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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/9494-8.txt b/9494-8.txt new file mode 100644 index 0000000..4ba9c60 --- /dev/null +++ b/9494-8.txt @@ -0,0 +1,2376 @@ +The Project Gutenberg EBook of Title: Der Schuss von der Kanzel, by +Conrad Ferdinand Meyer + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Title: Der Schuss von der Kanzel + +Author: Conrad Ferdinand Meyer + +Posting Date: October 3, 2014 [EBook #9494] +Release Date: December, 2005 +First Posted: October 5, 2003 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TITLE: DER SCHUSS VON DER KANZEL *** + + + + +Produced by Delphine Lettau, Mike Pullen and Gutenberg Projekt-DE + + + + + + + + + + +Der Schuß von der Kanzel + +Novelle + +Conrad Ferdinand Meyer + + + + + + +Erstes Kapitel + + +Zween geistliche Männer stiegen in der zweiten Abendstunde eines +Oktobertages von dem hochgelegenen Ütikon nach dem Landungsplatze +Obermeilen hinunter. Der kürzeste Weg vom Pfarrhause, das bequem +neben der Kirche auf der ersten mit Wiesen und Fruchtbäumen bedeckten +Stufe des Höhenzuges lag, nach der durch ein langes Gemäuer, einen +sogenannten Hacken, geschützten Seebucht, führte sie durch leere +Weinberge. Die Lese war beendigt. Zur Rechten und Linken zeigte der +Weinstock nur gelbe oder zerrissene Blätter, und auf den das +Rebgelände durchziehenden dunkelgrünen Rasenstreifen blühte die +Zeitlose. Nur aus der Ferne, wo vielleicht ein erfahrener Mann seinen +Wein außergewöhnlich lange hatte ausreifen lassen, damit der Tropfen +um so kräftiger werde, scholl zuweilen ein vereinzeltes Winzerjauchzen +herüber. + +Die beiden schritten, wie von einem Herbstgefühle gedrückt, ohne Worte +einer hinter dem andern. Auch bot ihnen der mit ungleichen +Steinplatten und Blöcken belegte steile Absteig eine unbequeme Treppe +und wurden sie vom Winde, der aus Westen her in rauhen Stößen über den +See fuhr, zuweilen hart gezaust. + +Die ersten Tage der Lese waren die schönsten des Jahres gewesen. Eine +warme Föhnluft hatte die Schneeberge und den Schweizersee auf ihre +Weise idealisiert, die Reihe der einen zu einem einzigen stillen, +großen Leuchten verbunden, den andern mit dem tiefen und kräftigen +Farbenglanze einer südlichen Meerbucht übergossen, als gelüste sie +eine bacchische Landschaft, ein Stück Italien, über die Alpen zu +versetzen. + +Heute aber blies ein heftiger Querwind, und die durch grelle Lichter +und harte Schatten entstellten Hochgebirge traten in schroffer, fast +barocker Erscheinung dem Auge viel zu nahe. + +"Pfannenstiel, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft!" sagte nun +plötzlich der Vorangehende, ein kurzer, stämmiger, trotz seiner Jugend +fast etwas beleibter Mann, stand still und kehrte sein blühendes +Gesicht rasch nach dem schmalen und hagern Gefährten um. + +Dieser stolperte zur Antwort über einen Stein; denn er hatte den Blick +bis jetzt unverwandt auf die Turmspitze von Mythikon geheftet, die am +jenseitigen Ufer über einer dunkelbewaldeten Halbinsel als schlanke +Nadel in den Himmel aufstach. Nachdem er seine langen Beine wieder in +richtigen Gang gebracht hatte, erwiderte er in angenehmem Brusttone: + +"Ich bilde mir ein, Rosenstock, der General werde mich nicht wie ein +Lästrygone empfangen. Er ist mein Verwandter, wenn auch in entferntem +Grade, und gestern noch habe ich ihm meine Dissertation über die +Symbolik der Odyssee mit einer artigen Widmung zugesendet." + +"Heilige Einfalt!" brummte Rosenstock, der sein kräftiges Kolorit dem +Gewerbe seiner Väter verdankte, die seit Menschengedenken eine in +Zürich namhafte Fleischer- und Wursterfamilie gewesen, "du kennst ihn +schlecht, den da drüben!", und er deutete mit einer kurzen Bewegung +seines runden Kinns über den See nach einem Landhause von +italienischer Bauart, das an der nördlichen Einbuchtung der +eichenbestandenen Halbinsel lag. "Er ist für seine Verwandten nicht +zärtlich, und deine schwärmerische Dissertation, die übrigens alle +Verständigen befremdet hat, spottet er dir zuschanden." Der Pfarrer +von Ütikon blies in die Luft, als formte er eine schillernde +Seifenblase, dann fuhr er nach einer Weile fort: + +"Glaube mir, Pfannenstielchen, du hast besser mit den beiden Narren +dort drüben, den Wertmüllern, nichts zu schaffen. Der General ist +eine Brennessel, die keiner ungestochen berührt, und sein Vetter, der +Pfarrer von Mythikon, das alte Kind, bringt unsern Stand in Verruf mit +seiner Meute, seinem Gewehrkasten und seinem unaufhörlichen Puffen und +Knallen. Du hast ja selbst im Frühjahre als Vikar genug darunter zu +leiden gehabt. Freilich die Rahel mit ihrem feingebogenen Näschen und +ihrem roten Kirschmunde! Aber sie liebt dich nicht! Die Junkerin +wird schließlich bei einem Junker anlangen. Es heißt, sie sei mit dem +Leo Kilchsperger verlobt. Doch laß dich's, hörst du, nicht anfechten. +Ein Korb ist noch lange kein consilium abeundi. Um dich zu trösten: +Auch ich habe deren einige erhalten, und, siehe, ich lebe und gedeihe, +bin auch vor kurzem in den Stand der Ehe getreten." + +Der lange Kandidat warf unter seinen blonden, vom Winde verwehten +Haaren hervor einen Blick der Verzweiflung auf den Kollegen und +seufzte erbärmlich. Ihm mangelte die dessen Herzmuskel bekleidende +Fettschicht. + +"Weg! fort von hier!" rief er dann schmerzvoll aufgeregt. "Ich gehe +hier zugrunde! Der General wird mir die erledigte Feldkaplanei seiner +venezianischen Kompanie nicht verweigern." + +"Pfannenstiel, ich wiederhole dir, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft! +Bleibe im Lande und nähre dich redlich." + +"Du nimmst mir allen Lebensatem", klagte der Blonde. "Ich soll nicht +fort und kann nicht bleiben. Wohin soll ich denn? Ins Grab?" + +"Schäme dich! Deine Knabenschuhe vertreten sollst du! Der Gedanke +mit der venezianischen Feldkaplanei wäre an sich so übel nicht. Das +heißt, wenn du ein resoluter Mensch wärest und nicht so blaue +unschuldige Kinderaugen hättest. Der General hat sie neulich mir +angetragen. Ein so geräumig entwickelter Brustkasten würde seinen +Leuten imponieren, meinte er. Natürlich Affenpossen! Denn er weiß, +daß ich ein befestigter Mensch bin und meinen Weinberg nicht verlasse." + +"Warst du drüben?" + +"Vorgestern."--Dem Ütikoner stieg ein Zorn in den Kopf. "Seit er +wieder hier ist--nicht länger als eine Woche--, hat der alte +Störefried richtig Stadt und See in Aufruhr gebracht. Er komme, vor +dem nächsten Feldzuge sein Haus zu bestellen, schrieb er von Wien. +Nun er kam, und es begann ein Rollen von Karossen am linken Seeufer +nach der Au zu. Die Landenberge, die Schmidte, die Reinharte, alle +seine Verwandten, die den ergrauten Freigeist und Spötter sonst mieden +wie einen Verpesteten, alle kamen und wollten ihn beerben. Er aber +ist nie zu Hause, sondern fährt wie ein Satan auf dem See herum, +blitzschnell in einer zwölfrudrigen Galeere, die er mit seinen Leuten +bemannt. Meine Pfarrkinder reißen die Augen auf, werden unruhig und +munkeln von Hexerei. Nicht genug! Vom Eindunkeln an bis gegen Morgen +steigen feurige Drachen und Scheine aus den Schlöten des Auhauses auf. +Der General, statt wie ein Christenmensch zu schlafen, schmiedet und +schlossert zuweilen die ganze Nacht hindurch. Kunstreiche Schlösser, +wahre Prachtstücke, hab ich von seiner Arbeit gesehn, die kein +Dietrich öffnet, für Leute, sagte er mit einem boshaften Seitenblicke +auf meine apostolische Armut, die Schätze sammeln, welche von Dieben +gestohlen und von Motten gefressen werden. Nun du begreifst, die +Funkengarbe spielt ihre Rolle und wird als Straße des Höllenfürsten +durch den Schornstein viel betrachtet und reichlich besprochen. So +wuchs die Gärung. Die Leute aufklären ist von eitel bösen Folgen. +Ich wählte den kürzeren Weg und ging hinüber, den General als Freund +zu warnen. Kreuzsapperlot, an den Abend werd ich mein Lebtag denken. +Meine Warnung beseitigte er mit einem Hohnlächeln, dann faßte er mich +am Rockknopfe, und ein Diskurs bricht los, wie Sturm und Wirbelwind, +sag ich dir, Pfannenstiel., Mit abgerissenen Knöpfen und gerädert kam +ich nach Hause. Mosler hat er mir vorgesetzt, aber mit den größten +Bosheiten vergällt. Natürlich sprach er von seinem Testamente, denn +das ist jetzt sein Steckenpferd. 'Ihr steht auch darin, Ehrwürden!' +Ich erschrecke. 'Nun, ich will Euch den Paragraphen weisen.' Er +öffnet das Konvolut. 'Leset.' Ich lese, und was lese ich, +Pfannenstiel? + +"... 'Item, meinem schätzbaren Freunde, dem Pfarrer Rosenstock, zwei +hohle Hemdknöpfe von Messing mit einer Glasscheibe versehen, worunter +auf grünem Grunde je drei winzige Würfelchen liegen. Gestikuliert der +Herr auf der Kanzel nun mit der Rechten, nun mit der Linken, und +schüttelt besagte Würfelchen auf eine ungezwungene Weise, so kann er +vermittelst wiederholter schräger Blicke bei währendem Sermone mit +sich selbst ein kurzweiliges Spielchen machen. Vorgenannte Knöpfe +sind in Algier, Tunis und Tripolis bei den Andächtigen beliebt und +finden ihre Anwendung in den Moscheen während der Vorlesung des +Korans'... + +"Nun denke dir, Pfannenstiel, das Ärgernis bei Eröffnung des +Testamentes!--Der Bösewicht ließ sich dann erbitten, mir die Gabe +gleich einzuhändigen und den Paragraphen zu streichen. Hier!" Und +Rosenstock hob das niedliche Spielzeug aus seiner Brusttasche. + +"Das ist ja eine ganz ruchlose Erfindung", sagte Pfannenstiel mit +einem Anfluge von Lächeln, denn er kannte die Neigung des Ütikoners +zum Würfelspiele, "und du meinst, der General ist allen geistlichen +Leuten aufsässig?" + +"Allen ohne Ausnahme, seit er puncto gottloser Reden prozessiert und +um eine schwere Summe gebüßt wurde!" + +"Ist ihm nicht zu viel geschehen?" fragte Pfannenstiel, der sich den +helvetisch reformierten Glaubensbegriff mit etwas bescheidener Mystik +versüßte und in dem keine Ader eines kirchlichen Verfolgers war. + +"Durchaus nicht. Nur mußte er die ganze große Rechnung auf einmal +bezahlen. Auf seinem ganzen Lebenswege, von Jugend an hat er +blasphemiert, und das wurde dann so gesammelt, das summierte sich dann +so. Als er endlich in unserm letzten Bürgerkriege Rapperswyl +vergeblich belagerte, ohne Menschenleben zu schonen, was die erste +Pflicht eines republikanischen Heerführers ist, erbitterte er die +öffentliche Meinung gegen sich, und wir durften ihm an den Kragen. Da +wurde ihm eingetränkt, was er alles an unserer Landeskirche gefrevelt +hatte. Jetzt freilich dürfen wir dem Feldherrn der Apostolischen +Majestät weiter nichts anhaben, sonst wird er uns zum Possen noch +katholisch und das zweite Ärgernis schlimmer als das erste. Man +erzählt sich, er tafle in Wien mit Jesuiten und Kapuzinern.--Wir +geistlichen Leute sind eben, so oder so betitelt und verkleidet, in +der Welt nicht zu entbehren!" + +Der Ütikoner belachte seinen Scherz und blieb stehen. "Hier ist die +Grenze meines Weinbergs", sagte er. Mit diesem Ausdrucke bezeichnete +er seine Gemeinde. "Willst du nach dem Erzählten noch hinüber zum +Generale? Pfannenstiel, begehst du die Torheit?" + +"Ich will es ein bißchen mit der Torheit versuchen, die Weisheit hat +mir bis jetzt nur herbe Früchte gezeitigt", erwiderte Pfannenstiel +sanftmütig und schied von seinem gestrengen Kollegen. + + + + +Zweites Kapitel + + +Wenig später saß der verliebte und verzweifelnde Kandidat auf dem +Querbrette eines langen und schmalen Nachens, den der junge Schiffmann +Bläuling mitten über die Seebreite mit kaum aus dem Wasser gehobenem +Ruder der Au zulenkte. + +Schon warf das schweigsame Eichendunkel seine schwarzen Abendschatten +weit auf die schauernden Gewässer hinaus. Bläuling, ein ernsthafter, +verschlossener Mensch mit regelmäßigen Gesichtszügen, tat den Mund +nicht auf. Sein Nachen schoß gleichmäßig und kräftig, wie ein +selbständiges Wesen durch die unruhige Flut. Auf und nieder war der +ganze See mit gewölbten Segeln bevölkert; denn es war Sonnabend und +die Schiffe kehrten von dem gestrigen städtischen Wochenmarkte heim. +Drei Segel flogen heran, die eine Figur mit sich verschiebenden +Endpunkten bildeten, und schlossen das Schifflein des Kandidaten in +ihre Linien ein. "Nehmt mich mit in die weite Freiheit!" flehte er +sie unbewußt an, aber sie entließen ihn wieder aus ihrem wandernden +Netze. + +Unterdessen näherte sich zusehends das Landhaus des Generals und +entwickelte seine Fassade. Der fest, aber leicht aufstrebende Bau +hatte nichts zu tun mit den landesüblichen Hochgiebeln, und es war, +als hätte er bei seiner Eigenart die Einsamkeit absichtlich aufgesucht. + +"Dort ist das Kämmerlein der Türkin", ließ sich jetzt der schweigsame +Bläuling vernehmen, indem seine Rechte das Ruder fahren ließ und nach +der Südecke des Hauses zeigte. "Der Türkin?" Der ganze Kandidat wurde +zu einem bedenklichen Fragezeichen. + +"Nun ja, der Türkin des Wertmüllers; er hat sie aus dem Morgenlande +heimgebracht, wo er für den Venezianer Krieg führte. Ich habe sie +schon oft gesehen, ein hübsches Weibsbild mit goldenem Kopfputze und +langen, offenen Haaren; gewöhnlich wenn ich vorüberfahre, legt sie die +Finger an den Mund, als pfiffe sie einem Mannsvolk; aber gegenwärtig +liegt sie nicht im Fenster." + +Ein langgezogener Ruf schnitt durch die Lüfte, gerade über die Barke +hin: "Sweine-und!" scholl es vernehmlich vom Ufer her. + +Der aufgebrachte Bläuling schlug sein Ruder ins Wasser, daß zischend +und spritzend ein breiter Strahl an der Seite des Fahrzeuges +emporschoß. + +"So wird man", zürnte er, "seit den paar Tagen, daß der Wertmüller +wieder hier ist, überall auf dem See mit Namen gerufen. Es ist der +verreckte Schwarze, der mit dem Sprachrohre des Generals rumort und +spektakelt. Vergangenen Sonntag im Löwen zu Meilen schenkten sie ihm +ein und soffen ihn unter den Tisch. Dann brachten sie ihn nachts in +meinem Schiffe dem Wertmüller zurück. Nun schimpft der Kaminfeger +durch das Rohr nach Meilen hinüber, aber morgen, beim Eid, sitzt er +wieder unter uns im Löwen.--Nun frage ich: woher hat der Mohr das +fremde Wort? Hier sagt man sich auch wüst, aber nicht so." + +"Der General wird ihn so schelten", bemerkte Pfannenstiel kleinlaut. + +"So ist es, Herr", stimmte der Bursche ein. "Der Wertmüller bringt +die hochdeutschen, fremdländischen Wörter ins Land, der Staatsverräter! +Aber ich lasse mir auf dem See nicht so sagen, beim Eid nicht." + +Bläuling wandte ohne weiteres seine Barke und gewann mit eiligen, +kräftigen Ruderzügen wieder die Seemitte. + +"Was ficht Euch an, guter Freund? Ich beschwöre Euch", eiferte +Pfannenstiel. "Hinüber muß ich! Nehmt doppelte Löhnung!" + +Doch das Silber verlor seine Kraft gegen die patriotische Entrüstung, +und der Kandidat mußte sich auf das Bitten und Flehen legen. Mit Mühe +erlangte er von dem beleidigten Bläuling, daß ihn dieser, "weil Ihr es +seid", sagte der Bursche, außerhalb der Tragweite des Sprachrohres um +die ganze Halbinsel herum in ihre südliche Bucht beförderte. Dort +ließ er den Kandidaten ans Ufer steigen und ruderte nach wenigen +Minuten den sich rasch verkleinernden Nachen wieder mitten in der +Bläue. + + + + +Drittes Kapitel + + +So wurde Pfannenstiel wie ein Geächteter unter den Eichen der +Halbinsel ausgesetzt. Ein enger Pfad vertiefte sich in das Halbdunkel, +und er zögerte nicht, ihn zu betreten. Mit Diebesschritten eilte er +durch das unter seinen Sohlen raschelnde Laub einer nahen Lichtung zu. +Das einem bösen Traume verwandte Gefühl, den fremden Besitz auf so +ungewöhnlichem Wege zu betreten, gab ihm Flügel, doch begann auch das +Element des Abenteuerlichen, das in jedem Menschenherzen schlummert, +seinen geheimen Reiz auf ihn auszuüben. So wirft sich ein Badender in +die Flut, die er zuerst leise schauernd mit der Zehe geprüft hat. + +Die bald erreichte Lichtung war nur eine beschränkte, von oben wie +durch eine Kuppelöffnung erhellte Moosstelle. Ein darauf spielendes +Eichhorn setzte über den Kopf des Kandidaten weg auf einen +niederhangenden Zweig, der erst ins Schwanken geriet, als das schnelle +Tierchen schon einen zweiten erreicht hatte. + +Wieder führte der Pfad eine Weile durch das grüne Dunkel, bis er sich +plötzlich wandte und der Kandidat das Landhaus in der Entfernung von +wenigen Schritten vor sich erblickte. + +Diese Schritte aber tat er sehr langsam. Er gehörte zu jenen +schüchternen Leuten, für welche das Auftreten und das Abgehen mit +Schwierigkeiten verbunden ist, und der General stand im Rufe, seinen +Gästen nur dieses, nicht aber jenes zu erleichtern. So kam es, daß er +hinter der äußersten Eiche, einem gewaltigen Stamme, unschlüssig +stehenblieb. Was er indessen aus seinem Verstecke hervor erlauschte, +war ein idyllisches Bild, das ihn in keiner Weise hätte einschüchtern +können. + +Der General plauderte in der hallenartig gebauten und zur jetzigen +Herbstzeit nur allzu luftigen Veranda, deren sechs hohe Säulen ein +prächtiges ausländisches Weinlaub umwand, gemütlich mit seinem Nachbar, +dem Krachhalder, einem der Kirchenältesten von Mythikon, die der +Kandidat während seines Vikariats allsonntäglich im Chore hatte sitzen +sehen und die ihm bekannt waren wie die zwölf Apostel. Mit +aufgestützten Ellenbogen ritt Wertmüller auf einem leichten Sessel und +zeigte seine scharfe Habichtsnase und das stechende Kinn im Profil, +während der schöne, alte, schlaue Kopf des Krachhalders einen ungemein +milden Ausdruck hatte. + +"Wir sind wie die Blume des Feldes", führte der Alte in erbaulicher +Weise das Gespräch, "und es trifft sich, Herr Wertmüller, daß wir +beide in diesen Tagen unser Haus bestellen. Ich mache Euch kein +Geheimnis daraus: Drei Pfund vergabe ich zur neuen Beschindelung +unserer Kirchturmspitze." + +"Ich will mich auch nicht als Lump erweisen", versetzte der General, +"und werfe testamentarisch ebensoviel aus zur Vergoldung unsers +Gockels, daß sich das Tier nicht schämen muß, auf der neubeschindelten +Spitze zu sitzen." + +Der Krachhalder schlurfte bedächtig aus dem vor ihm stehenden Glase, +dann sprach er: "Ihr seid kein kirchlicher Mann, aber Ihr seid ein +gemeinnütziger Mann. Erfahret: Die Gemeinde erwartet etwas von Euch." + +"Und was erwartet die Gemeinde von mir?" fragte der General neugierig. + +"Wollt Ihr es wissen? Und werdet Ihr es nicht zürnen?" + +"Durchaus nicht." + +Der Krachhalder machte eine zweite Pause. "Vielleicht ist Euch eine +andere Stunde gelegener", sagte er. + +"Es gibt keine andere Stunde als die gegenwärtige. Benützt sie!" + +"Ihr würdet Euch ein schönes Andenken stiften, Herr General, bei Kind +und Kindeskind..." + +"Ich unterschätze den Nachruhm nicht", sagte der General. + +Dem Krachhalder, der den wunderlichen Herrn so aufgeräumt sah, schien +der günstige Augenblick gekommen, dem lange genährten Wunsche der +Mythikoner in vorsichtigen Worten Gestalt zu geben. + +"Euer Forst im Wolfgang, Herr Wertmüller", begann er zögernd. Der +General verfinsterte sich plötzlich, und der alte Bauer sah es wie +eine Donnerwolke aufsteigen, "stößt seine Spitze..." + +"Wohin stößt er seine Spitze?" fragte Wertmüller grimmig. + +Der Krachhalder überlegte, ob er vor- oder rückwärts wolle, ungefähr +wie ein mitten auf dem See vom Sturm Überraschter. Er entschied sich +für das Vorrücken. "... mitten durch unsere Gemeindewaldung..." + +Jetzt sprang der General mit einem Satze von seinem Sessel auf, faßte +ihn an einem Bein, schwang ihn durch die Lüfte und setzte sich in +Fechtpositur. + +"Wollen mich die Mythikoner plündern?" schrie er wütend, "bin ich +unter die Räuber gefallen?" Dann fuhr er, seine hölzerne Waffe senkend, +gelassener fort: "Daraus wird nichts, Krachhalder. Redet das den +Leuten aus. Ich will Euch nicht noch von jenseits des Grabes eine +Nase drehen!" + +"Nichts für ungut", versetzte der Alte mit Ruhe, "Ihr werdet es +bedenken, Herr Wertmüller." + +Auch er hatte sich erhoben und nahm von dem Generale mit einem +treuherzigen Händedruck den landesüblichen Abschied. + +Wertmüller geleitete ihn ein paar Schritte, dann wandte er sich, und +vor ihm stand sein Leibmohr Hassan. Der Schwarze machte eine +flehentliche Gebärde und bat, das Deutsche wunderlich radbrechend, um +einen Urlaub für morgen nachmittag; denn seine Seele zog ihn zu seinen +neuen Freunden in Meilen. + +"Bist du ganz des Teufels, Hassan!" schalt ihn der General. "Sie +haben dir letzten Sonntag drüben arg genug mitgespielt." + +"Mitgespielt!" wiederholte der Mohr, der das Wort mißverstand. "Schön, +wundervoll Spiel!" + +"Hast du denn gar kein Ehrgefühl? Die Berührung mit der Zivilisation +richtet dich zugrunde--du säufst wie ein Christ!" + +"Nicht saufen, Gnaden! Schön Spiel, einzig Spiel! J-aß!" Er riß eine +solche Grimasse und verdrehte die Augen mit so leidenschaftlicher +Inbrunst, daß Pfannenstiel, der, wie oft die unschuldigen Menschen, +viel Sinn für das Komische und überdies jetzt etwas gespannte Nerven +hatte, in ein vernehmliches Gekicher ausbrach, welches er mit aller +Gewalt nicht unterdrücken konnte. + +Seine Gegenwart verraten sehend, trat der Kandidat, da er nicht wie +eine überraschte Dryade in die Eiche hineinschlüpfen konnte, verschämt +hinter derselben hervor und näherte sich dem General mit wiederholten +verlegenen Bücklingen. + +"Was will denn Er hier?" fragte dieser gedehnt und maß ihn vom Wirbel +bis zur Zehe: "Wer ist Er?" + +"Ich bin der Vetter... des Vetters... vom Vetter..." stotterte der +Angeredete. + +Der General runzelte die Stirne. + +"Mein Vater war ein Pfannenstiel und meine Mutter ist eine selige +Kollenbutz..." + +"Will Er mir seinen ganzen verfluchten Stammbaum explizieren? Was +Vetter? Mein Bruder ist Er--alle Menschen sind Brüder! Scher Er sich +zum Teufel!" und Wertmüller wandte ihm den Rücken. + +Pfannenstiel regte sich nicht. Der Empfang des Generals hatte ihn +versteinert. + +"Fannen-stiel--", buchstabierte der Schwarze das ihm noch unbekannte +Wort, als wolle er seinen deutschen Sprachschatz bereichern. + +"Pfannenstiel?" wiederholte auch der aufmerksam werdende General, "der +Name ist mir bekannt--halt, Er ist doch nicht der Autor", und er +kehrte sich dem Jüngling wieder zu, "der mir gestern seine +Dissertation über die Symbolik der Odyssee zugesendet hat?" + +Pfannenstiel neigte bejahend das Haupt. + +"Dann ist Er ja ein ganz liebenswürdiger Mensch!" sagte Wertmüller und +ergriff ihn freundlich bei der Hand. "Wir müssen uns kennenlernen." + + + + +Viertes Kapitel + + +Er trat mit dem Gaste in die Veranda, drückte ihn auf einen Sitz +nieder, goß ihm eines der auf dem Schenktische stehenden Gläser voll +und ließ ihn sich erholen und erquicken. + +"Der Empfang war militärisch", tröstete er ihn dann, "aber Ihr werdet +im Soldaten keinen unebenen Hauswirt finden. Ihr nächtigt heute auf +der Au--ohne Widerrede!--Wir haben manches zu verhandeln.--Seht, +Lieber, Eure Abhandlung hat mich ganz angenehm unterhalten", und +Wertmüller langte nach dem Buche, welches in einer Fensternische des +die Rückwand der Veranda bildenden Erdgeschosses lag und zwischen +dessen Blätter er die zerlesene Dissertation des Kandidaten eingelegt +hatte. + +"Zuerst eine Vorfrage. Warum habt Ihr mir Euer Werk nur mit einer +Zeile zugeschrieben, statt mir es coram populo auf dem ersten weißen +Blatte mit aufrichtigen, großen Druckbuchstaben zu dedizieren? Weil +ich mit den Faffen, Euern Kollegen, gespannt bin, he? Ihr habt keinen +Charakter, Pfannenstiel; ihr seid ein schwacher Mensch." + +Der Kandidat entschuldigte sich, seine unbedeutende Arbeit habe den +Namen des berühmten Feldherrn und Literaturkenners nicht vor sich her +tragen dürfen. + +"Durchaus nicht unbedeutend", lobte Wertmüller. "Ihr habt Phantasie +und seid in die purpurnen Tiefen meines Lieblingsgedichtes +untergetaucht, wie nicht leicht ein anderer. Freilich um etwas +Absurdes zu beweisen. Aber es ist einmal nicht anders: wir Menschen +verwenden unsere höchsten Kräfte zu albernen Resultaten. Dachtet Ihr +daran, mich rechtzeitig zu Rate zu ziehen, ich gab Eurer Dissertation +eine Wendung, die Euch selber, Eure fäffischen Examinatoren, das ganze +Publikum in Erstaunen gesetzt hätte. Ihr habt es gefühlt, +Pfannenstiel, daß die zweite Hälfte der Odyssee von besonderer +Schönheit und Größe ist. Wie? Der Heimgekehrte wird als ein +fahrender Bettler an seinem eigenen Herde mißhandelt. Wie? Die +Freier reden sich ein, er kehre niemals wieder, und ahnen doch seine +Gegenwart. Sie lachen und ihre Gesichter verzerrt schon der +Todeskampf--das ist Poesie.--Aber Ihr habt recht, Pfannenstiel, was +nützt mir die Poesie, wenn nicht eine Moral dahintersteckt? Es ist +eine Devise in das Zuckerwerk hineingebacken--zerbrechen wir es! Da +der Odysseus nicht bloß den Odysseus bedeuten darf, wen oder was +bedeutet er denn? Unsern Herrn und Heiland--so beweist Ihr und habt +Ihr es drucken lassen--, wenn er kommt zu richten Lebendige und Tote. +Nein, Kandidat, Odysseus bedeutet jede in Knechtesgestalt mißhandelte +Wahrheit mitten unter den übermütigen Freiern, will sagen, Faffen, +denen sie einst in sieghafter Gestalt das Herz durchbohren wird. + +"He, Kandidat, wie gefällt Euch das?--So hättet Ihr es wenden sollen, +und seid gewiß, Eure Dissertation hätte gerechtes Aufsehen erregt!" + +Pfannenstiel erbebte bei dem Gedanken, daß sich seiner Symbolik diese +gotteslästerliche und verwegene Wendung hätte geben lassen. Sein +einfaches Wesen ließ ihn den Pferdefuß des alten Spötters nicht oder +doch nur in unbestimmten Umrissen erkennen. + +Um sich der Verlegenheit zu entziehen, dem alten Freigeiste eine +Antwort geben zu müssen, nahm der Kandidat den Pergamentband in die +Hände, mit welchem Wertmüller während seiner Rede gestikuliert hatte. +Es war die aldinische Ausgabe der Odyssee. Pfannenstiel betrachtete +andächtig das Titelblatt des seltenen Buches. Plötzlich fuhr er +zurück wie vor einer züngelnden Natter. Er hatte auf dem freien Raume +links neben dem Wappen des venezianischen Buchhändlers etwas +verblichene, kühnfließende Federzüge entdeckt, die folgende Zeilen +bildeten: + +Georgius Jenatius me jure possidet +Constat R. 4. Kz. 12. + +Er warf das Buch weg, als atme es einen Blutgeruch aus. + +Damals moderte der fragwürdige Bündner schon seit Dezennien in der +Domkirche von Chur, während sein Bild in zahmen und unpatriotischen +Zeiten sich zu einem widerwärtigen verzerrt hatte, so daß nur der +Apostat und der Blutmensch übrigblieb. Pfannenstiel betrachtete ihn +einfach als ein Ungeheuer, an dessen Dagewesensein er kaum glauben, +das er sich nicht realisieren konnte. + +Der General weidete sich an seinem Schrecken, dann sagte er leichthin: +"Der liebe Mann, Euer gewesener Kollege, hat mich damit beschenkt, wie +wir noch auf gutem Fuße standen und ich ihn auf seinem Malepartus in +Davos besuchte." + +"Also hat er doch gelebt!" sprach der Kandidat halblaut vor sich hin, +"er hat Bücher besessen, wie unsereiner, und ihren kostenden Preis auf +das Titelblatt geschrieben." + +"Ja wohl hat er gelebt, und recht persönlich und zähe", sagte der +General mit kurzem Lachen. "Noch heute nacht träumte mir von dem +Bündner... Das kam daher, daß ich mich den ganzen gestrigen Tag mit +einem häßlichen Geschäfte abgegeben hatte. Ich schrieb mein Testament +nieder, und was ist kläglicher, als bei atmendem Leibe über seinen +Besitz zu verfügen, der ja auch ein Teil von uns selber ist!" + +Die Neugierde des jungen Geistlichen wurde rege. Vielleicht war es +ein warnendes Traumgesicht gewesen, das, fein und erbaulich ausgelegt, +in dem ihm gegenüber Sitzenden einen guten und frommen Gedanken konnte +entstehen lassen. "Wollt Ihr mir Euern Traum nicht mitteilen?" fragte +er mit einem gefühlvollen Blicke. + +"Er steht zu Diensten. Es war in Chur. Menschengedränge, +Staatsperücken, Militärpersonen--von der Hofkirche her Geläute und +Salutschüsse. Wir treten unter dem Torbogen hervor in den +bischöflichen Hof. Jetzt gehen wir zu zweien, neben mir ein Koloß. +Ich sehe nur einen Federhut, darunter eine Gewaltsnase und den in den +Kragen gesenkten pechschwarzen Spitzbart: 'Wertmüller', fragte der +Große, 'wen bestatten wir?'--'Ich weiß nicht' sage ich. Wir treten in +die Kathedrale zwischen das Gestühl des Schiffes. 'Wertmüller', fragt +der andere, 'wem singen sie ein Requiem?'--'Ich weiß nicht' sag ich +ungeduldig. 'Kleiner Wertmüller', sagt er, 'stell dich einmal auf die +Zehen und sieh, wer da vorn aufgebahrt liegt.'--Jetzt unterscheide ich +deutlich in den Ecken des Bahrtuches den Namenszug und das Wappen des +Jenatschen, und im gleichen Augenblicke wendet er, neben mir stehend, +mir das Gesicht zu--fahl mit verglühten Augen. 'Donnerwetter, Oberst', +sag ich, 'Ihr liegt dort vorn unter dem Tuche mit Euern sieben +Todeswunden und führt hier einen Diskurs mit mir! Seid Ihr doppelt? +Ist das vernünftig? Ist das logisch? Schert Euch in die Hölle, +Schäker!' Da antwortete er niedergeschlagen: 'Du hast mir nichts +vorzurücken--mach dich nicht mausig. Auch du, Wertmüller, bist tot.'" + +Pfannenstiel überlief es kalt. Dieser Traum am Vorabende des ohne +Zweifel blutigen Feldzuges, welcher dem General draußen im Reiche +bevorstand, schien ihm von ernster Vorbedeutung, und er sann auf ein +Wort geistlicher Zusprache. + +Auch Wertmüller konnte seinen Traum, nachdem er ihn einmal mitgeteilt, +nicht sogleich wieder loswerden. "Der Oberst wurde von seinem +Liebchen mit der Axt wie ein Stier niedergeschlagen", erging er sich +in lauten Gedanken, "mir wird es so gut nicht werden. Fallen--wohlan! +Aber nicht in einem Bettwinkel krepieren!" + +Vielleicht dachte er an Gift, denn er war am Hofe zu Wien in ein +hartnäckiges Intrigenspiel verwickelt und hatte sich dort durch seinen +Ehrgeiz Todfeinde gemacht. + +"Ehe ich meinen Koffer packe", fuhr er nach einer Pause fort, "möchte +ich wohl noch einen Menschen glücklich machen--" + +Dem Kandidaten schoß das Wasser in die Augen, nicht in selbstsüchtigen +Gedanken, sondern in uneigennütziger Freude über diese schöne Regung; +doch es trocknete schnell, als der General seinen Satz abschloß: +"--besonders wenn sich ein kräftiger Schabernack damit verbinden ließe." + +Das abergläubische Gefühl, das den General angewandelt hatte, war +rasch vorübergegangen. "Was ist Euer Anliegen?" fragte er seinen Gast +mit einer jener brüsken Wendungen, die ihm geläufig waren. "Ihr seid +nicht hierhergekommen, um Euch meine Träume erzählen zu lassen." + +Nun berichtete Pfannenstiel dem Generale mit einer unschuldigen List, +denn er wollte ihm seine Liebesverzweiflung, für die er ihm kein Organ +zutraute, nicht verraten, wie ihn über dem Studium der Odyssee ein +unwiderstehliches Verlangen ergriffen, die Heimat Homers, die goldene +Hellas kennenzulernen. Da er keinen andern Weg wisse, seine +Wanderlust zu befriedigen, sei ihm der Gedanke gekommen, sich bei dem +Herrn für die Feldkaplanei seiner venezianischen Kompanie zu melden, +die ja in den griechischen Besitzungen der Republik stationiere. "Sie +ist erledigt", schloß er, "und wenn Ihr mir ein weniges gewogen seid, +weiset Ihr mir die Stelle zu." + +Wertmüller blickte ihn scharf an. "Ich bin der letzte", sagte er, +"der einem jungen Menschen eine gefährliche Karriere widerriete! Aber +er muß dazu qualifiziert sein. Euer Knochengerüste, Freund, ist nicht +fest genug gezimmert. Der erste beste relegierte Raufbold von Leipzig +oder Jena wird meinen Kerlen mehr imponieren als Euer Johannesgesicht. +Schlagt Euch das aus dem Kopfe. Wollt Ihr den Süden sehen, so sucht +als Hofmeister Dienste bei einem jungen Kavalier und klopft ihm die +Kleider! Doch auch das kann Euch nicht taugen. Das beste ist, Ihr +bleibt zu Hause. Blickt aus! Zählt alle die Turmspitzen am See--das +Kanaan der Pfarrer. Hier ist Euer Rhodus, hier tanzt--will sagen +predigt!--Wozu sind die Geleise bürgerlicher Berufsarten da, als daß +Euresgleichen sie befahre? Ihr wißt nicht, welcher Schenkelschluß +dazu gehört, um das Leben souverän zu traktieren. Steht ab von Eurer +Laune!", und er machte die Gebärde, als griffe er einem Rosse in die +Zügel, das mit einem unvorsichtigen Knaben durchgegangen ist. + +Es entstand eine Pause. Wieder warf der General dem Kandidaten einen +beobachtenden Blick zu. + +"Ihr seid ein lauterer Mensch", sagte er dann, "und es war Euer Ernst, +Ihr würdet das griechische Abenteuer bestanden haben. Wie reimt sich +das mit dem Pfannenstiel, den ich hier vor mir sehe? Da liegt ein Aal +unter dem Steine. Ein verrückter Antiquar, wie sie zwischen den +Ruinen herumkriechen, seid Ihr nicht. Also seid Ihr desperat. Aber +warum seid Ihr desperat? Was treibt Euch weg? Heraus damit! Eine +Figur? He? Ihr errötet!" + +Der sechzigjährige Wertmüller behandelte die weiblichen Wesen als +Staffage und pflegte sie schlechtweg mit dem Malerausdrucke "Figuren" +zu benennen. + +"Wo habt Ihr zuletzt konditioniert?" + +"In Mythikon bei Euerm Herrn Vetter während seiner Gichtanfälle." + +"Bei meinem Vetter? Will sagen bei der Rahel. Nun ist alles klar und +deutlich wie mein neuverfaßtes Exerzierreglement. Das Mädchen hat +Euch den Kopf verrückt und dann, wie recht und billig, einen Korb +gegeben?" + +Der zartfühlende Kandidat hätte sich eher das Herz aus dem Leibe +reißen lassen, als eingestanden, daß die Rahel--wie er daran nicht +zweifeln konnte--ihm herzlich wohlwolle. Er antwortete bescheiden: + +"Der Herr Wertmüller, sonst mein Gönner, hat mich verabschiedet, weil +ich mit Schießgewehr nicht umzugehen verstehe und mich auch davor +scheue. Vor zwanzig Jahren ist damit in meiner Familie ein Unglück +begegnet. Er nötigte mich, mit ihm in die Scheibe zu schießen, und +ich habe keinen Schuß hineingebracht." + +"Ihr hättet Euch weigern sollen. Das hat Euch in Rahels Augen +heruntergesetzt. Sie trifft immer ins Schwarze. Donnerwetter, da +fällt mir ein, daß ich dem Alten noch etwas schuldig bin. Der +geistliche Herr hat mir, während ich am Rheine bataillierte, meine +Meute hier ganz meisterhaft beaufsichtigt. Er ist ein Kenner. Hassan, +hol mir gleich das violette Saffianfutteral her, links zuunterst im +Glasschranke der Waffenkammer.--Laßt Euch nicht stören, Kandidat." Der +Mohr beeilte sich, und nach wenigen Augenblicken hielt Wertmüller zwei +kleine Pistolen von zierlicher Arbeit in der Hand. Er reinigte mit +einem Lederlappen die damaszierten Läufe und den Silberbeschlag der +Kolben, in welchen hübsche seltsame Arabesken eingegraben waren. + +"Fortgefahren, Freund, in Eurer Elegie!" sagte er. "Das Mädchen also +gab Euch einen Korb--oder ist es möglich, liebt sie Euch? Es gibt +wunderliche Naturspiele!