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-The Project Gutenberg eBook of Onkel Tom's Hütte, by Harriet Beecher
-Stowe
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Onkel Tom's Hütte
- oder die Geschichte eines christlichen Sklaven
-
-Author: Harriet Beecher Stowe
-
-Translator: L. Du Bois
-
-Release Date: February 7, 2023 [eBook #69977]
-
-Language: German
-
-Produced by: Norbert H. Langkau, Matthias Grammel, Juliet Sutherland and
- the Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ONKEL TOM'S HÜTTE ***
-
-
-
-
-
- Onkel Tom's Hütte
-
- oder die
-
- Geschichte eines christlichen Sklaven.
-
-
- Von
-
- Harriet Beecher Stowe.
-
-
- Aus dem Englischen übertragen
-
- von
-
- L. Du Bois.
-
-
- Dritter Band.
-
-
- _S. Zickel._
-
- _Nro. 19. Dey-Street._
-
- _NEW-YORK._
-
-
-
-
-Inhalt.
-
-
- _I._
-
- Seite
- I. Worin der Leser die Bekanntschaft eines
- menschenfreundlichen Mannes macht 1
-
- II. Die Mutter 16
-
- III. Der Gatte und Vater 21
-
- IV. Ein Abend in Onkel Tom's Hütte 28
-
- V. Die Empfindungen lebenden Eigenthums unter
- wechselnden Herren 44
-
- VI. Die Entdeckung 57
-
- VII. Der Kampf der Mutter 71
-
- VIII. Ein würdiges Trio 91
-
- IX. Worin sich zeigt, daß ein Senator nur ein
- Mensch ist 115
-
- X. Das Eigenthum wird fortgeschafft 139
-
-
- XI. Worin das Eigenthum in einen unpassenden
- Geisteszustand geräth 155
-
-
- _II._
-
- XII. Ausgewähltes Beispiel von gesetzlichem Handel 1
-
- XIII. Die Quäker-Niederlassung 26
-
- XIV. Evangeline 39
-
- XV. Von Tom's neuen Herrn und verschiedenen
- andern Gegenständen 54
-
- XVI. Tom's Mistreß und ihre Ansichten 77
-
- XVII. Die Vertheidigung des freien Mannes 106
-
- XVIII. Miß Opheliens Erfahrungen und Ansichten 131
-
- XIX. Miß Opheliens Erfahrungen und Ansichten
- (Fortsetzung) 155
-
-
- _III._
-
- XX. Topsy 1
-
- XXI. Kentucky 22
-
- XXII. »Das Gras verwelkt -- die Blume verblüht« 29
-
- XXIII. Henrique 39
-
- XXIV. Vorboten 51
-
- XXV. Der kleine Evangelist 60
-
- XXVI. Der Tod 67
-
- XXVII. »Dies ist das Letzte der Erde« 87
-
- XXVIII. Wiedervereinigung 97
-
- XXIX. Die Schutzlosen 119
-
- XXX. Das Sklavenhaus 130
-
- XXXI. Die Fahrt 145
-
- XXXII. Finstere Orte 154
-
- XXXIII. Cassy 166
-
- XXXIV. Die Geschichte der Quatroon 178
-
- XXXV. Die Zeichen 194
-
- XXXVI. Emmeline und Cassy 203
-
- XXXVII. Freiheit 213
-
- XXXVIII. Der Sieg 223
-
- XXXIX. Der Kunstgriff 237
-
- XL. Der Märtyrer 252
-
- XLI. Der junge Master 262
-
- XLII. Eine wirkliche Geistergeschichte 271
-
- XLIII. Ergebnisse 280
-
- XLIV. Der Befreier 292
-
- XLV. Schlußbemerkungen 298
-
-
-
-
-Vorrede zur europäischen Ausgabe.
-
-
-Indem die Verfasserin die Herausgabe dieses Werkes für das Festland
-Europa's authorisirt, hat sie nur die Bemerkung beizufügen, daß die
-Menschenliebe höher steht als die Vaterlandsliebe.
-
-Das große, allen christlichen Nationen gemeinsame Mysterium, das Bündniß
-Gottes mit den Menschen durch die Menschwerdung Christi, verleiht der
-menschlichen Existenz eine Ehrfurcht erweckende Heiligkeit, und in den
-Augen eines jeden wahrhaft Gläubigen muß Derjenige, welcher die Rechte
-seines niedrigsten Mitmenschen mit Füßen tritt, nicht nur als Unmensch,
-sondern auch als Gotteslästerer erscheinen, -- und die schrecklichste
-Art dieser Gotteslästerung ist das Institut der Sklaverei.
-
-Man hat gesagt, daß die Schilderungen dieses Buches Uebertreibungen
-enthielten! Ich wünschte, es wäre wahr! ich wünschte, dieses Buch wäre
-wirklich nur eine Schöpfung der Einbildungskraft, und nicht eine Mosaik
-wirklicher Thatsachen! Aber daß es keine Erfindung ist, dafür sind die
-Beweise in Tausenden blutender Herzen zu finden, -- sie sind von
-Tausenden von Zeugen in den Sklavenstaaten bekräftigt, und selbst von
-Sklavenhaltern, mit ausdrücklicher Bezugnahme auf dieses Buch, bestätigt
-worden. -- Wenn noch andere Beweise erforderlich wären, so dürften wir
-die ganze civilisierte Welt nur auf das allgemein publicierte Gesetzbuch
-der Sklavenstaaten verweisen, welches eine vollständige, klare und
-gesetzliche Billigung jeder Grausamkeit und Abscheulichkeit enthält, die
-der Mensch überhaupt der Seele und dem Körper seines Mitmenschen zufügen
-kann; und wenn das Gesetz so beschaffen ist, -- wie müssen dann die
-Folgen sein? Seitdem ist jedoch, Gott sei gedankt, jener gewaltige,
-unaussprechliche Angstschrei endlich gehört worden!
-
-Es ist gesagt worden, daß die Sklavenbevölkerung ganz ungeeignet für die
-Freiheit, und deren unfähig sei, und daß die in diesem Buche
-geschilderte Charaktere eingebildete Uebertreibungen und Unmöglichkeiten
-seien. Allein, was man auch über die afrikanische Race selbst sagen
-möge, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß die
-Sklavenbevölkerung Amerika's jetzt eine in hohem Grade gemischte Race
-ist, in deren Adern das beste angelsächsische Blut fließt, -- und daß
-Charaktere, wie Georg Harrys und Elise, keineswegs ungewöhnlich unter
-den Sklaven sind. Damit auch die Charakteristik des »Onkel Tom« selbst
-nicht für eine, in der Wirklichkeit nicht zu findende Erdichtung
-gehalten werde, wollen wir aus dem publizirten Testamente des Richters
-Upshur, früheren Staatssecretairs unter Präsident Tyler, des Tributes
-erwähnen, welcher darin den Verdiensten eines Lieblingssclaven gezollt
-worden ist.
-
- »Ich emancipire hierdurch meinen Sklaven David Rice, und weise
- meine Testamentsvollstrecker an, ihm hundert Dollar auszuzahlen.
- Ich empfehle ihn der Achtung und dem Vertrauen einer jeden
- Gemeinde, in der er sich niederlassen sollte. Er ist vierundzwanzig
- Jahre lang mein Sklave gewesen, während welcher Zeit ihm von mir
- unbedingtes und unbegränztes Vertrauen geschenkt worden ist. Sein
- Verhältniß zu mir und meiner Familie ist stets von der Art gewesen,
- daß sich ihm täglich Gelegenheit darbot, uns zu hintergehen oder zu
- bevortheilen, und dennoch hat ihm nie ein erhebliches Vergehen,
- selbst nicht ein Verstoß gegen die Gesetze des Anstandes in seiner
- Stellung zur Last gelegt werden können. Seine Intelligenz ist
- höherer Art, seine Rechtlichkeit über jedem Verdachte, und sein
- Gefühl für Recht und Schicklichkeit richtig und sogar geläutert.
- Ich bin der Meinung, daß er einen gerechten Anspruch darauf hat,
- dieses Zeugniß von mir mit in die neuen Verhältnisse zu nehmen,
- welche er einzugehen genöthigt ist; es gebührt seinen langen und
- treuen Diensten von der aufrichtigen Freundschaft, die ich für ihn
- hege. Während des ununterbrochenen, vertrauten Verkehrs durch
- vierundzwanzig Jahre habe ich ihm nie ein unfreundliches Wort
- gesagt, und nie dazu Veranlassung gehabt. Ich habe nie einen
- Menschen gekannt, der weniger Fehler und mehr gute Eigenschaften
- hatte, als er.«
-
-Es soll nicht behauptet werden, daß ein Charakter, wie der Onkel Tom's
-gewöhnlich zu finden sei, aber er hat mehr als einmal existirt; und es
-ist so eine Schmach, Verachtung und erzwungene Lasterhaftigkeit auf das
-Haupt des unglücklichen Afrikaners gehäuft worden, daß er wohl mit Recht
-einen Anspruch auf eine so günstige Schilderung hat, als sie mit
-Wahrheit und Wahrscheinlichkeit übereinstimmt.
-
-Nicht in äußerster Verzweiflung, sondern in feierlicher Hoffnung und
-Zuversicht dürfen wir dem Kampfe zuschauen, der jetzt Amerika
-durchwühlt. Es ist der Angstschrei des Teufels der Sklaverei, der von
-fern die Stimme eines nahenden Jesus gehört hat, und die edle Gestalt
-durch Zuckungen verzerrt, aus der er ihn endlich vertreiben wird.
-
-Es ist unmöglich, daß eine so ungeheure Verirrung lange im Busen einer
-Nation bestehen könne, die in jeder anderen Beziehung das beste Beispiel
-der großen Principien einer allgemeinen Brüderschaft giebt. In Amerika
-genießen der Franzose, der Deutsche, der Italiener, der Ungar, der
-Schwede und der Lette, alle gleiche Rechte; -- alle Nationen entfalten
-hier die ihnen eigenthümlichen Vorzüge, und werden durch die liberalen
-Gesetze des Landes gleicher Privilegien theilhaftig; Alles wirkt darauf
-hin, zu befreien, zu humanisiren, zu erheben, und grade aus diesem
-Grunde wird der Kampf mit der Sklaverei jedes Jahr furchtbarer. Der
-Strom menschlichen Fortschritt's, der durch die zusammenfließenden
-Kräfte aller Nationen immer breiter, tiefer und kräftiger wird, stößt
-auf diese Schranke, hinter welcher sich alle Unwissenheit, Grausamkeit
-und Bedrückung finstrer Jahrhunderte gesammelt hat; -- jetzt schäumt und
-drängt er nur gegen den Fuß, aber er steigt mit jedem Jahre, und endlich
-wird er mit einem Sturze, gleich dem des Niagara, das Hemmniß mit sich
-fortreißen. Dichtkunst, Redekunst und Litteratur sind dagegen, denn es
-gibt keine einzige Fähigkeit göttlichen Ursprungs im Menschen, die nicht
-für Freiheit spräche! Anfangs verbreitete sich die Sklaverei über alle
-Staaten der Union. Jetzt hat der Fortschritt der gesellschaftlichen
-Verhältnisse die Mehrzahl derselben emancipirt. In Kentucky, Tennessee,
-Virginien und Maryland haben zu verschiedenen Zeiten starke Bewegungen
-zu Gunsten der Emancipation statt gefunden, -- Bewegungen, welche
-fortwährend durch eine Vergleichung des progressiven Fortschritts der
-freien Staaten mit der Armuth und Unfruchtbarkeit als Folge eines
-Systems erweckt wurden, welches in wenigen Jahren den Boden erschöpft,
-ohne im Stande zu sein, ihm wieder frische Kräfte zu geben. Der
-Zeitpunkt kann nicht mehr fern sein, wo alle diese Staaten ihrer eignen
-Selbsterhaltung wegen emancipiren werden, und wenn kein Sklavengebiet
-hinzukommt, so wird ein Zunehmen der Sklavenbevölkerung Maßregeln für
-die Emancipation der übrigen nothwendig machen. Dies ist der Punkt, um
-den gestritten wird. Sofern kein neues Sklavengebiet gewonnen wird, muß
-die Sklaverei untergehen, -- wenn es gewonnen wird, besteht sie fort. --
-Um diesen Punkt manöveriren und kämpfen die politischen Parteien, und
-jedes Jahr wird der Kampf heißer, der bald zur großen Nationalfrage
-werden wird. In dem Gesetze von 1850, die flüchtigen Sklaven betreffend,
-gewann die Sklavenmacht allerdings einen Sieg, aber es war nur ein Sieg
-des Pyrrhus, -- noch ein solcher würde ihr Untergang sein! Grade dieses
-Gesetz hat mehr als alle früher wirkenden Mittel dazu beigetragen, die
-moralische Kraft der Nation gegen die Sklaverei zu erwecken und zu
-concentriren.
-
-Keine inneren Kämpfe irgend einer andern Nation der Welt können für den
-Europäer von so großem Interesse sein wie die Amerika's, denn Amerika
-bevölkert sich immer mehr aus Europa, und jeder Europäer, der an seinen
-Ufern landet, erlangt fast unmittelbar seine Stimme in den Berathungen.
-
-Wenn deßhalb die Unterdrückten andrer Nationen in Amerika ein Asyl
-dauernder Freiheit zu finden wünschen, so mögen sie bereit sein, mit
-Herz, Hand und Stimme gegen das Institut der Sklaverei zu kämpfen; denn
-diejenigen, die Andere zu Sklaven machen wollen, können selbst nicht
-lange frei bleiben.
-
-Wahr sind die großen, lebendigen Worte: »Keine Nation kann frei bleiben,
-bei der die Freiheit nur ein Vorrecht und nicht ein Princip ist.«
-
- ^Andover^, den 21. September 1852.
-
- =Harriet Beecher Stowe.=
-
-
-
-
-Zwanzigstes Kapitel.
-
-Topsy.
-
-
-Eines Morgens, als Miß Ophelia in ihren häuslichen Sorgen geschäftig
-war, wurde St. Clare's Stimme am Fuße der Treppe gehört, der nach ihr
-rief.
-
-»Komm herunter, Cousine, ich habe Dir etwas zu zeigen!«
-
-»Was ist es denn?« fragte Ophelia, mit ihrem Nähzeuge in der Hand
-herabkommend.
-
-»Ich habe hier etwas für Dein Departement angekauft, -- sieh' hier!«
-sagte St. Clare, indem er ein kleines Negermädchen von acht bis neun
-Jahren hervorzog.
-
-Sie war eine der Schwärzesten ihrer Race, und ihre runden, wie
-Glasperlen glänzenden Augen flogen mit unstäten, ruhelosen Blicken über
-alle im Zimmer befindlichen Gegenstände. Ihr Mund, der vor Erstaunen
-über die Wunder im Wohnzimmer ihres Herrn halb geöffnet war, ließ zwei
-Reihen glänzend weißer Zähne sehen. Ihr wolliges Haar war in
-verschiedene Zöpfe geflochten, die nach allen Richtungen hin starrten.
-Der Ausdruck ihres Gesichts enthielt eine sonderbare Mischung von
-Muthwillen und Schlauheit, über die, wie ein Schleier, die Miene eines
-schmerzlichen Ernstes hing. Sie trug ein einziges, schmutziges,
-zerlumptes Kleid aus Sackleinwand, und stand mit ernsthaft gefalteten
-Händen vor Ophelien. In ihrer ganzen Erscheinung lag etwas so
-Sonderbares, Koboldartiges, -- etwas, wie Miß Ophelia später
-versicherte, so »Heidnisches,« daß diese gute Dame einen wahren
-Schrecken vor ihr empfand. Indem sie sich zu St. Clare umwandte, sagte
-sie:
-
-»Augustin, wozu in aller Welt hast Du denn das Ding hierher gebracht?«
-
-»Damit Du es erziehen sollst, kein Zweifel, und es auf den rechten Weg
-bringen. Ich dachte, es wäre ein possierliches Exemplar im
-Jim-Crow-Geschlechte. Hier, Topsy,« fügte er mit einem Pfiff hinzu, so
-wie man die Aufmerksamkeit eines Hundes zu erregen pflegt, -- »laß uns
-einen Gesang hören, und zeige uns etwas von Deinen Tanzkünsten.«
-
-Die schwarzen gläsernen Augen begannen von einer Art boshaften
-Muthwillens zu glänzen, und das kleine Wesen begann mit einer klaren,
-gellenden Stimme eine jener sonderbaren Neger-Melodien, nach der sich
-ihre Hände und Füße im Takte bewegten, während sie sich im Kreise herum
-drehte, mit den Händen und Knien zusammenschlug, und jene sonderbaren
-Kehllaute hören ließ, die der heimathlichen Gesangsweise ihres
-Geschlechtes eigentümlich sind; und endlich zwei oder drei Sprünge in
-die Luft machend, kam sie mit einem gedehnten Schlußtone, der so
-unirdisch klang wie die Pfeife einer Locomotive, auf den Teppich nieder,
-und stand dann wieder mit gefalteten Händen da, und dem Ausdrucke
-scheinheiliger Sanftmuth und Feierlichkeit im Gesichte, der nur durch
-die listigen Blicke unterbrochen wurde, die sie in schräger Richtung aus
-ihren Augenwinkeln umherschoß.
-
-Miß Ophelia stand stumm und wie vom Schlage getroffen vor Erstaunen.
-
-St. Clare, muthwillig wie er war, schien sich an diesem Staunen zu
-ergötzen, und wandte sich von Neuem an das Kind.
-
-»Topsy,« sagte er, »dies ist Deine neue Mistreß, ich übergebe Dich ihr;
-also betrage Dich jetzt gut.«
-
-»Ja, Master,« entgegnete Topsy mit scheinheiligem Ernste, während ihre
-gottlosen Augen blinzelten.
-
-»Du mußt Dich gut betragen, Topsy, verstehst Du,« sagte St. Clare.
-
-»O ja, Master,« entgegnete Topsy, von Neuem blinzelnd, während ihre
-Hände andächtig gefaltet blieben.
-
-»Nun, Augustin, in aller Welt, sage mir nur, wozu ist das?« sagte Miß
-Ophelia. »Dein Haus ist so voll von dieser Plage, daß man kaum seinen
-Fuß niedersetzen kann, ohne auf eins dieser Wesen zu treten. Wenn ich
-des Morgens aufstehe, so finde ich eins hinter der Thür liegen und
-schlafen, einen andern schwarzen Kopf unter dem Tische, und wieder einen
-andern auf der Fußdecke vor der Thür; und an allen Gittern hängen sie,
-und grinsen und schneiden Gesichter, und in der Küche wälzen sie sich
-fortwährend auf dem Boden umher! Wozu hast Du denn dieses Wesen noch
-nöthig gehabt?«
-
-»Ich sagte Dir ja, -- damit Du es erziehen sollst, weil Du immer von
-Erziehung sprichst. Ich dachte, ich wollte Dir ein frisch eingefangenes
-Exemplar bringen, um Deine Hand daran zu versuchen, und es auf den
-rechten Weg zu bringen.«
-
-»Ich will dieses Wesen nicht haben, gewiß nicht. Ich habe schon mehr mit
-dieser Gattung zu thun, als mir lieb ist.«
-
-»So seid Ihr Christen alle! -- Gesellschaften könnt Ihr stiften, und ein
-paar arme Missionäre anwerben, um ihr ganzes Leben unter solchen Heiden
-zuzubringen; aber zeige mir Einen von Euch, der so ein Wesen zu sich in
-das Haus nehmen, und die Mühe der Bekehrung selbst übernehmen würde!
-Nein; wenn es dahin kommt, dann sind sie schmutzig und widerlich, und
-machen zu viel Umstände, und so weiter!«
-
-»Augustin, ich habe die Sache nicht in diesem Lichte betrachtet,« sagte
-Miß Ophelia, augenscheinlich sanfter werdend. »Wohl, es kann vielleicht
-ein ächtes Bekehrungswerk sein,« fügte sie hinzu, das Kind mit etwas
-günstigeren Blicken betrachtend.
-
-St. Clare hatte die rechte Feder berührt, denn Miß Opheliens
-Gewissenhaftigkeit war immer wach. »Aber,« bemerkte sie noch, »ich sah
-wirklich die Nothwendigkeit nicht ein, dieses noch zu kaufen, da bereits
-genug im Hause vorhanden sind, um alle meine Zeit und Gewandtheit in
-Anspruch zu nehmen.«
-
-»Wohlan, Cousine,« sagte St. Clare, indem er sie bei Seite zog, »ich
-habe Dich wegen meiner albernen Reden um Verzeihung zu bitten. Du bist
-so gut, daß sie keine Bedeutung haben können. Sieh, die Sache ist diese.
-Das kleine Wesen gehörte einem Paar trunkener Geschöpfe, die ein
-niedriges Wirthshaus halten, an dem ich alle Tage vorüber komme; und ich
-konnte das Schreien und Prügeln dieses Kindes nicht mehr anhören. Das
-Mädchen sah aufgeweckt und possierlich aus, als wenn sich was aus ihr
-machen lasse, und so kaufte ich sie, und will sie Dir geben. Versuche Du
-nun, ihr eine orthodoxe, neu-englische Erziehung zu geben, und sieh zu,
-was sich mit ihr machen läßt. Du weißt, ich selbst besitze keine
-Fähigkeiten in dieser Richtung, aber ich möchte, daß Du es versuchtest.«
-
-»Wohl, ich will thun, was ich kann,« sagte Miß Ophelia, und näherte sich
-ihrer neuen Untergebenen ungefähr so, wie sich eine Person einer
-schwarzen Spinne nähern würde, für die sie wohlwollende Absichten hegt.
-
-»Sie ist schrecklich schmutzig, und halbnackt,« sagte sie.
-
-»So nimm sie hinunter, und laß sie sich waschen und reinlich anziehen.«
-
-Miß Ophelia führte sie hinunter in die Regionen der Küche.
-
-»Sehe gar nicht, wozu Master St. Clare noch 'ne Niggerin braucht!« sagte
-Dinah, während sie den neuen Ankömmling mit keinen sehr freundlichen
-Blicken betrachtete. »Mag sie nicht unter meinen Füßen haben!«
-
-»Pah!« sagte Rosa und Jane mit vornehmem Abscheu, »sie mag uns aus dem
-Wege gehen! Wozu Master noch eine von diesen niedrigen Negerinnen nöthig
-hat, kann ich nicht begreifen!«
-
-»Du geh'! Nicht mehr Niggerin als Du bist, Miß Rosa,« sagte Dinah,
-welche die letztere Bemerkung auf sich bezog. »Bild'st Dir wohl ein, Du
-wärst 'ne Weiße? Bist gar nichts, nicht schwarz, nicht weiß. Will doch
-lieber 'was sein.«
-
-Miß Ophelia sah, daß hier Niemand zu finden sei, der die Beaufsichtigung
-des Waschens und Ankleidens übernehmen würde, und fand sich deßhalb
-genöthigt, es mit einer sehr unfreundlichen und unwilligen Hülfe von
-Seiten Jane's selbst zu thun.
-
-Es ist nicht für zarte Ohren geeignet, die Einzelheiten der ersten
-Toilette eines vernachlässigten, mißbrauchten Kindes zu hören. Zahllose
-menschliche Wesen müssen in dieser Welt in einem Zustande leben und
-sterben, dessen Schilderung zu stark für die Ohren ihrer Mitmenschen
-sein würde. Miß Ophelia hatte einen guten, festen, praktischen Willen,
-und ging deßhalb durch alle ekelhaften Einzelheiten mit heroischer
-Gründlichkeit, obgleich nicht mit sonderlichem Gefallen daran, -- denn
-Beharrlichkeit war das Einzige, wozu ihre Grundsätze sie bringen
-konnten. Als sie auf dem Rücken und den Schultern des Kindes die tiefen
-Narben und Schwielen sah, unverlöschliche Zeichen des Systemes, unter
-dem es bisher aufgewachsen war, fühlte sie Mitleid für dasselbe.
-
-»Sehen Sie, da!« sagte Jane, auf diese Marken deutend, »zeigt das nicht,
-daß sie ein Taugenichts ist? Wir werden schöne Arbeit mit ihr haben,
-glaube ich. Ich hasse alle diese Niggerkinder! sind so ekelhaft! Ich
-wundere mich, daß Master sie gekauft hat!«
-
-Das »Niggerkind« hörte alle diese Bemerkungen mit unterwürfiger,
-kläglicher Miene an, die ihm gewohnheitsgemäß zu sein schien, aber
-unterließ dabei nicht, scharfe, verstohlene Blicke auf den Schmuck zu
-werfen, den Jane in ihren Ohren trug. Als Topsy endlich reinlich und
-ordentlich angezogen, und ihr Haar kurz abgeschnitten worden war, sagte
-Miß Ophelia mit einiger Zufriedenheit, daß sie christlicher aussehe als
-zuvor, und begann bereits im Geiste Pläne für ihren Unterricht zu
-entwerfen.
-
-Indem sie sich vor sie setzte, begann sie Fragen an sie zu richten.
-
-»Wie alt bist Du, Topsy?«
-
-»Weiß nicht, Missis,« sagte das Bild mit einem Grinsen, das alle seine
-Zähne zeigte.
-
-»Du weißt nicht, wie alt Du bist? Hat Dir's denn niemals Jemand gesagt?
-Wer war Deine Mutter?«
-
-»Hatte nie eine!« sagte das Kind, von Neuem grinsend.
-
-»Du hattest nie eine Mutter? Was meinst Du damit, wo bist Du denn
-geboren worden?«
-
-»Bin nie geboren worden!« fuhr Topsy mit einem neuen Grinsen fort,
-welches so koboldartig aussah, daß, wenn Miß Ophelia überhaupt
-nervenreizbar gewesen wäre, sie sich leicht hätte einbilden können,
-irgend ein schwarzes Gnomenkind aus dem diabolischen Reiche vor sich zu
-haben; allein Ophelia war nicht nervenschwach, sondern derb und
-praktisch, und sagte deßhalb mit einiger Schärfe:
-
-»Du mußt mir darauf antworten, Kind; ich spasse nicht mit Dir. Sage mir,
-wo Du geboren worden bist, und wer Dein Vater und Deine Mutter waren.«
-
-»Bin nie geboren worden,« wiederhole der Kobold nachdrücklicher; »--
-habe nie Vater und Mutter gehabt, nichts. Bin von 'nen Händler
-aufgezogen worden, mit einer ganzen Menge Anderer. Tante Sue zog uns
-auf und fütterte uns.«
-
-Das Kind war augenscheinlich aufrichtig, und Jane, in ein kurzes Lachen
-ausbrechend, sagte:
-
-»O Missis, es giebt eine Menge von der Art. Die Händler kaufen sie
-billig auf, wenn sie klein sind, und ziehen sie auf für den Markt.«
-
-»Wie lange bist Du bei Deinem Master und Deiner Mistreß gewesen?« fragte
-Miß Ophelia weiter.
-
-»Weiß nicht, Missis.«
-
-»Ist es ein Jahr, oder mehr, oder weniger?«
-
-»Weiß nicht, Missis?«
-
-»O, Missis,« unterbrach hier Jane wieder, -- »diese niedrigen Neger
-wissen so etwas nicht; die wissen nichts von der Zeit; wissen nicht, was
-ein Jahr ist, und wissen nicht, wie alt sie sind.«
-
-»Hast Du jemals etwas von Gott gehört, Topsy?«
-
-Das Kind sah bei dieser Frage verwirrt aus, aber grinste wieder wie
-gewöhnlich.
-
-»Weißt Du, wer Dich geschaffen hat?«
-
-»Niemand, was ich weiß,« sagte das Kind mit einem kurzen Lachen. Die
-Idee schien es besonders zu amüsiren, denn seine Augen blinzelten, und
-es fügte hinzu: »Ich denke, ich bin gewachsen; 's hat mich Niemand
-geschaffen.«
-
-»Kannst Du nähen?« fragte Miß Ophelia weiter, indem sie es für
-zweckmäßig hielt, die Unterhaltung auf etwas Anderes zu lenken.
-
-»Nein, Missis.«
-
-»Was kannst Du denn? -- was hast Du für Deinen Herrn und Deine Mistreß
-gethan?«
-
-»Wasser geholt, und Teller gewaschen, und Messer geputzt, und weißen
-Leuten aufgewartet.«
-
-»Waren sie gut gegen Dich?«
-
-»Glaube, ja,« sagte das Kind, Miß Ophelia listig von der Seite
-betrachtend.
-
-Ophelia stand von diesem ermuthigenden Zwiegespräche auf, während dessen
-St. Clare hinter ihrem Stuhle, sich auf die Lehne stützend, gestanden
-hatte.
-
-»Du findest hier jungfräulichen Boden, Cousine,« sagte er. »Lege Deine
-eignen Ideen hinein, -- wirst nicht viel auszurotten haben.«
-
-Miß Opheliens Ansichten über Erziehung waren wie alle ihre anderen Ideen
-bestimmt und geordnet, und aus derjenigen Schule, welche vor ungefähr
-hundert Jahren in Neu England herrschend war, und noch jetzt in einigen
-abgelegenen, unverderbten Theilen zu finden ist, wohin keine Eisenbahnen
-führen. Sie ließen sich ziemlich genau in wenige Worte fassen: »Den
-Kindern Aufmerksamkeit zu lehren, wenn mit ihnen gesprochen wird; ihnen
-den Katechismus, Nähen und Lesen zu lehren und sie zu züchtigen, wenn
-sie Unwahrheiten sagen;« und obgleich in der Fluth von Licht, welches
-sich jetzt über Erziehung verbreitet, diese Principien natürlich weit in
-den Hintergrund getreten sind, so läßt sich doch nicht in Abrede
-stellen, daß unsere Großmütter unter ihrer Herrschaft manche recht brave
-Männer und Weiber erzogen haben, wie Viele von uns werden bezeugen
-können. Jedenfalls wußte Miß Ophelia nichts Anderes zu thun, und begann
-deshalb das Erziehungswerk ihres heidnischen Zöglings mit vollem Eifer.
-
-Das Kind wurde als Miß Ophelia's Mädchen angekündigt und im ganzen Hause
-so betrachtet; und da Topsy in der Küche mit keinem sehr gnädigen Auge
-betrachtet wurde, so beschloß Miß Ophelia, ihren Wirkungskreis und
-Unterricht hauptsächlich auf ihr eigenes Zimmer zu beschränken. Mit
-einer Selbstverleugnung, welche vielleicht nur wenige von unsern Lesern
-zu würdigen im Stande sein werden, beschloß sie, statt behaglich ihr
-Bett selbst zu machen und ihr Zimmer selbst auszufegen und abzustäuben,
--- was sie bisher stets mit völliger Beiseitesetzung aller Anerbietungen
-des Kammermädchens im Haushalte selbst besorgt hatte, -- sich zu dem
-Märtyrerthum zu verurtheilen, Topsy diese Verrichtungen zu lehren. Wenn
-je eine unserer Leserinnen dasselbe that, so wird sie die Größe dieses
-Opfers zu würdigen wissen.
-
-Miß Ophelia begann mit Topsy damit, daß sie sie am ersten Morgen in ihr
-Zimmer nahm und einen Lehrcursus in der geheimnißvollen Kunst des
-Bettmachens anfing. Topsy stand, rein gewaschen und rein geschoren von
-allen den geflochtenen kleinen Zöpfen, an denen ihr Herz gehangen hatte,
-in einem saubern Kleide und weißer, gestärkter Schürze, vor Ophelien mit
-einer so feierlichen Miene, wie sich für ein Leichenbegängniß gepaßt
-haben würde.
-
-»Nun, Topsy, will ich Dir zeigen, wie mein Bett gemacht werden muß. Ich
-bin sehr eigen darin; Du mußt lernen, es grade ebenso zu machen.«
-
-»Ja, Madame,« sagte Topsy mit einem tiefen Seufzer und einem schmerzlich
-ernsthaften Gesichte.
-
-»Nun, Topsy, sieh hier; -- dies ist der Saum des Betttuches, -- dies ist
-die rechte Seite und dies die linke: -- wirst Du das behalten?« sagte
-Miß Ophelia weiter.
-
-»Ja, Madame,« wiederholte Topsy mit einem neuen Seufzer.
-
-»Gut, das untere Betttuch mußt Du über das Pfühl ziehen, -- so, -- und
-es glatt unter die Matratze einschlagen, -- so, siehst Du?«
-
-»Ja, Madame,« sagte Topsy mit gespanntester Aufmerksamkeit.
-
-»Aber das obere Betttuch,« fuhr Miß Ophelia fort, »muß auf diese Weise
-herabgelegt und am Fußende glatt und fest eingeschlagen werden, -- so,
--- mit dem schmalen Saum unten.«
-
-»Ja, Madame,« sagte Topsy wie zuvor, -- allein wir wollen hinzufügen,
-was Miß Ophelia nicht bemerkt hatte, daß nämlich während der Zeit, wo
-die gute Dame im Eifer ihrer Verrichtungen ihrer Schülerin den Rücken
-zugedreht, diese ein Paar Handschuhe und ein Band zu erhaschen gewußt
-und diese geschickt in ihren Aermel geschoben hatte, worauf sie mit
-gefalteten Händen wieder so ehrerbietig wie zuvor dastand.
-
-»Nun, Topsy, laß mich sehen, wie Du dies machst,« sagte Miß Ophelia, die
-Betttücher wieder herabreißend und sich setzend.
-
-Topsy ging hierauf mit großem Ernste und großer Geschicklichkeit durch
-den ganzen Prozeß zu Miß Opheliens großer Zufriedenheit; sie legte die
-Betttücher glatt, beseitigte jede Falte, und zeigte während der ganzen
-Verrichtung einen Ernst, an dem ihre Lehrerin nicht geringes Gefallen
-fand. Allein aus einer unglücklichen Schlitze ihrer Aermel kam ein
-Stückchen des Bandes zum Vorschein, grade in dem Augenblicke, als sie
-ihr Geschäft beendigte und fiel Miß Ophelien in's Auge. Augenblicklich
-sprang diese darauf zu. »Was ist dies? Du ungezogenes, böses Kind, -- Du
-hast dies gestohlen!«
-
-Das Band wurde aus Topsy's Aermel hervorgezogen, aber Topsy wurde
-dadurch durchaus nicht außer Fassung gebracht, sondern blickte darauf
-nur mit einer Miene überraschter Unschuld.
-
-»O, ah, das ist Miß Feely's Band! Wie sich das nur in meinem Aermel hat
-fangen können?«
-
-»Topsy, Du unartiges Kind, sage mir keine Lügen, -- Du hast das Band
-gestohlen!«
-
-»Missis, ich versichere, ich hab's nicht gethan, -- hab's nie gesehen,
-als jetzt grade in dieser Minute.«
-
-»Topsy,« sagte Miß Ophelia, »weißt Du nicht, daß es sündlich ist, zu
-lügen?«
-
-»Ich sage nie Lügen, Miß Feely,« sagte Topsy mit tugendhaftem Ernste;
-»'s ist nur die Wahrheit, was ich jetzt gesagt habe, -- nichts Anderes!«
-
-»Topsy, ich werde Dich peitschen müssen, wenn Du lügst.«
-
-»O, Missis, wenn Sie mich peitschen den ganzen Tag, -- kann nichts
-Anderes sagen, gar nicht!« rief Topsy, indem sie zu weinen anfing.
-»Hab's nie gesehen, -- muß sich in meinem Aermel gefangen haben. Miß
-Feely muß es auf dem Bette gelassen haben und da muß es an meinen Aermel
-gekommen sein.«
-
-Miß Ophelia war über diese dreiste Lüge so empört, daß sie das Kind
-ergriff und es heftig schüttelte.
-
-»Sage mir das nicht noch einmal!«
-
-Das Schütteln ließ auch die Handschuhe aus dem andern Aermel auf die
-Erde fallen.
-
-»Da, Du!« rief Miß Ophelia. »Willst Du mir nun noch sagen, Du habest das
-Band nicht gestohlen?«
-
-Topsy bekannte jetzt in Bezug auf die Handschuhe, aber fuhr beharrlich
-fort, das Stehlen des Bandes in Abrede zu stellen.
-
-»Höre, Topsy,« sagte Miß Ophelia, »wenn Du Alles gestehen willst, so
-will ich Dich für dieses Mal nicht peitschen.«
-
-Auf diese Weise gedrängt, gestand Topsy endlich, mit schmerzlichen
-Versicherungen der Reue, das Band und die Handschuhe genommen zu haben.
-
-»Nun, sage mir, -- ich weiß, Du mußt noch andre Dinge im Hause genommen
-haben, denn ich habe Dich gestern den ganzen Tag umher laufen lassen, --
-nun sage mir, was Du sonst noch genommen hast, und ich will Dich nicht
-peitschen.«
-
-»O Missis! ich habe Miß Eva's rothes Ding genommen, was sie um den Hals
-trägt.«
-
-»Das hast Du gethan, Du böses Kind! -- Wohl, was weiter?«
-
-»Und Rosa's Ohrringe, -- die rothen.«
-
-»Geh, und hole beide Stücke gleich hierher.«
-
-»O, Missis, ich kann nicht, -- sind verbrannt.«
-
-»Verbrannt? was ist das wieder für eine Lüge! Gehe gleich, oder ich
-peitsche Dich!«
-
-Topsy blieb mit lauten Versicherungen, und Thränen und Stöhnen dabei,
-daß sie nicht ^könne^, -- daß sie verbrannt seien.
-
-»Weshalb hast Du sie denn verbrannt?« sagte Ophelia.
-
-»Weil ich unartig bin, -- bin mächtig unartig; -- weiß nicht, kann nicht
-anders.«
-
-Grade in diesem Augenblicke kam Eva unschuldig und ahnungslos mit dem in
-Rede stehenden Korallenhalsbande in das Zimmer.
-
-»Wie, Eva, wo hast Du Dein Halsband gefunden?« fragte Miß Ophelia.
-
-»Gefunden? Wie, ich habe es den ganzen Tag getragen,« entgegnete Eva.
-
-»Hast Du es denn gestern gehabt?«
-
-»Gewiß! Und was sonderbar ist, Tante, ich habe es die ganze Nacht um
-gehabt; ich vergaß gestern, als ich zu Bett ging, es abzulegen.«
-
-Miß Ophelia war vollständig irre, und zwar um so mehr, als grade in
-diesem Momente auch Rosa, mit einem Korbe frisch geplätteter Wäsche auf
-dem Kopfe, in das Zimmer trat, und die bewußten Ohrringe in ihren Ohren
-trug.
-
-»Ich weiß nicht, was ich mit dem Kinde anfangen soll!« sagte sie. »Was
-in der Welt brachte Dich dazu, Topsy, mir zu sagen, daß Du die Dinge
-genommen habest?«
-
-»Missis sagte, ich mußte gestehen, und es fiel mir nichts Anderes ein,
-zu gestehen,« entgegnen Topsy, ihre Augen reibend.
-
-»Aber natürlich habe ich nicht gewollt, daß Du Dinge gestehst, die Du
-nicht gethan hast,« sagte Miß Ophelia; »es ist eins so gut eine Lüge,
-wie das andere.«
-
-»So? -- ist es?« sagte Topsy, mit der Miene unschuldiger Verwunderung.
-
-»O, da ist keine Spur von Wahrheit in solchen Kreaturen,« sagte Rosa,
-verächtlich auf Topsy blickend. »Wenn ich Master St. Clare wäre, so
-wollt' ich sie peitschen lassen, bis das Blut strömte, -- sicherlich,
-sie sollt' es kriegen!«
-
-»Nein, nein, Rosa,« sagte Eva mit einer befehlenden Miene, die das Kind
-zuweilen annehmen konnte; »Du mußt nicht so sprechen, Rosa! ich kann es
-nicht hören.«
-
-»O, Miß Eva! Sie sind so gut, Sie wissen nichts davon, wie man mit
-Niggern umgehen muß. 's gibt kein andres Mittel, als sie derb zu
-peitschen, -- glauben Sie nur!«
-
-»Rosa!« rief Eva, während ihr Auge flammte, und ihre Wangen sich
-purpurroth färbten, -- »still! sprich kein Wort mehr davon!«
-
-Rosa verstummte augenblicklich.
-
-»Miß Eva hat St. Clare'sches Blut, -- das ist klar; sie kann grade so
-sprechen, wie ihr Vater,« murmelte sie, während sie zum Zimmer
-hinausging.
-
-Eva stand vor Topsy, und betrachtete sie.
-
-Da standen die beiden Kinder als würdige Repräsentanten der Extreme der
-bürgerlichen Gesellschaft. Das schöne, hoch erzogene Kind mit dem
-goldenen Lockenkopfe, den tiefen Augen, den geistreichen, edlen Zügen,
-und den feinen Bewegungen; und daneben sein schwarzer, schlauer,
-kriechender und doch scharfsinniger Nachbar. Sie waren die
-Repräsentanten ihrer Geschlechter: des sächsischen, das durch
-Jahrhunderte von Bildung, Herrschaft, Erziehung, physischer und
-geistiger Entwickelung gegangen war, und des afrikanischen, das
-Jahrhunderte in Druck, Unterwürfigkeit, Unwissenheit, Mühe und Laster
-durchlebt hatte!
-
-Etwas Aehnliches mochte vielleicht in diesem Augenblicke Eva's Gedanken
-beschäftigen; allein die Gedanken eines Kindes sind nur dunkle und
-unbestimmte Ahnungen, und in Eva's edler Natur mochten viele solche
-geistige Regungen thätig sein, für die ihr die Kraft des Ausdrucks
-fehlte. Als sich Miß Ophelia über Topsy's Ungezogenheit und schlechtes
-Betragen ausließ, sah das Kind bestürzt und traurig aus, aber sagte
-sanft:
-
-»Arme Topsy, warum mußt Du stehlen? Du wirst nun unter strenge Aufsicht
-kommen. Ich wollte Dir lieber Etwas von meinen Sachen schenken, als daß
-Du es stiehlst.«
-
-Es waren die ersten freundlichen Worte, die das Kind in seinem Leben
-gehört hatte. Der sanfte, liebevolle Ton machte einen sonderbaren
-Eindruck auf das wilde, rohe Herz, und der Glanz einer Thräne zeigte
-sich einen Augenblick lang in dem scharfen, runden Auge; aber gleich
-darauf folgte wieder das kurze Lachen und Grinsen. Nein! das Ohr, das
-nie etwas Anderes als Scheltworte gehört hat, glaubt nicht an etwas so
-Himmlisches wie Güte; und Topsy hielt deshalb Eva's Rede nur für etwas
-Spaßhaftes, etwas Unerklärliches, -- sie glaubte ihr nicht.
-
-Aber was war mit Topsy zu machen? Miß Ophelia wußte es nicht. Ihre
-Regeln für Erziehung schienen auf das Kind nicht zu passen. Sie dachte,
-sie wolle sich Zeit nehmen, um den Fall zu überlegen, und schloß
-deshalb, im Vertrauen auf gewisse, unbestimmte, wirksame Kräfte, die
-dunkelen Gemächern zugeschrieben werden, Topsy in ein solches ein, bis
-daß sie zu einem bestimmteren Entschlusse gekommen sein werde.
-
-»Ich sehe nicht ein,« sagte Miß Ophelia zu St. Clare, »wie ich das Kind
-in Ordnung halten soll, ohne es zu peitschen.«
-
-»Gut, so peitsche es, so viel Du willst. Ich will Dir volle
-Machtvollkommenheit geben.«
-
-»Kinder müssen immer körperlich gezüchtigt werden,« sagte Miß Ophelia,
-»ich weiß nicht, wie man sie ohne das erziehen kann.«
-
-»O, natürlich,« sagte St. Clare, »mache es ganz so, wie Du es für am
-Besten hältst. Nur eine Bemerkung wollte ich mir erlauben. Ich habe das
-Kind mit der Feuerzange, mit Schüreisen und Schüssel, was grade am
-nächsten zur Hand war, prügeln und niederschlagen sehen; und da es also
-an diese Art von Operation gewohnt ist, so müssen Deine Züchtigungen
-ziemlich energisch eingerichtet werden, wenn sie großen Eindruck machen
-sollen.«
-
-»Was ist denn aber nun mit ihr zu thun?« fragte Ophelia.
-
-»Du hast eine sehr wichtige Frage aufgeworfen,« sagte St. Clare, »und
-ich wollte, Du könntest sie beantworten. Was ist mit einem menschlichen
-Wesen zu thun, das nur durch die Peitsche regiert werden kann, -- wenn
-selbst diese wirkungslos wird? Es ist ein sehr häufiger Fall hier bei
-uns im Süden.«
-
-»Ich weiß es nicht; ich habe nie ein solches Kind gesehen.«
-
-»Solche Kinder sind bei uns sehr gewöhnlich, und sogar solche Männer und
-Weiber. Wie sollen ^die^ regiert werden?« sagte St. Clare.
-
-»Es ist jedenfalls mehr, als ich zu beantworten vermag,« entgegnete Miß
-Ophelia.
-
-»Und ich gleichfalls,« sagte St. Clare. »Jene schrecklichen
-Grausamkeiten, die von Zeit zu Zeit durch die Zeitungen bekannt werden,
--- solche Fälle, wie zum Beispiel Prue's, -- woher kommen sie? In vielen
-Fällen ist es ein allmähliger Abhärtungsprozeß auf beiden Seiten, --
-indem der Besitzer immer grausamer, und der Sklave immer unempfindlicher
-dagegen wird. Peitschen und Mißhandlung sind wie Laudanum; die Dosis muß
-in demselben Grade erhöht werden, in welchem die Nerven sich abstumpfen.
-Ich erkannte das sehr bald, als ich Besitzer wurde, und beschloß
-deßhalb, nie damit anzufangen, weil ich nicht wußte, wann ich aufhören
-würde. Die Folge davon ist, daß meine Sklaven sich wie verzogene Kinder
-betragen; aber ich halte es für besser, als wenn wir beiderseits
-entmenscht wären. Du hast viel über unsere Verantwortlichkeit in Bezug
-auf Erziehung gesprochen, und deshalb wollte ich, daß Du es mit einem
-Kinde versuchen möchtest, welches als Beispiel von Tausenden gelten
-kann.«
-
-»Aber es ist Euer System, welches solche Kinder erzeugt,« sagte Miß
-Ophelia.
-
-»Ganz richtig, ich weiß das; aber sie sind einmal so, -- sie sind da, --
-und was ist mit ihnen zu machen?«
-
-»Wohl, ich kann nicht sagen, daß ich Dir für diesen Versuch besonders
-dankbar wäre: allein, da es einmal eine Pflicht zu sein scheint, so will
-ich darin fortfahren, und thun, was ich kann,« sagte Miß Ophelia, und
-hielt ihr Wort, denn sie fuhr fort, mir einem Grade von Eifer und
-Energie an der Bildung ihres Zöglings zu arbeiten, der Achtung
-verdiente. Sie bestimmte regelmäßige Stunden und Beschäftigungen für das
-Kind, und versuchte es, sie lesen und nähen zu lehren.
-
-In der erstern Kunst machte Topsy schnelle Fortschritte. Sie lernte die
-Buchstaben wie durch Zauberei, und war sehr bald im Stande, einfache
-Schrift zu lesen; aber das Nähen war eine schwierigere Aufgabe. Das
-Wesen war geschmeidig wie eine Katze, und behende wie ein Affe; und da
-ihr das Stillsitzen beim Nähen zuwider war, so zerbrach sie ihre Nadeln,
-und warf sie verstohlen zum Fenster hinaus, oder in Spalten der Wände;
-sie verwickelte, zerriß und beschmutzte ihren Zwirn, oder warf ein
-ganzes Knäul verstohlen in einen versteckten Winkel. Ihre Bewegungen
-waren beinahe so schnell, wie die eines geübten Taschenspielers, und die
-Herrschaft über ihre Gesichtszüge war eben so groß; und obgleich Miß
-Ophelia sich nicht denken konnte, daß so viele Zufälle sich nach
-einander ereignen könnten, so war sie ja dennoch außer Stande, sie ohne
-eine besondre Wachsamkeit zu ertappen, die ihr keine Zeit zu andern
-Geschäften übrig gelassen haben würde.
-
-Topsy war sehr bald im ganzen Hause bekannt. Ihr Talent für jede Art von
-Possen, Grimassen und Nachäffung, -- für tanzen, klettern, singen,
-pfeifen und Nachahmung jedes Tones, der ihr gefiel, schien
-unerschöpflich. Während ihrer Spielstunden hatte sie regelmäßig
-sämmtliche Kinder des ganzen Hauses hinter sich, die sie offenen Mundes
-vor Staunen und Verwunderung anstarrten, -- selbst Eva nicht
-ausgenommen, welche sich von ihren wilden Teufeleien in derselben Weise
-angezogen fühlte, wie eine Taube zuweilen an dem Glanz und Schimmer
-einer Schlange Gefallen findet. Miß Ophelia wurde darüber unruhig, daß
-Eva so vielen Gefallen an Topsy's Gesellschaft fand, und bat St. Clare,
-es zu verbieten.
-
-»Pah, laß das Kind gehen,« sagte St. Clare, »Topsy wird ihr keinen
-Schaden thun.«
-
-»Aber ein so verderbtes Kind, -- mußt Du denn nicht fürchten, daß sie
-ihr eine Unart lehre?«
-
-»Sie kann ihr keine Unart lehren; andern Kindern wohl, aber von Eva's
-Gemüthe rollt das Böse ab wie Thau von einem Kohlblatte, nicht ein
-Tropfen fällt hinein.«
-
-»Sei dessen nicht zu gewiß,« sagte Ophelia. »Ich würde mein eignes Kind
-nie mit Topsy spielen lassen.«
-
-»Wohl, Deine Kinder haben's nicht nöthig,« sagte St. Clare, »aber meine
-mögen es thun. Wenn Eva hätte verdorben werden können, so hätte es schon
-vor Jahren geschehen müssen.«
-
-Topsy wurde anfangs von den oberen Dienstboten verachtet; allein sie
-fanden bald Grund genug, ihre Meinung zu ändern. Es zeigte sich, daß,
-wer sie irgendwie beschimpft hatte, mit Sicherheit darauf rechnen
-konnte, bald darauf irgend einem unangenehmen Zufalle zu begegnen.
-Entweder wurden plötzlich ein Paar Ohrringe, oder andrer
-Lieblingsschmuck vermißt, oder ein Kleidungsstück wurde vollständig
-ruinirt gefunden, oder die betreffende Person mußte über einen Eimer
-heißen Wassers stolpern, oder es kam plötzlich, unerwartet und
-unerklärlich, eine Fluth Spülicht von oben auf sie herab, wenn sie sich
-grade in vollem Staate befand; -- und in allen diesen Fällen fand sich,
-wenn eine Untersuchung veranlaßt wurde, Niemand, der zu dem Schimpfe
-Gevatter stehen wollte. Topsy wurde citirt und mußte wiederholt vor
-allen den häuslichen Richtern erscheinen, aber bestand alle Verhöre mit
-der erbaulichsten Unschuld. Niemand in der Welt war zweifelhaft über die
-Thäterschaft; aber auch nicht der entfernteste Beweis ließ sich zur
-Rechtfertigung des Verdachtes führen, und Miß Ophelia hatte zu viel
-Gerechtigkeitsgefühl, um ohne einen solchen weiter in der Sache gehen zu
-wollen. Mit einem Worte, Topsy machte dem ganzen Haushalte begreiflich,
-daß es am Rathsamsten sei, sie in Ruhe zu lassen, und man ließ sie in
-Ruhe.
-
-Topsy war in allen Handverrichtungen gewandt, und lernte mit
-überraschender Schnelligkeit Alles, was ihr gezeigt wurde. In wenigen
-Unterrichtsstunden hatte sie gelernt, alle Geschäfte für Miß Opheliens
-Zimmer in einer solchen Weise zu verrichten, daß selbst diese eigne Dame
-keine Fehler daran finden konnte. Menschliche Hände konnten kein Bettuch
-glätter, kein Kissen richtiger legen, als Topsy, wenn sie es wollte, --
-aber sie wollte es sehr oft nicht. Wenn in Miß Ophelien, nach drei oder
-vier Stunden sorgsamer und geduldiger Ueberwachung, die sanguinische
-Hoffnung aufstieg, daß Topsy endlich auf den rechten Weg gekommen sei,
-und sie von ihrer Beaufsichtigung abgehen könne, um sich andern
-Geschäften zu widmen, so pflegte Topsy einige Stunden lang einen wahren
-Carneval von Confusion zu halten. Eines Tages fand sie Miß Ophelia mit
-ihrem besten indianischen Florshawl als Turban um den Kopf gebunden,
-deklamatorische Vorstellungen vor dem Spiegel geben.
-
-»Topsy!« pflegte sie dann zu ihr zu sagen, wenn alle Geduld am Ende war,
-»weshalb machst Du solche Streiche?«
-
-»Weiß nicht, Missis, -- glaube, weil ich so unartig bin!«
-
-»Ich weiß nicht mehr, was ich mit Dir machen soll, Topsy.«
-
-»Müssen mich peitschen, Missis; meine alte Missis peitschte mich immer;
--- kann nichts thun, wenn ich nicht gepeitscht werde.«
-
-»Topsy, ich mag Dich nicht peitschen. Du kannst gut und artig sein, wenn
-Du willst; -- warum willst Du nicht?«
-
-»Bin an's Peitschen gewöhnt, Missis; -- glaube 's thut mir gut,«
-entgegnete Topsy.
-
-Miß Ophelia versuchte das Recept, und Topsy verursachte dann regelmäßig
-einen entsetzlichen Lärm, schrie, heulte und flehte, und saß eine halbe
-Stunde später auf irgend einem Vorsprunge des Balkons, umgeben von der
-Heerde ihrer jungen Bewunderer, und drückte die äußerste Verachtung über
-die ganze Sache aus.
-
-»Pah, Miß Feely peitschen! -- bringt keine Fliege um, ihr Peitschen.
-Hättet sehen sollen, wie mein alter Master 's Fleisch fliegen ließ; --
-alte Master verstand 's!«
-
-Sonntags pflegte sich Miß Ophelia angelegentlichst damit zu
-beschäftigen, Topsy den Katechismus zu lehren. Topsy hatte ein
-ungewöhnliches Wortgedächtniß und lernte mit einer Leichtigkeit und
-Sicherheit, die für ihre Lehrerin sehr ermuthigend waren.
-
-»Welchen Nutzen erwartest Du davon für sie?« fragte St. Clare.
-
-»Nun, es ist immer für Kinder von Nutzen gewesen. Kinder haben das immer
-lernen müssen,« entgegnete Ophelia.
-
-»Ob sie es verstehen oder nicht -- gleichviel!« sagte St. Clare.
-
-»O, Kinder verstehen es in der Zeit nie; aber wenn sie aufwachsen, kommt
-die Zeit, wo sie es verstehen lernen.«
-
-»Nun, meine ist noch nicht gekommen, obgleich ich bezeugen kann, daß Du
-es mir gründlich genug beigebracht hast, als ich ein Knabe war,«
-entgegnete St. Clare.
-
-»Du warst immer ein guter Lerner, Augustin. Ich hegte damals große
-Hoffnungen von Dir,« sagte Ophelia.
-
-»So, hast Du denn jetzt keine?« fragte St. Clare.
-
-»Ich wollte, Du wärest so gut, wie Du als Knabe warst, Augustin!«
-
-»Das wünschte ich auch, Cousine,« sagte St. Clare. »Wohl, fahre fort,
-und katechisire Topsy: vielleicht machst Du doch noch etwas aus ihr.«
-
-Topsy, die während dieser Unterhaltung gleich einer schwarzen Statue,
-mit demüthig gefalteten Händen da gestanden hatte, fuhr jetzt auf einen
-Wink von Miß Ophelia fort:
-
-»Unsere ersten Eltern, da sie der Freiheit ihres eignen Willens
-überlassen blieben, fielen aus dem Stande, in dem sie erschaffen worden
-waren.«
-
-Topsy's Augen blinzelten, und sie blickte fragend auf Ophelien.
-
-»Was willst Du, Topsy?« fragte Miß Ophelia.
-
-»Bitte, Missis, war es der Stand Kentucky?«
-
-»Was für ein Stand?«
-
-»Der Stand, aus dem sie fielen. Ich hörte Master sagen, daß wir von
-Kentucky gekommen wären.«
-
-St. Clare lachte.
-
-»Du wirst ihr eine Erklärung geben müssen, oder sie macht sich eine,«
-sagte er. »Es scheint hier die Theorie der Auswanderung darunter
-verstanden zu werden.«
-
-»O, still, Augustin!« sagte Miß Ophelia, »wie kann ich etwas thun, wenn
-Du dabei lachst?«
-
-»Gut, ich will Dich nicht wieder stören, auf mein Wort,« sagte St.
-Clare, nahm seine Zeitung, und setzte sich nieder, bis Topsy ihre
-Recitationen beendigt hatte. Diese waren ganz gut, nur daß sie dann und
-wann, in den wichtigsten Stellen, die Worte auf eine sonderbare Weise
-versetzte, und bei dem Irrthume aller Gegenvorstellungen ungeachtet
-beharrte; und St. Clare, trotz aller seiner Versprechungen, fand ein
-muthwilliges Vergnügen darin, sich diese anstößigen Stellen wiederholen
-zu lassen, ohne Miß Opheliens Gegenvorstellungen zu beachten.
-
-»Aber wie kannst Du glauben, daß ich mit dem Kinde etwas erreichen kann,
-wenn Du so fortfährst,« pflegte sie zu sagen.
-
-»Gut, es ist unrecht, -- ich will es nicht wieder thun; aber es ist gar
-zu drollig, das kleine Bild über diese Worte stolpern zu hören.«
-
-»Ja, aber Du bestärkst sie ja in ihrem schlechten Wege.«
-
-»Was macht 's denn aus? Ein Wort ist für sie so gut wie ein anderes.«
-
-»Du willst, daß ich sie gut erziehen soll, und solltest also mit dem
-Einfluß, den Du ausübst, vorsichtig sein.«
-
-»O Elend! freilich sollte ich das! aber wie Topsy selbst sagt: »ich bin
-so unartig!««
-
-In dieser Weise schritt Topsy's Erziehung ein oder zwei Jahre fort,
-während deren Miß Ophelia sich täglich mit ihr plagte, wie mit einem
-chronischen Leiden, an dessen Beschwerden sie sich endlich so gewöhnte,
-wie andre Personen an ein Nerven- oder Kopfleiden.
-
-St. Clare fand an dem Kinde dasselbe Vergnügen, wie an den Spässen
-eines Papagei's oder Hühnerhundes. Topsy dagegen pflegte, wenn sie in
-irgend einem andern Departement in Ungnade gefallen war, hinter seinem
-Stuhle Schutz zu suchen, und St. Clare wirkte dann stets auf eine
-oder die andre Weise Vergebung für sie aus. Von ihm erhielt sie auch
-so manche kleine Münze, die sie zu Nüssen und Zuckerkant verwendete,
-um sie mit sorgloser Freigebigkeit unter alle Kinder des Hauses zu
-vertheilen; denn Topsy war, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen,
-von Natur gutmüthig und freigebig, und nur bösartig in ihrer eignen
-Selbstvertheidigung.
-
-Sie ist jetzt in unser _corps de ballet_ genügend eingeführt worden,
-und wird darin von Zeit zu Zeit, neben den andern handelnden Personen,
-ihre Rolle spielen.
-
-
-
-
-Einundzwanzigstes Kapitel.
-
-Kentucky.
-
-
-Unsere Leser sind vielleicht nicht abgeneigt, einen kurzen Rückblick auf
-Onkel Toms Hütte zu thun, um zu sehen, was unter denen, die er
-zurückgelassen hat, vorgeht.
-
-Es war spät an einem Sommer-Nachmittage, und die Thüren und Fenster des
-großen Wohnzimmers in Mr. Shelby's Haus waren alle geöffnet, um jedes
-frische Lüftchen, das dazu geneigt war, hereinzulassen. Mr. Shelby saß
-in einer großen Halle, welche mit diesem Zimmer in Verbindung stand, und
-durch das ganze Haus zu einem am andern Ende befindlichen Balkon lief.
-Nachlässig in seinen Stuhl zurückgelegt, und seine Füße auf einem
-andern wiegend, rauchte er seine Nachmittags-Cigarre. Mrs. Shelby saß in
-der Thür, mit feiner Näherei beschäftigt, und schien etwas auf dem
-Herzen zu haben, zu dessen Vorbringen sie eine Gelegenheit suchte.
-
-»Hast Du gehört,« sagte sie, »daß Chloë einen Brief von Tom erhalten
-hat?«
-
-»Wirklich? Tom scheint dort einen Freund zu haben. Was macht der alte
-Junge?«
-
-»Er muß von einer sehr anständigen Familie gekauft worden sein, sollte
-ich denken,« sagte Mrs. Shelby, -- »er hat sehr gute Behandlung, und
-nicht viel zu thun.«
-
-»So! nun das freut mich, -- wahrlich,« sagte Mr. Shelby mit
-Herzlichkeit. »Ich hoffe, Tom wird sich an eine südliche Residenz
-gewöhnen, -- und kaum wünschen, hieher zurückzukehren.«
-
-»Im Gegentheil, er fragt mit großer Aengstlichkeit danach, wann das Geld
-für seine Wiedereinlösung werde aufgebracht werden können.«
-
-»Ich weiß es nicht,« sagte Mr. Shelby. »Wenn die Geschäfte einmal
-angefangen, schief zu gehen, so hörts nicht wieder auf. Es ist gerade
-wie durch einen Sumpf von einer trockenen Stelle auf die andere
-springen; hier borgen und dort bezahlen, und dann wieder borgen, um den
-Letzten zu bezahlen; -- und diese verdammten Wechsel laufen immer ab,
-ehe ein Mensch Zeit hat, eine Cigarre zu rauchen und sich umzudrehen, --
-nichts als Mahnbriefe und Drängen und Treiben.«
-
-»Ich sollte denken, mein Lieber, es könnte so Manches geschehen, um
-unsere Angelegenheiten zu ordnen. Wenn wir zum Beispiel alle unsere
-Pferde und eine Farm verkauften, um Alles abzuzahlen?«
-
-»O lächerlich, Emilie! Du bist die gescheiteste Frau in Kentucky, aber
-hast doch nicht Einsicht genug zu sehen, daß Du von Geschäften nichts
-verstehst; -- Weiber verstehen und können davon nie etwas verstehen.«
-
-»Aber könntest Du mich denn nicht wenigstens einen Blick in Deine
-Verhältnisse thun lassen? mich ein Verzeichniß aller Deiner Schulden und
-Forderungen sehen, und mich versuchen lassen, ob ich Dir keinen Rath zu
-ökonomischen Maßregeln geben könnte?«
-
-»O Thorheit! quäle mich nicht, Emilie! -- das kann ich nicht. Ich weiß
-recht wohl, wie meine Sachen stehen, und die lassen sich nicht kneten
-und drücken und in jede mögliche Form bringen, wie Chloë es mit ihren
-Pasteten macht. Du verstehst einmal nichts von Geschäften, wie ich Dir
-schon gesagt habe.«
-
-Da Mr. Shelby keine besseren Gründe anzuführen hatte, so erhob er bei
-diesen Worten seine Stimme, -- eine Art und Weise, die für einen Mann,
-der mit seiner Frau über Geschäftssachen spricht, sehr bequem und sehr
-überzeugend ist.
-
-Mrs. Shelby schwieg mit einem Seufzer. Es war außer Zweifel, daß sie,
-obgleich ein Weib, dennoch einen klaren, energischen, praktischen
-Verstand hatte, und eine Charakterstärke besaß, die der ihres Gatten bei
-weitem überlegen war; so daß es keineswegs so sehr abgeschmackt gewesen
-sein würde, wie Mr. Shelby dachte, sie Theil an den Geschäften nehmen zu
-lassen.
-
-»Glaubst Du nicht, daß wir auf eine oder die andere Weise Geld
-aufbringen könnten? Die arme Chloë, sie rechnet so sehr darauf.«
-
-»Das thut mir leid. Ich glaube, ich war etwas zu voreilig mit meinem
-Versprechen. Ich weiß nicht, ich denke, es ist am Ende der beste Weg, es
-Chloë geradezu zu sagen, damit sie sich darein findet. Tom wird in ein
-oder zwei Jahren eine andere Frau haben, und sie thäte am besten, zu
-einem andern Mann zu gehen.«
-
-»Mr. Shelby, ich habe meinen Leuten gelehrt, daß ihre ehelichen
-Verbindungen so heilig wie die unsrigen seien. Ich würde mich nie dazu
-verstehen können, Chloë solchen Rath zu geben.«
-
-»Es ist ein Unglück, Frau, daß Du diese Leute mit der Last einer
-Moralität beschwert hast, die weit über ihre Verhältnisse und ihre
-Aussichten hinausgeht. Ich habe immer so gedacht.«
-
-»Es ist nur die Lehre der Bibel,« entgegnete Mrs. Shelby.
-
-»Gut, gut, Emilie, ich will mich in Deine religiösen Ansichten nicht
-mischen; nur scheinen sie mir für Leute in solchen Verhältnissen
-durchaus nicht geeignet zu sein.«
-
-»Leider sind sie es nicht,« sagte Mrs. Shelby, »und das ist der Grund,
-weshalb ich das Sklavenwesen hasse. Ich sage Dir, mein Lieber, ich kann
-mich von den Versprechungen nicht lossagen, die ich diesen hülflosen
-Geschöpfen gemacht habe. Wenn ich das Geld in keiner andern Weise
-aufbringen kann, so will ich Musikunterricht geben. Ich weiß, daß ich
-Beschäftigung genug bekommen und das Geld bald verdienen würde.«
-
-»Wie, Emilie, Du würdest Dich doch nicht auf diese Weise herabwürdigen
-wollen? Ich könnte nie meine Einwilligung dazu geben.«
-
-»Herabwürdigen! würde es mich so herabwürdigen, wie wenn ich das
-Versprechen bräche, was ich Hülflosen gegeben habe? Nein, gewiß nicht!«
-
-»Du bist heroisch und überspannt,« sagte Mr. Shelby; »aber ich dächte,
-Du thätest wohl, die Sache noch einmal zu überlegen, ehe Du solchen
-abenteuerlichen Streich unternimmst.«
-
-Hier wurde die Unterhaltung durch die Erscheinung Chloë's am Ende der
-Veranda unterbrochen.
-
-»Wenn's Ihnen gefällig wäre, Missis,« sagte sie.
-
-»Nun, Chloë, was gibt's?« sagte ihre Mistreß aufstehend und nach dem
-Ende des Balkones gehend.
-
-»Wenn Missis hier das Geflügel ansehen wollte,« sagte Chloë mit einer
-Miene ernster Betrachtung, während sie auf einen Haufen Hühner und Enten
-deutete, bei dem sie stand; »ich dachte, ob Missis vielleicht eine
-Hühnerpastete haben wollte von diesen da.«
-
-»Das ist mir gleich, Chloë, -- richte sie nur zu, wie Du willst,«
-entgegnete Mrs. Shelby.
-
-Chloë blieb gedankenvoll stehen, während sie das Geflügel einzeln durch
-ihre Hände gehen ließ; allein es war leicht erkennbar, daß die Hühner
-nicht der Gegenstand ihrer Gedanken waren. Endlich begann sie mit einem
-kurzen Lachen, mit dem ihr Geschlecht häufig etwas zweifelhafte
-Vorschläge einzuleiten pflegt:
-
-»Mein Gott, Missis, warum sollen Master und Missis sich quälen um das
-Geld und nicht gebrauchen das Recht, was ihnen zukommt?« sagte Chloë von
-Neuem lachend.
-
-»Ich verstehe Dich nicht, Chloë,« entgegnete Mrs. Shelby, die Chloë's
-Weise kannte, und deßhalb nicht im Geringsten bezweifelte, daß sie jedes
-Wort der zwischen ihr und ihrem Ehemanne so eben Statt gehabten
-Unterhaltung gehört habe.
-
-»O Missis!« sagte Chloë wieder lachend, »andere Leute miethen ihre
-Nigger aus, und lassen sie Geld verdienen: halten nicht solche Bande,
-die sie aus Haus und Hof ißt.«
-
-»Wohl, Chloë, wen meinst Du denn, daß ich ausmiethen solle?«
-
-»O, ich meine gar nichts, -- nur Sam sagte mir, daß da einer von den
-Conditorn wäre, in Louisville, der 'ne geschickte Hand für Kuchen und
-Pasteten brauchte, und der vier Dollars die Woche geben wollte, -- sagte
-er.«
-
-»Nun, Chloë?«
-
-»Ja, so dachte ich, Missis, 's wäre Zeit, daß Sally endlich anfinge,
-'was zu thun. Sally ist unter mir gewesen diese ganze Zeit, und kann
-Alles beinahe eben so gut machen wie ich; und wenn Missis mich wollte
-gehen lassen, so könnt' ich helfen das Geld verdienen. Fürchte mich gar
-nicht, meine Kuchen und meine Pasteten neben alle die von 'nem Conditor
-zu stellen.«
-
-»Aber, Chloë, willst Du denn Deine Kinder verlassen?«
-
-»O, Missis, die Jungens sind groß genug, um zu arbeiten, -- fehlt ihnen
-gar nichts; und Sally soll nach der Kleinen sehn, 's ist so ein munteres
-Ding, braucht gar nicht viel gewartet zu werden.«
-
-»Louisville ist ziemlich weit von hier.«
-
-»Mein Gott, fürchte mich nicht! -- ist's wohl den Fluß hinunter, nahe
-bei meinem alten Mann vielleicht?« sagte Chloë, die letzten Worte in
-fragendem Tone sprechend und auf Mrs. Shelby blickend.
-
-»Nein, Chloë, es ist noch viele hundert Meilen davon entfernt,«
-entgegnete Mrs. Shelby.
-
-Chloë's Gesicht wurde traurig.
-
-»Das thut nichts, Chloë; Du kommst ihm wenigstens näher, wenn Du dahin
-gehst. Ja, Du magst gehen; und jeder Cent Deines Lohnes soll zu der
-Wiedereinlösung Deines Mannes zurückgelegt werden.«
-
-Wie wenn ein heller Sonnenstrahl eine dunkle Wolke versilbert, so klärte
-sich Chloë's dunkles Gesicht augenblicklich auf, -- es strahlte
-förmlich.
-
-»O Herr! wenn Missis nicht zu gut ist! -- dachte gerade an dasselbe;
-denn ich brauche keine Kleider und keine Schuhe und nichts, -- könnte
-jeden Cent sparen. Wie viele Wochen gibt's denn in 'nem Jahre, Missis?«
-
-»Zweiundfünfzig,« sagte Mrs. Shelby.
-
-»Herr! also so viele? und vier Dollar für jede, -- wie viel mag das
-sein?«
-
-»Zweihundert und acht Dollar,« entgegnete Mrs. Shelby.
-
-»Wie!« sagte Chloë mit einem Ausdruck von Ueberraschung und Wonne; --
-»und wie lange würde 's dauern, bis ich Alles herausgearbeitet hätte,
-Missis?«
-
-»Vier bis fünf Jahre, Chloë; aber Du sollst nicht Alles allein
-verdienen, -- ich will Etwas dazu legen.«
-
-»Mag nichts davon hören, -- Missis Stunden geben. Master hat ganz Recht
-darin; -- würde sich nicht passen. Hoffe, keiner von unserer Familie
-wird dazu kommen, so lange ich Hände habe.«
-
-»Fürchte nichts, Chloë, -- ich will schon Sorge tragen für die Ehre der
-Familie,« sagte Mrs. Shelby lächelnd. »Aber wann gedenkst zu gehen?«
-
-»O, ich denke Nichts, -- nur, Sam, er geht auf den Fluß mit Fohlen, und
-sagte mir, ich könnte mit ihm gehn; und so machte ich just meine Sachen
-zusammen. Wenn Missis wollte, so könnt' ich mit Sam morgen früh gehen,
--- wenn Missis mir 'nen Paß schreiben wollte, und 'ne 'Commendation.«
-
-»Wohl, Chloë, ich will dafür sorgen, wenn Mr. Shelby Nichts dagegen
-einzuwenden hat. Ich muß erst mit ihm reden.«
-
-Mrs. Shelby ging in das obere Stockwerk und Tante Chloë ging entzückt in
-ihre Hütte, um die nöthigen Vorbereitungen zu treffen.
-
-»O, Master Georg! Sie wissen nicht, daß ich morgen nach Louisville
-gehe!« sagte sie zu Georg, als er sie beim Eintreten beschäftigt fand,
-die Kleidungsstücke ihrer Kinder zu ordnen. »Dachte, ich wollte grade
-'mal über diese Sachen sehen und sie in Ordnung haben. Aber ich gehe,
-Master Georg, -- ich gehe, und bekomme vier Dollar die Woche; und Missis
-will es Alles aufheben und meinen alten Mann damit wiederkaufen.«
-
-»Sieh da!« sagte Georg, »das ist ein gutes Geschäft! Wann gehst Du
-denn?«
-
-»Morgen, mit Sam. Und nun, Master Georg, -- ich weiß -- sind Sie wohl so
-gut und schreiben just an meinen alten Mann, und sagen ihm das Alles, --
-nicht wahr?«
-
-»Versteht sich,« sagte Georg. »Onkel Tom wird sich freuen, Nachricht
-von uns zu bekommen. Ich will gleich in's Haus gehen, und Feder und
-Papier holen; und dann kann ich ihm auch gleich von unsern jungen Fohlen
-erzählen und von allen andern Sachen, -- nicht wahr, Tante Chloë?«
-
-»Freilich, freilich, Master Georg; gehen Sie nur, und ich will Ihnen
-unterdessen ein hübsches Stückchen Huhn zurecht machen, oder so Etwas;
--- werden nicht oft mehr bei alte Tante Chloë 'was essen.«
-
-
-
-
-Zweiundzwanzigstes Kapitel.
-
-»Das Gras verwelkt -- die Blume verblüht.«
-
-
-Mit jedem Tage fließt ein Theil unseres Lebens dahin, -- und so war es
-mit Onkel Tom, bis zwei Jahre verflossen waren. Obgleich getrennt von
-Allem, was seinem Herzen theuer war, und obgleich oft die heftigste
-Sehnsucht nach seinen Lieben empfindend, fühlte er sich doch eigentlich
-nie ganz unglücklich; denn so stark ist die Harfe menschlicher Gefühle
-bezogen, daß nur ein Zerreißen aller Saiten ihre Harmonie gänzlich
-zerstören kann; und selbst wenn wir auf Zeiten der Trübsal und der
-Leiden zurückblicken, so können wir uns erinnern, daß fast jede Stunde
-derselben in ihrem Laufe Abwechslung und Erleichterung mit sich brachte,
-so daß wir, wenn auch im Ganzen nicht glücklich, doch auch nicht ganz
-elend waren.
-
-Sein an Chloë gerichteter Brief war, wie dessen bereits im vorigen
-Kapitel Erwähnung geschehen, von Master Georg in guter Zeit beantwortet
-worden, und zwar in einer runden, deutlichen Schulknabenschrift, die,
-wie Onkel sagte, sich beinahe über das ganze Zimmer lesen ließ. Das
-Schreiben enthielt verschiedene erquickliche Nachrichten über die
-dortigen Verhältnisse, mit denen unsere Leser bereits bekannt sind: zum
-Beispiel, daß Tante Chloë an einen Conditor in Louisville ausgedungen
-worden, wo sie mit der Fabrikation von Pasteten unglaubliche Summen
-Geldes verdiene, die alle zur Wiedereinlösung Toms zurückgelegt werden
-sollten; daß Mose und Pete munter aufwüchsen, und daß das Kleine unter
-Sally's und der ganzen Familie Aussicht bereits im ganzen Hause
-umhertrabe. Toms Hütte war für jetzt geschlossen worden, allein Georg
-ließ sich mit großer Wärme über die Verbesserungen und Verzierungen aus,
-die darin vorgenommen werden sollten, sobald Tom zurückkehre. Der Rest
-des Briefes enthielt ein Verzeichniß von Georgs Schulstudien und von den
-Namen der vier jungen Fohlen, welche seit Toms Entfernung gefallen
-waren, und erwähnte in inniger Verbindung hiermit, daß sich Vater und
-Mutter wohl befänden. Der Styl des Briefes war entschieden ein sehr
-bündiger: allein Tom hielt seine Abfassung für eins der vollendetsten
-Beispiele in der neueren Zeit. Er konnte nie müde werden, das Schreiben
-zu betrachten, und berathschlagte sogar mit Eva darüber, ob es nicht gut
-wäre, es unter Glas und Rahmen bringen zu lassen, um es im Zimmer
-aufhängen zu können; und nur die Schwierigkeit, es so einzurichten, daß
-beide Seiten des Blattes zugleich sichtbar seien, stand der Ausführung
-im Wege.
-
-Die Freundschaft zwischen Tom und Eva war in gleichem Schritte mit dem
-Kinde selbst gewachsen. Es würde schwer sein zu sagen, welchen Platz sie
-in dem sanften, empfänglichen Herzen ihres treuen Dieners einnahm. Er
-liebte sie wie etwas Irdisches und Gebrechliches, aber verehrte sie
-beinahe als etwas Himmlisches und Göttliches. Wie der italienische
-Seemann auf sein Bild des Jesuskindes schaut, so betrachtete er sie mit
-einer Mischung von Ehrfurcht und Zärtlichkeit; und sein größtes
-Vergnügen bestand darin, den kindlichen Einfällen, den tausend kleinen
-Bedürfnissen zu genügen, die das jugendliche Alter wie mit einem
-buntfarbigen Regenbogen schmücken. Wenn er Morgens auf den Markt ging,
-so waren seine Augen stets auf die Blumenlager gerichtet, um seltene
-Bouquette für sie auszusuchen, und die schönste Pfirsich, die er fand,
-glitt stets in seine Tasche, um sie ihr zu geben, wenn er nach Hause
-kam; und der liebste Anblick für ihn war der, wenn er ihren
-goldlockigen, kleinen Kopf zur Pforte hinaus blicken und auf seine
-Rückkehr warten sah, und er dann ihre kindliche Frage hörte: »Nun, Onkel
-Tom, was hast Du heut' für mich?«
-
-Auch war Eva nicht weniger eifrig in freundlichen Gegenleistungen.
-Obgleich noch Kind, konnte sie dennoch vortrefflich lesen. Ein feines,
-musikalisches Ohr, eine lebhafte, poetische Phantasie, und ein
-instinktmäßiges Gefühl für alles Große und Edle machten sie zu einer
-Bibelleserin, wie Tom nie zuvor etwas Aehnliches gehört hatte. Anfangs
-las sie nur, um ihrem bescheidenen Freunde gefällig zu sein, aber bald
-streckte ihre eigene ernste Natur ihre Fühlfäden aus und schlang sie um
-das majestätische Buch. Und Eva liebte es, weil es ein seltsames Sehnen
-und mächtige, dunkle Regungen in ihr erweckte, denen sich tieffühlende
-und mit lebhafter Phantasie begabte Kinder so gern hingeben.
-
-Diejenigen Theile, welche sie am meisten liebte, waren die Offenbarung
-Johannis und die Propheten, -- Theile, deren dunkle, warme und
-bilderreiche Sprache sie um so mehr ergriff, als sie vergeblich nach
-einer Deutung suchte, -- und sie und ihr schlichter Freund, das junge
-und das alte Kind, stimmten in dieser Beziehung vollkommen überein.
-Alles, was sie wußten, war, daß jene Bücher von einer zu offenbarenden
-Glorie, -- einem wunderbaren Etwas sprachen, was noch kommen solle und
-dessen sich ihre Seelen freuten, ohne zu wissen weshalb. Obgleich es in
-der Wissenschaft physischer Dinge nicht so ist, so gilt doch für die
-Religionslehre der Grundsatz, daß das, was nicht verstanden werden kann,
-nicht immer nutzlos ist; denn die Seele erwacht, ein zitternder
-Fremdling, zwischen zwei dunklen Ewigkeiten, -- der ewigen Vergangenheit
-und der ewigen Zukunft. Das Licht fällt nur aus einen kleinen Raum um
-sie her, weshalb sie sich dem Unbekannten zuwenden muß; und die Stimmen
-und schattenartigen Regungen, die aus der Nebelsäule der Inspiration zu
-ihr kommen, finden Echo und Antwort in ihrer eignen sehnsüchtigen Natur.
-Die mystischen Bilder derselben sind ebenso viele Talismane und Gemmen
-mit unbekannten Hieroglyphen, die sie in ihren Busen schließt und hofft
-entziffern zu können, wenn sie jenseits des Schleiers tritt.
-
-Um die jetzige Zeit unserer Erzählung befand sich die ganze Familie St.
-Clare's auf seiner am See Pontchartrain belegenen Villa. Die Sommerhitze
-hatte Alle, denen es möglich war, die ungesunde Stadt mit ihrer schwülen
-Atmosphäre zu verlassen, an die Ufer des See's getrieben, um seine
-kühlen Lüfte zu genießen.
-
-St. Clare's Villa war ein im ostindischen Geschmacke erbautes Landhaus,
-umgeben von einer hellen Veranda, und öffnete sich nach allen Seiten in
-Gärten und Luftplätze. Das gemeinschaftliche Wohnzimmer hatte einen
-Ausgang in einen großen Garten, welcher erfüllt von den Wohlgerüchen
-tropischer Pflanzen und Blumen jeder Art, seine schlängelnden Pfade bis
-dicht an die Ufer des See's erstreckte, dessen silberheller
-Wasserspiegel sich unter den Strahlen der Sonne hob und senkte, -- ein
-Bild, das jede Stunde wechselte, und mit jeder Stunde schöner wurde.
-
-Jetzt grade geht die Sonne in goldener Glorie unter und wirft ihren
-Schein über den ganzen Horizont, der sich im Wasser abspiegelt. Weiß
-beflügelte Schiffe fahren auf dem in rosigen oder goldenen Streifen
-ruhig liegenden See hin und her, und kleine goldene Sterne beginnen
-allmählig aus dem Abendhimmel auf ihre zitternden Spiegelbilder im
-Wasser herabzublicken.
-
-Tom und Eva saßen auf einer niedrigen Moosbank in einer Laube am Ende
-des Gartens. Es war Sonntag Abend, und Eva's Bibel lag aufgeschlagen auf
-ihrem Knie. Sie las: -- »Und ich sah ein gläsernes Meer mit Feuer
-gemenget.«
-
-»Tom,« sagte Eva, plötzlich inne haltend und auf den See deutend, »da
-ist es.«
-
-»Was, Miß Eva?«
-
-»Siehst Du denn nicht, -- dort?« sagte das Kind, auf das Wasser deutend,
-welches, fallend und steigend, die Gluth des Himmels abspiegelte. »Da
-ist ein gläsernes Meer mit Feuer gemenget.«
-
-»Wahr! Miß Eva,« sagte Tom und sang:
-
- »Hätt' ich die Flügel der Morgenröthe,
- Ich würde nach Canaan fliegen,
- Und Engel würden mich heimwärts tragen
- Nach dem neuen Jerusalem.«
-
-»Wo glaubst Du, daß das neue Jerusalem ist, Onkel Tom?« sagte Eva.
-
-»Ueber den Wolken, Miß Eva.«
-
-»Dann glaube ich, daß ich es sehe,« bemerkte Eva. »Blicke in jene
-Wolken! -- sie sehen wie große Thore von Perlen aus; und Du kannst durch
-sie weiter hinaus sehen -- weit, weit -- und da ist Alles Gold. Bitte,
-Tom, singe das Lied von den weißen Engeln.«
-
-Tom sang hierauf die Worte einer wohlbekannten Methodisten-Hymne:
-
- »Ich sehe ein Chor von Engeln stehn,
- Des Himmels Freuden schmecken.
- Sie tragen alle ein weißes Gewand
- Und siegende Palmen in der Hand.«
-
-»Sie kommen zuweilen zu mir im Schlafe, diese Engel,« sagte Eva, während
-ihre Augen träumerisch wurden, und summte dann mit leiser Stimme:
-
- »Sie alle tragen ein weißes Gewand
- Und siegende Palmen in der Hand.«
-
-»Onkel Tom,« sagte sie darauf, »ich gehe dahin.«
-
-»Wohin, Miß Eva?«
-
-Das Kind stand auf, und deutete mit seiner kleinen Hand gen Himmel. Das
-Abendroth beleuchtete ihr goldnes Haar, und lieh ihren Wangen eine Art
-überirdischen Glanzes, und ihre Augen blickten mit tiefem, seligem
-Gefühle hinauf.
-
-»Ich gehe dahin,« sagte sie, »zu den weißen Engeln, Tom; ich gehe dahin
--- bald.«
-
-Das treue, alte Herz empfand einen plötzlichen Stoß, und Tom dachte
-daran, wie oft er während der letzten sechs Monate bemerkt habe, daß
-Eva's kleine Hände dünner, und ihre Haut durchsichtiger und ihr Athem
-kürzer geworden seien, und wie sie, wenn sie im Garten rannte und
-spielte, was sie sonst stundenlang gekonnt, jetzt immer so bald müde
-werde. Er hatte Miß Ophelien oft von einem Husten sprechen hören, den
-alle ihre Arzneimittel nicht heilen könnten; und selbst in diesem
-Augenblicke brannten ihre Wange und ihre kleine Hand von hektischem
-Fieber; und dennoch war ihm nie zuvor der Gedanke gekommen, den Eva's
-Worte andeuteten.
-
-Gab es je ein Kind, wie Eva? -- O ja, es gab deren; aber ihre Namen sind
-nur auf Grabsteinen zu lesen, und ihr süßes Lächeln, ihre himmlischen
-Blicke, ihre seltsamen Reden und Weisen gehören zu den tief begrabenen
-Schätzen trauernder Herzen. In wie vielen Familien hörst Du die Sage,
-daß alle Güte und Anmuth der Lebenden nichts sei gegen die
-Liebenswürdigkeit eines Wesens, -- das nicht mehr sei! Es ist gerade,
-als wenn der Himmel ein besonderes Chor von Engeln habe, deren
-Bestimmung es sei, eine kurze Zeit hier zu weilen und das verkehrte
-menschliche Herz für sich zu gewinnen, um es dann bei ihrer Rückkehr zum
-Himmel mit sich hinaufzutragen. Wenn Du jenes tiefe geistige Licht in
-dem Auge siehst, -- wenn die kleine Seele sich in Worten offenbart, die
-süßer und weicher sind, als die gewöhnlichen Worte von Kindern, -- so
-hoffe nicht, das Kind zu behalten, denn das Siegel seines himmlischen
-Ursprungs ist ihm aufgedrückt, und das Licht der Unsterblichkeit glänzt
-aus seinen Augen.
-
-So auch Du, geliebte Eva! schöner Stern Deiner irdischen Heimath! Du
-gehst, -- aber die, so Dich am meisten lieben, ahnen es nicht!
-
-Das Gespräch zwischen Tom und Eva wurde hier plötzlich durch einen Ruf
-von Miß Ophelia unterbrochen.
-
-»Eva! -- Eva! -- Kind, der Thau fällt ja, Du darfst nicht mehr draußen
-sein!«
-
-Eva und Tom eilten hinein.
-
-Miß Ophelia war alt und wohlerfahren im Geschäfte des Wartens und
-Pflegens, und kannte genau die ersten Symptome jener schleichenden,
-hinterlistigen Krankheit, die so viele der Schönsten und
-Liebenswürdigsten dahin rafft, und sie, ehe noch eine einzige
-Lebensfaser zerstört zu sein scheint, unwiderruflich dem Tode weiht. Sie
-hatte den leichten kurzen Husten und die täglich zunehmende Röthe der
-Wange bemerkt; und selbst der Glanz des Auges und die lustige
-Lebhaftigkeit des Kindes, nur vom Fieber bedingt, vermochten sie nicht
-zu täuschen.
-
-Sie versuchte, St. Clare ihre Besorgnisse mitzutheilen; allein er wies
-derartige Andeutungen mit einem unruhigen, erkünstelten Muthwillen
-zurück, der sehr verschieden von seiner gewöhnlich so sorglosen guten
-Laune war.
-
-»O krächze nur nicht, Cousine, -- ich kann's nicht hören!« pflegte er
-zu sagen. »Siehst Du denn nicht, daß das Kind nur im Wachsthum begriffen
-ist? Kinder verlieren immer Kräfte, wenn sie stark wachsen.«
-
-»Aber sie hat den Husten.«
-
-»O Unsinn mit dem Husten! -- 's ist nichts; hat sich vielleicht ein
-wenig erkältet.«
-
-»Ja, ganz auf dieselbe Weise fingen Elisa, Jane, und Ellen und Maria
-Sanders an.«
-
-»O! ich bitte Dich! höre mir mit den Ammenmärchen auf. Ihr alten Leute
-werdet so weise, daß ein Kind nicht mehr husten oder niesen kann, ohne
-daß Ihr Verzweiflung oder Tod darin erkennt. Nimm das Kind nur in Acht;
-laß es nicht in die Nachtluft gehen und nicht zu angestrengt spielen,
-und sie wird bald wieder munter werden.«
-
-So sagte St. Clare; aber er wurde ängstlich und unruhig. Er bewachte Eva
-täglich mit fieberhafter Angst, wie sich deutlich aus der öfteren
-Wiederholung derartiger Aeußerungen entnehmen ließ, wie: »das Kind sei
-ganz wohl, -- der Husten habe gar nichts zu bedeuten, -- er rühre von
-nichts als etwas verdorbenem Magen her.« Aber er hielt sich von nun an
-mehr bei ihr auf, als er sonst zu thun pflegte, fuhr öfter mit ihr aus
-und brachte von Zeit zu Zeit ein neues Recept oder eine stärkende Mixtur
-für sie mit nach Haus: -- nicht, wie er sagte, weil das Kind sie nöthig
-habe, sondern sie werde ihr keinen Schaden thun.
-
-Was seinem Herzen größere Angst und Unruhe verursachte, als alles
-Andere, war die beim Kinde täglich zunehmende Reife des Geistes und der
-Gefühle. Während sie noch das rein kindliche Wesen bewahrte, ließ sie
-oft unbewußt Worte von einer solchen Tiefe der Gedanken und einer so
-überirdischen Weisheit fallen, daß man sie für Inspirationen hätte
-halten können. In solchen Momenten empfand St. Clare ein plötzliches
-Beben im Herzen; er preßte sie dann in seine Arme, als ob dieser
-zärtliche Druck sie retten könne.
-
-Des Kindes ganzes Herz und ganze Seele schien an Werken der Liebe zu
-hängen. Sie war immer sanft und weich von Natur gewesen; allein jetzt
-zeigte sich bei ihr eine rührende, ächt weibliche Empfindungsweise, die
-Jedem auffiel. Sie fand noch immer Gefallen daran, mit Topsy und andern
-farbigen Kindern zu spielen, aber schien jetzt mehr eine bloße
-Zuschauerin zu sein, als wirklich Theil an den Spielen zu nehmen; sie
-saß zuweilen halbe Stunden lang und lachte herzlich über Topsy's
-wunderliche Streiche, -- und dann senkte sich ein Schatten über ihr
-Gesicht, ihre Augen wurden trübe und ihre Gedanken waren weit, weit
-fort.
-
-»Mamma,« sagte sie eines Tages plötzlich zu ihrer Mutter, »weßhalb
-lassen wir unsere Dienstboten nicht lesen lernen?«
-
-»Was für eine Frage, Kind! Man thut das nie.«
-
-»Warum thut man denn das nicht?« fragte Eva.
-
-»Weil es für die Leute von keinem Nutzen ist, lesen zu können. Es hilft
-ihnen nicht, besser zu arbeiten, und zu etwas Anderem sind sie nicht
-da.«
-
-»Aber sie sollten die Bibel lesen, Mamma, um Gottes Willen kennen zu
-lernen.«
-
-»O! so viel die davon zu wissen brauchen, können sie sich vorlesen
-lassen.«
-
-»Es dünkt mich, Mamma, die Bibel sollten alle Menschen selbst lesen; sie
-brauchen sie sehr oft, wenn Niemand da ist, der sie ihnen vorlesen
-kann.«
-
-»Eva, Du bist ein altes Kind,« sagte ihre Mutter.
-
-»Miß Ophelia lehrt Topsy auch lesen,« fuhr Eva fort.
-
-»Ja, und Du siehst, welchen Nutzen es ihr bringt. Topsy ist das
-ungezogenste Geschöpf, das ich je gesehen habe!«
-
-»Da ist die arme Mammy!« sagte Eva. »Sie hat die Bibel so lieb und
-wünscht so sehr, daß sie lesen könnte! Und was wird sie machen, wenn ich
-sie ihr nicht mehr vorlesen kann?«
-
-Marie war beschäftigt, den Inhalt einer Kommode umzuwenden, als sie
-antwortete:
-
-»Natürlich, Eva, nach einiger Zeit wirst Du schon an andere Dinge zu
-denken haben, als den Dienstboten die Bibel vorzulesen. Nicht, daß es
-unpassend wäre, -- denn ich habe es, als ich noch gesund war, selbst
-gethan; aber wenn Du dich erst ordentlich anziehen und in Gesellschaft
-gehen mußt, dann hast Du keine Zeit mehr dazu. Sieh hier!« fügte sie
-hinzu, »diese Juwelen will ich Dir schenken, wenn Du größer bist. Ich
-habe sie auf meinem ersten Ball getragen. Ich kann Dir sagen, Eva, ich
-machte damals Sensation.«
-
-Eva nahm den Juwelenkasten, und hob ein diamantenes Halsband auf. Ihre
-großen, sinnenden Augen ruhten darauf, aber es war klar, ihre Gedanken
-waren anderswo.
-
-»Wie gleichgültig Du dabei aussiehst, Kind!« sagte Marie.
-
-»Sind diese sehr viel Geld werth, Mamma?«
-
-»Gewiß! Vater ließ sie mir von Frankreich kommen. Sie sind ein kleines
-Vermögen werth.«
-
-»Ich wünschte, ich hätte sie,« sagte Eva, »um damit machen zu können,
-was ich wollte!«
-
-»Was würdest Du denn damit machen?«
-
-»Ich würde sie verkaufen, und einen Platz in den Freistaaten ankaufen,
-und alle unsere Leute dahin bringen, und Lehrer annehmen, um ihnen Lesen
-und Schreiben zu lehren.«
-
-Eva wurde durch das Lachen ihrer Mutter unterbrochen.
-
-»Eine Schulanstalt errichten! Wolltest Du ihnen nicht auch lehren, auf
-dem Piano zu spielen und auf Sammet zu malen?«
-
-»Ich würde ihnen lehren, ihre Bibel selbst zu lesen, und ihre Briefe
-selbst zu schreiben, und Briefe, die an sie geschrieben worden sind,
-selbst zu lesen,« sagte Eva ruhig. »Ich weiß, Mamma, es ist recht
-schlimm für sie, daß sie so etwas nicht selbst thun können. Tom fühlt
-es, -- Mammy fühlt es, -- und viele Andere fühlen es. Ich denke, das ist
-unrecht.«
-
-»O geh, Eva, Du bist nur ein Kind! Du verstehst von allen diesen Dingen
-nichts,« sagte Marie; »und überdieß macht mir Dein Geschwätz
-Kopfschmerzen.«
-
-Marie hatte stets Kopfschmerzen bei der Hand, sobald ihr irgend eine
-Unterhaltung nicht zusagte.
-
-Eva schlich sich fort; aber von der Zeit an gab sie Mammy mit großem
-Eifer Leseunterricht.
-
-
-
-
-Dreiundzwanzigstes Kapitel.
-
-Henrique.
-
-
-Um diese Zeit brachte St. Clare's Bruder, Alfred, mit seinem ältesten
-Sohne, einem Knaben von etwa zwölf Jahren, ein paar Tage bei der Familie
-am See zu.
-
-Es konnte keinen seltsameren und zugleich schöneren Anblick geben, als
-diese beiden Zwillingsbrüder. Die Natur hatte, statt zwischen ihnen
-Aehnlichkeiten zu schaffen, sie zu Gegenstücken in fast jeder Beziehung
-gemacht; und dennoch vereinigte sie auf geheimnißvolle Weise das Band
-einer mehr als gewöhnlichen brüderlichen Zuneigung.
-
-Sie pflegten Arm in Arm die Alleen und Gänge des Gartens zu
-durchschlendern. Augustin, mit seinen blauen Augen, blondem Haar,
-seiner ätherisch biegsamen Figur und seinen lebhaften Zügen; und Alfred,
-mit dunklen Augen, stolzem römischen Profile, gedrungenem Baue, und
-fester Haltung. Sie schalten fortwährend gegenseitig auf ihre so
-verschiedenartigen Ansichten und Gewohnheiten, und waren dennoch
-unzertrennlich in ihrer Gesellschaft; kurz, grade ihre Verschiedenheit
-schien sie an einander zu fesseln, wie Attraktion zwischen verschiedenen
-Polen des Magnets.
-
-Henrique, der älteste Sohn Alfred's, war ein dunkeläugiger Knabe von
-edlem Aeußern, und voll von Geist und Lebhaftigkeit; und schien vom
-ersten Augenblicke seiner Einführung an von den ätherischen Reizen
-seiner Cousine Evangeline vollständig bezaubert worden zu sein.
-
-Eva besaß ein kleines, schneeweißes Ponypferd. Es war sanft wie eine
-Wiege, und so ruhig wie seine kleine Herrin. Dieses Pferdchen wurde
-jetzt durch Tom vor die Veranda geführt, während ein kleiner
-Mulattenknabe von ungefähr dreizehn Jahren ein kleines, schwarzes,
-arabisches Pferd heranführte, welches erst kürzlich mit bedeutenden
-Unkosten für Henrique importirt worden war.
-
-Henrique empfand einen knabenhaften Stolz auf sein neues Besitzthum; und
-als er sich deßhalb näherte, und die Zügel aus der Hand seines kleinen
-Reitknechts empfing, blickte er aufmerksam über das Pferd, und seine
-Stirne wurde finster.
-
-»Was ist das, Dodo, Du fauler, kleiner Hund! Du hast mein Pferd diesen
-Morgen nicht geputzt.«
-
-»O ja, Master,« sagte Dodo unterwürfig, »den Staub da hat es sich selbst
-eben angeworfen.«
-
-»Halt Deinen Mund, Du Schlingel!« rief Henrique heftig, seine
-Reitpeitsche aufhebend. »Wie kannst Du Dich erkühnen, zu reden?«
-
-Der Knabe, ein hübsches, helläugiges Mulattenkind, von Henrique's Größe,
-mit dunklem Lockenhaar um eine hohe, kühne Stirne, hatte weißes Blut in
-seinen Adern, wie man deutlich aus der plötzlichen Röthe, die seine
-Wangen überzog, und dem Funkeln seines Auges erkennen konnte, während er
-zu sprechen versuchte.
-
-»Master Henrique! --« begann er.
-
-Henrique schlug ihm mit der Reitpeitsche über das Gesicht, faßte einen
-seiner Arme, und drückte ihn nieder auf die Kniee, und peitschte ihn
-dann so lange, bis er außer Athem war.
-
-»Da, Du unverschämter Hund! Willst Du lernen, mir nicht zu
-widersprechen, wenn ich mit Dir rede? Führe das Pferd zurück, und putze
-es erst ordentlich. Ich werde Dich lehren, was Du zu thun hast!«
-
-»Junger Master!« sagte Tom, »ich denke, was er sagen wollte, war, daß
-das Pferd sich wälzte, als er es herbrachte vom Stalle, -- es ist so
-muthig; -- davon ist es so schmutzig geworden; das Putzen habe ich mit
-angesehen.«
-
-»Halte Deinen Mund, bis Du gefragt wirst!« sagte Henrique, während er
-sich auf dem Absatz umwandte, und die Stufen zu Eva hinaufstieg, welche
-in ihrem Reitkleide in der Veranda stand.
-
-»Liebe Cousine, es thut mir leid, daß dieser dumme Bursche Dich hier so
-lange aufhält,« sagte er. »Komm, laß uns hier niedersitzen und warten,
-bis er die Pferde bringt. Aber was ist Dir denn, Cousine? -- Du siehst
-ja so verstimmt aus.«
-
-»Wie konntest Du so grausam und so schlecht gegen den armen Dodo
-handeln?« sagte Eva.
-
-»Grausam, -- schlecht?« sagte der Knabe mit ungekünsteltem Erstaunen.
-»Was meinst Du, liebe Eva?«
-
-»Ich will nicht, daß Du mich liebe Eva nennest, wenn Du so handelst,«
-entgegnete Eva.
-
-»Liebe Cousine, Du kennst den Dodo nicht; es ist dies der einzige Weg,
-um mit ihm fertig zu werden; er ist so voll von Lügen und
-Entschuldigungen. Man muß ihn gleich ganz zum Schweigen bringen, -- ihn
-gar nicht den Mund öffnen lassen; so macht es Papa.«
-
-»Aber Onkel Tom sagte, es war ein Zufall, und er sagt niemals eine
-Unwahrheit.«
-
-»Dann ist er ein ganz ungewöhnlicher alter Neger!« sagte Henrique. »Dodo
-lügt so schnell, wie er nur sprechen kann.«
-
-»Du schüchterst ihn so ein, daß er lügt, wenn Du ihn so behandelst,«
-sagte Eva.
-
-»In der That, Eva, Du hast eine solche Vorliebe für Dodo gefaßt, daß ich
-anfange, eifersüchtig zu werden.«
-
-»Aber Du schlugst ihn, -- und er hatte es nicht verdient.«
-
-»Gut, so mag es für ein andres Mal gelten, wenn er's verdient, und nicht
-bekömmt. Ein paar Hiebe thun Dodo nie Schaden, -- er ist ein arger
-Bursche, ich versichere Dich; aber ich will ihn nie wieder in Deiner
-Gegenwart züchtigen, wenn es Dir unangenehm ist.«
-
-Eva war nicht zufriedengestellt, aber sah, daß es vergeblich sei, ihre
-Gefühle auszudrücken, da der hübsche Cousin sie nicht verstand.
-
-»Wohl, Dodo, dieses Mal hast Du es besser gemacht,« sagte der junge
-Master mit gnädigerer Miene als vorher. »Komm nun, und halte Miß Eva's
-Pferd, während ich sie in den Sattel hebe.«
-
-Dodo kam, und stand bei Eva's Pony. Sein Gesicht war traurig, und seine
-Augen verriethen, daß er geweint hatte.
-
-Henrique, der sich etwas auf seine Gewandtheit in Allem, was Galanterie
-betraf, zu gut that, hatte seine hübsche Cousine sehr bald im Sattel
-sitzen, und nahm sodann die Zügel zusammen, um sie in ihre Hand zu
-legen. Allein Eva wendete sich nach der andern Seite zu, wo Dodo stand,
-und sagte, als dieser die Zügel fahren ließ: »So ist's recht, Dodo, --
-bist ein guter Junge, ich danke Dir!«
-
-Dodo blickte erstaunt in das sanfte, jugendliche Gesicht, das Blut schoß
-ihm in die Wangen, und Thränen traten in seine Augen.
-
-»Hier, Dodo,« rief sein junger Herr befehlend.
-
-Dodo sprang zu ihm und hielt das Pferd, während Letzterer aufstieg.
-
-»Da ist eine Picayune für Dich, Dodo,« sagte Henrique, »magst Dir
-Zuckerwerk dafür kaufen.«
-
-Henrique galloppirte die Allee hinab, hinter Eva her, und Dodo blieb
-stehen, und blickte beiden Kindern nach. Das eine hatte ihm Geld
-gegeben, und das andere, was ihm mehr Noth that, -- ein freundliches
-Wort. Dodo war nur erst wenige Monate von seiner Mutter entfernt. Sein
-Herr hatte ihn auf einem Sklavenmarkte seines hübschen Gesichtes wegen
-gekauft, um zu dem hübschen arabischen Pferde zu passen, und er empfing
-jetzt von den Händen seines jungen Masters die Dressur.
-
-Die Prügelscene war von den beiden Brüdern St. Clare von einem andern
-Theile des Gartens aus mit angesehen worden. Augustins Wange glühte vor
-Unwillen, aber er bemerkte nur mit der ihm eigenthümlichen sarkastischen
-Nachlässigkeit:
-
-»Ist das vielleicht, was man republikanische Erziehung zu nennen pflegt,
-Alfred?«
-
-»Henrique ist ein Teufel von einem Jungen, wenn er hitzig ist,« sagte
-Alfred nachlässig.
-
-»Ich vermuthe, Du hältst dies für eine nützliche Uebung für ihn,«
-bemerkte Augustin trocken.
-
-»Ich würde es nicht verhindern können, wenn ich's auch nicht thäte.
-Henrique ist ein wahrer, kleiner Sturmwind; -- seine Mutter und ich, wir
-haben ihn längst aufgegeben. Aber dieser Dodo ist auch ein hartnäckiger
-Bursche, -- kein Peitschen kann ihm Schaden thun.
-
-Und bringt Henrique zugleich den ersten Vers seines republikanischen
-Katechismus bei: ›Alle Menschen sind frei und gleich geboren!‹«
-
-»Puh!« sagte Alfred, »das ist eins von Tom Jefferson's Stückchen von
-französischem Sentimentalismus und Unsinn. Es ist förmlich lächerlich,
-daß eine solche Idee noch jetzt unter uns herumspuckt.«
-
-»Ich glaube es auch,« sagte St. Clare bedeutungsvoll.
-
-»Denn,« fuhr Alfred fort, »wir können deutlich genug sehen, daß
-^nicht^ alle Menschen frei und gleich geboren sind; sie sind sehr
-verschieden geboren. Was mich betrifft, so halte ich alles dieses
-republikanische Geschwätz für nichts als Unsinn. Es sind die Gebildeten,
-die Reichen, welche gleiche Rechte haben sollten, aber nicht die
-_canaille_.«
-
-»Wenn Du die _canaille_ von dieser Ansicht überzeugen kannst,« sagte
-Augustin. »In Frankreich sind sie einmal auch an der Reihe gewesen.«
-
-»Natürlich müssen sie ^unter Druck^ gehalten werden, fest und
-consequent, so, wie ich es thun würde,« sagte Alfred, seinen Fuß fest
-niedersetzend, als wenn er auf Jemand stände.
-
-»Es verursacht einen fürchterlichen Fall, wenn sie aufstehen,« bemerkte
-Augustin, -- »zum Beispiel in St. Domingo.«
-
-»Puh!« entgegnete Alfred, »dafür wollen wir hier schon sorgen. Wir
-müssen uns durchaus allen diesen Geschwätzen von Erziehung und Bildung
-entgegen stemmen, die jetzt überall gehört werden. Die untere Klasse muß
-keine Erziehung und Bildung haben.«
-
-»Dafür möchte alles Beten nichts mehr helfen,« sagte Augustin; »eine
-Erziehung werden sie erhalten, und wir haben nur zu sagen, welche. Unser
-System ist, sie in Rohheit und Unmenschlichkeit zu erziehen. Wir
-zerreißen alle menschlichen Bande, und machen sie zu nichts als rohen,
-thierischen Geschöpfen; und als solche werden sie sich zeigen, wenn sie
-je die Oberhand gewinnen sollten.«
-
-»Sie werden nie die Oberhand gewinnen!« sagte Alfred.
-
-»Das ist recht,« entgegnete St. Clare; »laß den Dampf los, schließe das
-Sicherheitsventil, setze Dich dabei, und sieh zu, wo Du landen wirst.«
-
-»Gut,« sagte Alfred, »wir wollen sehen. Ich fürchte mich nicht, am
-Sicherheitsventile zu sitzen, so lange die Dampfkessel stark sind, und
-die Maschine in Ordnung ist.«
-
-»Der Adel in Louis _XVI._ Zeit dachte auch so, und Oestreich und Pius
-_IX._ denken noch so; und eines schönen Morgens könnt Ihr Euch alle
-vielleicht in der Luft begegnen, ^wenn die Dampfkessel gesprungen
-sind^.«
-
-»_Dies declarabit_,« sagte Alfred lachend.
-
-»Ich sage Dir,« fuhr Augustin fort, »wenn in unserer jetzigen Zeit
-irgend Etwas mit der Kraft eines göttlichen Gesetzes offenbart worden
-ist, so ist es das, daß die Massen aufstehen, und die unteren Klassen an
-die Stelle der oberen gestellt werden.«
-
-»Das ist etwas von Deinem rothrepublikanischen Unsinn, Augustin! Warum
-bist Du denn nicht Volksredner geworden? -- Du eignest Dich ganz
-vortrefflich dazu! -- Nun, ich hoffe nur, daß ich todt bin, ehe dieses
-tausendjährige Reich Deiner schmutzigen Massen kommt.«
-
-»Schmutzig oder nicht schmutzig, -- sie werden Dich beherrschen,
-wenn ihre Zeit kommt,« sagte Augustin, »und sie werden grade solche
-Herrscher sein, als wozu Ihr sie macht. Der französische Adel
-wollte das Volk als ›_sans culottes_‹ haben, und er bekam ›_sans
-culottes_‹-Herrscher in vollem Maaße. Das Volk in Hayti --«
-
-»O, laß das, Augustin! -- als wenn wir nicht genug von den
-abscheulichen, verächtlichen Haytiern gehört hätten! Sie waren keine
-Angelsachsen; wenn sie die gewesen wären, so würde die Sache eine andre
-Wendung genommen haben. Das Geschlecht der Angelsachsen ist das
-herrschende auf der Erde, und verdient es zu sein.«
-
-»Nun, ich glaube, es ist jetzt eine gute Quantität angelsächsisches Blut
-unter unseren Sklaven,« sagte Augustin. »Es giebt Viele unter ihnen, die
-von dem afrikanischen grade nur so viel haben, um unserer berechnenden
-Ruhe und Sicherheit etwas tropische Wärme zu verleihen. Wenn jemals die
-St. Domingo-Stunde hier schlagen sollte, so wird das angelsächsische
-Blut der Führer des Tages sein. Söhne weißer Väter, mit allem unserem
-Stolze in ihren Adern, werden nicht immer gekauft und verkauft werden,
-und Gegenstand des Handels sein. Sie werden sich erheben, und das
-Geschlecht ihrer Mütter zugleich mit.«
-
-»Unsinn!« rief Alfred.
-
-»Gut,« sagte Augustin, »es gibt ein altes Sprichwort, des Inhalts: ›So
-wie es zur Zeit Noah's war, so wird es wieder sein; -- sie aßen, sie
-tranken, sie pflanzten, sie bauten, und wußten es nicht, bis die Fluth
-kam und sie verschlang.‹«
-
-»Im Ganzen genommen, Augustin, dächte ich, hättest Du hinreichendes
-Talent für einen Kunstreiter,« sagte Alfred lachend. »Sei Du nur nicht
-für uns besorgt; Besitz ist unsere Festung. Wir haben die Macht; und
-dieses verworfene Geschlecht,« sagte er, mit dem Fuße stampfend, »ist
-unten, und soll unten bleiben! Wir besitzen Energie genug, um unser
-eignes Pulver richtig anzuwenden.«
-
-»Söhne, die wie Dein Henrique erzogen sind, werden vortreffliche
-Aufseher unserer Pulvermagazine abgeben,« sagte Augustin, -- »so ruhig
-und überlegend! Das Sprichwort sagt: ›Wer sich nicht selbst beherrschen
-kann, ist nicht im Stande, Andere zu beherrschen.‹«
-
-»Es ist da allerdings ein Uebelstand,« sagte Alfred gedankenvoll; »es
-läßt sich nicht in Abrede stellen, daß unser System nicht sonderlich
-dazu geeignet ist, Kinder zu erziehen. Es läßt den Leidenschaften zu
-großen Spielraum, welche in unserem Klima ohnedies schon heiß genug
-sind. Henrique verursacht mir viel Unruhe. Der Knabe ist edelmüthig, und
-hat ein warmes Herz, aber ist eine wahre Rakete, sobald er sich in
-Aufregung befindet. Ich glaube, ich werde ihn nach Norden senden müssen,
-wo Gehorsam mehr an der Tagesordnung ist, und wo seine Gesellschafter
-mehr seines Gleichen, und weniger seine Untergebenen sind.«
-
-»Da Kindererziehung ein für das menschliche Geschlecht so wichtiger
-Gegenstand ist,« sagte Augustin, »so sollte ich denken, daß es einige
-Betrachtung verdiente, weshalb unser System nicht gut ist.«
-
-»Es ist in manchen Beziehungen mangelhaft,« sagte Alfred, »während es in
-andern die besten Erfolge hat. Es macht Knaben männlich und muthig, und
-die Laster eines verworfenen Geschlechtes wirken dahin, in ihnen die
-denselben entgegengesetzten Tugenden zu stärken und zu befestigen. Ich
-glaube zum Beispiel, daß Henrique um so mehr Gefühl für die Schönheit
-der Wahrheit hat, als er Lug und Trug stets als Kennzeichen der
-Sklaverei gesehen hat.«
-
-»Das ist eine ächt christliche Anschauung der Sache, ohne Zweifel!«
-sagte Augustin.
-
-»Sie ist wahr, ob christlich oder nicht,« sagte Alfred, »und doch
-vielleicht eben so christlich, wie viele andre Dinge in der Welt.«
-
-»Das mag sein,« entgegnete St. Clare.
-
-»Unser Gespräch führt zu nichts, Augustin. Ich glaube, wir haben diesen
-Kreislauf bereits fünfhundertmal gemacht. Was meinst Du zu einer Partie
-Puff?«
-
-Die beiden Brüder sprangen die Stufen der Veranda hinauf, und saßen bald
-vor einem leichten Tische von Bambus, mit dem Puffbrette zwischen
-ihnen.
-
-»Ich sage Dir, Augustin, wenn ich so dächte, wie Du, so würde ich
-wenigstens Etwas thun.«
-
-»Wahrscheinlich, -- denn Du gehörst zu der thätigen Klasse von Menschen,
--- aber was denn?«
-
-»Ich würde meine eigenen Sklaven zum Muster für Andere erziehen,« sagte
-Alfred mit einem halb höhnischen Lächeln.
-
-»Du könntest eben so wohl den Berg Aetna flach auf sie stellen, und
-ihnen heißen, darunter aufzustehen, wie mir rathen, meine Sklaven unter
-dieser erdrückenden Masse der Gesellschaft zu erziehen. Ein Mann allein
-kann gegen den Strom einer ganzen Commune nichts thun.«
-
-»Du hast den ersten Wurf,« sagte Alfred, und beide Brüder waren bald in
-ihr Spiel vertieft, und hörten nichts mehr, bis der Schall von
-Pferdehufen unter der Veranda erklang.
-
-»Da kommen die Kinder,« sagte Augustin, aufstehend. »Sieh' da, Alf, hast
-Du jemals etwas so Schönes gesehen?«
-
-Und es war in der That ein schöner Anblick. Henrique mit seiner hohen,
-kühnen Stirn, seinen dunkelen, glänzenden Locken, und seiner glühenden
-Wange, lachte heiter, während er sich an seine schöne Cousine wendete,
-und Beide näher kamen. Eva trug ein blaues Reitkleid, mit einer Mütze
-von derselben Farbe. Die Bewegung hatte ihren Wangen höhere Farbe
-verliehen, und ließ ihre wunderbar durchsichtige Haut und ihr goldenes
-Haar noch eindrucksvoller erscheinen.
-
-»Gott im Himmel! welche blendende Schönheit ist das!« rief Alfred. »Ich
-sage Dir, August, -- wird sie nicht bald schon Manchem das Herz schwer
-machen?«
-
-»Ja, nur zu sehr, -- Gott weiß, ich fürchte es!« sagte St. Clare mit
-plötzlich bitterem Tone, während er hinunter eilte, um sie
-herabzuheben.
-
-»Eva, Liebling! bist Du nicht sehr ermüdet?« sagte er, indem er sie in
-seine Arme nahm.
-
-»Nein, Papa,« entgegnete sie; allein ihr kurzer, scharfer Athem
-beunruhigte ihren Vater lebhaft.
-
-»Wie konntest Du so scharf reiten, liebes Kind? -- Du weißt, es ist Dir
-so nachtheilig.«
-
-»Ich fühle mich so wohl, Papa, und es gefiel mir so sehr, daß ich es
-vergaß.«
-
-St. Clare trug sie auf seinen Armen in das Zimmer, und legte sie auf das
-Sopha.
-
-»Henrique, Du mußt vorsichtiger mit Eva sein,« sagte er, »Du mußt nicht
-so scharf mit ihr reiten.«
-
-»Ich will sie unter meine Pflege nehmen,« sagte Henrique, setzte sich an
-das Sopha, und nahm ihre Hand in die seinige.
-
-Eva fühlte sich bald besser. Ihr Vater und Onkel setzten ihr Spiel fort,
-und die Kinder waren sich selbst überlassen.
-
-»Weißt Du, Eva, es ist recht schade, Papa will nur zwei Tage hier
-bleiben, und dann sehe ich Dich so lange nicht wieder. Wenn ich hier
-bliebe bei Dir, würde ich mir rechte Mühe geben, immer gut zu sein, und
-nie Dodo hart zu behandeln. Ich will Dodo nichts Böses zufügen, aber,
-siehst Du, ich habe ein so hitziges Temperament. Ich bin nicht immer
-häßlich gegen ihn; ich gebe ihm manchmal eine Picayune. Ich glaube auch,
-im Ganzen genommen hat es Dodo recht gut.«
-
-»Würdest Du glauben, daß Du es gut hättest, wenn Dir kein Wesen der Welt
-nahe wäre, das Dich liebte?«
-
-»Ich? -- natürlich nicht.«
-
-»Und Du hast Dodo von allen den Freunden, die er hatte, fortgerissen,
-und nun hat er Niemanden mehr, der ihn lieb hat; -- wer kann unter
-solchen Umständen gut sein!«
-
-»Nun, ich kann's nicht ändern, ich wüßte wenigstens nicht wie. Ich kann
-nicht seine Mutter holen, und ich kann ihn nicht selbst lieben, oder
-irgend ein Andrer, so viel ich weiß.«
-
-»Warum kannst Du nicht?« fragte Eva.
-
-»Dodo lieben? Wie, Eva, das wirst Du doch nicht von mir verlangen! Ich
-kann ihn wohl ganz ^gern haben^; aber Du liebst doch Deine Dienstboten
-nicht.«
-
-»Gewiß thue ich das.«
-
-»Wie sonderbar!«
-
-»Befiehlt uns die Bibel nicht, alle Menschen zu lieben?«
-
-»O, die Bibel! Ja, die sagt wohl viele Sachen; aber es denkt wohl
-Niemand daran, sie zu thun, -- das weißt Du doch, Eva?«
-
-Eva antwortete nicht; ihre Augen waren einige Sekunden lang starr und
-sinnend.
-
-»Auf jeden Fall,« sagte sie endlich, »lieber Cousin, bitte, habe den
-armen Dodo lieb, und sei freundlich gegen ihn, mir zu Liebe!«
-
-»Dir zu Liebe könnte ich wer weiß was lieb haben; denn, wahrlich, ich
-glaube, Du bist das liebenswürdigste Wesen, das ich je gesehen habe,
-liebe Cousine!« sagte Henrique mit einem solchen Ernste und Eifer, daß
-sein hübsches Gesicht glühte.
-
-Eva empfing diese Erklärung mit vollständiger Einfalt des Herzens, und
-ohne daß sich ein Zug ihres Gesichtes veränderte. Sie sagte nur: »Das
-freut mich, lieber Henrique! Ich hoffe, Du wirst es nicht vergessen.«
-
-Der Schall der Mittagsglocke machte hier der Unterhaltung ein Ende.
-
-
-
-
-Vierundzwanzigstes Kapitel.
-
-Vorboten.
-
-
-Zwei Tage später reiste Alfred St. Clare mit seinem Sohne wieder ab, und
-Eva, die durch die Gesellschaft ihres jungen Cousin zu Anstrengungen
-veranlaßt worden war, welche ihre Kräfte überstiegen, begann von nun an
-schwächer und schwächer zu werden. St. Clare verstand sich endlich dazu,
-ärztliche Hülfe in Anspruch zu nehmen, wovor er sich bisher immer
-deßhalb gescheut hatte, weil es das Zugeständniß einer traurigen
-Wahrheit enthielt. Allein Eva fühlte sich einige Tage lang so krank, daß
-sie selbst das Haus nicht mehr verlassen konnte, -- und so wurde der
-Arzt gerufen.
-
-Marie St. Clare hatte das allmählige Abnehmen der Gesundheit und der
-Kräfte des Kindes nicht beachtet, weil ihre ganze Aufmerksamkeit sich
-darauf gerichtet hatte, zwei oder drei neue Krankheitsarten zu studiren,
-deren Opfer sie selbst zu sein glaubte. Es war Mariens erster und
-unumstößlicher Glaubensartikel, daß Niemand so viel leide und leiden
-könne, wie sie selbst; und aus diesem Grunde wies sie stets alle
-Andeutungen, daß irgend Jemand ihrer Umgebung krank sein könne, mit
-Unwillen zurück. Sie war in solchem Falle stets dessen gewiß, daß es nur
-Trägheit oder Mangel an Energie sein könne, woran Jene litten, und daß
-sie, wenn sie ein Leiden wie das ihrige zu tragen hätten, sehr bald den
-Unterschied erkennen würden.
-
-Miß Ophelia hatte mehrmals versucht, ihre mütterliche Besorgniß für Eva
-zu erwecken; aber vergeblich.
-
-»Ich sehe nicht, was dem Kinde fehlen soll,« pflegte sie zu sagen, »sie
-läuft ja umher und spielt.«
-
-»Aber sie hat den Husten.«
-
-»Husten! -- Sie brauchen mir nicht zu sagen, was Husten ist. Ich habe am
-Husten gelitten, so lange ich lebe. Als ich in Eva's Alter war, dachten
-Alle, ich hätte die Auszehrung. Nacht für Nacht mußte Mammy bei mir
-wachen. O! Eva's Husten ist gar nichts.«
-
-»Aber sie wird immer schwächer, und ihr Athem immer kürzer.«
-
-»Mein Gott! Das habe ich jahrelang gehabt; 's ist nichts als etwas
-Nervenschwäche.«
-
-»Aber sie hat des Nachts auch so starken Schweiß.«
-
-»So, -- habe ich denn den nicht schon seit zehn Jahren? Fast Nacht für
-Nacht ist meine Wäsche zum Ausringen naß, und das Bettzeug so feucht,
-daß Mammy es aufhängen muß, um es zu trocknen! Eva's Schweiß ist doch
-damit nicht zu vergleichen!«
-
-Miß Ophelia sagte eine Zeit lang gar nichts mehr, allein, als Eva
-endlich bettlägerig geworden und ein Arzt herbeigerufen worden war, nahm
-Marie plötzlich eine andere Wendung.
-
-»Sie habe es gewußt,« sagte sie, »sie habe es immer gefühlt, daß sie
-bestimmt sei, die unglücklichste aller Mütter zu sein. Da liege sie nun
-mit ihrer leidenden Gesundheit, und müsse ihr einziges Kind, ihren
-Liebling vor ihren Augen zu Grabe gehen sehen.«
-
-»Meine liebe Marie,« pflegte dann St. Clare zu sagen, »sprich nicht so!
-Du solltest an ihrem Zustande nicht gleich ganz verzweifeln.«
-
-»O Du hast nicht die Empfindungen einer Mutter, St. Clare! Du hast mich
-nie verstehen können! -- und jetzt am allerwenigsten!«
-
-»Aber sprich doch nur nicht so, als wenn alle Hoffnung verloren wäre!«
-
-»Ich kann die Sache nicht so leicht nehmen, wie Du, St. Clare. Wenn Du
-es nicht fühlst, wenn Dein Kind in einem so hoffnungslosen Zustande ist,
--- ich fühle es! Der Schlag ist für mich zu hart, mit alle dem, was ich
-vorher schon gelitten habe.«
-
-»Es ist wahr,« entgegnete St. Clare, »daß Eva von Natur sehr schwächlich
-ist, und daß ihre Kräfte durch zu schnelles Wachsen in hohem Grade
-erschöpft sind, und daß ihr Zustand sehr bedenklich ist; allein gerade
-jetzt ist sie nur durch die Hitze der Jahreszeit auf's Bett geworfen
-worden, wozu die Aufregung und die Anstrengungen beigetragen haben, die
-durch den Besuch ihres jungen Cousin verursacht worden sind. Der Arzt
-sagt, es sei noch nicht alle Hoffnung verloren.«
-
-»Gut, natürlich, wenn Du die Sache noch aus einem günstigen Lichte
-betrachten kannst, so thue es; -- es ist eine Wohlthat in dieser Welt,
-wenn die Menschen keine tiefen Gefühle haben. Ich wollte, ich hätte auch
-keine, denn sie machen mich nur noch elender! -- Ich wünschte, ich
-^könnte^ eben so sorglos darüber sein wie Ihr andern alle!«
-
-Eine oder zwei Wochen später zeigte sich plötzlich eine günstige
-Veränderung der Symptome, -- eine jener trügerischen Windstillen, durch
-die jene unerbittliche Krankheit so oft das angstvolle Herz noch am
-Rande des Grabes täuscht. Eva's Tritt schwebte wieder durch den Garten,
-durch die Balkone, -- sie spielte wieder und lachte wieder, und ihr
-Vater erklärte in seinem Entzücken, daß sie bald wieder so gesund sein
-solle, wie je zuvor. Nur Miß Ophelia und der Arzt schöpften keine neuen
-Hoffnungen aus diesem trügerischen Wechsel. Und noch ein anderes Herz
-schlug, das auch dieselbe Gewißheit in sich fühlte, und das war Eva's
-kleines Herz. Was für eine Stimme ist das, die zuweilen im Herzen so
-ruhig, so deutlich spricht, daß seine irdische Zeit bald abgelaufen sei?
-Ist es der geheime Instinkt der vergehenden Natur, oder ist es ein
-ahnender Herzschlag, wenn die Ewigkeit uns näher rückt? Was es auch
-sei, in Eva's Herzen war die ruhige, süße, prophetische Gewißheit
-vorhanden, daß der Himmel ihr nahe sei, und nur der Schmerz um
-diejenigen, die sie so innig liebten, beunruhigte ihr kleines Herz. Denn
-das Kind, obgleich es so zärtlich auferzogen worden war, und obgleich
-sich das Leben vor ihm mit allem Glanze ausbreitete, den Liebe und
-Reichthum gewähren können, empfand dennoch keinen Schmerz über sein
-nahendes Scheiden. In jenem Buche, in dem sie mit ihrem schlichten,
-alten Freunde so viel gelesen, hatte sie das Bild Eines gefunden und in
-ihr Herz geschlossen, der das kleine Kind liebte; und während sie sann
-und an ihn dachte, hatte er aufgehört, ein bloßes Bild und Gemälde zu
-sein, und war eine lebendige, Alles umfassende Wirklichkeit geworden.
-Seine Liebe umschloß ihr kindliches Herz mit mehr als menschlicher
-Zärtlichkeit, und zu Ihm, nach Seinem Hause, sagte sie, daß sie gehe.
-
-Aber ihr Herz dachte mit wehmüthiger Zärtlichkeit an alle diejenigen,
-die sie zurücklassen mußte; zunächst an ihren Vater, -- denn, obgleich
-sie sich dessen nicht deutlich bewußt war, hatte sie dennoch das
-instinktmäßige Gefühl, daß sie seinem Herzen mehr angehöre, als irgend
-einem andern. Sie liebte ihre Mutter, weil ihr ganzes Wesen Liebe war,
-und alle die Selbstsucht, die sie an ihr wahrnahm, verursachte ihr nur
-Betrübniß und Verwunderung; denn sie hatte das dunkle, kindliche Gefühl,
-daß ihre Mutter nicht unrecht thun könne. Eben so gedachte sie mit Liebe
-jener treuen, anhänglichen Dienstboten, für die sie wie Tageslicht und
-Sonnenschein gewesen war. Kinder generalisiren in der Regel nicht,
-allein Eva war ein ungewöhnlich reifes Kind, und was sie von den Uebeln
-jenes Systems gesehen hatte, unter dem jene Unglücklichen lebten, war
-eins nach dem andern in die Tiefen ihres sinnenden Gemüthes gesunken.
-Sie empfand ein dunkles Sehnen, irgend etwas für sie zu thun, -- ein
-Sehnen, das in so grellem Gegensatze zu der Gebrechlichkeit ihrer
-kleinen, körperlichen Hülle stand.
-
-»Onkel Tom,« sagte sie eines Tages, als sie ihm vorlas, -- »ich kann es
-mir erklären, weßhalb Jesus für uns sterben ^wollte^.«
-
-»Weßhalb, Miß Eva?«
-
-»Weil ich grade dasselbe Gefühl auch habe.«
-
-»Welches Gefühl, Miß Eva? -- ich verstehe Sie nicht.«
-
-»Ich kann es Dir nicht beschreiben: aber als ich jene unglücklichen
-Wesen auf dem Schiffe sah, -- Du weißt ja, als wir zusammen hierher
-fuhren, -- von denen einige ihre Mütter verloren hatten, und andere um
-ihre Männer, und noch andere um ihre Kinder weinten, -- und als ich von
-der armen Prue hörte, -- o, war das nicht schrecklich! -- da dachte ich,
-ich würde gern sterben, wenn mein Tod allem diesem Elend ein Ende machen
-könnte. -- Ich würde ^gern^ sterben, gewiß, Tom, wenn ich könnte,«
-fügte sie lebhafter hinzu, indem sie ihre kleine Hand auf die seinige
-legte.
-
-Tom blickte mit Ehrfurcht auf das Kind, und als es auf den Ruf seines
-Vaters davon eilte, trocknete er seine Augen viele, viele Male, während
-er ihr nachschaute.
-
-»'s ist vergeblich, Miß Eva hier behalten zu wollen,« sagte er zu Mammy,
-der er gleich nachher begegnete; -- »sie hat schon das Zeichen des Herrn
-auf ihrer Stirn.«
-
-»Ach, ja, ja,« sagte Mammy, ihre Hände aufhebend; -- »habe immer das
-gesagt. Sie war nie, wie ein Kind ist, das leben soll, -- 's war immer
-so 'was Tiefes in ihren Augen. Hab's Missis oft genug gesagt, -- 's muß
-wahr werden, -- wir sehen's Alle, -- das liebe, kleine Lamm!«
-
-Eva trippelte die Stufen der Veranda hinauf zu ihrem Vater. Es war spät
-am Nachmittage, und die Strahlen der Sonne bildeten eine Art Glorie
-hinter ihr, während sie sich ihm nahte in ihrer weißen Kleidung, mit dem
-goldenen Haar, den glühenden Wangen und den vom langsamen Fieber, das in
-ihren Adern brannte, unnatürlich glänzenden Augen.
-
-St. Clare hatte sie gerufen, um ihr eine kleine Statue zu zeigen, die er
-für sie gekauft hatte; aber ihre Erscheinung, als sie sich näherte,
-ergriff ihn plötzlich auf schmerzhafte Weise. Es gibt eine Art
-hinreißender, aber so gebrechlicher Schönheit, daß wir sie kaum zu
-betrachten vermögen. Ihr Vater drückte sie heftig in seine Arme, und
-vergaß beinahe, was er ihr hatte sagen wollen.
-
-»Eva, mein liebes Kind, Du bist jetzt besser, -- nicht wahr?«
-
-»Papa,« sagte Eva mit plötzlicher Festigkeit, -- »ich habe Dir Etwas
-sagen wollen -- schon seit langer Zeit. Ich will es Dir jetzt sagen, ehe
-ich noch schwächer werde.«
-
-St. Clare zitterte, während Eva sich auf seinen Schooß setzte. Sie legte
-ihren Kopf an seinen Busen und sagte:
-
-»Es nützt nichts, Papa, daß ich es noch länger bei mir behalte. Die Zeit
-naht, wo ich Dich verlassen muß. Ich gehe und kehre nie wieder!« sagte
-sie schluchzend.
-
-»O nein, meine liebe kleine Eva!« sagte ihr Vater bebend, während er
-sprach, aber einen heitern Ton annehmend, »Du bist angegriffen und
-niedergeschlagen, aber Du mußt Dich nicht so düsteren Gedanken hingeben.
-Sieh' hier, ich habe eine kleine Statue für Dich gekauft!«
-
-»Nein, Papa,« entgegnete Eva, sie sanft bei Seite schiebend, -- »täusche
-Dich nicht selbst! Ich bin ^nicht^ besser, ich fühle das recht wohl,
--- und ich gehe bald. Ich bin nicht angegriffen, -- ich bin nicht
-niedergeschlagen. Wenn es nicht Deinethalben wäre, Papa, und um meiner
-Freunde willen, so wäre ich ganz glücklich. Ich gehe gern, -- ich sehne
-mich danach!«
-
-»Wie, Kind, was hat denn Dein armes kleines Herz so traurig gemacht? Du
-hast Alles gehabt, was möglich war, um Dich glücklich zu machen.«
-
-»Ich möchte lieber im Himmel sein, obgleich ich um meiner Freunde willen
-gern lebte. Es gibt hier so viele Dinge, die mich traurig machen, die
-mir schrecklich erscheinen; -- deßhalb möchte ich lieber dort sein, --
-aber ich verlasse Dich nicht gern, -- es bricht mir beinahe das Herz.«
-
-»Was macht Dich denn so traurig und erscheint Dir so schrecklich, Eva?«
-
-»O, Dinge, die immer und immer geschehen. Unsere armen Leute thun mir
-leid; sie haben mich so lieb und sind alle so gut gegen mich. Ich
-wünschte, Papa, sie wären alle ^frei^.«
-
-»Wie, Eva, glaubst Du denn nicht, daß sie es alle gut haben?«
-
-»Ja, aber, Papa, wenn Dir irgend etwas zustoßen sollte, was würde dann
-aus ihnen werden? Es gibt wohl wenige Menschen, die so wie Du sind.
-Onkel Alfred ist nicht so und Mamma ist nicht so; und dann denke nur
-einmal an die Herrschaft der armen, alten Prue! was für schreckliche
-Dinge Menschen begehen können!« sagte Eva schaudernd.
-
-»Mein liebes Kind, Du bist zu reizbar. Ich bereue es, daß ich Dich
-jemals solche Dinge habe hören lassen.«
-
-»O, sieh, Papa, das ist's, was mich beunruhigt. Du willst, daß ich
-glücklich leben und nie Schmerzen, -- nie Leiden haben, -- selbst nicht
-einmal eine traurige Geschichte hören soll, während andere arme Wesen
-nichts als Schmerz und Kummer ihr ganzes Leben lang haben, -- ist das
-nicht selbstsüchtig? Ich muß solche Sachen hören und darüber denken!
-Solche Sachen sanken mir immer in's Herz, -- tief, tief, und ich habe
-darüber gedacht und gedacht. Papa, ist denn gar kein Weg möglich, um
-alle Sklaven frei zu machen?«
-
-»Das ist eine schwierige Frage, Kind. Ohne Zweifel ist ihr jetziges Loos
-ein sehr trauriges. Viele Menschen denken so und ich selbst denke so.
-Von Herzen wünschte ich, daß es im ganzen Lande keinen Sklaven gäbe;
-aber ich weiß nicht, wie das zu erreichen ist.«
-
-»Papa, Du bist so gut und so edel und so freundlich, und weißt Alles so
-hübsch zu sagen, -- könntest Du denn nicht zu allen Leuten herumgehen,
-und sie zu überreden suchen, dieses Unrecht abzustellen? Wenn ich todt
-bin, Papa, dann wirst Du an mich denken, und es um meinetwillen thun.
-Ich würde es selbst thun, wenn ich könnte.«
-
-»Wenn Du todt bist, Eva?« sagte St. Clare leidenschaftlich. »O Kind,
-sage nicht so etwas zu mir; -- Du bist ja mein Alles, was ich auf Erden
-besitze.«
-
-»Das Kind der armen, alten Prue war auch Alles, was sie besaß, -- und
-dennoch mußte sie es schreien hören und durfte ihm nicht helfen! Papa,
-diese armen Wesen lieben ihre Kinder eben so sehr wie Du mich liebst. O,
-thue etwas für sie! Die arme Mammy liebt ihre Kinder auch; ich habe
-gesehen, wie sie weinte, wenn sie von ihnen sprach. Und Tom liebt seine
-Kinder, und ist es nicht schrecklich, Papa, daß solche Dinge immer und
-immerfort geschehen?«
-
-»Still, still, mein Liebling,« sagte St. Clare beruhigend: »beunruhige
-Dich nur nicht so sehr, und sprich mir nicht von sterben, und ich will
-Alles thun, was Du willst.«
-
-»Und versprich mir, lieber Vater, daß Tom seine Freiheit haben soll,
-sobald« -- sie hielt inne und fügte zaudernd hinzu -- »ich nicht mehr da
-bin!«
-
-»Ja, mein Kind, ich will Alles -- Alles in der Welt thun, um was Du mich
-bittest.«
-
-»Mein lieber Vater,« sagte dann das Kind, indem es seine brennende
-Wange an die seinige legte, »wie sehr wünschte ich, daß wir zusammen
-gehen könnten!«
-
-»Wohin, mein Liebling?« fragte St. Clare.
-
-»Nach der Heimath unseres Erlösers; -- da ist Alles so schön, so
-friedlich, -- so liebreich!« Das Kind sprach unbewußt wie von einem
-Platze, wo es oft gewesen war. »Willst Du nicht mit gehen, Papa?« fügte
-sie hinzu.
-
-St. Clare drückte sie fester an sich, aber schwieg.
-
-»Du wirst zu mir kommen,« sagte das Kind in einem Tone ruhiger
-Bestimmtheit, in welchem es oft unbewußt sprach.
-
-»Ich folge Dir, -- ich werde Dich nicht vergessen.«
-
-Die Schatten dieses feierlichen Abends legten sich dichter und dichter
-um sie, während St. Clare schweigend da saß und die kleine gebrechliche
-Körperform an seinem Busen hielt. Er sah nicht mehr die tiefen Augen,
-aber ihre Stimme berührte ihn wie eine Geisterstimme, und sein ganzes
-vergangenes Leben stieg in einem Augenblick vor seinen Augen auf, als
-sollte darüber Gericht gehalten werden: Die Gebete und Hymnen seiner
-Mutter; sein eignes früheres Sehnen und Streben nach dem Guten; und
-zwischen jener Zeit und der gegenwärtigen Stunde Jahre von Weltlichkeit,
-Ungläubigkeit und was die Menschen anständiges Leben nennen. Wir können
-^viel^, sehr viel in einem Augenblicke denken. St. Clare sah und
-dachte viel, aber sagte nichts. Und als es dunkler wurde, trug er sein
-Kind in das Schlafzimmer; und nachdem es zur Nachtruhe vorbereitet
-worden war, sandte er die Dienstboten hinweg und wiegte es in seinen
-Armen, und sang es ein, bis es entschlummert war.
-
-
-
-
-Fünfundzwanzigstes Kapitel.
-
-Der kleine Evangelist.
-
-
-Es war Sonntag Nachmittag. St. Clare lag auf einem Sitze von Bambusrohr
-in der Veranda ausgestreckt und ergötzte sich am Genuß einer Cigarre.
-Marie lag auf ihrem Sopha, dem Fenster gegenüber, welches nach der
-Veranda ging, unter einer Dachung von durchsichtiger Gaze gegen die
-Angriffe der Moskito geschützt, und hielt ein elegant eingebundenes
-Gebetbuch in der Hand. Sie hielt es in der Hand, weil es Sonntag war,
-und bildete sich ein, sie habe darin gelesen, -- obgleich sie in
-Wirklichkeit nur, mit dem offenen Buche in der Hand, eine Reihenfolge
-kurzer Schläfe durchgemacht hatte.
-
-Miß Ophelia, die nach längerem Suchen eine kleine methodistische
-Versammlung in der Umgegend entdeckt hatte, war mit Tom als Kutscher
-ausgefahren, um derselben beizuwohnen, und Eva hatte sie begleitet.
-
-»Augustin,« sagte Marie, von einem Schlummer erwachend, »ich sage Dir,
-ich muß nach der Stadt schicken und meinen alten Doctor Posey holen
-lassen; ich glaube gewiß, ich habe eine Herzkrankheit.«
-
-»Weßhalb hast Du denn nöthig, nach ihm zu schicken? Der Arzt, welcher
-Eva behandelt, scheint geschickt und erfahren zu sein.«
-
-»Ich möchte mich ihm doch in einem gefährlichen Falle nicht anvertrauen,
-und ich fürchte, der meinige wird ein solcher werden! Ich habe seit
-zwei, drei Nächten darüber nachgedacht. Die Schmerzen, die ich leide,
-sind unbeschreiblich, und dabei habe ich so sonderbare Empfindungen.«
-
-»O Marie, Du faselst, -- ich glaube nimmermehr, daß Du eine
-Herzkrankheit hast.«
-
-»Natürlich, ^Du^ glaubst es nicht,« entgegnete Marie, »ich konnte mir
-denken, daß Du ^das^ sagen würdest. Du kannst sehr besorgt sein, wenn
-Eva ein wenig hustet oder ihr sonst das Geringste fehlt! aber an mich
-denkst Du nie.«
-
-»Wenn es Dir besonderes Vergnügen macht, eine Herzkrankheit zu haben,
-gut, so will ich versuchen, es steif und fest zu glauben,« sagte St.
-Clare; »ich wußte nicht, daß das der Fall war.«
-
-»Ich will nur wünschen, daß Dir Dein Spott nicht leid thue, wenn es zu
-spät ist,« sagte Marie, »aber Du magst es glauben oder nicht, meine
-Angst und Unruhe um Eva, und die Anstrengungen, denen ich mich um dieses
-lieben Kindes willen unterzogen, haben jetzt vollständig entwickelt, was
-ich längst gefürchtet habe.«
-
-Worin die Anstrengungen bestanden, deren Marie erwähnte, würde schwer zu
-bestimmen gewesen sein. St. Clare lieferte sich selbst im Stillen diesen
-Commentar, und fuhr in seiner Hartherzigkeit fort zu rauchen, bis ein
-Wagen vor der Veranda erschien, aus welchem Eva und Miß Ophelia
-ausstiegen.
-
-Miß Ophelia ging geraden Wegs nach ihrem Zimmer, um ihren Hut und Shawl
-abzulegen, was ihre feststehende Gewohnheit war, ehe sie ein Wort über
-irgend einen Gegenstand sprach, während Eva auf St. Clare's Ruf zu ihm
-kam, sich auf sein Knie setzte, und ihm über den Gottesdienst, welchem
-sie beigewohnt hatte, Bericht erstattete.
-
-Bald darauf hörten sie aus Miß Ophelia's Zimmer, welches gleichfalls
-nach der Veranda hinausging, laute Ausrufungen erschallen, und heftige
-Vorwürfe, die an irgend Jemanden gerichtet wurden.
-
-»Was für neue Teufelsstreiche hat Tops ausgeführt?« fragte St. Clare.
-»Diese Scene rührt von ihr her, -- ich will darauf wetten!«
-
-Einen Augenblick später erschien Miß Ophelia in höchster Aufregung und
-schleppte die Sünderin hinter sich her.
-
-»Jetzt komm' hier herein!« sagte sie. »Ich will es Deinem Herrn sagen!«
-
-»Was gibt's denn nun?« fragte St. Clare.
-
-»Die Sache ist die, daß ich mich nicht länger mit dem Kinde plagen kann.
-Es geht mit ihr über alle Grenzen der Geduld hinaus; Fleisch und Blut
-kann es nicht ertragen! Hier, ich schloß sie ein und gab ihr eine Hymne
-zu lernen; und was thut sie statt dessen? -- spionirt aus, wo ich meinen
-Schlüssel hingethan habe, geht an mein Büreau, und nimmt einen Hutbesatz
-heraus, und schneidet ihn in Stücke, um Puppenjacken daraus zu machen!
-Ich habe nie in meinem Leben etwas Aehnliches von einem Kinde gesehen!«
-
-»Ich sagte Ihnen vorher, Cousine,« bemerkte Marie; »daß diese Geschöpfe
-nicht ohne Strenge aufgezogen werden können. Wenn ich jetzt ^meinem^
-Willen folgen könnte,« fügte sie hinzu, indem sie vorwurfsvoll auf St.
-Clare blickte, »so würde ich das Kind fortschicken, und es gründlich
-auspeitschen lassen, -- so lange, bis es nicht mehr stehen könnte.«
-
-»Ich hege keine Zweifel darüber,« sagte St. Clare. »Das ist zarte
-Weiblichkeit! Ich habe in meinem ganzen Leben nicht mehr als höchstens
-ein Dutzend Frauenzimmer kennen gelernt, die nicht ein Pferd oder einen
-Sklaven halb umbringen würden, wenn sie mit ihnen verfahren könnten, wie
-sie wollten!«
-
-»Deine nichtssagende Behandlungsweise, St. Clare, ist von gar keinem
-Nutzen,« erwiederte Marie. »Cousine ist ein verständiges Frauenzimmer,
-und sieht es jetzt eben so deutlich ein, wie ich.«
-
-Miß Ophelia konnte genau zu einem solchen Grade von Unwillen und
-Aufregung gebracht werden, der bei einer Hausfrau, die ihren Geschäften
-mit Leib und Seele vorsteht, natürlich ist, und dieser Grad war durch
-die Arglist und Unart des Kindes vollständig erregt worden; allein
-Mariens Worte gingen noch viel weiter, und dämpften deshalb Ophelias
-Hitze.
-
-»Ich möchte das Kind um Alles in der Welt nicht so behandeln lassen,«
-sagte sie; »aber gewiß ist, Augustin, ich weiß nicht mehr, was ich mit
-ihr machen soll. Ich habe gelehrt und gelehrt; ich habe ihr
-Vorstellungen gemacht, bis ich des Redens müde war; ich habe sie
-gezüchtigt, ich habe sie gestraft auf jede nur denkbare Weise, -- und
-dennoch ist sie nicht ein Haar breit anders, als sie von Anfang an
-gewesen ist.«
-
-»Komm' hierher, Tops, Du Affe!« sagte St. Clare, das Kind zu sich
-rufend.
-
-Topsy näherte sich ihm. Ihre grellen, runden Augen glänzten und
-funkelten von einer Mischung von Furcht und ihrer gewöhnlichen
-Schalkhaftigkeit.
-
-»Warum beträgst Du Dich so?« sagte St. Clare, der sich über den
-sonderbaren Gesichtsausdruck des Kindes kaum des Lachens enthalten
-konnte.
-
-»Denke, 's ist mein schlechtes Herz,« sagte Topsy ganz ernsthaft; »Miß
-Feely sagt so.«
-
-»Siehst Du nicht, was Miß Ophelia alles für Dich gethan hat? Sie sagt,
-sie habe Alles gethan, was sie nur habe erdenken können.«
-
-»Ja, Master! alte Missis sagte auch so. Sie peitschte mich ganz anders,
-und riß mein Haar aus, und stieß meinen Kopf gegen die Wand, -- aber 's
-half nichts. Glaube, wenn sie mir auch alle Haare ausrissen, 's würde
-doch nichts helfen; -- bin so schlecht! bin nichts als ein Nigger, gar
-nichts!«
-
-»Ja, ich muß sie aufgeben,« sagte Miß Ophelia, »ich kann diese Qual
-nicht länger ertragen.«
-
-»Gut, ich wollte nur eine Frage an Dich richten,« sagte St. Clare.
-
-»Und welche?«
-
-»Wenn Euer Evangelium nicht kräftig genug ist, ein heidnisches Kind zu
-erretten, welches Du hier bei Dir allein im Hause haben kannst, welchen
-Nutzen kann es dann gewähren, ein paar arme Missionäre unter Tausende
-von derselben Art und Gattung zu senden?«
-
-Miß gab keine unmittelbare Antwort hierauf; und Eva, welche bisher eine
-stumme Zuschauerin der Scene abgegeben hatte, gab Topsy ein stummes
-Zeichen, ihr zu folgen. In der einen Ecke der Veranda befand sich ein
-kleines Zimmer mit einer Glasthüre, welches St. Clare als Lesezimmer zu
-benutzen pflegte. Dort hinein verschwanden Eva und Topsy.
-
-»Was hat Eva jetzt vor?« sagte St. Clare. »Ich will lauschen.«
-
-Indem er sich auf den Zehen der Glasthür näherte, und den Vorhang,
-welcher sie bedeckte, aufhob, blickte er hinein. Im nächsten Augenblicke
-machte er, den Finger auf die Lippen legend, Miß Ophelien ein Zeichen,
-ihm zu folgen und in das Zimmer zu blicken. Dort saßen die beiden Kinder
-auf dem Fußboden, während die Seiten ihrer Gesichter den Schauenden
-zugewendet waren: Topsy, mit ihrer gewöhnlichen Miene drolligen,
-sorglosen Muthwillens, und ihr gegenüber Eva, glühend im ganzen Gesichte
-von Gefühl, und mit Thränen in ihren großen Augen.
-
-»Warum bist Du so unartig, Topsy? Weßhalb gibst Du Dir nicht Mühe, gut
-zu sein? Hast Du denn Niemanden lieb, Topsy?«
-
-»Weiß nichts von lieb haben; habe Zuckerbrod und so 'was lieb, -- weiter
-nichts,« sagte Topsy.
-
-»Aber Du hast doch Deinen Vater und Deine Mutter lieb?«
-
-»Habe nie keine gehabt; -- hab's Ihnen schon gesagt, Miß Eva.«
-
-»Ja, ich weiß,« entgegnete Eva traurig; »aber hast Du nie einen Bruder
-oder eine Schwester oder eine Tante oder --?«
-
-»Nein, keinen, -- gar keinen, niemals.«
-
-»Aber Topsy, wenn Du Dir nur Mühe geben wolltest, gut zu sein, so
-könntest Du --«
-
-»Könnte doch nie 'was Andres sein als ein Nigger, wenn ich auch noch so
-gut wäre,« sagte Topsy. »Wenn sie mir die Haut abziehen könnten, und
-wenn ich weiß werden könnte, dann wollt' ich 's versuchen.«
-
-»Aber die Menschen könnten Dich ja doch lieb haben, wenn Du auch schwarz
-bist, Topsy. Miß Ophelia würde Dich lieb haben, wenn Du gut wärest.«
-
-Topsy ließ ein kurzes, grelles Lachen als Antwort hören, was ihre
-gewöhnliche Mode war, wenn sie Ungläubigkeit ausdrücken wollte.
-
-»Glaubst Du das nicht?« fragte Eva.
-
-»Nein, sie kann mich nicht leiden, weil ich ein Nigger bin! -- sie ließe
-sich eben so gern von einer Kröte anfassen! Niemand kann Niggers lieb
-haben, -- Niggers können gar nichts thun! Mach' mir nichts draus!« sagte
-Topsy, indem sie anfing zu pfeifen.
-
-»O Topsy, armes Kind, ich habe Dich lieb!« sagte Eva in einem
-plötzlichen Ausbruche ihres Gefühls, und legte ihre kleine, dünne Hand
-auf Topsy's Schulter. »Ich habe Dich lieb, weil Du keinen Vater und
-keine Mutter und Freunde hast, -- weil Du ein armes, mißhandeltes Kind
-bist! Ich habe Dich lieb, und will gut gegen Dich sein. Ich bin recht
-krank, Topsy, und ich glaube ich werde nicht mehr lange leben, und es
-macht mir wirklich Kummer, daß Du so unartig bist. Ich wünschte, Du
-versuchtest es, artig zu sein, mir zu Liebe; -- es ist nur noch kurze
-Zeit, daß ich bei Dir sein werde.«
-
-Die runden, scharfen Augen des schwarzen Kindes waren von Thränen
-verdunkelt; große, schwere Tropfen rollten nach einander herab, und
-fielen auf die weiße, kleine Hand. Ja, in diesem Momente hatte ein
-Strahl wirklichen Glaubens, ein Strahl himmlischer Liebe die Dunkelheit
-ihrer heidnischen Seele durchdrungen! Sie legte ihren Kopf zwischen ihre
-Kniee nieder, und weinte und schluchzte, -- während das schöne Kind,
-sich über sie neigend, wie das Bild eines glänzenden Engels erschien,
-der sich herabsenkte, um einen Sünder zu erlösen.
-
-»Arme Topsy!« sagte Eva, »weißt Du nicht, daß Jesus alle Menschen gleich
-liebt? Er ist eben so bereit, Dich zu lieben wie mich. Er liebt Dich so
-wie ich es thue, -- nur noch mehr, weil er besser ist. Er wird Dir
-beistehen, gut zu sein: und Du kannst endlich in den Himmel gehen, und
-dort für ewig ein Engel sein, eben so gut, als wenn Du weiß wärest. O,
-denke daran, Topsy! -- Du kannst einer jener glänzenden Engel werden,
-von denen Onkel Tom singt.«
-
-»O, liebe Miß Eva, liebe Miß Eva!« sagte das Kind; »ich will versuchen,
-ich will versuchen: -- habe früher nie 'was danach gefragt.«
-
-In diesem Augenblicke ließ St. Clare den Vorhang fallen. »Es erinnert
-mich an meine Mutter,« sagte er zu Miß Ophelia. -- »Es ist wahr, was sie
-mir sagte: wenn wir die Blinden sehend machen wollen, so müssen wir
-bereit sein, so zu handeln, wie Christus handelte, -- sie zu uns rufen,
-und ^unsere Hände auf sie legen^.«
-
-»Ich habe immer ein Vorurtheil gegen Neger gehabt,« sagte Miß Ophelia;
-»es ist wahr, es ist mir immer zuwider gewesen, mich von dem Kinde
-berühren zu lassen; allein ich glaubte nicht, daß Topsy es gewußt habe.«
-
-»Verlaß Dich darauf, daß jedes Kind das bald entdeckt,« entgegnete St.
-Clare, »es ist unmöglich, es vor ihnen verborgen zu halten. Aber ich
-glaube auch, daß alle Bemühungen der Welt, einem Kinde wohl zu thun,
-und alle Gunstbezeugungen nie eine Regung von Dankbarkeit in ihm
-erwecken werden, so lange ein derartiges Gefühl von Abneigung im Herzen
-vorhanden ist.«
-
-»Ich weiß nicht, wie ich das ändern soll,« sagte Miß Ophelia; »sie
-^sind^ mir einmal zuwider -- und besonders dieses Kind, -- wie soll
-ich mich von diesem Gefühle befreien?«
-
-»Es scheint, Eva thut es.«
-
-»Ja, sie ist von Natur so liebreich!« sagte Miß Ophelia. »Ich wollte,
-ich wäre wie sie; sie könnte mir zum Muster dienen.«
-
-»Es wäre nicht das erste Mal, daß ein kleines Kind einem alten Schüler
-eine Lehre gegeben hat,« entgegnete St. Clare.
-
-
-
-
-Sechsundzwanzigstes Kapitel.
-
-Der Tod.
-
- Weint nicht um die, so Grabesschleier
- Am Lebensmorgen uns verbarg.
-
-
-Eva's Schlafgemach war ein geräumiges Zimmer, welches, wie fast alle
-übrigen Gemächer des Hauses, sich auf die Veranda öffnete. Auf der einen
-Seite stand dasselbe mit dem Zimmer ihres Vaters und ihrer Mutter in
-Verbindung, und auf der anderen mit dem, welches Miß Ophelien überwiesen
-worden war. St. Clare hatte seinem eigenen Geschmacke gehuldigt, indem
-er das Zimmer in einer Weise ausmöblirt und geschmückt hatte, die in
-seltsamer Harmonie mit dem Charakter derjenigen stand, für die es
-bestimmt war. Vor den Fenstern hingen Gardinen von weißem und
-rosafarbenem Mousselin herab, und der Fußboden war von einem Teppich
-bedeckt, welcher nach einem von St. Clare besonders angegebenen Muster
-in Paris gefertigt worden war, indem ein Kranz von Rosenknospen und
-Blättern die Einfassung bildete, und im Mittelpunkte sich mehrere ganz
-aufgeblühte Rosen befanden. Die Bettstelle, Stühle und Sitze waren von
-Bambus nach besonders geschmackvollen Mustern gearbeitet. Ueber dem
-Kopfende des Bettes befand sich an der Wand ein Fuß von Alabaster, aus
-dem ein schön gemeißelter Engel mit gesenkten Flügeln stand, welcher
-einen Myrthenkranz in der Hand hielt. Von demselben hingen über dem
-Bette leichte Vorhänge von rosafarbener Gaze herab, welche den für alle
-Schläfer so nothwendigen Schutz gegen die Moskito's gewährten. Die
-geschmackvollen Bambussitze waren reichlich mit Kissen von röthlichem
-Damast versehen, während über denselben ähnliche Vorhänge wie über dem
-Bett herabhingen. Ein leichter Bambustisch stand in der Mitte des
-Zimmers, aus welchem eine Vase von parischem Marmor in der Form einer
-blühenden Lilie stand, die stets mit Blumen gefüllt war. Auf diesem
-Tische lagen auch Eva's Bücher und kleine Schmucksachen, nebst einem
-eleganten Schreibzeuge von Alabaster, welches ihr Vater für sie
-angeschafft hatte, als er bemerkte, daß sie sich bemühte, sich im
-Schreiben zu verbessern. Auf dem marmornen Kaminsimse stand eine schön
-gearbeitete Statue, welche Jesus darstellte, wie er die Kinder zu sich
-rief, und auf jeder Seite derselben befanden sich Marmorvasen, welche
-Tom jeden Morgen mit frischen Blumen zu füllen sich zum Stolz gereichen
-ließ. Zwei oder drei ausgewählte Gemälde von Kindern in verschiedenen
-Stellungen schmückten die Wände. Kurz, wohin das Auge auch blicken
-mochte, überall begegneten ihm Bilder der Kindheit, der Schönheit und
-des Friedens. Eva's kleine Augen öffneten sich nie dem Morgenlichte,
-ohne auf etwas zu fallen, was in ihrem Herzen sanfte, schöne Gedanken
-erweckte.
-
-Die trügerische Kraft, welche Eva eine kurze Zeit lang aufrecht erhalten
-hatte, schwand schnell. Seltener und immer seltener wurde ihr leichter
-Fußtritt in der Veranda gehört, und öfter und immer öfter wurde sie auf
-ihren Strohsitzen am offenen Fenster liegend gefunden, während ihre
-großen, tiefen Augen die steigenden und sinkenden Wellen des See's
-beobachteten.
-
-Es war eines Nachmittags, während sie sich gerade in einer ähnlichen
-Stellung befand, und ihre durchsichtigen kleinen Finger zwischen den
-Blättern der halbgeöffneten Bibel lagen, als sie plötzlich die Stimme
-ihrer Mutter in scharfen Lauten in der Veranda hörte.
-
-»Was ist dies, Du Nickel? -- Was ist das für ein neuer Streich? Du hast
-hier Blumen abgepflückt, he?« und Eva hörte den Schall eines kräftigen
-Schlages.
-
-»O Missis, -- sie sind für Miß Eva,« hörte sie eine Stimme sagen, welche
-sie als Topsy's erkannte.
-
-»Miß Eva! eine hübsche Entschuldigung! -- Du meinst, sie brauche
-^Deine^ Blumen, Du nichtsnützige Nigger! Fort mit Dir!«
-
-Im Augenblicke war Eva von ihrem Sitze auf und in der Veranda.
-
-»O nein, Mutter! ich möchte diese Blumen gern haben; bitte, gieb sie
-mir, -- ich brauche sie.«
-
-»Wie, Eva? Dein Zimmer ist ja ganz voll von Blumen.«
-
-»Ich kann nicht zu viele haben,« entgegnete Eva. »Topsy, komm, bringe
-sie mir.«
-
-Topsy, die mürrisch und mit gesenktem Kopfe dagestanden hatte, kam jetzt
-näher und übergab ihre Blumen. Sie that es mit scheuer, zaudernder
-Miene, die sehr verschieden von ihrer gewöhnlichen Kühnheit und Keckheit
-war.
-
-»Es ist ein schönes Bouquet!« sagte Eva, es betrachtend.
-
-Es war etwas sonderbarer Art, denn es bestand aus glänzend
-scharlachrothem Geranium mit einer einzigen weißen Japonikablume und
-ihren glänzenden Blättern. Der Gegensatz der Farben war augenscheinlich
-die Idee bei der Zusammensetzung des Bouquets gewesen, und die Anordnung
-jedes Blattes war mit besonderer Sorgfalt erfolgt.
-
-Topsy's Gesicht klärte sich auf als Eva sagte:
-
-»Topsy, Du kannst hübsche Bouquette binden. Sieh, hier ist eine Vase,
-für die ich keine Blumen habe. Ich wünschte, Du könntest mir jeden
-Morgen einige Blumen dafür sammeln.«
-
-»Nun, das ist sonderbar!« sagte Marie. »Wozu in der Welt, Kind, brauchst
-Du die nur noch?«
-
-»O, das thut nichts, Mamma; ich weiß, Du hast nichts dagegen, daß Topsy
-es thut, -- nicht wahr?«
-
-»Natürlich nicht; Alles was Du willst, mein Kind! Topsy, Du hörst, was
-Deine junge Mistreß sagt; -- gieb wohl Acht.«
-
-Topsy machte eine kurze Verbeugung mit gesenktem Kopfe; und als sie sich
-entfernte, sah Eva eine Thräne über ihre dunkle Wange rollen.
-
-»Siehst Du, liebe Mamma, ich wußte, daß die arme Topsy gern etwas für
-mich thun wollte,« sagte Eva zu ihrer Mutter.
-
-»O Unsinn! sie that's nur, weil sie gern verbotene Dinge thut. Sie weiß,
-daß sie keine Blumen abpflücken soll, -- also thut sie es; das ist das
-Ganze. Aber wenn Du es gern willst, daß sie sie pflückt, so mag sie es
-thun.«
-
-»Mamma, ich denke, Topsy ist jetzt ganz anders als sie früher war; sie
-giebt sich Mühe, gut zu sein.«
-
-»Da wird sie sich noch lange Mühe geben müssen, ehe sie wirklich gut
-wird,« sagte Marie mit gleichgültigem Lachen.
-
-»Ja, aber Du weißt, Mamma, die arme Topsy! -- Alles ist immer gegen sie
-gewesen.«
-
-»Nicht seitdem sie hier gewesen ist. Wenn ^ihr^ nicht vorgesprochen
-und vorgepredigt, und an sie nicht Alles gethan worden ist, was Menschen
-vermögen! -- und doch ist sie noch gerade eben so häßlich, und wird es
-immer sein; -- nein, es läßt sich nichts mit dem Geschöpfe machen!«
-
-»Aber, Mamma, es ist doch ganz anders, so auferzogen worden zu sein, wie
-ich es bin, mit so vielen Freunden, und so vielen Dingen, die mich gut
-und glücklich machen; und dann so aufgebracht worden zu sein, wie sie es
-die ganze Zeit war, ehe sie hieher kam!«
-
-»Kann sein,« entgegnete Marie gähnend, -- »o, wie heiß es ist!«
-
-»Mamma, nicht wahr, Du glaubst auch, daß Topsy ein Engel werden könnte,
-so gut wie wir, wenn sie eine Christin wäre?«
-
-»Topsy? was für eine lächerliche Idee! Niemand als Du würde jemals an so
-etwas denken. Aber es ist möglich!«
-
-»Aber, Mamma, ist denn Gott nicht ihr Vater so gut wie der unserige, --
-und Jesus ihr Erlöser?«
-
-»Wohl, das mag sein. Ich glaube, Gott hat alle Menschen geschaffen,«
-erwiederte Marie. »Wo ist mein Riechfläschchen?«
-
-»Es ist solch' ein Jammer, -- o! solch' ein Jammer!« sagte Eva, auf den
-fernen See blickend, und halb zu sich selbst redend.
-
-»Was ist ein Jammer?« fragte Marie.
-
-»Daß ein Wesen, welches ein Engel werden und mit Engeln leben könnte,
-ganz hinab, hinab, hinab gehen soll, ohne daß ihm Jemand hilft! -- o,
-lieber Gott!«
-
-»Wohl, wir können's nicht ändern, Eva; es nützt nichts, sich darum zu
-grämen! Ich weiß nicht, was zu thun ist. Wir müssen nur dankbar sein für
-die Vortheile, die wir genießen.«
-
-»Ich kann es kaum sein,« sagte Eva. »Ich bin so traurig, wenn ich an
-arme Leute denke, die gar keine Vortheile genießen.«
-
-»Das ist sonderbar genug,« sagte Marie; -- »meine Religion macht mich
-dankbar für meine Vorzüge.«
-
-»Mamma,« sagte Eva plötzlich, »ich möchte gern etwas von meinem Haar
-abschneiden lassen, -- recht viel.«
-
-»Wozu?« fragte Marie.
-
-»Ich wollte es an meine Freunde geben, so lange ich noch im Stande bin,
-es selbst zu thun. Willst Du nicht die Tante bitten, daß sie komme und
-es für mich abschneide?«
-
-Marie erhob ihre Stimme, um Miß Ophelia aus dem nächsten Zimmer zu
-rufen.
-
-Als Ophelia in das Zimmer trat, erhob sich das Kind von seinem Lager,
-und ließ seine langen, goldenen Locken herabfallen, indem es scherzweise
-sagte: »Komm, Tante, scheere das Schäfchen!«
-
-»Was ist das?« fragte St. Clare, der gerade in diesem Augenblick in das
-Zimmer trat und Früchte trug, die er besonders für Eva geholt hatte.
-
-»Papa, ich wollte gern, daß Tante von meinem Haar etwas abschnitte; es
-ist zu lang und macht meinen Kopf so heiß. Auch wollte ich gern etwas
-davon verschenken.«
-
-Miß Ophelia erschien mit der Scheere.
-
-»Sieh' Dich vor, -- verdirb die Locken nicht!« sagte der Vater.
-»Schneide unterhalb, wo es nicht zu sehen ist. Eva's Locken sind mein
-Stolz.«
-
-»O Papa!« sagte Eva traurig.
-
-»Ja, und ich will, daß sie in recht hübschem Stande zu der Zeit bleiben,
-wo ich mit Dir nach Onkels Plantage reisen will, um Cousin Henrique zu
-besuchen,« sagte St. Clare in heiterem Tone.
-
-»Ich werde nie dahin kommen, Papa, -- ich gehe in ein besseres Land. O
-glaube mir! Siehst Du nicht Papa, daß ich jeden Tag schwächer werde?«
-
-»Warum bestehst Du darauf, Eva, daß ich etwas so Schreckliches glauben
-solle?« sagte der Vater.
-
-»Nur weil es ^wahr^ ist, Papa; und wenn Du es jetzt glauben willst, so
-wirst Du vielleicht eben so darüber empfinden lernen, wie ich,«
-entgegnete Eva.
-
-St. Clare schloß seine Lippen, und betrachtete trüben Blickes die langen
-schönen Locken, welche, sobald sie abgeschnitten waren, in den Schooß
-des Kindes gelegt wurden. Sie hob sie auf, betrachtete sie ernsten
-Blickes, und flocht sie durch ihre zarten Finger, und blickte von Zeit
-zu Zeit ängstlich auf ihren Vater.
-
-»Es ist gerade das, was ich geahnt habe!« sagte Marie; »es ist grade
-das, was Tag für Tag an meiner Gesundheit genagt und mich dem Grabe nahe
-gebracht hat, obgleich Niemand es hat beachten wollen. Ich habe es lange
-vorhergesehen. St. Clare, Du wirst bald sehen, daß ich Recht hatte.«
-
-»Was Dir zu großem Troste gereichen wird, ohne Zweifel!« entgegnete St.
-Clare mit trockenem, bitterem Tone.
-
-Marie lag auf einem Kanapee, und bedeckte ihr Gesicht mit einem feinen
-weißen Taschentuche.
-
-Eva's klares, blaues Auge blickte ernst vom Vater auf die Mutter. Es war
-der ruhige, verstehende Blick einer Seele, die schon halb von ihren
-irdischen Banden gelöst war, und unverkennbar war es, daß sie den
-Unterschied zwischen Beiden sah, fühlte und würdigte.
-
-Sie winkte ihrem Vater mit der Hand. Er kam und setzte sich an ihre
-Seite.
-
-»Papa, meine Kraft schwindet täglich mehr, und ich weiß, ich muß fort.
-Da sind noch manche Dinge, die ich zu sagen und zu thun habe -- die ich
-thun muß, und Du willst mich nie über diesen Gegenstand sprechen lassen.
-Aber kommen muß es doch; es ist kein Aufschub möglich. Bitte, laß mich
-jetzt reden!«
-
-»Mein Kind, recht gern!« sagte St. Clare, seine Augen mit der einen Hand
-bedeckend, und Eva's Hand in der andern haltend.
-
-»Dann möchte ich alle unsere Leute hier beisammen sehen. Ich habe Etwas,
-was ich ihnen sagen muß,« sagte Eva.
-
-»Gut,« erwiederte St. Clare im Tone völliger Ergebung.
-
-Miß Ophelia sandte einen Boten ab, und bald darauf wurden sämmtliche
-Dienstboten in das Zimmer geführt.
-
-Eva lag ausgestreckt auf ihren Kissen, ihr Haar hing unbefestigt um ihr
-Gesicht, ihre purpurnen Wangen kontrastirten auf schmerzliche Weise mit
-der durchsichtigen Weiße ihrer Haut und den zarten Linien ihrer Glieder
-und Züge, und ihre großen, seelenvollen Augen richteten sich mit ernstem
-Ausdrucke auf jeden Einzelnen.
-
-Die Dienstboten fühlten sich plötzlich ergriffen von ihrem Anblicke. Ihr
-geisterartiges Gesicht, die langen, abgeschnittenen Locken auf ihrem
-Schooße, ihres Vaters abgewandtes Gesicht und Marien's Schluchzen
-machten einen plötzlichen Eindruck auf die Gefühle dieser leicht
-erregbaren Menschenklasse, und während sie nach einander eintraten,
-sahen sie sich gegenseitig an, seufzten und schüttelten die Köpfe. Im
-ganzen Zimmer herrschte eine Stille, wie bei einem Begräbniß.
-
-Eva richtete sich auf, und blickte lange und ernst um sich auf jeden
-Einzelnen. Alle sahen bange und traurig aus, und viele unter den Weibern
-bargen ihre Gesichter in den Schürzen.
-
-»Ich habe euch Alle rufen lassen, meine lieben Freunde,« sagte Eva,
-»weil ich Euch lieb habe. Ich liebe Euch alle, und ich habe Euch Etwas
-zu sagen, an das Ihr Euch, wie ich wünsche, stets erinnern werdet. --
-Ich muß Euch verlassen; -- in wenigen Wochen werdet Ihr mich nicht mehr
-sehen --«
-
-Hier wurde das Kind durch einen allgemeinen Ausbruch von Seufzern,
-Stöhnen und Wehklagen unterbrochen, in denen ihre zarte Stimme
-vollständig verloren ging. Sie hielt einen Augenblick inne und fuhr dann
-in einem Tone fort, der das Schluchzen Aller verstummen ließ.
-
-»Wenn Ihr mich lieb habt,« sagte sie, »so müßt Ihr mich nicht auf eine
-solche Weise unterbrechen. Hört, was ich Euch zu sagen habe. Ich wollte
-zu Euch über Eure Seelen reden. -- Viele unter Euch, fürchte ich, sind
-sehr sorglos. Ihr denkt nur an diese Welt; aber ich bitte Euch, daran zu
-denken, daß es eine andere, schöne Welt gibt, wo Jesus ist. Dahin gehe
-ich, und dahin könnt Ihr gehen. Sie ist für Euch sowohl, wie für mich.
-Aber, wenn Ihr dahin gehen wollt, so müßt Ihr nicht ein träges,
-sorgloses und leichtsinniges Leben führen. Ihr müßt Christen sein. Ihr
-müßt bedenken, daß jeder von Euch ein Engel werden und für ewig bleiben
-kann. Wenn Ihr Christen sein wollt, so wird Euch Jesus helfen. Ihr müßt
-zu ihm beten, Ihr müßt lesen --«
-
-Das Kind hielt hier plötzlich inne, blickte mitleidig auf die
-Umstehenden und fuhr dann traurig fort:
-
-»O, Ihr Armen, Ihr könnt ja nicht lesen, -- arme Seelen!« und sie
-verbarg ihr Gesicht in den Kissen und schluchzte, bis das unterdrückte
-Stöhnen derjenigen, zu denen sie sprach, und die knieend um sie her
-lagen, sie wieder erweckte.
-
-»Aber faßt Muth!« sagte sie, ihr Gesicht erhebend, und durch Thränen
-freundlich lächelnd, »ich habe für Euch gebetet, und ich weiß, Jesus
-wird Euch helfen, auch wenn Ihr nicht lesen könnt. Bemüht Euch, Alles
-zu thun, was in Euren Kräften steht; betet jeden Tag; ruft Ihn an, daß
-Er Euch helfe, und laßt Euch die Bibel vorlesen, wo und wann Ihr könnt,
-und ich hoffe, daß ich Euch dann alle im Himmel sehen werde.«
-
-»Amen,« war die leise Antwort von den Lippen Tom's und Mammy's, und
-einiger der Aelteren unter ihnen, welche einer methodistischen Kirche
-angehörten, während die Jüngeren und Leichtsinnigeren, die für den
-Augenblick vollständig überwältigt waren, ihre Köpfe auf die Knie
-niedergelegt hatten und laut schluchzten.
-
-»Ich weiß,« sagte Eva, »Ihr habt mich alle lieb.«
-
-»Ja, o ja! gewiß! Gott segne Sie!« war die unwillkührliche Antwort von
-Allen!
-
-»Ja, ich weiß es! Es ist kein Einziger unter Euch, der nicht immer
-liebreich gegen mich gewesen wäre; und ich wollte Euch jetzt Etwas
-geben, was Euch stets an mich erinnern wird, wenn Ihr darauf blickt. Ich
-will jedem von Euch eine Locke von meinem Haare geben; und wenn Ihr sie
-betrachtet, so erinnert Euch, daß ich Euch liebte und in den Himmel
-gegangen bin, und daß ich Euch alle dort zu sehen wünsche.«
-
-Es ist unmöglich, die Scene zu beschreiben, welche sich jetzt
-entwickelte, wo Alle unter Thränen und Schluchzen sich um das kleine
-Wesen sammelten, und aus Eva's Händen das letzte Zeichen ihrer Liebe
-empfingen. Sie fielen auf ihre Kniee und schluchzten und beteten, und
-küßten den Saum ihres Kleides, während die Aelteren Worte der Liebe,
-untermischt mit Gebeten und Segenssprüchen auf sie ausströmen ließen.
-
-So wie Jeder seine Gabe empfing, gab ihm Miß Ophelia, welche von dieser
-Aufregung nachtheilige Folgen für ihre kleine Kranke fürchtete, ein
-Zeichen, das Zimmer zu verlassen. Alle waren fort bis auf Tom und Mammy.
-
-»Hier, Onkel Tom,« sagte Eva, »ist eine schöne Locke für Dich. O ich bin
-so glücklich, Onkel Tom, wenn ich daran denke, daß ich Dich im Himmel
-sehen werde, -- denn ich weiß es gewiß; und Mammy, -- meine liebe, gute
-Mammy!« rief sie, ihre Arme um den Hals ihrer alten Wärterin schlingend,
--- »ich weiß, Du wirst auch dort sein.«
-
-»O Miß Eva! -- weiß gar nicht, wie ich ohne Sie leben kann!« sagte das
-treue Geschöpf, und verfiel in einen leidenschaftlichen Ausbruch von
-Schmerz.
-
-Miß Ophelia drängte sie sanft zur Thüre hinaus, und glaubte, es seien
-nun Alle fort; allein, als sie sich umwandte, stand Topsy noch da.
-
-»Wo kommst Du her?« fragte Miß Ophelia verwundert.
-
-»Ich war hier,« entgegnete Topsy, die Thränen aus ihren Augen wischend.
-»O, Miß Eva, ich bin immer ein unartiges Mädchen gewesen; aber wollen
-Sie ^mir^ nicht auch eine geben?«
-
-»Ja, arme Topsy, gewiß will ich das. Hier -- so oft Du sie ansiehst,
-denke daran, daß ich Dich lieb hatte und wünschte, daß Du ein gutes Kind
-sein möchtest!«
-
-»O Miß Eva, ich gebe mir Mühe!« sagte Topsy eifrig; »aber, o Herr, 's
-ist so schwer, gut zu sein! -- bin gar nicht dran gewöhnt!«
-
-»Jesus weiß das, Topsy; er hat Mitleid mit Dir, -- er wird Dir helfen.«
-
-Topsy wurde hierauf, indem sie ihre Augen in der Schürze verbarg, von
-Miß Ophelia schweigend aus dem Zimmer geführt; allein, während sie
-hinausging, verbarg sie die kostbare Locke in ihrem Busen.
-
-Als Alle fort waren, verschloß Miß Ophelia die Thür. Diese gute Dame
-hatte während der Scene manche Thräne aus ihrem eigenen Auge
-hinweggewischt; aber die Besorgniß wegen der aus einer solchen Aufregung
-für ihren jungen Pflegling möglicher Weise entspringenden Folgen war
-überwiegend in ihrem Geiste.
-
-St. Clare hatte während der ganzen Zeit, seine Augen mit der Hand
-bedeckend, in derselben Stellung gesessen. Auch als Alle fort waren,
-blieb er darin.
-
-»Papa!« sagte Eva sanft, ihre Hand auf die seinige legend.
-
-Er erschrak und ein Schauer überlief ihn, aber er gab keine Antwort.
-
-»Lieber Vater!« wiederholte Eva.
-
-»Ich kann nicht,« sagte St. Clare aufstehend, -- »ich kann es nicht
-tragen! Der Allmächtige ist ^sehr hart^ mit mir verfahren!« und St.
-Clare legte auf die letzten Worte einen besonders bitteren Nachdruck.
-
-»Augustin! hat Gott nicht ein Recht, zu thun, was er will, mit dem, was
-sein ist?« sagte Miß Ophelia.
-
-»Mag sein; aber das macht es nicht leichter für mich zu tragen,«
-entgegnete er in harter, trockener, thränenloser Weise, während er sich
-abwandte.
-
-»Papa, Du brichst mein Herz!« sagte Eva sich aufrichtend und sich in
-seine Arme werfend; »Du mußt nicht so denken!« Und dabei weinte und
-schluchzte das Kind mit einer Heftigkeit, die Alle in Bestürzung
-versetzte, und den Gedanken ihres Vaters schnell eine andere Richtung
-verlieh.
-
-»Still, Eva, still! mein liebes Kind! Es wäre unrecht von mir, -- recht
-unrecht! Ich will anders denken, -- ich will Alles thun, was Du willst,
-nur beruhige Dich, schluchze nicht so. Ich will ganz gefaßt sein; es war
-sehr unrecht von mir, so zu sprechen.«
-
-Bald lag Eva wie eine müde Taube in ihres Vaters Armen; und er, sich
-über sie beugend, bemühte sich, sie durch jedes zärtliche Wort, das er
-ersinnen konnte, zu beruhigen.
-
-Marie stand auf und ging aus dem Zimmer in ihr eigenes, wo sie in
-hysterische Krämpfe verfiel.
-
-»Du hast mir keine Locke gegeben, Eva,« sagte ihr Vater mit traurigem
-Lächeln.
-
-»Sie gehören Dir alle, Papa,« erwiederte sie lächelnd, -- »Dir und
-Mamma, und Du mußt der lieben Tante so viele davon geben, als sie haben
-will. Ich gab jene nur den armen Leuten selbst, lieber Papa, weil sie
-möchten vergessen worden sein, wenn ich nicht mehr da bin, und weil ich
-hoffte, daß es sie erinnern möchte an -- Du bist ein Christ, lieber
-Vater, nicht wahr?« fügte sie dann mit zweifelndem Tone hinzu.
-
-»Weshalb fragst Du mich?«
-
-»Ich weiß nicht. Du bist so gut, Du mußt es sein.«
-
-»Was heißt das, ein Christ sein, Eva?«
-
-»Christus über Alles lieben,« entgegnete Eva.
-
-»Thust Du das, Eva?«
-
-»Gewiß thue ich das.«
-
-»Du sahst ihn aber nie,« sagte St. Clare.
-
-»Das macht keinen Unterschied,« erwiederte Eva. »Ich glaube an ihn und
-in wenigen Tagen werde ich ihn sehen.« Und bei diesen Worten begann das
-jugendliche Gesicht vor Freude zu strahlen.
-
-St. Clare antwortete nicht mehr. Es war ein Gefühl, welches er oft an
-seiner Mutter wahrgenommen hatte, aber wofür keine gleichgestimmte Saite
-in seinem Innern vibrirte.
-
-Von dieser Zeit ab wurde Eva zusehends schwächer. Es konnte kein Zweifel
-mehr über den Ausgang herrschen und selbst die kühnste Hoffnung konnte
-sich nicht mehr täuschen. Ihr schönes Zimmer war ein vollständiges
-Krankenzimmer geworden; und Miß Ophelia verrichtete Tag und Nacht die
-Geschäfte einer Wärterin, -- und nie hatten ihre Freunde Gelegenheit,
-ihren Werth mehr zu erkennen als in dieser Eigenschaft. Mit so geübter
-Hand und richtigem Auge, mit so vollkommener Gewandtheit in der Kunst,
-Reinlichkeit und Behaglichkeit für die Kranke zu befördern, -- mit so
-genauer Berechnung der Zeit, mit so klarem ruhigem Kopfe, und so
-gewissenhafter Beachtung jeder Vorschrift des Arztes, war sie ihm Alles.
-Diejenigen, welche über ihre kleinen Eigenthümlichkeiten, die von der
-Freiheit der südlichen Sitten so sehr abwichen, die Achsel zuckten,
-mußten anerkennen, daß sie in ihrem gegenwärtigen Verhältniß gerade die
-passende Person sei.
-
-Onkel Tom hielt sich viel in Eva's Zimmer auf. Das Kind litt viel an
-Ruhelosigkeit, und es gewährte ihm große Erleichterung, getragen zu
-werden. Für Tom war es daher die größte Freude, die kleine zarte Gestalt
-auf seinen Armen, auf einem Kissen ruhend, bald im Zimmer auf und ab,
-bald in der Veranda umherzutragen; und wenn die frische Seeluft vom See
-her wehte, und Eva sich am Morgen wohler fühlte, so pflegte er unter den
-Orangenbäumen des Gartens mit ihr umher zu wandeln, oder sich auf einen
-ihrer alten Sitze niederzulassen und ihr ihre Lieblingshymnen
-vorzusingen.
-
-Ihr Vater that öfters dasselbe; aber sein Körper war weniger kräftig,
-und wenn er müde war, pflegte Eva zu ihm zu sagen:
-
-»O Papa, laß Tom mich tragen. Der arme Mensch, -- er thut es so gern; Du
-weißt, es ist Alles, was er thun kann, und er möchte gern Etwas thun!«
-
-»Dasselbe ist mit mir der Fall, Eva!« sagte der Vater.
-
-»O Papa, Du kannst Alles thun, und bist mir Alles. Du liesest mir vor,
--- Du wachst bei mir des Nachts -- und Tom hat nur dieses Eine und sein
-Singen; und dann weiß ich auch, daß es ihm leichter wird als Dir. Er
-trägt mich so fest und sicher!«
-
-Der Wunsch, Etwas für Eva zu thun, beschränkte sich nicht auf Tom. Jeder
-Dienstbote des Hauses verrieth dasselbe Gefühl und that nach seiner
-Weise und seinen Kräften, was er konnte.
-
-Die arme Mammy sehnte sich nach dem Lieblinge, aber fand weder bei Tage
-noch bei Nacht Gelegenheit, da Marie erklärte, daß ihr Geisteszustand
-ihr keine Ruhe lasse, weshalb es natürlich gegen ihre Grundsätze war,
-irgend einem Andern Ruhe zu lassen. Zwanzigmal in der Nacht wurde Mammy
-gerufen, um ihre Füße zu reiben, ihren Kopf zu waschen, ihr Taschentuch
-zu suchen, oder nachzufragen, was das Geräusch in Eva's Zimmer zu
-bedeuten habe, die Fenstervorhänge herunterzulassen, weil es zu hell
-sei, oder hinaufzuziehen, weil es zu dunkel sei; und bei Tage, wenn sie
-sich danach sehnte, an der Wartung ihres Lieblings Theil zu nehmen,
-schien Marie ganz besonders erfinderisch zu sein, um sie überall im
-Hause oder um ihre Person zu beschäftigen, so daß sie nichts als kurze
-Blicke oder verstohlene Besuche erlangen konnte.
-
-»Ich halte es für meine Pflicht, jetzt besonders sorgsam für mich zu
-sein,« pflegte sie zu sagen, -- »schwach wie ich bin, und mit der ganzen
-Sorge der Wartung und Pflege des lieben Kindes auf mir.«
-
-»In der That, meine Liebe?« antwortete St. Clare. »Ich dachte, unsere
-Cousine Ophelia nähme Dir diese Sorge ab.«
-
-»Du sprichst wie ein Mann, St. Clare, -- als ob eine Mutter sich die
-Sorge um ein Kind in einem solchen Zustande abnehmen lassen ^könnte^.
-Aber es ist Alles gleich, -- Niemand weiß, was ich fühle! Ich kann die
-Sachen nicht so leicht nehmen.«
-
-St. Clare lächelte. Du mußt ihn entschuldigen, lieber Leser, er konnte
-nicht anders, -- St. Clare konnte noch lächeln; denn so hell und ruhig
-war die Abschiedsfahrt des kleinen Geistes, -- von so sanften,
-balsamischen Lüften wurde der kleine Nachen den himmlischen Ufern
-zugetrieben, daß es unmöglich war, zu erkennen, daß es der Tod sei, der
-sich nahe. Das Kind empfand keinen Schmerz, -- nur eine ruhige, sanfte
-Schwäche, die täglich und fast unmerklich zunahm; und so schön, so
-liebreich, so vertrauensvoll, so glücklich war es dabei, daß Niemand dem
-besänftigenden Einflusse der Unschuld und Friede athmenden Luft
-widerstehen konnte, welche das Kind zu umgeben schien. Auch St. Clare
-fühlte eine sonderbare Ruhe auf sich niedersinken. Es war nicht
-Hoffnung, -- die war unmöglich; es war nicht Resignation; es war nur ein
-ruhiges Weilen in der Gegenwart, die so schön erschien, daß er nicht an
-die Zukunft denken mochte.
-
-Der Freund, welcher am meisten von Eva's Vorstellungen und Ahnungen
-wußte, war ihr treuer Träger, Tom. Ihm theilte sie mit, womit sie ihren
-Vater nicht beunruhigen wollte. Ihm vertraute sie jene geheimnisvollen
-Vorgefühle, welche die Seele empfindet, wenn ihre Saiten sich zu lösen
-beginnen und sie ihre irdische Hülle verlassen will.
-
-Tom wollte endlich nicht mehr in seinem Zimmer schlafen, sondern lag
-jede Nacht in der äußeren Veranda, bereit für jeden Ruf.
-
-»Onkel Tom,« sagte Miß Ophelia, »was in der Welt ist Dir eingefallen,
-daß Du überall liegst und schläfst wie ein Hund. Ich dachte, Du wärest
-ein ordentlicher Mensch, der gewohnt wäre, in christlicher Weise in
-einem Bette zu schlafen.«
-
-»Das bin ich, Miß Feely,« sagte Tom geheimnißvoll. »Das bin ich, aber
-jetzt --«
-
-»Nun, was jetzt?«
-
-»Wir müssen nicht so laut sprechen, -- Master St. Clare will nichts
-davon hören; aber, Miß Feely, Sie wissen, es muß Einer auf den Bräutigam
-warten.«
-
-»Was meinst Du, Tom?«
-
-»Sie wissen, es heißt in der Schrift: »Zur Mitternacht aber ward ein
-Geschrei: siehe, der Bräutigam kommt.« Das ist's, was ich jetzt erwarte,
-Miß Feely, -- und ich konnte nicht schlafen, wo ich nicht höre.«
-
-»Wie, Onkel Tom, wie kommst Du auf diesen Gedanken?«
-
-»Miß Eva, -- sie spricht mit mir. Der Herr sendet seinen Boten in die
-Seele. Ich muß dabei sein, Miß Feely; denn wenn das Segenskind in das
-Himmelreich geht, wird sich das Thor so weit öffnen, daß wir alle einen
-Blick in seine Glorie hineinthun können, Miß Feely.«
-
-»Onkel Tom! sagte Miß Eva, daß sie sich heute Abend kränker als
-gewöhnlich fühle?«
-
-»Nein, aber sie sagte mir diesen Morgen, daß sie näher käme, -- jene da
-oben sind es, die es dem Kinde sagen, Miß Feely, -- die Engel sind's! --
-Es ist der Trompetenschall vor dem Anbruch des Tages!« sagte Tom, sich
-der Worte einer Lieblingshymne bedienend.
-
-Dieses Zwiegespräch fand zwischen Miß Ophelia und Tom eines Abends
-zwischen zehn und elf Uhr Statt, nachdem sie bereits alle ihre
-Anordnungen für die Nacht getroffen hatte, und sie, als sie die äußere
-Thür der Veranda schließen wollte, Tom vor derselben ausgestreckt
-liegend fand. Sie war weder nervenschwach, noch leicht erregbar, allein
-Tom's feierlicher, aus dem Herzen kommender Ton fiel Ophelien auf. Eva
-war an diesem Tage besonders munter und heiter gewesen, und hatte
-aufrecht in ihrem Bett gesessen, und über alle ihre kleinen
-Schmucksachen geblickt und die Freunde namhaft gemacht, denen sie
-gegeben werden sollten. Ihr ganzes Wesen war lebhafter und ihre Stimme
-natürlicher gewesen als seit vielen Wochen. Ihr Vater war gegen Abend in
-ihrem Zimmer gewesen und hatte gesagt, daß Eva ihm ihren früheren
-gesunden Tagen ähnlicher erschienen wäre, als je in ihrer Krankheit, und
-als er sie zum Abschiede für die Nacht geküßt, hatte er zu Miß Ophelien
-gesagt: »Cousine, wir können sie vielleicht dennoch behalten, sie ist
-entschieden besser,« und hatte sich sodann mit leichterem Herzen in sein
-Zimmer zurückgezogen, als manche lange Woche zuvor.
