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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/9495-8.txt b/9495-8.txt new file mode 100644 index 0000000..758d137 --- /dev/null +++ b/9495-8.txt @@ -0,0 +1,3766 @@ +Project Gutenberg's Die Hochzeit des Moenchs, by Conrad Ferdinand Meyer + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Die Hochzeit des Moenchs + +Author: Conrad Ferdinand Meyer + +Posting Date: October 3, 2014 [EBook #9495] +Release Date: December, 2005 +First Posted: October 5, 2003 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HOCHZEIT DES MOENCHS *** + + + + +Produced by Delphine Lettau and Gutenberg Projekt-DE + + + + + + + + + + +Die Hochzeit des Mönchs + +Conrad Ferdinand Meyer + + + +Es war in Verona. Vor einem breiten Feuer das einen weiträumigen Herd +füllte, lagerte in den bequemsten Stellungen, welche der Anstand +erlaubt, ein junges Hofgesinde männlichen und weiblichen Geschlechts +um einen ebenso jugendlichen Herrscher und zwei blühende Frauen. Dem +Herd zur Linken saß diese fürstliche Gruppe, welcher die übrigen in +einem Viertelkreis sich anschlossen, die ganze andere Seite des Herdes +nach höfischer Sitte frei lassend. Der Gebieter war derjenige +Scaliger, welchen sie Cangrande nannten. Von den Frauen, in deren +Mitte er saß, mochte die nächst dem Herd etwas zurück und ins +Halbdunkel gelehnte sein Eheweib, die andere, vollbeleuchtete, seine +Verwandte oder Freundin sein, und es wurden mit bedeutsamen Blicken +und halblautem Gelächter Geschichten erzählt. + +Jetzt trat in diesen sinnlichen und mutwilligen Kreis ein +gravitätischer Mann, dessen große Züge und lange Gewänder aus einer +andern Welt zu sein schienen. "Herr, ich komme, mich an deinem Herde +zu wärmen", sprach der Fremdartige halb feierlich, halb geringschätzig +und verschmähte hinzuzufügen, daß die lässige Dienerschaft trotz des +frostigen Novemberabends vergessen oder versäumt hatte, Feuer in der +hoch gelegenen Kammer des Gastes zu machen. + +"Setze dich neben mich, mein Dante", erwiderte Cangrande, "aber wenn +du dich gesellig wärmen willst, so blicke mir nicht nach deiner +Gewohnheit stumm in die Flamme! Hier wird erzählt, und die Hand, +welche heute Terzinen geschmiedet hat auf meine astrologische Kammer +steigend, hörte ich in der deinigen mit dumpfem Gesang Verse +skandieren--, diese wuchtige Hand darf es heute nicht verweigern, das +Spielzeug eines kurzweiligen Geschichtchens, ohne es zu zerbrechen, +zwischen ihre Finger zu nehmen. Beurlaube die Göttinnen"--er meinte +wohl die Musen--"und vergnüge dich mit diesen schönen Sterblichen." +Der Scaliger zeigte seinem Gast mit einer leichten Handbewegung die +zwei Frauen, von welchen die größere, die scheinbar gefühllos im +Schatten saß, nicht daran dachte zu rücken, während die kleinere und +aufgeweckte dem Florentiner bereitwillig neben sich Raum machte. Aber +dieser gab der Einladung seines Wirtes keine Folge, sondern wählte +stolz den letzten Sitz am Ende des Kreises. Ihm mißfiel entweder die +Zweiweiberei des Fürsten--wenn auch vielleicht nur das Spiel eines +Abends--oder dann ekelte ihn der Hofnarr, welcher, die Beine vor sich +hingestreckt, neben dem Sessel Cangrandes auf dem herabgeglittenen +Mantel desselben am Boden saß. + +Dieser, ein alter, zahnloser Mensch mit Glotzaugen und einem schlaffen, +verschwätzten und vernaschten Maul--neben Dante der einzig Bejahrte +der Gesellschaft--, hieß Gocciola, das heißt das Tröpfchen, weil er +die letzten klebrigen Tropfen aus den geleerten Gläsern +zusammenzunaschen pflegte, und haßte den Fremdling mit kindischer +Bosheit; denn er sah in Dante seinen Nebenbuhler um die nicht eben +wählerische Gunst des Herrn. Er schnitt ein Gesicht und erfrechte +sich, seine hübsche Nachbarin zur Linken auf das an der hellen Decke +des hohen Gemaches sich abschattende Profil des Dichters höhnisch +grinsend aufmerksam zu machen. Das Schattenbild Dantes glich einem +Riesenweibe mit langgebogener Nase und hangender Lippe, einer Parze +oder dergleichen. Das lebhafte Mädchen verwand ein kindliches Lachen. +Ihr Nachbar, ein klug blickender Jüngling, der Ascanio hieß, half ihr +dasselbe ersticken, indem er sich an Dante wendete mit einer maßvollen +Ehrerbietung, in welcher dieser angeredet zu werden liebte. + +"Verschmähe es nicht, du Homer und Virgil Italiens", bat er, "dich in +unser harmloses Spiel zu mischen. Laß dich zu uns herab und erzähle, +Meister, statt zu singen." + +"Was ist euer Thema?" warf Dante hin, weniger ungesellig, als er +begonnen hatte, aber immer noch mürrisch genug. "Plötzlicher +Berufswechsel", antwortete der Jüngling bündig, "mit gutem oder +schlechtem oder lächerlichem Ausgang." + +Dante besann sich. Seine schwermütigen Augen betrachteten die +Gesellschaft, deren Zusammensetzung ihm nicht durchaus zu mißfallen +schien; denn er entdeckte in derselben neben mancher flachen einige +bedeutende Stirnen. "Hat einer unter euch den entkutteten Mönch +behandelt?" äußerte der schon milder Gestimmte. + +"Gewiß, Dante!" antwortete, sein Italienisch mit einem leichten +deutschen Akzent aussprechend, ein Kriegsmann von treuherzigem +Aussehen, Germano mit Namen, der einen Ringelpanzer und einen lang +herabhängenden Schnurrbart trug. "Ich selbst erzählte den jungen +Manuccio, welcher über die Mauern seines Klosters sprang, um Krieger +zu werden." + +"Er tat recht", erklärte Dante, "er hatte sich selbst getäuscht über +seine Anlage." + +"Ich, Meister", plauderte jetzt eine kecke, etwas üppige Paduanerin, +namens Isotta, "habe die Helene Manente erzählt, welche eben die erste +Locke unter der geweihten Schere verscherzt hatte, aber schnell die +übrigen mit den beiden Händen deckte und ihr Nonnengelübde +verschluckte, denn sie hatte ihren in barbareske Sklaverei geratenen +und höchst wunderbar daraus erretteten Freund unter dem Volk im Schiff +der Kirche erblickt, wie er die gelösten Ketten"--sie wollte sagen: an +der Mauer aufhing, aber ihr Geschwätz wurde von dem Munde Dantes +zerschnitten. + +"Sie tat gut", sagte er, "denn sie handelte aus der Wahrheit ihrer +verliebten Natur. Von alledem ist hier die Rede nicht, sondern von +einem ganz andern Fall: Wenn nämlich ein Mönch nicht aus eigenem Trieb, +nicht aus erwachter Weltlust oder Weltkraft, nicht weil er sein Wesen +verkannt hätte, sondern einem andern zuliebe, unter dem Druck eines +fremden Willens, wenn auch vielleicht aus heiligen Gründen der Pietät, +untreu an sich wird, sich selbst mehr noch als der Kirche gegebene +Gelübde bricht und eine Kutte abwirft, die ihm auf dem Leib saß und +ihn nicht drückte. Wurde das schon erzählt? Nein? Gut, so werde ich +es tun. Aber sage mir, wie endet solches Ding, mein Gönner und +Beschützer?" Er hatte sich ganz gegen Cangrande gewendet. + +"Notwendig schlimm", antwortete dieser ohne Besinnen. "Wer mit freiem +Anlauf springt, springt gut; wer gestoßen wird, springt schlecht." + +"Du redest die Wahrheit, Herr", bestätigte Dante, "und nicht anders, +wenn ich ihn verstehe, meint es auch der Apostel, wo er schreibt: daß +Sünde sei, was nicht aus dem Glauben gehe, das heißt, aus der +Überzeugung und Wahrheit unserer Natur." + +"Muß es denn überhaupt Mönche geben?" kicherte eine gedämpfte Stimme +aus dem Halbdunkel, als wollte sie sagen: jede Befreiung aus einem an +sich unnatürlichen Stand ist eine Wohltat. + +Die dreiste und ketzerische Äußerung erregte hier kein Ärgernis, denn +an diesem Hof wurde das kühnste Reden über kirchliche Dinge geduldet, +ja belächelt, während ein freies oder nur unvorsichtiges Wort über den +Herrscher, seine Person oder seine Politik, verderben konnte. + +Dantes Auge suchte den Sprecher und entdeckte denselben in einem +vornehmen, jungen Kleriker, dessen Finger mit dem kostbaren Kreuze +tändelten, welches er über dem geistlichen Gewand trug. + +"Nicht meinetwegen", gab der Florentiner bedächtig zur Antwort. +"Mögen die Mönche aussterben, sobald ein Geschlecht ersteht, welches +die beiden höchsten Kräfte der Menschenseele, die sich auszuschließen +scheinen, die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit vereinigen lernt. +Bis zu jener späten Weltstunde verwalte der Staat die eine, die Kirche +die andere. Da aber die Übung der Barmherzigkeit eine durchaus +selbstlose Seele fordert, so sind die drei mönchischen Gelübde +gerechtfertigt; denn es ist weniger schwer, wie die Erfahrung lehrt, +der Lust ganz als halb zu entsagen." + +"Gibt es aber nicht mehr schlechte Mönche als gute?" fragte der +geistliche Zweifler weiter. + +"Nein", behauptete Dante, "wenn man die menschliche Schwachheit +berücksichtigt. Es müßte denn mehr ungerechte Richter als gerechte, +mehr feige Krieger als beherzte, mehr schlechte Menschen als gute +geben." + +"Und ist das nicht der Fall?" flüsterte der im Halbdunkel. + +"Nein", entschied Dante, und eine himmlische Verklärung erleuchtete +seine strengen Züge. "Fragt und untersucht unsere Philosophie nicht: +wie ist das Böse in die Welt gekommen? Wären die Bösen in der +Mehrzahl, so fragten wir: wie kam das Gute in die Welt?" + +Diese stolzen und dunkeln Sätze imponierten der Gesellschaft, erregten +aber auch die Besorgnis, der Florentiner möchte sich in seine +Scholastik vertiefen statt in seine Geschichte. + +Cangrande sah, wie seine junge Freundin ein hübsches Gähnen verwand. +Unter solchen Umständen ergriff er das Wort und fragte: "Erzählst du +uns eine wahre Geschichte, mein Dante, nach Dokumenten? oder eine Sage +des Volksmunds? oder eine Erfindung deiner bekränzten Stirne?" + +Dieser antwortete langsam betonend: "Ich entwickle meine Geschichte +aus einer Grabschrift." + +"Aus einer Grabschrift?" + +"Aus einer Grabschrift, die ich vor Jahren bei den Franziskanern in +Padua gelesen habe. Der Stein, welcher sie trägt, lag in einem Winkel +des Klostergartens, allerdings unter wildem Rosengesträuch versteckt, +aber doch den Novizen zugänglich, wenn sie auf allen vieren krochen +und sich eine von Dornen zerkritzte Wange nicht reuen ließen. Ich +befahl dem Prior--will sagen, ich ersuchte ihn, den fraglichen Stein +in die Bibliothek zu versetzen und unter die Hut eines Greises zu +stellen." + +"Was sagte denn der Stein?" ließ sich jetzt die Gemahlin des Fürsten +nachlässig vernehmen. + +"Die Inschrift", erwiderte Dante, "war lateinisch und lautete: Hic +jacet monachus Astorre cum uxore Antiope. Sepeliebat Azzolinus." + +"Was heißt denn das?" fragte die andere neugierig. + +Cangrande übersetzte fließend: "Hier schlummert der Mönch Astorre +neben seiner Gattin Antiope. Beide begrub Ezzelin." + +"Der abscheuliche Tyrann!" rief die Empfindsame. "Gewiß hat er die +beiden lebendig begraben lassen, weil sie sich liebten, und das Opfer +noch in der Gruft gehöhnt, indem er es die Gattin des Mönches nannte. +Der Grausame!" + +"Kaum", meinte Dante. "Das hat sich in meinem Geiste anders gestaltet +und ist auch nach der Geschichte unwahrscheinlich. Denn Ezzelin +bedrohte wohl eher den kirchlichen Gehorsam als den Bruch geistlicher +Gelübde. Ich nehme das 'sepeliebat' in freundlicherem Sinne: er gab +den beiden ein Begräbnis." + +"Recht", rief Cangrande freudig, "du denkst wie ich, Florentiner! +Ezzelino war eine Herrschernatur und, wie sie einmal sind, etwas rauh +und gewaltsam. Neun Zehntel seiner Frevel haben ihm die Pfaffen und +das fabelsüchtige Volk angedichtet." "Möchte dem so sein!" seufzte +Dante. "Wo er übrigens in meiner Fabel auftritt, ist er noch nicht +das Ungeheuer, welches uns, wahr oder falsch, die Chronik schildert, +sondern seine Grausamkeit beginnt sich nur erst zu zeichnen, mit einem +Zug um den Mund sozusagen--" + +"Eine gebietende Gestalt", vollendete Cangrande feurig das Bildnis, +"mit gesträubtem, schwarzem Stirnhaar, wie du ihn in deinem zwölften +Gesang als einen Bewohner der Hölle malst. Woher hast du dieses +schwarzhaarige Haupt?" + +"Es ist das deinige", versetzte Dante kühn, und Cangrande fühlte sich +geschmeichelt. + +"Auch die übrigen Gestalten der Erzählung", fuhr er mit lächelnder +Drohung fort, "werde ich, ihr gestattet es?"--und er wendete sich +gegen die Umsitzenden--"aus eurer Mitte nehmen und ihnen eure Namen +geben: euer Inneres lasse ich unangetastet, denn ich kann nicht darin +lesen." + +"Meine Miene gebe ich dir preis", sagte großartig die Fürstin, deren +Gleichgültigkeit zu weichen begann. + +Ein Gemurmel der höchsten Aufregung lief durch die Zuhörer, und: +"Deine Geschichte, Dante!" raunte es von allen Seiten, "deine +Geschichte!" + +"Hier ist sie", sagte dieser und erzählte. + +"Wo sich der Gang der Brenta in einem schlanken Bogen der Stadt Padua +nähert, ohne diese jedoch zu berühren, glitt an einem himmlischen +Sommertag unter gedämpftem Flötenschall eine bekränzte, von festlich +Gekleideten überfüllte Barke auf dem schnellen, aber ruhigen Wasser. +Es war die Brautfahrt des Umberto Vicedomini und der Diana Pizzaguerra. +Der Paduaner hatte sich seine Verlobte aus einem am obern Lauf des +Flusses gelegenen Kloster geholt, wohin, kraft einer alten städtischen +Sitte, Mädchen von Stand vor ihrer Hochzeit zum Behufe frommer Übungen +sich zurückzuziehen pflegen. Sie saß in der Mitte der Barke auf einem +purpurnen Polster zwischen ihrem Bräutigam und den drei blühenden +Knaben seines ersten Bettes. Umberto Vicedomini hatte vor fünf Jahren, +da die Pest in Padua wütete, das Weib seiner Jugend begraben und, +obwohl in der Kraft der Männlichkeit stehend, nur schwer und +widerwillig, auf das tägliche Drängen eines alten und siechen Vaters, +zu diesem zweiten Ehebund sich entschlossen. + +Mit eingezogenen Rudern fuhr die Barke, dem Willen des Stromes sich +überlassend. Die Bootsknechte begleiteten die sanfte Musik mit einem +halblauten Gesang. Da verstummten beide. Aller Augen hatten sich +nach dem rechten Ufer gerichtet, an welchem ein großer Reiter seinen +Hengst bändigte und mit einer weiten Gebärde nach der Barke herüber +grüßte. Scheues Gemurmel durchlief die Reihen der Sitzenden. Die +Ruderer rissen sich die roten Mützen vom Kopf, und das ganze Fest +erhob sich in Furcht und Ehrerbietung, auch der Bräutigam, Diana und +die Knaben. Untertänige Gebärden, grüßende Arme, halbgebogene Knie +wendeten sich gegen den Strand mit einem solchen Ungestüm und Übermaß +der Bewegung, daß die Barke aus dem Gleichgewicht kam, sich nach +rechts neigte und plötzlich überwog. Ein Schrei des Entsetzens, ein +drehender Wirbel, eine leere Strommitte, die sich mit Auftauchenden, +wieder Versinkenden und den schwimmenden Kränzen der verunglückten +Barke bevölkerte. Hilfe war nicht ferne, denn wenig weiter unten lag +ein kleiner Port, wo Fischer und Fährleute hausten und heute auch die +Rosse und Sänften warteten, welche die Gesellschaft, die jetzt im +Strom unterging, vollends nach Padua hätten bringen sollen. + +Die zwei ersten der rettenden Kähne strebten sich von den +entgegengesetzten Ufern zu. In dem einen stand neben einem alten +Fergen mit struppigem Bart Ezzelin, der Tyrann von Padua, der +unschuldige Urheber des Verderbens, in dem andern, vom linken Ufer +kommenden ein junger Mönch und sein Fährmann, welcher den staubigen +Waller über den Strom stieß gerade in dem Augenblick, da sich darauf +das Unheil zutrug. Die beiden Boote erreichten sich. Zwischen ihnen +schwamm im Flusse etwas wie eine Fülle blonden Haares, in das der +Mönch entschlossen hineingriff, knielings, mit weit ausgestrecktem +Arme, während sein Schiffer aus allen Kräften sich auf die andere +Seite des Nachens zurückstemmte. An einer dicken Strähne hob der +Mönch ein Haupt, das die Augen geschlossen hielt, und dann, mit Hilfe +des dicht herangekommenen Ezzelin, die Last eines von triefendem +Gewand beschwerten Weibes aus der Strömung. Der Tyrann war von seinem +Nachen in den andern gesprungen und betrachtete jetzt das entseelte +Haupt, das einen Ausdruck von Trotz und Unglück trug, mit einer Art +von Wohlgefallen, sei es an den großen Zügen desselben, sei es an der +Ruhe des Todes. + +'Kennst du sie, Astorre?' fragte er den Mönch. Dieser schüttelte +verneinend den Kopf, und der andere fuhr fort: 'Siehe, es ist das Weib +deines Bruders.' + +Der Mönch warf auf das bleiche Antlitz einen mitleidigen, scheuen +Blick, welches unter demselben langsam die schlummernden Augen öffnete. + +'Bringe sie ans Ufer!' befahl Ezzelin, allein der Mönch überließ sie +seinem Fährmann. 'Ich will meinen Bruder suchen', rief er, 'bis ich +ihn finde.'--'Ich helfe dir, Mönch', sagte der Tyrann, 'doch ich +zweifle, daß wir ihn retten: ich sah ihn, wie er seine Knaben +umschlang und, von den dreien umklammert, schwer in die Tiefe ging.' + +Inzwischen hatte sich die Brenta mit Fahrzeugen bedeckt. Es wurde +gefischt mit Stangen, Haken, Angeln, Netzen, und in der rasch +wechselnden Szene vervielfältigte sich über den Suchenden und den +gehobenen Bürden die Gestalt des Herrschers. + +'Komm, Mönch!' sagte er endlich. 'Hier gibt es für dich nichts mehr +zu tun. Umberto und seine Knaben liegen nunmehr zu lang in der Tiefe, +um ins Leben zurückzukehren. Der Strom hat sie verschleppt. Er wird +sie ans Ufer legen, wann er ihrer müde ist. Aber siehst du dort die +Zelte?' Man hatte deren eine Zahl am Strand der Brenta zum Empfang der +mit der Hochzeitsbarke Erwarteten aufgeschlagen und jetzt die Toten +oder Scheintoten hineingelegt, welche von ihren schon aus dem nahen +Padua herbeigeeilten Verwandten und Dienern umjammert wurden. 'Dort, +Mönch, verrichte, was deines Amtes ist: Werke der Barmherzigkeit! +Tröste die Lebenden! Bestatte die Toten!' + +Der Mönch hatte das Ufer betreten und den Reichsvogt aus den Augen +verloren. Da kam ihm aus dem Gedränge Diana entgegen, die Braut und +Witwe seines Bruders, trostlos, aber ihrer Sinne wieder mächtig. Noch +trieften die schweren Haare, aber auf ein gewechseltes Gewand: ein +mitleidiges Weib aus dem Volke hatte ihr im Gezelt das eigene gegeben +und sich des kostbaren Hochzeitskleides bemächtigt. 'Frommer Bruder', +wendete sie sich an Astorre, 'ich bin verlassen: die mir bestimmte +Sänfte ist in der Verwirrung mit einer andern, Lebenden oder Toten, in +die Stadt zurückgekehrt. Begleite mich nach dem Hause meines +Schwiegers, der dein Vater ist!' + +Die junge Witwe täuschte sich. Nicht in der Bestürzung und Verwirrung, +sondern aus Feigheit und Aberglauben hatte das Gesinde des alten +Vicedomini sie im Stiche gelassen. Es fürchtete sich, dem jähzornigen +Alten eine Wittib und, mit ihr die Kunde von dem Untergang seines +Hauses zu bringen. + +Da der Mönch viele seinesgleichen unter den Zelten und im Freien mit +barmherzigen Werken beschäftigt sah, willfahrte er dem Gesuch. 'Gehen +wir', sagte er und schlug mit dem jungen Weibe die Straße nach der +Stadt ein, deren Türme und Kuppeln auf dem blauen Himmel wuchsen. Der +Weg war bedeckt mit Hunderten, die an den Strand eilten oder vom +Strande zurückkehrten. Die beiden schritten, oft voneinander getrennt, +aber sich immer wieder findend, in der Mitte der Straße, ohne +miteinander zu reden, und wandelten jetzt schon durch die Vorstadt, wo +die Gewerbe hausen. Hier standen überall--das Unglück auf der Brenta +hatte die ganze Bevölkerung auf die Beine gebracht--laut plaudernde +oder flüsternde Gruppen, welche das zufällige Paar, das den Bruder und +den Bräutigam verloren hatte, mit teilnehmender Neugierde betrachteten. + +Der Mönch und Diana waren Gestalten, die jedes Kind in Padua kannte. +Astorre, wenn er nicht für einen Heiligen galt, hatte doch den Ruf des +musterhaften Mönches. Er konnte der Stadtmönch von Padua heißen, den +das Volk verehrte und auf den es stolz war. Und mit Grund: denn er +hatte auf die Vorrechte seines hohen Adels und den unermeßlichen +Besitz seines Hauses tapfer, ja freudig verzichtet und gab sein Leben +in Zeiten der Seuche oder bei andern öffentlichen Fährlichkeiten, ohne +zu markten, für den Geringsten und die Ärmste preis. Dabei war er mit +seinem kastanienbraunen Kraushaar, seinen warmen Augen und seiner +edeln Gebärde ein anmutender Mann, wie das Volk seine Heiligen liebt. + +Diana war in ihrer Weise nicht weniger namhaft, schon durch die +Vollkraft des Wuchses, welche das Volk mehr als die zarten Reize +bewundert. Ihre Mutter war eine Deutsche gewesen, ja eine Staufin, +wie einige behaupteten, freilich nur dem Blute, nicht dem Gesetze nach. +Deutschland und Welschland hatten zusammen als gute Schwestern diese +große Gestalt gebaut. + +Wie herb und streng Diana mit ihresgleichen umging, mit den Geringen +war sie leutselig, ließ sich ihre Händel erzählen, gab kurzen und +deutlichen Bescheid und küßte die zerlumptesten Kinder. Sie schenkte +und spendete ohne Besinnen, wohl weil ihr Vater, der alte Pizzaguerra, +nach Vicedomini der reichste Paduaner, zugleich der schmutzigste +Geizhals war, und Diana sich des väterlichen Lasters schämte. + +So verheiratete das ihr geneigte Volk in seinen Schenken und +Plauderstuben Diana monatlich mit irgendeinem vornehmen Paduaner, doch +die Wirklichkeit trug diesen frommen Wünschen keine Rechnung. Drei +Hindernisse erschwerten eine Brautschaft: die hohen und oft finsteren +Brauen Dianas, die geschlossene Hand ihres Vaters und die blinde +Anhänglichkeit ihres Bruders Germano an den Tyrannen, bei dessen +möglichem Falle der treue Diener mit zugrunde gehen mußte, seine Sippe +nach sich ziehend. + +Endlich verlobte sich mit ihr, ohne Liebe, wie es stadtkundig war, +Umberto Vicedomini, der jetzt in der Brenta lag. + +Übrigens waren die beiden so versunken in ihren gerechten Schmerz, daß +sie das eifrige Geschwätz, welches sich an ihre Fersen heftete, +entweder nicht vernahmen oder sich wenig um dasselbe bekümmerten. +Nicht das gab Anstoß, daß der Mönch und das Weib nebeneinander +schritten. Es erschien in der Ordnung, da der Mönch an ihr zu trösten +hatte und sie wohl beide denselben Weg gingen: zu dem alten Vicedomini, +als die nächsten und natürlichen Boten des Geschehenen. + +Die Weiber bejammerten Diana, daß sie einen Mann habe heiraten müssen, +der sie nur als Ersatz für eine teure Gestorbene genommen, und +beklagten sie in demselben Atemzug, daß sie diesen Mann vor der Ehe +eingebüßt habe. + +Die Männer dagegen erörterten mit wichtigen Gebärden und den +schlausten Mienen eine brennende Frage, welche sich über den in der +Brenta versunkenen vier Stammhaltern des ersten paduanischen +Geschlechts eröffnet hatte. Die Glücksgüter der Vicedomini waren +sprichwörtlich. Das Familienhaupt, ein ebenso energischer wie +listiger Mensch, der es fertiggebracht hatte, mit beiden, dem fünffach +gebannten Tyrannen von Padua und der diesen verdammenden Kirche auf +gutem Fuß zu bleiben, hatte sich lebelang nicht im geringsten mit +etwas Öffentlichem beschäftigt, sondern ein zähes Dasein und prächtige +Willenskräfte auf ein einziges Ziel gewendet: den Reichtum und das +Gedeihen seines Stammes. Jetzt war dieser vernichtet. Sein Ältester +und die Enkel lagen in der Brenta. Sein Zweiter und Dritter waren in +eben diesem Unglücksjahr, der eine vor zwei, der andere vor drei +Monden von der Erde verschwunden. Den ältern hatte der Tyrann +verbraucht und auf einem seiner wilden Schlachtfelder zurückgelassen. +Der andere, aus welchem der vorurteilslose Vater einen großartigen +Kaufmann in venezianischem Stil gemacht, hatte sich an einer +morgenländischen Küste auf dem Kreuz verblutet, an welches ihn +Seeräuber geschlagen, verspäteten Lösegeldes halber. Als Vierter +blieb Astorre, der Mönch. Daß er diesen mit dem Aufwand seines +letzten Pulses den Klostergelübden zu entreißen versuchen werde, daran +zweifelten die schnellrechnenden Paduaner keinen Augenblick. Ob es +ihm gelinge und der Mönch sich dazu hergebe, darüber stritt jetzt die +aufgeregte Gasse. + +Und sie stritt sich am Ende so laut und heftig, daß selbst der +trauernde Mönch nicht mehr im Zweifel darüberbleiben konnte, wer mit +dem 'egli' und der 'ella' gemeint sei, welche aus den versammelten +Gruppen ertönten. Dergestalt schlug er, mehr noch seiner Gefährtin +als seinethalben, eine mit Gras bewachsene Gasse ein, die seinen +Sandalen wohlbekannt war, denn sie führte längs der verwitterten +Ringmauer seines Klosters hin. Hier war es bis zum Schauder kühl, +aber die ganz Padua erfüllende Schreckenskunde hatte selbst diese +Schatten erreicht. Aus den offenen Fenstern des Refektoriums, das in +die dicke Mauer gebaut war, scholl an der verspäteten +Mittagstafel--die Katastrophe auf der Brenta hatte in der Stadt alle +Zeiten und Stunden gestört--das Tischgespräch der Brüder so zänkisch +und schreiend, so voller '-inibus' und '-atibus'--es wurde lateinisch +geführt--, oder dann stritt man sich mit Zitaten aus den Dekretalen, +daß der Mönch unschwer erriet, auch hier werde dasselbe oder ein +ähnliches Dilemma wie auf der Straße verhandelt. Und wenn er sich +vielleicht nicht Rechenschaft gab, wovon, so wußte er doch, von wem +die Rede ging. Aber was er nicht entdeckte, waren--" + +Mitten im Sprechen suchte Dante unter den Zuhörern den vornehmen +Kleriker, der sich hinter seinem Nachbarn verbarg. + +"--waren zwei brennende, hohle Augen, welche durch eine Luke in der +Mauer auf ihn und das Weib an seiner Seite starrten. Diese Augen +gehörten einer unseligen Kreatur, einem verlorenen Mönch, namens +Serapion, welcher sich, Seele und Leib, im Kloster verzehrte. Mit +seiner voreiligen Einbildungskraft hatte dieser auf der Stelle +begriffen, daß sein Mitbruder Astorre zum längsten nach der Regel des +heiligen Franziskus gedarbt und gefastet habe und beneidete ihn rasend +um den ihm von der Laune des Todes zugeworfenen Besitz weltlicher +Güter und Freuden. Er lauerte auf den Heimkehrenden, um die Mienen +desselben zu erforschen und darin zu lesen, was Astorre über sich +beschlossen hätte. Seine Blicke verschlangen das Weib und hafteten an +ihren Stapfen." + +Astorre lenkte die Schritte und die seiner Schwägerin auf einen +kleinen, von vier Stadtburgen gebildeten Platz und trat mit ihr in das +tiefe Tor der vornehmsten. Auf einer Steinbank im Hof erblickte er +zwei Ruhende, einen vom Wirbel zur Zehe gepanzerten, blutjungen +Germanen und einen greisen Sarazenen. Der hingestreckte Deutsche +hatte seinen schlummernden rotblonden Krauskopf in den Schoß des +sitzenden Ungläubigen gelegt, der, ebenfalls schlummernd, mit seinem +schneeweißen Barte väterlich auf ihn niedernickte. Die zwei gehörten +zur Leibwache Ezzelins, welche sich in Nachahmung derjenigen seines +Schwiegers, des Kaisers Friedrich, aus Deutschen und Sarazenen zu +gleichen Teilen zusammensetzte. Der Tyrann war im Palaste. Er mochte +es für seine Pflicht gehalten haben, den alten Vicedomini zu besuchen. +In der Tat vernahmen Astorre und Diana schon auf der Wendeltreppe das +Gespräch, welches Ezzelin in kurzen, ruhigen Worten, der Alte dagegen, +der gänzlich außer sich zu sein schien, mit schreiender und +scheltender Stimme führte. Mönch und Weib blieben am Eingang des +Saales unter dem bleichen Gesinde stehen. Die Diener zitterten an +allen Gliedern. Der Greis hatte sie mit den heftigsten Verwünschungen +überhäuft und dann mit geballten Fäusten weggejagt, weil sie ihm +verspätete Botschaft vom Strand gebracht und dieselbe hervorzustottern +sich kaum getraut. Überdies hatte dieses Gesinde der gefürchtete +Schritt des Tyrannen versteinert. Es war bei Todesstrafe verboten, +ihn anzumelden. Unaufgehalten wie ein Geist betrat er Häuser und +Gemächer. + +'Und das berichtest du so gelassen, Grausamer', tobte der Alte in +seiner Verzweiflung, 'als erzähltest du den Verlust eines Rosses oder +einer Ernte? Du hast mir die viere getötet, niemand anders als du! +Was brauchtest du gerade zu jener Stunde am Strande zu reiten? Was +brauchtest du auf die Brenta hinauszugrüßen? Das hast du mir zuleide +getan! Hörst du wohl?' + +'Schicksal', antwortete Ezzelin. + +'Schicksal?' schrie der Vicedomini. 'Schicksal und Sternguckerei und +Beschwörungen und Verschwörungen und Enthauptungen, von der Zinne auf +das Pflaster sich werfende Weiber und hundert pfeildurchbohrte +Jünglinge vom Roß sinkend in deinen versuchten, waghalsigen Schlachten, +das ist deine Zeit und Regierung, Ezzelin, du Verfluchter und +Verdammter! Uns alle ziehst du in deine blutigen Gleise, alles Leben +und Sterben wird neben dir gewaltsam und unnatürlich, und niemand +endet mehr als reuiger Christ in seinem Bett!' + +'Du tust mir unrecht', versetzte der andere. Ich zwar habe mit der +Kirche nichts zu schaffen. Sie läßt mich gleichgültig. Aber dich und +deinesgleichen habe ich nie gehindert, mit ihr zu verkehren. Das +weißt du, sonst würdest du dich nicht erkühnen, mit dem Heiligen Stuhl +Briefe zu wechseln. Was drehst du da in deinen Händen und verbirgst +mir das päpstliche Siegel? Einen Ablaß? Ein Breve? Gib her! +Wahrhaftig, ein Breve! Darf ich es lesen? Du erlaubst? Dein Gönner, +der Heilige Vater, schreibt dir, daß, würde dein Stamm erlöschen bis +auf deinen Vierten und Letzten, den Mönch, dieser ipso facto seiner +Gelübde ledig sei, wenn er aus freiem Willen und eigenem Entschluß in +die Welt zurückkehre. Schlauer Fuchs, wie viele Unzen Goldes hat dich +dieses Pergament gekostet?' + +'Verhöhnst du mich?' heulte der Alte. Was anderes blieb mir übrig +nach dem Tod meines Zweiten und Dritten? Für wen hätte ich gesammelt +und gespeichert? Für die Würmer? Für dich? Willst du mich berauben? +... Nein? So hilf mir, Gevatter'--der noch ungebannte Ezzelin hatte +den dritten Knaben Vicedominis aus der Taufe gehoben, denselben, der +sich für ihn auf dem Schlachtfeld geopfert--, 'hilf mir den Mönch +überwinden, daß er wieder weltlich werde und ein Weib nehme, befiehl +es ihm, du Allgewaltiger, gib ihn mir statt des Sohnes, den du mir +geschlachtet hast, halte mir den Daumen, wenn du mich liebst!' + +'Das geht mich nichts an', erwiderte der Tyrann ohne die geringste +Erregung. Das mache er mit sich selbst aus. Freiwillig, sagt das +Breve. Warum sollte er, wenn er ein guter Mönch ist, wie ich glaube, +seinen Stand wechseln? Damit das Blut der Vicedomini nicht versiege? +Ist das eine Lebensbedingung der Welt? Sind die Vicedomini eine +Notwendigkeit?' + +Jetzt kreischte der andere in rasender Wut: 'Du Böser, du Mörder +meiner Kinder! Ich durchblicke dich! Du willst mich beerben und mit +meinem Geld deine wahnsinnigen Feldzüge führen!' Da gewahrte er seine +Schwiegertochter, welche vor dem zögernden Mönch durch das Gesinde und +über die Schwelle getreten war. Trotz seiner Leibesschwachheit +stürzte er ihr mit wankenden Schritten entgegen, ergriff und riß ihre +Hände, als wollte er sie zur Verantwortung ziehen für das über sie +beide gekommene Unheil. 'Wo hast du meinen Sohn, Diana?' keuchte er. + +'Er liegt in der Brenta', antwortete sie traurig, und ihre blauen +Augen dunkelten. + +'Wo meine drei Enkel?' + +'In der Brenta', wiederholte sie. + +'Und dich bringst du mir als Geschenk? Dich behalte ich?' lachte der +Alte mißtönig. + +'Wollte der Allmächtige', sagte sie langsam, 'mich zögen die Wellen, +und die andern stünden hier statt meiner!' + +Sie schwieg. Dann geriet sie in einen jähen Zorn. 'Beleidigt dich +mein Anblick und bin ich dir überlästig, so halte dich an diesen: er +hat mich, da ich schon gestorben war, an den Haaren gerissen und ins +Leben zurückgezogen!' + +Jetzt erst erblickte der Alte den Mönch, seinen Sohn, und sein Geist +sammelte sich mit einer Kraft und Schnelligkeit, welche der schwere +Jammer eher gestählt als gelähmt zu haben schien. + +'Wirklich? Dieser hat dich aus der Brenta geholt? Hm! Merkwürdig! +Die Wege Gottes sind doch wunderbar!' + +Er ergriff den Mönch an Arm und Schulter, als wollte er sich desselben +Leib und Seele bemächtigen, und schleppte ihn und sich gegen seinen +Krankenstuhl, auf welchen er hinfiel, ohne den gepreßten Arm des nicht +Widerstrebenden freizugeben. Diana folgte und kniete sich auf der +andern Seite des Sessels nieder mit hängenden Armen und gefalteten +Händen, das Haupt auf die Lehne legend, so daß nur der Knoten ihres +blonden Haares wie ein lebloser Gegenstand sichtbar blieb. Der Gruppe +gegenüber saß Ezzelin, die Rechte auf das gerollte Breve wie auf einen +Feldherrnstab gestützt. + +'Söhnchen, Söhnchen', wimmerte der Alte mit einer aus Wahrheit und +List gemischten Zärtlichkeit, 'mein letzter und einziger Trost! Du +Stab und Stecken meines Alters wirst mir nicht zwischen diesen +zitternden Händen zerbrechen!... Du begreifst', fuhr er in einem +schon trockneren, sachlichen Ton fort, 'daß, wie die Dinge einmal +liegen, deines Bleibens im Kloster nicht länger sein kann. Ist es +doch kanonisch, nicht wahr, Söhnchen, daß ein Mönch, dessen Vater +verarmt oder versiecht, von seinem Prior beurlaubt wird, um das Erbgut +zu bebauen und den Urheber seiner Tage zu ernähren. Ich aber brauche +dich noch viel notwendiger. Deine Brüder und Neffen sind weg, und +jetzt bist du es, der die Lebensfackel unseres Hauses trägt! Du bist +ein Flämmchen, das ich angezündet habe, und mir kann nicht dienen, daß +es in einer Zelle verglimme und verrauche! Wisse eines'--er hatte in +den warmen, braunen Augen ein aufrichtiges Mitgefühl gelesen, und die +ehrerbietige Haltung des Mönches schien einen blinden Gehorsam zu +versprechen--, 'ich bin kränker, als du denkst. Nicht wahr, +Isaschar?' Er wendete sich rückwärts gegen eine schmale Gestalt, +welche, mit Fläschchen und Löffel in den Händen, durch eine Nebentür +leise hinter den Stuhl des Alten getreten war und jetzt mit dem +blassen Haupt bestätigend nickte. Ich fahre dahin, aber ich sage dir, +Astorre: Läßt du mich meines Wunsches ungewährt, so weigert sich dein +Väterchen, in den Kahn des Totenführers zu steigen, und bleibt +zusammengekauert am Dämmerstrand sitzen!' + +Der Mönch streichelte die fiebernde Hand des Alten zärtlich, +antwortete aber mit Sicherheit zwei Worte: 'Meine Gelübde!' + +Ezzelin entfaltete das Breve. + +'Deine Gelübde?' schmeichelte der alte Vicedomini. Lose Stricke! +Durchfeilte Fesseln! Mache eine Bewegung, und sie fallen. Die +heilige Kirche, welcher du Ehrfurcht und Gehorsam schuldig bist, +erklärt sie für ungültig und nichtig. Da steht es geschrieben.' Sein +dürrer Finger zeigte auf das Pergament mit dem päpstlichen Siegel. + +Der Mönch näherte sich ehrerbietig dem Herrscher, empfing die Schrift +und las, von vier Augen beobachtet. Schwindelnd tat er einen Schritt +rückwärts, als stünde er auf einer Turmhöhe und sähe das Geländer +plötzlich weichen. + +Ezzelin griff dem Wankenden mit der kurzen Frage unter die Arme: 'Wem +hast du dein Gelübde gegeben, Mönch? Dir? oder der Kirche?' + +'Natürlich beiden!' schrie der Alte erbost. 'Das sind verfluchte +Spitzfindigkeiten! Nimm dich vor dem dort in acht, Söhnchen! Er will +uns Vicedomini an den Bettelstab bringen!' Ohne Zorn legte Ezzelin die +Rechte auf den Bart und schwur: 'Stirbt Vicedomini, so beerbt ihn der +Mönch hier, sein Sohn, und stiftet--sollte das Geschlecht mit ihm +erlöschen und wenn er mich und seine Vaterstadt lieb hat--ein Hospital +von einer gewissen Ausdehnung und Großartigkeit, um welches uns die +hundert Städte'--er meinte die Städte Italiens--'beneiden sollen. Nun, +Gevatter, da ich mich von dem Vorwurf der Raubgier gereinigt habe, +darf ich an den Mönch ein paar weitere Fragen richten? Du gestattest?' + +Jetzt packte den Alten ein solcher Ingrimm, daß er in Krämpfe fiel. +Noch aber ließ er den Arm des Mönches, welchen er wieder ergriffen +hatte, nicht fahren. + +Isaschar näherte den vollen, mit einer stark duftenden Essenz +gefüllten Löffel vorsichtig den fahlen Lippen. Der Gefolterte wendete +mit einer Anstrengung den Kopf ab. 'Laß mich in Ruhe!' stöhnte er, +'du bist auch der Arzt des Vogts!' und schloß die Augen. + +Der Jude wandte die seinigen, welche glänzend schwarz und sehr klug +waren, gegen den Tyrannen, als flehe er um Verzeihung für diesen +Argwohn. 'Wird er zur Besinnung zurückkehren?' fragte Ezzelin. + +'Ich glaube', antwortete der Jude. 'Noch lebt er und wird wieder +erwachen, aber nicht für lange, fürchte ich. Diese Sonne sieht er +nicht untergehen.' + +Der Tyrann ergriff den Augenblick, mit Astorre zu sprechen, der um den +ohnmächtigen Vater beschäftigt war. + +'Stehe mir Rede, Mönch!' sagte Ezzelin und wühlte--seine +Lieblingsgebärde--mit den gespreizten Fingern der Rechten in dem +Gewelle seines Bartes. 'Wieviel haben dich die drei Gelübde gekostet, +die du vor zehn und einigen Jahren, ich gebe dir dreißig'--der Mönch +nickte--, beschworen hast?' + +Astorre schlug die lautern Augen auf und erwiderte ohne Bedenken: +'Armut und Gehorsam, nichts sonst. Ich habe keinen Sinn für Besitz +und gehorche leicht.' Er hielt inne und errötete. + +Der Tyrann fand ein Wohlgefallen an dieser männlichen Keuschheit. +'Hat dir dieser hier deinen Stand aufgenötigt oder dich dazu +beschwatzt?' lenkte er ab. + +'Nein', erklärte der Mönch. Seit lange her, wie der Stammbaum erzählt, +wird in unserm Hause von dreien oder vieren der letzte geistlich, sei +es, damit wir Vicedomini einen Fürbitter besitzen, oder um das Erbe +und die Macht des Hauses zu wahren--gleichviel, der Brauch ist alt und +ehrwürdig. Ich kannte mein Los, welches mir nicht zuwider war, von +jung an. Mir wurde kein Zwang auferlegt.' + +'Und das dritte?' holte Ezzelin nach--er meinte das dritte Gelübde. +Astorre verstand ihn. + +Mit einem neuen, aber dieses Mal schwachen Erröten erwiderte er: 'Es +ist mir nicht leicht geworden, doch ich vermochte es wie andere Mönche, +wenn sie gut beraten sind, und das war ich. Von dem heiligen +Antonius', fügte er ehrfürchtig hinzu. + +"Dieser verdienstliche Heilige, wie ihr wißt, Herrschaften, hat einige +Jahre bei den Franziskanern in Padua gelebt", erläuterte Dante. + +"Wie sollten wir nicht?" scherzte einer unter den Zuhörern. "Haben +wir doch die Reliquie verehrt, die in dem dortigen Klosterteich +herumschwimmt: ich meine den Hecht, welcher weiland der Predigt des +Heiligen beiwohnte, sich bekehrte, der Fleischspeise entsagte, im +Guten standhielt und jetzt noch in hohem Alter als strenger Vegetarier. +.. " Er verschluckte das Ende des Schwankes, denn Dante hatte gegen +ihn die Stirn gerunzelt. + +'Und was riet er dir?' fragte Ezzelin. 'Meinen Stand einfach zu +fassen, schlecht und recht', berichtete der Mönch, als einen +pünktlichen Dienst, etwa wie einen Kriegsdienst, welcher ja auch +gehorsame Muskeln verlangt, und Entbehrungen, die ein wackerer Krieger +nicht einmal als solche fühlen darf: die Erde im Schweiß meines +Angesichts zu graben, mäßig zu essen, mäßig zu fasten, weder Mädchen +noch jungen Frauen Beichte zu sitzen, im Angesicht Gottes zu wandeln +und seine Mutter nicht brünstiger anzubeten, als das Breviarium +vorschreibt.' + +Der Tyrann lächelte. Dann streckte er die Rechte gegen den Mönch aus, +ermahnend oder segnend, und sprach: 'Glücklicher! Du hast einen Stern! +Dein Heute entsteht leicht aus deinem Gestern und wird unversehens +zu deinem Morgen! Du bist etwas und nichts Geringes; denn du übst das +Amt der Barmherzigkeit, das ich gelten lasse, wiewohl ich ein anderes +bekleide. Würdest du in die Welt treten, die ihre eigenen Gesetze +befolgt, welche zu lernen es für dich zu spät ist, so würde dein +klarer Stern zum lächerlichen Irrwisch und zerplatzte zischend nach +ein paar albernen Sprüngen unter dem Hohn der Himmlischen! + +Noch eines, und dies rede ich als der, welcher ich bin: der Herr von +Padua. Dein Wandel war meinem Volk eine Erbauung, ein Beispiel der +Entsagung. Der Ärmste getröstete sich deiner, den er seine karge Kost +und sein hartes Tagewerk teilen sah. Wirfst du die Kutte weg, freiest +du, ein Vornehmer, eine Vornehme, schöpfst du mit vollen Händen aus +dem Reichtum deines Hauses, so begehst du Raub an dem Volk, welches +dich als einen seinesgleichen in Besitz genommen hat, du machst mir +Unzufriedene und Ungenügsame, und entstände daraus Zorn, Ungehorsam, +Empörung, mich sollte es nicht wundern. Die Dinge verketten sich! + +Ich und Padua können dich nicht entbehren! Mit deiner schönen und +ritterlichen Gestalt stichst du der Menge in die Augen und hast auch +mehr oder wenigstens einen edlern Mut als deine bäurischen Brüder. +Wenn das Volk nach seiner rasenden Art diesen hier'--er deutete auf +Isaschar--'ermorden will, weil er ihm Hilfe bringt, was dem Juden in +der letzten Pestzeit--wenig fehlte--geschehen wäre, wer verteidigt ihn, +wie du tatest, gegen die wahnsinnige Menge, bis ich da bin und Halt +gebiete? + +Isaschar, hilf mir den Mönch überzeugen!' wendete sich Ezzelin gegen +den Arzt mit einem grausamen Lächeln. Schon deinetwegen darf er sich +nicht entkutten!' + +'Herr', lispelte dieser, unter deinem Zepter wird sich die +unvernünftige Szene, welche du so gerecht wie blutig gestraft hast, +kaum wiederholen, und meinethalb, dessen Glaube die Dauer des Stammes +als Gottes höchsten Segen preist, darf der Erlauchte'--so und schon +nicht mehr den Ehrwürdigen nannte er den Mönch--nicht unvermählt +bleiben.' + +Ezzelin lächelte über die Feinheit des Juden. 'Und wohin gehen deine +Gedanken, Mönch?' fragte er. + +'Sie stehen und beharren! Doch ich wollte--Gott verzeihe mir die +Sünde--, der Vater erwachte nicht mehr, daß ich nicht hart gegen ihn +sein muß! Hätte er nur schon die Zehrung empfangen!' Er küßte heftig +die Wange des Ohnmächtigen, welcher darüber zur Besinnung kam. + +Der wieder Belebte tat einen schweren Seufzer, hob die müden +Augenlider und richtete aus dem grauen Gebüsch seiner hängenden Brauen +einen Blick des Flehens auf den Mönch. 'Wie steht's?' fragte er. Was +hast du über mich verhängt, Geliebtester? Himmel oder Hölle?' + +'Vater', bat Astorre mit bewegter Stimme, deine Zeit ist um! Dein +Stündlein ist gekommen! Entschlage dich der weltlichen Dinge und +Sorgen! Denke an die Seele! Siehe, deine Priester'--er meinte die +der Pfarrkirche--'sind nebenan versammelt und harren mit den +hochheiligen Sterbesakramenten.' + +Es war so. Die Tür des Nebengemaches hatte sich sachte geöffnet, aus +demselben schimmerte schwaches, in der Tageshelle kaum sichtbares +Kerzenlicht, ein Chor präludierte gedämpft, und das leise Schüttern +eines Glöckchens wurde hörbar. + +Jetzt klammerte sich der Alte, der seine Knie schon in die kalte Flut +der Lethe versinken fühlte, an den Mönch, wie weiland Sankt Petrus auf +dem See Genezareth an den Heiland. 'Du tust es mir!' lallte er. + +'Könnte ich! Dürfte ich!' seufzte der Mönch. 'Bei allen Heiligen, +Vater, denke an die Ewigkeit! Laß das Irdische! Deine Stunde ist da!' + +Diese verhallte Weigerung entzündete das letzte Leben des Vicedomini +zur lodernden Flamme. 'Ungehorsamer! Undankbarer!' zürnte er. + +Astorre winkte den Priestern. + +'Bei allen Teufeln', raste der Alte, 'laßt mich zufrieden mit eurem +Geknete und Gesalbe! Ich habe nichts zu verspielen, ich bin schon ein +Verdammter und bliebe es mitten im himmlischen Reigen, wenn mein Sohn +mich mutwillig verstößt und meinen Lebenskeim verdirbt!' + +Der entsetzte Mönch, durch dieses grause Lästern im Tiefsten +erschüttert, sah seinen Vater unwiderruflich der ewigen Unseligkeit +anheimfallen. So meinte er und war fest davon überzeugt, wie ich es +an seiner Stelle auch gewesen wäre. Er warf sich vor dem Sterbenden +in dunkler Verzweiflung auf die Knie und flehte unter stürzenden +Tränen: 'Herr, ich beschwöre Euch, habt Erbarmen mit Euch und mit mir!' + +'Laß den Schlaukopf seiner Wege gehen!', raunte der Tyrann. Der Mönch +vernahm es nicht. + +Wieder gab er den erstaunten Priestern ein Zeichen, und die +Sterbelitanei wollte beginnen. + +Da kauerte sich der Alte zusammen wie ein trotziges Kind und +schüttelte das graue Haupt. + +'Laß den Arglistigen seine Straße ziehen!' mahnte Ezzelin lauter. +--'Vater, Vater!' schluchzte der Mönch, und seine Seele zerfloß in +Mitleid. + +'Erlauchter Herr und christlicher Bruder', fragte jetzt ein Priester +mit unsicherer Stimme, seid Ihr in der Verfassung, Euern Schöpfer und +Heiland zu empfangen?' + +Der Alte schwieg. + +'Steht Ihr fest im Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit? Antwortet +mir, Herr!' fragte der Geistliche zum andern Male und wurde bleich wie +ein Tuch, denn: 'Geleugnet und gelästert sei sie!' rief der Sterbende +mit starker Stimme, gelästert und--' + +'Nicht weiter!' schrie der Mönch und war aufgesprungen. 'Ich bin Euch +zu Willen, Herr! Machet mit mir, was Ihr wollt! Nur daß Ihr Euch +nicht in die Flammen stürzet!' + +Der Alte seufzte wie nach einer schweren Anstrengung. Dann blickte er +erleichtert, ich hätte fast gesagt vergnügt, um sich. Er ergriff mit +tastender Hand den blonden Schopf Dianas, zog das sich von den Knien +erhebende Weib in die Höhe, nahm ihre Hand, die sich nicht weigerte, +öffnete die gekrampfte des Mönches und legte beide zusammen. + +'Gültig! vor dem hochheiligen Sakrament!' frohlockte er und segnete +das Paar. Der Mönch widersprach nicht, und Diana schloß die Augen. + +'Jetzt rasch, ehrwürdige Väter?' drängte der Alte, 'es eilt, wie ich +meine, und ich bin in christlicher Verfassung.' + +Der Mönch und seine Braut wollten hinter die priesterliche Schar +zurücktreten. 'Bleibt', murmelte der Sterbende, 'bleibt, daß euch +meine getrösteten Augen zusammen sehen, bis sie brechen!' Astorre und +Diana, kaum einige Schritte zurückweichend, mußten mit vereinigten +Händen vor dem erlöschenden Blick des hartnäckigen Greises verharren. + +Dieser murmelte eine kurze Beichte, empfing die letzte Zehrung und +verschied, während sie ihm die Sohlen salbten und der Priester den +schon tauben Ohren jenes großartige: 'Brich auf, christliche Seele!' +zurief. Das gestorbene Antlitz trug den deutlichen Ausdruck +triumphierender List. + +Der Tyrann hatte, während ringsum alles auf den Knien lag, die heilige +Handlung sitzend und mit ruhiger Aufmerksamkeit betrachtet, etwa wie +man eine fremde Sitte beschaut oder wie ein Gelehrter das auf einem +Sarkophag abgebildete Opfer eines alten Volkes besichtigt. Er näherte +sich dem Toten und drückte ihm die Augen zu. + +Dann wendete er sich gegen Diana. 'Edle Frau', sagte er, 'ich denke, +wir gehen nach Hause. Eure Eltern, wenn auch von Eurer Rettung +unterrichtet, werden nach Euch verlangen. Auch tragt Ihr ein Gewand +der Niedrigkeit, das Euch nicht kleidet.' + +'Fürst, ich danke und folge Euch', erwiderte Diana, ließ aber ihre +Hand in der des Mönches ruhen, dessen Blick sie bis jetzt gemieden +hatte. Nun schaute sie dem Gatten voll ins Gesicht und sprach mit +einer tiefen, aber wohlklingenden Stimme, während ihre Wangen sich mit +dunkler Glut bedeckten: 'Mein Herr und Gebieter, wir durften die Seele +des Vaters nicht umkommen lassen. So wurde ich Euer. Haltet mir +bessere Treue als dem Kloster. Euer Bruder hat mich nicht geliebt. +Vergebet mir, wenn ich so rede: ich sage die einfache Wahrheit. Ihr +werdet an mir ein gutes und gehorsames Weib besitzen. Doch habe ich +zwei Eigenschaften, welche Ihr schonen müßt. Ich bin jähzornig, wenn +man mir Recht oder Ehre antastet, und darin peinlich, daß man mir +nichts versprechen darf, ohne es zu halten. Schon als Kind habe ich +das schwer oder nicht gelitten. Ich bin von wenig Wünschen und +verlange nichts über das Alltägliche hinaus; nur wo mir einmal etwas +gezeigt und zugesagt wurde, da bedarf ich der Erfüllung, sonst +verliere ich den Glauben und kränke mich schwerer als andere Frauen +über das Unrecht. Doch wie darf ich so zu Euch reden, mein Herr und +Gebieter, den ich kaum kenne? Laßt mich verstummen. Lebt wohl, mein +Gemahl, und gebt mir neun Tage, Euern Bruder zu betrauern.' Jetzt +löste sie langsam die Hand aus der seinigen und verschwand mit dem +Tyrannen. + +Inzwischen hatte die geistliche Schar den Leichnam weggehoben, um ihn +in der Hauskapelle aufzubahren und einzusegnen. + +Astorre stand allein in seinem verscherzten Mönchsgewande, welches +eine von Reue erfüllte Brust bedeckte. Ein Heer von Dienern, das den +seltsamen Vorgang belauscht und genügend begriffen hatte, näherte sich +in unterwürfigen Stellungen und mit furchtsamen Gebärden seinem neuen +Herrn, verblüfft und eingeschüchtert weniger noch durch den Wechsel +der Herrschaft als durch das vermeintliche Sakrilegium der gebrochenen +Gelübde--das leise gelesene Breve war nicht zu ihren Ohren +gelangt--und durch die Verweltlichung des ehrwürdigen Mönches. Diesem +gelang es nicht, seinen Vater zu betrauern. Ihn beschlich, jetzt da +er seines Willens wieder mächtig war, der Argwohn, was sage ich, ihn +überkam die empörende Gewißheit, daß ein Sterbender seinen guten +Glauben betrogen und seine Barmherzigkeit mißbraucht habe. Er +entdeckte in der Verzweiflung des Alten den Schlupfwinkel der List und +in der wilden Lästerung das berechnete Spiel an der Schwelle des Todes. +Unwillig, fast feindselig wandte sich sein Gedanke gegen das ihm +zugefallene Weib. Ihn versuchte der verzwickte mönchische Einfall, +dasselbe nicht aus eigenem Herzen, sondern nur als Stellvertreter +seines entseelten Bruders zu lieben; aber sein gesunder Sinn und sein +redliches Gemüt verwarfen die schmähliche Auskunft. Da er sie nun als +die Seinige betrachtete, erwehrte er sich einer gewissen Verwunderung +nicht, daß ihm sein Weib mit so bündiger Rede und harter +Wahrheitsliebe entgegengetreten und so sachlich mit ihm sich +auseinandergesetzt habe, ohne Schleier und Wolke, eine viel derbere +und wirklichere Gestalt als die zarten Erscheinungen der Legende. Er +hatte sich die Frauen weicher gedacht. + +Jetzt gewahrte der Mönch plötzlich sein Ordenskleid und den +Widerspruch seiner Gefühle und Betrachtungen mit demselben. Er +schämte sich vor seiner Kutte, und sie wurde ihm lästig. 'Gebt mir +weltliches Gewand!' befahl er. Geschäftige Diener umringten ihn, aus +welchen er bald in der Tracht seines ertrunkenen Bruders, mit dem er +ungefähr von gleichem Wuchs war, hervortrat. + +In demselben Augenblick warf sich ihm der Narr seines Vaters, mit +Namen Gocciola, zu Füßen und huldigte ihm, nicht um wie die andern +Verlängerung seines Dienstes sich zu erbitten, sondern seinen Abschied +und die Erlaubnis, den Stand zu wechseln, denn er sei der Welt +überdrüssig, seine Haare ergrauten und es stünde ihm schlecht an, mit +der läutenden Schellenkappe ins Jenseits zu gehen. Mit diesen +weinerlichen Worten bemächtigte er sich der abgeworfenen Kutte, welche +das Gesinde zu berühren sich gescheut hatte. Aber sein buntscheckiges +Gehirn schlug einen Purzelbaum, und er fügte lüstern bei: 'Einmal +möchte ich noch Amarellen essen, ehe ich der Welt und ihren +Täuschungen Valet sage! Hochzeit läßt hier nicht auf sich warten, wie +ich glaube.' Er beleckte sich die Maulwinkel mit seiner fahlen Zunge. +Dann bog er ein Knie vor dem Mönch, schüttelte seine Schellen und +entsprang, die Kutte hinter sich herschleifend. + +"Amarelle oder Amare", erläuterte Dante, "heißt das paduanische +Hochzeitsgebäck wegen seines bitteren Mandelgeschmackes und zugleich +mit anmutiger Anspielung auf das Verbum der ersten Konjugation." Hier +machte der Erzähler eine Pause und verschattete Stirn und Augen mit +der Hand, den weitern Gang seiner Fabel übersinnend. + +Inzwischen trat der Majordom des Fürsten, ein Alsatier namens Burcardo, +mit abgemessenen Schritten, umständlichen Bücklingen und weitläufigen +Entschuldigungen, daß er die Unterhaltung stören müsse, vor Cangrande, +welchen er in irgendeiner häuslichen Angelegenheit um Befehl bat. +Deutsche waren dazumal an den ghibellinischen Höfen Italiens keine +eben seltene Erscheinung, ja sie wurden gesucht und den Einheimischen +vorgezogen wegen ihrer Redlichkeit und ihres angebotenen +Verständnisses für Zeremonien und Gebräuche. + +Als Dante das Haupt wieder hob, gewahrte er den Elsässer und hörte +sein Welsch, das weich und hart beharrlich verwechselte, den Hof +ergötzend, das feine Ohr des Dichters aber empfindlich beleidigend. +Sein Blick verweilte dann mit sichtlichem Wohlgefallen auf den zwei +Jünglingen, Ascanio und dem bepanzerten Krieger. Zuletzt ließ er ihn +sinnend ruhen auf den beiden Frauen, der Herrin Diana, die sich belebt +und deren marmorne Wange sich leicht gerötet hatte, und auf Antiope, +der Freundin Cangrandes, einem hübschen und natürlichen Wesen. Dann +fuhr er fort: + +"Hinter der Stadtburg der Vicedomini dehnte sich vormals--jetzt, da +das erlauchte Geschlecht längst erloschen ist, hat sich jener Platz +völlig verändert--ein geräumiger Bezirk bis an den Fuß der festen und +breiten Stadtmauer aus, so geräumig, daß er Weideplätze für Herden, +Gehege für Hirsche und Rehe, mit Fischen gefüllte Teiche, tiefe +Waldschatten und sonnige Weinlauben enthielt. An einem leuchtenden +Morgen, sieben Tage nach der Totenfeier, saß im schwarzen Schatten +einer Zeder, den Rücken an den Stamm gelehnt und die Schnäbel seiner +Schuhe in das brennende Sonnenlicht streckend, der Mönch Astorre; denn +diesen Namen behielt er unter den Paduanern, obwohl er weltlich +geworden war, während seines kurzen Wandels auf der Erde. Er saß oder +lag einem Brunnen gegenüber, der aus dem Mund einer gleichgültigen +Maske eine kühle Flut sprudelte, unfern einer Steinbank, welcher er +das weiche Polster des schwellenden Rasens vorgezogen hatte. + +Während er sann oder träumte, ich weiß nicht was, sprangen auf dem +beinahe schon mittäglich übersonnten Platz vor dem Palast zwei junge +Leute von staubbedeckten Gäulen, der eine gepanzert, der andere mit +Wahl gekleidet, obschon im Reisegewand. Ascanio und Germano, so +hießen die Reiter, waren die Günstlinge des Vogtes und zugleich die +Jugendgespielen des Mönches, mit welchen er brüderlich gelernt und +sich ergötzt hatte bis zu seinem fünfzehnten Jahr, dem Beginn seines +Noviziates. Ezzelin hatte sie an seinen Schwieger, Kaiser Friedrich, +gesendet." + +Dante hielt inne und verneigte sich vor dem großen Schatten. + +"Mit beantworteten Aufträgen kehrten die zwei zu dem Tyrannen zurück, +welchem sie noch überdies die Neuigkeit des Tages mitbrachten: eine in +der kaiserlichen Kanzlei verfertigte Abschrift des an den christlichen +Klerus gerichteten Hirtenbriefes, worin der Heilige Vater den +geistvollen Kaiser vor dem Angesicht der Welt der äußersten +Gottlosigkeit anklagt. + +Obwohl mit wichtigen, vielleicht Eile heischenden Aufträgen und dem +unheilschweren Dokument betraut, brachten die beiden es nicht über +sich, an dem Heim ihres Jugendgespielen vorbei nach dem Stadtturm des +Tyrannen zu sprengen. Sie hatten in der letzten Herberge vor Padua, +wo sie, ohne den Bügel zu verlassen, ihre Pferde fressen und saufen +ließen, von dem geschwätzigen Schenkwirt das große Stadtunglück und +das größere Stadtärgernis, den Untergang der Hochzeitsbarke und die +weggeschleuderte Kutte des Mönches, erfahren, so ziemlich mit allen +Umständen, ohne die vereinigten Hände Dianas und Astorres jedoch, +welche noch nicht offenbar geworden waren. Unzerstörliche Bande, die +uns an die Gespielen unserer Kindheit fesseln! Von dem seltsamen +Schicksal Astorres betroffen, konnten die beiden keine Ruhe finden, +bis sie ihn mit Augen gesehen, den Wiedergewonnenen. Während langer +Jahre waren sie nur dem Mönch begegnet, zufällig auf der Straße, ihn +mit einem zwar freundlichen, aber durch aufrichtige Ehrfurcht +vertieften und etwas fremden Kopfnicken begrüßend. + +Gocciola, den sie im Hofe des Palastes fanden, wie er mit einer Semmel +beschäftigt auf einem Mäuerlein saß und die Beine baumeln ließ, führte +sie in den Garten. Ihnen voranwandelnd, unterhielt der Narr die +Jünglinge nicht von dem tragischen Schicksal des Hauses, sondern nur +von seinen eigenen Angelegenheiten, welche ihm als das weit Wichtigere +erschienen. Er erzählte, daß er brünstig nach einem seligen Ende +strebe, und verschluckte darüber den Rest der Semmel, ohne ihn mit +seinen wackligen Zähnen gekaut zu haben, so daß er fast daran +erstickte. Über die Gesichter, die er schnitt, und über seine +Sehnsucht nach der Zelle brach Ascanio in ein so lustiges Gelächter +aus, daß er damit den Himmel entwölkte, wenn dieser heute nicht schon +aus eigener Freude in leuchtenden Farben geschwelgt hätte. + +Ascanio versagte sich nicht, das Tröpfchen zu foppen, schon um den +lästigen Begleiter loszuwerden. 