--und nur der Alte hätte Euch abblitzen lassen, +he? Was gab er Euch für Gründe?" + +Pfannenstiel blieb erst die Antwort schuldig. Ihm war ängstlich +zumute geworden, denn der General hatte, während er sprach, den Hahn +der einen Pistole gespannt. Jetzt berührte Wertmüller den Drücker mit +ganz leisem Finger, und der Hahn schlug nieder. Er spannte die zweite, +streckte den Arm aus, schnitt eine Grimasse; nur nach harter +Anstrengung gelang es ihm loszudrücken. Das Spiel der Feder mußte +sich aus irgendeinem Grunde verhärtet haben, und er schüttelte +unzufrieden den Kopf. + +Der Kandidat, der stark mit den Augen gezwinkert hatte, nahm jetzt den +Faden des Gesprächs wieder auf, um den wahren Grund seiner +Hoffnungslosigkeit anzudeuten. "Eine Wertmüllerin und ein +Pfannenstiel!" sagte er in einem resignierten Tone, als nenne er Sonne +und Mond und finde es ganz natürlich, daß dieselben nicht +zusammenkommen. + +"Laß Er mich mit diesen Narreteien zufrieden!" fuhr ihn der General +hart an. "Sind wir noch nicht über die Kreuzzüge hinaus, in welcher +geistreichen Epoche die Wappen erfunden wurden? Aber auch damals, wie +überhaupt jederzeit, galt der Mann mehr als der Name, sonst wäre die +Welt längst vermodert wie ein wurmstichiger Apfel. Seh Er, +Pfannenstiel, ich gelte hier für einen Patricius; als ich aber in +kaiserliche Dienste trat, wie blickten die Herren Kollegen von soundso +viel Quartieren hochnasig auf das plebejische Mühlrad in meinem Wappen +herunter. Dennoch mußten sie es eben leiden, daß der Müller die von +ihnen mehr als zur Hälfte ruinierte Kampagne wiederherstellte und +gewann! Hör Er, Pfannenstiel, es fehlt Ihm an Selbstgefühl, und das +schadet Ihm bei der Rahel." + +Der Kandidat befand sich in einem seltsamen Falle. Er konnte den +Standpunkt Wertmüllers nicht teilen, denn er fühlte dunkel, daß eine +so vollständige Vorurteilslosigkeit die ganze alte Ordnung der Dinge +durchstieß, und diese war ihm ehrwürdig, auch da, wo sie zu seinen +Ungunsten wirkte. + +Aber Wertmüller verlangte keine Antwort. Er hatte sich erhoben und +trat, in jeder Hand eine Pistole, einem hochgewachsenen Mädchen +entgegen, das auf dem vom festen Lande her ausmündenden Wege einherkam. +Der General hatte den Kies unter ihren leichten, raschen Schritten +knirschen hören. + +"Guten Abend, Patchen", begrüßte er sie, und seine grauen Augen +leuchteten. + +Das schöne Fräulein aber zog die Brauen zusammen, bis der Alte die +beiden Pistolen, die ihr offenbar ein Ärgernis waren, die eine in die +rechte, die andere in die linke seiner geräumigen Rocktaschen steckte. +"Ich habe Besuch, Rahel", sagte er. "Erlaube mir, meinen jungen +Freund dir vorzustellen, den Herrn Kandidaten Pfannenstiel." + +Die Wertmüllerin war näher getreten, während sich Pfannenstiel +linkisch von seinem Stuhle erhob. Sie bekämpfte ein Erröten, das aber +sieghaft bis in die feine Stirn und bis unter die Wurzeln ihres vollen +braunen Haares aufflammte. Der Kandidat schlug erst die Augen nieder, +als hätte er mit ihnen ein Bündnis geschlossen, keine Jungfrau +anzuschauen, erhob sie dann aber mit einem so innigen und strahlenden +Ausdrucke des Glückes und der Liebe, und seine guten Blicke fanden in +zwei braunen Augen einen so warmen Empfang, daß selbst der alte +Spötter seine Freude hatte an der ungeschminkten Neigung zweier +unschuldiger Menschenkinder. + +Er vermehrte seltsamerweise die erste süße Verwirrung der beiden mit +keinem Scherzworte. Ist es nicht, als ob ein tiefes und wahres Gefühl +in seinem natürlichen und bescheidenen Ausdrucke aus dieser Welt des +Zwanges und der Maske uns in eine zugleich größere und einfachere +versetze, wo der Spott keine Stelle findet? + +Lange freilich hätte er sie nicht ungeneckt gelassen, aber das +gescheite und tapfere Mädchen enthob ihn der Versuchung. "Ich habe +mit Euch zu reden, Pate", sagte sie, "und gehe voran nach der zweiten +Bank am See. Laßt mich nicht zu lange warten!" + +Sie verbeugte sich leicht gegen den Kandidaten und war verschwunden. + +Der General nahm diesen bei der Hand und führte ihn eine Treppe hinauf +in sein Bibliothekzimmer, in das die Seebreite durch drei hohe +Bogenfenster hereinleuchtete. + +"Seid getrost", sagte er, "ich werde bei der Rahel für Euch Partei +nehmen. Unterdessen wird es Euch hier an Unterhaltung nicht mangeln. +Ihr liebt Bücher! Hier findet Ihr die Poeten des Jahrhunderts tutti +quanti." Er zeigte auf einen Glasschrank und verließ den Saal. Da +standen sie in glänzenden Reihen, die Franzosen, die Italiener, die +Spanier, selbst einige Engländer, ein gehäufter Schatz von Geist, +Phantasie und Wohllaut, und Wertmüller, der ohne Frage auf der Höhe +der Zeitbildung stand, würde ungläubig den Kopf geschüttelt haben, +wenn ihm zugeflüstert worden wäre, einer fehle hier, der sie alle +insgesamt voll aufwiege. + +Der überall Belesene hatte William Shakespeare nicht einmal nennen +hören. + +Der Kandidat ließ die Poeten unberührt, denn für ein junges Blut ist +die Nähe der Geliebten mehr als alle neun Musen. + + + + +Fünftes Kapitel + + +Der General hatte einen Pfad eingeschlagen, der sich dicht am Ufer um +die Krümmungen der Halbinsel schlängelte, und hier erblickte er bald +Rahel Wertmüller, die, auf einer verwitterten Steinbank sitzend, das +feine Profil nach der jetzt abendlich dämmernden Flut hinwendete. Ein +aufrichtiger Ausdruck tiefer Betrübnis lag auf dem hübschen und +entschlossenen Gesichtchen. + +"Was dichtest und trachtest du?" redete er sie an. + +Sie antwortete, ohne sich zu erheben: "Ich bin nicht mit Euch +zufrieden, Pate." + +Der General lehnte sich an den Stamm einer Eiche und kreuzte die Arme. +"Womit habe ich es bei Euer Wohlgeboren verscherzt?" sagte er. + +Das Fräulein warf ihm einen Blick des Vorwurfs zu. "Ihr fragt noch, +Pate? Wahrlich, Ihr handelt an Papa nicht gut, der Euch doch nur +Liebes und nichts zuleide getan hat.--Was war das wieder für ein +Spektakel vergangenen Sonntag! Durch Eure Verleitung hat er den +ganzen Nachmittag mit Euch auf Euerm Au-Teiche herumgeknallt. Welch +ein Schauspiel! Aufflatternde verwundete Enten, im Moor nach der +Beute watende Jungen, der Vater in großen Stiefeln und das ganze Dorf +als Zuschauer!..." + +"Es beurteilte die Schüsse", warf Wertmüller ein. + +"Pate"--das Mädchen war von seinem Sitze aufgesprungen, und seine +schlanke Gestalt bebte vor Unwillen--"ich meinte bisher, Ihr +hättet--trotz mancher Wunderlichkeit--das Herz am rechten Flecke. +Aber ich habe mich geirrt und fange an zu glauben, hier sei bei Euch +etwas nicht in Ordnung!", und sie wies mit einer kleinen Gebärde des +Zeigefingers nach der linken Brustseite des Generals. "Ich hielt +Euch", fügte sie freundlicher hinzu, "für eine Art Rübezahl... so +heißt doch der Geist des Riesengebirges, von dessen Koboldstreichen +Ihr so lustig zu erzählen wißt?..." + +"Dem es zuweilen Spaß macht, Gutes zu tun, und der, wenn er Gutes tut, +dabei sich einen Spaß macht." + +"So ungefähr. Doch, wie gesagt, wenn Ihr ebenso boshaft seid wie der +Berggeist--von Wohltat ist dabei nichts sichtbar. Ihr werdet den +Vater noch ins Verderben stoßen. Wären unsere Mythikoner im Grund +nicht so gute Leute, die ihren Pfarrer decken, wo sie können, längst +wäre in Zürich gegen ihn Klage erhoben worden. Und mit Recht; denn +ein Geistlicher, der wachend und träumend keinen andern Gedanken mehr +hat als Halali und Halalo, muß jeder christlichen Seele ein tägliches +Ärgernis sein. Das wächst mit den Jahren. Neulich da der Herr Dekan +seinen Besuch meldete und zur selben Zeit der Bote eine in der Stadt +angekaufte Jagdflinte dem Vater zutrug, mußte ich ihm dieselbe +unkindlich entwinden und in meinen Kleiderschrank verschließen, sonst +hätte er noch--ein schrecklicher Gedanke--den ehrwürdigen Herrn +Steinfels aufs Korn genommen. Ihr lacht, Pate?--Ihr seid abscheulich! +--Ich könnte Euch darum hassen, daß Ihr, der seine Schwäche kennt, ihn +noch stachelt und aufreizt, als wäret Ihr sein böser Engel.--Nächstens +wird er noch einmal mit geladenem Gewehr die Kanzel besteigen!... Ich +freute mich, da Ihr kamet, und nun frage ich: Reist Ihr bald, Pate?" + +"Mit geladenem Gewehr die Kanzel besteigen?" wiederholte Wertmüller, +den dieser Gedanke zu frappieren schien. "La, la, Patchen! Der Vater +ist mir der erträglichste aller Schwarzröcke und du bist mir die +liebste aller Figuren. Ich will dem Alten eine Genugtuung geben. +Weißt du was? Ich gehe morgen bei Euch zur Kirche--das rehabilitiert +den Vater zu Stadt und Lande." + +Rahel schien von dieser Aussicht wenig erbaut. "Pate", sagte sie, +"Ihr habt mich aus der Taufe gehoben und das Gelübde getan, auf mein +zeitliches und ewiges Heil bedacht zu sein. Für das letztere könnet +Ihr nichts tun, denn es steht in diesem Punkte bei Euch selbst sehr +windig. Aber ist das ein Grund, auch mein zeitliches zu ruinieren? +Ihr solltet, scheint mir, im Gegenteil darauf denken, mich wenigstens +auf dieser Erde glücklich zu machen--und Ihr macht mich unglücklich!" +Sie zerdrückte eine Träne. + +- "Vortrefflich räsoniert", sagte der General. "Patchen, ich bin der +Berggeist und du hast drei Wünsche bei mir zu gut." + +"Nun", versetzte das Fräulein, auf den Scherz eingehend. "Erstens: +Heilt den Vater von seiner ungeistlichen Jagdlust!" + +- "Unmöglich. Sie steckt im Blute. Er ist ein Wertmüller. Aber ich +kann seiner Leidenschaft eine unschädliche Bahn geben. Zweitens?" + +"Zweitens..." Rahel zögerte. + +"Laß mich an deiner Stelle reden, Mädchen. Zweitens: Gebt dem +Hauptmann Leo Kilchsperger Urlaub zu Werbung, Verlöbnis und Heirat." + +- "Nein!" versetzte Rahel lebhaft. + +- "Er ist ein perfekter Kavalier." + +- "Einem perfekten Kavalier hängt manches um und an, worauf ich +Verzicht leiste, Pate." + +- "Ein beschränkter Standpunkt." + +- "Ich halte ihn fest, Pate." + +- "Meinetwegen.--Also ein anderes Zweites. Zweitens: Berggeist, +verschaffe dem Kandidaten Pfannenstiel die von ihm begehrte +Feldkaplanei in venezianischen Diensten." + +- "Nimmermehr!" rief die Wertmüllerin. "Was? der Unglückliche begehrt +die Feldkaplanei unter Euerm venezianischen Gesindel? Der zarte und +gute Mensch? Darum ist er zu Euch gekommen?" + +Der General bejahte. "Ich rede es ihm nicht aus." + +- "Redet es ihm aus, Pate. Grassiert nicht Pest und Fieber in Morea?" + +- "Zuweilen." + +- "Liest man nicht von häufigen Schiffbrüchen im Adriatischen Meere?" + +- "Hin und wieder." + +- "Ist die Gesellschaft in Venedig nicht ganz entsetzlich schlecht?" + +- "Die gute ist dort wie allenthalben und die schlechte ganz +vortrefflich." + +- "Pate, er darf nicht hin, um keinen Preis!" + +- "Gut. Also ein anderes Zweites verbunden mit dem Dritten: Berggeist, +mache den Kandidaten Pfannenstiel zum wohlbestellten Pfarrer von +Mythikon und gib mich ihm zur Frau!" + +Rahel wurde feuerrot. "Ja, Berggeist", sagte sie tapfer. + +Diese resolute Antwort gefiel dem General aus der Maßen. + +"Er ist eine reinliche Natur", lobte er, "aber ihm fehlt die +Männlichkeit, welche die Figuren unwiderstehlich hinreißt--" + +- "Bah", machte sie leichthin und fuhr entschlossen fort: "Pate, Ihr +habt ein Dutzend Feldschlachten gewonnen, Ihr verderbt Euern +listigsten Feinden in der Hofburg das Spiel, Ihr seid ein berühmter +und welterfahrner Mann--wendet ein Hundertteilchen Eures Geistes daran, +mich--was sage ich--uns glücklich zu machen, und wir werden es Euch +zeitlebens Dank wissen." + +Der General ließ sich auf die leere Steinbank nieder und legte in +tiefem Nachdenken die Hände auf die Knie, wie eine ägyptische Gottheit. +So berührte er die beiden Pistolen in seinen Taschen; es blitzte in +seinen scharfen grauen Augen plötzlich auf, und er brach in ein +unbändiges Gelächter aus, wie er seit Dezennien nicht mehr gelacht +hatte, in ein wahres Schulbubengelächter. Da er zugleich +aufgesprungen war, rasch dem Innern der Halbinsel sich zukehrend, +wiederholte ein Echo diesen Ausbruch ausgelassener Lustigkeit in so +geisterhafter und grotesker Weise, daß es war, als hielten sich alle +Faune und Panisken der Au die Bäuchlein über einen tollen und +gottvergessenen Einfall. + +Der General beruhigte sich. Er schien seinen Anschlag und die +Möglichkeit des Gelingens mit scharfem Verstande zu prüfen. Das +Wagnis gefiel ihm. "Zähle auf mich, mein Kind", sagte er väterlich. + +- "Hört, Pate, dem Papa darf kein Leides geschehen!" + +- "Lauter Gutes." + +- "Pfannenstiel darf nicht gezaust werden!" + +Wertmüller zuckte die Achseln. "Der spielt eine ganz untergeordnete +Rolle." + +- "Und Ihr werdet Euern Spaß dabei haben?" fragte das Mädchen gespannt, +denn das Gelächter hatte sie doch etwas bedenklich gemacht. + +- "Ich werde meinen Spaß dabei haben." + +- "Kann es nicht mißlingen?" + +- "Der Plan ist auf die menschliche Unvernunft gegründet und somit +tadellos. Aber etwas Chance gehört zu jedem Erfolg." + +- "Und mißlingt es?" + +- "So bezahlt Rudolf Wertmüller die Zeche." + +Noch einmal besann sich das Mädchen recht ernstlich; aber ihre +resolute Natur trug den Sieg davon. Sie hatte überdies ein +unbedingtes Vertrauen zu der verwegenen Kombinationsgabe und selbst in +gewissen Grenzen zu der Loyalität ihres Verwandten. Daß ein +schadenfroher Streich mitlaufen werde, wußte sie--es war das eben der +Kaufpreis ihres Glückes--, aber sie wußte auch, daß Wertmüller sie +liebhabe und seinen Spuk darum nicht allzu weit treiben würde. Zudem +lag etwas in ihrem Blute, das eine rasche, wenn auch gewagte Lösung +einer nagenden Ungewißheit vorzog. + +"Ans Werk, Rübezahl!" sagte sie. "Wann beginnst du dein Treiben, +Berggeist?" + +- "Morgen mittag bist du Braut, Kindchen. Ich verreise Montag in der +Frühe." + +- "Adieu, Berggeist!" grüßte sie enteilend und warf ihm eine Kußhand +zu, während er ihr nachsah und seine Freude hatte an ihrem schlanken +und sichern Gange. + + + + +Sechstes Kapitel + + +Zu später Abendstunde saßen der General und der Kandidat an einer +reichbesetzten und glänzend erleuchteten runden Tafel sich gegenüber +in einem geräumigen Saale, dessen helle Stuckwände mit guten, in Öl +gemalten Schlachtenbildern bedeckt waren. + +Wertmüller wußte, welche Poesie das "Tischlein, deck dich!" für einen +in dürftigen Verhältnissen aufgewachsenen Jüngling hat; aber auch an +geistiger Bewirtung ließ er es nicht fehlen. Er erzählte von seinen +Fahrten in Griechenland, er rühmte die Naturwahrheit der Landschaften +und der Meerfarben in der Odyssee, er ließ die edeln und maßvollen +Formen eines hellenischen Tempels vor den Augen des entzückten +Kandidaten aufsteigen--kurz, er machte ihn glücklich. + +Seiner davon unzertrennlichen militärischen Abenteuer gedachte er nur +im Vorbeigehen, aber so drastisch, daß Pfannenstiel in der Nähe des +alten Landsknechtes sich als einen herzhaften und verwegenen Mann +fühlte, während Wertmüller in der naiven Bewunderung seines Zuhörers +um einige Dezennien sich verjüngte und erleichterte. + +So achtete es Pfannenstiel nicht groß, als der General in der Hitze +des Gespräches ihm auf den Leib rückte, von den vier breiten flachen +Knöpfen, die sein Gewand zwischen den schmächtigen Schultern vorn +zusammenhielten, den obersten abriß und denselben, nachdem er ihn +einer kurzen Betrachtung unterworfen, in einen dunkeln Zimmerwinkel +warf, dann an einem der mittlern drehte, bis dieser nur noch an einem +Faden hing. + +Zwischen den Birnen und dem Käse aber änderte sich die Szene. Der +General hatte gegen seine Gewohnheit--er war längst ein mäßiger Mann +geworden--einige Gläser feurigen Burgunders geleert, und da er, wie +man zu sagen pflegt, einen grimmigen Wein trank, begann es ihn denn +doch ein bißchen zu wurmen, daß die schöne und tapfere Rahel ihr Herz +an einen sanftmütigen, unkriegerischen Menschen, noch dazu an einen +"Faffen" verschenkt hatte, und sein Dämon nötigte ihn, den Kandidaten, +den er doch leiden mochte, zu gutem Ende noch einmal unbarmherzig zu +foppen. + +Er befahl dem aufwartenden Hassan, Pulverhorn und Kugelbeutel zu +bringen, zog die beiden Terzerole aus seinen Rocktaschen und legte sie +vor sich auf die Tafel. + +"Die Rahel mag Euch", wendete er sich jetzt an den Kandidaten, "aber +wollt Ihr sie zum Weibe gewinnen, müßt Ihr dem schönen Kinde einmal +als ein ganzer Mann entgegentreten. Das wird ihr einen bleibenden +Eindruck machen, und Ihr dürft Euch dann ruhig die eheliche +Schlafmütze über die Ohren ziehen.--Mein Plan ist ganz einfach: Ich +gehe morgen in Mythikon zur Kirche--erstaunt nicht, Pfannenstiel, ich +bin kein Heide--und lade mich bei dem Vetter Pfarrer zu Mittag. +Natürlich bleibt Rahel zu Hause und besorgt den Tisch, Ihr aber +gewinnt bei währendem Gottesdienste auf Schleichwegen die Pfarre, +entführt das Mädchen, bringt es hieher und, während Ihr sie küßt, +armiere ich die zwei eisernen Kanonen, die Ihr auf dem Hausflur +gesehen habt, und verteidige den schmalen Damm, der meine Insel mit +dem Festlande verbindet. Treffen! Unterhandlung! Friedensschluß!" + +Wäre der Kandidat in seiner natürlichen Verfassung gewesen, er hätte +diese Soldatenschnurre belächelt, aber der starke Wein war ihm in den +Kopf gestiegen. + +"Entsetzlich!" rief er aus, fügte dann aber nach einer Pause und +erleichtert hinzu: "und unmöglich! Die Rahel würde niemals +einwilligen." + +- "Sie wird! Ihr erscheint, werft Euch zu ihren Füßen: Entflieh mit +mir! oder..." Er ergriff ein Pistol und setzte es sich an die rechte +Schläfe. + +- "Sie ist eine Christin!" rief der erhitzte Kandidat. + +- "Sie wird und muß wollen! Jede Figur wird von der männlichen +Elementarkraft bezwungen. Kennt Ihr die neueste deutsche Literatur +nicht?... den Lohenstein, den Hofmannswaldau?" + +- "Sie wird nicht wollen--nimmermehr!" wiederholte Pfannenstiel +mechanisch. + +- "Dann fahrt Ihr ab--glorios mit Donner und Blitz!" und Wertmüller +drückte los. Der Hahn schlug nieder, daß es Funken stob. + +Jetzt ermannte sich Pfannenstiel. Die ihm so nahegelegte ungeheure +Freveltat und sein Schauder davor gaben ihm die Besinnung wieder und +ernüchterten sein Gehirn. Auch fiel ihm die Warnung Rosenstocks ein. +Er narrt und quält dich boshaft, sagte er sich, du bist ja ein +geistlicher Mann und hast es mit einem schlimmen Feinde der Kirche zu +tun. + +Ein Hohnlächeln zuckte in den Mundwinkeln des ihn beobachtenden, +scharf beleuchteten Gesichtes, das in diesem Augenblicke einer +grotesken Maske glich. Der Kandidat erhob sich von seinem Sitze und +sprach nicht ohne Würde: "Wenn das Euer Ernst ist, so verweile ich +keine Minute länger unter einem Dache, wo eine mehr als heidnische +Verruchtheit gelehrt wird; ist es aber Euer Scherz, Herr Wertmüller, +wie ich es glaube, so verlasse ich Euch ebenfalls, denn einen +einfachen Menschen, der Euch nichts zuleide getan hat, zu hänseln und +zu verhöhnen, das ist nicht christlich, nicht einmal menschlich--das +ist teuflisch." + +Ein schöner, ehrlicher Zorn flammte in seinen blauen Augen, und er +schritt der Türe zu. + +"La, la", sagte der General. "Was frühstückt Ihr morgen? Eier, +Rebhuhn, Forelle?" + +Pfannenstiel öffnete und enteilte. + +"Der Mohr wird Euch aufs Zimmer leuchten! Auf Wiedersehen morgen beim +Frühstück!" rief ihm Wertmüller nach. + +Der Alleingebliebene lud sorgfältig das leichtspielende Pistol mit +Pulver und stieß einen derben Pfropfen nach. Das schwerspielende ließ +er ungeladen. Beide übergab er dem Mohren mit dem Befehle, dieselben +in seinen schwarzen Sammetrock zu stecken. Dann ergriff der General +einen Leuchter und suchte sein Lager auf. + + + + +Siebentes Kapitel + + +Der Kandidat eilte in raschem Laufe dem Damme zu, durch welchen die +Südseite der Insel mit dem festen Lande zusammenhing. Oft hatte er, +da er sich im verflossenen Frühjahre in Mythikon aufhielt, den Sitz +des damals in Deutschland bataillierenden Generals mit neugierigen +Augen gemustert, ohne ihn je zu betreten. Er wußte, daß der Damm +gegen seine Mitte hin durch ein altertümliches kleines Tor und eine +Brücke unterbrochen war, aber er war gewiß, kein Hindernis zu finden, +da dieses Tor, wie er sich erinnerte, niemals geschlossen wurde, sich +auch nicht schließen ließ, da es keine Torflügel hatte. + +Jetzt erreichte er das Ufer und erblickte zu seiner Linken die Linie +des Dammes. Aber, o Mißgeschick! der von dem dämmernden Hintergrunde +scharf abgehobene Balken der Brücke schwebte in der Luft und bildete +statt eines rechten einen spitzen Winkel mit dem Profil der Pforte, an +deren Steinbogen er durch zwei Ketten befestigt war. Das Tor, die +aufgezogene Brücke, die kleine Verbindungslinie der Ketten--alles ließ +sich mit überzeugender Deutlichkeit unterscheiden; denn der Mond gab +genügendes Licht, und in dem leeren, nicht zu überspringenden +Zwischenraume flimmerte sein Widerschein in dem silbernen Gewässer. +Pfannenstiel war ein Gefangener. Unmöglichkeit, durch das Moor zu +waten! Er wäre, da er die Furten des tückischen Röhrichts nicht +kannte, bei den ersten Schritten versunken und hätte ein klägliches +Ende genommen. Ratlos stand er am Inselgestade, während aus dem +Sumpfe dicht vor seinen Füßen ein volltöniges Brekekex Koax Koax +erscholl. + +Gerade an jenem Abende war unter den Fröschen der Au ein junger +Lyriker von bedeutender Begabung aufgetaucht, der das feste und +gegebene Motiv der Froschlyrik so keck in Angriff nahm und so +gefühlvoll behandelte, daß der begeisterte Chor nicht müde wurde, die +vorgesungene Strophe mit unersättlichem Enthusiasmus zu wiederholen. +Auf den Kandidaten freilich machte das leidenschaftliche Gequäke einen +tief melancholischen Eindruck, als steige es aus den Sümpfen des +Acheron empor. + +In halber Verzweiflung wollte er nun über den Damm nach der Pforte +eilen, ob sich die Zugbrücke mit Anstrengung aller Kräfte nicht senken +ließe. Da gewahrte er, noch einmal vorwurfsvoll nach dem unheimlichen +Landhause sich umwendend, eine ihm entgegenwandernde Helle, und nach +wenigen Augenblicken stand Hassan mit einem Windlicht in der Faust an +seiner Seite. Mit untertäniger Zutunlichkeit redete ihm der gutmütige +Mohr zu, in die von ihm geflohene Wohnung zurückzukehren. + +"Langweilig Frosch, geistlicher Herr!" radbrechte Hassan, "Schloß an +Zugbrücke--Zimmer bereit!" + +Was war zu tun? Nichts anderes, als Hassan zu folgen. In der großen, +auf den gepflasterten Hausflur mündenden Küche entzündete der Mohr +zwei Kerzen und leuchtete dem Kandidaten die Treppe hinauf. Auf der +zweitobersten Stufe ergriff er ihn rasch am Arme: "Nicht erschrecken, +geistlicher Herr!" flüsterte er. "Schildwache vor Zimmer von General." +Und in der Tat, da stand eine Schildwache. Hassan beleuchtete sie +mit der Kerze, und Pfannenstiel erblickte ein Skelett, das die +Knochenhände auf eine Muskete gestützt hielt und an dem über die +Rippen gekreuzten und blank gehaltenen Lederzeuge Patronentasche und +Seitengewehr der zürcherischen Landmiliz trug. Ein kleines +dreieckiges Hütchen war auf den hohlen Schädel gestülpt. + +Der Kandidat fürchtete das Bild des Todes nicht, er war mit demselben +von Amts wegen vertraut, ja er hatte eine gewisse Vorliebe für die +warnende und erbauliche Erscheinung des Knochenmannes. Aber wer war +der Mensch, der da drinnen unter der Hut dieser gespenstischen Wache +schlief? Und welche seltsame Lust fand er daran, mit den ernstesten +Dingen sein frevles Gespötte zu treiben? + +Jetzt öffnete der Mohr das zweitäußerste Zimmer der Seeseite und +stellte die beiden Leuchter auf den Kamin. Pfannenstiel, dessen +Wangen glühten und fieberten, trat ans Fenster, um es aufzureißen; +Hassan aber hielt ihn zurück. + +"Seeluft ungesund", warnte er und machte die Flügeltüre eines +Nebenzimmers auf, um dem Erhitzten in unschädlicher Art mehr Luft zu +verschaffen. Dann entfernte er sich mit einem demütigen Gruße. + +Der Kandidat schritt eine gute Weile in der Kammer auf und nieder, um +seine erregte Phantasie zur Ruhe zu bringen und den wunderlichsten Tag +seines Lebens einzuschläfern. Aber das gefährlichste Abenteuer +desselben war noch unbestanden. + +Aus dem von Hassan geöffneten Nebenzimmer klang ein leiser Ton, wie +ein tiefer Atemzug. Hatte die streichende Nachtluft die Falten eines +Vorhanges bewegt oder war ein Käuzlein an den nur halb geschlossenen +Jalousien vorbeigeflattert? + +Der Kandidat hemmte seinen Schritt und horchte. Plötzlich fiel ihm +ein, daß dieses nächste Zimmer, das letzte der Fassade, kein anderes +sein könne als die Räumlichkeit, welche der Schiffer Bläuling der +Türkin des Generals angewiesen hatte. + +Die Möglichkeit einer solchen Nähe brachte den unbescholtenen jungen +Geistlichen begreiflicherweise in die größte Angst und Unruhe, doch +nach kurzer Überlegung beschloß er, in die berüchtigte Kammer mutig +hineinzuleuchten. + +Er betrat einen reichen türkischen Teppich und stand, sich zur Rechten +wendend, vor einem lebensgroßen Bilde, welches von vergoldetem, +üppigem Blätterwerk eingerahmt war und die ganze, dem Fenster +gegenüberstehende Wand des kleinen Kabinettes füllte. Das Bild war +von einem Niederländer oder Spanier der damals kaum geschlossenen +glänzenden Epoche in jener naturwarmen, bestrickenden Weise gemalt, +die den Neuern verlorengegangen ist. Über eine Balustrade von +maurischer Arbeit lehnte eine junge Orientalin mit den berauschenden +dunkeln Augen und glühenden Lippen, bei deren Anblicke die Prinzen in +Tausendundeiner Nacht unfehlbar in Ohnmacht fallen. + +Sie legte den Finger an den Mund, als bedeute sie den vor ihr +Stehenden: Komm, aber schweige! + +Pfannenstiel, der nie etwas auch nur annähernd Ähnliches erblickt +hatte, wurde tief und unheimlich erschüttert von der Verlockung dieser +Gebärde, der Sprache dieser Augen. Es tauchte etwas ihm bis heute +völlig unbekannt Gebliebenes in seiner Seele auf, etwas, dem er keinen +Namen geben durfte--eine brennende Sehnsucht, die glückselige +Möglichkeit ihrer Erfüllung! Vor diesem Bilde begann er an so +übergewaltige Empfindungen zu glauben und vor ihrer Macht zu erbeben... + +Plötzlich wandte sich der Kandidat, lief in sein Schlafgemach zurück +und begnügte sich nicht, die Türe zu verschließen, er schob noch den +Riegel und drehte zuletzt den Schlüssel um. Nun glaubte er sein Lager +gesichert und begrub sich in die Kissen desselben. + +Doch kaum war er entschlummert, so trat das schöne Schemen durch die +Türe, ohne sie zu öffnen, und nahm tückisch Gestalt und Antlitz der +Rahel Wertmüller an, ihren maidlichen Wuchs, ihre feinen geistigen +Züge. Aber ihre Augen schmachteten wie die der Orientalin, und sie +legte den Finger an den Mund. + +Nun kam eine böse, schlimme Stunde für den armen Kandidaten. Er +wollte fliehen und wurde von einer dämonischen Gewalt zu den Füßen des +Mädchens hingeworfen. Er stammelte unsinnige Bitten und machte sich +verzweifelte Vorwürfe. Er umfaßte ihre Knie und verurteilte sich +selbst als den ruchlosesten aller Sünder. Rahel, erst erstaunt, dann +strengblickend und unwillig, stieß ihn zuletzt empört von sich weg. +Jetzt stand der General neben ihm und reichte ihm das Pistol. "Die +Figur", dozierte er, "wird bezwungen von der männlichen Elementarkraft." +Dem Kandidaten wurde wie von eisernen, teuflischen Krallen der Arm +gebogen, und er setzte sich die tödliche Waffe an die rechte Schläfe. +"Fliehe mit mir!" stöhnte er. Sie wandte sich ab. Er drückte los, +und erwachte, nicht in seinem Blute, aber in kaltem Schweiße gebadet. +Dreimal trieb ihn der quälende Halbtraum in diesem Kreislaufe von +Begierde, Frevel und Reue herum, bis er endlich das Fenster aufschloß +und im reinen Hauche der heiligen Frühe in einen tiefen beruhigenden +Schlaf versank. + +Er erwachte nicht, bis Hassan mit warmem Wasser ins Zimmer trat und +auf seinen Befehl die Jalousien öffnete. Ein himmlischer, innig +blauer Tag und das nun halb verwehte, nun vollhallende Geläute aller +Seeglocken drang in die Traumkammer. + +"General Kirche gegangen", sagte der Mohr. "Geistlicher Herr +frühstücken?"-- + + + + +Achtes Kapitel + + +Und der Mohr log nicht. + +Rudolf Wertmüller wandelte in dem Augenblicke, da sich sein Gast dem +Schlummer entriß, schon unweit der Kirche von Mythikon unter den +sonntäglichen Scharen, welche alle dahinführenden Wege und Fußsteige +bevölkerten. + +Der sonst so rasche Schritt des Generals war heute ein gemessener und +seine Haltung durchaus würdig und untadelig. Er war in schwarzen +Sammet gekleidet und trug in der behandschuhten Rechten ein mit +schweren vergoldeten Spangen geschlossenes Gesangbuch. + +Seltsam! Wertmüller, der seit langem jede Kirche gemieden hatte, +stand bei den Mythikonern in dem schlimmen Rufe und der schwefelgelben +Beleuchtung eines verhärteten Freigeistes, es war ihnen eine +ausgemachte, nicht anzufechtende Tatsache, daß ihn über kurz oder lang +der Teufel holen werde--und dennoch waren sie herzlich erfreut, ja +gerührt, ihn auf ihrem Kirchwege einherschreiten zu sehen. Sie +erblickten in seinem Erscheinen durchaus nicht einen Akt der Buße, +denn sie liebten es nicht und hielten es für schmählich--hierin den +griechischen Dramatikern ähnlich--, wenn eine erwachsene Person ihren +Charakter wechselte; sie trauten es dem Generale zu, daß er konsequent +bleibe und resolut ins Verderben fahre. Die Mythikoner faßten +vielmehr den Kirchgang des alten Kriegsmannes als eine Höflichkeit auf, +als eine Ehre, die er der Gemeinde erweise, als einen öffentlichen +Abschiedsbesuch vor seinem Abgange ins Feldlager. + +Das Grüßen nahm kein Ende, und jeder Gruß ward von dem heute +ausnahmsweise Leutseligen mit einem Nicken oder einem kurzen +freundlichen Worte erwidert. Nur ein altes Weib, das böseste in der +Gemeinde, stieß ihre blödsinnige Tochter zurück, die den General +angaffte, und raunte ihr vernehmlich zu: "Verbirg dich hinter mir, +sonst nimmt er dich und macht dich zur Türkin!" + +Weniger erfreut über den Anblick des ungewohnten Kirchgängers war der +Pfarrer Wilpert Wertmüller, als er, mit Mantel und Kragen angetan, aus +dem Tore seines Hofraums trat, in dessen Mitte hinter einem +altergrauen Brunnen zwei mächtige Pappeln sich leis im Winde wiegten. +Seine Überraschung war eine vollständige; denn Rahel hatte geschwiegen. + +Der Pfarrer, ein Sechziger von noch rüstigem Aussehen und nicht gerade +geistreichen, aber männlichen Gesichtszügen, mochte den General als +einen versuchten Weidmann in Wald und Feld wohl leiden; daß er aber +seine Erbauung gerade in der Kirche von Mythikon suchte--das hätte er +ihm gerne erlassen. + +Je unwillkommener, desto höflicher war der General. Er zog den Hut, +dann nahm er den Pfarrer an der Hand und führte ihn in den Flur seines +Hauses zurück. Gerade in diesem Augenblicke setzte die schöne, +morgenfrische Rahel ihren Fuß auf die unterste Stufe der Treppe, +sonntäglich angetan und ebenfalls ein kleines, in schwarzen Sammet +gebundenes Gesangbuch in der Hand. + +"Kind, du bist reizend! eine Nymphe!" begrüßte sie Wertmüller. "Lasse +dich väterlich auf die Stirn küssen!" + +Sie weigerte sich nicht, und der kleine, aber fest und wohlgebaute +General richtete sich auf den Fußspitzen empor, um die feine weiße +Stirn des hochgewachsenen Mädchens zu erreichen, eine eher komische +als zärtliche Gruppe. + +"Bittest du mich nach der Predigt zu Tische, Alter?" fragte Wertmüller. + +"Selbstverständlich!" versetzte der gastfreundliche Pfarrer. "Rahel +bleibt zu Hause und besorgt die Küche." + +Das willige Mädchen fügte mit einem leichten Knickse hinzu: "Wir +bedanken uns, Pate!" und eilte in das obere Stockwerk zurück. + +"Ich bringe dir etwas mit, Alter", lächelte der General. + +"Gewehr?" fuhr der Pfarrer heraus, und seine Augen leuchteten. + +Wertmüller nickte bejahend und zog unter dem breiten Schoße seines +Sammetrockes ein Pistol hervor. Die vornehme Fasson und der +damaszierte Lauf des kleinen Meisterstückes der damaligen +Büchsenschmiedekunst stachen dem Pfarrer gewaltig in die Augen. Seine +ganze Leidenschaft erwachte. Wertmüller trat mit ihm aus dem +dämmerigen Flur durch die Hintertüre der Pfarre in den Garten, um ihn +die kostbare kleine Waffe im vollen Tageslichte bewundern zu lassen. + +Die ganze Langseite des Hauses war mit einer ziemlich niedrigen +Weinlaube bekleidet; an dem einen Ende dieses grünen Bogenganges hatte +der Pfarrer vor Jahren eine steinerne Mauer mit einer kleinen Scheibe +aufführen lassen, um sich, an dem entgegengesetzten Eingange Posto +fassend, während seiner freien Stunden im Schießen zu üben. + +"Aus der Levante?" fragte er, sich des Pistols bemächtigend. + +"Venezianische Nachahmung. Sieh hier die verschlungene Chiffre +GG--bedeutet Gregorio Gozzoli", rühmte Wertmüller. + +"Ich erinnere mich, diesen Schatz von Pistölchen in deiner +Waffenkammer auf der Au gesehen zu haben,--aber war es nicht ein +Pärchen?" + +"Du träumst..." + +"Ich kann mich geirrt haben. Spielt das kleine Ding leicht?" + +"Leider ist der Drücker etwas verhärtet, aber du darfst das fremde +Meisterstücklein keinem hiesigen Büchsenmacher anvertrauen, er würde +dir es verderben." + +"Etwas hart? tut nichts!" sagte der Pfarrer. Er nahm trotz Mantel und +Kragen am einen Ende der Laube Stellung. Auf dem linken Fuße ruhend, +den rechten vorgesetzt, zog er den Hahn und krümmte den Arm. + +Eben verstummten die Glocken auf dem nahen Kirchturme, und das +Auszittern ihrer letzten Schläge verklang in dem Gesumme der Wespen, +die sich geräuschvoll um die noch nicht geschnittenen Goldtrauben der +Laube tummelten. + +Der Pfarrer hörte nichts--er drückte und drückte mit dem Aufgebot +aller Kraft. + +"Pfui, Alter, was schneidest du für Grimassen?" spottete Wertmüller. +"Gib her!" Er entriß ihm die Waffe und legte seinen eisernen Finger an +den Drücker. Der Hahn schlug schmetternd nieder. "Du verlierst deine +Muskelkraft, Vetter! Dich entnervt die gliederlösende Senectus! Ich +will dir selbst den Mechanismus etwas geschmeidiger machen--du weißt, +daß ich ein ruhmreicher Schlosser und ganz leidlicher Büchsenschmied +bin!" Der General ließ die schmucke kleine Waffe in die Tiefe seiner +Tasche zurückgleiten. + +"Nein, nein, nein!" rief der Pfarrer leidenschaftlich. "Du hast es +mir einmal geschenkt! Ich lasse es nicht mehr aus den Händen!..." + +Zögernd hob der General das Pistol wieder hervor--nicht mehr dasselbe. +Er hatte es, der alte Taschenspieler, mit dem auch für ein schärferes +und ruhiges Auge nicht leicht davon zu unterscheidenden Zwillinge +gewechselt. + +Der Pfarrer hielt die Waffe kaum wieder in der Hand, als er sich von +neuem in Positur stellte, denn er war ganz Feuer und Flamme geworden, +und Miene machte, den Hahn noch einmal zu spannen. + +Der General aber fiel ihm in den Arm. "Hernach!" redete er ihm zu. +"Donnerwetter! Es hat längst ausgeläutet." + +Herr Wilpert Wertmüller erwachte wie aus einem Traume, besann sich, +lauschte. Es herrschte eine tiefe Stille, nur die Wespen summten. + +Er steckte das Pistol eilig in die geräumige Rocktasche, und die +Vettern beschritten den kurzen, jetzt völlig menschenleeren Weg nach +der nahen Kirche. + + + + +Neuntes Kapitel + + +Als die zwei Wertmüller den heiligen Raum betraten, war er schon bis +auf den letzten Platz gefüllt. Im Schiffe saßen rechts die Männer, +links die Weiber, im Chore, das Antlitz der Gemeinde zugewendet, die +Kirchenältesten, unter ihnen der Krachhalder. + +Zwei breite, oben durch ein großes Halbrund verbundene Mauerpfeiler +schieden Chor und Kirche. An dem rechts gelegenen schwebte die Kanzel +und am Fuße der steilen Kanzeltreppe befand sich der einzig leer +gebliebene Sitz, der mit Schnitzwerk verzierte Stuhl von Eichenholz, +welchen der Pfarrer während des Gesanges einzunehmen pflegte. Diesen +wies er jetzt dem General an und bestieg ohne Verzug die Kanzel. Der +Verspätete hatte Eile, der Gemeinde die Nummer des heutigen +Kirchenliedes zu bezeichnen. + +Es war das beliebteste des neuen Gesangbuchs, ein Danklied für die +gelungene Lese, erst in neuerer Zeit verfaßt und aus Deutschland +gekommen, mit dreisten und geschmacklosen Schnörkeln im damaligen +Rokokostile, aber nicht ohne Klang und Farbe. + +Jede Strophe begann mit der Aufforderung, den Geber alles Guten +vermittelst eines immer wieder andern Instrumentes zu loben. Dem +Autor mochte ein Kirchenbild vorgeschwebt haben. Aber nicht jene +zarten musizierenden Engel Giambellinis, welche an das Dichterwort +erinnern: + +Da geigen die Geiger so himmlisch klar, +Da blasen die Bläser so wunderbar... + + +Nein! sondern die auf einer robusten Wolke lagernde und mit allen +möglichen Instrumenten ausgerüstete pausbäckige himmlische Hofkapelle +irgendeines Bravourbildes aus der Rubensschen Schule. + +"Frohlocket, frohlocket!..." erscholl es heiter und volltönig in dem +schönen, reinlichen Raume, durch dessen acht Spitzbogenfenster das +leuchtende Blau des himmlischen Tages hereinquoll. + +Der General, dessen Eintritt ein wohlgefälliges Gemurmel erregt hatte, +wendete sein gesammeltes Antlitz der Gemeinde zu, konnte aber mit +einer ungezwungenen Wendung des Kopfes leicht den hohen Sitz +beobachten, wo sein Vetter horstete. Eben jetzt warf er einen Blick +hinauf. Der Seelsorger von Mythikon, der das Jubellied schon oft +gehört hatte und seiner ebenfalls schon oft gehaltenen Predigt sicher +war, betastete leise seine Tasche. + +"Posaunet, posaunet!..." dröhnte es durch das Schiff. Wertmüller +schielte die Kanzeltreppe hinauf. Der Vetter hatte das kleine +Terzerol aus der Tasche gezogen und betrachtete es hinter der hohen +Kanzelbrüstung mit Augen der Liebe. + +"Drommetet, drommetet!..." sangen die Mythikoner. Mitten durch den +Trompetenlärm hörte der General deutlich ein scharfes Knacken, als +würde droben ein Hahn gezogen. Er lächelte. + +Jetzt kam die letzte, die Lieblingsstrophe der Mythikonerinnen. "Und +flötet, o flötet!..." sangen sie, so schön sie konnten. Der General +warf wieder einen verstohlenen Blick nach der Kanzel hinauf. Spielend +legte der Pfarrer eben seinen dicken Finger an den Drücker; wußte er +doch, daß er die Feder mit aller Gewalt nicht bewegen konnte. Aber er +zog ihn gleich wieder zurück, und die sanften Flöten verklangen. + +Der General unten an der Kanzel legte in gedrückter Stimmung sein +Gesicht in Falten. + +Jetzt betete der geistliche Herr, der das kleine Gewehr in seine +geräumige Tasche zurückgleiten ließ, in aller Andacht die Liturgie und +las dann den Text aus der großen, ständig auf dem Kanzelbrette +lagernden Bibel. Es war der herrliche siebenundvierzigste Psalm, der +da beginnt: Frohlocket mit Händen, alle Völker, lobet Gott mit großem +Schalle! + +Frisch und flott ging es in die Predigt hinein und schon war sie über +ihr erstes Drittel gediehen. Noch einmal lauerte der General empor, +sichtlich enttäuscht, mit einem fast vorwurfsvollen Blicke, der sich +aber plötzlich erheiterte. Der Pfarrer hatte im Feuer der Aktion, +während seine Linke vor allem Volke gestikulierte, mit der durch die +Kanzel gedeckten Rechten instinktiv das geliebte Terzerol wieder +hervorgezogen. "Lobet Gott mit großem Schalle!" rief er aus, und, +paff! knallte ein kräftiger Schuß. Er stand im Rauch. Als er wieder +sichtbar wurde, quoll die blaue Pulverwolke langsam um ihn empor und +schwebte wie ein Weihrauch über der Gemeinde. + +Entsetzen, Schreck, Erstaunen, Ärger, Zorn, ersticktes Gelächter, +diese ganze Tonleiter von Gefühlen fand ihren Ausdruck auf den +Gesichtern der versammelten Zuhörer. Die Kirchenältesten im Chor aber +zeigten entrüstete und strafende Mienen. Die Lage wurde bedenklich. + +Jetzt wendete sich der General mit einer zugleich leutseligen und +imponierenden Gebärde an die aufgeregten Mythikoner: + +"Lieben Brüder, laßt euch den Schuß nicht anfechten. Bedenket: es ist +nach menschlicher Voraussicht das letztemal, daß ich mich in eurer +Mitte erbaue, ehe ich diesen meinen sterblichen Leib den Kugeln +preisgebe.