman von =G. du Maurier=. - -Deutsche Ausgabe. =11. Aufl.= Brosch. M. 4.50 geb. m. G. M. 5.50. - -Der Roman ist von internationaler Berühmtheit und hat namentlich auch -in Deutschland einen großen Leserkreis gefunden. Der Reiz des Buches -liegt nicht in dem Hypnotismus, der darin eine gewisse Bedeutung -erlangt, sondern in der Herzlichkeit und Gemütlichkeit der Erzählung, -die das menschliche Interesse in hohem Grade fesselt. Wir lachen und -weinen in einer Gesellschaft interessanter und meist liebenswürdiger -Menschen, welche sich um die Gestalt der seelenvollen Trilby -gruppieren. - - -Bekenntnisse eines Arztes. - -Von =W. Weressájew=. - -Einzige vom Verfasser genehmigte Uebersetzung von =Heinr. Johannson=. - -286 Seiten, nebst Porträt des Verfassers. - -=Preis geh. M. 2.--, in Leinwand geb. M. 3.--=, - --- 3. Auflage. (6. u. 7. Tausend.) -- - -Peter Rosegger schreibt: - -»=Wieder einmal ein Buch, das in der ganzen zivilisierten Welt Aufsehen -macht. Und mit Recht, es ist eines der ernstesten, redlichsten -und nützlichsten Werke, die je geschrieben wurden.= Der Verfasser -erzählt mit erschütterndem Freimut seine Erfahrungen als Arzt, seine -Enttäuschungen, seine Mißerfolge, seine Verzweiflung an der Medizin -und -- seine Hoffnung auf sie. Seitdem ich dieses Buch las, steht -der ärztliche Beruf in meinen Augen größer da. Weressájew, der junge -russische Arzt, gesteht ein, wie unendlich gering sein Können ist -trotz unermüdlicher Studien und Forschungen, wie wenigen er geholfen, -wie viele er durch sein Irren geschädigt, getötet hat! Und doch -möchte ich gerade diesen Weressájew zu meinem Arzt wählen. Wenn alle -Aerzte so wären wie der Verfasser dieses Buches, so gewissenhaft und -so aufrichtig, dann würde der ärztliche Stand bei allen vernünftigen -Leuten höher dastehen als jetzt. - -Der Verfasser der »Bekenntnisse eines Arztes« ist -- das sieht man auf -jeder Seite -- =ein ganzer, ein guter und treuer Mensch. Aber er ist -auch ein großer Schriftsteller. Sein Buch ist glänzend geschrieben.= Es -hat in kurzer Zeit ungeheure Verbreitung erlangt, die es verdient.« - - -Sherlock Holmes-Serie - -Gesammelte Detektivgeschichten - -von - -Conan Doyle - -Illustriert von Rich. Gutschmidt und anderen. - -=Vollständig in 6 Bänden= (ca. 1800 Seiten). - -=Preis brosch. M. 12.--, in Lwd. geb. M. 18.--= bei Bezug auf einmal; -der einzelne Band kostet brosch. M. 2.25, in Lwd. geb. M. 3.25. - -Die Ausgabe bringt folgende Werke: - - I. Späte Rache. - - II. Das Zeichen der Vier. - - III. Der Bund der Rothaarigen u. A. - - IV. Das getupfte Band u. A. - - V. Fünf Apfelsinenkerne u. A. - - VI. Der Hund von Baskerville. - -_Jeder Leser_, auch der gebildetste und anspruchsvollste, wird an -diesen _ausserordentlich fesselnden Geschichten_ grossen Gefallen -finden und den scharfsinnigen Beobachtungen und Schlussfolgerungen -Sherlock Holmes’ seine Bewunderung zollen. Wer einmal eine dieser -spannenden Erzählungen gelesen hat, der kann es sich nicht versagen, -auch die andern kennen zu lernen. - - - - -Mark Twains - -Ausgew. humoristische Schriften. - - -Inhalt: - - Bd. I. =Tom Sawyers Streiche und Abenteuer.= - - Bd. II. =Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn.= - - Bd. III. =Skizzenbuch.= - - Bd. IV. { =Leben auf dem Mississippi.= - { =Nach dem fernen Westen.= - - Bd. V. =Im Gold- und Silberland.= - - Bd. VI. =Reisebilder u. verschiedene Skizzen.= - -Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden. - -Preis aller 6 Bände, zusammen bezogen, M. 13.50 gebunden. - - -Neue Folge: - - Bd. I. =Tom Sawyers _Neue_ Abenteuer.= - - Bd. II. =Querkopf Wilson.= - - Bd. III./IV. =Meine Reise um die Welt.= 2 Abt. - - Bd. V. =Adams Tagebuch= u. a. Erzähl. - - Bd. VI. =Wie Hadleyburg verderbt wurde= u. a. Erzähl. - -Preis des _einzelnen_ Bandes M. 3.-- gebunden. - -Preis _aller_ 6 Bände, zusammen bezogen, M. 17.-- gebunden. - - - - - Weitere Anmerkungen zur Transkription - - - Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die - Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. - - Korrekturen: - - S. 165: Janesch → Ganesch - Eingang steht ein Bildnis von {Ganesch} - - S. 311: konnte → kannte - denn ich {kannte} die Straßen auswendig - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ZWEITE -ABTEILUNG *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for an eBook, except by following -the terms of the trademark license, including paying royalties for use -of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for -copies of this eBook, complying with the trademark license is very -easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation -of derivative works, reports, performances and research. Project -Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away--you may -do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected -by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. 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Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without -widespread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine-readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our website which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This website includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/old/66673-0.zip b/old/66673-0.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 04b4483..0000000 --- a/old/66673-0.zip +++ /dev/null diff --git a/old/66673-h.zip b/old/66673-h.zip Binary files differdeleted file mode 100644 index 13c5939..0000000 --- a/old/66673-h.zip +++ /dev/null diff --git a/old/66673-h/66673-h.htm b/old/66673-h/66673-h.htm deleted file mode 100644 index fd1e510..0000000 --- a/old/66673-h/66673-h.htm +++ /dev/null @@ -1,9957 +0,0 @@ -<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" - "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> -<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> - <head> - <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8" /> - <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> - <title> - Meine Reise um die Welt – Zweite Abteilung, by Mark Twain—A Project Gutenberg eBook - </title> - <link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> - <style type="text/css"> - -body { - margin-left: 10%; - margin-right: 10%; -} - - h1,h2 { - text-align: center; /* all headings centered */ - clear: both; -} - -.h2 { - font-size: x-large; - font-weight: bold; - text-indent: 0; - text-align: center; -} - -p { - margin-top: .51em; - text-align: justify; - margin-bottom: .49em; - text-indent: 1em; -} - -.p2 {margin-top: 2em;} - -hr { - width: 33%; - margin-top: 2em; - margin-bottom: 2em; - margin-left: 33.5%; - margin-right: 33.5%; - clear: both; -} - -hr.tb {width: 45%; margin-left: 27.5%; margin-right: 27.5%;} -hr.chap {width: 65%; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%;} -@media print { hr.chap {display: none; visibility: hidden;} } - -div.chapter {page-break-before: always;} -h2.nobreak {page-break-before: avoid;} - -table { - margin-left: auto; - margin-right: auto; -} - -.pagenum { - position: absolute; - left: 92%; - font-size: smaller; - text-align: right; - font-style: normal; - font-weight: normal; - font-variant: normal; -} /* page numbers */ - -.epi { - width: 50%; - margin-left: 50%; - margin-right: 0; - text-indent: 0; - font-size: 90%; -} - -.epi p { - text-indent: 0; -} - -.blockquot { - margin-left: 10%; - margin-right: 10%; -} - -.hang p { - margin: 1em; - text-indent: -1em; -} - -.center { - text-align: center; - text-indent: 0; -} - -.right {text-align: right;} - -.larger { - font-size: larger; -} - -.s150 { - font-size: 150%; -} - -.s200 { - font-size: 200%; -} - -.smaller { - font-size: smaller; -} - -.u {text-decoration: underline;} - -.gesperrt { - font-family: serif; - font-style: italic; -} - -.antiqua { - font-style: normal; - font-family: sans-serif, serif; -} - -.gesperrt-antiqua { - font-style: italic; - font-family: sans-serif, serif; -} - -.frac sup { - font-size: 0.7em; - vertical-align: top; -} - -.frac sub { - font-size: 0.7em; - vertical-align: bottom; -} - -/* Images */ - -img { - max-width: 100%; - height: auto; -} - -img.w80 {width: 80%;} -img.w15 {width: 15%;} - -.figcenter { - margin: auto; - text-align: center; - page-break-inside: avoid; - max-width: 100%; -} - -/* Footnotes */ -.footnotes {border: 1px dashed;} - -.footnote {margin-left: 10%; margin-right: 10%; font-size: 0.9em;} - -.footnote .label { - position: absolute; right: 84%; text-align: right; font-size: 0.7em; - vertical-align: top; -} - -.fnanchor { - vertical-align: super; - font-size: .6em; - text-decoration: - none; -} - -/* Transcriber's notes */ -.transnote {background-color: #E6E6FA; - color: black; - font-size:smaller; - padding:0.5em; - margin-bottom:5em; -} - -.transnote p { - text-indent: 0; -} - -.corr p { - margin-left: 2em; - text-indent: -2em; -} - -.drop { - margin-top: 2em; -} - -.drop:first-letter { font-size: 180%; } - -/* Illustration classes */ - </style> - </head> -<body> - -<div style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of Meine Reise um die Welt. 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Zweite Abteilung</p> - -<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Mark Twain</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: November 5, 2021 [eBook #66673]</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div> - -<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net</div> - -<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ZWEITE ABTEILUNG ***</div> - -<div class="transnote"> -<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt. -Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>. -Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so markiert</em>. -</p> -<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich -am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p> -</div> - -<div class="figcenter" id="cover"> - <img class="w80" src="images/cover.jpg" alt="Cover" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="center">Mark Twains</p> - -<p class="center larger">Humoristische Schriften</p> - -<p class="center">Neue Folge. 4. Band -</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<h1><span class="smaller">Meine</span><br /> -Reise um die Welt</h1> - -<p class="center">Von</p> - -<p class="h2">Mark Twain</p> - -<p class="center smaller">Autorisiert</p> - -<p class="center">Zweite Abteilung</p> - -<p class="center smaller">Inhalt:<br /> -Indien. – Südafrika.</p> - -<div class="figcenter" id="signet"> - <img class="w15" src="images/signet.jpg" alt="Signet" /> -</div> - -<p class="center">Stuttgart<br /> -Verlag von Robert Lutz<br /> -1903. -</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="center">Alle Rechte vorbehalten.</p> - -<p class="center p2 smaller">Druck von A. Bonz’ Erben in Stuttgart.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_v">[V]</span></p> -<h2 class="nobreak" id="Inhalt_der_2_Abteilung">Inhalt der 2. Abteilung.</h2> -</div> - -<p class="center p2"><b class="u">Indien.</b></p> - -<p class="center"><a href="#chap01">Kapitel 1–7. Seite 7–103.</a></p> - -<p>Auf der ›Oceana‹ nach Ceylon. – Colombo. – Trachten -und Kleider. – Bombay. – Ein indisches Hotel. – Die indische -Krähe. – Lohnverhältnisse. – Manuel und Satan. – -Der Besuch des Gottes. – Beim Fürsten des Palitanastaats. -– Die Türme des Schweigens. – Eine Dschaina-Gesandtschaft. -– Allerlei Hautfarbe. – Eine Hindu-Hochzeit. – Im -Bahnhof und auf der Eisenbahn. – Beim Gaikowar von -Baroda.</p> - -<p class="center"><a href="#chap08">Kapitel 8–18. Seite 104–256.</a></p> - -<p>Die Thugs. – Von Bombay nach Allahabad. – Die Suttis. -– Major Sleeman und die indische Witwe. – ›Pyjamas‹. – -Indische Dörfer. – Der geduldige Hindu. – Die Messe von -Allahabad. – Ein Bungalow in Benares. – Indische Religionen. -– Wegweiser für die Pilger in Benares. – Das Gangeswasser. -– Der Verbrennungsplatz der Leichen. – Auf der -Moschee. – Der Gott Sri 108 und sein Schüler. – Kalkutta -und das Denkmal von Ochterlony. – Nach Dardschiling im -Himalaja. – Der Bazar der Tibetaner. – Eine Talfahrt<span class="pagenum" id="Seite_vi">[VI]</span> -auf der Draisine. – Raubtiere und Schlangen. – Der indische -Aufstand. – Tadsch Mahal. – Weitere Reise durch Indien. -– Satans Entlassung. – Der Festzug in Jeypore.</p> - -<p class="center"><b class="u">Südafrika.</b></p> - -<p class="center"><a href="#chap19">Kapitel 19–23. Seite 257–330.</a></p> - -<p>Wonne und Erholung auf einer Seefahrt in den Tropen. -– Die Insel Mauritius. – Verwüstungen des Cyklone. – -Europäische Kolonien. – Die Delagoa-Bai. – Im Hafen von -Durban. – Ein Trappistenkloster. – Politische Zustände in -Transvaal. – Die Johannesburger und Jamesons Einfall. – -Südafrikanische Goldfelder. – Die Buren. – Der Diamantkrater -bei Kimberley. – Große Diamanten. – Im Bureau der -De Beers-Gesellschaft. – Cecil Rhodes. – Kapstadt. – Rückfahrt -nach England.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[7]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap01">Erstes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Vergib und vergiß! Das ist nicht -schwer, wenn man’s nur recht versteht: -Wir sollen unbequeme Pflichten -vergessen und uns vergeben, daß -wir sie vergessen haben. Bei strenger -Übung und festem Willen gewöhnt -man sich leicht daran.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop"><em class="gesperrt">Montag, 23. Dezember 1895.</em> Von Sydney -nach Ceylon in dem P. und O. Dampfer ›Oceana‹ -abgesegelt. Die Mannschaft besteht aus Laskaren, -den ersten, die ich je gesehen habe. Sie tragen weißbaumwollene -Unterröcke und Beinkleider, einen roten -Schal als Gürtel; auf dem Kopf einen Strohhut ohne -Krempe; gehen barfuß; Gesichtsfarbe dunkelbraun, -Haar kurz, glatt und schwarz; schöner Schnurrbart, -glänzend, seidenweich und tiefschwarz. Sanfte, gute -Gesichter; willige, gehorsame Leute, auch arbeitstüchtig.<span class="pagenum" id="Seite_8">[8]</span> -Doch sagt man, daß sie in der Stunde der -Gefahr vor Angst völlig den Kopf verlieren. Sie -kommen von Bombay und der benachbarten Küste.</p> - -<p>Die ›Oceana‹ ist ein großes, prächtig ausgestattetes -Schiff, das alle Bequemlichkeit bietet; es -hat geräumige Promenadendecks, große Zimmer und -eine gut ausgewählte Offiziersbibliothek, was nicht -häufig vorkommt … Zu den Mahlzeiten wird man -durch Hornsignale gerufen, wie auf Kriegsschiffen; -man ist froh das schreckliche Gong einmal los zu -sein … Wir haben drei große Katzen an Bord, -sehr leutselige Bummler, die sich auf dem ganzen -Schiff herumtreiben; die weiße Katze folgt dem Proviantmeister -überallhin wie ein Hund; auch ein Korb -mit jungen Kätzchen ist da. Wenn das Schiff in -den Hafen kommt, sei es in England, Indien oder -Australien, so begibt sich der eine Kater ans Land, -um zu sehen, wie es seinen verschiedenen Familien -ergeht, und man bekommt ihn erst wieder zu Gesicht, -wenn das Schiff im Begriff ist, die Anker zu lichten. -Woher er das Datum der Abfahrt weiß, kann niemand -sagen; vermutlich kommt er täglich nach dem -Hafendamm und sieht sich um; wenn viel Gepäck -an Bord geschafft wird und die Passagiere sich einfinden, -merkt er daran, daß es auch für ihn Zeit<span class="pagenum" id="Seite_9">[9]</span> -ist, wieder das Schiff zu besteigen. Wenigstens glauben -das die Matrosen …</p> - -<p><em class="gesperrt">Tischgespräche</em>: Ein Passagier äußerte: -»Meinen Sie, echter Mokka werde in der ganzen -Welt verkauft? Denkt gar nicht daran! Sehr -wenige Fremde, außer dem Kaiser von Rußland, -bekommen in ihrem ganzen Leben auch nur eine -Bohne davon zu sehen.« Ein anderer Mann sagte: -»Australischer Wein hat in Australien keinen Absatz. -Man schickt ihn nach Frankreich, von wo er als -französische Sorte zurückkommt, dann kaufen ihn -die Leute.« – Ich habe oft behaupten hören, daß der -französische Rotwein, welchen New York trinkt, meist -in Kalifornien gekeltert wird. Auch erinnerte ich -mich, was mir Professor S. einmal über Veuve -Cliquot erzählt hat. Er war bei einem großen Weinhändler -zu Besuch, dessen Wohnort nicht weit von -jenem berühmten Weinberg lag, und sein Wirt fragte -ihn, ob in Amerika viel Veuve Cliquot getrunken -würde.</p> - -<p>»O ja,« erwiderte S., »außerordentlich viel.«</p> - -<p>»Kann man die Marke leicht bekommen?«</p> - -<p>»Ohne alle Schwierigkeit; sämtliche Hotels erster -und zweiter Klasse führen sie.«</p> - -<p>»Was bezahlt man dafür?«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[10]</span></p> - -<p>»Je nach dem Hotel fünfzehn bis zwanzig Franken -die Flasche.«</p> - -<p>»Was für ein glückliches Land! Hier an Ort -und Stelle kostet sie mindestens hundert Franken.«</p> - -<p>»Nein!«</p> - -<p>»Doch!«</p> - -<p>»Sie glauben also, daß wir drüben bei uns nicht -echten Veuve Cliquot trinken?«</p> - -<p>»Keine Rede. Seit Columbus’ Zeiten ist noch -nicht eine einzige Flasche vom echten Gewächs nach -Amerika gekommen. Der Weinberg, welcher es liefert, -ist so klein, daß er nicht allzuviele Flaschen -ergibt, und der Ertrag wird alljährlich einer einzigen -Person zugeschickt – dem Kaiser von Rußland. -Er kauft die ganze Ernte zum voraus, mag sie -klein oder groß sein.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">4. Januar 1896.</em> Weihnachten in Melbourne, -Neujahr in Adelaide. Wiedersehen mit den -meisten Bekannten in beiden Städten … Jetzt -liegen wir hier in Westaustralien vor Albany im -König Georgs Sund. Es ist ein ganz vom Land -eingeschlossener Hafen oder vielmehr eine Reede – -anscheinend sehr geräumig, aber kein tiefes Wasser. -Ringsum kahle Felsen und zerklüftete Hügelketten.<span class="pagenum" id="Seite_11">[11]</span> -Die Schiffe kommen jetzt in Menge an, alles strömt -nach der Goldgegend. Die Zeitungen wissen wunderbare -Dinge zu berichten, wie sie immer im Umlauf -sind, wenn neue Goldfelder entdeckt werden. Zum -Beispiel: Ein junger Mann hatte eine Parzelle in -Besitz genommen, von der er die Hälfte für fünf -Pfund verkaufen wollte; aber, es fand sich kein -Liebhaber. Vierzehn Tage lang harrte er aus, trotz -Hunger und Not, dann stieß er auf eine Goldader -und verkaufte die Grube für 10 000 Pfund … -Gegen Sonnenuntergang erhob sich eine frische Brise, -und wir lichteten den Anker. Aus der kleinen tiefen -Wasserlache, auf der wir schwammen, führte ein -schmaler, dicht mit Bojen besetzter Kanal ins Meer -hinaus. Ich blieb auf Deck, um zu sehen, wie unser -großes Schiff bei dem starken Wind die Durchfahrt -bewerkstelligen werde. Auf der Kommandobrücke -stand der Kapitän, ein wahrer Riese, neben ihm ein -kleiner Lotse in prächtiger Uniform mit Goldschnüren; -auf dem Vorderdeck ein weißer Maat, ein -paar Quartiermeister und eine bunte Menge Laskaren, -zur Arbeit gerüstet. Unser Heck war gerade -auf den Eingang des Kanals gerichtet, das Schiff -mußte also in der Wasserlache eine vollständige -Schwenkung machen, und das war bei solchem Wind<span class="pagenum" id="Seite_12">[12]</span> -keine Kleinigkeit. Aber es gelang ganz prächtig -mit Hilfe eines Klüvers. Wir wühlten zwar viel -Schlamm auf, kamen aber nicht auf den Grund und -drehten uns in der eigenen Wasserspur um – anscheinend -ein Ding der Unmöglichkeit. Als wir die -Drehung glücklich gemacht hatten und der Schiffsschnabel -nach dem Kanal zu stand, lag die erste Boje -kaum noch hundert Meter vor uns. Es war mir -eine Lust gewesen, das Manöver mit anzusehen; die -übrigen Passagiere verzehrten inzwischen ihr Mittagbrot, -meines kam der P. und O. Gesellschaft zugute -… Es zeigen sich noch mehr Katzen. -Smythe sagt, das englische Gesetz befiehlt, auf -der Fahrt Katzen mitzunehmen; er wußte von einem -Fall, wo das Schiff nicht unter Segel gehen durfte, -bis man sich ein paar verschafft hatte. Die Rechnung -kam auch gleich mit: »Preis für zwei Katzen – -zwanzig Schillinge« … Wir haben einen Geier an -Bord mit kahlem rotem Kopf von seltsamer Form; -am Körper hat er hier und da rote Stellen ohne -Federn, seine großen, schwarzen Augen sind von -fleischigen, brennendroten Rändern umgeben. Er -sieht wie ein vollkommener Wüstling aus, wie ein -gewissenloser, eigensüchtiger Räuber und Mörder. -Und doch bringt der Vogel nichts Lebendiges um.<span class="pagenum" id="Seite_13">[13]</span> -Weshalb mag ihm die Natur nur eine so grimmige -Außenseite gegeben haben, die gar nicht zu seinem -unschuldigen Geschäft paßt! Er nährt sich nämlich -nur von Aas, das ihm um so besser zusagt, je älter -es ist. Trüge er ein schäbiges, schwarzes Federkleid, -so wäre alles in Ordnung; er gliche dann einem -Leichenbestatter und sein Aeußeres würde mit seiner -Beschäftigung im Einklang stehen. Der Geier stammt -aus der öffentlichen Menagerie von Adelaide, einer -großen und sehr interessanten Sammlung.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">5. Januar.</em> Um neun Uhr morgens kamen -wir am Kap Leeuwin (Löwin) vorüber und mußten -nun, nach der ganz westlichen Fahrt längs dem Südrande -von Australien, unsere Richtung ändern. Wir -fahren in einer schrägen, nordwestlichen Linie nach -Ceylon hinauf. Je höher wir kommen, um so heißer -wird es, aber kühl ist es auch hier nicht gerade.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">13. Januar.</em> Eine unerträgliche Hitze. Der -Aequator kommt immer näher; die Entfernung beträgt -nur noch acht Grad. Da ist Ceylon! O, wie -wunderschön! Welche tropische Pracht, welcher Reichtum -üppigen Laubwerks! Die Hauptstadt Colombo -ist ganz orientalisch und unaussprechlich reizend …</p> - -<p>In unserm vornehmen Schiff kleiden sich die<span class="pagenum" id="Seite_14">[14]</span> -Passagiere zu Mittag um. Die schönen, buntfarbigen -Toiletten der Damen passen ganz zu der hochfeinen -Ausstattung aller Räume und dem strahlenden Glanz -der elektrischen Beleuchtung. Auf dem stürmischen -Atlantischen Ozean sieht man die Passagiere nie im -Gesellschaftsanzug. Höchstens einen Mann, der sich -aber nur einmal während der langen Reise blicken -läßt – am Abend ehe das Schiff in den Hafen -kommt, wenn das Konzert stattfindet mit Dilettanten-Geheul -und Deklamationen. Er übernimmt meist -die Tenorpartie … Sonderbarerweise ist an -Bord viel Cricket gespielt worden; das Promenadendeck -wurde mit Netzen überspannt, so daß der Ball -nicht ins Wasser fallen konnte. Das Spiel nahm -einen guten Fortgang und gewährte die nötige An- -und Aufregung … Jetzt sagen wir der ›Oceana‹ -Lebewohl.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">14. Januar.</em> Hotel Bristol. Der Diener -Namens Brampy ist ein flinker, sanfter, lachender, -brauner Singhalese mit schönem, glänzend schwarzem -Haar. Er trägt es wie ein Mädchen zurückgekämmt, -in einen Knoten geschlungen und mit dem Schildpattkamm -aufgesteckt. Brampy ist schlank und hübsch -von Gestalt. Unter der Jacke hat er ein weißes, -baumwollenes Gewand an, das ihm ohne Gürtel<span class="pagenum" id="Seite_15">[15]</span> -vom Hals bis zu den Füßen herabfällt. Weder er noch -sein Anzug hat irgend etwas Männliches; es ist eine -ordentliche Verlegenheit sich vor ihm auszukleiden.</p> - -<p>Wir fuhren nach dem Markt und benutzten zum -erstenmal den japanischen Jinrickscha, einen leichten -Karren, den ein Eingeborener zieht. Anfänglich geht -die Fahrt gut von statten, aber für den Mann ist es -eine sauere Arbeit, er ist nicht stark genug. Nach der -ersten halben Stunde hört das Vergnügen auf, der -Mann tut einem leid; man hat Mitleid mit ihm, -wie mit einem müden Pferde und kann an nichts -anderes mehr denken. Solche Rickschas sind in -Menge vorhanden, und die Taxe ist unglaublich billig.</p> - -<p>Vor Jahren war ich in Kairo; da ist man im -Orient – aber doch nicht ganz, weil man eine unbestimmte -Empfindung hat, daß noch etwas mangelt. -In Ceylon ist das anders, dort fehlt nichts mehr. -Der Orient und die Tropenwelt finden sich da in -größter Vollkommenheit vereinigt und unser natürliches -Gefühl sagt uns, daß diese zwei zusammen -gehören. Nein, man vermißte gar nichts. Alle -Kostüme waren echt, desgleichen die schwarzen und -braunen Menschen in ihrer unbewußten Nacktheit. -Die Gaukler waren da, mit dem unvermeidlichen -Korb, den Schlangen, der Manguste und allen Vorkehrungen,<span class="pagenum" id="Seite_16">[16]</span> -um aus dem Samenkorn einen Baum -mit Laubwerk und reifen Früchten emporwachsen zu -lassen. Ueberall sah man Blumen und Pflanzen, -die man zwar aus Abbildungen kannte, aber in -Wirklichkeit nie erblickt hatte, weil diese seltenen, -wunderbaren und köstlichen Gewächse nur in der -heißen Zone, am Aequator, gedeihen. Auch wußte -man, daß in der nächsten Umgegend die tödlichen -Giftschlangen und grimmigen Raubtiere hausen, samt -den Affen und wilden Elefanten. In der Luft lag -eine Schwüle, wie sie nur in den Tropen vorkommt, -eine erstickende Hitze, von unbekannten Blumendüften -geschwängert; dann verbreitete sich plötzlich eine -purpurne Finsternis, aus welcher grelle Blitze zuckten; -der Donner krachte, der Regen goß in Strömen -– gleich darauf lachte wieder alles im Sonnenschein. -Und weit ab, im undurchdringlichen Dschungel und -dem fernen Gebirge lagen die verfallenen Städte -und alten Tempelruinen als geheimnisvolle Ueberbleibsel -von der Herrlichkeit vergessener Tage und -einer verschwundenen Menschenrasse. Auch dies Bewußtsein -war unentbehrlich, wenn es einem wirklich -orientalisch zu Mute werden sollte, denn dabei -darf vor allem der Eindruck des Düstern, Rätselhaften -und Altertümlichen nicht fehlen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_17">[17]</span></p> - -<p>Die Fahrt durch die Stadt und am Seestrande -entlang war wie ein Traumbild von tropischem -Glanz, Blütenpracht und orientalischem Farbenreichtum. -Die zu Fuß einherwandelnden Gruppen von -Männern, Frauen, Knaben, Mädchen und kleinen -Kindern glühten wie Feuerflammen in ihrer strahlenden -Gewandung. Alle Farben des Regenbogens -und leuchtender Blitze mischten sich hier aufs wunderbarste -und verschmolzen zur wohltuendsten Harmonie. -Nirgends fühlte sich das Auge verletzt durch zu grelle -Töne, keine Farbe stach unangenehm von der andern -ab; auch wenn verschiedene Gruppen in Berührung -kamen, wurde die wunderbare Farbenwirkung nicht -im mindesten gestört. Die Kleider waren aus dünnem, -zartem, sich weich anschmiegendem Seidenstoff, -meist in ganz bestimmten, satten Farben: ein prächtiges -Grün, ein prächtiges Blau, ein prächtiges Gelb, -ein prächtiges Lila, ein prächtiges Rubinrot von -leuchtendem Glanz – so zogen sie in zahllosem -Gewimmel, in Massen, scharenweise vorüber, glühend, -blitzend, strahlend – dazwischen alle Augenblicke ein -so blendendes Feuerrot, daß einem das Herz im -Leibe lachte und man den Atem anhielt vor Staunen. -Und wie anmutig waren diese Trachten! Oft bestand -der ganze Anzug einer Frau nur in der Schärpe, die<span class="pagenum" id="Seite_18">[18]</span> -sie um den Kopf und Leib gewunden hatte, oder der -Mann hatte einen Turban auf und ein paar Lappen -nachlässig um die Hüften geschwungen. Bei beiden -kam die dunkle glänzende Haut dazwischen ungehindert -zum Vorschein, und immer erfreute der Anblick -der Gestalten Auge und Herz.</p> - -<p>Noch heutigen Tages sehe ich dies köstliche Panorama -in seiner überschwenglichen Farbenfülle und -dem Schmelz der bunten Schattierungen vor mir; -die geschmeidigen, halb unbekleideten Gestalten, die -schönen braunen Gesichter, die anmutigen Stellungen -und freien, zwanglosen Bewegungen, bei denen von -Förmlichkeit und Steifheit keine Rede war.</p> - -<p>Aber ach, da kam ein schriller Mißklang in -diesen paradiesischen Zaubertraum: Aus der Tür -einer Missionsschule schritten paarweise sechzehn -kleine, fromme, gesetzte, schwarze Christenmädchen -in europäischem Anzug. Ganz so ausstaffiert hätte -man sie an einem Sommersonntag in jedem englischen -oder amerikanischen Dorfe sehen können. Wie -namenlos häßlich waren diese Kleider! Abscheulich, -barbarisch, geschmacklos, unanmutig, alle Gefühle -verletzend! Ich blickte auf die Kleider meiner Damen: -sie glichen in vergrößertem Maßstab genau -den greulichen Verunstaltungen, mit denen man jene<span class="pagenum" id="Seite_19">[19]</span> -armen, kleinen, mißhandelten Geschöpfe quälte – -ich schämte mich, mit Frau und Tochter auf der -Straße zu gehen. Nun sah ich meine eigene Kleidung -an und schämte mich vor mir selber.</p> - -<p>Aber was hilft es – wir müssen uns darein -ergeben unsere Kleider zu tragen wie sie sind und -können ihre Daseinsberechtigung nicht leugnen. Freilich -dienen sie dazu, gerade das auszuposaunen, was -wir verbergen möchten – unsere Unaufrichtigkeit -und versteckte Eitelkeit. Wir heucheln für Anmut, -Wohlgestalt und Farbenglanz eine Geringschätzung, -die wir nicht haben, und ziehen die häßlichen Kleider -an, um diese Lüge glaubhaft zu machen und weiter -zu verbreiten. Doch täuschen wir damit unsere Nächsten -nicht, und wenn wir nach Ceylon kommen, werden -wir alsbald inne, daß wir uns nicht einmal -selbst zu täuschen vermögen. Ja, gestehen wir es -nur: wir lieben leuchtende Farben und anmutige -Trachten, und wenn wir sie zu Hause bei einem Festzug -sehen können, achten wir weder Regen noch Sturm -und beneiden die geschmückten Teilnehmer. Wir -gehen ins Theater, staunen die Kostüme an und sind -betrübt, daß wir uns nicht auch so kleiden können. -Beehrt uns der König mit einer Einladung zum -Hofball, so betrachten wir die prächtigen Uniformen<span class="pagenum" id="Seite_20">[20]</span> -und strahlenden Ordenszeichen mit wahrem Hochgenuß. -Wird uns gestattet, einer kaiserlichen Cour -beizuwohnen, so schließen wir uns vorher zu Hause -ein, stolzieren stundenlang in unserm schönen Gala-Anzug -einher, bewundern uns im Spiegel und fühlen -uns unaussprechlich glücklich. Auch jeder Beamte -im Stabe jedes Gouverneurs im demokratischen -Amerika macht es ebenso mit seiner neuen Staatsuniform, -und wenn man nicht aufpaßt, um ihn rechtzeitig -zu hindern, läßt er sich gewiß auch darin -photographieren. So oft ich die Diener des Lord-Mayors -sehe, fühle ich mich unzufrieden mit meinem -Lose. Kurz und gut: unsere Kleider sind seit hundert -Jahren nichts als Lug und Trug gewesen. Sie sind -ebenso unwahr wie unschön und vollkommen geeignet -unser inneres Scheinwesen und moralisches -Verderben ins rechte Licht zu stellen.</p> - -<p>Der kleine braune Junge, den ich zuletzt unter -den sich drängenden Scharen von Colombo bemerkte, -hatte nichts an, außer einem um die Hüften geschlungenen -Bindfaden, aber in meiner Erinnerung bildet -der ehrliche Mangel seiner Bekleidung einen wohltuenden -Gegensatz zu der widerwärtig scheinheiligen -Vermummung, in welche man die farbigen Dämchen -aus der Sonntagsschule gesteckt hatte.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_21">[21]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap02">Zweites Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Im Wohlstand kann man an seinen Grundsätzen -am besten festhalten.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p><em class="gesperrt">14. Januar abends.</em> – Die ›Rosetta‹, mit -der wir absegeln, ist ein schlechtes altes Schiff, das -man versichern und untergehen lassen sollte. Auch -hier, wie auf der ›Oceana‹, hält man die Mittagstoilette -für eine Art frommer Pflicht. Aber dergleichen -vornehme Formen stehen in grellem Gegensatz -zu der Aermlichkeit der schäbigen Ausstattung des -Fahrzeugs … Wenn man zum Nachmittagstee -eine Limonenscheibe haben möchte, muß man erst -am Schenktisch eine Anweisung unterzeichnen. Und -dabei kostet das Faß Limonen vierzehn Cents.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">18. Januar.</em> Nachdem wir das Arabische -Meer durchschifft haben, sind wir jetzt dicht an Bombay, -das wir noch heute abend erreichen sollen.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">20. Januar.</em> Bombay! – wie ein Märchen -aus ›Tausend und eine Nacht‹, entzückend, verwirrend, -bezaubernd! Es ist eine ungeheure Stadt, mit etwa -einer Million Einwohnern, meist braune Leute; die<span class="pagenum" id="Seite_22">[22]</span> -wenigen Weißen, die man zerstreut unter der Masse -der Bevölkerung findet, kommen gegen alle die -dunkeln Gesichter kaum in Betracht. Hier ist es -Winter: ein himmlisches Juniwetter und frisches, -köstliches Sommerlaub. Im Schatten der großen -prächtigen Baumreihe dem Hotel gegenüber sitzen -malerische Gruppen von Eingeborenen beiderlei Geschlechts; -der Gaukler im Turban mit den Schlangen -und Zauberkünsten ist natürlich dabei. Den ganzen -Tag sieht man die verschiedenartigsten Trachten zu -Fuß und zu Wagen vorüberziehen; es ist, als könnte -man nie müde werden, diese endlosen Wandelbilder, -dies glänzende und stets wechselnde Schauspiel zu -betrachten … Die fest eingekeilte Masse der Eingeborenen -im großen Bazar bot einen wunderbaren -Anblick; es war ein Meer von buntfarbigen Turbans -und faltigen Gewändern, zu dem die fremdartigen, -prunkvollen indischen Bauwerke gerade den richtigen -Hintergrund bildeten. Bei Sonnenuntergang folgte -ein anderes Schauspiel: eine Fahrt am Seestrande -bis zur Malabar-Spitze, wo Lord Sandhurst, der -Gouverneur der Präsidentschaft Bombay, wohnt. Auf -der ersten Hälfte des Weges, den alle Welt fährt, -steht ein schöner Parsenpalast neben dem andern. Die -Privatequipagen der reichen Engländer und vornehmen<span class="pagenum" id="Seite_23">[23]</span> -Eingeborenen haben außer dem Kutscher -noch drei Bediente in wundervollen orientalischen -Livreen. Zwei davon, prächtig anzuschauen, stehen -als beturbante Statuen hintenauf. Manchmal nehmen -die öffentlichen Fuhrwerke dergleichen überschüssige -Diener mit: einen zum Fahren, einen um -neben dem Kutscher zu sitzen und ihm zuzusehen, und -einen, der hinten auf dem Tritt steht und schreit, -wenn jemand im Wege ist; wenn niemand da ist, -schreit er auch, um nicht aus der Uebung zu kommen. -Das alles bringt Leben und Bewegung mit und -erhöht den Gesamteindruck von Hast, Schnelligkeit -und Verwirrung.</p> - -<p>In der Nähe der ›Läster-Spitze‹ – ein sehr bezeichnender -Name – sind Felsen, auf denen man -bequem sitzen kann, um nach der einen Seite hin -den herrlichen Blick auf das Meer zu genießen und -auf der andern die Menge der schön geschmückten -Wagen bei der Hin- oder Rückfahrt vorbeirasseln und --jagen zu sehen; dort haben die Frauen wohlhabender -Parsen in Gruppen Platz genommen, wahre Blumenbeete -voll Farbenglanz, ein unwiderstehlich fesselndes -Bild. Trab, trab, trab, kommt es die Straße entlang, -einzeln, zu zweien, in Gruppen und Abteilungen -– das sind Arbeiterscharen, Männer und<span class="pagenum" id="Seite_24">[24]</span> -Frauen, aber nicht gekleidet wie bei uns. Der Mann, -meist eine große, stolze Athletengestalt, hat außer -seinem Lendentuch nicht einen Fetzen an, seine Gesichtsfarbe -ist dunkelbraun, auf der glatten Haut, -die wie Atlas glänzt, treten die Muskeln in Wülsten -hervor, als ob Eier darunter lägen. Die Frau -ist gewöhnlich schlank und wohlgebildet, kerzengerade -wie ein Blitzableiter und trägt nur <em class="gesperrt">ein</em> Kleidungsstück -– einen langen, hellfarbigen Stoffstreifen, den -sie um Kopf und Leib windet, fast bis zu den Knieen -herunter, und der sich so fest wie ihre eigene Haut -an den Körper schmiegt. Füße und Beine sind nackt, -desgleichen die Arme, bis auf die Gehänge von losen, -verschlungenen Silberringen an den Armen und Fußgelenken. -Auch in der Nase trägt sie Schmuck und -glänzende Ringe an den Fußzehen. Beim Schlafengehen -wird sie ihr Geschmeide wohl ablegen; mehr -kann sie nicht ausziehen, sonst würde sie sich erkälten. -Man sieht sie meist mit einem großen, schön geformten -Wasserkrug von blankem Metall, den sie mit -erhobenem Arm auf dem Kopfe festhält. Aufrecht, -würdevoll und doch mit leichtem, anmutigem Gang -kommt sie daher; ihr gebogener Arm und der blanke -Krug erhöhen noch die malerische Wirkung und -machen sie zu einer wahren Zierde für die Straße.<span class="pagenum" id="Seite_25">[25]</span> -Unsere Arbeiterfrauen können es ihr darin auch nicht -entfernt gleichtun.</p> - -<p>Farben, wohin man blickt, entzückende, bezaubernde -Farben, rings umher und längs der gewundenen -Straße an der großen, bunt schillernden Bucht, -bis man das Haus des Gouverneurs erreicht. Dort -stehen, den Turban auf dem Kopf, die großen Chuprassies, -die eingeborenen Diener in ihren feuerroten -Gewändern an der Eingangspforte gruppiert -und bilden den theatralischen Schluß des prächtigen -Schauspiels. O, wäre ich doch ein Chuprassy!</p> - -<p>Ja, das ist Indien! Das Land der Romantik -und der Träume, wo fabelhafter Reichtum und -fabelhafte Armut wohnt, das Land der Pracht und -Herrlichkeit, der Lumpen, der Paläste und elenden -Hütten, der Pest und Hungersnot, der Schutzgeister -und Riesen, wo Aladdins Lampe, Tiger, Elefanten, -die Kobra, der Dschungel zu finden sind, wo hunderterlei -Völker in hunderterlei Sprachen reden, das -tausend Religionen und zwei Millionen Götter hat. -Indien ist die Wiege des Menschengeschlechts, der -Geburtsort der menschlichen Sprache, die Mutter -der Geschichte, die Großmutter der Sage, die Urgroßmutter -der Ueberlieferung; was für andere Völker -graues Altertum ist, zählt zu Indiens jüngster<span class="pagenum" id="Seite_26">[26]</span> -Vergangenheit. Es ist das einzige Land unter der -Sonne, das für den Fürsten und den Bettler, den -Gebildeten und den Unwissenden, den Weisen und -den Toren, den Sklaven und den Freien den gleichen, -unzerstörbaren Reiz hat. Alle Menschen möchten -es sehen, und wer es einmal auch nur flüchtig -geschaut hat, würde die Wonne dieses Anblicks nicht -für alles Schaugepränge eintauschen, das der gesamte -übrige Erdball zu bieten vermag.</p> - -<p>Selbst jetzt, nach Ablauf eines Jahres, ist mir -die sinnverwirrende Freude jener Tage in Bombay -noch vollkommen gegenwärtig, und ich hoffe, sie wird -mich nie verlassen. Es war alles ganz neu und -ungewohnt; auch warteten die Ueberraschungen nicht -erst bis zum nächsten Morgen, sie waren da, sobald -wir das Hotel betraten. In den Hallen und Vorsälen -wimmelte es von braunen Eingeborenen mit Turban, -Fez oder gestickter Mütze, die in baumwollenem Gewand -barfuß durcheinander liefen oder ruhig auf -dem Boden saßen und hockten. Einige schwatzten mit -großem Nachdruck, andere saßen still und träumerisch -da; im Speisezimmer stand hinter dem Stuhl jedes -Gastes sein farbiger Aufwärter, angekleidet wie in -einem Märchen aus ›Tausend und eine Nacht‹.</p> - -<p>Unsere Zimmer waren nach vorn hinaus in<span class="pagenum" id="Seite_27">[27]</span> -einem oberen Stock. Ein Weißer – es war ein -handfester Deutscher – führte uns hinauf und nahm -drei Hindus mit, um alles in Ordnung zu bringen. -Etwa vierzehn andere folgten in langem Zuge mit -dem Handgepäck; jeder trug nicht mehr als ein Stück, -was es auch sein mochte. Ein starker Eingeborener -trug meinen Ueberzieher, ein anderer einen Sonnenschirm, -der dritte eine Schachtel Zigarren, der vierte -einen Roman, und der letzte kam nur noch mit einem -Fächer beladen daher. Sie taten das alles mit -großem Ernst und Eifer; von vorn bis hinten war -in dem ganzen Zuge auf keinem Gesicht ein Lächeln zu -sehen. Jeder einzelne wartete, ruhig, geduldig und -ohne die geringste Eile zu verraten, bis er ein Kupferstück -erhielt, dann verneigte er sich ehrfurchtsvoll, -legte die Finger an die Stirn und ging seiner Wege. -Diese Leute scheinen sanften und milden Gemüts -zu sein; es lag etwas Rührendes in ihrem Verhalten, -das zugleich für sie einnahm.</p> - -<p>Eine große Glastür führte zum Balkon hinaus. -Sie sollte geputzt oder verriegelt werden – was -weiß ich – und ein Hindu kniete auf dem Boden, -um die Arbeit zu tun. Anscheinend machte er seine -Sache ganz ordentlich, aber das mußte wohl nicht -der Fall sein, denn die Miene des Deutschen verriet<span class="pagenum" id="Seite_28">[28]</span> -Unzufriedenheit, und ohne ein Wort der Erklärung -schlug er den Hindu plötzlich derb ins Gesicht und -sagte ihm dann erst, was er falsch gemacht hatte. -Der Diener nahm die Züchtigung demütig und schweigend -hin; auch zeigte weder sein Gesichtsausdruck -noch sein Wesen überhaupt den geringsten Groll. -Mir schien es eine wahre Schande, so etwas in -unserer Gegenwart zu tun; seit fünfzig Jahren hatte -ich solchen Auftritt nicht erlebt. Urplötzlich fühlte -ich mich in meine Knabenzeit zurückversetzt und mir -fiel ein, daß dies ja die gewöhnliche Art sei, wie -man einem Sklaven seine Wünsche begreiflich machte -– eine Tatsache, die mir ganz entfallen war. Damals -hatte ich diese Methode richtig und natürlich -gefunden, denn ich war von klein auf daran gewöhnt -und glaubte, man mache das nirgends anders; aber -ich erinnere mich recht gut, daß mir bei solchen -stumm ertragenen Schlägen der Empfänger stets leid -tat und ich mich für den Strafenden schämte. Mein -Vater war ein edler, gütiger Mann, sehr ernst und -enthaltsam, von strengster Gerechtigkeit und Redlichkeit, -ein rechtschaffener Charakter durch und durch. -Zwar war er nicht Mitglied irgend einer Kirche, sprach -auch nie von religiösen Dingen und nahm an den -frommen Freuden seiner presbyterianischen Familie<span class="pagenum" id="Seite_29">[29]</span> -keinen Anteil, doch schien er das nicht als Entbehrung -zu empfinden. Er hat mich, so lange er -lebte, nur zweimal körperlich gezüchtigt und gar -nicht hart. Einmal, weil ich ihn belogen hatte – -was mich höchlich überraschte und mir sein gutes -Zutrauen bewies, denn es war keineswegs mein -erster Versuch gewesen. Mich schlug er, wie gesagt, -nur zweimal und seine anderen Kinder gar nicht; -aber unsern kleinen gutmütigen Sklaven Lewis ohrfeigte -er häufig für die geringfügigste Ungeschicklichkeit -oder ein kleines Versehen. Mein Vater hatte -von Geburt an unter Sklaven gelebt, und wenn -er sie schlug, so tat er das nach damaliger Sitte, -gegen seine Natur. – Als ich zehn Jahre alt war, sah -ich einmal, wie ein Mann einem Sklaven im Zorn -ein Stück Eisenerz an den Kopf warf, weil er etwas -ungeschickt gemacht hatte – als ob das ein Verbrechen -wäre. Es sprang von seinem Schädel ab, -und der Mensch fiel hin, ohne einen Laut von sich -zu geben. Nach einer Stunde war er tot. – Ich -wußte wohl, daß der Herr das Recht hatte, seinen -Sklaven zu töten, wenn er wollte, aber doch kam es -mir erbärmlich vor und eigentlich unstatthaft, wiewohl -ich nicht gescheit genug gewesen wäre, um zu erklären, -was unrecht daran sei, wenn man mich gefragt hätte.<span class="pagenum" id="Seite_30">[30]</span> -Niemand in unserm Dorf billigte jene Mordtat, -aber es war natürlich nicht viel davon die Rede.</p> - -<p>Merkwürdig, wie der Gedanke Raum und Zeit -überspringen kann! Eine Sekunde lang war mein -ganzes Ich in dem kleinen Dorf von Missouri auf -der andern Halbkugel der Erde; jene vergessenen -Bilder von vor fünfzig Jahren standen mir lebendig -vor Augen, und alles übrige versank gänzlich vor -meinem Bewußtsein. In der nächsten Sekunde war -ich schon wieder in Bombay, während die Backe -des knieenden Dieners noch von der Ohrfeige brannte. -Bis zur Knabenzeit – fünfzig Jahre – zurück ins -Alter – abermals fünfzig, und ein Flug um den -ganzen Erdball – alles in einem Zeitraum von -zwei Sekunden!</p> - -<p>Verschiedene Eingeborene – ich weiß nicht mehr -wie viele – begaben sich nun in mein Schlafzimmer, -brachten alles in Ordnung und befestigten das Moskitonetz. -Dann legte ich mich zu Bett, um meine -Erkältung rascher los zu werden. Es war etwa neun -Uhr abends und an Ruhe gar nicht zu denken. Drei -Stunden lang dauerte das Geschrei und Gekreisch -der Eingeborenen in der Vorhalle noch ununterbrochen -fort, auch das sammetweiche Getrappel ihrer -behenden, nackten Füße hörte nicht auf. Nein, dieser<span class="pagenum" id="Seite_31">[31]</span> -Lärm! Alle Bestellungen und Botschaften wurden -drei Treppen hinunter geschrieen; es klang wie Aufruhr, -Meuterei, Revolution. Auch noch andere Geräusche -kamen hinzu: von Zeit zu Zeit ein furchtbarer -Krach, als ob Dächer einfielen, Fenster zerbrächen, -Leute ermordet würden. Dann hörte man -die Krähen krächzen, hohnlachen, fluchen; Kanarienvögel -kreischten, Affen schimpften, Papageien plapperten, -zuletzt erscholl wieder ein teuflisches Gelächter, -gefolgt von Dynamitexplosionen. Bis Mitternacht -hatte ich alle nur erdenklichen Schreckschüsse -über mich ergehen lassen und wußte nun, daß mich -nichts mehr überraschen und stören konnte – ich -war auf alles gefaßt. Da trat plötzlich Ruhe ein -– eine tiefe, feierliche Stille, die bis fünf Uhr -morgens dauerte.</p> - -<p>Dann ging der Spektakel aber von neuem los. -Und wer hat ihn angefangen? Die indische Krähe, -dieser Vogel aller Vögel. Mit der Zeit lernte ich -ihn näher kennen und war dann ganz in ihn vernarrt. -Ich glaube, er ist der durchtriebenste Spitzbube, -der Federn trägt und dabei so lustig und -selbstzufrieden wie kein anderer. Ein solcher Vogel -konnte nicht mit einemmal zu dem geschaffen werden, -was er ist: unvordenkliche Zeitalter haben an seiner<span class="pagenum" id="Seite_32">[32]</span> -Entwicklung gearbeitet. Er ist öfter wiedergeboren -als der Gott Schiwa und hat bei jeder Seelenwanderung -etwas zurückbehalten und es seinem -Wesen einverleibt. Im Verlauf seines stufenweisen -Fortschritts, seines glorreichen Vorwärtsschreitens -zu schließlicher Vollendung, ist er ein Spieler gewesen, -ein zuchtloser Priester, ein Komödiant, ein zänkisches -Weib, ein Schuft, ein Spötter, ein Lügner, ein Dieb, -ein Spion, ein Angeber, ein käuflicher Politiker, -ein Schwindler, ein berufsmäßiger Heuchler, ein bezahlter -Patriot, auch Reformator, Vorleser, Anwalt, -Verschwörer, Rebell, Royalist, Demokrat; er -hat sich überall eingemischt, sich unehrerbietig und -zudringlich benommen, hat ein gottloses, sündhaftes -Leben geführt, bloß weil es ihm das größte Gaudium -machte. Und das Ergebnis der stetigen Ansammlung -aller verwerflichsten Eigenschaften ist -merkwürdigerweise, daß er weder Sorge, noch Kummer, -noch Reue kennt; sein Leben ist eine einzige -Kette von Wonne und Glückseligkeit, und er wird -seiner Todesstunde ruhig entgegengehen, da er weiß, -daß er vielleicht als Schriftsteller oder dergleichen -wiedergeboren wird, um sich dann womöglich als -noch größerer Schwerenöter behaglicher zu fühlen -denn je zuvor.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_33">[33]</span></p> - -<p>Wenn die Krähe mit großen Schritten breitbeinig -einherkommt, dann seitlich ein paar kräftige -Hopser macht, eine unverschämte, pfiffige Miene aufsetzt -und den Kopf schlau auf die Seite legt, erinnert -sie an die amerikanische Amsel. Doch ist sie viel -größer und lange nicht so schlank und wohlgebaut; -auch ihr schäbiger grau und schwarzer Rock hat natürlich -nicht den herrlichen Metallglanz, in dem das -Federkleid der Amsel prangt. Die Krähe ist ein -Vogel, der nicht schweigen kann; er zankt, schwatzt, -lacht, schnarrt, spottet und schimpft beständig. Seine -Ansicht äußert er über alles, auch wenn es ihn -gar nichts angeht, mit größter Heftigkeit und Rücksichtslosigkeit. -Er nimmt sich nicht erst Zeit nachzudenken, -weil er keine Gelegenheit vorbeigehen lassen -will, ohne seine Meinung zum Besten zu geben, selbst -wenn es sich gerade um etwas ganz anderes handelt.</p> - -<p>Ich glaube, die indische Krähe hat keinen Feind -unter den Menschen. Sie wird weder von Weißen -noch Mohammedanern belästigt, und der Hindu tötet -schon aus religiösen Rücksichten überhaupt kein Geschöpf; -er schont das Leben der Schlangen, Tiger, -Flöhe und Ratten. Wenn ich an einem Ende auf -dem Balkon saß, pflegten sich die Krähen auf dem -Gitter am andern Ende zu versammeln und ihre<span class="pagenum" id="Seite_34">[34]</span> -Bemerkungen über mich zu machen; nach und nach -flogen sie näher herzu, bis ich sie fast mit der Hand -erreichen konnte. Da saßen sie und unterhielten -sich ohne Scham und Scheu über meine Kleider, -mein Haar, meine Gesichtsfarbe und vermutlich auch -über meinen Charakter, Beruf und politischen Standpunkt, -und wie ich nach Indien gekommen sei, was -ich schon alles getan hätte, wie viele Tage mir zur -Verfügung ständen, warum ich noch nicht an den -Galgen gekommen wäre, ob es mir noch lange -glücken würde, dem Strick zu entgehen, ob es da, -wo ich herkäme, noch mehr Leute meines Schlages -gäbe, und so immer fort, bis ich es vor Verlegenheit -nicht länger aushalten konnte und sie wegscheuchte. -Darauf kreisten sie eine Weile in der -Luft, unter Geschrei, Gespött und Hohngelächter, -kamen dann wieder auf das Gitter geflogen und -fingen die ganze Geschichte noch einmal von vorne an.</p> - -<p>In wahrhaft überlästiger Weise zeigten sie aber -ihre gesellige Neigung, wenn es etwas zu essen gab. -Ohne daß man ihnen erst zuzureden brauchte, kamen -sie auf den Tisch geflogen und halfen mir mein -Frühstück verzehren. Als ich einmal ins Nebenzimmer -ging und sie allein ließ, schleppten sie alles -fort, was sie nur tragen konnten, und obendrein<span class="pagenum" id="Seite_35">[35]</span> -lauter für sie ganz nutzlose Dinge. Man macht sich -keinen Begriff davon, in welcher Unzahl sie in Indien -vorkommen, und der Lärm, den sie verursachen, -ist nicht zu beschreiben. Ich glaube, sie kosten dem -Land mehr als die Regierung, und das ist keine -Kleinigkeit. Doch leisten sie auch etwas dafür, und -zwar durch ihre bloße Gegenwart. Wenn man ihre -lustige Stimme nicht mehr zu hören bekäme, so würde -die ganze Gegend einen trübseligen Anstrich erhalten.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap03">Drittes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Durch Übung lernt man leicht Unglück -ertragen – das Unglück anderer Leute, -meine ich.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">In unsicherm Glanz, wie das Mondlicht am -Rande des Horizonts erscheint, so tauchten die alten -Träume von Indiens Herrlichkeit allmählich wieder -in meinem Bewußtsein auf. Das Bild, das mir -in den Knabenjahren lebendig vor der Seele gestanden -hatte, als ich noch in den Märchen des -Orients schwelgte, erwachte wieder mit tausend längst -vergessenen Einzelheiten. Zum Beispiel, die barbarische<span class="pagenum" id="Seite_36">[36]</span> -Pracht und die großartigen, volltönenden -Fürstentitel, bei denen einem das Wasser im Munde -zusammenläuft: Nizam von Hyderabad, Maharadscha -von Travancore, Nabob von Jubbelpore, Begum -von Bhopal, Nawab von Mysore, Raja von -Gulnare, Abkoond von Swat, Rao von Rohilkund, -Gaikawar von Baroda. Namen wachsen überhaupt -dort im Lande wie Pilze. Der große Gott Wischnu -hat ihrer hundertundacht ganz besonders heilige – -sozusagen nur zum Feiertagsgebrauch. Ich habe die -hundertundacht Namen Wischnus einmal alle auswendig -gelernt, aber ich konnte sie nicht behalten -und weiß jetzt keinen einzigen mehr davon.</p> - -<p>Romantische Begebenheiten knüpfen sich noch -heutigen Tages an die Namen jener indischen Fürsten, -gerade wie in alten Zeiten. Kurz vor unserer Ankunft -war ein solcher Roman vor einem englischen -Gerichtshof in Bombay zur Verhandlung gekommen: -Ein junger sechzehnjähriger Prinz hatte seine Güter, -Titel und Würden vierzehn Jahre lang unbehelligt -genossen. Da ward plötzlich behauptet, daß er gar -kein Fürstensohn, sondern ein armes Bauernkind -sei, welches man in die fürstliche Wiege eingeschmuggelt -hatte, als der wahre Erbe im Alter von drittehalb -Jahren gestorben war. Genau derselbe Stoff,<span class="pagenum" id="Seite_37">[37]</span> -der so vielen alten orientalischen Geschichten zu -Grunde liegt.</p> - -<p>Umgekehrt ging es mit dem Thron des Gaikawar -von Baroda, für den sich eine Zeitlang kein Erbe -fand, bis man ihn in der Person eines Bauernknaben -erkannte, der, seiner hohen Abkunft unbewußt, -im Schmutz der Dorfstraße spielte. Sein -Stammbaum war jedoch ganz in Ordnung, er erwies -sich als der wirkliche Prinz und herrscht seitdem -unangefochten in seinem Reich.</p> - -<p>Auf ähnliche Weise ist kürzlich der Erbe eines -andern indischen Fürstenhauses aufgefunden worden. -Seit vierzehn Generationen hatten seine Vorfahren -in niedrigem Stande gelebt. Aber man entdeckte -seinen fürstlichen Ahnen in dem Verzeichnis eines -der großen Wallfahrtsorte der Hindus, wo die Herrscher -ihren Namen und das Datum ihres Besuchs -einzuschreiben pflegen. Der eigentliche Zweck dieser -Sitte ist, daß man über die religiösen Angelegenheiten -der Fürsten Buch führen und ihr Seelenheil -sichern kann; aber auch die Richtigkeit ihres Stammbaums -läßt sich aus solcher Liste feststellen, wodurch -sie noch besonderen Wert erhält.</p> - -<p>Wenn ich jetzt an Bombay denke, glaube ich in -ein Kaleidoskop zu sehen; ich höre das Klirren der<span class="pagenum" id="Seite_38">[38]</span> -Glasstückchen, wenn die schönen Bilder wechseln und -auseinander fallen, um sich zu immer neuen Formen -und Figuren zu vereinigen, bei deren Anblick jeder -Nerv in mir vor Wonne erbebt und Schauer des -Entzückens durch meine Glieder rieseln. Die ganz -verschiedenartigen Erinnerungsbilder ziehen immer -in gleicher Reihenfolge, rasch wie ein Traum, an -mir vorüber; sie lassen mir das Gefühl zurück, als -hätte das wirkliche Erlebnis kaum eine Stunde gedauert, -während es oft gewiß mehrere Tage in Anspruch -genommen hat.</p> - -<p>Die Wandelbilder beginnen mit der Wahl eines -eingeborenen Dieners, eines ›Trägers‹, bei der man -sehr sorgfältig zu Werke gehen muß, denn solange -er sein Amt versieht, kommt er uns fast so nahe -auf den Leib, wie unsere eigenen Kleider.</p> - -<p>In Indien wird der Tag damit eröffnet, daß -der ›Träger‹ an die Schlafzimmertür klopft und dazu -eine gewisse Formel hersagt, welche ausdrücken soll, -daß das Bad bereit ist. Es kommt uns vor als -ob sie gar keinen Sinn hätte, aber das ist nur, weil -man noch nicht an das Träger-Englisch gewöhnt -ist. Erst mit der Zeit lernt man es verstehen.