'Ärmster', begann er, 'du wirst +die Zelle nicht erreichen, denn, unter uns, im tiefsten Vertrauen, +mein Ohm, der Tyrann, hat ein begehrliches Auge auf dich geworfen. +Laß dir sagen: Er besitzt vier Narren, den Stoiker, den Epikuräer, den +Platoniker, den Skeptiker, wie er sie benennt. Diese vier stellen +sich, wann der Ernste spaßen will, auf seinen Wink in die vier Ecken +eines Saales, an dessen Wölbung der gestirnte Himmel und die +Planetenbilder prangen. Der Ohm, im Hauskleid, tritt in die Mitte des +Raumes, klatscht in die Hände, und die Philosophen wechseln hopsend +die Winkel. Vorgestern ist der Stoiker heulend und winselnd +draufgegangen, weil der Unersättliche viele Pfunde Nudeln auf einmal +verschlang. Der Ohm hat mir flüchtig angedeutet, er gedenke ihn zu +ersetzen und werde sich von dem Mönch, deinem neuen Herrn, als +Erbsteuer dich, o Gocciola, erbitten. So steht es. Ezzelin fahndet +nach dir. Wer weiß, ob er nicht hinter dir geht.' Dies war eine +Anspielung auf die Allgegenwart des Tyrannen, welche die Paduaner in +Furcht und beständigem Zittern hielt. Gocciola stieß einen Schrei aus, +als falle die Hand des Gewaltigen auf seine Schulter, blickte sich um, +und obwohl niemand hinter ihm ging als sein kurzer Schatten, +flüchtete er sich zähneklappernd in irgendein Versteck." + +"Ich streiche die Narren Ezzelins", unterbrach Dante mit einer +griffelhaltenden Gebärde, als schriebe er seine Fabel, statt sie zu +sprechen, wie er tat. "Der Zug ist unwahr, oder dann log Ascanio. Es +ist durchaus undenkbar, daß ein so ernster und ursprünglich edler +Geist wie Ezzelin Narren gefüttert und sich an ihrem Blödsinn ergötzt +habe." Diesen geraden Stich führte der Florentiner gegen seinen +Gastfreund, auf dessen Mantel Gocciola saß, den Dichter angrinsend. + +Cangrande tat nicht dergleichen. Er versprach sich im stillen, bei +erster Gelegenheit mit Wucher heimzuzahlen. + +Befriedigt, fast heiter setzte Dante seine Erzählung fort. + +"Endlich entdeckten die beiden den entmönchten Mönch, welcher, wie +gesagt, den Rücken an den Stamm einer Pinie lehnte--" + +"An den Stamm einer Zeder, Dante", verbesserte die aufmerksam +gewordene Fürstin. + +"--einer Zeder lehnte und sich die Fußspitzen sonnte. Er bemerkte die +sich ihm von beiden Seiten Nähernden nicht, so tief war er in sein +leeres oder volles Träumen versunken. Jetzt bückte sich der +mutwillige Ascanio nach einem Grashalm, brach denselben und kitzelte +damit die Nase des Mönches, daß dieser dreimal kräftig nieste. +Astorre ergriff freundlich die Hände seiner Jugendgespielen und zog +sie rechts und links neben sich auf den Rasen nieder. 'Nun, was sagt +ihr dazu?' fragte er in einem Ton, der eher schüchtern als +herausfordernd klang. + +'Zuerst mein aufrichtiges Lob deines Priors und deines Klosters!' +scherzte Ascanio. 'Sie haben dich frisch bewahrt. Du schaust +jugendlicher als wir beide. Freilich, die knappe weltliche Tracht und +das glatte Kinn mögen dich auch verjüngen. Weißt du, daß du ein +schöner Mann bist? Du liegst unter deiner Riesenzeder gleich dem +ersten Menschen, den Gott, wie die Gelehrten behaupten, als einen +Dreißigjährigen erschuf, und ich', fuhr er mit einer unschuldigen +Miene fort, da er den Mönch über seinen Mutwillen erröten sah, 'bin +wahrlich der letzte, dich zu tadeln, daß du dich aus der Kutte +befreitest, denn sein Geschlecht zu erhalten, ist der Wunsch alles +Lebenden.' + +'Es war nicht mein Wunsch noch freier Entschluß', bekannte der Mönch +wahrhaft. Widerstrebend tat ich den Willen eines sterbenden Vaters.' + +'Wirklich?' lächelte Ascanio. Erzähle das niemandem, Astorre, als uns, +die dich lieben. Andern würde dich diese Unselbständigkeit +lächerlich oder gar verächtlich machen. Und, weil wir vom +Lächerlichen reden, gib acht, ich bitte dich, Astorre, daß du den +Menschen aus dem Mönch entwickelst, ohne den guten Geschmack zu +beleidigen! Der heikle Übergang will sorgfältig geschont und +abgestuft sein. Nimm Rat an! Du reisest ein Jährchen, zum Beispiel +an den Hof des Kaisers, von wo nach Padua und zurück die Boten nicht +zu laufen aufhören. Du läßt dich von Ezzelin nach Palermo senden! +Dort lernst du neben dem vollkommensten Ritter und dem +vorurteilslosesten Menschen--ich meine unsern zweiten Friedrich--auch +die Weiber kennen und gewöhnst dir die Mönchsart ab, sie zu vergöttern +oder geringzuschätzen. Das Gemüt des Herrschers färbt Hof und Stadt. +Wie das Leben hier in Padua geworden ist unter meinem Ohm, dem +Tyrannen, wild und übertrieben und gewalttätig, gibt es dir ein +falsches Weltbild. Palermo, wo sich unter dem menschlichsten aller +Herrscher Spiel und Ernst, Tugend und Lust, Treue und Unbestand, guter +Glaube und kluges Mißtrauen in den richtigen Verhältnissen mischen, +bietet das wahrere. Dort vertändelst du den Reigen eines Jahres mit +unsern Freundinnen und Feindinnen in erlaubter oder läßlicher +Weise'--der Mönch runzelte die Stirn--, 'machst etwa einen Feldzug mit, +ohne jedoch unbesonnen dich auszusetzen--denke an deine Bestimmung--, +nur daß du dich wieder erinnerst, wie Pferd und Klinge geführt +werden--als Knabe verstandest du das--, behältst deine muntern braunen +Augen, die--bei der Fackel der Aurora!--leuchten und sprühen, seit du +das Kloster verlassen hast, überall offen und kehrst uns als ein Mann +zurück, der sich und andere besitzt.' + +'Er muß dort beim Kaiser eine Schwäbin heiraten', riet der Gepanzerte +gutmütig. 'Sie sind frömmer und verläßlicher als unsere Weiber.' + +'Schweigst du wohl?' drohte ihm Ascanio mit dem Finger. 'Mache mir +keine Langeweile mit semmelblonden Zöpfen!' Der Mönch aber drückte die +Rechte Germanos, welche er noch nicht hatte fahren lassen. + +'Aufrichtig, Germano', forschte er, was sagst du dazu?' 'Wozu?' fragte +dieser barsch. + +'Nun, zu meinem neuen Stand?' + +'Astorre, mein Freund', antwortete der Schnurrbärtige etwas verlegen, +'ist es getan, fragt man nicht mehr herum nach Beirat und Urteil. Man +behauptet sich, wo man steht. Willst du aber meine Meinung durchaus +wissen, nun, schau, Astorre, verletzte Treue, gebrochenes Wort, +Fahnenflucht und so weiter, dem gibt man in Germanien grobe Namen. +Natürlich bei dir ist's etwas ganz anderes, das läßt sich gar nicht +vergleichen--und dann der sterbende Vater--Astorre, mein lieber Freund, +du hast ganz hübsch gehandelt, nur wäre das Gegenteil noch hübscher +gewesen. Das ist meine Meinung', schloß er treuherzig. + +'So hättest du mir, wärest du dagewesen, die Hand deiner Schwester +verweigert, Germano?' + +Dieser fiel aus den Wolken. 'Die Hand meiner Schwester? der Diana? +Derselben, die deinen Bruder betrauert?' 'Derselben. Sie ist meine +Verlobte.' + +'O herrlich!' rief jetzt der weltkluge Ascanio, und 'Erfreulich!' fiel +Germano bei. 'Laß dich umarmen, Schwager!' Der Gepanzerte hatte trotz +seiner Geradheit gute Lebensart. Aber er unterdrückte einen Seufzer. +So herzlich er die herbe Schwester achtete, dem Mönch, wie dieser +neben ihm saß, hätte er, nach seinem natürlichen Gefühl, ein anderes +Weib gegeben. + +So drehte er den Schnurrbart und Ascanio das Steuerruder des +Gespräches. 'Eigentlich, Astorre',--plauderte der Heitere, 'müssen +wir damit anfangen, uns wieder kennenzulernen; nicht weniger als deine +fünfzehn beschaulichen Klosterjahre liegen zwischen unserer Kindheit +und heute. Nicht daß wir inzwischen unser Wesen geändert hätten, wer +ändert es? Doch wir haben uns ausgewachsen. Dieser zum Beispiel'--er +deutete gegen Germano--freut sich jetzt eines schönen Waffenruhmes; +aber ich habe ihn zu verklagen, daß er ein halber Deutscher geworden +ist. Er'--Ascanio krümmte den Arm, als leere er den Becher--'und +hernach wird er tiefsinnig oder händelsüchtig. Auch verachtet er +unser süßes Italienisch: Ich werde deutsch mit euch reden! prahlt er +und brummt die Bärenlaute einer unmenschlichen Sprache. Dann +erbleicht sein Gesinde, seine Gläubiger fliehen und unsere +Paduanerinnen kehren ihm die stattlichen Rücken zu. Dergestalt ist er +vielleicht so jungfräulich geblieben wie du, Astorre', und er legte +dem Mönch traulich die Hand auf die Schulter. + +Germano lachte herzlich und erwiderte, auf Ascanio zeigend: 'Und +dieser hier hat seine Bestimmung gefunden, indem er der perfekte +Höfling wurde.' + +'Da irrst du dich, Germano', widersprach der Günstling Ezzelins. +Meine Bestimmung war, das Leben leicht und heiter zu genießen.' Und +zum Beweise dessen rief er freundlich gebietend das Kind des Gärtners +herbei, das er in einiger Entfernung sich vorüberstehlen und nach +seiner neuen Herrschaft, dem Mönche, schielen sah. Das hübsche Ding +trug einen mit Trauben und Feigen überhäuften Korb auf dem lachenden +Haupte und schaute eher schelmisch als schüchtern. Ascanio war +aufgesprungen. Er legte die Linke um die schlanke Seite des Mädchens +und holte sich mit der Rechten aus dem Korb eine Traube. Zugleich +suchte sein Mund die schwellenden Lippen. 'Mich dürstet', sagte er. +Das Mädchen tat schämig, hielt aber stille, weil es seine Früchte +nicht verschütten wollte. Unmutig wendete sich der Mönch von den zwei +Leichtsinnigen ab, und das erschreckende Dirnchen entrann, da es die +harte mönchische Gebärde erblickte, den Pfad ihrer Flucht mit +rollenden Früchten bestreuend. Ascanio, der seine Traube in der Hand +hielt, hob hinter den flüchtigen Stapfen noch zwei andere auf, deren +eine er Germano bot, welcher aber die ungekelterte verächtlich ins +Gras warf. Die andere reichte der Mutwillige dem Mönch, der sie eine +Weile ebenfalls unberührt ließ, dann aber gedankenlos eine saftige +Beere und bald noch eine zweite und die dritte kostete. + +'Ein Höfling?' fuhr Ascanio fort, der sich, belustigt durch die +Zimperlichkeit des dreißigjährigen Mönches, wieder neben ihn auf den +Rasen geworfen hatte. 'Glaube das nicht, Astorre! Glaube das +Gegenteil! Ich bin der einzige, welcher meinem Ohm leise, aber +verständlich zuredet, daß er nicht unbarmherzig werde, daß er ein +Mensch bleibe.' + +'Er ist nur gerecht und sich selbst getreu!' meinte Germano. 'Über +seine Gerechtigkeit!' jammerte Ascanio, 'und über seine Logik! Padua +ist Reichslehen. Ezzelin ist Vogt. Wer ihm mißfällt, lehnt sich +gegen das Reich auf. Hochverräter werden-'. Er brachte es nicht über +die Lippen. 'Abscheulich!' murmelte er. 'Und überhaupt: warum dürfen +wir Welsche kein eigenes Leben unter unserer warmen Sonne führen? +Warum dieses Nebelphantom des Reiches, das uns den Atem beengt? Ich +rede nicht für mich. Ich bin an den Ohm gefesselt. Stirbt der Kaiser, +den Gott erhalte, so wirft sich ganz Italien mit Flüchen und +Verwünschungen über den Tyrannen Ezzelin und den Neffen erwürgen sie +so nebenbei.' Ascanio betrachtete über der üppigen Erde den +strahlenden Himmel und stieß einen Seufzer aus. + +'Uns beide', ergänzte Germano kaltblütig. 'Das aber hat Weile. Der +Gebieter besitzt eine feste Prophezeiung. Der Gelehrte Guido Bonatti +und Paul von Bagdad, welcher mit seinem langen Bart den Staub der +Gasse zusammenfegt, haben ihm, so sehr sich die aufeinander +Eifersüchtigen gewöhnlich widersprechen, ein neues seltsames Sternbild +einmütig folgendergestalt enträtselt: In einer Kürze oder Länge wird +ein Sohn der Halbinsel die ungeteilte Krone derselben erringen mit +Hilfe eines germanischen Kaisers, der für sein Teil jenseits der +Gebirge alles Deutsche in einen harten Reichsapfel zusammenballt. Ist +Friedrich dieser Kaiser? Ist dieser König Ezzelin? Das weiß Gott, +der Zeit und Stunde kennt, aber der Gebieter hat darauf seinen Ruhm +und unsere Köpfe verwettet.' + +'Geflechte von Vernunft und Wahn!' ärgerte sich Ascanio, während der +Mönch erstaunte über die Macht der Sterne, den weiten Ehrgeiz der +Herrscher und den alles mitreißenden Strom der Welt. Auch erschreckte +ihn das Gespenst der beginnenden Grausamkeit Ezzelins, in welchem der +Unschuldige die verkörperte Gerechtigkeit gesehen hatte. + +Ascanio beantwortete seine schweigenden Zweifel, indem er fortfuhr: +'Mögen sie beide einen bösen Tod finden, der stirnrunzelnde Guido und +der bärtige Heide! Sie verleiten den Ohm, seinen Launen und Lüsten zu +gehorchen, indem er das Notwendige zu tun glaubt. Hast du ihm schon +zugeschaut, Germano, wie er bei seinem kargen Mahle in dem +durchsichtigen Kristall des Bechers sein Wasser mit den drei oder vier +blutroten Tropfen Sizilianers färbt, welche er sich gönnt? wie sein +aufmerksamer Blick das Blut verfolgt, das sich langsam wölkt und durch +den lautern Quell verbreitet? oder wie er den Toten die Lider +zuzudrücken liebt, so daß es zur Höflichkeit geworden ist, den Vogt +wie zu einem Fest an die Sterbelager zu bitten und ihm diese traurige +Handlung zu überlassen? Ezzelin, mein Fürst, werde mir nicht grausam!' +rief der Jüngling aus, von seinem Gefühl überwältigt. + +'Ich denke nicht, Neffe', sprach es hinter ihm. Es war Ezzelin, +welcher ungesehen herangetreten war und, obwohl kein Lauscher, den +letzten schmerzlichen Ausruf Ascanios vernommen hatte. + +Die drei Jünglinge erhoben sich rasch und begrüßten den Herrscher, der +sich auf die Bank niederließ. Sein Gesicht war ruhig wie die Maske +des Brunnens. + +'Ihr meine Boten', stellte er Ascanio und Germano zur Rede, 'was kam +euch an, diesen hier'--er nickte leicht gegen den Mönch--'vor mir +aufzusuchen?' + +'Er ist unser Jugendgespiele und hat Seltsames erfahren', +entschuldigte der Neffe, und Ezzelin ließ es gelten. Er empfing die +Briefschaften, die ihm Ascanio, das Knie biegend, überreichte. Alles +schob er in den Busen außer der Bulle. 'Siehe da', sagte er, 'das +Neueste! Lies vor, Ascanio! Du hast jüngere Augen als ich.' + +Ascanio rezitierte den apostolischen Brief, während Ezzelin die Rechte +in den Bart vergrub und mit dämonischem Vergnügen zuhörte. + +Zuerst gab der dreigekrönte Schriftsteller dem geistreichen Kaiser den +Namen eines apokalyptischen Ungeheuers. 'Ich kenne das, es ist +absurd', sagte der Tyrann. 'Auch mich hat der Pontifex in seinen +Briefen ausschweifend betitelt, bis ich ihn ermahnte, mich, welcher +Ezzelin der Römer heißt, fortan in klassischer Sprache zu schelten. +Wie nennt er mich dieses Mal? Ich bin neugierig. Suche nur die +Stelle, Ascanio--es wird sich eine finden--, wo er meinem Schwieger +seinen bösen Umgang vorhält. Gib her!' Er ergriff das Schreiben und +fand bald den Ort: hier beschuldigte der Papst den Kaiser, den Gatten +seiner Tochter zu lieben, 'Ezzelino da Romano, den größten Verbrecher +der bewohnten Erde.' + +'Korrekt!' lobte Ezzelin und gab Ascanio das Schreiben zurück. 'Lies +mir die Gottlosigkeiten des Kaisers, Neffe', lächelte er. + +Ascanio las, Friedrich habe geäußert, es gebe neben vielem Wahn nur +zwei wahre Götter: Natur und Vernunft. Der Tyrann zuckte die Achseln. + +Ascanio las ferner, Friedrich habe geredet: drei Gaukler, Moses, +Mohammed und--er stockte--hätten die Welt betrogen. 'Oberflächlich', +tadelte Ezzelin, 'sie hatten ihre Sterne; aber, gesagt oder nicht, der +Spruch gräbt sich ein und wiegt für den unter der Tiara ein Heer und +eine Flotte. Weiter.' + +Nun kam eine wunderliche Mär an die Reihe: Friedrich hätte, durch ein +wogendes Kornfeld reitend, mit seinem Gefolge gescherzt und in +lästerlicher Anspielung auf die heilige Speise den Dreireim zum besten +gegeben: + +So viele Ähren, so viele Götter sind, Sie schießen empor in der Sonne +geschwind Und wiegen die goldenen Häupter im Wind-- + +Ezzelin besann sich. 'Seltsam!' flüsterte er. Mein Gedächtnis hat +dieses Verschen aufbewahrt. Es ist durchaus authentisch. Der Kaiser +hat es mir mit fröhlich lachendem Mund zugerufen, da wir zusammen im +Angesicht der Tempeltrümmer von Enna jene strotzenden Ährenfelder +durchritten, mit welchen Göttin Ceres die sizilische Scholle gesegnet +hat. Darauf besinne ich mich mit derselben Klarheit, welche an jenem +Sommertag über der Insel glänzte. Ich bin es nicht, der diesen +heitern Scherz dem Pontifex mitgeteilt hat. Dazu bin ich zu ernsthaft. +Wer tat es? Ich mache euch zu Richtern, Jünglinge. Wir ritten zu +dreien, und der dritte--auch dessen bin ich gewiß, wie dieser +leuchtenden Sonne'--sie warf gerade einen Strahl durch das Laub--'war +Petrus de Vinea, der Unzertrennliche des Kaisers. Hätte der fromme +Kanzler für seine Seele gebangt und sein Gewissen durch einen Brief +nach Rom erleichtert? Reitet ein Sarazene heute? Ja? Rasch, Ascanio. +Ich diktiere dir eine Zeile.' + +Dieser zog Täfelchen und Stift hervor, ließ sich auf das rechte Knie +nieder und schrieb, das gebogene linke als Pult gebrauchend: + +'Erhabener Herr und geliebter Schwieger! Ein schnelles Wort. Das +Verschen in der Bulle--Ihr seid zu geistreich, um Euch zu +wiederholen--haben nur vier Ohren gehört, die meinigen und die Eures +Petrus, in den Kornfeldern von Enna, vor einem Jahr, da Ihr mich an +Euern Hof beriefet und ich mit Euch die Insel durchritt. Kein Hahn +kräht danach, wenn nicht der im Evangelium, welcher den Verrat des +Petrus bekräftigte. Wenn Ihr mich und Euch liebet, Herr, so versuchet +Euern Kanzler mit einer scharfen Frage.' + +'Blutiges Wortspiel! Das schreibe ich nicht! Die Hand zittert mir!' +rief der erblassende Ascanio. 'Ich bringe den Kanzler nicht auf die +Folter!' und er warf den Stift weg. + +'Dienstsache', bemerkte Germano trocken, hob den Stift auf und +beendigte das Schreiben, welches er unter seine Eisenhaube schob. Es +läuft noch heute', sagte er. 'Mir für meine einfache Person hat der +Capuaner nie gefallen: er hat einen verhüllten Blick.' + +Der Mönch Astorre schauderte zusammen trotz der Mittagssonne. Zum +ersten Male griff der aus dem Klosterfrieden Geschiedene, gleichsam +mit Händen, wie die schlüpfrigen Windungen einer Natter den Argwohn +oder den Verrat der Welt. Aus seinem Brüten weckte ihn ein strenges +Wort Ezzelins, welches dieser an ihn richtete, von seiner Steinbank +sich erhebend. 'Sprich, Mönch, warum vergräbst du dich in dein Haus? +Du hast es noch nie verlassen, seit du weltliches Gewand trägst. Du +scheust die öffentliche Meinung? Tritt ihr entgegen! Sie weicht +zurück. Machst du aber eine Bewegung der Flucht, so heftet sie sich +an deine Sohle wie eine heulende Meute. Hast du deine Braut Diana +besucht? Die Trauerwoche ist vorüber. Ich rate dir: heute noch lade +deine Sippen, und heute noch vermähle dich mit Diana!' + +'Und dann rasch mit euch auf dein entlegenstes Schloß!' beendigte +Ascanio. + +'Das rate ich nicht', verbot der Tyrann. 'Keine Furcht. Keine Flucht. +Heute vermählst du dich, und morgen hältst du Hochzeit mit Masken. +Valete!' Er schied, Germano winkend ihm zu folgen." + +"Darf ich unterbrechen?" fragte Cangrande, der höflich genug gewesen +war, eine natürliche Pause der Erzählung abzuwarten. + +"Du bist der Herr", versetzte der Florentiner mürrisch. "Traust du +dem unsterblichen Kaiser jenes Wort von den drei großen Gauklern zu?" + +"Non liquet." + +"Ich meine: in deinem innersten Gefühl?" + +Dante verneinte mit einer deutlichen Bewegung des Hauptes. "Und doch +hast du ihn als einen Gottlosen in den sechsten Kreis deiner Hölle +verdammt. Wie durftest du das? Rechtfertige dich!" + +"Herrlichkeit", antwortete der Florentiner, "die Komödie spricht zu +meinem Zeitalter. Dieses aber liest die fürchterlichste der +Lästerungen mit Recht oder Unrecht auf jener erhabenen Stirn. Ich +vermag nichts gegen die fromme Meinung. Anders vielleicht urteilen +die Künftigen." + +"Mein Dante", fragte Cangrande zum andern Mal, "glaubst du Petrus de +Vinea unschuldig des Verrates an Kaiser und Reich?" + +"Non liquet." + +"Ich meine: in deinem innersten Gefühl?" Dante verneinte mit derselben +Gebärde. + +"Und du läßt den Verräter in deiner Komödie seine Unschuld beteuern?" + +"Herr", rechtfertigte sich der Florentiner, "werde ich, wo klare +Beweise fehlen, einen Sohn der Halbinsel mehr des Verrates bezichtigen, +da schon so viele Arglistige und Zweideutige unter uns sind?" + +"Dante, mein Dante", sagte der Fürst, "du glaubst nicht an die Schuld +und du verdammst! Du glaubst an die Schuld und du sprichst frei!" +Dann führte er die Erzählung in spielendem Scherz weiter: + +"Auch der Mönch und Ascanio verließen jetzt den Garten und betraten +die Halle." Doch Dante nahm ihm das Wort: + +"Keineswegs, sondern sie stiegen in eine Turmstube, dieselbe, die +Astorre als Knabe mit ungeschorenen Locken bewohnt; denn dieser mied +die großen und prunkenden Gemächer, welche er sich erst gewöhnen mußte +als sein Eigentum zu betrachten, wie er auch den ihm hinterlassenen +goldenen Hort noch mit keinem Finger berührt hatte. Den beiden folgte, +auf einen gebietenden Wink Ascanios, der Majordom Burcardo in +gemessener Entfernung mit steifen Schritten und verdrießlichen Mienen." + +Der gleichnamige Haushofmeister Cangrandes war nach verrichtetem +Geschäft neugierig lauschend in den Saal zurückgetreten, denn er hatte +gemerkt, daß es sich um wohlbekannte Personen handle; da er nun sich +selbst nennen hörte und unversehens und lebensgroß im Spiegel der +Novelle erblickte, fand er diesen Mißbrauch seiner Ehrenperson +verwegen und durchaus unziemlich im Munde des beherbergten Gelehrten +und geduldeten Flüchtlings, welchem er in gerechter Erwägung der +Verhältnisse und Unterschiede auf dem oberen Stockwerk des fürstlichen +Hauses eine denkbar einfache Kammer eingeräumt hatte. Was die andern +lächelnd gelitten, empfand er als ein Ärgernis. Er runzelte die +Brauen und rollte die Augen. Der Florentiner weidete sich mit +ernsthaftem Gesicht an der Entrüstung des Pedanten und ließ sich in +seiner Fabel nicht stören. + +"'Würdiger Herr', befragte Ascanio den Majordom--habe ich gesagt, daß +dieser von Geburt ein Alsatier war?--'wie heiratet man in Padua? +Astorre und ich sind unerfahrene Kinder in dieser Wissenschaft.' + +Der Haushofmeister warf sich in Positur, starr seinen Herrn anschauend, +ohne Ascanio, der ihm nach seinen Begriffen nichts zu befehlen hatte, +eines Blickes zu würdigen. + +'Distinguendum est', sagte er feierlich. 'Es ist auseinanderzuhalten: +Werbung, Vermählung und Hochzeit.' + +'Wo steht das geschrieben?' scherzte Ascanio. + +'Ecce!' antwortete der Majordom, indem er ein großes Buch entfaltete, +das ihn niemals verließ. 'Hier!' und er wies mit dem gestreckten +Finger der linken Hand auf den Titel, welcher lautete: 'Die Zeremonien +von Padova nach genauer Erforschung zu Nutz und Frommen aller Ehrbaren +und Anständigen, zusammengestellt von Messer Godoscalco Burcardo.' Er +blätterte und las: 'Erster Abschnitt: Die Werbung. Paragraph eins. +Der ernsthafte Werber bringt einen Freund gleichen Standes als +gültigen Zeugen mit--' + +'Bei den überflüssigen Verdiensten meines Schutzheiligen', unterbrach +ihn Ascanio ungeduldig, 'laß uns zufrieden mit ante und post, mit +Werbung und Hochzeit, serviere uns das Mittelstück: wie vermählt man +sich in Padua?' + +'In Batova', krähte der gereizte Alsatier, dessen barbarische +Aussprache in der Gemütsbewegung noch mehr als gewöhnlich hervortrat, +'werden zu den adeligen Sbosalizien geladen die zwölf großen +Geschlechter'--er zählte sie aus dem Gedächtnis her--'zehn Tage voraus, +nicht früher, nicht später, von dem Majordom des Bräutigams, gefolgt +von sechs Dienern. In dieser erleuchten Versammlung werden die Ringe +gewechselt. Man schlürft Cybrier und verzehrt als Hochzeitsgebäck die +Amarellen--' + +'Gott gebe, daß wir uns nicht die Zähne ausreißen!' lachte Ascanio, +und dem Majordom das Buch entreißend, durchlief er die Namen, von +welchen sechs Familienhäupter--sechs von zwölfen--und einige Jünglinge +mit breiten Strichen ausgelöscht waren. Sie mochten sich in +irgendeine Verschwörung gegen den Tyrannen verwickelt und darin den +Untergang gefunden haben. 'Merk auf, Alter!' befahl Ascanio, für den +Mönch handelnd, welcher in einen Sessel gesunken war und in Gedanken +verloren die freundliche Bevormundung sich gefallen ließ. 'Du hältst +deinen Umgang mit den sechs Tagedieben zur Stunde, jetzt gleich, ohne +Verzug, verstehst du? und ladest auf heute zur Vesperzeit.' 'Zehn Tage +voraus', wiederholte Herr Burcardo majestätisch, als verkünde er ein +Reichsgesetz. + +'Heute und auf heute, Starrkopf!' + +'Unmöglich', sprach der Majordom ruhig. Ändert Ihr den Lauf der +Gestirne und Jahreszeiten?' + +'Du rebellierst? Juckt dich der Hals, Alter?' warnte Ascanio mit +einem sonderbaren Lächeln. + +Das genügte. Herr Burcardo erriet. Ezzelin hatte befohlen, und der +hartnäckigste der Pedanten fügte sich ohne Murren, so eisern war die +Rute des Tyrannen. + +'Dann ladest du die beiden Herrinnen Canossa nicht, die Olympia und +die Antiope.' + +'Warum diese nicht?' fragte der Mönch plötzlich, wie von einem +Zauberstab berührt. Die Luft färbte sich vor seinem Blick, und ein +Bild entstand, dessen erster Umriß schon seine ganze Seele fesselte. + +'Weil die Gräfin Olympia eine Törin ist, Astorre. Kennst du die +Geschichte des armen Weibes nicht? Doch du stakest ja damals noch in +den Windeln, will sagen in der Kutte. Es war vor drei Jahren, da die +Blätter gilbten.' + +'Im Sommer, Ascanio. Eben jährt es sich', widersprach der Mönch. + +'Du hast recht--kennst du denn die Geschichte? Doch wie solltest du? +Zu jener Zeit munkelte der Graf Canossa mit dem Legaten, wurde +belauscht, ergriffen und verurteilt. Die Gräfin tat einen Fußfall vor +dem Ohm, der sich in sein Schweigen hüllte. Sie wurde dann auf die +sträflichste Weise von einem habgierigen Kämmerer getäuscht, welcher +ihr Gewinnes wegen vorspiegelte, der Graf werde vor dem Block +begnadigt werden. Das ging nicht in Erfüllung, und da man der Gräfin +einen Enthaupteten brachte, warf sich ihm die aus der Hoffnung +kopfüber in die Verzweiflung Geschleuderte durch das Fenster entgegen, +wunderbarerweise ohne sich zu verletzen, außer daß sie sich den Fuß +verstauchte. Aber von jenem Tag an war ihr Geist zerrüttet. Wenn +natürliche Stimmungen sich unmerklich ineinander verlieren wie das +erlöschende Licht in die wachsende Dämmerung, wechseln die ihrigen in +rasendem Umschwung von Hell und Dunkel zwölfmal in zwölf Stunden. Von +beständiger Unruhe gestachelt, eilt das elende Weib aus ihrem +verödeten Stadtpalast auf ihr Landgut und aus diesem in die Stadt +zurück, in ewigem Irrgang. Heute will sie ihr Kind einem Pächterssohn +vermählen, weil nur Niedrigkeit Schutz und Frieden gewähre, morgen +wäre ihr der edelste Freier, der übrigens aus Scheu vor einer solchen +Mutter sich nicht einstellt, kaum vornehm genug--' + +Hätte Ascanio, während seine Rede floß, den flüchtigsten Blick auf den +Mönch geworfen, er hätte staunend innegehalten, denn das Antlitz des +Mönches verklärte sich vor Mitleid und Erbarmen. + +'Wenn der Tyrann', fuhr der Achtlose fort, an der Behausung Olympias +vorüber auf die Jagd reitet, stürzt sie ans Fenster und erwartet, er +werde an ihrer Schwelle vom Pferd steigen und die in Ungnade Geratene, +aber nun genug Geprüfte, günstig und gnädig an seinen Hof zurückführen, +wozu er wahrlich keine Lust hat. Eines andern Tages, oder noch an +demselben, wähnt sie sich von Ezzelin, welcher sich nicht um sie +bekümmert, verfolgt und geächtet. Sie glaubt sich verarmt und ihre +Güter, die er unberührt ließ, eingezogen. So brennt und friert sie im +Wechselfieber der schroffsten Gegensätze, ist nicht nur selbst +verrückt, sondern verrückt auch, was sie in die wirbelnden Kreise +ihres Kopfes zieht, und stiftet--denn sie ist nur eine halbe Törin und +redet mitunter treffend und witzig--überall Unheil, wo ihr geglaubt +wird. Es kann nicht die Rede davon sein, sie unter die Leute und an +ein Fest zu bringen. Ein Wunder ist, daß ihr Kind, die Antiope, +welches sie vergöttert und dessen Verheiratung sich im Mittelpunkt +ihrer Phantasie dreht, auf diesem schwanken Boden den Verstand behält. +Aber das Mädchen, das in seiner Frühblüte steht und leidlich hübsch +ist, hat eine gute Natur..' So ging es noch eine Weile fort. + +Astorre aber versank in seinem Traume. So sage ich, weil das +Vergangene Traum ist. Denn der Mönch sah, was er vor drei Jahren +erlebt hatte: einen Block, den Henker daneben und sich selbst an der +Stelle eines erkrankten Mitmönches als geistlichen Tröster, der einen +armen Sünder erwartet. Dieser--der Graf Canossa--erschien gefesselt, +wollte aber durchaus nicht herhalten, sei es, weil er wähnte, seine +Begnadigung werde, jetzt da er vor dem Blocke stehe, nicht säumen, sei +es einfach, weil er die Sonne liebte und die Gruft verabscheute. Er +ließ den Mönch hart an und verschmähte seine Gebete. Ein +entsetzliches Ringen stand bevor, wenn er fortfuhr, sich zu sträuben +und zu stemmen; denn er hielt sein Kind an der Hand, welches ihm--von +den Wachen unbemerkt--zugesprungen war und ihn umklammerte, die +ausdrucksvollsten Augen und die flehendsten Blicke auf den Mönch +heftend. Der Vater drückte das Mädchen fest an seine Brust und schien +sich mit diesem jungen Leben gegen die Vernichtung decken zu wollen, +wurde aber von dem Henker nieder und mit dem Haupt auf den Block +gedrückt. Da legte das Kind Kopf und Nacken neben den väterlichen. +Wollte es das Mitleid des Henkers erwecken? Wollte es den Vater +ermutigen, das Unabwendbare zu leiden? Wollte es dem Unversöhnten den +Namen eines Heiligen ins Ohr murmeln? Tat es das Unerhörte ohne +Besinnen und Überlegung, aus überströmender kindlicher Liebe? Wollte +es einfach mit ihm sterben? + +Jetzt leuchteten die Farben so kräftig, daß der Mönch die zwei +nebeneinander liegenden Hälse, den ziegelroten Nacken des Grafen und +den schneeweißen des Kindes mit dem gekräuselten, goldbraunen Flaum +wenige Schritte vor sich in voller Lebenswahrheit erblickte. Das +Hälschen war von der schönsten Bildung und ungewöhnlicher Schlankheit. +Astorre bebte, das fallende Beil möchte sich irren, und fühlte sich +in tiefster Seele erschüttert, nicht anders als das erste Mal, nur daß +ihm die Sinne nicht schwanden, wie sie ihm damals geschwunden waren, +als die schreckliche Szene in Wahrheit und Wirklichkeit sich ereignete, +und er erst wieder zu sich kam, als alles vorüber war. + +'Hat mir mein Gebieter einen Auftrag zu geben?' störte den Verzückten +die schnurrende Stimme des Majordoms, der es schwer ertrug, von +Ascanio gemeistert zu werden. + +'Burcardo', antwortete Astorre mit weicher Stimme, 'vergiß nicht, die +zwei Frauen Canossa, Mutter und Tochter, zu laden. Es sei nicht +gesagt, daß der Mönch die von der Welt Gemiedenen und Verlassenen von +sich fernhält. Ich ehre das Recht einer Unglücklichen'--hier stimmte +der Majordom mit eifrigem Nicken bei--, 'von mir geladen und empfangen +zu werden. Würde sie übergangen, es dürfte sie schwer kränken, wie +sie beschaffen ist.' + +'Beileibe!' warnte Ascanio. Tu dir doch das nicht zuleide! Dein +Verlöbnis ist schon abenteuerlich genug! Und das Abenteuerliche +begeistert die Törichten. Sie wird nach ihrer Art etwas Unglaubliches +beginnen und irgendein tolles Wort in die Feier schleudern, welche +sonst schon alle Paduanerinnen aufregt.' + +Herr Burcardo aber, der die Berechtigung einer Canossa, ob sie bei +Verstande sei oder nicht, sich zu den Zwölfen zu versammeln, mit den +Zähnen festhielt und seinen Gehorsam dem Vicedomini und keinem andern +verpflichtet glaubte, verbeugte sich tief vor dem Mönch. 'Deiner +Herrlichkeit allein wird gehorcht', sprach er und entfernte sich. + +'O Mönch, Mönch', rief Ascanio, 'der die Barmherzigkeit in eine Welt +trägt, wo kaum die Güte ungestraft bleibt!' + +"Doch wie wir Menschen sind," flocht Dante ein, "oft zeigt uns ein +prophetisches Licht den Rand eines Abgrunds, aber dann kommt der Witz +und klügelt und lächelt und redet uns die Gefahr aus." + +Dergestalt fragte und beruhigte sich der Leichtsinnige: Welche +Beziehung auf der Welt hat die Närrin zu dem Mönch, in dessen Leben +sie nicht die geringste Rolle spielt? Und am Ende--wenn sie zu lachen +gibt, so würzt sie uns die Amarellen! Er ahnte nicht von ferne, was +sich in der Seele Astorres begab, aber auch wenn er geraten und +geforscht, dieser hätte sein keusches Geheimnis dem Weltkind nicht +preisgegeben. + +So ließ Ascanio es gut sein, und sich des andern Befehles des Tyrannen +erinnernd, den Mönch unter die Leute zu bringen, fragte er lustig: +'Ist für den Ehereif gesorgt, Astorre? Denn es steht in den +Zeremonien geschrieben, Abschnitt zwei, Paragraph soundso: Die Reife +werden gewechselt.' Dieser erwiderte, es werde sich dergleichen in dem +Hausschatz finden. + +'Nicht so, Astorre', meinte Ascanio. 'Wenn du mir folgst, kaufst du +deiner Diana einen neuen. Wer weiß, was für Geschichten an den +gebrauchten Ringen kleben. Wirf das Alte hinter dich. Auch schickt +es sich ganz allerliebst: du kaufst ihr einen Ring bei dem Florentiner +auf der Brücke. Kennst du den Mann? Doch wie solltest du! Höre: Als +ich heute in der Frühstunde, mit Germano in die Stadt zurückkehrend, +unsere einzige Brücke über den Kanal beschritt--wir mußten absitzen +und die Pferde führen, so dicht war dort das Gedränge--, hatte, meiner +Treu, auf dem verwitterten Kopf des Brückenpfeilers ein Goldschmied +seinen Laden aufgetan, und ganz Padua kramte und feilschte vor +demselben. Warum auf der engen Brücke, Astorre, da wir so viele +Plätze haben? Weil in Florenz die Schmuckläden auf der Arnobrücke +stehen. Denn--bewundere die Logik der Mode! wo kauft man feinen +Schmuck, als bei einem Florentiner, und wo legt ein Florentiner aus, +wenn nicht auf einer Brücke? Er tut es einmal nicht anders. Sonst +wäre seine Ware ein plumpes Zeug und er selbst kein echter Florentiner. +Doch dieser ist es, ich meine. Hat er doch mit riesigen Buchstaben +über seine Bude geschrieben: Niccola Lippo dei Lippi, der Goldschmied, +durch einen feilen und ungerechten Urteilsspruch, wie sie am Arno +gebräuchlich sind, aus der Heimat vertrieben. Auf, Astorre! gehen wir +nach der Brücke!' + +Dieser weigerte sich nicht, da er selbst das Bedürfnis fühlen mochte, +den Bann des Hausbezirkes zu brechen, welchen er, seit er seine Kutte +niedergestreift, nicht mehr verlassen hatte. + +'Hast du Geld zu dir gesteckt, Freund Mönch?' scherzte Ascanio. 'Dein +Gelübde der Armut ist hinfällig, und der Florentiner wird dich +überfordern.' Er pochte an das Schiebfensterchen des im untern Flur, +welchen die Jünglinge eben durchschritten, gelegenen Hauskontors. Es +zeigte sich ein verschmitztes Gesicht, Jede Falte ein Betrug, und der +Verwalter der Vicedomini--ein Genuese, wenn ich recht berichtet +bin--reichte seinem Herrn mit kriechender Verbeugung einen mit +Goldbyzantinern gefüllten Beutel. Dann wurde der Mönch von einem +Diener in den bequemen paduanischen Sommermantel mit Kapuze gehüllt. + +Auf der Straße zog sich Astorre dieselbe tief ins Gesicht, weniger +gegen die brennenden Strahlen der Sonne als aus langer Gewöhnung, und +wandte sich freundlich gegen seinen Begleiter. 'Nicht wahr, Ascanio', +sagte er, diesen Gang tue ich allein? Einen einfachen Goldring zu +kaufen übersteigt meinen Mönchsverstand nicht. Das traust du mir noch +zu? Auf Wiedersehen bei meiner Vermählung, wann es Vesper läutet!' +Ascanio ging und rief noch über die Schulter zurück: 'Einen, nicht +zwei! Den deinigen gibt dir Diana! Merke dir das, Astorre!' Es war +eine jener farbigen Seifenblasen, deren der Lustige mehr als eine +täglich von den Lippen in die Luft jagte. + +Fraget ihr mich, Herrschaften, warum der Mönch den Freund beurlaubte, +so sage ich: er wollte den himmlischen Ton, welchen die junge +Märtyrerin der Kindesliebe in seinem Gemüt geweckt hatte, rein +ausklingen lassen. + +Astorre hatte die Brücke erreicht, welche trotz des Sonnenbrandes +randvoll war und von den nahen zwei Ufern ein doppeltes +Menschengedränge vor den Laden des Florentiners führte. Der Mönch +blieb unter seinem Mantel unerkannt, ob auch hin und wieder ein Auge +fragend auf dem unbedecktem Teil seines Gesichtes ruhte. Adel und +Bürgerschaft suchte sich den Vortritt abzugewinnen. Vornehme Weiber +stiegen aus ihren Sänften und ließen sich drängen und drücken, um ein +Paar Armringe oder ein Stirnband von neuester Mache zu erhandeln. Der +Florentiner hatte auf allen Plätzen mit der Schelle verkündigen lassen, +er schließe heute nach dem Ave Maria. Er dachte nicht daran. Doch +was kostet einen Florentiner die Lüge! + +Endlich stand der Mönch, von Menschen eingeengt, vor der Bude. Der +bestürmte Händler, der sich verzehnfachte, streifte ihn mit einem +erfahrenen Seitenblick und erriet sofort den Neuling. Womit diene ich +dem gebildeten Geschmack der Herrlichkeit?' fragte er. Gib mir einen +einfachen Goldreif', antwortete der Mönch. Der Kaufmann ergriff einen +Becher, auf welchem, nach florentinischer Kunst und Art, in erhabener +Arbeit irgend etwas Üppiges zu sehen war. Er schüttelte den Kelch, in +dessen Bauch hundert Reifen wimmelten, und bot ihn Astorre. + +Dieser geriet in eine peinliche Verlegenheit. Er kannte den Umfang +des Fingers nicht, welchen er mit einem Reif bekleiden sollte, und +deren mehrere heraushebend, zauderte er sichtlich zwischen einem +weitern und einem engern. Der Florentiner konnte den Spott nicht +lassen, wie denn ein versteckter Hohn aus aller Rede am Arno +hervorkichert. 'Kennt der Herr die Gestalt des Fingers nicht, welchen +er doch wohl zuweilen gedrückt hat?' fragte er mit einem unschuldigen +Gesicht, aber als ein kluger Mann verbesserte er sich alsobald, und in +der heimischen Meinung, der Verdacht der Unwissenheit sei beleidigend, +derjenige der Sünde aber schmeichle, gab er Astorre zwei Ringe, einen +größern und einen kleinern, die er aus Daumen und Zeigefinger seiner +beiden Hände geschickt zwischen die Daumen und Zeigefinger des Mönches +hinübergleiten ließ. 'Für die zwei Liebchen der Herrlichkeit', +wisperte er sich verneigend. + +Ehe noch der Mönch über diese lose Rede ungehalten werden konnte, +erhielt er einen harten Stoß. Es war das Schulterblatt eines +Roßpanzers, das ihn so unsanft streifte, daß er den kleinern Ring +fallen ließ. In demselben Augenblick schmetterte ihm der betäubende +Ton von acht Tuben ins Ohr. Die Feldmusik der germanischen Leibwache +des Vogtes ritt in zwei Reihen, beide vier Rosse hoch, über die Brücke, +den ganzen Menscheninhalt derselben auseinanderwerfend und gegen die +steinernen Geländer pressend. + +Sobald die Bläser vorüber waren, stürzte der Mönch, den festgehaltenen +größern Ring rasch in seinem Gewand bergend, dem kleinern nach, +welcher unter den Hufen der Gäule weggerollt war. + +Das alte Bauwerk der Brücke war in der Mitte ausgefahren und vertieft, +so daß der Reif die Höhlung hinab und dann durch seine eigene Bewegung +getrieben die andere Seite hinanrollte. Hier hatte eine junge Zofe, +namens Isotta oder, wie man in Padua den Namen kürzt, Sotte, das +rollende und blitzende Ding gehascht, auf die Gefahr hin, von den +Pferden zerstampft zu werden. 'Ein Glücksring!' jubelte das unkluge +Geschöpf und steckte einer jugendlichen Herrin, welcher sie das +Begleite gab, mit kindischem Frohlocken den Fund an den schlanken +Finger, den vierten der linken Hand, welcher ihr durch seine zierliche +Bildung des engen Schmuckes besonders würdig und fähig schien. In +Padua aber, wie auch hier in Verona, wenn mir recht ist, pflegt man +den Trauring an der linken Hand zu tragen. + +Das Edelfräulein zeigte sich unwillig über die Posse der Magd, war +aber doch auch ein bißchen belustigt davon. Sie bemühte sich eifrig, +den fremden Ring, der ihr wie angegossen saß, dem Finger wieder +abzuziehen. Da stand unversehens der Mönch vor ihr und hob die Arme +in freudiger Verwunderung. Seine Gebärde aber war, daß er die +geöffnete rechte Hand vor sich hinstreckte, die linke in der Höhe des +Herzens hielt; denn er hatte, trotz der entfalteten Blüte, an der +auffallenden Schlankheit des Halses und wohl mehr noch an der Bewegung +seiner Seele das Kind wiedererkannt, dessen zartes Haupt er auf dem +Block gesehen hatte. + +Während das Mädchen bestürzte, fragende Augen auf den Mönch richtete +und immerfort an dem widerspenstigen Ring drehte, zauderte Astorre, +denselben zurückzuverlangen. Doch es mußte geschehen. Er öffnete den +Mund. 'Junge Herrin', begann er--und fühlte sich von zwei starken, +gepanzerten Armen umfaßt, die sich seiner bemächtigten und ihn +emporzogen. Im Augenblick sah er sich, mit Hilfe eines andern +Gepanzerten, ein Bein rechts, ein Bein links, auf ein stampfendes Roß +gesetzt. 'Laß schauen', schallte ein gutmütiges Gelächter, 'ob du das +Reiten nicht verlernt hast!' Es war Germano, welcher an der Spitze der +von ihm befehligten deutschen Kohorte ritt, die der Vogt auf eine +Ebene unweit Padua zur Musterung befohlen hatte. Da er unvermutet den +Freund und Schwager im Freien erblickte, hatte er sich den +unschuldigen Spaß gemacht, denselben neben sich auf ein Pferd zu heben, +von welchem ein junger Schwabe auf seinen Wink abgesprungen war. Das +feurige Tier, welches den veränderten Reiter spürte, tat ein paar +wilde Sprünge, es entstand ein Rossegedräng auf der nicht geräumigen +Brücke, und Astorre, dem die Kapuze zurückgefallen war und der sich +mit Mühe im Bügel hielt, wurde von dem entsetzt ausweichenden Volk +erkannt. 'Der Mönch! der Mönch!' rief und deutete es von allen Seiten, +aber schon hatte der kriegerische Tumult die Brücke hinter sich und +verschwand um eine Straßenecke. Der unbezahlt gebliebene Florentiner +rannte nach, aber kaum zwanzig Schritte, denn ihm wurde bange um seine +unter der schwachen Hut eines Jüngelchens gelassene Ware, und dann +belehrte ihn der Zuruf der Menge, daß er es mit einer bekannten und +leicht aufzufindenden Persönlichkeit zu tun habe. Er ließ sich den +Palast Astorres bezeichnen und meldete sich dort heute, morgen, +übermorgen. Die zwei ersten Male richtete er nichts aus, weil in der +Behausung des Mönches alles drunter und drüber ging, das dritte Mal +fand er die Siegel des Tyrannen an das verschlossene Tor geheftet. +Mit diesem wollte der Feigling nichts zu schaffen haben und so ging er +der Bezahlung verlustig. + +Die Frauen aber--zu Antiope und der leichtfertigen Zofe hatte sich +noch eine dritte, durch den Brückentumult von ihnen abgedrängte +wiedergefunden--schritten in der entgegengesetzten Richtung. Diese +war ein seltsam blickendes, vorzeitig, wie es schien, gealtertes Weib +mit tiefen Furchen, grauen Haarbüscheln, aufgeregten Mienen, und +schleppte ihr vernachlässigtes, aber vornehmes Gewand mitten durch den +Straßenstaub. + +Sotte erzählte eben der Alten, offenbar der Mutter des Fräuleins, mit +dummem Jubel den Vorgang auf der Brücke: Astorre--auch ihr hatte der +Zuruf des Volkes ihn genannt--Astorre der Mönch, der stadtkundig +freien müsse, habe Antiope verstohlenerweise einen Goldring zugerollt, +und als sie--Sotte--, den Wink der Vorsehung und die Schlauheit des +Mönches verstehend, ihn dem lieben Mädchen angesteckt, sei der Mönch +selbst vor dasselbe hingetreten, und da Antiope ihm den Ring in +Züchten habe zurückgeben wollen, habe er--sie ahmte den Mönch +nach--die Linke zärtlich auf das Herz gelegt, so! die Rechte aber +zurückweisend ausgestreckt mit einer Gebärde, die in ganz Italien +nichts anderes sage und bedeute als: Behalte, Schatz! + +Endlich kam die erstaunte Antiope zu Wort und beschwor die Mutter, auf +das alberne Geschwätz Isottens nichts zu geben, aber umsonst. Madonna +Olympia erhob die Arme gen Himmel und dankte auf offener Straße dem +heiligen Antonius mit Inbrunst, daß er ihre tägliche Bitte über alles +Hoffen und Erwarten erhört und ihrem Kleinod einen ebenbürtigen und +tugendhaften Mann, einen seiner eigenen Söhne beschert habe. Dabei +gebärdete sie sich so abenteuerlich, daß die Vorbeigehenden lachend +auf die Stirne wiesen. Die verwirrte Antiope gab sich alle +erdenkliche Mühe, der Mutter das blendende Märchen auszureden; aber +diese hörte nicht und baute leidenschaftlich an ihrem Luftschloß +weiter. + +So langten die Frauen in dem Palast Canossa an und begegneten im +Torbogen einem steif geputzten Majordom, dem sechs verschwenderisch +gekleidete Diener folgten. Herr Burcardo ließ, ehrerbietig +zurücktretend, Madonna Olympia die Treppe voraufgehen, dann, in einer +öden Halle angelangt, machte er drei abgezirkelte Verbeugungen, eine +immer näher und tiefer als die andere, und redete langsam und +feierlich: 'Herrlichkeiten, mich sendet Astorre Vicedomini, +hochdieselben untertänigst zu seinen Sbosalizien zu laden, heute'--er +verschluckte schmerzhaft 'in zehn Tagen'--'wann es Vesper läutet.'" + +Dante hielt inne. Seine Fabel lag in ausgeschütteter Fülle vor ihm; +aber sein strenger Geist wählte und vereinfachte. Da rief ihn +Cangrande. + +"Mein Dante", hub er an, "ich wundere mich, mit wie harten und ätzend +scharfen Zügen du deinen Florentiner umrissen hast! Dein Niccolò +Lippo dei Lippi ist verbannt durch ein feiles und ungerechtes Urteil. +Er selbst aber ist ein Überteurer, ein Schmeichler, ein Lügner, ein +Spötter, ein Schlüpfriger und eine Memme, alles nach Art der +Florentiner'. Und das ist nur ein winziges Flämmchen aus dem +Feuerregen von Verwünschungen, womit du dein Florenz überschüttest, +nur eine tröpfelnde Neige jener bittern von Essig und Galle triefenden +Terzinen, die du in deiner Komödie der Vaterstadt zu kosten gibst. +Lasse dir sagen, es ist unedel, seine Wiege zu schmähen, seine Mutter +zu beschämen! Es kleidet nicht gut! Glaube mir, es macht einen +schlechten Eindruck! + +Mein Dante, ich will dir erzählen von einem Puppenspiel, dem ich +jüngst, verkappt unter dem Volk mich umtreibend, in unserer Arena +zuschaute. Du rümpfst die Nase, daß ich den niedrigen Geschmack habe, +in mäßigen Augenblicken an Puppen und Narren mich zu vergnügen. +Dennoch begleite mich vor die kleine Bühne! Was schaust du da? Mann +und Weib zanken sich. Sie wird geprügelt und weint. Ein Nachbar +streckt den Kopf durch die Türspalte, predigt, straft, mischt sich ein. +Doch siehe! das tapfere Weib erhebt sich gegen den Eindringling und +nimmt Partei für den Mann. 'Wenn es mir beliebt, geprügelt zu werden!' +heult sie. + +Ähnlicherweise, mein Dante, spricht ein Hochherziger, welchen seine +Vaterstadt mißhandelt: Ich will geschlagen sein!" + +Viele junge und scharfe Augen hafteten auf dem Florentiner. Dieser +verhüllte sich schweigend das Haupt. Was in ihm vorging, weiß niemand. +Als er es wieder erhob, war seine Stirn vergrämter, sein Mund +bitterer und seine Nase länger. + +Dante lauschte. Der Wind pfiff um die Ecken der Burg und stieß einen +schlecht verwahrten Laden auf. Monte Baldo hatte seine ersten Schauer +gesendet. Man sah die Flocken stäuben und wirbeln, von der Flamme des +Herdes beleuchtet. Der Dichter betrachtete den Schneesturm, und seine +Tage, welche er sich entschlüpfen fühlte, erschienen ihm unter der +Gestalt dieser bleichen Jagd und Flucht durch eine unstete Röte. Er +bebte vor Frost. + +Und seine feinfühligen Zuhörer empfanden mit ihm, daß ihn kein eigenes +Heim, sondern nur wandelbare Gunst wechselnder Gönner bedache und vor +dem Winter beschirmen welcher Landstraße und Feldweg mit Schnee +bedeckte. Alle wurden es inne, und Cangrande, der von großer +Gesinnung war, zuerst: Hier sitzt ein Heimatloser! + +Der Fürst erhob sich, den Narren wie eine Feder von seinem Mantel +schüttelnd, trat auf den Verbannten zu, nahm ihn an der Hand und +führte ihn an seinen eigenen Platz, nahe dem Feuer. "Er gebührt dir", +sagte er, und Dante widersprach nicht. Cangrande aber bediente sich +des frei gewordenen Schemels. Er konnte dort bequem die beiden Frauen +betrachten, zwischen welchen jetzt der Wanderer durch die Hölle saß, +den das Feuer glühend beschien und der seine Erzählung folgendermaßen +fortsetzte. + +"Während die mindern Glocken in Padua die Vesper läuteten, versammelte +sich unter dem Zederngebälk des Prunksaales der Vicedomini, was von +den zwölf Geschlechtern übriggeblieben war, den Eintritt des Hausherrn +erwartend. Diana hielt sich zu Vater und Bruder. Ein leises +Geschwätz lief um. Die Männer besprachen ernst und gründlich die +politische Seite der Vermählung zweier großer städtischer Geschlechter. +Die Jünglinge scherzten halblaut über den heiratenden Mönch. Die +Frauen schauderten, trotz dem Breve des Papstes, vor dem Sakrilegium, +welches nur die von knospenden Töchtern umringten in milderem Licht +sahen, mit dem Zwang der Umstände entschuldigten oder aus der +Herzensgüte des Mönches erklärten. Die Mädchen waren lauter Erwartung. + +Die Anwesenheit der Olympia Canossa erregte Verwunderung und Unbehagen, +denn sie war in auffallendem, fast königlichem Staat, als ob ihr bei +der bevorstehenden Feier eine Hauptrolle zustünde, und redete mit +unheimlicher Zungenfertigkeit in Antiope hinein, welche bangen Herzens +die aufgebrachte Mutter flüsternd und flehend zu beschwichtigen suchte. +Donna Olympia hatte sich schon auf den Treppen gewaltig geärgert, wo +sie--Herr Burcardo beschäftigte sich eben mit dem Empfang zweier +anderer Herrschaften--von Gocciola, der eine neue, scharlachrote Kappe +mit silbernen Schellen in der Hand hielt, ehrfürchtig willkommen +geheißen wurde. Jetzt mit den andern im Kreis stehend, belästigte +oder ängstigte sie durch ihr maßloses Gebärdenspiel ihre +Standesgenossen. Mit Augenwinken und Kinnheben wurde auf die Ärmste +gedeutet. Keiner hätte sie an des Mönches Statt geladen, und jeder +machte sich darauf gefaßt, sie werde diesem einen ihrer Streiche +spielen. + +Burcardo meldete den Hausherrn. Astorre hatte sich von den Germanen +bald losgemacht, war auf die Brücke zurückgeeilt, ohne dort den Ring +noch die Frauen mehr zu finden, und sich darüber Vorwürfe machend, +obschon im Grunde nur der Zufall anzuklagen war, hatte er in der ihm +bis zur Vesper bleibenden Stunde den Entschluß gefaßt, in Zukunft +immerdar nach den Regeln der Klugheit zu handeln. Mit diesem Vorsatz +trat er in den Saal und in die Mitte der Versammelten. Der Druck der +auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit und die sozusagen in der Luft +fühlbaren Formen und Forderungen der Gesellschaft ließen ihn empfinden, +daß er nicht die Wirklichkeit der Dinge sagen dürfe, energisch und +mitunter häßlich wie sie ist, sondern ihr eine gemilderte und +gefällige Gestalt geben müsse. So hielt er sich unwillkürlich in der +Mitte zwischen Wahrheit und schönem Schein und redete untadelig. + +'Herrschaften und Standesbrüder', begann er, 'der Tod hat eine reiche +Ernte unter uns Vicedomini gehalten. Wie ich in Schwarz gekleidet vor +euch stehe, trage ich Trauer um den Vater, drei Brüder und drei Neffen. +Daß ich, von der Kirche freigelassen, den Wunsch eines sterbenden +Vaters, in Sohn und Enkel fortzuleben, nach ernster Erwägung'--hier +verhallte sich der Klang seiner Stimme--'und gewissenhafter Prüfung +vor Gott nicht glaubte ungewährt lassen zu dürfen, dieses werdet ihr +verschieden beurteilen, billigend oder tadelnd, nach der Gerechtigkeit +oder Milde, die euch innewohnt. Darin aber werdet ihr einiggehen, daß +es mir bei meiner Vergangenheit nicht angestanden hätte zu zaudern und +zu wählen, und daß hier nur das Nächstliegende und Ungesuchte Gott +gefällig sein konnte. Wer aber stand mir näher als die schon mit mir +durch die trostlose Trauer um meinen letzten Bruder vereinigte +jungfräuliche Witwe desselben? Und so ergriff ich über einem teuern +Sterbebett diese Hand, wie ich sie jetzt ergreife'--er trat zu Diana +und führte sie in die Mitte--'und ihr den Trauring um den Finger lege.' +So tat er. Der Ring paßte. Diana tat dasselbe, indem sie dem Mönch +einen goldenen Reif anlegte. 'Es ist der meiner Mutter', sagte sie, +'die ein wahrhaftes und tugendsames Weib war. Ich gebe dir einen Ring, +der Treue gehalten hat.' Ein feierlich gemurmelter Glückwunsch aller +Anwesenden beschloß die ernste Handlung, und der alte Pizzaguerra, ein +würdiger Greis--denn der Geiz ist ein gesundes Laster und läßt zu +Jahren kommen--, weinte die übliche Träne. + +Donna Olympia sah ihr Traumschloß auflodern und brennen mit sinkenden +Säulen und krachenden Balken. Sie tat einen Schritt vorwärts, als +wolle sie ihre Augen überführen, daß sie sich betrügen, dann einen +zweiten in wachsender Wildheit, und jetzt stand sie dicht vor Astorre +und Diana, die grauen Haare gesträubt, und ihre rasenden Worte rannten +und stürzten wie ein Volk in Aufruhr. + +'Elender!' schrie sie. 'Gegen den Ring an dem Finger dieser da zeugt +ein anderer und zuerst gegebener.' Sie riß Antiope, welche ihr in +wachsender Angst und mit den flehendsten Gebärden gefolgt war, hinter +sich hervor und hob die Hand des Mädchens. 'Den Ring hier hast du +meinem Kinde vor nicht einer Stunde auf der Brücke bei dem Florentiner +an den Finger gesteckt!' So hatte ihr ein falscher Spiegel den Vorgang +verschoben. 'Ruchloser Mensch! Ehebrecherischer Mönch! Öffnet +sich die Erde nicht, dich zu verschlingen? Hängt den Bruder Pförtner, +der im Rausch schnarchte und dich deiner Zelle entspringen ließ! +Deinen Lüsten wolltest du frönen, aber du durftest dir eine andere +Beute wählen als eine ungerecht verfolgte, ratlose Wittib und eine +unbeschützte Waise!' + +Die Marmordiele öffnete sich nicht, und in den Blicken der Umstehenden +las die Unglückliche, die einem gerechten Mutterzorn arme und schwache +Worte zu geben glaubte, den hellen Hohn oder ein Mitleid anderer Art, +als sie es zu finden hoffte. Sie vernahm hinter sich das verständlich +geflüsterte Wort: 'Närrin!', und ihr Zorn schlug in ein wahnsinniges +Gelächter um. 'Ei, seht mir einmal den Toren', hohnlachte sie, 'der +so dumm zwischen diesen beiden wählen konnte! Ich mache euch zu +Richtern, Herrschaften, und jeden, der Augen hat. Hier das herzige +Köpfchen, die schwellende Jugend'--das übrige vergaß ich, aber ich +weiß eines: Alle Jünglinge im Saale Vicedominis, und mehr als einer +unter ihnen mochte locker leben, alle Jünglinge, die enthaltsamen und +die es nicht waren, wendeten Ohr und Auge ab von den empörenden Worten +und Gebärden einer Mutter, welche Zucht und Scham unter die Füße trat +vor dem Kind, das sie geboren, und dieses preisgab wie eine Kupplerin. + +Alle im Saal bemitleideten Antiope. Nur Diana, so wenig sie an der +Treue des Mönches zweifelte, empfand ich weiß nicht welchen dumpfen +Groll über die ihrem Bräutigam frech gezeigte Schönheit. + +Antiope mochte es verschuldet haben dadurch, daß sie den unseligen +Reif am Finger behielt. Vielleicht tat sie es, um die sich selbst +betörende Mutter nicht zu reizen, in dem Gedanken, diese werde, durch +die Wirklichkeit enttäuscht, aus dem Hochmut, nach ihrer Art, in +Kleinmut verfallen und alles mit einem Augenrollen und ein paar +gemurmelten Worten vorübergehen. Oder dann hatte die junge Antiope +selbst eine Fingerspitze in den sprudelnden Märchenbrunnen getaucht. +War die Begegnung auf der Brücke nicht wunderbar, und wäre ihre +Erkiesung durch den Mönch wunderbarer gewesen als das Schicksal, das +ihn dem Kloster entriß? + +Jetzt erlitt sie grausame Strafe. Soweit es eine zügellose Rede +vermag, beraubte sie die eigene Mutter der schützenden Hüllen. + +Eine dunkle Röte und eine noch dunklere fuhr ihr über Stirn und Nacken. +Darauf begann sie in der allgemeinen Stille laut und bitterlich zu +weinen. + +Selbst die graue Mänade lauschte betroffen. Dann zuckte ihr ein +entsetzlicher Schmerz über das Gesicht und verdoppelte ihre Wut. 'Und +die andere!' kreischte sie, auf Diana zeigend, 'dieses kaum aus dem +Rohen gehauene breite Stück Marmor! Diese verpfuschte Riesin, die +Gott Vater stümperte, als er noch Gesell war und kneten lernte! Pfui +über den plumpen Leib ohne Leben und Seele! Wer hätte ihr auch eine +gespendet? Die Bastardin, ihre Mutter? die stupide Orsola? Oder der +dürre Knicker dort? Nur widerstrebend hat er ihr ein karges Almosen +von Seele verabfolgt!' + +Der alte Pizzaguerra blieb gelassen. Mit dem klaren Verstand der +Geizigen vergaß er nicht, wen er vor sich hatte. Seine Tochter Diana +aber vergaß es. Durch die rohe Verhöhnung ihres Leibes und ihrer +Seele aufgebracht, tief empört, zog sie die Brauen zusammen und ballte +die Hände. Jetzt geriet sie außer sich, da die Närrin ihre Eltern ins +Spiel zog, ihr die Mutter im Grabe beschimpfte, den Vater an den +Pranger stellte. Ein bleicher Jähzorn packte und übermannte sie. + +'Hündin!' schrie sie und schlug--in Antiopes Angesicht; denn das +verzweifelnde und beherzte Mädchen hatte sich vor die Mutter geworfen. +Antiope stieß einen Laut aus, der den Saal und alle Herzen +erschütterte. + +Nun drehte sich das Rad in dem Kopf der Törin vollständig um. Die +höchste Wut ging unter in unsäglichem Jammer. 'Sie haben mir mein +Kind geschlagen!' stöhnte sie, sank auf die Knie und schluchzte: 'Gibt +es keinen Gott mehr im Himmel?' + +Jetzt war das Maß voll. Es wäre schon früher überlaufen, doch das +Verhängnis schritt rascher, als mein Mund es erzählte, so rasch, daß +weder der Mönch noch der nahestehende Germano den gehobenen Arm Dianas +ergreifen und aufhalten konnte. Ascanio umschlang die Törin, ein +anderer Jüngling faßte sie bei den Füßen, die sich kaum Sträubende +wurde fortgetragen, in ihre Sänfte gehoben und nach Hause gebracht. + +Noch stunden sich Diana und Antiope gegenüber, eine bleicher als die +andere, Diana reuig und zerknirscht nach schnell verrauchtem Jähzorn, +Antiope nach Worten ringend; sie konnte nur nicht stammeln, sie +bewegte lautlos die Lippen. + +Wenn jetzt der Mönch Antiopes Hand ergriff, um der von seinem +verlobten Weibe Mißhandelten das Geleit zu geben, so erfüllte er damit +nur die ritterliche und die gastwirtliche Pflicht. Alle fanden es +selbstverständlich. Besonders Diana mußte wünschen, das Opfer ihrer +Gewalttat aus den Augen zu verlieren. Auch sie entfernte sich dann +mit Vater und Bruder. Die versammelten Gäste aber hielten es für das +Zarteste, gleichfalls bis auf die letzte Ferse zu verschwinden. + +Es klingelte unter dem mit Amarellen und Zyperwein bestellten +Kredenztisch. Eine Narrenkappe kam zum Vorschein und Gocciola kroch +auf allen vieren aus seinem leckern Versteck hervor. Alles war +köstlich verlaufen nach seiner Ansicht; denn er hatte jetzt die volle +Freiheit, Amarellen zu naschen und ein Gläschen um das andere zu +leeren. So vergnügte er sich eine Weile, bis er nahende Schritte +vernahm. Er wollte entwischen, aber einen verdrießlichen Blick, nach +dem Störer werfend, erachtete er jede Flucht für unnötig. Es war der +Mönch, der zurückkehrte, und der Mönch war ebenso frohlockend und +ebenso berauscht wie er; denn der Mönch--" + +"--Liebte Antiope?" unterbrach den Erzähler die Freundin des Fürsten +mit einem krankhaften Gelächter. + +"Du sagst es, Herrin, er liebte Antiope", wiederholte Dante in +tragischem Ton. + +"Natürlich!"--"Wie anders?"