--Und Ihr, Herr Pfarrer, zeigt Euch als einen entschlossenen +Mann und führt Euern Sermon zu Ende." + +Und wirklich, der Pfarrer setzte unerschrocken wieder ein und fuhr in +seiner Predigt fort, unbeirrt, ohne den Faden zu verlieren, ohne sich +um ein Wort zu vergreifen, zu stottern oder sich zu versprechen. + +Alles kehrte wieder in die Ordnung zurück. Nur das blaue +Pulverwölkchen wollte sich in dem geschlossenen Raume gar nicht +verlieren und schwebte hartnäckig über der Gemeinde, bald im Schatten, +bald von einem Sonnenstrahl beleuchtet, bis seine Umrisse immer +ungewisser wurden und sich endlich auflösten. + + + + +Zehntes Kapitel + + +Während der Pfarrer seine Predigt tapfer zu Ende führte, hatte die +daheimgebliebene Rahel der alten Babeli und dem zur Aushilfe von +dieser herbeigeholten Nachbarskinde ihre Befehle gegeben und trat +jetzt, ein Körbchen und ein kleines Winzermesser in der Hand, vor die +hintere Haustüre, um einige ihrer reifen sonnegebräunten Goldtrauben +von der Laube zu schneiden. + +Da sah sie, sich gerade gegenüber, wo der Fußsteig um die von der +Landstraße abliegende Seite des Gartens lief, ein seltsames Schauspiel. + +Ein unheimlicher Mensch stützte die Hände auf den Zaun, schwang sich +mit fliegenden Rockschößen in einem wilden Satze über die Hecke und +kam ihr stracks entgegen. Kaum traute sie ihren Augen. Konnte er es +sein? Unmöglich! Und doch, er war es. + +Pfannenstiel hatte das Frühstück, welches ihm der dienstbeflissene +Mohr im Speisesaale auf der Au versetzte, kaum berührt. Es trieb ihn +fort über die jetzt gesenkte Zugbrücke, bergan, der Pfarre von +Mythikon zu. Er wußte, daß er die Straßen und Steige, wenn auch nur +für kurze Zeit, noch leer fand. Das orientalische Schemen war im +Morgenwinde verflattert; aber, wie himmlisch leuchtend und frisch der +Herbsttag aus seinen Nebelhüllen hervortrat, einer der gestern +empfangenen Eindrücke war wie ein Stachel in der aufgeregten Seele des +Kandidaten haften geblieben. + +Ihm fehle die Männlichkeit, hatte der General ihm vorgehalten, die +einen unfehlbaren Sieg über das Weibliche davontrage. Das gab dem +Kandidaten zu schaffen, und da sich ihm eine nächste Gelegenheit bot, +etwas nach seiner Ansicht Kühnes zu unternehmen, und gerade das, wozu +der General ihn aufgefordert hatte, so entschloß sich der Verwilderte, +Rahel, wenn auch ohne Feuerwaffe, mit einem Morgenbesuche zu +überraschen. + +Der Sprung über die Hecke war dann freilich keine Heldentat gewesen, +sondern eine Flucht vor den ersten heimkehrenden Kirchgängern, die er +zwischen den Bäumen der Landstraße zu sehen glaubte. + +Wie er sich mit unternehmender Miene und in entschiedener Haltung der +Wertmüllerin näherte, erschrak diese ernstlich über sein Aussehen, +seine fiebernden Augen, die Blässe und Abspannung, wie sie eine +schlaflose Nacht auf dem Antlitze zurückläßt. Auch der herabhängende, +halb abgedrehte Knopf und die Leere, die der andere weggerissene +gelassen, entgingen ihr natürlich keinen Augenblick und vollendeten +den beängstigenden Eindruck. + +"Um Himmels willen, was ist Euch, Herr Vikar?" sagte das Mädchen. +"Seid Ihr krank? Ihr habt etwas Verstörtes, Fremdes an Euch, das mich +erschreckt. O der heillose Pate--was hat er mit Euch vorgenommen? Er +gelobte mir doch, Euch nichts anzutun, und nun hat er Euch gänzlich +zerrüttet! Erzählt mir haarklein, was Euch auf der Au zugestoßen-- +vielleicht weiß ich Rat." + +Als ihr der Kandidat in die verständigen und doch so warmen Augen +blickte, ward er sich urplötzlich dessen bewußt, was ihn eigentlich +hergetrieben. Der Kobold des Abenteuers, der sich beim ersten +Schritte, den er auf der Au getan, ihm auf den Nacken gesetzt hatte, +sprang von seinem Rücken und ließ ihn fahren. + +Bis ins kleinste beichtete er den klaren braunen Augen seine +Erlebnisse auf der Insel, nur die Vision der Türkin weglassend, die ja +eine Ausgeburt seines erhitzten Gehirns gewesen war. Er gestand ihr, +ihn habe der Vorwurf des Generals, ihm fehle das Männliche, verblüfft +und beunruhigt, auch jetzt könne er noch nicht darüber hinwegkommen. +Und er bat sie, ihm aufrichtig zu sagen, ob hier ein Mangel sei und +wie dem abzuhelfen wäre. + +Rahel betrachtete ihn ein Weilchen fast gerührt, dann brach sie in ein +helles Gelächter aus. + +"Der Pate trieb mit Euch sein Spiel", sagte sie, "aber daß er Euch das +griechische Abenteuer widerriet, war recht. Ihr wolltet aus Eurer +eigenen Natur heraus, und er hat Euch heimgespottet... Warum auch? +Wie Ihr seid, und gerade wie Ihr seid, gefallt Ihr mir am besten. +Papas ungeistliche Waidlust hat mir genug schwere Stunden gemacht! +Für mich lob ich mir den Mann, der unsern Dorfleuten mit einem +erbaulichen, durchsichtigen Wandel vorleuchtet, unsern Zehntwein +schluckweise trinkt, seine Frau liebhat und zuweilen von einem +bescheidenen und gelehrten Freunde besucht wird!... Diese Kavaliere! +Ich habe übergenug von ihren Tafeldiskursen, wenn sie den Vater mit +Roß und Wagen überfallen!--Der Pate hat Euch gestern in so manches +eingeweiht, hat er Euch nicht auch den Streich erzählt, den er mit +achtzehn Jahren seinem jungen Weibe spielte? Sie gelüstete nach +Spanischbrötchen, wie man solche in Baden bäckt. 'Ich hole sie dir +warm!' sagte er galant, sattelte und verritt. In Baden legte er die +Brötchen in eine Schachtel und eine Zeile dazu, er verreise ins +schwedische Lager. Diesen Abschied sandte er durch einen Boten, ihn +selbst aber sah sie viele Jahre nicht wieder. Das hättet Ihr nicht +getan!" Und sie reichte dem stillen Vikar die Hand. + +"Aber jetzt muß ich Euch sogleich die Knöpfe befestigen", setzte sie +rasch hinzu, "es tut mir in den Augen und in der Seele weh, Euch in +diesem Zustande zu sehen! Setzt Euch!"--dabei zeigte sie auf ein +Bänklein unter der Laube--"ich hole Zwirn und Nadel." + +Pfannenstiel gehorchte, und sie entsprang mit dem traubengefüllten +Körbchen. + +Nun kam es über ihn wie Paradiesesglück. Licht und Grün, die niedrige +Laube, das bescheidene Pfarrhaus, die Erlösung von den Dämonen des +Zweifels und der Unruhe! + +Sie freilich, die ihn davon befreit hatte, war selbst von Unruhe +ergriffen. Welchen Streich hatte der General geplant oder schon +ausgeführt? Sie machte sich Vorwürfe, ihm freie Hand dazu gegeben zu +haben. + +In der Küche erfuhr sie, der Herr Pfarrer habe sich mit dem General +eingeschlossen und bald darauf seien die Kirchenältesten langsam und +feierlich die Treppe hinaufgeschritten. Etwas Unerhörtes müsse in der +Kirche vorgefallen sein. + +Der Fischkuri, der ihr aus seinem Troge Forellen brachte, wurde von +ihr befragt; aber er war nicht zum Reden zu bringen und schnitt ein +dummes Gesicht. + +Bestürzt eilte das Mädchen in ihre Kammer und mußte lange suchen, ehe +sie Nadel und Zwirn fand. + + + + +Elftes Kapitel + + +Nachdem der Gottesdienst zu Mythikon ohne weitere Störung sein Ende +genommen hatte, waren die Vettern nebeneinander in die nahe Pfarre +zurückgeschritten, der Seelsorger zur Rechten des Generals, ohne sich +um den Ausdruck der öffentlichen Meinung zu kümmern, welcher in den +Mienen der ihnen Begegnenden unverkennbar zu lesen war. + +Dort öffnete der geistliche Wertmüller sein Studierzimmer, ließ den +weltlichen wie einen straffälligen armen Sünder nachkommen und +verschloß sorgfältig die Türe. Dann trat er dicht an den Freveltäter +heran. "Vetter General", sagte er, "du hast an mir gehandelt als ein +Schelm und ein Bube!", und er machte Miene, ihn am Kragen zu packen. + +"Hand weg!" entgegnete dieser. "Soll ich mich mit dir raufen, wie +weiland mit dem Vetter Zeugherr von Stadelhofen in der Ratslaube zu +Zürich, als wir uns die Perücken zausten, daß es nur so stob! Bedenke +dein Amt, deine Würde!" + +"Mein Amt, meine Würde!" wiederholte der Pfarrer langsam und +schmerzlich. Eine Träne netzte seine graue Wimper. Mit diesen vier +schlichten Worten war dasselbe ausgedrückt, was uns in jener +großartigen Tirade erschüttert, mit welcher Othello von seiner +Vergangenheit und seinem Amte Abschied nimmt. + +Der General schluckte. Die Träne des alten Mannes war ihm entschieden +zuviel. + +"La, la", tröstete er, "du hast eine prächtige Kaltblütigkeit gezeigt. +Auf meine Ehre, ein echter Wertmüller! Es ist ein Feldherr an dir +verlorengegangen." + +Aber die Schmeichelei verfing nicht. Auch der Moment der Wehmut war +vorübergegangen. + +"Womit habe ich dich beleidigt?" zürnte der Entrüstete. "Habe ich je +in meiner Kirche auf dich gestichelt oder angespielt? Habe ich dich +nicht in deinem Heidentume völlig werden lassen und dich gedeckt, wie +ich konnte?--Und zum Danke dafür hast du mir hinterlistig das Pistol +vertauscht, du Gaukler und Taschenspieler!--Warum beschimpfst du meine +grauen Haare, Kind der Bosheit? Weil es dir in deiner eigenen Haut +nicht wohl ist!..." + +"La, la", sagte der General. + +Es pochte. Die Kirchenältesten von Mythikon traten in die Stube, dem +Krachhalder den Vortritt lassend, und stellten sich in einem +Halbkreise den Wertmüllern feierlich fast feindselig gegenüber. Der +General las in den langen gefurchten Gesichtern, daß er mit seinem +lästerlichen Scherze das dörfliche Gefühl schwer beleidigt hatte. + +In der Tat, der Krachhalder, auf den sie alle hinhörten, war in den +Tiefen seiner Seele empört. Wenn er sich auch den abenteuerlichen +Vorfall nicht ganz erklären konnte, setzte er ihn doch unbedenklich +auf die Rechnung des Generals, welcher, die Schwäche seines +geistlichen Vetters sich zunutze machend, ein landkundiges Ärgernis +habe anstiften wollen. Dem Krachhalder lag die Ehre seiner Gemeinde +am Herzen, und er hatte das Mythikonerkirchlein mit seinem schlanken +Helme und seinen hellen acht Fenstern aufrichtig lieb.--Süß war ihm +nach dem Schweiße der Woche der Kirchgang im reinlichen Sonntagsrocke +und den Schnallenschuhen, süß und nachdenklich Taufe und Bestattung, +die den Gottesdienst und das menschliche Leben begrenzen und einrahmen, +süß das Angeredetwerden als sterblicher Adam und unsterbliche Seele, +süß das Kämpfen mit dem Schlummer, das Übermanntwerden, das +Wiedererwachen; süß das kräftige Amen, süß das Zusammenstehen mit den +Ältesten auf dem Kirchhofe und die Begrüßung des Pfarrers, süß das +gemütliche Heimwandeln. + +Man mußte ihn sehen, den ehrbaren Greis mit dem scharfgezeichneten +Kopfe, wenn er bei einer Armensteuer, nach der Aufforderung des Herrn +Pfarrers zu schöner brüderlicher Wohltat, das Wasser in den Augen, aus +seinem Geldbeutel ein rotes Hellerchen hervorgrub!-- + +Kurz, der Krachhalder war ein kirchlicher Mann, und das Herz blutete, +oder richtiger gesagt, die Galle kochte ihm, die Stätte seiner +sonntäglichen Gefühle verunglimpft und lächerlich gemacht zu sehen. + +"Was führt Euch hieher?" redete der General ihn an und fixierte ihn +mit blitzenden Augen so scharf, daß der Krachhalder, der trotz seines +guten Gewissens das nicht wohl ertragen konnte, mit seinen +Augensternen nach rechts und links auswich, bis es ihm endlich gelang +standzuhalten. + +"Macht aus einer Mücke keinen Elefanten!" fuhr Wertmüller, ohne die +Antwort zu erwarten, fort. "Nehmt den Schuß als einen verspäteten aus +der Lese, oder, in Teufels Namen, für was Ihr wollt!" + +"Die Lese war mittelmäßig", erwiderte der Kirchenälteste mit +verhaltenem Grimme, "und der Schuß ist ein recht böser Handel, Ihr +Herren Wertmüller! Ich besitze eine Chronik von Stadt und Land; +darinnen steht verzeichnet, daß vor Jahren einem jungen geistlichen +Herrn, der seiner Braut über den heiligen Kelch hin mit verliebten +Augen zuwinkte...", der Krachhalder machte an seinem Halse das Zeichen +eines Schnittes. + +"Blödsinn!. fuhr der General ungeduldig dazwischen. + +"Ich habe zu Hause auch eine Ketzergeschichte", sprach der Krachhalder +hartnäckig fort, "darinnen alle Trennungen und Sekten von Anfang der +Welt an beschrieben und abgebildet sind. Aber kein Adamit oder +Wiedertäufer hat es je unternommen, bei währender Predigt einen Schuß +abzugeben. Das, Herr Pfarrer, ist eine neue Religion." + +Dieser seufzte. Das Beispiellose seiner Tat stand ihm deutlich genug +vor Augen. + +"Man wird den Schuß in Zürich untersuchen", drohte jetzt der +unbarmherzige Bauer, "die Synagoge", er wollte sagen Synode, "wird +darüber sitzen. Es tut mir leid für Euch, Herr Pfarrer; aber ich +hoffe, sie fällt einen scharfen Spruch. Auch so wird uns der Spott +nicht erspart werden, und das ist das Schlimmste, denn der Spott hat +ein zähes Leben an unserm See. Wenn ich nur dran denke, wird es mir, +beim Eid, schwarz vor den Augen. Das ganze rechte Ufer da drüben +lacht uns aus. Keinen Schoppen können wir mehr trinken in Meilen oder +Küßnach, ohne daß sie uns verhöhnen in allen Tonarten und Liederweisen. +Der Schuß von Mythikon stirbt nicht am See, so wenig als in Altorf +der Tellenschuß. Er haftet und lebt bei Kind und Kindeskind. Ich +berufe mich auf Euch, Herr General", fuhr er fort, und die alten Augen +leuchteten boshaft, "Ihr wißt, was das heißen will! Wie lange ist es +her, daß Ihr von Rapperswyl abzogt? Damals wurdet Ihr von den +Katholischen besungen, und, glaubt Ihr's? das lebt noch. Ihr seid ein +verrühmter, abfigürter Mann, aber was hilft das? Erst vorgestern noch +fuhr ein volles Pilgerschiff von Richterswyl her um die Au mit großem +Lärm und Gesang. Ich stand in meinem Weinberge und denke: die Narren! +--Gegen Euer Haus hin werden sie still. 'Das macht der Respekt', sag +ich zu mir selbst. Ja, da hatt' ich es getroffen. Kaum sind sie +recht unter Euern Fenstern, so bricht das Spottliedlein los. Ihr wißt +das, wo sie den Wertmüller heimschicken zur Müllerin! Gut, daß Ihr +verritten wart! Meineidig geärgert hab ich mich in meinen Reben..." + +"Schweigt!" fuhr ihn der General zornig an; denn der alte Schimpf +jener aufgehobenen Belagerung brannte jetzt noch auf seiner Seele, ja +schärfer als früher, als wäre er mit jener Tinte verzeichnet, die erst +nach Jahren schwarz und unvertilglich hervortritt. + +Doch er beherrschte sich und wechselte den Ton. "Etwas Konfusion +gehört zu jeder Komödie", sagte er, "aber wenn sie ihren Höhepunkt +erreicht hat, muß ihr eine rasche Wendung zu gutem Schlusse helfen, +sonst wird sogar die Verrücktheit langweilig. + +"Herr Pfarrer und liebe Nachbarn! + +"Gestern bis tief in die Nacht habe ich an meinem Testamente +geschrieben und es Schlag zwölf Uhr unterzeichnet. Ich kenne Euer +warmes Interesse an allem, was ich tue, lasse und nachlasse; erlaubt +denn, daß ich Euch einiges daraus vorlese." + +Er zog eine Handschrift aus der Tasche und entfaltete sie. "Den +Eingang, wo ich ein bißchen über den Wert der Dinge philosophiere, +übergeh ich... 'Wenn ich, Rudolf Wertmüller, jemals sterbe...', doch +das gehört auch nicht hieher...", er blätterte weiter. "Hier! +'Schloß und Herrschaft Elgg, die ich aus den redlichen Ersparnissen +meines letzten Feldzuges erworben, bleibt als Fideikommiß in meiner +Familie', usw. 'Item--sintemal diese Herrschaft eine treffliche, aber +vernachlässigte Jagd besitzt und eine mit den Beutestücken eben jener +Kampagne versehene, aber noch unvollständige Waffenkammer, so verfüge +ich, daß nach meinem Ableben mein Vetter, der Herr Pfarrer Wilpert +Wertmüller, benanntes Schloß und Herrschaft bewohne und bewerbe, die +Jagd herstelle, die Waffenkammer vervollkommne und überhaupt und in +jeder Weise bis an sein Ende frei darüber schalte und walte, wenn +anders dieser geistliche Herr sich wird entschließen können, sein in +Mythikon habendes Amt niederzulegen und antistite probante an den +Kandidaten Pfannenstiel zu transferieren, welchem Kandidaten ich mein +Patenkind, die Rahel Wertmüllerin, zur Frau gebe, nicht ohne die +väterliche Einwilligung jedoch, und mit Hinzufügung von dreitausend +Zürchergulden, die ich dem Fräulein, in meinen Segen eingewickelt, +hinterlasse.' + +"Uff", schöpfte der General Atem, "diese Sätze! Eine verteufelte +Sprache, das Deutsche!"-- + +Der Pfarrer kam sich vor wie ein Schiffbrüchiger, den dieselbe Welle +begräbt und ans Land trägt. Seine verhängnisvolle Leidenschaft +abgerechnet, ein verständiger Mann, erkannte er sofort, daß ihm der +General den einzigen und dazu einen höchst angenehmen Weg öffne, der +ihn aus Schimpf und Schande führen konnte. + +Er drückte seinem Übel- und Wohltäter mit einer Art von Rührung die +Hand, und dieser schüttelte sie ihm mit den Worten: "Komme ich durch, +so soll es dein Schade nicht sein, Vetter! Ich tue dann, als wär' ich +tot, und installiere dich als mein eigener Testamentsvollstrecker in +Elgg!" + +Die Mythikoner aber lauschten gleichsam mit allen Gliedmaßen, denn es +schwante ihnen, daß jetzt sie an die Reihe kämen, beschenkt zu werden. + +"Ich vermache denen Mythikern", fuhr der General fort und sein +Bleistift flog über das Papier in seiner Linken, denn er skizzierte +den durch die Eingebung des Augenblickes entstandenen Paragraphen, +"denen Mythikern vermache ich jene in ihre Gemeindewaldung am Wolfgang +eingekeilte, zu zwei Dritteln mit Nadelholz, zu einem Drittel mit +Buchen bestandene Spitze meines Besitztums, in der Weise, daß die +beiden Marksteine des Gemeindegutes zu meinen Ungunsten durch eine +gerade Linie verbunden werden.-- + +"Heute noch--auf Ehrenwort und vor Zeugen--erhält dieser Zusatz mit +meiner Unterschrift seine Endgültigkeit," erklärte der General, "in +der Meinung jedoch und unter der Bedingung, daß der heute, wie eine +unverbürgte Sage geht, in der Kirche von Mythikon abgefeuerte Schuß zu +den ungeschehenen Dingen verstoßen und, soweit er Realität hätte, mit +einem ewigen Schweigen bedeckt werde, welches sich die Mythiker +eidlich verpflichten, weder in diesem Leben zu brechen noch jenseits +des Grabes am jüngsten Tage und letzten Gerichte." + +Der Krachhalder war während dieser Mitteilung äußerlich ruhig +geblieben, nur die Nasenflügel in dem übrigens gelassenen Gesicht +zitterten ein wenig, und seine Fingerspitzen hatten sich um ein +kleines einwärts gebogen, als wolle er das Geschenk festhalten. "Herr +General, so wahr mir Gott helfe!" rief er jetzt und hob die Hand zum +Schwure; Wertmüller aber schloß: + +"Widrigenfalls und bei gebrochenem Schweigen ich dies Vermächtnis bei +meiner Rückkehr aus dem bevorstehenden Feldzuge umstoßen und vertilgen +werde. Wäre mir dies nicht möglich wegen eingetretenen Sterbefalles, +so schwöre ich, mich den Mythikern als Geist zu zeigen und zur Strafe +ihres Eidbruches zwischen zwölf und eins ihre Dorfgasse +abzupatrouillieren.--Werdet Ihr die Bedingung erfüllen können, +Krachhalder?" + +"Unwitzig müßten wir sein", beteuerte dieser, "wenn wir nicht das Maul +hielten!" + +"Und Eure Weiber?" + +"Dafür laßt uns Mythikoner sorgen", sagte der alte Bauer ruhig und +machte eine bedeutungsvolle Handbewegung. + +"Aber, Krachhalder, stellt Euch vor, ich sei aus dem Reiche zurück", +sagte der General freundlich, "Wir sitzen unter meiner Veranda, ich +lege Euch so wie jetzt die Hand auf die Schulter, stoße mit Euch an +und wir plaudern allerlei. Dann sag ich so im Vorbeigehen: Jener +Schuß hat gut gekracht!..." + +"Welcher Schuß?--Das lügt Ihr, Herr General!" rief der Kirchenälteste +mit einer sittlichen Entrüstung, die komischerweise durchaus nicht +gespielt war, sondern das Gepräge vollkommener Aufrichtigkeit trug. + +Wertmüller lächelte zufrieden. + +"Jetzt heim, Ihr Männer!" mahnte der Alte. "Damit kein Unglück +geschehe, muß in einer Viertelstunde das ganze Dorf wissen, daß der +Schuß... will sagen, daß wir heute eine gute Predigt gehört haben." + +Er drückte dem Pfarrer die Hand. "Und Euch, Herr General", sagte er, +"reiche ich sie als Eidgenosse." + +"Verzicht einen Augenblick", befahl Wertmüller, "und seid Zeugen, wie +ein glücklicher Vater zwei Hände zusammenlegt. Der Vikar kann nicht +ferne sein. Trogen mich nicht die Augen, so sah ich ihn von weitem +über eine Hecke voltigieren mit einem Salto, den ich ihm nie zugetraut +hätte." + +"Rahel, mein Kind, schnell!" rief der Pfarrer durch die geöffnete Türe +ins Haus hinein. + +"Gleich, Vater!" scholl es zurück; aber nicht aus dem Innern der +Wohnung, sondern von außen durch das Weinlaub des Bogenganges herauf. + +Rasch blickte der General aus dem Fenster und gewahrte durch das +Blattgitter seine Schützlinge in einer Gruppe, die er sich durchaus +nicht erklären konnte. + +"Hervor, Hirt und Hirtin, aus Arkadiens Lauben!" rief der alte Soldat. + +Da schritt Rahel unmutig errötend unter dem schützenden Blätterdache +hervor und betrat mit Pfannenstiel, den sie mitzog, ein kleines von +Edelobstbäumen umzogenes Rondell, das hart vor den Fenstern der +Studierstube lag, aus denen der General mit den neugierigen +Kirchenvorstehern herunterschaute. + +Das Fräulein hielt eine Nadel in der gelenken Hand und befestigte vor +aller Augen einen herabhängenden Knopf am Rocke des Kandidaten. Sie +ließ sich in der Arbeit nicht stören. Erst nachdem sie den Faden +gekappt hatte, heftete sie die braunen Augen, in denen Ernst und +Übermut kämpften, fest auf ihren wunderlichen Schutzgeist und rief ihm +zu: + +"Pate, Ihr habt mir in kurzer Zeit den Herrn Vikar fast zerstört und +zugrunde gerichtet. Wohl mußt' ich ihn wieder in Ordnung bringen, +damit er vor Gott und Menschen erscheinen könne! Was aber habt Ihr +mit dem obersten Knopfe angefangen, der hier mangelte und den ich +durch einen des Vaters ersetzen mußte?--Schafft ihn zur Stelle, oder..." +Sie erhob die Nadel mit einer so trotzigen und blutdürstigen Gebärde +gegen den General, daß die Männer alle in schallendes Gelächter +ausbrachen. + +Nach wenigen Augenblicken traten Pfannenstiel und Rahel vor den +Pfarrer, der sie verlobte und segnete. + +Als aber die vergnügten Kirchenältesten sich entfernt hatten, gab der +würdige Herr seinem künftigen Schwiegersohne noch eine kurze Ermahnung: + +"Was war das, Herr Vikar? An der Kirche vorüberschlüpfen, abgerissene +Knöpfe!... Wo bleibt da die Würde, das Amt?" + +Dann wandte er sich gegen den General: "Ein Pärchen!" sagte er, "nun +das andere! Gebt her, Vetter!" + +Und er langte ihm ohne Umstände in die Rocktasche, hob daraus das +hartspielende Pistol, zog dann das in der Kirche entladene +leichtspielende aus der seinigen und hielt sie vergleichend zusammen. + + + +So begab es sich, daß der Schuß von Mythikon totgeschwiegen und, im +Widerspiel mit dem Tellenschusse, aus einer Realität zu einer blassen +wesenlosen Sage verflüchtigt wurde, die noch heute als ein heimatloses +Gespenst an den schönen Ufern unsres Sees herumschwebt. + +Aber auch wenn die Mythikoner geplaudert hätten, der General konnte +sein Testament nicht mehr entkräften, denn er hatte die Eichen der Au +zum letzten Male gesehen. + +Sein Ende war rasch, dunkel, unheimlich. Eines Abends beim +Lichteranzünden ritt er mit seinem Gefolge in ein deutsches Städtchen +ein, stieg im einzigen schlechten Wirtshause ab, berief den Schöffen +zu sich und ordnete Requisitionen an. Ein paar Stunden später wurde +er plötzlich von einem Krankheitsanfalle niedergeworfen und Schlag +Mitternacht hauchte er seine seltsame Seele aus. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Schuß von der Kanzel, von +Conrad Ferdinand Meyer. + + + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Title: Der Schuss von der Kanzel, by +Conrad Ferdinand Meyer + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TITLE: DER SCHUSS VON DER KANZEL *** + +***** This file should be named 9494-8.txt or 9494-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/9/4/9/9494/ + +Produced by Delphine Lettau, Mike Pullen and Gutenberg Projekt-DE +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..cd9f197 --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #9494 (https://www.gutenberg.org/ebooks/9494) diff --git a/old/7schk10.txt b/old/7schk10.txt new file mode 100644 index 0000000..410d036 --- /dev/null +++ b/old/7schk10.txt @@ -0,0 +1,2359 @@ +The Project Gutenberg EBook of Der Schuss von der Kanzel +by Conrad Ferdinand Meyer + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Der Schuss von der Kanzel + +Novelle + +Conrad Ferdinand Meyer + + + + + + +Erstes Kapitel + + +Zween geistliche Maenner stiegen in der zweiten Abendstunde eines +Oktobertages von dem hochgelegenen Uetikon nach dem Landungsplatze +Obermeilen hinunter. Der kuerzeste Weg vom Pfarrhause, das bequem +neben der Kirche auf der ersten mit Wiesen und Fruchtbaeumen bedeckten +Stufe des Hoehenzuges lag, nach der durch ein langes Gemaeuer, einen +sogenannten Hacken, geschuetzten Seebucht, fuehrte sie durch leere +Weinberge. Die Lese war beendigt. Zur Rechten und Linken zeigte der +Weinstock nur gelbe oder zerrissene Blaetter, und auf den das +Rebgelaende durchziehenden dunkelgruenen Rasenstreifen bluehte die +Zeitlose. Nur aus der Ferne, wo vielleicht ein erfahrener Mann seinen +Wein aussergewoehnlich lange hatte ausreifen lassen, damit der Tropfen +um so kraeftiger werde, scholl zuweilen ein vereinzeltes Winzerjauchzen +herueber. + +Die beiden schritten, wie von einem Herbstgefuehle gedrueckt, ohne Worte +einer hinter dem andern. Auch bot ihnen der mit ungleichen +Steinplatten und Bloecken belegte steile Absteig eine unbequeme Treppe +und wurden sie vom Winde, der aus Westen her in rauhen Stoessen ueber den +See fuhr, zuweilen hart gezaust. + +Die ersten Tage der Lese waren die schoensten des Jahres gewesen. Eine +warme Foehnluft hatte die Schneeberge und den Schweizersee auf ihre +Weise idealisiert, die Reihe der einen zu einem einzigen stillen, +grossen Leuchten verbunden, den andern mit dem tiefen und kraeftigen +Farbenglanze einer suedlichen Meerbucht uebergossen, als gelueste sie +eine bacchische Landschaft, ein Stueck Italien, ueber die Alpen zu +versetzen. + +Heute aber blies ein heftiger Querwind, und die durch grelle Lichter +und harte Schatten entstellten Hochgebirge traten in schroffer, fast +barocker Erscheinung dem Auge viel zu nahe. + +"Pfannenstiel, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft!" sagte nun +ploetzlich der Vorangehende, ein kurzer, staemmiger, trotz seiner Jugend +fast etwas beleibter Mann, stand still und kehrte sein bluehendes +Gesicht rasch nach dem schmalen und hagern Gefaehrten um. + +Dieser stolperte zur Antwort ueber einen Stein; denn er hatte den Blick +bis jetzt unverwandt auf die Turmspitze von Mythikon geheftet, die am +jenseitigen Ufer ueber einer dunkelbewaldeten Halbinsel als schlanke +Nadel in den Himmel aufstach. Nachdem er seine langen Beine wieder in +richtigen Gang gebracht hatte, erwiderte er in angenehmem Brusttone: + +"Ich bilde mir ein, Rosenstock, der General werde mich nicht wie ein +Laestrygone empfangen. Er ist mein Verwandter, wenn auch in entferntem +Grade, und gestern noch habe ich ihm meine Dissertation ueber die +Symbolik der Odyssee mit einer artigen Widmung zugesendet." + +"Heilige Einfalt!" brummte Rosenstock, der sein kraeftiges Kolorit dem +Gewerbe seiner Vaeter verdankte, die seit Menschengedenken eine in +Zuerich namhafte Fleischer- und Wursterfamilie gewesen, "du kennst ihn +schlecht, den da drueben!", und er deutete mit einer kurzen Bewegung +seines runden Kinns ueber den See nach einem Landhause von +italienischer Bauart, das an der noerdlichen Einbuchtung der +eichenbestandenen Halbinsel lag. "Er ist fuer seine Verwandten nicht +zaertlich, und deine schwaermerische Dissertation, die uebrigens alle +Verstaendigen befremdet hat, spottet er dir zuschanden." Der Pfarrer +von Uetikon blies in die Luft, als formte er eine schillernde +Seifenblase, dann fuhr er nach einer Weile fort: + +"Glaube mir, Pfannenstielchen, du hast besser mit den beiden Narren +dort drueben, den Wertmuellern, nichts zu schaffen. Der General ist +eine Brennessel, die keiner ungestochen beruehrt, und sein Vetter, der +Pfarrer von Mythikon, das alte Kind, bringt unsern Stand in Verruf mit +seiner Meute, seinem Gewehrkasten und seinem unaufhoerlichen Puffen und +Knallen. Du hast ja selbst im Fruehjahre als Vikar genug darunter zu +leiden gehabt. Freilich die Rahel mit ihrem feingebogenen Naeschen und +ihrem roten Kirschmunde! Aber sie liebt dich nicht! Die Junkerin +wird schliesslich bei einem Junker anlangen. Es heisst, sie sei mit dem +Leo Kilchsperger verlobt. Doch lass dich's, hoerst du, nicht anfechten. +Ein Korb ist noch lange kein consilium abeundi. Um dich zu troesten: +Auch ich habe deren einige erhalten, und, siehe, ich lebe und gedeihe, +bin auch vor kurzem in den Stand der Ehe getreten." + +Der lange Kandidat warf unter seinen blonden, vom Winde verwehten +Haaren hervor einen Blick der Verzweiflung auf den Kollegen und +seufzte erbaermlich. Ihm mangelte die dessen Herzmuskel bekleidende +Fettschicht. + +"Weg! fort von hier!" rief er dann schmerzvoll aufgeregt. "Ich gehe +hier zugrunde! Der General wird mir die erledigte Feldkaplanei seiner +venezianischen Kompanie nicht verweigern." + +"Pfannenstiel, ich wiederhole dir, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft! +Bleibe im Lande und naehre dich redlich." + +"Du nimmst mir allen Lebensatem", klagte der Blonde. "Ich soll nicht +fort und kann nicht bleiben. Wohin soll ich denn? Ins Grab?" + +"Schaeme dich! Deine Knabenschuhe vertreten sollst du! Der Gedanke +mit der venezianischen Feldkaplanei waere an sich so uebel nicht. Das +heisst, wenn du ein resoluter Mensch waerest und nicht so blaue +unschuldige Kinderaugen haettest. Der General hat sie neulich mir +angetragen. Ein so geraeumig entwickelter Brustkasten wuerde seinen +Leuten imponieren, meinte er. Natuerlich Affenpossen! Denn er weiss, +dass ich ein befestigter Mensch bin und meinen Weinberg nicht verlasse." + +"Warst du drueben?" + +"Vorgestern."--Dem Uetikoner stieg ein Zorn in den Kopf. "Seit er +wieder hier ist--nicht laenger als eine Woche--, hat der alte +Stoerefried richtig Stadt und See in Aufruhr gebracht. Er komme, vor +dem naechsten Feldzuge sein Haus zu bestellen, schrieb er von Wien. +Nun er kam, und es begann ein Rollen von Karossen am linken Seeufer +nach der Au zu. Die Landenberge, die Schmidte, die Reinharte, alle +seine Verwandten, die den ergrauten Freigeist und Spoetter sonst mieden +wie einen Verpesteten, alle kamen und wollten ihn beerben. Er aber +ist nie zu Hause, sondern faehrt wie ein Satan auf dem See herum, +blitzschnell in einer zwoelfrudrigen Galeere, die er mit seinen Leuten +bemannt. Meine Pfarrkinder reissen die Augen auf, werden unruhig und +munkeln von Hexerei. Nicht genug! Vom Eindunkeln an bis gegen Morgen +steigen feurige Drachen und Scheine aus den Schloeten des Auhauses auf. +Der General, statt wie ein Christenmensch zu schlafen, schmiedet und +schlossert zuweilen die ganze Nacht hindurch. Kunstreiche Schloesser, +wahre Prachtstuecke, hab ich von seiner Arbeit gesehn, die kein +Dietrich oeffnet, fuer Leute, sagte er mit einem boshaften Seitenblicke +auf meine apostolische Armut, die Schaetze sammeln, welche von Dieben +gestohlen und von Motten gefressen werden. Nun du begreifst, die +Funkengarbe spielt ihre Rolle und wird als Strasse des Hoellenfuersten +durch den Schornstein viel betrachtet und reichlich besprochen. So +wuchs die Gaerung. Die Leute aufklaeren ist von eitel boesen Folgen. +Ich waehlte den kuerzeren Weg und ging hinueber, den General als Freund +zu warnen. Kreuzsapperlot, an den Abend werd ich mein Lebtag denken. +Meine Warnung beseitigte er mit einem Hohnlaecheln, dann fasste er mich +am Rockknopfe, und ein Diskurs bricht los, wie Sturm und Wirbelwind, +sag ich dir, Pfannenstiel., Mit abgerissenen Knoepfen und geraedert kam +ich nach Hause. Mosler hat er mir vorgesetzt, aber mit den groessten +Bosheiten vergaellt. Natuerlich sprach er von seinem Testamente, denn +das ist jetzt sein Steckenpferd. 'Ihr steht auch darin, Ehrwuerden!' +Ich erschrecke. 'Nun, ich will Euch den Paragraphen weisen.' Er +oeffnet das Konvolut. 'Leset.' Ich lese, und was lese ich, +Pfannenstiel? + +"... 'Item, meinem schaetzbaren Freunde, dem Pfarrer Rosenstock, zwei +hohle Hemdknoepfe von Messing mit einer Glasscheibe versehen, worunter +auf gruenem Grunde je drei winzige Wuerfelchen liegen. Gestikuliert der +Herr auf der Kanzel nun mit der Rechten, nun mit der Linken, und +schuettelt besagte Wuerfelchen auf eine ungezwungene Weise, so kann er +vermittelst wiederholter schraeger Blicke bei waehrendem Sermone mit +sich selbst ein kurzweiliges Spielchen machen. Vorgenannte Knoepfe +sind in Algier, Tunis und Tripolis bei den Andaechtigen beliebt und +finden ihre Anwendung in den Moscheen waehrend der Vorlesung des +Korans'... + +"Nun denke dir, Pfannenstiel, das Aergernis bei Eroeffnung des +Testamentes!--Der Boesewicht liess sich dann erbitten, mir die Gabe +gleich einzuhaendigen und den Paragraphen zu streichen. Hier!" Und +Rosenstock hob das niedliche Spielzeug aus seiner Brusttasche. + +"Das ist ja eine ganz ruchlose Erfindung", sagte Pfannenstiel mit +einem Anfluge von Laecheln, denn er kannte die Neigung des Uetikoners +zum Wuerfelspiele, "und du meinst, der General ist allen geistlichen +Leuten aufsaessig?" + +"Allen ohne Ausnahme, seit er puncto gottloser Reden prozessiert und +um eine schwere Summe gebuesst wurde!" + +"Ist ihm nicht zu viel geschehen?" fragte Pfannenstiel, der sich den +helvetisch reformierten Glaubensbegriff mit etwas bescheidener Mystik +versuesste und in dem keine Ader eines kirchlichen Verfolgers war. + +"Durchaus nicht. Nur musste er die ganze grosse Rechnung auf einmal +bezahlen. Auf seinem ganzen Lebenswege, von Jugend an hat er +blasphemiert, und das wurde dann so gesammelt, das summierte sich dann +so. Als er endlich in unserm letzten Buergerkriege Rapperswyl +vergeblich belagerte, ohne Menschenleben zu schonen, was die erste +Pflicht eines republikanischen Heerfuehrers ist, erbitterte er die +oeffentliche Meinung gegen sich, und wir durften ihm an den Kragen. Da +wurde ihm eingetraenkt, was er alles an unserer Landeskirche gefrevelt +hatte. Jetzt freilich duerfen wir dem Feldherrn der Apostolischen +Majestaet weiter nichts anhaben, sonst wird er uns zum Possen noch +katholisch und das zweite Aergernis schlimmer als das erste. Man +erzaehlt sich, er tafle in Wien mit Jesuiten und Kapuzinern.--Wir +geistlichen Leute sind eben, so oder so betitelt und verkleidet, in +der Welt nicht zu entbehren!" + +Der Uetikoner belachte seinen Scherz und blieb stehen. "Hier ist die +Grenze meines Weinbergs", sagte er. Mit diesem Ausdrucke bezeichnete +er seine Gemeinde. "Willst du nach dem Erzaehlten noch hinueber zum +Generale? Pfannenstiel, begehst du die Torheit?" + +"Ich will es ein bisschen mit der Torheit versuchen, die Weisheit hat +mir bis jetzt nur herbe Fruechte gezeitigt", erwiderte Pfannenstiel +sanftmuetig und schied von seinem gestrengen Kollegen. + + + + +Zweites Kapitel + + +Wenig spaeter sass der verliebte und verzweifelnde Kandidat auf dem +Querbrette eines langen und schmalen Nachens, den der junge Schiffmann +Blaeuling mitten ueber die Seebreite mit kaum aus dem Wasser gehobenem +Ruder der Au zulenkte. + +Schon warf das schweigsame Eichendunkel seine schwarzen Abendschatten +weit auf die schauernden Gewaesser hinaus. Blaeuling, ein ernsthafter, +verschlossener Mensch mit regelmaessigen Gesichtszuegen, tat den Mund +nicht auf. Sein Nachen schoss gleichmaessig und kraeftig, wie ein +selbstaendiges Wesen durch die unruhige Flut. Auf und nieder war der +ganze See mit gewoelbten Segeln bevoelkert; denn es war Sonnabend und +die Schiffe kehrten von dem gestrigen staedtischen Wochenmarkte heim. +Drei Segel flogen heran, die eine Figur mit sich verschiebenden +Endpunkten bildeten, und schlossen das Schifflein des Kandidaten in +ihre Linien ein. "Nehmt mich mit in die weite Freiheit!" flehte er +sie unbewusst an, aber sie entliessen ihn wieder aus ihrem wandernden +Netze. + +Unterdessen naeherte sich zusehends das Landhaus des Generals und +entwickelte seine Fassade. Der fest, aber leicht aufstrebende Bau +hatte nichts zu tun mit den landesueblichen Hochgiebeln, und es war, +als haette er bei seiner Eigenart die Einsamkeit absichtlich aufgesucht. + +"Dort ist das Kaemmerlein der Tuerkin", liess sich jetzt der schweigsame +Blaeuling vernehmen, indem seine Rechte das Ruder fahren liess und nach +der Suedecke des Hauses zeigte. "Der Tuerkin?" Der ganze Kandidat wurde +zu einem bedenklichen Fragezeichen. + +"Nun ja, der Tuerkin des Wertmuellers; er hat sie aus dem Morgenlande +heimgebracht, wo er fuer den Venezianer Krieg fuehrte. Ich habe sie +schon oft gesehen, ein huebsches Weibsbild mit goldenem Kopfputze und +langen, offenen Haaren; gewoehnlich wenn ich vorueberfahre, legt sie die +Finger an den Mund, als pfiffe sie einem Mannsvolk; aber gegenwaertig +liegt sie nicht im Fenster." + +Ein langgezogener Ruf schnitt durch die Luefte, gerade ueber die Barke +hin: "Sweine-und!" scholl es vernehmlich vom Ufer her. + +Der aufgebrachte Blaeuling schlug sein Ruder ins Wasser, dass zischend +und spritzend ein breiter Strahl an der Seite des Fahrzeuges +emporschoss. + +"So wird man", zuernte er, "seit den paar Tagen, dass der Wertmueller +wieder hier ist, ueberall auf dem See mit Namen gerufen. Es ist der +verreckte Schwarze, der mit dem Sprachrohre des Generals rumort und +spektakelt. Vergangenen Sonntag im Loewen zu Meilen schenkten sie ihm +ein und soffen ihn unter den Tisch. Dann brachten sie ihn nachts in +meinem Schiffe dem Wertmueller zurueck. Nun schimpft der Kaminfeger +durch das Rohr nach Meilen hinueber, aber morgen, beim Eid, sitzt er +wieder unter uns im Loewen.