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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
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-The Project Gutenberg eBook of Der Krieg im Westen, by Bernhard
-Kellermann
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Der Krieg im Westen
-
-Author: Bernhard Kellermann
-
-Release Date: December 28, 2021 [eBook #67033]
-
-Language: German
-
-Produced by: Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online Distributed
- Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This file was
- produced from images generously made available by The
- Internet Archive.
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER KRIEG IM WESTEN ***
-
-
-
-
-
- Der Krieg im Westen
-
-
- Kriegsberichte
- von
- Bernhard Kellermann
-
-
- 1915
- S. Fischer, Verlag
- Berlin
-
-
- Erstes bis zehntes Tausend.
- Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der Übersetzung.
- Copyright 1915 S. Fischer, Verlag.
-
-
-
-
- Inhalt
-
-
- Zur Westfront 7
- Das Feuer von Ypern 12
- Die Feldschanze 17
- Die Schlachtfelder in Flandern 24
- Nach den Schlachten 30
- Ein Flieger über Brügge 38
- Die Schlacht bei Arras 44
- Die Lorettohöhe unter Feuer 48
- Nachtkämpfe bei Arras 57
- Ein tapferes Regiment 64
- Gefangene aus der Arrasschlacht 73
- Die Gewitterstadt 80
- Die Kämpfe bei Moulin-sous-Touvent 87
- Granaten auf die Vororte von Soissons 94
- Fliegerangriff auf Fesselballone 102
- Der gefangene Sozialist 109
- Die Grabenkämpfe bei Souchez 115
- Der Kirchhof von Souchez 123
- Die Überlebenden aus dem Kirchhof von Souchez 129
- Das Schlachtfeld Arras-Souchez-Lorettohöhe vom Fesselballon aus 137
- Der Argonnerwald 142
- Die Kämpfe in den Argonnen 150
- Höhe 285 154
- Der Krieg unter der Erde 159
- La Bassée 165
- Die Gräben bei La Bassée 171
- Dicke Luft 177
- Der Herr der Haubitzen 183
- Der siegreiche Angriff in den Argonnen am 8. September 189
-
-
-
-
- Zur Westfront
-
-
- 3. Mai 1915
-
-Das besetzte Frankreich ist heute Friede und Sonne. Der Zug fliegt
-dahin, sorglos und leicht, als ob er Vergnügungsreisende an Bord habe,
-durch grüne Täler und blühende Landschaften. Er hat nichts Martialisches
-mehr an sich. Vor Monaten keuchte und klirrte er, wie ein schwerer
-Krieger, der in die Schlacht geht, er rasselte wie Panzer und tastete
-sich zornig vorwärts. Heute ist er ein gutmütiger europäischer D-Zug
-geworden, der unbekümmert seine Meilen abfährt. Fern ist der Krieg. Auf
-den Höhen der Ardennen liegt die Sonne, die Luft schmeichelt, die junge
-Saat leuchtet. Die Felder sind bestellt, säuberlich bunt wie ein
-Teppich. Nur da und dort liegt ein Acker grau und welk, vergessen und
-verödet, ungepflegt und stumpf, wie ein Mensch, der trauert. Man sieht
-ihn meilenweit! Was an Leuten zurückgeblieben ist und nicht vor dem
-Krieg entfloh, arbeitet in den Fluren. Es sind nur spärliche, dünne
-Trupps, die in der Sonne zerrinnen. Viele, die diese fruchtbare Erde
-gebar, sind fort, und viele kommen nicht wieder. Eine leise
-Beklommenheit liegt auf dem Lande. Halbwüchsige Burschen, Frauen und
-Greise streuen die Saat und verrichten heuer jene Arbeit, die sonst den
-Kräftigsten, Blühendsten und Erfahrensten zusteht. Hingegeben und ganz
-bei der Sache, voll heißer Wünsche, denn das Brot ist kostbar, schreiten
-sie durch die Äcker und schwingen den Arm, mit jener schönen und freien
-Geste, die ein Symbol des Friedens und der Wiedergeburt ist. Der Pflug
-ist hinter den Kanonen hergekommen und nahm seine Arbeit wieder auf. Die
-Schützengräben hier und da, wo der Krieg seine Zähne einschlug, sind
-längst zugeschüttet, Narben in der gemarterten Erde, und der Pflug geht
-darüber. Bald wird sich das Korn hier wiegen und das Land wird
-vergessen. Verbrannte Häuser und Dörfer, im hellen Schrecken verlodert,
-erwecken heute, in der Sonne, in der summenden heißen Luft, den
-Eindruck, als seien sie einem Schadenfeuer zum Opfer gefallen. Nicht
-anders sehen sie aus. Sie jammern und schreien nicht mehr wie im Herbst
-und Winter, wo sie ihre rauchgeschwärzten, verstümmelten Mauern in den
-Himmel streckten. Der Frühling deckt sie zu. Sie schweigen. Grün und
-Blüten verhüllen ihren Gram. Ein blühender Kirschbaum steht jung und
-schön, triumphierend inmitten der rauchgebeizten Trümmer einer Mühle,
-und Gras und Blumen sind dabei, die verbrannte Erde zurückzuerobern. Das
-Leben ist stärker als der Tod und der liebe Gott läßt sich nicht durch
-Granaten imponieren! Im November war ich im zerschossenen Longwy, alles
-war durchlöchert, zerschmettert, verbrannt – aber schon trieben die
-angekohlten Platanen des Kirchplatzes wieder starke grüne Knospen.
-Herden von Rindern weiden friedlich im Gras, dem Geschäft des Fressens
-hingegeben, und Väterchen hütet sie, das alte nämliche französische
-Väterchen, mit Holzschuhen, einem verwilderten grauen Bart, hager und
-mit entzündeten Augen, die flache Mütze auf dem kahlen Schädel. Weidende
-Pferde, Stuten mit ihren Füllen. Eine glückliche Schwangerschaft hat sie
-vor schwerem Dienst bewahrt.
-
-Der Bahnhof von Sedan ist so still, daß ich ihn kaum wiedererkenne. Im
-Oktober stand hier Zug an Zug, Gewühl, Lärm, Staub, Kanonen, Truppen,
-Sanitäter, Schwestern, Gefangene, Verwundete, Schmutz und Blut. Er war
-ein krachendes Rad am Kriegswagen. Heute ist es der Bahnhof einer
-kleinen Provinzstadt mit mäßigem Verkehr. Nichts sonst. Zwei endlos
-lange Lazarettzüge stehen da, aber sie sind beide unbelegt. Sie stehen
-in der grellen Sonne, alle Türen und Fenster offen, und schlafen. Das
-Personal sitzt und sonnt sich. Eine kleine rotbäckige Schwester gähnt
-und klopft sich auf den Mund, als sie sich beobachtet sieht. Ein
-Krankenwärter sitzt auf dem Trittbrett und schneidet sich sorgfältig die
-Nägel; ein andrer wäscht sich, er hat eben ausgeschlafen. Im Arztwagen
-ist keine Seele zu sehen. Wahrhaftig, wäre es nicht frivol, so könnte
-man sagen, die Lazarettzüge sehen wie Badehotels aus, die auf Gäste
-warten. Bei den Rampen stehen auf den Loren zwei nagelneue Flugzeuge,
-die Flügel zusammengeklappt, wie Schmetterlinge, die eben aus der Hülle
-schlüpfen und sich die Flügel von der Sonne trocknen und ausbügeln
-lassen. Bald werden sie hoch oben auf der sonnigen Luft liegen. Vom
-Frühling ausgebrütet, glänzend neu, liegt Material da und dort auf den
-Stationen: Lastautomobile, ohne Tadel, grüngestrichene Pumpen, feldgraue
-Karren; ein Trupp Infanterie, mit neuen Uniformen und frischen, roten
-Gesichtern, wie Knospen, gerade vom Gärtner geschnitten. Auf einem in
-der Sonne blitzenden Geleise stehen ein paar Geschütze. Neu wie das Gras
-auf der Wiese. Sie haben noch kein Blut geschluckt, es sind
-Kanonenjungfrauen; drall, massiv, die Haut glatt und kalt. In ihre
-ehernen runden Hüften gestützt, harmlos und unschuldig wie junge
-Raubtiere, glotzen sie mit ihren runden Mäulern, von dem Instinkt ihrer
-Rasse getrieben, in die Richtung, in der sie den Feind wittern.
-
-Der Zug fliegt weiter, läßt die Jungfern hinter sich, die neugierig und
-dumm noch immer in die gleiche Richtung starren, bis sie plötzlich
-hinter einem Berg von Blüten verschwinden. Ja, die Geschütze werden bis
-an den Hals in Blumen versinken, aber feuern werden sie doch! Eine
-Feldwache liegt unten im Schatten von Kastanien und schreit nach
-Zeitungen. Auch sie, die Biedern und Treuen, haben ein frühlingshaftes
-und friedlicheres Aussehen bekommen. Früher, in den kalten Monaten,
-eingemummt in Decken, Tücher und Mäntel, erschien jeder einzelne, der an
-der Strecke stand, wie ein festmontierter Panzerturm, drohend und
-unerbittlich. Heute, mitten im Grün, sehen sie lachend und friedfertig
-aus, wie gutmütige, treuherzige Burschen, die sie sind. Das herrliche
-Wetter hat sie aus ihren Löchern und Bauten gelockt und sie sonnen sich
-und genießen. Sie haben es redlich verdient. Ich konstatiere mit
-Freuden, daß der Winter ihnen nichts geschadet hat. Wohlgenährt, rosig
-und blühend sehen sie aus. Sie sind guter Laune und nun ganz zu Hause.
-Eine Wache hat große Wäsche und wirtschaftet schwitzend und halbnackt im
-Garten. Die Herrlichkeiten bleichen auf dem Rasen. Ein Dienstfreier hat
-soeben sein Bad genommen. Nur mit einer hochgekrempten Leinenhose
-bekleidet, sitzt er im saftigen Gras und schmort. Er hat ein Handtuch
-wie einen Turban um den rotglühenden Schädel geschlungen, da sitzt er
-wie ein Sultan und glänzt vor Gesundheit und guter Laune. Neben ihm
-hockt ein winziger weißer Hund, kaum acht Tage alt. Andre stehen
-vergnügt in einem Kreise von Weibern und Kindern und winken dem Zuge zu.
-Häufiger und häufiger aber werden die Angler!
-
-Ist es das französische Wasser, das zum Angeln lockt? Ist es der
-französische Fisch? Jedenfalls sitzen sie genau wie Stockfranzosen
-geduldig und aufmerksam mit der Rute da, wie gewiegte Sportsleute und
-Kenner und ergeben sich der Hypnose des glitzernden Wassers. Es handelt
-sich hier um einen Sport wie jeden andern, und der Erfolg ist nicht die
-Hauptsache. Sie sitzen an Pfützen und Löchern, wo gar keine Fische sein
-können, aber das ist einerlei. Auf einer Station trete ich an einen
-feldgrauen Angler heran, der so angespannt arbeitet, daß er nicht einmal
-nach dem Zug umblickt. Ich erlaube mir die Frage, ob er schon etwas
-gefangen habe? Der Angler dreht bedächtig den roten Nacken. Ob ich nicht
-sehen könne? Er ist Württemberger. Ach so! Entschuldigen Sie. In einer
-Blechbüchse neben ihm schwimmen zwei winzige Sardinen.
-
-Aber was ist das? Eine Rudergesellschaft! Fünf Feldgraue befahren in
-einem gebrechlichen Nachen einen Wassergraben, kaum zwei Schritt breit.
-Sie haben so voll geladen, daß der Mann im Heck schon mehr im Wasser
-sitzt als im Boot. Mit ihren primitiven Rudern legen sie einen Knoten in
-der Stunde zurück. Aber Sport ist Sport. Plötzlich schreien sie laut und
-wild und lachen: sie sind auf Grund gelaufen.
-
-So viel frohe und helle Stimmen sind in der Luft. Die Hühner gackern in
-den Gärten, Vögel zwitschern, Kinder wälzen sich lärmend im Gras, die
-Luft summt von Insekten. Der Himmel strahlt Zuversichten und Hoffnungen.
-Man atmet auf. Viele Monate hat man an einem schweren Gedanken getragen
-...
-
-Ich will in den Speisewagen gehen und frühstücken. Aber gerade als ich
-die schlingernden Korridore entlang balanciere, beginnt es in der Ferne
-zu brummen. Ich horche auf. Es rollt, murrt, grollt wie Gewitter, ein
-Satz ferner Kanonenschläge. Er steht immer noch da draußen, der blutige
-Trommler und schlägt seine Wirbel! Ich hatte ihn fast vergessen.
-
-
-
-
- Das Feuer von Ypern
-
-
- 8. Mai 1915
-
-Während die verbündeten Armeen in Westgalizien das russische Tor aus den
-Angeln brechen, sind wir hier oben im Westen dabei, die
-englisch-französische Panzertür einzurennen. Der Gegner hier oben ist
-zäher und intelligenter und läßt sich die Zähne aus dem Maul schießen,
-bevor er weicht. Die Kämpfe sind wütend. In aufrechten Sturmkolonnen
-liefen die Engländer da und dort gegen das Feuer unsrer Gräben an. Man
-ist guten Muts und voller Zuversicht. Wie ich höre, haben sich unsere
-Truppen in höllischen Nahkämpfen wie Rasende geschlagen. Sie gingen wie
-glühende Teufel vor. Ich sah sie heiß und dampfend aus den Stellungen
-zurückkehren, und der Rausch des Kampfes lag noch in ihren siedenden
-Augen und über den rauchenden, marschierenden Kompanien. Einige trugen
-Verbände, die meisten hatten schon wieder den Weg in die Wirklichkeit
-zurückgefunden und lachten. Seit den letzten Tagen dröhnt hier Himmel
-und Erde vom Donner der Geschütze. Die Kraterkette, die die deutschen
-Batterien in weitem Bogen gegen Ypern vorschoben, speit täglich Hunderte
-von Tonnen Eisen in den Hexenkessel von Ypern hinein. Ein Hauptmann
-versicherte mir, das Feuer sei heftiger, als es vor Antwerpen war.
-
-Heute morgen um sechs Uhr war ich an der Front, die im Südosten an das
-Operationsgebiet von Ypern stößt. Die Kanonen sind noch früher
-aufgestanden. Sie pochen, atemlos, wie schwere Schmiedehämmer, die im
-Akkord arbeiten, und die Luft wettert von den wütenden Schlägen. Auch
-nicht eine einzige kleine Sekunde Pause gönnen sie sich. Sie sind ein
-Rudel von Gewittern im Hochgebirge, die knurren und grollen, verstört
-hin und her irren und nicht zur Ruhe kommen. Häufig fallen die Schläge
-zusammen, und dann dröhnt und rollt es, als donnere eine Bergwand zu
-Tal. Sie stampfen über und unter der Erde, sie sind ringsum, überall.
-Der ganze Horizont brandet. Sie saugen die Atmosphäre ein und schnauben
-sie aus. Das Gebäude der Luft wankt. Je näher das Auto jagt, desto
-wütender und wilder wird das Feuer. Deutlich hört man aus dem atemlos
-auf und ab wogenden Pochen und Stampfen das böse, tiefe Raubtierknurren
-der schwersten Geschütze heraus, die die andern überbrüllen.
-
-Wir halten in einem zerschossenen Gehöft, einige hundert Meter von den
-englischen Stellungen entfernt, und der Boden rollt ununterbrochen unter
-meinen Füßen, wie von schweren Lastautomobilen. Die Seismographen, denke
-ich, müssen die Erschütterung der Erdkruste auf Hunderte von Meilen im
-Umkreis anzeigen, falls sie etwas taugen. Ich habe noch kein Erdbeben
-erlebt, aber es kann kaum anders sein. Es ist richtiges wildes
-Trommelfeuer (ein neues Wort für mich) und zuweilen verschlägt es mir
-den Atem, obschon ich einigen Lärm vertrage. Schlag auf Schlag, bebend
-von Leidenschaft, unerbittlich und rasend, Salvenhiebe eines Boxers, der
-den Gegner erbarmungslos niederhämmert. Die Geschütze schütteln sich vor
-Wut, sie glühen und taumeln, kochenden Schaum vor dem Maul, und speien
-ihren Haß hinüber.
-
-Der Morgen ist göttlich. Die Welt leuchtet und die Vögel singen
-unbekümmert. Aber ich sehe und höre nicht, ich ergebe mich der lauten
-Brandung des Feuers, die mächtig, wie der Ozean, daherrollt. Zuweilen
-wage ich es, einen kleinen scheuen Blick zum Himmel emporzuwerfen, der
-in seiner Herrlichkeit blendet, zuweilen erbleiche ich im Innern, und
-manchmal hätte ich Lust, mich zu bekreuzen. Ich bin, ohne mich’s zu
-versehen, mitten in ein Gewitter der Urzeit geraten, da die Erde sich
-spaltete und die Gebirge gebar. Oder was ist es? Führt die Erde Krieg
-mit der Sonne und befeuert sie aus ihren Vulkanen rasend das Gestirn am
-Himmel? Poltern Unholde im Raum, die ich nicht sehe und die rings um
-mich toben? So unheimlich und mächtig ist das Toben, von solch
-elementarer Wucht, daß meine Maßstäbe versagen, wie vor den Zahlen der
-Astronomen, und es mir schwer wird zu glauben, daß hier Menschen kämpfen
-und auf Fleisch und Knochen geschossen wird. Ja, verstehst du wohl, es
-ist der Mensch, von menschlichen Müttern geboren, der hier eine Sache
-unter sich ausmacht. Auf seine Art, mit seinen Maschinen und seinem
-Zorn. Der Dämon der Erde, angefüllt mit urweltlichen Instinkten, die
-lange schlafen und die ein Nichts wecken kann. Ich bin, wenn man will,
-in ein Völkergewitter geraten, das sich wütend entlädt, bei dem es Eisen
-hagelt und Blut regnet.
-
-Ich muß gestehen, ich möchte heute nicht in Ypern und in der Umgebung
-Yperns sein. Ich möchte auch nicht, daß ein Freund und Bruder von mir
-dort wäre. Selbst für englische Nerven, denke ich, muß es genügen, und
-ich bin sicher, heute gehen ihnen die Pfeifen aus. Ich spreche gar nicht
-von den Franzosen und Farbigen, die mit der Hälfte zufrieden wären. Sie
-– die Engländer – wissen recht gut, daß es uns Ernst ist, und täuschen
-sich nicht über die Lage. Unerbittlich und mitleidlos ist die Sprache
-der Geschütze. In ganzen Rudeln stoßen ihre Flugzeuge aus dem Feuerloch,
-aufgescheucht und unruhig, und kreuzen hartnäckig und verzweifelt über
-unsern Stellungen, um die Geschütze zu finden. Wie zornige Raubvögel,
-deren Horst brennt, kreisen sie hoch oben und spähen nach dem Feind.
-Heute morgen, vor fünf, hat mich schon das Krachen der Abwehrkanonen aus
-den Federn getrieben. Nun, da der Tag wächst, stehen bald rechts,
-bald links hoch oben am blauen Himmel die Reihen der weißen
-Schrapnellwölkchen. Plötzlich kracht es auch dicht neben mir, ein harter
-und naher Knall, und eine Granate zischt gierig und böse knirschend über
-meinen Kopf hinweg in den Himmel empor. Ein englischer Doppeldecker in
-eiliger Fahrt, gut 2000 Meter hoch. Das Schrapnell explodiert hinter
-ihm. Zwei, drei. Wie Raketen fauchen sie in die Höhe. Vier, fünf. Ein
-Maschinengewehr rasselt und streut eine Fontäne von Spitzkugeln in den
-Äther. Nun reißt ein Geschütz in einiger Entfernung links ab und der
-Engländer bekommt Stirnfeuer. Prächtige Schüsse! Ein Schrapnell muß
-dicht über ihn weggeflogen sein. Der Engländer hat genug, er wendet in
-toller Kurve und geht mit dem Wind davon. Aber er kommt wieder. Dreimal
-versucht er es, hartnäckig und kühn, unsre Stellungen zu überfliegen,
-und dreimal muß er zurück. Das Maschinengewehr hämmert wie toll und kann
-sich nicht mehr beruhigen.
-
-Das Geschützfeuer aber rollt und pocht, ohne Atem zu holen, die Salven
-dröhnen. Die Schlacht geht weiter. Wie sage ich? Sie hat erst
-_begonnen_. Es ist sieben Uhr.
-
-Am Abend sah ich die Sonne im Westen versinken, blutrot, groß und
-düster, wie sie an großen historischen Schlachttagen gesunken sein soll.
-Sie sah aus wie ein blutüberströmtes Antlitz, die Sonne von Ypern, naß,
-zerschossen, und sterbend noch voll Majestät.
-
-Die Geschütze aber schlugen noch immer.
-
-
-
-
- Die Feldschanze
-
-
- Mai 1915
-
-Der Adlerwagen fegt die Landstraße hinunter, als sei der böse Feind
-hinter ihm her. Er springt in langen Sätzen über die frischbeschotterten
-Granattrichter hinweg und sucht so rasch wie möglich in Deckung des
-zerschossenen Gehöftes zu kommen, auf das die staubige Straße
-schnurgerade zuführt. Die Sache ist die: gewöhnlich setzt es hier eine
-Lage, und die feindlichen Geschütze sind, wie ein Blinder sehen kann,
-verteufelt genau eingeschossen. Allein nichts geschieht. Der Wagen duckt
-sich hinter eine Backsteinbaracke, ein ehemaliges Wirtshaus, dessen
-Stirn jämmerlich zerschmettert ist wie von Keulenhieben. Hier pflegen
-die Granaten gewöhnlich einzuschlagen.
-
-Der Begleitoffizier hegt noch immer Hoffnungen. Er lauscht hinüber, und
-ich sehe ihm deutlich an, daß er enttäuscht ist. Er hatte mir die Lage
-angekündigt und empfindet es als eine Störung des Programms, daß der
-Feind zu faul ist zu schießen.
-
-„Dann bekommen wir sie sicher auf der Rückfahrt!“ Das ist ein gewisser
-Trost.
-
-Zu Fuß geht es weiter, denn er – der Feind – würde es als eine
-Achtungsverletzung betrachten, wenn man auch die allerletzte Strecke zu
-den Gräben noch im Auto zurücklegte. Es gibt immerhin Grenzen.
-Eigentümlich ist das Gefühl, zu Fuß zwei Kilometer in der hellen Sonne
-eine Landstraße entlang zu promenieren, ohne jede Deckung, knappe
-achthundert Meter an den feindlichen Gräben entlang. Sie können uns ja
-deutlich sehen, mit bloßem Auge, und die roten Streifen der
-Offiziersmützen leuchten weithin. Weshalb schießt er nicht? – „Sie
-frühstücken, sie rasieren sich.“ – Drüben liegen Engländer. Sie trinken
-jetzt wohl Tee und essen Marmelade dazu, was mögen sie tun? Immerhin, es
-liegen Hunderte von Gewehren schußbereit. Vielleicht reizt sie das kecke
-Rot der Offiziersmützen, vielleicht haben sie schlecht geschlafen, oder
-vielleicht sind sie mit dem Frühstücken gerade fertig geworden und haben
-Lust, ein wenig zu arbeiten. Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß uns
-ein Offizier durch das Glas genau beobachtet, in unsern Mienen mit den
-Blicken herumtastet, und es lediglich von seiner Laune abhängt, ob er
-feuern lassen will. Nichts ereignet sich. Auf dem Rückweg allerdings,
-ich will das vorausnehmen, summten ganz unvermittelt ein paar Kugeln
-über uns weg – aber nur weil wir stehengeblieben waren, um einen Flieger
-zu beobachten. Es gibt eben hier Sitten wie überall, gehen ist erlaubt,
-stehenbleiben wird als Unhöflichkeit angesehen.
-
-In dem von Granaten übel zugerichteten Dorf empfängt uns der Kommandeur
-des Regiments. Ein Mann wie aus Wurzelholz geschnitzt, knorrig, stark
-und schlicht, ohne Pose und ohne Phrase. Das gibt es hier außen nicht.
-Er hat die Augen des Frontoffiziers, _Frontaugen_, die aus Hunderten
-herauszufinden ich mich jederzeit erbiete. Sie sind glänzend und rein,
-bewußt, ein wenig nachdenklich und voll Anteilnahme. Der Mensch ohne
-Lack und Firnis blickt aus ihnen. Es sind Augen, wie Menschen sie haben,
-die der Tod anschauerte, die er zuweilen mit seinem Finger berührte und
-denen er ein kleines Wort zu irgendeinem Augenblick ins Ohr flüsterte.
-
-Wir steigen in die Schanze ein. Hier stand früher einmal eine Brauerei.
-Früher! Die Granaten sind heißhungrig darüber hergefallen und haben nur
-Trümmer übriggelassen. Sie haben die Mauern zerfressen, die Kamine mit
-Stumpf und Stiel verschlungen und Kessel und Röhren zu Klumpen zerkaut.
-Fanden sie nichts andres, so fraßen sie tiefe Löcher aus der Erde.
-Laufgänge und Schützengräben durchspinnen und umspinnen den Komplex der
-Ruine. Mit Sandsäcken und erdgefüllten Bierfässern hat der Kommandeur
-ein Fort aus den Trümmern gebaut, eine groteske und musterhafte Festung,
-in der man vor Gewehrkugeln wenigstens ziemlich sicher ist, wenn man
-nicht allzu großes Pech hat. Wieder und wieder versucht der Feind, die
-Schanze durch Granaten zu zerstören, immer wieder wird geflickt, gebaut
-und verrammelt. Bombensichere Mannschaftsunterstände mit winzigen
-Eingängen – Villa Duck dich, Villa Frieden usw. – mit kleinen blühenden
-Gärtchen davor. Hier und da ein paar blumengeschmückte Gräber. Der
-„Friedhof der Leichtsinnigen“. Hier ruhen zur Warnung für die Lebenden
-jene Tapferen, die aus Unvorsichtigkeit und Leichtsinn dem Tod
-entgegenliefen. Sie streckten den Kopf aus dem Graben, um zu sehen, ob
-etwas los wäre, sie krochen aus dem Graben heraus, obgleich es verboten
-ist, nur um einmal etwas _Neues_ zu tun. Nun liegen sie da, dicht neben
-den Blumenbeeten, und die Kameraden pfeifen ihr Liedchen über ihr Grab.
-Das ist, ganz kurz, was es hier oben zu sehen gibt, zwischen den Wällen
-sozusagen. Die eigentliche Festung aber liegt in den Kellern der
-Brauerei, zweistöckig und labyrinthisch. Nasse, finstere, niedrige Gänge
-wie in einer Schauerburg. Trübes Bier schwimmt in einem Graben, Treppen
-und Verschläge, die in pechschwarze Stollen und Kamine hinabführen,
-Mauern aus Sandsäcken und Fässern. Schießscharten dazwischen, vorsichtig
-mit Ziegelsteinen verschlossen. Sehr freundlich sieht es hier nicht aus.
-In den Kellerräumen, wo die Mauern am dicksten sind, schlafen die
-Mannschaften beim trübseligen Schein einer verstaubten, elektrischen
-Lampe. Sie liegen, dicht nebeneinander gepackt, in Uniformen und
-schweren Stiefeln, so wie sie aus den Gräben kommen. Wie verwunschene
-Bergleute, von einem Zauber eingeschläfert, liegen sie da. Sie wachen
-nicht auf, wenn wir eintreten. Der Schweiß perlt auf ihren eckigen
-Stirnen, es ist heiß hier unten. Sie genießen den Schlaf, sie klammern
-sich an ihn. Heute sind sie soundsoviel, morgen sind sie einer oder zwei
-weniger. Ein Platz wird leer sein oder zwei oder mehr. Daran sind sie
-gewöhnt. Sie leben von heute auf morgen, und sie gehen vom Leben in den
-Tod, wie man eine Tür zumacht, und niemand sieht sie wieder. Wenn sie
-heute das erste Wort sprechen, so wissen sie nicht, ob es nicht ihr
-letztes ist. Ein junger Schläfer schwitzt stärker als die andern, seine
-Wimpern sind nahezu weiß. Auf seinen roten Backen flimmern feine
-Härchen. Sein Mund steht offen und zeigt die weißen starken Zähne. Er
-scheint zu lachen im Schlaf und schläft so ruhig und gesund wie in
-seinem Dorf zu Hause. Neben ihm liegt ein Dunkelhaariger, mit gelber
-Gesichtsfarbe und dichten Bartstoppeln. Er schläft unruhig und röchelt
-gepreßt. Träumt er? Träumt er, daß der Engländer kommt und ungeniert in
-den Drahtverhauen wirtschaftet, und er schießt und schießt, aber der
-Engländer ist nicht zu treffen, er zieht eine Zange heraus und fängt an,
-in aller Gemütsruhe die Drähte zu durchschneiden ... Plötzlich öffnet er
-die Augen, sie blicken grünlich, und starrt mich an. Sobald er sich
-regt, taucht hinten ein fahles Gesicht empor. Aber im nächsten
-Augenblick schlafen sie wieder, und alle schlafen, dicht
-aneinandergedrückt, tief und traumlos, als ob sie keine Lust hätten
-aufzuwachen.
-
-Luft, Licht. Wir tauchen aus dem dunkeln Bergwerk empor in die grelle
-Sonne. Über meinem Kopfe rasselt und trommelt plötzlich ein Kobold in
-den Kupfertöpfen der Brauerei. Eine Kugel. Sahen sie uns an den
-Schießscharten vorübergehen? Die Gräben sind das Letzte an
-Bequemlichkeit und Umsicht. Tief eingeschnitten, so daß man sich nicht
-zu bücken braucht, die Schießscharten solid verschalt wie tiefe Nischen.
-Bei jeder ein Täfelchen mit dem Namen des Schützen. Der Boden ist mit
-Brettern ausgelegt, und da und dort steht: Nicht ausspucken! Es spuckt
-auch niemand aus. Eine Dame könnte in einem Ballkleid hier gehen. Ich
-habe von französischen Gräben gehört, wo sie in ihrem eignen Dreck
-herumlaufen und ihre Toten, mit einer Lage Erde darüber, als Diele
-benützen. Ein Toter ist tot und spürt nichts mehr, aber trotzdem ...
-
-„Sehen Sie etwas?“
-
-„Ja. Einer guckt immer mit dem Kopfe raus. In der Nacht haben sie eine
-Puppe an einer Stange aufgehängt. Dort!“
-
-Durch die kleine, rechteckige Schießscharte blickt man in das grüne Land
-hinein, wie durch ein Fernrohr. Unsere Drahtverhaue, dann eine Wiese,
-die leicht im Winde schwankt. Dahinter dünnes, wirres Gestrüpp. Das sind
-_seine_ Drahtverhaue. Ein kleiner Wall aufgeworfener Erde. Sonst ist
-nichts zu sehen, so sehr ich mich auch anstrenge. Auf diesem Streifen
-Wiesenland, ein paar hundert Meter breit, bewegt sich nichts, seit
-vielen Monaten nichts. Es ist ein verfluchter Streifen Land. Das Gras
-wächst, weil es keine Vernunft hat, aber kein Falter, kein kleiner Vogel
-lebt hier. Nur die Kugeln spinnen ihr Netz darüber. Plötzlich erschrecke
-ich. Da steht, man mag es glauben oder nicht, wahrhaftig ein Mensch
-aufrecht und unbekümmert auf dem Erdwall drüben! Ich erschrecke für ihn,
-obwohl ich es ja nicht bin, der da drüben steht, und ich erschrecke vor
-allem, weil sich auf diesem leblosen Streifen Land überhaupt etwas
-zeigt. Ist er toll geworden? Aber das ist ja die Puppe! Dann und wann
-knallt es da drüben, in der Ferne rumpelt Geschützdonner. Die Schanze
-aber schweigt. Sie hat seit zwei Tagen keinen Schuß abgegeben. „Es ist
-ein richtiger Spaß! Er soll glauben, daß wir fort sind.“ Aber er glaubt
-es ja doch nicht. Gestern hat er alle Schießscharten einzeln
-abgestrichen und die Schanze hatte zwei Tote.
-
-Sonderbar ist so ein winziges rechteckiges Fensterchen ins grüne Land.
-Es ist ein Fenster ins Jenseits ... Es ist möglich, daß in dem gleichen
-Augenblick, in dem der Feldgraue hinaussieht, der Tod hereinblickt, und
-der Feldgraue erschrickt und fällt hintenüber ...
-
-Ein Gewirr sind die Gräben, auf, ab, hin und her. Maschinengewehre, sie
-haben den schönsten Platz. Überall stehen Posten. Sie stehen hier Tag
-und Nacht, heute, morgen und in diesem Augenblick. Seit dem Herbst, da
-das Laub fiel, und jetzt ist es wieder grün.
-
-In den letzten Tagen hat die Festung ein neues Fort dazubekommen. Der
-Feind hat einen Minengang vorgetrieben und gesprengt. Es ist ein Krater,
-rund und groß wie ein Karussell, und der Rand des Kraters ist schon
-wieder ausgebaut und befestigt. Ideal ist das Fort, es flankiert unsere
-Gräben. Leider hat es drei von unsern tapfern Leuten gekostet. Sie
-liegen tief unten in der Erde, so tief, daß man sie nicht holen kann. So
-hat hier jeder Tag seine Ereignisse, und die nächste Minute kann sie
-bringen. Er kann ja eine neue Mine hochfliegen lassen, Gott weiß,
-worüber er jetzt, in dieser Sekunde, brütet?
-
-Ein Laufgang führt mitten durch das zerschossene Dorf zum Unterstand des
-Kommandeurs. Hübsch und freundlich ist es hier unten, eine Schiffskabine
-erster Klasse unter der Erde. Hierher kommen die Offiziere zuweilen des
-Abends, sozusagen, wenn sie ausgehen wollen. Es sind nur hundert
-Schritte, aber es ist immerhin eine Abwechslung. Nur eine Schattenseite
-hat dieser Salon unter der Erde. Er stößt direkt an den Friedhof. Die
-Granate ist ein böses Tier ohne Vernunft. So ist sie wiederholt in den
-Friedhof gefahren, wo sie nichts zu suchen hatte, und hat die Gräber der
-französischen Bürger aufgerissen. Sie warf die Grabsteine durcheinander,
-hat die Gebeine mit in die Tiefe gerissen, und in einer Familiengruft
-schwimmt ein Kindersarg. Von der Treppe des unterirdischen Salons aus
-sieht man über eine Reihe frischer Gräber. Das sind die Toten der
-Schanze. Der frühere Kommandeur, Offiziere, Unteroffiziere und
-Mannschaften. Nebeneinander liegen sie, so wie sie auf der Schanze
-nebeneinander kämpften.
-
-Ja, hier liegen sie, aber in Wahrheit sind sie nicht tot. In Wahrheit
-leben sie, denn sie sind unvergessen. Sie leben mit den Kameraden auf
-der Feldschanze, ganz wie früher. Sie wandern durch die Schlafgewölbe
-und sehen nach, ob sie noch nicht aufstehen, sie sitzen auf den Gräbern
-und lauschen auf die Gespräche der Kameraden. Bei den Maschinengewehren
-stehen sie und lugen aus. In der Nacht wandern sie in den Gräben. Sie
-warnen die Kameraden, sie richten ihnen die Gewehre, sie zeigen ihnen
-den Feind: _dort, dort_ ...
-
-
-
-
- Die Schlachtfelder in Flandern
-
-
- Mai 1915
-
-Durch die Luke in der Kirchturmspitze hat man einen weiten Blick über
-das Land: unten liegt winzig und verwinkelt das Dorf. Ein paar Häuser
-sind zerschossen. Soldaten hantieren vor den Häusern. Eine
-Radfahrerabteilung – braune Marinesoldaten, das Gewehr auf dem Rücken –
-schlängelt sich über den kleinen Marktplatz. Ein großes Postauto tutet
-und überholt sie. Karren, trottende Pferde, die roten Gesichter der
-Fuhrleute sind alle nach oben gerichtet. Zwei Flugzeuge kreuzen unter
-den grauen Wolken. Rasch und klein wie eine Maus läuft das entferntere
-am Himmel entlang. Hinter dem kleinen Dorf aber breitet sich das Land.
-Flandern. Es ist grün von den Wiesen und gelb von den blühenden Rüben,
-ganz flach; trübe und resigniert duckt es sich unter dem hängenden
-Gewölk. Silhouetten von Alleen, die die Landstraßen begleiten, stehen
-geisterhaft auf dem Lande, eine hinter der andern, wie Schleier, die
-herabhängen, und alle scheinen sie parallel, quer durch das Land zu
-laufen, bis zum Horizont, wo eine graue Regenwolke Ypern verbirgt.
-Dazwischen flache graue Wolken, die auf der Erde liegen, Wälder und
-Wäldchen, die niemand kannte, und die plötzlich einen Namen bekamen:
-Polygonenwald, das Wäldchen von St. Julien. Hier standen die vier großen
-englischen Geschütze. Hinter den geisterhaften Silhouetten der Alleen
-Dörfer, Reste von Dörfern, dem Auge kaum erkennbar. _Zonnebeke_, _St.
-Julien_, _Langemark_. Im Frieden werden Orte berühmt durch ihre Kultur
-und ihren Geist, im Krieg durch ihr Unglück. Da liegen sie und
-verstecken sich in der Erde. Still und verzweifelt liegt das Land, und
-der Donner der Geschütze rollt darüber weg.
-
-Heute, Flandern, mit deinen geisterhaften Alleen, die stillstehen und
-sich nicht bewegen, erscheinst du mir wie ein großer Friedhof.
-
-Eine knappe Viertelstunde von dem Kirchturm entfernt zieht sich ein
-lehmiges ausgetrocknetes Flußbett in weitem Bogen durch die Landschaft.
-Oft nähern sich die Ränder bis auf dreißig Meter, oft entfernen sie sich
-bis auf ein paar hundert. Die Ränder sind tief ausgegraben, unterhöhlt,
-gewunden und verzweigt, wie Bauten von Bibern. Das sind die verlassenen
-Stellungen.
-
-Hier auf diesem Gürtel Landes lagen sie einander sechs lange Monate
-gegenüber, Tag und Nacht, und Tag und Nacht saß der Tod dicht angelehnt
-neben jedem einzelnen Mann. Hier lagen die Gewehre und hier, man sieht
-es noch deutlich, standen die Maschinengewehre. Zwischen den Gräben
-lagen die Leichen, wo sie gerade hinfielen, und da lagen sie und blieben
-liegen, und die Kugeln durchlöcherten sie noch hundertfach, obschon sie
-schon zehnfach gestorben waren. Tausendfach starb hier jeder einzelne
-Mann, auch der, den der Zufall verschonte. Oft raste der Tod hier wie
-ein Orkan, mit Finsternis, Feuer, Eisen und erstickenden Gasen. Die
-Gräben wurden eingetrommelt, Meter für Meter. Einmal hatten sie drüben
-Besuch (nicht in den Gräben, sondern weit dahinten!), zwei Könige und
-einen Präsidenten. An diesem einzigen Tage warfen sie _siebzigtausend_
-Granaten herüber – und wir hatten keine dreißig Mann Verluste. Sie gaben
-den hohen Herrschaften eine Vorstellung und schossen ein Vermögen in die
-Luft hinein. Die Komödie auf dem Schlachtfelde! So und nicht anders ging
-es hier zu. Der Soldat kroch in die Erde. Aber da kam ihm das Wasser
-entgegen. Bis an die Knie wateten die Tapfern im Wasser. Jedes Haus
-hinten war zerschossen und die Trümmer unausgesetzt unter Feuer. Es
-entstanden ganze Städte unter der Erde, Städte in Wäldern, die
-Mannschaften ruhten aus in Eisenbahnzügen, die zurück mußten, sobald das
-Feuer zu stark wurde.
-
-Die Erde bei den Gräben ist zerrissen. Trichter an Trichter. Der Regen
-spritzt heute in den kreisrunden Lehmtümpeln. Auch die Allee hat
-mitgekämpft. Die hohen Bäume schlugen der Länge nach hin, wie Riesen,
-von der Granate in den Wurzelbau getroffen und hochgeschleudert. Sie
-wurden in der Mitte abgerissen. Ihre Kronen stürzten zersplittert in das
-Feld, und so stehen sie noch. Kein Baum, der nicht seine Wunde hätte,
-manche sind von oben bis unten zerfetzt. Die Allee hat sich tapfer
-geschlagen, die Allee von Poel-Capelle nach St. Julien. Eine Armee von
-Krüppeln steht an der Straße.
-
-Die verlassenen Gräben sind mit allerlei Schutt angefüllt.
-Konservenbüchsen, Waffenteile, zerweichte und unleserlich gewordene
-Briefe. Ein blutiger Tuchfetzen, den einer an die Wunde preßte,
-erblassend und zu Tode erschrocken. Sie sprechen eine grauenhafte
-Sprache und ihr Flüstern verfolgt mich. Es ist sehr still hier und es
-hat den Anschein, als ob die Stille sich über den Gräben verdichtete und
-über all den Dingen, die einst Menschen gehörten. Ich wünschte wohl, sie
-kämen hierher, die drei hohen Herrschaften, zu deren Ehre einmal so
-furchtbar laut geschossen wurde, sie kämen hierher und _hörten sich die
-Stille an_. Vielleicht würden sie den süßlichen Geruch spüren, der aus
-den Gräben steigt, vielleicht würde sich ihr Auge schließen vor all dem
-Grauenhaften, das der Schutt in den Gräben deckt. Sie würden gehen und
-nun würden sie stolpern! Bei jedem Schritt würden sie über Gräber
-stolpern. Gräber hier, Gräber dort. Franzosen, Schottländer, Kanadier,
-Kolumbier, Farbige und Schwarze. Sie würden die Namen auf den Kreuzen
-lesen. Sie würden die verstümmelte Allee hinabgehen, und links und
-rechts würden die Kreuze ihnen folgen. Sie würden bei St. Julien die
-Massengräber sehen. Hier lagen die Kanadier so dicht, daß die
-Fliegerphotographien aus 2000 Meter Höhe die Leichenhaufen zeigten. Nun
-würden sie begreifen, daß sie in einen Friedhof geraten sind, der naß
-ist von Blut und Tränen.
-
-Aber weiter. Die Kanonen krachen. In Erdhöhlen hocken Soldaten um die
-dampfenden Kochtöpfe und sind guter Dinge, denn sie leben.
-
-_Langemark_, berühmt geworden durch sein Unglück, wie viele andre Orte,
-ist das grinsende Skelett einer kleinen Stadt. Die wenigen Häuser, die
-noch stehen, zeigen fröstelnd das nackte Gebälk. Die Ziegel sind ohne
-Ausnahme herabgerasselt, als die schweren Geschosse einschlugen. Wie
-Gespenster von Häusern stehen sie inmitten der Trümmerhaufen. Der
-Kirchturm sieht aus wie ein verwitterter Sandsteinfelsen, rostrot und
-brüchig steht er am Rande eines niedergemähten Parkes. Ein Haus ist mit
-dem Schieferdach niedergebrochen, wie ein gefallener Elefant, der sich
-auf die Stoßzähne stützt. Es ist deutsche Arbeit, sie ist gründlich, das
-muß man sagen. Hut ab vor unsern Kanonieren!
-
-Aus dem Keller irgendeines zerschossenen Hauses steigt langsam und still
-ein General, in den weiten Mantel gehüllt. Er scheint das einzige
-lebende Wesen weit und breit zu sein. Gelassen und würdevoll, ein wenig
-gelangweilt, zeigt er uns sein Heim. Das Haus ist verschüttet, es liegen
-noch Leichen unter dem Schutt. „Hier lebe ich nun, im Keller,“ sagt er
-mit leiser, gelangweilter Stimme. „Sie schießen oft wütend herein. Sehen
-Sie die Trichter? Es sind ganz große Dinger. Na, man gewöhnt sich an
-alles.“ Wir gehen und der General promeniert ruhig, in seinen Mantel
-gewickelt, im Regen auf und ab.
-
-In dieser Gegend sieht man kein Tier und kein lebendes Wesen. Zuweilen
-ein paar Soldaten, die laut und fröhlich antworten, wenn man sie anruft.
-Aber die Geschütze krachen ringsum, obschon man sie nicht sieht.
-
-Sie sind trotz des schlechten Wetters fleißig bei der Arbeit und die
-Luft dröhnt wie von Explosionen, hart und metallen. Die Geschosse toben
-in die Höhe, es röhrt und wühlt in der Luft, sie _pflügen_ sich hinauf.
-Die Luft zischt, genau wie das Wasser unter dem Kiel eines Rennbootes.
-Es gurgelt gierig da oben, wie Gurgeln voller Blut. Unwillkürlich sucht
-der Blick das Geschoß, obwohl es natürlich zu rasch ist, als daß man es
-sehen könnte. Aber es scheint greifbar nahe zu sein. Ja, ich sehe es
-auch, wie es in seiner Kurve dahinjagt. Es ist gelb und dreht sich
-rasend um die Längsachse, eine donnernde, dröhnende Röhre von
-Luftwirbeln als Schleppe, den blanken Zünder zischend in die dicke,
-graue Regenluft bohrend. Die gelbe Farbe verbrennt rauchend auf seiner
-Hülle. Nun ist nur noch das schleifende Zischen der Luft zu hören. Es
-ist hinüber! Links und rechts schlagen die Geschütze, es kracht wie von
-einschlagenden Blitzen. Alle paar Minuten dröhnt hinter mir ein hellerer
-Schlag und eine Granate jagt gurgelnd und zischend über mich hinweg. Die
-Luft ist voller Eisen. In den Pausen der Geschütze hört man das hastige,
-heisere Kläffen der Maschinengewehre und das Knattern der Gewehre.
-
-So ist es hier. Es ist das Morgenkonzert, das gewöhnliche. Und so ist
-das Abend- und Nachtkonzert. Man gewöhnt sich daran, und das flandrische
-Land hat seit vielen Monaten nichts andres gehört. Die Front ist um
-einige Kilometer vorgerückt, sonst hat sich nichts geändert.
-
-
-
-
- Nach den Schlachten
-
-
- Mai 1915
-
-Die Welt des Feldsoldaten ist groß und erhaben. Der sausende Himmel, die
-Sterne, die Wolken und das freie Feld: das ist seine Wohnung. Vertraute
-Wege und bekannte Dörfer, die Heimat in der Ferne, Briefe, Zeitungen,
-alles gehört ihm. Kameraden, bekannte Gesichter, neue, immer neue
-Gesichter, neues Gelächter und neue Stimmen. Ein spukhaftes Dasein, voll
-des Unbekannten, stetig Wechselnden. Die alltäglichsten Dinge, Essen,
-Schlafen, abenteuerlich und absonderlich. Außergewöhnlich, groß und
-unerhört, voll nie gekannten Grauens und nie gekannter Wonnen sind seine
-Empfindungen. Der Feldsoldat ist kein gewöhnlicher Mensch mehr, er ist
-der Erkorene, er ist das _Volk_ selbst, für das er kämpft. Wäre es
-anders, nicht den zehnten Teil der Anstrengungen, die das Feld fordert,
-könnte er ertragen. Wenn er sein Geschütz abreißt, so ist es nicht seine
-Faust, die Millionen Fäuste seines Volkes reißen das Geschütz ab, und
-sein Volk sendet den großen Fluch hinüber zum Feinde.
-
-Wehe aber, wenn er das Unglück hat, gefangengenommen zu werden! Seine
-große und stolze Welt bricht in einer einzigen unglückseligen Stunde
-zusammen. Er ist nicht mehr sein Volk, er ist ein gefangener Soldat,
-nichts andres. In einer Sekunde sind seine Tressen und seine
-Auszeichnungen verblaßt, die Bewunderung seiner Kameraden, die ihn
-belebte, ist verstummt. Kennt hier jemand seine Geschichte, seine
-Geschichte als Soldat, meine ich? Weiß hier jemand, wie er sich schlug,
-welch kühne Patrouillengänge er hinter sich hat, daß seine Offiziere ihm
-die Hand drückten und ihn vor versammelter Mannschaft lobten? Fremde
-Gesichter, fremde Worte, eine fremde Welt. Eine Ewigkeit trennt ihn von
-seinen Kameraden, seinem Pferde, seiner Batterie, seiner Heimat, seinen
-Angehörigen, unwirklich scheinen schon jetzt die Bilder zu sein, an die
-sein Gedächtnis sich klammert. Sein Mut, sein Ehrgeiz, sein Rausch, sie
-sind dahin. Er war alles, jetzt ist er nichts. Eine Nummer in den Listen
-der Gefangenenlager ist er, in dem das Herz seines ganzen Volkes schlug,
-geworden. Nüchtern, klein und erbärmlich ist jetzt seine Welt.
-
-Sieht man Gefangene gehen, so versteht man alles. Sie trotten müde
-dahin, gleichgültig, ohne Haltung, aber nichts wäre verkehrter, als von
-Gefangenen auf die Truppe zu schließen, der sie angehörten. Häufig wird
-der stolzeste und stärkste Soldat der gebrochenste Gefangene sein.
-
-Schlimmer noch, um vieles schlimmer ist es, verwundet in Gefangenschaft
-zu geraten. Noch kleiner und elender ist die Welt des verwundeten
-Gefangenen. Ein Bett, ein getünchter Saal, die Gesichter der Pfleger und
-Pflegerinnen und der Ärzte, nichts sonst. Der Schritt der Wache vor der
-Tür. Droben in Flandern habe ich verwundete Gefangene besucht, und von
-ihnen will ich erzählen.
-
-Ich trete ein, und sofort sind alle Augen auf mich gerichtet. Ein neues
-Gesicht! Seit vielen Tagen, seit Wochen das erste neue Gesicht. Was will
-er, was tut er hier, was bringt er uns? All diese glänzenden Augen
-forschen neugierig und aufmerksam in meinen Zügen. Einzelne haben sich
-aufgerichtet, um mich besser sehen zu können. Niemand spricht ein Wort,
-alle stellen die Ohren und es ist ganz einerlei, in welcher Sprache ich
-rede, die Hauptsache ist, daß sie eine neue Stimme hören.
-
-Da ist zunächst ein Neger. Schwarz und glänzend wie ein gewichster
-Stiefel, das Gebiß blendend weiß. Er ist eines der hübschesten
-Exemplare, die ich je sah, das sauberste gewiß, fast noch ein Kind, und
-versucht sofort, meine Milde durch ein naives, vertrauliches Lächeln zu
-gewinnen. Ich rede ihn englisch an, da ich bis heute nur Englisch mit
-Negern gesprochen habe, aber siehe da, er antwortet französisch. Aus dem
-Senegal. Und wie alt? Zwanzig. „Wo hast du gekämpft?“ – Er zeigt sein
-schönes Tiergebiß und lächelt. Er weiß es nicht. „Bei Ypern?“ – „Ja, bei
-Ypern. _Chemin de fer_, hin und her, immer hin und her, _chemin de fer_“
-– er radebrecht, gestikuliert, nein, er weiß gar nichts. Vergnügt legt
-er sich in das weiße Kissen zurück. Nie in seinem ganzen Negerleben ging
-es ihm so gut, nie so sauber, Gott, er wird sich nie mehr zu waschen
-brauchen. Er hatte zwei Lungenschüsse, aber das schadete ihm
-ebensowenig, wie wenn man eine Katze anschießt.
-
-Neben ihm liegt ein Engländer, ebenfalls Lungenschuß. Ein junger,
-zarter, hellblonder Bursche, der eben aus dem Jenseits zurückkommt. Er
-hat noch die großen, glänzenden Augen, die man von dort mitbringt, und
-die durchsichtigen, schmalen Wangen. Er ist aus Birmingham, Kaufmann.
-Aufrecht sitzt er in seinem Bett, die beiden Hände auf der Decke, und
-sein Kopf sinkt schwach von einer Seite auf die andre, während er
-flüsternd antwortet. Er trägt eine Kette mit einem kleinen Kreuz um den
-dünnen Hals. – „Was bedeutet das Kreuz? Seid ihr Katholiken in
-Birmingham?“ – „Nein, ich war protestantisch, aber nun bin ich
-katholisch geworden.“ Eine Nonne steht neben dem Bett, eine belgische
-Schwester, rotbäckig und gesund, und blickt auf ihr blondes Lämmchen.
-
-„Hier sind Kanadier!“ sagt der Arzt.
-
-Ja, das sind sie. Schmale, feste Schädel, klar gezeichnete Gesichter,
-kräftige Augen, breite Schultern, die Arme lang gemessen, das Haar weich
-und kurz. Es sind Amerikaner, ohne jeden Zweifel, wenn sie auch etwas
-nördlich von den Staaten geboren wurden. Ich sehe mir sie an, und sie
-betrachten mich mit der gleichen Aufmerksamkeit. Sie wissen genau, daß
-sie nun an die Reihe kommen, und haben keine Angst.
-
-„Wer von euch war beim Sturmangriff von St. Julien dabei?“
-
-„Wir alle.“
-
-Nun sehe ich, daß sie geschient und verbunden sind. Trotzdem sehen sie
-gesund und kräftig aus. Es sind Leute, die einen Stoß vertragen können,
-ausgezeichnetes Material. Sie antworten höflich, aber sie sagen nicht
-mehr als gerade nötig ist. Allmählich erst werden sie etwas
-gesprächiger. Sie sind zufrieden, sie beklagen sich über nichts. Jeder
-deutsche Soldat, mit dem sie es zu tun hatten, war „gut“ zu ihnen. „Nach
-dem Kriege werden wir uns die Hände drücken.“ – „Aber die englischen
-Zeitungen? Sie sind die gemeinsten Lügner der Welt!“ – Ihre Augen stehen
-auf Abwehr. – „Wann seid ihr herübergekommen?“ – „Ich im September, die
-andern später.“ – „Wieviel wart ihr? Seid ihr in England gelandet oder
-in Frankreich?“ – Die schönen Augen des Clerks von Toronto sehen mich
-offen an und schweigen. Er will nicht sprechen. Aber später, als wir
-mehr Vertrauen zueinander gefaßt hatten, kam er ganz von selbst auf den
-Transport zurück und sagte mir, daß sie 30000 waren, 21 Dampfer, drei
-Wochen auf See, in Plymouth gelandet, in England noch ein paar Monate
-gedrillt. Es war sehr schlechtes Wetter, immerzu Regen, einer ist am
-Regen gestorben.
-
-„Am Regen gestorben?“ – „Ja!“
-
-Der Seemann im Nachbarbett, dessen Fuß zerschossen ist, lacht. „Es war
-verdammt schlechtes Wetter, Sir!“
-
-Sie erzählen mir alles mögliche, und ich bemühe mich, sie gesprächig zu
-halten. Die Deutschen schießen gut, sie würden es niemand raten, den
-Kopf auch nur eine Sekunde aus dem Graben zu strecken. Weshalb sie aus
-Kanada herüberkamen, um gegen uns zu kämpfen, das wollen sie mir auf der
-Stelle sagen. „Die Neutralität Belgiens, Sir! Wir sind gekommen, um euch
-aus Belgien zu vertreiben.“ – „Weshalb überlaßt ihr das nicht den
-Engländern, haben sie nicht genug junge Leute? Weshalb sollt ihr
-Kanadier die Arbeit der jungen Engländer tun?“ – Das Gespräch wird
-lebhafter und die Franzosen auf der andern Seite recken die Hälse.
-
-„Und St. Julien? Wie war es da?“
-
-Der hübsche Clerk mit dem geschienten Arm, drei Kugeln, richtet sich im
-Bett auf, so gut es geht: Sie kamen also da in Gräben, in denen vorher
-Engländer lagen. Aus welchem Grunde gewechselt wurde, wußten sie
-vorläufig noch nicht. Später erst begriffen sie es. Zwei Tage lagen sie
-da. Sie wußten gar nichts, weshalb, warum, nichts. Essen gab es nicht
-regelmäßig. Die Straßen um Ypern herum lagen unausgesetzt unter Feuer.
-Plötzlich aber hieß es vorgehen! Weshalb, warum, wohin, kein Mensch
-wußte es. Nun aber bekamen sie furchtbares Feuer, schwere Granaten, auf
-offenem Felde, ohne jede Deckung. „Ich lag hinter einem Haufen von
-gefallenen Kameraden, den rechten Arm zerschossen. Die Kameraden
-stürmten weiter, plötzlich Maschinengewehrfeuer, Flankenfeuer,
-Gewehrfeuer. Die Kameraden fielen wie hingemäht. Es war zu Ende.“
-
-Er sieht mich an. „Wie groß sind die Verluste, Sir?“ Seine Augen fragen,
-er denkt, ich könnte mich jetzt recht wohl revanchieren für die Angaben,
-die er mir über die Transporte machte. Aber ich weiß es wirklich nicht.
-Sehr große Verluste!
-
-Der Clerk nickt und wendet den Blick ab. „Ich glaube nicht, daß viele
-davongekommen sind!“ sagt er ruhig und schlicht.
-
-„Sie haben wohl genug vom Krieg?“ frage ich ihn, indem ich mich
-verabschiede. „Werden Sie wieder gegen uns kämpfen?“
-
-Er lächelt. „Nein!“ Und leiser, so daß es die Kameraden nicht hören,
-fügt er hinzu: „Es war die Hölle, Sir!“
-
-Nun kommen die Franzosen an die Reihe. Sie haben die ganze Zeit
-aufmerksam zugehört, die Ohren gespitzt, auf jede Bewegung geachtet,
-damit ihnen ja nichts entgehe; verstanden haben sie kein Wort. Sie
-wußten, daß auch ihre Zeit kommen würde. Höflich und gefällig erwidern
-sie den Gruß. Selbst der Landwirt aus der Gegend von Rouen nickt mit dem
-dicken rechteckigen Schädel, obwohl er Schmerzen hat und fiebert. Mich
-interessiert mehr als alle andern der Greis an seiner Seite, ein
-schmächtiger Mann mit ausgeprägt französischen Zügen. Sein weißgraues
-Haar zieht mich an und seine lebendigen, fröhlichen Augen. Er stammt aus
-der Bretagne, und da ich mich dort auskenne, so haben wir gleich ein
-Thema, um bekannt zu werden.
-
-„Wann wurden Sie verwundet?“ frage ich. „Im Herbst.“ Er hebt die Decke
-in die Höhe, und nun sehe ich, daß ihm das linke Bein bis zur Hüfte
-amputiert ist.
-
-„Wie alt sind Sie?“
-
-„Siebenunddreißig Jahre, mein Herr.“
-
-Um meine Überraschung zu verbergen frage ich rasch nach dem Alter des
-Landwirts aus Rouen. Er ist zwei Jahre jünger.
-
-„Sie fühlen sich jetzt gesund?“ „Sehr wohl!“ Und der Mann aus der
-Bretagne sprudelt seine Geschichte heraus, ungeheuer lebhaft, mit vielen
-plastischen Gesten. „Ja, man muß Glück haben, mein Herr, das ist alles.
-Es war im Herbst, hier oben in Flandern. Wir mußten zurück, die
-Deutschen waren hinter uns her. O, lala, wir hatten es eilig! Da – eine
-Granate zerreißt mir den Fuß. Ich verkrieche mich in ein Loch in der
-Erde und warte. Die Kameraden sind fort, alle weg, niemand zu sehen. Ich
-warte, immer in meinem Loch. Zweiunddreißig Stunden liege ich da, aber
-nun hören Sie! Plötzlich Schritte. Ich spitze aus meinem Loch hinaus.
-Ein Sergeant vom Roten Kreuz. Ich rufe, er hört. Ich strecke die Arme
-hoch – so – er kommt heran und sagt: ‚Rühren Sie sich nicht!‘ Zwei
-Stunden später war ich im Lazarett. Man muß Glück haben.“
-
-Fröhlich und heiter ist der Mann aus der Bretagne. Er hat dem Tod ein
-Bein hingeworfen wie einem Haifisch und triumphiert über den Handel. Im
-Krieg wird der Mensch bescheiden.
-
-Unten im Garten des Klosters treffe ich einen Scheich, mit Turban,
-würdigem Bart, elfenbeinernem Gesicht und elfenbeinernen Händen. Er
-bittet mich um eine Zigarette. Vielleicht hat er ein Dutzend Frauen zu
-Hause, vielleicht ist es Sünde, daß er etwas aus meinen Händen
-entgegennimmt, vielleicht verliert er seine Kaste. Einerlei, es ist nun
-doch so weit mit ihm gekommen, daß er bettelt.
-
-
-
-
- Ein Flieger über Brügge
-
-
- Im Mai
-
-Brügge, das tote Brügge, ist heute keineswegs tot. Es lebt. Aber noch
-weiß es nicht recht, ob es wirklich erwacht ist oder ob es nur träumt.
-Einen wunderlichen, wirren Traum, grotesk, unfaßbar und unterhaltend,
-aus dem aber jeden Augenblick der Schrecken züngeln kann wie eine
-Stichflamme roten Feuers. So liegt es, zwischen Wachen und Schlaf, ein
-heiteres Lächeln auf den Zügen und einen kleinen Tropfen Angstschweiß
-auf der Stirn.
-
-Seine stillen verwinkelten Gassen hallen wider von schweren genagelten
-Stiefeln, die ungeniert auftreten wie zu Hause, und an den Klöpplerinnen
-vorüber, die fleißig vor den kleinen Häuschen sitzen, rumpeln schwere
-Lastautomobile, so daß der Boden erbebt. Auf dem Fischmarkt hocken
-putzige Weiber und ziehen den Aalen die Haut über den Kopf, und während
-sie schaben und feilschen, rasselt eine Maschinengewehrabteilung an
-ihnen vorbei. Aus dem Schmuckkästchen der Rue de l’Ane Aveugle quillt
-ein Bilderbuch: Weiber mit weißen Hauben, Krausen und sonderbaren
-Umhängen, und plötzlich weichen sie zur Seite, und der Teufel in der
-Vermummung eines Motorradfahrers prasselt und knallt mitten durch sie
-hindurch und bewedelt sie mit seinem langen Schweife aus Schwefeldämpfen
-und Gestank. Die herrliche Grande Place wimmelt von Leben. Wachen,
-Autos, Karren, Züge brauner Marinesoldaten, heiß und staubig, das Gewehr
-auf dem Rücken. Die Zeitungsjungen schreien und rennen, um die neuesten
-Blätter aus Berlin, Frankfurt und Köln an den Mann zu bringen, und wenn
-jemand es wagt, einen scheuen Blick auf die Wunder von Architektur
-ringsum zu werfen, so ist eine Meute von Postkartenverkäufern hinter ihm
-her. Die Bevölkerung Brügges ist auf den Beinen, denn es ist immer etwas
-zu sehen, und die Soldaten sind auf den Beinen, um die Bevölkerung zu
-sehen. Ein paar Mönche in braunen Kutten rudern durch einen Schwarm
-Feldgrauer. Drei Jahrhunderte fließen auf der Grande Place zusammen,
-nicht mehr und nicht weniger. Aber jede Viertelstunde singt das
-Glockenspiel oben auf dem Beffroi seinen Choral, fromm und gottergeben,
-während unten die Motoren prasseln und rattern.
-
-Der Krieg ging an Brügge vorüber, und Brügge freut sich, daß es lebt. Es
-ist eine Stadt des Friedens, eine Stadt auf Urlaub. Kommt man von da
-draußen, wo die Häuser keine Dächer mehr haben und mit Sandsäcken
-ausgestopft sind, so wirkt Brügge wie eine Großstadt, in der man nun
-ruhig Atem holen will.
-
-Ein Lehmfarbiger stolpert vor mir über den Platz. An seinen Stiefeln
-hängt noch der Schmutz der flandrischen Gräben. Er stolpert, weil er
-nicht mehr gewohnt ist, auf richtigem Pflaster zu gehen, er torkelt vor
-Verwunderung und kann sich gar nicht zurechtfinden. Hier gibt es noch
-Häuser ohne Granatlöcher, und hier sehen wirklich und wahrhaftig
-Menschen, Zivilisten, aus den Fenstern und nicht Soldaten und Pferde! Er
-dreht den gebräunten Hals hin und her und kratzt sich den golden
-schimmernden Stoppelbart. Und hier gibt es – Frauen! Er betrachtet sie
-aufmerksam und eingehend, als ob er sie kaufen wolle, von den Schuhen
-angefangen bis hinauf zum Scheitel. Er bleibt stehen und glotzt ihnen
-direkt ins Gesicht. Zeitungen? Nein, Zeitungen will er nicht. Er will
-nichts wissen vom Krieg, er will nichts als dieses Leben hier, diese
-Welt, in der er fast ein Fremder geworden ist, und die ihm, weiß Gott
-wann, abhanden kam. Hätte er je gedacht, daß es noch eine Stadt gäbe wie
-diese, unversehrt, friedlich und sonnig, eine Stadt, genau so wie Städte
-früher waren? Er begreift es nicht. Aber nun kommt ein Mädchen über den
-Platz, rotweiß gestreiftes Kleid, blondes Haar, hochbusig und mit
-Hüften, die sich sehen lassen können. Eine Köchin. Der Lehmfarbige steht
-wie angewurzelt, er beginnt zu wachsen, seine Brust wird breiter, und
-sein heller Blick strahlt der Köchin entgegen. Sein braunes, mageres
-Gesicht ist ernst und ohne jede Bewegung, aber sein Blick folgt jedem
-Schritt des Mädchens und sein Gedanke ist so stark, daß die Köchin
-instinktiv einen Bogen macht, als sie nahe kommt. Und nun betrachtet er
-sie von hinten! Dann stolpert er weiter, bestaunt die Läden, die Frauen,
-und immer wieder bleibt er stehen und läßt den Blick über den Platz
-wandern. Die Großstadt Brügge hat ihn berauscht! Ein kleines Café, schon
-ist er drinnen. Ich genieße das Behagen, mit dem er ein Glas Bier
-hinuntergießt. Ein Schluck. Zahlen, gehen. Man sieht, er hat nicht eine
-Minute Zeit zu verschwenden. Ein kleines Restaurant, hinein. Beim
-dritten Glas verlasse ich ihn. Ich gehe nahe an ihm vorbei und sehe, daß
-seine linke Backe eine Anzahl Schmisse trägt. Der Lehmfarbene ist
-Student, Gott weiß, wer er ist, momentan ist er gemeiner Soldat, und das
-genügt.
-
-In der Stunde, in der ich in dem verzauberten Brügge eintraf, hatte das
-Leben auf der Grande Place gerade seinen Höhepunkt erreicht. Die
-Matrosenkapelle konzertierte. Sie spielte laut und vergnügt wie in einem
-Badeort an der Ostsee, Warnemünde oder Arendsee. Das Glockenspiel des
-Beffroi klingelte seine fromme Weise bescheiden dazwischen. Der Platz
-wimmelte von Menschen, und der Waffelbäcker in seinem weißen
-Jahrmarktskarren machte glänzende Geschäfte. Plötzlich krachten die
-Kanonen in nächster Nähe. Es klang wie Kirchweihschießen, lustig und
-ermunternd. Unter dem grauen Gewölk, hoch oben, hing, kaum zu sehen, ein
-grauer Doppeldecker, mit direktem Kurs auf den Beffroi. Alle Gesichter
-wandten sich nach oben. Die Fenster füllten sich mit Köpfen. Aus den
-Haustüren, den Läden strömten die Leute und standen dicht gedrängt auf
-dem Platze; ganze Scharen von Kindern. Brügge bekam Besuch, und
-jedermann wollte sehen, wie er herankam über den Giebeldächern. Alles
-zappelte vor Neugier und Spannung. Die Neugier des Volkes ist immer
-größer als seine Angst. Aber es kam noch etwas andres dazu! Mehr oder
-weniger freundlich gesinnt, mehr oder weniger gleichgültig, mehr oder
-weniger feindlich, die Leute von Brügge waren im Herzen alle Belgier
-geblieben, und die da oben in der Luft waren Freunde von ihnen, Belgier,
-Franzosen, Engländer, einerlei. Man hatte sie nicht vergessen, da
-drüben, hinter dem Yserkanal, auf dem letzten Fleckchen belgischen
-Landes. Sie waren Boten, die man ihnen sandte. Mochten sie nun ein paar
-Leute, ein paar Bürger töten, darauf kam es nicht an. Es kam darauf an,
-daß sie mit der Absicht hierherkamen, dem Feinde zu schaden. Hätten sie
-es gewagt, so hätten sie dem Flieger zugejubelt, obwohl er sie töten
-konnte, denn er war einer der _ihrigen_! Die graue Maschine kam rasch
-näher. Die Kanonen krachten, Schlag auf Schlag. Ein Maschinengewehr
-kläffte wütend in die Höhe. Die Schrapnelle platzten rings um die graue
-Maschine, in einem Rahmen grauer Tupfen stand sie. Sie stieg höher,
-hinein in die Wolke, aber die Schrapnelle folgten ihr in die Wolke
-hinein. Es blitzte in der Wolke wie Büschel scharfer Messer, die sich
-gegen die Maschine zückten. Es knisterte. In all den Lärm hinein sang
-plötzlich das Glockenspiel seinen friedlichen, frommen Choral,
-unbekümmert um den Lärm der Welt, und es wird seine Weise singen, sollte
-einmal Brügge in Flammen aufgehen, was Gott verhüten möge. Da fiel mein
-Blick auf einen Mönch, der neben mir stand. Er hatte den Kopf halb in
-die Kutte gezogen und sah mit großen, warmen Augen zum Flugzeug empor.
-Im Schoß hielt er ein kleines Gebetbuch. Dieser Mönch verhielt sich zu
-den Leuten da oben wie der fromme Singsang des Beffroi zum Krachen der
-Geschütze. An Stelle des Gebetbuchs hielten sie Bomben im Schoß, und mit
-zusammengekniffenen kalten Augen fegten sie dahin. Es waren, wie gesagt,
-die Jahrhunderte, die sich hier auf der Grande Place von Brügge
-begegnen.
-
-Nun aber wurde es Ernst! Er kam heran, so wütend auch das
-Maschinengewehr hämmerte. In ein paar Sekunden mußte er über dem Platze
-schweben. Wie der Tod auf Flügeln kam er daher.
-
-Wie auf ein Signal rissen die Leute aus. Die Panik setzte ein, und die
-Menge explodierte. Nach allen Seiten, _strahlenförmig_, machten sie sich
-davon, die Kinder auf raschen, dünnen Beinen voran. Sie stürzten in die
-Gassen, in die Haustüren, in die Kaffeehäuser. Die Erde verschluckte
-sie, und die Köpfe verschwanden aus den Fenstern. So erstaunlich ihr Mut
-vor einigen Sekunden war, so komisch wirkte diese überstürzte Flucht.
-Mein Mönch? Er war wie weggeblasen.
-
-Ich zog mich unter ein solides Portal zurück, und man kann mir glauben,
-wenn ich sage, daß ich das Portal vorher genau auf seine Konstruktion
-untersuchte.
-
-Leer lag der Platz, wie reingefegt. Keine Seele weit und breit, kein
-Gesicht in einer Tür, einem Fenster. Es war wie Zauberei. Nicht einmal
-ein Hund war zu sehen.
-
-Der Kampfplatz war dem Maschinengewehr, den Geschützen und dem Flugzeug
-unter den schmutzigen Wolken überlassen. Die Maschine schwebte eine
-Sekunde über dem Rande des Platzes, dann, gerade im entscheidenden
-Moment, bog sie scharf nach rechts aus. Es war ihr zu ungemütlich
-geworden. Sie stieg höher, verschwand in der Wolke und machte den
-Versuch, zurückzukehren. Aber eine Salve von Schrapnellen fuhr ihr
-entgegen, eine ganze Mauer grauer Wölkchen. Sie kehrte um.
-
-Ein paar Minuten blieb der Platz leer, dann aber strömte das Leben
-wieder auf ihn zurück. Kinder, Mädchen, Hunde, der Waffelbäcker,
-Feldgraue und Lehmfarbene. Die Chauffeure, die ausgerückt waren, standen
-plötzlich wieder bei ihren Wagen.
-
-Das Glockenspiel des Beffroi bimmelte wieder seine fromme, gottergebene
-Weise.
-
-Nichts war geschehen. Das träumende Brügge war zusammengeschauert in
-seinem Traum. Das war alles.
-
-
-
-
- Die Schlacht bei Arras
-
-
- 4. Juni
-
-Auf der Lorettohöhe, die gestern noch niemand kannte und die heute in
-aller Munde ist, stand eine Kapelle, die berühmte Kapelle von Notre Dame
-de Lorette. Nach einer französischen Legende sollte sie in diesem Kriege
-eine geheimnisvolle und wunderbare Rolle spielen. Die Kapelle existiert
-heute nicht mehr, sie ist ein Schutthaufen. Zusammenstürzend hat sie die
-Legende unter ihren Trümmern begraben.
-
-Joffres zweiter, größter und wütendster Durchbruchsversuch ist
-gescheitert. Diesmal sollte es geschehen! Es handelte sich nicht um ein
-paar lumpige Gräben, es handelte sich um die Zerschmetterung der
-feindlichen Menschenmauer. Die Fahnen des französischen Marschalls
-flatterten bereits in Lille, in Valenciennes. Es ist nichts daraus
-geworden.
-
-Sorgfältig und umsichtig, wohldurchdacht waren Joffres Vorbereitungen.
-Sie reichen bis in den April zurück. Truppenverschiebungen, Heranziehen
-der Reserven, das Herbeischaffen von Munition, jener Berge von Munition,
-die der Marschall brauchte, um uns zuzudecken. Das alles mußte so
-geheimnisvoll wie möglich geschehen, heute, wo die Augen der Heere hoch
-oben in der Luft hängen. Eine bedeutende Leistung! Eine Provinz wollte
-Joffre erobern, ein Riesenheer setzte er in Bewegung, ein paar Dörfer
-und Schützengräben hat er gewonnen. Sie kosteten ihn eine ungeheure Zahl
-von Menschenleben.
-
-Und heute, nach beinahe vier Wochen, ist diese ungeheure Schlacht noch
-nicht zu Ende. Noch immer stampfen und pochen die Geschütze. Die ganze
-letzte Nacht hindurch schlugen sie. Aber es ist nicht mehr die Wut des
-Orkans, der ausbricht, es ist die hohe Dünung nach dem Sturm.
-
-Vier Tage vor dem 9. Mai begann der Feind unsre Stellungen unter
-schweres Feuer zu nehmen. Am 9. Mai, dem Tage des Angriffs, in aller
-Frühe, eröffnete er, ganz wie im Frühjahr in der Champagne, ein
-beispielloses Trommelfeuer auf unsre Gräben. Er trommelte sie auf der
-ganzen Front ab, von Arras angefangen bis hinauf in die Höhe von Lille,
-eine Strecke von vierundzwanzig Kilometern. Es war die Hölle. Die Erde
-dort ist durchsiebt von Granaten. Dann gingen seine Kolonnen in dichten
-Staffeln vor. Aber das Unmögliche geschah: _unsre Truppen hielten stand_
-gegen die mehrfache Übermacht. Wir wollen sie nicht vergessen, die Leute
-von Ecurie, Neuville, Ablain, Carency und wie sie heißen! Was sie taten
-für uns, das wird die Geschichte später verkünden. Es war
-übermenschlich, mehr als Heldentum. Ein paar Gräben gingen verloren,
-Carency und Ablain mußten geräumt werden von uns, das war alles.
-Unbedeutende vorgeschobene kleinere Stellungen gaben wir freiwillig auf.
-
-Zu gleicher Zeit, am 9. Mai, griffen die Engländer im Norden an.
-Südwestlich von Neuve Chapelle, östlich von Richebourg. Im Vergleich zu
-dem wütenden, heroischen und fanatischen Angriff der Franzosen war ihr
-Sturm matt. Nach einem aufgefundenen Befehl stand uns hier ebenfalls
-eine große Übermacht gegenüber. In drei Linien griffen die Engländer an.
-Das erste Regiment ging zurück. Ein zweites englisches Regiment, das
-vorgeworfen wurde, versagte gänzlich. Es streikte. Wie so häufig
-überließen die Engländer die schwere Arbeit den andern. Nun stürmten die
-Schotten vor, das Regiment Scotch Blackwatch. Es wurde durch unser Feuer
-fast gänzlich niedergemäht. Nach Aussagen von Gefangenen zählte man an
-diesem Tage achthundert Tote. Zwei Schotten, die bis an unsre Gräben
-gelangt waren, ergaben sich. Sie konnten nicht hereingenommen werden und
-lagen vor der Brustwehr von fünf Uhr nachmittags bis sechs Uhr früh, und
-unsre Leute mußten über ihre Körper wegfeuern.
-
-Der wütende Ansturm kam zum Stehen. Unsre Heeresverwaltung ließ ihren
-Apparat spielen und warf Reserven und Truppenmassen ins Gefecht: Joffres
-Durchbruch war mißglückt.
-
-Zu einem einheitlichen Angriff großen Stils fehlte dem Gegner seit
-dieser Zeit die Kraft. Indessen fanden Tag und Nacht größere und
-kleinere Teilangriffe statt. Der Erfolg schwankt hin und her. Zuweilen
-gelingt es dem Feind, in unsre Gräben einzudringen, er wird durch
-Handgranaten vertrieben. Ein Angriff ohne Artillerievorbereitung, den er
-am 12. unternahm, erstarb schon im Feuer unsrer Geschütze. Nahkämpfe,
-bei denen Bajonett, Kolben und Handgranaten arbeiten, sind alltäglich.
-Alles in allem zählte man sechsundvierzig Angriffe gegen verschiedene
-Stellungen unsrer Front, seit dem 9. Mai. Unter diesen sechsundvierzig
-Angriffen waren acht von größerer Bedeutung.
-
-Wieder und wieder, hartnäckig und verbissen, läuft der Feind gegen
-Punkte unsrer Front an, die strategisch besonders wichtig sind. So gegen
-unsre Stellungen an der Straße Souchez-Aix-Noulette. Bei Ablain, das
-wir, wie erwähnt, geräumt haben. Gegen die Höhe nördlich Neuville. Im
-Dorfe Neuville selbst wird Tag und Nacht gekämpft, und hier werden die
-Kämpfe noch lange wüten. Vor einigen Tagen überrannte hier der Feind
-unsre Barrikaden, aber nach halbstündigem erbitterten Kampf wurde er
-wieder zurückgeworfen. Gegen den starken Riegel, den wir über die
-Lorettohöhe zogen. Die Trümmerstätte der Kapelle selbst ist in den
-Händen des Feindes. Gegen die Straße Ecurie-Roclincourt. Hier hatte der
-Feind bei La-Maison-blanche ungeheure Verluste, und die Erde trank das
-französische Blut in Strömen. Gegen unsre vorspringende Front nördlich
-von Ecurie. Hier fanden wiederholt wütende Angriffe statt. Unsre
-Geschütze legten einen Kranz von Geschossen vor unsre Gräben. So heftig
-war das Feuer, daß ein französischer Offizier überlief, er war fertig
-mit den Nerven. Das oft genannte Labyrinth bei Ecurie befindet sich noch
-in unsrem Besitz.
-
-Die Engländer im Norden haben in der letzten Zeit größere Angriffe nicht
-unternommen.
-
-Obwohl unsre Heeresleitung keine andre Absicht verfolgte als unsre
-Stellungen zu halten, sich also rein defensiv verhielt, haben wir in den
-letzten Kämpfen doch acht Offiziere und fünfzehnhundert Mann zu
-Gefangenen gemacht. Joffre gewann etwas Terrain. Auf einer Front von
-vier Kilometern rückte er achthundert bis fünfzehnhundert Meter vor.
-Dieser geringe und unwesentliche Geländegewinn steht in einem tragischen
-Mißverhältnis zu dem Aufwand an Kampfmitteln und den Verlusten. Wenn
-Joffre seine Toten beerdigt, so wird er finden, daß er einen Friedhof
-erobert hat.
-
-
-
-
- Die Lorettohöhe unter Feuer
-
-
- Im Juni
-
-Der Tag ist heiß, und die Schlacht wütet. Es ist immer dieselbe
-Schlacht, eine der furchtbarsten und größten dieses Krieges, die
-Schlacht bei Arras. Sie dauert schon Wochen, wird sie nie enden? In der
-schwülen Nacht polterten und schlugen die Geschütze, und sie poltern und
-schlagen in den heißen, glühenden Tag hinein. Die Kanoniere schlafen
-nicht mehr. Je näher der Wagen kommt, desto lauter krachen die harten
-Schläge der Kanonen.
-
-Die Landschaft ändert sich. Aus dem Grün der Wiesen und Felder heben
-sich riesige, unförmige Aschenhaufen, grauschwarz und öde, die
-Schlackenberge der Kohlenzechen. Plump und häßlich liegen die
-Schutthalden da, unproportioniert, die Wohnstätten der Menschen, die
-grünen Baumwipfel überragend, unfruchtbar inmitten der fruchtbaren Erde.
-Sie sehen aus wie die Krater erloschener Vulkane. Hohe Kamine,
-Fördertürme, Backsteingebäude, Beton- und Eisenfachwerk. Hier vorn, in
-der Feuerzone, stehen die Zechen still. Weiter hinten rauchen Schlote.
-Im Norden, im Dunst der Sonne, steht auch die feine Rauchfahne der Zeche
-von Courrière, deren Unglück vor Jahren das Herz der ganzen Welt
-erschütterte. Damals eilten westfälische Bergleute herbei, um ihren
-französischen Kameraden Hilfe zu bringen. Es handelte sich um zwei- bis
-dreihundert Bergleute, die in der harten Schlacht um das tägliche Brot
-fielen, und die Welt brachte ihnen jene Summe von Mitgefühl entgegen,
-die im geraden menschlichen Verhältnis zu der Katastrophe stand. Man hat
-es vergessen. Viele tausend Jahre liegen zwischen der Schlacht von Arras
-und jenem denkwürdigen Tage, da deutsche Männer ihren französischen
-Kameraden im gleichen Landstrich zu Hilfe eilten! Heute handelt es sich
-um Hunderttausende, um mehr. Die Welt schweigt! Mehr als das: die ganze
-Welt arbeitet fieberhaft, um Material zu liefern, das die Legionen der
-Opfer vermehrt. Die Welt will leben, damit andre sterben. Das ist die
-Wahrheit.
-
-Auch drüben beim Feinde rauchen die Schlote! Sie fördern sogar in der
-Feuerzone, sie brauchen Kohle. Selbst wenn hineingefunkt wird, stellen
-sie den Betrieb nicht ein. So ist der Krieg.
-
-Das Auto biegt in einen Zechenhof ein. Es ist still hier und so sauber
-wie in einem Tanzsaal. Die Zeche steht still, sie ist längst ersoffen.
-Wo es früher rasselte und zischte, daß man sein eignes Wort nicht
-verstehen konnte, herrscht jetzt Feiertagsschweigen. Stille Leute sind
-hier eingezogen, Verwundete und Ärzte. Die Zeche ist ein Lazarett.
-
-In dem großen Zechensaal liegen sie, die Tapferen, die für uns gekämpft
-haben, in langen Reihen. Der Saal ist hoch, luftig und rein und die
-Betten schneeweiß. Die Fenster stehen offen. Von dem Saal aus blickt man
-direkt in die Baderäume, die früher den Bergleuten dienten. Nichts
-fehlt, nichts ist vergessen, für alles ist hier wohl gesorgt. Ärzte und
-Pfleger bewegen sich zwischen den Betten, Schwestern gibt es hier außen
-nicht. Leichter oder schwerer verwundet, je nachdem die Schlacht sie
-losließ, liegen sie da und leiden heroisch, so wie sie vorher heroisch
-kämpften. Viele schlafen. Sie sind erschöpft, oder das Morphium hilft
-ihnen über die schlimmsten Schmerzen hinweg. Einzelne stöhnen im Schlaf.
-Einer hat das Gesicht mit einem Tuch bedeckt, und seine Hände zupfen im
-Schlaf leicht an der Decke. Es gibt hier blutige Verbände und viel
-Schreckliches, daß einem das Herz stehenbleibt, aber ohne Blut und
-Wunden gibt es keinen Krieg. Die meisten sind erst heute nacht und in
-den letzten Tagen eingeliefert worden. Einer hat den Kopf vollkommen
-eingewickelt, so daß er aussieht wie eine Wattekugel. Aber zwei frische
-und muntere Augen blicken aus den Binden hervor. Es gibt hier Gesichter
-von allen möglichen Farben. Ein gelbes Gesicht mit geweiteten Augen
-verfolgt mich lange. Der Mann war am Tode, aber der Arzt versichert mir,
-daß für ihn keine Gefahr mehr besteht. Die meisten Gesichter aber sind,
-so erstaunlich es ist, braun und frisch, es sind robuste Burschen, die
-etwas vertragen.
-
-Einer sitzt in seinem Bett, der geschiente linke Arm ist hoch gelagert
-und an einem richtigen Strick aufgehängt. Mit der Rechten schreibt er
-eine Feldpostkarte. Ja, er schreibt an seine Frau, daß es ihm gut geht,
-und er hat keine Lust, sich lange stören zu lassen. Ein junger
-Unteroffizier lächelt mir mit roten Wangen und hellblauen Augen
-entgegen. Er ist achtzehn Jahre, blond und frisch, Zögling einer
-Unteroffizierschule. Er bekam einen Schuß in den Schenkel, wuchtig wie
-eine große Keule warf ihn die kleine Kugel nieder. Er hat keine
-Schmerzen, nein, zuweilen ein bißchen, morgen geht es in die Heimat, und
-bald kommt er wieder.
-
-Aber es gibt hier viele, die nicht schreiben und nicht fröhlich
-plaudern, und hier gibt es manche, die ihre Heimat nicht mehr sehen
-werden.
-
-Im Hof sind zwei Krankenautos vorgefahren. Eine Tragbahre steht auf der
-Erde, und darin liegt ein Kanonier mit verbundenem rechten Arm.
-Schmutzig und zerrissen, wie er aus der Schlacht getragen wurde, liegt
-er da, und sein Verband rötet sich langsam vom Blute. Die Stiefel hat
-man ihm ausgezogen. Sein Gesicht ist braun, fast schwarz und sein Blick
-stark. Ich sehe, daß er die Zehen in den Socken verkrampft. Die Mütze,
-eine runde, schirmlose, verstaubte und verknüllte Mütze, hat er noch
-keck auf dem Kopfe sitzen.
-
-„Haben Sie Schmerzen?“ frage ich ihn und sehe, wie seine Zehen arbeiten.
-
-Er schüttelt den Kopf. „Ein bißchen Schmerzen muß man schon aushalten,
-es schadet nichts. Ein Volltreffer kam in die Batterie, schweres
-Kaliber, drei Mann tot, fünf verletzt.“ Er spricht, als stünde er mit
-Granaten auf du und du. „Die andern sind im Wagen.“
-
-Ich blicke hinein. Es stöhnt da drinnen. Ich gehe.
-
-Im Zimmer des Zechenpförtners liegt ein Franzose. Er liegt allein, nicht
-weil er ein Franzose ist, sondern weil es schlecht um ihn steht. Seine
-Wunde ist zu furchtbar, als daß man ihm wünschte, durchzukommen. Er ist
-ein schöner junger Mann, vielleicht fünfundzwanzig. Sein schmales
-Gesicht ist bleich und still, seine Augen tiefbraun und noch voller
-Leben und Bewußtsein. Tagelang wird er noch unterwegs sein, bevor er
-sein Ziel erreicht.
-
-Die beiden Krankenwagen fahren aus dem Hof, ein voller Wagen kommt
-herein. Herrlich ist die Hilfsbereitschaft und Unermüdlichkeit der Ärzte
-und Pfleger und Krankenträger. Es gibt viel zu tun in diesen Tagen.
-
-Mit der Landschaft haben sich die menschlichen Wohnstätten und die
-Menschen geändert. Es sind keine anmutigen Dörfer mehr, es sind
-Arbeiterviertel, aus der Großstadt in die Landschaft geworfen. Rußige
-Backsteinhäuser, staubige Straßen, schmucklose Fenster mit ein paar
-Fetzen schmutziger Gardinen. Die Bewohner sind keine Dörfler und Bauern,
-es sind Städter aus den Kellerwohnungen, in billigen, verschlissenen
-Kleidern. Bleich, schlecht genährt und schwindsüchtig stehen sie untätig
-vor den Haustüren und starren dem Wagen mit stumpfen Blicken nach.
-Fahle, greisenhafte Kinder, mit einer Spur von Schönheit, die in den
-Geschlechtern verklingt, halbwüchsige Burschen mit kecken Mützen, die
-Zigarette zwischen den schmalen Lippen. Sie greifen an die Mütze, wenn
-man vorbeikommt, und strecken die Zunge heraus, sobald man vorüber ist.
-Nur ganz selten kann ich jenen schönen und helläugigen Typus des
-Arbeiters entdecken, den die Arbeit nicht vernichtete.
-
-In das Industriedorf B. wird zuweilen hineingeschossen. Ein paar Dächer
-sind abgedeckt, ein paar Häuser zeigen Granatlöcher. Gestern kamen
-einige Granaten herüber und töteten eine Frau und zwei Kinder. Heute
-sitzen Weiber und Kinder schon wieder an der Straße, als sei nichts
-geschehen.
-
-Gleich hinter diesem Dorf sinkt die Straße ins Tal, in die breite
-Talmulde hinab. Und drüben liegt sie ausgebreitet wie ein Panorama, die
-berühmte Höhe, die so viel Blut getrunken hat, die Lorettohöhe.
-
-Sie sieht anmutig aus. Golden und grün steigt sie aus der grünen
-Talmulde empor, breit und sanft, ein flacher Höhenzug, von Hügelketten
-flankiert. Oben ist sie bewaldet, Laubwald, das Bois de Bovigny. Sie
-liegt in der glühenden Sonne, und Wolkenschatten ziehen darüber hin. Sie
-sieht aus wie eine sonnige Höhe in Franken oder in Thüringen oder
-irgendwo, es ist gar nichts Besonderes an ihr. Ein breiter, sanfter
-Höhenzug in der Junisonne, der Dunst der Hitze darüber und etwas Wald
-auf der Kappe, nichts sonst. Und doch ist diese anmutige, sonnige Höhe,
-die so friedlich aussieht, daß man glauben könnte, Schafe würden dort
-weiden und Kinder spielen in den Wiesen, heute nichts als ein großer
-Grabhügel, ein Riesengrab. Tausende und aber Tausende liegen dort,
-Freund wie Feind. Sie fielen im Herbst, im Winter, im Frühjahr. Viele
-konnten nicht begraben werden. Sie lagen monatelang in der Sonne, im
-Schnee, im Regen, und die Erde zerrte an ihnen und zerrte sie langsam in
-sich hinein. Des Nachts starrten sie aus ihren offenen Augen in die
-glitzernden Sterne empor, in jene Welt des Friedens und der
-Herrlichkeit, wo ihre Seelen jetzt wanderten, während ihre Leiber in der
-Hölle dieser Erde lagen. So furchtbar ist die Wut des Krieges, daß die
-Gegner sich nicht einmal die Zeit zur Bestattung ihrer Toten gewähren
-können, wie es Heiden und Wilde taten.
-
-Man wird nun einsehen, daß die Anmut und Lieblichkeit dieser Höhe eine
-Lüge ist. Dort oben gibt es schauerliche Dinge, an die niemand gern
-denkt. Es gibt dort Sumpfstreifen, in denen die Toten langsam versunken
-sind, so daß heute nur noch ein Stiefel oder ein Ellbogen heraussieht.
-Es gibt Gräber voller Unheimlichkeiten, halb voll Wasser und Schlamm,
-und ein Schnurrbart sieht aus dem Wasser. Es gibt hier Dinge, die man
-nicht erzählen kann. Wenn der Bauer einst hier wieder pflügt, so wird er
-bei jedem Schritt auf Knochen stoßen, auf Stiefel und zerbrochene
-Gewehre.
-
-Hier oben stand die oft genannte Kapelle von Notre Dame de Lorette. Sie
-ist heute ein Haufen Trümmer.
-
-Hier oben hat jeder Quadratmeter Boden seine Kämpfe gehabt, seine Toten,
-sein Entsetzen. Die Erde ist zerfetzt von Granaten. Hier oben hat jeder
-Weg, hat jede Besonderheit ihren Namen, und an all diesen Namen hängt
-viel Blut und Heldenmut. Diese Namen werden weiterleben, und die
-Soldaten, die die Höhe freigab, werden von ihnen sprechen, wenn sie alt
-sein werden. Da ist die Kanzel, der Hohlweg, der Barrikadenweg, die
-Schlammulde, die Totenwiese. Diese Namen kehren wieder in den
-Gefechtsbüchern der Regimenter, die hier kämpften.
-
-Hat jemand gewußt, welche Bedeutung diese Höhe in diesem Kriege hat?
-Niemand. Zuweilen wurde sie in kurzen Telegrammen genannt. Man wird
-anfangen, an sie zu denken.
-
-Seit Wochen ist sie unter schwerem Feuer. Auch heute.
-
-Sie _raucht_.
-
-Auf den ersten Blick sieht es aus, als würden auf dem goldgrünen sanften
-Abhang der Höhe, über den still die Wolkenschatten ziehen, Feuer von
-Kartoffelkräutern abgebrannt, deren rostbrauner Qualm senkrecht in die
-heiße Luft steigt. Als ständen hinter der Höhe, hinter dem Bois de
-Bovigny, Reihen von Fabrikschlöten, die ihren Rauch emporwirbeln lassen.
-Aber diese dicken Säulen rostbraunen Qualms entstehen urplötzlich, ohne
-jede Vorbereitung, drei, vier fahren nebeneinander aus der Erde. Sie
-wechseln ebenso urplötzlich den Ort, bald stehen sie höher, bald tiefer,
-bald ein paar Kilometer rechts, bald links. Sie sind rostbraun und
-rostrot und zuweilen schwarz wie Ruß. Es sind die Einschläge der
-französischen Granaten, die unsere Gräben eindecken wollen. Die Gräben
-selbst kann man von hier aus nicht sehen, aber an den Einschlägen der
-Granaten kann man ihre Kurve verfolgen, die sich quer über den Fuß der
-breiten Höhe zieht. Auch hört man die Einschläge nicht, denn die
-Geschütze donnern und rollen ohne Pause.
-
-Aus dem Bois de Bovigny wirbelt eine pechschwarze Rauchwolke empor,
-turmhoch, und in der nächsten Sekunde eine zweite, deren Qualm sich hoch
-oben mit dem Qualm des ersten Einschlages vereinigt. Deutsche Granaten.
-Die schwarzen Rauchfahnen hinter dem Wald wehen hin und her, sie steigen
-an verschiedenen Stellen zur gleichen Zeit in die Höhe, stehen
-minutenlang und nehmen die Form von Pinien an. Sie verblassen, und ein
-neuer Krater speit Schwärze und Finsternis in die Luft empor.
-
-In der Talmulde, die so friedlich und sonnig aussieht, hinter den
-winzigen Häusern da unten, wälzt sich eine safranfarbene Wetterwolke.
-Sie schwankt schwer und unheilvoll am Boden, hebt sich hoch und steigt
-dick geballt in die Luft, einen Teil der Höhe verdeckend. Eine schwere
-Granate, die einer unserer Batterien galt. Wütende Abschüsse. Schlag auf
-Schlag, die Luft dröhnt. Hinter dem Bois de Bovigny, im Tal gegen Ablain
-zu, steigt eine schwarze Wetterwand in den blauen Himmel. Wir bleiben
-ihnen nichts schuldig!
-
-Plötzlich kommt unten in der Talmulde eine rostbraune Granatwolke ins
-Laufen. Es sieht merkwürdig aus. Es ist ein spitzer Kegel, ein spitzer
-Wirbel von rostbraunem Rauch, der sich rasch dahinbewegt wie der Rauch
-eines Eisenbahnzuges. Es ist ein Auto, das da drunten auf dem staubigen
-Straßenfaden wie toll dahinfegt. Es fährt um sein Leben. Ein weißes
-Wölkchen steht urplötzlich über dem Auto im heißen Blau des Himmels. Ein
-Schrapnell. Zu hoch. Ein zweites. Das Auto läuft wie eine Maus, die
-Angst hat. Es ist toll, hier zu fahren! Droben im Bois de Bovigny sitzt
-der Franzose mit seinen Scherenfernrohren und sieht jede Katze im Tal.
-Es sind Offiziere, Befehlsüberbringer. Es muß sein. Durch!
-
-Die Sonne brennt. Es ist drückend heiß, und der Schweiß läuft mir über
-das Gesicht.
-
-Die Lorettohöhe blinzelt und blinkt. Ein unsichtbares wütendes Fabeltier
-stampft auf ihr hin und her und reißt den Boden mit den Hörnern auf und
-schleudert die Erde in die Höhe. Heiß, heiß wie die Hölle muß es dort
-drüben in den Gräben sein, wo unsere tapferen Jungen liegen. Der Himmel
-sei ihnen gnädig.
-
-
-
-
- Nachtkämpfe bei Arras
-
-
- Im Juni
-
-Erstickend heiß, staubig und lärmend waren die Straßen am Tage, und nun
-genieße ich es, in die sinkende Nacht hinauszufahren. Schon stehen die
-Sterne blaß am Himmel. Die Bäume rauschen, und die Luft ist lau und
-erfrischend. Die Dunkelheit erquickt die Augen, die entzündet sind von
-Staub und Schweiß. Es ist die Zeit, da die Kröten aus den Löchern
-kommen.
-
-Auf all den dunkeln Straßen der flachen Landschaft wandert und knirscht
-und knarrt es. Aber es ist ein Lärm ohne Hast und Geschrei, ein Lärm wie
-im Frieden, wenn die Bauern auf den Markt fahren. Die Kolonnen sind
-unterwegs. An endlosen Wagenzügen fahren wir entlang, und die schweren
-Pferde strecken die Schenkel, sobald sie die Hupe hören. Große, vom
-Lichtschein erschreckte Pferdeaugen glotzen uns argwöhnisch von der
-Seite an. Es ist das Futter für die unersättlichen Schlünde der Kanonen.
-Langsam knarren die Wagen dahin. Sie haben keine Eile. Sie haben das
-Futter zur bestimmten Zeit gefaßt, sie sind zur bestimmten Zeit
-aufgebrochen, und sie werden auf den Punkt dort eintreffen, wo sie hin
-sollen. Keine Erregung, kein lautes Wort. Die Fahrer rauchen die Pfeife,
-sie haben sich behaglich und faul zurechtgesetzt, aber sobald der Wagen
-vorbeikommt, werfen sie mit einem kurzen Ruck die Nase in die Luft. Die
-Pfeife behalten sie dabei zwischen den Zähnen, aber niemand verlangt,
-daß sie hier außen die Pfeife aus dem Mund nehmen. Hier draußen ist
-vieles anders. Es geht auch so.
-
-Zwischen den dunkeln stummen Pappeln marschiert ohne Tritt eine
-Kompanie. Auch sie traben gemächlich dahin, sie haben keine Eile. Auf
-den Punkt werden sie dort sein, und auf den Punkt werden sie im Graben
-stehen. Ihre grauen Helme wackeln hin und her, und die schweren Stiefel
-schlagen Staub aus der Straße. Junge Gesichter fliegen vorüber, bärtige,
-rasche, neugierige Blicke, ein Scherzwort. Sie sind gut ausgeruht,
-frisch gewaschen und gehen gleichmütig ins Gefecht, als gingen sie zur
-Arbeit. „Rechts getreten!“ Der Zug an der Spitze tritt zur Seite.
-
-Wieder eine Munitionskolonne. Ein Zug Lazarettwagen kommt ihr entgegen.
-Wir müssen halten und uns an den muskulösen Schenkeln der Lastpferde
-vorbeidrücken. In den Lazarettwagen haben sie die Leinwand
-zurückgeschlagen, um frische Luft zu bekommen. Still und ergeben liegen
-sie in den Wagen. Einzelne, mit Binden um den Kopf oder mit
-Armschlingen, sitzen auf dem Bock. Auf der einen Seite ziehen sie
-hinaus, auf der andern zurück. So ist der Krieg. Neuville, die
-Zuckerfabrik, Souchez und die Lorettohöhe kosten viel Opfer. Tag und
-Nacht.
-
-Überall wandert und trappelt es in der Nacht. Am Tag ist hier nicht viel
-zu sehen, ein paar Autos, ein paar Karren, fast keine Soldaten. Denn am
-Tage wimmelt es hier von Fliegern wie an keiner Stelle der Front. Am
-Tage ist hier Ebbe, aber in der Nacht kehrt die Flut zurück, um Gräben
-und Batterien da draußen zu speisen, und sie verschlingen viel. Nacht um
-Nacht ist es das gleiche, bei uns wie bei ihnen da drüben.
-
-Achtung! Wir müssen zur Seite. Ein paar Autos kommen wie die Hölle
-angeritten. Es sind Befehlsempfänger, die von den Stäben zum
-Oberkommando jagen, und sie kennen keine Gnade. Die Mützen über den
-Schädel gestülpt, die Köpfe eingezogen im Luftzug, fliegen sie vorüber.
-
-Ein schweres Geschütz, von sechs Pferden gezogen, kraucht durch die
-Nacht. Zur Front, wie alles. Es läßt den Kopf hängen und scheint auf der
-Lafette zu schlafen wie ein müdes ergrautes Walroß. Aber die Kanoniere
-da draußen werden es wachrütteln, und es wird seine Arbeit wieder
-aufnehmen wie in der letzten Nacht. Wird seinen grauen Kopf heben und
-zum Himmel emporbellen.
-
-Ein matterleuchtetes Fenster. Ein Dorf. Der Posten tritt vor und mustert
-rasch Wagen und Insassen. Das Dorf ist stockfinster. Keine Lampe,
-nichts, keine Bewohner. Ein paar Soldaten sitzen in Hemdärmeln in den
-finsteren Haustüren. Wieder Chaussee. Wieder Kolonnen. Stille finstere
-Dörfer. Der Wagen biegt ab, passiert eine schnurgerade Straße schwarzer
-Arbeiterhäuser. Er hält bei einer Zeche.
-
-In wenigen Minuten sind wir oben auf dem dunkeln, öden Schlackenhaufen.
-Ich hole Atem. Was ich sehe, ist ein nächtlicher Spuk.
-
-Ich will versuchen, es zu beschreiben, obschon es unmöglich ist. Niemals
-aber werde ich imstande sein, mein Erstaunen auszudrücken, als ich es
-zum erstenmal sah: nicht mehr ist es und nicht weniger als ein Feuerwerk
-des Teufels.
-
-Zuerst sehe ich nichts. Die dunkle Halde, der Zechenhof. Ein paar
-Fabrikschlöte, der Förderturm, dunkle Wände mit schwarzen hohen
-Kirchenfenstern. Schuppen, Bahngeleise. Die Dächer einer
-Arbeiteransiedlung, alle gleich hoch, gleich groß, wie Treibhäuser.
-
-„Dort unten liegen zwei französische Spione begraben,“ sagt die Stimme
-des Offiziers an meiner Seite. „Dort bei den Schuppen. Vor dem kleinen
-Schuppen, ein paar Schritte nach rechts.“
-
-Nun entdeckte ich den Grabhügel. „Waren es wirkliche Spione?“
-
-„Ja. Zwei Offiziere. Sie hielten sich lange Monate in Douai verborgen.
-Dann verkleideten sie sich als Frauen, ein schmutziges Straßenmädchen
-nahmen sie noch mit. Aber sie wurden gefaßt.“
-
-Ich bin ungläubig. Es klingt wie ein Märchen.
-
-„Es ist wahr. Ich sah sie sterben. Sie leugneten gar nicht, sie
-gestanden es ein. Sie starben gefaßt und mit Würde, wie Offiziere. Es
-waren zwei mutige Burschen.“
-
-Elend sieht dieser helle Fleck bei den Schuppen drunten aus. Mich
-fröstelt. Die Frösche quaken in den Wiesen, die dunkeln Baumwipfel
-bewegen sich. Die Kanonen brummen und pochen. Man gewöhnt sich daran;
-Tag und Nacht hört man hier nichts anderes, selbst wenn man schläft. Man
-hört nicht mehr hin, nur wenn eine schwere Batterie donnert und
-trommelt, wendet man den Kopf. Hinter den Arbeiterhäusern dehnt sich das
-mächtige Land, gespensterhaft durchsichtig im Licht der Sterne. Und aus
-dem fahlen Lande, am Horizont, steigen dunkle Höhenzüge empor, scharf
-abgegrenzt gegen den graublauen Nachthimmel.
-
-„Das da links ist die Höhe von Vimy. In der Mitte, der breite Rücken,
-das ist die Lorettohöhe, und rechts davon, das sind die Höhen hinter
-Aix-Noulette.“
-
-Plötzlich steigt hinter der Lorettohöhe ein weißer, sprühender Mond
-empor und bleibt minutenlang stehen. Kreidebleich ist ein Teil der Höhe.
-Der Mond sieht aus wie ein Leuchtfeuer, das auf das Meer hinaussprüht.
-Plötzlich aber sind es zwei, drei, sechs Monde, die über den Höhenzügen
-schweben, ein Viertel des Horizontes beherrschen sie. Hinter den dunkeln
-Höhen wetterleuchtet es unaufhörlich, ein Feuerstrahl, rot und flammend,
-dick wie ein Balken fährt schräg aus dem Wald auf der Höhe heraus. Die
-Monde sinken, ganz langsam, und verlöschen. Aber schon stehen neue über
-den Höhen. Weitab links blinzelt ein rötliches Feuer am Himmel, wie ein
-entzündetes Auge. Ein Blinkfeuer im Dunst. Im Norden antwortet eine
-grüne Kugel, die rasch steigt und rasch verlischt. Die Geschütze
-trommeln. Ein paar sanfte schöne Sterne versprühen, Schrapnelle. Aus der
-Lorettohöhe schießen, dicht nebeneinander, zwei Fühlhörner empor, mit
-glühenden Kugeln an den Enden. Blitze fahren über das Land und den
-dunkeln Himmel. Die Sterne verblassen. In der Ebene poltert und kracht
-es. Fahle Lichtgarben, stumpf wie Rasierpinsel, stehen in der Ebene:
-Einschläge von Granaten. Ein Rudel roter Leuchtkugeln. Ein gelber
-Halbmond, der traurig und trüb verglimmt, schauerlich wie über
-hoffnungsloser See.