--"Es mußte so kommen!--So geht es +gewöhnlich!" scholl es dem Erzähler aus dem ganzen Hörerkreis entgegen. + +"Sachte, Jünglinge", murrte Dante. "Nein, so geht es nicht gewöhnlich. +Meinet ihr denn, eine Liebe mit voller Hingabe des Lebens und der +Seele sei etwas Alltägliches, und glaubet wohl gar, so geliebt zu +haben oder zu lieben? Enttäuschet euch! Jeder spricht von Geistern, +doch wenige haben sie gesehen. Ich will euch einen unverwerflichen +Zeugen bringen. Es schleppt sich hier im Hause ein modisches +Märenbuch herum. Darin mit vorsichtigen Fingern blätternd, habe ich +unter vielem Wust ein wahres Wort gefunden. 'Liebe', heißt es an +einer Stelle, 'ist selten und nimmt meistens ein schlimmes Ende.'" +Dieses hatte Dante ernst gesprochen. Dann spottete er: "Da ihr alle +in der Liebe so ausgelernt und bewandert seid und es mir überdies +nicht ansteht, einen von der Leidenschaft überwältigten Jüngling aus +meinem zahnlosen Mund reden zu lassen, überspringe ich das +verräterische Selbstgespräch des zurückkehrenden Astorre und sage kurz: +Da ihn der verständige Ascanio belauschte, erschrak er und predigte +ihm Vernunft." + +"Wirst du deine rührende Fabel so kläglich verstümmeln, mein Dante?" +wendete sich die entzündliche Freundin des Fürsten mit bittenden +Händen gegen den Florentiner. "Laß den Mönch reden, daß wir +teilnehmend erfahren, wie er sich abwendete von einer Rohen zu einer +Zarten, einer Kalten zu einer Fühlenden, von einem steinernen zu einem +schlagenden Herzen--" + +"Ja, Florentiner", unterbrach die Fürstin in, tiefer Bewegung und mit +dunkel glühender Wange, "laß deinen Mönch reden, daß wir staunend +vernehmen, wie es kommen konnte, daß Astorre, so unerfahren und +täuschbar er war, ein edles Weib verriet für eine Verschmitzte--hast +du nicht gemerkt, Dante, daß Antiope eine Verschmitzte ist? Du kennst +die Weiber wenig! In Wahrheit, ich sage dir"--sie hob den kräftigen +Arm und ballte die Faust--, "auch ich hätte geschlagen, nicht die arme +Törin, sondern wissentlich die Arglistige, die sich um jeden Preis dem +Mönch vor das Angesicht bringen wollte!" Und sie führte den Schlag in +die Luft. Die andere erbebte leise. + +Cangrande, welcher die zwei Frauen, denen er jetzt gegenübersaß, nicht +aufhörte zu betrachten, bewunderte seine Fürstin und freute sich ihrer +großen Leidenschaft. In diesem Augenblick fand er sie unvergleichlich +schöner als die kleinere und zarte Nebenbuhlerin, welche er ihr +gegeben hatte, denn das Höchste und Tiefste der Empfindung erreicht +seinen Ausdruck nur in einem starken Körper und in einer starken Seele. + +Dante für sein Teil lächelte zum ersten und einzigen Mal an diesem +Abend, da er die beiden Frauen so heftig auf der Schaukel seines +Märchens sich wiegen sah. Er brachte es sogar zu einer Neckerei. +"Herrinnen", sagte er, "was verlangt ihr von mir? Selbstgespräch ist +unvernünftig. Hat je ein weiser Mann mit sich selbst gesprochen?" + +Nun erhob sich aus dem Halbdunkel ein mutwilliger Lockenkopf, und ein +Edelknabe, der hinter irgendeinem Sessel oder einer Schleppe in +traulichem Versteck mochte gekauert haben, rief herzhaft: "Großer +Meister, wie wenig du dich kennst oder zu kennen vorgibst! Wisse, +Dante, niemand plaudert geläufiger mit sich selbst als du, in dem Grad, +daß du nicht nur uns dumme Buben übersiehst, sondern selbst das +Schöne dicht an dir vorübergehen läßt, ohne es zu begrüßen." + +"Wirklich?" sagte Dante. "Wo war das? Wo und wann?" + +"Nun gestern auf der Etschbrücke", lächelte der Knabe. "Du lehntest +am Geländer. Da ging die reizende Lukrezia Nani vorüber, deine Toga +streifend. Wir Knaben folgten, sie bewundernd, und ihr entgegen +schritten zwei feurige Kriegsleute, nach einem Blick aus ihren sanften +Augen haschend. Sie aber suchte die deinigen--denn nicht jeder hat +mit heiler Haut in der Hölle gelustwandelt! Du, Meister, +betrachtetest eine rollende Welle, welche in der Mitte der Etsch +daherfuhr, und murmeltest etwas." + +"Ich ließ das Meer grüßen. Die Woge war schöner als das Mädchen. +Doch zurück zu den zwei Toren! Horch, sie sprechen miteinander! Und +bei allen Musen, fortan unterbreche mich keiner mehr, sonst findet uns +Mitternacht noch am Märchenherde. + +Als der Mönch, nachdem er Antiope heimgeführt, seinen Saal wieder +betrat--doch ich vergaß zu sagen, daß er Ascanio nicht begegnete, +obwohl dieser mit der Sänfte und Madonna Olympia darin denselben Weg +gemacht hatte. Denn der Neffe, nachdem er die gänzlich Vernichtete +ihrer Dienerschaft übergeben, war schleunig zu seinem Ohm, dem +Tyrannen, geeilt, ihm den tollen Vorgang als frisches Gebäck +aufzutischen. Er hinterbrachte Ezzelin lieber eine Stadtgeschichte +als eine Verschwörung. + +Ich weiß nicht, ob der Mönch so wohlgestaltet war, wie der Spötter +Ascanio ihn genannt hatte. Aber ich sehe ihn, der wie der blühendste +Jüngling schreitet. Mit beflügelten Füßen durchschwebt er den Saal, +als trüge ihn Zephir oder führte ihn Iris. Seine Augen sind voller +Sonne, und er murmelt Laute aus der Sprache der Seligen. Gocciola, +der viel Zyperwein geschluckt hatte, fühlte sich gleichfalls beherzt +und verjüngt. Auch unter seinen Sohlen löste sich der Marmorboden in +weißes Gewölk auf. Er verspürte einen unbesiegbaren Durst, das +Gemurmel auf den frischen Lippen Astorres, wie man sich über eine +Quelle beugt, zu belauschen, und begann neben demselben die Länge des +Saales zu durchmessen, bald mit gespreizten, bald mit hüpfenden +Schritten, das Narrenzepter unter dem Arm. + +'Das zärtliche Haupt, das sich für den Vater bot, hat sich auch für +die Mutter geboten und gegeben!' lispelte Astorre. 'Das schamhafte! +wie es brannte! Das mißhandelte! wie es litt! Das geschlagene! wie +es aufschrie! Hat es mich je verlassen, seit es auf dem Block lag? +Es wohnte in meinem Geist. Es begleitete mich allgegenwärtig, +schwebte in meinem Gebet, strahlte in meiner Zelle, bettete sich auf +mein Kissen! Lag das herzige Haupt mit dem weißen, schmalen Hälschen +nicht neben dem des heiligen Paulus--' + +'Des heiligen Paulus?' kicherte das Tröpfchen. + +'Des heiligen Paulus auf unserm Altarbild--' + +'Mit dem schwarzen Kraushaar und dem roten Hals auf dem breiten Block +und dem Beil des Henkers darüber?' Gocciola verrichtete bei den +Franziskanern zeitweilig seine Andacht. + +Der Mönch nickte. 'Sah ich lange hin, so zuckte das Beil, und ich +bebte zusammen. Habe ich es nicht dem Prior gebeichtet?' + +'Und was sagte der Prior?' examinierte Gocciola. + +'Mein Sohn', sagte er, 'was du sahest, war ein vorausgeeiltes Kind des +himmlischen Triumphzuges. Fürchte nichts! Dem ambrosischen Hälschen +geschieht kein Leid!' + +'Aber', reizte der böse Narr, 'das Kind ist gewachsen, so hoch!' Er +hob die Hand. Dann senkte er sie und hielt sie über dem Boden. 'Und +die Kutte Euer Herrlichkeit', grinste er, 'liegt so tief!' + +Das Gemeine konnte den Mönch nicht berühren. Ein schöpferisches Feuer +war aus der Hand Antiopes in die seinige gefahren und begann zuerst +zart und sanft, dann immer heißer und schärfer in seinen Adern zu +brennen. 'Gepriesen sei Gott Vater', frohlockte er plötzlich, 'der +Mann und Weib geschaffen hat!' + +'Die Eva?' fragte der Narr. + +'Die Antiope!' antwortete der Mönch. + +'Und die andere? Die Große? Was fängst du mit der an? Schickst du +sie betteln?' Gocciola wischte sich die Augen. + +'Welche andere?' fragte der Mönch. 'Gibt es ein Weib, das nicht +Antiope wäre!' + +Dies war selbst dem Narren zu stark. Er glotzte Astorre erschreckt an, +wurde aber von einer Faust am Kragen gepackt, gegen die Pforte +geschleppt und auf den Flur gesetzt. Dieselbe Hand legte sich dann +auf Astorres Schulter. + +'Erwache, Traumwandler!' rief der zurückgekehrte Ascanio, welcher die +letzte schwärmerische Rede des Mönches belauscht hatte. Er zog den +Verzückten auf eine Fensterbank nieder, heftete fest Augen auf Augen, +und: 'Astorre, du bist von Sinnen!' sprach er ihn an. Dieser wich +zuerst den prüfenden Blicken wie geblendet aus, dann begegnete er +ihnen mit den seinigen, die noch voller Jubel waren, um sie scheu +niederzuschlagen. + +'Wunderst du dich?' sagte er dann. + +'So wenig wie über das Lodern einer Flamme', versetzte Ascanio. 'Aber +da du kein blindes Element, sondern eine Vernunft und ein Wille bist, +so tritt die Flamme aus, sonst frißt sie dich und ganz Padua. Muß dir +das Weltkind göttliches und menschliches Gesetz predigen? Du bist +vermählt! So redet dieser Ring an deinem Finger. Wenn du, wie erst +dein Gelübde, jetzt dein Verlöbnis brichst, brichst du Sitte, Pflicht, +Ehre und den Stadtfrieden. Wenn du dir den Pfeil des blinden Gottes +nicht rasch und heldenmütig aus dem Herzen ziehst, ermordet er dich, +Antiope und noch ein paar andere, wen es gerade treffen wird. Astorre! +Astorre!' + +Ascanios mutwillige Lippen erstaunten über die großen und ernsten +Worte, welche er in seiner Herzensangst ihnen zu reden gab. 'Dein +Name, Astorre', sagte er dann halb scherzend, 'schmettert wie eine +Tuba und ruft dich zum Kampfe gegen dich selbst!' + +Astorre ermannte sich. 'Man hat mir ein Philtrum gegeben!' rief er +aus. 'Ich rase, ich bin ein Wahnsinniger! Ascanio, ich gebe dir +Macht über mich, feßle mich!' + +'An Dianen will ich dich fesseln!' sagte Ascanio. 'Folge mir, daß wir +sie suchen!' + +'War es nicht Diana, die Antiope schlug?' fragte der Mönch. 'Das hast +du geträumt! Du hast alles geträumt! Du warst deiner Sinne nicht +mächtig! Komm! Ich beschwöre dich! Ich befehle es dir! Ich +ergreife und führe dich!' + +Wenn Ascanio die Wirklichkeit verjagen wollte, so führte sie der auf +dem Flur klirrende Schritt Germanos zurück. Mit einem entschlossenen +Gesicht trat der Bruder Dianens vor den Mönch und faßte seine Hand. +'Ein gestörtes Fest, Schwager!' sagte er. 'Die Schwester schickt +mich--ich lüge, sie schickt mich nicht. Denn sie hat sich in ihre +Kammer eingeschlossen, und drinnen flennt sie und verflucht ihren +Jähzorn--heute ersaufen wir in Weibertränen! Sie liebt dich, nur +bringt sie es nicht über die Lippen--es ist in der Familie: ich kann +es auch nicht. An dir hat sie keinen Augenblick gezweifelt. Es ist +einfach.- Du hast irgendwo einen Ring verschleudert--wenn es der +deinige war, den die kleine Canossa--wie heißt sie doch? richtig: die +Antiope!--am Finger trug. Die närrische Mutter fand ihn und hat +daraus ihr Märchen gesponnen. Antiope ist natürlich an alledem +unschuldig wie ein neugeborenes Kind--wer es anders meint, hat es mit +mir zu tun!' + +'Nicht ich!' rief Astorre. 'Antiope ist rein wie der Himmel! Der +Ring wurde von einem Zufall gerollt!' und er erzählte mit fliegenden +Worten. + +'Aber auch der Schwester, die zufuhr, darfst du es nicht anrechnen, +Astorre', behauptete Germano. 'Ihr schoß das Blut zu Kopf, sie sah +nicht, wen sie vor sich hatte. Sie glaubte die Närrin zu treffen, die +ihr die Eltern verhunzte, und schlug die liebe Unschuld. Diese aber +muß vor Gott und Menschen wieder zu Ehren und Würden gezogen werden. +Laß das meine Sache sein, Schwager! Ich bin der Bruder. Es ist +einfach.' + +'Du redest in einem fort und bleibst doch dunkel, Germano! Was hast +du vor? Wie vergütest du es der Ärmsten?' fragte Ascanio. + +'Es ist einfach', wiederholte Germano. 'Ich biete Antiope Canossa +meine Hand und mache sie zu meinem Weibe.' + +Ascanio griff sich an die Stirn. Der Streich betäubte ihn. Als er +dann aber, schnell besonnen, näher zusah, fand er das heroische Mittel +gar nicht so übel; doch warf er einen ängstlichen Blick auf den Mönch. +Dieser, seiner selbst wieder mächtig, hielt sich mäuschenstille und +horchte aufmerksam. Das Ehrgefühl des Kriegers scholl wie ein heller +Ruf durch die Wildnis seiner Seele. + +'So treffe ich zwei Fliegen mit einem Schlag, Schwager', erläuterte +Germano. 'Das Mädchen wird in ihren Züchten und Ehren hergestellt. +Den möchte ich sehen, der hinter meinem Weibe zischelte! Dann stifte +ich Frieden zwischen euch Eheleuten. Diana braucht sich nicht länger +vor dir noch vor sich selbst zu schämen und ist von ihrem Jähzorn +gründlich geheilt. Ich sage dir: sie ist davon genesen, zeitlebens!' + +Astorre drückte ihm die Hand. 'Du bist brav!' sagte er. Der Wille, +seine himmlische oder irdische Lust tapfer zu überwinden, erstarkte in +dem Mönch. Doch dieser Wille war nicht frei und diese Tugend nicht +selbstlos; denn sie klammerte sich an einen gefährlichen Sophismus: +Nicht anders, als ich selbst eine Ungeliebte umarmen werde, tröstete +sich Astorre, wird auch Antiope von einem Mann sich umfangen lassen, +welcher sie kurzerdinge freit, um fremdes Unrecht gutzumachen. Wir +verzichten alle! Entsagung und Kasteiung in der Welt wie im Kloster! + +'Was geschehen muß, verschiebe ich nicht', drängte Germano. 'Sonst +würde sie sich schlummerlos wälzen.' Ich weiß nicht, meinte er Diana +oder Antiope. 'Schwager, du begleitest mich als Zeuge: ich tue es in +den Formen.' + +'Nein, nein!' schrie Ascanio erschreckt. 'Nicht Astorre! Nimm mich!' + +Germano schüttelte den Kopf. 'Ascanio, mein Freund', sagte er, 'dazu +eignest du dich nicht. Du bist kein ernsthafter Zeuge in Ehesachen! +Auch wird mein Bruder Astorre es sich nicht nehmen lassen, für mich zu +werben. Es ist ja zum großen Teil seine eigene Angelegenheit. Nicht +wahr, Astorre?' Dieser nickte. 'So bereite dich, Schwager. Mache +dich hübsch! Hänge dir eine Kette um!' + +'Und', scherzte Ascanio gezwungen, 'wann du über den Hof gehst, tauche +den Kopf in den Brunnen! Du selbst aber, Germano, trägst Panzer? So +kriegerisch? Schickt sich das zur Freite?' + +'Ich bin lange nicht aus der Rüstung gekommen, und sie kleidet mich. +Was betrachtest du mich von Kopf zu Füßen, Ascanio?' + +'Ich frage mich, woher dieser Gepanzerte seine Sicherheit nimmt, nicht +mitsamt der Sturmleiter in den Graben geworfen zu werden?' + +'Das kann nicht in Frage stehen', meinte Germano seelenruhig. 'Wird +sich eine Beschämte und Geschlagene einem Ritter verweigern? Da wäre +sie eine noch größere Närrin als ihre Mutter. Das ist doch sonnenklar, +Ascanio. Komm, Astorre.' + +Während der Zurückbleibende mit verschlungenen Armen diese neue +Wendung der Dinge bedachte, zweifelnd, ob dieselbe auf einen +Spielplatz blühender Kinder oder auf ein Camposanto führe, schritten +seine Jugendfreunde den nicht langen Weg zum Palast Canossa. + +Der wolkenlose Tag verglomm in einem reinglühenden Abendgold, und +horch! es läutete Ave. Der Mönch sprach innerlich die +Gewohnheitsgebete, und sein etwas erhöht liegendes Kloster verlängerte +zufällig das vertraute Geläute um ein paar friedlich wehmütige Schläge, +welchen die andern Stadtglocken den Luftraum nicht länger streitig +machten. Auch der Mönch wurde des allgemeinen Friedens teilhaft. + +Da traf sein Blick das Gesicht des Freundes und ruhte auf den +wetterharten Zügen. Sie waren hell und freudig, von erfüllter Pflicht +ohne Zweifel, aber doch auch von dem unbewußten oder unbewachten Glück, +unter dem von Ehre geschwellten Segel einer ritterlichen Handlung den +Port einer seligen Insel zu erreichen. 'Die süße Unschuld!' seufzte +der Krieger. + +Rasend schnell begriff der Mönch, daß der Bruder Dianens sich selbst +täuschte, wenn er sich für uneigennützig hielt, daß Germano Antiope zu +lieben begann und sein Nebenbuhler war. Seine Brust empfand einen +scharfen Biß, dann einen zweiten noch schärfern, daß er hätte +aufschreien mögen. Und jetzt wühlte und wimmelte schon ein ganzes +Nest grimmiger Schlangen in seinem Busen. Herrschaften, Gott möge uns +alle, Männer und Weiber, vor der Eifersucht behüten! Sie ist die +qualvollste der Peinen, und wer sie leidet, ist unseliger als meine +Verdammten! + +Mit verzogenem Gesicht und gepreßtem Herzen folgte der Mönch dem +selbstbewußten Freier die Treppen des erreichten Palastes hinauf. +Dieser stand leer und verwahrlost. Madonna Olympia mochte sich +eingeschlossen haben. Kein Gesinde, und alle Türen offen. Sie +durchschritten ungemeldet eine Reihe schon dämmernder Gemächer: vor +der Schwelle der letzten Kammer hielten sie stille, denn die junge +Antiope saß am Fenster. + +Sein in den Umriß eines Kleeblattes endigender Bogen war voller +Abendglorie, welche die liebreizende Gestalt im Halbkreis von Brust zu +Nacken umfing. Ihre gezauste Haarkrone ähnelte den Spitzen eines +Dornenkranzes, und die schmachtenden Lippen schlürften den Himmel. +Das geschlagene Mädchen lag müde unter dem Druck der erduldeten +Schande, mit zugefallenen Augendeckeln und erschlafften Armen; aber in +der Stille ihres Herzens frohlockte sie und pries ihre Schmach, denn +diese hatte sie mit Astorre auf ewig vereinigt. + +Und entzündet sich nicht heute noch und bis ans Ende der Tage aus +tiefstem Erbarmen höchste Liebe? Wer widersteht dem Anblick des +Schönen, wenn es ungerecht leidet? Ich lästere nicht und kenne die +Unterschiede, aber auch das Göttliche wurde geschlagen, und wir küssen +seine Striemen und Wunden. + +Antiope grübelte nicht, ob Astorre sie liebe. Sie wußte es. Da war +kein Zweifel. Sie war davon überzeugter als von den Atemzügen ihrer +Brust und den Schlägen ihres Herzens. Keine Silbe hatte sie mit +Astorre gewechselt vom ersten Schritt des Weges an, den sie zusammen +gingen. Die Hände hielten sich nicht fester beim letzten: sie +verwuchsen, ohne sich zu drücken. Sie durchdrangen sich wie zwei +leichte, geistige Flammen und waren doch beim Scheiden wie die Wurzel +aus der Erde kaum auseinander zu lösen. + +Antiope vergriff sich an fremdem Eigentum und beging Raub an Dianen +fast in Unschuld, denn sie hatte weder Gewissen mehr noch auch nur +Selbstbewußtsein. Padua, das mit seinen Türmen vor ihr lag, die +Mutter, des Mönches Verlöbnis, Diana, die ganze Erde, alles war +vernichtet: nichts als der Abgrund des Himmels, und dieser gefüllt mit +Licht und Liebe. + +Astorre hatte von der ersten zur letzten Stufe der Treppe mit sich +gerungen und meinte den Sieg erkämpft zu haben. Ich werde das Opfer +vollbringen, prahlte er gegen sich selbst, und Germano bei seiner +Werbung zur Seite stehen. Auf dem obersten Tritt rief er noch alle +seine Heiligen an, voraus Sankt Franziskus, den Meister der +Selbstüberwindung. Er griff in die Brust und glaubte, durch den +himmlischen Beistand stark wie Herkules, die Schlangen erwürgt zu +haben. Aber der Heilige mit den vier Wundmalen hatte sich abgewendet +von dem untreuen Jünger, der seinen Strick und seine Kutte verschmähte. + +Der danebenstehende Germano entwarf indessen seine Rede, konnte aber +nicht über die zwei Argumente hinauskommen, welche ihm gleich +anfänglich eingeleuchtet hatten. Übrigens war er guten +Mutes--hatte er doch schon öfter im Reiterkampf seine Germanen +angeredet--und fürchtete sich nicht vor einem Mädchen. Nur das Warten +ertrug er ebensowenig wie vor der Schlacht. Er klirrte leis mit dem +Schwert an den Panzer. + +Antiope schrak zusammen, blickte hin, erhob sich rasch und stand, den +Rücken gegen das Fenster gewendet, mit dunklem Antlitz den sich im +Dämmerlicht vor ihr verbeugenden Männern gegenüber. + +'Sei getrost, Antiope Canossa!' redete Germano. + +'Ich bringe dir diesen mit, Astorre Vicedomini, welchen sie den Mönch +nennen, den Gatten meiner Schwester Diana, als gültigen Zeugen: siehe, +ich bin gekommen, dich--ohne Vater wie du bist und bei einer solchen +Mutter--von dir selbst zum Weib zu begehren. Meine Schwester hat sich +gegen dich vergessen'--er sträubte sich, ein stärkeres Wort zu +brauchen und damit Dianen, die er verehrte, preiszugeben--'und ich, +der Bruder, bin da, gutzumachen, was die Schwester schlecht gemacht +hat. Diana mit Astorre, du mit mir, so euch entgegenkommend, werdet +ihr Weiber euch die Hände geben.' + +Das empfindliche Gemüt des lauschenden Mönches verwundete diese rohe +Gleichstellung des Mißhandelns und des Leidens, der Schlagenden und +der Geschlagenen--oder krümmte sich eine Natter?--'Germano, so wirbt +man nicht!' raunte er dem Gepanzerten zu. + +Dieser vernahm es, und da die dunkle Antiope mäuschenstille blieb, +verstimmte er sich. Er fühlte, daß er weicher reden sollte, und +redete barscher. 'Ohne Vater und mit einer solchen Mutter', +wiederholte er, bedürfet Ihr einer männlichen Hut! Das konntet Ihr +heute lernen, junge Herrin. Ihr werdet nicht zum andern Male vor ganz +Padua beschämt und geschlagen werden wollen! Gebet Euch mir, wie Ihr +seid, und ich schirme Euch vom Wirbel zur Zehe!' Germano dachte an +seinen Panzer. + +Astorre fand diese Werbung von empörender Härte: Germano, so schien +ihm, behandelte Antiope wie seine Kriegsgefangene--oder zischte die +Schlange?--'So wirbt man nicht, Germano!' keuchte er. Dieser wendete +sich halb. 'Wenn du es besser verstehst', sagte er mißmutig, 'wirb du +für mich, Schwager.' Er trat raumgebend beiseite. + +Da näherte sich Astorre, das Knie gebogen, hob die Hände mit sich +einander berührenden Fingerspitzen, und seine bangen Blicke befragten +das zarte Haupt auf dem blassen Goldgrunde. 'Findet Liebe Worte?' +stammelte er. Dämmerung und Schweigen. + +Endlich lispelte Antiope: 'Für wen wirbst du, Astorre?' + +'Für diesen hier, meinen Bruder Germano', preßte er hervor. Da barg +sie das Antlitz mit den Händen. + +Jetzt riß Germano die Geduld. 'Ich werde deutsch mit ihr reden', +brach er los und: 'Kurz und gut, Antiope Canossa', ließ er das Mädchen +rauh an, 'wirst du mein Weib oder nicht?' Antiope wiegte das kleine +Haupt sanft und sachte, aber trotz der wachsenden Nacht mit deutlicher +Verneinung. + +'Ich habe meinen Korb', sprach Germano trocken. 'Komm, Schwager!' und +er verließ den Saal mit ebenso festen Schritten, wie er ihn betreten +hatte. Der Mönch aber folgte ihm nicht. + +Astorre verharrte in seiner flehenden Stellung. Dann ergriff er, +selbst zitternd, Antiopes zitternde Hände und löste sie von dem +Antlitz. Welcher Mund den andern suchte, weiß ich nicht, denn die +Kammer war völlig finster geworden. + +Auch wurde es darin so stille, daß, wäre ihr Ohr nicht voll +stürmischen Jubels und seliger Chöre gewesen, die Liebenden leicht in +einem anstoßenden Gelasse gemurmelte Gebete hätten vernehmen können. +Das verhielt sich so: Neben Antiopes Kammer, einige Stufen tiefer, lag +die Hauskapelle, und morgen jährte sich zum dritten Male der Tod des +Grafen Canossa. Nach überschrittener Mitternacht sollte in Gegenwart +der Witwe und der Waise die Seelenmesse gelesen werden. Schon hatte +sich der Priester eingestellt, den Ministranten erwartend. + +Ebensowenig wie das unterirdische Gemurmel vernahm das Paar die +schlurfenden Pantoffeln der Madonna Olympia, welche die Tochter suchte +und nun bei dem spärlichen Schein der Hausleuchte, die sie in der Hand +trug, die Liebenden still und aufmerksam betrachtete. Daß die +frechste Lüge einer ausschweifenden Einbildungskraft vor ihren Augen +in diesen zärtlich verschlungenen Gestalten zu Tat und Wahrheit wurde, +darüber wunderte sich Madonna Olympia nicht; aber, es sei der Törin +zum Lobe gesagt, ebensowenig kostete sie einen Genuß der Rache. Sie +weidete sich nicht an dem der gewalttätigen Diana bevorstehenden +bittern Leiden, sondern es überwog die einfache mütterliche Freude, +ihr Kind zu seinem Preise gewertet, begehrt und geliebt zu sehen. + +Da jetzt, von einem scharfen Strahl aus ihrer Leuchte getroffen, die +beiden verwundert aufblickten, fragte sie mit einer weichen und +natürlichen Stimme: 'Astorre Vicedomini, liebst du die Antiope +Canossa?' + +'Über alles, Madonna!' antwortete der Mönch. + +'Und verteidigst sie?' + +'Gegen eine Welt!' rief Astorre verwegen. + +'So ist es recht', begütigte sie, 'aber nicht wahr, du meinst es +redlich? Du verstoßest sie nicht wie Dianen? Du närrst mich nicht? +Du machst eine arme Törin, wie sie mich nennen, nicht unglücklich? Du +läßt mein Kindchen nicht wieder zu Schanden kommen? Du suchst keine +Ausflüchte noch Aufschübe? Du gibst den Augen die Gewißheit und +führst die Antiope gleich, als ein frommer Christ und wackerer +Edelmann, zum Altar? Auch hast du nicht weit nach dem Pfaffen zu +gehen. Hörst du es murmeln? Da unten kniet einer.' + +Und sie öffnete eine niedrige Tür, hinter welcher ein paar steile +Stufen in das häusliche Heiligtum hinabführten. Astorre warf einen +Blick: Unter dem plumpen Gewölbe vor einem kleinen Altar bei dem +ungewissen Licht einer Kerze betete ein Barfüßer, welcher ihm an Alter +und Gestalt nicht unähnlich war und auch die Kutte und den Strick des +heiligen Franziskus trug. + +Ich glaube, daß dieser Barfüßer hier und gerade zu dieser Stunde durch +göttliche Schickung knien und beten mußte, um Astorre zum letzten Male +zu erschrecken und zu warnen. Doch in seinen lodernden Adern wurde +die Arznei zum Gift. Da er die Verkörperung seines Klosterlebens +erblickte, kam ein trotziger Geist des Frevels und der Sicherheit über +ihn. Mit gleichen Füßen habe ich über mein erstes Gelübde weggesetzt, +lachte er, und siehe, die Schranke fiel unter meinem Sprung--warum +nicht über das zweite? Meine Heiligen haben mich unterliegen lassen! +Vielleicht retten und beschützen sie den Sünder! Der Verwildernde +bemächtigte sich Antiopes und trug sie, mehr als daß er sie führte, +die Stufen hinunter; Madonna Olympia aber, die sich nach einem kurzen +lichten Moment wieder verwirrte, schlug hinter dem Mönch und ihrem +Kind die schwere Türe zu wie hinter einem gelungenen Fang, einer +gehuschten Beute und lauschte durch das Schlüsselloch. + +Was sie sah, bleibt ungewiß. Nach der Meinung des Volkes hätte +Astorre den Barfüßer mit gezogenem Schwert bedroht und vergewaltigt. +Das ist unmöglich, denn der Mann Astorre hat niemals den Leib mit +einem Schwert gegürtet. Der Wahrheit näher mag es kommen, daß der +Barfüßer--traurig zu sagen--ein schlechter Mönch war und vielleicht +derselbe Beutel unter seine Kutte wanderte, den Astorre zu sich +gesteckt hatte, da er für Diana den Ehereif kaufen ging. + +Daß aber anfänglich der Priester sich sperrte, daß die zwei Mönche +miteinander rangen, daß das schwere Gewölbe eine häßliche Szene +verbarg--solches lese ich in dem verzerrten und entsetzten Gesicht der +Lauscherin. Donna Olympia verstand, daß da unten ein Frevel begangen +werde, daß sie als die Anstifterin und Mitschuldige desselben der +Strenge des Gesetzes und der Rache der Verratenen sich preisgebe, und +da sich die Hinrichtung des Grafen, ihres Gemahls, jährte, glaubte sie +auch ihr törichtes Haupt dem Beil unrettbar verfallen. Sie wähnte den +nahenden Schritt Ezzelins zu vernehmen. Da floh sie und schrie: +'Hilfe! Mörder!' + +Die Gequälte stürzte auf den Flur und an das in den engen innern Hof +blickende Fenster. 'Mein Maultier! Meine Sänfte!' rief sie hinunter, +und lachend über den doppelten Befehl--das Maultier war für das Land, +die Sänfte für die Stadt--erhob sich das Gesinde der Törin langsam und +bequem aus einem Winkel, wo es bei einer Kürbislaterne trank und +würfelte. Ein alter Stallmeister, welcher allein der unglücklichen +Herrin Treue hielt, sattelte bekümmert zwei Maultiere und führte sie +durch den Torweg auf den an der Gasse liegenden Vorplatz des Palastes. +Er hatte Donna Olympia schon auf mancher Irrfahrt begleitet. Die +andern folgten witzereißend mit der Sänfte. + +Auf der großen Treppe stieß die flüchtige Törin, welche der auch bei +den Unseligen übermächtige Trieb der Selbsterhaltung ihr geliebtes +Kind vergessen ließ, gegen den besorgten Ascanio, der, ohne Nachricht +gelassen und von Unruhe getrieben, auf Kundschaft ausgegangen war. + +'Was ist geschehen, Signora?' fragte er eilig. + +'Ein Unglück!' krächzte sie wie ein aufwiegender Rabe, rannte die +Treppe hinab, saß auf ihrem Tier, stachelte es mit rasender Ferse und +verschwand im Dunkel. + +Ascanio suchte durch die finstern Gemächer bis in die von der +stehengebliebenen Ampel der Madonna Olympia erhellte Kammer Antiopes. +Wie er sich darin umblickte, wurde die Tür der Hauskapelle geöffnet, +und zwei schöne Gespenster entstiegen der Tiefe. Der Mutige begann zu +zittern. 'Astorre, du bist mit ihr vermählt!' Der schallvolle Name +dröhnte im Echo des Gewölbes wie die Tuba jenes Tages. 'Und trägst +Dianens Ring am Finger!' + +Astorre riß ihn ab und schleuderte ihn von sich. + +Ascanio stürzte an das offene Fenster, durch welches der Ring +gesprungen war. 'Er ist in eine Spalte zwischen zwei Quadern +geglitscht', sprach es aus der Gasse herauf. Ascanio erblickte +Turbane und Eisenkappen. Es waren die Leute des Vogtes, welche ihre +nächtliche Runde begannen. + +'Auf ein Wort, Abu Mohammed!' rief er, rasch besonnen, einen +weißbärtigen Greis, der höflich erwiderte: 'Dein Wunsch ist mir Befehl!' +und mit zwei anderen Sarazenen und einem Deutschen im Tore des +Palastes verschwand. + +Abu-Mohammed-al-Tabîb überwachte nicht nur die Sicherheit der Straße, +sondern betrat auch das Innerste der Häuser, um Reichsverräter--oder +was der Vogt so benannte--zu verhaften. Kaiser Friedrich hatte ihn +seinem Schwiegersohn, dem Tyrannen, gegeben, damit er diesem eine +sarazenische Leibwache werbe, und an deren Spitze war er in Padua +verblieben. Abu Mohammed war eine feine Erscheinung und hatte +gewinnende Formen. Er nahm Anteil an dem Schmerz der Familie, deren +Glied er in den Kerker oder zum Block führte, und tröstete die +betrübte in seinem gebrochenen Italienisch mit Sprüchen arabischer +Dichter. Ich vermute, daß er seinen Beinamen 'al Tabîb', das ist der +Arzt, wenn er auch einige chirurgische Kenntnisse und Griffe besitzen +mochte, zuerst und voraus gewissen ärztlichen Manieren verdankte: +ermutigenden Handgebärden, beruhigenden Worten, wie zum Beispiel: 'Es +tut nicht weh' oder: 'Es geht vorüber', womit die Jünger Galens eine +schmerzliche Operation einzuleiten pflegen. Kurz, Abu Mohammed +behandelte das Tragische gelinde und war zur Zeit meiner Fabel trotz +seines strengen und bittern Amtes in Padua keine verhaßte +Persönlichkeit. Später, da der Tyrann eine Lust daran fand, +menschliche Leiber zu martern, woran du nicht glauben kannst, +Cangrande!, verließ ihn Abu Mohammed und kehrte zu seinem gütigen +Kaiser zurück. + +Auf der Schwelle des Gemaches winkte Abu Mohammed seinen drei +Begleitern, stehenzubleiben. Der Deutsche, der die Fackel trug, ein +trotzig blickender Geselle, verharrte nicht lange. Er hatte heute zur +Vesperstunde Germano nach dem Palaste Vicedomini begleitet und dieser +ihm zugelacht: 'Laß mich jetzt! Ich verlobe hier mein Schwesterchen +Diana dem Mönche!' Der Germane kannte die Schwester seines Hauptmanns +und hatte eine Art stiller Neigung zu ihr, ihres hohen Wuchses und +ihrer redlichen Augen halber. Da er nun den Mönch, welchem er heute +mittag zur Seite geritten, Hand in Hand mit einem kleinen und +zierlichen Weibe sah, das ihm, neben dem großen Bilde Dianens, als +eine Puppe erschien, witterte er Treubruch, schmiß erzürnt die +lodernde Fackel auf den Steinboden, wo sie der eine der Sarazenen +behutsam aufhob, und eilte davon, Germano den Verrat des Mönches zu +melden. + +Ascanio, der den Deutschen erriet, bat Abu Mohammed, ihn zurückzurufen. +Dieser aber weigerte sich. 'Er würde nicht gehorchen', sagte er +sanft, 'und mir zwei oder drei meiner Leute niederhauen. Mit welchem +andern Dienst, Herr, bin ich dir gefällig? Verhafte ich diese +blühenden Jugenden?' + +'Astorre, sie wollen uns trennen!' schrie Antiope und suchte Schutz in +den Armen des Mönches. Die am Altare Frevelnde hatte mit einer +schuldlosen Seele auch die natürliche Beherztheit eingebüßt. Der +Mönch, welchen seine Schuld vielmehr ermutigte und begeisterte, tat +einen Schritt gegen den Sarazenen und riß ihm unversehens das Schwert +aus der Scheide. 'Vorsichtig, Knabe, du könntest dich schneiden', +warnte dieser gutmütig. + +'Laß dir sagen, Abu Mohammed', erklärte Ascanio, 'dieser Rasende ist +der Gespiele meiner Jugend und war lange Zeit der Mönch Astorre, den +du sicherlich auf den Straßen Paduas gesehen hast. Der eigene Vater +hat ihn um sein Klostergelübde geprellt und mit einem ungeliebten Weib +vermählt. Vor wenigen Stunden wechselte er mit ihr die Ringe, und +jetzt, wie du ihn hier siehst, ist er der Gatte dieser andern.' + +'Verhängnis!' urteilte der Sarazene mild. + +'Und die Verratene', fuhr Ascanio fort, 'ist Diana Pizzaguerra, die +Schwester Germanos! Du kennst ihn. Er glaubt und traut lange, sieht +und greift er aber, daß er ein Getäuschter und Betrogener ist, so +spritzt ihm das Blut in die Augen, und er tötet.' + +'Nicht anders', bestätigte Abu Mohammed. 'Er ist von der Mutter her +ein Deutscher, und diese sind Kinder der Treue!' + +'Rate mir, Sarazene. Ich weiß nur eine Auskunft: vielleicht eine +Rettung. Wir bringen die Sache vor den Vogt. Ezzelin mag richten. +Inzwischen bewachen deine Leute den Mönch in seinem eigenen festen +Haus. Ich eile zum Ohm. Diese aber bringst du, Abu Mohammed, zu der +Markgräfin Cunizza, der Schwester des Vogts, der frommen und +leutseligen Domina, die hier seit einigen Wochen hofhält. Nimm die +hübsche Sünderin! Ich anvertraue sie deinem weißen Barte.'--'Du +darfst es', versicherte Mohammed. + +Antiope umklammerte den Mönch und schrie noch kläglicher als das +erstemal: 'Sie wollen mich von dir trennen! Laß mich nicht, Astorre! +keine Stunde! keinen Augenblick! Oder ich sterbe!' Der Mönch hob das +Schwert. + +Ascanio, der jede Gewalttat verabscheute, blickte den Sarazenen +fragend an. Dieser betrachtete die sich umschlungen Haltenden mit +väterlichen Augen. 'Laß die Schatten sich umarmen!' sagte er dann +weichgestimmt, sei es, daß er ein Philosoph war und das Leben für +Schein hielt, sei es, daß er sagen wollte: vielleicht verurteilt sie +morgen Ezzelin zum Tode, gönne den verliebten Faltern die Stunde! + +Ascanio zweifelte nicht an der Wirklichkeit der Dinge; desto +zugänglicher war er dem zweiten Sinne des Spruches. Nicht allein als +der Leichtfertige, der er war, sondern auch als ein Gütiger und +Menschlicher zauderte er, die Liebenden auseinanderzureißen. + +'Astorre', fragte er, kennst du mich?' + +'Du warst mein Freund', antwortete dieser. + +'Und bin es noch. Du hast keinen treuern.' + +'O trenne mich nicht von ihr!' flehte jetzt der Mönch in einem so +ergreifenden Ton, daß Ascanio nicht widerstand. 'So bleibet zusammen', +sagte er, 'bis ihr vor das Gericht tretet.' Er flüsterte mit Abu +Mohammed. + +Dieser näherte sich dem Mönch, entwand ihm sachte das Schwert, Finger +um Finger von dem Griff lösend, und ließ es in die Scheide an seiner +Hüfte zurückfallen. Dann trat er ans Fenster, winkte seiner Schar, +und die Sarazenen bemächtigten sich der auf dem Vorplatz +stehengebliebenen Sänfte Madonna Olympias. + +Durch eine enge, finstere Gasse bewegte sich die schleunige Flucht: +Antiope voran, von vier Sarazenen getragen, ihr zur Seite der Mönch +und Ascanio, dann die Turbane. Abu Mohammed schloß den Zug. + +Dieser eilte an einem kleinen Platz und einer erhellten Kirche vorüber. +In die dunkle Fortsetzung der Gasse einmündend, stieß er in hartem +Anprall mit einem ihm entgegenkommenden andern, von zahlreichem Volk +begleiteten Zuge zusammen. Heftiges Gezänk erhob sich. 'Raum der +Sposina!' rief die Menge. Chorknaben brachten aus der Kirche lange +Kerzen herbei, deren wehende Flämmchen sie mit vorgehaltener Hand +schätzten. Der gelbe Schimmer zeigte eine geneigte Sänfte und eine +umgestürzte Bahre. La Sposina war ein gestorbenes Bräutchen aus dem +Volke, das zu Grabe getragen wurde. Die Tote regte sich nicht und +ließ sich gelassen wieder auf ihre Bahre legen. Das versammelte Volk +aber erblickte den Mönch, der die aus der Sänfte gesprungene Antiope +schirmend umfing, und es wußte doch, daß der Mönch heute mit Diana +Pizzaguerra sich vermählt hatte. Abu Mohammed schaffte Ordnung. Ohne +weitern Unfall erreichte man den Palast. + +Astorre und Antiope wurden von der Dienerschaft mit erstaunten und +bestürzten Blicken empfangen. Sie verschwanden im Tore, ohne von Abu +Mohammed und Ascanio Abschied genommen zu haben. Dieser wickelte sich +in sein Kleid und begleitete noch einige Schritte weit den Sarazenen, +welcher die Stadtburg, die er bewachen sollte, umging, ihre Tore +zählend und mit dem Blick die Höhe ihrer Mauern messend. + +'Ein gefüllter Tag', sagte Ascanio. + +'Eine selige Nacht', erwiderte der Sarazene, den sternbesäten Himmel +betrachtend. Die ewigen Lichter, ob sie nun unsere Schicksale +beherrschen oder nicht, wanderten nach ihren stillen Gesetzen, bis ein +junger Tag, der jüngste und letzte Astorres und Antiopes, die +göttliche Fackel schwang. + +In einer Morgenstunde desselben lauschte der Tyrann mit seinem Neffen +durch ein kleines Rundbogenfenster seines Stadtturmes auf den +anliegenden Platz hinunter, den eine aufgeregte Menge füllte, murmelnd +und tosend wie die wechselnde Meereswoge. + +Die gestrige Begegnung der Sänfte mit der Bahre und der daraus +entstandene Tumult hatten blitzschnell durch die ganze Stadt verlautet. +Alle Köpfe beschäftigten sich wachend und träumend mit nichts anderm +mehr als mit dem Mönch und seiner Hochzeit: nicht nur dem Himmel habe +der Ruchlose sein Gelübde gebrochen, sondern jetzt auch der Erde, +seine Braut habe er verraten, seinen Reif verschleudert, in rasend +raschem Wechsel mit einmal aufgeloderten Sinnen ein neues Weib gefreit, +ein fünfzehnjähriges Mädchen, die Blüte des Lebens, und aus der +zerrissenen Kutte sei ein gieriger Raubvogel aufgeflattert. Aber der +gerechte Tyrann, der kein Ansehen der Person kenne, lasse das Haus, +das den Verbrecher und die Verbrecherin verberge, von seinen Sarazenen +bewachen; er werde heute, bald, jetzt die Missetat der zwei +Vornehmen--denn die junge Sünderin Antiope sei eine Canossa--vor +seinen Stuhl ziehen, der keuschen Diana ihr Recht schaffen und dem +durch das schlechte Beispiel seines Adels beleidigten tugendhaften +Volk die blutenden Köpfe der zwei Schuldigen durch das Fenster +zuwerfen. + +Der Tyrann ließ sich, während er einen beobachtenden Blick auf die +gärende Masse warf, von Ascanio das Gestrige berichten. Die +Verliebung rührte ihn nicht, nur der zugerollte Ring beschäftigte ihn +einen Augenblick als eine neue Form des Schicksals. 'Ich tadle', +sagte er, 'daß du sie gestern nicht auseinandergerissen hast! Ich +lobe, daß du sie bewachst! Die Vermählung mit Diana besteht zu Recht. +Das mit dem Schwert erzwungene oder mit dem Beutel gekaufte Sakrament +ist so nichtig wie möglich. Der Pfaffe, der sich erschrecken oder +bestechen ließ, verdient den Galgen und, wird er eingefangen, so +baumelt er. Noch einmal: warum tratest du nicht zwischen den +Unmündigen und das Kind? warum zerrtest du nicht einen Taumelnden aus +den Armen einer Berauschten? Du gabest sie ihm! Jetzt sind sie +Gatten.' + +Ascanio, welcher sich wieder hell und leichtfertig geschlafen hatte, +verbarg ein Lächeln. 'Epikuräer!' strafte ihn Ezzelin. Er aber +schmeichelte: 'Es ist geschehen, gestrenger Ohm. Wenn du den Fall in +deinen Machtkreis ziehst, ist alles gerettet! Beide Parteien habe ich +vor deinen Richterstuhl beschieden auf diese neunte Stunde.' Ein +gegenüberstehender Campanile schlug sie. 'Wolle nur, Ezzelin, und +deine feste und kluge Hand löst den Knoten spielend. Liebe +verschwendet, und Geist kennt Ehre nicht. Der verliebte Mönch wird +dem niederträchtigen Geizhals, als welchen wir alle diesen würdigen +Pizzaguerra kennen, hinwerfen, was er verlangt. Germano freilich wird +das Schwert ziehen, doch du heißt es ihn in die Scheide zurückstoßen. +Er ist dein Mann. Er knirscht, aber er gehorcht.' + +'Ich frage mich', sagte Ezzelin, 'ob ich recht tue, den Mönch dem +Schwert meines Germano zu entziehen. Darf Astorre leben? Kann er es, +jetzt, da er nach verschleuderter Sandale auch den angezogenen +ritterlichen Schuh zur Schlarpe tritt und der Cantus firmus des +Mönches in einem geltenden Gassenhauer vertönt? Ich--was an mir +liegt--friste dem Wankelmütigen und Wertlosen das Dasein. Allein ich +vermag nichts gegen sein Schicksal. Ist Astorre dem Schwerte Germanos +bestimmt, so kann ich diesen es senken heißen, jener rennt doch hinein. +Ich kenne das. Ich habe das erfahren.' Und er verfiel in ein Brüten. + +Scheu wandte Ascanio den Blick seitwärts. Er wußte eine grausame +Geschichte. + +Einst hatte der Tyrann ein Kastell erobert und die Empörer, die es +gehalten hatten, zum Schwerte verurteilt. Der erste beste +Kriegsknecht schwang es. Da kniete, um den Todesstreich zu empfangen, +ein schöner Knabe, dessen Züge den Tyrannen fesselten. Ezzelin +glaubte die seinigen zu erkennen und fragte den Jüngling nach seinem +Ursprung. Es war der Sohn eines Weibes, das Ezzelin in seiner Jugend +sündig geliebt hatte. Er begnadigte den Verdammten. Dieser, von der +eigenen Neugierde und den neidischen Sticheleien derer, welche ihre +Söhne oder Verwandten durch jenes Bluturteil eingebüßt hatten, gereizt +und verfolgt, ruhte nicht, bis er das Rätsel seiner Bevorzugung löste. +Er soll den Dolch gegen die eigene Mutter gezückt und ihr das böse +Geheimnis entrissen haben. Die enthüllte unehrliche Geburt vergiftete +seine junge Seele. Er verschwor sich von neuem gegen den Tyrannen, +überfiel ihn auf der Straße und wurde von demselben Kriegsknecht, der +zufällig der erste war, Ezzelin zu Hilfe zu eilen, und mit demselben +Schwert niedergestoßen. + +Ezzelin verbarg das Haupt eine Weile mit der Rechten und betrachtete +den Untergang seines Sohnes. Dann erhob er es langsam und fragte: Was +aber wird aus Diana?' + +Ascanio zuckte die Achseln. 'Diana hat einen Unstern. Zwei Männer +hat sie verloren, den einen an die Brenta, den andern an ein +lieblicheres Weib. Und dazu der karge Vater! Sie geht ins Kloster. +Was bliebe ihr sonst?' + +Jetzt erhob sich drunten auf dem Platze ein Murren, ein Schelten, ein +Verwünschen, ein Drohen. 'Mordet den Mönch!' reizten einzelne Stimmen, +doch da sie sich in einen allgemeinen Schrei vereinigen wollten, ging +der Volkszorn auf eine seltsame Weise in ein erstauntes und +bewunderndes 'Ach!' über. 'Ach, wie schön ist sie!' Der Tyrann und +Ascanio konnten durch ihr Fenster den Auftritt bequem beobachten: +Sarazenen auf schlanken Berbern, den Mönch Astorre und sein junges +Weib, die von Maultieren getragen wurden, umringend. Die neue +Vicedomini ritt verhüllt. Aber wie die tausend Fäuste des Volkes sich +gegen den Mönch, ihren Gemahl, ballten, hatte sie sich +leidenschaftlich vor ihn geworfen. Die liebende Gebärde zerriß den +Schleier. Es war nicht der Reiz ihres Antlitzes allein, noch die +Jugend ihres Wuchses, sondern das volle Spiel der Seele, das +gestaltete Gefühl, der Atem des Lebens, was die Menge entwaffnete und +hinriß, wie gestern den Mönch, der jetzt als ein blühender Triumphator +ohne die leiseste Furcht, denn er glaubte sich gefestet und gefeit, +mit seiner warmen Beute einherzog. + +Ezzelin betrachtete diesen Sieg der Schönheit fast verächtlich. Er +wandte sein Auge teilnehmend gegen den zweiten Auftritt, welcher aus +einer andern Gasse auf den Turmplatz mündete. Drei Vornehme, wie +Astorre und Antiope zahlreich begleitet, suchten Bahn durch die Menge. +In der Mitte ein schneeweißes Haupt: die würdige Erscheinung des +alten Pizzaguerra. Ihm zur Linken Germano. Dieser hatte gestern +schrecklich gezürnt, als ihm sein Deutscher die Kunde des Verrates +brachte, und stürzte spornstreichs zur Rache, wurde aber von dem +Sarazenen ereilt, welcher ihn, den Vater und die Schwester auf die +nächste Frühstunde in den Turm und vor das Gericht des Vogtes lud. Er +hatte darauf der Schwester den Frevel des Mönches, welchen er ihr +lieber bis nach genommener Rache verheimlicht, offenbaren müssen und +sich über ihre Fassung gewundert. Diana ritt zur Rechten des Vaters, +keine andere als sonst, nur daß sie den breiten Nacken um einen +schweren Gedanken tiefer als gestern trug. + +Die Menge, welche die Gekränkte und ihr Recht Fordernde eine Minute +früher mit zürnendem Jubel begrüßt hätte, begnügte sich jetzt, das +Auge noch geblendet von dem Glanze Antiopes und den Verrat des Mönches +begreifend und mitbegehend, der Gedrückten ein mitleidiges: 'Arme! +Ärmste! Immer Geopferte!' zuzumurmeln. + +Jetzt erschienen die fünf vor dem Tyrannen, der in einem nackten Saal +auf einem nur um zwei Stufen über dem Boden erhöhten Stuhle saß. Vor +ihm standen Kläger und Verklagte sich gegenüber: hier die beiden +Pizzaguerra und, ein wenig beiseite, die große Gestalt Dianas, dort, +Hand in Hand verschlungen, der Mönch und Antiope, alle in Ehrfurcht, +während Ascanio an dem hohen Sessel des Tyrannen lehnte, als wolle er +seine Unparteilichkeit und die Mitte wahren zwischen zwei +Jugendgespielen. + +'Herrschaften', begann Ezzelin, ich werde euern Fall nicht als eine +Staatssache, wo Treubruch Verrat und Verrat Majestätsverbrechen ist, +behandeln, sondern als eine läßliche Familienangelegenheit. In der +Tat, die Pizzaguerra, die Vicedomini, die Canossa sind ebenso edeln +Blutes wie ich, nur daß die Erhabenheit des Kaisers mich zu ihrem Vogt +in diesen ihren Ländern gemacht hat.' Ezzelin neigte das Haupt bei der +Nennung der höchsten Macht; er konnte es nicht entblößen, da er +dasselbe, wenn er es nicht mit dem Streithelm bedeckte, überall, +selbst in Wind und Wetter, nach antiker Weise bar trug. 'So bilden +die zwölf Geschlechter eine große Familie, zu der auch ich durch eine +meiner Ahnfrauen gehöre. Aber wie sind wir zusammengeschmolzen durch +unselige Verblendung und strafbare Auflehnung einiger unter uns gegen +das höchste weltliche Amt! Wenn ihr mir glaubet, so sparen wir nach +Kräften, was noch vorhanden ist. In diesem Sinne halte ich die Rache +der Pizzaguerra gegen Astorre Vicedomini auf, obwohl ich sie ihrer +Natur nach eine gerechte nenne. Seid ihr', er wendete sich gegen die +drei Pizzaguerra, 'mit meiner Milde nicht einverstanden, so höret und +bedenket eines: Ich, Ezzelino da Romano, bin der erste und darum der +Hauptschuldige. Hätte ich mein Roß nicht an einem gewissen Tage und +zu einer gewissen Stunde längs der Brenta jagen lassen, Diana wäre +standesgemäß vermählt, und dieser hier murmelte sein Brevier. Hätte +ich meine Deutschen nicht zur Musterung befohlen an einem gewissen +Tage und zu einer gewissen Stunde, so hätte mein Germano den Mönch +nicht unzeitig auf einen Gaul gesetzt und dieser der Frau, welche er +jetzt an der Hand hält, den ihr von seinem bösen Dämon--' + +'Von meinem guten!' frohlockte der Mönch. + +'--von seinem Dämon zugerollten Brautring wieder vom Finger gezogen. +Darum, Herrschaften, begünstigt mich, indem ihr mir die verwickelte +Sache entwirren und schlichten helfet; denn bestandet ihr auf der +Strenge, so müßte ich auch mich und mich zuerst verurteilen!' + +Diese ungewöhnliche Rede brachte den alten Pizzaguerra keineswegs aus +der Fassung, und als ihn der Tyrann ansprach: 'Edler Herr, Euer ist +die Klage', sagte er kurz und karg 'Herrlichkeit, Astorre Vicedomini +verlobte sich öffentlich und ganz nach den Gebräuchen mit meinem Kinde +Diana. Dann aber, ohne daß Diana sich gegen ihn vergangen hätte, +brach er sein Verlöbnis. Unbegründet, ungesetzlich, +kirchenschänderisch. Diese Tat wiegt schwer, und verlangt, wo nicht +Blut, welches Deine Herrlichkeit nicht vergossen sehen will, eine +schwere Sühne', und er machte die Gebärde eines Krämers, der +Gewichtstein um Gewichtstein in eine Waagschale legt. + +'Ohne daß Diana sich vergangen hätte?' wiederholte der Tyrann. 'Mich +dünkt, sie verging sich. Hatte sie nicht eine Wahnsinnige vor sich? +Und Diana schilt und schlägt. Denn Diana ist jähzornig und +unvernünftig, wenn sie sich in ihrem Recht gekränkt glaubt.' + +Da nickte Diana und sprach: 'Du sagst die Wahrheit, Ezzelin.' + +'Das ist es auch', fuhr der Tyrann fort, 'warum Astorre sein Herz von +ihr abgekehrt hat: er erblickte eine Barbarin.' + +'Nein, Herr', widersprach der Mönch, die Verratene von neuem +beleidigend, 'ich habe Diana nicht angeschaut, sondern das süße +Antlitz, das den Schlag empfing, und mein Eingeweide erbarmte sich.' + +Der Tyrann zuckte die Achseln. 'Du siehst, Pizzaguerra', lächelte er, +'der Mönch gleicht einem sittsamen Mädchen, das zum erstenmal einen +starken Wein geschlurft hat und sich danach gebärdet. Wir aber sind +alte, nüchterne Leute. Sehen wir zu, wie die Sache sich austragen +läßt.' + +Pizzaguerra erwiderte: 'Viel, Ezzelin, täte ich dir zu Gefallen wegen +deiner Verdienste um Padua. Doch läßt sich beleidigte Hausehre sühnen +anders als mit gezogenem Schwerte?' So redete der Vater Dianens und +machte mit dem Arm eine edle Bewegung, welche aber in eine Gebärde +ausartete, die einer geöffneten, wo nicht hingehaltenen Hand zum +Verwechseln ähnlich sah. 'Biete, Astorre!' sagte der Vogt mit dem +Doppelsinne: Biete die Hand! oder: Biete Geld und Gut! + +'Herr', wendete sich jetzt der Mönch offen und edel gegen den Tyrannen, +'wenn du einen Haltlosen, ja einen Sinnberaubten in mir erblickst, +ich zürne dir es nicht, denn ein starker Gott, den ich leugnete, weil +ich sein Dasein nicht ahnen konnte, hat sich an mir gerächt und mich +überwältigt. Noch jetzt treibt er mich wie ein Sturm und jagt mir den +Mantel über den Kopf. Muß ich mein Glück--bettelhaftes Wort! +armselige Sprache!--muß ich das Höchste des Lebens mit dem Leben +bezahlen: ich begreife es und finde den Preis niedrig gestellt! Darf +ich aber leben und mit dieser leben, so markte ich nicht!' Er lächelte +selig. 'Nimm meine Habe, Pizzaguerra!' + +'Herrschaften', verfügte der Tyrann, ich bevormunde diesen +verschwenderischen Jüngling. Unterhandeln wir zusammen, Pizzaguerra. +Du hörtest es: ich habe weite Vollmacht. Was denkst du von den +Bergwerken der Vicedomini?' + +Der ehrbare Greis schwieg, aber seine nahe zusammenliegenden Augen +glitzerten wie zwei Diamanten. + +'Nimm meine Perlfischereien dazu!' rief Astorre, doch Ascanio, der die +Stufen heruntergeglitten kam, verschloß ihm den Mund. + +'Edler Pizzaguerra', versuchte jetzt Ezzelin den Alten, 'nimm die +Bergwerke! Ich weiß, die Ehre deines Hauses geht dir über alles und +steht um keinen Preis feil, aber ich weiß ebenfalls, du bist ein guter +Paduaner und tust dem Stadtfrieden etwas zuliebe.' + +Der Alte schwieg hartnäckig. + +'Nimm die Minen', wiederholte Ezzelin, der das Wortspiel liebte, 'und +gib die Minne!' + +'Die Bergwerke und die Fischereien?' fragte der Alte, als wäre er +schwerhörig. + +'Die Bergwerke, sagte ich, und damit gut. Sie tragen viele tausend +Pfund. Würdest du mehr fordern, Pizzaguerra, so hätte ich mich in +deiner Gesinnung betrogen und du setztest dich dem häßlichen Verdacht +aus, um Ehre zu feilschen.' + +Da der Geizhals den Tyrannen fürchtete und nicht mehr erlangen konnte, +verschluckte er seinen Verdruß und bot dem Mönch die trockene Hand. +'Ein schriftliches Wort, Lebens und Sterbens halber', sagte er dann, +zog Stift und Rechenbüchlein aus der Gürteltasche, entwarf mit +zitternden Fingern die Urkunde 'coram domino Azzolino' und ließ den +Mönch unterzeichnen. Hierauf verbeugte er sich vor dem Vogt und bat, +ihn zu entschuldigen, wenn er, obwohl einer aus den Zwölfen, +Altersschwäche halber der Hochzeit des Mönches nicht beiwohne. + +Germano hatte, seine Wut verbeißend, neben dem Vater gestanden. Jetzt +löste er den einen seiner Eisenhandschuhe. Er schleuderte ihn dem +Mönch ins Gesicht, hätte ihm nicht eine Machtgebärde des Tyrannen Halt +geboten. + +'Sohn, willst du den öffentlichen Frieden brechen?' mahnte jetzt auch +der alte Pizzaguerra. Mein gegebenes Wort enthält und verbürgt auch +das deinige. Gehorche! Bei meinem Fluch! Bei deiner Enterbung!' +drohte er. + +Germano lachte. 'Kümmert Euch um Eure schmutzigen Händel, Vater!' +warf er verächtlich hin. 'Doch auch du, Ezzelin, Herr von Padua, +darfst es mir nicht verwehren! Es ist Mannesrecht und Privatsache. +Verweigere ich dem Kaiser und dir, seinem Vogt, den Gehorsam, so +enthaupte mich; aber du hinderst mich nicht, gerecht wie du bist, +diesen Mönch zu erwürgen, der meine Schwester geäfft und mich +beheuchelt hat. Wäre Untreue straflos, wer möchte leben? Es ist des +Platzes auf der Erde zu wenig für den Mönch und mich. Das wird er +selbst begreifen, wann er wieder zu Sinnen kommt.' + +'Germano', gebot Ezzelin, 'ich bin dein Kriegsherr. Morgen vielleicht +ruft die Tuba. Du bist nicht dein eigen, du gehörst dem Reich!' + +Germano erwiderte nichts. Er befestigte den Handschuh. 'Vorzeiten', +sagte er dann, 'unter den blinden Heiden gab es eine Gottheit, welche +gebrochene Treue rächte. Das wird sich mit dem Glockengeläute nicht +geändert haben. Ihr befehle ich meine Sache!' Rasch erhob er die Hand. + +'So steht es gut', lächelte Ezzelin. 'Heute abend wird im Palaste +Vicedomini Hochzeit mit Masken gefeiert, ganz wie gebräuchlich. Ich +gebe das Fest und lade euch ein, Germano und Diana. Ungepanzert, +Germano! Mit kurzem Schwert!' + +'Grausamer!' stöhnte der Krieger. 'Kommt, Vater! Wie möget Ihr +länger das Schauspiel unserer Schande geben?' Er riß den Alten mit +sich fort. + +'Und du, Diana?' fragte Ezzelin, da er vor seinem Stuhl nur noch diese +und die Neuvermählten sah. 'Begleitest du nicht Vater und Bruder?' + +'Wenn du es gestattest, Herr', sagte sie, 'habe ich ein Wort mit der +Vicedomini zu reden.' An dem Mönche vorüber blickte sie fest auf +Antiope. + +Diese, deren Hand Astorre nicht losgab, hatte an dem Gericht des +Tyrannen einen leidenden, aber tief erregten Anteil genommen. Bald +errötete das liebende Weib. Bald entfärbte sich eine Schuldige, die +unter dem Lächeln und der Gnade Ezzelins sein wahres und ein sie +verdammendes Urteil entdeckte. Bald jubelte ein der Strafe +entwischtes Kind. Bald regte sich das erste Selbstgefühl der jungen +Herrin, der neuen Vicedomini. Jetzt, von Diana ins Gesicht angeredet, +warf sie ihr scheue und feindselige Blicke entgegen. + +Diese ließ sich nicht beirren. 'Schau her, Antiope!' sagte sie. +'Hier mein Finger'--sie streckte ihn--'trägt den Ring deines Gatten. +Den darfst du nicht vergessen. Ich bin nicht abergläubischer als +andere, aber an deiner Stelle wäre mir schlimm zumute! Schwer hast du +dich an mir versündigt, doch ich will gut und milde sein. Heute abend +feierst du Hochzeit mit Masken nach den Gebräuchen. Ich werde dir +erscheinen. Komme reuig und demütig und ziehe mir den Ring vom Finger!' + +Antiope stieß einen Schrei der Angst aus und klammerte sich an ihren +Gatten. Dann, in seinen Armen geborgen, redete sie stürmisch: 'Ich +soll mich erniedrigen? Was befiehlst du, Astorre? Meine Ehre ist +deine Ehre! Ich bin nichts mehr als dein Eigentum, dein Herzklopfen, +dein Atemzug und deine Seele. Wenn du willst und du gebietest, dann!' + +Astorre sprach, sein Weib zärtlich beruhigend, gegen Diana: 'Sie wird +es tun. Möge dich ihre Demut versöhnen! und die meinige! Sei mein +Gast heute nacht und bleibe meinem Hause günstig!' Er wendete sich zu +Ezzelin, dankte ihm ehrerbietig für Gericht und Gnade, verneigte sich +und entführte sein Weib. Auf der Schwelle aber wandte er sich noch +fragend gegen Diana: 'Und in welcher Tracht wirst du bei uns +erscheinen, daß wir dich kennen und dir Ehre bezeigen?' + +Diese lächelte verächtlich. Wieder, wendete sie sich gegen Antiope. +'Kommen werde ich als die, welche ich mich nenne und welche ich bin: +die Unberührte, die Jungfräuliche!' sagte sie stolz. Dann wiederholte +sie: 'Antiope, denke daran: reuig und demütig!' + +'Du meinst es ehrlich, Diana? Du führst nichts im Schilde?' zweifelte +der Tyrann, da ihm jetzt die Pizzaguerra allein gegenüberstand. + +'Nichts', erwiderte sie, jede Beteurung verschmähend. + +'Und was wird aus dir, Diana?' fragte er. + +'Ezzelin', antwortete sie bitter, 'vor diesem deinem Richtstuhl hat +mein Vater die Ehre und Rache seines Kindes um ein paar Erzklumpen +verschachert. Ich bin nicht wert, daß mich die Sonne bescheine. Für +solche ist die Zelle!' Und sie verließ den Saal. + +'Allervortrefflichster Ohm!' jubelte Ascanio. 'Du vermählst das +seligste Paar in Padua und machst aus einer gefährlichen Geschichte +ein reizendes Märchen, womit ich einst, als ein ehrwürdiger Greis, +meine Enkel und Enkelinnen am Herdfeuer ergötzen werde!' + +'Idyllischer Neffe', spottete der Tyrann. Er trat ans Fenster und +blickte auf den Platz hinunter, wo die Menge noch in fieberhafter +Neugierde standhielt. Ezzelin hatte Befehl gegeben, die vor ihn +Beschiedenen durch eine Hinterpforte zu entlassen. 'Paduaner!' redete +er jetzt mit gewaltiger Stimme, und Tausende schwiegen wie eine Einöde. +'Ich habe den Handel untersucht. Er war verwickelt und die Schuld +geteilt. Ich vergab, denn ich bin zur Milde geneigt jedesmal, wo die +Majestät des Reiches nicht berührt wird. Heute abend halten Hochzeit +mit Masken Astorre Vicedomini und Antiope Canossa. Ich, Ezzelin, gebe +das Fest und lade euch alle. Lasset es euch schmecken, ich bin der +Wirt! Euch gehören Schenke und Gasse! Den Palast Vicedomini aber +betrete noch gefährde mir keiner, sonst, bei meiner Hand!--und jetzt +kehre ruhig jeder in das Seinige, wenn ihr mich lieb habet!' + +'Wie sie dich lieben!' scherzte Ascanio.