--Nun frage ich: woher hat der Mohr das +fremde Wort? Hier sagt man sich auch wuest, aber nicht so." + +"Der General wird ihn so schelten", bemerkte Pfannenstiel kleinlaut. + +"So ist es, Herr", stimmte der Bursche ein. "Der Wertmueller bringt +die hochdeutschen, fremdlaendischen Woerter ins Land, der Staatsverraeter! +Aber ich lasse mir auf dem See nicht so sagen, beim Eid nicht." + +Blaeuling wandte ohne weiteres seine Barke und gewann mit eiligen, +kraeftigen Ruderzuegen wieder die Seemitte. + +"Was ficht Euch an, guter Freund? Ich beschwoere Euch", eiferte +Pfannenstiel. "Hinueber muss ich! Nehmt doppelte Loehnung!" + +Doch das Silber verlor seine Kraft gegen die patriotische Entruestung, +und der Kandidat musste sich auf das Bitten und Flehen legen. Mit Muehe +erlangte er von dem beleidigten Blaeuling, dass ihn dieser, "weil Ihr es +seid", sagte der Bursche, ausserhalb der Tragweite des Sprachrohres um +die ganze Halbinsel herum in ihre suedliche Bucht befoerderte. Dort +liess er den Kandidaten ans Ufer steigen und ruderte nach wenigen +Minuten den sich rasch verkleinernden Nachen wieder mitten in der +Blaeue. + + + + +Drittes Kapitel + + +So wurde Pfannenstiel wie ein Geaechteter unter den Eichen der +Halbinsel ausgesetzt. Ein enger Pfad vertiefte sich in das Halbdunkel, +und er zoegerte nicht, ihn zu betreten. Mit Diebesschritten eilte er +durch das unter seinen Sohlen raschelnde Laub einer nahen Lichtung zu. +Das einem boesen Traume verwandte Gefuehl, den fremden Besitz auf so +ungewoehnlichem Wege zu betreten, gab ihm Fluegel, doch begann auch das +Element des Abenteuerlichen, das in jedem Menschenherzen schlummert, +seinen geheimen Reiz auf ihn auszuueben. So wirft sich ein Badender in +die Flut, die er zuerst leise schauernd mit der Zehe geprueft hat. + +Die bald erreichte Lichtung war nur eine beschraenkte, von oben wie +durch eine Kuppeloeffnung erhellte Moosstelle. Ein darauf spielendes +Eichhorn setzte ueber den Kopf des Kandidaten weg auf einen +niederhangenden Zweig, der erst ins Schwanken geriet, als das schnelle +Tierchen schon einen zweiten erreicht hatte. + +Wieder fuehrte der Pfad eine Weile durch das gruene Dunkel, bis er sich +ploetzlich wandte und der Kandidat das Landhaus in der Entfernung von +wenigen Schritten vor sich erblickte. + +Diese Schritte aber tat er sehr langsam. Er gehoerte zu jenen +schuechternen Leuten, fuer welche das Auftreten und das Abgehen mit +Schwierigkeiten verbunden ist, und der General stand im Rufe, seinen +Gaesten nur dieses, nicht aber jenes zu erleichtern. So kam es, dass er +hinter der aeussersten Eiche, einem gewaltigen Stamme, unschluessig +stehenblieb. Was er indessen aus seinem Verstecke hervor erlauschte, +war ein idyllisches Bild, das ihn in keiner Weise haette einschuechtern +koennen. + +Der General plauderte in der hallenartig gebauten und zur jetzigen +Herbstzeit nur allzu luftigen Veranda, deren sechs hohe Saeulen ein +praechtiges auslaendisches Weinlaub umwand, gemuetlich mit seinem Nachbar, +dem Krachhalder, einem der Kirchenaeltesten von Mythikon, die der +Kandidat waehrend seines Vikariats allsonntaeglich im Chore hatte sitzen +sehen und die ihm bekannt waren wie die zwoelf Apostel. Mit +aufgestuetzten Ellenbogen ritt Wertmueller auf einem leichten Sessel und +zeigte seine scharfe Habichtsnase und das stechende Kinn im Profil, +waehrend der schoene, alte, schlaue Kopf des Krachhalders einen ungemein +milden Ausdruck hatte. + +"Wir sind wie die Blume des Feldes", fuehrte der Alte in erbaulicher +Weise das Gespraech, "und es trifft sich, Herr Wertmueller, dass wir +beide in diesen Tagen unser Haus bestellen. Ich mache Euch kein +Geheimnis daraus: Drei Pfund vergabe ich zur neuen Beschindelung +unserer Kirchturmspitze." + +"Ich will mich auch nicht als Lump erweisen", versetzte der General, +"und werfe testamentarisch ebensoviel aus zur Vergoldung unsers +Gockels, dass sich das Tier nicht schaemen muss, auf der neubeschindelten +Spitze zu sitzen." + +Der Krachhalder schlurfte bedaechtig aus dem vor ihm stehenden Glase, +dann sprach er: "Ihr seid kein kirchlicher Mann, aber Ihr seid ein +gemeinnuetziger Mann. Erfahret: Die Gemeinde erwartet etwas von Euch." + +"Und was erwartet die Gemeinde von mir?" fragte der General neugierig. + +"Wollt Ihr es wissen? Und werdet Ihr es nicht zuernen?" + +"Durchaus nicht." + +Der Krachhalder machte eine zweite Pause. "Vielleicht ist Euch eine +andere Stunde gelegener", sagte er. + +"Es gibt keine andere Stunde als die gegenwaertige. Benuetzt sie!" + +"Ihr wuerdet Euch ein schoenes Andenken stiften, Herr General, bei Kind +und Kindeskind..." + +"Ich unterschaetze den Nachruhm nicht", sagte der General. + +Dem Krachhalder, der den wunderlichen Herrn so aufgeraeumt sah, schien +der guenstige Augenblick gekommen, dem lange genaehrten Wunsche der +Mythikoner in vorsichtigen Worten Gestalt zu geben. + +"Euer Forst im Wolfgang, Herr Wertmueller", begann er zoegernd. Der +General verfinsterte sich ploetzlich, und der alte Bauer sah es wie +eine Donnerwolke aufsteigen, "stoesst seine Spitze..." + +"Wohin stoesst er seine Spitze?" fragte Wertmueller grimmig. + +Der Krachhalder ueberlegte, ob er vor- oder rueckwaerts wolle, ungefaehr +wie ein mitten auf dem See vom Sturm Ueberraschter. Er entschied sich +fuer das Vorruecken. "... mitten durch unsere Gemeindewaldung..." + +Jetzt sprang der General mit einem Satze von seinem Sessel auf, fasste +ihn an einem Bein, schwang ihn durch die Luefte und setzte sich in +Fechtpositur. + +"Wollen mich die Mythikoner pluendern?" schrie er wuetend, "bin ich +unter die Raeuber gefallen?" Dann fuhr er, seine hoelzerne Waffe senkend, +gelassener fort: "Daraus wird nichts, Krachhalder. Redet das den +Leuten aus. Ich will Euch nicht noch von jenseits des Grabes eine +Nase drehen!" + +"Nichts fuer ungut", versetzte der Alte mit Ruhe, "Ihr werdet es +bedenken, Herr Wertmueller." + +Auch er hatte sich erhoben und nahm von dem Generale mit einem +treuherzigen Haendedruck den landesueblichen Abschied. + +Wertmueller geleitete ihn ein paar Schritte, dann wandte er sich, und +vor ihm stand sein Leibmohr Hassan. Der Schwarze machte eine +flehentliche Gebaerde und bat, das Deutsche wunderlich radbrechend, um +einen Urlaub fuer morgen nachmittag; denn seine Seele zog ihn zu seinen +neuen Freunden in Meilen. + +"Bist du ganz des Teufels, Hassan!" schalt ihn der General. "Sie +haben dir letzten Sonntag drueben arg genug mitgespielt." + +"Mitgespielt!" wiederholte der Mohr, der das Wort missverstand. "Schoen, +wundervoll Spiel!" + +"Hast du denn gar kein Ehrgefuehl? Die Beruehrung mit der Zivilisation +richtet dich zugrunde--du saeufst wie ein Christ!" + +"Nicht saufen, Gnaden! Schoen Spiel, einzig Spiel! J-ass!" Er riss eine +solche Grimasse und verdrehte die Augen mit so leidenschaftlicher +Inbrunst, dass Pfannenstiel, der, wie oft die unschuldigen Menschen, +viel Sinn fuer das Komische und ueberdies jetzt etwas gespannte Nerven +hatte, in ein vernehmliches Gekicher ausbrach, welches er mit aller +Gewalt nicht unterdruecken konnte. + +Seine Gegenwart verraten sehend, trat der Kandidat, da er nicht wie +eine ueberraschte Dryade in die Eiche hineinschluepfen konnte, verschaemt +hinter derselben hervor und naeherte sich dem General mit wiederholten +verlegenen Buecklingen. + +"Was will denn Er hier?" fragte dieser gedehnt und mass ihn vom Wirbel +bis zur Zehe: "Wer ist Er?" + +"Ich bin der Vetter... des Vetters... vom Vetter..." stotterte der +Angeredete. + +Der General runzelte die Stirne. + +"Mein Vater war ein Pfannenstiel und meine Mutter ist eine selige +Kollenbutz..." + +"Will Er mir seinen ganzen verfluchten Stammbaum explizieren? Was +Vetter? Mein Bruder ist Er--alle Menschen sind Brueder! Scher Er sich +zum Teufel!" und Wertmueller wandte ihm den Ruecken. + +Pfannenstiel regte sich nicht. Der Empfang des Generals hatte ihn +versteinert. + +"Fannen-stiel--", buchstabierte der Schwarze das ihm noch unbekannte +Wort, als wolle er seinen deutschen Sprachschatz bereichern. + +"Pfannenstiel?" wiederholte auch der aufmerksam werdende General, "der +Name ist mir bekannt--halt, Er ist doch nicht der Autor", und er +kehrte sich dem Juengling wieder zu, "der mir gestern seine +Dissertation ueber die Symbolik der Odyssee zugesendet hat?" + +Pfannenstiel neigte bejahend das Haupt. + +"Dann ist Er ja ein ganz liebenswuerdiger Mensch!" sagte Wertmueller und +ergriff ihn freundlich bei der Hand. "Wir muessen uns kennenlernen." + + + + +Viertes Kapitel + + +Er trat mit dem Gaste in die Veranda, drueckte ihn auf einen Sitz +nieder, goss ihm eines der auf dem Schenktische stehenden Glaeser voll +und liess ihn sich erholen und erquicken. + +"Der Empfang war militaerisch", troestete er ihn dann, "aber Ihr werdet +im Soldaten keinen unebenen Hauswirt finden. Ihr naechtigt heute auf +der Au--ohne Widerrede!--Wir haben manches zu verhandeln.--Seht, +Lieber, Eure Abhandlung hat mich ganz angenehm unterhalten", und +Wertmueller langte nach dem Buche, welches in einer Fensternische des +die Rueckwand der Veranda bildenden Erdgeschosses lag und zwischen +dessen Blaetter er die zerlesene Dissertation des Kandidaten eingelegt +hatte. + +"Zuerst eine Vorfrage. Warum habt Ihr mir Euer Werk nur mit einer +Zeile zugeschrieben, statt mir es coram populo auf dem ersten weissen +Blatte mit aufrichtigen, grossen Druckbuchstaben zu dedizieren? Weil +ich mit den Faffen, Euern Kollegen, gespannt bin, he? Ihr habt keinen +Charakter, Pfannenstiel; ihr seid ein schwacher Mensch." + +Der Kandidat entschuldigte sich, seine unbedeutende Arbeit habe den +Namen des beruehmten Feldherrn und Literaturkenners nicht vor sich her +tragen duerfen. + +"Durchaus nicht unbedeutend", lobte Wertmueller. "Ihr habt Phantasie +und seid in die purpurnen Tiefen meines Lieblingsgedichtes +untergetaucht, wie nicht leicht ein anderer. Freilich um etwas +Absurdes zu beweisen. Aber es ist einmal nicht anders: wir Menschen +verwenden unsere hoechsten Kraefte zu albernen Resultaten. Dachtet Ihr +daran, mich rechtzeitig zu Rate zu ziehen, ich gab Eurer Dissertation +eine Wendung, die Euch selber, Eure faeffischen Examinatoren, das ganze +Publikum in Erstaunen gesetzt haette. Ihr habt es gefuehlt, +Pfannenstiel, dass die zweite Haelfte der Odyssee von besonderer +Schoenheit und Groesse ist. Wie? Der Heimgekehrte wird als ein +fahrender Bettler an seinem eigenen Herde misshandelt. Wie? Die +Freier reden sich ein, er kehre niemals wieder, und ahnen doch seine +Gegenwart. Sie lachen und ihre Gesichter verzerrt schon der +Todeskampf--das ist Poesie.--Aber Ihr habt recht, Pfannenstiel, was +nuetzt mir die Poesie, wenn nicht eine Moral dahintersteckt? Es ist +eine Devise in das Zuckerwerk hineingebacken--zerbrechen wir es! Da +der Odysseus nicht bloss den Odysseus bedeuten darf, wen oder was +bedeutet er denn? Unsern Herrn und Heiland--so beweist Ihr und habt +Ihr es drucken lassen--, wenn er kommt zu richten Lebendige und Tote. +Nein, Kandidat, Odysseus bedeutet jede in Knechtesgestalt misshandelte +Wahrheit mitten unter den uebermuetigen Freiern, will sagen, Faffen, +denen sie einst in sieghafter Gestalt das Herz durchbohren wird. + +"He, Kandidat, wie gefaellt Euch das?--So haettet Ihr es wenden sollen, +und seid gewiss, Eure Dissertation haette gerechtes Aufsehen erregt!" + +Pfannenstiel erbebte bei dem Gedanken, dass sich seiner Symbolik diese +gotteslaesterliche und verwegene Wendung haette geben lassen. Sein +einfaches Wesen liess ihn den Pferdefuss des alten Spoetters nicht oder +doch nur in unbestimmten Umrissen erkennen. + +Um sich der Verlegenheit zu entziehen, dem alten Freigeiste eine +Antwort geben zu muessen, nahm der Kandidat den Pergamentband in die +Haende, mit welchem Wertmueller waehrend seiner Rede gestikuliert hatte. +Es war die aldinische Ausgabe der Odyssee. Pfannenstiel betrachtete +andaechtig das Titelblatt des seltenen Buches. Ploetzlich fuhr er +zurueck wie vor einer zuengelnden Natter. Er hatte auf dem freien Raume +links neben dem Wappen des venezianischen Buchhaendlers etwas +verblichene, kuehnfliessende Federzuege entdeckt, die folgende Zeilen +bildeten: + +Georgius Jenatius me jure possidet +Constat R. 4. Kz. 12. + +Er warf das Buch weg, als atme es einen Blutgeruch aus. + +Damals moderte der fragwuerdige Buendner schon seit Dezennien in der +Domkirche von Chur, waehrend sein Bild in zahmen und unpatriotischen +Zeiten sich zu einem widerwaertigen verzerrt hatte, so dass nur der +Apostat und der Blutmensch uebrigblieb. Pfannenstiel betrachtete ihn +einfach als ein Ungeheuer, an dessen Dagewesensein er kaum glauben, +das er sich nicht realisieren konnte. + +Der General weidete sich an seinem Schrecken, dann sagte er leichthin: +"Der liebe Mann, Euer gewesener Kollege, hat mich damit beschenkt, wie +wir noch auf gutem Fusse standen und ich ihn auf seinem Malepartus in +Davos besuchte." + +"Also hat er doch gelebt!" sprach der Kandidat halblaut vor sich hin, +"er hat Buecher besessen, wie unsereiner, und ihren kostenden Preis auf +das Titelblatt geschrieben." + +"Ja wohl hat er gelebt, und recht persoenlich und zaehe", sagte der +General mit kurzem Lachen. "Noch heute nacht traeumte mir von dem +Buendner... Das kam daher, dass ich mich den ganzen gestrigen Tag mit +einem haesslichen Geschaefte abgegeben hatte. Ich schrieb mein Testament +nieder, und was ist klaeglicher, als bei atmendem Leibe ueber seinen +Besitz zu verfuegen, der ja auch ein Teil von uns selber ist!" + +Die Neugierde des jungen Geistlichen wurde rege. Vielleicht war es +ein warnendes Traumgesicht gewesen, das, fein und erbaulich ausgelegt, +in dem ihm gegenueber Sitzenden einen guten und frommen Gedanken konnte +entstehen lassen. "Wollt Ihr mir Euern Traum nicht mitteilen?" fragte +er mit einem gefuehlvollen Blicke. + +"Er steht zu Diensten. Es war in Chur. Menschengedraenge, +Staatsperuecken, Militaerpersonen--von der Hofkirche her Gelaeute und +Salutschuesse. Wir treten unter dem Torbogen hervor in den +bischoeflichen Hof. Jetzt gehen wir zu zweien, neben mir ein Koloss. +Ich sehe nur einen Federhut, darunter eine Gewaltsnase und den in den +Kragen gesenkten pechschwarzen Spitzbart: 'Wertmueller', fragte der +Grosse, 'wen bestatten wir?'--'Ich weiss nicht' sage ich. Wir treten in +die Kathedrale zwischen das Gestuehl des Schiffes. 'Wertmueller', fragt +der andere, 'wem singen sie ein Requiem?'--'Ich weiss nicht' sag ich +ungeduldig. 'Kleiner Wertmueller', sagt er, 'stell dich einmal auf die +Zehen und sieh, wer da vorn aufgebahrt liegt.'--Jetzt unterscheide ich +deutlich in den Ecken des Bahrtuches den Namenszug und das Wappen des +Jenatschen, und im gleichen Augenblicke wendet er, neben mir stehend, +mir das Gesicht zu--fahl mit vergluehten Augen. 'Donnerwetter, Oberst', +sag ich, 'Ihr liegt dort vorn unter dem Tuche mit Euern sieben +Todeswunden und fuehrt hier einen Diskurs mit mir! Seid Ihr doppelt? +Ist das vernuenftig? Ist das logisch? Schert Euch in die Hoelle, +Schaeker!' Da antwortete er niedergeschlagen: 'Du hast mir nichts +vorzuruecken--mach dich nicht mausig. Auch du, Wertmueller, bist tot.'" + +Pfannenstiel ueberlief es kalt. Dieser Traum am Vorabende des ohne +Zweifel blutigen Feldzuges, welcher dem General draussen im Reiche +bevorstand, schien ihm von ernster Vorbedeutung, und er sann auf ein +Wort geistlicher Zusprache. + +Auch Wertmueller konnte seinen Traum, nachdem er ihn einmal mitgeteilt, +nicht sogleich wieder loswerden. "Der Oberst wurde von seinem +Liebchen mit der Axt wie ein Stier niedergeschlagen", erging er sich +in lauten Gedanken, "mir wird es so gut nicht werden. Fallen--wohlan! +Aber nicht in einem Bettwinkel krepieren!" + +Vielleicht dachte er an Gift, denn er war am Hofe zu Wien in ein +hartnaeckiges Intrigenspiel verwickelt und hatte sich dort durch seinen +Ehrgeiz Todfeinde gemacht. + +"Ehe ich meinen Koffer packe", fuhr er nach einer Pause fort, "moechte +ich wohl noch einen Menschen gluecklich machen--" + +Dem Kandidaten schoss das Wasser in die Augen, nicht in selbstsuechtigen +Gedanken, sondern in uneigennuetziger Freude ueber diese schoene Regung; +doch es trocknete schnell, als der General seinen Satz abschloss: +"--besonders wenn sich ein kraeftiger Schabernack damit verbinden liesse." + +Das aberglaeubische Gefuehl, das den General angewandelt hatte, war +rasch voruebergegangen. "Was ist Euer Anliegen?" fragte er seinen Gast +mit einer jener bruesken Wendungen, die ihm gelaeufig waren. "Ihr seid +nicht hierhergekommen, um Euch meine Traeume erzaehlen zu lassen." + +Nun berichtete Pfannenstiel dem Generale mit einer unschuldigen List, +denn er wollte ihm seine Liebesverzweiflung, fuer die er ihm kein Organ +zutraute, nicht verraten, wie ihn ueber dem Studium der Odyssee ein +unwiderstehliches Verlangen ergriffen, die Heimat Homers, die goldene +Hellas kennenzulernen. Da er keinen andern Weg wisse, seine +Wanderlust zu befriedigen, sei ihm der Gedanke gekommen, sich bei dem +Herrn fuer die Feldkaplanei seiner venezianischen Kompanie zu melden, +die ja in den griechischen Besitzungen der Republik stationiere. "Sie +ist erledigt", schloss er, "und wenn Ihr mir ein weniges gewogen seid, +weiset Ihr mir die Stelle zu." + +Wertmueller blickte ihn scharf an. "Ich bin der letzte", sagte er, +"der einem jungen Menschen eine gefaehrliche Karriere widerriete! Aber +er muss dazu qualifiziert sein. Euer Knochengerueste, Freund, ist nicht +fest genug gezimmert. Der erste beste relegierte Raufbold von Leipzig +oder Jena wird meinen Kerlen mehr imponieren als Euer Johannesgesicht. +Schlagt Euch das aus dem Kopfe. Wollt Ihr den Sueden sehen, so sucht +als Hofmeister Dienste bei einem jungen Kavalier und klopft ihm die +Kleider! Doch auch das kann Euch nicht taugen. Das beste ist, Ihr +bleibt zu Hause. Blickt aus! Zaehlt alle die Turmspitzen am See--das +Kanaan der Pfarrer. Hier ist Euer Rhodus, hier tanzt--will sagen +predigt!--Wozu sind die Geleise buergerlicher Berufsarten da, als dass +Euresgleichen sie befahre? Ihr wisst nicht, welcher Schenkelschluss +dazu gehoert, um das Leben souveraen zu traktieren. Steht ab von Eurer +Laune!", und er machte die Gebaerde, als griffe er einem Rosse in die +Zuegel, das mit einem unvorsichtigen Knaben durchgegangen ist. + +Es entstand eine Pause. Wieder warf der General dem Kandidaten einen +beobachtenden Blick zu. + +"Ihr seid ein lauterer Mensch", sagte er dann, "und es war Euer Ernst, +Ihr wuerdet das griechische Abenteuer bestanden haben. Wie reimt sich +das mit dem Pfannenstiel, den ich hier vor mir sehe? Da liegt ein Aal +unter dem Steine. Ein verrueckter Antiquar, wie sie zwischen den +Ruinen herumkriechen, seid Ihr nicht. Also seid Ihr desperat. Aber +warum seid Ihr desperat? Was treibt Euch weg? Heraus damit! Eine +Figur? He? Ihr erroetet!" + +Der sechzigjaehrige Wertmueller behandelte die weiblichen Wesen als +Staffage und pflegte sie schlechtweg mit dem Malerausdrucke "Figuren" +zu benennen. + +"Wo habt Ihr zuletzt konditioniert?" + +"In Mythikon bei Euerm Herrn Vetter waehrend seiner Gichtanfaelle." + +"Bei meinem Vetter? Will sagen bei der Rahel. Nun ist alles klar und +deutlich wie mein neuverfasstes Exerzierreglement. Das Maedchen hat +Euch den Kopf verrueckt und dann, wie recht und billig, einen Korb +gegeben?" + +Der zartfuehlende Kandidat haette sich eher das Herz aus dem Leibe +reissen lassen, als eingestanden, dass die Rahel--wie er daran nicht +zweifeln konnte--ihm herzlich wohlwolle. Er antwortete bescheiden: + +"Der Herr Wertmueller, sonst mein Goenner, hat mich verabschiedet, weil +ich mit Schiessgewehr nicht umzugehen verstehe und mich auch davor +scheue. Vor zwanzig Jahren ist damit in meiner Familie ein Unglueck +begegnet. Er noetigte mich, mit ihm in die Scheibe zu schiessen, und +ich habe keinen Schuss hineingebracht." + +"Ihr haettet Euch weigern sollen. Das hat Euch in Rahels Augen +heruntergesetzt. Sie trifft immer ins Schwarze. Donnerwetter, da +faellt mir ein, dass ich dem Alten noch etwas schuldig bin. Der +geistliche Herr hat mir, waehrend ich am Rheine bataillierte, meine +Meute hier ganz meisterhaft beaufsichtigt. Er ist ein Kenner. Hassan, +hol mir gleich das violette Saffianfutteral her, links zuunterst im +Glasschranke der Waffenkammer.--Lasst Euch nicht stoeren, Kandidat." Der +Mohr beeilte sich, und nach wenigen Augenblicken hielt Wertmueller zwei +kleine Pistolen von zierlicher Arbeit in der Hand. Er reinigte mit +einem Lederlappen die damaszierten Laeufe und den Silberbeschlag der +Kolben, in welchen huebsche seltsame Arabesken eingegraben waren. + +"Fortgefahren, Freund, in Eurer Elegie!" sagte er. "Das Maedchen also +gab Euch einen Korb--oder ist es moeglich, liebt sie Euch? Es gibt +wunderliche Naturspiele!--und nur der Alte haette Euch abblitzen lassen, +he? Was gab er Euch fuer Gruende?" + +Pfannenstiel blieb erst die Antwort schuldig. Ihm war aengstlich +zumute geworden, denn der General hatte, waehrend er sprach, den Hahn +der einen Pistole gespannt. Jetzt beruehrte Wertmueller den Druecker mit +ganz leisem Finger, und der Hahn schlug nieder. Er spannte die zweite, +streckte den Arm aus, schnitt eine Grimasse; nur nach harter +Anstrengung gelang es ihm loszudruecken. Das Spiel der Feder musste +sich aus irgendeinem Grunde verhaertet haben, und er schuettelte +unzufrieden den Kopf. + +Der Kandidat, der stark mit den Augen gezwinkert hatte, nahm jetzt den +Faden des Gespraechs wieder auf, um den wahren Grund seiner +Hoffnungslosigkeit anzudeuten. "Eine Wertmuellerin und ein +Pfannenstiel!" sagte er in einem resignierten Tone, als nenne er Sonne +und Mond und finde es ganz natuerlich, dass dieselben nicht +zusammenkommen. + +"Lass Er mich mit diesen Narreteien zufrieden!" fuhr ihn der General +hart an. "Sind wir noch nicht ueber die Kreuzzuege hinaus, in welcher +geistreichen Epoche die Wappen erfunden wurden? Aber auch damals, wie +ueberhaupt jederzeit, galt der Mann mehr als der Name, sonst waere die +Welt laengst vermodert wie ein wurmstichiger Apfel. Seh Er, +Pfannenstiel, ich gelte hier fuer einen Patricius; als ich aber in +kaiserliche Dienste trat, wie blickten die Herren Kollegen von soundso +viel Quartieren hochnasig auf das plebejische Muehlrad in meinem Wappen +herunter. Dennoch mussten sie es eben leiden, dass der Mueller die von +ihnen mehr als zur Haelfte ruinierte Kampagne wiederherstellte und +gewann! Hoer Er, Pfannenstiel, es fehlt Ihm an Selbstgefuehl, und das +schadet Ihm bei der Rahel." + +Der Kandidat befand sich in einem seltsamen Falle. Er konnte den +Standpunkt Wertmuellers nicht teilen, denn er fuehlte dunkel, dass eine +so vollstaendige Vorurteilslosigkeit die ganze alte Ordnung der Dinge +durchstiess, und diese war ihm ehrwuerdig, auch da, wo sie zu seinen +Ungunsten wirkte. + +Aber Wertmueller verlangte keine Antwort. Er hatte sich erhoben und +trat, in jeder Hand eine Pistole, einem hochgewachsenen Maedchen +entgegen, das auf dem vom festen Lande her ausmuendenden Wege einherkam. +Der General hatte den Kies unter ihren leichten, raschen Schritten +knirschen hoeren. + +"Guten Abend, Patchen", begruesste er sie, und seine grauen Augen +leuchteten. + +Das schoene Fraeulein aber zog die Brauen zusammen, bis der Alte die +beiden Pistolen, die ihr offenbar ein Aergernis waren, die eine in die +rechte, die andere in die linke seiner geraeumigen Rocktaschen steckte. +"Ich habe Besuch, Rahel", sagte er. "Erlaube mir, meinen jungen +Freund dir vorzustellen, den Herrn Kandidaten Pfannenstiel." + +Die Wertmuellerin war naeher getreten, waehrend sich Pfannenstiel +linkisch von seinem Stuhle erhob. Sie bekaempfte ein Erroeten, das aber +sieghaft bis in die feine Stirn und bis unter die Wurzeln ihres vollen +braunen Haares aufflammte. Der Kandidat schlug erst die Augen nieder, +als haette er mit ihnen ein Buendnis geschlossen, keine Jungfrau +anzuschauen, erhob sie dann aber mit einem so innigen und strahlenden +Ausdrucke des Glueckes und der Liebe, und seine guten Blicke fanden in +zwei braunen Augen einen so warmen Empfang, dass selbst der alte +Spoetter seine Freude hatte an der ungeschminkten Neigung zweier +unschuldiger Menschenkinder. + +Er vermehrte seltsamerweise die erste suesse Verwirrung der beiden mit +keinem Scherzworte. Ist es nicht, als ob ein tiefes und wahres Gefuehl +in seinem natuerlichen und bescheidenen Ausdrucke aus dieser Welt des +Zwanges und der Maske uns in eine zugleich groessere und einfachere +versetze, wo der Spott keine Stelle findet? + +Lange freilich haette er sie nicht ungeneckt gelassen, aber das +gescheite und tapfere Maedchen enthob ihn der Versuchung. "Ich habe +mit Euch zu reden, Pate", sagte sie, "und gehe voran nach der zweiten +Bank am See. Lasst mich nicht zu lange warten!" + +Sie verbeugte sich leicht gegen den Kandidaten und war verschwunden. + +Der General nahm diesen bei der Hand und fuehrte ihn eine Treppe hinauf +in sein Bibliothekzimmer, in das die Seebreite durch drei hohe +Bogenfenster hereinleuchtete. + +"Seid getrost", sagte er, "ich werde bei der Rahel fuer Euch Partei +nehmen. Unterdessen wird es Euch hier an Unterhaltung nicht mangeln. +Ihr liebt Buecher! Hier findet Ihr die Poeten des Jahrhunderts tutti +quanti." Er zeigte auf einen Glasschrank und verliess den Saal. Da +standen sie in glaenzenden Reihen, die Franzosen, die Italiener, die +Spanier, selbst einige Englaender, ein gehaeufter Schatz von Geist, +Phantasie und Wohllaut, und Wertmueller, der ohne Frage auf der Hoehe +der Zeitbildung stand, wuerde unglaeubig den Kopf geschuettelt haben, +wenn ihm zugefluestert worden waere, einer fehle hier, der sie alle +insgesamt voll aufwiege. + +Der ueberall Belesene hatte William Shakespeare nicht einmal nennen +hoeren. + +Der Kandidat liess die Poeten unberuehrt, denn fuer ein junges Blut ist +die Naehe der Geliebten mehr als alle neun Musen. + + + + +Fuenftes Kapitel + + +Der General hatte einen Pfad eingeschlagen, der sich dicht am Ufer um +die Kruemmungen der Halbinsel schlaengelte, und hier erblickte er bald +Rahel Wertmueller, die, auf einer verwitterten Steinbank sitzend, das +feine Profil nach der jetzt abendlich daemmernden Flut hinwendete. Ein +aufrichtiger Ausdruck tiefer Betruebnis lag auf dem huebschen und +entschlossenen Gesichtchen. + +"Was dichtest und trachtest du?" redete er sie an. + +Sie antwortete, ohne sich zu erheben: "Ich bin nicht mit Euch +zufrieden, Pate." + +Der General lehnte sich an den Stamm einer Eiche und kreuzte die Arme. +"Womit habe ich es bei Euer Wohlgeboren verscherzt?" sagte er. + +Das Fraeulein warf ihm einen Blick des Vorwurfs zu. "Ihr fragt noch, +Pate? Wahrlich, Ihr handelt an Papa nicht gut, der Euch doch nur +Liebes und nichts zuleide getan hat.--Was war das wieder fuer ein +Spektakel vergangenen Sonntag! Durch Eure Verleitung hat er den +ganzen Nachmittag mit Euch auf Euerm Au-Teiche herumgeknallt. Welch +ein Schauspiel! Aufflatternde verwundete Enten, im Moor nach der +Beute watende Jungen, der Vater in grossen Stiefeln und das ganze Dorf +als Zuschauer!..." + +"Es beurteilte die Schuesse", warf Wertmueller ein. + +"Pate"--das Maedchen war von seinem Sitze aufgesprungen, und seine +schlanke Gestalt bebte vor Unwillen--"ich meinte bisher, Ihr +haettet--trotz mancher Wunderlichkeit--das Herz am rechten Flecke. +Aber ich habe mich geirrt und fange an zu glauben, hier sei bei Euch +etwas nicht in Ordnung!", und sie wies mit einer kleinen Gebaerde des +Zeigefingers nach der linken Brustseite des Generals. "Ich hielt +Euch", fuegte sie freundlicher hinzu, "fuer eine Art Ruebezahl... so +heisst doch der Geist des Riesengebirges, von dessen Koboldstreichen +Ihr so lustig zu erzaehlen wisst?..." + +"Dem es zuweilen Spass macht, Gutes zu tun, und der, wenn er Gutes tut, +dabei sich einen Spass macht." + +"So ungefaehr. Doch, wie gesagt, wenn Ihr ebenso boshaft seid wie der +Berggeist--von Wohltat ist dabei nichts sichtbar. Ihr werdet den +Vater noch ins Verderben stossen. Waeren unsere Mythikoner im Grund +nicht so gute Leute, die ihren Pfarrer decken, wo sie koennen, laengst +waere in Zuerich gegen ihn Klage erhoben worden. Und mit Recht; denn +ein Geistlicher, der wachend und traeumend keinen andern Gedanken mehr +hat als Halali und Halalo, muss jeder christlichen Seele ein taegliches +Aergernis sein. Das waechst mit den Jahren. Neulich da der Herr Dekan +seinen Besuch meldete und zur selben Zeit der Bote eine in der Stadt +angekaufte Jagdflinte dem Vater zutrug, musste ich ihm dieselbe +unkindlich entwinden und in meinen Kleiderschrank verschliessen, sonst +haette er noch--ein schrecklicher Gedanke--den ehrwuerdigen Herrn +Steinfels aufs Korn genommen. Ihr lacht, Pate?--Ihr seid abscheulich! +--Ich koennte Euch darum hassen, dass Ihr, der seine Schwaeche kennt, ihn +noch stachelt und aufreizt, als waeret Ihr sein boeser Engel.--Naechstens +wird er noch einmal mit geladenem Gewehr die Kanzel besteigen!... Ich +freute mich, da Ihr kamet, und nun frage ich: Reist Ihr bald, Pate?" + +"Mit geladenem Gewehr die Kanzel besteigen?" wiederholte Wertmueller, +den dieser Gedanke zu frappieren schien. "La, la, Patchen! Der Vater +ist mir der ertraeglichste aller Schwarzroecke und du bist mir die +liebste aller Figuren. Ich will dem Alten eine Genugtuung geben. +Weisst du was? Ich gehe morgen bei Euch zur Kirche--das rehabilitiert +den Vater zu Stadt und Lande." + +Rahel schien von dieser Aussicht wenig erbaut. "Pate", sagte sie, +"Ihr habt mich aus der Taufe gehoben und das Geluebde getan, auf mein +zeitliches und ewiges Heil bedacht zu sein. Fuer das letztere koennet +Ihr nichts tun, denn es steht in diesem Punkte bei Euch selbst sehr +windig. Aber ist das ein Grund, auch mein zeitliches zu ruinieren? +Ihr solltet, scheint mir, im Gegenteil darauf denken, mich wenigstens +auf dieser Erde gluecklich zu machen--und Ihr macht mich ungluecklich!" +Sie zerdrueckte eine Traene. + +- "Vortrefflich raesoniert", sagte der General. "Patchen, ich bin der +Berggeist und du hast drei Wuensche bei mir zu gut." + +"Nun", versetzte das Fraeulein, auf den Scherz eingehend. "Erstens: +Heilt den Vater von seiner ungeistlichen Jagdlust!" + +- "Unmoeglich. Sie steckt im Blute. Er ist ein Wertmueller. Aber ich +kann seiner Leidenschaft eine unschaedliche Bahn geben. Zweitens?" + +"Zweitens..." Rahel zoegerte. + +"Lass mich an deiner Stelle reden, Maedchen. Zweitens: Gebt dem +Hauptmann Leo Kilchsperger Urlaub zu Werbung, Verloebnis und Heirat." + +- "Nein!" versetzte Rahel lebhaft. + +- "Er ist ein perfekter Kavalier." + +- "Einem perfekten Kavalier haengt manches um und an, worauf ich +Verzicht leiste, Pate." + +- "Ein beschraenkter Standpunkt." + +- "Ich halte ihn fest, Pate." + +- "Meinetwegen.--Also ein anderes Zweites. Zweitens: Berggeist, +verschaffe dem Kandidaten Pfannenstiel die von ihm begehrte +Feldkaplanei in venezianischen Diensten." + +- "Nimmermehr!" rief die Wertmuellerin. "Was? der Unglueckliche begehrt +die Feldkaplanei unter Euerm venezianischen Gesindel? Der zarte und +gute Mensch? Darum ist er zu Euch gekommen?" + +Der General bejahte. "Ich rede es ihm nicht aus." + +- "Redet es ihm aus, Pate. Grassiert nicht Pest und Fieber in Morea?" + +- "Zuweilen." + +- "Liest man nicht von haeufigen Schiffbruechen im Adriatischen Meere?" + +- "Hin und wieder." + +- "Ist die Gesellschaft in Venedig nicht ganz entsetzlich schlecht?" + +- "Die gute ist dort wie allenthalben und die schlechte ganz +vortrefflich." + +- "Pate, er darf nicht hin, um keinen Preis!" + +- "Gut. Also ein anderes Zweites verbunden mit dem Dritten: Berggeist, +mache den Kandidaten Pfannenstiel zum wohlbestellten Pfarrer von +Mythikon und gib mich ihm zur Frau!" + +Rahel wurde feuerrot. "Ja, Berggeist", sagte sie tapfer. + +Diese resolute Antwort gefiel dem General aus der Massen. + +"Er ist eine reinliche Natur", lobte er, "aber ihm fehlt die +Maennlichkeit, welche die Figuren unwiderstehlich hinreisst--" + +- "Bah", machte sie leichthin und fuhr entschlossen fort: "Pate, Ihr +habt ein Dutzend Feldschlachten gewonnen, Ihr verderbt Euern +listigsten Feinden in der Hofburg das Spiel, Ihr seid ein beruehmter +und welterfahrner Mann--wendet ein Hundertteilchen Eures Geistes daran, +mich--was sage ich--uns gluecklich zu machen, und wir werden es Euch +zeitlebens Dank wissen." + +Der General liess sich auf die leere Steinbank nieder und legte in +tiefem Nachdenken die Haende auf die Knie, wie eine aegyptische Gottheit. +So beruehrte er die beiden Pistolen in seinen Taschen; es blitzte in +seinen scharfen grauen Augen ploetzlich auf, und er brach in ein +unbaendiges Gelaechter aus, wie er seit Dezennien nicht mehr gelacht +hatte, in ein wahres Schulbubengelaechter. Da er zugleich +aufgesprungen war, rasch dem Innern der Halbinsel sich zukehrend, +wiederholte ein Echo diesen Ausbruch ausgelassener Lustigkeit in so +geisterhafter und grotesker Weise, dass es war, als hielten sich alle +Faune und Panisken der Au die Baeuchlein ueber einen tollen und +gottvergessenen Einfall. + +Der General beruhigte sich. Er schien seinen Anschlag und die +Moeglichkeit des Gelingens mit scharfem Verstande zu pruefen. Das +Wagnis gefiel ihm. "Zaehle auf mich, mein Kind", sagte er vaeterlich. + +- "Hoert, Pate, dem Papa darf kein Leides geschehen!" + +- "Lauter Gutes." + +- "Pfannenstiel darf nicht gezaust werden!" + +Wertmueller zuckte die Achseln. "Der spielt eine ganz untergeordnete +Rolle." + +- "Und Ihr werdet Euern Spass dabei haben?" fragte das Maedchen gespannt, +denn das Gelaechter hatte sie doch etwas bedenklich gemacht. + +- "Ich werde meinen Spass dabei haben." + +- "Kann es nicht misslingen?" + +- "Der Plan ist auf die menschliche Unvernunft gegruendet und somit +tadellos. Aber etwas Chance gehoert zu jedem Erfolg." + +- "Und misslingt es?" + +- "So bezahlt Rudolf Wertmueller die Zeche." + +Noch einmal besann sich das Maedchen recht ernstlich; aber ihre +resolute Natur trug den Sieg davon. Sie hatte ueberdies ein +unbedingtes Vertrauen zu der verwegenen Kombinationsgabe und selbst in +gewissen Grenzen zu der Loyalitaet ihres Verwandten. Dass ein +schadenfroher Streich mitlaufen werde, wusste sie--es war das eben der +Kaufpreis ihres Glueckes--, aber sie wusste auch, dass Wertmueller sie +liebhabe und seinen Spuk darum nicht allzu weit treiben wuerde. Zudem +lag etwas in ihrem Blute, das eine rasche, wenn auch gewagte Loesung +einer nagenden Ungewissheit vorzog. + +"Ans Werk, Ruebezahl!" sagte sie. "Wann beginnst du dein Treiben, +Berggeist?" + +- "Morgen mittag bist du Braut, Kindchen. Ich verreise Montag in der +Fruehe." + +- "Adieu, Berggeist!" gruesste sie enteilend und warf ihm eine Kusshand +zu, waehrend er ihr nachsah und seine Freude hatte an ihrem schlanken +und sichern Gange. + + + + +Sechstes Kapitel + + +Zu spaeter Abendstunde sassen der General und der Kandidat an einer +reichbesetzten und glaenzend erleuchteten runden Tafel sich gegenueber +in einem geraeumigen Saale, dessen helle Stuckwaende mit guten, in Oel +gemalten Schlachtenbildern bedeckt waren. + +Wertmueller wusste, welche Poesie das "Tischlein, deck dich!" fuer einen +in duerftigen Verhaeltnissen aufgewachsenen Juengling hat; aber auch an +geistiger Bewirtung liess er es nicht fehlen. Er erzaehlte von seinen +Fahrten in Griechenland, er ruehmte die Naturwahrheit der Landschaften +und der Meerfarben in der Odyssee, er liess die edeln und massvollen +Formen eines hellenischen Tempels vor den Augen des entzueckten +Kandidaten aufsteigen--kurz, er machte ihn gluecklich. + +Seiner davon unzertrennlichen militaerischen Abenteuer gedachte er nur +im Vorbeigehen, aber so drastisch, dass Pfannenstiel in der Naehe des +alten Landsknechtes sich als einen herzhaften und verwegenen Mann +fuehlte, waehrend Wertmueller in der naiven Bewunderung seines Zuhoerers +um einige Dezennien sich verjuengte und erleichterte. + +So achtete es Pfannenstiel nicht gross, als der General in der Hitze +des Gespraeches ihm auf den Leib rueckte, von den vier breiten flachen +Knoepfen, die sein Gewand zwischen den schmaechtigen Schultern vorn +zusammenhielten, den obersten abriss und denselben, nachdem er ihn +einer kurzen Betrachtung unterworfen, in einen dunkeln Zimmerwinkel +warf, dann an einem der mittlern drehte, bis dieser nur noch an einem +Faden hing. + +Zwischen den Birnen und dem Kaese aber aenderte sich die Szene. Der +General hatte gegen seine Gewohnheit--er war laengst ein maessiger Mann +geworden--einige Glaeser feurigen Burgunders geleert, und da er, wie +man zu sagen pflegt, einen grimmigen Wein trank, begann es ihn denn +doch ein bisschen zu wurmen, dass die schoene und tapfere Rahel ihr Herz +an einen sanftmuetigen, unkriegerischen Menschen, noch dazu an einen +"Faffen" verschenkt hatte, und sein Daemon noetigte ihn, den Kandidaten, +den er doch leiden mochte, zu gutem Ende noch einmal unbarmherzig zu +foppen. + +Er befahl dem aufwartenden Hassan, Pulverhorn und Kugelbeutel zu +bringen, zog die beiden Terzerole aus seinen Rocktaschen und legte sie +vor sich auf die Tafel. + +"Die Rahel mag Euch", wendete er sich jetzt an den Kandidaten, "aber +wollt Ihr sie zum Weibe gewinnen, muesst Ihr dem schoenen Kinde einmal +als ein ganzer Mann entgegentreten. Das wird ihr einen bleibenden +Eindruck machen, und Ihr duerft Euch dann ruhig die eheliche +Schlafmuetze ueber die Ohren ziehen.