-
-Es ist wie ein toller Spuk, ein Traumgesicht. Das höllische Feuerwerk
-zuckt und spielt, jede Sekunde sprüht es anders, schöner, wilder.
-
-Diese Lichtsignale sprechen zu den Batterien. Alles können sie lautlos
-in den Himmel emporsprühen. Und die Geschütze antworten, sie verstehen
-alles, sie antworten präzis und unerbittlich.
-
-Früher dauerten Schlachten ein paar Stunden, höchstens ein paar Tage. In
-der Nacht standen sie still. Heute dauern sie wochenlang und der Tag ist
-zu kurz, in der Nacht wüten sie weiter.
-
-Über der Lorettohöhe stehen nebeneinander, in gleicher Höhe, drei rote
-Monde und glühen zu uns herüber. Grüne Raketen fahren gespenstisch in
-die Höhe. Horch! Durch das Poltern und Trommeln der Geschütze hindurch,
-in den sekundenlangen Pausen zwischen den dumpfen Schlägen hört man
-deutlich das rollende Gewehrfeuer und das Knattern der Maschinengewehre.
-Es klingt, als würde ein Wagen voll Kohlen ausgeschüttet. Angriff!
-
-Wieder greift Joffre an. Gestern nacht griff er an sechs verschiedenen
-Stellen an und dreimal an ein und derselben. Um zehn, um ein Uhr und um
-drei Uhr. Unsere Leute sind hart wie Stahl. Sie halten Unmögliches aus.
-Die Maschinengewehre mähen die französischen Kolonnen dahin, ganze Züge
-fliegen in die Luft, Lawinen von Leibern rollen über die Abhänge. Aber
-Joffre greift an! Man hat mir gesagt, wie hoch man seine
-Verluste schätzt, es sind irrsinnige Zahlen, ich wage sie nicht
-niederzuschreiben. Und doch wirft er Regiment um Regiment ins Feuer. Er
-erscheint mir wie ein nervös gewordener Spieler, der verloren hat und
-nun sein Geld aus allen Taschen reißt, Ringe und Uhr, und alles auf den
-Spieltisch schmeißt, um das Glück zu zwingen.
-
-„Es ist bei der Schlammulde,“ sagt mein Begleiter.
-
-Nichts ist mehr zu hören. Die Stimmen der Kanonen überbrummen alles, die
-Dunkelheit deckt alles zu, was dort geschieht und geschehen ist. Besser,
-es nicht zu sehen! Es mitzumachen ist möglich, es mitanzusehen, wäre
-unmöglich.
-
-Feuerschein steht hinter der Höhe von Vimy. Er verblaßt. Es blitzt und
-wetterleuchtet, donnert und rumort. Feuerbalken fahren aus dem dunkeln
-Wald der Lorettohöhe wie ungeheure Stichflammen in die Nacht. Und
-ununterbrochen steigen Monde und fremde, nie gesehene Sonnen in die
-Nacht empor. Sie stehen da und dort, überall, bald sechs, acht zur
-gleichen Zeit, bald zwei, bald nahe, bald fern! Ein Mond sinkt herab und
-blinzelt im Fall, Scheinwerfer tasten: das Mündungsfeuer ferner
-Batterien. In der dunkeln Ebene tanzen fahle Lichtgarben. Grüne, rote
-Meteoriten, die hochfliegen und langsam sinken. Schwer und gewaltig
-schlägt eine deutsche Batterie da unten, sie saugt den ganzen Lärm auf
-und schlägt einen rasenden Wirbel. Und wieder steigt ein Schwarm
-gespenstischer leuchtender Bälle in die Nacht.
-
-Es ist eine Gespensterküste mit hundert wechselnden und fremden Feuern,
-die sprühen und blinzeln, eine höllische Küste mit unverständlichen
-Signalen. Ich kann mir denken, daß ein Seemann, der ein Leben lang die
-Küsten aller Kontinente ansteuerte, im Fieber, im Wahnsinn eine Küste
-wie diese erblickt und verzweifelt vor diesen fremden, verwirrenden
-Feuern.
-
-Ja, wohlverstanden, es ist die Küste eines fremden, geheimnisvollen
-Landes, und viele von denen, die da drüben kämpfen, werden noch in
-dieser Nacht, in dieser Stunde ihren Fuß auf das ferne, unbekannte
-Gestade setzen.
-
-
-
-
- Ein tapferes Regiment
-
-
- Im Juni
-
-Was ist das Regiment? Das Regiment ist alles. Es ist Anfang und Ende,
-Offizier und Mann sterben dafür. Offizier und Mann gehören sich nicht
-mehr selbst, sie gehören dem Regiment. Ihre Ehre ist die Ehre des
-Regiments. Sie haben zu seiner Fahne geschworen, seine Fahne ist heilig,
-und die Eide werden besiegelt mit heißem Blut. Das Regiment will! Es
-geschieht. Das Regiment befiehlt! Es ist getan. Offizier und Soldat, sie
-können sterben bis zum letzten Mann, das Regiment stirbt nicht. Das
-Regiment ist ein Glaube, eine Religion, es ist alles. So war es, seit es
-Regimenter gab, und so muß es sein, solange es Regimenter gibt.
-
-Hunderte stehen heute am Feind, Hunderte von Regimentern. Alle, Offizier
-und Mann, von all den Hunderten von Regimentern wissen wohl, was es
-bedeutet: _das Regiment_! Und die Kommandeure all der Regimenter, sie
-wissen es wohl. Sie sterben für die kleinste Faser der heiligen
-Standarte. So muß es sein.
-
-Hier soll berichtet werden von einem tapferen badischen Regiment. Es ist
-nicht tapferer als andere, es ist ebenso tapfer wie sie, aber es hatte
-schwere Arbeit zu leisten in den ersten Maitagen, droben auf der
-Lorettohöhe, und deshalb will ich von ihm berichten.
-
-Am 20. November bezog das Regiment die Stellungen auf der Höhe. Diese
-Stellungen! Mit ihren Gräben, Sappen, Verbindungsgängen und Horchstollen
-sehen sie auf der Karte aus wie das feine Geäder des Auges. Bei Ablain
-begannen sie, stiegen hinauf zur „Kanzel“, einer Kuppe, und zogen quer
-über den Ostabhang der Lorettohöhe, an der Kapelle Notre Dame de Lorette
-vorüber, hinab zur Schlammulde.
-
-Im November lag etwas Schnee auf der kahlen Höhe, aber das Vergnügen
-dauerte nicht lange. Regen setzte ein, ein ganz verfluchter dünner
-grauer Regen, wie die Soldaten ihn nie erlebt hatten. Es regnete
-wochenlang. Der feine Nebelregen durchdrang alles, Haut und Haare,
-Kleider, Riemenzeug und Schuhe, es gab keine Rettung vor ihm. Wenn sie
-aus den Gräben kamen, so sahen sie nicht mehr menschlich aus. In der
-Schlammulde versank man im Morast. He, Kamerad! Zu Hilfe! Und man mußte
-ziehen, mit vereinten Kräften, um den Pechvogel zu befreien. Mancher
-Stiefel blieb im Dreck stecken. Na, das war natürlich nicht sehr
-schlimm, dieser Regen und Schmutz, davon nur nebenbei, es war das
-_Allerleichteste_. Nebenher wurde auch noch gekämpft! Es ging scharf zu,
-da oben, Tag und Nacht. Man brauchte sich nur zu rühren, schon knallte
-es. Alles buddelte, die Gräben rückten auf zwanzig, auf fünfzehn Meter
-heran. Es regnete Handgranaten und Minen. Du hockst im Graben, den Blick
-nach oben gerichtet, und lauerst. Nun kommt sie heran. Wohin wird sie
-fliegen? Fällt sie in den Graben, so heißt es verschwinden. Nägel und
-Schrauben und Fetzen von Eisen speit sie nach dir und spickt dich damit.
-Fällt sie in deine nächste Nähe, dann bleibt dir keine Wahl mehr. Du
-mußt ihr entgegengehen! Immer rasch, angefaßt und zurückgeschleudert,
-bevor sie explodiert. So ging es da oben zu, es war so, daß man sich in
-jeder Sekunde sagen mußte: diesmal –
-
-Noch schlimmer war es oben auf der Kanzel. Von dieser Kuppe aus konnte
-man die Straße Souchez-Ablain einsehen. Fiel die Kanzel in die Hände des
-Feindes, so sah die Sache bös aus. Keine Katze konnte sich mehr auf der
-Straße zeigen, Zufuhr, Ablösung, alles in Frage gestellt. Nein, die
-Kanzel durfte er nicht haben! Das Regiment sagte es und das Regiment
-hielt die Kanzel! Die französischen Batterien standen bei der
-Topartmühle, im Bois de Bovigny, im Bois de la Haie. Sie beschossen die
-Gräben von vorn, von der Flanke und im Rücken. Täglich trommelten sie
-die Gräben auf der Kanzel ein. Nachts wurde fieberhaft gebaut,
-Sandsäcke, Brustwehren, Drahtverhaue, am nächsten Tag war alles wieder
-zum Teufel. Oft waren die Gräben verschüttet, sie hockten in Löchern,
-sie hockten in Granattrichtern, Angriff auf Angriff, aber das Regiment
-hielt die Kanzel.
-
-So ging es also da oben zu. Wohlgemerkt und wohlverstanden: _sechs
-Monate lang_! Fast ohne jede Unterbrechung und Ruhe.
-
-Anders ist die bewegliche, die fließende und flutende Schlacht. Sie
-rauscht dahin über die Felder. Gefahr und Tod, Rausch, Wut, Entsetzen,
-Schrecken und Triumph in ein paar Stunden gepreßt. Sie kann zwei, drei
-Tage, eine Woche dauern, einmal ist sie doch zu Ende. Atemholen, neue
-Quartiere, neue Abenteuer. Der Stellungskrieg zehrt am Mann. Immer das
-gleiche, aber immer die gleiche Gefahr, tagaus, tagein. Kein sichtbarer
-Erfolg, kein Abenteuer im großen Stil, keine neuen Quartiere, Gegenden
-und Menschen. Hier ist der Graben, und davor liegen die Toten.
-Übermenschlich muß die Energie des Mannes im Graben sein, übermenschlich
-seine moralische Kraft. So gewiß es ist, daß Offizier und Mann im Westen
-genau das gleiche leisten wie Offizier und Mann im Osten, so gewiß ist
-es, daß sie, du brauchst sie nur zu fragen, ohne zu zögern ihren Graben
-mit Polen, Karpathen und Rußland vertauschen würden. Augenblicklich,
-lieber heute als morgen. Trotz den Läusen und schlechten Quartieren.
-Denn Läuse gibt es auch hier und die Quartiere sind nicht viel besser,
-wenigstens in der Feuerzone.
-
-Aber, es muß gesagt werden, unser Regiment hatte auch seine Abwechslung.
-Am 17. Dezember wies es Joffres Angriffe ab. Es ging blutig zu. Mitte
-Januar nahmen ihm die Franzosen ein paar Grabenstücke weg, aber das
-Regiment revanchierte sich und nahm seinerseits den Franzosen zwei
-ausgedehnte Gräben. Am 3. März ging es wieder vor. Das Regiment nahm die
-Gräben bei Notre Dame de Lorette. Die schlichte Kapelle auf der Höhe
-ging dabei in Trümmer, die Glocke, die frei in dem durchbrochenen
-Türmchen hing, stürzte in den Schutt. Die Arbeit am 3. war schwer, und
-schwerer noch war sie am 22. Die französischen Gräben waren angehäuft
-mit Leichen, und man begrub und begrub, es wollte kein Ende nehmen. Mit
-Schaudern sprechen sie davon.
-
-Aber all das war nur Vorbereitung, eine Art _Training_!
-
-Der 9. Mai kam heran! Offizier und Mann werden ihn nie mehr vergessen.
-Er kam heran, und nun mußte es sich zeigen, was eigentlich in ihm
-steckte, in dem badischen Regiment Nummer X! Nun mußte es sich zeigen,
-ob die Höhe, die blutgierige und verfluchte Höhe, das Regiment gestählt
-hatte in der halbjährigen harten Schulung oder nicht. Es mußte sich
-zeigen, ob das Regiment imstande wäre, sich selbst um das Doppelte und
-Dreifache, das Zehnfache zu überbieten! Darum handelte es sich, um
-nichts Geringeres. Joffre wollte die Höhe! Er wollte sie um jeden Preis!
-Über Souchez von unten, die Schlammulde von oben, über Ablain und die
-Kanzel von hinten wollte er vor. Zwischen Souchez und Schlammulde wollte
-er abdrosseln. Das war die Lage. Es ging ums Ganze, das Regiment mußte
-zeigen, was in ihm steckte.
-
-Und das Regiment zeigte es!
-
-Um sieben Uhr morgens fing es an. Die französische schwere Artillerie
-begann die vordersten Grabenlinien einzutrommeln. Wirbelfeuer,
-schwerstes Kaliber. Dieses Höllenfeuer dauerte bis elf Uhr dreißig
-Minuten.
-
-Der Kommandeur des Regiments: „Als ich von unserem Beobachtungsstand aus
-das Feuer beobachtete, da dachte ich mir, es kann kein Mann mehr in den
-Gräben am Leben sein!“
-
-Der Reservist aus Bretten: „Die habe uns die Gräbe hübsch
-zusammengewichst. So was war noch gar nicht da. Alles war schwarz!“
-
-Die Drahtverhaue und Barrikaden waren niedergetrommelt, die vorderen
-Gräben existierten nicht mehr. Sie waren Granatlöcher. Die Kompanien
-lagen in den zweiten Gräben. Alles war schwarzer und gelber Qualm,
-glühende Rasiermesser zischten über die Gräben hin.
-
-Halb elf wurde das Feuer weiter zurück, auf die zweiten Gräben gelegt.
-Was ist zu tun? Frage die Soldaten, die in diesen Gräben waren. Nichts
-kann man tun. Man liegt der Länge nach im Graben, den Kopf in die Erde
-gedrückt. Einer schreit auf, einer stöhnt. Was man denkt? Man denkt
-nichts, nichts, gar nichts! So ist es also, ohne jede Phrase. Es ist die
-_Agonie_. Punkt elf Uhr dreißig schweigt plötzlich das Feuer. Was noch
-kann, erhebt sich. Gewehre fertig. Ein Maschinengewehr ist noch intakt,
-ein einziges. Los! Schon kommen sie!
-
-Sie kommen heran in dichten Kolonnen, mit unerhörter Bravur,
-bewundernswürdig. Nie vorher sah man Franzosen so stürmen. Das
-Maschinengewehr hämmert. Sie fallen, in Reihen. Schnellfeuer. Sie
-brausen näher. Ein Offizier an der Spitze, mit gezücktem Degen! Er
-überspringt den ersten Graben, will seine Leute mitreißen, allein, ganz
-allein stürmt er weiter. Er fällt. Nahkampf. Angriff erledigt! Aber was
-ist das? Sie sind im Rücken! Eine halbe feindliche Kompanie ist in die
-Verbindungsgräben eingedrungen und kommt in den Graben. Sandsäcke!! Nun
-gilt es. Der Offizier schreit, der Mann. Jeder einzelne Mann ist jetzt
-Offizier, Kommandeur, er muß handeln, rasch und klar. Sandsäcke!
-Handgranaten! Die Barrikade ist fertig, die Handgranaten fliegen in
-Schwärmen zum Feind über die Sandsäcke hinüber. Der Feind ist
-abgeschlossen. Aber neue Sturmkolonnen kommen heran, sie fliegen die
-Höhe herunter. Salvenfeuer, das Maschinengewehr schnarrt. Es sind ihrer
-zu viele, immer neue Kolonnen. Aber der Kommandeur hat seine Leute nicht
-vergessen und den kühlen Kopf bewahrt. Artillerie! Plötzlich schlagen
-Granaten in die feindlichen Sturmkolonnen. Fontänen von Leibern,
-Kleidungsstücken, Köpfen und Gliedmaßen fliegen hoch. Es ist zwei Uhr,
-schon nahen die Bataillone, die in Ruhestellung waren.
-
-Nein, allein hätten sie es nicht schaffen können, gewiß nicht. Alle
-Regimenter, von Neuville bis hinauf nach Aix-Noulette, mußten mithelfen,
-mit gleicher Tapferkeit, alle Batterien, Munitionskolonnen,
-Telephonisten, Beobachter, Flieger, jeder einzelne Mann. Frage die
-Soldaten des tapferen badischen Regiments. Sie sprechen nicht von sich
-allein. Sie sagen: Souchez war unter Feuer, daß die Häuser auf die
-Straße flogen. Es waren Torpedogranaten, schwere Dinger, die sich tief
-einbohren und dann alles in die Luft schmeißen. Die Munitionskolonnen
-fuhren mitten durch Souchez! Eine Kolonne raste auf offener Landstraße
-dahin. Granaten rechts und links. Zur Batterie, abgeladen, weiter.
-Zurück denselben Weg. Ohne einen Mann, ein Pferd zu verlieren. Eine
-Batterie ist zusammengeschossen. Noch zwei Geschütze. Sie verfeuert noch
-rasch 1300 Granaten, immer hinein in die Sturmkolonnen, Verschlußstücke
-abgeschraubt und aus dem Staube gemacht ...
-
-Nein, allein hätten sie es nicht geschafft, aber ihre Arbeit war
-mörderisch hart und schwer. Und sie hielten die Gräben, die Granatlöcher
-besser gesagt. In Abständen von fünf Metern lag der Feind eingegraben,
-_fünf Metern_! Fünfzehn und zwanzig Meter Abstände wurden gar nicht mehr
-für schwierig empfunden. Einen Tag und eine Nacht, und noch einen Tag
-und noch eine Nacht. Was sie mühsam zusammenbauten in den Sekunden, in
-denen die Leuchtkugeln sie nicht abblendeten, war in einer Stunde wieder
-zusammengeschossen. Angriff auf Angriff. Heroisch kämpfte der Franzose,
-wie nie zuvor.
-
-Die Soldaten, die da oben kämpften, sprechen mit Ehrerbietung vom Feind.
-
-„Und der Kommandeur?“
-
-„Der Kommandeur kam jeden Tag zu uns herauf in die Gräben. Es war ein
-Wunder, daß es ihn nicht erwischte. Wir waren jedesmal erstaunt, wenn
-wir ihn heil wiedersahen.“
-
-Dann kamen Reserven, Verstärkungen. Die Krisis war überstanden. Das
-Regiment war zurückgegangen auf seine zweiten und dritten Gräben, aber
-es hatte die Stellung gehalten. Joffre kam nicht durch, das war es!
-Frage nicht, wieviele des tapferen Regiments da oben fielen, es sind
-ihrer nicht wenige, aber das Regiment stand wie eine Mauer.
-
-Der Kommandeur des Regiments, Major G., hat mich empfangen. Ein
-schlichter, gerader und einfacher Mann. Ein Soldat der Front! Ich kam
-zwei Stunden zu spät, aber das war ihm einerlei, er kümmert sich nicht
-um lumpige Formalitäten.
-
-Major G. sagte: „Ich glaube wohl behaupten zu können, daß das Regiment
-seine Pflicht getan hat.“
-
-Das glaube ich auch!
-
-Hoch das Regiment!
-
-
-
-
- Gefangene aus der Arrasschlacht
-
-
- Im Juni
-
-Sie stehen in einer Reihe, wie die Orgelpfeifen, dicht neben dem
-Misthaufen des Bauernhofes. Der größte rechts, seine zwei Meter hoch,
-der kleinste am linken Flügel, immer noch gut einen Meter
-fünfundsiebzig. Es sind prächtige Burschen, wie man sie sonst nur bei
-Hagenbeck sieht. Sie stecken in graugelben Khakiuniformen, graue
-Wickelgamaschen, derbe Rohlederstiefel, alles ohne Tadel. Auf den
-schmalen Schädeln tragen sie Turbane, ein verblaßtes Zitronengelb,
-einzelne ein verstaubtes Blaugrau. Übrigens sind es keine faltenreichen,
-schwellenden Turbane, sondern Tuchstreifen, die eng um den Kopf
-geschlungen sind und den Turban nur noch andeuten. Ihre Gesichter sind
-scharf und fein geschnitten, von der edlen Färbung gedunkelten
-Elfenbeins. Die Sonne glänzt auf ihren Stirnknochen. Ihre Augen sind
-tiefbraun, glänzend und unergründlich wie Tieraugen. Die vollen Lippen
-sind bläulich und grau. Ihre langen, sehnigen, braungelben Hände liegen
-an den Hosennähten, Nase geradeaus.
-
-„Was für Leute seid ihr? Regiment?“ – „Kiff, Kiff!“
-
-„Französisch, spanisch, englisch? Was versteht ihr?“
-
-„Kiff, Kiff!“
-
-Kiff bedeutet eins – erstes Regiment.
-
-„_Français?_“
-
-Der blaßgelbe Turban schüttelt sich. Der Adamsapfel zuckt, ein Maul
-voller Zähne, eine rollende Zunge, die Kehle kracht und schnarrt:
-_marrrroc – maroc_. _Eh bien_, es sind Marokkaner. Sie verstehen keine
-Silbe Französisch, und es ist nichts aus ihnen herauszubringen. Wie
-Statuen stehen sie, Hände an der Hosennaht, Nase geradeaus, und es ist
-unmöglich, ihre Erstarrung zu lösen.
-
-Sie sind Automaten. Die Zivilisation hat sie an ihre Brust genommen und
-ihnen beigebracht, wie man vor dem weißen Mann stramm zu stehen habe.
-Die Dressur erstreckte sich auf die Künste der Zivilisation, auf
-rechtsum und linksum, das Abfeuern des Gewehrs, und damit hatte die
-Zivilisation ihre Aufgabe erfüllt. Sie waren mechanische Puppen
-geworden, und nichts in der Welt konnte sie wieder in Menschen
-zurückverwandeln. Sie standen wie Säulen und wagten keinen Finger zu
-rühren, denn bei Gott, was konnte der weiße Mann tun, wenn sie es
-wagten? Er konnte sie mit einem Fußtritt auf den Misthaufen befördern,
-er konnte – ja, was konnte er nicht? Man sah es ihnen an, daß sie die
-Zivilisation des weißen Mannes begriffen hatten! Ihr Gott war der
-Korporal.
-
-Dabei hatten sie Namen wie in den Märchen. Mohammed ben Abdel Kader!
-Jeder Name ein Fürst! Sie stammten aus Casablanca, Sous-Maroc, Mogador.
-Sie hatten keine Vorstellung, wo sie sich befanden, ihre Gehirne
-träumten, aber sie wußten, daß der weiße Mann sie hinschicken konnte,
-wohin er wollte, denn sie waren wilde Völker, Kiff, Kiff.
-
-Um die Handgelenke, sehnig und edel wie die Fesseln von Tigern, trugen
-sie dünne Kettchen und daran hingen die Erkennungsmarken, Name,
-Regiment, Heimat, Nummer. Es waren kokette Armreife, anmutige Geschenke
-der Zivilisation, die sie, die Zivilisation, für ihre Register und
-Bücher nötig hatte, wenn man die gelben Kadaver in die Massengräber
-fegte.
-
-Mitten in der Reihe der gelben Automaten stand ein Franzose. Auch er
-stand in militärischer Haltung, aber man sah auf den ersten Blick, daß
-er keine Maschine, sondern ein Mensch war. Seine Haltung war locker,
-frei und würdig. Sie waren Statisten auf dem Kriegsschauplatz, er war
-Soldat. Sein Kopf war rund wie eine Kugel, gespickt mit blonden
-Haarstoppeln, oben und unten, sein Blick blau und seine Backen rot. Er
-war ein guter Bursche, der typische _bon garçon_, Spaßvogel und
-pfiffiger Junge in einer Person. Noch war er ein wenig eingeschüchtert
-durch das Unglück, das ihn betroffen hatte, aber das würde sich bald
-wieder geben, keine Sorge.
-
-Wieso er hierher käme? – Oh, ja, _pardon_ – seine Hände lösen sich, denn
-er brauchte sie zum Sprechen – er hatte eben Pech! Nichts andres. „_Que
-voulez-vous, monsieur?_“ Er war Koch und arbeitete in der berühmten
-Zuckerfabrik zwischen Souchez und Ablain. Er steigt also vom Garten aus
-in seine Küche hinunter, um anzufangen. Zwei deutsche Gefangene sitzen
-da unten im Keller, sonst aber ist niemand zu sehen. Das ist ein bißchen
-merkwürdig, nicht wahr? Also steigt er die Treppe hinauf, und die zwei
-deutschen Gefangenen begleiten ihn, da sie ja nichts zu tun haben. Kaum
-aber stecken sie die Köpfe in den Korridor – na, was sagst du dazu: die
-Deutschen sind da! – Man kann es nicht leugnen, das ist solides Pech!
-
-Der Koch zieht den Kopf zwischen die Schultern und breitet die Arme aus.
-„_Eh, bien! Que voulez-vous_ ...“
-
-„Können Sie sich denn mit diesen Gelben hier verständigen?“ Ein Blick,
-ein Ruck, ein verächtliches Achselzucken: „Mit diesen Gelben? Kein Wort,
-mein Herr!“ –
-
-Man weiß, daß wir in diesen Kämpfen bei Arras fünfzehnhundert Gefangene
-gemacht haben. Heute sind es schon mehr. Das ist eine hübsche Anzahl,
-wenn man sich daran erinnert, daß wir uns rein defensiv verhielten, und
-für den Westen ist es ein großer Erfolg. Denn hier regnen die Regimenter
-nicht von den Bäumen wie in Rußland, sie hocken zäh in ihren Dachsbauten
-und jeder Mann muß sozusagen einzeln geholt werden. Die Fünfzehnhundert
-sind längst abtransportiert, aber heute nacht sind neue eingebracht
-worden, und ich besuchte sie in einem Nebenhofe der Kaserne. Im
-eigentlichen Kasernenhof exerzieren ein paar Kompanien unsrer
-Feldgrauen, und hier, drei Schritte davon entfernt, kauern sie, die
-gestern noch kämpften, und denen man die Waffe aus der Hand nahm.
-
-Es sind ungefähr fünfzig. Sie sitzen und liegen in der Sonne, mit
-Schmutz und Blut bespritzt, so wie die Schlacht sie auslieferte.
-Einzelne starren bis hinauf zur Brust von trockenem Lehm. Der eine und
-der andre hat einen Verband, eine leichte Verletzung an der Hand, am
-Kopf. Einer sitzt mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, starrt zum
-Himmel und friert trotz der höllischen Hitze. Die meisten aber haben
-sich schon wieder zurechtgefunden, ihr Blick ist klar und ruhig. Nur
-zwei, drei rote Hosen sind darunter. Alle andern stecken in taubengrauen
-oder, wenn man will, taubenblauen, langen Röcken aus solidem filzartigen
-Tuch, die taubengraue Mütze auf dem Kopf. Es sind Elitetruppen.
-
-„Die Leute über vierzig sollen vortreten!“ Sie kommen heran, sechs,
-acht, zehn. Aus fünfzig! Gott weiß, ob sie alle über vierzig sind,
-vielleicht denken sie, hier werden an ältere Semester Zigaretten oder
-Vergünstigungen, man kann es nie wissen, verteilt. Jedenfalls aber sind
-sie alle keine jungen Leute mehr, manche sind schon grau. Ich bin so
-überrascht, so erschüttert, daß ich keine Worte finde. Wie fürchterlich
-muß der Krieg unter Frankreichs Männern gewütet haben, daß sie hier
-stehen, zehn aus fünfzig, Familienväter, Ergraute und Gealterte. Sie
-sind alle gefaßt und wissen sich zu benehmen. Die meisten von ihnen sind
-Bauern und Handwerker. Ja es war furchtbar! Es war das furchtbarste
-Feuer, das man sich vorstellen kann. Sie wurden abgeschnitten von einem
-Riegel trommelnder Granaten. Sie haben genug! „Ja, mein Herr, man
-schlägt sich, man ist nicht gerade feige, man kämpft für sein Vaterland,
-das man liebt, wie Sie das Ihrige lieben, man schlägt sich bis zum
-letzten Atemzug – aber was zuviel ist, ist zuviel. Die menschlichen
-Nerven sind nicht berechnet für Explosionen dieser Gewalt. Nein, es war
-genug, genug, zuviel, zuviel. Ich war in der Champagne, im Frühjahr,
-bah, nichts gegen diese Kämpfe! Nichts! Ich kann Ihnen sagen – nein, es
-gibt keine Worte, um das zu schildern ...“
-
-„Sie haben schwere Verluste gehabt?“
-
-„Ho, ho, ho!! Schwere Verluste! Hatten wir nicht schwere Verluste? Ja,
-mein Herr, wir hatten fürchterliche – aber auch Sie, auch Sie hatten
-schwere Verluste, Sie können es nicht leugnen. Was für ein Krieg!“
-
-Einer, ein Hagerer, Langer, mit krankem gelben Gesicht und entzündetem
-rechten Auge, schüttelt unausgesetzt verstört den Kopf. Furchtbares
-Feuer – er schüttelt den Kopf, schwere Verluste – er schüttelt den Kopf,
-genug, genug, er schüttelt den Kopf und hustet dabei. Ja, gewiß, genug,
-genug. Er ist noch ganz vernichtet. Er spricht nichts, aber er
-bestätigt, er unterstreicht. Er ist ein trauriges, melancholisches Echo.
-
-Ein Granatsplitter fegte an seinem Gesicht vorbei, nahm ein Stückchen
-der Braue mit, ein kleines Eckchen des Lides und eine Spur des
-Nasenrückens. Ich beglückwünsche ihn, ein wenig tiefer und was wäre aus
-Ihnen geworden?
-
-Aber er schüttelt den gelben Kopf und blickt mich mit seinen kranken
-Augen an. Ah, wozu? Für ihn gibt es keinen Trost.
-
-Es ist nicht leicht, mit Gefangenen zu plaudern. Ein Wort, ein Blick,
-eine Änderung der Haltung und ihr Vertrauen ist wie weggeblasen. Sie
-stoßen einander an, sie starren auf den Sprecher, daß er verstummt, sie
-schweigen. Dann ist es vorbei, nichts kann mehr ihre Zunge lösen. Man
-muß es fühlen, wenn dieser Augenblick droht, und dem Gespräch eine neue,
-harmlose Wendung geben.
-
-Die Geschichte mit den „schweren Verlusten“ war der kritische Moment.
-Der Sprecher hatte zuviel gesagt, obwohl er ja nichts verriet, sie
-fühlten es, und weil sie es fühlten, fühlte er es auch. Sie erkalteten.
-
-„Ihr habt euch bewunderungswürdig geschlagen!“ sage ich. Sie rekeln
-sich, bescheiden, verlegen, sie schweigen.
-
-Ich greife mir einen Mann heraus, der einen dünnen, schäbigen
-Leinwandkittel anstatt des Blaugrauen trägt.
-
-„_Et toi, mon ami_, wie siehst du aus?“
-
-Die Kameraden, die Blaugrauen und Eleganten lachen. Wie er sich schämt,
-es ist rührend. Er blickt auf sie, auf mich, er windet sich vor
-Feinfühligkeit. Er stellt mit der ausgebreiteten Hand eine Grenze her
-zwischen den Kameraden und mir: „Mein Herr!“
-
-Ja, eine Granate hat ihn ausgezogen. Er flog in einen Granattrichter,
-sein Rock verbrannte und die Lumpen fielen ihm von den Schultern. Ebenso
-erging es seinen Pantalons. Es ist nur gut, daß es warm ist! Er
-deklamiert und seine Kameraden lachen.
-
-„Sie sind ein tapfrer Soldat wie die andern. Es ist ja ganz egal, wie
-Sie aussehen.“
-
-„Ja, aber es ist nicht schick!“
-
-Das Mißtrauen ist verschwunden. Sie fragen, wohin man sie wohl bringen
-wird? Ob sie ihren Angehörigen Nachricht geben können? „Ich bin von
-Roubaix, kann ich nicht an meine Frau schreiben? Ich konnte ihr seit dem
-Herbst keine Nachricht geben.“ – Ich will mit dem Offizier sprechen.
-
-Einen Trost, einen gewichtigen und wunderbaren Trost kann man Gefangenen
-immer geben: „Der Krieg ist für euch zu Ende!“
-
-Ihre Blicke ruhen stumm und klar auf mir. Diese Blicke sollen sagen:
-Nennen Sie es einen Trost, gefangen zu sein? Wir sind Soldaten, viel
-lieber möchten wir für unser Land weiter kämpfen! Sie sind stolz, und
-sie möchten nicht, daß ein Fremder ihre Freude sähe, daß die Sache ein
-Ende habe für sie und daß sie – lebten. Aber sie nicken und ihre Mienen
-erheitern sich. Der Verstörte schwingt den gelben Kopf und stößt einen
-tiefen Seufzer aus, während er die Finger krampfhaft ineinander flicht.
-Ja, ja, ja ...
-
-Aber der im Leinenkittel lacht über das ganze Gesicht und strahlt vor
-Entzücken: „Ja, Gott sei Dank, mein Herr, der Krieg ist für uns zu
-Ende!“
-
-
-
-
- Die Gewitterstadt
-
-
- Im Juni
-
-Seit vielen Wochen hat Douai Gewitter. Es sind Gewitter jeden Formats,
-fürchterliche, wovon die Stadt erzittert, und harmlosere, die nur leise
-knurren. Sie währen Tag und Nacht. Sie ziehen in Rudeln um die Stadt,
-prallen aufeinander, toben und poltern, im grauen Morgen rumoren sie
-ferner, mit jeder Stunde des Tages aber kommen sie wieder näher. Am
-Abend wüten sie am lautesten. Dabei ist der Himmel über den Dächern der
-Stadt blau und heiß.
-
-Eines Nachmittags zog ein wirkliches, ein natürliches Gewitter über die
-Stadt herauf, aber es konnte nicht aufkommen gegen die Konkurrenz, es
-brummte ein bißchen und war wieder weg.
-
-Die Kanonen von Arras, Loretto und Souchez aber schlugen weiter, dumpf
-und zornig, wie seit Wochen. Die Bewohner von Douai kennen es nicht
-anders, sie gehen mit Kanonenschlägen zu Bett. Wie der Müller erwacht,
-wenn das Rad stehen bleibt, so werden Douais Bürger einmal erschrocken
-auffahren, wenn der Geschützdonner plötzlich schweigen sollte.
-
-Jeden Tag aber, einmal, zweimal und öfter, löst sich aus dem großen
-Gewitter ein kleines Separatgewitter los und erscheint direkt über der
-Stadt. Dann kracht und poltert es ganz in der Nähe, die Stadt selbst
-kracht. Douai bekommt Besuch. Der fällige Flieger erscheint, klein und
-golden wie eine Mistfliege, um nachzusehen, ob Douai noch steht, um
-seinen Landsleuten ein paar Bomben auf die Köpfe zu schmeißen und um
-nach Neuigkeiten in den Straßen und auf dem Bahnhof zu schnüffeln. Dann
-sieht man die Schrapnelle oben im heißen Blau des Himmels platzen. Man
-sieht die weißen Schrapnellwölkchen, während man seinen Kaffee trinkt,
-und man sieht sie, wenn man zufällig einmal den Kopf zum Fenster
-hinaussteckt. Der Flieger gehört hier zum täglichen Brot, wenn man so
-sagen kann. Einmal kamen sie in der Nacht und warfen achtundsechzig
-Bomben; sie warfen neulich fünfzig auf den Flugplatz bei der Stadt, ohne
-eine Katze zu treffen, sie warfen wiederholt auf den Bahnhof; man ist
-hier nie ganz sicher, ob nicht eine Bombe unterwegs ist. Vor drei Tagen
-warfen sie Zeitungen herunter, eine gutgemeinte Aufforderung an unsre
-Soldaten, nach Hause zu gehen, da ja nun auch Italien das Messer für sie
-wetze ...
-
-Seit einigen Tagen kommen sie seltener, und wenn sie kommen, fliegen sie
-in Rekordhöhe. Sobald sie gemeldet werden, erscheint der deutsche
-Kampfflieger über der Stadt, der _Luftpolizist_. Er brummt hoch über den
-Dächern dahin, zieht weite Kreise um den Beffroi, dann stellt er den
-Motor ab und sticht wie ein Habicht in die Tiefe, um zu landen. Ein paar
-Minuten später ist er schon wieder oben und brummt. Zwei Franzosen hat
-er in den letzten Tagen ohne viele Umstände abgeschossen. Ich habe die
-Luftpolizisten gesehen und auch die Maschine. Sie haben mir ihre
-Schliche erklärt und den Apparat vorgeführt. Es sind reizende Leute,
-aber ich möchte ihnen nicht da oben begegnen, so in 2000 Meter Höhe.
-
-Das große Gewitter aber grollt weiter, während die Abwehrkanonen
-knallen.
-
-Douai ist eine mittlere Provinzstadt, mit einem rechteckigen Marktplatz,
-wie ihn alle französischen kleinen Provinzstädte hier im Norden haben.
-Ein paar Droschken stehen da, mit jämmerlichen Pferden, ganz wie in
-Berlin. Zum Glück haben sie nie etwas zu tun. Ein paar schöne alte
-Kirchen, ein hübscher Stadtpark mit ein paar modernen Denkmälern im
-Geschmack der Provinz, gewundene, nicht gerade breite Straßen – schon
-ist Douai zu Ende, und die Industrie, die Kohle beginnt. Es gibt noch
-prächtige Sachen hier zu kaufen: feinste, allerfeinste Kuchen, Orangen,
-Zitronen, Spargel, Artischocken, Konserven, Butter, Streichhölzer,
-Tabak, kurz alles, was ein Europäer nötig hat. Die Leute leiden keine
-Not. Unerschöpflich müssen ihre Vorräte und Reserven sein. Im November
-war ich hier, und aus dem Keller eines Händlers wurde ein großes Weinfaß
-gerollt und auf einen Wagen geladen. Heute sah ich aus dem gleichen
-Keller riesige Fässer rollen. Es ist mir unbegreiflich! Und doch wird
-hier nicht wenig getrunken, das kann niemand behaupten. In der Nähe des
-Rathauses hat sich eine deutsche Bierhalle aufgetan, aber fast immer
-hängt an der geschlossenen Türe ein Plakat: Ausverkauft! Nur einmal traf
-ich es glücklich, die Halle war geöffnet. Die Feldgrauen spülten sich
-den Staub hinunter, am nächsten Tage schon wieder: Ausverkauft. Wie
-wunderbar und rätselhaft ist dagegen der Weinkeller des französischen
-Händlers! Wenn ich das Faß im November nicht gesehen hätte, so würde ich
-gar nichts sagen, aber nun rollen sie hier schon monatelang Fässer
-heraus ...
-
-Im Herbst zogen in Douai fünf Feldgraue ein, besahen sich die Stadt und
-verschwanden wieder. Ein paar Wochen später kamen mehr, und nun gingen
-sie nicht wieder fort. Die französischen Soldaten, die geflüchtet waren,
-verbargen sich in den Häusern und warfen Uniformen und Gewehre auf die
-Straße. Welche Angst, welch schreckliche Angst hatten die Leute von
-Douai anfangs vor den deutschen Soldaten. Aber es zeigte sich, daß alles
-Schwindel war. _Les journaux!_ Nichts begeistert die Franzosen mehr, als
-sich tüchtig belügen zu lassen. Die Lüge ist Phantasie, Rausch, Genie,
-die Wahrheit ist allzu nüchtern. Kurz und gut, Douai setzte seine
-Papiergeldpresse in Bewegung und damit war die Sache im Gange. Unsre
-Verwaltung ist einsichtsvoll und der Bürgermeister ist vernünftig, also
-wurden größere Reibungen vermieden. Douai hat sein Schicksal, aber man
-muß gestehen, es trägt es mit Würde. Die Leute sind höflich und
-taktvoll, sie haben sich an die Feldgrauen gewöhnt. Ja, eines Tages,
-eines Tages werden sie ja doch wieder verschwinden. Es ist nicht für
-ewig.
-
-„_La guerre est triste, pour nous, pour vous, pour tout le monde!_“
-Jedermann gebraucht hier diese Redensart, der Kaufmann, die Verkäuferin,
-der Kellner. Sie leiern diese Phrase ohne jede Betonung und ohne zu
-denken herunter, wie einen Spruch, den man hundertmal am Tage hersagt.
-
-Oder: „_Oh, cette guerre, quand sera-t-elle finie?_“ – Gott allein weiß
-es. (Origineller drückte sich ein Kellner aus: „Dieser Krieg ist eine
-internationale Schweinerei, mein Herr, ich bin Kosmopolit!“)
-
-Mitte Mai hatte Douai seine großen Tage. Es war in der Zeit der wütenden
-französischen Vorstöße. Man buk Kuchen und band Blumensträuße.
-Auffallend viele Zylinder und schwarze Gehröcke erschienen in der
-Straße. Der Bürger schnupperte in der Luft. Man wartete! Joffre hatte
-gesagt (so erzählt man!), er hatte gesagt, er werde am 12. in Douai
-soupieren. In Lens wollte er frühstücken und am Abend des gleichen
-Tages, wie gesagt, in Douai soupieren. Er sagte nicht: ich komme,
-sondern er sagte ausdrücklich, er wolle am 12. in Douai soupieren,
-obwohl es doch eigentlich selbstverständlich ist, daß er speisen würde,
-wenn er käme. Wie, wo, wann und zu wem er es gesagt hatte, wußte
-niemand. Aber daß er käme, das stand fest.
-
-Es ist begreiflich, daß sich in einer seit sechs Monaten besetzten Stadt
-die Nervosität bis zur äußersten Spannung steigern kann. Nun, Joffre kam
-nicht. Er kam nicht am 13., 14., 15. Die Zylinder verschwanden langsam,
-und heute habe ich nur noch zwei gezählt. Douai sank ermattet in seine
-Resignation zurück, und heute glaubt es nicht mehr, daß Joffre in der
-nächsten Zeit kommen werde. Nein, ich sah es Douai deutlich an.
-
-Heute braust und donnert Douai vom kriegerischen Lärm eines Heeres, das
-Menschen, Material und Energie im Überfluß hat. Es ist eine der
-lautesten Städte Europas, und die Rue St. Jacques schlägt spielend die
-großen Pariser Boulevards in der Hochsaison. Die Gewitterstadt rasselt
-und bebt in einer Atmosphäre von Krieg. Lastautos poltern vorüber,
-Automobile schnarren, zwitschern und trompeten. Regimentsmusik, laut und
-breit. Zwei Bataillone Feldgrauer marschieren vorbei, frisch gewaschen,
-ausgeruht, mit hartem, tapfrem Tritt, der weder Erschöpfung noch
-Müdigkeit zeigt. Es sind jene Bataillone, die Joffre daran hinderten, in
-Douai am 12. zu soupieren, sie lagen oben auf der Lorettohöhe. Frisch
-und guter Laune sind sie – denn sie leben! Ein Auto schnarrt vorbei:
-zwei blaugraue Offiziere sitzen darin. Französische Fliegeroffiziere,
-die gestern bei Vimy abgeschossen wurden. Dann kommen Kolonnen, endlose
-Kolonnen, von schweren Bierbrauerpferden gezogen, die mit den Hufen
-Funken aus dem Pflaster schlagen. Sie nehmen kein Ende, und alle
-Fensterscheiben der Rue St. Jacques klirren. Tag und Nacht gibt es hier
-keine Ruhe.
-
-Im Hotel du Cerf – ein vernachlässigtes, schmutziges, ödes Hotel, das
-ich hiermit verfluche! – spielen ein paar Kriegsfreiwillige, noch den
-Schmutz der Gräben an den Stiefeln, einen flotten Tango, in einer
-Nebenstraße marschieren Soldaten und singen ein fröhlich schallendes
-Lied. Plötzlich knallt es: ein Flieger.
-
-In das ewige Getrappel der Pferde und Tuten der Automobile tönt
-getragene Musik. Der Chopinsche Trauermarsch. Ein Major wird zur letzten
-Ruhe geleitet. Wieder tuten und trompeten die Autos. Am Abend gehe ich
-selbst hinter dem Sarg eines gefallenen jungen Offiziers her zum
-Bahnhof. Ein Güterwagen nimmt den Sarg und die Blumen auf. Daneben steht
-eine Lore mit einem neuen Geschütz. Heute mittag passierte uns, nicht
-mir, eine äußerst peinliche Sache. Wir waren, ein paar Bekannte und ich,
-beim Delegierten des Roten Kreuzes zum Frühstück geladen. Wir wußten,
-daß ein junger Offizier gefallen war, der den Namen eines bekannten
-Sportmannes trug, aber wir wußten nicht, war es der bekannte Sportmann
-selbst oder sein Bruder. Ein Herr fragt bei Tisch: „Ist der bekannte
-Sportmann gefallen oder sein Bruder?“ Der Wirt sieht den Fragenden an
-und deutet auf einen anwesenden jungen Offizier: „Hier sitzt der Bruder
-des Gefallenen. Er ist der bekannte Sportmann.“
-
-Ja, man soll hier außen nie derartige Fragen stellen.
-
-An diesem Abend trafen wir in der Rue St. Jacques einen Dragoner, der in
-hohen Stiefeln dahinstampfte und lustig pfiff. Was pfiff er? Den
-Chopinschen Trauermarsch. Wir fragen: „Sagen Sie mal, was pfeifen Sie
-eigentlich da?“
-
-Der Dragoner geschmeichelt, verlegen: „Es ist so ne neue Sache. Das
-Neueste, das man hat, von Berlin in den Theatern –“
-
-Ein merkwürdiges Pflaster, dieses Douai! – Wenn die Sonne untergeht und
-die Lichter des Himmels verlöschen, versinkt die Gewitterstadt in
-Dunkelheit, in rabenschwarze Nacht. Die Estaminets, die kleinen
-Gastwirtschaften, die kleinen Cafés schließen. Kein Licht, kein Mensch,
-kein Hund. Der Beffroi, die Kirchen, Giebel, Bäume ragen schwarz und
-stumm zum Himmel empor. Eine _verkohlte_ Stadt. Geht man über den
-Marktplatz, so schallt es, als käme eine Kompanie daher, und man
-erschrickt, solch einen furchtbaren Lärm zu machen. Man ist verloren und
-auf den „Cerf“ angewiesen. Hier ist wenigstens Licht. Aber es kommt vor,
-daß auch hier das Licht plötzlich ohne jede Warnung ausgeht und man eine
-Stunde im Dunkeln sitzt. Ein Flieger ist irgendwo. Die Wachen klappen
-auf ihren schweren Stiefeln draußen vorbei, Autos ohne Lichter
-schleichen dahin. Es knarrt von Rädern, Kolonnen, Transporte von
-Verwundeten. Douai ist tot. Aber horch!
-
-Um so lauter und härter rollt der Donner der Geschütze. Wie die Brandung
-des wilden, nächtigen Meeres an einer schrecklichen, öden Küste.
-
-
-
-
- Die Kämpfe bei Moulin-sous-Touvent
-
-
- Im Juni
-
-Der Franzmann – so nennen die Frontsoldaten den Franzosen – der
-Franzmann versucht sein Heil an verschiedenen Stellen, die ihm einige
-Aussicht auf Erfolg zu bieten scheinen. Seit sechs Wochen trommelt er
-oben bei Arras, und am 16. und 17. Juni sah es dort aus, als wolle er
-Frankreich in Grund und Boden schießen. Er hat keine Zeit mehr zu
-versäumen, das weiß er recht wohl. Vorwärts, Regiment um Regiment wirft
-er gegen die Gewehre, jeder Schritt kostet ihm Tausende. Bei Arras
-verbiß er sich, er kam nicht weiter, und so versuchte er es an andrer
-Stelle. Bei Moulin-sous-Touvent, etwa zwanzig Kilometer nordwestlich von
-Soissons. Er wollte durch, er wollte zum mindesten Truppen und Geschütze
-fesseln, abziehen von da oben, und er ging mit großartiger Energie zu
-Werke. Es war umsonst. Er gewann einen Graben, aber er bezahlte ihn zu
-teuer, viel zu teuer. Man legt sich hundert Meter dahinter, und nun
-liegt man wieder mit geschliffenen Zähnen, die Maschinengewehre stehen
-an ihrem Platz, Gräben, Drahtverhaue, alles wie früher.
-
-Die Kämpfe aber waren furchtbarer, als die paar Zeilen in den
-Wolff-Telegrammen es ahnen lassen. Sie waren ein kleines Arras, ein
-Stück Arras, es ging hier zu ganz wie da oben bei Souchez und Neuville.
-Aber die gleichen Leute wie bei Souchez und Neuville standen auch hier,
-und sie stehen überall an der Front, wo Joffre anklopft. Je näher man
-unsre Leute kennenlernt, desto mehr überraschen sie. Sie waren niemals
-weich, o nein, aber der Krieg hat sie stahlhart geschweißt. Sie sind
-braun und hart wie Erz. Sie waren tapfer, nun aber, nach langen Monaten,
-sind sie unüberwindlich. Jeder einzelne ist ein Panzerturm für sich, ein
-Graben mit Drahtverhauen ringsum, und jeden einzelnen Mann muß Joffre
-einzeln mit Granaten zusammentrommeln, anders geht es nun nicht mehr.
-Sieht man einen Kanonier in seinen schweren Stiefeln, so scheint er
-selbst wie ein Mörser zu sein, ein Mörser, mit dem nicht zu spaßen ist.
-Ein Schrapnell zerspritzt vor der Batterie, der Hauptmann schreit: „Weg
-da!“ Der Kanonier rührt sich nicht: „Wegen mir, Herr Hauptmann, da muß
-schon ne Lage kommen.“ Ja, Kerle sind sie, das muß man sagen!
-
-Wären sie anders, dann wäre es bei Arras und Moulin-sous-Touvent nicht
-so gegangen! Hundert Meter zurück und alles wie früher, nein ... denn
-er, der Franzmann, ist ein Gegner, vor dem man den Degen senken muß. Im
-Friedhof zu Anizy-le-Château ruht ein französischer Batteriechef, der
-Kapitän Lerroy Beaulieu. Seine Batterie war zerschossen, die Mannschaft
-tot, ganz allein bediente er noch das letzte Geschütz, und dann feuerte
-er mit dem Revolver auf unsre stürmenden Grauen. Ein Hurra unsern
-Grauen, ein Hurra dem Kapitän Lerroy Beaulieu! Solche tapferen Leute
-haben sie viele da drüben. Nicht wir allein besitzen sie, es wäre
-falsch, das zu denken.
-
-Ich habe einen Oberleutnant gesprochen, der bei Moulin-sous-Touvent in
-den letzten vierzehn Tagen ununterbrochen kämpfte. Er war lang und
-hager, sein Gesicht scharf und kantig gemeißelt. Seine Augen stahlhart,
-und immer zeigte er ein wenig die obern Zähne. Er war nicht gerade
-elegant, aber er legte auch keinen Wert darauf. Sein langer, grauer
-Mantel war an einzelnen Stellen abgeschliffen, voller Falten, und
-schimmerte von den Farben der Erde und des Grases und einem sonderbaren
-Rostrot. Die ganzen vierzehn Tage hatte er kaum ein Auge zugemacht, hier
-und da zehn Minuten, das war alles. Es ging nicht anders! Sie hockten in
-rasch aufgeworfenen Gräben, aber er hatte keine Zeit, an sich selbst und
-die persönliche Gefahr zu denken. Es gab zu tun. Die Truppe, nichts
-andres als die Truppe! Kein andrer Gedanke. Er ist der Kopf und das Herz
-der Leute. Man darf nicht vergessen, daß die Flagge, die schwarzweißrote
-Flagge des Reiches, unsichtbar all die vierzehn Tage und vierzehn Nächte
-über seinem Kopfe und seiner schiefen, verknüllten und staubigen Mütze
-knatterte, das darf man nicht vergessen – anders wäre es ihm und den
-andern wohl nicht möglich gewesen, die vierzehn Tage und Nächte
-auszuhalten.
-
-So war es also bei Moulin-sous-Touvent, und so ist es zum Teil noch
-heute.
-
-Am 5. Juni nachmittags begann der Franzose zu trommeln, und er trommelte
-volle drei Stunden lang. Am 6., am Sonntag, trommelte er weiter von
-sieben Uhr bis zehn, ein halb elf. Die Drahtverhaue müssen eingetrommelt
-sein, die vordersten Gräben, denn anders ist ein Sturm unmöglich, will
-man nicht, daß ein ganzes Regiment in den Drähten hängen bleibt. Dazu
-hielt er alle Zugänge und Verbindungswege unter Feuer, damit niemand vor
-und zurück konnte. So ist es jedesmal, die Taktik steht fest. Dieses
-Wirbelfeuer war das fürchterlichste, das mein Oberleutnant je erlebte.
-Und dann kamen die Schwarzen angefegt! Das Plateau ist eben, Gras und
-Halme, so kamen sie heran, die schwarzen Kugelfänger der Franzosen, die
-den ersten Regen von Geschossen mit ihren dicken Mäulern schlucken
-sollen. In einer Breite von zwölfhundert Metern, in mehreren Kolonnen,
-kamen sie näher. Erst die Granaten, dann die Schwarzen, es ist immer das
-gleiche Rezept. Der Franzose weiß wohl einen Unterschied zwischen
-Schwarz und Weiß zu machen! O, ganz gewiß. Afrika _brütet_. Die
-dunkelhäutigen Mütter sind Tiere, die Junge werfen, und die
-dunkelhäutigen Mütter haben keine Augen, um Tränen zu vergießen. Nein!
-Dein schönes, edles Antlitz, Frankreich, auf das du so stolz bist, und
-das du so gern bewundern läßt, es ist geschändet. In deinen Salons und
-Parlamenten, in denen so viel gesprochen wird von Menschenwürde,
-Menschlichkeit und Gleichheit und ähnlichen Dingen, wird für ewig ein
-Gestank sein, der Gestank von hunderttausend schwarzen, faulenden
-Kadavern, die du in diesem Kriege zynisch geschlachtet hast. Nie, nie
-wirst du diesen Gestank mit deinen Parfümen ersticken können, niemals,
-du weißt es wohl! Wohlgemerkt, ich habe deinem tapfern Kapitän Lerroy
-Beaulieu ein Hurra gebracht, denn ich liebe und bewundere ihn, er ist
-das Frankreich von einst, aber ich verabscheue dich, wenn du, roh und
-schamlos, die Peitsche des Tierbändigers schwingst. Afrika wird dir nie
-vergeben, denke an mich! Es wird dir ja nicht gelingen alle Schwarzen
-abzuschlachten, und einige werden wohl oder übel zurückkehren in ihre
-Dörfer. Sie sprechen deine Sprache nicht, aber dort können sie sich
-verständlich machen, und man wird sie verstehen. Man wird dir die
-Rechnung vorlegen, und du wirst erbleichen, denke an mich! Sie werden
-deine Bataillone niedermetzeln und ihre Köpfe auf Spieße stecken. Dann
-wirst du schreien, sie sind Tiere, und das unwissende, belogene und
-verlogene Europa wird dir glauben, daß sie Tiere sind, und vor Empörung
-beben.
-
-Kurz und gut, die Schwarzen müssen vor! Ein gerader, nicht
-mißzuverstehender Blick ins Auge, ein Griff an den Revolver – du
-verstehst mich wohl! – Maschinengewehre im Rücken, der Schwarze
-versteht. Er schnellt vor wie ein Tier, das um sein Leben läuft,
-Maschinengewehre voraus, Maschinengewehre im Rücken, der Todesschweiß
-glänzt auf den dunkelhäutigen Gesichtern.
-
-So kamen sie heran bei Moulin-sous-Touvent in den heißen Stunden der
-Schlacht. Sie fielen wie Hammel, in die der Blitz schlägt. Dann erst
-fluteten die Wellen der französischen Infanterie heran. Die Übermacht
-war so groß, daß es Wahnsinn gewesen wäre, sie in zerschossenen Gräben
-und Granattrichtern zu erwarten. Man ging zurück. Aber die flankierenden
-Gräben standen wie Festungen und gaben Flankenfeuer. Verlängerungen
-wurden vorgetrieben, um die Flankenstellungen auszudehnen. Die Schlacht
-war im Gange. Reserven kamen blitzschnell heran, vorwärts, Sturm! Um
-sechs Uhr abends war der Feind wieder zurückgeworfen. Was er noch hielt,
-waren zwei zusammengetrommelte Gräben von etwa hundert Meter Tiefe. Die
-ganze Nacht hagelten die Granaten bis acht Uhr morgens. Die Kämpfe wogen
-hin und her. Die Gewehre peitschen, die Maschinengewehre hämmern, Minen,
-Handgranaten. Unsre Grauen hocken in rasch aufgeworfenen Gräben,
-Sandsäcke vor, es ist heiß, staubig und stickig. Sappen, Gräben, man
-beißt sich langsam durch die Erde näher. So geht es fort, ohne Pause,
-bis zum 14. Es ist immer das gleiche. Das heißt, es ist immer _gleich
-furchtbar, gleich blutig_, es erfordert immer den gleichen Mut, die
-gleiche Ausdauer, die gleiche unmenschliche Anstrengung!
-
-Am 14. abends setzten wir zum Gegenstoß an und nahmen den Franzosen
-einen Graben weg. Unsre Geschütze trommelten nun ihrerseits. Die
-feindlichen Reserven wurden zugedeckt. Ein feindliches Bataillon in
-Reservestellung geriet, wie Gefangene aussagten, derart in die Zähne
-unsrer Haubitzen, daß der Kommandeur das Kommando: „_Sauve qui peut!_“
-gab. So ging es hin und her. Am 16. machte der Franzose drei wütende
-Vorstöße. Den Tag leitete er mit Wirbelfeuer ein wie gewöhnlich. Um elf
-Uhr brach er nördlich von Moulin bei der Ferme Quennevie vor. Die
-kleinen Vorteile, die er dort errang, nahmen ihm unsre Grauen am Abend
-wieder ab, und somit war es wieder nichts. Ein Angriff etwas südlicher
-scheiterte. Um drei Uhr nachmittags griff er zum dritten Male an diesem
-Tage an. In dichten Kolonnen stürmte er vor, kühn und tapfer, aber der
-Sturm brach in unsrem Infanteriefeuer zusammen.
-
-In den ersten Tagen des Angriffs hatte er schwere Verluste, am 16. aber
-ungeheure. Ein kleines Grabenstück, das nicht den geringsten Wert hat,
-war das Resultat der vierzehntägigen Schlacht, die, wie mir mein hagerer
-Oberleutnant versicherte, heißer war als die Schlachten bei Soissons und
-Vailly. Sie ist noch nicht ganz zu Ende, es flackert immer noch auf da
-oben – aber eines ist gewiß: so wenig es Joffre gelang bei Arras
-durchzubrechen, so wenig gelang ihm sein verzweifelter Versuch bei
-Moulin-sous-Touvent. Und er wird ihm nicht gelingen. Er mag anklopfen,
-wo er will, immer wird er auf die gleichen Leute stoßen wie bei Arras
-und Moulin-sous-Touvent – ob sie nun sächsisch sprechen oder bayrisch
-oder märkisch oder schwäbisch – es sind immer die gleichen. Es sind
-Kerle, braun und hart wie Erz.
-
-
-
-
- Granaten auf die Vororte von Soissons
-
-
- Im Juni
-
-Ich frage, was hat die Granate dort links mitten im Feld zu suchen? Sie
-kam heran, ohne besondern Lärm zu machen, und klang wie der Abschuß
-irgendeines der Geschütze, die hier in der Umgebung stehen und zuweilen
-in den heißen Morgen hineinfeuern. Unsern Ohren muß der Krach
-anscheinend aber doch nicht geheuer vorgekommen sein, denn instinktiv
-drehten wir alle den Kopf. Nun raucht sie in der grellen Sonne wie der
-Qualm eines Kartoffelkrautfeuers. Ein Reiter trabt auf seinem Pferd
-feldein. Er reitet in einer Mulde und ist vom Feind nicht einzusehen.
-Plötzlich stutzt er, hält das Pferd an und betrachtet den grauweißen
-Rauchklumpen im Felde, der sich langsam in die Höhe zieht. Er reitet
-weiter, hält wieder an, blickt auf den Rauch, den Himmel, das Feld
-ringsum und auf unser Auto. Er dreht bei, siehst du wohl, und macht sich
-langsam und in aller Ruhe davon.
-
-Auf dem Felde ist nichts zu sehen, es ist unberührt, hier war nie etwas,
-weder ein Graben noch eine Batterie. Ohne Zweifel, die Granate galt uns,
-aber sie fiel zu kurz. Wir halten auf der weißen, sonnigen Landstraße,
-über das Feld ragen Höhenzüge empor, und dort sitzt der Franzose mit
-seinen Fernrohren. Der Hauptmann, der mich fährt, mager und geschmeidig
-wie ein Panther, spitzt die Ohren, horcht auf die Abschüsse und äugt
-durch das Monokel auf das öde heiße Feld, um den nächsten Einschlag zu
-beobachten. Nichts mehr. Sie wollten uns nur andeuten, daß sie immerhin
-noch da seien und alles sähen.
-
-Wir fahren weiter. Es ist das Prinzip meines Hauptmanns „lieber etwas zu
-riskieren, als zuviel zu laufen“. So sagt er. Gestern schleppte er mich
-bei einer Höllenhitze quer über die Abhänge bei Vailly, und hier gab es
-Striche, die nackt vor den Franzosen dalagen. Mit dem bloßen Auge
-konnten sie uns sehen. Da hieß es dann trab, trab, eins, zwei, drei,
-hundert Schritte Abstand und hinüber. Zuletzt kamen wir auf eine
-kalkweiße Landstraße auf der leeren Höhe, von der wir uns wie
-Tintenflecke abhoben. Wir mußten schließlich in ein Rübenfeld hinein und
-durch die hochgeschossenen Samenstauden hindurch. Gelb, wie von
-Insektenpulver zugedeckt, tauchten wir wieder auf. Selbst das Monokel
-des Hauptmanns war gelb. Der Schweiß lief uns übers Gesicht. Das nannte
-mein Hauptmann „abschneiden“.
-
-„Lieber ein bißchen riskieren, aber nur keine Umwege.“ So ist er also
-und nicht zu ändern.
-
-Diese Felder ringsum, die in der mörderischen Sonne zittern, sind das
-Schlachtfeld von Soissons. Soissons? Es klingt schon, als wäre es in
-einem andern Krieg gewesen. So lange ist dieser Krieg! Hier gingen sie
-vor, im Januar ... Die Felder sind verlassen und öde. Die Rüben sind ins
-Kraut geschossen, der Weizen ist von selbst gewachsen und steht
-dazwischen in langen Halmen. Ein grellrotes Feld von Mohn. Verwildert
-und verwahrlost sehen diese Felder aus, kein Mensch, kein Tier. Wie ein
-verfluchtes Land, das kein Fuß mehr betritt. Die Hitze kocht darüber,
-und die Halme stehen regungslos, wie tot. Die Felder haben einmal den
-wilden Lärm gehört: Keuchen und Schreien, Röcheln, Kommando, Granaten
-und den lauten Fall von vielen Männern. Nun aber schweigen sie. Die
-Toten ruhen unter der Erde. Hier! Sie ruhen unter der Erde, ja, aber sie
-sind nicht vergessen! In der Sonne kann ich sie ja stehen sehen, im
-grellen, lichten Tage, die Mütter, Bräute und Schwestern, die
-hierhergekommen sind auf diese heißen Felder, ohne Regung stehen sie und
-weinen leise und können es noch immer nicht fassen, daß ihre Lieben
-unter dieser Erde ruhen. So stehen sie, die Frauen, ich sehe sie
-deutlich, und so werden sie noch viele Jahre stehen und leise weinen,
-bis sie selbst in die Erde sinken. Aber noch nach fünfzig Jahren werden
-einzelne hier stehen, bis es nach sechzig, siebzig nur noch eine einzige
-ist, und auch sie wird in diese Erde hineinsinken. Und auch dann sind
-sie noch nicht vergessen, die Toten von Soissons. Verflucht und verrucht
-wäre Deutschland, vergäße es sie je! Einer, nach tausend Jahren, schlägt
-ein Buch auf, und was schreit ihm entgegen? Schlacht bei Soissons, 11.
-bis 15. Januar 1915, Regimenter, Bataillone, Divisionen, Kommandeure und
-Generale, der Steinbruch, La Perrière, Crony, das Zuavenwäldchen – und
-er, der in einer glücklicheren Zeit lebt, der Kriege so fern sind wie
-uns Hexenverbrennungen, er wird der Toten von Soissons gedenken.
-
-Die Gräben und Sappen sind überwuchert von Kräutern und blühenden
-Wicken. Sie sind heiß wie Backöfen. Hier ist der Steinbruch, Sandsäcke,
-Barrikaden, alles ist noch da. Selbst die Sturmleitern, acht Meter hoch
-und sechs Meter breit, stehen noch an Ort und Stelle. Hier mußten sie
-hinauf und vor! Hinein in das zischende Feuer. Hier ist der Verhau des
-sächsischen Scharfschützen, der vom grauenden Morgen bis in die sinkende
-Nacht hier hockte und gar keine Zeit für etwas andres hatte, selbst das
-Essen ließ er sich bringen. Zerschmetterte Bäume. Ein Haus, durch das
-ein „großer Minenhund“ ging und es glatt zerlegte. La Perrière.
-Zerschossen und ausgestorben.
-
-„Sehen Sie her, hier unten liegen die Schwarzen!“
-
-Eine Schlucht wie ein tiefer, runder Brunnen. Ein breiter Erdhügel hebt
-sich daraus, nahezu hoch bis zur Straße, Sand, Erde, Schmutz, Moder.
-Darunter liegen sie. Man mußte sie aus dem Wege räumen und warf sie
-hinein, die Schwarzen, es waren viele. Chlorkalk und Erde darauf, und
-fertig war die Sache. Unten bei Berry-au-Bac sah ich an zweitausend
-Schwarze vor unsern Stellungen liegen. Sie waren noch unbeerdigt. So ist
-der Krieg. Eine Fliege kommt aus dem Brunnen und brummt mich an. Sie
-wohnt da unten bei ihnen. Ich fahre zurück. Grauen und Entsetzen trägt
-die schmutzige Fliege auf ihren kleinen Flügeln mit herauf. Sie ist die
-Seele der Schwarzen und kommt herauf, um Protest zu erheben dagegen, daß
-ich hinuntersehe. Fort mit dir! An meinem Schritt schon hat sie erkannt,
-daß hier ein Weißer kommt. Sie ist zornig und hartnäckig und treibt mich
-in die Flucht. Ich lasse die Schwarzen allein mit ihrer Fliege. Sie ist
-alles, was sie haben.
-
-Gräber. Eine ganze Reihe. Es sind die Unsrigen. Die Granaten haben in
-letzter Zeit die Kreuze etwas zerzaust und schief geschlagen. Das ist
-den Toten einerlei. Die Höllenmaschinen dieser Erde können ihnen nichts
-mehr anhaben.
-
-Dicht neben dem Friedhof hat sich ein Major eine Baude gezimmert. Die
-Decke, der Plafond besser gesagt, besteht aus zwei gehäkelten
-Bettdecken, die eine Art Baldachin bilden. Ein vergoldeter Sessel,
-Empire, sehr nobel. An der Wand ein Öldruck: _Salut aux blessés_.
-Französische Offiziere, hoch zu Roß, an einer Landstraße. Ein Trupp
-deutscher Gefangener wird vorbeigeführt. Die Gefangenen sind große,
-blonde Männer, verwundet, die Offiziere lüften das Käppi. Der Major ist
-ein Mann von Welt und zieht sofort eine Flasche auf. Leider kann er uns
-keine Zigarren anbieten. Sitzt er da gestern hier in seinem Sessel, sein
-Wachtmeister dort, auf dem Tisch stehen die Zigarren, kommt ein
-Granatsplitter angefegt und zerschlägt ausgerechnet die Zigarren. An der
-Wand sind Bretter und Stäbe zersplittert.
-
-Mein Hauptmann entschließt sich nun doch, das Auto stehen zu lassen. Er
-kann schließlich nicht bis in die Gräben fahren. Es geht bergan.
-Wegweiser, Holzbrettchen mit Aufschriften: Batterie X, Geschütz Y,
-Beobachtungsstand Z. Dahin wollen wir. Auf Schleichwegen gelangen wir
-ans Ziel.
-
-Der Beobachtungsstand Z. ist keineswegs so nobel wie die Baude des
-Majors unten. Er ist ein dunkles Erdloch. Eine Ruhebank, ein Stuhl, ein
-Telephonapparat, das ist die ganze Einrichtung. Zwei Schatten hausen in
-der dunklen Höhle. Ein Offizier und ein Soldat. Verbeugungen
-gegenseitig, ein Händedruck, wir sind zu Hause.
-
-Hier ist es kühl und schattig.
-
-Durch einen Spalt, einen knappen Meter lang und eine Spanne hoch, fällt
-das Licht des Tages. Vor dem Schlitz steht das Scherenfernrohr. Wie ein
-eleganter Teufel auf dünnen Spinnenbeinen, mit grauen, dicken Hörnern.
-
-Und da unten, zum Greifen nahe, liegt _Soissons_!
-
-Eine Stadt! Dicht aneinandergedrängt stehen Häuser und Giebel,
-schiefergrau und staubig rostgelb. Man blickt in Straßen hinein, kann an
-den Krümmungen der Giebelreihen das Gewimmel von Straßen, Gassen und
-Plätzen haarscharf erkennen. Aus der Stadt erheben sich Kirchen und
-Türme, auffallend hoch, denn selten sieht man eine Stadt aus der Höhe.
-St. Jean des Vignes, zwei spitze Türme, einer etwas niedriger als der
-andre, Gotik, alles ganz genau. Rechts davon die Kathedrale. Sie scheint
-einfacher gehalten zu sein. Der stumpfe Turm leuchtet in der Sonne. Oben
-rechts ein weißer Fleck. Ein Loch? Durch das Glas sieht man, daß eine
-Granate in den Kantenpfeiler gefahren ist. Es ist weiter nicht schlimm.
-Regierungsgebäude, langgestreckt und ehrwürdig grau, Schuppendächer beim
-Bahnhof, Fabriken. Mit bloßem Auge sieht man die einzelnen Fenster, mit
-dem Glas die Fensterkreuze. Die Stadt aber ist tot. Kein Fenster blinkt
-beim Schließen oder Öffnen, kein einziger der Kamine auf den Giebeln
-raucht. Auch nicht eine Spur von Leben, und doch hausen Tausende von
-Menschen in der stillen Stadt. Sie stellt sich tot, nur in der Nacht,
-wenn es ganz finster ist, kann sie ein wenig Atem holen. Die Vororte
-strahlen von ihr aus in das grüne Tal der Aisne. Neue Häusergruppen,
-Schuppen, Fabriken. Eine leuchtend gelbe Fabrik auf dem ansteigenden
-Hang hinter der Stadt, blendend in der Sonne wie ein Schloß.
-
-Breit und sonnig liegt das Flußtal. Ein paar Krümmungen der Aisne
-blitzen in der Sonne. Erlengebüsche, Baumgruppen, Dörfer und die Hügel,
-grün, zum Teil bewaldet. Hoch oben und fern ein paar Häuser. Alles
-schweigt. Ein paar Geschütze feuern zuweilen, sonst regt sich nichts.
-Unten, in Deckung, hantieren Leute, so groß wie Fliegen. Es sind
-Feldgraue. Einer sägt Holz. Straßen, staubige Landstraßen, die sich aus
-Soissons emporwinden, ohne Leben. Ich streiche mit dem Scherenfernrohr
-die Hügel ab, die Landstraße, Hänge und Wäldchen, vielleicht sehe ich
-einen Menschen von Baum zu Baum huschen, oder einige – eins, zwei, drei
-und hinüber. Nichts.
-
-„Sehen Sie denn nichts?“ frage ich den Offizier.
-
-„Nein, gar nichts. Vor einer Viertelstunde sah ich einen Mann im Feld.
-Heute morgen hoch oben ein Reiter.“
-
-Wo der Fluß blinkt, im Feld, sind die Gräben. Man sieht die gelben
-Striche mit dem bloßen Auge. Aber selbst mit dem ausgezeichneten Glas
-kann man keine Spur von Leben in den Gräben entdecken. Bei der
-Baumschule dort, an einer Telegraphenstange, hängt eine französische
-Flagge. Sie wurde heute nacht angebracht.
-
-Plötzlich aber entdecke ich doch etwas! Aus einem grauen Dorf, gerade
-gegenüber, einem Vorort, steigt eine runde Wolke wie von Wasserdampf.
-Aber nichts regt sich, keine Seele. Das Dorf scheint verlassen. Die
-Wolke verdichtet sich, reckt sich höher, es kommt Leben in sie, Nahrung,
-die Granate hat gezündet. Fünf Minuten und sie wächst und wächst.
-Plötzlich aber wird sie rasch kleiner und kleiner: es sind also doch
-Menschen dort in dem toten Dorf! Französische Reserven liegen dort.
-
-Es kracht in der Nähe. Abschuß! Eine Granate rauscht und gurgelt über
-unsre Köpfe hinweg, hinüber nach Soissons. Die Sekunden vergehen. Wo
-wird sie aufschlagen? Eine weiße Wolke, dort bei den roten, neuen
-Schuppen. Dann erst der scharfe Knall des Aufschlags. Die Schuppen sind
-die letzten Häuser des Vororts St. Paul. Nichts regt sich, kein Mensch
-erscheint, um nachzusehen, was die Granate hier bei den Schuppen will.
-Die weiße Wolke zerstiebt.
-
-Abschuß! Mächtig schleift die Granate durch die Luft. Sie schlägt vor
-den Schuppen in eine Baumgruppe ein. Die Bäume rauchen. Plötzlich röhrt
-und rauscht es näher über dem Unterstand. Bekommen wir Antwort? Nein.
-Der Abschuß fiel mit dem Krach der einschlagenden Granate zusammen. Eine
-graue Wolke hängt über der Baumgruppe, ein gespenstischer, grauer
-Oktopus, der seine Fangarme langsam nach den Bäumen ausstreckt. Ein
-Schrapnell.
-
-Soissons aber liegt und regt sich nicht. Wie die Gazelle vor den Augen
-des Tigers liegt es da.
-
-
-
-
- Fliegerangriff auf Fesselballone
-
-
- Im Juli
-
-Gegen sieben Uhr abends fahren wir, der Rittmeister v. B. und ich, in
-das Arbeiterdorf X. Y. ein. Wir haben hier zu tun. Der Rittmeister läßt
-halten, um nebenher einem Bekannten guten Tag zu sagen. Kaum ist er
-fort, so gibt es einen Knall. Was ist los? Ringsum schlagen die
-Geschütze, und ich beachte den Knall nicht weiter. Aber Leute und Kinder
-laufen zu einer Stelle neben der Straße. Oben brummt ein Motor. Ein
-Flieger hat eine Bombe geworfen! Sie fiel zweihundert Meter vor dem Auto
-nieder, und es ist gut, daß wir zufällig hielten. Ein Arbeiter wird
-weggeführt. Erschrocken und verstört sieht er aus. Ein Splitter hat ihn
-am Arm verletzt. Er rauchte gerade seine Feierabendpfeife ganz friedlich
-und dachte an nichts. Da kam die Bombe aus der Luft. „Ist die Verletzung
-schwer?“ frage ich einen Arzt. „Nein, nein, eine Kleinigkeit.“
-
-Ein Rudel von Kindern hockt um das Loch herum, das die Bombe schlug. Sie
-graben mit ihren schwarzen Pfoten, hastig und gierig wie Hunde, ob sich
-nicht irgend etwas findet. Die Splitter haben Fetzen aus den
-geschwärzten Backsteinmauern geschlagen. Eine Mauer ist wie von scharfen
-Krallen zerkratzt. Man kann genau den Streuungskegel feststellen. In
-zwanzig Meter Entfernung schlugen die Splitter einen knappen Meter hoch
-ein.
-
-Der Rittmeister kommt zurück. „Was ist los?“
-
-„Ein Flieger hat eine Bombe geworfen.“
-
-„Nicht möglich!“ Er lacht vergnügt und gleichmütig und blickt durch das
-Monokel zum heißen Himmel empor, wo eine Gruppe von Schrapnellwölkchen
-steht. Er hat nicht einmal den Knall gehört. Wir trennen uns. Ich will
-einen Regimentskommandeur besuchen, und der Rittmeister hat Geschäfte
-irgendwo in der Nähe. Die Kinder wühlen noch immer in dem Bombenloch.
-Ich bin keine hundert Schritte an ihnen vorbei, als mich ein Offizier
-anruft. „Nehmen Sie Deckung. Ein Flieger kommt. Er wird gleich werfen.“
-Ah, schon wieder einer! Er hält direkten Kurs auf mich zu, ganz, als
-wolle er mich persönlich aufsuchen. Schon hört man seinen Motor summen,
-gleichmäßig und wundervoll brummen die hundert Pferde da oben! Aber ein
-Schrapnell platzt dicht vor seiner Nase, und er biegt aus. Dem
-Rittmeister indessen hat er, wie ich später erfuhr, eine Bombe in den
-Garten geworfen.
-
-Dieses X. Y. ist ein Bombennest ersten Ranges. Ich wußte es, man hatte
-es mir erzählt, aber ich hatte nicht recht daran geglaubt. Weshalb
-gerade dieses Arbeiterdorf? Nun, überall bilden sich Gewohnheiten aus!
-Es liegt auf dem Wege Souchez-Douai, genau in der Mitte, und die
-Luftstraße geht darüber hin. Es bekommt seine Bomben, früh und abends,
-und die Bomben gehören zu X. Y., ganz wie der Geschützdonner und das
-Schnarren und Trompeten der Automobile. Wenn die Franzosen nach Douai
-fliegen, so werfen sie eine Bombe ab, und alles, was sie in Douai nicht
-an den Mann bringen konnten, aus irgendeinem Grunde, bekommt X. Y. auf
-dem Rückwege. Das schmutzige und schwarze Fabrikdorf hat im Grunde
-genommen nur eine einzige, schnurgerade Straße, die Chaussee. Diese
-Chaussee steuern die Flieger an, und wenn sie in genauem Kurs
-darüberliegen, so werfen sie den Vogel über Bord. X. Y. hat seine Bombe.
-Da man aber den Trick kennt, so nimmt man Reißaus, und infolgedessen
-passiert verhältnismäßig wenig. Freilich, wenn man seine Feiertagspfeife
-raucht und gemächlich auf der Chaussee herumstochert, so kann die Sache
-schlecht ausgehen.
-
-Ich blieb eine halbe Stunde bei dem Regimentskommandeur, und als ich
-wieder auf die Straße trat, war eine wütende Knallerei ausgebrochen. Der
-ganze Himmel stand voll Schrapnellwolken. Was war geschehen? Ja, auf den
-ersten Blick konnte man es sehen: Während ich bei dem Kommandeur saß und
-plauderte, waren zwei Fesselballone hochgegangen und feindliche
-Flugzeuge griffen sie an. Der eine der Ballone stand etwa einen
-Kilometer weit entfernt, der andere aber stand nahezu über meinem Kopfe,
-etwas westlich vom Dorf. Er war drei- bis vierhundert Meter hoch,
-vielleicht höher, und leuchtete hell in der Abendsonne. Die Luftströmung
-hatte ihn herübergetrieben, ich sah zuweilen das schrägstehende
-Drahtseil aufblitzen, das ihn festhielt. Deutlich sah ich den Korb, und
-daraus kam etwas Rundes hervor, das war der Kopf des Beobachters. Da saß
-er nun hoch oben, beobachtete die Einschläge der Geschosse,
-telephonierte, dirigierte. Ganz wie er, saß drüben der andere, und beide
-lasen in den feindlichen Höhenzügen wie in einem aufgeschlagenen Buch.
-Das war ihnen ein bißchen zuviel! Augenblicklich kamen ihre Flieger
-herbei. Zuerst sah ich nur einen. Winzig, wie eine goldene Libelle, kam
-er auf den entfernteren Ballon zugeflogen. Jeden Moment verlor ich ihn
-aus den Augen, so stand er im Licht. Die platzenden Schrapnelle, hoch
-oben, nicht größer als ein Kopf, zeigten seine Bahn. Es waren zwanzig,
-dreißig, er sollte auf keinen Fall herankommen und den Beobachter im
-Korb stören! Eine ganze Wiese von Schrapnellwölkchen stand da oben. Sie
-entstehen ganz urplötzlich am blauen Himmel, haarscharf ausgeschnitten,
-sind rund wie eine Kugel, aus der langsam der Rauch tropft, schimmern
-und opalisieren wie feinster Zigarettenrauch. Lieblich und unschuldig
-sehen sie aus, oft berauschend schön. Die goldene Libelle aber flog
-näher, unbekümmert und frech, in dreitausend Meter Höhe. Plötzlich, nahe
-über dem entfernteren Ballon angelangt, blitzte sie breit und golden
-auf. Sie hatte eine Kurve gemacht, stach in die Tiefe und schoß nun
-direkt auf unseren Ballon zu. Aber unsere Kanoniere schliefen nicht! Die
-Granaten fauchten über das Dorf hoch, eine hinter der anderen her, immer
-rascher und wütender, und ein Dutzend blitzender Messer und Dolche, wie
-von einer Kanone hochgeschossen, zuckten um die Libelle auf. In der
-nächsten Sekunde schon hatten sie sich in schöne, grünlich schimmernde
-Wölkchen verwandelt. Die Libelle wich nach Norden aus, überflog in
-rasender Fahrt, brummend und surrend, das Dorf und stieg in einer großen
-Spirale hoch. Die Dolche folgten ihr blitzend und funkelnd, sie stieg
-und stieg und nahm Reißaus. Plötzlich aber drehte sie bei und kam mit
-direktem Kurs zurück!
-
-„_Voilà un autre!_“
-
-Das ganze Dorf steht auf der Straße und sieht zu. Ein Arbeiter in
-Hemdärmeln, unter der Tür einer Kneipe, deutet in die entgegengesetzte
-Richtung. Seht an, ein zweiter! Ich sehe nur das Feld von
-Schrapnellwölkchen, ein Rudel, zu dem immer neue kommen, aber der
-Arbeiter hat die Maschine gefunden. Rechts neben dem Schlot, über den
-drei kleinen Wolken, die dicht beisammen stehen! Richtig. Klein und zart
-wie eine Schwalbe zieht sie näher. Sie hat es nicht auf unsern Ballon
-abgesehen, sondern auf den anderen. Sie bekommt Feuer von allen Seiten,
-und ein Streifen des blauen Himmels ist wie mit Lämmerwölkchen bedeckt.
-Sie kann nicht heran und zieht meilenweite Kreise. Unten an der Straße
-verschwinden die Leute in den Häusern: es sind Sprengstücke von den
-Abwehrgeschützen heruntergekommen.
-
-Aber wir haben die Libelle ganz außer acht gelassen. Plötzlich steht sie
-wieder über dem Dorf. Sie ist von hinten heimtückisch wieder
-herangeschlichen. Unsere Kanoniere aber behielten sie wohl im Auge. Über
-dem Dorf bekommt sie Feuer und muß höher gehen. Sie biegt aus, kommt in
-einem kühnen Bogen zurück, und es gelingt ihr, unseren Ballon zu
-überfliegen. Aber in solch enormer Höhe, daß es sinnlos von ihr wäre,
-eine Bombe zu werfen. Das ist ja der Sinn der Beschießung. Trifft man
-sie auch nicht, so sollen sie wenigstens hochgehalten werden. Sie macht
-sich davon wie das erstemal, klein wie ein Punkt sieht sie jetzt aus,
-aber sie kehrt wiederum zurück.
-
-Nach Süden zu, noch ferne, erscheinen ebenfalls Gruppen von
-Schrapnellwölkchen. Zwei Striche, ja nichts anderes als zwei feine
-Gedankenstriche untereinander, kommen heran. Ein Doppeldecker. In
-unerhört rascher Fahrt zieht er näher. In den heißen Luftschichten
-scheint er manchmal etwas höher und manchmal etwas tiefer zu stehen.
-Durch irgendwelche höllische Künste gelingt es ihm, sich streckenweise
-vollkommen unsichtbar zu machen. Unsere Geschütze legen eine Barriere
-von Schrapnellen vor ihn, aber das ist ihm ganz einerlei. Er kommt
-heran, unwiderstehlich und kühn, fliegt zwischen den Ballonen hindurch
-und fegt in abenteuerlicher Höhe über meinem Kopf hinweg. Über dem Dorfe
-macht er halt! Das heißt, er legt sich in die Kurve, daß er nahezu auf
-den Flügelkanten steht, und kommt, ehe die Geschütze sich neu einstellen
-können, den gleichen Weg zurück. Eine ganze Lage sitzt falsch! Er
-überfliegt unsern Ballon und stürzt sich auf den anderen. Man muß es
-zugeben, es sind _Leute_, die da oben in den Apparaten sitzen!
-
-Nunmehr ist aber auch die Libelle zurückgekommen. Grau und unscheinbar
-sieht sie aus. Sie fliegt viel niedriger und scheint es nun ernst zu
-meinen.
-
-Der Kampf geht weiter. Die Schrapnelle platzen, und die Geschütze speien
-ganze Kurven von blitzenden Dolchen in den blauen Himmel. Die Flugzeuge
-suchen ein Loch, um durchstoßen zu können, um ihre Bombe anbringen zu
-können mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Erfolg. Kühn und großartig
-versuchen sie es wieder und wieder, man muß es ihnen lassen.
-
-Gleichgültig und stumpf stehen die Ballone währenddessen am Himmel, als
-gehe sie die ganze Sache nichts an. Sie rühren sich nicht. Sie sind wie
-fliegende Elefanten, denen es gegeben ist, an Ort und Stelle in der Luft
-stehen zu bleiben. Die Beobachter sitzen und telephonieren und
-dirigieren, während die Geschütze feuern. Sie würden sitzen und
-beobachten, wenn der Himmel über sie herabbräche. Es muß sein, und so
-tun sie es, ohne überhaupt ein Wort darüber zu reden.
-
-Die Libelle scheint, wie ich sagte, nunmehr ernste Absichten zu haben.
-Sie steuert unseren Ballon kaltblütig und tollkühn an, in zweitausend
-Meter Höhe, trotz des wütenden Feuers. Plötzlich platzt ein Schrapnell
-unmittelbar rechts von ihr. Sie blitzt golden auf, wendet und zieht
-schnurstracks nach Hause! Sie ist getroffen. Ja, die Libelle ist fertig.
-Sie streckt die Flügel, so sehr es geht, aber es gelingt ihr doch nicht
-mehr, über unsre Linien zu kommen. Sie muß landen und ist gefangen.
-
-Der rasche Doppeldecker und die kleine Schwalbe, die ich immer wieder
-aus den Augen verlor, setzen die Angriffe fort. Nur noch wenige Minuten,
-dann kommt ein neuer, sehr rascher Doppeldecker dazu. Er überfliegt in
-großer Höhe das Dorf, unsern Ballon – aber er bekommt kein Feuer. Es ist
-einer von uns, ein Kampfflugzeug. Die Franzosen haben ihn gesehen, er
-ist rascher und stärker als sie, es wäre Unsinn, sich mit ihm
-einzulassen. Zwei von den ihrigen hat er schon ohne viele Umstände
-heruntergeschossen. Ehe er noch nahekommen kann, geben sie Fersengeld.
-Sie entfliehen in einer Gabel, der Doppeldecker nach Westen, die
-Schwalbe nach Südwesten. Der Kampfflieger jagt in der Mitte hinter ihnen
-her, um einen, wenn möglich, abzuschneiden. Die Schwalbe wird zu einem
-dunkeln Punkt, der Doppeldecker zu zwei goldenen, feinen Strichen. Der
-Kampfflieger verblaßt.
-
-Nun aber bekommt er Feuer, von der Lorettohöhe herüber. Schmutziggraue
-Tupfen stehen unter ihm. Es hat keinen Zweck mehr, er macht kehrt. In
-toller Fahrt, brummend und summend, fliegt er über das Dorf zurück. Wie
-eine Bulldogge, die ein paar Kläffer in die Flucht schlug und nun höchst
-zufrieden nach Hause galoppiert. Die Schrapnellwölkchen zerfließen am
-Himmel.
-
-Im Westen, ferne, steht ein Feld safrangelber Schrapnelltupfen. Ein
-später Flieger, der Feuer bekommt.
-
-Über die Lorettohöhe steigt die erste bleiche Leuchtkugel empor. Die
-Geschütze schlagen lauter. Die Nacht kommt.
-
-
-
-
- Der gefangene Sozialist
-
-
- Im Juli
-
-„Ist der Schriftsteller hier? Er soll vortreten!“
-
-Der Knäuel der Gefangenen kommt in Bewegung. Ein brauner,
-breitschulteriger Soldat in verstaubtem, blaugrauem Mantel tritt vor.
-Sein derbes Gesicht ist heiß und schmutzig, seine Hände sind hart und
-groß. Sein Blick ist fragend und fest auf mich gerichtet. Er sieht aus
-wie ein Soldat, ganz wie die anderen, keineswegs wie ein Mann der Feder.
-
-„Sie sind Schriftsteller?“ – „Ja, mein Herr. Ich bin Journalist.“ – „Ich
-bin ein Kollege von Ihnen und möchte mit Ihnen sprechen.“ – „Zu Ihrer
-Verfügung.“
-
-Die andern sind stumm und hingerissen vor Neugierde. Sie verlieren
-vollkommen ihre militärische Haltung und verwandeln sich in Bauern und
-Handwerker, die zuhören wollen und ihre Neugierde nicht verbergen. Sogar
-der mit dem verbundenen Kopf ist herbeigekommen und dreht neugierig den
-Hals, soweit es seine Verwundung erlaubt.
-
-„Gehen wir ein wenig.“ Ich winke den französischen Kollegen heran, und
-wir gehen in dem heißen Hofe hin und her.
-
-„Wann wurden Sie gefangengenommen?“ – „Gestern abend. Im Labyrinth. Wir
-waren in den deutschen Graben eingedrungen und wurden abgeschnitten. Wir
-konnten weder vor noch zurück. Es war nichts mehr zu machen.“ – „Wie
-haben unsre Soldaten euch aufgenommen?“ – Er sieht mich an. – „Sie haben
-uns als Soldaten behandelt, ganz wie es bei uns zu sein pflegt, wenn wir
-deutsche Gefangene machen.“
-
-Da vorn, ganz vorn, wo Mann gegen Mann steht, lernt der Soldat den
-Gegner achten. Ich sprach einen Feldgrauen, von einem badischen
-Regiment, der vierundzwanzig Stunden in französischer Gefangenschaft
-war. Er wurde bei einem Patrouillengang abgeknüpft. Wie es ihm drüben
-erging? Es ging ihm glänzend! Die Aufnahme war die allerherzlichste. Man
-brachte ihn in einen Unterstand, gab ihm Zigaretten, Kognak, Kaffee und
-Suppe. Man hänselte ihn ein wenig, aber das kümmerte den Schwaben nicht,
-denn er verstand keine Silbe. Es war auch nicht böse gemeint, das konnte
-er sehen, alle lachten vergnügt. Ein Offizier fragte ihn, wie der
-Kommandeur seines Regiments hieß? Der Schwabe weigerte sich, es zu
-sagen. „Na schön,“ sagte der Offizier, „ein rechter Soldat verrät
-nichts, hier, rauchen Sie!“ Dem Schwaben ging es, wie gesagt, gut.
-Fußtritte und Faustschläge sind auf jeden Fall nicht die Regel.
-
-„Waren Sie früher Soldat, oder wurden Sie erst im Laufe des Krieges
-ausgebildet?“ frage ich den Franzosen und reiche ihm meine Zigaretten
-hin.
-
-„Danke!“ Er verbeugt sich leicht und sein warmer Blick trifft mich.
-Seine Hand, hart und derb von Gewehr und Spaten, zittert heftig. Mit der
-Wollust des Rauchers zieht er den Rauch in die Lunge und stößt ihn durch
-Mund und Nase heraus. „Ich wurde im Januar eingezogen, ich bin
-vierunddreißig Jahre alt. An der Front war ich vier Wochen. Soldat war
-ich nie gewesen, nein. Ich war froh, daß man mich seinerzeit nicht
-tauglich fand. Offen gestanden bin ich nie ein Freund von allem gewesen,
-was Militär heißt. Ich bin Sozialist.“
-
-„Sie sind Sozialist?“
-
-„Ja, ich schreibe für sozialistische Zeitungen und Revuen.“
-
-„Vielleicht können Sie mir dann die Stellung erklären, die Ihre
-Kameraden und Parteifreunde diesem Kriege gegenüber einnehmen?“
-
-„Das kann ich wohl, so in großen Umrissen natürlich nur. Es ist
-selbstverständlich, daß wir im Prinzip gegen jeden Krieg waren. Heute
-macht man uns Vorwürfe, ob mit Recht oder Unrecht, daß wir die Mittel
-zur nationalen Verteidigung beschnitten. Heute ist alles anders
-geworden, ohne Frage. Wer hielt diesen Krieg ernstlich für möglich?
-Niemand. Zwei Tage vorher lachte man noch darüber. Ich war im Süden, in
-Marseille, um die Sitten des Südens zu studieren. Nein, ich glaubte
-nicht daran. Wir kämpften gegen die Wiedereinführung der dreijährigen
-Dienstzeit. Wir taten alles, was in unserer Macht stand. Aber Sie, Sie
-rüsteten immer weiter.“
-
-„Glauben Sie nicht, daß wir durch Ihr Bündnis mit Rußland und England
-dazu gezwungen wurden?“
-
-„Unsere Bündnisse waren eine Folge – aber ich bin weit davon entfernt,
-Ihnen und nur Ihnen allein Schuld an dieser Katastrophe zuzuschreiben.
-Es wurden überall Fehler gemacht; bei allen beteiligten Völkern. Die
-Völker müssen noch viel lernen! Nachdem es zu spät war und die
-Katastrophe hereinbrach, waren wir natürlich verpflichtet, uns für unser
-Land zu schlagen, genau wie Sie es waren. Es war zu spät. Jaurès wurde
-ermordet. Aber auch er hätte das Unglück nicht mehr aufzuhalten
-vermocht. Ich wenigstens glaube es nicht. Nur ein Wunder, aber es gibt
-keine Wunder mehr in unserer Zeit! Alles ist fürchterlich.“
-
-Er schweigt, und wir gehen stumm, jeder in sich versunken, über den
-heißen Hof. Müde und gebückt schlürft er neben mir einher, staubig und
-schmutzig, die zerknüllte Mütze unordentlich auf das schweißige Haar
-gedrückt. Seine Augen sind eingesunken und verquält. Plötzlich gähnt er.
-Lange und herzhaft. Und mit derselben erschöpften Miene und dem gleichen
-verquälten Ausdruck in den Augen sagt er: „Ich habe eine Frau und ein
-Kind. Ich werde sie wiedersehen.“ Nein, er atmet nicht auf bei diesem
-Gedanken, er, der die Hölle von Arras lebendig durchschritt, hat noch
-nicht die Kraft, sich zu freuen!
-
-„Sie sind glücklicher als viele andere!“
-
-„O ja, mein Herr, gewiß. Aber –“
-
-Er findet, daß es zu wenig ist, was er aus diesem Leben gerettet hat,
-seine Frau, sein Kind – –
-
-Ich beginne von gleichgültigen Dingen zu sprechen, um ihn abzulenken,
-von Marseille, von den südlichen Provinzen Frankreichs, aber in den
-nächsten Minuten sind wir von selbst wieder beim Krieg und der Politik
-angelangt. Es geht nicht anders. Unsere Debatte wird lebhafter. Langsam
-finde ich mich in seinen Zügen zurecht. Ich taste mich zu seinem
-früheren Gesicht durch, wie es aussah, bevor er mit Gewehr und Spaten
-arbeiten lernte. Es ist weniger das Gesicht eines außergewöhnlich
-klugen, als vielmehr eines aufrichtigen Menschen.
-
-„Glauben Sie,“ frage ich ihn, „daß das Verhältnis zwischen dem deutschen
-und dem französischen Volk in absehbarer Zeit wieder freundschaftliche
-Formen wird annehmen können?“
-
-Er schüttelt den Kopf und verzerrt die Lippen. „Nein,“ sagt er, „ich
-glaube es nicht, leider. Ich kenne Deutschland, ich war in Stuttgart,
-München, Dresden. Aber nein. Jahre, Jahre wird es dauern.“
-
-„Veröffentlicht Ihre Regierung noch immer keine Verlustlisten? Wie kommt
-es, daß Frankreich sich so etwas gefallen läßt?“
-
-„Man klagt viel darüber. Aber man hat sich damit abgefunden. Es ist ein
-Opfer wie manches andere, aber das französische Volk ist bereit, dieses
-Opfer zu bringen.“
-
-„Und wie ist die Stimmung im allgemeinen? In Paris? Im Volk?“
-
-Er bleibt stehen. „Die Stimmung? Paris? Ich bin seit dem Januar nicht
-wieder nach Paris gekommen. Seit ich an der Front bin, seit vier Wochen
-habe ich überhaupt nichts mehr gehört. Wir werden hin und her geworfen
-und sind seit Wochen ohne jede Verbindung mit der Heimat. Ich weiß
-nicht, was in den letzten vier Wochen vor sich ging, von rein
-kriegerischen Ereignissen abgesehen. Ich weiß nur, daß unser Volk mutig
-ist und unerhörte Opfer bringt, weil es sein muß. Auch bei Ihnen zu
-Hause wird die Stimmung ja keineswegs rosig sein, wir haben den Feind im
-Lande, wir leiden mehr unter dem Krieg, das ist nur natürlich. Dieser
-Krieg hat Frankreich sehr unglücklich gemacht, ich brauche Ihnen das
-nicht erst zu sagen. Die Stimmung bei uns, mein Herr, soweit ich
-urteilen und beobachten kann, ist – nun, sie ist keineswegs glücklich.“
-
-Eine Viertelstunde später stehe ich vor einem gefangenen französischen
-Offizier. Er ist rasiert, gewaschen und gebürstet, ein schöner junger
-Mann mit edel gezeichnetem Gesicht und klaren, klugen Augen. Man
-erzählte mir, daß er sich hervorragend geschlagen habe.
-
-Klar, ohne Pose, ohne den leisesten Verdacht von Hochmut und
-Provokation, im schlichtesten und natürlichsten Ton der Welt versichert
-mir dieser Offizier: „Die Stimmung in Frankreich ist ausgezeichnet. Nie
-war sie besser. Wir werden uns bis zum letzten Mann schlagen. Vergessen
-Sie nicht, mein Herr, daß unser Heer nicht mehr jenes vom Anfang des
-Krieges ist. Es ist reformiert, es wird besser mit jedem Monat!“
-
-
-
-
- Die Grabenkämpfe bei Souchez
-
-
- Im Juni
-
-Ich habe sie gesehen und gesprochen, sie, die sich da draußen schlagen,
-in den Gräben von Souchez. Sie sind in Ruhe. Heute nacht müssen sie
-wieder hin. Die Straßen und Wege liegen nachts unter Feuer. Die Granaten
-krachen und flammen wie Höllengeister. Da müssen sie hindurch. Dann sind
-sie in Souchez. Was ist Souchez? Es ist ein Nest, ein Dorf, das niemand
-kannte und das nun viele nie mehr vergessen können. Es ist gezeichnet
-für immer, wie Gravelotte und Wörth. Wenn die Hölle Buch führt, so wird
-sie auch den Namen Souchez eingetragen haben, denn er kann sich sehen
-lassen neben den andern.
-
-Souchez ist heute zusammengeschossen. Die Häuser verließen ihren Platz
-und sprangen auf die Straße. Man räumt die Trümmer zur Seite, aber es
-sind immer wieder neue Trümmer da. Durch Souchez fließt ein Bach, der
-Carencybach. Die Granaten haben sein Bett zerwühlt, durch das er hundert
-Jahre lang und länger friedlich rieselte und gluckste, sie haben die
-Ufer zerstampft, so daß er verzweifelt sein Bett verließ und sich einen
-neuen Weg durch die Granattrichter suchte. Trüb und lehmig ist er
-geworden. Er verbirgt seine Geheimnisse.
-
-Sind die Grauen durch den Schlamm gewatet, so sind sie noch lange nicht
-da. Die Gräben liegen ein paar hundert Meter ab vom Dorf. Hier liegt ein
-Feuerriegel. Die Erde öffnet sich und speit haushoch Feuer und Qualm. Da
-müssen sie hindurch! Hier gibt es keine Annäherungsgräben, er da droben
-auf der Lorettohöhe läßt es nicht zu. Übers freie Feld heißt es hier und
-hinein in den Graben. Nun erst sind sie da!
-
-Aber vorläufig haben sie noch ein paar Stunden Zeit und machen sich
-keine Gedanken. Sie sind alle sauber gewaschen und gebürstet, braun wie
-Nüsse, und die Hitze schält ihnen die Haut von Nase und Ohren. Ihre
-Uniformen sind eine Geschichte für sich. Sie waren alle einmal grau, nun
-aber sind sie verschossen, ausgewaschen und ausgeschwefelt. Bei Gott,
-man sieht es ihnen an, daß sie nicht in der Etappe saßen! Der rote
-Streifen der runden Mützen ist mit grauem Tuch vernäht, die Mützen
-sitzen alle tief in der Stirn, so gehört es sich. Es sind Grabenleute.
-Der Feldwebel aber sieht aus, als käme er gerade vom Schneider. Kein
-Flecken. Seine Hände sind gepflegt, und mit dem spitzen Nagel des
-kleinen Fingers zeigt er mir auf der Karte ihre Stellung. Vielleicht war
-er in seinem früheren Leben Lehrer oder Kaufmann, ich weiß es nicht. Er
-ist jetzt Soldat, und er ist so sehr Soldat, daß ich ihn zu fragen
-vergaß.
-
-„Hier also ist unsere Stellung. Dieser Graben.“ Es ist ein rechter
-Winkel, und sein Fingernagel deutet auf den der Lorettohöhe zugewandten
-Schenkel. „Wir bekamen schweres Artilleriefeuer, Wirbelfeuer, den ganzen
-Tag über lag es auf dem Graben. Von sieben Uhr morgens bis neun Uhr
-abends. Achtundzwanziger! Der Graben sah aus, als wenn ein Dampfpflug
-ihn eingeebnet hätte. Wir sahen nichts mehr und wir hörten nichts mehr.
-Wir hatten natürlich Verluste. Anders geht es nicht. Zurück gibt es
-nicht! Eine 28er schlägt neben mir ein, jagt in die Höhe. Es ist nicht
-so schlimm. Der Graben ist zugeschüttet. Auch ich bin verschüttet. (Er
-war also verschüttet, aber keinem seiner Fingernägel hat es etwas
-getan!) Niemand glaubt, daß noch ein menschliches Wesen im Graben
-existieren kann. Um neun Uhr springt das Feuer zurück, hinter den
-Graben, damit keine Reserven herankommen können. Aha! Es geht los! Unser
-Leutnant, noch keine neunzehn Jahre alt, schreit. Es ist wie in einem
-Ameisenhaufen. Überall krabbelt es. Sie kommen alle heraus. Die meisten
-Gewehre sind unbrauchbar geworden. Also Handgranaten. Die Franzosen
-kommen heran. Es fällt hier ziemlich ab, und sie kommen rasch herunter.
-Die Handgranaten fliegen. Wir stehen hier, in den Granatlöchern, und der
-Rauch ist so dick, daß keiner den andern mehr sieht. Eine neue Kolonne
-stürmt. Sie denken, wir sind erledigt, aber wir, wir schreien Hurra! Wir
-brüllen und johlen, ja wir jodeln und lachen. Da stutzen sie doch. Nun
-aber sehe ich, daß sie von da her kommen, sehen Sie!“ Er deutet auf den
-Scheitelpunkt des Winkels. Hier stoßen die beiden deutschen Gräben
-zusammen, rechtwinklig, der Schenkel zur Lorettohöhe und der Schenkel
-gegen die Zuckerfabrik. Man darf aber nicht glauben, daß es mit dem
-Scheitelpunkt zu Ende ist! Dort ist eine Barriere, und dahinter setzt
-sich der Graben fort. Dieser Abschnitt gehört den Franzosen. So ist es
-hier! Aber, wie gesagt, aus diesem Abschnitt klettern die Franzosen
-heraus. Er sieht sie, im Rauch, wie sie herausquellen ...
-
-‚Ein Mann vor mit Handgranaten!‘
-
-Nun, ein Mann geht vor, zum Scheitelpunkt, und wirft Granate um Granate
-in die herausquellenden Franzosen.
-
-„Wer war es doch gleich? Ist er nicht hier?“
-
-„Ich war es.“
-
-„Na, dann erzähle du!“
-
-Es ist ein schlesischer Landwirt, ein Bauer, und seine Uniform ist
-olivengrün geworden da draußen.
-
-„Ja, also, ich nehme den Arm voll Handgranaten und pfeffere hinein, wie
-es eben trifft. Sobald sie wiederkommen, schmeiße ich. Dann bin ich
-fertig mit den Handgranaten, und nun heißt es: fort! Ich laufe quer über
-das Feld, ohne jede Deckung. Sie schießen hinter mir her, sie treffen
-mich aber nicht. Ich springe hinten in den Graben.“
-
-Gut hat er seine Sache gemacht, man muß es ihm lassen! Hoffentlich
-bekommt er das Kreuz! Er erzählt schlecht, er stottert, er schämt sich,
-zu berichten, was er tat, weil alle ihn ansehen und grinsen.