--Ein unbestimmtes Gemurmel +drang empor. Es verriegelte und verrann." + +Dante schöpfte Atem. Dann endigte er in raschen Sätzen. + +"Nachdem der Tyrann sein Gericht gehalten hatte, verritt er um Mittag +nach einem seiner Kastelle, wo er baute. Er begehrte rechtzeitig nach +Padua zurückzukehren, um die vor Diana sich demütigende Antiope zu +betrachten. + +Aber gegen Voraussicht und Willen wurde er auf der mehrere Miglien von +der Stadt entfernten Burg festgehalten. Dorthin kam ihm ein +staubbedeckter Sarazene nachgesprengt und überreichte ihm ein +eigenhändiges Schreiben des Kaisers, das umgehende Antwort verlangte. +Die Sache war von Bedeutung. Ezzelin hatte vor kurzem eine +kaiserliche Burg im Ferraresischen, in deren Befehlshaber, einem +Sizilianer, sein Scharfblick den Verräter argwöhnte, nächtlicherweile +überfallen, eingenommen und den zweideutigen kaiserlichen Burgvogt in +Fesseln gelegt. Nun verlangte der Staufe Rechenschaft über diesen +klugen, aber verwegenen Eingriff in seinen Machtkreis. Die arbeitende +Stirn in die Linke gelegt, ließ Ezzelin die Rechte über das Pergament +gleiten, und sein Stift zog ihn vom ersten zum zweiten und vom zweiten +zu einem dritten. Gründlich unterhielt er sich mit dem erleuchten +Schwiegervater über die Möglichkeiten und Ziele eines bevorstehenden +oder wenigstens geplanten Feldzuges. So verschwand ihm Stunde und +Zeitmaß. Erst als er sich wieder zu Pferde warf, erkannte er aus dem +ihm vertrauten Wandel der Gestirne--sie blitzten in voller Klarheit--, +daß er Padua kaum vor Mitternacht erreichen werde. Sein Gefolge weit +hinter sich lassend, schnell wie ein Gespenst, flog er über die +nächtige Ebene. Doch er wählte seinen Weg und umritt vorsichtig einen +wenig tiefen Graben, über welchen der kühne Reiter an einem andern +Tage spielend gesetzt hätte: er verhinderte das Schicksal, seine Fahrt +zu bedrohen und seinen Hengst zu stürzen. Wieder verschlang er auf +gestrecktem Renner den Raum, aber Paduas Lichter wollten noch nicht +schimmern. + +Dort, vor der breiten Stadtfeste der Vicedomini, während sie sich in +rasch wachsender Dämmerung schwärzte, hatte sich das trunkene Volk +versammelt. Zügellose wechselten mit possierlichen Szenen auf dem +nicht großen Platze. In der gedrängten Menge gor eine wilde, zornige +Lust, ein bacchantischer Taumel, welchem die ausgelassene Jugend der +Hochschule ein Element des Spottes und Witzes beimischte. + +Jetzt ließ sich eine schleppende Kantilene vernehmen, in der Art einer +Litanei, wie unsere Landleute zu singen pflegen. Es war ein Zug +Bauern, alt und jung, aus einem der zahlreichen Dörfer im Besitz der +Vicedomini. Dieses arme Volk, welches in seiner Abgelegenheit nichts +von der Verweltlichung des Mönches, sondern nur in unbestimmten +Umrissen die Vermählung des Erben erfahren, hatte sich vor +Tagesanbruch mit den üblichen Hochzeitsgeschenken aufgemacht und +erreichte nun sein Ziel nach einer langen Wallfahrt im Staub der +Landstraße. Es hielt und duckte sich zusammen, langsam über den +wogenden Platz vorrückend, hier ein lockiger Knabe, fast noch ein Kind, +mit einer goldenen Honigwabe, dort eine scheue, stolze Dirne, ein +blökendes, bebändertes Lämmchen in den sorglichen Armen. Alle +verlangten sie sehnlich nach dem Angesicht ihres neuen Herrn. + +Nun verschwanden sie nach und nach in der Wölbung des Tores, wo rechts +und links die angezündeten Fackeln in den Eisenringen loderten, mit +der letzten Tageshelle streitend. Im Torweg befahl Ascanio als Ordner +des Festes, er, der sonst so freundliche, mit einer schreienden und +gereizten Stimme. + +Von Stunde zu Stunde wuchs der Frevelmut des Volkes, und als endlich +die vornehmen Masken anlangten, wurden sie gestoßen, dem Gesinde die +Fackeln entrissen und auf den Steinplatten ausgetreten, die Edelweiber +von ihren männlichen Begleitern abgedrängt und lüstern gehänselt, +ungerächt von dem Schwertstich, der an gewöhnlichen Abenden die +Frechheit sofort gestraft hätte. + +Dergestalt kämpfte unweit des Palasttores ein hohes Weib in der Tracht +einer Diana mit einem immer enger sich schließenden Ringe von +Klerikern und Schülern niedersten Ranges. Ein hagerer Mensch ließ +seine mythologischen Kenntnisse glänzen. 'Nicht Diana bist du!' +näselte er verbuhlt, 'du bist eine andere! ich erkenne dich. Hier +sitzt dein Täubchen!' und er zeigte auf den silbernen Halbmond über +der Stirne der Göttin. Diese aber schmeichelte nicht wie Aphrodite, +sondern zürnte wie Artemis. 'Weg, Schweine!' schalt sie. 'Ich bin +eine reinliche Göttin und verabscheue die Kleriker!'--'Gurr, gurr!' +girrte die Hopfenstange und tastete mit den Knochenhänden, stieß aber +auf der Stelle einen durchdringenden Schrei aus. Wimmernd hob der +Elende die Hand und zeigte seinen Schaden. Sie war durch und durch +gestochen und überquoll von Blut: das ergrimmte Mädchen hatte hinter +sich in den Köcher gelangt--den entwendeten Jagdköcher ihres +Bruders--und mit einem der scharfgeschliffenen Pfeile die ekle Hand +gezüchtigt. Schon wurde der rasche Auftritt von einem andern ebenso +grausamen, wenn auch unblutigen verdrängt. Eine alle erdenklichen +Widersprüche und schneidenden Mißtöne durcheinanderwerfende Musik, die +einem rasenden Zank der Verdammten in der Hölle glich, brach sich Bahn +durch die betäubte und ergötzte Menge. Das niederste und schlimmste +Volk--Beutelschneider, Kuppler, Dirnen, Betteljungen--blies, kratzte, +paukte, pfiff, quiekte, meckerte und grunzte vor und hinter einem +abenteuerlichen Paar. Ein großes, verwildertes Weib von zerstörter +Schönheit ging Arm in Arm mit einem trunkenen Mönch in zerfetzter +Kutte. Dieses war der Klosterbruder Serapion, der, von dem Beispiel +Astorres aufgestachelt, nächtlicherweile aus der Zelle entsprungen war +und sich seit einer Woche im Schlamm der Gasse wälzte. Vor einem aus +der finstern Palastmauer vorspringenden erhellten Erker machte die +Horde halt, und mit einer geltenden Stimme und der Gebärde eines +öffentlichen Ausrufers schrie das Weib: 'Kund und zu wissen, +Herrschaften: über ein kurzes schlummert der Mönch Astorre neben +seiner Gattin Antiope!' Ein unbändiges Gelächter begleitete diese +Verkündigung. + +Jetzt nickte aus dem schmalen Bogenfenster des Erkers die läutende +Schellenkappe Gocciolas, und ein melancholisches Gesicht zeigte sich +der Gasse. + +'Gutes Weib, sei stille!' klagte der Narr weinerlich auf den Platz +hinunter. 'Du verletzest meine Erziehung und beleidigst mein +Schamgefühl!' + +'Guter Narr', antwortete die Schamlose, 'stoße dich nicht daran! Was +die Vornehmen begehen, dem geben wir den Namen. Wir setzen die Titel +auf die Büchsen der Apotheke!' + +'Bei meinen Todsünden', jubelte Serapion, 'das tun wir! Bis +Mitternacht soll die Hochzeit meines Brüderchens auf allen Plätzen +Paduas ausgeschellt und hell verkündigt werden. Vorwärts, marsch! +Hopsassa!' und er hob das nackte Bein mit der Sandale aus den +hängenden Lumpen der besudelten Kutte. + +Dieser von der Menge wütend beklatschte Schwank verscholl an den +steilen Mauern der mächtigen Burg, deren Fenster und Gemächer zum +großen Teil gegen die innern Hofräume gingen. + +In einem stillen, geschützten Gemach wurde Antiope von ihren Zofen, +Sotte und einer andern, gekleidet und geschmückt, während Astorre den +nicht enden wollenden Schwarm der Gäste oben an den Treppen empfing. +Sie schaute in ihre eigenen bangen Augen, die ihr aus einem +Silberspiegel begegneten, welchen die Unterzofe mit einem neidischen +Gesicht in nackten, frechen Armen hielt. + +'Sotte', flüsterte das junge Weib zu der Dienerin, die ihr die Haare +flocht, 'du ähnelst mir und hast meinen Wuchs.--wechsle mit mir die +Kleider, wenn du mich lieb hast! Gehe hin und ziehe ihr den Ring vom +Finger! Reuig und demütig! Verbeuge dich mit gekreuzten Armen vor +der Pizzaguerra, wie die letzte Sklavin! Falle auf die Knie! Wälze +dich am Boden! Wirf dich ganz weg! Nur nimm ihr den Ring! Ich lohne +fürstlich!' und da sie Sotte zaudern sah: 'Nimm und behalte alles, was +ich Köstliches trage!' flehte die Herrin, und dieser Versuchung +widerstand die eitle Sotte nicht. + +Astorre, welcher der Pflicht des Wirtes einen Augenblick entwendete, +um sein Liebstes zu besuchen, fand im Gemach zwei sich umkleidende +Frauen. Er erriet. 'Nein, Antiope!' verbot er. 'So darfst du nicht +durchschlüpfen. Es muß Wort gehalten werden! Ich verlange es von +deiner Liebe. Ich befehle es dir!' Indem er diesen strengen Spruch +mit einem Kuß auf den geliebten Nacken zu einem Kosewort machte, wurde +er weggerissen von dem herbeieilenden Ascanio, welcher ihm vorstellte, +seine Bauern wünschten ihm ihre Gaben ohne Verzug zu überreichen, um +in der Kühle der Nacht den Heimweg anzutreten. Da sich Antiope +wendete, um den Gatten wiederzuküssen, küßte sie die Luft. + +Jetzt ließ sie sich rasch fertig kleiden. Selbst die leichtfertige +Sotte erschrak vor der Blässe des Angesichts im Spiegel. Nichts lebte +darin als die Angst der Augen und der Schimmer der zusarnmengepreßten +Zähnchen. Ein roter Streif, der Schlag Dianens, wurde auf der weißen +Stirn sichtbar. + +Nach beendigtem Putz erhob sich das Weib Astorres mit klopfenden +Pulsen und hämmernden Schläfen, verließ die sichere Kammer und +durcheilte die Säle, Dianen suchend. Sie wurde gejagt von dem Mute +der Furcht. Sie wollte jubelnd mit dem zurückeroberten Ring ihrem +Gatten entgegeneilen, dem sie den Anblick ihrer Buße erspart hätte. + +Bald unterschied sie aus den Masken die hochgewachsene Göttin der Jagd, +erkannte in ihr die Feindin und folgte, bebend und zornige Worte +murmelnd, der gemessen Schreitenden, welche den Hauptsaal verließ und +sich gnädig in eines der schwachbeleuchteten und nur halb so hohen +Nebengemächer verlor. Die Göttin schien nicht öffentliche Demütigung, +sondern Demut des Herzens zu verlangen. + +Jetzt neigte sich im Halbdunkel Antiope vor Diana. 'Gib mir den Ring!' +preßte sie hervor und tastete an dem kräftigen Finger. + +'Demütig und reuig?' fragte Diana. + +'Wie anders, Herrin?' fieberte die Unselige. 'Aber du treibst dein +Spiel mit mir, Grausame! Du biegst deinen Finger, jetzt krümmst du +ihn!' + +Ob Antiope es sich einbildete? Ob Diana wirklich dieses Spiel trieb? +Wie wenig ist ein gekrümmter Finger! Cangrande, du hast mich der +Ungerechtigkeit bezichtigt. Ich entscheide nicht. + +Genug, die Vicedomini hob den geschmeidigen Leib und rief, die +flammenden Augen auf die strengen der Pizzaguerra gerichtet: 'Neckst +du eine Frau, Mädchen?' Dann bog sie sich wieder und suchte mit beiden +Händen dem Finger den Ring zu entreißen--da durchfuhr sie ein Blitz. +Ihr die linke Hand überlassend, hatte die strafende Diana mit der +Rechten einen Pfeil aus dem Köcher gezogen und Antiope getötet. Diese +sank zuerst auf die linke, dann auf die rechte Hand, drehte sich und +lag, den Pfeil im Genick, auf die Seite gewendet. + +Der Mönch, der nach Verabschiedung seiner ländlichen Gäste +zurückgeeilt kam und sehnlich sein Weib suchte, fand eine Entseelte. +Mit einem erstickten Schrei warf er sich neben sie nieder und zog ihr +den Pfeil aus dem Halse. Ein Blutstrahl folgte. Astorre verlor die +Besinnung. + +Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, stand Germano vor ihm mit +gekreuzten Armen. 'Bist du der Mörder?' fragte der Mönch. + +'Ich morde keine Weiber', antwortete der andere traurig. 'Es ist +meine Schwester, die ihr Recht gesucht hat.' + +Astorre tastete nach dem Pfeil und fand ihn. Aufgesprungen in einem +Satz und das lange Geschoß mit der blutigen Spitze wie eine Klinge +handhabend, fiel er in blinder Wut den Jugendgespielen an. Der +Krieger schauderte leicht vor dem schwarzgekleideten, fahlen Gespenst +mit den gesträubten Haaren und dem Pfeil in der Faust. + +Er wich um einen Schritt. Das kurze Schwert ziehend, welches der +Ungepanzerte heute trug, und den Pfeil damit festhaltend, sagte er +mitleidig: 'Geh in dein Kloster zurück, Astorre, das du nie hättest +verlassen sollen!' + +Da gewahrte er plötzlich den Tyrannen, der, gefolgt von dem ganzen +Feste, welches dem längst Erwarteten bis ans Tor entgegengestürzt war, +ihm gerade gegenüber durch die Tür trat. + +Ezzelin streckte die Rechte, Friede gebietend, und Germano senkte +ehrfürchtig seine Waffe vor dem Kriegsherrn. Diesen Augenblick +ergriff der rasende Mönch und stieß dem Ezzelin Entgegenschauenden den +Pfeil in die Brust. Aber auch sich traf er tödlich, von dem +blitzschnell wieder gehobenen Schwert des Kriegers erreicht. + +Germano war stumm zusammengesunken. Der Mönch, von Ascanio gestützt, +tat noch einige wankende Schritte nach seinem Weib und bettete sich, +von dem Freund niedergelassen, zu ihr, Mund an Mund. + +Die Hochzeitsgäste umstanden die Vermählten. Ezzelin betrachtete den +Tod. Hernach ließ er sich auf ein Knie nieder und drückte erst +Antiope, darauf Astorre die Augen zu. In die Stille klang es mißtönig +herein durch ein offenes Fenster. Man verstand aus dem Dunkel: 'Jetzt +schlummert der Mönch Astorre neben seiner Gattin Antiope.' Und ein +fernes Gelächter." + +Dante erhob sich. "Ich habe meinen Platz am Feuer bezahlt", sagte er, +"und suche nun das Glück des Schlummers. Der Herr des Friedens behüte +uns alle!" Er wendete sich und schritt durch die Pforte, welche ihm +der Edelknabe geöffnet hatte. Aller Augen folgten ihm, der die Stufen +einer fackelhellen Treppe langsam emporstieg. + + +Ende dieses PRojekt Gutenberg Etxtes Die Hochzeit des Mönchs, von +Conrad Ferdinand Meyer. + + + + + + + + + + +End of Project Gutenberg's Die Hochzeit des Moenchs, by Conrad Ferdinand Meyer + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HOCHZEIT DES MOENCHS *** + +***** This file should be named 9495-8.txt or 9495-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/9/4/9/9495/ + +Produced by Delphine Lettau and Gutenberg Projekt-DE +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Die Hochzeit des Moenchs + +Conrad Ferdinand Meyer + + + +Es war in Verona. Vor einem breiten Feuer das einen weitraeumigen Herd +fuellte, lagerte in den bequemsten Stellungen, welche der Anstand +erlaubt, ein junges Hofgesinde maennlichen und weiblichen Geschlechts +um einen ebenso jugendlichen Herrscher und zwei bluehende Frauen. Dem +Herd zur Linken sass diese fuerstliche Gruppe, welcher die uebrigen in +einem Viertelkreis sich anschlossen, die ganze andere Seite des Herdes +nach hoefischer Sitte frei lassend. Der Gebieter war derjenige +Scaliger, welchen sie Cangrande nannten. Von den Frauen, in deren +Mitte er sass, mochte die naechst dem Herd etwas zurueck und ins +Halbdunkel gelehnte sein Eheweib, die andere, vollbeleuchtete, seine +Verwandte oder Freundin sein, und es wurden mit bedeutsamen Blicken +und halblautem Gelaechter Geschichten erzaehlt. + +Jetzt trat in diesen sinnlichen und mutwilligen Kreis ein +gravitaetischer Mann, dessen grosse Zuege und lange Gewaender aus einer +andern Welt zu sein schienen. "Herr, ich komme, mich an deinem Herde +zu waermen", sprach der Fremdartige halb feierlich, halb geringschaetzig +und verschmaehte hinzuzufuegen, dass die laessige Dienerschaft trotz des +frostigen Novemberabends vergessen oder versaeumt hatte, Feuer in der +hoch gelegenen Kammer des Gastes zu machen. + +"Setze dich neben mich, mein Dante", erwiderte Cangrande, "aber wenn +du dich gesellig waermen willst, so blicke mir nicht nach deiner +Gewohnheit stumm in die Flamme! Hier wird erzaehlt, und die Hand, +welche heute Terzinen geschmiedet hat auf meine astrologische Kammer +steigend, hoerte ich in der deinigen mit dumpfem Gesang Verse +skandieren--, diese wuchtige Hand darf es heute nicht verweigern, das +Spielzeug eines kurzweiligen Geschichtchens, ohne es zu zerbrechen, +zwischen ihre Finger zu nehmen. Beurlaube die Goettinnen"--er meinte +wohl die Musen--"und vergnuege dich mit diesen schoenen Sterblichen." +Der Scaliger zeigte seinem Gast mit einer leichten Handbewegung die +zwei Frauen, von welchen die groessere, die scheinbar gefuehllos im +Schatten sass, nicht daran dachte zu ruecken, waehrend die kleinere und +aufgeweckte dem Florentiner bereitwillig neben sich Raum machte. Aber +dieser gab der Einladung seines Wirtes keine Folge, sondern waehlte +stolz den letzten Sitz am Ende des Kreises. Ihm missfiel entweder die +Zweiweiberei des Fuersten--wenn auch vielleicht nur das Spiel eines +Abends--oder dann ekelte ihn der Hofnarr, welcher, die Beine vor sich +hingestreckt, neben dem Sessel Cangrandes auf dem herabgeglittenen +Mantel desselben am Boden sass. + +Dieser, ein alter, zahnloser Mensch mit Glotzaugen und einem schlaffen, +verschwaetzten und vernaschten Maul--neben Dante der einzig Bejahrte +der Gesellschaft--, hiess Gocciola, das heisst das Troepfchen, weil er +die letzten klebrigen Tropfen aus den geleerten Glaesern +zusammenzunaschen pflegte, und hasste den Fremdling mit kindischer +Bosheit; denn er sah in Dante seinen Nebenbuhler um die nicht eben +waehlerische Gunst des Herrn. Er schnitt ein Gesicht und erfrechte +sich, seine huebsche Nachbarin zur Linken auf das an der hellen Decke +des hohen Gemaches sich abschattende Profil des Dichters hoehnisch +grinsend aufmerksam zu machen. Das Schattenbild Dantes glich einem +Riesenweibe mit langgebogener Nase und hangender Lippe, einer Parze +oder dergleichen. Das lebhafte Maedchen verwand ein kindliches Lachen. +Ihr Nachbar, ein klug blickender Juengling, der Ascanio hiess, half ihr +dasselbe ersticken, indem er sich an Dante wendete mit einer massvollen +Ehrerbietung, in welcher dieser angeredet zu werden liebte. + +"Verschmaehe es nicht, du Homer und Virgil Italiens", bat er, "dich in +unser harmloses Spiel zu mischen. Lass dich zu uns herab und erzaehle, +Meister, statt zu singen." + +"Was ist euer Thema?" warf Dante hin, weniger ungesellig, als er +begonnen hatte, aber immer noch muerrisch genug. "Ploetzlicher +Berufswechsel", antwortete der Juengling buendig, "mit gutem oder +schlechtem oder laecherlichem Ausgang." + +Dante besann sich. Seine schwermuetigen Augen betrachteten die +Gesellschaft, deren Zusammensetzung ihm nicht durchaus zu missfallen +schien; denn er entdeckte in derselben neben mancher flachen einige +bedeutende Stirnen. "Hat einer unter euch den entkutteten Moench +behandelt?" aeusserte der schon milder Gestimmte. + +"Gewiss, Dante!" antwortete, sein Italienisch mit einem leichten +deutschen Akzent aussprechend, ein Kriegsmann von treuherzigem +Aussehen, Germano mit Namen, der einen Ringelpanzer und einen lang +herabhaengenden Schnurrbart trug. "Ich selbst erzaehlte den jungen +Manuccio, welcher ueber die Mauern seines Klosters sprang, um Krieger +zu werden." + +"Er tat recht", erklaerte Dante, "er hatte sich selbst getaeuscht ueber +seine Anlage." + +"Ich, Meister", plauderte jetzt eine kecke, etwas ueppige Paduanerin, +namens Isotta, "habe die Helene Manente erzaehlt, welche eben die erste +Locke unter der geweihten Schere verscherzt hatte, aber schnell die +uebrigen mit den beiden Haenden deckte und ihr Nonnengeluebde +verschluckte, denn sie hatte ihren in barbareske Sklaverei geratenen +und hoechst wunderbar daraus erretteten Freund unter dem Volk im Schiff +der Kirche erblickt, wie er die geloesten Ketten"--sie wollte sagen: an +der Mauer aufhing, aber ihr Geschwaetz wurde von dem Munde Dantes +zerschnitten. + +"Sie tat gut", sagte er, "denn sie handelte aus der Wahrheit ihrer +verliebten Natur. Von alledem ist hier die Rede nicht, sondern von +einem ganz andern Fall: Wenn naemlich ein Moench nicht aus eigenem Trieb, +nicht aus erwachter Weltlust oder Weltkraft, nicht weil er sein Wesen +verkannt haette, sondern einem andern zuliebe, unter dem Druck eines +fremden Willens, wenn auch vielleicht aus heiligen Gruenden der Pietaet, +untreu an sich wird, sich selbst mehr noch als der Kirche gegebene +Geluebde bricht und eine Kutte abwirft, die ihm auf dem Leib sass und +ihn nicht drueckte. Wurde das schon erzaehlt? Nein? Gut, so werde ich +es tun. Aber sage mir, wie endet solches Ding, mein Goenner und +Beschuetzer?" Er hatte sich ganz gegen Cangrande gewendet. + +"Notwendig schlimm", antwortete dieser ohne Besinnen. "Wer mit freiem +Anlauf springt, springt gut; wer gestossen wird, springt schlecht." + +"Du redest die Wahrheit, Herr", bestaetigte Dante, "und nicht anders, +wenn ich ihn verstehe, meint es auch der Apostel, wo er schreibt: dass +Suende sei, was nicht aus dem Glauben gehe, das heisst, aus der +Ueberzeugung und Wahrheit unserer Natur." + +"Muss es denn ueberhaupt Moenche geben?" kicherte eine gedaempfte Stimme +aus dem Halbdunkel, als wollte sie sagen: jede Befreiung aus einem an +sich unnatuerlichen Stand ist eine Wohltat. + +Die dreiste und ketzerische Aeusserung erregte hier kein Aergernis, denn +an diesem Hof wurde das kuehnste Reden ueber kirchliche Dinge geduldet, +ja belaechelt, waehrend ein freies oder nur unvorsichtiges Wort ueber den +Herrscher, seine Person oder seine Politik, verderben konnte. + +Dantes Auge suchte den Sprecher und entdeckte denselben in einem +vornehmen, jungen Kleriker, dessen Finger mit dem kostbaren Kreuze +taendelten, welches er ueber dem geistlichen Gewand trug. + +"Nicht meinetwegen", gab der Florentiner bedaechtig zur Antwort. +"Moegen die Moenche aussterben, sobald ein Geschlecht ersteht, welches +die beiden hoechsten Kraefte der Menschenseele, die sich auszuschliessen +scheinen, die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit vereinigen lernt. +Bis zu jener spaeten Weltstunde verwalte der Staat die eine, die Kirche +die andere. Da aber die Uebung der Barmherzigkeit eine durchaus +selbstlose Seele fordert, so sind die drei moenchischen Geluebde +gerechtfertigt; denn es ist weniger schwer, wie die Erfahrung lehrt, +der Lust ganz als halb zu entsagen." + +"Gibt es aber nicht mehr schlechte Moenche als gute?" fragte der +geistliche Zweifler weiter. + +"Nein", behauptete Dante, "wenn man die menschliche Schwachheit +beruecksichtigt. Es muesste denn mehr ungerechte Richter als gerechte, +mehr feige Krieger als beherzte, mehr schlechte Menschen als gute +geben." + +"Und ist das nicht der Fall?" fluesterte der im Halbdunkel. + +"Nein", entschied Dante, und eine himmlische Verklaerung erleuchtete +seine strengen Zuege. "Fragt und untersucht unsere Philosophie nicht: +wie ist das Boese in die Welt gekommen? Waeren die Boesen in der +Mehrzahl, so fragten wir: wie kam das Gute in die Welt?" + +Diese stolzen und dunkeln Saetze imponierten der Gesellschaft, erregten +aber auch die Besorgnis, der Florentiner moechte sich in seine +Scholastik vertiefen statt in seine Geschichte. + +Cangrande sah, wie seine junge Freundin ein huebsches Gaehnen verwand. +Unter solchen Umstaenden ergriff er das Wort und fragte: "Erzaehlst du +uns eine wahre Geschichte, mein Dante, nach Dokumenten? oder eine Sage +des Volksmunds? oder eine Erfindung deiner bekraenzten Stirne?" + +Dieser antwortete langsam betonend: "Ich entwickle meine Geschichte +aus einer Grabschrift." + +"Aus einer Grabschrift?" + +"Aus einer Grabschrift, die ich vor Jahren bei den Franziskanern in +Padua gelesen habe. Der Stein, welcher sie traegt, lag in einem Winkel +des Klostergartens, allerdings unter wildem Rosengestraeuch versteckt, +aber doch den Novizen zugaenglich, wenn sie auf allen vieren krochen +und sich eine von Dornen zerkritzte Wange nicht reuen liessen. Ich +befahl dem Prior--will sagen, ich ersuchte ihn, den fraglichen Stein +in die Bibliothek zu versetzen und unter die Hut eines Greises zu +stellen." + +"Was sagte denn der Stein?" liess sich jetzt die Gemahlin des Fuersten +nachlaessig vernehmen. + +"Die Inschrift", erwiderte Dante, "war lateinisch und lautete: Hic +jacet monachus Astorre cum uxore Antiope. Sepeliebat Azzolinus." + +"Was heisst denn das?" fragte die andere neugierig. + +Cangrande uebersetzte fliessend: "Hier schlummert der Moench Astorre +neben seiner Gattin Antiope. Beide begrub Ezzelin." + +"Der abscheuliche Tyrann!" rief die Empfindsame. "Gewiss hat er die +beiden lebendig begraben lassen, weil sie sich liebten, und das Opfer +noch in der Gruft gehoehnt, indem er es die Gattin des Moenches nannte. +Der Grausame!" + +"Kaum", meinte Dante. "Das hat sich in meinem Geiste anders gestaltet +und ist auch nach der Geschichte unwahrscheinlich. Denn Ezzelin +bedrohte wohl eher den kirchlichen Gehorsam als den Bruch geistlicher +Geluebde. Ich nehme das 'sepeliebat' in freundlicherem Sinne: er gab +den beiden ein Begraebnis." + +"Recht", rief Cangrande freudig, "du denkst wie ich, Florentiner! +Ezzelino war eine Herrschernatur und, wie sie einmal sind, etwas rauh +und gewaltsam. Neun Zehntel seiner Frevel haben ihm die Pfaffen und +das fabelsuechtige Volk angedichtet." "Moechte dem so sein!" seufzte +Dante. "Wo er uebrigens in meiner Fabel auftritt, ist er noch nicht +das Ungeheuer, welches uns, wahr oder falsch, die Chronik schildert, +sondern seine Grausamkeit beginnt sich nur erst zu zeichnen, mit einem +Zug um den Mund sozusagen--" + +"Eine gebietende Gestalt", vollendete Cangrande feurig das Bildnis, +"mit gestraeubtem, schwarzem Stirnhaar, wie du ihn in deinem zwoelften +Gesang als einen Bewohner der Hoelle malst. Woher hast du dieses +schwarzhaarige Haupt?" + +"Es ist das deinige", versetzte Dante kuehn, und Cangrande fuehlte sich +geschmeichelt. + +"Auch die uebrigen Gestalten der Erzaehlung", fuhr er mit laechelnder +Drohung fort, "werde ich, ihr gestattet es?"--und er wendete sich +gegen die Umsitzenden--"aus eurer Mitte nehmen und ihnen eure Namen +geben: euer Inneres lasse ich unangetastet, denn ich kann nicht darin +lesen." + +"Meine Miene gebe ich dir preis", sagte grossartig die Fuerstin, deren +Gleichgueltigkeit zu weichen begann. + +Ein Gemurmel der hoechsten Aufregung lief durch die Zuhoerer, und: +"Deine Geschichte, Dante!" raunte es von allen Seiten, "deine +Geschichte!" + +"Hier ist sie", sagte dieser und erzaehlte. + +"Wo sich der Gang der Brenta in einem schlanken Bogen der Stadt Padua +naehert, ohne diese jedoch zu beruehren, glitt an einem himmlischen +Sommertag unter gedaempftem Floetenschall eine bekraenzte, von festlich +Gekleideten ueberfuellte Barke auf dem schnellen, aber ruhigen Wasser. +Es war die Brautfahrt des Umberto Vicedomini und der Diana Pizzaguerra. +Der Paduaner hatte sich seine Verlobte aus einem am obern Lauf des +Flusses gelegenen Kloster geholt, wohin, kraft einer alten staedtischen +Sitte, Maedchen von Stand vor ihrer Hochzeit zum Behufe frommer Uebungen +sich zurueckzuziehen pflegen. Sie sass in der Mitte der Barke auf einem +purpurnen Polster zwischen ihrem Braeutigam und den drei bluehenden +Knaben seines ersten Bettes. Umberto Vicedomini hatte vor fuenf Jahren, +da die Pest in Padua wuetete, das Weib seiner Jugend begraben und, +obwohl in der Kraft der Maennlichkeit stehend, nur schwer und +widerwillig, auf das taegliche Draengen eines alten und siechen Vaters, +zu diesem zweiten Ehebund sich entschlossen. + +Mit eingezogenen Rudern fuhr die Barke, dem Willen des Stromes sich +ueberlassend. Die Bootsknechte begleiteten die sanfte Musik mit einem +halblauten Gesang. Da verstummten beide. Aller Augen hatten sich +nach dem rechten Ufer gerichtet, an welchem ein grosser Reiter seinen +Hengst baendigte und mit einer weiten Gebaerde nach der Barke herueber +gruesste. Scheues Gemurmel durchlief die Reihen der Sitzenden. Die +Ruderer rissen sich die roten Muetzen vom Kopf, und das ganze Fest +erhob sich in Furcht und Ehrerbietung, auch der Braeutigam, Diana und +die Knaben. Untertaenige Gebaerden, gruessende Arme, halbgebogene Knie +wendeten sich gegen den Strand mit einem solchen Ungestuem und Uebermass +der Bewegung, dass die Barke aus dem Gleichgewicht kam, sich nach +rechts neigte und ploetzlich ueberwog. Ein Schrei des Entsetzens, ein +drehender Wirbel, eine leere Strommitte, die sich mit Auftauchenden, +wieder Versinkenden und den schwimmenden Kraenzen der verunglueckten +Barke bevoelkerte. Hilfe war nicht ferne, denn wenig weiter unten lag +ein kleiner Port, wo Fischer und Faehrleute hausten und heute auch die +Rosse und Saenften warteten, welche die Gesellschaft, die jetzt im +Strom unterging, vollends nach Padua haetten bringen sollen. + +Die zwei ersten der rettenden Kaehne strebten sich von den +entgegengesetzten Ufern zu. In dem einen stand neben einem alten +Fergen mit struppigem Bart Ezzelin, der Tyrann von Padua, der +unschuldige Urheber des Verderbens, in dem andern, vom linken Ufer +kommenden ein junger Moench und sein Faehrmann, welcher den staubigen +Waller ueber den Strom stiess gerade in dem Augenblick, da sich darauf +das Unheil zutrug. Die beiden Boote erreichten sich. Zwischen ihnen +schwamm im Flusse etwas wie eine Fuelle blonden Haares, in das der +Moench entschlossen hineingriff, knielings, mit weit ausgestrecktem +Arme, waehrend sein Schiffer aus allen Kraeften sich auf die andere +Seite des Nachens zurueckstemmte. An einer dicken Straehne hob der +Moench ein Haupt, das die Augen geschlossen hielt, und dann, mit Hilfe +des dicht herangekommenen Ezzelin, die Last eines von triefendem +Gewand beschwerten Weibes aus der Stroemung. Der Tyrann war von seinem +Nachen in den andern gesprungen und betrachtete jetzt das entseelte +Haupt, das einen Ausdruck von Trotz und Unglueck trug, mit einer Art +von Wohlgefallen, sei es an den grossen Zuegen desselben, sei es an der +Ruhe des Todes. + +'Kennst du sie, Astorre?' fragte er den Moench. Dieser schuettelte +verneinend den Kopf, und der andere fuhr fort: 'Siehe, es ist das Weib +deines Bruders.' + +Der Moench warf auf das bleiche Antlitz einen mitleidigen, scheuen +Blick, welches unter demselben langsam die schlummernden Augen oeffnete. + +'Bringe sie ans Ufer!' befahl Ezzelin, allein der Moench ueberliess sie +seinem Faehrmann. 'Ich will meinen Bruder suchen', rief er, 'bis ich +ihn finde.'--'Ich helfe dir, Moench', sagte der Tyrann, 'doch ich +zweifle, dass wir ihn retten: ich sah ihn, wie er seine Knaben +umschlang und, von den dreien umklammert, schwer in die Tiefe ging.' + +Inzwischen hatte sich die Brenta mit Fahrzeugen bedeckt. Es wurde +gefischt mit Stangen, Haken, Angeln, Netzen, und in der rasch +wechselnden Szene vervielfaeltigte sich ueber den Suchenden und den +gehobenen Buerden die Gestalt des Herrschers. + +'Komm, Moench!' sagte er endlich. 'Hier gibt es fuer dich nichts mehr +zu tun. Umberto und seine Knaben liegen nunmehr zu lang in der Tiefe, +um ins Leben zurueckzukehren. Der Strom hat sie verschleppt. Er wird +sie ans Ufer legen, wann er ihrer muede ist. Aber siehst du dort die +Zelte?' Man hatte deren eine Zahl am Strand der Brenta zum Empfang der +mit der Hochzeitsbarke Erwarteten aufgeschlagen und jetzt die Toten +oder Scheintoten hineingelegt, welche von ihren schon aus dem nahen +Padua herbeigeeilten Verwandten und Dienern umjammert wurden. 'Dort, +Moench, verrichte, was deines Amtes ist: Werke der Barmherzigkeit! +Troeste die Lebenden! Bestatte die Toten!' + +Der Moench hatte das Ufer betreten und den Reichsvogt aus den Augen +verloren. Da kam ihm aus dem Gedraenge Diana entgegen, die Braut und +Witwe seines Bruders, trostlos, aber ihrer Sinne wieder maechtig. Noch +trieften die schweren Haare, aber auf ein gewechseltes Gewand: ein +mitleidiges Weib aus dem Volke hatte ihr im Gezelt das eigene gegeben +und sich des kostbaren Hochzeitskleides bemaechtigt. 'Frommer Bruder', +wendete sie sich an Astorre, 'ich bin verlassen: die mir bestimmte +Saenfte ist in der Verwirrung mit einer andern, Lebenden oder Toten, in +die Stadt zurueckgekehrt. Begleite mich nach dem Hause meines +Schwiegers, der dein Vater ist!' + +Die junge Witwe taeuschte sich. Nicht in der Bestuerzung und Verwirrung, +sondern aus Feigheit und Aberglauben hatte das Gesinde des alten +Vicedomini sie im Stiche gelassen. Es fuerchtete sich, dem jaehzornigen +Alten eine Wittib und, mit ihr die Kunde von dem Untergang seines +Hauses zu bringen. + +Da der Moench viele seinesgleichen unter den Zelten und im Freien mit +barmherzigen Werken beschaeftigt sah, willfahrte er dem Gesuch. 'Gehen +wir', sagte er und schlug mit dem jungen Weibe die Strasse nach der +Stadt ein, deren Tuerme und Kuppeln auf dem blauen Himmel wuchsen. Der +Weg war bedeckt mit Hunderten, die an den Strand eilten oder vom +Strande zurueckkehrten. Die beiden schritten, oft voneinander getrennt, +aber sich immer wieder findend, in der Mitte der Strasse, ohne +miteinander zu reden, und wandelten jetzt schon durch die Vorstadt, wo +die Gewerbe hausen. Hier standen ueberall--das Unglueck auf der Brenta +hatte die ganze Bevoelkerung auf die Beine gebracht--laut plaudernde +oder fluesternde Gruppen, welche das zufaellige Paar, das den Bruder und +den Braeutigam verloren hatte, mit teilnehmender Neugierde betrachteten. + +Der Moench und Diana waren Gestalten, die jedes Kind in Padua kannte. +Astorre, wenn er nicht fuer einen Heiligen galt, hatte doch den Ruf des +musterhaften Moenches. Er konnte der Stadtmoench von Padua heissen, den +das Volk verehrte und auf den es stolz war. Und mit Grund: denn er +hatte auf die Vorrechte seines hohen Adels und den unermesslichen +Besitz seines Hauses tapfer, ja freudig verzichtet und gab sein Leben +in Zeiten der Seuche oder bei andern oeffentlichen Faehrlichkeiten, ohne +zu markten, fuer den Geringsten und die Aermste preis. Dabei war er mit +seinem kastanienbraunen Kraushaar, seinen warmen Augen und seiner +edeln Gebaerde ein anmutender Mann, wie das Volk seine Heiligen liebt. + +Diana war in ihrer Weise nicht weniger namhaft, schon durch die +Vollkraft des Wuchses, welche das Volk mehr als die zarten Reize +bewundert. Ihre Mutter war eine Deutsche gewesen, ja eine Staufin, +wie einige behaupteten, freilich nur dem Blute, nicht dem Gesetze nach. +Deutschland und Welschland hatten zusammen als gute Schwestern diese +grosse Gestalt gebaut. + +Wie herb und streng Diana mit ihresgleichen umging, mit den Geringen +war sie leutselig, liess sich ihre Haendel erzaehlen, gab kurzen und +deutlichen Bescheid und kuesste die zerlumptesten Kinder. Sie schenkte +und spendete ohne Besinnen, wohl weil ihr Vater, der alte Pizzaguerra, +nach Vicedomini der reichste Paduaner, zugleich der schmutzigste +Geizhals war, und Diana sich des vaeterlichen Lasters schaemte. + +So verheiratete das ihr geneigte Volk in seinen Schenken und +Plauderstuben Diana monatlich mit irgendeinem vornehmen Paduaner, doch +die Wirklichkeit trug diesen frommen Wuenschen keine Rechnung. Drei +Hindernisse erschwerten eine Brautschaft: die hohen und oft finsteren +Brauen Dianas, die geschlossene Hand ihres Vaters und die blinde +Anhaenglichkeit ihres Bruders Germano an den Tyrannen, bei dessen +moeglichem Falle der treue Diener mit zugrunde gehen musste, seine Sippe +nach sich ziehend. + +Endlich verlobte sich mit ihr, ohne Liebe, wie es stadtkundig war, +Umberto Vicedomini, der jetzt in der Brenta lag. + +Uebrigens waren die beiden so versunken in ihren gerechten Schmerz, dass +sie das eifrige Geschwaetz, welches sich an ihre Fersen heftete, +entweder nicht vernahmen oder sich wenig um dasselbe bekuemmerten. +Nicht das gab Anstoss, dass der Moench und das Weib nebeneinander +schritten. Es erschien in der Ordnung, da der Moench an ihr zu troesten +hatte und sie wohl beide denselben Weg gingen: zu dem alten Vicedomini, +als die naechsten und natuerlichen Boten des Geschehenen. + +Die Weiber bejammerten Diana, dass sie einen Mann habe heiraten muessen, +der sie nur als Ersatz fuer eine teure Gestorbene genommen, und +beklagten sie in demselben Atemzug, dass sie diesen Mann vor der Ehe +eingebuesst habe. + +Die Maenner dagegen eroerterten mit wichtigen Gebaerden und den +schlausten Mienen eine brennende Frage, welche sich ueber den in der +Brenta versunkenen vier Stammhaltern des ersten paduanischen +Geschlechts eroeffnet hatte. Die Gluecksgueter der Vicedomini waren +sprichwoertlich. Das Familienhaupt, ein ebenso energischer wie +listiger Mensch, der es fertiggebracht hatte, mit beiden, dem fuenffach +gebannten Tyrannen von Padua und der diesen verdammenden Kirche auf +gutem Fuss zu bleiben, hatte sich lebelang nicht im geringsten mit +etwas Oeffentlichem beschaeftigt, sondern ein zaehes Dasein und praechtige +Willenskraefte auf ein einziges Ziel gewendet: den Reichtum und das +Gedeihen seines Stammes. Jetzt war dieser vernichtet. Sein Aeltester +und die Enkel lagen in der Brenta. Sein Zweiter und Dritter waren in +eben diesem Ungluecksjahr, der eine vor zwei, der andere vor drei +Monden von der Erde verschwunden. Den aeltern hatte der Tyrann +verbraucht und auf einem seiner wilden Schlachtfelder zurueckgelassen. +Der andere, aus welchem der vorurteilslose Vater einen grossartigen +Kaufmann in venezianischem Stil gemacht, hatte sich an einer +morgenlaendischen Kueste auf dem Kreuz verblutet, an welches ihn +Seeraeuber geschlagen, verspaeteten Loesegeldes halber. Als Vierter +blieb Astorre, der Moench. Dass er diesen mit dem Aufwand seines +letzten Pulses den Klostergeluebden zu entreissen versuchen werde, daran +zweifelten die schnellrechnenden Paduaner keinen Augenblick. Ob es +ihm gelinge und der Moench sich dazu hergebe, darueber stritt jetzt die +aufgeregte Gasse. + +Und sie stritt sich am Ende so laut und heftig, dass selbst der +trauernde Moench nicht mehr im Zweifel darueberbleiben konnte, wer mit +dem 'egli' und der 'ella' gemeint sei, welche aus den versammelten +Gruppen ertoenten. Dergestalt schlug er, mehr noch seiner Gefaehrtin +als seinethalben, eine mit Gras bewachsene Gasse ein, die seinen +Sandalen wohlbekannt war, denn sie fuehrte laengs der verwitterten +Ringmauer seines Klosters hin. Hier war es bis zum Schauder kuehl, +aber die ganz Padua erfuellende Schreckenskunde hatte selbst diese +Schatten erreicht. Aus den offenen Fenstern des Refektoriums, das in +die dicke Mauer gebaut war, scholl an der verspaeteten +Mittagstafel--die Katastrophe auf der Brenta hatte in der Stadt alle +Zeiten und Stunden gestoert--das Tischgespraech der Brueder so zaenkisch +und schreiend, so voller '-inibus' und '-atibus'--es wurde lateinisch +gefuehrt--, oder dann stritt man sich mit Zitaten aus den Dekretalen, +dass der Moench unschwer erriet, auch hier werde dasselbe oder ein +aehnliches Dilemma wie auf der Strasse verhandelt. Und wenn er sich +vielleicht nicht Rechenschaft gab, wovon, so wusste er doch, von wem +die Rede ging. Aber was er nicht entdeckte, waren--" + +Mitten im Sprechen suchte Dante unter den Zuhoerern den vornehmen +Kleriker, der sich hinter seinem Nachbarn verbarg. + +"--waren zwei brennende, hohle Augen, welche durch eine Luke in der +Mauer auf ihn und das Weib an seiner Seite starrten. Diese Augen +gehoerten einer unseligen Kreatur, einem verlorenen Moench, namens +Serapion, welcher sich, Seele und Leib, im Kloster verzehrte. Mit +seiner voreiligen Einbildungskraft hatte dieser auf der Stelle +begriffen, dass sein Mitbruder Astorre zum laengsten nach der Regel des +heiligen Franziskus gedarbt und gefastet habe und beneidete ihn rasend +um den ihm von der Laune des Todes zugeworfenen Besitz weltlicher +Gueter und Freuden. Er lauerte auf den Heimkehrenden, um die Mienen +desselben zu erforschen und darin zu lesen, was Astorre ueber sich +beschlossen haette. Seine Blicke verschlangen das Weib und hafteten an +ihren Stapfen." + +Astorre lenkte die Schritte und die seiner Schwaegerin auf einen +kleinen, von vier Stadtburgen gebildeten Platz und trat mit ihr in das +tiefe Tor der vornehmsten. Auf einer Steinbank im Hof erblickte er +zwei Ruhende, einen vom Wirbel zur Zehe gepanzerten, blutjungen +Germanen und einen greisen Sarazenen. Der hingestreckte Deutsche +hatte seinen schlummernden rotblonden Krauskopf in den Schoss des +sitzenden Unglaeubigen gelegt, der, ebenfalls schlummernd, mit seinem +schneeweissen Barte vaeterlich auf ihn niedernickte. Die zwei gehoerten +zur Leibwache Ezzelins, welche sich in Nachahmung derjenigen seines +Schwiegers, des Kaisers Friedrich, aus Deutschen und Sarazenen zu +gleichen Teilen zusammensetzte. Der Tyrann war im Palaste. Er mochte +es fuer seine Pflicht gehalten haben, den alten Vicedomini zu besuchen. +In der Tat vernahmen Astorre und Diana schon auf der Wendeltreppe das +Gespraech, welches Ezzelin in kurzen, ruhigen Worten, der Alte dagegen, +der gaenzlich ausser sich zu sein schien, mit schreiender und +scheltender Stimme fuehrte. Moench und Weib blieben am Eingang des +Saales unter dem bleichen Gesinde stehen. Die Diener zitterten an +allen Gliedern. Der Greis hatte sie mit den heftigsten Verwuenschungen +ueberhaeuft und dann mit geballten Faeusten weggejagt, weil sie ihm +verspaetete Botschaft vom Strand gebracht und dieselbe hervorzustottern +sich kaum getraut. Ueberdies hatte dieses Gesinde der gefuerchtete +Schritt des Tyrannen versteinert. Es war bei Todesstrafe verboten, +ihn anzumelden. Unaufgehalten wie ein Geist betrat er Haeuser und +Gemaecher. + +'Und das berichtest du so gelassen, Grausamer', tobte der Alte in +seiner Verzweiflung, 'als erzaehltest du den Verlust eines Rosses oder +einer Ernte? Du hast mir die viere getoetet, niemand anders als du! +Was brauchtest du gerade zu jener Stunde am Strande zu reiten? Was +brauchtest du auf die Brenta hinauszugruessen? Das hast du mir zuleide +getan! Hoerst du wohl?' + +'Schicksal', antwortete Ezzelin. + +'Schicksal?' schrie der Vicedomini. 'Schicksal und Sternguckerei und +Beschwoerungen und Verschwoerungen und Enthauptungen, von der Zinne auf +das Pflaster sich werfende Weiber und hundert pfeildurchbohrte +Juenglinge vom Ross sinkend in deinen versuchten, waghalsigen Schlachten, +das ist deine Zeit und Regierung, Ezzelin, du Verfluchter und +Verdammter! Uns alle ziehst du in deine blutigen Gleise, alles Leben +und Sterben wird neben dir gewaltsam und unnatuerlich, und niemand +endet mehr als reuiger Christ in seinem Bett!' + +'Du tust mir unrecht', versetzte der andere. Ich zwar habe mit der +Kirche nichts zu schaffen. Sie laesst mich gleichgueltig. Aber dich und +deinesgleichen habe ich nie gehindert, mit ihr zu verkehren. Das +weisst du, sonst wuerdest du dich nicht erkuehnen, mit dem Heiligen Stuhl +Briefe zu wechseln. Was drehst du da in deinen Haenden und verbirgst +mir das paepstliche Siegel? Einen Ablass? Ein Breve? Gib her! +Wahrhaftig, ein Breve! Darf ich es lesen? Du erlaubst? Dein Goenner, +der Heilige Vater, schreibt dir, dass, wuerde dein Stamm erloeschen bis +auf deinen Vierten und Letzten, den Moench, dieser ipso facto seiner +Geluebde ledig sei, wenn er aus freiem Willen und eigenem Entschluss in +die Welt zurueckkehre. Schlauer Fuchs, wie viele Unzen Goldes hat dich +dieses Pergament gekostet?' + +'Verhoehnst du mich?' heulte der Alte. Was anderes blieb mir uebrig +nach dem Tod meines Zweiten und Dritten? Fuer wen haette ich gesammelt +und gespeichert? Fuer die Wuermer? Fuer dich? Willst du mich berauben? +... Nein? So hilf mir, Gevatter'--der noch ungebannte Ezzelin hatte +den dritten Knaben Vicedominis aus der Taufe gehoben, denselben, der +sich fuer ihn auf dem Schlachtfeld geopfert--, 'hilf mir den Moench +ueberwinden, dass er wieder weltlich werde und ein Weib nehme, befiehl +es ihm, du Allgewaltiger, gib ihn mir statt des Sohnes, den du mir +geschlachtet hast, halte mir den Daumen, wenn du mich liebst!' + +'Das geht mich nichts an', erwiderte der Tyrann ohne die geringste +Erregung. Das mache er mit sich selbst aus. Freiwillig, sagt das +Breve. Warum sollte er, wenn er ein guter Moench ist, wie ich glaube, +seinen Stand wechseln? Damit das Blut der Vicedomini nicht versiege? +Ist das eine Lebensbedingung der Welt? Sind die Vicedomini eine +Notwendigkeit?' + +Jetzt kreischte der andere in rasender Wut: 'Du Boeser, du Moerder +meiner Kinder! Ich durchblicke dich! Du willst mich beerben und mit +meinem Geld deine wahnsinnigen Feldzuege fuehren!' Da gewahrte er seine +Schwiegertochter, welche vor dem zoegernden Moench durch das Gesinde und +ueber die Schwelle getreten war. Trotz seiner Leibesschwachheit +stuerzte er ihr mit wankenden Schritten entgegen, ergriff und riss ihre +Haende, als wollte er sie zur Verantwortung ziehen fuer das ueber sie +beide gekommene Unheil. 'Wo hast du meinen Sohn, Diana?' keuchte er. + +'Er liegt in der Brenta', antwortete sie traurig, und ihre blauen +Augen dunkelten. + +'Wo meine drei Enkel?' + +'In der Brenta', wiederholte sie. + +'Und dich bringst du mir als Geschenk? Dich behalte ich?' lachte der +Alte misstoenig. + +'Wollte der Allmaechtige', sagte sie langsam, 'mich zoegen die Wellen, +und die andern stuenden hier statt meiner!' + +Sie schwieg. Dann geriet sie in einen jaehen Zorn. 'Beleidigt dich +mein Anblick und bin ich dir ueberlaestig, so halte dich an diesen: er +hat mich, da ich schon gestorben war, an den Haaren gerissen und ins +Leben zurueckgezogen!' + +Jetzt erst erblickte der Alte den Moench, seinen Sohn, und sein Geist +sammelte sich mit einer Kraft und Schnelligkeit, welche der schwere +Jammer eher gestaehlt als gelaehmt zu haben schien. + +'Wirklich? Dieser hat dich aus der Brenta geholt? Hm! Merkwuerdig! +Die Wege Gottes sind doch wunderbar!' + +Er ergriff den Moench an Arm und Schulter, als wollte er sich desselben +Leib und Seele bemaechtigen, und schleppte ihn und sich gegen seinen +Krankenstuhl, auf welchen er hinfiel, ohne den gepressten Arm des nicht +Widerstrebenden freizugeben. Diana folgte und kniete sich auf der +andern Seite des Sessels nieder mit haengenden Armen und gefalteten +Haenden, das Haupt auf die Lehne legend, so dass nur der Knoten ihres +blonden Haares wie ein lebloser Gegenstand sichtbar blieb. Der Gruppe +gegenueber sass Ezzelin, die Rechte auf das gerollte Breve wie auf einen +Feldherrnstab gestuetzt. + +'Soehnchen, Soehnchen', wimmerte der Alte mit einer aus Wahrheit und +List gemischten Zaertlichkeit, 'mein letzter und einziger Trost! Du +Stab und Stecken meines Alters wirst mir nicht zwischen diesen +zitternden Haenden zerbrechen!... Du begreifst', fuhr er in einem +schon trockneren, sachlichen Ton fort, 'dass, wie die Dinge einmal +liegen, deines Bleibens im Kloster nicht laenger sein kann. Ist es +doch kanonisch, nicht wahr, Soehnchen, dass ein Moench, dessen Vater +verarmt oder versiecht, von seinem Prior beurlaubt wird, um das Erbgut +zu bebauen und den Urheber seiner Tage zu ernaehren. Ich aber brauche +dich noch viel notwendiger. Deine Brueder und Neffen sind weg, und +jetzt bist du es, der die Lebensfackel unseres Hauses traegt! Du bist +ein Flaemmchen, das ich angezuendet habe, und mir kann nicht dienen, dass +es in einer Zelle verglimme und verrauche! Wisse eines'--er hatte in +den warmen, braunen Augen ein aufrichtiges Mitgefuehl gelesen, und die +ehrerbietige Haltung des Moenches schien einen blinden Gehorsam zu +versprechen--, 'ich bin kraenker, als du denkst. Nicht wahr, +Isaschar?' Er wendete sich rueckwaerts gegen eine schmale Gestalt, +welche, mit Flaeschchen und Loeffel in den Haenden, durch eine Nebentuer +leise hinter den Stuhl des Alten getreten war und jetzt mit dem +blassen Haupt bestaetigend nickte. Ich fahre dahin, aber ich sage dir, +Astorre: Laesst du mich meines Wunsches ungewaehrt, so weigert sich dein +Vaeterchen, in den Kahn des Totenfuehrers zu steigen, und bleibt +zusammengekauert am Daemmerstrand sitzen!' + +Der Moench streichelte die fiebernde Hand des Alten zaertlich, +antwortete aber mit Sicherheit zwei Worte: 'Meine Geluebde!' + +Ezzelin entfaltete das Breve. + +'Deine Geluebde?' schmeichelte der alte Vicedomini. Lose Stricke! +Durchfeilte Fesseln! Mache eine Bewegung, und sie fallen. Die +heilige Kirche, welcher du Ehrfurcht und Gehorsam schuldig bist, +erklaert sie fuer ungueltig und nichtig. Da steht es geschrieben.' Sein +duerrer Finger zeigte auf das Pergament mit dem paepstlichen Siegel. + +Der Moench naeherte sich ehrerbietig dem Herrscher, empfing die Schrift +und las, von vier Augen beobachtet. Schwindelnd tat er einen Schritt +rueckwaerts, als stuende er auf einer Turmhoehe und saehe das Gelaender +ploetzlich weichen. + +Ezzelin griff dem Wankenden mit der kurzen Frage unter die Arme: 'Wem +hast du dein Geluebde gegeben, Moench? Dir? oder der Kirche?' + +'Natuerlich beiden!' schrie der Alte erbost. 'Das sind verfluchte +Spitzfindigkeiten! Nimm dich vor dem dort in acht, Soehnchen! Er will +uns Vicedomini an den Bettelstab bringen!' Ohne Zorn legte Ezzelin die +Rechte auf den Bart und schwur: 'Stirbt Vicedomini, so beerbt ihn der +Moench hier, sein Sohn, und stiftet--sollte das Geschlecht mit ihm +erloeschen und wenn er mich und seine Vaterstadt lieb hat--ein Hospital +von einer gewissen Ausdehnung und Grossartigkeit, um welches uns die +hundert Staedte'--er meinte die Staedte Italiens--'beneiden sollen. Nun, +Gevatter, da ich mich von dem Vorwurf der Raubgier gereinigt habe, +darf ich an den Moench ein paar weitere Fragen richten? Du gestattest?' + +Jetzt packte den Alten ein solcher Ingrimm, dass er in Kraempfe fiel. +Noch aber liess er den Arm des Moenches, welchen er wieder ergriffen +hatte, nicht fahren. + +Isaschar naeherte den vollen, mit einer stark duftenden Essenz +gefuellten Loeffel vorsichtig den fahlen Lippen. Der Gefolterte wendete +mit einer Anstrengung den Kopf ab. 'Lass mich in Ruhe!' stoehnte er, +'du bist auch der Arzt des Vogts!' und schloss die Augen. + +Der Jude wandte die seinigen, welche glaenzend schwarz und sehr klug +waren, gegen den Tyrannen, als flehe er um Verzeihung fuer diesen +Argwohn. 'Wird er zur Besinnung zurueckkehren?' fragte Ezzelin. + +'Ich glaube', antwortete der Jude. 'Noch lebt er und wird wieder +erwachen, aber nicht fuer lange, fuerchte ich. Diese Sonne sieht er +nicht untergehen.' + +Der Tyrann ergriff den Augenblick, mit Astorre zu sprechen, der um den +ohnmaechtigen Vater beschaeftigt war. + +'Stehe mir Rede, Moench!' sagte Ezzelin und wuehlte--seine +Lieblingsgebaerde--mit den gespreizten Fingern der Rechten in dem +Gewelle seines Bartes. 'Wieviel haben dich die drei Geluebde gekostet, +die du vor zehn und einigen Jahren, ich gebe dir dreissig'--der Moench +nickte--, beschworen hast?' + +Astorre schlug die lautern Augen auf und erwiderte ohne Bedenken: +'Armut und Gehorsam, nichts sonst. Ich habe keinen Sinn fuer Besitz +und gehorche leicht.' Er hielt inne und erroetete. + +Der Tyrann fand ein Wohlgefallen an dieser maennlichen Keuschheit. +'Hat dir dieser hier deinen Stand aufgenoetigt oder dich dazu +beschwatzt?' lenkte er ab. + +'Nein', erklaerte der Moench. Seit lange her, wie der Stammbaum erzaehlt, +wird in unserm Hause von dreien oder vieren der letzte geistlich, sei +es, damit wir Vicedomini einen Fuerbitter besitzen, oder um das Erbe +und die Macht des Hauses zu wahren--gleichviel, der Brauch ist alt und +ehrwuerdig. Ich kannte mein Los, welches mir nicht zuwider war, von +jung an. Mir wurde kein Zwang auferlegt.' + +'Und das dritte?' holte Ezzelin nach--er meinte das dritte Geluebde. +Astorre verstand ihn. + +Mit einem neuen, aber dieses Mal schwachen Erroeten erwiderte er: 'Es +ist mir nicht leicht geworden, doch ich vermochte es wie andere Moenche, +wenn sie gut beraten sind, und das war ich. Von dem heiligen +Antonius', fuegte er ehrfuerchtig hinzu. + +"Dieser verdienstliche Heilige, wie ihr wisst, Herrschaften, hat einige +Jahre bei den Franziskanern in Padua gelebt", erlaeuterte Dante. + +"Wie sollten wir nicht?" scherzte einer unter den Zuhoerern. "Haben +wir doch die Reliquie verehrt, die in dem dortigen Klosterteich +herumschwimmt: ich meine den Hecht, welcher weiland der Predigt des +Heiligen beiwohnte, sich bekehrte, der Fleischspeise entsagte, im +Guten standhielt und jetzt noch in hohem Alter als strenger Vegetarier. +.. " Er verschluckte das Ende des Schwankes, denn Dante hatte gegen +ihn die Stirn gerunzelt. + +'Und was riet er dir?' fragte Ezzelin. 'Meinen Stand einfach zu +fassen, schlecht und recht', berichtete der Moench, als einen +puenktlichen Dienst, etwa wie einen Kriegsdienst, welcher ja auch +gehorsame Muskeln verlangt, und Entbehrungen, die ein wackerer Krieger +nicht einmal als solche fuehlen darf: die Erde im Schweiss meines +Angesichts zu graben, maessig zu essen, maessig zu fasten, weder Maedchen +noch jungen Frauen Beichte zu sitzen, im Angesicht Gottes zu wandeln +und seine Mutter nicht bruenstiger anzubeten, als das Breviarium +vorschreibt.' + +Der Tyrann laechelte. Dann streckte er die Rechte gegen den Moench aus, +ermahnend oder segnend, und sprach: 'Gluecklicher! Du hast einen Stern! +Dein Heute entsteht leicht aus deinem Gestern und wird unversehens +zu deinem Morgen! Du bist etwas und nichts Geringes; denn du uebst das +Amt der Barmherzigkeit, das ich gelten lasse, wiewohl ich ein anderes +bekleide. Wuerdest du in die Welt treten, die ihre eigenen Gesetze +befolgt, welche zu lernen es fuer dich zu spaet ist, so wuerde dein +klarer Stern zum laecherlichen Irrwisch und zerplatzte zischend nach +ein paar albernen Spruengen unter dem Hohn der Himmlischen! + +Noch eines, und dies rede ich als der, welcher ich bin: der Herr von +Padua. Dein Wandel war meinem Volk eine Erbauung, ein Beispiel der +Entsagung. Der Aermste getroestete sich deiner, den er seine karge Kost +und sein hartes Tagewerk teilen sah. Wirfst du die Kutte weg, freiest +du, ein Vornehmer, eine Vornehme, schoepfst du mit vollen Haenden aus +dem Reichtum deines Hauses, so begehst du Raub an dem Volk, welches +dich als einen seinesgleichen in Besitz genommen hat, du machst mir +Unzufriedene und Ungenuegsame, und entstaende daraus Zorn, Ungehorsam, +Empoerung, mich sollte es nicht wundern. Die Dinge verketten sich! + +Ich und Padua koennen dich nicht entbehren! Mit deiner schoenen und +ritterlichen Gestalt stichst du der Menge in die Augen und hast auch +mehr oder wenigstens einen edlern Mut als deine baeurischen Brueder. +Wenn das Volk nach seiner rasenden Art diesen hier'--er deutete auf +Isaschar--'ermorden will, weil er ihm Hilfe bringt, was dem Juden in +der letzten Pestzeit--wenig fehlte--geschehen waere, wer verteidigt ihn, +wie du tatest, gegen die wahnsinnige Menge, bis ich da bin und Halt +gebiete? + +Isaschar, hilf mir den Moench ueberzeugen!' wendete sich Ezzelin gegen +den Arzt mit einem grausamen Laecheln. Schon deinetwegen darf er sich +nicht entkutten!' + +'Herr', lispelte dieser, unter deinem Zepter wird sich die +unvernuenftige Szene, welche du so gerecht wie blutig gestraft hast, +kaum wiederholen, und meinethalb, dessen Glaube die Dauer des Stammes +als Gottes hoechsten Segen preist, darf der Erlauchte'--so und schon +nicht mehr den Ehrwuerdigen nannte er den Moench--nicht unvermaehlt +bleiben.' + +Ezzelin laechelte ueber die Feinheit des Juden. 'Und wohin gehen deine +Gedanken, Moench?' fragte er. + +'Sie stehen und beharren! Doch ich wollte--Gott verzeihe mir die +Suende--, der Vater erwachte nicht mehr, dass ich nicht hart gegen ihn +sein muss! Haette er nur schon die Zehrung empfangen!' Er kuesste heftig +die Wange des Ohnmaechtigen, welcher darueber zur Besinnung kam. + +Der wieder Belebte tat einen schweren Seufzer, hob die mueden +Augenlider und richtete aus dem grauen Gebuesch seiner haengenden Brauen +einen Blick des Flehens auf den Moench. 'Wie steht's?' fragte er. Was +hast du ueber mich verhaengt, Geliebtester? Himmel oder Hoelle?' + +'Vater', bat Astorre mit bewegter Stimme, deine Zeit ist um! Dein +Stuendlein ist gekommen! Entschlage dich der weltlichen Dinge und +Sorgen! Denke an die Seele! Siehe, deine Priester'--er meinte die +der Pfarrkirche--'sind nebenan versammelt und harren mit den +hochheiligen Sterbesakramenten.' + +Es war so. Die Tuer des Nebengemaches hatte sich sachte geoeffnet, aus +demselben schimmerte schwaches, in der Tageshelle kaum sichtbares +Kerzenlicht, ein Chor praeludierte gedaempft, und das leise Schuettern +eines Gloeckchens wurde hoerbar. + +Jetzt klammerte sich der Alte, der seine Knie schon in die kalte Flut +der Lethe versinken fuehlte, an den Moench, wie weiland Sankt Petrus auf +dem See Genezareth an den Heiland. 'Du tust es mir!' lallte er. + +'Koennte ich! Duerfte ich!' seufzte der Moench. 'Bei allen Heiligen, +Vater, denke an die Ewigkeit! Lass das Irdische! Deine Stunde ist da!' + +Diese verhallte Weigerung entzuendete das letzte Leben des Vicedomini +zur lodernden Flamme. 'Ungehorsamer! Undankbarer!' zuernte er. + +Astorre winkte den Priestern. + +'Bei allen Teufeln', raste der Alte, 'lasst mich zufrieden mit eurem +Geknete und Gesalbe! Ich habe nichts zu verspielen, ich bin schon ein +Verdammter und bliebe es mitten im himmlischen Reigen, wenn mein Sohn +mich mutwillig verstoesst und meinen Lebenskeim verdirbt!' + +Der entsetzte Moench, durch dieses grause Laestern im Tiefsten +erschuettert, sah seinen Vater unwiderruflich der ewigen Unseligkeit +anheimfallen. So meinte er und war fest davon ueberzeugt, wie ich es +an seiner Stelle auch gewesen waere. Er warf sich vor dem Sterbenden +in dunkler Verzweiflung auf die Knie und flehte unter stuerzenden +Traenen: 'Herr, ich beschwoere Euch, habt Erbarmen mit Euch und mit mir!' + +'Lass den Schlaukopf seiner Wege gehen!', raunte der Tyrann. Der Moench +vernahm es nicht. + +Wieder gab er den erstaunten Priestern ein Zeichen, und die +Sterbelitanei wollte beginnen. + +Da kauerte sich der Alte zusammen wie ein trotziges Kind und +schuettelte das graue Haupt. + +'Lass den Arglistigen seine Strasse ziehen!' mahnte Ezzelin lauter. +--'Vater, Vater!' schluchzte der Moench, und seine Seele zerfloss in +Mitleid. + +'Erlauchter Herr und christlicher Bruder', fragte jetzt ein Priester +mit unsicherer Stimme, seid Ihr in der Verfassung, Euern Schoepfer und +Heiland zu empfangen?' + +Der Alte schwieg. + +'Steht Ihr fest im Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit? Antwortet +mir, Herr!' fragte der Geistliche zum andern Male und wurde bleich wie +ein Tuch, denn: 'Geleugnet und gelaestert sei sie!' rief der Sterbende +mit starker Stimme, gelaestert und--' + +'Nicht weiter!' schrie der Moench und war aufgesprungen. 