--Mein Plan ist ganz einfach: Ich +gehe morgen in Mythikon zur Kirche--erstaunt nicht, Pfannenstiel, ich +bin kein Heide--und lade mich bei dem Vetter Pfarrer zu Mittag. +Natuerlich bleibt Rahel zu Hause und besorgt den Tisch, Ihr aber +gewinnt bei waehrendem Gottesdienste auf Schleichwegen die Pfarre, +entfuehrt das Maedchen, bringt es hieher und, waehrend Ihr sie kuesst, +armiere ich die zwei eisernen Kanonen, die Ihr auf dem Hausflur +gesehen habt, und verteidige den schmalen Damm, der meine Insel mit +dem Festlande verbindet. Treffen! Unterhandlung! Friedensschluss!" + +Waere der Kandidat in seiner natuerlichen Verfassung gewesen, er haette +diese Soldatenschnurre belaechelt, aber der starke Wein war ihm in den +Kopf gestiegen. + +"Entsetzlich!" rief er aus, fuegte dann aber nach einer Pause und +erleichtert hinzu: "und unmoeglich! Die Rahel wuerde niemals +einwilligen." + +- "Sie wird! Ihr erscheint, werft Euch zu ihren Fuessen: Entflieh mit +mir! oder..." Er ergriff ein Pistol und setzte es sich an die rechte +Schlaefe. + +- "Sie ist eine Christin!" rief der erhitzte Kandidat. + +- "Sie wird und muss wollen! Jede Figur wird von der maennlichen +Elementarkraft bezwungen. Kennt Ihr die neueste deutsche Literatur +nicht?... den Lohenstein, den Hofmannswaldau?" + +- "Sie wird nicht wollen--nimmermehr!" wiederholte Pfannenstiel +mechanisch. + +- "Dann fahrt Ihr ab--glorios mit Donner und Blitz!" und Wertmueller +drueckte los. Der Hahn schlug nieder, dass es Funken stob. + +Jetzt ermannte sich Pfannenstiel. Die ihm so nahegelegte ungeheure +Freveltat und sein Schauder davor gaben ihm die Besinnung wieder und +ernuechterten sein Gehirn. Auch fiel ihm die Warnung Rosenstocks ein. +Er narrt und quaelt dich boshaft, sagte er sich, du bist ja ein +geistlicher Mann und hast es mit einem schlimmen Feinde der Kirche zu +tun. + +Ein Hohnlaecheln zuckte in den Mundwinkeln des ihn beobachtenden, +scharf beleuchteten Gesichtes, das in diesem Augenblicke einer +grotesken Maske glich. Der Kandidat erhob sich von seinem Sitze und +sprach nicht ohne Wuerde: "Wenn das Euer Ernst ist, so verweile ich +keine Minute laenger unter einem Dache, wo eine mehr als heidnische +Verruchtheit gelehrt wird; ist es aber Euer Scherz, Herr Wertmueller, +wie ich es glaube, so verlasse ich Euch ebenfalls, denn einen +einfachen Menschen, der Euch nichts zuleide getan hat, zu haenseln und +zu verhoehnen, das ist nicht christlich, nicht einmal menschlich--das +ist teuflisch." + +Ein schoener, ehrlicher Zorn flammte in seinen blauen Augen, und er +schritt der Tuere zu. + +"La, la", sagte der General. "Was fruehstueckt Ihr morgen? Eier, +Rebhuhn, Forelle?" + +Pfannenstiel oeffnete und enteilte. + +"Der Mohr wird Euch aufs Zimmer leuchten! Auf Wiedersehen morgen beim +Fruehstueck!" rief ihm Wertmueller nach. + +Der Alleingebliebene lud sorgfaeltig das leichtspielende Pistol mit +Pulver und stiess einen derben Pfropfen nach. Das schwerspielende liess +er ungeladen. Beide uebergab er dem Mohren mit dem Befehle, dieselben +in seinen schwarzen Sammetrock zu stecken. Dann ergriff der General +einen Leuchter und suchte sein Lager auf. + + + + +Siebentes Kapitel + + +Der Kandidat eilte in raschem Laufe dem Damme zu, durch welchen die +Suedseite der Insel mit dem festen Lande zusammenhing. Oft hatte er, +da er sich im verflossenen Fruehjahre in Mythikon aufhielt, den Sitz +des damals in Deutschland bataillierenden Generals mit neugierigen +Augen gemustert, ohne ihn je zu betreten. Er wusste, dass der Damm +gegen seine Mitte hin durch ein altertuemliches kleines Tor und eine +Bruecke unterbrochen war, aber er war gewiss, kein Hindernis zu finden, +da dieses Tor, wie er sich erinnerte, niemals geschlossen wurde, sich +auch nicht schliessen liess, da es keine Torfluegel hatte. + +Jetzt erreichte er das Ufer und erblickte zu seiner Linken die Linie +des Dammes. Aber, o Missgeschick! der von dem daemmernden Hintergrunde +scharf abgehobene Balken der Bruecke schwebte in der Luft und bildete +statt eines rechten einen spitzen Winkel mit dem Profil der Pforte, an +deren Steinbogen er durch zwei Ketten befestigt war. Das Tor, die +aufgezogene Bruecke, die kleine Verbindungslinie der Ketten--alles liess +sich mit ueberzeugender Deutlichkeit unterscheiden; denn der Mond gab +genuegendes Licht, und in dem leeren, nicht zu ueberspringenden +Zwischenraume flimmerte sein Widerschein in dem silbernen Gewaesser. +Pfannenstiel war ein Gefangener. Unmoeglichkeit, durch das Moor zu +waten! Er waere, da er die Furten des tueckischen Roehrichts nicht +kannte, bei den ersten Schritten versunken und haette ein klaegliches +Ende genommen. Ratlos stand er am Inselgestade, waehrend aus dem +Sumpfe dicht vor seinen Fuessen ein volltoeniges Brekekex Koax Koax +erscholl. + +Gerade an jenem Abende war unter den Froeschen der Au ein junger +Lyriker von bedeutender Begabung aufgetaucht, der das feste und +gegebene Motiv der Froschlyrik so keck in Angriff nahm und so +gefuehlvoll behandelte, dass der begeisterte Chor nicht muede wurde, die +vorgesungene Strophe mit unersaettlichem Enthusiasmus zu wiederholen. +Auf den Kandidaten freilich machte das leidenschaftliche Gequaeke einen +tief melancholischen Eindruck, als steige es aus den Suempfen des +Acheron empor. + +In halber Verzweiflung wollte er nun ueber den Damm nach der Pforte +eilen, ob sich die Zugbruecke mit Anstrengung aller Kraefte nicht senken +liesse. Da gewahrte er, noch einmal vorwurfsvoll nach dem unheimlichen +Landhause sich umwendend, eine ihm entgegenwandernde Helle, und nach +wenigen Augenblicken stand Hassan mit einem Windlicht in der Faust an +seiner Seite. Mit untertaeniger Zutunlichkeit redete ihm der gutmuetige +Mohr zu, in die von ihm geflohene Wohnung zurueckzukehren. + +"Langweilig Frosch, geistlicher Herr!" radbrechte Hassan, "Schloss an +Zugbruecke--Zimmer bereit!" + +Was war zu tun? Nichts anderes, als Hassan zu folgen. In der grossen, +auf den gepflasterten Hausflur muendenden Kueche entzuendete der Mohr +zwei Kerzen und leuchtete dem Kandidaten die Treppe hinauf. Auf der +zweitobersten Stufe ergriff er ihn rasch am Arme: "Nicht erschrecken, +geistlicher Herr!" fluesterte er. "Schildwache vor Zimmer von General." +Und in der Tat, da stand eine Schildwache. Hassan beleuchtete sie +mit der Kerze, und Pfannenstiel erblickte ein Skelett, das die +Knochenhaende auf eine Muskete gestuetzt hielt und an dem ueber die +Rippen gekreuzten und blank gehaltenen Lederzeuge Patronentasche und +Seitengewehr der zuercherischen Landmiliz trug. Ein kleines +dreieckiges Huetchen war auf den hohlen Schaedel gestuelpt. + +Der Kandidat fuerchtete das Bild des Todes nicht, er war mit demselben +von Amts wegen vertraut, ja er hatte eine gewisse Vorliebe fuer die +warnende und erbauliche Erscheinung des Knochenmannes. Aber wer war +der Mensch, der da drinnen unter der Hut dieser gespenstischen Wache +schlief? Und welche seltsame Lust fand er daran, mit den ernstesten +Dingen sein frevles Gespoette zu treiben? + +Jetzt oeffnete der Mohr das zweitaeusserste Zimmer der Seeseite und +stellte die beiden Leuchter auf den Kamin. Pfannenstiel, dessen +Wangen gluehten und fieberten, trat ans Fenster, um es aufzureissen; +Hassan aber hielt ihn zurueck. + +"Seeluft ungesund", warnte er und machte die Fluegeltuere eines +Nebenzimmers auf, um dem Erhitzten in unschaedlicher Art mehr Luft zu +verschaffen. Dann entfernte er sich mit einem demuetigen Grusse. + +Der Kandidat schritt eine gute Weile in der Kammer auf und nieder, um +seine erregte Phantasie zur Ruhe zu bringen und den wunderlichsten Tag +seines Lebens einzuschlaefern. Aber das gefaehrlichste Abenteuer +desselben war noch unbestanden. + +Aus dem von Hassan geoeffneten Nebenzimmer klang ein leiser Ton, wie +ein tiefer Atemzug. Hatte die streichende Nachtluft die Falten eines +Vorhanges bewegt oder war ein Kaeuzlein an den nur halb geschlossenen +Jalousien vorbeigeflattert? + +Der Kandidat hemmte seinen Schritt und horchte. Ploetzlich fiel ihm +ein, dass dieses naechste Zimmer, das letzte der Fassade, kein anderes +sein koenne als die Raeumlichkeit, welche der Schiffer Blaeuling der +Tuerkin des Generals angewiesen hatte. + +Die Moeglichkeit einer solchen Naehe brachte den unbescholtenen jungen +Geistlichen begreiflicherweise in die groesste Angst und Unruhe, doch +nach kurzer Ueberlegung beschloss er, in die beruechtigte Kammer mutig +hineinzuleuchten. + +Er betrat einen reichen tuerkischen Teppich und stand, sich zur Rechten +wendend, vor einem lebensgrossen Bilde, welches von vergoldetem, +ueppigem Blaetterwerk eingerahmt war und die ganze, dem Fenster +gegenueberstehende Wand des kleinen Kabinettes fuellte. Das Bild war +von einem Niederlaender oder Spanier der damals kaum geschlossenen +glaenzenden Epoche in jener naturwarmen, bestrickenden Weise gemalt, +die den Neuern verlorengegangen ist. Ueber eine Balustrade von +maurischer Arbeit lehnte eine junge Orientalin mit den berauschenden +dunkeln Augen und gluehenden Lippen, bei deren Anblicke die Prinzen in +Tausendundeiner Nacht unfehlbar in Ohnmacht fallen. + +Sie legte den Finger an den Mund, als bedeute sie den vor ihr +Stehenden: Komm, aber schweige! + +Pfannenstiel, der nie etwas auch nur annaehernd Aehnliches erblickt +hatte, wurde tief und unheimlich erschuettert von der Verlockung dieser +Gebaerde, der Sprache dieser Augen. Es tauchte etwas ihm bis heute +voellig unbekannt Gebliebenes in seiner Seele auf, etwas, dem er keinen +Namen geben durfte--eine brennende Sehnsucht, die glueckselige +Moeglichkeit ihrer Erfuellung! Vor diesem Bilde begann er an so +uebergewaltige Empfindungen zu glauben und vor ihrer Macht zu erbeben... + +Ploetzlich wandte sich der Kandidat, lief in sein Schlafgemach zurueck +und begnuegte sich nicht, die Tuere zu verschliessen, er schob noch den +Riegel und drehte zuletzt den Schluessel um. Nun glaubte er sein Lager +gesichert und begrub sich in die Kissen desselben. + +Doch kaum war er entschlummert, so trat das schoene Schemen durch die +Tuere, ohne sie zu oeffnen, und nahm tueckisch Gestalt und Antlitz der +Rahel Wertmueller an, ihren maidlichen Wuchs, ihre feinen geistigen +Zuege. Aber ihre Augen schmachteten wie die der Orientalin, und sie +legte den Finger an den Mund. + +Nun kam eine boese, schlimme Stunde fuer den armen Kandidaten. Er +wollte fliehen und wurde von einer daemonischen Gewalt zu den Fuessen des +Maedchens hingeworfen. Er stammelte unsinnige Bitten und machte sich +verzweifelte Vorwuerfe. Er umfasste ihre Knie und verurteilte sich +selbst als den ruchlosesten aller Suender. Rahel, erst erstaunt, dann +strengblickend und unwillig, stiess ihn zuletzt empoert von sich weg. +Jetzt stand der General neben ihm und reichte ihm das Pistol. "Die +Figur", dozierte er, "wird bezwungen von der maennlichen Elementarkraft." +Dem Kandidaten wurde wie von eisernen, teuflischen Krallen der Arm +gebogen, und er setzte sich die toedliche Waffe an die rechte Schlaefe. +"Fliehe mit mir!" stoehnte er. Sie wandte sich ab. Er drueckte los, +und erwachte, nicht in seinem Blute, aber in kaltem Schweisse gebadet. +Dreimal trieb ihn der quaelende Halbtraum in diesem Kreislaufe von +Begierde, Frevel und Reue herum, bis er endlich das Fenster aufschloss +und im reinen Hauche der heiligen Fruehe in einen tiefen beruhigenden +Schlaf versank. + +Er erwachte nicht, bis Hassan mit warmem Wasser ins Zimmer trat und +auf seinen Befehl die Jalousien oeffnete. Ein himmlischer, innig +blauer Tag und das nun halb verwehte, nun vollhallende Gelaeute aller +Seeglocken drang in die Traumkammer. + +"General Kirche gegangen", sagte der Mohr. "Geistlicher Herr +fruehstuecken?"-- + + + + +Achtes Kapitel + + +Und der Mohr log nicht. + +Rudolf Wertmueller wandelte in dem Augenblicke, da sich sein Gast dem +Schlummer entriss, schon unweit der Kirche von Mythikon unter den +sonntaeglichen Scharen, welche alle dahinfuehrenden Wege und Fusssteige +bevoelkerten. + +Der sonst so rasche Schritt des Generals war heute ein gemessener und +seine Haltung durchaus wuerdig und untadelig. Er war in schwarzen +Sammet gekleidet und trug in der behandschuhten Rechten ein mit +schweren vergoldeten Spangen geschlossenes Gesangbuch. + +Seltsam! Wertmueller, der seit langem jede Kirche gemieden hatte, +stand bei den Mythikonern in dem schlimmen Rufe und der schwefelgelben +Beleuchtung eines verhaerteten Freigeistes, es war ihnen eine +ausgemachte, nicht anzufechtende Tatsache, dass ihn ueber kurz oder lang +der Teufel holen werde--und dennoch waren sie herzlich erfreut, ja +geruehrt, ihn auf ihrem Kirchwege einherschreiten zu sehen. Sie +erblickten in seinem Erscheinen durchaus nicht einen Akt der Busse, +denn sie liebten es nicht und hielten es fuer schmaehlich--hierin den +griechischen Dramatikern aehnlich--, wenn eine erwachsene Person ihren +Charakter wechselte; sie trauten es dem Generale zu, dass er konsequent +bleibe und resolut ins Verderben fahre. Die Mythikoner fassten +vielmehr den Kirchgang des alten Kriegsmannes als eine Hoeflichkeit auf, +als eine Ehre, die er der Gemeinde erweise, als einen oeffentlichen +Abschiedsbesuch vor seinem Abgange ins Feldlager. + +Das Gruessen nahm kein Ende, und jeder Gruss ward von dem heute +ausnahmsweise Leutseligen mit einem Nicken oder einem kurzen +freundlichen Worte erwidert. Nur ein altes Weib, das boeseste in der +Gemeinde, stiess ihre bloedsinnige Tochter zurueck, die den General +angaffte, und raunte ihr vernehmlich zu: "Verbirg dich hinter mir, +sonst nimmt er dich und macht dich zur Tuerkin!" + +Weniger erfreut ueber den Anblick des ungewohnten Kirchgaengers war der +Pfarrer Wilpert Wertmueller, als er, mit Mantel und Kragen angetan, aus +dem Tore seines Hofraums trat, in dessen Mitte hinter einem +altergrauen Brunnen zwei maechtige Pappeln sich leis im Winde wiegten. +Seine Ueberraschung war eine vollstaendige; denn Rahel hatte geschwiegen. + +Der Pfarrer, ein Sechziger von noch ruestigem Aussehen und nicht gerade +geistreichen, aber maennlichen Gesichtszuegen, mochte den General als +einen versuchten Weidmann in Wald und Feld wohl leiden; dass er aber +seine Erbauung gerade in der Kirche von Mythikon suchte--das haette er +ihm gerne erlassen. + +Je unwillkommener, desto hoeflicher war der General. Er zog den Hut, +dann nahm er den Pfarrer an der Hand und fuehrte ihn in den Flur seines +Hauses zurueck. Gerade in diesem Augenblicke setzte die schoene, +morgenfrische Rahel ihren Fuss auf die unterste Stufe der Treppe, +sonntaeglich angetan und ebenfalls ein kleines, in schwarzen Sammet +gebundenes Gesangbuch in der Hand. + +"Kind, du bist reizend! eine Nymphe!" begruesste sie Wertmueller. "Lasse +dich vaeterlich auf die Stirn kuessen!" + +Sie weigerte sich nicht, und der kleine, aber fest und wohlgebaute +General richtete sich auf den Fussspitzen empor, um die feine weisse +Stirn des hochgewachsenen Maedchens zu erreichen, eine eher komische +als zaertliche Gruppe. + +"Bittest du mich nach der Predigt zu Tische, Alter?" fragte Wertmueller. + +"Selbstverstaendlich!" versetzte der gastfreundliche Pfarrer. "Rahel +bleibt zu Hause und besorgt die Kueche." + +Das willige Maedchen fuegte mit einem leichten Knickse hinzu: "Wir +bedanken uns, Pate!" und eilte in das obere Stockwerk zurueck. + +"Ich bringe dir etwas mit, Alter", laechelte der General. + +"Gewehr?" fuhr der Pfarrer heraus, und seine Augen leuchteten. + +Wertmueller nickte bejahend und zog unter dem breiten Schosse seines +Sammetrockes ein Pistol hervor. Die vornehme Fasson und der +damaszierte Lauf des kleinen Meisterstueckes der damaligen +Buechsenschmiedekunst stachen dem Pfarrer gewaltig in die Augen. Seine +ganze Leidenschaft erwachte. Wertmueller trat mit ihm aus dem +daemmerigen Flur durch die Hintertuere der Pfarre in den Garten, um ihn +die kostbare kleine Waffe im vollen Tageslichte bewundern zu lassen. + +Die ganze Langseite des Hauses war mit einer ziemlich niedrigen +Weinlaube bekleidet; an dem einen Ende dieses gruenen Bogenganges hatte +der Pfarrer vor Jahren eine steinerne Mauer mit einer kleinen Scheibe +auffuehren lassen, um sich, an dem entgegengesetzten Eingange Posto +fassend, waehrend seiner freien Stunden im Schiessen zu ueben. + +"Aus der Levante?" fragte er, sich des Pistols bemaechtigend. + +"Venezianische Nachahmung. Sieh hier die verschlungene Chiffre +GG--bedeutet Gregorio Gozzoli", ruehmte Wertmueller. + +"Ich erinnere mich, diesen Schatz von Pistoelchen in deiner +Waffenkammer auf der Au gesehen zu haben,--aber war es nicht ein +Paerchen?" + +"Du traeumst..." + +"Ich kann mich geirrt haben. Spielt das kleine Ding leicht?" + +"Leider ist der Druecker etwas verhaertet, aber du darfst das fremde +Meisterstuecklein keinem hiesigen Buechsenmacher anvertrauen, er wuerde +dir es verderben." + +"Etwas hart? tut nichts!" sagte der Pfarrer. Er nahm trotz Mantel und +Kragen am einen Ende der Laube Stellung. Auf dem linken Fusse ruhend, +den rechten vorgesetzt, zog er den Hahn und kruemmte den Arm. + +Eben verstummten die Glocken auf dem nahen Kirchturme, und das +Auszittern ihrer letzten Schlaege verklang in dem Gesumme der Wespen, +die sich geraeuschvoll um die noch nicht geschnittenen Goldtrauben der +Laube tummelten. + +Der Pfarrer hoerte nichts--er drueckte und drueckte mit dem Aufgebot +aller Kraft. + +"Pfui, Alter, was schneidest du fuer Grimassen?" spottete Wertmueller. +"Gib her!" Er entriss ihm die Waffe und legte seinen eisernen Finger an +den Druecker. Der Hahn schlug schmetternd nieder. "Du verlierst deine +Muskelkraft, Vetter! Dich entnervt die gliederloesende Senectus! Ich +will dir selbst den Mechanismus etwas geschmeidiger machen--du weisst, +dass ich ein ruhmreicher Schlosser und ganz leidlicher Buechsenschmied +bin!" Der General liess die schmucke kleine Waffe in die Tiefe seiner +Tasche zurueckgleiten. + +"Nein, nein, nein!" rief der Pfarrer leidenschaftlich. "Du hast es +mir einmal geschenkt! Ich lasse es nicht mehr aus den Haenden!..." + +Zoegernd hob der General das Pistol wieder hervor--nicht mehr dasselbe. +Er hatte es, der alte Taschenspieler, mit dem auch fuer ein schaerferes +und ruhiges Auge nicht leicht davon zu unterscheidenden Zwillinge +gewechselt. + +Der Pfarrer hielt die Waffe kaum wieder in der Hand, als er sich von +neuem in Positur stellte, denn er war ganz Feuer und Flamme geworden, +und Miene machte, den Hahn noch einmal zu spannen. + +Der General aber fiel ihm in den Arm. "Hernach!" redete er ihm zu. +"Donnerwetter! Es hat laengst ausgelaeutet." + +Herr Wilpert Wertmueller erwachte wie aus einem Traume, besann sich, +lauschte. Es herrschte eine tiefe Stille, nur die Wespen summten. + +Er steckte das Pistol eilig in die geraeumige Rocktasche, und die +Vettern beschritten den kurzen, jetzt voellig menschenleeren Weg nach +der nahen Kirche. + + + + +Neuntes Kapitel + + +Als die zwei Wertmueller den heiligen Raum betraten, war er schon bis +auf den letzten Platz gefuellt. Im Schiffe sassen rechts die Maenner, +links die Weiber, im Chore, das Antlitz der Gemeinde zugewendet, die +Kirchenaeltesten, unter ihnen der Krachhalder. + +Zwei breite, oben durch ein grosses Halbrund verbundene Mauerpfeiler +schieden Chor und Kirche. An dem rechts gelegenen schwebte die Kanzel +und am Fusse der steilen Kanzeltreppe befand sich der einzig leer +gebliebene Sitz, der mit Schnitzwerk verzierte Stuhl von Eichenholz, +welchen der Pfarrer waehrend des Gesanges einzunehmen pflegte. Diesen +wies er jetzt dem General an und bestieg ohne Verzug die Kanzel. Der +Verspaetete hatte Eile, der Gemeinde die Nummer des heutigen +Kirchenliedes zu bezeichnen. + +Es war das beliebteste des neuen Gesangbuchs, ein Danklied fuer die +gelungene Lese, erst in neuerer Zeit verfasst und aus Deutschland +gekommen, mit dreisten und geschmacklosen Schnoerkeln im damaligen +Rokokostile, aber nicht ohne Klang und Farbe. + +Jede Strophe begann mit der Aufforderung, den Geber alles Guten +vermittelst eines immer wieder andern Instrumentes zu loben. Dem +Autor mochte ein Kirchenbild vorgeschwebt haben. Aber nicht jene +zarten musizierenden Engel Giambellinis, welche an das Dichterwort +erinnern: + +Da geigen die Geiger so himmlisch klar, +Da blasen die Blaeser so wunderbar... + + +Nein! sondern die auf einer robusten Wolke lagernde und mit allen +moeglichen Instrumenten ausgeruestete pausbaeckige himmlische Hofkapelle +irgendeines Bravourbildes aus der Rubensschen Schule. + +"Frohlocket, frohlocket!..." erscholl es heiter und volltoenig in dem +schoenen, reinlichen Raume, durch dessen acht Spitzbogenfenster das +leuchtende Blau des himmlischen Tages hereinquoll. + +Der General, dessen Eintritt ein wohlgefaelliges Gemurmel erregt hatte, +wendete sein gesammeltes Antlitz der Gemeinde zu, konnte aber mit +einer ungezwungenen Wendung des Kopfes leicht den hohen Sitz +beobachten, wo sein Vetter horstete. Eben jetzt warf er einen Blick +hinauf. Der Seelsorger von Mythikon, der das Jubellied schon oft +gehoert hatte und seiner ebenfalls schon oft gehaltenen Predigt sicher +war, betastete leise seine Tasche. + +"Posaunet, posaunet!..." droehnte es durch das Schiff. Wertmueller +schielte die Kanzeltreppe hinauf. Der Vetter hatte das kleine +Terzerol aus der Tasche gezogen und betrachtete es hinter der hohen +Kanzelbruestung mit Augen der Liebe. + +"Drommetet, drommetet!..." sangen die Mythikoner. Mitten durch den +Trompetenlaerm hoerte der General deutlich ein scharfes Knacken, als +wuerde droben ein Hahn gezogen. Er laechelte. + +Jetzt kam die letzte, die Lieblingsstrophe der Mythikonerinnen. "Und +floetet, o floetet!..." sangen sie, so schoen sie konnten. Der General +warf wieder einen verstohlenen Blick nach der Kanzel hinauf. Spielend +legte der Pfarrer eben seinen dicken Finger an den Druecker; wusste er +doch, dass er die Feder mit aller Gewalt nicht bewegen konnte. Aber er +zog ihn gleich wieder zurueck, und die sanften Floeten verklangen. + +Der General unten an der Kanzel legte in gedrueckter Stimmung sein +Gesicht in Falten. + +Jetzt betete der geistliche Herr, der das kleine Gewehr in seine +geraeumige Tasche zurueckgleiten liess, in aller Andacht die Liturgie und +las dann den Text aus der grossen, staendig auf dem Kanzelbrette +lagernden Bibel. Es war der herrliche siebenundvierzigste Psalm, der +da beginnt: Frohlocket mit Haenden, alle Voelker, lobet Gott mit grossem +Schalle! + +Frisch und flott ging es in die Predigt hinein und schon war sie ueber +ihr erstes Drittel gediehen. Noch einmal lauerte der General empor, +sichtlich enttaeuscht, mit einem fast vorwurfsvollen Blicke, der sich +aber ploetzlich erheiterte. Der Pfarrer hatte im Feuer der Aktion, +waehrend seine Linke vor allem Volke gestikulierte, mit der durch die +Kanzel gedeckten Rechten instinktiv das geliebte Terzerol wieder +hervorgezogen. "Lobet Gott mit grossem Schalle!" rief er aus, und, +paff! knallte ein kraeftiger Schuss. Er stand im Rauch. Als er wieder +sichtbar wurde, quoll die blaue Pulverwolke langsam um ihn empor und +schwebte wie ein Weihrauch ueber der Gemeinde. + +Entsetzen, Schreck, Erstaunen, Aerger, Zorn, ersticktes Gelaechter, +diese ganze Tonleiter von Gefuehlen fand ihren Ausdruck auf den +Gesichtern der versammelten Zuhoerer. Die Kirchenaeltesten im Chor aber +zeigten entruestete und strafende Mienen. Die Lage wurde bedenklich. + +Jetzt wendete sich der General mit einer zugleich leutseligen und +imponierenden Gebaerde an die aufgeregten Mythikoner: + +"Lieben Brueder, lasst euch den Schuss nicht anfechten. Bedenket: es ist +nach menschlicher Voraussicht das letztemal, dass ich mich in eurer +Mitte erbaue, ehe ich diesen meinen sterblichen Leib den Kugeln +preisgebe.--Und Ihr, Herr Pfarrer, zeigt Euch als einen entschlossenen +Mann und fuehrt Euern Sermon zu Ende." + +Und wirklich, der Pfarrer setzte unerschrocken wieder ein und fuhr in +seiner Predigt fort, unbeirrt, ohne den Faden zu verlieren, ohne sich +um ein Wort zu vergreifen, zu stottern oder sich zu versprechen. + +Alles kehrte wieder in die Ordnung zurueck. Nur das blaue +Pulverwoelkchen wollte sich in dem geschlossenen Raume gar nicht +verlieren und schwebte hartnaeckig ueber der Gemeinde, bald im Schatten, +bald von einem Sonnenstrahl beleuchtet, bis seine Umrisse immer +ungewisser wurden und sich endlich aufloesten. + + + + +Zehntes Kapitel + + +Waehrend der Pfarrer seine Predigt tapfer zu Ende fuehrte, hatte die +daheimgebliebene Rahel der alten Babeli und dem zur Aushilfe von +dieser herbeigeholten Nachbarskinde ihre Befehle gegeben und trat +jetzt, ein Koerbchen und ein kleines Winzermesser in der Hand, vor die +hintere Haustuere, um einige ihrer reifen sonnegebraeunten Goldtrauben +von der Laube zu schneiden. + +Da sah sie, sich gerade gegenueber, wo der Fusssteig um die von der +Landstrasse abliegende Seite des Gartens lief, ein seltsames Schauspiel. + +Ein unheimlicher Mensch stuetzte die Haende auf den Zaun, schwang sich +mit fliegenden Rockschoessen in einem wilden Satze ueber die Hecke und +kam ihr stracks entgegen. Kaum traute sie ihren Augen. Konnte er es +sein? Unmoeglich! Und doch, er war es. + +Pfannenstiel hatte das Fruehstueck, welches ihm der dienstbeflissene +Mohr im Speisesaale auf der Au versetzte, kaum beruehrt. Es trieb ihn +fort ueber die jetzt gesenkte Zugbruecke, bergan, der Pfarre von +Mythikon zu. Er wusste, dass er die Strassen und Steige, wenn auch nur +fuer kurze Zeit, noch leer fand. Das orientalische Schemen war im +Morgenwinde verflattert; aber, wie himmlisch leuchtend und frisch der +Herbsttag aus seinen Nebelhuellen hervortrat, einer der gestern +empfangenen Eindruecke war wie ein Stachel in der aufgeregten Seele des +Kandidaten haften geblieben. + +Ihm fehle die Maennlichkeit, hatte der General ihm vorgehalten, die +einen unfehlbaren Sieg ueber das Weibliche davontrage. Das gab dem +Kandidaten zu schaffen, und da sich ihm eine naechste Gelegenheit bot, +etwas nach seiner Ansicht Kuehnes zu unternehmen, und gerade das, wozu +der General ihn aufgefordert hatte, so entschloss sich der Verwilderte, +Rahel, wenn auch ohne Feuerwaffe, mit einem Morgenbesuche zu +ueberraschen. + +Der Sprung ueber die Hecke war dann freilich keine Heldentat gewesen, +sondern eine Flucht vor den ersten heimkehrenden Kirchgaengern, die er +zwischen den Baeumen der Landstrasse zu sehen glaubte. + +Wie er sich mit unternehmender Miene und in entschiedener Haltung der +Wertmuellerin naeherte, erschrak diese ernstlich ueber sein Aussehen, +seine fiebernden Augen, die Blaesse und Abspannung, wie sie eine +schlaflose Nacht auf dem Antlitze zuruecklaesst. Auch der herabhaengende, +halb abgedrehte Knopf und die Leere, die der andere weggerissene +gelassen, entgingen ihr natuerlich keinen Augenblick und vollendeten +den beaengstigenden Eindruck. + +"Um Himmels willen, was ist Euch, Herr Vikar?" sagte das Maedchen. +"Seid Ihr krank? Ihr habt etwas Verstoertes, Fremdes an Euch, das mich +erschreckt. O der heillose Pate--was hat er mit Euch vorgenommen? Er +gelobte mir doch, Euch nichts anzutun, und nun hat er Euch gaenzlich +zerruettet! Erzaehlt mir haarklein, was Euch auf der Au zugestossen-- +vielleicht weiss ich Rat." + +Als ihr der Kandidat in die verstaendigen und doch so warmen Augen +blickte, ward er sich urploetzlich dessen bewusst, was ihn eigentlich +hergetrieben. Der Kobold des Abenteuers, der sich beim ersten +Schritte, den er auf der Au getan, ihm auf den Nacken gesetzt hatte, +sprang von seinem Ruecken und liess ihn fahren. + +Bis ins kleinste beichtete er den klaren braunen Augen seine +Erlebnisse auf der Insel, nur die Vision der Tuerkin weglassend, die ja +eine Ausgeburt seines erhitzten Gehirns gewesen war. Er gestand ihr, +ihn habe der Vorwurf des Generals, ihm fehle das Maennliche, verbluefft +und beunruhigt, auch jetzt koenne er noch nicht darueber hinwegkommen. +Und er bat sie, ihm aufrichtig zu sagen, ob hier ein Mangel sei und +wie dem abzuhelfen waere. + +Rahel betrachtete ihn ein Weilchen fast geruehrt, dann brach sie in ein +helles Gelaechter aus. + +"Der Pate trieb mit Euch sein Spiel", sagte sie, "aber dass er Euch das +griechische Abenteuer widerriet, war recht. Ihr wolltet aus Eurer +eigenen Natur heraus, und er hat Euch heimgespottet... Warum auch? +Wie Ihr seid, und gerade wie Ihr seid, gefallt Ihr mir am besten. +Papas ungeistliche Waidlust hat mir genug schwere Stunden gemacht! +Fuer mich lob ich mir den Mann, der unsern Dorfleuten mit einem +erbaulichen, durchsichtigen Wandel vorleuchtet, unsern Zehntwein +schluckweise trinkt, seine Frau liebhat und zuweilen von einem +bescheidenen und gelehrten Freunde besucht wird!... Diese Kavaliere! +Ich habe uebergenug von ihren Tafeldiskursen, wenn sie den Vater mit +Ross und Wagen ueberfallen!--Der Pate hat Euch gestern in so manches +eingeweiht, hat er Euch nicht auch den Streich erzaehlt, den er mit +achtzehn Jahren seinem jungen Weibe spielte? Sie geluestete nach +Spanischbroetchen, wie man solche in Baden baeckt. 'Ich hole sie dir +warm!' sagte er galant, sattelte und verritt. In Baden legte er die +Broetchen in eine Schachtel und eine Zeile dazu, er verreise ins +schwedische Lager. Diesen Abschied sandte er durch einen Boten, ihn +selbst aber sah sie viele Jahre nicht wieder. Das haettet Ihr nicht +getan!" Und sie reichte dem stillen Vikar die Hand. + +"Aber jetzt muss ich Euch sogleich die Knoepfe befestigen", setzte sie +rasch hinzu, "es tut mir in den Augen und in der Seele weh, Euch in +diesem Zustande zu sehen! Setzt Euch!"--dabei zeigte sie auf ein +Baenklein unter der Laube--"ich hole Zwirn und Nadel." + +Pfannenstiel gehorchte, und sie entsprang mit dem traubengefuellten +Koerbchen. + +Nun kam es ueber ihn wie Paradiesesglueck. Licht und Gruen, die niedrige +Laube, das bescheidene Pfarrhaus, die Erloesung von den Daemonen des +Zweifels und der Unruhe! + +Sie freilich, die ihn davon befreit hatte, war selbst von Unruhe +ergriffen. Welchen Streich hatte der General geplant oder schon +ausgefuehrt? Sie machte sich Vorwuerfe, ihm freie Hand dazu gegeben zu +haben. + +In der Kueche erfuhr sie, der Herr Pfarrer habe sich mit dem General +eingeschlossen und bald darauf seien die Kirchenaeltesten langsam und +feierlich die Treppe hinaufgeschritten. Etwas Unerhoertes muesse in der +Kirche vorgefallen sein. + +Der Fischkuri, der ihr aus seinem Troge Forellen brachte, wurde von +ihr befragt; aber er war nicht zum Reden zu bringen und schnitt ein +dummes Gesicht. + +Bestuerzt eilte das Maedchen in ihre Kammer und musste lange suchen, ehe +sie Nadel und Zwirn fand. + + + + +Elftes Kapitel + + +Nachdem der Gottesdienst zu Mythikon ohne weitere Stoerung sein Ende +genommen hatte, waren die Vettern nebeneinander in die nahe Pfarre +zurueckgeschritten, der Seelsorger zur Rechten des Generals, ohne sich +um den Ausdruck der oeffentlichen Meinung zu kuemmern, welcher in den +Mienen der ihnen Begegnenden unverkennbar zu lesen war. + +Dort oeffnete der geistliche Wertmueller sein Studierzimmer, liess den +weltlichen wie einen straffaelligen armen Suender nachkommen und +verschloss sorgfaeltig die Tuere. Dann trat er dicht an den Freveltaeter +heran. "Vetter General", sagte er, "du hast an mir gehandelt als ein +Schelm und ein Bube!", und er machte Miene, ihn am Kragen zu packen. + +"Hand weg!" entgegnete dieser. "Soll ich mich mit dir raufen, wie +weiland mit dem Vetter Zeugherr von Stadelhofen in der Ratslaube zu +Zuerich, als wir uns die Peruecken zausten, dass es nur so stob! Bedenke +dein Amt, deine Wuerde!" + +"Mein Amt, meine Wuerde!" wiederholte der Pfarrer langsam und +schmerzlich. Eine Traene netzte seine graue Wimper. Mit diesen vier +schlichten Worten war dasselbe ausgedrueckt, was uns in jener +grossartigen Tirade erschuettert, mit welcher Othello von seiner +Vergangenheit und seinem Amte Abschied nimmt. + +Der General schluckte. Die Traene des alten Mannes war ihm entschieden +zuviel. + +"La, la", troestete er, "du hast eine praechtige Kaltbluetigkeit gezeigt. +Auf meine Ehre, ein echter Wertmueller! Es ist ein Feldherr an dir +verlorengegangen." + +Aber die Schmeichelei verfing nicht. Auch der Moment der Wehmut war +voruebergegangen. + +"Womit habe ich dich beleidigt?" zuernte der Entruestete. "Habe ich je +in meiner Kirche auf dich gestichelt oder angespielt? Habe ich dich +nicht in deinem Heidentume voellig werden lassen und dich gedeckt, wie +ich konnte?--Und zum Danke dafuer hast du mir hinterlistig das Pistol +vertauscht, du Gaukler und Taschenspieler!--Warum beschimpfst du meine +grauen Haare, Kind der Bosheit? Weil es dir in deiner eigenen Haut +nicht wohl ist!..." + +"La, la", sagte der General. + +Es pochte. Die Kirchenaeltesten von Mythikon traten in die Stube, dem +Krachhalder den Vortritt lassend, und stellten sich in einem +Halbkreise den Wertmuellern feierlich fast feindselig gegenueber. Der +General las in den langen gefurchten Gesichtern, dass er mit seinem +laesterlichen Scherze das doerfliche Gefuehl schwer beleidigt hatte. + +In der Tat, der Krachhalder, auf den sie alle hinhoerten, war in den +Tiefen seiner Seele empoert. Wenn er sich auch den abenteuerlichen +Vorfall nicht ganz erklaeren konnte, setzte er ihn doch unbedenklich +auf die Rechnung des Generals, welcher, die Schwaeche seines +geistlichen Vetters sich zunutze machend, ein landkundiges Aergernis +habe anstiften wollen. Dem Krachhalder lag die Ehre seiner Gemeinde +am Herzen, und er hatte das Mythikonerkirchlein mit seinem schlanken +Helme und seinen hellen acht Fenstern aufrichtig lieb.--Suess war ihm +nach dem Schweisse der Woche der Kirchgang im reinlichen Sonntagsrocke +und den Schnallenschuhen, suess und nachdenklich Taufe und Bestattung, +die den Gottesdienst und das menschliche Leben begrenzen und einrahmen, +suess das Angeredetwerden als sterblicher Adam und unsterbliche Seele, +suess das Kaempfen mit dem Schlummer, das Uebermanntwerden, das +Wiedererwachen; suess das kraeftige Amen, suess das Zusammenstehen mit den +Aeltesten auf dem Kirchhofe und die Begruessung des Pfarrers, suess das +gemuetliche Heimwandeln. + +Man musste ihn sehen, den ehrbaren Greis mit dem scharfgezeichneten +Kopfe, wenn er bei einer Armensteuer, nach der Aufforderung des Herrn +Pfarrers zu schoener bruederlicher Wohltat, das Wasser in den Augen, aus +seinem Geldbeutel ein rotes Hellerchen hervorgrub!