-
-„Na, nun war nichts mehr zu machen. Nun kamen sie.“ Der Feldwebel mit
-den gepflegten Fingernägeln und blanken Augen blickt sich im Kreise um.
-„Wer hat übrigens das Grabenstück besetzt gehabt? War das nicht die –?“
-
-„Wir!“ Ein junger Bursche mit runden Augen, knapp zwanzig, die Mütze bis
-zur Nasenwurzel, Flaum auf den braunen Backen, tritt vor.
-
-„Warum habt ihr das Grabenstück geräumt? Ihr habt ja das Loch
-aufgemacht!“ Die Augen des jungen Feldwebels blicken vorwurfsvoll auf
-den Bauernjungen.
-
-Der Bauernjunge bekommt einen roten Kopf. Er ist Soldat und hat seine
-Ehre. „Wir waren zusammengeschossen, Herr Feldwebel. Der Graben war – es
-war überhaupt nichts mehr da.“
-
-Der Feldwebel wird spöttisch. „Aber das ist doch kein Grund
-zurückzugehen?“
-
-„Wir waren nur noch zwölf. Wenn wir so viel waren.“
-
-„Zwölf? Ja, wieviel glaubt ihr denn, daß wir waren? Wenn ihr natürlich
-gleich das Loch aufmacht –?“
-
-„Wir hatten Befehl –“
-
-„Na, schön. Bei uns gibt es das nicht. Also nun kamen sie, durch das
-Loch, das die da (!) aufmachten – nun kamen sie also. Sie kamen ganz
-langsam daher. Sie dachten, die Sache ist in Ordnung und es ist weiter
-nichts zu tun. Aber unser Leutnant sagt sich, na, wartet mal, ihr Kerle!
-Acht Mann mit Gewehr hinaus aus dem Graben! Hinaus aufs Feld. Sie
-klettern und rutschen also raus und schwärmen aus und setzen sich in
-Granatlöcher und fangen an zu feuern. Die Franzosen kommen in so dichten
-Reihen daher, daß jeder Schuß treffen muß. Eine Schwarmlinie und eine
-Sturmkolonne. Sie haben furchtbare Verluste, denken Gott weiß, wieviel
-da feuern, und gehen zurück. Ja, so wurde das gemacht. Bei uns verliert
-man nicht gleich den Kopf. Es waren also, wie gesagt, nur sechs oder
-acht Mann. Dann kamen ein paar mehr aus dem Graben. Unterdessen hielten
-wir aber den Angriff von vorn ab. Sie wären uns in den Rücken gekommen,
-ja, sie waren schon im Rücken ... Maschinengewehre bauten sie schon
-auf.“
-
-„Na, also jetzt, weiter unten. Wie war es denn da weiter unten? Wer war
-da weiter unten?“
-
-Er meint in dem Graben gegen die Zuckerfabrik, der sich weiter entfernt
-von dem durchbrochenen Grabenstück befand.
-
-„Ich!“ Ein Polacke, Unteroffizier, mit grünen Augen tritt auf.
-
-„Ihr habt den Graben gehalten?“
-
-„Haben wir gehalten, Herr Feldwebel, jawohl. Haben wir bis zuletzt
-gehalten.
-
-Haben wir Feuer gehabt, den ganzen Tag. Haben wir gesessen und gewartet.
-Graben ganz kaputt. Sind die Franzosen gekommen. Haben wir sie gesehen
-kommen durch den Rauch. Haben wir geschossen, bis Gewehr heiß war. Haben
-wir in Flanke geschossen. Haben wir Barrikade gebaut, daß Franzose nicht
-hereinkam zu uns. Haben wir Handgranaten geworfen. Hin und her. So sind
-sie geflogen, immerzu, daß Stiele in der Luft tanzen, so. Alles Rauch.
-Ist Morgen gekommen. Hat Franzose einen Graben gebaut, so, hier hat er
-gebaut, quer.“
-
-Die Franzosen, heißt das, haben einen Graben vorgetrieben, der senkrecht
-stand zu dem Graben des Polacken, von dem eroberten Grabenstück aus, und
-im Rücken des Grabens lief, den der junge Feldwebel mit den blanken
-Augen hielt.
-
-Der Polacke fährt fort: „Haben wir gesagt, Franzose hat Graben gebaut.
-Haben wir Handgranaten geworfen, immerfort. Wenn wir was sehen, daß Sand
-aufgeschüttet wird, warfen wir gleich. Plötzlich bekommen wir Feuer von
-Granaten. Ein paar Stunden lang, gleich furchtbares Feuer. Die Sandsäcke
-fliegen. Ich war gar nicht mehr zu sehen! (Grinsen ringsum!) Plötzlich
-bekommt auch er Feuer. Artillerie schießt in seinen Graben, wo er gebaut
-hat in der Nacht. Jeder Schuß mitten im Graben! Jeder! Habe ich gesehen!
-Französische Artillerie schießt auf unseren Graben, unsere Artillerie
-schießt auf französischen Graben. Wie weit? Nicht hundert Meter! Der
-Fähnrich wird verwundet. Sagt: Unteroffizier, übernehmen Sie den Zug!
-Wie komm ich dazu, den Zug zu übernehmen? (Grinsen ringsum!) Nu, gut,
-ich übernehme Zug. Ein Volltreffer nach dem anderen in französischen
-Graben. Die Franzosen kommen näher her zu uns. Wollen Schutz suchen. Ich
-steh ganz vorn. Jeden einzelnen seh ich. Peng! Weg! Sie flüchten vor
-deutschen Granaten, kommen näher. Peng! Seh ich einen, trägt Verwundeten
-auf dem Rücken. Peng! Beide fallen sie. Sandsäcke fliegen. Peng!
-Handgranaten. Franzosen kriechen aus dem Graben. Wir schießen. Kommt die
-Nacht. Schweres Artilleriefeuer auf uns. Seh ich in der Nacht Franzosen
-schleichen. Ganz deutlich. Leuchtrakete geht hoch, sehe ich sie kommen.
-Sie kommen nicht diesen Weg, diesen Weg kommen sie –“
-
-Er deutet auf die Karte.
-
-„Welchen Weg?“
-
-„Diesen Weg!“
-
-„Das ist ja Blödsinn!“ Man hört sofort, daß der nüchterne Feldwebel
-spricht!
-
-Der Polacke wird unsicher, gibt nach. „Diesen Weg, ja. Wir schießen. Ich
-höre sie röcheln und schreien. Einer ruft. Ganz nahe. Ich verstehe
-nicht, was er will. Was soll ich tun? Soll ich hinaus, ihn holen? Ich
-denke, vielleicht macht er uns Schwierigkeiten (!) und werfe
-Handgranate. Am Tag sehe ich ihn, es war ein Schwarzer. Er war tot. Am
-Morgen wieder Granaten. Eine neben die andere. Wir müssen zurück –.“
-
-„Was müßt ihr –?!“ Der Feldwebel, der das Zurückgehen nicht schmecken
-kann!
-
-„Wir waren nur noch _vier_, Herr Feldwebel –.“
-
-Wem gehörte nun der Graben? Den Franzosen oder den tapferen Grauen? Das
-ist die Frage. Die Wahrheit aber ist die: er gehörte niemand.
-
-Ein anderer Grauer tritt vor, der zuweilen blinzelt und einen
-eigentümlichen scharfen Blick hat. „Ich bin heute nacht draußen
-gewesen,“ sagt er, „ich sollte nachsehen – Befehl. Ich kam durch den
-Bach und kroch über das Feld. Es ist nichts zu sehen und nichts zu
-hören. Ich steige in den zerschossenen Graben. Niemand ist hier. Tote.
-Sandsäcke und zerschlagene Gewehre. Aber kein Mensch. Ich gehe bis
-hinauf in die französische Sappe und hier liegt alles voller Leichen,
-kein lebendes Wesen. Der Franzose hat den Graben geräumt. Daraufhin
-haben wir ihn wieder besetzt.“ –
-
-So geht es also dort zu, in den Gräben bei Souchez, wohin sie heute
-nacht wieder gehen müssen. Ich habe die tapferen Grauen selbst sprechen
-lassen, denn sie erzählen zehnmal besser, als ich es je könnte.
-
-
-
-
- Der Kirchhof von Souchez
-
-
- Im Juli
-
-Der Oberst ist ein großer, breitschulteriger Mann mit ernsten,
-nachdenklichen Zügen. Er trägt die Verantwortung für viele tausend
-Männer, und das Gewicht auf seinen Schultern ist nicht leicht. Es könnte
-ja sein, daß einer, einer seiner Feldgrauen des Nachts im Schlafe zu ihm
-käme und fragte: Oberst, warum hast du nicht an mich gedacht? – Für
-jeden einzelnen der Grauen, die aus allen Teilen des Reiches stammen,
-muß er Sorge tragen wie ein Vater. Es ist fast zu viel für einen Mann,
-der sich der Größe seiner Pflicht klar bewußt ist.
-
-Liebenswürdig begrüßt er mich in der Halle seines Quartiers, aber der
-Ernst weicht nicht aus seinem starken, wetterbraunen Gesicht. Er sagt:
-„Wir haben heute nacht angegriffen. Der Ausgang des Gefechts ist noch
-nicht bekannt.“
-
-Es ist der Angriff auf den Kirchhof von Souchez. Es ist neun Uhr. Noch
-nichts bekannt? Wird noch gekämpft, wie fielen die Würfel? Nur wer weiß,
-wie es dort zugeht, was es mit diesen Grabenkämpfen bei Souchez auf sich
-hat, kann begreifen, daß noch keine Nachricht eingelaufen ist. Dort gibt
-es keine Gräben mit elektrischem Licht und einer Telephonleitung, durch
-die man ohne jede Mühe glatt mit Berlin sprechen kann. Die Drähte werden
-in jeder Nacht ein paarmal entzweigeschossen. Die Gräben sind
-zusammengetrommelt. Es kann sein, daß zehn Leute einen Granattrichter
-halten, mit einem Maschinengewehr, oder nur mit Gewehren, oder nur mit
-Handgranaten, daß sie, sage ich, dieses Erdloch halten, vierundzwanzig,
-achtundvierzig Stunden, bis Verstärkung kommt oder eine Sappe zum
-Trichter vorgetrieben werden konnte. So sieht es dort aus. Es ist
-unmöglich, den Kopf herauszustrecken, geschweige denn den Graben zu
-verlassen, um Nachricht zu geben.
-
-Souchez ist eine böse Ecke. Unsere Stellungen umklammern es in weitem
-Bogen, und die Regimenter sind entschlossen, diesen Bogen, diesen
-Riegel, zu halten. Keinen Meter Boden soll der Franzose haben! Zudem
-böte der Besitz von Souchez den Franzosen noch größere Vorteile der
-Beobachtung, als sie sie jetzt schon mit der Lorettohöhe besitzen. Ich
-war oben im Fesselballon und habe es mit eigenen Augen gesehen: flach
-wie eine Pfanne läge die Ebene dann vor ihnen. Um jede kleine Bodenwelle
-wird dort gekämpft, um jedes Gebüsch, um jeden Straßengraben. Der
-Franzose weiß recht wohl, was er will, und macht einen Vorstoß nach dem
-andern. Es war ihm auf Tage gelungen, sich da und dort in unserm Bogen
-festzusetzen. Südlich von Souchez, gegen Givenchy zu, hatte er seine
-Stellungen vorgeschoben (das sogenannte große Franzosennest), im
-Kirchhof hatte er sich festgebissen und westlich von Souchez, gegen die
-Zuckerfabrik und Lorettohöhe, hatte er sich vorgewühlt (das kleine
-Franzosennest).
-
-Hin und her geht der Kampf um zerstampfte Gräben und Granattrichter.
-Dieser Kirchhof von Souchez, wohlverstanden, ist über seine Ufer
-getreten, genau wie der Carency-Bach, seine Mauern sind gefallen und er
-wächst und wächst.
-
-Zwischen dem 21. und 24. Juni wurde das „große Franzosennest“
-ausgehoben. Es waren wütende Nachtkämpfe! Der Angriff wurde von allen
-Seiten durch Sappen vorgeführt und das tiefeinschneidende Franzosennest
-abgeschnürt. Damit war das große „Franzosennest“ erledigt. Ein großer
-Erfolg! Ein paar Tage später – ich spreche hier nur von größeren
-Kämpfen, gekämpft wird hier Tag und Nacht! – griffen die Franzosen
-wütend unsere Gräben bei der Zuckerfabrik an. Aber unsere Grauen warfen
-sie zurück, so oft sie kamen. Die Kämpfe wurden rasender und rasender.
-Am siebenten verschwanden unsere Grauen unter einem Hagel von Stahl. Es
-half nichts, sie mußten zurück und die Franzosen besetzten 800 Meter
-zusammengetrommelte Gräben. Am achten warfen unsere Grauen sie wieder
-hinaus, räumten Gräben und Sappen und Trichter bis auf ein Grabenstück
-von 150 Metern, das der Franzose halten konnte. Die Gräben waren Ketten
-von Granattrichtern geworden, man wußte oft nicht, saßen Franzosen im
-Trichter drüben oder die Unsrigen. Um die 150 Meter wird seitdem
-erbittert gekämpft, hin und her, Vorstoß auf Vorstoß. Zäh und toll
-schlägt sich der Gegner. Die Handgranaten fliegen hinüber, herüber ...
-
-In der Nacht vom 11. auf den 12. kam der Kirchhof an die Reihe.
-
-Ich habe im Tagebuch eines Gefangenen geblättert. Der letzte Eintrag
-lautet: „Heute ist mein Geburtstag. Wir liegen im Kirchhof von Souchez,
-die Granaten schlagen ein und die Kreuze und Marmorblöcke und Gerippe
-fliegen nur so in der Luft herum. Diesen Geburtstag werde ich nie
-vergessen, solange ich lebe.“ Ein hübscher Geburtstag, alle Wetter! Es
-ist ja immerhin schon merkwürdig, seinen Geburtstag auf einem Kirchhof
-zu verbringen, aber auf einem Kirchhof unter Granatfeuer, das ist eine
-Sache, die nicht oft vorkommt.
-
-Es sind unsere Granaten, die, wie man aus dem zerweichten, verblaßten
-Tagebuch des _piou-piou_ ersehen kann, den Tanz eröffnen. Sie kommen in
-ganzen Schwärmen an, in Schwärmen heulender und zischender Geister, die
-aus der Luft stürzen, auf die feindlichen Gräben. Sie krachen, der
-Kirchhof erbebt bis hinab zu den Särgen. Schwarze und rostbraune Wolken
-wälzen sich zwischen den Grabsteinen. Die Steine fliegen in die Luft,
-die Blechkränze und Holzkreuze. Es wird Ernst, kein Zweifel! Bis hinab
-zu den Särgen fressen sich die Granaten. Nun kommen die Bretter. Die
-Toten da unten hören nichts, sie liegen in tiefem, tiefem Schlaf. Aber
-dann kommen sie doch herauf, selbst die Toten erweckt dieser Lärm. Sie
-kommen herauf, um nachzusehen, was es gibt. Das Jüngste Gericht, ist das
-Jüngste Gericht gekommen? Konnten die Lebenden, diese Toren, die das
-Geheimnis und die Weisheit da unten unter der Erde nicht ahnen, konnten
-sie sich nicht einen andern Ort aussuchen, wenn sie etwas unter sich
-auszumachen hatten? Schrecklich, dreimal schrecklich eine Welt, in der
-man selbst im Sarge nicht zur Ruhe kommt! Die Gerippe, die sich zwischen
-den Grabhügeln und Blechkränzen aufrichten, zerstieben. Weg damit! Der
-Granate ist der Tote im Weg, sie sucht den Lebendigen und sie wiehert
-über die anmaßende Philosophie der Skelette. Weg, fort! Sie hat nur
-einen schrecklichen Willen: zu töten!
-
-Gespenster aus der Erde, Geister aus der Luft, es ist kein Wunder, daß
-das Herz des tapferen Franzosen schlägt.
-
-Seine Leuchtraketen steigen. Hilfe! Seine Granaten tasten nach unsern
-Gräben. Unsicher. Er kann das Feuer nicht mehr dirigieren. Es ist Nacht.
-Der Sturm bläst und die Bäume rauschen, bis die Granate sie
-zerschmettert. Seine Leuchtkugeln steigen verzweifelt. Hilfe, Hilfe! O,
-jawohl, seine tapferen Kameraden, glaubt es mir, sie würden nicht zögern
-zu kommen, wenn sie könnten. Aber sie können nicht! Der ernste und
-nachdenkliche Oberst hat alles mit schrecklicher Genauigkeit
-vorbereitet, denn er denkt für seine Söhne. Es liegt Sperrfeuer auf den
-Verbindungswegen der Franzosen, furchtbares Feuer, nicht einmal ein
-Engel, ein unverwundbarer Engel käme durch den Feuerriegel! Sie sind
-verloren. Hier gibt es keine Wunder. Hier herrscht die Granate, Stahl,
-Sprengstoffe, nichts sonst. Sie sind umzingelt.
-
-Das Feuer schweigt. Hurra! Vier Kompanien gehen vor zum Sturm. Wie
-Furien kommen sie daher. Tod oder Sieg! Es gibt nichts anderes.
-
-Der Franzose aber ist nicht tot. Es wimmelt zwischen den Sandsäcken, es
-wühlt in den Gräben. Maschinengewehre, ein Schwarm zischender
-Spitzkugeln. Der schwere Fall von Männern, Handgranaten. Geschrei und
-Taumeln. Pardon! Pardon! Hände strecken sich aus den Gräben und Gräbern.
-Wir ergeben uns!
-
-Der Kirchhof ist genommen!
-
-Die Gefangenen werden abgeführt. Die Verwundeten schleppen sich davon.
-Die Krankenträger tragen die Schwerverletzten. Der Tag graut. Nebel. Der
-ernste und nachdenkliche Oberst geht in seinem Zimmer hin und her und
-wartet auf Botschaft.
-
-Der Kirchhof hat neue Gäste bekommen. Was sind dagegen die paar Toten,
-die in ihrer Ruhe gestört wurden!
-
-Hier liegen tausend Franzosen, hier liegen Feldgraue, alle Söhne von
-Müttern – –
-
-„Der Kirchhof von Souchez ist erobert.“ Eine Zeile. Die Leute sagen: Nun
-ist der Kirchhof von Souchez wieder genommen worden, Gott sei Dank! Sie
-denken sich nicht viel dabei, sie ahnen es nicht –!
-
-Es ist möglich, daß die Franzosen wieder ein Regiment opfern, um den
-Kirchhof zurückzugewinnen, es ist sicher, daß wir ihn dann wieder
-stürmen werden. So ist es hier.
-
-Wir haben den Riegel um Souchez vorgeschoben, wir haben ihn fester
-geschweißt, die Feldgrauen schweißten ihn fester mit ihrem roten Blut.
-
-Die Gefangenen marschieren durch Souchez. Die Überlebenden aus dem
-Kirchhof! Auch das Geburtstagskind ist darunter, er hat Glück gehabt,
-diesen Geburtstag zu überleben. Schwerverletzt liegt der französische
-Kapitän auf der Bahre. Noch sind sie keineswegs in Sicherheit, denn die
-französischen Granaten fegen in das Dorf. Aber sie hoffen wieder. Die
-Sonne geht auf.
-
-Ich treffe den ernsten Oberst wieder. Die Gefangenen stehen in Reih und
-Glied. Er mustert sie schweigend. Er spricht kein Wort. Wozu? Ich trete
-an ihn heran, grüße und beglückwünsche ihn zu seinem Erfolg.
-
-Er nickt. Ein höfliches Lächeln. Aber sofort ist sein starkes Gesicht
-wieder ernst und voll schwerer Gedanken. Viele seiner Söhne, für die er
-sorgte wie ein Vater, sind nicht wiedergekommen, zwei seiner tapferen
-Kompaniechefs sind gefallen!
-
-
-
-
- Die Überlebenden aus dem Kirchhof von Souchez
-
-
- Im Juli
-
-Die Tür öffnet sich und herein tritt ein französischer Unteroffizier in
-blaugrauer Uniform. Er klappt die Stiefel zusammen und legt salutierend
-die Hand an die Mütze. Ein junger Mann von vier-, fünfundzwanzig Jahren,
-mit blondem Schnurrbärtchen und blauen, blanken, flachen Augen, schlank
-und geschmeidig. Seine Haltung ist nicht preußisch stramm, nein, aber
-sie ist militärisch ordentlich und drückt ebensoviel Selbstachtung wie
-Respekt vor dem Offizier aus, der das Verhör leitet. Seine Kleidung ist
-sauber, und niemand käme auf den Gedanken, daß er aus einem
-zusammengeschossenen Graben kommt. Er gehört zu jener Klasse von
-Pedanten, die immerzu bürsten und kein Stäubchen sehen können, ohne
-krank zu werden.
-
-Hinter ihm tritt ein gewöhnlicher Soldat ins Zimmer, gut ausgepolstert
-mit Wollsachen, dunkeläugig, mit schwarzen Haaren und einem dünnen
-schwarzen Bart ums Kinn. Auch er grüßt, aber er nimmt es nicht so genau.
-Er hat Fett angesetzt in den Gräben, blickt gutmütig und gleichgültig
-umher, und ich wette, daß er zum weitverbreiteten französischen Orden
-der „Jemenfoutisten“ gehört.
-
-„Nehmen Sie, bitte, Platz!“ sagt der Offizier und ladet die Gefangenen
-höflich ein, sich zu setzen. „Sie wurden beide im Kirchhof gefangen
-genommen?“
-
-„Ja, mein Offizier.“
-
-„Der Kampf war sehr erbittert?“
-
-„Er war äußerst heftig!“ Der Dunkle nickt nur und schiebt die Unterlippe
-bezeichnend vor. Ihm war der Kampf sicherlich heftig genug.
-
-„Erzählen Sie, wie er vor sich ging.“ Der Blonde erzählt: „Trommelfeuer,
-heftige Teilangriffe, Umzingelung, zuletzt ein wütender Sturm der
-Deutschen.“
-
-„Sie lagen da und da in Reserve, Sie gehörten zum X. Korps?“
-
-„Ich weiß nicht, zu welchem Korps wir gehörten. War es das X.?“
-
-Der Dunkle: „Ja, zum X. Korps.“ Er ist viel klüger und weiß, daß der
-verhörende Offizier über diesen Punkt genau orientiert ist.
-
-„Haben Sie am 7. Juli Joffre gesehen?“
-
-„Joffre?“
-
-„Ja. Er war am 7. Juli in Caucourt und hielt eine Ansprache an die
-Truppen, in der er ihre Tapferkeit lobte.“ Zum Dunklen: „Haben Sie
-Joffre gesehen?“
-
-„Nie in meinem Leben.“ Der Dunkle legt, wie man aus seinem Ton hören
-kann, darauf auch nicht den geringsten Wert.
-
-„Welche Meinung hat die Truppe vom Generalissimus?“
-
-„Man denkt, daß er sehr gut ist.“
-
-„Sie schießen in der letzten Zeit weniger. Haben Sie Artillerie
-herausgezogen oder haben Sie Mangel an Munition?“
-
-„Ich bin nicht im geringsten über die Artillerie unterrichtet.“
-
-Auf eine Reihe von Fragen antworten sie ausweichend. Auf dem fleischigen
-Gesicht des Dunkeln liegt ein pfiffiges Lächeln.
-
-Der verhörende Offizier dringt nicht weiter in sie. Er springt ab:
-„Welchen Beruf haben Sie?“
-
-Der Blonde: „Ich bin _cultivateur_ (Landwirt). Ich habe das Seminar
-besucht und dann den väterlichen Besitz übernommen.“
-
-Der Dunkle: „Ich arbeite im Versicherungsgeschäft.“
-
-„Welche Art Versicherungen?“
-
-„Lebensversicherungen, Feuer, Unfall, Diebstahl, alles, was Sie wollen.
-Ich lebe in Paris.“
-
-Ah, dachte ich es nicht gleich? Ich sehe ihn vor mir in dunklem Gehrock,
-den Zylinder auf dem pomadisierten Scheitel, das Bärtchen gewichst, die
-Mappe unterm Arm, ein bißchen verstaubt und verschwitzt, den kleinen
-Pariser Beamten. Wie er würdevoll und großartig in ein bescheidenes
-Restaurant tritt, an den Speisen herumkritisiert und über Zugluft klagt.
-Aus diesem Grunde ist er auch jetzt, im Sommer, so mit Wollsachen
-ausgepolstert.
-
-„Seit wann sind Sie im Felde?“
-
-„Seit dem Anfang,“ erwidert er mit einem bedeutungsvollen Blick.
-
-„Wünschen Sie Zigarren? Wünschen Sie Tee?“ fragt der Offizier.
-
-Die Gefangenen stecken sich Zigarren an. Tee lehnen sie ab, da sie erst
-Kaffee getrunken hätten.
-
-Zigarren? Tee? Ich sehe es zornrot werden, das feiste Gesicht des
-biedern Bürgers hinter seinem Schoppen. Zigarren, Tee!? Man sollte –!! O
-nein. Ich empfehle ihm vierundzwanzig Stunden Lorettohöhe, nicht mehr,
-vierundzwanzig Stunden, und er wird den rechten Ton finden! Ich sah
-einen General einen gefangenen Offizier grüßen. Er grüßte ihn mit
-besonderer Aufmerksamkeit und Achtung, er grüßte den tapfern Gegner in
-ihm, die französische Armee. Dieser Krieg wird mit solch unsäglicher
-Erbitterung geführt, man schlägt sich die Schädel mit Spaten ein und
-erlaubt einander nicht, seine Toten zu begraben, daß man diese
-Ritterlichkeit dem gefangenen Gegner gegenüber nicht hoch genug schätzen
-kann. Auch der Franzose wird ja nicht ganz seine Traditionen verleugnen!
-Übrigens, das nebenbei, gibt es in diesem entsetzlichsten aller Kriege
-selbst während des Kampfes noch Beispiele von Ritterlichkeit, bei uns
-und auch bei ihnen. Nur eines: der Gegner stürmt, der Sturm ist matt,
-die Hälfte ist im Graben geblieben, die andre Hälfte flutet im Feuer
-zurück. Ein Offizier stürmt ganz allein weiter. Plötzlich schweigt das
-Feuer. Der Offizier stutzt, sieht sich um, senkt resigniert den Degen
-und geht langsam, ganz langsam zu seinem Graben zurück. Keiner unsrer
-Grauen schoß, es bedurfte nicht erst eines Befehls. Also, mein Lieber,
-nicht: man sollte –! Laß sie nur machen, sie wissen schon, was sie tun
-müssen, denn, siehst du wohl, sie waren da oben auf der Lorettohöhe! –
-Doch das gehört nicht hierher.
-
-Sie rauchen also und wir plaudern. Der Blonde liest „La Croix,“ eine
-katholische Zeitung. Der Pariser liest alles, was er in die Hand
-bekommt. Der Blonde ist der Ansicht, daß das religiöse Gefühl des
-Soldaten sich vertieft habe, aber der Pariser zweifelt daran, sehr stark
-sogar. Priester gibt es ja genug bei ihnen, das sei wahr, jedes Regiment
-habe seinen Priester, und die Priester kommen in die Gräben, bei
-stärkstem Feuer, trösten, beten und leisten Beistand, wo es nötig ist.
-Die Verpflegung ist ausgezeichnet, und die Post funktioniert glänzend,
-wenigstens jetzt funktioniert sie überraschend gut. Sie kommen viel in
-Ruhe. Jedes Regiment stürmt meistens nur einmal, dann hat es lange
-nichts Besondres zu tun. Über die Engländer wissen sie nichts. Sie tun
-ihre Pflicht, wenigstens wären alle Franzosen dieser Überzeugung. Von
-den Italienern hätten sie sich von Anfang an nicht viel versprochen.
-Lieber Friede als Krieg, natürlich, aber man schlage sich, solange es
-sein müsse. _La guerre, oui, cette guerre, oh lala!_ Es sei kein Krieg
-mehr, sondern eine schreckliche Schlächterei, _une terrible boucherie_,
-möchte man sagen. Aber wie gesagt, man schlage sich, sie und wir,
-natürlich, solange es eben sein müsse, bis einer einmal sage: Halt! Sie
-bekämen alle Nachrichten sehr rasch. „Lemberg“ haben sie einen Tag
-darauf gehört. Sie glauben nicht an die monströsen Geschichten, die ihre
-Zeitungen ihnen auftischen, von geschlachteten Kindern und ähnlichen
-Dingen – nein, daran glauben sie nicht, denn, bei Gott! – Der Pariser
-lacht und hustet – sie haben ja jetzt die intime Bekanntschaft der
-deutschen Soldaten gemacht: fürchterlich im Kampf, aber sonst ein guter
-Bursche. –
-
-Die Gefangenen löffeln im Schulhof die Abendsuppe. Der Hof ist klein,
-und sie müssen in zwei Schichten essen, wie im Speisewagen, wenn der Zug
-überfüllt ist. Es sind über zweihundert, die den Kirchhof lebend
-verließen. Die großen Kessel dampfen. Sie schöpfen, schlürfen und
-löffeln. Sie sind ganz bei der Sache und beachten uns nicht. In ihren
-blaugrauen weiten Rockmänteln, die trotz der neuen Farbe immer noch
-etwas an Maskerade erinnern, schlürfen sie mit den Suppennäpfen hin und
-her, die stille selige Gier in den Augen, sich zu sättigen. Das Regiment
-(Jäger) stammt aus einem südlichen Departement, und die Leute sehen
-vorzüglich aus, stark und gesund. Nur zwei, drei haben ergraute
-Schläfen, die meisten sind zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Der
-erste Hunger ist gestillt, sie plaudern und scherzen, ganz als ob sie
-noch da drüben wären. Sie kamen aus Gräbern und Särgen gestiegen, aus
-dem Tod, aber man merkt ihnen nichts mehr an. Die Überlebenden aus dem
-Kirchhof von Souchez sind äußerst vergnügt.
-
-Die Posten stehen mit aufgepflanztem Bajonett. Keine Angst, sie laufen
-nicht weg! Wer diesen Feuergürtel zwischen den Gräben lebendig
-durchschritt, hat keine Lust mehr zurückzukehren.
-
-Auf dem Fenstersims seines Zimmers sitzt mit gekreuzten Armen ein
-gefangener Offizier. Ein junger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren, mit
-hübschem leichtsinnigen Gesicht und graublauen vergnügten Augen. Er
-strahlt vor Freude, daß die Sache ein Ende hat, und es fällt ihm gar
-nicht ein, uns etwas vorzumachen. Vor fünf Tagen noch war er in Lyon,
-auf Urlaub. Herrliche Tage und Nächte, er hat im Graben alles eingehend
-aufgeschrieben. Und sie, wie entzückend war sie! Nun also, so ist der
-Krieg, jetzt sitzt er hier auf dem Fensterbrett eines kleinen
-Schulzimmers.
-
-Er trägt ein blaues Hemd, seine Brust ist offen, Kragen oder sonst eine
-Binde hat er nicht. Auf seinen dünnen braunen Haaren sitzt kokett ein
-blaugraues Barett, wie es die Pariser Studenten tragen, und vorn ist in
-Silber ein kleines Waldhorn gestickt.
-
-„Sie hatten das Unglück, in Gefangenschaft zu geraten,“ begrüße ich ihn.
-
-Er zuckt lächelnd die Achsel: „Was wollen Sie? Wir waren vollkommen
-abgeschnitten. Es war nichts mehr zu tun.“
-
-„Sind Sie aktiver Offizier?“
-
-„Ja, aktiver.“ Er spricht sogar etwas Deutsch.
-
-Neben ihm taucht der rothaarige Kopf eines Sergeanten auf. Er blickt mit
-kalten, feindseligen Augen auf mich und erinnert mich an ein
-Eichhörnchen. Ich bin überzeugt, daß er die Schauergeschichten glaubt,
-die die französischen Schmutzblätter über uns schreiben.
-
-„Wie lange wird Joffre die Sache bei Souchez und Loretto noch
-fortsetzen?“ frage ich den jungen Offizier. Ich weiß genau, was er
-antworten wird, aber man plaudert.
-
-„Noch lange! Wir haben noch große Reserven.“
-
-„Wie denkt man in Frankreich über einen zweiten Winter?“
-
-„Man ist darauf gefaßt und bereitet vor.“
-
-„Genau wie wir. Wir haben diesmal noch dickere Mäntel machen lassen,
-damit unsre Leute nicht frieren.“
-
-„Glauben Sie nicht, daß eine Möglichkeit besteht, mit Frankreich einen
-Separatfrieden zu schließen?“
-
-Der Offizier lächelt und schüttelt den Kopf. „Daran ist nicht zu denken.
-Je länger der Krieg dauert, desto mehr wachsen unsre Chancen.“
-
-„Niemals!“ mischt sich das Eichhörnchen ein. „Niemals! Sagen Sie mir,
-wer hat diesen Krieg begonnen?“
-
-Es ist sehr unhöflich, gleich das schwerste Geschütz aufzufahren. Der
-hübsche Offizier, Europäer und Gentleman, streift den Sergeanten mit
-einem nachsichtigen Lächeln. Ich sage: „Sie! Man hat Sie gefragt, Sie
-hätten ja aus der Sache bleiben können!“ Ich beachte das Eichhörnchen
-fortan nicht mehr.
-
-Beim Abschied fragt mich der Offizier, wann sie wohl in Deutschland sein
-dürften. Ich erkundige mich. In vier, fünf Tagen.
-
-„Schon! Dann kann ich wohl schreiben?“
-
-„Natürlich.“
-
-Freude fliegt über sein leichtsinniges, hübsches Gesicht. Ich weiß wohl,
-an wen er schreiben wird.
-
-
-
-
- Das Schlachtfeld Arras-Souchez-Lorettohöhe vom Fesselballon aus.
-
-
- Im Juli
-
-Der Ballon wird aus dem Stall gezerrt. Er ist tot, er schläft. Aber
-sobald er nur den dicken Schädel heraussteckt und die frische Luft
-schnuppert, kommt augenblicklich Leben in ihn, und seine Seele kehrt
-zurück. Das Wetter ist stürmisch. Bei jedem Windstoß rollt er den dicken
-Leib hin und her und schleift die Feldgrauen, die wie Trauben an seinen
-dünnen Fadenbeinen hängen, über den Rasen. Wie ein gutmütiger
-Betrunkener, dem es ein tolles Vergnügen macht, seine Begleitmannschaft
-ins Torkeln zu bringen.
-
-„Langsam rechts einschwenken!“
-
-Auf seinen Fadenbeinen schwankt er ins freie Feld. Er stampft auf und ab
-wie ein Schleppdampfer in hoher See, er begräbt die Ameisen, die an
-seinen Beinen zerren, unter sich, wälzt sich zum Spaß auf ihnen herum,
-reckt sich hoch und nickt, im Winde liegend, ein paarmal befriedigt mit
-dem Kopf.
-
-Nun steht er da!
-
-Ungeheuer komisch sieht er aus. Wie ein riesiger grauer Kofferfisch,
-prall und glatthäutig, vollgefressen bis zum Platzen, das runde Maul
-mitten im dicken Kopf. Unter dem feisten Leib hat er ein zweites,
-sackartiges Freßwerkzeug, und damit kaut er gefräßig und gierig die
-Luft. An den Seiten hat er kleine schmale Flossen und als Schwanz ein
-paar aufgespannte Regenschirme. So kunstvoll er gebaut ist, scheint er
-doch das primitivste Geschöpf zu sein, das sich an der Front
-herumtreibt. Ein Freiballon ist eine Kugel, ein Zeppelin ein
-Kriegsschiff in der Luft, aber er ist ein Tier, ein Fisch, von äußerster
-Gutmütigkeit und ohne jeden Verstand. So sieht er wenigstens aus.
-
-Die Gondel wird unter seinem Leib befestigt, er erhält ein Drahtseil
-durch den Nasenring gezogen. Einsteigen! Wir turnen in den engen Korb,
-der Leutnant und ich.
-
-„Ballon langsam hoch lassen!“ Der Hauptmann schreit.
-
-Der Luftfisch springt mit einem Satz vom Boden hoch. Er bohrt den Kopf
-in den Wind, reißt am Seil und tummelt sich vergnügt, so daß der Korb
-schlingert. Dann aber gleitet er ruhig in die Höhe. Er ist in seinem
-Element.
-
-Die Feldgrauen stieben strahlenförmig über das Feld, werden kleiner und
-winziger, und die sechs Pferde, die die Kabelwinde ziehen, werden zu
-einem Spielzeug. Das kleine Dorf wird zu einer Honigwabe. Wir steigen
-rasch.
-
-Sonderbar, dieser Ballon, niemand versprach sich viel von ihm im Kriege.
-Er diente im Manöver dazu, das Signal: „Das Ganze halt!“ zu geben, das
-war so ziemlich seine Hauptrolle. Er war nur Statist. Die Flieger
-sollten die ganze Arbeit leisten. Er war eine veraltete Sache, die man
-nur, weil man sie hatte, ins Feld mitschleppte. Aber in diesem Kriege,
-in diesem Stellungskriege ist er zu ungeahnten Ehren gekommen. Überall,
-an der ganzen Front entlang, sieht man ihn am Himmel stehen! Wo Schneid
-und Intelligenz zusammengehen wie bei der Luftschifferabteilung, bei der
-ich zu Gaste bin, wird er zu einer furchtbaren Waffe.
-
-Man steigt mit ganzen Kanonen von photographischen Apparaten hoch und
-photographiert die kleinste Falte im Antlitz des Feindes. Der Flieger
-rast mit hundert und mehr Kilometern dahin und hat nicht die Muße wie
-der Mann im Ballon. Der Ballon steht still. Er steht stundenlang da,
-tagelang, und wenn der Beobachter auch seekrank wird, er bleibt oben.
-Der Ballon ist das Auge der Artillerie, er beobachtet Kolonnen,
-Bewegungen des Gegners, das Aufblitzen feindlicher Geschütze, er
-dirigiert das Feuer der eignen.
-
-Er ist, wie gesagt, eine ganz gefährliche Sache, und aus diesem Grunde
-hat er seine Feinde. Schrapnelle und Granaten tasten nach ihm. Gottlob
-treffen sie selten. Der Ballon geht tiefer oder höher, oder er reißt mit
-seinen sechs Pferden überhaupt aus. Sein kritischer Augenblick ist die
-Landung. Aber seine erbittertsten Gegner sind die Flieger, die
-Konkurrenz. Sie kommen in ganzen Schwärmen. Mein Begleiter, der
-Leutnant, wurde neulich von drei Flugzeugen gleichzeitig angegriffen,
-aber er riß nicht aus, fiel ihm gar nicht ein. Den Hauptmann besuchte
-neulich ein ganzes Geschwader, er bekam vierundfünfzig Bomben, aber er
-blieb oben in seinem Korb und beobachtete.
-
-Es gehören _Leute_ dazu!!
-
-Wir steigen und steigen, und der Wind pfeift hier oben, daß mir das
-Wasser aus den Augen läuft. Die Landschaft wächst, die Welt ist
-plötzlich viel größer geworden.
-
-Aber diese ganze Landschaft da unten, von Nordwest bis Südost, ist ein
-einziges riesiges Schlachtfeld, auf dem sich zwei Völker zerfleischen,
-weil das Schicksal es so will. Zwei Völker, die Kathedralen haben,
-Universitäten, Museen, Konzertsäle, Hospitäler, Sprachen, die den
-erhabensten Gedanken Ausdruck zu verleihen vermögen, die Männer
-hervorbrachten, die wie Fackeln über der Welt leuchten, zwei Völker, die
-Gedanken geboren haben, die die Welt regieren! – Nun liegen sie einander
-gegenüber in Erdlöchern, den Willen gespannt zum Töten, ihre Geschütze
-pochen und stampfen. Die Granatwolken wälzen sich in den Feldern, hier,
-da, dort, sie steigen aus den Dörfern, wohin man blickt. Und kein
-Mensch, kein Eisenbahnzug, kein Wagen ist zu sehen, keine lebende Seele
-weit und breit. Der Mensch hat sich vor dem Menschen verkrochen.
-
-Das Licht ist kalt wie im September. Graue Wolken jagen dahin. Müde
-Sonne wechselt mit dunklen Wolkenschatten. Strichweise sieht die
-Landschaft aus wie durch ein gelbliches Glas gesehen, gealtert, zermürbt
-und zerknittert, müde des endlosen Mordens und Krachens der Granaten.
-Wie das Gesicht eines Schlaflosen. Strichweise friedlich und
-unbekümmert. Schornsteine rauchen in der Ferne, die Zechen, die der
-Franzose noch in Händen hat. Friedliche Weiler und Dörfer, von der
-schwachen Sonne beleuchtet. Aber plötzlich tanzt eine graue Wolke auf
-den Dächern, wieder eine, da, dort. Dörfer, die der Franzose befunkt, um
-seine Männer und Weiber zu töten. Lievin, Angres, Givenchy. Sie kauern
-geduckt neben Anhöhen in Wäldchen, aber die Granate findet sie doch.
-
-In der Mitte liegt breit die Lorettohöhe, die verfluchte! Das Bois de
-Bovigny sitzt wie der Kamm eines Hahnes darauf. Der Wald ist dunkel, die
-Höhe selbst hell, gelbgrün wie Heide und unbestellte Felder. Von der
-Spitze des Waldes zieht quer über die Höhe eine breite lehmfarbene
-Schleifbahn bis hinab in die Talmulde, eine klaffende Wunde in der Höhe:
-das sind unsre Gräben, die der Franzose im Mai zusammenschoß. Weiter
-unten zieht, entlang der Talmulde, eine schmälere, neue Schleifbahn: das
-sind die heutigen Stellungen. Man erkennt sie sofort, denn graue und
-rostrote Granatwolken stehen darauf und wälzen sich im Winde.
-
-„Sehen Sie das weiße Schloß?“ sagt der Leutnant. „In der Waldkuppe
-rechts von der Lorettohöhe. Dort! Das ist Schloß Noulette. Weiter hinten
-sehen Sie eine Ferme. Ferme Marqueffoes. In französischen Händen. Im
-Bois Bovigny sehen Sie zuweilen einen gelben Streifen. Der französische
-Annäherungsgraben. Auf dem Abhang dort neben der Baumgruppe stehen
-französische Batterien.“
-
-Wir sehen alles, wir lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch.
-
-Die Lorettohöhe wird flacher und flacher. Souchez erscheint, Rauch und
-Dunst liegt darüber, Ablain, die „Kanzel“, die unsre Grauen wie Teufel
-verteidigt haben. Das Hinterland taucht empor, Waldstreifen,
-Feldstreifen, ferner und ferner, bis zum Horizont.
-
-Links versinkt die Vimyhöhe, die wir halten, und in der beschatteten
-Talmulde dahinter taucht ein Düster von Häusern auf mit einem fahlen
-zweitürmigen Dom in der Mitte: _Arras_! Es sieht aus wie ein Grab. Die
-Kathedrale wie der Schemen eines Domes. Sie geriet vor einigen Tagen in
-Brand, und ihre Turmspitzen sind zusammengestürzt. Sie erscheint nahezu
-weiß, aus welchem Grunde weiß ich nicht, wie der Geist einer Kirche
-steigt sie aus der toten, düstern Stadt empor.
-
-Auch hinter der Vimyhöhe, bis gegen Arras stehen kleine Granatwolken,
-sie tanzen wie Gespenster an der ganzen langen Front entlang. Unter uns
-fährt aus der düstern Landschaft da und dort ein Feuerdolch: unsre
-Geschütze, die feuern.
-
-Wir sind 400-500 Meter hoch und geben Flaggensignal. Langsam steigen wir
-herunter. Wie ein störrisches Pferd am Halfter muß der Ballon zur Winde
-gezogen werden. Über dem Boden wälzt er sich ein paarmal hin und her,
-dann steht er still.
-
-Ich steige aus. Im nächsten Augenblick schon jagt er wieder mit dem
-Beobachter in die Höhe.
-
-
-
-
- Der Argonnerwald
-
-
- Im Juli
-
- „_Moi, je suis tombé dans un sale
- coin, je suis aux Argonnes._“
-
- Aus dem Briefe eines Gefangenen.
-
-Es regnet in Strömen. Das Wasser wird in Fässern aus den bleigrauen
-Wolken geschüttet, die niedrig über die Wälder ziehen. Die Bäume brausen
-im Wind und schütteln Wasserfälle aus ihren Kronen. Die Wege sind Lehm,
-Bäche stürzen über die Abhänge. In den Unterständen sind die Öfen
-geheizt.
-
-Es ist der Argonnerwald, wie er leibt und lebt. Er verstellt sich nicht
-und zeigt sein wahres Gesicht. Es ist ein Wald wie der Spessart und die
-böhmischen Wälder, ein Wald für Köhler, Räuberbanden und Wildschweine.
-Der Wald hat seine Gegenwart, das ist nicht zu leugnen, der Wald hatte
-seine Vergangenheit, das ist sicher. Man ging hinein und verschwand, man
-schlug das Kreuz und war tot. Im Dickicht lauerte der Mörder. Es gibt
-hier Stellen, die sonderbare Namen tragen: _la fille morte, l’homme
-mort_. Es wird wohl seine Bewandtnis damit haben! Aber diese ganze
-düstere Räubervergangenheit des Waldes ist ein Idyll gegen heute, eine
-Schäferszene, das sage ich gleich! Welche Zeit könnte sich in diesen
-Dingen überhaupt mit der unsrigen messen? Wir haben alles glatt
-geschlagen ...
-
-Wir steigen in einen Rollwagen, ein total zerweichtes Pferd mit einem
-total zerweichten Reiter darauf wird vorgespannt und wir rollen los,
-höher und tiefer in den Wald hinein. Der Regen strömt, Roß und Reiter
-verschwinden zuweilen in einer Wasserblase. Ich bin durchnäßt bis auf
-die Haut, dieser verfluchte Argonnenregen geht durch den Gummimantel,
-und friere wie ein Hund.
-
-Dieser Wald ist kein Wald für Menschen! Er ist dreistöckig. Hohe Bäume,
-zumeist Eichen, vereinzelt, dann das Unterholz, junge Eichen, Buchen,
-Birken, Erlen, dicht beisammen, und unter ihnen Gestrüpp: Brombeeren,
-Dornen, Farnkräuter, Ginster, Schlingpflanzen, ein natürlicher
-Drahtverhau, wie er heimtückischer nicht angelegt werden könnte. Es ist
-ein Wald für einen haarigen, gorillaartigen Waldteufel, der mit einem
-Prügel in der Faust durchs Dickicht kriecht und Lehm frißt. Der Mensch
-betritt ihn mit Grauen im Herzen.
-
-Das zerweichte Pferd streckt die glänzenden Schenkel, tastet durch Lehm
-und Wasser. Zuweilen wird es abgehängt, dann rollen wir mit eigner Kraft
-über wacklige Schienen hinunter. Dann geht es wieder bergan. Ist es
-möglich, daß es noch stärker regnet? Ja, bei Gott, es ist möglich! Wir
-fahren in einer Wasserhose. Vor uns kriecht eine Batterie von
-Gulaschkanonen, von Pferden gezogen wie wir. Kommt ein Taleinschnitt, so
-rollen alle vier Gulaschkanonen mit eigner Kraft hinab und wir
-hinterher. Wir begegnen einem Transport von leeren Minenkörben,
-meterhohen Zuckerhüten aus Ruten geflochten. Der Transport muß
-rangieren, damit wir vorüber können. Auf die Feldküchen klatscht der
-Regen. Die Leute haben Zeltbahnen um die Schultern gehängt, aber es
-hilft nicht viel. Station. Ein durchnäßter Grauer tritt an unsern
-Rollwagen und meldet: „Station Rixdorf, belegt mit zwei Telephonisten!“
-Ordnung muß sein. Ein Transport kommt zu Tal. Sie stehen aufrecht im
-Wagen. Sie sind müde und erschöpft. Ihre Arme und Köpfe sind verbunden.
-Es sind Verwundete aus den Gräben da oben. Der Wald frißt, der Wald
-frißt, der Wald frißt täglich Menschen! Einer liegt, mit einer
-Pferdedecke zugedeckt. Man unterscheidet nur die Formen des Mannes. Der
-Regen fegt auf die Verwundeten herab, aber sie kümmern sich nicht darum.
-Und er, der unter der Decke, der liegt und sich nicht regt, ihm kann der
-Regen, alle Mächte der Hölle können ihm nichts mehr anhaben ...
-
-Unser Pferd streckt die Schenkel. Es geht bergan. Nasse Zweige gießen
-ihr Wasser über uns aus. Der Wald poltert. Die einschlagenden Granaten
-krachen wie Donnerschläge.
-
-Eine halbe Stunde währt die Rollwagenfahrt, eine Stunde. Wir steigen aus
-und schütteln uns wie Hunde, die aus dem Wasser kommen.
-
-Wir gehen quer durch den Wald. Die Wege sind hier mit Knüppeln
-gepflastert, ein Knüppel hübsch neben dem andern, peinlich genaue
-Arbeit, anders wäre es nicht möglich, hier einen Schritt zu machen.
-Granattrichter. Zerschossene Bäume. Mannsdicke Eichen, die Granate traf
-sie in der Mitte, zerriß sie und warf sie aufs Gesicht. So liegen sie
-nun da und sterben. Hier gibt es sonderbare Hünengräber, mitten im
-Walde, Stein- und Erdhügel. Blickt man aber näher hin, so sind es
-Batterien. Die grauen Kanonen stehen darin, anständige Kaliber! Sie
-feuern glatt durch Laub und Zweige hindurch. Wir steuern ein Hünengrab
-an und steigen in die Erde hinein. Wir klopfen und treten ein. Hier
-brennt die Hängelampe, obschon es elf Uhr vormittags ist. Ein Mann in
-einer Wollweste empfängt uns. Hier hausen Pionieroffiziere, Leute von
-Welt. Sie haben gute Laune, Kognak und einen herrlichen heißen eisernen
-Ofen, der sofort zischt, wenn man ihm nahe kommt. Sie hausen hier schon
-– tuh, tuh, das Telephon tutet: ein Stollen im Graben so und so, wird
-gemacht – sie hausen hier schon seit Ende September! Unter der
-Balkendecke, zwei Meter Schotter darüber, ein paar Schlafkojen. Urlaub,
-nein, Urlaub nahmen sie noch nicht. Sie haben keine Lust, sie sind hier
-nötig. In den Gräben arbeiten sie, ganz vorn, in den Minenstollen. Was
-sie tun, davon will ich später einmal berichten. Ihre Gedanken, ihre
-Pläne, ihre Frauen – alles haben sie hingegeben, mag es kommen, wie es
-will, sie werden auf ihrem Posten stehen. Unvergeßlich sind sie, jung
-und stark und kühn.
-
-Es gießt noch immer. Düster und unheimlich rauscht der Wald. Es ist ein
-Wald der Unterwelt, erfüllt von einem schauerlichen und nie gehörten
-Lärm. Er hustet, das furchtbare Husten eines Unholds, der in den
-Schluchten haust. Er lacht heiser und keuchend wie ein Teufel, dem etwas
-schrecklichen Spaß macht. Riesenspechte klopfen. Es kracht wie ein
-schwerer Schmiedehammer, den nicht Menschen, sondern Zyklopen bedienen.
-Sie fluchen zur Arbeit, rufen und poltern. Zuweilen nehmen sie die Axt
-und schlagen, eins, zwei in den eisenharten Stamm der Eiche, daß die
-Berge hallen. Die Eiche schlägt krachend hin. Man hört, wie die Zyklopen
-die Eiche zerknacken zwischen ihren Fäusten und ins Feuer werfen, daß es
-prasselt. Das alles hört man ganz genau, aber man sieht die Einäugigen
-nicht. Dann und wann streicht ein Gespenstervogel unsichtbar und klagend
-über die brausenden Wälder. (Eine Granate.) Ja, Gott stehe mir bei,
-dieser Wald ist keineswegs gemütlich.
-
-Aus dem Dickicht tritt ein Mensch. Seine Stiefel sind voller Lehm, seine
-Kleider naß und schmutzig. Am Gürtel hängen Flaschen und Säcke und
-Ledertaschen, auf dem Rücken das Gewehr. Sein Gesicht ist schwarzbraun,
-schmutzig und verwittert. Die Augen stehen wie _Lampen_ darin. Es ist
-ein Feldgrauer, der aus den Gräben da oben kommt. Die „Argonnentype“,
-wie sie leibt und lebt. Die Argonnentype grüßt, so nebenher, grinst beim
-Anruf und verschwindet im Regen. Sie sind es, die diesen höllischen
-Spektakel machen, keine Zyklopen, sondern kleine Menschen.
-
-Plötzlich hört es auf zu regnen. Die Sonne bricht heiß durch die Wolken.
-
-Wir treffen, bei seiner Batterie, einen Oberleutnant, Jurist, auch er
-lebt seit dem Herbst im Walde. Aber der Wald konnte ihm nichts anhaben,
-elegant sieht er aus und seine schmalen Hände sind gepflegt. Zusammen
-mit ihm klettern wir in den Wipfel einer Eiche empor. Die Eiche braust,
-und wir schwanken, oben angelangt, wie Äste hin und her. Wir blicken
-über den Wald!
-
-Drüben liegt die Kuppe von Vauquois. Bis zum Kamm gehört sie uns. Dicht
-dahinter liegt der Franzose. Im Tal das Dorf Boureuilles. Mit bloßem
-Auge sieht man die Drahtverhaue der Franzosen, sie liegen im Tal hinter
-dem Dorf. Nach rechts aber, über dem Walde, liegt die berühmte _Höhe
-285_, die unsre Tapfern vor acht Tagen stürmten.
-
-Die Höhe ist braun und kahl! Es ist dem Menschen hier gelungen, den Wald
-weithin auszuroden, das muß man sagen. Die Bäume sind zerschmettert,
-liegen durcheinander, verkohlt und zerschossen, das Unterholz ist
-gänzlich verschwunden. Die Erde ist aufgewühlt. Gräben, Sappen,
-Sprengtrichter. Die Kuppe ist in hundert Risse geborsten. Ein
-Maschinengewehr bellt, die Gewehre husten. Ohne Pause wird da oben
-gekämpft. Ein schweres Geschütz feuert. Es kracht wie ein Donnerschlag,
-und das Echo poltert in den Schluchten.
-
-Ziehe die Luft ein, riechst du es nicht? Es riecht wie in den Gängen
-eines Hospitals. Es riecht nach _Chlor_ und allen möglichen Dingen.
-Diesen Geruch habe ich schon heute morgen verspürt, als wir uns dem
-Argonnerwald _näherten_. Dieser ganze Wald, trächtig von Feuchtigkeit,
-Erde und Wurzeln, hat diesen sonderbaren Geruch angenommen. Er stammt
-von den Gasbomben der Franzosen, von den Gasen der stündlich
-einschlagenden Granaten, von den Massengräbern, die mit Chlorkalk
-zugeschüttet sind.
-
-Fürchterlich, dreimal fürchterlich muß es hier zugegangen sein! Der Wald
-hat seine Geschichte, und sie ist schrecklich wie die Geschichte wilder
-Meere. Heute noch findet man im Dickicht verstreut Leichen und Skelette.
-Man sieht in den Gebüschen einen Soldaten, das Gewehr im Anschlag, man
-ruft ihn an, er antwortet nicht. Er ist tot und in seiner letzten
-Stellung von den Dornen festgehalten worden. Man mußte sich den Weg
-bahnen wie in einem Urwald. Man bekam Feuer aus nächster Nähe. Man sah
-keinen Feind. Der Franzose saß auf den Bäumen, mit Maschinengewehren saß
-er oben. Man hörte den Gegner sprechen, die Offiziere Befehle erteilen,
-aber man sah nichts, rein nichts. Man grub sich gegenüber ein, schoß das
-Dickicht mit Maschinengewehren ab, um Luft zu bekommen, drang vor – der
-Feind zog sich zehn Schritt zurück, und es war die alte Sache. Es war
-ein Indianerkrieg und die Argonnen bilden ein Kapitel für sich in der
-Geschichte dieses Feldzuges. Hier gab es keine Pausen, keine Ruhe, hier
-wurde erbittert gekämpft, Tag und Nacht, viele Monate hindurch, und das
-Wasser in den Gräben stand häufig bis zur Hüfte. Man lag sich und liegt
-sich an manchen Stellen zehn Schritt gegenüber, ein lautes Wort bedeutet
-den Tod. Handgranaten, Minenstollen und Wurfminen.
-
-In den letzten Wochen fanden hier wütende Gefechte und Schlachten statt,
-am 2. Juli, am 14. Juli – doch davon später. –
-
-Ein Knüppelweg führt ins Tal hinab. An einer verborgenen Stelle wartet
-unser Auto. „Hat er hergeschossen?“ Nein – na, also los!
-
-Wir fahren eine Strecke in Sicht des Feindes, wir jagen in eine
-zerschossene und zerstörte Stadt hinein. Sie erinnert an eine zerfallene
-italienische Ortschaft. Es ist Varennes. Jene Stadt, in der Ludwig XVI.
-mit seiner Gemahlin auf der Flucht erkannt und festgenommen wurde.
-Varennes ist ständig unter Feuer. Das Auto beginnt wie toll zu jagen. Es
-fegt eine schnurgerade Chaussee hinab in einem Höllentempo. Eile tut
-hier not, denn wir fahren in etwa 1000 Meter Entfernung an den
-feindlichen Stellungen vorüber, und es ist eine Anfängeraufgabe, uns
-hier abzuschießen. Die Höhe von Vauquois, die Kirche von Montfaucon,
-oben auf einem Berge in der Abendsonne. Ein paar Granatfahnen rauchen
-aus Apremont, während wir vorüberfliegen. Neben der Chaussee sind Serien
-von Granattrichtern. Sie sind ganz frisch, die Erde liegt noch locker
-und feucht. Der Abendsegen. –
-
-
-
-
- Die Kämpfe in den Argonnen
-
-
- Im Juli
-
- „_Les Argonnes, c’est l’enfer!_“
-
- Aus dem Tagebuch eines
- französischen Offiziers.
-
-Am 20. Juni begann die Sache in den Westargonnen, am 2. Juli war sie zu
-Ende. 37 Offiziere gefangen, 2700 Mann! 100 Minenwerfer, 28
-Maschinengewehre, 5000 Gewehre und 30000 Handgranaten! 1600 tote Feinde
-bestattet! Es ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann!
-
-Man muß im Auge behalten, daß es sich hier um Waldkämpfe handelt. Der
-Franzose hat Erdwerke angelegt, Festungen unter der Erde. Er hat
-Blockhäuser in die Erde gerammt, jedes ein Fort. Die Dachkante ragt aus
-dem Boden, nichts sonst. Schießscharten, Maschinengewehre, Drahtverhaue
-vor den Gräben, eine Schlucht mit einem Wassergraben. Wenn ich sage, wie
-der Argonnenkämpfer stürmt, so wird man alles begreifen: den Stahlschild
-vorgehalten, Handgranaten am Gürtel, Handgranaten in der Faust, das
-Gewehr auf dem Rücken und die Gasschutzmaske vor dem Gesicht – so geht
-er vor! Es ist kein Spaziergang, o nein! Es ist keineswegs wie auf jener
-Photographie, die eine Berliner Zeitung kürzlich brachte und die einen
-„Sturmangriff in den Argonnen“ vorstellen sollte. Mit dem aufgepflanzten
-Bajonett läuft da eine Kolonne gegen einen idyllischen Waldrand an. O,
-hoho! Es ist mehr als kindisch, es ist eine Schmach. Der Argonnenkämpfer
-wird sich totlachen über den naiven Schwindel, wenn er das Bild zu sehen
-bekommt.
-
-Am 20. Juni, wie gesagt, fing es an. Die Minenwerfer begannen ihre
-höllische Arbeit und deckten die französischen Gräben und Verhaue zu.
-Die Granaten hagelten herab. Los! Die Pioniere sind die ersten. Mit
-Drahtscheren gehen sie vor, mit Brückenstegen aus Knüppelholz gezimmert.
-Sie stürzen nieder, auf, die Stacheldrähte zerfetzen ihnen die Kleider,
-vorwärts! Der Kampf ist im Gange. Hier kämpft Gruppe gegen Gruppe, Mann
-gegen Mann, die Handgranaten krachen. Um jedes winzige Grabenstück, um
-jeden Granattrichter wird verzweifelt gerungen. Unsichtbar ist der
-Feind. Aus dem Dickicht schwirren die Geschosse eines Maschinengewehrs.
-Ein Trupp Württemberger stürmt hinein. Leutnant Sommer klettert mit ein
-paar Leuten auf das Dach eines versteckten Blockhauses, aus dem das
-Maschinengewehr feuert. Revolver, Handgranaten durch die Schießscharten,
-die Besatzung ist erledigt. Leutnant Sommer fällt. Er ist tot, aber er
-ist unsterblich! Einem andern Offizier, Leutnant Walker, gelingt es, in
-die Gräben der Labordère-Stellung einzudringen. Er ist abgeschnitten,
-umzingelt, aber er hält stand in einem höllischen Feuer, mit einer
-Handvoll Leuten, bis acht Uhr abends(!) Entsatz kommt. Zwei Leutnante,
-Spindler und Kurz, springen in den Graben und schlagen sich nach links
-und rechts, bis sie fallen. Sie sind tot, aber ihre Namen werden
-weiterleben! Es geht heiß zu, es geht verzweifelt zu.
-
-Am Abend ist die Stellung genommen!
-
-Es ist nur der Anfang. Die Franzosen trommeln auf die eroberten Gräben.
-Acht Tage lang machen sie einen verzweifelten Versuch nach dem andern,
-die Gräben zurückzuerobern. Vom 21. bis zum 29. Sie versuchen es mit
-allen Mitteln, Gasbomben und brennender Flüssigkeit.
-
-Am 30. Juni geht es weiter. Niemals hat der Argonnerwald solch ein Feuer
-gehört! Die französischen Gräben werden zu Brei geschossen. Die Toten
-liegen wie das Getreide nach einem Hagelwetter. Ein Handgranatenlager
-fliegt in die Luft. Aber der Franzose kämpft wie ein Teufel. Im
-vordersten Graben fällt Mann um Mann. Niemand ergibt sich! In einer
-halben Stunde sind die Werke Central und Cimetière gestürmt. Unsre
-Grauen sind nicht zu halten. Eine Kompanie Grenadiere jagt bis ins Tal
-der Biesme vor. Auf dem östlichen Flügel der kämpfenden Linien liegen
-auf der sogenannten Rheinbabenhöhe die Grauen in den Gräben. Es wird
-gekämpft, sie halten es nicht mehr aus in den Gräben und greifen aus
-freiem Entschluß an. Württemberger Freiwillige nehmen die Reste des
-Labordère-Werkes.
-
-Der Franzose ist geworfen, aber kleine Verbände wehren sich noch
-tollkühn in kleinen Grabenstücken und Blockhäusern. Ein Unteroffizier
-pirscht sich an ein Blockhaus, das wütend feuert, heran und wirft eine
-Handgranate hinein. Nun wird es drinnen still!
-
-Es wird Nacht. Keine Ruhe, kein Schlaf, nein, daran ist nicht zu denken.
-Sie wühlen und graben die ganze Nacht durch, der Morgen muß sie bereit
-finden! Auch der Feind schanzt fieberhaft. Die Leuchtkugeln steigen. Die
-ganze vorgeschobene Gräbenkette der Franzosen ist in unsrer Hand:
-Labordère, Central, Cimetière, Bagatelle – aber dahinter hat er im Wald
-ein Verteidigungswerk, den „grünen Graben“, bezogen, die Fetzen der
-französischen Kompanien haben ihn besetzt und zu einer Festung
-ausgebaut.
-
-2. Juli Angriff auf den „grünen Graben“!
-
-Der 1. Juli ist kein Ruhetag, das darf man nicht glauben. Ohne eine
-Minute Pause wird gearbeitet. Die Leichen werden geborgen,
-schauerlichste Arbeit des Soldaten! Lebensmittel und Wasser
-herbeigeschafft, Munition, Handgranaten, Minenhunde. Die Minenwerfer
-schießen sich ein, die Artilleriebeobachter kriechen durch die Gräben
-und lassen ein paar Granaten zur Probe kommen. Fertig, alles bereit!
-
-Am 2. Juli donnert der Wald und der Boden zittert. Bis fünf Uhr
-nachmittags hageln die Granaten auf den grünen Graben herab. Um fünf Uhr
-gehen die Grenadiere vor. Bis zur Dunkelheit wogt der Kampf hin und her.
-Er ist mörderisch. Hier wird nur mit Handgranaten und Kolben gekämpft.
-Wir gewinnen Boden, Schritt für Schritt. Der Feind schlägt sich
-bewundernswert, alle Grauen gestehen es ohne weiteres zu. Ein Bataillon
-bricht durch, in der Richtung auf das Dörfchen La Harazée. Es kommt dem
-grünen Graben in den Rücken. Von der Rheinbabenhöhe her, von St. Hubert
-stürmen unsre Truppen. Der grüne Graben ist nahezu umzingelt. Die Lage
-des Feindes ist hoffnungslos, aber er ergibt sich nicht. Da ist ein
-Major im grünen Graben, Major Remy, der wie ein Rasender ficht und seine
-Leute zum Äußersten anpeitscht. Er fällt. Der grüne Graben ist genommen!
-
-Die Verwundeten werden fortgeschafft. Die Gefangenen abtransportiert.
-Die Toten liegen, wo sie liegen. Noch gibt es keine Pause. Denn der
-Graben muß sofort wieder zur Verteidigung eingerichtet werden. Er ist
-stellenweise bis zur Sohle eingetrommelt. Die Sandsäcke, die die
-Granaten durch den Wald schleuderten, werden zusammengeschleppt,
-aufgebaut. Die Stahlschilde eingerammt, die Maschinengewehre
-aufgestellt.
-
-Kommt der Feind, so ist man bereit. Und er kam und man war bereit!
-
-Es wird still. Es ist Nacht. Die erste Nacht seit Wochen, die ruhig ist,
-keine Granaten, keine Minen. Der Soldat schläft, tief und traumlos, wie
-die Kameraden, die da draußen liegen und alles vergessen haben.
-
-Die Horchposten kauern im Gebüsch, die Wachen stehen im finstern Graben.
-Das Telephon ist schon wieder eingerichtet.
-
-
-
-
- Höhe 285
-
-
- Im Juli
-
-Früher war sie grün. Das Unterholz war so dicht, daß man sich wie durch
-einen Urwald vorwärtsarbeiten mußte. Dazwischen standen mannsdicke
-Eichen und sonstige Bäume, vielleicht alle zehn Schritte ein hoher Baum.
-Wir lagen ihnen auf vierzig bis fünfzig Schritt gegenüber. Zu sehen war
-nichts. Sie hatten ein Labyrinth von Gräben angelegt, Blockhäuser und
-große Unterstände. Aber man sah nichts! Regte man sich, so pfiffen die
-Kugeln. Woher, das wußte man nicht, sie saßen irgendwo in den Bäumen.
-Sie waren oben, wir unten, also sehr im Nachteil.
-
-Seit Ende September pfiffen hier die Kugeln. Die Bäume und die Stämme
-des Unterholzes wurden hundertfach durchlöchert, bis sie abstarben. Die
-Granaten knickten die Eichen, das Laub wirbelte. Es wurde allmählich,
-ganz langsam, lichter.
-
-Man trieb Sappen vor und kam einander näher. Die Wurfminen flogen von
-Graben zu Graben. Man trieb Stollen vor, unter der Erde, wir und er. Die
-Sprengungen rissen die Bäume in die Luft. Es wurde immer lichter.
-
-Als ich die Höhe 285 sah, war sie _ganz kahl_. Sie ist so groß, daß eine
-kleine Stadt darauf Platz hätte. Kein grüner Fleck. Zerschmetterte und
-zerfetzte Bäume, das ist alles, was geblieben ist. Ein Schutthaufe, auf
-den ein Wolkenbruch niederprasselte und Rinnen, Furchen, Gräben und
-krumme Schluchten wühlte. So sah sie aus.
-
-Sie bot große Vorteile. Sie beherrschte einen Teil der Höhenzüge
-ringsum, das Tal gegen Boureuille; er konnte unsre Straßen einsehen,
-unsre Zufuhr unter Feuer nehmen. Das war keineswegs angenehm. Die Höhe
-285 mit La Fille morte dahinter war, klar ausgedrückt, ein Dorn, der uns
-im Fleisch saß. Der Dorn mußte weg! Der Franzose mußte hinter die Höhe
-geworfen werden, weil er dann nichts mehr sehen konnte.
-
-Es mußte sein und wurde vollbracht! Am 13. Juli.
-
-Es war eine Höllenarbeit, denn er hatte sich eine vollkommene
-unterirdische Festung gebaut, in der er bombensicher eingedeckt lag. Nur
-bei gewissenhaftester Vorbereitung konnte der Sturm gelingen.
-
-Tagelang vorher schleppten die Pioniere die zentnerschweren Wurfminen
-durch die engen Gräben in die Depots. Tausende von Handgranaten wurden
-herangeschafft, Munition aller Art. Die unterirdischen Gänge wurden
-ausgebaut, so daß man nur die Decke einzustoßen brauchte, und man war im
-Freien. Jeder Mann kannte seinen Platz und wußte, wohin er den Fuß zu
-setzen hatte, sobald er den Graben verließ. Im Kopfe hatte jeder Mann
-den Sturm schon vollendet, bevor die erste Granate krepierte. Er wußte,
-in welchen Graben er zu gehen hatte, wenn er verwundet wurde. Er wußte,
-durch welchen Graben die Gefangenen geführt werden sollten. Alles war
-vorher festgesetzt und besprochen. Die Reserven genau instruiert. Die
-Gräben sind ein Labyrinth, und nichts ist leichter, als sich darin zu
-verlaufen.
-
-Noch eines: die vorderste Sturmkolonne muß formiert werden. Freiwillige
-vor! Da melden sich alle. Man verstehe recht: nach einem Jahr Krieg,
-nach Monaten von Argonnenkrieg, Monaten von Mühen, Entbehrungen und
-Gefahren! Woher schöpfen sie, die Grauen, diese Kraft? frage ich. Es
-mußte _gelost_ werden.
-
-Nun also gut, so war es, als der 13. tagte.
-
-Die erste Granate kommt über den morgengrauen Wald und schlägt krachend
-auf der Höhe ein. Das ist das Signal. Die Geschütze, da hinten, stehen
-schon bereit, ausgerichtet, fertig zum Schuß. Hauptleute und Kanoniere
-sind auf dem Posten. Los! Der Wald ist ein einziges Donnern. Die Kanonen
-geben Schnellfeuer, ein Maschinengewehrfeuer von Granaten wirbelt auf
-die Stellungen des Feindes nieder. Die schweren Minenhunde rauschen
-durch den Morgen. Die Höhe ist eine einzige Staub- und Rauchwolke. Die
-Grauen stecken die Köpfe aus den Gräben, um die rauchende Hölle drüben
-zu sehen. Die Geschütze rasen.
-
-Der Feind bleibt nicht müßig und antwortet mit wütendem Feuer.
-
-Kaltblütig stehen unsre Artilleriebeobachter in den vordersten Gräben
-und dirigieren das Feuer, unbekümmert um Granaten und Minen, die ringsum
-krachen. Die Sturmkolonnen kauern dicht gedrängt in den Unterständen und
-warten auf ihr Kommando. Sie liegen in den Sappen bereit, mit
-Handgranaten am Gürtel und im Arm, soviel sie schleppen können. Sie
-kauern in den unterirdischen Stollen, die unter unsren Drahtverhauen
-hindurchführen.
-
-Plötzlich schweigt das Feuer.
-
-In der nächsten Minute stürzen die schlesischen Jäger vor. Aus Sappen,
-Stollen, Gräben. Der Feind legt einen Feuerriegel vor unsre Gräben.
-Hindurch! Ein Leutnant setzt mit einem Sprung über einen vier Meter
-breiten feindlichen Drahtverhau. In sieben Minuten sind die vordersten
-Gräben überrannt.
-
-Ungeheuer sind die französischen Verluste! Seine Gräben wimmelten von
-Truppen, denn er hatte selbst einen Angriff geplant, und wir waren ihm
-um einen Tag zuvorgekommen. Eine Mine war in ein Lager von Handgranaten
-eingeschlagen und hatte furchtbare Verwüstungen angerichtet. In einem
-einzigen Unterstand fand man einhundertundfünf Tote. Seine Verbände
-waren zersprengt, aber noch keineswegs geschlagen.
-
-Sie kämpfen wie Rasende.
-
-Gräben, Sappen, Verbindungsgänge, Sprengtrichter und Granatlöcher,
-überall sitzen sie wie festgeschraubt und zerren so viel Feinde mit in
-den Tod, wie sie können. In einem Verbindungsgraben hat sich, mit zwei
-Gewehren, ein französischer Offizier eingenistet, der unaufhörlich
-feuert. Ein Soldat hockt neben ihm und ladet ihm die Gewehre. Es ist ein
-Einzelgefecht im großen Kampfe, bis es gelingt, den kühnen Gegner zu
-vernichten. Ein Hauptmann bedient einen verborgenen Minenwerfer, obschon
-seine Leute ringsum gefallen sind. Er kämpft mit äußerster
-Todesverachtung, bis ihn ein Schlesier niederschlägt.
-
-Schon beginnt wieder das Dickicht. Tausendfach schwirrt der Tod durch
-den Wald. Ein Fort, ein eingegrabenes Blockhaus. Ein paar Pioniere
-heran, Sprengladung angebracht, fort! Das Blockhaus fliegt in die Luft.
-Der Feind läßt eine Mine hochgehen, Steine und Erde hagelt es aus der
-Luft. Im nächsten Augenblick sitzen unsre Grauen im Sprengtrichter und
-verteidigen ihn nach allen Seiten. Es sind rasche Teufel, man muß es
-zugeben!
-
-Der Feind ist zersprengt, gefangen, geschlagen.
-
-Die Argonnenleute sind nicht zum Stehen zu bringen. Sie jagen weiter,
-die Höhe hinunter. Sie stürmen ein französisches Lager, vernichten, was
-sie vernichten können. Für all diese Fälle sind sie schon vorbereitet.
-Sie haben Beile bei sich! Sie stürmen bis zu den feindlichen Geschützen
-vor und ringen mit den grauen Untieren, um sie wegzuschleppen, um sie
-auf die Höhe zu schaffen. Mit, alles mit, was mitgehen kann! Aber die
-Geschütze sind zu schwer, zu fest eingebaut – es ist menschenunmöglich,
-sie gefangenzunehmen und schon nahen französische Reserven. Kurzer
-Prozeß! Sie schlagen kaputt, was sich kaputt schlagen läßt, die
-Richtvorrichtungen, die Verschlüsse. Sie schieben den grauen Untieren
-noch rasch ein paar Handgranaten ins Maul, um sie zu zerstören.
-
-Es ist höchste Zeit! Einer wirft noch rasch eine Handgranate in das
-Munitionslager und es fliegt in die Luft.
-
-Zurück! In stehender Schützenlinie feuern sie auf die anrückenden
-Reserven ...
-
-Der einzelne zählt hier, der einzelne Mann, er muß rasch, kühn, verwegen
-handeln.
-
-
-
-
- Der Krieg unter der Erde
-
-
- Im Juli
-
-In die Erde sind die Gräben eingewühlt, tiefe, krumme Rinnen. Sie laufen
-quer durch Felder und Wälder, Dörfer und Friedhöfe, sie nehmen keine
-Rücksicht. Vor den Gräben sind die Drahtverhaue, niedrige, kriechende
-Gestrüppe mit eisernen Dornen. Diese Dornengestrüppe sind Geschöpfe des
-Menschen von heute. Sie tragen keine Früchte, der Mensch stirbt in ihnen
-wie die Fliege in den Haarborsten der fleischfressenden Pflanze.
-Zwischen den Drahtverhauen, hinüber und herüber, schwirren die
-Gewehrkugeln. Aus dem wassergekühlten Lauf des Maschinengewehres stürzen
-sich die zischenden Schwärme. Die Granate kommt aus weiter Ferne herüber
-und tastet nach allem, was lebt. Mehr, noch mehr. Die zentnerschweren
-Wurfminen stürzen aus den Gräben heraus, in die feindlichen Gräben
-hinüber. Die Handgranaten fliegen. Das ist noch lange nicht alles! Wir,
-die wir in der Luft, im Wasser, unter dem Wasser, auf den Schneefeldern
-und in der Wüste kämpfen, wir kämpfen heute auch unter der Erde. Wo die
-Gräben sich einander nähern, kommt zum Grabenkrieg noch der Minenkrieg.
-Weiter geht es nicht.
-
-Es ist der Krieg der Pioniere!
-
-Erst waren sie hinten, Stege und Brücken, dann kamen sie vor,
-Unterstände, Gräben und Drahtverhaue. Und schließlich begannen sie ihren
-eigenen Krieg, auf ihre Weise. Heute sind sie vorn bei den Vordersten,
-und wo der Mann fällt, fällt der Pionier mit ihm.
-
-Sie sind Teufelskerle und ohne sie geht es nicht mehr. Sie sind
-unentbehrlich, geliebt und bewundert.
-
-Also sie kommen, Offizier und Mann, und betrachten sich die Sache. Sie
-zögern nicht lange, es ist nicht ihre Art, lange zu fackeln. Sie fangen
-an. Hinein in die Erde! Es ist ein Loch, ein Brunnen, ein Schacht. Ganze
-Stockwerke tief. Knüppelleitern und Leitern von Stricken führen hinab.
-Dann geht es vorwärts, unter den Gräben und Drahtverhauen hindurch. Von
-da aus geht es nach rechts und nach links. Der Stollen wächst. Eine
-Anzahl von Schächten wird in die Erde getrieben, und die Stollen
-strahlen von ihnen aus. Galerien und Korridore verbinden die Stollen
-unter der Erde. Da unten in der Dunkelheit sind neue Laufgräben
-entstanden. Spitzhacke und Spaten und Druckluftbohrer fressen sich durch
-Erde und Stein und es entsteht ein richtiges Bergwerk.
-
-„Wir haben da und dort eine Mine gesprengt.“ Wer denkt sich etwas dabei?
-Niemand. Wer kennt die furchtbare Arbeit?
-
-Sie suchen hier unter der Erde nicht nach Erzen, sie suchen nach dem
-Menschen, sie wollen ihn von unten fassen, da es von oben nicht genügt.
-
-Schwer und hart ist die Arbeit des Pioniers. Acht Stunden lang schleppt
-er ununterbrochen Erde und Gestein durch die düsteren Stollen. Oben, im
-Licht der Sonne, schüttet er die Erde aus, und wenn der Feind sieht, daß
-neue Erdwälle entstehen, so schießt er augenblicklich mit Granaten
-hinein. Aber der Pionier? Nun, der Pionier tut seine Pflicht.
-
-Mit Kompaß und Meßband wird hier unten gearbeitet. Es handelt sich um
-geringste Winkel, Gefälle und Steigung, um Meter und halbe Meter. Züge
-mit Grubenhölzern rollen heran, die Pioniere schleppen Tag und Nacht
-Holz und Balken durch die Stollen, um sie auszubauen, damit sie ihnen
-nicht über dem Kopf zusammenbrechen eines Tages. Das wäre eine hübsche
-Geschichte! Kilometerlang sind oft Gänge und Galerien unter der Erde.
-Aber niemand sieht sie, niemand kennt die Arbeit der Pioniere.
-
-Es ist eine Arbeit von Wochen und Monaten, eine Arbeit von Schweiß,
-Überlegung und Mut.
-
-Wie steht es? Baut auch _er_? Der Pionier lauscht drunten in seiner
-Nacht. Der Pionier lugt aus, ob nicht drüben bei ihm auffallend viel
-Erde aufgeworfen wird. Es regnet in Strömen, tagelang, und der Pionier
-horcht: Ja, seine Pumpen spielen! Er hat Wasser in die Stollen bekommen.
-
-Natürlich baut er, der Franzose. Er hat den Anfang damit gemacht und ist
-Meister in diesen Dingen.
-
-Mit List und größter Vorsicht wird dieser Krieg unter der Erde, in der
-Finsternis, geführt, viele Meter unter dem Boden. Eines Tages, in einer
-Stunde der Nacht, während draußen die Gewehre peitschen und die
-Leuchtkugeln alles taghell beleuchten, in einer glücklichen Minute hört
-man ihn schaben und scharren, ihn, der von drüben herübergekommen ist,
-in den Wochen, in den Monaten, und der, wie wir, versucht, den Feind von
-unten zu packen, weil es von oben nicht genügt. Der Pionier, der ein
-ganzer Kerl ist und seine Sache versteht, weiß genau, was er zu tun hat.
-Mit seinen feinen Ohren horcht er und sagt sich, es sind vier Meter, es
-sind sechs Meter. Ist er rechts, links, oben, unten, feine Ohren gehören
-dazu. Der Offizier liegt in seinem Unterstand auf seiner Pritsche und
-schläft, da tutet das Telephon: Es sind vier Meter, ich glaube, er ist
-über uns. Nun schön, sagt der Offizier, ich komme morgen in aller Frühe.
-
-Nun heißt es handeln! Man muß arbeiten und schaben, damit er drüben
-nicht merkt, daß man ihn gehört hat. Es ist ja wahrscheinlich, daß auch
-er es gehört hat mit seinen feinen Ohren. Der große Augenblick ist
-gekommen. Es handelt sich um Minuten. Die Sprengladung wird
-herbeigeschafft. Sandsäcke, ganze Berge von Sandsäcken werden durch den
-Brunnenschacht hinunter in den Stollen getragen. Die Pioniere wimmeln
-wie Ratten in der Dunkelheit, aber die Leute vorn arbeiten weiter. Sie
-markieren die Arbeit, aber es muß verdammt geschickt gemacht werden. Die
-Art des Schlagens und Schabens, obwohl nur markiert wird, darf sich um
-nichts von der wirklichen Arbeit unterscheiden, denn er drüben in den
-Stollen ist listig wie ein Fuchs. Er wird sich in den Bart lachen und
-sagen: Sie markieren jetzt, aber fünf Minuten früher werde _ich_
-sprengen. Dann lebt wohl, Pioniere, Offizier und Mann!
-
-Peinlich genau werden die Kisten mit der Sprengladung aufgebaut, mit
-Sprengkapseln versehen, aber währenddessen wird ohne Pause das Wühlen
-und Graben fortgesetzt, und er, der die Sache macht, muß ein Künstler
-sein, soll das Werk gelingen. Rasch, rasch!
-
-Die Pioniere hocken im düsteren Stollen. Die Sandsäcke wandern in
-fieberhafter Hast von Arm zu Arm. Die Sprengladung muß eingebaut und ein
-meterdicker fester Wall davor gerammt werden. Sonst würde die Ladung
-unsre Stollen zerreißen und nicht hoch gehen. Die Säcke wandern rascher
-und rascher, und der Schweiß stürzt in Strömen über das Gesicht der
-Pioniere. Mann für Mann gibt sein Letztes her! Der vorderste arbeitet
-wie ein Besessener, stark und geschickt muß er sein, und baut die Mauer.
-Rasch, immer rascher muß es gehen. Er spürt seine Arme nicht mehr, wenn
-die Arbeit getan ist. Zurück! Die Leitungsdrähte werden sorgfältig
-durchgezogen, die Pioniere stieben rückwärts, rasch, rasch! Und der
-Offizier, der Offizier der Pioniere, sagt zu den Grauen in den Gräben:
-Also jetzt geht es los, Achtung! In drei Minuten wird gesprengt. Die
-Grauen verschwinden in den Unterständen und ziehen die Köpfe ein.
-
-Der Boden wankt, die Mine fliegt hoch! Sie zerreißt die Erde, der Boden
-öffnet sich und Steine und Erde jagen Hunderte von Metern hoch. Ein
-Vulkan speit. Schwarz und grau steht turmhoch die Rauch- und Staubsäule.
-In dem Rauch jagen Sandsäcke und Menschenleiber in die Höhe und flattern
-Kleidungsstücke, die der Luftdruck von den Körpern riß. Achtung! Nun
-kommen sie herunter. Die Steine prasseln auf die Gräben herab.
-
-Aber noch regnet es Steine und Trümmer und der Rauch steht noch
-undurchdringlich: da sind die Grauen schon aus den Gräben, schon vorn!
-Und ehe der Rauch sich verzogen hat, sitzen sie schon in dem
-Sprengtrichter, der groß ist wie eine Zirkusmanege. Alles war
-vorbereitet, sie hatten nur gelauert. Alles war bereit, Gewehre,
-Munition, Handgranaten, Maschinengewehre. Und mit den Grauen sind auch
-schon die Pioniere da, mit Sandsäcken, und beginnen wie die Ameisen zu
-bauen. Wälle, Schutzschilde, provisorische Unterstände: Nun mag er
-kommen! Und schon sind die Pioniere _hinten_ an der Arbeit, um eine
-Sappe zu der neuen Festung vorzutreiben. Wir haben zwanzig Meter,
-dreißig Meter gewonnen, wir haben unsere Stellung verbessert, wir haben
-seine unterirdischen Stollen zerstört.
-
-In den Zeitungen steht die Notiz: Da und dort haben wir eine Mine
-gesprengt. Aber niemand weiß, welche Arbeit, wieviel List und Kühnheit
-dazu gehört. Die Pioniere sind Leute, die nicht viel reden.
-
-Das ist der Krieg unter der Erde, der neueste, der furchtbarste. Tag und
-Nacht wird gegraben und gewühlt. Eine Mine fliegt hoch, an dieser und
-jener Stelle der Front. Man treibt die Stollen bis unter die Gräben der
-Feinde, und ein Grabenstück mit allem, was da drinnen ist, geht in die
-Luft, Menschen, Munition, Kochgeschirre und Waffen.
-
-Für den Sturm werden Stollen vorbereitet und fliegen auf in der Sekunde,
-in der es sein muß.
-
-Wehe aber, wenn er zuerst sprengt, eine Minute früher: Offizier und
-Pionier, sie gruben ihr eigenes Grab. Aber sie wissen, was sie tun, sie
-wissen, wofür sie es tun.
-
-
-
-
- La Bassée
-
-
- Im August
-
-Um sechs Uhr nachmittags verschwinden die Leute von Lille von der
-Straße. Um neun Uhr wird es Nacht und Lille ist tot. Nur vereinzelt ein
-erleuchtetes Fenster und Stimmen dahinter. Die Schritte hallen. Ein
-Polizeisoldat, ein Feldgrauer mit der schwarzweißroten Binde am Arm,
-schlürft an den verschlossenen, finsteren Häusern entlang. Eine
-Radfahrerpatrouille gleitet schweigend durch die nächtige Straße. Ein
-paar verspätete Offiziere. Man kann stundenlang durch Straßen und
-Boulevards wandern, keine Katze regt sich. Lille schläft.
-
-Von draußen, aus der Nacht, dringt der Lärm des Gewehrfeuers. Man hört
-es ganz deutlich, jeden einzelnen Schuß. So nahe sind die Gräben! Es
-pocht, dumpf und hart, wie eine Negertrommel. Eine Reihe von Schlägen,
-dazwischen ein rollender Wirbel. Dann beginnt es zu prasseln und zu
-knattern, metallen. Die Maschinengewehre hämmern. Ein Nachtgefecht, ein
-paar Gräben sind lebendig geworden. Das Feuer wird lebhafter, es
-prasselt minutenlang ohne jede Pause. Aber Lille schläft. Es öffnet sich
-kein Fenster, kein Kopf lauscht hinaus in die Nacht. Kein Herz schlägt
-rascher, erregt von einer leisen Hoffnung. Nein! Sie wissen es jetzt.
-Seit Monaten, seit dem Herbst hören sie das Rollen des Gewehrfeuers in
-der Nacht, sie wissen, es bedeutet – nichts. Sie schlafen, sie halten
-sich die Ohren zu, um es nicht zu hören, lange genug haben sie sich
-betrogen mit Hoffnungen, Ahnungen, Gerüchten, sie glauben es nicht mehr.
-Morgen um fünf Uhr wird der Flieger, klein wie ein Punkt, über der Stadt
-erscheinen, und die Abwehrgeschütze werden krachen, aber sie wissen,
-auch das bedeutet – nichts. Das Quälendste für den Menschen ist das
-Warten, es tötet alle Kraft zu hoffen.
-
-Nein, Lille schläft, es will nicht aufwachen!
-
-Niemals war eine Stadt so still und so dunkel. Punkt drei Uhr kommt das
-Auto, das mich hinausbringen soll zu den Gräben, und wir machen uns auf
-die Reise.
-
-Das Feuer hat aufgehört, die Stadt ist noch stiller geworden. Sie
-schläft nicht, sie liegt in einer Art von Totenstarre. Das Auto gleitet
-zwischen schwarzen Häusern dahin. Kein Schnarchen hinter den dunkeln
-Fenstern, kein Kinderweinen, stumm, alles stumm. Die große Stadt ist
-tot. Wir rollen durch finstere Straßen, über öde Plätze und leere
-Boulevards. Eine rote Lampe schwingt am Ende der Straße hin und her. Aus
-der Finsternis taucht ein massiges schwarzes Festungstor. Die Wache
-tritt vor und blendet mit der Lampe über Wagen und Insassen. Weiter!
-
-Nun ist es plötzlich noch finsterer geworden. Die Lampe des Autos
-leuchtet wie ein Scheinwerfer in die Nacht hinein. Wir jagen an fahlen
-Baumstämmen vorüber, durch Grotten von bleichgrünem Laub. Alleen,
-Straßen. Der Wagen nimmt Erhöhungen der Straße wie ein Segelboot die
-Woge, er tanzt, in den Kurven fegt er haarscharf an den Bäumen entlang
-und die Zweige peitschen unsere Gesichter. Es ist kalt und die satte
-Luft der Nacht stürzt uns entgegen. Die Bäume rauschen und brausen im
-Wind. Aufgescheuchte Tiere, kalkbleich, huschen über den Weg und Funken
-stieben blitzschnell vorüber. Das sind Motten, vom Lichtkegel getroffen
-und vom Luftdruck zur Seite geschleudert. Tote, schlafende Dörfer. Kein
-Laut, kein Mensch. Der Motor donnert. Rote Backsteinhäuser flammen im
-Lichtschein auf und sinken augenblicklich wieder in die Finsternis
-zurück. Die erschrockenen Augen einer schneeweißen Katze. Ein Posten.
-Ein paar laute Rufe wehen vorbei. Weiter! Der Wagen fliegt. Herrlich ist
-die Fahrt. Über uns stehen glitzernd und klar die Sterne des
-Sommerhimmels. Wir schweigen. Jeder ist in seine Gedanken versunken.
-
-Hier auf dieser Straße marschierten sie, die Kolonnen, Kompanien,
-Regimenter, im Herbst. In die Schlacht von La Bassée. Freiwillige,
-Studenten. Sie stürmten dahin, sie sangen, ihre Augen sprühten.
-Vorwärts! Viele kehrten diese Straße nicht zurück! An der Straße stehen
-seltsam geformte Büsche; wie Frauengestalten, die die Hände vor das
-Gesicht breiten, erscheinen sie in der Nacht. Hier, dort, überall. An
-der Straße stehen Steine, die aufleuchten, sich gespensterhaft neben der
-Straße emporrichten, wie Geister, die uns betrachten wollen, die alles
-sehen wollen, was diese Straße kommt. Kleine weiße Kreuze stehen an der
-Straße, man sieht sie weithin leuchten, wenn der Lichtkegel sie trifft.
-Und fliegen wir vorüber, so drehen sie sich mit einem Ruck uns zu. Der
-Herbst ist nahe und immer noch marschieren hier die Kolonnen, die
-Kompanien und Regimenter. In der Nacht wandern sie dahin. Sie singen
-nicht mehr. Wenn sie sängen, so kämen die Granaten. Dies ist der Grund,
-weshalb sie nicht mehr singen.
-
-Von den Gräben her hallen Schüsse. Sie klingen näher und näher, denn wir
-sind rasch. Dann und wann schlägt dumpf ein Geschütz, irgendwo. Auch
-nachts kann es hier außen keine Ruhe geben. Seit Monaten lärmt hier der
-Mensch. Ein paar Furagewagen knarren die Straße entlang. Die Pferde
-schlafen im Gehen und fahren unruhig auf, sobald der Lichtkegel sie
-faßt. Die Kutscher reißen sich zusammen. Neben der Straße werden die
-Granattrichter häufiger. Viele sind ganz frisch. Der Wagen humpelt über
-Erde und Steine. Die Granate schlug mitten in den Weg. Vor ein paar
-Stunden war es hier keineswegs gemütlich. Zweige und Äste, das Laub noch
-grün und saftig, liegen auf der Chaussee. Baumkronen sind zerfetzt,
-Splitter hängen von den Stämmen. Plötzlich zieht der Fahrer mit einem
-Ruck die Handbremse an und hält. Ein Baum ist quer über die Straße
-gestürzt. Er ist gefallen wie ein Soldat und hingeschlagen. Die Granate
-schnitt ihn über der Wurzel glatt durch und warf ihn aufs Gesicht. Seine
-Zweige sind noch grün und rauschen im Wind, wälzen sich hin und her und
-wissen noch nichts. Der Motor brummt, die Räder springen in die Höhe,
-hinüber.
-
-Ein Dorf. Der Posten winkt. Wir müssen die Lampe löschen. Durch die
-Dunkelheit tasten wir uns weiter. Die Gewehre knallen. Ein schweres
-Geschütz in der Nähe reißt laut krachend ab und die Granate rauscht in
-das Dunkel hinein. Kein Zweifel, die Nacht geht zu Ende. Draußen bei den
-Gräben steigt zuweilen eine Leuchtkugel empor. Bleich und sprühend, wie
-ein gleißender Mond steht sie über der nächtigen Erde. Die Gewehre
-lärmen aufgescheucht, dann wird es wieder still. Die Leuchtkugel sinkt
-erblassend, ganz langsam, zur dunklen Erde herab. Nun aber steht rechts,
-zwischen den Pappeln, ein funkelndes Leuchtfeuer, grellweiß und drohend.
-Wiederum kracht das schwere Geschütz, und die Granate nimmt fauchend und
-gurgelnd ihre Bahn über unsere Köpfe hinweg.
-
-Die Sterne erblassen, die Landschaft wird fahl. Nebel steigt aus den
-Feldern. Das Auto fliegt. Wir haben Eile, denn die Straße liegt in Sicht
-des Feindes. Bevor es tagt, müssen wir an Ort und Stelle sein.
-
-Aus dem grauenden Morgen heben sich die fahlen, verschwimmenden Umrisse
-einer Stadt: _La Bassée_. Ein paar Soldaten in Hemdsärmeln, fröstelnd in
-der Morgenkühle, stehen an der Straße. Leichenhaft erscheint La Bassée
-im frühen Licht. Kein Mensch, kein Tier ist hier zurückgeblieben. Von
-ein paar Wachen abgesehen, haust hier kein Soldat. Die letzten Einwohner
-mußten schon vor Wochen den Ort verlassen, denn La Bassée liegt ständig
-unter schwerem Feuer. Die Kirche ist ein Trümmerhaufen, ganze Häuser
-sind in die Luft geflogen. Granateinschläge überall. Die Stadt sieht aus
-wie von einem Erdbeben zerrissen. Erst schossen wir hinein, dann
-übernahm es der Engländer. Hunderte, Tausende von Granaten fielen auf La
-Bassée. Es gibt nur wenig Häuser, die unversehrt sind.
-
-Der Musikpavillon aber steht noch auf dem Marktplatz wie im Frieden.
-
-Das Auto biegt in eine schmale Gasse ein. Sie ist düster und voller
-Qualm. Ein Haus brennt, von einer Granate in der Nacht in Brand gesetzt.
-Niemand löscht, niemand kümmert sich darum. Laß es brennen! Die Flammen
-lecken aus den Fenstern, sie sind ganz allein, niemand stört sie, und
-sie arbeiten ruhig und langsam weiter. Qualm wirbelt durch das verkohlte
-Gebälk. Im Hause drinnen klettert das Feuer über eine purpurrote Tapete
-mit zarten Empiregirlanden. Die Scherben des geplatzten Spiegels
-funkeln. Hier lebten einst Menschen.
-
-Wir tasten uns durch den ätzenden Rauch, der Chauffeur flucht. Wir
-fahren weiter, hinaus zu den Gräben.
-
-
-
-
- Die Gräben bei La Bassée
-
-
- Im August
-
-Der Kommandeur ist frühzeitig aufgestanden. Fix und fertig angekleidet
-kommt er aus seinem Unterstand geklettert. Sein Gesicht ist gerötet von
-der Frische des Morgens. Ein kleiner, rührender Friedhof mit Kreuzen auf
-den Gräbern und Blumen, Granattrichter und ein Haufe zusammengestürzten
-Mauerwerks, das ist seine Aussicht. Das Regiment liegt hier seit
-Monaten, aber der Kommandeur sieht aus, als sei er auf weitere Monate
-eingestellt. Er ist in seinem Dachsbau zu Hause, und was die Aussicht
-anbetrifft, so ist ihm das vollkommen gleichgültig.
-
-Er telephoniert seinen Offizieren, daß sie uns einen Führer durch den
-Annäherungsgraben entgegenschicken sollen, damit wir uns nicht verirren,
-und wir steigen in den Graben.
-
-„Fünf Uhr dreißig Minuten werden unsere 21er die neuen englischen Gräben
-eindecken. Seien Sie bis dahin zurück, denn es ist wahrscheinlich, daß
-er antwortet. Alles Gute!“
-
-Wir trollen zwischen den Lehmwänden und Sandsäcken dahin. Eine
-Viertelstunde sind wir unterwegs, Geschütze pochen, da pfeift und saust
-es in der Luft, ein sonderbares und nicht zu verkennendes Pfeifen. Wir
-ducken uns zusammen. Mit einem höllischen Sang, böse zischend, fährt die
-Granate über unsere Köpfe weg. Kaum ist sie vorüber, kommt die zweite
-angefegt, in der nächsten Sekunde die dritte und dahinter die vierte. In
-einem Höllentempo jagen sie dahin, eins, zwei, als wollten sie einander
-einholen. Im Bruchteil einer Sekunde sind sie vorüber, man sieht sie
-nicht, aber in meiner Vorstellung haben sie die Gestalt von Schlangen
-angenommen, von höllischen Vipern, die langgestreckt zischend durch die
-Luft fahren. Die Einschläge klingen nahezu wie ein einziger Krach, als
-würden ein paar schwere Eisentüren fast gleichzeitig ins Schloß
-geschmettert.
-
-So! Aber wir haben uns kaum von dem Schrecken erholt, als die zweite
-Lage pfeifend und fauchend angefegt kommt und uns über die Köpfe zischt.
-Eins, zwei, drei, vier und Schluß. Das war die Begrüßung.
-
-„Es sind Flachbahngeschosse,“ sagt der Hauptmann, „sie zischen so
-blödsinnig!“
-
-In den Gräben ist man schon munter. Die Gewehre peitschen, und die
-Spitzkugeln fahren summend und singend über uns dahin. Die Engländer
-haben die Morgenarbeit aufgenommen und knallen, um vollends wach zu
-werden. Sie passen verflucht auf. Sobald man die Mütze über die
-Sandsäcke streckt, kommt eine Kugel herüber. Draußen ist nichts zu
-sehen: Drahtverhaue, eine verwilderte Wiese, ein Erdwall, hinter dem es
-sich zuweilen bewegt. Das ist alles.
-
-Unsere Grauen sind auf dem Posten. Die runde Mütze in die Stirn
-gedrückt, stehen sie und lugen durch Schießscharten und Spiegelapparate.
-Sie rücken die Gewehre, tasten hin und her, setzen ab, zielen von neuem.
-Plötzlich erstarrt das Gesicht auf eine Sekunde: Schuß! Sie spaßen
-nicht, o nein, sie nehmen es verdammt ernst und gewissenhaft. Sie sind
-ganz bei der Sache. Alle paar Schritte steht ein Grauer und lauert.
-
-So stehen sie von der Nordsee angefangen bis hinunter zur Schweiz. So
-stehen Hunderttausende, Tag und Nacht, seit zehn Monaten, jetzt und in
-dieser Sekunde. So stehen sie, bis die tausendste Kugel kommt und sie in
-den Graben wirft. Wer sie gesehen hat, die Treuen, muß immer an sie
-denken: wie sie stehen, lauern, zielen, feuern, unermüdlich.
-
-Eine unheimliche Spannung herrscht zwischen den beiden Labyrinthen der
-Gräben. Wie zwischen zwei Gewitterwolken. Sie verdichtet sich, die Kugel
-blitzt hinüber, herüber.
-
-Die andern frühstücken. Sie trinken Kaffee aus Blechbüchsen, streichen
-sich Butterbrote, schneiden Fleisch aus den Dosen. Über ihren Köpfen die
-Ballen von Sandsäcken, die Maschinengewehre, das Gespinst der raschen
-Kugeln. Andre liegen in ihren kleinen Nischen, die schmutzigen Stiefel
-unter den Mantel gezogen, und schnarchen. Sie liegen schlafend mitten im
-Graben, und man muß über sie hinwegklettern. Sind sie tot, leben sie?
-Man kann es nicht sagen.
-
-Ein Teil der Gräben ist zusammengetrommelt und wird instand gesetzt. Die
-Sandsäcke sind durcheinandergeschleudert, aufgeschlitzt und gelb von den
-Schwefelgranaten, die der Engländer feuert. Ich greife rasch nach einer
-Zigarette. Hier stinkt es grauenvoll! Der unsagbare Gestank wirft mich
-nahezu um. Schon beim Gedanken an diesen Gestank wird mir übel. Es ist
-der penetrante Geruch von Raubtieren, verhundertfacht, vermischt mit
-allerlei Unsagbarem und Scheußlichem, es ist die Pest, es ist der
-_verwesende Mensch_. Die Engländer faulen hier!
-
-Arme Schufte, für ein paar Schillinge die Woche –. French jagte sie hier
-in den Tod.
-
-Der Engländer schont seine Regimenter. Er spart Soldaten. Gott weiß, ob
-er sie nicht einmal gut gebrauchen kann, so gegen den Schluß zu, wenn
-der Partner genug hat? Dann ist es immer eine herrliche Sache, ein paar
-frische und nagelneue Divisionen an der Hand zu haben, die im
-Hintergrund in Paradestellung verharren, während man mit dem Partner in
-aller Höflichkeit über die Bedingungen verhandelt. Aber von Zeit zu Zeit
-ist es unbedingt notwendig, so zu tun, als mache man ernsthaft mit. Dann
-opfert French ein paar Regimenter, um den Franzosen seine Verlustlisten
-unter die Nase halten zu können. In erster Linie gibt er den Kanadiern,
-Irländern und Indern Gelegenheit, Beweise ihrer Loyalität zu geben.
-Siehe Ypern, Neuve Chapelle. Wird es Ernst, so zieht er gern seine
-englischen Regimenter aus den Gräben und wirft Überseeische und Farbige
-nach vorn. Man muß zugeben, er versteht seine Sache! Aber sie allein
-können ja nicht _alle_ schwere Arbeit verrichten, das ist natürlich.
-
-Als die Franzosen sich bei Arras und Souchez verbluteten, konnte er
-nicht ganz müßig bleiben. Es galt Truppen und Artillerie abzuziehen. Er
-entschloß sich, anzugreifen, und es muß gesagt werden, er meinte es
-diesmal bitter ernst! Trommelfeuer, Angriff auf Angriff. Erbitterte
-Grabenkämpfe. Die Toten liegen in Haufen vor unsern Drähten. Unsere
-Grauen wanken und weichen nicht.
-
-Gegen die Gräben, durch die ich mich jetzt winde, gegen die sogenannte
-Trichterstellung, warf er drei Divisionen. Er faßt Fuß, aber eine Stunde
-später fliegt er wieder hinaus. Der Angriff war furchtbar, er wurde
-trotz der Übermacht abgewiesen. So geht es nicht.
-
-Er versucht es von neuem. Er versucht es ohne Artillerievorbereitung. Er
-will uns überraschen. Seine Sturmkolonnen fluten heran. Aber die Grauen
-sind auf dem Posten! Innerhalb von 30 Sekunden (dreißig Sekunden) legt
-unsere Artillerie einen Feuerriegel vor die Gräben, daß den Engländern
-Hören und Sehen vergeht. Sie müssen zurück, ungeheuer sind ihre
-Verluste.
-
-Es ging auch so nicht. Nicht einen Meter haben sie gewonnen.
-
-Sie haben genug, sie haben den Franzosen gezeigt, daß sie es ernst
-meinten – aber es ging nicht. Sie geben es auf. Aber sie werden die
-Gräben von Givenchy und Festubert nicht vergessen. –
-
-Nun liegen sie in den Massengräbern, die unsere Grauen schaufelten, und
-verwesen. Hier sind einige Wassertümpel voll einer gelben dicken Jauche,
-und auch diese Tümpel strömen denselben furchtbaren Gestank aus. Niemand
-wagt zu denken, wie es da unten aussieht! – Unsere Grauen aber
-frühstücken, schneiden Fleisch aus den Büchsen und schmieren sich dicke
-Butterbrote. An alles gewöhnt sich der Mensch.