</p> - -<p>Wo diese Sprache herstammt, ist ein Geheimnis; -jedenfalls wird man auf Erden nichts Aehnliches<span class="pagenum" id="Seite_39">[39]</span> -finden und im Paradiese erst recht nicht – möglicherweise -aber unter den Verdammten. Man mietet einen -›Träger‹, sobald man den Boden Indiens betritt, -denn niemand, ob Mann oder Weib, kann ohne ihn -bestehen. Er ist Bote, Kammerdiener, Zimmermädchen, -Aufwärter, Kurier, Jungfer – alles in einer -Person. Bei seinem Eintritt bringt er, außer einem -grobleinenen Wäschesack auch eine Decke mit; er schläft -auf den Steinfliesen vor der Stubentür; wo und -wann er seine Mahlzeiten hält, ist unbekannt; man -weiß nur, daß er im Hause kein Essen bekommt, mag -man in einem Hotel wohnen oder als Gast in einer -Privatfamilie. Er bezieht einen hohen Lohn – -nach indischen Begriffen – und sorgt selbst für -seine Kost und Kleidung. Wir hatten in drittehalb -Monaten drei ›Träger‹, der erste erhielt monatlich -30 Rupien – etwa 27 Cents täglich – die beiden -andern 40 Rupien den Monat. Eine fürstliche Bezahlung! -In Indien erhält der eingeborene Weichensteller -auf der Eisenbahn höchstens 7 Rupien -monatlich, desgleichen der eingeborene Bediente in -einem Privathaus, und der Knecht auf dem Lande -nur 4 Rupien. Die beiden ersteren beköstigen und -kleiden sich und ihre Familien selbst; ob das der -Knecht bei dem Monatslohn von 1 Dollar 8 Cents<span class="pagenum" id="Seite_40">[40]</span> -auch tut, möchte ich bezweifeln. Vermutlich nährt -ihn das Land, und mit seinem Verdienst bestreitet -er den Unterhalt der Familie, nebst einer kleinen Abgabe -für den Priester. Kleidung und Wohnung -der Seinigen kosten nichts; sie leben in einer selbsterbauten -Erdhütte, für die sie schwerlich Miete zahlen -und tragen die ersten besten Lumpen; bei Knaben -ist selbst das nicht vonnöten. Uebrigens sind für -den Tagelöhner auf dem Lande jetzt gute Zeiten, -er hat nicht immer ein so üppiges Leben geführt. -Als der Hauptbevollmächtigte der Provinzen des -Innern unlängst die Klagen einer Abordnung von -Eingeborenen in einem amtlichen Erlaß als unbegründet -zurückwies, erinnerte er sie daran, daß vor -kurzem der Tagelohn noch eine halbe Rupie monatlich -betragen habe, täglich nicht ganz einen Cent, -$ 2.90 im Jahr. Wenn ein solcher Lohnarbeiter -eine große Familie hatte – und mit diesem Reichtum -beschenkt der Himmel die armen Eingeborenen -ohne Ausnahme – so konnte er bei strengster Sparsamkeit -vielleicht 15 Cents vom Ertrag seiner Jahresarbeit -erübrigen. Eine Schuld von $ 13.50 -hätte er in 90 Jahren abtragen können, wenn er -Leben und Gesundheit behielt. Man stelle sich nur -einmal vor, was das sagen will: Indien hat verhältnismäßig<span class="pagenum" id="Seite_41">[41]</span> -wenige Städte; fast das ganze Land -ist mit unabsehbaren Feldern bedeckt, die durch Lehmmauern -von einander getrennt sind. Die ungeheure -Masse der Bevölkerung besteht also einzig und allein -aus landwirtschaftlichen Arbeitern. Kennt man diese -Tatsachen, so erhält man erst einen Begriff von der -grenzenlosen Armut, die sich hier ansammeln muß.</p> - -<p>Der erste Diener, der sich bei uns meldete, wartete -unten und schickte seine Zeugnisse herauf; es -war am Morgen nach unserer Ankunft in Bombay. -Wir prüften sie sorgfältig und fanden nichts daran -auszusetzen, bis auf das eine: sie waren alle von -Amerikanern ausgestellt. Wir sind ein zu gutmütiges -Volk und bringen es nicht übers Herz, einem -armen Menschen, der sein Brot verdienen muß, -durch unser Urteil zu schaden. So erwähnen wir -in dem Zeugnis nur seine guten Eigenschaften, ja, -wir preisen sie nicht selten über Gebühr, und lassen -die schlechten auf sich beruhen. Ueber diese stumme -Lüge machen wir uns keine Gewissensbisse, und doch -ist sie im Grunde verächtlicher als eine ausgesprochene -Unwahrheit, mit der man die Leute nicht so leicht -betrügt, weil sie sich durchschauen läßt. In Frankreich -ist das anders; dort hat man wenigstens die -Entschuldigung, daß ein Herr dem entlassenen Diener<span class="pagenum" id="Seite_42">[42]</span> -ein gutes Zeugnis geben und seine Fehler verschweigen -<em class="gesperrt">muß</em>, er mag wollen oder nicht. Erwähnt -man zum Schutz für den nächsten Brotherrn die -Untugenden des Dieners, so kann er auf Schadenersatz -klagen, und der Gerichtshof erkennt seine Forderungen -an, ja, er erteilt dem wahrheitsliebenden -Herrn noch eine derbe Rüge, weil er versucht hat, -einen armen Menschen um sein Brot zu bringen und -ihm den guten Ruf abzuschneiden. – Ich würde dergleichen -nicht behaupten, wüßte ich es nicht aus -dem Munde eines berühmten französischen Arztes, -eines geborenen Parisers, der mir sagte, das sei -nicht nur allgemein bekannt, sondern er selber habe -in dieser Hinsicht sehr schlimme persönliche Erfahrungen -gemacht.</p> - -<p>Die reisenden Amerikaner hatten, wie gesagt, -den Manuel X. in seinem Zeugnis so warm empfohlen, -daß Sankt Petrus selbst ihn darauf hin zum -Himmelstor eingelassen hätte, wenn der Heilige, wie -ich vermute, mit den Gepflogenheiten meiner Landsleute -nicht gerade sehr vertraut ist. Der Diener war -als ein Ausbund von Geschicklichkeit in allen Künsten -seines vielgestaltigen Berufs geschildert. Mit ganz -besonderem Entzücken wurde seine ausgezeichnete -Kenntnis des Englischen erwähnt, was mich sehr<span class="pagenum" id="Seite_43">[43]</span> -freute, denn ich hoffte, es würde doch etwas Wahres -daran sein.</p> - -<p>Einen Diener mußten wir unverzüglich haben; -die Meinigen nahmen Manuel daher für eine Woche -zur Probe an und schickten ihn zu mir herauf. Ich -hütete wegen meines Bronchialkatarrhs das Zimmer -und sehnte mich nach einer kleinen Abwechslung -und Unterhaltung. Da kam mir Manuel gerade -recht. Er war ungefähr fünfzig Jahre alt, groß und -schlank, hielt sich aus gewohnheitsmäßiger Ehrerbietung -etwas vornüber gebeugt, hatte ein Gesicht -von europäischem Schnitt, kohlschwarzes Haar, ein -paar sanfte, fast furchtsame schwarze Augen, eine -sehr dunkle Hautfarbe und ein glattgeschorenes Kinn. -Anders als barhaupt und barfuß habe ich ihn während -seiner Dienstwoche bei uns nie gesehen; die -europäischen Kleider, welche er anhatte, waren -schlecht, dünn und sehr abgetragen.</p> - -<p>So stand er vor mir, verbeugte sich zum Gruß -mit dem ganzen Oberkörper nach der feierlichen Art -der Inder und berührte seine Stirn mit den Fingerspitzen -der rechten Hand.</p> - -<p>»Offenbar bist du ein Hindu, Manuel,« sagte -ich, »aber du hast einen spanischen Namen – wie -kommt das?«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_44">[44]</span></p> - -<p>Der Diener machte ein verblüfftes Gesicht; er -hatte nichts verstanden und wollte es sich doch nicht -merken lassen.</p> - -<p>»Name Manuel. Ja Herr,« antwortete er -gelassen.</p> - -<p>»Das weiß ich, aber woher hast du ihn?«</p> - -<p>»O ja, vermutlich. Wird wohl so sein. Vater -heißt ebenso, Mutter nicht.«</p> - -<p>Ich versuchte mich einfacher auszudrücken, um -von diesem gelehrten Engländer verstanden zu werden, -und sprach sehr langsam und deutlich:</p> - -<p>»Von – wem – hat – dein – Vater – -seinen – Namen?«</p> - -<p>»O, der –« sein Gesicht erhellte sich – »er -Christ sein, portugiesischer – wohnen in Goa. Ich -geboren Goa. Mutter nicht Portugiesin – Mutter -Eingeborene – Brahminenkaste – oberste Stufe -– keine Kaste so hoch wie diese. Ich auch hochgeborener -Brahmine. Auch Christ, wie Vater -– hoher christlicher Brahmine, Herr – Heilsarmee.«</p> - -<p>Diese Worte brachte er stotternd und schwerfällig -heraus. Dann kam es plötzlich wie Begeisterung -über ihn und er erging sich in einem langen Schwall -unverständlicher Reden.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_45">[45]</span></p> - -<p>»Höre auf,« unterbrach ich ihn. »Hindustani -verstehe ich nicht.«</p> - -<p>»Nicht Hindustani, Herr – Englisch. Ich sprechen -Englisch immer, den ganzen Tag, manchmal.«</p> - -<p>»Gut, so lasse ich mir’s gefallen; es ist zwar -nicht was ich nach deinem Zeugnis erwartet und -gehofft hatte, doch ist es verständlich. Schmücke es -nicht weiter aus. Sprachverschnörkelungen, die den -Sinn beeinträchtigen, sind mir verhaßt.«</p> - -<p>»Herr?«</p> - -<p>»Das war nur eine allgemeine Bemerkung. -Aber sage mir, wie kommst du zu deinem Englisch? -Hast du es gelernt, oder ist es nur eine Gabe Gottes?«</p> - -<p>Manuel zögerte mit der Antwort.</p> - -<p>»Ja,« sagte er dann in frommem Ton. »Er -sehr gut. Christengott sehr gut, Hindugott auch -sehr gut. Zwei Millionen Hindugott, ein Christengott. -Gehören alle mein, zwei Millionen und ein -Gott – ich haben sehr viele. Manchmal ich beten -zu sie allezeit, gehen jeden Tag an Altar, geben -Geld; gut für mich – macht mich besserer Mann, -gut für meine Kinder auch, verdammt gut.«</p> - -<p>Nun fing er wieder an, allerhand unzusammenhängendes -Zeug zu schwatzen, bis ich unserm Gespräch -ein Ende machte und ihm befahl, das Badezimmer<span class="pagenum" id="Seite_46">[46]</span> -in Ordnung zu bringen und den Boden aufzuwischen -– ich wollte ihn los sein. Er tat als verstünde er -mich, nahm meine Kleider aus dem Schrank und -begann sie zu bürsten. Endlich, nachdem ich ihm -meine Wünsche noch mehrmals in immer einfacheren -Worten kundgetan, begriff er was ich wollte. Er -ging hin und holte einen Kuli, um die Arbeit zu -tun. Wenn er sie selbst verrichtete, erklärte er mir, -würde er das Gesetz seiner Kaste übertreten und -sich verunreinigen. Er könne sich dann nur mit -großer Not und Schwierigkeit wieder zu Ehren -bringen. Dergleichen Arbeit sei den höheren Kasten -streng verboten, sie müßte von den Hindus der untersten -Kaste, den verachteten Sudras getan werden.</p> - -<p>Darin hatte Manuel vollkommen recht. Auch -haben sich die armen Sudras anscheinend seit Jahrhunderten -in ihr elendes Los ergeben, das sie sozusagen -von Anbeginn der Welt dem Schimpf und -der Bedrückung preisgibt. In den Verordnungen -des Manu (900 v. Chr.) steht, daß wenn sich ein -Sudra <em class="gesperrt">nicht auf einen niedrigeren Platz -setzt als der Höhergestellte, er verbannt -und gebrandmarkt werden soll</em> -… beleidigt er ein Mitglied der höheren Kaste, -<em class="gesperrt">so wird er mit dem Tode bestraft</em>. Hört<span class="pagenum" id="Seite_47">[47]</span> -er zu, wenn die heiligen Bücher vorgelesen werden, -so soll ihm <em class="gesperrt">siedendes Oel in die Ohren -gegossen werden</em>; lernt er Stellen davon auswendig, -<em class="gesperrt">so bringt man ihn um</em>; verheiratet -er seine Tochter an einen Brahminen, <em class="gesperrt">so fährt -der Gatte in die Hölle</em>, weil er sich durch -die Berührung mit einem so unendlich tief unter -ihm stehenden Weibe verunreinigt hat. Auch ist es -dem Sudra verboten, <em class="gesperrt">Reichtum zu erwerben</em>. -»Der Hauptbestandteil der indischen Bevölkerung« -(heute auf 300 000 000 geschätzt) sagt Bukle »sind -die Sudras – die Arbeiter, Landbauer und Erzeuger -des Wohlstands, und doch hat schon der Name -Sudra eine verächtliche Bedeutung.«</p> - -<p>Den armen alten Manuel konnten wir nicht -gebrauchen; er mochte wohl schon zu bejahrt für -uns sein. Ueber seine Langsamkeit wollte man schier -verzweifeln und seine Vergeßlichkeit überstieg alle -Grenzen. Um eine Besorgung in der nächsten Straße -zu machen, blieb er zwei Stunden aus und vergaß -unterwegs, was er holen sollte. Zum Packen eines -Koffers brauchte er eine Ewigkeit und wenn er -schließlich damit zustande kam, war der Inhalt ein -unbeschreibliches Chaos. Auch die Aufwartung bei -Tische besorgte er schlecht, und das ist ein sehr wesentlicher<span class="pagenum" id="Seite_48">[48]</span> -Mangel, denn wer sich in einem indischen -Hotel nicht auf seinen eigenen Diener verlassen darf, -ist übel dran und muß meist hungrig von Tische -aufstehen. Sein Englisch verstanden wir ebensowenig -wie er das unsrige, und als sich herausstellte, -daß er selbst nicht verstand was er sagte, war es -hohe Zeit uns von ihm zu trennen. Fortschicken -mußte ich ihn, das ließ sich nicht ändern, aber ich -tat es so sanft und freundlich, wie ich irgend konnte. -»Wir müssen scheiden,« sagte ich, »doch hoffe ich, -daß wir uns in einer bessern Welt wiederfinden.« -Die kleine Unwahrheit nahm ich mir nicht übel, -sie kostete nichts und ersparte ihm eine Kränkung.</p> - -<p>Sobald er fort war, fiel mir eine Last vom -Herzen, ich fühlte frische Kraft und neuen Mut, meine -Unternehmungslust wuchs und ich war bereit zu -allen Taten. Da kam auch schon Manuels neu -gemieteter Nachfolger hereingeflitzt; er berührte seine -Stirn, flog hierhin und dorthin auf sammetweichen -Sohlen, brachte in fünf Minuten das ganze Zimmer -in die musterhafteste Ordnung und stand dann ehrerbietig -da, weitere Befehle erwartend. Potztausend, -was war das für ein rühriges Kerlchen! Eine wahre -Erquickung nach der schläfrigen alten Schnecke, dem -Manuel. Vom ersten Augenblick an hing mein<span class="pagenum" id="Seite_49">[49]</span> -ganzes Herz voll Liebe und Bewunderung an dem -zweibeinigen, flinken, schwarzen Geschöpfchen, diesem -Inbegriff von Tatkraft, Schnelligkeit und Zuversicht, -diesem klugen, freundlichen, reizenden kleinen -Teufel mit den blitzenden Augen. Das flammendrote -Fez mit der feurigen Troddel, das ihm -oben auf dem Kopfe saß und wie eine brennende -Kohle glühte, kleidete ihn zum Entzücken.</p> - -<p>»Wir werden gut zusammen auskommen,« sagte -ich mit innerlichster Befriedigung. »Wie heißt du?«</p> - -<p>Er wickelte seinen Namen der ganzen Länge -nach mit geläufiger Zunge ab.</p> - -<p>»Warte, laß mich meine Auswahl treffen, zum -täglichen Gebrauch – den Rest versparen wir uns -auf den Sonntag. Sage mir’s noch einmal, aber -abteilungsweise.«</p> - -<p>Er tat es; doch war kein kurzer Name darunter, -außer Mausa, was mir nicht passend schien; es -erinnerte an Maus und war zu sanft und still -und viel zu unscheinbar für sein prächtiges Wesen.</p> - -<p>»Mausa ist kurz genug,« sagte ich nach einiger -Ueberlegung, »aber es gefällt mir nicht; es hat -weder Saft noch Kraft und ist nicht bezeichnend -genug – in solchen Dingen bin ich sehr empfindlich. -Was meinst du, wenn wir dich Satan nennten?«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_50">[50]</span></p> - -<p>»Ja Herr – Satan, sehr guter Name.«</p> - -<p>Es klopfte an der Tür; mit einem Sprunge -war Satan dort, ein paar Worte auf Hindustani -wurden gewechselt, dann schlüpfte er hinaus. Drei -Minuten später stand er in militärischer Haltung -wieder vor mir und wartete auf meine Anrede.</p> - -<p>»Was gibt es, Satan?«</p> - -<p>»Gott ist da, wünschen Sie zu sprechen.«</p> - -<p>»Wer?«</p> - -<p>»Gott. Ich ihn sollen hereinführen?«</p> - -<p>»Wie ist denn das möglich? – ich – ich weiß -wirklich nicht – so ganz unvorbereitet – erkläre -mir doch – ein so ungewöhnlicher Besuch –«</p> - -<p>»Hier seine Karte, Herr.«</p> - -<p>War es nicht merkwürdig, schrecklich und staunenerregend, -daß eine so hohe Persönlichkeit mich -armen Sterblichen besuchen wollte, und mir wie ein -gewöhnlicher Mensch seine Karte hereinschickte – -obendrein durch Satan? – Es schien mir ein völlig -verwirrendes, undenkbares Zusammentreffen. Aber -wir waren ja in Indien, dem Märchenlande; es -gibt nichts, was dort nicht geschehen könnte!</p> - -<p>Die Unterredung fand statt. Satan hatte ganz -recht. Mein Besucher war in den Augen seiner Anhänger -wirklich ein Gott und wurde von ihnen als<span class="pagenum" id="Seite_51">[51]</span> -solcher in aller Demut verehrt und angebetet. An -der Göttlichkeit seines Amtes und Ursprungs zu -zweifeln, liegt ihnen ferne. Sie glauben an ihn, -bringen ihm Gaben und Opfer dar und erlangen von -ihm Vergebung ihrer Sünden. Seine Person und -alles was diese betrifft, ist ihnen heilig; sie kaufen -sich von dem Barbier die abgeschnittenen Fingernägel -des Gottes, fassen sie in Gold und tragen sie -als kostbare Amulette.</p> - -<p>Ich versuchte eine ruhige Unterhaltung mit ihm -zu führen, aber ich brachte es nicht zustande. Hättet -ihr es tun können? – Meine Aufregung, Verwunderung -und Neugier waren zu groß; ich verschlang -ihn förmlich mit den Augen. Es war ein Gott, ein -wirklicher, anerkannter und beglaubigter Gott, den ich -da vor mir sah; seine Person, sein Anzug bis in die -kleinsten Einzelheiten, hatte ein überwältigendes Interesse -für mich. »Was für ein Unterschied!« dachte -ich: »selbst der höchstgestellte Mensch muß sich am -Zoll der Ehrerbietung und Höflichkeit genügen lassen, -den man ihm darbringt, aber <em class="gesperrt">er</em> ist der Empfänger -weit köstlicherer Geistesgaben – vor ihm kniet man, -ihn betet man an! Männer und Frauen legen die -Sorgen und Kümmernisse eines schwerbeladenen Herzens -ihm zu Füßen nieder und er verleiht ihnen Trost<span class="pagenum" id="Seite_52">[52]</span> -und Frieden, so daß sie geheilt von dannen gehen.«</p> - -<p>In diesem Augenblick sagte mein erhabener Gast -im einfachsten Tone von der Welt:</p> - -<p>»Was mir an der Lebensweisheit Ihres Huckleberry -Finn am besten gefällt, ist –« und dann fuhr -er fort, mir sein literarisches Urteil auf klare und -verständige Weise auseinander zu setzen.</p> - -<p>O, was für wunderbare Ueberraschungen erlebt -man doch in Indien! Ich gestehe, daß ich nicht ohne -Ehrgeiz bin und gehofft hatte, Könige, Präsidenten -und Kaiser würden mich lesen – aber <em class="gesperrt">so hoch</em> -hatte ich mich in meinen Erwartungen nie verstiegen. -Wollte ich leugnen, daß mich das unendlich -beglückte, so wäre es falsche Bescheidenheit. Selbst die -größte Anerkennung von seiten eines Menschen hätte -mir nicht solche Freude gemacht, das bekenne ich -ganz offen.</p> - -<p>Mein Gast blieb über eine halbe Stunde da -und war sehr höflich und liebenswürdig. Die göttliche -Würde besteht schon lange in seiner Familie, -seit wann weiß ich nicht. Er ist eine mohammedanische -Gottheit und nimmt auf Erden den Rang -eines persischen Prinzen ein, der in gerader Linie -vom Propheten abstammt. Er ist hübsch und noch -recht jung – für einen Gott – fünfunddreißig<span class="pagenum" id="Seite_53">[53]</span> -bis vierzig Jahre alt. Die göttliche Größe trägt er -mit Ruhe und Gelassenheit, wie es sich für seinen -erhabenen Beruf ziemt, und dabei sprach er das -Englische geläufig und rein, wie ein geborener Engländer. -Ich glaube nicht, daß ich übertreibe; ich -hatte vorher noch nie einen Gott gesehen, und er -machte mir einen sehr günstigen Eindruck. Als er -sich erhob um Abschied zu nehmen, ging die Tür -auf, ich sah draußen ein rotes Fez aufleuchten und -hörte die ehrerbietige Frage:</p> - -<p>»Soll Satan Gott hinausbegleiten?«</p> - -<p>»Ja.« – Die beiden unzusammengehörigen -Wesen verschwanden vor meinen Blicken, Satan ging -voraus und der <em class="gesperrt">Andere</em> folgte ihm.</p> - -<div class="figcenter" id="illu-053"> - <img class="w15" src="images/illu-053.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_54">[54]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap04">Viertes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Glück zu ertragen verstehen nur wenige. -Ich meine andrer Leute Glück.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Das nächste Bild in meiner Erinnerung ist das -Gouverneurshaus auf der Malabar-Spitze, wo man -von den Fenstern und großen Balkons weit ins -Meer hinausblickt. Seine Exzellenz, der Gouverneur -der Präsidentschaft Bombay, wohnt dort ganz nach -europäischer Art, in einem Staatspalast, der zugleich -ein behagliches Heim ist; nur die Leibwache und die -Diener sind Eingeborene. Da war England vertreten -mit seiner Macht und den Errungenschaften -seiner modernen Zivilisation; überall herrschten stille -Farben und gediegener Geschmack, ruhige Würde -und Vornehmheit.</p> - -<p>Nun folgte ein Bild altindischer Kultur in der -Behausung von Kumar Shri Samatsinhji Bahadur,<span class="pagenum" id="Seite_55">[55]</span> -dem Fürsten des Palitana-Staats. Bei unserm Besuch -sahen wir auch dessen Sohn und Erben nebst -seinem Schwesterchen. Die hübsche braune kleine -Elfe war zart gebaut, sehr ernsthaft, reizend anzuschauen -und gekleidet wie der zierlichste Schmetterling. -Sie machte uns zwar ein freundliches Gesicht, -doch zog sie es anfänglich vor, ihres Vaters Hand -nicht loszulassen, um die Fremden erst näher kennen -zu lernen und zu sehen, wie weit man ihnen trauen -dürfe. Die niedliche kleine Märchenprinzessin mochte -etwa acht Jahre alt sein; in drei oder vier Jahren -mußte sie also nach indischem Brauch heiraten. Dann -war ihr freies Leben in Luft und Sonnenschein -zu Ende und von einem Verkehr mit männlichen Besuchern -durfte nicht mehr die Rede sein. Gleich ihrer -Mutter wird sie sich auf Lebenszeit im Frauengemach -einschließen, sich aus angeerbter Gewohnheit glücklich -fühlen und ihre Beschränkung weder als lästigen -Zwang noch als trübselige Gefangenschaft ansehen.</p> - -<p>In seinen Mußestunden unterhält sich der Fürst -mit einem Spiel – aber davon will ich lieber nicht -reden; ich könnte es doch nicht so beschreiben, daß -man es versteht. Es ist sehr verwickelt, und obgleich -ich mir alle Mühe gab es zu begreifen, gelang es -mir doch nicht; man sagt, daß nur ein Inder das<span class="pagenum" id="Seite_56">[56]</span> -Spiel erlernen kann. Meine Frau und Tochter besuchten -unterdessen die Fürstin im Frauengemach -– eine liebenswürdige Dame, die fließend Englisch -spricht. – Auch einen Turban zu winden war ich -nicht imstande; es sieht so einfach und leicht aus, -als wäre es gar keine Kunst, das beruht jedoch auf -Täuschung. Der Inder nimmt das eine Ende eines -vierzig bis fünfzig Fuß langen und etwa einen Fuß -breiten, dünnen, zarten Gewebes in beide Hände, -windet es sorgfältig fest um den Kopf, wobei er -den Stoff mehrmals dreht – in ein paar Minuten -ist das Kunstwerk regelrecht vollendet und sitzt -wie angegossen.</p> - -<p>Wir interessierten uns sehr für die fürstliche -Garderobe, die Edelsteine und das schön geformte, -prächtig verzierte Silbergerät. Letzteres wird bei -den Mahlzeiten gebraucht und im übrigen stets verschlossen -gehalten; nur der erste Diener und der -Fürst selber haben Schlüssel zum Silberschrank. Der -Zweck dieser Maßregel ist aber keineswegs den Silberschatz -zu hüten, sondern vermutlich den Fürsten -vor einer Verunreinigung zu schützen, welcher seine -Kaste ausgesetzt wäre, wenn Diener aus einer niederen -Kaste die Gefäße berührten; vielleicht fürchtet -seine Hoheit auch Gift! Ich glaube ein besoldeter<span class="pagenum" id="Seite_57">[57]</span> -Vorkoster muß jede Speise versuchen, ehe der Fürst -sie genießt. Das ist eine alte, weise Sitte im Orient, -die gar manchen Vorkoster an Stelle seines Herren -ins Jenseits brachte, denn natürlich ist es der Koch, -der das Gift in das Essen tut. Wäre ich ein indischer -Fürst, so würde ich mit dem Koch speisen und die -Stelle des Vorkosters eingehen lassen.</p> - -<p>Alle Zeremonien flößen mir stets Interesse ein; -auch mit dem indischen Morgengruß ist eine solche -verbunden: Der Sohn berührt dabei ehrfurchtsvoll -des Vaters Stirn mit einem kleinen silbernen Röhrchen, -das in Saft getaucht wird, welcher einen roten -Punkt zurückläßt; hierauf segnet der Vater den Sohn. -Wenn wir uns damit begnügen, Guten Morgen zu -sagen, so paßt das zwar zu unsern formlosen Gewohnheiten, -aber für den Orient wäre es lange nicht -umständlich und feierlich genug.</p> - -<p>Beim Schluß unseres angenehmen Besuchs legte -man uns noch, wie es die Sitte verlangt, große -gelbe Blumenkränze um den Hals und versah uns -mit Betelnüssen zum Kauen. Dann begaben wir uns -aus diesem farbenprächtigen, sonnigen Leben nach -einem Schauplatz ganz anderer Art, nach den ›Türmen -des Schweigens‹, wohin die Parsen ihre Toten -bringen. Der Name hat einen erhabenen eindrucksvollen<span class="pagenum" id="Seite_58">[58]</span> -Klang, über dem die Stille des Todes schwebt. -Wenn wir von Grabhügel, Grabgewölbe, Gottesacker -und Friedhof reden, so haben diese Wörter zwar -auch, durch die sich daran knüpfenden Gedanken, eine -feierliche Bedeutung für uns gewonnen, aber so majestätisch -tönen sie doch nicht an unser Ohr.</p> - -<p>Auf einer Anhöhe, mitten in einem tropischen -Paradies von Blumen und Laubwerk, fern vom -lärmenden Weltgetriebe, standen die ›Türme des -Schweigens‹ da; ringsum breiteten sich große Haine -von Kakaopalmen aus, dann die Stadt in meilenweitem -Umkreis, dahinter das von Schiffen wimmelnde -Meer, und über allem schwebte dieselbe lautlose -Stille, welche droben den Platz der Toten umgab. -Die Geier hatten sich eingestellt; sie saßen am Rande -des niedrigen festen Turmes in einem großen Kreise -dichtgedrängt, regungslos, wie aus Stein gemeißelt -– und warteten. Man war fast versucht, sie für -leblose Bildwerke zu halten. Plötzlich traten die -Anwesenden – es mochten etwa zwanzig Personen -zugegen sein – ehrfurchtsvoll beiseite, und das Gespräch -verstummte. Ein Leichenzug bewegte sich durch -das große Gartentor nach dem Turme hin. Der -Tote lag auf einer flachen Bahre mit einem weißen -Tuche bedeckt, sonst aber unbekleidet; zwischen den<span class="pagenum" id="Seite_59">[59]</span> -Leichenträgern und dem Trauergefolge ließ man -einen Abstand von dreißig Fuß. Die paarweise einherschreitenden -Leidtragenden, in weiße Gewänder -gehüllt, waren je zwei und zwei mit Stricken oder -Tüchern zusammengebunden – das heißt, im bildlichen -Sinne – eigentlich hielt nur jeder ein Ende -in der Hand. Hinter dem Zuge führte man einen -Hund an der Leine. Als die Trauernden unweit -des Turmes angelangt waren – es darf außer den -Trägern mit der Leiche kein Mensch näher kommen -als bis auf dreißig Fuß – kehrten sie wieder um -und begaben sich nach einem kleinen Tempel im -Garten, um für den abgeschiedenen Geist zu beten. -Die Träger schlossen indessen die Tür auf, welche -den einzigen Gang zum Turme bildet und verschwanden -drinnen vor unsern Blicken. Nach einer Weile -kamen sie wieder heraus, Bahre und Leichentuch -tragend, und verschlossen die Tür. Nun erhoben sich -die Geier im Kreise, schlugen mit den Flügeln und -schossen in den Turm hinunter, um die Leiche zu verzehren. -Als der ganze Schwarm wenige Minuten -später wieder davonflog, blieb nur das völlig abgenagte -Skelett zurück.</p> - -<p>Der Gedanke, welcher bei einem Parsenbegräbnis -allen Bestimmungen zu Grunde liegt, ist die<span class="pagenum" id="Seite_60">[60]</span> -Reinheit. Nach den Lehren des Zoroaster sind die -Elemente Erde, Feuer und Wasser geheiligt und -dürfen nicht durch Berührung eines Leichnams befleckt -werden. Daher kann man die Toten weder verbrennen -noch begraben, auch ist jedem untersagt, -eine Leiche zu berühren oder den Turm zu betreten, -in dem sie liegt. Nur den von Amtswegen dazu -bestimmten Männern wird dies gestattet; sie erhalten -hohen Lohn, führen jedoch ein einsames, trübseliges -Leben, denn sie müssen allen Umgang mit andern -Genossen meiden, weil sie sich durch ihren Verkehr -mit den Toten verunreinigen; wer sich zu ihnen -gesellt, wird gleichfalls befleckt. Bei ihrer Rückkehr -aus dem Turm wechseln sie ihre Kleider in einem -innerhalb der Tore gelegenen, besonders dazu bestimmten -Gebäude. Den Anzug, welchen sie getragen -haben, lassen sie dort zurück, denn er ist unrein und -darf nicht mit hinausgenommen, noch überhaupt -wieder benützt werden. Zu jedem Begräbnis kommen -die Träger in neuen Kleidern. Kein menschliches -Wesen, außer den angestellten Leichenträgern, hat -je einen ›Turm des Schweigens‹ nach dessen Einweihung -betreten, bis auf einen einzigen Fall. Es -ist jetzt gerade hundert Jahre her, da drang einmal -ein Europäer hinter den Trägern ins Innere des<span class="pagenum" id="Seite_61">[61]</span> -Turmes, um seine rohe Neugier an dem verbotenen -Anblick des geheimnisvollen Ortes zu sättigen. Name -und Stand des frechen Eindringlings sind unbekannt -geblieben; da er jedoch für sein schweres Vergehen -keine andere Strafe seitens der Regierung -der Ostindischen Kompagnie erhalten hat, als einen -öffentlichen Verweis, so liegt die Vermutung nahe, -daß es ein Europäer aus angesehener Familie war. -In dem amtlichen Schreiben, welches jene feierliche -Rüge enthielt, wurde zugleich jedem, der sich künftig -einer ähnlichen Uebertretung schuldig machte, angekündigt, -man werde ihn, falls er im Dienst der Kompagnie -stehe, sofort entlassen; Mitglieder des Kaufmannsstandes -dagegen sollten ihre Handelsberechtigung -verlieren und aus Indien verbannt werden.</p> - -<p>Die ›Türme des Schweigens‹ sind im Verhältnis -zu ihrem Umfang nicht hoch. Will man sich einen -ungefähren Begriff von ihrer Form machen, so stelle -man sich einen Gasometer vor, der bis zur Hälfte -seiner Höhe mit festen Granitsteinen ausgemauert -ist, durch welche man in der Mitte einen breiten -und tiefen Schacht gebohrt hat. Ringsum auf dem -Mauerwerk liegen die Toten in flachen, rinnenartigen -Vertiefungen, welche wie die Speichen eines Rades -in schräger Richtung nach dem Brunnen zu auslaufen<span class="pagenum" id="Seite_62">[62]</span> -und ihm das Regenwasser zuführen, das durch -unterirdische Kanäle mit Kohlenfiltern wieder abgeleitet -wird.</p> - -<p>Hat das Skelett einen Monat lang, dem Regen -und der glühenden Sonne ausgesetzt, im Turm gelegen, -so ist es vollkommen trocken und rein. Dann -kommen dieselben Träger behandschuht wieder, fassen -es mit einer Zange an und werfen es in den Schacht, -wo es in Staub zerfällt. Andere Völker scheiden -ihre Toten voneinander und bewahren die Standesunterschiede -noch im Grabe. Sie bestatten die Leichen -von Königen, Staatsmännern, Generälen, in Tempeln -und Pantheons, wie es ihrem Range gebührt, -und die Leichen der Armen und gemeinen Leute an -Orten, die ihrem niedern Stande angemessen sind. -Die Parsen dagegen glauben, daß im Tode alle -Menschen gleich sind. Zum Zeichen ihrer Armut -trägt man sie nackt in die Grube, zum Zeichen ihrer -Gleichheit wirft man die Gebeine der Reichen, der -Armen, der Berühmten und der Unbekannten zusammen -in denselben Brunnenschacht. Bei einem Parsenbegräbnis -sieht man keine Wagen; wer sich daran -beteiligt, sei er reich oder arm, muß zu Fuße gehen, -mag die Entfernung auch noch so groß sein. Seitdem -die Parsen vor zweihundert Jahren, durch die<span class="pagenum" id="Seite_63">[63]</span> -mohammedanischen Eroberer vertrieben, aus Persien -nach jener Gegend Indiens eingewandert sind, hat -sich in den fünf vorhandenen ›Türmen des Schweigens‹ -der Staub aller ihrer Männer, Frauen und -Kinder vermischt, die in Bombay und dessen Umgegend -gestorben sind.</p> - -<p>Was der Hund bei dem Begräbnis bedeutet, -weiß niemand mehr recht zu erklären; er soll bei -den alten Parsen ein heiliges Tier gewesen sein, -das die abgeschiedenen Seelen zum Himmel geleitete. -Der Hund, den ich damals sah, machte mir -einen tiefen Eindruck, er war ja ein Rätsel, zu dem -der Schlüssel verloren gegangen ist. Traurig und -mit gesenktem Kopf kam er daher, als sei er bemüht, -sich das Sinnbild ins Gedächtnis zurückzurufen, welches -vorzustellen man ihn vor grauen Jahren beauftragt -hatte. Das heilige Feuer, das in der Nähe -brennt, bekam ich nicht zu sehen; die ursprüngliche -Flamme soll seit zweihundert Jahren nicht erloschen -sein.</p> - -<p>Die Parsen behaupten, daß ihre Art der Totenbestattung -der wirksamste Schutz für die Lebenden ist. -Weder Krankheitskeime noch Fäulnis, noch irgend -welche Unreinigkeit wird dadurch verbreitet; keine -Hülle, kein Kleidungsstück, das dem Toten angehört<span class="pagenum" id="Seite_64">[64]</span> -hat, darf wieder mit einem Lebenden in Berührung -kommen. Nichts geht von den Türmen des Schweigens -aus, was der Welt draußen Schaden zu bringen -vermöchte. Wir können den Parsen nur recht geben. -In gesundheitlicher Beziehung hat ihr System dieselben -Vorzüge wie die Leichenverbrennung. Wir -nähern uns jetzt langsam aber sicher dieser Bestattungsart. -Daß sich die Wandlung rasch vollziehen -wird, kann man nicht erwarten, aber wenn sie nur -allmählich und stetig fortschreitet, so genügt das -vollständig. Ist die Leichenverbrennung erst einmal -zur allgemeinen Regel geworden, so wird unser -Grauen davor verschwinden; auch die Toten zu begraben -würde uns Schauer erregen, wenn wir uns vergegenwärtigen -wollten, was im Grabe vorgeht.</p> - -<p>Die Parsen sind eine merkwürdige Volksgemeinde. -In Bombay leben etwa 60 000 und halb -so viel im übrigen Indien, aber was ihnen an Zahl -abgeht, ersetzen sie durch ihre Bedeutung. Sie sind -hochgebildet, tatkräftig, unternehmend, reich, dem -Fortschritt huldigend, und nicht einmal die Juden -zeigen sich so freigebig und wohltätig gegen jedermann -ohne Unterschied. Viele Hospitäler für Menschen -und Tiere sind von den Parsen erbaut und mit -reichen Geldmitteln ausgestattet worden. Sie sowohl<span class="pagenum" id="Seite_65">[65]</span> -als ihre Frauen haben eine stets offene Hand, wo es -sich um irgend einen großen und guten Zweck handelt. -In politischer Hinsicht bilden sie eine Macht, welche -der Regierung wesentliche Unterstützung gewährt. Die -Lehren ihrer Religion sind rein und erhaben, sie -halten unverbrüchlich an ihnen fest und richten ihr -ganzes Leben danach ein.</p> - -<p>Ehe wir den Garten der ›Türme des Schweigens‹ -verließen, warfen wir noch einen Blick auf die wundervolle -Aussicht, welche Ebene, Stadt und Meer -uns boten. Das letzte, was mir dabei ins Auge fiel, -war ein natürliches Sinnbild des Todes: auf einem -freien Platz im Garten saß ein Geier auf dem abgesägten -Stumpf eines hohen, schlanken Palmbaums. -Er verharrte regungslos in seiner Stellung, wie -ein Steinbild auf einer Säule; dabei hatte er einen -förmlichen Grabesblick, der ganz zu der Stimmung -des Ortes paßte.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_66">[66]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap05">Fünftes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Es gibt einen alten goldenen Spruch, -welcher lautet: »Wohl dir, wenn du -beim Aufstieg zum Hügel des Glücks -keinem Freunde begegnest.«</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Zunächst wurden wir von Bekannten nach -einem Dschain-Tempel mitgenommen; er war nicht -groß und mit vielen flatternden Wimpeln geschmückt, -die an Flaggenstangen befestigt sind; auf den Zinnen -des Daches stehen ringsum eine Unmenge kleiner -Götzenbilder. In der Mitte des innern Raumes -sagte ein einsamer Dschain laut seine Gebete her und -ließ sich durch unsere Gegenwart in keiner Weise -stören. Seine Andacht galt einem kleinen, sitzenden, -rosig gefärbten Götzen, der sich etwa zwölf Fuß vor -ihm befand und einer schlecht geformten Wachsfigur -glich. Mr. Gandhi, der dem Kongreß der Weltreligionen -in Chicago als Abgeordneter beigewohnt -hat, setzte uns die Lehren der Dschaina in trefflichem -Englisch auseinander, aber was er sagte ist meinem -Gedächtnis entschwunden. Ich weiß nur noch, daß -sich ihre religiösen Vorstellungen in erhabene Formen<span class="pagenum" id="Seite_67">[67]</span> -kleiden, und grobe Sinnlichkeit ihnen fremd ist. Wie -sich das mit der Anbetung des rohen Götzenbildes -vereinbaren läßt, kann ich nicht erklären. Vermutlich -stellt dieses ein Wesen dar, das nach vielhundertjährigen -Seelenwanderungen, bei stetiger Zunahme -an Frömmigkeit und Tugend, zuletzt zu einem Heiligen, -einer Art Gottheit geworden ist, welche die -Anbetung stellvertretend entgegennimmt, um sie der -Himmelsbehörde zu übermitteln. So denke ich es -mir wenigstens.</p> - -<p>Von dort begaben wir uns nach Mr. Premchand -Roychands Bungalow im Love Lane, Byculla, -wo ein indischer Fürst, der kürzlich von der Kaiserin -Viktoria zum Ritter des indischen Sternordens ernannt -worden war, die Abgesandten der Dschaina -empfangen wollte, welche ihm wegen dieser hohen -Ehre ihre Glückwünsche darbrachten. Selbst der -größte indische Fürst verschmäht die Auszeichnung -nicht; er erläßt seinen Untertanen die Steuern und -gibt viel Geld aus zur Verbesserung der öffentlichen -Zustände, wenn er dafür die Ritterwürde erlangen -kann. Alljährlich verleiht die Kaiserin verschiedenen -einheimischen Fürsten zum Lohn für ihre Verdienste -den Stern von Indien und teilt zugleich Kanonen -an sie aus, welche sie beim Salutschießen abfeuern<span class="pagenum" id="Seite_68">[68]</span> -dürfen. Ein kleiner Fürst hat drei oder vier Kanonen, -die ihm den Ehrengruß bringen, und mit -der Bedeutung des Fürsten nimmt auch die Zahl -seiner Kanonen zu, bis auf elf Stück, ja vielleicht -haben manche noch mehr, aber das weiß ich nicht -bestimmt. Mir ist gesagt worden, daß wenn ein vier -Kanonen-Fürst die fünfte erhält, seine Umgebung -sehr darunter leidet, denn solange ihm die Sache -noch neu ist, möchte er bei jeder Gelegenheit Salutschüsse -haben, und die ohrenzerreißende Musik will -gar kein Ende nehmen. Wie viele Kanonen so große -Herrscher wie der Nizam von Hyderabad und der -Gaikawar von Baroda haben, vermag ich, wie gesagt, -nicht anzugeben.</p> - -<p>Als wir das Bungalow betraten, fanden wir -die große Halle im Erdgeschoß bereits voller Menschen, -und noch immer kamen neue Wagen vorgefahren. -Die Versammlung bot ein hübsches Schauspiel; -alles funkelte und blitzte wie bei einem Feuerwerk, -so bunt waren die Kostüme und so glänzend -die Farben. Ganz besonders merkwürdig fand ich -die Ausstellung der verschiedenen Turbans. Ihre -wunderbare Mannigfaltigkeit erklärte sich dadurch, -daß die Mitglieder der Dschaina-Gesandtschaft aus -allen Teilen Indiens stammten und jeder einen<span class="pagenum" id="Seite_69">[69]</span> -Turban trug, wie er in seiner Gegend Sitte war.</p> - -<p>Ich würde dort gern eine Konkurrenz-Ausstellung -von christlichen Trachten und Kopfbedeckungen -veranstaltet haben. Dazu hätte ich nur alle indische -Herrlichkeit aus einer Hälfte des Raumes zu entfernen -und diese mit Christen aus Amerika, England -und den Kolonien anzufüllen brauchen, welche -Hüte und Kleider trugen, wie sie vor zwanzig, vierzig, -fünfzig Jahren Mode waren oder wie man sie -heutzutage hat. Es wäre eine greuliche Sammlung -gewesen, ein Anblick von ausgesuchter Scheußlichkeit. -Auch die weiße Gesichtsfarbe hätte ihr Teil dazu -beigetragen. Sie kommt uns zwar nicht gerade unleidlich -vor, solange wir uns unter lauter Weißen -befinden, sehen wir sie aber zusammen mit einer -Menge brauner oder schwarzer Gesichter, so wird -uns augenblicklich klar, daß nur die Gewohnheit sie -erträglich macht. Eine schwarze oder braune Haut ist -fast immer schön, eine weiße nur sehr selten. Will -man sich hiervon überzeugen, so braucht man nur -an einem Wochentage in Paris, New York oder London -eine Straße hinunterzugehen – nicht gerade -im vornehmsten Viertel – und sich zu merken, wie -vielen Menschen mit gutem Teint man auf einer etwa -meilenlangen Strecke begegnet. Neben dunkeln Gesichtern<span class="pagenum" id="Seite_70">[70]</span> -sehen die weißen ausgewaschen, ungesund, -oft förmlich gespensterhaft aus. Schon als Knabe -hatte ich daheim, zur Sklavenzeit vor dem Bürgerkrieg, -Gelegenheit gehabt diese Beobachtung zu -machen. Wahrhaft bewundernswert erschien mir -aber die prächtige schwarze Haut der südafrikanischen -Zulus aus Durban, die wie Atlas glänzte. -Ich sehe sie noch vor mir, diese schwarzen Athleten, -wie sie mit den Rickschas vor dem Hotel auf Kundschaft -warteten. Die schönen Gestalten waren nur -wenig verhüllt durch die leichte Sommerkleidung, -deren schneeiges Weiß das tiefe Schwarz der Neger -um so mehr hervortreten ließ. In Gedanken vergleiche -ich jene Zulu-Gruppe mit den Bleichgesichtern, -die soeben an meinem Fenster in London vorübergehen:</p> - -<p><em class="gesperrt">Erste Dame</em>: Gesichtsfarbe: neues Pergament.</p> - -<p><em class="gesperrt">Zweite</em>: Altes Pergament.</p> - -<p><em class="gesperrt">Dritte</em>: Weiß und rot; sehr hübsch.</p> - -<p><em class="gesperrt">Ein Mann</em>: Graues Gesicht mit roten Flecken.</p> - -<p><em class="gesperrt">Ein anderer Mann</em>: Ungesunde, schuppige -Haut.</p> - -<p><em class="gesperrt">Mädchen</em>: Blaßgelb mit Sommersprossen.</p> - -<p><em class="gesperrt">Alte Frau</em>: Weißlichgrau.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_71">[71]</span></p> - -<p><em class="gesperrt">Metzgerbursche</em>: Stark gerötetes Gesicht.</p> - -<p><em class="gesperrt">Gelbsüchtiger Mann</em>: Helle Senffarbe.</p> - -<p><em class="gesperrt">Aeltere Dame</em>: Farblose Haut mit zwei -großen Muttermälern.</p> - -<p><em class="gesperrt">Aelterer Mann</em> (dem Trunk ergeben): Kartoffelnase -in einem welken, von feuerroten Falten -durchzogenen Gesicht.</p> - -<p><em class="gesperrt">Gesunder junger Herr</em>: Schöner, frischer -Teint.</p> - -<p><em class="gesperrt">Kranker junger Herr</em>: Weiß, wie ein -Gespenst.</p> - -<p>Die Hautfarbe unzähliger Menschen ist nur eine -matte, charakterlose Abschattierung dessen, was wir -fälschlich ›weiß‹ zu nennen pflegen. Manche Gesichter -sind mit Pusteln bedeckt oder tragen sonstige -Zeichen eines ungesunden Blutes, während andere -grell abstechende Narben und Flecken haben. Im -Gesicht des weißen Mannes läßt sich nichts verbergen; -durch alle erdenklichen Zufälligkeiten werden -seine Reize beeinträchtigt. Die Damen schminken -und pudern sich, brauchen Schönheitswasser, Arsenik, -und mancherlei Mittel um die Haut zu glätten; -sie streicheln und schmeicheln, sie schmieren und wirtschaften -an ihr herum und geben sich unsägliche -Mühe sie zu verschönern. Alles umsonst. Doch<span class="pagenum" id="Seite_72">[72]</span> -liefern ihre Anstrengungen uns den besten Beweis, -welche geringe Meinung sie von der Beschaffenheit -der Haut im allgemeinen haben. Was sie sich nachzuahmen -bestreben, gewährt die Natur nur sehr, sehr -wenigen. Von hundert Personen haben neunundneunzig -gewiß einen schlechten Teint, und wie lange -vermag der Hundertste, dem ein guter verliehen ist, -sich denselben zu erhalten? Höchstens zehn Jahre.</p> - -<p>Nein, der Zulu ist entschieden im Vorteil. Er -hat von Anfang an seine schöne Gesichtsfarbe und -behält sie, solange er lebt. Und wie angenehm und -wohltuend für das Auge ist erst das bestimmte, glatte, -fleckenlose Braun des Inders; es braucht keine Farbe -zu scheuen, es paßt zu allen und erhöht ihren Reiz. -Daß sich der Durchschnittsteint des Weißen mit -dieser wundervollen, köstlichen Färbung auch nur -entfernt vergleichen ließe, davon kann gar keine -Rede sein.</p> - -<p>Doch kehren wir zum Bungalow zurück. Am -prächtigsten gekleidet waren einige Kinder. Von den -leuchtenden Farben ihrer kostbaren Stoffe und den -Edelsteinen, mit denen sie behangen waren, ging -ein förmlicher Strahlenglanz aus. Man hielt sie für -Mädchen, und doch waren es Knaben, Natsch-Tänzer -von Beruf. Einzeln, zu zweien oder zu vieren standen<span class="pagenum" id="Seite_73">[73]</span> -sie auf und tanzten und sangen zu den unheimlichen -Klängen der Begleitung. Ihre Stellungen -und Bewegungen waren höchst anmutig und kunstvoll, -aber die Stimmen scharf und unangenehm und -die Melodien größtenteils sehr eintönig.</p> - -<p>Nicht lange, so erhob sich draußen ein lautes -Hurra und Jubelrufen. Es galt dem Fürsten, der -mit Gefolge seinen feierlichen Einzug hielt. Er war -ein stattlicher Herr in wundervollem Kostüm, bedeckt -mit Schnüren von Perlen und Edelsteinen; -unter letzteren befanden sich einige Smaragde von -erstaunlicher Größe, die in ganz Bombay wegen ihrer -Schönheit und Kostbarkeit berühmt sind; das Auge -konnte sich gar nicht satt daran sehen. Auch der kleine -Prinz, der den Fürsten begleitete, war eine strahlende -Erscheinung.</p> - -<p>Langwierige Zeremonien fanden nicht statt. Der -Fürst schritt mit ernster Würde und Majestät auf -seinen Thron zu, neben welchem der des Prinzen -stand. Feierlich saßen die beiden da, während sich -rechts und links von ihnen das Gefolge gruppierte. -Es war das getreue Abbild einer Schaustellung, -wie wir sie oft in Büchern beschrieben finden. Seit -Salomo einst die Königin von Saba empfing und -seine Schätze vor ihr ausbreitete, haben die Fürsten<span class="pagenum" id="Seite_74">[74]</span> -aller Zeiten es für ihre Pflicht gehalten, sich mit -solchem Gepränge zu zeigen.</p> - -<p>Der Führer der Dschaina-Abordnung verlas -seine Glückwunschadresse und steckte sie dann in ein -schön verziertes Silberrohr, das er dem Fürsten -ehrfurchtsvoll überreichte, worauf dieser es ohne weiteres -einem seiner Beamten einhändigte. Ich will -die Adresse hier mitteilen, denn es ist interessant -zu sehen, wofür die Untertanen eines indischen Fürsten -unter der heutigen englischen Herrschaft ihrem -Monarchen alles zu danken haben. Zur Zeit seines -Großvaters, vor anderthalb Jahrhunderten, als sich -England noch nicht in die indische Verwaltung einmischte, -hätte man sich bei der Dankadresse sehr -kurz fassen können. In jenen Tagen der Freiheit -würde das Volk dem Fürsten gedankt haben:</p> - -<p>1. Daß er nicht aus bloßer Laune zu viele -seiner Untertanen erschlagen habe.</p> - -<p>2. Daß er sie nicht durch Erhebung willkürlicher -Abgaben gänzlich ausgesogen und der Hungersnot -preisgegeben habe.</p> - -<p>3. Daß er nicht unter nichtigem Vorwand die -Reichen getötet und ihr Vermögen eingezogen habe.</p> - -<p>4. Daß er die Angehörigen des Königshauses -nicht getötet, geblendet, eingekerkert oder verbannt<span class="pagenum" id="Seite_75">[75]</span> -habe, um seinen Thron gegen Verschwörungen zu -sichern.</p> - -<p>5. Daß er sich nicht habe bestechen lassen, irgend -einen seiner Untertanen heimlich den Banden berufsmäßiger -Thugs zu überliefern, damit sie ihn im -Hinterhof des Fürstenschlosses nach Belieben ermorden -und ausplündern konnten.</p> - -<p>Das waren die gebräuchlichsten Maßregeln der -Fürsten in alter Zeit; aber diese sowohl wie einige -andere, nicht minder harte, sind unter der englischen -Herrschaft schon längst abgeschafft worden. Bessere -Mittel und Zwecke sind seitdem an ihre Stelle getreten, -wie uns die Glückwunschadresse der Dschaina -sofort beweisen wird. Dieselbe lautete:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>»Allergnädigster Fürst! – Wir, die unterzeichneten -Mitglieder der Dschaina-Gemeinde -von Bombay, nähern uns Eurer Hoheit mit -aufrichtiger Freude, um wegen der kürzlich erfolgten -Ernennung Eurer Hoheit zum Ritter -des erhabenen Sternordens von Indien, unsere -herzlichsten Glückwünsche darzubringen. Vor -zehn Jahren durften wir Eure Hoheit unter -Umständen in dieser Stadt willkommen heißen, -welche in der Geschichte Ihrer Herrschaft eine -denkwürdige Episode bezeichnen; denn ohne die -Besonnenheit und Großmut, welche Eure Hoheit -in den Verhandlungen zwischen dem Palitana -Dunbar und der Dschain-Gemeinde an den Tag<span class="pagenum" id="Seite_76">[76]</span> -legten, hätte der versöhnliche Geist unseres Volkes -keine Frucht tragen können. Das war der -erste Schritt Eurer Hoheit bei Uebernahme der -Verwaltung, durch welchen Sie sich nicht nur -die dankbare Anerkennung der Dschain-Gemeinde, -sondern auch der Regierung von Bombay -gesichert haben. Nachdem nun Eure Hoheit -zehn Jahre lang alle Erfahrung, Kraft und -Fähigkeit in den Dienst der Verwaltung gestellt -hat, ist Eurer Hoheit verdientermaßen die erhabene -und ehrenvolle Auszeichnung der Ernennung -zum Ritter des Sternordens zu teil -geworden, den kein anderer Fürst vom Range -Eurer Hoheit, soviel wir wissen, je zuvor erhalten -hat. Wir können Eurer Hoheit die untertänige -Versicherung geben, daß wir auf diese -Ehrenbezeigung aus der Hand Ihrer Majestät, -unserer gnädigsten Kaiserin und Königin, -nicht weniger stolz sind als Eure Hoheit selbst. -Wir verdanken Eurer Hoheit während dieser -zehn Jahre die Einrichtung vieler Faktoreien, -Schulen, Hospitäler und dergleichen im Staate, -und wir hoffen, daß Eure Hoheit noch lange -mit Weisheit und bewährter Umsicht über das -Volk herrschen werde, um die vielen von Eurer -Hoheit gütigst angebahnten Reformen auch -künftig in Gnaden zu fördern. Indem wir -nochmals unsere wärmsten Glückwünsche aussprechen, -verharren wir als Eurer Hoheit untertänigste -Diener.«</p> -</div> - -<p>Faktoreien, Schulen, Hospitäler, Reformen! -Das sind die Sachen, welche die Fürsten Indiens<span class="pagenum" id="Seite_77">[77]</span> -neuerdings unterstützen und wofür sie Orden und -Kanonen erhalten!</p> - -<p>Auf die Adresse antwortete der Fürst kurz und -bündig, dann unterhielt er sich noch ein paar Augenblicke -mit dem einen oder andern der Gäste auf -Englisch und mit mehreren Beamten in einer indischen -Sprache; zuletzt wurden, wie gewöhnlich, -Kränze verteilt und die Festlichkeit war zu Ende.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap06">Sechstes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Jeder Mensch hat ein Geburtsrecht auf -etwas, das alle seine andern Besitztümer -überdauert – es ist sein letzter Atemzug.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Am selben Abend, gegen Mitternacht, wohnten -wir noch einem andern Feste bei, nämlich einer Hindu-Hochzeit, -oder richtiger gesagt, einer Verlobungsfeier. -Bisher hatte sich auf den Straßen, durch die -wir fuhren, stets ein buntes, malerisches Schauspiel -entfaltet, sie waren von einer zahlreichen, lärmenden -Menge angefüllt gewesen; jetzt fand nichts -dergleichen statt. Es herrschte überall Totenstille; -selbst das Geschrei der Krähen war verstummt. Aber<span class="pagenum" id="Seite_78">[78]</span> -leer konnte man die Straßen doch nicht nennen, denn -auf dem Boden lagen schlafende Eingeborene zu -Hunderten, der Länge nach ausgestreckt und bis über -den Kopf fest in Decken gewickelt. So starr und -regungslos lagen sie da, daß man sie für Tote -halten konnte.</p> - -<p>Damals hatte die Pest, welche jetzt in Bombay -wütet, noch nicht ihren Einzug in die Stadt gehalten. -Heute<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> stehen die Läden verödet da, die Hälfte der -Bewohner hat die Flucht ergriffen und die Zurückgebliebenen -kommen massenhaft an der Krankheit -um. Ohne Zweifel sehen die Straßen jetzt bei Tage -so aus wie damals zur Nachtzeit. Als wir immer -weiter in dem Hindu-Viertel vordrangen und in -enge, düstere Gassen gelangten, mußten wir sehr behutsam -fahren, weil der Wagen beinah nicht Raum -genug fand, um zwischen den Schläfern durchzukommen, -die sich allenthalben gelagert hatten. Von -Zeit zu Zeit huschte eine Schar Ratten in dem ungewissen -Dämmerschein dicht vor den Hufen der -Pferde vorüber – dieselben Ratten, welche jetzt in -Bombay die Pest von Haus zu Haus schleppen. -Die Kaufläden sind nur eine Art Verschläge – kleine -Buden, die nach der Straße zu offen stehen. Man<span class="pagenum" id="Seite_79">[79]</span> -hatte die Waren fortgenommen und ganze Familien -schliefen auf den Ladentischen, meist beim Schein -einer Oellampe. Es sah aus wie eine Totenwacht.</p> - -<div class="footnotes"> -<div class="footnote"> - -<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Der Verfasser schrieb dies 1897.</p> -</div> -</div> - -<p>Endlich bogen wir um eine Ecke und hatten -eine förmlich strahlende Beleuchtung vor uns. Das -Haus der Braut war in ein Lichtmeer von Gasflammen -getaucht, welche die mannigfaltigsten Figuren -bildeten. Auch drinnen prangte alles in hellstem -Glanze – Kostüme, Spiegel, Beleuchtung, -Farben brachten im Verein mit der ganzen Ausschmückung -der Räume eine so feenhafte Wirkung -hervor, als hätte sie Aladdins Wunderlampe hergezaubert.</p> - -<p>Die Braut war ein zierlich gebautes, schmuckes -kleines Ding von zwölf Jahren, sehr kostbar gekleidet, -aber mehr wie ein Knabe. Sie bewegte sich -ungezwungen unter den Gästen oder blieb stehen, -um sich mit diesem oder jenem zu unterhalten und -ihren Hochzeitsschmuck befühlen und bewundern zu -lassen. Am schönsten fand ich eine Schnur großer -Diamanten, an welcher ein prächtiger Smaragd hing.</p> - -<p>Der Bräutigam war nicht zugegen; er beging -eine besondere Verlobungsfeier in seinem väterlichen -Hause. Wie man mir sagte, mußte sowohl er wie -die Braut eine Woche lang alle Abend Gäste empfangen,<span class="pagenum" id="Seite_80">[80]</span> -welche fast die ganze Nacht hindurch im Hochzeitshause -blieben. Dann heirateten sich die Brautleute, -falls sie noch am Leben waren. Die Kinder -zählten beide zwölf Jahre – ein ältliches Paar -nach indischen Begriffen – sie hätten schon seit -einem Jahre verheiratet sein sollen; einem Fremden -kamen sie freilich noch jung genug vor.</p> - -<p>Etwas nach Mitternacht erschienen ein paar -berühmte und hochgeschätzte Natsch-Tänzerinnen in -den prachtvollen Sälen, um ihre Kunst zu zeigen. -Zu ihrem Gesang und Tanz machten Männer auf -sonderbaren Instrumenten eine unheimliche, lärmende -Musik, bei deren Klängen mich eine Gänsehaut -überlief. Ein Tanz der Mädchen sollte einen Schlangenzauber -darstellen. Mir schien zwar die Flötenbegleitung, -welche dazu ertönte, wenig geeignet, irgend -etwas zu bezaubern, doch versicherte mir ein vornehmer -Hindu, daß die Schlangen solche Musik sehr -lieben; sie kommen aus ihren Höhlen heraus und -lauschen ihr mit allen Zeichen von Wonne und Wohlbehagen. -Bei einer Vorstellung in seinem Garten, -sagte er, seien einmal sechs Schlangen von den Tönen -der Flöte herbeigelockt worden und man hätte sie -nicht bewegen können sich wieder zu entfernen, bevor -die Musik zu Ende war. Ihre gefährliche Nähe<span class="pagenum" id="Seite_81">[81]</span> -war zwar keinem Anwesenden erwünscht, weil sie -sich frech und allzu vertraulich benahmen, aber natürlich -wollte niemand sie töten, denn der Hindu hält -es für Sünde, irgend ein Geschöpf umzubringen.</p> - -<p>Gegen zwei Uhr morgens verließen wir die -Festlichkeit. Unterwegs sah ich noch ein Bild, das -sich mir tief ins Gedächtnis eingeprägt hat. Eine -glänzend erleuchtete Vorhalle, zu der mehrere Treppenstufen -emporführten, überall schwarze Gesichter -und gespenstische, weiße Gewänder; in ihrer Mitte -eine wahre Riesengestalt, den Turban auf dem -Haupte, mit einem Namen, der zu ihrer Größe paßte: -Rao Bahadur Baskirao Balinkanje Pitale, Vakeel -seiner Hoheit des Gaikawar von Baroda. Der Mann -gehörte notwendigerweise zur Vervollständigung des -Gemäldes, aber wenn er Smith hieße, hätte es den -ganzen Eindruck verdorben. Auf beiden Seiten der -engen Straße hatte man die Häuser in der bei den -Hindus gebräuchlichen Weise illuminiert. Viele -Dutzende von Gläsern mit brennenden Lichtern waren -wenige Zoll von einander auf großen Lattengestellen -befestigt, so daß sie leuchtende Sterne bildeten, deren -Strahlenglanz sich grell von dem schwarzen Hintergrund -abhob. Als wir weiter durch die düstern -Gassen fuhren, verschmolzen in der Ferne alle Sternbilder<span class="pagenum" id="Seite_82">[82]</span> -zu einer einzigen Lichtmasse, die wie eine -große Sonne in der Finsternis glühte.</p> - -<p>Dann folgte wieder jene tiefe Stille; Ratten -huschten über den Weg, überall lagen unbewegliche -Gestalten auf der Erde und rechts und links sah man -die offenen Buden gleich Särgen, in denen Leichen zu -liegen schienen, welche von flackernden Totenlampen -unheimlich beleuchtet wurden. Seitdem ist ein Jahr -vergangen, und wenn ich die Kabeldepeschen aus Indien -lese, meine ich das alles mit eigenen Augen im -voraus gesehen zu haben, wie in einem prophetischen -Traum. Die eine Depesche lautet: »In dem -Stadtteil der Eingeborenen stocken die Geschäfte, die -meisten Läden sind geschlossen. Man hört nur Klagelaute -und den Schritt der Leichenträger, alles übrige -Leben scheint erstorben.« In einer andern heißt es: -»325 000 Bewohner haben die Stadt verlassen, und -verbreiten die Pest über das ganze Land.« Drei -Tage später kommt die Nachricht: »Die Einwohnerschaft -ist auf die Hälfte herabgesunken.« Die Flüchtlinge -haben die Epidemie in Karachi eingeschleppt. -»220 Krankheitsfälle, 214 Tote.« Tags darauf: -»52 neue Fälle, sämtlich mit tödlichem Verlauf.