-- + +Kurz, der Krachhalder war ein kirchlicher Mann, und das Herz blutete, +oder richtiger gesagt, die Galle kochte ihm, die Staette seiner +sonntaeglichen Gefuehle verunglimpft und laecherlich gemacht zu sehen. + +"Was fuehrt Euch hieher?" redete der General ihn an und fixierte ihn +mit blitzenden Augen so scharf, dass der Krachhalder, der trotz seines +guten Gewissens das nicht wohl ertragen konnte, mit seinen +Augensternen nach rechts und links auswich, bis es ihm endlich gelang +standzuhalten. + +"Macht aus einer Muecke keinen Elefanten!" fuhr Wertmueller, ohne die +Antwort zu erwarten, fort. "Nehmt den Schuss als einen verspaeteten aus +der Lese, oder, in Teufels Namen, fuer was Ihr wollt!" + +"Die Lese war mittelmaessig", erwiderte der Kirchenaelteste mit +verhaltenem Grimme, "und der Schuss ist ein recht boeser Handel, Ihr +Herren Wertmueller! Ich besitze eine Chronik von Stadt und Land; +darinnen steht verzeichnet, dass vor Jahren einem jungen geistlichen +Herrn, der seiner Braut ueber den heiligen Kelch hin mit verliebten +Augen zuwinkte...", der Krachhalder machte an seinem Halse das Zeichen +eines Schnittes. + +"Bloedsinn!. fuhr der General ungeduldig dazwischen. + +"Ich habe zu Hause auch eine Ketzergeschichte", sprach der Krachhalder +hartnaeckig fort, "darinnen alle Trennungen und Sekten von Anfang der +Welt an beschrieben und abgebildet sind. Aber kein Adamit oder +Wiedertaeufer hat es je unternommen, bei waehrender Predigt einen Schuss +abzugeben. Das, Herr Pfarrer, ist eine neue Religion." + +Dieser seufzte. Das Beispiellose seiner Tat stand ihm deutlich genug +vor Augen. + +"Man wird den Schuss in Zuerich untersuchen", drohte jetzt der +unbarmherzige Bauer, "die Synagoge", er wollte sagen Synode, "wird +darueber sitzen. Es tut mir leid fuer Euch, Herr Pfarrer; aber ich +hoffe, sie faellt einen scharfen Spruch. Auch so wird uns der Spott +nicht erspart werden, und das ist das Schlimmste, denn der Spott hat +ein zaehes Leben an unserm See. Wenn ich nur dran denke, wird es mir, +beim Eid, schwarz vor den Augen. Das ganze rechte Ufer da drueben +lacht uns aus. Keinen Schoppen koennen wir mehr trinken in Meilen oder +Kuessnach, ohne dass sie uns verhoehnen in allen Tonarten und Liederweisen. +Der Schuss von Mythikon stirbt nicht am See, so wenig als in Altorf +der Tellenschuss. Er haftet und lebt bei Kind und Kindeskind. Ich +berufe mich auf Euch, Herr General", fuhr er fort, und die alten Augen +leuchteten boshaft, "Ihr wisst, was das heissen will! Wie lange ist es +her, dass Ihr von Rapperswyl abzogt? Damals wurdet Ihr von den +Katholischen besungen, und, glaubt Ihr's? das lebt noch. Ihr seid ein +verruehmter, abfiguerter Mann, aber was hilft das? Erst vorgestern noch +fuhr ein volles Pilgerschiff von Richterswyl her um die Au mit grossem +Laerm und Gesang. Ich stand in meinem Weinberge und denke: die Narren! +--Gegen Euer Haus hin werden sie still. 'Das macht der Respekt', sag +ich zu mir selbst. Ja, da hatt' ich es getroffen. Kaum sind sie +recht unter Euern Fenstern, so bricht das Spottliedlein los. Ihr wisst +das, wo sie den Wertmueller heimschicken zur Muellerin! Gut, dass Ihr +verritten wart! Meineidig geaergert hab ich mich in meinen Reben..." + +"Schweigt!" fuhr ihn der General zornig an; denn der alte Schimpf +jener aufgehobenen Belagerung brannte jetzt noch auf seiner Seele, ja +schaerfer als frueher, als waere er mit jener Tinte verzeichnet, die erst +nach Jahren schwarz und unvertilglich hervortritt. + +Doch er beherrschte sich und wechselte den Ton. "Etwas Konfusion +gehoert zu jeder Komoedie", sagte er, "aber wenn sie ihren Hoehepunkt +erreicht hat, muss ihr eine rasche Wendung zu gutem Schlusse helfen, +sonst wird sogar die Verruecktheit langweilig. + +"Herr Pfarrer und liebe Nachbarn! + +"Gestern bis tief in die Nacht habe ich an meinem Testamente +geschrieben und es Schlag zwoelf Uhr unterzeichnet. Ich kenne Euer +warmes Interesse an allem, was ich tue, lasse und nachlasse; erlaubt +denn, dass ich Euch einiges daraus vorlese." + +Er zog eine Handschrift aus der Tasche und entfaltete sie. "Den +Eingang, wo ich ein bisschen ueber den Wert der Dinge philosophiere, +uebergeh ich... 'Wenn ich, Rudolf Wertmueller, jemals sterbe...', doch +das gehoert auch nicht hieher...", er blaetterte weiter. "Hier! +'Schloss und Herrschaft Elgg, die ich aus den redlichen Ersparnissen +meines letzten Feldzuges erworben, bleibt als Fideikommiss in meiner +Familie', usw. 'Item--sintemal diese Herrschaft eine treffliche, aber +vernachlaessigte Jagd besitzt und eine mit den Beutestuecken eben jener +Kampagne versehene, aber noch unvollstaendige Waffenkammer, so verfuege +ich, dass nach meinem Ableben mein Vetter, der Herr Pfarrer Wilpert +Wertmueller, benanntes Schloss und Herrschaft bewohne und bewerbe, die +Jagd herstelle, die Waffenkammer vervollkommne und ueberhaupt und in +jeder Weise bis an sein Ende frei darueber schalte und walte, wenn +anders dieser geistliche Herr sich wird entschliessen koennen, sein in +Mythikon habendes Amt niederzulegen und antistite probante an den +Kandidaten Pfannenstiel zu transferieren, welchem Kandidaten ich mein +Patenkind, die Rahel Wertmuellerin, zur Frau gebe, nicht ohne die +vaeterliche Einwilligung jedoch, und mit Hinzufuegung von dreitausend +Zuerchergulden, die ich dem Fraeulein, in meinen Segen eingewickelt, +hinterlasse.' + +"Uff", schoepfte der General Atem, "diese Saetze! Eine verteufelte +Sprache, das Deutsche!"-- + +Der Pfarrer kam sich vor wie ein Schiffbruechiger, den dieselbe Welle +begraebt und ans Land traegt. Seine verhaengnisvolle Leidenschaft +abgerechnet, ein verstaendiger Mann, erkannte er sofort, dass ihm der +General den einzigen und dazu einen hoechst angenehmen Weg oeffne, der +ihn aus Schimpf und Schande fuehren konnte. + +Er drueckte seinem Uebel- und Wohltaeter mit einer Art von Ruehrung die +Hand, und dieser schuettelte sie ihm mit den Worten: "Komme ich durch, +so soll es dein Schade nicht sein, Vetter! Ich tue dann, als waer' ich +tot, und installiere dich als mein eigener Testamentsvollstrecker in +Elgg!" + +Die Mythikoner aber lauschten gleichsam mit allen Gliedmassen, denn es +schwante ihnen, dass jetzt sie an die Reihe kaemen, beschenkt zu werden. + +"Ich vermache denen Mythikern", fuhr der General fort und sein +Bleistift flog ueber das Papier in seiner Linken, denn er skizzierte +den durch die Eingebung des Augenblickes entstandenen Paragraphen, +"denen Mythikern vermache ich jene in ihre Gemeindewaldung am Wolfgang +eingekeilte, zu zwei Dritteln mit Nadelholz, zu einem Drittel mit +Buchen bestandene Spitze meines Besitztums, in der Weise, dass die +beiden Marksteine des Gemeindegutes zu meinen Ungunsten durch eine +gerade Linie verbunden werden.-- + +"Heute noch--auf Ehrenwort und vor Zeugen--erhaelt dieser Zusatz mit +meiner Unterschrift seine Endgueltigkeit," erklaerte der General, "in +der Meinung jedoch und unter der Bedingung, dass der heute, wie eine +unverbuergte Sage geht, in der Kirche von Mythikon abgefeuerte Schuss zu +den ungeschehenen Dingen verstossen und, soweit er Realitaet haette, mit +einem ewigen Schweigen bedeckt werde, welches sich die Mythiker +eidlich verpflichten, weder in diesem Leben zu brechen noch jenseits +des Grabes am juengsten Tage und letzten Gerichte." + +Der Krachhalder war waehrend dieser Mitteilung aeusserlich ruhig +geblieben, nur die Nasenfluegel in dem uebrigens gelassenen Gesicht +zitterten ein wenig, und seine Fingerspitzen hatten sich um ein +kleines einwaerts gebogen, als wolle er das Geschenk festhalten. "Herr +General, so wahr mir Gott helfe!" rief er jetzt und hob die Hand zum +Schwure; Wertmueller aber schloss: + +"Widrigenfalls und bei gebrochenem Schweigen ich dies Vermaechtnis bei +meiner Rueckkehr aus dem bevorstehenden Feldzuge umstossen und vertilgen +werde. Waere mir dies nicht moeglich wegen eingetretenen Sterbefalles, +so schwoere ich, mich den Mythikern als Geist zu zeigen und zur Strafe +ihres Eidbruches zwischen zwoelf und eins ihre Dorfgasse +abzupatrouillieren.--Werdet Ihr die Bedingung erfuellen koennen, +Krachhalder?" + +"Unwitzig muessten wir sein", beteuerte dieser, "wenn wir nicht das Maul +hielten!" + +"Und Eure Weiber?" + +"Dafuer lasst uns Mythikoner sorgen", sagte der alte Bauer ruhig und +machte eine bedeutungsvolle Handbewegung. + +"Aber, Krachhalder, stellt Euch vor, ich sei aus dem Reiche zurueck", +sagte der General freundlich, "Wir sitzen unter meiner Veranda, ich +lege Euch so wie jetzt die Hand auf die Schulter, stosse mit Euch an +und wir plaudern allerlei. Dann sag ich so im Vorbeigehen: Jener +Schuss hat gut gekracht!..." + +"Welcher Schuss?--Das luegt Ihr, Herr General!" rief der Kirchenaelteste +mit einer sittlichen Entruestung, die komischerweise durchaus nicht +gespielt war, sondern das Gepraege vollkommener Aufrichtigkeit trug. + +Wertmueller laechelte zufrieden. + +"Jetzt heim, Ihr Maenner!" mahnte der Alte. "Damit kein Unglueck +geschehe, muss in einer Viertelstunde das ganze Dorf wissen, dass der +Schuss... will sagen, dass wir heute eine gute Predigt gehoert haben." + +Er drueckte dem Pfarrer die Hand. "Und Euch, Herr General", sagte er, +"reiche ich sie als Eidgenosse." + +"Verzicht einen Augenblick", befahl Wertmueller, "und seid Zeugen, wie +ein gluecklicher Vater zwei Haende zusammenlegt. Der Vikar kann nicht +ferne sein. Trogen mich nicht die Augen, so sah ich ihn von weitem +ueber eine Hecke voltigieren mit einem Salto, den ich ihm nie zugetraut +haette." + +"Rahel, mein Kind, schnell!" rief der Pfarrer durch die geoeffnete Tuere +ins Haus hinein. + +"Gleich, Vater!" scholl es zurueck; aber nicht aus dem Innern der +Wohnung, sondern von aussen durch das Weinlaub des Bogenganges herauf. + +Rasch blickte der General aus dem Fenster und gewahrte durch das +Blattgitter seine Schuetzlinge in einer Gruppe, die er sich durchaus +nicht erklaeren konnte. + +"Hervor, Hirt und Hirtin, aus Arkadiens Lauben!" rief der alte Soldat. + +Da schritt Rahel unmutig erroetend unter dem schuetzenden Blaetterdache +hervor und betrat mit Pfannenstiel, den sie mitzog, ein kleines von +Edelobstbaeumen umzogenes Rondell, das hart vor den Fenstern der +Studierstube lag, aus denen der General mit den neugierigen +Kirchenvorstehern herunterschaute. + +Das Fraeulein hielt eine Nadel in der gelenken Hand und befestigte vor +aller Augen einen herabhaengenden Knopf am Rocke des Kandidaten. Sie +liess sich in der Arbeit nicht stoeren. Erst nachdem sie den Faden +gekappt hatte, heftete sie die braunen Augen, in denen Ernst und +Uebermut kaempften, fest auf ihren wunderlichen Schutzgeist und rief ihm +zu: + +"Pate, Ihr habt mir in kurzer Zeit den Herrn Vikar fast zerstoert und +zugrunde gerichtet. Wohl musst' ich ihn wieder in Ordnung bringen, +damit er vor Gott und Menschen erscheinen koenne! Was aber habt Ihr +mit dem obersten Knopfe angefangen, der hier mangelte und den ich +durch einen des Vaters ersetzen musste?--Schafft ihn zur Stelle, oder..." +Sie erhob die Nadel mit einer so trotzigen und blutduerstigen Gebaerde +gegen den General, dass die Maenner alle in schallendes Gelaechter +ausbrachen. + +Nach wenigen Augenblicken traten Pfannenstiel und Rahel vor den +Pfarrer, der sie verlobte und segnete. + +Als aber die vergnuegten Kirchenaeltesten sich entfernt hatten, gab der +wuerdige Herr seinem kuenftigen Schwiegersohne noch eine kurze Ermahnung: + +"Was war das, Herr Vikar? An der Kirche vorueberschluepfen, abgerissene +Knoepfe!... Wo bleibt da die Wuerde, das Amt?" + +Dann wandte er sich gegen den General: "Ein Paerchen!" sagte er, "nun +das andere! Gebt her, Vetter!" + +Und er langte ihm ohne Umstaende in die Rocktasche, hob daraus das +hartspielende Pistol, zog dann das in der Kirche entladene +leichtspielende aus der seinigen und hielt sie vergleichend zusammen. + + + +So begab es sich, dass der Schuss von Mythikon totgeschwiegen und, im +Widerspiel mit dem Tellenschusse, aus einer Realitaet zu einer blassen +wesenlosen Sage verfluechtigt wurde, die noch heute als ein heimatloses +Gespenst an den schoenen Ufern unsres Sees herumschwebt. + +Aber auch wenn die Mythikoner geplaudert haetten, der General konnte +sein Testament nicht mehr entkraeften, denn er hatte die Eichen der Au +zum letzten Male gesehen. + +Sein Ende war rasch, dunkel, unheimlich. Eines Abends beim +Lichteranzuenden ritt er mit seinem Gefolge in ein deutsches Staedtchen +ein, stieg im einzigen schlechten Wirtshause ab, berief den Schoeffen +zu sich und ordnete Requisitionen an. Ein paar Stunden spaeter wurde +er ploetzlich von einem Krankheitsanfalle niedergeworfen und Schlag +Mitternacht hauchte er seine seltsame Seele aus. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Schuss von der Kanzel, von +Conrad Ferdinand Meyer. + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER SCHUSS VON DER KANZEL *** + +This file should be named 7schk10.txt or 7schk10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7schk11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7schk10a.txt + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Der Schuß von der Kanzel + +Novelle + +Conrad Ferdinand Meyer + + + + + + +Erstes Kapitel + + +Zween geistliche Männer stiegen in der zweiten Abendstunde eines +Oktobertages von dem hochgelegenen Ütikon nach dem Landungsplatze +Obermeilen hinunter. Der kürzeste Weg vom Pfarrhause, das bequem +neben der Kirche auf der ersten mit Wiesen und Fruchtbäumen bedeckten +Stufe des Höhenzuges lag, nach der durch ein langes Gemäuer, einen +sogenannten Hacken, geschützten Seebucht, führte sie durch leere +Weinberge. Die Lese war beendigt. Zur Rechten und Linken zeigte der +Weinstock nur gelbe oder zerrissene Blätter, und auf den das +Rebgelände durchziehenden dunkelgrünen Rasenstreifen blühte die +Zeitlose. Nur aus der Ferne, wo vielleicht ein erfahrener Mann seinen +Wein außergewöhnlich lange hatte ausreifen lassen, damit der Tropfen +um so kräftiger werde, scholl zuweilen ein vereinzeltes Winzerjauchzen +herüber. + +Die beiden schritten, wie von einem Herbstgefühle gedrückt, ohne Worte +einer hinter dem andern. Auch bot ihnen der mit ungleichen +Steinplatten und Blöcken belegte steile Absteig eine unbequeme Treppe +und wurden sie vom Winde, der aus Westen her in rauhen Stößen über den +See fuhr, zuweilen hart gezaust. + +Die ersten Tage der Lese waren die schönsten des Jahres gewesen. Eine +warme Föhnluft hatte die Schneeberge und den Schweizersee auf ihre +Weise idealisiert, die Reihe der einen zu einem einzigen stillen, +großen Leuchten verbunden, den andern mit dem tiefen und kräftigen +Farbenglanze einer südlichen Meerbucht übergossen, als gelüste sie +eine bacchische Landschaft, ein Stück Italien, über die Alpen zu +versetzen. + +Heute aber blies ein heftiger Querwind, und die durch grelle Lichter +und harte Schatten entstellten Hochgebirge traten in schroffer, fast +barocker Erscheinung dem Auge viel zu nahe. + +"Pfannenstiel, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft!" sagte nun +plötzlich der Vorangehende, ein kurzer, stämmiger, trotz seiner Jugend +fast etwas beleibter Mann, stand still und kehrte sein blühendes +Gesicht rasch nach dem schmalen und hagern Gefährten um. + +Dieser stolperte zur Antwort über einen Stein; denn er hatte den Blick +bis jetzt unverwandt auf die Turmspitze von Mythikon geheftet, die am +jenseitigen Ufer über einer dunkelbewaldeten Halbinsel als schlanke +Nadel in den Himmel aufstach. Nachdem er seine langen Beine wieder in +richtigen Gang gebracht hatte, erwiderte er in angenehmem Brusttone: + +"Ich bilde mir ein, Rosenstock, der General werde mich nicht wie ein +Lästrygone empfangen. Er ist mein Verwandter, wenn auch in entferntem +Grade, und gestern noch habe ich ihm meine Dissertation über die +Symbolik der Odyssee mit einer artigen Widmung zugesendet." + +"Heilige Einfalt!" brummte Rosenstock, der sein kräftiges Kolorit dem +Gewerbe seiner Väter verdankte, die seit Menschengedenken eine in +Zürich namhafte Fleischer- und Wursterfamilie gewesen, "du kennst ihn +schlecht, den da drüben!", und er deutete mit einer kurzen Bewegung +seines runden Kinns über den See nach einem Landhause von +italienischer Bauart, das an der nördlichen Einbuchtung der +eichenbestandenen Halbinsel lag. "Er ist für seine Verwandten nicht +zärtlich, und deine schwärmerische Dissertation, die übrigens alle +Verständigen befremdet hat, spottet er dir zuschanden." Der Pfarrer +von Ütikon blies in die Luft, als formte er eine schillernde +Seifenblase, dann fuhr er nach einer Weile fort: + +"Glaube mir, Pfannenstielchen, du hast besser mit den beiden Narren +dort drüben, den Wertmüllern, nichts zu schaffen. Der General ist +eine Brennessel, die keiner ungestochen berührt, und sein Vetter, der +Pfarrer von Mythikon, das alte Kind, bringt unsern Stand in Verruf mit +seiner Meute, seinem Gewehrkasten und seinem unaufhörlichen Puffen und +Knallen. Du hast ja selbst im Frühjahre als Vikar genug darunter zu +leiden gehabt. Freilich die Rahel mit ihrem feingebogenen Näschen und +ihrem roten Kirschmunde! Aber sie liebt dich nicht! Die Junkerin +wird schließlich bei einem Junker anlangen. Es heißt, sie sei mit dem +Leo Kilchsperger verlobt. Doch laß dich's, hörst du, nicht anfechten. +Ein Korb ist noch lange kein consilium abeundi. Um dich zu trösten: +Auch ich habe deren einige erhalten, und, siehe, ich lebe und gedeihe, +bin auch vor kurzem in den Stand der Ehe getreten." + +Der lange Kandidat warf unter seinen blonden, vom Winde verwehten +Haaren hervor einen Blick der Verzweiflung auf den Kollegen und +seufzte erbärmlich. Ihm mangelte die dessen Herzmuskel bekleidende +Fettschicht. + +"Weg! fort von hier!" rief er dann schmerzvoll aufgeregt. "Ich gehe +hier zugrunde! Der General wird mir die erledigte Feldkaplanei seiner +venezianischen Kompanie nicht verweigern." + +"Pfannenstiel, ich wiederhole dir, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft! +Bleibe im Lande und nähre dich redlich." + +"Du nimmst mir allen Lebensatem", klagte der Blonde. "Ich soll nicht +fort und kann nicht bleiben. Wohin soll ich denn? Ins Grab?" + +"Schäme dich! Deine Knabenschuhe vertreten sollst du! Der Gedanke +mit der venezianischen Feldkaplanei wäre an sich so übel nicht. Das +heißt, wenn du ein resoluter Mensch wärest und nicht so blaue +unschuldige Kinderaugen hättest. Der General hat sie neulich mir +angetragen. Ein so geräumig entwickelter Brustkasten würde seinen +Leuten imponieren, meinte er. Natürlich Affenpossen! Denn er weiß, +daß ich ein befestigter Mensch bin und meinen Weinberg nicht verlasse." + +"Warst du drüben?" + +"Vorgestern."--Dem Ütikoner stieg ein Zorn in den Kopf. "Seit er +wieder hier ist--nicht länger als eine Woche--, hat der alte +Störefried richtig Stadt und See in Aufruhr gebracht. Er komme, vor +dem nächsten Feldzuge sein Haus zu bestellen, schrieb er von Wien. +Nun er kam, und es begann ein Rollen von Karossen am linken Seeufer +nach der Au zu. Die Landenberge, die Schmidte, die Reinharte, alle +seine Verwandten, die den ergrauten Freigeist und Spötter sonst mieden +wie einen Verpesteten, alle kamen und wollten ihn beerben. Er aber +ist nie zu Hause, sondern fährt wie ein Satan auf dem See herum, +blitzschnell in einer zwölfrudrigen Galeere, die er mit seinen Leuten +bemannt. Meine Pfarrkinder reißen die Augen auf, werden unruhig und +munkeln von Hexerei. Nicht genug! Vom Eindunkeln an bis gegen Morgen +steigen feurige Drachen und Scheine aus den Schlöten des Auhauses auf. +Der General, statt wie ein Christenmensch zu schlafen, schmiedet und +schlossert zuweilen die ganze Nacht hindurch. Kunstreiche Schlösser, +wahre Prachtstücke, hab ich von seiner Arbeit gesehn, die kein +Dietrich öffnet, für Leute, sagte er mit einem boshaften Seitenblicke +auf meine apostolische Armut, die Schätze sammeln, welche von Dieben +gestohlen und von Motten gefressen werden. Nun du begreifst, die +Funkengarbe spielt ihre Rolle und wird als Straße des Höllenfürsten +durch den Schornstein viel betrachtet und reichlich besprochen. So +wuchs die Gärung. Die Leute aufklären ist von eitel bösen Folgen. +Ich wählte den kürzeren Weg und ging hinüber, den General als Freund +zu warnen. Kreuzsapperlot, an den Abend werd ich mein Lebtag denken. +Meine Warnung beseitigte er mit einem Hohnlächeln, dann faßte er mich +am Rockknopfe, und ein Diskurs bricht los, wie Sturm und Wirbelwind, +sag ich dir, Pfannenstiel., Mit abgerissenen Knöpfen und gerädert kam +ich nach Hause. Mosler hat er mir vorgesetzt, aber mit den größten +Bosheiten vergällt. Natürlich sprach er von seinem Testamente, denn +das ist jetzt sein Steckenpferd. 'Ihr steht auch darin, Ehrwürden!' +Ich erschrecke. 'Nun, ich will Euch den Paragraphen weisen.' Er +öffnet das Konvolut. 'Leset.' Ich lese, und was lese ich, +Pfannenstiel? + +"... 'Item, meinem schätzbaren Freunde, dem Pfarrer Rosenstock, zwei +hohle Hemdknöpfe von Messing mit einer Glasscheibe versehen, worunter +auf grünem Grunde je drei winzige Würfelchen liegen. Gestikuliert der +Herr auf der Kanzel nun mit der Rechten, nun mit der Linken, und +schüttelt besagte Würfelchen auf eine ungezwungene Weise, so kann er +vermittelst wiederholter schräger Blicke bei währendem Sermone mit +sich selbst ein kurzweiliges Spielchen machen. Vorgenannte Knöpfe +sind in Algier, Tunis und Tripolis bei den Andächtigen beliebt und +finden ihre Anwendung in den Moscheen während der Vorlesung des +Korans'... + +"Nun denke dir, Pfannenstiel, das Ärgernis bei Eröffnung des +Testamentes!--Der Bösewicht ließ sich dann erbitten, mir die Gabe +gleich einzuhändigen und den Paragraphen zu streichen. Hier!" Und +Rosenstock hob das niedliche Spielzeug aus seiner Brusttasche. + +"Das ist ja eine ganz ruchlose Erfindung", sagte Pfannenstiel mit +einem Anfluge von Lächeln, denn er kannte die Neigung des Ütikoners +zum Würfelspiele, "und du meinst, der General ist allen geistlichen +Leuten aufsässig?" + +"Allen ohne Ausnahme, seit er puncto gottloser Reden prozessiert und +um eine schwere Summe gebüßt wurde!" + +"Ist ihm nicht zu viel geschehen?" fragte Pfannenstiel, der sich den +helvetisch reformierten Glaubensbegriff mit etwas bescheidener Mystik +versüßte und in dem keine Ader eines kirchlichen Verfolgers war. + +"Durchaus nicht. Nur mußte er die ganze große Rechnung auf einmal +bezahlen. Auf seinem ganzen Lebenswege, von Jugend an hat er +blasphemiert, und das wurde dann so gesammelt, das summierte sich dann +so. Als er endlich in unserm letzten Bürgerkriege Rapperswyl +vergeblich belagerte, ohne Menschenleben zu schonen, was die erste +Pflicht eines republikanischen Heerführers ist, erbitterte er die +öffentliche Meinung gegen sich, und wir durften ihm an den Kragen. Da +wurde ihm eingetränkt, was er alles an unserer Landeskirche gefrevelt +hatte. Jetzt freilich dürfen wir dem Feldherrn der Apostolischen +Majestät weiter nichts anhaben, sonst wird er uns zum Possen noch +katholisch und das zweite Ärgernis schlimmer als das erste. Man +erzählt sich, er tafle in Wien mit Jesuiten und Kapuzinern.--Wir +geistlichen Leute sind eben, so oder so betitelt und verkleidet, in +der Welt nicht zu entbehren!" + +Der Ütikoner belachte seinen Scherz und blieb stehen. "Hier ist die +Grenze meines Weinbergs", sagte er. Mit diesem Ausdrucke bezeichnete +er seine Gemeinde. "Willst du nach dem Erzählten noch hinüber zum +Generale? Pfannenstiel, begehst du die Torheit?" + +"Ich will es ein bißchen mit der Torheit versuchen, die Weisheit hat +mir bis jetzt nur herbe Früchte gezeitigt", erwiderte Pfannenstiel +sanftmütig und schied von seinem gestrengen Kollegen. + + + + +Zweites Kapitel + + +Wenig später saß der verliebte und verzweifelnde Kandidat auf dem +Querbrette eines langen und schmalen Nachens, den der junge Schiffmann +Bläuling mitten über die Seebreite mit kaum aus dem Wasser gehobenem +Ruder der Au zulenkte. + +Schon warf das schweigsame Eichendunkel seine schwarzen Abendschatten +weit auf die schauernden Gewässer hinaus. Bläuling, ein ernsthafter, +verschlossener Mensch mit regelmäßigen Gesichtszügen, tat den Mund +nicht auf. Sein Nachen schoß gleichmäßig und kräftig, wie ein +selbständiges Wesen durch die unruhige Flut. Auf und nieder war der +ganze See mit gewölbten Segeln bevölkert; denn es war Sonnabend und +die Schiffe kehrten von dem gestrigen städtischen Wochenmarkte heim. +Drei Segel flogen heran, die eine Figur mit sich verschiebenden +Endpunkten bildeten, und schlossen das Schifflein des Kandidaten in +ihre Linien ein. "Nehmt mich mit in die weite Freiheit!" flehte er +sie unbewußt an, aber sie entließen ihn wieder aus ihrem wandernden +Netze. + +Unterdessen näherte sich zusehends das Landhaus des Generals und +entwickelte seine Fassade. Der fest, aber leicht aufstrebende Bau +hatte nichts zu tun mit den landesüblichen Hochgiebeln, und es war, +als hätte er bei seiner Eigenart die Einsamkeit absichtlich aufgesucht. + +"Dort ist das Kämmerlein der Türkin", ließ sich jetzt der schweigsame +Bläuling vernehmen, indem seine Rechte das Ruder fahren ließ und nach +der Südecke des Hauses zeigte. "Der Türkin?" Der ganze Kandidat wurde +zu einem bedenklichen Fragezeichen. + +"Nun ja, der Türkin des Wertmüllers; er hat sie aus dem Morgenlande +heimgebracht, wo er für den Venezianer Krieg führte. Ich habe sie +schon oft gesehen, ein hübsches Weibsbild mit goldenem Kopfputze und +langen, offenen Haaren; gewöhnlich wenn ich vorüberfahre, legt sie die +Finger an den Mund, als pfiffe sie einem Mannsvolk; aber gegenwärtig +liegt sie nicht im Fenster." + +Ein langgezogener Ruf schnitt durch die Lüfte, gerade über die Barke +hin: "Sweine-und!" scholl es vernehmlich vom Ufer her. + +Der aufgebrachte Bläuling schlug sein Ruder ins Wasser, daß zischend +und spritzend ein breiter Strahl an der Seite des Fahrzeuges +emporschoß. + +"So wird man", zürnte er, "seit den paar Tagen, daß der Wertmüller +wieder hier ist, überall auf dem See mit Namen gerufen. Es ist der +verreckte Schwarze, der mit dem Sprachrohre des Generals rumort und +spektakelt. Vergangenen Sonntag im Löwen zu Meilen schenkten sie ihm +ein und soffen ihn unter den Tisch. Dann brachten sie ihn nachts in +meinem Schiffe dem Wertmüller zurück. Nun schimpft der Kaminfeger +durch das Rohr nach Meilen hinüber, aber morgen, beim Eid, sitzt er +wieder unter uns im Löwen.--Nun frage ich: woher hat der Mohr das +fremde Wort? Hier sagt man sich auch wüst, aber nicht so." + +"Der General wird ihn so schelten", bemerkte Pfannenstiel kleinlaut. + +"So ist es, Herr", stimmte der Bursche ein. "Der Wertmüller bringt +die hochdeutschen, fremdländischen Wörter ins Land, der Staatsverräter! +Aber ich lasse mir auf dem See nicht so sagen, beim Eid nicht." + +Bläuling wandte ohne weiteres seine Barke und gewann mit eiligen, +kräftigen Ruderzügen wieder die Seemitte. + +"Was ficht Euch an, guter Freund? Ich beschwöre Euch", eiferte +Pfannenstiel. "Hinüber muß ich! Nehmt doppelte Löhnung!" + +Doch das Silber verlor seine Kraft gegen die patriotische Entrüstung, +und der Kandidat mußte sich auf das Bitten und Flehen legen. Mit Mühe +erlangte er von dem beleidigten Bläuling, daß ihn dieser, "weil Ihr es +seid", sagte der Bursche, außerhalb der Tragweite des Sprachrohres um +die ganze Halbinsel herum in ihre südliche Bucht beförderte. Dort +ließ er den Kandidaten ans Ufer steigen und ruderte nach wenigen +Minuten den sich rasch verkleinernden Nachen wieder mitten in der +Bläue. + + + + +Drittes Kapitel + + +So wurde Pfannenstiel wie ein Geächteter unter den Eichen der +Halbinsel ausgesetzt. Ein enger Pfad vertiefte sich in das Halbdunkel, +und er zögerte nicht, ihn zu betreten. Mit Diebesschritten eilte er +durch das unter seinen Sohlen raschelnde Laub einer nahen Lichtung zu. +Das einem bösen Traume verwandte Gefühl, den fremden Besitz auf so +ungewöhnlichem Wege zu betreten, gab ihm Flügel, doch begann auch das +Element des Abenteuerlichen, das in jedem Menschenherzen schlummert, +seinen geheimen Reiz auf ihn auszuüben. So wirft sich ein Badender in +die Flut, die er zuerst leise schauernd mit der Zehe geprüft hat. + +Die bald erreichte Lichtung war nur eine beschränkte, von oben wie +durch eine Kuppelöffnung erhellte Moosstelle. Ein darauf spielendes +Eichhorn setzte über den Kopf des Kandidaten weg auf einen +niederhangenden Zweig, der erst ins Schwanken geriet, als das schnelle +Tierchen schon einen zweiten erreicht hatte. + +Wieder führte der Pfad eine Weile durch das grüne Dunkel, bis er sich +plötzlich wandte und der Kandidat das Landhaus in der Entfernung von +wenigen Schritten vor sich erblickte. + +Diese Schritte aber tat er sehr langsam. Er gehörte zu jenen +schüchternen Leuten, für welche das Auftreten und das Abgehen mit +Schwierigkeiten verbunden ist, und der General stand im Rufe, seinen +Gästen nur dieses, nicht aber jenes zu erleichtern. So kam es, daß er +hinter der äußersten Eiche, einem gewaltigen Stamme, unschlüssig +stehenblieb. Was er indessen aus seinem Verstecke hervor erlauschte, +war ein idyllisches Bild, das ihn in keiner Weise hätte einschüchtern +können. + +Der General plauderte in der hallenartig gebauten und zur jetzigen +Herbstzeit nur allzu luftigen Veranda, deren sechs hohe Säulen ein +prächtiges ausländisches Weinlaub umwand, gemütlich mit seinem Nachbar, +dem Krachhalder, einem der Kirchenältesten von Mythikon, die der +Kandidat während seines Vikariats allsonntäglich im Chore hatte sitzen +sehen und die ihm bekannt waren wie die zwölf Apostel. Mit +aufgestützten Ellenbogen ritt Wertmüller auf einem leichten Sessel und +zeigte seine scharfe Habichtsnase und das stechende Kinn im Profil, +während der schöne, alte, schlaue Kopf des Krachhalders einen ungemein +milden Ausdruck hatte. + +"Wir sind wie die Blume des Feldes", führte der Alte in erbaulicher +Weise das Gespräch, "und es trifft sich, Herr Wertmüller, daß wir +beide in diesen Tagen unser Haus bestellen. Ich mache Euch kein +Geheimnis daraus: Drei Pfund vergabe ich zur neuen Beschindelung +unserer Kirchturmspitze." + +"Ich will mich auch nicht als Lump erweisen", versetzte der General, +"und werfe testamentarisch ebensoviel aus zur Vergoldung unsers +Gockels, daß sich das Tier nicht schämen muß, auf der neubeschindelten +Spitze zu sitzen." + +Der Krachhalder schlurfte bedächtig aus dem vor ihm stehenden Glase, +dann sprach er: "Ihr seid kein kirchlicher Mann, aber Ihr seid ein +gemeinnütziger Mann. Erfahret: Die Gemeinde erwartet etwas von Euch." + +"Und was erwartet die Gemeinde von mir?" fragte der General neugierig. + +"Wollt Ihr es wissen? Und werdet Ihr es nicht zürnen?" + +"Durchaus nicht." + +Der Krachhalder machte eine zweite Pause. "Vielleicht ist Euch eine +andere Stunde gelegener", sagte er. + +"Es gibt keine andere Stunde als die gegenwärtige. Benützt sie!" + +"Ihr würdet Euch ein schönes Andenken stiften, Herr General, bei Kind +und Kindeskind..." + +"Ich unterschätze den Nachruhm nicht", sagte der General. + +Dem Krachhalder, der den wunderlichen Herrn so aufgeräumt sah, schien +der günstige Augenblick gekommen, dem lange genährten Wunsche der +Mythikoner in vorsichtigen Worten Gestalt zu geben. + +"Euer Forst im Wolfgang, Herr Wertmüller", begann er zögernd. Der +General verfinsterte sich plötzlich, und der alte Bauer sah es wie +eine Donnerwolke aufsteigen, "stößt seine Spitze..." + +"Wohin stößt er seine Spitze?" fragte Wertmüller grimmig. + +Der Krachhalder überlegte, ob er vor- oder rückwärts wolle, ungefähr +wie ein mitten auf dem See vom Sturm Überraschter. Er entschied sich +für das Vorrücken. "... mitten durch unsere Gemeindewaldung..." + +Jetzt sprang der General mit einem Satze von seinem Sessel auf, faßte +ihn an einem Bein, schwang ihn durch die Lüfte und setzte sich in +Fechtpositur. + +"Wollen mich die Mythikoner plündern?" schrie er wütend, "bin ich +unter die Räuber gefallen?" Dann fuhr er, seine hölzerne Waffe senkend, +gelassener fort: "Daraus wird nichts, Krachhalder. Redet das den +Leuten aus. Ich will Euch nicht noch von jenseits des Grabes eine +Nase drehen!" + +"Nichts für ungut", versetzte der Alte mit Ruhe, "Ihr werdet es +bedenken, Herr Wertmüller." + +Auch er hatte sich erhoben und nahm von dem Generale mit einem +treuherzigen Händedruck den landesüblichen Abschied. + +Wertmüller geleitete ihn ein paar Schritte, dann wandte er sich, und +vor ihm stand sein Leibmohr Hassan. Der Schwarze machte eine +flehentliche Gebärde und bat, das Deutsche wunderlich radbrechend, um +einen Urlaub für morgen nachmittag; denn seine Seele zog ihn zu seinen +neuen Freunden in Meilen. + +"Bist du ganz des Teufels, Hassan!" schalt ihn der General. "Sie +haben dir letzten Sonntag drüben arg genug mitgespielt." + +"Mitgespielt!" wiederholte der Mohr, der das Wort mißverstand. "Schön, +wundervoll Spiel!" + +"Hast du denn gar kein Ehrgefühl? Die Berührung mit der Zivilisation +richtet dich zugrunde--du säufst wie ein Christ!" + +"Nicht saufen, Gnaden! Schön Spiel, einzig Spiel! J-aß!" Er riß eine +solche Grimasse und verdrehte die Augen mit so leidenschaftlicher +Inbrunst, daß Pfannenstiel, der, wie oft die unschuldigen Menschen, +viel Sinn für das Komische und überdies jetzt etwas gespannte Nerven +hatte, in ein vernehmliches Gekicher ausbrach, welches er mit aller +Gewalt nicht unterdrücken konnte. + +Seine Gegenwart verraten sehend, trat der Kandidat, da er nicht wie +eine überraschte Dryade in die Eiche hineinschlüpfen konnte, verschämt +hinter derselben hervor und näherte sich dem General mit wiederholten +verlegenen Bücklingen. + +"Was will denn Er hier?" fragte dieser gedehnt und maß ihn vom Wirbel +bis zur Zehe: "Wer ist Er?" + +"Ich bin der Vetter... des Vetters... vom Vetter..." stotterte der +Angeredete. + +Der General runzelte die Stirne. + +"Mein Vater war ein Pfannenstiel und meine Mutter ist eine selige +Kollenbutz..." + +"Will Er mir seinen ganzen verfluchten Stammbaum explizieren? Was +Vetter? Mein Bruder ist Er--alle Menschen sind Brüder! Scher Er sich +zum Teufel!" und Wertmüller wandte ihm den Rücken. + +Pfannenstiel regte sich nicht. Der Empfang des Generals hatte ihn +versteinert. + +"Fannen-stiel--", buchstabierte der Schwarze das ihm noch unbekannte +Wort, als wolle er seinen deutschen Sprachschatz bereichern. + +"Pfannenstiel?" wiederholte auch der aufmerksam werdende General, "der +Name ist mir bekannt--halt, Er ist doch nicht der Autor", und er +kehrte sich dem Jüngling wieder zu, "der mir gestern seine +Dissertation über die Symbolik der Odyssee zugesendet hat?" + +Pfannenstiel neigte bejahend das Haupt. + +"Dann ist Er ja ein ganz liebenswürdiger Mensch!" sagte Wertmüller und +ergriff ihn freundlich bei der Hand. "Wir müssen uns kennenlernen." + + + + +Viertes Kapitel + + +Er trat mit dem Gaste in die Veranda, drückte ihn auf einen Sitz +nieder, goß ihm eines der auf dem Schenktische stehenden Gläser voll +und ließ ihn sich erholen und erquicken. + +"Der Empfang war militärisch", tröstete er ihn dann, "aber Ihr werdet +im Soldaten keinen unebenen Hauswirt finden. Ihr nächtigt heute auf +der Au--ohne Widerrede!--Wir haben manches zu verhandeln.--Seht, +Lieber, Eure Abhandlung hat mich ganz angenehm unterhalten", und +Wertmüller langte nach dem Buche, welches in einer Fensternische des +die Rückwand der Veranda bildenden Erdgeschosses lag und zwischen +dessen Blätter er die zerlesene Dissertation des Kandidaten eingelegt +hatte. + +"Zuerst eine Vorfrage. Warum habt Ihr mir Euer Werk nur mit einer +Zeile zugeschrieben, statt mir es coram populo auf dem ersten weißen +Blatte mit aufrichtigen, großen Druckbuchstaben zu dedizieren? Weil +ich mit den Faffen, Euern Kollegen, gespannt bin, he? Ihr habt keinen +Charakter, Pfannenstiel; ihr seid ein schwacher Mensch." + +Der Kandidat entschuldigte sich, seine unbedeutende Arbeit habe den +Namen des berühmten Feldherrn und Literaturkenners nicht vor sich her +tragen dürfen. + +"Durchaus nicht unbedeutend", lobte Wertmüller. "Ihr habt Phantasie +und seid in die purpurnen Tiefen meines Lieblingsgedichtes +untergetaucht, wie nicht leicht ein anderer. Freilich um etwas +Absurdes zu beweisen. Aber es ist einmal nicht anders: wir Menschen +verwenden unsere höchsten Kräfte zu albernen Resultaten. Dachtet Ihr +daran, mich rechtzeitig zu Rate zu ziehen, ich gab Eurer Dissertation +eine Wendung, die Euch selber, Eure fäffischen Examinatoren, das ganze +Publikum in Erstaunen gesetzt hätte. Ihr habt es gefühlt, +Pfannenstiel, daß die zweite Hälfte der Odyssee von besonderer +Schönheit und Größe ist. Wie? Der Heimgekehrte wird als ein +fahrender Bettler an seinem eigenen Herde mißhandelt. Wie? Die +Freier reden sich ein, er kehre niemals wieder, und ahnen doch seine +Gegenwart. Sie lachen und ihre Gesichter verzerrt schon der +Todeskampf--das ist Poesie.