-
-Aber um Mitternacht, -- seltsame, geheimnißvolle Stunde! -- wenn der
-Schleier zwischen der gebrechlichen Gegenwart und der ewigen Zukunft
-durchsichtiger wird, -- dann kam der Bote!
-
-Ein Geräusch wurde hörbar in jenem Zimmer von schnellen, eiligen
-Schritten. Es war Miß Ophelia, welche beschlossen hatte, die ganze Nacht
-bei ihrem kleinen Pflegling zu wachen, und um Mitternacht Etwas bemerkt
-hatte, was erfahrene Wärterinnen bedeutungsvoll »eine Veränderung« zu
-nennen pflegen. Die äußere Thür wurde schnell geöffnet, und Tom, der
-außerhalb wachte, war im Augenblick bei der Hand.
-
-»Geh' zum Arzte, Tom! verliere keinen Augenblick!« sagte Miß Ophelia,
-und eilte durch das Zimmer, um an St. Clare's Thür zu pochen.
-
-»Cousin,« rief sie, »bitte, komm heraus!«
-
-Diese Worte fielen auf sein Herz wie Sandschollen auf einen Sarg. Im
-Augenblicke war er im Zimmer und beugte sich über Eva nieder, die noch
-schlief.
-
-Was war es, was er dort sah und sein Herz stocken ließ? Weshalb wurde
-kein Wort zwischen Beiden gesprochen? Du, liebe Leserin, weißt es
-vielleicht, die Du denselben Ausdruck auf dem Gesichte dessen gesehen
-hast, was Dir am theuersten war, -- jenen unbeschreiblichen,
-hoffnungslosen, unverkennbaren Zug, der Dir sagt, daß Dein Geliebtes
-nicht mehr Dein ist.
-
-Gleichwohl zeigte sich auf dem Gesichte nichts Geisterhaftes,
-Todtenähnliches, sondern nur ein hoher, beinahe erhabener Ausdruck, --
-die überschattende Gegenwart geistiger Naturen, der Tagesanbruch eines
-unsterblichen Lebens in dieser kindlichen Seele.
-
-St. Clare und Ophelia standen so still und betrachteten das Kind so
-schweigend, daß selbst der Pendelschlag der Uhr zu laut zu sein schien.
-In wenigen Minuten kehrte Tom mit dem Arzte zurück. Letzterer trat ein,
-warf einen Blick auf das Kind, und blieb schweigend wie die Uebrigen
-stehen.
-
-»Wann trat diese Veränderung ein?« sagte er flüsternd zu Ophelien.
-
-»Ungefähr um Mitternacht,« war die Antwort.
-
-Jetzt erschien aus dem nächsten Zimmer Marie in größter Eile, die durch
-die Ankunft des Arztes erweckt worden war.
-
-»Augustin! Cousine! -- O! -- was« -- begann sie in hastigem Tone.
-
-»Still!« sagte St. Clare mit rauher Stimme, -- »^sie stirbt!^«
-
-Mammy hatte diese Worte gehört und eilte davon, um die Dienstboten zu
-erwecken. Das ganze Haus war bald munter, -- Lichter wurden gesehen,
-Fußtritte gehört, ängstliche Gesichter drängten sich in die Veranda, und
-blickten mit thränenvollen Augen durch die Glasthüren; aber St. Clare
-hörte und sah nichts, -- er sah nur ^den Ausdruck^ im Gesichte der
-kleinen Schläferin.
-
-»O, wenn sie nur noch einmal aufwachen und sprechen wollte!« sagte er,
-und sich über sie niederbeugend, flüsterte er in ihr Ohr: »Eva,
-Liebling!«
-
-Die großen blauen Augen öffneten sich, -- ein Lächeln flog über ihr
-Gesicht, -- sie versuchte ihren Kopf zu erheben und zu sprechen.
-
-»Kennst Du mich, Eva?«
-
-»Lieber Vater!« sagte das Kind, mit letzter Anstrengung seine Arme um
-den Hals des Vaters schlingend. Im nächsten Augenblicke fielen sie
-wieder nieder und als St. Clare seinen Kopf erhob, sah er einen
-Todeskrampf über das Gesicht ziehen; -- das Kind suchte angstvoll nach
-Athem, und warf seine kleinen Hände empor.
-
-»O Gott, das ist schrecklich!« rief er, sich im tiefsten Schmerze
-abwendend und Tom's Hand drückend, ohne zu wissen, was er that. »O Tom,
-es bringt mich um!«
-
-Tom hielt die Hand seines Herrn zwischen den seinigen, und während die
-Thränen über seine dunklen Wangen strömten, schaute er nach Hülfe da
-hinauf, wohin er immer gewohnt gewesen war, zu blicken.
-
-»Bete, daß dies bald enden möge!« sagte St. Clare, -- »es zerreißt mir
-das Herz.«
-
-»Der Herr sei gepriesen! es ist vorüber, -- es ist vorbei, lieber
-Master!« sagte Tom; -- »sehen Sie sie an.«
-
-Das Kind lag erschöpft und schwer athmend auf seinen Kissen, während die
-großen klaren Augen weit offen vor sich hinstarrten. Was sagten diese
-Augen, die sich so gerade auf den Himmel richteten? Die Erde und
-irdischer Schmerz war zurückgelassen; aber so feierlich, so
-geheimnißvoll war die triumphirende Klarheit dieses Gesichts, daß selbst
-das Schluchzen des Schmerzes verstummte. Alle drängten sich in
-athemloser Stille um sie her.
-
-»Eva,« sagte St. Clare sanft.
-
-Sie hörte nicht.
-
-»O Eva, sage uns, was Du siehst! Was ist es?« sagte der Vater.
-
-Ein sanftes, seliges Lächeln schwebte über ihr Gesicht, und sie
-antwortete in gebrochenen Tönen: »O! Liebe, -- Freude, -- Friede!«
-seufzte tief auf, und ging vom Leben zum Tode über.
-
-Lebe wohl, geliebtes Kind! Die glänzenden Thore der Ewigkeit haben sich
-hinter Dir geschlossen; wir werden Deine sanften Züge nicht mehr sehen.
-Wehe den Armen, die Deinen Eingang in den Himmel sahen, und, wenn sie
-erwachten, nichts als den kalten, grauen Lebenshimmel finden, nachdem Du
-für immer dahin bist.
-
-
-
-
-Siebenundzwanzigstes Kapitel.
-
- Dies ist das Letzte der Erde.
-
- J. G. ^Adams^.
-
-
-Die Statuen und Gemälde in Eva's Zimmer waren mit weißen Tüchern
-verhangen, und nur stilles Athmen und leise Tritte wurden darin gehört,
-und das Licht stahl sich feierlich durch halbverschlossene Fenster.
-
-Das Bett war weiß überzogen, und darauf, unter dem Engel mit gesenkten
-Flügeln, lag eine kleine, schlafende Gestalt, schlafend, -- um nimmer
-wieder zu erwachen.
-
-Dort lag sie, in eins der schlichten weißen Gewänder gekleidet, welche
-sie im Leben zu tragen gepflegt hatte, und das rosige Licht, welches
-durch die Gardinen fiel, warf einen wärmeren Schein über die eisige
-Kälte des Todes. Die schweren Augenwimpern ruhten sanft auf der klaren
-Wange; der Kopf war ein wenig nach einer Seite geneigt, wie im
-natürlichen Schlafe, aber über alle Züge des Gesichtes ergoß sich jener
-himmlische Ausdruck, jene Mischung von Wonne und Ruhe, welche deutlich
-erkennen ließ, daß es kein irdischer oder zeitlicher Schlaf, sondern
-jene lange, heilige Ruhe sei, welche »Er Denen gibt, die er liebt.«
-
-Für Wesen wie Du, theure Eva, gibt es keinen Tod! Es ist nichts als ein
-sanftes Schwinden, wie wenn der Morgenstern unter den goldenen Strahlen
-des ersten Tageslichtes erbleicht. Dir gehört der Sieg ohne Kampf, --
-die Krone ohne Streit.
-
-So dachte St. Clare, als er mit unterschlagenen Armen vor der Hülle
-seines Kindes stand. Aber, wer will sagen, was er dachte? denn von der
-Stunde an, daß er Stimmen in dem Sterbezimmer gehört hatte, die da
-sagten, »sie sei dahin,« war Alles um ihn nur ein dunkler, schwerer
-Nebel gewesen. Er hatte Stimmen um sich gehört; es waren Fragen an ihn
-gerichtet und beantwortet worden; man hatte ihn gefragt, wann das
-Begräbniß stattfinden solle, und wo er wünsche, daß sie beigesetzt
-werde, und er hatte ungeduldig geantwortet, daß es ihm gleichgültig sei.
-
-Adolph und Rosa hatten die Anordnungen im Zimmer getroffen, welche,
-obgleich leichtsinnig und kindisch, doch gutherzig und gefühlvoll waren;
-und während Miß Ophelia die Vorbereitungen im Allgemeinen leitete, waren
-es ihre Hände, welche ihnen jenen sanfteren, poetischeren Anstrich
-liehen, der dem Sterbezimmer den abschreckenden, geisterartigen Anschein
-nimmt, welcher den Leichenbegängnissen in Neu-England so eigentümlich
-ist. Auch jetzt, während St. Clare sinnend dastand, kam Rosa mit einem
-Korbe voll weißer Blumen leise in das Zimmer getrippelt. Sie trat
-zurück, als sie St. Clare gewahrte, und blieb ehrfurchtsvoll stehen;
-allein, da sie sah, daß er sie nicht bemerkte, kam sie näher, um die
-Blumen um das todte Kind zu legen. St. Clare sah sie nur wie im Traume,
-als sie in die kleinen Hände eine schöne Jasminblüthe legte, und mit
-bewunderungswürdigem Geschmacke die anderen Blumen auf dem Sterbelager
-ausbreitete.
-
-Die Thür öffnete sich abermals, und Topsy erschien mit dick
-angeschwollenen, verweinten Augen, Etwas unter ihrer Schürze tragend.
-Rosa machte gegen sie eine schnelle, zurückweisende Bewegung, aber sie
-trat dennoch einen Schritt weiter in das Zimmer.
-
-»Du mußt hinausgehen,« sagte Rosa flüsternd in scharfem, entschiedenem
-Tone; -- »^Du^ hast hier Nichts zu thun.«
-
-»O, bitte, laß mich! Ich habe eine Blume, -- so eine schöne!« sagte
-Topsy, eine halb aufgeblühte Theerosenknospe emporhaltend. »Bitte, laß
-mich sie dahin legen!«
-
-»Geh' hinaus!« sagte Rosa noch bestimmter.
-
-»Laß sie hier!« rief St. Clare plötzlich mit dem Fuße stampfend. »Sie
-soll herein kommen.«
-
-Rosa zog sich sogleich zurück, und Topsy kam näher und legte ihr
-Geschenk zu den Füßen des Leichnams; und sodann sich plötzlich mit einem
-wilden, schmerzlichen Schrei an der Seite des Bettes niederwerfend,
-begann sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit zu weinen und zu
-schluchzen.
-
-Miß Ophelia kam in's Zimmer geeilt, und bemühte sich, sie aufzuheben und
-zu beruhigen, aber vergeblich.
-
-»O Miß Eva! o Miß Eva! ich wollte, ich wäre auch todt!«
-
-Es lag eine solche Wildheit und ein so schneidender Schmerz in diesem
-Weinen, daß das Blut in St. Clare's marmorweiße Wangen stieg, und seit
-Eva's Tode die ersten Thränen wieder in seine Augen traten.
-
-»Steh' auf, Kind,« sagte Miß Ophelia mit sanfter Stimme, »weine nicht so
-heftig. Miß Eva ist im Himmel, und ist nun ein Engel!«
-
-»Aber ich kann sie nicht sehen!« sagte Topsy. »Ich werde sie nie wieder
-sehen!« und ihr Schluchzen begann von Neuem.
-
-St. Clare und Ophelia standen einen Augenblick schweigend da.
-
-»^Sie^ sagte, sie hätte mich ^lieb^,« fuhr Topsy fort, -- »ja! o
-Herr! o Herr! nun ist ^Niemand^ da! -- Niemand!«
-
-»Das ist wahr genug,« sagte St. Clare, und fuhr dann zu Miß Ophelien
-gewendet fort: »aber bitte, sieh' zu, ob Du nicht das arme Wesen
-beruhigen kannst.«
-
-Miß Ophelia hob sie sanft, aber fest auf, und führte sie aus dem
-Zimmer; aber, während sie es that, fielen auch aus ihrem Auge einige
-Thränen nieder.
-
-»Topsy, Du armes Kind,« sagte sie, als sie sie in ihr eignes Zimmer
-führte, »verzweifle nicht! Ich kann Dich lieb haben, obgleich ich nicht
-so bin, wie jenes theure Kind. Ich hoffe, ich habe etwas von der Liebe
-Christi durch sie gelernt. Ich kann Dich lieben; und ich will Dir
-beistehen, daß Du als ein gutes, christliches Mädchen aufwachsen
-mögest.«
-
-Miß Opheliens Stimme drückte mehr aus, als ihre Worte, und mehr noch,
-als jene, sagten die aufrichtigen Thränen, die über ihre Wangen
-niederrollten. Und von diesem Augenblicke an erlangte sie einen Einfluß
-auf den Geist dieses verlassenen Kindes, den sie nie wieder verlor.
-
-»O meine Eva, deren kurze Stunde so viel Gutes auf Erden wirkte,« dachte
-St. Clare, »welche Rechenschaft habe ich zu geben von meinen vielen,
-langen Jahren?«
-
-Eine Zeit lang wurde noch leises Flüstern und Gehen im Zimmer gehört,
-während Einer nach dem Andern herein schliech, um die Todte zu sehen;
-dann kam der kleine Sarg, und dann begann das Leichenbegängniß, und
-Wagen kamen gefahren, und fremde Personen betraten das Zimmer und
-setzten sich darin nieder; und weiße Bänder wurden gesehen, und
-Trauerflöre, und Trauernde in schwarzer Kleidung; und dann wurden Worte
-aus der Bibel gelesen, und Gebete gehalten; und St. Clare lebte, und
-ging, und bewegte sich wie Jemand, der die letzte Thräne vergossen hat.
-Endlich sah er nur noch einen Gegenstand, -- das goldene Köpfchen im
-Sarge; aber dann sah er das Leichentuch darüber ausbreiten, und den
-Sargdeckel schließen, und er schritt an der Seite Andrer, wohin man ihn
-gestellt hatte, nach einem Platze am Ende des Gartens, und dort, bei dem
-Moossitze, wo sie und Tom so oft gesessen, und gesungen und gelesen
-hatten, war das kleine Grab. St. Clare stand neben demselben, -- und
-blickte gedankenlos hinab; er sah den kleinen Sarg hinabsenken: er hörte
-die feierlichen Worte: »Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an
-mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe;« und als die Erde
-hinab geschüttet wurde, und das kleine Grab füllte, konnte er sich nicht
-denken, daß es Eva sei, die man dort vor seinen Blicken verborgen habe.
-
-Auch war es nicht Eva! -- sondern nur der schwache Same jener
-glänzenden, unsterblichen Gestalt, mit der sie hervortreten wird am Tage
-unseres Herrn Jesu Christi.
-
-Sodann entfernten sich Alle, und die Trauernden gingen zurück nach dem
-Orte, an dem sie nicht mehr gesehen werden sollte. Mariens Zimmer war
-dunkel, und sie selbst lag auf dem Bette, und schluchzte und stöhnte in
-unmäßigem Schmerze, und verlangte jeden Augenblick nach der Bedienung
-aller ihrer Dienstboten. Diese, natürlich, hatten keine Zeit zu weinen;
--- weshalb sollten sie auch? Der Schmerz war ja ^ihr^ Schmerz, und sie
-war völlig überzeugt, daß Niemand auf Erden so empfinden könne oder
-wolle wie sie.
-
-»St. Clare habe keine Thräne vergossen,« sagte sie; »er habe nicht mit
-ihr sympathisirt; es sei wirklich ganz unbegreiflich, wie er so
-hartherzig und gefühllos sein könne, da er doch wissen müsse, was sie
-leide.«
-
-So sehr sind die Menschen Sklaven ihres Auges und Ohres, daß viele der
-Dienstboten wirklich glaubten, daß ihre Missis bei diesem Trauerfalle am
-meisten leide, besonders, als Marie anfing, hysterische Krämpfe zu
-bekommen, und nach dem Arzte schickte, und sich selbst als dem Tode nahe
-erklärte. Allein Tom trug in seinem Herzen ein andres Gefühl, welches
-ihn zu seinem Herrn zog. Er folgte ihm, wohin er auch sinnend und
-traurig gehen mochte; und wenn er ihn in Eva's Zimmer blaß und
-schweigend sitzen, und ihre kleine Bibel offen vor sich halten sah, in
-der er kein Wort und keinen Buchstaben sah, so erkannte Tom in diesem
-stillen, starren, thränenlosen Auge mehr Schmerz, als in Marien's
-Stöhnen und Klagen.
-
-Wenige Tage später ging die ganze Familie nach der Stadt zurück, da St.
-Clare in der Ruhelosigkeit seines Schmerzes nach andern Scenen
-verlangte, um dem Laufe seiner Gedanken eine andre Richtung zu geben.
-Sie verließen also das Haus und den Garten mit dem kleinen Grabe, und
-kamen nach New-Orleans zurück; und St. Clare schritt eilfertig die
-Straßen auf und ab, und suchte die Leere in seinem Herzen durch eifrige
-Geschäftigkeit und durch Veränderung des Aufenthaltes auszufüllen; und
-die Leute, die ihm auf der Straße oder im Caffe begegneten, erkannten
-seinen Verlust nur durch das Zeichen am Hute, denn er lächelte und
-unterhielt sich, und las Zeitungen, und disputirte über politische
-Gegenstände, und widmete sich seinen Geschäften; und wer konnte sehen,
-daß diese lächelnde Außenseite nur als hohle Schale ein Herz bedeckte,
-welches ein dunkles, schweigendes Grab war?
-
-»Mr. St. Clare ist ein sonderbarer Mann,« sagte Marie zu Ophelien, in
-sich beklagendem Tone. »Ich dachte immer, wenn es überhaupt Etwas in der
-Welt gäbe, was er lieben könne, so sei es unsere theure, kleine Eva
-gewesen; allein er scheint sie sehr leicht zu vergessen. Ich kann ihn
-nie dazu bringen, von ihr zu sprechen. Ich dachte wirklich, er würde
-mehr Gefühl zeigen!«
-
-»Stille Wasser sind tief, pflegt man zu sagen,« entgegnete Miß Ophelia
-bedeutungsvoll.
-
-»O, ich glaube nicht an solche Dinge; das ist Alles nur Geschwätz. Wer
-Gefühl hat, wird es zeigen, -- und kann nicht anders; aber es ist ein
-großes Unglück, so viel Gefühl zu haben. Ich wollte lieber, ich wäre wie
-St. Clare; meine Gefühle nagen an meiner Gesundheit!«
-
-»O gewiß, Missis,« sagte Mammy, »Master St. Clare wird wie ein Schatten;
--- er ißt gar nichts. Ich weiß, er kann Miß Eva nicht vergessen; -- ich
-weiß, Keiner kann's, -- das liebe, kleine, segensreiche Wesen!« fügte
-sie, ihre Augen trocknend, hinzu.
-
-»Wohl, auf alle Fälle hat er kein Gefühl für mich,« sagte Marie; »er hat
-mir noch kein theilnehmendes Wort gesagt, und er muß doch wissen, wie
-viel tiefer so etwas eine Mutter empfindet, als es ein Mann kann.«
-
-»Jedes Herz kennt seinen eignen Schmerz!« sagte Ophelia sehr ernst.
-
-»Das ist es grade, was ich denke. Ich weiß, was ich empfinde, -- und
-Niemand Anderes scheint es zu ahnen. Nur Eva konnte es, aber sie ist
-hin!« sagte Marie, und legte sich auf ihr Sopha zurück, und begann
-heftig zu schluchzen.
-
-Während diese Unterhaltung in Marien's Wohnzimmer Statt fand, wurde eine
-andre in St. Clare's Arbeitszimmer gepflogen.
-
-Tom, der seinem Herrn überall unruhig folgte, hatte ihn mehrere Stunden
-zuvor in sein Arbeitszimmer gehen sehen, und beschloß endlich, nachdem
-er vergeblich darauf gewartet hatte, ihn wieder herauskommen zu sehen,
-unter irgend einem Vorwande hinein zu gehen. Er trat leise ein. St.
-Clare lag auf dem Sopha, am anderen Ende des Zimmers, auf dem Gesichte,
-Eva's Bibel aufgeschlagen in der Hand haltend. Tom näherte sich ihm, und
-blieb am Sopha stehen. Er zauderte, und während dessen richtete sich St.
-Clare plötzlich auf. Das ehrliche Gesicht, auf dem sich der Ausdruck
-tiefsten Schmerzes und flehenden Mitgefühls zeigte, rührte St. Clare. Er
-legte seine Hand auf Tom's Hand, und neigte seine Stirn darauf nieder.
-
-»O, Tom, mein Junge, die Welt ist leer, wie eine Eierschale.«
-
-»Ich weiß, Master, -- ich weiß,« sagte Tom; »aber, o! wenn Master nur
-da hinauf blicken könnte, -- hinauf, wo unsere liebe Miß Eva ist, -- auf
-zum lieben Herrn Jesus!«
-
-»Ach, Tom! ich sehe hinauf; aber das Unglück ist, ich sehe nichts, wenn
-ich es thue. Ich wollte, ich könnte etwas sehen.«
-
-Tom seufzte schwer.
-
-»Es scheint nur Kindern gegeben zu sein, und solchen armen, ehrlichen
-Seelen, wie Du bist, zu sehen, was wir nicht können,« sagte St. Clare.
-»Wie kommt das?«
-
-»»Du hast es verborgen den Weisen und Klugen, und hast es geoffenbaret
-den Unmündigen. Ja, Vater, also war es wohlgefällig vor Dir,««
-antwortete Tom mit den Worten der Schrift.
-
-»Tom, ich glaube nicht, -- ich kann nicht glauben, -- ich habe einmal
-die Gewohnheit des Zweifelns angenommen,« sagte St. Clare. »Ich möchte
-gern an die Bibel glauben, -- und kann nicht.«
-
-»Lieber Master, beten Sie zum lieben Herrn: »Herr, ich glaube, hilf Du
-meinem Unglauben!««
-
-»Wer ^weiß^ Etwas?« sagte St. Clare, während seine Augen träumerisch
-umher wanderten, und er zu sich selbst sprach. »War alle diese
-himmlische Liebe und dieser Glaube nichts als eine der ewig wechselnden
-Phasen menschlichen Gefühls, die auf nichts Wirklichem ruht, und mit dem
-schwachen Athem entflieht? Und gibt es jetzt keine Eva mehr, -- keinen
-Himmel, -- keinen Christus, -- nichts?«
-
-»O lieber Master, ja! ich weiß es! -- ich weiß es gewiß!« sagte Tom auf
-die Knie fallend. »Bitte, bitte, lieber Master, glauben Sie es!«
-
-»Wie weißt Du, Tom, daß es einen Christus gibt? Du hast ihn nie
-gesehen.«
-
-»Ich habe Ihn gefühlt in meiner Seele, Master, -- fühle Ihn jetzt! O
-Master, als ich verkauft wurde, fort von meiner alten Frau und meinen
-Kindern, da dacht' ich, 's wäre aus mit mir. Mir war, als wenn Alles
-vorbei wäre; aber dann kam der gute Herr, und stand bei mir, und sagte:
-›Tom, fürchte nicht!‹ und er brachte Licht und Freude in meine arme
-Seele, -- und machte Friede; -- und ich wurde so glücklich, und liebte
-Jedermann, und fühlte mich willig nur dem Herrn anzugehören, und des
-Herrn Willen zu thun, und überall hinzugehen, wohin der Herr mir befahl.
-Ich wußte, das konnte nicht von mir kommen, denn ich bin eine arme,
-unzufriedene Creatur; es kommt vom Herrn; -- und ich weiß, Er ist auch
-bereit, Master beizustehen.«
-
-Tom sprach unter strömenden Thränen, und mit stockender Stimme. St.
-Clare lehnte seinen Kopf an Tom's Schulter, und drückte seine harte,
-treue, schwarze Hand.
-
-»Tom, Du hast mich lieb,« sagte er.
-
-»Bin bereit mein Leben zu lassen, heute noch, wenn Master wollte ein
-Christ werden.«
-
-»Armer, thörichter Bursche!« sagte St. Clare, sich halb aufrichtend.
-»Ich bin der Liebe eines so guten, ehrlichen Herzens, wie Deines, nicht
-werth.«
-
-»O Master, ich liebe Sie nicht allein, -- der liebe Herr Jesus liebt Sie
-auch.«
-
-»Wie weißt Du das, Tom?« sagte St. Clare.
-
-»Ich fühle es in meiner Seele. O Master! ›die Liebe Christi, die viel
-besser ist denn alles Wissen.‹«
-
-»Sonderbar!« sagte St. Clare, sich abwendend, »daß die Geschichte eines
-Menschen, der vor achtzehnhundert Jahren lebte und starb, noch jetzt so
-tiefen Eindruck auf die Gemüther machen kann. Aber er war kein Mensch,«
-fügte er plötzlich hinzu. »Nie hatte ein Mensch eine so lange dauernde
-und lebendige Kraft. O, daß ich glauben könnte was meine Mutter mich
-lehrte, und beten, wie ich es als Knabe konnte!«
-
-»Wenn Master so gut sein wollte,« sagte Tom »Miß Eva las dies immer so
-wunderschön. Ich wünschte, Master wollte so gut sein und es lesen. Höre
-jetzt gar nichts mehr lesen, nun Miß Eva nicht mehr da ist.«
-
-Es war das eilfte Kapitel Johannis, -- die rührende Scene von der
-Wiedererweckung des Lazarus. St. Clare las laut, oft inne haltend, um
-gewisse Empfindungen niederzudrücken, die durch das Ergreifende der
-Schilderung erregt wurden. Tom kniete vor ihm mit gefalteten Händen, und
-mit dem innigsten Ausdrucke von Liebe, Vertrauen und Anbetung in seinem
-ruhigen Gesichte.
-
-»Tom,« sagte sein Herr, »dies ist alles Wirklichkeit für Dich!«
-
-»Ich kann es alles deutlich sehen, Master,« entgegnete Tom.
-
-»Ich wollte, ich hätte Deine Augen, Tom.«
-
-»Ich wünschte, bei dem lieben Herrn Jesus, Master hätte sie.«
-
-»Aber, Tom, Du weißt, daß ich viel mehr Kenntnisse besitze als Du; wie,
-wenn ich Dir sage, daß ich an diese Bibel nicht glaube?«
-
-»O Master!« rief Tom, seine Hände mit bittender Geberde emporhaltend.
-
-»Würde es nicht Deinen Glauben etwas wankend machen?«
-
-»Nicht im Geringsten,« entgegnete Tom.
-
-»Aber, Tom, Du mußt bedenken, daß ich viel mehr weiß als Du.«
-
-»O Master, haben Sie nicht just jetzt gelesen, »Er hat es den Weisen und
-Klugen verborgen, und es den Unmündigen geoffenbaret?« Aber Master war
-nicht im Ernste, -- gewiß nicht -- nicht wahr?« sagte Tom ängstlich.
-
-»Nein, Tom, es war nicht mein Ernst. Ich verwerfe den Glauben nicht, und
-dennoch kann ich nicht selbst glauben. Es ist eine unglückliche, böse
-Gewohnheit, Tom, die ich angenommen habe.«
-
-»Wenn Master nur beten wollte!«
-
-»Woher weißt Du, Tom, daß ich es nicht thue?«
-
-»Thut Master es?«
-
-»Ich würde es thun, Tom, wenn Jemand dort wäre, wenn ich bete; aber alle
-meine Worte gehen nur in die Leere hinein. Aber komm, Tom, Du sollst
-beten, jetzt, und es mir zeigen, wie.«
-
-Tom's Herz war voll. Er ließ es ausströmen in Gebet wie Wasser, die
-lange zurückgedrängt worden sind. Eins war klar: Tom glaubte, daß Jemand
-da sei, der ihn höre, und St. Clare fühlte sich auf der Fluth seines
-Glaubens und Gefühls beinahe bis zu den Pforten des Himmels hinauf
-getragen, den Tom so deutlich zu sehen schien; es war ihm, als wenn er
-Eva näher gebracht würde.
-
-»Danke Dir, mein Junge,« sagte St. Clare, als Tom aufstand. »Ich höre
-Dich gern, Tom, aber jetzt gehe, und verlaß mich; ein anderes Mal wollen
-wir mehr mit einander reden.«
-
-Tom verließ schweigend das Zimmer.
-
-
-
-
-Achtundzwanzigstes Kapitel.
-
-Wiedervereinigung.
-
-
-Woche um Woche floß dahin in St. Clare's Hause, und die Wellen des
-Lebens nahmen wieder ihren gewöhnlichen Lauf an, wo jener kleine Nachen
-untergegangen war; denn wie gebieterisch, wie kalt, wie gefühllos, wie
-gleichgültig bewegt sich nicht das tägliche Leben fort! Wir müssen
-essen, trinken, schlafen und wieder erwachen -- wir müssen handeln,
-kaufen, verkaufen, fragen und antworten, -- kurz, tausend Schatten
-verfolgen, obgleich jedes Interesse in ihnen längst verschwunden ist;
-denn die kalte, mechanische Gewohnheit des Lebens bleibt, nachdem jedes
-lebendige Interesse längst geflohen ist.
-
-Alle Hoffnungen und jedes Interesse in St. Clares Leben hatten sich ihm
-unbewußt um dieses Kind gewunden. Für Eva verwaltete er sein Eigenthum;
-mit Rücksicht auf Eva hatte er die Eintheilung seiner Zeit getroffen;
-und dies oder das für Eva zu thun, -- zu kaufen, zu verbessern, zu
-verändern und anzuordnen, -- war seit so langer Zeit seine Gewohnheit
-gewesen, daß es ihm jetzt, wo sie nicht mehr da war, schien, als habe er
-an nichts mehr zu denken, nichts mehr zu thun.
-
-Zwar gab es noch ein anderes Leben, -- ein Leben, das, wenn einmal daran
-geglaubt wird, als eine so heilige, bedeutungsvolle Ziffer vor den sonst
-so bedeutungslosen Zahlen der Zeit steht, daß sie einen geheimnißvollen,
-unaussprechlichen Werth dadurch empfangen. St. Clare wußte dies, und
-glaubte in mancher müden Stunde die zarte, kindliche Stimme zu hören,
-wie sie ihn zu sich rief, und die kleine Hand zu sehen, wie sie ihm den
-Lebensweg vorzeichnete; aber es lag ein schwerer, lethargischer Schmerz
-auf ihm, er konnte sich nicht erheben. St. Clare hatte nie versucht,
-sich durch religiöse Vorschriften leiten zu lassen, denn eine gewisse
-Feinheit seiner Natur hat ihm einen Blick in die weite Ausdehnung der
-Erfordernisse des Christenthums gegeben, so daß er im Voraus davor
-zurückbebte. So inconsequent ist die menschliche Natur, besonders im
-Gebiete des Geistigen, daß es ihr besser erscheint, ein Unternehmen
-überhaupt gar nicht zu beginnen, als darin nicht ganz erfolgreich zu
-sein.
-
-Dennoch war St. Clare in mancher Beziehung ein andrer Mensch geworden.
-Er las in der Bibel seiner kleinen Eva ernstlich und aufrichtig; er
-dachte mehr und reichlicher über das Verhalten gegen seine Dienstboten
-nach, -- eine Betrachtung, die ihn im höchsten Grade unzufrieden mit
-seiner bisherigen und gegenwärtigen Verfahrungsweise machte; und er
-that, gleich nach seiner Rückkehr nach New-Orleans, die nöthigen
-Schritte, um Tom's Freilassung zu bewirken, welche erfolgen sollte,
-sobald den nöthigen Formalitäten genügt worden war. Inzwischen schloß er
-sich jeden Tag mehr und mehr an Tom an. Nichts in der Welt schien ihn so
-sehr an Eva zu erinnern wie Tom; und so verschlossen und unzugänglich er
-sonst mit seinen tieferen Gefühlen war, so legte er sich in Tom's
-Gegenwart so wenig Zwang an, daß er beinahe laut dachte. Auch würde sich
-Niemand darüber gewundert haben, der den Ausdruck von Liebe und
-Ergebenheit sah, mit dem Tom seinem jungen Herrn überall folgte.
-
-»Nun, Tom,« sagte St. Clare am Tage, an welchem die gesetzlichen
-Förmlichkeiten seiner Freilassung begonnen hatten, -- »ich will Dich
-jetzt zu einem freien Menschen machen; -- Du kannst also nur Deinen
-Koffer packen, und Dich zur Abreise nach Kentucky vorbereiten.«
-
-Die plötzliche Freude, die in Tom's Gesicht aufleuchtete, während er
-seine Hände erhob, und sein Ausruf: »Gesegnet sei der Herr!« kränkten
-St. Clare gewissermaßen. Es gefiel ihm nicht, daß Tom so bereitwillig
-war, ihn zu verlassen.
-
-»Du hast doch so sehr schlimme Zeit hier nicht gehabt, daß Du in solches
-Entzücken darüber gerathen mußt, Tom,« sagte er trocken.
-
-»Nein, nein, Master!, das ist es nicht, -- es ist ›ein freier Mensch
-sein.‹ Darüber freue ich mich.«
-
-»Wie, Tom, glaubst Du nicht, daß Du, was Dich allein betrifft, es hier
-besser gehabt hast, als wenn Du frei gewesen wärest?«
-
-»Nein, Master St. Clare,« sagte Tom mit aufloderndem Enthusiasmus, --
-»nein, o nein!«
-
-»Wie, Tom, hättest Du durch Deine eigene Arbeit Dir solche Kleider und
-solchen Unterhalt verdienen können, wie ich Dir gegeben habe?«
-
-»Weiß das, Master St. Clare; Master ist zu gut gewesen; aber, Master,
-ich will lieber schlechte Kleider, eine kleine Hütte, und Alles dürftig
-haben, und es ^mein^ nennen, als das Beste haben, was einem Andern
-gehört. -- Ich möchte 's so, Master, -- ich denke, 's ist natürlich,
-Master.«
-
-»Ich denke, Tom, Du wirst ungefähr in einem Monat gehen, und mich
-verlassen können,« sagte St. Clare etwas unzufrieden. »Aber warum
-solltest Du 's auch nicht? -- kein Mensch kann es sagen,« fuhr er
-plötzlich in heiterem Tone fort, und stand auf, und begann im Zimmer auf
-und abzugehen.
-
-»Nicht, so lange Master St. Clare unglücklich ist,« sagte Tom. »Ich will
-bleiben, so lange Master mich nöthig hat, und ich von Nutzen sein kann.«
-
-»Nicht, so lange ich unglücklich bin, Tom?« sagte St. Clare, traurig
-durch das Fenster blickend. -- -- »Und wann glaubst Du, daß mein Unglück
-aufhören werde?«
-
-»Wenn Master St. Clare ein Christ ist,« sagte Tom.
-
-»Und Du gedenkst wirklich hier so lange zu bleiben, bis dieser Tag
-kommt?« sagte St. Clare halb lächelnd, während er sich vom Fenster
-abwandte und seine Hand auf Tom's Schulter legte. »O Tom, Du guter,
-thörichter Bursche! Ich will Dich nicht bis zu dem Tage halten. Geh'
-heim zu Deinem Weibe und Deinen Kindern, und grüße sie alle von mir.«
-
-»Ich weiß gewiß, daß dieser Tag kommen wird,« sagte Tom mit Wärme und
-mit Thränen in den Augen; »der Herr hat ein Werk für Master.«
-
-»Ein Werk, wie?« sagte St. Clare; »wohl, Tom, so gib mir Deine Ansichten
-darüber, von welcher Art das Werk sein könne; -- laß mich hören.«
-
-»Wenn ein armer Mensch wie ich sogar ein Werk für den Herrn verrichten
-kann, -- wie viel mehr kann Master St. Clare, der Gelehrsamkeit hat, und
-Reichthümer und Freunde, für den Herrn wirken!«
-
-»Tom, Du scheinst anzunehmen, daß der Herr ein großes Wirken für sich
-nöthig habe,« sagte St. Clare lächelnd.
-
-»Wir wirken für den Herrn, während er für seine Geschöpfe wirkt,« sagte
-Tom.
-
-»Eine gute Theologie, Tom, besser als die, welche Dr. B.... predigt, --
-ich möchte darauf schwören,« entgegnete St. Clare.
-
-Die Unterhaltung wurde hier durch Besuch, welcher sich anmelden ließ,
-unterbrochen.
-
-Marie St. Clare empfand Eva's Verlust so tief, wie sie überhaupt etwas
-empfinden konnte; und da sie eine Frau war, die es verstand, Jedermann
-unglücklich zu machen, wenn sie es selbst war, so hatte ihre
-unmittelbare Umgebung noch besondere Gründe, den Verlust ihrer jungen
-Mistreß zu betrauern, deren sanfte Fürsprache so oft für sie ein Schild
-gegen die Tyrannei und den selbstsüchtigen Druck ihrer Mutter gewesen
-war. Besonders herzbrechend war der Schmerz der armen, alten Mammy,
-deren natürliche, häusliche Bande sämmtlich gelöst waren, und die in
-jenem liebenswürdigen Wesen ihren einzigen Trost gefunden hatte. Sie
-weinte Tag und Nacht, und war durch ihren übermäßigen Kummer weniger
-geschickt und gewandt in ihren Verrichtungen für die Person ihrer
-Mistreß, was einen fortwährenden Sturm von Schmähungen auf ihr
-schutzloses Haupt herab rief.
-
-Miß Ophelia fühlte den Verlust; aber in ihrem guten, braven Herzen trug
-er Früchte des ewigen Lebens. Sie wurde gemäßigter, sanfter in ihrem
-Wesen, und obgleich eben so emsig und eifrig in ihren Pflichten wie
-früher, zeigte sie doch eine demüthigere, ruhigere Miene, wie Jemand,
-der nicht vergeblich mit seinem Herzen Rath gepflogen hatte. Sie
-verwendete noch mehr Fleiß auf den Unterricht Topsy's, -- lehrte ihr aus
-der Bibel, -- scheute sich nicht mehr vor ihrer Berührung und verrieth
-keinen Widerwillen mehr gegen sie, denn sie empfand keinen. Sie
-betrachtete sie jetzt durch das sanftere Medium, welches Eva zuerst
-ihren Augen vorgehalten hatte, und sah in ihr nur ein unsterbliches
-Wesen, welches Gott gesendet hatte, um durch sie zur Herrlichkeit und
-zur Tugend geführt zu werden. Topsy wurde nicht auf einmal eine Heilige;
-aber das Leben und der Tod Eva's hatten eine merkliche Veränderung in
-ihr bewirkt. Jene verhärtete Gleichgültigkeit war verschwunden, und an
-ihrer Stelle zeigten sich jetzt Empfänglichkeit, Hoffnung, Verlangen und
-Streben nach dem Guten, -- ein unregelmäßiges und oft unterbrochenes,
-aber stets wieder erneuertes Streben.
-
-Eines Tages, als Topsy von Miß Ophelien gerufen worden war, kam sie
-herbei, während sie eiligst etwas in ihren Busen steckte.
-
-»Was machst Du da, Du unnützes Ding? Du hast gewiß etwas gestohlen,«
-sagte die herrschsüchtige, kleine Rosa, welche abgesendet worden war, um
-sie zu holen, während sie sie zugleich heftig beim Arm ergriff.
-
-»Laß mich gehen, Rosa!« sagte Topsy, sich von ihr losreißend; »'s geht
-Dich gar nichts an!«
-
-»Keine Ungezogenheit!« sagte Rosa. »Ich hab's gesehen, daß Du 'was
-versteckt hast, -- ich kenne Deine Streiche!« Und mit diesen Worten
-ergriff sie ihren Arm von Neuem und versuchte ihre Hand in Topsy's Busen
-zu zwängen, während Topsy wüthend um sich stieß, und für das, was sie
-als ihr Recht ansah, tapfer focht. Das Geschrei und der Lärm des Kampfes
-zogen Miß Ophelien und St. Clare zur Stelle.
-
-»Sie hat 'was gestohlen!« rief Rosa.
-
-»'s ist nicht wahr!« schrie Topsy, leidenschaftlich schluchzend.
-
-»Gib es mir, was es auch immer sein möge!« sagte Miß Ophelia mit
-Festigkeit.
-
-Topsy zauderte; aber nach einem zweiten Befehle zog sie aus ihrem Busen
-ein Paket hervor, welches in den Fuß eines ihrer alten Strümpfe
-gewickelt war. Miß Ophelia öffnete es. Es zeigte sich ein kleines Buch,
-welches Topsy von Eva erhalten hatte und welches einen einzelnen Vers
-enthielt, der für alle Tage des Jahres eingerichtet war, und in einem
-Papiere die Haarlocke, die Eva ihr an jenem denkwürdigen Tage gegeben,
-an dem sie von Allen Abschied genommen hatte.
-
-St. Clare fühlte sich heftig ergriffen beim Anblicke derselben. Das
-kleine Buch war in einen langen Streifen schwarzen Krepp's gewickelt,
-der beim Leichenbegängniß benützt worden war.
-
-»Warum hast Du ^dies^ um das Buch gewickelt?« fragte St. Clare, den
-Kreppstreifen emporhaltend.
-
-»Weil -- weil -- weil es von Miß Eva war. O, bitte, nehmen Sie's nicht
-fort!« sagte sie, und setzte sich nieder auf den Fußboden, zog ihre
-Schürze über den Kopf und begann heftig zu weinen.
-
-Es war eine sonderbare Mischung des Pathetischen und Komischen, -- der
-kleine, alte Strumpf, -- schwarzer Krepp -- das Textbuch -- sanftes,
-blondes Haar, -- und Topsy's heftiger Schmerz.
-
-St. Clare lächelte; aber es schimmerten Thränen in einem Auge, als er
-sagte:
-
-»Still, still, weine nicht! Du sollst Alles wieder haben!« und mit
-diesen Worten wickelte er Alles wieder zusammen, warf es in Topsy's
-Schooß, und zog Ophelien in das nächste Zimmer.
-
-»Ich glaube wirklich, Du kannst aus dem Besteck noch etwas machen,«
-sagte er, mit dem Daumen rückwärts über die Schulter deutend. »Ein
-Gemüth, das wirklichen Schmerz empfinden kann, ist des Guten fähig. Du
-mußt versuchen, ob Du etwas aus ihr machen kannst.«
-
-»Das Kind hat sich wesentlich gebessert,« sagte Miß Ophelia. »Ich hege
-große Hoffnungen mit ihr; -- aber, Augustin,« fuhr sie fort, ihre Hand
-auf seinen Arm legend, »eins muß ich Dich fragen: wem soll das Kind
-gehören, -- Dir oder mir?«
-
-»Nun, ich gab sie Dir,« sagte Augustin.
-
-»Aber nicht in gesetzlicher Form; -- ich möchte sie in aller Form
-Rechtens besitzen,« sagte Miß Ophelia.
-
-»Hoho! Cousine!« sagte Augustin, »was werden die Abolitionisten davon
-denken? Die werden einen Bußtag wegen dieses Abfalls halten, wenn Du
-eine Besitzerin von Sklaven wirst!«
-
-»O Unsinn! Ich will sie nur deßhalb ^mein^ nennen können, um das Recht
-zu haben, sie mit mir nach den Freistaaten zu nehmen und ihr dort die
-Freiheit zu geben, damit nicht Alles verloren sei, was ich für sie zu
-thun versucht habe.«
-
-»O Cousine, was für ein schreckliches ›Uebles thun, daß Gutes daraus
-komme‹ ist das! Ich kann das nicht unterstützen!«
-
-»Du mußt nicht darüber scherzen, sondern die Sache vernünftig
-betrachten,« sagte Miß Ophelia. »Alle meine Bemühungen, dieses Kind zu
-einem christlichen Kinde zu machen, sind vergeblich, wenn ich es nicht
-gegen alle Zufälle und Gefahren schützen kann, die ihm von der Sklaverei
-drohen; und wenn es wirklich Deine Absicht ist, sie mir eigenthümlich
-zu überlassen, so mußt Du mir eine in gesetzlicher Form ausgestellte
-Urkunde darüber geben.«
-
-»Gut, gut,« sagte St. Clare, »ich will es thun;« worauf er sich setzte,
-und eine Zeitung zu lesen begann.
-
-»Aber ich wünschte, daß Du es gleich thätest,« fuhr Miß Ophelia fort.
-
-»Wozu ist diese schreckliche Eile?«
-
-»Weil jetzt grade die einzige Zeit ist, in der etwas vorgenommen werden
-kann,« entgegnete Miß Ophelia; »also komm', Cousin, hier ist Papier,
-Feder und Tinte; stelle mir eine Urkunde aus.«
-
-St. Clare, gleich der Mehrzahl seiner Geistesgenossen, haßte jede Art
-gespannter Thätigkeit, und fühlte sich deßhalb nicht wenig gequält durch
-Opheliens Offenheit und Dringlichkeit.
-
-»Aber was hast Du denn?« sagte er. »Ist Dir denn mein Wort nicht
-genügend? Man sollte glauben, Du wärest bei den Juden in der Lehre
-gewesen, daß Du so über einen Menschen herfällst!«
-
-»Ich will meiner Sache gewiß sein,« entgegnete Miß Ophelia. »Du kannst
-sterben oder Dein Vermögen verlieren, und dann würde Topsy, aller meiner
-Bemühungen ungeachtet, fortgerissen und auf den Sklavenmarkt geschleppt
-werden.«
-
-»In der That, Du bist außerordentlich vorsichtig. Gut, da ich sehe, daß
-ich doch einmal in der Hand einer Yanky bin, so muß ich nachgeben,«
-sagte St. Clare, und schrieb schnell eine Ueberweisungsurkunde nieder,
-was ihm, da er mit den gesetzlichen Formen genau bekannt war, leicht
-wurde, unterzeichnete seinen Namen mit großen Buchstaben und schloß mit
-einem mächtigen Schnörkel. »Da, ist das nicht Schwarz auf Weiß?« sagte
-er, als er es ihr einhändigte.
-
-»Bist ein guter Junge,« sagte Miß Ophelia lächelnd, »aber muß es nicht
-von einem Zeugen mit unterschrieben sein?«
-
-»O Plage! -- ja. Hier,« rief er, die Thür von Marien's Zimmer öffnend,
-»Marie, Cousine bedarf Deiner Handschrift; komm', schreibe Deinen Namen
-hierher.«
-
-»Was ist das?« sagte Marie, während sie das Papier überlief. --
-»Lächerlich! Ich dachte, Cousine wäre zu fromm für so schreckliche
-Dinge,« fügte sie hinzu, während sie nachlässig ihren Namen
-unterzeichnete, »aber wenn sie an dem Artikel Gefallen gefunden hat, so
-soll es uns willkommen sein.«
-
-»Da, nun ist sie Dein mit Leib und Seele,« sagte St. Clare, ihr das
-Papier aushändigend.
-
-»Nicht mehr mein, als sie es zuvor war,« entgegnete Miß Ophelia.
-»Niemand als Gott hat das Recht, sie mir zu geben; aber ich kann sie
-jetzt beschützen.«
-
-»Wohl, so gehört sie Dir durch eine Fiktion des Gesetzes,« sagte St.
-Clare, während er in sein Zimmer zurückkehrte und sich wieder zu seiner
-Zeitung niedersetzte.
-
-Miß Ophelia, welche sich selten lange in Mariens Gesellschaft aufhielt,
-folgte ihm in das Zimmer, nachdem sie zuvor sorgfältig die Urkunde
-fortgelegt hatte.
-
-»Augustin,« sagte sie plötzlich, während sie sich mit Stricken
-beschäftigte, »hast Du nie daran gedacht, Verfügungen irgend einer Art
-zu Gunsten Deiner Dienstboten für den Fall Deines Todes zu treffen?«
-
-»Nein,« entgegnete St. Clare, während er fortfuhr zu lesen.
-
-»Dann kann sich alle Deine Nachsicht gegen sie am Ende als eine große
-Grausamkeit herausstellen.«
-
-St. Clare hatte oft dasselbe gedacht, aber er antwortete nachlässig:
-
-»Ich habe die Absicht, noch Verfügungen zu treffen.«
-
-»Wann?« fragte Miß Ophelia.
-
-»O, dieser Tage.«
-
-»Wie aber, wenn Du früher stirbst?«
-
-»Cousine, was meinst Du?« sagte St. Clare, sein Papier niederlegend und
-sie ansehend. »Glaubst Du, daß ich Symptome des gelben Fiebers oder der
-Cholera zeige, daß Du mit solchem Eifer von Verfügungen für meinen
-Todesfall sprichst?«
-
-»»Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen,«« recitirte Ophelia.
-
-St. Clare erhob sich, legte nachlässig seine Zeitung fort und trat in
-die offene Thür der Veranda, um einer Unterhaltung ein Ende zu machen,
-die ihm nicht angenehm war. Mechanisch wiederholte er das Wort -- »Tod!«
--- und während er sich gegen das Geländer lehnte, und das Steigen und
-Fallen des Wassers im Springbrunnen beobachtete, und die Bäume und
-Blumen des Hofes wie durch einen feuchten Nebel betrachtete, wiederholte
-er wieder und wieder das Wort, welches in jedem Munde so gewöhnlich und
-doch von so furchtbarer Gewalt ist -- »^Tod!^« »Sonderbar,« sagte er,
-»daß es ein solches Wort und einen solchen Gegenstand giebt, deren wir
-nie eingedenk sind; daß man heut lebendig, warm, schön, voll von
-Hoffnungen und Wünschen und morgen für immer dahin sein kann!«
-
-Es war ein warmer, sonniger Abend, und als er zum andern Ende der
-Veranda ging, gewahrte er Tom, welcher eifrigst mit seiner Bibel
-beschäftigt war, jedes Wort mit dem Finger verfolgte, und sich selbst
-mit ernster Miene zuflüsterte.
-
-»Soll Dir wohl ein Stückchen lesen, Tom?« sagte St. Clare, sich
-nachlässig an seine Seite setzend.
-
-»Wenn Master so gut sein wollte,« sagte Tom dankbar, »Master macht es so
-viel deutlicher.«
-
-St. Clare nahm das Buch, und begann eine jener von Tom mit großen
-Zeichen markirten Stellen zu lesen: Sie lautete folgendermaßen:
-
- »Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit,
- und alle heilige Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhle
- seiner Herrlichkeit; und werden vor ihm alle Völker versammelt
- werden. Und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte
- die Schafe von den Böcken scheidet.«
-
-St. Clare las mit erhobener Stimme, bis er an den letzten Vers kam:
-
- »Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Linken: ›Gehet hin
- von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem
- Teufel und seinen Engeln! Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich
- nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht
- getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht
- beherberget. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht
- bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich
- nicht besuchet.‹ Dann werden sie ihm auch antworten und sagen:
- ›Herr, wann haben wir Dich gesehen hungrig, oder durstig, oder
- einen Gast, oder nackend, oder krank, oder gefangen, und wir haben
- Dir nicht gedienet?‹ Dann wird er ihnen antworten und sagen:
- ›Wahrlich, ich sage Euch: Was ihr nicht gethan habt Einem unter
- diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht gethan.‹«
-
-St. Clare schien von dem letzteren Theile der Stelle tief ergriffen zu
-sein, denn er las sie zweimal, -- das zweite Mal langsam, als wenn er
-die Worte im Geiste überdächte.
-
-»Tom,« sagte er, »die Menschen, die mit so strengen Maßregeln bedroht
-werden, scheinen gerade das gethan zu haben, was ich gethan habe, -- ein
-behagliches, angenehmes Leben geführt, und sich nicht darum bekümmert,
-wie viele von ihren Mitbrüdern hungrig, durstig, krank oder gefangen
-seien.«
-
-Tom antwortete nicht.
-
-St. Clare stand auf und schritt gedankenvoll in der Veranda auf und ab,
-alles Andere über seine eignen Gedanken so sehr vergessend, daß ihn Tom
-zweimal daran erinnern mußte, daß die Glocke zum Thee gezogen worden
-sei, ehe er seine Aufmerksamkeit erwecken konnte.
-
-St. Clare blieb während des Thee's abwesend und gedankenvoll. Nach
-demselben nahmen er und Marie und Miß Ophelia von dem Wohnzimmer beinahe
-schweigend Besitz. Marie legte sich auf einen Sopha, unter einer
-seidenen Moskitodecke, und war bald entschlafen. Miß Ophelia
-beschäftigte sich schweigend mit ihrem Strickzeuge, und St. Clare setzte
-sich am Piano nieder, und begann eine sanfte, melancholische Weise zu
-spielen. Er schien in tiefe Träumereien versunken zu sein, und durch die
-Musik mit sich selbst zu reden. Nach einer kurzen Pause öffnete er einen
-Kasten, und nahm ein altes Notenbuch hervor, dessen Blätter bereits gelb
-geworden waren, und schlug es auf.
-
-»Dieses Buch,« sagte er zu Miß Ophelien, »gehörte meiner Mutter, -- und
-hier ist ihre Handschrift, -- komm', sieh' her. Sie kopirte und
-arrangirte dies von Mozart's Requiem.«
-
-Miß Ophelia kam.
-
-»Sie sang dies oft,« fuhr St. Clare fort; »mir ist, als hörte ich sie
-noch.«
-
-Er schlug einige majestätische Accorde an, und begann die erhabene, alte
-lateinische Arie, »_Dies Irae_,« zu singen.
-
-Tom, der sich in der äußeren Veranda befand, wurde durch die Klänge bis
-an die Thür gezogen, wo er eifrig horchend stehen blieb. Er verstand
-natürlich die Worte nicht; aber die Musik und der Gesang, besonders in
-den ausdrucksvolleren Stellen, schienen ihn tief zu ergreifen. Einen
-noch größeren Eindruck würde Beides auf ihn gemacht haben, wenn er den
-Sinn der schönen Worte hätte verstehen können:
-
- _Recordare Jesu pie,
- Quod sum causa tuae viae
- Ne me perdas illa die.
- Quaerens me sedisti lassus,
- Tantus labor non sit cassus._
-
-St. Clare legte einen tief gefühlten Ausdruck in die Worte, denn der
-düstere Schleier der Jahre schien hinweg gezogen zu sein, und er glaubte
-noch die Stimme seiner Mutter zu hören. Stimme und Instrument schienen
-lebendig zu sein, und ließen im innigsten Einklange jene herrlichen
-Harmonien ausströmen, welche Mozart als sein eignes Sterbe-Requiem
-zuerst erdacht hatte.
-
-Als St. Clare aufgehört hatte, lehnte er einige Augenblicke seinen Kopf
-in die Hand, und begann dann im Zimmer auf und ab zu gehen.
-
-»Welche erhabene Auffassung ist dies vom jüngsten Gerichte!« sagte er,
--- »eine Lösung aller moralischen Räthsel durch eine unwiderlegliche
-Weisheit! Es ist in der That ein herrliches Bild.«
-
-»Es ist für uns ein schreckliches,« sagte Miß Ophelia.
-
-»Ich glaube, das sollte es für mich sein,« sagte St. Clare stillstehend
-und gedankenvoll. »Ich las diesen Nachmittag Tom das Kapitel aus dem
-Matthäus vor, welches eine Schilderung davon enthält, und ich fühlte
-mich tief ergriffen. Man hätte schreckliche Abscheulichkeiten derjenigen
-als Grund annehmen sollen, welche von dem Himmel ausgeschlossen werden;
-aber nein, -- sie sind verdammt, weil sie ^nicht^ positiv Gutes gethan
-haben, als wenn dies schon jedes mögliche Unrecht in sich schlösse.«
-
-»So mag es sein,« sagte Miß Ophelia; »es ist unmöglich für Jemanden, der
-nicht Gutes thut, kein Unrecht zu thun.«
-
-»Und was,« sagte St. Clare sinnend, aber mit tiefem Gefühle, -- »was
-soll von Jemanden gesagt werden, der durch sein eignes Herz, seine
-Erziehung und die Bedürfnisse der menschlichen Gesellschaft zu edlen
-Zwecken aufgefordert worden ist, und der als ein träumerischer,
-theilnahmloser Zuschauer bei den Kämpfen, Leiden und Schmerzen seiner
-Mitmenschen fortgelebt hat, während er hätte thätig für sie wirken
-sollen?«
-
-»Ich würde sagen,« entgegnete Miß Ophelia, »daß er bereuen und von nun
-an beginnen solle.«
-
-»Immer praktisch und zum Zwecke!« sagte St. Clare lächelnd. »Du läßt mir
-nie Zeit zu allgemeinen Betrachtungen, Cousine; Du stellst mich immer
-dicht vor die wirkliche Gegenwart; Du hast eine Art von ewigem ^Jetzt^
-fortwährend im Geiste.«
-
-»^Jetzt^ ist auch die einzige Zeit, mit der ich etwas zu thun habe,«
-sagte Miß Ophelia.
-
-»Meine theure, kleine Eva, -- armes Kind!« sagte St. Clare, »sie
-gedachte in ihrer kleinen schlichten Seele ein gutes Werk für mich zu
-thun.«
-
-Es war das erste Mal seit Eva's Tode, daß er so viele Worte über sie
-geäußert hatte, und er unterdrückte jetzt augenscheinlich, während er
-sprach, sehr heftige Empfindungen.
-
-»Meine Ansicht vom Christenthume ist eine solche,« fuhr er fort, »daß
-ich der Meinung bin, kein Mensch kann sich consequenter Weise dazu
-bekennen, ohne sich mit aller Macht diesem abscheulichen Systeme von
-Ungerechtigkeit entgegen zu werfen, welches allen unsern
-gesellschaftlichen Zuständen zu Grunde liegt, und im Falle der Noth sich
-selbst im Kampfe dagegen zu opfern. Ich will damit sagen, daß ich selbst
-mich unter keinen andern Bedingungen einen Christen nennen könnte,
-obgleich ich mit vielen erleuchteten und christlichen Leuten Umgang
-gehabt habe, die es nicht gethan haben; und ich bekenne, daß die
-Gleichgültigkeit religiöser Leute über diesen Punkt, ihr Mangel an
-Empfänglichkeit für das Unrecht, welches mich mit Abscheu erfüllte, mehr
-dazu beigetragen haben, Unglauben in mir zu erwecken, als irgend ein
-anderer Umstand.«
-
-»Wenn Du alles dieß wußtest,« sagte Miß Ophelia, »warum hast Du es nicht
-gethan?«
-
-»O, weil ich nur diejenige Art von Wohlwollen besitze, welche darin
-besteht, daß ich auf dem Sopha liege und die Kirche und alle Geistlichen
-verdamme, weil sie nicht Märtyrer und Bekenner in diesem Sinne sind. Man
-kann natürlich sehr leicht sehen, wie Andere Märtyrer sein sollten.«
-
-»Wohl, willst Du von nun an anders handeln?« fragte Miß Ophelia.
-
-»Gott allein kennt die Zukunft,« entgegnete St. Clare. »Ich bin besser
-als ich war, weil ich Alles verloren habe; und der, welcher nichts mehr
-zu verlieren hat, kann sich leicht allen Gefahren aussetzen.«
-
-»Und was willst Du jetzt thun?«
-
-»Meine Pflicht, hoffe ich, gegen die Armen und Niedrigen, so weit ich
-sie erkennen kann,« sagte St. Clare, »und ich will mit meinen eignen
-Sklaven anfangen, für die ich bis jetzt nichts gethan habe; und zu einem
-späteren Zeitpunkte kann es sich vielleicht zeigen, daß ich etwas für
-eine ganze Klasse thun kann, -- etwas, um mein Vaterland von der Schande
-jener unrichtigen Stellung zu befreien, in der es jetzt vor allen
-civilisirten Nationen steht.«
-
-»Hältst Du es für möglich, daß eine Nation jemals von freien Stücken
-emancipiren werde?« sagte Miß Ophelia.
-
-»Ich weiß nicht,« entgegnete St. Clare. »Es ist jetzt eine Zeit großer
-Handlungen. Heroismus und Uneigennützigkeit erheben sich hier und dort
-auf der Erde. Der ungarische Adel hat mit einem ungeheuren Geldverluste
-Millionen von Sklaven freigelassen; und vielleicht finden sich auch
-unter uns edelmüthige Seelen, die Ehre und Gerechtigkeit nicht nach
-Dollarn und Cents abschätzen.«
-
-»Ich glaube kaum,« bemerkte Miß Ophelia.
-
-»Aber angenommen, wir erhöben uns morgen und emancipirten, -- wer würde
-diese Millionen erziehen, und ihnen lehren ihre Freiheit richtig zu
-gebrauchen? Wir selbst sind zu träge und unpraktisch, um ihnen eine Idee
-von der Industrie und Energie beizubringen, welche erforderlich sind, um
-sie zu Menschen zu machen. Sie werden nach Norden gehen müssen, wo
-Arbeit an der Tagesordnung, allgemeine Sitte ist; und sage mir nun,
-herrscht in Euren nordischen Staaten genug christliche Menschenliebe, um
-den Prozeß ihrer Erziehung und Heranbildung zu unternehmen? Ihr sendet
-Tausende von Dollarn nach fernen Missionen, aber würdet Ihr erlauben,
-daß die Heiden in Eure eignen Städte und Dörfer gesendet würden, und
-Eure Zeit, Ueberlegung und Geld daran wenden, um sie nach christlichen
-Principien zu bilden? Das ist's, was ich gerne wissen möchte! Wenn wir
-emancipiren, seid Ihr dann bereit zu erziehen? Wie viele Familien in
-Eurer Stadt würden wohl einen Neger oder eine Negerin in ihr Haus
-nehmen, sie unterrichten, und zu Christen machen? Wie viele Kaufleute
-würden sich wohl bereit finden lassen, den Adolph aufzunehmen, wenn ich
-einen Commis aus ihm machen, -- oder Handwerker, wenn ich ihn ein
-Handwerk lernen lassen wollte? Wenn ich die Absicht hätte, Rosa und Jane
-in eine Schule zu bringen, wie viele Schulen würden sich in den
-nördlichen Staaten wohl finden, die sie annähmen, wie viele Familien,
-die sie in Kost zu nehmen bereit wären? Und dennoch sind sie so weiß wie
-irgend ein Frauenzimmer im Norden oder Süden. Du siehst, Cousine, ich
-will nur, daß man uns Gerechtigkeit widerfahren lasse. Wir befinden uns
-in einer bösen Lage. Wir sind die mehr sichtbaren Bedrücker der Neger,
-aber das unchristliche Vorurtheil des Nordens ist ein eben so harter
-Tyrann.«
-
-»Ich weiß, es ist so, Cousin,« entgegnete Miß Ophelia, -- »ich weiß, es
-war mir selbst so, bis ich es für meine Pflicht hielt, das Gefühl zu
-unterdrücken; aber ich hoffe, ich habe es unterdrückt, und ich weiß, daß
-es im Norden viele gute Menschen gibt, die über diesen Gegenstand nur
-belehrt zu werden brauchen, um ihre Pflicht zu erkennen und zu erfüllen.
-Es würde jedenfalls eine größere Selbstverläugnung sein, Heiden unter
-uns aufzunehmen, als ihnen Missionäre zuzusenden; aber ich glaube, wir
-würden es thun.«
-
-»^Du^ würdest es thun, das weiß ich!« sagte St. Clare. »Ich möchte
-wissen, was Du nicht thun würdest, sobald Du es für Deine Pflicht
-hieltest!«
-
-»Ich bin nicht so außerordentlich gut,« entgegnete Miß Ophelia. »Andere
-würden es eben so wohl thun, wenn sie die Sachen so ansähen wie ich.
-Wenn ich nach Hause reise, soll Topsy mit mir gehen. Ich glaube gern,
-unsere Leute werden sich anfangs wundern; aber sie werden bald dahin
-gelangen, die Sache eben so zu betrachten wie ich. Ueberdieß weiß ich,
-daß es Viele im Norden gibt, die grade das thun, was Du sagst.«
-
-»Ja, aber es ist nur die Minorität; und wenn wir jemals anfangen
-sollten, zu emancipiren, so würden wir bald von Dir hören.«
-
-Miß Ophelia antwortete nicht. Es herrschte einige Augenblicke lang eine
-Pause, und St. Clare's Gesicht hatte einen melancholischen,
-träumerischen Ausdruck angenommen.
-
-»Ich weiß nicht, was mich heut Abend so unaufhörlich an meine Mutter
-erinnert,« sagte er. »Ich habe ein sonderbares Gefühl, als ob sie mir
-nahe wäre; und ich denke fortwährend an Dinge, die sie mir gesagt hat.
-Woher kommt es nur, daß zuweilen vergangene Zeiten so lebhaft vor unsere
-Erinnerung geführt werden?«
-
-Mehrere Minuten lang schritt St. Clare im Zimmer auf und ab, und sagte
-dann:
-
-»Ich will einige Augenblicke die Straße hinauf gehen, und hören, was für
-Neuigkeiten es gibt.«
-
-Er nahm seinen Hut und ging hinaus.
-
-Tom folgte ihm bis in den Hof, und fragte ihn, ob er ihn begleiten
-solle?
-
-»Nein, mein Junge,« sagte St. Clare, »in einer Stunde bin ich wieder zu
-Hause.«
-
-Tom setzte sich in der Veranda nieder. Es war ein schöner, mondheller
-Abend. Er betrachtete das Steigen und Fallen des Springbrunnens, horchte
-seinem Plätschern und dachte an seine Heimath, und daß er nun bald ein
-freier Mensch sein werde, und nach Belieben dahin zurückkehren könne. Er
-dachte daran, wie er arbeiten werde, um seine Frau und seine Kinder
-loskaufen zu können; er befühlte mit einer Art Freude die Muskeln seiner
-sehnigen Arme, und dachte, daß diese ihm nun bald selbst gehören würden,
-und wie viel sie für die Freiheit seiner Familie würden arbeiten können.
-Dann dachte er an seinen edlen jungen Herrn, und als unmittelbare Folge
-davon sprach er das gewohnte Gebet für ihn; und dann wendeten sich seine
-Gedanken der schönen, kleinen Eva zu, die er jetzt unter den Engeln
-vermuthete; und dachte daran so lange, bis es ihm beinahe vorkam, als ob
-der goldene Kopf mit dem klaren Gesichtchen aus dem Schaume des
-Springbrunnens auf ihn nieder blicke. Und so sinnend schlief er ein, und
-träumte, er sehe sie, nach ihrer gewohnten Weise, zu sich gesprungen
-kommen, mit einem Jasminkranz im Haare, glänzende Wangen und vor Freude
-strahlenden Augen. Aber während er sie betrachtete, schien sie aus der
-Erde aufzusteigen; ihre Wangen waren bleicher, -- aus ihren Augen
-leuchtete ein tiefer, göttlicher Strahl, ihren Kopf umgab ein goldener
-Heiligenschein, -- und sie verschwand vor seinen Augen; und in
-demselben Augenblick wurde Tom durch ein lautes Pochen und den Klang
-vieler Stimmen aus seinen Träumen erweckt.
-
-Er beeilte sich, das Thor zu öffnen, worauf mehrere Männer mit
-gedämpften Stimmen und schwerem Tritte eintraten, welche einen, durch
-ein schwarzes Tuch bedeckten und auf einer Bahre liegenden Körper
-trugen. Das Lampenlicht fiel auf das Gesicht desselben, und Tom stieß
-einen wilden, gellenden Schrei des Schreckens aus, der durch alle
-Gallerien scholl, während die Männer mit ihrer Bürde sich dem offenen
-Wohnzimmer näherten, wo Miß Ophelia mit Stricken beschäftigt saß.
-
-St. Clare war in ein Caffehaus getreten, um die Abendzeitung zu lesen.
-Während er damit beschäftigt war, hatte sich zwischen zwei etwas
-berauschten Herrn im Zimmer ein Streit erhoben. St. Clare mit einigen
-andern der Anwesenden versuchte sie zu trennen, und empfing dabei einen
-Stich mit einem Jagdmesser, welches er einem der Streitenden zu
-entringen bemüht war.
-
-Das Haus füllte sich mit Geschrei, Klagen und Lamentationen; und die
-Dienstboten rauften sich ihr Haar, und warfen sich auf den Boden nieder
-oder rannten wie wahnsinnig umher. Tom und Miß Ophelia allein schienen
-etwas Geistesgegenwart bewahrt zu haben, denn Marie lag in heftigen
-hysterischen Krämpfen. Auf Miß Opheliens Anordnung wurde eins der
-Kanapees im Zimmer zu einem Bettlager umgeschaffen, und die blutende
-Gestalt darauf gelegt. St. Clare war durch Schmerz und Blutverlust
-ohnmächtig geworden; allein, als Miß Ophelia Wiederbelebungsmittel
-anwandte, kam er wieder zu sich, schlug die Augen auf, und schaute sich
-aufmerksam im Zimmer um, während seine Blicke sinnend von einem
-Gegenstande zum andern wanderten, und endlich am Bilde seiner Mutter
-hängen blieben.
-
-Der Arzt kam jetzt, und nahm seine Untersuchung vor. Es war in seinem
-Gesichte deutlich zu lesen, daß keine Hoffnung vorhanden sei; allein er
-begann die Wunde zu verbinden, und er fuhr mit dieser Arbeit, unter Miß
-Opheliens und Tom's Beihülfe, ruhig fort, während die erschreckten
-Dienstboten sich schluchzend und schreiend um die Fenster und Thüren der
-Veranda drängten.
-
-»Jetzt,« sagte der Arzt, »müssen wir alle diese Geschöpfe entfernen,
-denn Alles hängt von der äußersten Ruhe ab.«
-
-St. Clare öffnete seine Augen und blickte starr auf die trostlosen
-Wesen, welche Miß Ophelia und der Arzt aus dem Zimmer zu entfernen
-bemüht waren. »Arme Geschöpfe!« sagte er, mit dem Ausdrucke bitteren
-Vorwurfes gegen sich selbst. Adolph verweigerte positiv zu gehen. Der
-Schrecken hatte ihm alle Besinnung geraubt; er warf sich auf den
-Erdboden, und nichts konnte ihn vermögen, wieder aufzustehen. Die
-Uebrigen gaben Miß Opheliens dringenden Vorstellungen nach, daß das
-Leben ihres Herrn von ihrer Ruhe und ihrem Gehorsam abhänge.
-
-St. Clare konnte nur wenig sagen; er lag mit geschlossenen Augen da,
-aber kämpfte augenscheinlich mit bitteren Gedanken. Nach einer Weile
-legte er seine Hand auf die Tom's, der an seiner Seite kniete, und
-sagte: »Tom! armer Mensch!«
-
-»Was, Master?« sagte Tom mit innigem Tone.
-
-»Ich sterbe!« entgegnete St. Clare, seine Hand drückend, -- »bete!«
-
-»Verlangen Sie vielleicht nach einem Geistlichen?« sagte der Arzt.
-
-St. Clare schüttelte unruhig mit dem Kopfe und wiederholte in noch
-dringenderem Tone zu Tom gewendet: »bete!«
-
-Und Tom begann zu beten, aus vollem Herzen, für die Seele, die im
-Begriff war zu scheiden, -- die Seele, die so ruhig und so traurig aus
-den großen, melancholischen, blauen Augen blickte. Es war im
-eigentlichsten Sinne des Wortes »ein Gebet unter Schreien und Thränen.«
-
-Als Tom aufgehört hatte, ergriff St. Clare seine Hand, und blickte ihn
-wehmüthig an, aber sagte nichts. Er schloß seine Augen, aber hielt seine
-Hand fest, denn vor den Thoren der Ewigkeit ruhen die schwarze und die
-weiße Hand mit gleich warmem Drucke in einander. Er murmelte leise und
-mit Unterbrechungen vor sich hin:
-
- _»Recordare Jesu pie --
-
- * * * * *
-
- Ne me perdas -- illa die
- Quaerens me -- sedisti lassus.«_
-
-Es war deutlich erkennbar, daß die Worte, welche er am Nachmittage
-gesungen hatte, seinem Geiste vorschwebten, -- Worte der Bitte an eine
-unendliche Barmherzigkeit gerichtet. Seine Lippen bewegten sich mit
-Unterbrechungen, während Bruchstücke der Hymne von seinen Lippen
-flossen.
-
-»Sein Geist irrt umher,« sagte der Arzt.
-
-»Nein, er geht endlich ^heim^!« sagte St. Clare mit Nachdruck;
-»endlich! endlich!«
-
-Die Anstrengungen, die er machte, um zu sprechen, erschöpften ihn.
-Allmählig überzog Todesblässe sein Gesicht; aber mit ihr nahmen seine
-schönen Züge einen sanften Ausdruck des Friedens an, wie den eines müden
-Kindes, welches einschlafen will.
-
-So lag er einige Augenblicke. Die Umstehenden sahen, daß die mächtige
-Hand ihn bereits berührt habe. Kurz zuvor, ehe sein Geist entfloh,
-öffnete er seine Augen mit einem Glanze, aus dem die Freude der
-Wiedererkennung strahlte, und mit dem Ausrufe: »Mutter!« verschied er.
-
-
-
-
-Neunundzwanzigstes Kapitel.
-
-Die Schutzlosen.
-
-
-Wir hören oft von dem unglücklichen Zustande der Negersklaven beim
-Verluste eines guten Herrn, und nicht ohne Grund, denn kein Wesen auf
-Gottes Erde ist schutzloser und verlassener, als ein Sklave unter
-solchen Umständen.
-
-Das Kind, welches einen Vater verloren hat, genießt noch den Schutz der
-Verwandten und des Gesetzes; es ist Etwas, und kann Etwas thun, -- hat
-eine anerkannte Stellung und Rechte; der Sklave hat keine. Das Gesetz
-sieht ihn in jeder Beziehung als so rechtlos an wie einen Ballen Waare.
-Die einzig mögliche Anerkennung seiner Wünsche und Bedürfnisse, als
-eines menschlichen und unsterblichen Wesens, welche ihm werden kann, muß
-durch den souveränen und unverantwortlichen Willen seines Herrn
-erfolgen. Die Zahl derjenigen Menschen, welche eine ohne jede
-Verantwortlichkeit verliehene Gewalt mit Menschlichkeit und Edelmuth
-auszuüben verstehen, ist nur klein. Jedermann weiß das, und der Sklave
-weiß es am besten, daß er eher zehn grausame und tyrannische Herren, als
-einen milden und gütigen findet. Deßhalb ist die Klage um einen
-menschenfreundlichen Herrn so laut und so anhaltend, wie es nicht anders
-sein kann.
-
-Als St. Clare verschieden war, hatten Schrecken und Bestürzung das ganze
-Hausgesinde ergriffen. Er hatte seinen Tod so plötzlich, in der Blüthe
-der Kraft und Jugend gefunden. Jedes Zimmer und jede Gallerie des
-Hauses widerhallte von Schluchzen und Geschrei.
-
-Marie, deren reizbares Nervensystem durch eine fortwährende
-Verweichlichung gänzlich geschwächt worden war, hatte nichts mehr, um
-einen so plötzlichen Schlag ertragen zu können, und verfiel, während ihr
-Gatte seinen Geist aufgab, von einer Ohnmacht in die andere, so daß er
-aus diesem Leben schied, ohne derjenigen, die mit ihm durch das enge
-Band der Ehe verbunden war, auch nur ein Abschiedswort sagen zu können.
-
-Miß Ophelia war mit der ihr eigenthümlichen Stärke und
-Selbstbeherrschung bis zum letzten Augenblicke bei ihrem
-Blutsverwandten geblieben, -- ganz Auge, ganz Ohr, ganz Aufmerksamkeit,
-hatte sie Alles gethan, was geschehen konnte, und hatte von ganzem
-Herzen in das weiche, inbrünstige Gebet mit eingestimmt, welches der
-arme Sklave für die Seele seines sterbenden Herrn zum Himmel gerichtet
-hatte.
-
-Als man ihn zu seiner letzten Ruhe vorbereitete, wurde auf seiner Brust
-ein Miniaturgemälde in einem kleinen, einfachen Futterale gefunden,
-welches sich mittelst einer Feder öffnete. Es war das Portrait eines
-edlen und schönen weiblichen Gesichtes, und auf der Rückseite befand
-sich unter einem Krystallglase eine Locke dunklen Haares. Man legte
-Beides zurück auf seine kalte Brust, -- Staub zu Staub, -- traurige
-Ueberreste jugendlicher Träume, die einst dieses kalte Herz so warm
-schlagen ließen!
-
-Tom's ganze Seele war mit Gedanken an die Ewigkeit erfüllt; und während
-er um die sterblichen Ueberreste seines Herrn beschäftigt war, dachte er
-nicht einen Augenblick daran, daß dieser plötzliche Schlag ihn
-hoffnungsloser Sklaverei überwiesen habe. Er war beruhigt über seinen
-Herrn; denn in jener Stunde, wo das inbrünstige Gebet zum Vater seinen
-Lippen entströmt war, hatte er als Antwort darauf das Gefühl einer
-ruhigen Zuversicht in seiner Brust empfunden. In den Tiefen seines
-eigenen gefühlvollen Gemüths fühlte er sich fähig, Spuren von der Fülle
-der göttlichen Liebe zu entdecken; denn ein alter Spruch sagt: »Wer in
-der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und Gott in ihm.« Tom hoffte,
-und vertraute, und war ruhig.
-
-Das Begräbniß ging vorüber mit allem Prunke von schwarzem Krepp, Gebeten
-und feierlichen Gesichtern; und die kalten, trüben Wellen des täglichen
-Lebens rollten zurück, und die ewige, harte Frage drängte sich auf: »Was
-soll nun geschehen?« Sie drängte sich dem Geiste Mariens auf, als sie in
-leichten Morgengewändern, umgeben von angstvollen Dienstboten, in einem
-bequemen Armstuhle saß, und verschiedene Muster von Krepp und Bombasin
-untersuchte. Sie drängte sich Miß Ophelien auf, welche begann, ihre
-Gedanken ihrer nördlichen Heimath zuzuwenden; und sie drängte sich mit
-geheimen Schrecken den Geistern der Sklaven auf, welche den gefühllosen,
-tyrannischen Charakter ihrer Mistreß, in deren Händen sie jetzt allein
-waren, kannten. Alle wußten sehr wohl, daß die Nachsicht, deren sie sich
-bisher erfreut hatten, nicht von ihrer Mistreß, sondern nur von ihrem
-Herrn ausgegangen war, und daß von nun an, wo er todt war, kein Schutz
-und Schirm mehr zwischen ihnen und jeder tyrannischen Maßregel vorhanden
-sei, welche ein durch Leiden verbittertes Gemüth ersinnen konnte.
-
-Es war ungefähr vierzehn Tage nach dem Leichenbegängniß, daß Ophelia
-eines Tages, als sie in ihrem Zimmer beschäftigt war, ein leises Klopfen
-an ihre Thür hörte. Sie öffnete, und vor ihr stand Rosa, die niedliche,
-kleine Mulattin, deren wir schon früher öfters erwähnt haben, mit
-verstörten Haaren und verweinten Augen.
-
-»O, Miß Feely!« rief sie, auf ihre Kniee fallend, und den Saum von
-Opheliens Kleide fassend, -- »bitte, bitte, gehen Sie zu Miß Marien für
-mich! und bitten Sie für mich! Sie will mich fortschicken, um
-gepeitscht zu werden, -- sehen Sie hier!« Und sie händigte Miß Ophelien
-ein Papier ein.
-
-Es war ein Befehl, welcher in Mariens zarter, italienischer Hand an den
-Vorsteher des Stockhauses geschrieben war, und den Auftrag enthielt, der
-Ueberbringerin fünfzehn Hiebe zu ertheilen.
-
-»Was hast Du gethan?« fragte Miß Ophelia.
-
-»Sie wissen, Miß Feely, ich habe ein so hitziges Temperament; -- es ist
-recht häßlich von mir. Ich paßte Mistreß Marien ein Kleid an, und sie
-schlug mir ins Gesicht, und ich sprach, ehe ich dachte, und war
-ungezogen; und da sagte sie, sie wolle mich herunterbringen, und ich
-solle ein für allemal wissen, daß ich nicht mehr so verwegen sein dürfe,
-wie ich immer gewesen wäre; und sie schrieb dies und sagte, ich solle es
-hintragen. Ich wollte lieber, sie brächte mich auf der Stelle um.«
-
-Miß Ophelia überlegte, mit dem Papier in der Hand.
-
-»Sehen Sie, Miß Feely,« sagte Rosa, »ich würde nicht so viel nach den
-Hieben fragen, wenn Miß Marie oder Sie sie mir gäben; aber, an einen
-^Mann^ geschickt zu werden! -- und solchen schrecklichen Mann, o, die
-Schande, Miß Feely!«
-
-Miß Ophelia wußte recht wohl, daß es allgemeine Sitte war, Frauen und
-junge Mädchen nach den Stockhäusern zu schicken und sie dort den Händen
-der niedrigsten Menschen zu übergeben, -- Menschen, die roh genug waren,
-dies zu ihrem Geschäfte zu machen, -- um dort gepeitscht und der
-schamlosesten Bloßstellung preisgegeben zu werden. Sie wußte dies, aber
-hatte sich bisher nie selbst davon überzeugt, bis sie die zarte Gestalt
-Rosa's jetzt in fast krampfhaftem Schmerze vor sich stehen und beben
-sah. Alles Gefühl von Weiblichkeit, das in Neu-England so kräftige
-Gefühl für Freiheit röthete ihre Wangen und ließ ihr Herz im höchsten
-Unwillen heftiger schlagen; allein, mit gewohnter Klugheit und
-Selbstbeherrschung unterdrückte sie ihr Gefühl, und sagte nur, während
-sie das Papier in ihrer Hand zerdrückte, zu Rosa:
-
-»Setze Dich hier, Kind, während ich zu Deiner Mistreß gehe.«
-
-»Schändlich! abscheulich!« sagte sie zu sich selbst, während sie durch
-das Zimmer ging.
-
-Sie fand Marien in ihrem Armstuhle sitzend, und Mammy neben ihr stehend
-und beschäftigt, ihr Haar zu kämmen, während Jane am Boden saß, zu ihren
-Füßen, und diese zu wärmen bemüht war.
-
-»Wie befinden Sie sich heut?« sagte Miß Ophelia.
-
-Ein tiefer Seufzer, wobei sie ihre Augen schloß, war Marien's einzige
-Antwort im ersten Augenblicke; dann fuhr sie fort: »O, ich weiß nicht,
-Cousine; ich glaube, ich befinde mich so wohl, wie ich überhaupt sein
-kann!« wobei sie ihre Augen mit einem weißen Taschentuch trocknete,
-welches eine zollbreite, schwarze Einfassung hatte.
-
-»Ich kam,« sagte Miß Ophelia mit einem kurzen, trockenen Husten, von dem
-gewöhnlich die Einführung eines schwierigen Gegenstandes begleitet wird,
--- »ich kam hierher, um mit Ihnen über die arme Rosa zu sprechen.«
-
-Bei diesen Worten öffneten sich Marien's Augen weit genug, und ihre
-bleichen Wangen rötheten sich, während sie mit scharfer Stimme
-antwortete:
-
-»Nun, was ist's mit ihr?«
-
-»Sie bereut ihren Fehler sehr.«
-
-»Wirklich? Sie wird ihn wahrscheinlich noch mehr bereuen, ehe ich mit
-ihr ganz fertig bin! Ich habe die Unverschämtheit dieses Kindes lange
-genug ertragen, und will sie jetzt demüthig machen, -- sie soll mir im
-Staube liegen!«
-
-»Aber könnten Sie sie nicht auf irgend eine andere Weise bestrafen, --
-die weniger die Scham verletzte?«
-
-»Das ist grade meine Absicht; sie soll sich schämen. Sie hat sich ihr
-ganzes Leben so viel auf ihre Zartheit zu gut gethan, auf ihr hübsches
-Gesicht, und auf ihre feinen Manieren, bis sie endlich ganz vergessen
-hat, wer und was sie eigentlich ist. Ich will ihr jetzt eine Lehre
-geben, die sie zur Besinnung bringen wird, wie ich hoffe!«
-
-»Aber, Cousine, bedenken Sie doch, daß wenn Sie in einem jungen Mädchen
-das Schamgefühl und Zartgefühl vernichten, Sie sie augenblicklich
-gänzlich verderben.«
-
-»Zartgefühl!« sagte Marie mit verächtlichem Lachen, -- »ein schönes Wort
-für so Eine, wie sie ist! Ich will ihr, mit allen ihren feinen Manieren,
-lehren, daß sie nichts Besseres ist, als das zerlumpteste schwarze
-Mensch, das sich auf den Straßen umhertreibt! Sie soll sich mir
-gegenüber keine Miene mehr geben!«
-
-»Sie werden Gott Rechenschaft geben müssen über solche Grausamkeit!«
-sagte Miß Ophelia mit Nachdruck.
-
-»Grausamkeit, -- ich möchte wissen, wo hier Grausamkeit ist! Ich schrieb
-einen Befehl für fünfzehn Hiebe, und bemerkte ausdrücklich, daß sie
-leicht gegeben werden sollten. Ich dächte, das wäre keine Grausamkeit!«
-
-»Keine Grausamkeit!« sagte Miß Ophelia. »Ich bin gewiß, daß jedes junge
-Mädchen sich lieber geradezu umbringen ließe!«
-
-»So mag es jemanden von Ihrem Gefühle erscheinen, aber alle diese
-Geschöpf sind daran gewöhnt; denn es ist der einzige Weg, auf dem sie in
-Ordnung gehalten werden können. Erlauben Sie ihnen nur ein einziges Mal
-Mienen von Zartgefühl und dergleichen anzunehmen, und Sie haben sie alle
-auf dem Halse, grade wie es meine Dienstboten mit mir gemacht haben. Ich
-habe jetzt angefangen, sie wieder zur Unterwürfigkeit zu bringen; und
-sie sollen mir alle wissen, daß ich jeden, ohne Unterschied, will
-auspeitschen lassen, wenn sie sich nicht in Acht nehmen!« sagte Marie,
-während sie sich mit einem sehr determinirten Blicke unter den
-Anwesenden umsah.
-
-Jane ließ bei diesen Worten erschreckt ihren Kopf hängen, denn es war
-ihr, als seien diese Worte besonders an sie gerichtet. Miß Ophelia saß
-einige Augenblicke da, als wenn sie eine explodirende Mixtur eingenommen
-hätte, und im Begriffe sei zu bersten; sodann aber die völlige
-Nutzlosigkeit jedes ferneren Streites mit einer solchen Natur in
-Betracht ziehend, preßte sie entschlossen ihre Lippen zusammen, erhob
-sich, und verließ das Zimmer.
-
-Es war für sie eine harte Aufgabe, zu Rosa zurückzugehen, und ihr zu
-sagen, daß sie nichts habe für sie thun können; und gleich darauf
-erschien ein männlicher Sklave mit dem Befehle seiner Mistreß, Rosa nach
-dem Stockhause zu bringen, wohin sie, ihrer Thränen und Bitten
-ungeachtet, unverzüglich geschleppt wurde.
-
-Wenige Tage nachher stand Tom sinnend an einem der Balkone, als Adolph
-zu ihm trat, der seit dem Tode seines Herrn im höchsten Grade
-niedergeschlagen und trostlos gewesen war. Adolph wußte, daß er von
-jeher für Marien ein Gegenstand des Widerwillens gewesen war; allein so
-lange sein Herr lebte, hatte er sich wenig darum gekümmert. Jetzt, da er
-todt war, bewegte er sich in täglichem Zittern und Beben umher, ohne zu
-wissen, welches Schicksal ihn zunächst treffen werde. Marie hatte
-vielfache Consultationen mit ihrem Rechtsanwalte gehalten, und man war
-endlich, nachdem auch St. Clare's Bruder zur Berathung gezogen worden
-war, dahin übereingekommen, daß die Besitzung und sämmtliche Sklaven
-verkauft werden sollten, mit alleiniger Ausnahme der ihr persönlich
-zugehörigen, mit denen sie nach der Pflanzung ihres Vaters
-zurückzukehren beabsichtigte.
-
-»Weißt Du, Tom, daß wir Alle verkauft werden sollen?« sagte Adolph.
-
-»Wo hast Du das gehört?« entgegnete Tom.
-
-»Ich hatte mich hinter den Gardinen versteckt, als Missis mit dem
-Anwalte sprach. In wenigen Tagen sollen wir Alle zur Auktion geschickt
-werden,« sagte Adolph.
-
-»Des Herrn Wille geschehe!« erwiderte Tom mit schwerem Seufzer, seine
-Hände faltend.
-
-»Wir werden nie einen solchen Herrn wieder bekommen,« fuhr Adolph
-furchtsam fort; »aber ich will doch lieber verkauft werden, als bei
-Missis bleiben.«
-
-Tom wandte sich ab, -- sein Herz war schwer. Die Hoffnung auf Freiheit,
-der Gedanke an sein fernes Weib und seine Kinder stieg vor seiner
-geduldigen Seele auf, wie vor dem Seemanne, der dicht vor dem Hafen noch
-Schiffbruch leidet, der Kirchthurm und die geliebten Dächer seines
-heimatlichen Dorfes aufsteigen, die er nur über den Gipfel einer
-schwarzen Welle hinweg sieht, um ihnen für immer Lebewohl zu sagen. Er
-zog seine Arme dicht über die Brust zusammen und drückte die
-andringenden, bitteren Thränen zurück, und versuchte zu beten. Die arme,
-alte Seele hatte eine so unerklärliche Liebe zur Freiheit, daß es ein
-harter Kampf für ihn war; und je öfter er sagte: »Dein Wille geschehe!«
-desto schwerer wurde ihm das Herz.
-
-Er suchte Miß Ophelien auf, die seit Eva's Tode ihn stets mit besonderer
-Güte und Achtung behandelt hatte.
-
-»Miß Feely,« sagte er, »Master St. Clare versprach mir meine Freiheit.
-Er sagte mir, daß er den Anfang dazu gemacht habe; und wenn nun
-vielleicht Miß Feely so gut sein wollte, ein Wort für mich mit Missis zu
-sprechen, so würde sie vielleicht das thun, was Mr. St. Clare's Wille
-war.«
-
-»Ich will für Dich sprechen, Tom, und mein Bestes thun,« sagte Miß
-Ophelia; »allein, wenn es von Mrs. St. Clare abhängt, so kann ich Dir
-nicht viel Hoffnung machen, -- dennoch will ich es versuchen.«
-
-Dieser Umstand ereignete sich wenige Tage nach dem Vorfalle mit Rosa,
-als Miß Ophelia grade mit ihren Vorbereitungen zur Rückkehr nach Norden
-beschäftigt war.
-
-Ernstlich hierüber nachdenkend kam sie zu der Ansicht, daß sie in ihrer
-früheren Zusammenkunft mit Marien sich vielleicht einer zu heftigen
-Sprache bedient habe, und nahm sich deßhalb vor, jetzt in einem so
-gemäßigten und versöhnenden Tone als möglich zu reden. Die gute Seele
-erhob sich deßhalb, nahm ihr Strickzeug, und beschloß in Mariens Zimmer
-zu gehen, sich dort so angenehm wie möglich zu machen, und für Toms
-Sache mit aller diplomatischen Kunst, die ihr zu Gebot stand, zu
-arbeiten.
-
-Sie fand Marien der Länge nach auf einem Sopha ausgestreckt, mit einem
-Ellbogen auf Kissen gestützt, während Jane verschiedene Muster feinen,
-schwarzen Stoffes vor ihr ausbreitete.
-
-»Dieses hier würde mir gefallen,« sagte Marie, ein Muster auswählend; --
-»nur weiß ich nicht, ob es sich für Trauer paßt.«
-
-»O Missis,« sagte Jane mit geläufiger Zunge, »die Frau Generalin
-Derbennon trug grade dasselbe Zeug, als der General im vorigen Sommer
-gestorben war; es macht sich wunderschön!«
-
-»Was denken Sie?« sagte Marie zu Miß Ophelien.
-
-»Das ist Sache des Geschmackes,« entgegnete Miß Ophelia. »Sie können
-darüber besser urtheilen als ich.«
-
-»Die Sache ist die,« sagte Marie, »daß ich kein einziges Kleid habe, was
-ich tragen kann; und da ich hier das Haus und Alles verkaufen, und
-nächste Woche fortgehen will, so muß ich mich zu Etwas entschließen.«
-
-»Gehen Sie schon so bald?«
-
-»Ja. St. Clare's Bruder hat geschrieben, daß er und der Anwalt es für am
-zweckmäßigsten hielten, die Mobilien und die Sklaven zu verkaufen, und
-das Grundstück dem Anwalte zur Verwaltung zu überlassen.«
-
-»Ich möchte gern über einen Gegenstand mit Ihnen sprechen,« sagte Miß
-Ophelia. »Augustin versprach Tom seine Freiheit, und begann die
-Einleitung der dazu erforderlichen, gesetzlichen Förmlichkeiten. Ich
-hoffe, daß Sie Ihren Einfluß benutzen werden, um seine Freilassung zu
-vollenden.«
-
-»Wirklich? Ich habe nicht die Absicht, etwas Derartiges zu thun!« sagte
-Marie mit scharfem Tone. »Tom ist einer der werthvollsten Sklaven der
-ganzen Besitzung -- das geht unmöglich an. Ueberdies, wozu braucht er
-seine Freiheit? Er ist so viel besser daran.«
-
-»Aber er sehnt sich so sehr danach, und sein Herr hat sie ihm
-versprochen,« entgegnete Miß Ophelia.
-
-»O freilich, er sehnt sich danach,« sagte Marie. »sie sehnen sich Alle
-danach, weil sie ein unzufriedenes Geschmeiß sind, und immer danach
-verlangen, was sie nicht besitzen. Es ist durchaus gegen meine
-Grundsätze, irgend Einen frei zu lassen. So lange ein Neger unter einem
-Herrn ist, befindet er sich wohl, und thut gut; aber sobald man ihn
-freiläßt, wird er faul, will nicht mehr arbeiten, fängt an zu trinken,
-und wird gemein und nichtsnutzig. Habe das hundertmal gesehen; 's ist
-gar keine Wohlthat für sie, freigelassen zu werden.«
-
-»Aber Tom ist so ordentlich, so fleißig und so fromm!«
-
-»O, Sie brauchen mir das nicht zu sagen! Ich habe hundert gesehen, wie
-er. Er wird sich so lange gut betragen, als er unter strenger Aufsicht
-steht, -- länger nicht.«
-
-»Aber bedenken Sie doch,« sagte Miß Ophelia, »wie leicht er einen
-schlechten Herrn bekommen kann, wenn Sie ihn zum Verkaufe ausstellen.«
-
-»O, das ist Alles Thorheit!« entgegnete Marie. »Nicht einmal unter
-hundert geschieht es, daß ein guter Dienstbote einen schlechten Herrn
-bekömmt. Die meisten Herren sind gut, was auch immer gesprochen werden
-möge. Ich habe hier im Süden gelebt, und bin hier aufgewachsen, und habe
-nie einen Herrn kennen gelernt, der seine Leute nicht gut behandelte, --
-grade so gut, als es nöthig ist. Darüber bin ich ganz ruhig.«
-
-»Wohl,« sagte Miß Ophelia mit Nachdruck, »ich weiß, daß es einer der
-letzten Wünsche Ihres Gatten war, daß Tom seine Freiheit haben solle; es
-war ein Versprechen, welches er der lieben, kleinen Eva auf ihrem
-Sterbebette gemacht hatte, und ich glaubte nicht, daß Sie sich für
-berechtigt halten würden, dies zu vergessen.«
-
-Marie bedeckte bei dieser Anrede ihr Gesicht mit dem Taschentuche, und
-begann heftig zu schluchzen und ihr Riechfläschchen zu gebrauchen.
-
-»Jeder Mensch ist gegen mich!« sagte sie. »Jeder ist so rücksichtslos!
-Ich hätte nicht gedacht, daß ^Sie^ auch mir alle diese Erinnerungen
-meiner Leiden vorhalten würden, -- es ist so rücksichtslos! aber Niemand
-hat die geringste Rücksicht für mich, -- meine Leiden sind
-unaussprechlich! Ist es nicht schrecklich, daß, wenn ich nur eine
-einzige Tochter habe, ich auch diese verlieren muß? -- und daß mir mein
-Mann, der grade für mich paßte, genommen werden muß? -- Und nun scheinen
-Sie auch noch so wenig Gefühl zu haben, und erinnern mich daran so
-unbarmherzig, -- da Sie doch wissen, wie sehr es mich angreift! Ich
-glaube recht gern, daß Sie es gut meinen, aber es ist so rücksichtslos!«
-Und Marie schluchzte und suchte nach Athem, und rief Mammy zu, das
-Fenster zu öffnen, und ihr die Kampferflasche zu bringen, und ihr das
-Kleid aufzuhaken; und während der hierauf folgenden Unruhe trat Miß
-Ophelia ihren Rückzug in ihr eigenes Zimmer an. Sie sah, daß es nutzlos
-sein würde, noch mehr über den Gegenstand zu sprechen; denn Marie hatte
-eine unendliche Fertigkeit, hysterische Anfälle heraufzubeschwören, und
-sobald nachher irgend eine Erwähnung der von ihrem Manne oder Eva
-ausgesprochenen Wünsche in Betreff der Dienstboten geschah, fand sie es
-jedes Mal für angemessen, einen solchen zu Hülfe zu rufen. Miß Ophelia
-that deßhalb das Einzige, was sie noch für Tom thun konnte, -- sie
-schrieb an Mrs. Shelby, schilderte seine traurige Lage, und bat um Hülfe
-für ihn.
-
-Am nächsten Tage wurden Tom und Adolph mit einem halben Dutzend anderer
-Dienstboten nach einem Sklavenhause abgeführt, um daselbst den Händler
-abzuwarten, der eine größere Anzahl zur öffentlichen Versteigerung
-sammeln wollte.
-
-
-
-
-Dreißigstes Kapitel.
-
-Das Sklavenhaus.
-
-
-Ein Sklavenhaus! ein Sklavenspeicher! Vielleicht machen sich manche
-unserer Leser eine schreckliche Vorstellung von einem solchen Orte, --
-halten ihn für eine schmutzige, finstere Höhle, einen schrecklichen
-Tartarus, »_informis, ingens, cui lumen ademptum._« Aber nein,
-unschuldiger Freund; in jetziger Zeit hat man die Kunst gelernt, auf
-anständige Weise zu sündigen, so daß die Augen und Gefühle guter
-Gesellschaft nicht beleidigt werden. Menschliche Waare steht in gutem
-Preise, und wird deßhalb wohl genährt, wohl gereinigt und abgewartet,
-damit sie glatt, kräftig und gesund auf den Markt komme. Ein Sklavenhaus
-in New-Orleans unterscheidet sich äußerlich wenig von anderen Häusern
-und wird in reinlichem Stande gehalten. Vor demselben kann man täglich
-unter einer Art Schuppen Reihen von Männern und Weibern ausgestellt
-sehen, welche als Zeichen derjenigen Waare dienen, die innerhalb
-verkauft wird. Dann wirst du höflich eingeladen einzutreten und zu
-untersuchen, und wirst eine große Anzahl von Ehemännern, Weibern,
-Vätern, Müttern, Brüdern, Schwestern und jungen Kindern finden, die
-einzeln oder zusammen, je nachdem die Käufer es wünschen, losgeschlagen
-werden sollen; und die unsterbliche Seele, die einst mit dem Blute und
-der Todesangst des Sohnes Gottes verkauft wurde, als die Erde erbebte
-und die Felsen zersprangen, und die Gräber sich öffneten, kann jetzt
-verkauft, verdungen, verpfändet oder gegen Waaren jeder Art ausgetauscht
-werden, um den Bedürfnissen des Handels oder den Wünschen der Käufer zu
-genügen.
-
-Es war, wie erwähnt, wenige Tage nach jener Unterhaltung zwischen Marien
-und Miß Ophelien, daß Tom, Adolph und ein halbes Dutzend anderer zur St.
-Clareschen Besitzung gehöriger Sklaven der menschenfreundlichen Fürsorge
-Mr. Skeggs' überwiesen wurden, welcher einen Sklavenhandel in der
-F....straße hielt, um in der am nächsten Tage Statt findenden Auktion
-zum Verkaufe gestellt zu werden. Tom hatte einen ganz ansehnlichen
-Koffer mit Kleidungsstücken bei sich, wie die meisten Anderen. Sie
-wurden für die Nacht in ein langes Zimmer geführt, in welchem sich viele
-andere Männer von jedem Alter, jeder Größe und Schattirung befanden, die
-ein Gebrüll von Lachen und sorgloser Fröhlichkeit erschallen ließen.
-
-»Ah, ah! das ist recht. Nur zu, Jungens, -- nur zu,« sagte Mr. Skeggs,
-der Verwalter. »Meine Leute sind immer lustig! -- Sambo, ich sehe!«
-fügte er, an einen dicken Neger gewendet, beifällig hinzu, der durch
-Possen der niedrigsten Art das Gelächter erzeugte, welches Tom gehört
-hatte.
-
-Wie sich leicht denken läßt, war Tom nicht in der Stimmung, an diesen
-Spässen Theil zu nehmen. Indem er deshalb seinen Kasten so entfernt wie
-möglich von der lärmenden Gruppe auf den Boden stellte, setzte er sich
-darauf nieder, und lehnte seinen Kopf gegen die Wand.
-
-Die Händler mit menschlichen Waaren bemühen sich gewissenhaft, auf
-systematische Weise geräuschvolle Heiterkeit unter ihnen zu erhalten und
-zu befördern, als ein Mittel, jedes Nachdenken zu ertödten und sie
-gefühllos für ihre Lage zu machen. Der ganze Zweck der Zucht, unter
-welche der Neger von dem Augenblicke an gebracht wird, wo er auf dem
-nördlichen Markte verkauft worden, bis dahin, wo er nach Süden kömmt,
-ist darauf berechnet, ihn gefühllos und sorglos zu machen. Der
-Sklavenhändler sammelt sich eine Anzahl in Virginien oder Kentucky, und
-treibt sie nach irgend einem passenden, gesunden Orte, um fett zu
-werden. Hier werden sie täglich mit überflüssiger Nahrung versehen, und,
-weil Manche darunter sind, welche sich zum Gram hinneigen, wird eine
-Geige für sie gehalten, nach der sie täglich tanzen müssen; und
-derjenige, welcher es verweigert, heiter zu sein, -- in dessen Seele
-vielleicht die Gedanken an Weib, Kind oder Heimath zu stark sind, um
-fröhlich sein zu können, -- wird als tückisch und gefährlich bezeichnet,
-und allen Uebeln bloß gestellt, die der Unwille eines gefühllosen und
-von jeder Verantwortung freien Menschen ihm auferlegen kann.
-Gewandtheit, Munterkeit und Heiterkeit, besonders in Gegenwart von
-Beobachtern, werden ihnen fortwährend eingeprägt, nicht nur durch die
-ihnen vorgehaltene Hoffnung, dadurch einen guten Herrn zu bekommen,
-sondern auch durch die Furcht vor den Uebeln, welche der Händler ihnen
-zufügen darf, im Falle sie nicht verkauft werden können.
-
-»Was macht dieser Nigger hier?« sagte Sambo, sich Tom nähernd, nachdem
-Mr. Skeggs das Zimmer verlassen hatte. Sambo war ganz schwarz, groß,
-sehr lebendig, gesprächig, und voll von Possen und Grimassen.
-
-»Was machst Du hier?« sagte Sambo, zu Tom herankommend, und ihn
-scherzhaft in die Seite stoßend: -- »nachdenken, he?«
-
-»Ich soll morgen verkauft werden, -- auf der Auktion,« entgegnete Tom
-ruhig.
-
-»Verkauft -- auf Auktion, -- ho! ho! Jungens, ist das nicht ein Spaß?
-Wollte, ich ginge selbst den Weg! -- sage Euch, wollt' ich sie nicht
-lachen machen? Aber wie, -- die ganze Sippschaft hier soll morgen
-verkauft werden?« sagte Sambo, seinen Arm vertraulich auf Adolphs
-Schulter legend.
-
-»Ich bitte, mich in Frieden zu lassen,« sagte Adolph grimmig, und sich
-mit dem Ausdruck des äußersten Abscheu's in die Höhe richtend.
-
-»Ho, ho! Jungens, dieser hier ist einer von den weißen Niggers, -- so
-'ne Art Käsefarbe, riecht gut!« sagte er, sich Adolph nähernd und
-schniffelnd. »Herr! der 's gut für 'nen Tabacksladen!«
-
-»Laß mich in Frieden! -- verstehst Du?« rief Adolph wüthend.
-
-»Sieh' Einer! wie empfindlich wir sind, -- wir weißen Nigger! Sieh' uns
-nur an!« sagte Sambo, indem er Adolphs Manieren nachzuäffen suchte; --
-»wie graziös! wir sind in sehr guter Familie gewesen, -- vermuthe!«
-
-»Ja,« entgegnete Adolph, »ich hatte einen Master, der Euch alle für
-alten Plunder hätte kaufen können.«
-
-»Nun sieh' Einer,« entgegnete Sambo, »was für ein Herr wir sind!«
-
-»Ich gehörte der Familie St. Clare,« sagte Adolph stolz.
-
-»Wirklich? na, ich will mich hängen lassen, wenn's nicht ein Glück für
-sie ist, daß sie Dich los werden. Sie verkaufen Dich wohl mit den alten
-zerbrochenen Theekannen und solcher Waare!« sagte Sambo grinsend.
-
-Adolph, durch diesen Hohn rasend gemacht, flog wüthend auf seinen
-Gegner zu, und fluchte und schlug auf ihn los von allen Seiten. Die
-Uebrigen schrieen und lachten, und der allgemeine Lärm rief endlich den
-Aufseher herbei.
-
-»Was gibt's hier, Jungens? Ruhe -- Ruhe!« rief er eintretend, und eine
-lange Peitsche schwingend.
-
-Alle entflohen nach verschiedenen Richtungen, ausgenommen Sambo,
-welcher, im Vertrauen auf die Gunst des Aufsehers, deren er sich bisher
-als privilegirter Spaßmacher erfreut hatte, stehen blieb, und seinen
-Kopf mit komischem Grinsen versteckte, sobald der Master einen Angriff
-auf ihn machte.
-
-»O, Master, wir sind's nicht, -- wir sind ganz ordentlich, -- hier,
-diese Neuen sind's; -- ^die^ lassen uns nicht zufrieden, -- haben uns
-zum Besten immer zu!«
-
-Der Aufseher wandte sich hierauf gegen Tom und Adolph, theilte einige
-Stöße und Püffe ohne viel Untersuchung aus, und verließ sodann wieder
-das Zimmer, nachdem er zuvor allgemeine Befehle für Alle, sich ruhig zu
-verhalten und zum Schlafen niederzulegen, zurückgelassen hatte.
-
-Während diese Scene im Schlafzimmer der Männer spielte, ist der Leser
-vielleicht nicht abgeneigt, einen Blick in das dem weiblichen Personale
-angewiesene, ähnliche Gemach zu thun. Ausgestreckt auf dem Erdboden in
-den verschiedenartigsten Stellungen kann er hier zahllose Gestalten, von
-jeder Hautfarbe, vom schwärzesten Ebenholz bis zum reinsten Weiß, und
-von jedem Alter, vom Kindes- bis zum Greisenalter, schlafen sehen. Hier
-liegt ein schönes, liebliches Mädchen von zehn Jahren, dessen Mutter
-gestern verkauft wurde, und welches sich diese Nacht selbst in den
-Schlaf weinte, während Niemand darauf achtete. Hier befindet sich eine
-alte Negerin, deren dünne Arme und knöcherige Finger von schwerer Arbeit
-erzählen, und die am morgenden Tage als ein abgenutzter Artikel
-losgeschlagen werden soll; und um sie her liegen vierzig bis fünfzig
-Andere ausgestreckt, deren Köpfe in Bettdecken oder Theile ihrer
-Kleidungsstücke gewickelt sind. Allein in der Ecke, abgesondert von den
-Uebrigen, sitzen zwei Frauenzimmer, deren Aeußeres mehr Interesse als
-gewöhnlich erweckt. Die Eine derselben ist eine anständig gekleidete
-Mulattin zwischen vierzig und fünfzig Jahren, mit sanften Augen und
-weichen, einnehmenden Zügen. Sie trägt auf dem Kopfe einen hohen, aus
-rothseidenen Madrastüchern gewundenen Turban, und ihre Kleidung ist von
-feinem Stoffe und sauberer Arbeit, was als Beweis gilt, daß sie einer
-sorgsamen Hand bisher angehört hat. An ihrer Seite, dicht an sie
-gedrückt, sitzt ein junges Mädchen von fünfzehn Jahren, -- ihre Tochter.
-Sie ist eine Quadroon, wie ihre hellere Gesichtsfarbe andeutet, obgleich
-ihre Aehnlichkeit mit der Mutter unverkennbar ist. Sie hat dasselbe
-sanfte, dunkle Auge, nur mit längeren Wimpern, und ihr üppiges, lockiges
-Haar ist von glänzendem Braun. Ihre Kleidung ist ebenfalls von der
-größten Sauberkeit, und ihre zarten, weißen Hände verrathen wenig
-Bekanntschaft mit niedriger Arbeit. Diese Beiden sollen am morgenden
-Tage zugleich mit den St. Clare'schen Leuten verkauft werden; und der
-Herr, dem sie gehören, und dem das für sie gelöste Geld zugeschickt
-werden soll, ist Mitglied einer christlichen Kirche in New-York, welcher
-das Geld in Empfang nehmen, und nachher zum Sakramente seines und ihres
-Herrn gehen und nicht weiter an sie denken wird.
-
-Diese beiden Frauenzimmer, welche wir Susan und Emmeline nennen wollen,
-waren Dienerinnen einer liebenswürdigen und frommen Dame in New-Orleans
-gewesen, von der sie mit Sorgfalt und in Frömmigkeit erzogen und
-unterrichtet worden waren. Sie hatten lesen und schreiben, und die
-Wahrheiten der Religion erkennen gelernt, und ihr Loos war im
-Allgemeinen ein so glückliches gewesen, als es unter ihren Verhältnissen
-überhaupt möglich war. Allein der einzige Sohn ihrer Beschützerin,
-welcher die Verwaltung ihres ganzen Eigenthums hatte, versank durch
-Nachlässigkeit oder Verschwendung in eine tiefe Schuldenlast und
-fallirte endlich. Einer der bedeutendsten Creditoren war die sehr
-achtbare Firma _B. et Cie._ in New-York. Dieselbe schrieb an ihren
-Anwalt in New-Orleans, welcher das vorhandene Vermögen mit Arrest
-belegte (dessen werthvollster Theil in diesen beiden Frauenzimmern und
-einer Anzahl Feldsklaven bestand), und der Letztere erstattete Bericht
-an die Firma. Bruder _B._, der, wie gesagt, ein christlicher Mann und
-ein Bewohner eines Freistaates war, fühlte einige Unbehaglichkeit über
-diesen Gegenstand. Er wollte natürlich nicht gern mit Sklaven und
-menschlichen Seelen handeln; allein es handelte sich um dreißig tausend
-Dollars in diesem Falle, und dies war eine etwas zu große Summe, um sie
-einem Principe zu opfern; und so schrieb endlich Bruder _B._ nach
-langer Ueberlegung und nach Einholung von Rath bei Denjenigen, deren
-Rath, wie er wußte, ihm zusagen werde, an seinen Anwalt, daß er den
-Aktivbestand auf die zweckmäßigste Weise verwerthen und den Erlös an ihn
-einsenden möge.
-
-Am Tage nach Eingang dieses Briefes wurden Susan und Emmeline mit Arrest
-belegt, und an den Sklavendepot abgeliefert, um dort die am nächsten
-Morgen stattfindende allgemeine Versteigerung zu erwarten; und während
-sie jetzt dort schwach im Mondlichte schimmern, welches sich durch die
-vergitterten Fenster stiehlt, können wir ihrer Unterhaltung lauschen.
-Beide weinen, aber Jede leise und im Stillen, damit die Andere es nicht
-höre.
-
-»Mutter, lege Deinen Kopf in meinen Schooß, und versuche, ob Du nicht
-ein wenig schlafen kannst,« sagte das junge Mädchen, während es sich
-Mühe gab, ruhig zu erscheinen.
-
-»Ich habe kein Herz zu schlafen, Em; ich kann nicht; -- es ist
-vielleicht die letzte Nacht, daß wir bei einander sind!«
-
-»O Mutter, sage das nicht! vielleicht werden wir zusammen verkauft, --
-wer weiß!«
-
-»Wenn jemand anderes sich in diesem Falle befände, so würde ich das auch
-sagen, Em,« entgegnete die Mutter, »aber ich habe so große Angst, Dich
-zu verlieren, daß ich nichts als die Gefahr sehe.«
-
-»Aber Mutter, der Mann sagte doch, daß wir beide gut aussähen, und gut
-verkauft werden würden.«
-
-Susan erinnerte sich der Blicke und Worte des Mannes. Mit innerem Beben
-gedachte sie, wie er Emmelinens Hände betrachtet, und ihre Locken
-aufgehoben, und sie für einen Artikel erster Klasse erklärt hatte. Susan
-war auf christlichem Wege erzogen, und an ein tägliches Lesen der Bibel
-gewöhnt worden, und hegte deshalb denselben Abscheu davor, ihr Kind zu
-einem Leben der Schande verkauft zu sehen, wie jede andre christliche
-Mutter; aber sie hatte keine Hoffnung -- keinen Schutz für sie.
-
-»Mutter, ich denke, wir könnten uns recht wohl befinden, wenn Du eine
-Stelle als Köchin, und ich als Stubenmädchen oder Näherin in irgend
-einer Familie bekämest. Ich hoffe es. Laß uns beide so heiter aussehen
-wie wir können, und Alles sagen, was wir verstehen; vielleicht bekommen
-wir dann solche Stellen,« sagte Emmeline.
-
-»Du mußt morgen Dein ganzes Haar glatt nach hinten kämmen,« sagte Susan.
-
-»Weshalb, Mutter? ich sehe dann bei weitem nicht so gut aus.«
-
-»Ja, aber Du wirst so besser verkauft werden.«
-
-»Ich sehe nicht ein, weshalb!« sagte das Kind.
-
-»Anständige Familien werden Dich eher kaufen, wenn Du einfach und
-sittsam aussiehst, und Dich nicht hübsch machen willst. Ich kenne ihre
-Art und Weise besser als Du,« sagte Susan.
-
-»Gut, Mutter, dann will ich es thun.«
-
-»Und wenn wir uns von morgen an nie wieder sehen sollten, Emmeline, --
-wenn ich nach irgend einer Plantage verkauft werden sollte, und Du
-anderswohin, -- so denke immer daran, wie Du erzogen worden bist, und
-was Missis Dir gesagt hat. Nimm' Deine Bibel und Dein Gesangbuch mit
-Dir, und sei Gott getreu, so wird er Dir getreu sein.«
-
-So spricht die arme Seele in schmerzlicher Muthlosigkeit, denn sie weiß,
-daß am folgenden Tage jeder Mensch, so gemein und roh, so gottlos und
-unbarmherzig er auch immer sein möge, Herr ihrer Tochter an Leib und
-Seele werden kann, sobald er das nöthige Geld für sie zu erlegen im
-Stande ist; und wie soll das Kind dann seinem Gott getreu bleiben? Sie
-denkt an alles dies, während sie ihre Tochter im Arme hält, und wünscht,
-daß diese weniger hübsch und anziehend sein möchte. Sie hat keine andre
-Zuflucht als zum Gebete; und viele solcher Gebete sind von diesen
-saubern, reinlichen Sklavengefängnissen zu Gott emporgestiegen, --
-Gebete, die Gott nicht vergessen hat, wie sich an einem Tage, der noch
-kommen soll, zeigen wird; denn es steht geschrieben: »Wer aber ärgert
-dieser Geringsten Einen, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen
-Hals gehänget würde, und er ersäufet würde im Meere da es am tiefsten
-ist.«
-
-Die sanften, ernsten, stillen Mondesstrahlen fallen durch die Stäbe des
-vergitterten Fensters, und werfen den Schatten derselben auf die
-ausgestreckten, schlafenden Gestalten, während Mutter und Tochter eine
-jener milden, melancholischen Trauerarien singen, welche unter den
-Sklaven als Begräbnißgesänge üblich sind.
-
-Singt nur, arme Seelen! Die Nacht ist kurz, und der kommende Morgen wird
-Euch für ewig trennen!
-
-Aber jetzt tagt der Morgen, und Alles ist munter; und der würdige Mr.
-Skeggs ist geschäftig und guter Laune, denn eine Quantität Waare soll
-zur Versteigerung in Stand gesetzt werden. Alles macht Toilette, und
-Befehle ergehen an einen Jeden, das beste Gesicht anzulegen, und heiter
-zu sein; und dann werden alle zur letzten Revüe in einen Kreis gestellt,
-ehe sie nach der Börse abgeführt werden, und Mr. Skeggs, mit der Cigarre
-im Munde, hält die letzte Schau.
-
-»Was ist das?« fragte er, vor Susan und Emmelinen tretend. »Wo sind
-Deine Locken, Mädchen?«
-
-Das Mädchen blickte furchtsam auf ihre Mutter, welche mit der ihrem
-Geschlechte eigenthümlichen, sanften Gewandtheit antwortete: »Ich sagte
-ihr gestern Abend, ihr Haar glatt zu kämmen, und es nicht in Locken
-umherhängen zu lassen, weil es anständiger aussehe.«
-
-»O Unsinn!« entgegnete der Mann, und fügte, sich in befehlendem Tone an
-das Mädchen wendend, hinzu: »Du gehst mir auf der Stelle, und bringst
-Deine Locken wieder ordentlich in Stande! -- und bist mir schnell wieder
-hier!« und an die Mutter gerichtet, sagte er: »Die Locken bringen
-vielleicht 'en hundert Dollar mehr beim Verkaufe.«
-
-Unter einem glänzenden Dome befanden sich Menschen aller Nationen, die
-sich auf den Marmorplatten des Fußbodens hin und her bewegten. Auf jeder
-Seite der kreisförmigen Area standen kleine Tribünen zum Gebrauche von
-Rednern oder Auktionatoren. Zwei derselben auf gegenüberliegenden Seiten
-der Area waren jetzt von talentvollen Männern besetzt, welche mit großem
-Enthusiasmus in gemischtem Englisch und Französisch die Gebote der
-Kenner ihrer verschiedenen Waaren in die Höhe trieben. Eine dritte
-Tribüne auf der andern Seite, noch unbesetzt, war von einer Gruppe
-umringt, welche auf den Anfang der Versteigerung wartete. Hier können
-wir St. Clares ehemalige Dienstboten finden, Tom, Adolph und andere;
-und außerdem Susan und Emmeline, welche mit angstvollen,
-niedergeschlagenen Mienen ihr Schicksal erwarten. Mehrere Zuschauer,
-theils kauflustig, theils nicht, umgaben die Gruppe, und untersuchten,
-befühlten und besprachen die verschiedenen Gesichter und Gliedmaßen mit
-derselben Freiheit, mit der eine Gesellschaft Roßkämme die Verdienste
-eines Pferdes bespricht.
-
-»Holla! Alf! was bringt Dich denn hieher?« sagte ein junger Stutzer,
-einem andern, auffallend geputzten jungen Manne auf die Schulter
-schlagend, welcher Adolph durch eine Lorgnette beobachtete.
-
-»Ich brauche einen Lackei,« entgegnete dieser, »und hörte, daß St.
-Clare's Leute an die Reihe kämen; und so wollt' ich mir 'mal ansehen --«
-
-»Wollte mich hüten; jemals einen von St. Clare's Leuten zu kaufen!
-verdirbt alle seine Nigger, -- sind unverschämt wie der Teufel!« sagte
-der Andere.
-
-»Fürchte mich nicht davor!« sagte der Erstere. »Wenn ich sie habe, will
-ich ihnen bald ihre Manieren abgewöhnen, -- sollen bald wissen, daß sie
-mit einem andern Master zu thun haben, als mit Monsieur St. Clare. Mein
-Wort, ich kaufe den Burschen; -- er gefällt mir.«
-
-»Du wirst sehen, es kostet Dich Alles, was Du hast, um ihn zu halten; --
-er ist teufelsmäßig ausschweifend.«
-
-»Ja, aber Mylord wird sehen, daß er bei ^mir^ nicht ausschweifend sein
-^kann^. Laß ihn nur erst ein paar Male nach dem Stockhause geschickt
-und gründlich dressirt sein, -- dann wird er schon zur Besinnung kommen!
-Ich will ihn schon reformiren. -- Du sollst es sehen. Ich kaufe ihn, das
-steht fest!«
-
-Tom hatte inzwischen sinnend die Menge von Gesichtern derer geprüft, die
-sich um ihn drängten, und nach Einem gesucht, den er seinen Herrn hätte
-nennen mögen. Wenn Du, lieber Leser, Dich jemals in der Nothwendigkeit
-befinden solltest, aus zweihundert Männern einen auszuwählen, der Dein
-unbeschränkter Herr und Eigenthümer werden soll, so würdest Du wie Tom
-sehen, wie wenige darunter zu finden sind, denen Du Dich bereitwillig zu
-diesem Zwecke übermachen lassen möchtest. Tom sah eine große Anzahl von
-Männern vor sich, -- große, dicke und finstere; kleine, magere und
-muntere; lange und dünne, mit harten Gesichtszügen, und jede Abstufung
-gemeiner Gesichter, die ihren Mitmenschen aufnehmen, wie man Späne
-aufsammelt, um sie in's Feuer oder in den Korb zu werfen; aber er sah
-keinen St. Clare.
-
-Kurz vorher, ehe der Verkauf begann, drängte sich ein kurzer, breiter,
-muskulöser Mann, in einem bunten Hemde, welches auf der Brust weit offen
-war, und sehr schmutzigen Beinkleidern, durch die Menge, wie Jemand, der
-eifrig an ein Geschäft gehen will, und begann, als er der Gruppe näher
-kam, diese systematisch zu untersuchen. Vom ersten Augenblicke, wo Tom
-ihn sich nähern sah, fühlte er einen unwillkührlichen Schrecken vor ihm,
-der sich steigerte, je näher er zu ihm kam. Der Mann besaß
-augenscheinlich, obgleich er klein war, eine gigantische Kraft. Sein
-runder, kugelförmiger Kopf, seine großen, hellgrauen Augen, mit den
-zottigen, rothen Augenbrauen, und sein struppiges, sonnverbranntes Haar
-waren allerdings wenig einnehmende Eigenschaften; sein großer, gemeiner
-Mund dehnte sich unter großen Tabacksballen, deren Saft er von Zeit zu
-Zeit mit großer Kraft und Entschiedenheit hinausschleuderte; seine Hände
-waren unförmlich groß, haarig, sonnverbrannt, fleckig, sehr schmutzig,
-mit langen Nägeln versehen, und überhaupt in einem ekelhaften Zustande.
-Dieser Mann begann eine sehr dreiste, persönliche Untersuchung der zum
-Verkauf aufgestellten Sklaven. Er ergriff Tom beim Kiefer, und riß
-seinen Mund auf, um seine Zähne zu untersuchen; ließ ihn seinen Aermel
-aufstreifen, um seine Muskeln zu zeigen, und drehte ihn herum, und ließ
-ihn springen, um seine Gelenkigkeit zu prüfen.
-
-»Wo bist Du aufgebracht worden?« fragte er kurz nach diesen
-Untersuchungen.
-
-»In Kentucky, Master,« sagte Tom, sich wie nach Hülfe umschauend.
-
-»Was hast Du da gethan?«
-
-»Habe Master's Farm verwaltet,« entgegnete Tom.
-
-»Sehr wahrscheinliche Geschichte!« sagte der Andere kurz, während er
-weiter ging. Er blieb einen Augenblick vor Adolph stehen, feuerte eine
-Ladung Tabakssaft auf seine blank geputzten Stiefeln ab, und ging mit
-einem verächtlichen »Umph!« weiter. Vor Susan und Emmelinen blieb er
-wieder stehen. Er streckte seine schwere schmutzige Hand aus, und zog
-das Mädchen zu sich, strich ihr damit über Nacken und Brust, untersuchte
-ihre Zähne, und stieß sie dann wieder zu ihrer Mutter zurück, deren
-geduldiges Gesicht das tiefe Leiden verrieth, welches sie bei jeder
-Bewegung des scheußlichen Fremden empfunden hatte.
-
-Das Mädchen war erschreckt worden, und fing an zu weinen.
-
-»Still da! Du Heuldirne! kein Blärren hier!« rief der Auktionator, --
-»der Verkauf beginnt.«
-
-Adolph wurde für eine gute Summe dem jungen Manne zugeschlagen, welcher
-seine Absicht, ihn zu kaufen, vorher schon erklärt hatte; und die
-übrigen Leute St. Clare's fielen verschiedenen Bietern zu.
-
-»Hinauf nun mit Dir, Bursche! hörst Du?« rief der Auktionator Tom zu.
-
-Tom stieg auf den Block und ließ seine Blicke ängstlich umher streifen,
-während alles Geräusch in einem gemeinsamen, undeutlichen Lärm
-zusammenfloß, -- das Geschrei des Verkäufers, welcher Tom's
-Eigenschaften in Französisch und Englisch ausrief, das scharfe Feuer der
-französischen und englischen Gebote; -- und einen Augenblick später
-folgte der letzte Schlag des Hammers, und der deutliche Schall der
-letzten Sylbe des Wortes ^Dollar^, als der Auktionator die Summe
-verkündete, und Tom hatte einen Herrn!
-
-Er wurde vom Block hinabgestoßen; -- der kleine, rundköpfige Mann packte
-ihn bei der Schulter, stieß ihn nach einer Seite, und rief ihm mit
-lauter Stimme zu: »Hier bleib stehen!«
-
-Tom wußte kaum, was mit ihm geschah. Inzwischen dauerten die Gebote
-fort, -- lärmend und geräuschvoll, bald englisch, bald französisch.
-Nieder fällt der Hammer wieder, -- Susan ist verkauft! Sie steigt vom
-Blocke herab, bleibt stehen, und blickt sich kummervoll um; -- ihre
-Tochter streckt ihre Arme nach ihr aus. Sie schaut verzweiflungsvoll dem
-Manne in's Gesicht, der sie gekauft hat, -- ein anständig aussehender
-Mann von mittlerem Alter, mit wohlwollenden Zügen.
-
-»O Master, bitte, kaufen Sie meine Tochter auch!«
-
-»Ich hätte wohl Lust, aber ich fürchte, ich kann nicht!« sagte der Mann,
-und schaute mit ängstlichem Interesse zu, als das junge Mädchen den
-Block bestieg, und sich mit furchtsamen, scheuen Blicken umschaute. Das
-Blut steigt in ihre sonst bleichen Wangen, ihr Auge glüht fieberhaft,
-und ihre Mutter gewahrt verzweiflungsvoll, daß sie schöner erscheint als
-zuvor. Der Auktionator sieht seinen Vortheil und läßt sich mit
-geläufiger Zunge in gemischtem Englisch und Französisch über ihre
-Vorzüge aus, und die Gebote folgen schnell aufeinander.
-
-»Ich will thun, was ich kann,« sagte der gutmüthig aussehende Mann,
-drängte sich vor und fing an mitzubieten. In wenigen Augenblicken haben
-die Gebote seine Börse überstiegen, und er schweigt. Der Auktionator
-wird wärmer, aber die Gebote lassen allmählig nach. Es sind nur noch
-zwei Bieter da, ein alter, aristokratischer Bürger, und unser
-rundköpfiger Freund. Der Bürger überbietet mehrmals, und sieht seinen
-Gegner verächtlich an; aber der Rundkopf ist ihm überlegen, sowohl an
-Hartnäckigkeit als in geheimer Länge der Börse, und der Streit währt nur
-kurze Zeit. Der Hammer fällt, -- er hat das Mädchen, Leib und Seele, so
-Gott ihr nicht hilft.
-
-Ihr Herr ist Mr. Legree, welcher eine Baumwollen-Plantage am rothen Fluß
-besitzt. Sie wird mit Tom und zwei andern Männern zusammen getrieben,
-und weinend fortgeschleppt.
-
-Dem gutmüthigen Manne thut es leid; allein der Fall ereignet sich
-täglich! Man sieht ja stets auf diesen Verkäufen Mädchen und Mütter
-weinen! es läßt sich nicht ändern, u. s. w., und er entfernt sich mit
-seinem neuen Besitzthume in einer anderen Richtung.
-
-Zwei Tage später sandte der Anwald der christlichen Firma _B et Cie._
-in New-York das Geld ein. Auf die Rückseite des auf diese Weise
-erlangten Wechsels mögen sie die Worte des großen Zahlmeisters
-schreiben, dem sie an einem späteren Tage werden Rechenschaft legen
-müssen: »Denn er gedenket und fraget nach ihrem Blut; er vergißt nicht
-des Schreiens der Armen.«
-
-
-
-
-Einunddreißigstes Kapitel.
-
-Die Fahrt.
-
- Deine Augen sind rein, daß du Uebles nicht
- sehen magst, und dem Jammer kannst du nicht
- zusehen. Warum siehst du denn zu den Verräthern
- und schweigest, daß der Gottlose verschlinget
- den, der frömmer denn er ist.
-
-
-Am unteren Ende eines kleinen Bootes, auf dem rothen Flusse, saß Tom, --
-Ketten an seinen Handgelenken, Ketten an seinen Füßen, und eine Last,
-schwerer als diese Ketten, auf seiner Brust. Alles war an seinem
-Horizonte verschwunden, -- Mond und Sterne; Alles war an ihm
-vorübergeflogen wie die Bäume und Ufer jetzt an ihm vorüber flogen, um
-nie wieder zu kehren. Die Heimath in Kentucky, mit Weib und Kindern und
-der freundlichen Herrschaft; St. Clare's Haus mit allem seinem Luxus und
-Glanze; der goldlockige Kopf Eva's mit seinen frommen Augen; der stolze,
-heitre, hübsche, anscheinend so sorglose, aber immer gütige St. Clare;
-Stunden der Muße und Behaglichkeit, -- Alles fort! und was war an dessen
-Stelle geblieben?
-
-Es gehört mit zu den bittersten Erfahrungen des Sklavenlebens, daß der
-Neger, der von Natur mitfühlend und leicht empfänglich ist, nachdem er
-in einer gebildeten Familie den Geschmack und die Empfindungen der
-dortigen Atmosphäre kennen gelernt hat, nichts destoweniger in jedem
-Augenblick wieder der Sklave des rohesten und brutalsten Menschen
-werden kann, -- gerade wie ein Stuhl oder Tisch, welcher einst den
-kostbarsten Salon zierte, und endlich zerschlagen und entstellt in das
-Schenkzimmer eines schmutzigen Wirthshauses oder in eine niedrige Höhle
-gemeiner Ausschweifung gelangt. Der große Unterschied besteht aber
-darin, daß der Stuhl und der Tisch nicht empfinden können, wohl aber der
-Sklave; denn selbst der Ausspruch des Gesetzes, daß er »als ein
-Gegenstand persönlicher Habe erachtet und gehalten werden solle,« ist
-nicht im Stande, seine Seele, mit ihrer eigenen kleinen Welt von
-Erinnerungen, Hoffnungen, Liebe, Furcht und Wünschen zu vernichten.
-
-Mr. Simon Legree, Tom's Herr, hatte an verschiedenen Plätzen in
-New-Orleans acht Sklaven zusammengekauft, und sie geschlossen, in Paaren
-von zwei und zwei, dem Dampfboote »der Pirat« zugetrieben, welches am
-Ufer lag, bereit, den rothen Fluß hinauf zu fahren.
-
-Nachdem er sie alle an Bord gebracht hatte und das Boot abgefahren war,
-kam er mit der Miene großer Geschäftigkeit, die ihm immer eigen war,
-heran, um Revue zu halten. Indem er zunächst vor Tom stehen blieb, der
-für den Verkauf seine beste Kleidung mit gestärkter Wäsche und blanken
-Stiefeln hatte anlegen müssen, drückte er sich kurz folgender Maßen aus:
-
-»Steh' auf!«
-
-Tom stand auf.
-
-»Nimm die Halsbinde ab!« und als Tom, behindert durch seine Fesseln,
-dazu schritt, begann er, mit nicht sehr sanfter Hand, ihm zu helfen,
-indem er sie vom Halse herunterriß und sie in seine Tasche steckte.
-
-Sodann wandte sich Legree zu Tom's Koffer, den er schon vorher
-geplündert hatte, nahm ein Paar alter Beinkleider und einen zerrissenen
-Rock heraus, den Tom nur im Stall zu tragen gepflegt hatte, und sagte
-zu ihm, indem er seine Handfesseln ablöste und auf einen Winkel
-zwischen den Waarenballen deutete:
-
-»Da, gehe dahin und ziehe diese an.«
-
-Tom gehorchte und kam in wenigen Augenblicken zurück.
-
-»Ziehe Deine Stiefel aus,« fuhr Mr. Legree fort.
-
-Tom that es.
-
-»Hier,« sagte jener, ihm ein paar grobe, starke Schuhe zuwerfend, die
-gewöhnlich von Sklaven getragen werden, »ziehe diese an!«
-
-Während seiner eiligen Umkleidung hatte Tom nicht vergessen, seine
-geliebte Bibel in seine Tasche zu stecken. Und er hatte wohl gethan;
-denn, nachdem Legree ihm die Handschellen wieder angelegt hatte, schritt
-er sorgfältig dazu, die Taschen der abgetragenen Kleidungsstücke zu
-untersuchen. Er zog ein seidenes Taschentuch hervor und steckte es in
-seine Tasche. Mehrere Kleinigkeiten, welche Tom hauptsächlich deßhalb
-aufgehoben hatte, weil Eva daran Gefallen gefunden, sah er mit
-verächtlichem Grunzen an und warf sie rücklings über seine Schulter in
-den Fluß. Jetzt zog er auch Tom's methodistisches Gesangbuch hervor,
-welches er in der Eile vergessen hatte und öffnete es:
-
-»Hm! fromm, versteht sich. So, wie heißt Du, -- gehörst zur Kirche?«
-
-»Ja, Master,« entgegnete Tom mit fester Stimme.
-
-»So, -- will Dir das bald abgewöhnen; -- kann keine Niggers gebrauchen,
-die schreien und beten und singen, -- merke das. Also paß' auf!« sagte
-er, mit dem Fuße stampfend und mit einem wilden Blicke seiner grauen
-Augen auf Tom, -- »^ich^ bin jetzt Deine Kirche! verstehst Du? -- Du
-mußt jetzt so sein, wie ^ich^ es haben will.«
-
-Ein Gefühl im Innern des schwarzen Menschen antwortete ^nein!^ und,
-wie von einer unsichtbaren Stimme gesprochen, kamen die Worte eines
-alten prophetischen Buches in seinen Sinn, die ihm Eva öfters daraus
-vorgelesen hatte: »Fürchte Dich nicht, denn ich habe Dich erlöset; ich
-habe Dich bei Deinem Namen gerufen; Du bist mein.«
-
-Aber Simon Legree hörte keine Stimme. Er stierte nur einen Augenblick
-auf das niedergeschlagene Gesicht Tom's und ging weiter. Er nahm Tom's
-Koffer, der eine reichliche und gute Garderobe enthielt, mit sich nach
-dem Vordertheile des Schiffes, wo er bald von verschiedenen Matrosen des
-Bootes umringt war. Unter vielem Gelächter und lauten Spöttereien über
-Niggers, die Gentlemen sein wollten, wurden die verschiedenen Artikel
-schnell verkauft und endlich der leere Koffer zur Auktion gestellt. Alle
-dachten, es sei ein guter Spaß, besonders Tom zu sehen, wie er seinen
-Sachen nachblickte, die nach verschiedenen Richtungen gingen; und dann
-die Versteigerung des Koffers, -- was das Spaßhafteste von Allem war und
-viel Witzeleien verursachte.
-
-Als dieß kleine Geschäft endlich vorüber war, schlenderte Simon zu
-seinem Eigenthume zurück.
-
-»Nun, Tom, siehst Du, ich habe Dir etwas unnützes Gepäck abgenommen.
-Nimm jetzt die Kleidungsstücke da gewaltig in Acht; denn 's dauert
-lange, ehe Du neue bekömmst. Ich will meine Niggers sorgsam machen; ein
-Anzug muß bei mir ein Jahr aushalten.«
-
-Nach diesen Worten wandte Simon seine Schritte dem Orte zu, wo Emmeline
-mit einem andern Frauenzimmer zusammen gekettet saß.
-
-»Na, meine Liebe,« sagte er, ihr unter das Kinn fassend, »hübsch
-munter!«
-
-Der unwillkürliche Blick von Schrecken, Furcht und Abscheu, mit dem das
-Mädchen ihn betrachtete, entging seinem Auge nicht. Er zog seine Stirn
-in finstere Falten.
-
-»Nichts von Deinen Zierereien, Mädchen! hast immer ein munteres Gesicht
-zu machen, wenn ich mit Dir spreche -- hörst Du? Und Du da, altes,
-gelbes Mondscheingesicht!« sagte er, indem er der mit Emmelinen
-zusammengeketteten Mulattin einen Stoß gab, »laß mich nicht solch ein
-Gesicht sehen! -- sollst lustiger aussehen, -- verstanden?«
-
-»Und Ihr alle da!« fügte er, ein paar Schritte zurücktretend, hinzu, --
-»hier, seht mich an, -- seht mir grade in's Gesicht, -- grade aus!« rief
-er, bei jeder Pause mit dem Fuße stampfend.
-
-Und wie durch Zauberkraft richtete sich jetzt jeder Blick auf die
-grünlich grauen, funkelnden Augen Simon's.
-
-»Paßt auf!« rief er, seine große, schwere Faust ballend, so daß sie die
-Form eines Schmiedehammers annahm, -- »seht Ihr diese Faust? -- Seht
-hier diese Knochen! Nun merkt, diese Faust ist davon so hart geworden,
-daß sie so viele Niggers niedergeschlagen hat. Habe nie 'nen Nigger
-gesehen, den ich nicht mit einem Schlage niedergebracht hätte!« sagte
-er, indem er seine Faust so dicht vor Tom's Gesicht hielt, daß dieser
-unwillkührlich mit den Augen blinzte und den Kopf zurückbog. »Halte
-keine solche miserablen Aufseher; -- führe meine Aufsicht selbst, -- und
-das ist Aufsicht. Ihr müßt auf's Wort passen, -- Alle, -- den
-Augenblick, wo ich spreche, -- wenn ihr mit mir fertig werden wollt. Ihr
-findet keine weiche Stelle an mir, nirgend. Also nehmt Euch in Acht;
-denn ich habe keine Barmherzigkeit!«
-
-Die Weiber hielten unwillkührlich den Athem an, und der ganze Trupp saß
-mit niedergeschlagenen Gesichtern da. Inzwischen hatte Simon sich auf
-den Hacken umgedreht und war an den Schenktisch des Bootes getreten, um
-ein Glas Brandwein zu genießen.
-
-»Das ist der Weg, wie ich immer mit meinen Niggers anfange,« sagte er zu
-einem anständig gekleideten Herrn, der während dieser Rede in seiner
-Nähe gestanden hatte. »'s ist mein System, immer kräftig anzufangen, --
-damit sie wissen, was sie zu erwarten haben.«
-
-»Wirklich?« entgegnete der Fremde, während er ihn mit der Neugierde
-eines Naturforschers betrachtete, der irgend ein seltenes Exemplar eines
-Naturprodukts vor sich hat.
-
-»Ja, gewiß. Bin keiner von Euren vornehmen Pflanzern, mit Lilienfingern,
-der sich von jedem alten, verdammten Aufseher betrügen läßt! Hier, faßt
-'mal meine Knöchel an! Seht 'mal meine Faust! Sage Euch, Herr, das
-Fleisch ist grade wie Stein geworden, -- 's macht die Praxis mit den
-Niggers, -- faßt nur 'mal an!«
-
-Der Fremde legte seine Hände an das fragliche Werkzeug und entgegnete
-trocken:
-
-»Hart genug! und, wie ich vermuthe, hat die Praxis Euer Herz eben so
-hart gemacht.«
-
-»Ja, ja, kann sein,« erwiederte Simon mit herzlichem Lachen. »Glaube, 's
-nicht viel Weiches in mir zu finden. Ich sage Euch, es kommt keiner über
-mich! Nie kommt ein Nigger um mich herum, weder mit Schreien, noch mit
-weicher Seife, -- das ist gewiß!«
-
-»Ihr habt einen hübschen Trupp hier.«
-
-»O ja,« sagte Simon. »Da ist der Tom, -- habe gehört, es soll ein
-ausgezeichneter Kerl sein. Er kostet mich viel Geld, weil ich ihn als
-Kutscher oder als Verwalter gebrauchen wollte; nur die Ideen müssen erst
-aus ihm heraus, die er dadurch gelernt hat, daß er behandelt worden ist,
-wie Niggers nie behandelt werden sollten, -- dann wird er ganz
-vortrefflich sein! Das gelbe Weib sieht mir etwas kränklich aus, aber
-ich will doch noch aus ihr herausdrücken, was sie werth ist. Ein oder
-zwei Jahre hält sie noch vor. Schone meine Niggers nicht; -- verbrauche
-sie und kaufe neue, -- 's macht weniger Umstände und 's kommt mir am
-Ende billiger zu stehen,« sagte Simon, sein Glas schlürfend.
-
-»Und wie lange halten sie gewöhnlich aus?« fragte der Fremde.
-
-»Weiß nicht genau; 's hängt von der Constitution ab. Stämmige Bursche
-sechs oder sieben Jahre; schwache sind in zweien oder dreien fertig. Im
-Anfang hatt' ich schrecklich viel Umstände, weil ich sie erhalten
-wollte, -- und dokterte, wenn sie krank waren, und ihnen Kleidungsstücke
-und Decken gab, und 's ihnen bequem machen wollte. Jetzt aber, seht,
-treibe ich sie grade durch, krank oder gesund, und wenn ein Nigger todt
-ist, so kauf' ich 'nen andern, und 's ist viel bequemer und billiger,
-find' ich.«
-
-Der Fremde wendete sich ab und setzte sich neben einen Herrn nieder,
-welcher der ganzen Unterhaltung mit unterdrücktem Unwillen zugehört
-hatte.
-
-»Sie dürfen die südlichen Pflanzer nicht nach diesem Kerl beurtheilen,«
-sagte er.
-
-»Ich hoffe ^nicht^,« entgegnete der junge Mann mit Nachdruck.
-
-»Es ist ein niedriger, gemeiner, viehischer Kerl,« sagte der Andere.
-
-»Und dennoch erlauben ihm Ihre Gesetze, so viele menschliche Wesen
-seinem unbeschränkten Willen unterworfen zu halten, ohne daß diese auch
-nur einen Schatten von Schutz haben; und so gemein er ist, so müssen Sie
-dennoch zugestehen, daß es Viele seiner Art gibt.«
-
-»Mag sein,« entgegnete der Andere, »aber es gibt auch viele
-menschenfreundliche Männer unter den Pflanzern.«
-
-»Zugestanden,« sagte der junge Mann; »aber meiner Ansicht nach sind
-grade Ihre menschenfreundlichen Männer für alle Unmenschlichkeit
-verantwortlich, die von diesen Elenden verübt wird; denn ohne ihre
-Billigung und ihren Einfluß könnte sich das ganze System nicht eine
-Stunde halten. Wenn es keine anderen Pflanzer gäbe, als solche,« sagte
-er, mit dem Finger auf Legree deutend, welcher ihnen den Rücken
-zugewendet hatte, »so würde die ganze Sache wie ein Mühlstein zu Grunde
-gehen. Es ist grade Ihre Menschenfreundlichkeit, die diese
-Unmenschlichkeit beschützt.«
-
-»Sie müssen viel Vertrauen zu meiner Gutmüthigkeit haben,« sagte der
-Pflanzer lächelnd; »aber ich würde Ihnen doch rathen, nicht so laut zu
-sprechen, da sich hier viele Personen auf dem Boote befinden, die nicht
-ganz so tolerant sein dürften. Sie thun besser, zu warten, bis Sie auf
-meiner Plantage sind; dann mögen Sie uns Alle schmähen, so viel Sie
-wollen.«
-
-Der junge Mann erröthete und lächelte, und Beide waren bald darauf beim
-Puffspiele beschäftigt. Inzwischen fand am unteren Ende des Bootes eine
-andre Unterhaltung zwischen Emmelinen und der Mulattin Statt, mit der
-sie zusammengekettet war. Sie theilten sich, wie es natürlich war,
-Einzelnheiten ihrer Geschichte mit.
-
-»Wem gehörst Du?« fragte Emmeline.
-
-»Mein Herr war Mr. Ellis, in Leveestreet. Vielleicht hast Du das Haus
-gesehen.«
-
-»War er gut gegen Dich?« fragte Emmeline weiter.
-
-»Meistens, bis er krank wurde. Er lag länger als sechs Monate krank, und
-wurde schrecklich ungeduldig. Er wollte keinen Menschen Tag und Nacht
-ruhen lassen, und kein Mensch konnt' ihm 'was zu Dank thun. Jeden Tag
-wurd' er schlimmer, und hielt mich alle Nächte wach, bis ich ganz hin
-war und nicht mehr wachen konnte; und weil ich 'mal in einer Nacht
-einschlief, wurd' er so schrecklich gegen mich, und sagte, er wolle mich
-an den bösesten Herrn verkaufen, den er finden könnte! und doch
-versprach er mir meine Freiheit, als er starb.«
-
-»Hattest Du Angehörige?« fragte Emmeline.
-
-»Ja, einen Mann, -- er ist ein Hufschmied. Master verdung ihn
-gewöhnlich. Sie schleppten mich so schnell fort, daß ich ihn nicht 'mal
-mehr sehen konnte; und ich habe vier Kinder. O mein Gott!« sagte das
-Weib, und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen.
-
-Es ist ein natürliches Gefühl bei Jedem, der eine Schilderung des Elends
-hört, irgend ein Trostwort sagen zu wollen. Emmeline wollte auch etwas
-sagen, aber sie konnte sich auf nichts besinnen. Was sollte sie sagen?
-Wie aus Uebereinkommen vermieden Beide vor Furcht und Schrecken des
-entsetzlichen Mannes Erwähnung zu thun, der jetzt ihr Herr war.
-
-Wahr ist, daß es selbst in der trübsten Stunde einen religiösen Trost
-gibt. Die Mulattin war Mitglied einer methodistischen Kirche, und besaß
-zwar einen unaufgeklärten Geist, aber aufrichtige Frömmigkeit. Emmeline
-hatte eine bessere Bildung empfangen; sie hatte durch die Fürsorge einer
-frommen Mistreß lesen, schreiben und die Bibel verstehen gelernt; aber
-würde es nicht selbst den Glauben des besten Christen erschüttern, wenn
-er sich anscheinend so von Gott verlassen, und in den Klauen der
-rohesten Gewalt befände? Wie viel mehr mußte es den Glauben von Kindern
-erschüttern, die noch schwach in Erkenntniß, und zart an Jahren waren.
-
-Das Boot verfolgte seinen Lauf, -- beladen mit seiner kummerschweren
-Last, -- durch den röthlichen, trüben Strom, und durch die Windungen des
-rothen Flusses hinauf; und traurige, müde Augen ruhten auf den steilen,
-röthlichen Kalkufern, die in öder Einförmigkeit vorüber glitten. Endlich
-hielt das Boot vor einer kleinen Stadt an, und Legree schiffte sich mit
-seinem Trupp Sklaven aus.
-
-
-
-
-Zweiunddreißigstes Kapitel.
-
-Finstere Orte.
-
- Das Land ist allenthalben jämmerlich
- verheeret, und die Häuser zerrissen.
-
-
-Müde und matt sich hinter einem rohen Wagen herschleppend, einen rauhen
-Weg entlang, verfolgten Tom und seine Genossen ihre Reise.
-
-Im Wagen saß Simon Legree; und die beiden Frauenzimmer, noch immer
-zusammengefesselt, hatten mit verschiedenem Gepäcke ihren Platz im
-hinteren Theile desselben angewiesen erhalten. Auf diese Weise bewegte
-sich die ganze Gesellschaft der Plantage Legree's zu, welche noch in
-ziemlicher Entfernung lag.
-
-Es war eine wilde, öde Straße, die sich bald durch einsame
-Fichtenwaldungen wand, und bald über Knippeldämme, durch lange, mit
-Cypressen bewachsene Sümpfe hinlief, deren melancholische Bäume weite
-Kränze schwarzen Leichenmooses trugen, während hier und dort die
-widerliche Gestalt der Mokassin-Schlange zwischen Baumstämmen und
-abgebrochenen Zweigen sich hinschlängelte, welche faulend im Wasser
-lagen.
-
-Es ist eine solche Reise schon trostlos genug für den Fremden, wenn er
-mit wohlgefüllter Tasche und zuverlässigem Pferde den einsamen Weg in
-Geschäften verfolgen muß; aber noch viel schrecklicher und öder ist sie
-für den unglücklichen Sklaven, den jeder müde Schritt weiter und weiter
-von dem entfernt, was der Mensch liebt, und wonach er sich sehnt.
-
-So würde Derjenige gedacht haben, der den kummervollen Ausdruck jener
-dunklen Gesichter sah, die sinnende, geduldige Mattigkeit, mit der jene
-traurigen Augen an jedem Gegenstande hängen blieben, der ihnen auf ihrem
-trostlosen Wege begegnete.
-
-Simon setzte inzwischen in bester Laune, wie es schien, seine Reise
-fort, während er von Zeit zu Zeit einer Brandweinflasche zusprach, die
-er in seiner Tasche trug.
-
-»Ihr da, hört!« rief er, indem er sich umwandte und mit einem flüchtigen
-Blicke die muthlosen Gesichter hinter sich gewahrte. »Singt eins,
-Jungens! -- los!«
-
-Die Männer sahen sich gegenseitig an, und die Wiederholung des Wortes
-»los!« wurde mit einem kräftigen Knall der Peitsche begleitet, welche
-der Fuhrmann in der Hand trug. Tom begann eine methodistische Hymne zu
-singen:
-
- »Sei, Seele, stark und unverzagt!
- Wenn irgend Dich ein Kummer plagt,
- Befiehl Gott deine Sachen.
- In aller Pein --«
-
-»Halt Dein schwarzes Maul!« brüllte Legree. »Denkst Du, ich will 'was
-von Deinem verfluchten methodistischen Unsinn hören? Stimmt mir gleich
-'was Lustiges an, -- schnell!«
-
-Einer der anderen Männer begann einen jener sinnlosen Gesänge, welche
-unter Sklaven üblich sind, und schien den Text selbst zu erdichten, ohne
-Rücksicht auf Sinn und Vernunft nur nach einem Reime haschend:
-
- »Master sah' mich 'nen Affen fangen,
- Jungens hoch, Jungens hoch!
- Er hätte sich vor Lachen bald aufgehangen,
- Ho, ho, ho, Jungens, ho!«
-
-wozu die ganze Gesellschaft den Chor sang:
-
- »Ho! ho! ho! Jungens, ho!
- Ho, he, ho! ho, he, ho!«
-
-Es wurde von Allen sehr laut, und mit einem erzwungenen Versuche zur
-Fröhlichkeit gesungen; aber nicht das flehendste Gebet um Hülfe, nicht
-die verzweiflungsvollste Klage hätte ein so tiefes Weh auszudrücken
-vermocht, wie in den wilden Klängen dieses Chores lag. Als wenn das
-arme, stumme Herz, bedroht und in Fesseln geschlagen, zu dem
-unartikulirten Heiligthume der Musik seine Zuflucht genommen, und darin
-die Sprache gefunden hätte, in der es sein Gebet zu Gott empor senden
-wollte! Es lag ein Gebet darin, aber Simon konnte es nicht hören. Er
-hörte nur den lauten, lärmenden Gesang der Sklaven, und war zufrieden
-damit; er hatte sie »lustig« gemacht.
-
-»Nun, meine liebe Kleine,« sagte er, sich zu Emmelinen wendend, und
-seine Hand auf ihre Schulter legend, »wir sind nun bald zu Hause.«
-
-Wenn Legree fluchte und stürmte, war Emmeline erschreckt; aber wenn er
-sie berührte, und mit ihr sprach, wie er jetzt that, so war es ihr, als
-wolle sie sich lieber von ihm mißhandeln lassen. Der Blick seiner Augen
-machte ihr Herz stocken, und ihre Haut schaudern. Unwillkürlich drängte
-sie sich dichter an die Seite der Mulattin, als wenn sie ihre Mutter
-wäre.
-
-»Du hast noch nie Ohrringe getragen,« sagte er, mit seinen groben
-Fingern ihre zarten Ohren anfassend.
-
-»Nein, Master!« entgegnete Emmeline zitternd und mit gesenkten Blicken.
-
-»Wohl, Du sollst ein Paar haben, wenn wir nach Hause kommen, wenn Du
-artig sein willst. Brauchst Dich nicht zu fürchten: Du sollst keine
-schwere Arbeit verrichten. Kannst gute Zeit bei mir haben, und wie eine
-Dame leben, -- wenn Du artig sein willst.«
-
-Legree hatte so viel getrunken, daß er sich geneigt fühlte, in diesem
-herablassenden Tone zu reden. Gleich darauf zeigten sich den Reisenden
-die Umzäunungen der Plantage.
-
-Die Besitzung hatte früher einem Manne gehört, der Reichthum und
-Geschmack besaß, und sehr viel für die Verschönerung der Anlagen gethan
-hatte. Da er insolvent starb, so kaufte sie Legree um einen billigen
-Preis, und benutzte sie, wie alles Andre in der Welt, lediglich als
-Werkzeug, Geld zu verdienen. Der Ort hatte ein ödes, verwildertes
-Ansehen, was sich immer dann zeigt, wenn die Sorgfalt eines früheren
-Besitzers dem gänzlichen Verfalle überlassen worden ist.
-
-Was einst ein glatt geschorener Rasenplatz vor dem Hause gewesen war,
-der hier und da verzierende Stauden getragen hatte, war jetzt mit
-dichtem, wilden Grase überwachsen, und zur Anlage von Pferdeständen
-benutzt, wo der Rasen zertreten, und der Boden mit zerbrochenen Eimern,
-Maishülsen und andern Fragmenten bedeckt war. Hier und da hing ein
-verwelkender Jasmin oder ein verkümmerndes Geißblatt von einer Säule
-herab, die früher als Verzierung gedient, aber jetzt eine schiefe
-Stellung angenommen hatte, weil sie als Pferdepfosten benutzt worden
-war. Was früher ein großer Garten gewesen, war jetzt mit Unkraut
-überwachsen, aus welchem hier und da noch eine einzelne Zierpflanze ihr
-einsames Haupt erhob. Ein ehemaliges Gewächshaus war jetzt ohne Fenster,
-und auf den modernden Blumenbrettern standen noch einige trockene,
-verlassene Blumentöpfe, deren verwelkte Stöcke und Blätter kaum erkennen
-ließen, daß sie einst Pflanzen gewesen waren.
-
-Der Wagen fuhr einen mit Unkraut bedeckten Kiesweg hinauf, durch eine
-schöne Allee von Chinabäumen, deren anmuthige Formen und immergrünender
-Blätterschmuck die einzigen Dinge hier zu sein schienen, die
-Vernachlässigung nicht verändern konnte, gleich edlen Geistern, die
-ihre Wurzeln so tief in den Boden des Guten geschlagen haben, daß sie
-selbst unter Entmuthigung und Verfall blühen und kräftiger werden.
-
-Das Wohnhaus war groß und schön gewesen, und war in dem im Süden
-gewöhnlichen Style erbaut. Eine zwei Stock hohe Veranda, deren unterer
-Theil von massiven Säulen getragen wurde, umgab dasselbe auf allen
-Seiten, und nach ihr öffneten sich alle äußeren Thüren des Hauses.
-
-Allein das ganze Gebäude sah öde und unbehaglich aus. Einige Fenster
-waren mit Brettern verschlossen, andere hatten zerbrochene Scheiben, und
-Laden, die nur noch an einer Angel hingen. Alles verrieth rohe
-Vernachlässigung und Unbehaglichkeit. Zerbrochene Bretter, Stroh, alte,
-eingefallene Fässer und Kisten bedeckten den Boden in allen Richtungen;
-und drei bis vier wild aussehende Hunde, die durch das Geräusch der
-Wagenräder erweckt worden waren, kamen angesprungen, und wurden nur mit
-großer Mühe von den ihnen folgenden, zerlumpten Dienstboten abgehalten,
-über Tom und seine Genossen herzufallen.
-
-»Da seht Ihr, was mit Euch geschehen würde!« sagte Legree zu Tom und
-seinen Gefährten, während er seine Hunde mit grimmiger Freude liebkoste.
-»Ihr seht, was mit Euch geschehen würde, wenn Ihr fortlaufen wolltet.
-Diese Hunde sind dressirt, Niggers aufzuspüren, und würden eben so gut
-einen von Euch zermalmen und verschlucken, wie sie ihr Abendbrod
-verzehren. Also nehmt Euch in Acht! -- Sieh' da, Sambo!« sagte er zu
-einem zerlumpten Kerl mit einem Hut ohne Krempe, der sehr geschäftig in
-seinen Aufmerksamkeiten um ihn war. »Wie sind die Sachen hier gegangen?«
-
-»Vortrefflich, Master.«
-
-»Quimbo,« sagte Legree zu einem Andern, der sich die möglichste Mühe
-gab, seine Aufmerksamkeit zu erregen, -- »Du hast das gethan, was ich
-Dir gesagt habe?«
-
-»Gewiß hab' ich's gethan.«
-
-Diese beiden farbigen Männer waren die obersten Arbeiter auf der
-Plantage. Legree hatte sie in Rohheit und Brutalität so systematisch
-erzogen und abgerichtet wie seine Bulldogs, und hatte durch lange Uebung
-in Härte und Grausamkeit ihre ganze Natur ziemlich auf denselben Stand
-von Fähigkeiten reducirt. Es ist eine gewöhnliche Erfahrung, die gegen
-den Charakter der Rasse stark zu sprechen scheint, daß nämlich der
-schwarze Aufseher immer tyrannischer und grausamer ist als der weiße. Es
-gilt dies aber von dieser Rasse nicht mehr als von jedem andern
-unterdrückten Geschlechte auf der ganzen Erde. Der Sklave ist stets ein
-Tyrann, sobald sich ihm Gelegenheit dazu darbietet.
-
-Legree, gleich andern Potentaten, von denen wir in der Geschichte lesen,
-beherrschte seine Plantage mit Hülfe einer gewissen Trennung der Kräfte.
-Sambo und Quimbo haßten sich gegenseitig von ganzem Herzen; die
-Plantagen-Arbeiter haßten beide eben so sehr; und indem er den Einen
-gegen den Andern anhetzte, war er dessen gewiß, von einem dieser drei
-Theile zu erfahren, was in der Plantage vorging.
-
-Niemand kann ganz ohne geselligen Verkehr leben, und Legree ermunterte
-deßhalb seine beiden schwarzen Satelliten zu einer Art roher
-Familiarität mit ihm, die jedoch zu jedem Augenblicke den Einen oder den
-Andern in eine mißliche Lage bringen konnte; denn bei der geringsten
-Veranlassung stand einer von ihnen stets bereit, auf einen gegebenen
-Wink seine Rache gegen den Andern auszuüben.
-
-Wie sie jetzt neben Legree standen, erschienen sie als eine passende
-Versinnlichung der Wahrheit, daß viehische Menschen selbst noch tiefer
-stehen als Thiere. Ihre rohen, dunklen, schweren Züge; ihre großen
-Augen, die neidisch einander betrachteten; ihre barbarische,
-thierähnliche Gutturalsprache; ihre zerrissenen Kleidungsstücke, die im
-Winde flatterten, standen in bewunderungswürdiger Harmonie mit dem
-gemeinen, ungesunden Charakter der ganzen Besitzung.
-
-»Hier, Sambo,« sagte Legree, »bringe diese Burschen nach den Quartieren;
-und hier ist ein Weib, das ich ^Dir^ mitgebracht habe,« sagte er,
-indem er die Mulattin von Emmelinen trennte, und sie ihm zustieß. »Du
-weißt, ich versprach Dir eins.«
-
-Die Frau erschrack, und sagte ängstlich, sich zurückziehend: »O Master,
-ich habe meinen alten Mann in New-Orleans gelassen.«
-
-»Was soll das heißen, Du --; brauchst Du hier keinen Mann? Keine Worte:
--- fort mit Dir!« sagte Legree, während er die Peitsche aufhob.
-
-»Komm', Mistreß,« sagte er darauf zu Emmelinen gewendet, »Du gehst mit
-mir diesen Weg.«
-
-Ein dunkles, wildes Gesicht wurde einen Augenblick lang am Fenster des
-Hauses sichtbar, und als Legree die Thüre öffnete, sagte eine weibliche
-Stimme Etwas in schnellem und befehlendem Tone. Tom, der Emmelinen mit
-ängstlichem Interesse nachblickte, nahm dies wahr, und hörte Legree
-ärgerlich antworten: »Du hältst Deinen Mund! Ich werde thun, was mir
-gefällt, und mich um Dich nicht kümmern!«
-
-Tom hörte weiter nichts; denn er folgte Sambo gleich darauf nach den
-Quartieren. Diese bestanden in einer Reihe roh gezimmerter Schuppen,
-welche eine Art kleiner Straße bildeten, und in einem von dem Wohnhause
-weit entlegenen Theile der Plantage lagen. Tom's Herz sank, als er sie
-sah. Er hatte sich mit der Hoffnung auf eine Hütte getröstet, die er,
-wenn sie auch in rohem Zustande war, doch zu einer reinlichen, stillen
-Wohnung machen konnte, wo ein Plätzchen für seine Bibel war, und wo er
-sich nach beendigten Arbeitsstunden allein aufhalten durfte. Er sah in
-mehrere derselben hinein. Es waren nichts als rohe, leere Schalen, ohne
-jede Art von Hausgeräth, ausgenommen einem Haufen Stroh, der vor Schmutz
-in Fäulniß überging, und den Fußboden bedeckte, welcher nur aus dem
-natürlichen, von zahllosen Füßen festgetretenen Erdboden bestand.
-
-»Welches von diesen Behältnissen ist mein?« sagte er demüthig zu Sambo.
-
-»Weiß nicht; -- kannst hier hinein gehen, denk' ich,« entgegnete Sambo;
-»wird noch Platz drin sein für Einen; -- 's ist ein guter Haufe Niggers
-in jedem drin; -- weiß gar nicht, wo ich noch mit mehr hin soll.«
-
- * * * * *
-
-Es war spät Abends, als die müden Bewohner dieser Schuppen in Haufen
-nach Hause gezogen kamen, -- Männer und Weiber in zerlumpten Kleidern,
-finster und mürrisch, und in keiner Stimmung, neue Ankömmlinge
-freundlich zu empfangen. Das kleine Dorf wurde nun lebendig von wenig
-einladenden Tönen; rauhe Stimmen stritten sich um die Handmühlen, auf
-denen ihre kleine Quantität harten Kornes erst noch gemahlen werden
-mußte, um den Kornkuchen daraus bereiten zu können, aus dem ihr ganzes
-Abendbrod bestehen sollte. Von der ersten Morgendämmerung an waren sie
-auf dem Felde gewesen, und durch die unbarmherzige Peitsche der Aufseher
-zur Arbeit angetrieben worden; denn es war jetzt grade im höchsten
-Drange der Jahreszeit, und kein Mittel blieb unversucht, um die
-Fähigkeiten eines Jeden bis zur äußersten Spannung zu treiben.
-
-»Ja, aber,« sagt der nachlässige Zuschauer, »Baumwolle zupfen ist keine
-harte Arbeit.«
-
-Wirklich nicht? Es ist auch kein sehr schmerzhaftes Gefühl, sich einen
-Tropfen Wasser auf den Kopf fallen zu lassen; aber die schrecklichste
-Tortur der Inquisition bestand darin, Tropfen auf Tropfen einen
-Augenblick nach dem andern, in gleichmäßiger Einförmigkeit auf dieselbe
-Stelle fallen zu lassen; und Arbeit, die an sich nicht schwer ist, wird
-dadurch schwer, daß sie eine Stunde nach der andern mit derselben
-unveränderlichen, unerbittlichen Gleichförmigkeit, ohne freien Willen,
-dieselbe unterbrechen zu dürfen, fortgesetzt wird.
-
-Tom schaute sich unter dem Trupp der Sklaven, als er sich heran wälzte,
-vergeblich nach umgänglichen Gesichtern um. Er sah nur finstere,
-mürrische, viehische Männer, und schwarze, muthlose Weiber, oder solche,
-die keine Weiber mehr waren; die Stärkeren stießen die Schwachen bei
-Seite, und es zeigte sich ganz die rohe, ungebändigte, thierische
-Selbstsucht menschlicher Wesen, von denen nichts Gutes mehr erwartet und
-verlangt wurde, und die, behandelt wie das Vieh, dem Standpunkte
-desselben so nahe gekommen waren, wie es für menschliche Wesen überhaupt
-möglich war. Das Geräusch der Handmühlen wurde bis spät in die Nacht
-hinein gehört; denn die Anzahl derselben war im Verhältniß zur Zahl der
-Mahlenden nur gering, und die Müden und Schwachen wurden von den Starken
-zurück getrieben, und kamen zuletzt an die Reihe.
-
-»Hör Du!« rief Sambo, sich der Mulattin nähernd, und einen Sack mit Korn
-vor sie nieder werfend; »wie heißt Du?«
-
-»Lucy,« entgegnete die Frau.
-
-»Na denn, Lucy, -- bist jetzt meine Frau. Hier, mahle das Korn, und
-mache ^mein^ Abendbrod zurecht, -- hörst Du?«
-
-»Ich bin Deine Frau nicht, und will es nicht sein!« rief das Weib mit
-dem plötzlichen Muthe der Verzweiflung; -- »laß mich zufrieden!«
-
-»Ich werde Dir 'nen Tritt geben!« sagte Sambo, drohend seinen Fuß
-aufhebend.
-
-»Du magst mich umbringen, wenn Du willst, -- je eher, je besser!
-Wünschte mir, ich wäre schon todt!« sagte sie.
-
-»Höre, Sambo -- Du willst die Arbeiter mißhandeln, ich werd's Master
-sagen,« rief Quimbo, welcher mit der Handmühle beschäftigt war, von der
-er zwei oder drei ermüdete Weiber zurückgedrängt hatte, die lange darauf
-gewartet hatten, um ihr Korn zu mahlen.
-
-»Und ich werde ihm erzählen, daß Du die Weiber nicht an die Mühle lassen
-willst, Du alter Nigger!« sagte Sambo. »Du bekümmere Dich um Deine
-eigene Sachen.«
-
-Tom war bei seiner Tagesarbeit hungrig geworden, und beinahe ohnmächtig
-vor Mangel an Nahrung.
-
-»Da, Du!« sagte Quimbo, einen groben Sack, welcher eine Metze Korn
-enthielt, vor ihn niederwerfend; -- »da, Nigger, Futter, sieh' Dich mit
-vor, -- bekömmst weiter nichts ^diese^ Woche.«
-
-Tom wartete bis zu einer späten Stunde, um einen Platz an der Mühle zu
-erlangen; und dann, Mitleid mit zwei todtmüden Frauen empfindend, die er
-sich abmühen sah, ihr Korn zu mahlen, that er es für sie, und legte die
-verglimmenden Feuerbrände zusammen, an denen Viele ihre Kuchen vorher
-gebacken hatten, und schritt dann endlich dazu, sein eignes Abendbrod zu
-bereiten. Dieses Werk der Liebe, so geringfügig es war, erweckte eine
-antwortende Regung im Herzen der Frauen, und ein Ausdruck weiblichen
-Gefühls kam über ihre harten Züge. Sie mengten den Kuchen für ihn, und
-buken ihn; und er setzte sich dann beim Scheine des Feuers nieder und
-suchte seine Bibel hervor, -- denn er bedurfte Trost.
-
-»Was ist das?« sagte eine der Frauen.
-
-»Eine Bibel,« entgegnete Tom.
-
-»Guter Gott! habe keine gesehen seit ich in Kentucky war.«
-
-»Bist Du in Kentucky aufgebracht worden?« fragte Tom mit Interesse.
-
-»Ja, und gut aufgebracht; -- hätte nimmer gedacht, daß ich hierher
-kommen würde!« entgegnete die Frau seufzend.
-
-»Was für 'ne Art Buch ist das?« fragte die andere Frau.
-
-»Nun, 'ne Bibel.«
-
-»Wie? was ist das?« fragte jene wieder.
-
-»Sprich doch! -- Du hast nie davon gehört? Ich hörte Missis oft drin
-lesen, in Kentucky, aber hier -- o Herr! hier hört man nichts als
-peitschen und fluchen.«
-
-»Lies doch ein Stück, -- eins!« sagte die erste Frau neugierig zu Tom,
-den sie eifrig darin studiren sah.
-
-Tom las: -- »Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid,
-ich will euch erquicken.«
-
-»Sind gute Worte,« sagte die Frau, »wer sagt sie denn?«
-
-»Der Herr,« entgegnete Tom.
-
-»Ich möchte nur wissen, wo ich ihn finden könnte,« fuhr die Frau fort;
--- »ich würde zu ihm gehen. 's ist grade als sollt' ich gar keine Ruhe
-mehr haben. Mein Fleisch ist wund und ich zittere jeden Tag von Morgen
-bis Abend, denn Sambo schimpft immerzu auf mich los, daß ich nicht
-schnell genug zupfe; und Abends wird's fast immer Mitternacht, ehe ich
-mein Essen bekomme; und dann, kaum habe ich mich hingelegt und meine
-Augen geschlossen, so bläst das Horn schon wieder zum Aufstehn, und dann
-geht 's wieder los. Wenn ich nur wüßte, wo der Herr wäre, -- ich wollt
-'s ihm sagen.«
-
-»Er ist hier, er ist überall,« sagte Tom.
-
-»Ach, geh' weg, Du wirst mir das nicht einreden! Ich weiß, der Herr ist
-nicht hier,« sagte die Frau; »'s nützt nichts, das Reden. Will mich
-hinlegen und schlafen, so lange ich kann.«
-
-Die Weiber gingen fort nach ihren Hütten, und Tom saß allein beim
-verglimmenden Feuer, welches seinen röthlichen Schein über sein Gesicht
-warf. Der freundliche silberne Mond stieg auf am Nachthimmel, und still
-und schweigend, wie Gott auf die Scenen des Elends und der Unterdrückung
-herabschaut, blickt er nieder auf den einsamen schwarzen Menschen, der
-mit untergeschlagenen Armen seine Bibel auf dem Knie haltend, dort saß.
-
-»Ist Gott hier?« O wie ist es für das ungelehrte Herz möglich, seinen
-Glauben ohne Wanken im Angesichte und unter dem Drucke gräßlicher,
-unverkennbarer Ungerechtigkeiten zu bewahren! In jenem schlichten Herzen
-kämpfte ein wilder Kampf; das zerschmetternde Gefühl des erlittenen
-Unrechts, die Ahnung eines ganzen übrigen Lebens voll Elend, die Trümmer
-aller früheren Hoffnungen, die vor der Seele traurig auf- und
-niedertauchten, wie die Leichname von Weib, Kind und Freunden aus der
-schwarzen Welle hervor noch einmal den Blicken des schon versinkenden
-Seemannes erscheinen! War es ^hier^ leicht zu glauben, und
-festzuhalten an der großen Parole des christlichen Glaubens, »daß er
-sei, und denen die er suche, ein Vergelter sein werde!«
-
-Tom erhob sich trostlos und stolperte in die Hütte, die ihm angewiesen
-worden war. Der Fußboden war bereits mit müden Schläfern bedeckt, und
-die schlechte Luft des Behältnisses schreckte Tom beinahe zurück; aber
-der schwere Nachtthau war kalt, und seine Glieder waren müde; und indem
-er sich deßhalb in eine zerrissene Decke wickelte, welche sein einziges
-Bettzeug ausmachte, streckte er sich auf das Stroh und entschlief.
-
-Eine sanfte Stimme schlug im Traume an sein Ohr. Er saß auf dem
-Moossitze im Garten am See Pontchartrain, und Eva, mit ihren ernsten
-Augen niederblickend, las ihm die Bibel vor, und er hörte sie lesen:
-
- »Denn so Du durchs Wasser gehest, will Ich bei Dir sein, daß Dich
- die Ströme nicht sollen ersäufen; und so Du in's Feuer gehst,
- sollst Du nicht brennen und die Flamme soll Dich nicht anzünden.
- Denn Ich bin der Herr, Dein Gott, der Heilige in Israel, Dein
- Heiland.«
-
-Allmählig schienen die Worte sich in himmlische Musik aufzulösen und zu
-verhallen; das Kind schlug seine tiefen Augen auf und richtete sie
-liebevoll auf ihn, und wärmende, tröstende Strahlen fielen auf sein
-Herz; und wie getragen von den heiligen Tönen, schien sie sich auf
-glänzenden Flügeln zu erheben, von denen goldene Funken und Flocken
-gleich Sternen herabfielen, und sie war verschwunden.
-
-Tom erwachte. War es ein Traum? Es möge dafür gelten; aber wer will
-behaupten, daß es jenem sanften, jugendlichen Geiste, der im Leben stets
-bemüht war, die Unglücklichen zu trösten und zu beruhigen, von Gott
-verwehrt worden sei, dieses Amt auch nach dem Tode zu verrichten?
-
-
-
-
-Dreiunddreißigstes Kapitel.
-
-Cassy.
-
- Und siehe, da waren Thränen derer, so Unrecht
- litten, und hatten keinen Tröster; und die ihnen
- Unrecht thaten, waren zu mächtig, daß sie
- keine Tröster haben konnten.
-
-
-Es erforderte nur kurze Zeit, um Tom mit Allem bekannt zu machen, was er
-auf seinem neuen Lebenswege zu hoffen und zu fürchten hatte. Er war ein
-erfahrener, geschickter Arbeiter in jeder Beschäftigung, die er
-unternahm, und aus Princip und Gewohnheit pünktlich und getreu. Ruhig
-und friedfertig von Natur, hoffte er durch unausgesetzten Fleiß
-wenigstens theilweise die in seiner Lage ihm drohenden Uebel abzuwenden.
-Er sah genug Mißhandlung und Elend, um ihn krank und lebensmüde zu
-machen; aber er beschloß angestrengt fortzuarbeiten, und mit frommer
-Geduld auf Den zu vertrauen, der gerecht richtet, nicht ohne Hoffnung,
-daß sich doch vielleicht ein Weg der Rettung öffnen könne.
-
-Legree beachtete im Stillen Toms Brauchbarkeit wohl. Er hielt ihn für
-einen vorzüglichen Arbeiter, und dennoch empfand er einen gewissen
-Widerwillen gegen ihn, -- die natürliche Antipathie des Schlechten gegen
-das Gute. Er sah deutlich, daß wenn, was oft der Fall war, seine Rohheit
-und Gewaltthätigkeit auf die Hülflosen fiel, Tom dies jedesmal
-beachtete; denn so fein ist die Atmosphäre der Gedanken, daß sie sich
-selbst ohne Worte fühlbar macht, und selbst die Gedanken eines Sklaven
-können einen Herrn verletzen. Tom verrieth in mannigfachen Beziehungen
-eine Zartheit des Gefühls, und ein Mitleid für seine Leidensgenossen,
-welches diesen durchaus neu war, und von Legree mit eifersüchtigen Augen
-beobachtet wurde. Er hatte Tom in der Absicht gekauft, ihn zu einer Art
-Aufseher zu machen, dem er, während Abwesenheiten von kurzer Dauer,
-seine Geschäfte übertragen könne, und nach seiner Ansicht war das erste,
-zweite und dritte Erforderniß zu einer solchen Stellung -- ^Härte^. Da
-nun Tom für diesen Zweck nicht hart genug war, so nahm sich Legree vor,
-ihn abzuhärten; und als Tom einige Wochen dort gewesen war, beschloß er
-diesen Prozeß zu beginnen.
-
-Eines Morgens, als die Arbeiter für die Feldarbeit gemustert wurden,
-bemerkte Tom mit Erstaunen einen neuen Ankömmling unter ihnen, dessen
-Erscheinung seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine Frau, von großem,
-schlanken Wuchse, mit außerordentlich zarten Händen und Füßen, die
-reinlich und anständig gekleidet war. Ihrem Gesichte nach zu urtheilen,
-konnte sie zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahr alt sein; und es war
-dies ein Gesicht, das, einmal gesehen, sich nie wieder vergessen ließ,
--- eins derjenigen, die uns auf den ersten Blick eine wilde,
-schmerzvolle, romantische Lebensgeschichte ahnen lassen. Ihre Stirn war
-hoch, und ihre Augenbrauen waren fein und schön gezogen. Ihre
-griechische Nase, ihr fein geschnittener Mund und die reizenden Umrisse
-ihres Kopfes und Nackens zeigten, daß sie einst sehr schön gewesen sein
-müsse; aber ihr Gesicht trug tiefe Furchen von Schmerz und stolzen und
-bitteren Leidens. Ihre Gesichtsfarbe war bleich und ungesund, ihre
-Wangen waren eingefallen, ihre Züge scharf, und ihre ganze Gestalt
-abgezehrt. Aber ihr Auge war der merkwürdigste Theil ihrer ganzen
-Erscheinung, -- so groß, so tiefschwarz, beschattet von langen und eben
-so schwarzen Wimpern, und dem Ausdrucke wilder Verzweiflung. In jeder
-Linie ihres Gesichts, in jeder Biegung ihrer Lippen, in jeder Bewegung
-ihres Körpers lagen Stolz und wilder Trotz; aber in ihrem Auge lag eine
-stille, tiefe Nacht von Angst, die in schrecklichem Gegensatze zu dem
-Stolze und Trotze stand, welcher aus ihrem ganzen Wesen sprach.
-
-Woher sie kam, und wer sie war, wußte Tom nicht. Seine erste Wahrnehmung
-von ihr bestand darin, daß er sie stolz und grade an seiner Seite durch
-die erste Morgendämmerung schreiten sah. Den Uebrigen schien sie jedoch
-bekannt zu sein; denn Aller Köpfe wendeten sich nach ihr um, und
-blickten nach ihr hin, und eine unterdrückte, aber unverkennbare Freude
-sprach sich unter den elenden, zerlumpten, halb verhungerten Wesen aus,
-von denen sie umgeben war.
-
-»Endlich doch gekommen? -- freue mich!« sagte Einer.
-
-»Ha! ha! ha!« sagte ein Anderer, »sollst sehen, wie gut es ist, Missis!«
-
-»Wollen sie nun 'mal arbeiten sehen!«
-
-»Soll mich wundern, ob sie heut Abend 'mal eine Tracht Prügel bekömmt,
-wie wir anderen!«
-
-»Sollte mich freuen, wenn sie auch 'mal die Peitsche kriegte, -- meiner
-Seel!« sagte wieder ein Anderer.
-
-Die Frau nahm keine Notiz von allen diesen Spöttereien, sondern schritt
-mit dem Ausdruck kalter Verachtung weiter, als höre sie nichts. Tom
-hatte von jeher unter gebildeten Leuten gelebt, und erkannte an ihrem
-Wesen und ihrer ganzen Haltung, daß sie dieser Klasse angehöre; aber wie
-oder weßhalb sie in diese entehrende Verhältnisse gesunken sei, konnte
-er sich nicht erklären. Die Frau sah ihn weder an, noch sprach sie mit
-ihm, obgleich sie während des ganzen Weges nach dem Felde an seiner
-Seite blieb.
-
-Tom war bald darauf mit seiner Arbeit beschäftigt, allein, da die Frau
-sich nur in geringer Entfernung von ihm befand, so warf er öfters einen
-Blick nach ihr hinüber, während sie bei ihrer Arbeit saß. Er erkannte
-sogleich, daß ihr vermöge einer natürlichen Gewandtheit und
-Geschicklichkeit die Arbeit viel leichter wurde als vielen Andern. Sie
-zupfte sehr schnell und sehr reinlich, und mit einer Miene, als wenn sie
-sowohl die Arbeit wie die Schande und Demüthigung der Verhältnisse
-verachte, in denen sie sich befand.
-
-Im Laufe des Tages arbeitete Tom auch in der Nähe der Mulattin, die
-zugleich mit ihm gekauft worden war. Sie befand sich augenscheinlich in
-einem sehr leidenden Zustande, und Tom hörte sie öfters beten, während
-sie zitterte und schwankte, und nahe daran zu sein schien, umzusinken.
-Indem er sich deßhalb ihr schweigend nahte, that er einige Handvoll
-Baumwolle aus seinem Sacke in den ihrigen.
-
-»O thue das nicht, thue das nicht!« sagte die Frau, ihn erstaunt
-anblickend, »es wird Dir Schaden bringen.«
-
-In demselben Augenblicke kam Sambo heran. Er schien einen besondern
-Groll gegen dieses Weib zu haben; und während er deßhalb seine Peitsche
-schwang, rief er mit seinen rohen Kehllauten: »Was ist das hier? Luce,
--- Betrügereien?« stieß das Weib mit seinem schweren Schuh in die Seite,
-und hieb Tom mit der Peitsche über das Gesicht.
-
-Tom fuhr schweigend mit seiner Arbeit fort, aber die Frau, vorher schon
-gänzlicher Erschöpfung nahe, fiel in Ohnmacht.
-
-»Ich will sie wieder zu sich bringen!« sagte der Treiber mit viehischem
-Lachen. »Will ihr noch 'was Besseres geben als Kampher!« und indem er
-sodann eine Stecknadel von seinem Aermel zog, stieß er diese bis an den
-Knopf in ihr Fleisch hinein. Das Weib stöhnte, und erhob sich halb.
-»Steh' auf, Du Biest, und arbeite, willst Du?« rief Sambo, »oder ich
-will Dir noch was anderes zeigen.«
-
-Auf diese Weise zu einer unnatürlichen Kraft für einige Augenblicke
-angetrieben, arbeitete die Frau mit verzweifeltem Eifer weiter.
-
-»Sieh' Dich vor, daß Du so fortfährst,« sagte der Mann, »oder Du sollst
-wünschen, daß Du heut Abend noch todt wärst, -- glaubs mir!«
-
-»Das wünsch' ich jetzt schon!« hörte Tom sie sagen, und gleich darauf:
-»O Gott, wie lange noch! O Gott, warum hilfst Du uns nicht?«
-
-Auf die Gefahr jedes möglichen Uebels hin näherte sich ihr Tom abermals,
-und that alle seine Baumwolle in den Sack der Frau.
-
-»O Du mußt nicht! Du weißt nicht, was sie mit Dir machen werden!« sagte
-die Frau.
-
-»Ich kann's tragen!« sagte Tom, »eher als Du.« während er sich auf
-seinen Platz zurück begab. Es war das Werk eines Augenblicks.
-
-Plötzlich schlug die fremde Frau, die wir geschildert haben, und die im
-Laufe der Arbeit nahe genug an Tom heran gerückt war, um seine Worte
-hören zu können, ihre tiefen, schwarzen Augen auf, richtete sie auf Tom
-eine Sekunde lang, und nahm aus ihrem Korbe eine Quantität Baumwolle,
-und that sie in den seinigen.
-
-»Du kennst diesen Ort nicht,« sagte sie, »sonst würdest Du das nicht
-gethan haben. Wenn Du erst einen Monat hier gewesen bist, wirst Du
-Niemanden mehr helfen wollen, -- wirst es schwer genug finden, für Deine
-eigene Haut zu sorgen.«
-
-»Gott bewahre, Missis!« rief Tom, während er sich unwillkührlich gegen
-seine Mitarbeiterin auf dem Felde der Höflichkeitsform bediente, welche
-nur gegen die Personen höheren Standes üblich war, bei denen er gelebt
-hatte.
-
-»Gott ist nie an diesen Orten,« entgegnete die Frau, während sie gewandt
-mit ihrer Arbeit fortfuhr, und das verächtliche Lächeln wieder um ihre
-Lippen spielte.
-
-Allein die Handlung der Frau war von dem Treiber in einiger Entfernung
-wahrgenommen worden, und mit geschwungener Peitsche kam er deßhalb auf
-sie zu.
-
-»Was? was?« rief er ihr mit triumphirender Miene zu, »^Du^ --
-betrügen? bist jetzt unter mir, -- nimm' Dich in Acht, oder Du sollst es
-kriegen.«
-
-Ein Glanz wie Wetterleuchten fuhr plötzlich aus ihren schwarzen Augen,
-und sich mit bebenden Lippen umwendend, schoß sie einen wüthenden Blick
-auf den Treiber.
-
-»Hund!« rief sie, »berühre mich, wenn Du es wagst! Noch habe ich Macht
-genug, um Dich von den Hunden zerreißen, lebendig verbrennen, oder in
-Stücke zerschneiden zu lassen. Es kostet mich nur ein Wort!«
-
-»Wozu bist Du denn hier, zum Teufel?« sagte der Mann, augenscheinlich
-eingeschüchtert, sich einige Schritte zurückziehend. »Meinte nichts
-Böses, Misse Cassy!«
-
-»So entferne Dich von mir!« sagte die Frau. Und in der That schien der
-Mensch sehr geneigt, sich am andern Ende des Feldes ein Geschäft zu
-suchen, denn er zog sich sofort in möglichster Eile zurück.
-
-Plötzlich wandte sich die Frau wieder zu ihrem Geschäfte, und arbeitete
-mit einer Schnelligkeit, die Tom wirklich wunderbar erschien. Es war,
-als wenn sie mit Zauberkräften arbeitete. Ehe der Tag zu Ende war, hatte
-sich ihr Korb gefüllt, fast niedergepreßt, und hoch aufgehäuft, und
-dessen ungeachtet hatte sie mehrmals bedeutende Quantitäten in Tom's
-Korb gelegt. Lange nachdem die Abenddämmerung vorüber war, zog der
-ganze, ermüdete Haufe, mit den Körben auf den Köpfen, dem Gebäude zu, wo
-das Abwägen und Aufschichten der Baumwolle Statt fand. Legree befand
-sich dort, in angelegentlicher Unterhaltung mit seinen beiden Treibern.
-
-»Der Tom fängt an, schreckliche Unruhe zu machen; -- hat immerfort in
-Lucy's Korb gepackt. So Einer wird bald alle die Niggers aufsäßig und
-unzufrieden machen, wenn Master ihm nicht aufpaßt!« sagte Sambo.
-
-»Heisa! Der schwarze Schlingel!« sagte Legree. »Wird 'ne Dressur nöthig
-haben, -- nicht wahr, Jungens?«
-
-Beide Neger grinsten bei dieser Mittheilung auf entsetzliche Weise.
-
-»Master Legree wird ihn schon dressiren, -- das kann der Teufel selbst
-nicht besser, als Master!« sagte Quimbo.
-
-»Ich denke, Jungens, das beste Mittel ist, daß er's Auspeitschen
-besorgt, bis er seine Begriffe los wird,« sagte Legree.
-
-»O Herr! Master wird schwere Arbeit haben, bis er die aus ihm heraus
-bringt!« bemerkte Sambo.
-
-»Heraus müssen sie doch!« entgegnete Legree, während er seinen Taback im
-Munde umher wälzte.
-
-»Nun, da ist Lucy, -- das ärgerlichste, häßlichste Mensch auf der ganzen
-Plantage!« fuhr Sambo fort.
-
-»Nimm Dich in Acht, Sam,« sagte Legree, -- »werd's am Ende ausfinden,
-warum Du solchen Groll gegen Lucy hast.«
-
-»Ja, Master weiß, sie hat sich Master widersetzt, und hat mich nicht
-haben wollen, als ich's ihr sagte.«
-
-»Ich wollt's ihr schon einprügeln,« sagte Legree speiend, »aber 's gibt
-jetzt so viel Arbeit, und 's ist nicht erst der Mühe werth, sie gerade
-jetzt unter zu bringen. Sie ist nur schmächtig; aber diese Schmächtigen
-lassen sich halb umbringen, um ihren Willen zu behalten!«
-
-»Ja, aber Lucy war faul und eigensinnig, und wollte nichts thun, -- und
-Tom hat die Arbeit für sie gethan.«
-
-»Tom, -- wirklich? Na, dann soll Tom das Vergnügen haben, sie
-auszupeitschen. 'S wird 'ne gute Uebung für ihn sein, und er wird's ihr
-nicht so geben, wie Ihr, Teufels!«
-
-»Ho! ho! ho!« lachten die beiden schwarzen Schufte, und ihre
-diabolischen Laute schienen in der That kein unpassender Ausdruck des
-teuflischen Charakters zu sein, welchen Legree ihnen zuschrieb.
-
-»Ja, aber, Master, Tom und Misse Cassy haben beide Lucy's Korb gefüllt.
-Kann mir's Gewicht schon denken, Master.«
-
-»^Ich will das Abwägen besorgen!^« sagte Legree mit Nachdruck.
-
-Beide Treiber ließen von Neuem ihr teuflisches Lachen hören.
-
-»So?« fügte Legree hinzu, »Misse Cassy hat ihr Tagewerk gethan?«
-
-»Sie zupft wie der Teufel, und alle seine Engel!«
-
-»Sie hat sie, glaub' ich, alle in sich!« sagte Legree, und ging, während
-er einen rohen Fluch brummte, nach dem Wägezimmer.
-
- * * * * *
-
-Langsam schleppten sich die müden, muthlosen Geschöpfe in dasselbe, und
-boten furchtsam und kriechend ihre Körbe zum Wägen dar.
-
-Legree vermerkte den Betrag eines jeden auf einer Schiefertafel, auf
-deren Seite sich ein Namensverzeichniß Aller befand.