'Ich bin Euch +zu Willen, Herr! Machet mit mir, was Ihr wollt! Nur dass Ihr Euch +nicht in die Flammen stuerzet!' + +Der Alte seufzte wie nach einer schweren Anstrengung. Dann blickte er +erleichtert, ich haette fast gesagt vergnuegt, um sich. Er ergriff mit +tastender Hand den blonden Schopf Dianas, zog das sich von den Knien +erhebende Weib in die Hoehe, nahm ihre Hand, die sich nicht weigerte, +oeffnete die gekrampfte des Moenches und legte beide zusammen. + +'Gueltig! vor dem hochheiligen Sakrament!' frohlockte er und segnete +das Paar. Der Moench widersprach nicht, und Diana schloss die Augen. + +'Jetzt rasch, ehrwuerdige Vaeter?' draengte der Alte, 'es eilt, wie ich +meine, und ich bin in christlicher Verfassung.' + +Der Moench und seine Braut wollten hinter die priesterliche Schar +zuruecktreten. 'Bleibt', murmelte der Sterbende, 'bleibt, dass euch +meine getroesteten Augen zusammen sehen, bis sie brechen!' Astorre und +Diana, kaum einige Schritte zurueckweichend, mussten mit vereinigten +Haenden vor dem erloeschenden Blick des hartnaeckigen Greises verharren. + +Dieser murmelte eine kurze Beichte, empfing die letzte Zehrung und +verschied, waehrend sie ihm die Sohlen salbten und der Priester den +schon tauben Ohren jenes grossartige: 'Brich auf, christliche Seele!' +zurief. Das gestorbene Antlitz trug den deutlichen Ausdruck +triumphierender List. + +Der Tyrann hatte, waehrend ringsum alles auf den Knien lag, die heilige +Handlung sitzend und mit ruhiger Aufmerksamkeit betrachtet, etwa wie +man eine fremde Sitte beschaut oder wie ein Gelehrter das auf einem +Sarkophag abgebildete Opfer eines alten Volkes besichtigt. Er naeherte +sich dem Toten und drueckte ihm die Augen zu. + +Dann wendete er sich gegen Diana. 'Edle Frau', sagte er, 'ich denke, +wir gehen nach Hause. Eure Eltern, wenn auch von Eurer Rettung +unterrichtet, werden nach Euch verlangen. Auch tragt Ihr ein Gewand +der Niedrigkeit, das Euch nicht kleidet.' + +'Fuerst, ich danke und folge Euch', erwiderte Diana, liess aber ihre +Hand in der des Moenches ruhen, dessen Blick sie bis jetzt gemieden +hatte. Nun schaute sie dem Gatten voll ins Gesicht und sprach mit +einer tiefen, aber wohlklingenden Stimme, waehrend ihre Wangen sich mit +dunkler Glut bedeckten: 'Mein Herr und Gebieter, wir durften die Seele +des Vaters nicht umkommen lassen. So wurde ich Euer. Haltet mir +bessere Treue als dem Kloster. Euer Bruder hat mich nicht geliebt. +Vergebet mir, wenn ich so rede: ich sage die einfache Wahrheit. Ihr +werdet an mir ein gutes und gehorsames Weib besitzen. Doch habe ich +zwei Eigenschaften, welche Ihr schonen muesst. Ich bin jaehzornig, wenn +man mir Recht oder Ehre antastet, und darin peinlich, dass man mir +nichts versprechen darf, ohne es zu halten. Schon als Kind habe ich +das schwer oder nicht gelitten. Ich bin von wenig Wuenschen und +verlange nichts ueber das Alltaegliche hinaus; nur wo mir einmal etwas +gezeigt und zugesagt wurde, da bedarf ich der Erfuellung, sonst +verliere ich den Glauben und kraenke mich schwerer als andere Frauen +ueber das Unrecht. Doch wie darf ich so zu Euch reden, mein Herr und +Gebieter, den ich kaum kenne? Lasst mich verstummen. Lebt wohl, mein +Gemahl, und gebt mir neun Tage, Euern Bruder zu betrauern.' Jetzt +loeste sie langsam die Hand aus der seinigen und verschwand mit dem +Tyrannen. + +Inzwischen hatte die geistliche Schar den Leichnam weggehoben, um ihn +in der Hauskapelle aufzubahren und einzusegnen. + +Astorre stand allein in seinem verscherzten Moenchsgewande, welches +eine von Reue erfuellte Brust bedeckte. Ein Heer von Dienern, das den +seltsamen Vorgang belauscht und genuegend begriffen hatte, naeherte sich +in unterwuerfigen Stellungen und mit furchtsamen Gebaerden seinem neuen +Herrn, verbluefft und eingeschuechtert weniger noch durch den Wechsel +der Herrschaft als durch das vermeintliche Sakrilegium der gebrochenen +Geluebde--das leise gelesene Breve war nicht zu ihren Ohren +gelangt--und durch die Verweltlichung des ehrwuerdigen Moenches. Diesem +gelang es nicht, seinen Vater zu betrauern. Ihn beschlich, jetzt da +er seines Willens wieder maechtig war, der Argwohn, was sage ich, ihn +ueberkam die empoerende Gewissheit, dass ein Sterbender seinen guten +Glauben betrogen und seine Barmherzigkeit missbraucht habe. Er +entdeckte in der Verzweiflung des Alten den Schlupfwinkel der List und +in der wilden Laesterung das berechnete Spiel an der Schwelle des Todes. +Unwillig, fast feindselig wandte sich sein Gedanke gegen das ihm +zugefallene Weib. Ihn versuchte der verzwickte moenchische Einfall, +dasselbe nicht aus eigenem Herzen, sondern nur als Stellvertreter +seines entseelten Bruders zu lieben; aber sein gesunder Sinn und sein +redliches Gemuet verwarfen die schmaehliche Auskunft. Da er sie nun als +die Seinige betrachtete, erwehrte er sich einer gewissen Verwunderung +nicht, dass ihm sein Weib mit so buendiger Rede und harter +Wahrheitsliebe entgegengetreten und so sachlich mit ihm sich +auseinandergesetzt habe, ohne Schleier und Wolke, eine viel derbere +und wirklichere Gestalt als die zarten Erscheinungen der Legende. Er +hatte sich die Frauen weicher gedacht. + +Jetzt gewahrte der Moench ploetzlich sein Ordenskleid und den +Widerspruch seiner Gefuehle und Betrachtungen mit demselben. Er +schaemte sich vor seiner Kutte, und sie wurde ihm laestig. 'Gebt mir +weltliches Gewand!' befahl er. Geschaeftige Diener umringten ihn, aus +welchen er bald in der Tracht seines ertrunkenen Bruders, mit dem er +ungefaehr von gleichem Wuchs war, hervortrat. + +In demselben Augenblick warf sich ihm der Narr seines Vaters, mit +Namen Gocciola, zu Fuessen und huldigte ihm, nicht um wie die andern +Verlaengerung seines Dienstes sich zu erbitten, sondern seinen Abschied +und die Erlaubnis, den Stand zu wechseln, denn er sei der Welt +ueberdruessig, seine Haare ergrauten und es stuende ihm schlecht an, mit +der laeutenden Schellenkappe ins Jenseits zu gehen. Mit diesen +weinerlichen Worten bemaechtigte er sich der abgeworfenen Kutte, welche +das Gesinde zu beruehren sich gescheut hatte. Aber sein buntscheckiges +Gehirn schlug einen Purzelbaum, und er fuegte luestern bei: 'Einmal +moechte ich noch Amarellen essen, ehe ich der Welt und ihren +Taeuschungen Valet sage! Hochzeit laesst hier nicht auf sich warten, wie +ich glaube.' Er beleckte sich die Maulwinkel mit seiner fahlen Zunge. +Dann bog er ein Knie vor dem Moench, schuettelte seine Schellen und +entsprang, die Kutte hinter sich herschleifend. + +"Amarelle oder Amare", erlaeuterte Dante, "heisst das paduanische +Hochzeitsgebaeck wegen seines bitteren Mandelgeschmackes und zugleich +mit anmutiger Anspielung auf das Verbum der ersten Konjugation." Hier +machte der Erzaehler eine Pause und verschattete Stirn und Augen mit +der Hand, den weitern Gang seiner Fabel uebersinnend. + +Inzwischen trat der Majordom des Fuersten, ein Alsatier namens Burcardo, +mit abgemessenen Schritten, umstaendlichen Buecklingen und weitlaeufigen +Entschuldigungen, dass er die Unterhaltung stoeren muesse, vor Cangrande, +welchen er in irgendeiner haeuslichen Angelegenheit um Befehl bat. +Deutsche waren dazumal an den ghibellinischen Hoefen Italiens keine +eben seltene Erscheinung, ja sie wurden gesucht und den Einheimischen +vorgezogen wegen ihrer Redlichkeit und ihres angebotenen +Verstaendnisses fuer Zeremonien und Gebraeuche. + +Als Dante das Haupt wieder hob, gewahrte er den Elsaesser und hoerte +sein Welsch, das weich und hart beharrlich verwechselte, den Hof +ergoetzend, das feine Ohr des Dichters aber empfindlich beleidigend. +Sein Blick verweilte dann mit sichtlichem Wohlgefallen auf den zwei +Juenglingen, Ascanio und dem bepanzerten Krieger. Zuletzt liess er ihn +sinnend ruhen auf den beiden Frauen, der Herrin Diana, die sich belebt +und deren marmorne Wange sich leicht geroetet hatte, und auf Antiope, +der Freundin Cangrandes, einem huebschen und natuerlichen Wesen. Dann +fuhr er fort: + +"Hinter der Stadtburg der Vicedomini dehnte sich vormals--jetzt, da +das erlauchte Geschlecht laengst erloschen ist, hat sich jener Platz +voellig veraendert--ein geraeumiger Bezirk bis an den Fuss der festen und +breiten Stadtmauer aus, so geraeumig, dass er Weideplaetze fuer Herden, +Gehege fuer Hirsche und Rehe, mit Fischen gefuellte Teiche, tiefe +Waldschatten und sonnige Weinlauben enthielt. An einem leuchtenden +Morgen, sieben Tage nach der Totenfeier, sass im schwarzen Schatten +einer Zeder, den Ruecken an den Stamm gelehnt und die Schnaebel seiner +Schuhe in das brennende Sonnenlicht streckend, der Moench Astorre; denn +diesen Namen behielt er unter den Paduanern, obwohl er weltlich +geworden war, waehrend seines kurzen Wandels auf der Erde. Er sass oder +lag einem Brunnen gegenueber, der aus dem Mund einer gleichgueltigen +Maske eine kuehle Flut sprudelte, unfern einer Steinbank, welcher er +das weiche Polster des schwellenden Rasens vorgezogen hatte. + +Waehrend er sann oder traeumte, ich weiss nicht was, sprangen auf dem +beinahe schon mittaeglich uebersonnten Platz vor dem Palast zwei junge +Leute von staubbedeckten Gaeulen, der eine gepanzert, der andere mit +Wahl gekleidet, obschon im Reisegewand. Ascanio und Germano, so +hiessen die Reiter, waren die Guenstlinge des Vogtes und zugleich die +Jugendgespielen des Moenches, mit welchen er bruederlich gelernt und +sich ergoetzt hatte bis zu seinem fuenfzehnten Jahr, dem Beginn seines +Noviziates. Ezzelin hatte sie an seinen Schwieger, Kaiser Friedrich, +gesendet." + +Dante hielt inne und verneigte sich vor dem grossen Schatten. + +"Mit beantworteten Auftraegen kehrten die zwei zu dem Tyrannen zurueck, +welchem sie noch ueberdies die Neuigkeit des Tages mitbrachten: eine in +der kaiserlichen Kanzlei verfertigte Abschrift des an den christlichen +Klerus gerichteten Hirtenbriefes, worin der Heilige Vater den +geistvollen Kaiser vor dem Angesicht der Welt der aeussersten +Gottlosigkeit anklagt. + +Obwohl mit wichtigen, vielleicht Eile heischenden Auftraegen und dem +unheilschweren Dokument betraut, brachten die beiden es nicht ueber +sich, an dem Heim ihres Jugendgespielen vorbei nach dem Stadtturm des +Tyrannen zu sprengen. Sie hatten in der letzten Herberge vor Padua, +wo sie, ohne den Buegel zu verlassen, ihre Pferde fressen und saufen +liessen, von dem geschwaetzigen Schenkwirt das grosse Stadtunglueck und +das groessere Stadtaergernis, den Untergang der Hochzeitsbarke und die +weggeschleuderte Kutte des Moenches, erfahren, so ziemlich mit allen +Umstaenden, ohne die vereinigten Haende Dianas und Astorres jedoch, +welche noch nicht offenbar geworden waren. Unzerstoerliche Bande, die +uns an die Gespielen unserer Kindheit fesseln! Von dem seltsamen +Schicksal Astorres betroffen, konnten die beiden keine Ruhe finden, +bis sie ihn mit Augen gesehen, den Wiedergewonnenen. Waehrend langer +Jahre waren sie nur dem Moench begegnet, zufaellig auf der Strasse, ihn +mit einem zwar freundlichen, aber durch aufrichtige Ehrfurcht +vertieften und etwas fremden Kopfnicken begruessend. + +Gocciola, den sie im Hofe des Palastes fanden, wie er mit einer Semmel +beschaeftigt auf einem Maeuerlein sass und die Beine baumeln liess, fuehrte +sie in den Garten. Ihnen voranwandelnd, unterhielt der Narr die +Juenglinge nicht von dem tragischen Schicksal des Hauses, sondern nur +von seinen eigenen Angelegenheiten, welche ihm als das weit Wichtigere +erschienen. Er erzaehlte, dass er bruenstig nach einem seligen Ende +strebe, und verschluckte darueber den Rest der Semmel, ohne ihn mit +seinen wackligen Zaehnen gekaut zu haben, so dass er fast daran +erstickte. Ueber die Gesichter, die er schnitt, und ueber seine +Sehnsucht nach der Zelle brach Ascanio in ein so lustiges Gelaechter +aus, dass er damit den Himmel entwoelkte, wenn dieser heute nicht schon +aus eigener Freude in leuchtenden Farben geschwelgt haette. + +Ascanio versagte sich nicht, das Troepfchen zu foppen, schon um den +laestigen Begleiter loszuwerden. 'Aermster', begann er, 'du wirst +die Zelle nicht erreichen, denn, unter uns, im tiefsten Vertrauen, +mein Ohm, der Tyrann, hat ein begehrliches Auge auf dich geworfen. +Lass dir sagen: Er besitzt vier Narren, den Stoiker, den Epikuraeer, den +Platoniker, den Skeptiker, wie er sie benennt. Diese vier stellen +sich, wann der Ernste spassen will, auf seinen Wink in die vier Ecken +eines Saales, an dessen Woelbung der gestirnte Himmel und die +Planetenbilder prangen. Der Ohm, im Hauskleid, tritt in die Mitte des +Raumes, klatscht in die Haende, und die Philosophen wechseln hopsend +die Winkel. Vorgestern ist der Stoiker heulend und winselnd +draufgegangen, weil der Unersaettliche viele Pfunde Nudeln auf einmal +verschlang. Der Ohm hat mir fluechtig angedeutet, er gedenke ihn zu +ersetzen und werde sich von dem Moench, deinem neuen Herrn, als +Erbsteuer dich, o Gocciola, erbitten. So steht es. Ezzelin fahndet +nach dir. Wer weiss, ob er nicht hinter dir geht.' Dies war eine +Anspielung auf die Allgegenwart des Tyrannen, welche die Paduaner in +Furcht und bestaendigem Zittern hielt. Gocciola stiess einen Schrei aus, +als falle die Hand des Gewaltigen auf seine Schulter, blickte sich um, +und obwohl niemand hinter ihm ging als sein kurzer Schatten, +fluechtete er sich zaehneklappernd in irgendein Versteck." + +"Ich streiche die Narren Ezzelins", unterbrach Dante mit einer +griffelhaltenden Gebaerde, als schriebe er seine Fabel, statt sie zu +sprechen, wie er tat. "Der Zug ist unwahr, oder dann log Ascanio. Es +ist durchaus undenkbar, dass ein so ernster und urspruenglich edler +Geist wie Ezzelin Narren gefuettert und sich an ihrem Bloedsinn ergoetzt +habe." Diesen geraden Stich fuehrte der Florentiner gegen seinen +Gastfreund, auf dessen Mantel Gocciola sass, den Dichter angrinsend. + +Cangrande tat nicht dergleichen. Er versprach sich im stillen, bei +erster Gelegenheit mit Wucher heimzuzahlen. + +Befriedigt, fast heiter setzte Dante seine Erzaehlung fort. + +"Endlich entdeckten die beiden den entmoenchten Moench, welcher, wie +gesagt, den Ruecken an den Stamm einer Pinie lehnte--" + +"An den Stamm einer Zeder, Dante", verbesserte die aufmerksam +gewordene Fuerstin. + +"--einer Zeder lehnte und sich die Fussspitzen sonnte. Er bemerkte die +sich ihm von beiden Seiten Naehernden nicht, so tief war er in sein +leeres oder volles Traeumen versunken. Jetzt bueckte sich der +mutwillige Ascanio nach einem Grashalm, brach denselben und kitzelte +damit die Nase des Moenches, dass dieser dreimal kraeftig nieste. +Astorre ergriff freundlich die Haende seiner Jugendgespielen und zog +sie rechts und links neben sich auf den Rasen nieder. 'Nun, was sagt +ihr dazu?' fragte er in einem Ton, der eher schuechtern als +herausfordernd klang. + +'Zuerst mein aufrichtiges Lob deines Priors und deines Klosters!' +scherzte Ascanio. 'Sie haben dich frisch bewahrt. Du schaust +jugendlicher als wir beide. Freilich, die knappe weltliche Tracht und +das glatte Kinn moegen dich auch verjuengen. Weisst du, dass du ein +schoener Mann bist? Du liegst unter deiner Riesenzeder gleich dem +ersten Menschen, den Gott, wie die Gelehrten behaupten, als einen +Dreissigjaehrigen erschuf, und ich', fuhr er mit einer unschuldigen +Miene fort, da er den Moench ueber seinen Mutwillen erroeten sah, 'bin +wahrlich der letzte, dich zu tadeln, dass du dich aus der Kutte +befreitest, denn sein Geschlecht zu erhalten, ist der Wunsch alles +Lebenden.' + +'Es war nicht mein Wunsch noch freier Entschluss', bekannte der Moench +wahrhaft. Widerstrebend tat ich den Willen eines sterbenden Vaters.' + +'Wirklich?' laechelte Ascanio. Erzaehle das niemandem, Astorre, als uns, +die dich lieben. Andern wuerde dich diese Unselbstaendigkeit +laecherlich oder gar veraechtlich machen. Und, weil wir vom +Laecherlichen reden, gib acht, ich bitte dich, Astorre, dass du den +Menschen aus dem Moench entwickelst, ohne den guten Geschmack zu +beleidigen! Der heikle Uebergang will sorgfaeltig geschont und +abgestuft sein. Nimm Rat an! Du reisest ein Jaehrchen, zum Beispiel +an den Hof des Kaisers, von wo nach Padua und zurueck die Boten nicht +zu laufen aufhoeren. Du laesst dich von Ezzelin nach Palermo senden! +Dort lernst du neben dem vollkommensten Ritter und dem +vorurteilslosesten Menschen--ich meine unsern zweiten Friedrich--auch +die Weiber kennen und gewoehnst dir die Moenchsart ab, sie zu vergoettern +oder geringzuschaetzen. Das Gemuet des Herrschers faerbt Hof und Stadt. +Wie das Leben hier in Padua geworden ist unter meinem Ohm, dem +Tyrannen, wild und uebertrieben und gewalttaetig, gibt es dir ein +falsches Weltbild. Palermo, wo sich unter dem menschlichsten aller +Herrscher Spiel und Ernst, Tugend und Lust, Treue und Unbestand, guter +Glaube und kluges Misstrauen in den richtigen Verhaeltnissen mischen, +bietet das wahrere. Dort vertaendelst du den Reigen eines Jahres mit +unsern Freundinnen und Feindinnen in erlaubter oder laesslicher +Weise'--der Moench runzelte die Stirn--, 'machst etwa einen Feldzug mit, +ohne jedoch unbesonnen dich auszusetzen--denke an deine Bestimmung--, +nur dass du dich wieder erinnerst, wie Pferd und Klinge gefuehrt +werden--als Knabe verstandest du das--, behaeltst deine muntern braunen +Augen, die--bei der Fackel der Aurora!--leuchten und spruehen, seit du +das Kloster verlassen hast, ueberall offen und kehrst uns als ein Mann +zurueck, der sich und andere besitzt.' + +'Er muss dort beim Kaiser eine Schwaebin heiraten', riet der Gepanzerte +gutmuetig. 'Sie sind froemmer und verlaesslicher als unsere Weiber.' + +'Schweigst du wohl?' drohte ihm Ascanio mit dem Finger. 'Mache mir +keine Langeweile mit semmelblonden Zoepfen!' Der Moench aber drueckte die +Rechte Germanos, welche er noch nicht hatte fahren lassen. + +'Aufrichtig, Germano', forschte er, was sagst du dazu?' 'Wozu?' fragte +dieser barsch. + +'Nun, zu meinem neuen Stand?' + +'Astorre, mein Freund', antwortete der Schnurrbaertige etwas verlegen, +'ist es getan, fragt man nicht mehr herum nach Beirat und Urteil. Man +behauptet sich, wo man steht. Willst du aber meine Meinung durchaus +wissen, nun, schau, Astorre, verletzte Treue, gebrochenes Wort, +Fahnenflucht und so weiter, dem gibt man in Germanien grobe Namen. +Natuerlich bei dir ist's etwas ganz anderes, das laesst sich gar nicht +vergleichen--und dann der sterbende Vater--Astorre, mein lieber Freund, +du hast ganz huebsch gehandelt, nur waere das Gegenteil noch huebscher +gewesen. Das ist meine Meinung', schloss er treuherzig. + +'So haettest du mir, waerest du dagewesen, die Hand deiner Schwester +verweigert, Germano?' + +Dieser fiel aus den Wolken. 'Die Hand meiner Schwester? der Diana? +Derselben, die deinen Bruder betrauert?' 'Derselben. Sie ist meine +Verlobte.' + +'O herrlich!' rief jetzt der weltkluge Ascanio, und 'Erfreulich!' fiel +Germano bei. 'Lass dich umarmen, Schwager!' Der Gepanzerte hatte trotz +seiner Geradheit gute Lebensart. Aber er unterdrueckte einen Seufzer. +So herzlich er die herbe Schwester achtete, dem Moench, wie dieser +neben ihm sass, haette er, nach seinem natuerlichen Gefuehl, ein anderes +Weib gegeben. + +So drehte er den Schnurrbart und Ascanio das Steuerruder des +Gespraeches. 'Eigentlich, Astorre',--plauderte der Heitere, 'muessen +wir damit anfangen, uns wieder kennenzulernen; nicht weniger als deine +fuenfzehn beschaulichen Klosterjahre liegen zwischen unserer Kindheit +und heute. Nicht dass wir inzwischen unser Wesen geaendert haetten, wer +aendert es? Doch wir haben uns ausgewachsen. Dieser zum Beispiel'--er +deutete gegen Germano--freut sich jetzt eines schoenen Waffenruhmes; +aber ich habe ihn zu verklagen, dass er ein halber Deutscher geworden +ist. Er'--Ascanio kruemmte den Arm, als leere er den Becher--'und +hernach wird er tiefsinnig oder haendelsuechtig. Auch verachtet er +unser suesses Italienisch: Ich werde deutsch mit euch reden! prahlt er +und brummt die Baerenlaute einer unmenschlichen Sprache. Dann +erbleicht sein Gesinde, seine Glaeubiger fliehen und unsere +Paduanerinnen kehren ihm die stattlichen Ruecken zu. Dergestalt ist er +vielleicht so jungfraeulich geblieben wie du, Astorre', und er legte +dem Moench traulich die Hand auf die Schulter. + +Germano lachte herzlich und erwiderte, auf Ascanio zeigend: 'Und +dieser hier hat seine Bestimmung gefunden, indem er der perfekte +Hoefling wurde.' + +'Da irrst du dich, Germano', widersprach der Guenstling Ezzelins. +Meine Bestimmung war, das Leben leicht und heiter zu geniessen.' Und +zum Beweise dessen rief er freundlich gebietend das Kind des Gaertners +herbei, das er in einiger Entfernung sich vorueberstehlen und nach +seiner neuen Herrschaft, dem Moenche, schielen sah. Das huebsche Ding +trug einen mit Trauben und Feigen ueberhaeuften Korb auf dem lachenden +Haupte und schaute eher schelmisch als schuechtern. Ascanio war +aufgesprungen. Er legte die Linke um die schlanke Seite des Maedchens +und holte sich mit der Rechten aus dem Korb eine Traube. Zugleich +suchte sein Mund die schwellenden Lippen. 'Mich duerstet', sagte er. +Das Maedchen tat schaemig, hielt aber stille, weil es seine Fruechte +nicht verschuetten wollte. Unmutig wendete sich der Moench von den zwei +Leichtsinnigen ab, und das erschreckende Dirnchen entrann, da es die +harte moenchische Gebaerde erblickte, den Pfad ihrer Flucht mit +rollenden Fruechten bestreuend. Ascanio, der seine Traube in der Hand +hielt, hob hinter den fluechtigen Stapfen noch zwei andere auf, deren +eine er Germano bot, welcher aber die ungekelterte veraechtlich ins +Gras warf. Die andere reichte der Mutwillige dem Moench, der sie eine +Weile ebenfalls unberuehrt liess, dann aber gedankenlos eine saftige +Beere und bald noch eine zweite und die dritte kostete. + +'Ein Hoefling?' fuhr Ascanio fort, der sich, belustigt durch die +Zimperlichkeit des dreissigjaehrigen Moenches, wieder neben ihn auf den +Rasen geworfen hatte. 'Glaube das nicht, Astorre! Glaube das +Gegenteil! Ich bin der einzige, welcher meinem Ohm leise, aber +verstaendlich zuredet, dass er nicht unbarmherzig werde, dass er ein +Mensch bleibe.' + +'Er ist nur gerecht und sich selbst getreu!' meinte Germano. 'Ueber +seine Gerechtigkeit!' jammerte Ascanio, 'und ueber seine Logik! Padua +ist Reichslehen. Ezzelin ist Vogt. Wer ihm missfaellt, lehnt sich +gegen das Reich auf. Hochverraeter werden-'. Er brachte es nicht ueber +die Lippen. 'Abscheulich!' murmelte er. 'Und ueberhaupt: warum duerfen +wir Welsche kein eigenes Leben unter unserer warmen Sonne fuehren? +Warum dieses Nebelphantom des Reiches, das uns den Atem beengt? Ich +rede nicht fuer mich. Ich bin an den Ohm gefesselt. Stirbt der Kaiser, +den Gott erhalte, so wirft sich ganz Italien mit Fluechen und +Verwuenschungen ueber den Tyrannen Ezzelin und den Neffen erwuergen sie +so nebenbei.' Ascanio betrachtete ueber der ueppigen Erde den +strahlenden Himmel und stiess einen Seufzer aus. + +'Uns beide', ergaenzte Germano kaltbluetig. 'Das aber hat Weile. Der +Gebieter besitzt eine feste Prophezeiung. Der Gelehrte Guido Bonatti +und Paul von Bagdad, welcher mit seinem langen Bart den Staub der +Gasse zusammenfegt, haben ihm, so sehr sich die aufeinander +Eifersuechtigen gewoehnlich widersprechen, ein neues seltsames Sternbild +einmuetig folgendergestalt entraetselt: In einer Kuerze oder Laenge wird +ein Sohn der Halbinsel die ungeteilte Krone derselben erringen mit +Hilfe eines germanischen Kaisers, der fuer sein Teil jenseits der +Gebirge alles Deutsche in einen harten Reichsapfel zusammenballt. Ist +Friedrich dieser Kaiser? Ist dieser Koenig Ezzelin? Das weiss Gott, +der Zeit und Stunde kennt, aber der Gebieter hat darauf seinen Ruhm +und unsere Koepfe verwettet.' + +'Geflechte von Vernunft und Wahn!' aergerte sich Ascanio, waehrend der +Moench erstaunte ueber die Macht der Sterne, den weiten Ehrgeiz der +Herrscher und den alles mitreissenden Strom der Welt. Auch erschreckte +ihn das Gespenst der beginnenden Grausamkeit Ezzelins, in welchem der +Unschuldige die verkoerperte Gerechtigkeit gesehen hatte. + +Ascanio beantwortete seine schweigenden Zweifel, indem er fortfuhr: +'Moegen sie beide einen boesen Tod finden, der stirnrunzelnde Guido und +der baertige Heide! Sie verleiten den Ohm, seinen Launen und Luesten zu +gehorchen, indem er das Notwendige zu tun glaubt. Hast du ihm schon +zugeschaut, Germano, wie er bei seinem kargen Mahle in dem +durchsichtigen Kristall des Bechers sein Wasser mit den drei oder vier +blutroten Tropfen Sizilianers faerbt, welche er sich goennt? wie sein +aufmerksamer Blick das Blut verfolgt, das sich langsam woelkt und durch +den lautern Quell verbreitet? oder wie er den Toten die Lider +zuzudruecken liebt, so dass es zur Hoeflichkeit geworden ist, den Vogt +wie zu einem Fest an die Sterbelager zu bitten und ihm diese traurige +Handlung zu ueberlassen? Ezzelin, mein Fuerst, werde mir nicht grausam!' +rief der Juengling aus, von seinem Gefuehl ueberwaeltigt. + +'Ich denke nicht, Neffe', sprach es hinter ihm. Es war Ezzelin, +welcher ungesehen herangetreten war und, obwohl kein Lauscher, den +letzten schmerzlichen Ausruf Ascanios vernommen hatte. + +Die drei Juenglinge erhoben sich rasch und begruessten den Herrscher, der +sich auf die Bank niederliess. Sein Gesicht war ruhig wie die Maske +des Brunnens. + +'Ihr meine Boten', stellte er Ascanio und Germano zur Rede, 'was kam +euch an, diesen hier'--er nickte leicht gegen den Moench--'vor mir +aufzusuchen?' + +'Er ist unser Jugendgespiele und hat Seltsames erfahren', +entschuldigte der Neffe, und Ezzelin liess es gelten. Er empfing die +Briefschaften, die ihm Ascanio, das Knie biegend, ueberreichte. Alles +schob er in den Busen ausser der Bulle. 'Siehe da', sagte er, 'das +Neueste! Lies vor, Ascanio! Du hast juengere Augen als ich.' + +Ascanio rezitierte den apostolischen Brief, waehrend Ezzelin die Rechte +in den Bart vergrub und mit daemonischem Vergnuegen zuhoerte. + +Zuerst gab der dreigekroente Schriftsteller dem geistreichen Kaiser den +Namen eines apokalyptischen Ungeheuers. 'Ich kenne das, es ist +absurd', sagte der Tyrann. 'Auch mich hat der Pontifex in seinen +Briefen ausschweifend betitelt, bis ich ihn ermahnte, mich, welcher +Ezzelin der Roemer heisst, fortan in klassischer Sprache zu schelten. +Wie nennt er mich dieses Mal? Ich bin neugierig. Suche nur die +Stelle, Ascanio--es wird sich eine finden--, wo er meinem Schwieger +seinen boesen Umgang vorhaelt. Gib her!' Er ergriff das Schreiben und +fand bald den Ort: hier beschuldigte der Papst den Kaiser, den Gatten +seiner Tochter zu lieben, 'Ezzelino da Romano, den groessten Verbrecher +der bewohnten Erde.' + +'Korrekt!' lobte Ezzelin und gab Ascanio das Schreiben zurueck. 'Lies +mir die Gottlosigkeiten des Kaisers, Neffe', laechelte er. + +Ascanio las, Friedrich habe geaeussert, es gebe neben vielem Wahn nur +zwei wahre Goetter: Natur und Vernunft. Der Tyrann zuckte die Achseln. + +Ascanio las ferner, Friedrich habe geredet: drei Gaukler, Moses, +Mohammed und--er stockte--haetten die Welt betrogen. 'Oberflaechlich', +tadelte Ezzelin, 'sie hatten ihre Sterne; aber, gesagt oder nicht, der +Spruch graebt sich ein und wiegt fuer den unter der Tiara ein Heer und +eine Flotte. Weiter.' + +Nun kam eine wunderliche Maer an die Reihe: Friedrich haette, durch ein +wogendes Kornfeld reitend, mit seinem Gefolge gescherzt und in +laesterlicher Anspielung auf die heilige Speise den Dreireim zum besten +gegeben: + +So viele Aehren, so viele Goetter sind, Sie schiessen empor in der Sonne +geschwind Und wiegen die goldenen Haeupter im Wind-- + +Ezzelin besann sich. 'Seltsam!' fluesterte er. Mein Gedaechtnis hat +dieses Verschen aufbewahrt. Es ist durchaus authentisch. Der Kaiser +hat es mir mit froehlich lachendem Mund zugerufen, da wir zusammen im +Angesicht der Tempeltruemmer von Enna jene strotzenden Aehrenfelder +durchritten, mit welchen Goettin Ceres die sizilische Scholle gesegnet +hat. Darauf besinne ich mich mit derselben Klarheit, welche an jenem +Sommertag ueber der Insel glaenzte. Ich bin es nicht, der diesen +heitern Scherz dem Pontifex mitgeteilt hat. Dazu bin ich zu ernsthaft. +Wer tat es? Ich mache euch zu Richtern, Juenglinge. Wir ritten zu +dreien, und der dritte--auch dessen bin ich gewiss, wie dieser +leuchtenden Sonne'--sie warf gerade einen Strahl durch das Laub--'war +Petrus de Vinea, der Unzertrennliche des Kaisers. Haette der fromme +Kanzler fuer seine Seele gebangt und sein Gewissen durch einen Brief +nach Rom erleichtert? Reitet ein Sarazene heute? Ja? Rasch, Ascanio. +Ich diktiere dir eine Zeile.' + +Dieser zog Taefelchen und Stift hervor, liess sich auf das rechte Knie +nieder und schrieb, das gebogene linke als Pult gebrauchend: + +'Erhabener Herr und geliebter Schwieger! Ein schnelles Wort. Das +Verschen in der Bulle--Ihr seid zu geistreich, um Euch zu +wiederholen--haben nur vier Ohren gehoert, die meinigen und die Eures +Petrus, in den Kornfeldern von Enna, vor einem Jahr, da Ihr mich an +Euern Hof beriefet und ich mit Euch die Insel durchritt. Kein Hahn +kraeht danach, wenn nicht der im Evangelium, welcher den Verrat des +Petrus bekraeftigte. Wenn Ihr mich und Euch liebet, Herr, so versuchet +Euern Kanzler mit einer scharfen Frage.' + +'Blutiges Wortspiel! Das schreibe ich nicht! Die Hand zittert mir!' +rief der erblassende Ascanio. 'Ich bringe den Kanzler nicht auf die +Folter!' und er warf den Stift weg. + +'Dienstsache', bemerkte Germano trocken, hob den Stift auf und +beendigte das Schreiben, welches er unter seine Eisenhaube schob. Es +laeuft noch heute', sagte er. 'Mir fuer meine einfache Person hat der +Capuaner nie gefallen: er hat einen verhuellten Blick.' + +Der Moench Astorre schauderte zusammen trotz der Mittagssonne. Zum +ersten Male griff der aus dem Klosterfrieden Geschiedene, gleichsam +mit Haenden, wie die schluepfrigen Windungen einer Natter den Argwohn +oder den Verrat der Welt. Aus seinem Brueten weckte ihn ein strenges +Wort Ezzelins, welches dieser an ihn richtete, von seiner Steinbank +sich erhebend. 'Sprich, Moench, warum vergraebst du dich in dein Haus? +Du hast es noch nie verlassen, seit du weltliches Gewand traegst. Du +scheust die oeffentliche Meinung? Tritt ihr entgegen! Sie weicht +zurueck. Machst du aber eine Bewegung der Flucht, so heftet sie sich +an deine Sohle wie eine heulende Meute. Hast du deine Braut Diana +besucht? Die Trauerwoche ist vorueber. Ich rate dir: heute noch lade +deine Sippen, und heute noch vermaehle dich mit Diana!' + +'Und dann rasch mit euch auf dein entlegenstes Schloss!' beendigte +Ascanio. + +'Das rate ich nicht', verbot der Tyrann. 'Keine Furcht. Keine Flucht. +Heute vermaehlst du dich, und morgen haeltst du Hochzeit mit Masken. +Valete!' Er schied, Germano winkend ihm zu folgen." + +"Darf ich unterbrechen?" fragte Cangrande, der hoeflich genug gewesen +war, eine natuerliche Pause der Erzaehlung abzuwarten. + +"Du bist der Herr", versetzte der Florentiner muerrisch. "Traust du +dem unsterblichen Kaiser jenes Wort von den drei grossen Gauklern zu?" + +"Non liquet." + +"Ich meine: in deinem innersten Gefuehl?" + +Dante verneinte mit einer deutlichen Bewegung des Hauptes. "Und doch +hast du ihn als einen Gottlosen in den sechsten Kreis deiner Hoelle +verdammt. Wie durftest du das? Rechtfertige dich!" + +"Herrlichkeit", antwortete der Florentiner, "die Komoedie spricht zu +meinem Zeitalter. Dieses aber liest die fuerchterlichste der +Laesterungen mit Recht oder Unrecht auf jener erhabenen Stirn. Ich +vermag nichts gegen die fromme Meinung. Anders vielleicht urteilen +die Kuenftigen." + +"Mein Dante", fragte Cangrande zum andern Mal, "glaubst du Petrus de +Vinea unschuldig des Verrates an Kaiser und Reich?" + +"Non liquet." + +"Ich meine: in deinem innersten Gefuehl?" Dante verneinte mit derselben +Gebaerde. + +"Und du laesst den Verraeter in deiner Komoedie seine Unschuld beteuern?" + +"Herr", rechtfertigte sich der Florentiner, "werde ich, wo klare +Beweise fehlen, einen Sohn der Halbinsel mehr des Verrates bezichtigen, +da schon so viele Arglistige und Zweideutige unter uns sind?" + +"Dante, mein Dante", sagte der Fuerst, "du glaubst nicht an die Schuld +und du verdammst! Du glaubst an die Schuld und du sprichst frei!" +Dann fuehrte er die Erzaehlung in spielendem Scherz weiter: + +"Auch der Moench und Ascanio verliessen jetzt den Garten und betraten +die Halle." Doch Dante nahm ihm das Wort: + +"Keineswegs, sondern sie stiegen in eine Turmstube, dieselbe, die +Astorre als Knabe mit ungeschorenen Locken bewohnt; denn dieser mied +die grossen und prunkenden Gemaecher, welche er sich erst gewoehnen musste +als sein Eigentum zu betrachten, wie er auch den ihm hinterlassenen +goldenen Hort noch mit keinem Finger beruehrt hatte. Den beiden folgte, +auf einen gebietenden Wink Ascanios, der Majordom Burcardo in +gemessener Entfernung mit steifen Schritten und verdriesslichen Mienen." + +Der gleichnamige Haushofmeister Cangrandes war nach verrichtetem +Geschaeft neugierig lauschend in den Saal zurueckgetreten, denn er hatte +gemerkt, dass es sich um wohlbekannte Personen handle; da er nun sich +selbst nennen hoerte und unversehens und lebensgross im Spiegel der +Novelle erblickte, fand er diesen Missbrauch seiner Ehrenperson +verwegen und durchaus unziemlich im Munde des beherbergten Gelehrten +und geduldeten Fluechtlings, welchem er in gerechter Erwaegung der +Verhaeltnisse und Unterschiede auf dem oberen Stockwerk des fuerstlichen +Hauses eine denkbar einfache Kammer eingeraeumt hatte. Was die andern +laechelnd gelitten, empfand er als ein Aergernis. Er runzelte die +Brauen und rollte die Augen. Der Florentiner weidete sich mit +ernsthaftem Gesicht an der Entruestung des Pedanten und liess sich in +seiner Fabel nicht stoeren. + +"'Wuerdiger Herr', befragte Ascanio den Majordom--habe ich gesagt, dass +dieser von Geburt ein Alsatier war?--'wie heiratet man in Padua? +Astorre und ich sind unerfahrene Kinder in dieser Wissenschaft.' + +Der Haushofmeister warf sich in Positur, starr seinen Herrn anschauend, +ohne Ascanio, der ihm nach seinen Begriffen nichts zu befehlen hatte, +eines Blickes zu wuerdigen. + +'Distinguendum est', sagte er feierlich. 'Es ist auseinanderzuhalten: +Werbung, Vermaehlung und Hochzeit.' + +'Wo steht das geschrieben?' scherzte Ascanio. + +'Ecce!' antwortete der Majordom, indem er ein grosses Buch entfaltete, +das ihn niemals verliess. 'Hier!' und er wies mit dem gestreckten +Finger der linken Hand auf den Titel, welcher lautete: 'Die Zeremonien +von Padova nach genauer Erforschung zu Nutz und Frommen aller Ehrbaren +und Anstaendigen, zusammengestellt von Messer Godoscalco Burcardo.' Er +blaetterte und las: 'Erster Abschnitt: Die Werbung. Paragraph eins. +Der ernsthafte Werber bringt einen Freund gleichen Standes als +gueltigen Zeugen mit--' + +'Bei den ueberfluessigen Verdiensten meines Schutzheiligen', unterbrach +ihn Ascanio ungeduldig, 'lass uns zufrieden mit ante und post, mit +Werbung und Hochzeit, serviere uns das Mittelstueck: wie vermaehlt man +sich in Padua?' + +'In Batova', kraehte der gereizte Alsatier, dessen barbarische +Aussprache in der Gemuetsbewegung noch mehr als gewoehnlich hervortrat, +'werden zu den adeligen Sbosalizien geladen die zwoelf grossen +Geschlechter'--er zaehlte sie aus dem Gedaechtnis her--'zehn Tage voraus, +nicht frueher, nicht spaeter, von dem Majordom des Braeutigams, gefolgt +von sechs Dienern. In dieser erleuchten Versammlung werden die Ringe +gewechselt. Man schluerft Cybrier und verzehrt als Hochzeitsgebaeck die +Amarellen--' + +'Gott gebe, dass wir uns nicht die Zaehne ausreissen!' lachte Ascanio, +und dem Majordom das Buch entreissend, durchlief er die Namen, von +welchen sechs Familienhaeupter--sechs von zwoelfen--und einige Juenglinge +mit breiten Strichen ausgeloescht waren. Sie mochten sich in +irgendeine Verschwoerung gegen den Tyrannen verwickelt und darin den +Untergang gefunden haben. 'Merk auf, Alter!' befahl Ascanio, fuer den +Moench handelnd, welcher in einen Sessel gesunken war und in Gedanken +verloren die freundliche Bevormundung sich gefallen liess. 'Du haeltst +deinen Umgang mit den sechs Tagedieben zur Stunde, jetzt gleich, ohne +Verzug, verstehst du? und ladest auf heute zur Vesperzeit.' 'Zehn Tage +voraus', wiederholte Herr Burcardo majestaetisch, als verkuende er ein +Reichsgesetz. + +'Heute und auf heute, Starrkopf!' + +'Unmoeglich', sprach der Majordom ruhig. Aendert Ihr den Lauf der +Gestirne und Jahreszeiten?' + +'Du rebellierst? Juckt dich der Hals, Alter?' warnte Ascanio mit +einem sonderbaren Laecheln. + +Das genuegte. Herr Burcardo erriet. Ezzelin hatte befohlen, und der +hartnaeckigste der Pedanten fuegte sich ohne Murren, so eisern war die +Rute des Tyrannen. + +'Dann ladest du die beiden Herrinnen Canossa nicht, die Olympia und +die Antiope.' + +'Warum diese nicht?' fragte der Moench ploetzlich, wie von einem +Zauberstab beruehrt. Die Luft faerbte sich vor seinem Blick, und ein +Bild entstand, dessen erster Umriss schon seine ganze Seele fesselte. + +'Weil die Graefin Olympia eine Toerin ist, Astorre. Kennst du die +Geschichte des armen Weibes nicht? Doch du stakest ja damals noch in +den Windeln, will sagen in der Kutte. Es war vor drei Jahren, da die +Blaetter gilbten.' + +'Im Sommer, Ascanio. Eben jaehrt es sich', widersprach der Moench. + +'Du hast recht--kennst du denn die Geschichte? Doch wie solltest du? +Zu jener Zeit munkelte der Graf Canossa mit dem Legaten, wurde +belauscht, ergriffen und verurteilt. Die Graefin tat einen Fussfall vor +dem Ohm, der sich in sein Schweigen huellte. Sie wurde dann auf die +straeflichste Weise von einem habgierigen Kaemmerer getaeuscht, welcher +ihr Gewinnes wegen vorspiegelte, der Graf werde vor dem Block +begnadigt werden. Das ging nicht in Erfuellung, und da man der Graefin +einen Enthaupteten brachte, warf sich ihm die aus der Hoffnung +kopfueber in die Verzweiflung Geschleuderte durch das Fenster entgegen, +wunderbarerweise ohne sich zu verletzen, ausser dass sie sich den Fuss +verstauchte. Aber von jenem Tag an war ihr Geist zerruettet. Wenn +natuerliche Stimmungen sich unmerklich ineinander verlieren wie das +erloeschende Licht in die wachsende Daemmerung, wechseln die ihrigen in +rasendem Umschwung von Hell und Dunkel zwoelfmal in zwoelf Stunden. Von +bestaendiger Unruhe gestachelt, eilt das elende Weib aus ihrem +veroedeten Stadtpalast auf ihr Landgut und aus diesem in die Stadt +zurueck, in ewigem Irrgang. Heute will sie ihr Kind einem Paechterssohn +vermaehlen, weil nur Niedrigkeit Schutz und Frieden gewaehre, morgen +waere ihr der edelste Freier, der uebrigens aus Scheu vor einer solchen +Mutter sich nicht einstellt, kaum vornehm genug--' + +Haette Ascanio, waehrend seine Rede floss, den fluechtigsten Blick auf den +Moench geworfen, er haette staunend innegehalten, denn das Antlitz des +Moenches verklaerte sich vor Mitleid und Erbarmen. + +'Wenn der Tyrann', fuhr der Achtlose fort, an der Behausung Olympias +vorueber auf die Jagd reitet, stuerzt sie ans Fenster und erwartet, er +werde an ihrer Schwelle vom Pferd steigen und die in Ungnade Geratene, +aber nun genug Gepruefte, guenstig und gnaedig an seinen Hof zurueckfuehren, +wozu er wahrlich keine Lust hat. Eines andern Tages, oder noch an +demselben, waehnt sie sich von Ezzelin, welcher sich nicht um sie +bekuemmert, verfolgt und geaechtet. Sie glaubt sich verarmt und ihre +Gueter, die er unberuehrt liess, eingezogen. So brennt und friert sie im +Wechselfieber der schroffsten Gegensaetze, ist nicht nur selbst +verrueckt, sondern verrueckt auch, was sie in die wirbelnden Kreise +ihres Kopfes zieht, und stiftet--denn sie ist nur eine halbe Toerin und +redet mitunter treffend und witzig--ueberall Unheil, wo ihr geglaubt +wird. Es kann nicht die Rede davon sein, sie unter die Leute und an +ein Fest zu bringen. Ein Wunder ist, dass ihr Kind, die Antiope, +welches sie vergoettert und dessen Verheiratung sich im Mittelpunkt +ihrer Phantasie dreht, auf diesem schwanken Boden den Verstand behaelt. +Aber das Maedchen, das in seiner Fruehbluete steht und leidlich huebsch +ist, hat eine gute Natur..' So ging es noch eine Weile fort. + +Astorre aber versank in seinem Traume. So sage ich, weil das +Vergangene Traum ist. Denn der Moench sah, was er vor drei Jahren +erlebt hatte: einen Block, den Henker daneben und sich selbst an der +Stelle eines erkrankten Mitmoenches als geistlichen Troester, der einen +armen Suender erwartet. Dieser--der Graf Canossa--erschien gefesselt, +wollte aber durchaus nicht herhalten, sei es, weil er waehnte, seine +Begnadigung werde, jetzt da er vor dem Blocke stehe, nicht saeumen, sei +es einfach, weil er die Sonne liebte und die Gruft verabscheute. Er +liess den Moench hart an und verschmaehte seine Gebete. Ein +entsetzliches Ringen stand bevor, wenn er fortfuhr, sich zu straeuben +und zu stemmen; denn er hielt sein Kind an der Hand, welches ihm--von +den Wachen unbemerkt--zugesprungen war und ihn umklammerte, die +ausdrucksvollsten Augen und die flehendsten Blicke auf den Moench +heftend. Der Vater drueckte das Maedchen fest an seine Brust und schien +sich mit diesem jungen Leben gegen die Vernichtung decken zu wollen, +wurde aber von dem Henker nieder und mit dem Haupt auf den Block +gedrueckt. Da legte das Kind Kopf und Nacken neben den vaeterlichen. +Wollte es das Mitleid des Henkers erwecken? Wollte es den Vater +ermutigen, das Unabwendbare zu leiden? Wollte es dem Unversoehnten den +Namen eines Heiligen ins Ohr murmeln? Tat es das Unerhoerte ohne +Besinnen und Ueberlegung, aus ueberstroemender kindlicher Liebe? Wollte +es einfach mit ihm sterben? + +Jetzt leuchteten die Farben so kraeftig, dass der Moench die zwei +nebeneinander liegenden Haelse, den ziegelroten Nacken des Grafen und +den schneeweissen des Kindes mit dem gekraeuselten, goldbraunen Flaum +wenige Schritte vor sich in voller Lebenswahrheit erblickte. Das +Haelschen war von der schoensten Bildung und ungewoehnlicher Schlankheit. +Astorre bebte, das fallende Beil moechte sich irren, und fuehlte sich +in tiefster Seele erschuettert, nicht anders als das erste Mal, nur dass +ihm die Sinne nicht schwanden, wie sie ihm damals geschwunden waren, +als die schreckliche Szene in Wahrheit und Wirklichkeit sich ereignete, +und er erst wieder zu sich kam, als alles vorueber war. + +'Hat mir mein Gebieter einen Auftrag zu geben?' stoerte den Verzueckten +die schnurrende Stimme des Majordoms, der es schwer ertrug, von +Ascanio gemeistert zu werden. + +'Burcardo', antwortete Astorre mit weicher Stimme, 'vergiss nicht, die +zwei Frauen Canossa, Mutter und Tochter, zu laden. Es sei nicht +gesagt, dass der Moench die von der Welt Gemiedenen und Verlassenen von +sich fernhaelt. Ich ehre das Recht einer Ungluecklichen'--hier stimmte +der Majordom mit eifrigem Nicken bei--, 'von mir geladen und empfangen +zu werden. Wuerde sie uebergangen, es duerfte sie schwer kraenken, wie +sie beschaffen ist.' + +'Beileibe!' warnte Ascanio. Tu dir doch das nicht zuleide! Dein +Verloebnis ist schon abenteuerlich genug! Und das Abenteuerliche +begeistert die Toerichten. Sie wird nach ihrer Art etwas Unglaubliches +beginnen und irgendein tolles Wort in die Feier schleudern, welche +sonst schon alle Paduanerinnen aufregt.' + +Herr Burcardo aber, der die Berechtigung einer Canossa, ob sie bei +Verstande sei oder nicht, sich zu den Zwoelfen zu versammeln, mit den +Zaehnen festhielt und seinen Gehorsam dem Vicedomini und keinem andern +verpflichtet glaubte, verbeugte sich tief vor dem Moench. 'Deiner +Herrlichkeit allein wird gehorcht', sprach er und entfernte sich. + +'O Moench, Moench', rief Ascanio, 'der die Barmherzigkeit in eine Welt +traegt, wo kaum die Guete ungestraft bleibt!' + +"Doch wie wir Menschen sind," flocht Dante ein, "oft zeigt uns ein +prophetisches Licht den Rand eines Abgrunds, aber dann kommt der Witz +und kluegelt und laechelt und redet uns die Gefahr aus." + +Dergestalt fragte und beruhigte sich der Leichtsinnige: Welche +Beziehung auf der Welt hat die Naerrin zu dem Moench, in dessen Leben +sie nicht die geringste Rolle spielt? Und am Ende--wenn sie zu lachen +gibt, so wuerzt sie uns die Amarellen! Er ahnte nicht von ferne, was +sich in der Seele Astorres begab, aber auch wenn er geraten und +geforscht, dieser haette sein keusches Geheimnis dem Weltkind nicht +preisgegeben. + +So liess Ascanio es gut sein, und sich des andern Befehles des Tyrannen +erinnernd, den Moench unter die Leute zu bringen, fragte er lustig: +'Ist fuer den Ehereif gesorgt, Astorre? Denn es steht in den +Zeremonien geschrieben, Abschnitt zwei, Paragraph soundso: Die Reife +werden gewechselt.' Dieser erwiderte, es werde sich dergleichen in dem +Hausschatz finden. + +'Nicht so, Astorre', meinte Ascanio. 'Wenn du mir folgst, kaufst du +deiner Diana einen neuen. Wer weiss, was fuer Geschichten an den +gebrauchten Ringen kleben. Wirf das Alte hinter dich. Auch schickt +es sich ganz allerliebst: du kaufst ihr einen Ring bei dem Florentiner +auf der Bruecke. Kennst du den Mann? Doch wie solltest du! Hoere: Als +ich heute in der Fruehstunde, mit Germano in die Stadt zurueckkehrend, +unsere einzige Bruecke ueber den Kanal beschritt--wir mussten absitzen +und die Pferde fuehren, so dicht war dort das Gedraenge--, hatte, meiner +Treu, auf dem verwitterten Kopf des Brueckenpfeilers ein Goldschmied +seinen Laden aufgetan, und ganz Padua kramte und feilschte vor +demselben. Warum auf der engen Bruecke, Astorre, da wir so viele +Plaetze haben? Weil in Florenz die Schmucklaeden auf der Arnobruecke +stehen. Denn--bewundere die Logik der Mode! wo kauft man feinen +Schmuck, als bei einem Florentiner, und wo legt ein Florentiner aus, +wenn nicht auf einer Bruecke? Er tut es einmal nicht anders. Sonst +waere seine Ware ein plumpes Zeug und er selbst kein echter Florentiner. +Doch dieser ist es, ich meine. Hat er doch mit riesigen Buchstaben +ueber seine Bude geschrieben: Niccola Lippo dei Lippi, der Goldschmied, +durch einen feilen und ungerechten Urteilsspruch, wie sie am Arno +gebraeuchlich sind, aus der Heimat vertrieben. Auf, Astorre! gehen wir +nach der Bruecke!' + +Dieser weigerte sich nicht, da er selbst das Beduerfnis fuehlen mochte, +den Bann des Hausbezirkes zu brechen, welchen er, seit er seine Kutte +niedergestreift, nicht mehr verlassen hatte. + +'Hast du Geld zu dir gesteckt, Freund Moench?' scherzte Ascanio. 'Dein +Geluebde der Armut ist hinfaellig, und der Florentiner wird dich +ueberfordern.' Er pochte an das Schiebfensterchen des im untern Flur, +welchen die Juenglinge eben durchschritten, gelegenen Hauskontors. Es +zeigte sich ein verschmitztes Gesicht, Jede Falte ein Betrug, und der +Verwalter der Vicedomini--ein Genuese, wenn ich recht berichtet +bin--reichte seinem Herrn mit kriechender Verbeugung einen mit +Goldbyzantinern gefuellten Beutel. Dann wurde der Moench von einem +Diener in den bequemen paduanischen Sommermantel mit Kapuze gehuellt. + +Auf der Strasse zog sich Astorre dieselbe tief ins Gesicht, weniger +gegen die brennenden Strahlen der Sonne als aus langer Gewoehnung, und +wandte sich freundlich gegen seinen Begleiter. 'Nicht wahr, Ascanio', +sagte er, diesen Gang tue ich allein? Einen einfachen Goldring zu +kaufen uebersteigt meinen Moenchsverstand nicht. Das traust du mir noch +zu? Auf Wiedersehen bei meiner Vermaehlung, wann es Vesper laeutet!' +Ascanio ging und rief noch ueber die Schulter zurueck: 'Einen, nicht +zwei! Den deinigen gibt dir Diana! Merke dir das, Astorre!' Es war +eine jener farbigen Seifenblasen, deren der Lustige mehr als eine +taeglich von den Lippen in die Luft jagte. + +Fraget ihr mich, Herrschaften, warum der Moench den Freund beurlaubte, +so sage ich: er wollte den himmlischen Ton, welchen die junge +Maertyrerin der Kindesliebe in seinem Gemuet geweckt hatte, rein +ausklingen lassen. + +Astorre hatte die Bruecke erreicht, welche trotz des Sonnenbrandes +randvoll war und von den nahen zwei Ufern ein doppeltes +Menschengedraenge vor den Laden des Florentiners fuehrte. Der Moench +blieb unter seinem Mantel unerkannt, ob auch hin und wieder ein Auge +fragend auf dem unbedecktem Teil seines Gesichtes ruhte. Adel und +Buergerschaft suchte sich den Vortritt abzugewinnen. Vornehme Weiber +stiegen aus ihren Saenften und liessen sich draengen und druecken, um ein +Paar Armringe oder ein Stirnband von neuester Mache zu erhandeln. Der +Florentiner hatte auf allen Plaetzen mit der Schelle verkuendigen lassen, +er schliesse heute nach dem Ave Maria. Er dachte nicht daran. Doch +was kostet einen Florentiner die Luege! + +Endlich stand der Moench, von Menschen eingeengt, vor der Bude. Der +bestuermte Haendler, der sich verzehnfachte, streifte ihn mit einem +erfahrenen Seitenblick und erriet sofort den Neuling. Womit diene ich +dem gebildeten Geschmack der Herrlichkeit?' fragte er. Gib mir einen +einfachen Goldreif', antwortete der Moench. Der Kaufmann ergriff einen +Becher, auf welchem, nach florentinischer Kunst und Art, in erhabener +Arbeit irgend etwas Ueppiges zu sehen war. Er schuettelte den Kelch, in +dessen Bauch hundert Reifen wimmelten, und bot ihn Astorre. + +Dieser geriet in eine peinliche Verlegenheit. Er kannte den Umfang +des Fingers nicht, welchen er mit einem Reif bekleiden sollte, und +deren mehrere heraushebend, zauderte er sichtlich zwischen einem +weitern und einem engern. Der Florentiner konnte den Spott nicht +lassen, wie denn ein versteckter Hohn aus aller Rede am Arno +hervorkichert. 'Kennt der Herr die Gestalt des Fingers nicht, welchen +er doch wohl zuweilen gedrueckt hat?' fragte er mit einem unschuldigen +Gesicht, aber als ein kluger Mann verbesserte er sich alsobald, und in +der heimischen Meinung, der Verdacht der Unwissenheit sei beleidigend, +derjenige der Suende aber schmeichle, gab er Astorre zwei Ringe, einen +groessern und einen kleinern, die er aus Daumen und Zeigefinger seiner +beiden Haende geschickt zwischen die Daumen und Zeigefinger des Moenches +hinuebergleiten liess. 'Fuer die zwei Liebchen der Herrlichkeit', +wisperte er sich verneigend. + +Ehe noch der Moench ueber diese lose Rede ungehalten werden konnte, +erhielt er einen harten Stoss. Es war das Schulterblatt eines +Rosspanzers, das ihn so unsanft streifte, dass er den kleinern Ring +fallen liess. In demselben Augenblick schmetterte ihm der betaeubende +Ton von acht Tuben ins Ohr. Die Feldmusik der germanischen Leibwache +des Vogtes ritt in zwei Reihen, beide vier Rosse hoch, ueber die Bruecke, +den ganzen Menscheninhalt derselben auseinanderwerfend und gegen die +steinernen Gelaender pressend. + +Sobald die Blaeser vorueber waren, stuerzte der Moench, den festgehaltenen +groessern Ring rasch in seinem Gewand bergend, dem kleinern nach, +welcher unter den Hufen der Gaeule weggerollt war. + +Das alte Bauwerk der Bruecke war in der Mitte ausgefahren und vertieft, +so dass der Reif die Hoehlung hinab und dann durch seine eigene Bewegung +getrieben die andere Seite hinanrollte. Hier hatte eine junge Zofe, +namens Isotta oder, wie man in Padua den Namen kuerzt, Sotte, das +rollende und blitzende Ding gehascht, auf die Gefahr hin, von den +Pferden zerstampft zu werden. 'Ein Gluecksring!' jubelte das unkluge +Geschoepf und steckte einer jugendlichen Herrin, welcher sie das +Begleite gab, mit kindischem Frohlocken den Fund an den schlanken +Finger, den vierten der linken Hand, welcher ihr durch seine zierliche +Bildung des engen Schmuckes besonders wuerdig und faehig schien. In +Padua aber, wie auch hier in Verona, wenn mir recht ist, pflegt man +den Trauring an der linken Hand zu tragen. + +Das Edelfraeulein zeigte sich unwillig ueber die Posse der Magd, war +aber doch auch ein bisschen belustigt davon. Sie bemuehte sich eifrig, +den fremden Ring, der ihr wie angegossen sass, dem Finger wieder +abzuziehen. Da stand unversehens der Moench vor ihr und hob die Arme +in freudiger Verwunderung. Seine Gebaerde aber war, dass er die +geoeffnete rechte Hand vor sich hinstreckte, die linke in der Hoehe des +Herzens hielt; denn er hatte, trotz der entfalteten Bluete, an der +auffallenden Schlankheit des Halses und wohl mehr noch an der Bewegung +seiner Seele das Kind wiedererkannt, dessen zartes Haupt er auf dem +Block gesehen hatte. + +Waehrend das Maedchen bestuerzte, fragende Augen auf den Moench richtete +und immerfort an dem widerspenstigen Ring drehte, zauderte Astorre, +denselben zurueckzuverlangen. Doch es musste geschehen. Er oeffnete den +Mund. 'Junge Herrin', begann er--und fuehlte sich von zwei starken, +gepanzerten Armen umfasst, die sich seiner bemaechtigten und ihn +emporzogen. Im Augenblick sah er sich, mit Hilfe eines andern +Gepanzerten, ein Bein rechts, ein Bein links, auf ein stampfendes Ross +gesetzt. 'Lass schauen', schallte ein gutmuetiges Gelaechter, 'ob du das +Reiten nicht verlernt hast!' Es war Germano, welcher an der Spitze der +von ihm befehligten deutschen Kohorte ritt, die der Vogt auf eine +Ebene unweit Padua zur Musterung befohlen hatte. Da er unvermutet den +Freund und Schwager im Freien erblickte, hatte er sich den +unschuldigen Spass gemacht, denselben neben sich auf ein Pferd zu heben, +von welchem ein junger Schwabe auf seinen Wink abgesprungen war. Das +feurige Tier, welches den veraenderten Reiter spuerte, tat ein paar +wilde Spruenge, es entstand ein Rossegedraeng auf der nicht geraeumigen +Bruecke, und Astorre, dem die Kapuze zurueckgefallen war und der sich +mit Muehe im Buegel hielt, wurde von dem entsetzt ausweichenden Volk +erkannt. 'Der Moench! der Moench!' rief und deutete es von allen Seiten, +aber schon hatte der kriegerische Tumult die Bruecke hinter sich und +verschwand um eine Strassenecke. Der unbezahlt gebliebene Florentiner +rannte nach, aber kaum zwanzig Schritte, denn ihm wurde bange um seine +unter der schwachen Hut eines Juengelchens gelassene Ware, und dann +belehrte ihn der Zuruf der Menge, dass er es mit einer bekannten und +leicht aufzufindenden Persoenlichkeit zu tun habe. Er liess sich den +Palast Astorres bezeichnen und meldete sich dort heute, morgen, +uebermorgen. Die zwei ersten Male richtete er nichts aus, weil in der +Behausung des Moenches alles drunter und drueber ging, das dritte Mal +fand er die Siegel des Tyrannen an das verschlossene Tor geheftet. +Mit diesem wollte der Feigling nichts zu schaffen haben und so ging er +der Bezahlung verlustig. + +Die Frauen aber--zu Antiope und der leichtfertigen Zofe hatte sich +noch eine dritte, durch den Brueckentumult von ihnen abgedraengte +wiedergefunden--schritten in der entgegengesetzten Richtung. Diese +war ein seltsam blickendes, vorzeitig, wie es schien, gealtertes Weib +mit tiefen Furchen, grauen Haarbuescheln, aufgeregten Mienen, und +schleppte ihr vernachlaessigtes, aber vornehmes Gewand mitten durch den +Strassenstaub. + +Sotte erzaehlte eben der Alten, offenbar der Mutter des Fraeuleins, mit +dummem Jubel den Vorgang auf der Bruecke: Astorre--auch ihr hatte der +Zuruf des Volkes ihn genannt--Astorre der Moench, der stadtkundig +freien muesse, habe Antiope verstohlenerweise einen Goldring zugerollt, +und als sie--Sotte--, den Wink der Vorsehung und die Schlauheit des +Moenches verstehend, ihn dem lieben Maedchen angesteckt, sei der Moench +selbst vor dasselbe hingetreten, und da Antiope ihm den Ring in +Zuechten habe zurueckgeben wollen, habe er--sie ahmte den Moench +nach--die Linke zaertlich auf das Herz gelegt, so! die Rechte aber +zurueckweisend ausgestreckt mit einer Gebaerde, die in ganz Italien +nichts anderes sage und bedeute als: Behalte, Schatz! + +Endlich kam die erstaunte Antiope zu Wort und beschwor die Mutter, auf +das alberne Geschwaetz Isottens nichts zu geben, aber umsonst. Madonna +Olympia erhob die Arme gen Himmel und dankte auf offener Strasse dem +heiligen Antonius mit Inbrunst, dass er ihre taegliche Bitte ueber alles +Hoffen und Erwarten erhoert und ihrem Kleinod einen ebenbuertigen und +tugendhaften Mann, einen seiner eigenen Soehne beschert habe. Dabei +gebaerdete sie sich so abenteuerlich, dass die Vorbeigehenden lachend +auf die Stirne wiesen. Die verwirrte Antiope gab sich alle +erdenkliche Muehe, der Mutter das blendende Maerchen auszureden; aber +diese hoerte nicht und baute leidenschaftlich an ihrem Luftschloss +weiter. + +So langten die Frauen in dem Palast Canossa an und begegneten im +Torbogen einem steif geputzten Majordom, dem sechs verschwenderisch +gekleidete Diener folgten. Herr Burcardo liess, ehrerbietig +zuruecktretend, Madonna Olympia die Treppe voraufgehen, dann, in einer +oeden Halle angelangt, machte er drei abgezirkelte Verbeugungen, eine +immer naeher und tiefer als die andere, und redete langsam und +feierlich: 'Herrlichkeiten, mich sendet Astorre Vicedomini, +hochdieselben untertaenigst zu seinen Sbosalizien zu laden, heute'--er +verschluckte schmerzhaft 'in zehn Tagen'--'wann es Vesper laeutet.'" + +Dante hielt inne. Seine Fabel lag in ausgeschuetteter Fuelle vor ihm; +aber sein strenger Geist waehlte und vereinfachte. Da rief ihn +Cangrande. + +"Mein Dante", hub er an, "ich wundere mich, mit wie harten und aetzend +scharfen Zuegen du deinen Florentiner umrissen hast! Dein Niccolo +Lippo dei Lippi ist verbannt durch ein feiles und ungerechtes Urteil. +Er selbst aber ist ein Ueberteurer, ein Schmeichler, ein Luegner, ein +Spoetter, ein Schluepfriger und eine Memme, alles nach Art der +Florentiner'. Und das ist nur ein winziges Flaemmchen aus dem +Feuerregen von Verwuenschungen, womit du dein Florenz ueberschuettest, +nur eine troepfelnde Neige jener bittern von Essig und Galle triefenden +Terzinen, die du in deiner Komoedie der Vaterstadt zu kosten gibst. +Lasse dir sagen, es ist unedel, seine Wiege zu schmaehen, seine Mutter +zu beschaemen! Es kleidet nicht gut! Glaube mir, es macht einen +schlechten Eindruck! + +Mein Dante, ich will dir erzaehlen von einem Puppenspiel, dem ich +juengst, verkappt unter dem Volk mich umtreibend, in unserer Arena +zuschaute. Du ruempfst die Nase, dass ich den niedrigen Geschmack habe, +in maessigen Augenblicken an Puppen und Narren mich zu vergnuegen. +Dennoch begleite mich vor die kleine Buehne! Was schaust du da? Mann +und Weib zanken sich. Sie wird gepruegelt und weint. Ein Nachbar +streckt den Kopf durch die Tuerspalte, predigt, straft, mischt sich ein. +Doch siehe! das tapfere Weib erhebt sich gegen den Eindringling und +nimmt Partei fuer den Mann. 