--Aber Ihr habt recht, Pfannenstiel, was +nützt mir die Poesie, wenn nicht eine Moral dahintersteckt? Es ist +eine Devise in das Zuckerwerk hineingebacken--zerbrechen wir es! Da +der Odysseus nicht bloß den Odysseus bedeuten darf, wen oder was +bedeutet er denn? Unsern Herrn und Heiland--so beweist Ihr und habt +Ihr es drucken lassen--, wenn er kommt zu richten Lebendige und Tote. +Nein, Kandidat, Odysseus bedeutet jede in Knechtesgestalt mißhandelte +Wahrheit mitten unter den übermütigen Freiern, will sagen, Faffen, +denen sie einst in sieghafter Gestalt das Herz durchbohren wird. + +"He, Kandidat, wie gefällt Euch das?--So hättet Ihr es wenden sollen, +und seid gewiß, Eure Dissertation hätte gerechtes Aufsehen erregt!" + +Pfannenstiel erbebte bei dem Gedanken, daß sich seiner Symbolik diese +gotteslästerliche und verwegene Wendung hätte geben lassen. Sein +einfaches Wesen ließ ihn den Pferdefuß des alten Spötters nicht oder +doch nur in unbestimmten Umrissen erkennen. + +Um sich der Verlegenheit zu entziehen, dem alten Freigeiste eine +Antwort geben zu müssen, nahm der Kandidat den Pergamentband in die +Hände, mit welchem Wertmüller während seiner Rede gestikuliert hatte. +Es war die aldinische Ausgabe der Odyssee. Pfannenstiel betrachtete +andächtig das Titelblatt des seltenen Buches. Plötzlich fuhr er +zurück wie vor einer züngelnden Natter. Er hatte auf dem freien Raume +links neben dem Wappen des venezianischen Buchhändlers etwas +verblichene, kühnfließende Federzüge entdeckt, die folgende Zeilen +bildeten: + +Georgius Jenatius me jure possidet +Constat R. 4. Kz. 12. + +Er warf das Buch weg, als atme es einen Blutgeruch aus. + +Damals moderte der fragwürdige Bündner schon seit Dezennien in der +Domkirche von Chur, während sein Bild in zahmen und unpatriotischen +Zeiten sich zu einem widerwärtigen verzerrt hatte, so daß nur der +Apostat und der Blutmensch übrigblieb. Pfannenstiel betrachtete ihn +einfach als ein Ungeheuer, an dessen Dagewesensein er kaum glauben, +das er sich nicht realisieren konnte. + +Der General weidete sich an seinem Schrecken, dann sagte er leichthin: +"Der liebe Mann, Euer gewesener Kollege, hat mich damit beschenkt, wie +wir noch auf gutem Fuße standen und ich ihn auf seinem Malepartus in +Davos besuchte." + +"Also hat er doch gelebt!" sprach der Kandidat halblaut vor sich hin, +"er hat Bücher besessen, wie unsereiner, und ihren kostenden Preis auf +das Titelblatt geschrieben." + +"Ja wohl hat er gelebt, und recht persönlich und zähe", sagte der +General mit kurzem Lachen. "Noch heute nacht träumte mir von dem +Bündner... Das kam daher, daß ich mich den ganzen gestrigen Tag mit +einem häßlichen Geschäfte abgegeben hatte. Ich schrieb mein Testament +nieder, und was ist kläglicher, als bei atmendem Leibe über seinen +Besitz zu verfügen, der ja auch ein Teil von uns selber ist!" + +Die Neugierde des jungen Geistlichen wurde rege. Vielleicht war es +ein warnendes Traumgesicht gewesen, das, fein und erbaulich ausgelegt, +in dem ihm gegenüber Sitzenden einen guten und frommen Gedanken konnte +entstehen lassen. "Wollt Ihr mir Euern Traum nicht mitteilen?" fragte +er mit einem gefühlvollen Blicke. + +"Er steht zu Diensten. Es war in Chur. Menschengedränge, +Staatsperücken, Militärpersonen--von der Hofkirche her Geläute und +Salutschüsse. Wir treten unter dem Torbogen hervor in den +bischöflichen Hof. Jetzt gehen wir zu zweien, neben mir ein Koloß. +Ich sehe nur einen Federhut, darunter eine Gewaltsnase und den in den +Kragen gesenkten pechschwarzen Spitzbart: 'Wertmüller', fragte der +Große, 'wen bestatten wir?'--'Ich weiß nicht' sage ich. Wir treten in +die Kathedrale zwischen das Gestühl des Schiffes. 'Wertmüller', fragt +der andere, 'wem singen sie ein Requiem?'--'Ich weiß nicht' sag ich +ungeduldig. 'Kleiner Wertmüller', sagt er, 'stell dich einmal auf die +Zehen und sieh, wer da vorn aufgebahrt liegt.'--Jetzt unterscheide ich +deutlich in den Ecken des Bahrtuches den Namenszug und das Wappen des +Jenatschen, und im gleichen Augenblicke wendet er, neben mir stehend, +mir das Gesicht zu--fahl mit verglühten Augen. 'Donnerwetter, Oberst', +sag ich, 'Ihr liegt dort vorn unter dem Tuche mit Euern sieben +Todeswunden und führt hier einen Diskurs mit mir! Seid Ihr doppelt? +Ist das vernünftig? Ist das logisch? Schert Euch in die Hölle, +Schäker!' Da antwortete er niedergeschlagen: 'Du hast mir nichts +vorzurücken--mach dich nicht mausig. Auch du, Wertmüller, bist tot.'" + +Pfannenstiel überlief es kalt. Dieser Traum am Vorabende des ohne +Zweifel blutigen Feldzuges, welcher dem General draußen im Reiche +bevorstand, schien ihm von ernster Vorbedeutung, und er sann auf ein +Wort geistlicher Zusprache. + +Auch Wertmüller konnte seinen Traum, nachdem er ihn einmal mitgeteilt, +nicht sogleich wieder loswerden. "Der Oberst wurde von seinem +Liebchen mit der Axt wie ein Stier niedergeschlagen", erging er sich +in lauten Gedanken, "mir wird es so gut nicht werden. Fallen--wohlan! +Aber nicht in einem Bettwinkel krepieren!" + +Vielleicht dachte er an Gift, denn er war am Hofe zu Wien in ein +hartnäckiges Intrigenspiel verwickelt und hatte sich dort durch seinen +Ehrgeiz Todfeinde gemacht. + +"Ehe ich meinen Koffer packe", fuhr er nach einer Pause fort, "möchte +ich wohl noch einen Menschen glücklich machen--" + +Dem Kandidaten schoß das Wasser in die Augen, nicht in selbstsüchtigen +Gedanken, sondern in uneigennütziger Freude über diese schöne Regung; +doch es trocknete schnell, als der General seinen Satz abschloß: +"--besonders wenn sich ein kräftiger Schabernack damit verbinden ließe." + +Das abergläubische Gefühl, das den General angewandelt hatte, war +rasch vorübergegangen. "Was ist Euer Anliegen?" fragte er seinen Gast +mit einer jener brüsken Wendungen, die ihm geläufig waren. "Ihr seid +nicht hierhergekommen, um Euch meine Träume erzählen zu lassen." + +Nun berichtete Pfannenstiel dem Generale mit einer unschuldigen List, +denn er wollte ihm seine Liebesverzweiflung, für die er ihm kein Organ +zutraute, nicht verraten, wie ihn über dem Studium der Odyssee ein +unwiderstehliches Verlangen ergriffen, die Heimat Homers, die goldene +Hellas kennenzulernen. Da er keinen andern Weg wisse, seine +Wanderlust zu befriedigen, sei ihm der Gedanke gekommen, sich bei dem +Herrn für die Feldkaplanei seiner venezianischen Kompanie zu melden, +die ja in den griechischen Besitzungen der Republik stationiere. "Sie +ist erledigt", schloß er, "und wenn Ihr mir ein weniges gewogen seid, +weiset Ihr mir die Stelle zu." + +Wertmüller blickte ihn scharf an. "Ich bin der letzte", sagte er, +"der einem jungen Menschen eine gefährliche Karriere widerriete! Aber +er muß dazu qualifiziert sein. Euer Knochengerüste, Freund, ist nicht +fest genug gezimmert. Der erste beste relegierte Raufbold von Leipzig +oder Jena wird meinen Kerlen mehr imponieren als Euer Johannesgesicht. +Schlagt Euch das aus dem Kopfe. Wollt Ihr den Süden sehen, so sucht +als Hofmeister Dienste bei einem jungen Kavalier und klopft ihm die +Kleider! Doch auch das kann Euch nicht taugen. Das beste ist, Ihr +bleibt zu Hause. Blickt aus! Zählt alle die Turmspitzen am See--das +Kanaan der Pfarrer. Hier ist Euer Rhodus, hier tanzt--will sagen +predigt!--Wozu sind die Geleise bürgerlicher Berufsarten da, als daß +Euresgleichen sie befahre? Ihr wißt nicht, welcher Schenkelschluß +dazu gehört, um das Leben souverän zu traktieren. Steht ab von Eurer +Laune!", und er machte die Gebärde, als griffe er einem Rosse in die +Zügel, das mit einem unvorsichtigen Knaben durchgegangen ist. + +Es entstand eine Pause. Wieder warf der General dem Kandidaten einen +beobachtenden Blick zu. + +"Ihr seid ein lauterer Mensch", sagte er dann, "und es war Euer Ernst, +Ihr würdet das griechische Abenteuer bestanden haben. Wie reimt sich +das mit dem Pfannenstiel, den ich hier vor mir sehe? Da liegt ein Aal +unter dem Steine. Ein verrückter Antiquar, wie sie zwischen den +Ruinen herumkriechen, seid Ihr nicht. Also seid Ihr desperat. Aber +warum seid Ihr desperat? Was treibt Euch weg? Heraus damit! Eine +Figur? He? Ihr errötet!" + +Der sechzigjährige Wertmüller behandelte die weiblichen Wesen als +Staffage und pflegte sie schlechtweg mit dem Malerausdrucke "Figuren" +zu benennen. + +"Wo habt Ihr zuletzt konditioniert?" + +"In Mythikon bei Euerm Herrn Vetter während seiner Gichtanfälle." + +"Bei meinem Vetter? Will sagen bei der Rahel. Nun ist alles klar und +deutlich wie mein neuverfaßtes Exerzierreglement. Das Mädchen hat +Euch den Kopf verrückt und dann, wie recht und billig, einen Korb +gegeben?" + +Der zartfühlende Kandidat hätte sich eher das Herz aus dem Leibe +reißen lassen, als eingestanden, daß die Rahel--wie er daran nicht +zweifeln konnte--ihm herzlich wohlwolle. Er antwortete bescheiden: + +"Der Herr Wertmüller, sonst mein Gönner, hat mich verabschiedet, weil +ich mit Schießgewehr nicht umzugehen verstehe und mich auch davor +scheue. Vor zwanzig Jahren ist damit in meiner Familie ein Unglück +begegnet. Er nötigte mich, mit ihm in die Scheibe zu schießen, und +ich habe keinen Schuß hineingebracht." + +"Ihr hättet Euch weigern sollen. Das hat Euch in Rahels Augen +heruntergesetzt. Sie trifft immer ins Schwarze. Donnerwetter, da +fällt mir ein, daß ich dem Alten noch etwas schuldig bin. Der +geistliche Herr hat mir, während ich am Rheine bataillierte, meine +Meute hier ganz meisterhaft beaufsichtigt. Er ist ein Kenner. Hassan, +hol mir gleich das violette Saffianfutteral her, links zuunterst im +Glasschranke der Waffenkammer.--Laßt Euch nicht stören, Kandidat." Der +Mohr beeilte sich, und nach wenigen Augenblicken hielt Wertmüller zwei +kleine Pistolen von zierlicher Arbeit in der Hand. Er reinigte mit +einem Lederlappen die damaszierten Läufe und den Silberbeschlag der +Kolben, in welchen hübsche seltsame Arabesken eingegraben waren. + +"Fortgefahren, Freund, in Eurer Elegie!" sagte er. "Das Mädchen also +gab Euch einen Korb--oder ist es möglich, liebt sie Euch? Es gibt +wunderliche Naturspiele!--und nur der Alte hätte Euch abblitzen lassen, +he? Was gab er Euch für Gründe?" + +Pfannenstiel blieb erst die Antwort schuldig. Ihm war ängstlich +zumute geworden, denn der General hatte, während er sprach, den Hahn +der einen Pistole gespannt. Jetzt berührte Wertmüller den Drücker mit +ganz leisem Finger, und der Hahn schlug nieder. Er spannte die zweite, +streckte den Arm aus, schnitt eine Grimasse; nur nach harter +Anstrengung gelang es ihm loszudrücken. Das Spiel der Feder mußte +sich aus irgendeinem Grunde verhärtet haben, und er schüttelte +unzufrieden den Kopf. + +Der Kandidat, der stark mit den Augen gezwinkert hatte, nahm jetzt den +Faden des Gesprächs wieder auf, um den wahren Grund seiner +Hoffnungslosigkeit anzudeuten. "Eine Wertmüllerin und ein +Pfannenstiel!" sagte er in einem resignierten Tone, als nenne er Sonne +und Mond und finde es ganz natürlich, daß dieselben nicht +zusammenkommen. + +"Laß Er mich mit diesen Narreteien zufrieden!" fuhr ihn der General +hart an. "Sind wir noch nicht über die Kreuzzüge hinaus, in welcher +geistreichen Epoche die Wappen erfunden wurden? Aber auch damals, wie +überhaupt jederzeit, galt der Mann mehr als der Name, sonst wäre die +Welt längst vermodert wie ein wurmstichiger Apfel. Seh Er, +Pfannenstiel, ich gelte hier für einen Patricius; als ich aber in +kaiserliche Dienste trat, wie blickten die Herren Kollegen von soundso +viel Quartieren hochnasig auf das plebejische Mühlrad in meinem Wappen +herunter. Dennoch mußten sie es eben leiden, daß der Müller die von +ihnen mehr als zur Hälfte ruinierte Kampagne wiederherstellte und +gewann! Hör Er, Pfannenstiel, es fehlt Ihm an Selbstgefühl, und das +schadet Ihm bei der Rahel." + +Der Kandidat befand sich in einem seltsamen Falle. Er konnte den +Standpunkt Wertmüllers nicht teilen, denn er fühlte dunkel, daß eine +so vollständige Vorurteilslosigkeit die ganze alte Ordnung der Dinge +durchstieß, und diese war ihm ehrwürdig, auch da, wo sie zu seinen +Ungunsten wirkte. + +Aber Wertmüller verlangte keine Antwort. Er hatte sich erhoben und +trat, in jeder Hand eine Pistole, einem hochgewachsenen Mädchen +entgegen, das auf dem vom festen Lande her ausmündenden Wege einherkam. +Der General hatte den Kies unter ihren leichten, raschen Schritten +knirschen hören. + +"Guten Abend, Patchen", begrüßte er sie, und seine grauen Augen +leuchteten. + +Das schöne Fräulein aber zog die Brauen zusammen, bis der Alte die +beiden Pistolen, die ihr offenbar ein Ärgernis waren, die eine in die +rechte, die andere in die linke seiner geräumigen Rocktaschen steckte. +"Ich habe Besuch, Rahel", sagte er. "Erlaube mir, meinen jungen +Freund dir vorzustellen, den Herrn Kandidaten Pfannenstiel." + +Die Wertmüllerin war näher getreten, während sich Pfannenstiel +linkisch von seinem Stuhle erhob. Sie bekämpfte ein Erröten, das aber +sieghaft bis in die feine Stirn und bis unter die Wurzeln ihres vollen +braunen Haares aufflammte. Der Kandidat schlug erst die Augen nieder, +als hätte er mit ihnen ein Bündnis geschlossen, keine Jungfrau +anzuschauen, erhob sie dann aber mit einem so innigen und strahlenden +Ausdrucke des Glückes und der Liebe, und seine guten Blicke fanden in +zwei braunen Augen einen so warmen Empfang, daß selbst der alte +Spötter seine Freude hatte an der ungeschminkten Neigung zweier +unschuldiger Menschenkinder. + +Er vermehrte seltsamerweise die erste süße Verwirrung der beiden mit +keinem Scherzworte. Ist es nicht, als ob ein tiefes und wahres Gefühl +in seinem natürlichen und bescheidenen Ausdrucke aus dieser Welt des +Zwanges und der Maske uns in eine zugleich größere und einfachere +versetze, wo der Spott keine Stelle findet? + +Lange freilich hätte er sie nicht ungeneckt gelassen, aber das +gescheite und tapfere Mädchen enthob ihn der Versuchung. "Ich habe +mit Euch zu reden, Pate", sagte sie, "und gehe voran nach der zweiten +Bank am See. Laßt mich nicht zu lange warten!" + +Sie verbeugte sich leicht gegen den Kandidaten und war verschwunden. + +Der General nahm diesen bei der Hand und führte ihn eine Treppe hinauf +in sein Bibliothekzimmer, in das die Seebreite durch drei hohe +Bogenfenster hereinleuchtete. + +"Seid getrost", sagte er, "ich werde bei der Rahel für Euch Partei +nehmen. Unterdessen wird es Euch hier an Unterhaltung nicht mangeln. +Ihr liebt Bücher! Hier findet Ihr die Poeten des Jahrhunderts tutti +quanti." Er zeigte auf einen Glasschrank und verließ den Saal. Da +standen sie in glänzenden Reihen, die Franzosen, die Italiener, die +Spanier, selbst einige Engländer, ein gehäufter Schatz von Geist, +Phantasie und Wohllaut, und Wertmüller, der ohne Frage auf der Höhe +der Zeitbildung stand, würde ungläubig den Kopf geschüttelt haben, +wenn ihm zugeflüstert worden wäre, einer fehle hier, der sie alle +insgesamt voll aufwiege. + +Der überall Belesene hatte William Shakespeare nicht einmal nennen +hören. + +Der Kandidat ließ die Poeten unberührt, denn für ein junges Blut ist +die Nähe der Geliebten mehr als alle neun Musen. + + + + +Fünftes Kapitel + + +Der General hatte einen Pfad eingeschlagen, der sich dicht am Ufer um +die Krümmungen der Halbinsel schlängelte, und hier erblickte er bald +Rahel Wertmüller, die, auf einer verwitterten Steinbank sitzend, das +feine Profil nach der jetzt abendlich dämmernden Flut hinwendete. Ein +aufrichtiger Ausdruck tiefer Betrübnis lag auf dem hübschen und +entschlossenen Gesichtchen. + +"Was dichtest und trachtest du?" redete er sie an. + +Sie antwortete, ohne sich zu erheben: "Ich bin nicht mit Euch +zufrieden, Pate." + +Der General lehnte sich an den Stamm einer Eiche und kreuzte die Arme. +"Womit habe ich es bei Euer Wohlgeboren verscherzt?" sagte er. + +Das Fräulein warf ihm einen Blick des Vorwurfs zu. "Ihr fragt noch, +Pate? Wahrlich, Ihr handelt an Papa nicht gut, der Euch doch nur +Liebes und nichts zuleide getan hat.--Was war das wieder für ein +Spektakel vergangenen Sonntag! Durch Eure Verleitung hat er den +ganzen Nachmittag mit Euch auf Euerm Au-Teiche herumgeknallt. Welch +ein Schauspiel! Aufflatternde verwundete Enten, im Moor nach der +Beute watende Jungen, der Vater in großen Stiefeln und das ganze Dorf +als Zuschauer!..." + +"Es beurteilte die Schüsse", warf Wertmüller ein. + +"Pate"--das Mädchen war von seinem Sitze aufgesprungen, und seine +schlanke Gestalt bebte vor Unwillen--"ich meinte bisher, Ihr +hättet--trotz mancher Wunderlichkeit--das Herz am rechten Flecke. +Aber ich habe mich geirrt und fange an zu glauben, hier sei bei Euch +etwas nicht in Ordnung!", und sie wies mit einer kleinen Gebärde des +Zeigefingers nach der linken Brustseite des Generals. "Ich hielt +Euch", fügte sie freundlicher hinzu, "für eine Art Rübezahl... so +heißt doch der Geist des Riesengebirges, von dessen Koboldstreichen +Ihr so lustig zu erzählen wißt?..." + +"Dem es zuweilen Spaß macht, Gutes zu tun, und der, wenn er Gutes tut, +dabei sich einen Spaß macht." + +"So ungefähr. Doch, wie gesagt, wenn Ihr ebenso boshaft seid wie der +Berggeist--von Wohltat ist dabei nichts sichtbar. Ihr werdet den +Vater noch ins Verderben stoßen. Wären unsere Mythikoner im Grund +nicht so gute Leute, die ihren Pfarrer decken, wo sie können, längst +wäre in Zürich gegen ihn Klage erhoben worden. Und mit Recht; denn +ein Geistlicher, der wachend und träumend keinen andern Gedanken mehr +hat als Halali und Halalo, muß jeder christlichen Seele ein tägliches +Ärgernis sein. Das wächst mit den Jahren. Neulich da der Herr Dekan +seinen Besuch meldete und zur selben Zeit der Bote eine in der Stadt +angekaufte Jagdflinte dem Vater zutrug, mußte ich ihm dieselbe +unkindlich entwinden und in meinen Kleiderschrank verschließen, sonst +hätte er noch--ein schrecklicher Gedanke--den ehrwürdigen Herrn +Steinfels aufs Korn genommen. Ihr lacht, Pate?--Ihr seid abscheulich! +--Ich könnte Euch darum hassen, daß Ihr, der seine Schwäche kennt, ihn +noch stachelt und aufreizt, als wäret Ihr sein böser Engel.--Nächstens +wird er noch einmal mit geladenem Gewehr die Kanzel besteigen!... Ich +freute mich, da Ihr kamet, und nun frage ich: Reist Ihr bald, Pate?" + +"Mit geladenem Gewehr die Kanzel besteigen?" wiederholte Wertmüller, +den dieser Gedanke zu frappieren schien. "La, la, Patchen! Der Vater +ist mir der erträglichste aller Schwarzröcke und du bist mir die +liebste aller Figuren. Ich will dem Alten eine Genugtuung geben. +Weißt du was? Ich gehe morgen bei Euch zur Kirche--das rehabilitiert +den Vater zu Stadt und Lande." + +Rahel schien von dieser Aussicht wenig erbaut. "Pate", sagte sie, +"Ihr habt mich aus der Taufe gehoben und das Gelübde getan, auf mein +zeitliches und ewiges Heil bedacht zu sein. Für das letztere könnet +Ihr nichts tun, denn es steht in diesem Punkte bei Euch selbst sehr +windig. Aber ist das ein Grund, auch mein zeitliches zu ruinieren? +Ihr solltet, scheint mir, im Gegenteil darauf denken, mich wenigstens +auf dieser Erde glücklich zu machen--und Ihr macht mich unglücklich!" +Sie zerdrückte eine Träne. + +- "Vortrefflich räsoniert", sagte der General. "Patchen, ich bin der +Berggeist und du hast drei Wünsche bei mir zu gut." + +"Nun", versetzte das Fräulein, auf den Scherz eingehend. "Erstens: +Heilt den Vater von seiner ungeistlichen Jagdlust!" + +- "Unmöglich. Sie steckt im Blute. Er ist ein Wertmüller. Aber ich +kann seiner Leidenschaft eine unschädliche Bahn geben. Zweitens?" + +"Zweitens..." Rahel zögerte. + +"Laß mich an deiner Stelle reden, Mädchen. Zweitens: Gebt dem +Hauptmann Leo Kilchsperger Urlaub zu Werbung, Verlöbnis und Heirat." + +- "Nein!" versetzte Rahel lebhaft. + +- "Er ist ein perfekter Kavalier." + +- "Einem perfekten Kavalier hängt manches um und an, worauf ich +Verzicht leiste, Pate." + +- "Ein beschränkter Standpunkt." + +- "Ich halte ihn fest, Pate." + +- "Meinetwegen.--Also ein anderes Zweites. Zweitens: Berggeist, +verschaffe dem Kandidaten Pfannenstiel die von ihm begehrte +Feldkaplanei in venezianischen Diensten." + +- "Nimmermehr!" rief die Wertmüllerin. "Was? der Unglückliche begehrt +die Feldkaplanei unter Euerm venezianischen Gesindel? Der zarte und +gute Mensch? Darum ist er zu Euch gekommen?" + +Der General bejahte. "Ich rede es ihm nicht aus." + +- "Redet es ihm aus, Pate. Grassiert nicht Pest und Fieber in Morea?" + +- "Zuweilen." + +- "Liest man nicht von häufigen Schiffbrüchen im Adriatischen Meere?" + +- "Hin und wieder." + +- "Ist die Gesellschaft in Venedig nicht ganz entsetzlich schlecht?" + +- "Die gute ist dort wie allenthalben und die schlechte ganz +vortrefflich." + +- "Pate, er darf nicht hin, um keinen Preis!" + +- "Gut. Also ein anderes Zweites verbunden mit dem Dritten: Berggeist, +mache den Kandidaten Pfannenstiel zum wohlbestellten Pfarrer von +Mythikon und gib mich ihm zur Frau!" + +Rahel wurde feuerrot. "Ja, Berggeist", sagte sie tapfer. + +Diese resolute Antwort gefiel dem General aus der Maßen. + +"Er ist eine reinliche Natur", lobte er, "aber ihm fehlt die +Männlichkeit, welche die Figuren unwiderstehlich hinreißt--" + +- "Bah", machte sie leichthin und fuhr entschlossen fort: "Pate, Ihr +habt ein Dutzend Feldschlachten gewonnen, Ihr verderbt Euern +listigsten Feinden in der Hofburg das Spiel, Ihr seid ein berühmter +und welterfahrner Mann--wendet ein Hundertteilchen Eures Geistes daran, +mich--was sage ich--uns glücklich zu machen, und wir werden es Euch +zeitlebens Dank wissen." + +Der General ließ sich auf die leere Steinbank nieder und legte in +tiefem Nachdenken die Hände auf die Knie, wie eine ägyptische Gottheit. +So berührte er die beiden Pistolen in seinen Taschen; es blitzte in +seinen scharfen grauen Augen plötzlich auf, und er brach in ein +unbändiges Gelächter aus, wie er seit Dezennien nicht mehr gelacht +hatte, in ein wahres Schulbubengelächter. Da er zugleich +aufgesprungen war, rasch dem Innern der Halbinsel sich zukehrend, +wiederholte ein Echo diesen Ausbruch ausgelassener Lustigkeit in so +geisterhafter und grotesker Weise, daß es war, als hielten sich alle +Faune und Panisken der Au die Bäuchlein über einen tollen und +gottvergessenen Einfall. + +Der General beruhigte sich. Er schien seinen Anschlag und die +Möglichkeit des Gelingens mit scharfem Verstande zu prüfen. Das +Wagnis gefiel ihm. "Zähle auf mich, mein Kind", sagte er väterlich. + +- "Hört, Pate, dem Papa darf kein Leides geschehen!" + +- "Lauter Gutes." + +- "Pfannenstiel darf nicht gezaust werden!" + +Wertmüller zuckte die Achseln. "Der spielt eine ganz untergeordnete +Rolle." + +- "Und Ihr werdet Euern Spaß dabei haben?" fragte das Mädchen gespannt, +denn das Gelächter hatte sie doch etwas bedenklich gemacht. + +- "Ich werde meinen Spaß dabei haben." + +- "Kann es nicht mißlingen?" + +- "Der Plan ist auf die menschliche Unvernunft gegründet und somit +tadellos. Aber etwas Chance gehört zu jedem Erfolg." + +- "Und mißlingt es?" + +- "So bezahlt Rudolf Wertmüller die Zeche." + +Noch einmal besann sich das Mädchen recht ernstlich; aber ihre +resolute Natur trug den Sieg davon. Sie hatte überdies ein +unbedingtes Vertrauen zu der verwegenen Kombinationsgabe und selbst in +gewissen Grenzen zu der Loyalität ihres Verwandten. Daß ein +schadenfroher Streich mitlaufen werde, wußte sie--es war das eben der +Kaufpreis ihres Glückes--, aber sie wußte auch, daß Wertmüller sie +liebhabe und seinen Spuk darum nicht allzu weit treiben würde. Zudem +lag etwas in ihrem Blute, das eine rasche, wenn auch gewagte Lösung +einer nagenden Ungewißheit vorzog. + +"Ans Werk, Rübezahl!" sagte sie. "Wann beginnst du dein Treiben, +Berggeist?" + +- "Morgen mittag bist du Braut, Kindchen. Ich verreise Montag in der +Frühe." + +- "Adieu, Berggeist!" grüßte sie enteilend und warf ihm eine Kußhand +zu, während er ihr nachsah und seine Freude hatte an ihrem schlanken +und sichern Gange. + + + + +Sechstes Kapitel + + +Zu später Abendstunde saßen der General und der Kandidat an einer +reichbesetzten und glänzend erleuchteten runden Tafel sich gegenüber +in einem geräumigen Saale, dessen helle Stuckwände mit guten, in Öl +gemalten Schlachtenbildern bedeckt waren. + +Wertmüller wußte, welche Poesie das "Tischlein, deck dich!" für einen +in dürftigen Verhältnissen aufgewachsenen Jüngling hat; aber auch an +geistiger Bewirtung ließ er es nicht fehlen. Er erzählte von seinen +Fahrten in Griechenland, er rühmte die Naturwahrheit der Landschaften +und der Meerfarben in der Odyssee, er ließ die edeln und maßvollen +Formen eines hellenischen Tempels vor den Augen des entzückten +Kandidaten aufsteigen--kurz, er machte ihn glücklich. + +Seiner davon unzertrennlichen militärischen Abenteuer gedachte er nur +im Vorbeigehen, aber so drastisch, daß Pfannenstiel in der Nähe des +alten Landsknechtes sich als einen herzhaften und verwegenen Mann +fühlte, während Wertmüller in der naiven Bewunderung seines Zuhörers +um einige Dezennien sich verjüngte und erleichterte. + +So achtete es Pfannenstiel nicht groß, als der General in der Hitze +des Gespräches ihm auf den Leib rückte, von den vier breiten flachen +Knöpfen, die sein Gewand zwischen den schmächtigen Schultern vorn +zusammenhielten, den obersten abriß und denselben, nachdem er ihn +einer kurzen Betrachtung unterworfen, in einen dunkeln Zimmerwinkel +warf, dann an einem der mittlern drehte, bis dieser nur noch an einem +Faden hing. + +Zwischen den Birnen und dem Käse aber änderte sich die Szene. Der +General hatte gegen seine Gewohnheit--er war längst ein mäßiger Mann +geworden--einige Gläser feurigen Burgunders geleert, und da er, wie +man zu sagen pflegt, einen grimmigen Wein trank, begann es ihn denn +doch ein bißchen zu wurmen, daß die schöne und tapfere Rahel ihr Herz +an einen sanftmütigen, unkriegerischen Menschen, noch dazu an einen +"Faffen" verschenkt hatte, und sein Dämon nötigte ihn, den Kandidaten, +den er doch leiden mochte, zu gutem Ende noch einmal unbarmherzig zu +foppen. + +Er befahl dem aufwartenden Hassan, Pulverhorn und Kugelbeutel zu +bringen, zog die beiden Terzerole aus seinen Rocktaschen und legte sie +vor sich auf die Tafel. + +"Die Rahel mag Euch", wendete er sich jetzt an den Kandidaten, "aber +wollt Ihr sie zum Weibe gewinnen, müßt Ihr dem schönen Kinde einmal +als ein ganzer Mann entgegentreten. Das wird ihr einen bleibenden +Eindruck machen, und Ihr dürft Euch dann ruhig die eheliche +Schlafmütze über die Ohren ziehen.--Mein Plan ist ganz einfach: Ich +gehe morgen in Mythikon zur Kirche--erstaunt nicht, Pfannenstiel, ich +bin kein Heide--und lade mich bei dem Vetter Pfarrer zu Mittag. +Natürlich bleibt Rahel zu Hause und besorgt den Tisch, Ihr aber +gewinnt bei währendem Gottesdienste auf Schleichwegen die Pfarre, +entführt das Mädchen, bringt es hieher und, während Ihr sie küßt, +armiere ich die zwei eisernen Kanonen, die Ihr auf dem Hausflur +gesehen habt, und verteidige den schmalen Damm, der meine Insel mit +dem Festlande verbindet. Treffen! Unterhandlung! Friedensschluß!" + +Wäre der Kandidat in seiner natürlichen Verfassung gewesen, er hätte +diese Soldatenschnurre belächelt, aber der starke Wein war ihm in den +Kopf gestiegen. + +"Entsetzlich!" rief er aus, fügte dann aber nach einer Pause und +erleichtert hinzu: "und unmöglich! Die Rahel würde niemals +einwilligen." + +- "Sie wird! Ihr erscheint, werft Euch zu ihren Füßen: Entflieh mit +mir! oder..." Er ergriff ein Pistol und setzte es sich an die rechte +Schläfe. + +- "Sie ist eine Christin!" rief der erhitzte Kandidat. + +- "Sie wird und muß wollen! Jede Figur wird von der männlichen +Elementarkraft bezwungen. Kennt Ihr die neueste deutsche Literatur +nicht?... den Lohenstein, den Hofmannswaldau?" + +- "Sie wird nicht wollen--nimmermehr!" wiederholte Pfannenstiel +mechanisch. + +- "Dann fahrt Ihr ab--glorios mit Donner und Blitz!" und Wertmüller +drückte los. Der Hahn schlug nieder, daß es Funken stob. + +Jetzt ermannte sich Pfannenstiel. Die ihm so nahegelegte ungeheure +Freveltat und sein Schauder davor gaben ihm die Besinnung wieder und +ernüchterten sein Gehirn. Auch fiel ihm die Warnung Rosenstocks ein. +Er narrt und quält dich boshaft, sagte er sich, du bist ja ein +geistlicher Mann und hast es mit einem schlimmen Feinde der Kirche zu +tun. + +Ein Hohnlächeln zuckte in den Mundwinkeln des ihn beobachtenden, +scharf beleuchteten Gesichtes, das in diesem Augenblicke einer +grotesken Maske glich. Der Kandidat erhob sich von seinem Sitze und +sprach nicht ohne Würde: "Wenn das Euer Ernst ist, so verweile ich +keine Minute länger unter einem Dache, wo eine mehr als heidnische +Verruchtheit gelehrt wird; ist es aber Euer Scherz, Herr Wertmüller, +wie ich es glaube, so verlasse ich Euch ebenfalls, denn einen +einfachen Menschen, der Euch nichts zuleide getan hat, zu hänseln und +zu verhöhnen, das ist nicht christlich, nicht einmal menschlich--das +ist teuflisch." + +Ein schöner, ehrlicher Zorn flammte in seinen blauen Augen, und er +schritt der Türe zu. + +"La, la", sagte der General. "Was frühstückt Ihr morgen? Eier, +Rebhuhn, Forelle?" + +Pfannenstiel öffnete und enteilte. + +"Der Mohr wird Euch aufs Zimmer leuchten! Auf Wiedersehen morgen beim +Frühstück!" rief ihm Wertmüller nach. + +Der Alleingebliebene lud sorgfältig das leichtspielende Pistol mit +Pulver und stieß einen derben Pfropfen nach. Das schwerspielende ließ +er ungeladen. Beide übergab er dem Mohren mit dem Befehle, dieselben +in seinen schwarzen Sammetrock zu stecken. Dann ergriff der General +einen Leuchter und suchte sein Lager auf. + + + + +Siebentes Kapitel + + +Der Kandidat eilte in raschem Laufe dem Damme zu, durch welchen die +Südseite der Insel mit dem festen Lande zusammenhing. Oft hatte er, +da er sich im verflossenen Frühjahre in Mythikon aufhielt, den Sitz +des damals in Deutschland bataillierenden Generals mit neugierigen +Augen gemustert, ohne ihn je zu betreten. Er wußte, daß der Damm +gegen seine Mitte hin durch ein altertümliches kleines Tor und eine +Brücke unterbrochen war, aber er war gewiß, kein Hindernis zu finden, +da dieses Tor, wie er sich erinnerte, niemals geschlossen wurde, sich +auch nicht schließen ließ, da es keine Torflügel hatte. + +Jetzt erreichte er das Ufer und erblickte zu seiner Linken die Linie +des Dammes. Aber, o Mißgeschick! der von dem dämmernden Hintergrunde +scharf abgehobene Balken der Brücke schwebte in der Luft und bildete +statt eines rechten einen spitzen Winkel mit dem Profil der Pforte, an +deren Steinbogen er durch zwei Ketten befestigt war. Das Tor, die +aufgezogene Brücke, die kleine Verbindungslinie der Ketten--alles ließ +sich mit überzeugender Deutlichkeit unterscheiden; denn der Mond gab +genügendes Licht, und in dem leeren, nicht zu überspringenden +Zwischenraume flimmerte sein Widerschein in dem silbernen Gewässer. +Pfannenstiel war ein Gefangener. Unmöglichkeit, durch das Moor zu +waten! Er wäre, da er die Furten des tückischen Röhrichts nicht +kannte, bei den ersten Schritten versunken und hätte ein klägliches +Ende genommen. Ratlos stand er am Inselgestade, während aus dem +Sumpfe dicht vor seinen Füßen ein volltöniges Brekekex Koax Koax +erscholl. + +Gerade an jenem Abende war unter den Fröschen der Au ein junger +Lyriker von bedeutender Begabung aufgetaucht, der das feste und +gegebene Motiv der Froschlyrik so keck in Angriff nahm und so +gefühlvoll behandelte, daß der begeisterte Chor nicht müde wurde, die +vorgesungene Strophe mit unersättlichem Enthusiasmus zu wiederholen. +Auf den Kandidaten freilich machte das leidenschaftliche Gequäke einen +tief melancholischen Eindruck, als steige es aus den Sümpfen des +Acheron empor. + +In halber Verzweiflung wollte er nun über den Damm nach der Pforte +eilen, ob sich die Zugbrücke mit Anstrengung aller Kräfte nicht senken +ließe. Da gewahrte er, noch einmal vorwurfsvoll nach dem unheimlichen +Landhause sich umwendend, eine ihm entgegenwandernde Helle, und nach +wenigen Augenblicken stand Hassan mit einem Windlicht in der Faust an +seiner Seite. Mit untertäniger Zutunlichkeit redete ihm der gutmütige +Mohr zu, in die von ihm geflohene Wohnung zurückzukehren. + +"Langweilig Frosch, geistlicher Herr!" radbrechte Hassan, "Schloß an +Zugbrücke--Zimmer bereit!" + +Was war zu tun? Nichts anderes, als Hassan zu folgen. In der großen, +auf den gepflasterten Hausflur mündenden Küche entzündete der Mohr +zwei Kerzen und leuchtete dem Kandidaten die Treppe hinauf. Auf der +zweitobersten Stufe ergriff er ihn rasch am Arme: "Nicht erschrecken, +geistlicher Herr!" flüsterte er. "Schildwache vor Zimmer von General." +Und in der Tat, da stand eine Schildwache. Hassan beleuchtete sie +mit der Kerze, und Pfannenstiel erblickte ein Skelett, das die +Knochenhände auf eine Muskete gestützt hielt und an dem über die +Rippen gekreuzten und blank gehaltenen Lederzeuge Patronentasche und +Seitengewehr der zürcherischen Landmiliz trug. Ein kleines +dreieckiges Hütchen war auf den hohlen Schädel gestülpt. + +Der Kandidat fürchtete das Bild des Todes nicht, er war mit demselben +von Amts wegen vertraut, ja er hatte eine gewisse Vorliebe für die +warnende und erbauliche Erscheinung des Knochenmannes. Aber wer war +der Mensch, der da drinnen unter der Hut dieser gespenstischen Wache +schlief? Und welche seltsame Lust fand er daran, mit den ernstesten +Dingen sein frevles Gespötte zu treiben? + +Jetzt öffnete der Mohr das zweitäußerste Zimmer der Seeseite und +stellte die beiden Leuchter auf den Kamin. Pfannenstiel, dessen +Wangen glühten und fieberten, trat ans Fenster, um es aufzureißen; +Hassan aber hielt ihn zurück. + +"Seeluft ungesund", warnte er und machte die Flügeltüre eines +Nebenzimmers auf, um dem Erhitzten in unschädlicher Art mehr Luft zu +verschaffen. Dann entfernte er sich mit einem demütigen Gruße. + +Der Kandidat schritt eine gute Weile in der Kammer auf und nieder, um +seine erregte Phantasie zur Ruhe zu bringen und den wunderlichsten Tag +seines Lebens einzuschläfern. Aber das gefährlichste Abenteuer +desselben war noch unbestanden. + +Aus dem von Hassan geöffneten Nebenzimmer klang ein leiser Ton, wie +ein tiefer Atemzug. Hatte die streichende Nachtluft die Falten eines +Vorhanges bewegt oder war ein Käuzlein an den nur halb geschlossenen +Jalousien vorbeigeflattert? + +Der Kandidat hemmte seinen Schritt und horchte. Plötzlich fiel ihm +ein, daß dieses nächste Zimmer, das letzte der Fassade, kein anderes +sein könne als die Räumlichkeit, welche der Schiffer Bläuling der +Türkin des Generals angewiesen hatte. + +Die Möglichkeit einer solchen Nähe brachte den unbescholtenen jungen +Geistlichen begreiflicherweise in die größte Angst und Unruhe, doch +nach kurzer Überlegung beschloß er, in die berüchtigte Kammer mutig +hineinzuleuchten. + +Er betrat einen reichen türkischen Teppich und stand, sich zur Rechten +wendend, vor einem lebensgroßen Bilde, welches von vergoldetem, +üppigem Blätterwerk eingerahmt war und die ganze, dem Fenster +gegenüberstehende Wand des kleinen Kabinettes füllte. Das Bild war +von einem Niederländer oder Spanier der damals kaum geschlossenen +glänzenden Epoche in jener naturwarmen, bestrickenden Weise gemalt, +die den Neuern verlorengegangen ist. Über eine Balustrade von +maurischer Arbeit lehnte eine junge Orientalin mit den berauschenden +dunkeln Augen und glühenden Lippen, bei deren Anblicke die Prinzen in +Tausendundeiner Nacht unfehlbar in Ohnmacht fallen. + +Sie legte den Finger an den Mund, als bedeute sie den vor ihr +Stehenden: Komm, aber schweige! + +Pfannenstiel, der nie etwas auch nur annähernd Ähnliches erblickt +hatte, wurde tief und unheimlich erschüttert von der Verlockung dieser +Gebärde, der Sprache dieser Augen. Es tauchte etwas ihm bis heute +völlig unbekannt Gebliebenes in seiner Seele auf, etwas, dem er keinen +Namen geben durfte--eine brennende Sehnsucht, die glückselige +Möglichkeit ihrer Erfüllung! Vor diesem Bilde begann er an so +übergewaltige Empfindungen zu glauben und vor ihrer Macht zu erbeben... + +Plötzlich wandte sich der Kandidat, lief in sein Schlafgemach zurück +und begnügte sich nicht, die Türe zu verschließen, er schob noch den +Riegel und drehte zuletzt den Schlüssel um. Nun glaubte er sein Lager +gesichert und begrub sich in die Kissen desselben. + +Doch kaum war er entschlummert, so trat das schöne Schemen durch die +Türe, ohne sie zu öffnen, und nahm tückisch Gestalt und Antlitz der +Rahel Wertmüller an, ihren maidlichen Wuchs, ihre feinen geistigen +Züge. Aber ihre Augen schmachteten wie die der Orientalin, und sie +legte den Finger an den Mund. + +Nun kam eine böse, schlimme Stunde für den armen Kandidaten. Er +wollte fliehen und wurde von einer dämonischen Gewalt zu den Füßen des +Mädchens hingeworfen. Er stammelte unsinnige Bitten und machte sich +verzweifelte Vorwürfe. Er umfaßte ihre Knie und verurteilte sich +selbst als den ruchlosesten aller Sünder. Rahel, erst erstaunt, dann +strengblickend und unwillig, stieß ihn zuletzt empört von sich weg. +Jetzt stand der General neben ihm und reichte ihm das Pistol. "Die +Figur", dozierte er, "wird bezwungen von der männlichen Elementarkraft." +Dem Kandidaten wurde wie von eisernen, teuflischen Krallen der Arm +gebogen, und er setzte sich die tödliche Waffe an die rechte Schläfe. +"Fliehe mit mir!" stöhnte er. Sie wandte sich ab. Er drückte los, +und erwachte, nicht in seinem Blute, aber in kaltem Schweiße gebadet. +Dreimal trieb ihn der quälende Halbtraum in diesem Kreislaufe von +Begierde, Frevel und Reue herum, bis er endlich das Fenster aufschloß +und im reinen Hauche der heiligen Frühe in einen tiefen beruhigenden +Schlaf versank. + +Er erwachte nicht, bis Hassan mit warmem Wasser ins Zimmer trat und +auf seinen Befehl die Jalousien öffnete. Ein himmlischer, innig +blauer Tag und das nun halb verwehte, nun vollhallende Geläute aller +Seeglocken drang in die Traumkammer. + +"General Kirche gegangen", sagte der Mohr. "Geistlicher Herr +frühstücken?"