«</p> - -<p>So fürchterliche Verwüstungen wie der ›Schwarze -Tod‹ vermag keine Krankheit anzurichten, es gibt<span class="pagenum" id="Seite_83">[83]</span> -keine, welche ähnliches Grauen und Entsetzen im Gefolge -hat. Wir können uns von dem Schrecken, der in -solcher verpesteten Stadt herrscht, nur eine schwache -Vorstellung machen. Zwar gibt die wilde Flucht -einer halben Million Einwohner Zeugnis von ihrem -Seelenzustand, aber wer schildert die Qual und Todesangst -derer, die zurückbleiben müssen und sich -rettungslos dem unaufhaltsam nahenden Verhängnis -preisgegeben sehen?</p> - -<p>Indien ist einzig in seiner Art und es hat -das alleinige Recht auf verschiedene Spezialitäten -von überwältigender Großartigkeit. Wenn irgend -ein Land sonst eine Merkwürdigkeit besitzt, ist sie -doch nicht sein ausschließliches Eigentum; man findet -das Gegenstück in einem andern Lande. Aber Indien -hat Wunderdinge erzeugt, die ihm allein gehören, -niemand wagt sein Patentrecht anzutasten, Nachahmungen -sind gänzlich ausgeschlossen. Und dabei -welche Größenverhältnisse, welche Majestät! Wie -fremdländisch und unheimlich sind die meisten dieser -Erfindungen.</p> - -<p>Von dem Schwarzen Tod haben wir schon gesprochen. -Er ist Indiens eigenstes Werk. In Indien -wurde dieser mächtige Fürst der Schrecken geboren.</p> - -<p>Auch den Wagen des Juggernaut hat sich Indien<span class="pagenum" id="Seite_84">[84]</span> -ausgedacht. Desgleichen die Suttis. Es leben -noch Menschen, zu deren Zeit sich achthundert Witwen -in einem Jahre, freiwillig und unter Frohlocken, -mit den Leichen ihrer Ehemänner verbrennen ließen. -Noch in diesem Jahre würden es abermals achthundert -tun, wenn die britische Regierung es ihnen -gestattete.</p> - -<p>Auch eine Hungersnot wie in Indien gibt es -nirgends. Wenn anderswo Mangel eintritt, ist es -ein verhältnismäßig unbedeutendes, vorübergehendes -Ereignis; die indische Hungersnot aber bricht herein -gleich einer verheerenden Flut und tötet Millionen, -wo an andern Orten Hunderte sterben würden.</p> - -<p>Indien hat zwei Millionen Götter und betet -sie sämtlich an. In religiöser Beziehung sind alle -andern Länder Bettler und Indien der einzige -Millionär.</p> - -<p>Alles nimmt dort einen Riesenmaßstab an – -sogar die indische Armut hat nirgends auf Erden -ihresgleichen. Der Reichtum aber verfügt über solche -Schätze, daß man für die größten Summen ganz -kurze Wörter erfinden mußte. Um hunderttausend -auszudrücken, sagt man ein <em class="gesperrt-antiqua">lakh</em>, und ein <em class="gesperrt-antiqua">crore</em> -bedeutet zehn Millionen.</p> - -<p>Im Innern seiner Granitberge hat Indien,<span class="pagenum" id="Seite_85">[85]</span> -mit namenloser Geduld, Dutzende von großen Tempeln -in den Fels gehauen, sie durch großartige Säulenhallen -und Statuen geschmückt und ihre ewigen -Mauern mit stolzen Gemälden bedeckt. Es hat sich -starke Burgen von solchem Umfang errichtet, daß -selbst die großen Musterfestungen der übrigen Welt -dagegen wie Spielzeug aussehen. Seine Paläste sind -aus dem erlesensten Baumaterial und mit so viel -Feinheit und Kunstfertigkeit ausgeführt, daß man -sie anstaunt wie Wunderwerke; um eins seiner Grabmäler -– den Tadsch-Mahal – zu sehen, reisen -die Menschen rund um die Erde. Achtzig Völker, -die achtzig Sprachen reden, bewohnen das Land, -ihre Zahl beläuft sich auf dreihundert Millionen.</p> - -<p>Und zu Indiens merkwürdigsten Eigentümlichkeiten -gehört noch das Kastenwesen und das Geheimnis -aller Geheimnisse – die satanische Genossenschaft -der Thugs.</p> - -<p>Im Anfang aller Dinge hatte Indien einen -Vorsprung vor der ganzen übrigen Welt. Es besaß -die früheste Kultur, die erste Anhäufung materieller -Reichtümer, eine Menge der tiefsten Denker, der -größten Weisen, Fruchtbarkeit des Bodens, reiche -Bergwerke und große Wälder. Hätte man da nicht -meinen sollen, es würde seine Führerschaft auch<span class="pagenum" id="Seite_86">[86]</span> -ferner behaupten und eines Tages, statt sich in Demut -einem fremden Machthaber zu unterwerfen, selbst -die Welt beherrschen und jeder Nation, jedem Volksstamm -der Erde Gesetze vorschreiben? – Und doch -ist eine solche Oberherrschaft Indiens von jeher unmöglich -gewesen. Wo es achtzig Völkerschaften und -Hunderte von Regierungen gibt, kann von einheitlicher -Macht nicht die Rede sein. Das Hauptgeschäft -des Lebens wird Kampf und Streit, gemeinsame -Ziele und Zwecke sind ausgeschlossen; aus solchen -Elementen entsteht keine Weltherrschaft. Nicht nur -durch die Verschiedenartigkeit der Sprachen, sondern -vor allem durch das Kastenwesen mag die Zersplitterung -entstanden sein. Dadurch wurde das Volk in -einzelne Schichten geteilt und diese wieder in Ober- -und Unterschichten, welche kein Gefühl der Zusammengehörigkeit -miteinander verband. Bei solchen -Zuständen war eine gesunde Entwicklung der Vaterlandsliebe -völlig undenkbar.</p> - -<p>Hätte es in Indien nicht so viele Reiche und -Völker gegeben, so würden auch die Thugs dort -schwerlich haben entstehen und gedeihen können. An -jeder Grenze wurden Reisende und Kaufleute fortwährend -belästigt, denn überall stießen sie auf Wächter -und Zollhäuser; Dolmetscher, welche alle Sprachen<span class="pagenum" id="Seite_87">[87]</span> -verstanden, gab es so gut wie gar nicht, auch -herrschte ein fortgesetzter Kriegszustand bald in diesen -bald in jenen Reichen. Das alles hinderte die Sicherheit -des allgemeinen Verkehrs und öffnete dem Räuberwesen -Tür und Tor – was jedem gescheiten -Menschen, den seine angeborene Neigung zu diesem -Beruf trieb, auf der Stelle einleuchten mußte. Da -es nun in Indien durchaus nicht an klugen Leuten -fehlte, die sich zum Räuberwesen hingezogen fühlten, -bildete sich auf ganz natürliche Weise die Genossenschaft -der Thugs, um einem längst empfundenen -Bedürfnis zu entsprechen.</p> - -<p>Um welche Zeit das geschehen ist, weiß niemand; -vermutlich schon vor Jahrhunderten. Was uns am -meisten dabei Wunder nimmt ist, daß es gelingen -konnte, die unheilvolle Verbindung so lange geheim -zu halten. Englische Kaufleute hatten schon seit -zweihundert Jahren in Indien Handel getrieben, -ohne je etwas davon zu hören, und doch wurden -alljährlich Tausende in ihrer nächsten Nähe von -den Thugs umgebracht.</p> - -<p>Daß es auch amtliche Berichte über die Thugs -gibt, habe ich erst neuerdings erfahren. Es war -mir von großem Wert, das betreffende Schriftstück -eine Zeitlang zur Einsicht zu erhalten.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_88">[88]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap07">Siebentes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Feind und Freund müssen zusammen -wirken, um unserm Herzen wehe zu -tun; der eine streut die Verleumdung -aus, der andere hinterbringt sie uns.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop"><em class="gesperrt">Aus dem Tagebuch. 28. Januar.</em> – -Wir machen jetzt Reisevorbereitungen, die hauptsächlich -in der Anschaffung von Betten bestehen. Im -Schlafwagen der Eisenbahn, manchmal auch in Privathäusern -und in neun Zehnteln aller Hotels muß -man Betten mitbringen. Das ist unbegreiflich und -doch wahr. Die Einrichtung stammt aus alter Zeit -und ist jetzt anscheinend unnötig, aber sie hat seltsamerweise -alle Zustände überlebt, die sie einst zur Notwendigkeit -machten. Als sie eingeführt wurde, gab -es weder Eisenbahnen noch Hotels; der Weiße machte -seine gelegentlichen Reisen zu Pferde oder im Ochsenwagen -und fand die Nachtherberge auf einer der -kleinen Poststationen, welche die Regierung in gewissen -Entfernungen von einander anlegen ließ – -sie boten ein Obdach, weiter nichts. Wer ein Bett -haben wollte, mußte selbst dafür sorgen. Jetzt wohnen<span class="pagenum" id="Seite_89">[89]</span> -die ansässigen Engländer in geräumigen, bequem -eingerichteten Häusern, und es muß sich ganz sonderbar -ausnehmen, wenn ein halbes Dutzend Gäste -in solche moderne Wohnung mit Decken und Kopfkissen -einziehen, die sie überall herumwerfen. Doch -der Mensch findet sich in alles, sobald es Sitte -und Brauch ist.</p> - -<p>Man kann die Betten, nebst einem Behälter -aus Gummistoff im ersten besten Laden kaufen. Das -hat nicht die geringste Schwierigkeit.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">30. Januar.</em> Vor Abgang des Zuges bot -der Bahnhof ein merkwürdiges Schauspiel. Das Gebäude -ist sehr groß, aber es war als hätte sich dort -die ganze Welt versammelt: eine Hälfte drinnen, -die andere draußen, alle mit berghohen Bettstücken -und anderm Gepäck beladen. Beide Hälften versuchten -zu gleicher Zeit aneinander vorbei durch -eine enge Tür zu kommen. Diese zwei Menschenströme -bestanden aus sanften, geduldigen, langmütigen -Eingeborenen, unter denen sehr wenige -Weiße verstreut waren. Nur die Hindu-Diener der -Europäer legten zeitweise ihre natürliche Sanftmut -ab und maßten sich das Vorrecht der Weißen an, -alle Farbigen beiseite zu schieben, um rascher für<span class="pagenum" id="Seite_90">[90]</span> -sich Bahn zu machen. Es war eine Schande, wie -herrisch und unverschämt sich zum Beispiel unser -Satan dabei benahm. Vermutlich ist er auf einer -früheren Stufe der Seelenwanderung ein fanatischer -Thug gewesen.</p> - -<p>Drinnen im Bahnhof fluteten Massen von Eingeborenen, -in sämtliche Farben des Regenbogens -gekleidet, nach allen Seiten wirr durcheinander. Voll -Eifer und Hast, in der Angst sich zu verspäten, -strömten sie nach den langen Wagenreihen hin, wo -sie im Innern mit ihren Packen und Bündeln verschwanden, -von immer neuen Menschenfluten gefolgt. -Und mitten in diesem Wirrwarr und Getöse -saßen – anscheinend in voller Gemütsruhe – zahlreiche -Gruppen von Farbigen auf den nackten Steinfliesen: -schlanke, braune Mädchen, alte, graue, runzlige -Weiber, kleine Kinder mit weichen Gliedern, -alte und junge Männer und braune Knaben; lauter -arme Leute, aber der weibliche Teil, sowohl groß -wie klein, mit billigen, glänzenden Ringen an Nase, -Zehen, Armen und Beinen geschmückt, die vermutlich -ihren einzigen Reichtum ausmachten. Schweigend -und geduldig saßen sie da mit ihren armseligen -Bündeln, Körben und Hausgeräten und warteten -auf ihren Zug, der zu irgend einer Stunde des<span class="pagenum" id="Seite_91">[91]</span> -Tages oder der Nacht abfahren würde. Sie hatten -die Zeit nicht gut berechnet, aber was schadete das -– vom Schicksal war es so über sie verhängt, wozu -sich da beunruhigen? Zeit hatten sie vollauf, endlose -Stunden lagen vor ihnen, und was geschehen -sollte, würde geschehen – keine Macht der Erde -konnte es beschleunigen.</p> - -<p>Die Eingeborenen reisten dritter Klasse für ein -unglaublich billiges Fahrgeld. Man packte sie eng -zusammen in Wagen, von denen jeder etwa fünfzig -Personen fassen konnte. So geschah es oft, daß -Brahminen der höchsten Kaste in persönliche Berührung -mit Leuten aus der niedrigsten Kaste gebracht -und folglich verunreinigt wurden, was natürlich -jedem in die Verhältnisse Eingeweihten höchst -anstößig vorkam. Es konnte sich leicht ereignen, -daß ein Brahmine, der keine Rupie besaß, dicht -neben den reichen Erbherrn aus einer niedern Kaste -zu stehen kam, welcher Inhaber eines alten, mehrere -Ellen langen Titels war. Trotz seiner erhabenen -Würde mußte der arme Brahmine sich darein ergeben, -denn falls einer von beiden Erlaubnis erhielt, -bei den geheiligten Weißen Platz zu nehmen, so war -es sicherlich nicht er, sondern der unwürdige Reiche. -Der Zug hatte eine endlose Reihe solcher Wagen<span class="pagenum" id="Seite_92">[92]</span> -dritter Klasse, denn die Hindus reisen in ganzen -Horden. Was für eine erbärmliche Nacht mögen -sie da drinnen verlebt haben.</p> - -<p>Als wir bei unserm Wagen anlangten, fanden -wir Satan und Barney mit ihrem Gefolge von -Hindus, welche Bettstücke, Sonnenschirme und Zigarrenkisten -trugen, schon in voller Tätigkeit. Barney -war eine Abkürzung; unsern zweiten Diener -bei seinem eigentlichen Namen zu nennen hätte zuviel -Zeit gekostet. Wir fanden die innere Einrichtung -des Coupés keineswegs unbehaglich, aber von einer -Einfachheit, wie man sie selbst in Frankreich und -Italien nicht kennt. Die Wände aus billigen, zum -Teil rohen Brettern gezimmert, mit dunkler Farbe -angestrichen ohne alle Verzierung. Der Boden war -ohne Decke, aber nur zu bald sollte fingerdicker -Staub darauf liegen. An einer Seite des Coupés -befand sich ein Netz zur Aufnahme des Handgepäcks, -auf der entgegengesetzten eine Tür, die immer wieder -aufsprang, man mochte sie schließen so oft man -wollte; sie führte in einen kleinen Toiletteraum, -wo man sein Handtuch aufhängen konnte, falls man -eins hatte. Man kauft die Handtücher mit den -Betten, auf der Eisenbahn werden keine geliefert. -An jeder Seite der Wand lief der ganzen Länge nach<span class="pagenum" id="Seite_93">[93]</span> -ein breites Ledersofa hin, und über demselben hing -an Riemen ein flaches Schlafbrett mit ledernem -Ueberzug; es wird nachts heruntergelassen und bei -Tage an der Wand fest gemacht, wo es niemand im -Wege ist. So bleibt der große Mittelraum frei und -man kann sich ungehindert darin ausbreiten. Eine -so bequeme Einrichtung habe ich noch in keinem -Lande gefunden, auch ist man ganz ungestört, weil -meistens nur zwei Fahrgäste in einem Coupé sitzen; -aber selbst vier Personen haben hinreichend Platz, -ohne einander im geringsten zu beengen. Sogar -auf unsern amerikanischen Eisenbahnen, die sonst -besser sind als alle andern, fühlt man sich nicht so -gemütlich wie hier, weil zu viele Reisende in einem -Wagen fahren.</p> - -<p>Ueber den Sofas befanden sich längs des ganzen -Coupés große blaugefärbte Fensterscheiben. Das -blaue Licht sollte die Augen vor dem blendenden -Sonnenschein schützen, und wer Luft haben wollte, -ließ die Fenster herunter. Zwei Oellampen an der -Decke brannten so hell, daß man lesen konnte, wollte -man es dunkel haben, so zog man einen Schirm -aus grünem Stoff davor.</p> - -<p>Während wir vor der Abfahrt draußen noch -mit Freunden sprachen, ordneten Barney und Satan<span class="pagenum" id="Seite_94">[94]</span> -drinnen unser Handgepäck, samt Büchern, Früchten -und Sodawasserflaschen in den Netzen; die Bettsäcke -und das schwere Gepäck schafften sie in das -Waschkabinett, hingen Mäntel, Sonnenhelme und -Handtücher auf die Haken und befestigten die beiden -Schlafbretter an der Wand; dann nahmen sie ihre -eigenen Betten auf die Schulter und begaben sich -nach der dritten Klasse.</p> - -<p>So waren wir nun in dem hübschen, großen, -hellen, luftigen und behaglichen Raum ganz für -uns, konnten nach Belieben auf- und abgehen, uns -hinsetzen und schreiben oder bequem ausgestreckt lesen -und rauchen. Die Mitteltür am vorderen Ende des -Coupés führte in ein zweites, genau ebenso eingerichtetes, -das meine Frau und Tochter inne hatten. -Als wir gegen neun Uhr abends an einer Station -hielten, fanden sich Barney und Satan wieder ein; -sie schnallten die großen Bettsäcke auf und ordneten -die Matratzen, Bettücher, bunten wollenen Decken -und Kopfkissen auf den Sofas beider Coupés zu -einem vollständigen Lager. Zimmermädchen gibt -es in Indien nicht, offenbar ist weibliche Bedienung -dort ganz unbekannt. Zuletzt schlossen die Diener -die Verbindungstür, räumten flink bei uns auf, -legten unsere Nachthemden aufs Bett, stellten die<span class="pagenum" id="Seite_95">[95]</span> -Pantoffeln zurecht und zogen sich wieder in ihr -Quartier zurück.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">31. Januar.</em> Mir war das alles ganz neu -und ich fühlte mich so behaglich, daß ich solange -wie möglich wach blieb und einen Bericht über die -merkwürdigen Thugs las. Sie folgten mir auch -in meine Träume und wollten mich erdrosseln. Ihr -Anführer war der riesengroße Hindu, welcher mir -bei meiner Rückkehr von jener Verlobungsfeier um -zwei Uhr nachts in der grellen Beleuchtung einen -so malerischen Eindruck gemacht hatte – Rao Bahadur -Baskirao Balinkanje Pitale, Vakeel des Gaikawar -von Baroda. Durch ihn war mir die Einladung -seines Herrn überbracht worden, welche mich -nach Baroda rief, um dem Fürsten eine Vorlesung -zu halten; ich war auf dem Wege dahin, und jetzt -behandelte mich der Mensch so schlecht! Aber im -Traum ist ja alles möglich.</p> - -<p><em class="gesperrt">Baroda.</em> – Wir kamen um sieben Uhr morgens -an, als es eben dämmerte. Es war ungemütlich, -zu so früher Stunde an einem fremden Orte auszusteigen, -zumal die matt schimmernden Laternen im -Bahnhof uns den Eindruck machten, als sei es noch -Nacht. Allein die Herren, die sich mit großer Dienerschaft<span class="pagenum" id="Seite_96">[96]</span> -zu unserm Empfang eingefunden hatten, ließen -uns keine Zeit zum Besinnen. Bald waren wir -draußen, dann ging es rasch weiter im milden Dämmerlicht -und binnen kurzem hatte man uns alle -behaglich untergebracht. Zahlreiche Diener standen -zu unserer Verfügung, deren Aufseher so vornehme -Beamte waren, daß es uns ordentlich in Verlegenheit -setzte. Wir fügten uns jedoch der Landessitte, -das Benehmen der Herren war höchst verbindlich -und gastfreundlich, sie sprachen einheimisches Englisch, -es ging alles vortrefflich und das Frühstück -kam uns sehr gelegen.</p> - -<p>Jenseits der Wiese sah man durch das offene -Fenster einen indischen Brunnen; zwei Ochsen gingen -mit langsamen Schritten den allmählich abfallenden -Weg herauf und hinunter, um Wasser zu ziehen. -Das Klagegestöhn der Maschine unterbrach die Stille, -es waren nicht gerade melodische Laute, aber doch -lag eine sanfte, träumerische Schwermut darin, als -wehklagten abgeschiedene Geister und als würden -alte Erinnerungen wieder lebendig; denn natürlich -pflegten die Thugs ihre Opfer in jenen Brunnen zu -werfen, nachdem sie ihnen den Garaus gemacht hatten.</p> - -<p>Nach dem Frühstück begann für uns ein sehr -ereignisreicher Tag. Wir fuhren auf gewundenen<span class="pagenum" id="Seite_97">[97]</span> -Pfaden durch einen ungeheuren Park mit stolzen -Waldbäumen, dicht verschlungenen Dschungels und -einem Gewirr von allerlei reizenden Gewächsen. An -einer Stelle stürmten plötzlich drei große graue -Affen quer über den Weg. Das war keine angenehme -Ueberraschung; solche Bestien gehören in eine -Menagerie, in der Wildnis machen sie einen unnatürlichen -Eindruck und sind nicht an ihrem Platze.</p> - -<p>Mit der Zeit erreichten wir die Stadt und fuhren -mitten hindurch. Sie war ganz und gar indisch, -vermodert und zerfallen und schien über alle Begriffe -alt zu sein. Höchst merkwürdig fanden wir -die Häuser, deren ganze Vorderseite mit schön verschlungener -Holzschnitzerei geschmückt war, die der -feinsten Spitzenarbeit glich, und außerdem mit rohen -Bildwerken, welche Elefanten, Fürsten und Götter -in den schreiendsten Farben darstellten.</p> - -<p>In den engen, winkligen Gassen lag im Erdgeschoß -ein Laden am andern; die winzigen Buden -waren über und über mit unglaublichem Krimskrams -angefüllt, der verkauft werden sollte, oder es hockten -darin fast völlig nackte Eingeborene bei ihrer Arbeit; -sie klopften, hämmerten, verlöteten und bronzierten -allerlei, sie nähten, kochten, maßen Korn -ab und mahlten es oder besserten Götzenbilder aus;<span class="pagenum" id="Seite_98">[98]</span> -gleichzeitig wälzte sich eine zerlumpte, lärmende Menschenschar -unter den Hufen unserer Pferde und allenthalben -umher. Und dazu diese Gerüche, diese Dünste, -dieser Gestank! Es war alles wundervoll und -entzückend!</p> - -<p>Man stelle sich einmal vor, wie es sein muß, -wenn ein Zug Elefanten durch solche enge Straßen -schreitet, auf beiden Seiten anstößt und die Farbe von -den Häusern wetzt. Wie groß müssen die Tiere und -wie klein dagegen die Gebäude aussehen! Und wenn -die Elefanten gar in ihren glänzenden Hof-Schabracken -einherkommen, welcher Abstand gegen diese -schmutzige, armselige Umgebung! Liefe nun einmal -ein Elefant in rasender Wut durch diese Stadtteile -und schlüge nach rechts und links mit dem Rüssel -um sich, wie sollten ihm da die Menschenmassen -ausweichen? Daß Elefanten manchmal Wutanfälle -bekommen ist ja eine erwiesene Sache.</p> - -<p>Wie alt mag die Stadt wohl sein? Man kommt -an massiven Bauwerken und Denkmälern vorbei, -die so zerfallen und abgelebt aussehen, so müde und -altersschwach, so verstört und verdummt vor lauter -Anstrengung sich an Dinge zu erinnern, die sie -längst vergessen hatten, ehe es überhaupt eine Geschichte -gab, daß man meinen sollte, sie stünden<span class="pagenum" id="Seite_99">[99]</span> -seit Erschaffung der Welt auf ihrem Fleck. Baroda -ist eins der ältesten Reiche Indiens; es hat sich -von jeher durch barbarische Pracht und Herrlichkeit -und die unermeßlichen Schätze seiner Fürsten berühmt -gemacht.</p> - -<p>Als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, -fuhren wir lange durch offenes Gelände an abgelegenen -Dörfern vorbei, die ganz von tropischen Pflanzen -überwuchert waren. Ueberall herrschte Sabbatstille -und man hatte das Gefühl tiefster Einsamkeit, -denn die Eingeborenen glitten wie Geister vorüber, -man vernahm keinen Tritt ihrer nackten Füße; -andere sah man gleich Traumgestalten in der Ferne -verschwinden. Dann und wann zog eine Reihe stattlicher -Kamele auf den leisen Sohlen, die ihnen die -Natur verliehen hat, geräuschlos an uns vorbei – -ein interessanter Anblick. Nur einmal ward die -tiefe Ruhe dieses Paradieses unterbrochen, als ein -Zug eingeborener Strafgefangener mit dem Aufseher -daherkam und wir das Klirren ihrer Ketten -vernahmen. An einem entlegenen Orte ruhte ein -heiliger Mann unter einem Baum – ein nackter, -schwarzer Fakir. Er war nichts als Haut und -Knochen und über und über mit weißlichgrauer -Asche bestreut.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_100">[100]</span></p> - -<p>Nach einiger Zeit kamen wir zu den Elefantenställen -und ich machte einen Spazierritt. Man forderte -mich dazu auf; ich selbst hatte nicht das geringste -Verlangen danach, aber ich tat es doch, damit -man nicht denken sollte, ich hätte Angst – was allerdings -der Fall war. Auf Befehl kniet der Elefant -nieder – erst mit einem Vorderbein, dann mit dem -andern – man steigt die Leiter hinauf in die Howdah, -das Zelt auf seinem Rücken, dann erhebt er sich -wieder – erst eine Seite, dann die andere – gerade -wie ein Schiff über die Wogen fährt; wenn er dann -mit Riesenschritten umhergeht, erinnert auch sein -Schwanken an die Bewegung eines Schiffes. Sein -Treiber, der Mahout, bohrt ihm mit einem großen, -eisernen Stachelstock in den Hinterkopf; man verwundert -sich über des Mannes Kühnheit und erwartet -jeden Augenblick, daß der Elefant die Geduld -verlieren wird, aber es geschieht nichts dergleichen. -Der Treiber redet dem Elefanten die ganze Zeit -über mit leiser Stimme zu; dieser scheint ihn auch -zu verstehen und ganz vergnügt zu sein, er gehorcht -wenigstens jedem Befehl aufs bereitwilligste. Unter -den fünfundzwanzig Elefanten waren zwei so große, -wie sie mir noch nie vorgekommen sind. Hätte -ich geglaubt, daß ich mir die Furcht abgewöhnen<span class="pagenum" id="Seite_101">[101]</span> -könnte, so würde ich mir einen davon hinter dem -Rücken der Polizei angeeignet haben.</p> - -<p>In dem Howdah-Haus sah ich viele silberne -Sessel, auch einen von Gold und einen von altem -Elfenbein; Kissen und Baldachine waren aus reichen, -kostbaren Stoffen. Die Garderobe der Elefanten -befand sich gleichfalls dort: ungeheuere Sammetdecken -mit schwerer Goldstickerei, silberne und goldene -Glocken, welche mit Stricken aus kostbarem -Metall befestigt werden, und riesige Reifen von massivem -Gold, die der Elefant an den Fußgelenken -trägt, wenn er sich aus Staatsrücksichten bei einer -Prozession beteiligt.</p> - -<p>Die Kronjuwelen bekamen wir leider nicht zu -sehen, worüber wir sehr enttäuscht waren, denn ihre -Menge und Kostbarkeit ist so außerordentlich, daß -sie die zweitgrößte Sammlung in Indien bilden. -Statt dessen zeigte man uns irrtümlicherweise den -neuen Palast, mit dessen Besichtigung wir alle Zeit -verschwendeten, die uns noch zur Verfügung stand. -Das war sehr schade, denn der neue Palast ist ein -europäisch-amerikanischer Mischmasch, von dem sich -nur sagen läßt, daß er Unsummen gekostet hat. Nach -Indien paßt er ganz und gar nicht; es ist eine -Frechheit von ihm, sich dort einzudrängen. Der<span class="pagenum" id="Seite_102">[102]</span> -Baumeister hat zu seinem Glück rechtzeitig die Flucht -ergriffen. Hier wären die Thugs am Platze gewesen; -man hat doch unrecht getan, sie ganz zu -unterdrücken. Der alte Palast dagegen ist orientalisch, -wundervoll und wie für das Land geschaffen. -Er wäre schon groß, wenn er nur aus der mächtigen -Halle bestände, in denen die Durbars, die Staatsaudienzen -des Fürsten stattfinden. Zu Vorlesungen -ist sie nicht geeignet wegen der verschiedenen Echos, -aber für Durbars und sonstige Staatsaktionen, zu -denen man sie braucht, ist sie ausgezeichnet. Wenn -die Halle mir gehörte, würde ich jeden Tag ein -Durbar halten und nicht nur zweimal im Jahre, -wie es hier geschieht.</p> - -<p>Der Fürst ist ein gebildeter Herr, er besitzt europäische -Kultur und ist fünfmal in Europa gewesen. -Man sagt, daß dies ein kostbares Vergnügen für -ihn ist, da er sich manchmal bei der Ueberfahrt -genötigt sieht aus Gefäßen zu trinken, deren sich auch -andere Leute bedienen, und das verunreinigt seine -Kaste. Um wieder zu Ehren zu kommen muß er nach -verschiedenen berühmten Hindutempeln wallfahrten -und dort ganze Vermögen opfern. Seine Untertanen -sind sehr fromm, wie alle Hindus, und würden sich -nicht zufrieden geben, solange ihr Fürst unrein ist.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_103">[103]</span></p> - -<p>Wenn wir auch die Juwelen nicht besichtigen -konnten, so haben wir doch die silberne und die -goldene Kanone des Fürsten gesehen – es schienen -mir Sechspfünder zu sein. Sie werden nur bei -ganz besondern Staatsangelegenheiten zum Salutschießen -gebraucht. Ein Ahnherr des jetzigen Gaikawar -ließ die silberne Kanone anfertigen und einer -seiner Nachfolger bestellte eine goldene, um ihn auszustechen. -Derartige Geschütze passen vortrefflich -nach Baroda, wo man seit alter Zeit Schaugepränge -in großem Stil geliebt hat. Für Rajahs und Vizekönige, -die dort zum Besuch kamen, veranstaltete man -oft Tiger- und Elefantenkämpfe, Illuminationen und -Elefanten-Prozessionen von wahrhaft großartiger -Pracht.</p> - -<p>Was ist dagegen unser Zirkus mit all seiner -Herrlichkeit! –</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_104">[104]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap08">Achtes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Hätte der Mensch immer Gelegenheit zum -Morden, wenn ihn Mordlust überfällt, so -kämen viele an den Galgen.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop"><em class="gesperrt">Auf der Eisenbahn.</em> Vor fünfzig Jahren, -in meiner Knabenzeit, drangen in unser entlegenes, -schwach bevölkertes Mississippi-Tal sagenhafte -Gerüchte von einer Genossenschaft berufsmäßiger -Mörder, die in Indien hausen sollte, einem -Lande, das uns tatsächlich ebenso fern lag wie die -Sterne, die droben am Himmel funkelten. Man erzählte, -es gäbe dort eine Sekte, deren Mitglieder -sich Thugs nennten und zu Ehren eines Gottes, -dem sie dienten, den Wanderern an einsamen Orten -aufzulauern und sie umzubringen pflegten. Jeder -hörte diesen Geschichten gern zu, aber man glaubte -sie nicht, oder doch nur mit Vorbehalt. Man nahm -an, daß sie sich auf dem weiten Wege bis zu uns -lawinenartig vergrößert hätten, auch waren sie bald -wieder verschollen. Da erschien Eugène Sues ›Ewiger -Jude‹ und machte eine Zeitlang viel von sich -reden. Eine Figur des Romans ist ›Feringhea‹, der<span class="pagenum" id="Seite_105">[105]</span> -furchtbare, geheimnisvolle Inder, ein Häuptling der -Thugs, glatt, listig und todbringend wie eine -Schlange. Durch ihn wurde das Interesse für die -Thugs von neuem erweckt, aber nach kurzer Zeit -schlief es abermals ein und zwar auf immer.</p> - -<p>Dies mag wohl auf den ersten Blick befremdlich -erscheinen, doch war es der natürliche Lauf der Dinge, -wenigstens auf unserer Halbkugel. Was man von -den Thugs wußte, stammte der Hauptsache nach aus -einem Regierungsbericht, von dem in Amerika -schwerlich jemals etwas verlautet ist. Man pflegt -dergleichen amtliche Schriftstücke nicht ohne weiteres -in Umlauf zu setzen; nur gewissen Leuten läßt man -sie zukommen, und ob diese sie lesen ist noch sehr die -Frage. Ich selbst habe vor einigen Tagen zum -allererstenmal von diesem Bericht gehört und ihn -mir zu verschaffen gewußt. Er fesselt mich ungemein -und macht jene alten Märchen aus meinen -Knabenjahren zur Wirklichkeit.</p> - -<p>Major Sleeman, der in Indien diente, hat das -Thug-Buch, von dem ich rede, im Jahr 1839 abgefaßt. -Es wurde 1840 in Kalkutta herausgegeben, ein -dicker, plumper Band, der uns zwar keine hohe Meinung -vom damaligen Stand der Buchdruckerkunst beibringt, -aber vielleicht als Erzeugnis einer amtlichen<span class="pagenum" id="Seite_106">[106]</span> -Druckerei aus alter Zeit und fernen Landen gar nicht -so übel war. Dem Major fiel die Riesenaufgabe zu, -Indien von den Thugs zu befreien und er hat sie -mit siebzehn Gehilfen, die unter seiner Oberleitung -standen, glücklich vollbracht. Die Reinigung der Augiasställe -war nichts dagegen.</p> - -<p>Damals schrieb Hauptmann Valencey in einer -Zeitung, die in Madras erschien: »Wenn der Tag -kommt, an dem jenes weit verbreitete Uebel in Indien -ausgerottet und nur noch dem Namen nach bekannt -ist, wird dies viel dazu beitragen, die britische Herrschaft -im Orient auf ewige Zeiten zu befestigen.«</p> - -<p>Er hat die Größe und Schwierigkeit des Werkes, -durch dessen Vollendung sich England ein unsterbliches -Verdienst erworben hat, in keiner Weise -überschätzt.</p> - -<p>Von dem Vorhandensein der furchtbaren Sekte -waren die britischen Behörden schon seit 1810 unterrichtet, -doch ahnte kein Mensch ihre weite Ausdehnung; -man legte ihr nur geringe Bedeutung bei und -erst 1830 wurden systematische Maßnahmen zu ihrer -Unterdrückung getroffen. Damals war es Major -Sleeman gelungen, den Thug-Häuptling Eugène -Sues in seine Gewalt zu bekommen, und der furchtbare -Feringhea ließ sich bewegen Kronzeuge zu werden.<span class="pagenum" id="Seite_107">[107]</span> -Die Enthüllungen, die er machte, waren so -ungeheuerlicher Art, daß sie Sleeman ganz unglaublich -schienen. Er hatte in dem Wahn gelebt, er kenne -sämtliche Verbrecher in seinem Bezirk und hatte die -schlimmsten höchstens für Diebe und Spitzbuben gehalten. -Feringhea machte dem Major jedoch klar, -daß er die ganze Zeit über von Scharen berufsmäßiger -Mörder umgeben gewesen sei, die ihre Opfer -in seiner nächsten Nähe begruben. Sleeman hielt das -für Hirngespinste, aber Feringhea sagte: »Komm und -siehe selbst!« Er führte ihn an eine Grube, in -der hundert Leichname lagen, erzählte ihm alle näheren -Umstände ihrer Ermordung und nannte die -Namen der Thugs, welche die Tat vollbracht hatten. -Sleeman traute seinen Augen kaum; er nahm einige -von jenen Thugs gefangen und stellte Einzelverhöre -mit ihnen an, nachdem er Sorge getragen, daß sie sich -nicht unter einander verständigen konnten. Auf die -unbeglaubigten Aussagen eines Inders wollte er -sich nicht verlassen. Aber, o Schrecken! die gesammelten -Zeugnisse ergaben nicht nur, daß Feringhea -die Wahrheit geredet hatte, sondern lieferten zugleich -den Beweis, daß die Banden der Thugs in -ganz Indien ihr furchtbares Gewerbe trieben. Nun -tat die Regierung ernstliche Schritte zur Vertilgung<span class="pagenum" id="Seite_108">[108]</span> -der Sekte und man verfolgte sie zehn Jahre lang -mit unerbittlicher Strenge, bis sie gänzlich ausgerottet -war. Eine Räuberbande nach der andern -wurde gefangen, vor Gericht gestellt und bestraft. -Ueberall spürte man die Thugs in ihren Schlupfwinkeln -auf und machte Jagd auf sie. Die Regierung -brachte alle ihre Geheimnisse ans Licht und ließ die -Namen sämtlicher Mitglieder der Banden, sowie den -Geburtsort und Wohnplatz jedes einzelnen aufs genauste -verzeichnen.</p> - -<p>Die Thugs waren Anbeter des Gottes Bhowanee, -dem sie alle Wanderer opferten, welche ihnen -in die Hände fielen. Die Sachen der Getöteten -behielten sie jedoch für sich: dem Gotte war nur an -dem Leichnam etwas gelegen. Bei der Aufnahme -in die Sekte fanden feierliche Zeremonien statt; jeder -neue Bekenner wurde unterwiesen, wie er die Erdrosselung -mit dem heiligen Tuch zu vollziehen habe, -doch war ihm erst nach langer Uebung gestattet, selbständig -handelnd vorzugehen. Nur ein erfahrener -Würger war im stande, die Erdrosselung so rasch -zu bewerkstelligen, daß der dem Tode Geweihte auch -keinen Laut mehr von sich geben konnte; jeder dumpfe -Schrei, jedes Stöhnen, Seufzen oder Schnappen nach -Luft mußte verhindert werden. In einem Augenblick<span class="pagenum" id="Seite_109">[109]</span> -schlang sich das Tuch um den Hals des -Opfers, es ward plötzlich zusammengezogen, der Kopf -fiel lautlos nach vorn, die Augen traten aus ihren -Höhlen und alles war vorüber. Vornehmlich gaben -die Thugs wohl acht, daß sie auf keinen Widerstand -stießen, auch forderten sie ihr Opfer meist auf sich -niederzusetzen, weil sich das Geschäft so am bequemsten -verrichten ließ.</p> - -<p>Alle Zustände und Einrichtungen Indiens -waren den Thugs ausnehmend günstig: Eine öffentliche -Fahrgelegenheit gab es nicht, man konnte auch -kein Gefährt mieten. Der Reisende mußte zu Fuß -gehen, wenn er nicht einen Ochsenwagen benützen -oder sich ein Pferd für die Gelegenheit kaufen konnte. -Sobald er die Grenze seines kleinen Fürstentums -überschritten hatte, war er unter Fremden; dort -kannte ihn niemand, er blieb unbeachtet, kein Mensch -vermochte mehr anzugeben, wohin er seine Schritte -gelenkt hatte. Weder in Städten noch Dörfern -pflegte der Reisende einzukehren; er hielt außerhalb -derselben Rast und schickte seine Diener in den Ort, -um Lebensmittel zu kaufen. Einzelne Höfe gab es -nicht; auf der öden Strecke zwischen zwei Dörfern -fiel der Wanderer dem Feinde leicht zur Beute, besonders -da er meist bei Nacht weiterzog, um der Hitze<span class="pagenum" id="Seite_110">[110]</span> -zu entgehen. Unterwegs gesellten sich häufig Fremdlinge -zu ihm und boten ihm an, zu gegenseitigem -Schutz die Fahrt gemeinsam fortzusetzen; das waren -meistens Thugs, wie der Wanderer bald zu seinem -Verderben erfuhr. Die Güterbesitzer, die eingeborene -Polizei, die kleinen Fürsten, die Dorfrichter und -Zollwächter steckten oft mit den Räubern unter einer -Decke, gewährten ihnen Schutz und Obdach und lieferten -ihnen die Reisenden aus, um Anteil an der Beute -zu haben. Dadurch ward es der Regierung zuerst -fast unmöglich gemacht die Uebeltäter zu fangen, -weil die wachsamen Freunde ihnen zur Flucht verhalfen. -Und so zogen denn handeltreibende Leute -aus allen Kasten und Ständen, paarweise oder in -Gruppen, schutzlos, bei schweigender Nacht, auf den -Pfaden des weiten Ländergebiets einher, Kostbarkeiten, -Geld, Juwelen, kleine Seidenballen, Gewürze -und allerlei Waren mit sich führend – es war ein -Paradies für die Thugs.</p> - -<p>Bei Eintritt des Herbstes pflegte die Genossenschaft -ihre zum voraus verabredeten Zusammenkünfte -zu halten. Um sich untereinander zu verständigen -brauchten die Thugs, selbst wenn sie aus den verschiedensten -Gebieten stammten, keine Dolmetscher -wie andere Völker. Sie hatten ihre eigene Sprache<span class="pagenum" id="Seite_111">[111]</span> -und geheime Zeichen, an denen sich die Genossen -erkannten; alle waren untereinander befreundet, -selbst die Unterschiede der Kaste und Religion traten -in den Hintergrund, wo Hingebung an den Beruf -ins Spiel kam. Der Moslem und der Hindu -aus höherer oder niederer Kaste, standen sich als -Thugs gleich Brüdern treulich zur Seite.</p> - -<p>War eine Bande versammelt, so ward Gottesdienst -gehalten und man wartete auf die Omen. -Das Geschrei verschiedener Tiere hatte eine gute -oder schlechte Vorbedeutung, wie jedermann wußte. -Erfolgte ein böses Omen, so gab man das Vorhaben -auf und die Leute gingen wieder nach Hause.</p> - -<p>Schwert und Tuch galten als heilige Symbole -der Thugs. Das Schwert beteten sie daheim an, ehe -sie zur Versammlung gingen, und das Tuch, mit -dem sie ihre Opfer würgten, verehrten sie gemeinschaftlich. -Meist verrichtete der Häuptling der Bande -die religiösen Zeremonien selbst, nur die Kaets -beauftragten damit gewisse angestellte Erwürger, -Chaurs genannt. Diese Kaets hielten so streng an -ihren gottesdienstlichen Gebräuchen fest, daß es nur -dem Chaur gestattet war, die geheiligten Gefäße -und was sie sonst dabei benützten, anzurühren.</p> - -<p>Zwei charakteristische Merkmale sind dem Raubsystem<span class="pagenum" id="Seite_112">[112]</span> -der Thugs besonders eigen: die größte Vorsicht, -Ausdauer und Geduld bei Verfolgung der -Beute und gänzliche Erbarmungslosigkeit im Moment -der Tat.</p> - -<p>Vor allem richteten sie ihr Augenmerk darauf, -daß sie an Zahl der Reisegesellschaft, welcher -ihr Angriff galt, mindestens vierfach überlegen waren. -Offene Feindseligkeiten vermieden sie und überfielen -ihre Opfer nur, wenn diese nichts Böses ahnten. -Oft reisten sie tagelang in ihrer Gesellschaft -und suchten durch allerlei Künste ihr Vertrauen und -ihre Freundschaft zu gewinnen. Sobald ihnen dies -gelungen war, gingen sie an ihr eigentliches Geschäft: -Zuerst wurden ein paar Thugs vorausgeschickt, um -bei dunkler Nacht den günstigsten Schauplatz für -die Ermordung zu wählen und die <em class="gesperrt">Gräber zu -graben</em>. Wenn die übrigen den Ort erreichten, -ward unter dem Vorwand, etwas zu rasten und eine -Pfeife zu rauchen, Halt gemacht. Man schlug der Gesellschaft -vor, sich niederzusetzen. Auf einen Wink -des Hauptmanns nahmen einige Thugs den Reisenden -gegenüber Platz, andere setzten sich neben sie und -fingen ein Gespräch mit ihnen an, während die -geübtesten Würger sich, des verabredeten Zeichens -harrend, in ihrem Rücken aufstellten. Dies Zeichen<span class="pagenum" id="Seite_113">[113]</span> -war gewöhnlich irgend eine alltägliche Bemerkung: -»Bringt den Tabak,« oder etwas derart. Oft verging -noch eine beträchtliche Zeit, nachdem jeder der -Handelnden seinen bestimmten Platz eingenommen -hatte; der Hauptmann wartete erst, ob auch alles -ganz sicher sei. Unterdessen spann sich die Unterhaltung -einförmig weiter; düstere Gestalten huschten -im Hintergrund hierhin und dorthin bei dem ungewissen -Dämmerschein; die Nacht war still und -friedlich und die Reisenden überließen sich arglos -der angenehmen Ruhe, ohne zu ahnen, daß die -Todesengel sie von allen Seiten umgaben. Jetzt -war der Augenblick da; das verhängnisvolle Wort: -»Bringt den Tabak,« wurde gesprochen. Sofort entstand -eine rasche aber lautlose Bewegung. Im gleichen -Moment hielten die Männer, welche neben den -Reisenden saßen, ihre Hände fest, die vor ihnen -ergriffen ihre Füße und taten einen kräftigen Ruck, -während ein Mörder jedem Opfer von hinten das -Tuch um den Kopf schlang und zuzog – der Kopf -des Erdrosselten sank auf die Brust, das Trauerspiel -war zu Ende. Nun wurden die Leichen ausgeplündert, -und in den Gräbern verscharrt; darauf -packte man die Beute zusammen, die mitgenommen -werden sollte. Nachdem dann die Thugs noch zum<span class="pagenum" id="Seite_114">[114]</span> -Schluß dem Gotte Bhowanee ihren frommen Dank -dargebracht hatten, zogen sie weiter, um noch mehr -heilige Taten zu verrichten.</p> - -<p>Aus Major Sleemans Bericht ergibt sich, daß -die Reisenden meist in kleiner Anzahl beisammen -waren, in der Regel nicht mehr als zwei, drei oder -vier. Die Thugs dagegen zogen in Banden von zehn, -fünfzehn, fünfundzwanzig, vierzig, sechzig, hundert, -hundertfünfzig, zweihundert, zweihundertundfünfzig -Mann umher, ja, es wird sogar eine Bande von -dreihundertzehn Mann erwähnt. Bei solcher starken -Ueberzahl kann man ihren Fang nicht besonders groß -nennen, wenn man bedenkt, daß sie durchaus nicht -wählerisch waren, sondern wo und wie sie konnten -jeden umbrachten, ob reich oder arm, oft sogar Kinder. -Manchmal töteten sie auch Frauen, aber das -galt für sündhaft und brachte Unglück. Die günstige -Jahreszeit für ihre Raubzüge dauerte sechs bis acht -Monate. In einem solchen Jahrgang töteten zum -Beispiel die sechs Banden von Bundelkund und -Gwalior, welche zusammen 712 Köpfe zählten, 210 -Menschen. Die Thugs von Malwa und Kandeisch -waren 702 Mann stark und mordeten 232. Die -Kandeisch- und Berar-Banden, 963 Mann, brachten -385 Leute um.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_115">[115]</span></p> - -<p>Bettler gelten in Indien für heilig, und manche -Banden schonten ihr Leben, andere dagegen mordeten -nicht nur sie, sondern sogar den Fakir, diesen Inbegriff -aller Heiligkeit, der nichts als Haut und -Knochen ist, sich Staub und Schmutz auf das buschige -Haupthaar streut und seinen nackten Körper über -und über mit Asche bepudert, daß er aussieht wie -ein Gespenst. Mancher Fakir verließ sich jedoch -allzu fest auf seine unverletzliche Heiligkeit. Von -einem solchen Fall wird uns in Sleemans Buch -unter andern Großtaten Feringheas berichtet. Er -war einmal mit vierzig Thugs ausgezogen und sie -hatten schon neununddreißig Männer und eine Frau -getötet, ehe der Fakir zum Vorschein kam.</p> - -<p>»Wir näherten uns Doregow,« lautete der -Bericht, »trafen auf drei Brahminen, dann auf -einen Fakir zu Pferde, der sich ganz mit -Zucker bekleistert hatte, um die Fliegen herbeizulocken, -von denen er über und über bedeckt -war. Wir jagten ihn fort und töteten die -drei andern.</p> - -<p>»Hinter Doregow stieß der Fakir nochmals zu -unserer Gesellschaft und zog mit uns bis Raojana; -wir begegneten sechs Hindus, die von Bombay nach -Nagpore wollten. Den Fakir vertrieben wir durch<span class="pagenum" id="Seite_116">[116]</span> -Steinwürfe, töteten die sechs Leute in ihrem Lager -und begruben sie im Gebüsch.</p> - -<p>»Am nächsten Tage stellte sich der Fakir wieder -ein; erst in Mana wurden wir ihn los. Hinter -dem Orte trafen wir drei Sepoys und hatten fast -den Platz erreicht, der zu ihrer Ermordung bestimmt -war, als der Fakir abermals erschien. Nun -endlich riß uns die Geduld und wir gaben Mithoo, -einem unserer Gefährten, fünf Rupien, daß er ihn -umbringen und die Sünde auf sich nehmen sollte. -Alle vier wurden erdrosselt, also auch der Fakir. -In seinem Gepäck fanden sich zu unserer Ueberraschung -dreißig Pfund Korallen, dreihundert fünfzig -Schnüre kleine Perlen, fünfzehn Schnüre große Perlen -und ein vergoldetes Halsband.«</p> - -<p>Ob wohl Mithoo, der allein die Sünde trug, -sich die unerwartete Beute ganz aneignen durfte, -oder ob er sie mit den Gefährten teilen mußte und -nur die Sünde für sich behielt? – Wie schade, daß -der Regierungsbericht uns gerade diesen interessanten -Umstand verschweigt!</p> - -<p>Feringhea fürchtete sich selbst nicht vor den -Mächtigen der Erde. Einen Elefantentreiber des -Rajahs von Oodeypore erdrosselte er ohne weiteres. -Er hat auf jenem Raubzug nicht weniger<span class="pagenum" id="Seite_117">[117]</span> -als hundert Männer und fünf Frauen umgebracht.</p> - -<p>Unter den Unglücklichen, welche den Thugs -zum Opfer fielen, waren Personen jeden Standes -und Ranges; nur den Weißen taten sie nichts zu -Leide. Die Liste verzeichnet:</p> - -<p>Eingeborene, Soldaten, Fakirs, Bettler, Träger -des heiligen Wassers, Zimmerleute, Hausierer, -Schneider, Schmiede, eingeborene Polizisten, Kuchenbäcker, -Stallknechte, Pilger, Chuprassies, Weber, -Priester, Bankiers, Schatz-Träger, Kinder, Kuhhirten, -Gärtner, Ladenbesitzer, Palankin-Träger, Landleute, -Ochsentreiber, Diener, die Beschäftigung suchten, -Frauen, die sich verdingen wollten, Schafhirten, -Bogenschützen, Aufwärter, Bootsleute, Händler, -Grasmäher.</p> - -<p>Selbst einen fürstlichen Koch verschonten sie -nicht, ebenso wenig den Wasserträger des Herrschers -über alle Fürsten und Könige, des Generalgouverneurs -von Indien. Ja, eine Bande war sogar grausam -genug, armen, herumziehenden Komödianten -das Leben zu nehmen, und trotzdem sie auf demselben -Raubzug auch noch einen Fakir und zwölf -Bettler töteten, beschützte sie ihr Gott Bhowanee: -Sie wollten einen Mann im Walde erdrosseln, während -gerade viele Leute in der Nähe vorbeigingen,<span class="pagenum" id="Seite_118">[118]</span> -zogen aber die Schlinge nicht fest genug, und der -Mann stieß einen lauten Schrei aus. Da ließ Bhowanee -im gleichen Augenblick ein Kamel durch das -Dickicht brechen, dessen Gebrüll den Angstschrei übertönte, -und ehe der Mann den Mund wieder öffnen -konnte, war sein Atem entflohen.</p> - -<p>Die Kuh ist in Indien ein so heiliges Tier, daß -schon ihren Hirten zu töten für frevelhaft gilt. Das -wußten die Thugs recht gut, aber bisweilen war -ihr Blutdurst so groß, daß sie dennoch einige Kuhhirten -umbrachten. Ein Thug, der solche Missetat -verübt hatte, bekennt:</p> - -<p>»Unser Glaube verbietet das aufs strengste; es -kann nur Unheil daraus entstehen. Ich lag nachher -zehn Tage am Fieber darnieder. Tötet man einen -Mann, der eine Kuh führt, so bringt es Unglück; hat -er keine Kuh bei sich, dann schadet es nichts.« Ein -anderer Thug, der bei dieser Gelegenheit die Füße -des Opfers gehalten hatte, fürchtete für sich keine -schlimmen Folgen, »weil das Mißgeschick für solche -Tat immer nur den Erwürger selbst, nicht seine Gehilfen -bedroht, und wenn er deren auch hundert -gehabt hätte.«</p> - -<p>Während vieler Menschenalter durchwanderten -Tausende von Thugs Indien in allen Richtungen.<span class="pagenum" id="Seite_119">[119]</span> -Ihr Räuberhandwerk war zu einem Beruf geworden, -der sich vom Vater auf den Sohn und Enkel forterbte. -Von sechzehn Jahren an konnte ein Knabe schon Mitglied -der Verbindung werden, und siebzigjährige -Greise waren noch in voller Tätigkeit.</p> - -<p>Was fesselte die Leute aber an ihr Mordgeschäft, -worin bestand der Reiz desselben? Teils trieb sie -offenbar Frömmigkeit, teils Beutegier dazu, aber -das Hauptinteresse scheint doch das Vergnügen an -der Jagd selbst gewesen zu sein, die Mordlust, welche -auch dem weißen Manne im Blute steckt. Meadows -Taylor schreibt in seinem Roman: ›Bekenntnisse -eines Thug‹:</p> - -<p>»Wie leidenschaftlich liebt ihr Engländer nicht -die Jagd! Ganze Wochen und Monate widmet ihr -diesem aufregenden Zeitvertreib. Um Tiger, Panther, -Büffel oder Eber zu töten, strengt ihr eure -ganze Tatkraft an, ja ihr setzt selbst das Leben -aufs Spiel. Wir Thugs aber verfolgen ein weit -edleres Wild!«</p> - -<p>Vielleicht liegt hierin wirklich der Schlüssel des -Rätsels, das die Entstehung und Verbreitung der -furchtbaren Sekte umgibt. Dem Menschengeschlecht -im großen und ganzen ist die Mordgier eigen, es -ergötzt sich am Töten lebender Geschöpfe wie an<span class="pagenum" id="Seite_120">[120]</span> -einem Schauspiel. Wir weißen Leute sind nur etwas -verfeinerte Thugs, denen ihr dünner Anstrich von -Zivilisation wie ein lästiger Zwang erscheint. Als -Thugs haben wir uns vor noch gar nicht so langer -Zeit an den Metzeleien der römischen Arena ergötzt -und später an dem Feuertod, welcher zweifelhaften -Christen durch rechtgläubige Christen auf öffentlichem -Marktplatz bereitet wurde. Noch jetzt gehen -wir mit den Thugs in Spanien oder in Nimes zu -den blutigen Greueln der Stiergefechte hinaus. -Keiner unserer Reisenden, welches Geschlechts oder -welcher Religion er auch sein mag, hat je der Anziehungskraft -der spanischen Arena zu widerstehen -vermocht, wenn sich ihm Gelegenheit bot, dem Schauspiel -beizuwohnen. Auch zur Jagdzeit sind wir -fromme Thugs: wir hetzen das harmlose Wild und -töten es mit Wonne. Aber <em class="gesperrt">einen</em> Fortschritt haben -wir doch gemacht. Zwar ist er nur winzig und -kaum der Rede wert, so daß wir nicht nötig hätten -besonders stolz darauf zu sein, aber es ist immerhin -ein Fortschritt zu nennen, daß es uns nicht mehr -Freude macht, hilflose Menschen niederzumetzeln oder -zu verbrennen. Von diesem höheren Standpunkt -aus können wir mit selbstgefälligem Schaudern auf -die indischen Thugs herabsehen; auch dürfen wir<span class="pagenum" id="Seite_121">[121]</span> -zuversichtlich hoffen, daß einst der Tag erscheinen -wird, an dem unsere Nachkommen in künftigen Jahrhunderten -mit ähnlichen Gefühlen auf uns herabschauen.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap09">Neuntes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Der Kummer ist sich selbst genug; aber -um eine Freude voll und ganz zu genießen, -muß man jemand haben, mit dem man sie -teilen kann.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Wir fuhren mit dem Nachtzug von Bombay -nach Allahabad. In Indien ist es Landessitte, das -Reisen am Tage möglichst zu vermeiden; dabei ist -nur der Uebelstand, daß man sich zwar die beiden -Sofas ›sichern‹ kann, wenn man sie vorausbestellt, -aber man erhält keinerlei Fahrkarte oder Marke, -durch welche man sein Eigentumsrecht zu beweisen -vermag, falls dasselbe in Zweifel gezogen wird. -Das Wort ›besetzt‹ erscheint am Fenster des Coupés, -aber für wen weiß niemand. Kommt mein Satan -mit meinem Barney an, ehe ein anderer Diener zur -Stelle ist, legen sie meine Betten auf die beiden<span class="pagenum" id="Seite_122">[122]</span> -Sofas und stehen Wache bis wir eintreffen, dann -geht alles gut. Verlassen sie aber den Posten um -eine Besorgung zu machen, so können sie bei der Rückkehr -finden, daß unsere sämtlichen Bettstücke auf -die oberen Schlafbretter befördert worden sind, und -ein paar andere Dämonen das Lager ihrer Herren -auf unsern Sofas bereitet haben, vor denen sie -Wache halten.</p> - -<p>Dieses System lehrt uns Höflichkeit und Rücksicht -üben, doch gestattet es auch unberechtigte Uebergriffe. -Ein junges Mädchen pflegt einer älteren -Dame, wenn diese später kommt, den Sofaplatz einzuräumen, -den die Dame meist mit freundlichem -Danke annimmt. Aber bisweilen geht es dabei auch -anders zu. Als wir im Begriff waren Bombay -zu verlassen, lagen die Reisetaschen meiner Tochter -auf ihrem Sofaplatz. Da kam im letzten Augenblick -eine amerikanische Dame mittleren Alters in das -Coupé gestürmt, hinter ihr die mit dem Gepäck beladenen -eingeborenen Träger. Sie schalt, brummte, -knurrte und versuchte sich möglichst unausstehlich -zu machen, was ihr auch gelang. Ohne ein Wort -der Erklärung warf sie Reisekorb und Tasche meiner -Tochter auf das obere Brett und pflanzte sich breit -auf das Sofa hin.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_123">[123]</span></p> - -<p>Bei einem unserer Ausflüge verließen wir, -Smythe und ich, auf einer Station unser Coupé, -um etwas auf und ab zu gehen; als wir zurückkamen, -fanden wir Smythes Betten im Hängebrett, -und ein englischer Kavallerie-Offizier lag lang und -bequem ausgestreckt auf dem Sofa, wo Smythe noch -soeben geschlafen hatte.</p> - -<p>Es ist abscheulich, daß dergleichen unsereinem -Spaß bereitet, aber wir sind nun einmal so geschaffen. -Wäre das Mißgeschick meinem ärgsten -Feinde zugestoßen, es hätte mir kein größeres Vergnügen -machen können. Wir freuen uns alle, wenn -es andern Leuten schlecht geht, ohne daß wir Unbequemlichkeiten -davon haben. Smythes Aerger machte -mich so glücklich, daß ich gar nicht einschlafen konnte, -weil ich mich in Gedanken zu sehr daran ergötzte. -Er glaubte natürlich, der Offizier hätte den Raub -selber begangen, während ihn der Diener zweifellos -ohne Wissen seines Herrn ausgeführt hatte. Den -Groll über diesen Vorfall bewahrte Smythe getreulich -im Herzen; er schmachtete nach einer Gelegenheit, -sich dafür an irgend jemand schadlos zu halten, -und dies Verlangen ward ihm bald darauf in Kalkutta -erfüllt. Von dort unternahmen wir eine vierundzwanzigstündige -Fahrt nach Dardschiling. Da<span class="pagenum" id="Seite_124">[124]</span> -aber der Generaldirektor Barclay alle Vorkehrungen -getroffen hatte, damit wir es unterwegs recht bequem -haben sollten – wie Smythe versicherte – so -beeilten wir uns nicht allzusehr auf den Zug zu kommen. -Im Bahnhof herrschte, wie gewöhnlich in Indien, -ein entsetzliches Gewühl, ein unbeschreiblicher -Lärm und Wirrwarr. Der Zug war übermäßig -lang, denn sämtliche Eingeborene des Landes reisten -irgendwohin; die Bahnbeamten wußten nicht, wo -ihnen der Kopf stand und wie sie alle die aufgeregten -Leute, die sich verspätet hatten, noch unterbringen -sollten. Wo das für uns bestimmte Coupé war, -konnte uns niemand sagen; keiner hatte Befehl erhalten -dafür zu sorgen. Das war eine große Enttäuschung, -auch hatte es ganz den Anschein als würde -die Hälfte unserer Gesellschaft zurückbleiben müssen; -da kam Satan spornstreichs angerannt, um zu melden, -daß er ein Coupé gefunden habe, in dem noch -ein Hängebrett und ein Sofa leer waren. Dort -hatte er unser Gepäck hineingeschafft und uns das -Lager bereitet. Wir stiegen eilends ein. Der Zug -war gerade im Fortfahren, und die Schaffner schlugen -eine Waggontür nach der andern zu, als ein Beamter -des ostindischen Zivildienstes, unser guter Freund, -atemlos gelaufen kam. »Ueberall habe ich nach<span class="pagenum" id="Seite_125">[125]</span> -Ihnen gesucht,« rief er. »Wie kommen Sie hierher? -Wissen Sie denn nicht –«</p> - -<p>Indem fuhr der Zug ab, und der Schluß des -Satzes entging uns. Jetzt kam für Smythe die -Gelegenheit seinen Racheplan auszuführen. Er -nahm sofort seine Betten vom Schlafbrett, tauschte -sie gegen diejenigen aus, welche herrenlos auf dem -Sofa mir gegenüber lagen und begab sich seelenvergnügt -zur Ruhe. Gegen zehn Uhr nachts hielten -wir irgendwo und ein großer Engländer, der wie -ein hoher Militär aussah, stieg bei uns ein. Wir -taten, als schliefen wir. Trotz der verdunkelten -Lampen war es aber hell genug, daß wir sehen -konnten, welche Ueberraschung sich in seinen Zügen -malte. Hoch aufgerichtet stand er da, starrte sprachlos -auf Smythe herab und versuchte die Lage der -Dinge zu begreifen. Nach einer Weile sagte er:</p> - -<p>»Nein, so was!« – weiter nichts.</p> - -<p>Aber es war mehr als genug und leicht verständlich. -Es sollte heißen: »So was ist doch unerhört! -Eine solche Unverschämtheit ist mir mein -Lebtag noch nicht vorgekommen.«</p> - -<p>Er setzte sich auf seinen Koffer; wir aber schielten -wohl zwanzig Minuten lang mit halbgeschlossenen -Augen zu ihm hinüber und beobachteten, wie ihn die<span class="pagenum" id="Seite_126">[126]</span> -Bewegung des Zuges rüttelte und schüttelte. Sobald -wir an eine Station kamen, erhob er sich; -wir hörten ihn noch im Fortgehen murmeln: »Ich -muß ein leeres Sofa finden, sonst warte ich bis zum -nächsten Zuge!«</p> - -<p>Bald darauf kam sein Diener, um das Gepäck -zu holen.