-
-Tom's Korb wurde gewogen und richtig befunden, worauf er mit ängstlichem
-Blicke den Erfolg der armen Frau beobachtete, die er in seine
-Freundschaft gezogen hatte.
-
-Wankend vor Mattigkeit, trat sie vor und übergab ihren Korb. Er hatte
-volles Gewicht, wie Legree wohl bemerkte; aber sich zornig stellend,
-sagte er:
-
-»Was, Du faules Thier, wieder zu wenig? tritt auf die Seite, -- sollst
-es kriegen, -- gleich!«
-
-Das Weib ließ ein Stöhnen der äußersten Verzweiflung hören, und setzte
-sich auf eine Bank nieder.
-
-Dann trat die Person, welche Misse Cassy genannt worden war, hervor, und
-überlieferte ihren Korb mit einer stolzen, nachlässigen Miene, während
-Legree sie mit einem höhnischen, fragenden Blicke beobachtete. Sie
-richtete ihre schwarzen Augen fest auf ihn, ihre Lippen bewegten sich
-leicht, und sie sagte etwas in französischer Sprache zu ihm. Was es war,
-verstand Niemand; aber Legree's Gesicht nahm bei diesen Worten einen
-dämonischen Ausdruck an, und er hob seine Hand auf wie zum Schlagen, --
-eine Bewegung, die sie mit stolzer Verachtung ansah, während sie sich
-abwandte und fortging.
-
-»Und nun,« sagte Legree, »komme Du her, Tom. Siehst Du, ich sagte Dir
-vorher, daß ich Dich nicht für gemeine Arbeit gekauft hätte. Ich will
-Dich erhöhen, und 'nen Aufseher aus Dir machen, und so kannst Du heut
-Abend gleich anfangen, und Deine Hand dazu thun. Also nimm' hier das
-Weib, und peitsche sie aus; hast schon genug davon gesehen, um zu
-wissen, wie Du's machst.«
-
-»Ich bitte Master um Verzeihung,« sagte Tom, -- »hoffe, Master wird das
-nicht von mir verlangen. Bin nicht daran gewöhnt, -- hab's nie gethan,
--- und kann's nicht thun, -- ganz unmöglich.«
-
-»Wirst noch Manches lernen müssen, was Du nie gewußt hast, eh' ich mit
-Dir fertig bin!« sagte Legree, während er die Peitsche aufhob, und Tom
-einen schweren Hieb über die Backe versetzte, und dann einen Schauer von
-Hieben nachfolgen ließ. »Da!« sagte er, als er inne hielt, um
-auszuruhen, -- »willst Du mir nun noch sagen, Du kannst nicht?«
-
-»Ja, Master,« entgegnete Tom, während er seine Hand aufhob, um das Blut
-abzuwischen, welches ihm vom Gesichte herabträufelte. »Ich bin bereit,
-Tag und Nacht, so lange Leben und Athem in mir ist, zu arbeiten; aber
-das halt' ich nicht für recht zu thun, -- und, Master, ich werde 's
-^nimmer^ thun, -- ^nimmer^!«
-
-Tom hatte eine außerordentlich sanfte, weiche Stimme, und beobachtete
-stets, gewohnheitsgemäß, ein ehrerbietiges Benehmen, was Legree zu dem
-Glauben veranlaßt hatte, daß er furchtsam und leicht zu unterwerfen sei.
-Als er diese letzten Worte sprach, überlief Alle ein Schreckensschauer;
-das arme Weib schlug seine Hände zusammen, und rief: »o Herr!« und alle
-Anwesenden blickten sich unwillkürlich gegenseitig an, und hielten den
-Athem an, wie um sich auf den Sturm vorzubereiten, der jetzt folgen
-müsse.
-
-Legree stand starr vor Verwunderung und ganz verwirrt da; endlich aber
-brach er los:
-
-»Was! Du verdammtes schwarzes Biest! Du willst mir sagen, Du hältst es
-nicht für recht zu thun, was ich Dir heiße? Was hat eins von Euch
-verfluchten Stücken Vieh nöthig, dran zu denken, was recht ist. Wart',
-ich will dem Dinge ein Ende machen! Was meinst Du denn, daß Du bist?
-Glaubst wohl, Du bist ein Herr, Mister Tom, der seinem Master sagen
-will, was recht ist, und was nicht! Bist also der Meinung, daß es
-unrecht sei, das Weib zu peitschen?«
-
-»Ich denke so, Master,« sagte Tom; »das arme Geschöpf ist krank und
-schwach; 's würde ganz grausam sein, und ich kann 's nimmer thun.
-Master, wenn Sie mich umbringen wollen, thun Sie's; aber meine Hand
-werd' ich niemals gegen irgend Einen hier aufheben, -- lieber will ich
-sterben!«
-
-Tom sprach mit sanfter Stimme, aber mit einer Bestimmtheit, die sich
-nicht verkennen ließ. Legree bebte vor Zorn; seine grünlichen Augen
-funkelten wild, und selbst sein Bart fing sich vor Leidenschaft an zu
-kräuseln; aber, gleich einem wilden Thiere, das mit seinem Opfer spielt,
-ehe es dasselbe verzehrt, hielt er seinen heftigen, inneren Drang zur
-augenblicklichen Gewaltthätigkeit zurück, und brach in bittere
-Spöttereien aus.
-
-»Sieh' da, hier ist endlich ein frommer Kerl unter uns Sünder gefallen!
--- ein Heiliger, ein Gentleman, nichts weniger, um uns Sündern unsere
-Sünden vorzuhalten! Muß 'ne mächtig fromme Kreatur sein! -- Hier, Du
-Schlingel, der Du so fromm sein willst, hast Du nie in der Bibel
-gelesen: »Ihr Knechte, seid unterthan Eurem leiblichen Herrn!« Bin ich
-nicht Dein Herr? Hab' ich nicht zwölfhundert Dollar baar Geld bezahlt
-für Alles, was in Deiner alten, verfluchten schwarzen Schale steckt?
-Bist Du nicht mein jetzt mit Leib und Seele?« rief er, Tom einen
-heftigen Stoß mit seinem schweren Stiefel versetzend, -- »sage mir!«
-
-Selbst in diesem heftigen physischen Leiden, und obgleich niedergebeugt
-von roher Gewalt, schoß dennoch bei dieser Frage ein Strahl von Freude
-und Triumph durch Toms Seele. Er richtete sich plötzlich auf, und
-inbrünstig zum Himmel blickend, während Thränen und Blut sich auf seiner
-Wange mischten, rief er:
-
-»Nein! nein! nein! meine Seele gehört Ihnen nicht, Master! Sie haben sie
-nicht gekauft, -- Sie können sie nicht kaufen! ^Die^ ist gekauft und
-bezahlt worden von Einem, der fähig ist, sie zu bewahren; -- thut
-nichts, thut nichts, Sie können mir kein Leid zufügen!«
-
-»Ich kann nicht?« sagte Legree mit höhnischem Lächeln; »wollen seh'n! --
-wollen seh'n! Hier, Sambo, Quimbo, gebt diesem Hunde 'ne solche Dressur,
-daß er für diesen Monat genug hat!«
-
-Die beiden gigantischen Neger, welche mit teuflischer Freude in ihren
-Gesichtern sich jetzt Toms bemächtigten, wären nicht ungeeignet gewesen,
-die Mächte der Finsterniß persönlich darzustellen. Die arme Frau schrie
-laut auf vor Schrecken, und Alle, wie von demselben Impulse getrieben,
-erhoben sich, während Tom, ohne Widerstand zu leisten, hinausgeschleppt
-wurde.
-
-
-
-
-Vierunddreißigstes Kapitel.
-
-Die Geschichte der Quadroon.
-
- Da lobte ich die Todten, die schon gestorben
- waren, mehr denn die Lebendigen, die noch das
- Leben hatten.
-
-
-Es war Nacht, und Tom lag allein, stöhnend und blutend in einem alten,
-verlassenen Zimmer des Gin-Hauses zwischen Stücken zerbrochenen
-Maschinenwerks, Haufen verdorbener Baumwolle und anderem Unrath, der
-hier aufbewahrt wurde.
-
-Die Nacht war feucht und warm, und die dicke Atmosphäre war angefüllt
-von Myriaden Moskitos, welche die Qualen seiner Wunden vermehrten,
-während ein brennender Durst, -- die größte aller Torturen, -- das
-höchste Maaß physischer Leiden füllte.
-
-»O guter Gott! Sieh' herab, -- verleihe mir den Sieg, -- den Sieg über
-Alles!« betete der arme Tom in seiner Todesangst.
-
-Ein menschlicher Fußtritt wurde plötzlich im Zimmer gehört, und das
-Licht einer Laterne fiel auf seine Augen.
-
-»Wer ist da? O um des Herrn willen, reicht mir ein wenig Wasser!«
-
-Die Frau Cassy -- denn sie war es -- setzte die Laterne nieder, goß
-Wasser aus einer Flasche, erhob seinen Kopf, und gab ihm zu trinken.
-Noch einen Becher, und noch einen leerte er in seinem fieberischen
-Durste.
-
-»Trink so viel Du willst,« sagte sie, »ich wußte schon, wie es sein
-würde! 's ist nicht das erste Mal, daß ich in der Nacht ausgegangen
-bin, um solchen Leuten, wie Du jetzt bist, Wasser zu bringen.«
-
-»Dank' Euch, Missis,« sagte Tom, nachdem er getrunken hatte.
-
-»Nenne mich nicht Missis! Ich bin eine elende Sklavin, gleich Dir, --
-eine niedrigere, als Du je werden kannst!« sagte sie in bitterem Tone;
-»aber nun,« fügte sie hinzu, an die Thür gehend, und einen kleinen
-Strohsack hereinziehend, über welchen sie leinene, in kaltes Wasser
-getauchte Tücher gelegt hatte, »versuche es, mein armer Bursche, Dich
-auf diesen Sack zu rollen.«
-
-Steif von Wunden und Quetschungen brauchte Tom lange Zeit, ehe er diese
-Bewegung vollbrachte; dann aber empfand er eine merkliche Erleichterung
-durch die kühlenden Umschläge auf seinen Wunden.
-
-Die Frau, welche durch eine lange Praxis an den Opfern der Rohheit
-manche heilende Künste erlernt hatte, legte mehrfache Verbände auf Toms
-Wunden, welche ihm Linderung seiner Schmerzen bereiteten.
-
-»Nun,« sagte die Frau, nachdem sie ihm noch eine Rolle schadhafter
-Baumwolle als Kissen untergelegt hatte, »das ist Alles, was ich für Dich
-thun kann.«
-
-Tom dankte ihr, und die Frau setzte sich auf den Boden nieder, zog ihre
-Kniee an, und diese mit den Armen umfassend, blickte sie mit einem
-bitteren, schmerzlichen Ausdrucke ihres Gesichts starr vor sich hin. Ihr
-Hut fiel zurück, und langes, üppiges, schwarzes Haar strömte um ihr
-sonderbares, melancholisches Gesicht.
-
-»Es ist vergeblich, mein armer Mensch!« begann sie endlich, »Es ist
-vergeblich, was Du zu thun versucht hast. Warst ein braver Bursche, --
-und hattest das Recht auf Deiner Seite; aber 's hilft Dir alles nichts,
-dagegen zu kämpfen. Du bist in des Teufels Händen; -- er ist der
-Stärkere, und Du mußt nachgeben!«
-
-»Nachgeben!« und hatten nicht menschliche Schwäche und physischer
-Schmerz ihm das schon zuvor in's Ohr geflüstert? Tom erschrak; denn das
-bittere Weib mit den wilden Augen und der melancholischen Stimme
-erschien ihm als die verkörperte Versuchung, gegen die er gekämpft
-hatte.
-
-»O Herr! o Herr!« stöhnte er, »wie kann ich nachgeben?«
-
-»Es hilft nichts, den Herrn anrufen, -- er hört es nie,« sagte die Frau
-mit ruhiger, fester Stimme. »Ich glaube, es gibt keinen Gott; oder, wenn
-es einen gibt, so hat er gegen uns Partei genommen. Alles ist gegen uns,
-Himmel und Erde; Alles hilft dazu, uns in die Hölle zu stoßen; -- warum
-sollten wir nicht gehen?«
-
-Tom schloß seine Augen, und schauderte vor den finsteren, atheistischen
-Worten.
-
-»Siehst Du,« fuhr die Frau fort, »Du verstehst davon nichts, -- aber
-ich. Ich bin hier fünf Jahre gewesen, mit Leib und Seele unter dieses
-Mannes Fuß, und hasse ihn wie den Teufel! Du bist hier auf einer
-einsamen Pflanzung, zehn Meilen von jeder andern entfernt, in den
-Sümpfen; und keine weiße Person ist hier, die Zeugniß ablegen könnte,
-wenn Du auch lebendig verbrannt, oder geschunden, in Stücke gehauen, den
-Hunden vorgeworfen, oder aufgehängt und zu Tode gepeitscht würdest. Es
-gibt kein göttliches und kein menschliches Gesetz hier, das Dir von
-Nutzen sein könnte, und dieser Mann! -- es gibt Nichts, das er zu gut zu
-thun wäre. Ich könnte Dein Haar sträuben und Deine Zähne klappern
-machen, wenn ich Dir erzählen wollte, was ich hier gesehen und gehört
-habe; -- es hilft nichts, hier Widerstand zu leisten! -- ^Wollte^ ich
-etwa mit ihm leben? War ich nicht ein Weib, das eine feine Erziehung
-erhalten hatte? und er -- Gott im Himmel! was war er, und was ist er?
-Und dennoch habe ich mit ihm seit fünf Jahren gelebt, und jeden
-Augenblick meines Lebens verflucht, -- Nacht und Tag! Und jetzt hat er
-eine Neue bekommen, -- ein junges Ding, erst fünfzehn Jahre alt, und
-fromm erzogen, wie sie sagt. Ihre gute Mistreß hat sie gelehrt, die
-Bibel lesen, und sie hat ihre Bibel mitgebracht, -- mit in die Hölle!«
--- und das Weib stieß ein wildes, schmerzliches Lachen aus, das mit
-sonderbarem, übernatürlichem Klange durch den verfallenen alten Schuppen
-schallte.
-
-Tom faltete seine Hände. Alles war Schrecken und Finsterniß.
-
-»O Jesus! Herr Jesus! hast Du uns arme Geschöpfe ganz vergessen?« fing
-er endlich an zu klagen. »O hilf, Herr! ich komme um!«
-
-Das Weib fuhr in strengem Tone fort:
-
-»Und was sind diese elenden, niedrigen Geschöpfe, mit denen Du
-arbeitest, daß Du um ihretwillen leiden solltest? Ein Jeder von ihnen
-würde sich bei der ersten Gelegenheit gegen Dich wenden. Sie sind Alle
-gegen einander so gemein und grausam wie nur möglich. Es ist ganz
-nutzlos, daß Du leidest, um ihnen nicht wehe zu thun.«
-
-»Arme Geschöpfe!« sagte Tom, -- »was machte sie grausam? -- und, wenn
-ich nachgebe, so werd' ich mich d'ran gewöhnen, und werde nach und nach
-auch so werden, wie sie sind! Nein, nein, Missis! ich habe Alles
-verloren, -- Weib, Kinder und Heimath, und einen guten Master, der mich
-frei gelassen haben würde, wenn er noch eine Woche länger gelebt hätte;
-ich habe Alles in ^dieser^ Welt verloren, und 's ist dahin für immer,
--- und nun ^kann^ ich nicht den Himmel auch noch verlieren; -- nein,
-ich kann nicht auch noch schlecht werden!«
-
-»Aber es ist unmöglich, daß der Herr die Sünde in unser Schuldbuch
-schreiben werde,« sagte die Frau; »er wird sie uns nicht zurechnen, wenn
-wir dazu gezwungen werden; er wird sie denen zurechnen, die uns dazu
-getrieben haben.«
-
-»Ja,« sagte Tom; »aber das wird uns nicht dagegen schützen, schlecht zu
-werden. Wenn ich so hartherzig und so böse werden sollte, wie jener
-Sambo, so würde 's mir am Ende gleich sein, wie ich dazu gekommen wäre;
-es ist das ^so sein^, -- das ist's, was ich fürchte.«
-
-Die Frau richtete einen wilden, überraschten Blick auf Tom, als wenn ein
-neuer Gedanke in ihr aufgestiegen sei; dann sagte sie tief seufzend:
-
-»O Gott sei uns gnädig! Du sagst die Wahrheit! O! O! O!« -- und stöhnend
-sank sie wie zerschmettert und im tiefsten Seelenschmerz sich krümmend
-auf den Boden nieder.
-
-Es trat eine Pause ein, während deren das Athmen Beider hörbar war, bis
-Tom mit schwacher Stimme sagte: »O, bitte, Missis!«
-
-Die Frau erhob sich, und ihr Gesicht hatte wieder den gewöhnlichen
-ernsten, melancholischen Ausdruck angenommen.
-
-»Bitte, Missis, ich sah, daß sie meinen Rock in jene Ecke warfen, und in
-der Tasche ist meine Bibel; -- wenn Missis so gut sein wollte, sie mir
-zu reichen.«
-
-Cassy ging und holte die Bibel. Tom öffnete sofort eine besonders
-markirte, viel gelesene Stelle aus den letzten Lebensaugenblicken
-Desjenigen, durch dessen Streiche und Leiden wir geheilt worden sind.
-
-»Wenn Missis doch so gut sein wollte, hier -- das zu lesen, 's ist noch
-besser als Wasser.«
-
-Cassy nahm das Buch mit kalter, stolzer Miene, und blickte über die
-Stelle. Dann las sie mit sanfter Stimme und mit eigenthümlichem, schönem
-Ausdrucke die rührende Schilderung seines Todesschmerzes und seiner
-Glorie. Oefters, während des Lesens, stockte ihre Stimme, oder versagte
-gänzlich, und dann hielt sie mit einer Miene kalter Ruhe inne, bis sie
-sich wieder vollständig gesammelt hatte. Als sie an die rührenden Worte
-kam: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!« ließ
-sie das Buch fallen, barg ihr Gesicht in die dunkle Fülle ihrer Haare,
-und begann laut und mit krampfhafter Heftigkeit zu schluchzen.
-
-Tom weinte auch und ließ zuweilen einen unterdrückten Ausruf hören.
-
-»Wenn wir nur das erreichen könnten!« sagte Tom; »es schien bei ihm so
-natürlich zu sein, und wir müssen so schwer darum kämpfen! O Herr, hilf
-uns! o heiliger Herr Jesus, hilf uns!«
-
-Nach einer Weile fuhr Tom fort: »Missis, ich kann das ganz deutlich
-sehen, Missis ist in allen Dingen weit über mir, aber da ist eins, das
-Missis selbst vom armen Tom lernen könnte. Ihr sagtet, der Herr habe
-Partei gegen uns genommen, weil er zuläßt, daß man uns zu Boden schlägt
-und mißhandelt: aber Ihr seht, was seinem eigenen Sohne widerfahren ist,
--- dem Herrn der Herrlichkeit, -- war er nicht immer arm? und ist Einer
-von uns schon so elend geworden, wie er war? Nein, Gott hat uns nicht
-vergessen, -- das weiß ich gewiß! Wenn wir mit ihm leiden, so werden wir
-auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden, sagt die Schrift; aber wenn
-wir Ihn verleugnen, so wird er uns auch verleugnen. Haben sie nicht Alle
-gelitten? -- der Herr und die Seinigen? Hören wir nicht, wie sie
-gesteinigt und auseinander gesägt wurden, und wie sie in Schaaffellen
-und Ziegenhäuten umherwanderten, und hülflos, und betrübt, und gequält
-waren? Leiden ist kein Grund, um uns glauben zu lassen, daß sich der
-Herr von uns gewendet habe, sondern gerade das Gegentheil, wenn wir zu
-ihm halten und nicht der Sünde weichen.«
-
-»Aber warum setzt er uns dahin, wo wir nicht anders können, als
-sündigen?« sagte die Frau.
-
-»Ich glaube, wir ^können^ anders,« entgegnete Tom.
-
-»Du wirst es sehen,« sagte Cassy; »was willst Du thun? Morgen werden sie
-wieder über Dich herfallen. Ich kenne sie; ich habe alle ihre Thaten
-gesehen; ich kann nicht an alles das denken, was sie noch über Dich
-bringen werden, -- und zuletzt wirst Du doch nachgeben müssen!«
-
-»Herr Jesus!« sagte Tom, »Du ^willst^ Dich meiner Seele annehmen? O
-Herr, thue es! -- lasse mich nicht wanken!«
-
-»O mein Gott!« sagte Cassy; »Ich habe alles dieses Schreien und Beten
-schon oft gehört, und dennoch sind sie gebrochen und bezwungen worden.
-Da ist Emmeline, die sich zu halten versucht, und Du versuchst, -- aber
-was hilft es? Du mußt nachgeben, oder Dich langsam umbringen lassen.«
-
-»Gut, so ^will^ ich sterben!« sagte Tom. »Sie mögen es in die Länge
-ziehen, so weit sie können, sie können doch nicht verhindern, daß ich
-endlich sterbe! -- und dann können sie nichts mehr thun. Das ist klar,
-ich bin bereit! Ich ^weiß^, der Herr wird mir helfen und mich hindurch
-führen.«
-
-Die Frau antwortete nicht; sie blieb schweigend sitzen, während sie mit
-ihren schwarzen Augen vor sich hin auf den Boden starrte.
-
-»Vielleicht ist das der rechte Weg,« murmelte sie für sich; »aber für
-Diejenigen, die es einmal aufgegeben haben, ist keine Hoffnung mehr, --
-keine! Wir leben in Schmutz, und werden eckelhaft, bis wir uns selbst
-zum Eckel werden! Wir sehnen uns danach, zu sterben, und haben nicht den
-Muth, uns selbst zu tödten! -- Keine Hoffnung! keine! keine! -- das
-Mädchen, grade so alt, wie ich war!«
-
-»Du siehst mich jetzt,« fuhr sie zu Tom gewendet fort, und sehr schnell
-sprechend, -- »siehst, was ich jetzt bin! Wohl, ich bin in Luxus erzogen
-worden. Das erste, dessen ich mich entsinne, ist, daß ich als Kind in
-glänzenden Zimmern spielte, -- daß ich wie eine Puppe gekleidet ging,
-und von aller Welt gelobt und gepriesen wurde. Eine Glasthür führte aus
-dem Salon in den Garten, und dort pflegte ich mit meinen Geschwistern zu
-spielen. Ich wurde in ein Kloster gebracht, und lernte Musik,
-Französisch und feine Stickerei und wer weiß was Alles; und als ich
-vierzehn Jahre alt war, verließ ich es, um dem Begräbnisse meines Vaters
-beizuwohnen. Er starb plötzlich, und als der Nachlaß regulirt werden
-sollte, ergab sich's, daß kaum genug vorhanden war, um seine Schulden zu
-decken; und die Gläubiger nahmen ein Inventarium auf, und ich wurde mit
-darin verzeichnet. Meine Mutter war eine Sklavin gewesen, und mein Vater
-hatte stets die Absicht gehabt, mich für frei zu erklären; aber er hatte
-es nicht gethan, und so wurde ich mit in das Verzeichniß aufgenommen. Es
-war mir von jeher bekannt gewesen, was ich war, aber ich hatte nie viel
-daran gedacht. Man glaubte nie, daß ein starker, gesunder Mann plötzlich
-sterben könne. Mein Vater war noch vier Stunden vor seinem Tode gesund
-und wohl. Es war einer der ersten Cholerafälle in New-Orleans. Am Tage
-nach dem Begräbniß nahm die Frau meines Vaters ihre Kinder und ging
-damit nach der Plantage ihres Vaters. Ich dachte, sie behandelten mich
-recht sonderbar, aber ich verstand es nicht. Es war da ein junger
-Advokat, der den Auftrag hatte, die Geschäfte in Ordnung zu bringen;
-dieser kam jeden Tag und sprach sehr höflich mit mir. Eines Tages
-brachte er einen jungen Mann mit sich, den ich für den schönsten hielt,
-den ich jemals gesehen hatte. Ich werde niemals jenen Abend vergessen.
-Wir gingen zusammen im Garten spazieren. Ich fühlte mich so einsam und
-so traurig, und er war so sanft und so freundlich gegen mich, und
-erzählte mir, daß er mich schon früher gesehen habe, ehe ich nach dem
-Kloster gebracht worden sei, und daß er mich so lange geliebt habe, und
-daß er mein Freund und Beschützer sein wolle; -- kurz, obgleich er es
-mir nicht sagte, er hatte zweitausend Dollar für mich bezahlt, und ich
-war sein Eigenthum. Ich wurde es gern, denn ich liebte ihn. -- Liebte!«
-wiederholte die Frau inne haltend. »O! wie liebte ich ihn! wie liebe ich
-ihn jetzt noch, -- und werde ihn ewig lieben, so lange ich athme! Er war
-so schön, so erhaben, so edel! Er wies mir ein schönes Haus an, mit
-Dienern, Pferden und Wagen, mit Möbeln und schönen Kleidungsstücken.
-Alles was Geld erkaufen konnte, gab er mir; aber ich legte keinen Werth
-darauf, -- er galt mir über Alles. Ich liebte ihn mehr als Gott und
-meine Seele; und ich konnte nichts Anderes thun, als was er wünschte.
-
-Nur einen Wunsch hegte ich, -- den, daß er mich ^heirathen^ solle.
-Ich dachte, wenn er mich so liebte wie ich ihn, und wenn ich das
-wirklich war, wofür er mich zu halten schien, so würde er gern bereit
-sein, mich zu heirathen und in Freiheit zu setzen. Allein er überzeugte
-mich davon, daß es unmöglich sei, und sagte mir, daß wenn wir einander
-treu seien, es eine Ehe vor Gott sei. Wenn das wahr ist, war ich denn
-nicht jenes Mannes Weib? War ich nicht treu? Bewachte ich nicht sieben
-Jahre lang jeden Blick und jede Bewegung, nur bemüht, ihm zu gefallen?
-Er bekam das gelbe Fieber, während dessen ich zwanzig Tage und Nächte
-bei ihm wachte. Ich allein; -- ich reichte ihm alle seine Arzneien, und
-verrichtete jede Dienstleistung für ihn, und er nannte mich seinen guten
-Engel, und sagte, daß ich ihm das Leben gerettet habe.
-
-Wir hatten zwei schöne Kinder. Das erste war ein Knabe, den wir Henry
-nannten. Er war das Abbild seines Vaters; -- er hatte so schöne Augen,
-eine so schöne Stirn und so schöne, lange Locken, -- und ganz seines
-Vaters Geist und Fähigkeiten! Die kleine Elise war mir ähnlich, wie ihr
-Vater sagte. Er pflegte mich das schönste Weib in Louisiana zu nennen
-und mich zu versichern, daß er stolz auf mich und die Kinder sei. Er
-sah es gern, daß ich sie hübsch anzog, um mit ihnen und mir sodann in
-einem offenen Wagen umherzufahren und die Bemerkungen der Leute über uns
-zu hören; und fortwährend erzählte er mir nachher die Lobsprüche, die
-über mich und die Kinder geäußert worden waren. O, das waren glückliche
-Tage! Ich fühlte mich so glücklich, wie ein Mensch nur sein konnte; aber
-dann kamen böse Zeiten. Es war ein Cousin von New-Orleans gekommen, der
-sein intimster Freund war, -- und von dem er außerordentlich viel hielt.
-Allein vom ersten Augenblicke, wo ich ihn sah, fürchtete ich ihn, ohne
-zu wissen, weßhalb; denn ich fühlte die Gewißheit in mir, daß er Unglück
-über uns bringen werde. Er verleitete Henry, mit ihm auszugehen, und
-kehrte oft erst um zwei oder drei Uhr nach Hause. Ich wagte nichts
-darüber zu sagen, denn Henry war heftigen Temperaments, und ich
-fürchtete mich. Er ließ sich von seinem Cousin in Spielhäuser führen,
-und er war einer von denjenigen, die, wenn sie einmal dort gewesen sind,
-sich nicht mehr davon zurückhalten lassen. Bald darauf machte ihn jener
-mit einer andern Dame bekannt, und ich bemerkte bald, daß sein Herz sich
-von mir gewendet hatte. Er sagte mir es nie, aber ich sah es deutlich,
--- ich fühlte es jeden Tag mehr, -- mein Herz brach, aber ich konnte
-kein Wort darüber sagen! Dann erbot sich jener Elende, mich und die
-Kinder von Henry zu kaufen, um seine Spielschulden davon bezahlen zu
-können, welche ihn verhinderten, sich so zu verheirathen, wie er
-wünschte; -- und ^er verkaufte uns^! Er sagte mir eines Tages, daß er
-Geschäfte auf dem Lande habe, und zwei oder drei Wochen abwesend sein
-werde. Er sprach freundlicher, als gewöhnlich, und versicherte mich, daß
-er zurückkehren werde; allein ich ließ mich dadurch nicht täuschen. Ich
-wußte, daß die Zeit gekommen sei. Mir war, als sei ich in Stein
-verwandelt worden: ich konnte weder sprechen, noch eine Thräne
-vergießen. Er küßte mich und die Kinder viele, viele Male, und ging
-hinaus. Ich sah ihn noch das Pferd besteigen und folgte ihm mit den
-Augen, bis er meinen Blicken entschwand. Dann sank ich ohnmächtig
-nieder.
-
-Dann kam ^er^, der verfluchte Elende! -- und nahm Besitz von mir. Er
-sagte mir, daß er mich und meine Kinder gekauft habe, und zeigte mir die
-Papiere. Ich verfluchte ihn vor Gott und sagte ihm, daß ich lieber
-sterben als mit ihm leben würde.
-
-›Ganz wie Du willst,‹ entgegnete er, ›aber wenn Du dich nicht
-vernünftig beträgst, so verkaufe ich beide Kinder, so daß Du sie nie im
-Leben wieder siehst.‹ Er sagte mir, daß es vom ersten Augenblicke an,
-wo er mich gesehen, seine Absicht gewesen sei, mich zu besitzen, und daß
-er Henry absichtlich verleitet und in Schulden gestürzt habe, um ihn
-dazu zu bringen, mich zu verkaufen; daß er ihn aus demselben Grunde zu
-dem Verhältniß mit einer andern Dame geführt habe, und daß er selbst
-endlich nicht gesonnen sei, seinen Plan um ein paar Thränen halber
-aufzugeben.
-
-Ich gab nach, denn meine Hände waren gebunden. Er hatte meine Kinder in
-seiner Gewalt; und sobald ich mich irgendwie seinem Willen widersetzte,
-fing er davon an zu sprechen, daß er sie verkaufen wolle, und machte
-mich dadurch so unterwürfig, als er nur wünschte. O, was für ein Leben
-war das! Jeden Tag mit brechendem Herzen leben und liebevoll und
-zärtlich sein zu müssen, während es doch nichts als Elend war; und mit
-Leib und Seele an jemanden gebunden zu sein, den ich haßte. Meinem Henry
-las ich gern vor, ich spielte und tanzte mit ihm, oder sang ihm etwas
-vor; aber Alles, was ich für diesen thun mußte, war mir eine Qual; --
-und dennoch wagte ich nicht, irgend Etwas zu verweigern. Sein Benehmen
-war herrisch und hart gegen die Kinder. Elise war ein kleines,
-furchtsames Wesen; aber Henry war wie sein Vater kühn und muthig, und
-hatte sich nie durch irgend Jemanden zur Unterwürfigkeit bringen lassen.
-Ihn tadelte und schalt er fortwährend, und ich lebte in steter Angst.
-Ich bemühte mich, den Knaben ehrerbietiger zu machen, -- ich suchte ihn
-von ihm entfernt zu halten, denn ich hing an diesen Kindern mit meinem
-ganzen Leben; aber es half nichts. ^Er verkaufte beide Kinder.^ Eines
-Tags nahm er mich mit auf eine Spazierfahrt, und als ich zu Hause kam,
-waren sie verschwunden! Er sagte mir, daß er sie verkauft habe und er
-zeigte mir das Geld, den Preis ihres Blutes.
-
-Von nun an schien mich alles Gute zu verlassen. Ich raste und fluchte,
--- fluchte Gott und Menschen; und eine Zeit lang fürchtete er sich
-wirklich vor mir. Allein er gab nicht nach. Er sagte mir, daß meine
-Kinder verkauft seien, aber daß, ob ich ihre Gesichter je wiedersähe,
-von ihm abhänge, und daß, wenn ich mich nicht ruhig verhalte, meine
-Kinder dafür leiden sollten. Du kannst mit einer Frau Alles thun, wenn
-Du ihre Kinder hast. Er machte mich demüthig, er brachte mich zur Ruhe;
-er schmeichelte mir mit Hoffnungen, daß er sie zurückkaufen werde, und
-so verfloßen einige Wochen. Eines Tages ging ich spazieren, und kam am
-Stockhause vorüber. Ich sah eine große Menschenmenge vor dem Thore
-versammelt und hörte eine Kinderstimme, -- und plötzlich riß sich mein
-Henry von zwei oder drei Männern los, die ihn hielten, und lief
-schreiend auf mich zu und erfaßte mein Kleid. Jene kamen fluchend hinter
-ihm her, und ein Mann, dessen Gesicht ich nie vergessen werde, sagte
-ihm, daß er so nicht davon kommen solle, daß er mit ihm in's Stockhaus
-gehe und daß er dort eine Lehre bekommen solle, die er nicht so leicht
-vergessen werde. Ich bat und flehte für ihn, -- aber die Männer lachten
-nur dazu; der arme Knabe schrie und schaute mir in's Gesicht, und hielt
-sich an mir fest, bis sie ihn losreißend den Rock meines Kleides halb
-mit abrissen; und dann schleppten sie ihn, während er ›Mutter! Mutter!
-Mutter!‹ schrie, fort. Ein Mann stand dabei, der Mitleid zu haben
-schien. Ich bot ihm alles Geld an, was ich hatte, wenn er mir beistehen
-wolle; aber er schüttelte seinen Kopf und entgegnete, daß der Mann ihm
-gesagt habe, der Knabe sei ungehorsam und ungezogen vom ersten
-Augenblicke an gewesen, daß er ihn gekauft und daß er ihm jetzt ein für
-allemal eine Dressur geben wolle. Ich wandte mich um und rannte davon,
-und auf jedem Schritte glaubte ich noch sein Geschrei zu hören. Ich
-gelangte in das Haus und eilte athemlos in das Zimmer, wo sich Butler
-befand. Ich sagte es ihm und flehte ihn an, sich des Knaben anzunehmen;
-aber er lachte nur und antwortete mir, daß der Knabe bekomme, was er
-verdiene, und daß er dressirt werden müsse, je eher, desto besser.
-
-Es war mir, als wenn irgend etwas in diesem Augenblicke in meinem Kopfe
-springe. Ich wurde rasend und verlor die Besinnung. Dunkel entsinne ich
-mich noch, daß ich ein großes Messer auf dem Tische liegen sah, daß ich
-darnach griff und auf ihn zu sprang; dann wurde Alles schwarz vor mir,
-und was nachher mit mir geschah, -- davon weiß ich viele, viele Tage
-lang nichts.
-
-Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem reinlichen Zimmer,
--- aber nicht dem meinigen. Ein altes, schwarzes Weib bediente mich, und
-ein Arzt besuchte mich, und große Aufmerksamkeit wurde mir überhaupt
-geschenkt. Bald nachher erfuhr ich, daß er den Ort verlassen und mich in
-diesem Hause zurückgelassen habe, um verkauft zu werden. Das war der
-Grund, weßhalb man mir so große Sorgfalt bewies.«
-
-»Mein Wunsch und meine Hoffnung war, nicht wieder gesund zu werden; aber
-trotz dessen verließ mich das Fieber, ich wurde gesund und stand endlich
-wieder auf. Dann wurde ich gezwungen, mich jeden Tag zu putzen; und
-Herren kamen herein, und rauchten ihre Cigarren, und betrachteten mich,
-und richteten Fragen an mich, und sprachen über meinen Preis. Ich war
-stumm und finster, so daß Niemand mich kaufen wollte. Man drohte mir mit
-der Peitsche, wenn ich nicht heitrer wäre und mir mehr Mühe gäbe, mich
-angenehm zu machen. Endlich kam eines Tages ein Herr, Namens Stuart, der
-etwas Gefühl für mich zu haben schien. Er sah, daß etwas Schreckliches
-an meinem Herzen nage, und kam sehr oft allein, und beredete mich
-endlich, mich ihm mitzutheilen. Er kaufte mich und versprach mir, Alles,
-was er könne, zu thun, um meine Kinder zu ermitteln und zurückzukaufen.
-Er ging nach dem Hotel, wo mein Henry gewesen war; aber man sagte ihm,
-daß er an einen Pflanzer am Perlfluß verkauft worden sei, und das war
-das letzte, was ich über ihn gehört habe. Dann fand er meine Tochter,
-die von einem alten Weibe gehalten wurde. Er bot eine ungeheure Summe,
-aber sie sollte nicht verkauft werden. Butler hatte in Erfahrung
-gebracht, daß er sie für mich kaufen wolle, und ließ mir deßhalb
-anzeigen, daß ich sie nie wieder haben solle. Kapitän Stuart war sehr
-gütig gegen mich. Er besaß eine große Pflanzung und führte mich dahin.
-Im Laufe eines Jahres gebar ich einen Sohn. O, das Kind, wie liebte ich
-es! Wie ähnlich das kleine Wesen meinem armen Henry war! Aber mein
-Entschluß war gefaßt. Ich wollte nie wieder ein Kind am Leben erhalten,
-um es aufwachsen zu lassen. Ich nahm das kleine Geschöpf in meine Arme,
-als es vierzehn Tage alt war, und küßte es und weinte über ihm; und dann
-flößte ich ihm Laudanum ein, und hielt es an meinen Busen, während es
-zum Tode einschlief. Ich trauerte und weinte über es, und Niemand
-glaubte anders, als daß ich dem Kinde aus Irrthum Laudanum gegeben habe;
-aber es ist eins der wenigen Dinge, deren ich mich jetzt noch freue. Ich
-habe nie bereut, es gethan zu haben, denn das arme Wesen ist nun
-wenigstens frei von Schmerzen. Was konnte ich ihm Besseres geben, als
-den Tod?«
-
-»Bald nachher kam die Cholera, und Kapitän Stuart starb. Jeder starb,
-der zu leben wünschte, -- und ich, -- ich, obgleich ich bis an die
-Pforten des Grabes gebracht wurde, -- ich mußte ^leben^! Dann wurde
-ich verkauft und ging von einer Hand in die andere, bis ich verwelkt war
-und runzelig wurde, und das Fieber gehabt hatte. Dann kaufte mich dieser
-Elende, und brachte mich hierher, -- und hier bin ich!«
-
-Die Frau hielt inne. Sie war wild und leidenschaftlich über ihre
-Erzählung hingeeilt, bald ihre Worte an Tom richtend, bald wie im
-Selbstgespräche redend. So gewaltig und hinreißend war die Kraft ihrer
-Rede, daß Tom selbst die Schmerzen seiner Wunden vergaß, und, sich auf
-einen Ellbogen stützend, sie aufmerksam beobachtete, während sie ruhelos
-auf und nieder schritt, und ihr langes, schwarzes Haar um ihre Schultern
-schwer herabfiel.
-
-»Du sagst mir,« fuhr sie nach einer Pause fort, »daß es einen Gott gebe,
--- einen Gott, der herabblicke und alle diese Dinge sehe. Mag sein! --
-Die Schwestern im Kloster erzählten mir von einem Tage des Gerichts, an
-welchem Alles an das Licht kommen werde; -- o, das wird ein Tag der
-Vergeltung sein!«
-
-»Die Menschen glauben, es sei nichts, was wir leiden, -- nichts, was
-unsere Kinder leiden! -- es sei Alles nur Kleinigkeit; und doch bin ich
-oft durch die Straßen gegangen und glaubte so viel Elend und Jammer in
-meinem eigenen Herzen zu haben, daß die Stadt darüber versinken müsse.
-Ich wünschte, daß die Häuser auf mich fallen und die Steine unter mir
-versinken möchten! Ja! am Tage des Gerichts will ich vor Gott hintreten
-und Zeugniß gegen Jene ablegen, die mich und meine Kinder an Leib und
-Seele ruinirt haben!«
-
-»Als ich noch ein Mädchen war, glaubte ich, ich sei fromm; ich liebte
-Gott und betete gern. Jetzt bin ich eine verlorene Seele, von Teufeln
-verfolgt, die mich Tag und Nacht plagen, -- die mich immer weiter und
-weiter treiben, -- und ich ^will^ es thun, -- bald, recht bald!« sagte
-sie, ihre Faust ballend, während ein sinnverwirrter Blick aus ihren
-schwarzen Augen hervorschoß. »Ich will ihn dahin schicken, wohin er
-gehört, -- und auf recht kurzem Wege, -- in einer dieser Nächte, -- und
-wenn sie mich lebendig verbrennen!«
-
-Ein wildes, anhaltendes Lachen scholl durch den öden Raum und endete in
-hysterischem Schluchzen, während sie sich mit krampfhafter Heftigkeit
-auf die Erde niederwarf. Wenige Augenblicke nachher war dieser Anfall
-vorüber; sie erhob sich langsam und schien sich zu sammeln.
-
-»Kann ich sonst noch etwas für Dich thun, mein armer Mensch?« sagte sie,
-sich Tom nähernd; -- »soll ich Dir mehr Wasser geben?«
-
-Bei diesen Worten lag in ihrer Stimme und in ihrem Wesen eine anmuthige,
-mitleidsvolle Sanftmuth, die in sonderbarem Gegensatze zu ihrer
-vorherigen Wildheit stand.
-
-Tom trank das Wasser und blickte sie ernst und traurig an.
-
-»O Missis,« sagte er, »ich wünschte, Ihr wolltet Euch zu Ihm wenden, der
-Euch lebendiges Wasser reichen kann!«
-
-»Zu ihm wenden! Wo ist er? wo ist er?« sagte Cassy.
-
-»Zu Ihm, von dem Ihr mir vorgelesen habt, -- dem Herrn!«
-
-»Als ich noch ein Mädchen war, sah ich oft sein Bild über dem Altare,«
-sagte Cassy, während sie in trüber Träumerei vor sich hinstarrte; --
-»aber ^hier ist er nicht^! Hier ist nichts als Sünde und lange, lange
-Verzweiflung! Oh!«
-
-Sie legte ihre Hand auf die Brust, und hielt den Athem an, als wolle sie
-eine schwere Last aufheben.
-
-Tom schien weiter reden zu wollen, allein sie unterbrach ihn mit einer
-entschiedenen Bewegung.
-
-»Sprich nicht, mein armer Mensch; versuche lieber zu schlafen, wenn Du
-kannst,« sagte sie, indem sie das Wasser in seine Nähe stellte; und
-nachdem sie sodann noch einige kleine Anordnungen für seine
-Bequemlichkeit getroffen hatte, verließ sie ihn.
-
-
-
-
-Fünfunddreißigstes Kapitel.
-
-Die Zeichen.
-
- Ein kleiner Anlaß, der sich eingeschlichen,
- Bringt in die Brust zurück, was längst entwichen
- Das Herz gewöhnt: -- ein Laut, ein süßer Klang. --
- Das Meer, -- der Wind aus fernen Himmelsstrichen --
- Der Frühling -- eine Blume macht uns bang,
- Berührt die Kette, die elektrisch uns umschlang.
-
- Ritter Harold's Pilgerfahrt, 4ter Gesang.
-
-
-Das Wohngemach in dem Hause Legree's war ein großes, langes Zimmer mit
-einem weiten und geräumigen Kamine. Es war früher mit einer prächtigen
-und kostbaren Tapete bekleidet gewesen, die jetzt modernd, zerrissen und
-verfärbt an den feuchten Wänden herabhing. Der Ort hatte jenen
-eigenthümlichen, Eckel erregenden und ungesunden Geruch, der sich aus
-einer Mischung von Feuchtigkeit, Schmutz und Verfall entwickelt, und
-welchen man oft in verschlossenen, alten Häusern findet. Die Tapeten an
-der Wand waren stellenweise von Bier- und Weinflecken verunstaltet,
-oder mit Kreidezeichen und langen summirten Rechnungen geziert, als wenn
-hier Jemand arithmetische Versuche gemacht hätte. Im Kamine stand ein
-Becken voll brennender Holzkohlen; denn, obgleich das Wetter nicht kalt
-war, schienen die Abende in jenem großen Zimmer immer feucht und kühl zu
-sein, und überdies brauchte Legree einen Ort, um seine Cigarren
-anzustecken und sein Wasser zum Punsche heiß zu machen. Der röthliche
-Schein der Kohlen zeigte das unordentliche und unfreundliche Aussehen
-des Zimmers -- Sättel, Zäume, verschiedene Arten Geschirr,
-Reitpeitschen, Oberröcke und verschiedene Kleidungsstücke in verwirrter
-Mannigfaltigkeit im Zimmer hin und her gestreut; und dazwischen hatten
-sich die Hunde, von welchen wir zuvor gesprochen haben, nach eignem
-Belieben und Geschmacke gelagert.
-
-Legree mischte sich eben ein Glas Punsch, indem er das heiße Wasser aus
-einer zerbrochenen Kanne goß und dabei vor sich hin brummte:
-
-»Die Pest über den Sambo! so einen Lärm zwischen mir und den neuen
-Arbeitern anzufangen! Der Kerl wird nun eine ganze Woche lang nicht
-arbeiten können -- grade im Drange der Erntezeit!«
-
-»Das sieht Euch ganz ähnlich,« sagte eine Stimme hinter seinem Stuhle.
-Es war Cassy, die sich während seines Monologs herangeschlichen hatte.
-
-»Ha, Teufel von einem Weibe! Bist Du wieder gekommen?«
-
-»Ja,« sagte sie kalt, »ich bin wieder gekommen, und zwar um meinen
-Willen zu haben!«
-
-»Du lügst, alte Vettel! Ich halte Wort. Entweder betrage Dich
-ordentlich, oder bleibe in den Quartieren und lebe und arbeite mit den
-Andern.«
-
-»Ich wollte tausendmal lieber,« sagte das Weib, »im schmutzigsten Loche
-der Quartiere, als unter Euren Klauen leben!«
-
-»Aber Du bist trotz alle dem in meinen Klauen,« sagte er, indem er sich
-mit rohem Grinsen nach ihr umdrehte; »das ist ein Trost. So setze Dich
-also her auf meinen Schooß, meine Liebe, und nimm Vernunft an,« sagte
-er, indem er sie bei der Hand ergriff.
-
-»Simon Legree, nehmt Euch in Acht!« sagte das Weib mit einem scharfen
-Blitz des Auges, einem Blicke so wild und irre in seinem Lichte, daß er
-fast Grauen erregte. »Ihr fürchtet Euch vor mir, Simon,« fügte sie
-bedächtig hinzu, »und Ihr habt Ursache dazu! Hütet Euch, denn ich habe
-den Teufel im Leibe!«
-
-Die letzten Worte flüsterte sie in einem zischenden Tone in sein Ohr.
-
-»Hinaus! Ich glaube, meiner Seele, 's ist wahr!« sagte Legree, indem er
-sie von sich stieß und sie unbehaglich anschaute. »Aber sage mir,
-Cassy,« sagte er, »warum kannst Du nicht Freundschaft mit mir halten,
-wie Du früher zu thun pflegtest?«
-
-»Pflegtest?« sagte sie bitter. Sie hielt inne -- eine Welt von
-erstickenden Gefühlen, die in ihrem Herzen aufstiegen, ließ sie
-schweigen.
-
-Cassy hatte von jeher über Legree die Art Einfluß behalten, welche ein
-leidenschaftliches Weib immer über den rohesten Mann bewahren kann; aber
-seit Kurzem war sie immer reizbarer und ruheloser unter dem
-abscheulichen Joche ihrer Knechtschaft geworden, so daß ihre Reizbarkeit
-zuweilen in Raserei ausbrach, wodurch sie zu einem Gegenstande der
-Furcht für Legree wurde, der jenes abergläubige Grauen vor Wahnsinnigen
-hatte, welches rohen und nicht unterrichteten Gemüthern eigen ist. Als
-Legree Emmelinen in das Haus führte, loderte die Flamme weiblichen
-Gefühls aus ihrer verlöschenden Asche in dem müden Herzen Cassy's noch
-einmal auf; sie trat auf die Seite des Mädchens, und ein heftiger Streit
-zwischen ihr und Legree war die Folge. Legree schwor in der Wuth, sie
-solle an die Feldarbeit gestellt werden, wenn sie keinen Frieden halten
-wolle. Cassy erklärte mit stolzer Verachtung, sie ^wolle^ auf das Feld
-gehen. Und sie arbeitete daselbst einen Tag, wie vorher geschildert
-worden, um zu zeigen, wie sehr sie die Drohung verachte.
-
-Legree war im Stillen den ganzen Tag unruhig, denn Cassy hatte einen
-Einfluß auf ihn, wovon er sich nicht frei machen konnte. Als sie ihren
-Korb an der Waage überreichte, hatte er auf Nachgeben von ihrer Seite
-gehofft, und sie in halb versöhnlichem, halb verächtlichem Tone
-angeredet, worauf sie nur mit der bittersten Verachtung geantwortet
-hatte.
-
-Die empörende Behandlung des armen Tom hatte sie noch mehr aufgebracht,
-und sie war Legree ins Haus gefolgt nur in der Absicht, ihm über seine
-Rohheit Vorwürfe zu machen.
-
-»Ich wollte, Cassy,« sagte Legree, »Du betrügest Dich vernünftiger.«
-
-»^Ihr^ sprecht von vernünftigem Betragen! Und was habt Ihr gethan?
-Ihr, der nicht einmal Verstand genug hat, um nicht einen Eurer besten
-Leute unbrauchbar zu machen, grade in der dringendsten Erntezeit, und
-nur Eurer teuflischen Laune wegen!«
-
-»Ich war ein Narr, 's ist wahr, so eine Zänkerei aufkommen zu lassen,«
-sagte Legree; »aber als der Bursche seinen Kopf aufsetzte, mußte er
-gebändigt werden.«
-
-»Ich denke, Ihr werdet ^ihn^ nicht bändigen.«
-
-»Nicht?« sagte Legree, indem er heftig aufstand. »Ich möchte doch
-wissen, ob nicht. Er wäre der erste Nigger, mit dem ich nicht fertig
-würde! Ich zerbreche ihm jeden Knochen im Leibe, aber nachgeben ^soll^
-er!«
-
-Die Thür ging auf und Sambo trat ein. Er näherte sich gebeugt und hielt
-etwas in einem Papiere vor sich hin.
-
-»Was ist das, Hund?« sagte Legree.
-
-»'s ist ein Hexending, Master!«
-
-»Was?«
-
-»Etwas, das Nigger von Hexen bekommen. Es macht, daß sie nichts fühlen,
-wenn sie geprügelt werden. Er hatte es an einem schwarzen Bande um den
-Hals.«
-
-Legree war abergläubisch, wie fast alle gottlosen und grausamen
-Menschen. Er nahm das Papier und öffnete es widerstrebend.
-
-Heraus fiel ein Silberdollar und eine lange, glänzende Locke blonden
-Haares -- Haar, welches sich gleich etwas Lebendiges um Legree's Finger
-wand.
-
-»Donnerwetter!« schrie er plötzlich wüthend auf, indem er auf den Boden
-stampfte und an den Haaren riß, als wenn er sich daran verbrenne. »Woher
-ist das gekommen? Nimm es weg! -- verbrenne es! -- verbrenne es!« schrie
-er, indem er sie abriß und in die Kohlen warf. »Wozu hast Du mir das
-gebracht?«
-
-Sambo stand da mit seinem plumpen Munde weit offen vor Schreck und
-Staunen, und Cassy, die im Begriffe war, das Gemach zu verlassen, blieb
-da und sah ihn verwundert an.
-
-»Daß Du mir nie wieder etwas von Deinem Teufelszeuge bringst!« sagte er,
-die Faust gegen Sambo ballend, der sich eilig nach der Thür zurückzog;
-und nachdem er den Dollar aufhob, warf er denselben durch die klirrende
-Fensterscheibe hinaus in die Finsterniß.
-
-Sambo war froh, daß er die Flucht ergreifen konnte. Als er fort war,
-schien sich Legree seines Anfalles von Schreck zu schämen. Er setzte
-sich mürrisch auf seinen Stuhl und begann verdrießlich seinen Punsch zu
-schlürfen.
-
-Cassy wollte sich entfernen, ohne von ihm bemerkt zu werden, und
-schlüpfte davon, um dem armen Tom beizustehen, wie wir schon berichtet
-haben.
-
-Und was war es mit Legree? und was für eine Bewandtniß hatte es mit
-einer einfachen Locke blonden Haares, daß dieselbe jenen rohen Menschen
-zu erschrecken vermochte, der mit Grausamkeit in jeder Gestalt vertraut
-war? Um dies zu beantworten, müssen wir den Leser in der Geschichte
-dieses Menschen zurückführen. So hart und verworfen auch der gottlose
-Mann jetzt erschien, so hatte es doch eine Zeit gegeben, wo er am Busen
-einer Mutter gewiegt -- mit Gebeten und frommen Liedern eingelullt --
-und seine jetzt gefurchte Stirne mit dem Wasser der heiligen Taufe
-bethaut worden war. In früher Kindheit hatte ihn eine Frau mit schönem,
-blondem Haare beim Klange der Sabath-Glocke zur Andacht und zum Gebete
-geführt. Fern von dort, in Neu-England, hätte jene Mutter ihren einzigen
-Sohn mit unermüdlicher Liebe und frommen Gebeten auferzogen. Von einem
-hartgelaunten Vater entsprossen, an welchen jenes sanfte Weib eine Welt
-von ungewürdigter Liebe verschwendet hatte, war Legree in die Fußstapfen
-seines Vaters getreten. Ungestüm, unlenksam und tyrannisch verachtete er
-alle ihre Rathschläge und wollte von ihrem Vorwurfe nichts hören, und
-riß sich von ihr in frühem Alter los, um sein Glück auf der See zu
-suchen. Nur einmal kam er wieder nach Hause; und damals klammerte sich
-seine Mutter mit dem Jammer eines Herzens, das etwas lieben muß, und
-nichts weiter zu lieben hat, an ihn und suchte ihn mit
-leidenschaftlichem Bitten und Flehen von einem Leben der Sünde zum Heile
-seiner Seele zurückzuführen.
-
-Das war Legree's Gnadentag. Damals riefen ihn gute Engel, da war er fast
-gewonnen, und die Gnade nahm ihn bei der Hand. Sein Herz wurde weich, --
-es entstand ein Kampf; aber die Sünde siegte und er setzte alle Kraft
-seiner rauhen Natur der Ueberzeugung seines Gewissens entgegen. Er trank
-und schwor, war wilder und roher als je; und eines Abends, als seine
-Mutter in ihrer letzten Verzweiflungsangst ihm zu Füßen kniete, stieß
-er sie von sich, warf sie besinnungslos auf den Boden und floh mit rohen
-Flüchen auf sein Schiff. Das nächste Mal, daß Legree etwas von seiner
-Mutter hörte, war, als er eines Abends mit seinen trunknen Gefährten
-zechte, wo ihm ein Brief in die Hand gesteckt wurde. Er öffnete
-denselben, und heraus fiel eine lange sich ringelnde Haarlocke, die sich
-um seine Finger schlängelte. Der Brief sagte ihm, daß seine Mutter todt
-sei und daß sie sterbend ihn gesegnet und ihm verziehen habe.
-
-Es gibt eine schreckliche unheimliche Zauberei des Bösen, welche das
-Süßeste und Heiligste in Gebilde des Schreckens und Entsetzens
-verwandelt. Jene blasse, liebevolle Mutter -- ihr Sterbegebet, ihre
-vergebende Liebe, wirkten auf jenes teuflische Sündenherz nur wie ein
-verdammendes Urtheil, welchem die fürchterliche Erwartung des Gerichts
-und feurigen Zornes folgte. Legree verbrannte die Haare und verbrannte
-den Brief, und als er Beides zischen und knistern sah in der Flamme,
-schauderte er innerlich bei dem Gedanken an das ewige Feuer. Er
-versuchte zu trinken und zu schwärmen und die Erinnerung wegzufluchen;
-aber oft in tiefer Nacht, deren feierliche Stille die schlechte Seele
-zum Verkehre mit sich selbst zwingt, hatte er jene blasse Mutter an
-seinem Bette aufsteigen sehen und jenes Haar sich sanft um seine Finger
-schlängeln gefühlt, bis der kalte Schweiß ihm am Gesicht herablief, und
-er mit Entsetzen in seinem Bette aufsprang. Ihr, die ihr euch gewundert
-habt, aus demselben Evangelium zu hören, daß Gott die Liebe, und daß
-Gott ein verzehrendes Feuer ist, seht ihr nicht, wie für die zum Bösen
-entschlossene Seele die vollkommene Liebe die fürchterlichste Qual ist,
-das Siegel und der Spruch der gräßlichsten Verzweiflung.
-
-»Hol 's der Teufel!« sagte Legree zu sich selbst, als er an seinem
-Getränke nippte, »woher hat er das? Wenn es nicht aussah, grade wie --
-ach! Ich dachte, ich hätte das vergessen. Will verflucht sein, wenn ich
-glaube, es gibt dergleichen; wie etwas vergessen, irgendwie -- hol's der
-Henker! Ich bin allein! will Em rufen. Sie haßt mich -- der Affe! Mich
-kümmert's nicht -- ich will es schon ^machen^, daß sie kommt!«
-
-Legree schritt hinaus in einen großen Vorsaal, welcher vermittelst einer
-großen Wendeltreppe, die vormals prächtig gewesen war, in's erste Stock
-führte; aber der Gang war schmutzig und öde, mit Kasten und häßlichen
-Dingen, die zerstreut umherlagen, versperrt. Die mit keinem Teppiche
-belegte Treppe schien sich in der Düsterkeit hinaufzuwinden zu wer weiß
-wohin! Der bleiche Mondschein strömte durch ein zerschmettertes
-Bogenfenster über der Thür, die Luft war ungesund und feucht, wie die
-eines Grabgewölbes.
-
-Legree blieb am Fuße der Treppe stehen und hörte eine Stimme singen. Sie
-klang ihm fremdartig und geisterhaft in jenem öden, alten Hause,
-vielleicht wegen des schon erschütterten Zustandes seiner Nerven. Horch!
-was ist das?
-
-Eine wilde, rührende Stimme singt ein unter den Sklaven gewöhnliches
-Lied:
-
- »O, es wird Trauer, Trauer sein,
- O, es wird Trauer sein an Christi Richterstuhle!«
-
-»Hol der Teufel das Mädchen!« sagte Legree. »Ich will ihr den Mund
-stopfen. -- Em! Em!« rief er barsch; aber nur ein höhnender Widerhall
-antwortete ihm von den Wänden. Die süße Stimme sang weiter:
-
- »Da müssen Eltern und Kinder scheiden!
- Da müssen Eltern und Kinder scheiden!
- Scheiden, um nimmer sich wieder zu sehn!«
-
-Und hell und klar schwoll durch die leeren Hallen der Schlußreim: --
-
- »O, es wird Trauer, Trauer sein,
- O, es wird Trauer sein an Christi Richterstuhl!«
-
-Legree blieb stehen. Er würde sich geschämt haben, es zu gestehen, aber
-große Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn; das Herz schlug ihm
-schwer und schnell vor Furcht, er dachte sogar, er sähe etwas Weißes
-sich erheben und vor ihm im Zimmer schimmern, und schauderte bei dem
-Gedanken, daß die Gestalt seiner todten Mutter ihm plötzlich erscheinen
-könne.
-
-»Das weiß ich,« sagte er zu sich selbst, als er in das Wohnzimmer
-zurückstolperte und sich niedersetzte; »ich will den Kerl künftig gehen
-lassen! Was wollt' ich mit seinem verfluchten Papiere? Ich glaube
-wahrhaftig, ich bin behext! Es schauert und schwitzt mich seit der Zeit!
-Woher hat er die Haare? Es kann nicht ^das^ gewesen sein! ^Das^ habe
-ich verbrannt, ich weiß es! Es wäre doch spaßhaft, wenn Haare von den
-Todten auferstehen könnten!«
-
-Ja, Legree! Jene goldene Locke ^war^ verzaubert; jedes Haar derselben
-enthielt einen Zauber, der den Schrecken und Gewissensbisse in Dir
-erweckte, und wurde von einer höhern Macht benutzt, Dir die grausamen
-Hände zu binden, damit sie nicht den Hülflosen das tiefste Elend zufügen
-möchten!
-
-»Hört!« sagte Legree, indem er den Hunden pfiff und stampfte,
-»aufgewacht, Einer von euch, und mir Gesellschaft geleistet!« Aber die
-Hunde öffneten nur schläfrig ein Auge nach ihm und schloßen es wieder.
-
-»Sambo und Quimbo sollen heraufkommen und singen, und einen ihrer
-höllenmäßigen Tänze aufführen und diese schauerlichen Gedanken
-verjagen,« sagte Legree; er setzte seinen Hut auf, ging in die Veranda
-und blies ein Horn, womit er gewöhnlich seine zwei schwarzen Aufseher
-rief.
-
-Wenn Legree bei guter Laune war, pflegte er oft diese zwei Ehrenmänner
-in sein Wohnzimmer zu rufen, dieselben mit Whisky zu erwärmen, und sich
-dann ein Vergnügen daraus zu machen, sie singen, tanzen, oder sich
-raufen zu lassen, wie er gerade die Laune hatte.
-
-Es war zwischen ein und zwei Uhr des Nachts, als Cassy, die von der
-Pflege des armen Tom zurückkehrte, den Schall wilden Gekreisches,
-Geschrei's, Halloh-Rufen und Singen aus dem Wohnzimmer kommen hörte,
-vermischt mit Hundegebell und andern Zeichen eines allgemeinen Aufruhrs.
-
-Sie ging die Verandatreppe hinauf und sah hinein. Legree und die beiden
-Aufseher, im Zustande wüthender Trunkenheit, sangen, schrien, warfen die
-Stühle um und schnitten sich allerhand lächerliche und schauderhafte
-Gesichter.
-
-Sie stützte ihre kleine, zarte Hand auf das Fenstersims und sah sie
-unverwandt an. Es lag eine Welt von Angst, Verachtung und grimmiger
-Bitterkeit in ihren schwarzen Augen. »Wär' es eine Sünde, die Welt von
-einem solchen Elenden zu befreien?« sagte sie für sich.
-
-Sie drehte sich schnell um, ging zu einer Hinterthür, schlüpfte hinauf
-und klopfte an Emmelinens Thür.
-
-
-
-
-Sechsunddreißigstes Kapitel.
-
-Emmeline und Cassy.
-
-
-Cassy trat in das Zimmer und fand Emmeline blaß vor Furcht im äußersten
-Winkel desselben sitzen. Als sie hereinkam, fuhr das Mädchen erschrocken
-auf; aber als diese sah, wer es war, stürzte sie hervor, ergriff Cassy's
-Arm und sagte: »O, Cassy, Ihr seid es? Ich bin froh, daß Ihr gekommen
-seid! Ich fürchtete, es wäre --. O, Ihr wisset nicht, was für ein
-schauerlicher Lärm diese ganze Nacht unten gewesen ist!«
-
-»Ich sollte das kennen,« sagte Cassy trocken. »Ich habe es oft genug
-gehört!«
-
-»O, Cassy, sagt mir doch nur ja, können wir nicht von diesem Orte
-wegkommen? Ich kümmere mich nicht darum, wohin -- in die Sümpfe unter
-die Schlangen -- irgendwohin?«
-
-»Nirgendhin, es sei denn in unsre Gräber,« sagte Cassy.
-
-»Habt Ihr es je versucht?«
-
-»Ich habe es nur zu oft versuchen sehen und was dabei herauskommt,«
-sagte Cassy.
-
-»Ich wollte gern in den Sümpfen leben und Baumrinde nagen. Ich fürchte
-mich nicht vor Schlangen! Ich wollte lieber eine Schlange bei mir haben,
-als ihn,« sagte Emmeline heftig.
-
-»Es sind ziemlich Viele hier Deiner Meinung gewesen,« sagte Cassy. »Aber
-Du könntest nicht in den Sümpfen bleiben -- die Hunde würden Dich
-ausspüren und zurückbringen, und dann -- dann --«
-
-»Was würde er thun?« sagte das Mädchen, indem sie ihr mit athemloser
-Spannung ins Gesicht schaute.
-
-»Was würde er ^nicht^ thun, frage lieber,« sagte Cassy. »Er hat sein
-Handwerk unter den Räubern Westindiens gut gelernt. Du würdest nicht
-viel schlafen, wenn ich Dir erzählte, was ich gesehen habe -- was er
-zuweilen als gute Spässe erzählt. Ich habe Schreie hier gehört, die ich
-wochenlang nicht habe aus dem Ohre los werden können. Da ist unten bei
-den Hütten ein entlegener Ort, wo man einen schwarzen verdorrten Baum
-und den ganzen Boden mit schwarzer Asche bedeckt sehen kann. Frage nur
-irgend Einen, was da geschehen ist, und siehe zu, ob er wagen wird, es
-Dir zu sagen.«
-
-»Was wollt Ihr damit sagen?«
-
-»Ich will es Dir nicht sagen. Ich denke nicht gern daran; und ich sage
-Dir, Gott allein weiß, was wir morgen sehen werden, wenn jener arme Kerl
-fortfährt, wie er angefangen hat.«
-
-»Schauderhaft!« sagte Emmeline, indem ihr jeder Blutstropfen aus den
-Wangen trat. »O, Cassy, sagt mir doch nur, was ich thun soll!«
-
-»Was ich gethan habe. Thu' Dein Bestes; thu' was Du mußt, und mache es
-durch Haß und Verwünschung wieder gut!«
-
-»Er wollte mich von seinem verhaßten Branndwein trinken lassen,« sagte
-Emmeline; »und ich hasse ihn so --«
-
-»Trinkt lieber,« sagte Cassy. »Ich haßte ihn auch; und jetzt kann ich
-nicht ohne ihn leben. Man muß etwas haben; die Sachen sehen nicht so
-schrecklich aus, wenn man den nimmt.«
-
-»Die Mutter pflegte mir zu sagen, ich solle nie so etwas anrühren,«
-sagte Emmeline.
-
-»Die Mutter sagte 's Dir!« rief Cassy mit scharfem und bittern
-Nachdrucke auf dem Worte Mutter. »Was hilft's, daß Mütter etwas sagen?
-Ihr werdet alle gekauft und bezahlt, und eure Seelen gehören dem,
-welcher euch bekommt. So geht 's. Hörst Du! ^trink^ Branndwein: trinke
-so viel Du kannst, und Du wirst Alles leichter tragen.«
-
-»O, Cassy! habt doch Mitleid mit mir!«
-
-»Mitleid mit Dir! Habe ich etwa keins? Habe ich keine Tochter? -- Gott
-weiß, wo sie ist, und wem sie jetzt gehört! Sie geht vermuthlich den
-Weg, welchen ihre Mutter vor ihr ging, und den ihre Kinder nach ihr
-gehen müssen! Der Fluch hört nie auf!«
-
-»Ich wollte, ich wär' nie geboren!« sagte Emmeline, ihre Hände ringend.
-
-»Das ist ein alter Wunsch von mir,« sagte Cassy. »Ich habe mich ganz
-daran gewöhnt, das zu wünschen. Ich stürbe, wenn ich es wagte,« sagte
-sie, indem sie in die Dunkelheit hinausschaute mit jener stillen,
-starren Verzweiflung, dem gewöhnlichen Ausdrucke ihres Antlitzes, wenn
-es ruhig war.
-
-»Es wär gottlos, sich das Leben zu nehmen,« sagte Emmeline.
-
-»Ich weiß nicht warum; nicht gottloser, als was wir Tag für Tag erleben
-und thun. Als ich aber im Kloster war, haben mir die Schwestern Dinge
-erzählt, die mir vor dem Sterben bange machen. Wär' es nur mit uns zu
-Ende, ja dann --«
-
-Emmeline wendete sich ab und verbarg ihr Gesicht mit den Händen.
-
-Während diese Unterhaltung in der Kammer vor sich ging, war Legree,
-überwältigt vom Zechgelage, im untern Zimmer in Schlaf gesunken. Er war
-nicht von Gewohnheit ein Trunkenbold. Seine rohe, starke Natur verlangte
-und ertrug eine fortwährende Aufregung, welche eine schwächere gänzlich
-aufgerieben haben würde. Aber Vorsicht hielt ihn ab, sich der
-Schwelgerei in einem solchen Maaße hinzugeben, daß er dadurch die
-Herrschaft über sich selbst verlor.
-
-Diese Nacht hatte er sich jedoch in seinen fieberhaften Anstrengungen,
-aus seinem Gemüthe jene furchtbaren Gewissensbisse zu verbannen, welche
-in ihm erwachten, mehr als gewöhnlich erlaubt, so daß er, nachdem er
-seine schwarzen Diener verabschiedet hatte, schwer in einen Sessel fiel
-und fest einschlief.
-
-O, wie darf die schlechte Seele die Schattenwelt des Schlafes betreten?
--- jenes Land, dessen dunkle Gränzen dem geheimnißvollen Schauplatze der
-Vergeltung so furchtbar nahe liegen! Legree träumte. In seinem schweren
-und fieberischen Schlafe stand eine verschleierte Gestalt neben ihm, und
-legte eine kalte, weiche Hand auf ihn. Er glaubte zu wissen, wer es sei;
-er schauderte und Grauen beschlich ihn, obgleich das Antlitz
-verschleiert war. Bald glaubte er, er fühle ^jenes^ ^Haar^ sich um
-seine Finger schlängeln, bald, daß es sich sanft um seinen Hals
-schlinge, und sich immer dichter zusammenzöge, bis er keinen Athem mehr
-holen konnte; bald dachte er, Stimmen ^flüsterten^ ihm zu, ein
-Geflüster, das ihn mit Grauen erfüllte. Dann schien es ihm, als sei er
-am Rande eines fürchterlichen Abgrundes, sich festhaltend und in
-Todesfurcht ringend, während schwarze Hände sich herausstreckten, um ihn
-hinabzuziehen; und Cassy kam lachend hinter ihn und stieß ihn hinunter.
-Und nun erhob sich jene feierlich verschleierte Gestalt und warf den
-Schleier zurück. Es war seine Mutter; und sie wendete sich von ihm ab,
-und er fiel hinab, hinab, hinab unter verworrenem Geschrei und Gestöhn
-und Jauchzen höllischen Gelächters -- und Legree erwachte.
-
-Ruhig stahl sich das rosige Licht der Morgendämmerung in das Zimmer. Der
-Morgenstern stand am heller werdenden Horizonte und schaute mit seinem
-feierlichen, heiligen Lichtauge auf den Mann der Sünde hernieder. O, mit
-welcher Frische, welcher Feierlichkeit und Schönheit wird jeder neue Tag
-geboren, als wolle er dem Unempfindlichen sagen: »Sieh! Du hast noch
-eine Möglichkeit! ^Kämpfe^ für unsterblichen Ruhm!« Es gibt keine Rede
-oder Sprache, in der diese Stimme nicht gehört wird; aber der freche,
-schlechte Mensch hörte sie nicht. Er erwachte mit einem Fluche. Was galt
-ihm das Gold und der Purpur, das tägliche Wunder des Morgens! Was die
-Heiligkeit jenes Sternes, welchen Gottes Sohn zu seinem eigenen
-Sinnbilde geweiht hat? Thierähnlich sah er, ohne wahrzunehmen; er
-stolperte vorwärts, schenkte ein Glas Branndwein ein und trank es halb.
-
-»Ich habe eine höllische Nacht gehabt!« sagte er zu Cassy, welche eben
-dann durch eine gegenüber befindliche Thüre hereintrat.
-
-»Ihr werdet bald mehr von der Art haben,« sagte sie trocken.
-
-»Was willst Du damit sagen, Vettel?«
-
-»Ihr werdet es dieser Tage erfahren,« erwiderte Cassy in demselben Tone.
-»Jetzt, Simon, habe ich Euch einen guten Rath zu geben.«
-
-»Den Teufel hast Du!«
-
-»Ich rathe Euch,« sagte Cassy gelassen, während sie Einiges im Zimmer zu
-ordnen begann, »daß Ihr Tom gehen laßt.«
-
-»Was geht das Dich an?«
-
-»Was? Ich weiß wahrhaftig nicht, was es mich angehen könnte. Wenn Ihr
-zwölf Hundert Dollar für einen Kerl zahlen wollt und ihn grade im Drange
-der Erntezeit zu Grunde richten wollt, nur um Eurer Wuth zu fröhnen, so
-geht 's mich nichts an. Ich habe für ihn gethan, was ich konnte.«
-
-»So? Was hast Du Dich in meine Angelegenheiten zu mischen?«
-
-»Ich habe Euch schon manches Tausend Dollar gerettet, dadurch, daß ich
-zuweilen für Eure Leute Sorge getragen habe -- das ist nun aller Dank,
-den ich davon habe. Wenn Eure Ernte geringer auf den Markt kommt, so
-verliert Ihr Eure Wette nicht. Tompkins wird Euch nicht den Rang
-ablaufen und Ihr werdet ganz niedlich hinzahlen müssen, nicht wahr? Mir
-ist schon, als sähe ich Euch dabei!«
-
-Legree hatte, wie manche andre Pflanzer, nur eine Art Ehrgeiz, die beste
-Ernte zu haben; und er hatte gerade jetzt verschiedene Wetten in der
-nächsten Stadt schweben. Cassy berührte daher mit weiblicher Gewandtheit
-die einzige Saite, die bei ihm anzuschlagen war.
-
-»Gut, ich will ihn mit dem loslassen, was er schon bekommen hat,« sagte
-Legree; »aber er soll mich um Verzeihung bitten, und bessere Manieren
-versprechen.«
-
-»Das thut er nicht,« sagte Cassy.
-
-»Nicht, he?«
-
-»Nein, er thut 's nicht,« sagte Cassy.
-
-»Ich möchte doch wissen, ^warum^, Mistreß,« sagte Legree mit der
-äußersten Verachtung.
-
-»Weil er recht gethan hat, und das weiß, und nicht sagen will, er habe
-Unrecht gethan.«
-
-»Wer zum Teufel kümmert sich darum, was er weiß? Der Nigger soll sagen,
-was mir beliebt, oder --«
-
-»Oder Ihr wollt Eure Wette auf die Baumwollen-Ernte verlieren, indem Ihr
-ihn gerade in dieser dringenden Zeit vom Felde entfernt haltet.«
-
-»Aber er ^wird^ nachgeben, natürlich wird er; ich weiß ja, wie es mit
-Niggern ist. Diesen Morgen wird er schon betteln wie ein Hund.«
-
-»Er wird nicht, Simon; Ihr kennt diese Art Menschen nicht. Ihr könnt ihn
-zollweise tödten, aber Ihr werdet nicht ein Wort eines solchen
-Bekenntnisses aus ihm heraus bringen.«
-
-»Wollen sehen. Wo ist er?« sagte Legree, indem er hinausging.
-
-»In der alten Kammer des Ginhauses,« sagte Cassy.
-
-Obgleich Legree so zuversichtlich mit Cassy sprach, so verließ er doch
-das Haus mit einer Art bösen Vorgefühls, welches nicht gewöhnlich bei
-ihm war. Die Träume der vergangenen Nacht, vereint mit Cassy's
-Weisungen, beunruhigten ihn in hohem Grade. Er beschloß, daß Niemand
-Zeuge seines Zusammentreffens mit Tom sein solle, und nahm sich vor, daß
-wenn er ihn nicht durch Drohungen zwingen könne, er es auf eine
-gelegenere Zeit verschieben wolle, seine Rache auszuüben.
-
-Das feierliche Licht der ersten Dämmerung, die engelgleiche Herrlichkeit
-des Morgensterns war durch das rohe Fenster des Schuppens gedrungen, wo
-Tom lag, und wie auf den Strahlen dieses Sternes nieder gleitend, kamen
-die feierlichen Worte zu ihm: »Ich bin die Wurzel des Geschlechtes
-David's, ein heller Morgenstern!« Die geheimnißvollen Warnungen und
-Andeutungen Cassy's, weit entfernt, seine Seele zu entmuthigen, hatten
-dieselbe am Ende wie durch einen himmlischen Ruf erhoben. Er wußte nicht
-anders, als daß sein Todestag am Himmel dämmere und das Herz schlug ihm
-mit feierlichem Klopfen der Freude und des Verlangens, als er dachte,
-daß das wundervolle All, worüber er so viel gesonnen, der große weiße
-Thron mit seinem immer strahlenden Regenbogen, die Schaar der weißen
-Engel, die Kronen, die Palmen, die Harfen -- sich ihm zeigen würden, ehe
-jene Sonne wieder unterginge; und deßhalb hörte er ohne Schauder und
-Beben die Stimme seines Verfolgers, als derselbe sich näherte:
-
-»Nun, Junge,« sagte Legree mit einem verächtlichen Fußstoß, »wie
-befindest Du Dich? Habe ich Dir nicht gesagt, ich könne Dir Eins oder
-das Andre beibringen? Wie gefällt's Dir, he? Wie bekommen Dir die
-Schwielen, Tom? Bist nicht ganz so keck wie Du gestern Abend warst?
-Könntest jetzt wohl nicht einen armen Sünder auf ein Bischen Predigt
-freihalten, nicht, he?«
-
-Tom antwortete Nichts.
-
-»Auf, Vieh!« sagte Legree, indem er ihn wieder stieß.
-
-Das war eine schwere Aufgabe für einen so zerschlagenen und entkräfteten
-Menschen, und als Tom sich bemühte, es zu thun, brach Legree in ein
-viehisches Gelächter aus.
-
-»Wovon bist Du diesen Morgen so sanft, Tom? Vielleicht gestern Abend
-erkältet?«
-
-Tom war indessen auf die Füße gekommen und stand seinem Herrn gegenüber
-mit fester, standhafter Stirne.
-
-»Teufel, Du kannst's!« sagte Legree, indem er ihn betrachtete. »Ich
-glaube, Du hast noch nicht genug gekriegt. Jetzt, Tom, ohne Umstände auf
-die Knie und bitte mich um Verzeihung wegen Deiner Streiche von gestern
-Abend.«
-
-Tom bewegte sich nicht.
-
-»Nieder, Hund!« sagte Legree, indem er ihn mit der Reitpeitsche schlug.
-
-»Herr Legree,« sagte Tom, »ich kann es nicht thun. Ich habe nur gethan,
-was ich für recht gehalten habe. Ich werde es jedes Mal gerade wieder so
-machen. Ich werde nie eine Grausamkeit begehen, komme, was da wolle.«
-
-»Ja, aber Du weißt nicht, was kommen will, Master Tom. Du denkst, was Du
-gekriegt hast, ist etwas. Ich sage Dir, 's ist nichts -- gar nichts. Wie
-würde es Dir gefallen, an einen Baum gebunden zu werden, und ein
-langsames Feuer um Dich angezündet zu haben? Wäre das nicht angenehm --
-he, Tom?«
-
-»Master,« sagte Tom, »ich weiß, Ihr könnt Schreckliches thun; aber« --
-er streckte sich aufwärts und faltete die Hände, -- »aber nachdem Ihr
-den Leib getödtet habt, könnt Ihr nichts mehr thun. Und o, dann folgt
-alle ^Ewigkeit^!«
-
-^Ewigkeit^ -- das Wort durchbebte die Seele des schwarzen Menschen mit
-Licht und Kraft, als er sprach -- es durchzuckte auch des Sünders Seele
-wie Scorpionenbiß. Legree knirschte mit den Zähnen, aber Wuth hielt ihn
-still, und Tom sprach, wie ein aus der Knechtschaft befreiter Mensch,
-mit klarer und heitrer Stimme:
-
-»Master Legree, Ihr habt mich gekauft, und ich will Euch ein treuer und
-redlicher Diener sein. Ich will Euch alle Arbeit meiner Hände geben,
-alle meine Zeit, alle meine Kraft, aber meine Seele will ich keinem
-Sterblichen opfern. Ich will am Herrn festhalten, und seine Gebote vor
-Allem befolgen, mag ich leben oder sterben, darauf verlaßt Euch. Master
-Legree, ich fürchte den Tod nicht im Geringsten. Ich sterbe eben so gern
-wie nicht. Ihr könnt mich zu Tode peitschen, verhungern, verbrennen
-lassen, es bringt mich nur früher dahin, wohin ich mich sehne.«
-
-»Ich will Dich doch nachgiebig machen, ehe ich mit Dir fertig bin!«
-sagte Legree wüthend.
-
-»Ich werde ^Hülfe^ bekommen,« sagte Tom. »Ihr könnt es nicht.«
-
-»Wer zum Teufel wird Dir helfen?« sagte Legree verächtlich.
-
-»Der allmächtige Gott!« sagte Tom.
-
-»Hol Dich der Teufel!« sagte Legree, indem er Tom mit einem Faustschlage
-zu Boden streckte.
-
-Eine kalte, weiche Hand legte sich in diesem Augenblick auf die
-Legree's. Er drehte sich um -- es war Cassy's; aber die kalte, sanfte
-Berührung rief ihm den Traum der letzten Nacht zurück, und durch die
-Kammern seines Hirnes blitzend, kamen alle die fürchterlichen Bilder der
-Nachtwachen zurück, mit einem Theile der Schrecknisse, die jene
-begleiteten.
-
-»Wollt Ihr ein Thor sein?« sagte Cassy auf französisch. »Laßt ihn gehen.
-Laßt mich ihn herstellen, um wieder im Felde arbeiten zu können. Ist's
-nicht gerade wie ich Euch sagte?«
-
-Man sagt, der Alligator, das Nashorn, obschon in kugelfesten Panzer
-gehüllt, haben einen Fleck, wo sie verwundbar sind; und freche,
-ungläubige Verworfene haben gewöhnlich diesen Punkt in abergläubischer
-Furcht.
-
-Legree wendete sich weg, entschlossen, einstweilen die Sache gehen zu
-lassen.
-
-»Nun, so habe Deinen Willen,« sagte er mürrisch zu Cassy.
-
-»Höre Du,« fuhr er zu Tom gewendet fort, »ich will Dich für jetzt gehen
-lassen, weil die Geschäfte dringend sind, und ich alle meine Arbeiter
-brauche, aber ich vergesse ^niemals^. Ich will es Dir ankreiden, und
-die Zeit kommt, wo es mir Dein altes schwarzes Fell bezahlen soll --
-merk' Dir das!«
-
-Legree drehte sich um und ging hinaus.
-
-»Gehe nur,« sagte Cassy ihm finster nachschauend; »Deine Rechnung kommt
-auch noch! -- Armer Mensch, wie geht's Dir?«
-
-»Der Herr hat seinen Engel gesendet und des Löwen Rachen für diesmal
-verschlossen,« sagte Tom.
-
-»Für diesmal gewiß,« sagte Cassy; »aber jetzt habt Ihr seinen Haß auf
-Euch, der Euch Tag für Tag verfolgt, wie ein Hund, der an Eurer Kehle
-hängt, Euer Blut saugt und Euer Leben tropfenweise verbluten läßt. Ich
-kenne den Menschen.«
-
-
-
-
-Siebenunddreißigstes Kapitel.
-
-Freiheit.
-
- »Es kommt nicht darauf an, mit welchen Feierlichkeiten
- er auf dem Altare der Sklaverei geweiht worden
- sei; sobald er den heiligen, brittischen Boden
- betritt, versinken der Altar und der Gott in Staub,
- und erlöst wiedergeboren, entfesselt steht er da durch
- den unwiderstehlichen Genius allgemeiner Emancipation.«
- ^Curran.^
-
-
-Für einige Zeit müssen wir Tom in den Händen seiner Verfolger lassen,
-während wir uns zurückwenden, um die Schicksale Georgs und seiner Frau
-zu verfolgen, die wir in einem Farmhause an der Straße in
-freundschaftlichen Händen ließen.
-
-Tom Locker verließen wir, stöhnend und lärmend in einem fleckenlos
-reinen Quäcker-Bett, unter der mütterlichen Aufsicht von Base Dorcas,
-welche in ihm einen ganz so lenksamen Patienten fand, wie in einem
-kranken Büffelochsen.
-
-Man denke sich eine hohe, würdevolle Frau, deren reine Musselinhaube ein
-wellenartiges Silberhaar beschattet, das auf der breiten, hintern Stirn
-gescheitelt ist, welche gedankenvolle, graue Augen überwölbt; ein
-schneeweißes Tuch von geglättetem Krepp legt sich glatt über ihrem
-Busen; ihr glänzend braunes Seidenkleid rauscht friedlich, wenn sie in
-der Stube auf und nieder gleitet.
-
-»Alle Teufel!« sagt Tom Locker, indem er der Bettdecke einen starken
-Schlag versetzt.
-
-»Ich muß Dich ersuchen, Thomas, nicht solche Ausdrücke zu gebrauchen,«
-sagt Base Dorcas, während sie ruhig das Bett wieder in Ordnung bringt.
-
-»Nun, ich will 's nicht thun, Großmutter, wenn ich kann,« sagt Thomas;
-»aber 's ist genug, einen armen Kerl zum Fluchen zu bringen, so verdammt
-heiß ist's!«
-
-Dorcas entfernte eine Decke vom Bette, ordnete das Bettzeug wieder und
-stopfte es unter, bis Tom fast wie eine Puppe aussah, indem sie dabei
-bemerkte:
-
-»Ich wollte, Freund, Du ließest das Fluchen und Schwören, und dächtest
-an Deine Wege.«
-
-»Was der Teufel,« sagte Tom, »soll ich daran denken? 's ist immer 's
-Letzte, woran ich gern denke -- hol 's der Henker!« Und Tom stampfte,
-schlug die Decken auf und brachte Alles auf eine entsetzliche Art in
-Unordnung.
-
-»Der Kerl und die Dirne sind hier, glaube ich?« sagte er nach einer
-Weile mürrisch.
-
-»Ja,« sagte Dorcas, »sie sind hier.«
-
-»Die sollten sich lieber aufmachen, fort nach dem See,« sagte Tom, »je
-schneller desto besser.«
-
-»Wahrscheinlich werden sie das thun,« sagte Base Dorcas, indem sie ruhig
-weiter strickte.
-
-»Und hört,« sagte Tom; »wir haben Freunde in Sandusky, welche die Boote
-für uns bewachen. Kümmere mich nicht mehr darum, 's zu sagen. Ich
-wollte, sie entwischten, nur um Marks zu ärgern -- den verfluchten
-Laffen! -- hol ihn der Teufel!«
-
-»Thomas!« sagte Dorcas.
-
-»Ich sage Euch, Großmutter, wenn Ihr einen armen Kerl zu dicht
-einpfropft, so platzt er,« sagte Tom. »Aber wegen der Dirne -- sagt
-ihnen, daß sie sich so ankleide, daß sie nicht mehr kenntlich ist. Ihre
-Beschreibung ist in Sandusky.«
-
-»Wir wollen dafür sorgen,« sagte Dorcas mit der ihrer Sekte
-eigenthümlichen Gelassenheit.
-
-Da wir an dieser Stelle von Tom Locker Abschied nehmen, so können wir
-hier zugleich erwähnen, daß, nachdem er drei Wochen in dem Quäckerhause
-am rheumatischen Fieber darniederlag, welches zu seinen übrigen Leiden
-hinzu trat, er sich vom Lager als ein etwas weiserer und bessrer Mensch
-erhob; und fortan statt Sklaven zu fangen, sich in einer der neuen
-Ansiedlungen niederließ, wo seine Fähigkeiten sich in der Jagd von
-Bären, Wölfen und andern Bewohnern des Forstes glücklicher entwickelten,
-wodurch er sich einen Namen im Lande machte. Tom sprach immer
-ehrfurchtsvoll von den Quäkern. »Hübsche Leute,« pflegte er zu sagen;
-»wollten mich bekehren, konnten 's aber nicht zu Stande bringen. Aber
-eins will ich euch sagen, Fremder, einen kranken Kerl warten sie
-vortrefflich ab, -- das ist richtig! Kochen die beste Sorte Kraftbrühe
-und Brezeln.«
-
-Da Tom den Flüchtlingen mitgetheilt hatte, daß ihre Gesellschaft in
-Sandusky gesucht werde, so hielt man es für gerathen, sich zu theilen.
-Jim wurde mit seiner alten Mutter besonders fortgeschafft; und ein oder
-zwei Nächte später wurden Georg und Elise mit ihrem Kinde in's Geheim
-nach Sandusky gefahren und unter einem gastfreien Dache untergebracht,
-während die Vorbereitungen zu ihrer letzten Einschiffung auf den See
-getroffen wurden.
-
-Ihre Nacht neigte sich jetzt dem Ende und schön erhob sich vor ihnen der
-Morgenstern der Freiheit. Freiheit! Begeisterndes Wort! Was ist es? Ist
-es denn etwas mehr als ein Name oder ein rednerischer Ausdruck? Warum
-Ihr Männer und Frauen Amerikas, beben Eure Herzen vor Wonne bei dem
-Worte, für welches Eure Väter bluteten und Eure noch bravere Mütter
-willig ihre Besten und Edelsten sterben sahen?
-
-Liegt darin etwas Ruhmreiches und Theures für ein Volk, das nicht auch
-ruhmreich und theuer für den einzelnen Menschen ist? Was ist Freiheit
-eines Volkes anders als Freiheit der Individuen desselben? Was ist
-Freiheit für jenen jungen Mann, welcher dort sitzt, die Arme über die
-breite Brust geschlagen, die Farbe des afrikanischen Blutes auf den
-Wangen, dessen dunkles Feuer im Auge -- was ist Freiheit für George
-Harris? Für Eure Väter war Freiheit das Recht eines Volkes, ein Volk zu
-sein. Für ihn ist es das Recht eines Menschen, ein Mensch zu sein und
-kein Vieh; das Recht, das Weib seines Herzens sein Weib nennen, und sie
-vor gesetzlicher Gewaltthätigkeit schützen zu können; das Recht, sein
-Kind zu beschützen und zu erziehen; das Recht, eine eigne Heimath, eine
-eigne Religion, einen eignen Charakter zu haben, der nicht dem Willen
-eines Andern unterworfen ist. Alle diese Gedanken arbeiteten in Georgs
-Brust, während er gedankenvoll den Kopf auf die Hand stützte, und seine
-Frau beobachtete, als sie ihrer zarten und hübschen Gestalt männliche
-Kleidung anpaßte, in der man es für das Sicherste hielt, daß sie ihre
-Flucht bewerkstellige.
-
-»Jetzt gilt's,« sagte sie, als sie vor dem Spiegel stand und die seidene
-Fülle des schwarzen Lockenhaares herabschüttelte. »Sieh! Georg, 's ist
-fast ein Jammer, nicht wahr?« sagte sie, indem sie scherzhaft einige
-Locken in die Höhe hielt. »'s ist ein Jammer, daß sie alle ab müssen.«
-
-Georg lächelte traurig und gab keine Antwort.
-
-Elise kehrte sich gegen den Spiegel und die Scheere schimmerte, als eine
-lange Locke nach der andern vom Haupte getrennt wurde.
-
-»Nun, das wird genug sein,« sagte sie, indem sie eine Haarbürste
-ergriff, »jetzt ein Paar Phantasiestriche.«
-
-»Da, bin ich nicht ein hübscher junger Mensch?« sagte sie, indem sie
-sich nach ihrem Gatten umwandte, lachend und erröthend zugleich.
-
-»Du bist immer hübsch, Du magst thun, was Du willst,« sagte Georg.
-
-»Was macht Dich so ernst?« sagte Elise, indem sie sich auf ein Knie
-niederließ, und ihre Hände auf das seinige legte. »Wir sind nur noch 24
-Stunden von Canada entfernt. Nur einen Tag und eine Nacht auf dem See,
-und dann -- o, dann!«
-
-»O, Elise!« sagte Georg, indem er sie an sich zog, »das ist 's gerade!
-Jetzt naht sich mein Schicksal dem entscheidenden Punkt. So nahe zu
-kommen, es fast vor Augen haben und dann Alles verlieren. Ich könnte es
-nicht überleben, Elise.«
-
-»Habe keine Furcht,« sagte seine Frau zuversichtlich. »Der gute Gott
-hätte uns nicht so weit gebracht, wenn er uns nicht durchbringen wollte.
-Mir ist 's, als fühlte ich, daß er mit uns ist, Georg.«
-
-»Du bist ein gesegnetes Weib, Elise!« sagte Georg, indem er sie
-krampfhaft umarmte. »Aber -- ach, sag'! kann uns diese große Gnade zu
-Theil werden? Werden diese Jahre des Elend's wirklich ein Ende nehmen?
--- werden wir frei werden?«
-
-»Gewiß, Georg,« sagte Elise, indem sie aufwärts blickte, während Thränen
-der Hoffnung und Begeisterung an ihren langen, dunkeln Wimpern glänzten.
-»Ich fühle es in mir, daß Gott uns heut aus der Knechtschaft erlösen
-wird.«
-
-»Ich will Dir glauben, Elise,« sagte Georg, indem er plötzlich aufstand.
-»Ich will es glauben; komm, laß uns fort. Ja, wahrlich,« sagte er, indem
-er sie auf Armeslänge von sich hielt, und sie voll Bewunderung
-betrachtete. »Du ^bist^ ein hübsches Kerlchen. Die kleinen kurzen
-Backen stehen Dir vortrefflich. Setze Deine Mütze auf. So -- ein Bischen
-auf eine Seite. Du hast nie so hübsch ausgesehen. Aber es ist fast Zeit
-für den Wagen, ich soll mich wundern, ob Mrs. Smyth den Harry
-aufgetakelt hat?«
-
-Die Thür öffnete sich und eine Frau von achtbarem Aeußern und mittleren
-Jahren trat ein, den kleinen Harry an der Hand, der in Mädchenkleider
-gehüllt war.
-
-»Was für ein hübsches Mädchen er abgibt,« sagte Elise, indem sie ihn
-herumdrehte. »Wir nennen ihn Harriet, paßt der Name nicht hübsch?«
-
-Das Kind stand da und betrachtete seine Mutter ernst und schweigend in
-ihrem neuen und fremdartigen Anzuge, während es zuweilen tief seufzte
-und unter seinen dunkeln Locken hervor scheue Blicke auf sie heftete.
-
-»Kennt Harry Mama?« sagte Elise, indem sie die Hände gegen ihn
-ausstreckte.
-
-Das Kind hing sich furchtsam an die Frau.
-
-»Komm, Elise, warum versuchst Du, ihn zu liebkosen, da Du doch weißt,
-daß er sich fern von Dir zu halten hat?«
-
-»Ich weiß, 's ist thöricht,« sagte Elise, »aber ich kann es nicht
-ertragen, daß er sich von mir abwendet. Doch komm -- wo ist mein Mantel?
-Hier -- wie nehmen die Männer den Mantel um, Georg?«
-
-»Du mußt ihn so tragen,« sagte ihr Mann, indem er denselben über die
-Schultern warf.
-
-»So also,« sagte Elise, indem sie die Bewegung nachahmte; »und ich muß
-fest auftreten und große Schritte machen, und dreist auszusehen suchen.«
-
-»Gib Dir keine Mühe,« sagte Georg. »Es gibt hier und da auch bescheidene
-junge Männer; und ich glaube, es wird Dir leichter werden, diese Rolle
-zu spielen.«
-
-»Und diese Handschuhe! Gott sei uns gnädig!« sagte Elise, »meine Hände
-verlieren sich darin.«
-
-»Ich rathe Dir, sie hübsch ordentlich anzubehalten,« sagte Georg. »Dein
-zartes Pfötchen könnte uns Alle verrathen. Nun, Mrs. Smyth, tretet Euren
-Dienst an, und seid unser Tantchen -- merkt darauf.«
-
-»Ich habe gehört,« sagte Mrs. Smyth, »daß Männer unten gewesen sind, die
-alle Schiffscapitäne vor einem Manne und einer Frau mit einem kleinen
-Knaben gewarnt haben.«
-
-»So!« sagte Georg. »Nun, wenn wir solche Leute sehen, so können wir 's
-ihnen sagen.«
-
-Ein Miethwagen fuhr nun vor, und die freundliche Familie, welche die
-Flüchtlinge aufgenommen hatte, drängte sich um dieselben, um Abschied
-von ihnen zu nehmen.
-
-Die Verkleidung, welche die Flüchtlinge angenommen hatten, war nach den
-Winken des Tom Locker eingerichtet worden. Mrs. Smyth, eine achtbare
-Frau aus der Niederlassung in Canada, wohin sie flohen, die glücklicher
-Weise grade im Begriffe war, über den See dahin zurückzukehren, hatte
-eingewilligt, als die Tante des kleinen Harry aufzutreten; und um ihn an
-dieselbe zu gewöhnen, hatte man ihn die letzten zwei Tage allein unter
-ihrer Obhut bleiben lassen; und ein besonderer Aufwand von Liebkosungen,
-in Verbindung mit einem unendlichen Betrage von Kuchen und Zuckerwerk,
-hatten die Anhänglichkeit von Seiten des jungen Herrn befestigt.
-
-Der Miethwagen fuhr nach dem Landungsplatze. Die zwei vermeintlichen
-jungen Männer schritten über das Brett in das Boot, indem Elise Mrs.
-Smyth mit vieler Artigkeit am Arm führte und Georg für das Gepäck Sorge
-trug.
-
-Als Georg vor dem Büreau des Kapitäns stand, um für seine
-Reisegesellschafter Zahlung zu leisten, hörte er zwei Männer neben sich
-reden.
-
-»Ich habe jeden, der an Bord kam, beobachtet,« sagte der Eine, »und
-weiß, sie sind nicht in diesem Boot.«
-
-Die Stimme war die des Bootsschreibers. Der Andre, mit dem er sprach,
-war unser alter Freund Marks, der mit jener unschätzbaren
-Beharrlichkeit, welche ihn charakterisirte, nach Sandusky gekommen war,
-um zu sehen, wen er verschlingen könne.
-
-»Ihr könnt das Frauenzimmer kaum von einer Weißen unterscheiden,« sagte
-Marks. »Die Mannsperson ist ein sehr heller Mulatte. Er hat ein Brandmal
-an der einen Hand.«
-
-Die Hand, womit Georg eben die Zettel und das heraus erhaltene Geld
-nahm, bebte ein wenig; aber er drehte sich kalt um, heftete den Blick
-unbefangen auf das Gesicht des Sprechenden und ging gemächlich nach
-einem andern Theile des Boots, wo Elise auf ihn wartete.
-
-Mrs. Smyth mit dem kleinen Harry ging nach der Damenkajüte, wo die
-dunkle Schönheit des vermeintlichen kleinen Mädchens den Reisenden
-manche schmeichelhafte Bemerkungen entlockte.
-
-Georg hatte die Genugthuung, daß er, als die Glocke zum Abschied
-läutete, Marks über das Brett an das Ufer gehen sah; und stieß einen
-tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als das Boot eine Entfernung, die
-keine Rückkehr zuließ, erreicht hatte.
-
-Es war ein prächtiger Tag. Die blauen Wogen des Erie-Sees tanzten, sich
-kräuselnd und im Sonnenlicht glänzend. Ein frisches Lüftchen wehte vom
-Ufer, und das herrliche Boot pflügte seinen Weg tapfer durch das Wasser.
-
-Oh, was für eine unaussprechliche Welt in ^einem^ menschlichen Herzen
-liegt! Wer dachte, als Georg ruhig das Verdeck des Dampfbootes auf- und
-abschritt, mit seinem schüchternen Gefährten an der Seite, an Alles das,
-was in seinem Busen brannte? Das große Gut, dem er sich nahte, schien
-ihm zu groß, um wirklich sein werden zu können; und er fühlte jeden
-Augenblick die Besorgniß, daß sich etwas erheben möchte, es ihm wieder
-zu entreißen.
-
-Aber das Boot flog weiter -- Stunden verflogen, und endlich erhob sich
-klar und deutlich die gesegnete englische Küste -- ein Gestade, dem die
-mächtige Zauberkraft verliehen ist, -- mit einer Berührung jede
-Sklaverei zu vernichten, gleichviel, in welcher Sprache ihre Formel
-gesprochen, oder von welcher Staatsgewalt sie bestätigt worden ist.
-
-Georg stand mit seiner Frau Arm in Arm, als das Boot sich dem Städtchen
-Armherstberg in Canada näherte. Sein Athem wurde schwer und kurz; wie
-Nebel sammelte es sich vor seinen Augen, und er drückte schweigend die
-kleine Hand, welche zitternd auf seinem Arme lag. Die Glocke erscholl --
-das Boot hielt an. Kaum sehend, was er that, suchte er sein Gepäck und
-sammelte die Seinigen um sich. Die kleine Gesellschaft wurde an das Ufer
-gesetzt. Sie standen still, bis das Boot ausgeladen hatte; und dann
-knieten mit Thränen und Umarmungen Gatte und Gattin, das staunende Kind
-in den Armen, nieder und erhoben ihre Herzen zu Gott!
-
- 'S war wie wenn Leben bricht durch Todesnacht,
- Aus Grabes Hülle zu des Himmels Licht;
- Vom Reich der Sünde und des Bösen Macht,
- Zu der erlösten Seele Freiheitsmorgenroth;
- Zerbrochen sind die Ketten, die geschmiedet Tod;
- Den Sterblichen Unsterblichkeit umweht,
- Wenn Gnadenhand den goldnen Schlüssel dreht
- Und ein zur Freiheitsherrlichkeit die Seele geht.
-
-Der kleine Kreis wurde darauf von Mrs. Smyth zur gastlichen Wohnung
-eines guten Missionärs geführt, den christliche Liebe hierher verpflanzt
-hatte, als einen Hirten für die Verstoßenen und Wandernden, die
-beständig an diesem Gestade eine Zuflucht finden.
-
-Wer kann den Segen des ersten Freiheitstages aussprechen? Ist nicht der
-Sinn der Freiheit ein höherer und feinerer, als irgend einer der fünf
-anderen. Sich zu bewegen, zu reden, zu athmen, zu gehen und zu kommen
-unbewacht und ohne Gefahr! Wer kann die Segnungen des Schlafes
-schildern, der sich auf des freien Mannes Kissen niedersenkt, unter
-Gesetzen, welche ihm die Rechte sichern, die Gott den Menschen
-verliehen? Wie schön erschien jener Mutter des schlafenden Kindes
-Antlitz, theurer durch die Erinnerung an tausend Gefahren! Wie unmöglich
-war es zu schlafen im überschwänglichen Genusse solchen Segens! Und doch
-hatten diese zwei nicht eine Hufe Land, kein Dach, das sie ihr eigen
-nennen konnten; sie hatten ihr Alles dahingegeben bis auf den letzten
-Thaler. Sie hatten nicht mehr, als die Vögel der Luft, oder die Blumen
-des Feldes -- und doch konnten sie nicht schlafen vor Freude. »O Ihr,
-die Ihr dem Menschen die Freiheit raubt, wie wollt Ihr das vor Gott
-verantworten?« --
-
-
-
-
-Achtunddreißigstes Kapitel.
-
-Der Sieg.
-
- »Dank sei Gott, der uns den Sieg verleiht.«
-
-
-Haben nicht viele von uns in mancher Stunde mühseligen Lebensweges
-gefühlt, wie weit leichter es sei, zu sterben, als zu leben?
-
-Der Märtyrer, wenn er unter körperlichen Qualen dem Tode in die Augen
-schaut, findet selbst im Schrecken seines Looses eine Stärkung. Es liegt
-eine lebendige Aufregung darin, welche ihn durch jede Krisis des Leidens
-führen kann, und sie zur Geburtsstunde ewigen Ruhmes und ewigen Friedens
-macht.
-
-Aber zu leben, und Tag für Tag in niederer, bitterer, gemeiner und
-quälender Knechtschaft sich hinzuschleppen, jede Nerve erschlafft und
-abgespannt, jede Gefühlskraft allmählig erstickt -- dieses lange,
-zehrende Märtyrerthum des Herzens, dieses langsame, tägliche Verbluten
-des inneren Lebens, tropfenweise, stündlich -- dies ist der wahre
-Probirstein dessen, was im Menschen ist.
-
-Als Tom seinem Verfolger gegenüberstand, und dessen Drohungen hörte, und
-in seiner innersten Seele dachte, daß seine Stunde gekommen sei, schwoll
-ihm muthig die Brust, und er glaubte, er könne Folter und Feuer, Alles
-ertragen, mit dem Blicke auf Jesus und den Himmel gerichtet; als
-derselbe aber fortgegangen und die Aufregung verschwunden war, kehrte
-der Schmerz seiner gequetschten, müden Glieder zurück und das Gefühl
-seines völlig herabgewürdigten, hoffnungslosen und verlornen Zustandes;
-und der Tag verging ihm traurig.
-
-Legree bestand darauf, daß Tom lange vorher, ehe dessen Wunden geheilt
-waren, wieder an die regelmäßige Feldarbeit gestellt werden sollte; und
-dann kamen Tag für Tag Schmerz und Müdigkeit, erschwert durch jede Art
-von Ungerechtigkeit und Unwürdigkeit, welche der böse Wille einer
-gemeinen und boshaften Seele ersinnen konnte. Wer nur immer in
-^unsern^ Umständen eine Schmerzensprüfung zu bestehen hatte, selbst
-mit allen Erleichterungen, welche dieselben bei uns gewöhnlich
-begleiten, muß die Gereiztheit kennen, die uns in derselben nie verläßt.
-Tom wunderte sich nicht mehr über die gewohnheitsmäßige Verdrießlichkeit
-seiner Gefährten: ja, er fand die ruhige, heitere Stimmung, welche ihn
-durch sein ganzes Leben begleitet hatte, zerstört und jämmerlich
-zerrissen. Er hatte auf Muße gehofft, seine Bibel lesen zu können, aber
-Muße gab es hier nicht. In der dringendsten Erntezeit trug Legree kein
-Bedenken, alle seine Arbeiter Sonntags wie Wochentags gleich zu quälen.
-Warum nicht? Er erzielte dadurch mehr Baumwolle, und gewann seine Wette;
-und wenn es einige Leute mehr aufrieb, konnte er bessere kaufen. Zuerst
-war Tom gewohnt gewesen, beim Leuchten des Feuers einige Bibelverse zu
-lesen, nachdem er von der Tagesarbeit zurückgekehrt war; nach der
-grausamen Behandlung aber, die er erfahren hatte, pflegte er so
-erschöpft nach Hause zu kommen, daß der Kopf sich ihm drehte und ihm die
-Augen den Dienst versagten, wenn er zu lesen versuchte, und er froh war,
-sich mit den Andern in völliger Erschöpfung niederstrecken zu können.
-
-Ist es auffallend, daß der Gottesfriede und das Himmelsvertrauen, welche
-ihn bisher aufrecht erhalten hatten, Gemüthserschütterungen und
-finsterem Verzagen weichen konnten? Die düsterste Aufgabe dieses
-geheimnißvollen Lebens war ihm beständig vor den Augen; zerschmetterte
-und zu Grunde gerichtete Seelen, Böses triumphirend und Gott schweigend.
-Wochen, Monate rang Tom in seinem Geiste in Dunkelheit und Betrübniß. Er
-dachte an Miß Ophelia's Brief, an seine Freunde in Kentucky, und betete
-ernstlich, daß ihm Gott Erlösung senden möge; und dann wartete er Tag
-für Tag in derlei unbestimmter Hoffnung, Jemanden zu sehen, der zu
-seiner Erlösung ausgesendet sei; und wenn Niemand kam, drängte er
-bittere Gedanken in sein Herz zurück -- daß es eitel sei, Gott zu
-dienen, daß Gott ihn vergessen habe. Zuweilen sah er Cassy, und wenn er
-zuweilen nach dem Hause gerufen wurde, erblickte er dann und wann die
-gebeugte Gestalt Emmelinens, er hatte aber mit keiner viel Verkehr; es
-blieb wirklich keine Zeit, mit irgend Jemanden Umgang zu haben.
-
-Eines Abends saß er in völliger Niedergeschlagenheit und Abspannung bei
-ein paar erlöschenden Feuerbränden, an denen er sein kärgliches
-Abendessen bereitete. Er legte etwas Reisig auf, um das Feuer wieder in
-Brand zu setzen, und zog dann seine verbrauchte alte Bibel aus der
-Tasche. Darin waren alle die Stellen gezeichnet, welche so oft seine
-Seele angeregt hatten -- Worte von Erzvätern und Sehern, Dichtern und
-Weisen, die von frühen Zeiten her dem Menschen Muth zugesprochen --
-Stimmen aus der großen Wolke von Zeugen, welche uns immer auf der
-Lebensbahn umgeben. Hatte das Wort seine Kraft verloren, oder waren das
-versagende Auge und der müde Sinn nicht länger empfänglich für jene
-mächtigen Eingebungen? Schwer seufzend steckte er das Buch in die
-Tasche. Ein rohes Gelächter erwartete ihn; er sah auf -- Legree stand
-ihm gegenüber.
-
-»Nun, alter Junge,« sagte er, »Du findest, Deine Religion wirkt nicht;
-es scheint so! Ich dachte ja, ich würde das aus Deiner Wolle
-herausbringen!«
-
-Der grausame Hohn war schlimmer, als Hunger, Kälte und Nacktheit. Tom
-war still.
-
-»Du warst ein Narr,« sagte Legree, »denn ich dachte Dir Gutes zu thun,
-als ich Dich kaufte. Du hättest besser daran sein können, als Sambo oder
-Quimbo, und gute Zeiten haben; und anstatt alle paar Tage geprügelt und
-gedroschen zu werden, könntest Du Freiheit gehabt haben, rings umher zu
-herrschen, und die andern Nigger zu peitschen, und hättest Dich zuweilen
-an einem guten Whiskeypunsch erwärmen können. Nun, mach keine Umstände
-und sei vernünftig! Wirf den alten Plunder hier ins Feuer und schlag
-Dich zu meiner Kirche!«
-
-»Gott behüte mich!« sagte Tom inbrünstig.
-
-»Du siehst, Gott will Dir nicht helfen; wenn er gewollt hätte, so hätte
-er Dich nicht in ^meine^ Hände kommen lassen. Deine Religion ist ein
-Gemisch von lauter Lügenkram, Tom. Ich weiß es. Halt lieber zu mir; ich
-bin etwas und kann etwas thun!«
-
-»Nein, Master,« sagte Tom, »ich will festhalten. Gott mag mir nun helfen
-oder nicht; aber ich will an ihm halten und bis aufs Letzte an ihn
-glauben!«
-
-»Um so mehr bist Du ein Narr!« sagte Legree, indem er ihn verächtlich
-anspie und mit dem Fuße trat. »Nun, es macht nichts aus; ich will Dich
-doch noch niederhetzen und herunterbringen, Du wirst 's sehen!« und
-Legree wendete sich weg.
-
-Wenn ein schweres Gewicht die Seele zur tiefsten Tiefe menschlichen
-Duldens herunterdrückt, so tritt eine plötzliche und verzweifelte
-Anstrengung jedes physischen und geistigen Nervs ein, das Gewicht
-abzuwerfen, und dadurch wird der größte Schmerz oft zu einer
-rückströmenden Fluth der Freude und des Muthes. So war es jetzt mit Tom.
-Die gottesläugnerischen Verhöhnungen seines grausamen Herrn senkten
-seine vorher schon niedergeschlagene Seele zur tiefsten Ebbe hinab; und
-obgleich die Hand des Glaubens sich noch an dem ewigen Felsen festhielt,
-so war es doch nur mit einem starren, verzweifelten Griffe. Tom saß wie
-betäubt am Feuer. Plötzlich schien Alles um ihn zu verschwinden, und
-vor ihm erhob sich die Erscheinung einer mit Dornen gekrönten,
-geschlagenen und blutenden Gestalt. Tom schaute mit Staunen und
-Bewunderung auf die würdevolle Ruhe des Antlitzes; die tiefen, rührenden
-Augen drangen ihm bis in das innerste Herz; seine Seele erwachte,
-während er mit strömendem Gefühle seine Hände ausstreckte und auf seine
-Kniee fiel; und allmählig veränderte sich die Erscheinung, die scharfen
-Dornen wurden zur Strahlenkrone, und im unbegreiflichen Glanze sah er
-dasselbe Antlitz sich mitleidsvoll zu ihm neigen, und eine Stimme sagte:
-»Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Stuhle zu
-sitzen, wie Ich überwunden habe, und bin mit meinem Vater gesessen auf
-seinem Stuhle.«
-
-Wie lange Tom so gelegen hatte, wußte er nicht. Als er wieder zu sich
-kam, war das Feuer erloschen, seine Kleider von feuchtem Thaue
-durchnäßt, aber der fürchterliche Seelenkampf war entschieden, und in
-der Freude, welche ihn erfüllte, fühlte er nicht mehr Hunger, Kälte,
-Erniedrigung, Widerwärtigkeit und Elend. Aus tiefster Seele schied er in
-jener Stunde von jeder Hoffnung dieses Lebens, und brachte seinen
-eigenen Willen als ein williges Opfer dem Unendlichen dar. Tom sah auf
-zu den stillen, ewigen Sternen, den Sinnbildern der Engelsschaaren, die
-immer auf den Menschen herabschauen; und die Einsamkeit der Nacht
-wiederhallte von den Siegesworten eines Lobgesanges, welchen er oft in
-glücklicheren Tagen gesungen, aber nie mit einem solchen Gefühle wie
-jetzt:
-
- »Die Erde wird wie Schnee zergehn,
- Die Sonne nicht mehr scheinen;
- Doch Gott, der mich hier ließ entstehn,
- Wird sich mit mir vereinen.«
-
- »Und wenn dies ird'sche Leben flieht,
- Und Fleisch und Sinn vergehn,
- Der Engel Schaar mich jenseits zieht,
- Wo Fried und Freude wehn.«
-
- »Und wenn zehntausend Jahr wir da
- Hell scheinend wie die Sonn',
- So sing'n wir noch Halleluja,
- Wie einst auf Erden schon.«
-
-Wer vertraut ist mit der Religionsgeschichte der Sklavenbevölkerung,
-wird wissen, daß Verhältnisse gleich denen, welche wir erzählt haben,
-sehr gewöhnlich unter ihnen sind. Wir haben von ihren eigenen Lippen
-einige der rührendsten und ergreifendsten Züge gehört. Der
-Seelenforscher erzählt uns von einem Zustande, in welchem die Bewegungen
-und Bilder des Gemüths so herrschend und übermächtig werden, daß sie die
-äußeren Sinne in ihren Dienst zwingen, und diese den inneren Gebilden
-eine erkennbare Gestalt verleihen. Wer kann ermessen, was ein
-alldurchdringender Geist mit diesen Fähigkeiten unserer sterblichen
-Natur wirken, oder wie er die verzagenden Seelen der Untröstlichen
-ermuthigen kann? Wenn der arme, vergessene Sklave glaubt, daß Jesus ihm
-erschienen sei und mit ihm geredet habe, wer wird ihm widersprechen?
-Sagte er nicht, daß seine Sendung zu allen Zeiten sei, »zu heilen, die
-zerstoßenen Herzens sind, zu predigen den Zerschlagenen, daß sie frei
-und ledig sein sollen.«
-
-Als das dunkle Grau der Morgendämmerung die Schläfer erweckte, hinaus
-auf das Feld zu gehen, da war einer unter jenen zerlumpten und
-schauernden Unglücklichen, der mit frohlockendem Schritte einherging,
-denn fester, als der Boden, welchen er betrat, war sein starker Glaube
-an die allmächtige, ewige Liebe. Ach, Legree! versuche jetzt alle Deine
-Kräfte! Völlige Seelenangst, Wehe, Erniedrigung, Mangel und Verlust von
-Allem werden nur den Proceß beschleunigen, der ihn zum König und
-Priester Gottes weiht!
-
-Von dieser Zeit an umgab ein unverletzbarer Kreis des Friedens das
-demüthige Herz des Bedrückten -- ein immer gegenwärtiger Erlöser weihte
-es zu einem Tempel. Vorüber ist nun das Bluten irdischen Schmerzes,
-vorüber seine schwankende Hoffnung und Furcht, sein schwankendes
-Verlangen -- der menschliche Wille gebeugt und blutend, und lange
-ringend, war nun ganz in dem göttlichen aufgegangen. So kurz schien
-jetzt die übrige Lebensreise -- so nahe, so lebendig der ewige Segen --
-daß des Lebens äußerstes Weh harmlos an ihm vorüberging.
-
-Alle bemerkten die Veränderung in seiner Erscheinung. Heiterkeit und
-Freudigkeit schien in ihn zurückzukehren, und eine Ruhe, welche keine
-Kränkung oder Beleidigung stören konnte, schien ihn zu beherrschen.
-
-»Was der Teufel ist in den Tom gefahren?« sagte Legree zu Sambo. »Vor
-einiger Zeit war er ganz wie stumm, und jetzt ist er vergnügt wie ein
-Heimchen.«
-
-»Weiß nicht, Master, will vielleicht fortlaufen.«
-
-»Möchte ihn das versuchen sehen,« sagte Legree mit wildem Grinsen;
-»nicht wahr, Sambo?«
-
-»Ja, ich glaube! Ha! ha!« sagte der schwarze Gnom, indem er
-dienstpflichtig lachte. »O Herr, der Spaß! Ihn im Schlamme stecken,
-durch die Büsche jagen und reißen zu sehen, die Hunde an den Fersen!
-Herr, ich lachte, daß ich dachte, ich sollte platzen, damals, als wir
-Molly fingen. Ich dachte, sie hätten ihr alles Zeug vom Leibe gerissen,
-ehe ich sie von ihr kriegen konnte. Sie hat noch immer die Male von dem
-Spasse.«
-
-»Ich glaube, sie wird sie mit ins Grab nehmen,« sagte Legree. »Aber
-jetzt, Sambo, pass' auf! Wenn der Neger dergleichen im Schilde hat,
-stelle ihm ein Bein.«
-
-»Herr, laßt mich dafür sorgen!« sagte Sambo. »Ich will den Affen
-fangen.«
-
-Das wurde gesprochen, als Legree auf sein Pferd stieg, um zur
-benachbarten Stadt zu reiten. Als er jenen Abend zurückkehrte, fiel es
-ihm ein, sein Pferd umzudrehen und um die Hütten zu reiten und zu
-sehen, ob Alles in Ordnung sei.
-
-Es war eine prächtige Mondnacht; die Schatten der schönen
-Pomeranzenbäume lagen scharf gezeichnet auf den Rasen, und es herrschte
-jene durchsichtige Stille in der Luft, deren Störung unheilig erscheint.
-Als Legree in geringer Entfernung von den Hütten war, hörte er eine
-Stimme singen. Es war kein gewöhnlicher Gesang, und er hielt deshalb an,
-um zu horchen. Eine klangvolle Tenorstimme sang:
-
- »Wenn ich mein Recht klar lesen kann
- Auf himmlischen Besitz,
- So kommt mich keine Furcht mehr an,
- Und scheu' ich nicht der Hölle Blitz.«
-
- »Und ringt mit Erdenlust mein Geist
- Und fliegt der Hölle Pfeil,
- Mein Heiland, Satan von mir weist,
- Und schützt mein Seelenheil.«
-
- »Kömmt Sorge wie 'ne Sündfluth an,
- Und Unglücksstürme wehn,
- Komm ich doch nicht von meiner Bahn,
- Die kann ich deutlich sehn.«
-
-»So! ha!« sagte Legree bei sich, »denkt er das wirklich? Wie ich diese
-verfluchten Methodistenlieder hasse! Her! Nigger!« sagte er, indem er
-plötzlich auf Tom zukam und seine Reitpeitsche in die Höhe hob, »wie
-kannst Du Dich unterstehen, diesen Lärm hier zu machen, wenn Du zu Bette
-sein mußt? Halt Deinen alten schwarzen Rachen und packe Dich fort!«
-
-»Ja, Master,« sagte Tom mit bereitwilliger Freundlichkeit, als er sich
-erhob, um heimzugehen.
-
-Legree war auf's Aeußerste gereizt durch Toms sichtliche Glückseligkeit;
-er ritt an ihn heran und bearbeitete ihn mit Schlägen über Kopf und
-Schultern.
-
-»Da, Hund,« sagte er, »sieh zu, ob Dir danach noch immer so wohl ist!«
-
-Aber die Schläge fielen jetzt nur auf den äußern Menschen und nicht, wie
-zuvor, auf das Herz. Tom stand völlig unterwürfig da; und doch konnte
-sich Legree nicht verhehlen, daß seine Macht über seinen Leibeigenen
-aufgehört hatte. Als Tom in seiner Hütte verschwand, und er sein Pferd
-herumwarf, durchzuckte sein Herz plötzlich einer jener lebendigen
-Blitze, welche oft das Licht des Gewissens durch die dunkle, ruchlose
-Seele senden. Er fühlte deutlich, daß es Gott sei, der zwischen ihm und
-seinem Opfer stand, und er lästerte ihn. Jener unterwürfige und stille
-Mensch, den weder Hohn, noch Drohungen, weder Streiche, noch
-Grausamkeiten stören konnten in der Ruhe des Gemüthes, erweckte eine
-Stimme in ihm, wie sie vor Alters sein Herr erweckte in der besessenen
-Seele, die da sagte: »Ach Jesu, Du Sohn Gottes, was haben wir mit Dir zu
-thun? Bist Du gekommen, uns zu quälen, ehe denn es Zeit ist?«
-
-Toms ganzes Herz floß über von Mitleid und Theilnahme für die armen
-Elenden, von welchen er umringt war. Ihm schien es, als wenn sein
-Lebenskummer noch nicht vorüber sei, und als wenn er aus jenem seltsamen
-Schatze von Frieden und Freude, mit dem er von Oben begnadigt worden
-war, etwas zur Erleichterung ihres Elends ausgießen müsse. Die
-Gelegenheit war freilich selten; aber auf dem Wege in die Felder und
-wieder zurück, und während den Arbeitsstunden bot sich ihm die
-Gelegenheit dar, den Müden, Verzagten und Kleinmüthigen eine hülfreiche
-Hand zu reichen. Die armen, ausgemergelten entmenschten Geschöpfe
-konnten das anfangs kaum begreifen; als es aber wöchentlich und
-monatlich fortgesetzt wurde, begann es endlich, Saiten, die lange
-geschwiegen, in ihren erstarrten Herzen anzuschlagen. Allmählig und
-unmerkbar begann der seltsame, stille, geduldige Mensch, der immer
-bereit war, Jedermanns Bürde zu tragen, und von Niemanden Hülfe
-verlangte -- der Allen den Platz räumte, und zuletzt kam und zuletzt
-nahm, jedoch der Erste war, das Wenige, was er hatte, mit Jedem zu
-theilen, der es bedurfte -- der Mensch, welcher in kalten Nächten seine
-zerrissene Decke willig zur Bequemlichkeit einer Frau hergab, die an
-Frost oder Krankheit litt; welcher im Felde die Körbe der Schwächern
-füllte, in der furchtbaren Gefahr, in seinem eigenen Maße zu kurz zu
-kommen -- und welcher, obgleich mit unablässiger Grausamkeit von ihrem
-gemeinschaftlichen Tyrannen verfolgt, nie mit einem Worte in die
-Schmähungen und Flüche einstimmte, welche man über jenen ausstieß --
-dieser Mensch begann zuletzt eine seltene Gewalt über seine Umgebung zu
-erlangen; und als die drängende Erntezeit vorüber war, und sie den
-Sonntag wieder zu ihrer eigenen Benutzung frei hatten, sammelten sich
-Manche um ihn, um von ihm über Jesus zu hören. Sie hätten sich gern
-irgendwo versammelt, um zu hören, zu beten und zu singen, aber Legree
-wollte das nicht erlauben und störte solche Versuche öfters mit Fluchen
-und rohen Verwünschungen, so daß die gesegneten Worte unter den
-Einzelnen von Munde zu Munde gehen mußten. Wer kann jedoch die einfache
-Freude schildern, womit einige dieser armen Verstoßenen, für die das
-Leben eine freudenleere Reise zu einer unbekannten, finstern Zukunft
-war, von einem mitleidigen Erlöser und einer himmlischen Heimath hörten?
-Missionäre versichern, daß keine Menschenrace der Erde das Evangelium
-mit so eifriger Gelehrigkeit empfangen hat, wie die afrikanische. Das
-Princip des zuversichtlichen Vertrauens und zweifellosen Glaubens, der
-seine Grundlage bildet, ist bei diesem Stamme mehr, als bei jedem andern
-natürlich vorhanden; und man hat oft unter ihnen gefunden, daß ein
-zerstreutes Samenkorn der Wahrheit, von einem Lüftchen des Zufalls in
-das unwissendste Herz gelegt, Frucht getragen hat, deren Reichthum das
-mit höherer Bildung begabte beschämt hat.
-
-Die arme Mulattin, deren einfältiger Glaube fast zerdrückt und
-zerschmettert worden war durch die Lawine von Grausamkeit und Unrecht,
-welche sie überschüttet hatte, fühlte ihre Seele gehoben von den
-Gesängen und Stellen der heiligen Schrift, welche dieser demüthige
-Missionar von Zeit zu Zeit in ihr Ohr hauchte, wenn sie zur Arbeit
-gingen oder davon zurückkehrten; und selbst der halb zerrüttete und
-irregehende Geist Cassy's wurde besänftigt und beruhigt durch seinen
-schlichten und ungesuchten Einfluß.
-
-Zu Wahnsinn und Verzweiflung von den zermalmenden Martern ihres Lebens
-getrieben, hatte Cassy oft in ihrer Seele eine Stunde der Vergeltung
-beschlossen, in der ihre Hand an ihrem Unterdrücker alle Ungerechtigkeit
-und Grausamkeit rächen sollte, zu deren Zeugin er sie gemacht oder
-welche ^sie^ in ihrer eigenen Person geduldet hatte.
-
-In einer Nacht, nachdem Alles in Toms Hütte in Schlaf gesunken war,
-wurde derselbe plötzlich erweckt, indem er ihr Gesicht an einer Oeffnung
-zwischen den Balken gewahrte, die als Fenster diente. Sie winkte ihm
-schweigend, herauszukommen.
-
-Tom trat zur Thür hinaus. Es war zwischen ein und zwei Uhr Morgens --
-heller, ruhiger, stiller Mondschein. Als das Mondlicht auf Cassy's
-große, schwarze Augen fiel, gewahrt' er, daß darin ein wilder,
-eigenthümlicher Glanz leuchtete, ungleich ihrer gewöhnlichen, starren
-Verzweiflung.
-
-»Komm her, Vater Tom,« sagte sie, indem sie ihre kleine Hand auf sein
-Handgelenk legte, und ihn mit einer Kraft, als wenn die Hand von Stahl
-wäre, fortzog; »komm her -- ich habe Neuigkeiten für Euch.«
-
-»Was, Misse Cassy?« sagte Tom ängstlich.
-
-»Tom, möchtest Du nicht gern Deine Freiheit haben?«
-
-»Ich werde sie haben, Misse, »zur Zeit Gottes,«« sagte Tom.
-
-»Ja, aber Du kannst sie diese Nacht noch haben,« sagte Cassy mit einem
-Strahl plötzlichen Feuers. »Komme!«
-
-Tom zögerte.
-
-»Komm'!« sagte sie flüsternd, indem sie ihre schwarzen Augen auf ihn
-heftete. »Komm mit mir! Er schläft -- fest. Ich habe genug in seinen
-Brandwein gethan, um ihn so zu erhalten. Ich wollte, ich hätte mehr
-gehabt; dann hätte ich Dich nicht gebraucht. Aber komm, die Hinterthür
-ist unverschlossen; dort ist eine Axt; ich habe sie dahingelegt -- seine
-Stubenthür ist offen, ich will Dir den Weg zeigen. Ich hätte es selbst
-gethan; aber meine Arme sind zu schwach. Komm! komm!«
-
-»Nicht für zehntausend Welten, Misse!« sagte Tom fest, indem er still
-stand und sie zurückhielt, als sie vorwärts drängte.
-
-»Aber denke doch an alle diese armen Geschöpfe,« sagte Cassy. »Wir
-könnten sie alle in Freiheit setzen und irgendwo in die Sümpfe gehen und
-eine Insel finden und für uns leben; ich habe gehört, daß es schon
-geschehen ist. Jedes Leben ist besser als dieß.«
-
-»Nein!« sagte Tom fest. »Nein! Nie entsteht Gutes aus Bösem. Ich wollte
-mir lieber die rechte Hand abhacken!«
-
-»Dann will ^ich^ es thun,« sagte Cassy, indem sie sich umdrehte.
-
-»O, Misse Cassy!« sagte Tom, indem er sich vor sie niederwarf, »um des
-lieben Herrn willen, der für Euch gestorben ist, verkauft nicht so Eure
-kostbare Seele dem Teufel. Nichts als Böses kommt davon. Der Herr hat
-uns nicht zu Zorn berufen. Wir müssen leiden und seine Zeit erwarten.«
-
-»Erwarten!« sagte Cassy. »Habe ich nicht gewartet -- gewartet, bis mein
-Kopf schwindelig und mein Herz krank geworden ist? Was hat er mich
-dulden lassen? Was hat er Hunderte von armen Geschöpfen leiden lassen?
-Preßt er nicht das Lebensblut aus Euch? Ich bin berufen! Man ruft mich!
-Seine Zeit ist gekommen, und ich will sein Herzblut haben!«
-
-»Nein, nein, nein!« sagte Tom, indem er ihre kleinen Hände festhielt,
-die sie mit krampfhafter Gewalt geballt hatte. »Nein, arme, verlorne
-Seele, das dürft Ihr nicht. Der liebe Herr vergoß kein anderes Blut, als
-sein eigenes, und das vergoß er für uns, als wir seine Feinde waren.
-Herr, hilf uns in Deine Fußstapfen zu treten und unsere Feinde zu
-lieben!«
-
-»Lieben!« sagte Cassy mit einem grimmigen Blick, »^solche^ Feinde
-lieben! Fleisch und Blut kann das nicht.«
-
-»Nein, Fräulein,« sagte Tom, indem er aufsah; »aber ^Er^ gibt es uns,
-und das ist der ^Sieg^. Wenn wir lieben und beten können über Alles
-und durch Alles, so ist der Kampf vorüber und der Sieg ist da --
-gepriesen sei Gott!« Und mit strömenden Augen und erstickender Stimme
-schaute der schwarze Mensch zum Himmel auf.
-
-Und dies, Afrika! -- zuletzt berufen unter allen Völkern, berufen zur
-Dornenkrone, zur Geißel, dem blutigen Schweiße, dem Kreuze des
-Todeskampfes -- dies soll ^Dein^ Sieg sein; dadurch sollst Du mit
-Christus herrschen, wenn sein Königreich kommen wird auf Erden.
-
-Die tiefe Gluth von Tom's Gefühlen, seine sanfte Stimme, seine Thränen
-fielen wie Thau auf den wilden, unstäten Geist der unglücklichen Frau.
-Ein sanfter Ausdruck sammelte sich um das düstere Feuer ihres Auges; sie
-blickte nieder, und Tom konnte fühlen, wie die Muskeln ihrer Hand
-nachließen, als sie sagte:
-
-»Habe ich Dir nicht gesagt, daß böse Geister mich verfolgten? O, Vater
-Tom, ich kann nicht beten. Ich wollte, ich könnte. Ich habe nie gebetet,
-seitdem meine Kinder verkauft wurden! Was Du sagst, muß wahr sein --
-ich weiß, es muß; aber wenn ich zu beten versuche, kann ich nur hassen
-und fluchen. Ich kann nicht beten!«
-
-»Arme Seele!« sagte Tom mitleidig. »Satan möchte Euch gerne haben und
-wie Waizen sieben. Ich bete für Euch zum Herrn. O, Miß Cassy, wendet
-Euch zu dem lieben Herrn Jesus. Er ist gekommen, die zerstoßenen Herzens
-sind, zu heilen und die Trauernden zu trösten.«
-
-Cassy stand still, während große, schwere Thränen aus ihren
-niedergeschlagenen Augen tropften.
-
-»Misse Cassy,« sagte Tom mit zögernder Stimme, nachdem er sie einen
-Augenblick stillschweigend mit den Blicken gemessen, »wenn Ihr nur von
-hier fortkommen könntet, wenn es nur möglich wäre -- ich möchte Euch und
-Emmeline rathen, es zu thun, das heißt, wenn ihr ohne Blutschuld gehen
-könntet, nicht anders.«
-
-»Wolltest Du es mit uns versuchen, Vater Tom?«
-
-»Nein,« sagte Tom; »es gab eine Zeit, wo ich gewollt hätte; aber der
-Herr hat mir ein Werk aufgetragen unter diesen armen Seelen, und ich
-will mit ihnen stehen und mein Kreuz mit ihnen tragen bis zum Ende. Es
-ist etwas Anderes mit Euch: für Euch ist es eine Falle -- es ist mehr,
-als Ihr tragen könnt; und Ihr solltet lieber gehen, wenn Ihr könnet.«
-
-»Ich kenne keinen Weg, als durch das Grab,« sagte Cassy. »Es giebt kein
-Thier, keinen Vogel, der nicht irgendwo eine Heimath finden könnte,
-selbst die Schlangen und die Alligators haben ihre Orte, wo sie sich in
-Ruhe niederlegen können; aber wir haben keinen Ort. Unten in den
-dunkelsten Sümpfen werden uns ihre Hunde aufjagen. Alles und Alles ist
-gegen uns, selbst die Thiere nehmen Partei gegen uns, -- und wohin
-sollen wir uns wenden?«
-
-Tom stand stille; endlich sagte er:
-
-»Er, der Daniel in der Löwengrube errettete -- der die Kinder im
-feurigen Ofen bewahrte -- der auf der See wandelte und dem Winde Stille
-gebot -- er lebt noch; und ich habe den Glauben an ihn, daß er Euch
-befreien kann. Versucht es, und ich will mit aller Kraft für Euch
-beten.«
-
-Nach welchem Gesetz des Geistes geschieht es, daß eine Idee, die lange
-unbeachtet gewesen ist, und wie ein unnützer Stein mit Füßen getreten
-worden ist, plötzlich in neuem Lichte aufflammt, wie ein neu entdeckter
-Edelstein!
-
-Cassy hatte oft stundenlang alle möglichen und wahrscheinlichen
-Fluchtpläne überlegt und alle als hoffnungslos und unausführbar bei
-Seite gelegt; aber in diesem Augenblick flog ein Plan durch ihre Seele,
-so einfach und leicht ausführbar in allen seinen Einzelnheiten, um
-augenblickliche neue Hoffnung zu erwecken.
-
-»Vater Tom, ich will es versuchen!« sagte sie plötzlich.
-
-»Amen!« sagte Tom. »Der Herr helfe Euch!«
-
-
-
-
-Neununddreißigstes Kapitel.
-
-Der Kunstgriff.
-
- Der Gottlosen Weg ist dunkel, und sie wissen
- nicht, wo sie fallen werden.
-
-
-Der Boden des Hauses, welches Legree bewohnte, war, wie die meisten
-anderen Böden, ein großer, öder Platz, staubig, mit Spinneweben behangen
-und mit verbrauchtem Gerölle überstreut. Die reiche Familie, welche das
-Haus in den Tagen seines Glanzes bewohnte, hatte viel glänzendes
-Hausgeräth hineingebracht, wovon sie einen Theil mit sich weggenommen
-hatte, während ein anderer verlassen in modernden, unbewohnten Zimmern
-stehen geblieben, oder an diesen Ort aufgehäuft worden war. Ein oder
-zwei sehr große Kisten, in denen dies Geräth gebracht worden war,
-standen an den Seiten des Bodens. Es befand sich dort ein kleines
-Fenster, welches durch seine schmutzigen, staubigen Scheiben ein
-dürftiges, ungewisses Licht auf die hohen Stühle und staubigen Tische
-fallen ließ, die einst bessere Tage gesehn hatten. Im Ganzen war es ein
-gespenstiger, unheimlicher Ort; aber so geisterhaft er war, fehlte es
-ihm doch nicht an Sagen unter den abergläubischen Negern, seine
-Schrecknisse zu erhöhen. Wenige Jahre vorher, war eine Negerin, welche
-Legrees Mißvergnügen erregt hatte, mehrere Wochen lang dort
-eingeschlossen worden. Wir sagen nicht, was dort geschah; die Neger
-pflegten es sich einander zuzuflüstern; aber es war bekannt, daß der
-Leichnam des unglücklichen Geschöpfes eines Tages von dort
-heruntergebracht und beerdigt wurde; und darauf hieß es, daß
-Verwünschungen und Flüche und der Schall heftiger Schläge, vermischt mit
-Klagen und Stöhnen der Verzweiflung durch die alte Bodenkammer zu
-schallen pflegten. Als einst Legree zufällig etwas der Art hörte,
-gerieth er in heftige Leidenschaft, und schwor, daß der Nächste, welcher
-Geschichten von dieser Bodenkammer erzähle, Gelegenheit haben solle, zu
-erfahren, was darin vorgänge, denn er wolle ihn eine Woche lang dort in
-Ketten legen. Dieser Wink reichte hin, um alles weitere Gespräch darüber
-zu unterdrücken, obgleich er natürlich den Glauben an die Wahrheit der
-Geschichte nicht verminderte.
-
-Allmählig wurde die Treppe, welche zu der Oberstube führte, und selbst
-der Gang zu jener Treppe, von jedermann im Hause gemieden, da jeder
-davon zu sprechen fürchtete, und die Sage kam allmälig in Vergessenheit.
-Plötzlich war es Cassy eingefallen, von der abergläubischen
-Erregbarkeit, welche bei Legree so stark war, zum Zwecke ihrer Befreiung
-und der ihrer Mitdulder Gebrauch zu machen.
-
-Cassy's Schlafzimmer war gerade unter dem Boden. Eines Tages begann sie
-plötzlich, ohne Legree dabei zu Rathe zu ziehen, mit bedeutendem
-Aufsehen alles Geräth und Zubehör ihres Zimmers nach einem andern in
-beträchtlicher Entfernung davon schaffen zu lassen. Die Unterbedienten,
-welche Auftrag erhalten hatten, diesen Umzug zu bewerkstelligen, rannten
-und lärmten umher mit großem Eifer und viel Verwirrung, als Legree
-gerade von einem Ritte zurückkam.
-
-»Hallo! Cass'!« sagte Legree, »was ist hier im Werke?«
-
-»Nichts; ich bin nur gesonnen, ein anderes Zimmer zu haben,« sagte Cassy
-mürrisch.
-
-»Und warum denn das?« sagte Legree.
-
-»Weil mir's beliebt,« sagte Cassy.
-
-»Und weßhalb denn, zum Teufel?«
-
-»Ich möchte gern zuweilen ein Bischen Schlaf haben.«
-
-»Schlaf! gut, warum kannst Du denn nicht schlafen?«
-
-»Ich glaube, ich kann es Euch sagen, wenn Ihr es hören wollt,« sagte
-Cassy trocken.
-
-»Heraus damit, Mensch!« sagte Legree.
-
-»O! Nichts. Es wird Euch vermutlich nicht stören. Nichts als Stöhnen und
-Balgen und Umherrollen auf dem Boden die halbe Nacht hindurch, von Zwölf
-bis zum Morgen.«
-
-»Leute auf dem Boden?« sagte Legree mit Unbehagen, sich jedoch zum
-Lachen zwingend. »Wer ist es, Cassy?«
-
-Cassy schlug ihre scharfen, schwarzen Augen auf und sah Legree mit einem
-Ausdrucke in's Gesicht, der ihm durch Mark und Bein ging, als sie sagte:
-»Wahrhaftig, Simon, wer es ist? Ich wollte gern, daß ^Ihr^ es mir
-sagtet. Ihr wißt 's vermuthlich nicht!«
-
-Legree schlug fluchend mit der Reitpeitsche nach ihr, aber sie schlüpfte
-auf die Seite, eilte zur Thüre hinaus und sagte, indem sie
-zurückschaute: »Wenn Ihr in jenem Zimmer schlafen wollt, erfahrt Ihr
-Alles. Vielleicht versucht Ihr 's lieber selbst!« Und dann machte sie
-sogleich die Thür zu und verschloß dieselbe.
-
-Legree tobte und fluchte, und drohte die Thür einzuschlagen, besann sich
-aber sichtlich eines Bessern und ging unruhig in sein Wohnzimmer. Cassy
-bemerkte, daß der Pfeil den rechten Fleck getroffen hatte, und von jener
-Stunde an hörte sie mit der ausgezeichnetsten Geschicklichkeit nie mehr
-auf, die Einwirkungen, welche sie begonnen, fortzusetzen.
-
-In einem Astloche auf dem Boden hatte sie einen alten Flaschenhals so
-angebracht, daß wenn der geringste Wind war, jammervolle und traurige
-Klagetöne daraus hervorgingen, welche bei einem starken Winde zu
-völligen Schreien anwuchsen, so daß es leichtgläubigen und in
-Aberglauben befangenen Ohren leicht scheinen konnte, als wenn sie
-Schreckens- und Verzweiflungs-Laute hörten.
-
-Jene Töne, welche die Dienerschaft von Zeit zu Zeit hörte, erweckten die
-Erinnerung an die alte Gespenstergeschichte in voller Kraft. Eine
-abergläubische Furcht schien das ganze Haus zu beschleichen, und
-obgleich sie Niemand gegen Legree äußern durfte, fand er sich doch davon
-wie von einem Dunstkreise umgeben.
-
-Niemand ist so durchaus abergläubisch, als der Gottlose. Der Christ ist
-gesammelt im Glauben an einen weisen, Alles beherrschenden Vater,
-dessen Gegenwart die unbekannten Räume mit Licht und Ordnung erfüllt;
-aber einem Menschen, welcher Gott verläugnet, ist das Geisterland in der
-That, mit den Worten des hebräischen Dichters zu reden, »ein Land der
-Dunkelheit und der Schatten des Todes,« ohne jede Ordnung und ohne
-Licht. Leben und Tod sind für ihn gespenstige Gebiete, angefüllt mit
-Koboldgestalten und drohenden Schatten.
-
-Bei Legree waren die schlummernden moralischen Elemente durch sein
-Zusammentreffen mit Tom geweckt worden -- geweckt, nur um Widerstand an
-der entschlossenen Kraft des Bösen zu finden; aber dennoch lag eine
-Mahnung an die finstere, innere Welt in jedem Worte, jedem Gebete oder
-Liede, und rief abergläubische Furcht hervor.
-
-Der Einfluß Cassy's auf ihn war eigenthümlicher Art. Sie war sein
-Eigenthum und er ihr Tyrann und Quäler. Sie war, wie sie wußte, ganz und
-ohne jede Möglichkeit von Hülfe oder Rettung in seinen Händen, und doch
-ist es so, daß selbst der roheste Mann nicht in beständigem Verkehr mit
-einem starken, weiblichen Einflusse leben kann, ohne in hohem Grade
-davon beherrscht zu werden. Als er sie kaufte, war sie, wie wir sie
-haben sagen hören, ein wohlerzogenes Frauenzimmer, und er zermalmte sie,
-ohne Gewissensbisse, unter seinen thierischen Füßen. Als aber die Zeit,
-erniedrigende Einflüsse und Verzweiflung das weibliche Gefühl in ihr
-abgestumpft, und die Gluthen wilder Leidenschaften in ihr erwacht waren,
-war sie seine Geliebte geworden und er quälte und fürchtete sie
-wechselsweise.
-
-Dieser Einfluß war plagender und entschiedener geworden, seit
-theilweiser Wahnsinn allen ihren Worten und ihrer ganzen Sprache einen
-fremden, spukhaften und unstäten Anstrich gegeben hatte.
-
-Ein oder zwei Abende später saß Legree in dem alten Wohnzimmer bei einem
-flackernden Holzfeuer, das einen ungewissen Schein im Zimmer umher warf.
-Es war eine stürmische Regennacht, eine solche, die ganze Schaaren
-unbeschreibbarer Töne und Laute in baufälligen alten Häusern erweckt.
-Fenster rasselten, Laden schlugen auf und zu, der Wind lärmte, und fuhr
-den Schornstein herab, und peitschte dann und wann Rauch und Asche
-umher, als wenn eine Legion Geister hinter ihm käme. Legree hatte ein
-Paar Stunden lang Rechnungen geprüft und Zeitungen gelesen, während
-Cassy in der Ecke saß und mürrisch in das Feuer sah. Legree legte die
-Papiere hin und da er ein altes Buch auf dem Tische liegen sah, welches
-er Cassy im ersten Theile des Abends hatte lesen sehen, nahm er es auf
-und begann darin zu blättern. Es war eine jener Sammlungen von
-Geschichten blutiger Morde, Gespenstern und übernatürlichen
-Erscheinungen, welche in ihrem rohen Gewande und mit Kupfern verziert,
-einen eigenthümlichen Reiz für den haben, der sie einmal zu lesen
-anfängt.
-
-Legree sagte wiederholt: Pah! und Pfui! las aber zu, indem er Blatt auf
-Blatt umkehrte, bis er endlich, nachdem er eine gute Strecke
-hineingelesen, das Buch mit einem Fluche wegwarf.
-
-»Du glaubst nicht an Geister, Cassy, nicht wahr?« sagte er, indem er die
-Zange nahm und das Feuer schürte. »Ich dachte, Du hättest mehr Verstand,
-als Dich von solchem Lärm in Furcht jagen zu lassen.«
-
-»Es kommt nichts darauf an, was ich glaube,« sagte Cassy mürrisch.
-
-»Auf der See pflegten die Kerle zu versuchen, mir mit ihren Geschichten
-bange zu machen,« sagte Legree. »Mich übertölpelt Keiner auf die Art.
-Ich bin zu fest für dergleichen Plunder, das kann ich Dir sagen.«
-
-Cassy saß im Schatten der Ecke und schaute ihn mit durchdringenden
-Blicken an. Es war jenes seltsame Licht in ihren Augen, das auf Legree
-immer einen unheimlichen Eindruck machte.
-
-»Der Lärm war nichts als Ratten und Wind,« sagte Legree. »Ratten machen
-einen Teufelslärm. Ich habe sie zuweilen unten im Schiffsraume gehört;
-und Wind -- um Gottes Willen! man kann Alles aus Wind machen.«
-
-Cassy wußte, daß es Legree unter ihrem Blicke nicht wohl war, und sie
-antwortete deßhalb nicht, sondern fuhr fort, den Blick auf ihn zu heften
-mit demselben seltsamen, unheimlichen Ausdruck wie vorher.
-
-»Sprich doch, Weib -- nicht wahr?« sagte Legree.
-
-»Können Ratten die Treppe heruntergehen, durch die Halle kommen und die
-Thür aufmachen, wenn man sie zugeschlossen und einen Stuhl davor gesetzt
-hat?« sagte Cassy; »und gerade auf das Bett kommen, und ihre Hand
-ausstrecken, so?«
-
-Cassy heftete ihr blitzendes Auge auf Legree, als sie so sprach, und er
-starrte sie an, wie ein Mensch unter Alpdrücken, bis er, als sie damit
-endete, daß sie ihre eiskalte Hand auf die seine legte, mit einem Fluche
-zurücksprang.
-
-»Weib! Was willst Du? Es war Niemand!«
-
-»O, nein -- natürlich -- sagte ich, es war Jemand?« sagte Cassy mit
-einem Lächeln kalten Hohnes.
-
-»Aber -- hast Du wirklich gesehen? Komm', Cass', was ist es? Sprich!«
-
-»Ihr könnt selbst da schlafen,« sagte Cassy, »wenn Ihr es wollt.«
-
-»Kam es vom Boden herunter, Cassy?«
-
-»Es -- was?« sagte Cassy.
-
-»Nun, wovon Du sprachst.«
-
-»Ich habe Euch Nichts gesagt,« sagte Cassy mit finsterem Tone.
-
-Legree schritt unruhig im Zimmer auf und ab.
-
-»Ich will das heraushaben. Ich will diesen Abend noch untersuchen. Ich
-nehme meine Pistolen --«
-
-»Das thut,« sagte Cassy; »schlaft in dem Zimmer. Ich wollte, Ihr thätet
-es. Schießt mit den Pistolen -- thut's!«
-
-Legree stampfte mit dem Fuße und fluchte gewaltig.
-
-»Flucht nicht,« sagte Cassy; »Niemand weiß, wer Euch hören kann. Horcht!
-Was war das?«
-
-»Was?« sagte Legree zurückfahrend.
-
-Eine schwerfällige, alte, holländische Uhr, welche in einem Winkel der
-Stube stand, hob an und schlug langsam Zwölf.
-
-Aus einem oder dem andern Grunde sprach Legree weder, noch bewegte er
-sich; ein unbestimmtes Grauen befiel ihn; während Cassy, mit einem
-scharfen, spöttischen Glanze im Auge, ihn ansah und die Schläge zählte.
-
-»Zwölf Uhr; gut, ^nun^ wollen wir sehen,« sagte sie, indem sie sich
-umdrehte und die Thür nach dem Gange öffnete, wie um zu lauschen.
-
-»Horcht! Was ist das?« sagte sie, indem sie den Finger aufhob.
-
-»Es ist bloß der Wind,« sagte Legree. »Hörst Du nicht, wie verdammt er
-bläst.«
-
-»Simon, kommt her,« sagte Cassy flüsternd, indem sie ihre Hand auf die
-Seinige legte und ihn an den Fuß der Treppe führte; »wißt Ihr, was das
-ist? Horcht!«
-
-Ein wilder Schrei schallte die Treppe herunter. Er kam aus dem Boden.
-Legree's Beine schlotterten; sein Gesicht wurde weiß vor Furcht.
-
-»Wollt Ihr nicht lieber Eure Pistolen zur Hand nehmen?« sagte Cassy mit
-einem Hohn, der Legree's Blut erstarren ließ. »Jetzt ist's Zeit, es zu
-untersuchen. Ich dächte, Ihr ginget jetzt hinauf; ^jetzt sind sie
-dran!^«
-
-»Ich gehe nicht!« sagte Legree mit einem Fluche.
-
-»Warum nicht? So etwas wie Geister gibt es nicht, wisset Ihr! Vorwärts!«
-und Cassy schlüpfte die Wendeltreppe hinauf, lachend nach ihm
-zurückblickend. »Kommt doch!«
-
-»Ich glaube, Du bist der Teufel!« sagte Legree. »Komm zurück, Hexe --
-komm zurück, Cass'! Du sollst nicht gehen.«
-
-Aber Cassy lachte wild und flog weiter. Er hörte sie die Thür öffnen,
-welche zum Boden führte. Ein heftiger Windstoß fegte herunter und
-löschte das Licht aus, welches er in der Hand hielt, und dabei hörte er
-furchtbares, gräßliches Geschrei, was gerade in sein Ohr hinein zu
-kreischen schien.
-
-Legree floh außer sich in das Wohnzimmer, wohin ihm in Kurzem Cassy
-folgte, blaß, ruhig, kalt wie ein Rachegeist und mit demselben
-furchtbaren Feuer im Auge.
-
-»Ihr seid hoffentlich befriedigt,« sagte sie.
-
-»Hol' Dich der Teufel, Cass'!« sagte Legree.
-
-»Warum?« sagte Cassy. »Ich ging bloß hinauf und schloß die Thür zu. Was
-denkt Ihr, ^daß das zu bedeuten hat auf der Bodenkammer^, Simon?«
-sagte sie.
-
-»Das geht Euch nichts an!« sagte Legree.
-
-»Nicht? Nun,« sagte Cassy, »ich bin jedenfalls froh, daß ich nicht
-darunter schlafe.«
-
-Cassy, die vorhergesehen hatte, daß sich diesen Abend ein Sturm erheben
-werde, war oben gewesen und hatte das Bodenfenster geöffnet. Natürlich
-hatte im Augenblick, als die Thür aufgemacht wurde, der Wind nach unten
-hin Zug verursacht und das Licht ausgelöscht.
-
-Dies kann als Probe des Spiels dienen, welches Cassy mit Legree trieb,
-bis er eher seinen Kopf in des Löwen Rachen gesteckt, als die
-Bodenkammer untersucht hätte.
-
-Inzwischen hatte Cassy bei Nacht, wenn Alles schlief, langsam und
-sorgfältig daselbst eine Niederlage von Lebensmitteln angelegt, die
-hinreichend war, um eine Zeit lang Nahrung zu gewähren, und sie brachte
-einen großen Theil ihrer und Emmelinens Kleidung stückweise dahin. Als
-Alles angeordnet war, wartete sie nur auf eine passende Gelegenheit,
-ihren Plan in Ausführung zu bringen.
-
-Indem Cassy Legree schmeichelte und einzelne gutmüthige Momente
-benutzte, hatte sie denselben bewogen, sie mit sich zur benachbarten
-Stadt zu nehmen, welche dicht am »Red River« lag. Mit einem zu fast
-übernatürlicher Helle geschärften Gedächtnisse merkte sie jede Wendung
-des Weges und berechnete im Geiste die Zeit, welche erforderlich sei,
-denselben zurückzulegen.
-
-Da jetzt Alles zum Handeln reif ist, so schauen unsere Leser vielleicht
-gern hinter den Vorhang, um den endlichen _coup d'état_ selbst mit
-anzusehen.
-
-Es war gegen Abend. Legree war auf ein benachbartes Gut geritten.
-Mehrere Tage war Cassy ungewöhnlich gnädiger und gefälliger Laune
-gewesen; und Legree war scheinbar auf dem besten Fuße mit ihr. Jetzt
-sehen wir sie und Emmeline in dem Zimmer der Letzteren emsig
-beschäftigt, zwei Bündelchen zu schnüren.
-
-»Da, die werden groß genug sein,« sagte Cassy. »Nun setz Deinen Hut auf
-und laß uns fort: 's ist gerade die rechte Zeit.«
-
-»Aber, sie können uns noch sehen,« sagte Emmeline.
-
-»Das sollen sie gerade,« sagte Cassy kaltblütig. »Weißt Du nicht, daß
-sie auf jeden Fall Jagd auf uns machen müssen? Die Sache muß
-folgendermaßen gehen. Wir stehlen uns aus der Hinterthür und laufen nach
-den Hütten hinunter. Sambo und Quimbo sehen uns gewiß. Sie machen Jagd
-und wir machen uns in die Sümpfe; dann können sie uns nicht weiter
-folgen, bis sie hinaufgehen und Lärm machen, und die Hunde loslassen und
-so weiter; und während sie umherstolpern und über einander fallen, wie
-sie es immer machen, schleichen wir den Bach entlang, der hinter dem
-Hause fließt, und waten darin fort, bis wir an die Hinterthür kommen.
-Die Hunde verlieren dadurch die Spur, denn das Wasser hält keine
-Witterung. Alle werden zum Hause hinaus laufen, um nach uns zu sehen,
-und dann schlüpfen wir zur Hinterthür hinein und hinauf in die
-Bodenkammer, wo ich ein hübsches Bett in einer von den großen Kisten
-zurecht gemacht habe. Wir müssen dort eine gute Weile bleiben; denn ich
-sage Dir, er wird Himmel und Erde nach uns aufbieten. Er wird einige
-alte Aufseher an den andern Pflanzungen zusammenbringen und eine große
-Hetze halten; und sie werden jedes Fleckchen in dem Sumpfe durchsuchen.
-Er setzt seinen Stolz darein, daß ihm nie Einer hat entkommen können. So
-laß ihn denn nach Belieben jagen.«
-
-»Cassy, wie gut Ihr das angelegt habt!« sagte Emmeline. »Niemand als Ihr
-hätte das ausgedacht!«
-
-Es lag weder Vergnügen, noch Frohlocken in Cassy's Augen -- nur eine
-verzweifelte Festigkeit.
-
-»Komm',« sagte sie, Emmeline die Hand gebend.
-
-Die beiden Flüchtlinge schlichen geräuschlos aus dem Hause, und eilten
-durch die zunehmenden Schatten des Abends an den Hütten entlang. Der
-Mond, der wie eine silberne Sichel am westlichen Himmel stand, verschob
-ein wenig das Herannahen der Nacht. Wie Cassy erwartet hatte, hörten
-sie, als sie den Sümpfen ganz nahe waren, welche die Pflanzung
-einschlossen, eine Stimme ihnen Halt! zurufen. Es war indeß nicht Sambo,
-sondern Legree, der sie mit heftigen Verwünschungen verfolgte. Bei dem
-Tone brach der schwächere Geist Emmelinens zusammen: und indem sie sich
-an Cassy's Arm hielt, sagte sie: »O, Cassy, ich werde ohnmächtig!«
-
-»Geschieht das, so tödte ich Dich!« sagte Cassy, indem sie einen kleinen
-schimmernden Dolch zog, und vor den Augen des Mädchens blitzen ließ.
-
-Die Drohung entsprach dem Zwecke. Emmeline wurde nicht ohnmächtig, und
-es gelang ihr, sich mit Cassy in einen Theil des Sumpflabyrinths zu
-stürzen, welches so tief und dunkel war, daß Legree an ein Verfolgen
-derselben ohne Hülfe nicht denken konnte.
-
-»Gut,« sagte er, indem er ein viehisches Gelächter aufschlug, »nun sind
-sie in der Falle -- das Pack. Sie sind jetzt sicher genug; sollen mir
-dafür schwitzen.«
-
-»Holla, da! Sambo! Quimbo! Kommt Alle her!« rief er, die Quartiere
-erreichend, als die Leute gerade von der Arbeit kamen. »Da sind zwei
-Ausreißer in den Sümpfen. Ich gebe dem Nigger, der sie fängt, fünf
-Dollar. Laßt die Hunde los. Laßt Tiger, Furie und alle andern los!«
-
-Diese Nachricht brachte sogleich große Aufregung hervor. Viele sprangen
-eifrig herbei, um ihre Dienste anzubieten, entweder in der Hoffnung
-einer Belohnung oder aus jener kriechenden Bereitwilligkeit, welche eine
-der kläglichsten Wirkungen der Sklaverei ist. Einige rannten dahin,
-Andere dorthin. Einige suchten nach Kienfackeln; Andere ließen die Hunde
-los, deren heiseres, wildes Gebell nicht wenig zur Belebung der Scene
-beitrug.
-
-»Herr, sollen wir auf sie schießen, wenn wir sie nicht fangen können?«
-sagte Sambo, dem sein Herr eine Büchse gebracht hatte.
-
-»Du kannst auf Cassy feuern, wenn Du willst; es ist Zeit, daß sie zum
-Teufel geht, wohin sie gehört; aber nicht auf die Dirne,« sagte Legree.
-»Und nun, Jungen, seid hurtig und flink. Fünf Dollar für den, der sie
-fängt, und ein Glas Brandwein Jedem von Euch!«
-
-Die ganze Bande begab sich nun, unter leuchtendem Fackelschein, mit
-Geschrei und Gebrüll, und wildem Getöse von Menschen und Thieren, hinab
-zum Sumpfe, während in einiger Entfernung alle übrigen Sklaven folgten.
-Das ganze Haus war folglich verlassen, als Cassy und Emmeline auf dem
-hintern Wege wieder hineinschlüpften. Das Schreien und Rufen ihrer
-Verfolger erfüllte noch die Luft: und Cassy und Emmeline konnten von den
-Fenstern des Wohnzimmers aus den Trupp sehen, wie er sich mit den
-Fackeln am Sumpfe vertheilte.
-
-»Sieh da!« sagte Emmeline, indem sie Cassy drauf aufmerksam machte: »die
-Jagd hat angefangen! Sieh, wie diese Lichter umhertanzen! Horch! die
-Hunde! Hörst Du nicht? Wären wir dort, so wäre unser Spiel keinen
-Picayune werth. O, um Gottes Willen, wir wollen uns verstecken.
-Schnell!«
-
-»Es hat keine Eile,« sagte Cassy kalt, »Alles ist auf der Jagd -- das
-ist das Abendvergnügen! Wir gehen bald hinauf. Indessen,« sagte sie,
-indem sie bedächtig einen Schlüssel aus der Tasche eines Rockes nahm,
-den Legree in der Eile abgeworfen hatte, »inzwischen will ich etwas
-nehmen, um die Reisekosten zu decken.«
-
-Sie schloß das Pult auf und nahm eine Rolle Anweisungen heraus, welche
-sie schnell überzählte.
-
-»O, laßt uns das nicht thun!« sagte Emmeline.
-
-»Nicht?« sagte Cassy, »warum nicht? Sollen wir in den Sümpfen
-verhungern, oder das nehmen, was unsere Reise in die freien Staaten
-bezahlen wird. Mit Geld richtet man Alles aus, Mädchen.« Und indem sie
-dies sagte, steckte sie das Geld in den Busen.
-
-»Das ist Stehlen,« flüsterte Emmeline ängstlich.
-
-»Stehlen!« sagte Cassy mit verächtlichem Gelächter. »Wer Leib und Seele
-stiehlt, braucht uns keine guten Lehren zu geben. Jede dieser
-Anweisungen ist gestohlen -- gestohlen von armen, verhungerten, elenden
-Geschöpfen, die zuletzt zu seinem Besten zum Teufel gehen müssen. Laß
-^ihn^ vom Stehlen sprechen! Aber komm', wir können nun ebenso gut auf
-die Bodenkammer gehen; ich habe da einen Vorrath von Lichtern und
-einige Bücher, um uns die Zeit zu vertreiben. Du kannst ganz ruhig
-sein, daß sie ^dahin^ nicht kommen, um uns zu suchen; und wenn sie's
-thun, so will ich ihnen den Geist spielen.«
-
-Als Emmeline die Bodenkammer erreichte, fand sie daselbst eine ungeheure
-Kiste, in der früher irgend ein schweres Möbelstück hierher gebracht
-worden war, auf die Seite gelegt, so daß die Oeffnung gegen die Wand
-oder vielmehr das Dach gekehrt war. Cassy steckte eine kleine Lampe an,
-und beide krochen unter dem Dache herum und ließen sich in der Kiste
-nieder. Es befanden sich darin ein Paar kleine Matratzen und einige
-Kissen, und ein in der Nähe stehender Kasten enthielt einen reichlichen
-Vorrath von Lichtern, Lebensmitteln und allen zu ihrer Reise nöthigen
-Kleidungsstücken, welche Cassy in Bündelchen von erstaunlich kleinem
-Umfange gepackt hatte.
-
-»Da,« sagte Cassy, als sie die Lampe an einen kleinen Haken hing,
-welchen sie zu dem Zwecke in die Seite der Kiste getrieben hatte; »dies
-soll für jetzt unsere Heimath sein. Wie gefällt sie Dir?«
-
-»Seid Ihr gewiß, daß sie nicht kommen und die Dachstube durchsuchen?«
-
-»Ich möchte Simon Legree das thun sehen,« sagte Cassy. »Nein,
-wahrhaftig; er ist zu froh, daß er wegbleiben kann. Was die Dienstboten
-anbetrifft, so würde Jeder von ihnen sich lieber todt schießen lassen,
-als sich hier zeigen.«
-
-Etwas beruhigt ließ sich Emmeline auf ihre Kissen nieder.
-
-»Was wolltet Ihr damit sagen, Cassy, daß Ihr mich umzubringen drohtet?«
-sagte sie arglos.
-
-»Ich wollte Dich verhindern, ohnmächtig zu werden,« sagte Cassy, »und es
-gelang mir. Und jetzt sage ich Dir, Emmeline, Du mußt Dich entschließen,
-^nicht^ ohnmächtig zu werden, komme, was da wolle; das ist ganz und
-gar nicht nöthig. Wenn ich Dich nicht davon abgehalten hätte, so wärst
-Du jetzt schon in den Händen jenes Elenden.«
-
-Emmeline schauderte.
-
-Beide schwiegen. Cassy beschäftigte sich mit einem französischen Buche,
-und Emmeline, von Erschöpfung übermannt, schlummerte ein und schlief
-einige Zeit. Plötzlich wurde durch sie lautes Schreien und Rufen, durch
-Getrampel von Pferden und Bellen von Hunden erweckt, und fuhr mit einem
-leisen Schrei empor.
-
-»Die Jagdpartie kommt nun zurück,« sagte Cassy kalt; »fürchte nichts.
-Schau' durch dieses Astloch. Kannst Du sie nicht Alle unten sehen? Simon
-muß es für diesen Abend aufgeben. Sieh', wie schmutzig sein Pferd ist,
-wie mißmuthig die Hunde aussehen. Ach, mein guter Herr, Ihr müßt die
-Hetze wieder und wieder versuchen -- das Wild ist nicht da.«
-
-»O, sprecht nicht!« sagte Emmeline; »wie, wenn man Euch hörte?«
-
-»Wenn sie irgend etwas hören sollten, so würden sie sich nur um so mehr
-vorsehen, von hier weg zu bleiben,« sagte Cassy. »Keine Gefahr; wir
-können so viel Lärm machen, als wir wollen, und es wird nur um so mehr
-Wirkung haben.«
-
-Endlich legte sich die Stille der Mitternacht über das Haus, und Legree,
-sein Unglück verfluchend, und schreckliche Rache für den folgenden Tag
-gelobend, ging zu Bette.
-
-
-
-
-Vierzigstes Kapitel.
-
-Der Märtyrer.
-
- Glaub nicht den Guten vom Himmel vergessen,
- Wenn auch das Leben ihm Alles verweigert, --
- Wenn mit gebrochenem, blutenden Herzen,
- Unter Hohn und Verachtung er langsam stirbt;
- Denn Gott hat jeden Kummer verzeichnet,
- Und jede bittre Thräne gezählt;
- Und lange Jahre himmlischen Segens
- Zahlen, was seine Kinder geduldet.
-
-
-Der längste Tag muß sein Ende haben -- auf die früheste Nacht folgt ein
-Morgen. Ein ewiger, unerbittlicher Verlauf von Augenblicken treibt immer
-den Tag des Bösen zur ewigen Nacht, und die Nacht des Gerechten zu einem
-ewigen Tage. Wir sind mit unserem demüthigen Freunde so weit durch das
-Thal der Sklaverei gewandelt; erst durch blumige Gefilde der Ruhe und
-Gemächlichkeit, dann durch die herzzerreißende Trennung von Allem, was
-den Menschen theuer ist. Dann haben wir mit ihm auf einem sonnigen
-Eilande verweilt, wo edle Hände seine Ketten unter Blumen verbargen; und
-zuletzt sind wir ihm dahin gefolgt, wo der letzte Strahl irdischer
-Hoffnung verschwand, und haben gesehn, wie in der Finsterniß irdischer
-Macht die Feste des Ungesehenen mit Sternen eines neuen und
-bedeutungsvollen Glanzes schimmerte.
-
-Der Morgenstern steht nun über den Gipfeln der Berge, und überirdische
-Winde und Lüfte verkünden, daß die Pforten des Tages sich öffnen.
-
-Die Flucht Cassy's und Emmelinen's reizte die vorher schon mürrische
-Stimmung Legree's im höchsten Grade; und, wie zu erwarten war, fiel
-seine Wuth auf das vertheidigungslose Haupt Tom's. Als er seinen Leuten
-hastig die Neuigkeit mittheilte, glänzten Tom's Augen, und er hob seine
-Hände empor. Das entging ihm nicht. Er sah, daß er sich dem Aufgebot der
-Verfolger nicht anschloß, und dachte darauf, ihn dazu zu zwingen; aber
-da er schon von früher her Erfahrungen über seine Unbeugsamkeit hatte,
-wenn ihm befohlen wurde, Theil an einer Grausamkeit zu nehmen, so wollte
-er sich jetzt in seiner Eile nicht dadurch aufhalten lassen, daß er
-einen Streit mit ihm anfing.
-
-Tom blieb also mit einigen Wenigen zurück, die von ihm beten gelernt
-hatten, und flehte mit ihnen für das Entkommen der Flüchtlinge zum
-Himmel.
-
-Als Legree getäuscht und betrogen zurückkehrte, fing der ganze Haß, der
-ihm schon lange gegen seinen Sklaven in der Seele arbeitete, an, eine
-tödtliche und verzweifelte Gestalt anzunehmen. Hatte ihm der Mann nicht
-getrotzt -- hartnäckig, mächtig, unwiderstehlich -- seit dem er ihn
-gekauft hatte! War nicht ein Geist in demselben, der, wenn auch
-schweigend, ihn wie Feuer der Verdammniß brannte!
-
-»Ich ^hasse^ ihn!« sagte Legree in jener Nacht, als er sich in seinem
-Bette aufrichtete; »ich ^hasse^ ihn! Und gehört er nicht mir? Kann ich
-mit ihm nicht machen, was ich will? Es soll mich doch wundern, wer 's
-mir wehren will?« Und Legree ballte die Faust und schüttelte sie, als
-wenn er etwas in der Hand hätte, das er in Stücke brechen wollte.
-
-Aber Tom war doch ein treuer, werthvoller Diener; und obgleich Legree
-ihn deßhalb um so mehr haßte, so war diese Rücksicht doch immer noch
-etwas, das ihn in Schranken hielt.
-
-Er beschloß, am nächsten Morgen noch nichts zu sagen; sondern eine
-Gesellschaft von den benachbarten Pflanzungen mit Hunden und Flinten zu
-versammeln, den Sumpf zu umstellen und die Jagd systematisch zu
-betreiben. Wenn es gelänge, gut; wenn nicht, so wollte er Tom vor sich
-fordern, und ^dann^ -- er knirschte mit den Zähnen und sein Blut
-siedete -- ^dann^ wollte er den Burschen niederbrechen, oder -- und
-seine Seele antwortete auf ein gräßliches innerliches Geflüster.
-
-Man sagt, daß der ^Vortheil^ des Herrn ein hinreichender Schutz für
-den Sklaven sei. In der Wuth des tollen Willens verkauft der Mensch
-wissentlich und mit offnen Augen seine eigne Seele dem Teufel, um zu
-seinem Zwecke zu gelangen; und wird er für seines Nächsten Leib mehr
-Sorge tragen?
-
-»Nun,« sagte Cassy am nächsten Tage, als sie von der Dachkammer aus
-durch das Astloch spähte, »die Jagd wird heute wieder anfangen!«
-
-Drei bis vier Reiter galoppirten auf dem Platze vor dem Hause umher; und
-mehrere Koppeln fremder Hunde sträubten sich gegen die Neger, welche
-dieselben hielten, und bellten sich einander an.
-
-Zwei der Leute waren Aufseher in benachbarten Pflanzungen; die Andern
-gehörten zu Legree's Genossen in der Schenke einer benachbarten Stadt,
-welche der Reiz der Jagd hergezogen hatte. Eine rohere Rotte konnte man
-sich nicht vorstellen. Legree schenkte Brandwein im Ueberflusse unter
-sie wie unter die Neger aus, welche von verschiedenen Pflanzungen zu
-dieser Dienstleistung gestellt worden waren, denn es war Gebrauch, jeden
-derartigen Dienst für die Neger so viel als möglich zu einem Festtage zu
-machen.
-
-Cassy legte das Ohr an das Astloch; und da die Morgenluft gerade auf das
-Haus zu wehte, so konnte sie ziemlich viel von der Unterhaltung hören.
-Ein tiefer Hohn lagerte sich über dem dunkeln, strengen Ernst ihres
-Antlitzes, als sie horchte und hörte, wie sie das Feld vertheilten, die
-verschiednen Vorzüge der Hunde abhandelten, Befehle in Betreff des
-Feuerngebens und der Behandlung einer Jeden im Falle des
-Gefangennehmens.
-
-Cassy zog sich zurück; sie schaute mit gefalteten Händen empor und
-sagte: »O, großer, allmächtiger Gott! Wir sind ^alle^ Sünder; aber was
-haben ^wir^ mehr, als die übrige Welt verbrochen, daß wir so behandelt
-werden?«
-
-Es lag ein furchtbarer Ernst in ihrem Antlitz und ihrer Stimme, als sie
-sprach.
-
-»Wenn es nicht für Dich wäre, Kind,« sagte sie, auf Emmeline blickend,
-»^ginge^ ich zu ihnen hinaus; und würde es dem Dank wissen, der mich
-^niederschöße^; denn was kann mir die Freiheit helfen? Kann sie mir
-meine Kinder wieder geben, oder mich wieder dazu machen, was ich war?«
-
-Emmeline in ihrer kindlichen Einfalt fürchtete sich fast vor der
-finstern Stimmung Cassy's. Sie sah bestürzt aus und gab keine Antwort.
-Sie ergriff blos ihre Hand mit einer sanften, liebkosenden Bewegung.
-
-»Nicht doch!« sagte Cassy, indem sie dieselbe zurückzuziehen versuchte;
-»Du willst mich zwingen, Dich lieb zu haben; aber ich will nichts wieder
-lieben!«
-
-»Arme Cassy!« sagte Emmeline, »hegt nicht solche Gefühle! Wenn Gott uns
-die Freiheit schenkt, schenkt er Euch auch vielleicht Eure Tochter
-wieder. Ich weiß, ich werde meine arme, alte Mutter nicht wieder sehen!
-Ich will Euch lieben, Cassy, gleichviel, ob Ihr mich auch liebt oder
-nicht!«
-
-Der sanfte, kindliche Geist siegte. Cassy setzte sich zu ihr nieder,
-legte den Arm um ihren Nacken, und strich ihr sanft das braune Haar; da
-erstaunte Emmeline über die Schönheit ihrer prachtvollen Augen, die nun
-sanft schimmerten unter Thränen.
-
-»O, Em!« sagte Cassy, »ich habe nach meinen Kindern gehungert und nach
-ihnen gedurstet, und meine Augen sind trübe geworden vom Ausschauen nach
-ihnen! Hier! hier!« sagte sie, an ihre Brust schlagend, »ist Alles
-verödet und leer! Wenn Gott mir meine Kinder wiedergäbe, dann könnte ich
-beten.«
-
-»Ihr müßt auf ihn vertrauen, Cassy,« sagte Emmeline; »er ist unser
-Vater!«
-
-»Sein Zorn lastet auf uns,« sagte Cassy, »er hat sich im Zorn von uns
-gewendet.«
-
-»Nun, Cassy! Er wird noch gütig gegen uns sein! Laßt uns auf ihn
-hoffen,« sagte Emmeline; -- »ich habe immer Hoffnung gehabt.«
-
- * * * * *
-
-Die Jagd währte lange; sie wurde sehr lebhaft und gründlich ausgeführt,
-aber blieb erfolglos, und Cassy schaute mit ernstem, höhnischem
-Frohlocken auf Legree hinab, als er müde und verdrießlich vom Pferde
-stieg.
-
-»Nun, Quimbo,« sagte Legree, als er sich im Wohnzimmer niederstreckte,
-»geh und bring den Tom hier herauf, sogleich! Der alte Schuft steckt
-hinter der ganzen Geschichte; und ich will es aus seinem alten schwarzen
-Fell heraus haben; oder den Grund wissen!«
-
-Sambo und Quimbo, obgleich sie sich einander haßten, stimmten doch
-vollkommen in einem nicht weniger herzlichen Haß gegen Tom überein.
-Legree hatte ihnen gleich Anfangs gesagt, daß er ihn gekauft habe, um
-einen Oberaufseher in seiner Abwesenheit aus ihm zu machen; und dies
-hatte bei ihnen einen Groll erregt, welcher in ihren erniedrigten und
-knechtischen Naturen noch zunahm, als sie sahen, daß er bei ihrem Herrn
-in Mißgunst fiel. Quimbo ging deßhalb bereitwillig fort, um seine
-Befehle in Ausführung zu bringen.
-
-Tom hörte die Botschaft mit ahnendem Herzen; denn er kannte den ganzen
-Plan von dem Entweichen der Flüchtlinge; und den Ort ihres
-gegenwärtigen Verstecks. Er kannte den wilden Charakter des Mannes, mit
-dem er zu thun hatte, und dessen grausame Gewalt. Aber er fühlte sich
-stark in Gott, lieber dem Tode zu begegnen, als die Hülflosen zu
-verrathen.
-
-Er setzte seinen Korb in die Reihe nieder, blickte auf und sagte: »In
-deine Hände befehle ich meinen Geist! Du hast mich erlöset, Gott der
-Wahrheit!« und dann überließ er sich ruhig dem rohen, thierischen Griffe
-womit ihn Quimbo packte.
-
-»Ja, ja!« sagte der Riese, als er ihn entlang schleppte, »wirst 's nun
-kriegen! Will verdammt sein, wenn Master nicht grimmig wild ist! Hilft
-nun kein Wegschleichen mehr! Ich sage Dir, Du wirst 's kriegen, das
-steht fest! Nun sieh zu, was Du für ein Gesicht machen wirst, Masters
-Nigger helfen davon zu laufen! Wirst's sehen, was Du kriegst!«
-
-Keines der wilden Worte erreichte sein Ohr -- eine höhere Stimme sagte
-dann: »Fürchte Dich nicht vor denen, die den Leib tödten, und dann
-nichts mehr thun können!«
-
-Diese Worte durchbebten Mark und Bein des Armen, wie vom Finger Gottes
-berührt; und er fühlte die Kraft von tausend Seelen in einer. Als er
-dahin schritt, schienen die Bäume und Büsche, die Hütten seiner
-Knechtschaft, der ganze Schauplatz seiner Erniedrigung an ihm vorbei zu
-fliegen, wie eine Landschaft an dahineilenden Wagen. Das Herz schlug ihm
--- seine Heimath war ihm vor Augen -- und die Stunde der Erlösung schien
-gekommen.
-
-»Nun, Tom,« sagte Legree, indem er auf ihn los ging, ihn grimmig am
-Rockkragen packend und in rasender Wuth durch die Zähne sprechend,
-»weißt Du, ich bin entschlossen, Du sollst sterben!«
-
-»So scheint es, Master,« sagte Tom ruhig.
-
-»^Ich habe^,« sagte Legree mit grimmiger, furchtbarer Ruhe, »^eben^
--- ^das^ -- ^gethan^, Tom, wenn Du mir nicht sagst, was Du von den
-Mädchen weißt!«
-
-Tom schwieg.
-
-»Hörst Du?« sagte Legree, mit den Füßen stampfend und mit einem Gebrülle
-wie das eines wüthenden Löwen. »Sprich!«
-
-»^Ich kann nichts sagen, Master,^« sagte Tom mit langsamem, festem und
-bedächtigem Tone.
-
-»Wagst Du, mir zu sagen, alter, schwarzer Christ, Du ^weißt^ es
-nicht?« sagte Legree.
-
-Tom antwortete nicht.
-
-»Rede!« donnerte Legree, indem er ihn wüthend schlug. »Weißt Du etwas
-davon?«
-
-»Ich weiß was, Master, kann aber nichts sagen. ^Ich kann sterben!^«
-
-Legree holte tief Athem, nahm, seine Wuth unterdrückend, Tom beim Arme,
-zog dessen Gesicht dicht an das seinige heran, und sagte mit
-schrecklicher Stimme: »Höre, Tom -- Du denkst, weil ich Dich früher
-losgelassen habe, 's ist nicht mein Ernst, was ich sage, aber diesmal
-^bin ich entschlossen^, ich habe die Kosten berechnet. Du hast Dich
-mir immer widersetzt -- jetzt will ich ^Dich unterwerfen oder
-umbringen^! Eins oder 's Andre. Ich will jeden Tropfen Blut in Dir
-zählen und einen nach dem andern abzapfen, bis Du nachgibst!«
-
-Tom sah zu seinem Herrn auf und antwortete: »Herr, wenn Ihr krank wärt
-oder in Noth, oder am Tode, und ich könnte Euch retten, wollte ich Euch
-gern mein Herzblut geben; und wenn es Eure köstliche Seele retten
-könnte, daß Ihr jeden Blutstropfen nähmt, der in diesem armen, alten
-Leibe ist, so wollte ich ihn willig geben, wie der Herr sein Blut für
-mich gab. O, Master, ladet nicht diese große Sünde auf Euch! Es schadet
-Euch mehr als mir! Thut das Schlimmste, was Ihr könnt, meine Noth wird
-bald vorüber sein; aber wenn Ihr nicht bereut, wird Eure ^nie^ enden!«
-
-Gleich einem Accorde himmlischer Musik, nachdem sich der Sturm gelegt
-hat, schuf dieser Ausbruch des Gefühls eine plötzliche Pause. Legree
-stand erstaunt da, und sah Tom an; es herrschte eine so tiefe Stille,
-daß man das Ticken der alten Uhr hören konnte, die mit stiller Berührung
-dem verhärteten Herzen die letzten Augenblicke der Gnade und Prüfung
-zumaß.
-
-Es war nur ein Augenblick. Eine Pause des Zögerns, der
-Unentschlossenheit, des Widerstrebens, und der Geist des Bösen kehrte
-mit siebenfacher Heftigkeit zurück; und Legree, schäumend vor Wuth,
-schmetterte sein Opfer zu Boden.
-
- * * * * *
-
-Scenen von Blut und Grausamkeit sind verletzend für unser Ohr und unser
-Herz. Was der Mensch den Muth hat zu thun, hat er oft nicht den Muth zu
-hören. Was Mitmenschen und Mitchristen leiden müssen, lassen wir uns
-selbst nicht in unsrer geheimsten Kammer erzählen; so sehr zerreißt es
-unser Herz. Und doch, o! mein Vaterland! geschehen diese Dinge unterm
-Schatten deiner Gesetze! O, Christ! Deine Kirche sieht es fast
-schweigend!
-
-Aber vor alten Zeiten war einer, dessen Leiden ein Marterwerkzeug, ein
-Werkzeug der Erniedrigung und Schande in ein Sinnbild des Ruhms und des
-unsterblichen Lebens verwandelte; und wo sein Geist ist, können weder
-erniedrigende Streiche, noch Blut, noch Hohn des Christen letzten Kampf
-anders als glorreich machen.
-
-War er allein in jener langen Nacht, dessen edler, liebevoller Geist in
-jenem alten Schuppen nicht verzagte unter Stößen und viehischen
-Streichen?
-
-Nein! Neben ihm stand ^Einer^, nur von ihm gesehen, »gleich dem Sohne
-Gottes.«
-
-Der Versucher stand auch neben ihm, verblendet durch seinen wüthenden,
-despotischen Willen, jeden Augenblick in ihn dringend, diesem Todeskampf
-durch den Verrath der Unschuldigen zu entgehen. Aber das brave treue
-Herz stand fest auf dem ewigen Felsen. Wie sein Meister wußte er, daß
-wenn er Andre rette, er sich selbst nicht retten könne; auch konnte die
-äußerste Gewaltmaßregel ihm keine anderen Worte abzwingen, als die des
-Gebetes und heiligen Vertrauens.
-
-»Er ist fast hin, Master,« sagte Sambo, wider Willen von der Geduld
-seines Opfers gerührt.
-
-»Ausgezahlt, bis er nachgibt! Gieb 's ihm, gieb 's ihm!« brüllte Legree.
-»Ich will ihm jeden Blutstropfen abzapfen, den er hat, wenn er nicht
-gesteht.«
-
-Tom öffnete die Augen und sah seinen Herrn an. »Ihr armes, elendes
-Geschöpf!« sagte er; »es gibt nichts mehr für Euch zu thun! Ich vergebe
-Euch mit ganzem Herzen!« und er sank vollständig in Ohnmacht.
-
-»Ich glaube meiner Seele, 's ist aus mit ihm,« sagte Legree, indem er
-herzutrat und ihn betrachtete. »Ja, 's ist aus! Nun, so ist ihm doch
-wenigstens der Mund gestopft -- das ist ein Trost!«
-
-Ja, Legree; aber wer wird jene Stimmen in Deiner Seele zum Schweigen
-bringen, -- jener Seele, ohne Reue, ohne Gebet, ohne Hoffnung, in
-welcher das Feuer schon brennt, welches nie gelöscht werden wird.
-
-Tom war jedoch noch nicht ganz dahin. Seine wundervollen Worte und
-frommen Gebete hatten die Herzen der entmenschten Schwarzen getroffen,
-welche die Werkzeuge der an ihm verübten Grausamkeit gewesen waren; und
-den Augenblick, als sich Legree zurückzog, nahmen sie ihn ab und suchten
-ihn in ihrer Unwissenheit zum Leben zurückzurufen -- als wenn das eine
-Wohlthat für ihn gewesen wäre.
-
-»Wir haben wahrhaftig 'was schrecklich Böses gethan!« sagte Sambo; »ich
-hoffe, Master hat dafür Rechenschaft zu geben, -- nicht wir.«
-
-Sie wuschen seine Wunden -- bereiteten ihm ein rohes Bett von
-schadhafter Baumwolle -- und Einer von ihnen schlich nach dem Hause und
-erbat sich einen Schluck Brandwein von Legree, unter dem Vorgeben, daß
-er ermattet sei und ihn für sich brauche. Er brachte denselben zurück
-und flößte ihn Tom in den Mund.
-
-»O, Tom!« sagte Quimbo, »wir haben sehr schlecht gegen Dich gehandelt!«
-
-»Ich vergebe Euch mit ganzem Herzen!« sagte Tom mit schwacher Stimme.
-
-»O, Tom! sag uns, wer ^Jesus^ ist?« sagte Sambo, »-- Jesus, der die
-ganze Nacht bei Dir gestanden hat! Wer ist 's?«
-
-Das Wort erweckte den sinkenden, ohnmächtigen Geist. Ueber seine Lippen
-strömten einige kräftige Sprüche jenes Wunderbaren -- von seinem Leben,
-seinem Tode, seiner ewigen Gegenwart, und seiner Macht zu erlösen.
-
-Sie weinten -- die beiden rohen Menschen.
-
-»Warum habe ich das noch nie gehört?« sagte Sambo; »aber ich glaube! --
-ich kann nicht anders! Herr Jesus, erbarme Dich unser.«
-
-»Arme Geschöpfe!« sagte Tom, »ich will gern Alles getragen haben, wenn
-es Euch nur zu Christus bringt! O Gott! ich bitte Dich, gib mir nur noch
-diese beiden Seelen!«
-
-Das Gebet wurde erhört.
-
-
-
-
-Einundvierzigstes Kapitel.
-
-Der junge Master.
-
-
-Zwei Tage darauf fuhr ein junger Mann in einem leichten Wagen durch die
-Orangen-Allee herauf, warf die Zügel eilig auf die Rücken der Pferde,
-sprang heraus und fragte nach dem Besitzer der Plantage.
-
-Es war Georg Shelby; und um zu zeigen, wie er hierher kam, müssen wir in
-unsrer Geschichte zurück gehen.
-
-Der Brief Opheliens an Mrs. Shelby war durch einen unglücklichen Zufall
-einen oder zwei Monate auf einer entlegenen Post liegen geblieben, ehe
-er seine Bestimmung erreichte; und ehe er ankam, war Tom schon in den
-fernen Sümpfen des Red River verschwunden.
-
-Mrs. Shelby las die Nachricht mit dem tiefsten Kummer; aber irgend ein
-unmittelbares Handeln darauf hin war eine Unmöglichkeit. Sie war damals
-am Krankenlager ihres Gatten beschäftigt, der in der heftigsten
-Phantasie einer Fieberkrisis lag. Der junge Master, Georg Shelby, der
-indessen aus einem Knaben ein großer, junger Mann geworden war, stand
-ihr als beständiger und treuer Gehülfe zur Seite, und war ihre einzige
-Stütze in der Leitung der Angelegenheiten seines Vaters. Miß Ophelie
-hatte die Vorsicht gebraucht, den Namen des Anwalts zu melden, der die
-Geschäfte der St. Clares betrieb; und das Einzige, was in dieser
-Angelegenheit gethan werden konnte, war, schriftlich bei ihm anzufragen.
-Der plötzliche Tod Mr. Shelby's wenige Tage nachher hatte natürlich eine
-Menge dringender Geschäfte zur Folge, die alles Uebrige eine Zeit lang
-in den Hintergrund drängten.
-
-Mr. Shelby hatte sein Vertrauen in die Geschicklichkeit seiner Gattin
-dadurch an den Tag gelegt, daß er sie zur alleinigen Vollstreckerin des
-letzten Willens ernannte; und so hatte sie augenblicklich eine Masse der
-verwickeltesten Geschäfte zu ordnen.
-
-Mrs. Shelby unternahm mit der ihr eignen Entschlossenheit das Geschäft,
-das verwickelte Netz dieser Angelegenheiten zu entwirren, und sie und
-Georg waren eine Zeit lang mit dem Sammeln und Prüfen von Rechnungen,
-dem Verkaufe von Vermögensstücken und der Berichtigung von Schulden
-beschäftigt; denn Mrs. Shelby war entschlossen, daß Alles in eine klare
-und übersichtliche Gestalt gebracht werden solle, möchten die Folgen
-sein, welche sie wollten. Inzwischen empfingen sie ein Schreiben von dem
-Anwalt, an welchen sie Ophelie gewiesen hatte, des Inhalts, daß ihm
-nichts von der Angelegenheit bekannt sei; daß der Mann in öffentlicher
-Versteigerung verkauft worden, und er daher von der Sache nur so viel
-wisse, daß das Kaufgeld für denselben an ihn berichtigt worden sei.
-
-Weder Georg noch Mrs. Shelby konnten sich bei diesem Erfolge beruhigen,
-und demgemäß beschloß der Letztere nach sechs Monaten, als er für seine
-Mutter den Fluß hinab Geschäfte zu besorgen hatte, New-Orleans in Person
-zu besuchen und die Nachforschungen weiter zu betreiben, in der
-Hoffnung, Tom's Aufenthalt zu entdecken und ihn auszulösen.
-
-Nach einigen Monaten erfolglosen Nachsuchens traf Georg durch bloßen
-Zufall in New-Orleans Jemanden, der zufällig die gewünschte Auskunft
-geben konnte, und unser Held ging sofort mit dem Gelde in der Tasche auf
-einem Dampfschiffe nach Red River ab, entschlossen, seinen alten Freund
-aufzusuchen und wieder zu kaufen.
-
-Er wurde in das Haus geführt, wo er Legree im Wohnzimmer fand.
-
-Legree empfing den Fremden mit einer Art von mürrischer
-Gastfreundlichkeit.