'Wenn es mir beliebt, gepruegelt zu werden!' +heult sie. + +Aehnlicherweise, mein Dante, spricht ein Hochherziger, welchen seine +Vaterstadt misshandelt: Ich will geschlagen sein!" + +Viele junge und scharfe Augen hafteten auf dem Florentiner. Dieser +verhuellte sich schweigend das Haupt. Was in ihm vorging, weiss niemand. +Als er es wieder erhob, war seine Stirn vergraemter, sein Mund +bitterer und seine Nase laenger. + +Dante lauschte. Der Wind pfiff um die Ecken der Burg und stiess einen +schlecht verwahrten Laden auf. Monte Baldo hatte seine ersten Schauer +gesendet. Man sah die Flocken staeuben und wirbeln, von der Flamme des +Herdes beleuchtet. Der Dichter betrachtete den Schneesturm, und seine +Tage, welche er sich entschluepfen fuehlte, erschienen ihm unter der +Gestalt dieser bleichen Jagd und Flucht durch eine unstete Roete. Er +bebte vor Frost. + +Und seine feinfuehligen Zuhoerer empfanden mit ihm, dass ihn kein eigenes +Heim, sondern nur wandelbare Gunst wechselnder Goenner bedache und vor +dem Winter beschirmen welcher Landstrasse und Feldweg mit Schnee +bedeckte. Alle wurden es inne, und Cangrande, der von grosser +Gesinnung war, zuerst: Hier sitzt ein Heimatloser! + +Der Fuerst erhob sich, den Narren wie eine Feder von seinem Mantel +schuettelnd, trat auf den Verbannten zu, nahm ihn an der Hand und +fuehrte ihn an seinen eigenen Platz, nahe dem Feuer. "Er gebuehrt dir", +sagte er, und Dante widersprach nicht. Cangrande aber bediente sich +des frei gewordenen Schemels. Er konnte dort bequem die beiden Frauen +betrachten, zwischen welchen jetzt der Wanderer durch die Hoelle sass, +den das Feuer gluehend beschien und der seine Erzaehlung folgendermassen +fortsetzte. + +"Waehrend die mindern Glocken in Padua die Vesper laeuteten, versammelte +sich unter dem Zederngebaelk des Prunksaales der Vicedomini, was von +den zwoelf Geschlechtern uebriggeblieben war, den Eintritt des Hausherrn +erwartend. Diana hielt sich zu Vater und Bruder. Ein leises +Geschwaetz lief um. Die Maenner besprachen ernst und gruendlich die +politische Seite der Vermaehlung zweier grosser staedtischer Geschlechter. +Die Juenglinge scherzten halblaut ueber den heiratenden Moench. Die +Frauen schauderten, trotz dem Breve des Papstes, vor dem Sakrilegium, +welches nur die von knospenden Toechtern umringten in milderem Licht +sahen, mit dem Zwang der Umstaende entschuldigten oder aus der +Herzensguete des Moenches erklaerten. Die Maedchen waren lauter Erwartung. + +Die Anwesenheit der Olympia Canossa erregte Verwunderung und Unbehagen, +denn sie war in auffallendem, fast koeniglichem Staat, als ob ihr bei +der bevorstehenden Feier eine Hauptrolle zustuende, und redete mit +unheimlicher Zungenfertigkeit in Antiope hinein, welche bangen Herzens +die aufgebrachte Mutter fluesternd und flehend zu beschwichtigen suchte. +Donna Olympia hatte sich schon auf den Treppen gewaltig geaergert, wo +sie--Herr Burcardo beschaeftigte sich eben mit dem Empfang zweier +anderer Herrschaften--von Gocciola, der eine neue, scharlachrote Kappe +mit silbernen Schellen in der Hand hielt, ehrfuerchtig willkommen +geheissen wurde. Jetzt mit den andern im Kreis stehend, belaestigte +oder aengstigte sie durch ihr massloses Gebaerdenspiel ihre +Standesgenossen. Mit Augenwinken und Kinnheben wurde auf die Aermste +gedeutet. Keiner haette sie an des Moenches Statt geladen, und jeder +machte sich darauf gefasst, sie werde diesem einen ihrer Streiche +spielen. + +Burcardo meldete den Hausherrn. Astorre hatte sich von den Germanen +bald losgemacht, war auf die Bruecke zurueckgeeilt, ohne dort den Ring +noch die Frauen mehr zu finden, und sich darueber Vorwuerfe machend, +obschon im Grunde nur der Zufall anzuklagen war, hatte er in der ihm +bis zur Vesper bleibenden Stunde den Entschluss gefasst, in Zukunft +immerdar nach den Regeln der Klugheit zu handeln. Mit diesem Vorsatz +trat er in den Saal und in die Mitte der Versammelten. Der Druck der +auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit und die sozusagen in der Luft +fuehlbaren Formen und Forderungen der Gesellschaft liessen ihn empfinden, +dass er nicht die Wirklichkeit der Dinge sagen duerfe, energisch und +mitunter haesslich wie sie ist, sondern ihr eine gemilderte und +gefaellige Gestalt geben muesse. So hielt er sich unwillkuerlich in der +Mitte zwischen Wahrheit und schoenem Schein und redete untadelig. + +'Herrschaften und Standesbrueder', begann er, 'der Tod hat eine reiche +Ernte unter uns Vicedomini gehalten. Wie ich in Schwarz gekleidet vor +euch stehe, trage ich Trauer um den Vater, drei Brueder und drei Neffen. +Dass ich, von der Kirche freigelassen, den Wunsch eines sterbenden +Vaters, in Sohn und Enkel fortzuleben, nach ernster Erwaegung'--hier +verhallte sich der Klang seiner Stimme--'und gewissenhafter Pruefung +vor Gott nicht glaubte ungewaehrt lassen zu duerfen, dieses werdet ihr +verschieden beurteilen, billigend oder tadelnd, nach der Gerechtigkeit +oder Milde, die euch innewohnt. Darin aber werdet ihr einiggehen, dass +es mir bei meiner Vergangenheit nicht angestanden haette zu zaudern und +zu waehlen, und dass hier nur das Naechstliegende und Ungesuchte Gott +gefaellig sein konnte. Wer aber stand mir naeher als die schon mit mir +durch die trostlose Trauer um meinen letzten Bruder vereinigte +jungfraeuliche Witwe desselben? Und so ergriff ich ueber einem teuern +Sterbebett diese Hand, wie ich sie jetzt ergreife'--er trat zu Diana +und fuehrte sie in die Mitte--'und ihr den Trauring um den Finger lege.' +So tat er. Der Ring passte. Diana tat dasselbe, indem sie dem Moench +einen goldenen Reif anlegte. 'Es ist der meiner Mutter', sagte sie, +'die ein wahrhaftes und tugendsames Weib war. Ich gebe dir einen Ring, +der Treue gehalten hat.' Ein feierlich gemurmelter Glueckwunsch aller +Anwesenden beschloss die ernste Handlung, und der alte Pizzaguerra, ein +wuerdiger Greis--denn der Geiz ist ein gesundes Laster und laesst zu +Jahren kommen--, weinte die uebliche Traene. + +Donna Olympia sah ihr Traumschloss auflodern und brennen mit sinkenden +Saeulen und krachenden Balken. Sie tat einen Schritt vorwaerts, als +wolle sie ihre Augen ueberfuehren, dass sie sich betruegen, dann einen +zweiten in wachsender Wildheit, und jetzt stand sie dicht vor Astorre +und Diana, die grauen Haare gestraeubt, und ihre rasenden Worte rannten +und stuerzten wie ein Volk in Aufruhr. + +'Elender!' schrie sie. 'Gegen den Ring an dem Finger dieser da zeugt +ein anderer und zuerst gegebener.' Sie riss Antiope, welche ihr in +wachsender Angst und mit den flehendsten Gebaerden gefolgt war, hinter +sich hervor und hob die Hand des Maedchens. 'Den Ring hier hast du +meinem Kinde vor nicht einer Stunde auf der Bruecke bei dem Florentiner +an den Finger gesteckt!' So hatte ihr ein falscher Spiegel den Vorgang +verschoben. 'Ruchloser Mensch! Ehebrecherischer Moench! Oeffnet +sich die Erde nicht, dich zu verschlingen? Haengt den Bruder Pfoertner, +der im Rausch schnarchte und dich deiner Zelle entspringen liess! +Deinen Luesten wolltest du froenen, aber du durftest dir eine andere +Beute waehlen als eine ungerecht verfolgte, ratlose Wittib und eine +unbeschuetzte Waise!' + +Die Marmordiele oeffnete sich nicht, und in den Blicken der Umstehenden +las die Unglueckliche, die einem gerechten Mutterzorn arme und schwache +Worte zu geben glaubte, den hellen Hohn oder ein Mitleid anderer Art, +als sie es zu finden hoffte. Sie vernahm hinter sich das verstaendlich +gefluesterte Wort: 'Naerrin!', und ihr Zorn schlug in ein wahnsinniges +Gelaechter um. 'Ei, seht mir einmal den Toren', hohnlachte sie, 'der +so dumm zwischen diesen beiden waehlen konnte! Ich mache euch zu +Richtern, Herrschaften, und jeden, der Augen hat. Hier das herzige +Koepfchen, die schwellende Jugend'--das uebrige vergass ich, aber ich +weiss eines: Alle Juenglinge im Saale Vicedominis, und mehr als einer +unter ihnen mochte locker leben, alle Juenglinge, die enthaltsamen und +die es nicht waren, wendeten Ohr und Auge ab von den empoerenden Worten +und Gebaerden einer Mutter, welche Zucht und Scham unter die Fuesse trat +vor dem Kind, das sie geboren, und dieses preisgab wie eine Kupplerin. + +Alle im Saal bemitleideten Antiope. Nur Diana, so wenig sie an der +Treue des Moenches zweifelte, empfand ich weiss nicht welchen dumpfen +Groll ueber die ihrem Braeutigam frech gezeigte Schoenheit. + +Antiope mochte es verschuldet haben dadurch, dass sie den unseligen +Reif am Finger behielt. Vielleicht tat sie es, um die sich selbst +betoerende Mutter nicht zu reizen, in dem Gedanken, diese werde, durch +die Wirklichkeit enttaeuscht, aus dem Hochmut, nach ihrer Art, in +Kleinmut verfallen und alles mit einem Augenrollen und ein paar +gemurmelten Worten voruebergehen. Oder dann hatte die junge Antiope +selbst eine Fingerspitze in den sprudelnden Maerchenbrunnen getaucht. +War die Begegnung auf der Bruecke nicht wunderbar, und waere ihre +Erkiesung durch den Moench wunderbarer gewesen als das Schicksal, das +ihn dem Kloster entriss? + +Jetzt erlitt sie grausame Strafe. Soweit es eine zuegellose Rede +vermag, beraubte sie die eigene Mutter der schuetzenden Huellen. + +Eine dunkle Roete und eine noch dunklere fuhr ihr ueber Stirn und Nacken. +Darauf begann sie in der allgemeinen Stille laut und bitterlich zu +weinen. + +Selbst die graue Maenade lauschte betroffen. Dann zuckte ihr ein +entsetzlicher Schmerz ueber das Gesicht und verdoppelte ihre Wut. 'Und +die andere!' kreischte sie, auf Diana zeigend, 'dieses kaum aus dem +Rohen gehauene breite Stueck Marmor! Diese verpfuschte Riesin, die +Gott Vater stuemperte, als er noch Gesell war und kneten lernte! Pfui +ueber den plumpen Leib ohne Leben und Seele! Wer haette ihr auch eine +gespendet? Die Bastardin, ihre Mutter? die stupide Orsola? Oder der +duerre Knicker dort? Nur widerstrebend hat er ihr ein karges Almosen +von Seele verabfolgt!' + +Der alte Pizzaguerra blieb gelassen. Mit dem klaren Verstand der +Geizigen vergass er nicht, wen er vor sich hatte. Seine Tochter Diana +aber vergass es. Durch die rohe Verhoehnung ihres Leibes und ihrer +Seele aufgebracht, tief empoert, zog sie die Brauen zusammen und ballte +die Haende. Jetzt geriet sie ausser sich, da die Naerrin ihre Eltern ins +Spiel zog, ihr die Mutter im Grabe beschimpfte, den Vater an den +Pranger stellte. Ein bleicher Jaehzorn packte und uebermannte sie. + +'Huendin!' schrie sie und schlug--in Antiopes Angesicht; denn das +verzweifelnde und beherzte Maedchen hatte sich vor die Mutter geworfen. +Antiope stiess einen Laut aus, der den Saal und alle Herzen +erschuetterte. + +Nun drehte sich das Rad in dem Kopf der Toerin vollstaendig um. Die +hoechste Wut ging unter in unsaeglichem Jammer. 'Sie haben mir mein +Kind geschlagen!' stoehnte sie, sank auf die Knie und schluchzte: 'Gibt +es keinen Gott mehr im Himmel?' + +Jetzt war das Mass voll. Es waere schon frueher ueberlaufen, doch das +Verhaengnis schritt rascher, als mein Mund es erzaehlte, so rasch, dass +weder der Moench noch der nahestehende Germano den gehobenen Arm Dianas +ergreifen und aufhalten konnte. Ascanio umschlang die Toerin, ein +anderer Juengling fasste sie bei den Fuessen, die sich kaum Straeubende +wurde fortgetragen, in ihre Saenfte gehoben und nach Hause gebracht. + +Noch stunden sich Diana und Antiope gegenueber, eine bleicher als die +andere, Diana reuig und zerknirscht nach schnell verrauchtem Jaehzorn, +Antiope nach Worten ringend; sie konnte nur nicht stammeln, sie +bewegte lautlos die Lippen. + +Wenn jetzt der Moench Antiopes Hand ergriff, um der von seinem +verlobten Weibe Misshandelten das Geleit zu geben, so erfuellte er damit +nur die ritterliche und die gastwirtliche Pflicht. Alle fanden es +selbstverstaendlich. Besonders Diana musste wuenschen, das Opfer ihrer +Gewalttat aus den Augen zu verlieren. Auch sie entfernte sich dann +mit Vater und Bruder. Die versammelten Gaeste aber hielten es fuer das +Zarteste, gleichfalls bis auf die letzte Ferse zu verschwinden. + +Es klingelte unter dem mit Amarellen und Zyperwein bestellten +Kredenztisch. Eine Narrenkappe kam zum Vorschein und Gocciola kroch +auf allen vieren aus seinem leckern Versteck hervor. Alles war +koestlich verlaufen nach seiner Ansicht; denn er hatte jetzt die volle +Freiheit, Amarellen zu naschen und ein Glaeschen um das andere zu +leeren. So vergnuegte er sich eine Weile, bis er nahende Schritte +vernahm. Er wollte entwischen, aber einen verdriesslichen Blick, nach +dem Stoerer werfend, erachtete er jede Flucht fuer unnoetig. Es war der +Moench, der zurueckkehrte, und der Moench war ebenso frohlockend und +ebenso berauscht wie er; denn der Moench--" + +"--Liebte Antiope?" unterbrach den Erzaehler die Freundin des Fuersten +mit einem krankhaften Gelaechter. + +"Du sagst es, Herrin, er liebte Antiope", wiederholte Dante in +tragischem Ton. + +"Natuerlich!"--"Wie anders?"--"Es musste so kommen!--So geht es +gewoehnlich!" scholl es dem Erzaehler aus dem ganzen Hoererkreis entgegen. + +"Sachte, Juenglinge", murrte Dante. "Nein, so geht es nicht gewoehnlich. +Meinet ihr denn, eine Liebe mit voller Hingabe des Lebens und der +Seele sei etwas Alltaegliches, und glaubet wohl gar, so geliebt zu +haben oder zu lieben? Enttaeuschet euch! Jeder spricht von Geistern, +doch wenige haben sie gesehen. Ich will euch einen unverwerflichen +Zeugen bringen. Es schleppt sich hier im Hause ein modisches +Maerenbuch herum. Darin mit vorsichtigen Fingern blaetternd, habe ich +unter vielem Wust ein wahres Wort gefunden. 'Liebe', heisst es an +einer Stelle, 'ist selten und nimmt meistens ein schlimmes Ende.'" +Dieses hatte Dante ernst gesprochen. Dann spottete er: "Da ihr alle +in der Liebe so ausgelernt und bewandert seid und es mir ueberdies +nicht ansteht, einen von der Leidenschaft ueberwaeltigten Juengling aus +meinem zahnlosen Mund reden zu lassen, ueberspringe ich das +verraeterische Selbstgespraech des zurueckkehrenden Astorre und sage kurz: +Da ihn der verstaendige Ascanio belauschte, erschrak er und predigte +ihm Vernunft." + +"Wirst du deine ruehrende Fabel so klaeglich verstuemmeln, mein Dante?" +wendete sich die entzuendliche Freundin des Fuersten mit bittenden +Haenden gegen den Florentiner. "Lass den Moench reden, dass wir +teilnehmend erfahren, wie er sich abwendete von einer Rohen zu einer +Zarten, einer Kalten zu einer Fuehlenden, von einem steinernen zu einem +schlagenden Herzen--" + +"Ja, Florentiner", unterbrach die Fuerstin in, tiefer Bewegung und mit +dunkel gluehender Wange, "lass deinen Moench reden, dass wir staunend +vernehmen, wie es kommen konnte, dass Astorre, so unerfahren und +taeuschbar er war, ein edles Weib verriet fuer eine Verschmitzte--hast +du nicht gemerkt, Dante, dass Antiope eine Verschmitzte ist? Du kennst +die Weiber wenig! In Wahrheit, ich sage dir"--sie hob den kraeftigen +Arm und ballte die Faust--, "auch ich haette geschlagen, nicht die arme +Toerin, sondern wissentlich die Arglistige, die sich um jeden Preis dem +Moench vor das Angesicht bringen wollte!" Und sie fuehrte den Schlag in +die Luft. Die andere erbebte leise. + +Cangrande, welcher die zwei Frauen, denen er jetzt gegenuebersass, nicht +aufhoerte zu betrachten, bewunderte seine Fuerstin und freute sich ihrer +grossen Leidenschaft. In diesem Augenblick fand er sie unvergleichlich +schoener als die kleinere und zarte Nebenbuhlerin, welche er ihr +gegeben hatte, denn das Hoechste und Tiefste der Empfindung erreicht +seinen Ausdruck nur in einem starken Koerper und in einer starken Seele. + +Dante fuer sein Teil laechelte zum ersten und einzigen Mal an diesem +Abend, da er die beiden Frauen so heftig auf der Schaukel seines +Maerchens sich wiegen sah. Er brachte es sogar zu einer Neckerei. +"Herrinnen", sagte er, "was verlangt ihr von mir? Selbstgespraech ist +unvernuenftig. Hat je ein weiser Mann mit sich selbst gesprochen?" + +Nun erhob sich aus dem Halbdunkel ein mutwilliger Lockenkopf, und ein +Edelknabe, der hinter irgendeinem Sessel oder einer Schleppe in +traulichem Versteck mochte gekauert haben, rief herzhaft: "Grosser +Meister, wie wenig du dich kennst oder zu kennen vorgibst! Wisse, +Dante, niemand plaudert gelaeufiger mit sich selbst als du, in dem Grad, +dass du nicht nur uns dumme Buben uebersiehst, sondern selbst das +Schoene dicht an dir voruebergehen laesst, ohne es zu begruessen." + +"Wirklich?" sagte Dante. "Wo war das? Wo und wann?" + +"Nun gestern auf der Etschbruecke", laechelte der Knabe. "Du lehntest +am Gelaender. Da ging die reizende Lukrezia Nani vorueber, deine Toga +streifend. Wir Knaben folgten, sie bewundernd, und ihr entgegen +schritten zwei feurige Kriegsleute, nach einem Blick aus ihren sanften +Augen haschend. Sie aber suchte die deinigen--denn nicht jeder hat +mit heiler Haut in der Hoelle gelustwandelt! Du, Meister, +betrachtetest eine rollende Welle, welche in der Mitte der Etsch +daherfuhr, und murmeltest etwas." + +"Ich liess das Meer gruessen. Die Woge war schoener als das Maedchen. +Doch zurueck zu den zwei Toren! Horch, sie sprechen miteinander! Und +bei allen Musen, fortan unterbreche mich keiner mehr, sonst findet uns +Mitternacht noch am Maerchenherde. + +Als der Moench, nachdem er Antiope heimgefuehrt, seinen Saal wieder +betrat--doch ich vergass zu sagen, dass er Ascanio nicht begegnete, +obwohl dieser mit der Saenfte und Madonna Olympia darin denselben Weg +gemacht hatte. Denn der Neffe, nachdem er die gaenzlich Vernichtete +ihrer Dienerschaft uebergeben, war schleunig zu seinem Ohm, dem +Tyrannen, geeilt, ihm den tollen Vorgang als frisches Gebaeck +aufzutischen. Er hinterbrachte Ezzelin lieber eine Stadtgeschichte +als eine Verschwoerung. + +Ich weiss nicht, ob der Moench so wohlgestaltet war, wie der Spoetter +Ascanio ihn genannt hatte. Aber ich sehe ihn, der wie der bluehendste +Juengling schreitet. Mit befluegelten Fuessen durchschwebt er den Saal, +als truege ihn Zephir oder fuehrte ihn Iris. Seine Augen sind voller +Sonne, und er murmelt Laute aus der Sprache der Seligen. Gocciola, +der viel Zyperwein geschluckt hatte, fuehlte sich gleichfalls beherzt +und verjuengt. Auch unter seinen Sohlen loeste sich der Marmorboden in +weisses Gewoelk auf. Er verspuerte einen unbesiegbaren Durst, das +Gemurmel auf den frischen Lippen Astorres, wie man sich ueber eine +Quelle beugt, zu belauschen, und begann neben demselben die Laenge des +Saales zu durchmessen, bald mit gespreizten, bald mit huepfenden +Schritten, das Narrenzepter unter dem Arm. + +'Das zaertliche Haupt, das sich fuer den Vater bot, hat sich auch fuer +die Mutter geboten und gegeben!' lispelte Astorre. 'Das schamhafte! +wie es brannte! Das misshandelte! wie es litt! Das geschlagene! wie +es aufschrie! Hat es mich je verlassen, seit es auf dem Block lag? +Es wohnte in meinem Geist. Es begleitete mich allgegenwaertig, +schwebte in meinem Gebet, strahlte in meiner Zelle, bettete sich auf +mein Kissen! Lag das herzige Haupt mit dem weissen, schmalen Haelschen +nicht neben dem des heiligen Paulus--' + +'Des heiligen Paulus?' kicherte das Troepfchen. + +'Des heiligen Paulus auf unserm Altarbild--' + +'Mit dem schwarzen Kraushaar und dem roten Hals auf dem breiten Block +und dem Beil des Henkers darueber?' Gocciola verrichtete bei den +Franziskanern zeitweilig seine Andacht. + +Der Moench nickte. 'Sah ich lange hin, so zuckte das Beil, und ich +bebte zusammen. Habe ich es nicht dem Prior gebeichtet?' + +'Und was sagte der Prior?' examinierte Gocciola. + +'Mein Sohn', sagte er, 'was du sahest, war ein vorausgeeiltes Kind des +himmlischen Triumphzuges. Fuerchte nichts! Dem ambrosischen Haelschen +geschieht kein Leid!' + +'Aber', reizte der boese Narr, 'das Kind ist gewachsen, so hoch!' Er +hob die Hand. Dann senkte er sie und hielt sie ueber dem Boden. 'Und +die Kutte Euer Herrlichkeit', grinste er, 'liegt so tief!' + +Das Gemeine konnte den Moench nicht beruehren. Ein schoepferisches Feuer +war aus der Hand Antiopes in die seinige gefahren und begann zuerst +zart und sanft, dann immer heisser und schaerfer in seinen Adern zu +brennen. 'Gepriesen sei Gott Vater', frohlockte er ploetzlich, 'der +Mann und Weib geschaffen hat!' + +'Die Eva?' fragte der Narr. + +'Die Antiope!' antwortete der Moench. + +'Und die andere? Die Grosse? Was faengst du mit der an? Schickst du +sie betteln?' Gocciola wischte sich die Augen. + +'Welche andere?' fragte der Moench. 'Gibt es ein Weib, das nicht +Antiope waere!' + +Dies war selbst dem Narren zu stark. Er glotzte Astorre erschreckt an, +wurde aber von einer Faust am Kragen gepackt, gegen die Pforte +geschleppt und auf den Flur gesetzt. Dieselbe Hand legte sich dann +auf Astorres Schulter. + +'Erwache, Traumwandler!' rief der zurueckgekehrte Ascanio, welcher die +letzte schwaermerische Rede des Moenches belauscht hatte. Er zog den +Verzueckten auf eine Fensterbank nieder, heftete fest Augen auf Augen, +und: 'Astorre, du bist von Sinnen!' sprach er ihn an. Dieser wich +zuerst den pruefenden Blicken wie geblendet aus, dann begegnete er +ihnen mit den seinigen, die noch voller Jubel waren, um sie scheu +niederzuschlagen. + +'Wunderst du dich?' sagte er dann. + +'So wenig wie ueber das Lodern einer Flamme', versetzte Ascanio. 'Aber +da du kein blindes Element, sondern eine Vernunft und ein Wille bist, +so tritt die Flamme aus, sonst frisst sie dich und ganz Padua. Muss dir +das Weltkind goettliches und menschliches Gesetz predigen? Du bist +vermaehlt! So redet dieser Ring an deinem Finger. Wenn du, wie erst +dein Geluebde, jetzt dein Verloebnis brichst, brichst du Sitte, Pflicht, +Ehre und den Stadtfrieden. Wenn du dir den Pfeil des blinden Gottes +nicht rasch und heldenmuetig aus dem Herzen ziehst, ermordet er dich, +Antiope und noch ein paar andere, wen es gerade treffen wird. Astorre! +Astorre!' + +Ascanios mutwillige Lippen erstaunten ueber die grossen und ernsten +Worte, welche er in seiner Herzensangst ihnen zu reden gab. 'Dein +Name, Astorre', sagte er dann halb scherzend, 'schmettert wie eine +Tuba und ruft dich zum Kampfe gegen dich selbst!' + +Astorre ermannte sich. 'Man hat mir ein Philtrum gegeben!' rief er +aus. 'Ich rase, ich bin ein Wahnsinniger! Ascanio, ich gebe dir +Macht ueber mich, fessle mich!' + +'An Dianen will ich dich fesseln!' sagte Ascanio. 'Folge mir, dass wir +sie suchen!' + +'War es nicht Diana, die Antiope schlug?' fragte der Moench. 'Das hast +du getraeumt! Du hast alles getraeumt! Du warst deiner Sinne nicht +maechtig! Komm! Ich beschwoere dich! Ich befehle es dir! Ich +ergreife und fuehre dich!' + +Wenn Ascanio die Wirklichkeit verjagen wollte, so fuehrte sie der auf +dem Flur klirrende Schritt Germanos zurueck. Mit einem entschlossenen +Gesicht trat der Bruder Dianens vor den Moench und fasste seine Hand. +'Ein gestoertes Fest, Schwager!' sagte er. 'Die Schwester schickt +mich--ich luege, sie schickt mich nicht. Denn sie hat sich in ihre +Kammer eingeschlossen, und drinnen flennt sie und verflucht ihren +Jaehzorn--heute ersaufen wir in Weibertraenen! Sie liebt dich, nur +bringt sie es nicht ueber die Lippen--es ist in der Familie: ich kann +es auch nicht. An dir hat sie keinen Augenblick gezweifelt. Es ist +einfach.- Du hast irgendwo einen Ring verschleudert--wenn es der +deinige war, den die kleine Canossa--wie heisst sie doch? richtig: die +Antiope!--am Finger trug. Die naerrische Mutter fand ihn und hat +daraus ihr Maerchen gesponnen. Antiope ist natuerlich an alledem +unschuldig wie ein neugeborenes Kind--wer es anders meint, hat es mit +mir zu tun!' + +'Nicht ich!' rief Astorre. 'Antiope ist rein wie der Himmel! Der +Ring wurde von einem Zufall gerollt!' und er erzaehlte mit fliegenden +Worten. + +'Aber auch der Schwester, die zufuhr, darfst du es nicht anrechnen, +Astorre', behauptete Germano. 'Ihr schoss das Blut zu Kopf, sie sah +nicht, wen sie vor sich hatte. Sie glaubte die Naerrin zu treffen, die +ihr die Eltern verhunzte, und schlug die liebe Unschuld. Diese aber +muss vor Gott und Menschen wieder zu Ehren und Wuerden gezogen werden. +Lass das meine Sache sein, Schwager! Ich bin der Bruder. Es ist +einfach.' + +'Du redest in einem fort und bleibst doch dunkel, Germano! Was hast +du vor? Wie verguetest du es der Aermsten?' fragte Ascanio. + +'Es ist einfach', wiederholte Germano. 'Ich biete Antiope Canossa +meine Hand und mache sie zu meinem Weibe.' + +Ascanio griff sich an die Stirn. Der Streich betaeubte ihn. Als er +dann aber, schnell besonnen, naeher zusah, fand er das heroische Mittel +gar nicht so uebel; doch warf er einen aengstlichen Blick auf den Moench. +Dieser, seiner selbst wieder maechtig, hielt sich maeuschenstille und +horchte aufmerksam. Das Ehrgefuehl des Kriegers scholl wie ein heller +Ruf durch die Wildnis seiner Seele. + +'So treffe ich zwei Fliegen mit einem Schlag, Schwager', erlaeuterte +Germano. 'Das Maedchen wird in ihren Zuechten und Ehren hergestellt. +Den moechte ich sehen, der hinter meinem Weibe zischelte! Dann stifte +ich Frieden zwischen euch Eheleuten. Diana braucht sich nicht laenger +vor dir noch vor sich selbst zu schaemen und ist von ihrem Jaehzorn +gruendlich geheilt. Ich sage dir: sie ist davon genesen, zeitlebens!' + +Astorre drueckte ihm die Hand. 'Du bist brav!' sagte er. Der Wille, +seine himmlische oder irdische Lust tapfer zu ueberwinden, erstarkte in +dem Moench. Doch dieser Wille war nicht frei und diese Tugend nicht +selbstlos; denn sie klammerte sich an einen gefaehrlichen Sophismus: +Nicht anders, als ich selbst eine Ungeliebte umarmen werde, troestete +sich Astorre, wird auch Antiope von einem Mann sich umfangen lassen, +welcher sie kurzerdinge freit, um fremdes Unrecht gutzumachen. Wir +verzichten alle! Entsagung und Kasteiung in der Welt wie im Kloster! + +'Was geschehen muss, verschiebe ich nicht', draengte Germano. 'Sonst +wuerde sie sich schlummerlos waelzen.' Ich weiss nicht, meinte er Diana +oder Antiope. 'Schwager, du begleitest mich als Zeuge: ich tue es in +den Formen.' + +'Nein, nein!' schrie Ascanio erschreckt. 'Nicht Astorre! Nimm mich!' + +Germano schuettelte den Kopf. 'Ascanio, mein Freund', sagte er, 'dazu +eignest du dich nicht. Du bist kein ernsthafter Zeuge in Ehesachen! +Auch wird mein Bruder Astorre es sich nicht nehmen lassen, fuer mich zu +werben. Es ist ja zum grossen Teil seine eigene Angelegenheit. Nicht +wahr, Astorre?' Dieser nickte. 'So bereite dich, Schwager. Mache +dich huebsch! Haenge dir eine Kette um!' + +'Und', scherzte Ascanio gezwungen, 'wann du ueber den Hof gehst, tauche +den Kopf in den Brunnen! Du selbst aber, Germano, traegst Panzer? So +kriegerisch? Schickt sich das zur Freite?' + +'Ich bin lange nicht aus der Ruestung gekommen, und sie kleidet mich. +Was betrachtest du mich von Kopf zu Fuessen, Ascanio?' + +'Ich frage mich, woher dieser Gepanzerte seine Sicherheit nimmt, nicht +mitsamt der Sturmleiter in den Graben geworfen zu werden?' + +'Das kann nicht in Frage stehen', meinte Germano seelenruhig. 'Wird +sich eine Beschaemte und Geschlagene einem Ritter verweigern? Da waere +sie eine noch groessere Naerrin als ihre Mutter. Das ist doch sonnenklar, +Ascanio. Komm, Astorre.' + +Waehrend der Zurueckbleibende mit verschlungenen Armen diese neue +Wendung der Dinge bedachte, zweifelnd, ob dieselbe auf einen +Spielplatz bluehender Kinder oder auf ein Camposanto fuehre, schritten +seine Jugendfreunde den nicht langen Weg zum Palast Canossa. + +Der wolkenlose Tag verglomm in einem reingluehenden Abendgold, und +horch! es laeutete Ave. Der Moench sprach innerlich die +Gewohnheitsgebete, und sein etwas erhoeht liegendes Kloster verlaengerte +zufaellig das vertraute Gelaeute um ein paar friedlich wehmuetige Schlaege, +welchen die andern Stadtglocken den Luftraum nicht laenger streitig +machten. Auch der Moench wurde des allgemeinen Friedens teilhaft. + +Da traf sein Blick das Gesicht des Freundes und ruhte auf den +wetterharten Zuegen. Sie waren hell und freudig, von erfuellter Pflicht +ohne Zweifel, aber doch auch von dem unbewussten oder unbewachten Glueck, +unter dem von Ehre geschwellten Segel einer ritterlichen Handlung den +Port einer seligen Insel zu erreichen. 'Die suesse Unschuld!' seufzte +der Krieger. + +Rasend schnell begriff der Moench, dass der Bruder Dianens sich selbst +taeuschte, wenn er sich fuer uneigennuetzig hielt, dass Germano Antiope zu +lieben begann und sein Nebenbuhler war. Seine Brust empfand einen +scharfen Biss, dann einen zweiten noch schaerfern, dass er haette +aufschreien moegen. Und jetzt wuehlte und wimmelte schon ein ganzes +Nest grimmiger Schlangen in seinem Busen. Herrschaften, Gott moege uns +alle, Maenner und Weiber, vor der Eifersucht behueten! Sie ist die +qualvollste der Peinen, und wer sie leidet, ist unseliger als meine +Verdammten! + +Mit verzogenem Gesicht und gepresstem Herzen folgte der Moench dem +selbstbewussten Freier die Treppen des erreichten Palastes hinauf. +Dieser stand leer und verwahrlost. Madonna Olympia mochte sich +eingeschlossen haben. Kein Gesinde, und alle Tueren offen. Sie +durchschritten ungemeldet eine Reihe schon daemmernder Gemaecher: vor +der Schwelle der letzten Kammer hielten sie stille, denn die junge +Antiope sass am Fenster. + +Sein in den Umriss eines Kleeblattes endigender Bogen war voller +Abendglorie, welche die liebreizende Gestalt im Halbkreis von Brust zu +Nacken umfing. Ihre gezauste Haarkrone aehnelte den Spitzen eines +Dornenkranzes, und die schmachtenden Lippen schluerften den Himmel. +Das geschlagene Maedchen lag muede unter dem Druck der erduldeten +Schande, mit zugefallenen Augendeckeln und erschlafften Armen; aber in +der Stille ihres Herzens frohlockte sie und pries ihre Schmach, denn +diese hatte sie mit Astorre auf ewig vereinigt. + +Und entzuendet sich nicht heute noch und bis ans Ende der Tage aus +tiefstem Erbarmen hoechste Liebe? Wer widersteht dem Anblick des +Schoenen, wenn es ungerecht leidet? Ich laestere nicht und kenne die +Unterschiede, aber auch das Goettliche wurde geschlagen, und wir kuessen +seine Striemen und Wunden. + +Antiope gruebelte nicht, ob Astorre sie liebe. Sie wusste es. Da war +kein Zweifel. Sie war davon ueberzeugter als von den Atemzuegen ihrer +Brust und den Schlaegen ihres Herzens. Keine Silbe hatte sie mit +Astorre gewechselt vom ersten Schritt des Weges an, den sie zusammen +gingen. Die Haende hielten sich nicht fester beim letzten: sie +verwuchsen, ohne sich zu druecken. Sie durchdrangen sich wie zwei +leichte, geistige Flammen und waren doch beim Scheiden wie die Wurzel +aus der Erde kaum auseinander zu loesen. + +Antiope vergriff sich an fremdem Eigentum und beging Raub an Dianen +fast in Unschuld, denn sie hatte weder Gewissen mehr noch auch nur +Selbstbewusstsein. Padua, das mit seinen Tuermen vor ihr lag, die +Mutter, des Moenches Verloebnis, Diana, die ganze Erde, alles war +vernichtet: nichts als der Abgrund des Himmels, und dieser gefuellt mit +Licht und Liebe. + +Astorre hatte von der ersten zur letzten Stufe der Treppe mit sich +gerungen und meinte den Sieg erkaempft zu haben. Ich werde das Opfer +vollbringen, prahlte er gegen sich selbst, und Germano bei seiner +Werbung zur Seite stehen. Auf dem obersten Tritt rief er noch alle +seine Heiligen an, voraus Sankt Franziskus, den Meister der +Selbstueberwindung. Er griff in die Brust und glaubte, durch den +himmlischen Beistand stark wie Herkules, die Schlangen erwuergt zu +haben. Aber der Heilige mit den vier Wundmalen hatte sich abgewendet +von dem untreuen Juenger, der seinen Strick und seine Kutte verschmaehte. + +Der danebenstehende Germano entwarf indessen seine Rede, konnte aber +nicht ueber die zwei Argumente hinauskommen, welche ihm gleich +anfaenglich eingeleuchtet hatten. Uebrigens war er guten +Mutes--hatte er doch schon oefter im Reiterkampf seine Germanen +angeredet--und fuerchtete sich nicht vor einem Maedchen. Nur das Warten +ertrug er ebensowenig wie vor der Schlacht. Er klirrte leis mit dem +Schwert an den Panzer. + +Antiope schrak zusammen, blickte hin, erhob sich rasch und stand, den +Ruecken gegen das Fenster gewendet, mit dunklem Antlitz den sich im +Daemmerlicht vor ihr verbeugenden Maennern gegenueber. + +'Sei getrost, Antiope Canossa!' redete Germano. + +'Ich bringe dir diesen mit, Astorre Vicedomini, welchen sie den Moench +nennen, den Gatten meiner Schwester Diana, als gueltigen Zeugen: siehe, +ich bin gekommen, dich--ohne Vater wie du bist und bei einer solchen +Mutter--von dir selbst zum Weib zu begehren. Meine Schwester hat sich +gegen dich vergessen'--er straeubte sich, ein staerkeres Wort zu +brauchen und damit Dianen, die er verehrte, preiszugeben--'und ich, +der Bruder, bin da, gutzumachen, was die Schwester schlecht gemacht +hat. Diana mit Astorre, du mit mir, so euch entgegenkommend, werdet +ihr Weiber euch die Haende geben.' + +Das empfindliche Gemuet des lauschenden Moenches verwundete diese rohe +Gleichstellung des Misshandelns und des Leidens, der Schlagenden und +der Geschlagenen--oder kruemmte sich eine Natter?--'Germano, so wirbt +man nicht!' raunte er dem Gepanzerten zu. + +Dieser vernahm es, und da die dunkle Antiope maeuschenstille blieb, +verstimmte er sich. Er fuehlte, dass er weicher reden sollte, und +redete barscher. 'Ohne Vater und mit einer solchen Mutter', +wiederholte er, beduerfet Ihr einer maennlichen Hut! Das konntet Ihr +heute lernen, junge Herrin. Ihr werdet nicht zum andern Male vor ganz +Padua beschaemt und geschlagen werden wollen! Gebet Euch mir, wie Ihr +seid, und ich schirme Euch vom Wirbel zur Zehe!' Germano dachte an +seinen Panzer. + +Astorre fand diese Werbung von empoerender Haerte: Germano, so schien +ihm, behandelte Antiope wie seine Kriegsgefangene--oder zischte die +Schlange?--'So wirbt man nicht, Germano!' keuchte er. Dieser wendete +sich halb. 'Wenn du es besser verstehst', sagte er missmutig, 'wirb du +fuer mich, Schwager.' Er trat raumgebend beiseite. + +Da naeherte sich Astorre, das Knie gebogen, hob die Haende mit sich +einander beruehrenden Fingerspitzen, und seine bangen Blicke befragten +das zarte Haupt auf dem blassen Goldgrunde. 'Findet Liebe Worte?' +stammelte er. Daemmerung und Schweigen. + +Endlich lispelte Antiope: 'Fuer wen wirbst du, Astorre?' + +'Fuer diesen hier, meinen Bruder Germano', presste er hervor. Da barg +sie das Antlitz mit den Haenden. + +Jetzt riss Germano die Geduld. 'Ich werde deutsch mit ihr reden', +brach er los und: 'Kurz und gut, Antiope Canossa', liess er das Maedchen +rauh an, 'wirst du mein Weib oder nicht?' Antiope wiegte das kleine +Haupt sanft und sachte, aber trotz der wachsenden Nacht mit deutlicher +Verneinung. + +'Ich habe meinen Korb', sprach Germano trocken. 'Komm, Schwager!' und +er verliess den Saal mit ebenso festen Schritten, wie er ihn betreten +hatte. Der Moench aber folgte ihm nicht. + +Astorre verharrte in seiner flehenden Stellung. Dann ergriff er, +selbst zitternd, Antiopes zitternde Haende und loeste sie von dem +Antlitz. Welcher Mund den andern suchte, weiss ich nicht, denn die +Kammer war voellig finster geworden. + +Auch wurde es darin so stille, dass, waere ihr Ohr nicht voll +stuermischen Jubels und seliger Choere gewesen, die Liebenden leicht in +einem anstossenden Gelasse gemurmelte Gebete haetten vernehmen koennen. +Das verhielt sich so: Neben Antiopes Kammer, einige Stufen tiefer, lag +die Hauskapelle, und morgen jaehrte sich zum dritten Male der Tod des +Grafen Canossa. Nach ueberschrittener Mitternacht sollte in Gegenwart +der Witwe und der Waise die Seelenmesse gelesen werden. Schon hatte +sich der Priester eingestellt, den Ministranten erwartend. + +Ebensowenig wie das unterirdische Gemurmel vernahm das Paar die +schlurfenden Pantoffeln der Madonna Olympia, welche die Tochter suchte +und nun bei dem spaerlichen Schein der Hausleuchte, die sie in der Hand +trug, die Liebenden still und aufmerksam betrachtete. Dass die +frechste Luege einer ausschweifenden Einbildungskraft vor ihren Augen +in diesen zaertlich verschlungenen Gestalten zu Tat und Wahrheit wurde, +darueber wunderte sich Madonna Olympia nicht; aber, es sei der Toerin +zum Lobe gesagt, ebensowenig kostete sie einen Genuss der Rache. Sie +weidete sich nicht an dem der gewalttaetigen Diana bevorstehenden +bittern Leiden, sondern es ueberwog die einfache muetterliche Freude, +ihr Kind zu seinem Preise gewertet, begehrt und geliebt zu sehen. + +Da jetzt, von einem scharfen Strahl aus ihrer Leuchte getroffen, die +beiden verwundert aufblickten, fragte sie mit einer weichen und +natuerlichen Stimme: 'Astorre Vicedomini, liebst du die Antiope +Canossa?' + +'Ueber alles, Madonna!' antwortete der Moench. + +'Und verteidigst sie?' + +'Gegen eine Welt!' rief Astorre verwegen. + +'So ist es recht', beguetigte sie, 'aber nicht wahr, du meinst es +redlich? Du verstossest sie nicht wie Dianen? Du naerrst mich nicht? +Du machst eine arme Toerin, wie sie mich nennen, nicht ungluecklich? Du +laesst mein Kindchen nicht wieder zu Schanden kommen? Du suchst keine +Ausfluechte noch Aufschuebe? Du gibst den Augen die Gewissheit und +fuehrst die Antiope gleich, als ein frommer Christ und wackerer +Edelmann, zum Altar? Auch hast du nicht weit nach dem Pfaffen zu +gehen. Hoerst du es murmeln? Da unten kniet einer.' + +Und sie oeffnete eine niedrige Tuer, hinter welcher ein paar steile +Stufen in das haeusliche Heiligtum hinabfuehrten. Astorre warf einen +Blick: Unter dem plumpen Gewoelbe vor einem kleinen Altar bei dem +ungewissen Licht einer Kerze betete ein Barfuesser, welcher ihm an Alter +und Gestalt nicht unaehnlich war und auch die Kutte und den Strick des +heiligen Franziskus trug. + +Ich glaube, dass dieser Barfuesser hier und gerade zu dieser Stunde durch +goettliche Schickung knien und beten musste, um Astorre zum letzten Male +zu erschrecken und zu warnen. Doch in seinen lodernden Adern wurde +die Arznei zum Gift. Da er die Verkoerperung seines Klosterlebens +erblickte, kam ein trotziger Geist des Frevels und der Sicherheit ueber +ihn. Mit gleichen Fuessen habe ich ueber mein erstes Geluebde weggesetzt, +lachte er, und siehe, die Schranke fiel unter meinem Sprung--warum +nicht ueber das zweite? Meine Heiligen haben mich unterliegen lassen! +Vielleicht retten und beschuetzen sie den Suender! Der Verwildernde +bemaechtigte sich Antiopes und trug sie, mehr als dass er sie fuehrte, +die Stufen hinunter; Madonna Olympia aber, die sich nach einem kurzen +lichten Moment wieder verwirrte, schlug hinter dem Moench und ihrem +Kind die schwere Tuere zu wie hinter einem gelungenen Fang, einer +gehuschten Beute und lauschte durch das Schluesselloch. + +Was sie sah, bleibt ungewiss. Nach der Meinung des Volkes haette +Astorre den Barfuesser mit gezogenem Schwert bedroht und vergewaltigt. +Das ist unmoeglich, denn der Mann Astorre hat niemals den Leib mit +einem Schwert geguertet. Der Wahrheit naeher mag es kommen, dass der +Barfuesser--traurig zu sagen--ein schlechter Moench war und vielleicht +derselbe Beutel unter seine Kutte wanderte, den Astorre zu sich +gesteckt hatte, da er fuer Diana den Ehereif kaufen ging. + +Dass aber anfaenglich der Priester sich sperrte, dass die zwei Moenche +miteinander rangen, dass das schwere Gewoelbe eine haessliche Szene +verbarg--solches lese ich in dem verzerrten und entsetzten Gesicht der +Lauscherin. Donna Olympia verstand, dass da unten ein Frevel begangen +werde, dass sie als die Anstifterin und Mitschuldige desselben der +Strenge des Gesetzes und der Rache der Verratenen sich preisgebe, und +da sich die Hinrichtung des Grafen, ihres Gemahls, jaehrte, glaubte sie +auch ihr toerichtes Haupt dem Beil unrettbar verfallen. Sie waehnte den +nahenden Schritt Ezzelins zu vernehmen. Da floh sie und schrie: +'Hilfe! Moerder!' + +Die Gequaelte stuerzte auf den Flur und an das in den engen innern Hof +blickende Fenster. 'Mein Maultier! Meine Saenfte!' rief sie hinunter, +und lachend ueber den doppelten Befehl--das Maultier war fuer das Land, +die Saenfte fuer die Stadt--erhob sich das Gesinde der Toerin langsam und +bequem aus einem Winkel, wo es bei einer Kuerbislaterne trank und +wuerfelte. Ein alter Stallmeister, welcher allein der ungluecklichen +Herrin Treue hielt, sattelte bekuemmert zwei Maultiere und fuehrte sie +durch den Torweg auf den an der Gasse liegenden Vorplatz des Palastes. +Er hatte Donna Olympia schon auf mancher Irrfahrt begleitet. Die +andern folgten witzereissend mit der Saenfte. + +Auf der grossen Treppe stiess die fluechtige Toerin, welche der auch bei +den Unseligen uebermaechtige Trieb der Selbsterhaltung ihr geliebtes +Kind vergessen liess, gegen den besorgten Ascanio, der, ohne Nachricht +gelassen und von Unruhe getrieben, auf Kundschaft ausgegangen war. + +'Was ist geschehen, Signora?' fragte er eilig. + +'Ein Unglueck!' kraechzte sie wie ein aufwiegender Rabe, rannte die +Treppe hinab, sass auf ihrem Tier, stachelte es mit rasender Ferse und +verschwand im Dunkel. + +Ascanio suchte durch die finstern Gemaecher bis in die von der +stehengebliebenen Ampel der Madonna Olympia erhellte Kammer Antiopes. +Wie er sich darin umblickte, wurde die Tuer der Hauskapelle geoeffnet, +und zwei schoene Gespenster entstiegen der Tiefe. Der Mutige begann zu +zittern. 'Astorre, du bist mit ihr vermaehlt!' Der schallvolle Name +droehnte im Echo des Gewoelbes wie die Tuba jenes Tages. 'Und traegst +Dianens Ring am Finger!' + +Astorre riss ihn ab und schleuderte ihn von sich. + +Ascanio stuerzte an das offene Fenster, durch welches der Ring +gesprungen war. 'Er ist in eine Spalte zwischen zwei Quadern +geglitscht', sprach es aus der Gasse herauf. Ascanio erblickte +Turbane und Eisenkappen. Es waren die Leute des Vogtes, welche ihre +naechtliche Runde begannen. + +'Auf ein Wort, Abu Mohammed!' rief er, rasch besonnen, einen +weissbaertigen Greis, der hoeflich erwiderte: 'Dein Wunsch ist mir Befehl!' +und mit zwei anderen Sarazenen und einem Deutschen im Tore des +Palastes verschwand. + +Abu-Mohammed-al-Tabib ueberwachte nicht nur die Sicherheit der Strasse, +sondern betrat auch das Innerste der Haeuser, um Reichsverraeter--oder +was der Vogt so benannte--zu verhaften. Kaiser Friedrich hatte ihn +seinem Schwiegersohn, dem Tyrannen, gegeben, damit er diesem eine +sarazenische Leibwache werbe, und an deren Spitze war er in Padua +verblieben. Abu Mohammed war eine feine Erscheinung und hatte +gewinnende Formen. Er nahm Anteil an dem Schmerz der Familie, deren +Glied er in den Kerker oder zum Block fuehrte, und troestete die +betruebte in seinem gebrochenen Italienisch mit Spruechen arabischer +Dichter. Ich vermute, dass er seinen Beinamen 'al Tabib', das ist der +Arzt, wenn er auch einige chirurgische Kenntnisse und Griffe besitzen +mochte, zuerst und voraus gewissen aerztlichen Manieren verdankte: +ermutigenden Handgebaerden, beruhigenden Worten, wie zum Beispiel: 'Es +tut nicht weh' oder: 'Es geht vorueber', womit die Juenger Galens eine +schmerzliche Operation einzuleiten pflegen. Kurz, Abu Mohammed +behandelte das Tragische gelinde und war zur Zeit meiner Fabel trotz +seines strengen und bittern Amtes in Padua keine verhasste +Persoenlichkeit. Spaeter, da der Tyrann eine Lust daran fand, +menschliche Leiber zu martern, woran du nicht glauben kannst, +Cangrande!, verliess ihn Abu Mohammed und kehrte zu seinem guetigen +Kaiser zurueck. + +Auf der Schwelle des Gemaches winkte Abu Mohammed seinen drei +Begleitern, stehenzubleiben. Der Deutsche, der die Fackel trug, ein +trotzig blickender Geselle, verharrte nicht lange. Er hatte heute zur +Vesperstunde Germano nach dem Palaste Vicedomini begleitet und dieser +ihm zugelacht: 'Lass mich jetzt! Ich verlobe hier mein Schwesterchen +Diana dem Moenche!' Der Germane kannte die Schwester seines Hauptmanns +und hatte eine Art stiller Neigung zu ihr, ihres hohen Wuchses und +ihrer redlichen Augen halber. Da er nun den Moench, welchem er heute +mittag zur Seite geritten, Hand in Hand mit einem kleinen und +zierlichen Weibe sah, das ihm, neben dem grossen Bilde Dianens, als +eine Puppe erschien, witterte er Treubruch, schmiss erzuernt die +lodernde Fackel auf den Steinboden, wo sie der eine der Sarazenen +behutsam aufhob, und eilte davon, Germano den Verrat des Moenches zu +melden. + +Ascanio, der den Deutschen erriet, bat Abu Mohammed, ihn zurueckzurufen. +Dieser aber weigerte sich. 'Er wuerde nicht gehorchen', sagte er +sanft, 'und mir zwei oder drei meiner Leute niederhauen. Mit welchem +andern Dienst, Herr, bin ich dir gefaellig? Verhafte ich diese +bluehenden Jugenden?' + +'Astorre, sie wollen uns trennen!' schrie Antiope und suchte Schutz in +den Armen des Moenches. Die am Altare Frevelnde hatte mit einer +schuldlosen Seele auch die natuerliche Beherztheit eingebuesst. Der +Moench, welchen seine Schuld vielmehr ermutigte und begeisterte, tat +einen Schritt gegen den Sarazenen und riss ihm unversehens das Schwert +aus der Scheide. 'Vorsichtig, Knabe, du koenntest dich schneiden', +warnte dieser gutmuetig. + +'Lass dir sagen, Abu Mohammed', erklaerte Ascanio, 'dieser Rasende ist +der Gespiele meiner Jugend und war lange Zeit der Moench Astorre, den +du sicherlich auf den Strassen Paduas gesehen hast. Der eigene Vater +hat ihn um sein Klostergeluebde geprellt und mit einem ungeliebten Weib +vermaehlt. Vor wenigen Stunden wechselte er mit ihr die Ringe, und +jetzt, wie du ihn hier siehst, ist er der Gatte dieser andern.' + +'Verhaengnis!' urteilte der Sarazene mild. + +'Und die Verratene', fuhr Ascanio fort, 'ist Diana Pizzaguerra, die +Schwester Germanos! Du kennst ihn. Er glaubt und traut lange, sieht +und greift er aber, dass er ein Getaeuschter und Betrogener ist, so +spritzt ihm das Blut in die Augen, und er toetet.' + +'Nicht anders', bestaetigte Abu Mohammed. 'Er ist von der Mutter her +ein Deutscher, und diese sind Kinder der Treue!' + +'Rate mir, Sarazene. Ich weiss nur eine Auskunft: vielleicht eine +Rettung. Wir bringen die Sache vor den Vogt. Ezzelin mag richten. +Inzwischen bewachen deine Leute den Moench in seinem eigenen festen +Haus. Ich eile zum Ohm. Diese aber bringst du, Abu Mohammed, zu der +Markgraefin Cunizza, der Schwester des Vogts, der frommen und +leutseligen Domina, die hier seit einigen Wochen hofhaelt. Nimm die +huebsche Suenderin! Ich anvertraue sie deinem weissen Barte.'--'Du +darfst es', versicherte Mohammed. + +Antiope umklammerte den Moench und schrie noch klaeglicher als das +erstemal: 'Sie wollen mich von dir trennen! Lass mich nicht, Astorre! +keine Stunde! keinen Augenblick! Oder ich sterbe!' Der Moench hob das +Schwert. + +Ascanio, der jede Gewalttat verabscheute, blickte den Sarazenen +fragend an. Dieser betrachtete die sich umschlungen Haltenden mit +vaeterlichen Augen. 'Lass die Schatten sich umarmen!' sagte er dann +weichgestimmt, sei es, dass er ein Philosoph war und das Leben fuer +Schein hielt, sei es, dass er sagen wollte: vielleicht verurteilt sie +morgen Ezzelin zum Tode, goenne den verliebten Faltern die Stunde! + +Ascanio zweifelte nicht an der Wirklichkeit der Dinge; desto +zugaenglicher war er dem zweiten Sinne des Spruches. Nicht allein als +der Leichtfertige, der er war, sondern auch als ein Guetiger und +Menschlicher zauderte er, die Liebenden auseinanderzureissen. + +'Astorre', fragte er, kennst du mich?' + +'Du warst mein Freund', antwortete dieser. + +'Und bin es noch. Du hast keinen treuern.' + +'O trenne mich nicht von ihr!' flehte jetzt der Moench in einem so +ergreifenden Ton, dass Ascanio nicht widerstand. 'So bleibet zusammen', +sagte er, 'bis ihr vor das Gericht tretet.' Er fluesterte mit Abu +Mohammed. + +Dieser naeherte sich dem Moench, entwand ihm sachte das Schwert, Finger +um Finger von dem Griff loesend, und liess es in die Scheide an seiner +Huefte zurueckfallen. Dann trat er ans Fenster, winkte seiner Schar, +und die Sarazenen bemaechtigten sich der auf dem Vorplatz +stehengebliebenen Saenfte Madonna Olympias. + +Durch eine enge, finstere Gasse bewegte sich die schleunige Flucht: +Antiope voran, von vier Sarazenen getragen, ihr zur Seite der Moench +und Ascanio, dann die Turbane. Abu Mohammed schloss den Zug. + +Dieser eilte an einem kleinen Platz und einer erhellten Kirche vorueber. +In die dunkle Fortsetzung der Gasse einmuendend, stiess er in hartem +Anprall mit einem ihm entgegenkommenden andern, von zahlreichem Volk +begleiteten Zuge zusammen. Heftiges Gezaenk erhob sich. 'Raum der +Sposina!' rief die Menge. Chorknaben brachten aus der Kirche lange +Kerzen herbei, deren wehende Flaemmchen sie mit vorgehaltener Hand +schaetzten. Der gelbe Schimmer zeigte eine geneigte Saenfte und eine +umgestuerzte Bahre. La Sposina war ein gestorbenes Braeutchen aus dem +Volke, das zu Grabe getragen wurde. Die Tote regte sich nicht und +liess sich gelassen wieder auf ihre Bahre legen. Das versammelte Volk +aber erblickte den Moench, der die aus der Saenfte gesprungene Antiope +schirmend umfing, und es wusste doch, dass der Moench heute mit Diana +Pizzaguerra sich vermaehlt hatte. Abu Mohammed schaffte Ordnung. Ohne +weitern Unfall erreichte man den Palast. + +Astorre und Antiope wurden von der Dienerschaft mit erstaunten und +bestuerzten Blicken empfangen. Sie verschwanden im Tore, ohne von Abu +Mohammed und Ascanio Abschied genommen zu haben. Dieser wickelte sich +in sein Kleid und begleitete noch einige Schritte weit den Sarazenen, +welcher die Stadtburg, die er bewachen sollte, umging, ihre Tore +zaehlend und mit dem Blick die Hoehe ihrer Mauern messend. + +'Ein gefuellter Tag', sagte Ascanio. + +'Eine selige Nacht', erwiderte der Sarazene, den sternbesaeten Himmel +betrachtend. Die ewigen Lichter, ob sie nun unsere Schicksale +beherrschen oder nicht, wanderten nach ihren stillen Gesetzen, bis ein +junger Tag, der juengste und letzte Astorres und Antiopes, die +goettliche Fackel schwang. + +In einer Morgenstunde desselben lauschte der Tyrann mit seinem Neffen +durch ein kleines Rundbogenfenster seines Stadtturmes auf den +anliegenden Platz hinunter, den eine aufgeregte Menge fuellte, murmelnd +und tosend wie die wechselnde Meereswoge. + +Die gestrige Begegnung der Saenfte mit der Bahre und der daraus +entstandene Tumult hatten blitzschnell durch die ganze Stadt verlautet. +Alle Koepfe beschaeftigten sich wachend und traeumend mit nichts anderm +mehr als mit dem Moench und seiner Hochzeit: nicht nur dem Himmel habe +der Ruchlose sein Geluebde gebrochen, sondern jetzt auch der Erde, +seine Braut habe er verraten, seinen Reif verschleudert, in rasend +raschem Wechsel mit einmal aufgeloderten Sinnen ein neues Weib gefreit, +ein fuenfzehnjaehriges Maedchen, die Bluete des Lebens, und aus der +zerrissenen Kutte sei ein gieriger Raubvogel aufgeflattert. Aber der +gerechte Tyrann, der kein Ansehen der Person kenne, lasse das Haus, +das den Verbrecher und die Verbrecherin verberge, von seinen Sarazenen +bewachen; er werde heute, bald, jetzt die Missetat der zwei +Vornehmen--denn die junge Suenderin Antiope sei eine Canossa--vor +seinen Stuhl ziehen, der keuschen Diana ihr Recht schaffen und dem +durch das schlechte Beispiel seines Adels beleidigten tugendhaften +Volk die blutenden Koepfe der zwei Schuldigen durch das Fenster +zuwerfen. + +Der Tyrann liess sich, waehrend er einen beobachtenden Blick auf die +gaerende Masse warf, von Ascanio das Gestrige berichten. Die +Verliebung ruehrte ihn nicht, nur der zugerollte Ring beschaeftigte ihn +einen Augenblick als eine neue Form des Schicksals. 'Ich tadle', +sagte er, 'dass du sie gestern nicht auseinandergerissen hast! Ich +lobe, dass du sie bewachst! Die Vermaehlung mit Diana besteht zu Recht. +Das mit dem Schwert erzwungene oder mit dem Beutel gekaufte Sakrament +ist so nichtig wie moeglich. Der Pfaffe, der sich erschrecken oder +bestechen liess, verdient den Galgen und, wird er eingefangen, so +baumelt er. Noch einmal: warum tratest du nicht zwischen den +Unmuendigen und das Kind? warum zerrtest du nicht einen Taumelnden aus +den Armen einer Berauschten? Du gabest sie ihm! Jetzt sind sie +Gatten.' + +Ascanio, welcher sich wieder hell und leichtfertig geschlafen hatte, +verbarg ein Laecheln. 'Epikuraeer!' strafte ihn Ezzelin. Er aber +schmeichelte: 'Es ist geschehen, gestrenger Ohm. Wenn du den Fall in +deinen Machtkreis ziehst, ist alles gerettet! Beide Parteien habe ich +vor deinen Richterstuhl beschieden auf diese neunte Stunde.' Ein +gegenueberstehender Campanile schlug sie. 'Wolle nur, Ezzelin, und +deine feste und kluge Hand loest den Knoten spielend. Liebe +verschwendet, und Geist kennt Ehre nicht. Der verliebte Moench wird +dem niedertraechtigen Geizhals, als welchen wir alle diesen wuerdigen +Pizzaguerra kennen, hinwerfen, was er verlangt. Germano freilich wird +das Schwert ziehen, doch du heisst es ihn in die Scheide zurueckstossen. +Er ist dein Mann. Er knirscht, aber er gehorcht.' + +'Ich frage mich', sagte Ezzelin, 'ob ich recht tue, den Moench dem +Schwert meines Germano zu entziehen. Darf Astorre leben? Kann er es, +jetzt, da er nach verschleuderter Sandale auch den angezogenen +ritterlichen Schuh zur Schlarpe tritt und der Cantus firmus des +Moenches in einem geltenden Gassenhauer vertoent? Ich--was an mir +liegt--friste dem Wankelmuetigen und Wertlosen das Dasein. Allein ich +vermag nichts gegen sein Schicksal. Ist Astorre dem Schwerte Germanos +bestimmt, so kann ich diesen es senken heissen, jener rennt doch hinein. +Ich kenne das. Ich habe das erfahren.' Und er verfiel in ein Brueten. + +Scheu wandte Ascanio den Blick seitwaerts. Er wusste eine grausame +Geschichte. + +Einst hatte der Tyrann ein Kastell erobert und die Empoerer, die es +gehalten hatten, zum Schwerte verurteilt. Der erste beste +Kriegsknecht schwang es. Da kniete, um den Todesstreich zu empfangen, +ein schoener Knabe, dessen Zuege den Tyrannen fesselten. Ezzelin +glaubte die seinigen zu erkennen und fragte den Juengling nach seinem +Ursprung. Es war der Sohn eines Weibes, das Ezzelin in seiner Jugend +suendig geliebt hatte. Er begnadigte den Verdammten. Dieser, von der +eigenen Neugierde und den neidischen Sticheleien derer, welche ihre +Soehne oder Verwandten durch jenes Bluturteil eingebuesst hatten, gereizt +und verfolgt, ruhte nicht, bis er das Raetsel seiner Bevorzugung loeste. +Er soll den Dolch gegen die eigene Mutter gezueckt und ihr das boese +Geheimnis entrissen haben. Die enthuellte unehrliche Geburt vergiftete +seine junge Seele. Er verschwor sich von neuem gegen den Tyrannen, +ueberfiel ihn auf der Strasse und wurde von demselben Kriegsknecht, der +zufaellig der erste war, Ezzelin zu Hilfe zu eilen, und mit demselben +Schwert niedergestossen. + +Ezzelin verbarg das Haupt eine Weile mit der Rechten und betrachtete +den Untergang seines Sohnes. Dann erhob er es langsam und fragte: Was +aber wird aus Diana?' + +Ascanio zuckte die Achseln. 'Diana hat einen Unstern. Zwei Maenner +hat sie verloren, den einen an die Brenta, den andern an ein +lieblicheres Weib. Und dazu der karge Vater! Sie geht ins Kloster. +Was bliebe ihr sonst?' + +Jetzt erhob sich drunten auf dem Platze ein Murren, ein Schelten, ein +Verwuenschen, ein Drohen. 'Mordet den Moench!' reizten einzelne Stimmen, +doch da sie sich in einen allgemeinen Schrei vereinigen wollten, ging +der Volkszorn auf eine seltsame Weise in ein erstauntes und +bewunderndes 'Ach!' ueber. 