</p> - -<p>So war denn Smythes alte Wunde geheilt und -sein Rachdurst gestillt. Aber schlafen konnte er ebensowenig -wie ich; unser Wagen war ein ehrwürdiger, -alter Kasten voller Schäden und Gebrechen. Die -Tür ins Waschkabinett zum Beispiel schlug fortwährend -an und spottete aller unserer Bemühungen sie -zu befestigen. Als der Morgen dämmerte, standen wir -wie zerschlagen auf, um eine Tasse Kaffee zu trinken. -Auch jener Engländer war auf der Station ausgestiegen -und wir hörten, wie jemand zu ihm sagte:</p> - -<p>»Also haben Sie Ihre Fahrt doch nicht unterbrochen?«</p> - -<p>»Nein,« lautete die Antwort, »der Schaffner -konnte mir ein Coupé anweisen, das zwar bestellt -aber nicht besetzt worden war. Ich bekam einen -großen Salonwagen für mich ganz allein, wahrhaft -fürstlich, versichere ich Ihnen. Ein solcher Glücksfall -ist mir noch nie begegnet.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[127]</span></p> - -<p>Natürlich war das unser Wagen. Wir siedelten -sogleich mit der ganzen Familie dahin über. Den -Herrn Engländer lud ich jedoch ein zu bleiben, was -er auch annahm. Ein sehr liebenswürdiger Mann, -Oberst bei der Infanterie. Daß Smythe ihm sein -Lager geraubt hat, erfuhr er nicht; er glaubt, Smythes -Diener hätten es ohne Wissen seines Herrn -getan. Man half ihm zu dieser Ueberzeugung und -störte ihn nicht darin.</p> - -<p>In Indien werden die Züge ausschließlich von -Eingeborenen bedient, auch alle Stationsbeamten – -außer an Hauptplätzen – sind Eingeborene, desgleichen -die Polizisten und die Angestellten im Post- -und Telegraphendienst. Lauter sehr freundliche und -gefällige Leute. Eines Tages war ich aus dem -Schnellzug gestiegen, um mich mit Entzücken an dem -Schauspiel zu weiden, das jede große Station in -Indien bietet. Die bunten Scharen der Eingeborenen, -welche auf dem breiten Perron rastlos durcheinander -wirbelten, fesselten mich dergestalt, daß ich -alles andere darüber vergaß. Als ich mich umwandte -sah ich, daß mein Zug soeben zum Bahnhof -hinausfuhr. Ich wollte mich ruhig hinsetzen, um -den nächsten Zug abzuwarten, wie ich es zu Hause -getan hätte; an eine andere Möglichkeit dachte ich<span class="pagenum" id="Seite_128">[128]</span> -nicht. Da trat ein eingeborener Beamter, der eine -grüne Flagge in der Hand hielt, höflich auf mich -zu: »Wollten Sie nicht mit dem Zuge weiter?« -fragte er.</p> - -<p>Als ich dies bejahte, ließ er seine Flagge wehen, -der Zug kam zurück, und er half mir mit solcher -Ehrerbietung einsteigen, als wäre ich der Generaldirektor -selber gewesen. Ein gutherziges Volk, diese -Hindus! Unfreundliche, mürrische Mienen, welche -Bosheit und schlechte Gemütsart verraten, sind eine -solche Seltenheit, daß es mir oft vorkam, als müsse -ich die Mordgeschichten der Thugs geträumt haben. -Freilich wird es auch unter den Indern schlechte -Menschen geben, aber jedenfalls in großer Minderzahl. -Eins ist gewiß: es ist das interessanteste Volk -in der ganzen Welt und dabei unerklärlich und unbegreiflich -in seinem Wesen wie kein anderes. Sein -Charakter, seine Geschichte, seine Religion, seine Sitten -sind voller Rätsel, die nur noch unverständlicher -werden, wenn man uns Aufschluß darüber gibt. -Weshalb und auf welche Weise so seltsame Dinge -wie die verschiedenen Kasten, die Thugs, die Suttis -entstanden sein können, geht über unsere Begriffe.</p> - -<p>Für die Sitte der Witwenverbrennung hat man -zum Beispiel folgende Erklärung: Eine Frau, die<span class="pagenum" id="Seite_129">[129]</span> -ihr Leben freiwillig hingibt, wenn ihr Gatte stirbt, -wird augenblicklich wieder mit ihm vereinigt, und sie -genießen fortan im Himmel zusammen ewige Freuden; -die Familie errichtet ihr ein Denkmal oder einen -Tempel und hält ihr Andenken in hohen Ehren. -Der Opfertod der Frau verleiht auch allen ihren -Angehörigen eine besondere Auszeichnung in den -Augen des Volkes, die sich dauernd auf ihre Nachkommenschaft -vererbt. Bleibt sie dagegen am Leben, -so erwartet sie Schmach und Schande; wieder -verheiraten kann sie sich nicht, die Familie verachtet -sie und sagt sich von ihr los; freundlos und verlassen -fristet sie ihr jammervolles Dasein.</p> - -<p>Daß sie es vorzieht solchem Elend durch den -Tod zu entfliehen, ist sehr begreiflich. Aber was -der Ursprung dieser seltsamen Sitte ist, bleibt trotzdem -ein Rätsel. Vielleicht wurde sie auf Befehl -der Götter eingeführt; aber haben diese auch bestimmt, -daß man eine so grausame Todesart wählen -sollte? Hätte ein sanfterer Tod nicht dieselben -Dienste getan? Kein Mensch weiß darauf eine -Antwort.</p> - -<p>Man wäre geneigt anzunehmen, daß die Witwen -sich überhaupt nicht freiwillig verbrennen ließen, -sondern es nur nicht wagten sich der öffentlichen<span class="pagenum" id="Seite_130">[130]</span> -Meinung zu widersetzen. Dieser Standpunkt läßt -sich jedoch unmöglich festhalten; er stimmt nicht mit -den geschichtlichen Tatsachen überein. Major Sleeman -erzählt in einem seiner Bücher einen höchst -charakteristischen Fall:</p> - -<p>Als er im März 1828 die Verwaltung am -Nerbuddastrom übernahm, beschloß er kühn, dem -Zug seines mitleidigen Herzens zu folgen und die -Suttis auf eigene Verantwortung in seinem Bezirk -zu verbieten. Daß sie acht Monate später auf Befehl -der Ostindischen Regierung gänzlich untersagt -werden würden, konnte er nicht voraussehen. Am -24. November – einem Dienstag – starb Omed -Sing Opaddia, das Haupt einer der angesehensten -und zahlreichsten Brahminenfamilien der Gegend, -und eine Abordnung seiner Söhne und Enkel erschien -vor Sleeman, mit der Bitte, der alten Witwe zu -gestatten sich mit der Leiche ihres Gemahls verbrennen -zu lassen. Der Major drohte jedoch, jeden -streng zu bestrafen, der seinem Befehl zuwider handeln -und der Selbstverbrennung der Witwe Vorschub -leisten würde. Er stellte eine Polizeiwache -am Nerbudda-Ufer auf, wo die fünfundsechzigjährige -Witwe schon seit dem frühen Morgen bei ihrem -Toten saß und wartete. Als die abschlägige Antwort<span class="pagenum" id="Seite_131">[131]</span> -eintraf, blieb sie Tag und Nacht am Rande des -Wassers sitzen, ohne zu essen und zu trinken.</p> - -<p>Am folgenden Morgen wurde die Leiche ihres -Gemahls in einer etwa acht Quadratfuß breiten -und drei bis vier Fuß tiefen Grube in Anwesenheit -von mehreren tausend Zuschauern verbrannt. Hierauf -watete die Witwe nach einem nackten Felsen im -Bette der Nerbudda; alle Fremden hatten sich zerstreut, -nur ihre Söhne und Enkel blieben in ihrer -Nähe, während die übrigen Anverwandten des Majors -Haus umringten, um ihn zu überreden, sein Verbot -zurückzunehmen. Die Witwe widerstand allen -Bitten der Ihrigen, die sie sehr liebten und ihr -Leben zu erhalten wünschten, sie verweigerte jede -Nahrung und blieb auf dem nackten Felsen sitzen, -der sengenden Sonnenhitze bei Tag und der strengen -Kälte bei Nacht ausgesetzt, nur mit einem dünnen -Stück Zeug über der Schulter. Am Donnerstag setzte -sie, zum Beweis, daß nichts sie von ihrem Vorhaben -abbringen könne, die Dhadscha, einen groben, roten -Turban auf und brach ihre Armbänder in Stücke, -wodurch sie gesetzlich für tot galt und auf immer aus -ihrer Kaste ausgeschlossen war. Hätte sie jetzt noch -das Leben erwählen wollen, so konnte sie nie mehr -zu ihrer Familie zurückkehren. Sleeman wußte sich<span class="pagenum" id="Seite_132">[132]</span> -keinen Rat. Wenn sich die Frau zu Tode hungerte, -so war ihre Familie beschimpft und die Aermste -starb unter langsameren Qualen, als wenn man ihr -gestattete sich zu verbrennen. Als der Major sie -am vierten Tage nach dem Tode ihres Mannes noch -mit der Dhadscha auf dem Kopfe an derselben Stelle -sitzen fand, redete er sie an. Sie sagte ihm mit -großer Gelassenheit, daß sie entschlossen sei, ihre -Asche mit der ihres verstorbenen Gatten zu mischen; -sie würde geduldig seine Erlaubnis abwarten, überzeugt, -Gott werde ihr Kraft geben, ihr Dasein bis -dahin zu fristen, obgleich sie weder essen noch trinken -wolle. Dann blickte sie nach der Sonne, die eben -über der Nerbudda aufging und sagte ruhig: »Meine -Seele weilt schon fünf Tage lang bei der meines -Gatten, in der Nähe jener Sonne, nur meine irdische -Hülle ist noch übrig, und ich weiß, du wirst bald -gestatten, daß sie sich in jener Grube mit seiner -Asche vermischt, weil es nicht in deinem Wesen und -Brauch ist, die Qual einer armen, alten Frau mutwillig -zu verlängern.«</p> - -<p>Sleeman versicherte ihr, es sei sein Wunsch -und seine Pflicht sie zu retten und zu erhalten. -Er wolle den Ihrigen die Schmach ersparen für -ihre Mörder zu gelten. Doch sie erwiderte, deswegen<span class="pagenum" id="Seite_133">[133]</span> -sei sie unbesorgt. Ihre Kinder hätten alles -mögliche getan, um sie zu bewegen unter ihnen zu -leben. »Hätte ich eingewilligt, so würden sie mich -geliebt und geehrt haben, das weiß ich. Doch übergebe -ich sie alle deiner Obhut und gehe zu meinem -Gatten Omed Sing Opaddia, mit dessen Asche die -meinige sich schon dreimal auf dem Scheiterhaufen -vermischte.«</p> - -<p>Dies bezog sich auf die Seelenwanderung. Sie -waren nach ihrer Ueberzeugung schon dreimal als -Mann und Weib auf Erden gewesen. Seit sie ihre -Armbänder zerbrochen und den roten Turban aufgesetzt -hatte, hielt sie sich für bereits gestorben, sonst -hätte sie nicht so unehrerbietig sein können, den Namen -ihres Gatten auszusprechen. Es war das erstemal -in ihrem Leben, daß sie dies tat, denn in -Indien nennt keine Frau, aus welchem Stande sie -auch sei, jemals den Namen ihres Mannes.</p> - -<p>Sleeman hoffte noch immer sie zu überreden. -Er drohte ihr, die Regierung werde die steuerfreien -Güter, von denen ihre Familie so lange gelebt habe, -einziehen; auch werde kein Stein den Platz bezeichnen, -wo sie sterbe, im Fall sie auf ihrem Entschluß -beharre. Bliebe sie aber am Leben, so solle eine -glänzende Wohnung unter den Tempeln ihrer Ahnen<span class="pagenum" id="Seite_134">[134]</span> -für sie gebaut und eine schöne Summe zu ihrem -Unterhalt bestimmt werden. Aber sie lächelte nur, -streckte den Arm aus und sagte: »Mein Puls hat -lange aufgehört zu schlagen, mein Geist ist entwichen; -ich werde bei dem Verbrennen nicht leiden. -Wenn du einen Beweis willst, so laß Feuer bringen -und sieh, wie es diesen Arm verzehrt, ohne daß -es mir Schmerz verursacht.«</p> - -<p>Da der Major erkannte, daß alle seine Bemühungen -vergebens waren, ließ er die Oberhäupter -der Familie rufen und erklärte ihnen, er werde gestatten, -daß sich die Witwe verbrennen dürfe, wenn -sie sich alle durch eine feierliche Urkunde verpflichten -wollten, in ihrer Familie nie wieder eine Sutti -zu halten. Sie gingen darauf ein und die Schrift -ward aufgesetzt und unterzeichnet. Als man der -Witwe am Sonnabend gegen Mittag den Beschluß -verkündete, zeigte sie sich hocherfreut. Um drei Uhr -waren die Zeremonien des Badens vorüber, und -in der Grube brannte ein helles Feuer. Fast fünf -Tage hatte die Frau ohne Speise und Trank zugebracht; -als sie vom Felsen ans Ufer kam, netzte sie -erst ihr Tuch im Wasser des heiligen Stromes, denn -ohne diese Vorsichtsmaßregel wäre sie durch jeden -Schatten, der auf sie fiel, verunreinigt worden. Von<span class="pagenum" id="Seite_135">[135]</span> -ihrem ältesten Sohn und einem Neffen gestützt schritt -sie nach dem Feuer hin, eine Entfernung von etwa -150 Metern.</p> - -<p>Wachen waren aufgestellt, und niemand durfte -sich auf fünf Schritt nähern. Sie kam mit ruhigem -freudevollem Gesicht herbei, blieb einmal stehen, -schaute aufwärts und sagte: »Warum hat man mich -fünf Tage von dir, mein Gatte, entfernt gehalten?« -Als sie zu den Wachen kam, blieben ihre Begleiter -zurück; sie schritt noch einmal um die Grube, hielt -einen Augenblick inne und während sie ein Gebet -murmelte, warf sie einige Blumen ins Feuer. Dann -trat sie ruhig und standhaft bis an den Rand, stieg -mitten in die Flamme, setzte sich nieder und lehnte sich -zurück als ruhe sie auf einem Lager; ohne einen -Schrei auszustoßen oder ein Zeichen des Schmerzes -von sich zu geben, wurde sie vom Feuer verzehrt.</p> - -<p>Das ist schön und großartig! Es erfüllt uns -mit Ehrfurcht und Hochachtung. Was der altgewohnten -Sitte ihre unwiderstehliche Macht verlieh -war die Riesenkraft eines Glaubens, welcher durch -immer neue Todesopfer lebendig erhalten wurde. -Aber, wie die ersten Witwen dazu kamen, die Sitte -einzuführen, bleibt in Dunkel gehüllt.</p> - -<p>Sleeman sagt, daß bei der Witwenverbrennung<span class="pagenum" id="Seite_136">[136]</span> -gewöhnlich einige Musikinstrumente spielten, aber -nicht, wie man gemeinhin glaubt, um das Geschrei -der Märtyrerin zu ersticken, sondern um zu verhüten, -daß ihre letzten Worte gehört werden; denn -diese galten für prophetisch, und wenn sie Unglück -weissagten, hielt man es für besser, daß die Lebenden -darüber in Unkenntnis blieben.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap10">Zehntes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Er hatte viel mit Aerzten zu tun gehabt -und sagte: Es gibt nur ein Mittel um gesund -zu bleiben, man muß essen was einem -nicht schmeckt, trinken, was man nicht mag -und tun, was man lieber bleiben ließe.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Es war eine lange Reise, zwei Nächte und -anderthalb Tage von Bombay ostwärts nach Allahabad, -aber sehr interessant und nicht ermüdend. -Das heißt, zuerst fühlte ich mich höchst unbehaglich, -aber daran waren die ›Pyjamas‹ schuld. Dieser -lästige Nachtanzug besteht aus Jacke und Beinkleidern; -er ist entweder von Seide oder aus einem -rauhen, kratzigen, dünnen Wollstoff, der einem die -Haut reibt wie Sandpapier. Die Hosen haben Elefantenbeine<span class="pagenum" id="Seite_137">[137]</span> -und eine Elefantentaille, keine Knöpfe am -Bund, sondern eine Schnur, um die überflüssige -Weite zusammenzuziehen; die lose Jacke wird vorn -zugeknöpft. In einer warmen Nacht sind einem -die Pyjamas zu heiß, und man friert darin, wenn -die Nacht kalt ist. Ich wollte nicht gegen die Sitte -verstoßen und versuchte es mit dem Kleidungsstück, -aber es war mir unerträglich, ich mußte es wieder -ablegen. Der Unterschied zwischen Tag- und Nachtanzug -ist nicht groß genug. In einem Nachthemd -fühlt man sich wohlig und erfrischt, von beengendem -Zwang erlöst, frei und ungebunden. Statt dessen -hatte ich die erstickende, bedrückende, aufreibende und -quälende Empfindung, angekleidet im Bette zu liegen. -Während der warmen Hälfte der Nacht bekam -ich von der rauhen Wolle ein solches Jucken auf -der Haut, daß ich wie gekocht und im Fieber dalag; -verfiel ich auf kurze Zeit in Schlaf, so peinigten -mich Träume, wie die Verdammten sie haben mögen -– oder haben sollten. In der kalten Hälfte -der Nacht fand ich aber keine Zeit zum Schlafen, -weil ich genug damit zu tun hatte, mir wollene Decken -zu stehlen. Aber was nützen wollene Decken unter -solchen Umständen? Je mehr man aufeinander -häuft, um so fester korkt man die Kälte ein, daß<span class="pagenum" id="Seite_138">[138]</span> -sie nicht heraus kann. Die Beine werden einem -zu Eisklumpen und man weiß genau, wie es sein -wird, wenn man eines Tages im Grabe liegt. Sobald -ich einen Augenblick zu Verstande kam, entledigte -ich mich der Pyjamas und genoß mein Leben -fortan auf vernünftige und behagliche Weise.</p> - -<p>Der Tag fängt auf dem Lande in Indien früh -an. Endlos dehnt sich die vollkommen flache Ebene -im grauen Dämmerlicht nach allen Seiten aus. -Schmale, festgetretene Fußpfade durchziehen sie überall; -nur von Zeit zu Zeit ragt auf der ungeheuern -Fläche eine Gruppe gespenstischer Bäume empor, -zum Zeichen, daß da ein Dorf liegt. Auf den Pfaden -sieht man allenthalben braune, hagere, nackte -Männergestalten und schlanke Frauen, die an ihr -Tagewerk eilen; die Frauen mit kupfernen Wassergefäßen -auf dem Kopf, die Männer mit der Hacke -in der Hand. Uebrigens ist der Mann nicht ganz -nackt, einen weißen Lappen hat er immer um; dies -Lendentuch ist eine Art Binde, ein weißer Strich auf -seiner braunen Person, wie der Silberbeschlag, der -mitten um ein Pfeifenrohr läuft. Trägt er noch einen -luftigen, bauschigen Turban, dann ist das der zweite -Strich. »Ein Mensch, dessen Kleidung aus einem -Turban und einem Taschentuch besteht,« so beschreibt<span class="pagenum" id="Seite_139">[139]</span> -Miß Gordon Cumming sehr richtig den Eingeborenen.</p> - -<p>Den ganzen Tag lang fährt man durch die -einförmige, staubfarbene Ebene, an den verstreuten -Baumgruppen und den Lehmhütten der Dörfer vorbei. -Daß Indien nicht überall schön ist, läßt sich nicht -leugnen, und doch übt es einen unwiderstehlich bestrickenden -Zauber aus. Woher das kommt ist schwer -zu sagen; man hat nur das unbestimmte Gefühl, -daß es der uralte, geschichtliche Boden ist, dem dieser -Reiz entspringt. Die Wüsten Australiens und die -starren Eisfelder Grönlands besitzen keine solche -Macht über uns; wir sehen sie in ihrer ganzen -Kahlheit und Häßlichkeit, weil sie keine ehrwürdige -Geschichte haben, die uns von menschlichen Leiden -und Freuden in längst vergangenen Jahrhunderten -erzählt.</p> - -<p>Auf der langen Fahrt bis Allahabad kamen -wir nur an Dörfern vorbei, die innerhalb verfallener -Mauern lagen. Ein solches indisches Dorf ist nicht -schön; ein Teil der schmutzfarbenen Lehmhütten ist -meist vom Regen verwittert, so daß sie vermoderten -Ruinen gleichen. Auch Viehherden und Ungeziefer -leben innerhalb der Mauern, wie mir scheint, denn -ich sah dort Kühe und Ochsen ein- und ausgehen, -und so oft ich einen der Dorfbewohner gewahrte,<span class="pagenum" id="Seite_140">[140]</span> -juckte er sich. Letzteres ist zwar nur ein Indizienbeweis, -aber ich glaube, daß er schwerlich trügt.</p> - -<p>Mich interessierten die indischen Dörfer, weil ich -in Major Sleemans Büchern allerlei darüber gelesen -hatte. Er schildert die Teilung der Arbeit, die -unter der Bevölkerung herrscht. Der Grund und -Boden Indiens, sagt er, bestehe aus lauter einzelnen -Feldern, die zu den Dörfern gehören. Neun Zehntel -der ganzen Einwohnerschaft sind Ackerbauer und -wohnen in den Dörfern. Doch hält sich jedes Dorf -auch gewisse bezahlte Arbeiter, Handwerker und andere -Leute zum allgemeinen Dienst, deren Geschäft -in der Familie bleibt und sich von Vater auf Sohn -weiter erbt. Solche Berufsarten sind: Priester, Grobschmied, -Zimmermann, Rechnungsführer, Waschmann, -Korbflechter, Töpfer, Wächter, Barbier, -Schuhmacher, Klempner, Zuckerbäcker, Weber, Färber -u. a. m. Zu Sleemans Zeit gab es auch viele Hexen, -und aus praktischen Gründen ließ niemand seine -Tochter gern in eine Familie heiraten, zu der keine -Hexe gehörte. Man brauchte ihre guten Dienste, -um die Kinder vor dem Unheil zu schützen, das ihnen -sonst die Hexen der Nachbarfamilien ohne Zweifel -angetan hätten.</p> - -<p>Der Beruf der Hebamme blieb stets in der Familie<span class="pagenum" id="Seite_141">[141]</span> -des Korbflechters. Seiner Frau gehörte das -Amt, mochte sie etwas davon verstehen oder nicht. -Ihre Einnahme war nicht so groß: für einen Knaben -erhielt sie 25 Cents, und halb so viel für ein Mädchen. -Die Geburt einer Tochter kam unerwünscht, -wegen der furchtbaren Kosten, die sie mit der Zeit -verursachen würde. Sobald sie alt genug war, um -der Sitte gemäß Kleider tragen zu müssen, galt es -für eine Schande, wenn die Familie sie nicht verheiratete. -Den Vater brachte jedoch die Heirat der -Tochter an den Bettelstab, denn er mußte, nach altem -Herkommen, beim Hochzeitsgepränge und dem Festschmaus -alles verausgaben, was er besaß und entlehnen -konnte, so daß er vielleicht nie wieder im -stande war sich emporzuarbeiten.</p> - -<p>Aus Furcht vor solchem unvermeidlichen Ruin -tötete man in früherer Zeit viele Mädchen gleich -nach der Geburt, bis England die grausame Sitte -mit eiserner Strenge abschaffte. »Bei dem Spiel -der Dorfkinder,« sagt Sleeman, »hörte man niemals -Mädchenstimmen.« Schon aus dieser gelegentlichen -Bemerkung läßt sich entnehmen, wie allgemein -der Mädchenmord in Indien verbreitet war.</p> - -<p>Das Hochzeitsgepränge besteht nach wie vor im -Lande, weshalb auch noch hie und da neugeborene<span class="pagenum" id="Seite_142">[142]</span> -Mädchen umgebracht werden, aber ganz heimlich, -weil die Regierung sehr wachsam ist und jede Uebertretung -des Gesetzes mit strengen Strafen bedroht.</p> - -<p>In einigen Teilen Indiens gibt es in den -Dörfern noch drei besondere Angestellte. Erstens -den Astrologen, der dem Bauer sagt, wann er säen -und pflanzen, eine Reise machen oder ein Weib nehmen -soll, wann er ein Kind erwürgen, einen Hund -entlehnen, auf einen Baum steigen, eine Ratte -fangen und seinen Nachbar betrügen darf, ohne die -Rache des Himmels auf sein Haupt zu ziehen. Auch -die Träume legt er ihm aus, falls der Mann nicht -klug genug ist, sie sich selbst aus der Mahlzeit zu -erklären, die er vor Schlafengehen zu sich genommen -hat. Die beiden andern Angestellten sind der Tiger- -und der Hagelbeschwörer. Ersterer hält die Tiger -fern, wenn er kann und bezieht auf alle Fälle sein -Gehalt; letzterer beschützt das Dorf vor Hagelschlag -oder gibt an, aus welchem Grund sein Geschäft -mißlungen sei und läßt sich denselben Lohn bezahlen, -mag der Hagel kommen oder ausbleiben. Wer in Indien -seinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann, -muß wirklich auf den Kopf gefallen sein.</p> - -<p>Auch die Gewerkvereine und der Boykott sind -alte indische Einrichtungen. Es gibt eben nichts,<span class="pagenum" id="Seite_143">[143]</span> -was nicht dort seinen Ursprung hätte. »Die -Straßenkehrer,« sagt Sleeman, »zählen zur niedrigsten -Kaste; alle andern Kasten verachten sie und -ihr Amt, aber sie selbst sind stolz darauf und dulden -keine Eingriffe in ihr Monopol. Das Recht, in einem -gewissen Stadtteil die Straßen zu kehren, gehört -einem bestimmten Mitglied der Kaste an; wagt sich -ein anderes Mitglied in diesen Bezirk, so wird es -ausgestoßen – niemand darf mehr aus seiner Pfeife -rauchen oder aus seinem Kruge trinken – der Missetäter -kann die Wiederaufnahme in die Kaste nur -dadurch erlangen, daß er für sämtliche Straßenkehrer -ein Festmahl veranstaltet. Beleidigt ein Hausbesitzer -den Straßenkehrer seines Bezirks, so bleibt -aller Abfall und Kehricht solange bei ihm liegen, -bis er den Mann wieder versöhnt hat, kein anderer -Straßenkehrer getraut sich den Schmutz fortzuschaffen. -Die Bürger der Städte müssen sich von -diesen Leuten oft unglaublich viel gefallen lassen; -ja die Tyrannei, welche die Innung der Straßenkehrer -ausübt, ist noch heutigen Tages eins der -größten Hindernisse aller sanitären Reformen in -Indien. Zwingen kann man diese Menschen nicht, -denn kein Hindu oder Muselmann würde ihre Arbeit -verrichten, und sollte es ihm das Leben kosten;<span class="pagenum" id="Seite_144">[144]</span> -nicht einmal prügeln würde er den widerspenstigen -Straßenkehrer, um sich nicht zu verunreinigen.«</p> - -<p>Allahabad bedeutet die ›Stadt Gottes‹. Das -Hindu-Viertel habe ich nicht gesehen; der englische -Teil der Stadt hat schöne, breite Alleen und auf -Raumersparnis ist gar keine Rücksicht genommen. -Alle Einrichtungen lassen auf Luxus und Bequemlichkeit -schließen; mir scheint, die Leute führen dort ein -so heiteres, sorgloses Leben, wie man es nur bei -einem guten Gewissen haben kann, wenn diesem -ein genügendes Konto auf der Bank zur Seite steht.</p> - -<p>Am Morgen nach unserer Ankunft in Allahabad -stand ich in aller Frühe auf und ging auf -der Veranda, die rings um das Haus läuft, an den -schlafenden Dienern vorbei, die bis über die Ohren -in ihre wollenen Decken gewickelt, vor der Tür ihrer -Herren lagen. Ich glaube, kein indischer Diener -schläft jemals in einem Zimmer. Vor einer Tür -sah ich einen Hindu kauern. Die gelben Schuhe -seines Herrn waren geputzt und bereit gestellt; nun -hatte er nichts mehr zu tun als zu warten, bis er -gerufen würde. Es war bitter kalt, aber der Mensch -blieb geduldig und regungslos wie ein Steinbild auf -demselben Fleck. Ich konnte es kaum mit ansehen. -Gern hätte ich zu ihm gesagt: »Stehe doch auf<span class="pagenum" id="Seite_145">[145]</span> -und mache dir Bewegung, um dich zu erwärmen, -was hockst du da in der Eiseskälte, das verlangt niemand -von dir.« Allein mir fehlten die Wörter. Die -einzige Redensart, die mir einfiel war »Jeldy jow,« -und was sie bedeutete, wußte ich nicht. So ging ich -denn notgedrungen stumm vorbei, entschlossen nicht -mehr an den Menschen zu denken; aber seine nackten -Beine und Füße kamen mir nicht aus dem Sinn und -zwangen mich immer wieder, die Sonnenseite zu -verlassen und bis zu dem Punkt zurückzugehen, wo ich -ihn sehen konnte. Eine Stunde verging, ohne daß -er seine Stellung auch nur im geringsten veränderte. -Ob das Sanftmut und Geduld, Seelenstärke oder -Gleichgültigkeit verriet, will ich nicht entscheiden; -aber der Anblick quälte mich und verdarb mir den -ganzen Morgen. Nach zwei Stunden riß ich mich -endlich aus seiner Nähe los; mochte er sich nun allein -weiter kasteien so viel er wollte. Bis dahin war er -um keines Haares Breite von seinem Platz gewichen; -ich sehe ihn noch immer deutlich vor mir und werde -die Erinnerung wohl ewig mit mir herumtragen. -Wenn ich von der Geduld und Ergebung der Inder -bei ungerechter Behandlung, in Schmerz und Unglück -lese, so steigt sein Bild vor mir auf. »Jeldy -jow!« (mach daß du weiter kommst!) ruft man dem<span class="pagenum" id="Seite_146">[146]</span> -Inder in seiner Not seit ungezählten Jahrhunderten -zu. Hätte ich es nur damals auch gesagt, es wäre -gerade das Richtige gewesen; aber leider war mir, -wie gesagt, die Bedeutung des Wortes entfallen.</p> - -<p>Im Morgenlicht unternahmen wir eine lange -zum Teil wunderschöne Fahrt nach der Festung. -Der Weg führte unter hohen Bäumen an Häusergruppen -und am Dorfbrunnen vorbei, wo man -zu andern Tageszeiten malerische Scharen von -Eingeborenen fortwährend lachend und schwatzend -hin- und hergehen sieht. Diesmal trafen wir sie -bei ihren Waschungen; die kräftigen Männer ließen -das klare Wasser reichlich über die braunen Körper -strömen, ein erfrischender Anblick, der meinen Neid -erregte, denn die Sonne hatte sich schon an ihr -Geschäft gemacht, den Tag über tüchtig in Indien einzuheizen. -Viele Hindus nahmen ein solches Morgenbad; -die Frühstückstunde nahte heran, und kein Hindu -darf essen, ehe er die vorgeschriebene Waschung beendet -hat.</p> - -<p>Als wir in die heiße Ebene kamen, wimmelte -es auf allen Pfaden von Wallfahrern und Wallfahrerinnen. -Hinter der Festung, wo die heiligen -Ströme Ganges und Jumna ineinander fließen, -sollte eine der großen religiösen Messen Indiens<span class="pagenum" id="Seite_147">[147]</span> -gehalten werden. Eigentlich gibt es drei heilige -Ströme; der dritte fließt zwar unter der Erde und -niemand hat ihn gesehen, aber das schadet nichts, -wenn man nur weiß, daß er da ist. Die Pilger -stammten aus den verschiedensten Gegenden Indiens; -einige waren monatelang unterwegs gewesen; arm, -hungrig und abgemattet, waren sie bei Staub und -Hitze geduldig weiter gewandert, von unerschütterlichem -Glauben und Vertrauen gestützt und aufrecht -erhalten. Jetzt strahlten alle vor Glück und Zufriedenheit, -denn bald winkte ihnen der reichste Lohn -für ihre Mühsal. Sie sollten Läuterung von jeder -Sünde und Unreinheit in dem heiligen Wasser finden, -welches alles was es berührt, sogar Totes und -Verwestes, rein machen kann. Wie wunderbar ist -doch die Kraft eines Glaubens, welcher Alte und -Schwache, Junge und Leidende treibt, ohne Zaudern -und ohne Klage die unerhörten Anstrengungen einer -solchen Reise, samt allen Entbehrungen, die sie mit -sich bringt, geduldig auf sich zu nehmen! Ob es aus -Furcht geschieht oder aus Liebe, weiß ich nicht, aber -was auch immer der Beweggrund sein mag, die Sache -selbst ist für uns kühle Verstandesmenschen vollkommen -unbegreiflich. Nur wenige auserlesene Naturen -unter den Weißen besäßen einen ähnlichen<span class="pagenum" id="Seite_148">[148]</span> -Opfermut; wir übrigen wissen genau, daß wir außer -stande wären, uns dazu aufzuschwingen. Da wir aber -alle die Selbstaufopferung gern im Munde führen, -so darf ich hoffen, daß wir wenigstens groß genug -denken, um sie bei dem Hindu würdigen zu können.</p> - -<p>Jedes Jahr strömen zwei Millionen Eingeborene -zu dieser Messe herbei. Wie viele die Reise -antreten und unterwegs vor Alter, Mühsal, Krankheit -und Mangel sterben, weiß niemand. Alle zwölf -Jahre ist ein besonderes Gnadenjahr, und die Pilger -kommen in noch größeren Massen gezogen, das ist -schon seit undenklichen Zeiten so gewesen. Man sagt -übrigens, daß es für den Ganges nur noch <em class="gesperrt">ein</em> -zwölftes Jahr geben wird, dann soll dieser heiligste -aller Flüsse seine Kraft verlieren und erst nach Jahrhunderten -werden die Pilger wieder zu seinen Ufern -wallfahrten, wenn die Brahminen verkünden, daß -er seine Heiligkeit wiedergewonnen hat. Was die -Priester damit bezwecken, daß sie sich diese Goldmine -verschließen, kann ich nicht sagen. Aber mir ist nicht -bange, sie werden wohl wissen was sie tun. Ehe man -sich’s versieht werden sie dem Volk der Inder eine -Ueberraschung bereiten, welche beweist, daß sie ihren -Vorteil nicht aus den Augen gelassen haben, als sie -auf den Marktwert des Ganges verzichteten.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_149">[149]</span></p> - -<p>Wir begegneten vielen Eingeborenen, welche heiliges -Wasser aus den Flüssen geholt hatten. Man -bietet es in ganz Indien zum Verkauf aus, auch -soll es oft bei Hochzeiten becherweise verteilt werden.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Die Festung ist ein ungeheueres, altes Gebäude -und hat in religiöser Beziehung Erlebnisse der mannigfaltigsten -Art zu verzeichnen. In dem großen -Hof steht seit über zweitausend Jahren ein Monolith -mit einer buddhistischen Inschrift. Vor dreihundert -Jahren wurde die Festung von einem mohammedanischen -Kaiser erbaut und nach dem Ritus seiner -Religion eingeweiht; auch ein Hindutempel mit unterirdischen -Gängen voller Heiligtümer und Götzenbilder -befindet sich daselbst, und seitdem die Festung -den Engländern gehört, besitzt sie eine christliche -Kirche. So ist für das Seelenheil aller gesorgt.</p> - -<p>Von den hohen Wällen schauten wir auf die -heiligen Flüsse hinab, die sich an diesem Punkt vereinigen. -Das Wasser des blaßgrauen Jumna sieht -klar und rein aus, der schlammige Ganges aber ist -trübe, gelb und schmutzig. Auf der schmalen, gebogenen -Landzunge zwischen den Flüssen erhob sich -eine Zeltstadt mit zahllosen, wehenden Wimpeln -und großen Scharen von Pilgern. Man hatte Mühe<span class="pagenum" id="Seite_150">[150]</span> -dorthin zu gelangen, aber interessant war es, sobald -man unten ankam, wenn auch sehr unruhig. Eine -ganze Welt bewegte sich dort in rastloser, lärmender -Tätigkeit, teils mit religiösen, teils mit kaufmännischen -Angelegenheiten beschäftigt. Die Mohammedaner -fluchen und verkaufen, während die Hindus -kaufen und beten, denn die Messe ist zugleich ein -Jahrmarkt und ein religiöses Fest. Eine Unmenge -von Leuten badete, betete und trank das heilige -Wasser; kranke Pilger kamen von weither im -Palankin, um durch ein Bad Heilung von ihrem -Uebel zu finden oder an den gesegneten Ufern zu -sterben und sicher in den Himmel zu kommen. Auch -viele Fakirs waren da; sie hatten sich ganz mit -Asche bestreut und ihr Haar mit Kuhdünger zusammengeklebt, -denn die Kuh und alles was von ihr -stammt ist heilig. Der gute Hindubauer malt oft -die Wand seiner Hütte mit dem Dünger an oder -formt daraus allerlei Figuren, mit denen er den -Estrich des Fußbodens verziert. In den Zelten -saßen auch ganze Familien bei einander, die schrecklich -und wunderbar bemalt waren und nach ihrer -Stellung und Gruppierung zu urteilen, die Angehörigen -großer Gottheiten vorstellten. Ein heiliger -Mann saß dort schon Wochen lang nackt auf spitzen<span class="pagenum" id="Seite_151">[151]</span> -Eisenstäben und schien sich gar nichts daraus zu -machen. Ein anderer Heiliger stand den ganzen Tag -auf einem Fleck und hielt seine abgezehrten Arme -regungslos in die Höhe; er soll das schon seit Jahren -tun. Neben jedem dieser frommen Büßer lag ein -Tuch am Boden, auf das milde Spenden gelegt -wurden; selbst die ärmsten Leute gaben eine Kleinigkeit -in der Hoffnung, das Opfer werde ihnen Segen -bringen. Zuletzt kam noch eine Prozession nackter, -heiliger Männer singend vorbeigezogen – da riß -ich mich los und ging meiner Wege.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap11">Elftes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Wer sich seiner Sittsamkeit rühmt, gleicht -einer Statue mit dem Feigenblatt.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Die Reise nach Benares nahm nur wenige -Stunden in Anspruch. Wir machten sie bei Tage; -der Staub spottete aller Beschreibung – er legte -sich in einer dicken, aschgrauen Schicht auf den Menschen -und verwandelte ihn in einen Fakir, bei dem -nur der Kuhdünger und die Heiligkeit fehlte. Nachmittags -hatten wir in Mogul-Serai Wagenwechsel<span class="pagenum" id="Seite_152">[152]</span> -– ich glaube, so heißt der Ort – und mußten -zwei Stunden auf den Zug nach Benares warten. -Wir hätten auch einen andern Wagen nehmen und -nach der heiligen Stadt fahren können, aber dann -wären wir um die schöne Wartezeit gekommen. In -andern Ländern ist ein langer Aufenthalt auf einer -Station unangenehm und ermüdend, aber in Indien -hat man kein Recht, sich über Mangel an Unterhaltung -zu beklagen. Das Gewimmel der Eingeborenen in -ihrem bunten Schmuck, das Gedränge, das Leben, -der Wirrwarr, der stets wechselnde Glanz der verschiedenen -Trachten – wo fände man Worte, um -diesen Anblick in seinem ganzen Zauber zu schildern! -Die zweistündige Wartezeit verging nur allzu schnell. -Ein besonders interessantes Schauspiel gewährte uns -noch ein eingeborener kleiner Fürst aus den Hinterwäldern -mit seiner Ehrengarde, einer Bande von -fünfzig dunkeln Barbaren, zerlumpt aber sehr farbenprächtig -und mit rostigen Feuersteingewehren bewaffnet. -Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß -die bunte Mannigfaltigkeit des Gesamtbildes noch -irgend welchen Zuwachs erhalten könnte, als aber -dieser ›Falstaff mit seinen Gesellen‹ anmarschiert -kam, trat alles andere dagegen in den Hintergrund.</p> - -<p>Mit der Zeit fuhren wir ab und erreichten bald<span class="pagenum" id="Seite_153">[153]</span> -die Vorstädte von Benares, dann mußten wir wieder -warten. Auch hier gab es etwas zu beobachten, nämlich -eine Gruppe kleiner Palankins. An solchem -Leinwandkasten hat man nicht viel zu sehen, wenn -er leer ist; sitzt aber eine Dame darin, so erwacht -unser Interesse. Die Kasten, welche etwas abseits -standen, waren dreiviertel Stunden lang den erbarmungslosen -Strahlen der Sonne preisgegeben. -Ihre Insassen mußten kerzengerade darin ausharren, -sie hatten keinen Raum, um ihre Glieder zu strecken; -da es jedoch Haremsdamen waren, die ihr Lebtag -in der Gefangenschaft ihres Frauengemachs schmachten -müssen, so machte es ihnen vielleicht weniger aus. -Wenn die Haremsdamen auf Reisen gehen, trägt man -sie in solchen Leinwandkasten bis zur Bahn, und -im Zuge werden sie vor allen Blicken verborgen. -Viele Leute bedauern sie, und früher tat ich das -auch ganz aus freien Stücken, doch jetzt zweifle ich -stark, ob das Mitgefühl überhaupt angebracht ist. -Während wir in Indien waren, machten einige gutherzige -Europäer in einer Stadt den Vorschlag, man -möchte den Haremsdamen einen großen Park zur -Verfügung stellen, wo sie in sicherer Abgeschlossenheit -unverschleiert umhergehen könnten, um sich an -Luft und Sonnenschein zu erfreuen, wie noch nie in<span class="pagenum" id="Seite_154">[154]</span> -ihrem Leben. Obgleich man die wohlwollende Absicht -nicht verkannte, welche dem Plan zu Grunde lag, so -wurde er doch im Namen der Haremsdamen auf das -entschiedenste abgelehnt. Sie hatten den Gedanken -offenbar höchst anstößig gefunden, etwa wie wenn -man Europäerinnen auffordern wollte, sich in mangelhafter -und wenig anständiger Bekleidung in einem -abgelegenen Privatpark zusammen zu finden. So -verschieden sind die Begriffe von Schicklichkeit!</p> - -<p>Major Sleeman schildert einmal die Entrüstung -einer Dame aus vornehmer Kaste, als sie ein paar -englische Mädchen unverschleiert über die Straße -gehen sah. Der Anblick verletzte ihr Anstandsgefühl -aufs tiefste und sie begriff nicht, wie jemand so -schamlos sein könne, sich über alle Regeln hinwegzusetzen -und seine Person auf solche Art zur Schau zu -stellen. Dabei waren aber die Beine der sittlich -empörten Dame bis weit über die Kniee entblößt. -Kein Zweifel, sowohl die jungen Engländerinnen -als die indische Dame waren die Lauterkeit und -Sittsamkeit selbst; sie betrachteten die Sache nur -von verschiedenem Standpunkt aus. Da es nun -Millionen verschiedener Regeln über Sitte und Anstand -gibt, so ist auch der Standpunkt der Menschen -ein millionenfach verschiedener und keiner kann den<span class="pagenum" id="Seite_155">[155]</span> -seinigen ohne Schaden mit dem eines andern vertauschen. -Ich glaube, alle menschlichen Regeln sind -mehr oder weniger blödsinnig, aber das schadet nichts. -Wie die Sachen jetzt stehen ist in den Irrenhäusern -nur so viel Platz als man für die vernünftigen Menschen -brauchen würde; wollten wir alle Verrückten -einsperren, so würde uns bald das nötige Baumaterial -mangeln. –</p> - -<p>Man hat eine weite Fahrt durch die Vorstädte -von Benares, ehe man das Hotel erreicht. Ueberall -sieht es trübselig aus. Staubiges, dürres Land, zertrümmerte -Tempel, eingesunkene Gräber, verfallene -Lehmmauern, ärmliche Hütten; wohin man blickt -Altersschwäche und Dürftigkeit. Zehntausend Hungerjahre -sind vonnöten, um einen solchen Zustand -hervorzubringen. Das Hotel sah recht behaglich aus, -aber wir zogen vor, in einem etwas entfernten Nebenbau -zu wohnen, der einstöckig war wie ein Bungalow -und rings von einer Veranda umgeben. Es -gibt zwar Türen in Indien, aber ich möchte wohl -wissen wozu! Schließen kann man sie nicht, und -gewöhnlich hängt ein Vorhang in der Oeffnung, -zum Schutz gegen die grelle Sonne. Doch dringt hier -niemand unbefugt in die Privatgemächer ein und -man ist sicher, nicht gestört zu werden. Weiße Leute<span class="pagenum" id="Seite_156">[156]</span> -lassen sich natürlich vorher anmelden, und die eingeborenen -Diener zählen nicht mit. Sie gleiten -barfuß und geräuschlos herein und stehen mitten im -Zimmer, ehe man sich’s versieht. Zuerst bekommt -man einen Schreck und gerät manchmal in Verlegenheit, -aber man muß sich darein finden und wird es -mit der Zeit gewöhnt.</p> - -<p>In unserm ›Compound‹, dem eingezäunten -Hof, stand ein heiliger Feigenbaum, auf dem ein -Affe wohnte. Für den Baum interessierte ich mich -anfangs sehr, denn es war der berühmte ›Peepul‹, -in dessen Schatten man keine Lüge sagen kann; er -bestand jedoch die Probe nicht, und ich ging enttäuscht -von dannen. Nicht weit davon war ein -Brunnen, aus dem ein paar Ochsen stundenlang, -unter leisem Knarren der Winde, Wasser heraufzogen; -die Kleidung der beiden Hindus, welche dies -Geschäft beaufsichtigten, bestand wie gewöhnlich aus -›Turban und Taschentuch‹. Außer dem Baum und -Brunnen war im Hofe nichts zu sehen, und mir -machte die vollkommene Ruhe und Einsamkeit nach -dem ewigen Lärm und Gewirr den wohltuendsten -Eindruck.</p> - -<p>Wir bewohnten unser Bungalow ganz allein -und gingen zu Tische in das Hotel, wo die übrigen<span class="pagenum" id="Seite_157">[157]</span> -Gäste abgestiegen waren. Angenehmer hätten wir -es gar nicht haben können. Zu jedem Zimmer gehörte -das gewöhnliche Bad, ein Raum von zehn -bis zwölf Fuß im Quadrat, mit einer ausgemauerten -und gepflasterten Vertiefung in der Mitte. Wasser -gab es so viel man wollte und es wäre herrlich -gewesen, hätte man nur bei der Hitze das warme -Wasser ganz fortlassen und ein kaltes Bad nehmen -dürfen, aber das war verboten, weil es der Gesundheit -schädlich ist. Man warnt den Fremden -davor, in Indien kalt zu baden; doch selbst die -klügsten Fremden sind töricht genug, den guten Rat -nicht zu befolgen und müssen es büßen. Ich war der -klügste Tor, der in jenem Jahre des Weges kam. -Zwar bin ich jetzt noch klüger – aber leider zu spät!</p> - -<p>Benares hat mich nicht getäuscht. Es verdient -seinen Ruf als große Sehenswürdigkeit. An einer -tiefen Bucht des Ganges amphitheatralisch auf einem -Hügel erbaut, den es ganz bedeckt, bildet es eine -feste Masse, die nach allen Richtungen hin von labyrinthartig -verschlungenen Spalten durchzogen wird, -welche Straßen vorstellen. Mit seinen hohen schlanken -Minarets und den beflaggten Tempelkuppeln und -Spitzen gewährt die Stadt vom Fluß aus gesehen -einen höchst malerischen Anblick. Es wimmelt darin<span class="pagenum" id="Seite_158">[158]</span> -wie in einem Ameisenhaufen; ein Wirrwarr -ohne gleichen herrscht in den engen Straßen. Auch -die heilige Kuh läuft dort nach Belieben umher, -holt sich ihren Zehnten aus den Kornläden, ist überall -im Wege und eine große Plage für alle Welt, weil -man sie nicht belästigen darf.</p> - -<p>Benares ist zweimal so alt wie die Geschichte, -Ueberlieferung und Sage zusammengenommen. In -Mr. Parkers klar und übersichtlich geschriebenem -›Führer durch Benares‹ steht, daß nach Anschauung -der Hindus die Erschaffung der Welt dort ihren Anfang -genommen hat. Mitten in das uferlose Meer -stellte der gute Gott Wischnu ein aufrechtes ›Lingam‹ -hin, das zuerst nicht größer war als ein Ofenrohr; -allmählich erweiterte er es, bis es zehn Meilen -im Durchmesser hatte. Da ihm aber das noch immer -nicht genügte, baute er die ganze Erdkugel herum. -Also liegt Benares in ihrem Mittelpunkt, und das -wird als ein Vorzug angesehen.</p> - -<p>Die Geschichte der Stadt ist sowohl in geistlicher -als in weltlicher Beziehung höchst wechselvoll gewesen. -Ursprünglich herrschten die Brahmanen dort -viele Jahrhunderte lang, dann trat in neuerer Zeit, -vor etwa 2500 Jahren Buddha auf, und während -zwölf Jahrhunderten war Benares buddhistisch. Die<span class="pagenum" id="Seite_159">[159]</span> -Brahmanen bekamen jedoch abermals die Oberhand -und haben sich seitdem nicht wieder verdrängen lassen. -In den Augen der Hindus ist die Stadt unbeschreiblich -heilig, aber sie ist auch ebenso ungesund und -riecht ganz pestilenzialisch. Benares gilt als Hauptquartier -des Brahmanismus, und die Priester bilden -ein Achtel seiner Gesamtbevölkerung, doch sind ihrer -nicht zu viel, da ganz Indien für ihren Unterhalt -sorgt. Aus allen Himmelsgegenden drängen sich die -Pilger herbei, um mit ihren Ersparnissen die Taschen -der Priester zu füllen. Der Strom der frommen -Spenden versiegt nie. So eine Priesterstelle am Ufer -des Ganges ist der einträglichste Posten von der Welt. -Ihr heiliger Inhaber sitzt sein Lebenlang in großem -Staat unter seinem Regenschirm, segnet alle Pilger, -steckt seine Gebühren ein und wird fett und reich -dabei; die Stelle erbt sich von Vater auf Sohn weiter -und weiter durch alle Zeiten hindurch und bleibt als -dauernder, gewinnbringender Besitz in der Familie.</p> - -<p>Als mir ein amerikanischer Missionar in Bombay -sagte, die Zahl aller protestantischen Missionare -in Indien beliefe sich auf 640, kam mir das zuerst -sehr viel vor. Nachher überlegte ich mir die Sache. -<em class="gesperrt">Ein</em> Missionar auf 500 000 Eingeborene, das ist ja -so gut wie nichts; wenn die 640 gegen das wohlverschanzte<span class="pagenum" id="Seite_160">[160]</span> -Lager von 300 000 000 anmarschieren, -ist doch das Verhältnis gar zu ungleich, die Uebermacht -zu groß. In Benares allein hätten 640 Missionare -alle Hände voll zu tun, um gegen die 8000 -Brahmanenpriester aufzukommen, die ihnen feindlich -gegenüberstehen. Unsere Missionare haben von -jeher in alle Teile der Welt eine starke Ausrüstung -von Hoffnung und Vertrauen mitgenommen. Die -besitzt auch Mr. Parker, sonst würde er nicht aus -statistischen Angaben, welche andern Mathematikern -höchst bedenklich erscheinen, so günstige Schlüsse -ziehen. Er sagt zum Beispiel:</p> - -<p>»Während der letzten Jahre haben die Scharen -der Pilger fortwährend zugenommen, wie wir aus -sicherer Quelle wissen. Aber diese religiöse Erweckung -– wenn man den Ausdruck gebrauchen darf -– trägt alle Spuren des Todes an sich. Es ist -nur noch ein krampfhaftes Ringen, ehe die völlige -Auflösung eintritt.«</p> - -<p>Auf ähnliche Weise hat man bei uns seit Jahrhunderten -den Untergang der römisch-katholischen -Macht vorausgesagt. Oft schon waren wir ganz -bereit sie zu Grabe zu tragen, und doch mußte die -Bestattung aus allerlei Gründen – weil das Wetter -zu schlecht war oder dergleichen – immer wieder verschoben<span class="pagenum" id="Seite_161">[161]</span> -werden. Durch diese Erfahrung klug geworden, -sollten wir, meine ich, erst abwarten, bis -sich der Leichenzug in Bewegung setzt, ehe wir den -Hut in die Hand nehmen, um uns am Begräbnis -des Brahmanismus zu beteiligen. Eine Religion -zu Grabe zu tragen ist offenbar eine der ungewissesten -Unternehmungen auf dieser Welt.</p> - -<p>Gern hätte ich mir irgend welchen Begriff von -der Theologie der Inder gemacht, aber die Sache war -allzu verwickelt und die Schwierigkeiten unüberwindlich. -Nicht einmal über das Abc kommt man hinaus. -Es gibt eine Dreieinigkeit – Brahma, Wischnu und -Schiwa – scheinbar von einander unabhängige -Mächte, aber ganz sicher ist das nicht, denn in einem -Tempel steht ein Bildwerk, das alle drei Gottheiten in -einer Person zusammenfaßt. Jeder der drei Götter -hat mehrere Benennungen, er hat auch Frauen mit -verschiedenen Namen und Kinder, die bald so bald so -heißen; dadurch entsteht eine heillose Verwirrung, -aus der man sich in keiner Weise zurechtfinden kann. -Ein Versuch, sich die Scharen der niederen Gottheiten -einzuprägen, ist nicht der Mühe wert; ihre -Unmenge ist allzu groß.</p> - -<p>Will man sich einiges sparen, so könnte man -füglich den obersten von allen Göttern, Brahma,<span class="pagenum" id="Seite_162">[162]</span> -ganz beiseite lassen, denn er scheint keine große Rolle -in Indien zu spielen. Am meisten Verehrung genießen -Schiwa und Wischnu nebst ihren sämtlichen -Angehörigen. Schiwas Symbol, das ›Lingam‹, mit -welchem Wischnu die Schöpfung begann, wird allgemein -angebetet; man begegnet ihm in Benares auf -Schritt und Tritt, das Volk bekränzt es mit Blumen -und bringt ihm Gaben dar. Meist sieht es aus wie -ein aufrecht stehender Stein in Form eines länglichen -Fingerhuts und Mr. Parker sagt, daß es mehr -›Linga‹ als Einwohner in Benares gibt.</p> - -<p>Die Stadt hat viele mohammedanische Moscheen, -und Hindutempel ohne Zahl. Diese wunderlich geformten, -mit reichen Steinornamenten versehenen -Pagoden füllen alle Straßen. Aber auch der Ganges -selbst, ja jeder einzelne Wassertropfen darin gilt -als Heiligtum. Das Hauptprodukt von Benares, -dieser heiligsten aller heiligen Städte, für welche -der fromme Hindu eine unbegrenzte Liebe und Verehrung -empfindet, ist <em class="gesperrt">Religion</em>. Alle andern Erzeugnisse -des Bodens oder Gewerbefleißes haben im -Vergleich hierzu nicht die geringste Bedeutung.</p> - -<p>»Wenn der Pilger,« sagt Mr. Parker, »der sich -vor Alter und Müdigkeit fast nicht mehr auf den -Füßen zu halten vermag, schweißtriefend, vom Staub<span class="pagenum" id="Seite_163">[163]</span> -geblendet und halbtot vor Erschöpfung, der Backofenhitze -seines Eisenbahnwagens entsteigt und kaum den -heiligen Boden berührt hat, so hebt er die abgezehrten -Hände empor und ruft mit frommer Begeisterung: -›Kaschi ji ki jai – jai – jai! Heiliges Kaschi -(Benares), sei mir gegrüßt! Heil, Heil dir!‹ Erwähnt -ein Europäer in irgend einer fernen Stadt -Indiens gelegentlich im Bazar, daß er früher einmal -in Benares gewohnt hat, so werden gleich Stimmen -laut, welche Glück und Segen auf sein Haupt -herabwünschen. Denn, wer in Benares geweilt hat, -ist der Seligste aller Sterblichen.«</p> - -<p>Liest man diese rührende Beschreibung, so erscheinen -dagegen unsere eigenen religiösen Gefühle -farblos und kalt. Da nun aber die Religion ihr -Leben aus dem Herzen schöpft und nicht aus dem -Kopfe, so werden wir das von Mr. Parker angekündigte -Begräbnis des Brahmanismus wohl noch auf -unbestimmte Zeit vertagen müssen.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_164">[164]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap12">Zwölftes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Wer einem Volk seinen Aberglauben vorschreibt, -hat mehr Einfluß als wer ihm -seine Gesetze macht, oder seine Gesänge.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p>Die Stadt Benares ist eine einzige große -Kirche, eine Art religiöser Bienenstock, in dem jede -Zelle als Tempel, Altar oder Moschee dient. In -diesem großen theologischen Vorratshaus kann man -sich alle nur erdenklichen irdischen oder himmlischen -Güter verschaffen.</p> - -<p>Ich will hier einen Wegweiser für den Pilger zusammenstellen, -aus dem sich erkennen läßt, wie -brauchbar, wie nützlich und vollständig dieses Religions-System -ist. Wer mit dem ernstlichen Wunsch, -seine geistliche Wohlfahrt zu fördern, nach Benares -geht, wird es mir Dank wissen. Daß die Tatsachen, -die ich angebe, richtig sind, unterliegt keinem Zweifel; -ich habe sie teils in Mr. Parkers ›Führer durch -Benares‹ gefunden, teils hat er sie mir bei unserer -mündlichen Unterhaltung mitgeteilt.</p> - -<p>1. <em class="gesperrt">Reinigung.</em> – Bei Sonnenaufgang gehe -zum Ganges hinab, bade dort, bete und trinke etwas -Wasser. Dies dient zur allgemeinen Läuterung.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_165">[165]</span></p> - -<p>2. <em class="gesperrt">Schutz gegen den Hunger.</em> Um dich -im Kampf gegen dies traurige Erdenübel zu stärken, -verrichte eine kurze Andacht im Tempel der Kuh. -Am Eingang steht ein Bildnis von <span id="corr165">Ganesch</span>, einem -Sohne des Gottes Schiwa, das einen Elefantenkopf -auf einem menschlichen Körper trägt, Gesicht und -Hände sind aus Silber. Bete es an und gehe dann -weiter auf eine bedeckte Veranda, in der roh geschnitzte, -häßliche Götzenbilder stehen. Dort findest -du Andächtige, die mit Hilfe ihrer Lehrer in den -heiligen Büchern lesen. Gib eine Beisteuer zu ihrem -Unterhalt und betritt dann den Tempel, einen -düstern, übelriechenden Raum voll heiliger Kühe und -Bettler. Letzteren spende ein Almosen und küsse -allen Kühen, die frei herumlaufen, ehrfurchtsvoll -den Schwanz, denn dieser ist ganz besonders heilig; -tust du das, so wirst du an selbigem Tage keinen -Hunger leiden.</p> - -<p>3. <em class="gesperrt">Der Freund des armen Mannes.</em> -– Diesen Gott mußt du zunächst anbeten. Er wohnt -im Grunde eines steinernen Brunnens im Tempel -zu Dalbhyesvar, der im Schatten eines hohen Peepul-Baumes -auf einem Felsvorsprung am Ganges -steht. Gehe daher zum Fluß zurück. Der ›Freund -des armen Mannes‹ ist der Gott weltlichen Glückes<span class="pagenum" id="Seite_166">[166]</span> -im allgemeinen und außerdem auch ein Regengott. -Er wird dir irdische Güter gewähren, wenn du ihn -anbetest, oder einen Regenguß – vielleicht auch -beides. Er ist Schiwa unter fremdem Namen und -weilt in Form eines steinernen ›Lingam‹ auf dem -Grunde des Brunnens. Begieße ihn mit Gangeswasser -und er wird dir zum Dank für die Huldigung -seine Gaben spenden. Kommt der Regen nicht gleich, -so gieße immer mehr Wasser in den Brunnen, bis er -ganz voll ist. Dann bleibt der Regen gewiß nicht aus.</p> - -<p>4. <em class="gesperrt">Fieber.</em> Der Kedar Ghaut ist eine breite -steinerne Treppe, die zum Fluß hinabführt. Auf -halber Höhe findest du einen Behälter, in dem das -Schmutzwasser zusammenläuft. Trinke davon soviel -du willst, es vertreibt das Fieber.</p> - -<p>5. <em class="gesperrt">Blattern.</em> – Gehe von da geradeswegs -nach dem Haupt-Ghaut. Stromaufwärts kommst du -an ein kleines weißgetünchtes Gebäude; es ist ein -Tempel, welcher der Göttin der Blattern, Sitala, -geheiligt ist. Doch findest du nur ihre Stellvertreterin, -dort hinter einem Metallschirm, eine rohe -menschliche Gestalt, der du Anbetung erweisen sollst.</p> - -<p>6. <em class="gesperrt">Der Schicksalsbrunnen.</em> – Den suche -zunächst auf. Er gehört zum Dandpan-Tempel, der -in der Stadt liegt. Durch ein viereckiges Loch im<span class="pagenum" id="Seite_167">[167]</span> -Mauerwerk fällt von oben das Licht herein. Tritt -mit scheuer Ehrfurcht herzu, denn es handelt sich -hier um die wichtigsten Dinge. Beuge dich nieder -und schaue hinein. Sind die Schicksalsgötter -deinem Leben günstig, so erblickst du dein -Antlitz tief unten im Brunnen. Haben sie dein -Verderben beschlossen, so verhüllt plötzlich eine Wolke -die Sonne und du kannst nichts sehen. Dann hast -du kaum noch ein halbes Jahr zu leben. Vielleicht -stehst du schon an des Todes Tür. Verliere keine -Zeit, laß ab von dieser Welt, bereite dich auf das -Jenseits. Dazu bietet sich dir die beste Gelegenheit -dicht nebenan. Wende dich um und bete zu -dem Bilde des großen Schicksalsgottes Maha Kal, -das sichert dein Glück im künftigen Leben. Ist dein -Atem noch nicht entflohen, so mache einen letzten -Versuch, ob dir nicht eine kleine Verlängerung deines -Lebens auf Erden gewährt wird. Die Möglichkeit ist -nicht ausgeschlossen, denn in dem wundervoll eingerichteten -Vorratshaus für weltliche und geistliche -Güter kann man alles haben. Laß dich</p> - -<p>7. – nach dem <em class="gesperrt">Lebensbrunnen</em> tragen. -Er ist im Vorhof des verfallenen ehrwürdigen -Briddhkal-Tempels, der zu den ältesten Heiligtümern -von Benares gehört. An einem Steinbilde des<span class="pagenum" id="Seite_168">[168]</span> -Affengottes Hanuman vorbei, gelangt man auf den -mit Trümmern bedeckten Höfen zu einer seichten -Zisterne mit stehendem Wasser. Sie riecht wie der -beste Limburger Käse; der Schmutz von den -Waschungen aller Kranken und Aussätzigen hat sich -dort angesammelt. Aber was tut das? Bade dich -darin mit Dank und Andacht, denn dies ist der Jungbrunnen, -das ›Wasser des langen Lebens‹. Dein -graues Haar wird verschwinden mit allen Runzeln; -Gliederweh, Sorgenlast und Altersschwäche werden -von dir abfallen; jung, frisch, elastisch, und begierig -den Wettlauf des Lebens von neuem zu beginnen, -entsteigst du dem Bade. Natürlich stürmen nun auch -die mannigfachen Träume und Wünsche der holden -Jugendzeit wieder auf dich ein. Deshalb gehe dahin, -wo du</p> - -<p>8. – die <em class="gesperrt">Erfüllung der Wünsche</em> findest, -nämlich in den Kemeschwar-Tempel, welcher Schiwa, -dem Herrn der Wünsche geweiht ist und hole dir die -Gewährung der deinigen. Liegt dir etwas an Götzenbildern, -so kannst du dort in den zahllosen Tempeln -genug zu sehen bekommen, um ein ganzes Museum -auszustaffieren. Vermutlich wirst du nun mit neuem -Eifer anfangen Sünden zu begehen; ich kann dir daher -nur raten, häufig eine Stätte aufzusuchen, wo du</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_169">[169]</span></p> - -<p>9. <em class="gesperrt">zeitweilige Reinigung von Sünden</em> -erhältst. Dies ist der Brunnen des Ohr-Rings, -der weihevollste Ort in ganz Benares, das Allerheiligste -in der Vorstellung des Volkes, dem man -sich nur in tiefster Ehrfurcht nahen darf. Das -Wasserbecken ist mit einem Gitter umgeben, zu dem -steinerne Treppen hinabführen. Natürlich ist das -Wasser nicht rein; wie wäre das möglich, da fortwährend -Menschen darin baden. Wie lange man -auch dort stehen mag, immer sieht man die Sünder -in ununterbrochener Reihe hinab- und heraufsteigen. -Mit Sünde beladen gehen sie hinunter und frei von -Schuld kommen sie wieder herauf. »Der Lügner, -der Dieb, der Mörder, der Ehebrecher, waschen sich -hier und werden rein,« sagt Mr. Parker in seinem -Buch. Gut, daß ich Mr. Parker kenne und glaube -was er sagt; hätte jemand anderes das behauptet, -so würde ich ihm raten, sofort ins Wasser hinunterzusteigen -und sich tüchtig abzuwaschen. – Jugend, -langes Leben, Sündenreinheit sind zwar köstliche -Gaben, aber das ist noch nicht genug. Vor allem -mußt du dich</p> - -<p>10. <em class="gesperrt">deiner Seligkeit versichern</em>. Das -kannst du auf mancherlei Art. Erstens, wenn du -im Ganges ertrinkst, aber das ist nicht angenehm.