-
-»Ich höre,« sagte der junge Mann, »daß Ihr in New-Orleans einen
-Burschen, Namens Tom, gekauft habt. Er war früher bei meinem Vater, und
-ich bin gekommen, um zu sehen, ob ich ihn wieder kaufen könnte.«
-
-Legree's Stirn verdunkelte sich, und er brach heftig in die Worte aus:
-»Ja, ich habe so einen Kerl gekauft, und habe dabei einen höllischen
-Handel gemacht! Der aufrührerischste, frechste, unverschämteste Hund!
-Hetzt meine Nigger auf, davon zu laufen, brachte zwei Mädchen weg, das
-Stück acht hundert oder tausend Dollar werth. Er hat es eingestanden,
-und als ich ihm befahl, zu sagen, wo sie wären, fuhr er auf und sagte,
-er wisse es, wolle es aber nicht sagen, und blieb dabei, obgleich ich
-ihm die höllischsten Hiebe geben ließ, die je ein Nigger bekommen hat.
-Ich glaube, er wird wohl drauf gehn, weiß aber nicht, ob er schon damit
-fertig ist.«
-
-»Wo ist er?« sagte Georg heftig. »Zeigt mir ihn!« Die Wangen des
-Jünglings glühten und seine Augen sprühten Feuer; aber er beschloß,
-nichts weiter zu sagen.
-
-»Er ist in jenem Schuppen,« sagte ein kleiner Bursche, der Georg's Pferd
-hielt.
-
-Legree gab dem Knaben einen Fußtritt und stieß Flüche gegen ihn aus;
-Georg aber drehte sich, ohne ein Wort weiter zu sagen, um, und schritt
-auf den Ort zu.
-
-Tom hatte zwei Tage seit dem verhängnißvollen Abend da gelegen; nicht
-leidend, denn jeder Nerv des Leidens war abgestumpft und zerstört. Er
-lag meistens in einer ruhigen Betäubung; denn die Natur seines
-gewaltigen und kräftigen Körpers wollte den gefesselten Geist nicht auf
-einmal erlöschen. Es waren heimlich in der Nacht arme, trostlose
-Geschöpfe da gewesen, die sich etwas von ihrer kurzen Ruhe entzogen, um
-ihm einige der Liebesdienste zurückzuzahlen, mit denen er immer so
-freigebig gewesen war. Wahrlich, diese armen Schüler hatten wenig zu
-geben -- nur eine Schale kaltes Wasser; aber es wurde mit vollem Herzen
-gegeben.
-
-Thränen waren auf das ehrliche, empfindungslose Gesicht gefallen --
-Thränen später Reue aus den Augen der armen, unwissenden Heiden, die
-seine sterbende Liebe und Geduld zur Reue erweckt hatte, und bittere
-Gebete waren über ihm zu einem spät gefundenen Heiland gehaucht worden,
-von welchem sie kaum mehr als den Namen kannten, aber den das sehnende,
-unwissende Herz des Menschen nie vergebens anruft.
-
-Cassy, die aus ihrem Versteck geschlichen war und durch Lauschen gehört
-hatte, welches Opfer für sie und Emmeline gebracht war, hatte ihn, der
-Gefahr der Entdeckung trotzbietend, in der vorigen Nacht besucht; und,
-von den wenigen letzten Worten bewegt, welche die liebevolle Seele noch
-Kraft zu hauchen hatte, war der lange Winter der Verzweiflung, das Eis
-von Jahren aufgethaut, und das finstere, verzweifelnde Weib hatte
-geweint und gebetet.
-
-Als Georg in den Schuppen trat, fühlte er seinen Kopf schwer und sein
-Herz krank werden.
-
-»Ist es möglich? -- ist es möglich?« sagte er, indem er zu ihm
-niederkniete. »Onkel Tom, mein armer, armer alter Freund!«
-
-Etwas in der Stimme drang zu dem Ohr des Sterbenden. Er bewegte sanft
-den Kopf, lächelte und sagte:
-
- »Jesus macht ein Sterbebett
- Weich wie Dunen-Kissen sind.«
-
-Aus des Jünglings Augen fielen Thränen, welche seinem männlichen Herzen
-Ehre machten, als er sich über seinen armen Freund beugte.
-
-»O, lieber Onkel Tom! wach auf -- sprich noch einmal! Sieh auf! Hier ist
-der junge Master Georg -- Dein kleiner junger Master Georg. Kennst Du
-mich nicht?«
-
-»Der junge Master Georg!« sagte Tom, indem er die Augen öffnete, und mit
-schwacher Stimme sprach, »der junge Master Georg!« Er blickte ihn
-verwirrt an.
-
-Allmählig schien der Gedanke seine Seele zu erfüllen; das irre Auge
-wurde stätiger und heller, das ganze Antlitz klärte sich auf, die harten
-Hände falteten sich und Thränen rannen seine Wangen hinab.
-
-»Gelobt sei Gott! es ist -- es ist -- es ist Alles, was ich wollte! Sie
-haben mich nicht vergessen. Es wärmt mein Herz; es macht meinem alten
-Herzen Freude! Nun will ich zufrieden sterben! Gepriesen sei Gott, o
-meine Seele!«
-
-»Du sollst nicht sterben! Du ^darfst^ nicht sterben, oder nur daran
-denken! Ich bin gekommen, Dich zu kaufen und nach Hause zu nehmen,«
-sagte Georg mit stürmischer Heftigkeit.
-
-»O, Master Georg, Sie kommen zu spät. Der Herr hat mich gekauft und will
-mich nach Hause nehmen -- und ich sehne mich, mit ihm zu gehen. Der
-Himmel ist besser als Kentucky.«
-
-»O, stirb nicht! Es wird mich tödten! -- es wird mir das Herz brechen,
-wenn ich daran denke, was Du gelitten hast -- und hier in diesem alten
-Schuppen zu liegen! armer, armer Mensch!«
-
-»Sagen Sie nicht, armer Mensch!« sagte Tom feierlich. »Ich ^bin^ ein
-armer Mensch ^gewesen^, aber das ist jetzt vorüber. Ich bin gerade in
-der Pforte, und gehe zum Ruhme ein! O, Master Georg! ^Der Himmel ist
-geöffnet!^ Ich habe den Sieg errungen! -- der Herr Jesus hat mir ihn
-gegeben. Gepriesen sei sein Name!«
-
-Georg war tief ergriffen von der Kraft und dem Feuer, womit diese
-abgebrochenen Sätze ausgestoßen wurden. Schweigend betrachtete er den
-Sterbenden.
-
-Tom ergriff seine Hand und fuhr fort: -- »Sie müssen Chloe nichts davon
-sagen, der armen Seele! wie Sie mich gefunden haben; es wäre so
-schrecklich für sie. Sagen Sie ihr bloß, daß Sie mich gefunden haben,
-als ich zur Herrlichkeit einging, und daß ich nicht hätte bleiben
-können. Und sagen Sie ihr, der Herr habe bei mir gestanden überall und
-immer und Alles leicht und schmerzlos gemacht. Und ach, die armen
-Kinder, und das Kleine -- mein altes Herz ist ihretwegen lange
-gebrochen. Sagen Sie Allen, daß Sie mir folgen -- mir folgen! Grüßen Sie
-Master freundlich und die liebe, gute Missis und Jedermann auf dem Gute!
-Sie wissen nicht! 's ist mir, als liebte ich sie Alle! Ich liebe jedes
-Geschöpf, überall -- 's ist ^nichts^ als Liebe! O, Master Georg! was
-ist 's doch, wenn man ein Christ ist!«
-
-Diesen Augenblick trat Legree an die Thür des Schuppens, sah hinein mit
-verdrießlicher Miene und affektirter Gleichgültigkeit, und ging wieder
-fort.
-
-»Der alte Satan!« sagte Georg in seinem Unwillen. »'s ist ein Trost zu
-glauben, daß der Teufel ihn dafür bald bezahlen wird.«
-
-»O, nicht doch! -- oh, das müssen Sie nicht!« sagte Tom, indem er seine
-Hand ergriff; »er ist ein armes, elendes Geschöpf 's ist schrecklich
-daran zu denken! O, wenn er nur bereuen könnte, Gott würde ihm noch
-immer vergeben; aber ich fürchte, er wird es niemals.«
-
-»Ich hoffe, er wird nicht!« sagte Georg. »Ich möchte ^ihn^ nicht im
-Himmel sehen.«
-
-»Still, Master Georg! das thut mir weh. Denken Sie nicht so. Er hat mir
-kein wirkliches Leid gethan -- mir nur die Thore des Himmelreichs
-geöffnet; das ist Alles!«
-
-In diesem Augenblick schwand die plötzliche Kraft, welche die Freude,
-seinen jungen Herrn wiederzusehen, dem Sterbenden eingeflößt hatte. Eine
-plötzliche Ohnmacht befiel ihn; er schloß die Augen; und jener
-geheimnißvolle und erhabene Wechsel kam über sein Antlitz, der das Nahen
-einer andern Welt verkündete.
-
-Er begann mit langen und tiefen Zügen zu athmen; und seine breite Brust
-hob sich schwer und sank. Der Ausdruck seines Gesichts war der eines
-Ueberwinders.
-
-»Wer -- wer -- wer soll uns scheiden von der Liebe Christi?« sagte er
-mit einer Stimme, die gegen sterbliche Schwäche ankämpfte; und sank
-lächelnd in den tiefen Schlaf.
-
-Georg saß da wie von feierlichem Grauen gebannt. Der Ort schien ihm
-heilig zu sein; und als er die leblosen Augen schloß und sich von dem
-Todten erhob, erfüllte ihn nur der Gedanke -- den sein schlichter, alter
-Freund ausgesprochen: »Was ist es doch, wenn man ein Christ ist!«
-
-Er wendete sich um, Legree stand mürrisch hinter ihm.
-
-Die Sterbescene hatte die natürliche Heftigkeit der jugendlichen
-Leidenschaft gezügelt. Die Gegenwart des Menschen war Georg nur
-widerlich und er fühlte nur das Verlangen, mit so wenig Worten wie
-möglich von ihm abzukommen.
-
-Indem er sein scharfes, dunkles Auge auf Legree heftete, sagte er
-einfach, indem er auf den Todten hindeutete: »Ihr habt Alles aus ihm
-heraus, was Ihr habt herausbekommen können. Was soll ich Euch für den
-Körper zahlen? Ich will ihn mit mir nehmen und anständig beerdigen.«
-
-»Ich verkaufe keinen todten Nigger,« sagte Legree finster. »Ihr könnt
-ihn begraben, wo und wann Ihr wollt.«
-
-»Burschen,« sagte Georg in einem befehlenden Tone zu zwei oder drei
-Negern, welche um den Leichnam standen, »helft mir ihn zu meinem Wagen
-tragen; und verschafft mir einen Spaten.«
-
-Einer von ihnen lief nach einem Spaten; die andern beiden halfen Georg
-den Körper nach dem Wagen tragen.
-
-Georg sprach weder mit Legree, noch sah er denselben an; und dieser gab
-keine Gegenbefehle, sondern stand pfeifend da mit der Miene erzwungener
-Unbekümmertheit, und folgte ihnen trotzig zum Wagen, der am Thor stand.
-
-Georg breitete seinen Mantel im Wagen aus und legte den Körper
-sorgfältig hinein, indem er den Sitz so ordnete, daß Platz gewonnen
-wurde. Dann drehte er sich um, heftete das Auge auf Legree und sagte mit
-erzwungener Ruhe:
-
-»Ich habe Euch noch nicht gesagt, was ich von dieser scheußlichen
-Angelegenheit denke; dies ist nicht Zeit und Ort. Aber diesem
-unschuldigen Blute muß Gerechtigkeit werden. Ich will diesen Mord
-veröffentlichen. Ich werde zur nächsten Behörde gehen und Euch
-anklagen.«
-
-»Das könnt Ihr!« sagte Legree, verächtlich mit den Fingern schnippend.
-»Ich möchte das wohl sehen. Woher wollt Ihr Zeugen nehmen? -- Wie wollt
-Ihr es beweisen? He?«
-
-Georg sah sogleich, wie wohl begründet dieses Trotzbieten war. Es war
-kein Weißer am Orte; und in allen südlichen Gerichtshöfen hat das
-Zeugniß der Farbigen keinen Werth. Ihm war in dem Augenblicke, als könne
-er den Himmel zerreißen mit seines Herzens empörtem Rufe nach
-Gerechtigkeit; aber vergebens.
-
-»Aber was für Geschrei um einen todten Nigger!« sagte Legree.
-
-Das Wort wirkte wie ein Funke in einer Pulverkammer. Vorsicht war nie
-eine Haupttugend des Kentucky'schen Jünglings. Georg drehte sich um und
-schmetterte mit einem wüthenden Schlage Legree zu Boden; und als er über
-ihm stand, schäumend vor Zorn und Wuth, hätte er kein unpassendes Bild
-seines großen Namensvetters abgegeben, wie derselbe über den Drachen
-triumphirt.
-
-Einige Leute werden indeß entschieden dadurch gebessert, daß sie zu
-Boden geschlagen werden. Wenn Jemand dieselben ehrlich und redlich in
-den Staub streckt, scheinen sie sogleich Achtung vor ihm zu bekommen;
-und Legree gehörte zu diesen. Als er sich daher erhob und den Staub von
-seinen Kleidern strich, schaute er dem langsam sich entfernenden Wagen
-mit sichtlicher Achtung nach; auch that er den Mund nicht eher auf, als
-bis ihm derselbe aus dem Gesichte war.
-
-Jenseits der Grenzen der Pflanzung hatte Georg einen trockenen, sandigen
-Hügel bemerkt, der von wenigen Bäumen beschattet war; dort gruben sie
-das Grab.
-
-»Sollen wir den Mantel abnehmen, Herr?« sagten die Neger, als das Grab
-fertig war.
-
-»Nein, nein: begrabt ihn damit. Es ist Alles, was ich Dir jetzt geben
-kann, armer Tom, und Du sollst ihn haben.«
-
-Sie legten ihn hinein, und die Leute schaufelten ihn still zu. Sie
-häuften einen Hügel auf und legten grüne Rasen darauf.
-
-»Ihr könnt nun gehen, Jungens,« sagte Georg, indem er jedem ein
-Geldstück in die Hand drückte. Sie zögerten aber.
-
-»Wenn Master so gut sein wollte, uns zu kaufen --« sagte der Eine.
-
-»Wir wollten so treu dienen!« sagte der Andere.
-
-»Schlechte Zeiten hier, Master!« sagte der Erste. »Kauft uns doch,
-Master, kauft uns!«
-
-»Ich kann nicht! -- Ich kann nicht,« sagte Georg mit schwerem Herzen,
-indem er sie fortdrängte, »es ist unmöglich!«
-
-Die armen Kerle machten niedergeschlagene Gesichter und gingen
-schweigend fort.
-
-»Bezeuge mir, ewiger Gott,« sagte Georg, indem er am Grabe seines armen
-Freundes knieete, »o, bezeuge mir, daß ich von dieser Stunde an Alles
-thun will, ^was ein Mensch kann^, um diesen Fluch der Sklaverei aus
-meinem Vaterlande zu verbannen!«
-
-Kein Denkmal bezeichnet die letzte Ruhestätte unseres Freundes. Er
-bedarf keines. Sein Gott weiß, wo er liegt, und wird ihn zur
-Unsterblichkeit erwecken, um mit ihm zu erscheinen, wenn er in seiner
-Herrlichkeit erscheinen wird.
-
-Bemitleide ihn nicht! Solch' ein Leben und Tod sind nicht zu
-bemitleiden. Nicht in der Fülle von Allmacht ist der höchste Ruhm Gottes
-zu finden, sondern in der selbstverleugnenden, duldenden Liebe. Und
-gesegnet sind Die, welche er zur Gemeinschaft mit sich ruft, und ihr
-Kreuz ihm nachtragen in Geduld. Von denen steht es geschrieben:
-»Gesegnet sind die Traurigen, denn sie sollen getröstet werden.«
-
-
-
-
-Zweiundvierzigstes Kapitel.
-
-Eine wirkliche Geistergeschichte.
-
-
-Aus irgend einem besondern Grunde waren Geistergeschichten um diese Zeit
-ungewöhnlich im Schwunge unter den Dienstboten auf Legree's Gute.
-
-Man flüsterte sich zu, daß Fußtritte um Mitternacht die Dachstubentreppe
-herabgekommen und im Hause umher gehört worden seien. Vergebens hatte
-man die Thüre des obern Einganges geschlossen; der Geist trug entweder
-einen Nachschlüssel in der Tasche, oder bediente sich des unverjährbaren
-Vorrechtes der Geister, durch das Schlüsselloch zu kommen, und ging nach
-wie vor mit beunruhigender Freiheit im Hause umher.
-
-Die Ansichten waren einigermaßen getheilt über die Gestalt des Geistes,
-nach der unter Negern -- und so viel wir wissen, auch unter Weißen --
-vorherrschenden Sitte, unveränderlich die Augen zu schließen, und den
-Kopf unter der Bettdecke, Unterröcken, oder was sonst bei dergleichen
-Gelegenheiten zum Schutze gebraucht zu werden pflegt, zu verbergen.
-
-Natürlich ist, wie Jedermann weiß, das geistige Auge besonders scharf
-und durchdringend, sobald die leiblichen Augen außer Thätigkeit gesetzt
-sind; und deshalb gab es eine Menge Portraits des Geistes in voller
-Lebensgröße, die bezeugt und beschworen wurden, und, wie es oft mit
-Portraiten der Fall ist, keine andre Aehnlichkeit mit einander hatten,
-als die Familienähnlichkeit des ganzen Geistergeschlechts, -- ein weißes
-Gewand.
-
-Sei dem wie ihm wolle, wir haben besondre Gründe, zu wissen, daß eine
-große Figur in einem weißen Gewande allnächtlich zur echten
-Geisterstunde um Legree's Wohnung schritt, durch Thüren ging, das Haus
-umschlich, -- zuweilen verschwand, dann wieder erschien, und jene
-einsame Treppe hinauf in den verrufenen Boden ging; und daß am nächsten
-Morgen alle Thüren eben so fest verschlossen gefunden wurden, wie zuvor.
-
-Legree mußte nothwendig dies Geflüster hören, und es regte ihn um so
-mehr auf, je mehr Mühe man sich gab, es ihm zu verhehlen. Er trank mehr
-Brandwein, als gewöhnlich, trug seinen Kopf hoch und fluchte lauter als
-jemals bei Tage. Aber er hatte böse Träume, und die Erscheinungen, die
-sich an seinem Bette zeigten, waren nichts weniger als angenehm. Am
-Abende, nachdem Tom's Leichnam fortgeschafft worden war, ritt er nach
-der nächsten Stadt zu einem Zechgelage. Er kam spät und ermüdet nach
-Hause, verschloß seine Thür, zog den Schlüssel aus, und ging zu Bett.
-
-Mag ein Mensch sich auch noch so viel Mühe geben, seine Seele
-einzuschläfern, sie ist für einen bösen Menschen doch ein entsetzlich
-gespenstiges Besitzthum. Wer kennt ihre Grenzen? Wer kennt alle ihre
-Ahnungen, ihre Schauer, ihr Beben, die sie eben so wenig unterdrücken
-kann, wie ihre eigne Ewigkeit überleben! Welcher Thor ist Derjenige, der
-seine Thür verschließt, um Geister abzuhalten, und in seinem eignen
-Busen einen Geist trägt, dem er nicht zu begegnen wagt, -- dessen
-Stimme, obgleich unterdrückt durch Berge von Weltlichkeit, dennoch wie
-die warnende Stimme des jüngsten Gerichtes ertönt!
-
-Aber Legree verschloß seine Thür, und setzte einen Stuhl davor; er
-stellte seine Lampe zu Häupten des Bettes, und legte seine Pistolen
-daneben. Er untersuchte den Verschluß der Fenster, und schwur dann, »daß
-er sich nicht vor dem Teufel und allen seinen Engeln fürchte,« und legte
-sich schlafen.
-
-Wohl, er schlief, denn er war müde, -- er schlief fest. Endlich aber
-breitete sich über seinen Schlaf ein Schatten, ein Schrecken, eine
-Ahnung von etwas Entsetzlichem, was über ihm schwebe. Er hielt es für
-das Sterbehemd seiner Mutter, aber Cassy hielt es empor, und zeigte es
-ihm. Er hörte ein verworrenes Geräusch von Schreien und Stöhnen; und
-dennoch wußte er, daß er schlief, und bemühte sich, wach zu werden.
-Endlich wurde er halb wach, und glaubte mit Bestimmtheit zu erkennen,
-daß Etwas in sein Zimmer komme. Er wußte, daß die Thür offen war, aber
-er konnte weder Hand noch Fuß rühren. Endlich wendete er sich mit einer
-plötzlichen Anstrengung um. Die Thür war geöffnet, und er sah eine Hand
-sein Licht auslöschen.
-
-Es war eine trübe, nebelige Mondnacht, und doch sah er es! -- etwas
-Weißes, was herein schlich! Er hörte das leise Rauschen der gespenstigen
-Gewänder. Es stand an seinem Bette still; -- eine kalte Hand berührte
-die seinige; eine Stimme sagte dreimal in leisem, schrecklichen
-Flüstern: »Komm'! komm'! komm'!« Und während er vor Schrecken in Schweiß
-gebadet da lag, bemerkte er nicht, wann und wie die Erscheinung wieder
-verschwand. Er sprang aus dem Bette, und riß an der Thür. Sie war fest
-verschlossen, und der Mann stürzte ohnmächtig zu Boden.
-
-Von dieser Zeit an wurde Legree ein stärkerer Trinker als je zuvor. Er
-trank nicht mehr mit Vorsicht und Besonnenheit, sondern ohne Grenze und
-Maaß. Bald nachher verbreitete sich in der Umgegend das Gerücht, daß er
-krank sei und dem Tode nahe. Unmäßigkeit hatte jene schreckliche
-Krankheit erzeugt, welche die düstern Schatten einer kommenden
-Vergeltung auf dieses Leben zurückzuwerfen scheint. Niemand konnte die
-Schrecken jenes Krankenzimmers ertragen, wenn er raste und schrie, und
-von Gesichten sprach, die das Blut Derjenigen, die ihn hörten, erstarren
-ließ; und an seinem Sterbebette stand eine ernste, weiße, unerbittliche
-Gestalt, die ihm zurief: »Komme! komme! komme!«
-
-Durch ein sonderbares Zusammentreffen wurde nach derselben Nacht, in der
-Legree diese Erscheinung hatte, die Hausthür am Morgen offen gefunden;
-und einige Neger hatten zwei weiße Gestalten die Allee hinab der
-Landstraße zugehen sehen.
-
-Es war kurz vor Sonnenaufgang, als Cassy und Emmeline einen Augenblick
-in einem kleinen Gehölze in der Nähe der Stadt anhielten. Cassy war nach
-der Mode spanischer Creolinnen gekleidet, -- ganz schwarz. Ein kleiner,
-schwarzer Hut, der mit einem dicht gestickten Schleier bedeckt war,
-verbarg ihr Gesicht. Nach getroffener Uebereinkunft sollte sie auf der
-Flucht die Rolle einer vornehmen Creolin spielen, und Emmeline für ihre
-Dienerin gelten.
-
-Da Cassy sich von früher Jugend an in den höchsten Gesellschaftskreisen
-bewegt hatte, so harmonirten ihre Sprache, ihre Bewegungen, ihr ganzes
-Wesen mit dieser Idee; und sie hatte von ihrer einst glänzenden
-Garderobe noch genug bewahrt, um diese Rolle mit äußerem Anstande und
-mit Erfolg spielen zu können.
-
-In der Vorstadt kaufte sie an einem ihr bekannten Orte einen hübschen
-Reisekoffer, und ersuchte den Mann, ihr denselben nachtragen zu lassen;
-und auf diese Weise von dem Burschen, der ihren Koffer karrte, und
-Emmelinen, welche eine Reisetasche und verschiedene andre Effekten trug,
-gefolgt, erschien sie vor dem kleinen Gasthofe wie eine Dame von Stande.
-
-Die erste Person, welche ihr nach ihrer Ankunft daselbst auffiel, war
-Georg Shelby, der daselbst das nächste Boot erwartete. Cassy hatte den
-jungen Mann aus ihrem Verstecke auf dem Boden bemerkt, und ihn den
-Leichnam Tom's fortschaffen sehen, und mit geheimer Freude sein
-Zusammentreffen mit Legree beobachtet. Späterhin hatte sie aus den
-Unterhaltungen der Neger, die sie behorchte, wenn sie Nachts in ihrer
-gespenstigen Verkleidung umher schlich, erfahren, wer er war, und in
-welchem Verhältniß er zu Tom stand. Aus diesem Grunde fühlte sie sich
-augenblicklich durch eine Art Vertrauen zu ihm hingezogen, als sie sah,
-daß er gleich ihr das nächste Boot erwarte.
-
-Cassy's Haltung und ganzes Aeußere, so wie die ihr zu Gebote stehenden
-Geldmittel verdrängten im Gasthofe jede Möglichkeit eines Verdachtes.
-Die Leute untersuchen nie zu genau die Verhältnisse solcher Personen,
-die in dem Hauptpunkte, einer guten Zahlung, befriedigend sind, was
-Cassy vorher gewußt zu haben schien, als sie sich mit Gelde versah.
-
-Gegen Abend näherte sich ein Boot, und Georg Shelby geleitete Cassy mit
-einer Höflichkeit an Bord, die jedem Eingeborenen von Kentucky natürlich
-ist, und bemühte sich, ihr eine gute Cajüte zu verschaffen.
-
-Cassy blieb während der ganzen Zeit, daß sie auf dem rothen Flusse
-waren, unter dem Vorwande von Krankheit in ihrem Zimmer und ihrem Bette,
-und wurde mit dem dienstfertigsten Eifer von ihrer Begleiterin bedient.
-Als sie den Mississipppi erreichten, und Georg in Erfahrung brachte, daß
-die fremde Dame denselben Weg aufwärts den Fluß wie er nehme, machte er
-ihr den Vorschlag, eine Cajüte für sie auf demselben Boote nehmen zu
-dürfen, auf dem er zu fahren beabsichtigte, -- indem er in seiner
-Gutmüthigkeit Mitleid für ihre schwache Gesundheit hegte, und ihr so
-viel Beistand wie möglich zu leisten wünschte.
-
-Wir sehen deshalb die ganze Gesellschaft wohlbehalten auf das gute
-Dampfboot Cincinnati übergehen, welches unter Leitung einer gewaltigen
-Dampfsäule den Fluß hinauf arbeitet.
-
-Cassy's Gesundheit hatte sich bedeutend gebessert. Sie saß auf dem
-Verdeck, kam zu Tische, und wurde von Allen auf dem Boote für eine Dame
-gehalten, die sehr schön gewesen sein müsse.
-
-Vom ersten Augenblicke an, wo Georg ihr Gesicht gewahrte, fiel ihm eine
-jener flüchtigen, und dunklen Aehnlichkeiten auf, die wohl fast jedem
-Menschen begegnet sind. Er konnte sich nicht enthalten, sie fortwährend
-anzusehen und zu beobachten. Sie mochte bei Tische, oder in der Thür
-ihrer Kajüte sitzen, immer begegnete sie den auf ihr ruhenden Augen des
-jungen Mannes, der seine Blicke jedoch sogleich abwandte, sobald er in
-ihrem Gesichte bemerkte, daß sie sich von ihm beobachtet fühlte.
-
-Cassy wurde unruhig. Sie begann zu fürchten, daß er Verdacht geschöpft
-habe, und beschloß deshalb endlich, sich seinem Edelmuthe gänzlich
-anzuvertrauen, und theilte ihm ihre ganze Geschichte mit.
-
-Georg war gern geneigt, für Jeden Sympathie zu empfinden, der von
-Legree's Plantage entflohen war, -- einem Orte, an den er nicht ohne
-Aufregung denken konnte, -- und er versprach ihr deshalb mit jener
-muthigen, seinem Alter eigenthümlichen Nichtbeachtung aller möglichen
-Folgen, daß er sie mit allen seinen Kräften unterstützen und
-durchbringen wolle.
-
-Das nächste, an Cassy's Kajüte stoßende Gemach war von einer
-französischen Dame, Namens de Thoux, bewohnt, welche sich in Begleitung
-einer schönen, kleinen Tochter, einem Mädchen von ungefähr zwölf Jahren,
-befand. Diese Dame, welche aus Georg's Unterhaltung entnommen hatte, daß
-er aus Kentucky gebürtig war, schien offenbar geneigt, seine
-Bekanntschaft zu machen, worin sie durch die Anmuth ihrer kleinen
-Tochter unterstützt wurde, die ein so niedliches, kleines Spielwerk war,
-als nur je eins die Langeweile einer vierzehntägigen Fahrt auf dem
-Dampfboote vertrieb.
-
-Georgs Stuhl befand sich oft an der Thür ihrer Kajüte, und Cassy konnte,
-wenn sie auf dem Verdecke saß, ihre Unterhaltung hören.
-
-Madame de Thoux befragte ihn sehr umständlich über Kentucky, wo sie, wie
-sie sagte, in einer frühern Periode ihres Lebens gewohnt hatte; und
-Georg entdeckte zu seinem großen Erstaunen, daß ihr früherer Aufenthalt
-in der Nähe seiner eignen Besitzung gewesen sein müsse, denn ihre Fragen
-verriethen eine Bekanntschaft mit Leuten und Dingen in jener Gegend, die
-ihn förmlich in Verwundrung setzte.
-
-»Kennen Sie,« sagte Madame de Thoux eines Tages, »einen Mann in Ihrer
-Nachbarschaft, der den Namen Harris führt?«
-
-»Es gibt dort einen Menschen dieses Namens, der nicht weit von der
-Besitzung meines Vaters wohnt; allein wir haben nie Umgang mit ihm
-gehabt,« entgegnete Georg.
-
-»Er besitzt, glaube ich, eine große Anzahl Sklaven,« fuhr Madame de
-Thoux in einer Weise fort, die mehr Interesse verrieth, als sie schien
-sehen lassen zu wollen.
-
-»Ja, ich glaube,« entgegnete Georg, überrascht durch ihr Wesen.
-
-»Haben Sie jemals davon gehört, -- vielleicht haben Sie davon gehört,
-daß er einen Mulattenburschen Namens Georg besaß?«
-
-»O gewiß -- Georg Harris -- ich kenne ihn recht wohl. Er heirathete eine
-Sklavin meiner Mutter, aber ist jetzt nach Canada entflohen.«
-
-»Ist er entflohen?« sagte Madame de Thoux schnell. »Gott sei gedankt!«
-
-Georg richtete einen fragenden Blick auf sie, aber sagte nichts.
-
-Madame de Thoux stützte ihren Kopf in die Hand und brach in Thränen aus.
-
-»Er ist mein Bruder,« sagte sie.
-
-»Madame!« rief Georg mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens.
-
-»Ja,« entgegnete Madame de Thoux stolz, ihren Kopf empor richtend und
-ihre Thränen trocknend, -- »Mr. Shelby, Georg Harris ist mein Bruder!«
-
-»Ich bin im höchsten Grade erstaunt,« sagte Georg, indem er seinen Stuhl
-zurückschob und Madame de Thoux betrachtete.
-
-»Ich wurde nach dem Süden verkauft, als er noch ein Knabe war,« sagte
-sie, »und von einem guten, menschenfreundlichen Manne gekauft. Er nahm
-mich mit sich nach den westindischen Inseln, gab mir meine Freiheit und
-heirathete mich. Erst vor Kurzem starb er, und ich wollte nach Kentucky
-gehen, um zu sehen, ob ich meinen Bruder loskaufen könne.«
-
-»Ich habe ihn von einer Schwester Emilie sprechen hören, die nach Süden
-verkauft wurde,« sagte Georg.
-
-»Ja, das bin ich,« entgegnete Madame de Thoux. -- »Bitte, sagen Sie mir,
-was für ein --«
-
-»Ein sehr hübscher, junger Mann,« erwiederte Georg, »ungeachtet des
-Fluches der Sklaverei, der auf ihm lastete. Er erwarb sich stets in
-Bezug auf Intelligenz und Grundsätze die besten Zeugnisse. Ich kenne ihn
-deßhalb,« fügte er hinzu, »weil er in unsere Familie geheirathet hat.«
-
-»Was für ein Mädchen?« fragte Madame de Thoux eifrig.
-
-»Einen wahren Schatz,« entgegnete Georg; -- »ein schönes, kluges,
-liebenswürdiges und sehr frommes Mädchen. Meine Mutter hatte sie fast so
-sorgsam auferzogen, als wenn sie ihre eigene Tochter gewesen wäre. Sie
-konnte lesen und schreiben, sehr schön, und sticken, und sang
-vortrefflich.«
-
-»Wurde sie in Ihrem Hause geboren?« fragte Madame de Thoux.
-
-»Nein. Mein Vater kaufte sie auf einer seiner Reisen nach New-Orleans
-und brachte sie meiner Mutter als Geschenk mit. Sie mochte damals acht
-oder neun Jahre alt sein. Vater wollte uns nie sagen, wie viel er für
-sie gegeben hatte; allein vor Kurzem, als wir seine alten Papiere
-durchsahen, fanden wir den Verkaufsbrief. Er hatte eine ungeheure Summe
-für sie bezahlt, ich glaube, mit Rücksicht auf ihre ungewöhnliche
-Schönheit.«
-
-Georg saß mit dem Rücken gegen Cassy gewendet, und konnte deßhalb die
-gespannte Aufmerksamkeit ihrer Züge nicht bemerken, während er diese
-Details mittheilte. Bei diesem Punkte der Erzählung berührte sie seinen
-Arm und sagte mit einem vor ängstlicher Spannung bleich gewordenen
-Gesichte: »Kennen Sie den Namen der Leute, von denen sie gekauft wurde?«
-
-»Ein Mann Namens Simmons, glaube ich, war die Hauptperson in dem
-Geschäfte; wenigstens, denke ich, stand dieser Name im Verkaufsbriefe.«
-
-»O mein Gott!« rief Cassy, und fiel bewußtlos auf den Boden der Kajüte.
-
-Georg war im höchsten Grade überrascht, und ebenso Madame de Thoux.
-Obgleich keines von Beiden errathen konnte, was die Ursache ihrer
-Ohnmacht sei, so machten sie doch allen, in solchen Fällen gewöhnlichen,
-Tumult; -- Georg stieß in dem Eifer seiner Menschenfreundlichkeit ein
-Waschbecken um und zerbrach zwei Gläser; und mehrere andere Damen, die
-davon gehört hatten, daß Jemand in Ohnmacht gefallen sei, drängten sich
-um die Thür, und hielten alle frische Luft ab, so viel sie konnten; so
-daß, im Ganzen genommen, Alles geschah, was nur erwartet werden konnte.
-
-Arme Cassy! Als sie wieder zu sich kam, lehnte sie ihr Gesicht gegen die
-Wand und weinte und schluchzte wie ein Kind. Vielleicht weißt Du, o
-Mutter, woran sie dachte, vielleicht auch nicht; aber sie fühlte in
-dieser Stunde, daß Gott ihr gnädig gewesen sei, und daß sie ihre Tochter
-wieder sehen werde, -- wie mehrere Monate später geschah, -- als -- doch
-wir greifen vor.
-
-
-
-
-Dreiundvierzigstes Kapitel.
-
-Ergebnisse.
-
-
-Der Rest unserer Geschichte ist bald erzählt. Georg Shelby, der, wie
-jeder andere junge Mann an seiner Stelle, durch das Romantische des
-Falles und seine eigenen menschenfreundlichen Gefühle bewogen,
-besonderes Interesse an dieser Angelegenheit genommen hatte, sendete
-Cassy den Verkaufsbrief über Elisa, dessen Datum und Name mit ihrer
-eigenen Kenntniß der Umstände übereintraf, und also keinen Zweifel über
-die Identität ihres Kindes zurückließ. Es kam jetzt nur noch darauf an,
-die Spur der Flüchtlinge zu verfolgen.
-
-Sie und Madame de Thoux, die auf diese Weise durch die seltsame
-Berührung ihrer Schicksale zusammengeführt worden waren, begaben sich
-sofort nach Canada, und begannen hier ihre Nachforschungen auf den
-Stationen, wo die zahlreichen Flüchtlinge aus der Sklaverei
-untergebracht werden.
-
-In Amherstberg fanden sie den Missionär, bei dem Georg und Elisa nach
-ihrer ersten Ankunft in Canada ein Unterkommen gefunden hatten; und
-durch ihn wurden sie in den Stand gesetzt, der Familie nach Montreal zu
-folgen.
-
-Georg und Elisa waren jetzt seit fünf Jahren frei. Georg hatte
-fortwährende Beschäftigung in der Werkstatt eines achtbaren Maschinisten
-gefunden, wo er einen hinreichenden Unterhalt für seine Familie erwarb,
-die sich inzwischen um eine Tochter vermehrt hatte. Der kleine Harry, --
-ein hübscher, munterer Knabe, -- war in eine gute Schule gebracht
-worden, und machte schnelle Fortschritte.
-
-Der würdige Geistliche der Station in Amherstberg, wo Georg zuerst
-gelandet war, hatte so großen Antheil an den Mittheilungen der Madame de
-Thoux und Cassy's genommen, daß er den Bitten der Ersteren nachgab, sie
-zum Zwecke ihrer Nachforschungen bis nach Montreal zu begleiten.
-
-Die Scene verwandelt sich jetzt in eine kleine niedliche Wohnung in den
-Vorstädten von Montreal. Es ist Abend. Ein lustiges Feuer brennt auf dem
-Heerde; der Theetisch ist mit einem weißen Tuche bedeckt, und steht zum
-Abendessen bereit. In der einen Ecke des Zimmers befindet sich ein
-Tisch, der mit einem grünen Tuche überzogen ist, und auf dem man
-Schreibzeug, Papier und Federn bemerkt, während über demselben ein Brett
-mit einer ausgesuchten Sammlung von Büchern angebracht ist. Dies war
-Georg's Studirzimmer. Derselbe Eifer für Belehrung, der ihn dazu
-antrieb, die von ihm so sehr ersehnten Künste des Lesens und Schreibens
-sich heimlich, unter den Mühseligkeiten und Demüthigungen seines
-früheren Lebens anzueignen, vermochte ihn auch jetzt, alle seine
-Mußestunden zu seiner Ausbildung zu verwenden.
-
-In diesem Augenblicke sitzt er am Tische, und ist damit beschäftigt,
-Auszüge aus einem Bande der Familienbibliothek zu machen, den er gelesen
-hat.
-
-»Komm', Georg,« sagt Elisa, »Du bist den ganzen Tag aus dem Hause
-gewesen. Lege jetzt Dein Buch bei Seite, und laß uns zusammen plaudern,
-während ich den Thee bereite.«
-
-Und die kleine Elisa unterstützt die Bitte, indem sie zu ihrem Vater
-herum getrippelt kömmt und ihm das Buch aus der Hand zu ziehen versucht,
-um sich an dessen Stelle auf sein Knie niederzulassen.
-
-»O Du kleine Hexe!« sagt Georg nachgebend, wie ein Mann unter solchen
-Umständen immer muß.
-
-»Das ist recht,« sagt Elisa, während sie das Brod zu schneiden beginnt.
-Sie ist etwas älter geworden, ihre Gestalt etwas voller, und ihre Miene
-etwas matronenhafter; aber zufrieden und glücklich scheint sie zu sein.
-
-»Harry, mein Junge, wie bist Du heut mit Deiner Rechnung fertig
-geworden?« fragt Georg, während er seine Hand auf des Sohnes Kopf legt.
-
-Harry hat seine Locken verloren; aber er kann nie jene Augen und
-Augenlider verlieren, und die schöne, kühne Stirne, die von Triumph
-strahlt, während er antwortet: »Ich habe sie ^ganz allein^ gemacht,
-und ^Niemand^ hat mir geholfen!«
-
-»Das ist recht,« sagt der Vater, »verlaß Dich immer auf Dich selbst,
-mein Sohn. Du hast mehr Aussicht, als Dein armer Vater jemals hatte.«
-
-In diesem Augenblick wird ein Klopfen an der Thür gehört, und Elisa geht
-und öffnet sie. Das freudige: »Wie! -- Sie sind es?« ruft den Mann
-herbei, und der gute Pastor von Amherstberg wird bewillkommt. Zwei
-andere Frauenzimmer begleiten ihn, welche Elisa zum Sitzen einladet.
-
-Wenn wir die Wahrheit sagen sollen, so hatte der gute Pastor ein kleines
-Programm entworfen, nach welchem sich diese Angelegenheit entwickeln
-sollte; und auf dem Wege dahin hatten Alle sich gegenseitig ermahnt,
-vorsichtig zu sein und nichts vor der Zeit zu verrathen, sondern der
-getroffenen Verabredung getreu zu bleiben. Wie groß war daher des guten
-Mannes Bestürzung, als gerade in dem Augenblicke, wo er sein Taschentuch
-hervorzog, um seinen Mund abzuwischen, und seine Einleitungsrede in
-guter Ordnung beginnen wollte, Madame de Thoux den ganzen Plan
-vereitelte, indem sie ihre Arme um Georg's Hals schlang und Alles durch
-die Worte verrieth: »O Georg! kennst Du mich nicht? Ich bin Deine
-Schwester Emilie!«
-
-Cassy hatte sich mit mehr Fassung niedergesetzt, und würde ihre Rolle
-wahrscheinlich sehr gut durchgeführt haben, wenn nicht plötzlich die
-kleine Elisa grade in derselben Gestalt, mit denselben Zügen und Locken
-vor ihr erschienen wäre, wie sie ihre Tochter hatte, als sie sie zum
-letzten Male sah. Das kleine Wesen schaute ihr in's Gesicht, und Cassy
-fing sie in ihren Armen, drückte sie an ihren Busen und rief, was sie in
-diesem Augenblicke wirklich glaubte: »Mein Liebling, ich bin Deine
-Mutter!«
-
-Es war in der That eine schwierige Aufgabe, gehörige Ordnung wieder
-herzustellen; allein endlich gelang es dem guten Pastor doch, Alle zur
-Ruhe zu bringen, und seine Rede zu halten, mit der er die Sache hatte
-eröffnen wollen, welche eine solche Wirkung äußerte, daß seine
-sämmtliche Zuhörerschaft in ein Schluchzen ausbrach, das jeden Redner,
-älterer oder neuerer Zeit, befriedigt haben würde. Sie knieten zusammen
-nieder, und der gute Mann betete, -- denn es gibt Gefühle so gewaltiger
-Art, daß sie nur dann Ruhe finden können, wenn sie in den Busen der
-allmächtigen Liebe ausgegossen werden; -- und sodann erhoben sich die
-Mitglieder der neugefundenen Familie, und umarmten einander mit heiligem
-Vertrauen zu ihm, der sie aus solchen Gefahren, und auf so dunklen Wegen
-hier zusammengeführt hatte.
-
-Das Tagebuch eines Missionärs unter den canadischen Flüchtlingen enthält
-wahre Thatsachen, die wunderbarer sind als Erfindungen irgend einer Art.
-Wie kann es anders sein, wo ein System besteht, welches die Familien
-zerreißt und ihre Mitglieder zerstreut, wie der Wind die Blätter des
-Herbstes zerstreut? Diese Küsten vereinigen oft, wie die der Ewigkeit,
-Herzen, die schon lange Jahre um einander als verloren getrauert hatten;
-und unbeschreiblich rührend ist der Eifer, mit dem jeder neue Ankömmling
-von ihnen empfangen wird, um zu hören, ob er vielleicht Nachrichten von
-Mutter, Schwester, Kind oder Weib bringe, die noch in der Nacht der
-Sklaverei schmachten. Größere Heldenthaten werden hier vollbracht, als
-im Romane geschildert werden können, wenn der Flüchtling, den Martern
-und selbst dem Tode trotzend, freiwillig zu den Schrecken und Gefahren
-jenes dunklen Landes zurückkehrt, um seine Mutter, seine Schwester oder
-seine Frau zu erretten.
-
-Ein junger Mann, von dem uns ein Missionär erzählte, war zweimal wieder
-gefangen worden, und hatte die schrecklichsten Mißhandlungen erduldet,
-als er zum dritten Male entfloh; und zeigte seinen Freunden in einem
-Briefe an, der uns vorgelesen worden ist, daß er zum dritten Male
-zurückkehre, um endlich seine Schwester zu befreien. Ist dieser Mensch
-ein Held oder ein Verbrecher? Wer würde nicht dasselbe für seine
-Schwester thun? Wer kann ihn tadeln?
-
-Aber wir müssen zu unsern Freunden zurückzukehren, die wir verließen,
-als sie ihre Augen trockneten, und sich von einer zu großen und zu
-plötzlichen Freude erholten. Jetzt sitzen sie um den gastlichen Tisch,
-und beginnen ganz ernstlich gesellig zu werden; nur daß Cassy, welche
-die kleine Elisa auf ihrem Schooße hält, das kleine Wesen zuweilen auf
-eine Weise drückt, welche dasselbe in Erstaunen setzt, und sich
-hartnäckig weigert, sich den Mund in einem solchen Maaße mit Kuchen
-stopfen zu lassen, wie die Kleine es wünscht, -- indem sie sagt, worüber
-sich das Kind in hohem Grade wundert, daß sie etwas Besseres als Kuchen
-habe und dessen nicht bedürfe.
-
-Und in der That ist mit Cassy in Zeit von zwei bis drei Tagen eine
-solche Veränderung vorgegangen, daß unsere Leser sie kaum kennen würden.
-Der verzweifelnde, wilde Ausdruck des Gesichts ist dem eines sanften
-Vertrauens gewichen. Sie scheint auf einmal in den Busen der Familie zu
-sinken, und die Kleinen in ihr Herz zu schließen, wie Etwas, worauf sie
-lange gewartet hat. Wirklich schien ihre Liebe sich mehr der kleinen
-Elisa, als ihrer Tochter zuzuwenden; denn sie war das getreue Abbild des
-Kindes, welches sie verloren hatte. Das kleine Wesen war ein Blumenband
-zwischen Mutter und Tochter, durch welches Bekanntschaft und Zuneigung
-wieder aufwuchsen. Elisa's beständige, durch fortwährendes Lesen der
-heiligen Schrift geregelte Frömmigkeit machte sie zu einer geeigneten
-Führerin für das zerrissene Gemüth ihrer Mutter. Cassy war schnell und
-von ganzem Herzen für jeden guten Einfluß empfänglich, und wurde eine
-aufrichtige und andächtige Christin.
-
-Nach einigen Tagen machte Madame de Thoux ihrem Bruder genauere
-Mittheilungen über ihre Verhältnisse. Der Tod ihres Mannes hatte sie in
-den Besitz eines bedeutenden Vermögens gesetzt, welches sie großmüthig
-mit der Familie zu theilen sich erbot. Als sie Georg fragte, auf welchem
-Wege sie es am Besten für ihn verwenden könne, antwortete er ihr:
-»Verleihe mir Bildung, Emilie; danach hat immer mein Herz verlangt. Dann
-kann ich alles Uebrige thun.«
-
-Nach reiflicher Ueberlegung wurde beschlossen, daß die ganze Familie auf
-einige Jahre nach Frankreich gehen solle, wohin sie alsbald abreiste und
-Emmeline mitnahm. Das hübsche Aeußere der Letzteren erweckte die Liebe
-des ersten Steuermanns auf dem Schiffe, und Emmeline wurde bald nach dem
-Einlaufen in den Hafen sein Weib.
-
-Georg blieb vier Jahre auf einer französischen Universität, und erlangte
-durch unermüdlichen Fleiß eine gründliche Bildung. Die politischen
-Unruhen Frankreichs bewogen endlich die Familie, von Neuem eine Zuflucht
-in diesem Lande zu suchen. Georg's Empfindungen und Ansichten als eines
-gebildeten Mannes lassen sich am Besten aus einem an seine Freunde
-gerichteten Briefe entnehmen:
-
- »Ich bin noch nicht ganz einig mit mir über mein zukünftiges
- Verhalten. Zwar könnte ich mich, wie Sie mir sagten, in die Kreise
- der Weißen in diesem Lande mischen, da meine eigene Farbe so hell
- und die meiner Frau und Familie kaum bemerkbar ist. Kann sein, ich
- würde vielleicht dort geduldet werden. Aber um die Wahrheit zu
- sagen, ich mag es nicht thun.«
-
- »Meine Sympathien gehören nicht dem Geschlechte meines Vaters,
- sondern dem meiner Mutter. Ihm galt ich nicht mehr als ein schöner
- Hund oder ein schönes Pferd; aber meiner armen Mutter mit ihrem
- gebrochenen Herzen war ich ein Kind; und obgleich ich sie nach
- jenem grausamen Verkaufe, der uns trennte, nie wieder sah, bis sie
- starb, so weiß ich doch, daß sie mich innig liebte. Ich weiß es
- durch mein eignes Herz. Wenn ich an alles das denke, was sie
- litt, an meine eignen frühen Leiden, an die Schmerzen und Kämpfe
- eines heldenmüthigen Weibes, an meine Schwester, die in
- New-Orleans auf dem Sklavenmarkte verkauft wurde, -- so darf ich,
- ohne unchristliche Empfindungen zu haben, sagen, daß ich nicht für
- einen Amerikaner gelten, oder mich mit ihm identificiren möchte.«
-
- »Das unterdrückte, in Ketten geschlagene afrikanische Geschlecht
- ist es, zu dem ich mich hingezogen fühle; und wenn ich etwas
- wünschen sollte, so wäre es eher, daß ich um zwei Schattirungen
- dunkler, als um eine heller wäre.«
-
- »Der Wunsch und das Sehnen meines Herzens richtet sich auf eine
- afrikanische ^Nationalität^. Ich verlange nach einem Volke,
- welches eine erkennbare, besondre Existenz für sich selbst hat;
- und wo soll ich das finden? Nicht in Hayti, denn dort hatten sie
- keine Grundlage für den Anfang. Ein Strom kann sich nicht über
- seine Quelle erheben. Das Geschlecht, welches den Charakter der
- Haytier bildete, war ein entkräftetes, verweichlichtes, und wird
- deßhalb natürlich Jahrhunderte gebrauchen, um sich nur zu Etwas zu
- erheben.«
-
- »Wo soll ich also suchen? An den Küsten Afrika's sehe ich eine
- Republik, -- die von auserlesenen Männern gebildet ist, welche
- sich durch Energie und selbstbildende Kraft in vielen Fällen
- individuell über den Zustand der Sklaverei erhoben haben. Nachdem
- diese Republik durch ein vorbereitendes Stadium von Schwäche
- gegangen ist, ist sie endlich eine anerkannte Nation der Erde
- geworden, -- anerkannt von Frankreich und England. Dahin wünsche
- ich zu gehen, um ein Volk für mich zu finden.«
-
- »Ich weiß wohl, daß ich Sie jetzt alle gegen mich haben werde;
- aber ehe Sie mich verdammen, hören Sie mich! Während meines
- Aufenthaltes in Frankreich habe ich mit großem Interesse die
- Geschichte meines Volkes in Amerika studirt. Ich habe den Kampf
- zwischen dem Abolitions- und Colonisationssysteme beobachtet, und
- als entfernter Zuschauer einige Wahrnehmungen gemacht, die ich als
- Theilnehmer nicht würde haben machen können. Ich gebe zu, daß
- dieses Liberia allen Zwecken gedient haben mag, indem es in den
- Händen unserer Unterdrücker gegen uns gebraucht wurde. Ohne
- Zweifel ist der Plan auf unverantwortliche Weise zur Verzögerung
- unserer Emancipation gebraucht worden; aber meine Frage ist: Giebt
- es nicht einen Gott, der über allen Plänen erhaben ist! Kann er
- nicht ihre Absichten beherrscht, und durch sie eine Nation für uns
- gegründet haben?«
-
- »In der jetzigen Zeit wird eine Nation in einem Tage geboren. Eine
- Nation erhebt sich jetzt mit allen den großen Problemen der
- Civilisation und republikanischen Lebens fertig zur Hand. Sie hat
- nicht mehr zu entdecken, sondern nur anzuwenden. Laßt uns also
- alle mit aller Kraft zusammenhalten, und sagen, was wir in diesem
- neuen Unternehmen vermögen, und der ganze Continent Afrika's wird
- sich uns und unsern Kindern öffnen. Unsere Nation wird die Fluth
- der Civilisation und des Christenthums über seine Küsten ergießen,
- und mächtige Republiken gründen, die, mit der Schnelligkeit
- tropischer Vegetation aufwachsend, für alle kommenden Jahrhunderte
- bestehen werden.«
-
- »Sagen Sie, daß ich meine in der Sklaverei schmachtenden Brüder
- vergesse? Ich glaube nicht. Wenn ich sie eine Stunde, einen
- Augenblick meines Lebens vergesse, so möge Gott mich vergessen!
- Aber was kann ich hier für sie thun? Kann ich ihre Ketten
- zerbrechen? Nein, nicht als Individuum; aber lassen Sie mich gehen
- und ein Theil einer Nation werden, welche eine Stimme in dem Rathe
- der Völker erlangen wird, und dann können wir reden. Eine Nation
- hat das Recht, die Sache ihres Stammes zu besprechen, zu
- vertreten, -- was ein Individuum nicht kann.«
-
- »Wenn Europa jemals eine große Versammlung freier Nationen wird,
- -- wie ich zu Gott hoffe, -- wenn darin Knechtschaft und alle
- ungerechten, drückenden, socialen Ungleichheiten aufgehoben worden
- sind; und wenn sie, wie England und Frankreich bereits gethan
- haben, unsere Stellung anerkennen, -- dann wollen wir in dem
- großen Congreß der Nationen unsere Stimme hören lassen, und die
- Sache unseres geknechteten, leidenden Stammes zur Sprache bringen;
- und es ist unmöglich, daß das freie, aufgeklärte Amerika dann
- nicht den schwarzen Fleck von seinem Wappenschilde vertilgen
- sollte, der es schändet, und ein eben so großer Fluch für das Land
- selbst wie für seine Sklaven ist.«
-
- »Aber Sie werden mir sagen, daß unser Stamm dasselbe Recht habe,
- in der amerikanischen Republik zu leben, wie der Irländer, der
- Deutsche, der Schwede, und ich gestehe das zu. Wir ^sollten^ die
- Freiheit haben, dort zu leben, uns durch unsern individuellen
- Werth, ohne Rücksicht auf Kaste oder Farbe, zu heben; und
- Diejenigen, welche uns dieses Recht versagen, sind ihren eigenen
- Grundsätzen von menschlicher Gleichheit ungetreu. Wir sollten
- insbesondre hier zugelassen werden; denn wir haben ein größeres
- Recht als das der gewöhnlichen Menschen ist: wir haben die
- Ansprüche eines verletzten Stammes auf Entschädigung. Allein, ich
- mache keine Ansprüche darauf; ich will ein eignes Land, eine
- eigene Nation haben. Ich glaube, daß der afrikanische Stamm
- besondere Eigenschaften hat, die noch unter dem Lichte der
- Civilisation und des Christenthums entwickelt werden müssen, und
- die, wenn es nicht dieselben sind, welche der angelsächsische
- Stamm besitzt, in moralischer Beziehung vielleicht nur noch höher
- stehen.«
-
- »Dem angelsächsischen Stamme sind die Geschicke der Welt während
- der Periode ihres Ringens und Kämpfens anvertraut gewesen, und zu
- dieser Mission waren seine strengen, unbeugsamen, energischen
- Elemente wohl geeignet; aber als ein Christ sehe ich einer andern
- Aera entgegen. Ich hoffe, daß wir an ihren Gränzen stehen, und daß
- die Schmerzen, von denen die Nationen jetzt zerrissen werden, nur
- die Geburtswehen einer Stunde sind, welche uns allgemeinen Frieden
- und allgemeine Brüderschaft bringen wird.«
-
- »Ich hoffe, daß die Entwickelung Afrika's vorzugsweise eine
- christliche sein wird. Wenn der eingeborene Stamm kein
- herrschender und gebietender ist, so ist er wenigstens ein
- gefühlvoller, großherziger und vergebender. Da er in den Glühofen
- der Ungerechtigkeit und Unterdrückung gesunken ist, so muß er jene
- erhabene Lehre der Liebe und Vergebung um so fester in sein Herz
- schließen, als er durch sie allein siegen kann, und ihre
- Verbreitung über den Continent Afrika's die ihm aufgetragene
- Mission ist.«
-
- »Ich selbst bin, wie ich gestehen muß, schwach in diesem Punkte,
- denn die eine Hälfte meines Blutes ist das heiße, hitzige,
- sächsische; aber ich habe in der Person meines schönen Weibes
- einen beredten Prediger des Evangeliums an meiner Seite. Wenn ich
- mich verirre, führt mich ihr sanfterer Geist stets zurück, und
- hält meinen Augen den christlichen Beruf unseres Geschlechtes vor.
- Ich gehe als ein christlicher Patriot, als ein Lehrer des
- Christenthums nach ^meinem Vaterlande^ -- meinem erwählten,
- glorreichen Afrika! auf das ich in meinem Herzen oft jene
- herrlichen Worte der Prophezeiung anwende: -- »Sintemalen Du
- verlassen und verhaßt gewesen, so daß Niemand von Dir wissen
- wollen, will ich Dich zu ewigem Ruhme erheben, und zur Freude
- vieler Geschlechter!««
-
- »Sie werden mich einen Enthusiasten nennen, und werden mir sagen,
- daß ich das nicht reiflich überlegt habe, was ich zu unternehmen
- im Begriffe stehe; aber ich habe überlegt und die Kosten
- berechnet. Ich gehe nach Liberia, nicht wie nach einem
- romantischen Elysium, sondern wie nach einem Felde der Arbeit.
- Ich rechne darauf, mit beiden Händen dort zu arbeiten, -- schwer
- zu arbeiten; gegen alle Arten Schwierigkeiten und Entmuthigungen
- zu arbeiten, -- und zu arbeiten, bis ich sterbe. Das ist der Zweck
- meines Gehens, und ich bin überzeugt, daß ich darin nicht werde
- getäuscht werden.«
-
- »Was Sie auch immer von meinem Entschlusse denken mögen, entziehen
- Sie mir deßhalb Ihr Vertrauen nicht, und sein Sie überzeugt, daß
- ich bei Allem, was ich thue, mit einem Herzen handle, welches ganz
- meinem Volke angehört.«
-
- »Georg Harris.«
-
-Einige Wochen später schiffte sich Georg mit seinem Weibe, seinen
-Kindern, seiner Schwester und Mutter nach Afrika ein. Wenn wir uns nicht
-täuschen, wird die Welt dort noch von ihm hören.
-
-Von unsern übrigen Personen haben wir nichts Besonderes mehr zu
-erwähnen, ausgenommen ein Wort in Beziehung auf Miß Ophelia und Topsy,
-und ein Schlußkapitel, welches wir Georg Shelby widmen wollen.
-
-Miß Ophelia nahm Topsy mit sich nach Vermont, und zwar zum großen
-Erstaunen derjenigen ernsten und bedächtigen Personen, welche ein
-Neu-Engländer unter dem Ausdrucke: »Unsere Leute« versteht. »Unsere
-Leute« waren anfangs der Meinung, daß Topsy eine seltsame und unnöthige
-Vergrößerung ihres wohlgeregelten Haushaltes sei; allein so erfolgreich
-war Miß Ophelien's gewissenhaftes Streben, ihre Pflicht gegen ihren
-Zögling zu thun, daß das Kind schnell bei der Familie und der
-Nachbarschaft in Gunst und Gnade zunahm. Als sie das Alter der
-Jungfräulichkeit erreicht hatte, wurde sie auf ihren eigenen Wunsch
-getauft, wurde ein Mitglied der christlichen Gemeinde des Ortes, und
-verrieth so viel Verstand, Thätigkeit, Eifer und Verlangen, Gutes in
-der Welt zu wirken, daß sie endlich als Missionärin zu einer der
-Stationen in Afrika empfohlen und bestätigt wurde; und wir haben gehört,
-daß dieselbe Thätigkeit und Empfindungsgabe, welche sie in ihrer
-Kindheit so unstät in ihrer Entwickelung machte, jetzt zu einem
-heilsameren Zwecke, dem Unterrichte der Kinder ihres eigenen
-Vaterlandes, verwendet wird.
-
-_P. S._ Es wird für manche Mutter eine Genugthuung sein, wenn wir
-erwähnen, daß die von der Madame de Thoux veranlaßten Nachforschungen
-den Erfolg gehabt haben, Cassy's Sohn aufzufinden. Als ein junger,
-energischer Mann war es ihm schon mehrere Jahre vor seiner Mutter
-geglückt, zu entfliehen, und hatte bei Freunden der Unterdrückten im
-Norden Aufnahme gefunden und seine Erziehung erhalten. Er wird nächstens
-seiner Familie nach Afrika nachfolgen.
-
-
-
-
-Vierundvierzigstes Kapitel.
-
-Der Befreier.
-
-
-Georg Shelby hatte nur eine Zeile an seine Mutter geschrieben, um ihr
-den Tag seiner Ankunft anzuzeigen. Von der Sterbescene seines alten
-Freundes sagte er kein Wort, -- er hatte nicht den Muth dazu. Mehrmals
-hatte er versucht, aber nichts erreicht, als daß ihm vor Wehmuth der
-Athem stockte, und endete jedesmal damit, daß er das Papier zerriß, sich
-die Augen trocknete, und vom Sitze aufsprang, um wieder ruhig zu
-werden.
-
-An jenem Tage fand, in Erwartung der Ankunft des jungen Master Georg, im
-ganzen Shelby'schen Hause eine muntere Bewegung Statt. Mrs. Shelby saß
-in ihrem bequem eingerichteten Wohnzimmer, wo ein gemüthliches Feuer die
-Kühle des Herbstabends verjagte, und in der Mitte ein Abendtisch mit
-Tellern und geschliffenen Gläsern gedeckt stand, dessen Anordnung unsere
-alte Freundin Chloe besorgte. Angethan mit einem neuen Kattunkleide,
-einer reinen, weißen Schürze und einem hohen, wohl gestärkten Turbane,
-glänzte ihr schwarz polirtes Gesicht von innerer Zufriedenheit, während
-sie mit unnöthiger Genauigkeit in ihren Geschäften am Tische fortfuhr,
-und sich derselben als Vorwand bediente, um mit ihrer Mistreß ein wenig
-plaudern zu können.
-
-»Sehen Sie, nun! wird's ihm nicht ganz natürlich scheinen?« sagte sie.
-»Hier, da, -- ich setze seinen Teller hin, wo er am liebsten sitzt, --
-hier beim Feuer. Master Georg hat gern 'nen warmen Sitz. O, gehn Sie mir
-doch! -- warum hat Sally denn nicht die ^beste^ Theekanne genommen, --
-die kleine neue, die Master Georg zu Weihnachten für Missis gekauft hat?
--- Will sie holen! -- Und Missis hat von Master Georg einen Brief
-bekommen?« fügte sie fragend hinzu.
-
-»Ja, Chloe, aber nur eine Zeile, die weiter nichts enthielt, als daß er
-heut Abend hier eintreffen werde, wenn es ihm möglich sei.«
-
-»Hat wohl nichts gesagt von meinem alten Mann?« fuhr Chloe fort, sich
-noch immer mit den Theetassen beschäftigend.
-
-»Nein, er hat gar nichts von ihm erwähnt, Chloe. Er sagte nur, er würde
-Alles erzählen, wenn er hier wäre.«
-
-»Ganz wie Master Georg; -- er muß immer Alles selbst erzählen. Habe das
-immer an Master Georg bemerkt. Weiß gar nicht, ich, wie die weißen Leute
-so viel schreiben können, als sie gewöhnlich thun; -- schreiben ist so
-'ne langsame, mühselige Arbeit.«
-
-Mrs. Shelby lächelte.
-
-»Denke, mein alter Mann wird die Jungens und 's Kleine gar nicht mehr
-kennen. Herr! sie ist nun ein großes Mädchen, jetzt -- und gut ist sie
-auch, und munter, Polly. Sie ist jetzt im Hause, und paßt auf die Kuchen
-auf. Habe grade den rechten Teig gemacht, wie ihn mein alter Mann so
-gern ißt; grade so wie damals, an dem Morgen, wo er fortgebracht wurde.
-Gott sei mir gnädig! wie mir damals zu Muthe war!«
-
-Mrs. Shelby seufzte, und fühlte bei diesen Worten eine schwere Last auf
-ihr Herz fallen. Sie hatte vom ersten Augenblicke, wo sie ihres Sohnes
-Brief erhalten, eine ängstliche Unruhe darüber empfunden, daß hinter
-diesem Schleier des Schweigens noch Etwas verborgen sein möchte.
-
-»Missis hat doch die Banknoten?« fragte Chloe besorgt.
-
-»Ja, Chloe.«
-
-»Weil ich meinem alten Manne gerne dieselben Noten zeigen möchte, die
-mir der Kuchenbäcker gegeben hat. Und dann sagte er: ›Chloe, ich
-wollte, Du bliebst länger hier.‹ ›Dank' Ihnen, Master,‹ sagt' ich,
-›ich thät's gern, aber mein alter Mann kommt nach Hause, und Missis --
-sie kann mich nicht länger entbehren.‹ Das hab' ich ihm gesagt. War ein
-sehr guter Mann, dieser Master Jones.«
-
-Chloe hatte hartnäckig darauf bestanden, daß dieselben Noten, in denen
-ihr Lohn ausgezahlt worden war, aufbewahrt werden sollten, um sie ihrem
-Manne als Beweis ihrer Geschicklichkeit zu zeigen; und Mrs. Shelby hatte
-gern eingewilligt.
-
-»Er wird Polly gar nicht mehr kennen, -- mein alter Mann. Herr! 's ist
-nun just fünf Jahre, daß sie ihn weg holten! Damals war sie noch ganz
-klein, -- konnte kaum stehen. Weiß noch, wie ängstlich er immer war,
-wenn sie laufen wollte und immer hin fiel.«
-
-Jetzt wurde das Rasseln von Rädern hörbar.
-
-»Master Georg!« sagte Tante Chloe, an's Fenster eilend.
-
-Mrs. Shelby lief nach der Thür, und befand sich gleich darauf in den
-Armen ihres Sohnes. Tante Chloe stand ängstlich dabei und suchte mit
-ihren Augen in der Dunkelheit.
-
-»Meine ^arme^ Tante Chloe!« sagte Georg, mitleidig vor ihr stehen
-bleibend und ihre harte, schwarze Hand in die seinige nehmend: »ich
-hätte mein ganzes Vermögen darum gegeben, wenn ich ihn hätte mitbringen
-können; aber er ist in ein besseres Land gegangen.«
-
-Mrs. Shelby stieß einen Schrei aus, aber Tante Chloe sagte nichts.
-
-Alle traten hierauf in das Wohnzimmer, wo das Geld noch auf dem Tische
-lag, auf welches Chloe so stolz gewesen war.
-
-»Da,« sagte sie, es zusammenraffend und mit zitternder Hand ihrer
-Mistreß hinhaltend, -- »will nichts weiter davon sehen und hören. Grade
-so, wie ich mir dachte, daß es kommen würde, -- verkauft und umgebracht
-auf den alten Plantagen!«
-
-Chloe wandte sich um und schritt stolz zum Zimmer hinaus. Mrs. Shelby
-ging ihr nach, nahm sie sanft bei der Hand und zog sie auf einen Stuhl
-nieder, und setzte sich zu ihr.
-
-»Meine arme, gute Chloe!« sagte sie.
-
-Chloe lehnte ihren Kopf an die Schulter ihrer Mistreß, und schluchzte
-laut: »O Missis, verzeihen Sie mir, -- mein Herz bricht.«
-
-»Ich weiß es,« entgegnete Mrs. Shelby, »und ich kann es nicht heilen,
-aber Jesus kann es. ›Er heilet, die zerbrochenen Herzens sind, und
-verbindet ihre Schmerzen.‹«
-
-Eine Zeit lang herrschte tiefes Schweigen, und Alle weinten. Endlich
-setzte sich Georg neben die Trauernde, ergriff ihre Hand, und schilderte
-mit einfachen, aber gefühlvollen Worten ihres Mannes triumphirende
-Sterbescene und seine letzten Aufträge der Liebe.
-
-Etwa einen Monat später wurden eines Morgens alle Sklaven der
-Shelby'schen Besitzung in die große Halle des Hauses zusammenberufen, um
-einige Worte von ihrem jungen Herrn zu hören.
-
-Zum Erstaunen Aller erschien er mit einem großen Bündel Papiere in der
-Hand, welche die Freilassungsscheine jedes Einzelnen enthielten, die er
-nach der Reihe vorlas, und sodann unter Thränen und Schluchzen aller
-Anwesenden aushändigte. Viele drängten sich um ihn und baten ihn
-flehend, mit ängstlichen Gesichtern, und indem sie ihre
-Freilassungsscheine zurückreichten, sie nicht fortzuschicken.
-
-»Wir wollen nicht freier sein, als wir sind. Wir haben immer Alles
-gehabt, was wir brauchten. Wir wollen den alten Platz nicht verlassen,
-und Master und Missis und alles Uebrige.«
-
-»Meine guten Freunde,« sagte Georg, sobald er sie zum Schweigen bringen
-konnte, »es ist durchaus nicht erforderlich, daß Ihr mich verlasset.
-Meine Besitzung braucht jetzt noch eben so viele Arbeiter, wie früher,
-und eben so mein Haus. Aber Ihr seid jetzt freie Männer und freie
-Weiber. Ich werde Euch Löhne für Eure Arbeit bezahlen, je nachdem wir
-übereinkommen. Der Vortheil für Euch besteht darin, daß, im Falle ich in
-Schulden gerathen, oder sterben sollte, Ihr nicht genommen und verkauft
-werden könnt. Ich beabsichtige, die Bewirthschaftung meiner Besitzung
-fortzusetzen, und Euch zu lehren, was Euch vielleicht einige Zeit zu
-lernen kosten wird, -- nämlich, auf welche Weise Ihr von den Rechten
-Gebrauch zu machen habt, die ich Euch als freien Menschen gebe. Ich
-erwarte, daß Ihr gut sein und willig lernen werdet, und hoffe zu Gott,
-daß ich gegen Euch treu und willig zu lehren sein werde. Und nun, meine
-Freunde, blicket empor und danket Gott für den Segen der Freiheit!«
-
-Ein alter Neger-Patriarch, der auf der Besitzung grau und blind geworden
-war, stand jetzt auf, hob seine zitternden Hände empor, und sagte: »Laßt
-uns dem Herrn danken!«
-
-Als Alle niedergekniet waren, stieg aus der Tiefe dieses alten,
-ehrlichen Herzens ein _Te Deum_ zum Himmel, wie es selbst beim Klange
-der Orgel, der Glocken und Kanonen nie feierlicher gehört werden konnte.
-
-Als Alle sich erhoben hatten, stimmte ein Anderer eine methodistische
-Hymne an, deren Schlußvers war:
-
- »Das Jubeljahr ist jetzt gekommen,
- Kehrt Ihr, befreite Sünder, heim.«
-
-»Noch Eins,« sagte Georg, indem er die Gratulationen der Menge
-unterbrach. -- »Ihr alle erinnert Euch unseres guten, alten Onkel Tom?«
-
-Hierauf gab Georg eine kurze Schilderung seiner Sterbescene, und
-erwähnte des liebevollen Abschieds, den er ihm an Alle aufgetragen
-hatte, und fügte hinzu:
-
-»An seinem Grabe, meine Freunde, gelobte ich vor Gott, nie wieder einen
-Sklaven zu besitzen, wenn es in meiner Macht stehe, ihn in Freiheit zu
-setzen, um nie Jemanden durch mich der Gefahr auszusetzen, von seiner
-Heimath und seinen Freunden losgerissen zu werden und auf einer einsamen
-Plantage sterben zu müssen, wie er starb. So oft Ihr Euch also Eurer
-Freiheit freut, so denkt daran, daß Ihr sie jener alten, guten Seele
-verdankt, und zeigt Euch durch Liebe gegen seine Frau und Kinder dafür
-erkenntlich. Gedenkt Eurer Freiheit, so oft Ihr ^Onkel Tom's Hütte^
-seht, und laßt sie Euch daran erinnern, seinen Fußtapfen zu folgen, und
-so redlich, so treu, so christlich zu sein, wie er war.«
-
-
-
-
-Fünfundvierzigstes Kapitel.
-
-Schlußbemerkungen.
-
-
-Die Verfasserin hat oft von verschiedenen Seiten Anfragen darüber
-erhalten, ob diese Erzählung wahre Thatsachen enthalte, und sie will
-deshalb hierauf die nachfolgende allgemeine Antwort geben.
-
-Die einzelnen Ereignisse, welche darin zusammengestellt worden, sind bis
-zu einem hohen Grade authentisch, und haben sich entweder unter den
-eignen Augen der Verfasserin, oder denen ihrer Freunde zugetragen. Sie
-selbst oder ihre Freunde haben Gegenstücke zu fast allen Charakteren,
-die hier geschildert worden sind, beobachtet, und viele der
-eingeflochtenen Reden sind Wort für Wort wiedergegeben, wie sie von der
-Verfasserin gehört oder ihr mitgetheilt worden sind.
-
-Die persönliche Erscheinung Elisa's und der ihr beigelegte Charakter
-sind nach dem Leben gezeichnet. Die unbestechbare Treue, Rechtlichkeit
-und Frömmigkeit Tom's hat die Verfasserin in mehr als einem persönlichen
-Beispiele selbst beobachtet. Ebenso haben mehrere der tragischsten und
-schrecklichsten Ereignisse ihre Originalien in der Wirklichkeit. Die
-Handlung der Mutter, welche über das Eis des Ohioflusses geht, ist eine
-wohlbekannte Thatsache. Die Geschichte der »alten Prue« ereignete sich
-unter der persönlichen Wahrnehmung eines Bruders der Verfasserin,
-welcher Kassirer eines großen Handlungshauses in New Orleans war. Aus
-derselben Quelle ist der Charakter des Pflanzers Legree entnommen
-worden. Ueber ihn äußerte sich derselbe, indem er einen auf seiner
-Pflanzung bei Gelegenheit einer Geschäftsreise abgestatteten Besuch
-schildert, folgendermaßen: »Er ließ mich in der That seine Faust
-befühlen, welche dem Hammer eines Grobschmieds glich, und sagte mir
-dabei, daß sie vom ^Niederschlagen der Neger^ so hart geworden sei.«
-
-Daß ebenso Tom's tragisches Schicksal mehr als ein Beispiel in der
-Wirklichkeit hat, dafür gibt es im ganzen Lande zahlreiche lebendige
-Zeugen. Man erinnere sich daran, daß es in allen südlichen Staaten ein
-gesetzliches Princip ist, keine Person von farbiger Abkunft als Zeugen
-gegen einen Weißen zuzulassen; und man wird deshalb leicht sehen, daß
-ein solcher Fall sich überall ereignen kann, wo die Leidenschaften eines
-Menschen die Rücksichten auf seinen Vortheil überwiegen, und ein Sklave
-Männlichkeit und Festigkeit genug besitzt, seinem Willen zu widerstehen.
-Es gibt in der That für einen Sklaven keinen andern Schutz, als den
-Charakter seines Herrn.
-
-Thatsachen, die zu schrecklich sind, um nur gelegentlich erwähnt zu
-werden, bahnen sich ihren Weg gewaltsam zur Oeffentlichkeit, und die
-Bemerkungen, die darüber gemacht werden, sind oft noch schrecklicher,
-als die Sache selbst. Man hört die Aeußerung: »Kann wohl sein, daß
-solche Dinge sich dann und wann zutragen, aber sie sind kein Beleg für
-die allgemeine Praxis.« Wenn die Gesetze von Neu-England so beschaffen
-wären, daß ein Meister dann und wann einen Lehrling zu Tode quälen
-könnte, ohne die Möglichkeit, denselben zur Bestrafung zu ziehen, --
-würde dies mit demselben Gleichmuthe angehört werden? Würde man sagen:
-»Derartige Fälle sind selten und keine Belege für die allgemeine
-Praxis?« Diese Ungerechtigkeit ist eine nothwendige Folge des
-Sklavensystems, welches ohne dieselbe nicht bestehen kann.
-
-Der öffentliche und schamlose Verkauf reizender Mulatten und
-Quadroonmädchen hat durch diejenigen Ereignisse Oeffentlichkeit erlangt,
-welche der Wegnahme der ›Perl‹ folgten. Wir entnehmen das Folgende aus
-der Rede des Mr. Horace Mann, eines der gesetzlich bestellten
-Vertheidiger der Angeklagten. Er sagt: »Unter den sechsundsiebzig
-Personen, welche im Jahre 1848 in dem Schoner ›Perl‹ von Columbia zu
-entfliehen suchten, und deren Offiziere ich zu vertheidigen bemüht war,
-befanden sich mehrere junge und kräftige Mädchen, welche in Zügen und
-Gestalt jene besonderen Reize besaßen, die von Kennern so hoch geschätzt
-werden. Elisabeth Russel gehörte zu diesen. Sie fiel augenblicklich in
-die Netze der Sklavenhändler, und wurde von ihnen für den Markt in
-New-Orleans bestimmt. Die Herzen Aller, die sie sahen, wurden von
-Mitleid für ihr Schicksal ergriffen. Man bot achtzehnhundert Dollar, um
-sie loszukaufen, aber der Teufel von einem Sklavenhändler war
-unerbittlich. Sie wurde nach New-Orleans abgeführt; allein während der
-Reise erbarmte Gott sich ihrer und erlöste sie durch den Tod. Zwei
-andere Mädchen, Namens Edmundson, befanden sich ebenfalls unter ihnen.
-Als sie nach demselben Markte abgesendet werden sollten, kam eine ältere
-Schwester derselben zur Fleischbank, um den Elenden, dem sie gehörten,
-bei der Liebe Gottes anzuflehen, seiner Opfer zu schonen. Er verhöhnte
-sie, und stellte ihr vor, was für schöne Kleider und Möbeln sie haben
-würden. ›Ja,‹ entgegnete sie, ›das mag in diesem Leben ganz angenehm
-sein, aber was wird in jenem Leben aus ihnen werden?‹ Sie wurden auch
-nach New-Orleans abgeführt, aber später für eine ungeheure Summe
-losgekauft und zurückgebracht.« Ergibt sich aus diesen Beispielen nicht
-deutlich genug, daß die Schicksale Cassy's und Emmelinens zahlreiche
-Gegenstücke haben werden?
-
-Um gerecht zu sein, ist die Verfasserin auch genöthigt, zu bemerken, daß
-die Freundlichkeit und der Edelmuth St. Clare's nicht ohne Parallelen
-sind, wie sich aus der folgenden Thatsache ergibt. Vor mehreren Jahren
-kam ein junger Gentleman aus dem Süden mit einem Lieblingssklaven, der
-von seiner Kindheit an sein persönlicher Diener gewesen war, nach
-Cincinnati. Letzterer machte von dieser Gelegenheit Gebrauch, sich seine
-Freiheit zu verschaffen, und floh unter den Schutz eines Quäckers, der
-im allgemeinen Rufe stand, sich derartigen Geschäften zu unterziehen.
-Der Eigenthümer war empört. Er hatte den Sklaven stets mit großer
-Nachsicht behandelt, und setzte ein so großes Vertrauen in seine
-Anhänglichkeit zu ihm, daß er glaubte, er müsse nothwendig zu diesem
-Schritte durch Andre verleitet worden sein. Er begab sich deshalb in
-heftiger Aufregung zu dem Quäcker, aber wurde bald, da er ein Mann von
-offenem und rechtlichem Sinne war, durch die Vorstellungen desselben
-beschwichtigt. Er lernte hier die Sache von einer Seite betrachten, von
-der er noch nie gehört, -- an die er noch nie gedacht hatte, und sagte
-deshalb dem Quäcker sofort, daß, wenn sein Sklave ihm von Angesicht zu
-Angesicht den Wunsch, frei zu werden, erklären wolle, er ihn frei lassen
-werde. Die Zusammenkunft fand augenblicklich Statt, und Nathan wurde von
-seinem jungen Herrn befragt, ob er irgend einen Grund habe, sich über
-die von ihm zu Theil gewordene Behandlung zu beklagen?
-
-»Nein, Master,« sagte Nathan, »Sie sind immer gut gegen mich gewesen.«
-
-»Gut, weshalb willst Du mich also verlassen?«
-
-»Master kann sterben, und wem falle ich dann zu? -- Ich möchte lieber
-frei sein.«
-
-Nach einiger Ueberlegung entgegnete der junge Mann: »Nathan, ich
-glaube, ich würde an Deiner Stelle eben so denken. Du bist frei.«
-
-Sofort fertigte er seine Entlassungsscheine aus, legte eine Summe Geldes
-in die Hand des Quäckers, um ihm auf zweckmäßige Weise damit
-fortzuhelfen, und ließ einen herzlichen und gefühlvollen Brief an den
-jungen Mann zurück, in welchem er ihm gute Rathschläge für seinen neuen
-Lebensweg ertheilte. Dieser Brief ist längere Zeit in den Händen der
-Verfasserin gewesen.
-
-Die Verfasserin hofft, daß sie der Menschenfreundlichkeit und dem
-Edelmuthe volle Gerechtigkeit hat wiederfahren lassen, durch welche sich
-oft einzelne Bewohner des Südens auszeichnen. Solche Beispiele bewahren
-uns davor, an unserem Geschlechte ganz zu verzweifeln; aber wir fragen
-Jeden, der die Welt kennt, ob solche Charaktere gewöhnlich sind?
-
-Viele Jahre lang hat die Verfasserin durchaus vermieden, etwas über den
-Gegenstand der Sklaverei zu lesen, oder seiner irgendwie Erwähnung zu
-thun, weil es zu peinlich für sie war, Ermittelungen darüber
-anzustellen, und sie der Ueberzeugung lebte, daß das sich immer mehr
-ausbreitende Licht der Civilisation das ganze Institut bald verdrängen
-werde; allein seit sie durch die Akte von 1850 zu ihrem größten
-Erstaunen gehört hat, daß Menschen und Christen die Zurücklieferung der
-Entflohenen in die Sklaverei als die Pflicht eines jeden guten Bürgers
-empfehlen, -- seit sie überall in den nördlichen Freistaaten
-menschenfreundliche, mitleidige und achtungswerthe Leute Versammlungen
-und Berathschlagungen darüber hat halten sehen, was die Christenpflicht
-in diesem Falle gebiete, -- konnte sie nur glauben, daß diese Menschen
-und Christen keine klare Vorstellung von dem haben, was Sklaverei
-wirklich ist; denn wenn sie sie besäßen, so hätte bei ihnen eine solche
-Frage nie zur Berathung kommen können. Hieraus entstand der Wunsch, sie
-zum Gegenstande einer lebendigen dramatischen Darstellung zu machen.
-Die Verfasserin ist bemüht gewesen, sie in ihrem besten und
-schlechtesten Lichte zu zeigen. In ersterer Beziehung ist es ihr
-vielleicht gelungen: aber o! wer kann sagen, was in dem jenseitigen
-Thale und unter seinen Todesschatten noch unerwähnt geblieben ist?
-
-An Euch, Ihr edelherzigen, edelmüthigen Männer und Frauen des Südens, --
-an Euch, deren Tugend, Hochherzigkeit und Reinheit des Charakters um so
-größer sind, als Ihr gegen eine schwere Versuchung zu kämpfen habt, --
-an Euch ergeht mein Ruf. Habt Ihr nicht in der Tiefe Eurer eignen Herzen
-empfunden, in Eurem eignen Privatverkehr wahrgenommen, daß in diesem
-fluchwürdigen Systeme viel größere Uebel und Leiden liegen, als hier hat
-schwach geschildert werden können? Kann es anders sein? Ist der Mensch
-ein Geschöpf, dem eine völlig unverantwortliche Gewalt anvertraut werden
-darf? und macht das System der Sklaverei nicht dadurch, daß es dem
-Sklaven die Fähigkeit Zeugniß abzulegen, versagt, jeden einzelnen
-Besitzer von Sklaven zu einem Despoten ohne jede Verantwortlichkeit?
-Kann irgend Jemand sich darüber täuschen, welche praktische Folgen
-nothwendig daraus hervorgehen müssen? Wenn, was wir gern zugestehen,
-unter Euch, Männern von Ehre, Menschlichkeit und Gerechtigkeit, ein
-übereinstimmendes Gefühl herrscht, so frage ich Euch, herrscht nicht ein
-solches andrer Art auch unter den schändlichen, rohen und entarteten
-Menschen? Und kann nicht nach Eurem Sklaven-Gesetze der rohe, entartete
-Mensch grade eben so viele Sklaven besitzen, wie der Beste unter Euch?
-Bilden die ehrenwerthen, gerechten, mitleidigen und edelmüthigen
-Menschen irgendwo in dieser Welt die Majorität?
-
-Der Sklavenhandel wird jetzt nach amerikanischen Gesetzen als eine Art
-Räuberei betrachtet; allein ein so systematischer Sklavenhandel, wie er
-nur jemals an der Küste Afrika's betrieben wurde, ist eine nothwendige
-Folge der in Amerika bestehenden Sklaverei. Und können ihre Gräuel und
-ihr herzzerreißendes Elend geschildert werden?
-
-Die Verfasserin hat nur ein schwaches Bild von der Angst und
-Verzweiflung gegeben, die in diesem Augenblicke tausend Herzen
-zerreißen, tausend Familien zerstören, und jene hülflose und gefühlvolle
-Menschenklasse zu Wahnsinn und Verzweiflung treiben. Es gibt Viele,
-denen aus eigner Wahrnehmung bekannt ist, daß durch diesen fluchwürdigen
-Handel Mütter dazu getrieben worden sind, ihre eigenen Kinder zu
-ermorden, und für sich selbst im Tode einen Schutz gegen Leiden zu
-suchen, die für sie schrecklicher waren als der Tod. Es läßt sich nichts
-so Tragisches schreiben, sagen oder vorstellen, was der furchtbaren
-Wirklichkeit jener Scenen gleich käme, die sich täglich unter dem
-Schutze des amerikanischen Gesetzes und dem Schatten des Kreuzes Christi
-an unsern Küsten zutragen.
-
-Und nun, Ihr Männer und Frauen Amerika's, ist dies ein Gegenstand, der
-leicht genommen, entschuldigt oder mit Schweigen übergangen werden
-könnte? Ihr Farmer vom Massachusetts, New-Hampshire, Vermont und
-Connecticut, die Ihr dieses Buch beim Scheine Eures winterlichen Feuers
-leset, -- Ihr muthigen, edelherzigen Seeleute vom Maine, -- ist dies
-eine Sache, die Ihr unterstützen und befördern wollt? Ihr braven, edlen
-Männer von New-York, Ihr Farmer des reichen und fröhlichen Ohio, und Ihr
-in den weiten Prairie-Staaten, -- antwortet mir, ist dies eine Sache,
-die Ihr vertheidigen wollt? Und Ihr, Mütter Amerika's, -- Ihr, die Ihr
-an den Wiegen Eurer eignen Kinder gelernt habt das ganze
-Menschengeschlecht zu lieben, -- bei der heiligen Liebe zu Euren eignen
-Kindern, bei der Freude, die Ihr über ihre reine, schöne Kindheit
-empfindet, bei der mütterlichen Liebe und Zärtlichkeit, mit der Ihr ihre
-reifenden Jahre bewacht, bei der Sorge für ihre Erziehung, bei den
-Gebeten, die Ihr für ihr unsterbliches Seelenheil zum Himmel sendet, --
-beschwöre ich Euch, habt Mitleid für die Mutter, die alle Eure warmen
-Empfindungen, und kein gesetzliches Recht hat, das Kind ihres Herzens zu
-beschützen, zu leiten und zu erziehen! Bei der Sterbestunde Eures
-Kindes, bei jenen brechenden Augen, die Ihr nie vergessen könnt, bei den
-letzten Schreien, die Euer Herz zerrissen haben, wenn Ihr weder helfen
-noch retten konntet, bei jener vereinsamten Wiege, bei jener verödeten
-Kinderstube, -- beschwöre ich Euch, habt Mitleid mit jenen Müttern, die
-fortwährend kinderlos werden durch den amerikanischen Sklavenhandel! Und
-sagt mir, Ihr Mütter Amerika's, ist dies ein Gegenstand, der vertheidigt
-oder mit Stillschweigen übergangen werden kann?
-
-Wollt Ihr behaupten, daß die Bewohner der Freistaaten nichts damit zu
-thun haben, und nichts dafür thun können? Wollte Gott, es wäre wahr!
-Aber es ist nicht wahr. Die Bewohner der Freistaaten haben das System
-vertheidigt, befördert, und selbst daran Theil genommen; sie sind vor
-Gott sogar schuldiger als der Süden, da sie weder den Einfluß der
-Erziehung noch der Sitte für sich haben.
-
-Wenn die Mütter der Freistaaten in früheren Zeiten die Empfindungen und
-Ansichten gehabt hätten, die sie hätten haben sollen, so würden die
-Söhne der Freistaaten nicht Sklavenhalter, und, wie es sprüchwörtlich
-geworden ist, die härtesten Herrn der Sklaven geworden sein; die Söhne
-der Freistaaten würden nicht zur Verbreitung der Sklaverei mitgewirkt,
-und nicht mit menschlichen Seelen und Körpern, wie sie thun, anstatt
-Geldes gehandelt haben. Es gibt zahllose Sklaven, die von Kaufleuten der
-nördlichen Städte zeitweise besessen und verkauft werden; und darf also
-die ganze Schuld und Schmach der Sklaverei allein auf den Süden fallen?
-Die Männer, Mütter und Christen des Nordens haben noch etwas mehr zu
-thun, als ihre Brüder des Südens anzuklagen; sie haben das unter ihnen
-selbst bestehende Uebel abzustellen.
-
-Aber was kann eine einzelne Person thun? Darüber kann Jeder urtheilen.
-Es gibt Etwas, das jedes Individuum thun kann, -- dafür sorgen, daß es
-richtige Empfindungen hegt. Ein jedes menschliches Wesen ist von einer
-Atmosphäre sympathetischen Einflusses umgeben, und Jeder, der gesunde,
-kräftige und gerechte Empfindungen in Bezug auf die großen Interessen
-der Menschheit hegt, wird stets ein Wohlthäter des menschlichen
-Geschlechts sein. Sorgt also für Eure Empfindungen über diesen
-Gegenstand. Sind sie in Uebereinstimmung mit den Gefühlen, die Christus
-lehrte, oder sind sie durch die Sophistereien einer weltlichen Politik
-auf Abwege gelenkt und verderbt worden?
-
-Noch mehr, Ihr christlichen Männer und Weiber des Nordens! -- Ihr könnt
-noch mehr thun! Ihr könnt beten! Glaubt Ihr an die Kraft des Gebetes?
-oder ist es für Euch nur eine dunkle, apostolische Tradition geworden?
-Ihr betet für die Heiden im Auslande; betet auch für die Heiden in Eurem
-Vaterlande; und betet für die unglücklichen Christen, deren Fortschritte
-in der Religion einzig und allein von Zufälligkeiten im Handel und
-Wandel abhängig sind, und für die jedes Festhalten an der Moral des
-Christenthums häufig eine Unmöglichkeit ist, wenn sie nicht von oben
-herab mit dem Muthe des Märtyrerthums begnadigt worden sind.
-
-Aber noch mehr. An den Küsten unserer freien Staaten sammeln sich die
-armen, verstreuten Ueberbleibsel zerrissener Familien, -- Männer und
-Weiber, die durch wunderbare Fügungen der Vorsehung aus der Sklaverei
-entkommen sind, -- schwach im Wissen, und meistens auch zu Grunde
-gerichtet in ihrem moralischen Zustande, und zwar durch ein System,
-welches jedes Princip des Christenthums und der Morallehre entstellt und
-verwirrt. Sie kommen, um eine Zuflucht bei Euch zu suchen, um Erziehung,
-Unterricht und Christenthum zu suchen.
-
-Was seid Ihr diesen Unglücklichen schuldig, o Christen? Hat nicht jeder
-amerikanische Christ die Verbindlichkeit gegen das afrikanische
-Geschlecht, nach Kräften das Unrecht wieder gut zu machen, welches die
-amerikanische Nation über das Letztere gebracht hat? Sollen ihnen die
-Thüren der Kirchen und Schulhäuser verschlossen werden? Sollen die
-Staaten sich erheben und sie hinaustreiben? Soll die Kirche Christi
-schweigend den Hohn mit anhören, der auf sie geworfen wird, soll sie vor
-der hülflosen Hand zurückweichen, die Jene ausstrecken, und durch ihr
-Schweigen die Grausamkeit gut heißen, die sie aus unsern Gränzen
-vertreiben möchte? Wenn dies geschehen muß, so wird es ein trauriges
-Schauspiel sein. Wenn dies geschehen muß, so wird das Land Ursache haben
-zu zittern, sobald es daran denkt, daß das Schicksal der Völker in der
-Hand Eines liegt, der mitleidig und barmherzig ist.
-
-Sagt Ihr vielleicht: »Wir wollen sie nicht hier haben, -- sie mögen nach
-Afrika gehen?«
-
-Daß die Vorsehung Gottes ihnen einen Zufluchtsort in Afrika eröffnet
-hat, ist allerdings ein großer und wichtiger Umstand, aber es ist kein
-Grund, der die Kirche Christi von der Verantwortlichkeit gegen diesen
-ausgestoßenen Stamm entbindet, welche ihr Glaube ihr zur Pflicht macht.
-Wollte man Liberia mit einem unwissenden, unerfahrenen, halb
-barbarischen Geschlechte anfüllen, welches so eben erst den Ketten der
-Sklaverei entlaufen ist, so würde es nur dazu dienen, die Dauer des
-Kampfes zu verlängern, der den Anfang jedes neuen Unternehmens
-begleitet. Die Kirche des Nordens möge diese armen Leidenden im Geiste
-Christi bei sich aufnehmen, sie der Wohlthaten einer christlich
-republikanischen Gesellschaft und ihrer Schulen theilhaftig machen, und,
-wenn sie eine gewisse moralische und intellektuelle Reife erlangt haben,
-ihnen behülflich zu der Uebersiedelung nach jenen Küsten sein, wo sie
-den in Amerika angefangenen Unterricht praktisch anwenden können.
-
-Es gibt im Norden einen verhältnißmäßig kleinen Verein von Männern,
-welche dies bereits gethan haben, und in Folge dessen hat unser Land
-bereits Beispiele von Männern aufzuweisen, die früher Sklaven gewesen
-sind, und sich schnell Vermögen, Ruf und Bildung erworben haben. Talente
-sind entwickelt worden, die unter Berücksichtigung der Umstände,
-Bewundrung verdienen; und in Zügen von Rechtlichkeit, Herzensgüte,
-Zartheit der Empfindungen, -- heroischer Aufopferung und
-Selbstverläugnung; um Brüder und Angehörige, die noch in der Sklaverei
-waren, zu befreien, -- haben sich diese Menschen in einem Grade
-ausgezeichnet, der unter Berücksichtigung des Einflusses, unter dem sie
-geboren wurden, Staunen erregen muß.
-
-Die Verfasserin hat viele Jahre lang an der Gränze der Sklavenstaaten
-gelebt, und vielfach Gelegenheit gehabt, solche Personen zu beobachten,
-die früher Sklaven gewesen waren. Sie sind Dienstboten in ihrer Familie
-gewesen, und haben, in Ermangelung einer andern Schule, häufig denselben
-Unterricht mit ihren Kindern genossen. Mit ihren Erfahrungen stimmen die
-Ansichten der in Canada unter den flüchtigen Sklaven lebenden Missionäre
-vollkommen überein, so daß die daraus zu ziehenden Folgerungen über die
-Bildungsfähigkeit des Geschlechts in hohem Grade ermuthigend sind.
-
-Das erste Verlangen des emancipirten Negers steht in der Regel nach
-Unterricht. Es gibt nichts, was sie nicht willig geben würden, um ihre
-Kinder unterrichtet zu sehen; und so weit die Beobachtung der
-Verfasserin selbst geht, und das Zeugniß der Lehrer reicht, welche sie
-unterrichtet haben, besitzen sie eine ungewöhnliche Fassungsgabe. Die
-Ergebnisse der in Cincinnati für sie von wohlthätigen Individuen
-gegründeten Schulen bestätigen dies vollkommen.
-
-Die Verfasserin läßt hier die nachstehenden Angaben rücksichtlich der
-jetzt in Cincinnati lebenden, emancipirten Sklaven folgen, und stützt
-sich dabei auf die Autorität des Professors C. E. Stowe, am Lane Seminar
-zu Ohio, um zu zeigen, was die diesem Geschlechte angehörigen
-Individuen, selbst ohne besonderen Beistand, zu leisten vermögen. Es
-sind hier nur die Anfangsbuchstaben der Namen gegeben, und sämmtliche
-hier angedeutete Personen wohnen in Cincinnati.
-
- »B--. Tischler; zwanzig Jahre in der Stadt; besitzt an Vermögen
- zehn tausend Dollar, die er selbst erworben hat, und gehört der
- Baptisten Gemeinde an.«
-
- »C--. Ganz schwarz; gestohlen in Afrika und in New-Orleans
- verkauft; ist seit fünfzehn Jahren frei; bezahlte selbst
- sechshundert Dollar für sich; ist Farmer, und besitzt mehrere
- Farmgrundstücke in Indiana; gehört der presbyterianischen Kirche
- an, und hat ein selbst erworbenes Vermögen von fünfzehn bis
- zwanzig tausend Dollar.«
-
- »K--. Ganz schwarz; ist vierzig Jahre alt, Gütermäkler, seit sechs
- Jahren frei, und besitzt ungefähr dreißig tausend Dollar. Er
- bezahlte achtzehn hundert Dollar für seine Familie, ist Mitglied
- der Baptisten-Gemeinde, und empfing von seinem Herrn ein Legat,
- welches er in Acht genommen und vermehrt hat.«
-
- »G--. Ganz schwarz, Kohlenhändler, dreißig Jahr alt; besitzt
- achtzehn tausend Dollar; bezahlte zweimal für sich, da er einmal
- um sechszehnhundert Dollar betrogen wurde; verdiente sein ganzes
- Vermögen durch eigne Anstrengungen, -- und einen großen Theil
- davon während er Sklave war, indem er seine Zeit seinem Herrn
- abdung, und für sich selbst Geschäfte machte; ist ein hübscher
- Mensch von anständigem Aeußern.«
-
- »W--. Drei Viertel schwarz; Barbier und Aufwärter, aus Kentucky;
- neunzehn Jahre frei; bezahlte für sich selbst und seine Familie
- drei tausend Dollar; besitzt zwanzig tausend Dollar, die er
- selbst erworben hat: ist Diakon der Baptistenkirche.«
-
- »G. D--. Drei Viertel schwarz; Weißwäscher, von Kentucky gebürtig;
- neun Jahre frei; bezahlte fünfzehn hundert Dollar für sich und
- seine Familie; ist kürzlich sechszig Jahre alt gestorben, und
- besaß ein Vermögen von sechs tausend Dollar.«
-
-Professor Stowe sagt: »Mit allen diesen, G-- allein ausgenommen, bin ich
-viele Jahre persönlich bekannt gewesen, und gründe deßhalb meine Angaben
-auf eigne Wahrnehmung.«
-
-Die Verfasserin erinnert sich deutlich einer alten, farbigen Frau, die
-als Waschfrau in der Familie ihres Vaters fungirte. Die Tochter dieser
-Frau heirathete einen Sklaven. Sie war eine außerordentlich thätige und
-geschickte junge Frau, welche durch ihren Fleiß, ihre Anstrengungen und
-die ausdauerndste Selbstverleugnung neun hundert Dollar sammelte, und an
-den Herrn ihres Mannes bezahlte. Es fehlten noch hundert Dollar am
-Preise, als er starb. Sie erhielt nie den geringsten Theil ihres Geldes
-zurück.
-
-Es sind dies nur einzelne Thatsachen, einer großen Anzahl ähnlicher
-entnommen, die als Belege angeführt werden könnten, um zu zeigen, welche
-Selbstverleugnung, Energie, Geduld und Rechtlichkeit der frühere Sklave
-im Zustande der Freiheit besitzt. Und dabei vergesse man nicht, daß es
-diesen Individuen gelungen ist, sich verhältnißmäßigen Reichthum und
-eine gesellschaftliche Stellung zu erobern, während sie gegen Nachtheile
-und Entmuthigungen jeder Art zu kämpfen hatten. Nach den Gesetzen des
-Ohio Staates kann der Farbige nicht Wähler sein, und noch bis vor
-wenigen Jahren war ihm sogar versagt, Zeugniß in Prozessen gegen einen
-Weißen abzulegen. Auch beschränken sich diese Beispiele keineswegs auf
-den Staat Ohio allein; denn wir sehen jetzt in allen Staaten der Union
-Männer, welche, nachdem sie kaum die Fesseln der Sklaverei
-abgeschüttelt haben, durch eigene Kraft, die nicht genug bewundert
-werden kann, zu geachteten Stellungen in der Gesellschaft emporgestiegen
-sind. Pennington unter den Geistlichen, Douglas und Ward unter den
-Autoren sind wohl bekannte Beispiele.
-
-Wenn dieses verfolgte Geschlecht, unter Nachtheilen und Entmuthigungen
-jeder Art, so viel erreicht hat, wie viel würde es dann vermögen, wenn
-die christliche Kirche im Geiste ihres Stifters gegen dasselbe handeln
-wollte!
-
-Wir leben jetzt in einer Zeit, wo die Nationen zittern und in Krämpfen
-liegen. Andre Theile der Erde werden von einem gewaltigen Einflusse
-gehoben und erschüttert. Und ist Amerika sicher? Jede Nation, die große
-und ungesühnte Ungerechtigkeiten in ihrem Busen trägt, hat auch die
-Elemente zu diesen inneren Krämpfen in sich. Weßhalb erweckt jener
-mächtige Einfluß in allen Nationen und Sprachen die Seufzer nach
-Freiheit und Gleichheit, die nicht laut werden dürfen?
-
-O Kirche Christi, lies die Zeichen der Zeit! Ist nicht jene Gewalt sein
-Geist, dessen Reich noch kommen soll, und dessen Wille geschehen muß auf
-Erden wie im Himmel?
-
-Aber wer mag den Tag seines Erscheinens erwarten? »Denn dieser Tag wird
-brennen wie ein Ofen: und Er wird erscheinen als ein schneller Zeuge
-gegen Diejenigen, welche den Diener in seinem Solde verkürzen, Wittwen
-und Waisen bedrücken, und ^den Fremden in seinen Rechten auf die Seite
-setzen wollen^: und er wird den Unterdrücker in Stücke zerbrechen.«
-
-Sind dies nicht schreckliche Worte für eine Nation, die eine so
-furchtbare Ungerechtigkeit in ihrem Busen trägt? Christen! könnt Ihr, so
-oft Ihr betet, daß das Reich Christi kommen möge, vergessen, daß die
-Prophezeiung in schrecklicher Verbindung mit dem Tage der Erlösung den
-Tag der Wiedervergeltung verheißt?
-
-Noch ist uns ein Tag der Gnade geboten. Der Norden sowohl wie der Süden
-ist schuldig vor Gott, und die christliche Kirche hat eine schwere
-Rechnung abzulegen. Nicht dadurch, daß sich Alles verbindet, um
-Ungerechtigkeit und Grausamkeit zu beschützen, und ein
-gemeinschaftliches Kapital der Sünde anzulegen, -- kann die Union
-gerettet werden, -- sondern nur durch Reue, Gerechtigkeit und Gnade;
-denn nicht gewisser ist das ewige Gesetz, daß der Mühlstein im Oceane
-versinken muß, als das noch stärkere, daß Ungerechtigkeit und
-Grausamkeit den Zorn des Allmächtigen über die Nationen bringen werden.
-
-
- ^Ende^
-
-
-
-
-Notizen des Bearbeiters:
-
- Gesperrte Schrift markiert durch ^ ... ^
- Schrift in Antiqua markiert durch _..._
- Nicht einheitliche Schreibweisen wurden wie im Original beibehalten.
- Alte, heute nicht mehr verwendete Schreibweisen des Originals wurden
- beibehalten.
-
-
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-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ONKEL TOM'S HÜTTE ***
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg™ and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
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-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
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-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
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-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
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-
-
-</head>
-
-
-<body>
-<div lang='en' xml:lang='en'>
-<p style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of <span lang='de' xml:lang='de'>Onkel Tom&#039;s Hütte</span>, by Harriet Beecher Stowe</p>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
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-</div>
-</div>
-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: <span lang='de' xml:lang='de'>Onkel Tom&#039;s Hütte</span></p>
-<p style='display:block; margin-left:2em; text-indent:0; margin-top:0; margin-bottom:1em;'><span lang='de' xml:lang='de'>oder die Geschichte eines christlichen Sklaven</span></p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Harriet Beecher Stowe</p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Translator: L. Du Bois</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Release Date: February 7, 2023 [eBook #69977]</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Language: German</p>
- <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em; text-align:left'>Produced by: Norbert H. Langkau, Matthias Grammel, Juliet Sutherland and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net</p>
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>ONKEL TOM&#039;S HÜTTE</span> ***</div>
-
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_i">[S. i]</a></span></p>
-
-
-<h1>Onkel Tom's H&uuml;tte</h1>
-
-<p class="center font09 pmb1">oder die</p>
-
-<p class="center font15 pmb1">Geschichte eines christlichen Sklaven.</p>
-
-<p class="center font09 pmb1">Von</p>
-
-<p class="center font14 pmb1"><b>Harriet Beecher Stowe.</b></p>
-
-<p class="center font13">Aus dem Englischen &uuml;bertragen</p>
-
-<p class="center font08">von</p>
-
-<p class="center font12 pmb2"><b>L. Du Bois.</b></p>
-
-
-<p class="center font11 pmb3">Dritter Band.</p>
-
-<div class="pmb3"></div>
-<div class="figcenter" style="width: 20%; margin: auto 40%;">
- <img src="images/tb_001.jpg" width="100" height="7" alt="tb" />
-</div>
-
-<div class="pmb3"></div>
-
-
-<p class="p3 center font11"><em class="antiqua"><b>S. Zickel.</b></em></p>
-
-<p class="center font12"><em class="antiqua">Nro. 19. Dey-Street.</em></p>
-
-<p class="center font12 pmb3"><em class="antiqua">NEW-YORK.</em></p>
-
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_ii"></a></span></p>
-<p class="pmb3" />
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_iii">[S. iii]</a></span></p>
-
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Inhalt">Inhalt.</h2>
-</div>
-
-<blockquote>
-
-<table border="0" cellspacing="5" cellpadding="0" class="tdl" summary="Inhalt.">
- <colgroup>
- <col width="15%" />
- <col width="65%" />
- <col width="15%" />
- </colgroup>
- <tr>
- <td align="center" colspan="2"><b><em class="antiqua">I.</em></b><br /><br /></td>
- <td align="right">&nbsp;<br /><br /></td>
- </tr>
-
- <tr>
- <td colspan="3" align="right"><span class="font08">Seite</span><br /></td>
- </tr>
-
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">I.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Worin der Leser die Bekanntschaft eines menschenfreundlichen
- Mannes macht</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">1</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">II.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Die Mutter</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">16</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">III.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Der Gatte und Vater</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">21</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">IV.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Ein Abend in Onkel Tom's H&uuml;tte</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">28</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">V.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Die Empfindungen lebenden Eigenthums unter
- wechselnden Herren</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">44</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">VI.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Die Entdeckung</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">57</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">VII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Der Kampf der Mutter</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">71</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">VIII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Ein w&uuml;rdiges Trio</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">91</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">IX.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Worin sich zeigt, da&szlig; ein Senator nur ein
- Mensch ist</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">115</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">X.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Das Eigenthum wird fortgeschafft</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">139</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XI.</span><br /><br /><br /><br /></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Worin das Eigenthum in einen unpassenden<br />
- Geisteszustand ger&auml;th</span><br /><br /><br /><br /></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">155</span><br /><br /><br /><br /></td>
- </tr>
-
- <tr>
- <td align="center" colspan="2"><b><em class="antiqua">II.</em></b><br /><br /></td>
- <td align="right">&nbsp;<br /><br /></td>
- </tr>
-
- <tr>
- <td colspan="3" align="right"><span class="font08">Seite</span><br /></td>
- </tr>
-
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Ausgew&auml;hltes Beispiel von gesetzlichem Handel</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">1</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XIII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Die Qu&auml;ker-Niederlassung</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">26</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XIV.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Evangeline</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">39</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XV.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Von Tom's neuen Herrn und verschiedenen
- andern Gegenst&auml;nden</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">54</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XVI.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Tom's Mistre&szlig; und ihre Ansichten</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">77</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XVII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Die Vertheidigung des freien Mannes</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">106</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XVIII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Mi&szlig; Opheliens Erfahrungen und Ansichten</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">131</span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XIX.</span><br /><br /><br /><br /></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Mi&szlig; Opheliens Erfahrungen und Ansichten<br />
- (Fortsetzung)</span><br /><br /><br /><br /></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">155</span><br /><br /><br /><br /></td>
- </tr>
-
- <tr>
- <td align="center" colspan="2"><span class="pagenum"><a id="Page_iv">[S. iv]</a></span>
- <b><em class="antiqua">III.</em></b><br /><br /></td>
- <td align="right">&nbsp;<br /><br /></td>
- </tr>
-
- <tr>
- <td colspan="3" align="right"><span class="font08">Seite</span><br /></td>
- </tr>
-
- <tr> <td align="left" colspan="3">&nbsp;</td> </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XX.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Topsy</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_1">1</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXI.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Kentucky</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_22">22</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">&raquo;Das Gras verwelkt &mdash; die Blume verbl&uuml;ht&laquo;</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_29">29</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXIII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Henrique</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_39">39</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXIV.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Vorboten</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_51">51</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXV.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Der kleine Evangelist</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_60">60</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXVI.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Der Tod</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_67">67</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXVII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">&raquo;Dies ist das Letzte der Erde&laquo;</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_87">87</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXVIII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Wiedervereinigung</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_97">97</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXIX.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Die Schutzlosen</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_119">119</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXX.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Das Sklavenhaus</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_130">130</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXXI.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Die Fahrt</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_145">145</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXXII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Finstere Orte</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_154">154</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXXIII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Cassy</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_166">166</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXXIV.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Die Geschichte der Quatroon</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_178">178</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXXV.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Die Zeichen</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_194">194</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXXVI.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Emmeline und Cassy</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_203">203</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXXVII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Freiheit</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_213">213</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXXVIII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Der Sieg</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_223">223</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XXXIX.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Der Kunstgriff</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_237">237</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XL.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Der M&auml;rtyrer</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_252">252</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XLI.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Der junge Master</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_262">262</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XLII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Eine wirkliche Geistergeschichte</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_271">271</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XLIII.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Ergebnisse</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_280">280</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XLIV.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Der Befreier</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_292">292</a></span></td>
- </tr>
- <tr>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08">XLV.</span></td>
- <td valign="top"><span class="font08">Schlu&szlig;bemerkungen</span></td>
- <td align="right" valign="top"><span class="font08"><a href="#Page_298">298</a></span></td>
- </tr>
-</table>
-
-</blockquote>
-
-<p class="pmb3" />
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_v">[S. v]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Vorrede">Vorrede
-zur europ&auml;ischen Ausgabe.</h2>
-</div>
-
-
-<p>Indem die Verfasserin die Herausgabe dieses
-Werkes f&uuml;r das Festland Europa's authorisirt, hat
-sie nur die Bemerkung beizuf&uuml;gen, da&szlig; die Menschenliebe
-h&ouml;her steht als die Vaterlandsliebe.</p>
-
-<p>Das gro&szlig;e, allen christlichen Nationen gemeinsame
-Mysterium, das B&uuml;ndni&szlig; Gottes mit den
-Menschen durch die Menschwerdung Christi, verleiht
-der menschlichen Existenz eine Ehrfurcht erweckende
-Heiligkeit, und in den Augen eines jeden
-wahrhaft Gl&auml;ubigen mu&szlig; Derjenige, welcher die
-Rechte seines niedrigsten Mitmenschen mit F&uuml;&szlig;en
-tritt, nicht nur als Unmensch, sondern auch als
-Gottesl&auml;sterer erscheinen, &mdash; und die schrecklichste
-Art dieser Gottesl&auml;sterung ist das Institut der
-Sklaverei.</p>
-
-<p>Man hat gesagt, da&szlig; die Schilderungen dieses
-Buches Uebertreibungen enthielten! Ich w&uuml;nschte,
-es w&auml;re wahr! ich w&uuml;nschte, dieses Buch w&auml;re
- <span class="pagenum"><a id="Page_vi">[S. vi]</a></span>
-wirklich nur eine Sch&ouml;pfung der Einbildungskraft,
-und nicht eine Mosaik wirklicher Thatsachen! Aber
-da&szlig; es keine Erfindung ist, daf&uuml;r sind die Beweise
-in Tausenden blutender Herzen zu finden, &mdash; sie
-sind von Tausenden von Zeugen in den Sklavenstaaten
-bekr&auml;ftigt, und selbst von Sklavenhaltern,
-mit ausdr&uuml;cklicher Bezugnahme auf dieses Buch,
-best&auml;tigt worden. &mdash; Wenn noch andere Beweise
-erforderlich w&auml;ren, so d&uuml;rften wir die ganze civilisierte
-Welt nur auf das allgemein publicierte Gesetzbuch
-der Sklavenstaaten verweisen, welches eine
-vollst&auml;ndige, klare und gesetzliche Billigung jeder
-Grausamkeit und Abscheulichkeit enth&auml;lt, die der
-Mensch &uuml;berhaupt der Seele und dem K&ouml;rper seines
-Mitmenschen zuf&uuml;gen kann; und wenn das Gesetz
-so beschaffen ist, &mdash; wie m&uuml;ssen dann die Folgen
-sein? Seitdem ist jedoch, Gott sei gedankt,
-jener gewaltige, unaussprechliche Angstschrei endlich
-geh&ouml;rt worden!</p>
-
-<p>Es ist gesagt worden, da&szlig; die Sklavenbev&ouml;lkerung
-ganz ungeeignet f&uuml;r die Freiheit, und
-deren unf&auml;hig sei, und da&szlig; die in diesem Buche
-geschilderte Charaktere eingebildete Uebertreibungen
-und Unm&ouml;glichkeiten seien. Allein, was man auch
-&uuml;ber die afrikanische Race selbst sagen m&ouml;ge, so
-l&auml;&szlig;t sich doch nicht in Abrede stellen, da&szlig; die Sklavenbev&ouml;lkerung
-Amerika's jetzt eine in hohem Grade
-gemischte Race ist, in deren Adern das beste angels&auml;chsische
-Blut flie&szlig;t, &mdash; und da&szlig; Charaktere, wie
- <span class="pagenum"><a id="Page_vii">[S. vii]</a></span>
-Georg Harrys und Elise, keineswegs ungew&ouml;hnlich
-unter den Sklaven sind. Damit auch die Charakteristik
-des &raquo;Onkel Tom&laquo; selbst nicht f&uuml;r eine, in
-der Wirklichkeit nicht zu findende Erdichtung gehalten
-werde, wollen wir aus dem publizirten Testamente
-des Richters Upshur, fr&uuml;heren Staatssecretairs
-unter Pr&auml;sident Tyler, des Tributes erw&auml;hnen,
-welcher darin den Verdiensten eines Lieblingssclaven
-gezollt worden ist.</p>
-
-<blockquote>
-<p>&raquo;Ich emancipire hierdurch meinen Sklaven
-David Rice, und weise meine Testamentsvollstrecker
-an, ihm hundert Dollar auszuzahlen. Ich empfehle
-ihn der Achtung und dem Vertrauen einer jeden
-Gemeinde, in der er sich niederlassen sollte. Er ist
-vierundzwanzig Jahre lang mein Sklave gewesen,
-w&auml;hrend welcher Zeit ihm von mir unbedingtes
-und unbegr&auml;nztes Vertrauen geschenkt worden ist.
-Sein Verh&auml;ltni&szlig; zu mir und meiner Familie ist
-stets von der Art gewesen, da&szlig; sich ihm t&auml;glich Gelegenheit
-darbot, uns zu hintergehen oder zu bevortheilen,
-und dennoch hat ihm nie ein erhebliches
-Vergehen, selbst nicht ein Versto&szlig; gegen die Gesetze
-des Anstandes in seiner Stellung zur Last gelegt
-werden k&ouml;nnen. Seine Intelligenz ist h&ouml;herer Art,
-seine Rechtlichkeit &uuml;ber jedem Verdachte, und sein
-Gef&uuml;hl f&uuml;r Recht und Schicklichkeit richtig und sogar
-gel&auml;utert. Ich bin der Meinung, da&szlig; er einen
-gerechten Anspruch darauf hat, dieses Zeugni&szlig; von
-mir mit in die neuen Verh&auml;ltnisse zu nehmen,
-welche er einzugehen gen&ouml;thigt ist; es geb&uuml;hrt seinen
-langen und treuen Diensten von der aufrichtigen
-Freundschaft, die ich f&uuml;r ihn hege. W&auml;hrend des
-ununterbrochenen, vertrauten Verkehrs durch vierundzwanzig
-Jahre habe ich ihm nie ein unfreundliches
-Wort gesagt, und nie dazu Veranlassung gehabt.
-Ich habe nie einen Menschen gekannt, der weniger
-Fehler und mehr gute Eigenschaften hatte, als er.&laquo;</p>
-</blockquote>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_viii">[S. viii]</a></span></p>
-
-<p>Es soll nicht behauptet werden, da&szlig; ein Charakter,
-wie der Onkel Tom's gew&ouml;hnlich zu finden
-sei, aber er hat mehr als einmal existirt; und es
-ist so eine Schmach, Verachtung und erzwungene
-Lasterhaftigkeit auf das Haupt des ungl&uuml;cklichen Afrikaners
-geh&auml;uft worden, da&szlig; er wohl mit Recht
-einen Anspruch auf eine so g&uuml;nstige Schilderung
-hat, als sie mit Wahrheit und Wahrscheinlichkeit
-&uuml;bereinstimmt.</p>
-
-<p>Nicht in &auml;u&szlig;erster Verzweiflung, sondern in
-feierlicher Hoffnung und Zuversicht d&uuml;rfen wir dem
-Kampfe zuschauen, der jetzt Amerika durchw&uuml;hlt.
-Es ist der Angstschrei des Teufels der Sklaverei,
-der von fern die Stimme eines nahenden Jesus geh&ouml;rt
-hat, und die edle Gestalt durch Zuckungen
-verzerrt, aus der er ihn endlich vertreiben wird.</p>
-
-<p>Es ist unm&ouml;glich, da&szlig; eine so ungeheure Verirrung
-lange im Busen einer Nation bestehen k&ouml;nne,
-die in jeder anderen Beziehung das beste Beispiel
-der gro&szlig;en Principien einer allgemeinen Br&uuml;derschaft
-giebt. In Amerika genie&szlig;en der Franzose,
- <span class="pagenum"><a id="Page_ix">[S. ix]</a></span>
-der Deutsche, der Italiener, der Ungar, der Schwede
-und der Lette, alle gleiche Rechte; &mdash; alle Nationen
-entfalten hier die ihnen eigenth&uuml;mlichen Vorz&uuml;ge,
-und werden durch die liberalen Gesetze des
-Landes gleicher Privilegien theilhaftig; Alles wirkt
-darauf hin, zu befreien, zu humanisiren, zu erheben,
-und grade aus diesem Grunde wird der Kampf
-mit der Sklaverei jedes Jahr furchtbarer. Der
-Strom menschlichen Fortschritt's, der durch die zusammenflie&szlig;enden
-Kr&auml;fte aller Nationen immer
-breiter, tiefer und kr&auml;ftiger wird, st&ouml;&szlig;t auf diese
-Schranke, hinter welcher sich alle Unwissenheit,
-Grausamkeit und Bedr&uuml;ckung finstrer Jahrhunderte
-gesammelt hat; &mdash; jetzt sch&auml;umt und dr&auml;ngt er nur
-gegen den Fu&szlig;, aber er steigt mit jedem Jahre, und
-endlich wird er mit einem Sturze, gleich dem des
-Niagara, das Hemmni&szlig; mit sich fortrei&szlig;en. Dichtkunst,
-Redekunst und Litteratur sind dagegen, denn
-es gibt keine einzige F&auml;higkeit g&ouml;ttlichen Ursprungs
-im Menschen, die nicht f&uuml;r Freiheit spr&auml;che! Anfangs
-verbreitete sich die Sklaverei &uuml;ber alle Staaten
-der Union. Jetzt hat der Fortschritt der gesellschaftlichen
-Verh&auml;ltnisse die Mehrzahl derselben
-emancipirt. In Kentucky, Tennessee, Virginien und
-Maryland haben zu verschiedenen Zeiten starke Bewegungen
-zu Gunsten der Emancipation statt gefunden,
-&mdash; Bewegungen, welche fortw&auml;hrend durch
-eine Vergleichung des progressiven Fortschritts der
-freien Staaten mit der Armuth und Unfruchtbarkeit
- <span class="pagenum"><a id="Page_x">[S. x]</a></span>
-als Folge eines Systems erweckt wurden, welches
-in wenigen Jahren den Boden ersch&ouml;pft, ohne
-im Stande zu sein, ihm wieder frische Kr&auml;fte zu
-geben. Der Zeitpunkt kann nicht mehr fern sein,
-wo alle diese Staaten ihrer eignen Selbsterhaltung
-wegen emancipiren werden, und wenn kein
-Sklavengebiet hinzukommt, so wird ein Zunehmen
-der Sklavenbev&ouml;lkerung Ma&szlig;regeln f&uuml;r die Emancipation
-der &uuml;brigen nothwendig machen. Dies ist
-der Punkt, um den gestritten wird. Sofern kein
-neues Sklavengebiet gewonnen wird, mu&szlig; die Sklaverei
-untergehen, &mdash; wenn es gewonnen wird, besteht
-sie fort. &mdash; Um diesen Punkt man&ouml;veriren
-und k&auml;mpfen die politischen Parteien, und jedes
-Jahr wird der Kampf hei&szlig;er, der bald zur gro&szlig;en
-Nationalfrage werden wird. In dem Gesetze von
-1850, die fl&uuml;chtigen Sklaven betreffend, gewann
-die Sklavenmacht allerdings einen Sieg, aber es
-war nur ein Sieg des Pyrrhus, &mdash; noch ein solcher
-w&uuml;rde ihr Untergang sein! Grade dieses Gesetz
-hat mehr als alle fr&uuml;her wirkenden Mittel dazu
-beigetragen, die moralische Kraft der Nation
-gegen die Sklaverei zu erwecken und zu concentriren.</p>
-
-<p>Keine inneren K&auml;mpfe irgend einer andern
-Nation der Welt k&ouml;nnen f&uuml;r den Europ&auml;er von so
-gro&szlig;em Interesse sein wie die Amerika's, denn Amerika
-bev&ouml;lkert sich immer mehr aus Europa, und jeder
-Europ&auml;er, der an seinen Ufern landet, erlangt
-fast unmittelbar seine Stimme in den Berathungen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_xi">[S. xi]</a></span></p>
-
-<p>Wenn de&szlig;halb die Unterdr&uuml;ckten andrer Nationen
-in Amerika ein Asyl dauernder Freiheit zu
-finden w&uuml;nschen, so m&ouml;gen sie bereit sein, mit Herz,
-Hand und Stimme gegen das Institut der Sklaverei
-zu k&auml;mpfen; denn diejenigen, die Andere zu
-Sklaven machen wollen, k&ouml;nnen selbst nicht lange
-frei bleiben.</p>
-
-<p>Wahr sind die gro&szlig;en, lebendigen Worte:
-&raquo;Keine Nation kann frei bleiben, bei der die Freiheit
-nur ein Vorrecht und nicht ein Princip ist.&laquo;</p>
-
-<p>
-<em class="gesperrt">Andover</em>, den 21. September 1852.<br />
-<br />
-<b>Harriet Beecher Stowe.</b><br />
-</p>
-<p class="pmb3" />
-
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_xii"></a></span></p>
-<p class="pmb3" />
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_1">[S. 1]</a></span></p>
-
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Zwanzigstes_Kapitel">Zwanzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="center font09"><b>Topsy.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Eines Morgens, als Mi&szlig; Ophelia in ihren h&auml;uslichen
-Sorgen gesch&auml;ftig war, wurde St. Clare's Stimme
-am Fu&szlig;e der Treppe geh&ouml;rt, der nach ihr rief.</p>
-
-<p>&raquo;Komm herunter, Cousine, ich habe Dir etwas zu
-zeigen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was ist es denn?&laquo; fragte Ophelia, mit ihrem N&auml;hzeuge
-in der Hand herabkommend.</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe hier etwas f&uuml;r Dein Departement angekauft,
-&mdash; sieh' hier!&laquo; sagte St. Clare, indem er ein kleines
-Negerm&auml;dchen von acht bis neun Jahren hervorzog.</p>
-
-<p>Sie war eine der Schw&auml;rzesten ihrer Race, und ihre
-runden, wie Glasperlen gl&auml;nzenden Augen flogen mit unst&auml;ten,
-ruhelosen Blicken &uuml;ber alle im Zimmer befindlichen
-Gegenst&auml;nde. Ihr Mund, der vor Erstaunen &uuml;ber die
-Wunder im Wohnzimmer ihres Herrn halb ge&ouml;ffnet war,
-lie&szlig; zwei Reihen gl&auml;nzend wei&szlig;er Z&auml;hne sehen. Ihr wolliges
-Haar war in verschiedene Z&ouml;pfe geflochten, die nach
-allen Richtungen hin starrten. Der Ausdruck ihres Gesichts
-enthielt eine sonderbare Mischung von Muthwillen
-und Schlauheit, &uuml;ber die, wie ein Schleier, die Miene
-eines schmerzlichen Ernstes hing. Sie trug ein einziges,
-schmutziges, zerlumptes Kleid aus Sackleinwand, und stand
-mit ernsthaft gefalteten H&auml;nden vor Ophelien. In ihrer
- <span class="pagenum"><a id="Page_2">[S. 2]</a></span>
-ganzen Erscheinung lag etwas so Sonderbares, Koboldartiges,
-&mdash; etwas, wie Mi&szlig; Ophelia sp&auml;ter versicherte, so
-&raquo;Heidnisches,&laquo; da&szlig; diese gute Dame einen wahren Schrecken
-vor ihr empfand. Indem sie sich zu St. Clare umwandte,
-sagte sie:</p>
-
-<p>&raquo;Augustin, wozu in aller Welt hast Du denn das
-Ding hierher gebracht?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Damit Du es erziehen sollst, kein Zweifel, und es
-auf den rechten Weg bringen. Ich dachte, es w&auml;re ein
-possierliches Exemplar im Jim-Crow-Geschlechte. Hier,
-Topsy,&laquo; f&uuml;gte er mit einem Pfiff hinzu, so wie man die
-Aufmerksamkeit eines Hundes zu erregen pflegt, &mdash; &raquo;la&szlig;
-uns einen Gesang h&ouml;ren, und zeige uns etwas von Deinen
-Tanzk&uuml;nsten.&laquo;</p>
-
-<p>Die schwarzen gl&auml;sernen Augen begannen von einer
-Art boshaften Muthwillens zu gl&auml;nzen, und das kleine
-Wesen begann mit einer klaren, gellenden Stimme eine
-jener sonderbaren Neger-Melodien, nach der sich ihre H&auml;nde
-und F&uuml;&szlig;e im Takte bewegten, w&auml;hrend sie sich im Kreise
-herum drehte, mit den H&auml;nden und Knien zusammenschlug,
-und jene sonderbaren Kehllaute h&ouml;ren lie&szlig;, die der heimathlichen
-Gesangsweise ihres Geschlechtes eigent&uuml;mlich
-sind; und endlich zwei oder drei Spr&uuml;nge in die Luft machend,
-kam sie mit einem gedehnten Schlu&szlig;tone, der so
-unirdisch klang wie die Pfeife einer Locomotive, auf den
-Teppich nieder, und stand dann wieder mit gefalteten H&auml;nden
-da, und dem Ausdrucke scheinheiliger Sanftmuth und
-Feierlichkeit im Gesichte, der nur durch die listigen Blicke
-unterbrochen wurde, die sie in schr&auml;ger Richtung aus ihren
-Augenwinkeln umherscho&szlig;.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia stand stumm und wie vom Schlage getroffen
-vor Erstaunen.</p>
-
-<p>St. Clare, muthwillig wie er war, schien sich an
-diesem Staunen zu erg&ouml;tzen, und wandte sich von Neuem
-an das Kind.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_3">[S. 3]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Topsy,&laquo; sagte er, &raquo;dies ist Deine neue Mistre&szlig;, ich
-&uuml;bergebe Dich ihr; also betrage Dich jetzt gut.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Master,&laquo; entgegnete Topsy mit scheinheiligem
-Ernste, w&auml;hrend ihre gottlosen Augen blinzelten.</p>
-
-<p>&raquo;Du mu&szlig;t Dich gut betragen, Topsy, verstehst Du,&laquo;
-sagte St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;O ja, Master,&laquo; entgegnete Topsy, von Neuem blinzelnd,
-w&auml;hrend ihre H&auml;nde and&auml;chtig gefaltet blieben.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Augustin, in aller Welt, sage mir nur, wozu
-ist das?&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia. &raquo;Dein Haus ist so voll
-von dieser Plage, da&szlig; man kaum seinen Fu&szlig; niedersetzen
-kann, ohne auf eins dieser Wesen zu treten. Wenn ich
-des Morgens aufstehe, so finde ich eins hinter der Th&uuml;r
-liegen und schlafen, einen andern schwarzen Kopf unter
-dem Tische, und wieder einen andern auf der Fu&szlig;decke
-vor der Th&uuml;r; und an allen Gittern h&auml;ngen sie, und
-grinsen und schneiden Gesichter, und in der K&uuml;che w&auml;lzen
-sie sich fortw&auml;hrend auf dem Boden umher! Wozu hast
-Du denn dieses Wesen noch n&ouml;thig gehabt?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich sagte Dir ja, &mdash; damit Du es erziehen sollst,
-weil Du immer von Erziehung sprichst. Ich dachte, ich
-wollte Dir ein frisch eingefangenes Exemplar bringen, um
-Deine Hand daran zu versuchen, und es auf den rechten
-Weg zu bringen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich will dieses Wesen nicht haben, gewi&szlig; nicht. Ich
-habe schon mehr mit dieser Gattung zu thun, als mir
-lieb ist.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So seid Ihr Christen alle! &mdash; Gesellschaften k&ouml;nnt
-Ihr stiften, und ein paar arme Mission&auml;re anwerben, um
-ihr ganzes Leben unter solchen Heiden zuzubringen; aber
-zeige mir Einen von Euch, der so ein Wesen zu sich in
-das Haus nehmen, und die M&uuml;he der Bekehrung selbst
-&uuml;bernehmen w&uuml;rde! Nein; wenn es dahin kommt, dann
-sind sie schmutzig und widerlich, und machen zu viel Umst&auml;nde,
-und so weiter!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Augustin, ich habe die Sache nicht in diesem Lichte
- <span class="pagenum"><a id="Page_4">[S. 4]</a></span>
-betrachtet,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia, augenscheinlich sanfter werdend.
-&raquo;Wohl, es kann vielleicht ein &auml;chtes Bekehrungswerk
-sein,&laquo; f&uuml;gte sie hinzu, das Kind mit etwas g&uuml;nstigeren
-Blicken betrachtend.</p>
-
-<p>St. Clare hatte die rechte Feder ber&uuml;hrt, denn Mi&szlig;
-Opheliens Gewissenhaftigkeit war immer wach. &raquo;Aber,&laquo;
-bemerkte sie noch, &raquo;ich sah wirklich die Nothwendigkeit nicht
-ein, dieses noch zu kaufen, da bereits genug im Hause
-vorhanden sind, um alle meine Zeit und Gewandtheit in
-Anspruch zu nehmen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohlan, Cousine,&laquo; sagte St. Clare, indem er sie
-bei Seite zog, &raquo;ich habe Dich wegen meiner albernen Reden
-um Verzeihung zu bitten. Du bist so gut, da&szlig; sie
-keine Bedeutung haben k&ouml;nnen. Sieh, die Sache ist diese.
-Das kleine Wesen geh&ouml;rte einem Paar trunkener Gesch&ouml;pfe,
-die ein niedriges Wirthshaus halten, an dem ich alle Tage
-vor&uuml;ber komme; und ich konnte das Schreien und Pr&uuml;geln
-dieses Kindes nicht mehr anh&ouml;ren. Das M&auml;dchen
-sah aufgeweckt und possierlich aus, als wenn sich was aus
-ihr machen lasse, und so kaufte ich sie, und will sie Dir
-geben. Versuche Du nun, ihr eine orthodoxe, neu-englische
-Erziehung zu geben, und sieh zu, was sich mit ihr machen
-l&auml;&szlig;t. Du wei&szlig;t, ich selbst besitze keine F&auml;higkeiten in dieser
-Richtung, aber ich m&ouml;chte, da&szlig; Du es versuchtest.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, ich will thun, was ich kann,&laquo; sagte Mi&szlig;
-Ophelia, und n&auml;herte sich ihrer neuen Untergebenen ungef&auml;hr
-so, wie sich eine Person einer schwarzen Spinne n&auml;hern
-w&uuml;rde, f&uuml;r die sie wohlwollende Absichten hegt.</p>
-
-<p>&raquo;Sie ist schrecklich schmutzig, und halbnackt,&laquo; sagte sie.</p>
-
-<p>&raquo;So nimm sie hinunter, und la&szlig; sie sich waschen und
-reinlich anziehen.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia f&uuml;hrte sie hinunter in die Regionen der
-K&uuml;che.</p>
-
-<p>&raquo;Sehe gar nicht, wozu Master St. Clare noch 'ne Niggerin
-braucht!&laquo; sagte Dinah, w&auml;hrend sie den neuen
- <span class="pagenum"><a id="Page_5">[S. 5]</a></span>
-Ank&ouml;mmling mit keinen sehr freundlichen Blicken betrachtete.
-&raquo;Mag sie nicht unter meinen F&uuml;&szlig;en haben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Pah!&laquo; sagte Rosa und Jane mit vornehmem Abscheu,
-&raquo;sie mag uns aus dem Wege gehen! Wozu Master
-noch eine von diesen niedrigen Negerinnen n&ouml;thig hat,
-kann ich nicht begreifen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du geh'! Nicht mehr Niggerin als Du bist, Mi&szlig;
-Rosa,&laquo; sagte Dinah, welche die letztere Bemerkung auf
-sich bezog. &raquo;Bild'st Dir wohl ein, Du w&auml;rst 'ne Wei&szlig;e?
-Bist gar nichts, nicht schwarz, nicht wei&szlig;. Will doch lieber
-'was sein.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia sah, da&szlig; hier Niemand zu finden sei,
-der die Beaufsichtigung des Waschens und Ankleidens &uuml;bernehmen
-w&uuml;rde, und fand sich de&szlig;halb gen&ouml;thigt, es mit
-einer sehr unfreundlichen und unwilligen H&uuml;lfe von Seiten
-Jane's selbst zu thun.</p>
-
-<p>Es ist nicht f&uuml;r zarte Ohren geeignet, die Einzelheiten
-der ersten Toilette eines vernachl&auml;ssigten, mi&szlig;brauchten
-Kindes zu h&ouml;ren. Zahllose menschliche Wesen m&uuml;ssen in
-dieser Welt in einem Zustande leben und sterben, dessen
-Schilderung zu stark f&uuml;r die Ohren ihrer Mitmenschen sein
-w&uuml;rde. Mi&szlig; Ophelia hatte einen guten, festen, praktischen
-Willen, und ging de&szlig;halb durch alle ekelhaften Einzelheiten
-mit heroischer Gr&uuml;ndlichkeit, obgleich nicht mit sonderlichem
-Gefallen daran, &mdash; denn Beharrlichkeit war das
-Einzige, wozu ihre Grunds&auml;tze sie bringen konnten. Als
-sie auf dem R&uuml;cken und den Schultern des Kindes die
-tiefen Narben und Schwielen sah, unverl&ouml;schliche Zeichen
-des Systemes, unter dem es bisher aufgewachsen war,
-f&uuml;hlte sie Mitleid f&uuml;r dasselbe.</p>
-
-<p>&raquo;Sehen Sie, da!&laquo; sagte Jane, auf diese Marken
-deutend, &raquo;zeigt das nicht, da&szlig; sie ein Taugenichts ist?
-Wir werden sch&ouml;ne Arbeit mit ihr haben, glaube ich. Ich
-hasse alle diese Niggerkinder! sind so ekelhaft! Ich wundere
-mich, da&szlig; Master sie gekauft hat!&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_6">[S. 6]</a></span></p>
-
-<p>Das &raquo;Niggerkind&laquo; h&ouml;rte alle diese Bemerkungen mit
-unterw&uuml;rfiger, kl&auml;glicher Miene an, die ihm gewohnheitsgem&auml;&szlig;
-zu sein schien, aber unterlie&szlig; dabei nicht, scharfe,
-verstohlene Blicke auf den Schmuck zu werfen, den Jane
-in ihren Ohren trug. Als Topsy endlich reinlich und
-ordentlich angezogen, und ihr Haar kurz abgeschnitten
-worden war, sagte Mi&szlig; Ophelia mit einiger Zufriedenheit,
-da&szlig; sie christlicher aussehe als zuvor, und begann
-bereits im Geiste Pl&auml;ne f&uuml;r ihren Unterricht zu entwerfen.</p>
-
-<p>Indem sie sich vor sie setzte, begann sie Fragen an
-sie zu richten.</p>
-
-<p>&raquo;Wie alt bist Du, Topsy?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig; nicht, Missis,&laquo; sagte das Bild mit einem
-Grinsen, das alle seine Z&auml;hne zeigte.</p>
-
-<p>&raquo;Du wei&szlig;t nicht, wie alt Du bist? Hat Dir's denn
-niemals Jemand gesagt? Wer war Deine Mutter?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Hatte nie eine!&laquo; sagte das Kind, von Neuem
-grinsend.</p>
-
-<p>&raquo;Du hattest nie eine Mutter? Was meinst Du damit,
-wo bist Du denn geboren worden?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Bin nie geboren worden!&laquo; fuhr Topsy mit einem
-neuen Grinsen fort, welches so koboldartig aussah, da&szlig;,
-wenn Mi&szlig; Ophelia &uuml;berhaupt nervenreizbar gewesen
-w&auml;re, sie sich leicht h&auml;tte einbilden k&ouml;nnen, irgend ein
-schwarzes Gnomenkind aus dem diabolischen Reiche vor
-sich zu haben; allein Ophelia war nicht nervenschwach,
-sondern derb und praktisch, und sagte de&szlig;halb mit einiger
-Sch&auml;rfe:</p>
-
-<p>&raquo;Du mu&szlig;t mir darauf antworten, Kind; ich spasse
-nicht mit Dir. Sage mir, wo Du geboren worden bist,
-und wer Dein Vater und Deine Mutter waren.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Bin nie geboren worden,&laquo; wiederhole der Kobold
-nachdr&uuml;cklicher; &raquo;&mdash; habe nie Vater und Mutter gehabt,
-nichts. Bin von 'nen H&auml;ndler aufgezogen worden, mit
- <span class="pagenum"><a id="Page_7">[S. 7]</a></span>
-einer ganzen Menge Anderer. Tante Sue zog uns auf
-und f&uuml;tterte uns.&laquo;</p>
-
-<p>Das Kind war augenscheinlich aufrichtig, und Jane,
-in ein kurzes Lachen ausbrechend, sagte:</p>
-
-<p>&raquo;O Missis, es giebt eine Menge von der Art. Die
-H&auml;ndler kaufen sie billig auf, wenn sie klein sind, und
-ziehen sie auf f&uuml;r den Markt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie lange bist Du bei Deinem Master und Deiner
-Mistre&szlig; gewesen?&laquo; fragte Mi&szlig; Ophelia weiter.</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig; nicht, Missis.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ist es ein Jahr, oder mehr, oder weniger?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig; nicht, Missis?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, Missis,&laquo; unterbrach hier Jane wieder, &mdash; &raquo;diese
-niedrigen Neger wissen so etwas nicht; die wissen nichts
-von der Zeit; wissen nicht, was ein Jahr ist, und wissen
-nicht, wie alt sie sind.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Hast Du jemals etwas von Gott geh&ouml;rt, Topsy?&laquo;</p>
-
-<p>Das Kind sah bei dieser Frage verwirrt aus, aber
-grinste wieder wie gew&ouml;hnlich.</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig;t Du, wer Dich geschaffen hat?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Niemand, was ich wei&szlig;,&laquo; sagte das Kind mit
-einem kurzen Lachen. Die Idee schien es besonders zu
-am&uuml;siren, denn seine Augen blinzelten, und es f&uuml;gte hinzu:
-&raquo;Ich denke, ich bin gewachsen; 's hat mich Niemand
-geschaffen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Kannst Du n&auml;hen?&laquo; fragte Mi&szlig; Ophelia weiter,
-indem sie es f&uuml;r zweckm&auml;&szlig;ig hielt, die Unterhaltung auf
-etwas Anderes zu lenken.</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Missis.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was kannst Du denn? &mdash; was hast Du f&uuml;r Deinen
-Herrn und Deine Mistre&szlig; gethan?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wasser geholt, und Teller gewaschen, und Messer
-geputzt, und wei&szlig;en Leuten aufgewartet.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Waren sie gut gegen Dich?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Glaube, ja,&laquo; sagte das Kind, Mi&szlig; Ophelia listig
-von der Seite betrachtend.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_8">[S. 8]</a></span></p>
-
-<p>Ophelia stand von diesem ermuthigenden Zwiegespr&auml;che
-auf, w&auml;hrend dessen St. Clare hinter ihrem Stuhle,
-sich auf die Lehne st&uuml;tzend, gestanden hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Du findest hier jungfr&auml;ulichen Boden, Cousine,&laquo;
-sagte er. &raquo;Lege Deine eignen Ideen hinein, &mdash; wirst
-nicht viel auszurotten haben.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Opheliens Ansichten &uuml;ber Erziehung waren wie
-alle ihre anderen Ideen bestimmt und geordnet, und aus
-derjenigen Schule, welche vor ungef&auml;hr hundert Jahren
-in Neu England herrschend war, und noch jetzt in einigen
-abgelegenen, unverderbten Theilen zu finden ist, wohin
-keine Eisenbahnen f&uuml;hren. Sie lie&szlig;en sich ziemlich genau
-in wenige Worte fassen: &raquo;Den Kindern Aufmerksamkeit
-zu lehren, wenn mit ihnen gesprochen wird; ihnen den
-Katechismus, N&auml;hen und Lesen zu lehren und sie zu
-z&uuml;chtigen, wenn sie Unwahrheiten sagen;&laquo; und obgleich
-in der Fluth von Licht, welches sich jetzt &uuml;ber Erziehung
-verbreitet, diese Principien nat&uuml;rlich weit in den Hintergrund
-getreten sind, so l&auml;&szlig;t sich doch nicht in Abrede
-stellen, da&szlig; unsere Gro&szlig;m&uuml;tter unter ihrer Herrschaft
-manche recht brave M&auml;nner und Weiber erzogen haben,
-wie Viele von uns werden bezeugen k&ouml;nnen. Jedenfalls
-wu&szlig;te Mi&szlig; Ophelia nichts Anderes zu thun, und begann
-deshalb das Erziehungswerk ihres heidnischen Z&ouml;glings
-mit vollem Eifer.</p>
-
-<p>Das Kind wurde als Mi&szlig; Ophelia's M&auml;dchen angek&uuml;ndigt
-und im ganzen Hause so betrachtet; und da
-Topsy in der K&uuml;che mit keinem sehr gn&auml;digen Auge betrachtet
-wurde, so beschlo&szlig; Mi&szlig; Ophelia, ihren Wirkungskreis
-und Unterricht haupts&auml;chlich auf ihr eigenes Zimmer
-zu beschr&auml;nken. Mit einer Selbstverleugnung, welche
-vielleicht nur wenige von unsern Lesern zu w&uuml;rdigen im
-Stande sein werden, beschlo&szlig; sie, statt behaglich ihr Bett
-selbst zu machen und ihr Zimmer selbst auszufegen und
-abzust&auml;uben, &mdash; was sie bisher stets mit v&ouml;lliger Beiseitesetzung
-aller Anerbietungen des Kammerm&auml;dchens im
- <span class="pagenum"><a id="Page_9">[S. 9]</a></span>
-Haushalte selbst besorgt hatte, &mdash; sich zu dem M&auml;rtyrerthum
-zu verurtheilen, Topsy diese Verrichtungen zu lehren.
-Wenn je eine unserer Leserinnen dasselbe that, so
-wird sie die Gr&ouml;&szlig;e dieses Opfers zu w&uuml;rdigen wissen.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia begann mit Topsy damit, da&szlig; sie sie
-am ersten Morgen in ihr Zimmer nahm und einen Lehrcursus
-in der geheimni&szlig;vollen Kunst des Bettmachens
-anfing. Topsy stand, rein gewaschen und rein geschoren
-von allen den geflochtenen kleinen Z&ouml;pfen, an denen ihr
-Herz gehangen hatte, in einem saubern Kleide und wei&szlig;er,
-gest&auml;rkter Sch&uuml;rze, vor Ophelien mit einer so feierlichen
-Miene, wie sich f&uuml;r ein Leichenbeg&auml;ngni&szlig; gepa&szlig;t haben
-w&uuml;rde.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Topsy, will ich Dir zeigen, wie mein Bett
-gemacht werden mu&szlig;. Ich bin sehr eigen darin; Du
-mu&szlig;t lernen, es grade ebenso zu machen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Madame,&laquo; sagte Topsy mit einem tiefen
-Seufzer und einem schmerzlich ernsthaften Gesichte.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Topsy, sieh hier; &mdash; dies ist der Saum des
-Betttuches, &mdash; dies ist die rechte Seite und dies die
-linke: &mdash; wirst Du das behalten?&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia
-weiter.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Madame,&laquo; wiederholte Topsy mit einem neuen
-Seufzer.</p>
-
-<p>&raquo;Gut, das untere Betttuch mu&szlig;t Du &uuml;ber das Pf&uuml;hl
-ziehen, &mdash; so, &mdash; und es glatt unter die Matratze einschlagen,
-&mdash; so, siehst Du?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Madame,&laquo; sagte Topsy mit gespanntester Aufmerksamkeit.</p>
-
-<p>&raquo;Aber das obere Betttuch,&laquo; fuhr Mi&szlig; Ophelia fort,
-&raquo;mu&szlig; auf diese Weise herabgelegt und am Fu&szlig;ende glatt
-und fest eingeschlagen werden, &mdash; so, &mdash; mit dem schmalen
-Saum unten.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Madame,&laquo; sagte Topsy wie zuvor, &mdash; allein
-wir wollen hinzuf&uuml;gen, was Mi&szlig; Ophelia nicht bemerkt
-hatte, da&szlig; n&auml;mlich w&auml;hrend der Zeit, wo die gute Dame
- <span class="pagenum"><a id="Page_10">[S. 10]</a></span>
-im Eifer ihrer Verrichtungen ihrer Sch&uuml;lerin den R&uuml;cken
-zugedreht, diese ein Paar Handschuhe und ein Band zu
-erhaschen gewu&szlig;t und diese geschickt in ihren Aermel geschoben
-hatte, worauf sie mit gefalteten H&auml;nden wieder
-so ehrerbietig wie zuvor dastand.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Topsy, la&szlig; mich sehen, wie Du dies machst,&laquo;
-sagte Mi&szlig; Ophelia, die Bettt&uuml;cher wieder herabrei&szlig;end
-und sich setzend.</p>
-
-<p>Topsy ging hierauf mit gro&szlig;em Ernste und gro&szlig;er
-Geschicklichkeit durch den ganzen Proze&szlig; zu Mi&szlig; Opheliens
-gro&szlig;er Zufriedenheit; sie legte die Bettt&uuml;cher glatt, beseitigte
-jede Falte, und zeigte w&auml;hrend der ganzen Verrichtung
-einen Ernst, an dem ihre Lehrerin nicht geringes
-Gefallen fand. Allein aus einer ungl&uuml;cklichen Schlitze
-ihrer Aermel kam ein St&uuml;ckchen des Bandes zum Vorschein,
-grade in dem Augenblicke, als sie ihr Gesch&auml;ft
-beendigte und fiel Mi&szlig; Ophelien in's Auge. Augenblicklich
-sprang diese darauf zu. &raquo;Was ist dies? Du ungezogenes,
-b&ouml;ses Kind, &mdash; Du hast dies gestohlen!&laquo;</p>
-
-<p>Das Band wurde aus Topsy's Aermel hervorgezogen,
-aber Topsy wurde dadurch durchaus nicht au&szlig;er
-Fassung gebracht, sondern blickte darauf nur mit einer
-Miene &uuml;berraschter Unschuld.</p>
-
-<p>&raquo;O, ah, das ist Mi&szlig; Feely's Band! Wie sich das
-nur in meinem Aermel hat fangen k&ouml;nnen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Topsy, Du unartiges Kind, sage mir keine L&uuml;gen,
-&mdash; Du hast das Band gestohlen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Missis, ich versichere, ich hab's nicht gethan, &mdash;
-hab's nie gesehen, als jetzt grade in dieser Minute.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Topsy,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia, &raquo;wei&szlig;t Du nicht, da&szlig;
-es s&uuml;ndlich ist, zu l&uuml;gen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich sage nie L&uuml;gen, Mi&szlig; Feely,&laquo; sagte Topsy mit
-tugendhaftem Ernste; &raquo;'s ist nur die Wahrheit, was ich
-jetzt gesagt habe, &mdash; nichts Anderes!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Topsy, ich werde Dich peitschen m&uuml;ssen, wenn Du
-l&uuml;gst.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_11">[S. 11]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;O, Missis, wenn Sie mich peitschen den ganzen
-Tag, &mdash; kann nichts Anderes sagen, gar nicht!&laquo; rief
-Topsy, indem sie zu weinen anfing. &raquo;Hab's nie gesehen,
-&mdash; mu&szlig; sich in meinem Aermel gefangen haben.
-Mi&szlig; Feely mu&szlig; es auf dem Bette gelassen haben und
-da mu&szlig; es an meinen Aermel gekommen sein.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia war &uuml;ber diese dreiste L&uuml;ge so emp&ouml;rt,
-da&szlig; sie das Kind ergriff und es heftig sch&uuml;ttelte.</p>
-
-<p>&raquo;Sage mir das nicht noch einmal!&laquo;</p>
-
-<p>Das Sch&uuml;tteln lie&szlig; auch die Handschuhe aus dem
-andern Aermel auf die Erde fallen.</p>
-
-<p>&raquo;Da, Du!&laquo; rief Mi&szlig; Ophelia. &raquo;Willst Du mir
-nun noch sagen, Du habest das Band nicht gestohlen?&laquo;</p>
-
-<p>Topsy bekannte jetzt in Bezug auf die Handschuhe,
-aber fuhr beharrlich fort, das Stehlen des Bandes in
-Abrede zu stellen.</p>
-
-<p>&raquo;H&ouml;re, Topsy,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia, &raquo;wenn Du
-Alles gestehen willst, so will ich Dich f&uuml;r dieses Mal
-nicht peitschen.&laquo;</p>
-
-<p>Auf diese Weise gedr&auml;ngt, gestand Topsy endlich, mit
-schmerzlichen Versicherungen der Reue, das Band und die
-Handschuhe genommen zu haben.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, sage mir, &mdash; ich wei&szlig;, Du mu&szlig;t noch andre
-Dinge im Hause genommen haben, denn ich habe Dich
-gestern den ganzen Tag umher laufen lassen, &mdash; nun
-sage mir, was Du sonst noch genommen hast, und ich
-will Dich nicht peitschen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Missis! ich habe Mi&szlig; Eva's rothes Ding genommen,
-was sie um den Hals tr&auml;gt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das hast Du gethan, Du b&ouml;ses Kind! &mdash; Wohl,
-was weiter?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Und Rosa's Ohrringe, &mdash; die rothen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Geh, und hole beide St&uuml;cke gleich hierher.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, Missis, ich kann nicht, &mdash; sind verbrannt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Verbrannt? was ist das wieder f&uuml;r eine L&uuml;ge!
-Gehe gleich, oder ich peitsche Dich!&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_12">[S. 12]</a></span></p>
-
-<p>Topsy blieb mit lauten Versicherungen, und Thr&auml;nen
-und St&ouml;hnen dabei, da&szlig; sie nicht <em class="gesperrt">k&ouml;nne</em>, &mdash; da&szlig; sie
-verbrannt seien.</p>
-
-<p>&raquo;Weshalb hast Du sie denn verbrannt?&laquo; sagte
-Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Weil ich unartig bin, &mdash; bin m&auml;chtig unartig; &mdash;
-wei&szlig; nicht, kann nicht anders.&laquo;</p>
-
-<p>Grade in diesem Augenblicke kam Eva unschuldig
-und ahnungslos mit dem in Rede stehenden Korallenhalsbande
-in das Zimmer.</p>
-
-<p>&raquo;Wie, Eva, wo hast Du Dein Halsband gefunden?&laquo;
-fragte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Gefunden? Wie, ich habe es den ganzen Tag getragen,&laquo;
-entgegnete Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Hast Du es denn gestern gehabt?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gewi&szlig;! Und was sonderbar ist, Tante, ich habe es
-die ganze Nacht um gehabt; ich verga&szlig; gestern, als ich
-zu Bett ging, es abzulegen.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia war vollst&auml;ndig irre, und zwar um so
-mehr, als grade in diesem Momente auch Rosa, mit einem
-Korbe frisch gepl&auml;tteter W&auml;sche auf dem Kopfe, in das
-Zimmer trat, und die bewu&szlig;ten Ohrringe in ihren
-Ohren trug.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; nicht, was ich mit dem Kinde anfangen
-soll!&laquo; sagte sie. &raquo;Was in der Welt brachte Dich
-dazu, Topsy, mir zu sagen, da&szlig; Du die Dinge genommen
-habest?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Missis sagte, ich mu&szlig;te gestehen, und es fiel mir
-nichts Anderes ein, zu gestehen,&laquo; entgegnen Topsy, ihre
-Augen reibend.</p>
-
-<p>&raquo;Aber nat&uuml;rlich habe ich nicht gewollt, da&szlig; Du
-Dinge gestehst, die Du nicht gethan hast,&laquo; sagte Mi&szlig;
-Ophelia; &raquo;es ist eins so gut eine L&uuml;ge, wie das andere.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So? &mdash; ist es?&laquo; sagte Topsy, mit der Miene unschuldiger
-Verwunderung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_13">[S. 13]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;O, da ist keine Spur von Wahrheit in solchen
-Kreaturen,&laquo; sagte Rosa, ver&auml;chtlich auf Topsy blickend.
-&raquo;Wenn ich Master St. Clare w&auml;re, so wollt' ich sie peitschen
-lassen, bis das Blut str&ouml;mte, &mdash; sicherlich, sie sollt'
-es kriegen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein, nein, Rosa,&laquo; sagte Eva mit einer befehlenden
-Miene, die das Kind zuweilen annehmen konnte;
-&raquo;Du mu&szlig;t nicht so sprechen, Rosa! ich kann es nicht
-h&ouml;ren.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, Mi&szlig; Eva! Sie sind so gut, Sie wissen nichts
-davon, wie man mit Niggern umgehen mu&szlig;. 's gibt
-kein andres Mittel, als sie derb zu peitschen, &mdash; glauben
-Sie nur!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Rosa!&laquo; rief Eva, w&auml;hrend ihr Auge flammte, und
-ihre Wangen sich purpurroth f&auml;rbten, &mdash; &raquo;still! sprich kein
-Wort mehr davon!&laquo;</p>
-
-<p>Rosa verstummte augenblicklich.</p>
-
-<p>&raquo;Mi&szlig; Eva hat St. Clare'sches Blut, &mdash; das ist
-klar; sie kann grade so sprechen, wie ihr Vater,&laquo; murmelte
-sie, w&auml;hrend sie zum Zimmer hinausging.</p>
-
-<p>Eva stand vor Topsy, und betrachtete sie.</p>
-
-<p>Da standen die beiden Kinder als w&uuml;rdige Repr&auml;sentanten
-der Extreme der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft. Das
-sch&ouml;ne, hoch erzogene Kind mit dem goldenen Lockenkopfe,
-den tiefen Augen, den geistreichen, edlen Z&uuml;gen, und den
-feinen Bewegungen; und daneben sein schwarzer, schlauer,
-kriechender und doch scharfsinniger Nachbar. Sie waren
-die Repr&auml;sentanten ihrer Geschlechter: des s&auml;chsischen, das
-durch Jahrhunderte von Bildung, Herrschaft, Erziehung,
-physischer und geistiger Entwickelung gegangen war, und
-des afrikanischen, das Jahrhunderte in Druck, Unterw&uuml;rfigkeit,
-Unwissenheit, M&uuml;he und Laster durchlebt
-hatte!</p>
-
-<p>Etwas Aehnliches mochte vielleicht in diesem Augenblicke
-Eva's Gedanken besch&auml;ftigen; allein die Gedanken
-eines Kindes sind nur dunkle und unbestimmte Ahnungen,
- <span class="pagenum"><a id="Page_14">[S. 14]</a></span>
-und in Eva's edler Natur mochten viele solche geistige
-Regungen th&auml;tig sein, f&uuml;r die ihr die Kraft des Ausdrucks
-fehlte. Als sich Mi&szlig; Ophelia &uuml;ber Topsy's Ungezogenheit
-und schlechtes Betragen auslie&szlig;, sah das Kind best&uuml;rzt
-und traurig aus, aber sagte sanft:</p>
-
-<p>&raquo;Arme Topsy, warum mu&szlig;t Du stehlen? Du wirst
-nun unter strenge Aufsicht kommen. Ich wollte Dir
-lieber Etwas von meinen Sachen schenken, als da&szlig; Du
-es stiehlst.&laquo;</p>
-
-<p>Es waren die ersten freundlichen Worte, die das
-Kind in seinem Leben geh&ouml;rt hatte. Der sanfte, liebevolle
-Ton machte einen sonderbaren Eindruck auf das wilde,
-rohe Herz, und der Glanz einer Thr&auml;ne zeigte sich einen
-Augenblick lang in dem scharfen, runden Auge; aber
-gleich darauf folgte wieder das kurze Lachen und Grinsen.
-Nein! das Ohr, das nie etwas Anderes als Scheltworte
-geh&ouml;rt hat, glaubt nicht an etwas so Himmlisches
-wie G&uuml;te; und Topsy hielt deshalb Eva's Rede nur f&uuml;r
-etwas Spa&szlig;haftes, etwas Unerkl&auml;rliches, &mdash; sie glaubte
-ihr nicht.</p>
-
-<p>Aber was war mit Topsy zu machen? Mi&szlig; Ophelia
-wu&szlig;te es nicht. Ihre Regeln f&uuml;r Erziehung schienen
-auf das Kind nicht zu passen. Sie dachte, sie wolle sich
-Zeit nehmen, um den Fall zu &uuml;berlegen, und schlo&szlig; deshalb,
-im Vertrauen auf gewisse, unbestimmte, wirksame
-Kr&auml;fte, die dunkelen Gem&auml;chern zugeschrieben werden,
-Topsy in ein solches ein, bis da&szlig; sie zu einem bestimmteren
-Entschlusse gekommen sein werde.</p>
-
-<p>&raquo;Ich sehe nicht ein,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia zu St.
-Clare, &raquo;wie ich das Kind in Ordnung halten soll, ohne
-es zu peitschen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gut, so peitsche es, so viel Du willst. Ich will
-Dir volle Machtvollkommenheit geben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Kinder m&uuml;ssen immer k&ouml;rperlich gez&uuml;chtigt werden,&laquo;
-sagte Mi&szlig; Ophelia, &raquo;ich wei&szlig; nicht, wie man sie ohne
-das erziehen kann.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_15">[S. 15]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;O, nat&uuml;rlich,&laquo; sagte St. Clare, &raquo;mache es ganz
-so, wie Du es f&uuml;r am Besten h&auml;ltst. Nur eine Bemerkung
-wollte ich mir erlauben. Ich habe das Kind mit
-der Feuerzange, mit Sch&uuml;reisen und Sch&uuml;ssel, was grade
-am n&auml;chsten zur Hand war, pr&uuml;geln und niederschlagen
-sehen; und da es also an diese Art von Operation gewohnt
-ist, so m&uuml;ssen Deine Z&uuml;chtigungen ziemlich energisch
-eingerichtet werden, wenn sie gro&szlig;en Eindruck machen
-sollen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was ist denn aber nun mit ihr zu thun?&laquo; fragte
-Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Du hast eine sehr wichtige Frage aufgeworfen,&laquo;
-sagte St. Clare, &raquo;und ich wollte, Du k&ouml;nntest sie beantworten.
-Was ist mit einem menschlichen Wesen zu thun,
-das nur durch die Peitsche regiert werden kann, &mdash; wenn
-selbst diese wirkungslos wird? Es ist ein sehr h&auml;ufiger
-Fall hier bei uns im S&uuml;den.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; es nicht; ich habe nie ein solches Kind
-gesehen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Solche Kinder sind bei uns sehr gew&ouml;hnlich, und
-sogar solche M&auml;nner und Weiber. Wie sollen <em class="gesperrt">die</em> regiert
-werden?&laquo; sagte St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;Es ist jedenfalls mehr, als ich zu beantworten vermag,&laquo;
-entgegnete Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Und ich gleichfalls,&laquo; sagte St. Clare. &raquo;Jene schrecklichen
-Grausamkeiten, die von Zeit zu Zeit durch die
-Zeitungen bekannt werden, &mdash; solche F&auml;lle, wie zum
-Beispiel Prue's, &mdash; woher kommen sie? In vielen F&auml;llen
-ist es ein allm&auml;hliger Abh&auml;rtungsproze&szlig; auf beiden
-Seiten, &mdash; indem der Besitzer immer grausamer, und der
-Sklave immer unempfindlicher dagegen wird. Peitschen
-und Mi&szlig;handlung sind wie Laudanum; die Dosis mu&szlig;
-in demselben Grade erh&ouml;ht werden, in welchem die Nerven
-sich abstumpfen. Ich erkannte das sehr bald, als ich
-Besitzer wurde, und beschlo&szlig; de&szlig;halb, nie damit anzufangen,
-weil ich nicht wu&szlig;te, wann ich aufh&ouml;ren w&uuml;rde.
- <span class="pagenum"><a id="Page_16">[S. 16]</a></span>
-Die Folge davon ist, da&szlig; meine Sklaven sich wie verzogene
-Kinder betragen; aber ich halte es f&uuml;r besser, als
-wenn wir beiderseits entmenscht w&auml;ren. Du hast viel &uuml;ber
-unsere Verantwortlichkeit in Bezug auf Erziehung gesprochen,
-und deshalb wollte ich, da&szlig; Du es mit einem
-Kinde versuchen m&ouml;chtest, welches als Beispiel von Tausenden
-gelten kann.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber es ist Euer System, welches solche Kinder
-erzeugt,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Ganz richtig, ich wei&szlig; das; aber sie sind einmal
-so, &mdash; sie sind da, &mdash; und was ist mit ihnen zu
-machen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, ich kann nicht sagen, da&szlig; ich Dir f&uuml;r diesen
-Versuch besonders dankbar w&auml;re: allein, da es einmal
-eine Pflicht zu sein scheint, so will ich darin fortfahren,
-und thun, was ich kann,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia, und hielt
-ihr Wort, denn sie fuhr fort, mir einem Grade von Eifer
-und Energie an der Bildung ihres Z&ouml;glings zu arbeiten,
-der Achtung verdiente. Sie bestimmte regelm&auml;&szlig;ige Stunden
-und Besch&auml;ftigungen f&uuml;r das Kind, und versuchte es, sie
-lesen und n&auml;hen zu lehren.</p>
-
-<p>In der erstern Kunst machte Topsy schnelle Fortschritte.
-Sie lernte die Buchstaben wie durch Zauberei,
-und war sehr bald im Stande, einfache Schrift zu lesen;
-aber das N&auml;hen war eine schwierigere Aufgabe. Das
-Wesen war geschmeidig wie eine Katze, und behende wie
-ein Affe; und da ihr das Stillsitzen beim N&auml;hen zuwider
-war, so zerbrach sie ihre Nadeln, und warf sie verstohlen
-zum Fenster hinaus, oder in Spalten der W&auml;nde; sie
-verwickelte, zerri&szlig; und beschmutzte ihren Zwirn, oder
-warf ein ganzes Kn&auml;ul verstohlen in einen versteckten
-Winkel. Ihre Bewegungen waren beinahe so schnell,
-wie die eines ge&uuml;bten Taschenspielers, und die Herrschaft
-&uuml;ber ihre Gesichtsz&uuml;ge war eben so gro&szlig;; und obgleich
-Mi&szlig; Ophelia sich nicht denken konnte, da&szlig; so viele Zuf&auml;lle
-sich nach einander ereignen k&ouml;nnten, so war sie ja
- <span class="pagenum"><a id="Page_17">[S. 17]</a></span>
-dennoch au&szlig;er Stande, sie ohne eine besondre Wachsamkeit
-zu ertappen, die ihr keine Zeit zu andern Gesch&auml;ften &uuml;brig
-gelassen haben w&uuml;rde.</p>
-
-<p>Topsy war sehr bald im ganzen Hause bekannt.
-Ihr Talent f&uuml;r jede Art von Possen, Grimassen und
-Nach&auml;ffung, &mdash; f&uuml;r tanzen, klettern, singen, pfeifen und
-Nachahmung jedes Tones, der ihr gefiel, schien unersch&ouml;pflich.
-W&auml;hrend ihrer Spielstunden hatte sie regelm&auml;&szlig;ig
-s&auml;mmtliche Kinder des ganzen Hauses hinter sich,
-die sie offenen Mundes vor Staunen und Verwunderung
-anstarrten, &mdash; selbst Eva nicht ausgenommen, welche sich
-von ihren wilden Teufeleien in derselben Weise angezogen
-f&uuml;hlte, wie eine Taube zuweilen an dem Glanz und
-Schimmer einer Schlange Gefallen findet. Mi&szlig; Ophelia
-wurde dar&uuml;ber unruhig, da&szlig; Eva so vielen Gefallen an
-Topsy's Gesellschaft fand, und bat St. Clare, es zu
-verbieten.</p>
-
-<p>&raquo;Pah, la&szlig; das Kind gehen,&laquo; sagte St. Clare,
-&raquo;Topsy wird ihr keinen Schaden thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber ein so verderbtes Kind, &mdash; mu&szlig;t Du denn
-nicht f&uuml;rchten, da&szlig; sie ihr eine Unart lehre?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sie kann ihr keine Unart lehren; andern Kindern
-wohl, aber von Eva's Gem&uuml;the rollt das B&ouml;se ab wie
-Thau von einem Kohlblatte, nicht ein Tropfen f&auml;llt
-hinein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sei dessen nicht zu gewi&szlig;,&laquo; sagte Ophelia. &raquo;Ich
-w&uuml;rde mein eignes Kind nie mit Topsy spielen lassen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, Deine Kinder haben's nicht n&ouml;thig,&laquo; sagte
-St. Clare, &raquo;aber meine m&ouml;gen es thun. Wenn Eva
-h&auml;tte verdorben werden k&ouml;nnen, so h&auml;tte es schon vor
-Jahren geschehen m&uuml;ssen.&laquo;</p>
-
-<p>Topsy wurde anfangs von den oberen Dienstboten
-verachtet; allein sie fanden bald Grund genug, ihre Meinung
-zu &auml;ndern. Es zeigte sich, da&szlig;, wer sie irgendwie
-beschimpft hatte, mit Sicherheit darauf rechnen konnte,
- <span class="pagenum"><a id="Page_18">[S. 18]</a></span>
-bald darauf irgend einem unangenehmen Zufalle zu begegnen.
-Entweder wurden pl&ouml;tzlich ein Paar Ohrringe,
-oder andrer Lieblingsschmuck vermi&szlig;t, oder ein Kleidungsst&uuml;ck
-wurde vollst&auml;ndig ruinirt gefunden, oder die betreffende
-Person mu&szlig;te &uuml;ber einen Eimer hei&szlig;en Wassers
-stolpern, oder es kam pl&ouml;tzlich, unerwartet und unerkl&auml;rlich,
-eine Fluth Sp&uuml;licht von oben auf sie herab, wenn
-sie sich grade in vollem Staate befand; &mdash; und in allen
-diesen F&auml;llen fand sich, wenn eine Untersuchung veranla&szlig;t
-wurde, Niemand, der zu dem Schimpfe Gevatter stehen
-wollte. Topsy wurde citirt und mu&szlig;te wiederholt vor
-allen den h&auml;uslichen Richtern erscheinen, aber bestand
-alle Verh&ouml;re mit der erbaulichsten Unschuld. Niemand
-in der Welt war zweifelhaft &uuml;ber die Th&auml;terschaft; aber
-auch nicht der entfernteste Beweis lie&szlig; sich zur Rechtfertigung
-des Verdachtes f&uuml;hren, und Mi&szlig; Ophelia hatte
-zu viel Gerechtigkeitsgef&uuml;hl, um ohne einen solchen weiter
-in der Sache gehen zu wollen. Mit einem Worte, Topsy
-machte dem ganzen Haushalte begreiflich, da&szlig; es am
-Rathsamsten sei, sie in Ruhe zu lassen, und man lie&szlig;
-sie in Ruhe.</p>
-
-<p>Topsy war in allen Handverrichtungen gewandt, und
-lernte mit &uuml;berraschender Schnelligkeit Alles, was ihr gezeigt
-wurde. In wenigen Unterrichtsstunden hatte sie
-gelernt, alle Gesch&auml;fte f&uuml;r Mi&szlig; Opheliens Zimmer in
-einer solchen Weise zu verrichten, da&szlig; selbst diese eigne
-Dame keine Fehler daran finden konnte. Menschliche
-H&auml;nde konnten kein Bettuch gl&auml;tter, kein Kissen richtiger
-legen, als Topsy, wenn sie es wollte, &mdash; aber sie wollte
-es sehr oft nicht. Wenn in Mi&szlig; Ophelien, nach drei
-oder vier Stunden sorgsamer und geduldiger Ueberwachung,
-die sanguinische Hoffnung aufstieg, da&szlig; Topsy
-endlich auf den rechten Weg gekommen sei, und sie von
-ihrer Beaufsichtigung abgehen k&ouml;nne, um sich andern Gesch&auml;ften
-zu widmen, so pflegte Topsy einige Stunden
-lang einen wahren Carneval von Confusion zu halten.
- <span class="pagenum"><a id="Page_19">[S. 19]</a></span>
-Eines Tages fand sie Mi&szlig; Ophelia mit ihrem besten
-indianischen Florshawl als Turban um den Kopf gebunden,
-deklamatorische Vorstellungen vor dem Spiegel
-geben.</p>
-
-<p>&raquo;Topsy!&laquo; pflegte sie dann zu ihr zu sagen, wenn
-alle Geduld am Ende war, &raquo;weshalb machst Du solche
-Streiche?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig; nicht, Missis, &mdash; glaube, weil ich so unartig
-bin!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; nicht mehr, was ich mit Dir machen
-soll, Topsy.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;M&uuml;ssen mich peitschen, Missis; meine alte Missis
-peitschte mich immer; &mdash; kann nichts thun, wenn ich
-nicht gepeitscht werde.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Topsy, ich mag Dich nicht peitschen. Du kannst
-gut und artig sein, wenn Du willst; &mdash; warum willst
-Du nicht?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Bin an's Peitschen gew&ouml;hnt, Missis; &mdash; glaube
-'s thut mir gut,&laquo; entgegnete Topsy.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia versuchte das Recept, und Topsy verursachte
-dann regelm&auml;&szlig;ig einen entsetzlichen L&auml;rm, schrie,
-heulte und flehte, und sa&szlig; eine halbe Stunde sp&auml;ter auf
-irgend einem Vorsprunge des Balkons, umgeben von der
-Heerde ihrer jungen Bewunderer, und dr&uuml;ckte die &auml;u&szlig;erste
-Verachtung &uuml;ber die ganze Sache aus.</p>
-
-<p>&raquo;Pah, Mi&szlig; Feely peitschen! &mdash; bringt keine Fliege
-um, ihr Peitschen. H&auml;ttet sehen sollen, wie mein alter
-Master 's Fleisch fliegen lie&szlig;; &mdash; alte Master verstand
-'s!&laquo;</p>
-
-<p>Sonntags pflegte sich Mi&szlig; Ophelia angelegentlichst
-damit zu besch&auml;ftigen, Topsy den Katechismus zu lehren.
-Topsy hatte ein ungew&ouml;hnliches Wortged&auml;chtni&szlig; und lernte
-mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, die f&uuml;r ihre Lehrerin
-sehr ermuthigend waren.</p>
-
-<p>&raquo;Welchen Nutzen erwartest Du davon f&uuml;r sie?&laquo;
-fragte St. Clare.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_20">[S. 20]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Nun, es ist immer f&uuml;r Kinder von Nutzen gewesen.
-Kinder haben das immer lernen m&uuml;ssen,&laquo; entgegnete
-Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Ob sie es verstehen oder nicht &mdash; gleichviel!&laquo;
-sagte St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;O, Kinder verstehen es in der Zeit nie; aber
-wenn sie aufwachsen, kommt die Zeit, wo sie es verstehen
-lernen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nun, meine ist noch nicht gekommen, obgleich ich
-bezeugen kann, da&szlig; Du es mir gr&uuml;ndlich genug beigebracht
-hast, als ich ein Knabe war,&laquo; entgegnete St.
-Clare.</p>
-
-<p>&raquo;Du warst immer ein guter Lerner, Augustin. Ich
-hegte damals gro&szlig;e Hoffnungen von Dir,&laquo; sagte Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;So, hast Du denn jetzt keine?&laquo; fragte St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollte, Du w&auml;rest so gut, wie Du als Knabe
-warst, Augustin!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das w&uuml;nschte ich auch, Cousine,&laquo; sagte St. Clare.
-&raquo;Wohl, fahre fort, und katechisire Topsy: vielleicht machst
-Du doch noch etwas aus ihr.&laquo;</p>
-
-<p>Topsy, die w&auml;hrend dieser Unterhaltung gleich einer
-schwarzen Statue, mit dem&uuml;thig gefalteten H&auml;nden da
-gestanden hatte, fuhr jetzt auf einen Wink von Mi&szlig;
-Ophelia fort:</p>
-
-<p>&raquo;Unsere ersten Eltern, da sie der Freiheit ihres
-eignen Willens &uuml;berlassen blieben, fielen aus dem Stande,
-in dem sie erschaffen worden waren.&laquo;</p>
-
-<p>Topsy's Augen blinzelten, und sie blickte fragend
-auf Ophelien.</p>
-
-<p>&raquo;Was willst Du, Topsy?&laquo; fragte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Bitte, Missis, war es der Stand Kentucky?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was f&uuml;r ein Stand?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Der Stand, aus dem sie fielen. Ich h&ouml;rte Master
-sagen, da&szlig; wir von Kentucky gekommen w&auml;ren.&laquo;</p>
-
-<p>St. Clare lachte.</p>
-
-<p>&raquo;Du wirst ihr eine Erkl&auml;rung geben m&uuml;ssen, oder
- <span class="pagenum"><a id="Page_21">[S. 21]</a></span>
-sie macht sich eine,&laquo; sagte er. &raquo;Es scheint hier die
-Theorie der Auswanderung darunter verstanden zu werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, still, Augustin!&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia, &raquo;wie kann
-ich etwas thun, wenn Du dabei lachst?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gut, ich will Dich nicht wieder st&ouml;ren, auf mein
-Wort,&laquo; sagte St. Clare, nahm seine Zeitung, und setzte
-sich nieder, bis Topsy ihre Recitationen beendigt hatte.
-Diese waren ganz gut, nur da&szlig; sie dann und wann, in
-den wichtigsten Stellen, die Worte auf eine sonderbare
-Weise versetzte, und bei dem Irrthume aller Gegenvorstellungen
-ungeachtet beharrte; und St. Clare, trotz aller
-seiner Versprechungen, fand ein muthwilliges Vergn&uuml;gen
-darin, sich diese anst&ouml;&szlig;igen Stellen wiederholen zu lassen,
-ohne Mi&szlig; Opheliens Gegenvorstellungen zu beachten.</p>
-
-<p>&raquo;Aber wie kannst Du glauben, da&szlig; ich mit dem
-Kinde etwas erreichen kann, wenn Du so fortf&auml;hrst,&laquo;
-pflegte sie zu sagen.</p>
-
-<p>&raquo;Gut, es ist unrecht, &mdash; ich will es nicht wieder
-thun; aber es ist gar zu drollig, das kleine Bild &uuml;ber
-diese Worte stolpern zu h&ouml;ren.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber Du best&auml;rkst sie ja in ihrem schlechten
-Wege.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was macht 's denn aus? Ein Wort ist f&uuml;r sie so
-gut wie ein anderes.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du willst, da&szlig; ich sie gut erziehen soll, und solltest
-also mit dem Einflu&szlig;, den Du aus&uuml;bst, vorsichtig sein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Elend! freilich sollte ich das! aber wie Topsy
-selbst sagt: &raquo;ich bin so unartig!&laquo;&laquo;</p>
-
-<p>In dieser Weise schritt Topsy's Erziehung ein oder
-zwei Jahre fort, w&auml;hrend deren Mi&szlig; Ophelia sich t&auml;glich
-mit ihr plagte, wie mit einem chronischen Leiden, an
-dessen Beschwerden sie sich endlich so gew&ouml;hnte, wie andre
-Personen an ein Nerven- oder Kopfleiden.</p>
-
-<p class="pmb3">St. Clare fand an dem Kinde dasselbe Vergn&uuml;gen,
-wie an den Sp&auml;ssen eines Papagei's oder H&uuml;hnerhundes.
-Topsy dagegen pflegte, wenn sie in irgend einem andern
- <span class="pagenum"><a id="Page_22">[S. 22]</a></span>
-Departement in Ungnade gefallen war, hinter seinem
-Stuhle Schutz zu suchen, und St. Clare wirkte dann
-stets auf eine oder die andre Weise Vergebung f&uuml;r sie
-aus. Von ihm erhielt sie auch so manche kleine M&uuml;nze,
-die sie zu N&uuml;ssen und Zuckerkant verwendete, um sie
-mit sorgloser Freigebigkeit unter alle Kinder des Hauses
-zu vertheilen; denn Topsy war, um ihr Gerechtigkeit
-widerfahren zu lassen, von Natur gutm&uuml;thig und freigebig,
-und nur b&ouml;sartig in ihrer eignen Selbstvertheidigung.</p>
-
-<p class="pmb3">Sie ist jetzt in unser <em class="antiqua">corps de ballet</em>
-gen&uuml;gend eingef&uuml;hrt
-worden, und wird darin von Zeit zu Zeit, neben
-den andern handelnden Personen, ihre Rolle spielen.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Einundzwanzigstes_Kapitel">Einundzwanzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="center font09"><b>Kentucky.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Unsere Leser sind vielleicht nicht abgeneigt, einen
-kurzen R&uuml;ckblick auf Onkel Toms H&uuml;tte zu thun, um zu
-sehen, was unter denen, die er zur&uuml;ckgelassen hat, vorgeht.</p>
-
-<p>Es war sp&auml;t an einem Sommer-Nachmittage, und
-die Th&uuml;ren und Fenster des gro&szlig;en Wohnzimmers in
-Mr. Shelby's Haus waren alle ge&ouml;ffnet, um jedes frische
-L&uuml;ftchen, das dazu geneigt war, hereinzulassen. Mr.
-Shelby sa&szlig; in einer gro&szlig;en Halle, welche mit diesem
-Zimmer in Verbindung stand, und durch das ganze Haus
-zu einem am andern Ende befindlichen Balkon lief.
-Nachl&auml;ssig in seinen Stuhl zur&uuml;ckgelegt, und seine F&uuml;&szlig;e
- <span class="pagenum"><a id="Page_23">[S. 23]</a></span>
-auf einem andern wiegend, rauchte er seine Nachmittags-Cigarre.
-Mrs. Shelby sa&szlig; in der Th&uuml;r, mit feiner
-N&auml;herei besch&auml;ftigt, und schien etwas auf dem Herzen
-zu haben, zu dessen Vorbringen sie eine Gelegenheit
-suchte.</p>
-
-<p>&raquo;Hast Du geh&ouml;rt,&laquo; sagte sie, &raquo;da&szlig; Chlo&euml; einen Brief
-von Tom erhalten hat?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wirklich? Tom scheint dort einen Freund zu haben.
-Was macht der alte Junge?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Er mu&szlig; von einer sehr anst&auml;ndigen Familie gekauft
-worden sein, sollte ich denken,&laquo; sagte Mrs. Shelby, &mdash;
-&raquo;er hat sehr gute Behandlung, und nicht viel zu thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So! nun das freut mich, &mdash; wahrlich,&laquo; sagte Mr.
-Shelby mit Herzlichkeit. &raquo;Ich hoffe, Tom wird sich an
-eine s&uuml;dliche Residenz gew&ouml;hnen, &mdash; und kaum w&uuml;nschen,
-hieher zur&uuml;ckzukehren.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Im Gegentheil, er fragt mit gro&szlig;er Aengstlichkeit
-danach, wann das Geld f&uuml;r seine Wiedereinl&ouml;sung werde
-aufgebracht werden k&ouml;nnen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; es nicht,&laquo; sagte Mr. Shelby. &raquo;Wenn
-die Gesch&auml;fte einmal angefangen, schief zu gehen, so
-h&ouml;rts nicht wieder auf. Es ist gerade wie durch einen
-Sumpf von einer trockenen Stelle auf die andere springen;
-hier borgen und dort bezahlen, und dann wieder borgen,
-um den Letzten zu bezahlen; &mdash; und diese verdammten
-Wechsel laufen immer ab, ehe ein Mensch Zeit hat, eine
-Cigarre zu rauchen und sich umzudrehen, &mdash; nichts als
-Mahnbriefe und Dr&auml;ngen und Treiben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich sollte denken, mein Lieber, es k&ouml;nnte so Manches
-geschehen, um unsere Angelegenheiten zu ordnen.
-Wenn wir zum Beispiel alle unsere Pferde und eine
-Farm verkauften, um Alles abzuzahlen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O l&auml;cherlich, Emilie! Du bist die gescheiteste Frau
-in Kentucky, aber hast doch nicht Einsicht genug zu sehen,
-da&szlig; Du von Gesch&auml;ften nichts verstehst; &mdash; Weiber verstehen
-und k&ouml;nnen davon nie etwas verstehen.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_24">[S. 24]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Aber k&ouml;nntest Du mich denn nicht wenigstens einen
-Blick in Deine Verh&auml;ltnisse thun lassen? mich ein Verzeichni&szlig;
-aller Deiner Schulden und Forderungen sehen,
-und mich versuchen lassen, ob ich Dir keinen Rath zu
-&ouml;konomischen Ma&szlig;regeln geben k&ouml;nnte?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Thorheit! qu&auml;le mich nicht, Emilie! &mdash; das kann
-ich nicht. Ich wei&szlig; recht wohl, wie meine Sachen stehen,
-und die lassen sich nicht kneten und dr&uuml;cken und in jede
-m&ouml;gliche Form bringen, wie Chlo&euml; es mit ihren Pasteten
-macht. Du verstehst einmal nichts von Gesch&auml;ften,
-wie ich Dir schon gesagt habe.&laquo;</p>
-
-<p>Da Mr. Shelby keine besseren Gr&uuml;nde anzuf&uuml;hren
-hatte, so erhob er bei diesen Worten seine Stimme, &mdash;
-eine Art und Weise, die f&uuml;r einen Mann, der mit seiner
-Frau &uuml;ber Gesch&auml;ftssachen spricht, sehr bequem und sehr
-&uuml;berzeugend ist.</p>
-
-<p>Mrs. Shelby schwieg mit einem Seufzer. Es war
-au&szlig;er Zweifel, da&szlig; sie, obgleich ein Weib, dennoch einen
-klaren, energischen, praktischen Verstand hatte, und eine
-Charakterst&auml;rke besa&szlig;, die der ihres Gatten bei weitem
-&uuml;berlegen war; so da&szlig; es keineswegs so sehr abgeschmackt
-gewesen sein w&uuml;rde, wie Mr. Shelby dachte, sie Theil
-an den Gesch&auml;ften nehmen zu lassen.</p>
-
-<p>&raquo;Glaubst Du nicht, da&szlig; wir auf eine oder die andere
-Weise Geld aufbringen k&ouml;nnten? Die arme Chlo&euml;,
-sie rechnet so sehr darauf.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das thut mir leid. Ich glaube, ich war etwas
-zu voreilig mit meinem Versprechen. Ich wei&szlig; nicht, ich
-denke, es ist am Ende der beste Weg, es Chlo&euml; geradezu
-zu sagen, damit sie sich darein findet. Tom wird in ein
-oder zwei Jahren eine andere Frau haben, und sie th&auml;te
-am besten, zu einem andern Mann zu gehen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mr. Shelby, ich habe meinen Leuten gelehrt, da&szlig;
-ihre ehelichen Verbindungen so heilig wie die unsrigen
-seien. Ich w&uuml;rde mich nie dazu verstehen k&ouml;nnen, Chlo&euml;
-solchen Rath zu geben.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_25">[S. 25]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Es ist ein Ungl&uuml;ck, Frau, da&szlig; Du diese Leute
-mit der Last einer Moralit&auml;t beschwert hast, die weit
-&uuml;ber ihre Verh&auml;ltnisse und ihre Aussichten hinausgeht.
-Ich habe immer so gedacht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es ist nur die Lehre der Bibel,&laquo; entgegnete Mrs.
-Shelby.</p>
-
-<p>&raquo;Gut, gut, Emilie, ich will mich in Deine religi&ouml;sen
-Ansichten nicht mischen; nur scheinen sie mir f&uuml;r Leute
-in solchen Verh&auml;ltnissen durchaus nicht geeignet zu sein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Leider sind sie es nicht,&laquo; sagte Mrs. Shelby,
-&raquo;und das ist der Grund, weshalb ich das Sklavenwesen
-hasse. Ich sage Dir, mein Lieber, ich kann mich von
-den Versprechungen nicht lossagen, die ich diesen h&uuml;lflosen
-Gesch&ouml;pfen gemacht habe. Wenn ich das Geld in keiner
-andern Weise aufbringen kann, so will ich Musikunterricht
-geben. Ich wei&szlig;, da&szlig; ich Besch&auml;ftigung genug bekommen
-und das Geld bald verdienen w&uuml;rde.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie, Emilie, Du w&uuml;rdest Dich doch nicht auf diese
-Weise herabw&uuml;rdigen wollen? Ich k&ouml;nnte nie meine Einwilligung
-dazu geben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Herabw&uuml;rdigen! w&uuml;rde es mich so herabw&uuml;rdigen,
-wie wenn ich das Versprechen br&auml;che, was ich H&uuml;lflosen
-gegeben habe? Nein, gewi&szlig; nicht!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du bist heroisch und &uuml;berspannt,&laquo; sagte Mr. Shelby;
-&raquo;aber ich d&auml;chte, Du th&auml;test wohl, die Sache noch einmal
-zu &uuml;berlegen, ehe Du solchen abenteuerlichen Streich unternimmst.&laquo;</p>
-
-<p>Hier wurde die Unterhaltung durch die Erscheinung
-Chlo&euml;'s am Ende der Veranda unterbrochen.</p>
-
-<p>&raquo;Wenn's Ihnen gef&auml;llig w&auml;re, Missis,&laquo; sagte sie.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Chlo&euml;, was gibt's?&laquo; sagte ihre Mistre&szlig;
-aufstehend und nach dem Ende des Balkones gehend.</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Missis hier das Gefl&uuml;gel ansehen wollte,&laquo;
-sagte Chlo&euml; mit einer Miene ernster Betrachtung, w&auml;hrend
-sie auf einen Haufen H&uuml;hner und Enten deutete,
- <span class="pagenum"><a id="Page_26">[S. 26]</a></span>
-bei dem sie stand; &raquo;ich dachte, ob Missis vielleicht eine
-H&uuml;hnerpastete haben wollte von diesen da.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das ist mir gleich, Chlo&euml;, &mdash; richte sie nur zu,
-wie Du willst,&laquo; entgegnete Mrs. Shelby.</p>
-
-<p>Chlo&euml; blieb gedankenvoll stehen, w&auml;hrend sie das
-Gefl&uuml;gel einzeln durch ihre H&auml;nde gehen lie&szlig;; allein es
-war leicht erkennbar, da&szlig; die H&uuml;hner nicht der Gegenstand
-ihrer Gedanken waren. Endlich begann sie mit
-einem kurzen Lachen, mit dem ihr Geschlecht h&auml;ufig etwas
-zweifelhafte Vorschl&auml;ge einzuleiten pflegt:</p>
-
-<p>&raquo;Mein Gott, Missis, warum sollen Master und
-Missis sich qu&auml;len um das Geld und nicht gebrauchen
-das Recht, was ihnen zukommt?&laquo; sagte Chlo&euml; von Neuem
-lachend.</p>
-
-<p>&raquo;Ich verstehe Dich nicht, Chlo&euml;,&laquo; entgegnete Mrs.