-
-Wir überschreiten auf einer Planke die gelbe Tümpelkette. Hier gibt es
-keine Deckung, und so rasch es geht huschen wir hinüber. Einer hinter
-dem andern. Aber die Schufte haben uns doch gesehen. Ein paar Minuten
-sind wir in der Sappe unterwegs, da weint es in der Luft und die Granate
-schlägt krachend ein. Wir machen uns aus dem Staub. Granate um Granate
-segelt daher. Vorsichtig lugen wir aus dem Graben und sehen die
-Einschläge rauchen. Weitab! Aber plötzlich kommen sie wieder näher und
-schließlich müssen wir die Beine strecken. –
-
-Punkt fünf Uhr dreißig Minuten, auf die Sekunde, nehmen die 21er das
-Feuer auf. Die Granate winselt hoch über uns durch die Luft. Drei
-Sekunden Stille, dann ein Krachen, als stürze ein Haus aus Eisen
-zusammen. Der Boden bebt unter unsern Füßen. Schon kommt die nächste
-Granate angeweint. Sie braucht eine unendlich lange Zeit, bis sie ihre
-Bahn durchfegt. Einschlag auf Einschlag! Es ist wie ein schweres
-Gewitter mit harten Donnerschlägen. Der Engländer antwortet. Er sucht
-aufgeregt und wütend unsere Haubitzen. Geradeaus, am Horizont, stehen
-die Rauchfahnen seiner Granaten, schwarz und schiefergrau.
-
-Wir sitzen im Bataillonsunterstand und trinken Kaffee. Die Granaten
-weinen über uns hin. Die schweren Geschütze erschüttern die Luft mit
-ihrem Gebrumm.
-
-„Fragen Sie telephonisch an, wie es steht.“
-
-Das Telephon tutet. Von den Gräben kommt die Antwort zurück: „Der Erfolg
-ist überraschend günstig.“
-
-Es ist ein Morgen wie jeder andere. Ein Duell zwischen ein paar
-Batterien, nichts sonst. Die Berichte bringen nicht eine Silbe darüber.
-
-
-
-
- „Dicke Luft“
-
-
- Im August
-
-In den Argonnen riecht es nach Chlor, in den Gräben nach Verwesung und
-schrecklichen Dingen, aber hier außen, in der Gegend von La Bassée – ist
-es nicht sonderbar? – duftet es wohlriechend wie in den Gemächern einer
-verwöhnten Dame. Es riecht nach Parfüm, nach Flieder, Veilchen und
-anderen schönen Dingen. Seit dem Herbst liegt dieser zarte Parfümgeruch
-über dem Lande, einmal schwächer, einmal stärker, je nach dem Winde.
-Dieser Duft stammt von den Parfümfabriken in Illies, die im Herbst
-zerstört wurden.
-
-Das ist aber auch alles, was aus einer Zeit herrührt, da man noch an
-eine Verschönerung des Daseins dachte. Heute handelt es sich für
-Millionen darum, das Leben zu retten, das nackte Leben ohne alle
-Zusätze.
-
-Die ganze Gegend bei La Bassée ist jammervoll. Leer, elend. Gräber,
-Granattrichter, zersplitterte Bäume. Die Felder verkommen und
-verwildert. Wo sind die Menschen? Sie sind längst geflohen vor den
-englischen Granaten! Sie wurden zerrissen in ihren Bauernbetten, die
-Granate zerschmetterte sie, während sie Futter für ihre Ziege holten. So
-blieb ihnen nichts anderes übrig, den Unglücklichen, die sich
-verzweifelt an ihre Scholle klammerten. Sie hielten es wochenlang,
-monatelang aus. Im Herbst sah ich oben bei Illies in einem Dorf eine
-alte Frau vor ihrem Häuschen sitzen und Kartoffeln schälen, während das
-Dorf (ich glaube Herlies) unter schwerem Feuer lag. Es gab bleiche
-Gesichter unter den Soldaten, aber die Alte schälte inmitten des
-Geschützgewitters ihre Kartoffeln ruhig und gleichmütig, und zu ihren
-Füßen spielte ein sechsjähriges Mädchen. Sie wollte lieber sterben, als
-das Stück Erde verlassen, das sie seit sechzig Jahren bewohnte. Viele
-starben so. Dorf um Dorf beschoß der Engländer; um einen Soldaten zu
-töten, tötete er drei Franzosen, aber es waren ja keine Engländer, auf
-die er feuerte. Die Dörfer leerten sich, eines ums andere, und heute
-sind sie ausgestorben.
-
-Dörfer, Städtchen, Weiler und Gehöfte, wie mit einem großen Hammer
-zerschlagen sehen sie aus. Sie sinken zusammen, täglich etwas mehr, die
-Granate frißt sie auf. Sie sind nur noch Gespenster und Gerippe von
-Wohnstätten, aber der Engländer funkt täglich in die Ruinen, bald wird
-keine Mauer mehr stehen. Es ist ein billiges Vergnügen und kostet ihn
-keinen Pfennig. Sind es etwa seine Dörfer und Häuser? _Oh, by Jove, no!_
-Er wird eines Tages seine Kanonen zusammenpacken und nach Hause fahren,
-und der Franzose kann bezahlen. Man soll ihm nicht nachsagen können, er
-habe nicht gearbeitet. Von der Nordsee bis südlich La Bassée hat er
-alles kurz und klein geschossen. –
-
-Die Sonne blendet durch die zerfetzten, zerfallenen Häuser. Kein Mensch
-weit und breit. Granatlöcher größten Formats, viele ganz frisch. Ein
-zertrümmerter Wagen. Die Granate packte ihn und warf ihn ins Feld. Ein
-Schild: Violaines. Das Dorf ist ein Grab, mich fröstelt trotz der heißen
-Sonne.
-
-Wir verlassen die Straße und wandern querfeldein, um nach La Bassée
-zurückzukehren. Die Geschütze brummen.
-
-Plötzlich weint es böse in der Luft, eine, zwei Sekunden, und mit
-lautem, hartem Krach schlägt die Granate in das letzte Haus von
-Violaines, das wir soeben verlassen haben. Die Dachziegel fliegen durch
-die Luft wie ein aufgescheuchter Taubenschwarm, und schwarz wälzt sich
-die Wolke aus dem Hause. Wir sehen einander an. Was nun? Wieder schlägt
-dumpf ein Geschütz. Wir horchen. Schon kommt sie näher, sie
-weint und klagt, mit hoher Stimme, krach! Panzerplatten, die
-gegeneinanderschlagen. Grauschwarz, mit böse gekräuselten Rändern, wie
-Hagelwolken sie haben, brodelt die Wolke empor. Es sind schwere
-Schiffsgeschütze, Kaliber 28. Nun machen sie Ernst! Das Geschütz
-schlägt, unser Geschütz, wir kennen nun seine Stimme.
-
-Wir schwingen die Beine. Aber sobald die Granate da oben weint und
-winselt, bleiben wir stehen und horchen. Qualm wirbelt aus einer Scheune
-in die grelle Sonne. Der nächste Einschlag ist gottlob ferner. Ein
-schwefelgelber Rauchklumpen, der braungelb verweht, liegt im Felde und
-reckt sich. Eine Schwefelgranate. Das Feuer zieht sich nach La Bassée
-hin. Dazwischen kracht es scharf und hart: ein Schrapnell. Es streckt
-seine grauweißen Fangarme gierig in die leere Luft. Wir stoßen auf eine
-Batterie, die im Feld eingegraben ist.
-
-Die Kanoniere, sechs an der Zahl, stehen hinter den Geschützen, die Arme
-verschränkt, in Hemdärmeln, lachend und vergnügt, als fingen sie 28er
-Schiffsgranaten mit der bloßen Hand auf. Sie haben nur eine kleine Mauer
-aus Sandsäcken aufgebaut, die ihnen den Rücken decken soll, wenn sie an
-den Geschützen arbeiten. Neugierig lassen sie uns herankommen. Sie
-stehen keineswegs in Deckung, sie stehen im freien Felde, wie es sich
-für einen Kanonier gehört.
-
-Meine Begleiter sind hohe Stabsoffiziere, aber das kümmert die Kanoniere
-wenig. Sie sind die Herren dieses Feldes, das ist offenbar, und es ist
-schon eine große Freundlichkeit, wenn sie uns passieren lassen.
-
-„Guten Morgen!“
-
-„Gut’ Morg’n!“
-
-Sie wackeln ein bißchen mit den Beinen, rücken die Stiefel zusammen und
-bringen die Hände flüchtig in die Gegend der Hosennaht. Große Umstände
-machen sie nicht mit uns. Offizier und Mann, sagen sie sich, hier außen
-ist das schon so ziemlich eine Sache.
-
-Es sind ganz prachtvolle Burschen. Kaltblütig und ruhig stehen sie hier,
-während ein paar hundert Meter entfernt die schweren Granaten einhauen
-und jederzeit eine Granate abschwenken kann.
-
-Ein langer, der größte von ihnen, blinzelt belustigt. „Dicke Luft!“ sagt
-er und freut sich. Die Mütze sitzt ihm keck auf dem Ohr, die nackten
-braunen Arme hat er über dem offenen Hemd verschränkt. „Dicke Luft,“
-sagen die Grauen, wenn es etwas lebhaft zugeht.
-
-„Kann man quer durchs Feld nach La Bassée gehen?“
-
-„Das kann man schon!“ antwortet der Lange.
-
-„Übernehmen Sie die Garantie?“
-
-„Jawohl, die übernehme ich. Aber bleiben Sie bei der Fabrik dort nicht
-stehen. Da schießt er immer hin!“ Keck und forsch ist der Lange. Seine
-Kameraden sollen sehen, daß er nicht gleich die Fassung verliert, wenn
-ein paar Stabsoffiziere kommen. Das wäre noch schöner.
-
-Wir sind keine zwanzig Schritt gegangen, da ruft uns der Lange nach:
-„Immer ein bißchen fix, sonst garantiere ich für nichts.“ Sie lachen.
-Ich drehe mich um und sehe, daß sie die Mäuler vor Vergnügen aufreißen.
-Es amüsiert sie, daß wir durch die „dicke Luft“ hindurch müssen, während
-sie es so behaglich bei ihrem Dutzend Sandsäcken haben. Kleiner und
-dünner werden sie im Feld, aber ihre roten Gesichter sind immer noch auf
-uns gerichtet. Sie wollen sehen, wie wir hinüberkommen.
-
-Die Granate singt und pfeift, hoch oben, und schlägt links in die
-Fabrik. Hat er es nicht gesagt, der Tausendsasa? Rechts liegt das Feuer
-auf La Bassée und links auf der Fabrik. In der Mitte müssen wir
-hindurch, denn wir haben unser Auto in La Bassée eingestellt. Die
-englischen Granaten haben eine unserer Batterien aufgeweckt, und nun
-kracht sie dazwischen. Fegt die Granate hinüber, herüber? Es ist schwer
-zu sagen.
-
-Das ist eine hübsche Sache geworden, alle Wetter! Wir gehen
-hintereinander und pflügen uns den Weg durch Kräuter und Stauden. Die
-Sonne brennt, und der Schweiß steht auf unseren Gesichtern. Alle paar
-Augenblicke müssen wir über Telephondraht klettern. Und wieder schlägt
-unser Geschütz. Wir hören es deutlich aus dem Brummen und Pochen in der
-Ferne heraus. Nun haben sie abgerissen und die zwei Zentner auf die
-Reise geschickt. Die Granate fegt ihre Bahn. Es dauert viele Sekunden,
-bis sie herankommt. Sie weint, sie klagt, als sei sie in der Klemme und
-nicht wir. Näher, immer näher. Was in der nächsten Sekunde geschehen
-wird, wissen wir nicht. Sie ist vorüber. Einschlag – dort!
-
-La Bassée kommt näher, ganz langsam.
-
-Es ist ein großer Unterschied, ob man selbst feuert und zusieht, wie
-etwas beschossen wird, oder ob man persönlich dabei engagiert ist, ohne
-Frage.
-
-Bei den ersten Häusern kommt eine Granate angewinselt, näher und näher,
-aber plötzlich ist sie wie weggeblasen. Ein Blindgänger.
-
-Nun, da sind wir. Wir atmen auf. Die Häuser geben ein Gefühl der
-Sicherheit. Gegen einen Volltreffer ist nichts zu machen, natürlich,
-aber gegen Splitter ist man immerhin einigermaßen gedeckt.
-
-Die erste Straße ist ganz leer. In der zweiten sehen ein paar Feldgraue
-gemütlich aus dem Fenster. Sie sind unbekümmert und sorglos wie die
-Kanoniere draußen im Felde. Ja, sonderbare Burschen sind diese Grauen,
-das muß man sagen!
-
-„Was macht ihr hier?“
-
-„Wache!“
-
-Sie rauchen und haben es sich in der Stube behaglich gemacht. Daß ein
-bißchen geschossen wird, das kümmert sie nicht. Stürzt das Haus
-zusammen, so ziehen sie eine Tür weiter.
-
-In der leeren Straße will ein Fuhrwerk umwenden. Es ist mit zwei starken
-Pferden bespannt, und die Stränge sind in Unordnung gekommen. Vor,
-zurück, die schweren Pferde drängen gegen die Deichsel. Ärgerlich steigt
-der Fahrer vom Bock, und Mann und Kutscher fluchen. Es ist schließlich
-kein Vergnügen, in einer Stadt, die unter Feuer ist, stecken zu bleiben.
-–
-
-An den Hauswänden der toten, zerfetzten Stadt wandern wir entlang, und
-sobald die Granate pfeift, nehmen wir Deckung.
-
-Auto. Wir fegen mit Vollgas davon.
-
-Lebe wohl, La Bassée!
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-Es passieren aber doch die sonderbarsten Dinge! An einer Wegkreuzung
-halten wir. Ein General, hoch zu Roß, kommt des Weges. Exzellenz
-befinden sich auf dem Morgenritt.
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-„Geht es hier nach La Bassée?“ fragt der General.
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-„Jawohl, Exzellenz.“
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-Der General reitet weiter. Wir sehen einander verblüfft an. Nun,
-Exzellenz werden heute wohl den Morgenritt abkürzen!
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- Der Herr der Haubitzen
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- Im September
-
-Draußen in den Gräben von La Bassée und Violaines hörte ich plötzlich
-seinen Namen wieder. Von einer berühmten Batterie war die Rede. Als die
-Engländer einen Überfall ohne Artillerievorbereitung ausführen wollten,
-legte die Batterie innerhalb von dreißig Sekunden ein Höllenfeuer vor
-unsere Drähte, der Überfall brach kläglich zusammen. Dreißig Sekunden
-nach dem telephonischen Anruf krachte der erste Schuß! Ich verstehe
-nichts von Artillerie, aber ich begreife, daß es etwas ganz Unerhörtes
-ist. Laden, richten, Schuß! Und darauf Wirbelfeuer. Überhaupt diese
-Batterie! Man brauchte nur anzuklingeln und hatte die Granaten gerade
-da, wo man sie haben wollte, Tag und Nacht, es war ganz einerlei. Die
-Offiziere priesen die Batterie, ein Kanonengenie, Hauptmann H. heißt er.
-
-Ich kenne ihn. Plötzlich erinnerte ich mich auch, daß er, der mich durch
-sein ganzes Wesen bestach, so daß ich ihn nicht mehr vergessen werde,
-daß er mir sagte, er stehe gegenwärtig bei Violaines. Seht an, er war es
-also!
-
-Ich fuhr mit ihm im Zuge, und er erzählte. Er fuhr in Urlaub, seit
-Kriegsbeginn zum erstenmal. Er hatte Glück, es gab viel Arbeit, und
-eigentlich war es gerade jetzt unmöglich abzukommen, aber er hatte, wie
-gesagt, Glück. Er hatte keine Batterie mehr, und aus diesem Grunde
-konnte er nach Hause fahren. Auf ein paar Tage.
-
-Keine Batterie mehr?
-
-Ja, sie hatten ihm ein paar Geschütze kaputt geschossen in den letzten
-Tagen, schweres Kaliber, englische Schiffsgeschütze, und das übrige
-Zeug, das er hatte, war total ausgeschossen. Das Dreifache, Vierfache
-hatte er gefeuert, was man normalerweise einem Rohr zumuten dürfe, in
-Friedenszeiten, aber schließlich sei es eben doch mit den Rohren zu Ende
-gegangen. Nun also müsse er neue Geschütze haben, denn es ginge einfach
-nicht mehr, und diesem Umstand verdanke er seinen Urlaub.
-
-Er trauerte seinen Geschützen nicht nach! Er war in bester Laune.
-
-Mein lieber Hauptmann, denke ich mir, Sie haben Ihre Batterie verloren
-und sind nicht im geringsten niedergeschlagen? Am Ende verstehen Sie
-Ihre Sache doch nicht recht?
-
-Aber es war ihm ganz einerlei, was ich dachte. Er war seiner Sache
-sicher und guter Dinge.
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-Übrigens sah ich außen an der Front nie einen Offizier, der so viele
-Auszeichnungen trug. Alle Knopflöcher hatte er voll und das Eiserne
-Erster auf der Brust. Das machte mich immerhin stutzig. Denn er war sehr
-jung, kaum fünfunddreißig. Er sah gut aus und war von jener seltenen
-Männlichkeit, die es sich leisten kann, anmutig und liebenswürdig zu
-sein, ohne feminin zu wirken. Er glich Theodor Körner, er war schön.
-Einmal nahm er die Mütze ab, und da sah ich, daß er hellblondes Haar
-hatte, das sich in Locken legte wie bei Knaben. Seine Augen waren
-hellblau und heiter.
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-Und doch war er (wie ich später erfuhr!) der berühmte Batteriechef H. –
-Trommelfeuer in dreißig Sekunden, auf telephonischen Anruf, usw.
-
-Er sprach sehr laut, er schrie, wie Leute, die immer in freier Luft
-leben und ein lärmendes Handwerk betreiben.
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-Er erzählte hundert Dinge im Gespräch durcheinander, aber was ihn als
-Batteriechef beleuchtet, das will ich hier wiedergeben.
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-Er war an vielen Stellen der Front während des Krieges. Wo es besonders
-heiß herging, da war er dabei. Zeitweise war er eine reisende Batterie,
-die Gastspiele gab. In den schweren Tagen von Ypern wurde er hinauf in
-die Gegend von Langemark geworfen. Es ging toll zu, und er mußte
-augenblicklich eingreifen. Er fuhr auf und feuerte los! Ja, seine
-Kanoniere, was sind das für Burschen! Ehe man sich umdreht, versinken
-die Geschütze in der Erde, eins, zwei und weg sind sie! Sie werden
-eingebaut, daß sie sich nach dem Schuß kaum regen, und das neue
-Einstellen geht blitzschnell. Das alles machen sie, ohne daß er ein Wort
-zu sagen hätte, sie verstehen es viel besser, als er es je verstehen
-könnte, es ist gar nicht zu sagen, was sie im Laufe des Krieges gelernt
-haben. Es sind Kerle! Richten also ist kaum mehr nötig nach dem Schuß.
-Ja, Donnerwetter, was für Richtkanoniere er aber auch hat. Und dann geht
-es los, wie gesagt. Granate eingeschoben, Verschlußstück zugeschraubt,
-ausgerichtet und Schuß! Sie haben die Sache nun heraus. Die Granaten
-wandern blitzschnell über Arme und Hände, es ist richtiges Schnellfeuer,
-und niemand hielt es früher für möglich, so rasch zu feuern, dreimal
-rascher als zu Anfang des Krieges; einfach unglaublich. Rasch, immer
-rasch! Sie kümmern sich Tod und Teufel um die Granaten, die
-herüberkommen, sie feuern.
-
-Ja, bei Langemark, alle Achtung, da wurden sie schon nach einer halben
-Stunde zugedeckt. Es wimmelte von Fliegern in der Luft. Abrücken! Im
-Feuer! Ein Geschütz geht zum Teufel, ein paar Leute bekommen etwas ab
-und zwei Pferde bleiben liegen. Weiter!
-
-An anderer Stelle haben sie mehr Glück. Sie feuern, bis sie umfallen.
-Befehl, abends: da- und dorthin. Verladen in der Nacht, am nächsten
-Morgen sind sie schon wieder in Stellung. Hier steht Rad an Rad, die
-guten Plätze sind besetzt, Flieger oben, schon sind sie entdeckt.
-Abrücken. Strahlenförmig spritzen die Geschütze mitten im Feuer übers
-Feld. Doch nichts geschieht. Haha, ja es war wirklich eine tolle
-Geschichte.
-
-Nun haben sie es aber gut getroffen. Sie liegen ein paar Wochen
-unentdeckt. Hundert Meter von der Batterie steht ein zerschossenes
-Gehöft, und so oft ein Flieger erscheint, machen sie Rauch in dem
-Gehöft, und die Engländer feuern wütend in die Ruine. Am Abend und in
-der Nacht lassen sie einen Feuerstrahl aus dem Gehöft fahren, bei jedem
-Schuß, den sie abgeben, und der Engländer schießt das Gemäuer in Grund
-und Boden. Und die Kanoniere lachen, es macht ihnen heidenmäßigen Spaß.
-Wochenlang denselben Scherz, sie lachen bei jeder Granate, die in das
-Gehöft fährt, denn sie haben Sinn für Komik. Überhaupt, was für Leute!
-
-Der Hauptmann rückt begeistert die Mütze über das blonde Haar.
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-Dann kamen sie zur Lorettoschlacht in eine ganz windige Ecke. Später
-nach La Bassée hinauf. Im Herbst waren sie in Lothringen. Vom ersten
-Tage waren sie dabei. Er, der Hauptmann, fast täglich vorn in den Gräben
-zur Beobachtung. Fesselballon, Flugzeug. In Lothringen, seinerzeit,
-gelang ihm eine glänzende Sache. Es kamen da plötzlich ganz schwere
-Dinger auf die Gräben geflogen. Alle Welt staunte, was war das? Flieger
-gingen hoch. Nichts zu finden. Der Franzose mußte ein außergewöhnlich
-weittragendes Geschütz aufgestellt haben. Aus den Gräben kam die
-Meldung, daß man die Granaten kurz vor dem Aufschlag ankommen sehe.
-Sofort ist der Hauptmann draußen. Es gehören Nerven dazu, den Kopf
-gerade in dem Augenblick aus dem Graben zu stecken, da so ein „alter
-Herr“ ankommt und einschlägt. Erst zuckt der Hauptmann zurück, aber es
-muß sein. Jawohl, man sieht sie kommen. Er schneidet die Kurve an,
-berechnet und findet auf diese Weise ungefähr Richtung und Standort.
-Flugzeug! Immer höher und weiter. Nichts regt sich, aber in der Nähe des
-berechneten Standortes kommt dem Hauptmann ein Wäldchen verdächtig vor.
-Dahin dirigiert er das Feuer seiner Haubitzen. Am andern Morgen fliegt
-er wieder darüber: das Wäldchen ist zerschossen. Das weittragende
-Geschütz ist seither verstummt.
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-Und so geht es weiter. Haubitzen, Granaten, Beobachtungsstände,
-Sprengstoffe, Flugzeuge, Trommelfeuer. Die helle Stimme des frischen,
-jungen Hauptmanns mit den vielen Bändern klingt und schmettert. Die
-Batterie, ja, er liebt seine Batterie, er liebt es, darauf loszufeuern,
-er liebt seine Leute. In acht Tagen wird er ganz neue Geschütze haben,
-dann kann es wieder losgehen. Zwölf Monate lang macht er die Sache schon
-mit, zwölf Monate ohne Unterbrechung lacht er dem Tod ins Gesicht. Seine
-Kanoniere fielen, seine Kameraden sanken in die Erde, Tausende von
-Feinden hat er vernichtet, er, der Herr der Haubitzen. Ich suche in
-seinem jungen Gesicht nach irgendeinem kleinen Zug von Ermüdung,
-Nervosität, Leid – nicht eine Spur ist zu finden. Hut ab vor dem
-Hauptmann!
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-Neulich aber wäre es ihm bald übel gegangen. Er hatte sich da seinen
-Beobachtungsstand in ein zerschossenes Haus aufs Dach gebaut, plötzlich
-kam eine Granate und schlug ausgerechnet in das Haus. Im nächsten
-Augenblick stürzten sie, sein Unteroffizier und er, mit Balken und
-Brettern vom Dachfirst in das Erdgeschoß hinab. Sie fielen durch eine
-rote qualmende Wolke und waren ein paar Minuten betäubt. Nichts
-geschehen, ein paar Schrammen, das war alles. Der Unteroffizier aber
-sagt: „Ich muß hinauf, Herr Hauptmann und den Batterieplan holen!“ –
-
-Der Hauptmann lacht. Ein kerniges und gewinnendes Lachen.
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-„Hat er ihn geholt?“
-
-„Natürlich! Das ist ja ein prachtvoller Kerl, dieser Unteroffizier, den
-sollten Sie kennen – haha!“
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-Ich steige aus. Der Hauptmann fährt weiter. Morgen nachmittag um sieben
-Uhr wird er in Starnberg sein, bei seiner Frau. Sie weiß nicht, daß er
-kommt. Er will sie überraschen.
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-Wie eine Granate kommt er aus La Bassée in das stille Haus am
-Starnberger See geflogen.
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- Der siegreiche Angriff in den Argonnen am 8. September
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- 1
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- 10. September
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-Am Vorabend des Kampfes erlebe ich den Angriff in allen seinen Phasen
-auf der Karte. Ich bin Gast bei Exzellenz, dem Kommandierenden, und
-seine Offiziere erklären mir die geplanten Operationen. Sie sprechen
-sachlich und klar, mit der Ruhe von Leuten, die ihrer Sache sicher sind.
-Weiß zieht und gewinnt, matt in drei Zügen. Auf dem Papier sieht es aus
-wie eine Schachpartie, aber nur auf dem Papier. Unsere Figuren sind aus
-Fleisch und Blut, und Regeln und Gesetze gibt es in dieser blutigen
-Partie nur so lange, als man die Kraft hat, sie dem Gegner
-vorzuschreiben.
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-Aus den Argonnen dröhnt dumpf Geschützdonner, aber es ist das normale
-Abendfeuer, und niemand hört es mehr, so sehr sind sie daran gewöhnt.
-Die Karte liegt auf dem Tisch unter der elektrischen Lampe, und mein
-Instruktor, der Jäger, treibt mit den feinen gepflegten Händen die
-Regimenter vor bis zur Linie, die sie erreichen sollen. Er läßt die im
-Wald und in den Bergkuppen stehenden Batterien feuern, die Minenwerfer,
-er trommelt die feindlichen Gräben ein, umgeht, flankiert starke
-Stellungen. Ich sehe den ganzen Sturm vor Augen.
-
-Das Telephon klingelt. Herr Major. „Jawohl, die und die Batterie feuert
-soundsoviel Schüsse, zu der und der Zeit. Das ist das Zeichen, jawohl.
-Guten Abend!“ Trotz aller Ruhe schwingt eine leise Erregung im Hause. In
-den Argonnen bin ich nicht mehr fremd. Ich finde mich auf der Karte
-leicht zurecht, ich kenne zum Teil das Terrain und unsere Stellungen.
-Hier ist Four de Paris, nahe am Tal der Biesme. Die Gräben klettern von
-hier aus über die Hubertushöhe. Dann werden sie unterbrochen von der
-Schlucht des Charmesbaches, setzen sich fort über die Höhe, die den
-sonderbaren Namen Eselsnase trägt, bis hinüber zur Houyettemulde. Zum
-großen Teil sind dies die Stellungen, die die Argonnenleute dem Feinde
-im Juni und in den ersten Tagen des Juli wegnahmen. Jene Barre aus
-Stacheldraht, Maschinengewehren und Minenstollen, die sich Cimetière,
-Bagatelle, Grüner Graben, nannte.
-
-In diese Stellung hinein ragt bogenförmig ein neues starkes
-französisches Werk, eine Festung aus Stollen, spanischen Reitern,
-Drahtbarren, Minengängen, Schluchten und Blockhäusern und unterirdischen
-Forts, eine Festung, aus der der Tod in hunderttausendfältiger Gestalt
-springt, wenn man sich ihr nähert: das Werk Marie-Thérèse.
-
-Morgen soll es in unserer Hand sein. Morgen Punkt acht Uhr werden die
-Batterien einen Hagel von Eisen auf das Werk werfen, sie werden es in
-Stücke zerreißen, morgen um elf Uhr werden wir es stürmen!
-
-Ob ich alles verstanden habe? Jawohl, alles. Nichts ist einfacher,
-klarer. Nichts ist verwickelter und unverständlicher. Es ist ein
-Schachspiel, in dem der Zufall eine mächtige Rolle spielt. So scheint es
-mir. Der Jäger zu Pferd telephoniert an die verschiedenen Stellen, die
-Uhren müssen genau gerichtet werden. Ein paar Minuten Differenz können
-zum Verhängnis werden. Jede Kleinigkeit ist besprochen, alle
-Vorbereitungen sind bis in die kleinsten Details getroffen.
-Minenstollen, Munition, Handgranaten, Gasmasken, Granaten, Wasser,
-Nahrungsmittel. Jede Kompanie weiß genau, was sie zu tun hat, jeder Zug,
-jeder Pioniertrupp, jeder einzelne Mann. Sobald er den Fuß aus dem
-Graben setzt, folgt er einer Reihe genau gegebener Befehle, – wenn er
-nicht fällt. Was moderne Kriegskunst vermag, ist geschehen. Der Angriff
-ist schon gelungen, Marie-Thérèse gehört in Wahrheit schon uns, – obwohl
-noch kein Mann die Gräben verließ. So muß es sein.
-
-Wir begeben uns in den Gesellschaftsraum und sitzen in Sesseln um den
-Kamin. Vom Angriff wird nicht mehr gesprochen. Die Politik und ein
-schwarzgefleckter weißer Terrier treiben das Gespräch. Aber die
-Unterhaltung wird nie lebhaft und laut. Das Telephon klingelt häufig.
-Frühzeitig geht man zur Ruhe.
-
-In meiner Dachkammer habe ich Muße nachzudenken. Dann und wann schlägt
-im Walde dumpf ein Geschütz. Es grollt in der Nacht und poltert irgendwo
-in der Ferne. Unsere Grauen, die jetzt in den Gräben draußen im Walde
-liegen, sie wissen es ganz genau. Sie wissen, daß er auf unser Feuer
-antworten wird, und um elf Uhr, Punkt elf Uhr, werden sie aus dem Graben
-klettern. Sie bereiten sich vor auf den Sturm, so und so. Viele Herzen
-schlagen rascher, und viele schlafen heute nicht in ihrem Lehmloch. Wenn
-sie den Kopf über den Graben strecken, so pfeift der Tod daher, springen
-sie in die feindliche Sappe, so kann es sein, daß sie dem Tod in die
-Arme springen. Offizier und Mann, sie wissen nicht, wie es morgen abend
-sein wird. Sie sind Soldaten und sie kämpfen. Marie-Thérèse ist alles,
-nicht ihre eigene Person!
-
-Aber sie, drüben in Marie-Thérèse, sie wissen nichts, sie ahnen nichts.
-Nun, so schlafen sie wenigstens noch diese eine Nacht ohne Qual.
-Marie-Thérèse ist vieler Grab, morgen um diese Zeit. Der Jäger zu Pferde
-rechnet nicht mit dem Zufall. Wie aber, wenn der Franzose heute nacht
-angriffe? Wenn er in einem Nachbarabschnitt morgen im Morgengrauen
-vorginge? Aus dem Wald grollt das Rollen eines schweren Geschützes. Es
-feuert fast ohne Pause. Ich horche. Beginnt es zu trommeln? Nein, es ist
-ein Bursche, der nebenan in der Bodenkammer schnarcht. Übrigens soll ich
-morgen um vier Uhr hinaus in die vordersten Gräben der Eselsnase, um mir
-das Werk Marie-Thérèse in der Nähe zu betrachten.
-
-
- 2
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-Um vier Uhr morgens ist es bitterkalt in den Argonnen. Wir fahren, in
-unsere Mäntel eingehüllt, in die stockschwarze Nacht hinein. Die Sterne
-glitzern groß und kalt wie im Winter. Ich bekomme einen bitteren
-Geschmack im Mund, wenn ich die Sterne betrachte. Es ist keine Zeit für
-die Sterne. Wir sind in die Erde gesunken, ohne jeden Zweifel und haben
-keine Zeit mehr, die Sterne zu betrachten. Geschütze schlagen dumpf.
-Auch in der Nacht muß hier gearbeitet werden. Das Feuer ist normal, mit
-Befriedigung stellen wir es fest. Er hat nichts gemerkt, er bereitet
-nicht an irgendeiner anderen Stelle etwas vor. Ein zerschossenes Dorf.
-Im Wald wird die Straße morastig. Es hat hier seit acht Tagen nicht
-geregnet, aber die Straßen sind zerweicht, und das Auto rutscht wie ein
-Schlitten durch den Schmutz. Ein Fuhrwerk begegnet uns, wir biegen aus,
-kommen ins Schlingern, der Chauffeur geht auf den zweiten Gang, und wir
-mahlen uns aus dem Dreck. Hier gibt es Löcher und Granattrichter, so daß
-wir nur langsam vorwärts kommen.
-
-Wir durchqueren den Wald, die schwarzen Bäume rauschen, die Sterne
-blitzen durch die Wipfel, es ist schön, trotz des schlechten Weges. Ein
-zerschossenes Dorf. Menschen tauchen auf. Eine Sanitätskolonne in
-Marschbereitschaft. Sind sie jetzt schon auf den Beinen? Die Leute in
-den Gräben da oben sind noch gesund und munter, aber hier stehen schon
-die Leute, im grauen Morgen, die sie verbinden sollen. Wir löschen die
-Lampen. Wieder ein zerschossenes Dorf. Wir gehen zu Fuß weiter. Es wird
-langsam Tag. Nebelgestalten huschen an der Wegseite, Feldküchen,
-Krankenträger, Reserven. Wir steigen bergan. Ein Weg, der gangbar
-gemacht wurde dadurch, daß man Baumstamm an Baumstamm reihte. Das Holz
-der Stämme ist abgeschabt und zermahlen durch die vielen Räder und
-Stiefel, die hier bergan und bergab gingen. Der Wald wird plötzlich
-lichter. Es wird Tag. Die Schlucht erweitert sich, und vor uns liegt
-eine zerschossene kahle Bergkuppe. Wir steigen in die erste Zone ein.
-Die erste Zone, das sind die Gräben, um die im Winter gerungen wurde.
-Die hohen Bäume sind vernichtet, aber das Unterholz grünte wieder. Diese
-Zone hat das Aussehen eines Weinberges, einer Hopfenpflanzung. Gräben,
-Schutt, Granattrichter. Dann aber kommt die zweite Zone, der Berg
-selbst. Wie sieht er aus? Unnatürlich, ohne jeden Vergleich! Man denke
-sich einen wild erregten Ozean mit zornigen, dichtgedrängten Wellen, das
-wilde Meer bei Sturm. Aber dieses Meer ist aus Lehm und plötzlich in
-einer Sekunde erstarrt. Ich übertreibe nicht. So und nicht anders sieht
-der Berg aus.
-
-Wogen, Zacken, Abgründe. Das erstarrte Meer wälzt sich gegen die Höhe.
-Dazwischen stehen Stumpen toter Bäume. Von Tausenden von Gewehrkugeln
-wurden sie durchlöchert, bis sie wie ein Sieb waren und ein Windstoß sie
-zu Boden warf. So sieht es hier aus, es ist das Trostloseste und
-Schrecklichste, was die Phantasie erdenken kann. Gräben, Sprengtrichter
-an Sprengtrichter, viele Meter tief und breit. Diese erstarrten
-Lehmwogen sind das Ergebnis der Kämpfe von vielen Monaten. Es riecht
-hier nach Leichen und schrecklichen Dingen. Teile menschlicher Körper
-ragen aus den Lehmkrusten, Tuchfetzen, zerschlagene Blechgeschirre
-liegen in den Löchern. Um jeden Granattrichter wurde hier gekämpft.
-Langsam, Schritt für Schritt, mußten unsere Truppen sich zur Höhe
-emporkämpfen. Sie standen bis an die Hüfte im Wasser. Es gibt hier einen
-Weg, der den Namen „Selbstmörderweg“ trägt. Ein Annäherungsgraben, der
-nur flach ausgehoben worden war, und den die feindlichen
-Maschinengewehre bestrichen. Die Leute wollten lieber das Leben
-riskieren, als ewig im Wasser waten! Tausende haben diese erstarrten
-Lehmwogen verschlungen, Freund wie Feind. Nun schweigen sie.
-
-Früher trug diese Wüstenei Namen: es sind die berühmten Werke Central,
-Cimetière, Bagatelle, die im Juni und Juli genommen wurden.
-
-Rot und dunstig steigt die Sonne über das tote Lehmmeer empor, das in
-seiner höchsten Wildheit erstarrte. Granaten winseln durch die Luft,
-Einschläge krachen. Ein schweres deutsches Geschütz schießt. Dumpf und
-fern klingt der Abschuß, als gehöre das Geschütz einem anderen Teil der
-Kampflinie an. Aber mächtig rauscht die Granate über uns dahin, und ein
-paar Sekunden später kracht der Berg. Drei Granaten feuert es herüber,
-dann schweigt es. Aber andere Geschütze schlagen. Eine Granate singt
-doppelstimmig durch die Luft, ein Querschläger. Das hört sich drollig
-an. Vereinzelte Gewehrkugeln summen über den Lehmberg dahin, ein
-Maschinengewehr bellt heiser. Plötzlich kommt eine ganze Horde
-feindlicher Granaten durch die Luft getrillert, eine hinter der anderen,
-in wahnsinniger Eile. Es kracht, daß die Erde zittert. Der Franzose
-schleudert Wurfminen.
-
-Es ist die gewöhnliche Morgenarbeit, ganz „normales“ Feuer. Alles geht
-gut.
-
-Durch den Annäherungsgraben kommen die Leute aus den Feldküchen hinter
-uns her. Immer zwei tragen an einer Stange auf den Schultern einen
-schweren eisernen Kessel. „Bringt ihr Kaffee?“ – „Nein, Suppe, es muß
-heute früher gegessen werden.“ – Heute! Ja, heute ist ein besonderer
-Tag.
-
-Die Sonne scheint, zum erstenmal treffe ich im Argonnenwald schönes
-Wetter, aber die Grabenwände strömen eisige Kälte aus.
-
-In den Gräben auf der Eselsnase ist schon alles munter. Zuerst kommen
-wir zu den Württembergern, dann zu den Reichsländern und Preußen.
-Draußen, fünfzig Meter, dreißig Meter entfernt liegt hinter einer Barre
-von Stacheldrähten das Werk Marie-Thérèse. Eine blaue Rauchmauer steht
-darüber, der Rauch von den Granaten und Minen der „Morgenarbeit“.
-Granaten winseln und schlagen ein. Die schweren feindlichen Wurfminen
-krachen wie Donnerschläge. Die Posten stehen am Gewehr, die
-Maschinengewehre lauern. Handgranaten, Minenwerfer mit Munition, alles
-ist bereit. Kupferdrähte führen hinaus in eine Sappe: um elf Uhr soll
-die Mine hochfliegen! Überall ist man geschäftig, in aller Ruhe, denn
-man hat Zeit. Ausfallstufen werden gegraben. Ernst und still sind die
-Leute, etwas stiller als sonst, denn sie wissen, was der Tag für sie
-bedeutet. Spricht man sie an, so reißen sie sich zusammen, entschlossen
-und kühn blicken ihre Augen.
-
-„Macht eure Sache gut, heute!“ – „An uns soll’s nicht fehlen! Heute
-hau’n wir sie wieder zusammen.“
-
-Sie machen auch Witze.
-
-Die Offiziere kriechen aus ihren Unterständen und begrüßen uns.
-Hauptleute, Leutnants. Sie sind zuversichtlich und frisch. Sie erteilen
-uns Ratschläge, Warnungen, _sie_! Ein paar böse Ecken, wo sie
-Handgranaten schmeißen, Minen. Ach, und ein paar Stunden später waren
-einige der prächtigen Leute schon tot!
-
-Wir gehen weiter. Minen krachen wie einstürzende Häuser. Ein Grauer
-schaufelt; eine Mine hat ihm Erde in den Graben geworfen. Plötzlich ist
-der Graben zugeschüttet. Ein paar Leute graben. „Was gibt es?“ – „Unsere
-Offiziere sind eben verschüttet worden!“ – Mit Schaudern sah ich es, mit
-Schaudern spreche ich davon, aber es ist Krieg, das darf man nicht
-vergessen. Die Mine hatte den Graben vollkommen eingedeckt. Ein
-Armstumpen ohne Hand ragte aus der Erde. Um die Ecke – – nein! Neben mir
-kauerte mit angezogenen Knien ein Toter, sein Kopf hing auf die Brust
-herab. Er sah nicht aus wie ein toter Mensch. Über und über mit grauer
-Erde eingestäubt, Kopf, Gesicht und Kleider, erschien er wie die Statue
-eines Schläfers mit angezogenen Knien, die man ausgegraben hatte. Sie
-alle, zwei Offiziere und vier oder fünf Mann, waren gefallen vor dem
-Sturm beim alltäglichen Morgenkampf. Ehre euch und Ehre dir, kleiner
-grauer stiller Schläfer!
-
-„Achtung!“ Eine Mine kam durch die Luft und schlug hinter uns krachend
-ein. Der Jäger zu Pferd, dessen Augen so grün sind wie seine Uniform,
-prüfte, ob wir über den verschütteten Graben wegrutschen könnten. Aber
-es war unmöglich. Dreißig Meter querab lauerten die französischen
-Gewehre.
-
-Wir mußten zurück. Aber nun kamen die Minen, eine nach der anderen. Bald
-mußten wir rechts, bald links ausweichen. Eine schlug vor uns ein, das
-heißt nicht in den Graben, sondern draußen, ganz nahe, aber sie
-explodierte nicht. In solchen Momenten ist man ganz ruhig. Man zittert
-nicht, und das Herz schlägt nicht rascher. Man ist längst über die Zone
-der Angst hinaus. Man weiß, daß man vollkommen in der Hand des
-Schicksals ist, und damit fertig.
-
-Hoch oben durch das Blau des Himmels zieht die Wurfmine. Sie erscheint
-nicht größer als ein Habicht. Deutlich sind ihre Flügel, ihre Schwingen
-zu erkennen, die ihr den ruhigen Flug verleihen. Sie rast eilig dahin,
-in herrlicher Kurve, und sieht wundervoll aus. Wir stehen und folgen ihr
-mit den Blicken. Plötzlich sticht sie wie ein Habicht herab, wird mit
-jeder Sekunde größer, häßlicher und – gefährlicher. Achtung!
-
-Der Teufel hat diese Minen erfunden.
-
-Auf dem Heimweg in der Sappe begegnen wir wieder den Suppenträgern und
-zwängen uns an den Kesseln vorbei. Sobald sie den dumpfen, unscheinbaren
-Abschuß des Minenwerfers hören, lugen sie aus. Züge von Feldgrauen
-schieben sich an uns vorüber, Gewehre, Handgranaten, Gasmasken. Einzelne
-schleppen große Stahlschilde. Einer trägt auf dem Gewehr ein paar
-Feldpostpakete. Die Gräben werden aufgefüllt. Immer näher kommt die
-Stunde –
-
-Wir überqueren das erstarrte Meer aus Lehmwogen. Das Morgenfeuer wird
-ruhiger.
-
-Der Jäger zu Pferde zieht die Uhr.
-
-„Noch fünf Minuten!“
-
-In fünf Minuten ist es acht. Da soll es losgehen.
-
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- 3
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-Punkt acht Uhr ging es los.
-
-Mit der Sekunde feuerte ein Geschütz schweren Kalibers, und die Argonnen
-krachten. Die Wälder horchten auf. Das schwere Geschütz gab eine Salve
-krachender Schüsse ab. Pause. Dann begann es von allen Seiten. Ja! Die
-Kanoniere standen schon überall bereit, glühend vor Kampfbegierde. Die
-Granaten steckten schon in den Rohren, die Geschütze waren gerichtet und
-nun rissen sie ab! Die Hölle tobte, krachte, lachte, rasselte. Es
-fauchte, zischte, heulte in der Luft, es pochte, stampfte, rumpelte und
-knurrte. Zuweilen klang es, als ob ein Riese, groß wie ein Berg, mit
-einem Hammer auf eine Stahlwand losschlage, wütend und betrunken. Die
-Kanoniere, ja diese Kanoniere mußten arbeiten wie verrückte Teufel! Die
-Granaten mußten von selbst in die heißen Rohre springen, eine hinter der
-andern, Schuß, laden, Schuß, laden. Der Schweiß läuft ihnen übers
-Gesicht, aber so lieben sie es. Immer hinaus, was die Rohre hergeben
-können.
-
-Links oben von mir, an meinem linken Ohr, feuert mit harten, zornigen
-Schlägen eine schwere Batterie, daß der Boden zittert. Die Geschosse
-rauschen und klirren durch die Luft wie ein Eisenbahnzug, der über eine
-Eisenbahnbrücke hämmert. Rechts oben, an meinem rechten Ohr, knallt eine
-Batterie, und die Granaten gehen mit einem Zischen hinaus, wie wenn eine
-Lokomotive mit Überdampf die Ventile löst. Dazu das Krachen und Knattern
-der Einschläge, das wir deutlich hören, denn wir sind ja nicht weit
-davon entfernt. Es ist ein Rauschen in der Luft, wie wenn ein Zug ein
-Tal, eine Schlucht passiert. Zuweilen kommen Schreie und Winseln von
-oben, wie wenn Menschen von Dämonen entführt würden und verzweifelt
-klagten.
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-Das ist der Anfang. Drei Stunden, drei volle Stunden, bis elf Uhr, soll
-dieses Feuer dauern!
-
-Es ist nur die Eröffnung. Das Schachspiel, das mir der Jäger zu Pferde
-gestern abend auf dem Papier erklärte, es setzt sich in die Wirklichkeit
-um. Mudra spielt! Es ist die Eröffnung Mudras, und bei Gott, ich möchte
-nicht mit ihm diese Partie spielen!
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-Ich sehe auf die Uhr. Es ist acht Uhr zwölf Minuten!
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-Alles ist auf die Straße gelaufen, wenn man so sagen kann. Die Straße
-ist ein erbärmlicher Knüppelweg im Walde. Nebenan liegt der
-Verbandplatz. Ärzte, Krankenträger, Ordonnanzen, Feldbäcker und
-Chauffeure, alles steht auf der Straße, um sich das Feuer anzuhören und
-anzusehen, obschon es nichts zu sehen gibt. Es rauscht und schleift in
-der Luft, das ist alles. Alle sind in erregter und begeisterter
-Stimmung. (Niemand denkt an Marie-Thérèse!!) Ich weiß recht gut, daß
-eine Beethovensche Symphonie etwas anderes ist, aber das Feuer hat etwas
-Berauschendes an sich! Es ist die Musik feuerspeiender Berge und
-Urgewitter.
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-Wie sieht es droben in den Gräben aus, von denen ich eben komme? Sie
-ducken sich hinter die Erdwälle, so furchtbar zischen die Granaten. Wie
-sieht es in Marie-Thérèse aus, das ich eben sah? Die blaue Rauchmauer
-ist ein dicker, gelbgrauer Wall geworden, und nichts Lebendiges ist zu
-sehen. Fontänen von Erde jagen in die Höhe.
-
-Es ist acht Uhr dreißig Minuten.
-
-Der Franzose antwortet. Er kommt nur langsam in Gang. Er feuert
-verwirrt. Es sind Granaten, die er gerade bei der Hand hat, es sind
-Batterien, die noch nicht – nach der Morgenarbeit – frühstücken gingen.
-Telephondrähte sind zerschossen. Die Batterien warten auf Befehl. Das
-ist eine elende Situation. Mudras Eröffnung war zu unregelmäßig. Erst
-acht Uhr dreißig Minuten kommt System in das französische Feuer. Nun
-rauschen seine Lagen herüber –
-
-Ein deutscher Flieger brummt über dem Wald.
-
-Neben dem Verbandplatz treffe ich den Divisionär, Exzellenz Graf v. Pf.
-Der Divisionär steht unter dem Schleifen und Rauschen der Granaten,
-gleichmütig und ruhig, als ob er zu Hause wäre. Und doch kann jeden
-Augenblick eine Granate hereinfegen, daß die Späne fliegen. Die Granate
-ist blind und hat keinen Respekt vor gestickten Kragen.
-
-„Es ist das Inferno!“ sagt der Divisionär gelassen, mit einem leisen
-Unterton von Verwunderung und Bedauern.
-
-Ja, in der Tat, trüge ich nicht ganz klare und festgefügte Vorstellungen
-aus einer Zeit des Friedens und einer Welt ohne Kanonen in mir,
-Vorstellungen, die die schwersten Kaliber nicht erschüttern können und
-die dieses grausige Völkergewitter meinem Bewußtsein als ein blutiges,
-aber vorübergehendes Kapitel einreihen, wäre es nicht so, sage ich, so
-würde ich jetzt kapitulieren und bekennen, daß diese Erde, auf der wir
-leben, schon die Hölle ist, von der die Pfarrer immer sprechen.
-
-Das Geschützgewitter kracht in den Bergen.
-
-„Nun wird er lebhaft,“ sagt der Divisionär in aller Ruhe, „es wird nicht
-lange dauern, da schießt er hierher.“
-
-Eine Granate saust über unsere Köpfe dahin wie eine blitzschnelle
-bösartige Riesenbremse, und auf der Waldhöhe, dicht gegenüber, steigt
-urplötzlich eine schwarze Riesenpinie aus Dreck und Rauch empor, höher
-als die höchsten Eichen. Eigentümlich, die schwarze Einschlagsäule stand
-schon im Wald, während das Ohr noch das Zischen des Geschosses aufnahm.
-Ein grauer Rauchklumpen zerstäubt zwischen den Bäumen. Dann kommen ein
-paar Granaten mit Brennzünder. Er tastet nach unseren Batterien.
-
-„Na, was sagte ich!“ sagt der Divisionär und lacht. „Da kann er lange
-hinschießen.“
-
-Und unsere Haubitzen krachen, daß der Boden bebt.
-
-Zwischen den Eichen, wo eben die Granaten einschlugen, klettert ein
-Soldat den Wald herunter. Zum Teufel, was hat er da zu suchen?
-
-Der Divisionär erzählt aus seinen Feldzugserlebnissen, von den Argonnen,
-von seinen prachtvollen Truppen. (Ja, das sind sie!) Er erzählt, daß er
-einen Fonds für die Hinterbliebenen seiner Division gegründet habe, der
-schon die Höhe von über dreißigtausend Mark erreicht habe. Wir plaudern,
-als säßen wir irgendwo behaglich bei einer Zigarre.
-
-Nebenan, im Verbandplatz, ist schon alles bis aufs letzte vorbereitet.
-Hier führt ein freundlicher Arzt den Oberbefehl. Er sprüht von Leben und
-Arbeitseifer und steht sicherlich auf dem rechten Platze. Welch eine
-Wohltat muß es sein, verwundet aus dem Gefecht unter diese Hände und
-Augen zu kommen! Operationstisch, Verbandzeug, Instrumente, alles ist
-bereit, blitzblank sind die kleinen Kammern. Die Ärzte warten.
-
-Der Jäger zu Pferde führt mich durch den Wald hinauf zu einer kleinen
-Baude. Hier haust während des Kampfes der Brigadegeneral v. K. mit
-seinem Stabe. Der General heißt mich willkommen und erlaubt mir, zu
-bleiben, solange ich will. Freundlicher wurde ich selten aufgenommen wie
-bei den Leuten im Argonner Wald.
-
-Hier in dieser Baude wird fieberhaft (und doch mit welcher Ruhe!)
-gearbeitet. Der Adjutant, Hauptmann B., sitzt dauernd am Telephon.
-„Geben Sie mir diese und jene Stelle, rufen Sie Herrn Soundso! Wie? Das
-Feuer liegt vorzüglich. – Bei den Franzosen hat man eine Explosion
-beobachtet. Es wird ein Munitionslager in die Luft gegangen sein. –
-Teilen Sie Herrn X. Y. mit, daß die Batterie Z. glänzende Resultate hat.
-Ein Flieger hat es gemeldet. Erster Schuß saß sofort in Harazée (ein
-kleines Dorf), ebenso erster Schuß in Vienne-le-Château. Jawohl, danke
-schön. – Ich werde jetzt auf diesen und jenen Punkt feuern lassen. Es
-liegt Meldung vor, daß der Franzose versucht, da und dort Verstärkungen
-vorzuschieben.“
-
-Das Telephon tutet. Ohne Pause geht es so fort.
-
-Das kleine Fenster der Baude rasselt bei jedem Geschützschlag. Draußen
-scheint die Sonne. Die Granaten rauschen mächtig dahin. Zuweilen summt
-es in der Luft oder es klingt klirrend, wie wenn eine Stahlseite
-zerspringt, es pfeift: Sprengstücke, verirrte Kugeln, die durch den Wald
-fliegen.
-
-Das Feuer hat um etwas nachgelassen, aber es ist noch immer ein
-infernalisches Dröhnen und Krachen.
-
-Das Telephon tutet. „Jawohl?“ Das Regiment X. meldet, daß unser Feuer zu
-kurz liegt und die eigenen Gräben gefährdet. – „Das ist unmöglich,“
-antwortet der Adjutant. „Es werden feindliche Einschläge sein.“ Er bekam
-recht. Ein paar Minuten später geht die Meldung ein, daß zwei feindliche
-Flieger in der Luft sind und das Feuer der Artillerie auf den
-betreffenden Graben lenken. „Ich werde einen Flieger hochschicken!“
-antwortet der Adjutant. Eine andere Stelle muß schon Meldung gemacht
-haben, denn fünf Minuten später brummt ein deutscher Doppeldecker hoch
-oben über den Wäldern.
-
-Wir essen zu Mittag: „Denn essen muß der Mensch, trotz allem.“ Der
-Adjutant sitzt in der engen Stube mit dem Rücken gegen das Telephon, um
-nur die Hand nach dem Hörer ausstrecken zu müssen. Dutzendmal wird er
-unterbrochen, aber doch findet er noch Zeit, mir zuzureden und
-nachzusehen, ob mir auch ja nichts fehlt.
-
-Gegen elf Uhr schwillt das Feuer wieder zur früheren Raserei an. Die
-Geschütze taumeln vor Grimm. Immer hinaus, was die Rohre hergeben
-können! Dann kracht der Wald von furchtbaren Explosionen: die Minen
-wurden gesprengt. Die Erde zittert.
-
-Und nun ist es elf Uhr. Jetzt müssen sie aus den Gräben! Es sind Minuten
-der größten Spannung.
-
-
- 4
-
-Ja, nun steigen sie aus den Gräben! Auf der ganzen Linie von zwei
-Kilometern.
-
-Über die Ausfallstaffeln klettern sie empor, durch die Sappen stürzen
-sie sich gegen den Feind. Handgranaten am Gürtel, Rauchmasken,
-Schutzschilde, eine Handgranate in der Rechten, fertig zum Abreißen, das
-Gewehr über der Schulter, bereit zum Schuß, bereit zum Zuschlagen. Die
-Kugeln schwirren.
-
-Ein Mann fällt, während er sich aus dem Graben schwingt, ein Mann fällt
-auf den Grabenwall, ein Mann fällt nach drei Schritten – aber die
-Kameraden stürmen weiter, mit Hurra und Geschrei, hinein in Dunst und
-Rauch.
-
-Der Gegner ist zusammengetrommelt, aber keineswegs erledigt. Aus
-Grabenlöchern feuert er, aus Granattrichtern, mitten in Schutt und Erde
-richtet er das Maschinengewehr, das noch intakt ist. In einer Sappe hat
-er sich zusammengedrängt, die Handgranaten krachen, weiter! Es fällt der
-Mann im Dunst, im Rauch. Ein paar Grenadiere bringen ein feindliches
-Maschinengewehr in Stellung. Sie fallen. Weitab sind schon die
-Kameraden. Vorwärts! Es fällt der Offizier.
-
-Auf einer Linie von zwei Kilometern branden sie so vor. Heiß ist der
-Nahkampf. – –
-
-Unsere Gedanken sind oben bei ihnen, unsere Wünsche, unsere Hoffnungen
-und unsere Angst. Die Spannung schmerzt, im Herzen, im Gehirn. Wird es
-gelingen? Im ganzen Umfang? Und wird es mit geringen Opfern gelingen?
-
-Es ist ganz still in unserer Baude.
-
-„Wollen wir hören, ob viel Infanteriefeuer hörbar ist. Denn das bedeutet
-nichts Gutes,“ sagt der General, und wir treten hinaus.
-
-Es ist fast gar kein Infanteriefeuer vernehmbar. Es steht gut! Die
-Geschütze krachen und wettern ohne Pause. Sie schießen nun natürlich
-nicht mehr auf Marie-Thérèse, sie feuern auf die feindlichen Batterien
-und Zugangswege. Die feindlichen Einschläge krachen in den Wäldern. Aber
-durch die kurzen Pausen des Krachens hindurch lauschen wir gespannt nach
-oben. Nur vereinzelte Schüsse. Da beginnt ein Maschinengewehr hohl zu
-klopfen.
-
-„Ein französisches Maschinengewehr! Das ist schrecklich!“ sagt ein
-Offizier leise vor sich hin.
-
-Aller Herzen sind oben bei ihnen, die jetzt kämpfen für die deutsche
-Sache.
-
-Es kommt die Meldung, daß alles gut stände. Wir atmen auf.
-
-Elf Uhr dreißig Minuten trifft die erste bestimmte Meldung ein. Das
-Regiment X. hat zwei Gräben genommen, gegen hundert Gefangene. Es geht
-gut vorwärts.
-
-Der Adjutant sitzt am Telephon, und sobald er eine Meldung
-entgegengenommen hat, teilt er sie uns mit.
-
-Elf Uhr vierzig Minuten. Das Regiment Y. hat ein paar Gräben überrannt,
-eine Anzahl Gefangene, Maschinengewehre, Minenwerfer. Es sind die Leute
-von der Eselsnase, bei denen ich heute morgen war. Das Regiment ist
-berühmt und gefürchtet beim Gegner.
-
-Ein anderes Regiment meldet, daß es infolge starken Artilleriefeuers nur
-mühsam aus dem Graben kam, jetzt aber rasche Fortschritte mache. Leider
-einige Offiziere gefallen. Kompanieführer X., Leutnant Z. – Vor ein paar
-Stunden sprach ich noch mit ihnen.
-
-Der General blickt vor sich hin und holt tief Atem.
-
-Es ist Krieg, Krieg, man darf es nicht eine Minute vergessen.
-
-Meldung um Meldung. Das Regiment Z. meldet, daß es einhundertundfünfzig
-Gefangene gemacht habe. Punkt erreicht. Anschluß an Nachbarregiment.
-
-Die Meldungen lauten alle gleich günstig. Hundert Gefangene,
-zweihundert, dreihundertfünfzig – kein Zweifel: der Angriff ist
-geglückt. Wir haben gewonnen!
-
-Um zwölf Uhr meldet der Bursche: „Herr General, die ersten Gefangenen!“
-
-Wir sehen einander erstaunt an. „Schon,“ sagt der General, und wir gehen
-durch den Wald, hinüber zum Knüppelweg.
-
-Da stehen sie. Drei Stück. Verschwitzt und bestaubt kommen sie aus den
-Gräben. Sie machen einen jämmerlichen Eindruck. Einer trägt ein Käppi.
-Er ist ganz grau, Bretone, einundvierzig Jahre alt. Seine schmutzigen
-groben Hände zittern vor Erregung. Die beiden anderen sind junge
-Burschen, gegen zwanzig, klein, schwarzhaarig, mit runden schwarzen
-Glotzaugen. Sie tragen blaugraue Stahlhelme auf den runden Köpfen,
-Helme, die den alten Sturmhauben des Mittelalters ähneln und ganz neu
-sind. Die Burschen gefallen mir nicht. Und als ich anfange, sie
-auszufragen, bekommen sie auch sofort Streit. Einer wirft dem andern
-vor, sich im Unterstand versteckt zu haben. Sie hatten es eilig, in
-Gefangenschaft zu geraten, das kann ich sehen. Es sind Leute aus
-Toulouse.
-
-„Was wird man mit uns tun?“ fragt einer der Tapferen mit dem Stahlhelm
-mit einem ängstlichen Blick.
-
-„Man wird euch in ein Lager nach Deutschland schicken,“ antworte ich. Er
-ist befriedigt. Was dachte er denn –??
-
-Nun aber wimmelt es auf dem Waldweg. Eine Feldbahn führt in der Nähe
-vorüber. Darauf laufen Karren, von vier Krankenträgern geschoben, und
-auf den Karren sitzen und liegen die Verwundeten. Auf einer Karre hockt
-oben ein junger Franzose und jammert und stöhnt in gleichen
-Zwischenräumen. Sonst hört man nur selten einen Schmerzenslaut.
-
-Eine Bahre wird vorübergetragen. Ein Feldgrauer liegt ausgestreckt
-darin.
-
-„Wo fehlt’s?“ fragt der General.
-
-„Beinschuß!“
-
-„Nun, immer rasch zum Verbandplatz.“
-
-Eine zweite Bahre wippt auf den Schultern der Träger vorüber. Bleich und
-still liegt darin ein Franzose.
-
-Leichtverwundete kommen allein an. Der General hat für jeden ein
-ermunterndes Wort, einen freundlichen Zuruf. „Was ist mit Ihnen?“ fragt
-er einen Grauen, dessen rechte Hand in blutigem Verbandzeug steckt.
-„Granatsplitter.“ – „Na, es wird nicht so schlimm sein. Wissen Sie den
-Verbandplatz? Gleich da drüben.“ Wie ein Vater spricht der General
-seinen Leuten zu. „Wie steht es oben?“ – „Wir haben drei Gräben
-genommen, Herr General!“ – „Na, das ist prachtvoll. Immer rasch zum
-Verbandplatz.“
-
-Bahren, Karren.
-
-Ein Grenadier mit verbundenem Arm, gestützt von einem Krankenträger,
-kommt festen Schrittes, stolz und aufgerichtet des Weges, obschon ihm
-Schmerz und Schrecken im Gesicht sitzen. Ein Lob des Generals läßt seine
-Miene aufleuchten.
-
-Auf einer Karre sitzt ein Verwundeter. Sein Kopf ist nichts als ein
-weißes Knäuel mit blutigen Flecken. Aber er sitzt mit verschränkten
-Armen, ganz behaglich.
-
-So strömt es unaufhörlich vorüber, und die Granaten rauschen und zischen
-ohne Pause über den Wald.
-
-Ein Grauer, mit blutigem Kopfverband, tritt an den General heran und
-schlägt die Absätze zusammen.
-
-„Wo kann ich Herrn Major Soundso sprechen? Ich habe eine Meldung zu
-machen.“ Das Blut tropft dem Tapferen übers Gesicht.
-
-„Was soll es sein?“
-
-„Das Regiment hat drei Gräben genommen und über zweihundert Gefangene.“
-
-„Ich werde es bestellen lassen. Aber nun schauen Sie, daß Sie sich mal
-erst ordentlich verbinden lassen.“
-
-Der Graue klappt mit den Stiefeln. Ab. Ja, was für Leute das sind!
-
-Ein anderer kommt vorbei, den Kopf verbunden. Er war schon vor dem Sturm
-verwundet worden, machte aber noch den ganzen Angriff mit.
-
-Die Gefangenen fluten in dichten Zügen heran. Sie werden aufgestellt und
-gezählt. Fast alle tragen diese blaugrau angestrichenen Stahlhelme.
-Vereinzelte nur tragen Käppis oder haben sich ein Schnupftuch um den
-Kopf gebunden. Sie sind schmutzig, verwildert, zerfetzt und verstaubt,
-stumpf, bleich und erschöpft und kleinlaut, wie alle Soldaten, die aus
-der Schlacht kommen und in Gefangenschaft gerieten. Aber sie machen
-einen weitaus besseren Eindruck als die ersten drei. Es sind Leute teils
-aus den nördlichen Departements, Bretagne, teils aus dem Süden,
-Toulouse, Nîmes, Marseille. Manche rauchen schon wieder ihre Pfeife oder
-den Zigarettenstummel. Einer trägt einen halben Laib Brot, einer eine
-Decke. Sie zeigen die Photographien ihrer Frauen und Kinder und fragen,
-ob sie sie behalten dürfen. Natürlich dürfen sie das! Zuweilen schütteln
-sich ein paar die Hand, die sich hier wiederfinden. Es ist ein langes,
-bedeutsames Händeschütteln!
-
-Manche sind verwundet und tragen Verbände. Einem ist die Hand
-zerschmettert, dem anderen hat eine Kugel den Arm durchschlagen.
-
-Der General steht und läßt die Augen über die Kolonnen schweifen. Sobald
-er einen Verwundeten sieht, läßt er ihn herankommen, fragt, forscht:
-„Ulan, bringen Sie den Mann zum Verbandplatz.“ Aus jeder Kolonne
-scheidet ein Trüppchen Verwundeter aus und hinkt, humpelt und taumelt
-hinter den Führern her.
-
-Aber der General hat seine Augen überall. Er sieht auch, was hinter den
-Kolonnen vorbeikommt, ruft, ermuntert, lobt.
-
-Da kommt auch mein Grenadier mit den zwei Postpaketen am Gewehr zurück.
-Heute morgen sah ich ihn in die Gräben hinaufgehen. Da ist er wieder.
-Eine Handgranate hat ihn leicht am Gesicht verletzt. Er hatte gar nicht
-Zeit, seine Paketchen zu öffnen.
-
-Es werden immer mehr Gefangene. Es sind ganze Züge und Kompanien – und
-auf der anderen Seite des Berges soll es auch in die Hunderte gehen!
-
-Der General kann unmöglich alle übersehen, und so gehe ich die Kolonnen
-entlang und suche die Verwundeten heraus. – „Herr General, hier ist ein
-Mann mit einem Armschuß.“ – „Ulan, zum Verbandplatz.“ – Väterlich sorgt
-der General für den Feind. Sein Ton ihnen gegenüber ist freundlich und
-schlicht.
-
-Ein Gefangener fragt mich, ob er nicht ebenfalls verbunden werden
-könnte. Ich sehe ihn an, er sieht etwas erschrocken aus, aber ich sehe
-keine Verwundung. Er hat Schüsse da unten, sagt er. Augenblicklich läßt
-er die Hose herunter, und ich sehe, daß er einen Schuß im rechten
-Oberschenkel und einen über dem Gesäß hat.
-
-Ich führe ihn zum General. Auch hier will er sofort die Hose
-herunterlassen, aber der General glaubt ihm so.
-
-„Nehmen Sie den Mann da noch mit, Ulan. Stützen Sie ihn, so, immer
-vorwärts.“
-
-Kolonnen um Kolonnen ziehen vorbei. Jetzt, um ein Uhr, sind schon
-eintausendvierhundert Gefangene gemeldet. Im ganzen wurden es
-zweitausend. Immer neue strömen aus dem Wald. Karren, Bahren,
-Verwundete. Nie werde ich diesen Weg im Argonnerwald vergessen.
-
-Vor dem Verbandplatz liegen und stehen die Verwundeten herum. Sie sind
-ruhig und fühlen sich geborgen. Die Ärzte sind drinnen an der Arbeit.
-Ich sehe, wie der freundliche, lebenslustige Chefarzt ernst und
-hingegeben einen blutigen Lappen mit der Schere abtrennt.
-
-Das ist die Kehrseite von Hurra und Siegesjubel. Es ist Krieg, man darf
-es nicht vergessen.
-
-Die Geschütze dröhnen, die Einschläge krachen, die Granaten gurgeln und
-pflügen durch die Luft. Verirrte Kugeln und Sprengstücke surren und
-klirren. Zwischen den Bäumen wandern wie eine blaugraue Schlange die
-Gefangenen.
-
-Droben in den Gräben aber geht es weiter, heiß und blutig. Die eroberten
-Gräben müssen instand gesetzt, Schutzschilde und Sandsäcke auf die
-andere Seite gebracht werden. Die Gewehre peitschen, Maschinengewehre
-hämmern, der Kampf geht weiter. Bis die Nacht kommt, und auch in der
-Nacht wird es keine Ruhe geben.
-
-Wir fahren los und jagen quer durch die Argonnen, um zu hören, wie es
-auf der anderen Seite des Berges ging.
-
-
- 5
-
-Auch auf der anderen Seite des Argonnerwaldes war alles nach Wunsch
-gegangen. Wie auf der Eselsnase waren die Tapferen auf der Hubertushöhe
-aus den Gräben geschnellt und hatten den Feind geworfen. Bis jetzt,
-nachmittags, hatten sie über achthundert Gefangene gemacht. Das ist eine
-hübsche Anzahl im Grabenkrieg!
-
-Die krumme bucklige Straße des armseligen Argonnendorfes ist
-überschwemmt von blaugrauen Franzosen. Und oben erscheint schon eine
-neue Kolonne. Ein ganzes Bataillon ist hier versammelt. Die Bewohner des
-Dorfes stehen vor den Haustüren und begaffen ihre Landsleute. Zuweilen
-habe ich in dem und jenem Orte gesehen, daß Frauen weinten, wenn
-Gefangene vorübergeführt wurden. Hier nehmen sie es gelassen. Hunderte
-und Tausende sind schon aus den Wäldern herunter in ihr Dorf gekommen.
-
-Fast alle tragen den blaugrau gestrichenen Stahlhelm, der tief über den
-Kopf gestülpt ist, so daß sie gerade noch geradeaus blicken können.
-Einzelne haben ihn verloren oder fortgeworfen und sich Sacktücher über
-den Kopf gebunden. Einer trägt nur das Lederfutter des Helmes. Der Helm
-gibt ihnen allen ein ungewohntes und leise komisches Aussehen. Ich bin
-sicher, daß es drüben bei ihnen großes Gelächter und Scherzen gab, als
-die ersten mit diesem Möbel anrückten. Viel Wert kann der Helm nicht
-haben. Dafür ist er zu dünn. Gegen Splitter, Steinschlag höchstens, aber
-das würde auch der Schädel aushalten. Immerhin ist er schwer genug, um
-dem Mann das Schwitzen beizubringen. Sie schwitzen alle jämmerlich, die
-armen Burschen.
-
-Sie sind zumeist erschöpft und abgestumpft vom Kampf. Groß, klein,
-Grauhaarige, halbe Knaben, ernste Männer und unreife Bengel,
-schwarzäugig, blauäugig, hager und rund, Bärte, Milchgesichter, alle
-verschieden groß. Die blaugrauen Rockärmel voller Lehm und Schmutz, die
-Schuhe zerweicht, die Wickelgamaschen zerrissen. Sie kommen aus der
-Schlacht, das muß man festhalten, die Ausrüstung ist jedenfalls gut.
-Einzelne tragen rote Wollschärpen um den Leib, andere Wollwesten, einer
-steckt in einem blauen Arbeiteranzug. Die Verwundeten sind schon alle
-ausgeschieden. Einzelne nur haben Verbände an Hand oder Kopf, leichte
-Schrammen. Sie kauen, rauchen, kramen die paar Habseligkeiten aus der
-Tasche, die sie aus der Katastrophe retteten. Manche lachen schon
-wieder. Sie sind eine etwas zusammengewürfelte Gesellschaft, ohne jeden
-Zweifel. Zumeist vom Süden. Sie sollen sich indessen wacker geschlagen
-haben.
-
-Abseits stehet ihr Bezwinger: der Kronprinz und der Kommandierende, und
-betrachten sie und tauschen Beobachtungen aus.
-
-Der Kronprinz tritt an zwei junge Burschen heran, die sich aus den
-Tabakresten ihrer Hosentaschen Zigaretten drehten und kein Feuer haben.
-Er reicht ihnen seine Streichholzschachtel und spricht sie an. Nun,
-besonders gute Manieren haben die zwei jungen Bengel nicht, es sind
-Hafenarbeiter aus Toulouse. Sie plaudern lebhaft, paffen und lachen. Sie
-sind froh, aus der Sache heraus zu sein, sie machen kein Hehl daraus.
-Aber der Kronprinz spricht mit ihnen, freundlich und schlicht, wie er
-mit seinen eigenen Soldaten redet. Sie haben sich geschlagen für ihr
-Land, der Tod ging da oben hundertfach dicht an ihnen vorüber, es kommt
-also hier nicht so sehr auf die Manieren an.
-
-Links, ein paar Schritte abseits von den dichtgedrängten Reihen der
-schwitzenden, schmutzigen Gefangenen, steht eine Gruppe gefangener
-Offiziere. Ihre Haltung ist würdig. Die Uniform ist einfach, weit und
-bequem geschnitten, es ist nahezu die Uniform des gemeinen Mannes. Keine
-Dekorationen, keine Abzeichen. Am Ärmelaufschlag zwei schmale, drei
-Zentimeter lange wagrechte verblaßte goldene Borten, das ist alles. Für
-die Eitelkeit ist diese Uniform nicht geschaffen, das kann niemand
-behaupten. Sie tragen blaugraue Käppis. Wohin ist die prunkvolle
-Maskerade des französischen Heeres gekommen?
-
-Ernst und nachdenklich sehen sie vor sich hin. Qualvoll und demütigend
-ist ihre Situation, obschon jedermann bestrebt ist, ihre Gefühle zu
-respektieren. Ein Offizier, der äußerste, ist blaß wie eine Wand und
-vollkommen erschöpft. Sein Blick geht ins Leere. Neben ihm steht ein
-junger Leutnant, keine vierundzwanzig, mit vornehm geformten energischen
-Zügen. Die Muskeln seines Gesichtes zucken, er blickt zum Himmel empor,
-zur Erde herab, er nagt an der Lippe, er kämpft mit den Tränen.
-
-Sie alle leiden. Aber ihre Leute fangen an, sich mehr und mehr mit der
-Lage abzufinden. Sie schwatzen und lachen. Sie sind allzu eifrig, mir zu
-erklären, daß „sie sich beglückwünschen“, aus der Sache heraus zu sein.
-Jeder beglückwünscht sich. _Je me félicite –!_ „Ja, da oben ging es
-schlimm zu, große Verluste. Ich wurde verschüttet, grub mich aus, mit
-Hilfe eines Kameraden. Da waren die Deutschen schon da, überall, wir
-sehen einen Trupp Gefangener und laufen hin. Ihr Angriff war gut
-gemacht, chic! Ich beglückwünsche mich, offen gestanden.“
-
-Ich nehme einen jungen, intelligent aussehenden Burschen zur Seite, gebe
-ihm eine Zigarette und plaudere mit ihm. Er stammt ebenfalls aus dem
-Süden. Er war in einer Sappe, die zugeschüttet war, die Deutschen warfen
-Handgranaten hinein, sie selbst schossen heraus, Geschrei, Rauch, schon
-war er gefangen. Er breitet die Arme aus und deutet auf die Landschaft:
-„Ich sehe mein Land, ich sehe alles in bester Ordnung. Ich sehe hier das
-Dorf und die Leute, es ist alles sauber, die Felder sind bestellt, Vieh
-gibt es hier. Und man hat uns gesagt, daß die Deutschen alles plündern
-und niederbrennen. Ich traue meinen Augen nicht.“ Gleich darauf
-beglückwünschte auch er sich.
-
-Ich gebe ja jedem Soldaten das Recht, sich zu freuen, daß er lebendig
-aus der Schlacht kam, denn selbst der Tod fürs Vaterland ist schwer, so
-leicht er auch vielen Leuten erscheint, die nie eine Granate sausen
-hörten – allein, es ist schließlich nicht nötig, daß er die
-Gefangenschaft als die beste Lösung preist. Es ist auch nicht nötig, daß
-sie mir erzählen, ihre höheren Offiziere hätten Reißaus genommen, denn
-es ist nicht wahr, das weiß ich von anderen.
-
-Ich habe schon bessere französische Regimenter gesehen.
-
-Immer neue Gefangene strömen ins Dorf. Über den Wäldern wird ein
-feindlicher Flieger beschossen. Die Geschütze krachen und pochen noch
-immer wütend. Gegen Abend steigert sich das Feuer mehr und mehr, und in
-der Nacht rollt es pausenlos und zornig. Trommelfeuer.
-
-Am Morgen sehe ich die Gefangenen abmarschieren. Ein langes blaues Band
-schlängelt sich ins Tal. Der junge Offizier hat sich gefaßt und
-schreitet still und ergeben wie ein Leidtragender in einem Trauerzug
-hinter den blauen Stahlhelmen her.
-
-Eine Stahlhaube ist neben einem Baum liegen geblieben.
-
-Da eilt ein französischer Hauptmann aus dem Dorf hervor. Er hat sich
-verspätet. Sein Kopf ist verbunden, ich habe ihn gestern nicht gesehen.
-Er geht eilig auf den Jäger zu Pferde zu und schüttelt ihm die Hand,
-erschüttert, gebrochen, verzweifelt, wie man in schwerem Leid einem
-Freund die Hand schüttelt, sicher seines Verstehens, Vertrauens,
-Glaubens. Es gibt Beziehungen zwischen den Völkern, die alle Diplomatie,
-mangelhafte und perfide, nicht zerstören kann.
-
-„Trösten Sie sich,“ sagt der Jäger zu Pferde, „es ist der Krieg!“
-
-Der Hauptmann antwortet nichts, er schüttelt gebrochen den verbundenen
-Kopf, und mit verzweifelten großen Schritten stürzt er seiner Truppe
-nach. –
-
-Die Schlacht ist zu Ende, die Schlacht ist gewonnen. Zweitausend
-Gefangene, große Beute, auf einer Front von zwei Kilometern der Feind
-zurückgeworfen. Es ist ein großer Erfolg. Nehmt den Hut ab vor den
-Argonnenkämpfern!
-
-Aber wie erstaunt war ich, im französischen Bericht zu lesen, daß es
-wieder einmal nichts war. Die Armee des Kronprinzen hatte überhaupt
-keinen Erfolg errungen. Zwei mißglückte Angriffe – unser Bericht
-enthalte phantastische Zahlen, es sei klug, diese Zahlen in derartigen
-Fällen immer durch zehn zu dividieren. – –
-
-Großes Frankreich, dein Erbe ist in bedenkliche Hände geraten. Dein
-Geist ist bei deinen Erben zur Phrase geworden und die Phrase zur Lüge.
-
-
- Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig
-
-
-
-
- Anzeigen
-
-
-
-
- Werke von Bernhard Kellermann
-
-
- Yester und Li
-
- Die Geschichte einer Sehnsucht. (Fischers Romanbibliothek.)
-
- Gebunden 1 Mark, in Leinen 1 Mark 25 Pfennig.
-
- Die Geschichte einer Sehnsucht ist es, die der Verfasser erzählt –
- einer zarten, zitternden, tastenden Sehnsucht. Einer so
- verzehrenden, wahnwitzigen, ungeheuerlichen Liebessehnsucht, wie sie
- nur ein Dichter, ein Auserwählter unter den Menschen, zu einem
- auserwählten, seltenen, wundervollen Weibe empfinden kann. –
- Wunderbar ergreifend ist der Schluß. Ein Dichter hat dies Buch
- geschrieben. Ein wirklicher Dichter. Mit sanfter, zagender Hand sind
- die letzten Hüllen von menschlichen Seelen gezogen. Und doch
- erscheint alles wie durch zarte Schleier, von einem seltsamen matten
- Glanz umsponnen. Letzte Menschlichkeiten werden aufgedeckt. Feines,
- Leises wird gegeben, wie mit dem Silberstift gezeichnet.
-
- (Königsberger Allgemeine Zeitung)
-
-
- Ingeborg
-
- Roman. 30. Auflage. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.
-
- Ganz trunken von Schönheit und Schmerz ist das Buch. Es schlägt Töne
- an, die man schwer vergißt ... Selten ist etwas Glühenderes und
- Sanfteres geschrieben worden wie die Schilderung dieser Liebe. Eine
- erhobene Sprache geht durch die Blätter des Buches, ohne doch uns
- der Erde zu entrücken ... Wenig und einfach ist, was geschieht, aber
- die Feinheit und Intensität der Schilderung macht es zu einem
- Äußersten als Seelenerlebnis sowohl wie als Kunst.
-
- (Der Tag, Berlin)
-
- Frauen und Jünglinge, leset dies neue Buch – Ingeborg – diesen
- zweiten Roman von Bernhard Kellermann. Die Liebe lebt darin und die
- Romantik. Und der Wald lebt darin und alle Jahreszeiten. Jung ist
- es, ganz jung-jung, und das Blut macht es unruhig, es fiebert von
- Liebe. Mit einer kindlich zarten und zugleich unerhört verfeinerten
- Gabe wird hier von den heiligsten und besten Dingen gesprochen. Von
- Gott, von der Liebe, vom Wald ... Ich will mich mit diesem Buche
- nicht allein freuen. Jedem möchte ich es in die Hände drücken, der
- überhaupt noch einen Roman lesen kann.
-
- (Die Zeit, Wien)
-
-
- Der Tor
-
- Roman. 14. Auflage. Geheftet 5 Mark, gebunden 6 Mark.
-
- Die Leser von „Ingeborg“ werden ihren Dichter in diesem Buche
- wiederfinden, aber er wird ihnen als ein Größerer begegnen, reifer
- und reicher geworden in den wenigen Jahren, die zwischen den beiden
- Werken liegen. Sein Blick hat sich von den wolkengleich umrissenen
- Gestalten der Liebeslegende tiefer erdenwärts gewandt und schaut
- jetzt den Kreaturen des täglichen Lebens zu, wie sie, gehämmert,
- zerstoßen und verkrümmt von der Unerbittlichkeit der Verhältnisse,
- ihr Dasein zu Ende führen. Der Tor ist ein junger, reiner Mensch,
- der in einem Städtchen auftaucht, um das Unrecht zu sühnen, das
- Menschen an einer Verstorbenen geübt haben. Bald sieht er ein, wie
- vieles es im kleinsten Kreise gutzumachen gibt, woran die Menschen
- keine Schuld haben, und sein Drang weist ihm den Weg zu den Hütten
- der Elendesten, Bejammernswertesten. So ist auch dies Buch ein Buch
- der Liebe geworden, aber der Liebe des einen zu allen.
-
- (Hannoverscher Kurier)
-
-
- Das Meer
-
- Roman. 18 Auflage. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.
-
- Es ist ein Werk, das man mit Ehrfurcht und Freude aus der Hand legt,
- im sicheren Bewußtsein, einen Schatz gefunden zu haben, von dem man
- immer wieder gern genießen wird. Ein kulturmüder Mann lebt einen
- Sommer hindurch auf einer bretonischen Fischerinsel. Er versinkt
- ganz in dem kräftigen, urwüchsigen Dasein dieser einsamen Welt.
- Trinkt, flucht, liebt und haßt wie die Bewohner der Insel, die
- gleich abgeschlossen ist von den Moralbegriffen wie dem
- Rechtsempfinden der Welt da draußen ... Manchem wird die wilde
- Schönheit unverständlich bleiben, manchen wird auch die feinste
- Sprachkunst nicht darüber hinwegsetzen, daß es immer wieder nur das
- Meer ist – und nur das Meer, von dem er lesen muß. Wer sich aber in
- dies Werk ernstlich vertieft, dem wird es seine Mannigfaltigkeit
- wohl erschließen. Und er wird meine Freude darüber teilen, daß auch
- einem Deutschen der Entdeckerflug in die unbekannten Reiche der
- Natur gelungen ist, der bisher Männern wie Kipling oder Loti
- vorbehalten schien. Nur daß Kellermanns Empfindung wärmer, seine
- Anschauungskraft stärker, seine Sehnsucht tiefer ist.
-
- (B. Z. am Mittag, Berlin)
-
-
- Der Tunnel
-
- Roman. 120. Tausend. Geheftet 3 Mark 50 Pfennig, in Leinen
- gebunden 4 Mark 50 Pfennig, Geschenkband 6 Mark.
-
- In diesem Buch rollt der Donner ungeheuerer moderner Maschinen.
- Weite und Welthorizonte sind in ihm. Aber alles wirbelt und tanzt
- und dreht sich, und man sieht nur große Konturen, sieht nur Massen,
- zusammengeballt und mit fortgerissen in der rasenden Bewegung dieser
- Zeit. Man spürt das unerhörte Tempo der Gegenwart, der heutigen
- Epoche, während man dieses Buch liest. Man spürt gleichsam die Erde
- ringsum vibrieren, als erbebe sie bis in ihren Grund unter der
- zugreifenden Gewalt des Menschen. Man spürt das Fiebern, Keuchen,
- Wüten und geniale Delirieren der unermeßlichen Arbeit, die rund um
- uns her verrichtet wird. Und das ist zuerst ein beklemmendes Gefühl,
- dann aber ein befreiendes Glücksbewußtsein. Man wird niedergedrückt
- und gleich darauf angefeuert, hoch emporgehoben und wie berauscht
- von Mut, von Entschlußfreude und Zuversicht und von Seligkeit,
- dieses schäumende Leben von heute mitleben zu dürfen.
-
- (Neue Freie Presse, Wien)
-
-
-
-
- Im gleichen Verlag ist erschienen:
-
-
- Aage Madelung: Mein Kriegstagebuch
-
- 7. Tausend. Geheftet 2 Mark, in Leinen 3 Mark.
-
- Die Schilderungen Madelungs zeichnen sich durch schmucklose,
- anschauliche Schlichtheit aus. Nicht immer ist der Krieg eine
- unerbittliche Trennung; hier ereignet es sich, daß ein germanischer
- Nordländer begeisterte, glühende Liebe zu einer ihm fernstehenden
- Nation faßt. Madelung wird enthusiastisch, sowie er von Ungarn und
- den Ungarn spricht.
-
- (Wiener Zeitung)
-
-
- Aage Madelung:
- Jagd auf Tiere und Menschen
-
- 5. Tausend. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.
-
- Ein Urwaldmensch und ein Raffinierter. Welch seltsamer Widerspruch!
- Und ebenso widersprechend: in Sumpf und Moor ein wilder,
- weidlüsterner Jäger, und dann, am einsamen Reisigfeuer, ein vor sich
- hingrübelnder kosmischer Philosoph. Diesen Menschen muß man näher
- kennen lernen. Man findet seinesgleichen nicht alle Tage.
-
- (Neue Freie Presse, Wien)
-
-
- London und Paris im Krieg
-
- Reiseerlebnisse in Kriegszeit von Norbert Jacques
-
- 17. Tausend. Geheftet 1 Mark 50 Pfennig, gebunden 2 Mark.
-
- Das Buch ist Impressionismus in bestem Sinn; das gibt ihm einen
- hohen dokumentarischen Wert in alle Zukunft für den
- franko-englischen Gemütszustand im allgemeinen und für das
- französische Delirium im speziellen.
-
- (B. Z. am Mittag, Berlin)
-
-
-
-
- Sammlung von Schriften zur Zeitgeschichte
-
- Jeder Band gebunden 1 Mark
-
- 1. Band: Aus den Kämpfen um Lüttich. Von einem Sanitätssoldaten.
- 2. Band: Weltwirtschaft und Nationalwirtschaft. Von Franz
- Oppenheimer.
- 3. Band: Der englische Charakter, heute wie gestern. Von Theodor
- Fontane.
- 4. Band: Preußische Prägung. Von Lucia Dora Frost.
- 5. Band: Friedrich und die große Koalition. Von Thomas Mann.
- 6. Band: Die Fahrten der Emden und der Ayesha. Von Emil Ludwig.
- Mit 20 Abbildungen.
- 7. Band: In England – Ostpreußen – Südösterreich. Von Arthur
- Holitscher.
- 8. Band: Der deutsche Mensch. Von Leopold Ziegler.
- 9. Band: Russischer Volksimperialismus. Von Karl Leuthner.
- 10. Band: Die Flüchtlinge. Von einer Reise durch Holland hinter die
- belgische Front. Von Norbert Jacques.
- 11. Band: Zwischen Lindau und Memel während des Kriegs. Von Paul
- Schlenther.
- 12. Band: Deutsche Kunst. Von Karl Scheffler.
-
-
-
-
- S. Fischer · Verlag · Berlin
-
-
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-
-Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
-Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
-
- [S. 114]:
- ... „Und wie ist die Stimmung im allgemeinen. In ...
- ... „Und wie ist die Stimmung im allgemeinen? In ...
-
- [S. 156]:
- ... Man verstehe recht: nach einem Jahr Krieg, noch Monaten ...
- ... Man verstehe recht: nach einem Jahr Krieg, nach Monaten ...
-
- [S. 175]:
- ... und Festhubert nicht vergessen. – ...
- ... und Festubert nicht vergessen. – ...
-
-
-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER KRIEG IM WESTEN ***
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-
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-</head>
-
-<body>
-<p style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of Der Krieg im Westen, by Bernhard Kellermann</p>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
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-</div>
-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Der Krieg im Westen</p>
- <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Bernhard Kellermann</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Release Date: December 28, 2021 [eBook #67033]</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Language: German</p>
- <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em; text-align:left'>Produced by: Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This file was produced from images generously made available by The Internet Archive.</p>
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER KRIEG IM WESTEN ***</div>
-
-<div class="frontmatter chapter">
-<div class="centerpic logo">
-<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter chapter">
-<h1 class="title">
-Der Krieg im Westen
-</h1>
-
-<p class="aut">
-<span class="line1">Kriegsberichte</span><br />
-<span class="line2">von</span><br />
-<span class="line3">Bernhard Kellermann</span>
-</p>
-
-<p class="pub">
-<span class="line1">1915</span><br />
-<span class="line2">S. Fischer, Verlag</span><br />
-<span class="line3">Berlin</span>
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter chapter">
-<p class="cop">
-Erstes bis zehntes Tausend.<br />
-Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der Übersetzung.<br />
-Copyright 1915 S. Fischer, Verlag.
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="toc" id="INHALT">
-<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a>
-Inhalt
-</h2>
-
-</div>
-
-<div class="table">
-<table class="toc tocn" summary="">
-<tbody>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#ZURWESTFRONT">Zur Westfront</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-7">7</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DASFEUERVONYPERN">Das Feuer von Ypern</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-12">12</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIEFELDSCHANZE">Die Feldschanze</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-17">17</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIESCHLACHTFELDERINFLANDERN">Die Schlachtfelder in Flandern</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-24">24</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#NACHDENSCHLACHTEN">Nach den Schlachten</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-30">30</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#EINFLIEGERYYBERBRYYGGE">Ein Flieger über Brügge</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-38">38</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIESCHLACHTBEIARRAS">Die Schlacht bei Arras</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-44">44</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIELORETTOHYYHEUNTERFEUER">Die Lorettohöhe unter Feuer</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-48">48</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#NACHTKYYMPFEBEIARRAS">Nachtkämpfe bei Arras</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-57">57</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#EINTAPFERESREGIMENT">Ein tapferes Regiment</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-64">64</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#GEFANGENEAUSDERARRASSCHLACHT">Gefangene aus der Arrasschlacht</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-73">73</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIEGEWITTERSTADT">Die Gewitterstadt</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-80">80</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIEKYYMPFEBEIMOULINSOUSTOUVENT">Die Kämpfe bei Moulin-sous-Touvent</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-87">87</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#GRANATENAUFDIEVORORTEVONSOISSONS">Granaten auf die Vororte von Soissons</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-94">94</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#FLIEGERANGRIFFAUFFESSELBALLONE">Fliegerangriff auf Fesselballone</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-102">102</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DERGEFANGENESOZIALIST">Der gefangene Sozialist</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-109">109</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIEGRABENKYYMPFEBEISOUCHEZ">Die Grabenkämpfe bei Souchez</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-115">115</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DERKIRCHHOFVONSOUCHEZ">Der Kirchhof von Souchez</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-123">123</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIEYYBERLEBENDENAUSDEMKIRCHHOFVONSOUCHEZ">Die Überlebenden aus dem Kirchhof von Souchez</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-129">129</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DASSCHLACHTFELDARRASSOUCHEZLORETTOHYYHEVOMFESSELBALLONAUS">Das Schlachtfeld Arras-Souchez-Lorettohöhe vom Fesselballon aus</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-137">137</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a><a href="#DERARGONNERWALD">Der Argonnerwald</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-142">142</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIEKYYMPFEINDENARGONNEN">Die Kämpfe in den Argonnen</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-150">150</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#HYYHE285">Höhe 285</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-154">154</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DERKRIEGUNTERDERERDE">Der Krieg unter der Erde</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-159">159</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#LABASSYYE">La Bassée</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-165">165</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DIEGRYYBENBEILABASSYYE">Die Gräben bei La Bassée</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-171">171</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DICKELUFT">Dicke Luft</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-177">177</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DERHERRDERHAUBITZEN">Der Herr der Haubitzen</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-183">183</a></td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1"><a href="#DERSIEGREICHEANGRIFFINDENARGONNENAM8SEPTEMBER">Der siegreiche Angriff in den Argonnen am 8. September</a></td>
- <td class="col_page"><a href="#page-189">189</a></td>
- </tr>
-</tbody>
-</table>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="ZURWESTFRONT">
-<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
-Zur Westfront
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-3. Mai 1915
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">as</span> besetzte Frankreich ist heute Friede und Sonne.
-Der Zug fliegt dahin, sorglos und leicht, als ob er Vergnügungsreisende
-an Bord habe, durch grüne Täler
-und blühende Landschaften. Er hat nichts Martialisches
-mehr an sich. Vor Monaten keuchte und klirrte er, wie
-ein schwerer Krieger, der in die Schlacht geht, er rasselte
-wie Panzer und tastete sich zornig vorwärts. Heute ist
-er ein gutmütiger europäischer D-Zug geworden, der
-unbekümmert seine Meilen abfährt. Fern ist der Krieg.
-Auf den Höhen der Ardennen liegt die Sonne, die Luft
-schmeichelt, die junge Saat leuchtet. Die Felder sind bestellt,
-säuberlich bunt wie ein Teppich. Nur da und dort
-liegt ein Acker grau und welk, vergessen und verödet,
-ungepflegt und stumpf, wie ein Mensch, der trauert.
-Man sieht ihn meilenweit! Was an Leuten zurückgeblieben
-ist und nicht vor dem Krieg entfloh, arbeitet in
-den Fluren. Es sind nur spärliche, dünne Trupps,
-die in der Sonne zerrinnen. Viele, die diese fruchtbare
-Erde gebar, sind fort, und viele kommen nicht wieder.
-Eine leise Beklommenheit liegt auf dem Lande. Halbwüchsige
-Burschen, Frauen und Greise streuen die Saat
-und verrichten heuer jene Arbeit, die sonst den Kräftigsten,
-Blühendsten und Erfahrensten zusteht. Hingegeben und
-<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a>
-ganz bei der Sache, voll heißer Wünsche, denn das Brot
-ist kostbar, schreiten sie durch die Äcker und schwingen den
-Arm, mit jener schönen und freien Geste, die ein Symbol
-des Friedens und der Wiedergeburt ist. Der Pflug ist
-hinter den Kanonen hergekommen und nahm seine
-Arbeit wieder auf. Die Schützengräben hier und da,
-wo der Krieg seine Zähne einschlug, sind längst zugeschüttet,
-Narben in der gemarterten Erde, und der
-Pflug geht darüber. Bald wird sich das Korn hier
-wiegen und das Land wird vergessen. Verbrannte
-Häuser und Dörfer, im hellen Schrecken verlodert, erwecken
-heute, in der Sonne, in der summenden heißen
-Luft, den Eindruck, als seien sie einem Schadenfeuer zum
-Opfer gefallen. Nicht anders sehen sie aus. Sie jammern
-und schreien nicht mehr wie im Herbst und Winter,
-wo sie ihre rauchgeschwärzten, verstümmelten Mauern
-in den Himmel streckten. Der Frühling deckt sie zu.
-Sie schweigen. Grün und Blüten verhüllen ihren Gram.
-Ein blühender Kirschbaum steht jung und schön, triumphierend
-inmitten der rauchgebeizten Trümmer einer
-Mühle, und Gras und Blumen sind dabei, die verbrannte
-Erde zurückzuerobern. Das Leben ist stärker als der
-Tod und der liebe Gott läßt sich nicht durch Granaten
-imponieren! Im November war ich im zerschossenen
-Longwy, alles war durchlöchert, zerschmettert, verbrannt
-– aber schon trieben die angekohlten Platanen
-des Kirchplatzes wieder starke grüne Knospen. Herden
-von Rindern weiden friedlich im Gras, dem Geschäft
-des Fressens hingegeben, und Väterchen hütet sie, das
-alte nämliche französische Väterchen, mit Holzschuhen,
-<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
-einem verwilderten grauen Bart, hager und mit entzündeten
-Augen, die flache Mütze auf dem kahlen
-Schädel. Weidende Pferde, Stuten mit ihren Füllen.
-Eine glückliche Schwangerschaft hat sie vor schwerem
-Dienst bewahrt.
-</p>
-
-<p>
-Der Bahnhof von Sedan ist so still, daß ich ihn kaum
-wiedererkenne. Im Oktober stand hier Zug an Zug,
-Gewühl, Lärm, Staub, Kanonen, Truppen, Sanitäter,
-Schwestern, Gefangene, Verwundete, Schmutz und Blut.
-Er war ein krachendes Rad am Kriegswagen. Heute ist
-es der Bahnhof einer kleinen Provinzstadt mit mäßigem
-Verkehr. Nichts sonst. Zwei endlos lange Lazarettzüge
-stehen da, aber sie sind beide unbelegt. Sie stehen in der
-grellen Sonne, alle Türen und Fenster offen, und
-schlafen. Das Personal sitzt und sonnt sich. Eine kleine
-rotbäckige Schwester gähnt und klopft sich auf den Mund,
-als sie sich beobachtet sieht. Ein Krankenwärter sitzt auf
-dem Trittbrett und schneidet sich sorgfältig die Nägel; ein
-andrer wäscht sich, er hat eben ausgeschlafen. Im Arztwagen
-ist keine Seele zu sehen. Wahrhaftig, wäre es
-nicht frivol, so könnte man sagen, die Lazarettzüge sehen
-wie Badehotels aus, die auf Gäste warten. Bei den
-Rampen stehen auf den Loren zwei nagelneue Flugzeuge,
-die Flügel zusammengeklappt, wie Schmetterlinge, die
-eben aus der Hülle schlüpfen und sich die Flügel von der
-Sonne trocknen und ausbügeln lassen. Bald werden
-sie hoch oben auf der sonnigen Luft liegen. Vom Frühling
-ausgebrütet, glänzend neu, liegt Material da und
-dort auf den Stationen: Lastautomobile, ohne Tadel,
-grüngestrichene Pumpen, feldgraue Karren; ein Trupp
-<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a>
-Infanterie, mit neuen Uniformen und frischen, roten
-Gesichtern, wie Knospen, gerade vom Gärtner geschnitten.
-Auf einem in der Sonne blitzenden Geleise stehen ein
-paar Geschütze. Neu wie das Gras auf der Wiese. Sie
-haben noch kein Blut geschluckt, es sind Kanonenjungfrauen;
-drall, massiv, die Haut glatt und kalt. In ihre
-ehernen runden Hüften gestützt, harmlos und unschuldig
-wie junge Raubtiere, glotzen sie mit ihren runden Mäulern,
-von dem Instinkt ihrer Rasse getrieben, in die
-Richtung, in der sie den Feind wittern.
-</p>
-
-<p>
-Der Zug fliegt weiter, läßt die Jungfern hinter sich,
-die neugierig und dumm noch immer in die gleiche
-Richtung starren, bis sie plötzlich hinter einem Berg von
-Blüten verschwinden. Ja, die Geschütze werden bis an
-den Hals in Blumen versinken, aber feuern werden sie
-doch! Eine Feldwache liegt unten im Schatten von
-Kastanien und schreit nach Zeitungen. Auch sie, die
-Biedern und Treuen, haben ein frühlingshaftes und
-friedlicheres Aussehen bekommen. Früher, in den kalten
-Monaten, eingemummt in Decken, Tücher und Mäntel,
-erschien jeder einzelne, der an der Strecke stand, wie ein
-festmontierter Panzerturm, drohend und unerbittlich.
-Heute, mitten im Grün, sehen sie lachend und friedfertig
-aus, wie gutmütige, treuherzige Burschen, die sie sind.
-Das herrliche Wetter hat sie aus ihren Löchern und
-Bauten gelockt und sie sonnen sich und genießen. Sie
-haben es redlich verdient. Ich konstatiere mit Freuden,
-daß der Winter ihnen nichts geschadet hat. Wohlgenährt,
-rosig und blühend sehen sie aus. Sie sind guter Laune
-und nun ganz zu Hause. Eine Wache hat große Wäsche
-<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
-und wirtschaftet schwitzend und halbnackt im Garten.
-Die Herrlichkeiten bleichen auf dem Rasen. Ein Dienstfreier
-hat soeben sein Bad genommen. Nur mit einer
-hochgekrempten Leinenhose bekleidet, sitzt er im saftigen
-Gras und schmort. Er hat ein Handtuch wie einen Turban
-um den rotglühenden Schädel geschlungen, da sitzt
-er wie ein Sultan und glänzt vor Gesundheit und guter
-Laune. Neben ihm hockt ein winziger weißer Hund,
-kaum acht Tage alt. Andre stehen vergnügt in einem
-Kreise von Weibern und Kindern und winken dem Zuge
-zu. Häufiger und häufiger aber werden die Angler!
-</p>
-
-<p>
-Ist es das französische Wasser, das zum Angeln lockt?
-Ist es der französische Fisch? Jedenfalls sitzen sie genau
-wie Stockfranzosen geduldig und aufmerksam mit der
-Rute da, wie gewiegte Sportsleute und Kenner und ergeben
-sich der Hypnose des glitzernden Wassers. Es
-handelt sich hier um einen Sport wie jeden andern, und
-der Erfolg ist nicht die Hauptsache. Sie sitzen an Pfützen
-und Löchern, wo gar keine Fische sein können, aber das
-ist einerlei. Auf einer Station trete ich an einen feldgrauen
-Angler heran, der so angespannt arbeitet, daß
-er nicht einmal nach dem Zug umblickt. Ich erlaube mir
-die Frage, ob er schon etwas gefangen habe? Der
-Angler dreht bedächtig den roten Nacken. Ob ich nicht
-sehen könne? Er ist Württemberger. Ach so! Entschuldigen
-Sie. In einer Blechbüchse neben ihm schwimmen
-zwei winzige Sardinen.
-</p>
-
-<p>
-Aber was ist das? Eine Rudergesellschaft! Fünf
-Feldgraue befahren in einem gebrechlichen Nachen einen
-Wassergraben, kaum zwei Schritt breit. Sie haben so
-<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
-voll geladen, daß der Mann im Heck schon mehr im
-Wasser sitzt als im Boot. Mit ihren primitiven Rudern
-legen sie einen Knoten in der Stunde zurück. Aber Sport
-ist Sport. Plötzlich schreien sie laut und wild und lachen:
-sie sind auf Grund gelaufen.
-</p>
-
-<p>
-So viel frohe und helle Stimmen sind in der Luft.
-Die Hühner gackern in den Gärten, Vögel zwitschern,
-Kinder wälzen sich lärmend im Gras, die Luft summt von
-Insekten. Der Himmel strahlt Zuversichten und Hoffnungen.
-Man atmet auf. Viele Monate hat man an
-einem schweren Gedanken getragen ...
-</p>
-
-<p>
-Ich will in den Speisewagen gehen und frühstücken.
-Aber gerade als ich die schlingernden Korridore entlang
-balanciere, beginnt es in der Ferne zu brummen. Ich
-horche auf. Es rollt, murrt, grollt wie Gewitter, ein
-Satz ferner Kanonenschläge. Er steht immer noch da
-draußen, der blutige Trommler und schlägt seine Wirbel!
-Ich hatte ihn fast vergessen.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DASFEUERVONYPERN">
-Das Feuer von Ypern
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-8. Mai 1915
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">W</span><span class="postfirstchar">ährend</span> die verbündeten Armeen in Westgalizien das
-russische Tor aus den Angeln brechen, sind wir hier oben
-im Westen dabei, die englisch-französische Panzertür einzurennen.
-Der Gegner hier oben ist zäher und intelligenter
-und läßt sich die Zähne aus dem Maul schießen,
-bevor er weicht. Die Kämpfe sind wütend. In aufrechten
-Sturmkolonnen liefen die Engländer da und dort
-gegen das Feuer unsrer Gräben an. Man ist guten
-<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
-Muts und voller Zuversicht. Wie ich höre, haben sich
-unsere Truppen in höllischen Nahkämpfen wie Rasende
-geschlagen. Sie gingen wie glühende Teufel vor. Ich
-sah sie heiß und dampfend aus den Stellungen zurückkehren,
-und der Rausch des Kampfes lag noch in ihren
-siedenden Augen und über den rauchenden, marschierenden
-Kompanien. Einige trugen Verbände, die meisten
-hatten schon wieder den Weg in die Wirklichkeit zurückgefunden
-und lachten. Seit den letzten Tagen dröhnt
-hier Himmel und Erde vom Donner der Geschütze.
-Die Kraterkette, die die deutschen Batterien in weitem
-Bogen gegen Ypern vorschoben, speit täglich Hunderte
-von Tonnen Eisen in den Hexenkessel von Ypern hinein.
-Ein Hauptmann versicherte mir, das Feuer sei heftiger,
-als es vor Antwerpen war.
-</p>
-
-<p>
-Heute morgen um sechs Uhr war ich an der Front,
-die im Südosten an das Operationsgebiet von Ypern
-stößt. Die Kanonen sind noch früher aufgestanden.
-Sie pochen, atemlos, wie schwere Schmiedehämmer, die
-im Akkord arbeiten, und die Luft wettert von den wütenden
-Schlägen. Auch nicht eine einzige kleine Sekunde
-Pause gönnen sie sich. Sie sind ein Rudel von Gewittern
-im Hochgebirge, die knurren und grollen, verstört hin
-und her irren und nicht zur Ruhe kommen. Häufig fallen
-die Schläge zusammen, und dann dröhnt und rollt es,
-als donnere eine Bergwand zu Tal. Sie stampfen über
-und unter der Erde, sie sind ringsum, überall. Der
-ganze Horizont brandet. Sie saugen die Atmosphäre
-ein und schnauben sie aus. Das Gebäude der Luft
-wankt. Je näher das Auto jagt, desto wütender und
-<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a>
-wilder wird das Feuer. Deutlich hört man aus dem
-atemlos auf und ab wogenden Pochen und Stampfen
-das böse, tiefe Raubtierknurren der schwersten Geschütze
-heraus, die die andern überbrüllen.