-- + + + + +Achtes Kapitel + + +Und der Mohr log nicht. + +Rudolf Wertmüller wandelte in dem Augenblicke, da sich sein Gast dem +Schlummer entriß, schon unweit der Kirche von Mythikon unter den +sonntäglichen Scharen, welche alle dahinführenden Wege und Fußsteige +bevölkerten. + +Der sonst so rasche Schritt des Generals war heute ein gemessener und +seine Haltung durchaus würdig und untadelig. Er war in schwarzen +Sammet gekleidet und trug in der behandschuhten Rechten ein mit +schweren vergoldeten Spangen geschlossenes Gesangbuch. + +Seltsam! Wertmüller, der seit langem jede Kirche gemieden hatte, +stand bei den Mythikonern in dem schlimmen Rufe und der schwefelgelben +Beleuchtung eines verhärteten Freigeistes, es war ihnen eine +ausgemachte, nicht anzufechtende Tatsache, daß ihn über kurz oder lang +der Teufel holen werde--und dennoch waren sie herzlich erfreut, ja +gerührt, ihn auf ihrem Kirchwege einherschreiten zu sehen. Sie +erblickten in seinem Erscheinen durchaus nicht einen Akt der Buße, +denn sie liebten es nicht und hielten es für schmählich--hierin den +griechischen Dramatikern ähnlich--, wenn eine erwachsene Person ihren +Charakter wechselte; sie trauten es dem Generale zu, daß er konsequent +bleibe und resolut ins Verderben fahre. Die Mythikoner faßten +vielmehr den Kirchgang des alten Kriegsmannes als eine Höflichkeit auf, +als eine Ehre, die er der Gemeinde erweise, als einen öffentlichen +Abschiedsbesuch vor seinem Abgange ins Feldlager. + +Das Grüßen nahm kein Ende, und jeder Gruß ward von dem heute +ausnahmsweise Leutseligen mit einem Nicken oder einem kurzen +freundlichen Worte erwidert. Nur ein altes Weib, das böseste in der +Gemeinde, stieß ihre blödsinnige Tochter zurück, die den General +angaffte, und raunte ihr vernehmlich zu: "Verbirg dich hinter mir, +sonst nimmt er dich und macht dich zur Türkin!" + +Weniger erfreut über den Anblick des ungewohnten Kirchgängers war der +Pfarrer Wilpert Wertmüller, als er, mit Mantel und Kragen angetan, aus +dem Tore seines Hofraums trat, in dessen Mitte hinter einem +altergrauen Brunnen zwei mächtige Pappeln sich leis im Winde wiegten. +Seine Überraschung war eine vollständige; denn Rahel hatte geschwiegen. + +Der Pfarrer, ein Sechziger von noch rüstigem Aussehen und nicht gerade +geistreichen, aber männlichen Gesichtszügen, mochte den General als +einen versuchten Weidmann in Wald und Feld wohl leiden; daß er aber +seine Erbauung gerade in der Kirche von Mythikon suchte--das hätte er +ihm gerne erlassen. + +Je unwillkommener, desto höflicher war der General. Er zog den Hut, +dann nahm er den Pfarrer an der Hand und führte ihn in den Flur seines +Hauses zurück. Gerade in diesem Augenblicke setzte die schöne, +morgenfrische Rahel ihren Fuß auf die unterste Stufe der Treppe, +sonntäglich angetan und ebenfalls ein kleines, in schwarzen Sammet +gebundenes Gesangbuch in der Hand. + +"Kind, du bist reizend! eine Nymphe!" begrüßte sie Wertmüller. "Lasse +dich väterlich auf die Stirn küssen!" + +Sie weigerte sich nicht, und der kleine, aber fest und wohlgebaute +General richtete sich auf den Fußspitzen empor, um die feine weiße +Stirn des hochgewachsenen Mädchens zu erreichen, eine eher komische +als zärtliche Gruppe. + +"Bittest du mich nach der Predigt zu Tische, Alter?" fragte Wertmüller. + +"Selbstverständlich!" versetzte der gastfreundliche Pfarrer. "Rahel +bleibt zu Hause und besorgt die Küche." + +Das willige Mädchen fügte mit einem leichten Knickse hinzu: "Wir +bedanken uns, Pate!" und eilte in das obere Stockwerk zurück. + +"Ich bringe dir etwas mit, Alter", lächelte der General. + +"Gewehr?" fuhr der Pfarrer heraus, und seine Augen leuchteten. + +Wertmüller nickte bejahend und zog unter dem breiten Schoße seines +Sammetrockes ein Pistol hervor. Die vornehme Fasson und der +damaszierte Lauf des kleinen Meisterstückes der damaligen +Büchsenschmiedekunst stachen dem Pfarrer gewaltig in die Augen. Seine +ganze Leidenschaft erwachte. Wertmüller trat mit ihm aus dem +dämmerigen Flur durch die Hintertüre der Pfarre in den Garten, um ihn +die kostbare kleine Waffe im vollen Tageslichte bewundern zu lassen. + +Die ganze Langseite des Hauses war mit einer ziemlich niedrigen +Weinlaube bekleidet; an dem einen Ende dieses grünen Bogenganges hatte +der Pfarrer vor Jahren eine steinerne Mauer mit einer kleinen Scheibe +aufführen lassen, um sich, an dem entgegengesetzten Eingange Posto +fassend, während seiner freien Stunden im Schießen zu üben. + +"Aus der Levante?" fragte er, sich des Pistols bemächtigend. + +"Venezianische Nachahmung. Sieh hier die verschlungene Chiffre +GG--bedeutet Gregorio Gozzoli", rühmte Wertmüller. + +"Ich erinnere mich, diesen Schatz von Pistölchen in deiner +Waffenkammer auf der Au gesehen zu haben,--aber war es nicht ein +Pärchen?" + +"Du träumst..." + +"Ich kann mich geirrt haben. Spielt das kleine Ding leicht?" + +"Leider ist der Drücker etwas verhärtet, aber du darfst das fremde +Meisterstücklein keinem hiesigen Büchsenmacher anvertrauen, er würde +dir es verderben." + +"Etwas hart? tut nichts!" sagte der Pfarrer. Er nahm trotz Mantel und +Kragen am einen Ende der Laube Stellung. Auf dem linken Fuße ruhend, +den rechten vorgesetzt, zog er den Hahn und krümmte den Arm. + +Eben verstummten die Glocken auf dem nahen Kirchturme, und das +Auszittern ihrer letzten Schläge verklang in dem Gesumme der Wespen, +die sich geräuschvoll um die noch nicht geschnittenen Goldtrauben der +Laube tummelten. + +Der Pfarrer hörte nichts--er drückte und drückte mit dem Aufgebot +aller Kraft. + +"Pfui, Alter, was schneidest du für Grimassen?" spottete Wertmüller. +"Gib her!" Er entriß ihm die Waffe und legte seinen eisernen Finger an +den Drücker. Der Hahn schlug schmetternd nieder. "Du verlierst deine +Muskelkraft, Vetter! Dich entnervt die gliederlösende Senectus! Ich +will dir selbst den Mechanismus etwas geschmeidiger machen--du weißt, +daß ich ein ruhmreicher Schlosser und ganz leidlicher Büchsenschmied +bin!" Der General ließ die schmucke kleine Waffe in die Tiefe seiner +Tasche zurückgleiten. + +"Nein, nein, nein!" rief der Pfarrer leidenschaftlich. "Du hast es +mir einmal geschenkt! Ich lasse es nicht mehr aus den Händen!..." + +Zögernd hob der General das Pistol wieder hervor--nicht mehr dasselbe. +Er hatte es, der alte Taschenspieler, mit dem auch für ein schärferes +und ruhiges Auge nicht leicht davon zu unterscheidenden Zwillinge +gewechselt. + +Der Pfarrer hielt die Waffe kaum wieder in der Hand, als er sich von +neuem in Positur stellte, denn er war ganz Feuer und Flamme geworden, +und Miene machte, den Hahn noch einmal zu spannen. + +Der General aber fiel ihm in den Arm. "Hernach!" redete er ihm zu. +"Donnerwetter! Es hat längst ausgeläutet." + +Herr Wilpert Wertmüller erwachte wie aus einem Traume, besann sich, +lauschte. Es herrschte eine tiefe Stille, nur die Wespen summten. + +Er steckte das Pistol eilig in die geräumige Rocktasche, und die +Vettern beschritten den kurzen, jetzt völlig menschenleeren Weg nach +der nahen Kirche. + + + + +Neuntes Kapitel + + +Als die zwei Wertmüller den heiligen Raum betraten, war er schon bis +auf den letzten Platz gefüllt. Im Schiffe saßen rechts die Männer, +links die Weiber, im Chore, das Antlitz der Gemeinde zugewendet, die +Kirchenältesten, unter ihnen der Krachhalder. + +Zwei breite, oben durch ein großes Halbrund verbundene Mauerpfeiler +schieden Chor und Kirche. An dem rechts gelegenen schwebte die Kanzel +und am Fuße der steilen Kanzeltreppe befand sich der einzig leer +gebliebene Sitz, der mit Schnitzwerk verzierte Stuhl von Eichenholz, +welchen der Pfarrer während des Gesanges einzunehmen pflegte. Diesen +wies er jetzt dem General an und bestieg ohne Verzug die Kanzel. Der +Verspätete hatte Eile, der Gemeinde die Nummer des heutigen +Kirchenliedes zu bezeichnen. + +Es war das beliebteste des neuen Gesangbuchs, ein Danklied für die +gelungene Lese, erst in neuerer Zeit verfaßt und aus Deutschland +gekommen, mit dreisten und geschmacklosen Schnörkeln im damaligen +Rokokostile, aber nicht ohne Klang und Farbe. + +Jede Strophe begann mit der Aufforderung, den Geber alles Guten +vermittelst eines immer wieder andern Instrumentes zu loben. Dem +Autor mochte ein Kirchenbild vorgeschwebt haben. Aber nicht jene +zarten musizierenden Engel Giambellinis, welche an das Dichterwort +erinnern: + +Da geigen die Geiger so himmlisch klar, +Da blasen die Bläser so wunderbar... + + +Nein! sondern die auf einer robusten Wolke lagernde und mit allen +möglichen Instrumenten ausgerüstete pausbäckige himmlische Hofkapelle +irgendeines Bravourbildes aus der Rubensschen Schule. + +"Frohlocket, frohlocket!..." erscholl es heiter und volltönig in dem +schönen, reinlichen Raume, durch dessen acht Spitzbogenfenster das +leuchtende Blau des himmlischen Tages hereinquoll. + +Der General, dessen Eintritt ein wohlgefälliges Gemurmel erregt hatte, +wendete sein gesammeltes Antlitz der Gemeinde zu, konnte aber mit +einer ungezwungenen Wendung des Kopfes leicht den hohen Sitz +beobachten, wo sein Vetter horstete. Eben jetzt warf er einen Blick +hinauf. Der Seelsorger von Mythikon, der das Jubellied schon oft +gehört hatte und seiner ebenfalls schon oft gehaltenen Predigt sicher +war, betastete leise seine Tasche. + +"Posaunet, posaunet!..." dröhnte es durch das Schiff. Wertmüller +schielte die Kanzeltreppe hinauf. Der Vetter hatte das kleine +Terzerol aus der Tasche gezogen und betrachtete es hinter der hohen +Kanzelbrüstung mit Augen der Liebe. + +"Drommetet, drommetet!..." sangen die Mythikoner. Mitten durch den +Trompetenlärm hörte der General deutlich ein scharfes Knacken, als +würde droben ein Hahn gezogen. Er lächelte. + +Jetzt kam die letzte, die Lieblingsstrophe der Mythikonerinnen. "Und +flötet, o flötet!..." sangen sie, so schön sie konnten. Der General +warf wieder einen verstohlenen Blick nach der Kanzel hinauf. Spielend +legte der Pfarrer eben seinen dicken Finger an den Drücker; wußte er +doch, daß er die Feder mit aller Gewalt nicht bewegen konnte. Aber er +zog ihn gleich wieder zurück, und die sanften Flöten verklangen. + +Der General unten an der Kanzel legte in gedrückter Stimmung sein +Gesicht in Falten. + +Jetzt betete der geistliche Herr, der das kleine Gewehr in seine +geräumige Tasche zurückgleiten ließ, in aller Andacht die Liturgie und +las dann den Text aus der großen, ständig auf dem Kanzelbrette +lagernden Bibel. Es war der herrliche siebenundvierzigste Psalm, der +da beginnt: Frohlocket mit Händen, alle Völker, lobet Gott mit großem +Schalle! + +Frisch und flott ging es in die Predigt hinein und schon war sie über +ihr erstes Drittel gediehen. Noch einmal lauerte der General empor, +sichtlich enttäuscht, mit einem fast vorwurfsvollen Blicke, der sich +aber plötzlich erheiterte. Der Pfarrer hatte im Feuer der Aktion, +während seine Linke vor allem Volke gestikulierte, mit der durch die +Kanzel gedeckten Rechten instinktiv das geliebte Terzerol wieder +hervorgezogen. "Lobet Gott mit großem Schalle!" rief er aus, und, +paff! knallte ein kräftiger Schuß. Er stand im Rauch. Als er wieder +sichtbar wurde, quoll die blaue Pulverwolke langsam um ihn empor und +schwebte wie ein Weihrauch über der Gemeinde. + +Entsetzen, Schreck, Erstaunen, Ärger, Zorn, ersticktes Gelächter, +diese ganze Tonleiter von Gefühlen fand ihren Ausdruck auf den +Gesichtern der versammelten Zuhörer. Die Kirchenältesten im Chor aber +zeigten entrüstete und strafende Mienen. Die Lage wurde bedenklich. + +Jetzt wendete sich der General mit einer zugleich leutseligen und +imponierenden Gebärde an die aufgeregten Mythikoner: + +"Lieben Brüder, laßt euch den Schuß nicht anfechten. Bedenket: es ist +nach menschlicher Voraussicht das letztemal, daß ich mich in eurer +Mitte erbaue, ehe ich diesen meinen sterblichen Leib den Kugeln +preisgebe.--Und Ihr, Herr Pfarrer, zeigt Euch als einen entschlossenen +Mann und führt Euern Sermon zu Ende." + +Und wirklich, der Pfarrer setzte unerschrocken wieder ein und fuhr in +seiner Predigt fort, unbeirrt, ohne den Faden zu verlieren, ohne sich +um ein Wort zu vergreifen, zu stottern oder sich zu versprechen. + +Alles kehrte wieder in die Ordnung zurück. Nur das blaue +Pulverwölkchen wollte sich in dem geschlossenen Raume gar nicht +verlieren und schwebte hartnäckig über der Gemeinde, bald im Schatten, +bald von einem Sonnenstrahl beleuchtet, bis seine Umrisse immer +ungewisser wurden und sich endlich auflösten. + + + + +Zehntes Kapitel + + +Während der Pfarrer seine Predigt tapfer zu Ende führte, hatte die +daheimgebliebene Rahel der alten Babeli und dem zur Aushilfe von +dieser herbeigeholten Nachbarskinde ihre Befehle gegeben und trat +jetzt, ein Körbchen und ein kleines Winzermesser in der Hand, vor die +hintere Haustüre, um einige ihrer reifen sonnegebräunten Goldtrauben +von der Laube zu schneiden. + +Da sah sie, sich gerade gegenüber, wo der Fußsteig um die von der +Landstraße abliegende Seite des Gartens lief, ein seltsames Schauspiel. + +Ein unheimlicher Mensch stützte die Hände auf den Zaun, schwang sich +mit fliegenden Rockschößen in einem wilden Satze über die Hecke und +kam ihr stracks entgegen. Kaum traute sie ihren Augen. Konnte er es +sein? Unmöglich! Und doch, er war es. + +Pfannenstiel hatte das Frühstück, welches ihm der dienstbeflissene +Mohr im Speisesaale auf der Au versetzte, kaum berührt. Es trieb ihn +fort über die jetzt gesenkte Zugbrücke, bergan, der Pfarre von +Mythikon zu. Er wußte, daß er die Straßen und Steige, wenn auch nur +für kurze Zeit, noch leer fand. Das orientalische Schemen war im +Morgenwinde verflattert; aber, wie himmlisch leuchtend und frisch der +Herbsttag aus seinen Nebelhüllen hervortrat, einer der gestern +empfangenen Eindrücke war wie ein Stachel in der aufgeregten Seele des +Kandidaten haften geblieben. + +Ihm fehle die Männlichkeit, hatte der General ihm vorgehalten, die +einen unfehlbaren Sieg über das Weibliche davontrage. Das gab dem +Kandidaten zu schaffen, und da sich ihm eine nächste Gelegenheit bot, +etwas nach seiner Ansicht Kühnes zu unternehmen, und gerade das, wozu +der General ihn aufgefordert hatte, so entschloß sich der Verwilderte, +Rahel, wenn auch ohne Feuerwaffe, mit einem Morgenbesuche zu +überraschen. + +Der Sprung über die Hecke war dann freilich keine Heldentat gewesen, +sondern eine Flucht vor den ersten heimkehrenden Kirchgängern, die er +zwischen den Bäumen der Landstraße zu sehen glaubte. + +Wie er sich mit unternehmender Miene und in entschiedener Haltung der +Wertmüllerin näherte, erschrak diese ernstlich über sein Aussehen, +seine fiebernden Augen, die Blässe und Abspannung, wie sie eine +schlaflose Nacht auf dem Antlitze zurückläßt. Auch der herabhängende, +halb abgedrehte Knopf und die Leere, die der andere weggerissene +gelassen, entgingen ihr natürlich keinen Augenblick und vollendeten +den beängstigenden Eindruck. + +"Um Himmels willen, was ist Euch, Herr Vikar?" sagte das Mädchen. +"Seid Ihr krank? Ihr habt etwas Verstörtes, Fremdes an Euch, das mich +erschreckt. O der heillose Pate--was hat er mit Euch vorgenommen? Er +gelobte mir doch, Euch nichts anzutun, und nun hat er Euch gänzlich +zerrüttet! Erzählt mir haarklein, was Euch auf der Au zugestoßen-- +vielleicht weiß ich Rat." + +Als ihr der Kandidat in die verständigen und doch so warmen Augen +blickte, ward er sich urplötzlich dessen bewußt, was ihn eigentlich +hergetrieben. Der Kobold des Abenteuers, der sich beim ersten +Schritte, den er auf der Au getan, ihm auf den Nacken gesetzt hatte, +sprang von seinem Rücken und ließ ihn fahren. + +Bis ins kleinste beichtete er den klaren braunen Augen seine +Erlebnisse auf der Insel, nur die Vision der Türkin weglassend, die ja +eine Ausgeburt seines erhitzten Gehirns gewesen war. Er gestand ihr, +ihn habe der Vorwurf des Generals, ihm fehle das Männliche, verblüfft +und beunruhigt, auch jetzt könne er noch nicht darüber hinwegkommen. +Und er bat sie, ihm aufrichtig zu sagen, ob hier ein Mangel sei und +wie dem abzuhelfen wäre. + +Rahel betrachtete ihn ein Weilchen fast gerührt, dann brach sie in ein +helles Gelächter aus. + +"Der Pate trieb mit Euch sein Spiel", sagte sie, "aber daß er Euch das +griechische Abenteuer widerriet, war recht. Ihr wolltet aus Eurer +eigenen Natur heraus, und er hat Euch heimgespottet... Warum auch? +Wie Ihr seid, und gerade wie Ihr seid, gefallt Ihr mir am besten. +Papas ungeistliche Waidlust hat mir genug schwere Stunden gemacht! +Für mich lob ich mir den Mann, der unsern Dorfleuten mit einem +erbaulichen, durchsichtigen Wandel vorleuchtet, unsern Zehntwein +schluckweise trinkt, seine Frau liebhat und zuweilen von einem +bescheidenen und gelehrten Freunde besucht wird!... Diese Kavaliere! +Ich habe übergenug von ihren Tafeldiskursen, wenn sie den Vater mit +Roß und Wagen überfallen!--Der Pate hat Euch gestern in so manches +eingeweiht, hat er Euch nicht auch den Streich erzählt, den er mit +achtzehn Jahren seinem jungen Weibe spielte? Sie gelüstete nach +Spanischbrötchen, wie man solche in Baden bäckt. 'Ich hole sie dir +warm!' sagte er galant, sattelte und verritt. In Baden legte er die +Brötchen in eine Schachtel und eine Zeile dazu, er verreise ins +schwedische Lager. Diesen Abschied sandte er durch einen Boten, ihn +selbst aber sah sie viele Jahre nicht wieder. Das hättet Ihr nicht +getan!" Und sie reichte dem stillen Vikar die Hand. + +"Aber jetzt muß ich Euch sogleich die Knöpfe befestigen", setzte sie +rasch hinzu, "es tut mir in den Augen und in der Seele weh, Euch in +diesem Zustande zu sehen! Setzt Euch!"--dabei zeigte sie auf ein +Bänklein unter der Laube--"ich hole Zwirn und Nadel." + +Pfannenstiel gehorchte, und sie entsprang mit dem traubengefüllten +Körbchen. + +Nun kam es über ihn wie Paradiesesglück. Licht und Grün, die niedrige +Laube, das bescheidene Pfarrhaus, die Erlösung von den Dämonen des +Zweifels und der Unruhe! + +Sie freilich, die ihn davon befreit hatte, war selbst von Unruhe +ergriffen. Welchen Streich hatte der General geplant oder schon +ausgeführt? Sie machte sich Vorwürfe, ihm freie Hand dazu gegeben zu +haben. + +In der Küche erfuhr sie, der Herr Pfarrer habe sich mit dem General +eingeschlossen und bald darauf seien die Kirchenältesten langsam und +feierlich die Treppe hinaufgeschritten. Etwas Unerhörtes müsse in der +Kirche vorgefallen sein. + +Der Fischkuri, der ihr aus seinem Troge Forellen brachte, wurde von +ihr befragt; aber er war nicht zum Reden zu bringen und schnitt ein +dummes Gesicht. + +Bestürzt eilte das Mädchen in ihre Kammer und mußte lange suchen, ehe +sie Nadel und Zwirn fand. + + + + +Elftes Kapitel + + +Nachdem der Gottesdienst zu Mythikon ohne weitere Störung sein Ende +genommen hatte, waren die Vettern nebeneinander in die nahe Pfarre +zurückgeschritten, der Seelsorger zur Rechten des Generals, ohne sich +um den Ausdruck der öffentlichen Meinung zu kümmern, welcher in den +Mienen der ihnen Begegnenden unverkennbar zu lesen war. + +Dort öffnete der geistliche Wertmüller sein Studierzimmer, ließ den +weltlichen wie einen straffälligen armen Sünder nachkommen und +verschloß sorgfältig die Türe. Dann trat er dicht an den Freveltäter +heran. "Vetter General", sagte er, "du hast an mir gehandelt als ein +Schelm und ein Bube!", und er machte Miene, ihn am Kragen zu packen. + +"Hand weg!" entgegnete dieser. "Soll ich mich mit dir raufen, wie +weiland mit dem Vetter Zeugherr von Stadelhofen in der Ratslaube zu +Zürich, als wir uns die Perücken zausten, daß es nur so stob! Bedenke +dein Amt, deine Würde!" + +"Mein Amt, meine Würde!" wiederholte der Pfarrer langsam und +schmerzlich. Eine Träne netzte seine graue Wimper. Mit diesen vier +schlichten Worten war dasselbe ausgedrückt, was uns in jener +großartigen Tirade erschüttert, mit welcher Othello von seiner +Vergangenheit und seinem Amte Abschied nimmt. + +Der General schluckte. Die Träne des alten Mannes war ihm entschieden +zuviel. + +"La, la", tröstete er, "du hast eine prächtige Kaltblütigkeit gezeigt. +Auf meine Ehre, ein echter Wertmüller! Es ist ein Feldherr an dir +verlorengegangen." + +Aber die Schmeichelei verfing nicht. Auch der Moment der Wehmut war +vorübergegangen. + +"Womit habe ich dich beleidigt?" zürnte der Entrüstete. "Habe ich je +in meiner Kirche auf dich gestichelt oder angespielt? Habe ich dich +nicht in deinem Heidentume völlig werden lassen und dich gedeckt, wie +ich konnte?--Und zum Danke dafür hast du mir hinterlistig das Pistol +vertauscht, du Gaukler und Taschenspieler!--Warum beschimpfst du meine +grauen Haare, Kind der Bosheit? Weil es dir in deiner eigenen Haut +nicht wohl ist!..." + +"La, la", sagte der General. + +Es pochte. Die Kirchenältesten von Mythikon traten in die Stube, dem +Krachhalder den Vortritt lassend, und stellten sich in einem +Halbkreise den Wertmüllern feierlich fast feindselig gegenüber. Der +General las in den langen gefurchten Gesichtern, daß er mit seinem +lästerlichen Scherze das dörfliche Gefühl schwer beleidigt hatte. + +In der Tat, der Krachhalder, auf den sie alle hinhörten, war in den +Tiefen seiner Seele empört. Wenn er sich auch den abenteuerlichen +Vorfall nicht ganz erklären konnte, setzte er ihn doch unbedenklich +auf die Rechnung des Generals, welcher, die Schwäche seines +geistlichen Vetters sich zunutze machend, ein landkundiges Ärgernis +habe anstiften wollen. Dem Krachhalder lag die Ehre seiner Gemeinde +am Herzen, und er hatte das Mythikonerkirchlein mit seinem schlanken +Helme und seinen hellen acht Fenstern aufrichtig lieb.--Süß war ihm +nach dem Schweiße der Woche der Kirchgang im reinlichen Sonntagsrocke +und den Schnallenschuhen, süß und nachdenklich Taufe und Bestattung, +die den Gottesdienst und das menschliche Leben begrenzen und einrahmen, +süß das Angeredetwerden als sterblicher Adam und unsterbliche Seele, +süß das Kämpfen mit dem Schlummer, das Übermanntwerden, das +Wiedererwachen; süß das kräftige Amen, süß das Zusammenstehen mit den +Ältesten auf dem Kirchhofe und die Begrüßung des Pfarrers, süß das +gemütliche Heimwandeln. + +Man mußte ihn sehen, den ehrbaren Greis mit dem scharfgezeichneten +Kopfe, wenn er bei einer Armensteuer, nach der Aufforderung des Herrn +Pfarrers zu schöner brüderlicher Wohltat, das Wasser in den Augen, aus +seinem Geldbeutel ein rotes Hellerchen hervorgrub!-- + +Kurz, der Krachhalder war ein kirchlicher Mann, und das Herz blutete, +oder richtiger gesagt, die Galle kochte ihm, die Stätte seiner +sonntäglichen Gefühle verunglimpft und lächerlich gemacht zu sehen. + +"Was führt Euch hieher?" redete der General ihn an und fixierte ihn +mit blitzenden Augen so scharf, daß der Krachhalder, der trotz seines +guten Gewissens das nicht wohl ertragen konnte, mit seinen +Augensternen nach rechts und links auswich, bis es ihm endlich gelang +standzuhalten. + +"Macht aus einer Mücke keinen Elefanten!" fuhr Wertmüller, ohne die +Antwort zu erwarten, fort. "Nehmt den Schuß als einen verspäteten aus +der Lese, oder, in Teufels Namen, für was Ihr wollt!" + +"Die Lese war mittelmäßig", erwiderte der Kirchenälteste mit +verhaltenem Grimme, "und der Schuß ist ein recht böser Handel, Ihr +Herren Wertmüller! Ich besitze eine Chronik von Stadt und Land; +darinnen steht verzeichnet, daß vor Jahren einem jungen geistlichen +Herrn, der seiner Braut über den heiligen Kelch hin mit verliebten +Augen zuwinkte...", der Krachhalder machte an seinem Halse das Zeichen +eines Schnittes. + +"Blödsinn!. fuhr der General ungeduldig dazwischen. + +"Ich habe zu Hause auch eine Ketzergeschichte", sprach der Krachhalder +hartnäckig fort, "darinnen alle Trennungen und Sekten von Anfang der +Welt an beschrieben und abgebildet sind. Aber kein Adamit oder +Wiedertäufer hat es je unternommen, bei währender Predigt einen Schuß +abzugeben. Das, Herr Pfarrer, ist eine neue Religion." + +Dieser seufzte. Das Beispiellose seiner Tat stand ihm deutlich genug +vor Augen. + +"Man wird den Schuß in Zürich untersuchen", drohte jetzt der +unbarmherzige Bauer, "die Synagoge", er wollte sagen Synode, "wird +darüber sitzen. Es tut mir leid für Euch, Herr Pfarrer; aber ich +hoffe, sie fällt einen scharfen Spruch. Auch so wird uns der Spott +nicht erspart werden, und das ist das Schlimmste, denn der Spott hat +ein zähes Leben an unserm See. Wenn ich nur dran denke, wird es mir, +beim Eid, schwarz vor den Augen. Das ganze rechte Ufer da drüben +lacht uns aus. Keinen Schoppen können wir mehr trinken in Meilen oder +Küßnach, ohne daß sie uns verhöhnen in allen Tonarten und Liederweisen. +Der Schuß von Mythikon stirbt nicht am See, so wenig als in Altorf +der Tellenschuß. Er haftet und lebt bei Kind und Kindeskind. Ich +berufe mich auf Euch, Herr General", fuhr er fort, und die alten Augen +leuchteten boshaft, "Ihr wißt, was das heißen will! Wie lange ist es +her, daß Ihr von Rapperswyl abzogt? Damals wurdet Ihr von den +Katholischen besungen, und, glaubt Ihr's? das lebt noch. Ihr seid ein +verrühmter, abfigürter Mann, aber was hilft das? Erst vorgestern noch +fuhr ein volles Pilgerschiff von Richterswyl her um die Au mit großem +Lärm und Gesang. Ich stand in meinem Weinberge und denke: die Narren! +--Gegen Euer Haus hin werden sie still. 'Das macht der Respekt', sag +ich zu mir selbst. Ja, da hatt' ich es getroffen. Kaum sind sie +recht unter Euern Fenstern, so bricht das Spottliedlein los. Ihr wißt +das, wo sie den Wertmüller heimschicken zur Müllerin! Gut, daß Ihr +verritten wart! Meineidig geärgert hab ich mich in meinen Reben..." + +"Schweigt!" fuhr ihn der General zornig an; denn der alte Schimpf +jener aufgehobenen Belagerung brannte jetzt noch auf seiner Seele, ja +schärfer als früher, als wäre er mit jener Tinte verzeichnet, die erst +nach Jahren schwarz und unvertilglich hervortritt. + +Doch er beherrschte sich und wechselte den Ton. "Etwas Konfusion +gehört zu jeder Komödie", sagte er, "aber wenn sie ihren Höhepunkt +erreicht hat, muß ihr eine rasche Wendung zu gutem Schlusse helfen, +sonst wird sogar die Verrücktheit langweilig. + +"Herr Pfarrer und liebe Nachbarn! + +"Gestern bis tief in die Nacht habe ich an meinem Testamente +geschrieben und es Schlag zwölf Uhr unterzeichnet. Ich kenne Euer +warmes Interesse an allem, was ich tue, lasse und nachlasse; erlaubt +denn, daß ich Euch einiges daraus vorlese." + +Er zog eine Handschrift aus der Tasche und entfaltete sie. "Den +Eingang, wo ich ein bißchen über den Wert der Dinge philosophiere, +übergeh ich... 'Wenn ich, Rudolf Wertmüller, jemals sterbe...', doch +das gehört auch nicht hieher...", er blätterte weiter. "Hier! +'Schloß und Herrschaft Elgg, die ich aus den redlichen Ersparnissen +meines letzten Feldzuges erworben, bleibt als Fideikommiß in meiner +Familie', usw. 'Item--sintemal diese Herrschaft eine treffliche, aber +vernachlässigte Jagd besitzt und eine mit den Beutestücken eben jener +Kampagne versehene, aber noch unvollständige Waffenkammer, so verfüge +ich, daß nach meinem Ableben mein Vetter, der Herr Pfarrer Wilpert +Wertmüller, benanntes Schloß und Herrschaft bewohne und bewerbe, die +Jagd herstelle, die Waffenkammer vervollkommne und überhaupt und in +jeder Weise bis an sein Ende frei darüber schalte und walte, wenn +anders dieser geistliche Herr sich wird entschließen können, sein in +Mythikon habendes Amt niederzulegen und antistite probante an den +Kandidaten Pfannenstiel zu transferieren, welchem Kandidaten ich mein +Patenkind, die Rahel Wertmüllerin, zur Frau gebe, nicht ohne die +väterliche Einwilligung jedoch, und mit Hinzufügung von dreitausend +Zürchergulden, die ich dem Fräulein, in meinen Segen eingewickelt, +hinterlasse.' + +"Uff", schöpfte der General Atem, "diese Sätze! Eine verteufelte +Sprache, das Deutsche!"-- + +Der Pfarrer kam sich vor wie ein Schiffbrüchiger, den dieselbe Welle +begräbt und ans Land trägt. Seine verhängnisvolle Leidenschaft +abgerechnet, ein verständiger Mann, erkannte er sofort, daß ihm der +General den einzigen und dazu einen höchst angenehmen Weg öffne, der +ihn aus Schimpf und Schande führen konnte. + +Er drückte seinem Übel- und Wohltäter mit einer Art von Rührung die +Hand, und dieser schüttelte sie ihm mit den Worten: "Komme ich durch, +so soll es dein Schade nicht sein, Vetter! Ich tue dann, als wär' ich +tot, und installiere dich als mein eigener Testamentsvollstrecker in +Elgg!" + +Die Mythikoner aber lauschten gleichsam mit allen Gliedmaßen, denn es +schwante ihnen, daß jetzt sie an die Reihe kämen, beschenkt zu werden. + +"Ich vermache denen Mythikern", fuhr der General fort und sein +Bleistift flog über das Papier in seiner Linken, denn er skizzierte +den durch die Eingebung des Augenblickes entstandenen Paragraphen, +"denen Mythikern vermache ich jene in ihre Gemeindewaldung am Wolfgang +eingekeilte, zu zwei Dritteln mit Nadelholz, zu einem Drittel mit +Buchen bestandene Spitze meines Besitztums, in der Weise, daß die +beiden Marksteine des Gemeindegutes zu meinen Ungunsten durch eine +gerade Linie verbunden werden.-- + +"Heute noch--auf Ehrenwort und vor Zeugen--erhält dieser Zusatz mit +meiner Unterschrift seine Endgültigkeit," erklärte der General, "in +der Meinung jedoch und unter der Bedingung, daß der heute, wie eine +unverbürgte Sage geht, in der Kirche von Mythikon abgefeuerte Schuß zu +den ungeschehenen Dingen verstoßen und, soweit er Realität hätte, mit +einem ewigen Schweigen bedeckt werde, welches sich die Mythiker +eidlich verpflichten, weder in diesem Leben zu brechen noch jenseits +des Grabes am jüngsten Tage und letzten Gerichte." + +Der Krachhalder war während dieser Mitteilung äußerlich ruhig +geblieben, nur die Nasenflügel in dem übrigens gelassenen Gesicht +zitterten ein wenig, und seine Fingerspitzen hatten sich um ein +kleines einwärts gebogen, als wolle er das Geschenk festhalten. "Herr +General, so wahr mir Gott helfe!" rief er jetzt und hob die Hand zum +Schwure; Wertmüller aber schloß: + +"Widrigenfalls und bei gebrochenem Schweigen ich dies Vermächtnis bei +meiner Rückkehr aus dem bevorstehenden Feldzuge umstoßen und vertilgen +werde. Wäre mir dies nicht möglich wegen eingetretenen Sterbefalles, +so schwöre ich, mich den Mythikern als Geist zu zeigen und zur Strafe +ihres Eidbruches zwischen zwölf und eins ihre Dorfgasse +abzupatrouillieren.--Werdet Ihr die Bedingung erfüllen können, +Krachhalder?" + +"Unwitzig müßten wir sein", beteuerte dieser, "wenn wir nicht das Maul +hielten!" + +"Und Eure Weiber?" + +"Dafür laßt uns Mythikoner sorgen", sagte der alte Bauer ruhig und +machte eine bedeutungsvolle Handbewegung. + +"Aber, Krachhalder, stellt Euch vor, ich sei aus dem Reiche zurück", +sagte der General freundlich, "Wir sitzen unter meiner Veranda, ich +lege Euch so wie jetzt die Hand auf die Schulter, stoße mit Euch an +und wir plaudern allerlei. Dann sag ich so im Vorbeigehen: Jener +Schuß hat gut gekracht!..." + +"Welcher Schuß?--Das lügt Ihr, Herr General!" rief der Kirchenälteste +mit einer sittlichen Entrüstung, die komischerweise durchaus nicht +gespielt war, sondern das Gepräge vollkommener Aufrichtigkeit trug. + +Wertmüller lächelte zufrieden. + +"Jetzt heim, Ihr Männer!" mahnte der Alte. "Damit kein Unglück +geschehe, muß in einer Viertelstunde das ganze Dorf wissen, daß der +Schuß... will sagen, daß wir heute eine gute Predigt gehört haben." + +Er drückte dem Pfarrer die Hand. "Und Euch, Herr General", sagte er, +"reiche ich sie als Eidgenosse." + +"Verzicht einen Augenblick", befahl Wertmüller, "und seid Zeugen, wie +ein glücklicher Vater zwei Hände zusammenlegt. Der Vikar kann nicht +ferne sein. Trogen mich nicht die Augen, so sah ich ihn von weitem +über eine Hecke voltigieren mit einem Salto, den ich ihm nie zugetraut +hätte." + +"Rahel, mein Kind, schnell!" rief der Pfarrer durch die geöffnete Türe +ins Haus hinein. + +"Gleich, Vater!" scholl es zurück; aber nicht aus dem Innern der +Wohnung, sondern von außen durch das Weinlaub des Bogenganges herauf. + +Rasch blickte der General aus dem Fenster und gewahrte durch das +Blattgitter seine Schützlinge in einer Gruppe, die er sich durchaus +nicht erklären konnte. + +"Hervor, Hirt und Hirtin, aus Arkadiens Lauben!" rief der alte Soldat. + +Da schritt Rahel unmutig errötend unter dem schützenden Blätterdache +hervor und betrat mit Pfannenstiel, den sie mitzog, ein kleines von +Edelobstbäumen umzogenes Rondell, das hart vor den Fenstern der +Studierstube lag, aus denen der General mit den neugierigen +Kirchenvorstehern herunterschaute. + +Das Fräulein hielt eine Nadel in der gelenken Hand und befestigte vor +aller Augen einen herabhängenden Knopf am Rocke des Kandidaten. Sie +ließ sich in der Arbeit nicht stören. Erst nachdem sie den Faden +gekappt hatte, heftete sie die braunen Augen, in denen Ernst und +Übermut kämpften, fest auf ihren wunderlichen Schutzgeist und rief ihm +zu: + +"Pate, Ihr habt mir in kurzer Zeit den Herrn Vikar fast zerstört und +zugrunde gerichtet. Wohl mußt' ich ihn wieder in Ordnung bringen, +damit er vor Gott und Menschen erscheinen könne! Was aber habt Ihr +mit dem obersten Knopfe angefangen, der hier mangelte und den ich +durch einen des Vaters ersetzen mußte?--Schafft ihn zur Stelle, oder..." +Sie erhob die Nadel mit einer so trotzigen und blutdürstigen Gebärde +gegen den General, daß die Männer alle in schallendes Gelächter +ausbrachen. + +Nach wenigen Augenblicken traten Pfannenstiel und Rahel vor den +Pfarrer, der sie verlobte und segnete. + +Als aber die vergnügten Kirchenältesten sich entfernt hatten, gab der +würdige Herr seinem künftigen Schwiegersohne noch eine kurze Ermahnung: + +"Was war das, Herr Vikar? An der Kirche vorüberschlüpfen, abgerissene +Knöpfe!... Wo bleibt da die Würde, das Amt?" + +Dann wandte er sich gegen den General: "Ein Pärchen!" sagte er, "nun +das andere! Gebt her, Vetter!" + +Und er langte ihm ohne Umstände in die Rocktasche, hob daraus das +hartspielende Pistol, zog dann das in der Kirche entladene +leichtspielende aus der seinigen und hielt sie vergleichend zusammen. + + + +So begab es sich, daß der Schuß von Mythikon totgeschwiegen und, im +Widerspiel mit dem Tellenschusse, aus einer Realität zu einer blassen +wesenlosen Sage verflüchtigt wurde, die noch heute als ein heimatloses +Gespenst an den schönen Ufern unsres Sees herumschwebt. + +Aber auch wenn die Mythikoner geplaudert hätten, der General konnte +sein Testament nicht mehr entkräften, denn er hatte die Eichen der Au +zum letzten Male gesehen. + +Sein Ende war rasch, dunkel, unheimlich. Eines Abends beim +Lichteranzünden ritt er mit seinem Gefolge in ein deutsches Städtchen +ein, stieg im einzigen schlechten Wirtshause ab, berief den Schöffen +zu sich und ordnete Requisitionen an. Ein paar Stunden später wurde +er plötzlich von einem Krankheitsanfalle niedergeworfen und Schlag +Mitternacht hauchte er seine seltsame Seele aus. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Schuß von der Kanzel, von +Conrad Ferdinand Meyer. + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER SCHUSS VON DER KANZEL *** + +This file should be named 8schk10.txt or 8schk10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8schk11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8schk10a.txt + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. 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