-Shelby, die Chlo&euml;'s Weise kannte, und de&szlig;halb nicht im
-Geringsten bezweifelte, da&szlig; sie jedes Wort der zwischen
-ihr und ihrem Ehemanne so eben Statt gehabten Unterhaltung
-geh&ouml;rt habe.</p>
-
-<p>&raquo;O Missis!&laquo; sagte Chlo&euml; wieder lachend, &raquo;andere
-Leute miethen ihre Nigger aus, und lassen sie Geld verdienen:
-halten nicht solche Bande, die sie aus Haus und
-Hof i&szlig;t.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, Chlo&euml;, wen meinst Du denn, da&szlig; ich ausmiethen
-solle?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, ich meine gar nichts, &mdash; nur Sam sagte mir,
-da&szlig; da einer von den Conditorn w&auml;re, in Louisville,
-der 'ne geschickte Hand f&uuml;r Kuchen und Pasteten brauchte,
-und der vier Dollars die Woche geben wollte, &mdash; sagte er.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Chlo&euml;?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, so dachte ich, Missis, 's w&auml;re Zeit, da&szlig; Sally
-endlich anfinge, 'was zu thun. Sally ist unter mir gewesen
-diese ganze Zeit, und kann Alles beinahe eben so
-gut machen wie ich; und wenn Missis mich wollte gehen
-lassen, so k&ouml;nnt' ich helfen das Geld verdienen. F&uuml;rchte
- <span class="pagenum"><a id="Page_27">[S. 27]</a></span>
-mich gar nicht, meine Kuchen und meine Pasteten neben
-alle die von 'nem Conditor zu stellen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber, Chlo&euml;, willst Du denn Deine Kinder verlassen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, Missis, die Jungens sind gro&szlig; genug, um zu
-arbeiten, &mdash; fehlt ihnen gar nichts; und Sally soll nach
-der Kleinen sehn, 's ist so ein munteres Ding, braucht
-gar nicht viel gewartet zu werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Louisville ist ziemlich weit von hier.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mein Gott, f&uuml;rchte mich nicht! &mdash; ist's wohl den
-Flu&szlig; hinunter, nahe bei meinem alten Mann vielleicht?&laquo;
-sagte Chlo&euml;, die letzten Worte in fragendem Tone sprechend
-und auf Mrs. Shelby blickend.</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Chlo&euml;, es ist noch viele hundert Meilen davon
-entfernt,&laquo; entgegnete Mrs. Shelby.</p>
-
-<p>Chlo&euml;'s Gesicht wurde traurig.</p>
-
-<p>&raquo;Das thut nichts, Chlo&euml;; Du kommst ihm wenigstens
-n&auml;her, wenn Du dahin gehst. Ja, Du magst gehen;
-und jeder Cent Deines Lohnes soll zu der Wiedereinl&ouml;sung
-Deines Mannes zur&uuml;ckgelegt werden.&laquo;</p>
-
-<p>Wie wenn ein heller Sonnenstrahl eine dunkle Wolke
-versilbert, so kl&auml;rte sich Chlo&euml;'s dunkles Gesicht augenblicklich
-auf, &mdash; es strahlte f&ouml;rmlich.</p>
-
-<p>&raquo;O Herr! wenn Missis nicht zu gut ist! &mdash; dachte
-gerade an dasselbe; denn ich brauche keine Kleider und
-keine Schuhe und nichts, &mdash; k&ouml;nnte jeden Cent sparen.
-Wie viele Wochen gibt's denn in 'nem Jahre, Missis?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Zweiundf&uuml;nfzig,&laquo; sagte Mrs. Shelby.</p>
-
-<p>&raquo;Herr! also so viele? und vier Dollar f&uuml;r jede, &mdash;
-wie viel mag das sein?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Zweihundert und acht Dollar,&laquo; entgegnete Mrs.
-Shelby.</p>
-
-<p>&raquo;Wie!&laquo; sagte Chlo&euml; mit einem Ausdruck von Ueberraschung
-und Wonne; &mdash; &raquo;und wie lange w&uuml;rde 's
-dauern, bis ich Alles herausgearbeitet h&auml;tte, Missis?&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_28">[S. 28]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Vier bis f&uuml;nf Jahre, Chlo&euml;; aber Du sollst nicht
-Alles allein verdienen, &mdash; ich will Etwas dazu legen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mag nichts davon h&ouml;ren, &mdash; Missis Stunden geben.
-Master hat ganz Recht darin; &mdash; w&uuml;rde sich nicht
-passen. Hoffe, keiner von unserer Familie wird dazu
-kommen, so lange ich H&auml;nde habe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;F&uuml;rchte nichts, Chlo&euml;, &mdash; ich will schon Sorge
-tragen f&uuml;r die Ehre der Familie,&laquo; sagte Mrs. Shelby
-l&auml;chelnd. &raquo;Aber wann gedenkst zu gehen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, ich denke Nichts, &mdash; nur, Sam, er geht auf
-den Flu&szlig; mit Fohlen, und sagte mir, ich k&ouml;nnte mit ihm
-gehn; und so machte ich just meine Sachen zusammen.
-Wenn Missis wollte, so k&ouml;nnt' ich mit Sam morgen fr&uuml;h
-gehen, &mdash; wenn Missis mir 'nen Pa&szlig; schreiben wollte,
-und 'ne 'Commendation.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, Chlo&euml;, ich will daf&uuml;r sorgen, wenn Mr.
-Shelby Nichts dagegen einzuwenden hat. Ich mu&szlig; erst
-mit ihm reden.&laquo;</p>
-
-<p>Mrs. Shelby ging in das obere Stockwerk und Tante
-Chlo&euml; ging entz&uuml;ckt in ihre H&uuml;tte, um die n&ouml;thigen Vorbereitungen
-zu treffen.</p>
-
-<p>&raquo;O, Master Georg! Sie wissen nicht, da&szlig; ich morgen
-nach Louisville gehe!&laquo; sagte sie zu Georg, als er
-sie beim Eintreten besch&auml;ftigt fand, die Kleidungsst&uuml;cke
-ihrer Kinder zu ordnen. &raquo;Dachte, ich wollte grade 'mal
-&uuml;ber diese Sachen sehen und sie in Ordnung haben.
-Aber ich gehe, Master Georg, &mdash; ich gehe, und bekomme
-vier Dollar die Woche; und Missis will es Alles aufheben
-und meinen alten Mann damit wiederkaufen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sieh da!&laquo; sagte Georg, &raquo;das ist ein gutes Gesch&auml;ft!
-Wann gehst Du denn?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Morgen, mit Sam. Und nun, Master Georg, &mdash;
-ich wei&szlig; &mdash; sind Sie wohl so gut und schreiben just an
-meinen alten Mann, und sagen ihm das Alles, &mdash; nicht
-wahr?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Versteht sich,&laquo; sagte Georg. &raquo;Onkel Tom wird sich
- <span class="pagenum"><a id="Page_29">[S. 29]</a></span>
-freuen, Nachricht von uns zu bekommen. Ich will gleich
-in's Haus gehen, und Feder und Papier holen; und
-dann kann ich ihm auch gleich von unsern jungen Fohlen
-erz&auml;hlen und von allen andern Sachen, &mdash; nicht wahr,
-Tante Chlo&euml;?&laquo;</p>
-
-<p class="pmb3">&raquo;Freilich, freilich, Master Georg; gehen Sie nur,
-und ich will Ihnen unterdessen ein h&uuml;bsches St&uuml;ckchen
-Huhn zurecht machen, oder so Etwas; &mdash; werden nicht
-oft mehr bei alte Tante Chlo&euml; 'was essen.&laquo;</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Zweiundzwanzigstes_Kapitel">Zweiundzwanzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>&raquo;Das Gras verwelkt &mdash; die Blume verbl&uuml;ht.&laquo;</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Mit jedem Tage flie&szlig;t ein Theil unseres Lebens
-dahin, &mdash; und so war es mit Onkel Tom, bis zwei Jahre
-verflossen waren. Obgleich getrennt von Allem, was
-seinem Herzen theuer war, und obgleich oft die heftigste
-Sehnsucht nach seinen Lieben empfindend, f&uuml;hlte er sich
-doch eigentlich nie ganz ungl&uuml;cklich; denn so stark ist die
-Harfe menschlicher Gef&uuml;hle bezogen, da&szlig; nur ein Zerrei&szlig;en
-aller Saiten ihre Harmonie g&auml;nzlich zerst&ouml;ren
-kann; und selbst wenn wir auf Zeiten der Tr&uuml;bsal und
-der Leiden zur&uuml;ckblicken, so k&ouml;nnen wir uns erinnern, da&szlig;
-fast jede Stunde derselben in ihrem Laufe Abwechslung
-und Erleichterung mit sich brachte, so da&szlig; wir, wenn
-auch im Ganzen nicht gl&uuml;cklich, doch auch nicht ganz
-elend waren.</p>
-
-<p>Sein an Chlo&euml; gerichteter Brief war, wie dessen
-bereits im vorigen Kapitel Erw&auml;hnung geschehen, von
- <span class="pagenum"><a id="Page_30">[S. 30]</a></span>
-Master Georg in guter Zeit beantwortet worden, und
-zwar in einer runden, deutlichen Schulknabenschrift, die,
-wie Onkel sagte, sich beinahe &uuml;ber das ganze Zimmer
-lesen lie&szlig;. Das Schreiben enthielt verschiedene erquickliche
-Nachrichten &uuml;ber die dortigen Verh&auml;ltnisse, mit denen
-unsere Leser bereits bekannt sind: zum Beispiel, da&szlig;
-Tante Chlo&euml; an einen Conditor in Louisville ausgedungen
-worden, wo sie mit der Fabrikation von Pasteten unglaubliche
-Summen Geldes verdiene, die alle zur Wiedereinl&ouml;sung
-Toms zur&uuml;ckgelegt werden sollten; da&szlig; Mose
-und Pete munter aufw&uuml;chsen, und da&szlig; das Kleine unter
-Sally's und der ganzen Familie Aussicht bereits im ganzen
-Hause umhertrabe. Toms H&uuml;tte war f&uuml;r jetzt geschlossen
-worden, allein Georg lie&szlig; sich mit gro&szlig;er W&auml;rme &uuml;ber
-die Verbesserungen und Verzierungen aus, die darin
-vorgenommen werden sollten, sobald Tom zur&uuml;ckkehre.
-Der Rest des Briefes enthielt ein Verzeichni&szlig; von Georgs
-Schulstudien und von den Namen der vier jungen Fohlen,
-welche seit Toms Entfernung gefallen waren, und erw&auml;hnte
-in inniger Verbindung hiermit, da&szlig; sich Vater
-und Mutter wohl bef&auml;nden. Der Styl des Briefes war
-entschieden ein sehr b&uuml;ndiger: allein Tom hielt seine Abfassung
-f&uuml;r eins der vollendetsten Beispiele in der neueren
-Zeit. Er konnte nie m&uuml;de werden, das Schreiben zu
-betrachten, und berathschlagte sogar mit Eva dar&uuml;ber,
-ob es nicht gut w&auml;re, es unter Glas und Rahmen bringen
-zu lassen, um es im Zimmer aufh&auml;ngen zu k&ouml;nnen; und
-nur die Schwierigkeit, es so einzurichten, da&szlig; beide
-Seiten des Blattes zugleich sichtbar seien, stand der Ausf&uuml;hrung
-im Wege.</p>
-
-<p>Die Freundschaft zwischen Tom und Eva war in
-gleichem Schritte mit dem Kinde selbst gewachsen. Es
-w&uuml;rde schwer sein zu sagen, welchen Platz sie in dem
-sanften, empf&auml;nglichen Herzen ihres treuen Dieners einnahm.
-Er liebte sie wie etwas Irdisches und Gebrechliches,
-aber verehrte sie beinahe als etwas Himmlisches
- <span class="pagenum"><a id="Page_31">[S. 31]</a></span>
-und G&ouml;ttliches. Wie der italienische Seemann auf sein
-Bild des Jesuskindes schaut, so betrachtete er sie mit
-einer Mischung von Ehrfurcht und Z&auml;rtlichkeit; und sein
-gr&ouml;&szlig;tes Vergn&uuml;gen bestand darin, den kindlichen Einf&auml;llen,
-den tausend kleinen Bed&uuml;rfnissen zu gen&uuml;gen, die das
-jugendliche Alter wie mit einem buntfarbigen Regenbogen
-schm&uuml;cken. Wenn er Morgens auf den Markt ging, so
-waren seine Augen stets auf die Blumenlager gerichtet,
-um seltene Bouquette f&uuml;r sie auszusuchen, und die sch&ouml;nste
-Pfirsich, die er fand, glitt stets in seine Tasche, um sie
-ihr zu geben, wenn er nach Hause kam; und der liebste
-Anblick f&uuml;r ihn war der, wenn er ihren goldlockigen,
-kleinen Kopf zur Pforte hinaus blicken und auf seine
-R&uuml;ckkehr warten sah, und er dann ihre kindliche Frage
-h&ouml;rte: &raquo;Nun, Onkel Tom, was hast Du heut' f&uuml;r mich?&laquo;</p>
-
-<p>Auch war Eva nicht weniger eifrig in freundlichen
-Gegenleistungen. Obgleich noch Kind, konnte sie dennoch
-vortrefflich lesen. Ein feines, musikalisches Ohr, eine
-lebhafte, poetische Phantasie, und ein instinktm&auml;&szlig;iges
-Gef&uuml;hl f&uuml;r alles Gro&szlig;e und Edle machten sie zu einer
-Bibelleserin, wie Tom nie zuvor etwas Aehnliches geh&ouml;rt
-hatte. Anfangs las sie nur, um ihrem bescheidenen
-Freunde gef&auml;llig zu sein, aber bald streckte ihre eigene
-ernste Natur ihre F&uuml;hlf&auml;den aus und schlang sie um das
-majest&auml;tische Buch. Und Eva liebte es, weil es ein
-seltsames Sehnen und m&auml;chtige, dunkle Regungen in ihr
-erweckte, denen sich tieff&uuml;hlende und mit lebhafter Phantasie
-begabte Kinder so gern hingeben.</p>
-
-<p>Diejenigen Theile, welche sie am meisten liebte,
-waren die Offenbarung Johannis und die Propheten, &mdash;
-Theile, deren dunkle, warme und bilderreiche Sprache sie
-um so mehr ergriff, als sie vergeblich nach einer Deutung
-suchte, &mdash; und sie und ihr schlichter Freund, das junge
-und das alte Kind, stimmten in dieser Beziehung vollkommen
-&uuml;berein. Alles, was sie wu&szlig;ten, war, da&szlig; jene
-B&uuml;cher von einer zu offenbarenden Glorie, &mdash; einem
- <span class="pagenum"><a id="Page_32">[S. 32]</a></span>
-wunderbaren Etwas sprachen, was noch kommen solle
-und dessen sich ihre Seelen freuten, ohne zu wissen weshalb.
-Obgleich es in der Wissenschaft physischer Dinge
-nicht so ist, so gilt doch f&uuml;r die Religionslehre der Grundsatz,
-da&szlig; das, was nicht verstanden werden kann, nicht
-immer nutzlos ist; denn die Seele erwacht, ein zitternder
-Fremdling, zwischen zwei dunklen Ewigkeiten, &mdash; der
-ewigen Vergangenheit und der ewigen Zukunft. Das
-Licht f&auml;llt nur aus einen kleinen Raum um sie her, weshalb
-sie sich dem Unbekannten zuwenden mu&szlig;; und die
-Stimmen und schattenartigen Regungen, die aus der
-Nebels&auml;ule der Inspiration zu ihr kommen, finden Echo
-und Antwort in ihrer eignen sehns&uuml;chtigen Natur. Die
-mystischen Bilder derselben sind ebenso viele Talismane
-und Gemmen mit unbekannten Hieroglyphen, die sie in
-ihren Busen schlie&szlig;t und hofft entziffern zu k&ouml;nnen, wenn
-sie jenseits des Schleiers tritt.</p>
-
-<p>Um die jetzige Zeit unserer Erz&auml;hlung befand sich
-die ganze Familie St. Clare's auf seiner am See Pontchartrain
-belegenen Villa. Die Sommerhitze hatte Alle,
-denen es m&ouml;glich war, die ungesunde Stadt mit ihrer
-schw&uuml;len Atmosph&auml;re zu verlassen, an die Ufer des See's
-getrieben, um seine k&uuml;hlen L&uuml;fte zu genie&szlig;en.</p>
-
-<p>St. Clare's Villa war ein im ostindischen Geschmacke
-erbautes Landhaus, umgeben von einer hellen Veranda,
-und &ouml;ffnete sich nach allen Seiten in G&auml;rten und Luftpl&auml;tze.
-Das gemeinschaftliche Wohnzimmer hatte einen
-Ausgang in einen gro&szlig;en Garten, welcher erf&uuml;llt von den
-Wohlger&uuml;chen tropischer Pflanzen und Blumen jeder Art,
-seine schl&auml;ngelnden Pfade bis dicht an die Ufer des See's
-erstreckte, dessen silberheller Wasserspiegel sich unter den
-Strahlen der Sonne hob und senkte, &mdash; ein Bild, das
-jede Stunde wechselte, und mit jeder Stunde sch&ouml;ner
-wurde.</p>
-
-<p>Jetzt grade geht die Sonne in goldener Glorie unter
-und wirft ihren Schein &uuml;ber den ganzen Horizont, der
- <span class="pagenum"><a id="Page_33">[S. 33]</a></span>
-sich im Wasser abspiegelt. Wei&szlig; befl&uuml;gelte Schiffe fahren
-auf dem in rosigen oder goldenen Streifen ruhig liegenden
-See hin und her, und kleine goldene Sterne beginnen
-allm&auml;hlig aus dem Abendhimmel auf ihre zitternden
-Spiegelbilder im Wasser herabzublicken.</p>
-
-<p>Tom und Eva sa&szlig;en auf einer niedrigen Moosbank
-in einer Laube am Ende des Gartens. Es war
-Sonntag Abend, und Eva's Bibel lag aufgeschlagen auf
-ihrem Knie. Sie las: &mdash; &raquo;Und ich sah ein gl&auml;sernes
-Meer mit Feuer gemenget.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Tom,&laquo; sagte Eva, pl&ouml;tzlich inne haltend und auf
-den See deutend, &raquo;da ist es.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was, Mi&szlig; Eva?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Siehst Du denn nicht, &mdash; dort?&laquo; sagte das Kind,
-auf das Wasser deutend, welches, fallend und steigend,
-die Gluth des Himmels abspiegelte. &raquo;Da ist ein gl&auml;sernes
-Meer mit Feuer gemenget.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wahr! Mi&szlig; Eva,&laquo; sagte Tom und sang:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;H&auml;tt' ich die Fl&uuml;gel der Morgenr&ouml;the,<br /></span>
-<span class="i0">Ich w&uuml;rde nach Canaan fliegen,<br /></span>
-<span class="i0">Und Engel w&uuml;rden mich heimw&auml;rts tragen<br /></span>
-<span class="i0">Nach dem neuen Jerusalem.&laquo;<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>&raquo;Wo glaubst Du, da&szlig; das neue Jerusalem ist,
-Onkel Tom?&laquo; sagte Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Ueber den Wolken, Mi&szlig; Eva.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Dann glaube ich, da&szlig; ich es sehe,&laquo; bemerkte Eva.
-&raquo;Blicke in jene Wolken! &mdash; sie sehen wie gro&szlig;e Thore
-von Perlen aus; und Du kannst durch sie weiter hinaus
-sehen &mdash; weit, weit &mdash; und da ist Alles Gold. Bitte,
-Tom, singe das Lied von den wei&szlig;en Engeln.&laquo;</p>
-
-<p>Tom sang hierauf die Worte einer wohlbekannten
-Methodisten-Hymne:</p>
-
-<p>
-&raquo;Ich sehe ein Chor von Engeln stehn,<br />
-Des Himmels Freuden schmecken.<br />
-Sie tragen alle ein wei&szlig;es Gewand<br />
-Und siegende Palmen in der Hand.&laquo;<br />
-</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_34">[S. 34]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Sie kommen zuweilen zu mir im Schlafe, diese
-Engel,&laquo; sagte Eva, w&auml;hrend ihre Augen tr&auml;umerisch
-wurden, und summte dann mit leiser Stimme:</p>
-
-<p>
-&raquo;Sie alle tragen ein wei&szlig;es Gewand<br />
-Und siegende Palmen in der Hand.&laquo;<br />
-</p>
-
-<p>&raquo;Onkel Tom,&laquo; sagte sie darauf, &raquo;ich gehe dahin.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohin, Mi&szlig; Eva?&laquo;</p>
-
-<p>Das Kind stand auf, und deutete mit seiner kleinen
-Hand gen Himmel. Das Abendroth beleuchtete ihr goldnes
-Haar, und lieh ihren Wangen eine Art &uuml;berirdischen
-Glanzes, und ihre Augen blickten mit tiefem, seligem
-Gef&uuml;hle hinauf.</p>
-
-<p>&raquo;Ich gehe dahin,&laquo; sagte sie, &raquo;zu den wei&szlig;en Engeln,
-Tom; ich gehe dahin &mdash; bald.&laquo;</p>
-
-<p>Das treue, alte Herz empfand einen pl&ouml;tzlichen
-Sto&szlig;, und Tom dachte daran, wie oft er w&auml;hrend der
-letzten sechs Monate bemerkt habe, da&szlig; Eva's kleine
-H&auml;nde d&uuml;nner, und ihre Haut durchsichtiger und ihr
-Athem k&uuml;rzer geworden seien, und wie sie, wenn sie im
-Garten rannte und spielte, was sie sonst stundenlang gekonnt,
-jetzt immer so bald m&uuml;de werde. Er hatte Mi&szlig;
-Ophelien oft von einem Husten sprechen h&ouml;ren, den alle
-ihre Arzneimittel nicht heilen k&ouml;nnten; und selbst in diesem
-Augenblicke brannten ihre Wange und ihre kleine
-Hand von hektischem Fieber; und dennoch war ihm nie
-zuvor der Gedanke gekommen, den Eva's Worte andeuteten.</p>
-
-<p>Gab es je ein Kind, wie Eva? &mdash; O ja, es gab
-deren; aber ihre Namen sind nur auf Grabsteinen zu
-lesen, und ihr s&uuml;&szlig;es L&auml;cheln, ihre himmlischen Blicke, ihre
-seltsamen Reden und Weisen geh&ouml;ren zu den tief begrabenen
-Sch&auml;tzen trauernder Herzen. In wie vielen Familien
-h&ouml;rst Du die Sage, da&szlig; alle G&uuml;te und Anmuth
-der Lebenden nichts sei gegen die Liebensw&uuml;rdigkeit eines
-Wesens, &mdash; das nicht mehr sei! Es ist gerade, als
- <span class="pagenum"><a id="Page_35">[S. 35]</a></span>
-wenn der Himmel ein besonderes Chor von Engeln habe,
-deren Bestimmung es sei, eine kurze Zeit hier zu weilen
-und das verkehrte menschliche Herz f&uuml;r sich zu gewinnen,
-um es dann bei ihrer R&uuml;ckkehr zum Himmel mit sich
-hinaufzutragen. Wenn Du jenes tiefe geistige Licht in
-dem Auge siehst, &mdash; wenn die kleine Seele sich in Worten
-offenbart, die s&uuml;&szlig;er und weicher sind, als die gew&ouml;hnlichen
-Worte von Kindern, &mdash; so hoffe nicht, das
-Kind zu behalten, denn das Siegel seines himmlischen
-Ursprungs ist ihm aufgedr&uuml;ckt, und das Licht der Unsterblichkeit
-gl&auml;nzt aus seinen Augen.</p>
-
-<p>So auch Du, geliebte Eva! sch&ouml;ner Stern Deiner
-irdischen Heimath! Du gehst, &mdash; aber die, so Dich am
-meisten lieben, ahnen es nicht!</p>
-
-<p>Das Gespr&auml;ch zwischen Tom und Eva wurde hier
-pl&ouml;tzlich durch einen Ruf von Mi&szlig; Ophelia unterbrochen.</p>
-
-<p>&raquo;Eva! &mdash; Eva! &mdash; Kind, der Thau f&auml;llt ja, Du
-darfst nicht mehr drau&szlig;en sein!&laquo;</p>
-
-<p>Eva und Tom eilten hinein.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia war alt und wohlerfahren im Gesch&auml;fte
-des Wartens und Pflegens, und kannte genau die
-ersten Symptome jener schleichenden, hinterlistigen Krankheit,
-die so viele der Sch&ouml;nsten und Liebensw&uuml;rdigsten
-dahin rafft, und sie, ehe noch eine einzige Lebensfaser
-zerst&ouml;rt zu sein scheint, unwiderruflich dem Tode weiht.
-Sie hatte den leichten kurzen Husten und die t&auml;glich zunehmende
-R&ouml;the der Wange bemerkt; und selbst der
-Glanz des Auges und die lustige Lebhaftigkeit des Kindes,
-nur vom Fieber bedingt, vermochten sie nicht zu
-t&auml;uschen.</p>
-
-<p>Sie versuchte, St. Clare ihre Besorgnisse mitzutheilen;
-allein er wies derartige Andeutungen mit einem
-unruhigen, erk&uuml;nstelten Muthwillen zur&uuml;ck, der sehr verschieden
-von seiner gew&ouml;hnlich so sorglosen guten Laune
-war.</p>
-
-<p>&raquo;O kr&auml;chze nur nicht, Cousine, &mdash; ich kann's nicht
- <span class="pagenum"><a id="Page_36">[S. 36]</a></span>
-h&ouml;ren!&laquo; pflegte er zu sagen. &raquo;Siehst Du denn nicht,
-da&szlig; das Kind nur im Wachsthum begriffen ist? Kinder
-verlieren immer Kr&auml;fte, wenn sie stark wachsen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber sie hat den Husten.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Unsinn mit dem Husten! &mdash; 's ist nichts;
-hat sich vielleicht ein wenig erk&auml;ltet.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, ganz auf dieselbe Weise fingen Elisa, Jane,
-und Ellen und Maria Sanders an.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O! ich bitte Dich! h&ouml;re mir mit den Ammenm&auml;rchen
-auf. Ihr alten Leute werdet so weise, da&szlig; ein
-Kind nicht mehr husten oder niesen kann, ohne da&szlig; Ihr
-Verzweiflung oder Tod darin erkennt. Nimm das Kind
-nur in Acht; la&szlig; es nicht in die Nachtluft gehen und
-nicht zu angestrengt spielen, und sie wird bald wieder
-munter werden.&laquo;</p>
-
-<p>So sagte St. Clare; aber er wurde &auml;ngstlich und
-unruhig. Er bewachte Eva t&auml;glich mit fieberhafter Angst,
-wie sich deutlich aus der &ouml;fteren Wiederholung derartiger
-Aeu&szlig;erungen entnehmen lie&szlig;, wie: &raquo;das Kind sei ganz
-wohl, &mdash; der Husten habe gar nichts zu bedeuten, &mdash; er
-r&uuml;hre von nichts als etwas verdorbenem Magen her.&laquo;
-Aber er hielt sich von nun an mehr bei ihr auf, als er
-sonst zu thun pflegte, fuhr &ouml;fter mit ihr aus und brachte
-von Zeit zu Zeit ein neues Recept oder eine st&auml;rkende
-Mixtur f&uuml;r sie mit nach Haus: &mdash; nicht, wie er sagte,
-weil das Kind sie n&ouml;thig habe, sondern sie werde ihr
-keinen Schaden thun.</p>
-
-<p>Was seinem Herzen gr&ouml;&szlig;ere Angst und Unruhe verursachte,
-als alles Andere, war die beim Kinde t&auml;glich
-zunehmende Reife des Geistes und der Gef&uuml;hle. W&auml;hrend
-sie noch das rein kindliche Wesen bewahrte, lie&szlig; sie oft
-unbewu&szlig;t Worte von einer solchen Tiefe der Gedanken
-und einer so &uuml;berirdischen Weisheit fallen, da&szlig; man sie
-f&uuml;r Inspirationen h&auml;tte halten k&ouml;nnen. In solchen Momenten
-empfand St. Clare ein pl&ouml;tzliches Beben im
- <span class="pagenum"><a id="Page_37">[S. 37]</a></span>
-Herzen; er pre&szlig;te sie dann in seine Arme, als ob dieser
-z&auml;rtliche Druck sie retten k&ouml;nne.</p>
-
-<p>Des Kindes ganzes Herz und ganze Seele schien
-an Werken der Liebe zu h&auml;ngen. Sie war immer sanft
-und weich von Natur gewesen; allein jetzt zeigte sich bei
-ihr eine r&uuml;hrende, &auml;cht weibliche Empfindungsweise, die
-Jedem auffiel. Sie fand noch immer Gefallen daran,
-mit Topsy und andern farbigen Kindern zu spielen, aber
-schien jetzt mehr eine blo&szlig;e Zuschauerin zu sein, als
-wirklich Theil an den Spielen zu nehmen; sie sa&szlig; zuweilen
-halbe Stunden lang und lachte herzlich &uuml;ber
-Topsy's wunderliche Streiche, &mdash; und dann senkte sich ein
-Schatten &uuml;ber ihr Gesicht, ihre Augen wurden tr&uuml;be und
-ihre Gedanken waren weit, weit fort.</p>
-
-<p>&raquo;Mamma,&laquo; sagte sie eines Tages pl&ouml;tzlich zu ihrer
-Mutter, &raquo;we&szlig;halb lassen wir unsere Dienstboten nicht
-lesen lernen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was f&uuml;r eine Frage, Kind! Man thut das nie.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Warum thut man denn das nicht?&laquo; fragte Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Weil es f&uuml;r die Leute von keinem Nutzen ist, lesen
-zu k&ouml;nnen. Es hilft ihnen nicht, besser zu arbeiten, und
-zu etwas Anderem sind sie nicht da.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber sie sollten die Bibel lesen, Mamma, um
-Gottes Willen kennen zu lernen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O! so viel die davon zu wissen brauchen, k&ouml;nnen
-sie sich vorlesen lassen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es d&uuml;nkt mich, Mamma, die Bibel sollten alle
-Menschen selbst lesen; sie brauchen sie sehr oft, wenn Niemand
-da ist, der sie ihnen vorlesen kann.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Eva, Du bist ein altes Kind,&laquo; sagte ihre Mutter.</p>
-
-<p>&raquo;Mi&szlig; Ophelia lehrt Topsy auch lesen,&laquo; fuhr Eva
-fort.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, und Du siehst, welchen Nutzen es ihr bringt.
-Topsy ist das ungezogenste Gesch&ouml;pf, das ich je gesehen
-habe!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Da ist die arme Mammy!&laquo; sagte Eva. &raquo;Sie hat
- <span class="pagenum"><a id="Page_38">[S. 38]</a></span>
-die Bibel so lieb und w&uuml;nscht so sehr, da&szlig; sie lesen
-k&ouml;nnte! Und was wird sie machen, wenn ich sie ihr nicht
-mehr vorlesen kann?&laquo;</p>
-
-<p>Marie war besch&auml;ftigt, den Inhalt einer Kommode
-umzuwenden, als sie antwortete:</p>
-
-<p>&raquo;Nat&uuml;rlich, Eva, nach einiger Zeit wirst Du schon
-an andere Dinge zu denken haben, als den Dienstboten
-die Bibel vorzulesen. Nicht, da&szlig; es unpassend w&auml;re, &mdash;
-denn ich habe es, als ich noch gesund war, selbst gethan;
-aber wenn Du dich erst ordentlich anziehen und in
-Gesellschaft gehen mu&szlig;t, dann hast Du keine Zeit mehr
-dazu. Sieh hier!&laquo; f&uuml;gte sie hinzu, &raquo;diese Juwelen will
-ich Dir schenken, wenn Du gr&ouml;&szlig;er bist. Ich habe sie
-auf meinem ersten Ball getragen. Ich kann Dir sagen,
-Eva, ich machte damals Sensation.&laquo;</p>
-
-<p>Eva nahm den Juwelenkasten, und hob ein diamantenes
-Halsband auf. Ihre gro&szlig;en, sinnenden Augen ruhten
-darauf, aber es war klar, ihre Gedanken waren
-anderswo.</p>
-
-<p>&raquo;Wie gleichg&uuml;ltig Du dabei aussiehst, Kind!&laquo; sagte
-Marie.</p>
-
-<p>&raquo;Sind diese sehr viel Geld werth, Mamma?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gewi&szlig;! Vater lie&szlig; sie mir von Frankreich kommen.
-Sie sind ein kleines Verm&ouml;gen werth.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich w&uuml;nschte, ich h&auml;tte sie,&laquo; sagte Eva, &raquo;um damit
-machen zu k&ouml;nnen, was ich wollte!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was w&uuml;rdest Du denn damit machen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich w&uuml;rde sie verkaufen, und einen Platz in den
-Freistaaten ankaufen, und alle unsere Leute dahin bringen,
-und Lehrer annehmen, um ihnen Lesen und Schreiben
-zu lehren.&laquo;</p>
-
-<p>Eva wurde durch das Lachen ihrer Mutter unterbrochen.</p>
-
-<p>&raquo;Eine Schulanstalt errichten! Wolltest Du ihnen
-nicht auch lehren, auf dem Piano zu spielen und auf
-Sammet zu malen?&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_39">[S. 39]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Ich w&uuml;rde ihnen lehren, ihre Bibel selbst zu lesen,
-und ihre Briefe selbst zu schreiben, und Briefe, die an sie
-geschrieben worden sind, selbst zu lesen,&laquo; sagte Eva ruhig.
-&raquo;Ich wei&szlig;, Mamma, es ist recht schlimm f&uuml;r sie, da&szlig; sie
-so etwas nicht selbst thun k&ouml;nnen. Tom f&uuml;hlt es, &mdash;
-Mammy f&uuml;hlt es, &mdash; und viele Andere f&uuml;hlen es. Ich
-denke, das ist unrecht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O geh, Eva, Du bist nur ein Kind! Du verstehst
-von allen diesen Dingen nichts,&laquo; sagte Marie; &raquo;und &uuml;berdie&szlig;
-macht mir Dein Geschw&auml;tz Kopfschmerzen.&laquo;</p>
-
-<p>Marie hatte stets Kopfschmerzen bei der Hand, sobald
-ihr irgend eine Unterhaltung nicht zusagte.</p>
-
-<p class="pmb3">Eva schlich sich fort; aber von der Zeit an gab sie
-Mammy mit gro&szlig;em Eifer Leseunterricht.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Dreiundzwanzigstes_Kapitel">Dreiundzwanzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Henrique.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Um diese Zeit brachte St. Clare's Bruder, Alfred,
-mit seinem &auml;ltesten Sohne, einem Knaben von etwa zw&ouml;lf
-Jahren, ein paar Tage bei der Familie am See zu.</p>
-
-<p>Es konnte keinen seltsameren und zugleich sch&ouml;neren
-Anblick geben, als diese beiden Zwillingsbr&uuml;der. Die Natur
-hatte, statt zwischen ihnen Aehnlichkeiten zu schaffen,
-sie zu Gegenst&uuml;cken in fast jeder Beziehung gemacht; und
-dennoch vereinigte sie auf geheimni&szlig;volle Weise das Band
-einer mehr als gew&ouml;hnlichen br&uuml;derlichen Zuneigung.</p>
-
-<p>Sie pflegten Arm in Arm die Alleen und G&auml;nge des
-Gartens zu durchschlendern. Augustin, mit seinen blauen
- <span class="pagenum"><a id="Page_40">[S. 40]</a></span>
-Augen, blondem Haar, seiner &auml;therisch biegsamen Figur
-und seinen lebhaften Z&uuml;gen; und Alfred, mit dunklen
-Augen, stolzem r&ouml;mischen Profile, gedrungenem Baue, und
-fester Haltung. Sie schalten fortw&auml;hrend gegenseitig auf
-ihre so verschiedenartigen Ansichten und Gewohnheiten,
-und waren dennoch unzertrennlich in ihrer Gesellschaft;
-kurz, grade ihre Verschiedenheit schien sie an einander zu
-fesseln, wie Attraktion zwischen verschiedenen Polen des
-Magnets.</p>
-
-<p>Henrique, der &auml;lteste Sohn Alfred's, war ein dunkel&auml;ugiger
-Knabe von edlem Aeu&szlig;ern, und voll von Geist
-und Lebhaftigkeit; und schien vom ersten Augenblicke seiner
-Einf&uuml;hrung an von den &auml;therischen Reizen seiner
-Cousine Evangeline vollst&auml;ndig bezaubert worden zu sein.</p>
-
-<p>Eva besa&szlig; ein kleines, schneewei&szlig;es Ponypferd. Es
-war sanft wie eine Wiege, und so ruhig wie seine kleine
-Herrin. Dieses Pferdchen wurde jetzt durch Tom vor die
-Veranda gef&uuml;hrt, w&auml;hrend ein kleiner Mulattenknabe von
-ungef&auml;hr dreizehn Jahren ein kleines, schwarzes, arabisches
-Pferd heranf&uuml;hrte, welches erst k&uuml;rzlich mit bedeutenden
-Unkosten f&uuml;r Henrique importirt worden war.</p>
-
-<p>Henrique empfand einen knabenhaften Stolz auf sein
-neues Besitzthum; und als er sich de&szlig;halb n&auml;herte, und
-die Z&uuml;gel aus der Hand seines kleinen Reitknechts empfing,
-blickte er aufmerksam &uuml;ber das Pferd, und seine Stirne
-wurde finster.</p>
-
-<p>&raquo;Was ist das, Dodo, Du fauler, kleiner Hund! Du
-hast mein Pferd diesen Morgen nicht geputzt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O ja, Master,&laquo; sagte Dodo unterw&uuml;rfig, &raquo;den Staub
-da hat es sich selbst eben angeworfen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Halt Deinen Mund, Du Schlingel!&laquo; rief Henrique
-heftig, seine Reitpeitsche aufhebend. &raquo;Wie kannst Du Dich
-erk&uuml;hnen, zu reden?&laquo;</p>
-
-<p>Der Knabe, ein h&uuml;bsches, hell&auml;ugiges Mulattenkind,
-von Henrique's Gr&ouml;&szlig;e, mit dunklem Lockenhaar um eine
-hohe, k&uuml;hne Stirne, hatte wei&szlig;es Blut in seinen Adern,
- <span class="pagenum"><a id="Page_41">[S. 41]</a></span>
-wie man deutlich aus der pl&ouml;tzlichen R&ouml;the, die seine Wangen
-&uuml;berzog, und dem Funkeln seines Auges erkennen
-konnte, w&auml;hrend er zu sprechen versuchte.</p>
-
-<p>&raquo;Master Henrique! &mdash;&laquo; begann er.</p>
-
-<p>Henrique schlug ihm mit der Reitpeitsche &uuml;ber das
-Gesicht, fa&szlig;te einen seiner Arme, und dr&uuml;ckte ihn nieder
-auf die Kniee, und peitschte ihn dann so lange, bis er
-au&szlig;er Athem war.</p>
-
-<p>&raquo;Da, Du unversch&auml;mter Hund! Willst Du lernen,
-mir nicht zu widersprechen, wenn ich mit Dir rede? F&uuml;hre
-das Pferd zur&uuml;ck, und putze es erst ordentlich. Ich werde
-Dich lehren, was Du zu thun hast!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Junger Master!&laquo; sagte Tom, &raquo;ich denke, was er
-sagen wollte, war, da&szlig; das Pferd sich w&auml;lzte, als er es
-herbrachte vom Stalle, &mdash; es ist so muthig; &mdash; davon
-ist es so schmutzig geworden; das Putzen habe ich mit
-angesehen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Halte Deinen Mund, bis Du gefragt wirst!&laquo; sagte
-Henrique, w&auml;hrend er sich auf dem Absatz umwandte, und
-die Stufen zu Eva hinaufstieg, welche in ihrem Reitkleide
-in der Veranda stand.</p>
-
-<p>&raquo;Liebe Cousine, es thut mir leid, da&szlig; dieser dumme
-Bursche Dich hier so lange aufh&auml;lt,&laquo; sagte er. &raquo;Komm,
-la&szlig; uns hier niedersitzen und warten, bis er die Pferde
-bringt. Aber was ist Dir denn, Cousine? &mdash; Du siehst
-ja so verstimmt aus.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie konntest Du so grausam und so schlecht gegen
-den armen Dodo handeln?&laquo; sagte Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Grausam, &mdash; schlecht?&laquo; sagte der Knabe mit ungek&uuml;nsteltem
-Erstaunen. &raquo;Was meinst Du, liebe Eva?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich will nicht, da&szlig; Du mich liebe Eva nennest,
-wenn Du so handelst,&laquo; entgegnete Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Liebe Cousine, Du kennst den Dodo nicht; es ist
-dies der einzige Weg, um mit ihm fertig zu werden; er
-ist so voll von L&uuml;gen und Entschuldigungen. Man mu&szlig;
- <span class="pagenum"><a id="Page_42">[S. 42]</a></span>
-ihn gleich ganz zum Schweigen bringen, &mdash; ihn gar nicht
-den Mund &ouml;ffnen lassen; so macht es Papa.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber Onkel Tom sagte, es war ein Zufall, und er
-sagt niemals eine Unwahrheit.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Dann ist er ein ganz ungew&ouml;hnlicher alter Neger!&laquo;
-sagte Henrique. &raquo;Dodo l&uuml;gt so schnell, wie er nur sprechen
-kann.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du sch&uuml;chterst ihn so ein, da&szlig; er l&uuml;gt, wenn Du
-ihn so behandelst,&laquo; sagte Eva.</p>
-
-<p>&raquo;In der That, Eva, Du hast eine solche Vorliebe
-f&uuml;r Dodo gefa&szlig;t, da&szlig; ich anfange, eifers&uuml;chtig zu werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber Du schlugst ihn, &mdash; und er hatte es nicht
-verdient.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gut, so mag es f&uuml;r ein andres Mal gelten, wenn
-er's verdient, und nicht bek&ouml;mmt. Ein paar Hiebe thun
-Dodo nie Schaden, &mdash; er ist ein arger Bursche, ich versichere
-Dich; aber ich will ihn nie wieder in Deiner Gegenwart
-z&uuml;chtigen, wenn es Dir unangenehm ist.&laquo;</p>
-
-<p>Eva war nicht zufriedengestellt, aber sah, da&szlig; es vergeblich
-sei, ihre Gef&uuml;hle auszudr&uuml;cken, da der h&uuml;bsche
-Cousin sie nicht verstand.</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, Dodo, dieses Mal hast Du es besser gemacht,&laquo;
-sagte der junge Master mit gn&auml;digerer Miene als vorher.
-&raquo;Komm nun, und halte Mi&szlig; Eva's Pferd, w&auml;hrend ich
-sie in den Sattel hebe.&laquo;</p>
-
-<p>Dodo kam, und stand bei Eva's Pony. Sein Gesicht
-war traurig, und seine Augen verriethen, da&szlig; er
-geweint hatte.</p>
-
-<p>Henrique, der sich etwas auf seine Gewandtheit in
-Allem, was Galanterie betraf, zu gut that, hatte seine
-h&uuml;bsche Cousine sehr bald im Sattel sitzen, und nahm sodann
-die Z&uuml;gel zusammen, um sie in ihre Hand zu legen.
-Allein Eva wendete sich nach der andern Seite zu, wo
-Dodo stand, und sagte, als dieser die Z&uuml;gel fahren lie&szlig;:
-&raquo;So ist's recht, Dodo, &mdash; bist ein guter Junge, ich danke
-Dir!&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_43">[S. 43]</a></span></p>
-
-<p>Dodo blickte erstaunt in das sanfte, jugendliche Gesicht,
-das Blut scho&szlig; ihm in die Wangen, und Thr&auml;nen
-traten in seine Augen.</p>
-
-<p>&raquo;Hier, Dodo,&laquo; rief sein junger Herr befehlend.</p>
-
-<p>Dodo sprang zu ihm und hielt das Pferd, w&auml;hrend
-Letzterer aufstieg.</p>
-
-<p>&raquo;Da ist eine Picayune f&uuml;r Dich, Dodo,&laquo; sagte Henrique,
-&raquo;magst Dir Zuckerwerk daf&uuml;r kaufen.&laquo;</p>
-
-<p>Henrique galloppirte die Allee hinab, hinter Eva her,
-und Dodo blieb stehen, und blickte beiden Kindern nach.
-Das eine hatte ihm Geld gegeben, und das andere, was
-ihm mehr Noth that, &mdash; ein freundliches Wort. Dodo
-war nur erst wenige Monate von seiner Mutter entfernt.
-Sein Herr hatte ihn auf einem Sklavenmarkte seines h&uuml;bschen
-Gesichtes wegen gekauft, um zu dem h&uuml;bschen arabischen
-Pferde zu passen, und er empfing jetzt von den
-H&auml;nden seines jungen Masters die Dressur.</p>
-
-<p>Die Pr&uuml;gelscene war von den beiden Br&uuml;dern St.
-Clare von einem andern Theile des Gartens aus mit
-angesehen worden. Augustins Wange gl&uuml;hte vor Unwillen,
-aber er bemerkte nur mit der ihm eigenth&uuml;mlichen
-sarkastischen Nachl&auml;ssigkeit:</p>
-
-<p>&raquo;Ist das vielleicht, was man republikanische Erziehung
-zu nennen pflegt, Alfred?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Henrique ist ein Teufel von einem Jungen, wenn
-er hitzig ist,&laquo; sagte Alfred nachl&auml;ssig.</p>
-
-<p>&raquo;Ich vermuthe, Du h&auml;ltst dies f&uuml;r eine n&uuml;tzliche
-Uebung f&uuml;r ihn,&laquo; bemerkte Augustin trocken.</p>
-
-<p>&raquo;Ich w&uuml;rde es nicht verhindern k&ouml;nnen, wenn ich's
-auch nicht th&auml;te. Henrique ist ein wahrer, kleiner Sturmwind;
-&mdash; seine Mutter und ich, wir haben ihn l&auml;ngst
-aufgegeben. Aber dieser Dodo ist auch ein hartn&auml;ckiger
-Bursche, &mdash; kein Peitschen kann ihm Schaden thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Und bringt Henrique zugleich den ersten Vers seines
-republikanischen Katechismus bei: &rsaquo;Alle Menschen sind
-frei und gleich geboren!&lsaquo;&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_44">[S. 44]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Puh!&laquo; sagte Alfred, &raquo;das ist eins von Tom Jefferson's
-St&uuml;ckchen von franz&ouml;sischem Sentimentalismus und
-Unsinn. Es ist f&ouml;rmlich l&auml;cherlich, da&szlig; eine solche Idee
-noch jetzt unter uns herumspuckt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich glaube es auch,&laquo; sagte St. Clare bedeutungsvoll.</p>
-
-<p>&raquo;Denn,&laquo; fuhr Alfred fort, &raquo;wir k&ouml;nnen deutlich genug
-sehen, da&szlig; <em class="gesperrt">nicht</em> alle Menschen frei und gleich geboren
-sind; sie sind sehr verschieden geboren. Was mich
-betrifft, so halte ich alles dieses republikanische Geschw&auml;tz
-f&uuml;r nichts als Unsinn. Es sind die Gebildeten, die
-Reichen, welche gleiche Rechte haben sollten, aber nicht
-die <span class="antiqua">canaille</span>.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Du die <span class="antiqua">canaille</span> von dieser Ansicht &uuml;berzeugen
-kannst,&laquo; sagte Augustin. &raquo;In Frankreich sind sie einmal
-auch an der Reihe gewesen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nat&uuml;rlich m&uuml;ssen sie <em class="gesperrt">unter Druck</em> gehalten werden,
-fest und consequent, so, wie ich es thun w&uuml;rde,&laquo;
-sagte Alfred, seinen Fu&szlig; fest niedersetzend, als wenn er
-auf Jemand st&auml;nde.</p>
-
-<p>&raquo;Es verursacht einen f&uuml;rchterlichen Fall, wenn
-sie aufstehen,&laquo; bemerkte Augustin, &mdash; &raquo;zum Beispiel in
-St. Domingo.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Puh!&laquo; entgegnete Alfred, &raquo;daf&uuml;r wollen wir hier
-schon sorgen. Wir m&uuml;ssen uns durchaus allen diesen Geschw&auml;tzen
-von Erziehung und Bildung entgegen stemmen,
-die jetzt &uuml;berall geh&ouml;rt werden. Die untere Klasse mu&szlig;
-keine Erziehung und Bildung haben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Daf&uuml;r m&ouml;chte alles Beten nichts mehr helfen,&laquo; sagte
-Augustin; &raquo;eine Erziehung werden sie erhalten, und wir
-haben nur zu sagen, welche. Unser System ist, sie in
-Rohheit und Unmenschlichkeit zu erziehen. Wir zerrei&szlig;en
-alle menschlichen Bande, und machen sie zu nichts als
-rohen, thierischen Gesch&ouml;pfen; und als solche werden sie
-sich zeigen, wenn sie je die Oberhand gewinnen sollten.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_45">[S. 45]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Sie werden nie die Oberhand gewinnen!&laquo; sagte
-Alfred.</p>
-
-<p>&raquo;Das ist recht,&laquo; entgegnete St. Clare; &raquo;la&szlig; den
-Dampf los, schlie&szlig;e das Sicherheitsventil, setze Dich dabei,
-und sieh zu, wo Du landen wirst.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gut,&laquo; sagte Alfred, &raquo;wir wollen sehen. Ich
-f&uuml;rchte mich nicht, am Sicherheitsventile zu sitzen, so
-lange die Dampfkessel stark sind, und die Maschine in
-Ordnung ist.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Der Adel in Louis <span class="antiqua">XVI.</span> Zeit dachte auch so, und
-Oestreich und Pius <span class="antiqua">IX.</span> denken noch so; und eines sch&ouml;nen
-Morgens k&ouml;nnt Ihr Euch alle vielleicht in der Luft
-begegnen, <em class="gesperrt">wenn die Dampfkessel gesprungen
-sind</em>.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;<span class="antiqua">Dies declarabit</span>,&laquo; sagte Alfred lachend.</p>
-
-<p>&raquo;Ich sage Dir,&laquo; fuhr Augustin fort, &raquo;wenn in unserer
-jetzigen Zeit irgend Etwas mit der Kraft eines g&ouml;ttlichen
-Gesetzes offenbart worden ist, so ist es das, da&szlig;
-die Massen aufstehen, und die unteren Klassen an die
-Stelle der oberen gestellt werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das ist etwas von Deinem rothrepublikanischen
-Unsinn, Augustin! Warum bist Du denn nicht Volksredner
-geworden? &mdash; Du eignest Dich ganz vortrefflich dazu! &mdash;
-Nun, ich hoffe nur, da&szlig; ich todt bin, ehe dieses tausendj&auml;hrige
-Reich Deiner schmutzigen Massen kommt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Schmutzig oder nicht schmutzig, &mdash; sie werden Dich
-beherrschen, wenn ihre Zeit kommt,&laquo; sagte Augustin, &raquo;und
-sie werden grade solche Herrscher sein, als wozu Ihr sie
-macht. Der franz&ouml;sische Adel wollte das Volk als
-&rsaquo;<span class="antiqua">sans culottes</span>&lsaquo; haben, und er bekam &rsaquo;<span class="antiqua">sans culottes</span>&lsaquo;-Herrscher
-in vollem Maa&szlig;e. Das Volk in
-Hayti &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, la&szlig; das, Augustin! &mdash; als wenn wir nicht genug
-von den abscheulichen, ver&auml;chtlichen Haytiern geh&ouml;rt
-h&auml;tten! Sie waren keine Angelsachsen; wenn sie die gewesen
- <span class="pagenum"><a id="Page_46">[S. 46]</a></span>
-w&auml;ren, so w&uuml;rde die Sache eine andre Wendung
-genommen haben. Das Geschlecht der Angelsachsen ist
-das herrschende auf der Erde, und verdient es zu sein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nun, ich glaube, es ist jetzt eine gute Quantit&auml;t
-angels&auml;chsisches Blut unter unseren Sklaven,&laquo; sagte Augustin.
-&raquo;Es giebt Viele unter ihnen, die von dem afrikanischen
-grade nur so viel haben, um unserer berechnenden
-Ruhe und Sicherheit etwas tropische W&auml;rme zu
-verleihen. Wenn jemals die St. Domingo-Stunde hier
-schlagen sollte, so wird das angels&auml;chsische Blut der F&uuml;hrer
-des Tages sein. S&ouml;hne wei&szlig;er V&auml;ter, mit allem
-unserem Stolze in ihren Adern, werden nicht immer gekauft
-und verkauft werden, und Gegenstand des Handels
-sein. Sie werden sich erheben, und das Geschlecht ihrer
-M&uuml;tter zugleich mit.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Unsinn!&laquo; rief Alfred.</p>
-
-<p>&raquo;Gut,&laquo; sagte Augustin, &raquo;es gibt ein altes Sprichwort,
-des Inhalts: &rsaquo;So wie es zur Zeit Noah's war,
-so wird es wieder sein; &mdash; sie a&szlig;en, sie tranken, sie
-pflanzten, sie bauten, und wu&szlig;ten es nicht, bis die Fluth
-kam und sie verschlang.&lsaquo;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Im Ganzen genommen, Augustin, d&auml;chte ich, h&auml;ttest
-Du hinreichendes Talent f&uuml;r einen Kunstreiter,&laquo; sagte
-Alfred lachend. &raquo;Sei Du nur nicht f&uuml;r uns besorgt;
-Besitz ist unsere Festung. Wir haben die Macht; und
-dieses verworfene Geschlecht,&laquo; sagte er, mit dem Fu&szlig;e
-stampfend, &raquo;ist unten, und soll unten bleiben! Wir besitzen
-Energie genug, um unser eignes Pulver richtig
-anzuwenden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;S&ouml;hne, die wie Dein Henrique erzogen sind, werden
-vortreffliche Aufseher unserer Pulvermagazine abgeben,&laquo;
-sagte Augustin, &mdash; &raquo;so ruhig und &uuml;berlegend! Das
-Sprichwort sagt: &rsaquo;Wer sich nicht selbst beherrschen kann,
-ist nicht im Stande, Andere zu beherrschen.&lsaquo;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es ist da allerdings ein Uebelstand,&laquo; sagte Alfred
- <span class="pagenum"><a id="Page_47">[S. 47]</a></span>
-gedankenvoll; &raquo;es l&auml;&szlig;t sich nicht in Abrede stellen, da&szlig;
-unser System nicht sonderlich dazu geeignet ist, Kinder
-zu erziehen. Es l&auml;&szlig;t den Leidenschaften zu gro&szlig;en Spielraum,
-welche in unserem Klima ohnedies schon hei&szlig;
-genug sind. Henrique verursacht mir viel Unruhe. Der
-Knabe ist edelm&uuml;thig, und hat ein warmes Herz, aber
-ist eine wahre Rakete, sobald er sich in Aufregung befindet.
-Ich glaube, ich werde ihn nach Norden senden
-m&uuml;ssen, wo Gehorsam mehr an der Tagesordnung ist,
-und wo seine Gesellschafter mehr seines Gleichen, und
-weniger seine Untergebenen sind.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Da Kindererziehung ein f&uuml;r das menschliche Geschlecht
-so wichtiger Gegenstand ist,&laquo; sagte Augustin, &raquo;so
-sollte ich denken, da&szlig; es einige Betrachtung verdiente,
-weshalb unser System nicht gut ist.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es ist in manchen Beziehungen mangelhaft,&laquo; sagte
-Alfred, &raquo;w&auml;hrend es in andern die besten Erfolge hat.
-Es macht Knaben m&auml;nnlich und muthig, und die Laster
-eines verworfenen Geschlechtes wirken dahin, in ihnen die
-denselben entgegengesetzten Tugenden zu st&auml;rken und zu befestigen.
-Ich glaube zum Beispiel, da&szlig; Henrique um
-so mehr Gef&uuml;hl f&uuml;r die Sch&ouml;nheit der Wahrheit hat,
-als er Lug und Trug stets als Kennzeichen der Sklaverei
-gesehen hat.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das ist eine &auml;cht christliche Anschauung der Sache,
-ohne Zweifel!&laquo; sagte Augustin.</p>
-
-<p>&raquo;Sie ist wahr, ob christlich oder nicht,&laquo; sagte Alfred,
-&raquo;und doch vielleicht eben so christlich, wie viele andre
-Dinge in der Welt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das mag sein,&laquo; entgegnete St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;Unser Gespr&auml;ch f&uuml;hrt zu nichts, Augustin. Ich
-glaube, wir haben diesen Kreislauf bereits f&uuml;nfhundertmal
-gemacht. Was meinst Du zu einer Partie Puff?&laquo;</p>
-
-<p>Die beiden Br&uuml;der sprangen die Stufen der Veranda
-hinauf, und sa&szlig;en bald vor einem leichten Tische
-von Bambus, mit dem Puffbrette zwischen ihnen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_48">[S. 48]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Ich sage Dir, Augustin, wenn ich so d&auml;chte, wie
-Du, so w&uuml;rde ich wenigstens Etwas thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wahrscheinlich, &mdash; denn Du geh&ouml;rst zu der th&auml;tigen
-Klasse von Menschen, &mdash; aber was denn?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich w&uuml;rde meine eigenen Sklaven zum Muster f&uuml;r
-Andere erziehen,&laquo; sagte Alfred mit einem halb h&ouml;hnischen
-L&auml;cheln.</p>
-
-<p>&raquo;Du k&ouml;nntest eben so wohl den Berg Aetna flach
-auf sie stellen, und ihnen hei&szlig;en, darunter aufzustehen,
-wie mir rathen, meine Sklaven unter dieser erdr&uuml;ckenden
-Masse der Gesellschaft zu erziehen. Ein Mann
-allein kann gegen den Strom einer ganzen Commune
-nichts thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du hast den ersten Wurf,&laquo; sagte Alfred, und
-beide Br&uuml;der waren bald in ihr Spiel vertieft, und h&ouml;rten
-nichts mehr, bis der Schall von Pferdehufen unter der
-Veranda erklang.</p>
-
-<p>&raquo;Da kommen die Kinder,&laquo; sagte Augustin, aufstehend.
-&raquo;Sieh' da, Alf, hast Du jemals etwas so
-Sch&ouml;nes gesehen?&laquo;</p>
-
-<p>Und es war in der That ein sch&ouml;ner Anblick. Henrique
-mit seiner hohen, k&uuml;hnen Stirn, seinen dunkelen,
-gl&auml;nzenden Locken, und seiner gl&uuml;henden Wange, lachte
-heiter, w&auml;hrend er sich an seine sch&ouml;ne Cousine wendete,
-und Beide n&auml;her kamen. Eva trug ein blaues Reitkleid,
-mit einer M&uuml;tze von derselben Farbe. Die Bewegung
-hatte ihren Wangen h&ouml;here Farbe verliehen, und lie&szlig; ihre
-wunderbar durchsichtige Haut und ihr goldenes Haar noch
-eindrucksvoller erscheinen.</p>
-
-<p>&raquo;Gott im Himmel! welche blendende Sch&ouml;nheit ist
-das!&laquo; rief Alfred. &raquo;Ich sage Dir, August, &mdash; wird
-sie nicht bald schon Manchem das Herz schwer machen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, nur zu sehr, &mdash; Gott wei&szlig;, ich f&uuml;rchte es!&laquo;
-sagte St. Clare mit pl&ouml;tzlich bitterem Tone, w&auml;hrend er
-hinunter eilte, um sie herabzuheben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_49">[S. 49]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Eva, Liebling! bist Du nicht sehr erm&uuml;det?&laquo; sagte
-er, indem er sie in seine Arme nahm.</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Papa,&laquo; entgegnete sie; allein ihr kurzer,
-scharfer Athem beunruhigte ihren Vater lebhaft.</p>
-
-<p>&raquo;Wie konntest Du so scharf reiten, liebes Kind? &mdash;
-Du wei&szlig;t, es ist Dir so nachtheilig.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich f&uuml;hle mich so wohl, Papa, und es gefiel mir
-so sehr, da&szlig; ich es verga&szlig;.&laquo;</p>
-
-<p>St. Clare trug sie auf seinen Armen in das Zimmer,
-und legte sie auf das Sopha.</p>
-
-<p>&raquo;Henrique, Du mu&szlig;t vorsichtiger mit Eva sein,&laquo;
-sagte er, &raquo;Du mu&szlig;t nicht so scharf mit ihr reiten.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich will sie unter meine Pflege nehmen,&laquo; sagte
-Henrique, setzte sich an das Sopha, und nahm ihre Hand
-in die seinige.</p>
-
-<p>Eva f&uuml;hlte sich bald besser. Ihr Vater und Onkel
-setzten ihr Spiel fort, und die Kinder waren sich selbst
-&uuml;berlassen.</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig;t Du, Eva, es ist recht schade, Papa will nur
-zwei Tage hier bleiben, und dann sehe ich Dich so lange
-nicht wieder. Wenn ich hier bliebe bei Dir, w&uuml;rde ich
-mir rechte M&uuml;he geben, immer gut zu sein, und nie
-Dodo hart zu behandeln. Ich will Dodo nichts B&ouml;ses
-zuf&uuml;gen, aber, siehst Du, ich habe ein so hitziges Temperament.
-Ich bin nicht immer h&auml;&szlig;lich gegen ihn; ich
-gebe ihm manchmal eine Picayune. Ich glaube auch, im
-Ganzen genommen hat es Dodo recht gut.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;W&uuml;rdest Du glauben, da&szlig; Du es gut h&auml;ttest,
-wenn Dir kein Wesen der Welt nahe w&auml;re, das Dich
-liebte?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich? &mdash; nat&uuml;rlich nicht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Und Du hast Dodo von allen den Freunden, die
-er hatte, fortgerissen, und nun hat er Niemanden mehr,
-der ihn lieb hat; &mdash; wer kann unter solchen Umst&auml;nden
-gut sein!&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_50">[S. 50]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Nun, ich kann's nicht &auml;ndern, ich w&uuml;&szlig;te wenigstens
-nicht wie. Ich kann nicht seine Mutter holen, und ich
-kann ihn nicht selbst lieben, oder irgend ein Andrer, so
-viel ich wei&szlig;.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Warum kannst Du nicht?&laquo; fragte Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Dodo lieben? Wie, Eva, das wirst Du doch nicht
-von mir verlangen! Ich kann ihn wohl ganz <em class="gesperrt">gern haben</em>;
-aber Du liebst doch Deine Dienstboten nicht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gewi&szlig; thue ich das.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie sonderbar!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Befiehlt uns die Bibel nicht, alle Menschen zu
-lieben?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, die Bibel! Ja, die sagt wohl viele Sachen;
-aber es denkt wohl Niemand daran, sie zu thun, &mdash; das
-wei&szlig;t Du doch, Eva?&laquo;</p>
-
-<p>Eva antwortete nicht; ihre Augen waren einige Sekunden
-lang starr und sinnend.</p>
-
-<p>&raquo;Auf jeden Fall,&laquo; sagte sie endlich, &raquo;lieber Cousin,
-bitte, habe den armen Dodo lieb, und sei freundlich gegen
-ihn, mir zu Liebe!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Dir zu Liebe k&ouml;nnte ich wer wei&szlig; was lieb haben;
-denn, wahrlich, ich glaube, Du bist das liebensw&uuml;rdigste
-Wesen, das ich je gesehen habe, liebe Cousine!&laquo; sagte
-Henrique mit einem solchen Ernste und Eifer, da&szlig; sein
-h&uuml;bsches Gesicht gl&uuml;hte.</p>
-
-<p>Eva empfing diese Erkl&auml;rung mit vollst&auml;ndiger Einfalt
-des Herzens, und ohne da&szlig; sich ein Zug ihres
-Gesichtes ver&auml;nderte. Sie sagte nur: &raquo;Das freut
-mich, lieber Henrique! Ich hoffe, Du wirst es nicht vergessen.&laquo;</p>
-
-<p class="pmb3">Der Schall der Mittagsglocke machte hier der Unterhaltung
-ein Ende.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_51">[S. 51]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Vierundzwanzigstes_Kapitel">Vierundzwanzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Vorboten.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Zwei Tage sp&auml;ter reiste Alfred St. Clare mit seinem
-Sohne wieder ab, und Eva, die durch die Gesellschaft
-ihres jungen Cousin zu Anstrengungen veranla&szlig;t
-worden war, welche ihre Kr&auml;fte &uuml;berstiegen, begann von
-nun an schw&auml;cher und schw&auml;cher zu werden. St. Clare
-verstand sich endlich dazu, &auml;rztliche H&uuml;lfe in Anspruch zu
-nehmen, wovor er sich bisher immer de&szlig;halb gescheut
-hatte, weil es das Zugest&auml;ndni&szlig; einer traurigen Wahrheit
-enthielt. Allein Eva f&uuml;hlte sich einige Tage lang so
-krank, da&szlig; sie selbst das Haus nicht mehr verlassen konnte,
-&mdash; und so wurde der Arzt gerufen.</p>
-
-<p>Marie St. Clare hatte das allm&auml;hlige Abnehmen
-der Gesundheit und der Kr&auml;fte des Kindes nicht beachtet,
-weil ihre ganze Aufmerksamkeit sich darauf gerichtet
-hatte, zwei oder drei neue Krankheitsarten zu studiren,
-deren Opfer sie selbst zu sein glaubte. Es war Mariens
-erster und unumst&ouml;&szlig;licher Glaubensartikel, da&szlig; Niemand
-so viel leide und leiden k&ouml;nne, wie sie selbst; und aus
-diesem Grunde wies sie stets alle Andeutungen, da&szlig; irgend
-Jemand ihrer Umgebung krank sein k&ouml;nne, mit Unwillen
-zur&uuml;ck. Sie war in solchem Falle stets dessen
-gewi&szlig;, da&szlig; es nur Tr&auml;gheit oder Mangel an Energie
-sein k&ouml;nne, woran Jene litten, und da&szlig; sie, wenn sie ein
-Leiden wie das ihrige zu tragen h&auml;tten, sehr bald den
-Unterschied erkennen w&uuml;rden.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia hatte mehrmals versucht, ihre m&uuml;tterliche
-Besorgni&szlig; f&uuml;r Eva zu erwecken; aber vergeblich.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_52">[S. 52]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Ich sehe nicht, was dem Kinde fehlen soll,&laquo; pflegte
-sie zu sagen, &raquo;sie l&auml;uft ja umher und spielt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber sie hat den Husten.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Husten! &mdash; Sie brauchen mir nicht zu sagen, was
-Husten ist. Ich habe am Husten gelitten, so lange ich
-lebe. Als ich in Eva's Alter war, dachten Alle, ich
-h&auml;tte die Auszehrung. Nacht f&uuml;r Nacht mu&szlig;te Mammy
-bei mir wachen. O! Eva's Husten ist gar nichts.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber sie wird immer schw&auml;cher, und ihr Athem
-immer k&uuml;rzer.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mein Gott! Das habe ich jahrelang gehabt; 's ist
-nichts als etwas Nervenschw&auml;che.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber sie hat des Nachts auch so starken Schwei&szlig;.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So, &mdash; habe ich denn den nicht schon seit zehn
-Jahren? Fast Nacht f&uuml;r Nacht ist meine W&auml;sche zum
-Ausringen na&szlig;, und das Bettzeug so feucht, da&szlig; Mammy
-es aufh&auml;ngen mu&szlig;, um es zu trocknen! Eva's
-Schwei&szlig; ist doch damit nicht zu vergleichen!&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia sagte eine Zeit lang gar nichts mehr,
-allein, als Eva endlich bettl&auml;gerig geworden und ein
-Arzt herbeigerufen worden war, nahm Marie pl&ouml;tzlich
-eine andere Wendung.</p>
-
-<p>&raquo;Sie habe es gewu&szlig;t,&laquo; sagte sie, &raquo;sie habe es immer
-gef&uuml;hlt, da&szlig; sie bestimmt sei, die ungl&uuml;cklichste aller
-M&uuml;tter zu sein. Da liege sie nun mit ihrer leidenden
-Gesundheit, und m&uuml;sse ihr einziges Kind, ihren Liebling
-vor ihren Augen zu Grabe gehen sehen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Meine liebe Marie,&laquo; pflegte dann St. Clare zu
-sagen, &raquo;sprich nicht so! Du solltest an ihrem Zustande
-nicht gleich ganz verzweifeln.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Du hast nicht die Empfindungen einer Mutter,
-St. Clare! Du hast mich nie verstehen k&ouml;nnen! &mdash; und
-jetzt am allerwenigsten!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber sprich doch nur nicht so, als wenn alle Hoffnung
-verloren w&auml;re!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich kann die Sache nicht so leicht nehmen, wie
- <span class="pagenum"><a id="Page_53">[S. 53]</a></span>
-Du, St. Clare. Wenn Du es nicht f&uuml;hlst, wenn Dein
-Kind in einem so hoffnungslosen Zustande ist, &mdash; ich
-f&uuml;hle es! Der Schlag ist f&uuml;r mich zu hart, mit alle
-dem, was ich vorher schon gelitten habe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es ist wahr,&laquo; entgegnete St. Clare, &raquo;da&szlig; Eva
-von Natur sehr schw&auml;chlich ist, und da&szlig; ihre Kr&auml;fte durch
-zu schnelles Wachsen in hohem Grade ersch&ouml;pft sind, und
-da&szlig; ihr Zustand sehr bedenklich ist; allein gerade jetzt ist
-sie nur durch die Hitze der Jahreszeit auf's Bett geworfen
-worden, wozu die Aufregung und die Anstrengungen
-beigetragen haben, die durch den Besuch ihres jungen
-Cousin verursacht worden sind. Der Arzt sagt, es sei
-noch nicht alle Hoffnung verloren.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gut, nat&uuml;rlich, wenn Du die Sache noch aus
-einem g&uuml;nstigen Lichte betrachten kannst, so thue es; &mdash;
-es ist eine Wohlthat in dieser Welt, wenn die Menschen
-keine tiefen Gef&uuml;hle haben. Ich wollte, ich h&auml;tte auch
-keine, denn sie machen mich nur noch elender! &mdash; Ich
-w&uuml;nschte, ich <em class="gesperrt">k&ouml;nnte</em> eben so sorglos dar&uuml;ber sein wie
-Ihr andern alle!&laquo;</p>
-
-<p>Eine oder zwei Wochen sp&auml;ter zeigte sich pl&ouml;tzlich
-eine g&uuml;nstige Ver&auml;nderung der Symptome, &mdash; eine jener
-tr&uuml;gerischen Windstillen, durch die jene unerbittliche
-Krankheit so oft das angstvolle Herz noch am Rande des
-Grabes t&auml;uscht. Eva's Tritt schwebte wieder durch den
-Garten, durch die Balkone, &mdash; sie spielte wieder und
-lachte wieder, und ihr Vater erkl&auml;rte in seinem Entz&uuml;cken,
-da&szlig; sie bald wieder so gesund sein solle, wie je zuvor.
-Nur Mi&szlig; Ophelia und der Arzt sch&ouml;pften keine neuen
-Hoffnungen aus diesem tr&uuml;gerischen Wechsel. Und noch
-ein anderes Herz schlug, das auch dieselbe Gewi&szlig;heit
-in sich f&uuml;hlte, und das war Eva's kleines Herz. Was
-f&uuml;r eine Stimme ist das, die zuweilen im Herzen so
-ruhig, so deutlich spricht, da&szlig; seine irdische Zeit bald
-abgelaufen sei? Ist es der geheime Instinkt der vergehenden
-Natur, oder ist es ein ahnender Herzschlag, wenn
- <span class="pagenum"><a id="Page_54">[S. 54]</a></span>
-die Ewigkeit uns n&auml;her r&uuml;ckt? Was es auch sei, in
-Eva's Herzen war die ruhige, s&uuml;&szlig;e, prophetische Gewi&szlig;heit
-vorhanden, da&szlig; der Himmel ihr nahe sei, und nur
-der Schmerz um diejenigen, die sie so innig liebten, beunruhigte
-ihr kleines Herz. Denn das Kind, obgleich es
-so z&auml;rtlich auferzogen worden war, und obgleich sich das
-Leben vor ihm mit allem Glanze ausbreitete, den Liebe
-und Reichthum gew&auml;hren k&ouml;nnen, empfand dennoch keinen
-Schmerz &uuml;ber sein nahendes Scheiden. In jenem Buche,
-in dem sie mit ihrem schlichten, alten Freunde so viel
-gelesen, hatte sie das Bild Eines gefunden und in ihr
-Herz geschlossen, der das kleine Kind liebte; und w&auml;hrend
-sie sann und an ihn dachte, hatte er aufgeh&ouml;rt, ein
-blo&szlig;es Bild und Gem&auml;lde zu sein, und war eine lebendige,
-Alles umfassende Wirklichkeit geworden. Seine
-Liebe umschlo&szlig; ihr kindliches Herz mit mehr als menschlicher
-Z&auml;rtlichkeit, und zu Ihm, nach Seinem Hause,
-sagte sie, da&szlig; sie gehe.</p>
-
-<p>Aber ihr Herz dachte mit wehm&uuml;thiger Z&auml;rtlichkeit
-an alle diejenigen, die sie zur&uuml;cklassen mu&szlig;te; zun&auml;chst
-an ihren Vater, &mdash; denn, obgleich sie sich dessen nicht
-deutlich bewu&szlig;t war, hatte sie dennoch das instinktm&auml;&szlig;ige
-Gef&uuml;hl, da&szlig; sie seinem Herzen mehr angeh&ouml;re, als irgend
-einem andern. Sie liebte ihre Mutter, weil ihr ganzes
-Wesen Liebe war, und alle die Selbstsucht, die sie an ihr
-wahrnahm, verursachte ihr nur Betr&uuml;bni&szlig; und Verwunderung;
-denn sie hatte das dunkle, kindliche Gef&uuml;hl, da&szlig;
-ihre Mutter nicht unrecht thun k&ouml;nne. Eben so gedachte
-sie mit Liebe jener treuen, anh&auml;nglichen Dienstboten, f&uuml;r
-die sie wie Tageslicht und Sonnenschein gewesen war.
-Kinder generalisiren in der Regel nicht, allein Eva war
-ein ungew&ouml;hnlich reifes Kind, und was sie von den
-Uebeln jenes Systems gesehen hatte, unter dem jene
-Ungl&uuml;cklichen lebten, war eins nach dem andern in die
-Tiefen ihres sinnenden Gem&uuml;thes gesunken. Sie empfand
-ein dunkles Sehnen, irgend etwas f&uuml;r sie zu thun, &mdash;
- <span class="pagenum"><a id="Page_55">[S. 55]</a></span>
-ein Sehnen, das in so grellem Gegensatze zu der Gebrechlichkeit
-ihrer kleinen, k&ouml;rperlichen H&uuml;lle stand.</p>
-
-<p>&raquo;Onkel Tom,&laquo; sagte sie eines Tages, als sie ihm
-vorlas, &mdash; &raquo;ich kann es mir erkl&auml;ren, we&szlig;halb Jesus
-f&uuml;r uns sterben <em class="gesperrt">wollte</em>.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;We&szlig;halb, Mi&szlig; Eva?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Weil ich grade dasselbe Gef&uuml;hl auch habe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Welches Gef&uuml;hl, Mi&szlig; Eva? &mdash; ich verstehe Sie
-nicht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich kann es Dir nicht beschreiben: aber als ich
-jene ungl&uuml;cklichen Wesen auf dem Schiffe sah, &mdash; Du
-wei&szlig;t ja, als wir zusammen hierher fuhren, &mdash; von denen
-einige ihre M&uuml;tter verloren hatten, und andere um
-ihre M&auml;nner, und noch andere um ihre Kinder weinten,
-&mdash; und als ich von der armen Prue h&ouml;rte, &mdash; o, war
-das nicht schrecklich! &mdash; da dachte ich, ich w&uuml;rde gern
-sterben, wenn mein Tod allem diesem Elend ein Ende
-machen k&ouml;nnte. &mdash; Ich w&uuml;rde <em class="gesperrt">gern</em> sterben, gewi&szlig;, Tom,
-wenn ich k&ouml;nnte,&laquo; f&uuml;gte sie lebhafter hinzu, indem sie
-ihre kleine Hand auf die seinige legte.</p>
-
-<p>Tom blickte mit Ehrfurcht auf das Kind, und als
-es auf den Ruf seines Vaters davon eilte, trocknete er
-seine Augen viele, viele Male, w&auml;hrend er ihr nachschaute.</p>
-
-<p>&raquo;'s ist vergeblich, Mi&szlig; Eva hier behalten zu wollen,&laquo;
-sagte er zu Mammy, der er gleich nachher begegnete;
-&mdash; &raquo;sie hat schon das Zeichen des Herrn auf ihrer
-Stirn.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ach, ja, ja,&laquo; sagte Mammy, ihre H&auml;nde aufhebend;
-&mdash; &raquo;habe immer das gesagt. Sie war nie, wie
-ein Kind ist, das leben soll, &mdash; 's war immer so 'was
-Tiefes in ihren Augen. Hab's Missis oft genug gesagt,
-&mdash; 's mu&szlig; wahr werden, &mdash; wir sehen's Alle, &mdash; das
-liebe, kleine Lamm!&laquo;</p>
-
-<p>Eva trippelte die Stufen der Veranda hinauf zu
-ihrem Vater. Es war sp&auml;t am Nachmittage, und die
- <span class="pagenum"><a id="Page_56">[S. 56]</a></span>
-Strahlen der Sonne bildeten eine Art Glorie hinter
-ihr, w&auml;hrend sie sich ihm nahte in ihrer wei&szlig;en Kleidung,
-mit dem goldenen Haar, den gl&uuml;henden Wangen
-und den vom langsamen Fieber, das in ihren Adern
-brannte, unnat&uuml;rlich gl&auml;nzenden Augen.</p>
-
-<p>St. Clare hatte sie gerufen, um ihr eine kleine
-Statue zu zeigen, die er f&uuml;r sie gekauft hatte; aber
-ihre Erscheinung, als sie sich n&auml;herte, ergriff ihn pl&ouml;tzlich
-auf schmerzhafte Weise. Es gibt eine Art hinrei&szlig;ender,
-aber so gebrechlicher Sch&ouml;nheit, da&szlig; wir sie kaum zu
-betrachten verm&ouml;gen. Ihr Vater dr&uuml;ckte sie heftig in
-seine Arme, und verga&szlig; beinahe, was er ihr hatte sagen
-wollen.</p>
-
-<p>&raquo;Eva, mein liebes Kind, Du bist jetzt besser, &mdash;
-nicht wahr?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Papa,&laquo; sagte Eva mit pl&ouml;tzlicher Festigkeit, &mdash;
-&raquo;ich habe Dir Etwas sagen wollen &mdash; schon seit langer
-Zeit. Ich will es Dir jetzt sagen, ehe ich noch schw&auml;cher
-werde.&laquo;</p>
-
-<p>St. Clare zitterte, w&auml;hrend Eva sich auf seinen
-Schoo&szlig; setzte. Sie legte ihren Kopf an seinen Busen
-und sagte:</p>
-
-<p>&raquo;Es n&uuml;tzt nichts, Papa, da&szlig; ich es noch l&auml;nger bei
-mir behalte. Die Zeit naht, wo ich Dich verlassen mu&szlig;.
-Ich gehe und kehre nie wieder!&laquo; sagte sie schluchzend.</p>
-
-<p>&raquo;O nein, meine liebe kleine Eva!&laquo; sagte ihr Vater
-bebend, w&auml;hrend er sprach, aber einen heitern Ton annehmend,
-&raquo;Du bist angegriffen und niedergeschlagen, aber
-Du mu&szlig;t Dich nicht so d&uuml;steren Gedanken hingeben.
-Sieh' hier, ich habe eine kleine Statue f&uuml;r Dich gekauft!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Papa,&laquo; entgegnete Eva, sie sanft bei Seite
-schiebend, &mdash; &raquo;t&auml;usche Dich nicht selbst! Ich bin <em class="gesperrt">nicht</em>
-besser, ich f&uuml;hle das recht wohl, &mdash; und ich gehe bald.
-Ich bin nicht angegriffen, &mdash; ich bin nicht niedergeschlagen.
-Wenn es nicht Deinethalben w&auml;re, Papa, und um
- <span class="pagenum"><a id="Page_57">[S. 57]</a></span>
-meiner Freunde willen, so w&auml;re ich ganz gl&uuml;cklich. Ich
-gehe gern, &mdash; ich sehne mich danach!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie, Kind, was hat denn Dein armes kleines
-Herz so traurig gemacht? Du hast Alles gehabt, was
-m&ouml;glich war, um Dich gl&uuml;cklich zu machen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich m&ouml;chte lieber im Himmel sein, obgleich ich um
-meiner Freunde willen gern lebte. Es gibt hier so viele
-Dinge, die mich traurig machen, die mir schrecklich erscheinen;
-&mdash; de&szlig;halb m&ouml;chte ich lieber dort sein, &mdash; aber
-ich verlasse Dich nicht gern, &mdash; es bricht mir beinahe
-das Herz.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was macht Dich denn so traurig und erscheint Dir
-so schrecklich, Eva?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, Dinge, die immer und immer geschehen. Unsere
-armen Leute thun mir leid; sie haben mich so lieb und
-sind alle so gut gegen mich. Ich w&uuml;nschte, Papa, sie
-w&auml;ren alle <em class="gesperrt">frei</em>.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie, Eva, glaubst Du denn nicht, da&szlig; sie es alle
-gut haben?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber, Papa, wenn Dir irgend etwas zusto&szlig;en
-sollte, was w&uuml;rde dann aus ihnen werden? Es gibt
-wohl wenige Menschen, die so wie Du sind. Onkel
-Alfred ist nicht so und Mamma ist nicht so; und dann
-denke nur einmal an die Herrschaft der armen, alten
-Prue! was f&uuml;r schreckliche Dinge Menschen begehen k&ouml;nnen!&laquo;
-sagte Eva schaudernd.</p>
-
-<p>&raquo;Mein liebes Kind, Du bist zu reizbar. Ich bereue
-es, da&szlig; ich Dich jemals solche Dinge habe h&ouml;ren lassen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, sieh, Papa, das ist's, was mich beunruhigt.
-Du willst, da&szlig; ich gl&uuml;cklich leben und nie Schmerzen, &mdash;
-nie Leiden haben, &mdash; selbst nicht einmal eine traurige
-Geschichte h&ouml;ren soll, w&auml;hrend andere arme Wesen nichts
-als Schmerz und Kummer ihr ganzes Leben lang haben,
-&mdash; ist das nicht selbsts&uuml;chtig? Ich mu&szlig; solche Sachen
-h&ouml;ren und dar&uuml;ber denken! Solche Sachen sanken mir
-immer in's Herz, &mdash; tief, tief, und ich habe dar&uuml;ber
- <span class="pagenum"><a id="Page_58">[S. 58]</a></span>
-gedacht und gedacht. Papa, ist denn gar kein Weg m&ouml;glich,
-um alle Sklaven frei zu machen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das ist eine schwierige Frage, Kind. Ohne Zweifel
-ist ihr jetziges Loos ein sehr trauriges. Viele Menschen
-denken so und ich selbst denke so. Von Herzen w&uuml;nschte
-ich, da&szlig; es im ganzen Lande keinen Sklaven g&auml;be; aber
-ich wei&szlig; nicht, wie das zu erreichen ist.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Papa, Du bist so gut und so edel und so freundlich,
-und wei&szlig;t Alles so h&uuml;bsch zu sagen, &mdash; k&ouml;nntest Du
-denn nicht zu allen Leuten herumgehen, und sie zu &uuml;berreden
-suchen, dieses Unrecht abzustellen? Wenn ich todt
-bin, Papa, dann wirst Du an mich denken, und es um
-meinetwillen thun. Ich w&uuml;rde es selbst thun, wenn ich
-k&ouml;nnte.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Du todt bist, Eva?&laquo; sagte St. Clare
-leidenschaftlich. &raquo;O Kind, sage nicht so etwas zu mir; &mdash;
-Du bist ja mein Alles, was ich auf Erden besitze.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das Kind der armen, alten Prue war auch Alles,
-was sie besa&szlig;, &mdash; und dennoch mu&szlig;te sie es schreien
-h&ouml;ren und durfte ihm nicht helfen! Papa, diese armen
-Wesen lieben ihre Kinder eben so sehr wie Du mich
-liebst. O, thue etwas f&uuml;r sie! Die arme Mammy liebt
-ihre Kinder auch; ich habe gesehen, wie sie weinte, wenn
-sie von ihnen sprach. Und Tom liebt seine Kinder, und
-ist es nicht schrecklich, Papa, da&szlig; solche Dinge immer
-und immerfort geschehen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Still, still, mein Liebling,&laquo; sagte St. Clare beruhigend:
-&raquo;beunruhige Dich nur nicht so sehr, und sprich
-mir nicht von sterben, und ich will Alles thun, was Du
-willst.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Und versprich mir, lieber Vater, da&szlig; Tom seine
-Freiheit haben soll, sobald&laquo; &mdash; sie hielt inne und f&uuml;gte
-zaudernd hinzu &mdash; &raquo;ich nicht mehr da bin!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, mein Kind, ich will Alles &mdash; Alles in der
-Welt thun, um was Du mich bittest.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mein lieber Vater,&laquo; sagte dann das Kind, indem
- <span class="pagenum"><a id="Page_59">[S. 59]</a></span>
-es seine brennende Wange an die seinige legte, &raquo;wie sehr
-w&uuml;nschte ich, da&szlig; wir zusammen gehen k&ouml;nnten!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohin, mein Liebling?&laquo; fragte St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;Nach der Heimath unseres Erl&ouml;sers; &mdash; da ist
-Alles so sch&ouml;n, so friedlich, &mdash; so liebreich!&laquo; Das Kind
-sprach unbewu&szlig;t wie von einem Platze, wo es oft gewesen
-war. &raquo;Willst Du nicht mit gehen, Papa?&laquo; f&uuml;gte
-sie hinzu.</p>
-
-<p>St. Clare dr&uuml;ckte sie fester an sich, aber schwieg.</p>
-
-<p>&raquo;Du wirst zu mir kommen,&laquo; sagte das Kind in
-einem Tone ruhiger Bestimmtheit, in welchem es oft
-unbewu&szlig;t sprach.</p>
-
-<p>&raquo;Ich folge Dir, &mdash; ich werde Dich nicht vergessen.&laquo;</p>
-
-<p class="pmb3">Die Schatten dieses feierlichen Abends legten sich
-dichter und dichter um sie, w&auml;hrend St. Clare schweigend
-da sa&szlig; und die kleine gebrechliche K&ouml;rperform an seinem
-Busen hielt. Er sah nicht mehr die tiefen Augen, aber
-ihre Stimme ber&uuml;hrte ihn wie eine Geisterstimme, und
-sein ganzes vergangenes Leben stieg in einem Augenblick
-vor seinen Augen auf, als sollte dar&uuml;ber Gericht gehalten
-werden: Die Gebete und Hymnen seiner Mutter; sein
-eignes fr&uuml;heres Sehnen und Streben nach dem Guten;
-und zwischen jener Zeit und der gegenw&auml;rtigen Stunde
-Jahre von Weltlichkeit, Ungl&auml;ubigkeit und was die Menschen
-anst&auml;ndiges Leben nennen. Wir k&ouml;nnen <em class="gesperrt">viel</em>, sehr
-viel in einem Augenblicke denken. St. Clare sah und
-dachte viel, aber sagte nichts. Und als es dunkler wurde,
-trug er sein Kind in das Schlafzimmer; und nachdem es
-zur Nachtruhe vorbereitet worden war, sandte er die
-Dienstboten hinweg und wiegte es in seinen Armen, und
-sang es ein, bis es entschlummert war.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_60">[S. 60]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Funfundzwanzigstes_Kapitel">F&uuml;nfundzwanzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Der kleine Evangelist.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Es war Sonntag Nachmittag. St. Clare lag auf
-einem Sitze von Bambusrohr in der Veranda ausgestreckt
-und erg&ouml;tzte sich am Genu&szlig; einer Cigarre. Marie
-lag auf ihrem Sopha, dem Fenster gegen&uuml;ber, welches
-nach der Veranda ging, unter einer Dachung von durchsichtiger
-Gaze gegen die Angriffe der Moskito gesch&uuml;tzt,
-und hielt ein elegant eingebundenes Gebetbuch in der
-Hand. Sie hielt es in der Hand, weil es Sonntag war,
-und bildete sich ein, sie habe darin gelesen, &mdash; obgleich
-sie in Wirklichkeit nur, mit dem offenen Buche in der
-Hand, eine Reihenfolge kurzer Schl&auml;fe durchgemacht
-hatte.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia, die nach l&auml;ngerem Suchen eine kleine
-methodistische Versammlung in der Umgegend entdeckt
-hatte, war mit Tom als Kutscher ausgefahren, um derselben
-beizuwohnen, und Eva hatte sie begleitet.</p>
-
-<p>&raquo;Augustin,&laquo; sagte Marie, von einem Schlummer erwachend,
-&raquo;ich sage Dir, ich mu&szlig; nach der Stadt schicken
-und meinen alten Doctor Posey holen lassen; ich glaube
-gewi&szlig;, ich habe eine Herzkrankheit.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;We&szlig;halb hast Du denn n&ouml;thig, nach ihm zu schicken?
-Der Arzt, welcher Eva behandelt, scheint geschickt und
-erfahren zu sein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich m&ouml;chte mich ihm doch in einem gef&auml;hrlichen
-Falle nicht anvertrauen, und ich f&uuml;rchte, der meinige
-wird ein solcher werden! Ich habe seit zwei, drei N&auml;chten
-dar&uuml;ber nachgedacht. Die Schmerzen, die ich leide,
- <span class="pagenum"><a id="Page_61">[S. 61]</a></span>
-sind unbeschreiblich, und dabei habe ich so sonderbare
-Empfindungen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Marie, Du faselst, &mdash; ich glaube nimmermehr,
-da&szlig; Du eine Herzkrankheit hast.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nat&uuml;rlich, <em class="gesperrt">Du</em> glaubst es nicht,&laquo; entgegnete Marie,
-&raquo;ich konnte mir denken, da&szlig; Du <em class="gesperrt">das</em> sagen w&uuml;rdest. Du
-kannst sehr besorgt sein, wenn Eva ein wenig hustet oder
-ihr sonst das Geringste fehlt! aber an mich denkst Du
-nie.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn es Dir besonderes Vergn&uuml;gen macht, eine
-Herzkrankheit zu haben, gut, so will ich versuchen, es
-steif und fest zu glauben,&laquo; sagte St. Clare; &raquo;ich wu&szlig;te
-nicht, da&szlig; das der Fall war.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich will nur w&uuml;nschen, da&szlig; Dir Dein Spott nicht
-leid thue, wenn es zu sp&auml;t ist,&laquo; sagte Marie, &raquo;aber Du
-magst es glauben oder nicht, meine Angst und Unruhe
-um Eva, und die Anstrengungen, denen ich mich um dieses
-lieben Kindes willen unterzogen, haben jetzt vollst&auml;ndig
-entwickelt, was ich l&auml;ngst gef&uuml;rchtet habe.&laquo;</p>
-
-<p>Worin die Anstrengungen bestanden, deren Marie
-erw&auml;hnte, w&uuml;rde schwer zu bestimmen gewesen sein. St.
-Clare lieferte sich selbst im Stillen diesen Commentar,
-und fuhr in seiner Hartherzigkeit fort zu rauchen, bis
-ein Wagen vor der Veranda erschien, aus welchem Eva
-und Mi&szlig; Ophelia ausstiegen.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia ging geraden Wegs nach ihrem Zimmer,
-um ihren Hut und Shawl abzulegen, was ihre feststehende
-Gewohnheit war, ehe sie ein Wort &uuml;ber irgend
-einen Gegenstand sprach, w&auml;hrend Eva auf St. Clare's
-Ruf zu ihm kam, sich auf sein Knie setzte, und ihm &uuml;ber
-den Gottesdienst, welchem sie beigewohnt hatte, Bericht
-erstattete.</p>
-
-<p>Bald darauf h&ouml;rten sie aus Mi&szlig; Ophelia's Zimmer,
-welches gleichfalls nach der Veranda hinausging, laute
-Ausrufungen erschallen, und heftige Vorw&uuml;rfe, die an
-irgend Jemanden gerichtet wurden.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_62">[S. 62]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Was f&uuml;r neue Teufelsstreiche hat Tops ausgef&uuml;hrt?&laquo;
-fragte St. Clare. &raquo;Diese Scene r&uuml;hrt von ihr
-her, &mdash; ich will darauf wetten!&laquo;</p>
-
-<p>Einen Augenblick sp&auml;ter erschien Mi&szlig; Ophelia in
-h&ouml;chster Aufregung und schleppte die S&uuml;nderin hinter
-sich her.</p>
-
-<p>&raquo;Jetzt komm' hier herein!&laquo; sagte sie. &raquo;Ich will es
-Deinem Herrn sagen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was gibt's denn nun?&laquo; fragte St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;Die Sache ist die, da&szlig; ich mich nicht l&auml;nger mit
-dem Kinde plagen kann. Es geht mit ihr &uuml;ber alle
-Grenzen der Geduld hinaus; Fleisch und Blut kann es
-nicht ertragen! Hier, ich schlo&szlig; sie ein und gab ihr eine
-Hymne zu lernen; und was thut sie statt dessen? &mdash;
-spionirt aus, wo ich meinen Schl&uuml;ssel hingethan habe,
-geht an mein B&uuml;reau, und nimmt einen Hutbesatz heraus,
-und schneidet ihn in St&uuml;cke, um Puppenjacken daraus
-zu machen! Ich habe nie in meinem Leben etwas
-Aehnliches von einem Kinde gesehen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich sagte Ihnen vorher, Cousine,&laquo; bemerkte Marie;
-&raquo;da&szlig; diese Gesch&ouml;pfe nicht ohne Strenge aufgezogen werden
-k&ouml;nnen. Wenn ich jetzt <em class="gesperrt">meinem</em> Willen folgen
-k&ouml;nnte,&laquo; f&uuml;gte sie hinzu, indem sie vorwurfsvoll auf St.
-Clare blickte, &raquo;so w&uuml;rde ich das Kind fortschicken, und
-es gr&uuml;ndlich auspeitschen lassen, &mdash; so lange, bis es
-nicht mehr stehen k&ouml;nnte.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich hege keine Zweifel dar&uuml;ber,&laquo; sagte St. Clare.
-&raquo;Das ist zarte Weiblichkeit! Ich habe in meinem ganzen
-Leben nicht mehr als h&ouml;chstens ein Dutzend Frauenzimmer
-kennen gelernt, die nicht ein Pferd oder einen Sklaven
-halb umbringen w&uuml;rden, wenn sie mit ihnen verfahren
-k&ouml;nnten, wie sie wollten!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Deine nichtssagende Behandlungsweise, St. Clare,
-ist von gar keinem Nutzen,&laquo; erwiederte Marie. &raquo;Cousine
-ist ein verst&auml;ndiges Frauenzimmer, und sieht es jetzt eben
-so deutlich ein, wie ich.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_63">[S. 63]</a></span></p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia konnte genau zu einem solchen Grade
-von Unwillen und Aufregung gebracht werden, der bei
-einer Hausfrau, die ihren Gesch&auml;ften mit Leib und Seele
-vorsteht, nat&uuml;rlich ist, und dieser Grad war durch die
-Arglist und Unart des Kindes vollst&auml;ndig erregt worden;
-allein Mariens Worte gingen noch viel weiter, und d&auml;mpften
-deshalb Ophelias Hitze.</p>
-
-<p>&raquo;Ich m&ouml;chte das Kind um Alles in der Welt nicht
-so behandeln lassen,&laquo; sagte sie; &raquo;aber gewi&szlig; ist, Augustin,
-ich wei&szlig; nicht mehr, was ich mit ihr machen soll. Ich
-habe gelehrt und gelehrt; ich habe ihr Vorstellungen gemacht,
-bis ich des Redens m&uuml;de war; ich habe sie gez&uuml;chtigt,
-ich habe sie gestraft auf jede nur denkbare
-Weise, &mdash; und dennoch ist sie nicht ein Haar breit anders,
-als sie von Anfang an gewesen ist.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Komm' hierher, Tops, Du Affe!&laquo; sagte St. Clare,
-das Kind zu sich rufend.</p>
-
-<p>Topsy n&auml;herte sich ihm. Ihre grellen, runden Augen
-gl&auml;nzten und funkelten von einer Mischung von Furcht
-und ihrer gew&ouml;hnlichen Schalkhaftigkeit.</p>
-
-<p>&raquo;Warum betr&auml;gst Du Dich so?&laquo; sagte St. Clare,
-der sich &uuml;ber den sonderbaren Gesichtsausdruck des Kindes
-kaum des Lachens enthalten konnte.</p>
-
-<p>&raquo;Denke, 's ist mein schlechtes Herz,&laquo; sagte Topsy
-ganz ernsthaft; &raquo;Mi&szlig; Feely sagt so.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Siehst Du nicht, was Mi&szlig; Ophelia alles f&uuml;r Dich
-gethan hat? Sie sagt, sie habe Alles gethan, was sie
-nur habe erdenken k&ouml;nnen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Master! alte Missis sagte auch so. Sie
-peitschte mich ganz anders, und ri&szlig; mein Haar aus, und
-stie&szlig; meinen Kopf gegen die Wand, &mdash; aber 's half
-nichts. Glaube, wenn sie mir auch alle Haare ausrissen,
-'s w&uuml;rde doch nichts helfen; &mdash; bin so schlecht! bin nichts
-als ein Nigger, gar nichts!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, ich mu&szlig; sie aufgeben,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia,
-&raquo;ich kann diese Qual nicht l&auml;nger ertragen.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_64">[S. 64]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Gut, ich wollte nur eine Frage an Dich richten,&laquo;
-sagte St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;Und welche?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Euer Evangelium nicht kr&auml;ftig genug ist,
-ein heidnisches Kind zu erretten, welches Du hier bei
-Dir allein im Hause haben kannst, welchen Nutzen kann
-es dann gew&auml;hren, ein paar arme Mission&auml;re unter Tausende
-von derselben Art und Gattung zu senden?&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; gab keine unmittelbare Antwort hierauf; und
-Eva, welche bisher eine stumme Zuschauerin der Scene
-abgegeben hatte, gab Topsy ein stummes Zeichen, ihr zu
-folgen. In der einen Ecke der Veranda befand sich ein
-kleines Zimmer mit einer Glasth&uuml;re, welches St. Clare
-als Lesezimmer zu benutzen pflegte. Dort hinein verschwanden
-Eva und Topsy.</p>
-
-<p>&raquo;Was hat Eva jetzt vor?&laquo; sagte St. Clare. &raquo;Ich
-will lauschen.&laquo;</p>
-
-<p>Indem er sich auf den Zehen der Glasth&uuml;r n&auml;herte,
-und den Vorhang, welcher sie bedeckte, aufhob, blickte er
-hinein. Im n&auml;chsten Augenblicke machte er, den Finger
-auf die Lippen legend, Mi&szlig; Ophelien ein Zeichen, ihm
-zu folgen und in das Zimmer zu blicken. Dort sa&szlig;en
-die beiden Kinder auf dem Fu&szlig;boden, w&auml;hrend die Seiten
-ihrer Gesichter den Schauenden zugewendet waren:
-Topsy, mit ihrer gew&ouml;hnlichen Miene drolligen, sorglosen
-Muthwillens, und ihr gegen&uuml;ber Eva, gl&uuml;hend im ganzen
-Gesichte von Gef&uuml;hl, und mit Thr&auml;nen in ihren
-gro&szlig;en Augen.</p>
-
-<p>&raquo;Warum bist Du so unartig, Topsy? We&szlig;halb gibst
-Du Dir nicht M&uuml;he, gut zu sein? Hast Du denn Niemanden
-lieb, Topsy?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig; nichts von lieb haben; habe Zuckerbrod und
-so 'was lieb, &mdash; weiter nichts,&laquo; sagte Topsy.</p>
-
-<p>&raquo;Aber Du hast doch Deinen Vater und Deine Mutter
-lieb?&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_65">[S. 65]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Habe nie keine gehabt; &mdash; hab's Ihnen schon gesagt,
-Mi&szlig; Eva.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, ich wei&szlig;,&laquo; entgegnete Eva traurig; &raquo;aber
-hast Du nie einen Bruder oder eine Schwester oder eine
-Tante oder &mdash;?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein, keinen, &mdash; gar keinen, niemals.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber Topsy, wenn Du Dir nur M&uuml;he geben wolltest,
-gut zu sein, so k&ouml;nntest Du &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;K&ouml;nnte doch nie 'was Andres sein als ein Nigger,
-wenn ich auch noch so gut w&auml;re,&laquo; sagte Topsy. &raquo;Wenn
-sie mir die Haut abziehen k&ouml;nnten, und wenn ich wei&szlig;
-werden k&ouml;nnte, dann wollt' ich 's versuchen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber die Menschen k&ouml;nnten Dich ja doch lieb haben,
-wenn Du auch schwarz bist, Topsy. Mi&szlig; Ophelia w&uuml;rde
-Dich lieb haben, wenn Du gut w&auml;rest.&laquo;</p>
-
-<p>Topsy lie&szlig; ein kurzes, grelles Lachen als Antwort
-h&ouml;ren, was ihre gew&ouml;hnliche Mode war, wenn sie Ungl&auml;ubigkeit
-ausdr&uuml;cken wollte.</p>
-
-<p>&raquo;Glaubst Du das nicht?&laquo; fragte Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Nein, sie kann mich nicht leiden, weil ich ein Nigger
-bin! &mdash; sie lie&szlig;e sich eben so gern von einer Kr&ouml;te anfassen!
-Niemand kann Niggers lieb haben, &mdash; Niggers
-k&ouml;nnen gar nichts thun! Mach' mir nichts draus!&laquo; sagte
-Topsy, indem sie anfing zu pfeifen.</p>
-
-<p>&raquo;O Topsy, armes Kind, ich habe Dich lieb!&laquo; sagte
-Eva in einem pl&ouml;tzlichen Ausbruche ihres Gef&uuml;hls, und
-legte ihre kleine, d&uuml;nne Hand auf Topsy's Schulter.
-&raquo;Ich habe Dich lieb, weil Du keinen Vater und keine
-Mutter und Freunde hast, &mdash; weil Du ein armes, mi&szlig;handeltes
-Kind bist! Ich habe Dich lieb, und will gut
-gegen Dich sein. Ich bin recht krank, Topsy, und ich
-glaube ich werde nicht mehr lange leben, und es macht
-mir wirklich Kummer, da&szlig; Du so unartig bist. Ich
-w&uuml;nschte, Du versuchtest es, artig zu sein, mir zu Liebe;
-&mdash; es ist nur noch kurze Zeit, da&szlig; ich bei Dir sein werde.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_66">[S. 66]</a></span></p>
-
-<p>Die runden, scharfen Augen des schwarzen Kindes
-waren von Thr&auml;nen verdunkelt; gro&szlig;e, schwere Tropfen
-rollten nach einander herab, und fielen auf die wei&szlig;e,
-kleine Hand. Ja, in diesem Momente hatte ein Strahl
-wirklichen Glaubens, ein Strahl himmlischer Liebe die
-Dunkelheit ihrer heidnischen Seele durchdrungen! Sie
-legte ihren Kopf zwischen ihre Kniee nieder, und weinte
-und schluchzte, &mdash; w&auml;hrend das sch&ouml;ne Kind, sich &uuml;ber
-sie neigend, wie das Bild eines gl&auml;nzenden Engels erschien,
-der sich herabsenkte, um einen S&uuml;nder zu erl&ouml;sen.</p>
-
-<p>&raquo;Arme Topsy!&laquo; sagte Eva, &raquo;wei&szlig;t Du nicht, da&szlig;
-Jesus alle Menschen gleich liebt? Er ist eben so bereit,
-Dich zu lieben wie mich. Er liebt Dich so wie ich es
-thue, &mdash; nur noch mehr, weil er besser ist. Er wird
-Dir beistehen, gut zu sein: und Du kannst endlich in den
-Himmel gehen, und dort f&uuml;r ewig ein Engel sein, eben
-so gut, als wenn Du wei&szlig; w&auml;rest. O, denke daran,
-Topsy! &mdash; Du kannst einer jener gl&auml;nzenden Engel werden,
-von denen Onkel Tom singt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, liebe Mi&szlig; Eva, liebe Mi&szlig; Eva!&laquo; sagte das
-Kind; &raquo;ich will versuchen, ich will versuchen: &mdash; habe
-fr&uuml;her nie 'was danach gefragt.&laquo;</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke lie&szlig; St. Clare den Vorhang
-fallen. &raquo;Es erinnert mich an meine Mutter,&laquo; sagte er
-zu Mi&szlig; Ophelia. &mdash; &raquo;Es ist wahr, was sie mir sagte:
-wenn wir die Blinden sehend machen wollen, so m&uuml;ssen
-wir bereit sein, so zu handeln, wie Christus handelte, &mdash;
-sie zu uns rufen, und <em class="gesperrt">unsere H&auml;nde auf sie legen</em>.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe immer ein Vorurtheil gegen Neger gehabt,&laquo;
-sagte Mi&szlig; Ophelia; &raquo;es ist wahr, es ist mir
-immer zuwider gewesen, mich von dem Kinde ber&uuml;hren
-zu lassen; allein ich glaubte nicht, da&szlig; Topsy es gewu&szlig;t
-habe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Verla&szlig; Dich darauf, da&szlig; jedes Kind das bald entdeckt,&laquo;
-entgegnete St. Clare, &raquo;es ist unm&ouml;glich, es vor
-ihnen verborgen zu halten. Aber ich glaube auch, da&szlig;
- <span class="pagenum"><a id="Page_67">[S. 67]</a></span>
-alle Bem&uuml;hungen der Welt, einem Kinde wohl zu thun,
-und alle Gunstbezeugungen nie eine Regung von Dankbarkeit
-in ihm erwecken werden, so lange ein derartiges
-Gef&uuml;hl von Abneigung im Herzen vorhanden ist.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; nicht, wie ich das &auml;ndern soll,&laquo; sagte
-Mi&szlig; Ophelia; &raquo;sie <em class="gesperrt">sind</em> mir einmal zuwider &mdash; und
-besonders dieses Kind, &mdash; wie soll ich mich von diesem
-Gef&uuml;hle befreien?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es scheint, Eva thut es.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, sie ist von Natur so liebreich!&laquo; sagte Mi&szlig;
-Ophelia. &raquo;Ich wollte, ich w&auml;re wie sie; sie k&ouml;nnte mir
-zum Muster dienen.&laquo;</p>
-
-<p class="pmb3">&raquo;Es w&auml;re nicht das erste Mal, da&szlig; ein kleines
-Kind einem alten Sch&uuml;ler eine Lehre gegeben hat,&laquo; entgegnete
-St. Clare.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Sechsundzwanzigstes_Kapitel">Sechsundzwanzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Der Tod.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i9">Weint nicht um die, so Grabesschleier</span>
-<span class="i9">Am Lebensmorgen uns verbarg.</span>
-</div></div>
-
-
-<p>Eva's Schlafgemach war ein ger&auml;umiges Zimmer,
-welches, wie fast alle &uuml;brigen Gem&auml;cher des Hauses, sich
-auf die Veranda &ouml;ffnete. Auf der einen Seite stand
-dasselbe mit dem Zimmer ihres Vaters und ihrer Mutter
-in Verbindung, und auf der anderen mit dem, welches
-Mi&szlig; Ophelien &uuml;berwiesen worden war. St. Clare
-hatte seinem eigenen Geschmacke gehuldigt, indem er das
-Zimmer in einer Weise ausm&ouml;blirt und geschm&uuml;ckt hatte,
- <span class="pagenum"><a id="Page_68">[S. 68]</a></span>
-die in seltsamer Harmonie mit dem Charakter derjenigen
-stand, f&uuml;r die es bestimmt war. Vor den Fenstern hingen
-Gardinen von wei&szlig;em und rosafarbenem Mousselin
-herab, und der Fu&szlig;boden war von einem Teppich bedeckt,
-welcher nach einem von St. Clare besonders angegebenen
-Muster in Paris gefertigt worden war, indem ein Kranz
-von Rosenknospen und Bl&auml;ttern die Einfassung bildete,
-und im Mittelpunkte sich mehrere ganz aufgebl&uuml;hte Rosen
-befanden. Die Bettstelle, St&uuml;hle und Sitze waren von
-Bambus nach besonders geschmackvollen Mustern gearbeitet.
-Ueber dem Kopfende des Bettes befand sich an
-der Wand ein Fu&szlig; von Alabaster, aus dem ein sch&ouml;n gemei&szlig;elter
-Engel mit gesenkten Fl&uuml;geln stand, welcher einen
-Myrthenkranz in der Hand hielt. Von demselben
-hingen &uuml;ber dem Bette leichte Vorh&auml;nge von rosafarbener
-Gaze herab, welche den f&uuml;r alle Schl&auml;fer so nothwendigen
-Schutz gegen die Moskito's gew&auml;hrten. Die
-geschmackvollen Bambussitze waren reichlich mit Kissen
-von r&ouml;thlichem Damast versehen, w&auml;hrend &uuml;ber denselben
-&auml;hnliche Vorh&auml;nge wie &uuml;ber dem Bett herabhingen. Ein
-leichter Bambustisch stand in der Mitte des Zimmers,
-aus welchem eine Vase von parischem Marmor in der
-Form einer bl&uuml;henden Lilie stand, die stets mit Blumen
-gef&uuml;llt war. Auf diesem Tische lagen auch Eva's B&uuml;cher
-und kleine Schmucksachen, nebst einem eleganten Schreibzeuge
-von Alabaster, welches ihr Vater f&uuml;r sie angeschafft
-hatte, als er bemerkte, da&szlig; sie sich bem&uuml;hte, sich im
-Schreiben zu verbessern. Auf dem marmornen Kaminsimse
-stand eine sch&ouml;n gearbeitete Statue, welche Jesus
-darstellte, wie er die Kinder zu sich rief, und auf jeder
-Seite derselben befanden sich Marmorvasen, welche Tom
-jeden Morgen mit frischen Blumen zu f&uuml;llen sich zum
-Stolz gereichen lie&szlig;. Zwei oder drei ausgew&auml;hlte Gem&auml;lde
-von Kindern in verschiedenen Stellungen schm&uuml;ckten
-die W&auml;nde. Kurz, wohin das Auge auch blicken
-mochte, &uuml;berall begegneten ihm Bilder der Kindheit, der
- <span class="pagenum"><a id="Page_69">[S. 69]</a></span>
-Sch&ouml;nheit und des Friedens. Eva's kleine Augen &ouml;ffneten
-sich nie dem Morgenlichte, ohne auf etwas zu fallen,
-was in ihrem Herzen sanfte, sch&ouml;ne Gedanken erweckte.</p>
-
-<p>Die tr&uuml;gerische Kraft, welche Eva eine kurze Zeit
-lang aufrecht erhalten hatte, schwand schnell. Seltener
-und immer seltener wurde ihr leichter Fu&szlig;tritt in der
-Veranda geh&ouml;rt, und &ouml;fter und immer &ouml;fter wurde sie
-auf ihren Strohsitzen am offenen Fenster liegend gefunden,
-w&auml;hrend ihre gro&szlig;en, tiefen Augen die steigenden
-und sinkenden Wellen des See's beobachteten.</p>
-
-<p>Es war eines Nachmittags, w&auml;hrend sie sich gerade
-in einer &auml;hnlichen Stellung befand, und ihre durchsichtigen
-kleinen Finger zwischen den Bl&auml;ttern der halbge&ouml;ffneten
-Bibel lagen, als sie pl&ouml;tzlich die Stimme ihrer
-Mutter in scharfen Lauten in der Veranda h&ouml;rte.</p>
-
-<p>&raquo;Was ist dies, Du Nickel? &mdash; Was ist das f&uuml;r ein
-neuer Streich? Du hast hier Blumen abgepfl&uuml;ckt, he?&laquo;
-und Eva h&ouml;rte den Schall eines kr&auml;ftigen Schlages.</p>
-
-<p>&raquo;O Missis, &mdash; sie sind f&uuml;r Mi&szlig; Eva,&laquo; h&ouml;rte sie
-eine Stimme sagen, welche sie als Topsy's erkannte.</p>
-
-<p>&raquo;Mi&szlig; Eva! eine h&uuml;bsche Entschuldigung! &mdash; Du
-meinst, sie brauche <em class="gesperrt">Deine</em> Blumen, Du nichtsn&uuml;tzige
-Nigger! Fort mit Dir!&laquo;</p>
-
-<p>Im Augenblicke war Eva von ihrem Sitze auf und
-in der Veranda.</p>
-
-<p>&raquo;O nein, Mutter! ich m&ouml;chte diese Blumen gern
-haben; bitte, gieb sie mir, &mdash; ich brauche sie.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie, Eva? Dein Zimmer ist ja ganz voll von Blumen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich kann nicht zu viele haben,&laquo; entgegnete Eva.
-&raquo;Topsy, komm, bringe sie mir.&laquo;</p>
-
-<p>Topsy, die m&uuml;rrisch und mit gesenktem Kopfe dagestanden
-hatte, kam jetzt n&auml;her und &uuml;bergab ihre Blumen.
-Sie that es mit scheuer, zaudernder Miene, die
-sehr verschieden von ihrer gew&ouml;hnlichen K&uuml;hnheit und
-Keckheit war.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_70">[S. 70]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Es ist ein sch&ouml;nes Bouquet!&laquo; sagte Eva, es betrachtend.</p>
-
-<p>Es war etwas sonderbarer Art, denn es bestand aus
-gl&auml;nzend scharlachrothem Geranium mit einer einzigen
-wei&szlig;en Japonikablume und ihren gl&auml;nzenden Bl&auml;ttern.
-Der Gegensatz der Farben war augenscheinlich die Idee
-bei der Zusammensetzung des Bouquets gewesen, und
-die Anordnung jedes Blattes war mit besonderer Sorgfalt
-erfolgt.</p>
-
-<p>Topsy's Gesicht kl&auml;rte sich auf als Eva sagte:</p>
-
-<p>&raquo;Topsy, Du kannst h&uuml;bsche Bouquette binden. Sieh,
-hier ist eine Vase, f&uuml;r die ich keine Blumen habe. Ich
-w&uuml;nschte, Du k&ouml;nntest mir jeden Morgen einige Blumen
-daf&uuml;r sammeln.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nun, das ist sonderbar!&laquo; sagte Marie. &raquo;Wozu
-in der Welt, Kind, brauchst Du die nur noch?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, das thut nichts, Mamma; ich wei&szlig;, Du hast
-nichts dagegen, da&szlig; Topsy es thut, &mdash; nicht wahr?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nat&uuml;rlich nicht; Alles was Du willst, mein Kind!
-Topsy, Du h&ouml;rst, was Deine junge Mistre&szlig; sagt; &mdash;
-gieb wohl Acht.&laquo;</p>
-
-<p>Topsy machte eine kurze Verbeugung mit gesenktem
-Kopfe; und als sie sich entfernte, sah Eva eine Thr&auml;ne
-&uuml;ber ihre dunkle Wange rollen.</p>
-
-<p>&raquo;Siehst Du, liebe Mamma, ich wu&szlig;te, da&szlig; die arme
-Topsy gern etwas f&uuml;r mich thun wollte,&laquo; sagte Eva zu
-ihrer Mutter.</p>
-
-<p>&raquo;O Unsinn! sie that's nur, weil sie gern verbotene
-Dinge thut. Sie wei&szlig;, da&szlig; sie keine Blumen abpfl&uuml;cken
-soll, &mdash; also thut sie es; das ist das Ganze. Aber wenn
-Du es gern willst, da&szlig; sie sie pfl&uuml;ckt, so mag sie es
-thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mamma, ich denke, Topsy ist jetzt ganz anders als
-sie fr&uuml;her war; sie giebt sich M&uuml;he, gut zu sein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Da wird sie sich noch lange M&uuml;he geben m&uuml;ssen,
- <span class="pagenum"><a id="Page_71">[S. 71]</a></span>
-ehe sie wirklich gut wird,&laquo; sagte Marie mit gleichg&uuml;ltigem
-Lachen.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber Du wei&szlig;t, Mamma, die arme Topsy! &mdash;
-Alles ist immer gegen sie gewesen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nicht seitdem sie hier gewesen ist. Wenn <em class="gesperrt">ihr</em> nicht
-vorgesprochen und vorgepredigt, und an sie nicht Alles
-gethan worden ist, was Menschen verm&ouml;gen! &mdash; und
-doch ist sie noch gerade eben so h&auml;&szlig;lich, und wird es immer
-sein; &mdash; nein, es l&auml;&szlig;t sich nichts mit dem Gesch&ouml;pfe
-machen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber, Mamma, es ist doch ganz anders, so auferzogen
-worden zu sein, wie ich es bin, mit so vielen
-Freunden, und so vielen Dingen, die mich gut und gl&uuml;cklich
-machen; und dann so aufgebracht worden zu sein,
-wie sie es die ganze Zeit war, ehe sie hieher kam!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Kann sein,&laquo; entgegnete Marie g&auml;hnend, &mdash; &raquo;o, wie
-hei&szlig; es ist!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mamma, nicht wahr, Du glaubst auch, da&szlig; Topsy
-ein Engel werden k&ouml;nnte, so gut wie wir, wenn sie eine
-Christin w&auml;re?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Topsy? was f&uuml;r eine l&auml;cherliche Idee! Niemand
-als Du w&uuml;rde jemals an so etwas denken. Aber es ist
-m&ouml;glich!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber, Mamma, ist denn Gott nicht ihr Vater so
-gut wie der unserige, &mdash; und Jesus ihr Erl&ouml;ser?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, das mag sein. Ich glaube, Gott hat alle
-Menschen geschaffen,&laquo; erwiederte Marie. &raquo;Wo ist mein
-Riechfl&auml;schchen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es ist solch' ein Jammer, &mdash; o! solch' ein Jammer!&laquo;
-sagte Eva, auf den fernen See blickend, und halb
-zu sich selbst redend.</p>
-
-<p>&raquo;Was ist ein Jammer?&laquo; fragte Marie.</p>
-
-<p>&raquo;Da&szlig; ein Wesen, welches ein Engel werden und
-mit Engeln leben k&ouml;nnte, ganz hinab, hinab, hinab gehen
-soll, ohne da&szlig; ihm Jemand hilft! &mdash; o, lieber Gott!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, wir k&ouml;nnen's nicht &auml;ndern, Eva; es n&uuml;tzt
- <span class="pagenum"><a id="Page_72">[S. 72]</a></span>
-nichts, sich darum zu gr&auml;men! Ich wei&szlig; nicht, was zu
-thun ist. Wir m&uuml;ssen nur dankbar sein f&uuml;r die Vortheile,
-die wir genie&szlig;en.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich kann es kaum sein,&laquo; sagte Eva. &raquo;Ich bin so
-traurig, wenn ich an arme Leute denke, die gar keine
-Vortheile genie&szlig;en.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das ist sonderbar genug,&laquo; sagte Marie; &mdash; &raquo;meine
-Religion macht mich dankbar f&uuml;r meine Vorz&uuml;ge.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mamma,&laquo; sagte Eva pl&ouml;tzlich, &raquo;ich m&ouml;chte gern
-etwas von meinem Haar abschneiden lassen, &mdash; recht
-viel.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wozu?&laquo; fragte Marie.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollte es an meine Freunde geben, so lange
-ich noch im Stande bin, es selbst zu thun. Willst Du
-nicht die Tante bitten, da&szlig; sie komme und es f&uuml;r mich
-abschneide?&laquo;</p>
-
-<p>Marie erhob ihre Stimme, um Mi&szlig; Ophelia aus
-dem n&auml;chsten Zimmer zu rufen.</p>
-
-<p>Als Ophelia in das Zimmer trat, erhob sich das
-Kind von seinem Lager, und lie&szlig; seine langen, goldenen
-Locken herabfallen, indem es scherzweise sagte: &raquo;Komm,
-Tante, scheere das Sch&auml;fchen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was ist das?&laquo; fragte St. Clare, der gerade in
-diesem Augenblick in das Zimmer trat und Fr&uuml;chte trug,
-die er besonders f&uuml;r Eva geholt hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Papa, ich wollte gern, da&szlig; Tante von meinem
-Haar etwas abschnitte; es ist zu lang und macht meinen
-Kopf so hei&szlig;. Auch wollte ich gern etwas davon verschenken.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia erschien mit der Scheere.</p>
-
-<p>&raquo;Sieh' Dich vor, &mdash; verdirb die Locken nicht!&laquo;
-sagte der Vater. &raquo;Schneide unterhalb, wo es nicht zu
-sehen ist. Eva's Locken sind mein Stolz.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Papa!&laquo; sagte Eva traurig.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, und ich will, da&szlig; sie in recht h&uuml;bschem Stande
-zu der Zeit bleiben, wo ich mit Dir nach Onkels Plantage
- <span class="pagenum"><a id="Page_73">[S. 73]</a></span>
-reisen will, um Cousin Henrique zu besuchen,&laquo; sagte
-St. Clare in heiterem Tone.</p>
-
-<p>&raquo;Ich werde nie dahin kommen, Papa, &mdash; ich gehe
-in ein besseres Land. O glaube mir! Siehst Du nicht
-Papa, da&szlig; ich jeden Tag schw&auml;cher werde?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Warum bestehst Du darauf, Eva, da&szlig; ich etwas
-so Schreckliches glauben solle?&laquo; sagte der Vater.</p>
-
-<p>&raquo;Nur weil es <em class="gesperrt">wahr</em> ist, Papa; und wenn Du es
-jetzt glauben willst, so wirst Du vielleicht eben so dar&uuml;ber
-empfinden lernen, wie ich,&laquo; entgegnete Eva.</p>
-
-<p>St. Clare schlo&szlig; seine Lippen, und betrachtete tr&uuml;ben
-Blickes die langen sch&ouml;nen Locken, welche, sobald sie
-abgeschnitten waren, in den Schoo&szlig; des Kindes gelegt
-wurden. Sie hob sie auf, betrachtete sie ernsten Blickes,
-und flocht sie durch ihre zarten Finger, und blickte von
-Zeit zu Zeit &auml;ngstlich auf ihren Vater.</p>
-
-<p>&raquo;Es ist gerade das, was ich geahnt habe!&laquo; sagte
-Marie; &raquo;es ist grade das, was Tag f&uuml;r Tag an meiner
-Gesundheit genagt und mich dem Grabe nahe gebracht
-hat, obgleich Niemand es hat beachten wollen. Ich habe
-es lange vorhergesehen. St. Clare, Du wirst bald sehen,
-da&szlig; ich Recht hatte.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was Dir zu gro&szlig;em Troste gereichen wird, ohne
-Zweifel!&laquo; entgegnete St. Clare mit trockenem, bitterem
-Tone.</p>
-
-<p>Marie lag auf einem Kanapee, und bedeckte ihr
-Gesicht mit einem feinen wei&szlig;en Taschentuche.</p>
-
-<p>Eva's klares, blaues Auge blickte ernst vom Vater
-auf die Mutter. Es war der ruhige, verstehende Blick
-einer Seele, die schon halb von ihren irdischen Banden
-gel&ouml;st war, und unverkennbar war es, da&szlig; sie den Unterschied
-zwischen Beiden sah, f&uuml;hlte und w&uuml;rdigte.</p>
-
-<p>Sie winkte ihrem Vater mit der Hand. Er kam
-und setzte sich an ihre Seite.</p>
-
-<p>&raquo;Papa, meine Kraft schwindet t&auml;glich mehr, und ich
-wei&szlig;, ich mu&szlig; fort. Da sind noch manche Dinge, die
- <span class="pagenum"><a id="Page_74">[S. 74]</a></span>
-ich zu sagen und zu thun habe &mdash; die ich thun mu&szlig;,
-und Du willst mich nie &uuml;ber diesen Gegenstand sprechen
-lassen. Aber kommen mu&szlig; es doch; es ist kein Aufschub
-m&ouml;glich. Bitte, la&szlig; mich jetzt reden!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mein Kind, recht gern!&laquo; sagte St. Clare, seine
-Augen mit der einen Hand bedeckend, und Eva's Hand
-in der andern haltend.</p>
-
-<p>&raquo;Dann m&ouml;chte ich alle unsere Leute hier beisammen
-sehen. Ich habe Etwas, was ich ihnen sagen mu&szlig;,&laquo;
-sagte Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Gut,&laquo; erwiederte St. Clare im Tone v&ouml;lliger Ergebung.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia sandte einen Boten ab, und bald darauf
-wurden s&auml;mmtliche Dienstboten in das Zimmer gef&uuml;hrt.</p>
-
-<p>Eva lag ausgestreckt auf ihren Kissen, ihr Haar hing
-unbefestigt um ihr Gesicht, ihre purpurnen Wangen kontrastirten
-auf schmerzliche Weise mit der durchsichtigen
-Wei&szlig;e ihrer Haut und den zarten Linien ihrer Glieder
-und Z&uuml;ge, und ihre gro&szlig;en, seelenvollen Augen richteten
-sich mit ernstem Ausdrucke auf jeden Einzelnen.</p>
-
-<p>Die Dienstboten f&uuml;hlten sich pl&ouml;tzlich ergriffen von
-ihrem Anblicke. Ihr geisterartiges Gesicht, die langen,
-abgeschnittenen Locken auf ihrem Schoo&szlig;e, ihres Vaters
-abgewandtes Gesicht und Marien's Schluchzen machten
-einen pl&ouml;tzlichen Eindruck auf die Gef&uuml;hle dieser leicht
-erregbaren Menschenklasse, und w&auml;hrend sie nach einander
-eintraten, sahen sie sich gegenseitig an, seufzten und
-sch&uuml;ttelten die K&ouml;pfe. Im ganzen Zimmer herrschte eine
-Stille, wie bei einem Begr&auml;bni&szlig;.</p>
-
-<p>Eva richtete sich auf, und blickte lange und ernst
-um sich auf jeden Einzelnen. Alle sahen bange und
-traurig aus, und viele unter den Weibern bargen ihre
-Gesichter in den Sch&uuml;rzen.</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe euch Alle rufen lassen, meine lieben
-Freunde,&laquo; sagte Eva, &raquo;weil ich Euch lieb habe. Ich
- <span class="pagenum"><a id="Page_75">[S. 75]</a></span>
-liebe Euch alle, und ich habe Euch Etwas zu sagen, an
-das Ihr Euch, wie ich w&uuml;nsche, stets erinnern werdet. &mdash;
-Ich mu&szlig; Euch verlassen; &mdash; in wenigen Wochen werdet
-Ihr mich nicht mehr sehen &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>Hier wurde das Kind durch einen allgemeinen Ausbruch
-von Seufzern, St&ouml;hnen und Wehklagen unterbrochen,
-in denen ihre zarte Stimme vollst&auml;ndig verloren
-ging. Sie hielt einen Augenblick inne und fuhr dann in
-einem Tone fort, der das Schluchzen Aller verstummen
-lie&szlig;.</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Ihr mich lieb habt,&laquo; sagte sie, &raquo;so m&uuml;&szlig;t
-Ihr mich nicht auf eine solche Weise unterbrechen. H&ouml;rt,
-was ich Euch zu sagen habe. Ich wollte zu Euch &uuml;ber
-Eure Seelen reden. &mdash; Viele unter Euch, f&uuml;rchte ich,
-sind sehr sorglos. Ihr denkt nur an diese Welt; aber
-ich bitte Euch, daran zu denken, da&szlig; es eine andere,
-sch&ouml;ne Welt gibt, wo Jesus ist. Dahin gehe ich, und
-dahin k&ouml;nnt Ihr gehen. Sie ist f&uuml;r Euch sowohl, wie
-f&uuml;r mich. Aber, wenn Ihr dahin gehen wollt, so m&uuml;&szlig;t
-Ihr nicht ein tr&auml;ges, sorgloses und leichtsinniges Leben
-f&uuml;hren. Ihr m&uuml;&szlig;t Christen sein. Ihr m&uuml;&szlig;t bedenken,
-da&szlig; jeder von Euch ein Engel werden und f&uuml;r ewig
-bleiben kann. Wenn Ihr Christen sein wollt, so wird
-Euch Jesus helfen. Ihr m&uuml;&szlig;t zu ihm beten, Ihr m&uuml;&szlig;t
-lesen &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>Das Kind hielt hier pl&ouml;tzlich inne, blickte mitleidig
-auf die Umstehenden und fuhr dann traurig fort:</p>
-
-<p>&raquo;O, Ihr Armen, Ihr k&ouml;nnt ja nicht lesen, &mdash; arme
-Seelen!&laquo; und sie verbarg ihr Gesicht in den Kissen und
-schluchzte, bis das unterdr&uuml;ckte St&ouml;hnen derjenigen, zu
-denen sie sprach, und die knieend um sie her lagen, sie
-wieder erweckte.</p>
-
-<p>&raquo;Aber fa&szlig;t Muth!&laquo; sagte sie, ihr Gesicht erhebend,
-und durch Thr&auml;nen freundlich l&auml;chelnd, &raquo;ich habe f&uuml;r
-Euch gebetet, und ich wei&szlig;, Jesus wird Euch helfen,
-auch wenn Ihr nicht lesen k&ouml;nnt. Bem&uuml;ht Euch, Alles
- <span class="pagenum"><a id="Page_76">[S. 76]</a></span>
-zu thun, was in Euren Kr&auml;ften steht; betet jeden Tag;
-ruft Ihn an, da&szlig; Er Euch helfe, und la&szlig;t Euch die
-Bibel vorlesen, wo und wann Ihr k&ouml;nnt, und ich hoffe,
-da&szlig; ich Euch dann alle im Himmel sehen werde.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Amen,&laquo; war die leise Antwort von den Lippen
-Tom's und Mammy's, und einiger der Aelteren unter
-ihnen, welche einer methodistischen Kirche angeh&ouml;rten,
-w&auml;hrend die J&uuml;ngeren und Leichtsinnigeren, die f&uuml;r den
-Augenblick vollst&auml;ndig &uuml;berw&auml;ltigt waren, ihre K&ouml;pfe auf
-die Knie niedergelegt hatten und laut schluchzten.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig;,&laquo; sagte Eva, &raquo;Ihr habt mich alle lieb.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, o ja! gewi&szlig;! Gott segne Sie!&laquo; war die
-unwillk&uuml;hrliche Antwort von Allen!</p>
-
-<p>&raquo;Ja, ich wei&szlig; es! Es ist kein Einziger unter Euch,
-der nicht immer liebreich gegen mich gewesen w&auml;re; und
-ich wollte Euch jetzt Etwas geben, was Euch stets an
-mich erinnern wird, wenn Ihr darauf blickt. Ich will
-jedem von Euch eine Locke von meinem Haare geben;
-und wenn Ihr sie betrachtet, so erinnert Euch, da&szlig; ich
-Euch liebte und in den Himmel gegangen bin, und da&szlig;
-ich Euch alle dort zu sehen w&uuml;nsche.&laquo;</p>
-
-<p>Es ist unm&ouml;glich, die Scene zu beschreiben, welche
-sich jetzt entwickelte, wo Alle unter Thr&auml;nen und Schluchzen
-sich um das kleine Wesen sammelten, und aus Eva's
-H&auml;nden das letzte Zeichen ihrer Liebe empfingen. Sie
-fielen auf ihre Kniee und schluchzten und beteten, und
-k&uuml;&szlig;ten den Saum ihres Kleides, w&auml;hrend die Aelteren
-Worte der Liebe, untermischt mit Gebeten und Segensspr&uuml;chen
-auf sie ausstr&ouml;men lie&szlig;en.</p>
-
-<p>So wie Jeder seine Gabe empfing, gab ihm Mi&szlig;
-Ophelia, welche von dieser Aufregung nachtheilige Folgen
-f&uuml;r ihre kleine Kranke f&uuml;rchtete, ein Zeichen, das
-Zimmer zu verlassen. Alle waren fort bis auf Tom und
-Mammy.</p>
-
-<p>&raquo;Hier, Onkel Tom,&laquo; sagte Eva, &raquo;ist eine sch&ouml;ne
-Locke f&uuml;r Dich. O ich bin so gl&uuml;cklich, Onkel Tom,
- <span class="pagenum"><a id="Page_77">[S. 77]</a></span>
-wenn ich daran denke, da&szlig; ich Dich im Himmel sehen
-werde, &mdash; denn ich wei&szlig; es gewi&szlig;; und Mammy, &mdash;
-meine liebe, gute Mammy!&laquo; rief sie, ihre Arme um den
-Hals ihrer alten W&auml;rterin schlingend, &mdash; &raquo;ich wei&szlig;, Du
-wirst auch dort sein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Mi&szlig; Eva! &mdash; wei&szlig; gar nicht, wie ich ohne Sie
-leben kann!&laquo; sagte das treue Gesch&ouml;pf, und verfiel in
-einen leidenschaftlichen Ausbruch von Schmerz.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia dr&auml;ngte sie sanft zur Th&uuml;re hinaus,
-und glaubte, es seien nun Alle fort; allein, als sie sich
-umwandte, stand Topsy noch da.</p>
-
-<p>&raquo;Wo kommst Du her?&laquo; fragte Mi&szlig; Ophelia verwundert.</p>
-
-<p>&raquo;Ich war hier,&laquo; entgegnete Topsy, die Thr&auml;nen aus
-ihren Augen wischend. &raquo;O, Mi&szlig; Eva, ich bin immer ein
-unartiges M&auml;dchen gewesen; aber wollen Sie <em class="gesperrt">mir</em> nicht
-auch eine geben?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, arme Topsy, gewi&szlig; will ich das. Hier &mdash; so
-oft Du sie ansiehst, denke daran, da&szlig; ich Dich lieb hatte
-und w&uuml;nschte, da&szlig; Du ein gutes Kind sein m&ouml;chtest!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Mi&szlig; Eva, ich gebe mir M&uuml;he!&laquo; sagte Topsy
-eifrig; &raquo;aber, o Herr, 's ist so schwer, gut zu sein! &mdash;
-bin gar nicht dran gew&ouml;hnt!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Jesus wei&szlig; das, Topsy; er hat Mitleid mit Dir,
-&mdash; er wird Dir helfen.&laquo;</p>
-
-<p>Topsy wurde hierauf, indem sie ihre Augen in der
-Sch&uuml;rze verbarg, von Mi&szlig; Ophelia schweigend aus dem
-Zimmer gef&uuml;hrt; allein, w&auml;hrend sie hinausging, verbarg
-sie die kostbare Locke in ihrem Busen.</p>
-
-<p>Als Alle fort waren, verschlo&szlig; Mi&szlig; Ophelia die
-Th&uuml;r. Diese gute Dame hatte w&auml;hrend der Scene
-manche Thr&auml;ne aus ihrem eigenen Auge hinweggewischt;
-aber die Besorgni&szlig; wegen der aus einer solchen Aufregung
-f&uuml;r ihren jungen Pflegling m&ouml;glicher Weise entspringenden
-Folgen war &uuml;berwiegend in ihrem Geiste.</p>
-
-<p>St. Clare hatte w&auml;hrend der ganzen Zeit, seine
- <span class="pagenum"><a id="Page_78">[S. 78]</a></span>
-Augen mit der Hand bedeckend, in derselben Stellung
-gesessen. Auch als Alle fort waren, blieb er darin.</p>
-
-<p>&raquo;Papa!&laquo; sagte Eva sanft, ihre Hand auf die seinige
-legend.</p>
-
-<p>Er erschrak und ein Schauer &uuml;berlief ihn, aber er
-gab keine Antwort.</p>
-
-<p>&raquo;Lieber Vater!&laquo; wiederholte Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Ich kann nicht,&laquo; sagte St. Clare aufstehend, &mdash;
-&raquo;ich kann es nicht tragen! Der Allm&auml;chtige ist <em class="gesperrt">sehr hart</em>
-mit mir verfahren!&laquo; und St. Clare legte auf die letzten
-Worte einen besonders bitteren Nachdruck.</p>
-
-<p>&raquo;Augustin! hat Gott nicht ein Recht, zu thun, was
-er will, mit dem, was sein ist?&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Mag sein; aber das macht es nicht leichter f&uuml;r mich
-zu tragen,&laquo; entgegnete er in harter, trockener, thr&auml;nenloser
-Weise, w&auml;hrend er sich abwandte.</p>
-
-<p>&raquo;Papa, Du brichst mein Herz!&laquo; sagte Eva sich aufrichtend
-und sich in seine Arme werfend; &raquo;Du mu&szlig;t
-nicht so denken!&laquo; Und dabei weinte und schluchzte das
-Kind mit einer Heftigkeit, die Alle in Best&uuml;rzung versetzte,
-und den Gedanken ihres Vaters schnell eine andere Richtung
-verlieh.</p>
-
-<p>&raquo;Still, Eva, still! mein liebes Kind! Es w&auml;re unrecht
-von mir, &mdash; recht unrecht! Ich will anders denken,
-&mdash; ich will Alles thun, was Du willst, nur beruhige
-Dich, schluchze nicht so. Ich will ganz gefa&szlig;t sein;
-es war sehr unrecht von mir, so zu sprechen.&laquo;</p>
-
-<p>Bald lag Eva wie eine m&uuml;de Taube in ihres Vaters
-Armen; und er, sich &uuml;ber sie beugend, bem&uuml;hte sich,
-sie durch jedes z&auml;rtliche Wort, das er ersinnen konnte,
-zu beruhigen.</p>
-
-<p>Marie stand auf und ging aus dem Zimmer in ihr
-eigenes, wo sie in hysterische Kr&auml;mpfe verfiel.</p>
-
-<p>&raquo;Du hast mir keine Locke gegeben, Eva,&laquo; sagte ihr
-Vater mit traurigem L&auml;cheln.</p>
-
-<p>&raquo;Sie geh&ouml;ren Dir alle, Papa,&laquo; erwiederte sie l&auml;chelnd,
- <span class="pagenum"><a id="Page_79">[S. 79]</a></span>
-&mdash; &raquo;Dir und Mamma, und Du mu&szlig;t der lieben
-Tante so viele davon geben, als sie haben will. Ich
-gab jene nur den armen Leuten selbst, lieber Papa, weil
-sie m&ouml;chten vergessen worden sein, wenn ich nicht mehr
-da bin, und weil ich hoffte, da&szlig; es sie erinnern m&ouml;chte
-an &mdash; Du bist ein Christ, lieber Vater, nicht wahr?&laquo;
-f&uuml;gte sie dann mit zweifelndem Tone hinzu.</p>
-
-<p>&raquo;Weshalb fragst Du mich?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; nicht. Du bist so gut, Du mu&szlig;t es sein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was hei&szlig;t das, ein Christ sein, Eva?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Christus &uuml;ber Alles lieben,&laquo; entgegnete Eva.</p>
-
-<p>&raquo;Thust Du das, Eva?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gewi&szlig; thue ich das.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du sahst ihn aber nie,&laquo; sagte St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;Das macht keinen Unterschied,&laquo; erwiederte Eva.
-&raquo;Ich glaube an ihn und in wenigen Tagen werde ich
-ihn sehen.&laquo; Und bei diesen Worten begann das jugendliche
-Gesicht vor Freude zu strahlen.</p>
-
-<p>St. Clare antwortete nicht mehr. Es war ein Gef&uuml;hl,
-welches er oft an seiner Mutter wahrgenommen
-hatte, aber wof&uuml;r keine gleichgestimmte Saite in seinem
-Innern vibrirte.</p>
-
-<p>Von dieser Zeit ab wurde Eva zusehends schw&auml;cher.
-Es konnte kein Zweifel mehr &uuml;ber den Ausgang herrschen
-und selbst die k&uuml;hnste Hoffnung konnte sich nicht
-mehr t&auml;uschen. Ihr sch&ouml;nes Zimmer war ein vollst&auml;ndiges
-Krankenzimmer geworden; und Mi&szlig; Ophelia verrichtete
-Tag und Nacht die Gesch&auml;fte einer W&auml;rterin, &mdash; und
-nie hatten ihre Freunde Gelegenheit, ihren Werth mehr
-zu erkennen als in dieser Eigenschaft. Mit so ge&uuml;bter
-Hand und richtigem Auge, mit so vollkommener Gewandtheit
-in der Kunst, Reinlichkeit und Behaglichkeit f&uuml;r die
-Kranke zu bef&ouml;rdern, &mdash; mit so genauer Berechnung der
-Zeit, mit so klarem ruhigem Kopfe, und so gewissenhafter
-Beachtung jeder Vorschrift des Arztes, war sie ihm Alles.
-Diejenigen, welche &uuml;ber ihre kleinen Eigenth&uuml;mlichkeiten,
- <span class="pagenum"><a id="Page_80">[S. 80]</a></span>
-die von der Freiheit der s&uuml;dlichen Sitten so sehr abwichen,
-die Achsel zuckten, mu&szlig;ten anerkennen, da&szlig; sie in
-ihrem gegenw&auml;rtigen Verh&auml;ltni&szlig; gerade die passende Person
-sei.</p>
-
-<p>Onkel Tom hielt sich viel in Eva's Zimmer auf.
-Das Kind litt viel an Ruhelosigkeit, und es gew&auml;hrte
-ihm gro&szlig;e Erleichterung, getragen zu werden. F&uuml;r Tom
-war es daher die gr&ouml;&szlig;te Freude, die kleine zarte Gestalt
-auf seinen Armen, auf einem Kissen ruhend, bald im
-Zimmer auf und ab, bald in der Veranda umherzutragen;
-und wenn die frische Seeluft vom See her wehte,
-und Eva sich am Morgen wohler f&uuml;hlte, so pflegte er
-unter den Orangenb&auml;umen des Gartens mit ihr umher
-zu wandeln, oder sich auf einen ihrer alten Sitze niederzulassen
-und ihr ihre Lieblingshymnen vorzusingen.</p>
-
-<p>Ihr Vater that &ouml;fters dasselbe; aber sein K&ouml;rper
-war weniger kr&auml;ftig, und wenn er m&uuml;de war, pflegte
-Eva zu ihm zu sagen:</p>
-
-<p>&raquo;O Papa, la&szlig; Tom mich tragen. Der arme Mensch,
-&mdash; er thut es so gern; Du wei&szlig;t, es ist Alles, was er
-thun kann, und er m&ouml;chte gern Etwas thun!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Dasselbe ist mit mir der Fall, Eva!&laquo; sagte der
-Vater.</p>
-
-<p>&raquo;O Papa, Du kannst Alles thun, und bist mir
-Alles. Du liesest mir vor, &mdash; Du wachst bei mir des
-Nachts &mdash; und Tom hat nur dieses Eine und sein Singen;
-und dann wei&szlig; ich auch, da&szlig; es ihm leichter wird
-als Dir. Er tr&auml;gt mich so fest und sicher!&laquo;</p>
-
-<p>Der Wunsch, Etwas f&uuml;r Eva zu thun, beschr&auml;nkte
-sich nicht auf Tom. Jeder Dienstbote des Hauses verrieth
-dasselbe Gef&uuml;hl und that nach seiner Weise und
-seinen Kr&auml;ften, was er konnte.</p>
-
-<p>Die arme Mammy sehnte sich nach dem Lieblinge,
-aber fand weder bei Tage noch bei Nacht Gelegenheit,
-da Marie erkl&auml;rte, da&szlig; ihr Geisteszustand ihr keine Ruhe
-lasse, weshalb es nat&uuml;rlich gegen ihre Grunds&auml;tze war,
- <span class="pagenum"><a id="Page_81">[S. 81]</a></span>
-irgend einem Andern Ruhe zu lassen. Zwanzigmal in
-der Nacht wurde Mammy gerufen, um ihre F&uuml;&szlig;e zu
-reiben, ihren Kopf zu waschen, ihr Taschentuch zu suchen,
-oder nachzufragen, was das Ger&auml;usch in Eva's Zimmer
-zu bedeuten habe, die Fenstervorh&auml;nge herunterzulassen,
-weil es zu hell sei, oder hinaufzuziehen, weil es zu dunkel
-sei; und bei Tage, wenn sie sich danach sehnte, an der
-Wartung ihres Lieblings Theil zu nehmen, schien Marie
-ganz besonders erfinderisch zu sein, um sie &uuml;berall im
-Hause oder um ihre Person zu besch&auml;ftigen, so da&szlig; sie
-nichts als kurze Blicke oder verstohlene Besuche erlangen
-konnte.</p>
-
-<p>&raquo;Ich halte es f&uuml;r meine Pflicht, jetzt besonders
-sorgsam f&uuml;r mich zu sein,&laquo; pflegte sie zu sagen, &mdash;
-&raquo;schwach wie ich bin, und mit der ganzen Sorge der
-Wartung und Pflege des lieben Kindes auf mir.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;In der That, meine Liebe?&laquo; antwortete St. Clare.
-&raquo;Ich dachte, unsere Cousine Ophelia n&auml;hme Dir diese
-Sorge ab.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du sprichst wie ein Mann, St. Clare, &mdash; als ob
-eine Mutter sich die Sorge um ein Kind in einem solchen
-Zustande abnehmen lassen <em class="gesperrt">k&ouml;nnte</em>. Aber es ist Alles
-gleich, &mdash; Niemand wei&szlig;, was ich f&uuml;hle! Ich kann die
-Sachen nicht so leicht nehmen.&laquo;</p>
-
-<p>St. Clare l&auml;chelte. Du mu&szlig;t ihn entschuldigen,
-lieber Leser, er konnte nicht anders, &mdash; St. Clare konnte
-noch l&auml;cheln; denn so hell und ruhig war die Abschiedsfahrt
-des kleinen Geistes, &mdash; von so sanften, balsamischen
-L&uuml;ften wurde der kleine Nachen den himmlischen Ufern
-zugetrieben, da&szlig; es unm&ouml;glich war, zu erkennen, da&szlig; es
-der Tod sei, der sich nahe. Das Kind empfand keinen
-Schmerz, &mdash; nur eine ruhige, sanfte Schw&auml;che, die t&auml;glich
-und fast unmerklich zunahm; und so sch&ouml;n, so liebreich,
-so vertrauensvoll, so gl&uuml;cklich war es dabei, da&szlig;
-Niemand dem bes&auml;nftigenden Einflusse der Unschuld und
- <span class="pagenum"><a id="Page_82">[S. 82]</a></span>
-Friede athmenden Luft widerstehen konnte, welche das
-Kind zu umgeben schien. Auch St. Clare f&uuml;hlte eine
-sonderbare Ruhe auf sich niedersinken. Es war nicht
-Hoffnung, &mdash; die war unm&ouml;glich; es war nicht Resignation;
-es war nur ein ruhiges Weilen in der Gegenwart,
-die so sch&ouml;n erschien, da&szlig; er nicht an die Zukunft denken
-mochte.</p>
-
-<p>Der Freund, welcher am meisten von Eva's Vorstellungen
-und Ahnungen wu&szlig;te, war ihr treuer Tr&auml;ger, Tom.
-Ihm theilte sie mit, womit sie ihren Vater nicht beunruhigen
-wollte. Ihm vertraute sie jene geheimnisvollen Vorgef&uuml;hle,
-welche die Seele empfindet, wenn ihre Saiten sich
-zu l&ouml;sen beginnen und sie ihre irdische H&uuml;lle verlassen will.</p>
-
-<p>Tom wollte endlich nicht mehr in seinem Zimmer
-schlafen, sondern lag jede Nacht in der &auml;u&szlig;eren Veranda,
-bereit f&uuml;r jeden Ruf.</p>
-
-<p>&raquo;Onkel Tom,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia, &raquo;was in der
-Welt ist Dir eingefallen, da&szlig; Du &uuml;berall liegst und
-schl&auml;fst wie ein Hund. Ich dachte, Du w&auml;rest ein ordentlicher
-Mensch, der gewohnt w&auml;re, in christlicher Weise
-in einem Bette zu schlafen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das bin ich, Mi&szlig; Feely,&laquo; sagte Tom geheimni&szlig;voll.
-&raquo;Das bin ich, aber jetzt &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nun, was jetzt?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wir m&uuml;ssen nicht so laut sprechen, &mdash; Master St.
-Clare will nichts davon h&ouml;ren; aber, Mi&szlig; Feely, Sie
-wissen, es mu&szlig; Einer auf den Br&auml;utigam warten.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was meinst Du, Tom?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sie wissen, es hei&szlig;t in der Schrift: &raquo;Zur Mitternacht
-aber ward ein Geschrei: siehe, der Br&auml;utigam
-kommt.&laquo; Das ist's, was ich jetzt erwarte, Mi&szlig; Feely,
-&mdash; und ich konnte nicht schlafen, wo ich nicht h&ouml;re.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie, Onkel Tom, wie kommst Du auf diesen Gedanken?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mi&szlig; Eva, &mdash; sie spricht mit mir. Der Herr sendet
-seinen Boten in die Seele. Ich mu&szlig; dabei sein,
- <span class="pagenum"><a id="Page_83">[S. 83]</a></span>
-Mi&szlig; Feely; denn wenn das Segenskind in das Himmelreich
-geht, wird sich das Thor so weit &ouml;ffnen, da&szlig;
-wir alle einen Blick in seine Glorie hineinthun k&ouml;nnen,
-Mi&szlig; Feely.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Onkel Tom! sagte Mi&szlig; Eva, da&szlig; sie sich heute
-Abend kr&auml;nker als gew&ouml;hnlich f&uuml;hle?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein, aber sie sagte mir diesen Morgen, da&szlig; sie
-n&auml;her k&auml;me, &mdash; jene da oben sind es, die es dem Kinde
-sagen, Mi&szlig; Feely, &mdash; die Engel sind's! &mdash; Es ist der
-Trompetenschall vor dem Anbruch des Tages!&laquo; sagte
-Tom, sich der Worte einer Lieblingshymne bedienend.</p>
-
-<p>Dieses Zwiegespr&auml;ch fand zwischen Mi&szlig; Ophelia und
-Tom eines Abends zwischen zehn und elf Uhr Statt,
-nachdem sie bereits alle ihre Anordnungen f&uuml;r die Nacht
-getroffen hatte, und sie, als sie die &auml;u&szlig;ere Th&uuml;r der
-Veranda schlie&szlig;en wollte, Tom vor derselben ausgestreckt
-liegend fand. Sie war weder nervenschwach, noch leicht
-erregbar, allein Tom's feierlicher, aus dem Herzen kommender
-Ton fiel Ophelien auf. Eva war an diesem
-Tage besonders munter und heiter gewesen, und hatte
-aufrecht in ihrem Bett gesessen, und &uuml;ber alle ihre kleinen
-Schmucksachen geblickt und die Freunde namhaft gemacht,
-denen sie gegeben werden sollten. Ihr ganzes
-Wesen war lebhafter und ihre Stimme nat&uuml;rlicher gewesen
-als seit vielen Wochen. Ihr Vater war gegen
-Abend in ihrem Zimmer gewesen und hatte gesagt, da&szlig;
-Eva ihm ihren fr&uuml;heren gesunden Tagen &auml;hnlicher erschienen
-w&auml;re, als je in ihrer Krankheit, und als er sie
-zum Abschiede f&uuml;r die Nacht gek&uuml;&szlig;t, hatte er zu Mi&szlig;
-Ophelien gesagt: &raquo;Cousine, wir k&ouml;nnen sie vielleicht dennoch
-behalten, sie ist entschieden besser,&laquo; und hatte sich
-sodann mit leichterem Herzen in sein Zimmer zur&uuml;ckgezogen,
-als manche lange Woche zuvor.</p>
-
-<p>Aber um Mitternacht, &mdash; seltsame, geheimni&szlig;volle
-Stunde! &mdash; wenn der Schleier zwischen der gebrechlichen
- <span class="pagenum"><a id="Page_84">[S. 84]</a></span>
-Gegenwart und der ewigen Zukunft durchsichtiger wird,
-&mdash; dann kam der Bote!</p>
-
-<p>Ein Ger&auml;usch wurde h&ouml;rbar in jenem Zimmer von
-schnellen, eiligen Schritten. Es war Mi&szlig; Ophelia, welche
-beschlossen hatte, die ganze Nacht bei ihrem kleinen Pflegling
-zu wachen, und um Mitternacht Etwas bemerkt
-hatte, was erfahrene W&auml;rterinnen bedeutungsvoll &raquo;eine
-Ver&auml;nderung&laquo; zu nennen pflegen. Die &auml;u&szlig;ere Th&uuml;r wurde
-schnell ge&ouml;ffnet, und Tom, der au&szlig;erhalb wachte, war
-im Augenblick bei der Hand.</p>
-
-<p>&raquo;Geh' zum Arzte, Tom! verliere keinen Augenblick!&laquo;
-sagte Mi&szlig; Ophelia, und eilte durch das Zimmer, um
-an St. Clare's Th&uuml;r zu pochen.</p>
-
-<p>&raquo;Cousin,&laquo; rief sie, &raquo;bitte, komm heraus!&laquo;</p>
-
-<p>Diese Worte fielen auf sein Herz wie Sandschollen
-auf einen Sarg. Im Augenblicke war er im Zimmer
-und beugte sich &uuml;ber Eva nieder, die noch schlief.</p>
-
-<p>Was war es, was er dort sah und sein Herz stocken
-lie&szlig;? Weshalb wurde kein Wort zwischen Beiden gesprochen?
-Du, liebe Leserin, wei&szlig;t es vielleicht, die Du
-denselben Ausdruck auf dem Gesichte dessen gesehen hast,
-was Dir am theuersten war, &mdash; jenen unbeschreiblichen,
-hoffnungslosen, unverkennbaren Zug, der Dir sagt, da&szlig;
-Dein Geliebtes nicht mehr Dein ist.</p>
-
-<p>Gleichwohl zeigte sich auf dem Gesichte nichts Geisterhaftes,
-Todten&auml;hnliches, sondern nur ein hoher, beinahe
-erhabener Ausdruck, &mdash; die &uuml;berschattende Gegenwart
-geistiger Naturen, der Tagesanbruch eines unsterblichen
-Lebens in dieser kindlichen Seele.</p>
-
-<p>St. Clare und Ophelia standen so still und betrachteten
-das Kind so schweigend, da&szlig; selbst der Pendelschlag
-der Uhr zu laut zu sein schien. In wenigen
-Minuten kehrte Tom mit dem Arzte zur&uuml;ck. Letzterer
-trat ein, warf einen Blick auf das Kind, und blieb
-schweigend wie die Uebrigen stehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_85">[S. 85]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Wann trat diese Ver&auml;nderung ein?&laquo; sagte er fl&uuml;sternd
-zu Ophelien.</p>
-
-<p>&raquo;Ungef&auml;hr um Mitternacht,&laquo; war die Antwort.</p>
-
-<p>Jetzt erschien aus dem n&auml;chsten Zimmer Marie in
-gr&ouml;&szlig;ter Eile, die durch die Ankunft des Arztes erweckt
-worden war.</p>
-
-<p>&raquo;Augustin! Cousine! &mdash; O! &mdash; was&laquo; &mdash; begann sie
-in hastigem Tone.</p>
-
-<p>&raquo;Still!&laquo; sagte St. Clare mit rauher Stimme, &mdash;
-&raquo;<em class="gesperrt">sie stirbt!</em>&laquo;</p>
-
-<p>Mammy hatte diese Worte geh&ouml;rt und eilte davon,
-um die Dienstboten zu erwecken. Das ganze Haus war
-bald munter, &mdash; Lichter wurden gesehen, Fu&szlig;tritte geh&ouml;rt,
-&auml;ngstliche Gesichter dr&auml;ngten sich in die Veranda,
-und blickten mit thr&auml;nenvollen Augen durch die Glasth&uuml;ren;
-aber St. Clare h&ouml;rte und sah nichts, &mdash; er sah
-nur <em class="gesperrt">den Ausdruck</em> im Gesichte der kleinen Schl&auml;ferin.</p>
-
-<p>&raquo;O, wenn sie nur noch einmal aufwachen und sprechen
-wollte!&laquo; sagte er, und sich &uuml;ber sie niederbeugend, fl&uuml;sterte
-er in ihr Ohr: &raquo;Eva, Liebling!&laquo;</p>
-
-<p>Die gro&szlig;en blauen Augen &ouml;ffneten sich, &mdash; ein L&auml;cheln
-flog &uuml;ber ihr Gesicht, &mdash; sie versuchte ihren Kopf zu
-erheben und zu sprechen.</p>
-
-<p>&raquo;Kennst Du mich, Eva?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Lieber Vater!&laquo; sagte das Kind, mit letzter Anstrengung
-seine Arme um den Hals des Vaters schlingend.
-Im n&auml;chsten Augenblicke fielen sie wieder nieder und
-als St. Clare seinen Kopf erhob, sah er einen Todeskrampf
-&uuml;ber das Gesicht ziehen; &mdash; das Kind suchte
-angstvoll nach Athem, und warf seine kleinen H&auml;nde
-empor.</p>
-
-<p>&raquo;O Gott, das ist schrecklich!&laquo; rief er, sich im tiefsten
-Schmerze abwendend und Tom's Hand dr&uuml;ckend, ohne
-zu wissen, was er that. &raquo;O Tom, es bringt mich um!&laquo;</p>
-
-<p>Tom hielt die Hand seines Herrn zwischen den
-seinigen, und w&auml;hrend die Thr&auml;nen &uuml;ber seine dunklen
- <span class="pagenum"><a id="Page_86">[S. 86]</a></span>
-Wangen str&ouml;mten, schaute er nach H&uuml;lfe da hinauf, wohin
-er immer gewohnt gewesen war, zu blicken.</p>
-
-<p>&raquo;Bete, da&szlig; dies bald enden m&ouml;ge!&laquo; sagte St.
-Clare, &mdash; &raquo;es zerrei&szlig;t mir das Herz.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Der Herr sei gepriesen! es ist vor&uuml;ber, &mdash; es ist
-vorbei, lieber Master!&laquo; sagte Tom; &mdash; &raquo;sehen Sie sie an.&laquo;</p>
-
-<p>Das Kind lag ersch&ouml;pft und schwer athmend auf
-seinen Kissen, w&auml;hrend die gro&szlig;en klaren Augen weit
-offen vor sich hinstarrten. Was sagten diese Augen, die
-sich so gerade auf den Himmel richteten? Die Erde und
-irdischer Schmerz war zur&uuml;ckgelassen; aber so feierlich,
-so geheimni&szlig;voll war die triumphirende Klarheit dieses
-Gesichts, da&szlig; selbst das Schluchzen des Schmerzes verstummte.
-Alle dr&auml;ngten sich in athemloser Stille um
-sie her.</p>
-
-<p>&raquo;Eva,&laquo; sagte St. Clare sanft.</p>
-
-<p>Sie h&ouml;rte nicht.</p>
-
-<p>&raquo;O Eva, sage uns, was Du siehst! Was ist es?&laquo;
-sagte der Vater.</p>
-
-<p>Ein sanftes, seliges L&auml;cheln schwebte &uuml;ber ihr Gesicht,
-und sie antwortete in gebrochenen T&ouml;nen: &raquo;O!
-Liebe, &mdash; Freude, &mdash; Friede!&laquo; seufzte tief auf, und
-ging vom Leben zum Tode &uuml;ber.</p>
-
-<p class="pmb3">Lebe wohl, geliebtes Kind! Die gl&auml;nzenden Thore
-der Ewigkeit haben sich hinter Dir geschlossen; wir werden
-Deine sanften Z&uuml;ge nicht mehr sehen. Wehe den Armen,
-die Deinen Eingang in den Himmel sahen, und, wenn
-sie erwachten, nichts als den kalten, grauen Lebenshimmel
-finden, nachdem Du f&uuml;r immer dahin bist.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_87">[S. 87]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Siebenundzwanzigstes_Kapitel">Siebenundzwanzigstes Kapitel.</h2>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i9">Dies ist das Letzte der Erde.</span>
-<span class="i9">J. G. <em class="gesperrt">Adams</em>.</span>
-</div></div>
-
-
-<p>Die Statuen und Gem&auml;lde in Eva's Zimmer waren
-mit wei&szlig;en T&uuml;chern verhangen, und nur stilles Athmen
-und leise Tritte wurden darin geh&ouml;rt, und das Licht stahl
-sich feierlich durch halbverschlossene Fenster.</p>
-
-<p>Das Bett war wei&szlig; &uuml;berzogen, und darauf, unter
-dem Engel mit gesenkten Fl&uuml;geln, lag eine kleine,
-schlafende Gestalt, schlafend, &mdash; um nimmer wieder zu
-erwachen.</p>
-
-<p>Dort lag sie, in eins der schlichten wei&szlig;en Gew&auml;nder
-gekleidet, welche sie im Leben zu tragen gepflegt
-hatte, und das rosige Licht, welches durch die Gardinen
-fiel, warf einen w&auml;rmeren Schein &uuml;ber die eisige K&auml;lte
-des Todes. Die schweren Augenwimpern ruhten sanft
-auf der klaren Wange; der Kopf war ein wenig nach
-einer Seite geneigt, wie im nat&uuml;rlichen Schlafe, aber
-&uuml;ber alle Z&uuml;ge des Gesichtes ergo&szlig; sich jener himmlische
-Ausdruck, jene Mischung von Wonne und Ruhe, welche
-deutlich erkennen lie&szlig;, da&szlig; es kein irdischer oder zeitlicher
-Schlaf, sondern jene lange, heilige Ruhe sei, welche &raquo;Er
-Denen gibt, die er liebt.&laquo;</p>
-
-<p>F&uuml;r Wesen wie Du, theure Eva, gibt es keinen
-Tod! Es ist nichts als ein sanftes Schwinden, wie wenn
-der Morgenstern unter den goldenen Strahlen des ersten
-Tageslichtes erbleicht. Dir geh&ouml;rt der Sieg ohne Kampf,
-&mdash; die Krone ohne Streit.</p>
-
-<p>So dachte St. Clare, als er mit unterschlagenen
- <span class="pagenum"><a id="Page_88">[S. 88]</a></span>
-Armen vor der H&uuml;lle seines Kindes stand. Aber, wer
-will sagen, was er dachte? denn von der Stunde an,
-da&szlig; er Stimmen in dem Sterbezimmer geh&ouml;rt hatte, die
-da sagten, &raquo;sie sei dahin,&laquo; war Alles um ihn nur ein
-dunkler, schwerer Nebel gewesen. Er hatte Stimmen um
-sich geh&ouml;rt; es waren Fragen an ihn gerichtet und beantwortet
-worden; man hatte ihn gefragt, wann das Begr&auml;bni&szlig;
-stattfinden solle, und wo er w&uuml;nsche, da&szlig; sie
-beigesetzt werde, und er hatte ungeduldig geantwortet,
-da&szlig; es ihm gleichg&uuml;ltig sei.</p>
-
-<p>Adolph und Rosa hatten die Anordnungen im Zimmer
-getroffen, welche, obgleich leichtsinnig und kindisch, doch
-gutherzig und gef&uuml;hlvoll waren; und w&auml;hrend Mi&szlig; Ophelia
-die Vorbereitungen im Allgemeinen leitete, waren es ihre
-H&auml;nde, welche ihnen jenen sanfteren, poetischeren Anstrich
-liehen, der dem Sterbezimmer den abschreckenden,
-geisterartigen Anschein nimmt, welcher den Leichenbeg&auml;ngnissen
-in Neu-England so eigent&uuml;mlich ist. Auch jetzt,
-w&auml;hrend St. Clare sinnend dastand, kam Rosa mit einem
-Korbe voll wei&szlig;er Blumen leise in das Zimmer getrippelt.
-Sie trat zur&uuml;ck, als sie St. Clare gewahrte, und blieb
-ehrfurchtsvoll stehen; allein, da sie sah, da&szlig; er sie nicht
-bemerkte, kam sie n&auml;her, um die Blumen um das todte
-Kind zu legen. St. Clare sah sie nur wie im Traume,
-als sie in die kleinen H&auml;nde eine sch&ouml;ne Jasminbl&uuml;the
-legte, und mit bewunderungsw&uuml;rdigem Geschmacke die
-anderen Blumen auf dem Sterbelager ausbreitete.</p>
-
-<p>Die Th&uuml;r &ouml;ffnete sich abermals, und Topsy erschien
-mit dick angeschwollenen, verweinten Augen, Etwas unter
-ihrer Sch&uuml;rze tragend. Rosa machte gegen sie eine
-schnelle, zur&uuml;ckweisende Bewegung, aber sie trat dennoch
-einen Schritt weiter in das Zimmer.</p>
-
-<p>&raquo;Du mu&szlig;t hinausgehen,&laquo; sagte Rosa fl&uuml;sternd in
-scharfem, entschiedenem Tone; &mdash; &raquo;<em class="gesperrt">Du</em> hast hier Nichts
-zu thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, bitte, la&szlig; mich! Ich habe eine Blume, &mdash;
- <span class="pagenum"><a id="Page_89">[S. 89]</a></span>
-so eine sch&ouml;ne!&laquo; sagte Topsy, eine halb aufgebl&uuml;hte Theerosenknospe
-emporhaltend. &raquo;Bitte, la&szlig; mich sie dahin
-legen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Geh' hinaus!&laquo; sagte Rosa noch bestimmter.</p>
-
-<p>&raquo;La&szlig; sie hier!&laquo; rief St. Clare pl&ouml;tzlich mit dem
-Fu&szlig;e stampfend. &raquo;Sie soll herein kommen.&laquo;</p>
-
-<p>Rosa zog sich sogleich zur&uuml;ck, und Topsy kam n&auml;her
-und legte ihr Geschenk zu den F&uuml;&szlig;en des Leichnams;
-und sodann sich pl&ouml;tzlich mit einem wilden, schmerzlichen
-Schrei an der Seite des Bettes niederwerfend, begann
-sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit zu weinen und zu
-schluchzen.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia kam in's Zimmer geeilt, und bem&uuml;hte
-sich, sie aufzuheben und zu beruhigen, aber vergeblich.</p>
-
-<p>&raquo;O Mi&szlig; Eva! o Mi&szlig; Eva! ich wollte, ich w&auml;re
-auch todt!&laquo;</p>
-
-<p>Es lag eine solche Wildheit und ein so schneidender
-Schmerz in diesem Weinen, da&szlig; das Blut in St. Clare's
-marmorwei&szlig;e Wangen stieg, und seit Eva's Tode die ersten
-Thr&auml;nen wieder in seine Augen traten.</p>
-
-<p>&raquo;Steh' auf, Kind,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia mit sanfter
-Stimme, &raquo;weine nicht so heftig. Mi&szlig; Eva ist im Himmel,
-und ist nun ein Engel!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber ich kann sie nicht sehen!&laquo; sagte Topsy. &raquo;Ich
-werde sie nie wieder sehen!&laquo; und ihr Schluchzen begann
-von Neuem.</p>
-
-<p>St. Clare und Ophelia standen einen Augenblick
-schweigend da.</p>
-
-<p>&raquo;<em class="gesperrt">Sie</em> sagte, sie h&auml;tte mich <em class="gesperrt">lieb</em>,&laquo; fuhr Topsy fort,
-&mdash; &raquo;ja! o Herr! o Herr! nun ist <em class="gesperrt">Niemand</em> da! &mdash;
-Niemand!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das ist wahr genug,&laquo; sagte St. Clare, und fuhr
-dann zu Mi&szlig; Ophelien gewendet fort: &raquo;aber bitte,
-sieh' zu, ob Du nicht das arme Wesen beruhigen kannst.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia hob sie sanft, aber fest auf, und f&uuml;hrte
- <span class="pagenum"><a id="Page_90">[S. 90]</a></span>
-sie aus dem Zimmer; aber, w&auml;hrend sie es that, fielen
-auch aus ihrem Auge einige Thr&auml;nen nieder.</p>
-
-<p>&raquo;Topsy, Du armes Kind,&laquo; sagte sie, als sie sie in
-ihr eignes Zimmer f&uuml;hrte, &raquo;verzweifle nicht! Ich kann
-Dich lieb haben, obgleich ich nicht so bin, wie jenes theure
-Kind. Ich hoffe, ich habe etwas von der Liebe Christi
-durch sie gelernt. Ich kann Dich lieben; und ich will
-Dir beistehen, da&szlig; Du als ein gutes, christliches M&auml;dchen
-aufwachsen m&ouml;gest.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Opheliens Stimme dr&uuml;ckte mehr aus, als ihre
-Worte, und mehr noch, als jene, sagten die aufrichtigen
-Thr&auml;nen, die &uuml;ber ihre Wangen niederrollten. Und von
-diesem Augenblicke an erlangte sie einen Einflu&szlig; auf
-den Geist dieses verlassenen Kindes, den sie nie wieder
-verlor.</p>
-
-<p>&raquo;O meine Eva, deren kurze Stunde so viel Gutes
-auf Erden wirkte,&laquo; dachte St. Clare, &raquo;welche Rechenschaft
-habe ich zu geben von meinen vielen, langen
-Jahren?&laquo;</p>
-
-<p>Eine Zeit lang wurde noch leises Fl&uuml;stern und Gehen
-im Zimmer geh&ouml;rt, w&auml;hrend Einer nach dem Andern
-herein schliech, um die Todte zu sehen; dann kam der
-kleine Sarg, und dann begann das Leichenbeg&auml;ngni&szlig;, und
-Wagen kamen gefahren, und fremde Personen betraten
-das Zimmer und setzten sich darin nieder; und wei&szlig;e
-B&auml;nder wurden gesehen, und Trauerfl&ouml;re, und Trauernde
-in schwarzer Kleidung; und dann wurden Worte aus der
-Bibel gelesen, und Gebete gehalten; und St. Clare lebte,
-und ging, und bewegte sich wie Jemand, der die letzte
-Thr&auml;ne vergossen hat. Endlich sah er nur noch einen
-Gegenstand, &mdash; das goldene K&ouml;pfchen im Sarge; aber
-dann sah er das Leichentuch dar&uuml;ber ausbreiten, und den
-Sargdeckel schlie&szlig;en, und er schritt an der Seite Andrer,
-wohin man ihn gestellt hatte, nach einem Platze am Ende
-des Gartens, und dort, bei dem Moossitze, wo sie und
-Tom so oft gesessen, und gesungen und gelesen hatten,
- <span class="pagenum"><a id="Page_91">[S. 91]</a></span>
-war das kleine Grab. St. Clare stand neben demselben,
-&mdash; und blickte gedankenlos hinab; er sah den kleinen Sarg
-hinabsenken: er h&ouml;rte die feierlichen Worte: &raquo;Ich bin die
-Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubet, der
-wird leben, ob er gleich st&uuml;rbe;&laquo; und als die Erde hinab
-gesch&uuml;ttet wurde, und das kleine Grab f&uuml;llte, konnte er
-sich nicht denken, da&szlig; es Eva sei, die man dort vor seinen
-Blicken verborgen habe.</p>
-
-<p>Auch war es nicht Eva! &mdash; sondern nur der schwache
-Same jener gl&auml;nzenden, unsterblichen Gestalt, mit der
-sie hervortreten wird am Tage unseres Herrn Jesu
-Christi.</p>
-
-<p>Sodann entfernten sich Alle, und die Trauernden
-gingen zur&uuml;ck nach dem Orte, an dem sie nicht mehr gesehen
-werden sollte. Mariens Zimmer war dunkel, und
-sie selbst lag auf dem Bette, und schluchzte und st&ouml;hnte in
-unm&auml;&szlig;igem Schmerze, und verlangte jeden Augenblick
-nach der Bedienung aller ihrer Dienstboten. Diese, nat&uuml;rlich,
-hatten keine Zeit zu weinen; &mdash; weshalb sollten
-sie auch? Der Schmerz war ja <em class="gesperrt">ihr</em> Schmerz, und sie
-war v&ouml;llig &uuml;berzeugt, da&szlig; Niemand auf Erden so empfinden
-k&ouml;nne oder wolle wie sie.</p>
-
-<p>&raquo;St. Clare habe keine Thr&auml;ne vergossen,&laquo; sagte sie;
-&raquo;er habe nicht mit ihr sympathisirt; es sei wirklich ganz
-unbegreiflich, wie er so hartherzig und gef&uuml;hllos sein k&ouml;nne,
-da er doch wissen m&uuml;sse, was sie leide.&laquo;</p>
-
-<p>So sehr sind die Menschen Sklaven ihres Auges
-und Ohres, da&szlig; viele der Dienstboten wirklich glaubten,
-da&szlig; ihre Missis bei diesem Trauerfalle am meisten leide,
-besonders, als Marie anfing, hysterische Kr&auml;mpfe zu bekommen,
-und nach dem Arzte schickte, und sich selbst als
-dem Tode nahe erkl&auml;rte. Allein Tom trug in seinem
-Herzen ein andres Gef&uuml;hl, welches ihn zu seinem Herrn
-zog. Er folgte ihm, wohin er auch sinnend und traurig
-gehen mochte; und wenn er ihn in Eva's Zimmer bla&szlig;
-und schweigend sitzen, und ihre kleine Bibel offen vor sich
- <span class="pagenum"><a id="Page_92">[S. 92]</a></span>
-halten sah, in der er kein Wort und keinen Buchstaben
-sah, so erkannte Tom in diesem stillen, starren, thr&auml;nenlosen
-Auge mehr Schmerz, als in Marien's St&ouml;hnen
-und Klagen.</p>
-
-<p>Wenige Tage sp&auml;ter ging die ganze Familie nach
-der Stadt zur&uuml;ck, da St. Clare in der Ruhelosigkeit
-seines Schmerzes nach andern Scenen verlangte, um dem
-Laufe seiner Gedanken eine andre Richtung zu geben.
-Sie verlie&szlig;en also das Haus und den Garten mit dem
-kleinen Grabe, und kamen nach New-Orleans zur&uuml;ck; und
-St. Clare schritt eilfertig die Stra&szlig;en auf und ab, und
-suchte die Leere in seinem Herzen durch eifrige Gesch&auml;ftigkeit
-und durch Ver&auml;nderung des Aufenthaltes auszuf&uuml;llen;
-und die Leute, die ihm auf der Stra&szlig;e oder im
-Caffe begegneten, erkannten seinen Verlust nur durch das
-Zeichen am Hute, denn er l&auml;chelte und unterhielt sich,
-und las Zeitungen, und disputirte &uuml;ber politische Gegenst&auml;nde,
-und widmete sich seinen Gesch&auml;ften; und wer
-konnte sehen, da&szlig; diese l&auml;chelnde Au&szlig;enseite nur als hohle
-Schale ein Herz bedeckte, welches ein dunkles, schweigendes
-Grab war?</p>
-
-<p>&raquo;Mr. St. Clare ist ein sonderbarer Mann,&laquo; sagte
-Marie zu Ophelien, in sich beklagendem Tone. &raquo;Ich
-dachte immer, wenn es &uuml;berhaupt Etwas in der Welt
-g&auml;be, was er lieben k&ouml;nne, so sei es unsere theure, kleine
-Eva gewesen; allein er scheint sie sehr leicht zu vergessen.
-Ich kann ihn nie dazu bringen, von ihr zu sprechen. Ich
-dachte wirklich, er w&uuml;rde mehr Gef&uuml;hl zeigen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Stille Wasser sind tief, pflegt man zu sagen,&laquo; entgegnete
-Mi&szlig; Ophelia bedeutungsvoll.</p>
-
-<p>&raquo;O, ich glaube nicht an solche Dinge; das ist Alles
-nur Geschw&auml;tz. Wer Gef&uuml;hl hat, wird es zeigen, &mdash;
-und kann nicht anders; aber es ist ein gro&szlig;es Ungl&uuml;ck,
-so viel Gef&uuml;hl zu haben. Ich wollte lieber, ich w&auml;re
-wie St. Clare; meine Gef&uuml;hle nagen an meiner Gesundheit!&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_93">[S. 93]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;O gewi&szlig;, Missis,&laquo; sagte Mammy, &raquo;Master St.
-Clare wird wie ein Schatten; &mdash; er i&szlig;t gar nichts. Ich
-wei&szlig;, er kann Mi&szlig; Eva nicht vergessen; &mdash; ich wei&szlig;,
-Keiner kann's, &mdash; das liebe, kleine, segensreiche Wesen!&laquo;
-f&uuml;gte sie, ihre Augen trocknend, hinzu.</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, auf alle F&auml;lle hat er kein Gef&uuml;hl f&uuml;r mich,&laquo;
-sagte Marie; &raquo;er hat mir noch kein theilnehmendes Wort
-gesagt, und er mu&szlig; doch wissen, wie viel tiefer so etwas
-eine Mutter empfindet, als es ein Mann kann.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Jedes Herz kennt seinen eignen Schmerz!&laquo; sagte
-Ophelia sehr ernst.</p>
-
-<p>&raquo;Das ist es grade, was ich denke. Ich wei&szlig;, was
-ich empfinde, &mdash; und Niemand Anderes scheint es zu
-ahnen. Nur Eva konnte es, aber sie ist hin!&laquo; sagte
-Marie, und legte sich auf ihr Sopha zur&uuml;ck, und begann
-heftig zu schluchzen.</p>
-
-<p>W&auml;hrend diese Unterhaltung in Marien's Wohnzimmer
-Statt fand, wurde eine andre in St. Clare's Arbeitszimmer
-gepflogen.</p>
-
-<p>Tom, der seinem Herrn &uuml;berall unruhig folgte, hatte
-ihn mehrere Stunden zuvor in sein Arbeitszimmer gehen
-sehen, und beschlo&szlig; endlich, nachdem er vergeblich darauf
-gewartet hatte, ihn wieder herauskommen zu sehen, unter
-irgend einem Vorwande hinein zu gehen. Er trat leise
-ein. St. Clare lag auf dem Sopha, am anderen Ende
-des Zimmers, auf dem Gesichte, Eva's Bibel aufgeschlagen
-in der Hand haltend. Tom n&auml;herte sich ihm, und blieb
-am Sopha stehen. Er zauderte, und w&auml;hrend dessen
-richtete sich St. Clare pl&ouml;tzlich auf. Das ehrliche Gesicht,
-auf dem sich der Ausdruck tiefsten Schmerzes und flehenden
-Mitgef&uuml;hls zeigte, r&uuml;hrte St. Clare. Er legte seine
-Hand auf Tom's Hand, und neigte seine Stirn darauf
-nieder.</p>
-
-<p>&raquo;O, Tom, mein Junge, die Welt ist leer, wie eine
-Eierschale.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig;, Master, &mdash; ich wei&szlig;,&laquo; sagte Tom; &raquo;aber,
- <span class="pagenum"><a id="Page_94">[S. 94]</a></span>
-o! wenn Master nur da hinauf blicken k&ouml;nnte, &mdash; hinauf,
-wo unsere liebe Mi&szlig; Eva ist, &mdash; auf zum lieben Herrn
-Jesus!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ach, Tom! ich sehe hinauf; aber das Ungl&uuml;ck ist,
-ich sehe nichts, wenn ich es thue. Ich wollte, ich k&ouml;nnte
-etwas sehen.&laquo;</p>
-
-<p>Tom seufzte schwer.</p>
-
-<p>&raquo;Es scheint nur Kindern gegeben zu sein, und solchen
-armen, ehrlichen Seelen, wie Du bist, zu sehen,
-was wir nicht k&ouml;nnen,&laquo; sagte St. Clare. &raquo;Wie kommt
-das?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;&raquo;Du hast es verborgen den Weisen und Klugen,
-und hast es geoffenbaret den Unm&uuml;ndigen. Ja, Vater,
-also war es wohlgef&auml;llig vor Dir,&laquo;&laquo; antwortete Tom mit
-den Worten der Schrift.</p>
-
-<p>&raquo;Tom, ich glaube nicht, &mdash; ich kann nicht glauben,
-&mdash; ich habe einmal die Gewohnheit des Zweifelns angenommen,&laquo;
-sagte St. Clare. &raquo;Ich m&ouml;chte gern an die
-Bibel glauben, &mdash; und kann nicht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Lieber Master, beten Sie zum lieben Herrn: &raquo;Herr,
-ich glaube, hilf Du meinem Unglauben!&laquo;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wer <em class="gesperrt">wei&szlig;</em> Etwas?&laquo; sagte St. Clare, w&auml;hrend
-seine Augen tr&auml;umerisch umher wanderten, und er zu sich
-selbst sprach. &raquo;War alle diese himmlische Liebe und dieser
-Glaube nichts als eine der ewig wechselnden Phasen
-menschlichen Gef&uuml;hls, die auf nichts Wirklichem ruht, und
-mit dem schwachen Athem entflieht? Und gibt es jetzt
-keine Eva mehr, &mdash; keinen Himmel, &mdash; keinen Christus,
-&mdash; nichts?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O lieber Master, ja! ich wei&szlig; es! &mdash; ich wei&szlig; es
-gewi&szlig;!&laquo; sagte Tom auf die Knie fallend. &raquo;Bitte, bitte,
-lieber Master, glauben Sie es!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie wei&szlig;t Du, Tom, da&szlig; es einen Christus gibt?
-Du hast ihn nie gesehen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe Ihn gef&uuml;hlt in meiner Seele, Master,
-&mdash; f&uuml;hle Ihn jetzt! O Master, als ich verkauft wurde,
- <span class="pagenum"><a id="Page_95">[S. 95]</a></span>
-fort von meiner alten Frau und meinen Kindern, da
-dacht' ich, 's w&auml;re aus mit mir. Mir war, als wenn
-Alles vorbei w&auml;re; aber dann kam der gute Herr, und
-stand bei mir, und sagte: &rsaquo;Tom, f&uuml;rchte nicht!&lsaquo; und
-er brachte Licht und Freude in meine arme Seele, &mdash;
-und machte Friede; &mdash; und ich wurde so gl&uuml;cklich, und
-liebte Jedermann, und f&uuml;hlte mich willig nur dem Herrn
-anzugeh&ouml;ren, und des Herrn Willen zu thun, und &uuml;berall
-hinzugehen, wohin der Herr mir befahl. Ich wu&szlig;te, das
-konnte nicht von mir kommen, denn ich bin eine arme,
-unzufriedene Creatur; es kommt vom Herrn; &mdash; und ich
-wei&szlig;, Er ist auch bereit, Master beizustehen.&laquo;</p>
-
-<p>Tom sprach unter str&ouml;menden Thr&auml;nen, und mit
-stockender Stimme. St. Clare lehnte seinen Kopf an
-Tom's Schulter, und dr&uuml;ckte seine harte, treue, schwarze
-Hand.</p>
-
-<p>&raquo;Tom, Du hast mich lieb,&laquo; sagte er.</p>
-
-<p>&raquo;Bin bereit mein Leben zu lassen, heute noch, wenn
-Master wollte ein Christ werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Armer, th&ouml;richter Bursche!&laquo; sagte St. Clare, sich
-halb aufrichtend. &raquo;Ich bin der Liebe eines so guten, ehrlichen
-Herzens, wie Deines, nicht werth.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Master, ich liebe Sie nicht allein, &mdash; der liebe
-Herr Jesus liebt Sie auch.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie wei&szlig;t Du das, Tom?&laquo; sagte St. Clare.</p>
-
-<p>&raquo;Ich f&uuml;hle es in meiner Seele. O Master! &rsaquo;die
-Liebe Christi, die viel besser ist denn alles Wissen.&lsaquo;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sonderbar!&laquo; sagte St. Clare, sich abwendend,
-&raquo;da&szlig; die Geschichte eines Menschen, der vor achtzehnhundert
-Jahren lebte und starb, noch jetzt so tiefen Eindruck
-auf die Gem&uuml;ther machen kann. Aber er war kein
-Mensch,&laquo; f&uuml;gte er pl&ouml;tzlich hinzu. &raquo;Nie hatte ein Mensch
-eine so lange dauernde und lebendige Kraft. O, da&szlig;
-ich glauben k&ouml;nnte was meine Mutter mich lehrte, und
-beten, wie ich es als Knabe konnte!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Master so gut sein wollte,&laquo; sagte Tom
- <span class="pagenum"><a id="Page_96">[S. 96]</a></span>
-&raquo;Mi&szlig; Eva las dies immer so wundersch&ouml;n. Ich w&uuml;nschte,
-Master wollte so gut sein und es lesen. H&ouml;re jetzt gar
-nichts mehr lesen, nun Mi&szlig; Eva nicht mehr da ist.&laquo;</p>
-
-<p>Es war das eilfte Kapitel Johannis, &mdash; die r&uuml;hrende
-Scene von der Wiedererweckung des Lazarus.
-St. Clare las laut, oft inne haltend, um gewisse Empfindungen
-niederzudr&uuml;cken, die durch das Ergreifende der
-Schilderung erregt wurden. Tom kniete vor ihm mit
-gefalteten H&auml;nden, und mit dem innigsten Ausdrucke von
-Liebe, Vertrauen und Anbetung in seinem ruhigen Gesichte.</p>
-
-<p>&raquo;Tom,&laquo; sagte sein Herr, &raquo;dies ist alles Wirklichkeit
-f&uuml;r Dich!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich kann es alles deutlich sehen, Master,&laquo; entgegnete
-Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollte, ich h&auml;tte Deine Augen, Tom.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich w&uuml;nschte, bei dem lieben Herrn Jesus, Master
-h&auml;tte sie.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber, Tom, Du wei&szlig;t, da&szlig; ich viel mehr Kenntnisse
-besitze als Du; wie, wenn ich Dir sage, da&szlig; ich an
-diese Bibel nicht glaube?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Master!&laquo; rief Tom, seine H&auml;nde mit bittender
-Geberde emporhaltend.</p>
-
-<p>&raquo;W&uuml;rde es nicht Deinen Glauben etwas wankend
-machen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nicht im Geringsten,&laquo; entgegnete Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Aber, Tom, Du mu&szlig;t bedenken, da&szlig; ich viel mehr
-wei&szlig; als Du.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Master, haben Sie nicht just jetzt gelesen, &raquo;Er
-hat es den Weisen und Klugen verborgen, und es den
-Unm&uuml;ndigen geoffenbaret?&laquo; Aber Master war nicht im
-Ernste, &mdash; gewi&szlig; nicht &mdash; nicht wahr?&laquo; sagte Tom
-&auml;ngstlich.</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Tom, es war nicht mein Ernst. Ich verwerfe
-den Glauben nicht, und dennoch kann ich nicht selbst
- <span class="pagenum"><a id="Page_97">[S. 97]</a></span>
-glauben. Es ist eine ungl&uuml;ckliche, b&ouml;se Gewohnheit, Tom,
-die ich angenommen habe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Master nur beten wollte!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Woher wei&szlig;t Du, Tom, da&szlig; ich es nicht thue?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Thut Master es?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich w&uuml;rde es thun, Tom, wenn Jemand dort w&auml;re,
-wenn ich bete; aber alle meine Worte gehen nur in die
-Leere hinein. Aber komm, Tom, Du sollst beten, jetzt,
-und es mir zeigen, wie.&laquo;</p>
-
-<p>Tom's Herz war voll. Er lie&szlig; es ausstr&ouml;men in
-Gebet wie Wasser, die lange zur&uuml;ckgedr&auml;ngt worden sind.
-Eins war klar: Tom glaubte, da&szlig; Jemand da sei, der
-ihn h&ouml;re, und St. Clare f&uuml;hlte sich auf der Fluth seines
-Glaubens und Gef&uuml;hls beinahe bis zu den Pforten des
-Himmels hinauf getragen, den Tom so deutlich zu sehen
-schien; es war ihm, als wenn er Eva n&auml;her gebracht
-w&uuml;rde.</p>
-
-<p>&raquo;Danke Dir, mein Junge,&laquo; sagte St. Clare, als
-Tom aufstand. &raquo;Ich h&ouml;re Dich gern, Tom, aber jetzt
-gehe, und verla&szlig; mich; ein anderes Mal wollen wir mehr
-mit einander reden.&laquo;</p>
-
-<p class="pmb3">Tom verlie&szlig; schweigend das Zimmer.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Achtundzwanzigstes_Kapitel">Achtundzwanzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Wiedervereinigung.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Woche um Woche flo&szlig; dahin in St. Clare's Hause,
-und die Wellen des Lebens nahmen wieder ihren gew&ouml;hnlichen
-Lauf an, wo jener kleine Nachen untergegangen
- <span class="pagenum"><a id="Page_98">[S. 98]</a></span>
-war; denn wie gebieterisch, wie kalt, wie gef&uuml;hllos, wie
-gleichg&uuml;ltig bewegt sich nicht das t&auml;gliche Leben fort!
-Wir m&uuml;ssen essen, trinken, schlafen und wieder erwachen
-&mdash; wir m&uuml;ssen handeln, kaufen, verkaufen, fragen und
-antworten, &mdash; kurz, tausend Schatten verfolgen, obgleich
-jedes Interesse in ihnen l&auml;ngst verschwunden ist;
-denn die kalte, mechanische Gewohnheit des Lebens
-bleibt, nachdem jedes lebendige Interesse l&auml;ngst geflohen
-ist.</p>
-
-<p>Alle Hoffnungen und jedes Interesse in St. Clares
-Leben hatten sich ihm unbewu&szlig;t um dieses Kind gewunden.
-F&uuml;r Eva verwaltete er sein Eigenthum; mit
-R&uuml;cksicht auf Eva hatte er die Eintheilung seiner Zeit
-getroffen; und dies oder das f&uuml;r Eva zu thun, &mdash; zu
-kaufen, zu verbessern, zu ver&auml;ndern und anzuordnen, &mdash;
-war seit so langer Zeit seine Gewohnheit gewesen, da&szlig;
-es ihm jetzt, wo sie nicht mehr da war, schien, als
-habe er an nichts mehr zu denken, nichts mehr zu
-thun.</p>
-
-<p>Zwar gab es noch ein anderes Leben, &mdash; ein Leben,
-das, wenn einmal daran geglaubt wird, als eine
-so heilige, bedeutungsvolle Ziffer vor den sonst so bedeutungslosen
-Zahlen der Zeit steht, da&szlig; sie einen geheimni&szlig;vollen,
-unaussprechlichen Werth dadurch empfangen.
-St. Clare wu&szlig;te dies, und glaubte in mancher
-m&uuml;den Stunde die zarte, kindliche Stimme zu h&ouml;ren,
-wie sie ihn zu sich rief, und die kleine Hand zu
-sehen, wie sie ihm den Lebensweg vorzeichnete; aber es
-lag ein schwerer, lethargischer Schmerz auf ihm, er
-konnte sich nicht erheben. St. Clare hatte nie versucht,
-sich durch religi&ouml;se Vorschriften leiten zu lassen, denn eine
-gewisse Feinheit seiner Natur hat ihm einen Blick in
-die weite Ausdehnung der Erfordernisse des Christenthums
-gegeben, so da&szlig; er im Voraus davor zur&uuml;ckbebte.