-</p>
-
-<p>
-Wir halten in einem zerschossenen Gehöft, einige
-hundert Meter von den englischen Stellungen entfernt,
-und der Boden rollt ununterbrochen unter meinen
-Füßen, wie von schweren Lastautomobilen. Die Seismographen,
-denke ich, müssen die Erschütterung der
-Erdkruste auf Hunderte von Meilen im Umkreis anzeigen,
-falls sie etwas taugen. Ich habe noch kein Erdbeben
-erlebt, aber es kann kaum anders sein. Es ist
-richtiges wildes Trommelfeuer (ein neues Wort für
-mich) und zuweilen verschlägt es mir den Atem, obschon
-ich einigen Lärm vertrage. Schlag auf Schlag, bebend
-von Leidenschaft, unerbittlich und rasend, Salvenhiebe
-eines Boxers, der den Gegner erbarmungslos niederhämmert.
-Die Geschütze schütteln sich vor Wut, sie
-glühen und taumeln, kochenden Schaum vor dem Maul,
-und speien ihren Haß hinüber.
-</p>
-
-<p>
-Der Morgen ist göttlich. Die Welt leuchtet und die
-Vögel singen unbekümmert. Aber ich sehe und höre nicht,
-ich ergebe mich der lauten Brandung des Feuers, die
-mächtig, wie der Ozean, daherrollt. Zuweilen wage ich
-es, einen kleinen scheuen Blick zum Himmel emporzuwerfen,
-der in seiner Herrlichkeit blendet, zuweilen erbleiche
-ich im Innern, und manchmal hätte ich Lust,
-mich zu bekreuzen. Ich bin, ohne mich’s zu versehen,
-mitten in ein Gewitter der Urzeit geraten, da die Erde
-sich spaltete und die Gebirge gebar. Oder was ist es?
-<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
-Führt die Erde Krieg mit der Sonne und befeuert sie
-aus ihren Vulkanen rasend das Gestirn am Himmel?
-Poltern Unholde im Raum, die ich nicht sehe und die
-rings um mich toben? So unheimlich und mächtig ist
-das Toben, von solch elementarer Wucht, daß meine
-Maßstäbe versagen, wie vor den Zahlen der Astronomen,
-und es mir schwer wird zu glauben, daß hier Menschen
-kämpfen und auf Fleisch und Knochen geschossen wird.
-Ja, verstehst du wohl, es ist der Mensch, von menschlichen
-Müttern geboren, der hier eine Sache unter sich
-ausmacht. Auf seine Art, mit seinen Maschinen und
-seinem Zorn. Der Dämon der Erde, angefüllt mit urweltlichen
-Instinkten, die lange schlafen und die ein
-Nichts wecken kann. Ich bin, wenn man will, in ein
-Völkergewitter geraten, das sich wütend entlädt, bei
-dem es Eisen hagelt und Blut regnet.
-</p>
-
-<p>
-Ich muß gestehen, ich möchte heute nicht in Ypern
-und in der Umgebung Yperns sein. Ich möchte auch nicht,
-daß ein Freund und Bruder von mir dort wäre. Selbst
-für englische Nerven, denke ich, muß es genügen, und
-ich bin sicher, heute gehen ihnen die Pfeifen aus. Ich
-spreche gar nicht von den Franzosen und Farbigen,
-die mit der Hälfte zufrieden wären. Sie – die Engländer
-– wissen recht gut, daß es uns Ernst ist, und
-täuschen sich nicht über die Lage. Unerbittlich und mitleidlos
-ist die Sprache der Geschütze. In ganzen Rudeln
-stoßen ihre Flugzeuge aus dem Feuerloch, aufgescheucht
-und unruhig, und kreuzen hartnäckig und verzweifelt
-über unsern Stellungen, um die Geschütze zu finden.
-Wie zornige Raubvögel, deren Horst brennt, kreisen sie
-<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
-hoch oben und spähen nach dem Feind. Heute morgen,
-vor fünf, hat mich schon das Krachen der Abwehrkanonen
-aus den Federn getrieben. Nun, da der Tag
-wächst, stehen bald rechts, bald links hoch oben am blauen
-Himmel die Reihen der weißen Schrapnellwölkchen.
-Plötzlich kracht es auch dicht neben mir, ein harter und
-naher Knall, und eine Granate zischt gierig und böse
-knirschend über meinen Kopf hinweg in den Himmel
-empor. Ein englischer Doppeldecker in eiliger Fahrt,
-gut 2000 Meter hoch. Das Schrapnell explodiert hinter
-ihm. Zwei, drei. Wie Raketen fauchen sie in die Höhe.
-Vier, fünf. Ein Maschinengewehr rasselt und streut eine
-Fontäne von Spitzkugeln in den Äther. Nun reißt ein
-Geschütz in einiger Entfernung links ab und der Engländer
-bekommt Stirnfeuer. Prächtige Schüsse! Ein
-Schrapnell muß dicht über ihn weggeflogen sein. Der
-Engländer hat genug, er wendet in toller Kurve und geht
-mit dem Wind davon. Aber er kommt wieder. Dreimal versucht
-er es, hartnäckig und kühn, unsre Stellungen zu überfliegen,
-und dreimal muß er zurück. Das Maschinengewehr
-hämmert wie toll und kann sich nicht mehr beruhigen.
-</p>
-
-<p>
-Das Geschützfeuer aber rollt und pocht, ohne Atem
-zu holen, die Salven dröhnen. Die Schlacht geht weiter.
-Wie sage ich? Sie hat erst <em>begonnen</em>. Es ist sieben Uhr.
-</p>
-
-<p>
-Am Abend sah ich die Sonne im Westen versinken,
-blutrot, groß und düster, wie sie an großen historischen
-Schlachttagen gesunken sein soll. Sie sah aus wie ein
-blutüberströmtes Antlitz, die Sonne von Ypern, naß,
-zerschossen, und sterbend noch voll Majestät.
-</p>
-
-<p>
-Die Geschütze aber schlugen noch immer.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIEFELDSCHANZE">
-<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
-Die Feldschanze
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Mai 1915
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">er</span> Adlerwagen fegt die Landstraße hinunter, als
-sei der böse Feind hinter ihm her. Er springt in langen
-Sätzen über die frischbeschotterten Granattrichter hinweg
-und sucht so rasch wie möglich in Deckung des zerschossenen
-Gehöftes zu kommen, auf das die staubige
-Straße schnurgerade zuführt. Die Sache ist die: gewöhnlich
-setzt es hier eine Lage, und die feindlichen Geschütze
-sind, wie ein Blinder sehen kann, verteufelt genau
-eingeschossen. Allein nichts geschieht. Der Wagen duckt
-sich hinter eine Backsteinbaracke, ein ehemaliges Wirtshaus,
-dessen Stirn jämmerlich zerschmettert ist wie von
-Keulenhieben. Hier pflegen die Granaten gewöhnlich
-einzuschlagen.
-</p>
-
-<p>
-Der Begleitoffizier hegt noch immer Hoffnungen.
-Er lauscht hinüber, und ich sehe ihm deutlich an, daß er
-enttäuscht ist. Er hatte mir die Lage angekündigt und
-empfindet es als eine Störung des Programms, daß
-der Feind zu faul ist zu schießen.
-</p>
-
-<p>
-„Dann bekommen wir sie sicher auf der Rückfahrt!“
-Das ist ein gewisser Trost.
-</p>
-
-<p>
-Zu Fuß geht es weiter, denn er – der Feind – würde
-es als eine Achtungsverletzung betrachten, wenn man
-auch die allerletzte Strecke zu den Gräben noch im Auto
-zurücklegte. Es gibt immerhin Grenzen. Eigentümlich
-ist das Gefühl, zu Fuß zwei Kilometer in der hellen Sonne
-eine Landstraße entlang zu promenieren, ohne jede
-Deckung, knappe achthundert Meter an den feindlichen
-Gräben entlang. Sie können uns ja deutlich sehen,
-<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
-mit bloßem Auge, und die roten Streifen der Offiziersmützen
-leuchten weithin. Weshalb schießt er nicht? –
-„Sie frühstücken, sie rasieren sich.“ – Drüben liegen
-Engländer. Sie trinken jetzt wohl Tee und essen Marmelade
-dazu, was mögen sie tun? Immerhin, es liegen
-Hunderte von Gewehren schußbereit. Vielleicht reizt
-sie das kecke Rot der Offiziersmützen, vielleicht haben
-sie schlecht geschlafen, oder vielleicht sind sie mit dem
-Frühstücken gerade fertig geworden und haben Lust, ein
-wenig zu arbeiten. Es ist möglich, ja wahrscheinlich,
-daß uns ein Offizier durch das Glas genau beobachtet,
-in unsern Mienen mit den Blicken herumtastet, und es
-lediglich von seiner Laune abhängt, ob er feuern lassen
-will. Nichts ereignet sich. Auf dem Rückweg allerdings,
-ich will das vorausnehmen, summten ganz unvermittelt
-ein paar Kugeln über uns weg – aber nur weil wir
-stehengeblieben waren, um einen Flieger zu beobachten.
-Es gibt eben hier Sitten wie überall, gehen ist erlaubt,
-stehenbleiben wird als Unhöflichkeit angesehen.
-</p>
-
-<p>
-In dem von Granaten übel zugerichteten Dorf
-empfängt uns der Kommandeur des Regiments. Ein
-Mann wie aus Wurzelholz geschnitzt, knorrig, stark und
-schlicht, ohne Pose und ohne Phrase. Das gibt es hier
-außen nicht. Er hat die Augen des Frontoffiziers,
-<em>Frontaugen</em>, die aus Hunderten herauszufinden ich
-mich jederzeit erbiete. Sie sind glänzend und rein, bewußt,
-ein wenig nachdenklich und voll Anteilnahme.
-Der Mensch ohne Lack und Firnis blickt aus ihnen.
-Es sind Augen, wie Menschen sie haben, die der Tod
-anschauerte, die er zuweilen mit seinem Finger berührte
-<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
-und denen er ein kleines Wort zu irgendeinem Augenblick
-ins Ohr flüsterte.
-</p>
-
-<p>
-Wir steigen in die Schanze ein. Hier stand früher einmal
-eine Brauerei. Früher! Die Granaten sind heißhungrig
-darüber hergefallen und haben nur Trümmer
-übriggelassen. Sie haben die Mauern zerfressen, die
-Kamine mit Stumpf und Stiel verschlungen und Kessel
-und Röhren zu Klumpen zerkaut. Fanden sie nichts
-andres, so fraßen sie tiefe Löcher aus der Erde. Laufgänge
-und Schützengräben durchspinnen und umspinnen
-den Komplex der Ruine. Mit Sandsäcken und erdgefüllten
-Bierfässern hat der Kommandeur ein Fort aus
-den Trümmern gebaut, eine groteske und musterhafte
-Festung, in der man vor Gewehrkugeln wenigstens ziemlich
-sicher ist, wenn man nicht allzu großes Pech hat.
-Wieder und wieder versucht der Feind, die Schanze
-durch Granaten zu zerstören, immer wieder wird geflickt,
-gebaut und verrammelt. Bombensichere Mannschaftsunterstände
-mit winzigen Eingängen – Villa Duck dich,
-Villa Frieden usw. – mit kleinen blühenden Gärtchen
-davor. Hier und da ein paar blumengeschmückte Gräber.
-Der „Friedhof der Leichtsinnigen“. Hier ruhen zur
-Warnung für die Lebenden jene Tapferen, die aus Unvorsichtigkeit
-und Leichtsinn dem Tod entgegenliefen.
-Sie streckten den Kopf aus dem Graben, um zu sehen,
-ob etwas los wäre, sie krochen aus dem Graben heraus,
-obgleich es verboten ist, nur um einmal etwas <em>Neues</em> zu
-tun. Nun liegen sie da, dicht neben den Blumenbeeten,
-und die Kameraden pfeifen ihr Liedchen über ihr Grab.
-Das ist, ganz kurz, was es hier oben zu sehen gibt,
-<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
-zwischen den Wällen sozusagen. Die eigentliche Festung
-aber liegt in den Kellern der Brauerei, zweistöckig und
-labyrinthisch. Nasse, finstere, niedrige Gänge wie in
-einer Schauerburg. Trübes Bier schwimmt in einem
-Graben, Treppen und Verschläge, die in pechschwarze
-Stollen und Kamine hinabführen, Mauern aus Sandsäcken
-und Fässern. Schießscharten dazwischen, vorsichtig
-mit Ziegelsteinen verschlossen. Sehr freundlich sieht es
-hier nicht aus. In den Kellerräumen, wo die Mauern
-am dicksten sind, schlafen die Mannschaften beim trübseligen
-Schein einer verstaubten, elektrischen Lampe.
-Sie liegen, dicht nebeneinander gepackt, in Uniformen
-und schweren Stiefeln, so wie sie aus den Gräben kommen.
-Wie verwunschene Bergleute, von einem Zauber eingeschläfert,
-liegen sie da. Sie wachen nicht auf, wenn
-wir eintreten. Der Schweiß perlt auf ihren eckigen
-Stirnen, es ist heiß hier unten. Sie genießen den Schlaf,
-sie klammern sich an ihn. Heute sind sie soundsoviel,
-morgen sind sie einer oder zwei weniger. Ein Platz wird
-leer sein oder zwei oder mehr. Daran sind sie gewöhnt.
-Sie leben von heute auf morgen, und sie gehen vom
-Leben in den Tod, wie man eine Tür zumacht, und
-niemand sieht sie wieder. Wenn sie heute das erste Wort
-sprechen, so wissen sie nicht, ob es nicht ihr letztes ist.
-Ein junger Schläfer schwitzt stärker als die andern, seine
-Wimpern sind nahezu weiß. Auf seinen roten Backen
-flimmern feine Härchen. Sein Mund steht offen und
-zeigt die weißen starken Zähne. Er scheint zu lachen im
-Schlaf und schläft so ruhig und gesund wie in seinem
-Dorf zu Hause. Neben ihm liegt ein Dunkelhaariger,
-<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
-mit gelber Gesichtsfarbe und dichten Bartstoppeln. Er
-schläft unruhig und röchelt gepreßt. Träumt er? Träumt
-er, daß der Engländer kommt und ungeniert in den
-Drahtverhauen wirtschaftet, und er schießt und schießt,
-aber der Engländer ist nicht zu treffen, er zieht eine
-Zange heraus und fängt an, in aller Gemütsruhe die
-Drähte zu durchschneiden ... Plötzlich öffnet er die
-Augen, sie blicken grünlich, und starrt mich an. Sobald
-er sich regt, taucht hinten ein fahles Gesicht empor.
-Aber im nächsten Augenblick schlafen sie wieder, und alle
-schlafen, dicht aneinandergedrückt, tief und traumlos, als
-ob sie keine Lust hätten aufzuwachen.
-</p>
-
-<p>
-Luft, Licht. Wir tauchen aus dem dunkeln Bergwerk
-empor in die grelle Sonne. Über meinem Kopfe rasselt
-und trommelt plötzlich ein Kobold in den Kupfertöpfen
-der Brauerei. Eine Kugel. Sahen sie uns an den Schießscharten
-vorübergehen? Die Gräben sind das Letzte
-an Bequemlichkeit und Umsicht. Tief eingeschnitten,
-so daß man sich nicht zu bücken braucht, die Schießscharten
-solid verschalt wie tiefe Nischen. Bei jeder ein Täfelchen
-mit dem Namen des Schützen. Der Boden ist mit
-Brettern ausgelegt, und da und dort steht: Nicht ausspucken!
-Es spuckt auch niemand aus. Eine Dame
-könnte in einem Ballkleid hier gehen. Ich habe von
-französischen Gräben gehört, wo sie in ihrem eignen
-Dreck herumlaufen und ihre Toten, mit einer Lage Erde
-darüber, als Diele benützen. Ein Toter ist tot und spürt
-nichts mehr, aber trotzdem ...
-</p>
-
-<p>
-„Sehen Sie etwas?“
-</p>
-
-<p>
-„Ja. Einer guckt immer mit dem Kopfe raus. In
-<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a>
-der Nacht haben sie eine Puppe an einer Stange aufgehängt.
-Dort!“
-</p>
-
-<p>
-Durch die kleine, rechteckige Schießscharte blickt man
-in das grüne Land hinein, wie durch ein Fernrohr.
-Unsere Drahtverhaue, dann eine Wiese, die leicht im
-Winde schwankt. Dahinter dünnes, wirres Gestrüpp.
-Das sind <em>seine</em> Drahtverhaue. Ein kleiner Wall aufgeworfener
-Erde. Sonst ist nichts zu sehen, so sehr ich
-mich auch anstrenge. Auf diesem Streifen Wiesenland,
-ein paar hundert Meter breit, bewegt sich nichts, seit vielen
-Monaten nichts. Es ist ein verfluchter Streifen Land.
-Das Gras wächst, weil es keine Vernunft hat, aber kein
-Falter, kein kleiner Vogel lebt hier. Nur die Kugeln
-spinnen ihr Netz darüber. Plötzlich erschrecke ich. Da
-steht, man mag es glauben oder nicht, wahrhaftig ein
-Mensch aufrecht und unbekümmert auf dem Erdwall
-drüben! Ich erschrecke für ihn, obwohl ich es ja nicht
-bin, der da drüben steht, und ich erschrecke vor allem,
-weil sich auf diesem leblosen Streifen Land überhaupt
-etwas zeigt. Ist er toll geworden? Aber das ist ja die
-Puppe! Dann und wann knallt es da drüben, in der
-Ferne rumpelt Geschützdonner. Die Schanze aber
-schweigt. Sie hat seit zwei Tagen keinen Schuß abgegeben.
-„Es ist ein richtiger Spaß! Er soll glauben,
-daß wir fort sind.“ Aber er glaubt es ja doch nicht.
-Gestern hat er alle Schießscharten einzeln abgestrichen
-und die Schanze hatte zwei Tote.
-</p>
-
-<p>
-Sonderbar ist so ein winziges rechteckiges Fensterchen
-ins grüne Land. Es ist ein Fenster ins Jenseits ...
-Es ist möglich, daß in dem gleichen Augenblick, in dem
-<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
-der Feldgraue hinaussieht, der Tod hereinblickt, und
-der Feldgraue erschrickt und fällt hintenüber ...
-</p>
-
-<p>
-Ein Gewirr sind die Gräben, auf, ab, hin und her.
-Maschinengewehre, sie haben den schönsten Platz. Überall
-stehen Posten. Sie stehen hier Tag und Nacht, heute,
-morgen und in diesem Augenblick. Seit dem Herbst,
-da das Laub fiel, und jetzt ist es wieder grün.
-</p>
-
-<p>
-In den letzten Tagen hat die Festung ein neues Fort
-dazubekommen. Der Feind hat einen Minengang vorgetrieben
-und gesprengt. Es ist ein Krater, rund und
-groß wie ein Karussell, und der Rand des Kraters ist
-schon wieder ausgebaut und befestigt. Ideal ist das
-Fort, es flankiert unsere Gräben. Leider hat es drei
-von unsern tapfern Leuten gekostet. Sie liegen tief
-unten in der Erde, so tief, daß man sie nicht holen kann.
-So hat hier jeder Tag seine Ereignisse, und die nächste
-Minute kann sie bringen. Er kann ja eine neue Mine
-hochfliegen lassen, Gott weiß, worüber er jetzt, in dieser
-Sekunde, brütet?
-</p>
-
-<p>
-Ein Laufgang führt mitten durch das zerschossene
-Dorf zum Unterstand des Kommandeurs. Hübsch und
-freundlich ist es hier unten, eine Schiffskabine erster
-Klasse unter der Erde. Hierher kommen die Offiziere
-zuweilen des Abends, sozusagen, wenn sie ausgehen
-wollen. Es sind nur hundert Schritte, aber es ist immerhin
-eine Abwechslung. Nur eine Schattenseite hat dieser
-Salon unter der Erde. Er stößt direkt an den Friedhof.
-Die Granate ist ein böses Tier ohne Vernunft. So ist
-sie wiederholt in den Friedhof gefahren, wo sie nichts zu
-suchen hatte, und hat die Gräber der französischen Bürger
-<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
-aufgerissen. Sie warf die Grabsteine durcheinander,
-hat die Gebeine mit in die Tiefe gerissen, und in einer
-Familiengruft schwimmt ein Kindersarg. Von der
-Treppe des unterirdischen Salons aus sieht man über
-eine Reihe frischer Gräber. Das sind die Toten der
-Schanze. Der frühere Kommandeur, Offiziere, Unteroffiziere
-und Mannschaften. Nebeneinander liegen sie,
-so wie sie auf der Schanze nebeneinander kämpften.
-</p>
-
-<p>
-Ja, hier liegen sie, aber in Wahrheit sind sie nicht tot.
-In Wahrheit leben sie, denn sie sind unvergessen. Sie
-leben mit den Kameraden auf der Feldschanze, ganz wie
-früher. Sie wandern durch die Schlafgewölbe und sehen
-nach, ob sie noch nicht aufstehen, sie sitzen auf den Gräbern
-und lauschen auf die Gespräche der Kameraden. Bei
-den Maschinengewehren stehen sie und lugen aus. In
-der Nacht wandern sie in den Gräben. Sie warnen die
-Kameraden, sie richten ihnen die Gewehre, sie zeigen
-ihnen den Feind: <em>dort, dort</em> ...
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIESCHLACHTFELDERINFLANDERN">
-Die Schlachtfelder in Flandern
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Mai 1915
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">urch</span> die Luke in der Kirchturmspitze hat man einen
-weiten Blick über das Land: unten liegt winzig und verwinkelt
-das Dorf. Ein paar Häuser sind zerschossen.
-Soldaten hantieren vor den Häusern. Eine Radfahrerabteilung
-– braune Marinesoldaten, das Gewehr auf
-dem Rücken – schlängelt sich über den kleinen Marktplatz.
-Ein großes Postauto tutet und überholt sie.
-Karren, trottende Pferde, die roten Gesichter der Fuhrleute
-<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
-sind alle nach oben gerichtet. Zwei Flugzeuge
-kreuzen unter den grauen Wolken. Rasch und klein wie
-eine Maus läuft das entferntere am Himmel entlang.
-Hinter dem kleinen Dorf aber breitet sich das Land.
-Flandern. Es ist grün von den Wiesen und gelb von
-den blühenden Rüben, ganz flach; trübe und resigniert
-duckt es sich unter dem hängenden Gewölk. Silhouetten
-von Alleen, die die Landstraßen begleiten, stehen geisterhaft
-auf dem Lande, eine hinter der andern, wie Schleier,
-die herabhängen, und alle scheinen sie parallel, quer durch
-das Land zu laufen, bis zum Horizont, wo eine graue
-Regenwolke Ypern verbirgt. Dazwischen flache graue
-Wolken, die auf der Erde liegen, Wälder und Wäldchen,
-die niemand kannte, und die plötzlich einen Namen bekamen:
-Polygonenwald, das Wäldchen von St. Julien.
-Hier standen die vier großen englischen Geschütze. Hinter
-den geisterhaften Silhouetten der Alleen Dörfer, Reste
-von Dörfern, dem Auge kaum erkennbar. <em>Zonnebeke</em>,
-<em>St. Julien</em>, <em>Langemark</em>. Im Frieden werden Orte
-berühmt durch ihre Kultur und ihren Geist, im Krieg
-durch ihr Unglück. Da liegen sie und verstecken sich in
-der Erde. Still und verzweifelt liegt das Land, und
-der Donner der Geschütze rollt darüber weg.
-</p>
-
-<p>
-Heute, Flandern, mit deinen geisterhaften Alleen,
-die stillstehen und sich nicht bewegen, erscheinst du mir
-wie ein großer Friedhof.
-</p>
-
-<p>
-Eine knappe Viertelstunde von dem Kirchturm entfernt
-zieht sich ein lehmiges ausgetrocknetes Flußbett in
-weitem Bogen durch die Landschaft. Oft nähern sich
-die Ränder bis auf dreißig Meter, oft entfernen sie sich
-<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
-bis auf ein paar hundert. Die Ränder sind tief ausgegraben,
-unterhöhlt, gewunden und verzweigt, wie
-Bauten von Bibern. Das sind die verlassenen Stellungen.
-</p>
-
-<p>
-Hier auf diesem Gürtel Landes lagen sie einander
-sechs lange Monate gegenüber, Tag und Nacht, und Tag
-und Nacht saß der Tod dicht angelehnt neben jedem einzelnen
-Mann. Hier lagen die Gewehre und hier, man
-sieht es noch deutlich, standen die Maschinengewehre.
-Zwischen den Gräben lagen die Leichen, wo sie gerade
-hinfielen, und da lagen sie und blieben liegen, und die
-Kugeln durchlöcherten sie noch hundertfach, obschon sie
-schon zehnfach gestorben waren. Tausendfach starb hier
-jeder einzelne Mann, auch der, den der Zufall verschonte.
-Oft raste der Tod hier wie ein Orkan, mit Finsternis,
-Feuer, Eisen und erstickenden Gasen. Die Gräben
-wurden eingetrommelt, Meter für Meter. Einmal
-hatten sie drüben Besuch (nicht in den Gräben, sondern
-weit dahinten!), zwei Könige und einen Präsidenten.
-An diesem einzigen Tage warfen sie <em>siebzigtausend</em> Granaten
-herüber – und wir hatten keine dreißig Mann Verluste.
-Sie gaben den hohen Herrschaften eine Vorstellung
-und schossen ein Vermögen in die Luft hinein.
-Die Komödie auf dem Schlachtfelde! So und nicht
-anders ging es hier zu. Der Soldat kroch in die Erde.
-Aber da kam ihm das Wasser entgegen. Bis an die
-Knie wateten die Tapfern im Wasser. Jedes Haus hinten
-war zerschossen und die Trümmer unausgesetzt unter
-Feuer. Es entstanden ganze Städte unter der Erde,
-Städte in Wäldern, die Mannschaften ruhten aus in
-<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
-Eisenbahnzügen, die zurück mußten, sobald das Feuer
-zu stark wurde.
-</p>
-
-<p>
-Die Erde bei den Gräben ist zerrissen. Trichter an
-Trichter. Der Regen spritzt heute in den kreisrunden
-Lehmtümpeln. Auch die Allee hat mitgekämpft. Die
-hohen Bäume schlugen der Länge nach hin, wie Riesen,
-von der Granate in den Wurzelbau getroffen und hochgeschleudert.
-Sie wurden in der Mitte abgerissen. Ihre
-Kronen stürzten zersplittert in das Feld, und so stehen
-sie noch. Kein Baum, der nicht seine Wunde hätte,
-manche sind von oben bis unten zerfetzt. Die Allee hat
-sich tapfer geschlagen, die Allee von Poel-Capelle nach
-St. Julien. Eine Armee von Krüppeln steht an der
-Straße.
-</p>
-
-<p>
-Die verlassenen Gräben sind mit allerlei Schutt angefüllt.
-Konservenbüchsen, Waffenteile, zerweichte und
-unleserlich gewordene Briefe. Ein blutiger Tuchfetzen,
-den einer an die Wunde preßte, erblassend und zu Tode
-erschrocken. Sie sprechen eine grauenhafte Sprache und
-ihr Flüstern verfolgt mich. Es ist sehr still hier und es
-hat den Anschein, als ob die Stille sich über den Gräben
-verdichtete und über all den Dingen, die einst Menschen
-gehörten. Ich wünschte wohl, sie kämen hierher, die drei
-hohen Herrschaften, zu deren Ehre einmal so furchtbar
-laut geschossen wurde, sie kämen hierher und <em>hörten sich
-die Stille an</em>. Vielleicht würden sie den süßlichen Geruch
-spüren, der aus den Gräben steigt, vielleicht würde sich
-ihr Auge schließen vor all dem Grauenhaften, das der
-Schutt in den Gräben deckt. Sie würden gehen und
-nun würden sie stolpern! Bei jedem Schritt würden
-<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a>
-sie über Gräber stolpern. Gräber hier, Gräber dort.
-Franzosen, Schottländer, Kanadier, Kolumbier, Farbige
-und Schwarze. Sie würden die Namen auf den Kreuzen
-lesen. Sie würden die verstümmelte Allee hinabgehen,
-und links und rechts würden die Kreuze ihnen folgen.
-Sie würden bei St. Julien die Massengräber sehen.
-Hier lagen die Kanadier so dicht, daß die Fliegerphotographien
-aus 2000 Meter Höhe die Leichenhaufen zeigten.
-Nun würden sie begreifen, daß sie in einen Friedhof
-geraten sind, der naß ist von Blut und Tränen.
-</p>
-
-<p>
-Aber weiter. Die Kanonen krachen. In Erdhöhlen
-hocken Soldaten um die dampfenden Kochtöpfe und
-sind guter Dinge, denn sie leben.
-</p>
-
-<p>
-<em>Langemark</em>, berühmt geworden durch sein Unglück,
-wie viele andre Orte, ist das grinsende Skelett einer
-kleinen Stadt. Die wenigen Häuser, die noch stehen,
-zeigen fröstelnd das nackte Gebälk. Die Ziegel sind ohne
-Ausnahme herabgerasselt, als die schweren Geschosse
-einschlugen. Wie Gespenster von Häusern stehen sie inmitten
-der Trümmerhaufen. Der Kirchturm sieht aus
-wie ein verwitterter Sandsteinfelsen, rostrot und brüchig
-steht er am Rande eines niedergemähten Parkes. Ein
-Haus ist mit dem Schieferdach niedergebrochen, wie ein
-gefallener Elefant, der sich auf die Stoßzähne stützt.
-Es ist deutsche Arbeit, sie ist gründlich, das muß man
-sagen. Hut ab vor unsern Kanonieren!
-</p>
-
-<p>
-Aus dem Keller irgendeines zerschossenen Hauses steigt
-langsam und still ein General, in den weiten Mantel
-gehüllt. Er scheint das einzige lebende Wesen weit und breit
-zu sein. Gelassen und würdevoll, ein wenig gelangweilt,
-<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
-zeigt er uns sein Heim. Das Haus ist verschüttet, es
-liegen noch Leichen unter dem Schutt. „Hier lebe ich
-nun, im Keller,“ sagt er mit leiser, gelangweilter Stimme.
-„Sie schießen oft wütend herein. Sehen Sie die Trichter?
-Es sind ganz große Dinger. Na, man gewöhnt sich an
-alles.“ Wir gehen und der General promeniert ruhig,
-in seinen Mantel gewickelt, im Regen auf und ab.
-</p>
-
-<p>
-In dieser Gegend sieht man kein Tier und kein lebendes
-Wesen. Zuweilen ein paar Soldaten, die laut und
-fröhlich antworten, wenn man sie anruft. Aber die
-Geschütze krachen ringsum, obschon man sie nicht sieht.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind trotz des schlechten Wetters fleißig bei der
-Arbeit und die Luft dröhnt wie von Explosionen, hart
-und metallen. Die Geschosse toben in die Höhe, es röhrt
-und wühlt in der Luft, sie <em>pflügen</em> sich hinauf. Die Luft
-zischt, genau wie das Wasser unter dem Kiel eines Rennbootes.
-Es gurgelt gierig da oben, wie Gurgeln voller
-Blut. Unwillkürlich sucht der Blick das Geschoß, obwohl
-es natürlich zu rasch ist, als daß man es sehen könnte.
-Aber es scheint greifbar nahe zu sein. Ja, ich sehe es
-auch, wie es in seiner Kurve dahinjagt. Es ist gelb und
-dreht sich rasend um die Längsachse, eine donnernde,
-dröhnende Röhre von Luftwirbeln als Schleppe, den
-blanken Zünder zischend in die dicke, graue Regenluft
-bohrend. Die gelbe Farbe verbrennt rauchend auf
-seiner Hülle. Nun ist nur noch das schleifende Zischen
-der Luft zu hören. Es ist hinüber! Links und rechts
-schlagen die Geschütze, es kracht wie von einschlagenden
-Blitzen. Alle paar Minuten dröhnt hinter mir ein
-hellerer Schlag und eine Granate jagt gurgelnd und
-<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a>
-zischend über mich hinweg. Die Luft ist voller Eisen.
-In den Pausen der Geschütze hört man das hastige,
-heisere Kläffen der Maschinengewehre und das Knattern
-der Gewehre.
-</p>
-
-<p>
-So ist es hier. Es ist das Morgenkonzert, das gewöhnliche.
-Und so ist das Abend- und Nachtkonzert.
-Man gewöhnt sich daran, und das flandrische Land hat
-seit vielen Monaten nichts andres gehört. Die Front
-ist um einige Kilometer vorgerückt, sonst hat sich nichts
-geändert.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="NACHDENSCHLACHTEN">
-Nach den Schlachten
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Mai 1915
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">ie</span> Welt des Feldsoldaten ist groß und erhaben. Der
-sausende Himmel, die Sterne, die Wolken und das freie
-Feld: das ist seine Wohnung. Vertraute Wege und bekannte
-Dörfer, die Heimat in der Ferne, Briefe, Zeitungen,
-alles gehört ihm. Kameraden, bekannte Gesichter,
-neue, immer neue Gesichter, neues Gelächter
-und neue Stimmen. Ein spukhaftes Dasein, voll des
-Unbekannten, stetig Wechselnden. Die alltäglichsten
-Dinge, Essen, Schlafen, abenteuerlich und absonderlich.
-Außergewöhnlich, groß und unerhört, voll nie gekannten
-Grauens und nie gekannter Wonnen sind seine
-Empfindungen. Der Feldsoldat ist kein gewöhnlicher
-Mensch mehr, er ist der Erkorene, er ist das <em>Volk</em> selbst,
-für das er kämpft. Wäre es anders, nicht den zehnten
-Teil der Anstrengungen, die das Feld fordert, könnte er
-ertragen. Wenn er sein Geschütz abreißt, so ist es nicht
-<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
-seine Faust, die Millionen Fäuste seines Volkes reißen
-das Geschütz ab, und sein Volk sendet den großen Fluch
-hinüber zum Feinde.
-</p>
-
-<p>
-Wehe aber, wenn er das Unglück hat, gefangengenommen
-zu werden! Seine große und stolze Welt
-bricht in einer einzigen unglückseligen Stunde zusammen.
-Er ist nicht mehr sein Volk, er ist ein gefangener
-Soldat, nichts andres. In einer Sekunde sind seine
-Tressen und seine Auszeichnungen verblaßt, die Bewunderung
-seiner Kameraden, die ihn belebte, ist verstummt.
-Kennt hier jemand seine Geschichte, seine Geschichte als
-Soldat, meine ich? Weiß hier jemand, wie er sich schlug,
-welch kühne Patrouillengänge er hinter sich hat, daß seine
-Offiziere ihm die Hand drückten und ihn vor versammelter
-Mannschaft lobten? Fremde Gesichter, fremde
-Worte, eine fremde Welt. Eine Ewigkeit trennt ihn von
-seinen Kameraden, seinem Pferde, seiner Batterie, seiner
-Heimat, seinen Angehörigen, unwirklich scheinen schon
-jetzt die Bilder zu sein, an die sein Gedächtnis sich klammert.
-Sein Mut, sein Ehrgeiz, sein Rausch, sie sind dahin.
-Er war alles, jetzt ist er nichts. Eine Nummer in
-den Listen der Gefangenenlager ist er, in dem das Herz
-seines ganzen Volkes schlug, geworden. Nüchtern, klein
-und erbärmlich ist jetzt seine Welt.
-</p>
-
-<p>
-Sieht man Gefangene gehen, so versteht man alles.
-Sie trotten müde dahin, gleichgültig, ohne Haltung,
-aber nichts wäre verkehrter, als von Gefangenen auf
-die Truppe zu schließen, der sie angehörten. Häufig wird
-der stolzeste und stärkste Soldat der gebrochenste Gefangene
-sein.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
-Schlimmer noch, um vieles schlimmer ist es, verwundet
-in Gefangenschaft zu geraten. Noch kleiner und
-elender ist die Welt des verwundeten Gefangenen.
-Ein Bett, ein getünchter Saal, die Gesichter der Pfleger
-und Pflegerinnen und der Ärzte, nichts sonst. Der
-Schritt der Wache vor der Tür. Droben in Flandern
-habe ich verwundete Gefangene besucht, und von ihnen
-will ich erzählen.
-</p>
-
-<p>
-Ich trete ein, und sofort sind alle Augen auf mich
-gerichtet. Ein neues Gesicht! Seit vielen Tagen, seit
-Wochen das erste neue Gesicht. Was will er, was tut
-er hier, was bringt er uns? All diese glänzenden Augen
-forschen neugierig und aufmerksam in meinen Zügen.
-Einzelne haben sich aufgerichtet, um mich besser sehen zu
-können. Niemand spricht ein Wort, alle stellen die Ohren
-und es ist ganz einerlei, in welcher Sprache ich rede, die
-Hauptsache ist, daß sie eine neue Stimme hören.
-</p>
-
-<p>
-Da ist zunächst ein Neger. Schwarz und glänzend wie
-ein gewichster Stiefel, das Gebiß blendend weiß. Er
-ist eines der hübschesten Exemplare, die ich je sah, das
-sauberste gewiß, fast noch ein Kind, und versucht sofort,
-meine Milde durch ein naives, vertrauliches Lächeln zu
-gewinnen. Ich rede ihn englisch an, da ich bis heute nur
-Englisch mit Negern gesprochen habe, aber siehe da, er
-antwortet französisch. Aus dem Senegal. Und wie alt?
-Zwanzig. „Wo hast du gekämpft?“ – Er zeigt sein
-schönes Tiergebiß und lächelt. Er weiß es nicht. „Bei
-Ypern?“ – „Ja, bei Ypern. <span class="antiqua" lang="fr">Chemin de fer</span>, hin und
-her, immer hin und her, <span class="antiqua" lang="fr">chemin de fer</span>“ – er radebrecht,
-gestikuliert, nein, er weiß gar nichts. Vergnügt legt er
-<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
-sich in das weiße Kissen zurück. Nie in seinem ganzen
-Negerleben ging es ihm so gut, nie so sauber, Gott,
-er wird sich nie mehr zu waschen brauchen. Er hatte zwei
-Lungenschüsse, aber das schadete ihm ebensowenig, wie
-wenn man eine Katze anschießt.
-</p>
-
-<p>
-Neben ihm liegt ein Engländer, ebenfalls Lungenschuß.
-Ein junger, zarter, hellblonder Bursche, der eben
-aus dem Jenseits zurückkommt. Er hat noch die großen,
-glänzenden Augen, die man von dort mitbringt, und
-die durchsichtigen, schmalen Wangen. Er ist aus Birmingham,
-Kaufmann. Aufrecht sitzt er in seinem Bett, die
-beiden Hände auf der Decke, und sein Kopf sinkt schwach von
-einer Seite auf die andre, während er flüsternd antwortet.
-Er trägt eine Kette mit einem kleinen Kreuz um den dünnen
-Hals. – „Was bedeutet das Kreuz? Seid ihr Katholiken
-in Birmingham?“ – „Nein, ich war protestantisch,
-aber nun bin ich katholisch geworden.“ Eine Nonne steht
-neben dem Bett, eine belgische Schwester, rotbäckig und
-gesund, und blickt auf ihr blondes Lämmchen.
-</p>
-
-<p>
-„Hier sind Kanadier!“ sagt der Arzt.
-</p>
-
-<p>
-Ja, das sind sie. Schmale, feste Schädel, klar gezeichnete
-Gesichter, kräftige Augen, breite Schultern,
-die Arme lang gemessen, das Haar weich und kurz.
-Es sind Amerikaner, ohne jeden Zweifel, wenn sie auch
-etwas nördlich von den Staaten geboren wurden. Ich
-sehe mir sie an, und sie betrachten mich mit der gleichen
-Aufmerksamkeit. Sie wissen genau, daß sie nun an die
-Reihe kommen, und haben keine Angst.
-</p>
-
-<p>
-„Wer von euch war beim Sturmangriff von St.
-Julien dabei?“
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a>
-„Wir alle.“
-</p>
-
-<p>
-Nun sehe ich, daß sie geschient und verbunden sind.
-Trotzdem sehen sie gesund und kräftig aus. Es sind
-Leute, die einen Stoß vertragen können, ausgezeichnetes
-Material. Sie antworten höflich, aber sie sagen nicht
-mehr als gerade nötig ist. Allmählich erst werden sie
-etwas gesprächiger. Sie sind zufrieden, sie beklagen sich
-über nichts. Jeder deutsche Soldat, mit dem sie es zu
-tun hatten, war „gut“ zu ihnen. „Nach dem Kriege
-werden wir uns die Hände drücken.“ – „Aber die englischen
-Zeitungen? Sie sind die gemeinsten Lügner der
-Welt!“ – Ihre Augen stehen auf Abwehr. – „Wann
-seid ihr herübergekommen?“ – „Ich im September,
-die andern später.“ – „Wieviel wart ihr? Seid ihr in
-England gelandet oder in Frankreich?“ – Die schönen
-Augen des Clerks von Toronto sehen mich offen an und
-schweigen. Er will nicht sprechen. Aber später, als wir
-mehr Vertrauen zueinander gefaßt hatten, kam er ganz
-von selbst auf den Transport zurück und sagte mir,
-daß sie 30000 waren, 21 Dampfer, drei Wochen auf
-See, in Plymouth gelandet, in England noch ein paar
-Monate gedrillt. Es war sehr schlechtes Wetter, immerzu
-Regen, einer ist am Regen gestorben.
-</p>
-
-<p>
-„Am Regen gestorben?“ – „Ja!“
-</p>
-
-<p>
-Der Seemann im Nachbarbett, dessen Fuß zerschossen
-ist, lacht. „Es war verdammt schlechtes Wetter, Sir!“
-</p>
-
-<p>
-Sie erzählen mir alles mögliche, und ich bemühe mich,
-sie gesprächig zu halten. Die Deutschen schießen gut, sie
-würden es niemand raten, den Kopf auch nur eine
-Sekunde aus dem Graben zu strecken. Weshalb sie aus
-<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
-Kanada herüberkamen, um gegen uns zu kämpfen,
-das wollen sie mir auf der Stelle sagen. „Die Neutralität
-Belgiens, Sir! Wir sind gekommen, um euch aus
-Belgien zu vertreiben.“ – „Weshalb überlaßt ihr das
-nicht den Engländern, haben sie nicht genug junge Leute?
-Weshalb sollt ihr Kanadier die Arbeit der jungen Engländer
-tun?“ – Das Gespräch wird lebhafter und die
-Franzosen auf der andern Seite recken die Hälse.
-</p>
-
-<p>
-„Und St. Julien? Wie war es da?“
-</p>
-
-<p>
-Der hübsche Clerk mit dem geschienten Arm, drei
-Kugeln, richtet sich im Bett auf, so gut es geht: Sie
-kamen also da in Gräben, in denen vorher Engländer
-lagen. Aus welchem Grunde gewechselt wurde, wußten
-sie vorläufig noch nicht. Später erst begriffen sie es.
-Zwei Tage lagen sie da. Sie wußten gar nichts, weshalb,
-warum, nichts. Essen gab es nicht regelmäßig. Die Straßen
-um Ypern herum lagen unausgesetzt unter Feuer.
-Plötzlich aber hieß es vorgehen! Weshalb, warum, wohin,
-kein Mensch wußte es. Nun aber bekamen sie furchtbares
-Feuer, schwere Granaten, auf offenem Felde,
-ohne jede Deckung. „Ich lag hinter einem Haufen von
-gefallenen Kameraden, den rechten Arm zerschossen.
-Die Kameraden stürmten weiter, plötzlich Maschinengewehrfeuer,
-Flankenfeuer, Gewehrfeuer. Die Kameraden
-fielen wie hingemäht. Es war zu Ende.“
-</p>
-
-<p>
-Er sieht mich an. „Wie groß sind die Verluste, Sir?“
-Seine Augen fragen, er denkt, ich könnte mich jetzt recht
-wohl revanchieren für die Angaben, die er mir über die
-Transporte machte. Aber ich weiß es wirklich nicht. Sehr
-große Verluste!
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a>
-Der Clerk nickt und wendet den Blick ab. „Ich glaube
-nicht, daß viele davongekommen sind!“ sagt er ruhig und
-schlicht.
-</p>
-
-<p>
-„Sie haben wohl genug vom Krieg?“ frage ich ihn,
-indem ich mich verabschiede. „Werden Sie wieder gegen
-uns kämpfen?“
-</p>
-
-<p>
-Er lächelt. „Nein!“ Und leiser, so daß es die Kameraden
-nicht hören, fügt er hinzu: „Es war die Hölle, Sir!“
-</p>
-
-<p>
-Nun kommen die Franzosen an die Reihe. Sie haben
-die ganze Zeit aufmerksam zugehört, die Ohren gespitzt,
-auf jede Bewegung geachtet, damit ihnen ja nichts entgehe;
-verstanden haben sie kein Wort. Sie wußten, daß
-auch ihre Zeit kommen würde. Höflich und gefällig erwidern
-sie den Gruß. Selbst der Landwirt aus der
-Gegend von Rouen nickt mit dem dicken rechteckigen
-Schädel, obwohl er Schmerzen hat und fiebert. Mich
-interessiert mehr als alle andern der Greis an seiner
-Seite, ein schmächtiger Mann mit ausgeprägt französischen
-Zügen. Sein weißgraues Haar zieht mich an
-und seine lebendigen, fröhlichen Augen. Er stammt aus
-der Bretagne, und da ich mich dort auskenne, so haben
-wir gleich ein Thema, um bekannt zu werden.
-</p>
-
-<p>
-„Wann wurden Sie verwundet?“ frage ich. „Im
-Herbst.“ Er hebt die Decke in die Höhe, und nun sehe
-ich, daß ihm das linke Bein bis zur Hüfte amputiert ist.
-</p>
-
-<p>
-„Wie alt sind Sie?“
-</p>
-
-<p>
-„Siebenunddreißig Jahre, mein Herr.“
-</p>
-
-<p>
-Um meine Überraschung zu verbergen frage ich rasch
-nach dem Alter des Landwirts aus Rouen. Er ist zwei
-Jahre jünger.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
-„Sie fühlen sich jetzt gesund?“ „Sehr wohl!“ Und
-der Mann aus der Bretagne sprudelt seine Geschichte
-heraus, ungeheuer lebhaft, mit vielen plastischen Gesten.
-„Ja, man muß Glück haben, mein Herr, das ist alles.
-Es war im Herbst, hier oben in Flandern. Wir mußten
-zurück, die Deutschen waren hinter uns her. O, lala,
-wir hatten es eilig! Da – eine Granate zerreißt mir
-den Fuß. Ich verkrieche mich in ein Loch in der Erde
-und warte. Die Kameraden sind fort, alle weg, niemand
-zu sehen. Ich warte, immer in meinem Loch. Zweiunddreißig
-Stunden liege ich da, aber nun hören Sie!
-Plötzlich Schritte. Ich spitze aus meinem Loch hinaus.
-Ein Sergeant vom Roten Kreuz. Ich rufe, er hört.
-Ich strecke die Arme hoch – so – er kommt heran und
-sagt: ‚Rühren Sie sich nicht!‘ Zwei Stunden später war
-ich im Lazarett. Man muß Glück haben.“
-</p>
-
-<p>
-Fröhlich und heiter ist der Mann aus der Bretagne.
-Er hat dem Tod ein Bein hingeworfen wie einem Haifisch
-und triumphiert über den Handel. Im Krieg wird
-der Mensch bescheiden.
-</p>
-
-<p>
-Unten im Garten des Klosters treffe ich einen Scheich,
-mit Turban, würdigem Bart, elfenbeinernem Gesicht
-und elfenbeinernen Händen. Er bittet mich um eine
-Zigarette. Vielleicht hat er ein Dutzend Frauen zu
-Hause, vielleicht ist es Sünde, daß er etwas aus meinen
-Händen entgegennimmt, vielleicht verliert er seine Kaste.
-Einerlei, es ist nun doch so weit mit ihm gekommen, daß
-er bettelt.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="EINFLIEGERYYBERBRYYGGE">
-<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a>
-Ein Flieger über Brügge
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Mai
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">B</span><span class="postfirstchar">rügge,</span> das tote Brügge, ist heute keineswegs tot.
-Es lebt. Aber noch weiß es nicht recht, ob es wirklich
-erwacht ist oder ob es nur träumt. Einen wunderlichen,
-wirren Traum, grotesk, unfaßbar und unterhaltend, aus
-dem aber jeden Augenblick der Schrecken züngeln kann
-wie eine Stichflamme roten Feuers. So liegt es, zwischen
-Wachen und Schlaf, ein heiteres Lächeln auf den Zügen
-und einen kleinen Tropfen Angstschweiß auf der Stirn.
-</p>
-
-<p>
-Seine stillen verwinkelten Gassen hallen wider von
-schweren genagelten Stiefeln, die ungeniert auftreten
-wie zu Hause, und an den Klöpplerinnen vorüber, die
-fleißig vor den kleinen Häuschen sitzen, rumpeln schwere
-Lastautomobile, so daß der Boden erbebt. Auf dem
-Fischmarkt hocken putzige Weiber und ziehen den Aalen
-die Haut über den Kopf, und während sie schaben und
-feilschen, rasselt eine Maschinengewehrabteilung an ihnen
-vorbei. Aus dem Schmuckkästchen der Rue de l’Ane
-Aveugle quillt ein Bilderbuch: Weiber mit weißen
-Hauben, Krausen und sonderbaren Umhängen, und
-plötzlich weichen sie zur Seite, und der Teufel in der Vermummung
-eines Motorradfahrers prasselt und knallt
-mitten durch sie hindurch und bewedelt sie mit seinem
-langen Schweife aus Schwefeldämpfen und Gestank.
-Die herrliche Grande Place wimmelt von Leben. Wachen,
-Autos, Karren, Züge brauner Marinesoldaten, heiß
-und staubig, das Gewehr auf dem Rücken. Die Zeitungsjungen
-schreien und rennen, um die neuesten Blätter
-aus Berlin, Frankfurt und Köln an den Mann zu bringen,
-<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
-und wenn jemand es wagt, einen scheuen Blick auf
-die Wunder von Architektur ringsum zu werfen, so ist
-eine Meute von Postkartenverkäufern hinter ihm her.
-Die Bevölkerung Brügges ist auf den Beinen, denn es
-ist immer etwas zu sehen, und die Soldaten sind auf
-den Beinen, um die Bevölkerung zu sehen. Ein paar
-Mönche in braunen Kutten rudern durch einen Schwarm
-Feldgrauer. Drei Jahrhunderte fließen auf der Grande
-Place zusammen, nicht mehr und nicht weniger. Aber
-jede Viertelstunde singt das Glockenspiel oben auf dem
-Beffroi seinen Choral, fromm und gottergeben, während
-unten die Motoren prasseln und rattern.
-</p>
-
-<p>
-Der Krieg ging an Brügge vorüber, und Brügge freut
-sich, daß es lebt. Es ist eine Stadt des Friedens, eine
-Stadt auf Urlaub. Kommt man von da draußen, wo
-die Häuser keine Dächer mehr haben und mit Sandsäcken
-ausgestopft sind, so wirkt Brügge wie eine Großstadt,
-in der man nun ruhig Atem holen will.
-</p>
-
-<p>
-Ein Lehmfarbiger stolpert vor mir über den Platz.
-An seinen Stiefeln hängt noch der Schmutz der flandrischen
-Gräben. Er stolpert, weil er nicht mehr gewohnt
-ist, auf richtigem Pflaster zu gehen, er torkelt vor Verwunderung
-und kann sich gar nicht zurechtfinden. Hier
-gibt es noch Häuser ohne Granatlöcher, und hier sehen
-wirklich und wahrhaftig Menschen, Zivilisten, aus den
-Fenstern und nicht Soldaten und Pferde! Er dreht den
-gebräunten Hals hin und her und kratzt sich den golden
-schimmernden Stoppelbart. Und hier gibt es – Frauen!
-Er betrachtet sie aufmerksam und eingehend, als ob er
-sie kaufen wolle, von den Schuhen angefangen bis hinauf
-<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a>
-zum Scheitel. Er bleibt stehen und glotzt ihnen direkt
-ins Gesicht. Zeitungen? Nein, Zeitungen will er nicht.
-Er will nichts wissen vom Krieg, er will nichts als dieses
-Leben hier, diese Welt, in der er fast ein Fremder geworden
-ist, und die ihm, weiß Gott wann, abhanden
-kam. Hätte er je gedacht, daß es noch eine Stadt gäbe
-wie diese, unversehrt, friedlich und sonnig, eine Stadt,
-genau so wie Städte früher waren? Er begreift es nicht.
-Aber nun kommt ein Mädchen über den Platz, rotweiß
-gestreiftes Kleid, blondes Haar, hochbusig und mit
-Hüften, die sich sehen lassen können. Eine Köchin. Der
-Lehmfarbige steht wie angewurzelt, er beginnt zu wachsen,
-seine Brust wird breiter, und sein heller Blick strahlt der
-Köchin entgegen. Sein braunes, mageres Gesicht ist
-ernst und ohne jede Bewegung, aber sein Blick folgt
-jedem Schritt des Mädchens und sein Gedanke ist so
-stark, daß die Köchin instinktiv einen Bogen macht, als
-sie nahe kommt. Und nun betrachtet er sie von hinten!
-Dann stolpert er weiter, bestaunt die Läden, die Frauen,
-und immer wieder bleibt er stehen und läßt den Blick
-über den Platz wandern. Die Großstadt Brügge hat
-ihn berauscht! Ein kleines Café, schon ist er drinnen.
-Ich genieße das Behagen, mit dem er ein Glas Bier
-hinuntergießt. Ein Schluck. Zahlen, gehen. Man sieht,
-er hat nicht eine Minute Zeit zu verschwenden. Ein
-kleines Restaurant, hinein. Beim dritten Glas verlasse
-ich ihn. Ich gehe nahe an ihm vorbei und sehe, daß seine
-linke Backe eine Anzahl Schmisse trägt. Der Lehmfarbene
-ist Student, Gott weiß, wer er ist, momentan ist er gemeiner
-Soldat, und das genügt.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
-In der Stunde, in der ich in dem verzauberten Brügge
-eintraf, hatte das Leben auf der Grande Place gerade
-seinen Höhepunkt erreicht. Die Matrosenkapelle konzertierte.
-Sie spielte laut und vergnügt wie in einem Badeort
-an der Ostsee, Warnemünde oder Arendsee. Das
-Glockenspiel des Beffroi klingelte seine fromme Weise
-bescheiden dazwischen. Der Platz wimmelte von Menschen,
-und der Waffelbäcker in seinem weißen Jahrmarktskarren
-machte glänzende Geschäfte. Plötzlich
-krachten die Kanonen in nächster Nähe. Es klang wie
-Kirchweihschießen, lustig und ermunternd. Unter dem
-grauen Gewölk, hoch oben, hing, kaum zu sehen, ein
-grauer Doppeldecker, mit direktem Kurs auf den Beffroi.
-Alle Gesichter wandten sich nach oben. Die Fenster
-füllten sich mit Köpfen. Aus den Haustüren, den Läden
-strömten die Leute und standen dicht gedrängt auf dem
-Platze; ganze Scharen von Kindern. Brügge bekam
-Besuch, und jedermann wollte sehen, wie er herankam
-über den Giebeldächern. Alles zappelte vor Neugier
-und Spannung. Die Neugier des Volkes ist immer
-größer als seine Angst. Aber es kam noch etwas andres
-dazu! Mehr oder weniger freundlich gesinnt, mehr
-oder weniger gleichgültig, mehr oder weniger feindlich,
-die Leute von Brügge waren im Herzen alle Belgier
-geblieben, und die da oben in der Luft waren Freunde
-von ihnen, Belgier, Franzosen, Engländer, einerlei.
-Man hatte sie nicht vergessen, da drüben, hinter dem
-Yserkanal, auf dem letzten Fleckchen belgischen Landes. Sie
-waren Boten, die man ihnen sandte. Mochten sie nun
-ein paar Leute, ein paar Bürger töten, darauf kam es
-<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
-nicht an. Es kam darauf an, daß sie mit der Absicht
-hierherkamen, dem Feinde zu schaden. Hätten sie es
-gewagt, so hätten sie dem Flieger zugejubelt, obwohl er
-sie töten konnte, denn er war einer der <em>ihrigen</em>! Die
-graue Maschine kam rasch näher. Die Kanonen krachten,
-Schlag auf Schlag. Ein Maschinengewehr kläffte wütend
-in die Höhe. Die Schrapnelle platzten rings um
-die graue Maschine, in einem Rahmen grauer Tupfen
-stand sie. Sie stieg höher, hinein in die Wolke, aber die
-Schrapnelle folgten ihr in die Wolke hinein. Es blitzte
-in der Wolke wie Büschel scharfer Messer, die sich gegen
-die Maschine zückten. Es knisterte. In all den Lärm
-hinein sang plötzlich das Glockenspiel seinen friedlichen,
-frommen Choral, unbekümmert um den Lärm der Welt,
-und es wird seine Weise singen, sollte einmal Brügge in
-Flammen aufgehen, was Gott verhüten möge. Da fiel
-mein Blick auf einen Mönch, der neben mir stand. Er
-hatte den Kopf halb in die Kutte gezogen und sah mit
-großen, warmen Augen zum Flugzeug empor. Im
-Schoß hielt er ein kleines Gebetbuch. Dieser Mönch verhielt
-sich zu den Leuten da oben wie der fromme Singsang
-des Beffroi zum Krachen der Geschütze. An Stelle
-des Gebetbuchs hielten sie Bomben im Schoß, und mit
-zusammengekniffenen kalten Augen fegten sie dahin.
-Es waren, wie gesagt, die Jahrhunderte, die sich hier auf
-der Grande Place von Brügge begegnen.
-</p>
-
-<p>
-Nun aber wurde es Ernst! Er kam heran, so wütend
-auch das Maschinengewehr hämmerte. In ein paar
-Sekunden mußte er über dem Platze schweben. Wie der
-Tod auf Flügeln kam er daher.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
-Wie auf ein Signal rissen die Leute aus. Die Panik
-setzte ein, und die Menge explodierte. Nach allen Seiten,
-<em>strahlenförmig</em>, machten sie sich davon, die Kinder auf
-raschen, dünnen Beinen voran. Sie stürzten in die
-Gassen, in die Haustüren, in die Kaffeehäuser. Die Erde
-verschluckte sie, und die Köpfe verschwanden aus den
-Fenstern. So erstaunlich ihr Mut vor einigen Sekunden
-war, so komisch wirkte diese überstürzte Flucht. Mein
-Mönch? Er war wie weggeblasen.
-</p>
-
-<p>
-Ich zog mich unter ein solides Portal zurück, und
-man kann mir glauben, wenn ich sage, daß ich das
-Portal vorher genau auf seine Konstruktion untersuchte.
-</p>
-
-<p>
-Leer lag der Platz, wie reingefegt. Keine Seele weit
-und breit, kein Gesicht in einer Tür, einem Fenster. Es
-war wie Zauberei. Nicht einmal ein Hund war zu sehen.
-</p>
-
-<p>
-Der Kampfplatz war dem Maschinengewehr, den Geschützen
-und dem Flugzeug unter den schmutzigen Wolken
-überlassen. Die Maschine schwebte eine Sekunde über
-dem Rande des Platzes, dann, gerade im entscheidenden
-Moment, bog sie scharf nach rechts aus. Es war ihr zu
-ungemütlich geworden. Sie stieg höher, verschwand in
-der Wolke und machte den Versuch, zurückzukehren.
-Aber eine Salve von Schrapnellen fuhr ihr entgegen,
-eine ganze Mauer grauer Wölkchen. Sie kehrte um.
-</p>
-
-<p>
-Ein paar Minuten blieb der Platz leer, dann aber
-strömte das Leben wieder auf ihn zurück. Kinder, Mädchen,
-Hunde, der Waffelbäcker, Feldgraue und Lehmfarbene.
-Die Chauffeure, die ausgerückt waren, standen
-plötzlich wieder bei ihren Wagen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a>
-Das Glockenspiel des Beffroi bimmelte wieder seine
-fromme, gottergebene Weise.
-</p>
-
-<p>
-Nichts war geschehen. Das träumende Brügge war
-zusammengeschauert in seinem Traum. Das war alles.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIESCHLACHTBEIARRAS">
-Die Schlacht bei Arras
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-4. Juni
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">A</span><span class="postfirstchar">uf</span> der Lorettohöhe, die gestern noch niemand kannte
-und die heute in aller Munde ist, stand eine Kapelle,
-die berühmte Kapelle von Notre Dame de Lorette.
-Nach einer französischen Legende sollte sie in diesem
-Kriege eine geheimnisvolle und wunderbare Rolle
-spielen. Die Kapelle existiert heute nicht mehr, sie ist
-ein Schutthaufen. Zusammenstürzend hat sie die Legende
-unter ihren Trümmern begraben.
-</p>
-
-<p>
-Joffres zweiter, größter und wütendster Durchbruchsversuch
-ist gescheitert. Diesmal sollte es geschehen! Es
-handelte sich nicht um ein paar lumpige Gräben, es
-handelte sich um die Zerschmetterung der feindlichen
-Menschenmauer. Die Fahnen des französischen Marschalls
-flatterten bereits in Lille, in Valenciennes. Es
-ist nichts daraus geworden.
-</p>
-
-<p>
-Sorgfältig und umsichtig, wohldurchdacht waren
-Joffres Vorbereitungen. Sie reichen bis in den April
-zurück. Truppenverschiebungen, Heranziehen der Reserven,
-das Herbeischaffen von Munition, jener Berge von
-Munition, die der Marschall brauchte, um uns zuzudecken.
-Das alles mußte so geheimnisvoll wie möglich
-geschehen, heute, wo die Augen der Heere hoch oben in
-<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
-der Luft hängen. Eine bedeutende Leistung! Eine
-Provinz wollte Joffre erobern, ein Riesenheer setzte er
-in Bewegung, ein paar Dörfer und Schützengräben hat
-er gewonnen. Sie kosteten ihn eine ungeheure Zahl
-von Menschenleben.
-</p>
-
-<p>
-Und heute, nach beinahe vier Wochen, ist diese ungeheure
-Schlacht noch nicht zu Ende. Noch immer stampfen
-und pochen die Geschütze. Die ganze letzte Nacht hindurch
-schlugen sie. Aber es ist nicht mehr die Wut des Orkans,
-der ausbricht, es ist die hohe Dünung nach dem Sturm.
-</p>
-
-<p>
-Vier Tage vor dem 9. Mai begann der Feind unsre
-Stellungen unter schweres Feuer zu nehmen. Am 9. Mai,
-dem Tage des Angriffs, in aller Frühe, eröffnete er,
-ganz wie im Frühjahr in der Champagne, ein beispielloses
-Trommelfeuer auf unsre Gräben. Er trommelte
-sie auf der ganzen Front ab, von Arras angefangen bis
-hinauf in die Höhe von Lille, eine Strecke von vierundzwanzig
-Kilometern. Es war die Hölle. Die Erde dort
-ist durchsiebt von Granaten. Dann gingen seine Kolonnen
-in dichten Staffeln vor. Aber das Unmögliche
-geschah: <em>unsre Truppen hielten stand</em> gegen die mehrfache
-Übermacht. Wir wollen sie nicht vergessen, die
-Leute von Ecurie, Neuville, Ablain, Carency und wie
-sie heißen! Was sie taten für uns, das wird die Geschichte
-später verkünden. Es war übermenschlich, mehr als
-Heldentum. Ein paar Gräben gingen verloren, Carency
-und Ablain mußten geräumt werden von uns, das war
-alles. Unbedeutende vorgeschobene kleinere Stellungen
-gaben wir freiwillig auf.
-</p>
-
-<p>
-Zu gleicher Zeit, am 9. Mai, griffen die Engländer
-<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
-im Norden an. Südwestlich von Neuve Chapelle, östlich
-von Richebourg. Im Vergleich zu dem wütenden,
-heroischen und fanatischen Angriff der Franzosen war
-ihr Sturm matt. Nach einem aufgefundenen Befehl
-stand uns hier ebenfalls eine große Übermacht gegenüber.
-In drei Linien griffen die Engländer an. Das
-erste Regiment ging zurück. Ein zweites englisches
-Regiment, das vorgeworfen wurde, versagte gänzlich.
-Es streikte. Wie so häufig überließen die Engländer die
-schwere Arbeit den andern. Nun stürmten die Schotten
-vor, das Regiment Scotch Blackwatch. Es wurde durch
-unser Feuer fast gänzlich niedergemäht. Nach Aussagen
-von Gefangenen zählte man an diesem Tage achthundert
-Tote. Zwei Schotten, die bis an unsre Gräben
-gelangt waren, ergaben sich. Sie konnten nicht hereingenommen
-werden und lagen vor der Brustwehr von
-fünf Uhr nachmittags bis sechs Uhr früh, und unsre
-Leute mußten über ihre Körper wegfeuern.
-</p>
-
-<p>
-Der wütende Ansturm kam zum Stehen. Unsre
-Heeresverwaltung ließ ihren Apparat spielen und warf
-Reserven und Truppenmassen ins Gefecht: Joffres
-Durchbruch war mißglückt.
-</p>
-
-<p>
-Zu einem einheitlichen Angriff großen Stils fehlte
-dem Gegner seit dieser Zeit die Kraft. Indessen fanden
-Tag und Nacht größere und kleinere Teilangriffe statt.
-Der Erfolg schwankt hin und her. Zuweilen gelingt es
-dem Feind, in unsre Gräben einzudringen, er wird durch
-Handgranaten vertrieben. Ein Angriff ohne Artillerievorbereitung,
-den er am 12. unternahm, erstarb schon
-im Feuer unsrer Geschütze. Nahkämpfe, bei denen
-<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
-Bajonett, Kolben und Handgranaten arbeiten, sind
-alltäglich. Alles in allem zählte man sechsundvierzig
-Angriffe gegen verschiedene Stellungen unsrer Front,
-seit dem 9. Mai. Unter diesen sechsundvierzig Angriffen
-waren acht von größerer Bedeutung.
-</p>
-
-<p>
-Wieder und wieder, hartnäckig und verbissen, läuft
-der Feind gegen Punkte unsrer Front an, die strategisch
-besonders wichtig sind. So gegen unsre Stellungen an
-der Straße Souchez-Aix-Noulette. Bei Ablain, das
-wir, wie erwähnt, geräumt haben. Gegen die Höhe
-nördlich Neuville. Im Dorfe Neuville selbst wird Tag
-und Nacht gekämpft, und hier werden die Kämpfe noch
-lange wüten. Vor einigen Tagen überrannte hier der
-Feind unsre Barrikaden, aber nach halbstündigem erbitterten
-Kampf wurde er wieder zurückgeworfen.
-Gegen den starken Riegel, den wir über die Lorettohöhe
-zogen. Die Trümmerstätte der Kapelle selbst ist in den
-Händen des Feindes. Gegen die Straße Ecurie-Roclincourt.
-Hier hatte der Feind bei La-Maison-blanche ungeheure
-Verluste, und die Erde trank das französische
-Blut in Strömen. Gegen unsre vorspringende Front
-nördlich von Ecurie. Hier fanden wiederholt wütende
-Angriffe statt. Unsre Geschütze legten einen Kranz von
-Geschossen vor unsre Gräben. So heftig war das Feuer,
-daß ein französischer Offizier überlief, er war fertig mit
-den Nerven. Das oft genannte Labyrinth bei Ecurie
-befindet sich noch in unsrem Besitz.
-</p>
-
-<p>
-Die Engländer im Norden haben in der letzten Zeit
-größere Angriffe nicht unternommen.
-</p>
-
-<p>
-Obwohl unsre Heeresleitung keine andre Absicht verfolgte
-<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a>
-als unsre Stellungen zu halten, sich also rein
-defensiv verhielt, haben wir in den letzten Kämpfen
-doch acht Offiziere und fünfzehnhundert Mann zu Gefangenen
-gemacht. Joffre gewann etwas Terrain.
-Auf einer Front von vier Kilometern rückte er achthundert
-bis fünfzehnhundert Meter vor. Dieser geringe
-und unwesentliche Geländegewinn steht in einem tragischen
-Mißverhältnis zu dem Aufwand an Kampfmitteln
-und den Verlusten. Wenn Joffre seine Toten
-beerdigt, so wird er finden, daß er einen Friedhof erobert
-hat.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIELORETTOHYYHEUNTERFEUER">
-Die Lorettohöhe unter Feuer
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juni
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">er</span> Tag ist heiß, und die Schlacht wütet. Es ist immer
-dieselbe Schlacht, eine der furchtbarsten und größten
-dieses Krieges, die Schlacht bei Arras. Sie dauert schon
-Wochen, wird sie nie enden? In der schwülen Nacht
-polterten und schlugen die Geschütze, und sie poltern und
-schlagen in den heißen, glühenden Tag hinein. Die
-Kanoniere schlafen nicht mehr. Je näher der Wagen
-kommt, desto lauter krachen die harten Schläge der
-Kanonen.
-</p>
-
-<p>
-Die Landschaft ändert sich. Aus dem Grün der Wiesen
-und Felder heben sich riesige, unförmige Aschenhaufen,
-grauschwarz und öde, die Schlackenberge der Kohlenzechen.
-Plump und häßlich liegen die Schutthalden da,
-unproportioniert, die Wohnstätten der Menschen, die
-grünen Baumwipfel überragend, unfruchtbar inmitten
-<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a>
-der fruchtbaren Erde. Sie sehen aus wie die Krater erloschener
-Vulkane. Hohe Kamine, Fördertürme, Backsteingebäude,
-Beton- und Eisenfachwerk. Hier vorn,
-in der Feuerzone, stehen die Zechen still. Weiter hinten
-rauchen Schlote. Im Norden, im Dunst der Sonne,
-steht auch die feine Rauchfahne der Zeche von Courrière,
-deren Unglück vor Jahren das Herz der ganzen Welt
-erschütterte. Damals eilten westfälische Bergleute herbei,
-um ihren französischen Kameraden Hilfe zu bringen.
-Es handelte sich um zwei- bis dreihundert Bergleute,
-die in der harten Schlacht um das tägliche Brot fielen,
-und die Welt brachte ihnen jene Summe von Mitgefühl
-entgegen, die im geraden menschlichen Verhältnis zu
-der Katastrophe stand. Man hat es vergessen. Viele
-tausend Jahre liegen zwischen der Schlacht von Arras
-und jenem denkwürdigen Tage, da deutsche Männer
-ihren französischen Kameraden im gleichen Landstrich
-zu Hilfe eilten! Heute handelt es sich um Hunderttausende,
-um mehr. Die Welt schweigt! Mehr als das:
-die ganze Welt arbeitet fieberhaft, um Material zu
-liefern, das die Legionen der Opfer vermehrt. Die
-Welt will leben, damit andre sterben. Das ist die
-Wahrheit.
-</p>
-
-<p>
-Auch drüben beim Feinde rauchen die Schlote! Sie
-fördern sogar in der Feuerzone, sie brauchen Kohle.
-Selbst wenn hineingefunkt wird, stellen sie den Betrieb
-nicht ein. So ist der Krieg.
-</p>
-
-<p>
-Das Auto biegt in einen Zechenhof ein. Es ist still
-hier und so sauber wie in einem Tanzsaal. Die Zeche
-steht still, sie ist längst ersoffen. Wo es früher rasselte
-<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a>
-und zischte, daß man sein eignes Wort nicht verstehen
-konnte, herrscht jetzt Feiertagsschweigen. Stille Leute
-sind hier eingezogen, Verwundete und Ärzte. Die Zeche
-ist ein Lazarett.
-</p>
-
-<p>
-In dem großen Zechensaal liegen sie, die Tapferen, die
-für uns gekämpft haben, in langen Reihen. Der Saal
-ist hoch, luftig und rein und die Betten schneeweiß. Die
-Fenster stehen offen. Von dem Saal aus blickt man
-direkt in die Baderäume, die früher den Bergleuten
-dienten. Nichts fehlt, nichts ist vergessen, für alles ist
-hier wohl gesorgt. Ärzte und Pfleger bewegen sich
-zwischen den Betten, Schwestern gibt es hier außen nicht.
-Leichter oder schwerer verwundet, je nachdem die Schlacht
-sie losließ, liegen sie da und leiden heroisch, so wie sie
-vorher heroisch kämpften. Viele schlafen. Sie sind erschöpft,
-oder das Morphium hilft ihnen über die schlimmsten
-Schmerzen hinweg. Einzelne stöhnen im Schlaf.
-Einer hat das Gesicht mit einem Tuch bedeckt, und seine
-Hände zupfen im Schlaf leicht an der Decke. Es gibt
-hier blutige Verbände und viel Schreckliches, daß einem
-das Herz stehenbleibt, aber ohne Blut und Wunden gibt
-es keinen Krieg. Die meisten sind erst heute nacht und
-in den letzten Tagen eingeliefert worden. Einer hat den
-Kopf vollkommen eingewickelt, so daß er aussieht wie
-eine Wattekugel. Aber zwei frische und muntere Augen
-blicken aus den Binden hervor. Es gibt hier Gesichter
-von allen möglichen Farben. Ein gelbes Gesicht mit
-geweiteten Augen verfolgt mich lange. Der Mann war
-am Tode, aber der Arzt versichert mir, daß für ihn keine
-Gefahr mehr besteht. Die meisten Gesichter aber sind,
-<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a>
-so erstaunlich es ist, braun und frisch, es sind robuste
-Burschen, die etwas vertragen.
-</p>
-
-<p>
-Einer sitzt in seinem Bett, der geschiente linke Arm ist
-hoch gelagert und an einem richtigen Strick aufgehängt.
-Mit der Rechten schreibt er eine Feldpostkarte. Ja, er
-schreibt an seine Frau, daß es ihm gut geht, und er hat
-keine Lust, sich lange stören zu lassen. Ein junger Unteroffizier
-lächelt mir mit roten Wangen und hellblauen
-Augen entgegen. Er ist achtzehn Jahre, blond und frisch,
-Zögling einer Unteroffizierschule. Er bekam einen Schuß
-in den Schenkel, wuchtig wie eine große Keule warf ihn
-die kleine Kugel nieder. Er hat keine Schmerzen, nein,
-zuweilen ein bißchen, morgen geht es in die Heimat, und
-bald kommt er wieder.
-</p>
-
-<p>
-Aber es gibt hier viele, die nicht schreiben und nicht
-fröhlich plaudern, und hier gibt es manche, die ihre
-Heimat nicht mehr sehen werden.
-</p>
-
-<p>
-Im Hof sind zwei Krankenautos vorgefahren. Eine
-Tragbahre steht auf der Erde, und darin liegt ein Kanonier
-mit verbundenem rechten Arm. Schmutzig und zerrissen,
-wie er aus der Schlacht getragen wurde, liegt er
-da, und sein Verband rötet sich langsam vom Blute.
-Die Stiefel hat man ihm ausgezogen. Sein Gesicht ist
-braun, fast schwarz und sein Blick stark. Ich sehe, daß
-er die Zehen in den Socken verkrampft. Die Mütze, eine
-runde, schirmlose, verstaubte und verknüllte Mütze, hat
-er noch keck auf dem Kopfe sitzen.
-</p>
-
-<p>
-„Haben Sie Schmerzen?“ frage ich ihn und sehe,
-wie seine Zehen arbeiten.
-</p>
-
-<p>
-Er schüttelt den Kopf. „Ein bißchen Schmerzen muß
-<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a>
-man schon aushalten, es schadet nichts. Ein Volltreffer
-kam in die Batterie, schweres Kaliber, drei Mann tot,
-fünf verletzt.“ Er spricht, als stünde er mit Granaten
-auf du und du. „Die andern sind im Wagen.“
-</p>
-
-<p>
-Ich blicke hinein. Es stöhnt da drinnen. Ich gehe.
-</p>
-
-<p>
-Im Zimmer des Zechenpförtners liegt ein Franzose.
-Er liegt allein, nicht weil er ein Franzose ist, sondern
-weil es schlecht um ihn steht. Seine Wunde ist zu furchtbar,
-als daß man ihm wünschte, durchzukommen. Er
-ist ein schöner junger Mann, vielleicht fünfundzwanzig.
-Sein schmales Gesicht ist bleich und still, seine Augen
-tiefbraun und noch voller Leben und Bewußtsein. Tagelang
-wird er noch unterwegs sein, bevor er sein Ziel
-erreicht.
-</p>
-
-<p>
-Die beiden Krankenwagen fahren aus dem Hof, ein
-voller Wagen kommt herein. Herrlich ist die Hilfsbereitschaft
-und Unermüdlichkeit der Ärzte und Pfleger und
-Krankenträger. Es gibt viel zu tun in diesen Tagen.
-</p>
-
-<p>
-Mit der Landschaft haben sich die menschlichen Wohnstätten
-und die Menschen geändert. Es sind keine anmutigen
-Dörfer mehr, es sind Arbeiterviertel, aus der
-Großstadt in die Landschaft geworfen. Rußige Backsteinhäuser,
-staubige Straßen, schmucklose Fenster mit
-ein paar Fetzen schmutziger Gardinen. Die Bewohner
-sind keine Dörfler und Bauern, es sind Städter aus den
-Kellerwohnungen, in billigen, verschlissenen Kleidern.
-Bleich, schlecht genährt und schwindsüchtig stehen sie
-untätig vor den Haustüren und starren dem Wagen
-mit stumpfen Blicken nach. Fahle, greisenhafte Kinder,
-mit einer Spur von Schönheit, die in den Geschlechtern
-<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a>
-verklingt, halbwüchsige Burschen mit kecken Mützen, die
-Zigarette zwischen den schmalen Lippen. Sie greifen an
-die Mütze, wenn man vorbeikommt, und strecken die
-Zunge heraus, sobald man vorüber ist. Nur ganz selten
-kann ich jenen schönen und helläugigen Typus des Arbeiters
-entdecken, den die Arbeit nicht vernichtete.
-</p>
-
-<p>
-In das Industriedorf B. wird zuweilen hineingeschossen.
-Ein paar Dächer sind abgedeckt, ein paar Häuser
-zeigen Granatlöcher. Gestern kamen einige Granaten
-herüber und töteten eine Frau und zwei Kinder. Heute
-sitzen Weiber und Kinder schon wieder an der Straße,
-als sei nichts geschehen.
-</p>
-
-<p>
-Gleich hinter diesem Dorf sinkt die Straße ins Tal,
-in die breite Talmulde hinab. Und drüben liegt sie ausgebreitet
-wie ein Panorama, die berühmte Höhe, die
-so viel Blut getrunken hat, die Lorettohöhe.
-</p>
-
-<p>
-Sie sieht anmutig aus. Golden und grün steigt sie
-aus der grünen Talmulde empor, breit und sanft, ein
-flacher Höhenzug, von Hügelketten flankiert. Oben ist
-sie bewaldet, Laubwald, das Bois de Bovigny. Sie liegt
-in der glühenden Sonne, und Wolkenschatten ziehen
-darüber hin. Sie sieht aus wie eine sonnige Höhe in
-Franken oder in Thüringen oder irgendwo, es ist gar
-nichts Besonderes an ihr. Ein breiter, sanfter Höhenzug
-in der Junisonne, der Dunst der Hitze darüber und etwas
-Wald auf der Kappe, nichts sonst. Und doch ist diese
-anmutige, sonnige Höhe, die so friedlich aussieht, daß
-man glauben könnte, Schafe würden dort weiden und
-Kinder spielen in den Wiesen, heute nichts als ein großer
-Grabhügel, ein Riesengrab. Tausende und aber Tausende
-<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a>
-liegen dort, Freund wie Feind. Sie fielen im Herbst, im
-Winter, im Frühjahr. Viele konnten nicht begraben
-werden. Sie lagen monatelang in der Sonne, im Schnee,
-im Regen, und die Erde zerrte an ihnen und zerrte sie
-langsam in sich hinein. Des Nachts starrten sie aus ihren
-offenen Augen in die glitzernden Sterne empor, in jene
-Welt des Friedens und der Herrlichkeit, wo ihre Seelen
-jetzt wanderten, während ihre Leiber in der Hölle dieser
-Erde lagen. So furchtbar ist die Wut des Krieges, daß
-die Gegner sich nicht einmal die Zeit zur Bestattung ihrer
-Toten gewähren können, wie es Heiden und Wilde taten.
-</p>
-
-<p>
-Man wird nun einsehen, daß die Anmut und Lieblichkeit
-dieser Höhe eine Lüge ist. Dort oben gibt es schauerliche
-Dinge, an die niemand gern denkt. Es gibt dort
-Sumpfstreifen, in denen die Toten langsam versunken
-sind, so daß heute nur noch ein Stiefel oder ein Ellbogen
-heraussieht. Es gibt Gräber voller Unheimlichkeiten,
-halb voll Wasser und Schlamm, und ein Schnurrbart
-sieht aus dem Wasser. Es gibt hier Dinge, die man nicht
-erzählen kann. Wenn der Bauer einst hier wieder pflügt,
-so wird er bei jedem Schritt auf Knochen stoßen, auf
-Stiefel und zerbrochene Gewehre.
-</p>
-
-<p>
-Hier oben stand die oft genannte Kapelle von Notre
-Dame de Lorette. Sie ist heute ein Haufen Trümmer.
-</p>
-
-<p>
-Hier oben hat jeder Quadratmeter Boden seine Kämpfe
-gehabt, seine Toten, sein Entsetzen. Die Erde ist zerfetzt
-von Granaten. Hier oben hat jeder Weg, hat jede
-Besonderheit ihren Namen, und an all diesen Namen
-hängt viel Blut und Heldenmut. Diese Namen werden
-weiterleben, und die Soldaten, die die Höhe freigab,
-<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a>
-werden von ihnen sprechen, wenn sie alt sein werden.
-Da ist die Kanzel, der Hohlweg, der Barrikadenweg, die
-Schlammulde, die Totenwiese. Diese Namen kehren
-wieder in den Gefechtsbüchern der Regimenter, die hier
-kämpften.
-</p>
-
-<p>
-Hat jemand gewußt, welche Bedeutung diese Höhe in
-diesem Kriege hat? Niemand. Zuweilen wurde sie in
-kurzen Telegrammen genannt. Man wird anfangen, an
-sie zu denken.
-</p>
-
-<p>
-Seit Wochen ist sie unter schwerem Feuer. Auch heute.
-</p>
-
-<p>
-Sie <em>raucht</em>.
-</p>
-
-<p>
-Auf den ersten Blick sieht es aus, als würden auf dem
-goldgrünen sanften Abhang der Höhe, über den still die
-Wolkenschatten ziehen, Feuer von Kartoffelkräutern abgebrannt,
-deren rostbrauner Qualm senkrecht in die heiße
-Luft steigt. Als ständen hinter der Höhe, hinter dem
-Bois de Bovigny, Reihen von Fabrikschlöten, die ihren
-Rauch emporwirbeln lassen. Aber diese dicken Säulen
-rostbraunen Qualms entstehen urplötzlich, ohne jede
-Vorbereitung, drei, vier fahren nebeneinander aus der
-Erde. Sie wechseln ebenso urplötzlich den Ort, bald stehen
-sie höher, bald tiefer, bald ein paar Kilometer rechts,
-bald links. Sie sind rostbraun und rostrot und zuweilen
-schwarz wie Ruß. Es sind die Einschläge der französischen
-Granaten, die unsere Gräben eindecken wollen. Die
-Gräben selbst kann man von hier aus nicht sehen, aber
-an den Einschlägen der Granaten kann man ihre Kurve
-verfolgen, die sich quer über den Fuß der breiten Höhe
-zieht. Auch hört man die Einschläge nicht, denn die
-Geschütze donnern und rollen ohne Pause.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a>
-Aus dem Bois de Bovigny wirbelt eine pechschwarze
-Rauchwolke empor, turmhoch, und in der nächsten Sekunde
-eine zweite, deren Qualm sich hoch oben mit dem
-Qualm des ersten Einschlages vereinigt. Deutsche
-Granaten. Die schwarzen Rauchfahnen hinter dem Wald
-wehen hin und her, sie steigen an verschiedenen Stellen
-zur gleichen Zeit in die Höhe, stehen minutenlang und
-nehmen die Form von Pinien an. Sie verblassen, und
-ein neuer Krater speit Schwärze und Finsternis in die
-Luft empor.
-</p>
-
-<p>
-In der Talmulde, die so friedlich und sonnig aussieht,
-hinter den winzigen Häusern da unten, wälzt sich eine
-safranfarbene Wetterwolke. Sie schwankt schwer und
-unheilvoll am Boden, hebt sich hoch und steigt dick geballt
-in die Luft, einen Teil der Höhe verdeckend. Eine schwere
-Granate, die einer unserer Batterien galt. Wütende
-Abschüsse. Schlag auf Schlag, die Luft dröhnt. Hinter
-dem Bois de Bovigny, im Tal gegen Ablain zu, steigt
-eine schwarze Wetterwand in den blauen Himmel. Wir
-bleiben ihnen nichts schuldig!
-</p>
-
-<p>
-Plötzlich kommt unten in der Talmulde eine rostbraune
-Granatwolke ins Laufen. Es sieht merkwürdig aus.
-Es ist ein spitzer Kegel, ein spitzer Wirbel von rostbraunem
-Rauch, der sich rasch dahinbewegt wie der Rauch eines
-Eisenbahnzuges. Es ist ein Auto, das da drunten auf
-dem staubigen Straßenfaden wie toll dahinfegt. Es
-fährt um sein Leben. Ein weißes Wölkchen steht urplötzlich
-über dem Auto im heißen Blau des Himmels.
-Ein Schrapnell. Zu hoch. Ein zweites. Das Auto
-läuft wie eine Maus, die Angst hat. Es ist toll, hier zu
-<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a>
-fahren! Droben im Bois de Bovigny sitzt der Franzose
-mit seinen Scherenfernrohren und sieht jede Katze im
-Tal. Es sind Offiziere, Befehlsüberbringer. Es muß
-sein. Durch!
-</p>
-
-<p>
-Die Sonne brennt. Es ist drückend heiß, und der
-Schweiß läuft mir über das Gesicht.
-</p>
-
-<p>
-Die Lorettohöhe blinzelt und blinkt. Ein unsichtbares
-wütendes Fabeltier stampft auf ihr hin und her und reißt
-den Boden mit den Hörnern auf und schleudert die Erde
-in die Höhe. Heiß, heiß wie die Hölle muß es dort drüben
-in den Gräben sein, wo unsere tapferen Jungen liegen.
-Der Himmel sei ihnen gnädig.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="NACHTKYYMPFEBEIARRAS">
-Nachtkämpfe bei Arras
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juni
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">E</span><span class="postfirstchar">rstickend</span> heiß, staubig und lärmend waren die
-Straßen am Tage, und nun genieße ich es, in die
-sinkende Nacht hinauszufahren. Schon stehen die Sterne
-blaß am Himmel. Die Bäume rauschen, und die Luft
-ist lau und erfrischend. Die Dunkelheit erquickt die
-Augen, die entzündet sind von Staub und Schweiß. Es
-ist die Zeit, da die Kröten aus den Löchern kommen.
-</p>
-
-<p>
-Auf all den dunkeln Straßen der flachen Landschaft
-wandert und knirscht und knarrt es. Aber es ist ein Lärm
-ohne Hast und Geschrei, ein Lärm wie im Frieden, wenn
-die Bauern auf den Markt fahren. Die Kolonnen sind
-unterwegs. An endlosen Wagenzügen fahren wir entlang,
-und die schweren Pferde strecken die Schenkel, sobald sie
-<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a>
-die Hupe hören. Große, vom Lichtschein erschreckte
-Pferdeaugen glotzen uns argwöhnisch von der Seite
-an. Es ist das Futter für die unersättlichen Schlünde
-der Kanonen. Langsam knarren die Wagen dahin. Sie
-haben keine Eile. Sie haben das Futter zur bestimmten
-Zeit gefaßt, sie sind zur bestimmten Zeit aufgebrochen,
-und sie werden auf den Punkt dort eintreffen, wo sie
-hin sollen. Keine Erregung, kein lautes Wort. Die
-Fahrer rauchen die Pfeife, sie haben sich behaglich und
-faul zurechtgesetzt, aber sobald der Wagen vorbeikommt,
-werfen sie mit einem kurzen Ruck die Nase in die Luft.
-Die Pfeife behalten sie dabei zwischen den Zähnen, aber
-niemand verlangt, daß sie hier außen die Pfeife aus dem
-Mund nehmen. Hier draußen ist vieles anders. Es
-geht auch so.
-</p>
-
-<p>
-Zwischen den dunkeln stummen Pappeln marschiert
-ohne Tritt eine Kompanie. Auch sie traben gemächlich
-dahin, sie haben keine Eile. Auf den Punkt werden sie
-dort sein, und auf den Punkt werden sie im Graben
-stehen. Ihre grauen Helme wackeln hin und her, und die
-schweren Stiefel schlagen Staub aus der Straße. Junge
-Gesichter fliegen vorüber, bärtige, rasche, neugierige
-Blicke, ein Scherzwort. Sie sind gut ausgeruht, frisch
-gewaschen und gehen gleichmütig ins Gefecht, als gingen
-sie zur Arbeit. „Rechts getreten!“ Der Zug an der
-Spitze tritt zur Seite.
-</p>
-
-<p>
-Wieder eine Munitionskolonne. Ein Zug Lazarettwagen
-kommt ihr entgegen. Wir müssen halten und uns
-an den muskulösen Schenkeln der Lastpferde vorbeidrücken.
-In den Lazarettwagen haben sie die Leinwand
-<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a>
-zurückgeschlagen, um frische Luft zu bekommen. Still und
-ergeben liegen sie in den Wagen. Einzelne, mit Binden
-um den Kopf oder mit Armschlingen, sitzen auf dem Bock.
-Auf der einen Seite ziehen sie hinaus, auf der andern
-zurück. So ist der Krieg. Neuville, die Zuckerfabrik,
-Souchez und die Lorettohöhe kosten viel Opfer. Tag
-und Nacht.
-</p>
-
-<p>
-Überall wandert und trappelt es in der Nacht. Am
-Tag ist hier nicht viel zu sehen, ein paar Autos, ein paar
-Karren, fast keine Soldaten. Denn am Tage wimmelt
-es hier von Fliegern wie an keiner Stelle der Front.
-Am Tage ist hier Ebbe, aber in der Nacht kehrt die Flut
-zurück, um Gräben und Batterien da draußen zu speisen,
-und sie verschlingen viel. Nacht um Nacht ist es das
-gleiche, bei uns wie bei ihnen da drüben.
-</p>
-
-<p>
-Achtung! Wir müssen zur Seite. Ein paar Autos
-kommen wie die Hölle angeritten. Es sind Befehlsempfänger,
-die von den Stäben zum Oberkommando
-jagen, und sie kennen keine Gnade. Die Mützen über
-den Schädel gestülpt, die Köpfe eingezogen im Luftzug,
-fliegen sie vorüber.
-</p>
-
-<p>
-Ein schweres Geschütz, von sechs Pferden gezogen,
-kraucht durch die Nacht. Zur Front, wie alles. Es läßt
-den Kopf hängen und scheint auf der Lafette zu schlafen
-wie ein müdes ergrautes Walroß. Aber die Kanoniere
-da draußen werden es wachrütteln, und es wird seine
-Arbeit wieder aufnehmen wie in der letzten Nacht. Wird
-seinen grauen Kopf heben und zum Himmel emporbellen.
-</p>
-
-<p>
-Ein matterleuchtetes Fenster. Ein Dorf. Der Posten
-<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a>
-tritt vor und mustert rasch Wagen und Insassen. Das
-Dorf ist stockfinster. Keine Lampe, nichts, keine Bewohner.
-Ein paar Soldaten sitzen in Hemdärmeln in den finsteren
-Haustüren. Wieder Chaussee. Wieder Kolonnen. Stille
-finstere Dörfer. Der Wagen biegt ab, passiert eine schnurgerade
-Straße schwarzer Arbeiterhäuser. Er hält bei
-einer Zeche.
-</p>
-
-<p>
-In wenigen Minuten sind wir oben auf dem dunkeln,
-öden Schlackenhaufen. Ich hole Atem. Was ich sehe,
-ist ein nächtlicher Spuk.
-</p>
-
-<p>
-Ich will versuchen, es zu beschreiben, obschon es unmöglich
-ist. Niemals aber werde ich imstande sein, mein
-Erstaunen auszudrücken, als ich es zum erstenmal sah:
-nicht mehr ist es und nicht weniger als ein Feuerwerk
-des Teufels.
-</p>
-
-<p>
-Zuerst sehe ich nichts. Die dunkle Halde, der Zechenhof.
-Ein paar Fabrikschlöte, der Förderturm, dunkle
-Wände mit schwarzen hohen Kirchenfenstern. Schuppen,
-Bahngeleise. Die Dächer einer Arbeiteransiedlung, alle
-gleich hoch, gleich groß, wie Treibhäuser.
-</p>
-
-<p>
-„Dort unten liegen zwei französische Spione begraben,“
-sagt die Stimme des Offiziers an meiner Seite. „Dort
-bei den Schuppen. Vor dem kleinen Schuppen, ein paar
-Schritte nach rechts.“
-</p>
-
-<p>
-Nun entdeckte ich den Grabhügel. „Waren es wirkliche
-Spione?“
-</p>
-
-<p>
-„Ja. Zwei Offiziere. Sie hielten sich lange Monate
-in Douai verborgen. Dann verkleideten sie sich als
-Frauen, ein schmutziges Straßenmädchen nahmen sie
-noch mit. Aber sie wurden gefaßt.“
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a>
-Ich bin ungläubig. Es klingt wie ein Märchen.
-</p>
-
-<p>
-„Es ist wahr. Ich sah sie sterben. Sie leugneten
-gar nicht, sie gestanden es ein. Sie starben gefaßt und
-mit Würde, wie Offiziere. Es waren zwei mutige
-Burschen.“
-</p>
-
-<p>
-Elend sieht dieser helle Fleck bei den Schuppen drunten
-aus. Mich fröstelt. Die Frösche quaken in den Wiesen,
-die dunkeln Baumwipfel bewegen sich. Die Kanonen
-brummen und pochen. Man gewöhnt sich daran; Tag
-und Nacht hört man hier nichts anderes, selbst wenn man
-schläft. Man hört nicht mehr hin, nur wenn eine schwere
-Batterie donnert und trommelt, wendet man den Kopf.
-Hinter den Arbeiterhäusern dehnt sich das mächtige
-Land, gespensterhaft durchsichtig im Licht der Sterne.
-Und aus dem fahlen Lande, am Horizont, steigen dunkle
-Höhenzüge empor, scharf abgegrenzt gegen den graublauen
-Nachthimmel.
-</p>
-
-<p>
-„Das da links ist die Höhe von Vimy. In der Mitte,
-der breite Rücken, das ist die Lorettohöhe, und rechts
-davon, das sind die Höhen hinter Aix-Noulette.“
-</p>
-
-<p>
-Plötzlich steigt hinter der Lorettohöhe ein weißer,
-sprühender Mond empor und bleibt minutenlang stehen.
-Kreidebleich ist ein Teil der Höhe. Der Mond sieht aus
-wie ein Leuchtfeuer, das auf das Meer hinaussprüht.
-Plötzlich aber sind es zwei, drei, sechs Monde, die über
-den Höhenzügen schweben, ein Viertel des Horizontes
-beherrschen sie. Hinter den dunkeln Höhen wetterleuchtet
-es unaufhörlich, ein Feuerstrahl, rot und flammend, dick
-wie ein Balken fährt schräg aus dem Wald auf der Höhe
-heraus. Die Monde sinken, ganz langsam, und verlöschen.
-<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a>
-Aber schon stehen neue über den Höhen. Weitab links
-blinzelt ein rötliches Feuer am Himmel, wie ein entzündetes
-Auge. Ein Blinkfeuer im Dunst. Im Norden
-antwortet eine grüne Kugel, die rasch steigt und rasch
-verlischt. Die Geschütze trommeln. Ein paar sanfte schöne
-Sterne versprühen, Schrapnelle. Aus der Lorettohöhe
-schießen, dicht nebeneinander, zwei Fühlhörner empor,
-mit glühenden Kugeln an den Enden. Blitze fahren über
-das Land und den dunkeln Himmel. Die Sterne verblassen.
-In der Ebene poltert und kracht es. Fahle
-Lichtgarben, stumpf wie Rasierpinsel, stehen in der Ebene:
-Einschläge von Granaten. Ein Rudel roter Leuchtkugeln.
-Ein gelber Halbmond, der traurig und trüb verglimmt,
-schauerlich wie über hoffnungsloser See.
-</p>
-
-<p>
-Es ist wie ein toller Spuk, ein Traumgesicht. Das
-höllische Feuerwerk zuckt und spielt, jede Sekunde sprüht es
-anders, schöner, wilder.
-</p>
-
-<p>
-Diese Lichtsignale sprechen zu den Batterien. Alles
-können sie lautlos in den Himmel emporsprühen. Und
-die Geschütze antworten, sie verstehen alles, sie antworten
-präzis und unerbittlich.
-</p>
-
-<p>
-Früher dauerten Schlachten ein paar Stunden,
-höchstens ein paar Tage. In der Nacht standen sie still.
-Heute dauern sie wochenlang und der Tag ist zu kurz,
-in der Nacht wüten sie weiter.
-</p>
-
-<p>
-Über der Lorettohöhe stehen nebeneinander, in gleicher
-Höhe, drei rote Monde und glühen zu uns herüber.
-Grüne Raketen fahren gespenstisch in die Höhe. Horch!
-Durch das Poltern und Trommeln der Geschütze hindurch,
-in den sekundenlangen Pausen zwischen den
-<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a>
-dumpfen Schlägen hört man deutlich das rollende
-Gewehrfeuer und das Knattern der Maschinengewehre.
-Es klingt, als würde ein Wagen voll Kohlen ausgeschüttet.
-Angriff!
-</p>
-
-<p>
-Wieder greift Joffre an. Gestern nacht griff er an
-sechs verschiedenen Stellen an und dreimal an ein und
-derselben. Um zehn, um ein Uhr und um drei Uhr.
-Unsere Leute sind hart wie Stahl. Sie halten Unmögliches
-aus. Die Maschinengewehre mähen die französischen
-Kolonnen dahin, ganze Züge fliegen in die Luft,
-Lawinen von Leibern rollen über die Abhänge. Aber
-Joffre greift an! Man hat mir gesagt, wie hoch man
-seine Verluste schätzt, es sind irrsinnige Zahlen, ich wage
-sie nicht niederzuschreiben. Und doch wirft er Regiment
-um Regiment ins Feuer. Er erscheint mir wie ein nervös
-gewordener Spieler, der verloren hat und nun sein
-Geld aus allen Taschen reißt, Ringe und Uhr, und
-alles auf den Spieltisch schmeißt, um das Glück zu
-zwingen.
-</p>
-
-<p>
-„Es ist bei der Schlammulde,“ sagt mein Begleiter.
-</p>
-
-<p>
-Nichts ist mehr zu hören. Die Stimmen der Kanonen
-überbrummen alles, die Dunkelheit deckt alles zu, was
-dort geschieht und geschehen ist. Besser, es nicht zu sehen!
-Es mitzumachen ist möglich, es mitanzusehen, wäre
-unmöglich.
-</p>
-
-<p>
-Feuerschein steht hinter der Höhe von Vimy. Er
-verblaßt. Es blitzt und wetterleuchtet, donnert und
-rumort. Feuerbalken fahren aus dem dunkeln Wald
-der Lorettohöhe wie ungeheure Stichflammen in die
-Nacht. Und ununterbrochen steigen Monde und fremde,
-<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a>
-nie gesehene Sonnen in die Nacht empor. Sie stehen da
-und dort, überall, bald sechs, acht zur gleichen Zeit, bald
-zwei, bald nahe, bald fern! Ein Mond sinkt herab und
-blinzelt im Fall, Scheinwerfer tasten: das Mündungsfeuer
-ferner Batterien. In der dunkeln Ebene tanzen
-fahle Lichtgarben. Grüne, rote Meteoriten, die hochfliegen
-und langsam sinken. Schwer und gewaltig schlägt
-eine deutsche Batterie da unten, sie saugt den ganzen
-Lärm auf und schlägt einen rasenden Wirbel. Und wieder
-steigt ein Schwarm gespenstischer leuchtender Bälle in
-die Nacht.
-</p>
-
-<p>
-Es ist eine Gespensterküste mit hundert wechselnden
-und fremden Feuern, die sprühen und blinzeln, eine
-höllische Küste mit unverständlichen Signalen. Ich kann
-mir denken, daß ein Seemann, der ein Leben lang die
-Küsten aller Kontinente ansteuerte, im Fieber, im Wahnsinn
-eine Küste wie diese erblickt und verzweifelt vor
-diesen fremden, verwirrenden Feuern.
-</p>
-
-<p>
-Ja, wohlverstanden, es ist die Küste eines fremden,
-geheimnisvollen Landes, und viele von denen, die da
-drüben kämpfen, werden noch in dieser Nacht, in dieser
-Stunde ihren Fuß auf das ferne, unbekannte Gestade
-setzen.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="EINTAPFERESREGIMENT">
-Ein tapferes Regiment
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juni
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">W</span><span class="postfirstchar">as</span> ist das Regiment? Das Regiment ist alles. Es
-ist Anfang und Ende, Offizier und Mann sterben dafür.
-Offizier und Mann gehören sich nicht mehr selbst, sie
-<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a>
-gehören dem Regiment. Ihre Ehre ist die Ehre des
-Regiments. Sie haben zu seiner Fahne geschworen,
-seine Fahne ist heilig, und die Eide werden besiegelt
-mit heißem Blut. Das Regiment will! Es geschieht.
-Das Regiment befiehlt! Es ist getan. Offizier und
-Soldat, sie können sterben bis zum letzten Mann,
-das Regiment stirbt nicht. Das Regiment ist ein
-Glaube, eine Religion, es ist alles. So war es, seit
-es Regimenter gab, und so muß es sein, solange es
-Regimenter gibt.
-</p>
-
-<p>
-Hunderte stehen heute am Feind, Hunderte von
-Regimentern. Alle, Offizier und Mann, von all den
-Hunderten von Regimentern wissen wohl, was es bedeutet:
-<em>das Regiment</em>! Und die Kommandeure all
-der Regimenter, sie wissen es wohl. Sie sterben für
-die kleinste Faser der heiligen Standarte. So muß
-es sein.
-</p>
-
-<p>
-Hier soll berichtet werden von einem tapferen badischen
-Regiment. Es ist nicht tapferer als andere, es ist ebenso
-tapfer wie sie, aber es hatte schwere Arbeit zu leisten in den
-ersten Maitagen, droben auf der Lorettohöhe, und deshalb
-will ich von ihm berichten.
-</p>
-
-<p>
-Am 20. November bezog das Regiment die Stellungen
-auf der Höhe. Diese Stellungen! Mit ihren Gräben,
-Sappen, Verbindungsgängen und Horchstollen sehen
-sie auf der Karte aus wie das feine Geäder des Auges.
-Bei Ablain begannen sie, stiegen hinauf zur „Kanzel“,
-einer Kuppe, und zogen quer über den Ostabhang der
-Lorettohöhe, an der Kapelle Notre Dame de Lorette
-vorüber, hinab zur Schlammulde.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a>
-Im November lag etwas Schnee auf der kahlen
-Höhe, aber das Vergnügen dauerte nicht lange.
-Regen setzte ein, ein ganz verfluchter dünner grauer
-Regen, wie die Soldaten ihn nie erlebt hatten. Es
-regnete wochenlang. Der feine Nebelregen durchdrang
-alles, Haut und Haare, Kleider, Riemenzeug und
-Schuhe, es gab keine Rettung vor ihm. Wenn sie
-aus den Gräben kamen, so sahen sie nicht mehr
-menschlich aus. In der Schlammulde versank man im
-Morast. He, Kamerad! Zu Hilfe! Und man mußte
-ziehen, mit vereinten Kräften, um den Pechvogel zu
-befreien. Mancher Stiefel blieb im Dreck stecken. Na,
-das war natürlich nicht sehr schlimm, dieser Regen und
-Schmutz, davon nur nebenbei, es war das <em>Allerleichteste</em>.
-Nebenher wurde auch noch gekämpft! Es ging
-scharf zu, da oben, Tag und Nacht. Man brauchte
-sich nur zu rühren, schon knallte es. Alles buddelte, die
-Gräben rückten auf zwanzig, auf fünfzehn Meter heran.
-Es regnete Handgranaten und Minen. Du hockst im
-Graben, den Blick nach oben gerichtet, und lauerst. Nun
-kommt sie heran. Wohin wird sie fliegen? Fällt sie in
-den Graben, so heißt es verschwinden. Nägel und
-Schrauben und Fetzen von Eisen speit sie nach dir und
-spickt dich damit. Fällt sie in deine nächste Nähe, dann
-bleibt dir keine Wahl mehr. Du mußt ihr entgegengehen!
-Immer rasch, angefaßt und zurückgeschleudert,
-bevor sie explodiert. So ging es da oben zu, es war
-so, daß man sich in jeder Sekunde sagen mußte: diesmal
-–
-</p>
-
-<p>
-Noch schlimmer war es oben auf der Kanzel. Von dieser
-<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a>
-Kuppe aus konnte man die Straße Souchez-Ablain
-einsehen. Fiel die Kanzel in die Hände des Feindes, so
-sah die Sache bös aus. Keine Katze konnte sich mehr
-auf der Straße zeigen, Zufuhr, Ablösung, alles in Frage
-gestellt. Nein, die Kanzel durfte er nicht haben! Das
-Regiment sagte es und das Regiment hielt die Kanzel!