<span class="pagenum" id="Seite_170">[170]</span> -Oder du stirbst in Benares; dabei ist jedoch zu bedenken, -daß du gerade außerhalb der Stadt sein -könntest, wenn dein letztes Stündlein kommt. Am -sichersten ist eine Wallfahrt rund um die Stadt. -Du mußt sie barfuß machen und der Weg ist vierundvierzig -Meilen lang, weil er eine Strecke weit über -Land führt, so daß der Marsch wohl fünf bis sechs -Tage dauern kann. An Gesellschaft wird es dir -aber nicht mangeln. Scharen beglückter Pilger ziehen -dieselbe Straße; der Farbenglanz ihrer Kleider gewährt -dir ein schönes Schauspiel, auch erheitern -ihre Loblieder und heiligen Triumphgesänge dir das -Herz und lassen dich keine Ermüdung spüren. Von -Zeit zu Zeit triffst du auf einen Tempel, wo du -ausruhen und dich mit Speise erfrischen kannst. Ist -deine Wallfahrt zu Ende, so hast du dir die Seligkeit -sicher erworben. Aber du wirst ihrer doch vielleicht -nicht teilhaftig, außer wenn du</p> - -<p>11. <em class="gesperrt">deine Erlösung eintragen</em> lässest. -– Dies kannst du im Sakhi Binayak Tempel tun. -Du darfst es ja nicht versäumen, weil du sonst -nicht beweisen kannst, daß du die Pilgerfahrt wirklich -gemacht hast, falls man es dir einst bestreiten -sollte. Ueber der Tür dieses Heiligtums, das hinter -dem Kuh-Tempel liegt, ist ein rotes Bildnis von<span class="pagenum" id="Seite_171">[171]</span> -Ganesch mit dem Elefantenkopf, dem Sohn und Erben -des Gottes Schiwa, der sozusagen Kronprinz -des theologischen Kaisertums ist. Der Gott im Tempel -hat das Amt deine Wallfahrt einzutragen und -sich für dich zu verbürgen. Ihn selber bekommst -du zwar nicht zu sehen, aber ein Brahmane empfängt -dich, besorgt dein Geschäft und läßt sich das Geld -dafür auszahlen. Falls er letzteres vergißt, darfst -du ihn daran erinnern. Er weiß jetzt, daß deine -Seligkeit gesichert ist, aber natürlich möchtest du -es auch gern selbst erfahren, dazu brauchst du nur</p> - -<p>12. an den <em class="gesperrt">Brunnen zur Kenntnis der -Seligkeit</em> zu gehen. Er ist dicht beim Goldenen -Tempel. Da steht ein Stier aus einem einzigen -schwarzen Marmorblock gemeißelt und viel -größer als irgend ein lebendiger Stier, der dir jemals -vorgekommen ist; auch ein Bildnis von Schiwa -wird dort gezeigt, eine große Seltenheit! Sein Lingam -hast du vielleicht schon fünfzehntausendmal gesehen, -aber dies hier ist Schiwa selbst und man sagt, -das Porträt sei sehr ähnlich. Es hat drei Augen; -so viele besitzt kein anderer Gott. Ueber dem Brunnen -ist ein schöner steinerner Baldachin, der auf -vierzig Säulen ruht; wie allenthalben in Benares, -beten auch hier Scharen von andächtigen Pilgern.<span class="pagenum" id="Seite_172">[172]</span> -Das heilige Wasser wird ihnen eingelöffelt, und dabei -durchströmt sie zugleich die klare und feste Zuversicht -ihrer Erlösung. Man sieht es ihnen am Gesicht -an, daß sie das höchste Glück gefunden haben, welches -es auf Erden gibt, dem sich keine andere Freude -vergleichen läßt. Wer das Wasser getrunken und -seine Einzahlung gemacht hat, was sollte der noch -begehren? Gold, Edelsteine, Macht oder Ruhm? -– In einem Augenblick ist das alles nichtig und -wertlos geworden und zu Staub und Asche zerfallen. -Die Welt hat dem Menschen nichts mehr -zu bieten, sie muß sich ihm gegenüber für bankerott -erklären. –</p> - -<p>Ich will nicht behaupten, daß alle Pilger ihre -Andacht immer genau in der Reihenfolge verrichten, -wie mein Wegweiser sie angibt, aber es wäre gar nicht -so übel, wenn sie es täten. Sie hätten dann einige -feste Anhaltspunkte, ein bestimmtes Ziel und brauchten -ihre gottesdienstlichen Uebungen nicht aufs -Geratewohl zu betreiben: Das Gangesbad am Morgen -erregt des Pilgers Eßlust; sie vergeht ihm, -wenn er die Kuhschwänze küßt. Nun sehnt er sich -nach weltlichen Gütern; er eilt hin und gießt Wasser -auf Schiwas Symbol. Das sichert ihm sein irdisches -Glück, bringt ihm aber auch einen Regenschauer, von<span class="pagenum" id="Seite_173">[173]</span> -dem er das Fieber bekommt. Zur Heilung trinkt -er das Schmutzwasser am Khedar Ghaut, das Fieber -verläßt ihn, aber er bekommt die Blattern. Um zu -wissen, welche Wendung es mit ihm nehmen wird, -geht er zum Dandpan-Tempel und sieht in den -Brunnen hinab. Die Sonne umwölkt sich, sie zeigt -ihm, daß er dem Tode nahe ist. Was kann er da -Besseres tun, als sich seine Seligkeit im Jenseits zu -sichern? Das geschieht mit Hilfe des großen Schicksalsgottes. -Nun ist ihm der Himmel gewiß, er wird -daher vermutlich Sorge tragen, noch solange wie -möglich auf Erden zu bleiben. In dieser Absicht -geht er zum Briddhkal-Tempel und gewinnt Jugend -und langes Leben durch ein Bad in der scheußlichen -Pfütze, die selbst eine Mikrobe umbringen würde. -Die Sündenlust erwacht mit der Jugend von neuem; -er sucht den Tempel der ›Erfüllung der Wünsche‹ -auf, um sein Verlangen zu stillen. Im Brunnen des -Ohr-Rings reinigt er sich dann von Zeit zu Zeit -von Sünden und stärkt sich zu ferneren verbotenen -Genüssen. Da er aber ein Mensch ist, kann er sich der -Zukunftsgedanken nicht entschlagen. Deshalb macht -er die große Wallfahrt rund um die Stadt, sichert sich -seine Erlösung, läßt sie eintragen und verschafft -sich noch die persönliche Gewißheit seines künftigen<span class="pagenum" id="Seite_174">[174]</span> -Heils durch einen Gang nach dem Brunnen zur -›Kenntnis der Seligkeit‹. – Nun ist er aller Sorgen -ledig, er kann tun und lassen was er will und -genießt einen Vorzug, den er einzig und allein seiner -Religion verdankt: Sollte er hinfort auch noch Millionen -Sünden begehen, so schadet es nichts und -niemand kann ihm etwas dafür anhaben.</p> - -<p>So ist das ganze System klar und übersichtlich -zusammengestellt und läßt an Vollständigkeit nichts -zu wünschen übrig; ich möchte es allen empfehlen, -denen die andern Religionen zu anspruchsvoll in -ihren Forderungen erscheinen und zu beschwerlich für -die kurze Spanne unseres mühevollen Erdenlebens.</p> - -<p>Aber ich will niemand durch falsche Vorspiegelungen -täuschen und so muß ich noch eines -Umstands erwähnen, der in meinem Wegweiser fehlt. -Trotz aller Mühe und Kosten, die sich der Pilger -gemacht hat, kann sein ganzes Werk zu Schanden -werden, wenn er zufällig auf das andere Ufer des -Ganges gerät und dort stirbt. Er würde dann sofort -wieder lebendig werden, jedoch in der Gestalt eines -Esels. Gegen die Verwandlung in einen Esel hat -der Hindu aber eine merkwürdige Abneigung – -und doch wäre es für ihn gar kein schlechter Tausch. -Er fände dadurch Erlösung aus der sklavischen Abhängigkeit<span class="pagenum" id="Seite_175">[175]</span> -von 2 000 000 Göttern und 20 000 000 -Priestern, Fakirn, heiligen Bettlern und andern -frommen Bazillen; auch der Hindu-Hölle könnte er -entfliehen und desgleichen dem Hindu-Himmel. -Würde sich der Hindu nur aller dieser Vorteile -bewußt, er ginge sofort über den Ganges und stürbe -am andern Ufer.</p> - -<p>Benares ist ein religiöser Vulkan. In seinen -Eingeweiden sind die theologischen Kräfte schon seit -Jahrtausenden geschäftig; es donnert und grollt und -kracht, es wühlt und erbebt, es brodelt und kocht, es -flammt und raucht darin ohne Unterlaß. Am Fuß -des Kraters aber haben kleine Gruppen von Missionaren -voller Hoffnung Posten gefaßt. Sie gehören -zu den Missionsgesellschaften der Baptisten, der Wesleyaner, -der Londoner Mission, der Kirchenmission, -der Zenana-Bibelmission und der Heilsmission. Die -Haupterfolge erzielen sie in ihren Schulen unter -den Kindern. Das ist auch sehr natürlich, denn erwachsene -Menschen halten sich überall mit Vorliebe -an das Religionsbekenntnis, in dem sie erzogen -worden sind.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_176">[176]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap13">Dreizehntes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Runzeln sollten nur die zurückgebliebenen -Spuren des Lachens sein.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">In einem der Tempel von Benares sahen wir -einen frommen Mann, der auf seltsame Weise -»schaffte, daß er selig würde«. Er hatte einen ungeheuern -Klumpen Lehm neben sich liegen und knetete -daraus winzige Götter, kaum größer als eine -Erbse; in jeden steckte er ein Reiskorn, vermutlich -an Stelle des Lingams. Die Arbeit ging ihm bei -der großen Uebung, die er hatte, sehr schnell von der -Hand; täglich verfertigte er zweitausend solche Götter -und warf sie dann in den heiligen Gangesstrom. Für -dies fromme Werk wurde ihm hohe Anerkennung von -allen Gläubigen zu teil – und viele Kupfermünzen. -So hatte er ein sicheres Einkommen auf Erden und -erwarb sich zugleich einen Ehrenplatz im Jenseits.</p> - -<p>Von der Flußseite gesehen, gewährt Benares -einen herrlichen Anblick. Drei Meilen weit sind die -hohen Felsenufer von oben bis hinunter zum Wasserspiegel -mit lauter prachtvollen und malerischen -Bauwerken besetzt; der Fels selbst ist ganz verschwunden, -Tempel, Hallen, Paläste wechseln miteinander<span class="pagenum" id="Seite_177">[177]</span> -in bunter Reihe und viele breite Treppen aus -Marmorquadern führen zum Fluß hinab. Ueberall -ist Leben und Bewegung; in alle Farben des Regenbogens -gekleidet, strömt die Menge die Stufen herauf -und hinunter, oder drängt sich auf den langgestreckten -Terrassen am Uferrand, wie ein großer -wandelnder Blumengarten.</p> - -<p>Alle jene Prachtbauten sind Werke der Frömmigkeit. -Die Paläste gehören eingeborenen Fürsten, -deren Heimat meist fern von Benares ist. Doch -kommen sie von Zeit zu Zeit zur heiligen Stadt, -um sich Seele und Leib durch den Anblick ihres -angebeteten Ganges und ein Bad in seinen Fluten -zu erquicken. Auch die schönen Treppen sind fromme -Stiftungen, so gut wie die zahllosen, reich geschmückten -kleinen Tempel, durch deren Errichtung sich die -wohlhabenden Hindus irdisches Ansehen und die -Hoffnung auf künftige Belohnung erwerben. Ein -reicher Christ, der bedeutende Summen für religiöse -Zwecke verwendet, ist eine Seltenheit; aber unter -den Hindus lebt niemand, der seiner Religion nicht -die größten Geldopfer brächte. Auch bei uns gibt -der Arme etwas für die Kirche aus, behält jedoch -noch das Nötigste zu seinem Lebensunterhalt zurück. -Der arme Inder bringt sich dagegen täglich für seine<span class="pagenum" id="Seite_178">[178]</span> -Religion an den Bettelstab. Trotz seiner vielen frommen -Spenden bleibt dem reichen Hindu noch immer -genug an weltlichen Gütern übrig und er erntet -obendrein hohen Ruhm; aber der arme Hindu ist -wirklich zu bemitleiden: er gibt alles hin, was er -hat, und es trägt ihm doch keine Ehre ein.</p> - -<p>Wir machten zwei- bis dreimal die gebräuchliche -Fahrt flußaufwärts und abwärts, wobei wir -auf dem Deck der großen Arche, die mit Rudern -fortbewegt wird, unter einem Zeltdach auf Stühlen -saßen. Ich hätte noch vielmals so hin- und herfahren -können und zwar mit stets gesteigertem Interesse -und Genuß, denn je öfter man die Paläste und -Tempel sieht, um so mehr bewundert man sie, was ja -bei dergleichen Prachtgebäuden der Fall ist. Auch -den Badenden hätte ich gern noch länger zugeschaut; -es war ein Vergnügen zu sehen, wie geschickt sie aus -ihren Kleidern hinaus und wieder hereinschlüpften -ohne zuviel von ihrer bronzefarbenen Haut zu zeigen; -ihr frommes Gebärdenspiel und die andächtige -Art, wie sie die Gebetskügelchen durch die Finger gleiten -ließen, wäre mir nicht zum Ueberdruß geworden.</p> - -<p>Nur eins konnte ich kaum noch mit ansehen, -nämlich wie sie sich den Mund mit dem scheußlichen -Wasser ausspülten und es tranken. An einer Stelle,<span class="pagenum" id="Seite_179">[179]</span> -wo wir eine Weile anlegten, ergoß sich ein stinkender -Strom aus einem Abzugskanal und machte das -Wasser rings umher trübe und schmutzig; auch ein -angeschwemmter Leichnam kreiste darin und tauchte -auf und nieder. Zehn Schritte unterhalb aber, standen -Männer, Frauen und hübsche junge Mädchen bis -an die Brust im Wasser, schöpften es in der hohlen -Hand und tranken. Ja, der Glaube kann Wunder -wirken, davon erhielt ich hier den Beweis. Die -Leute tranken das greuliche Zeug nicht etwa um ihren -Durst zu löschen, sondern um Seele und Leib inwendig -zu läutern. Nach ihrer Lehre macht das -Gangeswasser augenblicklich alles was es berührt -vollkommen rein. Deshalb nahmen sie weder an -dem Schmutz des Abzugskanals noch an der Leiche -den geringsten Anstoß; das heilige Wasser hatte sie -ja berührt, sie waren so rein wie frisch gefallener -Schnee und konnten niemand besudeln. Jener Anblick -wird mir ewig unvergeßlich sein – aber sehr -gegen meinen Willen.</p> - -<p>Noch ein Wort über das schmutzige Gangeswasser, -das doch alles zu reinigen vermag: Als -wir mehrere Wochen später nach Agra kamen, hatte -sich dort gerade ein Wunder zugetragen – den Gelehrten -war eine große wissenschaftliche Entdeckung<span class="pagenum" id="Seite_180">[180]</span> -geglückt. Durch dieselbe wurde festgestellt, daß das -von uns vielgeschmähte Gangeswasser wirklich das -mächtigste Reinigungsmittel der Welt ist. Eine bedeutende -Errungenschaft der modernen Naturkunde! -Man hatte sich schon längst darüber verwundert, daß -die Cholera zwar in Benares häufig wütet, sich jedoch -nie über den Stadtbezirk hinaus verbreitet. Mr. -Henkin, ein von der Regierung zu Agra angestellter -Naturforscher, beschloß das Wasser zu untersuchen. -Er ging nach Benares und schöpfte Wasser am Ausfluß -der Abzugskanäle in der Nähe der Badetreppen. -Die Probe ergab, daß ein Kubikzentimeter dieses -Wassers Millionen von Cholerabazillen enthielt; -nach Ablauf von sechs Stunden waren sie alle tot. -Nun zog Henkin einen schwimmenden Leichnam ans -Land; in dem Wasser, das von diesem abtropfte, -wimmelte es von Cholerakeimen, aber nach sechs -Stunden lebte kein einziger mehr. Auch sämtliche -Bazillen, die Henkin in großer Menge in das Gangeswasser -brachte, starben unfehlbar innerhalb sechs -Stunden. Er wiederholte denselben Versuch mehrmals -mit reinem Wasser, das gänzlich bakterienfrei -war. Sobald er Cholerakeime hineinbrachte, -vermehrten sie sich massenhaft, und nach sechs Stunden -lebten viele Millionen darin.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_181">[181]</span></p> - -<p>Jahrhunderte lang sind die Hindus fest überzeugt -gewesen, daß das Gangeswasser nicht nur vollkommen -rein ist und durch nichts beschmutzt werden -kann, sondern auch unfehlbar alles läutert, was damit -in Berührung kommt. Weil sie das auch heutigen -Tages noch glauben, trinken sie es und baden darin, -ohne sich um schwimmende Leichen oder den <em class="gesperrt">scheinbaren</em> -Schmutz zu kümmern. Durch die Wissenschaft -belehrt, werden wir die Hindus jetzt wohl -kaum noch deswegen verspotten dürfen, wie wir es -seit vielen Generationen getan haben. Wie mögen -sie wohl vor grauen Jahren hinter das Geheimnis -des Wassers gekommen sein? Hatten sie vielleicht -schon damals Bakteriologen? – Wir wissen es -nicht. Nur soviel wissen wir, daß sie bereits eine -Zivilisation besaßen, als wir noch tief in der Barbarei -steckten.</p> - -<p>Doch jetzt möchte ich von etwas anderem reden, -nämlich von dem Verbrennungsplatz der Leichen. -Fakirs pflegt man nicht zu verbrennen; sie bekommen, -dank ihrer Heiligkeit, auch ohnedies im Jenseits -einen guten Platz, wenn man sie den Wellen -des geweihten Stromes übergibt. Wir sahen, wie -man einen solchen frommen Bettler bis in die Mitte -des Ganges ruderte und dort über Bord warf. Er<span class="pagenum" id="Seite_182">[182]</span> -war zwischen zwei großen Steinplatten festgeklemmt.</p> - -<p>Eine halbe Stunde lag unser Boot am Verbrennungsghat -und wir sahen neun Leichen von den -Flammen verzehren. Dann hatte ich ganz genug. -Das Trauergefolge begleitet die Bahre durch die -Stadt und bis hinab zum Ghat; dort überlassen -die Träger den Toten mehreren Eingeborenen aus -einer niederen Kaste, ›Doms‹ genannt, und die Trauernden -begeben sich auf den Heimweg. Ich hörte kein -Schluchzen, sah keine Tränen, der Abschied ging -ruhig vor sich. Alle Ausbrüche von Kummer und -Schmerz werden offenbar in häuslicher Zurückgezogenheit -abgemacht. Die toten Frauen bringt man -in einer roten, die Männer in einer weißen Umhüllung. -Man legt sie am Uferrand ins Wasser, -während der Holzstoß bereitet wird.</p> - -<p>Der erste Tote, welchen die ›Doms‹ auswickelten -um ihn zu waschen, war ein wohlgenährter, stark -gebauter, schöner alter Herr gewesen, dem man keine -Krankheit ansah. Aus trockenem Holz wurde ein -Haufen lose zusammengeschichtet, der Leichnam darauf -gelegt und mit brennbaren Stoffen bedeckt. Dann -begann ein nackter heiliger Mann, der etwas abseits -auf einer Erhöhung saß, mit großem Nachdruck zu -reden und zu schreien. Der Lärm dauerte eine ganze<span class="pagenum" id="Seite_183">[183]</span> -Weile und stellte vermutlich die Leichenpredigt vor. -Einer der Leidtragenden war zurückgeblieben, als sich -die andern entfernten, nämlich der Sohn des Verstorbenen, -ein hübscher, brauner etwa zwölfjähriger -Knabe mit ernster, gefaßter Miene. Er war in ein -weißes, wallendes Gewand gekleidet und hatte die -Pflicht, seinen Vater zu verbrennen. Man gab ihm -eine Fackel in die Hand, und während er siebenmal -langsam um den Holzstoß schritt, predigte der nackte -Schwarze auf der Anhöhe noch lauter und ungestümer -als zuvor. Als der Knabe den siebenten Rundgang -beendet hatte, berührte er mit der Fackel zuerst -seines Vaters Haupt und dann die Füße. Helle -Flammen sprangen scharf knisternd empor, und der -Knabe zog sich zurück. Der Hindu wünscht sich -keine Tochter, weil ihre Hochzeit unerschwingliche -Kosten verursacht, er wünscht sich einen Sohn, um -einst im Tode auf ehrenvolle Art aus der Welt -scheiden zu können. Und eine größere Ehre gibt es -nicht für den Vater, als wenn ihm sein Sohn den -Scheiterhaufen anzündet. Wer keinen Sohn hat, ist -übel daran und sehr beklagenswert. Im Hinblick -auf die Unsicherheit des menschlichen Lebens heiratet -der Hindu schon als Knabe, um einen Sohn zu bekommen, -der ihm nach dem Tode den letzten Dienst<span class="pagenum" id="Seite_184">[184]</span> -erweisen soll. Wird ihm kein Sohn geboren, so -nimmt er einen Knaben an Kindesstatt an. Das -genügt für alle Zwecke.</p> - -<p>Unterdessen nahm die Verbrennung jenes Leichnams -und einiger andern ihren Fortgang. Es war -ein grausiges Geschäft. Die Heizer blieben dabei -nicht müßig; sie liefen flink umher, schürten das -Feuer mit langen Stäben und warfen von Zeit zu -Zeit mehr Holz hinein; auch hoben sie oft Schädel -und Knochen in die Höhe, um sie zu zerschlagen und -wieder in die Flammen zu stoßen, damit sie rascher -von der Glut verzehrt würden. Ein widerwärtiger -Anblick! Für die Hinterbliebenen hätte er unerträglich -sein müssen. Mein Verlangen, die Leichenverbrennung -zu sehen, war ohnehin nicht groß gewesen -und wurde bald gänzlich gestillt. Aus Gesundheitsrücksichten -wäre es zwar ratsam, die Feuerbestattung -allgemein einzuführen, aber diese Form -derselben wirkt höchst abstoßend und ist durchaus -nicht empfehlenswert.</p> - -<p>Natürlich gilt das Feuer für heilig und muß bezahlt -werden. Gewöhnliches Feuer ist verboten, weil -es kein Geld einbrächte. Man sagte mir, daß eine -einzige Person – vermutlich ein Priester – das -Monopol besitzt, alles heilige Feuer zu liefern, für<span class="pagenum" id="Seite_185">[185]</span> -das er einen beliebigen Preis fordern kann. Mancher -Leidtragende hat für eine Feuerbestattung schon -tausend Rupien entrichtet. Von Indien aus ins -Paradies zu kommen ist wirklich ein sehr kostspieliges -Ding; man muß jede einzelne Kleinigkeit, die dazu gehört, -teuer bezahlen, um die Priester zu mästen.</p> - -<p>In der Nähe des Verbrennungsplatzes stehen -ein paar altersgraue Steine aus der Zeit, als die -Sutti noch gestattet war. Ein Mann und eine Frau, -die Hand in Hand miteinander gehen, sind roh -in den Stein geschnitten, der die Stelle bezeichnet, -wo die Witwe ehemals den Feuertod erlitten hat. -Mr. Parker sagt auch, daß sich die Witwen noch -heutigen Tages verbrennen lassen würden, wenn -die englische Regierung es nicht strengstens untersagte. -Jede Familie, die auf einen der kleinen -Denksteine zeigen und sagen kann: »Hier hat sich -unsre Ahnfrau verbrannt!« wird von allen beneidet.</p> - -<p>Ein seltsames Volk, diese Hindus! Alles Leben -ist ihnen heilig, nur das des Menschen nicht. -Selbst das Ungeziefer verschonen sie, und der fromme -Dschain setzt sich auf keinen Stuhl, ohne ihn vorher -abzuwischen, um ja auch nicht das winzigste Insekt -zu töten. Es betrübt ihn, daß er Wasser trinken -muß, weil der Inhalt seines Magens vielleicht den<span class="pagenum" id="Seite_186">[186]</span> -Mikroben nicht zuträglich sein könnte. Und doch ist -Indien die Heimat der Thugs und der Sutti. Es -wird unsereinem schwer, das zusammen zu reimen.</p> - -<p>Wir gingen auch zu dem Tempel der Thug-Göttin -Bhowanee oder Kali oder Durga – sie trägt -alle diese Namen und noch viele andere. Sie ist -die einzige Gottheit, der etwas Lebendiges geopfert -wird; man schlachtet ihr Ziegenböcke. Affen wären -billiger und sind überreichlich vorhanden. Da sie -heilige Tiere sind, benehmen sie sich sehr unbescheiden -und klettern überall herum, wo sie wollen. Der -Tempel und die Vorhalle sind mit wunderschönen -steinernen Ornamenten geschmückt, desto häßlicher ist -das Götzenbild. Es ist wirklich kein Vergnügen Bhowanee -anzusehen; sie hat ein Gesicht von Silber mit -einer heraushängenden, hochrot angemalten, geschwollenen -Zunge und trägt ein Halsband von -Totenschädeln.</p> - -<p>Ueberhaupt sind die zahllosen Götzenbilder in -Benares alle roh, häßlich und mißgestaltet. Die ganze -Stadt ist voll davon; sie ängstigen einen nachts im -Traum, und nirgends hat man Ruhe vor ihnen. -Kann man ihren Anblick in den Tempeln nicht -länger ertragen und geht zum Strom hinaus, so -findet man dort riesengroße, mit bunten Farben<span class="pagenum" id="Seite_187">[187]</span> -bemalte Götzen nebeneinander am Ufer hingestreckt, -und wo irgend noch Raum ist, steht ein Lingam. -Schwerlich hat Wischnu vorausgesehen, was aus -seiner Stadt werden würde, sonst hätte er sie Götzenheim -oder Lingamburg genannt.</p> - -<p>Die höchsten Türme von Benares sind die beiden -schlanken, weißen Minarets auf der Moschee des -Aurengzib, die einem überall zuerst ins Auge fallen. -Die Aussicht von oben ist wundervoll, doch wurde -sie mir ganz durch einen großen, grauen Affen verdorben, -der auf dem Dach der Moschee die wildesten -Sprünge machte. Es ist kaum zu glauben, -wie unvernünftig ein solches Tier ist! Der Affe -schwang sich über dem gähnenden Abgrund durch -den leeren Raum bis zu irgendeinem steinernen -Vorsprung, der viel zu weit entfernt für ihn war, -so daß er ihn nur mit knapper Not erreichte und -sich mit den Zähnen festhalten mußte. Mich machte -das so nervös, daß <em class="gesperrt">ich</em> immer nur nach dem Affen -hinsah und die Aussicht ganz darüber vergaß. So -oft er einen seiner tollkühnen Sätze ins Blaue hineintat, -verging mir der Atem; wenn er nach einem -Anhalt griff, klammerte ich mich selbst aus Mitgefühl -krampfhaft fest und schnappte nach Luft, während -er sich ganz gleichgültig und unbekümmert<span class="pagenum" id="Seite_188">[188]</span> -stellte. Wohl ein Dutzendmal kam er nur gerade -noch mit dem Leben davon und beunruhigte mich -dermaßen, daß ich ihn am liebsten auf der Stelle -totgeschossen hätte; doch ging mich die Sache im -Grunde ja gar nichts an.</p> - -<p>Die Aussicht möchte ich allen Fremden aufs -dringendste empfehlen, was man davon genießt ist -prachtvoll. Ganz Benares, der Fluß und die Gegend -ringsum liegen ausgebreitet vor unsern Blicken -da. Wenn nur der Affe nicht wäre! – Mein Rat ist -also: nehmt eine Flinte mit und seht euch die Aussicht -an!</p> - -<p>Der nächste Anblick, der sich uns bot, war weniger -aufregend: Ein Eingeborener malte ein Bild -auf Wasser – eine mir ganz neue Kunstleistung. -Der Mann streute verschiedenfarbigen feinen Staub -auf die Oberfläche eines Wasserbeckens und daraus -entwickelte sich allmählich ein hübsches, zartes Gemälde, -das durch einen Hauch wieder zerstört werden -konnte. Es kam mir vor wie ein Gleichnis und -Sinnbild, welches die Unbeständigkeit alles Irdischen -predigt. Nach meinem vielen Umherstöbern unter -den verfallenen Tempeln, die auf Ruinen standen, -welche wiederum auf den Trümmern und Ruinen -früherer Zeitalter erbaut gewesen waren, lag mir<span class="pagenum" id="Seite_189">[189]</span> -der Gedanke nahe, daß alle die gewaltigen Steinbauten -in ihrer Art ganz ebenso vergänglich sind, -wie Bilder, die man auf Wasser malt.</p> - -<p>In Benares ist es auch gewesen, wo der kühne -Generalgouverneur von Ostindien, Warren Hastings, -im Jahre 1781 mit knapper Not einer großen Gefahr -entging. Mit einer Handvoll eingeborener -Soldaten und drei jungen englischen Offizieren hatte -er den Rajah Cheit Singh in seiner eigenen Festung -gefangen genommen, weil dieser sich weigerte, eine -Geldstrafe von 500 000 Pfund Sterling zu bezahlen, -die Hastings im Namen der Ostindischen Kompagnie -über ihn verhängt hatte. So fest war damals seine -Herrschaft in Indien begründet und so zuversichtlich -rechneten die Engländer auf die oft erprobte Unterwürfigkeit -des indischen Volkes, daß sie bei dem -Zug in das entlegene Fürstentum, wo sie von aller -Hilfe abgeschnitten waren, nur leere Kanonen mitnahmen -und ihren Pulvervorrat zurückließen. Durch -einen Zufall ward dies jedoch verraten, und nun -brach ein Aufstand los, bei dem die drei Engländer -samt den hilflosen Sepoys erschlagen wurden. Hastings -selbst entkam im Dunkel der Nacht glücklich -aus Benares. Vor Ablauf eines Monats kehrte -er jedoch mit genügenden Streitkräften zurück, stellte<span class="pagenum" id="Seite_190">[190]</span> -Ruhe und Ordnung wieder her, entthronte den Rajah -und gab dem Fürstentum einen andern Herrscher.</p> - -<p>In eine so kritische Lage hat sich Hastings nie -wieder gebracht. Er war ein hochbegabter Mann, -und wenn auch an seinem Namen mancher Flecken -haftet, den nichts zu tilgen vermag, so läßt sich -doch nicht bestreiten, daß er das indische Reich für -England gerettet hat. Einen bessern Dienst hätte -er aber zugleich auch der indischen Nation nicht leisten -können, welche seit Jahrtausenden unter dem Druck -einer erbarmungslosen Tyrannei geschmachtet hatte.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap14">Vierzehntes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Es zeugt von Mangel an Ehrfurcht, -wenn man den Gott anderer Menschen -mißachtet.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">In Benares besuchte ich auch einen lebendigen -Gott; es war der zweite, den ich zu sehen bekam. -Von allen großen und kleinen Weltwundern, die mir -je vorgekommen sind – und ich habe, so viel ich -weiß, fast alle besichtigt – hat mir, glaube ich,<span class="pagenum" id="Seite_191">[191]</span> -nichts einen so überwältigenden Eindruck gemacht -wie diese beiden Götter. Eine Erklärung hierfür -zu finden fällt mir nicht schwer: Wenn wir etwas -ein Wunder nennen, so tun wir das in der Regel -nicht, weil es <em class="gesperrt">uns</em> außergewöhnlich erscheint, sondern -weil <em class="gesperrt">andere</em> Leute etwas Besonderes darin -sehen. Fast alle Wunder bekommen wir erst aus -zweiter Hand. Ist ein Ding berühmt, so brennen -wir vor Verlangen danach und wenn wir es sehen, -erfüllt es stets unsere Erwartung. Der Anblick eines -Gegenstandes, welcher in den Herzen einer großen -Menschenzahl Begeisterung und Ehrfurcht entzündet -oder ihre Liebe und Bewunderung weckt, gewährt -uns einen Genuß, den wir mehr als alles andere -schätzen. Wir fühlen uns hoch beglückt und dauernd -bereichert, wir möchten die Erinnerung daran um -keinen Preis hergeben.</p> - -<p>Wie manche Sehenswürdigkeit der Welt haben -wir von tausend Schriftstellern unser Lebenlang mit -Entzücken preisen hören! Wir pilgern um den Erdball, -sind von ihrem Anblick berauscht und halten -die Gefühle, welche uns überwältigen, für unsere -eigenen, während wir nur von der Blume eines -Weines trunken sind, der andern Leuten gehört. Aber -alle Erdenherrlichkeit, die wir staunend erblicken, ist<span class="pagenum" id="Seite_192">[192]</span> -doch nichts im Vergleich zu einer Person, die lebt, -atmet, redet, und von vielen Millionen Menschen -in frommem, aufrichtigem, unerschütterlichem Glauben -für einen Gott gehalten und in Demut angebetet -wird.</p> - -<p>Als ich den Gott sah, war er sechzig Jahre alt. -Er heißt Sri 108 Swami Bhaskarananda Saraswati; -doch ist das nur <em class="gesperrt">eine</em> Form seines Namens, -eine Abkürzung, wie man sie etwa im Gespräch mit -ihm wählen würde. Wollte man ihm einen Brief -schreiben, so würde es sich schon aus Höflichkeit -empfehlen, eine längere Anrede zu gebrauchen; -nicht etwa den ganzen Namen, aber wenigstens -so viel davon:</p> - -<p>Sri 108 Matparama­hansapa­rivraia­kacharyas­wamibhaska­rananda­saraswati.</p> - -<p>Hochwohlgeboren auf der Adresse hinzuzufügen -ist unnötig. Das Wort Sri, mit dem der ganze -Schwall beginnt, ist an sich schon ein Ehrentitel. -›108‹ gibt, glaube ich, die Zahl seiner übrigen Namen -an. Da auch Wischnu 108 Namen hat, die er -nur bei besonderen Gelegenheiten braucht, wird es -wohl eine beliebte Sitte im Orden der Götter sein, -sich solchen Extravorrat anzulegen. Aber auch ohne -die 108 andern ist der abgekürzte Name schon ein<span class="pagenum" id="Seite_193">[193]</span> -recht hübsches Besitztum; er besteht aus 58 Buchstaben, -wenn ich mich nicht verzählt habe. Dagegen -können selbst die längsten deutschen Wörter nicht -aufkommen und sind ein für allemal vom Wettbewerb -ausgeschlossen.</p> - -<p>Sri 108 S. B. Saraswati hat erreicht, was die -Hindus den ›Zustand der Vollendung‹ nennen. Andere -Hindus gelangen dazu nur durch zahllose Seelenwanderungen, -bei welchen sie wieder und immer -wieder in den verschiedensten Gestalten auf Erden -geboren werden. Das ist eine langwierige Arbeit, -die oft Jahrhunderte oder Jahrtausende in Anspruch -nimmt, und bei der man allerlei Gefahr läuft. -Man kann zum Beispiel, wie bereits erwähnt, das -Unglück haben, einmal auf dem falschen Ufer des -Ganges zu sterben und als Esel wieder zur Welt -zu kommen, so daß man einen ganz neuen Anlauf -nehmen und viele Entwicklungsstufen nochmals -durchmachen muß. Von alledem ist Sri 108 S. B. S., -als er zur Vollendung hindurchdrang, auf immer -erlöst worden. Er nimmt nicht länger teil an dem -Wesen dieser Welt; alles Irdische ist von ihm ausgeschieden, -er ist vollkommen heilig und rein. Ja, -er gehört überhaupt nicht mehr der Erde an, sondern -steht ihr fremd gegenüber, ihre Schmerzen, Kümmernisse<span class="pagenum" id="Seite_194">[194]</span> -und Sorgen erreichen ihn nicht. Seine Heiligkeit -kann durch nichts mehr entweiht, seine Reinheit -durch nichts befleckt werden. Wenn er stirbt geht -er zum Nirwana ein, wird in das Wesen der höchsten -Gottheit mit aufgenommen und hat Frieden in -Ewigkeit.</p> - -<p>Die heiligen Schriften der Inder lehren, wie -man zu diesem Zustand emporklimmen kann, aber es -kommt höchstens einmal in tausend Jahren vor, -daß ein Prüfungskandidat ihn wirklich erreicht. Sri -108 hat sämtliche vorgeschriebene Stufen von Anfang -bis zu Ende durchgemacht, und ihm bleibt nun -nichts mehr zu tun übrig, als zu warten, bis er -aus dieser Welt abberufen wird, von welcher sein -Los getrennt ist und die ihm nichts mehr zu bieten -hat. In der ersten Stufe war er ein Schüler und -erwarb Kenntnis der heiligen Bücher. In der zweiten -wurde er Bürger, Hausvorstand, Gatte und -Vater. Dann nahm er, wie geboten ist, auf immer -Abschied von seiner Familie und wanderte fort. Er -zog in eine ferne Wüste und brachte die vorschriftsmäßige -Zeit als Einsiedler zu. Darauf wurde er -zunächst Bettler, »wie es die Schrift befiehlt«; er -durchwanderte Indien und nährte sich von den Gaben -der Mildtätigkeit. Vor einem Vierteljahrhundert<span class="pagenum" id="Seite_195">[195]</span> -erreichte er die höchste Reinheit, welche keines Gewandes -bedarf, denn Nacktheit ist ihr Symbol. Er -legte daher das Lendentuch ab, dessen er sich zuvor -bedient hatte. Jetzt könnte er sich nach Belieben -wieder damit gürten, denn ihn kann nichts mehr -beflecken – für gewöhnlich verschmäht er es -jedoch.</p> - -<p>Ich glaube, das sind noch nicht alle Stufen, aber -die andern fallen mir gerade nicht ein; jedenfalls -hat er sie durchgemacht. Während seiner langen -Prüfungszeit hörte er nicht auf, sich in frommer -Weisheit zu vervollkommnen und Erklärungen der -heiligen Bücher zu schreiben. Auch in religiöse Betrachtungen -über Brahma hat er sich versenkt und -das tut er noch.</p> - -<p>In ganz Indien wird sein Bildnis aus weißem -Marmor verkauft; er bewohnt ein gutes Haus in -Benares, das von einem schönen, großen Garten -umgeben und eingerichtet ist, wie es seinem hohen -Range zukommt. Auf der Straße kann er sich natürlich -nicht blicken lassen. Für Götter wäre es -in allen Ländern mit Unbequemlichkeiten verbunden, -wenn sie frei umhergingen. Wollte jemand, -den wir als Gott anerkennen und verehren, durch -unsere Stadt spazieren und man erführe an welchem<span class="pagenum" id="Seite_196">[196]</span> -Tage, so würden alle Geschäfte stillstehen und -der Verkehr ins Stocken geraten.</p> - -<p>Das Wohnhaus des Gottes ist zwar behaglich, -aber doch in Anbetracht der Umstände sehr bescheiden. -Er brauchte nur den Wunsch zu äußern, so würden -ihm seine Anhänger mit Freuden einen Palast bauen. -Manchmal empfängt er die Gläubigen einen Augenblick, -spricht ihnen Trost zu und gibt ihnen seinen -Segen; darauf küssen sie ihm die Füße und gehen -beglückt von dannen. Da er ein Gott ist, legt er -auf Rang und Stand keinen Wert, vor ihm sind alle -Menschen gleich. Er empfängt wen er will oder -verweigert seinen Anblick. Manchmal läßt er einen -Fürsten vor und schickt den Bettler fort; ein andermal -empfängt er den Bettler, und der Fürst muß seiner -Wege gehen. Doch nimmt er überhaupt nur wenige -Besucher irgendwelcher Klasse an, da er die Zeit -für seine Betrachtungen zu Rate halten muß. Mr. -Parker, den Missionar, würde er, glaube ich, jederzeit -empfangen, weil er ihm leid tut. Er selbst tut -aber Mr. Parker ebenso leid, und dies Mitgefühl -ist gewiß ein Segen für alle beide.</p> - -<p>Bei unserer Ankunft mußten wir noch eine Weile -im Garten herumstehen; die Aussichten waren nicht -sehr günstig, denn Sri 108 S. B. S. hatte an diesem<span class="pagenum" id="Seite_197">[197]</span> -Tage alle Maharajas fortgeschickt und nur den gemeinen -Pöbel empfangen; da wir nun weder das -eine noch das andere waren, ließ sich nicht voraussagen, -was wir zu erwarten hatten. Bald erschien -jedoch ein Diener und sagte, es wäre schon recht, -der Gott würde kommen.</p> - -<p>Ja, er kam wirklich und ich habe ihn gesehen, -diesen Gegenstand der Anbetung für Millionen. Mich -durchbebte ein nie gekanntes Gefühl – ich wollte, es -strömte mir noch durch die Adern. Und doch war -er für mich kein Gott, sondern nur ein Schaustück. -Der heilige Schauer, der mich durchzitterte, war -nicht mein eigener; ich empfing ihn aus zweiter -Hand von den unsichtbaren Millionen seiner Anbeter. -Durch die Berührung mit ihrem Gott war -ich in elektrische Verbindung mit ihrer Riesenbatterie -geraten und bekam die ganze Ladung auf einmal -zu fühlen.</p> - -<p>Sri 108 S. B. S. war groß und hager. Sein -scharfgeschnittenes Gesicht hatte einen ungewöhnlich -durchgeistigten Ausdruck und er sah mich mit dem -tiefen Blick seiner Augen gütig an. Er schien viel -älter als seine Jahre, aber das mochte wohl von -seinen Studien und Betrachtungen, dem Fasten und -Beten und dem harten Leben herrühren, das er<span class="pagenum" id="Seite_198">[198]</span> -als Einsiedler und Bettler geführt hatte. Empfängt -er Eingeborene hohen oder niederen Ranges, so geht -er ganz nackt; aber jetzt trug er ein weißes Tuch -um die Lenden, ein Zugeständnis, das er vermutlich -den Vorurteilen der Fremden machte.</p> - -<p>Sobald sich meine Verzückung etwas gelegt hatte, -kamen wir gut miteinander aus, und er erwies sich -mir als ein sehr angenehmer und freundlicher Gott. -Er hatte viel vom Religionskongreß und der Weltausstellung -in Chicago gehört und sprach mit großem -Interesse darüber. Wenn die Leute in Indien auch -von Amerika sonst nichts wissen, dies Ereignis ist -ihnen bekannt, und sie werden Chicago sobald nicht -vergessen.</p> - -<p>Zu meiner Freude schlug der Gott mir vor, ob -wir nicht unsere Autographen austauschen wollten. -Zufolge dieser zarten Aufmerksamkeit glaubte ich -an ihn, wenn ich auch vorher meine Zweifel gehabt -hatte. Er schrieb mir eine Widmung in sein Buch, -das ich stets mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachtete, -obgleich die Wörter von rechts nach links gehen -und ich es daher nicht lesen kann. Diese Art Bücher -zu drucken, halte ich für ganz verkehrt. Das Werk -enthält die von ihm verfaßten, umfangreichen Erklärungen -zu den heiligen Schriften der Hindus;<span class="pagenum" id="Seite_199">[199]</span> -könnte ich sie entziffern, so würde ich selbst versuchen -nach der Vollendung zu streben. Ich überreichte -ihm ein Exemplar von Huckleberry Finn, -weil ich glaubte, es würde ihm zur Abwechslung -von seinen Betrachtungen über Brahma eine kleine -Erholung sein. Er sah recht müde aus, und wenn -ihm mein Buch auch vielleicht nichts nützt, so wird -es ihm doch gewiß nichts schaden.</p> - -<p>Sri 108 S. B. S. hat einen Schüler, der -unter ihm seine Studien betreibt – Mina Bahadur -Rana – doch bekamen wir ihn nicht zu sehen. Er -trägt Kleider und ist noch sehr unvollkommen. Eine -kleine Abhandlung, die er über seinen Meister geschrieben -hat, habe ich mir angeschafft. Es ist auch -ein Holzschnitt darin, welcher Lehrer und Schüler -zusammen auf einer Matte im Garten sitzend darstellt. -Das Bild ist sehr gut getroffen und die -Stellung genau dieselbe, welche Brahma mit Vorliebe -einnimmt; man braucht dazu lange Arme und -geschmeidige Beine; nur Götter können diese so übereinander -schlagen – Götter und der Kautschukmann. -In der gleichen Stellung ist auch im Garten ein Marmorbild -von Sri 108 S. B. S. in Lebensgröße -zu sehen.</p> - -<p>Eine sonderbare Welt, in der wir leben – und<span class="pagenum" id="Seite_200">[200]</span> -am allermerkwürdigsten geht es in Indien zu. Jener -Schüler, Mina Bahadur Rana, ist ganz und gar -kein gewöhnlicher Mensch, er besitzt eine außerordentliche -Begabung und hohe Bildung; eine glänzende -weltliche Laufbahn lag vor ihm. Noch vor zwanzig -Jahren stand er im Dienst der Regierung von -Nepal und nahm am Hofe des Vizekönigs von Indien -eine hervorragende Stellung ein. Er war tüchtig -in seinem Beruf, ein tiefer Denker, wohlhabend -und kenntnisreich. Da ergriff ihn plötzlich das Verlangen, -sich einem religiösen Leben zu weihen, er -legte sein Amt nieder, wandte der Eitelkeit und -allem Behagen dieser Welt den Rücken, zog sich in -die Einsamkeit zurück und lebte in einer armen Hütte. -Dort studierte er die heiligen Schriften und vertiefte -sich in Betrachtungen über Tugend und Frömmigkeit, -die er zu erringen strebte. Diese Art Religion -gleicht der unsrigen. Christus hat den Reichen -geboten ihre Güter den Armen zu geben und ihm -nachzufolgen, nicht in weltlichem Wohlleben, sondern -in Dürftigkeit. Unsere amerikanischen und englischen -Millionäre tun das täglich und bezeugen so vor -aller Welt den ungeheueren Einfluß der Religion; -aber von manchen Leuten werden sie wegen dieser -Entsagung und Pflichttreue verhöhnt und auch über<span class="pagenum" id="Seite_201">[201]</span> -Mina Bahadur Rana wird man spotten und sagen, -er sei verrückt geworden. Gleich vielen Christen -von edlem Charakter und hohen Geistesgaben hat -auch er sich das Studium seiner heiligen Schriften -und die Abfassung von Büchern zu ihrer Erklärung -und Auslegung als Lebensaufgabe gewählt; er hat -sich diesem Beruf mit aller Liebe hingegeben und ist -fest überzeugt, daß es keine törichte, nutzlose Zeitverschwendung, -sondern die würdigste und ehrenvollste -Beschäftigung ist, der er sich widmen kann. -Dennoch gibt es viele Leute, welche jene Christen -verehren und preisen, den Inder aber einen Narren -schelten. Das tue ich nicht. Er besitzt meine vollste -Hochachtung und die biete ich ihm nicht als etwas -Gemeines und Alltägliches dar, sondern als eine -große Seltenheit und Kostbarkeit. Die gewöhnliche -Hochachtung und Ehrfurcht, wie sie gang und gäbe -ist, kostet nichts. Ehrfurcht vor dem, was uns selbst -heilig ist: vor Eltern, Religion, Gesetz, Vaterland, -Achtung vor unsern eigensten Ueberzeugungen, sind -uns so natürliche Gefühle, daß wir ohne sie ebensowenig -leben könnten, wie ohne zu atmen. Das -Atemholen rechnet man sich aber nicht als persönliches -Verdienst an. Schwer und verdienstvoll ist dagegen -eine andere Art der Ehrfurcht, nämlich die Hochachtung,<span class="pagenum" id="Seite_202">[202]</span> -die wir aus freien Stücken den politischen -und religiösen Anschauungen eines Menschen zollen, -obgleich sie nicht die unsrigen sind. Wir können -seine Götter nicht anbeten und seine Politik nicht -teilen – das erwartet auch niemand von uns; aber -seinen Glauben an sie könnten wir doch achten, -wenn es uns auch sauer wird; ja, wir könnten -ihn selber achten, wollten wir uns rechte Mühe -geben. Freilich, schwer ist es, ganz entsetzlich schwer, -fast ein Ding der Unmöglichkeit, und deshalb versuchen -wir es lieber gar nicht. Glaubt ein Mensch -nicht wie wir glauben, so nennen wir ihn einen -Toren, und dabei bleibt es. Das heißt in unsern -Tagen, weil wir ihn jetzt nicht mehr verbrennen -können.</p> - -<p>Als wir von dem Gott in Benares Abschied nahmen -und uns entfernten, trafen wir am Gartentor -mit einer Gruppe von Eingeborenen zusammen, -welche ehrerbietig warteten – ein Rajah, der aus -einem entlegenen Teil Indiens kam und einige weniger -vornehme Leute. Der Gott winkte sie zu -sich heran, und im Hinausgehen sahen wir noch, -wie der Rajah vor ihm kniete und demutsvoll seine -heiligen Füße küßte.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_203">[203]</span></p> - -<p>Eine bequeme Eisenbahnfahrt von siebzehn und -einer halben Stunde brachte uns nach Kalkutta, der -Hauptstadt Indiens, die zugleich auch die Hauptstadt -von Bengalen ist. Die Bevölkerung besteht -wie in Bombay aus fast einer Million Eingeborenen -und einer kleinen Zahl Weißer. Kalkutta ist eine -riesengroße und schöne Stadt, man nennt es die -Stadt der Paläste. Es ist reich an geschichtlichen -Erinnerungen und reich an britischen Errungenschaften -auf militärischem, politischem und kaufmännischem -Gebiet. Man bekommt dort die Früchte des -Wirkens der beiden großen Helden Clive und Hastings -zu genießen, aber das 250 Fuß hohe Monument, -welches man meilenweit in der Runde sieht, -trägt den Namen Ochterlony. Mag man in Kalkutta -sein wo man will, überall muß man an Ochterlony -denken und sich den Kopf darüber zerbrechen, -was das Denkmal wohl zu bedeuten hat. Gut, daß -Clive nicht von den Toten zurückkommen kann, er -würde sonst glauben, es sollte seinen Sieg bei Plassey -verewigen und müßte zu seiner Kränkung erfahren, -daß er sich geirrt hat. »Mit dreitausend Mann,« -würde er sagen, »habe ich sechzigtausend bezwungen -und das Reich gegründet, aber man hat mir -kein Denkmal gesetzt. In der Schlacht bei Ochterlony<span class="pagenum" id="Seite_204">[204]</span> -hat der General vielleicht mit einem Dutzend -Soldaten eine Billion Feinde geschlagen und die -Welt errettet.«</p> - -<p>Aber das ist nicht richtig. Ochterlony war ein -Mann, keine Schlacht. Er hat dem Lande auch -gute und ehrenhafte Dienste geleistet, wie hundert -andere tapfere, rechtschaffene und hochbegabte Engländer. -Indien ist ein fruchtbarer Boden, um Männer -zu erzeugen, die groß sind im Kriege wie im -Frieden und bescheiden bei all ihrer Größe. Daß -man ihnen Denkmäler setzt, erwarten sie nicht; auch -Ochterlony hat das schwerlich getan – wenigstens -sicherlich nicht, ehe Clive und Hastings versorgt waren.</p> - -<p>Wollte man in Indien jedem zum Lohn für -ausgezeichnete Taten, treue Pflichterfüllung und -fleckenlosen Lebenswandel ein Denkmal setzen, es -würde der Gegend ein einförmiges Ansehen geben. -Die Handvoll Engländer regieren die Myriaden Inder -anscheinend mit Leichtigkeit und ohne daß irgend -welche Reibung entsteht. Sie können das, weil sie -richtigen Takt, Tüchtigkeit und treffliche Verwaltungskunst -besitzen, welche von gerechten, freisinnigen -Gesetzen unterstützt wird, und weil sie den Eingeborenen -stets Wort halten, wenn sie ihnen ein -Versprechen gegeben haben.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_205">[205]</span></p> - -<p>England liegt weit von Indien; man erfährt -dort wenig von den großen Diensten, welche die -indischen Beamten dem Lande leisten; denn der Ruhm -wird durch Zeitungskorrespondenten verbreitet, und -diese schickt England nicht nach Indien, sondern nach -dem europäischen Festland, um über die Taten aller -kleiner Fürsten und Herzöge Bericht zu erstatten, -damit man weiß, wo sie auf Besuch sind und wen -sie heiraten. Ein britischer Beamter kann oft dreißig -oder vierzig Jahre in Indien gelebt haben und -wegen seiner hohen Verdienste von einer Ehrenstufe -zur andern gestiegen sein, bis er Vizekönig -wird und ein großes Reich mit vielen Millionen -Untertanen regiert. In jedem andern Lande wäre -er ein berühmter Mann, aber, wenn er wieder nach -England kommt, ist er im Grunde so gut wie unbekannt -und zieht sich in ein bescheidenes Eckchen -zurück. Erst nach seinem Tode liest man mit Staunen -den Bericht über seine glänzende Laufbahn in -irgend einer Londoner Zeitung.</p> - -<p>In Kalkutta gab es viel zu sehen, aber wir -hatten nur wenig Zeit dazu. Die von Clive erbaute -Festung, der große botanische Garten, die Spazierfahrt -der vornehmen Welt auf dem Maidan und -eine glänzende Revue der Garnison nebst den Manövern<span class="pagenum" id="Seite_206">[206]</span> -der eingeborenen Soldaten, bei denen alle -Waffengattungen große militärische Tüchtigkeit bewiesen -und deren Schluß die Erstürmung eines indischen -Forts bildete – das waren die Hauptsehenswürdigkeiten, -die wir in Augenschein nahmen. Dann -machten wir noch eine Lustfahrt auf dem Hugli und -teilten unsere übrige Zeit zwischen geselligem Verkehr -und dem indischen Museum. Letzteres ist eine -wahre Schatzkammer für indische Altertümer, zu -deren Besichtigung man mindestens einen Monat -haben sollte; ja, ich könnte diese schönen und wunderbaren -Dinge ein halbes Jahr lang ansehen, ohne -daß sie ihren Reiz für mich verlieren würden.</p> - -<p>Es war Winter in Kalkutta, ›kaltes Wetter‹, -wie uns jedermann versicherte. Aber, wer an 138° -im Schatten gewöhnt ist, hat kein Urteil über dergleichen. -Jedenfalls war dies kalte Wetter zu warm -für die Fremden, und wir brachen deshalb nach -Dardschiling am Himalaja auf. Es ist eine Reise -von vierundzwanzig Stunden.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[207]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap15">Fünfzehntes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Es gibt 869 verschiedene Arten der Lüge; -aber nur eine von allen ist ausdrücklich verboten: -»Du sollst nicht falsch Zeugnis reden -wider deinen Nächsten.«</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop"><em class="gesperrt">Aus dem Tagebuch. 14. Februar.</em> -Wir reisten nachmittags um 4.30 ab und fuhren bis -zur Dämmerung durch tropische Vegetation; dann -bestiegen wir ein Boot, das uns ans andere Ufer -des Ganges brachte.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">15. Februar.</em> – Mit der Sonne aufgestanden. -Ein strahlender, frostkalter Morgen. Doppelte -Flanellunterkleider machen sich notwendig. Die Gegend -ist vollständig eben und dehnt sich in verschwommenen -Farben weiter und immer weiter, bis ins -Unendliche aus. – Wie üppig, wie hoch und mächtig -ist doch der Bambus mit seinem duftig zarten Laub! -Wohin das Auge blickt, sieht man die baumartigen -Gräser gleich riesigen Pflanzengeysern emporschießen, -bis ihr grüner Sprühregen sich in der Ferne -in Dunstwolken zu verwandeln scheint. Auch an Bananenfeldern -kamen wir vorbei, wo der Sonnenschein<span class="pagenum" id="Seite_208">[208]</span> -die glasierte Oberfläche der großen niederhängenden -Blätter streifte. Häufig sahen wir Palmenhaine -und vereinzelte Exemplare dieser malerischen -Familie, die eine wirkungsvolle Abwechslung -in das Landschaftsbild brachten. An den hohen -schlanken Stämmen hingen die Blätter zerrissen und -zerfetzt umher, als wollte die Natur einen Regenschirm -darstellen, der unversehens in einen Wirbelsturm -geraten ist und es sich nicht merken lassen will. -Und überall sahen wir im gedämpften Morgenlichte -Dörfer auftauchen, zahllose Dörfer, die kein Ende -nehmen wollten. Mit Stroh gedeckt, aus reinen, -neuen Rohrmatten aufgebaut, lagen sie dichtgedrängt -zwischen Palmengruppen und Bambusgräsern. In -Abständen von kaum dreihundert Metern kamen -immer neue dutzendweise zum Vorschein. Es war -eine mächtige, viele hundert Meilen lange und breite -Stadt, die aus lauter Dörfern bestand. Eine so ungeheure -Stadt habe ich noch nie gesehen, es gibt -keine zweite auf der ganzen Erde, und eine Einwohnerzahl -hat sie, wie ein europäisches Königreich. -Wir sahen diese Menschen auf beiden Seiten der -Eisenbahn und vor uns, soweit das Auge reichte -– eine endlose Menge nackter Gestalten. Meile -auf Meile flogen wir dahin, aber immer waren<span class="pagenum" id="Seite_209">[209]</span> -sie da, auf beiden Seiten und vor uns, die braunen -nackten Männer und Knaben, die auf den Feldern -ackerten und pflügten. Wir gewahrten kein einziges -Weib, kein Mädchen bei der Feldarbeit, während -der ganzen zweistündigen Fahrt.</p> - -<p>Wenn wir den armen Heiden die neueste Zivilisation -bringen, sollten wir zugleich die Gelegenheit -benützen, auch unsere Kultur durch einige ihrer -barbarischen Sitten zu bereichern. Das Recht hierzu -kann uns niemand bestreiten. Heben wir jene Völker -auf eine höhere Stufe, so sind wir auch befugt, -uns selbst mit ihrer Hilfe um neun oder zehn Grade -aufwärts zu bringen. Vor Jahren verlebte ich einige -Wochen in dem bayrischen Bade Tölz. Die Gegend -ist katholisch, und nicht einmal in Benares ist -die Bevölkerung so durch und durch religiös und so -eifrig in ihrer Frömmigkeit, das erkennt man auf -den ersten Blick. Damals schrieb ich in mein Tagebuch: -»Gestern machten wir eine wunderschöne Spazierfahrt -über Land; doch wurde mein Vergnügen -durch den Anblick ehrwürdiger Großmütter mit -grauen Haaren, die im Felde arbeiteten, sehr beeinträchtigt. -Siebzig- und achtzigjährige Frauen -mähten Korn, banden Garben oder luden das Heu -auf den Wagen.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_210">[210]</span></p> - -<p>An andern Orten in Bayern sah ich, wie Weiber -schwere mit Bierfässern beladene Karren zogen. In -Oesterreich fand ich oft eine Frau neben einer Kuh -an den Pflug gespannt, den ein Mann führte. Ich -sah ein altes gebücktes Weib, zusammen mit einem -Hunde angeschirrt, einen beladenen Schlitten über -gepflasterte und ungepflasterte Straßen ziehen, während -der Fuhrmann, ein kräftiger Mensch von kaum -dreißig Jahren, nebenher ging und seine Pfeife -rauchte. Auch die Wäscherinnen in Frankreich kann -ich nicht vergessen, die bei strömendem Regen und so -naßkaltem Wetter, daß man keinen Hund hinausjagen -würde, in ihrer gewöhnlichen Kleidung vor -meinen Hotelfenstern in der Rhone wuschen, bis -die Dunkelheit ihrer Arbeit ein Ende machte. Dann -kam ein starker Bursche – vielleicht der Enkel der -alten Großmutter – im sichern Schutz seines Regenschirms, -trocken und wohlbehalten auf einem Eselwagen -gefahren und befahl den Weibern in herrischem -Ton, die sechs schweren Körbe mit nasser Wäsche -aufzuladen, die ein Mann kaum von der Stelle -gebracht hätte. Die bis auf die Haut durchnäßten -Frauen gehorchten ohne Murren, und während der -Franzose vom Wagen stieg und ins Wirtshaus ging, -wo ich ihn später bei einer Flasche Wein sitzen<span class="pagenum" id="Seite_211">[211]</span> -sah, trabten sie geduldig heimwärts hinter dem -Karren drein.</p> - -<p>Doch ich kehre nach Indien zurück. Im Lauf -des Nachmittags näherten wir uns dem Gebirge. -Wir verließen den Hauptbahnzug und stiegen in -eine Zweigbahn, die aus kleinen mit Leinwand gedeckten -Wagen bestand, von denen jeder etwa für -zwölf Personen Platz hatte. Wurden die Vorhänge -aufgezogen, so saß man ganz im Freien, fühlte -sich äußerst behaglich, konnte die frische Luft einatmen -und sich nach allen Seiten umsehen. Es war -eine Vergnügungsfahrt, nicht nur dem Namen nach, -sondern in Wirklichkeit.</p> - -<p>Nach einer Weile hielten wir an einem kleinen -hölzernen Bahngebäude mitten im dichten Walde -unter großen Bäumen, Gebüsch und Schlingpflanzen -in der Nähe eines düstern Dschungels. Hier haust -der bengalische Königstiger in großer Menge und -benimmt sich sehr frech und rücksichtslos. Von der -einsamen kleinen Station wurde einmal folgende -Depesche an den Bahnhofsinspektor in Kalkutta abgesandt: -»Ein Tiger frißt eben den Bahnwärter -auf der vorderen Veranda. Telegraphieren Sie mir -Verhaltungsmaßregeln.