-So inconsequent ist die menschliche Natur, besonders
-im Gebiete des Geistigen, da&szlig; es ihr besser erscheint,
- <span class="pagenum"><a id="Page_99">[S. 99]</a></span>
-ein Unternehmen &uuml;berhaupt gar nicht zu beginnen, als
-darin nicht ganz erfolgreich zu sein.</p>
-
-<p>Dennoch war St. Clare in mancher Beziehung ein
-andrer Mensch geworden. Er las in der Bibel seiner
-kleinen Eva ernstlich und aufrichtig; er dachte mehr und
-reichlicher &uuml;ber das Verhalten gegen seine Dienstboten
-nach, &mdash; eine Betrachtung, die ihn im h&ouml;chsten Grade
-unzufrieden mit seiner bisherigen und gegenw&auml;rtigen
-Verfahrungsweise machte; und er that, gleich nach seiner
-R&uuml;ckkehr nach New-Orleans, die n&ouml;thigen Schritte,
-um Tom's Freilassung zu bewirken, welche erfolgen
-sollte, sobald den n&ouml;thigen Formalit&auml;ten gen&uuml;gt worden
-war. Inzwischen schlo&szlig; er sich jeden Tag mehr und
-mehr an Tom an. Nichts in der Welt schien ihn so
-sehr an Eva zu erinnern wie Tom; und so verschlossen
-und unzug&auml;nglich er sonst mit seinen tieferen Gef&uuml;hlen
-war, so legte er sich in Tom's Gegenwart so wenig
-Zwang an, da&szlig; er beinahe laut dachte. Auch w&uuml;rde
-sich Niemand dar&uuml;ber gewundert haben, der den Ausdruck
-von Liebe und Ergebenheit sah, mit dem Tom seinem
-jungen Herrn &uuml;berall folgte.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Tom,&laquo; sagte St. Clare am Tage, an welchem
-die gesetzlichen F&ouml;rmlichkeiten seiner Freilassung begonnen
-hatten, &mdash; &raquo;ich will Dich jetzt zu einem freien
-Menschen machen; &mdash; Du kannst also nur Deinen Koffer
-packen, und Dich zur Abreise nach Kentucky vorbereiten.&laquo;</p>
-
-<p>Die pl&ouml;tzliche Freude, die in Tom's Gesicht aufleuchtete,
-w&auml;hrend er seine H&auml;nde erhob, und sein Ausruf:
-&raquo;Gesegnet sei der Herr!&laquo; kr&auml;nkten St. Clare gewisserma&szlig;en.
-Es gefiel ihm nicht, da&szlig; Tom so bereitwillig
-war, ihn zu verlassen.</p>
-
-<p>&raquo;Du hast doch so sehr schlimme Zeit hier nicht gehabt,
-da&szlig; Du in solches Entz&uuml;cken dar&uuml;ber gerathen
-mu&szlig;t, Tom,&laquo; sagte er trocken.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_100">[S. 100]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Nein, nein, Master!, das ist es nicht, &mdash; es ist
-&rsaquo;ein freier Mensch sein.&lsaquo; Dar&uuml;ber freue ich mich.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie, Tom, glaubst Du nicht, da&szlig; Du, was Dich
-allein betrifft, es hier besser gehabt hast, als wenn Du
-frei gewesen w&auml;rest?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Master St. Clare,&laquo; sagte Tom mit aufloderndem
-Enthusiasmus, &mdash; &raquo;nein, o nein!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie, Tom, h&auml;ttest Du durch Deine eigene Arbeit
-Dir solche Kleider und solchen Unterhalt verdienen k&ouml;nnen,
-wie ich Dir gegeben habe?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig; das, Master St. Clare; Master ist zu gut
-gewesen; aber, Master, ich will lieber schlechte Kleider,
-eine kleine H&uuml;tte, und Alles d&uuml;rftig haben, und es
-<em class="gesperrt">mein</em> nennen, als das Beste haben, was einem Andern
-geh&ouml;rt. &mdash; Ich m&ouml;chte 's so, Master, &mdash; ich denke, 's
-ist nat&uuml;rlich, Master.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich denke, Tom, Du wirst ungef&auml;hr in einem
-Monat gehen, und mich verlassen k&ouml;nnen,&laquo; sagte St.
-Clare etwas unzufrieden. &raquo;Aber warum solltest Du 's
-auch nicht? &mdash; kein Mensch kann es sagen,&laquo; fuhr er
-pl&ouml;tzlich in heiterem Tone fort, und stand auf, und begann
-im Zimmer auf und abzugehen.</p>
-
-<p>&raquo;Nicht, so lange Master St. Clare ungl&uuml;cklich ist,&laquo;
-sagte Tom. &raquo;Ich will bleiben, so lange Master mich n&ouml;thig
-hat, und ich von Nutzen sein kann.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nicht, so lange ich ungl&uuml;cklich bin, Tom?&laquo; sagte
-St. Clare, traurig durch das Fenster blickend. &mdash; &mdash;
-&raquo;Und wann glaubst Du, da&szlig; mein Ungl&uuml;ck aufh&ouml;ren
-werde?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Master St. Clare ein Christ ist,&laquo; sagte
-Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Und Du gedenkst wirklich hier so lange zu bleiben,
-bis dieser Tag kommt?&laquo; sagte St. Clare halb l&auml;chelnd,
-w&auml;hrend er sich vom Fenster abwandte und seine
-Hand auf Tom's Schulter legte. &raquo;O Tom, Du guter,
-th&ouml;richter Bursche! Ich will Dich nicht bis zu dem Tage
- <span class="pagenum"><a id="Page_101">[S. 101]</a></span>
-halten. Geh' heim zu Deinem Weibe und Deinen Kindern,
-und gr&uuml;&szlig;e sie alle von mir.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; gewi&szlig;, da&szlig; dieser Tag kommen wird,&laquo;
-sagte Tom mit W&auml;rme und mit Thr&auml;nen in den Augen;
-&raquo;der Herr hat ein Werk f&uuml;r Master.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ein Werk, wie?&laquo; sagte St. Clare; &raquo;wohl, Tom,
-so gib mir Deine Ansichten dar&uuml;ber, von welcher Art
-das Werk sein k&ouml;nne; &mdash; la&szlig; mich h&ouml;ren.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn ein armer Mensch wie ich sogar ein Werk
-f&uuml;r den Herrn verrichten kann, &mdash; wie viel mehr kann
-Master St. Clare, der Gelehrsamkeit hat, und Reichth&uuml;mer
-und Freunde, f&uuml;r den Herrn wirken!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Tom, Du scheinst anzunehmen, da&szlig; der Herr ein
-gro&szlig;es Wirken f&uuml;r sich n&ouml;thig habe,&laquo; sagte St. Clare
-l&auml;chelnd.</p>
-
-<p>&raquo;Wir wirken f&uuml;r den Herrn, w&auml;hrend er f&uuml;r seine
-Gesch&ouml;pfe wirkt,&laquo; sagte Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Eine gute Theologie, Tom, besser als die, welche
-Dr. B.... predigt, &mdash; ich m&ouml;chte darauf schw&ouml;ren,&laquo;
-entgegnete St. Clare.</p>
-
-<p>Die Unterhaltung wurde hier durch Besuch, welcher
-sich anmelden lie&szlig;, unterbrochen.</p>
-
-<p>Marie St. Clare empfand Eva's Verlust so tief,
-wie sie &uuml;berhaupt etwas empfinden konnte; und da sie
-eine Frau war, die es verstand, Jedermann ungl&uuml;cklich
-zu machen, wenn sie es selbst war, so hatte ihre unmittelbare
-Umgebung noch besondere Gr&uuml;nde, den Verlust
-ihrer jungen Mistre&szlig; zu betrauern, deren sanfte F&uuml;rsprache
-so oft f&uuml;r sie ein Schild gegen die Tyrannei und
-den selbsts&uuml;chtigen Druck ihrer Mutter gewesen war.
-Besonders herzbrechend war der Schmerz der armen,
-alten Mammy, deren nat&uuml;rliche, h&auml;usliche Bande s&auml;mmtlich
-gel&ouml;st waren, und die in jenem liebensw&uuml;rdigen
-Wesen ihren einzigen Trost gefunden hatte. Sie weinte
-Tag und Nacht, und war durch ihren &uuml;berm&auml;&szlig;igen
-Kummer weniger geschickt und gewandt in ihren Verrichtungen
- <span class="pagenum"><a id="Page_102">[S. 102]</a></span>
-f&uuml;r die Person ihrer Mistre&szlig;, was einen fortw&auml;hrenden
-Sturm von Schm&auml;hungen auf ihr schutzloses
-Haupt herab rief.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia f&uuml;hlte den Verlust; aber in ihrem
-guten, braven Herzen trug er Fr&uuml;chte des ewigen Lebens.
-Sie wurde gem&auml;&szlig;igter, sanfter in ihrem Wesen,
-und obgleich eben so emsig und eifrig in ihren Pflichten
-wie fr&uuml;her, zeigte sie doch eine dem&uuml;thigere, ruhigere
-Miene, wie Jemand, der nicht vergeblich mit seinem
-Herzen Rath gepflogen hatte. Sie verwendete noch mehr
-Flei&szlig; auf den Unterricht Topsy's, &mdash; lehrte ihr aus der
-Bibel, &mdash; scheute sich nicht mehr vor ihrer Ber&uuml;hrung
-und verrieth keinen Widerwillen mehr gegen sie, denn sie
-empfand keinen. Sie betrachtete sie jetzt durch das sanftere
-Medium, welches Eva zuerst ihren Augen vorgehalten
-hatte, und sah in ihr nur ein unsterbliches Wesen,
-welches Gott gesendet hatte, um durch sie zur Herrlichkeit
-und zur Tugend gef&uuml;hrt zu werden. Topsy wurde
-nicht auf einmal eine Heilige; aber das Leben und der
-Tod Eva's hatten eine merkliche Ver&auml;nderung in ihr bewirkt.
-Jene verh&auml;rtete Gleichg&uuml;ltigkeit war verschwunden,
-und an ihrer Stelle zeigten sich jetzt Empf&auml;nglichkeit,
-Hoffnung, Verlangen und Streben nach dem Guten,
-&mdash; ein unregelm&auml;&szlig;iges und oft unterbrochenes, aber
-stets wieder erneuertes Streben.</p>
-
-<p>Eines Tages, als Topsy von Mi&szlig; Ophelien gerufen
-worden war, kam sie herbei, w&auml;hrend sie eiligst etwas in
-ihren Busen steckte.</p>
-
-<p>&raquo;Was machst Du da, Du unn&uuml;tzes Ding? Du hast
-gewi&szlig; etwas gestohlen,&laquo; sagte die herrschs&uuml;chtige, kleine
-Rosa, welche abgesendet worden war, um sie zu holen,
-w&auml;hrend sie sie zugleich heftig beim Arm ergriff.</p>
-
-<p>&raquo;La&szlig; mich gehen, Rosa!&laquo; sagte Topsy, sich von ihr
-losrei&szlig;end; &raquo;'s geht Dich gar nichts an!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Keine Ungezogenheit!&laquo; sagte Rosa. &raquo;Ich hab's gesehen,
-da&szlig; Du 'was versteckt hast, &mdash; ich kenne Deine
- <span class="pagenum"><a id="Page_103">[S. 103]</a></span>
-Streiche!&laquo; Und mit diesen Worten ergriff sie ihren Arm
-von Neuem und versuchte ihre Hand in Topsy's Busen
-zu zw&auml;ngen, w&auml;hrend Topsy w&uuml;thend um sich stie&szlig;, und
-f&uuml;r das, was sie als ihr Recht ansah, tapfer focht. Das
-Geschrei und der L&auml;rm des Kampfes zogen Mi&szlig; Ophelien
-und St. Clare zur Stelle.</p>
-
-<p>&raquo;Sie hat 'was gestohlen!&laquo; rief Rosa.</p>
-
-<p>&raquo;'s ist nicht wahr!&laquo; schrie Topsy, leidenschaftlich
-schluchzend.</p>
-
-<p>&raquo;Gib es mir, was es auch immer sein m&ouml;ge!&laquo; sagte
-Mi&szlig; Ophelia mit Festigkeit.</p>
-
-<p>Topsy zauderte; aber nach einem zweiten Befehle
-zog sie aus ihrem Busen ein Paket hervor, welches in
-den Fu&szlig; eines ihrer alten Str&uuml;mpfe gewickelt war. Mi&szlig;
-Ophelia &ouml;ffnete es. Es zeigte sich ein kleines Buch,
-welches Topsy von Eva erhalten hatte und welches einen
-einzelnen Vers enthielt, der f&uuml;r alle Tage des Jahres
-eingerichtet war, und in einem Papiere die Haarlocke,
-die Eva ihr an jenem denkw&uuml;rdigen Tage gegeben, an
-dem sie von Allen Abschied genommen hatte.</p>
-
-<p>St. Clare f&uuml;hlte sich heftig ergriffen beim Anblicke
-derselben. Das kleine Buch war in einen langen Streifen
-schwarzen Krepp's gewickelt, der beim Leichenbeg&auml;ngni&szlig;
-ben&uuml;tzt worden war.</p>
-
-<p>&raquo;Warum hast Du <em class="gesperrt">dies</em> um das Buch gewickelt?&laquo;
-fragte St. Clare, den Kreppstreifen emporhaltend.</p>
-
-<p>&raquo;Weil &mdash; weil &mdash; weil es von Mi&szlig; Eva war. O,
-bitte, nehmen Sie's nicht fort!&laquo; sagte sie, und setzte
-sich nieder auf den Fu&szlig;boden, zog ihre Sch&uuml;rze &uuml;ber
-den Kopf und begann heftig zu weinen.</p>
-
-<p>Es war eine sonderbare Mischung des Pathetischen
-und Komischen, &mdash; der kleine, alte Strumpf, &mdash; schwarzer
-Krepp &mdash; das Textbuch &mdash; sanftes, blondes Haar,
-&mdash; und Topsy's heftiger Schmerz.</p>
-
-<p>St. Clare l&auml;chelte; aber es schimmerten Thr&auml;nen in
-einem Auge, als er sagte:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_104">[S. 104]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Still, still, weine nicht! Du sollst Alles wieder
-haben!&laquo; und mit diesen Worten wickelte er Alles wieder
-zusammen, warf es in Topsy's Schoo&szlig;, und zog Ophelien
-in das n&auml;chste Zimmer.</p>
-
-<p>&raquo;Ich glaube wirklich, Du kannst aus dem Besteck
-noch etwas machen,&laquo; sagte er, mit dem Daumen r&uuml;ckw&auml;rts
-&uuml;ber die Schulter deutend. &raquo;Ein Gem&uuml;th, das
-wirklichen Schmerz empfinden kann, ist des Guten f&auml;hig.
-Du mu&szlig;t versuchen, ob Du etwas aus ihr machen
-kannst.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das Kind hat sich wesentlich gebessert,&laquo; sagte Mi&szlig;
-Ophelia. &raquo;Ich hege gro&szlig;e Hoffnungen mit ihr; &mdash; aber,
-Augustin,&laquo; fuhr sie fort, ihre Hand auf seinen Arm legend,
-&raquo;eins mu&szlig; ich Dich fragen: wem soll das Kind
-geh&ouml;ren, &mdash; Dir oder mir?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nun, ich gab sie Dir,&laquo; sagte Augustin.</p>
-
-<p>&raquo;Aber nicht in gesetzlicher Form; &mdash; ich m&ouml;chte sie
-in aller Form Rechtens besitzen,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Hoho! Cousine!&laquo; sagte Augustin, &raquo;was werden
-die Abolitionisten davon denken? Die werden einen Bu&szlig;tag
-wegen dieses Abfalls halten, wenn Du eine Besitzerin
-von Sklaven wirst!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Unsinn! Ich will sie nur de&szlig;halb <em class="gesperrt">mein</em> nennen
-k&ouml;nnen, um das Recht zu haben, sie mit mir nach den
-Freistaaten zu nehmen und ihr dort die Freiheit zu geben,
-damit nicht Alles verloren sei, was ich f&uuml;r sie zu
-thun versucht habe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Cousine, was f&uuml;r ein schreckliches &rsaquo;Uebles
-thun, da&szlig; Gutes daraus komme&lsaquo; ist das! Ich kann
-das nicht unterst&uuml;tzen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du mu&szlig;t nicht dar&uuml;ber scherzen, sondern die Sache
-vern&uuml;nftig betrachten,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia. &raquo;Alle meine
-Bem&uuml;hungen, dieses Kind zu einem christlichen Kinde zu
-machen, sind vergeblich, wenn ich es nicht gegen alle
-Zuf&auml;lle und Gefahren sch&uuml;tzen kann, die ihm von der
-Sklaverei drohen; und wenn es wirklich Deine Absicht
- <span class="pagenum"><a id="Page_105">[S. 105]</a></span>
-ist, sie mir eigenth&uuml;mlich zu &uuml;berlassen, so mu&szlig;t Du mir
-eine in gesetzlicher Form ausgestellte Urkunde dar&uuml;ber
-geben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gut, gut,&laquo; sagte St. Clare, &raquo;ich will es thun;&laquo;
-worauf er sich setzte, und eine Zeitung zu lesen begann.</p>
-
-<p>&raquo;Aber ich w&uuml;nschte, da&szlig; Du es gleich th&auml;test,&laquo; fuhr
-Mi&szlig; Ophelia fort.</p>
-
-<p>&raquo;Wozu ist diese schreckliche Eile?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Weil jetzt grade die einzige Zeit ist, in der etwas
-vorgenommen werden kann,&laquo; entgegnete Mi&szlig; Ophelia;
-&raquo;also komm', Cousin, hier ist Papier, Feder und Tinte;
-stelle mir eine Urkunde aus.&laquo;</p>
-
-<p>St. Clare, gleich der Mehrzahl seiner Geistesgenossen,
-ha&szlig;te jede Art gespannter Th&auml;tigkeit, und f&uuml;hlte
-sich de&szlig;halb nicht wenig gequ&auml;lt durch Opheliens Offenheit
-und Dringlichkeit.</p>
-
-<p>&raquo;Aber was hast Du denn?&laquo; sagte er. &raquo;Ist Dir
-denn mein Wort nicht gen&uuml;gend? Man sollte glauben,
-Du w&auml;rest bei den Juden in der Lehre gewesen, da&szlig;
-Du so &uuml;ber einen Menschen herf&auml;llst!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich will meiner Sache gewi&szlig; sein,&laquo; entgegnete
-Mi&szlig; Ophelia. &raquo;Du kannst sterben oder Dein Verm&ouml;gen
-verlieren, und dann w&uuml;rde Topsy, aller meiner Bem&uuml;hungen
-ungeachtet, fortgerissen und auf den Sklavenmarkt
-geschleppt werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;In der That, Du bist au&szlig;erordentlich vorsichtig.
-Gut, da ich sehe, da&szlig; ich doch einmal in der Hand einer
-Yanky bin, so mu&szlig; ich nachgeben,&laquo; sagte St. Clare, und
-schrieb schnell eine Ueberweisungsurkunde nieder, was
-ihm, da er mit den gesetzlichen Formen genau bekannt
-war, leicht wurde, unterzeichnete seinen Namen mit gro&szlig;en
-Buchstaben und schlo&szlig; mit einem m&auml;chtigen Schn&ouml;rkel.
-&raquo;Da, ist das nicht Schwarz auf Wei&szlig;?&laquo; sagte er,
-als er es ihr einh&auml;ndigte.</p>
-
-<p>&raquo;Bist ein guter Junge,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia l&auml;chelnd,
- <span class="pagenum"><a id="Page_106">[S. 106]</a></span>
-&raquo;aber mu&szlig; es nicht von einem Zeugen mit unterschrieben
-sein?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Plage! &mdash; ja. Hier,&laquo; rief er, die Th&uuml;r von
-Marien's Zimmer &ouml;ffnend, &raquo;Marie, Cousine bedarf
-Deiner Handschrift; komm', schreibe Deinen Namen
-hierher.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was ist das?&laquo; sagte Marie, w&auml;hrend sie das
-Papier &uuml;berlief. &mdash; &raquo;L&auml;cherlich! Ich dachte, Cousine
-w&auml;re zu fromm f&uuml;r so schreckliche Dinge,&laquo; f&uuml;gte sie hinzu,
-w&auml;hrend sie nachl&auml;ssig ihren Namen unterzeichnete, &raquo;aber
-wenn sie an dem Artikel Gefallen gefunden hat, so soll
-es uns willkommen sein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Da, nun ist sie Dein mit Leib und Seele,&laquo; sagte
-St. Clare, ihr das Papier aush&auml;ndigend.</p>
-
-<p>&raquo;Nicht mehr mein, als sie es zuvor war,&laquo; entgegnete
-Mi&szlig; Ophelia. &raquo;Niemand als Gott hat das Recht,
-sie mir zu geben; aber ich kann sie jetzt besch&uuml;tzen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, so geh&ouml;rt sie Dir durch eine Fiktion des
-Gesetzes,&laquo; sagte St. Clare, w&auml;hrend er in sein Zimmer
-zur&uuml;ckkehrte und sich wieder zu seiner Zeitung niedersetzte.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia, welche sich selten lange in Mariens
-Gesellschaft aufhielt, folgte ihm in das Zimmer, nachdem
-sie zuvor sorgf&auml;ltig die Urkunde fortgelegt hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Augustin,&laquo; sagte sie pl&ouml;tzlich, w&auml;hrend sie sich mit
-Stricken besch&auml;ftigte, &raquo;hast Du nie daran gedacht, Verf&uuml;gungen
-irgend einer Art zu Gunsten Deiner Dienstboten
-f&uuml;r den Fall Deines Todes zu treffen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein,&laquo; entgegnete St. Clare, w&auml;hrend er fortfuhr
-zu lesen.</p>
-
-<p>&raquo;Dann kann sich alle Deine Nachsicht gegen sie am
-Ende als eine gro&szlig;e Grausamkeit herausstellen.&laquo;</p>
-
-<p>St. Clare hatte oft dasselbe gedacht, aber er antwortete
-nachl&auml;ssig:</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe die Absicht, noch Verf&uuml;gungen zu treffen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wann?&laquo; fragte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;O, dieser Tage.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_107">[S. 107]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Wie aber, wenn Du fr&uuml;her stirbst?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Cousine, was meinst Du?&laquo; sagte St. Clare, sein
-Papier niederlegend und sie ansehend. &raquo;Glaubst Du, da&szlig;
-ich Symptome des gelben Fiebers oder der Cholera
-zeige, da&szlig; Du mit solchem Eifer von Verf&uuml;gungen f&uuml;r
-meinen Todesfall sprichst?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;&raquo;Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen,&laquo;&laquo;
-recitirte Ophelia.</p>
-
-<p>St. Clare erhob sich, legte nachl&auml;ssig seine Zeitung
-fort und trat in die offene Th&uuml;r der Veranda, um einer
-Unterhaltung ein Ende zu machen, die ihm nicht angenehm
-war. Mechanisch wiederholte er das Wort &mdash;
-&raquo;Tod!&laquo; &mdash; und w&auml;hrend er sich gegen das Gel&auml;nder
-lehnte, und das Steigen und Fallen des Wassers im
-Springbrunnen beobachtete, und die B&auml;ume und Blumen
-des Hofes wie durch einen feuchten Nebel betrachtete,
-wiederholte er wieder und wieder das Wort, welches in
-jedem Munde so gew&ouml;hnlich und doch von so furchtbarer
-Gewalt ist &mdash; &raquo;<em class="gesperrt">Tod!</em>&laquo; &raquo;Sonderbar,&laquo; sagte er, &raquo;da&szlig;
-es ein solches Wort und einen solchen Gegenstand giebt,
-deren wir nie eingedenk sind; da&szlig; man heut lebendig,
-warm, sch&ouml;n, voll von Hoffnungen und W&uuml;nschen und
-morgen f&uuml;r immer dahin sein kann!&laquo;</p>
-
-<p>Es war ein warmer, sonniger Abend, und als er
-zum andern Ende der Veranda ging, gewahrte er Tom,
-welcher eifrigst mit seiner Bibel besch&auml;ftigt war, jedes
-Wort mit dem Finger verfolgte, und sich selbst mit
-ernster Miene zufl&uuml;sterte.</p>
-
-<p>&raquo;Soll Dir wohl ein St&uuml;ckchen lesen, Tom?&laquo; sagte
-St. Clare, sich nachl&auml;ssig an seine Seite setzend.</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Master so gut sein wollte,&laquo; sagte Tom dankbar,
-&raquo;Master macht es so viel deutlicher.&laquo;</p>
-
-<p>St. Clare nahm das Buch, und begann eine jener
-von Tom mit gro&szlig;en Zeichen markirten Stellen zu lesen:
-Sie lautete folgenderma&szlig;en:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_108">[S. 108]</a></span></p>
-
-<blockquote>
-<p>&raquo;Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in
-seiner Herrlichkeit, und alle heilige Engel mit
-ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhle seiner
-Herrlichkeit; und werden vor ihm alle V&ouml;lker
-versammelt werden. Und er wird sie von einander
-scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe
-von den B&ouml;cken scheidet.&laquo;</p>
-</blockquote>
-
-<p>St. Clare las mit erhobener Stimme, bis er an
-den letzten Vers kam:</p>
-
-<blockquote>
-<p>&raquo;Da wird dann der K&ouml;nig sagen zu denen zu seiner
-Linken: &rsaquo;Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das
-ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen
-Engeln! Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich
-nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr
-habt mich nicht getr&auml;nket. Ich bin ein Gast gewesen,
-und ihr habt mich nicht beherberget. Ich
-bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet.
-Ich bin krank und gefangen gewesen, und
-ihr habt mich nicht besuchet.&lsaquo; Dann werden sie ihm
-auch antworten und sagen: &rsaquo;Herr, wann haben wir
-Dich gesehen hungrig, oder durstig, oder einen
-Gast, oder nackend, oder krank, oder gefangen, und
-wir haben Dir nicht gedienet?&lsaquo; Dann wird er ihnen
-antworten und sagen: &rsaquo;Wahrlich, ich sage Euch:
-Was ihr nicht gethan habt Einem unter diesen
-Geringsten, das habt ihr mir auch nicht gethan.&lsaquo;&laquo;</p>
-</blockquote>
-
-<p>St. Clare schien von dem letzteren Theile der Stelle
-tief ergriffen zu sein, denn er las sie zweimal, &mdash; das zweite
-Mal langsam, als wenn er die Worte im Geiste &uuml;berd&auml;chte.</p>
-
-<p>&raquo;Tom,&laquo; sagte er, &raquo;die Menschen, die mit so strengen
-Ma&szlig;regeln bedroht werden, scheinen gerade das gethan
-zu haben, was ich gethan habe, &mdash; ein behagliches, angenehmes
-Leben gef&uuml;hrt, und sich nicht darum bek&uuml;mmert,
-wie viele von ihren Mitbr&uuml;dern hungrig, durstig, krank
-oder gefangen seien.&laquo;</p>
-
-<p>Tom antwortete nicht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_109">[S. 109]</a></span></p>
-
-<p>St. Clare stand auf und schritt gedankenvoll in der
-Veranda auf und ab, alles Andere &uuml;ber seine eignen
-Gedanken so sehr vergessend, da&szlig; ihn Tom zweimal
-daran erinnern mu&szlig;te, da&szlig; die Glocke zum Thee gezogen
-worden sei, ehe er seine Aufmerksamkeit erwecken konnte.</p>
-
-<p>St. Clare blieb w&auml;hrend des Thee's abwesend und
-gedankenvoll. Nach demselben nahmen er und Marie und
-Mi&szlig; Ophelia von dem Wohnzimmer beinahe schweigend Besitz.
-Marie legte sich auf einen Sopha, unter einer seidenen
-Moskitodecke, und war bald entschlafen. Mi&szlig; Ophelia
-besch&auml;ftigte sich schweigend mit ihrem Strickzeuge, und
-St. Clare setzte sich am Piano nieder, und begann eine
-sanfte, melancholische Weise zu spielen. Er schien in tiefe
-Tr&auml;umereien versunken zu sein, und durch die Musik mit
-sich selbst zu reden. Nach einer kurzen Pause &ouml;ffnete er
-einen Kasten, und nahm ein altes Notenbuch hervor,
-dessen Bl&auml;tter bereits gelb geworden waren, und schlug
-es auf.</p>
-
-<p>&raquo;Dieses Buch,&laquo; sagte er zu Mi&szlig; Ophelien, &raquo;geh&ouml;rte
-meiner Mutter, &mdash; und hier ist ihre Handschrift, &mdash;
-komm', sieh' her. Sie kopirte und arrangirte dies von
-Mozart's Requiem.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia kam.</p>
-
-<p>&raquo;Sie sang dies oft,&laquo; fuhr St. Clare fort; &raquo;mir ist,
-als h&ouml;rte ich sie noch.&laquo;</p>
-
-<p>Er schlug einige majest&auml;tische Accorde an, und begann
-die erhabene, alte lateinische Arie, &raquo;<span class="antiqua">Dies Irae</span>,&laquo;
-zu singen.</p>
-
-<p>Tom, der sich in der &auml;u&szlig;eren Veranda befand,
-wurde durch die Kl&auml;nge bis an die Th&uuml;r gezogen, wo
-er eifrig horchend stehen blieb. Er verstand nat&uuml;rlich die
-Worte nicht; aber die Musik und der Gesang, besonders
-in den ausdrucksvolleren Stellen, schienen ihn tief zu
-ergreifen. Einen noch gr&ouml;&szlig;eren Eindruck w&uuml;rde Beides
-auf ihn gemacht haben, wenn er den Sinn der sch&ouml;nen
-Worte h&auml;tte verstehen k&ouml;nnen:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_110">[S. 110]</a></span></p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0"><span class="antiqua">Recordare Jesu pie,</span></span>
-<span class="i0"><span class="antiqua">Quod sum causa tuae viae</span></span>
-<span class="i0"><span class="antiqua">Ne me perdas illa die.</span></span>
-<span class="i0"><span class="antiqua">Quaerens me sedisti lassus,</span></span>
-<span class="i0"><span class="antiqua">Tantus labor non sit cassus.</span></span>
-</div></div>
-
-<p>St. Clare legte einen tief gef&uuml;hlten Ausdruck in die
-Worte, denn der d&uuml;stere Schleier der Jahre schien hinweg
-gezogen zu sein, und er glaubte noch die Stimme
-seiner Mutter zu h&ouml;ren. Stimme und Instrument schienen
-lebendig zu sein, und lie&szlig;en im innigsten Einklange jene
-herrlichen Harmonien ausstr&ouml;men, welche Mozart als sein
-eignes Sterbe-Requiem zuerst erdacht hatte.</p>
-
-<p>Als St. Clare aufgeh&ouml;rt hatte, lehnte er einige
-Augenblicke seinen Kopf in die Hand, und begann dann
-im Zimmer auf und ab zu gehen.</p>
-
-<p>&raquo;Welche erhabene Auffassung ist dies vom j&uuml;ngsten
-Gerichte!&laquo; sagte er, &mdash; &raquo;eine L&ouml;sung aller moralischen
-R&auml;thsel durch eine unwiderlegliche Weisheit! Es ist in
-der That ein herrliches Bild.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es ist f&uuml;r uns ein schreckliches,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Ich glaube, das sollte es f&uuml;r mich sein,&laquo; sagte
-St. Clare stillstehend und gedankenvoll. &raquo;Ich las diesen
-Nachmittag Tom das Kapitel aus dem Matth&auml;us vor,
-welches eine Schilderung davon enth&auml;lt, und ich f&uuml;hlte
-mich tief ergriffen. Man h&auml;tte schreckliche Abscheulichkeiten
-derjenigen als Grund annehmen sollen, welche von dem
-Himmel ausgeschlossen werden; aber nein, &mdash; sie sind
-verdammt, weil sie <em class="gesperrt">nicht</em> positiv Gutes gethan haben,
-als wenn dies schon jedes m&ouml;gliche Unrecht in sich
-schl&ouml;sse.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So mag es sein,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia; &raquo;es ist
-unm&ouml;glich f&uuml;r Jemanden, der nicht Gutes thut, kein
-Unrecht zu thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Und was,&laquo; sagte St. Clare sinnend, aber mit
-tiefem Gef&uuml;hle, &mdash; &raquo;was soll von Jemanden gesagt
- <span class="pagenum"><a id="Page_111">[S. 111]</a></span>
-werden, der durch sein eignes Herz, seine Erziehung und
-die Bed&uuml;rfnisse der menschlichen Gesellschaft zu edlen
-Zwecken aufgefordert worden ist, und der als ein tr&auml;umerischer,
-theilnahmloser Zuschauer bei den K&auml;mpfen,
-Leiden und Schmerzen seiner Mitmenschen fortgelebt hat,
-w&auml;hrend er h&auml;tte th&auml;tig f&uuml;r sie wirken sollen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich w&uuml;rde sagen,&laquo; entgegnete Mi&szlig; Ophelia, &raquo;da&szlig;
-er bereuen und von nun an beginnen solle.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Immer praktisch und zum Zwecke!&laquo; sagte St.
-Clare l&auml;chelnd. &raquo;Du l&auml;&szlig;t mir nie Zeit zu allgemeinen
-Betrachtungen, Cousine; Du stellst mich immer dicht vor
-die wirkliche Gegenwart; Du hast eine Art von ewigem
-<em class="gesperrt">Jetzt</em> fortw&auml;hrend im Geiste.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;<em class="gesperrt">Jetzt</em> ist auch die einzige Zeit, mit der ich etwas
-zu thun habe,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Meine theure, kleine Eva, &mdash; armes Kind!&laquo; sagte
-St. Clare, &raquo;sie gedachte in ihrer kleinen schlichten Seele
-ein gutes Werk f&uuml;r mich zu thun.&laquo;</p>
-
-<p>Es war das erste Mal seit Eva's Tode, da&szlig; er so
-viele Worte &uuml;ber sie ge&auml;u&szlig;ert hatte, und er unterdr&uuml;ckte
-jetzt augenscheinlich, w&auml;hrend er sprach, sehr heftige Empfindungen.</p>
-
-<p>&raquo;Meine Ansicht vom Christenthume ist eine solche,&laquo;
-fuhr er fort, &raquo;da&szlig; ich der Meinung bin, kein Mensch
-kann sich consequenter Weise dazu bekennen, ohne sich
-mit aller Macht diesem abscheulichen Systeme von Ungerechtigkeit
-entgegen zu werfen, welches allen unsern
-gesellschaftlichen Zust&auml;nden zu Grunde liegt, und im
-Falle der Noth sich selbst im Kampfe dagegen zu opfern.
-Ich will damit sagen, da&szlig; ich selbst mich unter keinen
-andern Bedingungen einen Christen nennen k&ouml;nnte, obgleich
-ich mit vielen erleuchteten und christlichen Leuten
-Umgang gehabt habe, die es nicht gethan haben; und
-ich bekenne, da&szlig; die Gleichg&uuml;ltigkeit religi&ouml;ser Leute &uuml;ber
-diesen Punkt, ihr Mangel an Empf&auml;nglichkeit f&uuml;r das
-Unrecht, welches mich mit Abscheu erf&uuml;llte, mehr dazu
- <span class="pagenum"><a id="Page_112">[S. 112]</a></span>
-beigetragen haben, Unglauben in mir zu erwecken, als
-irgend ein anderer Umstand.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Du alles die&szlig; wu&szlig;test,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia,
-&raquo;warum hast Du es nicht gethan?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, weil ich nur diejenige Art von Wohlwollen
-besitze, welche darin besteht, da&szlig; ich auf dem Sopha
-liege und die Kirche und alle Geistlichen verdamme, weil
-sie nicht M&auml;rtyrer und Bekenner in diesem Sinne sind.
-Man kann nat&uuml;rlich sehr leicht sehen, wie Andere M&auml;rtyrer
-sein sollten.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, willst Du von nun an anders handeln?&laquo;
-fragte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Gott allein kennt die Zukunft,&laquo; entgegnete St.
-Clare. &raquo;Ich bin besser als ich war, weil ich Alles verloren
-habe; und der, welcher nichts mehr zu verlieren
-hat, kann sich leicht allen Gefahren aussetzen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Und was willst Du jetzt thun?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Meine Pflicht, hoffe ich, gegen die Armen und
-Niedrigen, so weit ich sie erkennen kann,&laquo; sagte St.
-Clare, &raquo;und ich will mit meinen eignen Sklaven anfangen,
-f&uuml;r die ich bis jetzt nichts gethan habe; und zu
-einem sp&auml;teren Zeitpunkte kann es sich vielleicht zeigen,
-da&szlig; ich etwas f&uuml;r eine ganze Klasse thun kann, &mdash; etwas,
-um mein Vaterland von der Schande jener unrichtigen
-Stellung zu befreien, in der es jetzt vor allen
-civilisirten Nationen steht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;H&auml;ltst Du es f&uuml;r m&ouml;glich, da&szlig; eine Nation jemals
-von freien St&uuml;cken emancipiren werde?&laquo; sagte Mi&szlig;
-Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; nicht,&laquo; entgegnete St. Clare. &raquo;Es ist
-jetzt eine Zeit gro&szlig;er Handlungen. Heroismus und Uneigenn&uuml;tzigkeit
-erheben sich hier und dort auf der Erde.
-Der ungarische Adel hat mit einem ungeheuren Geldverluste
-Millionen von Sklaven freigelassen; und vielleicht
-finden sich auch unter uns edelm&uuml;thige Seelen, die
- <span class="pagenum"><a id="Page_113">[S. 113]</a></span>
-Ehre und Gerechtigkeit nicht nach Dollarn und Cents
-absch&auml;tzen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich glaube kaum,&laquo; bemerkte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Aber angenommen, wir erh&ouml;ben uns morgen und
-emancipirten, &mdash; wer w&uuml;rde diese Millionen erziehen,
-und ihnen lehren ihre Freiheit richtig zu gebrauchen?
-Wir selbst sind zu tr&auml;ge und unpraktisch, um ihnen eine
-Idee von der Industrie und Energie beizubringen, welche
-erforderlich sind, um sie zu Menschen zu machen. Sie
-werden nach Norden gehen m&uuml;ssen, wo Arbeit an der
-Tagesordnung, allgemeine Sitte ist; und sage mir nun,
-herrscht in Euren nordischen Staaten genug christliche
-Menschenliebe, um den Proze&szlig; ihrer Erziehung und
-Heranbildung zu unternehmen? Ihr sendet Tausende
-von Dollarn nach fernen Missionen, aber w&uuml;rdet Ihr
-erlauben, da&szlig; die Heiden in Eure eignen St&auml;dte und
-D&ouml;rfer gesendet w&uuml;rden, und Eure Zeit, Ueberlegung
-und Geld daran wenden, um sie nach christlichen Principien
-zu bilden? Das ist's, was ich gerne wissen
-m&ouml;chte! Wenn wir emancipiren, seid Ihr dann bereit
-zu erziehen? Wie viele Familien in Eurer Stadt w&uuml;rden
-wohl einen Neger oder eine Negerin in ihr Haus
-nehmen, sie unterrichten, und zu Christen machen? Wie
-viele Kaufleute w&uuml;rden sich wohl bereit finden lassen,
-den Adolph aufzunehmen, wenn ich einen Commis aus
-ihm machen, &mdash; oder Handwerker, wenn ich ihn ein
-Handwerk lernen lassen wollte? Wenn ich die Absicht
-h&auml;tte, Rosa und Jane in eine Schule zu bringen, wie
-viele Schulen w&uuml;rden sich in den n&ouml;rdlichen Staaten
-wohl finden, die sie ann&auml;hmen, wie viele Familien, die
-sie in Kost zu nehmen bereit w&auml;ren? Und dennoch
-sind sie so wei&szlig; wie irgend ein Frauenzimmer im Norden
-oder S&uuml;den. Du siehst, Cousine, ich will nur, da&szlig;
-man uns Gerechtigkeit widerfahren lasse. Wir befinden
-uns in einer b&ouml;sen Lage. Wir sind die mehr sichtbaren
- <span class="pagenum"><a id="Page_114">[S. 114]</a></span>
-Bedr&uuml;cker der Neger, aber das unchristliche Vorurtheil
-des Nordens ist ein eben so harter Tyrann.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig;, es ist so, Cousin,&laquo; entgegnete Mi&szlig;
-Ophelia, &mdash; &raquo;ich wei&szlig;, es war mir selbst so, bis
-ich es f&uuml;r meine Pflicht hielt, das Gef&uuml;hl zu unterdr&uuml;cken;
-aber ich hoffe, ich habe es unterdr&uuml;ckt, und ich
-wei&szlig;, da&szlig; es im Norden viele gute Menschen gibt, die
-&uuml;ber diesen Gegenstand nur belehrt zu werden brauchen,
-um ihre Pflicht zu erkennen und zu erf&uuml;llen. Es w&uuml;rde
-jedenfalls eine gr&ouml;&szlig;ere Selbstverl&auml;ugnung sein, Heiden
-unter uns aufzunehmen, als ihnen Mission&auml;re zuzusenden;
-aber ich glaube, wir w&uuml;rden es thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;<em class="gesperrt">Du</em> w&uuml;rdest es thun, das wei&szlig; ich!&laquo; sagte St.
-Clare. &raquo;Ich m&ouml;chte wissen, was Du nicht thun w&uuml;rdest,
-sobald Du es f&uuml;r Deine Pflicht hieltest!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich bin nicht so au&szlig;erordentlich gut,&laquo; entgegnete
-Mi&szlig; Ophelia. &raquo;Andere w&uuml;rden es eben so wohl thun,
-wenn sie die Sachen so ans&auml;hen wie ich. Wenn ich nach
-Hause reise, soll Topsy mit mir gehen. Ich glaube
-gern, unsere Leute werden sich anfangs wundern; aber
-sie werden bald dahin gelangen, die Sache eben so zu
-betrachten wie ich. Ueberdie&szlig; wei&szlig; ich, da&szlig; es Viele
-im Norden gibt, die grade das thun, was Du sagst.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber es ist nur die Minorit&auml;t; und wenn wir
-jemals anfangen sollten, zu emancipiren, so w&uuml;rden
-wir bald von Dir h&ouml;ren.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia antwortete nicht. Es herrschte einige
-Augenblicke lang eine Pause, und St. Clare's Gesicht
-hatte einen melancholischen, tr&auml;umerischen Ausdruck angenommen.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; nicht, was mich heut Abend so unaufh&ouml;rlich
-an meine Mutter erinnert,&laquo; sagte er. &raquo;Ich habe
-ein sonderbares Gef&uuml;hl, als ob sie mir nahe w&auml;re; und
-ich denke fortw&auml;hrend an Dinge, die sie mir gesagt hat.
-Woher kommt es nur, da&szlig; zuweilen vergangene Zeiten
-so lebhaft vor unsere Erinnerung gef&uuml;hrt werden?&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_115">[S. 115]</a></span></p>
-
-<p>Mehrere Minuten lang schritt St. Clare im Zimmer
-auf und ab, und sagte dann:</p>
-
-<p>&raquo;Ich will einige Augenblicke die Stra&szlig;e hinauf
-gehen, und h&ouml;ren, was f&uuml;r Neuigkeiten es gibt.&laquo;</p>
-
-<p>Er nahm seinen Hut und ging hinaus.</p>
-
-<p>Tom folgte ihm bis in den Hof, und fragte ihn,
-ob er ihn begleiten solle?</p>
-
-<p>&raquo;Nein, mein Junge,&laquo; sagte St. Clare, &raquo;in einer
-Stunde bin ich wieder zu Hause.&laquo;</p>
-
-<p>Tom setzte sich in der Veranda nieder. Es war
-ein sch&ouml;ner, mondheller Abend. Er betrachtete das
-Steigen und Fallen des Springbrunnens, horchte seinem
-Pl&auml;tschern und dachte an seine Heimath, und da&szlig;
-er nun bald ein freier Mensch sein werde, und nach
-Belieben dahin zur&uuml;ckkehren k&ouml;nne. Er dachte daran,
-wie er arbeiten werde, um seine Frau und seine Kinder
-loskaufen zu k&ouml;nnen; er bef&uuml;hlte mit einer Art
-Freude die Muskeln seiner sehnigen Arme, und dachte,
-da&szlig; diese ihm nun bald selbst geh&ouml;ren w&uuml;rden, und wie
-viel sie f&uuml;r die Freiheit seiner Familie w&uuml;rden arbeiten
-k&ouml;nnen. Dann dachte er an seinen edlen jungen Herrn,
-und als unmittelbare Folge davon sprach er das gewohnte
-Gebet f&uuml;r ihn; und dann wendeten sich seine
-Gedanken der sch&ouml;nen, kleinen Eva zu, die er jetzt unter
-den Engeln vermuthete; und dachte daran so lange, bis
-es ihm beinahe vorkam, als ob der goldene Kopf mit
-dem klaren Gesichtchen aus dem Schaume des Springbrunnens
-auf ihn nieder blicke. Und so sinnend schlief
-er ein, und tr&auml;umte, er sehe sie, nach ihrer gewohnten
-Weise, zu sich gesprungen kommen, mit einem Jasminkranz
-im Haare, gl&auml;nzende Wangen und vor Freude
-strahlenden Augen. Aber w&auml;hrend er sie betrachtete,
-schien sie aus der Erde aufzusteigen; ihre Wangen waren
-bleicher, &mdash; aus ihren Augen leuchtete ein tiefer,
-g&ouml;ttlicher Strahl, ihren Kopf umgab ein goldener Heiligenschein,
-&mdash; und sie verschwand vor seinen Augen;
- <span class="pagenum"><a id="Page_116">[S. 116]</a></span>
-und in demselben Augenblick wurde Tom durch ein
-lautes Pochen und den Klang vieler Stimmen aus seinen
-Tr&auml;umen erweckt.</p>
-
-<p>Er beeilte sich, das Thor zu &ouml;ffnen, worauf mehrere
-M&auml;nner mit ged&auml;mpften Stimmen und schwerem
-Tritte eintraten, welche einen, durch ein schwarzes Tuch
-bedeckten und auf einer Bahre liegenden K&ouml;rper trugen.
-Das Lampenlicht fiel auf das Gesicht desselben, und Tom
-stie&szlig; einen wilden, gellenden Schrei des Schreckens aus,
-der durch alle Gallerien scholl, w&auml;hrend die M&auml;nner
-mit ihrer B&uuml;rde sich dem offenen Wohnzimmer n&auml;herten,
-wo Mi&szlig; Ophelia mit Stricken besch&auml;ftigt sa&szlig;.</p>
-
-<p>St. Clare war in ein Caffehaus getreten, um die
-Abendzeitung zu lesen. W&auml;hrend er damit besch&auml;ftigt
-war, hatte sich zwischen zwei etwas berauschten Herrn
-im Zimmer ein Streit erhoben. St. Clare mit einigen
-andern der Anwesenden versuchte sie zu trennen, und empfing
-dabei einen Stich mit einem Jagdmesser, welches
-er einem der Streitenden zu entringen bem&uuml;ht war.</p>
-
-<p>Das Haus f&uuml;llte sich mit Geschrei, Klagen und
-Lamentationen; und die Dienstboten rauften sich ihr
-Haar, und warfen sich auf den Boden nieder oder rannten
-wie wahnsinnig umher. Tom und Mi&szlig; Ophelia
-allein schienen etwas Geistesgegenwart bewahrt zu haben,
-denn Marie lag in heftigen hysterischen Kr&auml;mpfen.
-Auf Mi&szlig; Opheliens Anordnung wurde eins der Kanapees
-im Zimmer zu einem Bettlager umgeschaffen, und
-die blutende Gestalt darauf gelegt. St. Clare war
-durch Schmerz und Blutverlust ohnm&auml;chtig geworden;
-allein, als Mi&szlig; Ophelia Wiederbelebungsmittel anwandte,
-kam er wieder zu sich, schlug die Augen auf, und schaute
-sich aufmerksam im Zimmer um, w&auml;hrend seine Blicke
-sinnend von einem Gegenstande zum andern wanderten,
-und endlich am Bilde seiner Mutter h&auml;ngen blieben.</p>
-
-<p>Der Arzt kam jetzt, und nahm seine Untersuchung
-vor. Es war in seinem Gesichte deutlich zu lesen, da&szlig;
- <span class="pagenum"><a id="Page_117">[S. 117]</a></span>
-keine Hoffnung vorhanden sei; allein er begann die Wunde
-zu verbinden, und er fuhr mit dieser Arbeit, unter Mi&szlig;
-Opheliens und Tom's Beih&uuml;lfe, ruhig fort, w&auml;hrend die
-erschreckten Dienstboten sich schluchzend und schreiend um
-die Fenster und Th&uuml;ren der Veranda dr&auml;ngten.</p>
-
-<p>&raquo;Jetzt,&laquo; sagte der Arzt, &raquo;m&uuml;ssen wir alle diese Gesch&ouml;pfe
-entfernen, denn Alles h&auml;ngt von der &auml;u&szlig;ersten
-Ruhe ab.&laquo;</p>
-
-<p>St. Clare &ouml;ffnete seine Augen und blickte starr auf
-die trostlosen Wesen, welche Mi&szlig; Ophelia und der Arzt
-aus dem Zimmer zu entfernen bem&uuml;ht waren. &raquo;Arme Gesch&ouml;pfe!&laquo;
-sagte er, mit dem Ausdrucke bitteren Vorwurfes
-gegen sich selbst. Adolph verweigerte positiv zu gehen.
-Der Schrecken hatte ihm alle Besinnung geraubt; er warf
-sich auf den Erdboden, und nichts konnte ihn verm&ouml;gen,
-wieder aufzustehen. Die Uebrigen gaben Mi&szlig; Opheliens
-dringenden Vorstellungen nach, da&szlig; das Leben
-ihres Herrn von ihrer Ruhe und ihrem Gehorsam abh&auml;nge.</p>
-
-<p>St. Clare konnte nur wenig sagen; er lag mit geschlossenen
-Augen da, aber k&auml;mpfte augenscheinlich mit
-bitteren Gedanken. Nach einer Weile legte er seine Hand
-auf die Tom's, der an seiner Seite kniete, und sagte:
-&raquo;Tom! armer Mensch!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was, Master?&laquo; sagte Tom mit innigem Tone.</p>
-
-<p>&raquo;Ich sterbe!&laquo; entgegnete St. Clare, seine Hand
-dr&uuml;ckend, &mdash; &raquo;bete!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Verlangen Sie vielleicht nach einem Geistlichen?&laquo;
-sagte der Arzt.</p>
-
-<p>St. Clare sch&uuml;ttelte unruhig mit dem Kopfe und
-wiederholte in noch dringenderem Tone zu Tom gewendet:
-&raquo;bete!&laquo;</p>
-
-<p>Und Tom begann zu beten, aus vollem Herzen,
-f&uuml;r die Seele, die im Begriff war zu scheiden, &mdash; die
-Seele, die so ruhig und so traurig aus den gro&szlig;en,
-melancholischen, blauen Augen blickte. Es war im eigentlichsten
- <span class="pagenum"><a id="Page_118">[S. 118]</a></span>
-Sinne des Wortes &raquo;ein Gebet unter Schreien
-und Thr&auml;nen.&laquo;</p>
-
-<p>Als Tom aufgeh&ouml;rt hatte, ergriff St. Clare seine
-Hand, und blickte ihn wehm&uuml;thig an, aber sagte nichts.
-Er schlo&szlig; seine Augen, aber hielt seine Hand fest, denn
-vor den Thoren der Ewigkeit ruhen die schwarze und
-die wei&szlig;e Hand mit gleich warmem Drucke in einander.
-Er murmelte leise und mit Unterbrechungen vor sich
-hin:</p>
-
-<p>
-<span class="antiqua">&raquo;Recordare Jesu pie &mdash;</span><br />
-</p>
-<hr class="tb" />
-<p>
-<span class="antiqua">Ne me perdas &mdash; illa die</span><br />
-<span class="antiqua">Quaerens me &mdash; sedisti lassus.&laquo;</span><br />
-</p>
-
-<p>Es war deutlich erkennbar, da&szlig; die Worte, welche
-er am Nachmittage gesungen hatte, seinem Geiste vorschwebten,
-&mdash; Worte der Bitte an eine unendliche
-Barmherzigkeit gerichtet. Seine Lippen bewegten sich
-mit Unterbrechungen, w&auml;hrend Bruchst&uuml;cke der Hymne
-von seinen Lippen flossen.</p>
-
-<p>&raquo;Sein Geist irrt umher,&laquo; sagte der Arzt.</p>
-
-<p>&raquo;Nein, er geht endlich <em class="gesperrt">heim</em>!&laquo; sagte St. Clare
-mit Nachdruck; &raquo;endlich! endlich!&laquo;</p>
-
-<p>Die Anstrengungen, die er machte, um zu sprechen,
-ersch&ouml;pften ihn. Allm&auml;hlig &uuml;berzog Todesbl&auml;sse sein
-Gesicht; aber mit ihr nahmen seine sch&ouml;nen Z&uuml;ge einen
-sanften Ausdruck des Friedens an, wie den eines m&uuml;den
-Kindes, welches einschlafen will.</p>
-
-<p class="pmb3">So lag er einige Augenblicke. Die Umstehenden
-sahen, da&szlig; die m&auml;chtige Hand ihn bereits ber&uuml;hrt habe.
-Kurz zuvor, ehe sein Geist entfloh, &ouml;ffnete er seine Augen
-mit einem Glanze, aus dem die Freude der Wiedererkennung
-strahlte, und mit dem Ausrufe: &raquo;Mutter!&laquo;
-verschied er.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_119">[S. 119]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Neunundzwanzigstes_Kapitel">Neunundzwanzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Die Schutzlosen.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Wir h&ouml;ren oft von dem ungl&uuml;cklichen Zustande der
-Negersklaven beim Verluste eines guten Herrn, und
-nicht ohne Grund, denn kein Wesen auf Gottes Erde
-ist schutzloser und verlassener, als ein Sklave unter
-solchen Umst&auml;nden.</p>
-
-<p>Das Kind, welches einen Vater verloren hat, genie&szlig;t
-noch den Schutz der Verwandten und des Gesetzes;
-es ist Etwas, und kann Etwas thun, &mdash; hat eine anerkannte
-Stellung und Rechte; der Sklave hat keine. Das
-Gesetz sieht ihn in jeder Beziehung als so rechtlos an
-wie einen Ballen Waare. Die einzig m&ouml;gliche Anerkennung
-seiner W&uuml;nsche und Bed&uuml;rfnisse, als eines menschlichen
-und unsterblichen Wesens, welche ihm werden
-kann, mu&szlig; durch den souver&auml;nen und unverantwortlichen
-Willen seines Herrn erfolgen. Die Zahl derjenigen
-Menschen, welche eine ohne jede Verantwortlichkeit verliehene
-Gewalt mit Menschlichkeit und Edelmuth auszu&uuml;ben
-verstehen, ist nur klein. Jedermann wei&szlig; das,
-und der Sklave wei&szlig; es am besten, da&szlig; er eher zehn
-grausame und tyrannische Herren, als einen milden und
-g&uuml;tigen findet. De&szlig;halb ist die Klage um einen menschenfreundlichen
-Herrn so laut und so anhaltend, wie es
-nicht anders sein kann.</p>
-
-<p>Als St. Clare verschieden war, hatten Schrecken
-und Best&uuml;rzung das ganze Hausgesinde ergriffen. Er
-hatte seinen Tod so pl&ouml;tzlich, in der Bl&uuml;the der Kraft
-und Jugend gefunden. Jedes Zimmer und jede Gallerie
- <span class="pagenum"><a id="Page_120">[S. 120]</a></span>
-des Hauses widerhallte von Schluchzen und Geschrei.</p>
-
-<p>Marie, deren reizbares Nervensystem durch eine
-fortw&auml;hrende Verweichlichung g&auml;nzlich geschw&auml;cht worden
-war, hatte nichts mehr, um einen so pl&ouml;tzlichen Schlag
-ertragen zu k&ouml;nnen, und verfiel, w&auml;hrend ihr Gatte
-seinen Geist aufgab, von einer Ohnmacht in die andere,
-so da&szlig; er aus diesem Leben schied, ohne derjenigen, die
-mit ihm durch das enge Band der Ehe verbunden war,
-auch nur ein Abschiedswort sagen zu k&ouml;nnen.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia war mit der ihr eigenth&uuml;mlichen
-St&auml;rke und Selbstbeherrschung bis zum letzten Augenblicke
-bei ihrem Blutsverwandten geblieben, &mdash; ganz
-Auge, ganz Ohr, ganz Aufmerksamkeit, hatte sie Alles
-gethan, was geschehen konnte, und hatte von ganzem Herzen
-in das weiche, inbr&uuml;nstige Gebet mit eingestimmt,
-welches der arme Sklave f&uuml;r die Seele seines sterbenden
-Herrn zum Himmel gerichtet hatte.</p>
-
-<p>Als man ihn zu seiner letzten Ruhe vorbereitete,
-wurde auf seiner Brust ein Miniaturgem&auml;lde in einem
-kleinen, einfachen Futterale gefunden, welches sich mittelst
-einer Feder &ouml;ffnete. Es war das Portrait eines
-edlen und sch&ouml;nen weiblichen Gesichtes, und auf der
-R&uuml;ckseite befand sich unter einem Krystallglase eine Locke
-dunklen Haares. Man legte Beides zur&uuml;ck auf seine
-kalte Brust, &mdash; Staub zu Staub, &mdash; traurige Ueberreste
-jugendlicher Tr&auml;ume, die einst dieses kalte Herz so
-warm schlagen lie&szlig;en!</p>
-
-<p>Tom's ganze Seele war mit Gedanken an die Ewigkeit
-erf&uuml;llt; und w&auml;hrend er um die sterblichen Ueberreste
-seines Herrn besch&auml;ftigt war, dachte er nicht einen Augenblick
-daran, da&szlig; dieser pl&ouml;tzliche Schlag ihn hoffnungsloser
-Sklaverei &uuml;berwiesen habe. Er war beruhigt &uuml;ber
-seinen Herrn; denn in jener Stunde, wo das inbr&uuml;nstige
-Gebet zum Vater seinen Lippen entstr&ouml;mt war, hatte er
-als Antwort darauf das Gef&uuml;hl einer ruhigen Zuversicht
- <span class="pagenum"><a id="Page_121">[S. 121]</a></span>
-in seiner Brust empfunden. In den Tiefen seines eigenen
-gef&uuml;hlvollen Gem&uuml;ths f&uuml;hlte er sich f&auml;hig, Spuren von
-der F&uuml;lle der g&ouml;ttlichen Liebe zu entdecken; denn ein
-alter Spruch sagt: &raquo;Wer in der Liebe bleibet, der bleibet
-in Gott, und Gott in ihm.&laquo; Tom hoffte, und vertraute,
-und war ruhig.</p>
-
-<p>Das Begr&auml;bni&szlig; ging vor&uuml;ber mit allem Prunke von
-schwarzem Krepp, Gebeten und feierlichen Gesichtern;
-und die kalten, tr&uuml;ben Wellen des t&auml;glichen Lebens rollten
-zur&uuml;ck, und die ewige, harte Frage dr&auml;ngte sich auf:
-&raquo;Was soll nun geschehen?&laquo; Sie dr&auml;ngte sich dem Geiste
-Mariens auf, als sie in leichten Morgengew&auml;ndern, umgeben
-von angstvollen Dienstboten, in einem bequemen
-Armstuhle sa&szlig;, und verschiedene Muster von Krepp und
-Bombasin untersuchte. Sie dr&auml;ngte sich Mi&szlig; Ophelien
-auf, welche begann, ihre Gedanken ihrer n&ouml;rdlichen Heimath
-zuzuwenden; und sie dr&auml;ngte sich mit geheimen Schrecken
-den Geistern der Sklaven auf, welche den gef&uuml;hllosen,
-tyrannischen Charakter ihrer Mistre&szlig;, in deren H&auml;nden
-sie jetzt allein waren, kannten. Alle wu&szlig;ten sehr wohl,
-da&szlig; die Nachsicht, deren sie sich bisher erfreut hatten,
-nicht von ihrer Mistre&szlig;, sondern nur von ihrem Herrn
-ausgegangen war, und da&szlig; von nun an, wo er todt
-war, kein Schutz und Schirm mehr zwischen ihnen und
-jeder tyrannischen Ma&szlig;regel vorhanden sei, welche ein
-durch Leiden verbittertes Gem&uuml;th ersinnen konnte.</p>
-
-<p>Es war ungef&auml;hr vierzehn Tage nach dem Leichenbeg&auml;ngni&szlig;,
-da&szlig; Ophelia eines Tages, als sie in ihrem
-Zimmer besch&auml;ftigt war, ein leises Klopfen an ihre Th&uuml;r
-h&ouml;rte. Sie &ouml;ffnete, und vor ihr stand Rosa, die niedliche,
-kleine Mulattin, deren wir schon fr&uuml;her &ouml;fters erw&auml;hnt
-haben, mit verst&ouml;rten Haaren und verweinten
-Augen.</p>
-
-<p>&raquo;O, Mi&szlig; Feely!&laquo; rief sie, auf ihre Kniee fallend,
-und den Saum von Opheliens Kleide fassend, &mdash; &raquo;bitte,
-bitte, gehen Sie zu Mi&szlig; Marien f&uuml;r mich! und bitten
- <span class="pagenum"><a id="Page_122">[S. 122]</a></span>
-Sie f&uuml;r mich! Sie will mich fortschicken, um gepeitscht
-zu werden, &mdash; sehen Sie hier!&laquo; Und sie h&auml;ndigte Mi&szlig;
-Ophelien ein Papier ein.</p>
-
-<p>Es war ein Befehl, welcher in Mariens zarter,
-italienischer Hand an den Vorsteher des Stockhauses geschrieben
-war, und den Auftrag enthielt, der Ueberbringerin
-f&uuml;nfzehn Hiebe zu ertheilen.</p>
-
-<p>&raquo;Was hast Du gethan?&laquo; fragte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;Sie wissen, Mi&szlig; Feely, ich habe ein so hitziges
-Temperament; &mdash; es ist recht h&auml;&szlig;lich von mir. Ich
-pa&szlig;te Mistre&szlig; Marien ein Kleid an, und sie schlug mir
-ins Gesicht, und ich sprach, ehe ich dachte, und war ungezogen;
-und da sagte sie, sie wolle mich herunterbringen,
-und ich solle ein f&uuml;r allemal wissen, da&szlig; ich nicht mehr
-so verwegen sein d&uuml;rfe, wie ich immer gewesen w&auml;re;
-und sie schrieb dies und sagte, ich solle es hintragen.
-Ich wollte lieber, sie br&auml;chte mich auf der Stelle um.&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia &uuml;berlegte, mit dem Papier in der
-Hand.</p>
-
-<p>&raquo;Sehen Sie, Mi&szlig; Feely,&laquo; sagte Rosa, &raquo;ich w&uuml;rde
-nicht so viel nach den Hieben fragen, wenn Mi&szlig; Marie
-oder Sie sie mir g&auml;ben; aber, an einen <em class="gesperrt">Mann</em> geschickt
-zu werden! &mdash; und solchen schrecklichen Mann, o, die
-Schande, Mi&szlig; Feely!&laquo;</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia wu&szlig;te recht wohl, da&szlig; es allgemeine
-Sitte war, Frauen und junge M&auml;dchen nach den Stockh&auml;usern
-zu schicken und sie dort den H&auml;nden der niedrigsten
-Menschen zu &uuml;bergeben, &mdash; Menschen, die roh genug
-waren, dies zu ihrem Gesch&auml;fte zu machen, &mdash; um dort
-gepeitscht und der schamlosesten Blo&szlig;stellung preisgegeben
-zu werden. Sie wu&szlig;te dies, aber hatte sich bisher nie
-selbst davon &uuml;berzeugt, bis sie die zarte Gestalt Rosa's
-jetzt in fast krampfhaftem Schmerze vor sich stehen und
-beben sah. Alles Gef&uuml;hl von Weiblichkeit, das in Neu-England
-so kr&auml;ftige Gef&uuml;hl f&uuml;r Freiheit r&ouml;thete ihre
-Wangen und lie&szlig; ihr Herz im h&ouml;chsten Unwillen heftiger
- <span class="pagenum"><a id="Page_123">[S. 123]</a></span>
-schlagen; allein, mit gewohnter Klugheit und Selbstbeherrschung
-unterdr&uuml;ckte sie ihr Gef&uuml;hl, und sagte nur,
-w&auml;hrend sie das Papier in ihrer Hand zerdr&uuml;ckte, zu
-Rosa:</p>
-
-<p>&raquo;Setze Dich hier, Kind, w&auml;hrend ich zu Deiner
-Mistre&szlig; gehe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sch&auml;ndlich! abscheulich!&laquo; sagte sie zu sich selbst,
-w&auml;hrend sie durch das Zimmer ging.</p>
-
-<p>Sie fand Marien in ihrem Armstuhle sitzend, und
-Mammy neben ihr stehend und besch&auml;ftigt, ihr Haar zu
-k&auml;mmen, w&auml;hrend Jane am Boden sa&szlig;, zu ihren F&uuml;&szlig;en,
-und diese zu w&auml;rmen bem&uuml;ht war.</p>
-
-<p>&raquo;Wie befinden Sie sich heut?&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>Ein tiefer Seufzer, wobei sie ihre Augen schlo&szlig;,
-war Marien's einzige Antwort im ersten Augenblicke;
-dann fuhr sie fort: &raquo;O, ich wei&szlig; nicht, Cousine; ich
-glaube, ich befinde mich so wohl, wie ich &uuml;berhaupt sein
-kann!&laquo; wobei sie ihre Augen mit einem wei&szlig;en Taschentuch
-trocknete, welches eine zollbreite, schwarze Einfassung
-hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Ich kam,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia mit einem kurzen,
-trockenen Husten, von dem gew&ouml;hnlich die Einf&uuml;hrung
-eines schwierigen Gegenstandes begleitet wird, &mdash; &raquo;ich
-kam hierher, um mit Ihnen &uuml;ber die arme Rosa zu
-sprechen.&laquo;</p>
-
-<p>Bei diesen Worten &ouml;ffneten sich Marien's Augen
-weit genug, und ihre bleichen Wangen r&ouml;theten sich,
-w&auml;hrend sie mit scharfer Stimme antwortete:</p>
-
-<p>&raquo;Nun, was ist's mit ihr?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sie bereut ihren Fehler sehr.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wirklich? Sie wird ihn wahrscheinlich noch mehr
-bereuen, ehe ich mit ihr ganz fertig bin! Ich habe die
-Unversch&auml;mtheit dieses Kindes lange genug ertragen, und
-will sie jetzt dem&uuml;thig machen, &mdash; sie soll mir im Staube
-liegen!&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_124">[S. 124]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Aber k&ouml;nnten Sie sie nicht auf irgend eine andere
-Weise bestrafen, &mdash; die weniger die Scham verletzte?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das ist grade meine Absicht; sie soll sich sch&auml;men.
-Sie hat sich ihr ganzes Leben so viel auf ihre Zartheit
-zu gut gethan, auf ihr h&uuml;bsches Gesicht, und auf ihre
-feinen Manieren, bis sie endlich ganz vergessen hat, wer
-und was sie eigentlich ist. Ich will ihr jetzt eine Lehre
-geben, die sie zur Besinnung bringen wird, wie ich
-hoffe!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber, Cousine, bedenken Sie doch, da&szlig; wenn Sie
-in einem jungen M&auml;dchen das Schamgef&uuml;hl und Zartgef&uuml;hl
-vernichten, Sie sie augenblicklich g&auml;nzlich verderben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Zartgef&uuml;hl!&laquo; sagte Marie mit ver&auml;chtlichem Lachen,
-&mdash; &raquo;ein sch&ouml;nes Wort f&uuml;r so Eine, wie sie ist! Ich will
-ihr, mit allen ihren feinen Manieren, lehren, da&szlig; sie nichts
-Besseres ist, als das zerlumpteste schwarze Mensch, das
-sich auf den Stra&szlig;en umhertreibt! Sie soll sich mir
-gegen&uuml;ber keine Miene mehr geben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sie werden Gott Rechenschaft geben m&uuml;ssen &uuml;ber
-solche Grausamkeit!&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia mit Nachdruck.</p>
-
-<p>&raquo;Grausamkeit, &mdash; ich m&ouml;chte wissen, wo hier Grausamkeit
-ist! Ich schrieb einen Befehl f&uuml;r f&uuml;nfzehn Hiebe,
-und bemerkte ausdr&uuml;cklich, da&szlig; sie leicht gegeben werden
-sollten. Ich d&auml;chte, das w&auml;re keine Grausamkeit!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Keine Grausamkeit!&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia. &raquo;Ich
-bin gewi&szlig;, da&szlig; jedes junge M&auml;dchen sich lieber geradezu
-umbringen lie&szlig;e!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So mag es jemanden von Ihrem Gef&uuml;hle erscheinen,
-aber alle diese Gesch&ouml;pf sind daran gew&ouml;hnt;
-denn es ist der einzige Weg, auf dem sie in Ordnung
-gehalten werden k&ouml;nnen. Erlauben Sie ihnen nur ein
-einziges Mal Mienen von Zartgef&uuml;hl und dergleichen
-anzunehmen, und Sie haben sie alle auf dem Halse, grade
-wie es meine Dienstboten mit mir gemacht haben. Ich
-habe jetzt angefangen, sie wieder zur Unterw&uuml;rfigkeit zu
-bringen; und sie sollen mir alle wissen, da&szlig; ich jeden,
- <span class="pagenum"><a id="Page_125">[S. 125]</a></span>
-ohne Unterschied, will auspeitschen lassen, wenn sie sich
-nicht in Acht nehmen!&laquo; sagte Marie, w&auml;hrend sie sich
-mit einem sehr determinirten Blicke unter den Anwesenden
-umsah.</p>
-
-<p>Jane lie&szlig; bei diesen Worten erschreckt ihren Kopf
-h&auml;ngen, denn es war ihr, als seien diese Worte besonders
-an sie gerichtet. Mi&szlig; Ophelia sa&szlig; einige Augenblicke
-da, als wenn sie eine explodirende Mixtur eingenommen
-h&auml;tte, und im Begriffe sei zu bersten; sodann
-aber die v&ouml;llige Nutzlosigkeit jedes ferneren Streites mit
-einer solchen Natur in Betracht ziehend, pre&szlig;te sie entschlossen
-ihre Lippen zusammen, erhob sich, und verlie&szlig;
-das Zimmer.</p>
-
-<p>Es war f&uuml;r sie eine harte Aufgabe, zu Rosa zur&uuml;ckzugehen,
-und ihr zu sagen, da&szlig; sie nichts habe f&uuml;r sie
-thun k&ouml;nnen; und gleich darauf erschien ein m&auml;nnlicher
-Sklave mit dem Befehle seiner Mistre&szlig;, Rosa nach dem
-Stockhause zu bringen, wohin sie, ihrer Thr&auml;nen und
-Bitten ungeachtet, unverz&uuml;glich geschleppt wurde.</p>
-
-<p>Wenige Tage nachher stand Tom sinnend an einem
-der Balkone, als Adolph zu ihm trat, der seit dem Tode
-seines Herrn im h&ouml;chsten Grade niedergeschlagen und
-trostlos gewesen war. Adolph wu&szlig;te, da&szlig; er von jeher
-f&uuml;r Marien ein Gegenstand des Widerwillens gewesen
-war; allein so lange sein Herr lebte, hatte er sich wenig
-darum gek&uuml;mmert. Jetzt, da er todt war, bewegte er
-sich in t&auml;glichem Zittern und Beben umher, ohne zu wissen,
-welches Schicksal ihn zun&auml;chst treffen werde. Marie
-hatte vielfache Consultationen mit ihrem Rechtsanwalte
-gehalten, und man war endlich, nachdem auch St. Clare's
-Bruder zur Berathung gezogen worden war, dahin &uuml;bereingekommen,
-da&szlig; die Besitzung und s&auml;mmtliche Sklaven
-verkauft werden sollten, mit alleiniger Ausnahme der ihr
-pers&ouml;nlich zugeh&ouml;rigen, mit denen sie nach der Pflanzung
-ihres Vaters zur&uuml;ckzukehren beabsichtigte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_126">[S. 126]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig;t Du, Tom, da&szlig; wir Alle verkauft werden
-sollen?&laquo; sagte Adolph.</p>
-
-<p>&raquo;Wo hast Du das geh&ouml;rt?&laquo; entgegnete Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Ich hatte mich hinter den Gardinen versteckt, als
-Missis mit dem Anwalte sprach. In wenigen Tagen
-sollen wir Alle zur Auktion geschickt werden,&laquo; sagte
-Adolph.</p>
-
-<p>&raquo;Des Herrn Wille geschehe!&laquo; erwiderte Tom mit
-schwerem Seufzer, seine H&auml;nde faltend.</p>
-
-<p>&raquo;Wir werden nie einen solchen Herrn wieder bekommen,&laquo;
-fuhr Adolph furchtsam fort; &raquo;aber ich will doch
-lieber verkauft werden, als bei Missis bleiben.&laquo;</p>
-
-<p>Tom wandte sich ab, &mdash; sein Herz war schwer. Die
-Hoffnung auf Freiheit, der Gedanke an sein fernes Weib
-und seine Kinder stieg vor seiner geduldigen Seele auf,
-wie vor dem Seemanne, der dicht vor dem Hafen noch
-Schiffbruch leidet, der Kirchthurm und die geliebten
-D&auml;cher seines heimatlichen Dorfes aufsteigen, die er nur
-&uuml;ber den Gipfel einer schwarzen Welle hinweg sieht, um
-ihnen f&uuml;r immer Lebewohl zu sagen. Er zog seine Arme
-dicht &uuml;ber die Brust zusammen und dr&uuml;ckte die andringenden,
-bitteren Thr&auml;nen zur&uuml;ck, und versuchte zu beten.
-Die arme, alte Seele hatte eine so unerkl&auml;rliche Liebe
-zur Freiheit, da&szlig; es ein harter Kampf f&uuml;r ihn war;
-und je &ouml;fter er sagte: &raquo;Dein Wille geschehe!&laquo; desto
-schwerer wurde ihm das Herz.</p>
-
-<p>Er suchte Mi&szlig; Ophelien auf, die seit Eva's Tode
-ihn stets mit besonderer G&uuml;te und Achtung behandelt hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Mi&szlig; Feely,&laquo; sagte er, &raquo;Master St. Clare versprach
-mir meine Freiheit. Er sagte mir, da&szlig; er den
-Anfang dazu gemacht habe; und wenn nun vielleicht
-Mi&szlig; Feely so gut sein wollte, ein Wort f&uuml;r mich mit
-Missis zu sprechen, so w&uuml;rde sie vielleicht das thun, was
-Mr. St. Clare's Wille war.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich will f&uuml;r Dich sprechen, Tom, und mein Bestes
-thun,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia; &raquo;allein, wenn es von Mrs.
- <span class="pagenum"><a id="Page_127">[S. 127]</a></span>
-St. Clare abh&auml;ngt, so kann ich Dir nicht viel Hoffnung
-machen, &mdash; dennoch will ich es versuchen.&laquo;</p>
-
-<p>Dieser Umstand ereignete sich wenige Tage nach dem
-Vorfalle mit Rosa, als Mi&szlig; Ophelia grade mit ihren
-Vorbereitungen zur R&uuml;ckkehr nach Norden besch&auml;ftigt war.</p>
-
-<p>Ernstlich hier&uuml;ber nachdenkend kam sie zu der Ansicht,
-da&szlig; sie in ihrer fr&uuml;heren Zusammenkunft mit Marien
-sich vielleicht einer zu heftigen Sprache bedient habe,
-und nahm sich de&szlig;halb vor, jetzt in einem so gem&auml;&szlig;igten
-und vers&ouml;hnenden Tone als m&ouml;glich zu reden. Die gute
-Seele erhob sich de&szlig;halb, nahm ihr Strickzeug, und beschlo&szlig;
-in Mariens Zimmer zu gehen, sich dort so angenehm
-wie m&ouml;glich zu machen, und f&uuml;r Toms Sache mit
-aller diplomatischen Kunst, die ihr zu Gebot stand, zu
-arbeiten.</p>
-
-<p>Sie fand Marien der L&auml;nge nach auf einem Sopha
-ausgestreckt, mit einem Ellbogen auf Kissen gest&uuml;tzt, w&auml;hrend
-Jane verschiedene Muster feinen, schwarzen Stoffes
-vor ihr ausbreitete.</p>
-
-<p>&raquo;Dieses hier w&uuml;rde mir gefallen,&laquo; sagte Marie, ein
-Muster ausw&auml;hlend; &mdash; &raquo;nur wei&szlig; ich nicht, ob es sich
-f&uuml;r Trauer pa&szlig;t.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Missis,&laquo; sagte Jane mit gel&auml;ufiger Zunge, &raquo;die
-Frau Generalin Derbennon trug grade dasselbe Zeug,
-als der General im vorigen Sommer gestorben war; es
-macht sich wundersch&ouml;n!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was denken Sie?&laquo; sagte Marie zu Mi&szlig; Ophelien.</p>
-
-<p>&raquo;Das ist Sache des Geschmackes,&laquo; entgegnete Mi&szlig;
-Ophelia. &raquo;Sie k&ouml;nnen dar&uuml;ber besser urtheilen als ich.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Die Sache ist die,&laquo; sagte Marie, &raquo;da&szlig; ich kein
-einziges Kleid habe, was ich tragen kann; und da ich
-hier das Haus und Alles verkaufen, und n&auml;chste Woche
-fortgehen will, so mu&szlig; ich mich zu Etwas entschlie&szlig;en.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gehen Sie schon so bald?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja. St. Clare's Bruder hat geschrieben, da&szlig; er
-und der Anwalt es f&uuml;r am zweckm&auml;&szlig;igsten hielten, die
- <span class="pagenum"><a id="Page_128">[S. 128]</a></span>
-Mobilien und die Sklaven zu verkaufen, und das Grundst&uuml;ck
-dem Anwalte zur Verwaltung zu &uuml;berlassen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich m&ouml;chte gern &uuml;ber einen Gegenstand mit Ihnen
-sprechen,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia. &raquo;Augustin versprach Tom
-seine Freiheit, und begann die Einleitung der dazu erforderlichen,
-gesetzlichen F&ouml;rmlichkeiten. Ich hoffe, da&szlig;
-Sie Ihren Einflu&szlig; benutzen werden, um seine Freilassung
-zu vollenden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wirklich? Ich habe nicht die Absicht, etwas Derartiges
-zu thun!&laquo; sagte Marie mit scharfem Tone.
-&raquo;Tom ist einer der werthvollsten Sklaven der ganzen
-Besitzung &mdash; das geht unm&ouml;glich an. Ueberdies, wozu
-braucht er seine Freiheit? Er ist so viel besser daran.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber er sehnt sich so sehr danach, und sein Herr
-hat sie ihm versprochen,&laquo; entgegnete Mi&szlig; Ophelia.</p>
-
-<p>&raquo;O freilich, er sehnt sich danach,&laquo; sagte Marie.
-&raquo;sie sehnen sich Alle danach, weil sie ein unzufriedenes
-Geschmei&szlig; sind, und immer danach verlangen, was sie
-nicht besitzen. Es ist durchaus gegen meine Grunds&auml;tze,
-irgend Einen frei zu lassen. So lange ein Neger unter
-einem Herrn ist, befindet er sich wohl, und thut gut;
-aber sobald man ihn freil&auml;&szlig;t, wird er faul, will nicht
-mehr arbeiten, f&auml;ngt an zu trinken, und wird gemein
-und nichtsnutzig. Habe das hundertmal gesehen; 's ist
-gar keine Wohlthat f&uuml;r sie, freigelassen zu werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber Tom ist so ordentlich, so flei&szlig;ig und so fromm!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, Sie brauchen mir das nicht zu sagen! Ich habe
-hundert gesehen, wie er. Er wird sich so lange gut betragen,
-als er unter strenger Aufsicht steht, &mdash; l&auml;nger
-nicht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber bedenken Sie doch,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia,
-&raquo;wie leicht er einen schlechten Herrn bekommen kann, wenn
-Sie ihn zum Verkaufe ausstellen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, das ist Alles Thorheit!&laquo; entgegnete Marie.
-&raquo;Nicht einmal unter hundert geschieht es, da&szlig; ein guter
-Dienstbote einen schlechten Herrn bek&ouml;mmt. Die meisten
- <span class="pagenum"><a id="Page_129">[S. 129]</a></span>
-Herren sind gut, was auch immer gesprochen werden
-m&ouml;ge. Ich habe hier im S&uuml;den gelebt, und bin hier
-aufgewachsen, und habe nie einen Herrn kennen gelernt,
-der seine Leute nicht gut behandelte, &mdash; grade so gut,
-als es n&ouml;thig ist. Dar&uuml;ber bin ich ganz ruhig.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wohl,&laquo; sagte Mi&szlig; Ophelia mit Nachdruck, &raquo;ich
-wei&szlig;, da&szlig; es einer der letzten W&uuml;nsche Ihres Gatten
-war, da&szlig; Tom seine Freiheit haben solle; es war ein
-Versprechen, welches er der lieben, kleinen Eva auf ihrem
-Sterbebette gemacht hatte, und ich glaubte nicht, da&szlig;
-Sie sich f&uuml;r berechtigt halten w&uuml;rden, dies zu vergessen.&laquo;</p>
-
-<p>Marie bedeckte bei dieser Anrede ihr Gesicht mit
-dem Taschentuche, und begann heftig zu schluchzen und
-ihr Riechfl&auml;schchen zu gebrauchen.</p>
-
-<p>&raquo;Jeder Mensch ist gegen mich!&laquo; sagte sie. &raquo;Jeder
-ist so r&uuml;cksichtslos! Ich h&auml;tte nicht gedacht, da&szlig; <em class="gesperrt">Sie</em>
-auch mir alle diese Erinnerungen meiner Leiden vorhalten
-w&uuml;rden, &mdash; es ist so r&uuml;cksichtslos! aber Niemand hat
-die geringste R&uuml;cksicht f&uuml;r mich, &mdash; meine Leiden sind unaussprechlich!
-Ist es nicht schrecklich, da&szlig;, wenn ich nur
-eine einzige Tochter habe, ich auch diese verlieren mu&szlig;?
-&mdash; und da&szlig; mir mein Mann, der grade f&uuml;r mich pa&szlig;te,
-genommen werden mu&szlig;? &mdash; Und nun scheinen Sie auch
-noch so wenig Gef&uuml;hl zu haben, und erinnern mich daran
-so unbarmherzig, &mdash; da Sie doch wissen, wie sehr
-es mich angreift! Ich glaube recht gern, da&szlig; Sie es gut
-meinen, aber es ist so r&uuml;cksichtslos!&laquo; Und Marie schluchzte
-und suchte nach Athem, und rief Mammy zu, das Fenster
-zu &ouml;ffnen, und ihr die Kampferflasche zu bringen, und
-ihr das Kleid aufzuhaken; und w&auml;hrend der hierauf folgenden
-Unruhe trat Mi&szlig; Ophelia ihren R&uuml;ckzug in ihr
-eigenes Zimmer an. Sie sah, da&szlig; es nutzlos sein w&uuml;rde,
-noch mehr &uuml;ber den Gegenstand zu sprechen; denn Marie
-hatte eine unendliche Fertigkeit, hysterische Anf&auml;lle heraufzubeschw&ouml;ren,
-und sobald nachher irgend eine Erw&auml;hnung
- <span class="pagenum"><a id="Page_130">[S. 130]</a></span>
-der von ihrem Manne oder Eva ausgesprochenen W&uuml;nsche
-in Betreff der Dienstboten geschah, fand sie es jedes
-Mal f&uuml;r angemessen, einen solchen zu H&uuml;lfe zu rufen.
-Mi&szlig; Ophelia that de&szlig;halb das Einzige, was sie noch f&uuml;r
-Tom thun konnte, &mdash; sie schrieb an Mrs. Shelby, schilderte
-seine traurige Lage, und bat um H&uuml;lfe f&uuml;r ihn.</p>
-
-<p class="pmb3">Am n&auml;chsten Tage wurden Tom und Adolph mit
-einem halben Dutzend anderer Dienstboten nach einem
-Sklavenhause abgef&uuml;hrt, um daselbst den H&auml;ndler abzuwarten,
-der eine gr&ouml;&szlig;ere Anzahl zur &ouml;ffentlichen Versteigerung
-sammeln wollte.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Dreissigstes_Kapitel">Drei&szlig;igstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Das Sklavenhaus.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Ein Sklavenhaus! ein Sklavenspeicher! Vielleicht
-machen sich manche unserer Leser eine schreckliche Vorstellung
-von einem solchen Orte, &mdash; halten ihn f&uuml;r eine
-schmutzige, finstere H&ouml;hle, einen schrecklichen Tartarus,
-&raquo;<span class="antiqua">informis, ingens, cui lumen ademptum.</span>&laquo; Aber nein,
-unschuldiger Freund; in jetziger Zeit hat man die Kunst
-gelernt, auf anst&auml;ndige Weise zu s&uuml;ndigen, so da&szlig; die
-Augen und Gef&uuml;hle guter Gesellschaft nicht beleidigt werden.
-Menschliche Waare steht in gutem Preise, und wird
-de&szlig;halb wohl gen&auml;hrt, wohl gereinigt und abgewartet,
-damit sie glatt, kr&auml;ftig und gesund auf den Markt komme.
-Ein Sklavenhaus in New-Orleans unterscheidet sich &auml;u&szlig;erlich
-wenig von anderen H&auml;usern und wird in reinlichem
-Stande gehalten. Vor demselben kann man t&auml;glich unter
- <span class="pagenum"><a id="Page_131">[S. 131]</a></span>
-einer Art Schuppen Reihen von M&auml;nnern und Weibern
-ausgestellt sehen, welche als Zeichen derjenigen Waare
-dienen, die innerhalb verkauft wird. Dann wirst du
-h&ouml;flich eingeladen einzutreten und zu untersuchen, und
-wirst eine gro&szlig;e Anzahl von Ehem&auml;nnern, Weibern, V&auml;tern,
-M&uuml;ttern, Br&uuml;dern, Schwestern und jungen Kindern
-finden, die einzeln oder zusammen, je nachdem die K&auml;ufer
-es w&uuml;nschen, losgeschlagen werden sollen; und die unsterbliche
-Seele, die einst mit dem Blute und der Todesangst
-des Sohnes Gottes verkauft wurde, als die Erde
-erbebte und die Felsen zersprangen, und die Gr&auml;ber sich
-&ouml;ffneten, kann jetzt verkauft, verdungen, verpf&auml;ndet oder
-gegen Waaren jeder Art ausgetauscht werden, um den
-Bed&uuml;rfnissen des Handels oder den W&uuml;nschen der K&auml;ufer
-zu gen&uuml;gen.</p>
-
-<p>Es war, wie erw&auml;hnt, wenige Tage nach jener Unterhaltung
-zwischen Marien und Mi&szlig; Ophelien, da&szlig; Tom,
-Adolph und ein halbes Dutzend anderer zur St. Clareschen
-Besitzung geh&ouml;riger Sklaven der menschenfreundlichen
-F&uuml;rsorge Mr. Skeggs' &uuml;berwiesen wurden, welcher einen
-Sklavenhandel in der F....stra&szlig;e hielt, um in der am
-n&auml;chsten Tage Statt findenden Auktion zum Verkaufe gestellt
-zu werden. Tom hatte einen ganz ansehnlichen
-Koffer mit Kleidungsst&uuml;cken bei sich, wie die meisten Anderen.
-Sie wurden f&uuml;r die Nacht in ein langes Zimmer
-gef&uuml;hrt, in welchem sich viele andere M&auml;nner von jedem
-Alter, jeder Gr&ouml;&szlig;e und Schattirung befanden, die ein
-Gebr&uuml;ll von Lachen und sorgloser Fr&ouml;hlichkeit erschallen
-lie&szlig;en.</p>
-
-<p>&raquo;Ah, ah! das ist recht. Nur zu, Jungens, &mdash; nur
-zu,&laquo; sagte Mr. Skeggs, der Verwalter. &raquo;Meine Leute
-sind immer lustig! &mdash; Sambo, ich sehe!&laquo; f&uuml;gte er, an
-einen dicken Neger gewendet, beif&auml;llig hinzu, der durch
-Possen der niedrigsten Art das Gel&auml;chter erzeugte, welches
-Tom geh&ouml;rt hatte.</p>
-
-<p>Wie sich leicht denken l&auml;&szlig;t, war Tom nicht in der
- <span class="pagenum"><a id="Page_132">[S. 132]</a></span>
-Stimmung, an diesen Sp&auml;ssen Theil zu nehmen. Indem
-er deshalb seinen Kasten so entfernt wie m&ouml;glich von der
-l&auml;rmenden Gruppe auf den Boden stellte, setzte er sich
-darauf nieder, und lehnte seinen Kopf gegen die Wand.</p>
-
-<p>Die H&auml;ndler mit menschlichen Waaren bem&uuml;hen sich
-gewissenhaft, auf systematische Weise ger&auml;uschvolle Heiterkeit
-unter ihnen zu erhalten und zu bef&ouml;rdern, als ein
-Mittel, jedes Nachdenken zu ert&ouml;dten und sie gef&uuml;hllos
-f&uuml;r ihre Lage zu machen. Der ganze Zweck der
-Zucht, unter welche der Neger von dem Augenblicke
-an gebracht wird, wo er auf dem n&ouml;rdlichen Markte
-verkauft worden, bis dahin, wo er nach S&uuml;den k&ouml;mmt,
-ist darauf berechnet, ihn gef&uuml;hllos und sorglos zu
-machen. Der Sklavenh&auml;ndler sammelt sich eine Anzahl
-in Virginien oder Kentucky, und treibt sie nach irgend
-einem passenden, gesunden Orte, um fett zu werden. Hier
-werden sie t&auml;glich mit &uuml;berfl&uuml;ssiger Nahrung versehen, und,
-weil Manche darunter sind, welche sich zum Gram hinneigen,
-wird eine Geige f&uuml;r sie gehalten, nach der sie
-t&auml;glich tanzen m&uuml;ssen; und derjenige, welcher es verweigert,
-heiter zu sein, &mdash; in dessen Seele vielleicht die Gedanken
-an Weib, Kind oder Heimath zu stark sind, um
-fr&ouml;hlich sein zu k&ouml;nnen, &mdash; wird als t&uuml;ckisch und gef&auml;hrlich
-bezeichnet, und allen Uebeln blo&szlig; gestellt, die der Unwille
-eines gef&uuml;hllosen und von jeder Verantwortung freien
-Menschen ihm auferlegen kann. Gewandtheit, Munterkeit
-und Heiterkeit, besonders in Gegenwart von Beobachtern,
-werden ihnen fortw&auml;hrend eingepr&auml;gt, nicht nur
-durch die ihnen vorgehaltene Hoffnung, dadurch einen guten
-Herrn zu bekommen, sondern auch durch die Furcht
-vor den Uebeln, welche der H&auml;ndler ihnen zuf&uuml;gen darf,
-im Falle sie nicht verkauft werden k&ouml;nnen.</p>
-
-<p>&raquo;Was macht dieser Nigger hier?&laquo; sagte Sambo, sich
-Tom n&auml;hernd, nachdem Mr. Skeggs das Zimmer verlassen
-hatte. Sambo war ganz schwarz, gro&szlig;, sehr lebendig,
-gespr&auml;chig, und voll von Possen und Grimassen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_133">[S. 133]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Was machst Du hier?&laquo; sagte Sambo, zu Tom
-herankommend, und ihn scherzhaft in die Seite sto&szlig;end:
-&mdash; &raquo;nachdenken, he?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich soll morgen verkauft werden, &mdash; auf der Auktion,&laquo;
-entgegnete Tom ruhig.</p>
-
-<p>&raquo;Verkauft &mdash; auf Auktion, &mdash; ho! ho! Jungens, ist
-das nicht ein Spa&szlig;? Wollte, ich ginge selbst den Weg!
-&mdash; sage Euch, wollt' ich sie nicht lachen machen? Aber
-wie, &mdash; die ganze Sippschaft hier soll morgen verkauft
-werden?&laquo; sagte Sambo, seinen Arm vertraulich auf Adolphs
-Schulter legend.</p>
-
-<p>&raquo;Ich bitte, mich in Frieden zu lassen,&laquo; sagte Adolph
-grimmig, und sich mit dem Ausdruck des &auml;u&szlig;ersten Abscheu's
-in die H&ouml;he richtend.</p>
-
-<p>&raquo;Ho, ho! Jungens, dieser hier ist einer von den
-wei&szlig;en Niggers, &mdash; so 'ne Art K&auml;sefarbe, riecht gut!&laquo;
-sagte er, sich Adolph n&auml;hernd und schniffelnd. &raquo;Herr! der
-'s gut f&uuml;r 'nen Tabacksladen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;La&szlig; mich in Frieden! &mdash; verstehst Du?&laquo; rief Adolph
-w&uuml;thend.</p>
-
-<p>&raquo;Sieh' Einer! wie empfindlich wir sind, &mdash; wir
-wei&szlig;en Nigger! Sieh' uns nur an!&laquo; sagte Sambo, indem
-er Adolphs Manieren nachzu&auml;ffen suchte; &mdash; &raquo;wie grazi&ouml;s!
-wir sind in sehr guter Familie gewesen, &mdash; vermuthe!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja,&laquo; entgegnete Adolph, &raquo;ich hatte einen Master,
-der Euch alle f&uuml;r alten Plunder h&auml;tte kaufen k&ouml;nnen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nun sieh' Einer,&laquo; entgegnete Sambo, &raquo;was f&uuml;r ein
-Herr wir sind!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich geh&ouml;rte der Familie St. Clare,&laquo; sagte Adolph
-stolz.</p>
-
-<p>&raquo;Wirklich? na, ich will mich h&auml;ngen lassen, wenn's
-nicht ein Gl&uuml;ck f&uuml;r sie ist, da&szlig; sie Dich los werden. Sie
-verkaufen Dich wohl mit den alten zerbrochenen Theekannen
-und solcher Waare!&laquo; sagte Sambo grinsend.</p>
-
-<p>Adolph, durch diesen Hohn rasend gemacht, flog w&uuml;thend
- <span class="pagenum"><a id="Page_134">[S. 134]</a></span>
-auf seinen Gegner zu, und fluchte und schlug auf
-ihn los von allen Seiten. Die Uebrigen schrieen und
-lachten, und der allgemeine L&auml;rm rief endlich den Aufseher
-herbei.</p>
-
-<p>&raquo;Was gibt's hier, Jungens? Ruhe &mdash; Ruhe!&laquo; rief
-er eintretend, und eine lange Peitsche schwingend.</p>
-
-<p>Alle entflohen nach verschiedenen Richtungen, ausgenommen
-Sambo, welcher, im Vertrauen auf die Gunst
-des Aufsehers, deren er sich bisher als privilegirter Spa&szlig;macher
-erfreut hatte, stehen blieb, und seinen Kopf mit
-komischem Grinsen versteckte, sobald der Master einen Angriff
-auf ihn machte.</p>
-
-<p>&raquo;O, Master, wir sind's nicht, &mdash; wir sind ganz ordentlich,
-&mdash; hier, diese Neuen sind's; &mdash; <em class="gesperrt">die</em> lassen uns
-nicht zufrieden, &mdash; haben uns zum Besten immer zu!&laquo;</p>
-
-<p>Der Aufseher wandte sich hierauf gegen Tom und
-Adolph, theilte einige St&ouml;&szlig;e und P&uuml;ffe ohne viel Untersuchung
-aus, und verlie&szlig; sodann wieder das Zimmer,
-nachdem er zuvor allgemeine Befehle f&uuml;r Alle, sich ruhig
-zu verhalten und zum Schlafen niederzulegen, zur&uuml;ckgelassen
-hatte.</p>
-
-<p>W&auml;hrend diese Scene im Schlafzimmer der M&auml;nner
-spielte, ist der Leser vielleicht nicht abgeneigt, einen Blick
-in das dem weiblichen Personale angewiesene, &auml;hnliche
-Gemach zu thun. Ausgestreckt auf dem Erdboden in den
-verschiedenartigsten Stellungen kann er hier zahllose Gestalten,
-von jeder Hautfarbe, vom schw&auml;rzesten Ebenholz
-bis zum reinsten Wei&szlig;, und von jedem Alter, vom Kindes-
-bis zum Greisenalter, schlafen sehen. Hier liegt ein sch&ouml;nes,
-liebliches M&auml;dchen von zehn Jahren, dessen Mutter
-gestern verkauft wurde, und welches sich diese Nacht selbst
-in den Schlaf weinte, w&auml;hrend Niemand darauf achtete.
-Hier befindet sich eine alte Negerin, deren d&uuml;nne Arme
-und kn&ouml;cherige Finger von schwerer Arbeit erz&auml;hlen, und
-die am morgenden Tage als ein abgenutzter Artikel losgeschlagen
-werden soll; und um sie her liegen vierzig bis
- <span class="pagenum"><a id="Page_135">[S. 135]</a></span>
-f&uuml;nfzig Andere ausgestreckt, deren K&ouml;pfe in Bettdecken
-oder Theile ihrer Kleidungsst&uuml;cke gewickelt sind. Allein
-in der Ecke, abgesondert von den Uebrigen, sitzen zwei
-Frauenzimmer, deren Aeu&szlig;eres mehr Interesse als gew&ouml;hnlich
-erweckt. Die Eine derselben ist eine anst&auml;ndig
-gekleidete Mulattin zwischen vierzig und f&uuml;nfzig Jahren,
-mit sanften Augen und weichen, einnehmenden Z&uuml;gen.
-Sie tr&auml;gt auf dem Kopfe einen hohen, aus rothseidenen
-Madrast&uuml;chern gewundenen Turban, und ihre Kleidung
-ist von feinem Stoffe und sauberer Arbeit, was als Beweis
-gilt, da&szlig; sie einer sorgsamen Hand bisher angeh&ouml;rt
-hat. An ihrer Seite, dicht an sie gedr&uuml;ckt, sitzt ein junges
-M&auml;dchen von f&uuml;nfzehn Jahren, &mdash; ihre Tochter. Sie
-ist eine Quadroon, wie ihre hellere Gesichtsfarbe andeutet,
-obgleich ihre Aehnlichkeit mit der Mutter unverkennbar
-ist. Sie hat dasselbe sanfte, dunkle Auge, nur mit
-l&auml;ngeren Wimpern, und ihr &uuml;ppiges, lockiges Haar ist
-von gl&auml;nzendem Braun. Ihre Kleidung ist ebenfalls von
-der gr&ouml;&szlig;ten Sauberkeit, und ihre zarten, wei&szlig;en H&auml;nde
-verrathen wenig Bekanntschaft mit niedriger Arbeit. Diese
-Beiden sollen am morgenden Tage zugleich mit den St.
-Clare'schen Leuten verkauft werden; und der Herr, dem
-sie geh&ouml;ren, und dem das f&uuml;r sie gel&ouml;ste Geld zugeschickt
-werden soll, ist Mitglied einer christlichen Kirche in New-York,
-welcher das Geld in Empfang nehmen, und nachher
-zum Sakramente seines und ihres Herrn gehen und
-nicht weiter an sie denken wird.</p>
-
-<p>Diese beiden Frauenzimmer, welche wir Susan und
-Emmeline nennen wollen, waren Dienerinnen einer liebensw&uuml;rdigen
-und frommen Dame in New-Orleans gewesen,
-von der sie mit Sorgfalt und in Fr&ouml;mmigkeit
-erzogen und unterrichtet worden waren. Sie hatten lesen
-und schreiben, und die Wahrheiten der Religion erkennen
-gelernt, und ihr Loos war im Allgemeinen ein so gl&uuml;ckliches
-gewesen, als es unter ihren Verh&auml;ltnissen &uuml;berhaupt
-m&ouml;glich war. Allein der einzige Sohn ihrer Besch&uuml;tzerin,
- <span class="pagenum"><a id="Page_136">[S. 136]</a></span>
-welcher die Verwaltung ihres ganzen Eigenthums hatte,
-versank durch Nachl&auml;ssigkeit oder Verschwendung in eine
-tiefe Schuldenlast und fallirte endlich. Einer der bedeutendsten
-Creditoren war die sehr achtbare Firma <span class="antiqua">B. et Cie.</span>
-in New-York. Dieselbe schrieb an ihren Anwalt in New-Orleans,
-welcher das vorhandene Verm&ouml;gen mit Arrest
-belegte (dessen werthvollster Theil in diesen beiden Frauenzimmern
-und einer Anzahl Feldsklaven bestand), und der
-Letztere erstattete Bericht an die Firma. Bruder <span class="antiqua">B.</span>, der,
-wie gesagt, ein christlicher Mann und ein Bewohner eines
-Freistaates war, f&uuml;hlte einige Unbehaglichkeit &uuml;ber diesen
-Gegenstand. Er wollte nat&uuml;rlich nicht gern mit Sklaven
-und menschlichen Seelen handeln; allein es handelte sich
-um drei&szlig;ig tausend Dollars in diesem Falle, und dies
-war eine etwas zu gro&szlig;e Summe, um sie einem Principe
-zu opfern; und so schrieb endlich Bruder <span class="antiqua">B.</span> nach langer
-Ueberlegung und nach Einholung von Rath bei Denjenigen,
-deren Rath, wie er wu&szlig;te, ihm zusagen werde, an
-seinen Anwalt, da&szlig; er den Aktivbestand auf die zweckm&auml;&szlig;igste
-Weise verwerthen und den Erl&ouml;s an ihn einsenden
-m&ouml;ge.</p>
-
-<p>Am Tage nach Eingang dieses Briefes wurden Susan
-und Emmeline mit Arrest belegt, und an den Sklavendepot
-abgeliefert, um dort die am n&auml;chsten Morgen
-stattfindende allgemeine Versteigerung zu erwarten; und
-w&auml;hrend sie jetzt dort schwach im Mondlichte schimmern,
-welches sich durch die vergitterten Fenster stiehlt, k&ouml;nnen
-wir ihrer Unterhaltung lauschen. Beide weinen, aber
-Jede leise und im Stillen, damit die Andere es nicht
-h&ouml;re.</p>
-
-<p>&raquo;Mutter, lege Deinen Kopf in meinen Schoo&szlig;, und
-versuche, ob Du nicht ein wenig schlafen kannst,&laquo; sagte
-das junge M&auml;dchen, w&auml;hrend es sich M&uuml;he gab, ruhig
-zu erscheinen.</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe kein Herz zu schlafen, Em; ich kann
- <span class="pagenum"><a id="Page_137">[S. 137]</a></span>
-nicht; &mdash; es ist vielleicht die letzte Nacht, da&szlig; wir bei
-einander sind!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Mutter, sage das nicht! vielleicht werden wir
-zusammen verkauft, &mdash; wer wei&szlig;!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn jemand anderes sich in diesem Falle bef&auml;nde,
-so w&uuml;rde ich das auch sagen, Em,&laquo; entgegnete die Mutter,
-&raquo;aber ich habe so gro&szlig;e Angst, Dich zu verlieren,
-da&szlig; ich nichts als die Gefahr sehe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber Mutter, der Mann sagte doch, da&szlig; wir beide
-gut auss&auml;hen, und gut verkauft werden w&uuml;rden.&laquo;</p>
-
-<p>Susan erinnerte sich der Blicke und Worte des
-Mannes. Mit innerem Beben gedachte sie, wie er Emmelinens
-H&auml;nde betrachtet, und ihre Locken aufgehoben,
-und sie f&uuml;r einen Artikel erster Klasse erkl&auml;rt hatte.
-Susan war auf christlichem Wege erzogen, und an ein
-t&auml;gliches Lesen der Bibel gew&ouml;hnt worden, und hegte
-deshalb denselben Abscheu davor, ihr Kind zu einem Leben
-der Schande verkauft zu sehen, wie jede andre christliche
-Mutter; aber sie hatte keine Hoffnung &mdash; keinen
-Schutz f&uuml;r sie.</p>
-
-<p>&raquo;Mutter, ich denke, wir k&ouml;nnten uns recht wohl befinden,
-wenn Du eine Stelle als K&ouml;chin, und ich als
-Stubenm&auml;dchen oder N&auml;herin in irgend einer Familie
-bek&auml;mest. Ich hoffe es. La&szlig; uns beide so heiter aussehen
-wie wir k&ouml;nnen, und Alles sagen, was wir verstehen;
-vielleicht bekommen wir dann solche Stellen,&laquo;
-sagte Emmeline.</p>
-
-<p>&raquo;Du mu&szlig;t morgen Dein ganzes Haar glatt nach
-hinten k&auml;mmen,&laquo; sagte Susan.</p>
-
-<p>&raquo;Weshalb, Mutter? ich sehe dann bei weitem nicht
-so gut aus.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber Du wirst so besser verkauft werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich sehe nicht ein, weshalb!&laquo; sagte das Kind.</p>
-
-<p>&raquo;Anst&auml;ndige Familien werden Dich eher kaufen,
-wenn Du einfach und sittsam aussiehst, und Dich nicht
- <span class="pagenum"><a id="Page_138">[S. 138]</a></span>
-h&uuml;bsch machen willst. Ich kenne ihre Art und Weise
-besser als Du,&laquo; sagte Susan.</p>
-
-<p>&raquo;Gut, Mutter, dann will ich es thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Und wenn wir uns von morgen an nie wieder
-sehen sollten, Emmeline, &mdash; wenn ich nach irgend einer
-Plantage verkauft werden sollte, und Du anderswohin,
-&mdash; so denke immer daran, wie Du erzogen worden bist,
-und was Missis Dir gesagt hat. Nimm' Deine Bibel
-und Dein Gesangbuch mit Dir, und sei Gott getreu, so
-wird er Dir getreu sein.&laquo;</p>
-
-<p>So spricht die arme Seele in schmerzlicher Muthlosigkeit,
-denn sie wei&szlig;, da&szlig; am folgenden Tage jeder
-Mensch, so gemein und roh, so gottlos und unbarmherzig
-er auch immer sein m&ouml;ge, Herr ihrer Tochter an
-Leib und Seele werden kann, sobald er das n&ouml;thige
-Geld f&uuml;r sie zu erlegen im Stande ist; und wie soll
-das Kind dann seinem Gott getreu bleiben? Sie denkt
-an alles dies, w&auml;hrend sie ihre Tochter im Arme h&auml;lt,
-und w&uuml;nscht, da&szlig; diese weniger h&uuml;bsch und anziehend
-sein m&ouml;chte. Sie hat keine andre Zuflucht als zum
-Gebete; und viele solcher Gebete sind von diesen saubern,
-reinlichen Sklavengef&auml;ngnissen zu Gott emporgestiegen,
-&mdash; Gebete, die Gott nicht vergessen hat, wie sich an
-einem Tage, der noch kommen soll, zeigen wird; denn
-es steht geschrieben: &raquo;Wer aber &auml;rgert dieser Geringsten
-Einen, dem w&auml;re besser, da&szlig; ein M&uuml;hlstein an seinen
-Hals geh&auml;nget w&uuml;rde, und er ers&auml;ufet w&uuml;rde im Meere
-da es am tiefsten ist.&laquo;</p>
-
-<p>Die sanften, ernsten, stillen Mondesstrahlen fallen
-durch die St&auml;be des vergitterten Fensters, und werfen
-den Schatten derselben auf die ausgestreckten, schlafenden
-Gestalten, w&auml;hrend Mutter und Tochter eine jener milden,
-melancholischen Trauerarien singen, welche unter
-den Sklaven als Begr&auml;bni&szlig;ges&auml;nge &uuml;blich sind.</p>
-
-<p>Singt nur, arme Seelen! Die Nacht ist kurz, und
-der kommende Morgen wird Euch f&uuml;r ewig trennen!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_139">[S. 139]</a></span></p>
-
-<p>Aber jetzt tagt der Morgen, und Alles ist munter;
-und der w&uuml;rdige Mr. Skeggs ist gesch&auml;ftig und guter
-Laune, denn eine Quantit&auml;t Waare soll zur Versteigerung
-in Stand gesetzt werden. Alles macht Toilette, und
-Befehle ergehen an einen Jeden, das beste Gesicht anzulegen,
-und heiter zu sein; und dann werden alle zur
-letzten Rev&uuml;e in einen Kreis gestellt, ehe sie nach der
-B&ouml;rse abgef&uuml;hrt werden, und Mr. Skeggs, mit der Cigarre
-im Munde, h&auml;lt die letzte Schau.</p>
-
-<p>&raquo;Was ist das?&laquo; fragte er, vor Susan und Emmelinen
-tretend. &raquo;Wo sind Deine Locken, M&auml;dchen?&laquo;</p>
-
-<p>Das M&auml;dchen blickte furchtsam auf ihre Mutter,
-welche mit der ihrem Geschlechte eigenth&uuml;mlichen, sanften
-Gewandtheit antwortete: &raquo;Ich sagte ihr gestern Abend,
-ihr Haar glatt zu k&auml;mmen, und es nicht in Locken umherh&auml;ngen
-zu lassen, weil es anst&auml;ndiger aussehe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O Unsinn!&laquo; entgegnete der Mann, und f&uuml;gte, sich
-in befehlendem Tone an das M&auml;dchen wendend, hinzu:
-&raquo;Du gehst mir auf der Stelle, und bringst Deine Locken
-wieder ordentlich in Stande! &mdash; und bist mir schnell
-wieder hier!&laquo; und an die Mutter gerichtet, sagte er:
-&raquo;Die Locken bringen vielleicht 'en hundert Dollar mehr
-beim Verkaufe.&laquo;</p>
-
-<p>Unter einem gl&auml;nzenden Dome befanden sich Menschen
-aller Nationen, die sich auf den Marmorplatten des
-Fu&szlig;bodens hin und her bewegten. Auf jeder Seite der
-kreisf&ouml;rmigen Area standen kleine Trib&uuml;nen zum Gebrauche
-von Rednern oder Auktionatoren. Zwei derselben
-auf gegen&uuml;berliegenden Seiten der Area waren jetzt von
-talentvollen M&auml;nnern besetzt, welche mit gro&szlig;em Enthusiasmus
-in gemischtem Englisch und Franz&ouml;sisch die Gebote
-der Kenner ihrer verschiedenen Waaren in die H&ouml;he
-trieben. Eine dritte Trib&uuml;ne auf der andern Seite,
-noch unbesetzt, war von einer Gruppe umringt, welche
-auf den Anfang der Versteigerung wartete. Hier k&ouml;nnen
-wir St. Clares ehemalige Dienstboten finden, Tom,
- <span class="pagenum"><a id="Page_140">[S. 140]</a></span>
-Adolph und andere; und au&szlig;erdem Susan und Emmeline,
-welche mit angstvollen, niedergeschlagenen Mienen
-ihr Schicksal erwarten. Mehrere Zuschauer, theils kauflustig,
-theils nicht, umgaben die Gruppe, und untersuchten,
-bef&uuml;hlten und besprachen die verschiedenen Gesichter
-und Gliedma&szlig;en mit derselben Freiheit, mit der eine
-Gesellschaft Ro&szlig;k&auml;mme die Verdienste eines Pferdes bespricht.</p>
-
-<p>&raquo;Holla! Alf! was bringt Dich denn hieher?&laquo;
-sagte ein junger Stutzer, einem andern, auffallend geputzten
-jungen Manne auf die Schulter schlagend, welcher
-Adolph durch eine Lorgnette beobachtete.</p>
-
-<p>&raquo;Ich brauche einen Lackei,&laquo; entgegnete dieser, &raquo;und
-h&ouml;rte, da&szlig; St. Clare's Leute an die Reihe k&auml;men; und
-so wollt' ich mir 'mal ansehen &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wollte mich h&uuml;ten; jemals einen von St. Clare's
-Leuten zu kaufen! verdirbt alle seine Nigger, &mdash; sind
-unversch&auml;mt wie der Teufel!&laquo; sagte der Andere.</p>
-
-<p>&raquo;F&uuml;rchte mich nicht davor!&laquo; sagte der Erstere.
-&raquo;Wenn ich sie habe, will ich ihnen bald ihre Manieren
-abgew&ouml;hnen, &mdash; sollen bald wissen, da&szlig; sie mit einem
-andern Master zu thun haben, als mit Monsieur St.
-Clare. Mein Wort, ich kaufe den Burschen; &mdash; er gef&auml;llt
-mir.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du wirst sehen, es kostet Dich Alles, was Du hast,
-um ihn zu halten; &mdash; er ist teufelsm&auml;&szlig;ig ausschweifend.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber Mylord wird sehen, da&szlig; er bei <em class="gesperrt">mir</em>
-nicht ausschweifend sein <em class="gesperrt">kann</em>. La&szlig; ihn nur erst ein
-paar Male nach dem Stockhause geschickt und gr&uuml;ndlich
-dressirt sein, &mdash; dann wird er schon zur Besinnung kommen!
-Ich will ihn schon reformiren. &mdash; Du sollst es
-sehen. Ich kaufe ihn, das steht fest!&laquo;</p>
-
-<p>Tom hatte inzwischen sinnend die Menge von Gesichtern
-derer gepr&uuml;ft, die sich um ihn dr&auml;ngten, und
-nach Einem gesucht, den er seinen Herrn h&auml;tte nennen
-m&ouml;gen. Wenn Du, lieber Leser, Dich jemals in der
- <span class="pagenum"><a id="Page_141">[S. 141]</a></span>
-Nothwendigkeit befinden solltest, aus zweihundert M&auml;nnern
-einen auszuw&auml;hlen, der Dein unbeschr&auml;nkter Herr
-und Eigenth&uuml;mer werden soll, so w&uuml;rdest Du wie Tom
-sehen, wie wenige darunter zu finden sind, denen Du
-Dich bereitwillig zu diesem Zwecke &uuml;bermachen lassen
-m&ouml;chtest. Tom sah eine gro&szlig;e Anzahl von M&auml;nnern
-vor sich, &mdash; gro&szlig;e, dicke und finstere; kleine, magere
-und muntere; lange und d&uuml;nne, mit harten Gesichtsz&uuml;gen,
-und jede Abstufung gemeiner Gesichter, die ihren
-Mitmenschen aufnehmen, wie man Sp&auml;ne aufsammelt,
-um sie in's Feuer oder in den Korb zu werfen; aber
-er sah keinen St. Clare.</p>
-
-<p>Kurz vorher, ehe der Verkauf begann, dr&auml;ngte sich
-ein kurzer, breiter, muskul&ouml;ser Mann, in einem bunten
-Hemde, welches auf der Brust weit offen war, und sehr
-schmutzigen Beinkleidern, durch die Menge, wie Jemand,
-der eifrig an ein Gesch&auml;ft gehen will, und begann, als
-er der Gruppe n&auml;her kam, diese systematisch zu untersuchen.
-Vom ersten Augenblicke, wo Tom ihn sich n&auml;hern
-sah, f&uuml;hlte er einen unwillk&uuml;hrlichen Schrecken vor ihm,
-der sich steigerte, je n&auml;her er zu ihm kam. Der Mann
-besa&szlig; augenscheinlich, obgleich er klein war, eine gigantische
-Kraft. Sein runder, kugelf&ouml;rmiger Kopf, seine
-gro&szlig;en, hellgrauen Augen, mit den zottigen, rothen
-Augenbrauen, und sein struppiges, sonnverbranntes
-Haar waren allerdings wenig einnehmende Eigenschaften;
-sein gro&szlig;er, gemeiner Mund dehnte sich unter gro&szlig;en
-Tabacksballen, deren Saft er von Zeit zu Zeit mit gro&szlig;er
-Kraft und Entschiedenheit hinausschleuderte; seine H&auml;nde
-waren unf&ouml;rmlich gro&szlig;, haarig, sonnverbrannt, fleckig,
-sehr schmutzig, mit langen N&auml;geln versehen, und &uuml;berhaupt
-in einem ekelhaften Zustande. Dieser Mann begann
-eine sehr dreiste, pers&ouml;nliche Untersuchung der zum
-Verkauf aufgestellten Sklaven. Er ergriff Tom beim
-Kiefer, und ri&szlig; seinen Mund auf, um seine Z&auml;hne zu
-untersuchen; lie&szlig; ihn seinen Aermel aufstreifen, um
- <span class="pagenum"><a id="Page_142">[S. 142]</a></span>
-seine Muskeln zu zeigen, und drehte ihn herum, und lie&szlig;
-ihn springen, um seine Gelenkigkeit zu pr&uuml;fen.</p>
-
-<p>&raquo;Wo bist Du aufgebracht worden?&laquo; fragte er kurz
-nach diesen Untersuchungen.</p>
-
-<p>&raquo;In Kentucky, Master,&laquo; sagte Tom, sich wie nach
-H&uuml;lfe umschauend.</p>
-
-<p>&raquo;Was hast Du da gethan?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Habe Master's Farm verwaltet,&laquo; entgegnete Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Sehr wahrscheinliche Geschichte!&laquo; sagte der Andere
-kurz, w&auml;hrend er weiter ging. Er blieb einen Augenblick
-vor Adolph stehen, feuerte eine Ladung Tabakssaft
-auf seine blank geputzten Stiefeln ab, und ging
-mit einem ver&auml;chtlichen &raquo;Umph!&laquo; weiter. Vor Susan
-und Emmelinen blieb er wieder stehen. Er streckte seine
-schwere schmutzige Hand aus, und zog das M&auml;dchen zu
-sich, strich ihr damit &uuml;ber Nacken und Brust, untersuchte
-ihre Z&auml;hne, und stie&szlig; sie dann wieder zu ihrer Mutter
-zur&uuml;ck, deren geduldiges Gesicht das tiefe Leiden verrieth,
-welches sie bei jeder Bewegung des scheu&szlig;lichen Fremden
-empfunden hatte.</p>
-
-<p>Das M&auml;dchen war erschreckt worden, und fing an
-zu weinen.</p>
-
-<p>&raquo;Still da! Du Heuldirne! kein Bl&auml;rren hier!&laquo;
-rief der Auktionator, &mdash; &raquo;der Verkauf beginnt.&laquo;</p>
-
-<p>Adolph wurde f&uuml;r eine gute Summe dem jungen
-Manne zugeschlagen, welcher seine Absicht, ihn zu kaufen,
-vorher schon erkl&auml;rt hatte; und die &uuml;brigen Leute
-St. Clare's fielen verschiedenen Bietern zu.</p>
-
-<p>&raquo;Hinauf nun mit Dir, Bursche! h&ouml;rst Du?&laquo; rief
-der Auktionator Tom zu.</p>
-
-<p>Tom stieg auf den Block und lie&szlig; seine Blicke &auml;ngstlich
-umher streifen, w&auml;hrend alles Ger&auml;usch in einem
-gemeinsamen, undeutlichen L&auml;rm zusammenflo&szlig;, &mdash; das
-Geschrei des Verk&auml;ufers, welcher Tom's Eigenschaften in
-Franz&ouml;sisch und Englisch ausrief, das scharfe Feuer der
-franz&ouml;sischen und englischen Gebote; &mdash; und einen Augenblick
- <span class="pagenum"><a id="Page_143">[S. 143]</a></span>
-sp&auml;ter folgte der letzte Schlag des Hammers,
-und der deutliche Schall der letzten Sylbe des Wortes
-<em class="gesperrt">Dollar</em>, als der Auktionator die Summe verk&uuml;ndete,
-und Tom hatte einen Herrn!</p>
-
-<p>Er wurde vom Block hinabgesto&szlig;en; &mdash; der kleine,
-rundk&ouml;pfige Mann packte ihn bei der Schulter, stie&szlig; ihn
-nach einer Seite, und rief ihm mit lauter Stimme zu:
-&raquo;Hier bleib stehen!&laquo;</p>
-
-<p>Tom wu&szlig;te kaum, was mit ihm geschah. Inzwischen
-dauerten die Gebote fort, &mdash; l&auml;rmend und ger&auml;uschvoll,
-bald englisch, bald franz&ouml;sisch. Nieder f&auml;llt der
-Hammer wieder, &mdash; Susan ist verkauft! Sie steigt
-vom Blocke herab, bleibt stehen, und blickt sich kummervoll
-um; &mdash; ihre Tochter streckt ihre Arme nach ihr
-aus. Sie schaut verzweiflungsvoll dem Manne in's Gesicht,
-der sie gekauft hat, &mdash; ein anst&auml;ndig aussehender
-Mann von mittlerem Alter, mit wohlwollenden Z&uuml;gen.</p>
-
-<p>&raquo;O Master, bitte, kaufen Sie meine Tochter auch!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich h&auml;tte wohl Lust, aber ich f&uuml;rchte, ich kann
-nicht!&laquo; sagte der Mann, und schaute mit &auml;ngstlichem
-Interesse zu, als das junge M&auml;dchen den Block bestieg,
-und sich mit furchtsamen, scheuen Blicken umschaute.
-Das Blut steigt in ihre sonst bleichen Wangen, ihr
-Auge gl&uuml;ht fieberhaft, und ihre Mutter gewahrt verzweiflungsvoll,
-da&szlig; sie sch&ouml;ner erscheint als zuvor. Der
-Auktionator sieht seinen Vortheil und l&auml;&szlig;t sich mit gel&auml;ufiger
-Zunge in gemischtem Englisch und Franz&ouml;sisch
-&uuml;ber ihre Vorz&uuml;ge aus, und die Gebote folgen schnell
-aufeinander.</p>
-
-<p>&raquo;Ich will thun, was ich kann,&laquo; sagte der gutm&uuml;thig
-aussehende Mann, dr&auml;ngte sich vor und fing an
-mitzubieten. In wenigen Augenblicken haben die Gebote
-seine B&ouml;rse &uuml;berstiegen, und er schweigt. Der
-Auktionator wird w&auml;rmer, aber die Gebote lassen allm&auml;hlig
-nach. Es sind nur noch zwei Bieter da, ein alter,
-aristokratischer B&uuml;rger, und unser rundk&ouml;pfiger
- <span class="pagenum"><a id="Page_144">[S. 144]</a></span>
-Freund. Der B&uuml;rger &uuml;berbietet mehrmals, und sieht
-seinen Gegner ver&auml;chtlich an; aber der Rundkopf ist ihm
-&uuml;berlegen, sowohl an Hartn&auml;ckigkeit als in geheimer
-L&auml;nge der B&ouml;rse, und der Streit w&auml;hrt nur kurze Zeit.
-Der Hammer f&auml;llt, &mdash; er hat das M&auml;dchen, Leib und
-Seele, so Gott ihr nicht hilft.</p>
-
-<p>Ihr Herr ist Mr. Legree, welcher eine Baumwollen-Plantage
-am rothen Flu&szlig; besitzt. Sie wird mit Tom
-und zwei andern M&auml;nnern zusammen getrieben, und
-weinend fortgeschleppt.</p>
-
-<p>Dem gutm&uuml;thigen Manne thut es leid; allein der
-Fall ereignet sich t&auml;glich! Man sieht ja stets auf diesen
-Verk&auml;ufen M&auml;dchen und M&uuml;tter weinen! es l&auml;&szlig;t sich
-nicht &auml;ndern, u. s. w., und er entfernt sich mit seinem
-neuen Besitzthume in einer anderen Richtung.</p>
-
-<p class="pmb3">Zwei Tage sp&auml;ter sandte der Anwald der christlichen
-Firma <span class="antiqua">B et Cie.</span> in New-York das Geld ein. Auf die
-R&uuml;ckseite des auf diese Weise erlangten Wechsels m&ouml;gen
-sie die Worte des gro&szlig;en Zahlmeisters schreiben, dem
-sie an einem sp&auml;teren Tage werden Rechenschaft legen
-m&uuml;ssen: &raquo;Denn er gedenket und fraget nach ihrem Blut;
-er vergi&szlig;t nicht des Schreiens der Armen.&laquo;</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_145">[S. 145]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Einunddreissigstes_Kapitel">Einunddrei&szlig;igstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Die Fahrt.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i5">Deine Augen sind rein, da&szlig; du Uebles nicht</span>
-<span class="i5">sehen magst, und dem Jammer kannst du nicht</span>
-<span class="i5">zusehen. Warum siehst du denn zu den Verr&auml;thern</span>
-<span class="i5">und schweigest, da&szlig; der Gottlose verschlinget</span>
-<span class="i5">den, der fr&ouml;mmer denn er ist.</span>
-</div></div>
-
-
-<p>Am unteren Ende eines kleinen Bootes, auf dem
-rothen Flusse, sa&szlig; Tom, &mdash; Ketten an seinen Handgelenken,
-Ketten an seinen F&uuml;&szlig;en, und eine Last, schwerer
-als diese Ketten, auf seiner Brust. Alles war an seinem
-Horizonte verschwunden, &mdash; Mond und Sterne;
-Alles war an ihm vor&uuml;bergeflogen wie die B&auml;ume und
-Ufer jetzt an ihm vor&uuml;ber flogen, um nie wieder zu
-kehren. Die Heimath in Kentucky, mit Weib und Kindern
-und der freundlichen Herrschaft; St. Clare's Haus
-mit allem seinem Luxus und Glanze; der goldlockige
-Kopf Eva's mit seinen frommen Augen; der stolze,
-heitre, h&uuml;bsche, anscheinend so sorglose, aber immer g&uuml;tige
-St. Clare; Stunden der Mu&szlig;e und Behaglichkeit,
-&mdash; Alles fort! und was war an dessen Stelle geblieben?</p>
-
-<p>Es geh&ouml;rt mit zu den bittersten Erfahrungen des
-Sklavenlebens, da&szlig; der Neger, der von Natur mitf&uuml;hlend
-und leicht empf&auml;nglich ist, nachdem er in einer gebildeten
-Familie den Geschmack und die Empfindungen
-der dortigen Atmosph&auml;re kennen gelernt hat, nichts destoweniger
-in jedem Augenblick wieder der Sklave des
- <span class="pagenum"><a id="Page_146">[S. 146]</a></span>
-rohesten und brutalsten Menschen werden kann, &mdash; gerade
-wie ein Stuhl oder Tisch, welcher einst den kostbarsten
-Salon zierte, und endlich zerschlagen und entstellt
-in das Schenkzimmer eines schmutzigen Wirthshauses
-oder in eine niedrige H&ouml;hle gemeiner Ausschweifung
-gelangt. Der gro&szlig;e Unterschied besteht aber darin, da&szlig;
-der Stuhl und der Tisch nicht empfinden k&ouml;nnen, wohl
-aber der Sklave; denn selbst der Ausspruch des Gesetzes,
-da&szlig; er &raquo;als ein Gegenstand pers&ouml;nlicher Habe erachtet
-und gehalten werden solle,&laquo; ist nicht im Stande, seine
-Seele, mit ihrer eigenen kleinen Welt von Erinnerungen,
-Hoffnungen, Liebe, Furcht und W&uuml;nschen zu vernichten.</p>
-
-<p>Mr. Simon Legree, Tom's Herr, hatte an verschiedenen
-Pl&auml;tzen in New-Orleans acht Sklaven zusammengekauft,
-und sie geschlossen, in Paaren von zwei
-und zwei, dem Dampfboote &raquo;der Pirat&laquo; zugetrieben,
-welches am Ufer lag, bereit, den rothen Flu&szlig; hinauf zu
-fahren.</p>
-
-<p>Nachdem er sie alle an Bord gebracht hatte und das
-Boot abgefahren war, kam er mit der Miene gro&szlig;er
-Gesch&auml;ftigkeit, die ihm immer eigen war, heran, um
-Revue zu halten. Indem er zun&auml;chst vor Tom stehen
-blieb, der f&uuml;r den Verkauf seine beste Kleidung mit gest&auml;rkter
-W&auml;sche und blanken Stiefeln hatte anlegen m&uuml;ssen,
-dr&uuml;ckte er sich kurz folgender Ma&szlig;en aus:</p>
-
-<p>&raquo;Steh' auf!&laquo;</p>
-
-<p>Tom stand auf.</p>
-
-<p>&raquo;Nimm die Halsbinde ab!&laquo; und als Tom, behindert
-durch seine Fesseln, dazu schritt, begann er, mit
-nicht sehr sanfter Hand, ihm zu helfen, indem er sie vom
-Halse herunterri&szlig; und sie in seine Tasche steckte.</p>
-
-<p>Sodann wandte sich Legree zu Tom's Koffer, den
-er schon vorher gepl&uuml;ndert hatte, nahm ein Paar alter
-Beinkleider und einen zerrissenen Rock heraus, den Tom
-nur im Stall zu tragen gepflegt hatte, und sagte zu
- <span class="pagenum"><a id="Page_147">[S. 147]</a></span>
-ihm, indem er seine Handfesseln abl&ouml;ste und auf einen
-Winkel zwischen den Waarenballen deutete:</p>
-
-<p>&raquo;Da, gehe dahin und ziehe diese an.&laquo;</p>
-
-<p>Tom gehorchte und kam in wenigen Augenblicken
-zur&uuml;ck.</p>
-
-<p>&raquo;Ziehe Deine Stiefel aus,&laquo; fuhr Mr. Legree fort.</p>
-
-<p>Tom that es.</p>
-
-<p>&raquo;Hier,&laquo; sagte jener, ihm ein paar grobe, starke
-Schuhe zuwerfend, die gew&ouml;hnlich von Sklaven getragen
-werden, &raquo;ziehe diese an!&laquo;</p>
-
-<p>W&auml;hrend seiner eiligen Umkleidung hatte Tom nicht
-vergessen, seine geliebte Bibel in seine Tasche zu stecken.
-Und er hatte wohl gethan; denn, nachdem Legree ihm
-die Handschellen wieder angelegt hatte, schritt er sorgf&auml;ltig
-dazu, die Taschen der abgetragenen Kleidungsst&uuml;cke
-zu untersuchen. Er zog ein seidenes Taschentuch
-hervor und steckte es in seine Tasche. Mehrere Kleinigkeiten,
-welche Tom haupts&auml;chlich de&szlig;halb aufgehoben
-hatte, weil Eva daran Gefallen gefunden, sah er mit
-ver&auml;chtlichem Grunzen an und warf sie r&uuml;cklings &uuml;ber
-seine Schulter in den Flu&szlig;. Jetzt zog er auch Tom's
-methodistisches Gesangbuch hervor, welches er in der Eile
-vergessen hatte und &ouml;ffnete es:</p>
-
-<p>&raquo;Hm! fromm, versteht sich. So, wie hei&szlig;t Du, &mdash;
-geh&ouml;rst zur Kirche?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Master,&laquo; entgegnete Tom mit fester Stimme.</p>
-
-<p>&raquo;So, &mdash; will Dir das bald abgew&ouml;hnen; &mdash; kann
-keine Niggers gebrauchen, die schreien und beten und
-singen, &mdash; merke das. Also pa&szlig;' auf!&laquo; sagte er, mit
-dem Fu&szlig;e stampfend und mit einem wilden Blicke seiner
-grauen Augen auf Tom, &mdash; &raquo;<em class="gesperrt">ich</em> bin jetzt Deine Kirche!
-verstehst Du? &mdash; Du mu&szlig;t jetzt so sein, wie <em class="gesperrt">ich</em> es
-haben will.&laquo;</p>
-
-<p>Ein Gef&uuml;hl im Innern des schwarzen Menschen
-antwortete <em class="gesperrt">nein!</em> und, wie von einer unsichtbaren
-Stimme gesprochen, kamen die Worte eines alten prophetischen
- <span class="pagenum"><a id="Page_148">[S. 148]</a></span>
-Buches in seinen Sinn, die ihm Eva &ouml;fters
-daraus vorgelesen hatte: &raquo;F&uuml;rchte Dich nicht, denn ich
-habe Dich erl&ouml;set; ich habe Dich bei Deinem Namen
-gerufen; Du bist mein.&laquo;</p>
-
-<p>Aber Simon Legree h&ouml;rte keine Stimme. Er stierte
-nur einen Augenblick auf das niedergeschlagene Gesicht
-Tom's und ging weiter. Er nahm Tom's Koffer, der
-eine reichliche und gute Garderobe enthielt, mit sich nach
-dem Vordertheile des Schiffes, wo er bald von verschiedenen
-Matrosen des Bootes umringt war. Unter vielem
-Gel&auml;chter und lauten Sp&ouml;ttereien &uuml;ber Niggers, die
-Gentlemen sein wollten, wurden die verschiedenen Artikel
-schnell verkauft und endlich der leere Koffer zur Auktion
-gestellt. Alle dachten, es sei ein guter Spa&szlig;, besonders
-Tom zu sehen, wie er seinen Sachen nachblickte, die
-nach verschiedenen Richtungen gingen; und dann die
-Versteigerung des Koffers, &mdash; was das Spa&szlig;hafteste
-von Allem war und viel Witzeleien verursachte.</p>
-
-<p>Als die&szlig; kleine Gesch&auml;ft endlich vor&uuml;ber war, schlenderte
-Simon zu seinem Eigenthume zur&uuml;ck.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Tom, siehst Du, ich habe Dir etwas unn&uuml;tzes
-Gep&auml;ck abgenommen. Nimm jetzt die Kleidungsst&uuml;cke
-da gewaltig in Acht; denn 's dauert lange, ehe
-Du neue bek&ouml;mmst. Ich will meine Niggers sorgsam
-machen; ein Anzug mu&szlig; bei mir ein Jahr aushalten.&laquo;</p>
-
-<p>Nach diesen Worten wandte Simon seine Schritte
-dem Orte zu, wo Emmeline mit einem andern Frauenzimmer
-zusammen gekettet sa&szlig;.</p>
-
-<p>&raquo;Na, meine Liebe,&laquo; sagte er, ihr unter das Kinn
-fassend, &raquo;h&uuml;bsch munter!&laquo;</p>
-
-<p>Der unwillk&uuml;rliche Blick von Schrecken, Furcht und
-Abscheu, mit dem das M&auml;dchen ihn betrachtete, entging
-seinem Auge nicht. Er zog seine Stirn in finstere Falten.</p>
-
-<p>&raquo;Nichts von Deinen Zierereien, M&auml;dchen! hast immer
-ein munteres Gesicht zu machen, wenn ich mit Dir
- <span class="pagenum"><a id="Page_149">[S. 149]</a></span>
-spreche &mdash; h&ouml;rst Du? Und Du da, altes, gelbes Mondscheingesicht!&laquo;
-sagte er, indem er der mit Emmelinen zusammengeketteten
-Mulattin einen Sto&szlig; gab, &raquo;la&szlig; mich
-nicht solch ein Gesicht sehen! &mdash; sollst lustiger aussehen,
-&mdash; verstanden?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Und Ihr alle da!&laquo; f&uuml;gte er, ein paar Schritte
-zur&uuml;cktretend, hinzu, &mdash; &raquo;hier, seht mich an, &mdash; seht mir
-grade in's Gesicht, &mdash; grade aus!&laquo; rief er, bei jeder
-Pause mit dem Fu&szlig;e stampfend.</p>
-
-<p>Und wie durch Zauberkraft richtete sich jetzt jeder
-Blick auf die gr&uuml;nlich grauen, funkelnden Augen Simon's.</p>
-
-<p>&raquo;Pa&szlig;t auf!&laquo; rief er, seine gro&szlig;e, schwere Faust
-ballend, so da&szlig; sie die Form eines Schmiedehammers
-annahm, &mdash; &raquo;seht Ihr diese Faust? &mdash; Seht hier diese
-Knochen! Nun merkt, diese Faust ist davon so hart
-geworden, da&szlig; sie so viele Niggers niedergeschlagen hat.
-Habe nie 'nen Nigger gesehen, den ich nicht mit einem
-Schlage niedergebracht h&auml;tte!&laquo; sagte er, indem er seine
-Faust so dicht vor Tom's Gesicht hielt, da&szlig; dieser unwillk&uuml;hrlich
-mit den Augen blinzte und den Kopf zur&uuml;ckbog.
-&raquo;Halte keine solche miserablen Aufseher; &mdash; f&uuml;hre
-meine Aufsicht selbst, &mdash; und das ist Aufsicht. Ihr
-m&uuml;&szlig;t auf's Wort passen, &mdash; Alle, &mdash; den Augenblick,
-wo ich spreche, &mdash; wenn ihr mit mir fertig werden wollt.
-Ihr findet keine weiche Stelle an mir, nirgend. Also
-nehmt Euch in Acht; denn ich habe keine Barmherzigkeit!&laquo;</p>
-
-<p>Die Weiber hielten unwillk&uuml;hrlich den Athem an,
-und der ganze Trupp sa&szlig; mit niedergeschlagenen Gesichtern
-da. Inzwischen hatte Simon sich auf den Hacken
-umgedreht und war an den Schenktisch des Bootes getreten,
-um ein Glas Brandwein zu genie&szlig;en.</p>
-
-<p>&raquo;Das ist der Weg, wie ich immer mit meinen Niggers
-anfange,&laquo; sagte er zu einem anst&auml;ndig gekleideten
-Herrn, der w&auml;hrend dieser Rede in seiner N&auml;he gestanden
- <span class="pagenum"><a id="Page_150">[S. 150]</a></span>
-hatte. &raquo;'s ist mein System, immer kr&auml;ftig anzufangen,
-&mdash; damit sie wissen, was sie zu erwarten haben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wirklich?&laquo; entgegnete der Fremde, w&auml;hrend er ihn
-mit der Neugierde eines Naturforschers betrachtete, der
-irgend ein seltenes Exemplar eines Naturprodukts vor
-sich hat.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, gewi&szlig;. Bin keiner von Euren vornehmen
-Pflanzern, mit Lilienfingern, der sich von jedem alten,
-verdammten Aufseher betr&uuml;gen l&auml;&szlig;t! Hier, fa&szlig;t 'mal
-meine Kn&ouml;chel an! Seht 'mal meine Faust! Sage Euch,
-Herr, das Fleisch ist grade wie Stein geworden, &mdash; 's
-macht die Praxis mit den Niggers, &mdash; fa&szlig;t nur 'mal
-an!&laquo;</p>
-
-<p>Der Fremde legte seine H&auml;nde an das fragliche
-Werkzeug und entgegnete trocken:</p>
-
-<p>&raquo;Hart genug! und, wie ich vermuthe, hat die Praxis
-Euer Herz eben so hart gemacht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, ja, kann sein,&laquo; erwiederte Simon mit herzlichem
-Lachen. &raquo;Glaube, 's nicht viel Weiches in mir zu
-finden. Ich sage Euch, es kommt keiner &uuml;ber mich!
-Nie kommt ein Nigger um mich herum, weder mit
-Schreien, noch mit weicher Seife, &mdash; das ist gewi&szlig;!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ihr habt einen h&uuml;bschen Trupp hier.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O ja,&laquo; sagte Simon. &raquo;Da ist der Tom, &mdash; habe
-geh&ouml;rt, es soll ein ausgezeichneter Kerl sein. Er kostet
-mich viel Geld, weil ich ihn als Kutscher oder als Verwalter
-gebrauchen wollte; nur die Ideen m&uuml;ssen erst
-aus ihm heraus, die er dadurch gelernt hat, da&szlig; er behandelt
-worden ist, wie Niggers nie behandelt werden
-sollten, &mdash; dann wird er ganz vortrefflich sein! Das
-gelbe Weib sieht mir etwas kr&auml;nklich aus, aber ich will
-doch noch aus ihr herausdr&uuml;cken, was sie werth ist. Ein
-oder zwei Jahre h&auml;lt sie noch vor. Schone meine Niggers
-nicht; &mdash; verbrauche sie und kaufe neue, &mdash; 's macht
- <span class="pagenum"><a id="Page_151">[S. 151]</a></span>
-weniger Umst&auml;nde und 's kommt mir am Ende billiger
-zu stehen,&laquo; sagte Simon, sein Glas schl&uuml;rfend.</p>
-
-<p>&raquo;Und wie lange halten sie gew&ouml;hnlich aus?&laquo; fragte
-der Fremde.</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig; nicht genau; 's h&auml;ngt von der Constitution
-ab. St&auml;mmige Bursche sechs oder sieben Jahre; schwache
-sind in zweien oder dreien fertig. Im Anfang hatt' ich
-schrecklich viel Umst&auml;nde, weil ich sie erhalten wollte, &mdash;
-und dokterte, wenn sie krank waren, und ihnen Kleidungsst&uuml;cke
-und Decken gab, und 's ihnen bequem machen
-wollte. Jetzt aber, seht, treibe ich sie grade durch,
-krank oder gesund, und wenn ein Nigger todt ist, so
-kauf' ich 'nen andern, und 's ist viel bequemer und billiger,
-find' ich.&laquo;</p>
-
-<p>Der Fremde wendete sich ab und setzte sich neben
-einen Herrn nieder, welcher der ganzen Unterhaltung mit
-unterdr&uuml;cktem Unwillen zugeh&ouml;rt hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Sie d&uuml;rfen die s&uuml;dlichen Pflanzer nicht nach diesem
-Kerl beurtheilen,&laquo; sagte er.</p>
-
-<p>&raquo;Ich hoffe <em class="gesperrt">nicht</em>,&laquo; entgegnete der junge Mann mit
-Nachdruck.</p>
-
-<p>&raquo;Es ist ein niedriger, gemeiner, viehischer Kerl,&laquo;
-sagte der Andere.</p>
-
-<p>&raquo;Und dennoch erlauben ihm Ihre Gesetze, so viele
-menschliche Wesen seinem unbeschr&auml;nkten Willen unterworfen
-zu halten, ohne da&szlig; diese auch nur einen Schatten
-von Schutz haben; und so gemein er ist, so m&uuml;ssen Sie
-dennoch zugestehen, da&szlig; es Viele seiner Art gibt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mag sein,&laquo; entgegnete der Andere, &raquo;aber es
-gibt auch viele menschenfreundliche M&auml;nner unter den
-Pflanzern.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Zugestanden,&laquo; sagte der junge Mann; &raquo;aber meiner
-Ansicht nach sind grade Ihre menschenfreundlichen
-M&auml;nner f&uuml;r alle Unmenschlichkeit verantwortlich, die von
-diesen Elenden ver&uuml;bt wird; denn ohne ihre Billigung
-und ihren Einflu&szlig; k&ouml;nnte sich das ganze System nicht
- <span class="pagenum"><a id="Page_152">[S. 152]</a></span>
-eine Stunde halten. Wenn es keine anderen Pflanzer
-g&auml;be, als solche,&laquo; sagte er, mit dem Finger auf Legree
-deutend, welcher ihnen den R&uuml;cken zugewendet hatte, &raquo;so
-w&uuml;rde die ganze Sache wie ein M&uuml;hlstein zu Grunde
-gehen. Es ist grade Ihre Menschenfreundlichkeit, die diese
-Unmenschlichkeit besch&uuml;tzt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sie m&uuml;ssen viel Vertrauen zu meiner Gutm&uuml;thigkeit
-haben,&laquo; sagte der Pflanzer l&auml;chelnd; &raquo;aber ich w&uuml;rde
-Ihnen doch rathen, nicht so laut zu sprechen, da sich hier
-viele Personen auf dem Boote befinden, die nicht ganz
-so tolerant sein d&uuml;rften. Sie thun besser, zu warten, bis
-Sie auf meiner Plantage sind; dann m&ouml;gen Sie uns Alle
-schm&auml;hen, so viel Sie wollen.&laquo;</p>
-
-<p>Der junge Mann err&ouml;thete und l&auml;chelte, und Beide
-waren bald darauf beim Puffspiele besch&auml;ftigt. Inzwischen
-fand am unteren Ende des Bootes eine andre Unterhaltung
-zwischen Emmelinen und der Mulattin Statt,
-mit der sie zusammengekettet war. Sie theilten sich,
-wie es nat&uuml;rlich war, Einzelnheiten ihrer Geschichte mit.</p>
-
-<p>&raquo;Wem geh&ouml;rst Du?&laquo; fragte Emmeline.</p>
-
-<p>&raquo;Mein Herr war Mr. Ellis, in Leveestreet. Vielleicht
-hast Du das Haus gesehen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;War er gut gegen Dich?&laquo; fragte Emmeline weiter.</p>
-
-<p>&raquo;Meistens, bis er krank wurde. Er lag l&auml;nger als
-sechs Monate krank, und wurde schrecklich ungeduldig. Er
-wollte keinen Menschen Tag und Nacht ruhen lassen, und
-kein Mensch konnt' ihm 'was zu Dank thun. Jeden Tag
-wurd' er schlimmer, und hielt mich alle N&auml;chte wach, bis
-ich ganz hin war und nicht mehr wachen konnte; und
-weil ich 'mal in einer Nacht einschlief, wurd' er so schrecklich
-gegen mich, und sagte, er wolle mich an den b&ouml;sesten
-Herrn verkaufen, den er finden k&ouml;nnte! und doch versprach
-er mir meine Freiheit, als er starb.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Hattest Du Angeh&ouml;rige?&laquo; fragte Emmeline.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, einen Mann, &mdash; er ist ein Hufschmied. Master
-verdung ihn gew&ouml;hnlich. Sie schleppten mich so schnell
- <span class="pagenum"><a id="Page_153">[S. 153]</a></span>
-fort, da&szlig; ich ihn nicht 'mal mehr sehen konnte; und ich
-habe vier Kinder. O mein Gott!&laquo; sagte das Weib, und
-bedeckte ihr Gesicht mit beiden H&auml;nden.</p>
-
-<p>Es ist ein nat&uuml;rliches Gef&uuml;hl bei Jedem, der eine
-Schilderung des Elends h&ouml;rt, irgend ein Trostwort sagen
-zu wollen. Emmeline wollte auch etwas sagen, aber sie
-konnte sich auf nichts besinnen. Was sollte sie sagen?
-Wie aus Uebereinkommen vermieden Beide vor Furcht
-und Schrecken des entsetzlichen Mannes Erw&auml;hnung zu
-thun, der jetzt ihr Herr war.</p>
-
-<p>Wahr ist, da&szlig; es selbst in der tr&uuml;bsten Stunde einen
-religi&ouml;sen Trost gibt. Die Mulattin war Mitglied einer
-methodistischen Kirche, und besa&szlig; zwar einen unaufgekl&auml;rten
-Geist, aber aufrichtige Fr&ouml;mmigkeit. Emmeline hatte
-eine bessere Bildung empfangen; sie hatte durch die F&uuml;rsorge
-einer frommen Mistre&szlig; lesen, schreiben und die
-Bibel verstehen gelernt; aber w&uuml;rde es nicht selbst den
-Glauben des besten Christen ersch&uuml;ttern, wenn er sich anscheinend
-so von Gott verlassen, und in den Klauen der
-rohesten Gewalt bef&auml;nde? Wie viel mehr mu&szlig;te es den
-Glauben von Kindern ersch&uuml;ttern, die noch schwach in Erkenntni&szlig;,
-und zart an Jahren waren.</p>
-
-<p class="pmb3">Das Boot verfolgte seinen Lauf, &mdash; beladen mit seiner
-kummerschweren Last, &mdash; durch den r&ouml;thlichen, tr&uuml;ben
-Strom, und durch die Windungen des rothen Flusses
-hinauf; und traurige, m&uuml;de Augen ruhten auf
-den steilen, r&ouml;thlichen Kalkufern, die in &ouml;der Einf&ouml;rmigkeit
-vor&uuml;ber glitten. Endlich hielt das Boot vor einer
-kleinen Stadt an, und Legree schiffte sich mit seinem Trupp
-Sklaven aus.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_154">[S. 154]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Zweiunddreissigstes_Kapitel">Zweiunddrei&szlig;igstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Finstere Orte.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i9">Das Land ist allenthalben j&auml;mmerlich</span>
-<span class="i9">verheeret, und die H&auml;user zerrissen.</span>
-</div></div>
-
-
-<p>M&uuml;de und matt sich hinter einem rohen Wagen herschleppend,
-einen rauhen Weg entlang, verfolgten Tom
-und seine Genossen ihre Reise.</p>
-
-<p>Im Wagen sa&szlig; Simon Legree; und die beiden
-Frauenzimmer, noch immer zusammengefesselt, hatten mit
-verschiedenem Gep&auml;cke ihren Platz im hinteren Theile
-desselben angewiesen erhalten. Auf diese Weise bewegte
-sich die ganze Gesellschaft der Plantage Legree's zu, welche
-noch in ziemlicher Entfernung lag.</p>
-
-<p>Es war eine wilde, &ouml;de Stra&szlig;e, die sich bald durch
-einsame Fichtenwaldungen wand, und bald &uuml;ber Knippeld&auml;mme,
-durch lange, mit Cypressen bewachsene S&uuml;mpfe
-hinlief, deren melancholische B&auml;ume weite Kr&auml;nze schwarzen
-Leichenmooses trugen, w&auml;hrend hier und dort die
-widerliche Gestalt der Mokassin-Schlange zwischen Baumst&auml;mmen
-und abgebrochenen Zweigen sich hinschl&auml;ngelte,
-welche faulend im Wasser lagen.</p>
-
-<p>Es ist eine solche Reise schon trostlos genug f&uuml;r den
-Fremden, wenn er mit wohlgef&uuml;llter Tasche und zuverl&auml;ssigem
-Pferde den einsamen Weg in Gesch&auml;ften verfolgen
-mu&szlig;; aber noch viel schrecklicher und &ouml;der ist sie
-f&uuml;r den ungl&uuml;cklichen Sklaven, den jeder m&uuml;de Schritt
-weiter und weiter von dem entfernt, was der Mensch
-liebt, und wonach er sich sehnt.</p>
-
-<p>So w&uuml;rde Derjenige gedacht haben, der den kummervollen
- <span class="pagenum"><a id="Page_155">[S. 155]</a></span>
-Ausdruck jener dunklen Gesichter sah, die sinnende,
-geduldige Mattigkeit, mit der jene traurigen Augen
-an jedem Gegenstande h&auml;ngen blieben, der ihnen auf ihrem
-trostlosen Wege begegnete.</p>
-
-<p>Simon setzte inzwischen in bester Laune, wie es
-schien, seine Reise fort, w&auml;hrend er von Zeit zu Zeit
-einer Brandweinflasche zusprach, die er in seiner Tasche
-trug.</p>
-
-<p>&raquo;Ihr da, h&ouml;rt!&laquo; rief er, indem er sich umwandte
-und mit einem fl&uuml;chtigen Blicke die muthlosen Gesichter
-hinter sich gewahrte. &raquo;Singt eins, Jungens! &mdash; los!&laquo;</p>
-
-<p>Die M&auml;nner sahen sich gegenseitig an, und die Wiederholung
-des Wortes &raquo;los!&laquo; wurde mit einem kr&auml;ftigen
-Knall der Peitsche begleitet, welche der Fuhrmann in
-der Hand trug. Tom begann eine methodistische Hymne
-zu singen:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;Sei, Seele, stark und unverzagt!</span>
-<span class="i0">Wenn irgend Dich ein Kummer plagt,</span>
-<span class="i0">Befiehl Gott deine Sachen.</span>
-<span class="i0">In aller Pein &mdash;&laquo;</span>
-</div></div>
-
-<p>&raquo;Halt Dein schwarzes Maul!&laquo; br&uuml;llte Legree.
-&raquo;Denkst Du, ich will 'was von Deinem verfluchten methodistischen
-Unsinn h&ouml;ren? Stimmt mir gleich 'was Lustiges
-an, &mdash; schnell!&laquo;</p>
-
-<p>Einer der anderen M&auml;nner begann einen jener sinnlosen
-Ges&auml;nge, welche unter Sklaven &uuml;blich sind, und
-schien den Text selbst zu erdichten, ohne R&uuml;cksicht auf
-Sinn und Vernunft nur nach einem Reime haschend:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;Master sah' mich 'nen Affen fangen,</span>
-<span class="i0">Jungens hoch, Jungens hoch!</span>
-<span class="i0">Er h&auml;tte sich vor Lachen bald aufgehangen,</span>
-<span class="i0">Ho, ho, ho, Jungens, ho!&laquo;</span>
-</div></div>
-
-<p>wozu die ganze Gesellschaft den Chor sang:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_156">[S. 156]</a></span></p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;Ho! ho! ho! Jungens, ho!</span>
-<span class="i0">Ho, he, ho! ho, he, ho!&laquo;</span>
-</div></div>
-
-<p>Es wurde von Allen sehr laut, und mit einem erzwungenen
-Versuche zur Fr&ouml;hlichkeit gesungen; aber nicht
-das flehendste Gebet um H&uuml;lfe, nicht die verzweiflungsvollste
-Klage h&auml;tte ein so tiefes Weh auszudr&uuml;cken vermocht,
-wie in den wilden Kl&auml;ngen dieses Chores lag.
-Als wenn das arme, stumme Herz, bedroht und in Fesseln
-geschlagen, zu dem unartikulirten Heiligthume der Musik
-seine Zuflucht genommen, und darin die Sprache gefunden
-h&auml;tte, in der es sein Gebet zu Gott empor senden wollte!
-Es lag ein Gebet darin, aber Simon konnte es nicht
-h&ouml;ren. Er h&ouml;rte nur den lauten, l&auml;rmenden Gesang der
-Sklaven, und war zufrieden damit; er hatte sie &raquo;lustig&laquo;
-gemacht.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, meine liebe Kleine,&laquo; sagte er, sich zu Emmelinen
-wendend, und seine Hand auf ihre Schulter legend,
-&raquo;wir sind nun bald zu Hause.&laquo;</p>
-
-<p>Wenn Legree fluchte und st&uuml;rmte, war Emmeline
-erschreckt; aber wenn er sie ber&uuml;hrte, und mit ihr sprach,
-wie er jetzt that, so war es ihr, als wolle sie sich lieber
-von ihm mi&szlig;handeln lassen. Der Blick seiner Augen
-machte ihr Herz stocken, und ihre Haut schaudern. Unwillk&uuml;rlich
-dr&auml;ngte sie sich dichter an die Seite der Mulattin,
-als wenn sie ihre Mutter w&auml;re.</p>
-
-<p>&raquo;Du hast noch nie Ohrringe getragen,&laquo; sagte
-er, mit seinen groben Fingern ihre zarten Ohren anfassend.</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Master!&laquo; entgegnete Emmeline zitternd und
-mit gesenkten Blicken.</p>
-
-<p>&raquo;Wohl, Du sollst ein Paar haben, wenn wir nach
-Hause kommen, wenn Du artig sein willst. Brauchst
-Dich nicht zu f&uuml;rchten: Du sollst keine schwere Arbeit
-verrichten. Kannst gute Zeit bei mir haben, und wie
-eine Dame leben, &mdash; wenn Du artig sein willst.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_157">[S. 157]</a></span></p>
-
-<p>Legree hatte so viel getrunken, da&szlig; er sich geneigt
-f&uuml;hlte, in diesem herablassenden Tone zu reden. Gleich
-darauf zeigten sich den Reisenden die Umz&auml;unungen der
-Plantage.</p>
-
-<p>Die Besitzung hatte fr&uuml;her einem Manne geh&ouml;rt, der
-Reichthum und Geschmack besa&szlig;, und sehr viel f&uuml;r die
-Versch&ouml;nerung der Anlagen gethan hatte. Da er insolvent
-starb, so kaufte sie Legree um einen billigen Preis,
-und benutzte sie, wie alles Andre in der Welt, lediglich
-als Werkzeug, Geld zu verdienen. Der Ort hatte ein
-&ouml;des, verwildertes Ansehen, was sich immer dann zeigt,
-wenn die Sorgfalt eines fr&uuml;heren Besitzers dem g&auml;nzlichen
-Verfalle &uuml;berlassen worden ist.</p>
-
-<p>Was einst ein glatt geschorener Rasenplatz vor dem
-Hause gewesen war, der hier und da verzierende Stauden
-getragen hatte, war jetzt mit dichtem, wilden Grase
-&uuml;berwachsen, und zur Anlage von Pferdest&auml;nden benutzt,
-wo der Rasen zertreten, und der Boden mit zerbrochenen
-Eimern, Maish&uuml;lsen und andern Fragmenten bedeckt
-war. Hier und da hing ein verwelkender Jasmin oder
-ein verk&uuml;mmerndes Gei&szlig;blatt von einer S&auml;ule herab, die
-fr&uuml;her als Verzierung gedient, aber jetzt eine schiefe Stellung
-angenommen hatte, weil sie als Pferdepfosten benutzt
-worden war. Was fr&uuml;her ein gro&szlig;er Garten gewesen,
-war jetzt mit Unkraut &uuml;berwachsen, aus welchem hier und
-da noch eine einzelne Zierpflanze ihr einsames Haupt
-erhob. Ein ehemaliges Gew&auml;chshaus war jetzt ohne
-Fenster, und auf den modernden Blumenbrettern standen
-noch einige trockene, verlassene Blument&ouml;pfe, deren verwelkte
-St&ouml;cke und Bl&auml;tter kaum erkennen lie&szlig;en, da&szlig; sie
-einst Pflanzen gewesen waren.</p>
-
-<p>Der Wagen fuhr einen mit Unkraut bedeckten Kiesweg
-hinauf, durch eine sch&ouml;ne Allee von Chinab&auml;umen,
-deren anmuthige Formen und immergr&uuml;nender Bl&auml;tterschmuck
-die einzigen Dinge hier zu sein schienen, die Vernachl&auml;ssigung
-nicht ver&auml;ndern konnte, gleich edlen Geistern,
- <span class="pagenum"><a id="Page_158">[S. 158]</a></span>
-die ihre Wurzeln so tief in den Boden des Guten geschlagen
-haben, da&szlig; sie selbst unter Entmuthigung und
-Verfall bl&uuml;hen und kr&auml;ftiger werden.</p>
-
-<p>Das Wohnhaus war gro&szlig; und sch&ouml;n gewesen, und
-war in dem im S&uuml;den gew&ouml;hnlichen Style erbaut.
-Eine zwei Stock hohe Veranda, deren unterer Theil von
-massiven S&auml;ulen getragen wurde, umgab dasselbe auf
-allen Seiten, und nach ihr &ouml;ffneten sich alle &auml;u&szlig;eren
-Th&uuml;ren des Hauses.</p>
-
-<p>Allein das ganze Geb&auml;ude sah &ouml;de und unbehaglich
-aus. Einige Fenster waren mit Brettern verschlossen,
-andere hatten zerbrochene Scheiben, und Laden, die nur
-noch an einer Angel hingen. Alles verrieth rohe Vernachl&auml;ssigung
-und Unbehaglichkeit. Zerbrochene Bretter,
-Stroh, alte, eingefallene F&auml;sser und Kisten bedeckten
-den Boden in allen Richtungen; und drei bis vier wild
-aussehende Hunde, die durch das Ger&auml;usch der Wagenr&auml;der
-erweckt worden waren, kamen angesprungen, und
-wurden nur mit gro&szlig;er M&uuml;he von den ihnen folgenden,
-zerlumpten Dienstboten abgehalten, &uuml;ber Tom und seine
-Genossen herzufallen.</p>
-
-<p>&raquo;Da seht Ihr, was mit Euch geschehen w&uuml;rde!&laquo;
-sagte Legree zu Tom und seinen Gef&auml;hrten, w&auml;hrend er
-seine Hunde mit grimmiger Freude liebkoste. &raquo;Ihr seht,
-was mit Euch geschehen w&uuml;rde, wenn Ihr fortlaufen
-wolltet. Diese Hunde sind dressirt, Niggers aufzusp&uuml;ren,
-und w&uuml;rden eben so gut einen von Euch zermalmen
-und verschlucken, wie sie ihr Abendbrod verzehren. Also
-nehmt Euch in Acht! &mdash; Sieh' da, Sambo!&laquo; sagte er
-zu einem zerlumpten Kerl mit einem Hut ohne Krempe,
-der sehr gesch&auml;ftig in seinen Aufmerksamkeiten um ihn
-war. &raquo;Wie sind die Sachen hier gegangen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Vortrefflich, Master.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Quimbo,&laquo; sagte Legree zu einem Andern, der sich
-die m&ouml;glichste M&uuml;he gab, seine Aufmerksamkeit zu
- <span class="pagenum"><a id="Page_159">[S. 159]</a></span>
-erregen, &mdash; &raquo;Du hast das gethan, was ich Dir gesagt
-habe?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gewi&szlig; hab' ich's gethan.&laquo;</p>
-
-<p>Diese beiden farbigen M&auml;nner waren die obersten
-Arbeiter auf der Plantage. Legree hatte sie in Rohheit
-und Brutalit&auml;t so systematisch erzogen und abgerichtet
-wie seine Bulldogs, und hatte durch lange Uebung in
-H&auml;rte und Grausamkeit ihre ganze Natur ziemlich auf
-denselben Stand von F&auml;higkeiten reducirt. Es ist eine
-gew&ouml;hnliche Erfahrung, die gegen den Charakter der
-Rasse stark zu sprechen scheint, da&szlig; n&auml;mlich der schwarze
-Aufseher immer tyrannischer und grausamer ist als der
-wei&szlig;e. Es gilt dies aber von dieser Rasse nicht mehr
-als von jedem andern unterdr&uuml;ckten Geschlechte auf der
-ganzen Erde. Der Sklave ist stets ein Tyrann, sobald
-sich ihm Gelegenheit dazu darbietet.</p>
-
-<p>Legree, gleich andern Potentaten, von denen wir in
-der Geschichte lesen, beherrschte seine Plantage mit
-H&uuml;lfe einer gewissen Trennung der Kr&auml;fte. Sambo und
-Quimbo ha&szlig;ten sich gegenseitig von ganzem Herzen; die
-Plantagen-Arbeiter ha&szlig;ten beide eben so sehr; und indem
-er den Einen gegen den Andern anhetzte, war er dessen
-gewi&szlig;, von einem dieser drei Theile zu erfahren, was
-in der Plantage vorging.</p>
-
-<p>Niemand kann ganz ohne geselligen Verkehr leben,
-und Legree ermunterte de&szlig;halb seine beiden schwarzen
-Satelliten zu einer Art roher Familiarit&auml;t mit ihm, die
-jedoch zu jedem Augenblicke den Einen oder den Andern
-in eine mi&szlig;liche Lage bringen konnte; denn bei der geringsten
-Veranlassung stand einer von ihnen stets bereit,
-auf einen gegebenen Wink seine Rache gegen den Andern
-auszu&uuml;ben.</p>
-
-<p>Wie sie jetzt neben Legree standen, erschienen sie
-als eine passende Versinnlichung der Wahrheit, da&szlig;
-viehische Menschen selbst noch tiefer stehen als Thiere.
-Ihre rohen, dunklen, schweren Z&uuml;ge; ihre gro&szlig;en Augen,
- <span class="pagenum"><a id="Page_160">[S. 160]</a></span>
-die neidisch einander betrachteten; ihre barbarische,
-thier&auml;hnliche Gutturalsprache; ihre zerrissenen Kleidungsst&uuml;cke,
-die im Winde flatterten, standen in bewunderungsw&uuml;rdiger
-Harmonie mit dem gemeinen, ungesunden Charakter
-der ganzen Besitzung.</p>
-
-<p>&raquo;Hier, Sambo,&laquo; sagte Legree, &raquo;bringe diese Burschen
-nach den Quartieren; und hier ist ein Weib, das
-ich <em class="gesperrt">Dir</em> mitgebracht habe,&laquo; sagte er, indem er die Mulattin
-von Emmelinen trennte, und sie ihm zustie&szlig;. &raquo;Du
-wei&szlig;t, ich versprach Dir eins.&laquo;</p>
-
-<p>Die Frau erschrack, und sagte &auml;ngstlich, sich zur&uuml;ckziehend:
-&raquo;O Master, ich habe meinen alten Mann in
-New-Orleans gelassen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was soll das hei&szlig;en, Du &mdash;; brauchst Du hier
-keinen Mann? Keine Worte: &mdash; fort mit Dir!&laquo; sagte
-Legree, w&auml;hrend er die Peitsche aufhob.</p>
-
-<p>&raquo;Komm', Mistre&szlig;,&laquo; sagte er darauf zu Emmelinen
-gewendet, &raquo;Du gehst mit mir diesen Weg.&laquo;</p>
-
-<p>Ein dunkles, wildes Gesicht wurde einen Augenblick
-lang am Fenster des Hauses sichtbar, und als Legree
-die Th&uuml;re &ouml;ffnete, sagte eine weibliche Stimme Etwas
-in schnellem und befehlendem Tone. Tom, der Emmelinen
-mit &auml;ngstlichem Interesse nachblickte, nahm dies
-wahr, und h&ouml;rte Legree &auml;rgerlich antworten: &raquo;Du h&auml;ltst
-Deinen Mund! Ich werde thun, was mir gef&auml;llt, und
-mich um Dich nicht k&uuml;mmern!&laquo;</p>
-
-<p>Tom h&ouml;rte weiter nichts; denn er folgte Sambo
-gleich darauf nach den Quartieren. Diese bestanden in einer
-Reihe roh gezimmerter Schuppen, welche eine Art kleiner
-Stra&szlig;e bildeten, und in einem von dem Wohnhause
-weit entlegenen Theile der Plantage lagen. Tom's
-Herz sank, als er sie sah. Er hatte sich mit der Hoffnung
-auf eine H&uuml;tte getr&ouml;stet, die er, wenn sie auch in
-rohem Zustande war, doch zu einer reinlichen, stillen
-Wohnung machen konnte, wo ein Pl&auml;tzchen f&uuml;r seine
-Bibel war, und wo er sich nach beendigten Arbeitsstunden
- <span class="pagenum"><a id="Page_161">[S. 161]</a></span>
-allein aufhalten durfte. Er sah in mehrere derselben
-hinein. Es waren nichts als rohe, leere Schalen,
-ohne jede Art von Hausger&auml;th, ausgenommen einem
-Haufen Stroh, der vor Schmutz in F&auml;ulni&szlig; &uuml;berging,
-und den Fu&szlig;boden bedeckte, welcher nur aus dem nat&uuml;rlichen,
-von zahllosen F&uuml;&szlig;en festgetretenen Erdboden bestand.</p>
-
-<p>&raquo;Welches von diesen Beh&auml;ltnissen ist mein?&laquo; sagte
-er dem&uuml;thig zu Sambo.</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig; nicht; &mdash; kannst hier hinein gehen, denk'
-ich,&laquo; entgegnete Sambo; &raquo;wird noch Platz drin sein f&uuml;r
-Einen; &mdash; 's ist ein guter Haufe Niggers in jedem
-drin; &mdash; wei&szlig; gar nicht, wo ich noch mit mehr hin
-soll.&laquo;</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Es war sp&auml;t Abends, als die m&uuml;den Bewohner dieser
-Schuppen in Haufen nach Hause gezogen kamen, &mdash;
-M&auml;nner und Weiber in zerlumpten Kleidern, finster und
-m&uuml;rrisch, und in keiner Stimmung, neue Ank&ouml;mmlinge
-freundlich zu empfangen. Das kleine Dorf wurde nun
-lebendig von wenig einladenden T&ouml;nen; rauhe Stimmen
-stritten sich um die Handm&uuml;hlen, auf denen ihre kleine
-Quantit&auml;t harten Kornes erst noch gemahlen werden
-mu&szlig;te, um den Kornkuchen daraus bereiten zu k&ouml;nnen,
-aus dem ihr ganzes Abendbrod bestehen sollte. Von der
-ersten Morgend&auml;mmerung an waren sie auf dem Felde
-gewesen, und durch die unbarmherzige Peitsche der
-Aufseher zur Arbeit angetrieben worden; denn es war
-jetzt grade im h&ouml;chsten Drange der Jahreszeit, und kein
-Mittel blieb unversucht, um die F&auml;higkeiten eines Jeden
-bis zur &auml;u&szlig;ersten Spannung zu treiben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_162">[S. 162]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber,&laquo; sagt der nachl&auml;ssige Zuschauer, &raquo;Baumwolle
-zupfen ist keine harte Arbeit.&laquo;</p>
-
-<p>Wirklich nicht? Es ist auch kein sehr schmerzhaftes
-Gef&uuml;hl, sich einen Tropfen Wasser auf den Kopf
-fallen zu lassen; aber die schrecklichste Tortur der Inquisition
-bestand darin, Tropfen auf Tropfen einen Augenblick
-nach dem andern, in gleichm&auml;&szlig;iger Einf&ouml;rmigkeit
-auf dieselbe Stelle fallen zu lassen; und Arbeit, die an
-sich nicht schwer ist, wird dadurch schwer, da&szlig; sie eine
-Stunde nach der andern mit derselben unver&auml;nderlichen,
-unerbittlichen Gleichf&ouml;rmigkeit, ohne freien Willen, dieselbe
-unterbrechen zu d&uuml;rfen, fortgesetzt wird.</p>
-
-<p>Tom schaute sich unter dem Trupp der Sklaven,
-als er sich heran w&auml;lzte, vergeblich nach umg&auml;nglichen
-Gesichtern um. Er sah nur finstere, m&uuml;rrische, viehische
-M&auml;nner, und schwarze, muthlose Weiber, oder solche,
-die keine Weiber mehr waren; die St&auml;rkeren stie&szlig;en die
-Schwachen bei Seite, und es zeigte sich ganz die rohe,
-ungeb&auml;ndigte, thierische Selbstsucht menschlicher Wesen,
-von denen nichts Gutes mehr erwartet und verlangt
-wurde, und die, behandelt wie das Vieh, dem Standpunkte
-desselben so nahe gekommen waren, wie es f&uuml;r
-menschliche Wesen &uuml;berhaupt m&ouml;glich war. Das Ger&auml;usch
-der Handm&uuml;hlen wurde bis sp&auml;t in die Nacht hinein geh&ouml;rt;
-denn die Anzahl derselben war im Verh&auml;ltni&szlig; zur
-Zahl der Mahlenden nur gering, und die M&uuml;den und
-Schwachen wurden von den Starken zur&uuml;ck getrieben,
-und kamen zuletzt an die Reihe.</p>
-
-<p>&raquo;H&ouml;r Du!&laquo; rief Sambo, sich der Mulattin n&auml;hernd,
-und einen Sack mit Korn vor sie nieder werfend; &raquo;wie
-hei&szlig;t Du?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Lucy,&laquo; entgegnete die Frau.</p>
-
-<p>&raquo;Na denn, Lucy, &mdash; bist jetzt meine Frau. Hier,
-mahle das Korn, und mache <em class="gesperrt">mein</em> Abendbrod zurecht,
-&mdash; h&ouml;rst Du?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich bin Deine Frau nicht, und will es nicht
- <span class="pagenum"><a id="Page_163">[S. 163]</a></span>
-sein!&laquo; rief das Weib mit dem pl&ouml;tzlichen Muthe der
-Verzweiflung; &mdash; &raquo;la&szlig; mich zufrieden!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich werde Dir 'nen Tritt geben!&laquo; sagte Sambo,
-drohend seinen Fu&szlig; aufhebend.</p>
-
-<p>&raquo;Du magst mich umbringen, wenn Du willst, &mdash;
-je eher, je besser! W&uuml;nschte mir, ich w&auml;re schon todt!&laquo;
-sagte sie.</p>
-
-<p>&raquo;H&ouml;re, Sambo &mdash; Du willst die Arbeiter mi&szlig;handeln,
-ich werd's Master sagen,&laquo; rief Quimbo, welcher
-mit der Handm&uuml;hle besch&auml;ftigt war, von der er zwei
-oder drei erm&uuml;dete Weiber zur&uuml;ckgedr&auml;ngt hatte, die
-lange darauf gewartet hatten, um ihr Korn zu mahlen.</p>
-
-<p>&raquo;Und ich werde ihm erz&auml;hlen, da&szlig; Du die Weiber
-nicht an die M&uuml;hle lassen willst, Du alter Nigger!&laquo;
-sagte Sambo. &raquo;Du bek&uuml;mmere Dich um Deine eigene
-Sachen.&laquo;</p>
-
-<p>Tom war bei seiner Tagesarbeit hungrig geworden,
-und beinahe ohnm&auml;chtig vor Mangel an Nahrung.</p>
-
-<p>&raquo;Da, Du!&laquo; sagte Quimbo, einen groben Sack,
-welcher eine Metze Korn enthielt, vor ihn niederwerfend;
-&mdash; &raquo;da, Nigger, Futter, sieh' Dich mit vor, &mdash;
-bek&ouml;mmst weiter nichts <em class="gesperrt">diese</em> Woche.&laquo;</p>
-
-<p>Tom wartete bis zu einer sp&auml;ten Stunde, um einen
-Platz an der M&uuml;hle zu erlangen; und dann, Mitleid
-mit zwei todtm&uuml;den Frauen empfindend, die er sich
-abm&uuml;hen sah, ihr Korn zu mahlen, that er es f&uuml;r sie,
-und legte die verglimmenden Feuerbr&auml;nde zusammen, an
-denen Viele ihre Kuchen vorher gebacken hatten, und
-schritt dann endlich dazu, sein eignes Abendbrod zu bereiten.
-Dieses Werk der Liebe, so geringf&uuml;gig es war,
-erweckte eine antwortende Regung im Herzen der Frauen,
-und ein Ausdruck weiblichen Gef&uuml;hls kam &uuml;ber ihre harten
-Z&uuml;ge. Sie mengten den Kuchen f&uuml;r ihn, und
-buken ihn; und er setzte sich dann beim Scheine des
-Feuers nieder und suchte seine Bibel hervor, &mdash; denn
-er bedurfte Trost.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_164">[S. 164]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Was ist das?&laquo; sagte eine der Frauen.</p>
-
-<p>&raquo;Eine Bibel,&laquo; entgegnete Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Guter Gott! habe keine gesehen seit ich in Kentucky
-war.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Bist Du in Kentucky aufgebracht worden?&laquo; fragte
-Tom mit Interesse.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, und gut aufgebracht; &mdash; h&auml;tte nimmer gedacht,
-da&szlig; ich hierher kommen w&uuml;rde!&laquo; entgegnete die
-Frau seufzend.</p>
-
-<p>&raquo;Was f&uuml;r 'ne Art Buch ist das?&laquo; fragte die andere
-Frau.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, 'ne Bibel.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wie? was ist das?&laquo; fragte jene wieder.</p>
-
-<p>&raquo;Sprich doch! &mdash; Du hast nie davon geh&ouml;rt? Ich
-h&ouml;rte Missis oft drin lesen, in Kentucky, aber hier &mdash;
-o Herr! hier h&ouml;rt man nichts als peitschen und fluchen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Lies doch ein St&uuml;ck, &mdash; eins!&laquo; sagte die erste
-Frau neugierig zu Tom, den sie eifrig darin studiren sah.</p>
-
-<p>Tom las: &mdash; &raquo;Kommt her zu mir alle, die ihr
-m&uuml;hselig und beladen seid, ich will euch erquicken.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sind gute Worte,&laquo; sagte die Frau, &raquo;wer sagt
-sie denn?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Der Herr,&laquo; entgegnete Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Ich m&ouml;chte nur wissen, wo ich ihn finden k&ouml;nnte,&laquo;
-fuhr die Frau fort; &mdash; &raquo;ich w&uuml;rde zu ihm gehen. 's
-ist grade als sollt' ich gar keine Ruhe mehr haben.
-Mein Fleisch ist wund und ich zittere jeden Tag von
-Morgen bis Abend, denn Sambo schimpft immerzu auf
-mich los, da&szlig; ich nicht schnell genug zupfe; und Abends
-wird's fast immer Mitternacht, ehe ich mein Essen bekomme;
-und dann, kaum habe ich mich hingelegt und
-meine Augen geschlossen, so bl&auml;st das Horn schon wieder
-zum Aufstehn, und dann geht 's wieder los. Wenn ich
-nur w&uuml;&szlig;te, wo der Herr w&auml;re, &mdash; ich wollt 's ihm sagen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Er ist hier, er ist &uuml;berall,&laquo; sagte Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Ach, geh' weg, Du wirst mir das nicht einreden!
- <span class="pagenum"><a id="Page_165">[S. 165]</a></span>
-Ich wei&szlig;, der Herr ist nicht hier,&laquo; sagte die Frau; &raquo;'s
-n&uuml;tzt nichts, das Reden. Will mich hinlegen und schlafen,
-so lange ich kann.&laquo;</p>
-
-<p>Die Weiber gingen fort nach ihren H&uuml;tten, und
-Tom sa&szlig; allein beim verglimmenden Feuer, welches seinen
-r&ouml;thlichen Schein &uuml;ber sein Gesicht warf. Der freundliche
-silberne Mond stieg auf am Nachthimmel, und still
-und schweigend, wie Gott auf die Scenen des Elends
-und der Unterdr&uuml;ckung herabschaut, blickt er nieder auf
-den einsamen schwarzen Menschen, der mit untergeschlagenen
-Armen seine Bibel auf dem Knie haltend, dort sa&szlig;.</p>
-
-<p>&raquo;Ist Gott hier?&laquo; O wie ist es f&uuml;r das ungelehrte
-Herz m&ouml;glich, seinen Glauben ohne Wanken im Angesichte
-und unter dem Drucke gr&auml;&szlig;licher, unverkennbarer
-Ungerechtigkeiten zu bewahren! In jenem schlichten Herzen
-k&auml;mpfte ein wilder Kampf; das zerschmetternde Gef&uuml;hl
-des erlittenen Unrechts, die Ahnung eines ganzen &uuml;brigen
-Lebens voll Elend, die Tr&uuml;mmer aller fr&uuml;heren Hoffnungen,
-die vor der Seele traurig auf- und niedertauchten,
-wie die Leichname von Weib, Kind und Freunden
-aus der schwarzen Welle hervor noch einmal den Blicken
-des schon versinkenden Seemannes erscheinen! War es
-<em class="gesperrt">hier</em> leicht zu glauben, und festzuhalten an der gro&szlig;en
-Parole des christlichen Glaubens, &raquo;da&szlig; er sei, und denen
-die er suche, ein Vergelter sein werde!&laquo;</p>
-
-<p>Tom erhob sich trostlos und stolperte in die H&uuml;tte,
-die ihm angewiesen worden war. Der Fu&szlig;boden war
-bereits mit m&uuml;den Schl&auml;fern bedeckt, und die schlechte
-Luft des Beh&auml;ltnisses schreckte Tom beinahe zur&uuml;ck; aber
-der schwere Nachtthau war kalt, und seine Glieder waren
-m&uuml;de; und indem er sich de&szlig;halb in eine zerrissene Decke
-wickelte, welche sein einziges Bettzeug ausmachte, streckte
-er sich auf das Stroh und entschlief.</p>
-
-<p>Eine sanfte Stimme schlug im Traume an sein Ohr.
-Er sa&szlig; auf dem Moossitze im Garten am See Pontchartrain,
- <span class="pagenum"><a id="Page_166">[S. 166]</a></span>
-und Eva, mit ihren ernsten Augen niederblickend,
-las ihm die Bibel vor, und er h&ouml;rte sie lesen:</p>
-
-<blockquote>
-
-<p>&raquo;Denn so Du durchs Wasser gehest, will Ich bei
-Dir sein, da&szlig; Dich die Str&ouml;me nicht sollen ers&auml;ufen;
-und so Du in's Feuer gehst, sollst Du
-nicht brennen und die Flamme soll Dich nicht
-anz&uuml;nden. Denn Ich bin der Herr, Dein Gott,
-der Heilige in Israel, Dein Heiland.&laquo;</p></blockquote>
-
-<p>Allm&auml;hlig schienen die Worte sich in himmlische Musik
-aufzul&ouml;sen und zu verhallen; das Kind schlug seine tiefen
-Augen auf und richtete sie liebevoll auf ihn, und w&auml;rmende,
-tr&ouml;stende Strahlen fielen auf sein Herz; und wie
-getragen von den heiligen T&ouml;nen, schien sie sich auf
-gl&auml;nzenden Fl&uuml;geln zu erheben, von denen goldene Funken
-und Flocken gleich Sternen herabfielen, und sie war verschwunden.</p>
-
-<p class="pmb3">Tom erwachte. War es ein Traum? Es m&ouml;ge
-daf&uuml;r gelten; aber wer will behaupten, da&szlig; es jenem
-sanften, jugendlichen Geiste, der im Leben stets bem&uuml;ht
-war, die Ungl&uuml;cklichen zu tr&ouml;sten und zu beruhigen, von
-Gott verwehrt worden sei, dieses Amt auch nach dem
-Tode zu verrichten?</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Dreiunddreissigstes_Kapitel">Dreiunddrei&szlig;igstes Kapitel.
-<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Cassy.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i9">Und siehe, da waren Thr&auml;nen derer, so Unrecht</span>
-<span class="i9">litten, und hatten keinen Tr&ouml;ster; und die ihnen</span>
-<span class="i9">Unrecht thaten, waren zu m&auml;chtig, da&szlig; sie</span>
-<span class="i9">keine Tr&ouml;ster haben konnten.</span>
-</div></div>
-
-
-<p>Es erforderte nur kurze Zeit, um Tom mit Allem
-bekannt zu machen, was er auf seinem neuen Lebenswege
- <span class="pagenum"><a id="Page_167">[S. 167]</a></span>
-zu hoffen und zu f&uuml;rchten hatte. Er war ein erfahrener,
-geschickter Arbeiter in jeder Besch&auml;ftigung, die er unternahm,
-und aus Princip und Gewohnheit p&uuml;nktlich und
-getreu. Ruhig und friedfertig von Natur, hoffte er durch
-unausgesetzten Flei&szlig; wenigstens theilweise die in seiner
-Lage ihm drohenden Uebel abzuwenden. Er sah genug
-Mi&szlig;handlung und Elend, um ihn krank und lebensm&uuml;de
-zu machen; aber er beschlo&szlig; angestrengt fortzuarbeiten,
-und mit frommer Geduld auf Den zu vertrauen, der gerecht
-richtet, nicht ohne Hoffnung, da&szlig; sich doch vielleicht
-ein Weg der Rettung &ouml;ffnen k&ouml;nne.</p>
-
-<p>Legree beachtete im Stillen Toms Brauchbarkeit
-wohl. Er hielt ihn f&uuml;r einen vorz&uuml;glichen Arbeiter, und
-dennoch empfand er einen gewissen Widerwillen gegen
-ihn, &mdash; die nat&uuml;rliche Antipathie des Schlechten gegen
-das Gute. Er sah deutlich, da&szlig; wenn, was oft der Fall
-war, seine Rohheit und Gewaltth&auml;tigkeit auf die H&uuml;lflosen
-fiel, Tom dies jedesmal beachtete; denn so fein ist
-die Atmosph&auml;re der Gedanken, da&szlig; sie sich selbst ohne
-Worte f&uuml;hlbar macht, und selbst die Gedanken eines
-Sklaven k&ouml;nnen einen Herrn verletzen. Tom verrieth in
-mannigfachen Beziehungen eine Zartheit des Gef&uuml;hls,
-und ein Mitleid f&uuml;r seine Leidensgenossen, welches diesen
-durchaus neu war, und von Legree mit eifers&uuml;chtigen
-Augen beobachtet wurde. Er hatte Tom in der Absicht
-gekauft, ihn zu einer Art Aufseher zu machen, dem er,
-w&auml;hrend Abwesenheiten von kurzer Dauer, seine Gesch&auml;fte
-&uuml;bertragen k&ouml;nne, und nach seiner Ansicht war das erste,
-zweite und dritte Erforderni&szlig; zu einer solchen Stellung
-&mdash; <em class="gesperrt">H&auml;rte</em>. Da nun Tom f&uuml;r diesen Zweck nicht hart
-genug war, so nahm sich Legree vor, ihn abzuh&auml;rten;
-und als Tom einige Wochen dort gewesen war, beschlo&szlig;
-er diesen Proze&szlig; zu beginnen.</p>
-
-<p>Eines Morgens, als die Arbeiter f&uuml;r die Feldarbeit
-gemustert wurden, bemerkte Tom mit Erstaunen einen
-neuen Ank&ouml;mmling unter ihnen, dessen Erscheinung seine
- <span class="pagenum"><a id="Page_168">[S. 168]</a></span>
-Aufmerksamkeit erregte. Es war eine Frau, von gro&szlig;em,
-schlanken Wuchse, mit au&szlig;erordentlich zarten H&auml;nden und
-F&uuml;&szlig;en, die reinlich und anst&auml;ndig gekleidet war. Ihrem
-Gesichte nach zu urtheilen, konnte sie zwischen f&uuml;nfunddrei&szlig;ig
-und vierzig Jahr alt sein; und es war dies ein
-Gesicht, das, einmal gesehen, sich nie wieder vergessen
-lie&szlig;, &mdash; eins derjenigen, die uns auf den ersten Blick
-eine wilde, schmerzvolle, romantische Lebensgeschichte ahnen
-lassen. Ihre Stirn war hoch, und ihre Augenbrauen
-waren fein und sch&ouml;n gezogen. Ihre griechische Nase,
-ihr fein geschnittener Mund und die reizenden Umrisse
-ihres Kopfes und Nackens zeigten, da&szlig; sie einst sehr sch&ouml;n
-gewesen sein m&uuml;sse; aber ihr Gesicht trug tiefe Furchen
-von Schmerz und stolzen und bitteren Leidens. Ihre
-Gesichtsfarbe war bleich und ungesund, ihre Wangen
-waren eingefallen, ihre Z&uuml;ge scharf, und ihre ganze Gestalt
-abgezehrt. Aber ihr Auge war der merkw&uuml;rdigste
-Theil ihrer ganzen Erscheinung, &mdash; so gro&szlig;, so tiefschwarz,
-beschattet von langen und eben so schwarzen
-Wimpern, und dem Ausdrucke wilder Verzweiflung. In
-jeder Linie ihres Gesichts, in jeder Biegung ihrer Lippen,
-in jeder Bewegung ihres K&ouml;rpers lagen Stolz und wilder
-Trotz; aber in ihrem Auge lag eine stille, tiefe Nacht
-von Angst, die in schrecklichem Gegensatze zu dem Stolze
-und Trotze stand, welcher aus ihrem ganzen Wesen sprach.</p>
-
-<p>Woher sie kam, und wer sie war, wu&szlig;te Tom nicht.
-Seine erste Wahrnehmung von ihr bestand darin, da&szlig;
-er sie stolz und grade an seiner Seite durch die erste
-Morgend&auml;mmerung schreiten sah. Den Uebrigen schien
-sie jedoch bekannt zu sein; denn Aller K&ouml;pfe wendeten
-sich nach ihr um, und blickten nach ihr hin, und eine
-unterdr&uuml;ckte, aber unverkennbare Freude sprach sich unter
-den elenden, zerlumpten, halb verhungerten Wesen aus,
-von denen sie umgeben war.</p>
-
-<p>&raquo;Endlich doch gekommen? &mdash; freue mich!&laquo; sagte
-Einer.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_169">[S. 169]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Ha! ha! ha!&laquo; sagte ein Anderer, &raquo;sollst sehen,
-wie gut es ist, Missis!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wollen sie nun 'mal arbeiten sehen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Soll mich wundern, ob sie heut Abend 'mal eine
-Tracht Pr&uuml;gel bek&ouml;mmt, wie wir anderen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sollte mich freuen, wenn sie auch 'mal die Peitsche
-kriegte, &mdash; meiner Seel!&laquo; sagte wieder ein Anderer.</p>
-
-<p>Die Frau nahm keine Notiz von allen diesen Sp&ouml;ttereien,
-sondern schritt mit dem Ausdruck kalter Verachtung
-weiter, als h&ouml;re sie nichts. Tom hatte von jeher
-unter gebildeten Leuten gelebt, und erkannte an ihrem
-Wesen und ihrer ganzen Haltung, da&szlig; sie dieser Klasse
-angeh&ouml;re; aber wie oder we&szlig;halb sie in diese entehrende
-Verh&auml;ltnisse gesunken sei, konnte er sich nicht erkl&auml;ren.