-Die französischen Batterien standen bei der Topartmühle,
-im Bois de Bovigny, im Bois de la Haie. Sie
-beschossen die Gräben von vorn, von der Flanke und im
-Rücken. Täglich trommelten sie die Gräben auf der
-Kanzel ein. Nachts wurde fieberhaft gebaut, Sandsäcke,
-Brustwehren, Drahtverhaue, am nächsten Tag war alles
-wieder zum Teufel. Oft waren die Gräben verschüttet,
-sie hockten in Löchern, sie hockten in Granattrichtern,
-Angriff auf Angriff, aber das Regiment hielt die
-Kanzel.
-</p>
-
-<p>
-So ging es also da oben zu. Wohlgemerkt und wohlverstanden:
-<em>sechs Monate lang</em>! Fast ohne jede
-Unterbrechung und Ruhe.
-</p>
-
-<p>
-Anders ist die bewegliche, die fließende und flutende
-Schlacht. Sie rauscht dahin über die Felder. Gefahr
-und Tod, Rausch, Wut, Entsetzen, Schrecken und
-Triumph in ein paar Stunden gepreßt. Sie kann zwei,
-drei Tage, eine Woche dauern, einmal ist sie doch zu
-Ende. Atemholen, neue Quartiere, neue Abenteuer.
-Der Stellungskrieg zehrt am Mann. Immer das gleiche,
-aber immer die gleiche Gefahr, tagaus, tagein. Kein
-sichtbarer Erfolg, kein Abenteuer im großen Stil, keine
-neuen Quartiere, Gegenden und Menschen. Hier ist der
-Graben, und davor liegen die Toten. Übermenschlich
-<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a>
-muß die Energie des Mannes im Graben sein, übermenschlich
-seine moralische Kraft. So gewiß es ist, daß
-Offizier und Mann im Westen genau das gleiche leisten
-wie Offizier und Mann im Osten, so gewiß ist es, daß
-sie, du brauchst sie nur zu fragen, ohne zu zögern ihren
-Graben mit Polen, Karpathen und Rußland vertauschen
-würden. Augenblicklich, lieber heute als morgen. Trotz
-den Läusen und schlechten Quartieren. Denn Läuse gibt
-es auch hier und die Quartiere sind nicht viel besser,
-wenigstens in der Feuerzone.
-</p>
-
-<p>
-Aber, es muß gesagt werden, unser Regiment hatte
-auch seine Abwechslung. Am 17. Dezember wies es
-Joffres Angriffe ab. Es ging blutig zu. Mitte Januar
-nahmen ihm die Franzosen ein paar Grabenstücke weg,
-aber das Regiment revanchierte sich und nahm seinerseits
-den Franzosen zwei ausgedehnte Gräben. Am 3. März
-ging es wieder vor. Das Regiment nahm die Gräben
-bei Notre Dame de Lorette. Die schlichte Kapelle auf der
-Höhe ging dabei in Trümmer, die Glocke, die frei in dem
-durchbrochenen Türmchen hing, stürzte in den Schutt.
-Die Arbeit am 3. war schwer, und schwerer noch war
-sie am 22. Die französischen Gräben waren angehäuft
-mit Leichen, und man begrub und begrub, es
-wollte kein Ende nehmen. Mit Schaudern sprechen sie
-davon.
-</p>
-
-<p>
-Aber all das war nur Vorbereitung, eine Art
-<em>Training</em>!
-</p>
-
-<p>
-Der 9. Mai kam heran! Offizier und Mann werden
-ihn nie mehr vergessen. Er kam heran, und nun mußte
-es sich zeigen, was eigentlich in ihm steckte, in dem badischen
-<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a>
-Regiment Nummer X! Nun mußte es sich zeigen, ob
-die Höhe, die blutgierige und verfluchte Höhe, das Regiment
-gestählt hatte in der halbjährigen harten Schulung
-oder nicht. Es mußte sich zeigen, ob das Regiment
-imstande wäre, sich selbst um das Doppelte und Dreifache,
-das Zehnfache zu überbieten! Darum handelte es sich,
-um nichts Geringeres. Joffre wollte die Höhe! Er
-wollte sie um jeden Preis! Über Souchez von unten,
-die Schlammulde von oben, über Ablain und die Kanzel
-von hinten wollte er vor. Zwischen Souchez und Schlammulde
-wollte er abdrosseln. Das war die Lage. Es ging
-ums Ganze, das Regiment mußte zeigen, was in ihm
-steckte.
-</p>
-
-<p>
-Und das Regiment zeigte es!
-</p>
-
-<p>
-Um sieben Uhr morgens fing es an. Die französische
-schwere Artillerie begann die vordersten Grabenlinien
-einzutrommeln. Wirbelfeuer, schwerstes Kaliber. Dieses
-Höllenfeuer dauerte bis elf Uhr dreißig Minuten.
-</p>
-
-<p>
-Der Kommandeur des Regiments: „Als ich von
-unserem Beobachtungsstand aus das Feuer beobachtete,
-da dachte ich mir, es kann kein Mann mehr in den Gräben
-am Leben sein!“
-</p>
-
-<p>
-Der Reservist aus Bretten: „Die habe uns die Gräbe
-hübsch zusammengewichst. So was war noch gar nicht
-da. Alles war schwarz!“
-</p>
-
-<p>
-Die Drahtverhaue und Barrikaden waren niedergetrommelt,
-die vorderen Gräben existierten nicht mehr.
-Sie waren Granatlöcher. Die Kompanien lagen in den
-zweiten Gräben. Alles war schwarzer und gelber Qualm,
-glühende Rasiermesser zischten über die Gräben hin.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a>
-Halb elf wurde das Feuer weiter zurück, auf die
-zweiten Gräben gelegt. Was ist zu tun? Frage die
-Soldaten, die in diesen Gräben waren. Nichts kann
-man tun. Man liegt der Länge nach im Graben, den
-Kopf in die Erde gedrückt. Einer schreit auf, einer
-stöhnt. Was man denkt? Man denkt nichts, nichts,
-gar nichts! So ist es also, ohne jede Phrase. Es ist
-die <em>Agonie</em>. Punkt elf Uhr dreißig schweigt plötzlich
-das Feuer. Was noch kann, erhebt sich. Gewehre fertig.
-Ein Maschinengewehr ist noch intakt, ein einziges.
-Los! Schon kommen sie!
-</p>
-
-<p>
-Sie kommen heran in dichten Kolonnen, mit
-unerhörter Bravur, bewundernswürdig. Nie vorher
-sah man Franzosen so stürmen. Das Maschinengewehr
-hämmert. Sie fallen, in Reihen. Schnellfeuer.
-Sie brausen näher. Ein Offizier an der Spitze, mit
-gezücktem Degen! Er überspringt den ersten Graben,
-will seine Leute mitreißen, allein, ganz allein stürmt er
-weiter. Er fällt. Nahkampf. Angriff erledigt! Aber
-was ist das? Sie sind im Rücken! Eine halbe feindliche
-Kompanie ist in die Verbindungsgräben eingedrungen
-und kommt in den Graben. Sandsäcke!! Nun gilt es.
-Der Offizier schreit, der Mann. Jeder einzelne Mann
-ist jetzt Offizier, Kommandeur, er muß handeln, rasch
-und klar. Sandsäcke! Handgranaten! Die Barrikade
-ist fertig, die Handgranaten fliegen in Schwärmen zum
-Feind über die Sandsäcke hinüber. Der Feind ist abgeschlossen.
-Aber neue Sturmkolonnen kommen heran,
-sie fliegen die Höhe herunter. Salvenfeuer, das Maschinengewehr
-schnarrt. Es sind ihrer zu viele, immer
-<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a>
-neue Kolonnen. Aber der Kommandeur hat seine Leute
-nicht vergessen und den kühlen Kopf bewahrt. Artillerie!
-Plötzlich schlagen Granaten in die feindlichen Sturmkolonnen.
-Fontänen von Leibern, Kleidungsstücken,
-Köpfen und Gliedmaßen fliegen hoch. Es ist zwei
-Uhr, schon nahen die Bataillone, die in Ruhestellung
-waren.
-</p>
-
-<p>
-Nein, allein hätten sie es nicht schaffen können, gewiß
-nicht. Alle Regimenter, von Neuville bis hinauf nach
-Aix-Noulette, mußten mithelfen, mit gleicher Tapferkeit,
-alle Batterien, Munitionskolonnen, Telephonisten, Beobachter,
-Flieger, jeder einzelne Mann. Frage die Soldaten
-des tapferen badischen Regiments. Sie sprechen
-nicht von sich allein. Sie sagen: Souchez war unter
-Feuer, daß die Häuser auf die Straße flogen. Es waren
-Torpedogranaten, schwere Dinger, die sich tief einbohren
-und dann alles in die Luft schmeißen. Die Munitionskolonnen
-fuhren mitten durch Souchez! Eine Kolonne
-raste auf offener Landstraße dahin. Granaten rechts
-und links. Zur Batterie, abgeladen, weiter. Zurück
-denselben Weg. Ohne einen Mann, ein Pferd zu verlieren.
-Eine Batterie ist zusammengeschossen. Noch zwei
-Geschütze. Sie verfeuert noch rasch 1300 Granaten,
-immer hinein in die Sturmkolonnen, Verschlußstücke
-abgeschraubt und aus dem Staube gemacht ...
-</p>
-
-<p>
-Nein, allein hätten sie es nicht geschafft, aber ihre
-Arbeit war mörderisch hart und schwer. Und sie hielten
-die Gräben, die Granatlöcher besser gesagt. In Abständen
-von fünf Metern lag der Feind eingegraben, <em>fünf
-Metern</em>! Fünfzehn und zwanzig Meter Abstände
-<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a>
-wurden gar nicht mehr für schwierig empfunden. Einen
-Tag und eine Nacht, und noch einen Tag und noch eine
-Nacht. Was sie mühsam zusammenbauten in den
-Sekunden, in denen die Leuchtkugeln sie nicht abblendeten,
-war in einer Stunde wieder zusammengeschossen. Angriff
-auf Angriff. Heroisch kämpfte der Franzose, wie nie
-zuvor.
-</p>
-
-<p>
-Die Soldaten, die da oben kämpften, sprechen mit
-Ehrerbietung vom Feind.
-</p>
-
-<p>
-„Und der Kommandeur?“
-</p>
-
-<p>
-„Der Kommandeur kam jeden Tag zu uns herauf in
-die Gräben. Es war ein Wunder, daß es ihn nicht
-erwischte. Wir waren jedesmal erstaunt, wenn wir ihn
-heil wiedersahen.“
-</p>
-
-<p>
-Dann kamen Reserven, Verstärkungen. Die Krisis
-war überstanden. Das Regiment war zurückgegangen
-auf seine zweiten und dritten Gräben, aber es hatte die
-Stellung gehalten. Joffre kam nicht durch, das war es!
-Frage nicht, wieviele des tapferen Regiments da oben
-fielen, es sind ihrer nicht wenige, aber das Regiment
-stand wie eine Mauer.
-</p>
-
-<p>
-Der Kommandeur des Regiments, Major G., hat
-mich empfangen. Ein schlichter, gerader und einfacher
-Mann. Ein Soldat der Front! Ich kam zwei Stunden
-zu spät, aber das war ihm einerlei, er kümmert sich nicht
-um lumpige Formalitäten.
-</p>
-
-<p>
-Major G. sagte: „Ich glaube wohl behaupten zu
-können, daß das Regiment seine Pflicht getan hat.“
-</p>
-
-<p>
-Das glaube ich auch!
-</p>
-
-<p>
-Hoch das Regiment!
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="GEFANGENEAUSDERARRASSCHLACHT">
-<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a>
-Gefangene aus der Arrasschlacht
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juni
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">S</span><span class="postfirstchar">ie</span> stehen in einer Reihe, wie die Orgelpfeifen, dicht
-neben dem Misthaufen des Bauernhofes. Der größte
-rechts, seine zwei Meter hoch, der kleinste am linken
-Flügel, immer noch gut einen Meter fünfundsiebzig.
-Es sind prächtige Burschen, wie man sie sonst nur bei
-Hagenbeck sieht. Sie stecken in graugelben Khakiuniformen,
-graue Wickelgamaschen, derbe Rohlederstiefel,
-alles ohne Tadel. Auf den schmalen Schädeln tragen sie
-Turbane, ein verblaßtes Zitronengelb, einzelne ein verstaubtes
-Blaugrau. Übrigens sind es keine faltenreichen,
-schwellenden Turbane, sondern Tuchstreifen,
-die eng um den Kopf geschlungen sind und den Turban
-nur noch andeuten. Ihre Gesichter sind scharf und fein
-geschnitten, von der edlen Färbung gedunkelten Elfenbeins.
-Die Sonne glänzt auf ihren Stirnknochen. Ihre
-Augen sind tiefbraun, glänzend und unergründlich wie
-Tieraugen. Die vollen Lippen sind bläulich und grau.
-Ihre langen, sehnigen, braungelben Hände liegen an
-den Hosennähten, Nase geradeaus.
-</p>
-
-<p>
-„Was für Leute seid ihr? Regiment?“ – „Kiff, Kiff!“
-</p>
-
-<p>
-„Französisch, spanisch, englisch? Was versteht ihr?“
-</p>
-
-<p>
-„Kiff, Kiff!“
-</p>
-
-<p>
-Kiff bedeutet eins – erstes Regiment.
-</p>
-
-<p>
-„<span class="antiqua" lang="fr">Français?</span>“
-</p>
-
-<p>
-Der blaßgelbe Turban schüttelt sich. Der Adamsapfel
-zuckt, ein Maul voller Zähne, eine rollende Zunge, die
-Kehle kracht und schnarrt: <span class="antiqua" lang="fr">marrrroc – maroc</span>. <span class="antiqua" lang="fr">Eh
-bien</span>, es sind Marokkaner. Sie verstehen keine Silbe
-<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a>
-Französisch, und es ist nichts aus ihnen herauszubringen.
-Wie Statuen stehen sie, Hände an der Hosennaht, Nase
-geradeaus, und es ist unmöglich, ihre Erstarrung zu
-lösen.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind Automaten. Die Zivilisation hat sie an ihre
-Brust genommen und ihnen beigebracht, wie man vor
-dem weißen Mann stramm zu stehen habe. Die Dressur
-erstreckte sich auf die Künste der Zivilisation, auf rechtsum
-und linksum, das Abfeuern des Gewehrs, und damit
-hatte die Zivilisation ihre Aufgabe erfüllt. Sie waren
-mechanische Puppen geworden, und nichts in der Welt
-konnte sie wieder in Menschen zurückverwandeln. Sie
-standen wie Säulen und wagten keinen Finger zu rühren,
-denn bei Gott, was konnte der weiße Mann tun, wenn
-sie es wagten? Er konnte sie mit einem Fußtritt auf
-den Misthaufen befördern, er konnte – ja, was konnte
-er nicht? Man sah es ihnen an, daß sie die Zivilisation
-des weißen Mannes begriffen hatten! Ihr Gott war
-der Korporal.
-</p>
-
-<p>
-Dabei hatten sie Namen wie in den Märchen. Mohammed
-ben Abdel Kader! Jeder Name ein Fürst! Sie
-stammten aus Casablanca, Sous-Maroc, Mogador.
-Sie hatten keine Vorstellung, wo sie sich befanden, ihre
-Gehirne träumten, aber sie wußten, daß der weiße Mann
-sie hinschicken konnte, wohin er wollte, denn sie waren
-wilde Völker, Kiff, Kiff.
-</p>
-
-<p>
-Um die Handgelenke, sehnig und edel wie die Fesseln
-von Tigern, trugen sie dünne Kettchen und daran hingen
-die Erkennungsmarken, Name, Regiment, Heimat,
-Nummer. Es waren kokette Armreife, anmutige Geschenke
-<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a>
-der Zivilisation, die sie, die Zivilisation, für ihre
-Register und Bücher nötig hatte, wenn man die gelben
-Kadaver in die Massengräber fegte.
-</p>
-
-<p>
-Mitten in der Reihe der gelben Automaten stand ein
-Franzose. Auch er stand in militärischer Haltung, aber
-man sah auf den ersten Blick, daß er keine Maschine,
-sondern ein Mensch war. Seine Haltung war locker,
-frei und würdig. Sie waren Statisten auf dem Kriegsschauplatz,
-er war Soldat. Sein Kopf war rund wie eine
-Kugel, gespickt mit blonden Haarstoppeln, oben und
-unten, sein Blick blau und seine Backen rot. Er war ein
-guter Bursche, der typische <span class="antiqua" lang="fr">bon garçon</span>, Spaßvogel und
-pfiffiger Junge in einer Person. Noch war er ein wenig
-eingeschüchtert durch das Unglück, das ihn betroffen
-hatte, aber das würde sich bald wieder geben, keine
-Sorge.
-</p>
-
-<p>
-Wieso er hierher käme? – Oh, ja, <span class="antiqua" lang="fr">pardon</span> – seine
-Hände lösen sich, denn er brauchte sie zum Sprechen –
-er hatte eben Pech! Nichts andres. „<span class="antiqua" lang="fr">Que voulez-vous,
-monsieur?</span>“ Er war Koch und arbeitete in der berühmten
-Zuckerfabrik zwischen Souchez und Ablain. Er steigt
-also vom Garten aus in seine Küche hinunter, um anzufangen.
-Zwei deutsche Gefangene sitzen da unten im
-Keller, sonst aber ist niemand zu sehen. Das ist ein
-bißchen merkwürdig, nicht wahr? Also steigt er die
-Treppe hinauf, und die zwei deutschen Gefangenen begleiten
-ihn, da sie ja nichts zu tun haben. Kaum aber
-stecken sie die Köpfe in den Korridor – na, was sagst du
-dazu: die Deutschen sind da! – Man kann es nicht
-leugnen, das ist solides Pech!
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a>
-Der Koch zieht den Kopf zwischen die Schultern und
-breitet die Arme aus. „<span class="antiqua" lang="fr">Eh, bien! Que voulez-vous</span> ...“
-</p>
-
-<p>
-„Können Sie sich denn mit diesen Gelben hier verständigen?“
-Ein Blick, ein Ruck, ein verächtliches Achselzucken:
-„Mit diesen Gelben? Kein Wort, mein Herr!“ –
-</p>
-
-<p>
-Man weiß, daß wir in diesen Kämpfen bei Arras
-fünfzehnhundert Gefangene gemacht haben. Heute
-sind es schon mehr. Das ist eine hübsche Anzahl, wenn
-man sich daran erinnert, daß wir uns rein defensiv verhielten,
-und für den Westen ist es ein großer Erfolg.
-Denn hier regnen die Regimenter nicht von den Bäumen
-wie in Rußland, sie hocken zäh in ihren Dachsbauten und
-jeder Mann muß sozusagen einzeln geholt werden.
-Die Fünfzehnhundert sind längst abtransportiert, aber
-heute nacht sind neue eingebracht worden, und ich besuchte
-sie in einem Nebenhofe der Kaserne. Im eigentlichen
-Kasernenhof exerzieren ein paar Kompanien
-unsrer Feldgrauen, und hier, drei Schritte davon entfernt,
-kauern sie, die gestern noch kämpften, und denen
-man die Waffe aus der Hand nahm.
-</p>
-
-<p>
-Es sind ungefähr fünfzig. Sie sitzen und liegen in
-der Sonne, mit Schmutz und Blut bespritzt, so wie die
-Schlacht sie auslieferte. Einzelne starren bis hinauf zur
-Brust von trockenem Lehm. Der eine und der andre hat
-einen Verband, eine leichte Verletzung an der Hand,
-am Kopf. Einer sitzt mit dem Rücken gegen die Wand
-gelehnt, starrt zum Himmel und friert trotz der höllischen
-Hitze. Die meisten aber haben sich schon wieder zurechtgefunden,
-ihr Blick ist klar und ruhig. Nur zwei, drei
-rote Hosen sind darunter. Alle andern stecken in taubengrauen
-<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a>
-oder, wenn man will, taubenblauen, langen
-Röcken aus solidem filzartigen Tuch, die taubengraue
-Mütze auf dem Kopf. Es sind Elitetruppen.
-</p>
-
-<p>
-„Die Leute über vierzig sollen vortreten!“ Sie
-kommen heran, sechs, acht, zehn. Aus fünfzig! Gott
-weiß, ob sie alle über vierzig sind, vielleicht denken sie,
-hier werden an ältere Semester Zigaretten oder Vergünstigungen,
-man kann es nie wissen, verteilt. Jedenfalls
-aber sind sie alle keine jungen Leute mehr, manche
-sind schon grau. Ich bin so überrascht, so erschüttert,
-daß ich keine Worte finde. Wie fürchterlich muß der
-Krieg unter Frankreichs Männern gewütet haben, daß
-sie hier stehen, zehn aus fünfzig, Familienväter, Ergraute
-und Gealterte. Sie sind alle gefaßt und wissen
-sich zu benehmen. Die meisten von ihnen sind Bauern
-und Handwerker. Ja es war furchtbar! Es war das
-furchtbarste Feuer, das man sich vorstellen kann. Sie
-wurden abgeschnitten von einem Riegel trommelnder
-Granaten. Sie haben genug! „Ja, mein Herr, man
-schlägt sich, man ist nicht gerade feige, man kämpft für
-sein Vaterland, das man liebt, wie Sie das Ihrige
-lieben, man schlägt sich bis zum letzten Atemzug –
-aber was zuviel ist, ist zuviel. Die menschlichen Nerven
-sind nicht berechnet für Explosionen dieser Gewalt.
-Nein, es war genug, genug, zuviel, zuviel. Ich war in
-der Champagne, im Frühjahr, bah, nichts gegen diese
-Kämpfe! Nichts! Ich kann Ihnen sagen – nein, es
-gibt keine Worte, um das zu schildern ...“
-</p>
-
-<p>
-„Sie haben schwere Verluste gehabt?“
-</p>
-
-<p>
-„Ho, ho, ho!! Schwere Verluste! Hatten wir nicht
-<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a>
-schwere Verluste? Ja, mein Herr, wir hatten fürchterliche
-– aber auch Sie, auch Sie hatten schwere Verluste,
-Sie können es nicht leugnen. Was für ein Krieg!“
-</p>
-
-<p>
-Einer, ein Hagerer, Langer, mit krankem gelben Gesicht
-und entzündetem rechten Auge, schüttelt unausgesetzt
-verstört den Kopf. Furchtbares Feuer – er
-schüttelt den Kopf, schwere Verluste – er schüttelt den
-Kopf, genug, genug, er schüttelt den Kopf und hustet
-dabei. Ja, gewiß, genug, genug. Er ist noch ganz
-vernichtet. Er spricht nichts, aber er bestätigt, er unterstreicht.
-Er ist ein trauriges, melancholisches Echo.
-</p>
-
-<p>
-Ein Granatsplitter fegte an seinem Gesicht vorbei,
-nahm ein Stückchen der Braue mit, ein kleines Eckchen
-des Lides und eine Spur des Nasenrückens. Ich beglückwünsche
-ihn, ein wenig tiefer und was wäre aus
-Ihnen geworden?
-</p>
-
-<p>
-Aber er schüttelt den gelben Kopf und blickt mich mit
-seinen kranken Augen an. Ah, wozu? Für ihn gibt
-es keinen Trost.
-</p>
-
-<p>
-Es ist nicht leicht, mit Gefangenen zu plaudern. Ein
-Wort, ein Blick, eine Änderung der Haltung und ihr
-Vertrauen ist wie weggeblasen. Sie stoßen einander an,
-sie starren auf den Sprecher, daß er verstummt, sie schweigen.
-Dann ist es vorbei, nichts kann mehr ihre Zunge
-lösen. Man muß es fühlen, wenn dieser Augenblick droht,
-und dem Gespräch eine neue, harmlose Wendung geben.
-</p>
-
-<p>
-Die Geschichte mit den „schweren Verlusten“ war der
-kritische Moment. Der Sprecher hatte zuviel gesagt,
-obwohl er ja nichts verriet, sie fühlten es, und weil sie
-es fühlten, fühlte er es auch. Sie erkalteten.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a>
-„Ihr habt euch bewunderungswürdig geschlagen!“
-sage ich. Sie rekeln sich, bescheiden, verlegen, sie schweigen.
-</p>
-
-<p>
-Ich greife mir einen Mann heraus, der einen dünnen,
-schäbigen Leinwandkittel anstatt des Blaugrauen trägt.
-</p>
-
-<p>
-„<span class="antiqua" lang="fr">Et toi, mon ami</span>, wie siehst du aus?“
-</p>
-
-<p>
-Die Kameraden, die Blaugrauen und Eleganten
-lachen. Wie er sich schämt, es ist rührend. Er blickt auf
-sie, auf mich, er windet sich vor Feinfühligkeit. Er stellt
-mit der ausgebreiteten Hand eine Grenze her zwischen
-den Kameraden und mir: „Mein Herr!“
-</p>
-
-<p>
-Ja, eine Granate hat ihn ausgezogen. Er flog in
-einen Granattrichter, sein Rock verbrannte und die
-Lumpen fielen ihm von den Schultern. Ebenso erging
-es seinen Pantalons. Es ist nur gut, daß es warm ist!
-Er deklamiert und seine Kameraden lachen.
-</p>
-
-<p>
-„Sie sind ein tapfrer Soldat wie die andern. Es ist
-ja ganz egal, wie Sie aussehen.“
-</p>
-
-<p>
-„Ja, aber es ist nicht schick!“
-</p>
-
-<p>
-Das Mißtrauen ist verschwunden. Sie fragen, wohin
-man sie wohl bringen wird? Ob sie ihren Angehörigen
-Nachricht geben können? „Ich bin von Roubaix, kann
-ich nicht an meine Frau schreiben? Ich konnte ihr seit
-dem Herbst keine Nachricht geben.“ – Ich will mit dem
-Offizier sprechen.
-</p>
-
-<p>
-Einen Trost, einen gewichtigen und wunderbaren
-Trost kann man Gefangenen immer geben: „Der Krieg
-ist für euch zu Ende!“
-</p>
-
-<p>
-Ihre Blicke ruhen stumm und klar auf mir. Diese
-Blicke sollen sagen: Nennen Sie es einen Trost, gefangen
-zu sein? Wir sind Soldaten, viel lieber möchten
-<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a>
-wir für unser Land weiter kämpfen! Sie sind stolz, und
-sie möchten nicht, daß ein Fremder ihre Freude sähe,
-daß die Sache ein Ende habe für sie und daß sie –
-lebten. Aber sie nicken und ihre Mienen erheitern sich.
-Der Verstörte schwingt den gelben Kopf und stößt einen
-tiefen Seufzer aus, während er die Finger krampfhaft
-ineinander flicht. Ja, ja, ja ...
-</p>
-
-<p>
-Aber der im Leinenkittel lacht über das ganze Gesicht
-und strahlt vor Entzücken: „Ja, Gott sei Dank, mein
-Herr, der Krieg ist für uns zu Ende!“
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIEGEWITTERSTADT">
-Die Gewitterstadt
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juni
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">S</span><span class="postfirstchar">eit</span> vielen Wochen hat Douai Gewitter. Es sind Gewitter
-jeden Formats, fürchterliche, wovon die Stadt
-erzittert, und harmlosere, die nur leise knurren. Sie
-währen Tag und Nacht. Sie ziehen in Rudeln um die
-Stadt, prallen aufeinander, toben und poltern, im
-grauen Morgen rumoren sie ferner, mit jeder Stunde
-des Tages aber kommen sie wieder näher. Am Abend
-wüten sie am lautesten. Dabei ist der Himmel über
-den Dächern der Stadt blau und heiß.
-</p>
-
-<p>
-Eines Nachmittags zog ein wirkliches, ein natürliches
-Gewitter über die Stadt herauf, aber es konnte nicht
-aufkommen gegen die Konkurrenz, es brummte ein
-bißchen und war wieder weg.
-</p>
-
-<p>
-Die Kanonen von Arras, Loretto und Souchez aber
-schlugen weiter, dumpf und zornig, wie seit Wochen.
-Die Bewohner von Douai kennen es nicht anders, sie
-<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a>
-gehen mit Kanonenschlägen zu Bett. Wie der Müller
-erwacht, wenn das Rad stehen bleibt, so werden Douais
-Bürger einmal erschrocken auffahren, wenn der Geschützdonner
-plötzlich schweigen sollte.
-</p>
-
-<p>
-Jeden Tag aber, einmal, zweimal und öfter, löst sich
-aus dem großen Gewitter ein kleines Separatgewitter
-los und erscheint direkt über der Stadt. Dann kracht
-und poltert es ganz in der Nähe, die Stadt selbst kracht.
-Douai bekommt Besuch. Der fällige Flieger erscheint,
-klein und golden wie eine Mistfliege, um nachzusehen,
-ob Douai noch steht, um seinen Landsleuten ein paar
-Bomben auf die Köpfe zu schmeißen und um nach Neuigkeiten
-in den Straßen und auf dem Bahnhof zu schnüffeln.
-Dann sieht man die Schrapnelle oben im heißen
-Blau des Himmels platzen. Man sieht die weißen
-Schrapnellwölkchen, während man seinen Kaffee trinkt,
-und man sieht sie, wenn man zufällig einmal den Kopf
-zum Fenster hinaussteckt. Der Flieger gehört hier zum
-täglichen Brot, wenn man so sagen kann. Einmal kamen
-sie in der Nacht und warfen achtundsechzig Bomben;
-sie warfen neulich fünfzig auf den Flugplatz bei der
-Stadt, ohne eine Katze zu treffen, sie warfen wiederholt
-auf den Bahnhof; man ist hier nie ganz sicher, ob nicht
-eine Bombe unterwegs ist. Vor drei Tagen warfen sie
-Zeitungen herunter, eine gutgemeinte Aufforderung
-an unsre Soldaten, nach Hause zu gehen, da ja nun auch
-Italien das Messer für sie wetze ...
-</p>
-
-<p>
-Seit einigen Tagen kommen sie seltener, und wenn sie
-kommen, fliegen sie in Rekordhöhe. Sobald sie gemeldet
-werden, erscheint der deutsche Kampfflieger über
-<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a>
-der Stadt, der <em>Luftpolizist</em>. Er brummt hoch über den
-Dächern dahin, zieht weite Kreise um den Beffroi, dann
-stellt er den Motor ab und sticht wie ein Habicht in die
-Tiefe, um zu landen. Ein paar Minuten später ist er
-schon wieder oben und brummt. Zwei Franzosen hat
-er in den letzten Tagen ohne viele Umstände abgeschossen.
-Ich habe die Luftpolizisten gesehen und auch die Maschine.
-Sie haben mir ihre Schliche erklärt und den Apparat
-vorgeführt. Es sind reizende Leute, aber ich möchte
-ihnen nicht da oben begegnen, so in 2000 Meter Höhe.
-</p>
-
-<p>
-Das große Gewitter aber grollt weiter, während die
-Abwehrkanonen knallen.
-</p>
-
-<p>
-Douai ist eine mittlere Provinzstadt, mit einem rechteckigen
-Marktplatz, wie ihn alle französischen kleinen
-Provinzstädte hier im Norden haben. Ein paar Droschken
-stehen da, mit jämmerlichen Pferden, ganz wie in Berlin.
-Zum Glück haben sie nie etwas zu tun. Ein paar schöne
-alte Kirchen, ein hübscher Stadtpark mit ein paar
-modernen Denkmälern im Geschmack der Provinz, gewundene,
-nicht gerade breite Straßen – schon ist Douai
-zu Ende, und die Industrie, die Kohle beginnt. Es gibt
-noch prächtige Sachen hier zu kaufen: feinste, allerfeinste
-Kuchen, Orangen, Zitronen, Spargel, Artischocken,
-Konserven, Butter, Streichhölzer, Tabak, kurz
-alles, was ein Europäer nötig hat. Die Leute leiden
-keine Not. Unerschöpflich müssen ihre Vorräte und
-Reserven sein. Im November war ich hier, und aus
-dem Keller eines Händlers wurde ein großes Weinfaß
-gerollt und auf einen Wagen geladen. Heute sah ich
-aus dem gleichen Keller riesige Fässer rollen. Es ist mir
-<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a>
-unbegreiflich! Und doch wird hier nicht wenig getrunken,
-das kann niemand behaupten. In der Nähe des Rathauses
-hat sich eine deutsche Bierhalle aufgetan, aber
-fast immer hängt an der geschlossenen Türe ein Plakat:
-Ausverkauft! Nur einmal traf ich es glücklich, die
-Halle war geöffnet. Die Feldgrauen spülten sich den
-Staub hinunter, am nächsten Tage schon wieder: Ausverkauft.
-Wie wunderbar und rätselhaft ist dagegen
-der Weinkeller des französischen Händlers! Wenn ich
-das Faß im November nicht gesehen hätte, so würde ich
-gar nichts sagen, aber nun rollen sie hier schon monatelang
-Fässer heraus ...
-</p>
-
-<p>
-Im Herbst zogen in Douai fünf Feldgraue ein, besahen
-sich die Stadt und verschwanden wieder. Ein
-paar Wochen später kamen mehr, und nun gingen sie
-nicht wieder fort. Die französischen Soldaten, die geflüchtet
-waren, verbargen sich in den Häusern und warfen
-Uniformen und Gewehre auf die Straße. Welche
-Angst, welch schreckliche Angst hatten die Leute von Douai
-anfangs vor den deutschen Soldaten. Aber es zeigte
-sich, daß alles Schwindel war. <span class="antiqua" lang="fr">Les journaux!</span> Nichts
-begeistert die Franzosen mehr, als sich tüchtig belügen zu
-lassen. Die Lüge ist Phantasie, Rausch, Genie, die
-Wahrheit ist allzu nüchtern. Kurz und gut, Douai setzte
-seine Papiergeldpresse in Bewegung und damit war die
-Sache im Gange. Unsre Verwaltung ist einsichtsvoll
-und der Bürgermeister ist vernünftig, also wurden
-größere Reibungen vermieden. Douai hat sein Schicksal,
-aber man muß gestehen, es trägt es mit Würde. Die
-Leute sind höflich und taktvoll, sie haben sich an die Feldgrauen
-<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a>
-gewöhnt. Ja, eines Tages, eines Tages werden
-sie ja doch wieder verschwinden. Es ist nicht für ewig.
-</p>
-
-<p>
-„<span class="antiqua" lang="fr">La guerre est triste, pour nous, pour vous, pour tout
-le monde!</span>“ Jedermann gebraucht hier diese Redensart,
-der Kaufmann, die Verkäuferin, der Kellner. Sie leiern
-diese Phrase ohne jede Betonung und ohne zu denken
-herunter, wie einen Spruch, den man hundertmal am
-Tage hersagt.
-</p>
-
-<p>
-Oder: „<span class="antiqua" lang="fr">Oh, cette guerre, quand sera-t-elle finie?</span>“ –
-Gott allein weiß es. (Origineller drückte sich ein Kellner
-aus: „Dieser Krieg ist eine internationale Schweinerei,
-mein Herr, ich bin Kosmopolit!“)
-</p>
-
-<p>
-Mitte Mai hatte Douai seine großen Tage. Es war
-in der Zeit der wütenden französischen Vorstöße. Man
-buk Kuchen und band Blumensträuße. Auffallend viele
-Zylinder und schwarze Gehröcke erschienen in der Straße.
-Der Bürger schnupperte in der Luft. Man wartete!
-Joffre hatte gesagt (so erzählt man!), er hatte gesagt,
-er werde am 12. in Douai soupieren. In Lens wollte
-er frühstücken und am Abend des gleichen Tages, wie
-gesagt, in Douai soupieren. Er sagte nicht: ich komme,
-sondern er sagte ausdrücklich, er wolle am 12. in Douai
-soupieren, obwohl es doch eigentlich selbstverständlich ist,
-daß er speisen würde, wenn er käme. Wie, wo, wann
-und zu wem er es gesagt hatte, wußte niemand. Aber
-daß er käme, das stand fest.
-</p>
-
-<p>
-Es ist begreiflich, daß sich in einer seit sechs Monaten
-besetzten Stadt die Nervosität bis zur äußersten Spannung
-steigern kann. Nun, Joffre kam nicht. Er kam
-nicht am 13., 14., 15. Die Zylinder verschwanden langsam,
-<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a>
-und heute habe ich nur noch zwei gezählt. Douai
-sank ermattet in seine Resignation zurück, und heute
-glaubt es nicht mehr, daß Joffre in der nächsten Zeit
-kommen werde. Nein, ich sah es Douai deutlich an.
-</p>
-
-<p>
-Heute braust und donnert Douai vom kriegerischen
-Lärm eines Heeres, das Menschen, Material und Energie
-im Überfluß hat. Es ist eine der lautesten Städte
-Europas, und die Rue St. Jacques schlägt spielend die
-großen Pariser Boulevards in der Hochsaison. Die Gewitterstadt
-rasselt und bebt in einer Atmosphäre von
-Krieg. Lastautos poltern vorüber, Automobile schnarren,
-zwitschern und trompeten. Regimentsmusik, laut und
-breit. Zwei Bataillone Feldgrauer marschieren vorbei,
-frisch gewaschen, ausgeruht, mit hartem, tapfrem Tritt,
-der weder Erschöpfung noch Müdigkeit zeigt. Es sind
-jene Bataillone, die Joffre daran hinderten, in Douai
-am 12. zu soupieren, sie lagen oben auf der Lorettohöhe.
-Frisch und guter Laune sind sie – denn sie leben! Ein
-Auto schnarrt vorbei: zwei blaugraue Offiziere sitzen
-darin. Französische Fliegeroffiziere, die gestern bei
-Vimy abgeschossen wurden. Dann kommen Kolonnen,
-endlose Kolonnen, von schweren Bierbrauerpferden gezogen,
-die mit den Hufen Funken aus dem Pflaster
-schlagen. Sie nehmen kein Ende, und alle Fensterscheiben
-der Rue St. Jacques klirren. Tag und Nacht
-gibt es hier keine Ruhe.
-</p>
-
-<p>
-Im Hotel du Cerf – ein vernachlässigtes, schmutziges,
-ödes Hotel, das ich hiermit verfluche! – spielen ein paar
-Kriegsfreiwillige, noch den Schmutz der Gräben an
-den Stiefeln, einen flotten Tango, in einer Nebenstraße
-<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a>
-marschieren Soldaten und singen ein fröhlich schallendes
-Lied. Plötzlich knallt es: ein Flieger.
-</p>
-
-<p>
-In das ewige Getrappel der Pferde und Tuten der
-Automobile tönt getragene Musik. Der Chopinsche
-Trauermarsch. Ein Major wird zur letzten Ruhe geleitet.
-Wieder tuten und trompeten die Autos. Am
-Abend gehe ich selbst hinter dem Sarg eines gefallenen
-jungen Offiziers her zum Bahnhof. Ein Güterwagen
-nimmt den Sarg und die Blumen auf. Daneben steht
-eine Lore mit einem neuen Geschütz. Heute mittag
-passierte uns, nicht mir, eine äußerst peinliche Sache.
-Wir waren, ein paar Bekannte und ich, beim Delegierten
-des Roten Kreuzes zum Frühstück geladen. Wir
-wußten, daß ein junger Offizier gefallen war, der den
-Namen eines bekannten Sportmannes trug, aber wir
-wußten nicht, war es der bekannte Sportmann selbst
-oder sein Bruder. Ein Herr fragt bei Tisch: „Ist der
-bekannte Sportmann gefallen oder sein Bruder?“
-Der Wirt sieht den Fragenden an und deutet auf einen
-anwesenden jungen Offizier: „Hier sitzt der Bruder des
-Gefallenen. Er ist der bekannte Sportmann.“
-</p>
-
-<p>
-Ja, man soll hier außen nie derartige Fragen stellen.
-</p>
-
-<p>
-An diesem Abend trafen wir in der Rue St. Jacques
-einen Dragoner, der in hohen Stiefeln dahinstampfte
-und lustig pfiff. Was pfiff er? Den Chopinschen Trauermarsch.
-Wir fragen: „Sagen Sie mal, was pfeifen Sie
-eigentlich da?“
-</p>
-
-<p>
-Der Dragoner geschmeichelt, verlegen: „Es ist so ne
-neue Sache. Das Neueste, das man hat, von Berlin in
-den Theatern –“
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a>
-Ein merkwürdiges Pflaster, dieses Douai! – Wenn
-die Sonne untergeht und die Lichter des Himmels verlöschen,
-versinkt die Gewitterstadt in Dunkelheit, in
-rabenschwarze Nacht. Die Estaminets, die kleinen Gastwirtschaften,
-die kleinen Cafés schließen. Kein Licht,
-kein Mensch, kein Hund. Der Beffroi, die Kirchen,
-Giebel, Bäume ragen schwarz und stumm zum Himmel
-empor. Eine <em>verkohlte</em> Stadt. Geht man über den
-Marktplatz, so schallt es, als käme eine Kompanie daher,
-und man erschrickt, solch einen furchtbaren Lärm zu
-machen. Man ist verloren und auf den „Cerf“ angewiesen.
-Hier ist wenigstens Licht. Aber es kommt vor,
-daß auch hier das Licht plötzlich ohne jede Warnung ausgeht
-und man eine Stunde im Dunkeln sitzt. Ein Flieger
-ist irgendwo. Die Wachen klappen auf ihren schweren
-Stiefeln draußen vorbei, Autos ohne Lichter schleichen
-dahin. Es knarrt von Rädern, Kolonnen, Transporte
-von Verwundeten. Douai ist tot. Aber horch!
-</p>
-
-<p>
-Um so lauter und härter rollt der Donner der Geschütze.
-Wie die Brandung des wilden, nächtigen Meeres
-an einer schrecklichen, öden Küste.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIEKYYMPFEBEIMOULINSOUSTOUVENT">
-Die Kämpfe bei Moulin-sous-Touvent
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juni
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">er</span> Franzmann – so nennen die Frontsoldaten den
-Franzosen – der Franzmann versucht sein Heil an verschiedenen
-Stellen, die ihm einige Aussicht auf Erfolg zu
-bieten scheinen. Seit sechs Wochen trommelt er oben
-bei Arras, und am 16. und 17. Juni sah es dort aus,
-<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a>
-als wolle er Frankreich in Grund und Boden schießen.
-Er hat keine Zeit mehr zu versäumen, das weiß er recht
-wohl. Vorwärts, Regiment um Regiment wirft er
-gegen die Gewehre, jeder Schritt kostet ihm Tausende.
-Bei Arras verbiß er sich, er kam nicht weiter, und so
-versuchte er es an andrer Stelle. Bei Moulin-sous-Touvent,
-etwa zwanzig Kilometer nordwestlich von Soissons.
-Er wollte durch, er wollte zum mindesten Truppen
-und Geschütze fesseln, abziehen von da oben, und er ging
-mit großartiger Energie zu Werke. Es war umsonst.
-Er gewann einen Graben, aber er bezahlte ihn zu teuer,
-viel zu teuer. Man legt sich hundert Meter dahinter,
-und nun liegt man wieder mit geschliffenen Zähnen,
-die Maschinengewehre stehen an ihrem Platz, Gräben,
-Drahtverhaue, alles wie früher.
-</p>
-
-<p>
-Die Kämpfe aber waren furchtbarer, als die paar
-Zeilen in den Wolff-Telegrammen es ahnen lassen. Sie
-waren ein kleines Arras, ein Stück Arras, es ging hier
-zu ganz wie da oben bei Souchez und Neuville. Aber
-die gleichen Leute wie bei Souchez und Neuville standen
-auch hier, und sie stehen überall an der Front, wo Joffre
-anklopft. Je näher man unsre Leute kennenlernt, desto
-mehr überraschen sie. Sie waren niemals weich, o nein,
-aber der Krieg hat sie stahlhart geschweißt. Sie sind
-braun und hart wie Erz. Sie waren tapfer, nun aber,
-nach langen Monaten, sind sie unüberwindlich. Jeder
-einzelne ist ein Panzerturm für sich, ein Graben mit
-Drahtverhauen ringsum, und jeden einzelnen Mann
-muß Joffre einzeln mit Granaten zusammentrommeln,
-anders geht es nun nicht mehr. Sieht man einen Kanonier
-<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a>
-in seinen schweren Stiefeln, so scheint er selbst wie
-ein Mörser zu sein, ein Mörser, mit dem nicht zu spaßen ist.
-Ein Schrapnell zerspritzt vor der Batterie, der Hauptmann
-schreit: „Weg da!“ Der Kanonier rührt sich nicht:
-„Wegen mir, Herr Hauptmann, da muß schon ne Lage
-kommen.“ Ja, Kerle sind sie, das muß man sagen!
-</p>
-
-<p>
-Wären sie anders, dann wäre es bei Arras und
-Moulin-sous-Touvent nicht so gegangen! Hundert
-Meter zurück und alles wie früher, nein ... denn er,
-der Franzmann, ist ein Gegner, vor dem man den
-Degen senken muß. Im Friedhof zu Anizy-le-Château
-ruht ein französischer Batteriechef, der Kapitän Lerroy
-Beaulieu. Seine Batterie war zerschossen, die Mannschaft
-tot, ganz allein bediente er noch das letzte Geschütz,
-und dann feuerte er mit dem Revolver auf unsre stürmenden
-Grauen. Ein Hurra unsern Grauen, ein Hurra
-dem Kapitän Lerroy Beaulieu! Solche tapferen Leute
-haben sie viele da drüben. Nicht wir allein besitzen sie,
-es wäre falsch, das zu denken.
-</p>
-
-<p>
-Ich habe einen Oberleutnant gesprochen, der bei
-Moulin-sous-Touvent in den letzten vierzehn Tagen ununterbrochen
-kämpfte. Er war lang und hager, sein Gesicht
-scharf und kantig gemeißelt. Seine Augen stahlhart,
-und immer zeigte er ein wenig die obern Zähne. Er
-war nicht gerade elegant, aber er legte auch keinen Wert
-darauf. Sein langer, grauer Mantel war an einzelnen
-Stellen abgeschliffen, voller Falten, und schimmerte
-von den Farben der Erde und des Grases und einem
-sonderbaren Rostrot. Die ganzen vierzehn Tage hatte
-er kaum ein Auge zugemacht, hier und da zehn Minuten,
-<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a>
-das war alles. Es ging nicht anders! Sie hockten in
-rasch aufgeworfenen Gräben, aber er hatte keine Zeit,
-an sich selbst und die persönliche Gefahr zu denken. Es
-gab zu tun. Die Truppe, nichts andres als die Truppe!
-Kein andrer Gedanke. Er ist der Kopf und das Herz
-der Leute. Man darf nicht vergessen, daß die Flagge,
-die schwarzweißrote Flagge des Reiches, unsichtbar all
-die vierzehn Tage und vierzehn Nächte über seinem Kopfe
-und seiner schiefen, verknüllten und staubigen Mütze
-knatterte, das darf man nicht vergessen – anders wäre
-es ihm und den andern wohl nicht möglich gewesen, die
-vierzehn Tage und Nächte auszuhalten.
-</p>
-
-<p>
-So war es also bei Moulin-sous-Touvent, und so ist
-es zum Teil noch heute.
-</p>
-
-<p>
-Am 5. Juni nachmittags begann der Franzose zu
-trommeln, und er trommelte volle drei Stunden lang.
-Am 6., am Sonntag, trommelte er weiter von sieben
-Uhr bis zehn, ein halb elf. Die Drahtverhaue müssen
-eingetrommelt sein, die vordersten Gräben, denn anders
-ist ein Sturm unmöglich, will man nicht, daß ein
-ganzes Regiment in den Drähten hängen bleibt. Dazu
-hielt er alle Zugänge und Verbindungswege unter
-Feuer, damit niemand vor und zurück konnte. So ist
-es jedesmal, die Taktik steht fest. Dieses Wirbelfeuer
-war das fürchterlichste, das mein Oberleutnant je erlebte.
-Und dann kamen die Schwarzen angefegt! Das
-Plateau ist eben, Gras und Halme, so kamen sie heran,
-die schwarzen Kugelfänger der Franzosen, die den ersten
-Regen von Geschossen mit ihren dicken Mäulern schlucken
-sollen. In einer Breite von zwölfhundert Metern, in
-<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a>
-mehreren Kolonnen, kamen sie näher. Erst die Granaten,
-dann die Schwarzen, es ist immer das gleiche
-Rezept. Der Franzose weiß wohl einen Unterschied
-zwischen Schwarz und Weiß zu machen! O, ganz gewiß.
-Afrika <em>brütet</em>. Die dunkelhäutigen Mütter sind Tiere,
-die Junge werfen, und die dunkelhäutigen Mütter haben
-keine Augen, um Tränen zu vergießen. Nein! Dein
-schönes, edles Antlitz, Frankreich, auf das du so stolz
-bist, und das du so gern bewundern läßt, es ist geschändet.
-In deinen Salons und Parlamenten, in
-denen so viel gesprochen wird von Menschenwürde,
-Menschlichkeit und Gleichheit und ähnlichen Dingen,
-wird für ewig ein Gestank sein, der Gestank von hunderttausend
-schwarzen, faulenden Kadavern, die du in diesem
-Kriege zynisch geschlachtet hast. Nie, nie wirst du diesen
-Gestank mit deinen Parfümen ersticken können, niemals,
-du weißt es wohl! Wohlgemerkt, ich habe deinem
-tapfern Kapitän Lerroy Beaulieu ein Hurra gebracht,
-denn ich liebe und bewundere ihn, er ist das Frankreich
-von einst, aber ich verabscheue dich, wenn du, roh und
-schamlos, die Peitsche des Tierbändigers schwingst.
-Afrika wird dir nie vergeben, denke an mich! Es wird
-dir ja nicht gelingen alle Schwarzen abzuschlachten, und
-einige werden wohl oder übel zurückkehren in ihre Dörfer.
-Sie sprechen deine Sprache nicht, aber dort können
-sie sich verständlich machen, und man wird sie verstehen.
-Man wird dir die Rechnung vorlegen, und du wirst erbleichen,
-denke an mich! Sie werden deine Bataillone
-niedermetzeln und ihre Köpfe auf Spieße stecken. Dann
-wirst du schreien, sie sind Tiere, und das unwissende, belogene
-<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a>
-und verlogene Europa wird dir glauben, daß sie
-Tiere sind, und vor Empörung beben.
-</p>
-
-<p>
-Kurz und gut, die Schwarzen müssen vor! Ein
-gerader, nicht mißzuverstehender Blick ins Auge, ein
-Griff an den Revolver – du verstehst mich wohl! –
-Maschinengewehre im Rücken, der Schwarze versteht.
-Er schnellt vor wie ein Tier, das um sein Leben läuft,
-Maschinengewehre voraus, Maschinengewehre im Rücken,
-der Todesschweiß glänzt auf den dunkelhäutigen Gesichtern.
-</p>
-
-<p>
-So kamen sie heran bei Moulin-sous-Touvent in
-den heißen Stunden der Schlacht. Sie fielen wie Hammel,
-in die der Blitz schlägt. Dann erst fluteten die
-Wellen der französischen Infanterie heran. Die Übermacht
-war so groß, daß es Wahnsinn gewesen wäre,
-sie in zerschossenen Gräben und Granattrichtern zu erwarten.
-Man ging zurück. Aber die flankierenden
-Gräben standen wie Festungen und gaben Flankenfeuer.
-Verlängerungen wurden vorgetrieben, um die
-Flankenstellungen auszudehnen. Die Schlacht war im
-Gange. Reserven kamen blitzschnell heran, vorwärts,
-Sturm! Um sechs Uhr abends war der Feind wieder zurückgeworfen.
-Was er noch hielt, waren zwei zusammengetrommelte
-Gräben von etwa hundert Meter Tiefe. Die
-ganze Nacht hagelten die Granaten bis acht Uhr morgens.
-Die Kämpfe wogen hin und her. Die Gewehre peitschen,
-die Maschinengewehre hämmern, Minen, Handgranaten.
-Unsre Grauen hocken in rasch aufgeworfenen
-Gräben, Sandsäcke vor, es ist heiß, staubig und stickig.
-Sappen, Gräben, man beißt sich langsam durch die
-<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a>
-Erde näher. So geht es fort, ohne Pause, bis zum 14.
-Es ist immer das gleiche. Das heißt, es ist immer <em>gleich
-furchtbar, gleich blutig</em>, es erfordert immer den
-gleichen Mut, die gleiche Ausdauer, die gleiche unmenschliche
-Anstrengung!
-</p>
-
-<p>
-Am 14. abends setzten wir zum Gegenstoß an und
-nahmen den Franzosen einen Graben weg. Unsre
-Geschütze trommelten nun ihrerseits. Die feindlichen
-Reserven wurden zugedeckt. Ein feindliches Bataillon
-in Reservestellung geriet, wie Gefangene aussagten,
-derart in die Zähne unsrer Haubitzen, daß der Kommandeur
-das Kommando: „<span class="antiqua" lang="fr">Sauve qui peut!</span>“ gab. So
-ging es hin und her. Am 16. machte der Franzose drei
-wütende Vorstöße. Den Tag leitete er mit Wirbelfeuer
-ein wie gewöhnlich. Um elf Uhr brach er nördlich von
-Moulin bei der Ferme Quennevie vor. Die kleinen
-Vorteile, die er dort errang, nahmen ihm unsre Grauen
-am Abend wieder ab, und somit war es wieder nichts.
-Ein Angriff etwas südlicher scheiterte. Um drei Uhr nachmittags
-griff er zum dritten Male an diesem Tage an.
-In dichten Kolonnen stürmte er vor, kühn und tapfer,
-aber der Sturm brach in unsrem Infanteriefeuer zusammen.
-</p>
-
-<p>
-In den ersten Tagen des Angriffs hatte er schwere
-Verluste, am 16. aber ungeheure. Ein kleines Grabenstück,
-das nicht den geringsten Wert hat, war das Resultat
-der vierzehntägigen Schlacht, die, wie mir mein hagerer
-Oberleutnant versicherte, heißer war als die Schlachten
-bei Soissons und Vailly. Sie ist noch nicht ganz zu
-Ende, es flackert immer noch auf da oben – aber eines
-<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a>
-ist gewiß: so wenig es Joffre gelang bei Arras durchzubrechen,
-so wenig gelang ihm sein verzweifelter Versuch
-bei Moulin-sous-Touvent. Und er wird ihm nicht
-gelingen. Er mag anklopfen, wo er will, immer wird
-er auf die gleichen Leute stoßen wie bei Arras und Moulin-sous-Touvent
-– ob sie nun sächsisch sprechen oder
-bayrisch oder märkisch oder schwäbisch – es sind immer
-die gleichen. Es sind Kerle, braun und hart wie Erz.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="GRANATENAUFDIEVORORTEVONSOISSONS">
-Granaten auf die Vororte von Soissons
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juni
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">I</span><span class="postfirstchar">ch</span> frage, was hat die Granate dort links mitten im
-Feld zu suchen? Sie kam heran, ohne besondern Lärm
-zu machen, und klang wie der Abschuß irgendeines der
-Geschütze, die hier in der Umgebung stehen und zuweilen
-in den heißen Morgen hineinfeuern. Unsern Ohren
-muß der Krach anscheinend aber doch nicht geheuer vorgekommen
-sein, denn instinktiv drehten wir alle den
-Kopf. Nun raucht sie in der grellen Sonne wie der
-Qualm eines Kartoffelkrautfeuers. Ein Reiter trabt
-auf seinem Pferd feldein. Er reitet in einer Mulde und
-ist vom Feind nicht einzusehen. Plötzlich stutzt er, hält
-das Pferd an und betrachtet den grauweißen Rauchklumpen
-im Felde, der sich langsam in die Höhe zieht.
-Er reitet weiter, hält wieder an, blickt auf den Rauch,
-den Himmel, das Feld ringsum und auf unser Auto.
-Er dreht bei, siehst du wohl, und macht sich langsam und
-in aller Ruhe davon.
-</p>
-
-<p>
-Auf dem Felde ist nichts zu sehen, es ist unberührt,
-<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a>
-hier war nie etwas, weder ein Graben noch eine Batterie.
-Ohne Zweifel, die Granate galt uns, aber sie fiel zu
-kurz. Wir halten auf der weißen, sonnigen Landstraße,
-über das Feld ragen Höhenzüge empor, und dort sitzt
-der Franzose mit seinen Fernrohren. Der Hauptmann,
-der mich fährt, mager und geschmeidig wie ein Panther,
-spitzt die Ohren, horcht auf die Abschüsse und äugt durch
-das Monokel auf das öde heiße Feld, um den nächsten
-Einschlag zu beobachten. Nichts mehr. Sie wollten
-uns nur andeuten, daß sie immerhin noch da seien und
-alles sähen.
-</p>
-
-<p>
-Wir fahren weiter. Es ist das Prinzip meines Hauptmanns
-„lieber etwas zu riskieren, als zuviel zu laufen“.
-So sagt er. Gestern schleppte er mich bei einer Höllenhitze
-quer über die Abhänge bei Vailly, und hier gab es
-Striche, die nackt vor den Franzosen dalagen. Mit dem
-bloßen Auge konnten sie uns sehen. Da hieß es dann
-trab, trab, eins, zwei, drei, hundert Schritte Abstand
-und hinüber. Zuletzt kamen wir auf eine kalkweiße Landstraße
-auf der leeren Höhe, von der wir uns wie Tintenflecke
-abhoben. Wir mußten schließlich in ein Rübenfeld
-hinein und durch die hochgeschossenen Samenstauden
-hindurch. Gelb, wie von Insektenpulver zugedeckt,
-tauchten wir wieder auf. Selbst das Monokel des Hauptmanns
-war gelb. Der Schweiß lief uns übers Gesicht.
-Das nannte mein Hauptmann „abschneiden“.
-</p>
-
-<p>
-„Lieber ein bißchen riskieren, aber nur keine Umwege.“
-So ist er also und nicht zu ändern.
-</p>
-
-<p>
-Diese Felder ringsum, die in der mörderischen Sonne
-zittern, sind das Schlachtfeld von Soissons. Soissons?
-<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a>
-Es klingt schon, als wäre es in einem andern Krieg gewesen.
-So lange ist dieser Krieg! Hier gingen sie vor,
-im Januar ... Die Felder sind verlassen und öde. Die
-Rüben sind ins Kraut geschossen, der Weizen ist von selbst
-gewachsen und steht dazwischen in langen Halmen. Ein grellrotes
-Feld von Mohn. Verwildert und verwahrlost sehen
-diese Felder aus, kein Mensch, kein Tier. Wie ein verfluchtes
-Land, das kein Fuß mehr betritt. Die Hitze kocht darüber,
-und die Halme stehen regungslos, wie tot. Die
-Felder haben einmal den wilden Lärm gehört: Keuchen
-und Schreien, Röcheln, Kommando, Granaten und den
-lauten Fall von vielen Männern. Nun aber schweigen
-sie. Die Toten ruhen unter der Erde. Hier! Sie ruhen
-unter der Erde, ja, aber sie sind nicht vergessen! In der
-Sonne kann ich sie ja stehen sehen, im grellen, lichten
-Tage, die Mütter, Bräute und Schwestern, die hierhergekommen
-sind auf diese heißen Felder, ohne Regung
-stehen sie und weinen leise und können es noch immer
-nicht fassen, daß ihre Lieben unter dieser Erde ruhen.
-So stehen sie, die Frauen, ich sehe sie deutlich, und so
-werden sie noch viele Jahre stehen und leise weinen,
-bis sie selbst in die Erde sinken. Aber noch nach fünfzig
-Jahren werden einzelne hier stehen, bis es nach sechzig,
-siebzig nur noch eine einzige ist, und auch sie wird in diese
-Erde hineinsinken. Und auch dann sind sie noch nicht
-vergessen, die Toten von Soissons. Verflucht und verrucht
-wäre Deutschland, vergäße es sie je! Einer, nach
-tausend Jahren, schlägt ein Buch auf, und was schreit
-ihm entgegen? Schlacht bei Soissons, 11. bis 15. Januar
-1915, Regimenter, Bataillone, Divisionen, Kommandeure
-<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a>
-und Generale, der Steinbruch, La Perrière,
-Crony, das Zuavenwäldchen – und er, der in einer
-glücklicheren Zeit lebt, der Kriege so fern sind wie uns
-Hexenverbrennungen, er wird der Toten von Soissons
-gedenken.
-</p>
-
-<p>
-Die Gräben und Sappen sind überwuchert von
-Kräutern und blühenden Wicken. Sie sind heiß wie
-Backöfen. Hier ist der Steinbruch, Sandsäcke, Barrikaden,
-alles ist noch da. Selbst die Sturmleitern, acht
-Meter hoch und sechs Meter breit, stehen noch an Ort
-und Stelle. Hier mußten sie hinauf und vor! Hinein
-in das zischende Feuer. Hier ist der Verhau des sächsischen
-Scharfschützen, der vom grauenden Morgen bis
-in die sinkende Nacht hier hockte und gar keine Zeit für
-etwas andres hatte, selbst das Essen ließ er sich bringen.
-Zerschmetterte Bäume. Ein Haus, durch das ein „großer
-Minenhund“ ging und es glatt zerlegte. La Perrière.
-Zerschossen und ausgestorben.
-</p>
-
-<p>
-„Sehen Sie her, hier unten liegen die Schwarzen!“
-</p>
-
-<p>
-Eine Schlucht wie ein tiefer, runder Brunnen. Ein
-breiter Erdhügel hebt sich daraus, nahezu hoch bis zur
-Straße, Sand, Erde, Schmutz, Moder. Darunter
-liegen sie. Man mußte sie aus dem Wege räumen und
-warf sie hinein, die Schwarzen, es waren viele. Chlorkalk
-und Erde darauf, und fertig war die Sache. Unten
-bei Berry-au-Bac sah ich an zweitausend Schwarze
-vor unsern Stellungen liegen. Sie waren noch unbeerdigt.
-So ist der Krieg. Eine Fliege kommt aus dem
-Brunnen und brummt mich an. Sie wohnt da unten
-bei ihnen. Ich fahre zurück. Grauen und Entsetzen trägt
-<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a>
-die schmutzige Fliege auf ihren kleinen Flügeln mit
-herauf. Sie ist die Seele der Schwarzen und kommt
-herauf, um Protest zu erheben dagegen, daß ich hinuntersehe.
-Fort mit dir! An meinem Schritt schon hat sie
-erkannt, daß hier ein Weißer kommt. Sie ist zornig und
-hartnäckig und treibt mich in die Flucht. Ich lasse die
-Schwarzen allein mit ihrer Fliege. Sie ist alles, was
-sie haben.
-</p>
-
-<p>
-Gräber. Eine ganze Reihe. Es sind die Unsrigen.
-Die Granaten haben in letzter Zeit die Kreuze etwas
-zerzaust und schief geschlagen. Das ist den Toten einerlei.
-Die Höllenmaschinen dieser Erde können ihnen nichts
-mehr anhaben.
-</p>
-
-<p>
-Dicht neben dem Friedhof hat sich ein Major eine
-Baude gezimmert. Die Decke, der Plafond besser gesagt,
-besteht aus zwei gehäkelten Bettdecken, die eine
-Art Baldachin bilden. Ein vergoldeter Sessel, Empire,
-sehr nobel. An der Wand ein Öldruck: <span class="antiqua" lang="fr">Salut aux
-blessés</span>. Französische Offiziere, hoch zu Roß, an einer
-Landstraße. Ein Trupp deutscher Gefangener wird vorbeigeführt.
-Die Gefangenen sind große, blonde Männer,
-verwundet, die Offiziere lüften das Käppi. Der Major
-ist ein Mann von Welt und zieht sofort eine Flasche auf.
-Leider kann er uns keine Zigarren anbieten. Sitzt er
-da gestern hier in seinem Sessel, sein Wachtmeister dort,
-auf dem Tisch stehen die Zigarren, kommt ein Granatsplitter
-angefegt und zerschlägt ausgerechnet die Zigarren.
-An der Wand sind Bretter und Stäbe zersplittert.
-</p>
-
-<p>
-Mein Hauptmann entschließt sich nun doch, das Auto
-stehen zu lassen. Er kann schließlich nicht bis in die
-<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a>
-Gräben fahren. Es geht bergan. Wegweiser, Holzbrettchen
-mit Aufschriften: Batterie X, Geschütz Y,
-Beobachtungsstand Z. Dahin wollen wir. Auf Schleichwegen
-gelangen wir ans Ziel.
-</p>
-
-<p>
-Der Beobachtungsstand Z. ist keineswegs so nobel
-wie die Baude des Majors unten. Er ist ein dunkles
-Erdloch. Eine Ruhebank, ein Stuhl, ein Telephonapparat,
-das ist die ganze Einrichtung. Zwei Schatten
-hausen in der dunklen Höhle. Ein Offizier und ein
-Soldat. Verbeugungen gegenseitig, ein Händedruck, wir
-sind zu Hause.
-</p>
-
-<p>
-Hier ist es kühl und schattig.
-</p>
-
-<p>
-Durch einen Spalt, einen knappen Meter lang und
-eine Spanne hoch, fällt das Licht des Tages. Vor dem
-Schlitz steht das Scherenfernrohr. Wie ein eleganter
-Teufel auf dünnen Spinnenbeinen, mit grauen, dicken
-Hörnern.
-</p>
-
-<p>
-Und da unten, zum Greifen nahe, liegt <em>Soissons</em>!
-</p>
-
-<p>
-Eine Stadt! Dicht aneinandergedrängt stehen Häuser
-und Giebel, schiefergrau und staubig rostgelb. Man
-blickt in Straßen hinein, kann an den Krümmungen der
-Giebelreihen das Gewimmel von Straßen, Gassen und
-Plätzen haarscharf erkennen. Aus der Stadt erheben
-sich Kirchen und Türme, auffallend hoch, denn selten
-sieht man eine Stadt aus der Höhe. St. Jean des
-Vignes, zwei spitze Türme, einer etwas niedriger als
-der andre, Gotik, alles ganz genau. Rechts davon die
-Kathedrale. Sie scheint einfacher gehalten zu sein. Der
-stumpfe Turm leuchtet in der Sonne. Oben rechts ein
-weißer Fleck. Ein Loch? Durch das Glas sieht man,
-<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a>
-daß eine Granate in den Kantenpfeiler gefahren ist.
-Es ist weiter nicht schlimm. Regierungsgebäude, langgestreckt
-und ehrwürdig grau, Schuppendächer beim
-Bahnhof, Fabriken. Mit bloßem Auge sieht man die
-einzelnen Fenster, mit dem Glas die Fensterkreuze.
-Die Stadt aber ist tot. Kein Fenster blinkt beim
-Schließen oder Öffnen, kein einziger der Kamine auf
-den Giebeln raucht. Auch nicht eine Spur von Leben,
-und doch hausen Tausende von Menschen in der stillen
-Stadt. Sie stellt sich tot, nur in der Nacht, wenn es
-ganz finster ist, kann sie ein wenig Atem holen. Die Vororte
-strahlen von ihr aus in das grüne Tal der Aisne.
-Neue Häusergruppen, Schuppen, Fabriken. Eine leuchtend
-gelbe Fabrik auf dem ansteigenden Hang hinter der
-Stadt, blendend in der Sonne wie ein Schloß.
-</p>
-
-<p>
-Breit und sonnig liegt das Flußtal. Ein paar Krümmungen
-der Aisne blitzen in der Sonne. Erlengebüsche,
-Baumgruppen, Dörfer und die Hügel, grün, zum Teil
-bewaldet. Hoch oben und fern ein paar Häuser. Alles
-schweigt. Ein paar Geschütze feuern zuweilen, sonst regt
-sich nichts. Unten, in Deckung, hantieren Leute, so groß
-wie Fliegen. Es sind Feldgraue. Einer sägt Holz.
-Straßen, staubige Landstraßen, die sich aus Soissons
-emporwinden, ohne Leben. Ich streiche mit dem Scherenfernrohr
-die Hügel ab, die Landstraße, Hänge und Wäldchen,
-vielleicht sehe ich einen Menschen von Baum zu
-Baum huschen, oder einige – eins, zwei, drei und
-hinüber. Nichts.
-</p>
-
-<p>
-„Sehen Sie denn nichts?“ frage ich den Offizier.
-</p>
-
-<p>
-„Nein, gar nichts. Vor einer Viertelstunde sah ich
-<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a>
-einen Mann im Feld. Heute morgen hoch oben ein
-Reiter.“
-</p>
-
-<p>
-Wo der Fluß blinkt, im Feld, sind die Gräben. Man
-sieht die gelben Striche mit dem bloßen Auge. Aber
-selbst mit dem ausgezeichneten Glas kann man keine
-Spur von Leben in den Gräben entdecken. Bei der
-Baumschule dort, an einer Telegraphenstange, hängt
-eine französische Flagge. Sie wurde heute nacht angebracht.
-</p>
-
-<p>
-Plötzlich aber entdecke ich doch etwas! Aus einem
-grauen Dorf, gerade gegenüber, einem Vorort, steigt
-eine runde Wolke wie von Wasserdampf. Aber nichts
-regt sich, keine Seele. Das Dorf scheint verlassen. Die
-Wolke verdichtet sich, reckt sich höher, es kommt Leben in
-sie, Nahrung, die Granate hat gezündet. Fünf Minuten
-und sie wächst und wächst. Plötzlich aber wird sie rasch
-kleiner und kleiner: es sind also doch Menschen dort in
-dem toten Dorf! Französische Reserven liegen dort.
-</p>
-
-<p>
-Es kracht in der Nähe. Abschuß! Eine Granate rauscht
-und gurgelt über unsre Köpfe hinweg, hinüber nach
-Soissons. Die Sekunden vergehen. Wo wird sie aufschlagen?
-Eine weiße Wolke, dort bei den roten, neuen
-Schuppen. Dann erst der scharfe Knall des Aufschlags.
-Die Schuppen sind die letzten Häuser des Vororts St.
-Paul. Nichts regt sich, kein Mensch erscheint, um nachzusehen,
-was die Granate hier bei den Schuppen will.
-Die weiße Wolke zerstiebt.
-</p>
-
-<p>
-Abschuß! Mächtig schleift die Granate durch die Luft.
-Sie schlägt vor den Schuppen in eine Baumgruppe ein.
-Die Bäume rauchen. Plötzlich röhrt und rauscht es
-<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a>
-näher über dem Unterstand. Bekommen wir Antwort?
-Nein. Der Abschuß fiel mit dem Krach der einschlagenden
-Granate zusammen. Eine graue Wolke hängt über der
-Baumgruppe, ein gespenstischer, grauer Oktopus, der
-seine Fangarme langsam nach den Bäumen ausstreckt.
-Ein Schrapnell.
-</p>
-
-<p>
-Soissons aber liegt und regt sich nicht. Wie die Gazelle
-vor den Augen des Tigers liegt es da.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="FLIEGERANGRIFFAUFFESSELBALLONE">
-Fliegerangriff auf Fesselballone
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juli
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">G</span><span class="postfirstchar">egen</span> sieben Uhr abends fahren wir, der Rittmeister
-v. B. und ich, in das Arbeiterdorf X. Y. ein. Wir haben
-hier zu tun. Der Rittmeister läßt halten, um nebenher
-einem Bekannten guten Tag zu sagen. Kaum ist er fort,
-so gibt es einen Knall. Was ist los? Ringsum schlagen
-die Geschütze, und ich beachte den Knall nicht weiter.
-Aber Leute und Kinder laufen zu einer Stelle neben der
-Straße. Oben brummt ein Motor. Ein Flieger hat
-eine Bombe geworfen! Sie fiel zweihundert Meter vor
-dem Auto nieder, und es ist gut, daß wir zufällig hielten.
-Ein Arbeiter wird weggeführt. Erschrocken und verstört
-sieht er aus. Ein Splitter hat ihn am Arm verletzt. Er
-rauchte gerade seine Feierabendpfeife ganz friedlich und
-dachte an nichts. Da kam die Bombe aus der Luft.
-„Ist die Verletzung schwer?“ frage ich einen Arzt. „Nein,
-nein, eine Kleinigkeit.“
-</p>
-
-<p>
-Ein Rudel von Kindern hockt um das Loch herum,
-das die Bombe schlug. Sie graben mit ihren schwarzen
-<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a>
-Pfoten, hastig und gierig wie Hunde, ob sich nicht irgend
-etwas findet. Die Splitter haben Fetzen aus den geschwärzten
-Backsteinmauern geschlagen. Eine Mauer ist
-wie von scharfen Krallen zerkratzt. Man kann genau den
-Streuungskegel feststellen. In zwanzig Meter Entfernung
-schlugen die Splitter einen knappen Meter hoch ein.
-</p>
-
-<p>
-Der Rittmeister kommt zurück. „Was ist los?“
-</p>
-
-<p>
-„Ein Flieger hat eine Bombe geworfen.“
-</p>
-
-<p>
-„Nicht möglich!“ Er lacht vergnügt und gleichmütig
-und blickt durch das Monokel zum heißen Himmel
-empor, wo eine Gruppe von Schrapnellwölkchen steht.
-Er hat nicht einmal den Knall gehört. Wir trennen uns.
-Ich will einen Regimentskommandeur besuchen, und der
-Rittmeister hat Geschäfte irgendwo in der Nähe. Die
-Kinder wühlen noch immer in dem Bombenloch. Ich
-bin keine hundert Schritte an ihnen vorbei, als mich ein
-Offizier anruft. „Nehmen Sie Deckung. Ein Flieger
-kommt. Er wird gleich werfen.“ Ah, schon wieder einer!
-Er hält direkten Kurs auf mich zu, ganz, als wolle er
-mich persönlich aufsuchen. Schon hört man seinen Motor
-summen, gleichmäßig und wundervoll brummen die
-hundert Pferde da oben! Aber ein Schrapnell platzt dicht
-vor seiner Nase, und er biegt aus. Dem Rittmeister indessen
-hat er, wie ich später erfuhr, eine Bombe in den
-Garten geworfen.
-</p>
-
-<p>
-Dieses X. Y. ist ein Bombennest ersten Ranges. Ich
-wußte es, man hatte es mir erzählt, aber ich hatte nicht
-recht daran geglaubt. Weshalb gerade dieses Arbeiterdorf?
-Nun, überall bilden sich Gewohnheiten aus!
-Es liegt auf dem Wege Souchez-Douai, genau in der
-<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a>
-Mitte, und die Luftstraße geht darüber hin. Es bekommt
-seine Bomben, früh und abends, und die Bomben
-gehören zu X. Y., ganz wie der Geschützdonner und das
-Schnarren und Trompeten der Automobile. Wenn die
-Franzosen nach Douai fliegen, so werfen sie eine Bombe
-ab, und alles, was sie in Douai nicht an den Mann
-bringen konnten, aus irgendeinem Grunde, bekommt
-X. Y. auf dem Rückwege. Das schmutzige und schwarze
-Fabrikdorf hat im Grunde genommen nur eine einzige,
-schnurgerade Straße, die Chaussee. Diese Chaussee
-steuern die Flieger an, und wenn sie in genauem Kurs
-darüberliegen, so werfen sie den Vogel über Bord.
-X. Y. hat seine Bombe. Da man aber den Trick kennt,
-so nimmt man Reißaus, und infolgedessen passiert
-verhältnismäßig wenig. Freilich, wenn man seine
-Feiertagspfeife raucht und gemächlich auf der Chaussee
-herumstochert, so kann die Sache schlecht ausgehen.
-</p>
-
-<p>
-Ich blieb eine halbe Stunde bei dem Regimentskommandeur,
-und als ich wieder auf die Straße trat,
-war eine wütende Knallerei ausgebrochen. Der ganze
-Himmel stand voll Schrapnellwolken. Was war geschehen?
-Ja, auf den ersten Blick konnte man es sehen:
-Während ich bei dem Kommandeur saß und plauderte,
-waren zwei Fesselballone hochgegangen und feindliche
-Flugzeuge griffen sie an. Der eine der Ballone stand
-etwa einen Kilometer weit entfernt, der andere aber stand
-nahezu über meinem Kopfe, etwas westlich vom Dorf.
-Er war drei- bis vierhundert Meter hoch, vielleicht höher,
-und leuchtete hell in der Abendsonne. Die Luftströmung
-hatte ihn herübergetrieben, ich sah zuweilen das schrägstehende
-<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a>
-Drahtseil aufblitzen, das ihn festhielt. Deutlich
-sah ich den Korb, und daraus kam etwas Rundes hervor,
-das war der Kopf des Beobachters. Da saß er nun
-hoch oben, beobachtete die Einschläge der Geschosse, telephonierte,
-dirigierte. Ganz wie er, saß drüben der andere,
-und beide lasen in den feindlichen Höhenzügen wie in
-einem aufgeschlagenen Buch. Das war ihnen ein bißchen
-zuviel! Augenblicklich kamen ihre Flieger herbei. Zuerst
-sah ich nur einen. Winzig, wie eine goldene Libelle, kam
-er auf den entfernteren Ballon zugeflogen. Jeden Moment
-verlor ich ihn aus den Augen, so stand er im Licht.
-Die platzenden Schrapnelle, hoch oben, nicht größer als
-ein Kopf, zeigten seine Bahn. Es waren zwanzig, dreißig,
-er sollte auf keinen Fall herankommen und den Beobachter
-im Korb stören! Eine ganze Wiese von Schrapnellwölkchen
-stand da oben. Sie entstehen ganz urplötzlich
-am blauen Himmel, haarscharf ausgeschnitten, sind rund
-wie eine Kugel, aus der langsam der Rauch tropft,
-schimmern und opalisieren wie feinster Zigarettenrauch.
-Lieblich und unschuldig sehen sie aus, oft berauschend
-schön. Die goldene Libelle aber flog näher, unbekümmert
-und frech, in dreitausend Meter Höhe. Plötzlich, nahe
-über dem entfernteren Ballon angelangt, blitzte sie breit
-und golden auf. Sie hatte eine Kurve gemacht, stach in
-die Tiefe und schoß nun direkt auf unseren Ballon zu.
-Aber unsere Kanoniere schliefen nicht! Die Granaten
-fauchten über das Dorf hoch, eine hinter der anderen her,
-immer rascher und wütender, und ein Dutzend blitzender
-Messer und Dolche, wie von einer Kanone hochgeschossen,
-zuckten um die Libelle auf. In der nächsten Sekunde schon
-<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a>
-hatten sie sich in schöne, grünlich schimmernde Wölkchen
-verwandelt. Die Libelle wich nach Norden aus, überflog
-in rasender Fahrt, brummend und surrend, das Dorf
-und stieg in einer großen Spirale hoch. Die Dolche
-folgten ihr blitzend und funkelnd, sie stieg und stieg und
-nahm Reißaus. Plötzlich aber drehte sie bei und kam
-mit direktem Kurs zurück!
-</p>
-
-<p>
-„<span class="antiqua" lang="fr">Voilà un autre!</span>“
-</p>
-
-<p>
-Das ganze Dorf steht auf der Straße und sieht zu.
-Ein Arbeiter in Hemdärmeln, unter der Tür einer Kneipe,
-deutet in die entgegengesetzte Richtung. Seht an, ein
-zweiter! Ich sehe nur das Feld von Schrapnellwölkchen,
-ein Rudel, zu dem immer neue kommen, aber der
-Arbeiter hat die Maschine gefunden. Rechts neben dem
-Schlot, über den drei kleinen Wolken, die dicht beisammen
-stehen! Richtig. Klein und zart wie eine Schwalbe
-zieht sie näher. Sie hat es nicht auf unsern Ballon
-abgesehen, sondern auf den anderen. Sie bekommt
-Feuer von allen Seiten, und ein Streifen des blauen
-Himmels ist wie mit Lämmerwölkchen bedeckt. Sie
-kann nicht heran und zieht meilenweite Kreise. Unten
-an der Straße verschwinden die Leute in den Häusern:
-es sind Sprengstücke von den Abwehrgeschützen heruntergekommen.
-</p>
-
-<p>
-Aber wir haben die Libelle ganz außer acht gelassen.
-Plötzlich steht sie wieder über dem Dorf. Sie ist von
-hinten heimtückisch wieder herangeschlichen. Unsere
-Kanoniere aber behielten sie wohl im Auge. Über dem
-Dorf bekommt sie Feuer und muß höher gehen. Sie biegt
-aus, kommt in einem kühnen Bogen zurück, und es gelingt
-<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a>
-ihr, unseren Ballon zu überfliegen. Aber in solch enormer
-Höhe, daß es sinnlos von ihr wäre, eine Bombe zu
-werfen. Das ist ja der Sinn der Beschießung. Trifft
-man sie auch nicht, so sollen sie wenigstens hochgehalten
-werden. Sie macht sich davon wie das erstemal, klein
-wie ein Punkt sieht sie jetzt aus, aber sie kehrt wiederum
-zurück.
-</p>
-
-<p>
-Nach Süden zu, noch ferne, erscheinen ebenfalls
-Gruppen von Schrapnellwölkchen. Zwei Striche, ja nichts
-anderes als zwei feine Gedankenstriche untereinander,
-kommen heran. Ein Doppeldecker. In unerhört rascher
-Fahrt zieht er näher. In den heißen Luftschichten scheint
-er manchmal etwas höher und manchmal etwas tiefer
-zu stehen. Durch irgendwelche höllische Künste gelingt es
-ihm, sich streckenweise vollkommen unsichtbar zu machen.
-Unsere Geschütze legen eine Barriere von Schrapnellen
-vor ihn, aber das ist ihm ganz einerlei. Er kommt heran,
-unwiderstehlich und kühn, fliegt zwischen den Ballonen
-hindurch und fegt in abenteuerlicher Höhe über meinem
-Kopf hinweg. Über dem Dorfe macht er halt! Das
-heißt, er legt sich in die Kurve, daß er nahezu auf den
-Flügelkanten steht, und kommt, ehe die Geschütze sich
-neu einstellen können, den gleichen Weg zurück. Eine
-ganze Lage sitzt falsch! Er überfliegt unsern Ballon und
-stürzt sich auf den anderen. Man muß es zugeben, es
-sind <em>Leute</em>, die da oben in den Apparaten sitzen!
-</p>
-
-<p>
-Nunmehr ist aber auch die Libelle zurückgekommen.
-Grau und unscheinbar sieht sie aus. Sie fliegt viel
-niedriger und scheint es nun ernst zu meinen.
-</p>
-
-<p>
-Der Kampf geht weiter. Die Schrapnelle platzen,
-<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a>
-und die Geschütze speien ganze Kurven von blitzenden
-Dolchen in den blauen Himmel. Die Flugzeuge suchen
-ein Loch, um durchstoßen zu können, um ihre Bombe
-anbringen zu können mit einiger Wahrscheinlichkeit auf
-Erfolg. Kühn und großartig versuchen sie es wieder und
-wieder, man muß es ihnen lassen.
-</p>
-
-<p>
-Gleichgültig und stumpf stehen die Ballone währenddessen
-am Himmel, als gehe sie die ganze Sache nichts an.
-Sie rühren sich nicht. Sie sind wie fliegende Elefanten,
-denen es gegeben ist, an Ort und Stelle in der Luft
-stehen zu bleiben. Die Beobachter sitzen und telephonieren
-und dirigieren, während die Geschütze feuern. Sie
-würden sitzen und beobachten, wenn der Himmel über
-sie herabbräche. Es muß sein, und so tun sie es, ohne
-überhaupt ein Wort darüber zu reden.
-</p>
-
-<p>
-Die Libelle scheint, wie ich sagte, nunmehr ernste Absichten
-zu haben. Sie steuert unseren Ballon kaltblütig
-und tollkühn an, in zweitausend Meter Höhe, trotz des
-wütenden Feuers. Plötzlich platzt ein Schrapnell unmittelbar
-rechts von ihr. Sie blitzt golden auf, wendet
-und zieht schnurstracks nach Hause! Sie ist getroffen.
-Ja, die Libelle ist fertig. Sie streckt die Flügel, so sehr
-es geht, aber es gelingt ihr doch nicht mehr, über unsre
-Linien zu kommen. Sie muß landen und ist gefangen.
-</p>
-
-<p>
-Der rasche Doppeldecker und die kleine Schwalbe, die
-ich immer wieder aus den Augen verlor, setzen die
-Angriffe fort. Nur noch wenige Minuten, dann kommt
-ein neuer, sehr rascher Doppeldecker dazu. Er überfliegt
-in großer Höhe das Dorf, unsern Ballon – aber er
-bekommt kein Feuer. Es ist einer von uns, ein Kampfflugzeug.
-<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a>
-Die Franzosen haben ihn gesehen, er ist rascher
-und stärker als sie, es wäre Unsinn, sich mit ihm einzulassen.
-Zwei von den ihrigen hat er schon ohne viele
-Umstände heruntergeschossen. Ehe er noch nahekommen
-kann, geben sie Fersengeld. Sie entfliehen in einer
-Gabel, der Doppeldecker nach Westen, die Schwalbe nach
-Südwesten. Der Kampfflieger jagt in der Mitte hinter
-ihnen her, um einen, wenn möglich, abzuschneiden. Die
-Schwalbe wird zu einem dunkeln Punkt, der Doppeldecker
-zu zwei goldenen, feinen Strichen. Der Kampfflieger
-verblaßt.
-</p>
-
-<p>
-Nun aber bekommt er Feuer, von der Lorettohöhe
-herüber. Schmutziggraue Tupfen stehen unter ihm.
-Es hat keinen Zweck mehr, er macht kehrt. In toller
-Fahrt, brummend und summend, fliegt er über das
-Dorf zurück. Wie eine Bulldogge, die ein paar Kläffer
-in die Flucht schlug und nun höchst zufrieden nach Hause
-galoppiert. Die Schrapnellwölkchen zerfließen am Himmel.
-</p>
-
-<p>
-Im Westen, ferne, steht ein Feld safrangelber Schrapnelltupfen.
-Ein später Flieger, der Feuer bekommt.
-</p>
-
-<p>
-Über die Lorettohöhe steigt die erste bleiche Leuchtkugel
-empor. Die Geschütze schlagen lauter. Die Nacht kommt.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DERGEFANGENESOZIALIST">
-Der gefangene Sozialist
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juli
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar"><span class="prefirstchar">„</span>I</span><span class="postfirstchar">st</span> der Schriftsteller hier? Er soll vortreten!“
-</p>
-
-<p>
-Der Knäuel der Gefangenen kommt in Bewegung.
-Ein brauner, breitschulteriger Soldat in verstaubtem,
-blaugrauem Mantel tritt vor. Sein derbes Gesicht ist
-<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a>
-heiß und schmutzig, seine Hände sind hart und groß.
-Sein Blick ist fragend und fest auf mich gerichtet. Er
-sieht aus wie ein Soldat, ganz wie die anderen, keineswegs
-wie ein Mann der Feder.
-</p>
-
-<p>
-„Sie sind Schriftsteller?“ – „Ja, mein Herr. Ich
-bin Journalist.“ – „Ich bin ein Kollege von Ihnen und
-möchte mit Ihnen sprechen.“ – „Zu Ihrer Verfügung.“
-</p>
-
-<p>
-Die andern sind stumm und hingerissen vor Neugierde.
-Sie verlieren vollkommen ihre militärische Haltung und
-verwandeln sich in Bauern und Handwerker, die zuhören
-wollen und ihre Neugierde nicht verbergen. Sogar der
-mit dem verbundenen Kopf ist herbeigekommen und
-dreht neugierig den Hals, soweit es seine Verwundung
-erlaubt.
-</p>
-
-<p>
-„Gehen wir ein wenig.“ Ich winke den französischen
-Kollegen heran, und wir gehen in dem heißen Hofe hin
-und her.
-</p>
-
-<p>
-„Wann wurden Sie gefangengenommen?“ – „Gestern
-abend. Im Labyrinth. Wir waren in den deutschen Graben
-eingedrungen und wurden abgeschnitten. Wir konnten
-weder vor noch zurück. Es war nichts mehr zu machen.“
-– „Wie haben unsre Soldaten euch aufgenommen?“ –
-Er sieht mich an. – „Sie haben uns als Soldaten behandelt,
-ganz wie es bei uns zu sein pflegt, wenn wir
-deutsche Gefangene machen.“
-</p>
-
-<p>
-Da vorn, ganz vorn, wo Mann gegen Mann steht,
-lernt der Soldat den Gegner achten. Ich sprach einen
-Feldgrauen, von einem badischen Regiment, der vierundzwanzig
-Stunden in französischer Gefangenschaft
-war. Er wurde bei einem Patrouillengang abgeknüpft.
-<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a>
-Wie es ihm drüben erging? Es ging ihm glänzend!
-Die Aufnahme war die allerherzlichste. Man brachte
-ihn in einen Unterstand, gab ihm Zigaretten, Kognak,
-Kaffee und Suppe. Man hänselte ihn ein wenig, aber
-das kümmerte den Schwaben nicht, denn er verstand
-keine Silbe. Es war auch nicht böse gemeint, das konnte
-er sehen, alle lachten vergnügt. Ein Offizier fragte ihn,
-wie der Kommandeur seines Regiments hieß? Der
-Schwabe weigerte sich, es zu sagen. „Na schön,“ sagte
-der Offizier, „ein rechter Soldat verrät nichts, hier,
-rauchen Sie!“ Dem Schwaben ging es, wie gesagt,
-gut. Fußtritte und Faustschläge sind auf jeden Fall
-nicht die Regel.
-</p>
-
-<p>
-„Waren Sie früher Soldat, oder wurden Sie erst
-im Laufe des Krieges ausgebildet?“ frage ich den Franzosen
-und reiche ihm meine Zigaretten hin.
-</p>
-
-<p>
-„Danke!“ Er verbeugt sich leicht und sein warmer
-Blick trifft mich. Seine Hand, hart und derb von Gewehr
-und Spaten, zittert heftig. Mit der Wollust des
-Rauchers zieht er den Rauch in die Lunge und stößt ihn
-durch Mund und Nase heraus. „Ich wurde im Januar
-eingezogen, ich bin vierunddreißig Jahre alt. An der
-Front war ich vier Wochen. Soldat war ich nie gewesen,
-nein. Ich war froh, daß man mich seinerzeit
-nicht tauglich fand. Offen gestanden bin ich nie ein
-Freund von allem gewesen, was Militär heißt. Ich
-bin Sozialist.“
-</p>
-
-<p>
-„Sie sind Sozialist?“
-</p>
-
-<p>
-„Ja, ich schreibe für sozialistische Zeitungen und
-Revuen.“
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a>
-„Vielleicht können Sie mir dann die Stellung erklären,
-die Ihre Kameraden und Parteifreunde diesem
-Kriege gegenüber einnehmen?“
-</p>
-
-<p>
-„Das kann ich wohl, so in großen Umrissen natürlich
-nur. Es ist selbstverständlich, daß wir im Prinzip gegen
-jeden Krieg waren. Heute macht man uns Vorwürfe,
-ob mit Recht oder Unrecht, daß wir die Mittel zur
-nationalen Verteidigung beschnitten. Heute ist alles
-anders geworden, ohne Frage. Wer hielt diesen Krieg
-ernstlich für möglich? Niemand. Zwei Tage vorher
-lachte man noch darüber. Ich war im Süden, in Marseille,
-um die Sitten des Südens zu studieren. Nein,
-ich glaubte nicht daran. Wir kämpften gegen die Wiedereinführung
-der dreijährigen Dienstzeit. Wir taten alles,
-was in unserer Macht stand. Aber Sie, Sie rüsteten
-immer weiter.“
-</p>
-
-<p>
-„Glauben Sie nicht, daß wir durch Ihr Bündnis mit
-Rußland und England dazu gezwungen wurden?“
-</p>
-
-<p>
-„Unsere Bündnisse waren eine Folge – aber ich bin
-weit davon entfernt, Ihnen und nur Ihnen allein Schuld
-an dieser Katastrophe zuzuschreiben. Es wurden überall
-Fehler gemacht; bei allen beteiligten Völkern. Die
-Völker müssen noch viel lernen! Nachdem es zu spät war
-und die Katastrophe hereinbrach, waren wir natürlich
-verpflichtet, uns für unser Land zu schlagen, genau wie
-Sie es waren. Es war zu spät. Jaurès wurde ermordet.
-Aber auch er hätte das Unglück nicht mehr aufzuhalten
-vermocht. Ich wenigstens glaube es nicht. Nur ein
-Wunder, aber es gibt keine Wunder mehr in unserer
-Zeit! Alles ist fürchterlich.“
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a>
-Er schweigt, und wir gehen stumm, jeder in sich versunken,
-über den heißen Hof. Müde und gebückt schlürft
-er neben mir einher, staubig und schmutzig, die zerknüllte
-Mütze unordentlich auf das schweißige Haar gedrückt.
-Seine Augen sind eingesunken und verquält. Plötzlich
-gähnt er. Lange und herzhaft. Und mit derselben erschöpften
-Miene und dem gleichen verquälten Ausdruck
-in den Augen sagt er: „Ich habe eine Frau und ein
-Kind. Ich werde sie wiedersehen.“ Nein, er atmet nicht
-auf bei diesem Gedanken, er, der die Hölle von Arras
-lebendig durchschritt, hat noch nicht die Kraft, sich zu
-freuen!
-</p>
-
-<p>
-„Sie sind glücklicher als viele andere!“
-</p>
-
-<p>
-„O ja, mein Herr, gewiß. Aber –“
-</p>
-
-<p>
-Er findet, daß es zu wenig ist, was er aus diesem
-Leben gerettet hat, seine Frau, sein Kind – –
-</p>
-
-<p>
-Ich beginne von gleichgültigen Dingen zu sprechen,
-um ihn abzulenken, von Marseille, von den südlichen
-Provinzen Frankreichs, aber in den nächsten Minuten
-sind wir von selbst wieder beim Krieg und der Politik
-angelangt. Es geht nicht anders. Unsere Debatte wird
-lebhafter. Langsam finde ich mich in seinen Zügen zurecht.
-Ich taste mich zu seinem früheren Gesicht durch, wie es
-aussah, bevor er mit Gewehr und Spaten arbeiten
-lernte. Es ist weniger das Gesicht eines außergewöhnlich
-klugen, als vielmehr eines aufrichtigen Menschen.
-</p>
-
-<p>
-„Glauben Sie,“ frage ich ihn, „daß das Verhältnis
-zwischen dem deutschen und dem französischen Volk in
-absehbarer Zeit wieder freundschaftliche Formen wird
-annehmen können?“
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a>
-Er schüttelt den Kopf und verzerrt die Lippen. „Nein,“
-sagt er, „ich glaube es nicht, leider. Ich kenne Deutschland,
-ich war in Stuttgart, München, Dresden. Aber nein.
-Jahre, Jahre wird es dauern.“
-</p>
-
-<p>
-„Veröffentlicht Ihre Regierung noch immer keine
-Verlustlisten? Wie kommt es, daß Frankreich sich so
-etwas gefallen läßt?“
-</p>
-
-<p>
-„Man klagt viel darüber. Aber man hat sich damit
-abgefunden. Es ist ein Opfer wie manches andere, aber
-das französische Volk ist bereit, dieses Opfer zu bringen.“
-</p>
-
-<p>
-„Und wie ist die Stimmung im allgemeinen<a id="corr-1"></a>? In
-Paris? Im Volk?“
-</p>
-
-<p>
-Er bleibt stehen. „Die Stimmung? Paris? Ich bin
-seit dem Januar nicht wieder nach Paris gekommen. Seit
-ich an der Front bin, seit vier Wochen habe ich überhaupt
-nichts mehr gehört. Wir werden hin und her geworfen
-und sind seit Wochen ohne jede Verbindung mit der
-Heimat. Ich weiß nicht, was in den letzten vier Wochen
-vor sich ging, von rein kriegerischen Ereignissen abgesehen.
-Ich weiß nur, daß unser Volk mutig ist und unerhörte
-Opfer bringt, weil es sein muß. Auch bei Ihnen zu
-Hause wird die Stimmung ja keineswegs rosig sein,
-wir haben den Feind im Lande, wir leiden mehr unter
-dem Krieg, das ist nur natürlich. Dieser Krieg hat
-Frankreich sehr unglücklich gemacht, ich brauche Ihnen
-das nicht erst zu sagen. Die Stimmung bei uns, mein
-Herr, soweit ich urteilen und beobachten kann, ist –
-nun, sie ist keineswegs glücklich.“
-</p>
-
-<p>
-Eine Viertelstunde später stehe ich vor einem gefangenen
-französischen Offizier. Er ist rasiert, gewaschen
-<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a>
-und gebürstet, ein schöner junger Mann mit edel gezeichnetem
-Gesicht und klaren, klugen Augen. Man erzählte
-mir, daß er sich hervorragend geschlagen habe.
-</p>
-
-<p>
-Klar, ohne Pose, ohne den leisesten Verdacht von
-Hochmut und Provokation, im schlichtesten und natürlichsten
-Ton der Welt versichert mir dieser Offizier:
-„Die Stimmung in Frankreich ist ausgezeichnet. Nie
-war sie besser. Wir werden uns bis zum letzten Mann
-schlagen. Vergessen Sie nicht, mein Herr, daß unser
-Heer nicht mehr jenes vom Anfang des Krieges ist. Es
-ist reformiert, es wird besser mit jedem Monat!“
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIEGRABENKYYMPFEBEISOUCHEZ">
-Die Grabenkämpfe bei Souchez
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juni
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">I</span><span class="postfirstchar">ch</span> habe sie gesehen und gesprochen, sie, die sich da
-draußen schlagen, in den Gräben von Souchez. Sie sind
-in Ruhe. Heute nacht müssen sie wieder hin. Die Straßen
-und Wege liegen nachts unter Feuer. Die Granaten
-krachen und flammen wie Höllengeister. Da müssen sie
-hindurch. Dann sind sie in Souchez. Was ist Souchez?
-Es ist ein Nest, ein Dorf, das niemand kannte und das
-nun viele nie mehr vergessen können. Es ist gezeichnet
-für immer, wie Gravelotte und Wörth. Wenn die Hölle
-Buch führt, so wird sie auch den Namen Souchez eingetragen
-haben, denn er kann sich sehen lassen neben den
-andern.
-</p>
-
-<p>
-Souchez ist heute zusammengeschossen. Die Häuser
-verließen ihren Platz und sprangen auf die Straße.
-Man räumt die Trümmer zur Seite, aber es sind immer
-<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a>
-wieder neue Trümmer da. Durch Souchez fließt ein
-Bach, der Carencybach. Die Granaten haben sein
-Bett zerwühlt, durch das er hundert Jahre lang und
-länger friedlich rieselte und gluckste, sie haben die Ufer
-zerstampft, so daß er verzweifelt sein Bett verließ und
-sich einen neuen Weg durch die Granattrichter suchte.
-Trüb und lehmig ist er geworden. Er verbirgt seine
-Geheimnisse.
-</p>
-
-<p>
-Sind die Grauen durch den Schlamm gewatet, so
-sind sie noch lange nicht da. Die Gräben liegen ein paar
-hundert Meter ab vom Dorf. Hier liegt ein Feuerriegel.
-Die Erde öffnet sich und speit haushoch Feuer und Qualm.
-Da müssen sie hindurch! Hier gibt es keine Annäherungsgräben,
-er da droben auf der Lorettohöhe läßt es nicht
-zu. Übers freie Feld heißt es hier und hinein in den
-Graben. Nun erst sind sie da!
-</p>
-
-<p>
-Aber vorläufig haben sie noch ein paar Stunden Zeit
-und machen sich keine Gedanken. Sie sind alle sauber
-gewaschen und gebürstet, braun wie Nüsse, und die
-Hitze schält ihnen die Haut von Nase und Ohren. Ihre
-Uniformen sind eine Geschichte für sich. Sie waren alle
-einmal grau, nun aber sind sie verschossen, ausgewaschen
-und ausgeschwefelt. Bei Gott, man sieht es ihnen an,
-daß sie nicht in der Etappe saßen! Der rote Streifen
-der runden Mützen ist mit grauem Tuch vernäht, die
-Mützen sitzen alle tief in der Stirn, so gehört es sich.
-Es sind Grabenleute. Der Feldwebel aber sieht aus,
-als käme er gerade vom Schneider. Kein Flecken.
-Seine Hände sind gepflegt, und mit dem spitzen Nagel
-des kleinen Fingers zeigt er mir auf der Karte ihre
-<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a>
-Stellung. Vielleicht war er in seinem früheren Leben
-Lehrer oder Kaufmann, ich weiß es nicht. Er ist jetzt
-Soldat, und er ist so sehr Soldat, daß ich ihn zu fragen
-vergaß.
-</p>
-
-<p>
-„Hier also ist unsere Stellung. Dieser Graben.“ Es
-ist ein rechter Winkel, und sein Fingernagel deutet auf
-den der Lorettohöhe zugewandten Schenkel. „Wir
-bekamen schweres Artilleriefeuer, Wirbelfeuer, den ganzen
-Tag über lag es auf dem Graben. Von sieben Uhr
-morgens bis neun Uhr abends. Achtundzwanziger! Der
-Graben sah aus, als wenn ein Dampfpflug ihn eingeebnet
-hätte. Wir sahen nichts mehr und wir hörten nichts mehr.
-Wir hatten natürlich Verluste. Anders geht es nicht.
-Zurück gibt es nicht! Eine 28er schlägt neben mir
-ein, jagt in die Höhe. Es ist nicht so schlimm. Der
-Graben ist zugeschüttet. Auch ich bin verschüttet. (Er war
-also verschüttet, aber keinem seiner Fingernägel hat es
-etwas getan!) Niemand glaubt, daß noch ein menschliches
-Wesen im Graben existieren kann. Um neun Uhr springt
-das Feuer zurück, hinter den Graben, damit keine Reserven
-herankommen können. Aha! Es geht los! Unser
-Leutnant, noch keine neunzehn Jahre alt, schreit. Es ist wie
-in einem Ameisenhaufen. Überall krabbelt es. Sie kommen
-alle heraus. Die meisten Gewehre sind unbrauchbar geworden.
-Also Handgranaten. Die Franzosen kommen
-heran. Es fällt hier ziemlich ab, und sie kommen rasch
-herunter. Die Handgranaten fliegen. Wir stehen hier,
-in den Granatlöchern, und der Rauch ist so dick, daß keiner
-den andern mehr sieht. Eine neue Kolonne stürmt. Sie
-denken, wir sind erledigt, aber wir, wir schreien Hurra!
-<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a>
-Wir brüllen und johlen, ja wir jodeln und lachen. Da
-stutzen sie doch. Nun aber sehe ich, daß sie von da her
-kommen, sehen Sie!“ Er deutet auf den Scheitelpunkt
-des Winkels. Hier stoßen die beiden deutschen Gräben
-zusammen, rechtwinklig, der Schenkel zur Lorettohöhe
-und der Schenkel gegen die Zuckerfabrik. Man darf aber
-nicht glauben, daß es mit dem Scheitelpunkt zu Ende ist!
-Dort ist eine Barriere, und dahinter setzt sich der Graben
-fort. Dieser Abschnitt gehört den Franzosen. So ist es
-hier! Aber, wie gesagt, aus diesem Abschnitt klettern
-die Franzosen heraus. Er sieht sie, im Rauch, wie sie
-herausquellen ...
-</p>
-
-<p>
-‚Ein Mann vor mit Handgranaten!‘
-</p>
-
-<p>
-Nun, ein Mann geht vor, zum Scheitelpunkt, und
-wirft Granate um Granate in die herausquellenden
-Franzosen.
-</p>
-
-<p>
-„Wer war es doch gleich? Ist er nicht hier?“
-</p>
-
-<p>
-„Ich war es.“
-</p>
-
-<p>
-„Na, dann erzähle du!“
-</p>
-
-<p>
-Es ist ein schlesischer Landwirt, ein Bauer, und seine
-Uniform ist olivengrün geworden da draußen.
-</p>
-
-<p>
-„Ja, also, ich nehme den Arm voll Handgranaten
-und pfeffere hinein, wie es eben trifft. Sobald sie
-wiederkommen, schmeiße ich. Dann bin ich fertig mit
-den Handgranaten, und nun heißt es: fort! Ich laufe
-quer über das Feld, ohne jede Deckung. Sie schießen
-hinter mir her, sie treffen mich aber nicht. Ich springe
-hinten in den Graben.“
-</p>
-
-<p>
-Gut hat er seine Sache gemacht, man muß es ihm
-lassen! Hoffentlich bekommt er das Kreuz! Er erzählt
-<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a>
-schlecht, er stottert, er schämt sich, zu berichten, was er
-tat, weil alle ihn ansehen und grinsen.
-</p>
-
-<p>
-„Na, nun war nichts mehr zu machen. Nun kamen
-sie.“ Der Feldwebel mit den gepflegten Fingernägeln
-und blanken Augen blickt sich im Kreise um. „Wer hat
-übrigens das Grabenstück besetzt gehabt? War das
-nicht die –?“
-</p>
-
-<p>
-„Wir!“ Ein junger Bursche mit runden Augen,
-knapp zwanzig, die Mütze bis zur Nasenwurzel, Flaum
-auf den braunen Backen, tritt vor.
-</p>
-
-<p>
-„Warum habt ihr das Grabenstück geräumt? Ihr
-habt ja das Loch aufgemacht!“ Die Augen des jungen
-Feldwebels blicken vorwurfsvoll auf den Bauernjungen.
-</p>
-
-<p>
-Der Bauernjunge bekommt einen roten Kopf. Er ist
-Soldat und hat seine Ehre. „Wir waren zusammengeschossen,
-Herr Feldwebel. Der Graben war – es war
-überhaupt nichts mehr da.“
-</p>
-
-<p>
-Der Feldwebel wird spöttisch. „Aber das ist doch kein
-Grund zurückzugehen?“
-</p>
-
-<p>
-„Wir waren nur noch zwölf. Wenn wir so viel waren.“
-</p>
-
-<p>
-„Zwölf? Ja, wieviel glaubt ihr denn, daß wir waren?