«</p> - -<p>Ich ging dort zum erstenmal auf die Tigerjagd<span class="pagenum" id="Seite_212">[212]</span> -und tötete vierzehn Stück. Bald fuhren wir -weiter, und der Zug klomm den Berg hinauf. An -einer Stelle kamen sieben wilde Elefanten über die -Schienen, aber zwei von ihnen liefen davon, ehe -ich sie erreichen konnte. Die Fahrt im Gebirge -beträgt vierzig Meilen und dauert acht Stunden. -Sie sollte eine ganze Woche in Anspruch nehmen, -weil sie so interessant, aufregend, wild und entzückend -ist. Die tropische Vegetation war vollständig vertreten. -Ich glaube der Dschungel enthielt Exemplare -jeder seltenen oder merkwürdigen Baum- und -Buschart, von der wir jemals gehört haben. Aus -dieser Schatzkammer der Pflanzenwelt muß der ganze -Erdball mit allen Gewächsen versehen worden sein, -die für uns am köstlichsten und wertvollsten sind. -Es ist reizend, wie sich der Weg fortwährend dreht -und windet. Er führt bald unter hohen Felsenklippen -hin und her, die in Laubwerk und Schlingpflanzen -förmlich begraben sind, bald am Abhang -unergründlich tiefer Schluchten entlang. Dabei begegnet -man fort und fort endlosen Reihen malerisch -aussehender Eingeborener, welche Lasten den Berg -hinauftragen oder von ihrer Arbeit in den Teegärten -droben zurückkehren. Einmal trafen wir auch -auf einen Hochzeitszug im bunten Flitterstaat. Die<span class="pagenum" id="Seite_213">[213]</span> -hübsche, kindliche Braut guckte zwischen den Vorhängen -ihres Palankins heraus und zeigte ihr Gesicht -mit solchem Vergnügen, wie es nur junge und -glückliche Menschen empfinden, wenn sie etwas Verbotenes -tun.</p> - -<p>Wir kamen allmählich bis zu den Wolken hinauf -und schauten von unserer luftigen Höhe hernieder -auf ein wunderbares Bild: Von Wolkenschatten gefleckt, -mit glänzenden Strömen durchzogen, lag die -indische Ebene vollkommen flach, aber weich und -anmutig in der glühenden Hitze da. Gerade unter -uns, tiefer und immer tiefer, bis zum Tal hinab, -schob sich ein Gewirr kahler Bergspitzen durcheinander, -über welche sich Straßen und Pfade, gleich -mattgelben, schmalen Bändern, in zahllosen deutlich -erkennbaren Krümmungen und Windungen -schlängelten.</p> - -<p>Als wir die Höhe von 6000 Fuß erreichten, -umgab uns eine dichte Wolkenschicht, welche die übrige -Welt vor unsern Blicken derart verhüllte, daß sie -überhaupt nicht wieder zum Vorschein kam. Wir -klommen nun noch 1000 Fuß höher, dann senkte -sich der Weg und wir erreichten Dardschiling, das -6000 Fuß über der Ebene liegt.</p> - -<p>Auf unserer Fahrt hatten wir in vielen Gebirgsdörfern<span class="pagenum" id="Seite_214">[214]</span> -eine ganz neue Gattung Eingeborener -zu sehen bekommen, die größtenteils dem kriegerischen -Stamme der Ghurkas angehörten. Sie sind -nicht groß, aber stark gebaut und voll Tatkraft, -auch liefern sie die besten Soldaten unter den eingeborenen -britischen Truppen. Ihre Frauen kamen -uns scharenweise entgegen; sie kletterten den steilen -Weg vom Tal bis zu ihrer Wohnstätte in den Bergen -vierzig Meilen weit empor und hatten dabei -noch schwere Körbe auf dem Rücken, zu deren besserem -Halt sie ein Gurtband um die Stirn trugen. -Wieviele hundert Pfund die Last wog, will ich gar -nicht erst sagen; es würde mir doch niemand glauben. -Es waren noch junge Frauen, die unter ihrer -zentnerschweren Bürde so leicht einherschritten, als -ob sie zum Tanze gingen. Man sagte mir, eine -Frau könne ein Klavier auf dem Rücken den Berg -hinan tragen, und das hätten schon viele getan. Wären -es alte Frauen gewesen, so würde ich die Ghurkas -für ebenso unzivilisiert halten wie die Europäer.</p> - -<p>Am Bahnhof von Dardschiling warten auf den -Reisenden statt der Droschken eine Menge offener -Särge, in die man steigt, um sich von Männern -auf der Schulter die steilen Wege zur Stadt hinan -tragen zu lassen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_215">[215]</span></p> - -<p>Oben fanden wir ein ziemlich behagliches Hotel, -dessen Besitzer die Bequemlichkeit und Sorglosigkeit -selber war. Er überläßt die Wirtschaft dem Heer -seiner indischen Diener und kümmert sich um nichts. -Das heißt, nein – die Rechnung sieht er doch -durch, und der Fremde wird wohl daran tun, seinem -Beispiel zu folgen. Ein Bewohner des Hotels sagte -mir, daß der Gipfel des Kinchinjunga oft von Wolken -verhüllt wird, so daß die Fremden schon manchmal -drei Wochen lang gewartet haben und zuletzt doch -fortgehen mußten, ohne ihn zu Gesicht zu bekommen. -Trotzdem waren sie nicht enttäuscht, denn als man -ihnen die Hotelrechnung einhändigte, fanden sie diese -so hoch, daß sie überzeugt waren, es könne überhaupt -nichts Höheres auf dem Himalaja zu sehen -geben. Doch das halte ich für erlogen.</p> - -<p>Nach meiner Vorlesung ging ich noch abends in -das Klubhaus, wo es mir sehr gut gefiel. Wegen -seiner hohen Lage bietet es umfassende Aussicht; -man kann dreißig Meilen weit bis zur Grenze sehen, -wo drei oder vier Länder zusammenstoßen, Nepal -glaube ich und Tibet, die beiden andern weiß ich -nicht mehr.</p> - -<p>Am nächsten Morgen, es war Sonntag, kamen -Bekannte in aller Frühe mit Pferden, und unsere<span class="pagenum" id="Seite_216">[216]</span> -Gesellschaft unternahm einen Ritt nach dem Aussichtspunkt, -von wo sich Kinchinjunga und Mount -Everest am vorteilhaftesten darstellen. Ich zog jedoch -vor, zu Hause zu bleiben, denn ich fand es kalt, -und die Pferde waren mir so wie so fremd. Mit -ein paar wollenen Decken und meiner Pfeife saß ich -zwei Stunden lang am Fenster und sah wie die -Sonne die Morgennebel vertrieb, wie sie die Schneespitzen -eine nach der andern blaßrot und goldig -malte und zuletzt den ganzen mächtigen Gebirgsstock -in ein Meer der herrlichsten Farben tauchte.</p> - -<p>Der Kinchinjunga kam zwar nur dann und wann -zum Vorschein, doch hob er sich jedesmal mit großer -Klarheit gegen den Himmel ab. Er ragte 28 000 -Fuß über der Meeresfläche in das blaue Gewölbe -hinauf, meilenweit über mir, so hoch wie ich mein -Lebtag kein Land gesehen hatte. Mount Everest -ist noch 1000 Fuß höher, doch gehörte er nicht zu -dem Haufen von Bergspitzen, die sich da vor mir -auftürmten. Daß ich ihn nicht zu sehen bekam, machte -mir keinen Kummer; ein Berg von so übermäßiger -Höhe würde mir unangenehm gewesen sein.</p> - -<p>Von den Hinterfenstern des Hauses ging ich -dann nach der Vorderseite, wo ich den Rest des -Morgens damit verbrachte, die dunkelfarbigen Genossen<span class="pagenum" id="Seite_217">[217]</span> -der verschiedenen Stämme vorbeifluten zu -sehen, die aus ihren fernen Heimstätten im Himalaja -kamen.</p> - -<p>Jedes Alter und Geschlecht war vertreten und -die Rassen waren mir ganz neu, obwohl die Tibetaner -durch ihre Tracht an Chinesen erinnerten. -Daß die Gebetsmühle häufig in Anwendung kam, -brachte mir die Leute näher – ich fühlte mich ihnen -verwandt. Auch wir lassen uns oft beim Gebet -durch unsern Pfarrer vertreten; zwar wirbeln wir -ihn nicht um einen Stock herum, doch ist das kein -wesentlicher Unterschied. –</p> - -<p>Stundenlang sah ich den Strom an mir vorübereilen; -schade, daß das seltsame, fesselnde Bild -dort so gut wie verloren war. Hätte sich der bunte -Schwarm durch die Städte Europas oder Amerikas -ergossen, welches Labsal wäre es für die Menschen -gewesen, denen das ewige Einerlei der Zirkusvorstellungen -nicht mehr genügt. Was führte aber die -Eingeborenen in solcher Unmenge herbei? – Sie -hatten sich aufgemacht, um den Bazar zu besuchen, -wo sie Waren zum Verkauf ausbieten wollten. Später -nahmen wir diesen fremdartigen Kongreß wilder -Völkerschaften gleichfalls in Augenschein. Wir -drängten uns hier und da durch die Menge und<span class="pagenum" id="Seite_218">[218]</span> -kamen zu dem Schluß, daß es schon allein um dieses -Schauspiels willen der Mühe wert sein würde, von -Kalkutta herzureisen, selbst wenn es keinen Kinchinjunga -und Mount Everest auf der Welt gäbe.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap16">Sechzehntes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Es gibt zwei Zeiten des Lebens, in denen -der Mensch sich hüten sollte zu spekulieren: -wenn seine Mittel es ihm nicht erlauben, -und wenn sie es ihm erlauben.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Am Montag und Dienstag genossen wir bei -Sonnenaufgang eine mittelgute Aussicht auf die -großartige Gebirgslandschaft. Inzwischen hatten wir -uns erfrischt und abgekühlt, so daß wir uns stark -genug fühlten, es wieder mit der Hitze der unteren -Welt aufzunehmen.</p> - -<p>Wir fuhren mit dem gewöhnlichen Zug noch -die fünf Meilen bis zum höchsten Punkt hinauf, um -von da aus die 35 Meilen lange Rückfahrt anzutreten. -Wir bestiegen eine kleine sechssitzige, mit Leinwand -überspannte Draisine, welche die Größe eines Schlittens -hatte und so niedrig war, daß sie den Boden<span class="pagenum" id="Seite_219">[219]</span> -zu berühren schien. Eine Lokomotive oder sonstige -Triebkraft brauchte sie auf den abschüssigen Wegen -nicht, nur eine starke Bremse, um ihre Fahrgeschwindigkeit -zu mäßigen, und damit war sie versehen. -Man erzählte uns von einer Unglücksfahrt, -die der Generalleutnant von Bengalen einmal mit -solcher Draisine gemacht hat: Der Wagen war aus -den Schienen gekommen und hatte die Insassen in -den Abgrund geschleudert. Zwar ist die Geschichte -gänzlich erfunden, doch verfehlte sie ihre Wirkung -auf mich nicht, denn sie machte mich ängstlich. Ein -Mensch der Angst hat ist aber nicht schlafmützig, sondern -munter und aufgeweckt; seine Spannung bei -einem neuen und gewagten Unternehmen wird durch -die Furcht wesentlich erhöht. Daß ein Unfall leicht -möglich war, lag auf der Hand: ein kleiner Stein, -der aus Zufall auf die Schienen geriet oder in -böswilliger Absicht dorthin gelegt wurde, genügte, -um den Wagen an irgend einer scharfen Biegung -zu entgleisen und nach Indien hinunter zu befördern. -War auch der Generalleutnant der Gefahr -entgangen, so gab mir das noch keine Bürgschaft -dafür, daß ich ebensoviel Glück haben würde. Als -ich dastand und von meiner luftigen Höhe hinabsah -auf das indische Kaiserreich, das 7000 Fuß unter<span class="pagenum" id="Seite_220">[220]</span> -mir lag, kam es mir doch recht unangenehm und -halsbrecherisch vor, aus dem Wagen in eine solche -Tiefe geschleudert zu werden.</p> - -<p>Für mich war übrigens die Gefahr nicht groß. -Wenn uns Unglück drohte, so befiel es jedenfalls Mr. -Pugh, den Inspektor der indischen Polizei, unter -dessen Schutz wir von Kalkutta heraufgekommen -waren. Er hatte lange als Artillerieoffizier gedient, -war nicht so ängstlich wie ich, und wollte uns, mit -einem Ghurka und einem andern Eingeborenen, als -Lotse in einer Draisine vorausfahren. Sahen wir -seinen Wagen in den Abgrund stürzen, so brauchten -wir nur so rasch wie möglich zu bremsen und uns -nach einem andern Lotsen umzutun. Das war eine -höchst zweckmäßige Einrichtung. Auch daß Mr. Barnard, -der erste Ingenieur des Bergbezirks, die Leitung -unseres Wagens übernahm, diente mir zu -großer Beruhigung, denn er hatte die Fahrt schon -sehr oft gemacht.</p> - -<p>Anscheinend war alles sicher, nur <em class="gesperrt">ein</em> Punkt -blieb unentschieden: der fahrplanmäßige Zug sollte -unmittelbar nach unserm Wagen abgelassen werden -und konnte uns leicht über den Haufen rennen. Ich -war im stillen überzeugt, es würde geschehen.</p> - -<p>Vor uns fiel die Straße steil ab und wand sich<span class="pagenum" id="Seite_221">[221]</span> -dann wie ein Korkzieher, um Klippen und an Abgründen -entlang, tiefer und immer tiefer hinunter. -Eine steile Rutschbahn, die in endlosen Krümmungen -abwärts führt, hätte nicht ungemütlicher aussehen -können.</p> - -<p>Jetzt ließ Mr. Pugh seine Flagge wehen und -flog davon, wie der Pfeil vom Bogen, und ehe -ich noch Zeit hatte, aus dem Wagen zu springen, -fuhren wir ihm nach. Mich durchrieselte ein Schauer, -wie ich ihn ähnlich nur bei meiner allerersten Schlittenfahrt -von einem steilen Berggipfel empfunden -habe. Der Atem verging mir, aber doch war es -ein Gefühl himmlischer Lust, eine plötzliche ungeheuere -Aufregung, eine Mischung von Todesangst -und unaussprechlichem Entzücken, die für uns Menschen, -glaube ich, die höchste Wonne auf Erden ist.</p> - -<p>Wie eine Schwalbe im Flug über den Boden -schießt, so glitt der Lotsenwagen den Berg hinunter; -leicht, rasch und anmutig schwebte er auf den geraden -Strecken dahin und überwand spielend alle -Biegungen und Krümmungen. Wir jagten ihm nach -und flogen mit Blitzesschnelle an Vorgebirgen und -Klippen vorbei; zuweilen hatten wir ihn fast eingeholt -– wir hofften schon, es würde uns gelingen. -Aber der Lotse trieb nur seinen Scherz mit uns;<span class="pagenum" id="Seite_222">[222]</span> -kaum kamen wir ihm in die Nähe, so ließ er die -Bremse los, der Wagen tat einen Satz um die Ecke, -und wenn wir ihn ein paar Sekunden später wieder -zu Gesicht bekamen, sah er nicht größer als ein -Schubkarren aus, so weit war er entfernt. Auch -wir machten uns einen ähnlichen Spaß mit dem -Eisenbahnzug. Oft stiegen wir aus, um Blumen -zu pflücken oder am Abgrund sitzend die Aussicht zu -bewundern; dann hörten wir plötzlich ein dumpfes -Brüllen, das immer lauter wurde, und sahen den -Zug hinter und über uns in Schlangenwindungen -heranstürmen. Wir brauchten jedoch erst abzufahren, -wenn die Lokomotive dicht bei uns war – im Nu -blieb sie weit dahinten. Sie mußte bei jeder Station -Halt machen, und das gab uns immer wieder -einen Vorsprung. Unsere Bremsvorrichtung war -so ausgezeichnet, daß wir den Wagen auf dem -steilsten Abhang augenblicklich zum Stillstand -bringen konnten.</p> - -<p>Das wunderschöne Landschaftsbild bot die großartigste -Abwechslung, und wir hatten alle Muße -es zu betrachten, ohne daß uns der Zug dabei hinderlich -war. Brauchte er die Straße für sich, so bogen -wir rasch in ein anderes Geleise, ließen ihn vorbeifahren, -holten ihn dann später ein und stachen ihn<span class="pagenum" id="Seite_223">[223]</span> -unsererseits wieder aus. Einmal hielten wir an, -um den Gladstone-Felsen zu betrachten, auf dem -die Natur im Laufe der Jahrtausende ein sprechend -ähnliches Bildnis des ehrwürdigen englischen Staatsmannes -gemeißelt hat, das als Huldigung für ihn -gerade rechtzeitig fertig geworden ist.</p> - -<p>Wir sahen auch einen Banianen- oder Götzenbaum, -welcher von seinen sechzig Fuß hohen Zweigen -herab, säulenförmige Stützen zur Erde sandte; ganz -wie der große, spinnebeinige Banianenbaum mit -seiner Wildnis von Pflanzensäulen, den wir im botanischen -Garten zu Kalkutta bewundert hatten. Auch -ganz laublose Bäume fielen uns auf, deren zahllose -Aeste und Zweige von einer Unmenge feurig -leuchtender Schmetterlinge bedeckt schienen. Es waren -aber in Wirklichkeit Blüten, welche scharlachroten -Schmetterlingen täuschend ähnlich sahen.</p> - -<p>Als wir einige Meilen bergab gefahren waren, -machten wir Halt, um eine tibetanische Theatervorstellung -mit anzusehen, welche am Bergabhang -unter freiem Himmel stattfand. Die Zuhörerschaft -bestand aus Ghurkas, Tibetanern und andern absonderlichen -Leuten. Ebenso fremdartig wie das -Stück selbst, waren auch die Kostüme der Darsteller. -Sie traten einer nach dem andern vor und begannen<span class="pagenum" id="Seite_224">[224]</span> -sich mit ungeheuerer Kraft und Schnelligkeit -im Kreise zu drehen, was von den übrigen mit furchtbarem -Lärm und Getöse begleitet wurde. Zuletzt -wirbelte die ganze Truppe wie der Wind tanzend -und singend umher und wühlte den Staub auf. Es -war ein altes, berühmtes, geschichtliches Schauspiel, -das die Leute aufführten; ein Chinese erklärte es -mir auf Pidgin-Englisch, während es vor sich ging. -Das Stück war schon ohne die Erklärung unverständlich -genug, aber durch diese wurde sein Sinn erst -recht dunkel. Als Drama mochte das alte, historische -Kunstwerk wohl seine Mängel haben, aber betrachtete -man es als wilde, barbarische Darstellung, -so spottete es jeder Kritik.</p> - -<p>Weiter abwärts stiegen wir wieder aus, um -zu beobachten, welche merkwürdige Schleife die Bahn -hier macht. Als der Zug in die Kurve einbog, -sahen wir die Lokomotive unter der Brücke verschwinden -auf der wir standen, gleich darauf kam -sie wieder zum Vorschein und jagte ihrem eigenen -Schwanze nach; sie erreichte ihn, überholte ihn, lief -an den letzten Wagen vorbei und begann nun ein -Wettrennen mit dem hintern Ende des Zuges. Es -kam mir vor wie eine Schlange, die sich selber -auffrißt.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_225">[225]</span></p> - -<p>Auf halber Höhe des Berges hielten wir eine -Stunde Rast in Mr. Barnards Hause und nahmen -Erfrischungen ein. Während wir auf der Veranda -saßen und durch eine Lichtung des Waldes nach dem -fernen Gebirgspanorama hinüberblickten, hätten wir -fast gesehen, wie ein Leopard ein Kalb zerriß, (er -hatte es tags zuvor getan). Es ist eine wilde, reizende -Gegend. Ringsum in den Wäldern ertönte -Vogelgesang, auch ein paar Vögel, die mir damals -noch unbekannt waren, ließen ihr Lied erschallen: -der Gehirnteufel und der Kupferschmied. Der Gehirnteufel -fängt leise an zu singen, aber sein Ton -wird beständig lauter und lauter, er steigt in spiralförmigen -Windungen in die Höhe, immer schärfer, -immer schneidender, quälender, schmerzhafter, unleidlicher, -aufdringlicher, unerträglicher; zum Wahnsinn -treibend, bohrt er sich tiefer und tiefer in des -Hörers Kopf, bis zuletzt bei ihm eine Gehirnentzündung -eintritt, die den Tod zur Folge hat. Ich -bringe einige dieser Vögel mit nach Amerika, wo sie -ohne Zweifel großes Aufsehen erregen werden; man -glaubt, daß sie sich in unserm Klima so rasch vermehren -lassen, wie die Kaninchen.</p> - -<p>Der Gesang des Kupferschmieds klingt in gewisser -Entfernung wie Hammerschläge auf Granitgestein;<span class="pagenum" id="Seite_226">[226]</span> -geht man weiter, so nimmt das Hämmern -einen metallischen Klang an, man meint, der Vogel -bessere einen Kupferkessel aus. In noch größerer -Entfernung klingt es zwar auch laut und kräftig, -aber ganz als würden Fässer verspundet; merkwürdigerweise -tönt das Klopfen in nächster Nähe sanft -und melodisch, doch hört es gar nicht auf und wird -zuletzt so einförmig, daß man aus der Haut fahren -möchte; man fühlt sich unsäglich elend, der Kopf -schmerzt einem zum Zerspringen und man verliert -den Verstand. Auch diesen Vogel nehme ich mit -und will ihn bei uns einbürgern.</p> - -<p>Neu gestärkt stiegen wir wieder in die Draisine -und fuhren weiter den Berg hinunter; bald flogen -wir, bald machten wir Halt, bis wir die Ebene erreichten -und in den gewöhnlichen Personenzug nach -Kalkutta einstiegen. Das war der genußreichste Tag, -den ich auf Erden verlebt habe. Es gibt kein himmlischeres, -aufregenderes, entzückenderes Vergnügen, -als eine Fahrt in der Draisine vom Himalaja hinunter. -Nichts, gar nichts läßt der wonnevolle Ausflug -zu wünschen übrig, außer daß er statt fünfunddreißig -Meilen mindestens fünfhundert Meilen -lang sein möchte.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_227">[227]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap17">Siebzehntes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Gib deine Illusionen nicht auf. Hast du -sie verloren, so magst du zwar noch dein -Dasein fristen, aber <em class="gesperrt">leben</em> im eigentlichen -Sinne kannst du nicht mehr.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">So weit ich es beurteilen kann, hat sich der -Mensch mit der Natur um die Wette bemüht, Indien -zu dem merkwürdigsten Lande zu machen, welches -die Sonne bescheint. Unter all seinen Wundern -habe ich bis jetzt eines noch unerwähnt gelassen, -nämlich den großen Reichtum an blutgierigen Raubtieren, -den es besitzt.</p> - -<p>Seit vielen Jahren ist die britische Regierung -unausgesetzt bemüht gewesen, die gefährlichen wilden -Tiere in Indien auszurotten. Sie hat es sich große -Summen Geldes kosten lassen, doch kann man aus -den jährlich von ihr veröffentlichten Listen ersehen, -wie schwierig das Unternehmen ist.</p> - -<p>Diese amtlichen Berichte weisen eine ganz ähnliche -Gleichförmigkeit auf, wie die statistischen Angaben -über die Todesfälle und Todesarten in den -Hauptstädten der Welt. Man braucht sich nur mit<span class="pagenum" id="Seite_228">[228]</span> -der betreffenden Statistik der letzten Jahre vertraut -zu machen, um fast genau vorhersagen zu können, -wie viele Menschen in London, Paris oder New York -nächstes Jahr durch Selbstmord enden oder an der -Schwindsucht, dem Krebs, der Tollwut sterben, wie -viele aus dem Fenster fallen oder von Droschken -überfahren werden. So läßt sich auch im indischen -Reich mit Sicherheit aus den Verzeichnissen -früherer Jahre schließen, wie viele Leute durch Bären, -Wölfe oder Tiger im laufenden Jahre umkommen -oder wie viele dieser Bestien von der Regierung -erlegt werden. Ja man kann diese Zahlen mit -ziemlicher Genauigkeit auf fünf Jahre im voraus -berechnen.</p> - -<p>Mir liegt ein statistisches Verzeichnis aus sechs -aufeinander folgenden Jahren vor, aus dem sich -ergibt, daß der Tiger in Indien alljährlich 800 -und einige Personen tötet und die Regierung doppelt -so viele Tiger. In sechs Jahren hat der Tiger -5000 Menschen weniger 50 umgebracht und die Regierung -10 000 Tiger weniger 400.</p> - -<p>Der Wolf tötet etwa 700 Personen im Jahr, -und 5000 von seinem Stamme fallen dafür zum -Opfer; der Leopard bringt durchschnittlich 230 Leute -um, verliert aber 3300 Anverwandte, und dem<span class="pagenum" id="Seite_229">[229]</span> -Bären kosten die 100 Personen, die er im Jahre -tötet, 1250 seiner eigenen Familie.</p> - -<p>Den gewaltigsten Kampf mit dem Menschen -besteht jedoch der Elefant, der König des Dschungels; -er verliert jährlich vier von seiner Genossenschaft, -rächt sich aber durch den Tod von 45 Personen. -Tiere bringt der Elefant nur wenige um, vielleicht -100 in sechs Jahren, meist die Pferde der Jäger; -in demselben Zeitraum tötet der Tiger mehr als -84 000 Stück Vieh, der Leopard 100 000, der Bär -4000, der Wolf 70 000, die Hyäne mehr als 13 000, -andere Raubtiere 27 000 und die Schlangen 19 000, -was die großartige Gesamtsumme von 300 000 oder -durchschnittlich 50 000 Stück im Jahr ausmacht. – -Die Regierung vertilgt während der nämlichen Zeit -3 201 234 Raubtiere und Schlangen. Zehn für eins.</p> - -<p>Die Schlangen töten viel lieber Menschen als -Tiere, und es wimmelt in Indien von gefährlichen -Giftschlangen. Die schlimmste, die es überhaupt -gibt, ist die Kobra; gegen sie erscheint die Klapperschlange -als das harmloseste Geschöpf von der Welt. -Bei meinen statistischen Ermittelungen bin ich zu dem -Ergebnis gelangt, daß die Raubtiere in sechs Jahren -20 000 Personen töteten und die Schlangen 103 000. -In demselben Zeitraum vertilgt die Regierung<span class="pagenum" id="Seite_230">[230]</span> -1 073 546 Schlangen. Es bleiben noch immer genug -übrig.</p> - -<p>In Indien schwebt man beständig in Todesgefahr -und kommt oft nur knapp mit dem Leben -davon. In jenem Dschungel, wo ich so viele Elefanten -und sechzehn Tiger erlegt habe, wurde ich -von einer Kobra gebissen; die Wunde heilte jedoch -wieder, was alle Welt in Erstaunen setzte. So etwas -kommt in zehn Jahren höchstens einmal vor. Im -gewöhnlichen Lauf der Dinge wäre schon nach einer -Viertelstunde der Tod eingetreten.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Von Kalkutta aus verfolgten wir bei unserer -Fahrt durch Indien eine Art Zickzackweg in nordwestlicher -Richtung. Wir fuhren durch lange -Strecken, die wie ein einziger Garten aussahen: viele -Meilen weit war alles mit den schönen Blumen -bedeckt, aus deren Saft das Opium bereitet wird, -und bei Muzaffurpore gerieten wir mitten in die -Indigokultur. Eine Zweigbahn sollte uns in der -Nähe von Dinapore an den Ganges bringen, doch -sie hielt an jedem Dorfe an, ohne daß jemand einstieg -oder Fracht verladen wurde; überall schwatzten -die Eingeborenen wer weiß wie lange mit ihren -Freunden, die Zeit verstrich, und wir machten uns<span class="pagenum" id="Seite_231">[231]</span> -schon darauf gefaßt, statt sechs Stunden, eine Woche -unterwegs zu bleiben. Da beschlossen die englischen -Offiziere, diese Schneckenbahn in einen Schnellzug -umzuwandeln. Sie gaben dem Lokomotivführer eine -Rupie, und das Mittel half. Es ging nun wie der -Wind; der Zug machte neunzig Meilen in der -Stunde. Im Morgengrauen fuhren wir über den -Ganges und erreichten noch glücklich unsern Anschluß. -Bald waren wir wieder in Benares, und -nach einem vierundzwanzigstündigen Aufenthalt an -diesem merkwürdigen Hauptsitz der Frömmigkeit, setzten -wir unsere Reise nach Lucknow fort, wo die Engländer -während des indischen Aufstands im Jahre -1857 die großartigsten Beweise von Mut und Standhaftigkeit -gegeben haben, welche die britische Geschichte -jemals zu verzeichnen hatte.</p> - -<p>Die Hitze war unbeschreiblich, alles Gras auf -der weiten Ebene versengt und verdorrt von der -glühenden Sonne, der Boden mit gelblichem Staub -bedeckt, der in Wolken durch die Luft wirbelte. Aber -zu jener Schreckenszeit, als die Entsatztruppen nach -dem belagerten Lucknow marschierten, herrschte noch -eine ganz andere Temperatur – 138 Grad Fahrenheit -im Schatten.</p> - -<p>Es scheint jetzt eine ausgemachte Sache zu sein,<span class="pagenum" id="Seite_232">[232]</span> -daß eine der Hauptursachen des Aufstandes die Besitzergreifung -des Königreichs Oudh durch die Ostindische -Kompagnie war, eine Tat, welche Sir Henry -Lawrence »die größte Ungerechtigkeit« nennt, »die -je verübt worden ist«. – Schon im Frühling 1857 -machte sich ein aufrührerischer Geist in vielen eingeborenen -Regimentern bemerkbar, der mit jedem -Tag weiter um sich griff. Die jüngeren Offiziere -nahmen die Sache sehr ernst; sie hätten den Ungehorsam -gern sofort im Keime erstickt, doch fehlte -ihnen die nötige Machtbefugnis. Die höheren Militärs -waren meist bejahrte Männer, die längst nicht -mehr hätten im aktiven Dienst sein sollen. Sie -legten den etwaigen mißlichen Vorkommnissen wenig -Wert bei, da sie große Stücke auf die eingeborenen -Truppen hielten und nicht glaubten, daß diese sich -durch irgend welche Umstände zur Empörung treiben -lassen würden. Lächelnd hörten die Greise das unterirdische -Grollen des Vulkans, auf dem sie standen -und meinten, es habe nichts zu bedeuten.</p> - -<p>So hatten denn die Anstifter des Aufstandes -völlig freie Hand. Ungehindert zogen sie von einem -Lager zum andern, schilderten den eingeborenen Soldaten, -wie ungerecht die Bedrückung des Volks durch -die Engländer sei und fachten unversöhnlichen Groll<span class="pagenum" id="Seite_233">[233]</span> -und Rachedurst in allen Herzen an. Sie wurden -überdies in ihrem Vorhaben durch zweierlei sehr -wesentlich unterstützt: Zu Clives Zeiten waren die -eingeborenen Truppen nur ungeordnete, schlecht bewaffnete -Haufen gewesen, gegen welche die gutgeschulten -englischen Soldaten, trotz ihrer Minderzahl, -leichtes Spiel gehabt hatten. Jetzt bestand -fast die ganze britische Kriegsmacht aus eingeborenen -Regimentern, die wohlgeübt, trefflich bewehrt und -von den Briten selbst in der Kriegführung unterrichtet -waren; sie hatten alle Macht in Händen, denn -die wenigen englischen Bataillone, über welche Indien -verfügte, waren im ganzen Lande zerstreut. -Noch größeren Einfluß auf die unzufriedenen Gemüter -übte aber eine alte Prophezeiung, welche besagte, -daß genau hundert Jahre nach der Schlacht, -durch welche Clive das Reich gegründet hatte, die -Macht der Briten in Indien von den Eingeborenen -zerstört und ihrer Herrschaft ein Ende gemacht würde. -Die eingeborenen Truppen hatten im allgemeinen -eine heilsame Furcht vor den englischen Soldaten -und würden vielleicht allen Ueberredungskünsten der -Aufwiegler widerstanden haben, aber einer Prophezeiung -vermag kein Inder sein Ohr zu verschließen.</p> - -<p>Der indische Aufstand brach am 10. Mai 1857<span class="pagenum" id="Seite_234">[234]</span> -zu Mirat aus und hatte eine lange Reihe von Greueltaten -im Gefolge. Nana Sahibs Niedermetzelung der -wehrlosen Besatzung nach der Uebergabe von Cawnpore -fand im Juni statt, und dann begann die lange -Belagerung von Lucknow. England hat eine alte, -ruhmvolle Kriegsgeschichte hinter sich, aber in keinem -Abschnitt derselben erscheint es uns größer, als bei -der Unterwerfung des Aufstandes. Die Briten wurden -sozusagen im Schlafe überfallen; sie waren unvorbereitet -und zählten nur wenige Tausend in einem -Meer von feindlichen Völkerschaften. Monate mußten -vergehen, bis die Nachricht England erreichte und -Hilfe kam. Aber die tapfern Offiziere verloren keinen -Augenblick durch Zaudern und Schwanken. Mit -heldenhafter Entschlossenheit und Hingebung leisteten -sie Widerstand gegen die erdrückende Uebermacht und -führten den scheinbar völlig aussichtslosen Kampf -zum glänzenden Siege.</p> - -<p>Ich habe alle denkwürdigen Orte besucht, welche -damals Zeugen der entsetzlichsten Schreckensszenen -und des größten Heldenmutes gewesen sind; auch -das kostbare Denkmal über dem Brunnen in Cawnpore -habe ich gesehen, in welchen Nana Sahib die -verstümmelten Leichen der hingemordeten Frauen -und Kinder werfen ließ. Das Andenken an die<span class="pagenum" id="Seite_235">[235]</span> -furchtbaren Leiden und Großtaten jener Zeit wird -von den Nachkommen heilig gehalten und in treuer -Erinnerung bewahrt.</p> - -<p>In Agra und später in Dehli sahen wir viele -Forts, Moscheen und Grabmäler aus der Glanzzeit -der mohammedanischen Kaiserherrschaft, welche an -Größe, Pracht und Reichtum alles übertrafen, was -die übrige Welt in dieser Beziehung zu bieten vermag. -Die Kostbarkeit des Baumaterials und der Ausschmückung -machen sie zu Wunderwerken ersten Ranges. -Zum Glück hatte ich noch nicht viel darüber -gelesen und folglich auch meine Phantasie nicht übermäßig -erhitzt; ich konnte einen natürlichen und vernünftigen -Maßstab anlegen und mich durch den herrlichen -Anblick innerlich ergreifen, beglücken und -erheben lassen, ohne Trauer und Enttäuschung -zu empfinden.</p> - -<p>Ich will ihre Pracht und Schönheit nicht eingehend -beschreiben; nur von einem dieser weltbekannten -Bauwerke, dem berühmtesten von allen, dem -Tadsch Mahal bei Agra möchte ich noch ein Wort -sagen. Ich hatte mich im voraus viel zu viel mit -den verschiedenen literarischen Ergüssen über den -Tadsch beschäftigt. Jetzt sah ich ihn bei Tage und sah -ihn im Mondlicht, von nah und von ferne; ich<span class="pagenum" id="Seite_236">[236]</span> -wußte, daß er ein Weltwunder war und seinesgleichen -weder auf Erden hatte noch jemals haben -würde – aber <em class="gesperrt">mein</em> Tadsch war es nicht. Meinen -Tadsch hatte ich mir nach den Phantasiegebilden -einer Schar leicht erregbarer Literaten erbaut, und er -hatte sich so fest in meinem Kopfe eingenistet, daß -er durch nichts wieder herauszubringen war.</p> - -<p>Wie hatten mir diese Schriftsteller aber den -Tadsch geschildert? – Ich will nur einige Auszüge -wiedergeben: »Die innere Ausschmückung,« -heißt es, »besteht aus kostbaren Steinen, Achat, Jaspis -und dergleichen, mit denen jede vorspringende -Stelle geschmückt ist – in dekorativer Beziehung -steht der Tadsch einzig in der Welt da – er bildet -die Grenze, wo die Baukunst aufhört und die Juwelierarbeit -beginnt – der Tadsch besteht ganz aus -Marmor und Edelsteinen – er ist mit reicher Mosaikarbeit -aus Juwelen verziert, welche köstliche -Blumenmuster bildet – der Tadsch ist ein Kunstwerk -von vollendeter Schönheit – ein Mausoleum von -ungeheuerer Größe – ein Marmor-Wunder mit -Blumen aus Edelgestein u. s. w. –«</p> - -<p>Das ist alles wahr und richtig. Auch wissen -die Schriftsteller selbst recht gut, wie es gemeint ist, -denn sie kennen den Wert ihrer Worte. Der Leser<span class="pagenum" id="Seite_237">[237]</span> -aber faßt diese ganz anders auf. Er nimmt seine -Einbildungskraft zu Hilfe, und ehe er sich’s versieht, -erhebt sich vor seinen Blicken ein über und -über mit Juwelen bedeckter Tadsch, so hoch wie das -Matterhorn.</p> - -<p>Es ist mit solchen Beschreibungen ein eigenes -Ding; sie stimmen zwar mit der Wahrheit überein, -aber doch dienen die Worte meist nur dazu, die -Tatsachen zu verdunkeln.</p> - -<p>Als ich den Niagarafall zum erstenmal sah, -schaute ich gen Himmel, denn ich erwartete einen mindestens -sechzig Meilen breiten und sechs Meilen hohen -Wassersturz zu erblicken – ein Atlantischer Ozean -sollte sich meiner Meinung nach von einem Gipfel -so hoch wie der Himalaja ergießen. Als ich statt -dessen die kleine nasse Schürze gewahrte, die man -zum Trocknen aufgehängt hatte, überwältigte mich -die spielzeugartige Wirklichkeit dergestalt, daß ich -auf der Stelle in Ohnmacht fiel.</p> - -<p>Niemals hätte ich weder dem Niagara noch dem -Tadsch Mahal in die Nähe kommen sollen! Wäre -ich meilenweit fortgeblieben, so würde ich mir meinen -eigenen mächtigen Niagara, der vom Himmelsgewölbe -herabstürzt, unversehrt erhalten haben, und -mein Tadsch würde sich noch jetzt aus farbigen Nebelgebilden<span class="pagenum" id="Seite_238">[238]</span> -auf Regenbogen von Edelsteinen erbauen, -die auf Säulenhallen aus Mondschein ruhen. -Wer seiner Phantasie nicht Zaum und Zügel anlegen -kann, sollte niemals ausziehen, um eins der -berühmten Weltwunder mit Augen zu sehen. Seine -Vorstellung davon wird immer mindestens vierzigmal -besser und schöner sein als die Wirklichkeit.</p> - -<p>Vor vielen vielen Jahren habe ich mir in den -Kopf gesetzt, daß der Tadsch unter den Kunstschöpfungen -des Menschen, was Anmut, Schönheit, Glanz -und Pracht betrifft, genau denselben Platz einnimmt, -auf den unter den Schaustellungen der Natur der -Rauhreif ein Anrecht hat. Ich habe den Tadsch -niemals mit irgend einem Tempel oder Palast verglichen, -welchen Menschenhand erbaut hat, er war -für mich nichts mehr und nichts weniger als die -architektonische Verkörperung des Rauhreifs.</p> - -<p>Hier in London sprach ich neulich einmal voll -Begeisterung mit meinen englischen Freunden vom -amerikanischen Rauhreif; aber sonderbarerweise hatten -sie nie etwas davon gehört und verstanden mich -nicht. Ein Herr sagte, er habe den Rauhreif noch in -keinem Buch erwähnt gefunden. Das ist sehr sonderbar, -aber ich erinnere mich auch nicht, je etwas darüber -gelesen zu haben, während sich doch andere<span class="pagenum" id="Seite_239">[239]</span> -Naturerscheinungen – zum Beispiel die Färbung -des amerikanischen Herbstlaubs – der allgemeinsten -Aufmerksamkeit erfreuen.</p> - -<p>Und doch erregt der Rauhreif jedesmal bei uns -das größte Aufsehen. Wenn er kommt, fliegt die -Kunde durch das ganze Haus von Zimmer zu Zimmer, -und selbst der trägste Schläfer springt aus -dem Bette, um ans Fenster zu eilen. Meist tritt -er mitten im Winter ein und treibt sein Zauberwesen -bei nächtlicher Stille und Dunkelheit. Ein -feiner Sprühregen fällt viele Stunden lang auf die -kahlen Zweige und Aeste der Bäume und gefriert -daran fest. Bald ist der Stamm und das ganze -Geäst, ja selbst das kleinste Zweiglein mit einer Kruste -von klarem Eis überzogen, der Baum sieht aus wie -ein Skelett aus kristallhellem Glas. Ueberall hängen -Fransen von kleinen Eiszapfen herab, manchmal -auch nur runde Perlen, gleich gefrorenen -Tränen.</p> - -<p>In der Morgendämmerung hellt sich das Wetter -auf, die Luft ist frisch und rein, der Himmel wolkenlos, -es herrscht tiefe Stille, kein Windhauch erhebt -sich. Schnell ist die Nachricht verbreitet; Große und -Kleine kommen in Decken und Tücher gehüllt an das -Fenster gestürzt, wo sie dicht aneinander gedrängt<span class="pagenum" id="Seite_240">[240]</span> -regungslos verharren und schweigend die feenhafte -Erscheinung in den Anlagen betrachten. Alle wissen, -was jetzt kommen wird und warten auf das Wunder. -Man vernimmt keinen Laut, außer dem Ticken der -Wanduhr, und eine Minute nach der andern verrinnt. -Da schießt plötzlich die Sonne feurige Strahlen auf -jeden der Geisterbäume und verwandelt ihn in lauter -glitzernde funkelnde Diamanten. Die Zuschauer halten -den Atem an, die Augen werden ihnen feucht, -doch ihre Spannung läßt nicht nach – es kommt -noch mehr. Die Sonne steigt höher, sie überflutet -den Baum vom höchsten Gipfel bis zum niedrigsten -Ast mit einem weißen Strahlengewand, und dann -geschieht urplötzlich ohne jede Vorbereitung das Wunder -aller Wunder, das seinesgleichen nicht auf -Erden hat: ein Windstoß bewegt auf einmal die Aeste -und der ganze weiße Baum zerstäubt und sprüht -nach rechts und links und überallhin funkelnde Edelsteine -von allen nur denkbaren Farben. Wie er sich -rüttelt und schüttelt wirbeln blitzende Rubinen, Smaragde, -Diamanten und Saphire durch die Luft. -Es ist das glänzendste, köstlichste, blendendste, feenhafteste -Schauspiel, das man auf Erden haben kann -– eine Erscheinung von so göttlicher, berauschender -Schönheit und so unaussprechlichem, überirdischem<span class="pagenum" id="Seite_241">[241]</span> -Glanz, wie man sie außerhalb der Himmelstore -schwerlich wieder zu sehen bekommt.</p> - -<p>Warum hat denn kein Maler je versucht, den -Rauhreif auf die Leinwand zu zaubern? – Farben -und Pinsel müssen wohl außer stande sein, die Herrlichkeit -dieser sonnendurchglühten Juwelen naturgetreu -wiederzugeben. Eine größere Strahlenpracht -findet man nirgends im Reiche der Schöpfung; unter -den Menschenwerken aber läßt sich, nach meinem -Gefühl, nur der Tadsch Mahal mit der Schönheit -des Rauhreifs vergleichen.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap18">Achtzehntes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Nimm dir vor, an jedem Tage etwas zu -tun, wozu du keine Lust hast. Dann wird -dir die Erfüllung deiner Pflichten bald keine -Last mehr sein.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Wir wanderten nun zufriedenen Sinnes weiter -durch das indische Land. In Lahore lieh mir -der Vizestatthalter einen Elefanten. Eine so großartige -Aufmerksamkeit hatte mir noch niemand erwiesen, -und da es ein schönes, wohlerzogenes, leutseliges<span class="pagenum" id="Seite_242">[242]</span> -Tier war, fürchtete ich mich auch nicht vor -ihm. Ich ritt sogar ganz zuversichtlich durch die -engen Gassen im Stadtteil der Eingeborenen, wo -alle Pferde beim Anblick meines Elefanten vor -Schrecken scheu wurden, und die Kinder ihm fortwährend -vor die Füße kamen. Er schritt mit mir -majestätisch mitten auf der Straße einher und zwang -alle Welt ihm auszuweichen oder sich die Folgen -selbst zuzuschreiben. Ich glaube, mit der Zeit würde -ich einen Ritt auf dem Elefanten jeder Beförderungsart -vorziehen. Wer auf seinem Rücken thront, dem -braucht vor keinem Zusammenstoß zu bangen, wie -gewöhnlich beim Reiten oder Fahren. Auf dem -hohen Platz genießt man das Bewußtsein großer -Würde und eine wunderschöne Aussicht ins Weite; -man kann aber auch allen Leuten in die Fenster -sehen und wissen, was sie in ihren Familien treiben.</p> - -<p>Wir fuhren bis nach Rawal Pindi an der afghanischen -Grenze und dann wieder zurück nach Dehli, -um die alten wundervollen Bauwerke in Augenschein -zu nehmen, ohne sie zu beschreiben. Wir -suchten auch den Schauplatz des tollkühnen Angriffs -auf, durch den die Briten beim indischen Aufstand -Dehli mit Sturm nahmen und sich unsterblichen -Ruhm erwarben. In dem Hause, wo damals das<span class="pagenum" id="Seite_243">[243]</span> -Hauptquartier des englischen Generals war, fanden -wir gastliche Aufnahme und konnten uns von allen -Reiseanstrengungen ausruhen. Die Besitzung gehörte -jetzt einem Engländer, der so gänzlich zum -Orientalen geworden war, daß er sogar einen Harem -hatte. Ein weitherziger Mann, wie es wenige gibt: -für seinen Harem hat er eine Moschee gebaut und -für sich eine englische Kirche. Sein historisch interessantes -Wohnhaus steht in einem großen Garten -und ist von stattlichen Bäumen umgeben, in denen -Affen hausen. Die Affen sind unverschämt und unternehmungslustig, -sie kennen keine Furcht, überfallen -das Haus bei jeder Gelegenheit und schleppen alles -fort, was ihnen in die Hände fällt – lauter Dinge, -die sie nicht brauchen können. Eines Morgens, als -der Hausherr sein Bad nahm, war das Fenster offen -geblieben, und auf dem Sims stand ein Topf mit -gelber Farbe, in welchem der Pinsel steckte. Ein -paar Affen zeigten sich am Fenster, und um sie zu -verscheuchen warf der Herr seinen Schwamm nach -ihnen. Statt zu erschrecken kamen sie ins Zimmer -gesprungen, bespritzten ihn über und über mit dem -Farbenpinsel und jagten ihn hinaus. Darauf strichen -sie die Wände, den Fußboden, den Wasserbehälter, die -Fenster und Möbel gelb an; sie wollten eben auch<span class="pagenum" id="Seite_244">[244]</span> -noch das Ankleidezimmer auf gleiche Weise malen, -als die Diener herbeikamen und sie vertrieben.</p> - -<p>Zwei dieser ungezogenen Gesellen stahlen sich -morgens früh in mein Zimmer durch ein Fenster, -dessen Läden ich nicht geschlossen hatte. Als ich -aufwachte, sah ich den einen vor dem Spiegel stehen -und sein Haar bürsten, während der andere sich -meines Taschenbuchs bemächtigt hatte, die humoristischen -Notizen las – und weinte. Der Affe mit -der Haarbürste kümmerte mich nicht, aber das Benehmen -des andern kränkte mich tief; es kränkt -mich heute noch. Ich warf meinen Schuh nach ihm -– das hätte ich nicht tun sollen, denn unser Wirt -hatte mir gesagt, man dürfe sich nie mit den Affen -einlassen. Aus Rache bombardierten sie mich nun -mit allen Sachen, die sie aufheben konnten, dann -wollten sie noch mehr aus dem Badezimmer holen, -aber ich warf rasch die Tür hinter ihnen ins Schloß.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Zu Jeypore in Rajputana machten wir einen -längeren Aufenthalt. Wir wohnten dort in der kleinen -Vorstadt der europäischen Beamten, welche einige -Meilen von der Hindustadt entfernt liegt. Es waren -überhaupt nur vierzehn Europäer da und wir fühlten -uns ganz wie zu Hause.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_245">[245]</span></p> - -<p>Der indische Diener ist in mancher Beziehung -ein wahrer Schatz, nur muß man ihn beaufsichtigen, -und das tun die Engländer. Wenn sie ihn -ausschicken um eine Besorgung zu machen, genügt -ihnen nicht, daß der Mann sagt, er hätte den Auftrag -erfüllt. Schickte man uns Obst oder Gemüse, so -kam immer eine Quittung mit, die wir unterzeichnen -mußten, sonst hätten die Eßwaren vielleicht -nicht den Ort ihrer Bestimmung erreicht. Stellte uns -ein Herr seinen Wagen zur Verfügung, so stand auf -dem Papier von dann und dann, bis dann und dann -– so daß der Kutscher und seine zwei oder drei -Untergebenen uns nicht mit einem Teil der festgesetzten -Zeit abspeisen konnten, um sich selbst mit dem -Rest eine lustige Stunde zu machen.</p> - -<p>Wir wohnten sehr angenehm in unserm zweistöckigen -Gasthaus mit dem großen Hof, den eine -mannshohe Lehmmauer umgab. Die Gasthofsbesitzer, -neun Hindubrüder, waren mit ihren Familien -in einem einstöckigen Gebäude einquartiert, das -auf einer Seite des Hofes lag; die Veranda sah -man stets von Scharen hübscher brauner Kinder -besetzt, zwischen denen mehrere Väter eingekeilt -saßen und ihre Huka rauchten. Neben der Veranda -stand ein Palmbaum, auf dem ein Affe sein einsames<span class="pagenum" id="Seite_246">[246]</span> -Leben führte; er sah immer traurig und schwermütig -aus und die Krähen plagten ihn sehr.</p> - -<p>Daß die Kuh frei umherlief gab dem Hof ein -ländliches Ansehen; auch ein Hund war da, der stets -in der Sonne lag und schlief, so daß er den allgemeinen -Eindruck von Ruhe und Stille verstärken -half, wenn die Krähen einmal durch Abwesenheit -glänzten. Diener in weißen, faltigen Gewändern -gingen zwar fortwährend ab und zu, aber sie glitten -nur wie Gespenster lautlos auf ihren nackten Füßen -vorüber. Ein Stück die Gasse hinunter hauste ein -Elefant unter einem hohen Baum. Er wiegte sich -hin und her und streckte den Rüssel aus; bald bettelte -er um Speise bei seiner braunen Herrin, bald -schäkerte er mit den Kindern, die zu seinen Füßen -spielten. Auch Kamele waren in der Nähe, aber sie -gehen auf sammetweichen Sohlen und paßten ganz -zu der friedlichen Heiterkeit der Umgebung.</p> - -<p>Nur eines machte mich unglücklich: Wir hatten -unsern Satan verloren; er war zu meinem tiefsten -Kummer kürzlich von uns geschieden und meine -Trauer um ihn war groß. Noch jetzt, nach vielen -Monaten, vermisse ich ihn schmerzlich. Nie werde -ich vergessen, wie er alles im Umsehen fertig brachte, -er flog nur so von einem Geschäft zum andern.<span class="pagenum" id="Seite_247">[247]</span> -Zwar machte er es nicht immer recht, aber <em class="gesperrt">gemacht</em> -wurde es jedenfalls und zwar urplötzlich, ohne Zeitverlust. -Man sagte ihm zum Beispiel: »Packe die -Koffer und Handtaschen, Satan!«</p> - -<p>»Ja, Herr!«</p> - -<p>Dann entstand rasch ein Klopfen und Hämmern, -ein Sausen und Brausen – Kleider, Jacken, Röcke -und Stiefel wirbelten eine Zeitlang durch die Luft, -und schon im nächsten Augenblick berührte Satan -seine Stirn und verbeugte sich:</p> - -<p>»Alles fertig, Herr!«</p> - -<p>Es war unglaublich; mir wurde ordentlich -schwindlig davon. Zwar zerknitterte er die Kleider -sehr und hatte anfänglich keinen andern Plan bei -der Arbeit, als jedes Ding in den falschen Koffer -zu tun. Aber darin besserte er sich bald, obgleich er -es sich nie ganz abgewöhnte. Noch bis zuletzt pflegte -er in die der Literatur geheiligte Reisetasche allen -Kram hineinzupfropfen, für den sich sonst kein bequemer -Platz fand. Verbot man ihm das bei Todesstrafe, -so geriet er nicht im geringsten aus der Fassung; -er machte ein freundliches Gesicht, sagte: »Ja, -Herr!« und tat es schon am nächsten Tage wieder.</p> - -<p>Satan war immer geschäftig; rechtzeitig waren -die Zimmer aufgeräumt, die Stiefel glänzend gewichst,<span class="pagenum" id="Seite_248">[248]</span> -die Kleider gebürstet, die Waschschalen mit -reinem Wasser gefüllt. Schon eine Stunde, ehe ich -meinen Gesellschaftsanzug zur Vorlesung brauchte, -lag alles für mich bereit und Satan kleidete mich -von Kopf bis zu Fuß an, trotz meines festen Vorsatzes -dies selbst zu tun, wie ich es mein Lebenlang -gewohnt gewesen war.</p> - -<p>Er schien zum Herrschen geboren und tat nichts -lieber als mit Untergebenen zu streiten, sie herunterzumachen -und zu überschreien. Am meisten in seinem -Element war er auf der Eisenbahn. Durch die dichteste -Masse der Eingeborenen stieß und drängte er -sich, bis der Weg für ihn und die neunzehn Kulis -in seinem Gefolge frei war; jeder von ihnen trug -irgend ein kleines Gepäckstück, einen Handkoffer, Sonnenschirm, -Schal, Fächer oder dergleichen, keiner -mehr als einen Gegenstand, und je länger der Zug, -um so zufriedener war mein Satan. Meist steuerte -er auf irgend einen bestellten Schlafwagen los, verschwor -sich hoch und teuer, daß er uns gehöre und -fing an des Besitzers Sachen hinauszubefördern. War -unser eigener Wagen gefunden, so hatte er in zwei -Minuten die Bündel aufgeschnallt, die Betten gemacht -und alles zurecht gelegt; dann steckte er den -Kopf zum Fenster hinaus und verschaffte sich den<span class="pagenum" id="Seite_249">[249]</span> -köstlichen Genuß, auf seine Bande Kulis zu schimpfen -und mit ihnen nach Herzenslust über die Bezahlung -zu streiten, bis wir ankamen, dem Lärm ein Ende -machten und ihm befahlen, die Leute zu befriedigen.</p> - -<p>Ich glaube, der kleine schwarze Teufel war der -größte Krakeeler in ganz Indien, und das will viel -sagen. Mir persönlich war sein Lärmen sehr angenehm, -aber die Meinigen gerieten oft ganz außer sich -darüber. Sie konnten sich nicht daran gewöhnen und -fanden es unleidlich; es verstieß gegen alle ihre Begriffe -von Wohlanständigkeit. Wenn wir noch sechshundert -Meter weit von einem der großen Bahnhöfe -waren, hörten wir oft einen wahren Heidenlärm, -ein gellendes Geschrei und Gekreisch, ein Poltern und -Wüten. Ich ergötzte mich dann sehr über den Höllenspektakel, -aber meine Familie sagte voll tiefer -Beschämung:</p> - -<p>»Da kannst du’s wieder hören – das ist Satan! -Weshalb gibst du ihm nicht seinen Laufpaß?«</p> - -<p>Und richtig – mitten in dem riesigen Menschengewühl -stand der kleine schwarze Knirps und zappelte -an allen Gliedern, wie eine Spinne, die Bauchgrimmen -hat. Seine schwarzen Augen blitzten, die -Troddel auf seinem Fez tanzte in der Luft und sein -Mund strömte ganze Fluten von Schelt- und<span class="pagenum" id="Seite_250">[250]</span> -Schimpfwörtern über die erstaunten Kulis aus, -die um ihren Lohn bettelten.</p> - -<p>Ich war ganz verliebt in ihn, das leugne ich -nicht; aber meine Angehörigen konnten kaum mehr -von ihm sprechen ohne sich aufzuregen. Noch heutigen -Tages bin ich untröstlich über seinen Verlust -und wünsche ihn mir zurück, während bei ihnen das -gerade Gegenteil stattfindet. Er war aus Surat -gebürtig; zwischen seiner Vaterstadt und Manuels -Geburtsort lagen zwanzig Breitegrade, aber der Abstand -zwischen ihren Charakteren, ihrer beiderseitigen -Gemütsart und Handlungsweise war noch unendlich -viel größer. Manuel hatte ich gern; aber -meinen Satan liebte ich. Sein wirklicher Name war -so recht indisch, daß ich ihn nie recht begriffen habe, -er klang wie Bunder Rao Ram Chunder Clam Chowder; -für den Alltagsgebrauch war eine Abkürzung -entschieden bequemer.</p> - -<p>Als er etwa zwei oder drei Wochen bei uns -war, fing er an allerlei Mißgriffe zu begehen, die -ich nur mit Mühe wieder gutmachen konnte. In der -Nähe von Benares stieg er zum Beispiel auf einer -Station aus, um zu sehen, ob er nicht mit irgend -jemand Streit anfangen könnte. Nach der langen, -ermüdenden Fahrt bedurfte er einer Erholung. Er<span class="pagenum" id="Seite_251">[251]</span> -fand auch was er suchte, setzte jedoch sein Spektakeln -etwas zu lange fort, und der Zug fuhr ohne ihn -ab. Da waren wir nun in der fremden Stadt und -hatten kein Zimmermädchen – eine große Unbequemlichkeit! -Wir sagten ihm, das dürfe nicht wieder -vorkommen, worauf er sich verbeugte und »Ja, -Herr!« sagte, so lieb und freundlich wie immer.</p> - -<p>In Lucknow beging er den großen Irrtum sich -zu betrinken. Ich sagte, der arme Mensch hätte das -Fieber bekommen, und die Meinigen gaben ihm aus -Mitgefühl und Besorgnis ein Chininpulver ein, das -ihm wie Feuer in den Eingeweiden brannte. Die -Gesichter, welche er dabei schnitt, brachten mir einen -bessern Begriff vom Erdbeben in Lissabon bei, als -alle Gemälde und Beschreibungen dieses Naturereignisses. -Auch am nächsten Morgen war sein Rausch -noch nicht verflogen, doch hätte ich der Familie seinen -Zustand gewiß verbergen können, wäre er nur zu -bewegen gewesen, noch ein Chininpulver einzunehmen. -Aber obgleich er nicht recht bei Sinnen war, -kam ihm doch dann und wann wieder ein lichter -Augenblick. Er machte einen ungeschickten Versuch -sich zu verbeugen und lallte mit unbeschreiblich dummem -Lächeln: »Bitte nicht, Mem Saheb, bitte nicht, -Missy Saheb, kein Pulver für Satan, bitte.«</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_252">[252]</span></p> - -<p>Eine innere Stimme verriet ihnen, daß er betrunken -sei, und nun wurde ihm aufs bestimmteste -angekündigt, man werde ihn augenblicklich entlassen, -falls so etwas wieder vorkäme. »Bitte, bitte«, -murmelte er in rührselig weinerlichem Ton unter -vielen Verbeugungen.</p> - -<p>Es verging kaum eine Woche, da hatte sich der -Unglücksmensch schon wieder betrunken und diesmal, -o Jammer, nicht im Hotel, sondern im Privathause -eines englischen Herrn und obendrein in Agra! Also -mußte er fort. Als ich es ihm ankündigte, sagte er -demutsvoll: »Ja, Herr!« machte seine Abschiedsverbeugung -und verließ uns auf Nimmerwiederkehr. -Gott weiß, ich hätte lieber hundert Engel hergegeben -als diesen einen reizenden Teufel. Wie vornehm -sah er aus, wenn er in einem feinen Hotel oder -Privathaus Staat machen wollte! Er war dann -vom Kopf bis zu den nackten Füßen ganz in schneeweißen -Musselin gekleidet, hatte einen feuerroten, -mit Goldfaden gestickten Gürtel um die Hüften, und -auf dem Haupt einen seegrünen Turban, wie ihn -nur der Großtürke trägt.</p> - -<p>Ein Lügner war er nicht; doch wird er wohl -mit der Zeit einer werden. Einmal sagte er mir: -als Knabe hätte er die Kokosnüsse immer mit den<span class="pagenum" id="Seite_253">[253]</span> -Zähnen aufgebissen. Als ich ihn fragte, wie er sie -habe in den Mund stecken können, antwortete er, damals -sei er sechs Fuß hoch gewesen und habe einen -ungewöhnlich großen Mund gehabt. Um ihn in -die Enge zu treiben, erkundigte ich mich, wie ihm -denn der sechste Fuß abhanden gekommen wäre, worauf -er erwiderte, ein Haus sei auf ihn gefallen -und er habe seitdem seine frühere Statur nie wieder -erlangen können. – Wenn ein sonst wahrheitsliebender -Mensch sich einmal derartige Abschweifungen -von dem wirklichen Sachverhalt gestattet, gerät -er leicht immer tiefer in die Unwahrheit hinein, bis -er schließlich zum Lügner wird.</p> - -<p>Satans Nachfolger war ein Moslemin – Sahadat -Mohammed Khan, ein sehr dunkler, sehr großer -und sehr ernster Mann. Er trug lange faltige weiße -Gewänder, schlich geräuschlos umher, sah aus wie -ein Gespenst und sprach mit leiser Stimme. Wir -waren mit ihm zufrieden, denn er tat seine Pflicht, -aber wo <em class="gesperrt">er</em> schaltete und waltete schien die ganze -Woche über Sonntag zu sein. Das war zu Satans -Zeit anders gewesen.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Jeypore ist eine ganz indische Stadt, zeichnet -sich aber durch mancherlei Einrichtungen aus, die<span class="pagenum" id="Seite_254">[254]</span> -es der europäischen Wissenschaft und dem europäischen -Interesse für das Gemeinwohl verdankt. Ich -erwähne nur eine reichliche Wasserversorgung durch -Leitungen, welche auf Staatskosten angelegt sind; -allerlei hygienische Vorkehrungen, die Jeypore zu -einem für indische Verhältnisse ungewöhnlich gesunden -Orte machen; einen herrlichen Lustgarten, wo der -Eintritt an bestimmten Tagen nur den Frauen gestattet -ist; Schulen, in denen die eingeborene Jugend -in allen schönen und nützlichen Künsten unterwiesen -wird, sowie einen neuen, prächtigen Palast, der ein -höchst wertvolles und interessantes Museum enthält. -Wenn der Maharaja kein Verständnis für solche -wohltätige Einrichtungen hätte und sie nicht mit -Geldmitteln unterstützte, würden sie nicht bestehen -können; aber <em class="gesperrt">er</em> gilt für einen aufgeklärten und großmütigen -Mann, der jedem Fortschritt zugänglich ist.</p> - -<p>Die Bauart von Jeypore ist höchst eigentümlich; -es liegt innerhalb einer hohen mit Türmen besetzten -Mauer und wird durch vollkommen gerade, über -hundert Fuß breite Straßen in sechs Teile geteilt. -Die lange Front der Häuser zeigt viele sehr anziehende -architektonische Eigenheiten; kleine malerische -Altane mit Säulen und mancherlei Zieraten -unterbrechen überall die Einförmigkeit der geraden<span class="pagenum" id="Seite_255">[255]</span> -Linie; lauschige Nischen, Simse und vorspringende -Erker fallen bald hier bald da ins Auge; auch sieht -man an manchen Häusern merkwürdige Malereien, -und das Ganze hat eine Färbung von schönem, zartem -Rosa, wie Erdbeereis. Wer die breite Hauptstraße -hinunterblickt, kann sich kaum vorstellen, daß -sie aus wirklichen Gebäuden besteht. Man hat den -Eindruck, als sähe man ein Gemälde oder Theaterkulissen.