'Ach, wie schoen ist sie!' Der Tyrann und +Ascanio konnten durch ihr Fenster den Auftritt bequem beobachten: +Sarazenen auf schlanken Berbern, den Moench Astorre und sein junges +Weib, die von Maultieren getragen wurden, umringend. Die neue +Vicedomini ritt verhuellt. Aber wie die tausend Faeuste des Volkes sich +gegen den Moench, ihren Gemahl, ballten, hatte sie sich +leidenschaftlich vor ihn geworfen. Die liebende Gebaerde zerriss den +Schleier. Es war nicht der Reiz ihres Antlitzes allein, noch die +Jugend ihres Wuchses, sondern das volle Spiel der Seele, das +gestaltete Gefuehl, der Atem des Lebens, was die Menge entwaffnete und +hinriss, wie gestern den Moench, der jetzt als ein bluehender Triumphator +ohne die leiseste Furcht, denn er glaubte sich gefestet und gefeit, +mit seiner warmen Beute einherzog. + +Ezzelin betrachtete diesen Sieg der Schoenheit fast veraechtlich. Er +wandte sein Auge teilnehmend gegen den zweiten Auftritt, welcher aus +einer andern Gasse auf den Turmplatz muendete. Drei Vornehme, wie +Astorre und Antiope zahlreich begleitet, suchten Bahn durch die Menge. +In der Mitte ein schneeweisses Haupt: die wuerdige Erscheinung des +alten Pizzaguerra. Ihm zur Linken Germano. Dieser hatte gestern +schrecklich gezuernt, als ihm sein Deutscher die Kunde des Verrates +brachte, und stuerzte spornstreichs zur Rache, wurde aber von dem +Sarazenen ereilt, welcher ihn, den Vater und die Schwester auf die +naechste Fruehstunde in den Turm und vor das Gericht des Vogtes lud. Er +hatte darauf der Schwester den Frevel des Moenches, welchen er ihr +lieber bis nach genommener Rache verheimlicht, offenbaren muessen und +sich ueber ihre Fassung gewundert. Diana ritt zur Rechten des Vaters, +keine andere als sonst, nur dass sie den breiten Nacken um einen +schweren Gedanken tiefer als gestern trug. + +Die Menge, welche die Gekraenkte und ihr Recht Fordernde eine Minute +frueher mit zuernendem Jubel begruesst haette, begnuegte sich jetzt, das +Auge noch geblendet von dem Glanze Antiopes und den Verrat des Moenches +begreifend und mitbegehend, der Gedrueckten ein mitleidiges: 'Arme! +Aermste! Immer Geopferte!' zuzumurmeln. + +Jetzt erschienen die fuenf vor dem Tyrannen, der in einem nackten Saal +auf einem nur um zwei Stufen ueber dem Boden erhoehten Stuhle sass. Vor +ihm standen Klaeger und Verklagte sich gegenueber: hier die beiden +Pizzaguerra und, ein wenig beiseite, die grosse Gestalt Dianas, dort, +Hand in Hand verschlungen, der Moench und Antiope, alle in Ehrfurcht, +waehrend Ascanio an dem hohen Sessel des Tyrannen lehnte, als wolle er +seine Unparteilichkeit und die Mitte wahren zwischen zwei +Jugendgespielen. + +'Herrschaften', begann Ezzelin, ich werde euern Fall nicht als eine +Staatssache, wo Treubruch Verrat und Verrat Majestaetsverbrechen ist, +behandeln, sondern als eine laessliche Familienangelegenheit. In der +Tat, die Pizzaguerra, die Vicedomini, die Canossa sind ebenso edeln +Blutes wie ich, nur dass die Erhabenheit des Kaisers mich zu ihrem Vogt +in diesen ihren Laendern gemacht hat.' Ezzelin neigte das Haupt bei der +Nennung der hoechsten Macht; er konnte es nicht entbloessen, da er +dasselbe, wenn er es nicht mit dem Streithelm bedeckte, ueberall, +selbst in Wind und Wetter, nach antiker Weise bar trug. 'So bilden +die zwoelf Geschlechter eine grosse Familie, zu der auch ich durch eine +meiner Ahnfrauen gehoere. Aber wie sind wir zusammengeschmolzen durch +unselige Verblendung und strafbare Auflehnung einiger unter uns gegen +das hoechste weltliche Amt! Wenn ihr mir glaubet, so sparen wir nach +Kraeften, was noch vorhanden ist. In diesem Sinne halte ich die Rache +der Pizzaguerra gegen Astorre Vicedomini auf, obwohl ich sie ihrer +Natur nach eine gerechte nenne. Seid ihr', er wendete sich gegen die +drei Pizzaguerra, 'mit meiner Milde nicht einverstanden, so hoeret und +bedenket eines: Ich, Ezzelino da Romano, bin der erste und darum der +Hauptschuldige. Haette ich mein Ross nicht an einem gewissen Tage und +zu einer gewissen Stunde laengs der Brenta jagen lassen, Diana waere +standesgemaess vermaehlt, und dieser hier murmelte sein Brevier. Haette +ich meine Deutschen nicht zur Musterung befohlen an einem gewissen +Tage und zu einer gewissen Stunde, so haette mein Germano den Moench +nicht unzeitig auf einen Gaul gesetzt und dieser der Frau, welche er +jetzt an der Hand haelt, den ihr von seinem boesen Daemon--' + +'Von meinem guten!' frohlockte der Moench. + +'--von seinem Daemon zugerollten Brautring wieder vom Finger gezogen. +Darum, Herrschaften, beguenstigt mich, indem ihr mir die verwickelte +Sache entwirren und schlichten helfet; denn bestandet ihr auf der +Strenge, so muesste ich auch mich und mich zuerst verurteilen!' + +Diese ungewoehnliche Rede brachte den alten Pizzaguerra keineswegs aus +der Fassung, und als ihn der Tyrann ansprach: 'Edler Herr, Euer ist +die Klage', sagte er kurz und karg 'Herrlichkeit, Astorre Vicedomini +verlobte sich oeffentlich und ganz nach den Gebraeuchen mit meinem Kinde +Diana. Dann aber, ohne dass Diana sich gegen ihn vergangen haette, +brach er sein Verloebnis. Unbegruendet, ungesetzlich, +kirchenschaenderisch. Diese Tat wiegt schwer, und verlangt, wo nicht +Blut, welches Deine Herrlichkeit nicht vergossen sehen will, eine +schwere Suehne', und er machte die Gebaerde eines Kraemers, der +Gewichtstein um Gewichtstein in eine Waagschale legt. + +'Ohne dass Diana sich vergangen haette?' wiederholte der Tyrann. 'Mich +duenkt, sie verging sich. Hatte sie nicht eine Wahnsinnige vor sich? +Und Diana schilt und schlaegt. Denn Diana ist jaehzornig und +unvernuenftig, wenn sie sich in ihrem Recht gekraenkt glaubt.' + +Da nickte Diana und sprach: 'Du sagst die Wahrheit, Ezzelin.' + +'Das ist es auch', fuhr der Tyrann fort, 'warum Astorre sein Herz von +ihr abgekehrt hat: er erblickte eine Barbarin.' + +'Nein, Herr', widersprach der Moench, die Verratene von neuem +beleidigend, 'ich habe Diana nicht angeschaut, sondern das suesse +Antlitz, das den Schlag empfing, und mein Eingeweide erbarmte sich.' + +Der Tyrann zuckte die Achseln. 'Du siehst, Pizzaguerra', laechelte er, +'der Moench gleicht einem sittsamen Maedchen, das zum erstenmal einen +starken Wein geschlurft hat und sich danach gebaerdet. Wir aber sind +alte, nuechterne Leute. Sehen wir zu, wie die Sache sich austragen +laesst.' + +Pizzaguerra erwiderte: 'Viel, Ezzelin, taete ich dir zu Gefallen wegen +deiner Verdienste um Padua. Doch laesst sich beleidigte Hausehre suehnen +anders als mit gezogenem Schwerte?' So redete der Vater Dianens und +machte mit dem Arm eine edle Bewegung, welche aber in eine Gebaerde +ausartete, die einer geoeffneten, wo nicht hingehaltenen Hand zum +Verwechseln aehnlich sah. 'Biete, Astorre!' sagte der Vogt mit dem +Doppelsinne: Biete die Hand! oder: Biete Geld und Gut! + +'Herr', wendete sich jetzt der Moench offen und edel gegen den Tyrannen, +'wenn du einen Haltlosen, ja einen Sinnberaubten in mir erblickst, +ich zuerne dir es nicht, denn ein starker Gott, den ich leugnete, weil +ich sein Dasein nicht ahnen konnte, hat sich an mir geraecht und mich +ueberwaeltigt. Noch jetzt treibt er mich wie ein Sturm und jagt mir den +Mantel ueber den Kopf. Muss ich mein Glueck--bettelhaftes Wort! +armselige Sprache!--muss ich das Hoechste des Lebens mit dem Leben +bezahlen: ich begreife es und finde den Preis niedrig gestellt! Darf +ich aber leben und mit dieser leben, so markte ich nicht!' Er laechelte +selig. 'Nimm meine Habe, Pizzaguerra!' + +'Herrschaften', verfuegte der Tyrann, ich bevormunde diesen +verschwenderischen Juengling. Unterhandeln wir zusammen, Pizzaguerra. +Du hoertest es: ich habe weite Vollmacht. Was denkst du von den +Bergwerken der Vicedomini?' + +Der ehrbare Greis schwieg, aber seine nahe zusammenliegenden Augen +glitzerten wie zwei Diamanten. + +'Nimm meine Perlfischereien dazu!' rief Astorre, doch Ascanio, der die +Stufen heruntergeglitten kam, verschloss ihm den Mund. + +'Edler Pizzaguerra', versuchte jetzt Ezzelin den Alten, 'nimm die +Bergwerke! Ich weiss, die Ehre deines Hauses geht dir ueber alles und +steht um keinen Preis feil, aber ich weiss ebenfalls, du bist ein guter +Paduaner und tust dem Stadtfrieden etwas zuliebe.' + +Der Alte schwieg hartnaeckig. + +'Nimm die Minen', wiederholte Ezzelin, der das Wortspiel liebte, 'und +gib die Minne!' + +'Die Bergwerke und die Fischereien?' fragte der Alte, als waere er +schwerhoerig. + +'Die Bergwerke, sagte ich, und damit gut. Sie tragen viele tausend +Pfund. Wuerdest du mehr fordern, Pizzaguerra, so haette ich mich in +deiner Gesinnung betrogen und du setztest dich dem haesslichen Verdacht +aus, um Ehre zu feilschen.' + +Da der Geizhals den Tyrannen fuerchtete und nicht mehr erlangen konnte, +verschluckte er seinen Verdruss und bot dem Moench die trockene Hand. +'Ein schriftliches Wort, Lebens und Sterbens halber', sagte er dann, +zog Stift und Rechenbuechlein aus der Guerteltasche, entwarf mit +zitternden Fingern die Urkunde 'coram domino Azzolino' und liess den +Moench unterzeichnen. Hierauf verbeugte er sich vor dem Vogt und bat, +ihn zu entschuldigen, wenn er, obwohl einer aus den Zwoelfen, +Altersschwaeche halber der Hochzeit des Moenches nicht beiwohne. + +Germano hatte, seine Wut verbeissend, neben dem Vater gestanden. Jetzt +loeste er den einen seiner Eisenhandschuhe. Er schleuderte ihn dem +Moench ins Gesicht, haette ihm nicht eine Machtgebaerde des Tyrannen Halt +geboten. + +'Sohn, willst du den oeffentlichen Frieden brechen?' mahnte jetzt auch +der alte Pizzaguerra. Mein gegebenes Wort enthaelt und verbuergt auch +das deinige. Gehorche! Bei meinem Fluch! Bei deiner Enterbung!' +drohte er. + +Germano lachte. 'Kuemmert Euch um Eure schmutzigen Haendel, Vater!' +warf er veraechtlich hin. 'Doch auch du, Ezzelin, Herr von Padua, +darfst es mir nicht verwehren! Es ist Mannesrecht und Privatsache. +Verweigere ich dem Kaiser und dir, seinem Vogt, den Gehorsam, so +enthaupte mich; aber du hinderst mich nicht, gerecht wie du bist, +diesen Moench zu erwuergen, der meine Schwester geaefft und mich +beheuchelt hat. Waere Untreue straflos, wer moechte leben? Es ist des +Platzes auf der Erde zu wenig fuer den Moench und mich. Das wird er +selbst begreifen, wann er wieder zu Sinnen kommt.' + +'Germano', gebot Ezzelin, 'ich bin dein Kriegsherr. Morgen vielleicht +ruft die Tuba. Du bist nicht dein eigen, du gehoerst dem Reich!' + +Germano erwiderte nichts. Er befestigte den Handschuh. 'Vorzeiten', +sagte er dann, 'unter den blinden Heiden gab es eine Gottheit, welche +gebrochene Treue raechte. Das wird sich mit dem Glockengelaeute nicht +geaendert haben. Ihr befehle ich meine Sache!' Rasch erhob er die Hand. + +'So steht es gut', laechelte Ezzelin. 'Heute abend wird im Palaste +Vicedomini Hochzeit mit Masken gefeiert, ganz wie gebraeuchlich. Ich +gebe das Fest und lade euch ein, Germano und Diana. Ungepanzert, +Germano! Mit kurzem Schwert!' + +'Grausamer!' stoehnte der Krieger. 'Kommt, Vater! Wie moeget Ihr +laenger das Schauspiel unserer Schande geben?' Er riss den Alten mit +sich fort. + +'Und du, Diana?' fragte Ezzelin, da er vor seinem Stuhl nur noch diese +und die Neuvermaehlten sah. 'Begleitest du nicht Vater und Bruder?' + +'Wenn du es gestattest, Herr', sagte sie, 'habe ich ein Wort mit der +Vicedomini zu reden.' An dem Moenche vorueber blickte sie fest auf +Antiope. + +Diese, deren Hand Astorre nicht losgab, hatte an dem Gericht des +Tyrannen einen leidenden, aber tief erregten Anteil genommen. Bald +erroetete das liebende Weib. Bald entfaerbte sich eine Schuldige, die +unter dem Laecheln und der Gnade Ezzelins sein wahres und ein sie +verdammendes Urteil entdeckte. Bald jubelte ein der Strafe +entwischtes Kind. Bald regte sich das erste Selbstgefuehl der jungen +Herrin, der neuen Vicedomini. Jetzt, von Diana ins Gesicht angeredet, +warf sie ihr scheue und feindselige Blicke entgegen. + +Diese liess sich nicht beirren. 'Schau her, Antiope!' sagte sie. +'Hier mein Finger'--sie streckte ihn--'traegt den Ring deines Gatten. +Den darfst du nicht vergessen. Ich bin nicht aberglaeubischer als +andere, aber an deiner Stelle waere mir schlimm zumute! Schwer hast du +dich an mir versuendigt, doch ich will gut und milde sein. Heute abend +feierst du Hochzeit mit Masken nach den Gebraeuchen. Ich werde dir +erscheinen. Komme reuig und demuetig und ziehe mir den Ring vom Finger!' + +Antiope stiess einen Schrei der Angst aus und klammerte sich an ihren +Gatten. Dann, in seinen Armen geborgen, redete sie stuermisch: 'Ich +soll mich erniedrigen? Was befiehlst du, Astorre? Meine Ehre ist +deine Ehre! Ich bin nichts mehr als dein Eigentum, dein Herzklopfen, +dein Atemzug und deine Seele. Wenn du willst und du gebietest, dann!' + +Astorre sprach, sein Weib zaertlich beruhigend, gegen Diana: 'Sie wird +es tun. Moege dich ihre Demut versoehnen! und die meinige! Sei mein +Gast heute nacht und bleibe meinem Hause guenstig!' Er wendete sich zu +Ezzelin, dankte ihm ehrerbietig fuer Gericht und Gnade, verneigte sich +und entfuehrte sein Weib. Auf der Schwelle aber wandte er sich noch +fragend gegen Diana: 'Und in welcher Tracht wirst du bei uns +erscheinen, dass wir dich kennen und dir Ehre bezeigen?' + +Diese laechelte veraechtlich. Wieder, wendete sie sich gegen Antiope. +'Kommen werde ich als die, welche ich mich nenne und welche ich bin: +die Unberuehrte, die Jungfraeuliche!' sagte sie stolz. Dann wiederholte +sie: 'Antiope, denke daran: reuig und demuetig!' + +'Du meinst es ehrlich, Diana? Du fuehrst nichts im Schilde?' zweifelte +der Tyrann, da ihm jetzt die Pizzaguerra allein gegenueberstand. + +'Nichts', erwiderte sie, jede Beteurung verschmaehend. + +'Und was wird aus dir, Diana?' fragte er. + +'Ezzelin', antwortete sie bitter, 'vor diesem deinem Richtstuhl hat +mein Vater die Ehre und Rache seines Kindes um ein paar Erzklumpen +verschachert. Ich bin nicht wert, dass mich die Sonne bescheine. Fuer +solche ist die Zelle!' Und sie verliess den Saal. + +'Allervortrefflichster Ohm!' jubelte Ascanio. 'Du vermaehlst das +seligste Paar in Padua und machst aus einer gefaehrlichen Geschichte +ein reizendes Maerchen, womit ich einst, als ein ehrwuerdiger Greis, +meine Enkel und Enkelinnen am Herdfeuer ergoetzen werde!' + +'Idyllischer Neffe', spottete der Tyrann. Er trat ans Fenster und +blickte auf den Platz hinunter, wo die Menge noch in fieberhafter +Neugierde standhielt. Ezzelin hatte Befehl gegeben, die vor ihn +Beschiedenen durch eine Hinterpforte zu entlassen. 'Paduaner!' redete +er jetzt mit gewaltiger Stimme, und Tausende schwiegen wie eine Einoede. +'Ich habe den Handel untersucht. Er war verwickelt und die Schuld +geteilt. Ich vergab, denn ich bin zur Milde geneigt jedesmal, wo die +Majestaet des Reiches nicht beruehrt wird. Heute abend halten Hochzeit +mit Masken Astorre Vicedomini und Antiope Canossa. Ich, Ezzelin, gebe +das Fest und lade euch alle. Lasset es euch schmecken, ich bin der +Wirt! Euch gehoeren Schenke und Gasse! Den Palast Vicedomini aber +betrete noch gefaehrde mir keiner, sonst, bei meiner Hand!--und jetzt +kehre ruhig jeder in das Seinige, wenn ihr mich lieb habet!' + +'Wie sie dich lieben!' scherzte Ascanio.--Ein unbestimmtes Gemurmel +drang empor. Es verriegelte und verrann." + +Dante schoepfte Atem. Dann endigte er in raschen Saetzen. + +"Nachdem der Tyrann sein Gericht gehalten hatte, verritt er um Mittag +nach einem seiner Kastelle, wo er baute. Er begehrte rechtzeitig nach +Padua zurueckzukehren, um die vor Diana sich demuetigende Antiope zu +betrachten. + +Aber gegen Voraussicht und Willen wurde er auf der mehrere Miglien von +der Stadt entfernten Burg festgehalten. Dorthin kam ihm ein +staubbedeckter Sarazene nachgesprengt und ueberreichte ihm ein +eigenhaendiges Schreiben des Kaisers, das umgehende Antwort verlangte. +Die Sache war von Bedeutung. Ezzelin hatte vor kurzem eine +kaiserliche Burg im Ferraresischen, in deren Befehlshaber, einem +Sizilianer, sein Scharfblick den Verraeter argwoehnte, naechtlicherweile +ueberfallen, eingenommen und den zweideutigen kaiserlichen Burgvogt in +Fesseln gelegt. Nun verlangte der Staufe Rechenschaft ueber diesen +klugen, aber verwegenen Eingriff in seinen Machtkreis. Die arbeitende +Stirn in die Linke gelegt, liess Ezzelin die Rechte ueber das Pergament +gleiten, und sein Stift zog ihn vom ersten zum zweiten und vom zweiten +zu einem dritten. Gruendlich unterhielt er sich mit dem erleuchten +Schwiegervater ueber die Moeglichkeiten und Ziele eines bevorstehenden +oder wenigstens geplanten Feldzuges. So verschwand ihm Stunde und +Zeitmass. Erst als er sich wieder zu Pferde warf, erkannte er aus dem +ihm vertrauten Wandel der Gestirne--sie blitzten in voller Klarheit--, +dass er Padua kaum vor Mitternacht erreichen werde. Sein Gefolge weit +hinter sich lassend, schnell wie ein Gespenst, flog er ueber die +naechtige Ebene. Doch er waehlte seinen Weg und umritt vorsichtig einen +wenig tiefen Graben, ueber welchen der kuehne Reiter an einem andern +Tage spielend gesetzt haette: er verhinderte das Schicksal, seine Fahrt +zu bedrohen und seinen Hengst zu stuerzen. Wieder verschlang er auf +gestrecktem Renner den Raum, aber Paduas Lichter wollten noch nicht +schimmern. + +Dort, vor der breiten Stadtfeste der Vicedomini, waehrend sie sich in +rasch wachsender Daemmerung schwaerzte, hatte sich das trunkene Volk +versammelt. Zuegellose wechselten mit possierlichen Szenen auf dem +nicht grossen Platze. In der gedraengten Menge gor eine wilde, zornige +Lust, ein bacchantischer Taumel, welchem die ausgelassene Jugend der +Hochschule ein Element des Spottes und Witzes beimischte. + +Jetzt liess sich eine schleppende Kantilene vernehmen, in der Art einer +Litanei, wie unsere Landleute zu singen pflegen. Es war ein Zug +Bauern, alt und jung, aus einem der zahlreichen Doerfer im Besitz der +Vicedomini. Dieses arme Volk, welches in seiner Abgelegenheit nichts +von der Verweltlichung des Moenches, sondern nur in unbestimmten +Umrissen die Vermaehlung des Erben erfahren, hatte sich vor +Tagesanbruch mit den ueblichen Hochzeitsgeschenken aufgemacht und +erreichte nun sein Ziel nach einer langen Wallfahrt im Staub der +Landstrasse. Es hielt und duckte sich zusammen, langsam ueber den +wogenden Platz vorrueckend, hier ein lockiger Knabe, fast noch ein Kind, +mit einer goldenen Honigwabe, dort eine scheue, stolze Dirne, ein +bloekendes, bebaendertes Laemmchen in den sorglichen Armen. Alle +verlangten sie sehnlich nach dem Angesicht ihres neuen Herrn. + +Nun verschwanden sie nach und nach in der Woelbung des Tores, wo rechts +und links die angezuendeten Fackeln in den Eisenringen loderten, mit +der letzten Tageshelle streitend. Im Torweg befahl Ascanio als Ordner +des Festes, er, der sonst so freundliche, mit einer schreienden und +gereizten Stimme. + +Von Stunde zu Stunde wuchs der Frevelmut des Volkes, und als endlich +die vornehmen Masken anlangten, wurden sie gestossen, dem Gesinde die +Fackeln entrissen und auf den Steinplatten ausgetreten, die Edelweiber +von ihren maennlichen Begleitern abgedraengt und luestern gehaenselt, +ungeraecht von dem Schwertstich, der an gewoehnlichen Abenden die +Frechheit sofort gestraft haette. + +Dergestalt kaempfte unweit des Palasttores ein hohes Weib in der Tracht +einer Diana mit einem immer enger sich schliessenden Ringe von +Klerikern und Schuelern niedersten Ranges. Ein hagerer Mensch liess +seine mythologischen Kenntnisse glaenzen. 'Nicht Diana bist du!' +naeselte er verbuhlt, 'du bist eine andere! ich erkenne dich. Hier +sitzt dein Taeubchen!' und er zeigte auf den silbernen Halbmond ueber +der Stirne der Goettin. Diese aber schmeichelte nicht wie Aphrodite, +sondern zuernte wie Artemis. 'Weg, Schweine!' schalt sie. 'Ich bin +eine reinliche Goettin und verabscheue die Kleriker!'--'Gurr, gurr!' +girrte die Hopfenstange und tastete mit den Knochenhaenden, stiess aber +auf der Stelle einen durchdringenden Schrei aus. Wimmernd hob der +Elende die Hand und zeigte seinen Schaden. Sie war durch und durch +gestochen und ueberquoll von Blut: das ergrimmte Maedchen hatte hinter +sich in den Koecher gelangt--den entwendeten Jagdkoecher ihres +Bruders--und mit einem der scharfgeschliffenen Pfeile die ekle Hand +gezuechtigt. Schon wurde der rasche Auftritt von einem andern ebenso +grausamen, wenn auch unblutigen verdraengt. Eine alle erdenklichen +Widersprueche und schneidenden Misstoene durcheinanderwerfende Musik, die +einem rasenden Zank der Verdammten in der Hoelle glich, brach sich Bahn +durch die betaeubte und ergoetzte Menge. Das niederste und schlimmste +Volk--Beutelschneider, Kuppler, Dirnen, Betteljungen--blies, kratzte, +paukte, pfiff, quiekte, meckerte und grunzte vor und hinter einem +abenteuerlichen Paar. Ein grosses, verwildertes Weib von zerstoerter +Schoenheit ging Arm in Arm mit einem trunkenen Moench in zerfetzter +Kutte. Dieses war der Klosterbruder Serapion, der, von dem Beispiel +Astorres aufgestachelt, naechtlicherweile aus der Zelle entsprungen war +und sich seit einer Woche im Schlamm der Gasse waelzte. Vor einem aus +der finstern Palastmauer vorspringenden erhellten Erker machte die +Horde halt, und mit einer geltenden Stimme und der Gebaerde eines +oeffentlichen Ausrufers schrie das Weib: 'Kund und zu wissen, +Herrschaften: ueber ein kurzes schlummert der Moench Astorre neben +seiner Gattin Antiope!' Ein unbaendiges Gelaechter begleitete diese +Verkuendigung. + +Jetzt nickte aus dem schmalen Bogenfenster des Erkers die laeutende +Schellenkappe Gocciolas, und ein melancholisches Gesicht zeigte sich +der Gasse. + +'Gutes Weib, sei stille!' klagte der Narr weinerlich auf den Platz +hinunter. 'Du verletzest meine Erziehung und beleidigst mein +Schamgefuehl!' + +'Guter Narr', antwortete die Schamlose, 'stosse dich nicht daran! Was +die Vornehmen begehen, dem geben wir den Namen. Wir setzen die Titel +auf die Buechsen der Apotheke!' + +'Bei meinen Todsuenden', jubelte Serapion, 'das tun wir! Bis +Mitternacht soll die Hochzeit meines Bruederchens auf allen Plaetzen +Paduas ausgeschellt und hell verkuendigt werden. Vorwaerts, marsch! +Hopsassa!' und er hob das nackte Bein mit der Sandale aus den +haengenden Lumpen der besudelten Kutte. + +Dieser von der Menge wuetend beklatschte Schwank verscholl an den +steilen Mauern der maechtigen Burg, deren Fenster und Gemaecher zum +grossen Teil gegen die innern Hofraeume gingen. + +In einem stillen, geschuetzten Gemach wurde Antiope von ihren Zofen, +Sotte und einer andern, gekleidet und geschmueckt, waehrend Astorre den +nicht enden wollenden Schwarm der Gaeste oben an den Treppen empfing. +Sie schaute in ihre eigenen bangen Augen, die ihr aus einem +Silberspiegel begegneten, welchen die Unterzofe mit einem neidischen +Gesicht in nackten, frechen Armen hielt. + +'Sotte', fluesterte das junge Weib zu der Dienerin, die ihr die Haare +flocht, 'du aehnelst mir und hast meinen Wuchs.--wechsle mit mir die +Kleider, wenn du mich lieb hast! Gehe hin und ziehe ihr den Ring vom +Finger! Reuig und demuetig! Verbeuge dich mit gekreuzten Armen vor +der Pizzaguerra, wie die letzte Sklavin! Falle auf die Knie! Waelze +dich am Boden! Wirf dich ganz weg! Nur nimm ihr den Ring! Ich lohne +fuerstlich!' und da sie Sotte zaudern sah: 'Nimm und behalte alles, was +ich Koestliches trage!' flehte die Herrin, und dieser Versuchung +widerstand die eitle Sotte nicht. + +Astorre, welcher der Pflicht des Wirtes einen Augenblick entwendete, +um sein Liebstes zu besuchen, fand im Gemach zwei sich umkleidende +Frauen. Er erriet. 'Nein, Antiope!' verbot er. 'So darfst du nicht +durchschluepfen. Es muss Wort gehalten werden! Ich verlange es von +deiner Liebe. Ich befehle es dir!' Indem er diesen strengen Spruch +mit einem Kuss auf den geliebten Nacken zu einem Kosewort machte, wurde +er weggerissen von dem herbeieilenden Ascanio, welcher ihm vorstellte, +seine Bauern wuenschten ihm ihre Gaben ohne Verzug zu ueberreichen, um +in der Kuehle der Nacht den Heimweg anzutreten. Da sich Antiope +wendete, um den Gatten wiederzukuessen, kuesste sie die Luft. + +Jetzt liess sie sich rasch fertig kleiden. Selbst die leichtfertige +Sotte erschrak vor der Blaesse des Angesichts im Spiegel. Nichts lebte +darin als die Angst der Augen und der Schimmer der zusarnmengepressten +Zaehnchen. Ein roter Streif, der Schlag Dianens, wurde auf der weissen +Stirn sichtbar. + +Nach beendigtem Putz erhob sich das Weib Astorres mit klopfenden +Pulsen und haemmernden Schlaefen, verliess die sichere Kammer und +durcheilte die Saele, Dianen suchend. Sie wurde gejagt von dem Mute +der Furcht. Sie wollte jubelnd mit dem zurueckeroberten Ring ihrem +Gatten entgegeneilen, dem sie den Anblick ihrer Busse erspart haette. + +Bald unterschied sie aus den Masken die hochgewachsene Goettin der Jagd, +erkannte in ihr die Feindin und folgte, bebend und zornige Worte +murmelnd, der gemessen Schreitenden, welche den Hauptsaal verliess und +sich gnaedig in eines der schwachbeleuchteten und nur halb so hohen +Nebengemaecher verlor. Die Goettin schien nicht oeffentliche Demuetigung, +sondern Demut des Herzens zu verlangen. + +Jetzt neigte sich im Halbdunkel Antiope vor Diana. 'Gib mir den Ring!' +presste sie hervor und tastete an dem kraeftigen Finger. + +'Demuetig und reuig?' fragte Diana. + +'Wie anders, Herrin?' fieberte die Unselige. 'Aber du treibst dein +Spiel mit mir, Grausame! Du biegst deinen Finger, jetzt kruemmst du +ihn!' + +Ob Antiope es sich einbildete? Ob Diana wirklich dieses Spiel trieb? +Wie wenig ist ein gekruemmter Finger! Cangrande, du hast mich der +Ungerechtigkeit bezichtigt. Ich entscheide nicht. + +Genug, die Vicedomini hob den geschmeidigen Leib und rief, die +flammenden Augen auf die strengen der Pizzaguerra gerichtet: 'Neckst +du eine Frau, Maedchen?' Dann bog sie sich wieder und suchte mit beiden +Haenden dem Finger den Ring zu entreissen--da durchfuhr sie ein Blitz. +Ihr die linke Hand ueberlassend, hatte die strafende Diana mit der +Rechten einen Pfeil aus dem Koecher gezogen und Antiope getoetet. Diese +sank zuerst auf die linke, dann auf die rechte Hand, drehte sich und +lag, den Pfeil im Genick, auf die Seite gewendet. + +Der Moench, der nach Verabschiedung seiner laendlichen Gaeste +zurueckgeeilt kam und sehnlich sein Weib suchte, fand eine Entseelte. +Mit einem erstickten Schrei warf er sich neben sie nieder und zog ihr +den Pfeil aus dem Halse. Ein Blutstrahl folgte. Astorre verlor die +Besinnung. + +Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, stand Germano vor ihm mit +gekreuzten Armen. 'Bist du der Moerder?' fragte der Moench. + +'Ich morde keine Weiber', antwortete der andere traurig. 'Es ist +meine Schwester, die ihr Recht gesucht hat.' + +Astorre tastete nach dem Pfeil und fand ihn. Aufgesprungen in einem +Satz und das lange Geschoss mit der blutigen Spitze wie eine Klinge +handhabend, fiel er in blinder Wut den Jugendgespielen an. Der +Krieger schauderte leicht vor dem schwarzgekleideten, fahlen Gespenst +mit den gestraeubten Haaren und dem Pfeil in der Faust. + +Er wich um einen Schritt. Das kurze Schwert ziehend, welches der +Ungepanzerte heute trug, und den Pfeil damit festhaltend, sagte er +mitleidig: 'Geh in dein Kloster zurueck, Astorre, das du nie haettest +verlassen sollen!' + +Da gewahrte er ploetzlich den Tyrannen, der, gefolgt von dem ganzen +Feste, welches dem laengst Erwarteten bis ans Tor entgegengestuerzt war, +ihm gerade gegenueber durch die Tuer trat. + +Ezzelin streckte die Rechte, Friede gebietend, und Germano senkte +ehrfuerchtig seine Waffe vor dem Kriegsherrn. Diesen Augenblick +ergriff der rasende Moench und stiess dem Ezzelin Entgegenschauenden den +Pfeil in die Brust. Aber auch sich traf er toedlich, von dem +blitzschnell wieder gehobenen Schwert des Kriegers erreicht. + +Germano war stumm zusammengesunken. Der Moench, von Ascanio gestuetzt, +tat noch einige wankende Schritte nach seinem Weib und bettete sich, +von dem Freund niedergelassen, zu ihr, Mund an Mund. + +Die Hochzeitsgaeste umstanden die Vermaehlten. Ezzelin betrachtete den +Tod. Hernach liess er sich auf ein Knie nieder und drueckte erst +Antiope, darauf Astorre die Augen zu. In die Stille klang es misstoenig +herein durch ein offenes Fenster. Man verstand aus dem Dunkel: 'Jetzt +schlummert der Moench Astorre neben seiner Gattin Antiope.' Und ein +fernes Gelaechter." + +Dante erhob sich. "Ich habe meinen Platz am Feuer bezahlt", sagte er, +"und suche nun das Glueck des Schlummers. Der Herr des Friedens behuete +uns alle!" Er wendete sich und schritt durch die Pforte, welche ihm +der Edelknabe geoeffnet hatte. Aller Augen folgten ihm, der die Stufen +einer fackelhellen Treppe langsam emporstieg. + + +Ende dieses PRojekt Gutenberg Etxtes Die Hochzeit des Moenchs, von +Conrad Ferdinand Meyer. + + + + + + +End of Project Gutenberg's Die Hochzeit des Moenchs, +by Conrad Ferdinand Meyer + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HOCHZEIT DES MOENCHS *** + +This file should be named 7dhdm10.txt or 7dhdm10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7dhdm11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7dhdm10a.txt + +Produced by Delphine Lettau + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Die Hochzeit des Mönchs + +Conrad Ferdinand Meyer + + + +Es war in Verona. Vor einem breiten Feuer das einen weiträumigen Herd +füllte, lagerte in den bequemsten Stellungen, welche der Anstand +erlaubt, ein junges Hofgesinde männlichen und weiblichen Geschlechts +um einen ebenso jugendlichen Herrscher und zwei blühende Frauen. Dem +Herd zur Linken saß diese fürstliche Gruppe, welcher die übrigen in +einem Viertelkreis sich anschlossen, die ganze andere Seite des Herdes +nach höfischer Sitte frei lassend. Der Gebieter war derjenige +Scaliger, welchen sie Cangrande nannten. Von den Frauen, in deren +Mitte er saß, mochte die nächst dem Herd etwas zurück und ins +Halbdunkel gelehnte sein Eheweib, die andere, vollbeleuchtete, seine +Verwandte oder Freundin sein, und es wurden mit bedeutsamen Blicken +und halblautem Gelächter Geschichten erzählt. + +Jetzt trat in diesen sinnlichen und mutwilligen Kreis ein +gravitätischer Mann, dessen große Züge und lange Gewänder aus einer +andern Welt zu sein schienen. "Herr, ich komme, mich an deinem Herde +zu wärmen", sprach der Fremdartige halb feierlich, halb geringschätzig +und verschmähte hinzuzufügen, daß die lässige Dienerschaft trotz des +frostigen Novemberabends vergessen oder versäumt hatte, Feuer in der +hoch gelegenen Kammer des Gastes zu machen. + +"Setze dich neben mich, mein Dante", erwiderte Cangrande, "aber wenn +du dich gesellig wärmen willst, so blicke mir nicht nach deiner +Gewohnheit stumm in die Flamme! Hier wird erzählt, und die Hand, +welche heute Terzinen geschmiedet hat auf meine astrologische Kammer +steigend, hörte ich in der deinigen mit dumpfem Gesang Verse +skandieren--, diese wuchtige Hand darf es heute nicht verweigern, das +Spielzeug eines kurzweiligen Geschichtchens, ohne es zu zerbrechen, +zwischen ihre Finger zu nehmen. Beurlaube die Göttinnen"--er meinte +wohl die Musen--"und vergnüge dich mit diesen schönen Sterblichen." +Der Scaliger zeigte seinem Gast mit einer leichten Handbewegung die +zwei Frauen, von welchen die größere, die scheinbar gefühllos im +Schatten saß, nicht daran dachte zu rücken, während die kleinere und +aufgeweckte dem Florentiner bereitwillig neben sich Raum machte. Aber +dieser gab der Einladung seines Wirtes keine Folge, sondern wählte +stolz den letzten Sitz am Ende des Kreises. Ihm mißfiel entweder die +Zweiweiberei des Fürsten--wenn auch vielleicht nur das Spiel eines +Abends--oder dann ekelte ihn der Hofnarr, welcher, die Beine vor sich +hingestreckt, neben dem Sessel Cangrandes auf dem herabgeglittenen +Mantel desselben am Boden saß. + +Dieser, ein alter, zahnloser Mensch mit Glotzaugen und einem schlaffen, +verschwätzten und vernaschten Maul--neben Dante der einzig Bejahrte +der Gesellschaft--, hieß Gocciola, das heißt das Tröpfchen, weil er +die letzten klebrigen Tropfen aus den geleerten Gläsern +zusammenzunaschen pflegte, und haßte den Fremdling mit kindischer +Bosheit; denn er sah in Dante seinen Nebenbuhler um die nicht eben +wählerische Gunst des Herrn. Er schnitt ein Gesicht und erfrechte +sich, seine hübsche Nachbarin zur Linken auf das an der hellen Decke +des hohen Gemaches sich abschattende Profil des Dichters höhnisch +grinsend aufmerksam zu machen. Das Schattenbild Dantes glich einem +Riesenweibe mit langgebogener Nase und hangender Lippe, einer Parze +oder dergleichen. Das lebhafte Mädchen verwand ein kindliches Lachen. +Ihr Nachbar, ein klug blickender Jüngling, der Ascanio hieß, half ihr +dasselbe ersticken, indem er sich an Dante wendete mit einer maßvollen +Ehrerbietung, in welcher dieser angeredet zu werden liebte. + +"Verschmähe es nicht, du Homer und Virgil Italiens", bat er, "dich in +unser harmloses Spiel zu mischen. Laß dich zu uns herab und erzähle, +Meister, statt zu singen." + +"Was ist euer Thema?" warf Dante hin, weniger ungesellig, als er +begonnen hatte, aber immer noch mürrisch genug. "Plötzlicher +Berufswechsel", antwortete der Jüngling bündig, "mit gutem oder +schlechtem oder lächerlichem Ausgang." + +Dante besann sich. Seine schwermütigen Augen betrachteten die +Gesellschaft, deren Zusammensetzung ihm nicht durchaus zu mißfallen +schien; denn er entdeckte in derselben neben mancher flachen einige +bedeutende Stirnen. "Hat einer unter euch den entkutteten Mönch +behandelt?" äußerte der schon milder Gestimmte. + +"Gewiß, Dante!" antwortete, sein Italienisch mit einem leichten +deutschen Akzent aussprechend, ein Kriegsmann von treuherzigem +Aussehen, Germano mit Namen, der einen Ringelpanzer und einen lang +herabhängenden Schnurrbart trug. "Ich selbst erzählte den jungen +Manuccio, welcher über die Mauern seines Klosters sprang, um Krieger +zu werden." + +"Er tat recht", erklärte Dante, "er hatte sich selbst getäuscht über +seine Anlage." + +"Ich, Meister", plauderte jetzt eine kecke, etwas üppige Paduanerin, +namens Isotta, "habe die Helene Manente erzählt, welche eben die erste +Locke unter der geweihten Schere verscherzt hatte, aber schnell die +übrigen mit den beiden Händen deckte und ihr Nonnengelübde +verschluckte, denn sie hatte ihren in barbareske Sklaverei geratenen +und höchst wunderbar daraus erretteten Freund unter dem Volk im Schiff +der Kirche erblickt, wie er die gelösten Ketten"--sie wollte sagen: an +der Mauer aufhing, aber ihr Geschwätz wurde von dem Munde Dantes +zerschnitten. + +"Sie tat gut", sagte er, "denn sie handelte aus der Wahrheit ihrer +verliebten Natur. Von alledem ist hier die Rede nicht, sondern von +einem ganz andern Fall: Wenn nämlich ein Mönch nicht aus eigenem Trieb, +nicht aus erwachter Weltlust oder Weltkraft, nicht weil er sein Wesen +verkannt hätte, sondern einem andern zuliebe, unter dem Druck eines +fremden Willens, wenn auch vielleicht aus heiligen Gründen der Pietät, +untreu an sich wird, sich selbst mehr noch als der Kirche gegebene +Gelübde bricht und eine Kutte abwirft, die ihm auf dem Leib saß und +ihn nicht drückte. Wurde das schon erzählt? Nein? Gut, so werde ich +es tun. Aber sage mir, wie endet solches Ding, mein Gönner und +Beschützer?" Er hatte sich ganz gegen Cangrande gewendet. + +"Notwendig schlimm", antwortete dieser ohne Besinnen. "Wer mit freiem +Anlauf springt, springt gut; wer gestoßen wird, springt schlecht." + +"Du redest die Wahrheit, Herr", bestätigte Dante, "und nicht anders, +wenn ich ihn verstehe, meint es auch der Apostel, wo er schreibt: daß +Sünde sei, was nicht aus dem Glauben gehe, das heißt, aus der +Überzeugung und Wahrheit unserer Natur." + +"Muß es denn überhaupt Mönche geben?" kicherte eine gedämpfte Stimme +aus dem Halbdunkel, als wollte sie sagen: jede Befreiung aus einem an +sich unnatürlichen Stand ist eine Wohltat. + +Die dreiste und ketzerische Äußerung erregte hier kein Ärgernis, denn +an diesem Hof wurde das kühnste Reden über kirchliche Dinge geduldet, +ja belächelt, während ein freies oder nur unvorsichtiges Wort über den +Herrscher, seine Person oder seine Politik, verderben konnte. + +Dantes Auge suchte den Sprecher und entdeckte denselben in einem +vornehmen, jungen Kleriker, dessen Finger mit dem kostbaren Kreuze +tändelten, welches er über dem geistlichen Gewand trug. + +"Nicht meinetwegen", gab der Florentiner bedächtig zur Antwort. +"Mögen die Mönche aussterben, sobald ein Geschlecht ersteht, welches +die beiden höchsten Kräfte der Menschenseele, die sich auszuschließen +scheinen, die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit vereinigen lernt. +Bis zu jener späten Weltstunde verwalte der Staat die eine, die Kirche +die andere. Da aber die Übung der Barmherzigkeit eine durchaus +selbstlose Seele fordert, so sind die drei mönchischen Gelübde +gerechtfertigt; denn es ist weniger schwer, wie die Erfahrung lehrt, +der Lust ganz als halb zu entsagen." + +"Gibt es aber nicht mehr schlechte Mönche als gute?" fragte der +geistliche Zweifler weiter. + +"Nein", behauptete Dante, "wenn man die menschliche Schwachheit +berücksichtigt. Es müßte denn mehr ungerechte Richter als gerechte, +mehr feige Krieger als beherzte, mehr schlechte Menschen als gute +geben." + +"Und ist das nicht der Fall?" flüsterte der im Halbdunkel. + +"Nein", entschied Dante, und eine himmlische Verklärung erleuchtete +seine strengen Züge. "Fragt und untersucht unsere Philosophie nicht: +wie ist das Böse in die Welt gekommen? Wären die Bösen in der +Mehrzahl, so fragten wir: wie kam das Gute in die Welt?" + +Diese stolzen und dunkeln Sätze imponierten der Gesellschaft, erregten +aber auch die Besorgnis, der Florentiner möchte sich in seine +Scholastik vertiefen statt in seine Geschichte. + +Cangrande sah, wie seine junge Freundin ein hübsches Gähnen verwand. +Unter solchen Umständen ergriff er das Wort und fragte: "Erzählst du +uns eine wahre Geschichte, mein Dante, nach Dokumenten? oder eine Sage +des Volksmunds? oder eine Erfindung deiner bekränzten Stirne?" + +Dieser antwortete langsam betonend: "Ich entwickle meine Geschichte +aus einer Grabschrift." + +"Aus einer Grabschrift?" + +"Aus einer Grabschrift, die ich vor Jahren bei den Franziskanern in +Padua gelesen habe. Der Stein, welcher sie trägt, lag in einem Winkel +des Klostergartens, allerdings unter wildem Rosengesträuch versteckt, +aber doch den Novizen zugänglich, wenn sie auf allen vieren krochen +und sich eine von Dornen zerkritzte Wange nicht reuen ließen. Ich +befahl dem Prior--will sagen, ich ersuchte ihn, den fraglichen Stein +in die Bibliothek zu versetzen und unter die Hut eines Greises zu +stellen." + +"Was sagte denn der Stein?" ließ sich jetzt die Gemahlin des Fürsten +nachlässig vernehmen. + +"Die Inschrift", erwiderte Dante, "war lateinisch und lautete: Hic +jacet monachus Astorre cum uxore Antiope. Sepeliebat Azzolinus." + +"Was heißt denn das?" fragte die andere neugierig. + +Cangrande übersetzte fließend: "Hier schlummert der Mönch Astorre +neben seiner Gattin Antiope. Beide begrub Ezzelin." + +"Der abscheuliche Tyrann!" rief die Empfindsame. "Gewiß hat er die +beiden lebendig begraben lassen, weil sie sich liebten, und das Opfer +noch in der Gruft gehöhnt, indem er es die Gattin des Mönches nannte. +Der Grausame!" + +"Kaum", meinte Dante. "Das hat sich in meinem Geiste anders gestaltet +und ist auch nach der Geschichte unwahrscheinlich. Denn Ezzelin +bedrohte wohl eher den kirchlichen Gehorsam als den Bruch geistlicher +Gelübde. Ich nehme das 'sepeliebat' in freundlicherem Sinne: er gab +den beiden ein Begräbnis." + +"Recht", rief Cangrande freudig, "du denkst wie ich, Florentiner! +Ezzelino war eine Herrschernatur und, wie sie einmal sind, etwas rauh +und gewaltsam. Neun Zehntel seiner Frevel haben ihm die Pfaffen und +das fabelsüchtige Volk angedichtet." "Möchte dem so sein!" seufzte +Dante. "Wo er übrigens in meiner Fabel auftritt, ist er noch nicht +das Ungeheuer, welches uns, wahr oder falsch, die Chronik schildert, +sondern seine Grausamkeit beginnt sich nur erst zu zeichnen, mit einem +Zug um den Mund sozusagen--" + +"Eine gebietende Gestalt", vollendete Cangrande feurig das Bildnis, +"mit gesträubtem, schwarzem Stirnhaar, wie du ihn in deinem zwölften +Gesang als einen Bewohner der Hölle malst. Woher hast du dieses +schwarzhaarige Haupt?" + +"Es ist das deinige", versetzte Dante kühn, und Cangrande fühlte sich +geschmeichelt. + +"Auch die übrigen Gestalten der Erzählung", fuhr er mit lächelnder +Drohung fort, "werde ich, ihr gestattet es?"--und er wendete sich +gegen die Umsitzenden--"aus eurer Mitte nehmen und ihnen eure Namen +geben: euer Inneres lasse ich unangetastet, denn ich kann nicht darin +lesen." + +"Meine Miene gebe ich dir preis", sagte großartig die Fürstin, deren +Gleichgültigkeit zu weichen begann. + +Ein Gemurmel der höchsten Aufregung lief durch die Zuhörer, und: +"Deine Geschichte, Dante!" raunte es von allen Seiten, "deine +Geschichte!" + +"Hier ist sie", sagte dieser und erzählte. + +"Wo sich der Gang der Brenta in einem schlanken Bogen der Stadt Padua +nähert, ohne diese jedoch zu berühren, glitt an einem himmlischen +Sommertag unter gedämpftem Flötenschall eine bekränzte, von festlich +Gekleideten überfüllte Barke auf dem schnellen, aber ruhigen Wasser. +Es war die Brautfahrt des Umberto Vicedomini und der Diana Pizzaguerra. +Der Paduaner hatte sich seine Verlobte aus einem am obern Lauf des +Flusses gelegenen Kloster geholt, wohin, kraft einer alten städtischen +Sitte, Mädchen von Stand vor ihrer Hochzeit zum Behufe frommer Übungen +sich zurückzuziehen pflegen. Sie saß in der Mitte der Barke auf einem +purpurnen Polster zwischen ihrem Bräutigam und den drei blühenden +Knaben seines ersten Bettes. Umberto Vicedomini hatte vor fünf Jahren, +da die Pest in Padua wütete, das Weib seiner Jugend begraben und, +obwohl in der Kraft der Männlichkeit stehend, nur schwer und +widerwillig, auf das tägliche Drängen eines alten und siechen Vaters, +zu diesem zweiten Ehebund sich entschlossen. + +Mit eingezogenen Rudern fuhr die Barke, dem Willen des Stromes sich +überlassend. Die Bootsknechte begleiteten die sanfte Musik mit einem +halblauten Gesang. Da verstummten beide. Aller Augen hatten sich +nach dem rechten Ufer gerichtet, an welchem ein großer Reiter seinen +Hengst bändigte und mit einer weiten Gebärde nach der Barke herüber +grüßte. Scheues Gemurmel durchlief die Reihen der Sitzenden. Die +Ruderer rissen sich die roten Mützen vom Kopf, und das ganze Fest +erhob sich in Furcht und Ehrerbietung, auch der Bräutigam, Diana und +die Knaben. Untertänige Gebärden, grüßende Arme, halbgebogene Knie +wendeten sich gegen den Strand mit einem solchen Ungestüm und Übermaß +der Bewegung, daß die Barke aus dem Gleichgewicht kam, sich nach +rechts neigte und plötzlich überwog. Ein Schrei des Entsetzens, ein +drehender Wirbel, eine leere Strommitte, die sich mit Auftauchenden, +wieder Versinkenden und den schwimmenden Kränzen der verunglückten +Barke bevölkerte. Hilfe war nicht ferne, denn wenig weiter unten lag +ein kleiner Port, wo Fischer und Fährleute hausten und heute auch die +Rosse und Sänften warteten, welche die Gesellschaft, die jetzt im +Strom unterging, vollends nach Padua hätten bringen sollen. + +Die zwei ersten der rettenden Kähne strebten sich von den +entgegengesetzten Ufern zu. In dem einen stand neben einem alten +Fergen mit struppigem Bart Ezzelin, der Tyrann von Padua, der +unschuldige Urheber des Verderbens, in dem andern, vom linken Ufer +kommenden ein junger Mönch und sein Fährmann, welcher den staubigen +Waller über den Strom stieß gerade in dem Augenblick, da sich darauf +das Unheil zutrug. Die beiden Boote erreichten sich. Zwischen ihnen +schwamm im Flusse etwas wie eine Fülle blonden Haares, in das der +Mönch entschlossen hineingriff, knielings, mit weit ausgestrecktem +Arme, während sein Schiffer aus allen Kräften sich auf die andere +Seite des Nachens zurückstemmte. An einer dicken Strähne hob der +Mönch ein Haupt, das die Augen geschlossen hielt, und dann, mit Hilfe +des dicht herangekommenen Ezzelin, die Last eines von triefendem +Gewand beschwerten Weibes aus der Strömung. Der Tyrann war von seinem +Nachen in den andern gesprungen und betrachtete jetzt das entseelte +Haupt, das einen Ausdruck von Trotz und Unglück trug, mit einer Art +von Wohlgefallen, sei es an den großen Zügen desselben, sei es an der +Ruhe des Todes. + +'Kennst du sie, Astorre?' fragte er den Mönch. Dieser schüttelte +verneinend den Kopf, und der andere fuhr fort: 'Siehe, es ist das Weib +deines Bruders.' + +Der Mönch warf auf das bleiche Antlitz einen mitleidigen, scheuen +Blick, welches unter demselben langsam die schlummernden Augen öffnete. + +'Bringe sie ans Ufer!' befahl Ezzelin, allein der Mönch überließ sie +seinem Fährmann. 'Ich will meinen Bruder suchen', rief er, 'bis ich +ihn finde.'--'Ich helfe dir, Mönch', sagte der Tyrann, 'doch ich +zweifle, daß wir ihn retten: ich sah ihn, wie er seine Knaben +umschlang und, von den dreien umklammert, schwer in die Tiefe ging.' + +Inzwischen hatte sich die Brenta mit Fahrzeugen bedeckt. Es wurde +gefischt mit Stangen, Haken, Angeln, Netzen, und in der rasch +wechselnden Szene vervielfältigte sich über den Suchenden und den +gehobenen Bürden die Gestalt des Herrschers. + +'Komm, Mönch!' sagte er endlich. 'Hier gibt es für dich nichts mehr +zu tun. Umberto und seine Knaben liegen nunmehr zu lang in der Tiefe, +um ins Leben zurückzukehren. Der Strom hat sie verschleppt. Er wird +sie ans Ufer legen, wann er ihrer müde ist. Aber siehst du dort die +Zelte?' Man hatte deren eine Zahl am Strand der Brenta zum Empfang der +mit der Hochzeitsbarke Erwarteten aufgeschlagen und jetzt die Toten +oder Scheintoten hineingelegt, welche von ihren schon aus dem nahen +Padua herbeigeeilten Verwandten und Dienern umjammert wurden. 'Dort, +Mönch, verrichte, was deines Amtes ist: Werke der Barmherzigkeit! +Tröste die Lebenden! Bestatte die Toten!' + +Der Mönch hatte das Ufer betreten und den Reichsvogt aus den Augen +verloren. Da kam ihm aus dem Gedränge Diana entgegen, die Braut und +Witwe seines Bruders, trostlos, aber ihrer Sinne wieder mächtig. Noch +trieften die schweren Haare, aber auf ein gewechseltes Gewand: ein +mitleidiges Weib aus dem Volke hatte ihr im Gezelt das eigene gegeben +und sich des kostbaren Hochzeitskleides bemächtigt. 'Frommer Bruder', +wendete sie sich an Astorre, 'ich bin verlassen: die mir bestimmte +Sänfte ist in der Verwirrung mit einer andern, Lebenden oder Toten, in +die Stadt zurückgekehrt. Begleite mich nach dem Hause meines +Schwiegers, der dein Vater ist!' + +Die junge Witwe täuschte sich. Nicht in der Bestürzung und Verwirrung, +sondern aus Feigheit und Aberglauben hatte das Gesinde des alten +Vicedomini sie im Stiche gelassen. Es fürchtete sich, dem jähzornigen +Alten eine Wittib und, mit ihr die Kunde von dem Untergang seines +Hauses zu bringen. + +Da der Mönch viele seinesgleichen unter den Zelten und im Freien mit +barmherzigen Werken beschäftigt sah, willfahrte er dem Gesuch. 'Gehen +wir', sagte er und schlug mit dem jungen Weibe die Straße nach der +Stadt ein, deren Türme und Kuppeln auf dem blauen Himmel wuchsen. Der +Weg war bedeckt mit Hunderten, die an den Strand eilten oder vom +Strande zurückkehrten. Die beiden schritten, oft voneinander getrennt, +aber sich immer wieder findend, in der Mitte der Straße, ohne +miteinander zu reden, und wandelten jetzt schon durch die Vorstadt, wo +die Gewerbe hausen. Hier standen überall--das Unglück auf der Brenta +hatte die ganze Bevölkerung auf die Beine gebracht--laut plaudernde +oder flüsternde Gruppen, welche das zufällige Paar, das den Bruder und +den Bräutigam verloren hatte, mit teilnehmender Neugierde betrachteten. + +Der Mönch und Diana waren Gestalten, die jedes Kind in Padua kannte. +Astorre, wenn er nicht für einen Heiligen galt, hatte doch den Ruf des +musterhaften Mönches. Er konnte der Stadtmönch von Padua heißen, den +das Volk verehrte und auf den es stolz war. Und mit Grund: denn er +hatte auf die Vorrechte seines hohen Adels und den unermeßlichen +Besitz seines Hauses tapfer, ja freudig verzichtet und gab sein Leben +in Zeiten der Seuche oder bei andern öffentlichen Fährlichkeiten, ohne +zu markten, für den Geringsten und die Ärmste preis. Dabei war er mit +seinem kastanienbraunen Kraushaar, seinen warmen Augen und seiner +edeln Gebärde ein anmutender Mann, wie das Volk seine Heiligen liebt. + +Diana war in ihrer Weise nicht weniger namhaft, schon durch die +Vollkraft des Wuchses, welche das Volk mehr als die zarten Reize +bewundert. Ihre Mutter war eine Deutsche gewesen, ja eine Staufin, +wie einige behaupteten, freilich nur dem Blute, nicht dem Gesetze nach. +Deutschland und Welschland hatten zusammen als gute Schwestern diese +große Gestalt gebaut. + +Wie herb und streng Diana mit ihresgleichen umging, mit den Geringen +war sie leutselig, ließ sich ihre Händel erzählen, gab kurzen und +deutlichen Bescheid und küßte die zerlumptesten Kinder. Sie schenkte +und spendete ohne Besinnen, wohl weil ihr Vater, der alte Pizzaguerra, +nach Vicedomini der reichste Paduaner, zugleich der schmutzigste +Geizhals war, und Diana sich des väterlichen Lasters schämte. + +So verheiratete das ihr geneigte Volk in seinen Schenken und +Plauderstuben Diana monatlich mit irgendeinem vornehmen Paduaner, doch +die Wirklichkeit trug diesen frommen Wünschen keine Rechnung. Drei +Hindernisse erschwerten eine Brautschaft: die hohen und oft finsteren +Brauen Dianas, die geschlossene Hand ihres Vaters und die blinde +Anhänglichkeit ihres Bruders Germano an den Tyrannen, bei dessen +möglichem Falle der treue Diener mit zugrunde gehen mußte, seine Sippe +nach sich ziehend. + +Endlich verlobte sich mit ihr, ohne Liebe, wie es stadtkundig war, +Umberto Vicedomini, der jetzt in der Brenta lag. + +Übrigens waren die beiden so versunken in ihren gerechten Schmerz, daß +sie das eifrige Geschwätz, welches sich an ihre Fersen heftete, +entweder nicht vernahmen oder sich wenig um dasselbe bekümmerten. +Nicht das gab Anstoß, daß der Mönch und das Weib nebeneinander +schritten. Es erschien in der Ordnung, da der Mönch an ihr zu trösten +hatte und sie wohl beide denselben Weg gingen: zu dem alten Vicedomini, +als die nächsten und natürlichen Boten des Geschehenen. + +Die Weiber bejammerten Diana, daß sie einen Mann habe heiraten müssen, +der sie nur als Ersatz für eine teure Gestorbene genommen, und +beklagten sie in demselben Atemzug, daß sie diesen Mann vor der Ehe +eingebüßt habe. + +Die Männer dagegen erörterten mit wichtigen Gebärden und den +schlausten Mienen eine brennende Frage, welche sich über den in der +Brenta versunkenen vier Stammhaltern des ersten paduanischen +Geschlechts eröffnet hatte. Die Glücksgüter der Vicedomini waren +sprichwörtlich. Das Familienhaupt, ein ebenso energischer wie +listiger Mensch, der es fertiggebracht hatte, mit beiden, dem fünffach +gebannten Tyrannen von Padua und der diesen verdammenden Kirche auf +gutem Fuß zu bleiben, hatte sich lebelang nicht im geringsten mit +etwas Öffentlichem beschäftigt, sondern ein zähes Dasein und prächtige +Willenskräfte auf ein einziges Ziel gewendet: den Reichtum und das +Gedeihen seines Stammes. Jetzt war dieser vernichtet. Sein Ältester +und die Enkel lagen in der Brenta. Sein Zweiter und Dritter waren in +eben diesem Unglücksjahr, der eine vor zwei, der andere vor drei +Monden von der Erde verschwunden. Den ältern hatte der Tyrann +verbraucht und auf einem seiner wilden Schlachtfelder zurückgelassen. +Der andere, aus welchem der vorurteilslose Vater einen großartigen +Kaufmann in venezianischem Stil gemacht, hatte sich an einer +morgenländischen Küste auf dem Kreuz verblutet, an welches ihn +Seeräuber geschlagen, verspäteten Lösegeldes halber. Als Vierter +blieb Astorre, der Mönch. Daß er diesen mit dem Aufwand seines +letzten Pulses den Klostergelübden zu entreißen versuchen werde, daran +zweifelten die schnellrechnenden Paduaner keinen Augenblick. Ob es +ihm gelinge und der Mönch sich dazu hergebe, darüber stritt jetzt die +aufgeregte Gasse. + +Und sie stritt sich am Ende so laut und heftig, daß selbst der +trauernde Mönch nicht mehr im Zweifel darüberbleiben konnte, wer mit +dem 'egli' und der 'ella' gemeint sei, welche aus den versammelten +Gruppen ertönten. Dergestalt schlug er, mehr noch seiner Gefährtin +als seinethalben, eine mit Gras bewachsene Gasse ein, die seinen +Sandalen wohlbekannt war, denn sie führte längs der verwitterten +Ringmauer seines Klosters hin. Hier war es bis zum Schauder kühl, +aber die ganz Padua erfüllende Schreckenskunde hatte selbst diese +Schatten erreicht. Aus den offenen Fenstern des Refektoriums, das in +die dicke Mauer gebaut war, scholl an der verspäteten +Mittagstafel--die Katastrophe auf der Brenta hatte in der Stadt alle +Zeiten und Stunden gestört--das Tischgespräch der Brüder so zänkisch +und schreiend, so voller '-inibus' und '-atibus'--es wurde lateinisch +geführt--, oder dann stritt man sich mit Zitaten aus den Dekretalen, +daß der Mönch unschwer erriet, auch hier werde dasselbe oder ein +ähnliches Dilemma wie auf der Straße verhandelt. Und wenn er sich +vielleicht nicht Rechenschaft gab, wovon, so wußte er doch, von wem +die Rede ging. Aber was er nicht entdeckte, waren--" + +Mitten im Sprechen suchte Dante unter den Zuhörern den vornehmen +Kleriker, der sich hinter seinem Nachbarn verbarg. + +"--waren zwei brennende, hohle Augen, welche durch eine Luke in der +Mauer auf ihn und das Weib an seiner Seite starrten. Diese Augen +gehörten einer unseligen Kreatur, einem verlorenen Mönch, namens +Serapion, welcher sich, Seele und Leib, im Kloster verzehrte. Mit +seiner voreiligen Einbildungskraft hatte dieser auf der Stelle +begriffen, daß sein Mitbruder Astorre zum längsten nach der Regel des +heiligen Franziskus gedarbt und gefastet habe und beneidete ihn rasend +um den ihm von der Laune des Todes zugeworfenen Besitz weltlicher +Güter und Freuden. Er lauerte auf den Heimkehrenden, um die Mienen +desselben zu erforschen und darin zu lesen, was Astorre über sich +beschlossen hätte. Seine Blicke verschlangen das Weib und hafteten an +ihren Stapfen." + +Astorre lenkte die Schritte und die seiner Schwägerin auf einen +kleinen, von vier Stadtburgen gebildeten Platz und trat mit ihr in das +tiefe Tor der vornehmsten. Auf einer Steinbank im Hof erblickte er +zwei Ruhende, einen vom Wirbel zur Zehe gepanzerten, blutjungen +Germanen und einen greisen Sarazenen. Der hingestreckte Deutsche +hatte seinen schlummernden rotblonden Krauskopf in den Schoß des +sitzenden Ungläubigen gelegt, der, ebenfalls schlummernd, mit seinem +schneeweißen Barte väterlich auf ihn niedernickte. Die zwei gehörten +zur Leibwache Ezzelins, welche sich in Nachahmung derjenigen seines +Schwiegers, des Kaisers Friedrich, aus Deutschen und Sarazenen zu +gleichen Teilen zusammensetzte. Der Tyrann war im Palaste. Er mochte +es für seine Pflicht gehalten haben, den alten Vicedomini zu besuchen. +In der Tat vernahmen Astorre und Diana schon auf der Wendeltreppe das +Gespräch, welches Ezzelin in kurzen, ruhigen Worten, der Alte dagegen, +der gänzlich außer sich zu sein schien, mit schreiender und +scheltender Stimme führte. Mönch und Weib blieben am Eingang des +Saales unter dem bleichen Gesinde stehen. Die Diener zitterten an +allen Gliedern. Der Greis hatte sie mit den heftigsten Verwünschungen +überhäuft und dann mit geballten Fäusten weggejagt, weil sie ihm +verspätete Botschaft vom Strand gebracht und dieselbe hervorzustottern +sich kaum getraut. Überdies hatte dieses Gesinde der gefürchtete +Schritt des Tyrannen versteinert. Es war bei Todesstrafe verboten, +ihn anzumelden. Unaufgehalten wie ein Geist betrat er Häuser und +Gemächer. + +'Und das berichtest du so gelassen, Grausamer', tobte der Alte in +seiner Verzweiflung, 'als erzähltest du den Verlust eines Rosses oder +einer Ernte? Du hast mir die viere getötet, niemand anders als du! +Was brauchtest du gerade zu jener Stunde am Strande zu reiten? Was +brauchtest du auf die Brenta hinauszugrüßen? Das hast du mir zuleide +getan! Hörst du wohl?' + +'Schicksal', antwortete Ezzelin. + +'Schicksal?' schrie der Vicedomini. 