-Wenn ihr natürlich gleich das Loch aufmacht –?“
-</p>
-
-<p>
-„Wir hatten Befehl –“
-</p>
-
-<p>
-„Na, schön. Bei uns gibt es das nicht. Also nun
-kamen sie, durch das Loch, das die da (!) aufmachten –
-nun kamen sie also. Sie kamen ganz langsam daher.
-Sie dachten, die Sache ist in Ordnung und es ist weiter
-nichts zu tun. Aber unser Leutnant sagt sich, na, wartet
-mal, ihr Kerle! Acht Mann mit Gewehr hinaus aus dem
-Graben! Hinaus aufs Feld. Sie klettern und rutschen
-<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a>
-also raus und schwärmen aus und setzen sich in Granatlöcher
-und fangen an zu feuern. Die Franzosen kommen
-in so dichten Reihen daher, daß jeder Schuß treffen muß.
-Eine Schwarmlinie und eine Sturmkolonne. Sie haben
-furchtbare Verluste, denken Gott weiß, wieviel da feuern,
-und gehen zurück. Ja, so wurde das gemacht. Bei uns
-verliert man nicht gleich den Kopf. Es waren also, wie
-gesagt, nur sechs oder acht Mann. Dann kamen ein paar
-mehr aus dem Graben. Unterdessen hielten wir aber
-den Angriff von vorn ab. Sie wären uns in den Rücken
-gekommen, ja, sie waren schon im Rücken ... Maschinengewehre
-bauten sie schon auf.“
-</p>
-
-<p>
-„Na, also jetzt, weiter unten. Wie war es denn da
-weiter unten? Wer war da weiter unten?“
-</p>
-
-<p>
-Er meint in dem Graben gegen die Zuckerfabrik, der
-sich weiter entfernt von dem durchbrochenen Grabenstück
-befand.
-</p>
-
-<p>
-„Ich!“ Ein Polacke, Unteroffizier, mit grünen Augen
-tritt auf.
-</p>
-
-<p>
-„Ihr habt den Graben gehalten?“
-</p>
-
-<p>
-„Haben wir gehalten, Herr Feldwebel, jawohl. Haben
-wir bis zuletzt gehalten.
-</p>
-
-<p>
-Haben wir Feuer gehabt, den ganzen Tag. Haben
-wir gesessen und gewartet. Graben ganz kaputt. Sind
-die Franzosen gekommen. Haben wir sie gesehen kommen
-durch den Rauch. Haben wir geschossen, bis Gewehr
-heiß war. Haben wir in Flanke geschossen. Haben wir
-Barrikade gebaut, daß Franzose nicht hereinkam zu uns.
-Haben wir Handgranaten geworfen. Hin und her. So
-sind sie geflogen, immerzu, daß Stiele in der Luft tanzen,
-<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a>
-so. Alles Rauch. Ist Morgen gekommen. Hat Franzose
-einen Graben gebaut, so, hier hat er gebaut, quer.“
-</p>
-
-<p>
-Die Franzosen, heißt das, haben einen Graben vorgetrieben,
-der senkrecht stand zu dem Graben des Polacken,
-von dem eroberten Grabenstück aus, und im Rücken des
-Grabens lief, den der junge Feldwebel mit den blanken
-Augen hielt.
-</p>
-
-<p>
-Der Polacke fährt fort: „Haben wir gesagt, Franzose
-hat Graben gebaut. Haben wir Handgranaten geworfen,
-immerfort. Wenn wir was sehen, daß Sand aufgeschüttet
-wird, warfen wir gleich. Plötzlich bekommen wir
-Feuer von Granaten. Ein paar Stunden lang, gleich
-furchtbares Feuer. Die Sandsäcke fliegen. Ich war gar
-nicht mehr zu sehen! (Grinsen ringsum!) Plötzlich
-bekommt auch er Feuer. Artillerie schießt in seinen
-Graben, wo er gebaut hat in der Nacht. Jeder Schuß
-mitten im Graben! Jeder! Habe ich gesehen! Französische
-Artillerie schießt auf unseren Graben, unsere
-Artillerie schießt auf französischen Graben. Wie weit?
-Nicht hundert Meter! Der Fähnrich wird verwundet.
-Sagt: Unteroffizier, übernehmen Sie den Zug! Wie
-komm ich dazu, den Zug zu übernehmen? (Grinsen
-ringsum!) Nu, gut, ich übernehme Zug. Ein Volltreffer
-nach dem anderen in französischen Graben. Die Franzosen
-kommen näher her zu uns. Wollen Schutz suchen. Ich
-steh ganz vorn. Jeden einzelnen seh ich. Peng! Weg!
-Sie flüchten vor deutschen Granaten, kommen näher.
-Peng! Seh ich einen, trägt Verwundeten auf dem
-Rücken. Peng! Beide fallen sie. Sandsäcke fliegen.
-Peng! Handgranaten. Franzosen kriechen aus dem
-<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a>
-Graben. Wir schießen. Kommt die Nacht. Schweres
-Artilleriefeuer auf uns. Seh ich in der Nacht Franzosen
-schleichen. Ganz deutlich. Leuchtrakete geht hoch, sehe
-ich sie kommen. Sie kommen nicht diesen Weg, diesen
-Weg kommen sie –“
-</p>
-
-<p>
-Er deutet auf die Karte.
-</p>
-
-<p>
-„Welchen Weg?“
-</p>
-
-<p>
-„Diesen Weg!“
-</p>
-
-<p>
-„Das ist ja Blödsinn!“ Man hört sofort, daß der
-nüchterne Feldwebel spricht!
-</p>
-
-<p>
-Der Polacke wird unsicher, gibt nach. „Diesen Weg,
-ja. Wir schießen. Ich höre sie röcheln und schreien.
-Einer ruft. Ganz nahe. Ich verstehe nicht, was er will.
-Was soll ich tun? Soll ich hinaus, ihn holen? Ich
-denke, vielleicht macht er uns Schwierigkeiten (!) und
-werfe Handgranate. Am Tag sehe ich ihn, es war ein
-Schwarzer. Er war tot. Am Morgen wieder Granaten.
-Eine neben die andere. Wir müssen zurück –.“
-</p>
-
-<p>
-„Was müßt ihr –?!“ Der Feldwebel, der das
-Zurückgehen nicht schmecken kann!
-</p>
-
-<p>
-„Wir waren nur noch <em>vier</em>, Herr Feldwebel –.“
-</p>
-
-<p>
-Wem gehörte nun der Graben? Den Franzosen oder
-den tapferen Grauen? Das ist die Frage. Die Wahrheit
-aber ist die: er gehörte niemand.
-</p>
-
-<p>
-Ein anderer Grauer tritt vor, der zuweilen blinzelt
-und einen eigentümlichen scharfen Blick hat. „Ich bin
-heute nacht draußen gewesen,“ sagt er, „ich sollte nachsehen
-– Befehl. Ich kam durch den Bach und kroch über
-das Feld. Es ist nichts zu sehen und nichts zu hören.
-Ich steige in den zerschossenen Graben. Niemand ist hier.
-<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a>
-Tote. Sandsäcke und zerschlagene Gewehre. Aber kein
-Mensch. Ich gehe bis hinauf in die französische Sappe
-und hier liegt alles voller Leichen, kein lebendes Wesen.
-Der Franzose hat den Graben geräumt. Daraufhin
-haben wir ihn wieder besetzt.“ –
-</p>
-
-<p>
-So geht es also dort zu, in den Gräben bei Souchez,
-wohin sie heute nacht wieder gehen müssen. Ich habe
-die tapferen Grauen selbst sprechen lassen, denn sie
-erzählen zehnmal besser, als ich es je könnte.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DERKIRCHHOFVONSOUCHEZ">
-Der Kirchhof von Souchez
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juli
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">er</span> Oberst ist ein großer, breitschulteriger Mann mit
-ernsten, nachdenklichen Zügen. Er trägt die Verantwortung
-für viele tausend Männer, und das Gewicht
-auf seinen Schultern ist nicht leicht. Es könnte ja sein,
-daß einer, einer seiner Feldgrauen des Nachts im Schlafe
-zu ihm käme und fragte: Oberst, warum hast du nicht
-an mich gedacht? – Für jeden einzelnen der Grauen,
-die aus allen Teilen des Reiches stammen, muß er Sorge
-tragen wie ein Vater. Es ist fast zu viel für einen Mann,
-der sich der Größe seiner Pflicht klar bewußt ist.
-</p>
-
-<p>
-Liebenswürdig begrüßt er mich in der Halle seines
-Quartiers, aber der Ernst weicht nicht aus seinem
-starken, wetterbraunen Gesicht. Er sagt: „Wir haben
-heute nacht angegriffen. Der Ausgang des Gefechts ist
-noch nicht bekannt.“
-</p>
-
-<p>
-Es ist der Angriff auf den Kirchhof von Souchez.
-Es ist neun Uhr. Noch nichts bekannt? Wird noch gekämpft,
-<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a>
-wie fielen die Würfel? Nur wer weiß, wie es dort zugeht,
-was es mit diesen Grabenkämpfen bei Souchez auf sich
-hat, kann begreifen, daß noch keine Nachricht eingelaufen
-ist. Dort gibt es keine Gräben mit elektrischem Licht und
-einer Telephonleitung, durch die man ohne jede Mühe
-glatt mit Berlin sprechen kann. Die Drähte werden in
-jeder Nacht ein paarmal entzweigeschossen. Die Gräben
-sind zusammengetrommelt. Es kann sein, daß zehn Leute
-einen Granattrichter halten, mit einem Maschinengewehr,
-oder nur mit Gewehren, oder nur mit Handgranaten,
-daß sie, sage ich, dieses Erdloch halten, vierundzwanzig,
-achtundvierzig Stunden, bis Verstärkung kommt oder
-eine Sappe zum Trichter vorgetrieben werden konnte.
-So sieht es dort aus. Es ist unmöglich, den Kopf herauszustrecken,
-geschweige denn den Graben zu verlassen, um
-Nachricht zu geben.
-</p>
-
-<p>
-Souchez ist eine böse Ecke. Unsere Stellungen umklammern
-es in weitem Bogen, und die Regimenter
-sind entschlossen, diesen Bogen, diesen Riegel, zu halten.
-Keinen Meter Boden soll der Franzose haben! Zudem
-böte der Besitz von Souchez den Franzosen noch größere
-Vorteile der Beobachtung, als sie sie jetzt schon mit der
-Lorettohöhe besitzen. Ich war oben im Fesselballon und
-habe es mit eigenen Augen gesehen: flach wie eine
-Pfanne läge die Ebene dann vor ihnen. Um jede kleine
-Bodenwelle wird dort gekämpft, um jedes Gebüsch, um
-jeden Straßengraben. Der Franzose weiß recht wohl,
-was er will, und macht einen Vorstoß nach dem andern.
-Es war ihm auf Tage gelungen, sich da und dort in
-unserm Bogen festzusetzen. Südlich von Souchez, gegen
-<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a>
-Givenchy zu, hatte er seine Stellungen vorgeschoben (das
-sogenannte große Franzosennest), im Kirchhof hatte er
-sich festgebissen und westlich von Souchez, gegen die
-Zuckerfabrik und Lorettohöhe, hatte er sich vorgewühlt
-(das kleine Franzosennest).
-</p>
-
-<p>
-Hin und her geht der Kampf um zerstampfte Gräben
-und Granattrichter. Dieser Kirchhof von Souchez, wohlverstanden,
-ist über seine Ufer getreten, genau wie der
-Carency-Bach, seine Mauern sind gefallen und er wächst
-und wächst.
-</p>
-
-<p>
-Zwischen dem 21. und 24. Juni wurde das „große
-Franzosennest“ ausgehoben. Es waren wütende Nachtkämpfe!
-Der Angriff wurde von allen Seiten durch
-Sappen vorgeführt und das tiefeinschneidende Franzosennest
-abgeschnürt. Damit war das große „Franzosennest“
-erledigt. Ein großer Erfolg! Ein paar Tage später –
-ich spreche hier nur von größeren Kämpfen, gekämpft
-wird hier Tag und Nacht! – griffen die Franzosen
-wütend unsere Gräben bei der Zuckerfabrik an. Aber
-unsere Grauen warfen sie zurück, so oft sie kamen. Die
-Kämpfe wurden rasender und rasender. Am siebenten
-verschwanden unsere Grauen unter einem Hagel von
-Stahl. Es half nichts, sie mußten zurück und die Franzosen
-besetzten 800 Meter zusammengetrommelte Gräben.
-Am achten warfen unsere Grauen sie wieder hinaus,
-räumten Gräben und Sappen und Trichter bis auf ein
-Grabenstück von 150 Metern, das der Franzose halten
-konnte. Die Gräben waren Ketten von Granattrichtern
-geworden, man wußte oft nicht, saßen Franzosen im
-Trichter drüben oder die Unsrigen. Um die 150 Meter
-<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a>
-wird seitdem erbittert gekämpft, hin und her, Vorstoß
-auf Vorstoß. Zäh und toll schlägt sich der Gegner. Die
-Handgranaten fliegen hinüber, herüber ...
-</p>
-
-<p>
-In der Nacht vom 11. auf den 12. kam der Kirchhof
-an die Reihe.
-</p>
-
-<p>
-Ich habe im Tagebuch eines Gefangenen geblättert.
-Der letzte Eintrag lautet: „Heute ist mein Geburtstag.
-Wir liegen im Kirchhof von Souchez, die Granaten
-schlagen ein und die Kreuze und Marmorblöcke und
-Gerippe fliegen nur so in der Luft herum. Diesen Geburtstag
-werde ich nie vergessen, solange ich lebe.“ Ein
-hübscher Geburtstag, alle Wetter! Es ist ja immerhin
-schon merkwürdig, seinen Geburtstag auf einem Kirchhof
-zu verbringen, aber auf einem Kirchhof unter Granatfeuer,
-das ist eine Sache, die nicht oft vorkommt.
-</p>
-
-<p>
-Es sind unsere Granaten, die, wie man aus dem zerweichten,
-verblaßten Tagebuch des <span class="antiqua" lang="fr">piou-piou</span> ersehen
-kann, den Tanz eröffnen. Sie kommen in ganzen Schwärmen
-an, in Schwärmen heulender und zischender Geister,
-die aus der Luft stürzen, auf die feindlichen Gräben.
-Sie krachen, der Kirchhof erbebt bis hinab zu den Särgen.
-Schwarze und rostbraune Wolken wälzen sich zwischen
-den Grabsteinen. Die Steine fliegen in die Luft, die
-Blechkränze und Holzkreuze. Es wird Ernst, kein Zweifel!
-Bis hinab zu den Särgen fressen sich die Granaten.
-Nun kommen die Bretter. Die Toten da unten hören
-nichts, sie liegen in tiefem, tiefem Schlaf. Aber dann
-kommen sie doch herauf, selbst die Toten erweckt dieser
-Lärm. Sie kommen herauf, um nachzusehen, was es
-gibt. Das Jüngste Gericht, ist das Jüngste Gericht
-<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a>
-gekommen? Konnten die Lebenden, diese Toren, die
-das Geheimnis und die Weisheit da unten unter der
-Erde nicht ahnen, konnten sie sich nicht einen andern Ort
-aussuchen, wenn sie etwas unter sich auszumachen hatten?
-Schrecklich, dreimal schrecklich eine Welt, in der man
-selbst im Sarge nicht zur Ruhe kommt! Die Gerippe,
-die sich zwischen den Grabhügeln und Blechkränzen aufrichten,
-zerstieben. Weg damit! Der Granate ist der
-Tote im Weg, sie sucht den Lebendigen und sie wiehert
-über die anmaßende Philosophie der Skelette. Weg,
-fort! Sie hat nur einen schrecklichen Willen: zu töten!
-</p>
-
-<p>
-Gespenster aus der Erde, Geister aus der Luft, es ist
-kein Wunder, daß das Herz des tapferen Franzosen
-schlägt.
-</p>
-
-<p>
-Seine Leuchtraketen steigen. Hilfe! Seine Granaten
-tasten nach unsern Gräben. Unsicher. Er kann das
-Feuer nicht mehr dirigieren. Es ist Nacht. Der Sturm
-bläst und die Bäume rauschen, bis die Granate sie zerschmettert.
-Seine Leuchtkugeln steigen verzweifelt. Hilfe,
-Hilfe! O, jawohl, seine tapferen Kameraden, glaubt es
-mir, sie würden nicht zögern zu kommen, wenn sie könnten.
-Aber sie können nicht! Der ernste und nachdenkliche Oberst
-hat alles mit schrecklicher Genauigkeit vorbereitet, denn
-er denkt für seine Söhne. Es liegt Sperrfeuer auf den
-Verbindungswegen der Franzosen, furchtbares Feuer,
-nicht einmal ein Engel, ein unverwundbarer Engel
-käme durch den Feuerriegel! Sie sind verloren. Hier
-gibt es keine Wunder. Hier herrscht die Granate, Stahl,
-Sprengstoffe, nichts sonst. Sie sind umzingelt.
-</p>
-
-<p>
-Das Feuer schweigt. Hurra! Vier Kompanien
-<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a>
-gehen vor zum Sturm. Wie Furien kommen sie daher.
-Tod oder Sieg! Es gibt nichts anderes.
-</p>
-
-<p>
-Der Franzose aber ist nicht tot. Es wimmelt zwischen
-den Sandsäcken, es wühlt in den Gräben. Maschinengewehre,
-ein Schwarm zischender Spitzkugeln. Der
-schwere Fall von Männern, Handgranaten. Geschrei und
-Taumeln. Pardon! Pardon! Hände strecken sich aus
-den Gräben und Gräbern. Wir ergeben uns!
-</p>
-
-<p>
-Der Kirchhof ist genommen!
-</p>
-
-<p>
-Die Gefangenen werden abgeführt. Die Verwundeten
-schleppen sich davon. Die Krankenträger tragen die
-Schwerverletzten. Der Tag graut. Nebel. Der ernste
-und nachdenkliche Oberst geht in seinem Zimmer hin
-und her und wartet auf Botschaft.
-</p>
-
-<p>
-Der Kirchhof hat neue Gäste bekommen. Was sind
-dagegen die paar Toten, die in ihrer Ruhe gestört wurden!
-</p>
-
-<p>
-Hier liegen tausend Franzosen, hier liegen Feldgraue,
-alle Söhne von Müttern – –
-</p>
-
-<p>
-„Der Kirchhof von Souchez ist erobert.“ Eine Zeile.
-Die Leute sagen: Nun ist der Kirchhof von Souchez wieder
-genommen worden, Gott sei Dank! Sie denken sich nicht
-viel dabei, sie ahnen es nicht –!
-</p>
-
-<p>
-Es ist möglich, daß die Franzosen wieder ein Regiment
-opfern, um den Kirchhof zurückzugewinnen, es ist sicher,
-daß wir ihn dann wieder stürmen werden. So ist es hier.
-</p>
-
-<p>
-Wir haben den Riegel um Souchez vorgeschoben, wir
-haben ihn fester geschweißt, die Feldgrauen schweißten
-ihn fester mit ihrem roten Blut.
-</p>
-
-<p>
-Die Gefangenen marschieren durch Souchez. Die
-Überlebenden aus dem Kirchhof! Auch das Geburtstagskind
-<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a>
-ist darunter, er hat Glück gehabt, diesen Geburtstag
-zu überleben. Schwerverletzt liegt der französische
-Kapitän auf der Bahre. Noch sind sie keineswegs in
-Sicherheit, denn die französischen Granaten fegen in
-das Dorf. Aber sie hoffen wieder. Die Sonne geht auf.
-</p>
-
-<p>
-Ich treffe den ernsten Oberst wieder. Die Gefangenen
-stehen in Reih und Glied. Er mustert sie schweigend. Er
-spricht kein Wort. Wozu? Ich trete an ihn heran, grüße
-und beglückwünsche ihn zu seinem Erfolg.
-</p>
-
-<p>
-Er nickt. Ein höfliches Lächeln. Aber sofort ist sein
-starkes Gesicht wieder ernst und voll schwerer Gedanken.
-Viele seiner Söhne, für die er sorgte wie ein Vater, sind
-nicht wiedergekommen, zwei seiner tapferen Kompaniechefs
-sind gefallen!
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIEYYBERLEBENDENAUSDEMKIRCHHOFVONSOUCHEZ">
-Die Überlebenden aus dem Kirchhof
-von Souchez
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juli
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">ie</span> Tür öffnet sich und herein tritt ein französischer
-Unteroffizier in blaugrauer Uniform. Er klappt die
-Stiefel zusammen und legt salutierend die Hand an die
-Mütze. Ein junger Mann von vier-, fünfundzwanzig
-Jahren, mit blondem Schnurrbärtchen und blauen,
-blanken, flachen Augen, schlank und geschmeidig. Seine
-Haltung ist nicht preußisch stramm, nein, aber sie ist
-militärisch ordentlich und drückt ebensoviel Selbstachtung
-wie Respekt vor dem Offizier aus, der das Verhör
-leitet. Seine Kleidung ist sauber, und niemand
-käme auf den Gedanken, daß er aus einem zusammengeschossenen
-<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a>
-Graben kommt. Er gehört zu jener Klasse
-von Pedanten, die immerzu bürsten und kein Stäubchen
-sehen können, ohne krank zu werden.
-</p>
-
-<p>
-Hinter ihm tritt ein gewöhnlicher Soldat ins Zimmer,
-gut ausgepolstert mit Wollsachen, dunkeläugig, mit
-schwarzen Haaren und einem dünnen schwarzen Bart
-ums Kinn. Auch er grüßt, aber er nimmt es nicht so
-genau. Er hat Fett angesetzt in den Gräben, blickt gutmütig
-und gleichgültig umher, und ich wette, daß er zum
-weitverbreiteten französischen Orden der „Jemenfoutisten“
-gehört.
-</p>
-
-<p>
-„Nehmen Sie, bitte, Platz!“ sagt der Offizier und ladet
-die Gefangenen höflich ein, sich zu setzen. „Sie wurden
-beide im Kirchhof gefangen genommen?“
-</p>
-
-<p>
-„Ja, mein Offizier.“
-</p>
-
-<p>
-„Der Kampf war sehr erbittert?“
-</p>
-
-<p>
-„Er war äußerst heftig!“ Der Dunkle nickt nur und
-schiebt die Unterlippe bezeichnend vor. Ihm war der
-Kampf sicherlich heftig genug.
-</p>
-
-<p>
-„Erzählen Sie, wie er vor sich ging.“ Der Blonde
-erzählt: „Trommelfeuer, heftige Teilangriffe, Umzingelung,
-zuletzt ein wütender Sturm der Deutschen.“
-</p>
-
-<p>
-„Sie lagen da und da in Reserve, Sie gehörten zum
-X. Korps?“
-</p>
-
-<p>
-„Ich weiß nicht, zu welchem Korps wir gehörten.
-War es das X.?“
-</p>
-
-<p>
-Der Dunkle: „Ja, zum X. Korps.“ Er ist viel klüger
-und weiß, daß der verhörende Offizier über diesen Punkt
-genau orientiert ist.
-</p>
-
-<p>
-„Haben Sie am 7. Juli Joffre gesehen?“
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a>
-„Joffre?“
-</p>
-
-<p>
-„Ja. Er war am 7. Juli in Caucourt und hielt eine
-Ansprache an die Truppen, in der er ihre Tapferkeit lobte.“
-Zum Dunklen: „Haben Sie Joffre gesehen?“
-</p>
-
-<p>
-„Nie in meinem Leben.“ Der Dunkle legt, wie man
-aus seinem Ton hören kann, darauf auch nicht den geringsten
-Wert.
-</p>
-
-<p>
-„Welche Meinung hat die Truppe vom Generalissimus?“
-</p>
-
-<p>
-„Man denkt, daß er sehr gut ist.“
-</p>
-
-<p>
-„Sie schießen in der letzten Zeit weniger. Haben Sie
-Artillerie herausgezogen oder haben Sie Mangel an
-Munition?“
-</p>
-
-<p>
-„Ich bin nicht im geringsten über die Artillerie unterrichtet.“
-</p>
-
-<p>
-Auf eine Reihe von Fragen antworten sie ausweichend.
-Auf dem fleischigen Gesicht des Dunkeln liegt ein pfiffiges
-Lächeln.
-</p>
-
-<p>
-Der verhörende Offizier dringt nicht weiter in sie. Er
-springt ab: „Welchen Beruf haben Sie?“
-</p>
-
-<p>
-Der Blonde: „Ich bin <span class="antiqua" lang="fr">cultivateur</span> (Landwirt). Ich
-habe das Seminar besucht und dann den väterlichen
-Besitz übernommen.“
-</p>
-
-<p>
-Der Dunkle: „Ich arbeite im Versicherungsgeschäft.“
-</p>
-
-<p>
-„Welche Art Versicherungen?“
-</p>
-
-<p>
-„Lebensversicherungen, Feuer, Unfall, Diebstahl, alles,
-was Sie wollen. Ich lebe in Paris.“
-</p>
-
-<p>
-Ah, dachte ich es nicht gleich? Ich sehe ihn vor mir in
-dunklem Gehrock, den Zylinder auf dem pomadisierten
-Scheitel, das Bärtchen gewichst, die Mappe unterm
-<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a>
-Arm, ein bißchen verstaubt und verschwitzt, den kleinen
-Pariser Beamten. Wie er würdevoll und großartig in
-ein bescheidenes Restaurant tritt, an den Speisen herumkritisiert
-und über Zugluft klagt. Aus diesem Grunde
-ist er auch jetzt, im Sommer, so mit Wollsachen ausgepolstert.
-</p>
-
-<p>
-„Seit wann sind Sie im Felde?“
-</p>
-
-<p>
-„Seit dem Anfang,“ erwidert er mit einem bedeutungsvollen
-Blick.
-</p>
-
-<p>
-„Wünschen Sie Zigarren? Wünschen Sie Tee?“
-fragt der Offizier.
-</p>
-
-<p>
-Die Gefangenen stecken sich Zigarren an. Tee lehnen
-sie ab, da sie erst Kaffee getrunken hätten.
-</p>
-
-<p>
-Zigarren? Tee? Ich sehe es zornrot werden, das feiste
-Gesicht des biedern Bürgers hinter seinem Schoppen.
-Zigarren, Tee!? Man sollte –!! O nein. Ich
-empfehle ihm vierundzwanzig Stunden Lorettohöhe,
-nicht mehr, vierundzwanzig Stunden, und er wird den
-rechten Ton finden! Ich sah einen General einen gefangenen
-Offizier grüßen. Er grüßte ihn mit besonderer
-Aufmerksamkeit und Achtung, er grüßte den tapfern
-Gegner in ihm, die französische Armee. Dieser Krieg
-wird mit solch unsäglicher Erbitterung geführt, man
-schlägt sich die Schädel mit Spaten ein und erlaubt einander
-nicht, seine Toten zu begraben, daß man diese
-Ritterlichkeit dem gefangenen Gegner gegenüber nicht
-hoch genug schätzen kann. Auch der Franzose wird ja
-nicht ganz seine Traditionen verleugnen! Übrigens, das
-nebenbei, gibt es in diesem entsetzlichsten aller Kriege
-selbst während des Kampfes noch Beispiele von Ritterlichkeit,
-<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a>
-bei uns und auch bei ihnen. Nur eines: der
-Gegner stürmt, der Sturm ist matt, die Hälfte ist im
-Graben geblieben, die andre Hälfte flutet im Feuer
-zurück. Ein Offizier stürmt ganz allein weiter. Plötzlich
-schweigt das Feuer. Der Offizier stutzt, sieht sich um,
-senkt resigniert den Degen und geht langsam, ganz langsam
-zu seinem Graben zurück. Keiner unsrer Grauen
-schoß, es bedurfte nicht erst eines Befehls. Also, mein
-Lieber, nicht: man sollte –! Laß sie nur machen, sie
-wissen schon, was sie tun müssen, denn, siehst du wohl,
-sie waren da oben auf der Lorettohöhe! – Doch das
-gehört nicht hierher.
-</p>
-
-<p>
-Sie rauchen also und wir plaudern. Der Blonde liest
-„La Croix,“ eine katholische Zeitung. Der Pariser liest
-alles, was er in die Hand bekommt. Der Blonde ist
-der Ansicht, daß das religiöse Gefühl des Soldaten sich
-vertieft habe, aber der Pariser zweifelt daran, sehr stark
-sogar. Priester gibt es ja genug bei ihnen, das sei wahr,
-jedes Regiment habe seinen Priester, und die Priester
-kommen in die Gräben, bei stärkstem Feuer, trösten,
-beten und leisten Beistand, wo es nötig ist. Die Verpflegung
-ist ausgezeichnet, und die Post funktioniert
-glänzend, wenigstens jetzt funktioniert sie überraschend
-gut. Sie kommen viel in Ruhe. Jedes Regiment stürmt
-meistens nur einmal, dann hat es lange nichts Besondres
-zu tun. Über die Engländer wissen sie nichts. Sie tun
-ihre Pflicht, wenigstens wären alle Franzosen dieser
-Überzeugung. Von den Italienern hätten sie sich von
-Anfang an nicht viel versprochen. Lieber Friede als
-Krieg, natürlich, aber man schlage sich, solange es sein
-<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a>
-müsse. <span class="antiqua" lang="fr">La guerre, oui, cette guerre, oh lala!</span> Es sei
-kein Krieg mehr, sondern eine schreckliche Schlächterei,
-<span class="antiqua" lang="fr">une terrible boucherie</span>, möchte man sagen. Aber wie
-gesagt, man schlage sich, sie und wir, natürlich, solange
-es eben sein müsse, bis einer einmal sage: Halt! Sie
-bekämen alle Nachrichten sehr rasch. „Lemberg“ haben
-sie einen Tag darauf gehört. Sie glauben nicht an die
-monströsen Geschichten, die ihre Zeitungen ihnen auftischen,
-von geschlachteten Kindern und ähnlichen Dingen
-– nein, daran glauben sie nicht, denn, bei Gott! – Der
-Pariser lacht und hustet – sie haben ja jetzt die intime
-Bekanntschaft der deutschen Soldaten gemacht: fürchterlich
-im Kampf, aber sonst ein guter Bursche. –
-</p>
-
-<p>
-Die Gefangenen löffeln im Schulhof die Abendsuppe.
-Der Hof ist klein, und sie müssen in zwei Schichten
-essen, wie im Speisewagen, wenn der Zug überfüllt ist.
-Es sind über zweihundert, die den Kirchhof lebend verließen.
-Die großen Kessel dampfen. Sie schöpfen,
-schlürfen und löffeln. Sie sind ganz bei der Sache und
-beachten uns nicht. In ihren blaugrauen weiten Rockmänteln,
-die trotz der neuen Farbe immer noch etwas
-an Maskerade erinnern, schlürfen sie mit den Suppennäpfen
-hin und her, die stille selige Gier in den Augen,
-sich zu sättigen. Das Regiment (Jäger) stammt aus
-einem südlichen Departement, und die Leute sehen vorzüglich
-aus, stark und gesund. Nur zwei, drei haben ergraute
-Schläfen, die meisten sind zwischen fünfundzwanzig
-und dreißig. Der erste Hunger ist gestillt, sie
-plaudern und scherzen, ganz als ob sie noch da drüben
-wären. Sie kamen aus Gräbern und Särgen gestiegen,
-<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a>
-aus dem Tod, aber man merkt ihnen nichts mehr an.
-Die Überlebenden aus dem Kirchhof von Souchez sind
-äußerst vergnügt.
-</p>
-
-<p>
-Die Posten stehen mit aufgepflanztem Bajonett. Keine
-Angst, sie laufen nicht weg! Wer diesen Feuergürtel
-zwischen den Gräben lebendig durchschritt, hat keine Lust
-mehr zurückzukehren.
-</p>
-
-<p>
-Auf dem Fenstersims seines Zimmers sitzt mit gekreuzten
-Armen ein gefangener Offizier. Ein junger
-Mann von etwa vierundzwanzig Jahren, mit hübschem
-leichtsinnigen Gesicht und graublauen vergnügten Augen.
-Er strahlt vor Freude, daß die Sache ein Ende hat, und
-es fällt ihm gar nicht ein, uns etwas vorzumachen.
-Vor fünf Tagen noch war er in Lyon, auf Urlaub.
-Herrliche Tage und Nächte, er hat im Graben alles eingehend
-aufgeschrieben. Und sie, wie entzückend war sie!
-Nun also, so ist der Krieg, jetzt sitzt er hier auf dem Fensterbrett
-eines kleinen Schulzimmers.
-</p>
-
-<p>
-Er trägt ein blaues Hemd, seine Brust ist offen,
-Kragen oder sonst eine Binde hat er nicht. Auf seinen
-dünnen braunen Haaren sitzt kokett ein blaugraues
-Barett, wie es die Pariser Studenten tragen, und vorn
-ist in Silber ein kleines Waldhorn gestickt.
-</p>
-
-<p>
-„Sie hatten das Unglück, in Gefangenschaft zu geraten,“
-begrüße ich ihn.
-</p>
-
-<p>
-Er zuckt lächelnd die Achsel: „Was wollen Sie? Wir
-waren vollkommen abgeschnitten. Es war nichts mehr
-zu tun.“
-</p>
-
-<p>
-„Sind Sie aktiver Offizier?“
-</p>
-
-<p>
-„Ja, aktiver.“ Er spricht sogar etwas Deutsch.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a>
-Neben ihm taucht der rothaarige Kopf eines Sergeanten
-auf. Er blickt mit kalten, feindseligen Augen
-auf mich und erinnert mich an ein Eichhörnchen. Ich
-bin überzeugt, daß er die Schauergeschichten glaubt, die
-die französischen Schmutzblätter über uns schreiben.
-</p>
-
-<p>
-„Wie lange wird Joffre die Sache bei Souchez und
-Loretto noch fortsetzen?“ frage ich den jungen Offizier.
-Ich weiß genau, was er antworten wird, aber man plaudert.
-</p>
-
-<p>
-„Noch lange! Wir haben noch große Reserven.“
-</p>
-
-<p>
-„Wie denkt man in Frankreich über einen zweiten
-Winter?“
-</p>
-
-<p>
-„Man ist darauf gefaßt und bereitet vor.“
-</p>
-
-<p>
-„Genau wie wir. Wir haben diesmal noch dickere
-Mäntel machen lassen, damit unsre Leute nicht frieren.“
-</p>
-
-<p>
-„Glauben Sie nicht, daß eine Möglichkeit besteht, mit
-Frankreich einen Separatfrieden zu schließen?“
-</p>
-
-<p>
-Der Offizier lächelt und schüttelt den Kopf. „Daran
-ist nicht zu denken. Je länger der Krieg dauert, desto
-mehr wachsen unsre Chancen.“
-</p>
-
-<p>
-„Niemals!“ mischt sich das Eichhörnchen ein. „Niemals!
-Sagen Sie mir, wer hat diesen Krieg begonnen?“
-</p>
-
-<p>
-Es ist sehr unhöflich, gleich das schwerste Geschütz aufzufahren.
-Der hübsche Offizier, Europäer und Gentleman,
-streift den Sergeanten mit einem nachsichtigen
-Lächeln. Ich sage: „Sie! Man hat Sie gefragt, Sie
-hätten ja aus der Sache bleiben können!“ Ich beachte
-das Eichhörnchen fortan nicht mehr.
-</p>
-
-<p>
-Beim Abschied fragt mich der Offizier, wann sie wohl
-in Deutschland sein dürften. Ich erkundige mich. In
-vier, fünf Tagen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a>
-„Schon! Dann kann ich wohl schreiben?“
-</p>
-
-<p>
-„Natürlich.“
-</p>
-
-<p>
-Freude fliegt über sein leichtsinniges, hübsches Gesicht.
-Ich weiß wohl, an wen er schreiben wird.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DASSCHLACHTFELDARRASSOUCHEZLORETTOHYYHEVOMFESSELBALLONAUS">
-Das Schlachtfeld Arras-Souchez-Lorettohöhe
-vom Fesselballon aus.
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juli
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">er</span> Ballon wird aus dem Stall gezerrt. Er ist tot,
-er schläft. Aber sobald er nur den dicken Schädel heraussteckt
-und die frische Luft schnuppert, kommt augenblicklich
-Leben in ihn, und seine Seele kehrt zurück. Das Wetter
-ist stürmisch. Bei jedem Windstoß rollt er den dicken
-Leib hin und her und schleift die Feldgrauen, die wie
-Trauben an seinen dünnen Fadenbeinen hängen, über den
-Rasen. Wie ein gutmütiger Betrunkener, dem es ein tolles
-Vergnügen macht, seine Begleitmannschaft ins Torkeln
-zu bringen.
-</p>
-
-<p>
-„Langsam rechts einschwenken!“
-</p>
-
-<p>
-Auf seinen Fadenbeinen schwankt er ins freie Feld.
-Er stampft auf und ab wie ein Schleppdampfer in hoher
-See, er begräbt die Ameisen, die an seinen Beinen
-zerren, unter sich, wälzt sich zum Spaß auf ihnen herum,
-reckt sich hoch und nickt, im Winde liegend, ein paarmal
-befriedigt mit dem Kopf.
-</p>
-
-<p>
-Nun steht er da!
-</p>
-
-<p>
-Ungeheuer komisch sieht er aus. Wie ein riesiger
-grauer Kofferfisch, prall und glatthäutig, vollgefressen
-bis zum Platzen, das runde Maul mitten im dicken Kopf.
-<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a>
-Unter dem feisten Leib hat er ein zweites, sackartiges
-Freßwerkzeug, und damit kaut er gefräßig und gierig die
-Luft. An den Seiten hat er kleine schmale Flossen und
-als Schwanz ein paar aufgespannte Regenschirme.
-So kunstvoll er gebaut ist, scheint er doch das primitivste
-Geschöpf zu sein, das sich an der Front herumtreibt.
-Ein Freiballon ist eine Kugel, ein Zeppelin ein Kriegsschiff
-in der Luft, aber er ist ein Tier, ein Fisch, von äußerster
-Gutmütigkeit und ohne jeden Verstand. So sieht er
-wenigstens aus.
-</p>
-
-<p>
-Die Gondel wird unter seinem Leib befestigt, er erhält
-ein Drahtseil durch den Nasenring gezogen. Einsteigen!
-Wir turnen in den engen Korb, der Leutnant und ich.
-</p>
-
-<p>
-„Ballon langsam hoch lassen!“ Der Hauptmann
-schreit.
-</p>
-
-<p>
-Der Luftfisch springt mit einem Satz vom Boden hoch.
-Er bohrt den Kopf in den Wind, reißt am Seil und
-tummelt sich vergnügt, so daß der Korb schlingert.
-Dann aber gleitet er ruhig in die Höhe. Er ist in seinem
-Element.
-</p>
-
-<p>
-Die Feldgrauen stieben strahlenförmig über das Feld,
-werden kleiner und winziger, und die sechs Pferde, die
-die Kabelwinde ziehen, werden zu einem Spielzeug. Das
-kleine Dorf wird zu einer Honigwabe. Wir steigen rasch.
-</p>
-
-<p>
-Sonderbar, dieser Ballon, niemand versprach sich viel
-von ihm im Kriege. Er diente im Manöver dazu, das
-Signal: „Das Ganze halt!“ zu geben, das war so ziemlich
-seine Hauptrolle. Er war nur Statist. Die Flieger
-sollten die ganze Arbeit leisten. Er war eine veraltete
-Sache, die man nur, weil man sie hatte, ins Feld mitschleppte.
-<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a>
-Aber in diesem Kriege, in diesem Stellungskriege
-ist er zu ungeahnten Ehren gekommen. Überall,
-an der ganzen Front entlang, sieht man ihn am Himmel
-stehen! Wo Schneid und Intelligenz zusammengehen
-wie bei der Luftschifferabteilung, bei der ich zu Gaste bin,
-wird er zu einer furchtbaren Waffe.
-</p>
-
-<p>
-Man steigt mit ganzen Kanonen von photographischen
-Apparaten hoch und photographiert die kleinste Falte
-im Antlitz des Feindes. Der Flieger rast mit hundert
-und mehr Kilometern dahin und hat nicht die Muße wie
-der Mann im Ballon. Der Ballon steht still. Er steht
-stundenlang da, tagelang, und wenn der Beobachter
-auch seekrank wird, er bleibt oben. Der Ballon ist das
-Auge der Artillerie, er beobachtet Kolonnen, Bewegungen
-des Gegners, das Aufblitzen feindlicher Geschütze, er
-dirigiert das Feuer der eignen.
-</p>
-
-<p>
-Er ist, wie gesagt, eine ganz gefährliche Sache, und
-aus diesem Grunde hat er seine Feinde. Schrapnelle
-und Granaten tasten nach ihm. Gottlob treffen sie
-selten. Der Ballon geht tiefer oder höher, oder er reißt
-mit seinen sechs Pferden überhaupt aus. Sein kritischer
-Augenblick ist die Landung. Aber seine erbittertsten Gegner
-sind die Flieger, die Konkurrenz. Sie kommen in ganzen
-Schwärmen. Mein Begleiter, der Leutnant, wurde
-neulich von drei Flugzeugen gleichzeitig angegriffen,
-aber er riß nicht aus, fiel ihm gar nicht ein. Den Hauptmann
-besuchte neulich ein ganzes Geschwader, er bekam
-vierundfünfzig Bomben, aber er blieb oben in seinem
-Korb und beobachtete.
-</p>
-
-<p>
-Es gehören <em>Leute</em> dazu!!
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a>
-Wir steigen und steigen, und der Wind pfeift hier oben,
-daß mir das Wasser aus den Augen läuft. Die Landschaft
-wächst, die Welt ist plötzlich viel größer geworden.
-</p>
-
-<p>
-Aber diese ganze Landschaft da unten, von Nordwest
-bis Südost, ist ein einziges riesiges Schlachtfeld, auf dem
-sich zwei Völker zerfleischen, weil das Schicksal es so will.
-Zwei Völker, die Kathedralen haben, Universitäten,
-Museen, Konzertsäle, Hospitäler, Sprachen, die den erhabensten
-Gedanken Ausdruck zu verleihen vermögen,
-die Männer hervorbrachten, die wie Fackeln über der
-Welt leuchten, zwei Völker, die Gedanken geboren haben,
-die die Welt regieren! – Nun liegen sie einander gegenüber
-in Erdlöchern, den Willen gespannt zum Töten,
-ihre Geschütze pochen und stampfen. Die Granatwolken
-wälzen sich in den Feldern, hier, da, dort, sie steigen
-aus den Dörfern, wohin man blickt. Und kein Mensch,
-kein Eisenbahnzug, kein Wagen ist zu sehen, keine lebende
-Seele weit und breit. Der Mensch hat sich vor dem
-Menschen verkrochen.
-</p>
-
-<p>
-Das Licht ist kalt wie im September. Graue Wolken
-jagen dahin. Müde Sonne wechselt mit dunklen Wolkenschatten.
-Strichweise sieht die Landschaft aus wie durch
-ein gelbliches Glas gesehen, gealtert, zermürbt und zerknittert,
-müde des endlosen Mordens und Krachens der
-Granaten. Wie das Gesicht eines Schlaflosen. Strichweise
-friedlich und unbekümmert. Schornsteine rauchen
-in der Ferne, die Zechen, die der Franzose noch in Händen
-hat. Friedliche Weiler und Dörfer, von der schwachen
-Sonne beleuchtet. Aber plötzlich tanzt eine graue Wolke
-auf den Dächern, wieder eine, da, dort. Dörfer, die der
-<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a>
-Franzose befunkt, um seine Männer und Weiber zu töten.
-Lievin, Angres, Givenchy. Sie kauern geduckt neben Anhöhen
-in Wäldchen, aber die Granate findet sie doch.
-</p>
-
-<p>
-In der Mitte liegt breit die Lorettohöhe, die verfluchte!
-Das Bois de Bovigny sitzt wie der Kamm eines
-Hahnes darauf. Der Wald ist dunkel, die Höhe selbst
-hell, gelbgrün wie Heide und unbestellte Felder. Von
-der Spitze des Waldes zieht quer über die Höhe eine
-breite lehmfarbene Schleifbahn bis hinab in die Talmulde,
-eine klaffende Wunde in der Höhe: das sind
-unsre Gräben, die der Franzose im Mai zusammenschoß.
-Weiter unten zieht, entlang der Talmulde, eine schmälere,
-neue Schleifbahn: das sind die heutigen Stellungen.
-Man erkennt sie sofort, denn graue und rostrote Granatwolken
-stehen darauf und wälzen sich im Winde.
-</p>
-
-<p>
-„Sehen Sie das weiße Schloß?“ sagt der Leutnant.
-„In der Waldkuppe rechts von der Lorettohöhe. Dort!
-Das ist Schloß Noulette. Weiter hinten sehen Sie eine
-Ferme. Ferme Marqueffoes. In französischen Händen.
-Im Bois Bovigny sehen Sie zuweilen einen gelben
-Streifen. Der französische Annäherungsgraben. Auf
-dem Abhang dort neben der Baumgruppe stehen französische
-Batterien.“
-</p>
-
-<p>
-Wir sehen alles, wir lesen wie in einem aufgeschlagenen
-Buch.
-</p>
-
-<p>
-Die Lorettohöhe wird flacher und flacher. Souchez
-erscheint, Rauch und Dunst liegt darüber, Ablain, die
-„Kanzel“, die unsre Grauen wie Teufel verteidigt haben.
-Das Hinterland taucht empor, Waldstreifen, Feldstreifen,
-ferner und ferner, bis zum Horizont.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-142" class="pagenum" title="142"></a>
-Links versinkt die Vimyhöhe, die wir halten, und in
-der beschatteten Talmulde dahinter taucht ein Düster
-von Häusern auf mit einem fahlen zweitürmigen Dom
-in der Mitte: <em>Arras</em>! Es sieht aus wie ein Grab. Die
-Kathedrale wie der Schemen eines Domes. Sie geriet
-vor einigen Tagen in Brand, und ihre Turmspitzen sind
-zusammengestürzt. Sie erscheint nahezu weiß, aus
-welchem Grunde weiß ich nicht, wie der Geist einer Kirche
-steigt sie aus der toten, düstern Stadt empor.
-</p>
-
-<p>
-Auch hinter der Vimyhöhe, bis gegen Arras stehen
-kleine Granatwolken, sie tanzen wie Gespenster an der
-ganzen langen Front entlang. Unter uns fährt aus der
-düstern Landschaft da und dort ein Feuerdolch: unsre
-Geschütze, die feuern.
-</p>
-
-<p>
-Wir sind 400-500 Meter hoch und geben Flaggensignal.
-Langsam steigen wir herunter. Wie ein störrisches
-Pferd am Halfter muß der Ballon zur Winde gezogen
-werden. Über dem Boden wälzt er sich ein paarmal hin
-und her, dann steht er still.
-</p>
-
-<p>
-Ich steige aus. Im nächsten Augenblick schon jagt er
-wieder mit dem Beobachter in die Höhe.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DERARGONNERWALD">
-Der Argonnerwald
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juli
-</p>
-
-<div class="container">
- <div class="epi">
-<p class="epi">
-„<span class="antiqua" lang="fr">Moi, je suis tombé dans un sale
-coin, je suis aux Argonnes.</span>“
-</p>
-
-<p class="attr">
-Aus dem Briefe eines Gefangenen.
-</p>
-
- </div>
-</div>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">E</span><span class="postfirstchar">s</span> regnet in Strömen. Das Wasser wird in Fässern
-aus den bleigrauen Wolken geschüttet, die niedrig über
-die Wälder ziehen. Die Bäume brausen im Wind und
-<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a>
-schütteln Wasserfälle aus ihren Kronen. Die Wege sind
-Lehm, Bäche stürzen über die Abhänge. In den Unterständen
-sind die Öfen geheizt.
-</p>
-
-<p>
-Es ist der Argonnerwald, wie er leibt und lebt. Er
-verstellt sich nicht und zeigt sein wahres Gesicht. Es ist
-ein Wald wie der Spessart und die böhmischen Wälder,
-ein Wald für Köhler, Räuberbanden und Wildschweine.
-Der Wald hat seine Gegenwart, das ist nicht zu leugnen,
-der Wald hatte seine Vergangenheit, das ist sicher.
-Man ging hinein und verschwand, man schlug das Kreuz
-und war tot. Im Dickicht lauerte der Mörder. Es gibt
-hier Stellen, die sonderbare Namen tragen: <span class="antiqua" lang="fr">la fille
-morte, l’homme mort</span>. Es wird wohl seine Bewandtnis
-damit haben! Aber diese ganze düstere Räubervergangenheit
-des Waldes ist ein Idyll gegen heute, eine Schäferszene,
-das sage ich gleich! Welche Zeit könnte sich in
-diesen Dingen überhaupt mit der unsrigen messen?
-Wir haben alles glatt geschlagen ...
-</p>
-
-<p>
-Wir steigen in einen Rollwagen, ein total zerweichtes
-Pferd mit einem total zerweichten Reiter darauf wird
-vorgespannt und wir rollen los, höher und tiefer in den
-Wald hinein. Der Regen strömt, Roß und Reiter verschwinden
-zuweilen in einer Wasserblase. Ich bin durchnäßt
-bis auf die Haut, dieser verfluchte Argonnenregen
-geht durch den Gummimantel, und friere wie ein Hund.
-</p>
-
-<p>
-Dieser Wald ist kein Wald für Menschen! Er ist dreistöckig.
-Hohe Bäume, zumeist Eichen, vereinzelt, dann
-das Unterholz, junge Eichen, Buchen, Birken, Erlen,
-dicht beisammen, und unter ihnen Gestrüpp: Brombeeren,
-Dornen, Farnkräuter, Ginster, Schlingpflanzen, ein natürlicher
-<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a>
-Drahtverhau, wie er heimtückischer nicht angelegt
-werden könnte. Es ist ein Wald für einen haarigen,
-gorillaartigen Waldteufel, der mit einem Prügel in der
-Faust durchs Dickicht kriecht und Lehm frißt. Der Mensch
-betritt ihn mit Grauen im Herzen.
-</p>
-
-<p>
-Das zerweichte Pferd streckt die glänzenden Schenkel,
-tastet durch Lehm und Wasser. Zuweilen wird es abgehängt,
-dann rollen wir mit eigner Kraft über wacklige
-Schienen hinunter. Dann geht es wieder bergan. Ist
-es möglich, daß es noch stärker regnet? Ja, bei Gott,
-es ist möglich! Wir fahren in einer Wasserhose. Vor
-uns kriecht eine Batterie von Gulaschkanonen, von
-Pferden gezogen wie wir. Kommt ein Taleinschnitt, so
-rollen alle vier Gulaschkanonen mit eigner Kraft hinab
-und wir hinterher. Wir begegnen einem Transport
-von leeren Minenkörben, meterhohen Zuckerhüten aus
-Ruten geflochten. Der Transport muß rangieren, damit
-wir vorüber können. Auf die Feldküchen klatscht
-der Regen. Die Leute haben Zeltbahnen um die Schultern
-gehängt, aber es hilft nicht viel. Station. Ein
-durchnäßter Grauer tritt an unsern Rollwagen und
-meldet: „Station Rixdorf, belegt mit zwei Telephonisten!“
-Ordnung muß sein. Ein Transport kommt zu
-Tal. Sie stehen aufrecht im Wagen. Sie sind müde und
-erschöpft. Ihre Arme und Köpfe sind verbunden. Es
-sind Verwundete aus den Gräben da oben. Der Wald
-frißt, der Wald frißt, der Wald frißt täglich Menschen!
-Einer liegt, mit einer Pferdedecke zugedeckt. Man unterscheidet
-nur die Formen des Mannes. Der Regen fegt
-auf die Verwundeten herab, aber sie kümmern sich nicht
-<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a>
-darum. Und er, der unter der Decke, der liegt und sich
-nicht regt, ihm kann der Regen, alle Mächte der Hölle
-können ihm nichts mehr anhaben ...
-</p>
-
-<p>
-Unser Pferd streckt die Schenkel. Es geht bergan.
-Nasse Zweige gießen ihr Wasser über uns aus. Der
-Wald poltert. Die einschlagenden Granaten krachen wie
-Donnerschläge.
-</p>
-
-<p>
-Eine halbe Stunde währt die Rollwagenfahrt, eine
-Stunde. Wir steigen aus und schütteln uns wie Hunde,
-die aus dem Wasser kommen.
-</p>
-
-<p>
-Wir gehen quer durch den Wald. Die Wege sind hier
-mit Knüppeln gepflastert, ein Knüppel hübsch neben dem
-andern, peinlich genaue Arbeit, anders wäre es nicht
-möglich, hier einen Schritt zu machen. Granattrichter.
-Zerschossene Bäume. Mannsdicke Eichen, die Granate
-traf sie in der Mitte, zerriß sie und warf sie aufs Gesicht.
-So liegen sie nun da und sterben. Hier gibt es sonderbare
-Hünengräber, mitten im Walde, Stein- und Erdhügel.
-Blickt man aber näher hin, so sind es Batterien.
-Die grauen Kanonen stehen darin, anständige Kaliber!
-Sie feuern glatt durch Laub und Zweige hindurch. Wir
-steuern ein Hünengrab an und steigen in die Erde hinein.
-Wir klopfen und treten ein. Hier brennt die Hängelampe,
-obschon es elf Uhr vormittags ist. Ein Mann
-in einer Wollweste empfängt uns. Hier hausen Pionieroffiziere,
-Leute von Welt. Sie haben gute Laune, Kognak
-und einen herrlichen heißen eisernen Ofen, der sofort
-zischt, wenn man ihm nahe kommt. Sie hausen hier
-schon – tuh, tuh, das Telephon tutet: ein Stollen im
-Graben so und so, wird gemacht – sie hausen hier schon
-<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a>
-seit Ende September! Unter der Balkendecke, zwei
-Meter Schotter darüber, ein paar Schlafkojen. Urlaub,
-nein, Urlaub nahmen sie noch nicht. Sie haben keine
-Lust, sie sind hier nötig. In den Gräben arbeiten sie,
-ganz vorn, in den Minenstollen. Was sie tun, davon
-will ich später einmal berichten. Ihre Gedanken, ihre
-Pläne, ihre Frauen – alles haben sie hingegeben,
-mag es kommen, wie es will, sie werden auf ihrem Posten
-stehen. Unvergeßlich sind sie, jung und stark und kühn.
-</p>
-
-<p>
-Es gießt noch immer. Düster und unheimlich rauscht
-der Wald. Es ist ein Wald der Unterwelt, erfüllt von
-einem schauerlichen und nie gehörten Lärm. Er hustet,
-das furchtbare Husten eines Unholds, der in den Schluchten
-haust. Er lacht heiser und keuchend wie ein Teufel,
-dem etwas schrecklichen Spaß macht. Riesenspechte
-klopfen. Es kracht wie ein schwerer Schmiedehammer,
-den nicht Menschen, sondern Zyklopen bedienen. Sie
-fluchen zur Arbeit, rufen und poltern. Zuweilen nehmen
-sie die Axt und schlagen, eins, zwei in den eisenharten
-Stamm der Eiche, daß die Berge hallen. Die Eiche
-schlägt krachend hin. Man hört, wie die Zyklopen die
-Eiche zerknacken zwischen ihren Fäusten und ins Feuer
-werfen, daß es prasselt. Das alles hört man ganz genau,
-aber man sieht die Einäugigen nicht. Dann und wann
-streicht ein Gespenstervogel unsichtbar und klagend über
-die brausenden Wälder. (Eine Granate.) Ja, Gott
-stehe mir bei, dieser Wald ist keineswegs gemütlich.
-</p>
-
-<p>
-Aus dem Dickicht tritt ein Mensch. Seine Stiefel
-sind voller Lehm, seine Kleider naß und schmutzig.
-Am Gürtel hängen Flaschen und Säcke und Ledertaschen,
-<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a>
-auf dem Rücken das Gewehr. Sein Gesicht ist
-schwarzbraun, schmutzig und verwittert. Die Augen
-stehen wie <em>Lampen</em> darin. Es ist ein Feldgrauer, der
-aus den Gräben da oben kommt. Die „Argonnentype“,
-wie sie leibt und lebt. Die Argonnentype grüßt, so
-nebenher, grinst beim Anruf und verschwindet im Regen.
-Sie sind es, die diesen höllischen Spektakel machen, keine
-Zyklopen, sondern kleine Menschen.
-</p>
-
-<p>
-Plötzlich hört es auf zu regnen. Die Sonne bricht heiß
-durch die Wolken.
-</p>
-
-<p>
-Wir treffen, bei seiner Batterie, einen Oberleutnant,
-Jurist, auch er lebt seit dem Herbst im Walde. Aber der
-Wald konnte ihm nichts anhaben, elegant sieht er aus
-und seine schmalen Hände sind gepflegt. Zusammen mit
-ihm klettern wir in den Wipfel einer Eiche empor. Die
-Eiche braust, und wir schwanken, oben angelangt, wie
-Äste hin und her. Wir blicken über den Wald!
-</p>
-
-<p>
-Drüben liegt die Kuppe von Vauquois. Bis zum
-Kamm gehört sie uns. Dicht dahinter liegt der Franzose.
-Im Tal das Dorf Boureuilles. Mit bloßem Auge
-sieht man die Drahtverhaue der Franzosen, sie liegen im
-Tal hinter dem Dorf. Nach rechts aber, über dem Walde,
-liegt die berühmte <em>Höhe 285</em>, die unsre Tapfern vor
-acht Tagen stürmten.
-</p>
-
-<p>
-Die Höhe ist braun und kahl! Es ist dem Menschen
-hier gelungen, den Wald weithin auszuroden, das muß
-man sagen. Die Bäume sind zerschmettert, liegen durcheinander,
-verkohlt und zerschossen, das Unterholz ist
-gänzlich verschwunden. Die Erde ist aufgewühlt. Gräben,
-Sappen, Sprengtrichter. Die Kuppe ist in hundert
-<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a>
-Risse geborsten. Ein Maschinengewehr bellt, die Gewehre
-husten. Ohne Pause wird da oben gekämpft.
-Ein schweres Geschütz feuert. Es kracht wie ein Donnerschlag,
-und das Echo poltert in den Schluchten.
-</p>
-
-<p>
-Ziehe die Luft ein, riechst du es nicht? Es riecht wie in
-den Gängen eines Hospitals. Es riecht nach <em>Chlor</em> und
-allen möglichen Dingen. Diesen Geruch habe ich schon heute
-morgen verspürt, als wir uns dem Argonnerwald <em>näherten</em>.
-Dieser ganze Wald, trächtig von Feuchtigkeit, Erde
-und Wurzeln, hat diesen sonderbaren Geruch angenommen.
-Er stammt von den Gasbomben der Franzosen, von den
-Gasen der stündlich einschlagenden Granaten, von den
-Massengräbern, die mit Chlorkalk zugeschüttet sind.
-</p>
-
-<p>
-Fürchterlich, dreimal fürchterlich muß es hier zugegangen
-sein! Der Wald hat seine Geschichte, und sie ist
-schrecklich wie die Geschichte wilder Meere. Heute noch
-findet man im Dickicht verstreut Leichen und Skelette.
-Man sieht in den Gebüschen einen Soldaten, das Gewehr
-im Anschlag, man ruft ihn an, er antwortet nicht.
-Er ist tot und in seiner letzten Stellung von den Dornen
-festgehalten worden. Man mußte sich den Weg bahnen
-wie in einem Urwald. Man bekam Feuer aus nächster
-Nähe. Man sah keinen Feind. Der Franzose saß auf
-den Bäumen, mit Maschinengewehren saß er oben.
-Man hörte den Gegner sprechen, die Offiziere Befehle
-erteilen, aber man sah nichts, rein nichts. Man grub sich
-gegenüber ein, schoß das Dickicht mit Maschinengewehren
-ab, um Luft zu bekommen, drang vor – der Feind zog
-sich zehn Schritt zurück, und es war die alte Sache.
-Es war ein Indianerkrieg und die Argonnen bilden ein
-<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a>
-Kapitel für sich in der Geschichte dieses Feldzuges.
-Hier gab es keine Pausen, keine Ruhe, hier wurde erbittert
-gekämpft, Tag und Nacht, viele Monate hindurch,
-und das Wasser in den Gräben stand häufig bis zur
-Hüfte. Man lag sich und liegt sich an manchen Stellen
-zehn Schritt gegenüber, ein lautes Wort bedeutet den
-Tod. Handgranaten, Minenstollen und Wurfminen.
-</p>
-
-<p>
-In den letzten Wochen fanden hier wütende Gefechte
-und Schlachten statt, am 2. Juli, am 14. Juli – doch
-davon später. –
-</p>
-
-<p>
-Ein Knüppelweg führt ins Tal hinab. An einer verborgenen
-Stelle wartet unser Auto. „Hat er hergeschossen?“
-Nein – na, also los!
-</p>
-
-<p>
-Wir fahren eine Strecke in Sicht des Feindes, wir
-jagen in eine zerschossene und zerstörte Stadt hinein.
-Sie erinnert an eine zerfallene italienische Ortschaft.
-Es ist Varennes. Jene Stadt, in der Ludwig XVI.
-mit seiner Gemahlin auf der Flucht erkannt und festgenommen
-wurde. Varennes ist ständig unter Feuer.
-Das Auto beginnt wie toll zu jagen. Es fegt eine schnurgerade
-Chaussee hinab in einem Höllentempo. Eile tut
-hier not, denn wir fahren in etwa 1000 Meter Entfernung
-an den feindlichen Stellungen vorüber, und es ist eine
-Anfängeraufgabe, uns hier abzuschießen. Die Höhe
-von Vauquois, die Kirche von Montfaucon, oben auf
-einem Berge in der Abendsonne. Ein paar Granatfahnen
-rauchen aus Apremont, während wir vorüberfliegen.
-Neben der Chaussee sind Serien von Granattrichtern.
-Sie sind ganz frisch, die Erde liegt noch locker
-und feucht. Der Abendsegen. –
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIEKYYMPFEINDENARGONNEN">
-<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a>
-Die Kämpfe in den Argonnen
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juli
-</p>
-
-<div class="container">
- <div class="epi">
-<p class="epi">
-„<span class="antiqua" lang="fr">Les Argonnes, c’est l’enfer!</span>“
-</p>
-
-<p class="attr">
-Aus dem Tagebuch eines französischen Offiziers.
-</p>
-
- </div>
-</div>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">A</span><span class="postfirstchar">m</span> 20. Juni begann die Sache in den Westargonnen,
-am 2. Juli war sie zu Ende. 37 Offiziere gefangen,
-2700 Mann! 100 Minenwerfer, 28 Maschinengewehre,
-5000 Gewehre und 30000 Handgranaten! 1600 tote
-Feinde bestattet! Es ist ein Erfolg, der sich sehen lassen
-kann!
-</p>
-
-<p>
-Man muß im Auge behalten, daß es sich hier um Waldkämpfe
-handelt. Der Franzose hat Erdwerke angelegt,
-Festungen unter der Erde. Er hat Blockhäuser in die
-Erde gerammt, jedes ein Fort. Die Dachkante ragt
-aus dem Boden, nichts sonst. Schießscharten, Maschinengewehre,
-Drahtverhaue vor den Gräben, eine Schlucht
-mit einem Wassergraben. Wenn ich sage, wie der Argonnenkämpfer
-stürmt, so wird man alles begreifen: den
-Stahlschild vorgehalten, Handgranaten am Gürtel,
-Handgranaten in der Faust, das Gewehr auf dem Rücken
-und die Gasschutzmaske vor dem Gesicht – so geht er
-vor! Es ist kein Spaziergang, o nein! Es ist keineswegs
-wie auf jener Photographie, die eine Berliner Zeitung
-kürzlich brachte und die einen „Sturmangriff in den
-Argonnen“ vorstellen sollte. Mit dem aufgepflanzten
-Bajonett läuft da eine Kolonne gegen einen idyllischen
-Waldrand an. O, hoho! Es ist mehr als kindisch, es
-ist eine Schmach. Der Argonnenkämpfer wird sich totlachen
-über den naiven Schwindel, wenn er das Bild zu
-sehen bekommt.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a>
-Am 20. Juni, wie gesagt, fing es an. Die Minenwerfer
-begannen ihre höllische Arbeit und deckten die
-französischen Gräben und Verhaue zu. Die Granaten
-hagelten herab. Los! Die Pioniere sind die ersten.
-Mit Drahtscheren gehen sie vor, mit Brückenstegen aus
-Knüppelholz gezimmert. Sie stürzen nieder, auf, die
-Stacheldrähte zerfetzen ihnen die Kleider, vorwärts!
-Der Kampf ist im Gange. Hier kämpft Gruppe gegen
-Gruppe, Mann gegen Mann, die Handgranaten krachen.
-Um jedes winzige Grabenstück, um jeden Granattrichter
-wird verzweifelt gerungen. Unsichtbar ist der Feind.
-Aus dem Dickicht schwirren die Geschosse eines Maschinengewehrs.
-Ein Trupp Württemberger stürmt hinein.
-Leutnant Sommer klettert mit ein paar Leuten auf das
-Dach eines versteckten Blockhauses, aus dem das Maschinengewehr
-feuert. Revolver, Handgranaten durch
-die Schießscharten, die Besatzung ist erledigt. Leutnant
-Sommer fällt. Er ist tot, aber er ist unsterblich! Einem
-andern Offizier, Leutnant Walker, gelingt es, in die
-Gräben der Labordère-Stellung einzudringen. Er ist
-abgeschnitten, umzingelt, aber er hält stand in einem
-höllischen Feuer, mit einer Handvoll Leuten, bis acht
-Uhr abends(!) Entsatz kommt. Zwei Leutnante, Spindler
-und Kurz, springen in den Graben und schlagen sich
-nach links und rechts, bis sie fallen. Sie sind tot, aber
-ihre Namen werden weiterleben! Es geht heiß zu, es
-geht verzweifelt zu.
-</p>
-
-<p>
-Am Abend ist die Stellung genommen!
-</p>
-
-<p>
-Es ist nur der Anfang. Die Franzosen trommeln auf
-die eroberten Gräben. Acht Tage lang machen sie einen
-<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a>
-verzweifelten Versuch nach dem andern, die Gräben
-zurückzuerobern. Vom 21. bis zum 29. Sie versuchen
-es mit allen Mitteln, Gasbomben und brennender Flüssigkeit.
-</p>
-
-<p>
-Am 30. Juni geht es weiter. Niemals hat der Argonnerwald
-solch ein Feuer gehört! Die französischen Gräben
-werden zu Brei geschossen. Die Toten liegen wie das
-Getreide nach einem Hagelwetter. Ein Handgranatenlager
-fliegt in die Luft. Aber der Franzose kämpft wie
-ein Teufel. Im vordersten Graben fällt Mann um
-Mann. Niemand ergibt sich! In einer halben Stunde
-sind die Werke Central und Cimetière gestürmt. Unsre
-Grauen sind nicht zu halten. Eine Kompanie Grenadiere
-jagt bis ins Tal der Biesme vor. Auf dem östlichen
-Flügel der kämpfenden Linien liegen auf der sogenannten
-Rheinbabenhöhe die Grauen in den Gräben. Es wird
-gekämpft, sie halten es nicht mehr aus in den Gräben
-und greifen aus freiem Entschluß an. Württemberger
-Freiwillige nehmen die Reste des Labordère-Werkes.
-</p>
-
-<p>
-Der Franzose ist geworfen, aber kleine Verbände
-wehren sich noch tollkühn in kleinen Grabenstücken und
-Blockhäusern. Ein Unteroffizier pirscht sich an ein Blockhaus,
-das wütend feuert, heran und wirft eine Handgranate
-hinein. Nun wird es drinnen still!
-</p>
-
-<p>
-Es wird Nacht. Keine Ruhe, kein Schlaf, nein, daran
-ist nicht zu denken. Sie wühlen und graben die ganze
-Nacht durch, der Morgen muß sie bereit finden! Auch
-der Feind schanzt fieberhaft. Die Leuchtkugeln steigen.
-Die ganze vorgeschobene Gräbenkette der Franzosen ist
-in unsrer Hand: Labordère, Central, Cimetière, Bagatelle
-<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a>
-– aber dahinter hat er im Wald ein Verteidigungswerk,
-den „grünen Graben“, bezogen, die Fetzen der
-französischen Kompanien haben ihn besetzt und zu einer
-Festung ausgebaut.
-</p>
-
-<p>
-2. Juli Angriff auf den „grünen Graben“!
-</p>
-
-<p>
-Der 1. Juli ist kein Ruhetag, das darf man nicht
-glauben. Ohne eine Minute Pause wird gearbeitet.
-Die Leichen werden geborgen, schauerlichste Arbeit des
-Soldaten! Lebensmittel und Wasser herbeigeschafft,
-Munition, Handgranaten, Minenhunde. Die Minenwerfer
-schießen sich ein, die Artilleriebeobachter kriechen
-durch die Gräben und lassen ein paar Granaten zur
-Probe kommen. Fertig, alles bereit!
-</p>
-
-<p>
-Am 2. Juli donnert der Wald und der Boden zittert.
-Bis fünf Uhr nachmittags hageln die Granaten auf den
-grünen Graben herab. Um fünf Uhr gehen die Grenadiere
-vor. Bis zur Dunkelheit wogt der Kampf hin und her.
-Er ist mörderisch. Hier wird nur mit Handgranaten
-und Kolben gekämpft. Wir gewinnen Boden, Schritt
-für Schritt. Der Feind schlägt sich bewundernswert,
-alle Grauen gestehen es ohne weiteres zu. Ein Bataillon
-bricht durch, in der Richtung auf das Dörfchen La Harazée.
-Es kommt dem grünen Graben in den Rücken. Von der
-Rheinbabenhöhe her, von St. Hubert stürmen unsre
-Truppen. Der grüne Graben ist nahezu umzingelt. Die
-Lage des Feindes ist hoffnungslos, aber er ergibt sich
-nicht. Da ist ein Major im grünen Graben, Major
-Remy, der wie ein Rasender ficht und seine Leute zum
-Äußersten anpeitscht. Er fällt. Der grüne Graben ist
-genommen!
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a>
-Die Verwundeten werden fortgeschafft. Die Gefangenen
-abtransportiert. Die Toten liegen, wo sie
-liegen. Noch gibt es keine Pause. Denn der Graben muß
-sofort wieder zur Verteidigung eingerichtet werden. Er
-ist stellenweise bis zur Sohle eingetrommelt. Die Sandsäcke,
-die die Granaten durch den Wald schleuderten,
-werden zusammengeschleppt, aufgebaut. Die Stahlschilde
-eingerammt, die Maschinengewehre aufgestellt.
-</p>
-
-<p>
-Kommt der Feind, so ist man bereit. Und er kam und
-man war bereit!
-</p>
-
-<p>
-Es wird still. Es ist Nacht. Die erste Nacht seit Wochen,
-die ruhig ist, keine Granaten, keine Minen. Der Soldat
-schläft, tief und traumlos, wie die Kameraden, die da
-draußen liegen und alles vergessen haben.
-</p>
-
-<p>
-Die Horchposten kauern im Gebüsch, die Wachen stehen
-im finstern Graben. Das Telephon ist schon wieder eingerichtet.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="HYYHE285">
-Höhe 285
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juli
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">F</span><span class="postfirstchar">rüher</span> war sie grün. Das Unterholz war so dicht,
-daß man sich wie durch einen Urwald vorwärtsarbeiten
-mußte. Dazwischen standen mannsdicke Eichen und
-sonstige Bäume, vielleicht alle zehn Schritte ein hoher
-Baum. Wir lagen ihnen auf vierzig bis fünfzig Schritt
-gegenüber. Zu sehen war nichts. Sie hatten ein Labyrinth
-von Gräben angelegt, Blockhäuser und große
-Unterstände. Aber man sah nichts! Regte man sich,
-so pfiffen die Kugeln. Woher, das wußte man nicht,
-<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a>
-sie saßen irgendwo in den Bäumen. Sie waren oben,
-wir unten, also sehr im Nachteil.
-</p>
-
-<p>
-Seit Ende September pfiffen hier die Kugeln. Die
-Bäume und die Stämme des Unterholzes wurden hundertfach
-durchlöchert, bis sie abstarben. Die Granaten
-knickten die Eichen, das Laub wirbelte. Es wurde allmählich,
-ganz langsam, lichter.
-</p>
-
-<p>
-Man trieb Sappen vor und kam einander näher.
-Die Wurfminen flogen von Graben zu Graben. Man
-trieb Stollen vor, unter der Erde, wir und er. Die
-Sprengungen rissen die Bäume in die Luft. Es wurde
-immer lichter.
-</p>
-
-<p>
-Als ich die Höhe 285 sah, war sie <em>ganz kahl</em>. Sie ist
-so groß, daß eine kleine Stadt darauf Platz hätte. Kein
-grüner Fleck. Zerschmetterte und zerfetzte Bäume,
-das ist alles, was geblieben ist. Ein Schutthaufe, auf
-den ein Wolkenbruch niederprasselte und Rinnen, Furchen,
-Gräben und krumme Schluchten wühlte. So sah
-sie aus.
-</p>
-
-<p>
-Sie bot große Vorteile. Sie beherrschte einen Teil
-der Höhenzüge ringsum, das Tal gegen Boureuille;
-er konnte unsre Straßen einsehen, unsre Zufuhr unter
-Feuer nehmen. Das war keineswegs angenehm. Die
-Höhe 285 mit La Fille morte dahinter war, klar ausgedrückt,
-ein Dorn, der uns im Fleisch saß. Der Dorn
-mußte weg! Der Franzose mußte hinter die Höhe geworfen
-werden, weil er dann nichts mehr sehen konnte.
-</p>
-
-<p>
-Es mußte sein und wurde vollbracht! Am 13. Juli.
-</p>
-
-<p>
-Es war eine Höllenarbeit, denn er hatte sich eine vollkommene
-unterirdische Festung gebaut, in der er bombensicher
-<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a>
-eingedeckt lag. Nur bei gewissenhaftester Vorbereitung
-konnte der Sturm gelingen.
-</p>
-
-<p>
-Tagelang vorher schleppten die Pioniere die zentnerschweren
-Wurfminen durch die engen Gräben in die
-Depots. Tausende von Handgranaten wurden herangeschafft,
-Munition aller Art. Die unterirdischen Gänge
-wurden ausgebaut, so daß man nur die Decke einzustoßen
-brauchte, und man war im Freien. Jeder Mann
-kannte seinen Platz und wußte, wohin er den Fuß zu
-setzen hatte, sobald er den Graben verließ. Im Kopfe
-hatte jeder Mann den Sturm schon vollendet, bevor die
-erste Granate krepierte. Er wußte, in welchen Graben
-er zu gehen hatte, wenn er verwundet wurde. Er wußte,
-durch welchen Graben die Gefangenen geführt werden
-sollten. Alles war vorher festgesetzt und besprochen. Die
-Reserven genau instruiert. Die Gräben sind ein Labyrinth,
-und nichts ist leichter, als sich darin zu verlaufen.
-</p>
-
-<p>
-Noch eines: die vorderste Sturmkolonne muß formiert
-werden. Freiwillige vor! Da melden sich alle.
-Man verstehe recht: nach einem Jahr Krieg, <a id="corr-5"></a>nach Monaten
-von Argonnenkrieg, Monaten von Mühen, Entbehrungen
-und Gefahren! Woher schöpfen sie, die
-Grauen, diese Kraft? frage ich. Es mußte <em>gelost</em> werden.
-</p>
-
-<p>
-Nun also gut, so war es, als der 13. tagte.
-</p>
-
-<p>
-Die erste Granate kommt über den morgengrauen
-Wald und schlägt krachend auf der Höhe ein. Das ist
-das Signal. Die Geschütze, da hinten, stehen schon bereit,
-ausgerichtet, fertig zum Schuß. Hauptleute und Kanoniere
-sind auf dem Posten. Los! Der Wald ist ein einziges
-Donnern. Die Kanonen geben Schnellfeuer, ein
-<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a>
-Maschinengewehrfeuer von Granaten wirbelt auf die
-Stellungen des Feindes nieder. Die schweren Minenhunde
-rauschen durch den Morgen. Die Höhe ist eine
-einzige Staub- und Rauchwolke. Die Grauen stecken
-die Köpfe aus den Gräben, um die rauchende Hölle
-drüben zu sehen. Die Geschütze rasen.
-</p>
-
-<p>
-Der Feind bleibt nicht müßig und antwortet mit
-wütendem Feuer.
-</p>
-
-<p>
-Kaltblütig stehen unsre Artilleriebeobachter in den
-vordersten Gräben und dirigieren das Feuer, unbekümmert
-um Granaten und Minen, die ringsum
-krachen. Die Sturmkolonnen kauern dicht gedrängt in
-den Unterständen und warten auf ihr Kommando. Sie
-liegen in den Sappen bereit, mit Handgranaten am
-Gürtel und im Arm, soviel sie schleppen können. Sie
-kauern in den unterirdischen Stollen, die unter unsren
-Drahtverhauen hindurchführen.
-</p>
-
-<p>
-Plötzlich schweigt das Feuer.
-</p>
-
-<p>
-In der nächsten Minute stürzen die schlesischen Jäger
-vor. Aus Sappen, Stollen, Gräben. Der Feind legt
-einen Feuerriegel vor unsre Gräben. Hindurch! Ein
-Leutnant setzt mit einem Sprung über einen vier Meter
-breiten feindlichen Drahtverhau. In sieben Minuten
-sind die vordersten Gräben überrannt.
-</p>
-
-<p>
-Ungeheuer sind die französischen Verluste! Seine
-Gräben wimmelten von Truppen, denn er hatte selbst
-einen Angriff geplant, und wir waren ihm um einen
-Tag zuvorgekommen. Eine Mine war in ein Lager von
-Handgranaten eingeschlagen und hatte furchtbare Verwüstungen
-angerichtet. In einem einzigen Unterstand
-<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a>
-fand man einhundertundfünf Tote. Seine Verbände
-waren zersprengt, aber noch keineswegs geschlagen.
-</p>
-
-<p>
-Sie kämpfen wie Rasende.
-</p>
-
-<p>
-Gräben, Sappen, Verbindungsgänge, Sprengtrichter
-und Granatlöcher, überall sitzen sie wie festgeschraubt
-und zerren so viel Feinde mit in den Tod, wie
-sie können. In einem Verbindungsgraben hat sich,
-mit zwei Gewehren, ein französischer Offizier eingenistet,
-der unaufhörlich feuert. Ein Soldat hockt neben ihm
-und ladet ihm die Gewehre. Es ist ein Einzelgefecht im
-großen Kampfe, bis es gelingt, den kühnen Gegner zu
-vernichten. Ein Hauptmann bedient einen verborgenen
-Minenwerfer, obschon seine Leute ringsum gefallen sind.
-Er kämpft mit äußerster Todesverachtung, bis ihn ein
-Schlesier niederschlägt.
-</p>
-
-<p>
-Schon beginnt wieder das Dickicht. Tausendfach
-schwirrt der Tod durch den Wald. Ein Fort, ein eingegrabenes
-Blockhaus. Ein paar Pioniere heran, Sprengladung
-angebracht, fort! Das Blockhaus fliegt in die
-Luft. Der Feind läßt eine Mine hochgehen, Steine und
-Erde hagelt es aus der Luft. Im nächsten Augenblick
-sitzen unsre Grauen im Sprengtrichter und verteidigen
-ihn nach allen Seiten. Es sind rasche Teufel, man muß
-es zugeben!
-</p>
-
-<p>
-Der Feind ist zersprengt, gefangen, geschlagen.
-</p>
-
-<p>
-Die Argonnenleute sind nicht zum Stehen zu bringen.
-Sie jagen weiter, die Höhe hinunter. Sie stürmen ein
-französisches Lager, vernichten, was sie vernichten
-können. Für all diese Fälle sind sie schon vorbereitet.
-Sie haben Beile bei sich! Sie stürmen bis zu den feindlichen
-<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a>
-Geschützen vor und ringen mit den grauen Untieren,
-um sie wegzuschleppen, um sie auf die Höhe zu
-schaffen. Mit, alles mit, was mitgehen kann! Aber
-die Geschütze sind zu schwer, zu fest eingebaut – es ist
-menschenunmöglich, sie gefangenzunehmen und schon
-nahen französische Reserven. Kurzer Prozeß! Sie
-schlagen kaputt, was sich kaputt schlagen läßt, die Richtvorrichtungen,
-die Verschlüsse. Sie schieben den grauen
-Untieren noch rasch ein paar Handgranaten ins Maul,
-um sie zu zerstören.
-</p>
-
-<p>
-Es ist höchste Zeit! Einer wirft noch rasch eine Handgranate
-in das Munitionslager und es fliegt in die Luft.
-</p>
-
-<p>
-Zurück! In stehender Schützenlinie feuern sie auf die
-anrückenden Reserven ...
-</p>
-
-<p>
-Der einzelne zählt hier, der einzelne Mann, er muß
-rasch, kühn, verwegen handeln.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DERKRIEGUNTERDERERDE">
-Der Krieg unter der Erde
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im Juli
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">I</span><span class="postfirstchar">n</span> die Erde sind die Gräben eingewühlt, tiefe, krumme
-Rinnen. Sie laufen quer durch Felder und Wälder,
-Dörfer und Friedhöfe, sie nehmen keine Rücksicht. Vor
-den Gräben sind die Drahtverhaue, niedrige, kriechende
-Gestrüppe mit eisernen Dornen. Diese Dornengestrüppe
-sind Geschöpfe des Menschen von heute. Sie tragen
-keine Früchte, der Mensch stirbt in ihnen wie die Fliege
-in den Haarborsten der fleischfressenden Pflanze.
-Zwischen den Drahtverhauen, hinüber und herüber,
-schwirren die Gewehrkugeln. Aus dem wassergekühlten
-<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a>
-Lauf des Maschinengewehres stürzen sich die zischenden
-Schwärme. Die Granate kommt aus weiter Ferne
-herüber und tastet nach allem, was lebt. Mehr, noch
-mehr. Die zentnerschweren Wurfminen stürzen aus den
-Gräben heraus, in die feindlichen Gräben hinüber.
-Die Handgranaten fliegen. Das ist noch lange nicht
-alles! Wir, die wir in der Luft, im Wasser, unter dem
-Wasser, auf den Schneefeldern und in der Wüste kämpfen,
-wir kämpfen heute auch unter der Erde. Wo die Gräben
-sich einander nähern, kommt zum Grabenkrieg noch der
-Minenkrieg. Weiter geht es nicht.
-</p>
-
-<p>
-Es ist der Krieg der Pioniere!
-</p>
-
-<p>
-Erst waren sie hinten, Stege und Brücken, dann
-kamen sie vor, Unterstände, Gräben und Drahtverhaue.
-Und schließlich begannen sie ihren eigenen Krieg, auf ihre
-Weise. Heute sind sie vorn bei den Vordersten, und wo
-der Mann fällt, fällt der Pionier mit ihm.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind Teufelskerle und ohne sie geht es nicht mehr.
-Sie sind unentbehrlich, geliebt und bewundert.
-</p>
-
-<p>
-Also sie kommen, Offizier und Mann, und betrachten
-sich die Sache. Sie zögern nicht lange, es ist nicht ihre
-Art, lange zu fackeln. Sie fangen an. Hinein in die
-Erde! Es ist ein Loch, ein Brunnen, ein Schacht. Ganze
-Stockwerke tief. Knüppelleitern und Leitern von Stricken
-führen hinab. Dann geht es vorwärts, unter den Gräben
-und Drahtverhauen hindurch. Von da aus geht es nach
-rechts und nach links. Der Stollen wächst. Eine Anzahl
-von Schächten wird in die Erde getrieben, und die
-Stollen strahlen von ihnen aus. Galerien und Korridore
-verbinden die Stollen unter der Erde. Da unten
-<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a>
-in der Dunkelheit sind neue Laufgräben entstanden.
-Spitzhacke und Spaten und Druckluftbohrer fressen sich
-durch Erde und Stein und es entsteht ein richtiges
-Bergwerk.
-</p>
-
-<p>
-„Wir haben da und dort eine Mine gesprengt.“ Wer
-denkt sich etwas dabei? Niemand. Wer kennt die furchtbare
-Arbeit?
-</p>
-
-<p>
-Sie suchen hier unter der Erde nicht nach Erzen, sie
-suchen nach dem Menschen, sie wollen ihn von unten
-fassen, da es von oben nicht genügt.
-</p>
-
-<p>
-Schwer und hart ist die Arbeit des Pioniers. Acht
-Stunden lang schleppt er ununterbrochen Erde und
-Gestein durch die düsteren Stollen. Oben, im Licht der
-Sonne, schüttet er die Erde aus, und wenn der Feind
-sieht, daß neue Erdwälle entstehen, so schießt er augenblicklich
-mit Granaten hinein. Aber der Pionier? Nun,
-der Pionier tut seine Pflicht.
-</p>
-
-<p>
-Mit Kompaß und Meßband wird hier unten gearbeitet.
-Es handelt sich um geringste Winkel, Gefälle
-und Steigung, um Meter und halbe Meter. Züge mit
-Grubenhölzern rollen heran, die Pioniere schleppen
-Tag und Nacht Holz und Balken durch die Stollen, um
-sie auszubauen, damit sie ihnen nicht über dem Kopf
-zusammenbrechen eines Tages. Das wäre eine hübsche
-Geschichte! Kilometerlang sind oft Gänge und Galerien
-unter der Erde. Aber niemand sieht sie, niemand kennt
-die Arbeit der Pioniere.
-</p>
-
-<p>
-Es ist eine Arbeit von Wochen und Monaten, eine
-Arbeit von Schweiß, Überlegung und Mut.
-</p>
-
-<p>
-Wie steht es? Baut auch <em>er</em>? Der Pionier lauscht
-<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a>
-drunten in seiner Nacht. Der Pionier lugt aus, ob nicht
-drüben bei ihm auffallend viel Erde aufgeworfen wird.
-Es regnet in Strömen, tagelang, und der Pionier
-horcht: Ja, seine Pumpen spielen! Er hat Wasser in die
-Stollen bekommen.
-</p>
-
-<p>
-Natürlich baut er, der Franzose. Er hat den Anfang
-damit gemacht und ist Meister in diesen Dingen.
-</p>
-
-<p>
-Mit List und größter Vorsicht wird dieser Krieg unter
-der Erde, in der Finsternis, geführt, viele Meter unter
-dem Boden. Eines Tages, in einer Stunde der Nacht,
-während draußen die Gewehre peitschen und die Leuchtkugeln
-alles taghell beleuchten, in einer glücklichen Minute
-hört man ihn schaben und scharren, ihn, der von drüben
-herübergekommen ist, in den Wochen, in den Monaten,
-und der, wie wir, versucht, den Feind von unten zu
-packen, weil es von oben nicht genügt. Der Pionier,
-der ein ganzer Kerl ist und seine Sache versteht, weiß
-genau, was er zu tun hat. Mit seinen feinen Ohren
-horcht er und sagt sich, es sind vier Meter, es sind sechs
-Meter. Ist er rechts, links, oben, unten, feine Ohren
-gehören dazu. Der Offizier liegt in seinem Unterstand
-auf seiner Pritsche und schläft, da tutet das Telephon:
-Es sind vier Meter, ich glaube, er ist über uns. Nun
-schön, sagt der Offizier, ich komme morgen in aller
-Frühe.
-</p>
-
-<p>
-Nun heißt es handeln! Man muß arbeiten und
-schaben, damit er drüben nicht merkt, daß man ihn gehört
-hat. Es ist ja wahrscheinlich, daß auch er es gehört
-hat mit seinen feinen Ohren. Der große Augenblick ist
-gekommen. Es handelt sich um Minuten. Die Sprengladung
-<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a>
-wird herbeigeschafft. Sandsäcke, ganze Berge
-von Sandsäcken werden durch den Brunnenschacht hinunter
-in den Stollen getragen. Die Pioniere wimmeln
-wie Ratten in der Dunkelheit, aber die Leute vorn arbeiten
-weiter. Sie markieren die Arbeit, aber es muß verdammt
-geschickt gemacht werden. Die Art des Schlagens
-und Schabens, obwohl nur markiert wird, darf sich um
-nichts von der wirklichen Arbeit unterscheiden, denn er
-drüben in den Stollen ist listig wie ein Fuchs. Er wird
-sich in den Bart lachen und sagen: Sie markieren jetzt,
-aber fünf Minuten früher werde <em>ich</em> sprengen. Dann
-lebt wohl, Pioniere, Offizier und Mann!
-</p>
-
-<p>
-Peinlich genau werden die Kisten mit der Sprengladung
-aufgebaut, mit Sprengkapseln versehen, aber
-währenddessen wird ohne Pause das Wühlen und
-Graben fortgesetzt, und er, der die Sache macht, muß
-ein Künstler sein, soll das Werk gelingen. Rasch, rasch!
-</p>
-
-<p>
-Die Pioniere hocken im düsteren Stollen. Die Sandsäcke
-wandern in fieberhafter Hast von Arm zu Arm.
-Die Sprengladung muß eingebaut und ein meterdicker
-fester Wall davor gerammt werden. Sonst würde die
-Ladung unsre Stollen zerreißen und nicht hoch gehen.
-Die Säcke wandern rascher und rascher, und der Schweiß
-stürzt in Strömen über das Gesicht der Pioniere. Mann
-für Mann gibt sein Letztes her! Der vorderste arbeitet
-wie ein Besessener, stark und geschickt muß er sein, und
-baut die Mauer. Rasch, immer rascher muß es gehen.
-Er spürt seine Arme nicht mehr, wenn die Arbeit getan
-ist. Zurück! Die Leitungsdrähte werden sorgfältig
-durchgezogen, die Pioniere stieben rückwärts, rasch, rasch!
-<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a>
-Und der Offizier, der Offizier der Pioniere, sagt zu den
-Grauen in den Gräben: Also jetzt geht es los, Achtung!
-In drei Minuten wird gesprengt. Die Grauen verschwinden
-in den Unterständen und ziehen die Köpfe ein.
-</p>
-
-<p>
-Der Boden wankt, die Mine fliegt hoch! Sie zerreißt
-die Erde, der Boden öffnet sich und Steine und Erde
-jagen Hunderte von Metern hoch. Ein Vulkan speit.
-Schwarz und grau steht turmhoch die Rauch- und Staubsäule.
-In dem Rauch jagen Sandsäcke und Menschenleiber
-in die Höhe und flattern Kleidungsstücke, die der
-Luftdruck von den Körpern riß. Achtung! Nun kommen
-sie herunter. Die Steine prasseln auf die Gräben
-herab.
-</p>
-
-<p>
-Aber noch regnet es Steine und Trümmer und der
-Rauch steht noch undurchdringlich: da sind die Grauen
-schon aus den Gräben, schon vorn! Und ehe der Rauch
-sich verzogen hat, sitzen sie schon in dem Sprengtrichter,
-der groß ist wie eine Zirkusmanege. Alles war vorbereitet,
-sie hatten nur gelauert. Alles war bereit, Gewehre,
-Munition, Handgranaten, Maschinengewehre.
-Und mit den Grauen sind auch schon die Pioniere da,
-mit Sandsäcken, und beginnen wie die Ameisen zu
-bauen. Wälle, Schutzschilde, provisorische Unterstände:
-Nun mag er kommen! Und schon sind die Pioniere
-<em>hinten</em> an der Arbeit, um eine Sappe zu der neuen
-Festung vorzutreiben. Wir haben zwanzig Meter,
-dreißig Meter gewonnen, wir haben unsere Stellung verbessert,
-wir haben seine unterirdischen Stollen zerstört.
-</p>
-
-<p>
-In den Zeitungen steht die Notiz: Da und dort
-haben wir eine Mine gesprengt. Aber niemand weiß,
-<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a>
-welche Arbeit, wieviel List und Kühnheit dazu gehört.
-Die Pioniere sind Leute, die nicht viel reden.
-</p>
-
-<p>
-Das ist der Krieg unter der Erde, der neueste, der
-furchtbarste. Tag und Nacht wird gegraben und gewühlt.
-Eine Mine fliegt hoch, an dieser und jener Stelle
-der Front. Man treibt die Stollen bis unter die Gräben
-der Feinde, und ein Grabenstück mit allem, was da
-drinnen ist, geht in die Luft, Menschen, Munition,
-Kochgeschirre und Waffen.
-</p>
-
-<p>
-Für den Sturm werden Stollen vorbereitet und
-fliegen auf in der Sekunde, in der es sein muß.
-</p>
-
-<p>
-Wehe aber, wenn er zuerst sprengt, eine Minute
-früher: Offizier und Pionier, sie gruben ihr eigenes
-Grab. Aber sie wissen, was sie tun, sie wissen, wofür
-sie es tun.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="LABASSYYE">
-La Bassée
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im August
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">U</span><span class="postfirstchar">m</span> sechs Uhr nachmittags verschwinden die Leute von
-Lille von der Straße. Um neun Uhr wird es Nacht und
-Lille ist tot. Nur vereinzelt ein erleuchtetes Fenster und
-Stimmen dahinter. Die Schritte hallen. Ein Polizeisoldat,
-ein Feldgrauer mit der schwarzweißroten Binde
-am Arm, schlürft an den verschlossenen, finsteren Häusern
-entlang. Eine Radfahrerpatrouille gleitet schweigend
-durch die nächtige Straße. Ein paar verspätete Offiziere.
-Man kann stundenlang durch Straßen und Boulevards
-wandern, keine Katze regt sich. Lille schläft.
-</p>
-
-<p>
-Von draußen, aus der Nacht, dringt der Lärm des
-<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a>
-Gewehrfeuers. Man hört es ganz deutlich, jeden einzelnen
-Schuß. So nahe sind die Gräben! Es pocht,
-dumpf und hart, wie eine Negertrommel. Eine Reihe
-von Schlägen, dazwischen ein rollender Wirbel. Dann
-beginnt es zu prasseln und zu knattern, metallen. Die
-Maschinengewehre hämmern. Ein Nachtgefecht, ein
-paar Gräben sind lebendig geworden. Das Feuer wird
-lebhafter, es prasselt minutenlang ohne jede Pause.
-Aber Lille schläft. Es öffnet sich kein Fenster, kein Kopf
-lauscht hinaus in die Nacht. Kein Herz schlägt rascher,
-erregt von einer leisen Hoffnung. Nein! Sie wissen es
-jetzt. Seit Monaten, seit dem Herbst hören sie das Rollen
-des Gewehrfeuers in der Nacht, sie wissen, es bedeutet
-– nichts. Sie schlafen, sie halten sich die Ohren zu,
-um es nicht zu hören, lange genug haben sie sich betrogen
-mit Hoffnungen, Ahnungen, Gerüchten, sie glauben
-es nicht mehr. Morgen um fünf Uhr wird der Flieger,
-klein wie ein Punkt, über der Stadt erscheinen, und die
-Abwehrgeschütze werden krachen, aber sie wissen, auch
-das bedeutet – nichts. Das Quälendste für den Menschen
-ist das Warten, es tötet alle Kraft zu hoffen.
-</p>
-
-<p>
-Nein, Lille schläft, es will nicht aufwachen!
-</p>
-
-<p>
-Niemals war eine Stadt so still und so dunkel. Punkt
-drei Uhr kommt das Auto, das mich hinausbringen soll
-zu den Gräben, und wir machen uns auf die Reise.
-</p>
-
-<p>
-Das Feuer hat aufgehört, die Stadt ist noch stiller
-geworden. Sie schläft nicht, sie liegt in einer Art von
-Totenstarre. Das Auto gleitet zwischen schwarzen Häusern
-dahin. Kein Schnarchen hinter den dunkeln Fenstern,
-kein Kinderweinen, stumm, alles stumm. Die große
-<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a>
-Stadt ist tot. Wir rollen durch finstere Straßen, über
-öde Plätze und leere Boulevards. Eine rote Lampe
-schwingt am Ende der Straße hin und her. Aus der
-Finsternis taucht ein massiges schwarzes Festungstor.
-Die Wache tritt vor und blendet mit der Lampe über
-Wagen und Insassen. Weiter!
-</p>
-
-<p>
-Nun ist es plötzlich noch finsterer geworden. Die
-Lampe des Autos leuchtet wie ein Scheinwerfer in die
-Nacht hinein. Wir jagen an fahlen Baumstämmen
-vorüber, durch Grotten von bleichgrünem Laub. Alleen,
-Straßen. Der Wagen nimmt Erhöhungen der Straße
-wie ein Segelboot die Woge, er tanzt, in den Kurven
-fegt er haarscharf an den Bäumen entlang und die
-Zweige peitschen unsere Gesichter. Es ist kalt und die satte
-Luft der Nacht stürzt uns entgegen. Die Bäume rauschen
-und brausen im Wind. Aufgescheuchte Tiere, kalkbleich,
-huschen über den Weg und Funken stieben blitzschnell
-vorüber. Das sind Motten, vom Lichtkegel getroffen
-und vom Luftdruck zur Seite geschleudert.
-Tote, schlafende Dörfer. Kein Laut, kein Mensch. Der
-Motor donnert. Rote Backsteinhäuser flammen im
-Lichtschein auf und sinken augenblicklich wieder in die
-Finsternis zurück. Die erschrockenen Augen einer schneeweißen
-Katze. Ein Posten. Ein paar laute Rufe wehen
-vorbei. Weiter! Der Wagen fliegt. Herrlich ist die
-Fahrt. Über uns stehen glitzernd und klar die Sterne
-des Sommerhimmels. Wir schweigen. Jeder ist in seine
-Gedanken versunken.
-</p>
-
-<p>
-Hier auf dieser Straße marschierten sie, die Kolonnen,
-Kompanien, Regimenter, im Herbst. In die Schlacht
-<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a>
-von La Bassée. Freiwillige, Studenten. Sie stürmten
-dahin, sie sangen, ihre Augen sprühten. Vorwärts!
-Viele kehrten diese Straße nicht zurück! An der Straße
-stehen seltsam geformte Büsche; wie Frauengestalten,
-die die Hände vor das Gesicht breiten, erscheinen sie in
-der Nacht. Hier, dort, überall. An der Straße stehen
-Steine, die aufleuchten, sich gespensterhaft neben der
-Straße emporrichten, wie Geister, die uns betrachten
-wollen, die alles sehen wollen, was diese Straße kommt.
-Kleine weiße Kreuze stehen an der Straße, man sieht sie
-weithin leuchten, wenn der Lichtkegel sie trifft. Und
-fliegen wir vorüber, so drehen sie sich mit einem Ruck
-uns zu. Der Herbst ist nahe und immer noch marschieren
-hier die Kolonnen, die Kompanien und Regimenter.
-In der Nacht wandern sie dahin. Sie singen
-nicht mehr. Wenn sie sängen, so kämen die Granaten.
-Dies ist der Grund, weshalb sie nicht mehr singen.
-</p>
-
-<p>
-Von den Gräben her hallen Schüsse. Sie klingen
-näher und näher, denn wir sind rasch. Dann und wann
-schlägt dumpf ein Geschütz, irgendwo. Auch nachts
-kann es hier außen keine Ruhe geben. Seit Monaten
-lärmt hier der Mensch. Ein paar Furagewagen knarren
-die Straße entlang. Die Pferde schlafen im Gehen und
-fahren unruhig auf, sobald der Lichtkegel sie faßt. Die
-Kutscher reißen sich zusammen. Neben der Straße werden
-die Granattrichter häufiger. Viele sind ganz frisch.
-Der Wagen humpelt über Erde und Steine. Die
-Granate schlug mitten in den Weg. Vor ein paar Stunden
-war es hier keineswegs gemütlich. Zweige und
-Äste, das Laub noch grün und saftig, liegen auf der
-<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a>
-Chaussee. Baumkronen sind zerfetzt, Splitter hängen
-von den Stämmen. Plötzlich zieht der Fahrer mit einem
-Ruck die Handbremse an und hält. Ein Baum ist quer
-über die Straße gestürzt. Er ist gefallen wie ein Soldat
-und hingeschlagen. Die Granate schnitt ihn über der
-Wurzel glatt durch und warf ihn aufs Gesicht. Seine
-Zweige sind noch grün und rauschen im Wind, wälzen
-sich hin und her und wissen noch nichts. Der Motor
-brummt, die Räder springen in die Höhe, hinüber.
-</p>
-
-<p>
-Ein Dorf. Der Posten winkt. Wir müssen die Lampe
-löschen. Durch die Dunkelheit tasten wir uns weiter.
-Die Gewehre knallen. Ein schweres Geschütz in der
-Nähe reißt laut krachend ab und die Granate rauscht
-in das Dunkel hinein. Kein Zweifel, die Nacht geht
-zu Ende. Draußen bei den Gräben steigt zuweilen
-eine Leuchtkugel empor. Bleich und sprühend, wie
-ein gleißender Mond steht sie über der nächtigen
-Erde. Die Gewehre lärmen aufgescheucht, dann wird
-es wieder still. Die Leuchtkugel sinkt erblassend, ganz
-langsam, zur dunklen Erde herab. Nun aber steht rechts,
-zwischen den Pappeln, ein funkelndes Leuchtfeuer, grellweiß
-und drohend. Wiederum kracht das schwere Geschütz,
-und die Granate nimmt fauchend und gurgelnd
-ihre Bahn über unsere Köpfe hinweg.
-</p>
-
-<p>
-Die Sterne erblassen, die Landschaft wird fahl. Nebel
-steigt aus den Feldern. Das Auto fliegt. Wir haben
-Eile, denn die Straße liegt in Sicht des Feindes. Bevor
-es tagt, müssen wir an Ort und Stelle sein.
-</p>
-
-<p>
-Aus dem grauenden Morgen heben sich die fahlen,
-verschwimmenden Umrisse einer Stadt: <em>La Bassée</em>. Ein
-<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a>
-paar Soldaten in Hemdsärmeln, fröstelnd in der Morgenkühle,
-stehen an der Straße. Leichenhaft erscheint
-La Bassée im frühen Licht. Kein Mensch, kein Tier ist
-hier zurückgeblieben. Von ein paar Wachen abgesehen,
-haust hier kein Soldat. Die letzten Einwohner mußten
-schon vor Wochen den Ort verlassen, denn La Bassée liegt
-ständig unter schwerem Feuer. Die Kirche ist ein Trümmerhaufen,
-ganze Häuser sind in die Luft geflogen.
-Granateinschläge überall. Die Stadt sieht aus wie von
-einem Erdbeben zerrissen. Erst schossen wir hinein,
-dann übernahm es der Engländer. Hunderte, Tausende
-von Granaten fielen auf La Bassée. Es gibt nur wenig
-Häuser, die unversehrt sind.
-</p>
-
-<p>
-Der Musikpavillon aber steht noch auf dem Marktplatz
-wie im Frieden.
-</p>
-
-<p>
-Das Auto biegt in eine schmale Gasse ein. Sie ist
-düster und voller Qualm. Ein Haus brennt, von einer
-Granate in der Nacht in Brand gesetzt. Niemand löscht,
-niemand kümmert sich darum. Laß es brennen! Die
-Flammen lecken aus den Fenstern, sie sind ganz allein,
-niemand stört sie, und sie arbeiten ruhig und langsam
-weiter. Qualm wirbelt durch das verkohlte Gebälk.
-Im Hause drinnen klettert das Feuer über eine purpurrote
-Tapete mit zarten Empiregirlanden. Die Scherben
-des geplatzten Spiegels funkeln. Hier lebten einst
-Menschen.
-</p>
-
-<p>
-Wir tasten uns durch den ätzenden Rauch, der Chauffeur
-flucht. Wir fahren weiter, hinaus zu den Gräben.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DIEGRYYBENBEILABASSYYE">
-<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a>
-Die Gräben bei La Bassée
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im August
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">er</span> Kommandeur ist frühzeitig aufgestanden. Fix
-und fertig angekleidet kommt er aus seinem Unterstand
-geklettert. Sein Gesicht ist gerötet von der Frische des
-Morgens. Ein kleiner, rührender Friedhof mit Kreuzen
-auf den Gräbern und Blumen, Granattrichter und ein
-Haufe zusammengestürzten Mauerwerks, das ist seine
-Aussicht. Das Regiment liegt hier seit Monaten, aber
-der Kommandeur sieht aus, als sei er auf weitere Monate
-eingestellt. Er ist in seinem Dachsbau zu Hause, und was
-die Aussicht anbetrifft, so ist ihm das vollkommen gleichgültig.
-</p>
-
-<p>
-Er telephoniert seinen Offizieren, daß sie uns einen
-Führer durch den Annäherungsgraben entgegenschicken
-sollen, damit wir uns nicht verirren, und wir steigen in
-den Graben.
-</p>
-
-<p>
-„Fünf Uhr dreißig Minuten werden unsere 21er die
-neuen englischen Gräben eindecken. Seien Sie bis dahin
-zurück, denn es ist wahrscheinlich, daß er antwortet. Alles
-Gute!“
-</p>
-
-<p>
-Wir trollen zwischen den Lehmwänden und Sandsäcken
-dahin. Eine Viertelstunde sind wir unterwegs,
-Geschütze pochen, da pfeift und saust es in der Luft, ein
-sonderbares und nicht zu verkennendes Pfeifen. Wir
-ducken uns zusammen. Mit einem höllischen Sang,
-böse zischend, fährt die Granate über unsere Köpfe weg.
-Kaum ist sie vorüber, kommt die zweite angefegt, in der
-nächsten Sekunde die dritte und dahinter die vierte.
-In einem Höllentempo jagen sie dahin, eins, zwei, als
-<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a>
-wollten sie einander einholen. Im Bruchteil einer
-Sekunde sind sie vorüber, man sieht sie nicht, aber in
-meiner Vorstellung haben sie die Gestalt von Schlangen
-angenommen, von höllischen Vipern, die langgestreckt
-zischend durch die Luft fahren. Die Einschläge klingen
-nahezu wie ein einziger Krach, als würden ein paar schwere
-Eisentüren fast gleichzeitig ins Schloß geschmettert.