</p> - -<p>Diese Illusion war besonders stark an einem -großen Tage, den wir in Jeypore erlebten: Ein -reicher Hindu hatte auf seine Kosten eine Menge -Götzenbilder anfertigen lassen, die um zehn Uhr -morgens in feierlichem Zuge durch die Stadt gefahren -wurden. Die langen Reihen der Dächer, -die zahllosen Balkone, die phantastischen Vogelkäfige -und behaglichen kleinen Nestchen an der Vorderseite -der Häuser, waren dicht mit Eingeborenen besetzt. -Jede dieser Gruppen bildete eine feste Masse, die in -den glänzendsten Farben strahlend, sich prächtig gegen -den blauen Himmel abhob und von der Sonne Indiens -in ein feuriges Flammenmeer verwandelt -wurde. Auch die breite Straße selbst war, so weit -das Auge reichte, mit bunt geschmückten Menschen angefüllt, -die alle durcheinander wimmelten, sich hierher<span class="pagenum" id="Seite_256">[256]</span> -und dorthin wälzten, sich bald vom Strom vorwärts -treiben, bald im Kreise drehen ließen. Und -dabei diese wundervollen Farben! Von den zartesten, -blassesten, weichsten Schattierungen, bis zu den stärksten, -lebhaftesten, grellsten und glänzendsten Tönen, -als käme ein Riesenschwarm bunter Wickenblüten -auf den Flügeln der Windsbraut einhergestürmt. -Plötzlich teilte sich dieses Farbenmeer, um den majestätischen -Zug der Elefanten durchzulassen, die mit -ihrem prächtigsten Schmuck angetan, schwankenden -Schrittes daherkamen, gefolgt von langen Reihen -phantastischer Wagen und Karren, welche die verschiedenen -Gruppen der ebenso seltsamen wie kostbaren -Götzenbilder trugen. Den Schluß bildete der -zahlreiche Nachtrab stattlicher Kamele mit ihren malerisch -gekleideten Reitern.</p> - -<p>Alles war so neu und fremdartig, so unbeschreiblich -eindrucksvoll und farbenprächtig, daß wir uns -von dem fesselnden Anblick kaum loszureißen vermochten. -Es war der sinnenberückendste Aufzug, -den ich je gesehen habe, und etwas Aehnliches zu -erblicken, wird mir schwerlich noch einmal im Leben -zu teil werden.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_257">[257]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap19">Neunzehntes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p> -Katzen haben ein zähes Leben,<br /> -Lügen ein noch viel zäheres. -</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Ende März segelten wir von Kalkutta ab, hielten -uns einen Tag in Madras, drei Tage in Ceylon -auf und fuhren dann westwärts, nach der Insel -Mauritius.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">Aus dem Tagebuch, 7. April.</em> – Wir -sind jetzt weit draußen auf der glatten Wasserwüste -des Indischen Ozeans. Unter dem großen Leinwandzelt -sitzt sich’s behaglich und friedlich im Schatten; -wir führen ein Leben, das ganz ideal genannt -werden kann.</p> - -<p>Unser Kapitän hat die Eigentümlichkeit, daß -die Wahrheit in seinem Munde immer unglaubwürdig -klingt, während ein ernster Schotte an unserer -Tafel jede Lüge, die er vorbringt, wahrscheinlich -zu machen weiß. Tut der Kapitän eine Aeußerung, -so sehen sich die Zuhörer fragend an, jeder denkt: -»Ist das auch wahr?« Stellt der Schotte eine Behauptung -auf, so liest man in allen Blicken: »Wie -interessant, wie merkwürdig!« Diese Tatsache läßt -sich nur aus der verschiedenen Art und Weise beider<span class="pagenum" id="Seite_258">[258]</span> -Männer erklären. Der Kapitän trägt aus Schüchternheit -und Mangel an Selbstvertrauen, bei den -einfachsten Angaben, die er macht, eine ängstliche -Miene zur Schau. Der Schotte sagt die offenkundigsten -Lügen mit einem Schein strengster Wahrhaftigkeit, -so daß man, selbst gegen besseres Wissen, -gezwungen ist ihm zu glauben.</p> - -<p>Einmal erzählte uns der Schotte, er habe sich -im Springbrunnen seines Gewächshauses einen zahmen -fliegenden Fisch gehalten, der selbst für seinen -Unterhalt sorgte, und sich in den umliegenden Feldern, -Vögel, Frösche und Ratten zur Nahrung fing. -Man sah deutlich, daß keiner der Tischgäste an dieser -Geschichte zweifelte.</p> - -<p>Als dann später von Zollbelästigungen die Rede -war, und der Kapitän berichtete, wie es ihm einmal in -Neapel ergangen sei, tat er es mit so unsicherem -Wesen, daß niemand seinen Worten Glauben schenkte.</p> - -<p>Er sagte: »Der Beamte fragte mich mehrmals, -ob ich etwas Verzollbares bei mir hätte und sah -mich sehr zweifelnd an, als ich es verneinte. Nun -forderte mich ein Passagier auf, zum Abschied ein -Glas Wein mit ihm zu trinken, was ich jedoch mit -dem Bemerken ausschlug, ich hätte soeben an Bord -einen Schluck Cognac genommen. Das hörte der Beamte<span class="pagenum" id="Seite_259">[259]</span> -und ließ sich einen Sixpence Zollgebühren für -den Cognac bezahlen, ferner fünf Pfund Sterling -als Strafe für undeklarierte Ware, fünf Pfund wegen -falscher Angabe, daß ich nichts Verzollbares hätte, -fünf Pfund, weil die Ware verborgen worden sei -und fünf Pfund wegen unerlaubten Schmuggels. -Alles in allem fünfundsechzig Pfund und Sixpence -für solche Kleinigkeit.«</p> - -<p>Ich bin überzeugt, der Schotte sagt lauter Lügen -und man glaubt ihm alles, während der Kapitän, -so viel ich weiß, immer die Wahrheit spricht und -doch für einen Lügner gehalten wird. Das ist fast -so merkwürdig wie die Erfahrung, welche ich selbst -als Schriftsteller in dieser Beziehung gemacht habe: -ich konnte nie eine Lüge sagen, welche Zweifel erregte, -noch eine Wahrheit, der jemand Glauben schenkte.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">10. April.</em> – Die See ist blau wie das Mittelmeer, -und das ist wohl eine der himmlischsten -Farben, welche die Natur besitzt. –</p> - -<p>Wie wunderbar ist doch die verschwenderische -Großmut, mit welcher die Natur ihre Geschöpfe bedacht -hat! Das heißt, alle, mit Ausnahme des -Menschen. Für die, welche fliegen, hat sie ein Haus -gebaut, das vierzig Meilen hoch ist, den ganzen<span class="pagenum" id="Seite_260">[260]</span> -Erdball umgibt und ihnen kein Hindernis bietet. -Denen, welche schwimmen, weist sie ein Gebiet an, -wie es kein Kaiser besitzt, ein Gebiet, das vier Fünftel -der Erde bedeckt und meilenweit in die Tiefe geht. -Den Menschen dagegen speist die Natur mit allerlei -Brocken und Ueberbleibseln der Schöpfung ab. Sie -hat ihm nur die obere Schicht gegeben, die magere -Haut, mit welcher ein Fünftel der Erde so dünn -überzogen ist, daß überall die nackten Knochen hervorragen. -Obendrein liefert die Hälfte seines Gebietes -nichts als Schnee, Eis, Sand und Felsgestein. So -verbleibt ihm denn nur noch ein Zehntel des ganzen -Familienerbes als wirklich wertvoller Besitz. Er -kann im Schweiße seines Angesichts kaum genug -erwerben, um sein Leben zu fristen, denn er muß -außerdem noch für den Unterhalt der Könige und -Soldaten sorgen, und Pulver herbeischaffen, damit -die Segnungen der Zivilisation weiter ausgebreitet -werden. Und doch glaubt der Mensch, weil er nicht -zu rechnen versteht, in seiner Einfalt und Selbstgefälligkeit, -daß die Mutter Natur ihn als das wichtigste -Glied der Familie betrachtet, daß er ihr Lieblingskind -ist. Es müßte doch wahrlich selbst seinem -blöden Verstande zuweilen auffallen, welche sonderbare -Art sie hat, ihre Vorliebe zu beweisen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_261">[261]</span></p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">Nachmittags.</em> – Der Kapitän hat uns soeben -erzählt, es sei auf einer seiner Fahrten im -Nördlichen Eismeer so kalt gewesen, daß der Schatten -des Schiffsmaats auf dem Deck festfror, und man -nur mit Gewalt zwei Drittel davon wieder loseisen -konnte. Alle schwiegen bei dieser Mitteilung, -niemand äußerte ein Wort, und der Kapitän ging -ganz betreten davon. – Er wird noch alle Lust -verlieren, überhaupt etwas zu sagen.</p> - -<p>Es gibt doch nichts Ruhevolleres als einen Tag -auf dem Tropenmeer: die blaue See ist glatt und -ohne Bewegung, nur die schnelle Fahrt des Schiffes -erzeugt einen frischen Lufthauch, und bis zum fernsten -Horizont kann man nicht das kleinste Segel erspähen. -Es kommen keine Briefe an, die gelesen -und beantwortet werden müssen, man wird nicht -durch Zeitungsnachrichten aufgeregt, durch Telegramme -beunruhigt und erschreckt; die Welt liegt -weit abseits, sie ist für uns nicht vorhanden – -anfangs verblaßte sie wie ein Traum, jetzt ist sie -ins Wesenlose versunken. All ihr Arbeiten und Streben, -ihr Glück und Unglück, ihre Wonne und Verzweiflung, -ihre Freuden und Kümmernisse, ihre Sorgen -und Qualen, haben nichts mehr mit unserem -Leben zu schaffen, sie sind vorübergezogen wie<span class="pagenum" id="Seite_262">[262]</span> -ein Sturm, auf den tiefe Windstille gefolgt ist.</p> - -<p>Die in schneeweißes Linnen gekleideten Passagiere -versammeln sich in Gruppen auf dem Deck; -sie lesen, rauchen, spielen Karten, plaudern, halten -ein Mittagsschläfchen, kurz tun was sie wollen. Auf -andern Schiffen stellt man fortwährend Berechnungen -an, wie lange die Fahrt noch dauern wird, auf -diesen Meeren geschieht das höchst selten. Kein -Mensch kümmert sich um das Anschlagebrett, wo die -tägliche Fahrgeschwindigkeit verzeichnet wird, auch -wettet man natürlich nicht auf den Lauf des Schiffes, -wie das bei Reisen über den Atlantischen Ozean zu -geschehen pflegt.</p> - -<p>Mir selbst ist es vollständig gleichgültig, wann -wir in den Hafen kommen; auch habe ich noch keinen -der andern Passagiere darnach fragen hören. Wenn -es nach mir ginge, würden wir überhaupt nie mehr -landen; denn dies Leben auf dem Wasser hat für -mich einen unaussprechlichen Reiz. Da gibt es weder -Ermüdung, noch Abspannung, noch Mißstimmung, -man hat keine Sorge, keine Arbeit, keine Verantwortlichkeit. -Wo wäre wohl auf dem Lande solches -Behagen, solche Heiterkeit, solcher Friede und ein -so volles Genügen zu finden? Hätte ich die Wahl, -ich segelte endlos weiter auf diesem wundervollen<span class="pagenum" id="Seite_263">[263]</span> -Meer und schlüge meinen Wohnsitz nie wieder am -festen Lande auf.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">Mittwoch 15. April.</em> – Mauritius. – -Um zwei Uhr nachmittags gingen wir bei Port Louis -vor Anker. Die Klippen und Spitzen der zerklüfteten -Felsengruppen sind bis zum höchsten Gipfel -hinauf bewaldet; auf der grünen Ebene liegen die -Wohnhäuser zwischen tropischen Gebüschen verstreut. -Hier ist der Schauplatz der Geschichte von Paul und -Virginie.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">Donnerstag 16. April.</em> – In Port Louis -ans Land gegangen. Wir fanden in der kleinen -Stadt die mannigfaltigsten Nationalitäten und Hautschattierungen, -die uns bisher vorgekommen waren: -Franzosen, Engländer, Chinesen, Araber, Afrikaner -mit Wollköpfen oder glattem Haar, Ostindier, Mischlinge, -Quadronen in den verschiedensten Trachten -und Farben. – Die Geschichte von Mauritius verzeichnet -offenbar nur <em class="gesperrt">eine</em> wichtige Begebenheit, -und diese hat sich obendrein niemals zugetragen. -Ich meine den romantischen Aufenthalt von Paul -und Virginie, welcher jedermann mit dem Namen -der Insel vertraut machte, während ihre geographische -Lage aller Welt verborgen blieb.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_264">[264]</span></p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">18. April.</em> – Dies ist das einzige Land auf -Erden, wo man den Fremden nicht fragt: »Wie -gefällt Ihnen unsere Gegend?« Alles Reden über -die Insel geht von den Bewohnern selbst aus, der -Reisende braucht nur zuzuhören und erhält allerlei -Belehrung. Von einem Bürger erfährt er, daß Mauritius -zuerst erschaffen wurde und dann der Himmel -nach dem Vorbild von Mauritius. Ein anderer erklärt -das für Uebertreibung und behauptet, man lebe -in Mauritius durchaus nicht wie im Himmel; wer -zum Beispiel nicht gezwungen wäre in Port Louis -zu wohnen, würde sich den Aufenthaltsort gewiß -nicht wählen.</p> - -<p>Ein Engländer sagte mir:</p> - -<p>»Die Insel ist bekannt wegen der ungewöhnlich -langen Quarantäne, welche die Schiffe für nichts -und wieder nichts halten müssen; dieselbe dauert -oft drei bis vier Wochen. Einmal wurde sogar die -Quarantäne über ein Schiff verhängt, weil der Kapitän -als Knabe die Blattern gehabt habe. Außerdem -war er auch Engländer. Der französische Einfluß -ist von früherher noch immer am vorherrschendsten -auf der Insel; die Zahl der Engländer ist gering -und der Gouvernementsrat besteht fast nur -aus Franzosen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_265">[265]</span></p> - -<p>»Die Bevölkerung beträgt etwa 375 000. Die -meisten sind Ostindier; außer ihnen gibt es Mischlinge -und Neger, welche Abkömmlinge der Sklaven -aus der Zeit der französischen Herrschaft sind; ferner -Franzosen und Engländer. Die Mischlinge stammen -aus Verbindungen von Weißen und Schwarzen, Mulatten, -Quadronen oder Quarteronen; es sind daher -alle nur denkbaren Schattierungen vertreten: ebenholzschwarz, -mahagoni, kastanienbraun, fuchsrot, -syrupfarben, dunkelbernsteingelb, hellgelb, crêmefarben, -elfenbeinweiß und aschgrau. Letzteres ist die -Farbe, welche der Angelsachse bei längerem Aufenthalt -im Tropenklima annimmt.</p> - -<p>»Die meisten Bewohner von Mauritius kennen -nichts als ihre Insel und haben weder viel gelernt -noch gelesen – außer der Bibel oft nur Paul und -Virginie. Von diesem Roman werden jährlich viele -Exemplare verkauft, und es gibt Leute, welche glauben, -er wäre ein Teil der Bibel. Es ist das berühmteste -Buch, das je über Mauritius geschrieben worden -ist – aber auch das einzige. Die drei Hauptländer -der Erde sind nach Ansicht der Bürger: Judäa, -Frankreich und Mauritius, und daß sie in einem -der drei geboren sind, erfüllt sie mit Stolz. Rußland -und Deutschland gehören, ihres Wissens, zu<span class="pagenum" id="Seite_266">[266]</span> -England und von letzterem haben sie keine große -Meinung. Wer über die Vereinigten Staaten und -den Aequator etwas hat verlauten hören, glaubt, -das seien zwei Königreiche.</p> - -<p>»Der Buchhandel auf der Insel ist unbedeutend; -für Bildung und Unterhaltung des Volks -müssen die Zeitungen sorgen, welche aus zwei ureinfach -gedruckten Seiten bestehen, die eine mit französischem, -die andere mit englischem Text. Die englische -Seite ist eine Uebersetzung der französischen; -einen Korrekturleser gibt es nicht – der Mann ist -gestorben.</p> - -<p>»Und was steht darin? Wo nimmt man auf der -kleinen, entlegenen Insel mitten im indischen Ozean -täglich den Stoff her, um eine ganze Druckseite zu -füllen? – Den muß Madagaskar liefern, Madagaskar -und Frankreich. Ratschläge, die man der Regierung -erteilt und abfällige Bemerkungen über die -englische Verwaltung bilden den übrigen Inhalt der -Tagesblätter, deren Besitzer und Herausgeber französische -Kreolen sind.</p> - -<p>»Das Französische ist Landessprache. Jeder -muß es sprechen, er mag wollen oder nicht. Besonders -ohne das Mischlings-Französisch, das die Leute -mit den vielen verschiedenfarbigen Gesichtern reden,<span class="pagenum" id="Seite_267">[267]</span> -kann man sich hier gar nicht verständlich machen.</p> - -<p>»Mauritius war früher sehr wohlhabend, denn -man macht hier den besten Zucker in der ganzen -Welt. Aber zuerst verdarb der Suez-Kanal die Handelsverbindungen -der Insel, und dann verschloß ihr -der Rübenzucker mit Hilfe der Zuckerprämien den -europäischen Markt. Viele der größten Zuckerpflanzer -befinden sich in Geldverlegenheit und würden -ihre Besitzungen gern für die Hälfte der Summen -hergeben, die sie hineingesteckt haben. Wenn ein Land -erst anfängt die Teekultur zu betreiben, so ist das -ein sicheres Zeichen für den Rückgang seines Hauptprodukts, -dafür liefern Bengalen und Ceylon den -Beweis. Auch in Mauritius macht man jetzt Versuche -mit der Teekultur.«</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">20. April.</em> – Der jährliche Cyklone richtet -oft große Verwüstungen in den Zuckerfeldern an. Im -Jahre 1892 wurden Hunderte von Menschen durch -den Cyklone getötet oder zu Krüppeln gemacht, und -der sündflutartige Regen, der dabei Port Louis -überschwemmte, erzeugte großen Wassermangel. Das -ist buchstäblich wahr, denn er zerstörte das Wasserwerk -und die Leitungsröhren, und als sich die Flut -verlaufen hatte, herrschte eine Zeitlang arge Not, -weil man kein Wasser bekommen konnte. – Die Wut<span class="pagenum" id="Seite_268">[268]</span> -jenes Wirbelsturms war fürchterlich; er machte ganze -Straßen von Port Louis zu Trümmerhaufen, entwurzelte -Bäume, deckte Dächer ab, schmetterte einen -Obelisken zu Boden, riß Schiffe vom Anker los -und schleuderte ein amerikanisches Fahrzeug bis in -den Wald hinauf. Ueber eine Stunde lang krachte -der Donner ohne Unterlaß, die Blitze zuckten und der -Wind heulte – es war ein Höllenlärm ohne gleichen. -Dann trat plötzlich Ruhe ein, heller Sonnenschein -und völlige Windstille; die Menschen wagten sich -hinaus, um den Verwundeten beizustehen und nach -ihren Freunden und Angehörigen zu suchen. Da -brach der rasende Sturm unvermutet aus einer andern -Himmelsgegend von neuem los und richtete -vollends alles zu Grunde.</p> - -<p>Die Wege auf der Insel sind fest und eben, die -Bungalows bequem ausgestattet, die Höfe sehr geräumig; -längs der Fahrstraßen wachsen hohe grüne -Bambushecken, und – was ich noch nie gesehen -habe – Hecken von roten und weißen Azaleen, die -sich wunderhübsch ausnehmen. Mauritius ist ein -einziger, großer, gartenähnlicher Park. Die wogenden -Zuckerrohrfelder mit ihrem frischen Grün tun -dem Auge wohl; überall entfaltet sich tropischer -Pflanzenwuchs in üppigster Fülle, helles und dunkles<span class="pagenum" id="Seite_269">[269]</span> -Grün, dicht verschlungenes Unterholz von hohen -Palmen überragt, große schattige Wälder mit -klaren Flüssen, die sich bald im Dunkel verlieren, -bald lustig wieder ans Tageslicht gesprungen kommen; -auch kleine Berge mit spielzeugartigen Klippen -und Felsengruppen hat Mauritius aufzuweisen -und dann und wann einen Durchblick auf das Meer -mit dem weißen Schaum der Brandung. Die Insel -ist sehr hübsch in ihrer Art, doch fehlt ihr das -Erhabene, Großartige, Geheimnisvolle, wie es unersteigliche -Bergeshöhen mit Gipfeln, die in den -Himmel ragen, und weite Fernsichten einer Gegend -verleihen; der Gesamteindruck ist reizend, aber nicht -überwältigend, er berührt uns angenehm, dringt aber -nicht bis in die Tiefe der Seele.</p> - -<p>Als die Franzosen noch Mauritius besaßen, -belästigten sie von dort aus die indischen Kauffahrteischiffe; -deshalb nahm ihnen England die Insel fort -und auch das benachbarte Bourbon. Letzteres gab -es jedoch wieder an Frankreich heraus und ließ sich -auch Madagaskar fortschnappen, was sehr zu beklagen -ist. England hätte mit geringer Anstrengung die -harmlosen Eingeborenen vor dem Unheil der französischen -Zivilisation schützen können. Leider hat -es das unterlassen, und jetzt ist es zu spät.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_270">[270]</span></p> - -<p>Vor der Sünde, einen Raub an Frankreich zu -begehen, hätte sich England schwerlich gescheut. Aller -Grundbesitz sämtlicher Staaten der Erde – Amerika -natürlich nicht ausgeschlossen – besteht aus gestohlenem -Gut, aus Ländereien, die andern Nationen gehörten, -denen man sie entrissen hat. In Europa, -Asien und Afrika ist jeder Fußbreit Land schon -Millionen mal wieder und wieder gestohlen worden. -Ein Verbrechen aber, das seit Jahrtausenden verübt -wird, hört auf ein Verbrechen zu sein und wird zur -Tugend. Das Gewohnheitsrecht ist stärker als jedes -andere Gesetz. Auch werden ja heutzutage unter den -christlichen Regierungen die allseitigen Pläne solchen -Länderraubs ganz frei und offen verhandelt.</p> - -<p>Ohne Frage lassen die Zeichen der Zeit deutlich -erkennen, welchen Verlauf die Sache nehmen -wird: Alle noch unzivilisierten Länder der Erde -müssen unter die Herrschaft der christlichen Staaten -Europas kommen. Mir macht das keinen Kummer, -im Gegenteil, ich freue mich darüber. Vor zweihundert -Jahren wäre dies unabwendbare Geschick -noch ein Unheil für die wilden Völker gewesen, aber -jetzt wird es, unter gewissen Umständen, für manche -ein Segen sein. Die Europäer sollen nur je eher -je lieber alles Land in Besitz nehmen, damit Friede,<span class="pagenum" id="Seite_271">[271]</span> -Ordnung und Gerechtigkeit an die Stelle der Bedrückung, -des Blutvergießens und der Gesetzlosigkeit -tritt, unter der die Wilden Jahrhunderte lang geschmachtet -haben. Wenn man bedenkt, was zum -Beispiel Indien zu der Zeit gewesen ist, als die -Hindus und die Mohammedaner es beherrschten, und -wie es jetzt um das Land steht, wenn man an das -frühere Elend der Millionen zurückdenkt, die heutzutage -Schutz und eine menschenwürdige Behandlung -genießen, so wird man zugeben müssen, daß es für -Indien kein größeres Glück geben konnte, als unter -britische Oberherrschaft zu kommen. Geht nun alles -Land der wilden Völker in europäischen Besitz über, -und müssen sie selbst sich den fremden Herrschern -auf Gnade oder Ungnade unterwerfen, so wollen -wir von Herzen hoffen und wünschen, daß alle Wilden -bei dem Tausch nur gewinnen möchten.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_272">[272]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap20">Zwanzigstes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>In der Staatskunst bringe alle Formalitäten -in Ordnung und kümmere dich nicht -um die Moralitäten.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p><em class="gesperrt">28. April.</em> – Nach Afrika abgesegelt. – -›Arundel Castle‹ ist das schönste Dampfboot, in dem -ich auf diesen Meeren gefahren bin, es ist durch und -durch modern und das will viel sagen. An einem -Mangel, den man überall trifft, leidet aber auch dieses -Schiff: die Betten lassen zu wünschen übrig. Es ist -ein großer Fehler, daß man die Auswahl der Betten -stets dem ersten besten Mann mit starkem Rückgrat -anvertraut, statt einer zarten Frau dies Amt -zu übertragen, die von Kindheit auf an Schlaflosigkeit -und Gliederweh gelitten hat. Nichts ist sowohl -diesseits wie jenseits des Ozeans eine größere Seltenheit, -als Betten, welche allen Anforderungen entsprechen. -Zwar sind sie in einigen Hotels der Erde -zu finden, aber auf keinem Schiff, weder jetzt noch -in vergangenen Zeiten. In der Arche Noäh waren -die Betten geradezu niederträchtig, und darin liegt -die Wurzel des Uebels. Noah hat die Mode eingeführt<span class="pagenum" id="Seite_273">[273]</span> -und die Welt wird sie mit geringen Abänderungen -bis zur nächsten Sündflut beibehalten.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">8 Uhr abends.</em> – An der Insel Bourbon -vorbeigesegelt; ihr zerklüftetes, vulkanisches Gebirge -hebt sich klar gegen den Himmel ab. – Wie töricht -ist es doch, erholungsbedürftige Menschen nach Europa -zu schicken. Das Rasseln von Stadt zu Stadt -bei Rauch und Kohlendunst, das ewige Besichtigen -von Schlössern und Galerien, ist doch kein Ausruhen -zu nennen! Man trifft fortwährend alte und -neue Bekannte, wird zum Frühstück, zu Mittag, zum -Tee ausgebeten und erhält aufregende Briefe und -Depeschen. Auch die Fahrt über den Atlantischen -Ozean nützt nichts; die Reise ist zu kurz und das -Meer zu unruhig. Wahre Heilung für Seele und -Leib findet man nur auf dem friedlichen Indischen -und dem Stillen Ozean, wo sich die Zeit so behaglich -lang ausdehnt.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">2. Mai nachmittags.</em> – Ein schönes großes -Schiff in Sicht – fast das erste, das wir auf -der wochenlangen einsamen Seefahrt erblickt haben. -Wir sind jetzt im Kanal von Mozambique zwischen -Madagaskar und Südafrika und steuern in westlicher -Richtung nach der Delagoabai.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_274">[274]</span></p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">Montag 4. Mai.</em> – Wir dampfen langsam -in die ungeheure Bai hinein; ihre Arme erstrecken -sich weit ins Land, bis sie den Blicken entschwinden. -Hier wäre Raum genug für sämtliche Schiffe der -Welt, aber die Bai hat nur geringe Tiefe; oftmals -zeigte unser Senkblei nicht mehr als viertehalb Faden.</p> - -<p>Eine 150 Fuß hohe und etwa eine Meile breite -Felswand von stark rötlicher Färbung steigt senkrecht -vor uns auf. Auf dem Tafelland über den roten -Felsen sieht man Gruppen hübscher Häuser und -Bäume, dazwischen die grüne, wellenförmige Ebene, -wie in England. Siebzig Meilen lang, bis zur -Grenze, gehört die Eisenbahn den Portugiesen – -täglich fährt ein Personenzug – weiterhin ist die -Bahn Eigentum der Niederländischen Kompagnie. -Haufenweise lagen die Frachtgüter am Strande umher; -Schuppen, um sie unterzubringen, waren nicht -vorhanden. Das ist echt portugiesisch – Trägheit, -Frömmigkeit, Armut und Unfähigkeit im schönsten -Verein.</p> - -<p>Die Mannschaft der kleinen Boote und Schlepper -besteht aus sehr muskulösen, kohlschwarzen Wollköpfen.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">Winter.</em> – Der südafrikanische Winter hat -eben angefangen, aber nur Sachverständige können<span class="pagenum" id="Seite_275">[275]</span> -ihn vom Sommer unterscheiden. Mir ist das sehr -recht, denn ich habe den Sommer herzlich satt, der -jetzt für uns schon ununterbrochen elf Monate lang -dauert.</p> - -<p>Den Nachmittag brachten wir in Delagoabai -am Ufer zu. Der Ort ist klein; er hat keine Sehenswürdigkeiten, -keine Wagen. Die drei Rickschas waren -Privateigentum, wir konnten sie nicht mieten. Die -Portugiesen hier haben eine schöne braune Hautfarbe, -wie einige unserer Indianerstämme; man sieht -auch Schwarze mit länglicher Kopfform und sehr -langem Kinn, wie die Neger in den Bilderbüchern, -aber die meisten gleichen den Schwarzen in unsern -Südstaaten, haben runde Gesichter mit platten Nasen -und sind gutmütige, lustige Geschöpfe.</p> - -<p>Scharen schwarzer Weiber zogen vorüber mit -zentnerschweren Frachtstücken auf dem Kopf. Sie -waren Packträgerinnen und arbeiteten wie die stärksten -Männer; doch mußten sie ihre ganze Kraft -anstrengen, um die Last zu bewältigen, man sah, -wie ihnen jedesmal beim Aufsetzen der Füße die -Beine zitterten. Wenn sie unbeladen einherkommen, -haben sie einen aufrechten Gang und eine ebenso -schöne und stolze Haltung wie die Indianerinnen. -Die Gewohnheit Lasten auf dem Kopf zu tragen,<span class="pagenum" id="Seite_276">[276]</span> -bringt das mit sich. – Man sah keine bunten Farben, -obgleich es hier viele Hindus gibt.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">6. Mai. – 3 Uhr nachmittags.</em> Ganz -allmählich machte das Schiff langsamere Fahrt und -dampfte vorsichtig und bedächtig in den hübschen -Hafen von Durban in Südafrika ein.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">Aus dem Tagebuch. Hotel Royal.</em> – -Sehr behaglich; gutes Essen, gute Bedienung von -Eingeborenen; ein sonderbares Gemisch von Altem -und Neuem, Dorf und Stadt, Ureinfachheit und ihrem -Gegenteil. Die elektrischen Glocken geben keinen -Ton; der Aufseher im Bureau sagte mir, sie wären -vermutlich in Unordnung geraten, weil einige klingelten -und andere nicht. Als ich ihn fragte, ob es -nicht ratsam wäre, sie in Ordnung zu bringen, sah er -mich zweifelnd an, wie jemand der seiner Sache -nicht gewiß ist – stimmte mir dann aber doch bei.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">7. Mai.</em> – Um sechs Uhr klopft es laut an -meine Tür: Ob meine Stiefel geputzt werden sollen? -Eine Viertelstunde später wiederholtes Klopfen: Ob -wir Kaffee wünschen? Nach abermals fünfzehn Minuten: -das Bad für meine Frau ist fertig; gleich<span class="pagenum" id="Seite_277">[277]</span> -darauf: mein Bad ist fertig. Es klopft noch zweimal, -weshalb weiß ich nicht mehr. Die Diener -lärmen draußen und schreien einander bald dies bald -das zu – gerade wie in einem indischen Hotel.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">Abends.</em> – Um vier Uhr nachmittags herrscht -drückende Schwüle; eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang -zieht man den Sommerüberzieher an, um -acht Uhr den Wintermantel. Daß Durban eine -hübsche, saubere Stadt ist, sieht der Fremde von -selbst, man braucht ihn nicht darauf aufmerksam -zu machen. – Die Rickschas werden von prächtig -gewachsenen schwarzen Zulus gezogen, mit so überschüssiger -Kraft, daß es ein wahres Vergnügen ist -ihnen zuzusehen. Gutmütige Menschen – wie sie -lachen und ihre Zähne zeigen! Die Stunde kostet -für eine Person 2 Schilling, für zwei Personen 3; -jede Fahrt drei Pence für die Person. Ein Rickscha-Mann -darf nicht trinken.</p> - -<p>Die Polizei besteht nur aus heidnischen Zulus; -christliche werden nicht angestellt. Nach dem Abendläuten -darf kein Eingeborener ohne Paß ausgehen. -In Natal kommen auf einen Weißen zehn Schwarze. -Die Weiber sind handfeste, rundliche Gestalten. Sie -kämmen ihre Wolle auf dem Kopf in die Höhe<span class="pagenum" id="Seite_278">[278]</span> -und machen sie mit rotbraunem Lehm steif, daß -sie stehen bleibt. Ist dieser Turm bis zur Hälfte -gefärbt, so bedeutet es Verlobung; die verheiratete -Frau färbt ihn ganz.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">9. Mai.</em> – Gestern machte ich mit Bekannten -eine Ausfahrt. Sehr schöne Straßen über die Hügel, -von wo man einen herrlichen Blick auf die ganze -Stadt, den Hafen und das Meer genießt. Ueberall -Wohnhäuser, von grünem Rasen und Buschwerk umgeben; -hie und da bildet die brennend scharlachrote -Euphorbia einen scharfen Gegensatz zu dem saftigen -Grün ringsum; Kaktusbäume der verschiedensten Art -in Kandelaberform und einer, dessen Zweige so verrenkt -und gekrümmt sind, daß sie aussehen wie lauter -graue, sich windende Schlangen. Auf allen Seiten -sieht man eine Menge der prächtigsten, uns völlig -unbekannten Bäume, einige mit so dichtem, dunkelgrünem -Laub, daß sie sofort ins Auge fallen, trotz -der vielen Orangenbäume daneben. Ein Baum hat -wunderschöne rote, aufrechtstehende Büschel, die zwischen -seiner grünen Blätterpracht leuchten wie feurige -Kohlen. Auch Gummibäume sind da, und ein paar -hochgewachsene Norfolktannen strecken ihre grünen -Wedel himmelan, dann kommt wieder hohes Bambusgebüsch.<span class="pagenum" id="Seite_279">[279]</span> -Ich sah nur <em class="gesperrt">einen</em> Vogel; sie sind -hier selten und singen nicht. Die Blumen haben -wenig Duft, sie wachsen zu schnell. Nirgends habe -ich eine so große Mannigfaltigkeit der herrlichsten -Bäume gesehen wie hier, außer in der Nähe von -Dardschiling im Himalaja. Vermutlich ist Natal -der Garten von Südafrika, aber ich habe noch niemand -dies Land so nennen hören.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Colenso war Bischof von Natal, als er durch -seine Schriften einen solchen Sturm in der theologischen -Welt erregte. Noch jetzt sind alle religiösen -Angelegenheiten hier von großer Wichtigkeit. Die -Sonntagsruhe wird eifersüchtig bewacht. Museen -und dergleichen gefährliche Vergnügungsorte sind geschlossen. -Eine Fahrt auf der Bai ist gestattet, aber -das Cricketspiel gilt für sündhaft. Eine Zeitlang -fanden Sonntags-Konzerte statt, bei denen kein Eintrittsgeld -bezahlt wurde, sondern der Klingelbeutel -herum ging. Dadurch kam jedoch so beunruhigend -viel zusammen, daß man die Sache wieder eingehen -ließ. In betreff der Säuglinge ist man sehr streng. -Ein Geistlicher verweigerte einem Kinde das kirchliche -Begräbnis, weil es nicht getauft worden war. -Da ist der Hindu weitherziger. Er verbrennt kein<span class="pagenum" id="Seite_280">[280]</span> -Kind unter drei Jahren, weil er glaubt, daß es noch -nicht der Läuterung bedarf.</p> - -<p>Zwei Stunden von Durban entfernt liegt ein -großes Trappisten-Kloster, das ich in Gesellschaft -von Mr. Milligan und Mr. Hunter, dem Generalinspektor -der Staatseisenbahnen von Natal, in Augenschein -nahm. Die beiden Herren kannten die -Vorsteher des Klosters.</p> - -<p>Es war wirklich alles da, was man für so unglaublich -hält, wenn man es in Büchern liest: die -harte Arbeit, das Aufstehen zu unmöglichen Stunden, -die karge Nahrung, das grobe Gewand, das -harte Lager, das Verbot der menschlichen Rede, des -geselligen Verkehrs, der Gegenwart irgend eines -weiblichen Wesens, jeder Erholung, Abwechslung und -Unterhaltung. Alles wurde durchgeführt – es war -kein Traum, keine Lüge. Aber selbst wenn man -die Tatsache leibhaftig vor sich hatte, blieb sie ebenso -unerklärlich. Es streitet zu sehr gegen die Natur, -die Individualität des Menschen so gänzlich zu unterdrücken.</p> - -<p>Wie mag La Trappe nur herausgefunden haben, -daß es Menschen gibt, die in solchem Elend einen -Genuß finden? Hätte er mich oder dich um Rat -gefragt, wir würden ihm versichert haben, daß sein<span class="pagenum" id="Seite_281">[281]</span> -Plan zu sehr aller Reize entbehrte und niemals verwirklicht -werden könnte. Aber, da steht das Kloster -und liefert den Beweis, was für ein Menschenkenner -La Trappe gewesen ist. Er hat alles aus dem Leben -verbannt, was das Herz wünscht und begehrt, und -dennoch hat der Erfolg seit zweihundert Jahren sein -Werk gekrönt und es wird ohne Zweifel auch ferner -blühen und gedeihen.</p> - -<p>Wir Menschen lieben persönliche Auszeichnung -– dort im Kloster gibt es nichts dergleichen. Wir -sind wählerisch in betreff der Speisen – die Mönche -erhalten Bohnen, Brot und Tee und nicht einmal -genug um sich satt zu essen. Wir betten uns gern -weich – sie liegen auf Sandmatratzen und haben -zwar ein Kissen und eine Decke, aber keine Leintücher. -Bei Tische lachen und plaudern wir gern -in Gesellschaft von Freunden – hier liest ein Mönch -während der Mahlzeit laut aus einem frommen Buche -vor und niemand spricht ein Wort. Wenn wir mit -vielen Gefährten zusammen sind, so machen wir uns -einen lustigen Abend und gehen spät zur Ruhe; hier -begeben sich alle schweigend um acht Uhr zu Bett -und obendrein im Dunkeln; sie brauchen nur die -lose, braune Kutte abzulegen, da wäre ein Licht -ganz unnötig. Wir schlafen gern in den Tag hinein<span class="pagenum" id="Seite_282">[282]</span> -– hier stehen die Mönche nachts zweimal auf -zum Gottesdienst und gehen um zwei Uhr morgens -an ihr Tagewerk. Wir wünschen uns leichte Arbeit -oder gar keine – hier wird den ganzen Tag auf dem -Felde geschafft oder in der Schmiede und andern -Werkstätten, wo man Sattler-, Schuhmacher-, Tischlerarbeit -und dergleichen betreibt. Wir lieben die -Gesellschaft von Frauen und Mädchen – die fehlt -hier gänzlich. Wir sind gern von unsern Kindern -umringt und scherzen und spielen mit ihnen – Kinder -gibt es hier nicht. Es ist kein Billardtisch vorhanden, -man hat keine Spiele im Freien, weder -Konzert noch Theater, noch gesellige Freuden. Auch -das Wetten ist hier verboten; wer in Zorn gerät darf -seinen Aerger nicht am ersten besten auslassen, der -ihm gerade in den Weg kommt; man darf sich kein -Lieblingstier halten. Nicht einmal das Rauchen ist -gestattet. Weder Tageblätter noch Zeitschriften werden -hier gelesen. Wenn wir fern von der Heimat -sind, möchten wir wissen, wie es unsern Eltern und -Geschwistern ergeht und ob sie sich nach uns sehnen -– hier erfährt man das nicht. Wir lieben freundliche -Wohnungen, eine gefällige Einrichtung, hübsche -Möbel, allerlei niedliche Sächelchen und schöne Farben -– hier ist alles kahl, armselig und düster. Was<span class="pagenum" id="Seite_283">[283]</span> -wünscht sich der Mensch nicht alles – führt die -Liste selbst weiter fort! – Aber was ihr auch nennen -mögt, in diesem Kloster ist es nicht zu finden.</p> - -<p>Und zum Lohn für alle diese Entbehrungen kann -man dort weiter nichts erwerben, wie mir gesagt -wurde, als die Rettung seiner Seele.</p> - -<p>Es ist wirklich höchst sonderbar und unbegreiflich. -Aber La Trappe kannte, wie gesagt, das Menschengeschlecht -und den mächtigen Reiz, der in diesem -reizlosen Dasein lag. Er wußte, daß auf manche -Leute ein solches Leben um so größere Anziehungskraft -übt, je abstoßender und unbehaglicher es ist.</p> - -<p>Das Mutterkloster wurde vor fünfzehn Jahren -von deutschen Mönchen gegründet, die arm und fremd -waren und keine Unterstützung fanden; jetzt besitzt -es 15 000 Morgen Land, baut Korn, Obst und Wein -und betreibt alle möglichen Gewerbe. In seinen -Werkstätten werden eingeborene Lehrlinge in den -verschiedensten Handwerken unterrichtet, mit denen -sie sich nach der Entlassung ihr Brot verdienen können, -auch lehrt man sie Lesen und Schreiben. Elf -Zweiganstalten des Klosters sind in ganz Südafrika -verbreitet, in denen 1200 eingeborene Knaben und -Mädchen christlich erzogen und zu tüchtigen Handwerkern -ausgebildet werden. Von dem Wirken der<span class="pagenum" id="Seite_284">[284]</span> -protestantischen Mission unter den Heiden hat man -in den kaufmännischen Kreisen der weißen Kolonisten -meist keine hohe Meinung; ihre Zöglinge tragen -den Spitznamen ›Reis-Christen‹, womit ungelernte -Müßiggänger gemeint sind, die sich nur um äußerer -Vorteile willen in die Kirche aufnehmen lassen. An -der Tätigkeit dieser katholischen Mönche wird sich -aber schwerlich etwas aussetzen lassen, und ich glaube, -es hat auch noch niemand gewagt, sich abfällig darüber -zu äußern.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p><em class="gesperrt">Dienstag 12. Mai.</em> – Die Transvaal-Politik -ist in große Verwirrung geraten. Zuerst jagte -die schwere Verurteilung der Johannesburger Rädelsführer -England einen großen Schrecken ein. -Unmittelbar nachher veröffentlichte Krüger die Korrespondenz -in Chiffreschrift, aus welcher hervorgeht, -daß der Einfall in Transvaal von Cecil Rhodes -und Beit mit der Absicht geplant worden ist, sich des -Landes zu bemächtigen, um es dem englischen Reich -einzuverleiben. Dies brachte einen Umschwung in -den Gefühlen Englands hervor und entfesselte einen -Sturm der Entrüstung gegen Rhodes und die Chartered -Company, weil sie der britischen Ehre zu nahe -getreten seien.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_285">[285]</span></p> - -<p>Lange war ich außer stande klug aus der Sache -zu werden – sie war mir zu verwickelt. Aber -endlich glaube ich durch Geduld und Nachdenken doch -dahinter gekommen zu sein: Soviel ich verstehe, waren -die Uitlanders und die andern Holländer unzufrieden, -weil die Engländer ihnen nicht gestatteten an der -Regierung teil zu nehmen, nur ihre Steuern durften -sie bezahlen. Da geschah es, daß <em class="antiqua">Dr.</em> Krüger und -<em class="antiqua">Dr.</em> Jameson, denen ihr ärztlicher Beruf nicht genug -einbrachte, in das Matabeleland einfielen mit der -Absicht, die Hauptstadt Johannesburg zu erobern und -Frauen und Kinder als Geißeln gefangen zu halten, -bis die Uitlanders und andere Buren ihnen und der -Chartered Company die politischen Rechte zugestehen -wollten, die man ihnen bisher vorenthalten hatte. -Dieser kühne Plan wäre sicherlich gelungen, hätten -sich nicht Cecil Rhodes, Mr. Beit und andere Häuptlinge -der Matabele eingemischt und ihre Landsleute -aufgereizt sich zu empören und Deutschland den Gehorsam -aufzusagen. Nun stachelte letzteres wieder -den König von Abessynien auf, die italienische Armee -zu vernichten und Johannesburg zu überfallen. Das -alles hatte Cecil Rhodes aber angestiftet, um die -Aktien in die Höhe zu treiben.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_286">[286]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap21">Einundzwanzigstes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Man soll des Buren Fell nicht verkaufen, -man fange ihn denn zuvor.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Als ich vor einem Jahr den letzten Paragraphen -des vorigen Kapitels in mein Notizbuch kritzelte, -tat ich es, um auf drastische Weise zweierlei zum -Ausdruck zu bringen: Erstens, wie widersprechend -die Berichte sind, welche der Fremde von den Einheimischen -über die südafrikanische Politik erhält, -und zweitens, was für ein Wirrwarr dadurch im -Kopfe des Fremden entsteht.</p> - -<p>Ich sehe jetzt ein, daß ich damals den Zustand -der Dinge naturgetreuer geschildert habe, als ich -selber wußte. In jener unruhigen und aufgeregten -Zeit konnten die dortigen Bürger unmöglich die südafrikanische -Politik klar und vernünftig auffassen; -nicht nur ihre persönlichen Interessen, sondern auch -ihre politischen Vorurteile standen ihnen sehr dabei -im Wege. Der Fremde aber war natürlich nicht im -stande aus ihren verworrenen Mitteilungen klug zu -werden und den Zusammenhang der Ereignisse zu -begreifen.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_287">[287]</span></p> - -<p>Mein Aufenthalt in Südafrika war nicht von -langer Dauer. Als ich ankam befand sich das Land -noch in der größten politischen Gärung. Vier Monate -waren vergangen, seit Jameson mit 600 bewaffneten -Reitern zum »Schutz der Frauen und Kinder in -Johannesburg« die Grenze von Transvaal überschritten -hatte. Am vierten Tage nach seinem Einmarsch -besiegten ihn die Buren in einer Schlacht -und führten ihn mit seinen Leuten gefangen nach der -Hauptstadt Prätoria. Jameson und seine Offiziere -waren zur Bestrafung an Großbritannien ausgeliefert -und nach England eingeschifft worden, wo ihr -Verhör stattfand. Inzwischen wurden in Johannesburg -vierundsechzig der angesehensten Bürger als -Jamesons Mitverschworene festgenommen. Präsident -Krüger verurteilte die vier Haupträdelsführer -zum Tode, die übrigen zu Gefängnis; er verwandelte -jedoch die Strafen in längere oder kürzere Kerkerhaft, -in welcher die vierundsechzig Leute damals -noch schmachteten. Vor Mitte des Sommers waren -alle wieder in Freiheit, außer zweien, welche sich -weigerten ein Begnadigungsgesuch zu unterzeichnen. -Achtundfünfzig von ihnen mußten eine Geldbuße -von je 10 000 Dollars zahlen und die vier -Rädelsführer 125 000 Dollars per Mann; auf<span class="pagenum" id="Seite_288">[288]</span> -immer aus dem Lande verbannt wurde nur einer.</p> - -<p>Das war eine hochinteressante Zeit für den -Fremden; ich schätzte mich glücklich, mitten in die -Aufregung hineingekommen zu sein. Jedermann -äußerte ohne Rückhalt seine Meinung und ich hoffte -bestimmt, daß mir die ganze Angelegenheit, wenigstens -von <em class="gesperrt">einer</em> Seite, binnen kurzem verständlich -sein würde.</p> - -<p>Darin täuschte ich mich jedoch. Die Sache hatte -so viel Eigenartiges, Schwieriges und Unerklärliches, -daß ich ihrer nicht Herr wurde. Persönliche Beziehungen -zu den Buren besaß ich nicht, die Anschauungen -ihrer Partei blieben also für mich ein -Geheimnis, soweit ich sie nicht aus den öffentlichen -Bekanntmachungen erfuhr. Bald empfand ich denn -auch das tiefste Mitgefühl für die Johannesburger, -die im Kerker von Prätoria lagen, sowie für ihre -Freunde und Angehörigen. Durch eifrige Erkundigungen -bei letzteren hatte ich mich über alle Einzelheiten -des Streits in Kenntnis gesetzt und glaubte -sie zu verstehen; das heißt, von ihrem Gesichtspunkt -aus und bis auf <em class="gesperrt">einen</em> Umstand: Was die -Johannesburger durch eine bewaffnete Erhebung zu -erreichen gedachten, schien niemand zu wissen.</p> - -<p>Im Laufe des folgenden Jahres wurde in die<span class="pagenum" id="Seite_289">[289]</span> -Verwirrung jener Tage genügendes Licht gebracht. -<em class="antiqua">Dr.</em> Jameson ist vor den englischen Geschworenen -erschienen; auch Cecil Rhodes und andere an dem -feindlichen Einfall in Transvaal direkt oder indirekt -beteiligte Personen haben ihre Aussage vor Gericht -erstattet, desgleichen Lionel Philipps und sonstige -Mitglieder der Johannesburger Reformpartei, welche -die Revolution als totgeborenes Kind zur Welt brachten. -Weitere Aufklärung erhielt ich auch durch verschiedene -Bücher, deren Verfasser entweder für die -Buren oder für Cecil Rhodes oder für die Johannesburger -Partei nahmen. Nachdem ich nun alle jene -Aussagen voreingenommener Zeugen nebst den einseitigen -Darstellungen der Bücher gesammelt hatte, -mischte ich sie gut durcheinander, knetete alles tüchtig -durch und tat den Teig in meinen eigenen (vorurteilsvollen) -Backtrog. Durch dies Verfahren bin -ich schließlich der verwickelten südafrikanischen Frage -doch noch auf den Grund gekommen. Ich weiß nun, -daß es sich damit in Wahrheit folgendermaßen -verhielt:</p> - -<p>1. Die Kapitalisten und sonstigen angesehenen -Bürger von Johannesburg litten unter gewissen politischen -und finanziellen Unbilden und Lasten, welche -die Transvaal-Regierung ihnen auferlegte. Die Uitlanders<span class="pagenum" id="Seite_290">[290]</span> -bezahlten vier Fünftel aller Steuern, hatten -kein Wahlrecht, konnten erst nach längerem Aufenthalt -im Lande Staatsbürger werden und nach vierzehn -Jahren in den ersten Volksraad gelangen, während -die Buren alle höheren Aemter bekleideten -und schon im Alter von sechzehn Jahren das volle -Bürgerrecht hatten. So suchten denn die Uitlanders -durch verschiedene Eingaben, Bittschriften und Vorschläge -zu Gesetzesveränderungen auf friedlichem -Wege eine Verbesserung ihrer Lage herbeizuführen.</p> - -<p>2. Cecil Rhodes, Ministerpräsident der Kapkolonie, -Millionär, Gründer und Direktor der sogenannten -Chartered Company, verfolgte schon seit -einigen Jahren den Plan, alle südafrikanischen Staaten -zu einem großen Reich unter dem Schutz und -Schirm der britischen Flagge zu vereinigen. So benutzte -er denn die Unzufriedenheit der Johannesburger -Reformpartei, um sie zur gewaltsamen Empörung -gegen die Burenregierung zu bewegen. Wenn -es zu einem blutigen Zusammenstoß kam, konnte sich -Großbritannien ins Mittel legen; das würden sich -die Buren nicht gefallen lassen, und um sie für ihren -Widerstand zu strafen, besetzte dann England selbstverständlich -Transvaal und vereinigte es mit seinem -übrigen südafrikanischen Länderbesitz. Der Plan war<span class="pagenum" id="Seite_291">[291]</span> -keineswegs aus der Luft gegriffen, sondern ganz -verständig und ausführbar.</p> - -<p>Von seinem fernen Posten in Kapstadt aus wußte -Rhodes die Mißstimmung der Uitlanders von Johannesburg -auf geschickte Weise zu schüren; er half -auch, sie mit Waffen zu versehen. Mehrere Kanonen -und fünfzehnhundert Gewehre wurden, in -großen Oelbehältern und Kohlenwagen versteckt, in -die Stadt geschmuggelt. Im Dezember 1895 war -das Reformkomite schon von Bitten zu Drohungen -übergegangen, und der Ausbruch der Revolution -schien nicht mehr fern.</p> - -<p>Rhodes hatte mit Jameson, dem Befehlshaber -der Truppen der Chartered Company verabredet, -daß dieser über die Grenze gehen und mit sechshundert -Mann in Johannesburg einrücken solle. Vorher -verlangte Jameson jedoch – wahrscheinlich auf -Veranlassung seines Herrn und Meisters – das -Reformkomite solle ihm eine förmliche Aufforderung -schicken, der Stadt zu Hilfe zu kommen. So erhielt -er den berühmten Brief, in dem er gebeten wird -nach Johannesburg zu eilen, um sich der »schutzlosen -Frauen und Kinder anzunehmen«. Das war kein -schlechter Gedanke, denn die Verantwortlichkeit für -den feindlichen Ueberfall wurde dadurch zum größten<span class="pagenum" id="Seite_292">[292]</span> -Teil der Reformpartei zugeschoben. Die Führer -derselben mochten dies wohl zu ihrem Schrecken einsehen, -denn sie wollten das verfängliche Schriftstück -schon den Tag nach dessen Absendung an Jameson -wieder zurück haben. Es wurde ihnen jedoch bedeutet, -dazu sei es zu spät. Das Original des -Briefes war schon an Rhodes nach der Kapstadt -abgegangen. Doch hatte Jameson wohlweislich eine -Abschrift zurückbehalten.</p> - -<p>In Johannesburg versuchte man nun mit aller -Anstrengung, Jameson von der Ausführung des -Planes abzubringen. Es herrschte Uneinigkeit in -der Stadt; einige wollten Krieg, einige Frieden. -Manche stimmten für eine neue Regierung, andere -wünschten die alte beizubehalten und zu reformieren. -Zu Gunsten einer kaiserlich-britischen Kolonialherrschaft -die Regierung in Prätoria zu stürzen, hatten -nur ganz einzelne im Sinn. Und doch trat das -Gerücht von Stunde zu Stunde bestimmter auf, daß -dies der Zweck sei, den Cecil Rhodes mit seinem -unwillkommenen Beistand verfolge.</p> - -<p>Drei Tage lang ließ sich Jameson zurückhalten, -dann beschloß er nicht länger zu warten. Ohne -Befehl – Rhodes hüllte sich in vorsichtiges Schweigen -– zerschnitt er die Telegraphendrähte am 29.<span class="pagenum" id="Seite_293">[293]</span> -Dezember und ging im Dunkel der Nacht über die -Grenze. Er hatte 150 Meilen bis Johannesburg -zurückzulegen und hoffte die Stadt ohne Hindernisse -zu erreichen. Allein die Nachricht von seinem Einfall -verbreitete sich wie ein Lauffeuer – man hatte -übersehen, daß <em class="gesperrt">ein</em> Telegraphendraht nicht zerschnitten -worden war. Schon wenige Stunden später -kamen die Buren von allen Seiten in Windeseile herbeigeritten, -um ihn am Vordringen zu hindern.</p> - -<p>In Johannesburg herrschte Furcht und Schrecken; -Frauen und Kinder wurden bei dem Nahen ihrer -Retter eiligst nach Australien eingeschifft und die -friedliebenden Bürger flüchteten scharenweise auf die -Eisenbahnen. Wer zuerst da war hatte es am besten, -er konnte sich einen Platz im Zuge sichern, wenn er -ihn acht Stunden vor der Abfahrt besetzte.</p> - -<p>Rhodes telegraphierte den Johannesburger -Brief mit dem rührenden Hilferuf ohne Zeitverlust -an die Londoner Presse. Ein so altersgraues Dokument -hatte das Kabel noch nie befördert; der Brief -war schon vor zwei Monaten geschrieben, doch das -wußte niemand, das falsche Datum lautete ja auf -den 20. Dezember.</p> - -<p>Am Neujahrstag wurde Jameson von den -Buren geschlagen; tags darauf streckte er die Waffen.<span class="pagenum" id="Seite_294">[294]</span> -Er trug die Abschrift des Briefes bei sich, und wenn -er die Anweisung erhalten hatte, im Notfall dafür -zu sorgen, daß das Schriftstück den Buren in die -Hände fiele, so führte er den Befehl pünktlich aus. -Man fand den Brief auf dem Schlachtfeld in Jamesons -Satteltasche – er war ohne jegliche Geheimschrift -in englischer Sprache abgefaßt und mit dem -Namen der beteiligten Personen unterzeichnet. Die -Schuld an dem Einfall wurde dadurch auf die Reformpartei -gewälzt, so paßte es in Rhodes’ Berechnung. -Das Original war ja überdies in Amerika, -in England und dem übrigen Europa bekannt, ehe -Jameson seine Abschrift auf dem Schlachtfelde verlor. -Letzterer wurde dadurch im Lauf einer einzigen -Woche in England zu einem berühmten Helden gestempelt, -in Prätoria zu einem Räuberhauptmann -und in Johannesburg zu einem Narren und ehrlosen -Verräter – das alles hatte jener alte Brief -bewirkt!</p> - -<p>Die Mitglieder der Reformpartei waren in einer -schwierigen Lage gewesen. Hindernisse und Verwicklungen -engten sie auf allen Seiten ein. Wie sollten -sie ihren vielen und mannigfaltigen Obliegenheiten -nachkommen? –</p> - -<p>1. Mußten sie <em class="antiqua">Dr.</em> Jamesons widerrechtlichen<span class="pagenum" id="Seite_295">[295]</span> -Einfall verdammen und ihm trotzdem beistehen.</p> - -<p>2. Waren sie genötigt der Burenregierung Treue -zu schwören und den Rebellen Reitpferde zu liefern.</p> - -<p>3. Mußten sie alle offenen Feindseligkeiten gegen -die Burenregierung verbieten und Waffen unter -deren Gegner verteilen.</p> - -<p>4. Durften sie nicht in Zwiespalt mit der englischen -Regierung geraten, mußten Jameson unterstützen -und der Burenregierung entblößten Hauptes -den neuen Fahneneid leisten.</p> - -<p>Sie entledigten sich dieser Pflichten so gut sie -konnten; ja, sie erfüllten sie tatsächlich alle, nur nicht -zu gleicher Zeit, sondern nacheinander; die gleichzeitige -Erfüllung derselben wäre wirklich ein Ding -der Unmöglichkeit gewesen.</p> - -<p>Bei der ganzen Angelegenheit hat für mich die -militärische Frage ein größeres Interesse als die -politische, denn ich habe immer eine besondere Vorliebe -für den Krieg gehabt. Das heißt, ich meine -für Reden über den Krieg und Erteilung militärischer -Ratschläge. Wäre ich am Morgen nach der Grenzüberschreitung -bei Jameson gewesen, ich hätte ihm -geraten, wieder umzukehren. Die Truppen, die er -befehligte, waren nicht alte, kriegstüchtige Briten, -sondern größtenteils ungeübte junge Burschen. Wie<span class="pagenum" id="Seite_296">[296]</span> -sollten sie vom Pferde herab, im Gewühl der Schlacht -sicher zielen und treffen? Das war unmöglich, besonders -weil es gar nichts gab, wonach man schießen -konnte, als Felsen, hinter denen nach altem Brauch -und Herkommen die Buren steckten, denn auf freiem -Felde kämpften sie niemals. Die dreihundert Scharfschützen -der Buren hinter den Felsen konnten aber -natürlich Jamesons Reitern übel mitspielen. Um -im Kampf gegen die Buren Sieger zu bleiben, brauchten -die Engländer nicht allein Mut, sondern auch -Vorsicht, ganz wie wir beim Krieg gegen die Rothäute. -Die tapfern Briten, die den verborgenen -Buren offen entgegentraten, hatten sich die Folgen -selbst zuzuschreiben.</p> - -<p>Das Land war voller Hügelketten, Klippenreihen, -Bodensenkungen, Gräben und Moränen – -für Reitergefechte völlig unbrauchbar. Jameson -feuerte seine Geschütze auf die Felsen ab – er verdarb -die guten Felsen und verschwendete seine Munition -– aber wieviel Schaden er auch anrichtete, -die Buren zeigten sich nicht. Nun strömten seine -Scharen in langer Linie kühn voran, die Buren -schossen aus dem Hinterhalt und nach der ersten -Salve waren zwanzig englische Sättel leer. Es -dauerte nicht lange, so lagen sechzig Prozent der<span class="pagenum" id="Seite_297">[297]</span> -Angreifer tot oder verwundet am Boden; letztere -wurden von den Buren gefangen in das Hospital -nach Krügersdorp gebracht; sie selbst hatten nur -vier Mann eingebüßt, von denen zwei aus Versehen -durch ihre eigenen Leute getötet worden waren. Jamesons -Truppen kamen den Buren überhaupt nicht -nahe genug, um sie »rund um Transvaal herumzujagen«, -wie sie geprahlt hatten. Nachdem auch -ein letzter verzweifelter Angriff fehlgeschlagen war, -ließ Jameson die weiße Flagge wehen und ergab sich.</p> - -<p>Die britische Methode der Kriegsführung läßt -sich, wie gesagt, den Buren gegenüber durchaus nicht -mit Glück anwenden. Wenn mir die Führung eines -solchen Feldzugs übertragen worden wäre, hätte ich -die Sache ganz anders angefangen. Den Charakter -des Buren habe ich studiert: Am meisten schätzt er -die Bibel, und sein Lieblingsessen ist ›Biltong‹ -– an der Sonne getrocknete Fleischstreifen. Die -liebt er leidenschaftlich, und es ist ihm auch gar nicht -zu verdenken.