-Die Frau sah ihn weder an, noch sprach sie mit ihm,
-obgleich sie w&auml;hrend des ganzen Weges nach dem Felde
-an seiner Seite blieb.</p>
-
-<p>Tom war bald darauf mit seiner Arbeit besch&auml;ftigt,
-allein, da die Frau sich nur in geringer Entfernung
-von ihm befand, so warf er &ouml;fters einen Blick nach ihr
-hin&uuml;ber, w&auml;hrend sie bei ihrer Arbeit sa&szlig;. Er erkannte
-sogleich, da&szlig; ihr verm&ouml;ge einer nat&uuml;rlichen Gewandtheit
-und Geschicklichkeit die Arbeit viel leichter wurde als vielen
-Andern. Sie zupfte sehr schnell und sehr reinlich,
-und mit einer Miene, als wenn sie sowohl die Arbeit
-wie die Schande und Dem&uuml;thigung der Verh&auml;ltnisse verachte,
-in denen sie sich befand.</p>
-
-<p>Im Laufe des Tages arbeitete Tom auch in der
-N&auml;he der Mulattin, die zugleich mit ihm gekauft worden
-war. Sie befand sich augenscheinlich in einem sehr leidenden
-Zustande, und Tom h&ouml;rte sie &ouml;fters beten, w&auml;hrend
-sie zitterte und schwankte, und nahe daran zu sein
-schien, umzusinken. Indem er sich de&szlig;halb ihr schweigend
-nahte, that er einige Handvoll Baumwolle aus seinem
-Sacke in den ihrigen.</p>
-
-<p>&raquo;O thue das nicht, thue das nicht!&laquo; sagte die
- <span class="pagenum"><a id="Page_170">[S. 170]</a></span>
-Frau, ihn erstaunt anblickend, &raquo;es wird Dir Schaden
-bringen.&laquo;</p>
-
-<p>In demselben Augenblicke kam Sambo heran. Er
-schien einen besondern Groll gegen dieses Weib zu haben;
-und w&auml;hrend er de&szlig;halb seine Peitsche schwang, rief er
-mit seinen rohen Kehllauten: &raquo;Was ist das hier? Luce,
-&mdash; Betr&uuml;gereien?&laquo; stie&szlig; das Weib mit seinem schweren
-Schuh in die Seite, und hieb Tom mit der Peitsche
-&uuml;ber das Gesicht.</p>
-
-<p>Tom fuhr schweigend mit seiner Arbeit fort, aber
-die Frau, vorher schon g&auml;nzlicher Ersch&ouml;pfung nahe, fiel
-in Ohnmacht.</p>
-
-<p>&raquo;Ich will sie wieder zu sich bringen!&laquo; sagte der
-Treiber mit viehischem Lachen. &raquo;Will ihr noch 'was
-Besseres geben als Kampher!&laquo; und indem er sodann eine
-Stecknadel von seinem Aermel zog, stie&szlig; er diese bis an
-den Knopf in ihr Fleisch hinein. Das Weib st&ouml;hnte,
-und erhob sich halb. &raquo;Steh' auf, Du Biest, und arbeite,
-willst Du?&laquo; rief Sambo, &raquo;oder ich will Dir noch
-was anderes zeigen.&laquo;</p>
-
-<p>Auf diese Weise zu einer unnat&uuml;rlichen Kraft f&uuml;r
-einige Augenblicke angetrieben, arbeitete die Frau mit
-verzweifeltem Eifer weiter.</p>
-
-<p>&raquo;Sieh' Dich vor, da&szlig; Du so fortf&auml;hrst,&laquo; sagte der
-Mann, &raquo;oder Du sollst w&uuml;nschen, da&szlig; Du heut Abend
-noch todt w&auml;rst, &mdash; glaubs mir!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das w&uuml;nsch' ich jetzt schon!&laquo; h&ouml;rte Tom sie sagen,
-und gleich darauf: &raquo;O Gott, wie lange noch! O Gott,
-warum hilfst Du uns nicht?&laquo;</p>
-
-<p>Auf die Gefahr jedes m&ouml;glichen Uebels hin n&auml;herte
-sich ihr Tom abermals, und that alle seine Baumwolle
-in den Sack der Frau.</p>
-
-<p>&raquo;O Du mu&szlig;t nicht! Du wei&szlig;t nicht, was sie mit
-Dir machen werden!&laquo; sagte die Frau.</p>
-
-<p>&raquo;Ich kann's tragen!&laquo; sagte Tom, &raquo;eher als Du.&laquo;
- <span class="pagenum"><a id="Page_171">[S. 171]</a></span>
-w&auml;hrend er sich auf seinen Platz zur&uuml;ck begab. Es war
-das Werk eines Augenblicks.</p>
-
-<p>Pl&ouml;tzlich schlug die fremde Frau, die wir geschildert
-haben, und die im Laufe der Arbeit nahe genug an
-Tom heran ger&uuml;ckt war, um seine Worte h&ouml;ren zu k&ouml;nnen,
-ihre tiefen, schwarzen Augen auf, richtete sie auf
-Tom eine Sekunde lang, und nahm aus ihrem
-Korbe eine Quantit&auml;t Baumwolle, und that sie in den
-seinigen.</p>
-
-<p>&raquo;Du kennst diesen Ort nicht,&laquo; sagte sie, &raquo;sonst
-w&uuml;rdest Du das nicht gethan haben. Wenn Du erst
-einen Monat hier gewesen bist, wirst Du Niemanden
-mehr helfen wollen, &mdash; wirst es schwer genug finden,
-f&uuml;r Deine eigene Haut zu sorgen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gott bewahre, Missis!&laquo; rief Tom, w&auml;hrend er
-sich unwillk&uuml;hrlich gegen seine Mitarbeiterin auf dem
-Felde der H&ouml;flichkeitsform bediente, welche nur gegen
-die Personen h&ouml;heren Standes &uuml;blich war, bei denen er
-gelebt hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Gott ist nie an diesen Orten,&laquo; entgegnete die
-Frau, w&auml;hrend sie gewandt mit ihrer Arbeit fortfuhr,
-und das ver&auml;chtliche L&auml;cheln wieder um ihre Lippen
-spielte.</p>
-
-<p>Allein die Handlung der Frau war von dem Treiber
-in einiger Entfernung wahrgenommen worden,
-und mit geschwungener Peitsche kam er de&szlig;halb auf
-sie zu.</p>
-
-<p>&raquo;Was? was?&laquo; rief er ihr mit triumphirender
-Miene zu, &raquo;<em class="gesperrt">Du</em> &mdash; betr&uuml;gen? bist jetzt unter mir, &mdash;
-nimm' Dich in Acht, oder Du sollst es kriegen.&laquo;</p>
-
-<p>Ein Glanz wie Wetterleuchten fuhr pl&ouml;tzlich aus
-ihren schwarzen Augen, und sich mit bebenden Lippen
-umwendend, scho&szlig; sie einen w&uuml;thenden Blick auf den
-Treiber.</p>
-
-<p>&raquo;Hund!&laquo; rief sie, &raquo;ber&uuml;hre mich, wenn Du es
-wagst! Noch habe ich Macht genug, um Dich von den
- <span class="pagenum"><a id="Page_172">[S. 172]</a></span>
-Hunden zerrei&szlig;en, lebendig verbrennen, oder in St&uuml;cke
-zerschneiden zu lassen. Es kostet mich nur ein Wort!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wozu bist Du denn hier, zum Teufel?&laquo; sagte
-der Mann, augenscheinlich eingesch&uuml;chtert, sich einige
-Schritte zur&uuml;ckziehend. &raquo;Meinte nichts B&ouml;ses, Misse
-Cassy!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So entferne Dich von mir!&laquo; sagte die Frau. Und
-in der That schien der Mensch sehr geneigt, sich am
-andern Ende des Feldes ein Gesch&auml;ft zu suchen, denn
-er zog sich sofort in m&ouml;glichster Eile zur&uuml;ck.</p>
-
-<p>Pl&ouml;tzlich wandte sich die Frau wieder zu ihrem
-Gesch&auml;fte, und arbeitete mit einer Schnelligkeit, die Tom
-wirklich wunderbar erschien. Es war, als wenn sie mit
-Zauberkr&auml;ften arbeitete. Ehe der Tag zu Ende war,
-hatte sich ihr Korb gef&uuml;llt, fast niedergepre&szlig;t, und
-hoch aufgeh&auml;uft, und dessen ungeachtet hatte sie mehrmals
-bedeutende Quantit&auml;ten in Tom's Korb gelegt. Lange nachdem
-die Abendd&auml;mmerung vor&uuml;ber war, zog der ganze,
-erm&uuml;dete Haufe, mit den K&ouml;rben auf den K&ouml;pfen, dem
-Geb&auml;ude zu, wo das Abw&auml;gen und Aufschichten der
-Baumwolle Statt fand. Legree befand sich dort, in angelegentlicher
-Unterhaltung mit seinen beiden Treibern.</p>
-
-<p>&raquo;Der Tom f&auml;ngt an, schreckliche Unruhe zu machen;
-&mdash; hat immerfort in Lucy's Korb gepackt. So
-Einer wird bald alle die Niggers aufs&auml;&szlig;ig und unzufrieden
-machen, wenn Master ihm nicht aufpa&szlig;t!&laquo; sagte Sambo.</p>
-
-<p>&raquo;Heisa! Der schwarze Schlingel!&laquo; sagte Legree.
-&raquo;Wird 'ne Dressur n&ouml;thig haben, &mdash; nicht wahr,
-Jungens?&laquo;</p>
-
-<p>Beide Neger grinsten bei dieser Mittheilung auf entsetzliche
-Weise.</p>
-
-<p>&raquo;Master Legree wird ihn schon dressiren, &mdash; das
-kann der Teufel selbst nicht besser, als Master!&laquo; sagte
-Quimbo.</p>
-
-<p>&raquo;Ich denke, Jungens, das beste Mittel ist, da&szlig;
- <span class="pagenum"><a id="Page_173">[S. 173]</a></span>
-er's Auspeitschen besorgt, bis er seine Begriffe los
-wird,&laquo; sagte Legree.</p>
-
-<p>&raquo;O Herr! Master wird schwere Arbeit haben, bis
-er die aus ihm heraus bringt!&laquo; bemerkte Sambo.</p>
-
-<p>&raquo;Heraus m&uuml;ssen sie doch!&laquo; entgegnete Legree, w&auml;hrend
-er seinen Taback im Munde umher w&auml;lzte.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, da ist Lucy, &mdash; das &auml;rgerlichste, h&auml;&szlig;lichste
-Mensch auf der ganzen Plantage!&laquo; fuhr Sambo
-fort.</p>
-
-<p>&raquo;Nimm Dich in Acht, Sam,&laquo; sagte Legree, &mdash;
-&raquo;werd's am Ende ausfinden, warum Du solchen Groll
-gegen Lucy hast.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Master wei&szlig;, sie hat sich Master widersetzt,
-und hat mich nicht haben wollen, als ich's ihr sagte.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollt's ihr schon einpr&uuml;geln,&laquo; sagte Legree
-speiend, &raquo;aber 's gibt jetzt so viel Arbeit, und 's ist
-nicht erst der M&uuml;he werth, sie gerade jetzt unter zu
-bringen. Sie ist nur schm&auml;chtig; aber diese Schm&auml;chtigen
-lassen sich halb umbringen, um ihren Willen zu
-behalten!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber Lucy war faul und eigensinnig, und
-wollte nichts thun, &mdash; und Tom hat die Arbeit f&uuml;r sie
-gethan.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Tom, &mdash; wirklich? Na, dann soll Tom das
-Vergn&uuml;gen haben, sie auszupeitschen. 'S wird 'ne gute
-Uebung f&uuml;r ihn sein, und er wird's ihr nicht so geben,
-wie Ihr, Teufels!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ho! ho! ho!&laquo; lachten die beiden schwarzen Schufte,
-und ihre diabolischen Laute schienen in der That kein
-unpassender Ausdruck des teuflischen Charakters zu sein,
-welchen Legree ihnen zuschrieb.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber, Master, Tom und Misse Cassy haben
-beide Lucy's Korb gef&uuml;llt. Kann mir's Gewicht schon
-denken, Master.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;<em class="gesperrt">Ich will das Abw&auml;gen besorgen!</em>&laquo; sagte
-Legree mit Nachdruck.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_174">[S. 174]</a></span></p>
-
-<p>Beide Treiber lie&szlig;en von Neuem ihr teuflisches
-Lachen h&ouml;ren.</p>
-
-<p>&raquo;So?&laquo; f&uuml;gte Legree hinzu, &raquo;Misse Cassy hat ihr
-Tagewerk gethan?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sie zupft wie der Teufel, und alle seine Engel!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sie hat sie, glaub' ich, alle in sich!&laquo; sagte Legree,
-und ging, w&auml;hrend er einen rohen Fluch brummte,
-nach dem W&auml;gezimmer.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Langsam schleppten sich die m&uuml;den, muthlosen Gesch&ouml;pfe
-in dasselbe, und boten furchtsam und kriechend
-ihre K&ouml;rbe zum W&auml;gen dar.</p>
-
-<p>Legree vermerkte den Betrag eines jeden auf einer
-Schiefertafel, auf deren Seite sich ein Namensverzeichni&szlig;
-Aller befand.</p>
-
-<p>Tom's Korb wurde gewogen und richtig befunden,
-worauf er mit &auml;ngstlichem Blicke den Erfolg der armen
-Frau beobachtete, die er in seine Freundschaft gezogen
-hatte.</p>
-
-<p>Wankend vor Mattigkeit, trat sie vor und &uuml;bergab
-ihren Korb. Er hatte volles Gewicht, wie Legree wohl
-bemerkte; aber sich zornig stellend, sagte er:</p>
-
-<p>&raquo;Was, Du faules Thier, wieder zu wenig? tritt
-auf die Seite, &mdash; sollst es kriegen, &mdash; gleich!&laquo;</p>
-
-<p>Das Weib lie&szlig; ein St&ouml;hnen der &auml;u&szlig;ersten Verzweiflung
-h&ouml;ren, und setzte sich auf eine Bank nieder.</p>
-
-<p>Dann trat die Person, welche Misse Cassy genannt
-worden war, hervor, und &uuml;berlieferte ihren Korb mit
-einer stolzen, nachl&auml;ssigen Miene, w&auml;hrend Legree sie
-mit einem h&ouml;hnischen, fragenden Blicke beobachtete. Sie
-richtete ihre schwarzen Augen fest auf ihn, ihre Lippen
- <span class="pagenum"><a id="Page_175">[S. 175]</a></span>
-bewegten sich leicht, und sie sagte etwas in franz&ouml;sischer
-Sprache zu ihm. Was es war, verstand Niemand;
-aber Legree's Gesicht nahm bei diesen Worten einen
-d&auml;monischen Ausdruck an, und er hob seine Hand auf
-wie zum Schlagen, &mdash; eine Bewegung, die sie mit stolzer
-Verachtung ansah, w&auml;hrend sie sich abwandte und
-fortging.</p>
-
-<p>&raquo;Und nun,&laquo; sagte Legree, &raquo;komme Du her, Tom.
-Siehst Du, ich sagte Dir vorher, da&szlig; ich Dich nicht
-f&uuml;r gemeine Arbeit gekauft h&auml;tte. Ich will Dich erh&ouml;hen,
-und 'nen Aufseher aus Dir machen, und so
-kannst Du heut Abend gleich anfangen, und Deine Hand
-dazu thun. Also nimm' hier das Weib, und peitsche sie
-aus; hast schon genug davon gesehen, um zu wissen, wie
-Du's machst.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich bitte Master um Verzeihung,&laquo; sagte Tom, &mdash;
-&raquo;hoffe, Master wird das nicht von mir verlangen. Bin
-nicht daran gew&ouml;hnt, &mdash; hab's nie gethan, &mdash; und
-kann's nicht thun, &mdash; ganz unm&ouml;glich.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wirst noch Manches lernen m&uuml;ssen, was Du nie
-gewu&szlig;t hast, eh' ich mit Dir fertig bin!&laquo; sagte Legree,
-w&auml;hrend er die Peitsche aufhob, und Tom einen schweren
-Hieb &uuml;ber die Backe versetzte, und dann einen Schauer von
-Hieben nachfolgen lie&szlig;. &raquo;Da!&laquo; sagte er, als er inne
-hielt, um auszuruhen, &mdash; &raquo;willst Du mir nun noch sagen,
-Du kannst nicht?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Master,&laquo; entgegnete Tom, w&auml;hrend er seine
-Hand aufhob, um das Blut abzuwischen, welches ihm vom
-Gesichte herabtr&auml;ufelte. &raquo;Ich bin bereit, Tag und Nacht,
-so lange Leben und Athem in mir ist, zu arbeiten; aber
-das halt' ich nicht f&uuml;r recht zu thun, &mdash; und, Master, ich
-werde 's <em class="gesperrt">nimmer</em> thun, &mdash; <em class="gesperrt">nimmer</em>!&laquo;</p>
-
-<p>Tom hatte eine au&szlig;erordentlich sanfte, weiche Stimme,
-und beobachtete stets, gewohnheitsgem&auml;&szlig;, ein ehrerbietiges
-Benehmen, was Legree zu dem Glauben veranla&szlig;t hatte,
-da&szlig; er furchtsam und leicht zu unterwerfen sei. Als er
- <span class="pagenum"><a id="Page_176">[S. 176]</a></span>
-diese letzten Worte sprach, &uuml;berlief Alle ein Schreckensschauer;
-das arme Weib schlug seine H&auml;nde zusammen,
-und rief: &raquo;o Herr!&laquo; und alle Anwesenden blickten sich
-unwillk&uuml;rlich gegenseitig an, und hielten den Athem an,
-wie um sich auf den Sturm vorzubereiten, der jetzt folgen
-m&uuml;sse.</p>
-
-<p>Legree stand starr vor Verwunderung und ganz verwirrt
-da; endlich aber brach er los:</p>
-
-<p>&raquo;Was! Du verdammtes schwarzes Biest! Du willst
-mir sagen, Du h&auml;ltst es nicht f&uuml;r recht zu thun, was ich
-Dir hei&szlig;e? Was hat eins von Euch verfluchten St&uuml;cken
-Vieh n&ouml;thig, dran zu denken, was recht ist. Wart', ich
-will dem Dinge ein Ende machen! Was meinst Du denn,
-da&szlig; Du bist? Glaubst wohl, Du bist ein Herr, Mister
-Tom, der seinem Master sagen will, was recht ist, und
-was nicht! Bist also der Meinung, da&szlig; es unrecht sei,
-das Weib zu peitschen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich denke so, Master,&laquo; sagte Tom; &raquo;das arme Gesch&ouml;pf
-ist krank und schwach; 's w&uuml;rde ganz grausam sein,
-und ich kann 's nimmer thun. Master, wenn Sie mich
-umbringen wollen, thun Sie's; aber meine Hand werd'
-ich niemals gegen irgend Einen hier aufheben, &mdash; lieber
-will ich sterben!&laquo;</p>
-
-<p>Tom sprach mit sanfter Stimme, aber mit einer Bestimmtheit,
-die sich nicht verkennen lie&szlig;. Legree bebte vor
-Zorn; seine gr&uuml;nlichen Augen funkelten wild, und selbst
-sein Bart fing sich vor Leidenschaft an zu kr&auml;useln; aber,
-gleich einem wilden Thiere, das mit seinem Opfer spielt,
-ehe es dasselbe verzehrt, hielt er seinen heftigen, inneren
-Drang zur augenblicklichen Gewaltth&auml;tigkeit zur&uuml;ck, und
-brach in bittere Sp&ouml;ttereien aus.</p>
-
-<p>&raquo;Sieh' da, hier ist endlich ein frommer Kerl unter
-uns S&uuml;nder gefallen! &mdash; ein Heiliger, ein Gentleman,
-nichts weniger, um uns S&uuml;ndern unsere S&uuml;nden vorzuhalten!
-Mu&szlig; 'ne m&auml;chtig fromme Kreatur sein! &mdash; Hier,
-Du Schlingel, der Du so fromm sein willst, hast Du nie
- <span class="pagenum"><a id="Page_177">[S. 177]</a></span>
-in der Bibel gelesen: &raquo;Ihr Knechte, seid unterthan Eurem
-leiblichen Herrn!&laquo; Bin ich nicht Dein Herr? Hab' ich
-nicht zw&ouml;lfhundert Dollar baar Geld bezahlt f&uuml;r Alles, was
-in Deiner alten, verfluchten schwarzen Schale steckt? Bist
-Du nicht mein jetzt mit Leib und Seele?&laquo; rief er, Tom
-einen heftigen Sto&szlig; mit seinem schweren Stiefel versetzend,
-&mdash; &raquo;sage mir!&laquo;</p>
-
-<p>Selbst in diesem heftigen physischen Leiden, und obgleich
-niedergebeugt von roher Gewalt, scho&szlig; dennoch bei
-dieser Frage ein Strahl von Freude und Triumph durch
-Toms Seele. Er richtete sich pl&ouml;tzlich auf, und inbr&uuml;nstig
-zum Himmel blickend, w&auml;hrend Thr&auml;nen und Blut
-sich auf seiner Wange mischten, rief er:</p>
-
-<p>&raquo;Nein! nein! nein! meine Seele geh&ouml;rt Ihnen nicht,
-Master! Sie haben sie nicht gekauft, &mdash; Sie k&ouml;nnen sie
-nicht kaufen! <em class="gesperrt">Die</em> ist gekauft und bezahlt worden von
-Einem, der f&auml;hig ist, sie zu bewahren; &mdash; thut nichts, thut
-nichts, Sie k&ouml;nnen mir kein Leid zuf&uuml;gen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich kann nicht?&laquo; sagte Legree mit h&ouml;hnischem L&auml;cheln;
-&raquo;wollen seh'n! &mdash; wollen seh'n! Hier, Sambo,
-Quimbo, gebt diesem Hunde 'ne solche Dressur, da&szlig; er
-f&uuml;r diesen Monat genug hat!&laquo;</p>
-
-<p class="pmb3">Die beiden gigantischen Neger, welche mit teuflischer
-Freude in ihren Gesichtern sich jetzt Toms bem&auml;chtigten,
-w&auml;ren nicht ungeeignet gewesen, die M&auml;chte der Finsterni&szlig;
-pers&ouml;nlich darzustellen. Die arme Frau schrie laut auf
-vor Schrecken, und Alle, wie von demselben Impulse getrieben,
-erhoben sich, w&auml;hrend Tom, ohne Widerstand zu
-leisten, hinausgeschleppt wurde.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_178">[S. 178]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Vierunddreissigstes_Kapitel">Vierunddrei&szlig;igstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Die Geschichte der Quadroon.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i9">Da lobte ich die Todten, die schon gestorben</span>
-<span class="i9">waren, mehr denn die Lebendigen, die noch das</span>
-<span class="i9">Leben hatten.</span>
-</div></div>
-
-
-<p>Es war Nacht, und Tom lag allein, st&ouml;hnend und
-blutend in einem alten, verlassenen Zimmer des Gin-Hauses
-zwischen St&uuml;cken zerbrochenen Maschinenwerks,
-Haufen verdorbener Baumwolle und anderem Unrath, der
-hier aufbewahrt wurde.</p>
-
-<p>Die Nacht war feucht und warm, und die dicke
-Atmosph&auml;re war angef&uuml;llt von Myriaden Moskitos,
-welche die Qualen seiner Wunden vermehrten, w&auml;hrend
-ein brennender Durst, &mdash; die gr&ouml;&szlig;te aller Torturen, &mdash;
-das h&ouml;chste Maa&szlig; physischer Leiden f&uuml;llte.</p>
-
-<p>&raquo;O guter Gott! Sieh' herab, &mdash; verleihe mir den
-Sieg, &mdash; den Sieg &uuml;ber Alles!&laquo; betete der arme Tom
-in seiner Todesangst.</p>
-
-<p>Ein menschlicher Fu&szlig;tritt wurde pl&ouml;tzlich im Zimmer
-geh&ouml;rt, und das Licht einer Laterne fiel auf seine Augen.</p>
-
-<p>&raquo;Wer ist da? O um des Herrn willen, reicht mir
-ein wenig Wasser!&laquo;</p>
-
-<p>Die Frau Cassy &mdash; denn sie war es &mdash; setzte die
-Laterne nieder, go&szlig; Wasser aus einer Flasche, erhob seinen
-Kopf, und gab ihm zu trinken. Noch einen Becher,
-und noch einen leerte er in seinem fieberischen Durste.</p>
-
-<p>&raquo;Trink so viel Du willst,&laquo; sagte sie, &raquo;ich wu&szlig;te schon,
-wie es sein w&uuml;rde! 's ist nicht das erste Mal, da&szlig; ich
- <span class="pagenum"><a id="Page_179">[S. 179]</a></span>
-in der Nacht ausgegangen bin, um solchen Leuten, wie
-Du jetzt bist, Wasser zu bringen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Dank' Euch, Missis,&laquo; sagte Tom, nachdem er getrunken
-hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Nenne mich nicht Missis! Ich bin eine elende
-Sklavin, gleich Dir, &mdash; eine niedrigere, als Du je werden
-kannst!&laquo; sagte sie in bitterem Tone; &raquo;aber nun,&laquo;
-f&uuml;gte sie hinzu, an die Th&uuml;r gehend, und einen kleinen
-Strohsack hereinziehend, &uuml;ber welchen sie leinene, in kaltes
-Wasser getauchte T&uuml;cher gelegt hatte, &raquo;versuche es, mein
-armer Bursche, Dich auf diesen Sack zu rollen.&laquo;</p>
-
-<p>Steif von Wunden und Quetschungen brauchte Tom
-lange Zeit, ehe er diese Bewegung vollbrachte; dann aber
-empfand er eine merkliche Erleichterung durch die k&uuml;hlenden
-Umschl&auml;ge auf seinen Wunden.</p>
-
-<p>Die Frau, welche durch eine lange Praxis an den
-Opfern der Rohheit manche heilende K&uuml;nste erlernt hatte,
-legte mehrfache Verb&auml;nde auf Toms Wunden, welche ihm
-Linderung seiner Schmerzen bereiteten.</p>
-
-<p>&raquo;Nun,&laquo; sagte die Frau, nachdem sie ihm noch eine
-Rolle schadhafter Baumwolle als Kissen untergelegt hatte,
-&raquo;das ist Alles, was ich f&uuml;r Dich thun kann.&laquo;</p>
-
-<p>Tom dankte ihr, und die Frau setzte sich auf den
-Boden nieder, zog ihre Kniee an, und diese mit den Armen
-umfassend, blickte sie mit einem bitteren, schmerzlichen
-Ausdrucke ihres Gesichts starr vor sich hin. Ihr Hut fiel
-zur&uuml;ck, und langes, &uuml;ppiges, schwarzes Haar str&ouml;mte um
-ihr sonderbares, melancholisches Gesicht.</p>
-
-<p>&raquo;Es ist vergeblich, mein armer Mensch!&laquo; begann sie
-endlich, &raquo;Es ist vergeblich, was Du zu thun versucht hast.
-Warst ein braver Bursche, &mdash; und hattest das Recht auf
-Deiner Seite; aber 's hilft Dir alles nichts, dagegen zu
-k&auml;mpfen. Du bist in des Teufels H&auml;nden; &mdash; er ist der
-St&auml;rkere, und Du mu&szlig;t nachgeben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nachgeben!&laquo; und hatten nicht menschliche Schw&auml;che
-und physischer Schmerz ihm das schon zuvor in's Ohr
- <span class="pagenum"><a id="Page_180">[S. 180]</a></span>
-gefl&uuml;stert? Tom erschrak; denn das bittere Weib mit
-den wilden Augen und der melancholischen Stimme erschien
-ihm als die verk&ouml;rperte Versuchung, gegen die er
-gek&auml;mpft hatte.</p>
-
-<p>&raquo;O Herr! o Herr!&laquo; st&ouml;hnte er, &raquo;wie kann ich nachgeben?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es hilft nichts, den Herrn anrufen, &mdash; er h&ouml;rt es
-nie,&laquo; sagte die Frau mit ruhiger, fester Stimme. &raquo;Ich
-glaube, es gibt keinen Gott; oder, wenn es einen gibt,
-so hat er gegen uns Partei genommen. Alles ist gegen
-uns, Himmel und Erde; Alles hilft dazu, uns in die
-H&ouml;lle zu sto&szlig;en; &mdash; warum sollten wir nicht gehen?&laquo;</p>
-
-<p>Tom schlo&szlig; seine Augen, und schauderte vor den
-finsteren, atheistischen Worten.</p>
-
-<p>&raquo;Siehst Du,&laquo; fuhr die Frau fort, &raquo;Du verstehst davon
-nichts, &mdash; aber ich. Ich bin hier f&uuml;nf Jahre gewesen,
-mit Leib und Seele unter dieses Mannes Fu&szlig;,
-und hasse ihn wie den Teufel! Du bist hier auf einer
-einsamen Pflanzung, zehn Meilen von jeder andern entfernt,
-in den S&uuml;mpfen; und keine wei&szlig;e Person ist hier,
-die Zeugni&szlig; ablegen k&ouml;nnte, wenn Du auch lebendig verbrannt,
-oder geschunden, in St&uuml;cke gehauen, den Hunden
-vorgeworfen, oder aufgeh&auml;ngt und zu Tode gepeitscht
-w&uuml;rdest. Es gibt kein g&ouml;ttliches und kein menschliches
-Gesetz hier, das Dir von Nutzen sein k&ouml;nnte, und dieser
-Mann! &mdash; es gibt Nichts, das er zu gut zu thun w&auml;re.
-Ich k&ouml;nnte Dein Haar str&auml;uben und Deine Z&auml;hne klappern
-machen, wenn ich Dir erz&auml;hlen wollte, was ich hier
-gesehen und geh&ouml;rt habe; &mdash; es hilft nichts, hier Widerstand
-zu leisten! &mdash; <em class="gesperrt">Wollte</em> ich etwa mit ihm leben?
-War ich nicht ein Weib, das eine feine Erziehung erhalten
-hatte? und er &mdash; Gott im Himmel! was war er,
-und was ist er? Und dennoch habe ich mit ihm seit f&uuml;nf
-Jahren gelebt, und jeden Augenblick meines Lebens verflucht,
-&mdash; Nacht und Tag! Und jetzt hat er eine Neue
-bekommen, &mdash; ein junges Ding, erst f&uuml;nfzehn Jahre alt,
- <span class="pagenum"><a id="Page_181">[S. 181]</a></span>
-und fromm erzogen, wie sie sagt. Ihre gute Mistre&szlig; hat
-sie gelehrt, die Bibel lesen, und sie hat ihre Bibel mitgebracht,
-&mdash; mit in die H&ouml;lle!&laquo; &mdash; und das Weib stie&szlig;
-ein wildes, schmerzliches Lachen aus, das mit sonderbarem,
-&uuml;bernat&uuml;rlichem Klange durch den verfallenen alten
-Schuppen schallte.</p>
-
-<p>Tom faltete seine H&auml;nde. Alles war Schrecken und
-Finsterni&szlig;.</p>
-
-<p>&raquo;O Jesus! Herr Jesus! hast Du uns arme Gesch&ouml;pfe
-ganz vergessen?&laquo; fing er endlich an zu klagen.
-&raquo;O hilf, Herr! ich komme um!&laquo;</p>
-
-<p>Das Weib fuhr in strengem Tone fort:</p>
-
-<p>&raquo;Und was sind diese elenden, niedrigen Gesch&ouml;pfe,
-mit denen Du arbeitest, da&szlig; Du um ihretwillen leiden
-solltest? Ein Jeder von ihnen w&uuml;rde sich bei der ersten
-Gelegenheit gegen Dich wenden. Sie sind Alle gegen
-einander so gemein und grausam wie nur m&ouml;glich. Es
-ist ganz nutzlos, da&szlig; Du leidest, um ihnen nicht wehe
-zu thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Arme Gesch&ouml;pfe!&laquo; sagte Tom, &mdash; &raquo;was machte sie
-grausam? &mdash; und, wenn ich nachgebe, so werd' ich mich
-d'ran gew&ouml;hnen, und werde nach und nach auch so werden,
-wie sie sind! Nein, nein, Missis! ich habe Alles
-verloren, &mdash; Weib, Kinder und Heimath, und einen
-guten Master, der mich frei gelassen haben w&uuml;rde, wenn
-er noch eine Woche l&auml;nger gelebt h&auml;tte; ich habe Alles
-in <em class="gesperrt">dieser</em> Welt verloren, und 's ist dahin f&uuml;r immer,
-&mdash; und nun <em class="gesperrt">kann</em> ich nicht den Himmel auch noch verlieren;
-&mdash; nein, ich kann nicht auch noch schlecht werden!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber es ist unm&ouml;glich, da&szlig; der Herr die S&uuml;nde
-in unser Schuldbuch schreiben werde,&laquo; sagte die Frau;
-&raquo;er wird sie uns nicht zurechnen, wenn wir dazu gezwungen
-werden; er wird sie denen zurechnen, die uns
-dazu getrieben haben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja,&laquo; sagte Tom; &raquo;aber das wird uns nicht dagegen
- <span class="pagenum"><a id="Page_182">[S. 182]</a></span>
-sch&uuml;tzen, schlecht zu werden. Wenn ich so hartherzig
-und so b&ouml;se werden sollte, wie jener Sambo, so
-w&uuml;rde 's mir am Ende gleich sein, wie ich dazu gekommen
-w&auml;re; es ist das <em class="gesperrt">so sein</em>, &mdash; das ist's, was
-ich f&uuml;rchte.&laquo;</p>
-
-<p>Die Frau richtete einen wilden, &uuml;berraschten Blick
-auf Tom, als wenn ein neuer Gedanke in ihr aufgestiegen
-sei; dann sagte sie tief seufzend:</p>
-
-<p>&raquo;O Gott sei uns gn&auml;dig! Du sagst die Wahrheit!
-O! O! O!&laquo; &mdash; und st&ouml;hnend sank sie wie zerschmettert
-und im tiefsten Seelenschmerz sich kr&uuml;mmend auf den
-Boden nieder.</p>
-
-<p>Es trat eine Pause ein, w&auml;hrend deren das Athmen
-Beider h&ouml;rbar war, bis Tom mit schwacher Stimme
-sagte: &raquo;O, bitte, Missis!&laquo;</p>
-
-<p>Die Frau erhob sich, und ihr Gesicht hatte wieder
-den gew&ouml;hnlichen ernsten, melancholischen Ausdruck angenommen.</p>
-
-<p>&raquo;Bitte, Missis, ich sah, da&szlig; sie meinen Rock in
-jene Ecke warfen, und in der Tasche ist meine Bibel; &mdash;
-wenn Missis so gut sein wollte, sie mir zu reichen.&laquo;</p>
-
-<p>Cassy ging und holte die Bibel. Tom &ouml;ffnete sofort
-eine besonders markirte, viel gelesene Stelle aus den
-letzten Lebensaugenblicken Desjenigen, durch dessen Streiche
-und Leiden wir geheilt worden sind.</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Missis doch so gut sein wollte, hier &mdash; das
-zu lesen, 's ist noch besser als Wasser.&laquo;</p>
-
-<p>Cassy nahm das Buch mit kalter, stolzer Miene, und
-blickte &uuml;ber die Stelle. Dann las sie mit sanfter Stimme
-und mit eigenth&uuml;mlichem, sch&ouml;nem Ausdrucke die r&uuml;hrende
-Schilderung seines Todesschmerzes und seiner Glorie.
-Oefters, w&auml;hrend des Lesens, stockte ihre Stimme, oder
-versagte g&auml;nzlich, und dann hielt sie mit einer Miene kalter
-Ruhe inne, bis sie sich wieder vollst&auml;ndig gesammelt hatte.
-Als sie an die r&uuml;hrenden Worte kam: &raquo;Vater, vergib
-ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!&laquo; lie&szlig; sie das
- <span class="pagenum"><a id="Page_183">[S. 183]</a></span>
-Buch fallen, barg ihr Gesicht in die dunkle F&uuml;lle ihrer
-Haare, und begann laut und mit krampfhafter Heftigkeit
-zu schluchzen.</p>
-
-<p>Tom weinte auch und lie&szlig; zuweilen einen unterdr&uuml;ckten
-Ausruf h&ouml;ren.</p>
-
-<p>&raquo;Wenn wir nur das erreichen k&ouml;nnten!&laquo; sagte Tom;
-&raquo;es schien bei ihm so nat&uuml;rlich zu sein, und wir m&uuml;ssen
-so schwer darum k&auml;mpfen! O Herr, hilf uns! o heiliger
-Herr Jesus, hilf uns!&laquo;</p>
-
-<p>Nach einer Weile fuhr Tom fort: &raquo;Missis, ich kann
-das ganz deutlich sehen, Missis ist in allen Dingen weit
-&uuml;ber mir, aber da ist eins, das Missis selbst vom armen
-Tom lernen k&ouml;nnte. Ihr sagtet, der Herr habe Partei
-gegen uns genommen, weil er zul&auml;&szlig;t, da&szlig; man uns zu
-Boden schl&auml;gt und mi&szlig;handelt: aber Ihr seht, was seinem
-eigenen Sohne widerfahren ist, &mdash; dem Herrn der
-Herrlichkeit, &mdash; war er nicht immer arm? und ist Einer
-von uns schon so elend geworden, wie er war? Nein,
-Gott hat uns nicht vergessen, &mdash; das wei&szlig; ich gewi&szlig;!
-Wenn wir mit ihm leiden, so werden wir auch mit zur
-Herrlichkeit erhoben werden, sagt die Schrift; aber wenn
-wir Ihn verleugnen, so wird er uns auch verleugnen.
-Haben sie nicht Alle gelitten? &mdash; der Herr und die Seinigen?
-H&ouml;ren wir nicht, wie sie gesteinigt und auseinander
-ges&auml;gt wurden, und wie sie in Schaaffellen und Ziegenh&auml;uten
-umherwanderten, und h&uuml;lflos, und betr&uuml;bt,
-und gequ&auml;lt waren? Leiden ist kein Grund, um uns
-glauben zu lassen, da&szlig; sich der Herr von uns gewendet
-habe, sondern gerade das Gegentheil, wenn wir zu ihm
-halten und nicht der S&uuml;nde weichen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber warum setzt er uns dahin, wo wir nicht
-anders k&ouml;nnen, als s&uuml;ndigen?&laquo; sagte die Frau.</p>
-
-<p>&raquo;Ich glaube, wir <em class="gesperrt">k&ouml;nnen</em> anders,&laquo; entgegnete
-Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Du wirst es sehen,&laquo; sagte Cassy; &raquo;was willst Du
-thun? Morgen werden sie wieder &uuml;ber Dich herfallen.
- <span class="pagenum"><a id="Page_184">[S. 184]</a></span>
-Ich kenne sie; ich habe alle ihre Thaten gesehen; ich
-kann nicht an alles das denken, was sie noch &uuml;ber Dich
-bringen werden, &mdash; und zuletzt wirst Du doch nachgeben
-m&uuml;ssen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Herr Jesus!&laquo; sagte Tom, &raquo;Du <em class="gesperrt">willst</em> Dich meiner
-Seele annehmen? O Herr, thue es! &mdash; lasse mich
-nicht wanken!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O mein Gott!&laquo; sagte Cassy; &raquo;Ich habe alles dieses
-Schreien und Beten schon oft geh&ouml;rt, und dennoch
-sind sie gebrochen und bezwungen worden. Da ist Emmeline,
-die sich zu halten versucht, und Du versuchst, &mdash;
-aber was hilft es? Du mu&szlig;t nachgeben, oder Dich
-langsam umbringen lassen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gut, so <em class="gesperrt">will</em> ich sterben!&laquo; sagte Tom. &raquo;Sie
-m&ouml;gen es in die L&auml;nge ziehen, so weit sie k&ouml;nnen, sie
-k&ouml;nnen doch nicht verhindern, da&szlig; ich endlich sterbe! &mdash;
-und dann k&ouml;nnen sie nichts mehr thun. Das ist klar, ich
-bin bereit! Ich <em class="gesperrt">wei&szlig;</em>, der Herr wird mir helfen und
-mich hindurch f&uuml;hren.&laquo;</p>
-
-<p>Die Frau antwortete nicht; sie blieb schweigend
-sitzen, w&auml;hrend sie mit ihren schwarzen Augen vor sich
-hin auf den Boden starrte.</p>
-
-<p>&raquo;Vielleicht ist das der rechte Weg,&laquo; murmelte sie f&uuml;r
-sich; &raquo;aber f&uuml;r Diejenigen, die es einmal aufgegeben
-haben, ist keine Hoffnung mehr, &mdash; keine! Wir leben in
-Schmutz, und werden eckelhaft, bis wir uns selbst zum
-Eckel werden! Wir sehnen uns danach, zu sterben, und
-haben nicht den Muth, uns selbst zu t&ouml;dten! &mdash; Keine
-Hoffnung! keine! keine! &mdash; das M&auml;dchen, grade so alt,
-wie ich war!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du siehst mich jetzt,&laquo; fuhr sie zu Tom gewendet
-fort, und sehr schnell sprechend, &mdash; &raquo;siehst, was ich jetzt
-bin! Wohl, ich bin in Luxus erzogen worden. Das
-erste, dessen ich mich entsinne, ist, da&szlig; ich als Kind in
-gl&auml;nzenden Zimmern spielte, &mdash; da&szlig; ich wie eine Puppe
-gekleidet ging, und von aller Welt gelobt und gepriesen
- <span class="pagenum"><a id="Page_185">[S. 185]</a></span>
-wurde. Eine Glasth&uuml;r f&uuml;hrte aus dem Salon in den
-Garten, und dort pflegte ich mit meinen Geschwistern zu
-spielen. Ich wurde in ein Kloster gebracht, und lernte
-Musik, Franz&ouml;sisch und feine Stickerei und wer wei&szlig; was
-Alles; und als ich vierzehn Jahre alt war, verlie&szlig; ich
-es, um dem Begr&auml;bnisse meines Vaters beizuwohnen.
-Er starb pl&ouml;tzlich, und als der Nachla&szlig; regulirt werden
-sollte, ergab sich's, da&szlig; kaum genug vorhanden war, um
-seine Schulden zu decken; und die Gl&auml;ubiger nahmen
-ein Inventarium auf, und ich wurde mit darin verzeichnet.
-Meine Mutter war eine Sklavin gewesen, und
-mein Vater hatte stets die Absicht gehabt, mich f&uuml;r frei
-zu erkl&auml;ren; aber er hatte es nicht gethan, und so wurde
-ich mit in das Verzeichni&szlig; aufgenommen. Es war mir
-von jeher bekannt gewesen, was ich war, aber ich hatte
-nie viel daran gedacht. Man glaubte nie, da&szlig; ein
-starker, gesunder Mann pl&ouml;tzlich sterben k&ouml;nne. Mein
-Vater war noch vier Stunden vor seinem Tode gesund
-und wohl. Es war einer der ersten Choleraf&auml;lle in
-New-Orleans. Am Tage nach dem Begr&auml;bni&szlig; nahm
-die Frau meines Vaters ihre Kinder und ging damit
-nach der Plantage ihres Vaters. Ich dachte, sie behandelten
-mich recht sonderbar, aber ich verstand es nicht.
-Es war da ein junger Advokat, der den Auftrag hatte,
-die Gesch&auml;fte in Ordnung zu bringen; dieser kam jeden
-Tag und sprach sehr h&ouml;flich mit mir. Eines Tages
-brachte er einen jungen Mann mit sich, den ich f&uuml;r den
-sch&ouml;nsten hielt, den ich jemals gesehen hatte. Ich werde
-niemals jenen Abend vergessen. Wir gingen zusammen
-im Garten spazieren. Ich f&uuml;hlte mich so einsam und so
-traurig, und er war so sanft und so freundlich gegen
-mich, und erz&auml;hlte mir, da&szlig; er mich schon fr&uuml;her gesehen
-habe, ehe ich nach dem Kloster gebracht worden sei, und
-da&szlig; er mich so lange geliebt habe, und da&szlig; er mein
-Freund und Besch&uuml;tzer sein wolle; &mdash; kurz, obgleich er
-es mir nicht sagte, er hatte zweitausend Dollar f&uuml;r mich
- <span class="pagenum"><a id="Page_186">[S. 186]</a></span>
-bezahlt, und ich war sein Eigenthum. Ich wurde es
-gern, denn ich liebte ihn. &mdash; Liebte!&laquo; wiederholte die
-Frau inne haltend. &raquo;O! wie liebte ich ihn! wie liebe
-ich ihn jetzt noch, &mdash; und werde ihn ewig lieben, so
-lange ich athme! Er war so sch&ouml;n, so erhaben, so edel!
-Er wies mir ein sch&ouml;nes Haus an, mit Dienern, Pferden
-und Wagen, mit M&ouml;beln und sch&ouml;nen Kleidungsst&uuml;cken.
-Alles was Geld erkaufen konnte, gab er mir; aber ich
-legte keinen Werth darauf, &mdash; er galt mir &uuml;ber Alles.
-Ich liebte ihn mehr als Gott und meine Seele; und ich
-konnte nichts Anderes thun, als was er w&uuml;nschte.</p>
-
-<p>Nur einen Wunsch hegte ich, &mdash; den, da&szlig; er
-mich <em class="gesperrt">heirathen</em> solle. Ich dachte, wenn er mich so
-liebte wie ich ihn, und wenn ich das wirklich war, wof&uuml;r
-er mich zu halten schien, so w&uuml;rde er gern bereit
-sein, mich zu heirathen und in Freiheit zu setzen. Allein
-er &uuml;berzeugte mich davon, da&szlig; es unm&ouml;glich sei,
-und sagte mir, da&szlig; wenn wir einander treu seien, es
-eine Ehe vor Gott sei. Wenn das wahr ist, war ich
-denn nicht jenes Mannes Weib? War ich nicht treu?
-Bewachte ich nicht sieben Jahre lang jeden Blick und
-jede Bewegung, nur bem&uuml;ht, ihm zu gefallen? Er
-bekam das gelbe Fieber, w&auml;hrend dessen ich zwanzig
-Tage und N&auml;chte bei ihm wachte. Ich allein; &mdash; ich
-reichte ihm alle seine Arzneien, und verrichtete jede
-Dienstleistung f&uuml;r ihn, und er nannte mich seinen guten
-Engel, und sagte, da&szlig; ich ihm das Leben gerettet
-habe.</p>
-
-<p>Wir hatten zwei sch&ouml;ne Kinder. Das erste war
-ein Knabe, den wir Henry nannten. Er war das Abbild
-seines Vaters; &mdash; er hatte so sch&ouml;ne Augen, eine
-so sch&ouml;ne Stirn und so sch&ouml;ne, lange Locken, &mdash; und ganz
-seines Vaters Geist und F&auml;higkeiten! Die kleine Elise
-war mir &auml;hnlich, wie ihr Vater sagte. Er pflegte mich
-das sch&ouml;nste Weib in Louisiana zu nennen und mich zu
-versichern, da&szlig; er stolz auf mich und die Kinder sei. Er
- <span class="pagenum"><a id="Page_187">[S. 187]</a></span>
-sah es gern, da&szlig; ich sie h&uuml;bsch anzog, um mit ihnen
-und mir sodann in einem offenen Wagen umherzufahren
-und die Bemerkungen der Leute &uuml;ber uns zu h&ouml;ren;
-und fortw&auml;hrend erz&auml;hlte er mir nachher die Lobspr&uuml;che,
-die &uuml;ber mich und die Kinder ge&auml;u&szlig;ert worden waren.
-O, das waren gl&uuml;ckliche Tage! Ich f&uuml;hlte mich so gl&uuml;cklich,
-wie ein Mensch nur sein konnte; aber dann kamen
-b&ouml;se Zeiten. Es war ein Cousin von New-Orleans gekommen,
-der sein intimster Freund war, &mdash; und von dem
-er au&szlig;erordentlich viel hielt. Allein vom ersten Augenblicke,
-wo ich ihn sah, f&uuml;rchtete ich ihn, ohne zu wissen,
-we&szlig;halb; denn ich f&uuml;hlte die Gewi&szlig;heit in mir, da&szlig; er
-Ungl&uuml;ck &uuml;ber uns bringen werde. Er verleitete Henry,
-mit ihm auszugehen, und kehrte oft erst um zwei oder
-drei Uhr nach Hause. Ich wagte nichts dar&uuml;ber zu sagen,
-denn Henry war heftigen Temperaments, und ich
-f&uuml;rchtete mich. Er lie&szlig; sich von seinem Cousin in Spielh&auml;user
-f&uuml;hren, und er war einer von denjenigen, die,
-wenn sie einmal dort gewesen sind, sich nicht mehr davon
-zur&uuml;ckhalten lassen. Bald darauf machte ihn jener mit
-einer andern Dame bekannt, und ich bemerkte bald, da&szlig;
-sein Herz sich von mir gewendet hatte. Er sagte mir es
-nie, aber ich sah es deutlich, &mdash; ich f&uuml;hlte es jeden Tag
-mehr, &mdash; mein Herz brach, aber ich konnte kein Wort
-dar&uuml;ber sagen! Dann erbot sich jener Elende, mich
-und die Kinder von Henry zu kaufen, um seine Spielschulden
-davon bezahlen zu k&ouml;nnen, welche ihn verhinderten,
-sich so zu verheirathen, wie er w&uuml;nschte; &mdash; und
-<em class="gesperrt">er verkaufte uns</em>! Er sagte mir eines Tages, da&szlig;
-er Gesch&auml;fte auf dem Lande habe, und zwei oder drei
-Wochen abwesend sein werde. Er sprach freundlicher,
-als gew&ouml;hnlich, und versicherte mich, da&szlig; er zur&uuml;ckkehren
-werde; allein ich lie&szlig; mich dadurch nicht t&auml;uschen. Ich
-wu&szlig;te, da&szlig; die Zeit gekommen sei. Mir war, als sei
-ich in Stein verwandelt worden: ich konnte weder sprechen,
-noch eine Thr&auml;ne vergie&szlig;en. Er k&uuml;&szlig;te mich und
- <span class="pagenum"><a id="Page_188">[S. 188]</a></span>
-die Kinder viele, viele Male, und ging hinaus. Ich
-sah ihn noch das Pferd besteigen und folgte ihm mit den
-Augen, bis er meinen Blicken entschwand. Dann sank
-ich ohnm&auml;chtig nieder.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Dann kam <em class="gesperrt">er</em>, der verfluchte Elende! &mdash; und
-nahm Besitz von mir. Er sagte mir, da&szlig; er mich und
-meine Kinder gekauft habe, und zeigte mir die Papiere.
-Ich verfluchte ihn vor Gott und sagte ihm, da&szlig; ich lieber
-sterben als mit ihm leben w&uuml;rde.</p>
-
-<p>&rsaquo;Ganz wie Du willst,&lsaquo; entgegnete er, &rsaquo;aber
-wenn Du dich nicht vern&uuml;nftig betr&auml;gst, so verkaufe ich
-beide Kinder, so da&szlig; Du sie nie im Leben wieder
-siehst.&lsaquo; Er sagte mir, da&szlig; es vom ersten Augenblicke
-an, wo er mich gesehen, seine Absicht gewesen sei, mich
-zu besitzen, und da&szlig; er Henry absichtlich verleitet und in
-Schulden gest&uuml;rzt habe, um ihn dazu zu bringen, mich
-zu verkaufen; da&szlig; er ihn aus demselben Grunde zu dem
-Verh&auml;ltni&szlig; mit einer andern Dame gef&uuml;hrt habe, und
-da&szlig; er selbst endlich nicht gesonnen sei, seinen Plan um
-ein paar Thr&auml;nen halber aufzugeben.</p>
-
-<p>Ich gab nach, denn meine H&auml;nde waren gebunden.
-Er hatte meine Kinder in seiner Gewalt; und sobald
-ich mich irgendwie seinem Willen widersetzte, fing er davon
-an zu sprechen, da&szlig; er sie verkaufen wolle, und
-machte mich dadurch so unterw&uuml;rfig, als er nur w&uuml;nschte.
-O, was f&uuml;r ein Leben war das! Jeden Tag mit brechendem
-Herzen leben und liebevoll und z&auml;rtlich sein zu
-m&uuml;ssen, w&auml;hrend es doch nichts als Elend war; und
-mit Leib und Seele an jemanden gebunden zu sein,
-den ich ha&szlig;te. Meinem Henry las ich gern vor, ich
-spielte und tanzte mit ihm, oder sang ihm etwas vor;
-aber Alles, was ich f&uuml;r diesen thun mu&szlig;te, war mir
-eine Qual; &mdash; und dennoch wagte ich nicht, irgend Etwas
-zu verweigern. Sein Benehmen war herrisch und
-hart gegen die Kinder. Elise war ein kleines, furchtsames
-Wesen; aber Henry war wie sein Vater k&uuml;hn und
- <span class="pagenum"><a id="Page_189">[S. 189]</a></span>
-muthig, und hatte sich nie durch irgend Jemanden zur
-Unterw&uuml;rfigkeit bringen lassen. Ihn tadelte und schalt
-er fortw&auml;hrend, und ich lebte in steter Angst. Ich bem&uuml;hte
-mich, den Knaben ehrerbietiger zu machen, &mdash; ich
-suchte ihn von ihm entfernt zu halten, denn ich hing an
-diesen Kindern mit meinem ganzen Leben; aber es half
-nichts. <em class="gesperrt">Er verkaufte beide Kinder.</em> Eines Tags
-nahm er mich mit auf eine Spazierfahrt, und als ich zu
-Hause kam, waren sie verschwunden! Er sagte mir, da&szlig;
-er sie verkauft habe und er zeigte mir das Geld, den
-Preis ihres Blutes.</p>
-
-<p>Von nun an schien mich alles Gute zu verlassen.
-Ich raste und fluchte, &mdash; fluchte Gott und Menschen;
-und eine Zeit lang f&uuml;rchtete er sich wirklich vor mir.
-Allein er gab nicht nach. Er sagte mir, da&szlig; meine
-Kinder verkauft seien, aber da&szlig;, ob ich ihre Gesichter je
-wieders&auml;he, von ihm abh&auml;nge, und da&szlig;, wenn ich mich
-nicht ruhig verhalte, meine Kinder daf&uuml;r leiden sollten.
-Du kannst mit einer Frau Alles thun, wenn Du ihre
-Kinder hast. Er machte mich dem&uuml;thig, er brachte mich
-zur Ruhe; er schmeichelte mir mit Hoffnungen, da&szlig; er
-sie zur&uuml;ckkaufen werde, und so verflo&szlig;en einige Wochen.
-Eines Tages ging ich spazieren, und kam am Stockhause
-vor&uuml;ber. Ich sah eine gro&szlig;e Menschenmenge vor
-dem Thore versammelt und h&ouml;rte eine Kinderstimme, &mdash;
-und pl&ouml;tzlich ri&szlig; sich mein Henry von zwei oder drei
-M&auml;nnern los, die ihn hielten, und lief schreiend auf mich
-zu und erfa&szlig;te mein Kleid. Jene kamen fluchend hinter
-ihm her, und ein Mann, dessen Gesicht ich nie vergessen
-werde, sagte ihm, da&szlig; er so nicht davon kommen solle,
-da&szlig; er mit ihm in's Stockhaus gehe und da&szlig; er dort
-eine Lehre bekommen solle, die er nicht so leicht vergessen
-werde. Ich bat und flehte f&uuml;r ihn, &mdash; aber die M&auml;nner
-lachten nur dazu; der arme Knabe schrie und schaute
-mir in's Gesicht, und hielt sich an mir fest, bis sie ihn
-losrei&szlig;end den Rock meines Kleides halb mit abrissen;
- <span class="pagenum"><a id="Page_190">[S. 190]</a></span>
-und dann schleppten sie ihn, w&auml;hrend er &rsaquo;Mutter!
-Mutter! Mutter!&lsaquo; schrie, fort. Ein Mann stand dabei,
-der Mitleid zu haben schien. Ich bot ihm alles
-Geld an, was ich hatte, wenn er mir beistehen wolle;
-aber er sch&uuml;ttelte seinen Kopf und entgegnete, da&szlig; der
-Mann ihm gesagt habe, der Knabe sei ungehorsam und
-ungezogen vom ersten Augenblicke an gewesen, da&szlig; er
-ihn gekauft und da&szlig; er ihm jetzt ein f&uuml;r allemal eine
-Dressur geben wolle. Ich wandte mich um und rannte
-davon, und auf jedem Schritte glaubte ich noch sein Geschrei
-zu h&ouml;ren. Ich gelangte in das Haus und eilte
-athemlos in das Zimmer, wo sich Butler befand. Ich
-sagte es ihm und flehte ihn an, sich des Knaben anzunehmen;
-aber er lachte nur und antwortete mir, da&szlig;
-der Knabe bekomme, was er verdiene, und da&szlig; er dressirt
-werden m&uuml;sse, je eher, desto besser.</p>
-
-<p>Es war mir, als wenn irgend etwas in diesem
-Augenblicke in meinem Kopfe springe. Ich wurde rasend
-und verlor die Besinnung. Dunkel entsinne ich mich
-noch, da&szlig; ich ein gro&szlig;es Messer auf dem Tische liegen
-sah, da&szlig; ich darnach griff und auf ihn zu sprang; dann
-wurde Alles schwarz vor mir, und was nachher mit mir
-geschah, &mdash; davon wei&szlig; ich viele, viele Tage lang
-nichts.</p>
-
-<p>Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in
-einem reinlichen Zimmer, &mdash; aber nicht dem meinigen.
-Ein altes, schwarzes Weib bediente mich, und ein Arzt
-besuchte mich, und gro&szlig;e Aufmerksamkeit wurde mir
-&uuml;berhaupt geschenkt. Bald nachher erfuhr ich, da&szlig; er den
-Ort verlassen und mich in diesem Hause zur&uuml;ckgelassen
-habe, um verkauft zu werden. Das war der Grund,
-we&szlig;halb man mir so gro&szlig;e Sorgfalt bewies.</p>
-
-<p>Mein Wunsch und meine Hoffnung war, nicht wieder
-gesund zu werden; aber trotz dessen verlie&szlig; mich das
-Fieber, ich wurde gesund und stand endlich wieder auf.
-Dann wurde ich gezwungen, mich jeden Tag zu putzen;
- <span class="pagenum"><a id="Page_191">[S. 191]</a></span>
-und Herren kamen herein, und rauchten ihre Cigarren,
-und betrachteten mich, und richteten Fragen an mich,
-und sprachen &uuml;ber meinen Preis. Ich war stumm und
-finster, so da&szlig; Niemand mich kaufen wollte. Man drohte
-mir mit der Peitsche, wenn ich nicht heitrer w&auml;re und
-mir mehr M&uuml;he g&auml;be, mich angenehm zu machen. Endlich
-kam eines Tages ein Herr, Namens Stuart, der etwas
-Gef&uuml;hl f&uuml;r mich zu haben schien. Er sah, da&szlig; etwas
-Schreckliches an meinem Herzen nage, und kam sehr
-oft allein, und beredete mich endlich, mich ihm mitzutheilen.
-Er kaufte mich und versprach mir, Alles, was
-er k&ouml;nne, zu thun, um meine Kinder zu ermitteln und
-zur&uuml;ckzukaufen. Er ging nach dem Hotel, wo mein
-Henry gewesen war; aber man sagte ihm, da&szlig; er an
-einen Pflanzer am Perlflu&szlig; verkauft worden sei, und
-das war das letzte, was ich &uuml;ber ihn geh&ouml;rt habe. Dann
-fand er meine Tochter, die von einem alten Weibe gehalten
-wurde. Er bot eine ungeheure Summe, aber sie
-sollte nicht verkauft werden. Butler hatte in Erfahrung
-gebracht, da&szlig; er sie f&uuml;r mich kaufen wolle, und lie&szlig; mir
-de&szlig;halb anzeigen, da&szlig; ich sie nie wieder haben solle.
-Kapit&auml;n Stuart war sehr g&uuml;tig gegen mich. Er besa&szlig;
-eine gro&szlig;e Pflanzung und f&uuml;hrte mich dahin. Im Laufe
-eines Jahres gebar ich einen Sohn. O, das Kind, wie
-liebte ich es! Wie &auml;hnlich das kleine Wesen meinem
-armen Henry war! Aber mein Entschlu&szlig; war gefa&szlig;t.
-Ich wollte nie wieder ein Kind am Leben erhalten, um
-es aufwachsen zu lassen. Ich nahm das kleine Gesch&ouml;pf
-in meine Arme, als es vierzehn Tage alt war, und
-k&uuml;&szlig;te es und weinte &uuml;ber ihm; und dann fl&ouml;&szlig;te ich ihm
-Laudanum ein, und hielt es an meinen Busen, w&auml;hrend
-es zum Tode einschlief. Ich trauerte und weinte &uuml;ber
-es, und Niemand glaubte anders, als da&szlig; ich dem Kinde
-aus Irrthum Laudanum gegeben habe; aber es ist eins
-der wenigen Dinge, deren ich mich jetzt noch freue. Ich
-habe nie bereut, es gethan zu haben, denn das arme
- <span class="pagenum"><a id="Page_192">[S. 192]</a></span>
-Wesen ist nun wenigstens frei von Schmerzen. Was
-konnte ich ihm Besseres geben, als den Tod?</p>
-
-<p>Bald nachher kam die Cholera, und Kapit&auml;n Stuart
-starb. Jeder starb, der zu leben w&uuml;nschte, &mdash; und ich,
-&mdash; ich, obgleich ich bis an die Pforten des Grabes gebracht
-wurde, &mdash; ich mu&szlig;te <em class="gesperrt">leben</em>! Dann wurde ich
-verkauft und ging von einer Hand in die andere, bis
-ich verwelkt war und runzelig wurde, und das Fieber
-gehabt hatte. Dann kaufte mich dieser Elende, und
-brachte mich hierher, &mdash; und hier bin ich!&laquo;</p>
-
-<p>Die Frau hielt inne. Sie war wild und leidenschaftlich
-&uuml;ber ihre Erz&auml;hlung hingeeilt, bald ihre Worte
-an Tom richtend, bald wie im Selbstgespr&auml;che redend.
-So gewaltig und hinrei&szlig;end war die Kraft ihrer Rede,
-da&szlig; Tom selbst die Schmerzen seiner Wunden verga&szlig;,
-und, sich auf einen Ellbogen st&uuml;tzend, sie aufmerksam beobachtete,
-w&auml;hrend sie ruhelos auf und nieder schritt,
-und ihr langes, schwarzes Haar um ihre Schultern
-schwer herabfiel.</p>
-
-<p>&raquo;Du sagst mir,&laquo; fuhr sie nach einer Pause fort,
-&raquo;da&szlig; es einen Gott gebe, &mdash; einen Gott, der herabblicke
-und alle diese Dinge sehe. Mag sein! &mdash; Die
-Schwestern im Kloster erz&auml;hlten mir von einem Tage
-des Gerichts, an welchem Alles an das Licht kommen
-werde; &mdash; o, das wird ein Tag der Vergeltung sein!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Die Menschen glauben, es sei nichts, was wir
-leiden, &mdash; nichts, was unsere Kinder leiden! &mdash; es sei
-Alles nur Kleinigkeit; und doch bin ich oft durch die
-Stra&szlig;en gegangen und glaubte so viel Elend und Jammer
-in meinem eigenen Herzen zu haben, da&szlig; die Stadt
-dar&uuml;ber versinken m&uuml;sse. Ich w&uuml;nschte, da&szlig; die H&auml;user
-auf mich fallen und die Steine unter mir versinken m&ouml;chten!
-Ja! am Tage des Gerichts will ich vor Gott
-hintreten und Zeugni&szlig; gegen Jene ablegen, die mich
-und meine Kinder an Leib und Seele ruinirt haben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Als ich noch ein M&auml;dchen war, glaubte ich, ich
- <span class="pagenum"><a id="Page_193">[S. 193]</a></span>
-sei fromm; ich liebte Gott und betete gern. Jetzt bin
-ich eine verlorene Seele, von Teufeln verfolgt, die mich
-Tag und Nacht plagen, &mdash; die mich immer weiter und
-weiter treiben, &mdash; und ich <em class="gesperrt">will</em> es thun, &mdash; bald, recht
-bald!&laquo; sagte sie, ihre Faust ballend, w&auml;hrend ein sinnverwirrter
-Blick aus ihren schwarzen Augen hervorscho&szlig;.
-&raquo;Ich will ihn dahin schicken, wohin er geh&ouml;rt, &mdash; und
-auf recht kurzem Wege, &mdash; in einer dieser N&auml;chte, &mdash;
-und wenn sie mich lebendig verbrennen!&laquo;</p>
-
-<p>Ein wildes, anhaltendes Lachen scholl durch den
-&ouml;den Raum und endete in hysterischem Schluchzen, w&auml;hrend
-sie sich mit krampfhafter Heftigkeit auf die Erde
-niederwarf. Wenige Augenblicke nachher war dieser Anfall
-vor&uuml;ber; sie erhob sich langsam und schien sich zu
-sammeln.</p>
-
-<p>&raquo;Kann ich sonst noch etwas f&uuml;r Dich thun, mein
-armer Mensch?&laquo; sagte sie, sich Tom n&auml;hernd; &mdash; &raquo;soll
-ich Dir mehr Wasser geben?&laquo;</p>
-
-<p>Bei diesen Worten lag in ihrer Stimme und in
-ihrem Wesen eine anmuthige, mitleidsvolle Sanftmuth,
-die in sonderbarem Gegensatze zu ihrer vorherigen Wildheit
-stand.</p>
-
-<p>Tom trank das Wasser und blickte sie ernst und
-traurig an.</p>
-
-<p>&raquo;O Missis,&laquo; sagte er, &raquo;ich w&uuml;nschte, Ihr wolltet
-Euch zu Ihm wenden, der Euch lebendiges Wasser reichen
-kann!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Zu ihm wenden! Wo ist er? wo ist er?&laquo; sagte
-Cassy.</p>
-
-<p>&raquo;Zu Ihm, von dem Ihr mir vorgelesen habt, &mdash;
-dem Herrn!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Als ich noch ein M&auml;dchen war, sah ich oft sein
-Bild &uuml;ber dem Altare,&laquo; sagte Cassy, w&auml;hrend sie in tr&uuml;ber
-Tr&auml;umerei vor sich hinstarrte; &mdash; &raquo;aber <em class="gesperrt">hier ist
-er nicht</em>! Hier ist nichts als S&uuml;nde und lange, lange
-Verzweiflung! Oh!&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_194">[S. 194]</a></span></p>
-
-<p>Sie legte ihre Hand auf die Brust, und hielt den
-Athem an, als wolle sie eine schwere Last aufheben.</p>
-
-<p>Tom schien weiter reden zu wollen, allein sie unterbrach
-ihn mit einer entschiedenen Bewegung.</p>
-
-<p class="pmb3">&raquo;Sprich nicht, mein armer Mensch; versuche lieber
-zu schlafen, wenn Du kannst,&laquo; sagte sie, indem sie das
-Wasser in seine N&auml;he stellte; und nachdem sie sodann
-noch einige kleine Anordnungen f&uuml;r seine Bequemlichkeit
-getroffen hatte, verlie&szlig; sie ihn.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Funfunddreissigstes_Kapitel">F&uuml;nfunddrei&szlig;igstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Die Zeichen.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i6">Ein kleiner Anla&szlig;, der sich eingeschlichen,<br /></span>
-<span class="i6">Bringt in die Brust zur&uuml;ck, was l&auml;ngst entwichen<br /></span>
-<span class="i6">Das Herz gew&ouml;hnt: &mdash; ein Laut, ein s&uuml;&szlig;er Klang. &mdash;<br /></span>
-<span class="i6">Das Meer, &mdash; der Wind aus fernen Himmelsstrichen &mdash;<br /></span>
-<span class="i6">Der Fr&uuml;hling &mdash; eine Blume macht uns bang,<br /></span>
-<span class="i6">Ber&uuml;hrt die Kette, die elektrisch uns umschlang.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i7">&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;
- Ritter Harold's Pilgerfahrt, 4ter Gesang.<br /></span>
-</div></div>
-
-
-<p>Das Wohngemach in dem Hause Legree's war ein
-gro&szlig;es, langes Zimmer mit einem weiten und ger&auml;umigen
-Kamine. Es war fr&uuml;her mit einer pr&auml;chtigen und kostbaren
-Tapete bekleidet gewesen, die jetzt modernd, zerrissen
-und verf&auml;rbt an den feuchten W&auml;nden herabhing.
-Der Ort hatte jenen eigenth&uuml;mlichen, Eckel erregenden
-und ungesunden Geruch, der sich aus einer Mischung von
-Feuchtigkeit, Schmutz und Verfall entwickelt, und welchen
-man oft in verschlossenen, alten H&auml;usern findet. Die
-Tapeten an der Wand waren stellenweise von Bier- und
- <span class="pagenum"><a id="Page_195">[S. 195]</a></span>
-Weinflecken verunstaltet, oder mit Kreidezeichen und langen
-summirten Rechnungen geziert, als wenn hier Jemand
-arithmetische Versuche gemacht h&auml;tte. Im Kamine stand
-ein Becken voll brennender Holzkohlen; denn, obgleich das
-Wetter nicht kalt war, schienen die Abende in jenem
-gro&szlig;en Zimmer immer feucht und k&uuml;hl zu sein, und &uuml;berdies
-brauchte Legree einen Ort, um seine Cigarren anzustecken
-und sein Wasser zum Punsche hei&szlig; zu machen.
-Der r&ouml;thliche Schein der Kohlen zeigte das unordentliche
-und unfreundliche Aussehen des Zimmers &mdash; S&auml;ttel,
-Z&auml;ume, verschiedene Arten Geschirr, Reitpeitschen, Oberr&ouml;cke
-und verschiedene Kleidungsst&uuml;cke in verwirrter Mannigfaltigkeit
-im Zimmer hin und her gestreut; und dazwischen
-hatten sich die Hunde, von welchen wir zuvor
-gesprochen haben, nach eignem Belieben und Geschmacke
-gelagert.</p>
-
-<p>Legree mischte sich eben ein Glas Punsch, indem er
-das hei&szlig;e Wasser aus einer zerbrochenen Kanne go&szlig;
-und dabei vor sich hin brummte:</p>
-
-<p>&raquo;Die Pest &uuml;ber den Sambo! so einen L&auml;rm zwischen
-mir und den neuen Arbeitern anzufangen! Der Kerl wird
-nun eine ganze Woche lang nicht arbeiten k&ouml;nnen &mdash;
-grade im Drange der Erntezeit!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das sieht Euch ganz &auml;hnlich,&laquo; sagte eine Stimme
-hinter seinem Stuhle. Es war Cassy, die sich w&auml;hrend
-seines Monologs herangeschlichen hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Ha, Teufel von einem Weibe! Bist Du wieder gekommen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja,&laquo; sagte sie kalt, &raquo;ich bin wieder gekommen, und
-zwar um meinen Willen zu haben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du l&uuml;gst, alte Vettel! Ich halte Wort. Entweder
-betrage Dich ordentlich, oder bleibe in den Quartieren
-und lebe und arbeite mit den Andern.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollte tausendmal lieber,&laquo; sagte das Weib, &raquo;im
-schmutzigsten Loche der Quartiere, als unter Euren
-Klauen leben!&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_196">[S. 196]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Aber Du bist trotz alle dem in meinen Klauen,&laquo;
-sagte er, indem er sich mit rohem Grinsen nach ihr umdrehte;
-&raquo;das ist ein Trost. So setze Dich also her auf
-meinen Schoo&szlig;, meine Liebe, und nimm Vernunft an,&laquo;
-sagte er, indem er sie bei der Hand ergriff.</p>
-
-<p>&raquo;Simon Legree, nehmt Euch in Acht!&laquo; sagte das
-Weib mit einem scharfen Blitz des Auges, einem Blicke
-so wild und irre in seinem Lichte, da&szlig; er fast Grauen
-erregte. &raquo;Ihr f&uuml;rchtet Euch vor mir, Simon,&laquo; f&uuml;gte sie
-bed&auml;chtig hinzu, &raquo;und Ihr habt Ursache dazu! H&uuml;tet
-Euch, denn ich habe den Teufel im Leibe!&laquo;</p>
-
-<p>Die letzten Worte fl&uuml;sterte sie in einem zischenden
-Tone in sein Ohr.</p>
-
-<p>&raquo;Hinaus! Ich glaube, meiner Seele, 's ist wahr!&laquo;
-sagte Legree, indem er sie von sich stie&szlig; und sie unbehaglich
-anschaute. &raquo;Aber sage mir, Cassy,&laquo; sagte er, &raquo;warum
-kannst Du nicht Freundschaft mit mir halten, wie Du
-fr&uuml;her zu thun pflegtest?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Pflegtest?&laquo; sagte sie bitter. Sie hielt inne &mdash;
-eine Welt von erstickenden Gef&uuml;hlen, die in ihrem Herzen
-aufstiegen, lie&szlig; sie schweigen.</p>
-
-<p>Cassy hatte von jeher &uuml;ber Legree die Art Einflu&szlig;
-behalten, welche ein leidenschaftliches Weib immer &uuml;ber
-den rohesten Mann bewahren kann; aber seit Kurzem
-war sie immer reizbarer und ruheloser unter dem abscheulichen
-Joche ihrer Knechtschaft geworden, so da&szlig; ihre
-Reizbarkeit zuweilen in Raserei ausbrach, wodurch sie
-zu einem Gegenstande der Furcht f&uuml;r Legree wurde, der
-jenes abergl&auml;ubige Grauen vor Wahnsinnigen hatte,
-welches rohen und nicht unterrichteten Gem&uuml;thern eigen
-ist. Als Legree Emmelinen in das Haus f&uuml;hrte, loderte
-die Flamme weiblichen Gef&uuml;hls aus ihrer verl&ouml;schenden
-Asche in dem m&uuml;den Herzen Cassy's noch einmal auf; sie
-trat auf die Seite des M&auml;dchens, und ein heftiger Streit
-zwischen ihr und Legree war die Folge. Legree schwor
-in der Wuth, sie solle an die Feldarbeit gestellt werden,
- <span class="pagenum"><a id="Page_197">[S. 197]</a></span>
-wenn sie keinen Frieden halten wolle. Cassy erkl&auml;rte mit
-stolzer Verachtung, sie <em class="gesperrt">wolle</em> auf das Feld gehen. Und
-sie arbeitete daselbst einen Tag, wie vorher geschildert
-worden, um zu zeigen, wie sehr sie die Drohung verachte.</p>
-
-<p>Legree war im Stillen den ganzen Tag unruhig,
-denn Cassy hatte einen Einflu&szlig; auf ihn, wovon er sich
-nicht frei machen konnte. Als sie ihren Korb an der
-Waage &uuml;berreichte, hatte er auf Nachgeben von ihrer
-Seite gehofft, und sie in halb vers&ouml;hnlichem, halb ver&auml;chtlichem
-Tone angeredet, worauf sie nur mit der bittersten
-Verachtung geantwortet hatte.</p>
-
-<p>Die emp&ouml;rende Behandlung des armen Tom hatte
-sie noch mehr aufgebracht, und sie war Legree ins Haus
-gefolgt nur in der Absicht, ihm &uuml;ber seine Rohheit Vorw&uuml;rfe
-zu machen.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollte, Cassy,&laquo; sagte Legree, &raquo;Du betr&uuml;gest
-Dich vern&uuml;nftiger.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;<em class="gesperrt">Ihr</em> sprecht von vern&uuml;nftigem Betragen! Und was
-habt Ihr gethan? Ihr, der nicht einmal Verstand genug
-hat, um nicht einen Eurer besten Leute unbrauchbar zu
-machen, grade in der dringendsten Erntezeit, und nur
-Eurer teuflischen Laune wegen!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich war ein Narr, 's ist wahr, so eine Z&auml;nkerei
-aufkommen zu lassen,&laquo; sagte Legree; &raquo;aber als der
-Bursche seinen Kopf aufsetzte, mu&szlig;te er geb&auml;ndigt werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich denke, Ihr werdet <em class="gesperrt">ihn</em> nicht b&auml;ndigen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nicht?&laquo; sagte Legree, indem er heftig aufstand.
-&raquo;Ich m&ouml;chte doch wissen, ob nicht. Er w&auml;re der erste
-Nigger, mit dem ich nicht fertig w&uuml;rde! Ich zerbreche
-ihm jeden Knochen im Leibe, aber nachgeben <em class="gesperrt">soll</em> er!&laquo;</p>
-
-<p>Die Th&uuml;r ging auf und Sambo trat ein. Er n&auml;herte
-sich gebeugt und hielt etwas in einem Papiere vor
-sich hin.</p>
-
-<p>&raquo;Was ist das, Hund?&laquo; sagte Legree.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_198">[S. 198]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;'s ist ein Hexending, Master!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Etwas, das Nigger von Hexen bekommen. Es
-macht, da&szlig; sie nichts f&uuml;hlen, wenn sie gepr&uuml;gelt werden.
-Er hatte es an einem schwarzen Bande um den
-Hals.&laquo;</p>
-
-<p>Legree war abergl&auml;ubisch, wie fast alle gottlosen und
-grausamen Menschen. Er nahm das Papier und &ouml;ffnete
-es widerstrebend.</p>
-
-<p>Heraus fiel ein Silberdollar und eine lange, gl&auml;nzende
-Locke blonden Haares &mdash; Haar, welches sich gleich
-etwas Lebendiges um Legree's Finger wand.</p>
-
-<p>&raquo;Donnerwetter!&laquo; schrie er pl&ouml;tzlich w&uuml;thend auf,
-indem er auf den Boden stampfte und an den Haaren
-ri&szlig;, als wenn er sich daran verbrenne. &raquo;Woher ist das
-gekommen? Nimm es weg! &mdash; verbrenne es! &mdash; verbrenne
-es!&laquo; schrie er, indem er sie abri&szlig; und in die Kohlen
-warf. &raquo;Wozu hast Du mir das gebracht?&laquo;</p>
-
-<p>Sambo stand da mit seinem plumpen Munde weit
-offen vor Schreck und Staunen, und Cassy, die im Begriffe
-war, das Gemach zu verlassen, blieb da und sah
-ihn verwundert an.</p>
-
-<p>&raquo;Da&szlig; Du mir nie wieder etwas von Deinem Teufelszeuge
-bringst!&laquo; sagte er, die Faust gegen Sambo
-ballend, der sich eilig nach der Th&uuml;r zur&uuml;ckzog; und nachdem
-er den Dollar aufhob, warf er denselben durch die
-klirrende Fensterscheibe hinaus in die Finsterni&szlig;.</p>
-
-<p>Sambo war froh, da&szlig; er die Flucht ergreifen konnte.
-Als er fort war, schien sich Legree seines Anfalles von
-Schreck zu sch&auml;men. Er setzte sich m&uuml;rrisch auf
-seinen Stuhl und begann verdrie&szlig;lich seinen Punsch zu
-schl&uuml;rfen.</p>
-
-<p>Cassy wollte sich entfernen, ohne von ihm bemerkt
-zu werden, und schl&uuml;pfte davon, um dem armen Tom
-beizustehen, wie wir schon berichtet haben.</p>
-
-<p>Und was war es mit Legree? und was f&uuml;r eine
- <span class="pagenum"><a id="Page_199">[S. 199]</a></span>
-Bewandtni&szlig; hatte es mit einer einfachen Locke blonden
-Haares, da&szlig; dieselbe jenen rohen Menschen zu erschrecken
-vermochte, der mit Grausamkeit in jeder Gestalt vertraut
-war? Um dies zu beantworten, m&uuml;ssen wir den Leser
-in der Geschichte dieses Menschen zur&uuml;ckf&uuml;hren. So hart
-und verworfen auch der gottlose Mann jetzt erschien, so
-hatte es doch eine Zeit gegeben, wo er am Busen einer
-Mutter gewiegt &mdash; mit Gebeten und frommen Liedern
-eingelullt &mdash; und seine jetzt gefurchte Stirne mit dem
-Wasser der heiligen Taufe bethaut worden war. In fr&uuml;her
-Kindheit hatte ihn eine Frau mit sch&ouml;nem, blondem
-Haare beim Klange der Sabath-Glocke zur Andacht und
-zum Gebete gef&uuml;hrt. Fern von dort, in Neu-England,
-h&auml;tte jene Mutter ihren einzigen Sohn mit unerm&uuml;dlicher
-Liebe und frommen Gebeten auferzogen. Von einem
-hartgelaunten Vater entsprossen, an welchen jenes sanfte
-Weib eine Welt von ungew&uuml;rdigter Liebe verschwendet
-hatte, war Legree in die Fu&szlig;stapfen seines Vaters getreten.
-Ungest&uuml;m, unlenksam und tyrannisch verachtete
-er alle ihre Rathschl&auml;ge und wollte von ihrem Vorwurfe
-nichts h&ouml;ren, und ri&szlig; sich von ihr in fr&uuml;hem Alter los,
-um sein Gl&uuml;ck auf der See zu suchen. Nur einmal kam
-er wieder nach Hause; und damals klammerte sich seine
-Mutter mit dem Jammer eines Herzens, das etwas lieben
-mu&szlig;, und nichts weiter zu lieben hat, an ihn und
-suchte ihn mit leidenschaftlichem Bitten und Flehen von
-einem Leben der S&uuml;nde zum Heile seiner Seele zur&uuml;ckzuf&uuml;hren.</p>
-
-<p>Das war Legree's Gnadentag. Damals riefen ihn
-gute Engel, da war er fast gewonnen, und die Gnade
-nahm ihn bei der Hand. Sein Herz wurde weich, &mdash;
-es entstand ein Kampf; aber die S&uuml;nde siegte und er
-setzte alle Kraft seiner rauhen Natur der Ueberzeugung
-seines Gewissens entgegen. Er trank und schwor, war
-wilder und roher als je; und eines Abends, als seine
-Mutter in ihrer letzten Verzweiflungsangst ihm zu F&uuml;&szlig;en
- <span class="pagenum"><a id="Page_200">[S. 200]</a></span>
-kniete, stie&szlig; er sie von sich, warf sie besinnungslos auf
-den Boden und floh mit rohen Fl&uuml;chen auf sein Schiff.
-Das n&auml;chste Mal, da&szlig; Legree etwas von seiner Mutter
-h&ouml;rte, war, als er eines Abends mit seinen trunknen Gef&auml;hrten
-zechte, wo ihm ein Brief in die Hand gesteckt
-wurde. Er &ouml;ffnete denselben, und heraus fiel eine lange
-sich ringelnde Haarlocke, die sich um seine Finger schl&auml;ngelte.
-Der Brief sagte ihm, da&szlig; seine Mutter todt sei
-und da&szlig; sie sterbend ihn gesegnet und ihm verziehen
-habe.</p>
-
-<p>Es gibt eine schreckliche unheimliche Zauberei des
-B&ouml;sen, welche das S&uuml;&szlig;este und Heiligste in Gebilde des
-Schreckens und Entsetzens verwandelt. Jene blasse, liebevolle
-Mutter &mdash; ihr Sterbegebet, ihre vergebende Liebe,
-wirkten auf jenes teuflische S&uuml;ndenherz nur wie ein verdammendes
-Urtheil, welchem die f&uuml;rchterliche Erwartung
-des Gerichts und feurigen Zornes folgte. Legree verbrannte
-die Haare und verbrannte den Brief, und als er
-Beides zischen und knistern sah in der Flamme, schauderte
-er innerlich bei dem Gedanken an das ewige Feuer. Er
-versuchte zu trinken und zu schw&auml;rmen und die Erinnerung
-wegzufluchen; aber oft in tiefer Nacht, deren feierliche
-Stille die schlechte Seele zum Verkehre mit sich selbst
-zwingt, hatte er jene blasse Mutter an seinem Bette aufsteigen
-sehen und jenes Haar sich sanft um seine Finger
-schl&auml;ngeln gef&uuml;hlt, bis der kalte Schwei&szlig; ihm am Gesicht
-herablief, und er mit Entsetzen in seinem Bette aufsprang.
-Ihr, die ihr euch gewundert habt, aus demselben Evangelium
-zu h&ouml;ren, da&szlig; Gott die Liebe, und da&szlig; Gott ein
-verzehrendes Feuer ist, seht ihr nicht, wie f&uuml;r die zum
-B&ouml;sen entschlossene Seele die vollkommene Liebe die
-f&uuml;rchterlichste Qual ist, das Siegel und der Spruch der
-gr&auml;&szlig;lichsten Verzweiflung.</p>
-
-<p>&raquo;Hol 's der Teufel!&laquo; sagte Legree zu sich selbst, als
-er an seinem Getr&auml;nke nippte, &raquo;woher hat er das? Wenn
-es nicht aussah, grade wie &mdash; ach! Ich dachte, ich h&auml;tte
- <span class="pagenum"><a id="Page_201">[S. 201]</a></span>
-das vergessen. Will verflucht sein, wenn ich glaube, es
-gibt dergleichen; wie etwas vergessen, irgendwie &mdash; hol's
-der Henker! Ich bin allein! will Em rufen. Sie ha&szlig;t
-mich &mdash; der Affe! Mich k&uuml;mmert's nicht &mdash; ich will es
-schon <em class="gesperrt">machen</em>, da&szlig; sie kommt!&laquo;</p>
-
-<p>Legree schritt hinaus in einen gro&szlig;en Vorsaal, welcher
-vermittelst einer gro&szlig;en Wendeltreppe, die vormals
-pr&auml;chtig gewesen war, in's erste Stock f&uuml;hrte; aber der
-Gang war schmutzig und &ouml;de, mit Kasten und h&auml;&szlig;lichen
-Dingen, die zerstreut umherlagen, versperrt. Die mit
-keinem Teppiche belegte Treppe schien sich in der D&uuml;sterkeit
-hinaufzuwinden zu wer wei&szlig; wohin! Der bleiche
-Mondschein str&ouml;mte durch ein zerschmettertes Bogenfenster
-&uuml;ber der Th&uuml;r, die Luft war ungesund und feucht, wie
-die eines Grabgew&ouml;lbes.</p>
-
-<p>Legree blieb am Fu&szlig;e der Treppe stehen und h&ouml;rte
-eine Stimme singen. Sie klang ihm fremdartig und
-geisterhaft in jenem &ouml;den, alten Hause, vielleicht wegen
-des schon ersch&uuml;tterten Zustandes seiner Nerven. Horch!
-was ist das?</p>
-
-<p>Eine wilde, r&uuml;hrende Stimme singt ein unter den
-Sklaven gew&ouml;hnliches Lied:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;O, es wird Trauer, Trauer sein,<br /></span>
-<span class="i0">O, es wird Trauer sein an Christi Richterstuhle!&laquo;<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>&raquo;Hol der Teufel das M&auml;dchen!&laquo; sagte Legree. &raquo;Ich
-will ihr den Mund stopfen. &mdash; Em! Em!&laquo; rief er barsch;
-aber nur ein h&ouml;hnender Widerhall antwortete ihm von
-den W&auml;nden. Die s&uuml;&szlig;e Stimme sang weiter:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;Da m&uuml;ssen Eltern und Kinder scheiden!<br /></span>
-<span class="i0">Da m&uuml;ssen Eltern und Kinder scheiden!<br /></span>
-<span class="i0">Scheiden, um nimmer sich wieder zu sehn!&laquo;<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Und hell und klar schwoll durch die leeren Hallen
-der Schlu&szlig;reim: &mdash;</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;O, es wird Trauer, Trauer sein,<br /></span>
-<span class="i0">O, es wird Trauer sein an Christi Richterstuhl!&laquo;<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Legree blieb stehen. Er w&uuml;rde sich gesch&auml;mt haben,
- <span class="pagenum"><a id="Page_202">[S. 202]</a></span>
-es zu gestehen, aber gro&szlig;e Schwei&szlig;tropfen standen ihm
-auf der Stirn; das Herz schlug ihm schwer und schnell
-vor Furcht, er dachte sogar, er s&auml;he etwas Wei&szlig;es sich
-erheben und vor ihm im Zimmer schimmern, und schauderte
-bei dem Gedanken, da&szlig; die Gestalt seiner todten
-Mutter ihm pl&ouml;tzlich erscheinen k&ouml;nne.</p>
-
-<p>&raquo;Das wei&szlig; ich,&laquo; sagte er zu sich selbst, als er in
-das Wohnzimmer zur&uuml;ckstolperte und sich niedersetzte; &raquo;ich
-will den Kerl k&uuml;nftig gehen lassen! Was wollt' ich mit
-seinem verfluchten Papiere? Ich glaube wahrhaftig, ich
-bin behext! Es schauert und schwitzt mich seit der Zeit!
-Woher hat er die Haare? Es kann nicht <em class="gesperrt">das</em> gewesen
-sein! <em class="gesperrt">Das</em> habe ich verbrannt, ich wei&szlig; es! Es w&auml;re
-doch spa&szlig;haft, wenn Haare von den Todten auferstehen
-k&ouml;nnten!&laquo;</p>
-
-<p>Ja, Legree! Jene goldene Locke <em class="gesperrt">war</em> verzaubert;
-jedes Haar derselben enthielt einen Zauber, der den
-Schrecken und Gewissensbisse in Dir erweckte, und wurde
-von einer h&ouml;hern Macht benutzt, Dir die grausamen
-H&auml;nde zu binden, damit sie nicht den H&uuml;lflosen das tiefste
-Elend zuf&uuml;gen m&ouml;chten!</p>
-
-<p>&raquo;H&ouml;rt!&laquo; sagte Legree, indem er den Hunden pfiff
-und stampfte, &raquo;aufgewacht, Einer von euch, und mir Gesellschaft
-geleistet!&laquo; Aber die Hunde &ouml;ffneten nur schl&auml;frig
-ein Auge nach ihm und schlo&szlig;en es wieder.</p>
-
-<p>&raquo;Sambo und Quimbo sollen heraufkommen und
-singen, und einen ihrer h&ouml;llenm&auml;&szlig;igen T&auml;nze auff&uuml;hren
-und diese schauerlichen Gedanken verjagen,&laquo; sagte Legree;
-er setzte seinen Hut auf, ging in die Veranda und blies
-ein Horn, womit er gew&ouml;hnlich seine zwei schwarzen
-Aufseher rief.</p>
-
-<p>Wenn Legree bei guter Laune war, pflegte er oft
-diese zwei Ehrenm&auml;nner in sein Wohnzimmer zu rufen,
-dieselben mit Whisky zu erw&auml;rmen, und sich dann ein
-Vergn&uuml;gen daraus zu machen, sie singen, tanzen, oder
-sich raufen zu lassen, wie er gerade die Laune hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_203">[S. 203]</a></span></p>
-
-<p>Es war zwischen ein und zwei Uhr des Nachts, als
-Cassy, die von der Pflege des armen Tom zur&uuml;ckkehrte,
-den Schall wilden Gekreisches, Geschrei's, Halloh-Rufen
-und Singen aus dem Wohnzimmer kommen h&ouml;rte, vermischt
-mit Hundegebell und andern Zeichen eines allgemeinen
-Aufruhrs.</p>
-
-<p>Sie ging die Verandatreppe hinauf und sah hinein.
-Legree und die beiden Aufseher, im Zustande w&uuml;thender
-Trunkenheit, sangen, schrien, warfen die St&uuml;hle um und
-schnitten sich allerhand l&auml;cherliche und schauderhafte Gesichter.</p>
-
-<p>Sie st&uuml;tzte ihre kleine, zarte Hand auf das Fenstersims
-und sah sie unverwandt an. Es lag eine Welt von
-Angst, Verachtung und grimmiger Bitterkeit in ihren
-schwarzen Augen. &raquo;W&auml;r' es eine S&uuml;nde, die Welt von
-einem solchen Elenden zu befreien?&laquo; sagte sie f&uuml;r sich.</p>
-
-<p class="pmb3">Sie drehte sich schnell um, ging zu einer Hinterth&uuml;r,
-schl&uuml;pfte hinauf und klopfte an Emmelinens Th&uuml;r.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Sechsunddreissigstes_Kapitel">Sechsunddrei&szlig;igstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Emmeline und Cassy.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Cassy trat in das Zimmer und fand Emmeline bla&szlig;
-vor Furcht im &auml;u&szlig;ersten Winkel desselben sitzen. Als sie
-hereinkam, fuhr das M&auml;dchen erschrocken auf; aber als
-diese sah, wer es war, st&uuml;rzte sie hervor, ergriff Cassy's
-Arm und sagte: &raquo;O, Cassy, Ihr seid es? Ich bin froh,
-da&szlig; Ihr gekommen seid! Ich f&uuml;rchtete, es w&auml;re &mdash;. O,
- <span class="pagenum"><a id="Page_204">[S. 204]</a></span>
-Ihr wisset nicht, was f&uuml;r ein schauerlicher L&auml;rm diese
-ganze Nacht unten gewesen ist!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich sollte das kennen,&laquo; sagte Cassy trocken. &raquo;Ich
-habe es oft genug geh&ouml;rt!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, Cassy, sagt mir doch nur ja, k&ouml;nnen wir nicht
-von diesem Orte wegkommen? Ich k&uuml;mmere mich nicht
-darum, wohin &mdash; in die S&uuml;mpfe unter die Schlangen
-&mdash; irgendwohin?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nirgendhin, es sei denn in unsre Gr&auml;ber,&laquo; sagte
-Cassy.</p>
-
-<p>&raquo;Habt Ihr es je versucht?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe es nur zu oft versuchen sehen und was
-dabei herauskommt,&laquo; sagte Cassy.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollte gern in den S&uuml;mpfen leben und Baumrinde
-nagen. Ich f&uuml;rchte mich nicht vor Schlangen! Ich
-wollte lieber eine Schlange bei mir haben, als ihn,&laquo; sagte
-Emmeline heftig.</p>
-
-<p>&raquo;Es sind ziemlich Viele hier Deiner Meinung gewesen,&laquo;
-sagte Cassy. &raquo;Aber Du k&ouml;nntest nicht in den
-S&uuml;mpfen bleiben &mdash; die Hunde w&uuml;rden Dich aussp&uuml;ren
-und zur&uuml;ckbringen, und dann &mdash; dann &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was w&uuml;rde er thun?&laquo; sagte das M&auml;dchen, indem
-sie ihr mit athemloser Spannung ins Gesicht schaute.</p>
-
-<p>&raquo;Was w&uuml;rde er <em class="gesperrt">nicht</em> thun, frage lieber,&laquo; sagte
-Cassy. &raquo;Er hat sein Handwerk unter den R&auml;ubern Westindiens
-gut gelernt. Du w&uuml;rdest nicht viel schlafen,
-wenn ich Dir erz&auml;hlte, was ich gesehen habe &mdash; was er
-zuweilen als gute Sp&auml;sse erz&auml;hlt. Ich habe Schreie hier
-geh&ouml;rt, die ich wochenlang nicht habe aus dem Ohre los
-werden k&ouml;nnen. Da ist unten bei den H&uuml;tten ein entlegener
-Ort, wo man einen schwarzen verdorrten Baum
-und den ganzen Boden mit schwarzer Asche bedeckt sehen
-kann. Frage nur irgend Einen, was da geschehen ist,
-und siehe zu, ob er wagen wird, es Dir zu sagen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was wollt Ihr damit sagen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich will es Dir nicht sagen. Ich denke nicht gern
- <span class="pagenum"><a id="Page_205">[S. 205]</a></span>
-daran; und ich sage Dir, Gott allein wei&szlig;, was wir
-morgen sehen werden, wenn jener arme Kerl fortf&auml;hrt, wie
-er angefangen hat.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Schauderhaft!&laquo; sagte Emmeline, indem ihr jeder
-Blutstropfen aus den Wangen trat. &raquo;O, Cassy, sagt mir
-doch nur, was ich thun soll!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was ich gethan habe. Thu' Dein Bestes; thu'
-was Du mu&szlig;t, und mache es durch Ha&szlig; und Verw&uuml;nschung
-wieder gut!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Er wollte mich von seinem verha&szlig;ten Branndwein
-trinken lassen,&laquo; sagte Emmeline; &raquo;und ich hasse ihn
-so &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Trinkt lieber,&laquo; sagte Cassy. &raquo;Ich ha&szlig;te ihn auch;
-und jetzt kann ich nicht ohne ihn leben. Man mu&szlig; etwas
-haben; die Sachen sehen nicht so schrecklich aus, wenn
-man den nimmt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Die Mutter pflegte mir zu sagen, ich solle nie so
-etwas anr&uuml;hren,&laquo; sagte Emmeline.</p>
-
-<p>&raquo;Die Mutter sagte 's Dir!&laquo; rief Cassy mit scharfem
-und bittern Nachdrucke auf dem Worte Mutter. &raquo;Was
-hilft's, da&szlig; M&uuml;tter etwas sagen? Ihr werdet alle gekauft
-und bezahlt, und eure Seelen geh&ouml;ren dem, welcher euch
-bekommt. So geht 's. H&ouml;rst Du! <em class="gesperrt">trink</em> Branndwein:
-trinke so viel Du kannst, und Du wirst Alles leichter
-tragen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, Cassy! habt doch Mitleid mit mir!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Mitleid mit Dir! Habe ich etwa keins? Habe ich
-keine Tochter? &mdash; Gott wei&szlig;, wo sie ist, und wem sie
-jetzt geh&ouml;rt! Sie geht vermuthlich den Weg, welchen ihre
-Mutter vor ihr ging, und den ihre Kinder nach ihr gehen
-m&uuml;ssen! Der Fluch h&ouml;rt nie auf!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollte, ich w&auml;r' nie geboren!&laquo; sagte Emmeline,
-ihre H&auml;nde ringend.</p>
-
-<p>&raquo;Das ist ein alter Wunsch von mir,&laquo; sagte Cassy.
-&raquo;Ich habe mich ganz daran gew&ouml;hnt, das zu w&uuml;nschen.
-Ich st&uuml;rbe, wenn ich es wagte,&laquo; sagte sie, indem sie in
- <span class="pagenum"><a id="Page_206">[S. 206]</a></span>
-die Dunkelheit hinausschaute mit jener stillen, starren
-Verzweiflung, dem gew&ouml;hnlichen Ausdrucke ihres Antlitzes,
-wenn es ruhig war.</p>
-
-<p>&raquo;Es w&auml;r gottlos, sich das Leben zu nehmen,&laquo; sagte
-Emmeline.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; nicht warum; nicht gottloser, als was
-wir Tag f&uuml;r Tag erleben und thun. Als ich aber im
-Kloster war, haben mir die Schwestern Dinge erz&auml;hlt,
-die mir vor dem Sterben bange machen. W&auml;r' es nur
-mit uns zu Ende, ja dann &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>Emmeline wendete sich ab und verbarg ihr Gesicht
-mit den H&auml;nden.</p>
-
-<p>W&auml;hrend diese Unterhaltung in der Kammer vor sich
-ging, war Legree, &uuml;berw&auml;ltigt vom Zechgelage, im untern
-Zimmer in Schlaf gesunken. Er war nicht von Gewohnheit
-ein Trunkenbold. Seine rohe, starke Natur verlangte
-und ertrug eine fortw&auml;hrende Aufregung, welche eine
-schw&auml;chere g&auml;nzlich aufgerieben haben w&uuml;rde. Aber Vorsicht
-hielt ihn ab, sich der Schwelgerei in einem solchen
-Maa&szlig;e hinzugeben, da&szlig; er dadurch die Herrschaft &uuml;ber
-sich selbst verlor.</p>
-
-<p>Diese Nacht hatte er sich jedoch in seinen fieberhaften
-Anstrengungen, aus seinem Gem&uuml;the jene furchtbaren
-Gewissensbisse zu verbannen, welche in ihm erwachten,
-mehr als gew&ouml;hnlich erlaubt, so da&szlig; er, nachdem
-er seine schwarzen Diener verabschiedet hatte, schwer in
-einen Sessel fiel und fest einschlief.</p>
-
-<p>O, wie darf die schlechte Seele die Schattenwelt
-des Schlafes betreten? &mdash; jenes Land, dessen dunkle
-Gr&auml;nzen dem geheimni&szlig;vollen Schauplatze der Vergeltung
-so furchtbar nahe liegen! Legree tr&auml;umte. In seinem
-schweren und fieberischen Schlafe stand eine verschleierte
-Gestalt neben ihm, und legte eine kalte, weiche Hand
-auf ihn. Er glaubte zu wissen, wer es sei; er schauderte
-und Grauen beschlich ihn, obgleich das Antlitz
-verschleiert war. Bald glaubte er, er f&uuml;hle <em class="gesperrt">jenes</em>
- <span class="pagenum"><a id="Page_207">[S. 207]</a></span>
-<em class="gesperrt">Haar</em> sich um seine Finger schl&auml;ngeln, bald, da&szlig; es
-sich sanft um seinen Hals schlinge, und sich immer dichter
-zusammenz&ouml;ge, bis er keinen Athem mehr holen
-konnte; bald dachte er, Stimmen <em class="gesperrt">fl&uuml;sterten</em> ihm zu,
-ein Gefl&uuml;ster, das ihn mit Grauen erf&uuml;llte. Dann
-schien es ihm, als sei er am Rande eines f&uuml;rchterlichen
-Abgrundes, sich festhaltend und in Todesfurcht ringend,
-w&auml;hrend schwarze H&auml;nde sich herausstreckten, um ihn
-hinabzuziehen; und Cassy kam lachend hinter ihn und stie&szlig;
-ihn hinunter. Und nun erhob sich jene feierlich verschleierte
-Gestalt und warf den Schleier zur&uuml;ck. Es
-war seine Mutter; und sie wendete sich von ihm ab,
-und er fiel hinab, hinab, hinab unter verworrenem
-Geschrei und Gest&ouml;hn und Jauchzen h&ouml;llischen Gel&auml;chters
-&mdash; und Legree erwachte.</p>
-
-<p>Ruhig stahl sich das rosige Licht der Morgend&auml;mmerung
-in das Zimmer. Der Morgenstern stand am
-heller werdenden Horizonte und schaute mit seinem feierlichen,
-heiligen Lichtauge auf den Mann der S&uuml;nde hernieder.
-O, mit welcher Frische, welcher Feierlichkeit
-und Sch&ouml;nheit wird jeder neue Tag geboren, als wolle
-er dem Unempfindlichen sagen: &raquo;Sieh! Du hast noch
-eine M&ouml;glichkeit! <em class="gesperrt">K&auml;mpfe</em> f&uuml;r unsterblichen Ruhm!&laquo;
-Es gibt keine Rede oder Sprache, in der diese Stimme
-nicht geh&ouml;rt wird; aber der freche, schlechte Mensch
-h&ouml;rte sie nicht. Er erwachte mit einem Fluche.
-Was galt ihm das Gold und der Purpur, das
-t&auml;gliche Wunder des Morgens! Was die Heiligkeit jenes
-Sternes, welchen Gottes Sohn zu seinem eigenen
-Sinnbilde geweiht hat? Thier&auml;hnlich sah er, ohne wahrzunehmen;
-er stolperte vorw&auml;rts, schenkte ein Glas
-Branndwein ein und trank es halb.</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe eine h&ouml;llische Nacht gehabt!&laquo; sagte er zu
-Cassy, welche eben dann durch eine gegen&uuml;ber befindliche
-Th&uuml;re hereintrat.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_208">[S. 208]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Ihr werdet bald mehr von der Art haben,&laquo; sagte
-sie trocken.</p>
-
-<p>&raquo;Was willst Du damit sagen, Vettel?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ihr werdet es dieser Tage erfahren,&laquo; erwiderte
-Cassy in demselben Tone. &raquo;Jetzt, Simon, habe ich Euch
-einen guten Rath zu geben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Den Teufel hast Du!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich rathe Euch,&laquo; sagte Cassy gelassen, w&auml;hrend
-sie Einiges im Zimmer zu ordnen begann, &raquo;da&szlig; Ihr
-Tom gehen la&szlig;t.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was geht das Dich an?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was? Ich wei&szlig; wahrhaftig nicht, was es mich
-angehen k&ouml;nnte. Wenn Ihr zw&ouml;lf Hundert Dollar f&uuml;r
-einen Kerl zahlen wollt und ihn grade im Drange der
-Erntezeit zu Grunde richten wollt, nur um Eurer Wuth
-zu fr&ouml;hnen, so geht 's mich nichts an. Ich habe f&uuml;r
-ihn gethan, was ich konnte.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So? Was hast Du Dich in meine Angelegenheiten
-zu mischen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe Euch schon manches Tausend Dollar gerettet,
-dadurch, da&szlig; ich zuweilen f&uuml;r Eure Leute Sorge
-getragen habe &mdash; das ist nun aller Dank, den ich davon
-habe. Wenn Eure Ernte geringer auf den Markt
-kommt, so verliert Ihr Eure Wette nicht. Tompkins
-wird Euch nicht den Rang ablaufen und Ihr werdet
-ganz niedlich hinzahlen m&uuml;ssen, nicht wahr? Mir ist
-schon, als s&auml;he ich Euch dabei!&laquo;</p>
-
-<p>Legree hatte, wie manche andre Pflanzer, nur eine
-Art Ehrgeiz, die beste Ernte zu haben; und er hatte
-gerade jetzt verschiedene Wetten in der n&auml;chsten Stadt
-schweben. Cassy ber&uuml;hrte daher mit weiblicher Gewandtheit
-die einzige Saite, die bei ihm anzuschlagen
-war.</p>
-
-<p>&raquo;Gut, ich will ihn mit dem loslassen, was er
-schon bekommen hat,&laquo; sagte Legree; &raquo;aber er soll
- <span class="pagenum"><a id="Page_209">[S. 209]</a></span>
-mich um Verzeihung bitten, und bessere Manieren versprechen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das thut er nicht,&laquo; sagte Cassy.</p>
-
-<p>&raquo;Nicht, he?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein, er thut 's nicht,&laquo; sagte Cassy.</p>
-
-<p>&raquo;Ich m&ouml;chte doch wissen, <em class="gesperrt">warum</em>, Mistre&szlig;,&laquo; sagte
-Legree mit der &auml;u&szlig;ersten Verachtung.</p>
-
-<p>&raquo;Weil er recht gethan hat, und das wei&szlig;, und
-nicht sagen will, er habe Unrecht gethan.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wer zum Teufel k&uuml;mmert sich darum, was er
-wei&szlig;? Der Nigger soll sagen, was mir beliebt,
-oder &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Oder Ihr wollt Eure Wette auf die Baumwollen-Ernte
-verlieren, indem Ihr ihn gerade in dieser dringenden
-Zeit vom Felde entfernt haltet.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber er <em class="gesperrt">wird</em> nachgeben, nat&uuml;rlich wird er; ich
-wei&szlig; ja, wie es mit Niggern ist. Diesen Morgen wird
-er schon betteln wie ein Hund.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Er wird nicht, Simon; Ihr kennt diese Art
-Menschen nicht. Ihr k&ouml;nnt ihn zollweise t&ouml;dten, aber
-Ihr werdet nicht ein Wort eines solchen Bekenntnisses
-aus ihm heraus bringen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wollen sehen. Wo ist er?&laquo; sagte Legree, indem
-er hinausging.</p>
-
-<p>&raquo;In der alten Kammer des Ginhauses,&laquo; sagte
-Cassy.</p>
-
-<p>Obgleich Legree so zuversichtlich mit Cassy sprach,
-so verlie&szlig; er doch das Haus mit einer Art b&ouml;sen Vorgef&uuml;hls,
-welches nicht gew&ouml;hnlich bei ihm war. Die
-Tr&auml;ume der vergangenen Nacht, vereint mit Cassy's
-Weisungen, beunruhigten ihn in hohem Grade. Er beschlo&szlig;,
-da&szlig; Niemand Zeuge seines Zusammentreffens mit
-Tom sein solle, und nahm sich vor, da&szlig; wenn er ihn
-nicht durch Drohungen zwingen k&ouml;nne, er es auf eine
-gelegenere Zeit verschieben wolle, seine Rache auszu&uuml;ben.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_210">[S. 210]</a></span></p>
-
-<p>Das feierliche Licht der ersten D&auml;mmerung, die engelgleiche
-Herrlichkeit des Morgensterns war durch das
-rohe Fenster des Schuppens gedrungen, wo Tom lag,
-und wie auf den Strahlen dieses Sternes nieder gleitend,
-kamen die feierlichen Worte zu ihm: &raquo;Ich bin die
-Wurzel des Geschlechtes David's, ein heller Morgenstern!&laquo;
-Die geheimni&szlig;vollen Warnungen und Andeutungen
-Cassy's, weit entfernt, seine Seele zu entmuthigen,
-hatten dieselbe am Ende wie durch einen himmlischen
-Ruf erhoben. Er wu&szlig;te nicht anders, als da&szlig; sein
-Todestag am Himmel d&auml;mmere und das Herz schlug
-ihm mit feierlichem Klopfen der Freude und des Verlangens,
-als er dachte, da&szlig; das wundervolle All, wor&uuml;ber
-er so viel gesonnen, der gro&szlig;e wei&szlig;e Thron mit
-seinem immer strahlenden Regenbogen, die Schaar der
-wei&szlig;en Engel, die Kronen, die Palmen, die Harfen &mdash;
-sich ihm zeigen w&uuml;rden, ehe jene Sonne wieder unterginge;
-und de&szlig;halb h&ouml;rte er ohne Schauder und Beben
-die Stimme seines Verfolgers, als derselbe sich
-n&auml;herte:</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Junge,&laquo; sagte Legree mit einem ver&auml;chtlichen
-Fu&szlig;sto&szlig;, &raquo;wie befindest Du Dich? Habe ich Dir
-nicht gesagt, ich k&ouml;nne Dir Eins oder das Andre beibringen?
-Wie gef&auml;llt's Dir, he? Wie bekommen Dir
-die Schwielen, Tom? Bist nicht ganz so keck wie Du
-gestern Abend warst? K&ouml;nntest jetzt wohl nicht einen
-armen S&uuml;nder auf ein Bischen Predigt freihalten,
-nicht, he?&laquo;</p>
-
-<p>Tom antwortete Nichts.</p>
-
-<p>&raquo;Auf, Vieh!&laquo; sagte Legree, indem er ihn wieder
-stie&szlig;.</p>
-
-<p>Das war eine schwere Aufgabe f&uuml;r einen so zerschlagenen
-und entkr&auml;fteten Menschen, und als Tom sich
-bem&uuml;hte, es zu thun, brach Legree in ein viehisches
-Gel&auml;chter aus.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_211">[S. 211]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Wovon bist Du diesen Morgen so sanft, Tom?
-Vielleicht gestern Abend erk&auml;ltet?&laquo;</p>
-
-<p>Tom war indessen auf die F&uuml;&szlig;e gekommen und
-stand seinem Herrn gegen&uuml;ber mit fester, standhafter
-Stirne.</p>
-
-<p>&raquo;Teufel, Du kannst's!&laquo; sagte Legree, indem er ihn
-betrachtete. &raquo;Ich glaube, Du hast noch nicht genug gekriegt.
-Jetzt, Tom, ohne Umst&auml;nde auf die Knie und
-bitte mich um Verzeihung wegen Deiner Streiche von
-gestern Abend.&laquo;</p>
-
-<p>Tom bewegte sich nicht.</p>
-
-<p>&raquo;Nieder, Hund!&laquo; sagte Legree, indem er ihn mit
-der Reitpeitsche schlug.</p>
-
-<p>&raquo;Herr Legree,&laquo; sagte Tom, &raquo;ich kann es nicht thun.
-Ich habe nur gethan, was ich f&uuml;r recht gehalten habe.
-Ich werde es jedes Mal gerade wieder so machen. Ich
-werde nie eine Grausamkeit begehen, komme, was da
-wolle.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber Du wei&szlig;t nicht, was kommen will,
-Master Tom. Du denkst, was Du gekriegt hast, ist
-etwas. Ich sage Dir, 's ist nichts &mdash; gar nichts. Wie
-w&uuml;rde es Dir gefallen, an einen Baum gebunden zu
-werden, und ein langsames Feuer um Dich angez&uuml;ndet
-zu haben? W&auml;re das nicht angenehm &mdash; he, Tom?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Master,&laquo; sagte Tom, &raquo;ich wei&szlig;, Ihr k&ouml;nnt
-Schreckliches thun; aber&laquo; &mdash; er streckte sich aufw&auml;rts
-und faltete die H&auml;nde, &mdash; &raquo;aber nachdem Ihr den Leib
-get&ouml;dtet habt, k&ouml;nnt Ihr nichts mehr thun. Und o,
-dann folgt alle <em class="gesperrt">Ewigkeit</em>!&laquo;</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Ewigkeit</em> &mdash; das Wort durchbebte die Seele des
-schwarzen Menschen mit Licht und Kraft, als er sprach
-&mdash; es durchzuckte auch des S&uuml;nders Seele wie Scorpionenbi&szlig;.
-Legree knirschte mit den Z&auml;hnen, aber Wuth
-hielt ihn still, und Tom sprach, wie ein aus der Knechtschaft
-befreiter Mensch, mit klarer und heitrer Stimme:</p>
-
-<p>&raquo;Master Legree, Ihr habt mich gekauft, und
- <span class="pagenum"><a id="Page_212">[S. 212]</a></span>
-ich will Euch ein treuer und redlicher Diener sein. Ich
-will Euch alle Arbeit meiner H&auml;nde geben, alle meine
-Zeit, alle meine Kraft, aber meine Seele will ich keinem
-Sterblichen opfern. Ich will am Herrn festhalten,
-und seine Gebote vor Allem befolgen, mag ich leben
-oder sterben, darauf verla&szlig;t Euch. Master Legree, ich
-f&uuml;rchte den Tod nicht im Geringsten. Ich sterbe eben
-so gern wie nicht. Ihr k&ouml;nnt mich zu Tode peitschen,
-verhungern, verbrennen lassen, es bringt mich nur fr&uuml;her
-dahin, wohin ich mich sehne.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich will Dich doch nachgiebig machen, ehe ich mit
-Dir fertig bin!&laquo; sagte Legree w&uuml;thend.</p>
-
-<p>&raquo;Ich werde <em class="gesperrt">H&uuml;lfe</em> bekommen,&laquo; sagte Tom. &raquo;Ihr
-k&ouml;nnt es nicht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wer zum Teufel wird Dir helfen?&laquo; sagte Legree
-ver&auml;chtlich.</p>
-
-<p>&raquo;Der allm&auml;chtige Gott!&laquo; sagte Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Hol Dich der Teufel!&laquo; sagte Legree, indem er
-Tom mit einem Faustschlage zu Boden streckte.</p>
-
-<p>Eine kalte, weiche Hand legte sich in diesem Augenblick
-auf die Legree's. Er drehte sich um &mdash; es war
-Cassy's; aber die kalte, sanfte Ber&uuml;hrung rief ihm den
-Traum der letzten Nacht zur&uuml;ck, und durch die Kammern
-seines Hirnes blitzend, kamen alle die f&uuml;rchterlichen Bilder
-der Nachtwachen zur&uuml;ck, mit einem Theile der Schrecknisse,
-die jene begleiteten.</p>
-
-<p>&raquo;Wollt Ihr ein Thor sein?&laquo; sagte Cassy auf franz&ouml;sisch.
-&raquo;La&szlig;t ihn gehen. La&szlig;t mich ihn herstellen, um
-wieder im Felde arbeiten zu k&ouml;nnen. Ist's nicht gerade
-wie ich Euch sagte?&laquo;</p>
-
-<p>Man sagt, der Alligator, das Nashorn, obschon
-in kugelfesten Panzer geh&uuml;llt, haben einen Fleck, wo sie
-verwundbar sind; und freche, ungl&auml;ubige Verworfene
-haben gew&ouml;hnlich diesen Punkt in abergl&auml;ubischer Furcht.</p>
-
-<p>Legree wendete sich weg, entschlossen, einstweilen
-die Sache gehen zu lassen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_213">[S. 213]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Nun, so habe Deinen Willen,&laquo; sagte er m&uuml;rrisch
-zu Cassy.</p>
-
-<p>&raquo;H&ouml;re Du,&laquo; fuhr er zu Tom gewendet fort, &raquo;ich
-will Dich f&uuml;r jetzt gehen lassen, weil die Gesch&auml;fte dringend
-sind, und ich alle meine Arbeiter brauche, aber
-ich vergesse <em class="gesperrt">niemals</em>. Ich will es Dir ankreiden, und
-die Zeit kommt, wo es mir Dein altes schwarzes Fell
-bezahlen soll &mdash; merk' Dir das!&laquo;</p>
-
-<p>Legree drehte sich um und ging hinaus.</p>
-
-<p>&raquo;Gehe nur,&laquo; sagte Cassy ihm finster nachschauend;
-&raquo;Deine Rechnung kommt auch noch! &mdash; Armer Mensch,
-wie geht's Dir?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Der Herr hat seinen Engel gesendet und des L&ouml;wen
-Rachen f&uuml;r diesmal verschlossen,&laquo; sagte Tom.</p>
-
-<p class="pmb3">&raquo;F&uuml;r diesmal gewi&szlig;,&laquo; sagte Cassy; &raquo;aber jetzt
-habt Ihr seinen Ha&szlig; auf Euch, der Euch Tag f&uuml;r Tag
-verfolgt, wie ein Hund, der an Eurer Kehle h&auml;ngt, Euer
-Blut saugt und Euer Leben tropfenweise verbluten l&auml;&szlig;t.
-Ich kenne den Menschen.&laquo;</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Siebenunddreissigstes_Kapitel">Siebenunddrei&szlig;igstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Freiheit.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i6">&raquo;Es kommt nicht darauf an, mit welchen Feierlichkeiten<br /></span>
-<span class="i6">er auf dem Altare der Sklaverei geweiht worden<br /></span>
-<span class="i6">sei; sobald er den heiligen, brittischen Boden<br /></span>
-<span class="i6">betritt, versinken der Altar und der Gott in Staub,<br /></span>
-<span class="i6">und erl&ouml;st wiedergeboren, entfesselt steht er da durch<br /></span>
-<span class="i6">den unwiderstehlichen Genius allgemeiner Emancipation.&laquo;<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i8">&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;<em class="gesperrt">Curran.</em><br /></span>
-</div></div>
-
-
-<p>F&uuml;r einige Zeit m&uuml;ssen wir Tom in den H&auml;nden
-seiner Verfolger lassen, w&auml;hrend wir uns zur&uuml;ckwenden,
- <span class="pagenum"><a id="Page_214">[S. 214]</a></span>
-um die Schicksale Georgs und seiner Frau zu verfolgen,
-die wir in einem Farmhause an der Stra&szlig;e in freundschaftlichen
-H&auml;nden lie&szlig;en.</p>
-
-<p>Tom Locker verlie&szlig;en wir, st&ouml;hnend und l&auml;rmend
-in einem fleckenlos reinen Qu&auml;cker-Bett, unter der m&uuml;tterlichen
-Aufsicht von Base Dorcas, welche in ihm einen
-ganz so lenksamen Patienten fand, wie in einem kranken
-B&uuml;ffelochsen.</p>
-
-<p>Man denke sich eine hohe, w&uuml;rdevolle Frau, deren
-reine Musselinhaube ein wellenartiges Silberhaar beschattet,
-das auf der breiten, hintern Stirn gescheitelt
-ist, welche gedankenvolle, graue Augen &uuml;berw&ouml;lbt; ein
-schneewei&szlig;es Tuch von gegl&auml;ttetem Krepp legt sich glatt
-&uuml;ber ihrem Busen; ihr gl&auml;nzend braunes Seidenkleid
-rauscht friedlich, wenn sie in der Stube auf und nieder
-gleitet.</p>
-
-<p>&raquo;Alle Teufel!&laquo; sagt Tom Locker, indem er der Bettdecke
-einen starken Schlag versetzt.</p>
-
-<p>&raquo;Ich mu&szlig; Dich ersuchen, Thomas, nicht solche Ausdr&uuml;cke
-zu gebrauchen,&laquo; sagt Base Dorcas, w&auml;hrend sie
-ruhig das Bett wieder in Ordnung bringt.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, ich will 's nicht thun, Gro&szlig;mutter, wenn
-ich kann,&laquo; sagt Thomas; &raquo;aber 's ist genug, einen
-armen Kerl zum Fluchen zu bringen, so verdammt hei&szlig;
-ist's!&laquo;</p>
-
-<p>Dorcas entfernte eine Decke vom Bette, ordnete
-das Bettzeug wieder und stopfte es unter, bis Tom fast
-wie eine Puppe aussah, indem sie dabei bemerkte:</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollte, Freund, Du lie&szlig;est das Fluchen und
-Schw&ouml;ren, und d&auml;chtest an Deine Wege.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was der Teufel,&laquo; sagte Tom, &raquo;soll ich daran denken?
-'s ist immer 's Letzte, woran ich gern denke &mdash;
-hol 's der Henker!&laquo; Und Tom stampfte, schlug die
-Decken auf und brachte Alles auf eine entsetzliche Art in
-Unordnung.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_215">[S. 215]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Der Kerl und die Dirne sind hier, glaube ich?&laquo;
-sagte er nach einer Weile m&uuml;rrisch.</p>
-
-<p>&raquo;Ja,&laquo; sagte Dorcas, &raquo;sie sind hier.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Die sollten sich lieber aufmachen, fort nach dem
-See,&laquo; sagte Tom, &raquo;je schneller desto besser.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wahrscheinlich werden sie das thun,&laquo; sagte Base
-Dorcas, indem sie ruhig weiter strickte.</p>
-
-<p>&raquo;Und h&ouml;rt,&laquo; sagte Tom; &raquo;wir haben Freunde in
-Sandusky, welche die Boote f&uuml;r uns bewachen. K&uuml;mmere
-mich nicht mehr darum, 's zu sagen. Ich wollte,
-sie entwischten, nur um Marks zu &auml;rgern &mdash; den verfluchten
-Laffen! &mdash; hol ihn der Teufel!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Thomas!&laquo; sagte Dorcas.</p>
-
-<p>&raquo;Ich sage Euch, Gro&szlig;mutter, wenn Ihr einen armen
-Kerl zu dicht einpfropft, so platzt er,&laquo; sagte Tom.
-&raquo;Aber wegen der Dirne &mdash; sagt ihnen, da&szlig; sie sich so
-ankleide, da&szlig; sie nicht mehr kenntlich ist. Ihre Beschreibung
-ist in Sandusky.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wir wollen daf&uuml;r sorgen,&laquo; sagte Dorcas mit der
-ihrer Sekte eigenth&uuml;mlichen Gelassenheit.</p>
-
-<p>Da wir an dieser Stelle von Tom Locker Abschied
-nehmen, so k&ouml;nnen wir hier zugleich erw&auml;hnen, da&szlig;, nachdem
-er drei Wochen in dem Qu&auml;ckerhause am rheumatischen
-Fieber darniederlag, welches zu seinen &uuml;brigen
-Leiden hinzu trat, er sich vom Lager als ein etwas weiserer
-und bessrer Mensch erhob; und fortan statt Sklaven
-zu fangen, sich in einer der neuen Ansiedlungen niederlie&szlig;,
-wo seine F&auml;higkeiten sich in der Jagd von B&auml;ren,
-W&ouml;lfen und andern Bewohnern des Forstes gl&uuml;cklicher
-entwickelten, wodurch er sich einen Namen im
-Lande machte. Tom sprach immer ehrfurchtsvoll von den
-Qu&auml;kern. &raquo;H&uuml;bsche Leute,&laquo; pflegte er zu sagen; &raquo;wollten
-mich bekehren, konnten 's aber nicht zu Stande bringen.
-Aber eins will ich euch sagen, Fremder, einen
-kranken Kerl warten sie vortrefflich ab, &mdash; das ist richtig!
-Kochen die beste Sorte Kraftbr&uuml;he und Brezeln.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_216">[S. 216]</a></span></p>
-
-<p>Da Tom den Fl&uuml;chtlingen mitgetheilt hatte, da&szlig;
-ihre Gesellschaft in Sandusky gesucht werde, so hielt man
-es f&uuml;r gerathen, sich zu theilen. Jim wurde mit seiner
-alten Mutter besonders fortgeschafft; und ein oder zwei
-N&auml;chte sp&auml;ter wurden Georg und Elise mit ihrem Kinde
-in's Geheim nach Sandusky gefahren und unter einem
-gastfreien Dache untergebracht, w&auml;hrend die Vorbereitungen
-zu ihrer letzten Einschiffung auf den See getroffen
-wurden.</p>
-
-<p>Ihre Nacht neigte sich jetzt dem Ende und sch&ouml;n erhob
-sich vor ihnen der Morgenstern der Freiheit. Freiheit!
-Begeisterndes Wort! Was ist es? Ist es denn
-etwas mehr als ein Name oder ein rednerischer Ausdruck?
-Warum Ihr M&auml;nner und Frauen Amerikas, beben
-Eure Herzen vor Wonne bei dem Worte, f&uuml;r welches
-Eure V&auml;ter bluteten und Eure noch bravere M&uuml;tter willig
-ihre Besten und Edelsten sterben sahen?</p>
-
-<p>Liegt darin etwas Ruhmreiches und Theures f&uuml;r
-ein Volk, das nicht auch ruhmreich und theuer f&uuml;r den
-einzelnen Menschen ist? Was ist Freiheit eines
-Volkes anders als Freiheit der Individuen desselben?
-Was ist Freiheit f&uuml;r jenen jungen Mann, welcher dort
-sitzt, die Arme &uuml;ber die breite Brust geschlagen, die
-Farbe des afrikanischen Blutes auf den Wangen, dessen
-dunkles Feuer im Auge &mdash; was ist Freiheit f&uuml;r George
-Harris? F&uuml;r Eure V&auml;ter war Freiheit das Recht eines
-Volkes, ein Volk zu sein. F&uuml;r ihn ist es das Recht
-eines Menschen, ein Mensch zu sein und kein Vieh; das
-Recht, das Weib seines Herzens sein Weib nennen, und
-sie vor gesetzlicher Gewaltth&auml;tigkeit sch&uuml;tzen zu k&ouml;nnen;
-das Recht, sein Kind zu besch&uuml;tzen und zu erziehen; das
-Recht, eine eigne Heimath, eine eigne Religion, einen
-eignen Charakter zu haben, der nicht dem Willen eines
-Andern unterworfen ist. Alle diese Gedanken arbeiteten
-in Georgs Brust, w&auml;hrend er gedankenvoll den Kopf
-auf die Hand st&uuml;tzte, und seine Frau beobachtete, als sie
- <span class="pagenum"><a id="Page_217">[S. 217]</a></span>
-ihrer zarten und h&uuml;bschen Gestalt m&auml;nnliche Kleidung
-anpa&szlig;te, in der man es f&uuml;r das Sicherste hielt, da&szlig; sie
-ihre Flucht bewerkstellige.</p>
-
-<p>&raquo;Jetzt gilt's,&laquo; sagte sie, als sie vor dem Spiegel
-stand und die seidene F&uuml;lle des schwarzen Lockenhaares
-herabsch&uuml;ttelte. &raquo;Sieh! Georg, 's ist fast ein Jammer,
-nicht wahr?&laquo; sagte sie, indem sie scherzhaft einige Locken
-in die H&ouml;he hielt. &raquo;'s ist ein Jammer, da&szlig; sie alle ab
-m&uuml;ssen.&laquo;</p>
-
-<p>Georg l&auml;chelte traurig und gab keine Antwort.</p>
-
-<p>Elise kehrte sich gegen den Spiegel und die Scheere
-schimmerte, als eine lange Locke nach der andern vom
-Haupte getrennt wurde.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, das wird genug sein,&laquo; sagte sie, indem sie
-eine Haarb&uuml;rste ergriff, &raquo;jetzt ein Paar Phantasiestriche.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Da, bin ich nicht ein h&uuml;bscher junger Mensch?&laquo;
-sagte sie, indem sie sich nach ihrem Gatten umwandte,
-lachend und err&ouml;thend zugleich.</p>
-
-<p>&raquo;Du bist immer h&uuml;bsch, Du magst thun, was Du
-willst,&laquo; sagte Georg.</p>
-
-<p>&raquo;Was macht Dich so ernst?&laquo; sagte Elise, indem sie
-sich auf ein Knie niederlie&szlig;, und ihre H&auml;nde auf das
-seinige legte. &raquo;Wir sind nur noch 24 Stunden von
-Canada entfernt. Nur einen Tag und eine Nacht auf
-dem See, und dann &mdash; o, dann!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, Elise!&laquo; sagte Georg, indem er sie an sich
-zog, &raquo;das ist 's gerade! Jetzt naht sich mein Schicksal
-dem entscheidenden Punkt. So nahe zu kommen, es fast
-vor Augen haben und dann Alles verlieren. Ich k&ouml;nnte
-es nicht &uuml;berleben, Elise.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Habe keine Furcht,&laquo; sagte seine Frau zuversichtlich.
-&raquo;Der gute Gott h&auml;tte uns nicht so weit gebracht, wenn
-er uns nicht durchbringen wollte. Mir ist 's, als f&uuml;hlte
-ich, da&szlig; er mit uns ist, Georg.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du bist ein gesegnetes Weib, Elise!&laquo; sagte Georg,
- <span class="pagenum"><a id="Page_218">[S. 218]</a></span>
-indem er sie krampfhaft umarmte. &raquo;Aber &mdash; ach, sag'!
-kann uns diese gro&szlig;e Gnade zu Theil werden? Werden
-diese Jahre des Elend's wirklich ein Ende nehmen? &mdash;
-werden wir frei werden?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gewi&szlig;, Georg,&laquo; sagte Elise, indem sie aufw&auml;rts
-blickte, w&auml;hrend Thr&auml;nen der Hoffnung und Begeisterung
-an ihren langen, dunkeln Wimpern gl&auml;nzten. &raquo;Ich f&uuml;hle
-es in mir, da&szlig; Gott uns heut aus der Knechtschaft erl&ouml;sen
-wird.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich will Dir glauben, Elise,&laquo; sagte Georg, indem
-er pl&ouml;tzlich aufstand. &raquo;Ich will es glauben; komm, la&szlig;
-uns fort. Ja, wahrlich,&laquo; sagte er, indem er sie auf
-Armesl&auml;nge von sich hielt, und sie voll Bewunderung betrachtete.
-&raquo;Du <em class="gesperrt">bist</em> ein h&uuml;bsches Kerlchen. Die kleinen
-kurzen Backen stehen Dir vortrefflich. Setze Deine M&uuml;tze
-auf. So &mdash; ein Bischen auf eine Seite. Du hast nie
-so h&uuml;bsch ausgesehen. Aber es ist fast Zeit f&uuml;r den
-Wagen, ich soll mich wundern, ob Mrs. Smyth den
-Harry aufgetakelt hat?&laquo;</p>
-
-<p>Die Th&uuml;r &ouml;ffnete sich und eine Frau von achtbarem
-Aeu&szlig;ern und mittleren Jahren trat ein, den kleinen
-Harry an der Hand, der in M&auml;dchenkleider geh&uuml;llt war.</p>
-
-<p>&raquo;Was f&uuml;r ein h&uuml;bsches M&auml;dchen er abgibt,&laquo; sagte
-Elise, indem sie ihn herumdrehte. &raquo;Wir nennen ihn
-Harriet, pa&szlig;t der Name nicht h&uuml;bsch?&laquo;</p>
-
-<p>Das Kind stand da und betrachtete seine Mutter
-ernst und schweigend in ihrem neuen und fremdartigen
-Anzuge, w&auml;hrend es zuweilen tief seufzte und unter seinen
-dunkeln Locken hervor scheue Blicke auf sie heftete.</p>
-
-<p>&raquo;Kennt Harry Mama?&laquo; sagte Elise, indem sie die
-H&auml;nde gegen ihn ausstreckte.</p>
-
-<p>Das Kind hing sich furchtsam an die Frau.</p>
-
-<p>&raquo;Komm, Elise, warum versuchst Du, ihn zu liebkosen,
-da Du doch wei&szlig;t, da&szlig; er sich fern von Dir zu
-halten hat?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig;, 's ist th&ouml;richt,&laquo; sagte Elise, &raquo;aber ich
- <span class="pagenum"><a id="Page_219">[S. 219]</a></span>
-kann es nicht ertragen, da&szlig; er sich von mir abwendet.
-Doch komm &mdash; wo ist mein Mantel? Hier &mdash; wie nehmen
-die M&auml;nner den Mantel um, Georg?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du mu&szlig;t ihn so tragen,&laquo; sagte ihr Mann, indem
-er denselben &uuml;ber die Schultern warf.</p>
-
-<p>&raquo;So also,&laquo; sagte Elise, indem sie die Bewegung
-nachahmte; &raquo;und ich mu&szlig; fest auftreten und gro&szlig;e
-Schritte machen, und dreist auszusehen suchen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gib Dir keine M&uuml;he,&laquo; sagte Georg. &raquo;Es gibt
-hier und da auch bescheidene junge M&auml;nner; und ich
-glaube, es wird Dir leichter werden, diese Rolle zu spielen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Und diese Handschuhe! Gott sei uns gn&auml;dig!&laquo; sagte
-Elise, &raquo;meine H&auml;nde verlieren sich darin.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich rathe Dir, sie h&uuml;bsch ordentlich anzubehalten,&laquo;
-sagte Georg. &raquo;Dein zartes Pf&ouml;tchen k&ouml;nnte uns Alle verrathen.
-Nun, Mrs. Smyth, tretet Euren Dienst an,
-und seid unser Tantchen &mdash; merkt darauf.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe geh&ouml;rt,&laquo; sagte Mrs. Smyth, &raquo;da&szlig; M&auml;nner
-unten gewesen sind, die alle Schiffscapit&auml;ne vor einem
-Manne und einer Frau mit einem kleinen Knaben gewarnt
-haben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So!&laquo; sagte Georg. &raquo;Nun, wenn wir solche Leute
-sehen, so k&ouml;nnen wir 's ihnen sagen.&laquo;</p>
-
-<p>Ein Miethwagen fuhr nun vor, und die freundliche
-Familie, welche die Fl&uuml;chtlinge aufgenommen hatte, dr&auml;ngte
-sich um dieselben, um Abschied von ihnen zu nehmen.</p>
-
-<p>Die Verkleidung, welche die Fl&uuml;chtlinge angenommen
-hatten, war nach den Winken des Tom Locker eingerichtet
-worden. Mrs. Smyth, eine achtbare Frau aus der Niederlassung
-in Canada, wohin sie flohen, die gl&uuml;cklicher
-Weise grade im Begriffe war, &uuml;ber den See dahin zur&uuml;ckzukehren,
-hatte eingewilligt, als die Tante des kleinen
-Harry aufzutreten; und um ihn an dieselbe zu gew&ouml;hnen,
-hatte man ihn die letzten zwei Tage allein unter ihrer
-Obhut bleiben lassen; und ein besonderer Aufwand von
-Liebkosungen, in Verbindung mit einem unendlichen Betrage
- <span class="pagenum"><a id="Page_220">[S. 220]</a></span>
-von Kuchen und Zuckerwerk, hatten die Anh&auml;nglichkeit
-von Seiten des jungen Herrn befestigt.</p>
-
-<p>Der Miethwagen fuhr nach dem Landungsplatze.
-Die zwei vermeintlichen jungen M&auml;nner schritten &uuml;ber das
-Brett in das Boot, indem Elise Mrs. Smyth mit vieler
-Artigkeit am Arm f&uuml;hrte und Georg f&uuml;r das Gep&auml;ck
-Sorge trug.</p>
-
-<p>Als Georg vor dem B&uuml;reau des Kapit&auml;ns stand,
-um f&uuml;r seine Reisegesellschafter Zahlung zu leisten, h&ouml;rte
-er zwei M&auml;nner neben sich reden.</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe jeden, der an Bord kam, beobachtet,&laquo;
-sagte der Eine, &raquo;und wei&szlig;, sie sind nicht in diesem Boot.&laquo;</p>
-
-<p>Die Stimme war die des Bootsschreibers. Der
-Andre, mit dem er sprach, war unser alter Freund Marks,
-der mit jener unsch&auml;tzbaren Beharrlichkeit, welche ihn
-charakterisirte, nach Sandusky gekommen war, um zu
-sehen, wen er verschlingen k&ouml;nne.</p>
-
-<p>&raquo;Ihr k&ouml;nnt das Frauenzimmer kaum von einer
-Wei&szlig;en unterscheiden,&laquo; sagte Marks. &raquo;Die Mannsperson
-ist ein sehr heller Mulatte. Er hat ein Brandmal an
-der einen Hand.&laquo;</p>
-
-<p>Die Hand, womit Georg eben die Zettel und das
-heraus erhaltene Geld nahm, bebte ein wenig; aber er
-drehte sich kalt um, heftete den Blick unbefangen auf das
-Gesicht des Sprechenden und ging gem&auml;chlich nach einem
-andern Theile des Boots, wo Elise auf ihn wartete.</p>
-
-<p>Mrs. Smyth mit dem kleinen Harry ging nach der
-Damenkaj&uuml;te, wo die dunkle Sch&ouml;nheit des vermeintlichen
-kleinen M&auml;dchens den Reisenden manche schmeichelhafte
-Bemerkungen entlockte.</p>
-
-<p>Georg hatte die Genugthuung, da&szlig; er, als die
-Glocke zum Abschied l&auml;utete, Marks &uuml;ber das Brett an
-das Ufer gehen sah; und stie&szlig; einen tiefen Seufzer der
-Erleichterung aus, als das Boot eine Entfernung, die
-keine R&uuml;ckkehr zulie&szlig;, erreicht hatte.</p>
-
-<p>Es war ein pr&auml;chtiger Tag. Die blauen Wogen
- <span class="pagenum"><a id="Page_221">[S. 221]</a></span>
-des Erie-Sees tanzten, sich kr&auml;uselnd und im Sonnenlicht
-gl&auml;nzend. Ein frisches L&uuml;ftchen wehte vom Ufer, und
-das herrliche Boot pfl&uuml;gte seinen Weg tapfer durch das
-Wasser.</p>
-
-<p>Oh, was f&uuml;r eine unaussprechliche Welt in <em class="gesperrt">einem</em>
-menschlichen Herzen liegt! Wer dachte, als Georg ruhig
-das Verdeck des Dampfbootes auf- und abschritt, mit
-seinem sch&uuml;chternen Gef&auml;hrten an der Seite, an Alles
-das, was in seinem Busen brannte? Das gro&szlig;e Gut,
-dem er sich nahte, schien ihm zu gro&szlig;, um wirklich sein
-werden zu k&ouml;nnen; und er f&uuml;hlte jeden Augenblick die
-Besorgni&szlig;, da&szlig; sich etwas erheben m&ouml;chte, es ihm wieder
-zu entrei&szlig;en.</p>
-
-<p>Aber das Boot flog weiter &mdash; Stunden verflogen,
-und endlich erhob sich klar und deutlich die gesegnete
-englische K&uuml;ste &mdash; ein Gestade, dem die m&auml;chtige Zauberkraft
-verliehen ist, &mdash; mit einer Ber&uuml;hrung jede Sklaverei
-zu vernichten, gleichviel, in welcher Sprache ihre Formel
-gesprochen, oder von welcher Staatsgewalt sie best&auml;tigt
-worden ist.</p>
-
-<p>Georg stand mit seiner Frau Arm in Arm, als
-das Boot sich dem St&auml;dtchen Armherstberg in Canada
-n&auml;herte. Sein Athem wurde schwer und kurz; wie Nebel
-sammelte es sich vor seinen Augen, und er dr&uuml;ckte schweigend
-die kleine Hand, welche zitternd auf seinem Arme
-lag. Die Glocke erscholl &mdash; das Boot hielt an. Kaum
-sehend, was er that, suchte er sein Gep&auml;ck und sammelte
-die Seinigen um sich. Die kleine Gesellschaft wurde an
-das Ufer gesetzt. Sie standen still, bis das Boot ausgeladen
-hatte; und dann knieten mit Thr&auml;nen und Umarmungen
-Gatte und Gattin, das staunende Kind in den
-Armen, nieder und erhoben ihre Herzen zu Gott!</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">'S war wie wenn Leben bricht durch Todesnacht,</span>
-<span class="i4">Aus Grabes H&uuml;lle zu des Himmels Licht;</span>
-<span class="i0">Vom Reich der S&uuml;nde und des B&ouml;sen Macht,</span>
-
-<span class="pagenum"><a id="Page_222">[S. 222]</a></span>
-
-<span class="i4">Zu der erl&ouml;sten Seele Freiheitsmorgenroth;</span>
-<span class="i4">Zerbrochen sind die Ketten, die geschmiedet Tod;</span>
-<span class="i0">Den Sterblichen Unsterblichkeit umweht,</span>
-<span class="i0">Wenn Gnadenhand den goldnen Schl&uuml;ssel dreht</span>
-<span class="i0">Und ein zur Freiheitsherrlichkeit die Seele geht.</span>
-</div></div>
-
-<p>Der kleine Kreis wurde darauf von Mrs. Smyth
-zur gastlichen Wohnung eines guten Mission&auml;rs gef&uuml;hrt,
-den christliche Liebe hierher verpflanzt hatte, als einen
-Hirten f&uuml;r die Versto&szlig;enen und Wandernden, die best&auml;ndig
-an diesem Gestade eine Zuflucht finden.</p>
-
-<p class="pmb3">Wer kann den Segen des ersten Freiheitstages aussprechen?
-Ist nicht der Sinn der Freiheit ein h&ouml;herer
-und feinerer, als irgend einer der f&uuml;nf anderen. Sich
-zu bewegen, zu reden, zu athmen, zu gehen und zu kommen
-unbewacht und ohne Gefahr! Wer kann die Segnungen
-des Schlafes schildern, der sich auf des freien
-Mannes Kissen niedersenkt, unter Gesetzen, welche ihm
-die Rechte sichern, die Gott den Menschen verliehen?
-Wie sch&ouml;n erschien jener Mutter des schlafenden Kindes
-Antlitz, theurer durch die Erinnerung an tausend Gefahren!
-Wie unm&ouml;glich war es zu schlafen im &uuml;berschw&auml;nglichen
-Genusse solchen Segens! Und doch hatten
-diese zwei nicht eine Hufe Land, kein Dach, das sie ihr
-eigen nennen konnten; sie hatten ihr Alles dahingegeben
-bis auf den letzten Thaler. Sie hatten nicht mehr, als
-die V&ouml;gel der Luft, oder die Blumen des Feldes &mdash; und
-doch konnten sie nicht schlafen vor Freude. &raquo;O Ihr,
-die Ihr dem Menschen die Freiheit raubt, wie wollt Ihr
-das vor Gott verantworten?&laquo; &mdash;</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_223">[S. 223]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Achtunddreissigstes_Kapitel">Achtunddrei&szlig;igstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Der Sieg.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i5">&raquo;Dank sei Gott, der uns den Sieg verleiht.&laquo;<br /></span>
-</div></div>
-
-
-<p>Haben nicht viele von uns in mancher Stunde m&uuml;hseligen
-Lebensweges gef&uuml;hlt, wie weit leichter es sei, zu
-sterben, als zu leben?</p>
-
-<p>Der M&auml;rtyrer, wenn er unter k&ouml;rperlichen Qualen
-dem Tode in die Augen schaut, findet selbst im Schrecken
-seines Looses eine St&auml;rkung. Es liegt eine lebendige
-Aufregung darin, welche ihn durch jede Krisis des Leidens
-f&uuml;hren kann, und sie zur Geburtsstunde ewigen
-Ruhmes und ewigen Friedens macht.</p>
-
-<p>Aber zu leben, und Tag f&uuml;r Tag in niederer, bitterer,
-gemeiner und qu&auml;lender Knechtschaft sich hinzuschleppen,
-jede Nerve erschlafft und abgespannt, jede
-Gef&uuml;hlskraft allm&auml;hlig erstickt &mdash; dieses lange, zehrende
-M&auml;rtyrerthum des Herzens, dieses langsame, t&auml;gliche
-Verbluten des inneren Lebens, tropfenweise, st&uuml;ndlich &mdash;
-dies ist der wahre Probirstein dessen, was im Menschen
-ist.</p>
-
-<p>Als Tom seinem Verfolger gegen&uuml;berstand, und dessen
-Drohungen h&ouml;rte, und in seiner innersten Seele dachte,
-da&szlig; seine Stunde gekommen sei, schwoll ihm muthig die
-Brust, und er glaubte, er k&ouml;nne Folter und Feuer, Alles
-ertragen, mit dem Blicke auf Jesus und den Himmel gerichtet;
-als derselbe aber fortgegangen und die Aufregung
-verschwunden war, kehrte der Schmerz seiner gequetschten,
-m&uuml;den Glieder zur&uuml;ck und das Gef&uuml;hl seines v&ouml;llig herabgew&uuml;rdigten,
- <span class="pagenum"><a id="Page_224">[S. 224]</a></span>
-hoffnungslosen und verlornen Zustandes;
-und der Tag verging ihm traurig.</p>
-
-<p>Legree bestand darauf, da&szlig; Tom lange vorher, ehe
-dessen Wunden geheilt waren, wieder an die regelm&auml;&szlig;ige
-Feldarbeit gestellt werden sollte; und dann kamen Tag
-f&uuml;r Tag Schmerz und M&uuml;digkeit, erschwert durch jede
-Art von Ungerechtigkeit und Unw&uuml;rdigkeit, welche der
-b&ouml;se Wille einer gemeinen und boshaften Seele ersinnen
-konnte. Wer nur immer in <em class="gesperrt">unsern</em> Umst&auml;nden eine
-Schmerzenspr&uuml;fung zu bestehen hatte, selbst mit allen
-Erleichterungen, welche dieselben bei uns gew&ouml;hnlich begleiten,
-mu&szlig; die Gereiztheit kennen, die uns in derselben
-nie verl&auml;&szlig;t. Tom wunderte sich nicht mehr &uuml;ber die gewohnheitsm&auml;&szlig;ige
-Verdrie&szlig;lichkeit seiner Gef&auml;hrten: ja,
-er fand die ruhige, heitere Stimmung, welche ihn durch
-sein ganzes Leben begleitet hatte, zerst&ouml;rt und j&auml;mmerlich
-zerrissen. Er hatte auf Mu&szlig;e gehofft, seine Bibel lesen
-zu k&ouml;nnen, aber Mu&szlig;e gab es hier nicht. In der dringendsten
-Erntezeit trug Legree kein Bedenken, alle seine
-Arbeiter Sonntags wie Wochentags gleich zu qu&auml;len.
-Warum nicht? Er erzielte dadurch mehr Baumwolle,
-und gewann seine Wette; und wenn es einige Leute mehr
-aufrieb, konnte er bessere kaufen. Zuerst war Tom gewohnt
-gewesen, beim Leuchten des Feuers einige Bibelverse
-zu lesen, nachdem er von der Tagesarbeit zur&uuml;ckgekehrt
-war; nach der grausamen Behandlung aber, die er erfahren
-hatte, pflegte er so ersch&ouml;pft nach Hause zu kommen,
-da&szlig; der Kopf sich ihm drehte und ihm die Augen
-den Dienst versagten, wenn er zu lesen versuchte, und
-er froh war, sich mit den Andern in v&ouml;lliger Ersch&ouml;pfung
-niederstrecken zu k&ouml;nnen.</p>
-
-<p>Ist es auffallend, da&szlig; der Gottesfriede und das
-Himmelsvertrauen, welche ihn bisher aufrecht erhalten
-hatten, Gem&uuml;thsersch&uuml;tterungen und finsterem Verzagen
-weichen konnten? Die d&uuml;sterste Aufgabe dieses geheimni&szlig;vollen
-Lebens war ihm best&auml;ndig vor den Augen; zerschmetterte
- <span class="pagenum"><a id="Page_225">[S. 225]</a></span>
-und zu Grunde gerichtete Seelen, B&ouml;ses triumphirend
-und Gott schweigend. Wochen, Monate rang
-Tom in seinem Geiste in Dunkelheit und Betr&uuml;bni&szlig;. Er
-dachte an Mi&szlig; Ophelia's Brief, an seine Freunde in
-Kentucky, und betete ernstlich, da&szlig; ihm Gott Erl&ouml;sung
-senden m&ouml;ge; und dann wartete er Tag f&uuml;r Tag in
-derlei unbestimmter Hoffnung, Jemanden zu sehen, der
-zu seiner Erl&ouml;sung ausgesendet sei; und wenn Niemand
-kam, dr&auml;ngte er bittere Gedanken in sein Herz zur&uuml;ck &mdash;
-da&szlig; es eitel sei, Gott zu dienen, da&szlig; Gott ihn vergessen
-habe. Zuweilen sah er Cassy, und wenn er zuweilen
-nach dem Hause gerufen wurde, erblickte er dann und
-wann die gebeugte Gestalt Emmelinens, er hatte aber mit
-keiner viel Verkehr; es blieb wirklich keine Zeit, mit irgend
-Jemanden Umgang zu haben.</p>
-
-<p>Eines Abends sa&szlig; er in v&ouml;lliger Niedergeschlagenheit
-und Abspannung bei ein paar erl&ouml;schenden Feuerbr&auml;nden,
-an denen er sein k&auml;rgliches Abendessen bereitete.
-Er legte etwas Reisig auf, um das Feuer wieder in Brand
-zu setzen, und zog dann seine verbrauchte alte Bibel aus
-der Tasche. Darin waren alle die Stellen gezeichnet,
-welche so oft seine Seele angeregt hatten &mdash; Worte von
-Erzv&auml;tern und Sehern, Dichtern und Weisen, die von
-fr&uuml;hen Zeiten her dem Menschen Muth zugesprochen &mdash;
-Stimmen aus der gro&szlig;en Wolke von Zeugen, welche uns
-immer auf der Lebensbahn umgeben. Hatte das Wort
-seine Kraft verloren, oder waren das versagende Auge
-und der m&uuml;de Sinn nicht l&auml;nger empf&auml;nglich f&uuml;r jene
-m&auml;chtigen Eingebungen? Schwer seufzend steckte er das
-Buch in die Tasche. Ein rohes Gel&auml;chter erwartete ihn;
-er sah auf &mdash; Legree stand ihm gegen&uuml;ber.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, alter Junge,&laquo; sagte er, &raquo;Du findest, Deine
-Religion wirkt nicht; es scheint so! Ich dachte ja, ich
-w&uuml;rde das aus Deiner Wolle herausbringen!&laquo;</p>
-
-<p>Der grausame Hohn war schlimmer, als Hunger,
-K&auml;lte und Nacktheit. Tom war still.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_226">[S. 226]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Du warst ein Narr,&laquo; sagte Legree, &raquo;denn ich dachte
-Dir Gutes zu thun, als ich Dich kaufte. Du h&auml;ttest
-besser daran sein k&ouml;nnen, als Sambo oder Quimbo, und
-gute Zeiten haben; und anstatt alle paar Tage gepr&uuml;gelt
-und gedroschen zu werden, k&ouml;nntest Du Freiheit gehabt
-haben, rings umher zu herrschen, und die andern Nigger
-zu peitschen, und h&auml;ttest Dich zuweilen an einem guten
-Whiskeypunsch erw&auml;rmen k&ouml;nnen. Nun, mach keine Umst&auml;nde
-und sei vern&uuml;nftig! Wirf den alten Plunder hier
-ins Feuer und schlag Dich zu meiner Kirche!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gott beh&uuml;te mich!&laquo; sagte Tom inbr&uuml;nstig.</p>
-
-<p>&raquo;Du siehst, Gott will Dir nicht helfen; wenn er gewollt
-h&auml;tte, so h&auml;tte er Dich nicht in <em class="gesperrt">meine</em> H&auml;nde
-kommen lassen. Deine Religion ist ein Gemisch von lauter
-L&uuml;genkram, Tom. Ich wei&szlig; es. Halt lieber zu mir;
-ich bin etwas und kann etwas thun!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Master,&laquo; sagte Tom, &raquo;ich will festhalten.
-Gott mag mir nun helfen oder nicht; aber ich will an
-ihm halten und bis aufs Letzte an ihn glauben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Um so mehr bist Du ein Narr!&laquo; sagte Legree, indem
-er ihn ver&auml;chtlich anspie und mit dem Fu&szlig;e trat.
-&raquo;Nun, es macht nichts aus; ich will Dich doch noch niederhetzen
-und herunterbringen, Du wirst 's sehen!&laquo; und
-Legree wendete sich weg.</p>
-
-<p>Wenn ein schweres Gewicht die Seele zur tiefsten
-Tiefe menschlichen Duldens herunterdr&uuml;ckt, so tritt eine
-pl&ouml;tzliche und verzweifelte Anstrengung jedes physischen
-und geistigen Nervs ein, das Gewicht abzuwerfen, und
-dadurch wird der gr&ouml;&szlig;te Schmerz oft zu einer r&uuml;ckstr&ouml;menden
-Fluth der Freude und des Muthes. So war es
-jetzt mit Tom. Die gottesl&auml;ugnerischen Verh&ouml;hnungen
-seines grausamen Herrn senkten seine vorher schon niedergeschlagene
-Seele zur tiefsten Ebbe hinab; und obgleich
-die Hand des Glaubens sich noch an dem ewigen Felsen
-festhielt, so war es doch nur mit einem starren, verzweifelten
-Griffe. Tom sa&szlig; wie bet&auml;ubt am Feuer. Pl&ouml;tzlich
- <span class="pagenum"><a id="Page_227">[S. 227]</a></span>
-schien Alles um ihn zu verschwinden, und vor ihm erhob
-sich die Erscheinung einer mit Dornen gekr&ouml;nten, geschlagenen
-und blutenden Gestalt. Tom schaute mit Staunen
-und Bewunderung auf die w&uuml;rdevolle Ruhe des Antlitzes;
-die tiefen, r&uuml;hrenden Augen drangen ihm bis in das
-innerste Herz; seine Seele erwachte, w&auml;hrend er mit
-str&ouml;mendem Gef&uuml;hle seine H&auml;nde ausstreckte und auf seine
-Kniee fiel; und allm&auml;hlig ver&auml;nderte sich die Erscheinung,
-die scharfen Dornen wurden zur Strahlenkrone, und im
-unbegreiflichen Glanze sah er dasselbe Antlitz sich mitleidsvoll
-zu ihm neigen, und eine Stimme sagte: &raquo;Wer &uuml;berwindet,
-dem will ich geben, mit mir auf meinem Stuhle
-zu sitzen, wie Ich &uuml;berwunden habe, und bin mit meinem
-Vater gesessen auf seinem Stuhle.&laquo;</p>
-
-<p>Wie lange Tom so gelegen hatte, wu&szlig;te er nicht.
-Als er wieder zu sich kam, war das Feuer erloschen, seine
-Kleider von feuchtem Thaue durchn&auml;&szlig;t, aber der f&uuml;rchterliche
-Seelenkampf war entschieden, und in der Freude,
-welche ihn erf&uuml;llte, f&uuml;hlte er nicht mehr Hunger, K&auml;lte,
-Erniedrigung, Widerw&auml;rtigkeit und Elend. Aus tiefster
-Seele schied er in jener Stunde von jeder Hoffnung dieses
-Lebens, und brachte seinen eigenen Willen als ein
-williges Opfer dem Unendlichen dar. Tom sah auf zu
-den stillen, ewigen Sternen, den Sinnbildern der Engelsschaaren,
-die immer auf den Menschen herabschauen; und
-die Einsamkeit der Nacht wiederhallte von den Siegesworten
-eines Lobgesanges, welchen er oft in gl&uuml;cklicheren
-Tagen gesungen, aber nie mit einem solchen Gef&uuml;hle
-wie jetzt:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;Die Erde wird wie Schnee zergehn,</span>
-<span class="i4">Die Sonne nicht mehr scheinen;</span>
-<span class="i0">Doch Gott, der mich hier lie&szlig; entstehn,</span>
-<span class="i4">Wird sich mit mir vereinen.&laquo;</span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;Und wenn dies ird'sche Leben flieht,</span>
-<span class="i4">Und Fleisch und Sinn vergehn,</span>
-
-<span class="pagenum"><a id="Page_228">[S. 228]</a></span>
-
-<span class="i0">Der Engel Schaar mich jenseits zieht,</span>
-<span class="i4">Wo Fried und Freude wehn.&laquo;</span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;Und wenn zehntausend Jahr wir da</span>
-<span class="i4">Hell scheinend wie die Sonn',</span>
-<span class="i0">So sing'n wir noch Halleluja,</span>
-<span class="i4">Wie einst auf Erden schon.&laquo;</span>
-</div></div>
-
-<p>Wer vertraut ist mit der Religionsgeschichte der Sklavenbev&ouml;lkerung,
-wird wissen, da&szlig; Verh&auml;ltnisse gleich denen,
-welche wir erz&auml;hlt haben, sehr gew&ouml;hnlich unter ihnen
-sind. Wir haben von ihren eigenen Lippen einige der
-r&uuml;hrendsten und ergreifendsten Z&uuml;ge geh&ouml;rt. Der Seelenforscher
-erz&auml;hlt uns von einem Zustande, in welchem die
-Bewegungen und Bilder des Gem&uuml;ths so herrschend und
-&uuml;berm&auml;chtig werden, da&szlig; sie die &auml;u&szlig;eren Sinne in ihren
-Dienst zwingen, und diese den inneren Gebilden eine erkennbare
-Gestalt verleihen. Wer kann ermessen, was ein
-alldurchdringender Geist mit diesen F&auml;higkeiten unserer
-sterblichen Natur wirken, oder wie er die verzagenden
-Seelen der Untr&ouml;stlichen ermuthigen kann? Wenn der
-arme, vergessene Sklave glaubt, da&szlig; Jesus ihm erschienen
-sei und mit ihm geredet habe, wer wird ihm widersprechen?
-Sagte er nicht, da&szlig; seine Sendung zu allen Zeiten
-sei, &raquo;zu heilen, die zersto&szlig;enen Herzens sind, zu predigen
-den Zerschlagenen, da&szlig; sie frei und ledig sein sollen.&laquo;</p>
-
-<p>Als das dunkle Grau der Morgend&auml;mmerung die
-Schl&auml;fer erweckte, hinaus auf das Feld zu gehen, da war
-einer unter jenen zerlumpten und schauernden Ungl&uuml;cklichen,
-der mit frohlockendem Schritte einherging, denn
-fester, als der Boden, welchen er betrat, war sein starker
-Glaube an die allm&auml;chtige, ewige Liebe. Ach, Legree!
-versuche jetzt alle Deine Kr&auml;fte! V&ouml;llige Seelenangst,
-Wehe, Erniedrigung, Mangel und Verlust von Allem werden
-nur den Proce&szlig; beschleunigen, der ihn zum K&ouml;nig und
-Priester Gottes weiht!</p>
-
-<p>Von dieser Zeit an umgab ein unverletzbarer Kreis
- <span class="pagenum"><a id="Page_229">[S. 229]</a></span>
-des Friedens das dem&uuml;thige Herz des Bedr&uuml;ckten &mdash; ein
-immer gegenw&auml;rtiger Erl&ouml;ser weihte es zu einem Tempel.
-Vor&uuml;ber ist nun das Bluten irdischen Schmerzes, vor&uuml;ber
-seine schwankende Hoffnung und Furcht, sein schwankendes
-Verlangen &mdash; der menschliche Wille gebeugt und blutend,
-und lange ringend, war nun ganz in dem g&ouml;ttlichen aufgegangen.
-So kurz schien jetzt die &uuml;brige Lebensreise &mdash;
-so nahe, so lebendig der ewige Segen &mdash; da&szlig; des Lebens
-&auml;u&szlig;erstes Weh harmlos an ihm vor&uuml;berging.</p>
-
-<p>Alle bemerkten die Ver&auml;nderung in seiner Erscheinung.
-Heiterkeit und Freudigkeit schien in ihn zur&uuml;ckzukehren,
-und eine Ruhe, welche keine Kr&auml;nkung oder Beleidigung
-st&ouml;ren konnte, schien ihn zu beherrschen.</p>
-
-<p>&raquo;Was der Teufel ist in den Tom gefahren?&laquo; sagte
-Legree zu Sambo. &raquo;Vor einiger Zeit war er ganz wie
-stumm, und jetzt ist er vergn&uuml;gt wie ein Heimchen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wei&szlig; nicht, Master, will vielleicht fortlaufen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;M&ouml;chte ihn das versuchen sehen,&laquo; sagte Legree mit
-wildem Grinsen; &raquo;nicht wahr, Sambo?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, ich glaube! Ha! ha!&laquo; sagte der schwarze Gnom,
-indem er dienstpflichtig lachte. &raquo;O Herr, der Spa&szlig;! Ihn
-im Schlamme stecken, durch die B&uuml;sche jagen und rei&szlig;en
-zu sehen, die Hunde an den Fersen! Herr, ich lachte,
-da&szlig; ich dachte, ich sollte platzen, damals, als wir Molly
-fingen. Ich dachte, sie h&auml;tten ihr alles Zeug vom Leibe
-gerissen, ehe ich sie von ihr kriegen konnte. Sie hat noch
-immer die Male von dem Spasse.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich glaube, sie wird sie mit ins Grab nehmen,&laquo;
-sagte Legree. &raquo;Aber jetzt, Sambo, pass' auf! Wenn
-der Neger dergleichen im Schilde hat, stelle ihm ein
-Bein.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Herr, la&szlig;t mich daf&uuml;r sorgen!&laquo; sagte Sambo. &raquo;Ich
-will den Affen fangen.&laquo;</p>
-
-<p>Das wurde gesprochen, als Legree auf sein Pferd
-stieg, um zur benachbarten Stadt zu reiten. Als er jenen
-Abend zur&uuml;ckkehrte, fiel es ihm ein, sein Pferd umzudrehen
- <span class="pagenum"><a id="Page_230">[S. 230]</a></span>
-und um die H&uuml;tten zu reiten und zu sehen, ob Alles
-in Ordnung sei.</p>
-
-<p>Es war eine pr&auml;chtige Mondnacht; die Schatten der
-sch&ouml;nen Pomeranzenb&auml;ume lagen scharf gezeichnet auf den
-Rasen, und es herrschte jene durchsichtige Stille in der
-Luft, deren St&ouml;rung unheilig erscheint. Als Legree in
-geringer Entfernung von den H&uuml;tten war, h&ouml;rte er eine
-Stimme singen. Es war kein gew&ouml;hnlicher Gesang, und
-er hielt deshalb an, um zu horchen. Eine klangvolle
-Tenorstimme sang:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;Wenn ich mein Recht klar lesen kann<br /></span>
-<span class="i4">Auf himmlischen Besitz,<br /></span>
-<span class="i0">So kommt mich keine Furcht mehr an,<br /></span>
-<span class="i4">Und scheu' ich nicht der H&ouml;lle Blitz.&laquo;<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;Und ringt mit Erdenlust mein Geist<br /></span>
-<span class="i4">Und fliegt der H&ouml;lle Pfeil,<br /></span>
-<span class="i0">Mein Heiland, Satan von mir weist,<br /></span>
-<span class="i4">Und sch&uuml;tzt mein Seelenheil.&laquo;<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">&raquo;K&ouml;mmt Sorge wie 'ne S&uuml;ndfluth an,<br /></span>
-<span class="i4">Und Ungl&uuml;cksst&uuml;rme wehn,<br /></span>
-<span class="i0">Komm ich doch nicht von meiner Bahn,<br /></span>
-<span class="i4">Die kann ich deutlich sehn.&laquo;<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>&raquo;So! ha!&laquo; sagte Legree bei sich, &raquo;denkt er das wirklich?
-Wie ich diese verfluchten Methodistenlieder hasse!
-Her! Nigger!&laquo; sagte er, indem er pl&ouml;tzlich auf Tom zukam
-und seine Reitpeitsche in die H&ouml;he hob, &raquo;wie kannst
-Du Dich unterstehen, diesen L&auml;rm hier zu machen, wenn
-Du zu Bette sein mu&szlig;t? Halt Deinen alten schwarzen
-Rachen und packe Dich fort!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Master,&laquo; sagte Tom mit bereitwilliger Freundlichkeit,
-als er sich erhob, um heimzugehen.</p>
-
-<p>Legree war auf's Aeu&szlig;erste gereizt durch Toms sichtliche
-Gl&uuml;ckseligkeit; er ritt an ihn heran und bearbeitete
-ihn mit Schl&auml;gen &uuml;ber Kopf und Schultern.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_231">[S. 231]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Da, Hund,&laquo; sagte er, &raquo;sieh zu, ob Dir danach noch
-immer so wohl ist!&laquo;</p>
-
-<p>Aber die Schl&auml;ge fielen jetzt nur auf den &auml;u&szlig;ern
-Menschen und nicht, wie zuvor, auf das Herz. Tom
-stand v&ouml;llig unterw&uuml;rfig da; und doch konnte sich Legree
-nicht verhehlen, da&szlig; seine Macht &uuml;ber seinen Leibeigenen
-aufgeh&ouml;rt hatte. Als Tom in seiner H&uuml;tte verschwand,
-und er sein Pferd herumwarf, durchzuckte sein Herz pl&ouml;tzlich
-einer jener lebendigen Blitze, welche oft das Licht
-des Gewissens durch die dunkle, ruchlose Seele senden.
-Er f&uuml;hlte deutlich, da&szlig; es Gott sei, der zwischen ihm und
-seinem Opfer stand, und er l&auml;sterte ihn. Jener unterw&uuml;rfige
-und stille Mensch, den weder Hohn, noch Drohungen,
-weder Streiche, noch Grausamkeiten st&ouml;ren konnten
-in der Ruhe des Gem&uuml;thes, erweckte eine Stimme
-in ihm, wie sie vor Alters sein Herr erweckte in der besessenen
-Seele, die da sagte: &raquo;Ach Jesu, Du Sohn Gottes,
-was haben wir mit Dir zu thun? Bist Du gekommen,
-uns zu qu&auml;len, ehe denn es Zeit ist?&laquo;</p>
-
-<p>Toms ganzes Herz flo&szlig; &uuml;ber von Mitleid und Theilnahme
-f&uuml;r die armen Elenden, von welchen er umringt
-war. Ihm schien es, als wenn sein Lebenskummer noch
-nicht vor&uuml;ber sei, und als wenn er aus jenem seltsamen
-Schatze von Frieden und Freude, mit dem er von Oben
-begnadigt worden war, etwas zur Erleichterung ihres
-Elends ausgie&szlig;en m&uuml;sse. Die Gelegenheit war freilich
-selten; aber auf dem Wege in die Felder und wieder
-zur&uuml;ck, und w&auml;hrend den Arbeitsstunden bot sich ihm die
-Gelegenheit dar, den M&uuml;den, Verzagten und Kleinm&uuml;thigen
-eine h&uuml;lfreiche Hand zu reichen. Die armen, ausgemergelten
-entmenschten Gesch&ouml;pfe konnten das anfangs
-kaum begreifen; als es aber w&ouml;chentlich und monatlich
-fortgesetzt wurde, begann es endlich, Saiten, die lange
-geschwiegen, in ihren erstarrten Herzen anzuschlagen.
-Allm&auml;hlig und unmerkbar begann der seltsame, stille, geduldige
-Mensch, der immer bereit war, Jedermanns B&uuml;rde
- <span class="pagenum"><a id="Page_232">[S. 232]</a></span>
-zu tragen, und von Niemanden H&uuml;lfe verlangte &mdash; der
-Allen den Platz r&auml;umte, und zuletzt kam und zuletzt nahm,
-jedoch der Erste war, das Wenige, was er hatte, mit
-Jedem zu theilen, der es bedurfte &mdash; der Mensch, welcher
-in kalten N&auml;chten seine zerrissene Decke willig zur Bequemlichkeit
-einer Frau hergab, die an Frost oder Krankheit
-litt; welcher im Felde die K&ouml;rbe der Schw&auml;chern
-f&uuml;llte, in der furchtbaren Gefahr, in seinem eigenen Ma&szlig;e
-zu kurz zu kommen &mdash; und welcher, obgleich mit unabl&auml;ssiger
-Grausamkeit von ihrem gemeinschaftlichen Tyrannen
-verfolgt, nie mit einem Worte in die Schm&auml;hungen
-und Fl&uuml;che einstimmte, welche man &uuml;ber jenen ausstie&szlig; &mdash;
-dieser Mensch begann zuletzt eine seltene Gewalt &uuml;ber
-seine Umgebung zu erlangen; und als die dr&auml;ngende
-Erntezeit vor&uuml;ber war, und sie den Sonntag wieder zu
-ihrer eigenen Benutzung frei hatten, sammelten sich Manche
-um ihn, um von ihm &uuml;ber Jesus zu h&ouml;ren. Sie h&auml;tten
-sich gern irgendwo versammelt, um zu h&ouml;ren, zu beten
-und zu singen, aber Legree wollte das nicht erlauben und
-st&ouml;rte solche Versuche &ouml;fters mit Fluchen und rohen Verw&uuml;nschungen,
-so da&szlig; die gesegneten Worte unter den Einzelnen
-von Munde zu Munde gehen mu&szlig;ten. Wer kann
-jedoch die einfache Freude schildern, womit einige dieser
-armen Versto&szlig;enen, f&uuml;r die das Leben eine freudenleere
-Reise zu einer unbekannten, finstern Zukunft war, von
-einem mitleidigen Erl&ouml;ser und einer himmlischen Heimath
-h&ouml;rten? Mission&auml;re versichern, da&szlig; keine Menschenrace der
-Erde das Evangelium mit so eifriger Gelehrigkeit empfangen
-hat, wie die afrikanische. Das Princip des zuversichtlichen
-Vertrauens und zweifellosen Glaubens, der
-seine Grundlage bildet, ist bei diesem Stamme mehr, als
-bei jedem andern nat&uuml;rlich vorhanden; und man hat oft
-unter ihnen gefunden, da&szlig; ein zerstreutes Samenkorn der
-Wahrheit, von einem L&uuml;ftchen des Zufalls in das unwissendste
-Herz gelegt, Frucht getragen hat, deren Reichthum
-das mit h&ouml;herer Bildung begabte besch&auml;mt hat.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_233">[S. 233]</a></span></p>
-
-<p>Die arme Mulattin, deren einf&auml;ltiger Glaube fast
-zerdr&uuml;ckt und zerschmettert worden war durch die Lawine
-von Grausamkeit und Unrecht, welche sie &uuml;bersch&uuml;ttet hatte,
-f&uuml;hlte ihre Seele gehoben von den Ges&auml;ngen und Stellen
-der heiligen Schrift, welche dieser dem&uuml;thige Missionar
-von Zeit zu Zeit in ihr Ohr hauchte, wenn sie zur Arbeit
-gingen oder davon zur&uuml;ckkehrten; und selbst der halb
-zerr&uuml;ttete und irregehende Geist Cassy's wurde bes&auml;nftigt
-und beruhigt durch seinen schlichten und ungesuchten Einflu&szlig;.</p>
-
-<p>Zu Wahnsinn und Verzweiflung von den zermalmenden
-Martern ihres Lebens getrieben, hatte Cassy oft in
-ihrer Seele eine Stunde der Vergeltung beschlossen, in
-der ihre Hand an ihrem Unterdr&uuml;cker alle Ungerechtigkeit
-und Grausamkeit r&auml;chen sollte, zu deren Zeugin er sie
-gemacht oder welche <em class="gesperrt">sie</em> in ihrer eigenen Person geduldet
-hatte.</p>
-
-<p>In einer Nacht, nachdem Alles in Toms H&uuml;tte in
-Schlaf gesunken war, wurde derselbe pl&ouml;tzlich erweckt, indem
-er ihr Gesicht an einer Oeffnung zwischen den Balken
-gewahrte, die als Fenster diente. Sie winkte ihm schweigend,
-herauszukommen.</p>
-
-<p>Tom trat zur Th&uuml;r hinaus. Es war zwischen ein
-und zwei Uhr Morgens &mdash; heller, ruhiger, stiller Mondschein.
-Als das Mondlicht auf Cassy's gro&szlig;e, schwarze
-Augen fiel, gewahrt' er, da&szlig; darin ein wilder, eigenth&uuml;mlicher
-Glanz leuchtete, ungleich ihrer gew&ouml;hnlichen, starren
-Verzweiflung.</p>
-
-<p>&raquo;Komm her, Vater Tom,&laquo; sagte sie, indem sie ihre
-kleine Hand auf sein Handgelenk legte, und ihn mit einer
-Kraft, als wenn die Hand von Stahl w&auml;re, fortzog;
-&raquo;komm her &mdash; ich habe Neuigkeiten f&uuml;r Euch.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was, Misse Cassy?&laquo; sagte Tom &auml;ngstlich.</p>
-
-<p>&raquo;Tom, m&ouml;chtest Du nicht gern Deine Freiheit
-haben?&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_234">[S. 234]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Ich werde sie haben, Misse, &raquo;zur Zeit Gottes,&laquo;&laquo;
-sagte Tom.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, aber Du kannst sie diese Nacht noch haben,&laquo; sagte
-Cassy mit einem Strahl pl&ouml;tzlichen Feuers. &raquo;Komme!&laquo;</p>
-
-<p>Tom z&ouml;gerte.</p>
-
-<p>&raquo;Komm'!&laquo; sagte sie fl&uuml;sternd, indem sie ihre schwarzen
-Augen auf ihn heftete. &raquo;Komm mit mir! Er schl&auml;ft
-&mdash; fest. Ich habe genug in seinen Brandwein gethan,
-um ihn so zu erhalten. Ich wollte, ich h&auml;tte mehr gehabt;
-dann h&auml;tte ich Dich nicht gebraucht. Aber komm,
-die Hinterth&uuml;r ist unverschlossen; dort ist eine Axt; ich
-habe sie dahingelegt &mdash; seine Stubenth&uuml;r ist offen, ich
-will Dir den Weg zeigen. Ich h&auml;tte es selbst gethan;
-aber meine Arme sind zu schwach. Komm! komm!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nicht f&uuml;r zehntausend Welten, Misse!&laquo; sagte Tom
-fest, indem er still stand und sie zur&uuml;ckhielt, als sie vorw&auml;rts
-dr&auml;ngte.</p>
-
-<p>&raquo;Aber denke doch an alle diese armen Gesch&ouml;pfe,&laquo;
-sagte Cassy. &raquo;Wir k&ouml;nnten sie alle in Freiheit setzen
-und irgendwo in die S&uuml;mpfe gehen und eine Insel finden
-und f&uuml;r uns leben; ich habe geh&ouml;rt, da&szlig; es schon geschehen
-ist. Jedes Leben ist besser als die&szlig;.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein!&laquo; sagte Tom fest. &raquo;Nein! Nie entsteht Gutes
-aus B&ouml;sem. Ich wollte mir lieber die rechte Hand abhacken!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Dann will <em class="gesperrt">ich</em> es thun,&laquo; sagte Cassy, indem sie
-sich umdrehte.</p>
-
-<p>&raquo;O, Misse Cassy!&laquo; sagte Tom, indem er sich vor sie
-niederwarf, &raquo;um des lieben Herrn willen, der f&uuml;r Euch
-gestorben ist, verkauft nicht so Eure kostbare Seele dem
-Teufel. Nichts als B&ouml;ses kommt davon. Der Herr hat
-uns nicht zu Zorn berufen. Wir m&uuml;ssen leiden und
-seine Zeit erwarten.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Erwarten!&laquo; sagte Cassy. &raquo;Habe ich nicht gewartet
-&mdash; gewartet, bis mein Kopf schwindelig und mein Herz
-krank geworden ist? Was hat er mich dulden lassen?
- <span class="pagenum"><a id="Page_235">[S. 235]</a></span>
-Was hat er Hunderte von armen Gesch&ouml;pfen leiden lassen?
-Pre&szlig;t er nicht das Lebensblut aus Euch? Ich bin berufen!
-Man ruft mich! Seine Zeit ist gekommen, und
-ich will sein Herzblut haben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein, nein, nein!&laquo; sagte Tom, indem er ihre
-kleinen H&auml;nde festhielt, die sie mit krampfhafter Gewalt
-geballt hatte. &raquo;Nein, arme, verlorne Seele, das d&uuml;rft
-Ihr nicht. Der liebe Herr vergo&szlig; kein anderes Blut,
-als sein eigenes, und das vergo&szlig; er f&uuml;r uns, als wir
-seine Feinde waren. Herr, hilf uns in Deine Fu&szlig;stapfen
-zu treten und unsere Feinde zu lieben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Lieben!&laquo; sagte Cassy mit einem grimmigen Blick,
-&raquo;<em class="gesperrt">solche</em> Feinde lieben! Fleisch und Blut kann das nicht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Fr&auml;ulein,&laquo; sagte Tom, indem er aufsah;
-&raquo;aber <em class="gesperrt">Er</em> gibt es uns, und das ist der <em class="gesperrt">Sieg</em>. Wenn
-wir lieben und beten k&ouml;nnen &uuml;ber Alles und durch Alles,
-so ist der Kampf vor&uuml;ber und der Sieg ist da &mdash; gepriesen
-sei Gott!&laquo; Und mit str&ouml;menden Augen und erstickender
-Stimme schaute der schwarze Mensch zum Himmel
-auf.</p>
-
-<p>Und dies, Afrika! &mdash; zuletzt berufen unter allen
-V&ouml;lkern, berufen zur Dornenkrone, zur Gei&szlig;el, dem
-blutigen Schwei&szlig;e, dem Kreuze des Todeskampfes &mdash;
-dies soll <em class="gesperrt">Dein</em> Sieg sein; dadurch sollst Du mit Christus
-herrschen, wenn sein K&ouml;nigreich kommen wird auf
-Erden.</p>
-
-<p>Die tiefe Gluth von Tom's Gef&uuml;hlen, seine sanfte
-Stimme, seine Thr&auml;nen fielen wie Thau auf den wilden,
-unst&auml;ten Geist der ungl&uuml;cklichen Frau. Ein sanfter Ausdruck
-sammelte sich um das d&uuml;stere Feuer ihres Auges;
-sie blickte nieder, und Tom konnte f&uuml;hlen, wie die Muskeln
-ihrer Hand nachlie&szlig;en, als sie sagte:</p>
-
-<p>&raquo;Habe ich Dir nicht gesagt, da&szlig; b&ouml;se Geister mich
-verfolgten? O, Vater Tom, ich kann nicht beten. Ich
-wollte, ich k&ouml;nnte. Ich habe nie gebetet, seitdem meine
-Kinder verkauft wurden! Was Du sagst, mu&szlig; wahr
- <span class="pagenum"><a id="Page_236">[S. 236]</a></span>
-sein &mdash; ich wei&szlig;, es mu&szlig;; aber wenn ich zu beten versuche,
-kann ich nur hassen und fluchen. Ich kann nicht
-beten!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Arme Seele!&laquo; sagte Tom mitleidig. &raquo;Satan
-m&ouml;chte Euch gerne haben und wie Waizen sieben. Ich
-bete f&uuml;r Euch zum Herrn. O, Mi&szlig; Cassy, wendet Euch
-zu dem lieben Herrn Jesus. Er ist gekommen, die zersto&szlig;enen
-Herzens sind, zu heilen und die Trauernden zu
-tr&ouml;sten.&laquo;</p>
-
-<p>Cassy stand still, w&auml;hrend gro&szlig;e, schwere Thr&auml;nen
-aus ihren niedergeschlagenen Augen tropften.</p>
-
-<p>&raquo;Misse Cassy,&laquo; sagte Tom mit z&ouml;gernder Stimme,
-nachdem er sie einen Augenblick stillschweigend mit den
-Blicken gemessen, &raquo;wenn Ihr nur von hier fortkommen
-k&ouml;nntet, wenn es nur m&ouml;glich w&auml;re &mdash; ich m&ouml;chte Euch
-und Emmeline rathen, es zu thun, das hei&szlig;t, wenn ihr
-ohne Blutschuld gehen k&ouml;nntet, nicht anders.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wolltest Du es mit uns versuchen, Vater Tom?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nein,&laquo; sagte Tom; &raquo;es gab eine Zeit, wo ich gewollt
-h&auml;tte; aber der Herr hat mir ein Werk aufgetragen
-unter diesen armen Seelen, und ich will mit ihnen
-stehen und mein Kreuz mit ihnen tragen bis zum Ende.
-Es ist etwas Anderes mit Euch: f&uuml;r Euch ist es eine
-Falle &mdash; es ist mehr, als Ihr tragen k&ouml;nnt; und Ihr
-solltet lieber gehen, wenn Ihr k&ouml;nnet.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich kenne keinen Weg, als durch das Grab,&laquo; sagte
-Cassy. &raquo;Es giebt kein Thier, keinen Vogel, der nicht
-irgendwo eine Heimath finden k&ouml;nnte, selbst die Schlangen
-und die Alligators haben ihre Orte, wo sie sich in
-Ruhe niederlegen k&ouml;nnen; aber wir haben keinen Ort.
-Unten in den dunkelsten S&uuml;mpfen werden uns ihre
-Hunde aufjagen. Alles und Alles ist gegen uns, selbst
-die Thiere nehmen Partei gegen uns, &mdash; und wohin
-sollen wir uns wenden?&laquo;</p>
-
-<p>Tom stand stille; endlich sagte er:</p>
-
-<p>&raquo;Er, der Daniel in der L&ouml;wengrube errettete &mdash;
- <span class="pagenum"><a id="Page_237">[S. 237]</a></span>
-der die Kinder im feurigen Ofen bewahrte &mdash; der auf
-der See wandelte und dem Winde Stille gebot &mdash; er
-lebt noch; und ich habe den Glauben an ihn, da&szlig; er
-Euch befreien kann. Versucht es, und ich will mit aller
-Kraft f&uuml;r Euch beten.&laquo;</p>
-
-<p>Nach welchem Gesetz des Geistes geschieht es, da&szlig;
-eine Idee, die lange unbeachtet gewesen ist, und wie
-ein unn&uuml;tzer Stein mit F&uuml;&szlig;en getreten worden ist,
-pl&ouml;tzlich in neuem Lichte aufflammt, wie ein neu entdeckter
-Edelstein!</p>
-
-<p>Cassy hatte oft stundenlang alle m&ouml;glichen und
-wahrscheinlichen Fluchtpl&auml;ne &uuml;berlegt und alle als hoffnungslos
-und unausf&uuml;hrbar bei Seite gelegt; aber in
-diesem Augenblick flog ein Plan durch ihre Seele, so
-einfach und leicht ausf&uuml;hrbar in allen seinen Einzelnheiten,
-um augenblickliche neue Hoffnung zu erwecken.</p>
-
-<p>&raquo;Vater Tom, ich will es versuchen!&laquo; sagte sie
-pl&ouml;tzlich.</p>
-
-<p class="pmb3">&raquo;Amen!&laquo; sagte Tom. &raquo;Der Herr helfe Euch!&laquo;</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Neununddreissigstes_Kapitel">Neununddrei&szlig;igstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Der Kunstgriff.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i6">Der Gottlosen Weg ist dunkel, und sie wissen<br /></span>
-<span class="i6">nicht, wo sie fallen werden<br /></span>
-</div></div>
-
-
-<p>Der Boden des Hauses, welches Legree bewohnte,
-war, wie die meisten anderen B&ouml;den, ein gro&szlig;er, &ouml;der
-Platz, staubig, mit Spinneweben behangen und mit verbrauchtem
- <span class="pagenum"><a id="Page_238">[S. 238]</a></span>
-Ger&ouml;lle &uuml;berstreut. Die reiche Familie, welche
-das Haus in den Tagen seines Glanzes bewohnte, hatte
-viel gl&auml;nzendes Hausger&auml;th hineingebracht, wovon sie
-einen Theil mit sich weggenommen hatte, w&auml;hrend ein
-anderer verlassen in modernden, unbewohnten Zimmern
-stehen geblieben, oder an diesen Ort aufgeh&auml;uft worden
-war. Ein oder zwei sehr gro&szlig;e Kisten, in denen dies
-Ger&auml;th gebracht worden war, standen an den Seiten
-des Bodens. Es befand sich dort ein kleines Fenster,
-welches durch seine schmutzigen, staubigen Scheiben ein
-d&uuml;rftiges, ungewisses Licht auf die hohen St&uuml;hle und
-staubigen Tische fallen lie&szlig;, die einst bessere Tage gesehn
-hatten. Im Ganzen war es ein gespenstiger, unheimlicher
-Ort; aber so geisterhaft er war, fehlte es ihm
-doch nicht an Sagen unter den abergl&auml;ubischen Negern,
-seine Schrecknisse zu erh&ouml;hen. Wenige Jahre vorher, war
-eine Negerin, welche Legrees Mi&szlig;vergn&uuml;gen erregt hatte,
-mehrere Wochen lang dort eingeschlossen worden. Wir
-sagen nicht, was dort geschah; die Neger pflegten es
-sich einander zuzufl&uuml;stern; aber es war bekannt, da&szlig; der
-Leichnam des ungl&uuml;cklichen Gesch&ouml;pfes eines Tages von
-dort heruntergebracht und beerdigt wurde; und darauf
-hie&szlig; es, da&szlig; Verw&uuml;nschungen und Fl&uuml;che und der Schall
-heftiger Schl&auml;ge, vermischt mit Klagen und St&ouml;hnen der
-Verzweiflung durch die alte Bodenkammer zu schallen
-pflegten. Als einst Legree zuf&auml;llig etwas der Art h&ouml;rte,
-gerieth er in heftige Leidenschaft, und schwor, da&szlig; der
-N&auml;chste, welcher Geschichten von dieser Bodenkammer erz&auml;hle,
-Gelegenheit haben solle, zu erfahren, was darin
-vorg&auml;nge, denn er wolle ihn eine Woche lang dort in
-Ketten legen. Dieser Wink reichte hin, um alles weitere
-Gespr&auml;ch dar&uuml;ber zu unterdr&uuml;cken, obgleich er nat&uuml;rlich
-den Glauben an die Wahrheit der Geschichte nicht verminderte.</p>
-
-<p>Allm&auml;hlig wurde die Treppe, welche zu der Oberstube
- <span class="pagenum"><a id="Page_239">[S. 239]</a></span>
-f&uuml;hrte, und selbst der Gang zu jener Treppe, von
-jedermann im Hause gemieden, da jeder davon zu sprechen
-f&uuml;rchtete, und die Sage kam allm&auml;lig in Vergessenheit.
-Pl&ouml;tzlich war es Cassy eingefallen, von der abergl&auml;ubischen
-Erregbarkeit, welche bei Legree so stark war, zum
-Zwecke ihrer Befreiung und der ihrer Mitdulder Gebrauch
-zu machen.</p>
-
-<p>Cassy's Schlafzimmer war gerade unter dem Boden.
-Eines Tages begann sie pl&ouml;tzlich, ohne Legree dabei zu
-Rathe zu ziehen, mit bedeutendem Aufsehen alles Ger&auml;th
-und Zubeh&ouml;r ihres Zimmers nach einem andern in betr&auml;chtlicher
-Entfernung davon schaffen zu lassen. Die
-Unterbedienten, welche Auftrag erhalten hatten, diesen
-Umzug zu bewerkstelligen, rannten und l&auml;rmten umher
-mit gro&szlig;em Eifer und viel Verwirrung, als Legree gerade
-von einem Ritte zur&uuml;ckkam.</p>
-
-<p>&raquo;Hallo! Cass'!&laquo; sagte Legree, &raquo;was ist hier im
-Werke?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nichts; ich bin nur gesonnen, ein anderes Zimmer
-zu haben,&laquo; sagte Cassy m&uuml;rrisch.</p>
-
-<p>&raquo;Und warum denn das?&laquo; sagte Legree.</p>
-
-<p>&raquo;Weil mir's beliebt,&laquo; sagte Cassy.</p>
-
-<p>&raquo;Und we&szlig;halb denn, zum Teufel?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich m&ouml;chte gern zuweilen ein Bischen Schlaf
-haben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Schlaf! gut, warum kannst Du denn nicht schlafen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich glaube, ich kann es Euch sagen, wenn Ihr es
-h&ouml;ren wollt,&laquo; sagte Cassy trocken.</p>
-
-<p>&raquo;Heraus damit, Mensch!&laquo; sagte Legree.</p>
-
-<p>&raquo;O! Nichts. Es wird Euch vermutlich nicht st&ouml;ren.
-Nichts als St&ouml;hnen und Balgen und Umherrollen
-auf dem Boden die halbe Nacht hindurch, von Zw&ouml;lf
-bis zum Morgen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Leute auf dem Boden?&laquo; sagte Legree mit Unbehagen,
- <span class="pagenum"><a id="Page_240">[S. 240]</a></span>
-sich jedoch zum Lachen zwingend. &raquo;Wer ist es,
-Cassy?&laquo;</p>
-
-<p>Cassy schlug ihre scharfen, schwarzen Augen auf und
-sah Legree mit einem Ausdrucke in's Gesicht, der ihm
-durch Mark und Bein ging, als sie sagte: &raquo;Wahrhaftig,
-Simon, wer es ist? Ich wollte gern, da&szlig; <em class="gesperrt">Ihr</em> es mir
-sagtet. Ihr wi&szlig;t 's vermuthlich nicht!&laquo;</p>
-
-<p>Legree schlug fluchend mit der Reitpeitsche nach ihr,
-aber sie schl&uuml;pfte auf die Seite, eilte zur Th&uuml;re hinaus
-und sagte, indem sie zur&uuml;ckschaute: &raquo;Wenn Ihr in jenem
-Zimmer schlafen wollt, erfahrt Ihr Alles. Vielleicht
-versucht Ihr 's lieber selbst!&laquo; Und dann machte sie sogleich
-die Th&uuml;r zu und verschlo&szlig; dieselbe.</p>
-
-<p>Legree tobte und fluchte, und drohte die Th&uuml;r einzuschlagen,
-besann sich aber sichtlich eines Bessern und
-ging unruhig in sein Wohnzimmer. Cassy bemerkte, da&szlig;
-der Pfeil den rechten Fleck getroffen hatte, und von jener
-Stunde an h&ouml;rte sie mit der ausgezeichnetsten Geschicklichkeit
-nie mehr auf, die Einwirkungen, welche sie begonnen,
-fortzusetzen.</p>
-
-<p>In einem Astloche auf dem Boden hatte sie einen
-alten Flaschenhals so angebracht, da&szlig; wenn der geringste
-Wind war, jammervolle und traurige Klaget&ouml;ne daraus
-hervorgingen, welche bei einem starken Winde zu v&ouml;lligen
-Schreien anwuchsen, so da&szlig; es leichtgl&auml;ubigen und in
-Aberglauben befangenen Ohren leicht scheinen konnte,
-als wenn sie Schreckens- und Verzweiflungs-Laute
-h&ouml;rten.</p>
-
-<p>Jene T&ouml;ne, welche die Dienerschaft von Zeit zu
-Zeit h&ouml;rte, erweckten die Erinnerung an die alte Gespenstergeschichte
-in voller Kraft. Eine abergl&auml;ubische Furcht
-schien das ganze Haus zu beschleichen, und obgleich sie
-Niemand gegen Legree &auml;u&szlig;ern durfte, fand er sich doch
-davon wie von einem Dunstkreise umgeben.</p>
-
-<p>Niemand ist so durchaus abergl&auml;ubisch, als der
-Gottlose. Der Christ ist gesammelt im Glauben an einen
- <span class="pagenum"><a id="Page_241">[S. 241]</a></span>
-weisen, Alles beherrschenden Vater, dessen Gegenwart
-die unbekannten R&auml;ume mit Licht und Ordnung
-erf&uuml;llt; aber einem Menschen, welcher Gott verl&auml;ugnet,
-ist das Geisterland in der That, mit den Worten des
-hebr&auml;ischen Dichters zu reden, &raquo;ein Land der Dunkelheit
-und der Schatten des Todes,&laquo; ohne jede Ordnung und
-ohne Licht. Leben und Tod sind f&uuml;r ihn gespenstige
-Gebiete, angef&uuml;llt mit Koboldgestalten und drohenden
-Schatten.</p>
-
-<p>Bei Legree waren die schlummernden moralischen
-Elemente durch sein Zusammentreffen mit Tom geweckt
-worden &mdash; geweckt, nur um Widerstand an der entschlossenen
-Kraft des B&ouml;sen zu finden; aber dennoch lag
-eine Mahnung an die finstere, innere Welt in jedem
-Worte, jedem Gebete oder Liede, und rief abergl&auml;ubische
-Furcht hervor.</p>
-
-<p>Der Einflu&szlig; Cassy's auf ihn war eigenth&uuml;mlicher Art.
-Sie war sein Eigenthum und er ihr Tyrann und Qu&auml;ler.
-Sie war, wie sie wu&szlig;te, ganz und ohne jede M&ouml;glichkeit
-von H&uuml;lfe oder Rettung in seinen H&auml;nden, und doch ist
-es so, da&szlig; selbst der roheste Mann nicht in best&auml;ndigem
-Verkehr mit einem starken, weiblichen Einflusse leben
-kann, ohne in hohem Grade davon beherrscht zu werden.