-</p>
-
-<p>
-So! Aber wir haben uns kaum von dem Schrecken
-erholt, als die zweite Lage pfeifend und fauchend angefegt
-kommt und uns über die Köpfe zischt. Eins, zwei,
-drei, vier und Schluß. Das war die Begrüßung.
-</p>
-
-<p>
-„Es sind Flachbahngeschosse,“ sagt der Hauptmann,
-„sie zischen so blödsinnig!“
-</p>
-
-<p>
-In den Gräben ist man schon munter. Die Gewehre
-peitschen, und die Spitzkugeln fahren summend und
-singend über uns dahin. Die Engländer haben die
-Morgenarbeit aufgenommen und knallen, um vollends
-wach zu werden. Sie passen verflucht auf. Sobald man
-die Mütze über die Sandsäcke streckt, kommt eine Kugel
-herüber. Draußen ist nichts zu sehen: Drahtverhaue,
-eine verwilderte Wiese, ein Erdwall, hinter dem es sich
-zuweilen bewegt. Das ist alles.
-</p>
-
-<p>
-Unsere Grauen sind auf dem Posten. Die runde Mütze
-in die Stirn gedrückt, stehen sie und lugen durch Schießscharten
-und Spiegelapparate. Sie rücken die Gewehre,
-tasten hin und her, setzen ab, zielen von neuem. Plötzlich
-erstarrt das Gesicht auf eine Sekunde: Schuß! Sie
-spaßen nicht, o nein, sie nehmen es verdammt ernst und
-gewissenhaft. Sie sind ganz bei der Sache. Alle paar
-Schritte steht ein Grauer und lauert.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a>
-So stehen sie von der Nordsee angefangen bis hinunter
-zur Schweiz. So stehen Hunderttausende, Tag
-und Nacht, seit zehn Monaten, jetzt und in dieser Sekunde.
-So stehen sie, bis die tausendste Kugel kommt und sie
-in den Graben wirft. Wer sie gesehen hat, die Treuen,
-muß immer an sie denken: wie sie stehen, lauern, zielen,
-feuern, unermüdlich.
-</p>
-
-<p>
-Eine unheimliche Spannung herrscht zwischen den beiden
-Labyrinthen der Gräben. Wie zwischen zwei Gewitterwolken.
-Sie verdichtet sich, die Kugel blitzt hinüber, herüber.
-</p>
-
-<p>
-Die andern frühstücken. Sie trinken Kaffee aus Blechbüchsen,
-streichen sich Butterbrote, schneiden Fleisch aus
-den Dosen. Über ihren Köpfen die Ballen von Sandsäcken,
-die Maschinengewehre, das Gespinst der raschen
-Kugeln. Andre liegen in ihren kleinen Nischen, die
-schmutzigen Stiefel unter den Mantel gezogen, und
-schnarchen. Sie liegen schlafend mitten im Graben, und
-man muß über sie hinwegklettern. Sind sie tot, leben
-sie? Man kann es nicht sagen.
-</p>
-
-<p>
-Ein Teil der Gräben ist zusammengetrommelt und
-wird instand gesetzt. Die Sandsäcke sind durcheinandergeschleudert,
-aufgeschlitzt und gelb von den Schwefelgranaten,
-die der Engländer feuert. Ich greife rasch
-nach einer Zigarette. Hier stinkt es grauenvoll! Der unsagbare
-Gestank wirft mich nahezu um. Schon beim
-Gedanken an diesen Gestank wird mir übel. Es ist der
-penetrante Geruch von Raubtieren, verhundertfacht,
-vermischt mit allerlei Unsagbarem und Scheußlichem,
-es ist die Pest, es ist der <em>verwesende Mensch</em>. Die Engländer
-faulen hier!
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a>
-Arme Schufte, für ein paar Schillinge die Woche –.
-French jagte sie hier in den Tod.
-</p>
-
-<p>
-Der Engländer schont seine Regimenter. Er spart
-Soldaten. Gott weiß, ob er sie nicht einmal gut gebrauchen
-kann, so gegen den Schluß zu, wenn der Partner
-genug hat? Dann ist es immer eine herrliche Sache,
-ein paar frische und nagelneue Divisionen an der Hand
-zu haben, die im Hintergrund in Paradestellung verharren,
-während man mit dem Partner in aller Höflichkeit
-über die Bedingungen verhandelt. Aber von Zeit
-zu Zeit ist es unbedingt notwendig, so zu tun, als mache
-man ernsthaft mit. Dann opfert French ein paar Regimenter,
-um den Franzosen seine Verlustlisten unter die
-Nase halten zu können. In erster Linie gibt er den Kanadiern,
-Irländern und Indern Gelegenheit, Beweise
-ihrer Loyalität zu geben. Siehe Ypern, Neuve Chapelle.
-Wird es Ernst, so zieht er gern seine englischen Regimenter
-aus den Gräben und wirft Überseeische und
-Farbige nach vorn. Man muß zugeben, er versteht seine
-Sache! Aber sie allein können ja nicht <em>alle</em> schwere Arbeit
-verrichten, das ist natürlich.
-</p>
-
-<p>
-Als die Franzosen sich bei Arras und Souchez verbluteten,
-konnte er nicht ganz müßig bleiben. Es galt
-Truppen und Artillerie abzuziehen. Er entschloß sich,
-anzugreifen, und es muß gesagt werden, er meinte es
-diesmal bitter ernst! Trommelfeuer, Angriff auf Angriff.
-Erbitterte Grabenkämpfe. Die Toten liegen in
-Haufen vor unsern Drähten. Unsere Grauen wanken
-und weichen nicht.
-</p>
-
-<p>
-Gegen die Gräben, durch die ich mich jetzt winde,
-<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a>
-gegen die sogenannte Trichterstellung, warf er drei
-Divisionen. Er faßt Fuß, aber eine Stunde später fliegt
-er wieder hinaus. Der Angriff war furchtbar, er wurde
-trotz der Übermacht abgewiesen. So geht es nicht.
-</p>
-
-<p>
-Er versucht es von neuem. Er versucht es ohne
-Artillerievorbereitung. Er will uns überraschen. Seine
-Sturmkolonnen fluten heran. Aber die Grauen sind
-auf dem Posten! Innerhalb von 30 Sekunden (dreißig
-Sekunden) legt unsere Artillerie einen Feuerriegel vor
-die Gräben, daß den Engländern Hören und Sehen
-vergeht. Sie müssen zurück, ungeheuer sind ihre Verluste.
-</p>
-
-<p>
-Es ging auch so nicht. Nicht einen Meter haben sie
-gewonnen.
-</p>
-
-<p>
-Sie haben genug, sie haben den Franzosen gezeigt,
-daß sie es ernst meinten – aber es ging nicht. Sie
-geben es auf. Aber sie werden die Gräben von Givenchy
-und <a id="corr-6"></a>Festubert nicht vergessen. –
-</p>
-
-<p>
-Nun liegen sie in den Massengräbern, die unsere Grauen
-schaufelten, und verwesen. Hier sind einige Wassertümpel
-voll einer gelben dicken Jauche, und auch diese
-Tümpel strömen denselben furchtbaren Gestank aus.
-Niemand wagt zu denken, wie es da unten aussieht! –
-Unsere Grauen aber frühstücken, schneiden Fleisch aus den
-Büchsen und schmieren sich dicke Butterbrote. An alles
-gewöhnt sich der Mensch.
-</p>
-
-<p>
-Wir überschreiten auf einer Planke die gelbe Tümpelkette.
-Hier gibt es keine Deckung, und so rasch es geht
-huschen wir hinüber. Einer hinter dem andern. Aber
-die Schufte haben uns doch gesehen. Ein paar Minuten
-<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a>
-sind wir in der Sappe unterwegs, da weint es in der
-Luft und die Granate schlägt krachend ein. Wir machen
-uns aus dem Staub. Granate um Granate segelt
-daher. Vorsichtig lugen wir aus dem Graben und sehen
-die Einschläge rauchen. Weitab! Aber plötzlich kommen
-sie wieder näher und schließlich müssen wir die Beine
-strecken. –
-</p>
-
-<p>
-Punkt fünf Uhr dreißig Minuten, auf die Sekunde,
-nehmen die 21er das Feuer auf. Die Granate winselt hoch
-über uns durch die Luft. Drei Sekunden Stille, dann ein
-Krachen, als stürze ein Haus aus Eisen zusammen. Der
-Boden bebt unter unsern Füßen. Schon kommt die
-nächste Granate angeweint. Sie braucht eine unendlich
-lange Zeit, bis sie ihre Bahn durchfegt. Einschlag auf
-Einschlag! Es ist wie ein schweres Gewitter mit harten
-Donnerschlägen. Der Engländer antwortet. Er sucht
-aufgeregt und wütend unsere Haubitzen. Geradeaus,
-am Horizont, stehen die Rauchfahnen seiner Granaten,
-schwarz und schiefergrau.
-</p>
-
-<p>
-Wir sitzen im Bataillonsunterstand und trinken Kaffee.
-Die Granaten weinen über uns hin. Die schweren Geschütze
-erschüttern die Luft mit ihrem Gebrumm.
-</p>
-
-<p>
-„Fragen Sie telephonisch an, wie es steht.“
-</p>
-
-<p>
-Das Telephon tutet. Von den Gräben kommt die
-Antwort zurück: „Der Erfolg ist überraschend günstig.“
-</p>
-
-<p>
-Es ist ein Morgen wie jeder andere. Ein Duell zwischen
-ein paar Batterien, nichts sonst. Die Berichte bringen
-nicht eine Silbe darüber.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DICKELUFT">
-<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a>
-„Dicke Luft“
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im August
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">I</span><span class="postfirstchar">n</span> den Argonnen riecht es nach Chlor, in den Gräben
-nach Verwesung und schrecklichen Dingen, aber hier
-außen, in der Gegend von La Bassée – ist es nicht
-sonderbar? – duftet es wohlriechend wie in den Gemächern
-einer verwöhnten Dame. Es riecht nach Parfüm,
-nach Flieder, Veilchen und anderen schönen Dingen.
-Seit dem Herbst liegt dieser zarte Parfümgeruch über
-dem Lande, einmal schwächer, einmal stärker, je nach
-dem Winde. Dieser Duft stammt von den Parfümfabriken
-in Illies, die im Herbst zerstört wurden.
-</p>
-
-<p>
-Das ist aber auch alles, was aus einer Zeit herrührt,
-da man noch an eine Verschönerung des Daseins dachte.
-Heute handelt es sich für Millionen darum, das Leben
-zu retten, das nackte Leben ohne alle Zusätze.
-</p>
-
-<p>
-Die ganze Gegend bei La Bassée ist jammervoll.
-Leer, elend. Gräber, Granattrichter, zersplitterte Bäume.
-Die Felder verkommen und verwildert. Wo sind die
-Menschen? Sie sind längst geflohen vor den englischen
-Granaten! Sie wurden zerrissen in ihren Bauernbetten,
-die Granate zerschmetterte sie, während sie
-Futter für ihre Ziege holten. So blieb ihnen nichts
-anderes übrig, den Unglücklichen, die sich verzweifelt
-an ihre Scholle klammerten. Sie hielten es wochenlang,
-monatelang aus. Im Herbst sah ich oben bei Illies in
-einem Dorf eine alte Frau vor ihrem Häuschen sitzen
-und Kartoffeln schälen, während das Dorf (ich glaube
-Herlies) unter schwerem Feuer lag. Es gab bleiche Gesichter
-unter den Soldaten, aber die Alte schälte inmitten
-<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a>
-des Geschützgewitters ihre Kartoffeln ruhig und gleichmütig,
-und zu ihren Füßen spielte ein sechsjähriges
-Mädchen. Sie wollte lieber sterben, als das Stück Erde
-verlassen, das sie seit sechzig Jahren bewohnte. Viele
-starben so. Dorf um Dorf beschoß der Engländer;
-um einen Soldaten zu töten, tötete er drei Franzosen,
-aber es waren ja keine Engländer, auf die er feuerte.
-Die Dörfer leerten sich, eines ums andere, und heute
-sind sie ausgestorben.
-</p>
-
-<p>
-Dörfer, Städtchen, Weiler und Gehöfte, wie mit
-einem großen Hammer zerschlagen sehen sie aus. Sie
-sinken zusammen, täglich etwas mehr, die Granate frißt
-sie auf. Sie sind nur noch Gespenster und Gerippe von
-Wohnstätten, aber der Engländer funkt täglich in die
-Ruinen, bald wird keine Mauer mehr stehen. Es ist ein
-billiges Vergnügen und kostet ihn keinen Pfennig.
-Sind es etwa seine Dörfer und Häuser? <span class="antiqua" lang="en">Oh, by Jove, no!</span>
-Er wird eines Tages seine Kanonen zusammenpacken und
-nach Hause fahren, und der Franzose kann bezahlen.
-Man soll ihm nicht nachsagen können, er habe nicht gearbeitet.
-Von der Nordsee bis südlich La Bassée hat er
-alles kurz und klein geschossen. –
-</p>
-
-<p>
-Die Sonne blendet durch die zerfetzten, zerfallenen
-Häuser. Kein Mensch weit und breit. Granatlöcher
-größten Formats, viele ganz frisch. Ein zertrümmerter
-Wagen. Die Granate packte ihn und warf ihn ins Feld.
-Ein Schild: Violaines. Das Dorf ist ein Grab, mich
-fröstelt trotz der heißen Sonne.
-</p>
-
-<p>
-Wir verlassen die Straße und wandern querfeldein, um
-nach La Bassée zurückzukehren. Die Geschütze brummen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a>
-Plötzlich weint es böse in der Luft, eine, zwei Sekunden,
-und mit lautem, hartem Krach schlägt die Granate in das
-letzte Haus von Violaines, das wir soeben verlassen
-haben. Die Dachziegel fliegen durch die Luft wie ein aufgescheuchter
-Taubenschwarm, und schwarz wälzt sich die
-Wolke aus dem Hause. Wir sehen einander an. Was
-nun? Wieder schlägt dumpf ein Geschütz. Wir horchen.
-Schon kommt sie näher, sie weint und klagt, mit hoher
-Stimme, krach! Panzerplatten, die gegeneinanderschlagen.
-Grauschwarz, mit böse gekräuselten Rändern,
-wie Hagelwolken sie haben, brodelt die Wolke empor.
-Es sind schwere Schiffsgeschütze, Kaliber 28. Nun
-machen sie Ernst! Das Geschütz schlägt, unser Geschütz,
-wir kennen nun seine Stimme.
-</p>
-
-<p>
-Wir schwingen die Beine. Aber sobald die Granate
-da oben weint und winselt, bleiben wir stehen und
-horchen. Qualm wirbelt aus einer Scheune in die grelle
-Sonne. Der nächste Einschlag ist gottlob ferner. Ein
-schwefelgelber Rauchklumpen, der braungelb verweht,
-liegt im Felde und reckt sich. Eine Schwefelgranate.
-Das Feuer zieht sich nach La Bassée hin. Dazwischen
-kracht es scharf und hart: ein Schrapnell. Es streckt seine
-grauweißen Fangarme gierig in die leere Luft. Wir
-stoßen auf eine Batterie, die im Feld eingegraben ist.
-</p>
-
-<p>
-Die Kanoniere, sechs an der Zahl, stehen hinter den
-Geschützen, die Arme verschränkt, in Hemdärmeln,
-lachend und vergnügt, als fingen sie 28er Schiffsgranaten
-mit der bloßen Hand auf. Sie haben nur
-eine kleine Mauer aus Sandsäcken aufgebaut, die
-ihnen den Rücken decken soll, wenn sie an den Geschützen
-<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a>
-arbeiten. Neugierig lassen sie uns herankommen. Sie
-stehen keineswegs in Deckung, sie stehen im freien Felde,
-wie es sich für einen Kanonier gehört.
-</p>
-
-<p>
-Meine Begleiter sind hohe Stabsoffiziere, aber das
-kümmert die Kanoniere wenig. Sie sind die Herren
-dieses Feldes, das ist offenbar, und es ist schon eine große
-Freundlichkeit, wenn sie uns passieren lassen.
-</p>
-
-<p>
-„Guten Morgen!“
-</p>
-
-<p>
-„Gut’ Morg’n!“
-</p>
-
-<p>
-Sie wackeln ein bißchen mit den Beinen, rücken die
-Stiefel zusammen und bringen die Hände flüchtig in
-die Gegend der Hosennaht. Große Umstände machen
-sie nicht mit uns. Offizier und Mann, sagen sie sich,
-hier außen ist das schon so ziemlich eine Sache.
-</p>
-
-<p>
-Es sind ganz prachtvolle Burschen. Kaltblütig und
-ruhig stehen sie hier, während ein paar hundert Meter
-entfernt die schweren Granaten einhauen und jederzeit
-eine Granate abschwenken kann.
-</p>
-
-<p>
-Ein langer, der größte von ihnen, blinzelt belustigt.
-„Dicke Luft!“ sagt er und freut sich. Die Mütze sitzt ihm
-keck auf dem Ohr, die nackten braunen Arme hat er über
-dem offenen Hemd verschränkt. „Dicke Luft,“ sagen die
-Grauen, wenn es etwas lebhaft zugeht.
-</p>
-
-<p>
-„Kann man quer durchs Feld nach La Bassée gehen?“
-</p>
-
-<p>
-„Das kann man schon!“ antwortet der Lange.
-</p>
-
-<p>
-„Übernehmen Sie die Garantie?“
-</p>
-
-<p>
-„Jawohl, die übernehme ich. Aber bleiben Sie bei
-der Fabrik dort nicht stehen. Da schießt er immer hin!“
-Keck und forsch ist der Lange. Seine Kameraden sollen
-sehen, daß er nicht gleich die Fassung verliert, wenn
-<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a>
-ein paar Stabsoffiziere kommen. Das wäre noch
-schöner.
-</p>
-
-<p>
-Wir sind keine zwanzig Schritt gegangen, da ruft uns
-der Lange nach: „Immer ein bißchen fix, sonst garantiere
-ich für nichts.“ Sie lachen. Ich drehe mich um und
-sehe, daß sie die Mäuler vor Vergnügen aufreißen. Es
-amüsiert sie, daß wir durch die „dicke Luft“ hindurch
-müssen, während sie es so behaglich bei ihrem Dutzend
-Sandsäcken haben. Kleiner und dünner werden sie im
-Feld, aber ihre roten Gesichter sind immer noch auf uns
-gerichtet. Sie wollen sehen, wie wir hinüberkommen.
-</p>
-
-<p>
-Die Granate singt und pfeift, hoch oben, und schlägt
-links in die Fabrik. Hat er es nicht gesagt, der Tausendsasa?
-Rechts liegt das Feuer auf La Bassée und links
-auf der Fabrik. In der Mitte müssen wir hindurch,
-denn wir haben unser Auto in La Bassée eingestellt.
-Die englischen Granaten haben eine unserer Batterien
-aufgeweckt, und nun kracht sie dazwischen. Fegt die
-Granate hinüber, herüber? Es ist schwer zu sagen.
-</p>
-
-<p>
-Das ist eine hübsche Sache geworden, alle Wetter!
-Wir gehen hintereinander und pflügen uns den Weg
-durch Kräuter und Stauden. Die Sonne brennt, und
-der Schweiß steht auf unseren Gesichtern. Alle paar
-Augenblicke müssen wir über Telephondraht klettern.
-Und wieder schlägt unser Geschütz. Wir hören es deutlich
-aus dem Brummen und Pochen in der Ferne heraus.
-Nun haben sie abgerissen und die zwei Zentner auf die
-Reise geschickt. Die Granate fegt ihre Bahn. Es dauert
-viele Sekunden, bis sie herankommt. Sie weint, sie
-klagt, als sei sie in der Klemme und nicht wir. Näher,
-<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a>
-immer näher. Was in der nächsten Sekunde geschehen
-wird, wissen wir nicht. Sie ist vorüber. Einschlag –
-dort!
-</p>
-
-<p>
-La Bassée kommt näher, ganz langsam.
-</p>
-
-<p>
-Es ist ein großer Unterschied, ob man selbst feuert
-und zusieht, wie etwas beschossen wird, oder ob man
-persönlich dabei engagiert ist, ohne Frage.
-</p>
-
-<p>
-Bei den ersten Häusern kommt eine Granate angewinselt,
-näher und näher, aber plötzlich ist sie wie weggeblasen.
-Ein Blindgänger.
-</p>
-
-<p>
-Nun, da sind wir. Wir atmen auf. Die Häuser geben
-ein Gefühl der Sicherheit. Gegen einen Volltreffer ist
-nichts zu machen, natürlich, aber gegen Splitter ist man
-immerhin einigermaßen gedeckt.
-</p>
-
-<p>
-Die erste Straße ist ganz leer. In der zweiten sehen
-ein paar Feldgraue gemütlich aus dem Fenster. Sie
-sind unbekümmert und sorglos wie die Kanoniere draußen
-im Felde. Ja, sonderbare Burschen sind diese Grauen,
-das muß man sagen!
-</p>
-
-<p>
-„Was macht ihr hier?“
-</p>
-
-<p>
-„Wache!“
-</p>
-
-<p>
-Sie rauchen und haben es sich in der Stube behaglich
-gemacht. Daß ein bißchen geschossen wird, das kümmert
-sie nicht. Stürzt das Haus zusammen, so ziehen sie eine
-Tür weiter.
-</p>
-
-<p>
-In der leeren Straße will ein Fuhrwerk umwenden.
-Es ist mit zwei starken Pferden bespannt, und die Stränge
-sind in Unordnung gekommen. Vor, zurück, die schweren
-Pferde drängen gegen die Deichsel. Ärgerlich steigt der
-Fahrer vom Bock, und Mann und Kutscher fluchen. Es
-<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a>
-ist schließlich kein Vergnügen, in einer Stadt, die unter
-Feuer ist, stecken zu bleiben. –
-</p>
-
-<p>
-An den Hauswänden der toten, zerfetzten Stadt
-wandern wir entlang, und sobald die Granate pfeift,
-nehmen wir Deckung.
-</p>
-
-<p>
-Auto. Wir fegen mit Vollgas davon.
-</p>
-
-<p>
-Lebe wohl, La Bassée!
-</p>
-
-<p>
-Es passieren aber doch die sonderbarsten Dinge! An
-einer Wegkreuzung halten wir. Ein General, hoch zu
-Roß, kommt des Weges. Exzellenz befinden sich auf dem
-Morgenritt.
-</p>
-
-<p>
-„Geht es hier nach La Bassée?“ fragt der General.
-</p>
-
-<p>
-„Jawohl, Exzellenz.“
-</p>
-
-<p>
-Der General reitet weiter. Wir sehen einander verblüfft
-an. Nun, Exzellenz werden heute wohl den
-Morgenritt abkürzen!
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DERHERRDERHAUBITZEN">
-Der Herr der Haubitzen
-</h2>
-
-</div>
-
-<p class="date">
-Im September
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">raußen</span> in den Gräben von La Bassée und Violaines
-hörte ich plötzlich seinen Namen wieder. Von einer
-berühmten Batterie war die Rede. Als die Engländer
-einen Überfall ohne Artillerievorbereitung ausführen
-wollten, legte die Batterie innerhalb von dreißig Sekunden
-ein Höllenfeuer vor unsere Drähte, der Überfall
-brach kläglich zusammen. Dreißig Sekunden nach dem
-telephonischen Anruf krachte der erste Schuß! Ich verstehe
-nichts von Artillerie, aber ich begreife, daß es etwas
-ganz Unerhörtes ist. Laden, richten, Schuß! Und darauf
-<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a>
-Wirbelfeuer. Überhaupt diese Batterie! Man brauchte
-nur anzuklingeln und hatte die Granaten gerade da,
-wo man sie haben wollte, Tag und Nacht, es war ganz
-einerlei. Die Offiziere priesen die Batterie, ein Kanonengenie,
-Hauptmann H. heißt er.
-</p>
-
-<p>
-Ich kenne ihn. Plötzlich erinnerte ich mich auch, daß
-er, der mich durch sein ganzes Wesen bestach, so daß ich
-ihn nicht mehr vergessen werde, daß er mir sagte, er
-stehe gegenwärtig bei Violaines. Seht an, er war es
-also!
-</p>
-
-<p>
-Ich fuhr mit ihm im Zuge, und er erzählte. Er fuhr in
-Urlaub, seit Kriegsbeginn zum erstenmal. Er hatte
-Glück, es gab viel Arbeit, und eigentlich war es gerade
-jetzt unmöglich abzukommen, aber er hatte, wie gesagt,
-Glück. Er hatte keine Batterie mehr, und aus diesem
-Grunde konnte er nach Hause fahren. Auf ein paar Tage.
-</p>
-
-<p>
-Keine Batterie mehr?
-</p>
-
-<p>
-Ja, sie hatten ihm ein paar Geschütze kaputt geschossen
-in den letzten Tagen, schweres Kaliber, englische Schiffsgeschütze,
-und das übrige Zeug, das er hatte, war total
-ausgeschossen. Das Dreifache, Vierfache hatte er gefeuert,
-was man normalerweise einem Rohr zumuten
-dürfe, in Friedenszeiten, aber schließlich sei es eben doch
-mit den Rohren zu Ende gegangen. Nun also müsse er
-neue Geschütze haben, denn es ginge einfach nicht mehr,
-und diesem Umstand verdanke er seinen Urlaub.
-</p>
-
-<p>
-Er trauerte seinen Geschützen nicht nach! Er war in
-bester Laune.
-</p>
-
-<p>
-Mein lieber Hauptmann, denke ich mir, Sie haben
-Ihre Batterie verloren und sind nicht im geringsten
-<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a>
-niedergeschlagen? Am Ende verstehen Sie Ihre Sache
-doch nicht recht?
-</p>
-
-<p>
-Aber es war ihm ganz einerlei, was ich dachte. Er
-war seiner Sache sicher und guter Dinge.
-</p>
-
-<p>
-Übrigens sah ich außen an der Front nie einen Offizier,
-der so viele Auszeichnungen trug. Alle Knopflöcher hatte
-er voll und das Eiserne Erster auf der Brust. Das
-machte mich immerhin stutzig. Denn er war sehr jung,
-kaum fünfunddreißig. Er sah gut aus und war von
-jener seltenen Männlichkeit, die es sich leisten kann, anmutig
-und liebenswürdig zu sein, ohne feminin zu
-wirken. Er glich Theodor Körner, er war schön. Einmal
-nahm er die Mütze ab, und da sah ich, daß er hellblondes
-Haar hatte, das sich in Locken legte wie bei Knaben.
-Seine Augen waren hellblau und heiter.
-</p>
-
-<p>
-Und doch war er (wie ich später erfuhr!) der berühmte
-Batteriechef H. – Trommelfeuer in dreißig
-Sekunden, auf telephonischen Anruf, usw.
-</p>
-
-<p>
-Er sprach sehr laut, er schrie, wie Leute, die immer in
-freier Luft leben und ein lärmendes Handwerk betreiben.
-</p>
-
-<p>
-Er erzählte hundert Dinge im Gespräch durcheinander,
-aber was ihn als Batteriechef beleuchtet, das will
-ich hier wiedergeben.
-</p>
-
-<p>
-Er war an vielen Stellen der Front während des
-Krieges. Wo es besonders heiß herging, da war er dabei.
-Zeitweise war er eine reisende Batterie, die Gastspiele
-gab. In den schweren Tagen von Ypern wurde er hinauf
-in die Gegend von Langemark geworfen. Es ging
-toll zu, und er mußte augenblicklich eingreifen. Er fuhr
-auf und feuerte los! Ja, seine Kanoniere, was sind das
-<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a>
-für Burschen! Ehe man sich umdreht, versinken die Geschütze
-in der Erde, eins, zwei und weg sind sie! Sie
-werden eingebaut, daß sie sich nach dem Schuß kaum
-regen, und das neue Einstellen geht blitzschnell. Das
-alles machen sie, ohne daß er ein Wort zu sagen hätte,
-sie verstehen es viel besser, als er es je verstehen könnte,
-es ist gar nicht zu sagen, was sie im Laufe des Krieges
-gelernt haben. Es sind Kerle! Richten also ist kaum mehr
-nötig nach dem Schuß. Ja, Donnerwetter, was für
-Richtkanoniere er aber auch hat. Und dann geht es los,
-wie gesagt. Granate eingeschoben, Verschlußstück zugeschraubt,
-ausgerichtet und Schuß! Sie haben die
-Sache nun heraus. Die Granaten wandern blitzschnell
-über Arme und Hände, es ist richtiges Schnellfeuer,
-und niemand hielt es früher für möglich, so rasch zu
-feuern, dreimal rascher als zu Anfang des Krieges;
-einfach unglaublich. Rasch, immer rasch! Sie kümmern
-sich Tod und Teufel um die Granaten, die herüberkommen,
-sie feuern.
-</p>
-
-<p>
-Ja, bei Langemark, alle Achtung, da wurden sie schon
-nach einer halben Stunde zugedeckt. Es wimmelte von
-Fliegern in der Luft. Abrücken! Im Feuer! Ein Geschütz
-geht zum Teufel, ein paar Leute bekommen etwas
-ab und zwei Pferde bleiben liegen. Weiter!
-</p>
-
-<p>
-An anderer Stelle haben sie mehr Glück. Sie feuern,
-bis sie umfallen. Befehl, abends: da- und dorthin.
-Verladen in der Nacht, am nächsten Morgen sind sie
-schon wieder in Stellung. Hier steht Rad an Rad, die
-guten Plätze sind besetzt, Flieger oben, schon sind sie entdeckt.
-Abrücken. Strahlenförmig spritzen die Geschütze
-<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a>
-mitten im Feuer übers Feld. Doch nichts geschieht.
-Haha, ja es war wirklich eine tolle Geschichte.
-</p>
-
-<p>
-Nun haben sie es aber gut getroffen. Sie liegen ein
-paar Wochen unentdeckt. Hundert Meter von der Batterie
-steht ein zerschossenes Gehöft, und so oft ein Flieger erscheint,
-machen sie Rauch in dem Gehöft, und die Engländer
-feuern wütend in die Ruine. Am Abend und in
-der Nacht lassen sie einen Feuerstrahl aus dem Gehöft
-fahren, bei jedem Schuß, den sie abgeben, und der Engländer
-schießt das Gemäuer in Grund und Boden.
-Und die Kanoniere lachen, es macht ihnen heidenmäßigen
-Spaß. Wochenlang denselben Scherz, sie
-lachen bei jeder Granate, die in das Gehöft fährt, denn
-sie haben Sinn für Komik. Überhaupt, was für Leute!
-</p>
-
-<p>
-Der Hauptmann rückt begeistert die Mütze über das
-blonde Haar.
-</p>
-
-<p>
-Dann kamen sie zur Lorettoschlacht in eine ganz
-windige Ecke. Später nach La Bassée hinauf. Im Herbst
-waren sie in Lothringen. Vom ersten Tage waren sie
-dabei. Er, der Hauptmann, fast täglich vorn in den
-Gräben zur Beobachtung. Fesselballon, Flugzeug. In
-Lothringen, seinerzeit, gelang ihm eine glänzende Sache.
-Es kamen da plötzlich ganz schwere Dinger auf die Gräben
-geflogen. Alle Welt staunte, was war das? Flieger
-gingen hoch. Nichts zu finden. Der Franzose mußte
-ein außergewöhnlich weittragendes Geschütz aufgestellt
-haben. Aus den Gräben kam die Meldung, daß man
-die Granaten kurz vor dem Aufschlag ankommen sehe.
-Sofort ist der Hauptmann draußen. Es gehören Nerven
-dazu, den Kopf gerade in dem Augenblick aus dem Graben
-<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a>
-zu stecken, da so ein „alter Herr“ ankommt und einschlägt.
-Erst zuckt der Hauptmann zurück, aber es muß
-sein. Jawohl, man sieht sie kommen. Er schneidet die
-Kurve an, berechnet und findet auf diese Weise ungefähr
-Richtung und Standort. Flugzeug! Immer höher
-und weiter. Nichts regt sich, aber in der Nähe des berechneten
-Standortes kommt dem Hauptmann ein
-Wäldchen verdächtig vor. Dahin dirigiert er das Feuer
-seiner Haubitzen. Am andern Morgen fliegt er wieder
-darüber: das Wäldchen ist zerschossen. Das weittragende
-Geschütz ist seither verstummt.
-</p>
-
-<p>
-Und so geht es weiter. Haubitzen, Granaten, Beobachtungsstände,
-Sprengstoffe, Flugzeuge, Trommelfeuer.
-Die helle Stimme des frischen, jungen Hauptmanns
-mit den vielen Bändern klingt und schmettert.
-Die Batterie, ja, er liebt seine Batterie, er liebt es,
-darauf loszufeuern, er liebt seine Leute. In acht Tagen
-wird er ganz neue Geschütze haben, dann kann es wieder
-losgehen. Zwölf Monate lang macht er die Sache schon
-mit, zwölf Monate ohne Unterbrechung lacht er dem
-Tod ins Gesicht. Seine Kanoniere fielen, seine Kameraden
-sanken in die Erde, Tausende von Feinden hat er
-vernichtet, er, der Herr der Haubitzen. Ich suche in seinem
-jungen Gesicht nach irgendeinem kleinen Zug von Ermüdung,
-Nervosität, Leid – nicht eine Spur ist zu
-finden. Hut ab vor dem Hauptmann!
-</p>
-
-<p>
-Neulich aber wäre es ihm bald übel gegangen. Er
-hatte sich da seinen Beobachtungsstand in ein zerschossenes
-Haus aufs Dach gebaut, plötzlich kam eine
-Granate und schlug ausgerechnet in das Haus. Im
-<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a>
-nächsten Augenblick stürzten sie, sein Unteroffizier und er,
-mit Balken und Brettern vom Dachfirst in das Erdgeschoß
-hinab. Sie fielen durch eine rote qualmende
-Wolke und waren ein paar Minuten betäubt. Nichts
-geschehen, ein paar Schrammen, das war alles. Der
-Unteroffizier aber sagt: „Ich muß hinauf, Herr Hauptmann
-und den Batterieplan holen!“ –
-</p>
-
-<p>
-Der Hauptmann lacht. Ein kerniges und gewinnendes
-Lachen.
-</p>
-
-<p>
-„Hat er ihn geholt?“
-</p>
-
-<p>
-„Natürlich! Das ist ja ein prachtvoller Kerl, dieser
-Unteroffizier, den sollten Sie kennen – haha!“
-</p>
-
-<p>
-Ich steige aus. Der Hauptmann fährt weiter. Morgen
-nachmittag um sieben Uhr wird er in Starnberg sein, bei
-seiner Frau. Sie weiß nicht, daß er kommt. Er will sie
-überraschen.
-</p>
-
-<p>
-Wie eine Granate kommt er aus La Bassée in das
-stille Haus am Starnberger See geflogen.
-</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="chapter" id="DERSIEGREICHEANGRIFFINDENARGONNENAM8SEPTEMBER">
-Der siegreiche Angriff in den Argonnen
-am 8. September
-</h2>
-
-</div>
-
-<h3 class="section" id="N1">
-1
-</h3>
-
-<p class="date">
-10. September
-</p>
-
-<p class="first">
-<span class="firstchar">A</span><span class="postfirstchar">m</span> Vorabend des Kampfes erlebe ich den Angriff
-in allen seinen Phasen auf der Karte. Ich bin Gast bei
-Exzellenz, dem Kommandierenden, und seine Offiziere
-erklären mir die geplanten Operationen. Sie sprechen
-sachlich und klar, mit der Ruhe von Leuten, die ihrer
-<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a>
-Sache sicher sind. Weiß zieht und gewinnt, matt in drei
-Zügen. Auf dem Papier sieht es aus wie eine Schachpartie,
-aber nur auf dem Papier. Unsere Figuren sind
-aus Fleisch und Blut, und Regeln und Gesetze gibt es
-in dieser blutigen Partie nur so lange, als man die Kraft
-hat, sie dem Gegner vorzuschreiben.
-</p>
-
-<p>
-Aus den Argonnen dröhnt dumpf Geschützdonner,
-aber es ist das normale Abendfeuer, und niemand hört
-es mehr, so sehr sind sie daran gewöhnt. Die Karte liegt
-auf dem Tisch unter der elektrischen Lampe, und mein
-Instruktor, der Jäger, treibt mit den feinen gepflegten
-Händen die Regimenter vor bis zur Linie, die sie erreichen
-sollen. Er läßt die im Wald und in den Bergkuppen
-stehenden Batterien feuern, die Minenwerfer, er trommelt
-die feindlichen Gräben ein, umgeht, flankiert starke
-Stellungen. Ich sehe den ganzen Sturm vor Augen.
-</p>
-
-<p>
-Das Telephon klingelt. Herr Major. „Jawohl, die
-und die Batterie feuert soundsoviel Schüsse, zu der und
-der Zeit. Das ist das Zeichen, jawohl. Guten Abend!“
-Trotz aller Ruhe schwingt eine leise Erregung im Hause.
-In den Argonnen bin ich nicht mehr fremd. Ich finde
-mich auf der Karte leicht zurecht, ich kenne zum Teil das
-Terrain und unsere Stellungen. Hier ist Four de Paris,
-nahe am Tal der Biesme. Die Gräben klettern von hier
-aus über die Hubertushöhe. Dann werden sie unterbrochen
-von der Schlucht des Charmesbaches, setzen sich
-fort über die Höhe, die den sonderbaren Namen Eselsnase
-trägt, bis hinüber zur Houyettemulde. Zum großen
-Teil sind dies die Stellungen, die die Argonnenleute
-dem Feinde im Juni und in den ersten Tagen des Juli
-<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a>
-wegnahmen. Jene Barre aus Stacheldraht, Maschinengewehren
-und Minenstollen, die sich Cimetière, Bagatelle,
-Grüner Graben, nannte.
-</p>
-
-<p>
-In diese Stellung hinein ragt bogenförmig ein neues
-starkes französisches Werk, eine Festung aus Stollen,
-spanischen Reitern, Drahtbarren, Minengängen, Schluchten
-und Blockhäusern und unterirdischen Forts, eine
-Festung, aus der der Tod in hunderttausendfältiger
-Gestalt springt, wenn man sich ihr nähert: das Werk
-Marie-Thérèse.
-</p>
-
-<p>
-Morgen soll es in unserer Hand sein. Morgen Punkt
-acht Uhr werden die Batterien einen Hagel von Eisen
-auf das Werk werfen, sie werden es in Stücke zerreißen,
-morgen um elf Uhr werden wir es stürmen!
-</p>
-
-<p>
-Ob ich alles verstanden habe? Jawohl, alles. Nichts
-ist einfacher, klarer. Nichts ist verwickelter und unverständlicher.
-Es ist ein Schachspiel, in dem der Zufall eine
-mächtige Rolle spielt. So scheint es mir. Der Jäger
-zu Pferd telephoniert an die verschiedenen Stellen, die
-Uhren müssen genau gerichtet werden. Ein paar Minuten
-Differenz können zum Verhängnis werden. Jede Kleinigkeit
-ist besprochen, alle Vorbereitungen sind bis in die
-kleinsten Details getroffen. Minenstollen, Munition,
-Handgranaten, Gasmasken, Granaten, Wasser, Nahrungsmittel.
-Jede Kompanie weiß genau, was sie zu
-tun hat, jeder Zug, jeder Pioniertrupp, jeder einzelne
-Mann. Sobald er den Fuß aus dem Graben setzt,
-folgt er einer Reihe genau gegebener Befehle, – wenn
-er nicht fällt. Was moderne Kriegskunst vermag, ist
-geschehen. Der Angriff ist schon gelungen, Marie-Thérèse
-<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a>
-gehört in Wahrheit schon uns, – obwohl noch
-kein Mann die Gräben verließ. So muß es sein.
-</p>
-
-<p>
-Wir begeben uns in den Gesellschaftsraum und sitzen
-in Sesseln um den Kamin. Vom Angriff wird nicht mehr
-gesprochen. Die Politik und ein schwarzgefleckter weißer
-Terrier treiben das Gespräch. Aber die Unterhaltung wird
-nie lebhaft und laut. Das Telephon klingelt häufig.
-Frühzeitig geht man zur Ruhe.
-</p>
-
-<p>
-In meiner Dachkammer habe ich Muße nachzudenken.
-Dann und wann schlägt im Walde dumpf ein Geschütz.
-Es grollt in der Nacht und poltert irgendwo in der Ferne.
-Unsere Grauen, die jetzt in den Gräben draußen im
-Walde liegen, sie wissen es ganz genau. Sie wissen, daß
-er auf unser Feuer antworten wird, und um elf Uhr,
-Punkt elf Uhr, werden sie aus dem Graben klettern.
-Sie bereiten sich vor auf den Sturm, so und so. Viele
-Herzen schlagen rascher, und viele schlafen heute nicht in
-ihrem Lehmloch. Wenn sie den Kopf über den Graben
-strecken, so pfeift der Tod daher, springen sie in die
-feindliche Sappe, so kann es sein, daß sie dem Tod in die
-Arme springen. Offizier und Mann, sie wissen nicht, wie
-es morgen abend sein wird. Sie sind Soldaten und sie
-kämpfen. Marie-Thérèse ist alles, nicht ihre eigene
-Person!
-</p>
-
-<p>
-Aber sie, drüben in Marie-Thérèse, sie wissen nichts,
-sie ahnen nichts. Nun, so schlafen sie wenigstens noch
-diese eine Nacht ohne Qual. Marie-Thérèse ist vieler
-Grab, morgen um diese Zeit. Der Jäger zu Pferde
-rechnet nicht mit dem Zufall. Wie aber, wenn der Franzose
-heute nacht angriffe? Wenn er in einem Nachbarabschnitt
-<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a>
-morgen im Morgengrauen vorginge? Aus
-dem Wald grollt das Rollen eines schweren Geschützes.
-Es feuert fast ohne Pause. Ich horche. Beginnt es zu
-trommeln? Nein, es ist ein Bursche, der nebenan in der
-Bodenkammer schnarcht. Übrigens soll ich morgen um
-vier Uhr hinaus in die vordersten Gräben der Eselsnase,
-um mir das Werk Marie-Thérèse in der Nähe zu betrachten.
-</p>
-
-<h3 class="section" id="N2">
-2
-</h3>
-
-<p class="noindent">
-Um vier Uhr morgens ist es bitterkalt in den Argonnen.
-Wir fahren, in unsere Mäntel eingehüllt, in
-die stockschwarze Nacht hinein. Die Sterne glitzern groß
-und kalt wie im Winter. Ich bekomme einen bitteren
-Geschmack im Mund, wenn ich die Sterne betrachte.
-Es ist keine Zeit für die Sterne. Wir sind in die Erde
-gesunken, ohne jeden Zweifel und haben keine Zeit mehr,
-die Sterne zu betrachten. Geschütze schlagen dumpf.
-Auch in der Nacht muß hier gearbeitet werden. Das
-Feuer ist normal, mit Befriedigung stellen wir es fest.
-Er hat nichts gemerkt, er bereitet nicht an irgendeiner
-anderen Stelle etwas vor. Ein zerschossenes Dorf. Im
-Wald wird die Straße morastig. Es hat hier seit acht
-Tagen nicht geregnet, aber die Straßen sind zerweicht,
-und das Auto rutscht wie ein Schlitten durch den Schmutz.
-Ein Fuhrwerk begegnet uns, wir biegen aus, kommen
-ins Schlingern, der Chauffeur geht auf den zweiten
-Gang, und wir mahlen uns aus dem Dreck. Hier gibt es
-Löcher und Granattrichter, so daß wir nur langsam
-vorwärts kommen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a>
-Wir durchqueren den Wald, die schwarzen Bäume
-rauschen, die Sterne blitzen durch die Wipfel, es ist schön,
-trotz des schlechten Weges. Ein zerschossenes Dorf.
-Menschen tauchen auf. Eine Sanitätskolonne in Marschbereitschaft.
-Sind sie jetzt schon auf den Beinen? Die
-Leute in den Gräben da oben sind noch gesund und
-munter, aber hier stehen schon die Leute, im grauen
-Morgen, die sie verbinden sollen. Wir löschen die Lampen.
-Wieder ein zerschossenes Dorf. Wir gehen zu Fuß
-weiter. Es wird langsam Tag. Nebelgestalten huschen
-an der Wegseite, Feldküchen, Krankenträger, Reserven.
-Wir steigen bergan. Ein Weg, der gangbar gemacht
-wurde dadurch, daß man Baumstamm an Baumstamm
-reihte. Das Holz der Stämme ist abgeschabt und zermahlen
-durch die vielen Räder und Stiefel, die hier bergan
-und bergab gingen. Der Wald wird plötzlich lichter.
-Es wird Tag. Die Schlucht erweitert sich, und vor uns
-liegt eine zerschossene kahle Bergkuppe. Wir steigen in die
-erste Zone ein. Die erste Zone, das sind die Gräben,
-um die im Winter gerungen wurde. Die hohen Bäume
-sind vernichtet, aber das Unterholz grünte wieder. Diese
-Zone hat das Aussehen eines Weinberges, einer Hopfenpflanzung.
-Gräben, Schutt, Granattrichter. Dann
-aber kommt die zweite Zone, der Berg selbst. Wie sieht
-er aus? Unnatürlich, ohne jeden Vergleich! Man denke
-sich einen wild erregten Ozean mit zornigen, dichtgedrängten
-Wellen, das wilde Meer bei Sturm. Aber
-dieses Meer ist aus Lehm und plötzlich in einer Sekunde
-erstarrt. Ich übertreibe nicht. So und nicht anders sieht
-der Berg aus.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a>
-Wogen, Zacken, Abgründe. Das erstarrte Meer wälzt
-sich gegen die Höhe. Dazwischen stehen Stumpen toter
-Bäume. Von Tausenden von Gewehrkugeln wurden
-sie durchlöchert, bis sie wie ein Sieb waren und ein Windstoß
-sie zu Boden warf. So sieht es hier aus, es ist das
-Trostloseste und Schrecklichste, was die Phantasie erdenken
-kann. Gräben, Sprengtrichter an Sprengtrichter,
-viele Meter tief und breit. Diese erstarrten Lehmwogen
-sind das Ergebnis der Kämpfe von vielen Monaten.
-Es riecht hier nach Leichen und schrecklichen Dingen.
-Teile menschlicher Körper ragen aus den Lehmkrusten,
-Tuchfetzen, zerschlagene Blechgeschirre liegen in den
-Löchern. Um jeden Granattrichter wurde hier gekämpft.
-Langsam, Schritt für Schritt, mußten unsere Truppen
-sich zur Höhe emporkämpfen. Sie standen bis an die
-Hüfte im Wasser. Es gibt hier einen Weg, der den
-Namen „Selbstmörderweg“ trägt. Ein Annäherungsgraben,
-der nur flach ausgehoben worden war, und den
-die feindlichen Maschinengewehre bestrichen. Die Leute
-wollten lieber das Leben riskieren, als ewig im Wasser
-waten! Tausende haben diese erstarrten Lehmwogen
-verschlungen, Freund wie Feind. Nun schweigen sie.
-</p>
-
-<p>
-Früher trug diese Wüstenei Namen: es sind die berühmten
-Werke Central, Cimetière, Bagatelle, die im
-Juni und Juli genommen wurden.
-</p>
-
-<p>
-Rot und dunstig steigt die Sonne über das tote Lehmmeer
-empor, das in seiner höchsten Wildheit erstarrte.
-Granaten winseln durch die Luft, Einschläge krachen.
-Ein schweres deutsches Geschütz schießt. Dumpf und
-fern klingt der Abschuß, als gehöre das Geschütz einem
-<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a>
-anderen Teil der Kampflinie an. Aber mächtig rauscht
-die Granate über uns dahin, und ein paar Sekunden
-später kracht der Berg. Drei Granaten feuert es herüber,
-dann schweigt es. Aber andere Geschütze schlagen. Eine
-Granate singt doppelstimmig durch die Luft, ein Querschläger.
-Das hört sich drollig an. Vereinzelte Gewehrkugeln
-summen über den Lehmberg dahin, ein Maschinengewehr
-bellt heiser. Plötzlich kommt eine ganze Horde
-feindlicher Granaten durch die Luft getrillert, eine hinter
-der anderen, in wahnsinniger Eile. Es kracht, daß die
-Erde zittert. Der Franzose schleudert Wurfminen.
-</p>
-
-<p>
-Es ist die gewöhnliche Morgenarbeit, ganz „normales“
-Feuer. Alles geht gut.
-</p>
-
-<p>
-Durch den Annäherungsgraben kommen die Leute
-aus den Feldküchen hinter uns her. Immer zwei tragen
-an einer Stange auf den Schultern einen schweren
-eisernen Kessel. „Bringt ihr Kaffee?“ – „Nein, Suppe,
-es muß heute früher gegessen werden.“ – Heute! Ja,
-heute ist ein besonderer Tag.
-</p>
-
-<p>
-Die Sonne scheint, zum erstenmal treffe ich im
-Argonnenwald schönes Wetter, aber die Grabenwände
-strömen eisige Kälte aus.
-</p>
-
-<p>
-In den Gräben auf der Eselsnase ist schon alles
-munter. Zuerst kommen wir zu den Württembergern,
-dann zu den Reichsländern und Preußen. Draußen,
-fünfzig Meter, dreißig Meter entfernt liegt hinter einer
-Barre von Stacheldrähten das Werk Marie-Thérèse.
-Eine blaue Rauchmauer steht darüber, der Rauch von
-den Granaten und Minen der „Morgenarbeit“. Granaten
-winseln und schlagen ein. Die schweren feindlichen
-<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a>
-Wurfminen krachen wie Donnerschläge. Die Posten
-stehen am Gewehr, die Maschinengewehre lauern.
-Handgranaten, Minenwerfer mit Munition, alles ist
-bereit. Kupferdrähte führen hinaus in eine Sappe:
-um elf Uhr soll die Mine hochfliegen! Überall ist man
-geschäftig, in aller Ruhe, denn man hat Zeit. Ausfallstufen
-werden gegraben. Ernst und still sind die Leute,
-etwas stiller als sonst, denn sie wissen, was der Tag für
-sie bedeutet. Spricht man sie an, so reißen sie sich zusammen,
-entschlossen und kühn blicken ihre Augen.
-</p>
-
-<p>
-„Macht eure Sache gut, heute!“ – „An uns soll’s
-nicht fehlen! Heute hau’n wir sie wieder zusammen.“
-</p>
-
-<p>
-Sie machen auch Witze.
-</p>
-
-<p>
-Die Offiziere kriechen aus ihren Unterständen und begrüßen
-uns. Hauptleute, Leutnants. Sie sind zuversichtlich
-und frisch. Sie erteilen uns Ratschläge, Warnungen,
-<em>sie</em>! Ein paar böse Ecken, wo sie Handgranaten
-schmeißen, Minen. Ach, und ein paar Stunden später
-waren einige der prächtigen Leute schon tot!
-</p>
-
-<p>
-Wir gehen weiter. Minen krachen wie einstürzende
-Häuser. Ein Grauer schaufelt; eine Mine hat ihm Erde
-in den Graben geworfen. Plötzlich ist der Graben zugeschüttet.
-Ein paar Leute graben. „Was gibt es?“ –
-„Unsere Offiziere sind eben verschüttet worden!“ –
-Mit Schaudern sah ich es, mit Schaudern spreche ich
-davon, aber es ist Krieg, das darf man nicht vergessen.
-Die Mine hatte den Graben vollkommen eingedeckt.
-Ein Armstumpen ohne Hand ragte aus der Erde. Um
-die Ecke – – nein! Neben mir kauerte mit angezogenen
-Knien ein Toter, sein Kopf hing auf die Brust herab.
-<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a>
-Er sah nicht aus wie ein toter Mensch. Über und über
-mit grauer Erde eingestäubt, Kopf, Gesicht und Kleider,
-erschien er wie die Statue eines Schläfers mit angezogenen
-Knien, die man ausgegraben hatte. Sie alle,
-zwei Offiziere und vier oder fünf Mann, waren gefallen
-vor dem Sturm beim alltäglichen Morgenkampf. Ehre
-euch und Ehre dir, kleiner grauer stiller Schläfer!
-</p>
-
-<p>
-„Achtung!“ Eine Mine kam durch die Luft und schlug
-hinter uns krachend ein. Der Jäger zu Pferd, dessen
-Augen so grün sind wie seine Uniform, prüfte, ob wir über
-den verschütteten Graben wegrutschen könnten. Aber es
-war unmöglich. Dreißig Meter querab lauerten die
-französischen Gewehre.
-</p>
-
-<p>
-Wir mußten zurück. Aber nun kamen die Minen,
-eine nach der anderen. Bald mußten wir rechts, bald
-links ausweichen. Eine schlug vor uns ein, das heißt
-nicht in den Graben, sondern draußen, ganz nahe, aber
-sie explodierte nicht. In solchen Momenten ist man ganz
-ruhig. Man zittert nicht, und das Herz schlägt nicht
-rascher. Man ist längst über die Zone der Angst hinaus.
-Man weiß, daß man vollkommen in der Hand des
-Schicksals ist, und damit fertig.
-</p>
-
-<p>
-Hoch oben durch das Blau des Himmels zieht die
-Wurfmine. Sie erscheint nicht größer als ein Habicht.
-Deutlich sind ihre Flügel, ihre Schwingen zu erkennen,
-die ihr den ruhigen Flug verleihen. Sie rast eilig dahin,
-in herrlicher Kurve, und sieht wundervoll aus. Wir
-stehen und folgen ihr mit den Blicken. Plötzlich sticht
-sie wie ein Habicht herab, wird mit jeder Sekunde größer,
-häßlicher und – gefährlicher. Achtung!
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a>
-Der Teufel hat diese Minen erfunden.
-</p>
-
-<p>
-Auf dem Heimweg in der Sappe begegnen wir wieder
-den Suppenträgern und zwängen uns an den Kesseln
-vorbei. Sobald sie den dumpfen, unscheinbaren Abschuß
-des Minenwerfers hören, lugen sie aus. Züge von Feldgrauen
-schieben sich an uns vorüber, Gewehre, Handgranaten,
-Gasmasken. Einzelne schleppen große Stahlschilde.
-Einer trägt auf dem Gewehr ein paar Feldpostpakete.
-Die Gräben werden aufgefüllt. Immer näher
-kommt die Stunde –
-</p>
-
-<p>
-Wir überqueren das erstarrte Meer aus Lehmwogen.
-Das Morgenfeuer wird ruhiger.
-</p>
-
-<p>
-Der Jäger zu Pferde zieht die Uhr.
-</p>
-
-<p>
-„Noch fünf Minuten!“
-</p>
-
-<p>
-In fünf Minuten ist es acht. Da soll es losgehen.
-</p>
-
-<h3 class="section" id="N3">
-3
-</h3>
-
-<p class="noindent">
-Punkt acht Uhr ging es los.
-</p>
-
-<p>
-Mit der Sekunde feuerte ein Geschütz schweren Kalibers,
-und die Argonnen krachten. Die Wälder horchten auf.
-Das schwere Geschütz gab eine Salve krachender Schüsse
-ab. Pause. Dann begann es von allen Seiten. Ja!
-Die Kanoniere standen schon überall bereit, glühend vor
-Kampfbegierde. Die Granaten steckten schon in den
-Rohren, die Geschütze waren gerichtet und nun rissen sie
-ab! Die Hölle tobte, krachte, lachte, rasselte. Es fauchte,
-zischte, heulte in der Luft, es pochte, stampfte, rumpelte
-und knurrte. Zuweilen klang es, als ob ein Riese, groß
-wie ein Berg, mit einem Hammer auf eine Stahlwand
-losschlage, wütend und betrunken. Die Kanoniere, ja
-<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a>
-diese Kanoniere mußten arbeiten wie verrückte Teufel!
-Die Granaten mußten von selbst in die heißen Rohre
-springen, eine hinter der andern, Schuß, laden, Schuß,
-laden. Der Schweiß läuft ihnen übers Gesicht, aber so
-lieben sie es. Immer hinaus, was die Rohre hergeben
-können.
-</p>
-
-<p>
-Links oben von mir, an meinem linken Ohr, feuert
-mit harten, zornigen Schlägen eine schwere Batterie,
-daß der Boden zittert. Die Geschosse rauschen und
-klirren durch die Luft wie ein Eisenbahnzug, der über
-eine Eisenbahnbrücke hämmert. Rechts oben, an meinem
-rechten Ohr, knallt eine Batterie, und die Granaten
-gehen mit einem Zischen hinaus, wie wenn eine Lokomotive
-mit Überdampf die Ventile löst. Dazu das
-Krachen und Knattern der Einschläge, das wir deutlich
-hören, denn wir sind ja nicht weit davon entfernt. Es
-ist ein Rauschen in der Luft, wie wenn ein Zug ein Tal,
-eine Schlucht passiert. Zuweilen kommen Schreie und
-Winseln von oben, wie wenn Menschen von Dämonen
-entführt würden und verzweifelt klagten.
-</p>
-
-<p>
-Das ist der Anfang. Drei Stunden, drei volle Stunden,
-bis elf Uhr, soll dieses Feuer dauern!
-</p>
-
-<p>
-Es ist nur die Eröffnung. Das Schachspiel, das mir
-der Jäger zu Pferde gestern abend auf dem Papier erklärte,
-es setzt sich in die Wirklichkeit um. Mudra spielt!
-Es ist die Eröffnung Mudras, und bei Gott, ich möchte
-nicht mit ihm diese Partie spielen!
-</p>
-
-<p>
-Ich sehe auf die Uhr. Es ist acht Uhr zwölf Minuten!
-</p>
-
-<p>
-Alles ist auf die Straße gelaufen, wenn man so sagen
-kann. Die Straße ist ein erbärmlicher Knüppelweg im
-<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a>
-Walde. Nebenan liegt der Verbandplatz. Ärzte, Krankenträger,
-Ordonnanzen, Feldbäcker und Chauffeure, alles
-steht auf der Straße, um sich das Feuer anzuhören und
-anzusehen, obschon es nichts zu sehen gibt. Es rauscht
-und schleift in der Luft, das ist alles. Alle sind in erregter
-und begeisterter Stimmung. (Niemand denkt an
-Marie-Thérèse!!) Ich weiß recht gut, daß eine Beethovensche
-Symphonie etwas anderes ist, aber das Feuer
-hat etwas Berauschendes an sich! Es ist die Musik feuerspeiender
-Berge und Urgewitter.
-</p>
-
-<p>
-Wie sieht es droben in den Gräben aus, von denen
-ich eben komme? Sie ducken sich hinter die Erdwälle, so
-furchtbar zischen die Granaten. Wie sieht es in Marie-Thérèse
-aus, das ich eben sah? Die blaue Rauchmauer
-ist ein dicker, gelbgrauer Wall geworden, und nichts
-Lebendiges ist zu sehen. Fontänen von Erde jagen in
-die Höhe.
-</p>
-
-<p>
-Es ist acht Uhr dreißig Minuten.
-</p>
-
-<p>
-Der Franzose antwortet. Er kommt nur langsam in
-Gang. Er feuert verwirrt. Es sind Granaten, die er
-gerade bei der Hand hat, es sind Batterien, die noch nicht
-– nach der Morgenarbeit – frühstücken gingen. Telephondrähte
-sind zerschossen. Die Batterien warten auf
-Befehl. Das ist eine elende Situation. Mudras Eröffnung
-war zu unregelmäßig. Erst acht Uhr dreißig
-Minuten kommt System in das französische Feuer.
-Nun rauschen seine Lagen herüber –
-</p>
-
-<p>
-Ein deutscher Flieger brummt über dem Wald.
-</p>
-
-<p>
-Neben dem Verbandplatz treffe ich den Divisionär,
-Exzellenz Graf v. Pf. Der Divisionär steht unter dem
-<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a>
-Schleifen und Rauschen der Granaten, gleichmütig und
-ruhig, als ob er zu Hause wäre. Und doch kann jeden
-Augenblick eine Granate hereinfegen, daß die Späne
-fliegen. Die Granate ist blind und hat keinen Respekt
-vor gestickten Kragen.
-</p>
-
-<p>
-„Es ist das Inferno!“ sagt der Divisionär gelassen,
-mit einem leisen Unterton von Verwunderung und
-Bedauern.
-</p>
-
-<p>
-Ja, in der Tat, trüge ich nicht ganz klare und festgefügte
-Vorstellungen aus einer Zeit des Friedens und
-einer Welt ohne Kanonen in mir, Vorstellungen, die
-die schwersten Kaliber nicht erschüttern können und die
-dieses grausige Völkergewitter meinem Bewußtsein als
-ein blutiges, aber vorübergehendes Kapitel einreihen,
-wäre es nicht so, sage ich, so würde ich jetzt kapitulieren
-und bekennen, daß diese Erde, auf der wir leben, schon
-die Hölle ist, von der die Pfarrer immer sprechen.
-</p>
-
-<p>
-Das Geschützgewitter kracht in den Bergen.
-</p>
-
-<p>
-„Nun wird er lebhaft,“ sagt der Divisionär in aller
-Ruhe, „es wird nicht lange dauern, da schießt er hierher.“
-</p>
-
-<p>
-Eine Granate saust über unsere Köpfe dahin wie eine
-blitzschnelle bösartige Riesenbremse, und auf der Waldhöhe,
-dicht gegenüber, steigt urplötzlich eine schwarze
-Riesenpinie aus Dreck und Rauch empor, höher als die
-höchsten Eichen. Eigentümlich, die schwarze Einschlagsäule
-stand schon im Wald, während das Ohr noch das
-Zischen des Geschosses aufnahm. Ein grauer Rauchklumpen
-zerstäubt zwischen den Bäumen. Dann kommen
-ein paar Granaten mit Brennzünder. Er tastet nach
-unseren Batterien.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a>
-„Na, was sagte ich!“ sagt der Divisionär und lacht.
-„Da kann er lange hinschießen.“
-</p>
-
-<p>
-Und unsere Haubitzen krachen, daß der Boden bebt.
-</p>
-
-<p>
-Zwischen den Eichen, wo eben die Granaten einschlugen,
-klettert ein Soldat den Wald herunter. Zum
-Teufel, was hat er da zu suchen?
-</p>
-
-<p>
-Der Divisionär erzählt aus seinen Feldzugserlebnissen,
-von den Argonnen, von seinen prachtvollen Truppen.
-(Ja, das sind sie!) Er erzählt, daß er einen Fonds für
-die Hinterbliebenen seiner Division gegründet habe, der
-schon die Höhe von über dreißigtausend Mark erreicht
-habe. Wir plaudern, als säßen wir irgendwo behaglich
-bei einer Zigarre.
-</p>
-
-<p>
-Nebenan, im Verbandplatz, ist schon alles bis aufs
-letzte vorbereitet. Hier führt ein freundlicher Arzt den
-Oberbefehl. Er sprüht von Leben und Arbeitseifer und
-steht sicherlich auf dem rechten Platze. Welch eine Wohltat
-muß es sein, verwundet aus dem Gefecht unter diese
-Hände und Augen zu kommen! Operationstisch, Verbandzeug,
-Instrumente, alles ist bereit, blitzblank sind
-die kleinen Kammern. Die Ärzte warten.
-</p>
-
-<p>
-Der Jäger zu Pferde führt mich durch den Wald hinauf
-zu einer kleinen Baude. Hier haust während des
-Kampfes der Brigadegeneral v. K. mit seinem Stabe.
-Der General heißt mich willkommen und erlaubt mir,
-zu bleiben, solange ich will. Freundlicher wurde ich selten
-aufgenommen wie bei den Leuten im Argonner Wald.
-</p>
-
-<p>
-Hier in dieser Baude wird fieberhaft (und doch mit
-welcher Ruhe!) gearbeitet. Der Adjutant, Hauptmann
-B., sitzt dauernd am Telephon. „Geben Sie mir diese
-<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a>
-und jene Stelle, rufen Sie Herrn Soundso! Wie? Das
-Feuer liegt vorzüglich. – Bei den Franzosen hat man
-eine Explosion beobachtet. Es wird ein Munitionslager
-in die Luft gegangen sein. – Teilen Sie Herrn X. Y.
-mit, daß die Batterie Z. glänzende Resultate hat. Ein
-Flieger hat es gemeldet. Erster Schuß saß sofort in
-Harazée (ein kleines Dorf), ebenso erster Schuß in
-Vienne-le-Château. Jawohl, danke schön. – Ich werde
-jetzt auf diesen und jenen Punkt feuern lassen. Es liegt
-Meldung vor, daß der Franzose versucht, da und dort
-Verstärkungen vorzuschieben.“
-</p>
-
-<p>
-Das Telephon tutet. Ohne Pause geht es so fort.
-</p>
-
-<p>
-Das kleine Fenster der Baude rasselt bei jedem Geschützschlag.
-Draußen scheint die Sonne. Die Granaten
-rauschen mächtig dahin. Zuweilen summt es in der Luft
-oder es klingt klirrend, wie wenn eine Stahlseite zerspringt,
-es pfeift: Sprengstücke, verirrte Kugeln, die
-durch den Wald fliegen.
-</p>
-
-<p>
-Das Feuer hat um etwas nachgelassen, aber es ist
-noch immer ein infernalisches Dröhnen und Krachen.
-</p>
-
-<p>
-Das Telephon tutet. „Jawohl?“ Das Regiment X.
-meldet, daß unser Feuer zu kurz liegt und die eigenen
-Gräben gefährdet. – „Das ist unmöglich,“ antwortet
-der Adjutant. „Es werden feindliche Einschläge sein.“
-Er bekam recht. Ein paar Minuten später geht die Meldung
-ein, daß zwei feindliche Flieger in der Luft sind
-und das Feuer der Artillerie auf den betreffenden Graben
-lenken. „Ich werde einen Flieger hochschicken!“ antwortet
-der Adjutant. Eine andere Stelle muß schon
-Meldung gemacht haben, denn fünf Minuten später
-<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a>
-brummt ein deutscher Doppeldecker hoch oben über den
-Wäldern.
-</p>
-
-<p>
-Wir essen zu Mittag: „Denn essen muß der Mensch,
-trotz allem.“ Der Adjutant sitzt in der engen Stube mit
-dem Rücken gegen das Telephon, um nur die Hand nach
-dem Hörer ausstrecken zu müssen. Dutzendmal wird er
-unterbrochen, aber doch findet er noch Zeit, mir zuzureden
-und nachzusehen, ob mir auch ja nichts fehlt.
-</p>
-
-<p>
-Gegen elf Uhr schwillt das Feuer wieder zur früheren
-Raserei an. Die Geschütze taumeln vor Grimm. Immer
-hinaus, was die Rohre hergeben können! Dann kracht
-der Wald von furchtbaren Explosionen: die Minen
-wurden gesprengt. Die Erde zittert.
-</p>
-
-<p>
-Und nun ist es elf Uhr. Jetzt müssen sie aus den
-Gräben! Es sind Minuten der größten Spannung.
-</p>
-
-<h3 class="section" id="N4">
-4
-</h3>
-
-<p class="noindent">
-Ja, nun steigen sie aus den Gräben! Auf der ganzen
-Linie von zwei Kilometern.
-</p>
-
-<p>
-Über die Ausfallstaffeln klettern sie empor, durch die
-Sappen stürzen sie sich gegen den Feind. Handgranaten
-am Gürtel, Rauchmasken, Schutzschilde, eine Handgranate
-in der Rechten, fertig zum Abreißen, das Gewehr
-über der Schulter, bereit zum Schuß, bereit zum Zuschlagen.
-Die Kugeln schwirren.
-</p>
-
-<p>
-Ein Mann fällt, während er sich aus dem Graben
-schwingt, ein Mann fällt auf den Grabenwall, ein Mann
-fällt nach drei Schritten – aber die Kameraden stürmen
-weiter, mit Hurra und Geschrei, hinein in Dunst und
-Rauch.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a>
-Der Gegner ist zusammengetrommelt, aber keineswegs
-erledigt. Aus Grabenlöchern feuert er, aus
-Granattrichtern, mitten in Schutt und Erde richtet er
-das Maschinengewehr, das noch intakt ist. In einer
-Sappe hat er sich zusammengedrängt, die Handgranaten
-krachen, weiter! Es fällt der Mann im Dunst, im Rauch.
-Ein paar Grenadiere bringen ein feindliches Maschinengewehr
-in Stellung. Sie fallen. Weitab sind schon die
-Kameraden. Vorwärts! Es fällt der Offizier.
-</p>
-
-<p>
-Auf einer Linie von zwei Kilometern branden sie so
-vor. Heiß ist der Nahkampf. – –
-</p>
-
-<p>
-Unsere Gedanken sind oben bei ihnen, unsere Wünsche,
-unsere Hoffnungen und unsere Angst. Die Spannung
-schmerzt, im Herzen, im Gehirn. Wird es gelingen?
-Im ganzen Umfang? Und wird es mit geringen Opfern
-gelingen?
-</p>
-
-<p>
-Es ist ganz still in unserer Baude.
-</p>
-
-<p>
-„Wollen wir hören, ob viel Infanteriefeuer hörbar
-ist. Denn das bedeutet nichts Gutes,“ sagt der General,
-und wir treten hinaus.
-</p>
-
-<p>
-Es ist fast gar kein Infanteriefeuer vernehmbar. Es
-steht gut! Die Geschütze krachen und wettern ohne
-Pause. Sie schießen nun natürlich nicht mehr auf Marie-Thérèse,
-sie feuern auf die feindlichen Batterien und Zugangswege.
-Die feindlichen Einschläge krachen in den
-Wäldern. Aber durch die kurzen Pausen des Krachens
-hindurch lauschen wir gespannt nach oben. Nur vereinzelte
-Schüsse. Da beginnt ein Maschinengewehr hohl zu klopfen.
-</p>
-
-<p>
-„Ein französisches Maschinengewehr! Das ist schrecklich!“
-sagt ein Offizier leise vor sich hin.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a>
-Aller Herzen sind oben bei ihnen, die jetzt kämpfen für
-die deutsche Sache.
-</p>
-
-<p>
-Es kommt die Meldung, daß alles gut stände. Wir
-atmen auf.
-</p>
-
-<p>
-Elf Uhr dreißig Minuten trifft die erste bestimmte Meldung
-ein. Das Regiment X. hat zwei Gräben genommen,
-gegen hundert Gefangene. Es geht gut vorwärts.
-</p>
-
-<p>
-Der Adjutant sitzt am Telephon, und sobald er eine
-Meldung entgegengenommen hat, teilt er sie uns mit.
-</p>
-
-<p>
-Elf Uhr vierzig Minuten. Das Regiment Y. hat ein
-paar Gräben überrannt, eine Anzahl Gefangene, Maschinengewehre,
-Minenwerfer. Es sind die Leute von der
-Eselsnase, bei denen ich heute morgen war. Das
-Regiment ist berühmt und gefürchtet beim Gegner.
-</p>
-
-<p>
-Ein anderes Regiment meldet, daß es infolge starken
-Artilleriefeuers nur mühsam aus dem Graben kam,
-jetzt aber rasche Fortschritte mache. Leider einige Offiziere
-gefallen. Kompanieführer X., Leutnant Z. – Vor
-ein paar Stunden sprach ich noch mit ihnen.
-</p>
-
-<p>
-Der General blickt vor sich hin und holt tief Atem.
-</p>
-
-<p>
-Es ist Krieg, Krieg, man darf es nicht eine Minute vergessen.
-</p>
-
-<p>
-Meldung um Meldung. Das Regiment Z. meldet,
-daß es einhundertundfünfzig Gefangene gemacht habe.
-Punkt erreicht. Anschluß an Nachbarregiment.
-</p>
-
-<p>
-Die Meldungen lauten alle gleich günstig. Hundert
-Gefangene, zweihundert, dreihundertfünfzig – kein
-Zweifel: der Angriff ist geglückt. Wir haben gewonnen!
-</p>
-
-<p>
-Um zwölf Uhr meldet der Bursche: „Herr General,
-die ersten Gefangenen!“
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a>
-Wir sehen einander erstaunt an. „Schon,“ sagt der
-General, und wir gehen durch den Wald, hinüber zum
-Knüppelweg.
-</p>
-
-<p>
-Da stehen sie. Drei Stück. Verschwitzt und bestaubt
-kommen sie aus den Gräben. Sie machen einen jämmerlichen
-Eindruck. Einer trägt ein Käppi. Er ist ganz grau,
-Bretone, einundvierzig Jahre alt. Seine schmutzigen groben
-Hände zittern vor Erregung. Die beiden anderen sind
-junge Burschen, gegen zwanzig, klein, schwarzhaarig,
-mit runden schwarzen Glotzaugen. Sie tragen blaugraue
-Stahlhelme auf den runden Köpfen, Helme, die
-den alten Sturmhauben des Mittelalters ähneln und
-ganz neu sind. Die Burschen gefallen mir nicht. Und
-als ich anfange, sie auszufragen, bekommen sie auch sofort
-Streit. Einer wirft dem andern vor, sich im Unterstand
-versteckt zu haben. Sie hatten es eilig, in Gefangenschaft
-zu geraten, das kann ich sehen. Es sind Leute aus
-Toulouse.
-</p>
-
-<p>
-„Was wird man mit uns tun?“ fragt einer der
-Tapferen mit dem Stahlhelm mit einem ängstlichen
-Blick.
-</p>
-
-<p>
-„Man wird euch in ein Lager nach Deutschland schicken,“
-antworte ich. Er ist befriedigt. Was dachte er denn –??
-</p>
-
-<p>
-Nun aber wimmelt es auf dem Waldweg. Eine Feldbahn
-führt in der Nähe vorüber. Darauf laufen Karren,
-von vier Krankenträgern geschoben, und auf den Karren
-sitzen und liegen die Verwundeten. Auf einer Karre
-hockt oben ein junger Franzose und jammert und stöhnt
-in gleichen Zwischenräumen. Sonst hört man nur selten
-einen Schmerzenslaut.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a>
-Eine Bahre wird vorübergetragen. Ein Feldgrauer
-liegt ausgestreckt darin.
-</p>
-
-<p>
-„Wo fehlt’s?“ fragt der General.
-</p>
-
-<p>
-„Beinschuß!“
-</p>
-
-<p>
-„Nun, immer rasch zum Verbandplatz.“
-</p>
-
-<p>
-Eine zweite Bahre wippt auf den Schultern der
-Träger vorüber. Bleich und still liegt darin ein Franzose.
-</p>
-
-<p>
-Leichtverwundete kommen allein an. Der General
-hat für jeden ein ermunterndes Wort, einen freundlichen
-Zuruf. „Was ist mit Ihnen?“ fragt er einen Grauen,
-dessen rechte Hand in blutigem Verbandzeug steckt.
-„Granatsplitter.“ – „Na, es wird nicht so schlimm sein.
-Wissen Sie den Verbandplatz? Gleich da drüben.“ Wie
-ein Vater spricht der General seinen Leuten zu. „Wie
-steht es oben?“ – „Wir haben drei Gräben genommen,
-Herr General!“ – „Na, das ist prachtvoll. Immer rasch
-zum Verbandplatz.“
-</p>
-
-<p>
-Bahren, Karren.
-</p>
-
-<p>
-Ein Grenadier mit verbundenem Arm, gestützt von
-einem Krankenträger, kommt festen Schrittes, stolz und
-aufgerichtet des Weges, obschon ihm Schmerz und
-Schrecken im Gesicht sitzen. Ein Lob des Generals läßt
-seine Miene aufleuchten.
-</p>
-
-<p>
-Auf einer Karre sitzt ein Verwundeter. Sein Kopf ist
-nichts als ein weißes Knäuel mit blutigen Flecken. Aber
-er sitzt mit verschränkten Armen, ganz behaglich.
-</p>
-
-<p>
-So strömt es unaufhörlich vorüber, und die Granaten
-rauschen und zischen ohne Pause über den Wald.
-</p>
-
-<p>
-Ein Grauer, mit blutigem Kopfverband, tritt an den
-General heran und schlägt die Absätze zusammen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a>
-„Wo kann ich Herrn Major Soundso sprechen? Ich
-habe eine Meldung zu machen.“ Das Blut tropft dem
-Tapferen übers Gesicht.
-</p>
-
-<p>
-„Was soll es sein?“
-</p>
-
-<p>
-„Das Regiment hat drei Gräben genommen und über
-zweihundert Gefangene.“
-</p>
-
-<p>
-„Ich werde es bestellen lassen. Aber nun schauen
-Sie, daß Sie sich mal erst ordentlich verbinden
-lassen.“
-</p>
-
-<p>
-Der Graue klappt mit den Stiefeln. Ab. Ja, was für
-Leute das sind!
-</p>
-
-<p>
-Ein anderer kommt vorbei, den Kopf verbunden. Er
-war schon vor dem Sturm verwundet worden, machte
-aber noch den ganzen Angriff mit.
-</p>
-
-<p>
-Die Gefangenen fluten in dichten Zügen heran. Sie
-werden aufgestellt und gezählt. Fast alle tragen diese
-blaugrau angestrichenen Stahlhelme. Vereinzelte nur
-tragen Käppis oder haben sich ein Schnupftuch um den
-Kopf gebunden. Sie sind schmutzig, verwildert, zerfetzt
-und verstaubt, stumpf, bleich und erschöpft und kleinlaut,
-wie alle Soldaten, die aus der Schlacht kommen und in
-Gefangenschaft gerieten. Aber sie machen einen weitaus
-besseren Eindruck als die ersten drei. Es sind Leute teils
-aus den nördlichen Departements, Bretagne, teils aus
-dem Süden, Toulouse, Nîmes, Marseille. Manche
-rauchen schon wieder ihre Pfeife oder den Zigarettenstummel.
-Einer trägt einen halben Laib Brot, einer eine
-Decke. Sie zeigen die Photographien ihrer Frauen und
-Kinder und fragen, ob sie sie behalten dürfen. Natürlich
-dürfen sie das! Zuweilen schütteln sich ein paar die
-<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a>
-Hand, die sich hier wiederfinden. Es ist ein langes, bedeutsames
-Händeschütteln!
-</p>
-
-<p>
-Manche sind verwundet und tragen Verbände. Einem
-ist die Hand zerschmettert, dem anderen hat eine Kugel
-den Arm durchschlagen.
-</p>
-
-<p>
-Der General steht und läßt die Augen über die Kolonnen
-schweifen. Sobald er einen Verwundeten sieht,
-läßt er ihn herankommen, fragt, forscht: „Ulan, bringen
-Sie den Mann zum Verbandplatz.“ Aus jeder Kolonne
-scheidet ein Trüppchen Verwundeter aus und hinkt,
-humpelt und taumelt hinter den Führern her.
-</p>
-
-<p>
-Aber der General hat seine Augen überall. Er sieht
-auch, was hinter den Kolonnen vorbeikommt, ruft, ermuntert,
-lobt.
-</p>
-
-<p>
-Da kommt auch mein Grenadier mit den zwei Postpaketen
-am Gewehr zurück. Heute morgen sah ich ihn
-in die Gräben hinaufgehen. Da ist er wieder. Eine
-Handgranate hat ihn leicht am Gesicht verletzt. Er hatte
-gar nicht Zeit, seine Paketchen zu öffnen.
-</p>
-
-<p>
-Es werden immer mehr Gefangene. Es sind ganze
-Züge und Kompanien – und auf der anderen Seite
-des Berges soll es auch in die Hunderte gehen!
-</p>
-
-<p>
-Der General kann unmöglich alle übersehen, und so
-gehe ich die Kolonnen entlang und suche die Verwundeten
-heraus. – „Herr General, hier ist ein Mann mit einem
-Armschuß.“ – „Ulan, zum Verbandplatz.“ – Väterlich
-sorgt der General für den Feind. Sein Ton ihnen
-gegenüber ist freundlich und schlicht.
-</p>
-
-<p>
-Ein Gefangener fragt mich, ob er nicht ebenfalls verbunden
-werden könnte. Ich sehe ihn an, er sieht etwas
-<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a>
-erschrocken aus, aber ich sehe keine Verwundung. Er
-hat Schüsse da unten, sagt er. Augenblicklich läßt er die
-Hose herunter, und ich sehe, daß er einen Schuß im rechten
-Oberschenkel und einen über dem Gesäß hat.
-</p>
-
-<p>
-Ich führe ihn zum General. Auch hier will er sofort
-die Hose herunterlassen, aber der General glaubt ihm so.
-</p>
-
-<p>
-„Nehmen Sie den Mann da noch mit, Ulan. Stützen
-Sie ihn, so, immer vorwärts.“
-</p>
-
-<p>
-Kolonnen um Kolonnen ziehen vorbei. Jetzt, um ein
-Uhr, sind schon eintausendvierhundert Gefangene gemeldet.
-Im ganzen wurden es zweitausend. Immer
-neue strömen aus dem Wald. Karren, Bahren, Verwundete.
-Nie werde ich diesen Weg im Argonnerwald
-vergessen.
-</p>
-
-<p>
-Vor dem Verbandplatz liegen und stehen die Verwundeten
-herum. Sie sind ruhig und fühlen sich geborgen.
-Die Ärzte sind drinnen an der Arbeit. Ich sehe, wie der
-freundliche, lebenslustige Chefarzt ernst und hingegeben
-einen blutigen Lappen mit der Schere abtrennt.
-</p>
-
-<p>
-Das ist die Kehrseite von Hurra und Siegesjubel.
-Es ist Krieg, man darf es nicht vergessen.
-</p>
-
-<p>
-Die Geschütze dröhnen, die Einschläge krachen, die
-Granaten gurgeln und pflügen durch die Luft. Verirrte
-Kugeln und Sprengstücke surren und klirren. Zwischen
-den Bäumen wandern wie eine blaugraue Schlange die
-Gefangenen.
-</p>
-
-<p>
-Droben in den Gräben aber geht es weiter, heiß und
-blutig. Die eroberten Gräben müssen instand gesetzt,
-Schutzschilde und Sandsäcke auf die andere Seite gebracht
-werden. Die Gewehre peitschen, Maschinengewehre
-<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a>
-hämmern, der Kampf geht weiter. Bis die
-Nacht kommt, und auch in der Nacht wird es keine Ruhe
-geben.
-</p>
-
-<p>
-Wir fahren los und jagen quer durch die Argonnen, um
-zu hören, wie es auf der anderen Seite des Berges ging.
-</p>
-
-<h3 class="section" id="N5">
-5
-</h3>
-
-<p class="noindent">
-Auch auf der anderen Seite des Argonnerwaldes war
-alles nach Wunsch gegangen. Wie auf der Eselsnase
-waren die Tapferen auf der Hubertushöhe aus den
-Gräben geschnellt und hatten den Feind geworfen. Bis
-jetzt, nachmittags, hatten sie über achthundert Gefangene
-gemacht. Das ist eine hübsche Anzahl im Grabenkrieg!
-</p>
-
-<p>
-Die krumme bucklige Straße des armseligen Argonnendorfes
-ist überschwemmt von blaugrauen Franzosen.
-Und oben erscheint schon eine neue Kolonne. Ein ganzes
-Bataillon ist hier versammelt. Die Bewohner des
-Dorfes stehen vor den Haustüren und begaffen ihre
-Landsleute. Zuweilen habe ich in dem und jenem Orte gesehen,
-daß Frauen weinten, wenn Gefangene vorübergeführt
-wurden. Hier nehmen sie es gelassen. Hunderte
-und Tausende sind schon aus den Wäldern herunter in
-ihr Dorf gekommen.
-</p>
-
-<p>
-Fast alle tragen den blaugrau gestrichenen Stahlhelm,
-der tief über den Kopf gestülpt ist, so daß sie gerade noch
-geradeaus blicken können. Einzelne haben ihn verloren
-oder fortgeworfen und sich Sacktücher über den Kopf
-gebunden. Einer trägt nur das Lederfutter des Helmes.
-Der Helm gibt ihnen allen ein ungewohntes und leise
-komisches Aussehen. Ich bin sicher, daß es drüben bei
-<a id="page-214" class="pagenum" title="214"></a>
-ihnen großes Gelächter und Scherzen gab, als die ersten
-mit diesem Möbel anrückten. Viel Wert kann der Helm
-nicht haben. Dafür ist er zu dünn. Gegen Splitter,
-Steinschlag höchstens, aber das würde auch der Schädel
-aushalten. Immerhin ist er schwer genug, um dem
-Mann das Schwitzen beizubringen. Sie schwitzen alle
-jämmerlich, die armen Burschen.
-</p>
-
-<p>
-Sie sind zumeist erschöpft und abgestumpft vom Kampf.
-Groß, klein, Grauhaarige, halbe Knaben, ernste Männer
-und unreife Bengel, schwarzäugig, blauäugig, hager und
-rund, Bärte, Milchgesichter, alle verschieden groß. Die
-blaugrauen Rockärmel voller Lehm und Schmutz, die
-Schuhe zerweicht, die Wickelgamaschen zerrissen. Sie
-kommen aus der Schlacht, das muß man festhalten, die
-Ausrüstung ist jedenfalls gut. Einzelne tragen rote
-Wollschärpen um den Leib, andere Wollwesten, einer
-steckt in einem blauen Arbeiteranzug. Die Verwundeten
-sind schon alle ausgeschieden. Einzelne nur haben Verbände
-an Hand oder Kopf, leichte Schrammen. Sie
-kauen, rauchen, kramen die paar Habseligkeiten aus der
-Tasche, die sie aus der Katastrophe retteten. Manche
-lachen schon wieder. Sie sind eine etwas zusammengewürfelte
-Gesellschaft, ohne jeden Zweifel. Zumeist
-vom Süden. Sie sollen sich indessen wacker geschlagen
-haben.
-</p>
-
-<p>
-Abseits stehet ihr Bezwinger: der Kronprinz und
-der Kommandierende, und betrachten sie und tauschen
-Beobachtungen aus.
-</p>
-
-<p>
-Der Kronprinz tritt an zwei junge Burschen heran,
-die sich aus den Tabakresten ihrer Hosentaschen Zigaretten
-<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a>
-drehten und kein Feuer haben. Er reicht ihnen
-seine Streichholzschachtel und spricht sie an. Nun, besonders
-gute Manieren haben die zwei jungen Bengel
-nicht, es sind Hafenarbeiter aus Toulouse. Sie plaudern
-lebhaft, paffen und lachen. Sie sind froh, aus der Sache
-heraus zu sein, sie machen kein Hehl daraus. Aber der
-Kronprinz spricht mit ihnen, freundlich und schlicht,
-wie er mit seinen eigenen Soldaten redet. Sie haben
-sich geschlagen für ihr Land, der Tod ging da oben hundertfach
-dicht an ihnen vorüber, es kommt also hier nicht so
-sehr auf die Manieren an.
-</p>
-
-<p>
-Links, ein paar Schritte abseits von den dichtgedrängten
-Reihen der schwitzenden, schmutzigen Gefangenen,
-steht eine Gruppe gefangener Offiziere. Ihre Haltung
-ist würdig. Die Uniform ist einfach, weit und bequem
-geschnitten, es ist nahezu die Uniform des gemeinen
-Mannes. Keine Dekorationen, keine Abzeichen. Am
-Ärmelaufschlag zwei schmale, drei Zentimeter lange
-wagrechte verblaßte goldene Borten, das ist alles.
-Für die Eitelkeit ist diese Uniform nicht geschaffen, das
-kann niemand behaupten. Sie tragen blaugraue Käppis.
-Wohin ist die prunkvolle Maskerade des französischen
-Heeres gekommen?
-</p>
-
-<p>
-Ernst und nachdenklich sehen sie vor sich hin. Qualvoll
-und demütigend ist ihre Situation, obschon jedermann
-bestrebt ist, ihre Gefühle zu respektieren. Ein Offizier,
-der äußerste, ist blaß wie eine Wand und vollkommen
-erschöpft. Sein Blick geht ins Leere. Neben ihm steht ein
-junger Leutnant, keine vierundzwanzig, mit vornehm
-geformten energischen Zügen. Die Muskeln seines
-<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a>
-Gesichtes zucken, er blickt zum Himmel empor, zur Erde
-herab, er nagt an der Lippe, er kämpft mit den Tränen.
-</p>
-
-<p>
-Sie alle leiden. Aber ihre Leute fangen an, sich mehr
-und mehr mit der Lage abzufinden. Sie schwatzen und
-lachen. Sie sind allzu eifrig, mir zu erklären, daß „sie
-sich beglückwünschen“, aus der Sache heraus zu sein.
-Jeder beglückwünscht sich. <span class="antiqua" lang="fr">Je me félicite –!</span> „Ja, da
-oben ging es schlimm zu, große Verluste. Ich wurde
-verschüttet, grub mich aus, mit Hilfe eines Kameraden.
-Da waren die Deutschen schon da, überall, wir sehen einen
-Trupp Gefangener und laufen hin. Ihr Angriff war
-gut gemacht, chic! Ich beglückwünsche mich, offen gestanden.“
-</p>
-
-<p>
-Ich nehme einen jungen, intelligent aussehenden
-Burschen zur Seite, gebe ihm eine Zigarette und plaudere
-mit ihm. Er stammt ebenfalls aus dem Süden. Er
-war in einer Sappe, die zugeschüttet war, die Deutschen
-warfen Handgranaten hinein, sie selbst schossen heraus,
-Geschrei, Rauch, schon war er gefangen. Er breitet die
-Arme aus und deutet auf die Landschaft: „Ich sehe mein
-Land, ich sehe alles in bester Ordnung. Ich sehe hier das
-Dorf und die Leute, es ist alles sauber, die Felder sind
-bestellt, Vieh gibt es hier. Und man hat uns gesagt,
-daß die Deutschen alles plündern und niederbrennen.
-Ich traue meinen Augen nicht.“ Gleich darauf beglückwünschte
-auch er sich.
-</p>
-
-<p>
-Ich gebe ja jedem Soldaten das Recht, sich zu freuen,
-daß er lebendig aus der Schlacht kam, denn selbst der
-Tod fürs Vaterland ist schwer, so leicht er auch vielen
-Leuten erscheint, die nie eine Granate sausen hörten –
-<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a>
-allein, es ist schließlich nicht nötig, daß er die Gefangenschaft
-als die beste Lösung preist. Es ist auch nicht nötig,
-daß sie mir erzählen, ihre höheren Offiziere hätten Reißaus
-genommen, denn es ist nicht wahr, das weiß ich von
-anderen.
-</p>
-
-<p>
-Ich habe schon bessere französische Regimenter gesehen.
-</p>
-
-<p>
-Immer neue Gefangene strömen ins Dorf. Über
-den Wäldern wird ein feindlicher Flieger beschossen.
-Die Geschütze krachen und pochen noch immer wütend.
-Gegen Abend steigert sich das Feuer mehr und mehr,
-und in der Nacht rollt es pausenlos und zornig. Trommelfeuer.
-</p>
-
-<p>
-Am Morgen sehe ich die Gefangenen abmarschieren.
-Ein langes blaues Band schlängelt sich ins Tal. Der
-junge Offizier hat sich gefaßt und schreitet still und ergeben
-wie ein Leidtragender in einem Trauerzug hinter
-den blauen Stahlhelmen her.
-</p>
-
-<p>
-Eine Stahlhaube ist neben einem Baum liegen geblieben.
-</p>
-
-<p>
-Da eilt ein französischer Hauptmann aus dem Dorf
-hervor. Er hat sich verspätet. Sein Kopf ist verbunden,
-ich habe ihn gestern nicht gesehen. Er geht eilig auf den
-Jäger zu Pferde zu und schüttelt ihm die Hand, erschüttert,
-gebrochen, verzweifelt, wie man in schwerem
-Leid einem Freund die Hand schüttelt, sicher seines Verstehens,
-Vertrauens, Glaubens. Es gibt Beziehungen
-zwischen den Völkern, die alle Diplomatie, mangelhafte
-und perfide, nicht zerstören kann.
-</p>
-
-<p>
-„Trösten Sie sich,“ sagt der Jäger zu Pferde, „es ist
-der Krieg!“
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a>
-Der Hauptmann antwortet nichts, er schüttelt gebrochen
-den verbundenen Kopf, und mit verzweifelten
-großen Schritten stürzt er seiner Truppe nach. –
-</p>
-
-<p>
-Die Schlacht ist zu Ende, die Schlacht ist gewonnen.
-Zweitausend Gefangene, große Beute, auf einer Front
-von zwei Kilometern der Feind zurückgeworfen. Es ist
-ein großer Erfolg. Nehmt den Hut ab vor den Argonnenkämpfern!
-</p>
-
-<p>
-Aber wie erstaunt war ich, im französischen Bericht zu
-lesen, daß es wieder einmal nichts war. Die Armee des
-Kronprinzen hatte überhaupt keinen Erfolg errungen.
-Zwei mißglückte Angriffe – unser Bericht enthalte
-phantastische Zahlen, es sei klug, diese Zahlen in derartigen
-Fällen immer durch zehn zu dividieren. – –
-</p>
-
-<p>
-Großes Frankreich, dein Erbe ist in bedenkliche Hände
-geraten. Dein Geist ist bei deinen Erben zur Phrase
-geworden und die Phrase zur Lüge.
-</p>
-
-<p class="printer">
-<span class="line1">Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig</span>
-</p>
-
-<div class="ads">
-<p class="adh">
-Anzeigen
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adh">
-Werke von Bernhard Kellermann
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adb">
-Yester und Li
-</p>
-
-<p class="ads">
-Die Geschichte einer Sehnsucht. (Fischers Romanbibliothek.)
-</p>
-
-<p class="adp">
-Gebunden 1 Mark, in Leinen 1 Mark 25 Pfennig.
-</p>
-
-<p>
-Die Geschichte einer Sehnsucht ist es, die der Verfasser erzählt –
-einer zarten, zitternden, tastenden Sehnsucht. Einer so verzehrenden,
-wahnwitzigen, ungeheuerlichen Liebessehnsucht, wie sie nur ein
-Dichter, ein Auserwählter unter den Menschen, zu einem auserwählten,
-seltenen, wundervollen Weibe empfinden kann. – Wunderbar
-ergreifend ist der Schluß. Ein Dichter hat dies Buch geschrieben.
-Ein wirklicher Dichter. Mit sanfter, zagender Hand sind die letzten
-Hüllen von menschlichen Seelen gezogen. Und doch erscheint alles
-wie durch zarte Schleier, von einem seltsamen matten Glanz umsponnen.
-Letzte Menschlichkeiten werden aufgedeckt. Feines, Leises
-wird gegeben, wie mit dem Silberstift gezeichnet.
-</p>
-
-<p class="attr">
-(Königsberger Allgemeine Zeitung)
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adb">
-Ingeborg
-</p>
-
-<p class="adp">
-Roman. 30. Auflage. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.
-</p>
-
-<p>
-Ganz trunken von Schönheit und Schmerz ist das Buch. Es schlägt
-Töne an, die man schwer vergißt ... Selten ist etwas Glühenderes
-und Sanfteres geschrieben worden wie die Schilderung dieser Liebe.
-Eine erhobene Sprache geht durch die Blätter des Buches, ohne
-doch uns der Erde zu entrücken ... Wenig und einfach ist, was geschieht,
-aber die Feinheit und Intensität der Schilderung macht es
-zu einem Äußersten als Seelenerlebnis sowohl wie als Kunst.
-</p>
-
-<p class="attr">
-(Der Tag, Berlin)
-</p>
-
-<p>
-Frauen und Jünglinge, leset dies neue Buch – Ingeborg – diesen
-zweiten Roman von Bernhard Kellermann. Die Liebe lebt darin
-und die Romantik. Und der Wald lebt darin und alle Jahreszeiten.
-Jung ist es, ganz jung-jung, und das Blut macht es unruhig, es
-fiebert von Liebe. Mit einer kindlich zarten und zugleich unerhört
-verfeinerten Gabe wird hier von den heiligsten und besten Dingen
-gesprochen. Von Gott, von der Liebe, vom Wald ... Ich will
-mich mit diesem Buche nicht allein freuen. Jedem möchte ich es in
-die Hände drücken, der überhaupt noch einen Roman lesen kann.
-</p>
-
-<p class="attr">
-(Die Zeit, Wien)
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adb">
-Der Tor
-</p>
-
-<p class="adp">
-Roman. 14. Auflage. Geheftet 5 Mark, gebunden 6 Mark.
-</p>
-
-<p>
-Die Leser von „Ingeborg“ werden ihren Dichter in diesem Buche
-wiederfinden, aber er wird ihnen als ein Größerer begegnen, reifer
-und reicher geworden in den wenigen Jahren, die zwischen den beiden
-Werken liegen. Sein Blick hat sich von den wolkengleich umrissenen
-Gestalten der Liebeslegende tiefer erdenwärts gewandt und
-schaut jetzt den Kreaturen des täglichen Lebens zu, wie sie, gehämmert,
-zerstoßen und verkrümmt von der Unerbittlichkeit der Verhältnisse,
-ihr Dasein zu Ende führen. Der Tor ist ein junger, reiner Mensch,
-der in einem Städtchen auftaucht, um das Unrecht zu sühnen, das
-Menschen an einer Verstorbenen geübt haben. Bald sieht er ein,
-wie vieles es im kleinsten Kreise gutzumachen gibt, woran die
-Menschen keine Schuld haben, und sein Drang weist ihm den Weg
-zu den Hütten der Elendesten, Bejammernswertesten. So ist auch
-dies Buch ein Buch der Liebe geworden, aber der Liebe des einen
-zu allen.
-</p>
-
-<p class="attr">
-(Hannoverscher Kurier)
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adb">
-Das Meer
-</p>
-
-<p class="adp">
-Roman. 18 Auflage. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.
-</p>
-
-<p>
-Es ist ein Werk, das man mit Ehrfurcht und Freude aus der Hand
-legt, im sicheren Bewußtsein, einen Schatz gefunden zu haben, von
-dem man immer wieder gern genießen wird. Ein kulturmüder Mann
-lebt einen Sommer hindurch auf einer bretonischen Fischerinsel.
-Er versinkt ganz in dem kräftigen, urwüchsigen Dasein dieser einsamen
-Welt. Trinkt, flucht, liebt und haßt wie die Bewohner der
-Insel, die gleich abgeschlossen ist von den Moralbegriffen wie dem
-Rechtsempfinden der Welt da draußen ... Manchem wird die wilde
-Schönheit unverständlich bleiben, manchen wird auch die feinste
-Sprachkunst nicht darüber hinwegsetzen, daß es immer wieder nur
-das Meer ist – und nur das Meer, von dem er lesen muß. Wer sich
-aber in dies Werk ernstlich vertieft, dem wird es seine Mannigfaltigkeit
-wohl erschließen. Und er wird meine Freude darüber teilen,
-daß auch einem Deutschen der Entdeckerflug in die unbekannten Reiche
-der Natur gelungen ist, der bisher Männern wie Kipling oder Loti
-vorbehalten schien. Nur daß Kellermanns Empfindung wärmer,
-seine Anschauungskraft stärker, seine Sehnsucht tiefer ist.
-</p>
-
-<p class="attr">
-(B. Z. am Mittag, Berlin)
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adb">
-Der Tunnel
-</p>
-
-<p class="adp">
-Roman. 120. Tausend. Geheftet 3 Mark 50 Pfennig, in Leinen
-gebunden 4 Mark 50 Pfennig, Geschenkband 6 Mark.
-</p>
-
-<p>
-In diesem Buch rollt der Donner ungeheuerer moderner Maschinen.
-Weite und Welthorizonte sind in ihm. Aber alles wirbelt und tanzt
-und dreht sich, und man sieht nur große Konturen, sieht nur Massen,
-zusammengeballt und mit fortgerissen in der rasenden Bewegung
-dieser Zeit. Man spürt das unerhörte Tempo der Gegenwart, der
-heutigen Epoche, während man dieses Buch liest. Man spürt gleichsam
-die Erde ringsum vibrieren, als erbebe sie bis in ihren Grund
-unter der zugreifenden Gewalt des Menschen. Man spürt das Fiebern,
-Keuchen, Wüten und geniale Delirieren der unermeßlichen Arbeit,
-die rund um uns her verrichtet wird. Und das ist zuerst ein beklemmendes
-Gefühl, dann aber ein befreiendes Glücksbewußtsein. Man
-wird niedergedrückt und gleich darauf angefeuert, hoch emporgehoben
-und wie berauscht von Mut, von Entschlußfreude und Zuversicht und
-von Seligkeit, dieses schäumende Leben von heute mitleben zu dürfen.
-</p>
-
-<p class="attr">
-(Neue Freie Presse, Wien)
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adh">
-Im gleichen Verlag ist erschienen:
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adb">
-Aage Madelung: Mein Kriegstagebuch
-</p>
-
-<p class="adp">
-7. Tausend. Geheftet 2 Mark, in Leinen 3 Mark.
-</p>
-
-<p>
-Die Schilderungen Madelungs zeichnen sich durch schmucklose, anschauliche
-Schlichtheit aus. Nicht immer ist der Krieg eine unerbittliche
-Trennung; hier ereignet es sich, daß ein germanischer Nordländer
-begeisterte, glühende Liebe zu einer ihm fernstehenden Nation
-faßt. Madelung wird enthusiastisch, sowie er von Ungarn und den
-Ungarn spricht.
-</p>
-
-<p class="attr">
-(Wiener Zeitung)
-</p>
-
-<p class="adb">
-Aage Madelung:<br />
-Jagd auf Tiere und Menschen
-</p>
-
-<p class="adp">
-5. Tausend. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.
-</p>
-
-<p>
-Ein Urwaldmensch und ein Raffinierter. Welch seltsamer Widerspruch!
-Und ebenso widersprechend: in Sumpf und Moor ein wilder, weidlüsterner
-Jäger, und dann, am einsamen Reisigfeuer, ein vor sich
-hingrübelnder kosmischer Philosoph. Diesen Menschen muß man
-näher kennen lernen. Man findet seinesgleichen nicht alle Tage.
-</p>
-
-<p class="attr">
-(Neue Freie Presse, Wien)
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adb">
-London und Paris im Krieg
-</p>
-
-<p class="ads">
-Reiseerlebnisse in Kriegszeit von Norbert Jacques
-</p>
-
-<p class="adp">
-17. Tausend. Geheftet 1 Mark 50 Pfennig, gebunden 2 Mark.
-</p>
-
-<p>
-Das Buch ist Impressionismus in bestem Sinn; das gibt ihm einen
-hohen dokumentarischen Wert in alle Zukunft für den franko-englischen
-Gemütszustand im allgemeinen und für das französische Delirium
-im speziellen.
-</p>
-
-<p class="attr">
-(B. Z. am Mittag, Berlin)
-</p>
-
-<hr />
-
-<p class="adh">
-Sammlung von Schriften
-zur Zeitgeschichte
-</p>
-
-<p class="adp">
-Jeder Band gebunden 1 Mark
-</p>
-
-<hr />
-
- <div class="table">
-<table class="ads" summary="">
-<tbody>
- <tr>
- <td class="col1">1.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Aus den Kämpfen um Lüttich.</span> Von einem Sanitätssoldaten.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">2.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Weltwirtschaft und Nationalwirtschaft.</span> Von Franz Oppenheimer.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">3.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Der englische Charakter, heute wie gestern.</span> Von Theodor Fontane.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">4.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Preußische Prägung.</span> Von Lucia Dora Frost.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">5.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Friedrich und die große Koalition.</span> Von Thomas Mann.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">6.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Die Fahrten der Emden und der Ayesha.</span> Von Emil Ludwig. Mit 20 Abbildungen.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">7.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">In England – Ostpreußen – Südösterreich.</span> Von Arthur Holitscher.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">8.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Der deutsche Mensch.</span> Von Leopold Ziegler.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">9.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Russischer Volksimperialismus.</span> Von Karl Leuthner.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">10.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Die Flüchtlinge.</span> Von einer Reise durch Holland hinter die belgische Front. Von Norbert Jacques.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">11.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Zwischen Lindau und Memel während des Kriegs.</span> Von Paul Schlenther.</td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="col1">12.</td>
- <td class="col2">Band:</td>
- <td class="col3"><span class="adb">Deutsche Kunst.</span> Von Karl Scheffler.</td>
- </tr>
-</tbody>
-</table>
- </div>
-<hr />
-
-<p class="adh">
-S. Fischer · Verlag · Berlin
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="trnote chapter">
-<p class="transnote">
-Anmerkungen zur Transkription
-</p>
-
-<p>
-Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert.
-Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
-</p>
-
-
-
-<ul>
-
-<li>
-... „Und wie ist die Stimmung im allgemeinen<span class="underline">.</span> In ...<br />
-... „Und wie ist die Stimmung im allgemeinen<a href="#corr-1"><span class="underline">?</span></a> In ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Man verstehe recht: nach einem Jahr Krieg, <span class="underline">noch</span> Monaten ...<br />
-... Man verstehe recht: nach einem Jahr Krieg, <a href="#corr-5"><span class="underline">nach</span></a> Monaten ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... und <span class="underline">Festhubert</span> nicht vergessen. – ...<br />
-... und <a href="#corr-6"><span class="underline">Festubert</span></a> nicht vergessen. – ...<br />
-</li>
-</ul>
-</div>
-
-
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER KRIEG IM WESTEN ***</div>
-<div style='text-align:left'>
-
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-</div>
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-</div>
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-</div>
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-</div>
-
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- payments should be clearly marked as such and sent to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
- Section 4, &#8220;Information about donations to the Project Gutenberg
- Literary Archive Foundation.&#8221;
- </div>
-
- <div style='text-indent:-0.7em'>
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- you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
- does not agree to the terms of the full Project Gutenberg&#8482;
- License. You must require such a user to return or destroy all
- copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
- all use of and all access to other copies of Project Gutenberg&#8482;
- works.
- </div>
-
- <div style='text-indent:-0.7em'>
- &#8226; You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
- any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
- electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
- receipt of the work.
- </div>
-
- <div style='text-indent:-0.7em'>
- &#8226; You comply with all other terms of this agreement for free
- distribution of Project Gutenberg&#8482; works.
- </div>
-</div>
-
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-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-1.F.
-</div>
-
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-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-</div>
-
-</div>
-</body>
-</html>
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