</p> - -<p>Um die Buren zu bekriegen, wäre ich nur mit -Flinten ausgezogen und hätte die schweren Kanonen -zu Hause gelassen, die nur unnütz den Marsch aufhalten. -Heimlich würde ich mich bei Nacht bis zu -einer Stelle schleichen, die etwa eine Viertelmeile<span class="pagenum" id="Seite_298">[298]</span> -vom Lager der Buren entfernt ist, um dort eine fünfzig -Fuß hohe Pyramide von Biltong und Bibeln -zu bauen und meine Leute dahinter zu verbergen. -Am nächsten Morgen würden die Buren Kundschafter -ausschicken, der ganze Schwarm käme auf einmal -herbeigestürmt, meine Truppen könnten sie umringen -und Mann gegen Mann im freien Felde -kämpfen. Dann würden sich die Verluste auf beiden -Seiten etwas gleichmäßiger verteilen.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap22">Zweiundzwanzigstes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Selbst die Tinte, mit der die Weltgeschichte -geschrieben wird, ist nichts -als flüssig gemachtes Vorurteil.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Der Herzog von Fife hat als Zeuge ausgesagt, -daß Mr. Rhodes ihn betrogen habe. Mit den Johannesburgern -hat es Mr. Rhodes ganz ebenso gemacht. -Er hat sie ins Unglück gestürzt, ist aber selbst weit -vom Schuß geblieben. Ein gescheiter Kopf war er -von jeher, darüber sind alle einig. Nur einmal -hätte man fast an dieser Tatsache irre werden können. -Es war zur Zeit seines letzten Raubzugs im Matabele-Land;<span class="pagenum" id="Seite_299">[299]</span> -das Kabel verkündete laut, er sei unbewaffnet -dahin gegangen, um einige feindliche Häuptlinge -zu besuchen. Als man aber dies tollkühne -Beginnen bei Lichte besah, stellte sich heraus, daß -eine Dame teil daran genommen hatte, welche ebenfalls -unbewaffnet war.</p> - -<p>Manche Leute glauben, Mr. Rhodes sei gleichbedeutend -mit Südafrika; andere halten ihn nur -für einen wichtigen Teil des Landes. Nach ihrer -Meinung besteht Südafrika aus dem Tafelberg, den -Diamantgruben, den Johannesburger Goldfeldern -und Cecil Rhodes. Die Goldfelder sind wirklich -höchst wunderbar. In sieben oder acht Jahren wuchs -dort in der Wüste eine Stadt von 100 000 Einwohnern -empor, Schwarze und Weiße zusammengenommen; -aber nicht etwa eine gewöhnliche Bergwerksstadt -von hölzernen Baracken, sondern durch -und durch aus dauerhafterem Baumaterial. Nirgends -in der Welt findet man einen solchen Goldreichtum -wie in der Umgegend von Johannesburg. -Mr. Bonamici, mein dortiger Geschäftsführer, gab -mir eine kleine Goldstufe, auf welcher statistische Angaben -über den Goldertrag seit der frühesten Zeit -bis Juli 1895 eingeritzt waren. Sie bekunden den -Riesenfortschritt in der Ausbeute. Im Jahre 1888<span class="pagenum" id="Seite_300">[300]</span> -belief sich der Ertrag auf 4 162 440 $; in den -nächsten sechstehalb Jahren betrug die Totalsumme -17 585 894 $ und in dem einen Jahr bis Juni 1895 -gewann man einen Goldwert von 45 553 700 $.</p> - -<p>Das Kapital für den Bergwerksbetrieb stammt -aus England, die Grubeningenieure kommen aber aus -Amerika; auch bei den Diamantgruben spielen sie -die erste Rolle. Südafrika ist das Paradies für -den wissenschaftlich gebildeten Hüttenmann. Die -Amerikaner nehmen dort die besten Stellen ein und -werden sie auch zu behaupten wissen; ihr Gehalt -ist so hoch, wie es nicht ein einzelner, sondern eine -ganze Familie von Ingenieuren in Amerika beziehen -würde.</p> - -<p>Die Aktionäre der einträglichen Goldgruben erhalten -bedeutende Dividenden, und doch ist das Gestein -nicht sehr reich nach kalifornischen Begriffen; -wenn eine Tonne den Wert von zehn oder zwölf -Dollars liefert, ist man schon zufrieden. Das Gold -ist so sehr mit unedlen Metallen versetzt, daß der -Ertrag vor zwanzig Jahren nur etwa halb so groß -gewesen wäre, als jetzt. Damals machte es sich -nicht bezahlt, wenn man aus solchem Gestein noch -etwas anderes als das grobkörnige reine Gold gewinnen -wollte. Bei dem heutigen Cyanid-Verfahren<span class="pagenum" id="Seite_301">[301]</span> -aber beträgt die Gesamtausbeute an Gold in der -ganzen Welt jährlich fünfzig Millionen mehr, die -früher zu den Abfällen geworfen wurden.</p> - -<p>Das Cyanid-Verfahren war für mich ganz neu -und sehr interessant; auch von den großartigen und -kostspieligen Bergwerksmaschinen hatte ich manche -noch nie gesehen; mit dem übrigen Betrieb der Goldbergwerke -war ich jedoch völlig vertraut. Da ich -früher einmal selbst Goldgräber gewesen bin, verstand -ich gerade so viel davon wie die Leute in -Johannesburg, nur nicht, wie man Geld damit erwirbt. -Dagegen erfuhr ich viel Neues über die Buren, -von denen ich noch nichts wußte. Was man -mir dort sagte, wurde mir später auch in andern -Teilen Südafrikas bestätigt. Fasse ich nun alle jene -Berichte zusammen, so erhalte ich von dem Buren -folgendes Bild:</p> - -<p>Er ist sehr fromm, entsetzlich unwissend, schwerfällig, -eigensinnig, gastfrei, bigott und träge; -schmutzig in seinen Gewohnheiten, ehrlich bei Unterhandlungen -mit den Weißen, hartherzig gegen seine -schwarzen Diener, ein guter Schütze und Reiter, der -Jagd sehr ergeben; eifersüchtig auf seine politische -Unabhängigkeit, ein guter Gatte und Vater. Die -Buren leben ungern in Städten zusammengedrängt,<span class="pagenum" id="Seite_302">[302]</span> -sie lieben die Einsamkeit und Absonderung auf dem -großen, entlegenen, menschenleeren ›Veld‹. Ihre Eßlust -ist ungeheuer und sie sind nicht wählerisch bei -Befriedigung derselben – haben sie Schweinefleisch, -Mais und Biltong in genügender Menge, so verlangen -sie weiter nichts. Um ein Tanzvergnügen -mitzumachen, bei dem auch die Nacht hindurch wacker -geschmaust und gejubelt wird, scheuen sie einen tüchtigen -Ritt nicht; aber zu einer Gebetsversammlung -reiten sie gern noch zweimal so weit. Sie sind -stolz auf ihre Abstammung von den Holländern und -Hugenotten, stolz auf ihre religiöse und militärische -Vergangenheit, auf die Großtaten ihres Volks in -Südafrika – ihre kühnen Entdeckungsreisen in feindliche -und unbekannte Einöden, wo sie den Belästigungen -der ihnen verhaßten Engländer entgehen -konnten. Sie rühmen sich ihrer Siege über die -Eingeborenen und die Briten, am meisten jedoch -der persönlichen und überschwenglichen Gnade und -Fürsorge, welche die Gottheit ihren Angelegenheiten -allezeit hat zu teil werden lassen.</p> - -<p>Die Buren können durchschnittlich weder lesen -noch schreiben, Zeitungen sind zwar vorhanden, aber -niemand fragt danach; bis vor kurzem gab es keine -Schulen, die Kinder lernten nichts. Was in der Welt<span class="pagenum" id="Seite_303">[303]</span> -Neues geschieht, ist dem Buren gleichgültig, es geht -ihn nichts an. Das Steuerzahlen ist ihm verhaßt, -und er lehnt sich dagegen auf. Seit drittehalb Jahrhunderten -hat er in Südafrika stockstill gestanden und -würde am liebsten bis ans Ende aller Zeiten auf -demselben Fleck bleiben, denn die fortschrittlichen Gedanken -der Uitlanders sind ihm ein Greuel. Zwar -dürstet er nach Reichtum, wie andere Menschen auch, -aber ein reicher Viehstand ist ihm lieber als schöne -Kleider und Häuser, Gold und Diamanten. »Hätte -man das Gold und die Diamanten doch nie entdeckt,« -denkt er, »dann wäre der gottlose Fremdling -nicht ins Land gekommen, der Unruhstifter mit -seiner Sittenverderbnis!«</p> - -<p>Jeder, der Olive Schreiners Bücher kennt, wird -was ich hier anführe in der Hauptsache bestätigt -finden. Und daß sie ein ungünstiges Vorurteil für -den Buren hat, ist ihr noch von niemand vorgeworfen -worden.</p> - -<p>Was läßt sich nun aber nach alledem von dem -Buren erwarten? Was kann aus solchem Stoff -entstehen? Eine Gesetzgebung, sollte man meinen, -welche die Religionsfreiheit einschränkt, dem Fremden -die Wahlberechtigung und Wählbarkeit verweigert, -den Bildungs- und Erziehungsanstalten wenig<span class="pagenum" id="Seite_304">[304]</span> -förderlich ist, die Goldproduktion einschränkt, das -Eisenbahnnetz nicht erweitert, den Ausländer hoch -besteuert und den Buren freiläßt.</p> - -<p>Die Uitlanders scheinen indessen ganz andere -Dinge erwartet zu haben. Warum weiß ich nicht. -Es ließ sich vernünftigerweise nichts anderes voraussehen. -Ein runder Mensch paßt nicht gleich in -ein viereckiges Loch; man muß ihm erst Zeit lassen, -seine Form zu ändern. Gewisse Verbesserungen wurden -schon vor Jamesons Ueberfall vorgenommen und -seitdem ist noch manche Reform eingeführt worden. -Es sitzen weise Männer im Rate der Transvaal-Regierung -und ihnen ist der Fortschritt zu danken, -welchem die große Masse der Buren bis jetzt noch -kaum zugänglich ist. Wäre die Regierung weniger -weise, so hätte sie Jameson aufgehängt und aus -einem gewöhnlichen Piraten einen heiligen Märtyrer -gemacht. Aber auch die Weisheit hat ihre -Grenzen, und wenn man Mr. Rhodes jemals fängt, -wird man ihn sicherlich aufknüpfen und zu einem -Heiligen machen. Diese höchste aller menschlichen -Würden sollte ihm noch verliehen werden, nachdem -er schon alle übrigen Titel getragen hat, welche -irdische Größen bezeichnen.</p> - -<p>Den Johannesburgern sind bereits viele ihrer<span class="pagenum" id="Seite_305">[305]</span> -ursprünglichen Forderungen bewilligt worden; auch -ihre übrigen Beschwerden dürften mit der Zeit -schwinden. Sie sollten froh sein, daß die Steuern, -mit denen sie so unzufrieden waren, von der Burenregierung -erhoben wurden, statt von ihrem Freunde -Rhodes und seiner raubsüchtigen Südafrikanischen -Gesellschaft; denn letztere nimmt die Hälfte von allem -in Beschlag, was die Opfer ihrer Habgier beim Grubenbau -gewinnen, sie begnügt sich nicht mit einem -Prozentsatz. Stünden die Johannesburger unter -<em class="gesperrt">ihrer</em> Gerichtsbarkeit, sie wären längst im Armenhaus. -Der Name Rhodesia ist gut gewählt, um das -Land zu bezeichnen, wo Raub und Plünderung an -der Tagesordnung sind und unter dem Schutz des -Gesetzes nach Gutdünken betrieben werden können.</p> - -<p>Auf mehreren langen Fahrten lernten wir die -Eisenbahnen der Kapkolonie kennen. Alle Einrichtungen -sind bequem, man findet die größte Sauberkeit -und in den Nachtzügen behagliche Betten. Es -war Anfang Juni und Winterzeit: bei Tage eine -angenehme Wärme, nachts frisch und kühl. Während -man durch das Land fuhr, atmete man den -ganzen Tag über mit Wonne die kräftige Luft und -schaute auf die braune sammetweiche Ebene hinaus, -an deren Horizont mattschimmernde Hügelketten wie<span class="pagenum" id="Seite_306">[306]</span> -in einem fernen Traumland zu verschwimmen schienen. -Wie tief blickte man in den Himmel hinein -mit seinen fremden, seltsamen Wolkengebilden, wie -flutete ringsum der herrlichste Sonnenglanz in verschwenderischer -Fülle! Für mich hatte der Veld -im ersten Winterkleid einen ganz besonderen Reiz. -Wir kamen durch weite Strecken, wo der Boden -sich wellenförmig hebt und senkt und sich endlos -ausdehnt, gleich dem Ozean. Von dem hellsten bis -ins dunkelste Braun waren dort alle Schattierungen -vertreten, die sich zum schönsten Orangegelb, Purpur -und Scharlachrot wandelten, wo die Ebene mit den -bewaldeten Hügeln und den nackten, roten Felsklippen -zusammenfließt und der Himmel die Erde berührt.</p> - -<p>Ueberall, von Kapstadt bis Kimberley und von -Kimberley bis Port Elizabeth und East London haben -die Städte eine zahlreiche Bevölkerung von zahmen -Eingeborenen. Man hatte sie nicht nur gezähmt, -sondern vermutlich auch christianisiert, denn sie trugen -die abscheuliche Kleidung, wie sie bei unsern christlichen -zivilisierten Völkern Sitte ist. Einige von -ihnen hätten sich sonst durch hervorragende Schönheit -ausgezeichnet. Die häßlichen Kleider, der ihnen -eigene schleppende Gang, das sorglose Lachen und -ihre gutmütigen Gesichter mit dem zufriedenen, glücklichen<span class="pagenum" id="Seite_307">[307]</span> -Ausdruck machten sie zu einem täuschenden -Ebenbild unserer amerikanischen Schwarzen. Wo -nun alles andere vollkommen harmonisch und durch -und durch afrikanisch war, kam plötzlich ein Schwarm -solcher Eingeborenen gegangen, die gar nicht dorthin -paßten. Sie brachten einen Mißklang in die -Stimmung, es entstand ein halb afrikanisches, halb -amerikanisches Gemisch und der ganze Eindruck war -verdorben.</p> - -<p>An einem Sonntag sah ich in King Williams -Town wohl ein Dutzend farbige Weiber, die nach -neuster Mode kostbar und auffallend in die widersprechendsten -und grellsten Farben gekleidet waren. -Sie kamen über den großen, leeren Platz geschritten -und zeigten in Gang und Miene jene schmachtende -Vornehmtuerei, jenes innige Wohlgefallen an ihrem -Putz, das ich so genau kannte und das für mich stets -eine wahre Augenweide ist. Mir war, als sei ich -nach fünfzigjähriger Trennung wieder unter guten -alten Freunden und ich blieb stehen, um sie herzlich -zu begrüßen. Sie brachen in ein kameradschaftliches -Lachen aus, ihre weißen Zähne blitzten mir entgegen; -alle antworteten auf einmal, doch verstand ich kein -Wort von dem was sie sagten. Das verwunderte mich -höchlich; es war mir auch nicht im Traum eingefallen,<span class="pagenum" id="Seite_308">[308]</span> -daß sie eine andere Sprache reden könnten -als Amerikanisch.</p> - -<p>Auch die weichen, wohlklingenden Stimmen der -afrikanischen Frauen erinnerten mich an die Sklavinnen -aus meiner Kinderzeit. Ich folgte einigen bis -in den Oranje-Freistaat, das heißt, durch die ganze -Hauptstadt Bloemfontein, nur um den Laut ihrer -Stimme und ihr lustiges Lachen zu hören.</p> - -<p>Auf unsern Eisenbahnfahrten durch das Land -hatte ich Gelegenheit viele Buren zu sehen, die auf -dem einsamen Veld leben. Eines Tages stiegen in -einem Dorf hundert zusammen aus der dritten Klasse, -um sich auf der Station gütlich zu tun. Ihr Anzug -interessierte mich. Etwas so Häßliches an Form -und unharmonischer Zusammenstellung der Farben -war mir noch nicht vorgekommen. Der Anblick regte -mich in seiner Art fast ebenso auf, wie das Schauspiel, -welches mir die geschmackvollen Trachten und -schönen glänzenden Gewänder auf den indischen Stationen -bereitet hatten. Ein Mann trug Beinkleider -aus geripptem Baumwollzeug von dem abscheulichsten -verschossenen Gelbbraun, das ich je gesehen -habe, und sie waren obendrein neu, die Farbe war -absichtlich gewählt, nicht durch irgend ein Mißgeschick -entstanden. Ein langer, vierschrötiger Lümmel hatte<span class="pagenum" id="Seite_309">[309]</span> -einen zerknitterten grauen Schlapphut mit breiter -Krempe auf dem Kopf, rosinfarbene Hosen und einen -scheußlichen, nagelneuen Tuchrock, der mit seinen -wellenförmigen, breiten gelben und braunen Streifen -ein Tigerfell nachahmen sollte. Nach meiner -Meinung verdiente der Mensch gehängt zu werden; -als ich aber den Stationsvorsteher fragte, ob sich -das nicht bewerkstelligen ließe, verneinte er es auf -grobe Weise und mit ganz unnötiger Heftigkeit. Im -Fortgehen murmelte er noch etwas in den Bart, das -wie ›Esel‹ klang; auch lenkte er die öffentliche Aufmerksamkeit -auf mich und man zeigte mit Fingern -nach mir. Das hat man davon, wenn man versucht -etwas Gutes zu tun, es ist der Lohn der Welt!</p> - -<p>An jenem Tage erzählte mir ein Mitreisender -im Zuge noch allerlei von den Buren. Er sagte, -daß sie früh aufstehen und ihre Schwarzen an die -Arbeit treiben (sie müssen die Herden draußen auf -der Weide hüten), dann setzen sie sich hin um zu -essen, zu rauchen und zu schlafen; gegen Abend überwachen -sie das Melken u. dgl., essen, rauchen und -schlafen wieder, und gehen bei Dunkelwerden wieder -zu Bett in den wohlriechenden Kleidern, die sie den -ganzen Tag über und an jedem Werktag seit Jahren -getragen haben. Auch von ihrer bekannten Gastfreiheit<span class="pagenum" id="Seite_310">[310]</span> -wußte er ein Beispiel zu berichten: Einmal -machte ein hochwürdiger Bischof von Amts wegen -eine Reise durch den Veld, wo es keine Gasthäuser -gibt. Zur Nacht kehrte er bei einem Buren ein, -und als das Abendessen vorüber war, wies man -ihm sein Bett an. Er war müde und angegriffen -von seinem Tagewerk, kleidete sich aus und lag bald -in tiefem Schlaf. In der Nacht ward ihm so eng -und beklommen zu Mute, daß er erwachte; da sah -er den alten Buren und seine dicke Frau rechts und -links von ihm im Bett liegen; sie hatten alle ihre -Kleider anbehalten und schnarchten laut. Ihm blieb -nichts übrig als sich still zu verhalten und sein -Geschick zu ertragen; er quälte sich wachend bis zur -Morgendämmerung, dann schlummerte er noch ein -Stündchen ein. Als er die Augen wieder aufschlug, -war der alte Bur fort, aber die Frau lag noch -an seiner Seite.</p> -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p><span class="pagenum" id="Seite_311">[311]</span></p> - -<h2 class="nobreak" id="chap23">Dreiundzwanzigstes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Es gibt keinen Breitegrad auf der ganzen -Erdkugel, der sich nicht einbildet, daß er -eigentlich von Rechts wegen der Aequator -sein solle.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Unter den Naturerscheinungen von Südafrika -interessierte mich – nächst Mr. Rhodes – der Diamantkrater -am meisten. Die Goldfelder im ›Rand‹ -sind von erstaunlicher Größe; keine Goldgrube der -Welt kann sich neben ihnen blicken lassen, aber, wie -gesagt, den Betrieb kannte ich schon. Auch der Veld -macht einen gewaltigen Eindruck, doch ist er im -Grunde nur eine edlere, schönere Abart unserer großen -Prairie. Die Eingeborenen boten mir viel Anziehendes -aber wenig Neues, und in den Städten fand -ich mich meist von Anfang an ohne Führer zurecht, -denn ich <span id="corr311">kannte</span> die Straßen auswendig, da ich sie -unter andern Namen in den Städten anderer Länder -genau so gesehen hatte. Nur die Diamantgruben -waren für mich eine vollständige Neuheit, die mich -ganz und gar gefangen nahm. Es leben nur wenige -Leute, die den Diamanten in seiner Heimat besucht -haben. Gold findet man an zahlreichen Orten, aber<span class="pagenum" id="Seite_312">[312]</span> -der Diamant ist nur an drei oder vier Stellen in der -Welt heimisch; es lohnt wohl der Mühe um den -Erdball zu segeln, wenn man dafür die kostbarste -und auserlesenste Seltenheit aus der Schatzkammer -der Natur zu sehen bekommt.</p> - -<p>Die Diamantlager bei Kimberley wurden im -Jahre 1869 entdeckt; in Anbetracht der besonderen -Umstände muß man sich nur verwundern, daß die -Afrikaner sie nicht schon seit fünftausend Jahren -kennen und ausbeuten. Man fand die ersten Diamanten -offen auf der Oberfläche liegen; sie waren glatt -und durchsichtig und schienen Feuer zu speien, wenn -die Sonne sie bestrahlte. Hätte man nicht meinen -sollen, der Wilde würde sie jederzeit höher geschätzt -haben als alles andere auf der Welt, mit Ausnahme -von Glasperlen? – Seit zwei oder drei Jahrhunderten -haben wir ihm sein Land, sein Vieh, seinen -Nachbar und alles was er sonst noch zu verkaufen -hatte, für Glasperlen abgehandelt. Es ist daher -höchst verwunderlich, daß er sich den Diamanten -gegenüber so gleichgültig verhalten hat; denn er -muß sie, ohne Zweifel, unzähligemale aufgelesen -haben. Daß die Afrikaner nicht versuchten sie an -die Weißen zu verkaufen, ist sehr natürlich, denn -die Weißen besaßen ja schon Glasperlen von viel<span class="pagenum" id="Seite_313">[313]</span> -gefälligerer Form in Hülle und Fülle. Aber die -ärmeren Schwarzen, deren Mittel ihnen nicht erlaubten -sich mit wirklichem Glas zu schmücken, hätten -sich doch damit begnügen können die glitzernden Dinger -zu tragen; sie wären dem weißen Händler aufgefallen, -er hätte eine Probe mit nach Hause genommen -und nachdem ihre Natur erkannt worden war, -würden die Glücksjäger scharenweise nach Afrika geströmt -sein. Die Weltgeschichte ist manchmal recht -sonderbar, eines ihrer seltsamsten Vorkommnisse ist -aber ohne Frage, daß man die Diamanten Jahrhunderte -lang auf der Erde funkeln ließ, ohne daß -sich irgend ein Mensch darum kümmerte.</p> - -<p>Durch einen Zufall wurde die Wahrheit endlich -offenbar: In einer Burenhütte auf der weiten, einsamen -Ebene bemerkte ein fremder Reisender, daß -ein Kind mit einem glänzenden Gegenstand spielte. -Man sagte ihm, es sei ein Glasstückchen, das auf -dem Veld gefunden worden wäre. Er kaufte es -für eine Kleinigkeit, nahm es mit, und da er kein -ehrlicher Mann war, machte er einem anderen Fremdling -weiß, es sei ein Diamant. Er ließ sich 125 Dollars -dafür bezahlen und war so vergnügt über -den ungerechten Handel, als ob er ein gutes Werk -getan hätte. In Paris verkaufte der betrogene<span class="pagenum" id="Seite_314">[314]</span> -Fremde das vermeintliche Glasstück für 10 000 Dollars -an einen Pfandverleiher; dieser ließ sich dafür -von einer Gräfin 90 000 Dollars zahlen; die Gräfin -verkaufte es einem Bierbrauer für 800 000 Dollars, -der Bierbrauer ließ sich dafür vom König ein Herzogtum -und einen Stammbaum verleihen und der König -verpfändete den Diamanten. So hat sich die Sache -in Wirklichkeit zugetragen.</p> - -<p>Die Kunde von der großen Entdeckung verbreitete -sich mit Blitzesschnelle und das südafrikanische -Diamantenfieber brach aus. Jener erste Reisende, -der so unehrlich war, erinnerte sich auf einmal, -daß er gesehen hatte, wie ein Fuhrmann auf -steilem Wege sein Wagenrad mit einem Diamanten -gehemmt hatte, der so groß war wie ein Kinderkopf. -Sofort gab er alle andern Geschäfte auf und zog -aus, um jenen Diamanten zu suchen. Dabei hatte -er jedoch keineswegs die Absicht, irgend jemand wieder -um 125 Dollars zu betrügen, denn er war unterdessen -in sich gegangen.</p> - -<p>Wir wollen die Sache nun von ihrer lehrreichen -Seite betrachten: Die Diamanten liegen nicht -in fünfzig Meilen langen Felsschichten eingebettet, -wie das Johannesburger Gold, sondern sie verteilen -sich in den Schuttmassen, welche, wenn man so sagen<span class="pagenum" id="Seite_315">[315]</span> -will, den Schacht eines scharf abgegrenzten Brunnens -ausfüllen; außerhalb der Brunnenwände finden sich -keine Diamanten. Dieser Schacht ist nichts anderes -als ein großer Krater, dessen Oberfläche mit Gras -überwachsen ist und sich auf keine Weise von der -Ebene ringsumher unterscheidet. Das Weideland -über dem Diamantenkrater von Kimberley war groß -genug, um einer Kuh Nahrung zu geben, und von -der Weide, die im Innern verborgen war, hätte sich -ein Königreich satt essen können. Aber die Kuh -wußte nichts davon und verscherzte ihr Glück.</p> - -<p>Der Kimberley-Krater hat einen solchen Umfang, -daß das römische Kolosseum Platz darin fände; wie -weit sich die Einsenkung in die Tiefe erstreckt, weiß -niemand, denn man ist noch nicht bis zum Boden -des Kraters gekommen. Ursprünglich war das ganze -senkrechte Loch mit einer festen, bläulichen Masse -von vulkanischem Tuffstein angefüllt, in welcher sich -die Diamanten verteilen gleich den Rosinen in einem -Pudding. So tief wie sich das blaue Gestein in das -Erdinnere erstreckt, wird man auch Diamanten -darin finden.</p> - -<p>In der Nähe gibt es noch drei oder vier berühmte -Krater, alle in einem Umkreis von kaum -drei Meilen Durchmesser. Sie gehören der De Beers-Gesellschaft,<span class="pagenum" id="Seite_316">[316]</span> -die vor zwölf oder vierzehn Jahren -von Mr. Rhodes gegründet wurde. Auch noch andere -Krater, die zur Zeit das Gras bedeckt, sind -Eigentum der De Beers, welche genau wissen, wo sie -liegen und sie eines schönen Tages öffnen werden, -wenn die Gelegenheit günstig ist.</p> - -<p>Anfänglich waren die Diamantenlager im Besitz -des Oranje-Freistaats; aber durch eine wohlüberlegte -›Berichtigung‹ der Grenzlinie wurden sie der -Kapkolonie einverleibt und kamen unter britische -Herrschaft. Ein hoher Beamter des Freistaats sagte -mir, man habe der Republik 400 000 Dollars Entschädigung, -Schmerzensgeld, oder wie man es nennen -will, ausgezahlt, und nach seiner Meinung hätte die -Regierung klug daran getan, die Summe anzunehmen -und jeden Streit zu vermeiden, da alle Macht auf -der einen und alle Schwäche auf der anderen Seite -war. Jetzt gräbt die De Beers-Gesellschaft wöchentlich -Diamanten im Wert von 400 000 Dollars aus. -Das Kapland hat zwar den Grund und Boden erhalten, -aber nicht den Gewinn, denn die Gruben sind, -wie gesagt, Eigentum von Mr. Rhodes, den Rothschilds -und anderen De Beers-Leuten, die keine Abgaben -bezahlen.</p> - -<p>Heutzutage stehen die Gruben unter Leitung der<span class="pagenum" id="Seite_317">[317]</span> -fähigsten amerikanischen Grubeningenieure und werden -nach wissenschaftlichen Grundsätzen ausgebeutet. -Großartige Maschinen sind in Tätigkeit, um das -blaue Gestein zu zerkleinern, aufzuweichen und solange -zu bearbeiten, bis jeder Diamant, den es enthält, -aufgefunden und in Sicherheit gebracht worden -ist. Ich sah den ›Konzentratoren‹ bei ihrer Arbeit -zu; sie standen vor großen Behältern voll Schlamm, -Wasser und unsichtbaren Diamanten, und man sagte -mir, daß ein Mann täglich dreihundert Wagenladungen -aufgeweichtes Gestein – zu 1600 Pfund -die Ladung – durchrühren, auspumpen, zubereiten -und in drei Wagenladungen Schlamm umwandeln -könne. Man brachte in meinem Beisein die drei -Wagenladungen Schlamm auf die Siebsetzmaschine, -welche sie auf eine Viertelladung reinen, dunkelfarbigen -Sandes reduzierte. Dann ging es zu den -Sortier-Tischen, wo ich sah, wie die Arbeiter den -Sand rasch und geschickt ausbreiteten, ihn hin- und -herfegten und jeden Diamanten herausnahmen, den -sie aufblitzen sahen. Ich beteiligte mich eine Weile -daran und fand einen Diamanten, der halb so groß -war wie eine Mandel. Dies Fischen ist sehr aufregend; -mich durchbebte jedesmal ein Freudenschauer, -wenn ich einen der funkelnden Steine aus<span class="pagenum" id="Seite_318">[318]</span> -dem dunkeln Sand hervorglänzen sah. Könnte ich -mir doch dann und wann zum Festtagsspaß diesen -Zeitvertreib machen!</p> - -<p>Natürlich fehlt es dabei auch nicht an Enttäuschungen. -Zuweilen findet man einen Diamanten, -der keiner ist, sondern nur ein Stück Bergkrystall -oder ein ähnlich wertloses Ding. Der Sachverständige -unterscheidet es meist von dem Edelstein, den -es nachäffen will. Im Zweifelfall legt er es auf -eine Eisenplatte und schlägt mit dem Schmiedehammer -darauf. Ist es ein Diamant, so bleibt es heil -und ganz, alles andere wird zu Pulver zermalmt. -Diese Probe gefiel mir so sehr, daß ich immer wieder -mit Vergnügen zusah, wie oft sie auch vorgenommen -wurde. Man setzt dabei nichts aufs Spiel, und die -Spannung ist ein großer Genuß.</p> - -<p>Die De Beers-Gesellschaft läßt täglich 8000 Wagenladungen -– etwa 6000 Tonnen – blaues Gestein -verarbeiten und gewinnt daraus drei Pfund -Diamanten, die in rohem Zustand einen Wert von -50 000 bis 70 000 Dollars haben. Nachdem sie geschliffen -sind, wiegen sie weniger als ein Pfund, -ihr Wert ist aber vier- bis fünfmal größer als -vorher.</p> - -<p>Die ganze Ebene in jener Gegend ist einen<span class="pagenum" id="Seite_319">[319]</span> -Fuß hoch mit dem blauen Gestein bedeckt, so daß sie -aussieht wie ein gepflügtes Feld. Die Gesellschaft -läßt die Stücke ausbreiten, um sie längere Zeit der -Luft auszusetzen, weil sie dann leichter zu bearbeiten -sind, als wenn sie unmittelbar aus der Grube kommen. -Würde der Betrieb jetzt eingestellt, so könnte -man von dem Gestein, das dort auf dem Felde liegt, -noch drei Jahre lang täglich 8000 Wagenladungen -nach den Sortierwerken bringen. Die Felder sind -eingezäunt, sie werden bewacht und nachts durch -hohe elektrische Scheinwerfer beleuchtet, was sehr -zweckmäßig ist, da dort Diamanten im Wert von -fünfzig bis sechzig Millionen Dollars liegen und an -unternehmungslustigen Dieben kein Mangel herrscht.</p> - -<p>Auch im Schmutz der Straßen von Kimberley -sind Reichtümer verborgen. Vor einiger Zeit erteilte -man den Bewohnern unbeschränkte Erlaubnis sie -aufzuwaschen. Von allen Seiten strömten Leute herbei, -die Arbeit wurde sehr gründlich verrichtet und -eine reichliche Diamanternte gehalten.</p> - -<p>Die Grubenarbeiter sind Eingeborene, die zu -vielen Hunderten in Hütten wohnen, welche innerhalb -eines großen, umzäunten Hofes stehen. Es -ist ein lustiges, gutmütiges Volk und sehr gefällig; -der Kriegstanz, den sie vor uns aufführten, war das<span class="pagenum" id="Seite_320">[320]</span> -wildeste Schauspiel, das ich je gesehen habe. Während -ihrer Dienstzeit, welche, wenn ich nicht irre, in der -Regel drei Monate dauert, dürfen sie den Hof nicht -verlassen. Sie steigen in den Schacht hinunter, tun ihre -Arbeit, kommen wieder herauf, werden durchsucht und -gehen zu Bett oder machen sich irgendwo eine Kurzweil -auf dem Hofe. Das ist ihr Lebenslauf, tagaus, -tagein.</p> - -<p>Man glaubt, daß es ihnen jetzt nur selten gelingt, -Diamanten zu stehlen. Früher verschluckten -sie dieselben oder erfanden andere Methoden sie zu -verbergen. Aber der Weiße läßt sich jetzt schwer -überlisten. Ein Mann schnitt sich sogar ins Bein -und versteckte einen Diamanten in der Wunde, doch -selbst dieser Kunstgriff schlug fehl. Wenn die Leute -einen schönen, großen Diamanten finden, liefern sie -ihn im allgemeinen lieber ab, statt ihn zu stehlen. Im -erstern Falle erhalten sie eine Belohnung, im letzteren -kommen sie höchstwahrscheinlich in Ungelegenheiten. -Vor einigen Jahren fand ein Schwarzer in einer -Grube, die nicht den De Beers gehörte, den Diamanten, -von welchem man sagt, er sei der größte, den die -Welt je gesehen habe. Zum Lohn dafür wurde er -vom Dienst befreit, erhielt eine wollene Decke, ein -Pferd und 500 Dollars. Das machte ihn zu einem<span class="pagenum" id="Seite_321">[321]</span> -Krösus; er konnte sich vier Weiber kaufen und behielt -noch Geld übrig. Ein Eingeborener, der vier Weiber -hat, braucht nicht mehr für seinen Unterhalt zu sorgen -und keine Hand zur Arbeit zu rühren, er ist ein -vollkommen unabhängiger Mensch.</p> - -<p>Jener Riesen-Diamant wiegt 971 Karat. Er -soll so groß sein, wie ein Stück Alaun oder wie ein -Mundvoll Zuckerkant, manche behaupten sogar, wie -ein Klumpen Eis. Aber diese Angaben schienen -mir unwichtig und obendrein unzuverlässig. Der -Diamant hat einen Fehler im Innern, sonst würde -er von völlig unerschwinglichem Werte sein. So -wie er ist, schätzt man ihn auf 2 000 000 Dollars, -folglich müßte er nach dem Schleifen 5 000 000 bis -8 000 000 Dollars kosten; wer den Diamanten jetzt -kauft, kann also viel Geld ersparen. Er ist Eigentum -eines Syndikats und hat bisher keinen zahlungsfähigen -Käufer gefunden, so ist er denn ein totes -Kapital, bringt nichts ein und hat, außer dem glücklichen -Finder, noch niemand reich gemacht.</p> - -<p>Der Eingeborene fand ihn in einer Grube, welche -im Kontrakt bearbeitet wurde. Das heißt, eine Gesellschaft -hatte sich für eine bestimmte Summe und -eine Abgabe vom Ertrag das Vorrecht erkauft, -5 000 000 Wagenladungen blaues Gestein aus der<span class="pagenum" id="Seite_322">[322]</span> -Grube zu holen. Bei der Spekulation war kein -Gewinn erzielt worden; doch gerade am Tage, ehe -der Kontrakt ablief, kam der Schwarze mit dem -Diamanten angegangen. Auch die Diamantenfelder -sind nicht arm an überraschenden Episoden, wie -man sieht.</p> - -<p>Zwar wird der bekannte Koh-i-Noor mit Recht -wegen seiner Größe und Kostbarkeit gepriesen, doch -kann er sich nicht mit drei andern Diamanten messen, -die zu den Kronjuwelen von Portugal und Rußland -gehören sollen, und von denen einer den Wert von -20 000 000 Dollars hat, während der zweite auf -25 000 000 Dollars geschätzt wird und der dritte -auf 28 000 000 Dollars.</p> - -<p>Das sind in der Tat wunderbare Diamanten -– mögen sie der Sage angehören oder der Wirklichkeit -– aber der Edelstein, mit welchem jener Fuhrmann, -von dem ich oben sprach, auf dem steilen -Weg seinen Wagen gehemmt hat, war doch noch -viel größer. In Kimberley traf ich mit dem Manne -zusammen, der vor achtundzwanzig Jahren selbst -mit angesehen hatte, wie der Bur den Diamanten -unter das Wagenrad schob. Als er mir versicherte, -der Stein sei eine Billion Dollars wert, wenn nicht -darüber, glaubte ich es ihm aufs Wort. Der Mann<span class="pagenum" id="Seite_323">[323]</span> -hat siebenundzwanzig Jahre seines Lebens darauf -verwendet nach dem Diamanten zu suchen und wird -wohl seiner Sache gewiß sein.</p> - -<p>Wer sich das langwierige, mühevolle und kostspielige -Verfahren angesehen hat, durch welches die -Diamanten aus der Tiefe der Erde ans Licht gefördert -und von den Schlacken befreit werden, die -sie einschließen, der sollte zum Schluß nicht verfehlen, -dem Bureau der De Beers in Kimberley -einen Besuch abzustatten, wo täglich der Ertrag der -Gruben abgeliefert, gewogen, sortiert, geschätzt und -bis zum Einschiffen in eisernen Schränken verwahrt -wird. Ohne besondere Empfehlungen erhält niemand -Einlaß an diesem Ort, und aus den zahlreichen -Warnungstafeln und Schutzvorrichtungen, die allenthalben -angebracht sind, können selbst bekannte und -gutempfohlene Personen leicht ersehen, daß sie keine -Diamanten stehlen dürfen, wenn sie sich nicht Unannehmlichkeiten -aussetzen wollen.</p> - -<p>Wir sahen die Ausbeute jenes Tages in glänzenden -kleinen Häufchen auf weißen Papierbogen -liegen. Zwischen den einzelnen Diamanthäufchen war -auf dem Tisch immer ein Fußbreit Raum gelassen. -Der Tagesertrag stellte einen Wert von 70 000 Dollars -dar. Im Lauf eines Jahres kommen dort auf<span class="pagenum" id="Seite_324">[324]</span> -die Wage etwa eine halbe Tonne Diamanten, welche -achtzehn bis zwanzig Millionen Dollars einbringen; -der Profit beträgt ungefähr 12 000 000 Dollars.</p> - -<p>Das Sortieren wird von jungen Mädchen besorgt; -es ist eine hübsche, reinliche, nette, aber vermutlich -recht qualvolle Arbeit. Täglich lassen die -Mädchen reiche Schätze auf der Hand funkeln und -durch die Finger gleiten und gehen doch abends so -arm zu Bette, wie sie morgens aufgestanden sind, und -das einen Tag wie alle Tage.</p> - -<p>Auch in ihrem Urzustand sind die Diamanten -wunderhübsch anzusehen; sie haben verschiedene Formen, -eine glatte Oberfläche und abgerundete Ränder, -niemals scharfe Ecken. Es gibt Diamanten in allen -Farben und Schattierungen, vom klarsten Weiß des -Tautropfens bis zum wirklichen Schwarz; die meisten -sind hell und strohfarben. Wenn sie so glatt und -rund, so durchsichtig und schillernd daliegen, meint -man einen Haufen Fruchtbonbons zu sehen. Mir -schien, als müßten diese rohen Edelsteine weit schöner -sein als geschliffene. Erst als eine Sammlung geschliffener -Diamanten hereingebracht wurde, erkannte -ich meinen Irrtum. Einem Rosen-Diamanten mit -natürlichem Farbenspiel läßt sich an Schönheit nichts -vergleichen, außer ein Ding, das ganz und gar nicht<span class="pagenum" id="Seite_325">[325]</span> -kostbar ist und ihm doch täuschend ähnlich sieht. Das -ist vom Sonnenlicht durchglühtes Meerwasser, dessen -Wellen den weißen Ufersand bespülen.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Noch vor Mitte Juli kamen wir nach Kapstadt, -dem Endpunkt unserer Reise in Afrika. Nun waren -wir ganz befriedigt, denn als wir den hohen Tafelberg -über uns thronen sahen, wußten wir, daß wir -alle großen südafrikanischen Sehenswürdigkeiten in -Augenschein genommen hatten, außer Cecil Rhodes. -– Ich weiß wohl, das ist keine unbedeutende Ausnahme. -Denn mag nun Mr. Rhodes der erhabene -und verehrungswürdige Patriot und Staatsmann -sein, für welchen ihn viele halten, oder der Teufel -in Menschengestalt, für den ihn die übrige Welt -ansieht, jedenfalls ist er die imposanteste Persönlichkeit -im britischen Reich, außerhalb Englands: -Wenn er auf dem Kap der Guten Hoffnung steht, -fällt sein Schatten bis zum Zambesi. Er ist der einzige -Kolonist in den britischen Besitzungen, dessen -Kommen und Gehen allerwärts auf der Erde besprochen -und verzeichnet wird, dessen Reden das Kabel -unverkürzt nach allen Enden der Welt entsendet und -der einzige Ausländer von nicht königlichem Geblüt, -dessen Ankunft in London ebenso viel Aufsehen macht, -wie eine Sonnenfinsternis.</p> - -<p><span class="pagenum" id="Seite_326">[326]</span></p> - -<p>Daß er kein Findelkind des Glückes, sondern -ein außerordentlicher Mensch ist, leugnen auch seine -liebsten südafrikanischen Feinde nicht, soweit mir ihr -Zeugnis bekannt ist. Die ganze Welt Südafrikas -– Freund wie Feind – sieht mit ehrfurchtsvollem -Schauer zu ihm empor. Dem einen Teil erscheint -er als Bote Gottes, dem andern als ein Abgesandter -des Satans; das Volk ist sein Eigentum, mit einem -Hauch kann er es beglücken oder ins Verderben stürzen; -viele beten ihn an, viele verabscheuen ihn, aber -kein kluger Mann wagt ihm zu fluchen, und selbst -die Unvorsichtigen tun es nur in leisem Flüsterton.</p> - -<p>Was verschafft ihm aber diese gefürchtete Oberhoheit? -Ist es sein ungeheuerer Reichtum, von dessen -Fettöpfen für eine Menge Menschen Lohn und Unterhalt -herabträufeln, was sie zu einem willfährigen -Untergebenen macht? Ist es seine persönliche Anziehungskraft -und Ueberredungskunst, mit der er alles -hypnotisiert, was in den Bannkreis seines Einflusses -gerät? Sind es seine majestätischen Gedanken und -Riesenpläne für die Machterweiterung des britischen -Reiches, sein patriotischer und selbstloser Ehrgeiz? -Will er den segensreichen Schutz und die gerechte -Herrschaft Englands über die weiten Länder des -heidnischen Afrikas ausbreiten, damit der dunkle Erdteil<span class="pagenum" id="Seite_327">[327]</span> -vom Ruhme des britischen Namens wiederstrahlt? -Oder beansprucht er die Erde als sein Eigentum und -halten seine Freunde so standhaft an ihm fest, weil -sie glauben, er wird sie bekommen und auch ihnen -etwas abgeben? – Was auch immer des Rätsels -Lösung ist, das Endresultat bleibt dasselbe.</p> - -<p>Jedenfalls steht die Tatsache fest, daß Rhodes -tun kann was er will, ohne seine Herrschaft und -seinen ungeheuern Anhang zu verlieren. Der Herzog -von Fife sagt selbst, ›er habe ihn betrogen‹, doch -läßt sich der Herzog in seiner Ergebenheit dadurch -nicht irre machen. Rhodes bringt die Reformpartei -durch seinen Einfall in Transvaal in große Not, -aber die meisten glauben, er habe es gut gemeint. -Er beklagt die schwerbesteuerten Johannesburger und -macht sie sich zu Freunden; gleichzeitig verlangt -er von seinen Ansiedlern in Rhodesia fünfzig Prozent -und sichert sich dadurch ihr Vertrauen und ihre Zuneigung -in solchem Maße, daß sie in Verzweiflung -geraten, sobald sich nur das Gerücht verbreitet, die -Chartered Company solle aufgelöst werden. Er fällt -ins Land der Matabele ein, die er beraubt, erschlägt, -und sich dienstbar macht; dafür wird er von -allen Charter-Christen mit Lobsprüchen überhäuft. -Er hat die Briten verführt, tonnenweise wertlose<span class="pagenum" id="Seite_328">[328]</span> -Charter-Papiere für Noten der Bank von England -zu kaufen, und doch streuen ihm die Beraubten Weihrauch, -als dem Gott künftigen Ueberflusses. Er hat -alles getan, was sich irgend tun ließ, um seinen -Sturz vorzubereiten; ein Dutzend großer Männer -wären an seiner Stelle sicherlich zu Fall gekommen. -Er aber steht bis zum heutigen Tage auf seiner -schwindelnden Höhe unter dem Himmelsdom, als -ein Wunder seiner Zeit, als das Geheimnis des -Jahrhunderts; die eine Hälfte der Welt hält ihn -für einen geflügelten Erzengel und die andere für -einen geschwänzten Teufel.</p> - -<p>Ich bewundere ihn sehr, das gestehe ich ganz -offen, und wenn seine Zeit kommt, will ich mir ein -Ende von seinem hanfenen Strick zum Andenken -kaufen.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<h2 class="nobreak" id="chap24">Vierundzwanzigstes Kapitel.</h2> -</div> - -<div class="epi"> -<p>Ich bin mehr gereist als irgend ein Mensch -und habe die Entdeckung gemacht, daß selbst -die Engel kein reines Englisch sprechen.</p> -<p class="right"> -<em class="gesperrt">Querkopf Wilsons Kalender.</em> -</p> -</div> - -<p class="drop">Den majestätischen Tafelberg habe ich jedenfalls -gesehen. Er ist 3000 Fuß hoch; hat aber auch -eine Höhe von 17 000 Fuß. Man kann sich auf diese<span class="pagenum" id="Seite_329">[329]</span> -Zahlen verlassen, denn ich weiß sie aus dem Munde -der zwei Bürger von Kapstadt, welche am besten -darüber unterrichtet sind, weil sie sich das Studium -des Tafelbergs zum Lebensberuf gemacht haben. Die -Tafelbai wird so genannt, weil sie ganz eben ist. -Das Schloß des kommandierenden Generals ist vor -dreihundert Jahren von der Holländisch-Ostindischen -Kompagnie erbaut worden. Auch die St. Simons-Bai -habe ich gesehen, wo der Admiral wohnt, ferner -war ich im Gouvernements-Haus und im Parlament, -wo sich die Abgeordneten in zwei Sprachen stritten -und sich in keiner verständigten. Ich besuchte den -Klub und fuhr auf den schönen, gewundenen Straßen, -die sich am Meeresufer und an den Bergen entlang -ziehen, durch das Paradies, wo die Villen liegen. -Auch in den hübschen alten holländischen Wohnhäusern -aus früherer Zeit, die noch jetzt so behaglich -sind, verweilte ich als Gast.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Am 15. Juli traten wir in dem ›Norman‹, einem -prächtigen, trefflich ausgestatteten Schiff, die Rückfahrt -nach England an, die kaum vierzehn Tage -währte, und bei der wir uns nur in Madeira aufhielten. -Eine solche Reise ist wie zum Ausruhen -geschaffen für müde Leute, und deren hatten wir<span class="pagenum" id="Seite_330">[330]</span> -viele an Bord. Mir war zu Mute, als hätte ich -statt ein Jahr lang, Jahrhunderte lang Vorlesungen -gehalten, und die meisten Johannesburger auf unserm -Schiff waren noch sehr angegriffen von -ihrer fünfmonatlichen Einkerkerung im Gefängnis -zu Prätoria.</p> - -<p>Unsere Reise um die Erde endigte am Landungsplatz -von Southampton, wo sie vor dreizehn Monaten -begonnen hatte. Eine Weltumsegelung in so -kurzer Zeit schien mir eine schöne und große Tat, -auf die ich mir heimlich nicht wenig einbildete. Aber -nur einen Augenblick. Dann kam ein astronomischer -Bericht von der Sternwarte und verdarb mir die -ganze Freude: In der fernsten Ferne des Himmelsraumes -war erst kürzlich ein neuer großer Weltkörper -aufgetaucht, dessen Licht mit solcher Schnelligkeit -reiste, daß es in <span class="frac"><sup>1</sup>/<sub>7</sub></span> Sekunde die ganze Strecke durchmessen -könnte, die ich zurückgelegt hatte. – Des -Menschen Stolz verlohnt sich nicht der Mühe; immer -lauert etwas im Hinterhalt, das ihn zu Falle bringt.</p> - -<div class="figcenter" id="illu-330"> - <img class="w15" src="images/illu-330.jpg" alt="Dekoration" /> -</div> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<hr class="chap" /> -<p class="blockquot center"> -Die folgenden Ankündigungen des Verlags -werden gefl. Beachtung empfohlen. -</p> - -<hr class="chap" /> -</div> - -<div class="chapter"> -<p class="center">Verlag von <b>Robert Lutz</b> in <b>Stuttgart</b>.</p> -</div> - -<div class="hang"> - -<p><b class="s150">Bismarck-Anekdoten.</b> Heitere Szenen, Scherze -und Charakterzüge aus -dem Leben des ersten deutschen Reichskanzlers. Bearbeitet -von <b>Fr. Schmidt-Hennigker</b>. 4. vermehrte Aufl. 239 S. -Preis geh. M. 2.50 eleg. i. L. geb. M. 3.50.</p> -</div> - -<p>Das Buch enthält eine Fülle von Anekdoten, angefangen -mit Bismarcks frühester Jugend und fortgeführt bis an seinen -Lebensabend, und fesselt den Leser von Anfang bis zu Ende. -Der Charakter des großen Deutschen Bismarck kann dem Leser -nicht besser offenbart oder näher gerückt werden als durch diese -zahlreichen kleinen Züge.</p> - -<div class="hang p2"> - -<p><b class="s150">Humor Friedrichs des Großen.</b> Anekdoten, -heitere Szenen und charakteristische Züge aus dem Leben -König Friedrichs II. Bearb. von <b>Fr. Schmidt-Hennigker</b>. -5. vermehrte Aufl. 192 S. Preis geh. M. 2.–, eleg. -i. L. geb. M. 3.–.</p> -</div> - -<div class="hang p2"> - -<p><b class="s150">Marokkanische Geschichten</b> v. <b>A. J. Dawson</b>. -Autoris. Uebersetzung -von <b>Hans Lindner</b>. 2 Bände <em class="antiqua">à</em> M. 2.50 brosch., -M. 3.50 eleg. geb. – Jeder Band einzeln käuflich.</p> -</div> - -<p>Das <b>Berliner Tageblatt</b> schreibt: »Diese Geschichten tragen -den Stempel der Wahrheit und die echte maurische Farbe. Man -liest da von schrecklichen Kerkern, von barbarischen Zuständen, -kulturfeindlichen Sitten, seltsamen Menschenschicksalen, von fanatischen -Anschauungen, und innerhalb dieser Bücher tauchen stolze -Rassefiguren auf, verwegene Scheikhs, opfermutige Mädchen -mit glutvollen Augen und hingebender Liebe, heißblütige Haremsdamen -und fanatische Muselmänner. Alles, was diesem halbzivilisierten -Volke seine Physiognomie gibt, bildet in diesem -Buche die Steine zu einem charakteristischen Kulturbilde im -farbenprächtigen Rahmen einer vom Sonnenlicht umflossenen -Orientlandschaft.«</p> - -<p class="h2">Bret Harte’s</p> - -<p class="center larger">Ausgewählte Erzählungen.</p> - -<p class="center smaller">In 4 Oktavbänden <em class="antiqua">à</em> M. 2.– brosch., M. 3.– eleg. geb.</p> - -<p class="center smaller">Jeder Band einzeln käuflich.</p> - -<p><b>Inhalt</b>: Bd. I. <b>Drei Teilhaber.</b> Roman. – Bd. II. <b>Jack -Hamlin als Vermittler</b> u. a. Erz. – Bd. III. <b>Das jüngste -Fräulein Piper</b> u. a. Erz. – Bd. IV. <b>Das Licht im Felsenkessel</b> -nebst einigen kleinen Geschichten.</p> - -<p>Bret Harte ist neben Mark Twain in Europa der beliebteste -und gelesenste Schriftsteller Amerikas. Er ist unerschöpflich in -der Kunst, dem fernen Westen Amerikas eigentümliche Charakterfiguren -und originelle Handlungen zu schaffen. Die Sammlung -bringt eine Auswahl seiner besten Erzählungen der neueren Zeit -und zumeist solche, die <b>zum erstenmale in deutscher Sprache</b> erscheinen. -Bd. 3 und 4 befinden sich in Vorbereitung.</p> - -<p class="h2">Trilby. <span class="smaller">Roman von</span> G. du Maurier.</p> - -<p class="center smaller">Deutsche Ausgabe. <b>11. Aufl.</b> Brosch. M. 4.50 geb. m. G. M. 5.50.</p> - -<p>Der Roman ist von internationaler Berühmtheit und hat -namentlich auch in Deutschland einen großen Leserkreis gefunden. -Der Reiz des Buches liegt nicht in dem Hypnotismus, der darin -eine gewisse Bedeutung erlangt, sondern in der Herzlichkeit und -Gemütlichkeit der Erzählung, die das menschliche Interesse in -hohem Grade fesselt. Wir lachen und weinen in einer Gesellschaft -interessanter und meist liebenswürdiger Menschen, welche -sich um die Gestalt der seelenvollen Trilby gruppieren.</p> - -<p class="h2">Bekenntnisse eines Arztes.</p> - -<p class="center">Von <b class="larger">W. Weressájew</b>.</p> - -<p class="center">Einzige vom Verfasser genehmigte Uebersetzung von<br /> -<b>Heinr. Johannson</b>.</p> - -<p class="center"> -286 Seiten, nebst Porträt des Verfassers.<br /> -<b>Preis geh. M. 2.–, in Leinwand geb. M. 3.–</b>,<br /> -– 3. Auflage. (6. u. 7. Tausend.) – -</p> - -<p class="center"><span class="u">Peter Rosegger schreibt:</span></p> - -<p>»<b>Wieder einmal ein Buch, das in der ganzen zivilisierten -Welt Aufsehen macht. Und mit Recht, es ist eines -der ernstesten, redlichsten und nützlichsten Werke, die je -geschrieben wurden.</b> Der Verfasser erzählt mit erschütterndem -Freimut seine Erfahrungen als Arzt, seine Enttäuschungen, -seine Mißerfolge, seine Verzweiflung an der Medizin und – -seine Hoffnung auf sie. Seitdem ich dieses Buch las, steht der -ärztliche Beruf in meinen Augen größer da. Weressájew, der -junge russische Arzt, gesteht ein, wie unendlich gering sein Können -ist trotz unermüdlicher Studien und Forschungen, wie wenigen -er geholfen, wie viele er durch sein Irren geschädigt, getötet hat! -Und doch möchte ich gerade diesen Weressájew zu meinem Arzt -wählen. Wenn alle Aerzte so wären wie der Verfasser dieses -Buches, so gewissenhaft und so aufrichtig, dann würde der ärztliche -Stand bei allen vernünftigen Leuten höher dastehen als jetzt.</p> - -<p>Der Verfasser der »Bekenntnisse eines Arztes« ist – das -sieht man auf jeder Seite – <b>ein ganzer, ein guter und treuer -Mensch. Aber er ist auch ein großer Schriftsteller. Sein -Buch ist glänzend geschrieben.</b> Es hat in kurzer Zeit ungeheure -Verbreitung erlangt, die es verdient.«</p> - -<p class="h2">Sherlock Holmes-Serie</p> - -<p class="center">Gesammelte Detektivgeschichten</p> - -<p class="center smaller">von</p> - -<p class="center larger">Conan Doyle</p> - -<p class="center smaller">Illustriert von Rich. Gutschmidt und anderen.</p> - -<p class="center"><b>Vollständig in 6 Bänden</b> (ca. 1800 Seiten).</p> - -<p class="center"><b>Preis brosch. M. 12.–, in Lwd. geb. M. 18.–</b> bei Bezug -auf einmal; der einzelne Band kostet brosch. M. 2.25, -in Lwd. geb. M. 3.25.</p> - -<p>Die Ausgabe bringt folgende Werke:</p> - -<div class="blockquot"> - -<p>I. Späte Rache.</p> - -<p>II. Das Zeichen der Vier.</p> - -<p>III. Der Bund der Rothaarigen u. A.</p> - -<p>IV. Das getupfte Band u. A.</p> - -<p>V. Fünf Apfelsinenkerne u. A.</p> - -<p>VI. Der Hund von Baskerville.</p> -</div> - -<p><em class="gesperrt">Jeder Leser</em>, auch der gebildetste und anspruchsvollste, wird -an diesen <em class="gesperrt">ausserordentlich fesselnden Geschichten</em> grossen -Gefallen finden und den scharfsinnigen Beobachtungen und Schlussfolgerungen -Sherlock Holmes’ seine Bewunderung zollen. Wer -einmal eine dieser spannenden Erzählungen gelesen hat, der kann -es sich nicht versagen, auch die andern kennen zu lernen.</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="chapter"> -<p class="h2" id="Mark_Twains">Mark Twains<br /> -<span class="smaller">Ausgew. humoristische Schriften.</span></p> -</div> - -<p class="center">Inhalt:</p> - -<table summary="Buchtitel"> -<tr> -<td>Bd. I.</td> - <td><b>Tom Sawyers Streiche und Abenteuer.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. II.</td> - <td><b>Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. III.</td> - <td><b>Skizzenbuch.</b></td> -</tr> -<tr> -<td rowspan="2">Bd. IV. <span class="s200">{</span></td> - <td><b>Leben auf dem Mississippi.</b></td> -</tr> -<tr> - <td><b>Nach dem fernen Westen.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. V.</td> - <td><b>Im Gold- und Silberland.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. VI.</td> - <td><b>Reisebilder u. verschiedene Skizzen.</b></td> -</tr> -</table> - -<p class="center"> -Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden.<br /> -Preis aller 6 Bände, zusammen bezogen, -M. 13.50 gebunden. -</p> - -<p class="center p2"><span class="u">Neue Folge:</span></p> - -<table summary="Buchtitel"> -<tr> -<td>Bd. I.</td> - <td><b>Tom Sawyers <em class="gesperrt">Neue</em> Abenteuer.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. II.</td> - <td><b>Querkopf Wilson.</b></td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. III./IV.</td> - <td><b>Meine Reise um die Welt.</b> 2 Abt.</td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. V.</td> - <td><b>Adams Tagebuch</b> u. a. Erzähl.</td> -</tr> -<tr> -<td>Bd. VI.</td> - <td><b>Wie Hadleyburg verderbt wurde</b> u. a. Erzähl.</td> -</tr> -</table> - -<p class="center"> -Preis des <em class="gesperrt">einzelnen</em> Bandes M. 3.– gebunden.<br /> -Preis <em class="gesperrt">aller</em> 6 Bände, zusammen bezogen, -M. 17.– gebunden. -</p> - -<hr class="chap x-ebookmaker-drop" /> - -<div class="transnote chapter" id="tnextra"> - -<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p> - -<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. -Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p> - -<p>Korrekturen:</p> -<div class="corr"> -<p> -S. 165: Janesch → Ganesch<br /> -Eingang steht ein Bildnis von <a href="#corr165">Ganesch</a></p> -<p> -S. 311: konnte → kannte<br /> -denn ich <a href="#corr311">kannte</a> die Straßen auswendig</p> -</div> -</div> - -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ZWEITE ABTEILUNG ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for an eBook, except by following -the terms of the trademark license, including paying royalties for use -of the Project Gutenberg trademark. 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Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin:0.83em 0; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE<br /> -<span style='font-size:smaller'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE<br /> -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</span> -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person -or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ -electronic works. See paragraph 1.E below. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the -Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. 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The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work -on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the -phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: -</div> - -<blockquote> - <div style='display:block; margin:1em 0'> - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most - other parts of the world at no cost and with almost no restrictions - whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms - of the Project Gutenberg License included with this eBook or online - at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. 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If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.F.6. 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Information about the Mission of Project Gutenberg™ -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s -goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg™ and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state’s laws. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, -Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up -to date contact information can be found at the Foundation’s website -and official page at www.gutenberg.org/contact -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread -public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine-readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state -visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Please check the Project Gutenberg web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of -volunteer support. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Most people start at our website which has the main PG search -facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -This website includes information about Project Gutenberg™, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. -</div> - -</div> - -</body> -</html> diff --git a/old/66673-h/images/cover.jpg b/old/66673-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index e80d132..0000000 --- a/old/66673-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/66673-h/images/illu-053.jpg b/old/66673-h/images/illu-053.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 66d6959..0000000 --- a/old/66673-h/images/illu-053.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/66673-h/images/illu-330.jpg b/old/66673-h/images/illu-330.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index cbebcfd..0000000 --- a/old/66673-h/images/illu-330.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/66673-h/images/signet.jpg b/old/66673-h/images/signet.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 0777aca..0000000 --- a/old/66673-h/images/signet.jpg +++ /dev/null |