-Als er sie kaufte, war sie, wie wir sie haben sagen h&ouml;ren,
-ein wohlerzogenes Frauenzimmer, und er zermalmte
-sie, ohne Gewissensbisse, unter seinen thierischen F&uuml;&szlig;en.
-Als aber die Zeit, erniedrigende Einfl&uuml;sse und Verzweiflung
-das weibliche Gef&uuml;hl in ihr abgestumpft, und die
-Gluthen wilder Leidenschaften in ihr erwacht waren, war
-sie seine Geliebte geworden und er qu&auml;lte und f&uuml;rchtete
-sie wechselsweise.</p>
-
-<p>Dieser Einflu&szlig; war plagender und entschiedener geworden,
-seit theilweiser Wahnsinn allen ihren Worten
-und ihrer ganzen Sprache einen fremden, spukhaften und
-unst&auml;ten Anstrich gegeben hatte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_242">[S. 242]</a></span></p>
-
-<p>Ein oder zwei Abende sp&auml;ter sa&szlig; Legree in dem
-alten Wohnzimmer bei einem flackernden Holzfeuer, das
-einen ungewissen Schein im Zimmer umher warf. Es
-war eine st&uuml;rmische Regennacht, eine solche, die ganze
-Schaaren unbeschreibbarer T&ouml;ne und Laute in bauf&auml;lligen
-alten H&auml;usern erweckt. Fenster rasselten, Laden schlugen
-auf und zu, der Wind l&auml;rmte, und fuhr den Schornstein
-herab, und peitschte dann und wann Rauch und Asche
-umher, als wenn eine Legion Geister hinter ihm k&auml;me.
-Legree hatte ein Paar Stunden lang Rechnungen gepr&uuml;ft
-und Zeitungen gelesen, w&auml;hrend Cassy in der Ecke sa&szlig;
-und m&uuml;rrisch in das Feuer sah. Legree legte die Papiere
-hin und da er ein altes Buch auf dem Tische liegen sah,
-welches er Cassy im ersten Theile des Abends hatte lesen
-sehen, nahm er es auf und begann darin zu bl&auml;ttern. Es war
-eine jener Sammlungen von Geschichten blutiger Morde,
-Gespenstern und &uuml;bernat&uuml;rlichen Erscheinungen, welche
-in ihrem rohen Gewande und mit Kupfern verziert,
-einen eigenth&uuml;mlichen Reiz f&uuml;r den haben, der sie einmal
-zu lesen anf&auml;ngt.</p>
-
-<p>Legree sagte wiederholt: Pah! und Pfui! las aber
-zu, indem er Blatt auf Blatt umkehrte, bis er endlich,
-nachdem er eine gute Strecke hineingelesen, das Buch mit
-einem Fluche wegwarf.</p>
-
-<p>&raquo;Du glaubst nicht an Geister, Cassy, nicht wahr?&laquo;
-sagte er, indem er die Zange nahm und das Feuer sch&uuml;rte.
-&raquo;Ich dachte, Du h&auml;ttest mehr Verstand, als Dich von
-solchem L&auml;rm in Furcht jagen zu lassen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es kommt nichts darauf an, was ich glaube,&laquo; sagte
-Cassy m&uuml;rrisch.</p>
-
-<p>&raquo;Auf der See pflegten die Kerle zu versuchen, mir
-mit ihren Geschichten bange zu machen,&laquo; sagte Legree.
-&raquo;Mich &uuml;bert&ouml;lpelt Keiner auf die Art. Ich bin zu fest
-f&uuml;r dergleichen Plunder, das kann ich Dir sagen.&laquo;</p>
-
-<p>Cassy sa&szlig; im Schatten der Ecke und schaute ihn mit
-durchdringenden Blicken an. Es war jenes seltsame
- <span class="pagenum"><a id="Page_243">[S. 243]</a></span>
-Licht in ihren Augen, das auf Legree immer einen unheimlichen
-Eindruck machte.</p>
-
-<p>&raquo;Der L&auml;rm war nichts als Ratten und Wind,&laquo;
-sagte Legree. &raquo;Ratten machen einen Teufelsl&auml;rm. Ich
-habe sie zuweilen unten im Schiffsraume geh&ouml;rt; und
-Wind &mdash; um Gottes Willen! man kann Alles aus Wind
-machen.&laquo;</p>
-
-<p>Cassy wu&szlig;te, da&szlig; es Legree unter ihrem Blicke nicht
-wohl war, und sie antwortete de&szlig;halb nicht, sondern fuhr
-fort, den Blick auf ihn zu heften mit demselben seltsamen,
-unheimlichen Ausdruck wie vorher.</p>
-
-<p>&raquo;Sprich doch, Weib &mdash; nicht wahr?&laquo; sagte Legree.</p>
-
-<p>&raquo;K&ouml;nnen Ratten die Treppe heruntergehen, durch die
-Halle kommen und die Th&uuml;r aufmachen, wenn man sie
-zugeschlossen und einen Stuhl davor gesetzt hat?&laquo; sagte
-Cassy; &raquo;und gerade auf das Bett kommen, und ihre
-Hand ausstrecken, so?&laquo;</p>
-
-<p>Cassy heftete ihr blitzendes Auge auf Legree, als sie
-so sprach, und er starrte sie an, wie ein Mensch unter
-Alpdr&uuml;cken, bis er, als sie damit endete, da&szlig; sie ihre
-eiskalte Hand auf die seine legte, mit einem Fluche zur&uuml;cksprang.</p>
-
-<p>&raquo;Weib! Was willst Du? Es war Niemand!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, nein &mdash; nat&uuml;rlich &mdash; sagte ich, es war Jemand?&laquo;
-sagte Cassy mit einem L&auml;cheln kalten Hohnes.</p>
-
-<p>&raquo;Aber &mdash; hast Du wirklich gesehen? Komm', Cass',
-was ist es? Sprich!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ihr k&ouml;nnt selbst da schlafen,&laquo; sagte Cassy, &raquo;wenn
-Ihr es wollt.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Kam es vom Boden herunter, Cassy?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es &mdash; was?&laquo; sagte Cassy.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, wovon Du sprachst.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe Euch Nichts gesagt,&laquo; sagte Cassy mit
-finsterem Tone.</p>
-
-<p>Legree schritt unruhig im Zimmer auf und ab.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_244">[S. 244]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Ich will das heraushaben. Ich will diesen Abend
-noch untersuchen. Ich nehme meine Pistolen &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das thut,&laquo; sagte Cassy; &raquo;schlaft in dem Zimmer.
-Ich wollte, Ihr th&auml;tet es. Schie&szlig;t mit den Pistolen &mdash;
-thut's!&laquo;</p>
-
-<p>Legree stampfte mit dem Fu&szlig;e und fluchte gewaltig.</p>
-
-<p>&raquo;Flucht nicht,&laquo; sagte Cassy; &raquo;Niemand wei&szlig;, wer
-Euch h&ouml;ren kann. Horcht! Was war das?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was?&laquo; sagte Legree zur&uuml;ckfahrend.</p>
-
-<p>Eine schwerf&auml;llige, alte, holl&auml;ndische Uhr, welche in
-einem Winkel der Stube stand, hob an und schlug langsam
-Zw&ouml;lf.</p>
-
-<p>Aus einem oder dem andern Grunde sprach Legree
-weder, noch bewegte er sich; ein unbestimmtes Grauen
-befiel ihn; w&auml;hrend Cassy, mit einem scharfen, sp&ouml;ttischen
-Glanze im Auge, ihn ansah und die Schl&auml;ge z&auml;hlte.</p>
-
-<p>&raquo;Zw&ouml;lf Uhr; gut, <em class="gesperrt">nun</em> wollen wir sehen,&laquo; sagte
-sie, indem sie sich umdrehte und die Th&uuml;r nach dem
-Gange &ouml;ffnete, wie um zu lauschen.</p>
-
-<p>&raquo;Horcht! Was ist das?&laquo; sagte sie, indem sie den
-Finger aufhob.</p>
-
-<p>&raquo;Es ist blo&szlig; der Wind,&laquo; sagte Legree. &raquo;H&ouml;rst Du
-nicht, wie verdammt er bl&auml;st.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Simon, kommt her,&laquo; sagte Cassy fl&uuml;sternd, indem
-sie ihre Hand auf die Seinige legte und ihn an den
-Fu&szlig; der Treppe f&uuml;hrte; &raquo;wi&szlig;t Ihr, was das ist? Horcht!&laquo;</p>
-
-<p>Ein wilder Schrei schallte die Treppe herunter. Er
-kam aus dem Boden. Legree's Beine schlotterten; sein
-Gesicht wurde wei&szlig; vor Furcht.</p>
-
-<p>&raquo;Wollt Ihr nicht lieber Eure Pistolen zur Hand
-nehmen?&laquo; sagte Cassy mit einem Hohn, der Legree's
-Blut erstarren lie&szlig;. &raquo;Jetzt ist's Zeit, es zu untersuchen.
-Ich d&auml;chte, Ihr ginget jetzt hinauf; <em class="gesperrt">jetzt sind sie
-dran!</em>&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich gehe nicht!&laquo; sagte Legree mit einem Fluche.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_245">[S. 245]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Warum nicht? So etwas wie Geister gibt es
-nicht, wisset Ihr! Vorw&auml;rts!&laquo; und Cassy schl&uuml;pfte die
-Wendeltreppe hinauf, lachend nach ihm zur&uuml;ckblickend.
-&raquo;Kommt doch!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich glaube, Du bist der Teufel!&laquo; sagte Legree.
-&raquo;Komm zur&uuml;ck, Hexe &mdash; komm zur&uuml;ck, Cass'! Du sollst
-nicht gehen.&laquo;</p>
-
-<p>Aber Cassy lachte wild und flog weiter. Er h&ouml;rte
-sie die Th&uuml;r &ouml;ffnen, welche zum Boden f&uuml;hrte. Ein
-heftiger Windsto&szlig; fegte herunter und l&ouml;schte das Licht
-aus, welches er in der Hand hielt, und dabei h&ouml;rte er
-furchtbares, gr&auml;&szlig;liches Geschrei, was gerade in sein Ohr
-hinein zu kreischen schien.</p>
-
-<p>Legree floh au&szlig;er sich in das Wohnzimmer, wohin
-ihm in Kurzem Cassy folgte, bla&szlig;, ruhig, kalt wie ein
-Rachegeist und mit demselben furchtbaren Feuer im Auge.</p>
-
-<p>&raquo;Ihr seid hoffentlich befriedigt,&laquo; sagte sie.</p>
-
-<p>&raquo;Hol' Dich der Teufel, Cass'!&laquo; sagte Legree.</p>
-
-<p>&raquo;Warum?&laquo; sagte Cassy. &raquo;Ich ging blo&szlig; hinauf
-und schlo&szlig; die Th&uuml;r zu. Was denkt Ihr, <em class="gesperrt">da&szlig; das zu
-bedeuten hat auf der Bodenkammer</em>, Simon?&laquo;
-sagte sie.</p>
-
-<p>&raquo;Das geht Euch nichts an!&laquo; sagte Legree.</p>
-
-<p>&raquo;Nicht? Nun,&laquo; sagte Cassy, &raquo;ich bin jedenfalls
-froh, da&szlig; ich nicht darunter schlafe.&laquo;</p>
-
-<p>Cassy, die vorhergesehen hatte, da&szlig; sich diesen Abend
-ein Sturm erheben werde, war oben gewesen und hatte
-das Bodenfenster ge&ouml;ffnet. Nat&uuml;rlich hatte im Augenblick,
-als die Th&uuml;r aufgemacht wurde, der Wind nach
-unten hin Zug verursacht und das Licht ausgel&ouml;scht.</p>
-
-<p>Dies kann als Probe des Spiels dienen, welches
-Cassy mit Legree trieb, bis er eher seinen Kopf in des
-L&ouml;wen Rachen gesteckt, als die Bodenkammer untersucht
-h&auml;tte.</p>
-
-<p>Inzwischen hatte Cassy bei Nacht, wenn Alles schlief,
-langsam und sorgf&auml;ltig daselbst eine Niederlage von
- <span class="pagenum"><a id="Page_246">[S. 246]</a></span>
-Lebensmitteln angelegt, die hinreichend war, um eine
-Zeit lang Nahrung zu gew&auml;hren, und sie brachte einen
-gro&szlig;en Theil ihrer und Emmelinens Kleidung st&uuml;ckweise
-dahin. Als Alles angeordnet war, wartete sie nur auf
-eine passende Gelegenheit, ihren Plan in Ausf&uuml;hrung zu
-bringen.</p>
-
-<p>Indem Cassy Legree schmeichelte und einzelne gutm&uuml;thige
-Momente benutzte, hatte sie denselben bewogen,
-sie mit sich zur benachbarten Stadt zu nehmen, welche
-dicht am &raquo;Red River&laquo; lag. Mit einem zu fast &uuml;bernat&uuml;rlicher
-Helle gesch&auml;rften Ged&auml;chtnisse merkte sie jede
-Wendung des Weges und berechnete im Geiste die Zeit,
-welche erforderlich sei, denselben zur&uuml;ckzulegen.</p>
-
-<p>Da jetzt Alles zum Handeln reif ist, so schauen
-unsere Leser vielleicht gern hinter den Vorhang, um den
-endlichen <span class="antiqua">coup d'&eacute;tat</span> selbst mit anzusehen.</p>
-
-<p>Es war gegen Abend. Legree war auf ein benachbartes
-Gut geritten. Mehrere Tage war Cassy ungew&ouml;hnlich
-gn&auml;diger und gef&auml;lliger Laune gewesen; und
-Legree war scheinbar auf dem besten Fu&szlig;e mit ihr. Jetzt
-sehen wir sie und Emmeline in dem Zimmer der Letzteren
-emsig besch&auml;ftigt, zwei B&uuml;ndelchen zu schn&uuml;ren.</p>
-
-<p>&raquo;Da, die werden gro&szlig; genug sein,&laquo; sagte Cassy.
-&raquo;Nun setz Deinen Hut auf und la&szlig; uns fort: 's ist
-gerade die rechte Zeit.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber, sie k&ouml;nnen uns noch sehen,&laquo; sagte Emmeline.</p>
-
-<p>&raquo;Das sollen sie gerade,&laquo; sagte Cassy kaltbl&uuml;tig.
-&raquo;Wei&szlig;t Du nicht, da&szlig; sie auf jeden Fall Jagd auf uns
-machen m&uuml;ssen? Die Sache mu&szlig; folgenderma&szlig;en gehen.
-Wir stehlen uns aus der Hinterth&uuml;r und laufen nach den
-H&uuml;tten hinunter. Sambo und Quimbo sehen uns gewi&szlig;.
-Sie machen Jagd und wir machen uns in die
-S&uuml;mpfe; dann k&ouml;nnen sie uns nicht weiter folgen, bis
-sie hinaufgehen und L&auml;rm machen, und die Hunde loslassen
-und so weiter; und w&auml;hrend sie umherstolpern und
-&uuml;ber einander fallen, wie sie es immer machen, schleichen
- <span class="pagenum"><a id="Page_247">[S. 247]</a></span>
-wir den Bach entlang, der hinter dem Hause flie&szlig;t, und
-waten darin fort, bis wir an die Hinterth&uuml;r kommen.
-Die Hunde verlieren dadurch die Spur, denn das Wasser
-h&auml;lt keine Witterung. Alle werden zum Hause hinaus
-laufen, um nach uns zu sehen, und dann schl&uuml;pfen wir
-zur Hinterth&uuml;r hinein und hinauf in die Bodenkammer,
-wo ich ein h&uuml;bsches Bett in einer von den gro&szlig;en Kisten
-zurecht gemacht habe. Wir m&uuml;ssen dort eine gute Weile
-bleiben; denn ich sage Dir, er wird Himmel und Erde
-nach uns aufbieten. Er wird einige alte Aufseher an
-den andern Pflanzungen zusammenbringen und eine gro&szlig;e
-Hetze halten; und sie werden jedes Fleckchen in dem
-Sumpfe durchsuchen. Er setzt seinen Stolz darein, da&szlig;
-ihm nie Einer hat entkommen k&ouml;nnen. So la&szlig; ihn denn
-nach Belieben jagen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Cassy, wie gut Ihr das angelegt habt!&laquo; sagte
-Emmeline. &raquo;Niemand als Ihr h&auml;tte das ausgedacht!&laquo;</p>
-
-<p>Es lag weder Vergn&uuml;gen, noch Frohlocken in
-Cassy's Augen &mdash; nur eine verzweifelte Festigkeit.</p>
-
-<p>&raquo;Komm',&laquo; sagte sie, Emmeline die Hand gebend.</p>
-
-<p>Die beiden Fl&uuml;chtlinge schlichen ger&auml;uschlos aus dem
-Hause, und eilten durch die zunehmenden Schatten des
-Abends an den H&uuml;tten entlang. Der Mond, der wie
-eine silberne Sichel am westlichen Himmel stand, verschob
-ein wenig das Herannahen der Nacht. Wie Cassy erwartet
-hatte, h&ouml;rten sie, als sie den S&uuml;mpfen ganz nahe
-waren, welche die Pflanzung einschlossen, eine Stimme
-ihnen Halt! zurufen. Es war inde&szlig; nicht Sambo, sondern
-Legree, der sie mit heftigen Verw&uuml;nschungen verfolgte.
-Bei dem Tone brach der schw&auml;chere Geist Emmelinens
-zusammen: und indem sie sich an Cassy's Arm
-hielt, sagte sie: &raquo;O, Cassy, ich werde ohnm&auml;chtig!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Geschieht das, so t&ouml;dte ich Dich!&laquo; sagte Cassy,
-indem sie einen kleinen schimmernden Dolch zog, und
-vor den Augen des M&auml;dchens blitzen lie&szlig;.</p>
-
-<p>Die Drohung entsprach dem Zwecke. Emmeline
- <span class="pagenum"><a id="Page_248">[S. 248]</a></span>
-wurde nicht ohnm&auml;chtig, und es gelang ihr, sich mit
-Cassy in einen Theil des Sumpflabyrinths zu st&uuml;rzen,
-welches so tief und dunkel war, da&szlig; Legree an ein Verfolgen
-derselben ohne H&uuml;lfe nicht denken konnte.</p>
-
-<p>&raquo;Gut,&laquo; sagte er, indem er ein viehisches Gel&auml;chter
-aufschlug, &raquo;nun sind sie in der Falle &mdash; das Pack. Sie
-sind jetzt sicher genug; sollen mir daf&uuml;r schwitzen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Holla, da! Sambo! Quimbo! Kommt Alle her!&laquo;
-rief er, die Quartiere erreichend, als die Leute gerade
-von der Arbeit kamen. &raquo;Da sind zwei Ausrei&szlig;er in den
-S&uuml;mpfen. Ich gebe dem Nigger, der sie f&auml;ngt, f&uuml;nf
-Dollar. La&szlig;t die Hunde los. La&szlig;t Tiger, Furie und
-alle andern los!&laquo;</p>
-
-<p>Diese Nachricht brachte sogleich gro&szlig;e Aufregung
-hervor. Viele sprangen eifrig herbei, um ihre Dienste
-anzubieten, entweder in der Hoffnung einer Belohnung
-oder aus jener kriechenden Bereitwilligkeit, welche eine
-der kl&auml;glichsten Wirkungen der Sklaverei ist. Einige
-rannten dahin, Andere dorthin. Einige suchten nach
-Kienfackeln; Andere lie&szlig;en die Hunde los, deren heiseres,
-wildes Gebell nicht wenig zur Belebung der Scene
-beitrug.</p>
-
-<p>&raquo;Herr, sollen wir auf sie schie&szlig;en, wenn wir sie nicht
-fangen k&ouml;nnen?&laquo; sagte Sambo, dem sein Herr eine
-B&uuml;chse gebracht hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Du kannst auf Cassy feuern, wenn Du willst; es
-ist Zeit, da&szlig; sie zum Teufel geht, wohin sie geh&ouml;rt;
-aber nicht auf die Dirne,&laquo; sagte Legree. &raquo;Und nun,
-Jungen, seid hurtig und flink. F&uuml;nf Dollar f&uuml;r den,
-der sie f&auml;ngt, und ein Glas Brandwein Jedem von
-Euch!&laquo;</p>
-
-<p>Die ganze Bande begab sich nun, unter leuchtendem
-Fackelschein, mit Geschrei und Gebr&uuml;ll, und wildem Get&ouml;se
-von Menschen und Thieren, hinab zum Sumpfe,
-w&auml;hrend in einiger Entfernung alle &uuml;brigen Sklaven
-folgten. Das ganze Haus war folglich verlassen, als
- <span class="pagenum"><a id="Page_249">[S. 249]</a></span>
-Cassy und Emmeline auf dem hintern Wege wieder
-hineinschl&uuml;pften. Das Schreien und Rufen ihrer Verfolger
-erf&uuml;llte noch die Luft: und Cassy und Emmeline
-konnten von den Fenstern des Wohnzimmers aus den
-Trupp sehen, wie er sich mit den Fackeln am Sumpfe
-vertheilte.</p>
-
-<p>&raquo;Sieh da!&laquo; sagte Emmeline, indem sie Cassy drauf
-aufmerksam machte: &raquo;die Jagd hat angefangen! Sieh, wie
-diese Lichter umhertanzen! Horch! die Hunde! H&ouml;rst Du
-nicht? W&auml;ren wir dort, so w&auml;re unser Spiel keinen
-Picayune werth. O, um Gottes Willen, wir wollen
-uns verstecken. Schnell!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Es hat keine Eile,&laquo; sagte Cassy kalt, &raquo;Alles ist
-auf der Jagd &mdash; das ist das Abendvergn&uuml;gen! Wir
-gehen bald hinauf. Indessen,&laquo; sagte sie, indem sie bed&auml;chtig
-einen Schl&uuml;ssel aus der Tasche eines Rockes
-nahm, den Legree in der Eile abgeworfen hatte, &raquo;inzwischen
-will ich etwas nehmen, um die Reisekosten zu
-decken.&laquo;</p>
-
-<p>Sie schlo&szlig; das Pult auf und nahm eine Rolle Anweisungen
-heraus, welche sie schnell &uuml;berz&auml;hlte.</p>
-
-<p>&raquo;O, la&szlig;t uns das nicht thun!&laquo; sagte Emmeline.</p>
-
-<p>&raquo;Nicht?&laquo; sagte Cassy, &raquo;warum nicht? Sollen wir
-in den S&uuml;mpfen verhungern, oder das nehmen, was
-unsere Reise in die freien Staaten bezahlen wird. Mit
-Geld richtet man Alles aus, M&auml;dchen.&laquo; Und indem sie
-dies sagte, steckte sie das Geld in den Busen.</p>
-
-<p>&raquo;Das ist Stehlen,&laquo; fl&uuml;sterte Emmeline &auml;ngstlich.</p>
-
-<p>&raquo;Stehlen!&laquo; sagte Cassy mit ver&auml;chtlichem Gel&auml;chter.
-&raquo;Wer Leib und Seele stiehlt, braucht uns keine guten
-Lehren zu geben. Jede dieser Anweisungen ist gestohlen
-&mdash; gestohlen von armen, verhungerten, elenden Gesch&ouml;pfen,
-die zuletzt zu seinem Besten zum Teufel gehen
-m&uuml;ssen. La&szlig; <em class="gesperrt">ihn</em> vom Stehlen sprechen! Aber komm',
-wir k&ouml;nnen nun ebenso gut auf die Bodenkammer gehen;
-ich habe da einen Vorrath von Lichtern und einige
- <span class="pagenum"><a id="Page_250">[S. 250]</a></span>
-B&uuml;cher, um uns die Zeit zu vertreiben. Du kannst ganz
-ruhig sein, da&szlig; sie <em class="gesperrt">dahin</em> nicht kommen, um uns zu
-suchen; und wenn sie's thun, so will ich ihnen den Geist
-spielen.&laquo;</p>
-
-<p>Als Emmeline die Bodenkammer erreichte, fand sie
-daselbst eine ungeheure Kiste, in der fr&uuml;her irgend ein
-schweres M&ouml;belst&uuml;ck hierher gebracht worden war, auf
-die Seite gelegt, so da&szlig; die Oeffnung gegen die Wand
-oder vielmehr das Dach gekehrt war. Cassy steckte eine
-kleine Lampe an, und beide krochen unter dem Dache
-herum und lie&szlig;en sich in der Kiste nieder. Es befanden
-sich darin ein Paar kleine Matratzen und einige Kissen,
-und ein in der N&auml;he stehender Kasten enthielt einen reichlichen
-Vorrath von Lichtern, Lebensmitteln und allen zu
-ihrer Reise n&ouml;thigen Kleidungsst&uuml;cken, welche Cassy in
-B&uuml;ndelchen von erstaunlich kleinem Umfange gepackt
-hatte.</p>
-
-<p>&raquo;Da,&laquo; sagte Cassy, als sie die Lampe an einen
-kleinen Haken hing, welchen sie zu dem Zwecke in die
-Seite der Kiste getrieben hatte; &raquo;dies soll f&uuml;r jetzt unsere
-Heimath sein. Wie gef&auml;llt sie Dir?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Seid Ihr gewi&szlig;, da&szlig; sie nicht kommen und die
-Dachstube durchsuchen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich m&ouml;chte Simon Legree das thun sehen,&laquo; sagte
-Cassy. &raquo;Nein, wahrhaftig; er ist zu froh, da&szlig; er wegbleiben
-kann. Was die Dienstboten anbetrifft, so w&uuml;rde
-Jeder von ihnen sich lieber todt schie&szlig;en lassen, als sich
-hier zeigen.&laquo;</p>
-
-<p>Etwas beruhigt lie&szlig; sich Emmeline auf ihre Kissen
-nieder.</p>
-
-<p>&raquo;Was wolltet Ihr damit sagen, Cassy, da&szlig; Ihr
-mich umzubringen drohtet?&laquo; sagte sie arglos.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wollte Dich verhindern, ohnm&auml;chtig zu werden,&laquo;
-sagte Cassy, &raquo;und es gelang mir. Und jetzt sage
-ich Dir, Emmeline, Du mu&szlig;t Dich entschlie&szlig;en, <em class="gesperrt">nicht</em>
-ohnm&auml;chtig zu werden, komme, was da wolle; das ist
- <span class="pagenum"><a id="Page_251">[S. 251]</a></span>
-ganz und gar nicht n&ouml;thig. Wenn ich Dich nicht davon
-abgehalten h&auml;tte, so w&auml;rst Du jetzt schon in den H&auml;nden
-jenes Elenden.&laquo;</p>
-
-<p>Emmeline schauderte.</p>
-
-<p>Beide schwiegen. Cassy besch&auml;ftigte sich mit einem
-franz&ouml;sischen Buche, und Emmeline, von Ersch&ouml;pfung
-&uuml;bermannt, schlummerte ein und schlief einige Zeit.
-Pl&ouml;tzlich wurde durch sie lautes Schreien und Rufen, durch
-Getrampel von Pferden und Bellen von Hunden erweckt,
-und fuhr mit einem leisen Schrei empor.</p>
-
-<p>&raquo;Die Jagdpartie kommt nun zur&uuml;ck,&laquo; sagte Cassy
-kalt; &raquo;f&uuml;rchte nichts. Schau' durch dieses Astloch.
-Kannst Du sie nicht Alle unten sehen? Simon mu&szlig; es
-f&uuml;r diesen Abend aufgeben. Sieh', wie schmutzig sein
-Pferd ist, wie mi&szlig;muthig die Hunde aussehen. Ach,
-mein guter Herr, Ihr m&uuml;&szlig;t die Hetze wieder und wieder
-versuchen &mdash; das Wild ist nicht da.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, sprecht nicht!&laquo; sagte Emmeline; &raquo;wie, wenn man
-Euch h&ouml;rte?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn sie irgend etwas h&ouml;ren sollten, so w&uuml;rden
-sie sich nur um so mehr vorsehen, von hier weg zu bleiben,&laquo;
-sagte Cassy. &raquo;Keine Gefahr; wir k&ouml;nnen so viel
-L&auml;rm machen, als wir wollen, und es wird nur um so
-mehr Wirkung haben.&laquo;</p>
-
-<p class="pmb3">Endlich legte sich die Stille der Mitternacht &uuml;ber
-das Haus, und Legree, sein Ungl&uuml;ck verfluchend, und
-schreckliche Rache f&uuml;r den folgenden Tag gelobend, ging
-zu Bette.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_252">[S. 252]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Vierzigstes_Kapitel">Vierzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Der M&auml;rtyrer.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i6">Glaub nicht den Guten vom Himmel vergessen,<br /></span>
-<span class="i6">Wenn auch das Leben ihm Alles verweigert, &mdash;<br /></span>
-<span class="i6">Wenn mit gebrochenem, blutenden Herzen,<br /></span>
-<span class="i6">Unter Hohn und Verachtung er langsam stirbt;<br /></span>
-<span class="i6">Denn Gott hat jeden Kummer verzeichnet,<br /></span>
-<span class="i6">Und jede bittre Thr&auml;ne gez&auml;hlt;<br /></span>
-<span class="i6">Und lange Jahre himmlischen Segens<br /></span>
-<span class="i6">Zahlen, was seine Kinder geduldet.<br /></span>
-</div></div>
-
-
-<p>Der l&auml;ngste Tag mu&szlig; sein Ende haben &mdash; auf die
-fr&uuml;heste Nacht folgt ein Morgen. Ein ewiger, unerbittlicher
-Verlauf von Augenblicken treibt immer den Tag
-des B&ouml;sen zur ewigen Nacht, und die Nacht des Gerechten
-zu einem ewigen Tage. Wir sind mit unserem
-dem&uuml;thigen Freunde so weit durch das Thal der Sklaverei
-gewandelt; erst durch blumige Gefilde der Ruhe
-und Gem&auml;chlichkeit, dann durch die herzzerrei&szlig;ende Trennung
-von Allem, was den Menschen theuer ist. Dann
-haben wir mit ihm auf einem sonnigen Eilande verweilt,
-wo edle H&auml;nde seine Ketten unter Blumen verbargen;
-und zuletzt sind wir ihm dahin gefolgt, wo der letzte
-Strahl irdischer Hoffnung verschwand, und haben gesehn,
-wie in der Finsterni&szlig; irdischer Macht die Feste des Ungesehenen
-mit Sternen eines neuen und bedeutungsvollen
-Glanzes schimmerte.</p>
-
-<p>Der Morgenstern steht nun &uuml;ber den Gipfeln der
-Berge, und &uuml;berirdische Winde und L&uuml;fte verk&uuml;nden, da&szlig;
-die Pforten des Tages sich &ouml;ffnen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_253">[S. 253]</a></span></p>
-
-<p>Die Flucht Cassy's und Emmelinen's reizte die vorher
-schon m&uuml;rrische Stimmung Legree's im h&ouml;chsten
-Grade; und, wie zu erwarten war, fiel seine Wuth auf
-das vertheidigungslose Haupt Tom's. Als er seinen
-Leuten hastig die Neuigkeit mittheilte, gl&auml;nzten Tom's
-Augen, und er hob seine H&auml;nde empor. Das entging
-ihm nicht. Er sah, da&szlig; er sich dem Aufgebot der Verfolger
-nicht anschlo&szlig;, und dachte darauf, ihn dazu zu
-zwingen; aber da er schon von fr&uuml;her her Erfahrungen
-&uuml;ber seine Unbeugsamkeit hatte, wenn ihm befohlen
-wurde, Theil an einer Grausamkeit zu nehmen, so wollte
-er sich jetzt in seiner Eile nicht dadurch aufhalten lassen,
-da&szlig; er einen Streit mit ihm anfing.</p>
-
-<p>Tom blieb also mit einigen Wenigen zur&uuml;ck, die
-von ihm beten gelernt hatten, und flehte mit ihnen f&uuml;r
-das Entkommen der Fl&uuml;chtlinge zum Himmel.</p>
-
-<p>Als Legree get&auml;uscht und betrogen zur&uuml;ckkehrte, fing
-der ganze Ha&szlig;, der ihm schon lange gegen seinen Sklaven
-in der Seele arbeitete, an, eine t&ouml;dtliche und verzweifelte
-Gestalt anzunehmen. Hatte ihm der Mann nicht
-getrotzt &mdash; hartn&auml;ckig, m&auml;chtig, unwiderstehlich &mdash; seit
-dem er ihn gekauft hatte! War nicht ein Geist in demselben,
-der, wenn auch schweigend, ihn wie Feuer der
-Verdammni&szlig; brannte!</p>
-
-<p>&raquo;Ich <em class="gesperrt">hasse</em> ihn!&laquo; sagte Legree in jener Nacht,
-als er sich in seinem Bette aufrichtete; &raquo;ich <em class="gesperrt">hasse</em> ihn!
-Und geh&ouml;rt er nicht mir? Kann ich mit ihm nicht machen,
-was ich will? Es soll mich doch wundern, wer
-'s mir wehren will?&laquo; Und Legree ballte die Faust und
-sch&uuml;ttelte sie, als wenn er etwas in der Hand h&auml;tte,
-das er in St&uuml;cke brechen wollte.</p>
-
-<p>Aber Tom war doch ein treuer, werthvoller Diener;
-und obgleich Legree ihn de&szlig;halb um so mehr ha&szlig;te, so
-war diese R&uuml;cksicht doch immer noch etwas, das ihn in
-Schranken hielt.</p>
-
-<p>Er beschlo&szlig;, am n&auml;chsten Morgen noch nichts zu
- <span class="pagenum"><a id="Page_254">[S. 254]</a></span>
-sagen; sondern eine Gesellschaft von den benachbarten Pflanzungen
-mit Hunden und Flinten zu versammeln, den Sumpf
-zu umstellen und die Jagd systematisch zu betreiben.
-Wenn es gel&auml;nge, gut; wenn nicht, so wollte er Tom
-vor sich fordern, und <em class="gesperrt">dann</em> &mdash; er knirschte mit den
-Z&auml;hnen und sein Blut siedete &mdash; <em class="gesperrt">dann</em> wollte er den
-Burschen niederbrechen, oder &mdash; und seine Seele antwortete
-auf ein gr&auml;&szlig;liches innerliches Gefl&uuml;ster.</p>
-
-<p>Man sagt, da&szlig; der <em class="gesperrt">Vortheil</em> des Herrn ein hinreichender
-Schutz f&uuml;r den Sklaven sei. In der Wuth
-des tollen Willens verkauft der Mensch wissentlich und
-mit offnen Augen seine eigne Seele dem Teufel, um zu
-seinem Zwecke zu gelangen; und wird er f&uuml;r seines
-N&auml;chsten Leib mehr Sorge tragen?</p>
-
-<p>&raquo;Nun,&laquo; sagte Cassy am n&auml;chsten Tage, als sie von
-der Dachkammer aus durch das Astloch sp&auml;hte, &raquo;die Jagd
-wird heute wieder anfangen!&laquo;</p>
-
-<p>Drei bis vier Reiter galoppirten auf dem Platze
-vor dem Hause umher; und mehrere Koppeln fremder
-Hunde str&auml;ubten sich gegen die Neger, welche dieselben
-hielten, und bellten sich einander an.</p>
-
-<p>Zwei der Leute waren Aufseher in benachbarten
-Pflanzungen; die Andern geh&ouml;rten zu Legree's Genossen
-in der Schenke einer benachbarten Stadt, welche
-der Reiz der Jagd hergezogen hatte. Eine rohere Rotte
-konnte man sich nicht vorstellen. Legree schenkte Brandwein
-im Ueberflusse unter sie wie unter die Neger aus,
-welche von verschiedenen Pflanzungen zu dieser Dienstleistung
-gestellt worden waren, denn es war Gebrauch,
-jeden derartigen Dienst f&uuml;r die Neger so viel als m&ouml;glich
-zu einem Festtage zu machen.</p>
-
-<p>Cassy legte das Ohr an das Astloch; und da die
-Morgenluft gerade auf das Haus zu wehte, so konnte
-sie ziemlich viel von der Unterhaltung h&ouml;ren. Ein tiefer
-Hohn lagerte sich &uuml;ber dem dunkeln, strengen Ernst ihres
-Antlitzes, als sie horchte und h&ouml;rte, wie sie das
- <span class="pagenum"><a id="Page_255">[S. 255]</a></span>
-Feld vertheilten, die verschiednen Vorz&uuml;ge der Hunde
-abhandelten, Befehle in Betreff des Feuerngebens
-und der Behandlung einer Jeden im Falle des Gefangennehmens.</p>
-
-<p>Cassy zog sich zur&uuml;ck; sie schaute mit gefalteten
-H&auml;nden empor und sagte: &raquo;O, gro&szlig;er, allm&auml;chtiger
-Gott! Wir sind <em class="gesperrt">alle</em> S&uuml;nder; aber was haben <em class="gesperrt">wir</em>
-mehr, als die &uuml;brige Welt verbrochen, da&szlig; wir so behandelt
-werden?&laquo;</p>
-
-<p>Es lag ein furchtbarer Ernst in ihrem Antlitz und
-ihrer Stimme, als sie sprach.</p>
-
-<p>&raquo;Wenn es nicht f&uuml;r Dich w&auml;re, Kind,&laquo; sagte sie,
-auf Emmeline blickend, &raquo;<em class="gesperrt">ginge</em> ich zu ihnen hinaus;
-und w&uuml;rde es dem Dank wissen, der mich <em class="gesperrt">niedersch&ouml;&szlig;e</em>;
-denn was kann mir die Freiheit helfen? Kann
-sie mir meine Kinder wieder geben, oder mich wieder
-dazu machen, was ich war?&laquo;</p>
-
-<p>Emmeline in ihrer kindlichen Einfalt f&uuml;rchtete sich
-fast vor der finstern Stimmung Cassy's. Sie sah best&uuml;rzt
-aus und gab keine Antwort. Sie ergriff blos
-ihre Hand mit einer sanften, liebkosenden Bewegung.</p>
-
-<p>&raquo;Nicht doch!&laquo; sagte Cassy, indem sie dieselbe zur&uuml;ckzuziehen
-versuchte; &raquo;Du willst mich zwingen, Dich
-lieb zu haben; aber ich will nichts wieder lieben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Arme Cassy!&laquo; sagte Emmeline, &raquo;hegt nicht solche
-Gef&uuml;hle! Wenn Gott uns die Freiheit schenkt, schenkt
-er Euch auch vielleicht Eure Tochter wieder. Ich wei&szlig;,
-ich werde meine arme, alte Mutter nicht wieder sehen!
-Ich will Euch lieben, Cassy, gleichviel, ob Ihr mich auch
-liebt oder nicht!&laquo;</p>
-
-<p>Der sanfte, kindliche Geist siegte. Cassy setzte sich
-zu ihr nieder, legte den Arm um ihren Nacken, und
-strich ihr sanft das braune Haar; da erstaunte Emmeline
-&uuml;ber die Sch&ouml;nheit ihrer prachtvollen Augen, die
-nun sanft schimmerten unter Thr&auml;nen.</p>
-
-<p>&raquo;O, Em!&laquo; sagte Cassy, &raquo;ich habe nach meinen
- <span class="pagenum"><a id="Page_256">[S. 256]</a></span>
-Kindern gehungert und nach ihnen gedurstet, und
-meine Augen sind tr&uuml;be geworden vom Ausschauen nach
-ihnen! Hier! hier!&laquo; sagte sie, an ihre Brust schlagend,
-&raquo;ist Alles ver&ouml;det und leer! Wenn Gott mir meine
-Kinder wiederg&auml;be, dann k&ouml;nnte ich beten.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ihr m&uuml;&szlig;t auf ihn vertrauen, Cassy,&laquo; sagte
-Emmeline; &raquo;er ist unser Vater!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sein Zorn lastet auf uns,&laquo; sagte Cassy, &raquo;er hat
-sich im Zorn von uns gewendet.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Cassy! Er wird noch g&uuml;tig gegen uns sein!
-La&szlig;t uns auf ihn hoffen,&laquo; sagte Emmeline; &mdash; &raquo;ich habe
-immer Hoffnung gehabt.&laquo;</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Die Jagd w&auml;hrte lange; sie wurde sehr lebhaft
-und gr&uuml;ndlich ausgef&uuml;hrt, aber blieb erfolglos, und
-Cassy schaute mit ernstem, h&ouml;hnischem Frohlocken auf
-Legree hinab, als er m&uuml;de und verdrie&szlig;lich vom Pferde stieg.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Quimbo,&laquo; sagte Legree, als er sich im
-Wohnzimmer niederstreckte, &raquo;geh und bring den Tom
-hier herauf, sogleich! Der alte Schuft steckt hinter der
-ganzen Geschichte; und ich will es aus seinem alten schwarzen
-Fell heraus haben; oder den Grund wissen!&laquo;</p>
-
-<p>Sambo und Quimbo, obgleich sie sich einander
-ha&szlig;ten, stimmten doch vollkommen in einem nicht weniger
-herzlichen Ha&szlig; gegen Tom &uuml;berein. Legree hatte
-ihnen gleich Anfangs gesagt, da&szlig; er ihn gekauft habe,
-um einen Oberaufseher in seiner Abwesenheit aus ihm
-zu machen; und dies hatte bei ihnen einen Groll erregt,
-welcher in ihren erniedrigten und knechtischen Naturen
-noch zunahm, als sie sahen, da&szlig; er bei ihrem Herrn in
-Mi&szlig;gunst fiel. Quimbo ging de&szlig;halb bereitwillig fort,
-um seine Befehle in Ausf&uuml;hrung zu bringen.</p>
-
-<p>Tom h&ouml;rte die Botschaft mit ahnendem Herzen; denn
-er kannte den ganzen Plan von dem Entweichen der
- <span class="pagenum"><a id="Page_257">[S. 257]</a></span>
-Fl&uuml;chtlinge; und den Ort ihres gegenw&auml;rtigen Verstecks.
-Er kannte den wilden Charakter des Mannes, mit dem
-er zu thun hatte, und dessen grausame Gewalt. Aber
-er f&uuml;hlte sich stark in Gott, lieber dem Tode zu begegnen,
-als die H&uuml;lflosen zu verrathen.</p>
-
-<p>Er setzte seinen Korb in die Reihe nieder, blickte
-auf und sagte: &raquo;In deine H&auml;nde befehle ich meinen
-Geist! Du hast mich erl&ouml;set, Gott der Wahrheit!&laquo; und
-dann &uuml;berlie&szlig; er sich ruhig dem rohen, thierischen Griffe
-womit ihn Quimbo packte.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, ja!&laquo; sagte der Riese, als er ihn entlang
-schleppte, &raquo;wirst 's nun kriegen! Will verdammt sein,
-wenn Master nicht grimmig wild ist! Hilft nun kein
-Wegschleichen mehr! Ich sage Dir, Du wirst 's kriegen,
-das steht fest! Nun sieh zu, was Du f&uuml;r ein Gesicht
-machen wirst, Masters Nigger helfen davon zu laufen!
-Wirst's sehen, was Du kriegst!&laquo;</p>
-
-<p>Keines der wilden Worte erreichte sein Ohr &mdash; eine
-h&ouml;here Stimme sagte dann: &raquo;F&uuml;rchte Dich nicht vor
-denen, die den Leib t&ouml;dten, und dann nichts mehr thun
-k&ouml;nnen!&laquo;</p>
-
-<p>Diese Worte durchbebten Mark und Bein des Armen,
-wie vom Finger Gottes ber&uuml;hrt; und er f&uuml;hlte
-die Kraft von tausend Seelen in einer. Als er dahin
-schritt, schienen die B&auml;ume und B&uuml;sche, die H&uuml;tten
-seiner Knechtschaft, der ganze Schauplatz seiner Erniedrigung
-an ihm vorbei zu fliegen, wie eine Landschaft
-an dahineilenden Wagen. Das Herz schlug ihm &mdash; seine
-Heimath war ihm vor Augen &mdash; und die Stunde der
-Erl&ouml;sung schien gekommen.</p>
-
-<p>&raquo;Nun, Tom,&laquo; sagte Legree, indem er auf ihn los
-ging, ihn grimmig am Rockkragen packend und in
-rasender Wuth durch die Z&auml;hne sprechend, &raquo;wei&szlig;t Du,
-ich bin entschlossen, Du sollst sterben!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;So scheint es, Master,&laquo; sagte Tom ruhig.</p>
-
-<p>&raquo;<em class="gesperrt">Ich habe</em>,&laquo; sagte Legree mit grimmiger, furchtbarer
- <span class="pagenum"><a id="Page_258">[S. 258]</a></span>
-Ruhe, &raquo;<em class="gesperrt">eben</em> &mdash; <em class="gesperrt">das</em> &mdash; <em class="gesperrt">gethan</em>, Tom, wenn
-Du mir nicht sagst, was Du von den M&auml;dchen wei&szlig;t!&laquo;</p>
-
-<p>Tom schwieg.</p>
-
-<p>&raquo;H&ouml;rst Du?&laquo; sagte Legree, mit den F&uuml;&szlig;en stampfend
-und mit einem Gebr&uuml;lle wie das eines w&uuml;thenden
-L&ouml;wen. &raquo;Sprich!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;<em class="gesperrt">Ich kann nichts sagen, Master,</em>&laquo; sagte Tom
-mit langsamem, festem und bed&auml;chtigem Tone.</p>
-
-<p>&raquo;Wagst Du, mir zu sagen, alter, schwarzer Christ,
-Du <em class="gesperrt">wei&szlig;t</em> es nicht?&laquo; sagte Legree.</p>
-
-<p>Tom antwortete nicht.</p>
-
-<p>&raquo;Rede!&laquo; donnerte Legree, indem er ihn w&uuml;thend
-schlug. &raquo;Wei&szlig;t Du etwas davon?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; was, Master, kann aber nichts sagen.
-<em class="gesperrt">Ich kann sterben!</em>&laquo;</p>
-
-<p>Legree holte tief Athem, nahm, seine Wuth unterdr&uuml;ckend,
-Tom beim Arme, zog dessen Gesicht dicht an
-das seinige heran, und sagte mit schrecklicher Stimme:
-&raquo;H&ouml;re, Tom &mdash; Du denkst, weil ich Dich fr&uuml;her losgelassen
-habe, 's ist nicht mein Ernst, was ich sage,
-aber diesmal <em class="gesperrt">bin ich entschlossen</em>, ich habe die Kosten
-berechnet. Du hast Dich mir immer widersetzt &mdash;
-jetzt will ich <em class="gesperrt">Dich unterwerfen oder umbringen</em>!
-Eins oder 's Andre. Ich will jeden Tropfen Blut in
-Dir z&auml;hlen und einen nach dem andern abzapfen, bis
-Du nachgibst!&laquo;</p>
-
-<p>Tom sah zu seinem Herrn auf und antwortete:
-&raquo;Herr, wenn Ihr krank w&auml;rt oder in Noth, oder am
-Tode, und ich k&ouml;nnte Euch retten, wollte ich Euch gern
-mein Herzblut geben; und wenn es Eure k&ouml;stliche
-Seele retten k&ouml;nnte, da&szlig; Ihr jeden Blutstropfen n&auml;hmt,
-der in diesem armen, alten Leibe ist, so wollte ich ihn
-willig geben, wie der Herr sein Blut f&uuml;r mich gab.
-O, Master, ladet nicht diese gro&szlig;e S&uuml;nde auf Euch! Es
-schadet Euch mehr als mir! Thut das Schlimmste,
- <span class="pagenum"><a id="Page_259">[S. 259]</a></span>
-was Ihr k&ouml;nnt, meine Noth wird bald vor&uuml;ber sein;
-aber wenn Ihr nicht bereut, wird Eure <em class="gesperrt">nie</em> enden!&laquo;</p>
-
-<p>Gleich einem Accorde himmlischer Musik, nachdem
-sich der Sturm gelegt hat, schuf dieser Ausbruch des
-Gef&uuml;hls eine pl&ouml;tzliche Pause. Legree stand erstaunt
-da, und sah Tom an; es herrschte eine so tiefe Stille,
-da&szlig; man das Ticken der alten Uhr h&ouml;ren konnte, die
-mit stiller Ber&uuml;hrung dem verh&auml;rteten Herzen die letzten
-Augenblicke der Gnade und Pr&uuml;fung zuma&szlig;.</p>
-
-<p>Es war nur ein Augenblick. Eine Pause des Z&ouml;gerns,
-der Unentschlossenheit, des Widerstrebens, und
-der Geist des B&ouml;sen kehrte mit siebenfacher Heftigkeit
-zur&uuml;ck; und Legree, sch&auml;umend vor Wuth, schmetterte
-sein Opfer zu Boden.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Scenen von Blut und Grausamkeit sind verletzend
-f&uuml;r unser Ohr und unser Herz. Was der Mensch den
-Muth hat zu thun, hat er oft nicht den Muth zu h&ouml;ren.
-Was Mitmenschen und Mitchristen leiden m&uuml;ssen,
-lassen wir uns selbst nicht in unsrer geheimsten Kammer
-erz&auml;hlen; so sehr zerrei&szlig;t es unser Herz. Und doch, o!
-mein Vaterland! geschehen diese Dinge unterm Schatten
-deiner Gesetze! O, Christ! Deine Kirche sieht es fast
-schweigend!</p>
-
-<p>Aber vor alten Zeiten war einer, dessen Leiden ein
-Marterwerkzeug, ein Werkzeug der Erniedrigung und
-Schande in ein Sinnbild des Ruhms und des unsterblichen
-Lebens verwandelte; und wo sein Geist ist, k&ouml;nnen
-weder erniedrigende Streiche, noch Blut, noch
-Hohn des Christen letzten Kampf anders als glorreich
-machen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_260">[S. 260]</a></span></p>
-
-<p>War er allein in jener langen Nacht, dessen edler,
-liebevoller Geist in jenem alten Schuppen nicht verzagte
-unter St&ouml;&szlig;en und viehischen Streichen?</p>
-
-<p>Nein! Neben ihm stand <em class="gesperrt">Einer</em>, nur von ihm gesehen,
-&raquo;gleich dem Sohne Gottes.&laquo;</p>
-
-<p>Der Versucher stand auch neben ihm, verblendet
-durch seinen w&uuml;thenden, despotischen Willen, jeden Augenblick
-in ihn dringend, diesem Todeskampf durch den
-Verrath der Unschuldigen zu entgehen. Aber das brave
-treue Herz stand fest auf dem ewigen Felsen. Wie sein
-Meister wu&szlig;te er, da&szlig; wenn er Andre rette, er sich
-selbst nicht retten k&ouml;nne; auch konnte die &auml;u&szlig;erste Gewaltma&szlig;regel
-ihm keine anderen Worte abzwingen, als
-die des Gebetes und heiligen Vertrauens.</p>
-
-<p>&raquo;Er ist fast hin, Master,&laquo; sagte Sambo, wider
-Willen von der Geduld seines Opfers ger&uuml;hrt.</p>
-
-<p>&raquo;Ausgezahlt, bis er nachgibt! Gieb 's ihm, gieb
-'s ihm!&laquo; br&uuml;llte Legree. &raquo;Ich will ihm jeden Blutstropfen
-abzapfen, den er hat, wenn er nicht gesteht.&laquo;</p>
-
-<p>Tom &ouml;ffnete die Augen und sah seinen Herrn an.
-&raquo;Ihr armes, elendes Gesch&ouml;pf!&laquo; sagte er; &raquo;es gibt
-nichts mehr f&uuml;r Euch zu thun! Ich vergebe Euch
-mit ganzem Herzen!&laquo; und er sank vollst&auml;ndig in Ohnmacht.</p>
-
-<p>&raquo;Ich glaube meiner Seele, 's ist aus mit ihm,&laquo;
-sagte Legree, indem er herzutrat und ihn betrachtete.
-&raquo;Ja, 's ist aus! Nun, so ist ihm doch wenigstens der
-Mund gestopft &mdash; das ist ein Trost!&laquo;</p>
-
-<p>Ja, Legree; aber wer wird jene Stimmen in Deiner
-Seele zum Schweigen bringen, &mdash; jener Seele,
-ohne Reue, ohne Gebet, ohne Hoffnung, in welcher
-das Feuer schon brennt, welches nie gel&ouml;scht werden
-wird.</p>
-
-<p>Tom war jedoch noch nicht ganz dahin. Seine
-wundervollen Worte und frommen Gebete hatten die
-Herzen der entmenschten Schwarzen getroffen, welche die
- <span class="pagenum"><a id="Page_261">[S. 261]</a></span>
-Werkzeuge der an ihm ver&uuml;bten Grausamkeit gewesen
-waren; und den Augenblick, als sich Legree zur&uuml;ckzog,
-nahmen sie ihn ab und suchten ihn in ihrer Unwissenheit
-zum Leben zur&uuml;ckzurufen &mdash; als wenn das eine Wohlthat
-f&uuml;r ihn gewesen w&auml;re.</p>
-
-<p>&raquo;Wir haben wahrhaftig 'was schrecklich B&ouml;ses gethan!&laquo;
-sagte Sambo; &raquo;ich hoffe, Master hat daf&uuml;r Rechenschaft
-zu geben, &mdash; nicht wir.&laquo;</p>
-
-<p>Sie wuschen seine Wunden &mdash; bereiteten ihm ein
-rohes Bett von schadhafter Baumwolle &mdash; und Einer
-von ihnen schlich nach dem Hause und erbat sich einen
-Schluck Brandwein von Legree, unter dem Vorgeben,
-da&szlig; er ermattet sei und ihn f&uuml;r sich brauche. Er brachte
-denselben zur&uuml;ck und fl&ouml;&szlig;te ihn Tom in den Mund.</p>
-
-<p>&raquo;O, Tom!&laquo; sagte Quimbo, &raquo;wir haben sehr schlecht
-gegen Dich gehandelt!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich vergebe Euch mit ganzem Herzen!&laquo; sagte
-Tom mit schwacher Stimme.</p>
-
-<p>&raquo;O, Tom! sag uns, wer <em class="gesperrt">Jesus</em> ist?&laquo; sagte Sambo,
-&raquo;&mdash; Jesus, der die ganze Nacht bei Dir gestanden hat!
-Wer ist 's?&laquo;</p>
-
-<p>Das Wort erweckte den sinkenden, ohnm&auml;chtigen
-Geist. Ueber seine Lippen str&ouml;mten einige kr&auml;ftige
-Spr&uuml;che jenes Wunderbaren &mdash; von seinem Leben, seinem
-Tode, seiner ewigen Gegenwart, und seiner Macht
-zu erl&ouml;sen.</p>
-
-<p>Sie weinten &mdash; die beiden rohen Menschen.</p>
-
-<p>&raquo;Warum habe ich das noch nie geh&ouml;rt?&laquo; sagte
-Sambo; &raquo;aber ich glaube! &mdash; ich kann nicht anders!
-Herr Jesus, erbarme Dich unser.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Arme Gesch&ouml;pfe!&laquo; sagte Tom, &raquo;ich will gern
-Alles getragen haben, wenn es Euch nur zu Christus
-bringt! O Gott! ich bitte Dich, gib mir nur noch
-diese beiden Seelen!&laquo;</p>
-
-<p class="pmb3">Das Gebet wurde erh&ouml;rt.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_262">[S. 262]</a></span></p>
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Einundvierzigstes_Kapitel">Einundvierzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Der junge Master.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Zwei Tage darauf fuhr ein junger Mann in einem
-leichten Wagen durch die Orangen-Allee herauf, warf die
-Z&uuml;gel eilig auf die R&uuml;cken der Pferde, sprang heraus
-und fragte nach dem Besitzer der Plantage.</p>
-
-<p>Es war Georg Shelby; und um zu zeigen, wie
-er hierher kam, m&uuml;ssen wir in unsrer Geschichte zur&uuml;ck
-gehen.</p>
-
-<p>Der Brief Opheliens an Mrs. Shelby war durch
-einen ungl&uuml;cklichen Zufall einen oder zwei Monate auf
-einer entlegenen Post liegen geblieben, ehe er seine Bestimmung
-erreichte; und ehe er ankam, war Tom schon
-in den fernen S&uuml;mpfen des Red River verschwunden.</p>
-
-<p>Mrs. Shelby las die Nachricht mit dem tiefsten
-Kummer; aber irgend ein unmittelbares Handeln darauf
-hin war eine Unm&ouml;glichkeit. Sie war damals am
-Krankenlager ihres Gatten besch&auml;ftigt, der in der heftigsten
-Phantasie einer Fieberkrisis lag. Der junge
-Master, Georg Shelby, der indessen aus einem Knaben
-ein gro&szlig;er, junger Mann geworden war, stand ihr
-als best&auml;ndiger und treuer Geh&uuml;lfe zur Seite, und war
-ihre einzige St&uuml;tze in der Leitung der Angelegenheiten seines
-Vaters. Mi&szlig; Ophelie hatte die Vorsicht gebraucht, den
-Namen des Anwalts zu melden, der die Gesch&auml;fte der
-St. Clares betrieb; und das Einzige, was in dieser
-Angelegenheit gethan werden konnte, war, schriftlich bei
-ihm anzufragen. Der pl&ouml;tzliche Tod Mr. Shelby's wenige
-Tage nachher hatte nat&uuml;rlich eine Menge dringender Gesch&auml;fte
- <span class="pagenum"><a id="Page_263">[S. 263]</a></span>
-zur Folge, die alles Uebrige eine Zeit lang in den Hintergrund
-dr&auml;ngten.</p>
-
-<p>Mr. Shelby hatte sein Vertrauen in die Geschicklichkeit
-seiner Gattin dadurch an den Tag gelegt, da&szlig;
-er sie zur alleinigen Vollstreckerin des letzten Willens
-ernannte; und so hatte sie augenblicklich eine Masse der
-verwickeltesten Gesch&auml;fte zu ordnen.</p>
-
-<p>Mrs. Shelby unternahm mit der ihr eignen Entschlossenheit
-das Gesch&auml;ft, das verwickelte Netz dieser
-Angelegenheiten zu entwirren, und sie und Georg waren
-eine Zeit lang mit dem Sammeln und Pr&uuml;fen von
-Rechnungen, dem Verkaufe von Verm&ouml;gensst&uuml;cken und
-der Berichtigung von Schulden besch&auml;ftigt; denn Mrs.
-Shelby war entschlossen, da&szlig; Alles in eine klare und
-&uuml;bersichtliche Gestalt gebracht werden solle, m&ouml;chten die
-Folgen sein, welche sie wollten. Inzwischen empfingen
-sie ein Schreiben von dem Anwalt, an welchen sie
-Ophelie gewiesen hatte, des Inhalts, da&szlig; ihm nichts
-von der Angelegenheit bekannt sei; da&szlig; der Mann in
-&ouml;ffentlicher Versteigerung verkauft worden, und er daher
-von der Sache nur so viel wisse, da&szlig; das Kaufgeld
-f&uuml;r denselben an ihn berichtigt worden sei.</p>
-
-<p>Weder Georg noch Mrs. Shelby konnten sich bei
-diesem Erfolge beruhigen, und demgem&auml;&szlig; beschlo&szlig; der
-Letztere nach sechs Monaten, als er f&uuml;r seine Mutter
-den Flu&szlig; hinab Gesch&auml;fte zu besorgen hatte, New-Orleans
-in Person zu besuchen und die Nachforschungen
-weiter zu betreiben, in der Hoffnung, Tom's Aufenthalt
-zu entdecken und ihn auszul&ouml;sen.</p>
-
-<p>Nach einigen Monaten erfolglosen Nachsuchens traf
-Georg durch blo&szlig;en Zufall in New-Orleans Jemanden,
-der zuf&auml;llig die gew&uuml;nschte Auskunft geben konnte, und
-unser Held ging sofort mit dem Gelde in der Tasche
-auf einem Dampfschiffe nach Red River ab, entschlossen,
-seinen alten Freund aufzusuchen und wieder zu
-kaufen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_264">[S. 264]</a></span></p>
-
-<p>Er wurde in das Haus gef&uuml;hrt, wo er Legree
-im Wohnzimmer fand.</p>
-
-<p>Legree empfing den Fremden mit einer Art von
-m&uuml;rrischer Gastfreundlichkeit.</p>
-
-<p>&raquo;Ich h&ouml;re,&laquo; sagte der junge Mann, &raquo;da&szlig; Ihr in
-New-Orleans einen Burschen, Namens Tom, gekauft
-habt. Er war fr&uuml;her bei meinem Vater, und ich bin
-gekommen, um zu sehen, ob ich ihn wieder kaufen
-k&ouml;nnte.&laquo;</p>
-
-<p>Legree's Stirn verdunkelte sich, und er brach heftig
-in die Worte aus: &raquo;Ja, ich habe so einen Kerl
-gekauft, und habe dabei einen h&ouml;llischen Handel gemacht!
-Der aufr&uuml;hrerischste, frechste, unversch&auml;mteste
-Hund! Hetzt meine Nigger auf, davon zu laufen,
-brachte zwei M&auml;dchen weg, das St&uuml;ck acht hundert oder
-tausend Dollar werth. Er hat es eingestanden, und
-als ich ihm befahl, zu sagen, wo sie w&auml;ren, fuhr er
-auf und sagte, er wisse es, wolle es aber nicht sagen,
-und blieb dabei, obgleich ich ihm die h&ouml;llischsten Hiebe
-geben lie&szlig;, die je ein Nigger bekommen hat. Ich glaube,
-er wird wohl drauf gehn, wei&szlig; aber nicht, ob er schon
-damit fertig ist.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wo ist er?&laquo; sagte Georg heftig. &raquo;Zeigt mir
-ihn!&laquo; Die Wangen des J&uuml;nglings gl&uuml;hten und seine
-Augen spr&uuml;hten Feuer; aber er beschlo&szlig;, nichts weiter
-zu sagen.</p>
-
-<p>&raquo;Er ist in jenem Schuppen,&laquo; sagte ein kleiner
-Bursche, der Georg's Pferd hielt.</p>
-
-<p>Legree gab dem Knaben einen Fu&szlig;tritt und stie&szlig;
-Fl&uuml;che gegen ihn aus; Georg aber drehte sich, ohne
-ein Wort weiter zu sagen, um, und schritt auf den
-Ort zu.</p>
-
-<p>Tom hatte zwei Tage seit dem verh&auml;ngni&szlig;vollen
-Abend da gelegen; nicht leidend, denn jeder Nerv des
-Leidens war abgestumpft und zerst&ouml;rt. Er lag meistens
-in einer ruhigen Bet&auml;ubung; denn die Natur seines gewaltigen
- <span class="pagenum"><a id="Page_265">[S. 265]</a></span>
-und kr&auml;ftigen K&ouml;rpers wollte den gefesselten
-Geist nicht auf einmal erl&ouml;schen. Es waren heimlich in
-der Nacht arme, trostlose Gesch&ouml;pfe da gewesen, die sich
-etwas von ihrer kurzen Ruhe entzogen, um ihm einige
-der Liebesdienste zur&uuml;ckzuzahlen, mit denen er immer so
-freigebig gewesen war. Wahrlich, diese armen Sch&uuml;ler
-hatten wenig zu geben &mdash; nur eine Schale kaltes Wasser;
-aber es wurde mit vollem Herzen gegeben.</p>
-
-<p>Thr&auml;nen waren auf das ehrliche, empfindungslose
-Gesicht gefallen &mdash; Thr&auml;nen sp&auml;ter Reue aus den Augen
-der armen, unwissenden Heiden, die seine sterbende
-Liebe und Geduld zur Reue erweckt hatte, und bittere
-Gebete waren &uuml;ber ihm zu einem sp&auml;t gefundenen Heiland
-gehaucht worden, von welchem sie kaum mehr als
-den Namen kannten, aber den das sehnende, unwissende
-Herz des Menschen nie vergebens anruft.</p>
-
-<p>Cassy, die aus ihrem Versteck geschlichen war und
-durch Lauschen geh&ouml;rt hatte, welches Opfer f&uuml;r sie und
-Emmeline gebracht war, hatte ihn, der Gefahr der Entdeckung
-trotzbietend, in der vorigen Nacht besucht; und,
-von den wenigen letzten Worten bewegt, welche die liebevolle
-Seele noch Kraft zu hauchen hatte, war der lange
-Winter der Verzweiflung, das Eis von Jahren aufgethaut,
-und das finstere, verzweifelnde Weib hatte geweint
-und gebetet.</p>
-
-<p>Als Georg in den Schuppen trat, f&uuml;hlte er seinen
-Kopf schwer und sein Herz krank werden.</p>
-
-<p>&raquo;Ist es m&ouml;glich? &mdash; ist es m&ouml;glich?&laquo; sagte er, indem
-er zu ihm niederkniete. &raquo;Onkel Tom, mein armer,
-armer alter Freund!&laquo;</p>
-
-<p>Etwas in der Stimme drang zu dem Ohr des
-Sterbenden. Er bewegte sanft den Kopf, l&auml;chelte und
-sagte:</p>
-
-<p>
-&raquo;Jesus macht ein Sterbebett<br />
-Weich wie Dunen-Kissen sind.&laquo;<br />
-</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_266">[S. 266]</a></span></p>
-
-<p>Aus des J&uuml;nglings Augen fielen Thr&auml;nen, welche
-seinem m&auml;nnlichen Herzen Ehre machten, als er sich &uuml;ber
-seinen armen Freund beugte.</p>
-
-<p>&raquo;O, lieber Onkel Tom! wach auf &mdash; sprich noch
-einmal! Sieh auf! Hier ist der junge Master Georg
-&mdash; Dein kleiner junger Master Georg. Kennst Du mich
-nicht?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Der junge Master Georg!&laquo; sagte Tom, indem er
-die Augen &ouml;ffnete, und mit schwacher Stimme sprach,
-&raquo;der junge Master Georg!&laquo; Er blickte ihn verwirrt an.</p>
-
-<p>Allm&auml;hlig schien der Gedanke seine Seele zu erf&uuml;llen;
-das irre Auge wurde st&auml;tiger und heller, das
-ganze Antlitz kl&auml;rte sich auf, die harten H&auml;nde falteten
-sich und Thr&auml;nen rannen seine Wangen hinab.</p>
-
-<p>&raquo;Gelobt sei Gott! es ist &mdash; es ist &mdash; es ist Alles,
-was ich wollte! Sie haben mich nicht vergessen. Es
-w&auml;rmt mein Herz; es macht meinem alten Herzen Freude!
-Nun will ich zufrieden sterben! Gepriesen sei Gott, o meine
-Seele!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Du sollst nicht sterben! Du <em class="gesperrt">darfst</em> nicht sterben,
-oder nur daran denken! Ich bin gekommen, Dich zu kaufen
-und nach Hause zu nehmen,&laquo; sagte Georg mit st&uuml;rmischer
-Heftigkeit.</p>
-
-<p>&raquo;O, Master Georg, Sie kommen zu sp&auml;t. Der
-Herr hat mich gekauft und will mich nach Hause nehmen
-&mdash; und ich sehne mich, mit ihm zu gehen. Der
-Himmel ist besser als Kentucky.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, stirb nicht! Es wird mich t&ouml;dten! &mdash; es wird
-mir das Herz brechen, wenn ich daran denke, was Du
-gelitten hast &mdash; und hier in diesem alten Schuppen zu
-liegen! armer, armer Mensch!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sagen Sie nicht, armer Mensch!&laquo; sagte Tom feierlich.
-&raquo;Ich <em class="gesperrt">bin</em> ein armer Mensch <em class="gesperrt">gewesen</em>, aber das
-ist jetzt vor&uuml;ber. Ich bin gerade in der Pforte, und
-gehe zum Ruhme ein! O, Master Georg! <em class="gesperrt">Der Himmel
-ist ge&ouml;ffnet!</em> Ich habe den Sieg errungen! &mdash;
- <span class="pagenum"><a id="Page_267">[S. 267]</a></span>
-der Herr Jesus hat mir ihn gegeben. Gepriesen sei sein
-Name!&laquo;</p>
-
-<p>Georg war tief ergriffen von der Kraft und dem
-Feuer, womit diese abgebrochenen S&auml;tze ausgesto&szlig;en wurden.
-Schweigend betrachtete er den Sterbenden.</p>
-
-<p>Tom ergriff seine Hand und fuhr fort: &mdash; &raquo;Sie
-m&uuml;ssen Chloe nichts davon sagen, der armen Seele! wie
-Sie mich gefunden haben; es w&auml;re so schrecklich f&uuml;r sie.
-Sagen Sie ihr blo&szlig;, da&szlig; Sie mich gefunden haben, als
-ich zur Herrlichkeit einging, und da&szlig; ich nicht h&auml;tte bleiben
-k&ouml;nnen. Und sagen Sie ihr, der Herr habe bei
-mir gestanden &uuml;berall und immer und Alles leicht und
-schmerzlos gemacht. Und ach, die armen Kinder, und
-das Kleine &mdash; mein altes Herz ist ihretwegen lange gebrochen.
-Sagen Sie Allen, da&szlig; Sie mir folgen &mdash;
-mir folgen! Gr&uuml;&szlig;en Sie Master freundlich und die liebe,
-gute Missis und Jedermann auf dem Gute! Sie wissen
-nicht! 's ist mir, als liebte ich sie Alle! Ich liebe jedes
-Gesch&ouml;pf, &uuml;berall &mdash; 's ist <em class="gesperrt">nichts</em> als Liebe! O, Master
-Georg! was ist 's doch, wenn man ein Christ ist!&laquo;</p>
-
-<p>Diesen Augenblick trat Legree an die Th&uuml;r des
-Schuppens, sah hinein mit verdrie&szlig;licher Miene und
-affektirter Gleichg&uuml;ltigkeit, und ging wieder fort.</p>
-
-<p>&raquo;Der alte Satan!&laquo; sagte Georg in seinem Unwillen.
-&raquo;'s ist ein Trost zu glauben, da&szlig; der Teufel ihn
-daf&uuml;r bald bezahlen wird.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O, nicht doch! &mdash; oh, das m&uuml;ssen Sie nicht!&laquo;
-sagte Tom, indem er seine Hand ergriff; &raquo;er ist ein armes,
-elendes Gesch&ouml;pf 's ist schrecklich daran zu denken!
-O, wenn er nur bereuen k&ouml;nnte, Gott w&uuml;rde ihm noch
-immer vergeben; aber ich f&uuml;rchte, er wird es niemals.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich hoffe, er wird nicht!&laquo; sagte Georg. &raquo;Ich
-m&ouml;chte <em class="gesperrt">ihn</em> nicht im Himmel sehen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Still, Master Georg! das thut mir weh. Denken
-Sie nicht so. Er hat mir kein wirkliches Leid gethan
- <span class="pagenum"><a id="Page_268">[S. 268]</a></span>
-&mdash; mir nur die Thore des Himmelreichs ge&ouml;ffnet;
-das ist Alles!&laquo;</p>
-
-<p>In diesem Augenblick schwand die pl&ouml;tzliche Kraft,
-welche die Freude, seinen jungen Herrn wiederzusehen,
-dem Sterbenden eingefl&ouml;&szlig;t hatte. Eine pl&ouml;tzliche Ohnmacht
-befiel ihn; er schlo&szlig; die Augen; und jener geheimni&szlig;volle
-und erhabene Wechsel kam &uuml;ber sein Antlitz,
-der das Nahen einer andern Welt verk&uuml;ndete.</p>
-
-<p>Er begann mit langen und tiefen Z&uuml;gen zu athmen;
-und seine breite Brust hob sich schwer und sank. Der
-Ausdruck seines Gesichts war der eines Ueberwinders.</p>
-
-<p>&raquo;Wer &mdash; wer &mdash; wer soll uns scheiden von der
-Liebe Christi?&laquo; sagte er mit einer Stimme, die gegen
-sterbliche Schw&auml;che ank&auml;mpfte; und sank l&auml;chelnd in den
-tiefen Schlaf.</p>
-
-<p>Georg sa&szlig; da wie von feierlichem Grauen gebannt.
-Der Ort schien ihm heilig zu sein; und als er die leblosen
-Augen schlo&szlig; und sich von dem Todten erhob, erf&uuml;llte
-ihn nur der Gedanke &mdash; den sein schlichter, alter
-Freund ausgesprochen: &raquo;Was ist es doch, wenn man
-ein Christ ist!&laquo;</p>
-
-<p>Er wendete sich um, Legree stand m&uuml;rrisch hinter ihm.</p>
-
-<p>Die Sterbescene hatte die nat&uuml;rliche Heftigkeit der
-jugendlichen Leidenschaft gez&uuml;gelt. Die Gegenwart des
-Menschen war Georg nur widerlich und er f&uuml;hlte nur
-das Verlangen, mit so wenig Worten wie m&ouml;glich von
-ihm abzukommen.</p>
-
-<p>Indem er sein scharfes, dunkles Auge auf Legree
-heftete, sagte er einfach, indem er auf den Todten hindeutete:
-&raquo;Ihr habt Alles aus ihm heraus, was Ihr habt
-herausbekommen k&ouml;nnen. Was soll ich Euch f&uuml;r den
-K&ouml;rper zahlen? Ich will ihn mit mir nehmen und anst&auml;ndig
-beerdigen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich verkaufe keinen todten Nigger,&laquo; sagte Legree
-finster. &raquo;Ihr k&ouml;nnt ihn begraben, wo und wann Ihr
-wollt.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_269">[S. 269]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Burschen,&laquo; sagte Georg in einem befehlenden Tone
-zu zwei oder drei Negern, welche um den Leichnam standen,
-&raquo;helft mir ihn zu meinem Wagen tragen; und verschafft
-mir einen Spaten.&laquo;</p>
-
-<p>Einer von ihnen lief nach einem Spaten; die andern
-beiden halfen Georg den K&ouml;rper nach dem Wagen
-tragen.</p>
-
-<p>Georg sprach weder mit Legree, noch sah er denselben
-an; und dieser gab keine Gegenbefehle, sondern stand
-pfeifend da mit der Miene erzwungener Unbek&uuml;mmertheit,
-und folgte ihnen trotzig zum Wagen, der am Thor
-stand.</p>
-
-<p>Georg breitete seinen Mantel im Wagen aus und
-legte den K&ouml;rper sorgf&auml;ltig hinein, indem er den Sitz
-so ordnete, da&szlig; Platz gewonnen wurde. Dann drehte
-er sich um, heftete das Auge auf Legree und sagte mit
-erzwungener Ruhe:</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe Euch noch nicht gesagt, was ich von dieser
-scheu&szlig;lichen Angelegenheit denke; dies ist nicht Zeit
-und Ort. Aber diesem unschuldigen Blute mu&szlig; Gerechtigkeit
-werden. Ich will diesen Mord ver&ouml;ffentlichen.
-Ich werde zur n&auml;chsten Beh&ouml;rde gehen und Euch anklagen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das k&ouml;nnt Ihr!&laquo; sagte Legree, ver&auml;chtlich mit den
-Fingern schnippend. &raquo;Ich m&ouml;chte das wohl sehen. Woher
-wollt Ihr Zeugen nehmen? &mdash; Wie wollt Ihr es
-beweisen? He?&laquo;</p>
-
-<p>Georg sah sogleich, wie wohl begr&uuml;ndet dieses Trotzbieten
-war. Es war kein Wei&szlig;er am Orte; und in
-allen s&uuml;dlichen Gerichtsh&ouml;fen hat das Zeugni&szlig; der Farbigen
-keinen Werth. Ihm war in dem Augenblicke, als
-k&ouml;nne er den Himmel zerrei&szlig;en mit seines Herzens emp&ouml;rtem
-Rufe nach Gerechtigkeit; aber vergebens.</p>
-
-<p>&raquo;Aber was f&uuml;r Geschrei um einen todten Nigger!&laquo;
-sagte Legree.</p>
-
-<p>Das Wort wirkte wie ein Funke in einer Pulverkammer.
- <span class="pagenum"><a id="Page_270">[S. 270]</a></span>
-Vorsicht war nie eine Haupttugend des Kentucky'schen
-J&uuml;nglings. Georg drehte sich um und schmetterte
-mit einem w&uuml;thenden Schlage Legree zu Boden;
-und als er &uuml;ber ihm stand, sch&auml;umend vor Zorn und
-Wuth, h&auml;tte er kein unpassendes Bild seines gro&szlig;en Namensvetters
-abgegeben, wie derselbe &uuml;ber den Drachen
-triumphirt.</p>
-
-<p>Einige Leute werden inde&szlig; entschieden dadurch gebessert,
-da&szlig; sie zu Boden geschlagen werden. Wenn Jemand
-dieselben ehrlich und redlich in den Staub streckt,
-scheinen sie sogleich Achtung vor ihm zu bekommen; und
-Legree geh&ouml;rte zu diesen. Als er sich daher erhob und
-den Staub von seinen Kleidern strich, schaute er dem
-langsam sich entfernenden Wagen mit sichtlicher Achtung
-nach; auch that er den Mund nicht eher auf, als bis
-ihm derselbe aus dem Gesichte war.</p>
-
-<p>Jenseits der Grenzen der Pflanzung hatte Georg
-einen trockenen, sandigen H&uuml;gel bemerkt, der von wenigen
-B&auml;umen beschattet war; dort gruben sie das Grab.</p>
-
-<p>&raquo;Sollen wir den Mantel abnehmen, Herr?&laquo; sagten
-die Neger, als das Grab fertig war.</p>
-
-<p>&raquo;Nein, nein: begrabt ihn damit. Es ist Alles,
-was ich Dir jetzt geben kann, armer Tom, und Du sollst
-ihn haben.&laquo;</p>
-
-<p>Sie legten ihn hinein, und die Leute schaufelten
-ihn still zu. Sie h&auml;uften einen H&uuml;gel auf und legten
-gr&uuml;ne Rasen darauf.</p>
-
-<p>&raquo;Ihr k&ouml;nnt nun gehen, Jungens,&laquo; sagte Georg,
-indem er jedem ein Geldst&uuml;ck in die Hand dr&uuml;ckte. Sie
-z&ouml;gerten aber.</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Master so gut sein wollte, uns zu kaufen &mdash;&laquo;
-sagte der Eine.</p>
-
-<p>&raquo;Wir wollten so treu dienen!&laquo; sagte der Andere.</p>
-
-<p>&raquo;Schlechte Zeiten hier, Master!&laquo; sagte der Erste.
-&raquo;Kauft uns doch, Master, kauft uns!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich kann nicht! &mdash; Ich kann nicht,&laquo; sagte Georg
- <span class="pagenum"><a id="Page_271">[S. 271]</a></span>
-mit schwerem Herzen, indem er sie fortdr&auml;ngte, &raquo;es ist
-unm&ouml;glich!&laquo;</p>
-
-<p>Die armen Kerle machten niedergeschlagene Gesichter
-und gingen schweigend fort.</p>
-
-<p>&raquo;Bezeuge mir, ewiger Gott,&laquo; sagte Georg, indem
-er am Grabe seines armen Freundes knieete, &raquo;o, bezeuge
-mir, da&szlig; ich von dieser Stunde an Alles thun will, <em class="gesperrt">was
-ein Mensch kann</em>, um diesen Fluch der Sklaverei
-aus meinem Vaterlande zu verbannen!&laquo;</p>
-
-<p>Kein Denkmal bezeichnet die letzte Ruhest&auml;tte unseres
-Freundes. Er bedarf keines. Sein Gott wei&szlig;,
-wo er liegt, und wird ihn zur Unsterblichkeit erwecken,
-um mit ihm zu erscheinen, wenn er in seiner Herrlichkeit
-erscheinen wird.</p>
-
-<p class="pmb3">Bemitleide ihn nicht! Solch' ein Leben und Tod
-sind nicht zu bemitleiden. Nicht in der F&uuml;lle von Allmacht
-ist der h&ouml;chste Ruhm Gottes zu finden, sondern
-in der selbstverleugnenden, duldenden Liebe. Und gesegnet
-sind Die, welche er zur Gemeinschaft mit sich ruft,
-und ihr Kreuz ihm nachtragen in Geduld. Von denen
-steht es geschrieben: &raquo;Gesegnet sind die Traurigen, denn
-sie sollen getr&ouml;stet werden.&laquo;</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Zweiundvierzigstes_Kapitel">Zweiundvierzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Eine wirkliche Geistergeschichte.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Aus irgend einem besondern Grunde waren Geistergeschichten
-um diese Zeit ungew&ouml;hnlich im Schwunge
-unter den Dienstboten auf Legree's Gute.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_272">[S. 272]</a></span></p>
-
-<p>Man fl&uuml;sterte sich zu, da&szlig; Fu&szlig;tritte um Mitternacht
-die Dachstubentreppe herabgekommen und im Hause umher
-geh&ouml;rt worden seien. Vergebens hatte man die
-Th&uuml;re des obern Einganges geschlossen; der Geist trug
-entweder einen Nachschl&uuml;ssel in der Tasche, oder bediente
-sich des unverj&auml;hrbaren Vorrechtes der Geister, durch das
-Schl&uuml;sselloch zu kommen, und ging nach wie vor mit beunruhigender
-Freiheit im Hause umher.</p>
-
-<p>Die Ansichten waren einigerma&szlig;en getheilt &uuml;ber die
-Gestalt des Geistes, nach der unter Negern &mdash; und so
-viel wir wissen, auch unter Wei&szlig;en &mdash; vorherrschenden
-Sitte, unver&auml;nderlich die Augen zu schlie&szlig;en, und den
-Kopf unter der Bettdecke, Unterr&ouml;cken, oder was sonst
-bei dergleichen Gelegenheiten zum Schutze gebraucht zu
-werden pflegt, zu verbergen.</p>
-
-<p>Nat&uuml;rlich ist, wie Jedermann wei&szlig;, das geistige
-Auge besonders scharf und durchdringend, sobald die leiblichen
-Augen au&szlig;er Th&auml;tigkeit gesetzt sind; und deshalb
-gab es eine Menge Portraits des Geistes in voller Lebensgr&ouml;&szlig;e,
-die bezeugt und beschworen wurden, und, wie
-es oft mit Portraiten der Fall ist, keine andre Aehnlichkeit
-mit einander hatten, als die Familien&auml;hnlichkeit des
-ganzen Geistergeschlechts, &mdash; ein wei&szlig;es Gewand.</p>
-
-<p>Sei dem wie ihm wolle, wir haben besondre Gr&uuml;nde,
-zu wissen, da&szlig; eine gro&szlig;e Figur in einem wei&szlig;en Gewande
-alln&auml;chtlich zur echten Geisterstunde um Legree's
-Wohnung schritt, durch Th&uuml;ren ging, das Haus umschlich,
-&mdash; zuweilen verschwand, dann wieder erschien, und jene
-einsame Treppe hinauf in den verrufenen Boden ging;
-und da&szlig; am n&auml;chsten Morgen alle Th&uuml;ren eben so fest
-verschlossen gefunden wurden, wie zuvor.</p>
-
-<p>Legree mu&szlig;te nothwendig dies Gefl&uuml;ster h&ouml;ren, und
-es regte ihn um so mehr auf, je mehr M&uuml;he man sich
-gab, es ihm zu verhehlen. Er trank mehr Brandwein,
-als gew&ouml;hnlich, trug seinen Kopf hoch und fluchte lauter
-als jemals bei Tage. Aber er hatte b&ouml;se Tr&auml;ume, und
- <span class="pagenum"><a id="Page_273">[S. 273]</a></span>
-die Erscheinungen, die sich an seinem Bette zeigten, waren
-nichts weniger als angenehm. Am Abende, nachdem
-Tom's Leichnam fortgeschafft worden war, ritt er nach
-der n&auml;chsten Stadt zu einem Zechgelage. Er kam sp&auml;t
-und erm&uuml;det nach Hause, verschlo&szlig; seine Th&uuml;r, zog den
-Schl&uuml;ssel aus, und ging zu Bett.</p>
-
-<p>Mag ein Mensch sich auch noch so viel M&uuml;he geben,
-seine Seele einzuschl&auml;fern, sie ist f&uuml;r einen b&ouml;sen Menschen
-doch ein entsetzlich gespenstiges Besitzthum. Wer
-kennt ihre Grenzen? Wer kennt alle ihre Ahnungen, ihre
-Schauer, ihr Beben, die sie eben so wenig unterdr&uuml;cken
-kann, wie ihre eigne Ewigkeit &uuml;berleben! Welcher Thor
-ist Derjenige, der seine Th&uuml;r verschlie&szlig;t, um Geister abzuhalten,
-und in seinem eignen Busen einen Geist tr&auml;gt,
-dem er nicht zu begegnen wagt, &mdash; dessen Stimme, obgleich
-unterdr&uuml;ckt durch Berge von Weltlichkeit, dennoch
-wie die warnende Stimme des j&uuml;ngsten Gerichtes ert&ouml;nt!</p>
-
-<p>Aber Legree verschlo&szlig; seine Th&uuml;r, und setzte einen
-Stuhl davor; er stellte seine Lampe zu H&auml;upten des
-Bettes, und legte seine Pistolen daneben. Er untersuchte
-den Verschlu&szlig; der Fenster, und schwur dann, &raquo;da&szlig; er sich
-nicht vor dem Teufel und allen seinen Engeln f&uuml;rchte,&laquo;
-und legte sich schlafen.</p>
-
-<p>Wohl, er schlief, denn er war m&uuml;de, &mdash; er schlief
-fest. Endlich aber breitete sich &uuml;ber seinen Schlaf ein
-Schatten, ein Schrecken, eine Ahnung von etwas Entsetzlichem,
-was &uuml;ber ihm schwebe. Er hielt es f&uuml;r das
-Sterbehemd seiner Mutter, aber Cassy hielt es empor,
-und zeigte es ihm. Er h&ouml;rte ein verworrenes Ger&auml;usch
-von Schreien und St&ouml;hnen; und dennoch wu&szlig;te er, da&szlig;
-er schlief, und bem&uuml;hte sich, wach zu werden. Endlich
-wurde er halb wach, und glaubte mit Bestimmtheit zu
-erkennen, da&szlig; Etwas in sein Zimmer komme. Er wu&szlig;te,
-da&szlig; die Th&uuml;r offen war, aber er konnte weder Hand
- <span class="pagenum"><a id="Page_274">[S. 274]</a></span>
-noch Fu&szlig; r&uuml;hren. Endlich wendete er sich mit einer
-pl&ouml;tzlichen Anstrengung um. Die Th&uuml;r war ge&ouml;ffnet,
-und er sah eine Hand sein Licht ausl&ouml;schen.</p>
-
-<p>Es war eine tr&uuml;be, nebelige Mondnacht, und doch
-sah er es! &mdash; etwas Wei&szlig;es, was herein schlich! Er
-h&ouml;rte das leise Rauschen der gespenstigen Gew&auml;nder. Es
-stand an seinem Bette still; &mdash; eine kalte Hand ber&uuml;hrte
-die seinige; eine Stimme sagte dreimal in leisem, schrecklichen
-Fl&uuml;stern: &raquo;Komm'! komm'! komm'!&laquo; Und w&auml;hrend
-er vor Schrecken in Schwei&szlig; gebadet da lag, bemerkte
-er nicht, wann und wie die Erscheinung wieder verschwand.
-Er sprang aus dem Bette, und ri&szlig; an der Th&uuml;r. Sie
-war fest verschlossen, und der Mann st&uuml;rzte ohnm&auml;chtig
-zu Boden.</p>
-
-<p>Von dieser Zeit an wurde Legree ein st&auml;rkerer Trinker
-als je zuvor. Er trank nicht mehr mit Vorsicht und
-Besonnenheit, sondern ohne Grenze und Maa&szlig;. Bald
-nachher verbreitete sich in der Umgegend das Ger&uuml;cht,
-da&szlig; er krank sei und dem Tode nahe. Unm&auml;&szlig;igkeit hatte
-jene schreckliche Krankheit erzeugt, welche die d&uuml;stern
-Schatten einer kommenden Vergeltung auf dieses Leben
-zur&uuml;ckzuwerfen scheint. Niemand konnte die Schrecken
-jenes Krankenzimmers ertragen, wenn er raste und schrie,
-und von Gesichten sprach, die das Blut Derjenigen, die
-ihn h&ouml;rten, erstarren lie&szlig;; und an seinem Sterbebette
-stand eine ernste, wei&szlig;e, unerbittliche Gestalt, die ihm
-zurief: &raquo;Komme! komme! komme!&laquo;</p>
-
-<p>Durch ein sonderbares Zusammentreffen wurde nach
-derselben Nacht, in der Legree diese Erscheinung hatte,
-die Hausth&uuml;r am Morgen offen gefunden; und einige
-Neger hatten zwei wei&szlig;e Gestalten die Allee hinab der
-Landstra&szlig;e zugehen sehen.</p>
-
-<p>Es war kurz vor Sonnenaufgang, als Cassy und
-Emmeline einen Augenblick in einem kleinen Geh&ouml;lze in
-der N&auml;he der Stadt anhielten. Cassy war nach der
-Mode spanischer Creolinnen gekleidet, &mdash; ganz schwarz.
- <span class="pagenum"><a id="Page_275">[S. 275]</a></span>
-Ein kleiner, schwarzer Hut, der mit einem dicht gestickten
-Schleier bedeckt war, verbarg ihr Gesicht. Nach getroffener
-Uebereinkunft sollte sie auf der Flucht die Rolle
-einer vornehmen Creolin spielen, und Emmeline f&uuml;r ihre
-Dienerin gelten.</p>
-
-<p>Da Cassy sich von fr&uuml;her Jugend an in den h&ouml;chsten
-Gesellschaftskreisen bewegt hatte, so harmonirten ihre
-Sprache, ihre Bewegungen, ihr ganzes Wesen mit dieser
-Idee; und sie hatte von ihrer einst gl&auml;nzenden Garderobe
-noch genug bewahrt, um diese Rolle mit &auml;u&szlig;erem Anstande
-und mit Erfolg spielen zu k&ouml;nnen.</p>
-
-<p>In der Vorstadt kaufte sie an einem ihr bekannten
-Orte einen h&uuml;bschen Reisekoffer, und ersuchte den Mann,
-ihr denselben nachtragen zu lassen; und auf diese Weise
-von dem Burschen, der ihren Koffer karrte, und Emmelinen,
-welche eine Reisetasche und verschiedene andre Effekten
-trug, gefolgt, erschien sie vor dem kleinen Gasthofe
-wie eine Dame von Stande.</p>
-
-<p>Die erste Person, welche ihr nach ihrer Ankunft daselbst
-auffiel, war Georg Shelby, der daselbst das n&auml;chste
-Boot erwartete. Cassy hatte den jungen Mann aus
-ihrem Verstecke auf dem Boden bemerkt, und ihn den
-Leichnam Tom's fortschaffen sehen, und mit geheimer
-Freude sein Zusammentreffen mit Legree beobachtet.
-Sp&auml;terhin hatte sie aus den Unterhaltungen der Neger,
-die sie behorchte, wenn sie Nachts in ihrer gespenstigen
-Verkleidung umher schlich, erfahren, wer er war, und in
-welchem Verh&auml;ltni&szlig; er zu Tom stand. Aus diesem Grunde
-f&uuml;hlte sie sich augenblicklich durch eine Art Vertrauen zu
-ihm hingezogen, als sie sah, da&szlig; er gleich ihr das n&auml;chste
-Boot erwarte.</p>
-
-<p>Cassy's Haltung und ganzes Aeu&szlig;ere, so wie die
-ihr zu Gebote stehenden Geldmittel verdr&auml;ngten im Gasthofe
-jede M&ouml;glichkeit eines Verdachtes. Die Leute untersuchen
-nie zu genau die Verh&auml;ltnisse solcher Personen,
-die in dem Hauptpunkte, einer guten Zahlung, befriedigend
- <span class="pagenum"><a id="Page_276">[S. 276]</a></span>
-sind, was Cassy vorher gewu&szlig;t zu haben schien,
-als sie sich mit Gelde versah.</p>
-
-<p>Gegen Abend n&auml;herte sich ein Boot, und Georg
-Shelby geleitete Cassy mit einer H&ouml;flichkeit an Bord,
-die jedem Eingeborenen von Kentucky nat&uuml;rlich ist, und
-bem&uuml;hte sich, ihr eine gute Caj&uuml;te zu verschaffen.</p>
-
-<p>Cassy blieb w&auml;hrend der ganzen Zeit, da&szlig; sie auf
-dem rothen Flusse waren, unter dem Vorwande von
-Krankheit in ihrem Zimmer und ihrem Bette, und wurde
-mit dem dienstfertigsten Eifer von ihrer Begleiterin bedient.
-Als sie den Mississipppi erreichten, und Georg in
-Erfahrung brachte, da&szlig; die fremde Dame denselben Weg
-aufw&auml;rts den Flu&szlig; wie er nehme, machte er ihr den
-Vorschlag, eine Caj&uuml;te f&uuml;r sie auf demselben Boote nehmen
-zu d&uuml;rfen, auf dem er zu fahren beabsichtigte, &mdash;
-indem er in seiner Gutm&uuml;thigkeit Mitleid f&uuml;r ihre
-schwache Gesundheit hegte, und ihr so viel Beistand wie
-m&ouml;glich zu leisten w&uuml;nschte.</p>
-
-<p>Wir sehen deshalb die ganze Gesellschaft wohlbehalten
-auf das gute Dampfboot Cincinnati &uuml;bergehen, welches
-unter Leitung einer gewaltigen Dampfs&auml;ule den Flu&szlig; hinauf
-arbeitet.</p>
-
-<p>Cassy's Gesundheit hatte sich bedeutend gebessert.
-Sie sa&szlig; auf dem Verdeck, kam zu Tische, und wurde von
-Allen auf dem Boote f&uuml;r eine Dame gehalten, die sehr
-sch&ouml;n gewesen sein m&uuml;sse.</p>
-
-<p>Vom ersten Augenblicke an, wo Georg ihr Gesicht
-gewahrte, fiel ihm eine jener fl&uuml;chtigen, und dunklen
-Aehnlichkeiten auf, die wohl fast jedem Menschen begegnet
-sind. Er konnte sich nicht enthalten, sie fortw&auml;hrend anzusehen
-und zu beobachten. Sie mochte bei Tische, oder
-in der Th&uuml;r ihrer Kaj&uuml;te sitzen, immer begegnete sie
-den auf ihr ruhenden Augen des jungen Mannes, der
-seine Blicke jedoch sogleich abwandte, sobald er in
-ihrem Gesichte bemerkte, da&szlig; sie sich von ihm beobachtet
-f&uuml;hlte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_277">[S. 277]</a></span></p>
-
-<p>Cassy wurde unruhig. Sie begann zu f&uuml;rchten, da&szlig;
-er Verdacht gesch&ouml;pft habe, und beschlo&szlig; deshalb endlich,
-sich seinem Edelmuthe g&auml;nzlich anzuvertrauen, und theilte
-ihm ihre ganze Geschichte mit.</p>
-
-<p>Georg war gern geneigt, f&uuml;r Jeden Sympathie zu
-empfinden, der von Legree's Plantage entflohen war, &mdash;
-einem Orte, an den er nicht ohne Aufregung denken konnte,
-&mdash; und er versprach ihr deshalb mit jener muthigen, seinem
-Alter eigenth&uuml;mlichen Nichtbeachtung aller m&ouml;glichen
-Folgen, da&szlig; er sie mit allen seinen Kr&auml;ften unterst&uuml;tzen
-und durchbringen wolle.</p>
-
-<p>Das n&auml;chste, an Cassy's Kaj&uuml;te sto&szlig;ende Gemach
-war von einer franz&ouml;sischen Dame, Namens de Thoux,
-bewohnt, welche sich in Begleitung einer sch&ouml;nen, kleinen
-Tochter, einem M&auml;dchen von ungef&auml;hr zw&ouml;lf Jahren, befand.
-Diese Dame, welche aus Georg's Unterhaltung
-entnommen hatte, da&szlig; er aus Kentucky geb&uuml;rtig war,
-schien offenbar geneigt, seine Bekanntschaft zu machen,
-worin sie durch die Anmuth ihrer kleinen Tochter unterst&uuml;tzt
-wurde, die ein so niedliches, kleines Spielwerk war,
-als nur je eins die Langeweile einer vierzehnt&auml;gigen
-Fahrt auf dem Dampfboote vertrieb.</p>
-
-<p>Georgs Stuhl befand sich oft an der Th&uuml;r ihrer
-Kaj&uuml;te, und Cassy konnte, wenn sie auf dem Verdecke
-sa&szlig;, ihre Unterhaltung h&ouml;ren.</p>
-
-<p>Madame de Thoux befragte ihn sehr umst&auml;ndlich
-&uuml;ber Kentucky, wo sie, wie sie sagte, in einer fr&uuml;hern
-Periode ihres Lebens gewohnt hatte; und Georg entdeckte
-zu seinem gro&szlig;en Erstaunen, da&szlig; ihr fr&uuml;herer Aufenthalt
-in der N&auml;he seiner eignen Besitzung gewesen sein
-m&uuml;sse, denn ihre Fragen verriethen eine Bekanntschaft mit
-Leuten und Dingen in jener Gegend, die ihn f&ouml;rmlich
-in Verwundrung setzte.</p>
-
-<p>&raquo;Kennen Sie,&laquo; sagte Madame de Thoux eines Tages,
-&raquo;einen Mann in Ihrer Nachbarschaft, der den Namen
-Harris f&uuml;hrt?&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_278">[S. 278]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Es gibt dort einen Menschen dieses Namens, der
-nicht weit von der Besitzung meines Vaters wohnt;
-allein wir haben nie Umgang mit ihm gehabt,&laquo; entgegnete
-Georg.</p>
-
-<p>&raquo;Er besitzt, glaube ich, eine gro&szlig;e Anzahl Sklaven,&laquo;
-fuhr Madame de Thoux in einer Weise fort,
-die mehr Interesse verrieth, als sie schien sehen lassen
-zu wollen.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, ich glaube,&laquo; entgegnete Georg, &uuml;berrascht durch
-ihr Wesen.</p>
-
-<p>&raquo;Haben Sie jemals davon geh&ouml;rt, &mdash; vielleicht haben
-Sie davon geh&ouml;rt, da&szlig; er einen Mulattenburschen
-Namens Georg besa&szlig;?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O gewi&szlig; &mdash; Georg Harris &mdash; ich kenne ihn recht
-wohl. Er heirathete eine Sklavin meiner Mutter, aber
-ist jetzt nach Canada entflohen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ist er entflohen?&laquo; sagte Madame de Thoux schnell.
-&raquo;Gott sei gedankt!&laquo;</p>
-
-<p>Georg richtete einen fragenden Blick auf sie, aber
-sagte nichts.</p>
-
-<p>Madame de Thoux st&uuml;tzte ihren Kopf in die Hand
-und brach in Thr&auml;nen aus.</p>
-
-<p>&raquo;Er ist mein Bruder,&laquo; sagte sie.</p>
-
-<p>&raquo;Madame!&laquo; rief Georg mit dem Ausdruck des
-h&ouml;chsten Erstaunens.</p>
-
-<p>&raquo;Ja,&laquo; entgegnete Madame de Thoux stolz, ihren
-Kopf empor richtend und ihre Thr&auml;nen trocknend, &mdash;
-&raquo;Mr. Shelby, Georg Harris ist mein Bruder!&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich bin im h&ouml;chsten Grade erstaunt,&laquo; sagte Georg,
-indem er seinen Stuhl zur&uuml;ckschob und Madame de
-Thoux betrachtete.</p>
-
-<p>&raquo;Ich wurde nach dem S&uuml;den verkauft, als er noch
-ein Knabe war,&laquo; sagte sie, &raquo;und von einem guten,
-menschenfreundlichen Manne gekauft. Er nahm mich mit
-sich nach den westindischen Inseln, gab mir meine Freiheit
-und heirathete mich. Erst vor Kurzem starb er,
- <span class="pagenum"><a id="Page_279">[S. 279]</a></span>
-und ich wollte nach Kentucky gehen, um zu sehen, ob
-ich meinen Bruder loskaufen k&ouml;nne.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich habe ihn von einer Schwester Emilie sprechen
-h&ouml;ren, die nach S&uuml;den verkauft wurde,&laquo; sagte Georg.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, das bin ich,&laquo; entgegnete Madame de Thoux.
-&mdash; &raquo;Bitte, sagen Sie mir, was f&uuml;r ein &mdash;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ein sehr h&uuml;bscher, junger Mann,&laquo; erwiederte Georg,
-&raquo;ungeachtet des Fluches der Sklaverei, der auf ihm
-lastete. Er erwarb sich stets in Bezug auf Intelligenz
-und Grunds&auml;tze die besten Zeugnisse. Ich kenne ihn
-de&szlig;halb,&laquo; f&uuml;gte er hinzu, &raquo;weil er in unsere Familie
-geheirathet hat.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was f&uuml;r ein M&auml;dchen?&laquo; fragte Madame de Thoux
-eifrig.</p>
-
-<p>&raquo;Einen wahren Schatz,&laquo; entgegnete Georg; &mdash;
-&raquo;ein sch&ouml;nes, kluges, liebensw&uuml;rdiges und sehr frommes
-M&auml;dchen. Meine Mutter hatte sie fast so sorgsam auferzogen,
-als wenn sie ihre eigene Tochter gewesen w&auml;re.
-Sie konnte lesen und schreiben, sehr sch&ouml;n, und sticken,
-und sang vortrefflich.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wurde sie in Ihrem Hause geboren?&laquo; fragte Madame
-de Thoux.</p>
-
-<p>&raquo;Nein. Mein Vater kaufte sie auf einer seiner
-Reisen nach New-Orleans und brachte sie meiner Mutter
-als Geschenk mit. Sie mochte damals acht oder neun
-Jahre alt sein. Vater wollte uns nie sagen, wie viel
-er f&uuml;r sie gegeben hatte; allein vor Kurzem, als wir
-seine alten Papiere durchsahen, fanden wir den Verkaufsbrief.
-Er hatte eine ungeheure Summe f&uuml;r sie bezahlt,
-ich glaube, mit R&uuml;cksicht auf ihre ungew&ouml;hnliche Sch&ouml;nheit.&laquo;</p>
-
-<p>Georg sa&szlig; mit dem R&uuml;cken gegen Cassy gewendet,
-und konnte de&szlig;halb die gespannte Aufmerksamkeit ihrer
-Z&uuml;ge nicht bemerken, w&auml;hrend er diese Details mittheilte.
-Bei diesem Punkte der Erz&auml;hlung ber&uuml;hrte sie seinen
-Arm und sagte mit einem vor &auml;ngstlicher Spannung
- <span class="pagenum"><a id="Page_280">[S. 280]</a></span>
-bleich gewordenen Gesichte: &raquo;Kennen Sie den Namen
-der Leute, von denen sie gekauft wurde?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ein Mann Namens Simmons, glaube ich, war
-die Hauptperson in dem Gesch&auml;fte; wenigstens, denke
-ich, stand dieser Name im Verkaufsbriefe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;O mein Gott!&laquo; rief Cassy, und fiel bewu&szlig;tlos
-auf den Boden der Kaj&uuml;te.</p>
-
-<p>Georg war im h&ouml;chsten Grade &uuml;berrascht, und ebenso
-Madame de Thoux. Obgleich keines von Beiden errathen
-konnte, was die Ursache ihrer Ohnmacht sei, so
-machten sie doch allen, in solchen F&auml;llen gew&ouml;hnlichen,
-Tumult; &mdash; Georg stie&szlig; in dem Eifer seiner Menschenfreundlichkeit
-ein Waschbecken um und zerbrach zwei
-Gl&auml;ser; und mehrere andere Damen, die davon geh&ouml;rt
-hatten, da&szlig; Jemand in Ohnmacht gefallen sei, dr&auml;ngten
-sich um die Th&uuml;r, und hielten alle frische Luft ab, so
-viel sie konnten; so da&szlig;, im Ganzen genommen, Alles
-geschah, was nur erwartet werden konnte.</p>
-
-<p class="pmb3">Arme Cassy! Als sie wieder zu sich kam, lehnte sie
-ihr Gesicht gegen die Wand und weinte und schluchzte
-wie ein Kind. Vielleicht wei&szlig;t Du, o Mutter, woran
-sie dachte, vielleicht auch nicht; aber sie f&uuml;hlte in dieser
-Stunde, da&szlig; Gott ihr gn&auml;dig gewesen sei, und da&szlig; sie
-ihre Tochter wieder sehen werde, &mdash; wie mehrere Monate
-sp&auml;ter geschah, &mdash; als &mdash; doch wir greifen vor.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Dreiundvierzigstes_Kapitel">Dreiundvierzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Ergebnisse.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Der Rest unserer Geschichte ist bald erz&auml;hlt. Georg
-Shelby, der, wie jeder andere junge Mann an seiner
-Stelle, durch das Romantische des Falles und seine
-eigenen menschenfreundlichen Gef&uuml;hle bewogen, besonderes
- <span class="pagenum"><a id="Page_281">[S. 281]</a></span>
-Interesse an dieser Angelegenheit genommen hatte, sendete
-Cassy den Verkaufsbrief &uuml;ber Elisa, dessen Datum
-und Name mit ihrer eigenen Kenntni&szlig; der Umst&auml;nde
-&uuml;bereintraf, und also keinen Zweifel &uuml;ber die Identit&auml;t
-ihres Kindes zur&uuml;cklie&szlig;. Es kam jetzt nur noch darauf
-an, die Spur der Fl&uuml;chtlinge zu verfolgen.</p>
-
-<p>Sie und Madame de Thoux, die auf diese Weise
-durch die seltsame Ber&uuml;hrung ihrer Schicksale zusammengef&uuml;hrt
-worden waren, begaben sich sofort nach Canada,
-und begannen hier ihre Nachforschungen auf den Stationen,
-wo die zahlreichen Fl&uuml;chtlinge aus der Sklaverei
-untergebracht werden.</p>
-
-<p>In Amherstberg fanden sie den Mission&auml;r, bei dem
-Georg und Elisa nach ihrer ersten Ankunft in Canada
-ein Unterkommen gefunden hatten; und durch ihn wurden
-sie in den Stand gesetzt, der Familie nach Montreal
-zu folgen.</p>
-
-<p>Georg und Elisa waren jetzt seit f&uuml;nf Jahren frei.
-Georg hatte fortw&auml;hrende Besch&auml;ftigung in der Werkstatt
-eines achtbaren Maschinisten gefunden, wo er einen hinreichenden
-Unterhalt f&uuml;r seine Familie erwarb, die sich
-inzwischen um eine Tochter vermehrt hatte. Der kleine
-Harry, &mdash; ein h&uuml;bscher, munterer Knabe, &mdash; war in
-eine gute Schule gebracht worden, und machte schnelle
-Fortschritte.</p>
-
-<p>Der w&uuml;rdige Geistliche der Station in Amherstberg,
-wo Georg zuerst gelandet war, hatte so gro&szlig;en Antheil
-an den Mittheilungen der Madame de Thoux und Cassy's
-genommen, da&szlig; er den Bitten der Ersteren nachgab, sie
-zum Zwecke ihrer Nachforschungen bis nach Montreal zu
-begleiten.</p>
-
-<p>Die Scene verwandelt sich jetzt in eine kleine niedliche
-Wohnung in den Vorst&auml;dten von Montreal. Es ist
-Abend. Ein lustiges Feuer brennt auf dem Heerde; der
-Theetisch ist mit einem wei&szlig;en Tuche bedeckt, und steht
-zum Abendessen bereit. In der einen Ecke des Zimmers
- <span class="pagenum"><a id="Page_282">[S. 282]</a></span>
-befindet sich ein Tisch, der mit einem gr&uuml;nen Tuche &uuml;berzogen
-ist, und auf dem man Schreibzeug, Papier und
-Federn bemerkt, w&auml;hrend &uuml;ber demselben ein Brett mit
-einer ausgesuchten Sammlung von B&uuml;chern angebracht
-ist. Dies war Georg's Studirzimmer. Derselbe Eifer
-f&uuml;r Belehrung, der ihn dazu antrieb, die von ihm so
-sehr ersehnten K&uuml;nste des Lesens und Schreibens sich
-heimlich, unter den M&uuml;hseligkeiten und Dem&uuml;thigungen
-seines fr&uuml;heren Lebens anzueignen, vermochte ihn auch
-jetzt, alle seine Mu&szlig;estunden zu seiner Ausbildung zu
-verwenden.</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke sitzt er am Tische, und ist
-damit besch&auml;ftigt, Ausz&uuml;ge aus einem Bande der Familienbibliothek
-zu machen, den er gelesen hat.</p>
-
-<p>&raquo;Komm', Georg,&laquo; sagt Elisa, &raquo;Du bist den ganzen
-Tag aus dem Hause gewesen. Lege jetzt Dein Buch bei
-Seite, und la&szlig; uns zusammen plaudern, w&auml;hrend ich
-den Thee bereite.&laquo;</p>
-
-<p>Und die kleine Elisa unterst&uuml;tzt die Bitte, indem sie
-zu ihrem Vater herum getrippelt k&ouml;mmt und ihm das
-Buch aus der Hand zu ziehen versucht, um sich an dessen
-Stelle auf sein Knie niederzulassen.</p>
-
-<p>&raquo;O Du kleine Hexe!&laquo; sagt Georg nachgebend, wie
-ein Mann unter solchen Umst&auml;nden immer mu&szlig;.</p>
-
-<p>&raquo;Das ist recht,&laquo; sagt Elisa, w&auml;hrend sie das Brod
-zu schneiden beginnt. Sie ist etwas &auml;lter geworden, ihre
-Gestalt etwas voller, und ihre Miene etwas matronenhafter;
-aber zufrieden und gl&uuml;cklich scheint sie zu sein.</p>
-
-<p>&raquo;Harry, mein Junge, wie bist Du heut mit Deiner
-Rechnung fertig geworden?&laquo; fragt Georg, w&auml;hrend er
-seine Hand auf des Sohnes Kopf legt.</p>
-
-<p>Harry hat seine Locken verloren; aber er kann nie
-jene Augen und Augenlider verlieren, und die sch&ouml;ne,
-k&uuml;hne Stirne, die von Triumph strahlt, w&auml;hrend er antwortet:
-&raquo;Ich habe sie <em class="gesperrt">ganz allein</em> gemacht, und <em class="gesperrt">Niemand</em>
-hat mir geholfen!&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_283">[S. 283]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Das ist recht,&laquo; sagt der Vater, &raquo;verla&szlig; Dich immer
-auf Dich selbst, mein Sohn. Du hast mehr Aussicht,
-als Dein armer Vater jemals hatte.&laquo;</p>
-
-<p>In diesem Augenblick wird ein Klopfen an der
-Th&uuml;r geh&ouml;rt, und Elisa geht und &ouml;ffnet sie. Das freudige:
-&raquo;Wie! &mdash; Sie sind es?&laquo; ruft den Mann herbei,
-und der gute Pastor von Amherstberg wird bewillkommt.
-Zwei andere Frauenzimmer begleiten ihn, welche Elisa
-zum Sitzen einladet.</p>
-
-<p>Wenn wir die Wahrheit sagen sollen, so hatte der
-gute Pastor ein kleines Programm entworfen, nach welchem
-sich diese Angelegenheit entwickeln sollte; und auf dem
-Wege dahin hatten Alle sich gegenseitig ermahnt, vorsichtig
-zu sein und nichts vor der Zeit zu verrathen, sondern
-der getroffenen Verabredung getreu zu bleiben.
-Wie gro&szlig; war daher des guten Mannes Best&uuml;rzung, als
-gerade in dem Augenblicke, wo er sein Taschentuch hervorzog,
-um seinen Mund abzuwischen, und seine Einleitungsrede
-in guter Ordnung beginnen wollte, Madame
-de Thoux den ganzen Plan vereitelte, indem sie ihre
-Arme um Georg's Hals schlang und Alles durch die
-Worte verrieth: &raquo;O Georg! kennst Du mich nicht? Ich
-bin Deine Schwester Emilie!&laquo;</p>
-
-<p>Cassy hatte sich mit mehr Fassung niedergesetzt, und
-w&uuml;rde ihre Rolle wahrscheinlich sehr gut durchgef&uuml;hrt
-haben, wenn nicht pl&ouml;tzlich die kleine Elisa grade in derselben
-Gestalt, mit denselben Z&uuml;gen und Locken vor ihr
-erschienen w&auml;re, wie sie ihre Tochter hatte, als sie sie
-zum letzten Male sah. Das kleine Wesen schaute ihr
-in's Gesicht, und Cassy fing sie in ihren Armen, dr&uuml;ckte
-sie an ihren Busen und rief, was sie in diesem Augenblicke
-wirklich glaubte: &raquo;Mein Liebling, ich bin Deine
-Mutter!&laquo;</p>
-
-<p>Es war in der That eine schwierige Aufgabe, geh&ouml;rige
-Ordnung wieder herzustellen; allein endlich gelang
-es dem guten Pastor doch, Alle zur Ruhe zu bringen,
- <span class="pagenum"><a id="Page_284">[S. 284]</a></span>
-und seine Rede zu halten, mit der er die Sache hatte
-er&ouml;ffnen wollen, welche eine solche Wirkung &auml;u&szlig;erte, da&szlig;
-seine s&auml;mmtliche Zuh&ouml;rerschaft in ein Schluchzen ausbrach,
-das jeden Redner, &auml;lterer oder neuerer Zeit, befriedigt
-haben w&uuml;rde. Sie knieten zusammen nieder, und der
-gute Mann betete, &mdash; denn es gibt Gef&uuml;hle so gewaltiger
-Art, da&szlig; sie nur dann Ruhe finden k&ouml;nnen, wenn sie
-in den Busen der allm&auml;chtigen Liebe ausgegossen werden;
-&mdash; und sodann erhoben sich die Mitglieder der neugefundenen
-Familie, und umarmten einander mit heiligem
-Vertrauen zu ihm, der sie aus solchen Gefahren, und
-auf so dunklen Wegen hier zusammengef&uuml;hrt hatte.</p>
-
-<p>Das Tagebuch eines Mission&auml;rs unter den canadischen
-Fl&uuml;chtlingen enth&auml;lt wahre Thatsachen, die wunderbarer
-sind als Erfindungen irgend einer Art. Wie kann
-es anders sein, wo ein System besteht, welches die Familien
-zerrei&szlig;t und ihre Mitglieder zerstreut, wie der
-Wind die Bl&auml;tter des Herbstes zerstreut? Diese K&uuml;sten
-vereinigen oft, wie die der Ewigkeit, Herzen, die schon
-lange Jahre um einander als verloren getrauert hatten;
-und unbeschreiblich r&uuml;hrend ist der Eifer, mit dem jeder
-neue Ank&ouml;mmling von ihnen empfangen wird, um zu
-h&ouml;ren, ob er vielleicht Nachrichten von Mutter, Schwester,
-Kind oder Weib bringe, die noch in der Nacht der
-Sklaverei schmachten. Gr&ouml;&szlig;ere Heldenthaten werden hier
-vollbracht, als im Romane geschildert werden k&ouml;nnen,
-wenn der Fl&uuml;chtling, den Martern und selbst dem Tode
-trotzend, freiwillig zu den Schrecken und Gefahren jenes
-dunklen Landes zur&uuml;ckkehrt, um seine Mutter, seine
-Schwester oder seine Frau zu erretten.</p>
-
-<p>Ein junger Mann, von dem uns ein Mission&auml;r erz&auml;hlte,
-war zweimal wieder gefangen worden, und hatte
-die schrecklichsten Mi&szlig;handlungen erduldet, als er zum
-dritten Male entfloh; und zeigte seinen Freunden in
-einem Briefe an, der uns vorgelesen worden ist, da&szlig; er
-zum dritten Male zur&uuml;ckkehre, um endlich seine Schwester
- <span class="pagenum"><a id="Page_285">[S. 285]</a></span>
-zu befreien. Ist dieser Mensch ein Held oder ein
-Verbrecher? Wer w&uuml;rde nicht dasselbe f&uuml;r seine Schwester
-thun? Wer kann ihn tadeln?</p>
-
-<p>Aber wir m&uuml;ssen zu unsern Freunden zur&uuml;ckzukehren,
-die wir verlie&szlig;en, als sie ihre Augen trockneten, und sich
-von einer zu gro&szlig;en und zu pl&ouml;tzlichen Freude erholten.
-Jetzt sitzen sie um den gastlichen Tisch, und beginnen ganz
-ernstlich gesellig zu werden; nur da&szlig; Cassy, welche die
-kleine Elisa auf ihrem Schoo&szlig;e h&auml;lt, das kleine Wesen
-zuweilen auf eine Weise dr&uuml;ckt, welche dasselbe in Erstaunen
-setzt, und sich hartn&auml;ckig weigert, sich den Mund
-in einem solchen Maa&szlig;e mit Kuchen stopfen zu lassen,
-wie die Kleine es w&uuml;nscht, &mdash; indem sie sagt, wor&uuml;ber
-sich das Kind in hohem Grade wundert, da&szlig; sie etwas
-Besseres als Kuchen habe und dessen nicht bed&uuml;rfe.</p>
-
-<p>Und in der That ist mit Cassy in Zeit von zwei
-bis drei Tagen eine solche Ver&auml;nderung vorgegangen,
-da&szlig; unsere Leser sie kaum kennen w&uuml;rden. Der verzweifelnde,
-wilde Ausdruck des Gesichts ist dem eines
-sanften Vertrauens gewichen. Sie scheint auf einmal in
-den Busen der Familie zu sinken, und die Kleinen in
-ihr Herz zu schlie&szlig;en, wie Etwas, worauf sie lange gewartet
-hat. Wirklich schien ihre Liebe sich mehr der
-kleinen Elisa, als ihrer Tochter zuzuwenden; denn sie
-war das getreue Abbild des Kindes, welches sie verloren
-hatte. Das kleine Wesen war ein Blumenband zwischen
-Mutter und Tochter, durch welches Bekanntschaft und
-Zuneigung wieder aufwuchsen. Elisa's best&auml;ndige, durch
-fortw&auml;hrendes Lesen der heiligen Schrift geregelte Fr&ouml;mmigkeit
-machte sie zu einer geeigneten F&uuml;hrerin f&uuml;r das
-zerrissene Gem&uuml;th ihrer Mutter. Cassy war schnell und
-von ganzem Herzen f&uuml;r jeden guten Einflu&szlig; empf&auml;nglich,
-und wurde eine aufrichtige und and&auml;chtige Christin.</p>
-
-<p>Nach einigen Tagen machte Madame de Thoux ihrem
-Bruder genauere Mittheilungen &uuml;ber ihre Verh&auml;ltnisse.
-Der Tod ihres Mannes hatte sie in den Besitz eines
- <span class="pagenum"><a id="Page_286">[S. 286]</a></span>
-bedeutenden Verm&ouml;gens gesetzt, welches sie gro&szlig;m&uuml;thig
-mit der Familie zu theilen sich erbot. Als sie Georg
-fragte, auf welchem Wege sie es am Besten f&uuml;r ihn verwenden
-k&ouml;nne, antwortete er ihr: &raquo;Verleihe mir Bildung,
-Emilie; danach hat immer mein Herz verlangt.
-Dann kann ich alles Uebrige thun.&laquo;</p>
-
-<p>Nach reiflicher Ueberlegung wurde beschlossen, da&szlig;
-die ganze Familie auf einige Jahre nach Frankreich gehen
-solle, wohin sie alsbald abreiste und Emmeline mitnahm.
-Das h&uuml;bsche Aeu&szlig;ere der Letzteren erweckte die Liebe des
-ersten Steuermanns auf dem Schiffe, und Emmeline
-wurde bald nach dem Einlaufen in den Hafen sein
-Weib.</p>
-
-<p>Georg blieb vier Jahre auf einer franz&ouml;sischen Universit&auml;t,
-und erlangte durch unerm&uuml;dlichen Flei&szlig; eine
-gr&uuml;ndliche Bildung. Die politischen Unruhen Frankreichs
-bewogen endlich die Familie, von Neuem eine Zuflucht
-in diesem Lande zu suchen. Georg's Empfindungen und
-Ansichten als eines gebildeten Mannes lassen sich am
-Besten aus einem an seine Freunde gerichteten Briefe
-entnehmen:</p>
-
-<blockquote>
-<p>&raquo;Ich bin noch nicht ganz einig mit mir &uuml;ber mein
-zuk&uuml;nftiges Verhalten. Zwar k&ouml;nnte ich mich, wie Sie
-mir sagten, in die Kreise der Wei&szlig;en in diesem Lande
-mischen, da meine eigene Farbe so hell und die meiner
-Frau und Familie kaum bemerkbar ist. Kann sein, ich
-w&uuml;rde vielleicht dort geduldet werden. Aber um die
-Wahrheit zu sagen, ich mag es nicht thun.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Meine Sympathien geh&ouml;ren nicht dem Geschlechte
-meines Vaters, sondern dem meiner Mutter. Ihm galt
-ich nicht mehr als ein sch&ouml;ner Hund oder ein sch&ouml;nes
-Pferd; aber meiner armen Mutter mit ihrem gebrochenen
-Herzen war ich ein Kind; und obgleich ich sie nach
-jenem grausamen Verkaufe, der uns trennte, nie wieder
-sah, bis sie starb, so wei&szlig; ich doch, da&szlig; sie mich innig
-liebte. Ich wei&szlig; es durch mein eignes Herz. Wenn
- <span class="pagenum"><a id="Page_287">[S. 287]</a></span>
-ich an alles das denke, was sie litt, an meine eignen
-fr&uuml;hen Leiden, an die Schmerzen und K&auml;mpfe eines heldenm&uuml;thigen
-Weibes, an meine Schwester, die in New-Orleans
-auf dem Sklavenmarkte verkauft wurde, &mdash; so
-darf ich, ohne unchristliche Empfindungen zu haben, sagen,
-da&szlig; ich nicht f&uuml;r einen Amerikaner gelten, oder
-mich mit ihm identificiren m&ouml;chte.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Das unterdr&uuml;ckte, in Ketten geschlagene afrikanische
-Geschlecht ist es, zu dem ich mich hingezogen f&uuml;hle; und
-wenn ich etwas w&uuml;nschen sollte, so w&auml;re es eher, da&szlig;
-ich um zwei Schattirungen dunkler, als um eine heller
-w&auml;re.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Der Wunsch und das Sehnen meines Herzens
-richtet sich auf eine afrikanische <em class="gesperrt">Nationalit&auml;t</em>. Ich
-verlange nach einem Volke, welches eine erkennbare, besondre
-Existenz f&uuml;r sich selbst hat; und wo soll ich das
-finden? Nicht in Hayti, denn dort hatten sie keine Grundlage
-f&uuml;r den Anfang. Ein Strom kann sich nicht &uuml;ber
-seine Quelle erheben. Das Geschlecht, welches den Charakter
-der Haytier bildete, war ein entkr&auml;ftetes, verweichlichtes,
-und wird de&szlig;halb nat&uuml;rlich Jahrhunderte gebrauchen,
-um sich nur zu Etwas zu erheben.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wo soll ich also suchen? An den K&uuml;sten Afrika's
-sehe ich eine Republik, &mdash; die von auserlesenen M&auml;nnern
-gebildet ist, welche sich durch Energie und selbstbildende
-Kraft in vielen F&auml;llen individuell &uuml;ber den Zustand der
-Sklaverei erhoben haben. Nachdem diese Republik durch
-ein vorbereitendes Stadium von Schw&auml;che gegangen ist,
-ist sie endlich eine anerkannte Nation der Erde geworden,
-&mdash; anerkannt von Frankreich und England. Dahin
-w&uuml;nsche ich zu gehen, um ein Volk f&uuml;r mich zu finden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; wohl, da&szlig; ich Sie jetzt alle gegen mich
-haben werde; aber ehe Sie mich verdammen, h&ouml;ren Sie
-mich! W&auml;hrend meines Aufenthaltes in Frankreich habe
-ich mit gro&szlig;em Interesse die Geschichte meines Volkes
-in Amerika studirt. Ich habe den Kampf zwischen dem
- <span class="pagenum"><a id="Page_288">[S. 288]</a></span>
-Abolitions- und Colonisationssysteme beobachtet, und als
-entfernter Zuschauer einige Wahrnehmungen gemacht, die
-ich als Theilnehmer nicht w&uuml;rde haben machen k&ouml;nnen.
-Ich gebe zu, da&szlig; dieses Liberia allen Zwecken gedient
-haben mag, indem es in den H&auml;nden unserer Unterdr&uuml;cker
-gegen uns gebraucht wurde. Ohne Zweifel ist der Plan
-auf unverantwortliche Weise zur Verz&ouml;gerung unserer
-Emancipation gebraucht worden; aber meine Frage ist:
-Giebt es nicht einen Gott, der &uuml;ber allen Pl&auml;nen erhaben
-ist! Kann er nicht ihre Absichten beherrscht, und
-durch sie eine Nation f&uuml;r uns gegr&uuml;ndet haben?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;In der jetzigen Zeit wird eine Nation in einem
-Tage geboren. Eine Nation erhebt sich jetzt mit allen
-den gro&szlig;en Problemen der Civilisation und republikanischen
-Lebens fertig zur Hand. Sie hat nicht mehr zu
-entdecken, sondern nur anzuwenden. La&szlig;t uns also alle
-mit aller Kraft zusammenhalten, und sagen, was wir in
-diesem neuen Unternehmen verm&ouml;gen, und der ganze
-Continent Afrika's wird sich uns und unsern Kindern
-&ouml;ffnen. Unsere Nation wird die Fluth der Civilisation
-und des Christenthums &uuml;ber seine K&uuml;sten ergie&szlig;en, und
-m&auml;chtige Republiken gr&uuml;nden, die, mit der Schnelligkeit
-tropischer Vegetation aufwachsend, f&uuml;r alle kommenden
-Jahrhunderte bestehen werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sagen Sie, da&szlig; ich meine in der Sklaverei
-schmachtenden Br&uuml;der vergesse? Ich glaube nicht. Wenn
-ich sie eine Stunde, einen Augenblick meines Lebens
-vergesse, so m&ouml;ge Gott mich vergessen! Aber was kann
-ich hier f&uuml;r sie thun? Kann ich ihre Ketten zerbrechen?
-Nein, nicht als Individuum; aber lassen Sie mich gehen
-und ein Theil einer Nation werden, welche eine Stimme
-in dem Rathe der V&ouml;lker erlangen wird, und dann k&ouml;nnen
-wir reden. Eine Nation hat das Recht, die Sache
-ihres Stammes zu besprechen, zu vertreten, &mdash; was ein
-Individuum nicht kann.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Wenn Europa jemals eine gro&szlig;e Versammlung
- <span class="pagenum"><a id="Page_289">[S. 289]</a></span>
-freier Nationen wird, &mdash; wie ich zu Gott hoffe, &mdash; wenn
-darin Knechtschaft und alle ungerechten, dr&uuml;ckenden, socialen
-Ungleichheiten aufgehoben worden sind; und wenn
-sie, wie England und Frankreich bereits gethan haben,
-unsere Stellung anerkennen, &mdash; dann wollen wir in dem
-gro&szlig;en Congre&szlig; der Nationen unsere Stimme h&ouml;ren
-lassen, und die Sache unseres geknechteten, leidenden
-Stammes zur Sprache bringen; und es ist unm&ouml;glich, da&szlig;
-das freie, aufgekl&auml;rte Amerika dann nicht den schwarzen
-Fleck von seinem Wappenschilde vertilgen sollte, der es
-sch&auml;ndet, und ein eben so gro&szlig;er Fluch f&uuml;r das Land
-selbst wie f&uuml;r seine Sklaven ist.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Aber Sie werden mir sagen, da&szlig; unser Stamm
-dasselbe Recht habe, in der amerikanischen Republik zu
-leben, wie der Irl&auml;nder, der Deutsche, der Schwede, und
-ich gestehe das zu. Wir <em class="gesperrt">sollten</em> die Freiheit haben,
-dort zu leben, uns durch unsern individuellen Werth,
-ohne R&uuml;cksicht auf Kaste oder Farbe, zu heben; und
-Diejenigen, welche uns dieses Recht versagen, sind ihren
-eigenen Grunds&auml;tzen von menschlicher Gleichheit ungetreu.
-Wir sollten insbesondre hier zugelassen werden; denn wir
-haben ein gr&ouml;&szlig;eres Recht als das der gew&ouml;hnlichen Menschen
-ist: wir haben die Anspr&uuml;che eines verletzten Stammes
-auf Entsch&auml;digung. Allein, ich mache keine Anspr&uuml;che
-darauf; ich will ein eignes Land, eine eigene Nation haben.
-Ich glaube, da&szlig; der afrikanische Stamm besondere
-Eigenschaften hat, die noch unter dem Lichte der Civilisation
-und des Christenthums entwickelt werden m&uuml;ssen,
-und die, wenn es nicht dieselben sind, welche der angels&auml;chsische
-Stamm besitzt, in moralischer Beziehung vielleicht
-nur noch h&ouml;her stehen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Dem angels&auml;chsischen Stamme sind die Geschicke
-der Welt w&auml;hrend der Periode ihres Ringens und
-K&auml;mpfens anvertraut gewesen, und zu dieser Mission
-waren seine strengen, unbeugsamen, energischen Elemente
- <span class="pagenum"><a id="Page_290">[S. 290]</a></span>
-wohl geeignet; aber als ein Christ sehe ich einer andern
-Aera entgegen. Ich hoffe, da&szlig; wir an ihren Gr&auml;nzen
-stehen, und da&szlig; die Schmerzen, von denen die Nationen
-jetzt zerrissen werden, nur die Geburtswehen einer
-Stunde sind, welche uns allgemeinen Frieden und allgemeine
-Br&uuml;derschaft bringen wird.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich hoffe, da&szlig; die Entwickelung Afrika's vorzugsweise
-eine christliche sein wird. Wenn der eingeborene
-Stamm kein herrschender und gebietender ist, so ist er
-wenigstens ein gef&uuml;hlvoller, gro&szlig;herziger und vergebender.
-Da er in den Gl&uuml;hofen der Ungerechtigkeit und
-Unterdr&uuml;ckung gesunken ist, so mu&szlig; er jene erhabene
-Lehre der Liebe und Vergebung um so fester in sein
-Herz schlie&szlig;en, als er durch sie allein siegen kann, und
-ihre Verbreitung &uuml;ber den Continent Afrika's die ihm
-aufgetragene Mission ist.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich selbst bin, wie ich gestehen mu&szlig;, schwach in
-diesem Punkte, denn die eine H&auml;lfte meines Blutes ist
-das hei&szlig;e, hitzige, s&auml;chsische; aber ich habe in der Person
-meines sch&ouml;nen Weibes einen beredten Prediger des
-Evangeliums an meiner Seite. Wenn ich mich verirre,
-f&uuml;hrt mich ihr sanfterer Geist stets zur&uuml;ck, und h&auml;lt
-meinen Augen den christlichen Beruf unseres Geschlechtes
-vor. Ich gehe als ein christlicher Patriot, als ein
-Lehrer des Christenthums nach <em class="gesperrt">meinem Vaterlande</em>
-&mdash; meinem erw&auml;hlten, glorreichen Afrika! auf das ich
-in meinem Herzen oft jene herrlichen Worte der Prophezeiung
-anwende: &mdash; &raquo;Sintemalen Du verlassen und
-verha&szlig;t gewesen, so da&szlig; Niemand von Dir wissen wollen,
-will ich Dich zu ewigem Ruhme erheben, und zur
-Freude vieler Geschlechter!&laquo;&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Sie werden mich einen Enthusiasten nennen, und
-werden mir sagen, da&szlig; ich das nicht reiflich &uuml;berlegt
-habe, was ich zu unternehmen im Begriffe stehe; aber
-ich habe &uuml;berlegt und die Kosten berechnet. Ich gehe
-nach Liberia, nicht wie nach einem romantischen Elysium,
- <span class="pagenum"><a id="Page_291">[S. 291]</a></span>
-sondern wie nach einem Felde der Arbeit. Ich
-rechne darauf, mit beiden H&auml;nden dort zu arbeiten, &mdash;
-schwer zu arbeiten; gegen alle Arten Schwierigkeiten
-und Entmuthigungen zu arbeiten, &mdash; und zu arbeiten,
-bis ich sterbe. Das ist der Zweck meines Gehens, und
-ich bin &uuml;berzeugt, da&szlig; ich darin nicht werde get&auml;uscht
-werden.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Was Sie auch immer von meinem Entschlusse
-denken m&ouml;gen, entziehen Sie mir de&szlig;halb Ihr Vertrauen
-nicht, und sein Sie &uuml;berzeugt, da&szlig; ich bei Allem, was
-ich thue, mit einem Herzen handle, welches ganz meinem
-Volke angeh&ouml;rt.&laquo;</p>
-
-<p class="left">
-&raquo;Georg Harris.&laquo;<br />
-</p>
-</blockquote>
-
-<p>Einige Wochen sp&auml;ter schiffte sich Georg mit seinem
-Weibe, seinen Kindern, seiner Schwester und Mutter
-nach Afrika ein. Wenn wir uns nicht t&auml;uschen, wird
-die Welt dort noch von ihm h&ouml;ren.</p>
-
-<p>Von unsern &uuml;brigen Personen haben wir nichts
-Besonderes mehr zu erw&auml;hnen, ausgenommen ein Wort
-in Beziehung auf Mi&szlig; Ophelia und Topsy, und ein
-Schlu&szlig;kapitel, welches wir Georg Shelby widmen
-wollen.</p>
-
-<p>Mi&szlig; Ophelia nahm Topsy mit sich nach Vermont,
-und zwar zum gro&szlig;en Erstaunen derjenigen ernsten und
-bed&auml;chtigen Personen, welche ein Neu-Engl&auml;nder unter
-dem Ausdrucke: &raquo;Unsere Leute&laquo; versteht. &raquo;Unsere Leute&laquo;
-waren anfangs der Meinung, da&szlig; Topsy eine seltsame
-und unn&ouml;thige Vergr&ouml;&szlig;erung ihres wohlgeregelten Haushaltes
-sei; allein so erfolgreich war Mi&szlig; Ophelien's gewissenhaftes
-Streben, ihre Pflicht gegen ihren Z&ouml;gling
-zu thun, da&szlig; das Kind schnell bei der Familie und der
-Nachbarschaft in Gunst und Gnade zunahm. Als sie
-das Alter der Jungfr&auml;ulichkeit erreicht hatte, wurde sie
-auf ihren eigenen Wunsch getauft, wurde ein Mitglied
-der christlichen Gemeinde des Ortes, und verrieth so
- <span class="pagenum"><a id="Page_292">[S. 292]</a></span>
-viel Verstand, Th&auml;tigkeit, Eifer und Verlangen, Gutes
-in der Welt zu wirken, da&szlig; sie endlich als Mission&auml;rin
-zu einer der Stationen in Afrika empfohlen und
-best&auml;tigt wurde; und wir haben geh&ouml;rt, da&szlig; dieselbe
-Th&auml;tigkeit und Empfindungsgabe, welche sie in ihrer
-Kindheit so unst&auml;t in ihrer Entwickelung machte, jetzt
-zu einem heilsameren Zwecke, dem Unterrichte der Kinder
-ihres eigenen Vaterlandes, verwendet wird.</p>
-
-<p class="pmb3"><span class="antiqua">P. S.</span> Es wird f&uuml;r manche Mutter eine Genugthuung
-sein, wenn wir erw&auml;hnen, da&szlig; die von der Madame
-de Thoux veranla&szlig;ten Nachforschungen den Erfolg
-gehabt haben, Cassy's Sohn aufzufinden. Als ein junger,
-energischer Mann war es ihm schon mehrere Jahre
-vor seiner Mutter gegl&uuml;ckt, zu entfliehen, und hatte bei
-Freunden der Unterdr&uuml;ckten im Norden Aufnahme gefunden
-und seine Erziehung erhalten. Er wird n&auml;chstens
-seiner Familie nach Afrika nachfolgen.</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Vierundvierzigstes_Kapitel">Vierundvierzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Der Befreier.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Georg Shelby hatte nur eine Zeile an seine Mutter
-geschrieben, um ihr den Tag seiner Ankunft anzuzeigen.
-Von der Sterbescene seines alten Freundes sagte
-er kein Wort, &mdash; er hatte nicht den Muth dazu. Mehrmals
-hatte er versucht, aber nichts erreicht, als da&szlig;
-ihm vor Wehmuth der Athem stockte, und endete jedesmal
-damit, da&szlig; er das Papier zerri&szlig;, sich die Augen
- <span class="pagenum"><a id="Page_293">[S. 293]</a></span>
-trocknete, und vom Sitze aufsprang, um wieder ruhig zu
-werden.</p>
-
-<p>An jenem Tage fand, in Erwartung der Ankunft
-des jungen Master Georg, im ganzen Shelby'schen
-Hause eine muntere Bewegung Statt. Mrs. Shelby
-sa&szlig; in ihrem bequem eingerichteten Wohnzimmer, wo ein
-gem&uuml;thliches Feuer die K&uuml;hle des Herbstabends verjagte,
-und in der Mitte ein Abendtisch mit Tellern und
-geschliffenen Gl&auml;sern gedeckt stand, dessen Anordnung
-unsere alte Freundin Chloe besorgte. Angethan mit
-einem neuen Kattunkleide, einer reinen, wei&szlig;en Sch&uuml;rze
-und einem hohen, wohl gest&auml;rkten Turbane, gl&auml;nzte ihr
-schwarz polirtes Gesicht von innerer Zufriedenheit, w&auml;hrend
-sie mit unn&ouml;thiger Genauigkeit in ihren Gesch&auml;ften
-am Tische fortfuhr, und sich derselben als Vorwand bediente,
-um mit ihrer Mistre&szlig; ein wenig plaudern zu
-k&ouml;nnen.</p>
-
-<p>&raquo;Sehen Sie, nun! wird's ihm nicht ganz nat&uuml;rlich
-scheinen?&laquo; sagte sie. &raquo;Hier, da, &mdash; ich setze seinen
-Teller hin, wo er am liebsten sitzt, &mdash; hier beim
-Feuer. Master Georg hat gern 'nen warmen Sitz. O,
-gehn Sie mir doch! &mdash; warum hat Sally denn nicht
-die <em class="gesperrt">beste</em> Theekanne genommen, &mdash; die kleine neue,
-die Master Georg zu Weihnachten f&uuml;r Missis gekauft
-hat? &mdash; Will sie holen! &mdash; Und Missis hat von Master
-Georg einen Brief bekommen?&laquo; f&uuml;gte sie fragend
-hinzu.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Chloe, aber nur eine Zeile, die weiter nichts
-enthielt, als da&szlig; er heut Abend hier eintreffen werde,
-wenn es ihm m&ouml;glich sei.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Hat wohl nichts gesagt von meinem alten Mann?&laquo;
-fuhr Chloe fort, sich noch immer mit den Theetassen
-besch&auml;ftigend.</p>
-
-<p>&raquo;Nein, er hat gar nichts von ihm erw&auml;hnt, Chloe.
-Er sagte nur, er w&uuml;rde Alles erz&auml;hlen, wenn er hier
-w&auml;re.&laquo;</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_294">[S. 294]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Ganz wie Master Georg; &mdash; er mu&szlig; immer Alles
-selbst erz&auml;hlen. Habe das immer an Master Georg
-bemerkt. Wei&szlig; gar nicht, ich, wie die wei&szlig;en Leute
-so viel schreiben k&ouml;nnen, als sie gew&ouml;hnlich thun; &mdash;
-schreiben ist so 'ne langsame, m&uuml;hselige Arbeit.&laquo;</p>
-
-<p>Mrs. Shelby l&auml;chelte.</p>
-
-<p>&raquo;Denke, mein alter Mann wird die Jungens und
-'s Kleine gar nicht mehr kennen. Herr! sie ist nun ein
-gro&szlig;es M&auml;dchen, jetzt &mdash; und gut ist sie auch, und
-munter, Polly. Sie ist jetzt im Hause, und pa&szlig;t auf
-die Kuchen auf. Habe grade den rechten Teig gemacht,
-wie ihn mein alter Mann so gern i&szlig;t; grade so wie
-damals, an dem Morgen, wo er fortgebracht wurde.
-Gott sei mir gn&auml;dig! wie mir damals zu Muthe war!&laquo;</p>
-
-<p>Mrs. Shelby seufzte, und f&uuml;hlte bei diesen Worten
-eine schwere Last auf ihr Herz fallen. Sie hatte
-vom ersten Augenblicke, wo sie ihres Sohnes Brief erhalten,
-eine &auml;ngstliche Unruhe dar&uuml;ber empfunden, da&szlig;
-hinter diesem Schleier des Schweigens noch Etwas verborgen
-sein m&ouml;chte.</p>
-
-<p>&raquo;Missis hat doch die Banknoten?&laquo; fragte Chloe
-besorgt.</p>
-
-<p>&raquo;Ja, Chloe.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Weil ich meinem alten Manne gerne dieselben
-Noten zeigen m&ouml;chte, die mir der Kuchenb&auml;cker gegeben
-hat. Und dann sagte er: &rsaquo;Chloe, ich wollte, Du
-bliebst l&auml;nger hier.&lsaquo; &rsaquo;Dank' Ihnen, Master,&lsaquo; sagt'
-ich, &rsaquo;ich th&auml;t's gern, aber mein alter Mann kommt
-nach Hause, und Missis &mdash; sie kann mich nicht l&auml;nger
-entbehren.&lsaquo; Das hab' ich ihm gesagt. War ein sehr
-guter Mann, dieser Master Jones.&laquo;</p>
-
-<p>Chloe hatte hartn&auml;ckig darauf bestanden, da&szlig; dieselben
-Noten, in denen ihr Lohn ausgezahlt worden
-war, aufbewahrt werden sollten, um sie ihrem Manne
-als Beweis ihrer Geschicklichkeit zu zeigen; und Mrs.
-Shelby hatte gern eingewilligt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_295">[S. 295]</a></span></p>
-
-<p>&raquo;Er wird Polly gar nicht mehr kennen, &mdash; mein
-alter Mann. Herr! 's ist nun just f&uuml;nf Jahre, da&szlig;
-sie ihn weg holten! Damals war sie noch ganz klein,
-&mdash; konnte kaum stehen. Wei&szlig; noch, wie &auml;ngstlich er
-immer war, wenn sie laufen wollte und immer hin fiel.&laquo;</p>
-
-<p>Jetzt wurde das Rasseln von R&auml;dern h&ouml;rbar.</p>
-
-<p>&raquo;Master Georg!&laquo; sagte Tante Chloe, an's Fenster
-eilend.</p>
-
-<p>Mrs. Shelby lief nach der Th&uuml;r, und befand sich
-gleich darauf in den Armen ihres Sohnes. Tante Chloe
-stand &auml;ngstlich dabei und suchte mit ihren Augen in der
-Dunkelheit.</p>
-
-<p>&raquo;Meine <em class="gesperrt">arme</em> Tante Chloe!&laquo; sagte Georg, mitleidig
-vor ihr stehen bleibend und ihre harte, schwarze
-Hand in die seinige nehmend: &raquo;ich h&auml;tte mein ganzes
-Verm&ouml;gen darum gegeben, wenn ich ihn h&auml;tte mitbringen
-k&ouml;nnen; aber er ist in ein besseres Land gegangen.&laquo;</p>
-
-<p>Mrs. Shelby stie&szlig; einen Schrei aus, aber Tante
-Chloe sagte nichts.</p>
-
-<p>Alle traten hierauf in das Wohnzimmer, wo das
-Geld noch auf dem Tische lag, auf welches Chloe so
-stolz gewesen war.</p>
-
-<p>&raquo;Da,&laquo; sagte sie, es zusammenraffend und mit zitternder
-Hand ihrer Mistre&szlig; hinhaltend, &mdash; &raquo;will nichts
-weiter davon sehen und h&ouml;ren. Grade so, wie ich mir
-dachte, da&szlig; es kommen w&uuml;rde, &mdash; verkauft und umgebracht
-auf den alten Plantagen!&laquo;</p>
-
-<p>Chloe wandte sich um und schritt stolz zum Zimmer
-hinaus. Mrs. Shelby ging ihr nach, nahm sie sanft
-bei der Hand und zog sie auf einen Stuhl nieder, und
-setzte sich zu ihr.</p>
-
-<p>&raquo;Meine arme, gute Chloe!&laquo; sagte sie.</p>
-
-<p>Chloe lehnte ihren Kopf an die Schulter ihrer
-Mistre&szlig;, und schluchzte laut: &raquo;O Missis, verzeihen Sie
-mir, &mdash; mein Herz bricht.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Ich wei&szlig; es,&laquo; entgegnete Mrs. Shelby, &raquo;und ich
- <span class="pagenum"><a id="Page_296">[S. 296]</a></span>
-kann es nicht heilen, aber Jesus kann es. &rsaquo;Er heilet,
-die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre
-Schmerzen.&lsaquo;&laquo;</p>
-
-<p>Eine Zeit lang herrschte tiefes Schweigen, und Alle
-weinten. Endlich setzte sich Georg neben die Trauernde,
-ergriff ihre Hand, und schilderte mit einfachen, aber gef&uuml;hlvollen
-Worten ihres Mannes triumphirende Sterbescene
-und seine letzten Auftr&auml;ge der Liebe.</p>
-
-<p>Etwa einen Monat sp&auml;ter wurden eines Morgens
-alle Sklaven der Shelby'schen Besitzung in die gro&szlig;e
-Halle des Hauses zusammenberufen, um einige Worte
-von ihrem jungen Herrn zu h&ouml;ren.</p>
-
-<p>Zum Erstaunen Aller erschien er mit einem gro&szlig;en
-B&uuml;ndel Papiere in der Hand, welche die Freilassungsscheine
-jedes Einzelnen enthielten, die er nach der Reihe
-vorlas, und sodann unter Thr&auml;nen und Schluchzen aller
-Anwesenden aush&auml;ndigte. Viele dr&auml;ngten sich um ihn
-und baten ihn flehend, mit &auml;ngstlichen Gesichtern, und
-indem sie ihre Freilassungsscheine zur&uuml;ckreichten, sie nicht
-fortzuschicken.</p>
-
-<p>&raquo;Wir wollen nicht freier sein, als wir sind. Wir
-haben immer Alles gehabt, was wir brauchten. Wir
-wollen den alten Platz nicht verlassen, und Master und
-Missis und alles Uebrige.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Meine guten Freunde,&laquo; sagte Georg, sobald er sie
-zum Schweigen bringen konnte, &raquo;es ist durchaus nicht
-erforderlich, da&szlig; Ihr mich verlasset. Meine Besitzung
-braucht jetzt noch eben so viele Arbeiter, wie fr&uuml;her,
-und eben so mein Haus. Aber Ihr seid jetzt freie M&auml;nner
-und freie Weiber. Ich werde Euch L&ouml;hne f&uuml;r Eure
-Arbeit bezahlen, je nachdem wir &uuml;bereinkommen. Der
-Vortheil f&uuml;r Euch besteht darin, da&szlig;, im Falle ich in
-Schulden gerathen, oder sterben sollte, Ihr nicht genommen
-und verkauft werden k&ouml;nnt. Ich beabsichtige, die
-Bewirthschaftung meiner Besitzung fortzusetzen, und Euch
-zu lehren, was Euch vielleicht einige Zeit zu lernen kosten
- <span class="pagenum"><a id="Page_297">[S. 297]</a></span>
-wird, &mdash; n&auml;mlich, auf welche Weise Ihr von den Rechten
-Gebrauch zu machen habt, die ich Euch als freien
-Menschen gebe. Ich erwarte, da&szlig; Ihr gut sein und willig
-lernen werdet, und hoffe zu Gott, da&szlig; ich gegen Euch
-treu und willig zu lehren sein werde. Und nun, meine
-Freunde, blicket empor und danket Gott f&uuml;r den Segen
-der Freiheit!&laquo;</p>
-
-<p>Ein alter Neger-Patriarch, der auf der Besitzung
-grau und blind geworden war, stand jetzt auf, hob seine
-zitternden H&auml;nde empor, und sagte: &raquo;La&szlig;t uns dem Herrn
-danken!&laquo;</p>
-
-<p>Als Alle niedergekniet waren, stieg aus der Tiefe
-dieses alten, ehrlichen Herzens ein <span class="antiqua">Te Deum</span> zum Himmel,
-wie es selbst beim Klange der Orgel, der Glocken
-und Kanonen nie feierlicher geh&ouml;rt werden konnte.</p>
-
-<p>Als Alle sich erhoben hatten, stimmte ein Anderer
-eine methodistische Hymne an, deren Schlu&szlig;vers war:</p>
-
-<p>
-&raquo;Das Jubeljahr ist jetzt gekommen,<br />
-Kehrt Ihr, befreite S&uuml;nder, heim.&laquo;<br />
-</p>
-
-<p>&raquo;Noch Eins,&laquo; sagte Georg, indem er die Gratulationen
-der Menge unterbrach. &mdash; &raquo;Ihr alle erinnert Euch
-unseres guten, alten Onkel Tom?&laquo;</p>
-
-<p>Hierauf gab Georg eine kurze Schilderung seiner
-Sterbescene, und erw&auml;hnte des liebevollen Abschieds, den
-er ihm an Alle aufgetragen hatte, und f&uuml;gte hinzu:</p>
-
-<p class="pmb3">&raquo;An seinem Grabe, meine Freunde, gelobte ich vor
-Gott, nie wieder einen Sklaven zu besitzen, wenn es in
-meiner Macht stehe, ihn in Freiheit zu setzen, um nie
-Jemanden durch mich der Gefahr auszusetzen, von seiner
-Heimath und seinen Freunden losgerissen zu werden und
-auf einer einsamen Plantage sterben zu m&uuml;ssen, wie er
-starb. So oft Ihr Euch also Eurer Freiheit freut, so
-denkt daran, da&szlig; Ihr sie jener alten, guten Seele verdankt,
-und zeigt Euch durch Liebe gegen seine Frau und
-Kinder daf&uuml;r erkenntlich. Gedenkt Eurer Freiheit, so
- <span class="pagenum"><a id="Page_298">[S. 298]</a></span>
-oft Ihr <em class="gesperrt">Onkel Tom's H&uuml;tte</em> seht, und la&szlig;t sie Euch
-daran erinnern, seinen Fu&szlig;tapfen zu folgen, und so redlich,
-so treu, so christlich zu sein, wie er war.&laquo;</p>
-
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-
-<div class="chapter">
-
-<h2 class="no-break" id="Funfundvierzigstes_Kapitel">F&uuml;nfundvierzigstes Kapitel.<br /><br />
-
-<span class="font09"><b>Schlu&szlig;bemerkungen.</b></span></h2>
-</div>
-
-<p class="pmb1" />
-
-
-<p>Die Verfasserin hat oft von verschiedenen Seiten
-Anfragen dar&uuml;ber erhalten, ob diese Erz&auml;hlung wahre
-Thatsachen enthalte, und sie will deshalb hierauf die nachfolgende
-allgemeine Antwort geben.</p>
-
-<p>Die einzelnen Ereignisse, welche darin zusammengestellt
-worden, sind bis zu einem hohen Grade authentisch,
-und haben sich entweder unter den eignen Augen
-der Verfasserin, oder denen ihrer Freunde zugetragen.
-Sie selbst oder ihre Freunde haben Gegenst&uuml;cke zu fast
-allen Charakteren, die hier geschildert worden sind, beobachtet,
-und viele der eingeflochtenen Reden sind Wort
-f&uuml;r Wort wiedergegeben, wie sie von der Verfasserin geh&ouml;rt
-oder ihr mitgetheilt worden sind.</p>
-
-<p>Die pers&ouml;nliche Erscheinung Elisa's und der ihr beigelegte
-Charakter sind nach dem Leben gezeichnet. Die
-unbestechbare Treue, Rechtlichkeit und Fr&ouml;mmigkeit Tom's
-hat die Verfasserin in mehr als einem pers&ouml;nlichen Beispiele
-selbst beobachtet. Ebenso haben mehrere der tragischsten
-und schrecklichsten Ereignisse ihre Originalien in
-der Wirklichkeit. Die Handlung der Mutter, welche &uuml;ber
-das Eis des Ohioflusses geht, ist eine wohlbekannte Thatsache.
-Die Geschichte der &raquo;alten Prue&laquo; ereignete sich
- <span class="pagenum"><a id="Page_299">[S. 299]</a></span>
-unter der pers&ouml;nlichen Wahrnehmung eines Bruders der
-Verfasserin, welcher Kassirer eines gro&szlig;en Handlungshauses
-in New Orleans war. Aus derselben Quelle ist
-der Charakter des Pflanzers Legree entnommen worden.
-Ueber ihn &auml;u&szlig;erte sich derselbe, indem er einen auf seiner
-Pflanzung bei Gelegenheit einer Gesch&auml;ftsreise abgestatteten
-Besuch schildert, folgenderma&szlig;en: &raquo;Er lie&szlig; mich
-in der That seine Faust bef&uuml;hlen, welche dem Hammer
-eines Grobschmieds glich, und sagte mir dabei, da&szlig; sie
-vom <em class="gesperrt">Niederschlagen der Neger</em> so hart geworden
-sei.&laquo;</p>
-
-<p>Da&szlig; ebenso Tom's tragisches Schicksal mehr als
-ein Beispiel in der Wirklichkeit hat, daf&uuml;r gibt es im
-ganzen Lande zahlreiche lebendige Zeugen. Man erinnere
-sich daran, da&szlig; es in allen s&uuml;dlichen Staaten ein
-gesetzliches Princip ist, keine Person von farbiger Abkunft
-als Zeugen gegen einen Wei&szlig;en zuzulassen; und man
-wird deshalb leicht sehen, da&szlig; ein solcher Fall sich &uuml;berall
-ereignen kann, wo die Leidenschaften eines Menschen die
-R&uuml;cksichten auf seinen Vortheil &uuml;berwiegen, und ein Sklave
-M&auml;nnlichkeit und Festigkeit genug besitzt, seinem Willen
-zu widerstehen. Es gibt in der That f&uuml;r einen Sklaven
-keinen andern Schutz, als den Charakter seines Herrn.</p>
-
-<p>Thatsachen, die zu schrecklich sind, um nur gelegentlich
-erw&auml;hnt zu werden, bahnen sich ihren Weg gewaltsam
-zur Oeffentlichkeit, und die Bemerkungen, die dar&uuml;ber
-gemacht werden, sind oft noch schrecklicher, als die Sache
-selbst. Man h&ouml;rt die Aeu&szlig;erung: &raquo;Kann wohl sein, da&szlig;
-solche Dinge sich dann und wann zutragen, aber sie sind
-kein Beleg f&uuml;r die allgemeine Praxis.&laquo; Wenn die Gesetze
-von Neu-England so beschaffen w&auml;ren, da&szlig; ein
-Meister dann und wann einen Lehrling zu Tode qu&auml;len
-k&ouml;nnte, ohne die M&ouml;glichkeit, denselben zur Bestrafung
-zu ziehen, &mdash; w&uuml;rde dies mit demselben Gleichmuthe angeh&ouml;rt
-werden? W&uuml;rde man sagen: &raquo;Derartige F&auml;lle
-sind selten und keine Belege f&uuml;r die allgemeine Praxis?&laquo;
- <span class="pagenum"><a id="Page_300">[S. 300]</a></span>
-Diese Ungerechtigkeit ist eine nothwendige Folge des
-Sklavensystems, welches ohne dieselbe nicht bestehen
-kann.</p>
-
-<p>Der &ouml;ffentliche und schamlose Verkauf reizender
-Mulatten und Quadroonm&auml;dchen hat durch diejenigen
-Ereignisse Oeffentlichkeit erlangt, welche der Wegnahme
-der &rsaquo;Perl&lsaquo; folgten. Wir entnehmen das Folgende aus
-der Rede des Mr. Horace Mann, eines der gesetzlich bestellten
-Vertheidiger der Angeklagten. Er sagt: &raquo;Unter
-den sechsundsiebzig Personen, welche im Jahre 1848 in
-dem Schoner &rsaquo;Perl&lsaquo; von Columbia zu entfliehen suchten,
-und deren Offiziere ich zu vertheidigen bem&uuml;ht war, befanden
-sich mehrere junge und kr&auml;ftige M&auml;dchen, welche
-in Z&uuml;gen und Gestalt jene besonderen Reize besa&szlig;en, die
-von Kennern so hoch gesch&auml;tzt werden. Elisabeth Russel
-geh&ouml;rte zu diesen. Sie fiel augenblicklich in die Netze
-der Sklavenh&auml;ndler, und wurde von ihnen f&uuml;r den Markt
-in New-Orleans bestimmt. Die Herzen Aller, die sie
-sahen, wurden von Mitleid f&uuml;r ihr Schicksal ergriffen.
-Man bot achtzehnhundert Dollar, um sie loszukaufen,
-aber der Teufel von einem Sklavenh&auml;ndler war unerbittlich.
-Sie wurde nach New-Orleans abgef&uuml;hrt; allein
-w&auml;hrend der Reise erbarmte Gott sich ihrer und erl&ouml;ste
-sie durch den Tod. Zwei andere M&auml;dchen, Namens Edmundson,
-befanden sich ebenfalls unter ihnen. Als sie
-nach demselben Markte abgesendet werden sollten, kam
-eine &auml;ltere Schwester derselben zur Fleischbank, um den
-Elenden, dem sie geh&ouml;rten, bei der Liebe Gottes anzuflehen,
-seiner Opfer zu schonen. Er verh&ouml;hnte sie, und
-stellte ihr vor, was f&uuml;r sch&ouml;ne Kleider und M&ouml;beln sie
-haben w&uuml;rden. &rsaquo;Ja,&lsaquo; entgegnete sie, &rsaquo;das mag in
-diesem Leben ganz angenehm sein, aber was wird in
-jenem Leben aus ihnen werden?&lsaquo; Sie wurden auch
-nach New-Orleans abgef&uuml;hrt, aber sp&auml;ter f&uuml;r eine ungeheure
-Summe losgekauft und zur&uuml;ckgebracht.&laquo; Ergibt
-sich aus diesen Beispielen nicht deutlich genug, da&szlig; die
- <span class="pagenum"><a id="Page_301">[S. 301]</a></span>
-Schicksale Cassy's und Emmelinens zahlreiche Gegenst&uuml;cke
-haben werden?</p>
-
-<p>Um gerecht zu sein, ist die Verfasserin auch gen&ouml;thigt,
-zu bemerken, da&szlig; die Freundlichkeit und der Edelmuth
-St. Clare's nicht ohne Parallelen sind, wie sich
-aus der folgenden Thatsache ergibt. Vor mehreren Jahren
-kam ein junger Gentleman aus dem S&uuml;den mit einem
-Lieblingssklaven, der von seiner Kindheit an sein pers&ouml;nlicher
-Diener gewesen war, nach Cincinnati. Letzterer
-machte von dieser Gelegenheit Gebrauch, sich seine Freiheit
-zu verschaffen, und floh unter den Schutz eines Qu&auml;ckers,
-der im allgemeinen Rufe stand, sich derartigen Gesch&auml;ften
-zu unterziehen. Der Eigenth&uuml;mer war emp&ouml;rt. Er hatte
-den Sklaven stets mit gro&szlig;er Nachsicht behandelt, und
-setzte ein so gro&szlig;es Vertrauen in seine Anh&auml;nglichkeit zu
-ihm, da&szlig; er glaubte, er m&uuml;sse nothwendig zu diesem
-Schritte durch Andre verleitet worden sein. Er begab
-sich deshalb in heftiger Aufregung zu dem Qu&auml;cker, aber
-wurde bald, da er ein Mann von offenem und rechtlichem
-Sinne war, durch die Vorstellungen desselben beschwichtigt.
-Er lernte hier die Sache von einer Seite betrachten,
-von der er noch nie geh&ouml;rt, &mdash; an die er noch nie
-gedacht hatte, und sagte deshalb dem Qu&auml;cker sofort,
-da&szlig;, wenn sein Sklave ihm von Angesicht zu Angesicht
-den Wunsch, frei zu werden, erkl&auml;ren wolle, er ihn frei
-lassen werde. Die Zusammenkunft fand augenblicklich
-Statt, und Nathan wurde von seinem jungen Herrn befragt,
-ob er irgend einen Grund habe, sich &uuml;ber die von
-ihm zu Theil gewordene Behandlung zu beklagen?</p>
-
-<p>&raquo;Nein, Master,&laquo; sagte Nathan, &raquo;Sie sind immer
-gut gegen mich gewesen.&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Gut, weshalb willst Du mich also verlassen?&laquo;</p>
-
-<p>&raquo;Master kann sterben, und wem falle ich dann zu?
-&mdash; Ich m&ouml;chte lieber frei sein.&laquo;</p>
-
-<p>Nach einiger Ueberlegung entgegnete der junge Mann:
- <span class="pagenum"><a id="Page_302">[S. 302]</a></span>
-&raquo;Nathan, ich glaube, ich w&uuml;rde an Deiner Stelle eben
-so denken. Du bist frei.&laquo;</p>
-
-<p>Sofort fertigte er seine Entlassungsscheine aus, legte
-eine Summe Geldes in die Hand des Qu&auml;ckers, um ihm
-auf zweckm&auml;&szlig;ige Weise damit fortzuhelfen, und lie&szlig; einen
-herzlichen und gef&uuml;hlvollen Brief an den jungen Mann
-zur&uuml;ck, in welchem er ihm gute Rathschl&auml;ge f&uuml;r seinen
-neuen Lebensweg ertheilte. Dieser Brief ist l&auml;ngere Zeit
-in den H&auml;nden der Verfasserin gewesen.</p>
-
-<p>Die Verfasserin hofft, da&szlig; sie der Menschenfreundlichkeit
-und dem Edelmuthe volle Gerechtigkeit hat wiederfahren
-lassen, durch welche sich oft einzelne Bewohner
-des S&uuml;dens auszeichnen. Solche Beispiele bewahren
-uns davor, an unserem Geschlechte ganz zu verzweifeln;
-aber wir fragen Jeden, der die Welt kennt, ob solche
-Charaktere gew&ouml;hnlich sind?</p>
-
-<p>Viele Jahre lang hat die Verfasserin durchaus vermieden,
-etwas &uuml;ber den Gegenstand der Sklaverei zu
-lesen, oder seiner irgendwie Erw&auml;hnung zu thun, weil
-es zu peinlich f&uuml;r sie war, Ermittelungen dar&uuml;ber anzustellen,
-und sie der Ueberzeugung lebte, da&szlig; das sich immer
-mehr ausbreitende Licht der Civilisation das ganze
-Institut bald verdr&auml;ngen werde; allein seit sie durch die
-Akte von 1850 zu ihrem gr&ouml;&szlig;ten Erstaunen geh&ouml;rt hat,
-da&szlig; Menschen und Christen die Zur&uuml;cklieferung der Entflohenen
-in die Sklaverei als die Pflicht eines jeden guten
-B&uuml;rgers empfehlen, &mdash; seit sie &uuml;berall in den n&ouml;rdlichen
-Freistaaten menschenfreundliche, mitleidige und
-achtungswerthe Leute Versammlungen und Berathschlagungen
-dar&uuml;ber hat halten sehen, was die Christenpflicht
-in diesem Falle gebiete, &mdash; konnte sie nur glauben, da&szlig;
-diese Menschen und Christen keine klare Vorstellung von
-dem haben, was Sklaverei wirklich ist; denn wenn sie
-sie bes&auml;&szlig;en, so h&auml;tte bei ihnen eine solche Frage nie zur
-Berathung kommen k&ouml;nnen. Hieraus entstand der Wunsch,
-sie zum Gegenstande einer lebendigen dramatischen Darstellung
- <span class="pagenum"><a id="Page_303">[S. 303]</a></span>
-zu machen. Die Verfasserin ist bem&uuml;ht gewesen,
-sie in ihrem besten und schlechtesten Lichte zu zeigen. In
-ersterer Beziehung ist es ihr vielleicht gelungen: aber o!
-wer kann sagen, was in dem jenseitigen Thale und unter
-seinen Todesschatten noch unerw&auml;hnt geblieben ist?</p>
-
-<p>An Euch, Ihr edelherzigen, edelm&uuml;thigen M&auml;nner
-und Frauen des S&uuml;dens, &mdash; an Euch, deren Tugend,
-Hochherzigkeit und Reinheit des Charakters um so gr&ouml;&szlig;er
-sind, als Ihr gegen eine schwere Versuchung zu k&auml;mpfen
-habt, &mdash; an Euch ergeht mein Ruf. Habt Ihr nicht in
-der Tiefe Eurer eignen Herzen empfunden, in Eurem
-eignen Privatverkehr wahrgenommen, da&szlig; in diesem fluchw&uuml;rdigen
-Systeme viel gr&ouml;&szlig;ere Uebel und Leiden liegen,
-als hier hat schwach geschildert werden k&ouml;nnen? Kann
-es anders sein? Ist der Mensch ein Gesch&ouml;pf, dem eine
-v&ouml;llig unverantwortliche Gewalt anvertraut werden darf?
-und macht das System der Sklaverei nicht dadurch, da&szlig;
-es dem Sklaven die F&auml;higkeit Zeugni&szlig; abzulegen, versagt,
-jeden einzelnen Besitzer von Sklaven zu einem Despoten
-ohne jede Verantwortlichkeit? Kann irgend Jemand sich
-dar&uuml;ber t&auml;uschen, welche praktische Folgen nothwendig
-daraus hervorgehen m&uuml;ssen? Wenn, was wir gern zugestehen,
-unter Euch, M&auml;nnern von Ehre, Menschlichkeit
-und Gerechtigkeit, ein &uuml;bereinstimmendes Gef&uuml;hl herrscht,
-so frage ich Euch, herrscht nicht ein solches andrer Art
-auch unter den sch&auml;ndlichen, rohen und entarteten Menschen?
-Und kann nicht nach Eurem Sklaven-Gesetze der
-rohe, entartete Mensch grade eben so viele Sklaven besitzen,
-wie der Beste unter Euch? Bilden die ehrenwerthen,
-gerechten, mitleidigen und edelm&uuml;thigen Menschen
-irgendwo in dieser Welt die Majorit&auml;t?</p>
-
-<p>Der Sklavenhandel wird jetzt nach amerikanischen
-Gesetzen als eine Art R&auml;uberei betrachtet; allein ein so
-systematischer Sklavenhandel, wie er nur jemals an der
-K&uuml;ste Afrika's betrieben wurde, ist eine nothwendige
-Folge der in Amerika bestehenden Sklaverei. Und
- <span class="pagenum"><a id="Page_304">[S. 304]</a></span>
-k&ouml;nnen ihre Gr&auml;uel und ihr herzzerrei&szlig;endes Elend geschildert
-werden?</p>
-
-<p>Die Verfasserin hat nur ein schwaches Bild von der
-Angst und Verzweiflung gegeben, die in diesem Augenblicke
-tausend Herzen zerrei&szlig;en, tausend Familien zerst&ouml;ren,
-und jene h&uuml;lflose und gef&uuml;hlvolle Menschenklasse zu
-Wahnsinn und Verzweiflung treiben. Es gibt Viele, denen
-aus eigner Wahrnehmung bekannt ist, da&szlig; durch
-diesen fluchw&uuml;rdigen Handel M&uuml;tter dazu getrieben
-worden sind, ihre eigenen Kinder zu ermorden, und f&uuml;r
-sich selbst im Tode einen Schutz gegen Leiden zu suchen,
-die f&uuml;r sie schrecklicher waren als der Tod. Es l&auml;&szlig;t sich
-nichts so Tragisches schreiben, sagen oder vorstellen, was
-der furchtbaren Wirklichkeit jener Scenen gleich k&auml;me,
-die sich t&auml;glich unter dem Schutze des amerikanischen Gesetzes
-und dem Schatten des Kreuzes Christi an unsern
-K&uuml;sten zutragen.</p>
-
-<p>Und nun, Ihr M&auml;nner und Frauen Amerika's, ist
-dies ein Gegenstand, der leicht genommen, entschuldigt
-oder mit Schweigen &uuml;bergangen werden k&ouml;nnte? Ihr
-Farmer vom Massachusetts, New-Hampshire, Vermont und
-Connecticut, die Ihr dieses Buch beim Scheine Eures
-winterlichen Feuers leset, &mdash; Ihr muthigen, edelherzigen
-Seeleute vom Maine, &mdash; ist dies eine Sache, die Ihr
-unterst&uuml;tzen und bef&ouml;rdern wollt? Ihr braven, edlen
-M&auml;nner von New-York, Ihr Farmer des reichen und
-fr&ouml;hlichen Ohio, und Ihr in den weiten Prairie-Staaten,
-&mdash; antwortet mir, ist dies eine Sache, die Ihr vertheidigen
-wollt? Und Ihr, M&uuml;tter Amerika's, &mdash; Ihr, die
-Ihr an den Wiegen Eurer eignen Kinder gelernt habt
-das ganze Menschengeschlecht zu lieben, &mdash; bei der heiligen
-Liebe zu Euren eignen Kindern, bei der Freude,
-die Ihr &uuml;ber ihre reine, sch&ouml;ne Kindheit empfindet, bei
-der m&uuml;tterlichen Liebe und Z&auml;rtlichkeit, mit der Ihr ihre
-reifenden Jahre bewacht, bei der Sorge f&uuml;r ihre Erziehung,
-bei den Gebeten, die Ihr f&uuml;r ihr unsterbliches
- <span class="pagenum"><a id="Page_305">[S. 305]</a></span>
-Seelenheil zum Himmel sendet, &mdash; beschw&ouml;re ich Euch,
-habt Mitleid f&uuml;r die Mutter, die alle Eure warmen Empfindungen,
-und kein gesetzliches Recht hat, das Kind
-ihres Herzens zu besch&uuml;tzen, zu leiten und zu erziehen!
-Bei der Sterbestunde Eures Kindes, bei jenen brechenden
-Augen, die Ihr nie vergessen k&ouml;nnt, bei den letzten
-Schreien, die Euer Herz zerrissen haben, wenn Ihr weder
-helfen noch retten konntet, bei jener vereinsamten
-Wiege, bei jener ver&ouml;deten Kinderstube, &mdash; beschw&ouml;re ich
-Euch, habt Mitleid mit jenen M&uuml;ttern, die fortw&auml;hrend
-kinderlos werden durch den amerikanischen Sklavenhandel!
-Und sagt mir, Ihr M&uuml;tter Amerika's, ist dies ein
-Gegenstand, der vertheidigt oder mit Stillschweigen &uuml;bergangen
-werden kann?</p>
-
-<p>Wollt Ihr behaupten, da&szlig; die Bewohner der Freistaaten
-nichts damit zu thun haben, und nichts daf&uuml;r
-thun k&ouml;nnen? Wollte Gott, es w&auml;re wahr! Aber es ist
-nicht wahr. Die Bewohner der Freistaaten haben das
-System vertheidigt, bef&ouml;rdert, und selbst daran Theil genommen;
-sie sind vor Gott sogar schuldiger als der
-S&uuml;den, da sie weder den Einflu&szlig; der Erziehung noch der
-Sitte f&uuml;r sich haben.</p>
-
-<p>Wenn die M&uuml;tter der Freistaaten in fr&uuml;heren Zeiten
-die Empfindungen und Ansichten gehabt h&auml;tten, die sie
-h&auml;tten haben sollen, so w&uuml;rden die S&ouml;hne der Freistaaten
-nicht Sklavenhalter, und, wie es spr&uuml;chw&ouml;rtlich geworden
-ist, die h&auml;rtesten Herrn der Sklaven geworden
-sein; die S&ouml;hne der Freistaaten w&uuml;rden nicht zur Verbreitung
-der Sklaverei mitgewirkt, und nicht mit menschlichen
-Seelen und K&ouml;rpern, wie sie thun, anstatt Geldes
-gehandelt haben. Es gibt zahllose Sklaven, die von
-Kaufleuten der n&ouml;rdlichen St&auml;dte zeitweise besessen und
-verkauft werden; und darf also die ganze Schuld und
-Schmach der Sklaverei allein auf den S&uuml;den fallen?
-Die M&auml;nner, M&uuml;tter und Christen des Nordens haben
-noch etwas mehr zu thun, als ihre Br&uuml;der des S&uuml;dens
- <span class="pagenum"><a id="Page_306">[S. 306]</a></span>
-anzuklagen; sie haben das unter ihnen selbst bestehende
-Uebel abzustellen.</p>
-
-<p>Aber was kann eine einzelne Person thun? Dar&uuml;ber
-kann Jeder urtheilen. Es gibt Etwas, das jedes Individuum
-thun kann, &mdash; daf&uuml;r sorgen, da&szlig; es richtige
-Empfindungen hegt. Ein jedes menschliches Wesen ist von
-einer Atmosph&auml;re sympathetischen Einflusses umgeben,
-und Jeder, der gesunde, kr&auml;ftige und gerechte Empfindungen
-in Bezug auf die gro&szlig;en Interessen der Menschheit
-hegt, wird stets ein Wohlth&auml;ter des menschlichen
-Geschlechts sein. Sorgt also f&uuml;r Eure Empfindungen
-&uuml;ber diesen Gegenstand. Sind sie in Uebereinstimmung
-mit den Gef&uuml;hlen, die Christus lehrte, oder sind sie durch
-die Sophistereien einer weltlichen Politik auf Abwege gelenkt
-und verderbt worden?</p>
-
-<p>Noch mehr, Ihr christlichen M&auml;nner und Weiber des
-Nordens! &mdash; Ihr k&ouml;nnt noch mehr thun! Ihr k&ouml;nnt
-beten! Glaubt Ihr an die Kraft des Gebetes? oder ist
-es f&uuml;r Euch nur eine dunkle, apostolische Tradition geworden?
-Ihr betet f&uuml;r die Heiden im Auslande; betet
-auch f&uuml;r die Heiden in Eurem Vaterlande; und betet
-f&uuml;r die ungl&uuml;cklichen Christen, deren Fortschritte in der
-Religion einzig und allein von Zuf&auml;lligkeiten im Handel
-und Wandel abh&auml;ngig sind, und f&uuml;r die jedes Festhalten
-an der Moral des Christenthums h&auml;ufig eine Unm&ouml;glichkeit
-ist, wenn sie nicht von oben herab mit dem Muthe
-des M&auml;rtyrerthums begnadigt worden sind.</p>
-
-<p>Aber noch mehr. An den K&uuml;sten unserer freien
-Staaten sammeln sich die armen, verstreuten Ueberbleibsel
-zerrissener Familien, &mdash; M&auml;nner und Weiber, die durch
-wunderbare F&uuml;gungen der Vorsehung aus der Sklaverei
-entkommen sind, &mdash; schwach im Wissen, und meistens
-auch zu Grunde gerichtet in ihrem moralischen Zustande,
-und zwar durch ein System, welches jedes Princip des
-Christenthums und der Morallehre entstellt und verwirrt.
-Sie kommen, um eine Zuflucht bei Euch zu suchen, um
-Erziehung, Unterricht und Christenthum zu suchen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_307">[S. 307]</a></span></p>
-
-<p>Was seid Ihr diesen Ungl&uuml;cklichen schuldig, o Christen?
-Hat nicht jeder amerikanische Christ die Verbindlichkeit
-gegen das afrikanische Geschlecht, nach Kr&auml;ften
-das Unrecht wieder gut zu machen, welches die amerikanische
-Nation &uuml;ber das Letztere gebracht hat? Sollen
-ihnen die Th&uuml;ren der Kirchen und Schulh&auml;user verschlossen
-werden? Sollen die Staaten sich erheben und sie
-hinaustreiben? Soll die Kirche Christi schweigend den
-Hohn mit anh&ouml;ren, der auf sie geworfen wird, soll sie
-vor der h&uuml;lflosen Hand zur&uuml;ckweichen, die Jene ausstrecken,
-und durch ihr Schweigen die Grausamkeit
-gut hei&szlig;en, die sie aus unsern Gr&auml;nzen vertreiben m&ouml;chte?
-Wenn dies geschehen mu&szlig;, so wird es ein trauriges
-Schauspiel sein. Wenn dies geschehen mu&szlig;, so wird
-das Land Ursache haben zu zittern, sobald es daran
-denkt, da&szlig; das Schicksal der V&ouml;lker in der Hand Eines
-liegt, der mitleidig und barmherzig ist.</p>
-
-<p>Sagt Ihr vielleicht: &raquo;Wir wollen sie nicht hier
-haben, &mdash; sie m&ouml;gen nach Afrika gehen?&laquo;</p>
-
-<p>Da&szlig; die Vorsehung Gottes ihnen einen Zufluchtsort
-in Afrika er&ouml;ffnet hat, ist allerdings ein gro&szlig;er und
-wichtiger Umstand, aber es ist kein Grund, der die
-Kirche Christi von der Verantwortlichkeit gegen diesen
-ausgesto&szlig;enen Stamm entbindet, welche ihr Glaube ihr
-zur Pflicht macht. Wollte man Liberia mit einem unwissenden,
-unerfahrenen, halb barbarischen Geschlechte
-anf&uuml;llen, welches so eben erst den Ketten der Sklaverei
-entlaufen ist, so w&uuml;rde es nur dazu dienen, die Dauer
-des Kampfes zu verl&auml;ngern, der den Anfang jedes
-neuen Unternehmens begleitet. Die Kirche des Nordens
-m&ouml;ge diese armen Leidenden im Geiste Christi bei sich
-aufnehmen, sie der Wohlthaten einer christlich republikanischen
-Gesellschaft und ihrer Schulen theilhaftig machen,
-und, wenn sie eine gewisse moralische und intellektuelle
-Reife erlangt haben, ihnen beh&uuml;lflich zu der
-Uebersiedelung nach jenen K&uuml;sten sein, wo sie den in
- <span class="pagenum"><a id="Page_308">[S. 308]</a></span>
-Amerika angefangenen Unterricht praktisch anwenden
-k&ouml;nnen.</p>
-
-<p>Es gibt im Norden einen verh&auml;ltni&szlig;m&auml;&szlig;ig kleinen
-Verein von M&auml;nnern, welche dies bereits gethan haben,
-und in Folge dessen hat unser Land bereits Beispiele
-von M&auml;nnern aufzuweisen, die fr&uuml;her Sklaven gewesen
-sind, und sich schnell Verm&ouml;gen, Ruf und Bildung erworben
-haben. Talente sind entwickelt worden, die unter
-Ber&uuml;cksichtigung der Umst&auml;nde, Bewundrung verdienen;
-und in Z&uuml;gen von Rechtlichkeit, Herzensg&uuml;te, Zartheit
-der Empfindungen, &mdash; heroischer Aufopferung und
-Selbstverl&auml;ugnung; um Br&uuml;der und Angeh&ouml;rige, die noch
-in der Sklaverei waren, zu befreien, &mdash; haben sich
-diese Menschen in einem Grade ausgezeichnet, der unter
-Ber&uuml;cksichtigung des Einflusses, unter dem sie geboren
-wurden, Staunen erregen mu&szlig;.</p>
-
-<p>Die Verfasserin hat viele Jahre lang an der Gr&auml;nze
-der Sklavenstaaten gelebt, und vielfach Gelegenheit gehabt,
-solche Personen zu beobachten, die fr&uuml;her Sklaven
-gewesen waren. Sie sind Dienstboten in ihrer Familie
-gewesen, und haben, in Ermangelung einer andern
-Schule, h&auml;ufig denselben Unterricht mit ihren Kindern
-genossen. Mit ihren Erfahrungen stimmen die Ansichten
-der in Canada unter den fl&uuml;chtigen Sklaven lebenden
-Mission&auml;re vollkommen &uuml;berein, so da&szlig; die daraus zu
-ziehenden Folgerungen &uuml;ber die Bildungsf&auml;higkeit des
-Geschlechts in hohem Grade ermuthigend sind.</p>
-
-<p>Das erste Verlangen des emancipirten Negers steht
-in der Regel nach Unterricht. Es gibt nichts, was sie
-nicht willig geben w&uuml;rden, um ihre Kinder unterrichtet
-zu sehen; und so weit die Beobachtung der Verfasserin
-selbst geht, und das Zeugni&szlig; der Lehrer reicht, welche
-sie unterrichtet haben, besitzen sie eine ungew&ouml;hnliche
-Fassungsgabe. Die Ergebnisse der in Cincinnati f&uuml;r
-sie von wohlth&auml;tigen Individuen gegr&uuml;ndeten Schulen
-best&auml;tigen dies vollkommen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_309">[S. 309]</a></span></p>
-
-<p>Die Verfasserin l&auml;&szlig;t hier die nachstehenden Angaben
-r&uuml;cksichtlich der jetzt in Cincinnati lebenden, emancipirten
-Sklaven folgen, und st&uuml;tzt sich dabei auf die
-Autorit&auml;t des Professors C. E. Stowe, am Lane Seminar
-zu Ohio, um zu zeigen, was die diesem Geschlechte
-angeh&ouml;rigen Individuen, selbst ohne besonderen Beistand,
-zu leisten verm&ouml;gen. Es sind hier nur die Anfangsbuchstaben
-der Namen gegeben, und s&auml;mmtliche hier angedeutete
-Personen wohnen in Cincinnati.</p>
-
-<blockquote>
-<p>&raquo;B&mdash;. Tischler; zwanzig Jahre in der Stadt; besitzt
-an Verm&ouml;gen zehn tausend Dollar, die er selbst
-erworben hat, und geh&ouml;rt der Baptisten Gemeinde an.</p>
-
-<p>C&mdash;. Ganz schwarz; gestohlen in Afrika und in
-New-Orleans verkauft; ist seit f&uuml;nfzehn Jahren frei;
-bezahlte selbst sechshundert Dollar f&uuml;r sich; ist Farmer,
-und besitzt mehrere Farmgrundst&uuml;cke in Indiana; geh&ouml;rt
-der presbyterianischen Kirche an, und hat ein selbst
-erworbenes Verm&ouml;gen von f&uuml;nfzehn bis zwanzig tausend
-Dollar.</p>
-
-<p>K&mdash;. Ganz schwarz; ist vierzig Jahre alt, G&uuml;term&auml;kler,
-seit sechs Jahren frei, und besitzt ungef&auml;hr
-drei&szlig;ig tausend Dollar. Er bezahlte achtzehn hundert
-Dollar f&uuml;r seine Familie, ist Mitglied der Baptisten-Gemeinde,
-und empfing von seinem Herrn ein Legat,
-welches er in Acht genommen und vermehrt hat.</p>
-
-<p>G&mdash;. Ganz schwarz, Kohlenh&auml;ndler, drei&szlig;ig Jahr
-alt; besitzt achtzehn tausend Dollar; bezahlte zweimal
-f&uuml;r sich, da er einmal um sechszehnhundert Dollar betrogen
-wurde; verdiente sein ganzes Verm&ouml;gen durch
-eigne Anstrengungen, &mdash; und einen gro&szlig;en Theil davon
-w&auml;hrend er Sklave war, indem er seine Zeit seinem
-Herrn abdung, und f&uuml;r sich selbst Gesch&auml;fte machte; ist
-ein h&uuml;bscher Mensch von anst&auml;ndigem Aeu&szlig;ern.</p>
-
-<p>W&mdash;. Drei Viertel schwarz; Barbier und Aufw&auml;rter,
-aus Kentucky; neunzehn Jahre frei; bezahlte
-f&uuml;r sich selbst und seine Familie drei tausend Dollar;
- <span class="pagenum"><a id="Page_310">[S. 310]</a></span>
-besitzt zwanzig tausend Dollar, die er selbst erworben
-hat: ist Diakon der Baptistenkirche.</p>
-
-<p>G. D&mdash;. Drei Viertel schwarz; Wei&szlig;w&auml;scher, von
-Kentucky geb&uuml;rtig; neun Jahre frei; bezahlte f&uuml;nfzehn
-hundert Dollar f&uuml;r sich und seine Familie; ist k&uuml;rzlich
-sechszig Jahre alt gestorben, und besa&szlig; ein Verm&ouml;gen
-von sechs tausend Dollar.&laquo;</p>
-</blockquote>
-
-<p>Professor Stowe sagt: &raquo;Mit allen diesen, G&mdash;
-allein ausgenommen, bin ich viele Jahre pers&ouml;nlich bekannt
-gewesen, und gr&uuml;nde de&szlig;halb meine Angaben auf
-eigne Wahrnehmung.&laquo;</p>
-
-<p>Die Verfasserin erinnert sich deutlich einer alten,
-farbigen Frau, die als Waschfrau in der Familie ihres
-Vaters fungirte. Die Tochter dieser Frau heirathete
-einen Sklaven. Sie war eine au&szlig;erordentlich th&auml;tige
-und geschickte junge Frau, welche durch ihren Flei&szlig;,
-ihre Anstrengungen und die ausdauerndste Selbstverleugnung
-neun hundert Dollar sammelte, und an den Herrn
-ihres Mannes bezahlte. Es fehlten noch hundert Dollar
-am Preise, als er starb. Sie erhielt nie den geringsten
-Theil ihres Geldes zur&uuml;ck.</p>
-
-<p>Es sind dies nur einzelne Thatsachen, einer gro&szlig;en
-Anzahl &auml;hnlicher entnommen, die als Belege angef&uuml;hrt
-werden k&ouml;nnten, um zu zeigen, welche Selbstverleugnung,
-Energie, Geduld und Rechtlichkeit der fr&uuml;here Sklave
-im Zustande der Freiheit besitzt. Und dabei vergesse
-man nicht, da&szlig; es diesen Individuen gelungen ist, sich
-verh&auml;ltni&szlig;m&auml;&szlig;igen Reichthum und eine gesellschaftliche
-Stellung zu erobern, w&auml;hrend sie gegen Nachtheile und
-Entmuthigungen jeder Art zu k&auml;mpfen hatten. Nach den
-Gesetzen des Ohio Staates kann der Farbige nicht
-W&auml;hler sein, und noch bis vor wenigen Jahren war
-ihm sogar versagt, Zeugni&szlig; in Prozessen gegen einen
-Wei&szlig;en abzulegen. Auch beschr&auml;nken sich diese Beispiele
-keineswegs auf den Staat Ohio allein; denn wir sehen
-jetzt in allen Staaten der Union M&auml;nner, welche, nachdem
- <span class="pagenum"><a id="Page_311">[S. 311]</a></span>
-sie kaum die Fesseln der Sklaverei abgesch&uuml;ttelt haben,
-durch eigene Kraft, die nicht genug bewundert
-werden kann, zu geachteten Stellungen in der Gesellschaft
-emporgestiegen sind. Pennington unter den Geistlichen,
-Douglas und Ward unter den Autoren sind wohl
-bekannte Beispiele.</p>
-
-<p>Wenn dieses verfolgte Geschlecht, unter Nachtheilen
-und Entmuthigungen jeder Art, so viel erreicht hat, wie
-viel w&uuml;rde es dann verm&ouml;gen, wenn die christliche
-Kirche im Geiste ihres Stifters gegen dasselbe handeln
-wollte!</p>
-
-<p>Wir leben jetzt in einer Zeit, wo die Nationen
-zittern und in Kr&auml;mpfen liegen. Andre Theile der Erde
-werden von einem gewaltigen Einflusse gehoben und
-ersch&uuml;ttert. Und ist Amerika sicher? Jede Nation, die
-gro&szlig;e und unges&uuml;hnte Ungerechtigkeiten in ihrem Busen
-tr&auml;gt, hat auch die Elemente zu diesen inneren Kr&auml;mpfen
-in sich. We&szlig;halb erweckt jener m&auml;chtige Einflu&szlig; in allen
-Nationen und Sprachen die Seufzer nach Freiheit
-und Gleichheit, die nicht laut werden d&uuml;rfen?</p>
-
-<p>O Kirche Christi, lies die Zeichen der Zeit! Ist
-nicht jene Gewalt sein Geist, dessen Reich noch kommen
-soll, und dessen Wille geschehen mu&szlig; auf Erden
-wie im Himmel?</p>
-
-<p>Aber wer mag den Tag seines Erscheinens erwarten?
-&raquo;Denn dieser Tag wird brennen wie ein Ofen:
-und Er wird erscheinen als ein schneller Zeuge gegen
-Diejenigen, welche den Diener in seinem Solde verk&uuml;rzen,
-Wittwen und Waisen bedr&uuml;cken, und <em class="gesperrt">den Fremden
-in seinen Rechten auf die Seite setzen
-wollen</em>: und er wird den Unterdr&uuml;cker in St&uuml;cke zerbrechen.&laquo;</p>
-
-<p>Sind dies nicht schreckliche Worte f&uuml;r eine Nation,
-die eine so furchtbare Ungerechtigkeit in ihrem Busen
-tr&auml;gt? Christen! k&ouml;nnt Ihr, so oft Ihr betet, da&szlig; das
-Reich Christi kommen m&ouml;ge, vergessen, da&szlig; die Prophezeiung
- <span class="pagenum"><a id="Page_312">[S. 312]</a></span>
-in schrecklicher Verbindung mit dem Tage der
-Erl&ouml;sung den Tag der Wiedervergeltung verhei&szlig;t?</p>
-
-<p class="pmb3">Noch ist uns ein Tag der Gnade geboten. Der
-Norden sowohl wie der S&uuml;den ist schuldig vor Gott,
-und die christliche Kirche hat eine schwere Rechnung abzulegen.
-Nicht dadurch, da&szlig; sich Alles verbindet, um
-Ungerechtigkeit und Grausamkeit zu besch&uuml;tzen, und ein
-gemeinschaftliches Kapital der S&uuml;nde anzulegen, &mdash; kann
-die Union gerettet werden, &mdash; sondern nur durch Reue,
-Gerechtigkeit und Gnade; denn nicht gewisser ist das
-ewige Gesetz, da&szlig; der M&uuml;hlstein im Oceane versinken
-mu&szlig;, als das noch st&auml;rkere, da&szlig; Ungerechtigkeit und
-Grausamkeit den Zorn des Allm&auml;chtigen &uuml;ber die Nationen
-bringen werden.</p>
-<p class="pmb3" />
-
-<p class="center">
-<em class="gesperrt">Ende</em><br />
-</p>
-<p class="pmb3" />
-
-<p class="break" />
-<hr class="chap" />
-
-<p class="break pmb3" />
-
-<div class="transnote">
-Anmerkungen des Bearbeiters<br />
-<br />
-- Nicht einheitliche Schreibweisen wurden wie im Original beibehalten.<br />
-- Alte, heute nicht mehr verwendete Schreibweisen des Originals wurden
-beibehalten.<br />
-
-</div>
-
-<p class="pmb3" />
-
-
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-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>ONKEL TOM&#039;S HÜTTE</span> ***</div>
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg&#8482; and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-</div>
-
-</div>
-</div>
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