'Schicksal und Sternguckerei und +Beschwörungen und Verschwörungen und Enthauptungen, von der Zinne auf +das Pflaster sich werfende Weiber und hundert pfeildurchbohrte +Jünglinge vom Roß sinkend in deinen versuchten, waghalsigen Schlachten, +das ist deine Zeit und Regierung, Ezzelin, du Verfluchter und +Verdammter! Uns alle ziehst du in deine blutigen Gleise, alles Leben +und Sterben wird neben dir gewaltsam und unnatürlich, und niemand +endet mehr als reuiger Christ in seinem Bett!' + +'Du tust mir unrecht', versetzte der andere. Ich zwar habe mit der +Kirche nichts zu schaffen. Sie läßt mich gleichgültig. Aber dich und +deinesgleichen habe ich nie gehindert, mit ihr zu verkehren. Das +weißt du, sonst würdest du dich nicht erkühnen, mit dem Heiligen Stuhl +Briefe zu wechseln. Was drehst du da in deinen Händen und verbirgst +mir das päpstliche Siegel? Einen Ablaß? Ein Breve? Gib her! +Wahrhaftig, ein Breve! Darf ich es lesen? Du erlaubst? Dein Gönner, +der Heilige Vater, schreibt dir, daß, würde dein Stamm erlöschen bis +auf deinen Vierten und Letzten, den Mönch, dieser ipso facto seiner +Gelübde ledig sei, wenn er aus freiem Willen und eigenem Entschluß in +die Welt zurückkehre. Schlauer Fuchs, wie viele Unzen Goldes hat dich +dieses Pergament gekostet?' + +'Verhöhnst du mich?' heulte der Alte. Was anderes blieb mir übrig +nach dem Tod meines Zweiten und Dritten? Für wen hätte ich gesammelt +und gespeichert? Für die Würmer? Für dich? Willst du mich berauben? +... Nein? So hilf mir, Gevatter'--der noch ungebannte Ezzelin hatte +den dritten Knaben Vicedominis aus der Taufe gehoben, denselben, der +sich für ihn auf dem Schlachtfeld geopfert--, 'hilf mir den Mönch +überwinden, daß er wieder weltlich werde und ein Weib nehme, befiehl +es ihm, du Allgewaltiger, gib ihn mir statt des Sohnes, den du mir +geschlachtet hast, halte mir den Daumen, wenn du mich liebst!' + +'Das geht mich nichts an', erwiderte der Tyrann ohne die geringste +Erregung. Das mache er mit sich selbst aus. Freiwillig, sagt das +Breve. Warum sollte er, wenn er ein guter Mönch ist, wie ich glaube, +seinen Stand wechseln? Damit das Blut der Vicedomini nicht versiege? +Ist das eine Lebensbedingung der Welt? Sind die Vicedomini eine +Notwendigkeit?' + +Jetzt kreischte der andere in rasender Wut: 'Du Böser, du Mörder +meiner Kinder! Ich durchblicke dich! Du willst mich beerben und mit +meinem Geld deine wahnsinnigen Feldzüge führen!' Da gewahrte er seine +Schwiegertochter, welche vor dem zögernden Mönch durch das Gesinde und +über die Schwelle getreten war. Trotz seiner Leibesschwachheit +stürzte er ihr mit wankenden Schritten entgegen, ergriff und riß ihre +Hände, als wollte er sie zur Verantwortung ziehen für das über sie +beide gekommene Unheil. 'Wo hast du meinen Sohn, Diana?' keuchte er. + +'Er liegt in der Brenta', antwortete sie traurig, und ihre blauen +Augen dunkelten. + +'Wo meine drei Enkel?' + +'In der Brenta', wiederholte sie. + +'Und dich bringst du mir als Geschenk? Dich behalte ich?' lachte der +Alte mißtönig. + +'Wollte der Allmächtige', sagte sie langsam, 'mich zögen die Wellen, +und die andern stünden hier statt meiner!' + +Sie schwieg. Dann geriet sie in einen jähen Zorn. 'Beleidigt dich +mein Anblick und bin ich dir überlästig, so halte dich an diesen: er +hat mich, da ich schon gestorben war, an den Haaren gerissen und ins +Leben zurückgezogen!' + +Jetzt erst erblickte der Alte den Mönch, seinen Sohn, und sein Geist +sammelte sich mit einer Kraft und Schnelligkeit, welche der schwere +Jammer eher gestählt als gelähmt zu haben schien. + +'Wirklich? Dieser hat dich aus der Brenta geholt? Hm! Merkwürdig! +Die Wege Gottes sind doch wunderbar!' + +Er ergriff den Mönch an Arm und Schulter, als wollte er sich desselben +Leib und Seele bemächtigen, und schleppte ihn und sich gegen seinen +Krankenstuhl, auf welchen er hinfiel, ohne den gepreßten Arm des nicht +Widerstrebenden freizugeben. Diana folgte und kniete sich auf der +andern Seite des Sessels nieder mit hängenden Armen und gefalteten +Händen, das Haupt auf die Lehne legend, so daß nur der Knoten ihres +blonden Haares wie ein lebloser Gegenstand sichtbar blieb. Der Gruppe +gegenüber saß Ezzelin, die Rechte auf das gerollte Breve wie auf einen +Feldherrnstab gestützt. + +'Söhnchen, Söhnchen', wimmerte der Alte mit einer aus Wahrheit und +List gemischten Zärtlichkeit, 'mein letzter und einziger Trost! Du +Stab und Stecken meines Alters wirst mir nicht zwischen diesen +zitternden Händen zerbrechen!... Du begreifst', fuhr er in einem +schon trockneren, sachlichen Ton fort, 'daß, wie die Dinge einmal +liegen, deines Bleibens im Kloster nicht länger sein kann. Ist es +doch kanonisch, nicht wahr, Söhnchen, daß ein Mönch, dessen Vater +verarmt oder versiecht, von seinem Prior beurlaubt wird, um das Erbgut +zu bebauen und den Urheber seiner Tage zu ernähren. Ich aber brauche +dich noch viel notwendiger. Deine Brüder und Neffen sind weg, und +jetzt bist du es, der die Lebensfackel unseres Hauses trägt! Du bist +ein Flämmchen, das ich angezündet habe, und mir kann nicht dienen, daß +es in einer Zelle verglimme und verrauche! Wisse eines'--er hatte in +den warmen, braunen Augen ein aufrichtiges Mitgefühl gelesen, und die +ehrerbietige Haltung des Mönches schien einen blinden Gehorsam zu +versprechen--, 'ich bin kränker, als du denkst. Nicht wahr, +Isaschar?' Er wendete sich rückwärts gegen eine schmale Gestalt, +welche, mit Fläschchen und Löffel in den Händen, durch eine Nebentür +leise hinter den Stuhl des Alten getreten war und jetzt mit dem +blassen Haupt bestätigend nickte. Ich fahre dahin, aber ich sage dir, +Astorre: Läßt du mich meines Wunsches ungewährt, so weigert sich dein +Väterchen, in den Kahn des Totenführers zu steigen, und bleibt +zusammengekauert am Dämmerstrand sitzen!' + +Der Mönch streichelte die fiebernde Hand des Alten zärtlich, +antwortete aber mit Sicherheit zwei Worte: 'Meine Gelübde!' + +Ezzelin entfaltete das Breve. + +'Deine Gelübde?' schmeichelte der alte Vicedomini. Lose Stricke! +Durchfeilte Fesseln! Mache eine Bewegung, und sie fallen. Die +heilige Kirche, welcher du Ehrfurcht und Gehorsam schuldig bist, +erklärt sie für ungültig und nichtig. Da steht es geschrieben.' Sein +dürrer Finger zeigte auf das Pergament mit dem päpstlichen Siegel. + +Der Mönch näherte sich ehrerbietig dem Herrscher, empfing die Schrift +und las, von vier Augen beobachtet. Schwindelnd tat er einen Schritt +rückwärts, als stünde er auf einer Turmhöhe und sähe das Geländer +plötzlich weichen. + +Ezzelin griff dem Wankenden mit der kurzen Frage unter die Arme: 'Wem +hast du dein Gelübde gegeben, Mönch? Dir? oder der Kirche?' + +'Natürlich beiden!' schrie der Alte erbost. 'Das sind verfluchte +Spitzfindigkeiten! Nimm dich vor dem dort in acht, Söhnchen! Er will +uns Vicedomini an den Bettelstab bringen!' Ohne Zorn legte Ezzelin die +Rechte auf den Bart und schwur: 'Stirbt Vicedomini, so beerbt ihn der +Mönch hier, sein Sohn, und stiftet--sollte das Geschlecht mit ihm +erlöschen und wenn er mich und seine Vaterstadt lieb hat--ein Hospital +von einer gewissen Ausdehnung und Großartigkeit, um welches uns die +hundert Städte'--er meinte die Städte Italiens--'beneiden sollen. Nun, +Gevatter, da ich mich von dem Vorwurf der Raubgier gereinigt habe, +darf ich an den Mönch ein paar weitere Fragen richten? Du gestattest?' + +Jetzt packte den Alten ein solcher Ingrimm, daß er in Krämpfe fiel. +Noch aber ließ er den Arm des Mönches, welchen er wieder ergriffen +hatte, nicht fahren. + +Isaschar näherte den vollen, mit einer stark duftenden Essenz +gefüllten Löffel vorsichtig den fahlen Lippen. Der Gefolterte wendete +mit einer Anstrengung den Kopf ab. 'Laß mich in Ruhe!' stöhnte er, +'du bist auch der Arzt des Vogts!' und schloß die Augen. + +Der Jude wandte die seinigen, welche glänzend schwarz und sehr klug +waren, gegen den Tyrannen, als flehe er um Verzeihung für diesen +Argwohn. 'Wird er zur Besinnung zurückkehren?' fragte Ezzelin. + +'Ich glaube', antwortete der Jude. 'Noch lebt er und wird wieder +erwachen, aber nicht für lange, fürchte ich. Diese Sonne sieht er +nicht untergehen.' + +Der Tyrann ergriff den Augenblick, mit Astorre zu sprechen, der um den +ohnmächtigen Vater beschäftigt war. + +'Stehe mir Rede, Mönch!' sagte Ezzelin und wühlte--seine +Lieblingsgebärde--mit den gespreizten Fingern der Rechten in dem +Gewelle seines Bartes. 'Wieviel haben dich die drei Gelübde gekostet, +die du vor zehn und einigen Jahren, ich gebe dir dreißig'--der Mönch +nickte--, beschworen hast?' + +Astorre schlug die lautern Augen auf und erwiderte ohne Bedenken: +'Armut und Gehorsam, nichts sonst. Ich habe keinen Sinn für Besitz +und gehorche leicht.' Er hielt inne und errötete. + +Der Tyrann fand ein Wohlgefallen an dieser männlichen Keuschheit. +'Hat dir dieser hier deinen Stand aufgenötigt oder dich dazu +beschwatzt?' lenkte er ab. + +'Nein', erklärte der Mönch. Seit lange her, wie der Stammbaum erzählt, +wird in unserm Hause von dreien oder vieren der letzte geistlich, sei +es, damit wir Vicedomini einen Fürbitter besitzen, oder um das Erbe +und die Macht des Hauses zu wahren--gleichviel, der Brauch ist alt und +ehrwürdig. Ich kannte mein Los, welches mir nicht zuwider war, von +jung an. Mir wurde kein Zwang auferlegt.' + +'Und das dritte?' holte Ezzelin nach--er meinte das dritte Gelübde. +Astorre verstand ihn. + +Mit einem neuen, aber dieses Mal schwachen Erröten erwiderte er: 'Es +ist mir nicht leicht geworden, doch ich vermochte es wie andere Mönche, +wenn sie gut beraten sind, und das war ich. Von dem heiligen +Antonius', fügte er ehrfürchtig hinzu. + +"Dieser verdienstliche Heilige, wie ihr wißt, Herrschaften, hat einige +Jahre bei den Franziskanern in Padua gelebt", erläuterte Dante. + +"Wie sollten wir nicht?" scherzte einer unter den Zuhörern. "Haben +wir doch die Reliquie verehrt, die in dem dortigen Klosterteich +herumschwimmt: ich meine den Hecht, welcher weiland der Predigt des +Heiligen beiwohnte, sich bekehrte, der Fleischspeise entsagte, im +Guten standhielt und jetzt noch in hohem Alter als strenger Vegetarier. +.. " Er verschluckte das Ende des Schwankes, denn Dante hatte gegen +ihn die Stirn gerunzelt. + +'Und was riet er dir?' fragte Ezzelin. 'Meinen Stand einfach zu +fassen, schlecht und recht', berichtete der Mönch, als einen +pünktlichen Dienst, etwa wie einen Kriegsdienst, welcher ja auch +gehorsame Muskeln verlangt, und Entbehrungen, die ein wackerer Krieger +nicht einmal als solche fühlen darf: die Erde im Schweiß meines +Angesichts zu graben, mäßig zu essen, mäßig zu fasten, weder Mädchen +noch jungen Frauen Beichte zu sitzen, im Angesicht Gottes zu wandeln +und seine Mutter nicht brünstiger anzubeten, als das Breviarium +vorschreibt.' + +Der Tyrann lächelte. Dann streckte er die Rechte gegen den Mönch aus, +ermahnend oder segnend, und sprach: 'Glücklicher! Du hast einen Stern! +Dein Heute entsteht leicht aus deinem Gestern und wird unversehens +zu deinem Morgen! Du bist etwas und nichts Geringes; denn du übst das +Amt der Barmherzigkeit, das ich gelten lasse, wiewohl ich ein anderes +bekleide. Würdest du in die Welt treten, die ihre eigenen Gesetze +befolgt, welche zu lernen es für dich zu spät ist, so würde dein +klarer Stern zum lächerlichen Irrwisch und zerplatzte zischend nach +ein paar albernen Sprüngen unter dem Hohn der Himmlischen! + +Noch eines, und dies rede ich als der, welcher ich bin: der Herr von +Padua. Dein Wandel war meinem Volk eine Erbauung, ein Beispiel der +Entsagung. Der Ärmste getröstete sich deiner, den er seine karge Kost +und sein hartes Tagewerk teilen sah. Wirfst du die Kutte weg, freiest +du, ein Vornehmer, eine Vornehme, schöpfst du mit vollen Händen aus +dem Reichtum deines Hauses, so begehst du Raub an dem Volk, welches +dich als einen seinesgleichen in Besitz genommen hat, du machst mir +Unzufriedene und Ungenügsame, und entstände daraus Zorn, Ungehorsam, +Empörung, mich sollte es nicht wundern. Die Dinge verketten sich! + +Ich und Padua können dich nicht entbehren! Mit deiner schönen und +ritterlichen Gestalt stichst du der Menge in die Augen und hast auch +mehr oder wenigstens einen edlern Mut als deine bäurischen Brüder. +Wenn das Volk nach seiner rasenden Art diesen hier'--er deutete auf +Isaschar--'ermorden will, weil er ihm Hilfe bringt, was dem Juden in +der letzten Pestzeit--wenig fehlte--geschehen wäre, wer verteidigt ihn, +wie du tatest, gegen die wahnsinnige Menge, bis ich da bin und Halt +gebiete? + +Isaschar, hilf mir den Mönch überzeugen!' wendete sich Ezzelin gegen +den Arzt mit einem grausamen Lächeln. Schon deinetwegen darf er sich +nicht entkutten!' + +'Herr', lispelte dieser, unter deinem Zepter wird sich die +unvernünftige Szene, welche du so gerecht wie blutig gestraft hast, +kaum wiederholen, und meinethalb, dessen Glaube die Dauer des Stammes +als Gottes höchsten Segen preist, darf der Erlauchte'--so und schon +nicht mehr den Ehrwürdigen nannte er den Mönch--nicht unvermählt +bleiben.' + +Ezzelin lächelte über die Feinheit des Juden. 'Und wohin gehen deine +Gedanken, Mönch?' fragte er. + +'Sie stehen und beharren! Doch ich wollte--Gott verzeihe mir die +Sünde--, der Vater erwachte nicht mehr, daß ich nicht hart gegen ihn +sein muß! Hätte er nur schon die Zehrung empfangen!' Er küßte heftig +die Wange des Ohnmächtigen, welcher darüber zur Besinnung kam. + +Der wieder Belebte tat einen schweren Seufzer, hob die müden +Augenlider und richtete aus dem grauen Gebüsch seiner hängenden Brauen +einen Blick des Flehens auf den Mönch. 'Wie steht's?' fragte er. Was +hast du über mich verhängt, Geliebtester? Himmel oder Hölle?' + +'Vater', bat Astorre mit bewegter Stimme, deine Zeit ist um! Dein +Stündlein ist gekommen! Entschlage dich der weltlichen Dinge und +Sorgen! Denke an die Seele! Siehe, deine Priester'--er meinte die +der Pfarrkirche--'sind nebenan versammelt und harren mit den +hochheiligen Sterbesakramenten.' + +Es war so. Die Tür des Nebengemaches hatte sich sachte geöffnet, aus +demselben schimmerte schwaches, in der Tageshelle kaum sichtbares +Kerzenlicht, ein Chor präludierte gedämpft, und das leise Schüttern +eines Glöckchens wurde hörbar. + +Jetzt klammerte sich der Alte, der seine Knie schon in die kalte Flut +der Lethe versinken fühlte, an den Mönch, wie weiland Sankt Petrus auf +dem See Genezareth an den Heiland. 'Du tust es mir!' lallte er. + +'Könnte ich! Dürfte ich!' seufzte der Mönch. 'Bei allen Heiligen, +Vater, denke an die Ewigkeit! Laß das Irdische! Deine Stunde ist da!' + +Diese verhallte Weigerung entzündete das letzte Leben des Vicedomini +zur lodernden Flamme. 'Ungehorsamer! Undankbarer!' zürnte er. + +Astorre winkte den Priestern. + +'Bei allen Teufeln', raste der Alte, 'laßt mich zufrieden mit eurem +Geknete und Gesalbe! Ich habe nichts zu verspielen, ich bin schon ein +Verdammter und bliebe es mitten im himmlischen Reigen, wenn mein Sohn +mich mutwillig verstößt und meinen Lebenskeim verdirbt!' + +Der entsetzte Mönch, durch dieses grause Lästern im Tiefsten +erschüttert, sah seinen Vater unwiderruflich der ewigen Unseligkeit +anheimfallen. So meinte er und war fest davon überzeugt, wie ich es +an seiner Stelle auch gewesen wäre. Er warf sich vor dem Sterbenden +in dunkler Verzweiflung auf die Knie und flehte unter stürzenden +Tränen: 'Herr, ich beschwöre Euch, habt Erbarmen mit Euch und mit mir!' + +'Laß den Schlaukopf seiner Wege gehen!', raunte der Tyrann. Der Mönch +vernahm es nicht. + +Wieder gab er den erstaunten Priestern ein Zeichen, und die +Sterbelitanei wollte beginnen. + +Da kauerte sich der Alte zusammen wie ein trotziges Kind und +schüttelte das graue Haupt. + +'Laß den Arglistigen seine Straße ziehen!' mahnte Ezzelin lauter. +--'Vater, Vater!' schluchzte der Mönch, und seine Seele zerfloß in +Mitleid. + +'Erlauchter Herr und christlicher Bruder', fragte jetzt ein Priester +mit unsicherer Stimme, seid Ihr in der Verfassung, Euern Schöpfer und +Heiland zu empfangen?' + +Der Alte schwieg. + +'Steht Ihr fest im Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit? Antwortet +mir, Herr!' fragte der Geistliche zum andern Male und wurde bleich wie +ein Tuch, denn: 'Geleugnet und gelästert sei sie!' rief der Sterbende +mit starker Stimme, gelästert und--' + +'Nicht weiter!' schrie der Mönch und war aufgesprungen. 'Ich bin Euch +zu Willen, Herr! Machet mit mir, was Ihr wollt! Nur daß Ihr Euch +nicht in die Flammen stürzet!' + +Der Alte seufzte wie nach einer schweren Anstrengung. Dann blickte er +erleichtert, ich hätte fast gesagt vergnügt, um sich. Er ergriff mit +tastender Hand den blonden Schopf Dianas, zog das sich von den Knien +erhebende Weib in die Höhe, nahm ihre Hand, die sich nicht weigerte, +öffnete die gekrampfte des Mönches und legte beide zusammen. + +'Gültig! vor dem hochheiligen Sakrament!' frohlockte er und segnete +das Paar. Der Mönch widersprach nicht, und Diana schloß die Augen. + +'Jetzt rasch, ehrwürdige Väter?' drängte der Alte, 'es eilt, wie ich +meine, und ich bin in christlicher Verfassung.' + +Der Mönch und seine Braut wollten hinter die priesterliche Schar +zurücktreten. 'Bleibt', murmelte der Sterbende, 'bleibt, daß euch +meine getrösteten Augen zusammen sehen, bis sie brechen!' Astorre und +Diana, kaum einige Schritte zurückweichend, mußten mit vereinigten +Händen vor dem erlöschenden Blick des hartnäckigen Greises verharren. + +Dieser murmelte eine kurze Beichte, empfing die letzte Zehrung und +verschied, während sie ihm die Sohlen salbten und der Priester den +schon tauben Ohren jenes großartige: 'Brich auf, christliche Seele!' +zurief. Das gestorbene Antlitz trug den deutlichen Ausdruck +triumphierender List. + +Der Tyrann hatte, während ringsum alles auf den Knien lag, die heilige +Handlung sitzend und mit ruhiger Aufmerksamkeit betrachtet, etwa wie +man eine fremde Sitte beschaut oder wie ein Gelehrter das auf einem +Sarkophag abgebildete Opfer eines alten Volkes besichtigt. Er näherte +sich dem Toten und drückte ihm die Augen zu. + +Dann wendete er sich gegen Diana. 'Edle Frau', sagte er, 'ich denke, +wir gehen nach Hause. Eure Eltern, wenn auch von Eurer Rettung +unterrichtet, werden nach Euch verlangen. Auch tragt Ihr ein Gewand +der Niedrigkeit, das Euch nicht kleidet.' + +'Fürst, ich danke und folge Euch', erwiderte Diana, ließ aber ihre +Hand in der des Mönches ruhen, dessen Blick sie bis jetzt gemieden +hatte. Nun schaute sie dem Gatten voll ins Gesicht und sprach mit +einer tiefen, aber wohlklingenden Stimme, während ihre Wangen sich mit +dunkler Glut bedeckten: 'Mein Herr und Gebieter, wir durften die Seele +des Vaters nicht umkommen lassen. So wurde ich Euer. Haltet mir +bessere Treue als dem Kloster. Euer Bruder hat mich nicht geliebt. +Vergebet mir, wenn ich so rede: ich sage die einfache Wahrheit. Ihr +werdet an mir ein gutes und gehorsames Weib besitzen. Doch habe ich +zwei Eigenschaften, welche Ihr schonen müßt. Ich bin jähzornig, wenn +man mir Recht oder Ehre antastet, und darin peinlich, daß man mir +nichts versprechen darf, ohne es zu halten. Schon als Kind habe ich +das schwer oder nicht gelitten. Ich bin von wenig Wünschen und +verlange nichts über das Alltägliche hinaus; nur wo mir einmal etwas +gezeigt und zugesagt wurde, da bedarf ich der Erfüllung, sonst +verliere ich den Glauben und kränke mich schwerer als andere Frauen +über das Unrecht. Doch wie darf ich so zu Euch reden, mein Herr und +Gebieter, den ich kaum kenne? Laßt mich verstummen. Lebt wohl, mein +Gemahl, und gebt mir neun Tage, Euern Bruder zu betrauern.' Jetzt +löste sie langsam die Hand aus der seinigen und verschwand mit dem +Tyrannen. + +Inzwischen hatte die geistliche Schar den Leichnam weggehoben, um ihn +in der Hauskapelle aufzubahren und einzusegnen. + +Astorre stand allein in seinem verscherzten Mönchsgewande, welches +eine von Reue erfüllte Brust bedeckte. Ein Heer von Dienern, das den +seltsamen Vorgang belauscht und genügend begriffen hatte, näherte sich +in unterwürfigen Stellungen und mit furchtsamen Gebärden seinem neuen +Herrn, verblüfft und eingeschüchtert weniger noch durch den Wechsel +der Herrschaft als durch das vermeintliche Sakrilegium der gebrochenen +Gelübde--das leise gelesene Breve war nicht zu ihren Ohren +gelangt--und durch die Verweltlichung des ehrwürdigen Mönches. Diesem +gelang es nicht, seinen Vater zu betrauern. Ihn beschlich, jetzt da +er seines Willens wieder mächtig war, der Argwohn, was sage ich, ihn +überkam die empörende Gewißheit, daß ein Sterbender seinen guten +Glauben betrogen und seine Barmherzigkeit mißbraucht habe. Er +entdeckte in der Verzweiflung des Alten den Schlupfwinkel der List und +in der wilden Lästerung das berechnete Spiel an der Schwelle des Todes. +Unwillig, fast feindselig wandte sich sein Gedanke gegen das ihm +zugefallene Weib. Ihn versuchte der verzwickte mönchische Einfall, +dasselbe nicht aus eigenem Herzen, sondern nur als Stellvertreter +seines entseelten Bruders zu lieben; aber sein gesunder Sinn und sein +redliches Gemüt verwarfen die schmähliche Auskunft. Da er sie nun als +die Seinige betrachtete, erwehrte er sich einer gewissen Verwunderung +nicht, daß ihm sein Weib mit so bündiger Rede und harter +Wahrheitsliebe entgegengetreten und so sachlich mit ihm sich +auseinandergesetzt habe, ohne Schleier und Wolke, eine viel derbere +und wirklichere Gestalt als die zarten Erscheinungen der Legende. Er +hatte sich die Frauen weicher gedacht. + +Jetzt gewahrte der Mönch plötzlich sein Ordenskleid und den +Widerspruch seiner Gefühle und Betrachtungen mit demselben. Er +schämte sich vor seiner Kutte, und sie wurde ihm lästig. 'Gebt mir +weltliches Gewand!' befahl er. Geschäftige Diener umringten ihn, aus +welchen er bald in der Tracht seines ertrunkenen Bruders, mit dem er +ungefähr von gleichem Wuchs war, hervortrat. + +In demselben Augenblick warf sich ihm der Narr seines Vaters, mit +Namen Gocciola, zu Füßen und huldigte ihm, nicht um wie die andern +Verlängerung seines Dienstes sich zu erbitten, sondern seinen Abschied +und die Erlaubnis, den Stand zu wechseln, denn er sei der Welt +überdrüssig, seine Haare ergrauten und es stünde ihm schlecht an, mit +der läutenden Schellenkappe ins Jenseits zu gehen. Mit diesen +weinerlichen Worten bemächtigte er sich der abgeworfenen Kutte, welche +das Gesinde zu berühren sich gescheut hatte. Aber sein buntscheckiges +Gehirn schlug einen Purzelbaum, und er fügte lüstern bei: 'Einmal +möchte ich noch Amarellen essen, ehe ich der Welt und ihren +Täuschungen Valet sage! Hochzeit läßt hier nicht auf sich warten, wie +ich glaube.' Er beleckte sich die Maulwinkel mit seiner fahlen Zunge. +Dann bog er ein Knie vor dem Mönch, schüttelte seine Schellen und +entsprang, die Kutte hinter sich herschleifend. + +"Amarelle oder Amare", erläuterte Dante, "heißt das paduanische +Hochzeitsgebäck wegen seines bitteren Mandelgeschmackes und zugleich +mit anmutiger Anspielung auf das Verbum der ersten Konjugation." Hier +machte der Erzähler eine Pause und verschattete Stirn und Augen mit +der Hand, den weitern Gang seiner Fabel übersinnend. + +Inzwischen trat der Majordom des Fürsten, ein Alsatier namens Burcardo, +mit abgemessenen Schritten, umständlichen Bücklingen und weitläufigen +Entschuldigungen, daß er die Unterhaltung stören müsse, vor Cangrande, +welchen er in irgendeiner häuslichen Angelegenheit um Befehl bat. +Deutsche waren dazumal an den ghibellinischen Höfen Italiens keine +eben seltene Erscheinung, ja sie wurden gesucht und den Einheimischen +vorgezogen wegen ihrer Redlichkeit und ihres angebotenen +Verständnisses für Zeremonien und Gebräuche. + +Als Dante das Haupt wieder hob, gewahrte er den Elsässer und hörte +sein Welsch, das weich und hart beharrlich verwechselte, den Hof +ergötzend, das feine Ohr des Dichters aber empfindlich beleidigend. +Sein Blick verweilte dann mit sichtlichem Wohlgefallen auf den zwei +Jünglingen, Ascanio und dem bepanzerten Krieger. Zuletzt ließ er ihn +sinnend ruhen auf den beiden Frauen, der Herrin Diana, die sich belebt +und deren marmorne Wange sich leicht gerötet hatte, und auf Antiope, +der Freundin Cangrandes, einem hübschen und natürlichen Wesen. Dann +fuhr er fort: + +"Hinter der Stadtburg der Vicedomini dehnte sich vormals--jetzt, da +das erlauchte Geschlecht längst erloschen ist, hat sich jener Platz +völlig verändert--ein geräumiger Bezirk bis an den Fuß der festen und +breiten Stadtmauer aus, so geräumig, daß er Weideplätze für Herden, +Gehege für Hirsche und Rehe, mit Fischen gefüllte Teiche, tiefe +Waldschatten und sonnige Weinlauben enthielt. An einem leuchtenden +Morgen, sieben Tage nach der Totenfeier, saß im schwarzen Schatten +einer Zeder, den Rücken an den Stamm gelehnt und die Schnäbel seiner +Schuhe in das brennende Sonnenlicht streckend, der Mönch Astorre; denn +diesen Namen behielt er unter den Paduanern, obwohl er weltlich +geworden war, während seines kurzen Wandels auf der Erde. Er saß oder +lag einem Brunnen gegenüber, der aus dem Mund einer gleichgültigen +Maske eine kühle Flut sprudelte, unfern einer Steinbank, welcher er +das weiche Polster des schwellenden Rasens vorgezogen hatte. + +Während er sann oder träumte, ich weiß nicht was, sprangen auf dem +beinahe schon mittäglich übersonnten Platz vor dem Palast zwei junge +Leute von staubbedeckten Gäulen, der eine gepanzert, der andere mit +Wahl gekleidet, obschon im Reisegewand. Ascanio und Germano, so +hießen die Reiter, waren die Günstlinge des Vogtes und zugleich die +Jugendgespielen des Mönches, mit welchen er brüderlich gelernt und +sich ergötzt hatte bis zu seinem fünfzehnten Jahr, dem Beginn seines +Noviziates. Ezzelin hatte sie an seinen Schwieger, Kaiser Friedrich, +gesendet." + +Dante hielt inne und verneigte sich vor dem großen Schatten. + +"Mit beantworteten Aufträgen kehrten die zwei zu dem Tyrannen zurück, +welchem sie noch überdies die Neuigkeit des Tages mitbrachten: eine in +der kaiserlichen Kanzlei verfertigte Abschrift des an den christlichen +Klerus gerichteten Hirtenbriefes, worin der Heilige Vater den +geistvollen Kaiser vor dem Angesicht der Welt der äußersten +Gottlosigkeit anklagt. + +Obwohl mit wichtigen, vielleicht Eile heischenden Aufträgen und dem +unheilschweren Dokument betraut, brachten die beiden es nicht über +sich, an dem Heim ihres Jugendgespielen vorbei nach dem Stadtturm des +Tyrannen zu sprengen. Sie hatten in der letzten Herberge vor Padua, +wo sie, ohne den Bügel zu verlassen, ihre Pferde fressen und saufen +ließen, von dem geschwätzigen Schenkwirt das große Stadtunglück und +das größere Stadtärgernis, den Untergang der Hochzeitsbarke und die +weggeschleuderte Kutte des Mönches, erfahren, so ziemlich mit allen +Umständen, ohne die vereinigten Hände Dianas und Astorres jedoch, +welche noch nicht offenbar geworden waren. Unzerstörliche Bande, die +uns an die Gespielen unserer Kindheit fesseln! Von dem seltsamen +Schicksal Astorres betroffen, konnten die beiden keine Ruhe finden, +bis sie ihn mit Augen gesehen, den Wiedergewonnenen. Während langer +Jahre waren sie nur dem Mönch begegnet, zufällig auf der Straße, ihn +mit einem zwar freundlichen, aber durch aufrichtige Ehrfurcht +vertieften und etwas fremden Kopfnicken begrüßend. + +Gocciola, den sie im Hofe des Palastes fanden, wie er mit einer Semmel +beschäftigt auf einem Mäuerlein saß und die Beine baumeln ließ, führte +sie in den Garten. Ihnen voranwandelnd, unterhielt der Narr die +Jünglinge nicht von dem tragischen Schicksal des Hauses, sondern nur +von seinen eigenen Angelegenheiten, welche ihm als das weit Wichtigere +erschienen. Er erzählte, daß er brünstig nach einem seligen Ende +strebe, und verschluckte darüber den Rest der Semmel, ohne ihn mit +seinen wackligen Zähnen gekaut zu haben, so daß er fast daran +erstickte. Über die Gesichter, die er schnitt, und über seine +Sehnsucht nach der Zelle brach Ascanio in ein so lustiges Gelächter +aus, daß er damit den Himmel entwölkte, wenn dieser heute nicht schon +aus eigener Freude in leuchtenden Farben geschwelgt hätte. + +Ascanio versagte sich nicht, das Tröpfchen zu foppen, schon um den +lästigen Begleiter loszuwerden. 'Ärmster', begann er, 'du wirst +die Zelle nicht erreichen, denn, unter uns, im tiefsten Vertrauen, +mein Ohm, der Tyrann, hat ein begehrliches Auge auf dich geworfen. +Laß dir sagen: Er besitzt vier Narren, den Stoiker, den Epikuräer, den +Platoniker, den Skeptiker, wie er sie benennt. Diese vier stellen +sich, wann der Ernste spaßen will, auf seinen Wink in die vier Ecken +eines Saales, an dessen Wölbung der gestirnte Himmel und die +Planetenbilder prangen. Der Ohm, im Hauskleid, tritt in die Mitte des +Raumes, klatscht in die Hände, und die Philosophen wechseln hopsend +die Winkel. Vorgestern ist der Stoiker heulend und winselnd +draufgegangen, weil der Unersättliche viele Pfunde Nudeln auf einmal +verschlang. Der Ohm hat mir flüchtig angedeutet, er gedenke ihn zu +ersetzen und werde sich von dem Mönch, deinem neuen Herrn, als +Erbsteuer dich, o Gocciola, erbitten. So steht es. Ezzelin fahndet +nach dir. Wer weiß, ob er nicht hinter dir geht.' Dies war eine +Anspielung auf die Allgegenwart des Tyrannen, welche die Paduaner in +Furcht und beständigem Zittern hielt. Gocciola stieß einen Schrei aus, +als falle die Hand des Gewaltigen auf seine Schulter, blickte sich um, +und obwohl niemand hinter ihm ging als sein kurzer Schatten, +flüchtete er sich zähneklappernd in irgendein Versteck." + +"Ich streiche die Narren Ezzelins", unterbrach Dante mit einer +griffelhaltenden Gebärde, als schriebe er seine Fabel, statt sie zu +sprechen, wie er tat. "Der Zug ist unwahr, oder dann log Ascanio. Es +ist durchaus undenkbar, daß ein so ernster und ursprünglich edler +Geist wie Ezzelin Narren gefüttert und sich an ihrem Blödsinn ergötzt +habe." Diesen geraden Stich führte der Florentiner gegen seinen +Gastfreund, auf dessen Mantel Gocciola saß, den Dichter angrinsend. + +Cangrande tat nicht dergleichen. Er versprach sich im stillen, bei +erster Gelegenheit mit Wucher heimzuzahlen. + +Befriedigt, fast heiter setzte Dante seine Erzählung fort. + +"Endlich entdeckten die beiden den entmönchten Mönch, welcher, wie +gesagt, den Rücken an den Stamm einer Pinie lehnte--" + +"An den Stamm einer Zeder, Dante", verbesserte die aufmerksam +gewordene Fürstin. + +"--einer Zeder lehnte und sich die Fußspitzen sonnte. Er bemerkte die +sich ihm von beiden Seiten Nähernden nicht, so tief war er in sein +leeres oder volles Träumen versunken. Jetzt bückte sich der +mutwillige Ascanio nach einem Grashalm, brach denselben und kitzelte +damit die Nase des Mönches, daß dieser dreimal kräftig nieste. +Astorre ergriff freundlich die Hände seiner Jugendgespielen und zog +sie rechts und links neben sich auf den Rasen nieder. 'Nun, was sagt +ihr dazu?' fragte er in einem Ton, der eher schüchtern als +herausfordernd klang. + +'Zuerst mein aufrichtiges Lob deines Priors und deines Klosters!' +scherzte Ascanio. 'Sie haben dich frisch bewahrt. Du schaust +jugendlicher als wir beide. Freilich, die knappe weltliche Tracht und +das glatte Kinn mögen dich auch verjüngen. Weißt du, daß du ein +schöner Mann bist? Du liegst unter deiner Riesenzeder gleich dem +ersten Menschen, den Gott, wie die Gelehrten behaupten, als einen +Dreißigjährigen erschuf, und ich', fuhr er mit einer unschuldigen +Miene fort, da er den Mönch über seinen Mutwillen erröten sah, 'bin +wahrlich der letzte, dich zu tadeln, daß du dich aus der Kutte +befreitest, denn sein Geschlecht zu erhalten, ist der Wunsch alles +Lebenden.' + +'Es war nicht mein Wunsch noch freier Entschluß', bekannte der Mönch +wahrhaft. Widerstrebend tat ich den Willen eines sterbenden Vaters.' + +'Wirklich?' lächelte Ascanio. Erzähle das niemandem, Astorre, als uns, +die dich lieben. Andern würde dich diese Unselbständigkeit +lächerlich oder gar verächtlich machen. Und, weil wir vom +Lächerlichen reden, gib acht, ich bitte dich, Astorre, daß du den +Menschen aus dem Mönch entwickelst, ohne den guten Geschmack zu +beleidigen! Der heikle Übergang will sorgfältig geschont und +abgestuft sein. Nimm Rat an! Du reisest ein Jährchen, zum Beispiel +an den Hof des Kaisers, von wo nach Padua und zurück die Boten nicht +zu laufen aufhören. Du läßt dich von Ezzelin nach Palermo senden! +Dort lernst du neben dem vollkommensten Ritter und dem +vorurteilslosesten Menschen--ich meine unsern zweiten Friedrich--auch +die Weiber kennen und gewöhnst dir die Mönchsart ab, sie zu vergöttern +oder geringzuschätzen. Das Gemüt des Herrschers färbt Hof und Stadt. +Wie das Leben hier in Padua geworden ist unter meinem Ohm, dem +Tyrannen, wild und übertrieben und gewalttätig, gibt es dir ein +falsches Weltbild. Palermo, wo sich unter dem menschlichsten aller +Herrscher Spiel und Ernst, Tugend und Lust, Treue und Unbestand, guter +Glaube und kluges Mißtrauen in den richtigen Verhältnissen mischen, +bietet das wahrere. Dort vertändelst du den Reigen eines Jahres mit +unsern Freundinnen und Feindinnen in erlaubter oder läßlicher +Weise'--der Mönch runzelte die Stirn--, 'machst etwa einen Feldzug mit, +ohne jedoch unbesonnen dich auszusetzen--denke an deine Bestimmung--, +nur daß du dich wieder erinnerst, wie Pferd und Klinge geführt +werden--als Knabe verstandest du das--, behältst deine muntern braunen +Augen, die--bei der Fackel der Aurora!--leuchten und sprühen, seit du +das Kloster verlassen hast, überall offen und kehrst uns als ein Mann +zurück, der sich und andere besitzt.' + +'Er muß dort beim Kaiser eine Schwäbin heiraten', riet der Gepanzerte +gutmütig. 'Sie sind frömmer und verläßlicher als unsere Weiber.' + +'Schweigst du wohl?' drohte ihm Ascanio mit dem Finger. 'Mache mir +keine Langeweile mit semmelblonden Zöpfen!' Der Mönch aber drückte die +Rechte Germanos, welche er noch nicht hatte fahren lassen. + +'Aufrichtig, Germano', forschte er, was sagst du dazu?' 'Wozu?' fragte +dieser barsch. + +'Nun, zu meinem neuen Stand?' + +'Astorre, mein Freund', antwortete der Schnurrbärtige etwas verlegen, +'ist es getan, fragt man nicht mehr herum nach Beirat und Urteil. Man +behauptet sich, wo man steht. Willst du aber meine Meinung durchaus +wissen, nun, schau, Astorre, verletzte Treue, gebrochenes Wort, +Fahnenflucht und so weiter, dem gibt man in Germanien grobe Namen. +Natürlich bei dir ist's etwas ganz anderes, das läßt sich gar nicht +vergleichen--und dann der sterbende Vater--Astorre, mein lieber Freund, +du hast ganz hübsch gehandelt, nur wäre das Gegenteil noch hübscher +gewesen. Das ist meine Meinung', schloß er treuherzig. + +'So hättest du mir, wärest du dagewesen, die Hand deiner Schwester +verweigert, Germano?' + +Dieser fiel aus den Wolken. 'Die Hand meiner Schwester? der Diana? +Derselben, die deinen Bruder betrauert?' 'Derselben. Sie ist meine +Verlobte.' + +'O herrlich!' rief jetzt der weltkluge Ascanio, und 'Erfreulich!' fiel +Germano bei. 'Laß dich umarmen, Schwager!' Der Gepanzerte hatte trotz +seiner Geradheit gute Lebensart. Aber er unterdrückte einen Seufzer. +So herzlich er die herbe Schwester achtete, dem Mönch, wie dieser +neben ihm saß, hätte er, nach seinem natürlichen Gefühl, ein anderes +Weib gegeben. + +So drehte er den Schnurrbart und Ascanio das Steuerruder des +Gespräches. 'Eigentlich, Astorre',--plauderte der Heitere, 'müssen +wir damit anfangen, uns wieder kennenzulernen; nicht weniger als deine +fünfzehn beschaulichen Klosterjahre liegen zwischen unserer Kindheit +und heute. Nicht daß wir inzwischen unser Wesen geändert hätten, wer +ändert es? Doch wir haben uns ausgewachsen. Dieser zum Beispiel'--er +deutete gegen Germano--freut sich jetzt eines schönen Waffenruhmes; +aber ich habe ihn zu verklagen, daß er ein halber Deutscher geworden +ist. Er'--Ascanio krümmte den Arm, als leere er den Becher--'und +hernach wird er tiefsinnig oder händelsüchtig. Auch verachtet er +unser süßes Italienisch: Ich werde deutsch mit euch reden! prahlt er +und brummt die Bärenlaute einer unmenschlichen Sprache. Dann +erbleicht sein Gesinde, seine Gläubiger fliehen und unsere +Paduanerinnen kehren ihm die stattlichen Rücken zu. Dergestalt ist er +vielleicht so jungfräulich geblieben wie du, Astorre', und er legte +dem Mönch traulich die Hand auf die Schulter. + +Germano lachte herzlich und erwiderte, auf Ascanio zeigend: 'Und +dieser hier hat seine Bestimmung gefunden, indem er der perfekte +Höfling wurde.' + +'Da irrst du dich, Germano', widersprach der Günstling Ezzelins. +Meine Bestimmung war, das Leben leicht und heiter zu genießen.' Und +zum Beweise dessen rief er freundlich gebietend das Kind des Gärtners +herbei, das er in einiger Entfernung sich vorüberstehlen und nach +seiner neuen Herrschaft, dem Mönche, schielen sah. Das hübsche Ding +trug einen mit Trauben und Feigen überhäuften Korb auf dem lachenden +Haupte und schaute eher schelmisch als schüchtern. Ascanio war +aufgesprungen. Er legte die Linke um die schlanke Seite des Mädchens +und holte sich mit der Rechten aus dem Korb eine Traube. Zugleich +suchte sein Mund die schwellenden Lippen. 'Mich dürstet', sagte er. +Das Mädchen tat schämig, hielt aber stille, weil es seine Früchte +nicht verschütten wollte. Unmutig wendete sich der Mönch von den zwei +Leichtsinnigen ab, und das erschreckende Dirnchen entrann, da es die +harte mönchische Gebärde erblickte, den Pfad ihrer Flucht mit +rollenden Früchten bestreuend. Ascanio, der seine Traube in der Hand +hielt, hob hinter den flüchtigen Stapfen noch zwei andere auf, deren +eine er Germano bot, welcher aber die ungekelterte verächtlich ins +Gras warf. Die andere reichte der Mutwillige dem Mönch, der sie eine +Weile ebenfalls unberührt ließ, dann aber gedankenlos eine saftige +Beere und bald noch eine zweite und die dritte kostete. + +'Ein Höfling?' fuhr Ascanio fort, der sich, belustigt durch die +Zimperlichkeit des dreißigjährigen Mönches, wieder neben ihn auf den +Rasen geworfen hatte. 'Glaube das nicht, Astorre! Glaube das +Gegenteil! Ich bin der einzige, welcher meinem Ohm leise, aber +verständlich zuredet, daß er nicht unbarmherzig werde, daß er ein +Mensch bleibe.' + +'Er ist nur gerecht und sich selbst getreu!' meinte Germano. 'Über +seine Gerechtigkeit!' jammerte Ascanio, 'und über seine Logik! Padua +ist Reichslehen. Ezzelin ist Vogt. Wer ihm mißfällt, lehnt sich +gegen das Reich auf. Hochverräter werden-'. Er brachte es nicht über +die Lippen. 'Abscheulich!' murmelte er. 'Und überhaupt: warum dürfen +wir Welsche kein eigenes Leben unter unserer warmen Sonne führen? +Warum dieses Nebelphantom des Reiches, das uns den Atem beengt? Ich +rede nicht für mich. Ich bin an den Ohm gefesselt. Stirbt der Kaiser, +den Gott erhalte, so wirft sich ganz Italien mit Flüchen und +Verwünschungen über den Tyrannen Ezzelin und den Neffen erwürgen sie +so nebenbei.' Ascanio betrachtete über der üppigen Erde den +strahlenden Himmel und stieß einen Seufzer aus. + +'Uns beide', ergänzte Germano kaltblütig. 'Das aber hat Weile. Der +Gebieter besitzt eine feste Prophezeiung. Der Gelehrte Guido Bonatti +und Paul von Bagdad, welcher mit seinem langen Bart den Staub der +Gasse zusammenfegt, haben ihm, so sehr sich die aufeinander +Eifersüchtigen gewöhnlich widersprechen, ein neues seltsames Sternbild +einmütig folgendergestalt enträtselt: In einer Kürze oder Länge wird +ein Sohn der Halbinsel die ungeteilte Krone derselben erringen mit +Hilfe eines germanischen Kaisers, der für sein Teil jenseits der +Gebirge alles Deutsche in einen harten Reichsapfel zusammenballt. Ist +Friedrich dieser Kaiser? Ist dieser König Ezzelin? Das weiß Gott, +der Zeit und Stunde kennt, aber der Gebieter hat darauf seinen Ruhm +und unsere Köpfe verwettet.' + +'Geflechte von Vernunft und Wahn!' ärgerte sich Ascanio, während der +Mönch erstaunte über die Macht der Sterne, den weiten Ehrgeiz der +Herrscher und den alles mitreißenden Strom der Welt. Auch erschreckte +ihn das Gespenst der beginnenden Grausamkeit Ezzelins, in welchem der +Unschuldige die verkörperte Gerechtigkeit gesehen hatte. + +Ascanio beantwortete seine schweigenden Zweifel, indem er fortfuhr: +'Mögen sie beide einen bösen Tod finden, der stirnrunzelnde Guido und +der bärtige Heide! Sie verleiten den Ohm, seinen Launen und Lüsten zu +gehorchen, indem er das Notwendige zu tun glaubt. Hast du ihm schon +zugeschaut, Germano, wie er bei seinem kargen Mahle in dem +durchsichtigen Kristall des Bechers sein Wasser mit den drei oder vier +blutroten Tropfen Sizilianers färbt, welche er sich gönnt? wie sein +aufmerksamer Blick das Blut verfolgt, das sich langsam wölkt und durch +den lautern Quell verbreitet? oder wie er den Toten die Lider +zuzudrücken liebt, so daß es zur Höflichkeit geworden ist, den Vogt +wie zu einem Fest an die Sterbelager zu bitten und ihm diese traurige +Handlung zu überlassen? Ezzelin, mein Fürst, werde mir nicht grausam!' +rief der Jüngling aus, von seinem Gefühl überwältigt. + +'Ich denke nicht, Neffe', sprach es hinter ihm. Es war Ezzelin, +welcher ungesehen herangetreten war und, obwohl kein Lauscher, den +letzten schmerzlichen Ausruf Ascanios vernommen hatte. + +Die drei Jünglinge erhoben sich rasch und begrüßten den Herrscher, der +sich auf die Bank niederließ. Sein Gesicht war ruhig wie die Maske +des Brunnens. + +'Ihr meine Boten', stellte er Ascanio und Germano zur Rede, 'was kam +euch an, diesen hier'--er nickte leicht gegen den Mönch--'vor mir +aufzusuchen?' + +'Er ist unser Jugendgespiele und hat Seltsames erfahren', +entschuldigte der Neffe, und Ezzelin ließ es gelten. Er empfing die +Briefschaften, die ihm Ascanio, das Knie biegend, überreichte. Alles +schob er in den Busen außer der Bulle. 'Siehe da', sagte er, 'das +Neueste! Lies vor, Ascanio! Du hast jüngere Augen als ich.' + +Ascanio rezitierte den apostolischen Brief, während Ezzelin die Rechte +in den Bart vergrub und mit dämonischem Vergnügen zuhörte. + +Zuerst gab der dreigekrönte Schriftsteller dem geistreichen Kaiser den +Namen eines apokalyptischen Ungeheuers. 'Ich kenne das, es ist +absurd', sagte der Tyrann. 'Auch mich hat der Pontifex in seinen +Briefen ausschweifend betitelt, bis ich ihn ermahnte, mich, welcher +Ezzelin der Römer heißt, fortan in klassischer Sprache zu schelten. +Wie nennt er mich dieses Mal? Ich bin neugierig. Suche nur die +Stelle, Ascanio--es wird sich eine finden--, wo er meinem Schwieger +seinen bösen Umgang vorhält. Gib her!' Er ergriff das Schreiben und +fand bald den Ort: hier beschuldigte der Papst den Kaiser, den Gatten +seiner Tochter zu lieben, 'Ezzelino da Romano, den größten Verbrecher +der bewohnten Erde.' + +'Korrekt!' lobte Ezzelin und gab Ascanio das Schreiben zurück. 'Lies +mir die Gottlosigkeiten des Kaisers, Neffe', lächelte er. + +Ascanio las, Friedrich habe geäußert, es gebe neben vielem Wahn nur +zwei wahre Götter: Natur und Vernunft. Der Tyrann zuckte die Achseln. + +Ascanio las ferner, Friedrich habe geredet: drei Gaukler, Moses, +Mohammed und--er stockte--hätten die Welt betrogen. 'Oberflächlich', +tadelte Ezzelin, 'sie hatten ihre Sterne; aber, gesagt oder nicht, der +Spruch gräbt sich ein und wiegt für den unter der Tiara ein Heer und +eine Flotte. Weiter.' + +Nun kam eine wunderliche Mär an die Reihe: Friedrich hätte, durch ein +wogendes Kornfeld reitend, mit seinem Gefolge gescherzt und in +lästerlicher Anspielung auf die heilige Speise den Dreireim zum besten +gegeben: + +So viele Ähren, so viele Götter sind, Sie schießen empor in der Sonne +geschwind Und wiegen die goldenen Häupter im Wind-- + +Ezzelin besann sich. 'Seltsam!' flüsterte er. Mein Gedächtnis hat +dieses Verschen aufbewahrt. Es ist durchaus authentisch. Der Kaiser +hat es mir mit fröhlich lachendem Mund zugerufen, da wir zusammen im +Angesicht der Tempeltrümmer von Enna jene strotzenden Ährenfelder +durchritten, mit welchen Göttin Ceres die sizilische Scholle gesegnet +hat. Darauf besinne ich mich mit derselben Klarheit, welche an jenem +Sommertag über der Insel glänzte. Ich bin es nicht, der diesen +heitern Scherz dem Pontifex mitgeteilt hat. Dazu bin ich zu ernsthaft. +Wer tat es? Ich mache euch zu Richtern, Jünglinge. Wir ritten zu +dreien, und der dritte--auch dessen bin ich gewiß, wie dieser +leuchtenden Sonne'--sie warf gerade einen Strahl durch das Laub--'war +Petrus de Vinea, der Unzertrennliche des Kaisers. Hätte der fromme +Kanzler für seine Seele gebangt und sein Gewissen durch einen Brief +nach Rom erleichtert? Reitet ein Sarazene heute? Ja? Rasch, Ascanio. +Ich diktiere dir eine Zeile.' + +Dieser zog Täfelchen und Stift hervor, ließ sich auf das rechte Knie +nieder und schrieb, das gebogene linke als Pult gebrauchend: + +'Erhabener Herr und geliebter Schwieger! Ein schnelles Wort. Das +Verschen in der Bulle--Ihr seid zu geistreich, um Euch zu +wiederholen--haben nur vier Ohren gehört, die meinigen und die Eures +Petrus, in den Kornfeldern von Enna, vor einem Jahr, da Ihr mich an +Euern Hof beriefet und ich mit Euch die Insel durchritt. Kein Hahn +kräht danach, wenn nicht der im Evangelium, welcher den Verrat des +Petrus bekräftigte. Wenn Ihr mich und Euch liebet, Herr, so versuchet +Euern Kanzler mit einer scharfen Frage.' + +'Blutiges Wortspiel! Das schreibe ich nicht! Die Hand zittert mir!' +rief der erblassende Ascanio. 'Ich bringe den Kanzler nicht auf die +Folter!' und er warf den Stift weg. + +'Dienstsache', bemerkte Germano trocken, hob den Stift auf und +beendigte das Schreiben, welches er unter seine Eisenhaube schob. Es +läuft noch heute', sagte er. 'Mir für meine einfache Person hat der +Capuaner nie gefallen: er hat einen verhüllten Blick.' + +Der Mönch Astorre schauderte zusammen trotz der Mittagssonne. Zum +ersten Male griff der aus dem Klosterfrieden Geschiedene, gleichsam +mit Händen, wie die schlüpfrigen Windungen einer Natter den Argwohn +oder den Verrat der Welt. Aus seinem Brüten weckte ihn ein strenges +Wort Ezzelins, welches dieser an ihn richtete, von seiner Steinbank +sich erhebend. 'Sprich, Mönch, warum vergräbst du dich in dein Haus? +Du hast es noch nie verlassen, seit du weltliches Gewand trägst. Du +scheust die öffentliche Meinung? Tritt ihr entgegen! Sie weicht +zurück. Machst du aber eine Bewegung der Flucht, so heftet sie sich +an deine Sohle wie eine heulende Meute. Hast du deine Braut Diana +besucht? Die Trauerwoche ist vorüber. Ich rate dir: heute noch lade +deine Sippen, und heute noch vermähle dich mit Diana!' + +'Und dann rasch mit euch auf dein entlegenstes Schloß!' beendigte +Ascanio. + +'Das rate ich nicht', verbot der Tyrann. 'Keine Furcht. Keine Flucht. +Heute vermählst du dich, und morgen hältst du Hochzeit mit Masken. +Valete!' Er schied, Germano winkend ihm zu folgen." + +"Darf ich unterbrechen?" fragte Cangrande, der höflich genug gewesen +war, eine natürliche Pause der Erzählung abzuwarten. + +"Du bist der Herr", versetzte der Florentiner mürrisch. "Traust du +dem unsterblichen Kaiser jenes Wort von den drei großen Gauklern zu?" + +"Non liquet." + +"Ich meine: in deinem innersten Gefühl?" + +Dante verneinte mit einer deutlichen Bewegung des Hauptes. "Und doch +hast du ihn als einen Gottlosen in den sechsten Kreis deiner Hölle +verdammt. Wie durftest du das? Rechtfertige dich!" + +"Herrlichkeit", antwortete der Florentiner, "die Komödie spricht zu +meinem Zeitalter. Dieses aber liest die fürchterlichste der +Lästerungen mit Recht oder Unrecht auf jener erhabenen Stirn. Ich +vermag nichts gegen die fromme Meinung. Anders vielleicht urteilen +die Künftigen." + +"Mein Dante", fragte Cangrande zum andern Mal, "glaubst du Petrus de +Vinea unschuldig des Verrates an Kaiser und Reich?" + +"Non liquet." + +"Ich meine: in deinem innersten Gefühl?" Dante verneinte mit derselben +Gebärde. + +"Und du läßt den Verräter in deiner Komödie seine Unschuld beteuern?" + +"Herr", rechtfertigte sich der Florentiner, "werde ich, wo klare +Beweise fehlen, einen Sohn der Halbinsel mehr des Verrates bezichtigen, +da schon so viele Arglistige und Zweideutige unter uns sind?" + +"Dante, mein Dante", sagte der Fürst, "du glaubst nicht an die Schuld +und du verdammst! Du glaubst an die Schuld und du sprichst frei!" +Dann führte er die Erzählung in spielendem Scherz weiter: + +"Auch der Mönch und Ascanio verließen jetzt den Garten und betraten +die Halle." Doch Dante nahm ihm das Wort: + +"Keineswegs, sondern sie stiegen in eine Turmstube, dieselbe, die +Astorre als Knabe mit ungeschorenen Locken bewohnt; denn dieser mied +die großen und prunkenden Gemächer, welche er sich erst gewöhnen mußte +als sein Eigentum zu betrachten, wie er auch den ihm hinterlassenen +goldenen Hort noch mit keinem Finger berührt hatte. Den beiden folgte, +auf einen gebietenden Wink Ascanios, der Majordom Burcardo in +gemessener Entfernung mit steifen Schritten und verdrießlichen Mienen." + +Der gleichnamige Haushofmeister Cangrandes war nach verrichtetem +Geschäft neugierig lauschend in den Saal zurückgetreten, denn er hatte +gemerkt, daß es sich um wohlbekannte Personen handle; da er nun sich +selbst nennen hörte und unversehens und lebensgroß im Spiegel der +Novelle erblickte, fand er diesen Mißbrauch seiner Ehrenperson +verwegen und durchaus unziemlich im Munde des beherbergten Gelehrten +und geduldeten Flüchtlings, welchem er in gerechter Erwägung der +Verhältnisse und Unterschiede auf dem oberen Stockwerk des fürstlichen +Hauses eine denkbar einfache Kammer eingeräumt hatte. Was die andern +lächelnd gelitten, empfand er als ein Ärgernis. Er runzelte die +Brauen und rollte die Augen. Der Florentiner weidete sich mit +ernsthaftem Gesicht an der Entrüstung des Pedanten und ließ sich in +seiner Fabel nicht stören. + +"'Würdiger Herr', befragte Ascanio den Majordom--habe ich gesagt, daß +dieser von Geburt ein Alsatier war?--'wie heiratet man in Padua? +Astorre und ich sind unerfahrene Kinder in dieser Wissenschaft.' + +Der Haushofmeister warf sich in Positur, starr seinen Herrn anschauend, +ohne Ascanio, der ihm nach seinen Begriffen nichts zu befehlen hatte, +eines Blickes zu würdigen. + +'Distinguendum est', sagte er feierlich. 'Es ist auseinanderzuhalten: +Werbung, Vermählung und Hochzeit.' + +'Wo steht das geschrieben?' scherzte Ascanio. + +'Ecce!' antwortete der Majordom, indem er ein großes Buch entfaltete, +das ihn niemals verließ. 'Hier!' und er wies mit dem gestreckten +Finger der linken Hand auf den Titel, welcher lautete: 'Die Zeremonien +von Padova nach genauer Erforschung zu Nutz und Frommen aller Ehrbaren +und Anständigen, zusammengestellt von Messer Godoscalco Burcardo.' Er +blätterte und las: 'Erster Abschnitt: Die Werbung. Paragraph eins. +Der ernsthafte Werber bringt einen Freund gleichen Standes als +gültigen Zeugen mit--' + +'Bei den überflüssigen Verdiensten meines Schutzheiligen', unterbrach +ihn Ascanio ungeduldig, 'laß uns zufrieden mit ante und post, mit +Werbung und Hochzeit, serviere uns das Mittelstück: wie vermählt man +sich in Padua?' + +'In Batova', krähte der gereizte Alsatier, dessen barbarische +Aussprache in der Gemütsbewegung noch mehr als gewöhnlich hervortrat, +'werden zu den adeligen Sbosalizien geladen die zwölf großen +Geschlechter'--er zählte sie aus dem Gedächtnis her--'zehn Tage voraus, +nicht früher, nicht später, von dem Majordom des Bräutigams, gefolgt +von sechs Dienern. In dieser erleuchten Versammlung werden die Ringe +gewechselt. Man schlürft Cybrier und verzehrt als Hochzeitsgebäck die +Amarellen--' + +'Gott gebe, daß wir uns nicht die Zähne ausreißen!' lachte Ascanio, +und dem Majordom das Buch entreißend, durchlief er die Namen, von +welchen sechs Familienhäupter--sechs von zwölfen--und einige Jünglinge +mit breiten Strichen ausgelöscht waren. Sie mochten sich in +irgendeine Verschwörung gegen den Tyrannen verwickelt und darin den +Untergang gefunden haben. 'Merk auf, Alter!' befahl Ascanio, für den +Mönch handelnd, welcher in einen Sessel gesunken war und in Gedanken +verloren die freundliche Bevormundung sich gefallen ließ. 'Du hältst +deinen Umgang mit den sechs Tagedieben zur Stunde, jetzt gleich, ohne +Verzug, verstehst du? und ladest auf heute zur Vesperzeit.' 'Zehn Tage +voraus', wiederholte Herr Burcardo majestätisch, als verkünde er ein +Reichsgesetz. + +'Heute und auf heute, Starrkopf!' + +'Unmöglich', sprach der Majordom ruhig. Ändert Ihr den Lauf der +Gestirne und Jahreszeiten?' + +'Du rebellierst? Juckt dich der Hals, Alter?' warnte Ascanio mit +einem sonderbaren Lächeln. + +Das genügte. Herr Burcardo erriet. Ezzelin hatte befohlen, und der +hartnäckigste der Pedanten fügte sich ohne Murren, so eisern war die +Rute des Tyrannen. + +'Dann ladest du die beiden Herrinnen Canossa nicht, die Olympia und +die Antiope.' + +'Warum diese nicht?' fragte der Mönch plötzlich, wie von einem +Zauberstab berührt. Die Luft färbte sich vor seinem Blick, und ein +Bild entstand, dessen erster Umriß schon seine ganze Seele fesselte. + +'Weil die Gräfin Olympia eine Törin ist, Astorre. Kennst du die +Geschichte des armen Weibes nicht? Doch du stakest ja damals noch in +den Windeln, will sagen in der Kutte. Es war vor drei Jahren, da die +Blätter gilbten.' + +'Im Sommer, Ascanio. Eben jährt es sich', widersprach der Mönch. + +'Du hast recht--kennst du denn die Geschichte? Doch wie solltest du? +Zu jener Zeit munkelte der Graf Canossa mit dem Legaten, wurde +belauscht, ergriffen und verurteilt. Die Gräfin tat einen Fußfall vor +dem Ohm, der sich in sein Schweigen hüllte. Sie wurde dann auf die +sträflichste Weise von einem habgierigen Kämmerer getäuscht, welcher +ihr Gewinnes wegen vorspiegelte, der Graf werde vor dem Block +begnadigt werden. Das ging nicht in Erfüllung, und da man der Gräfin +einen Enthaupteten brachte, warf sich ihm die aus der Hoffnung +kopfüber in die Verzweiflung Geschleuderte durch das Fenster entgegen, +wunderbarerweise ohne sich zu verletzen, außer daß sie sich den Fuß +verstauchte. Aber von jenem Tag an war ihr Geist zerrüttet. Wenn +natürliche Stimmungen sich unmerklich ineinander verlieren wie das +erlöschende Licht in die wachsende Dämmerung, wechseln die ihrigen in +rasendem Umschwung von Hell und Dunkel zwölfmal in zwölf Stunden. Von +beständiger Unruhe gestachelt, eilt das elende Weib aus ihrem +verödeten Stadtpalast auf ihr Landgut und aus diesem in die Stadt +zurück, in ewigem Irrgang. Heute will sie ihr Kind einem Pächterssohn +vermählen, weil nur Niedrigkeit Schutz und Frieden gewähre, morgen +wäre ihr der edelste Freier, der übrigens aus Scheu vor einer solchen +Mutter sich nicht einstellt, kaum vornehm genug--' + +Hätte Ascanio, während seine Rede floß, den flüchtigsten Blick auf den +Mönch geworfen, er hätte staunend innegehalten, denn das Antlitz des +Mönches verklärte sich vor Mitleid und Erbarmen. + +'Wenn der Tyrann', fuhr der Achtlose fort, an der Behausung Olympias +vorüber auf die Jagd reitet, stürzt sie ans Fenster und erwartet, er +werde an ihrer Schwelle vom Pferd steigen und die in Ungnade Geratene, +aber nun genug Geprüfte, günstig und gnädig an seinen Hof zurückführen, +wozu er wahrlich keine Lust hat. Eines andern Tages, oder noch an +demselben, wähnt sie sich von Ezzelin, welcher sich nicht um sie +bekümmert, verfolgt und geächtet. Sie glaubt sich verarmt und ihre +Güter, die er unberührt ließ, eingezogen. So brennt und friert sie im +Wechselfieber der schroffsten Gegensätze, ist nicht nur selbst +verrückt, sondern verrückt auch, was sie in die wirbelnden Kreise +ihres Kopfes zieht, und stiftet--denn sie ist nur eine halbe Törin und +redet mitunter treffend und witzig--überall Unheil, wo ihr geglaubt +wird. Es kann nicht die Rede davon sein, sie unter die Leute und an +ein Fest zu bringen. Ein Wunder ist, daß ihr Kind, die Antiope, +welches sie vergöttert und dessen Verheiratung sich im Mittelpunkt +ihrer Phantasie dreht, auf diesem schwanken Boden den Verstand behält. +Aber das Mädchen, das in seiner Frühblüte steht und leidlich hübsch +ist, hat eine gute Natur..' So ging es noch eine Weile fort. + +Astorre aber versank in seinem Traume. So sage ich, weil das +Vergangene Traum ist. Denn der Mönch sah, was er vor drei Jahren +erlebt hatte: einen Block, den Henker daneben und sich selbst an der +Stelle eines erkrankten Mitmönches als geistlichen Tröster, der einen +armen Sünder erwartet. Dieser--der Graf Canossa--erschien gefesselt, +wollte aber durchaus nicht herhalten, sei es, weil er wähnte, seine +Begnadigung werde, jetzt da er vor dem Blocke stehe, nicht säumen, sei +es einfach, weil er die Sonne liebte und die Gruft verabscheute. Er +ließ den Mönch hart an und verschmähte seine Gebete. Ein +entsetzliches Ringen stand bevor, wenn er fortfuhr, sich zu sträuben +und zu stemmen; denn er hielt sein Kind an der Hand, welches ihm--von +den Wachen unbemerkt--zugesprungen war und ihn umklammerte, die +ausdrucksvollsten Augen und die flehendsten Blicke auf den Mönch +heftend. Der Vater drückte das Mädchen fest an seine Brust und schien +sich mit diesem jungen Leben gegen die Vernichtung decken zu wollen, +wurde aber von dem Henker nieder und mit dem Haupt auf den Block +gedrückt. Da legte das Kind Kopf und Nacken neben den väterlichen. +Wollte es das Mitleid des Henkers erwecken? Wollte es den Vater +ermutigen, das Unabwendbare zu leiden? Wollte es dem Unversöhnten den +Namen eines Heiligen ins Ohr murmeln? Tat es das Unerhörte ohne +Besinnen und Überlegung, aus überströmender kindlicher Liebe? Wollte +es einfach mit ihm sterben? + +Jetzt leuchteten die Farben so kräftig, daß der Mönch die zwei +nebeneinander liegenden Hälse, den ziegelroten Nacken des Grafen und +den schneeweißen des Kindes mit dem gekräuselten, goldbraunen Flaum +wenige Schritte vor sich in voller Lebenswahrheit erblickte. Das +Hälschen war von der schönsten Bildung und ungewöhnlicher Schlankheit. +Astorre bebte, das fallende Beil möchte sich irren, und fühlte sich +in tiefster Seele erschüttert, nicht anders als das erste Mal, nur daß +ihm die Sinne nicht schwanden, wie sie ihm damals geschwunden waren, +als die schreckliche Szene in Wahrheit und Wirklichkeit sich ereignete, +und er erst wieder zu sich kam, als alles vorüber war. + +'Hat mir mein Gebieter einen Auftrag zu geben?' störte den Verzückten +die schnurrende Stimme des Majordoms, der es schwer ertrug, von +Ascanio gemeistert zu werden. + +'Burcardo', antwortete Astorre mit weicher Stimme, 'vergiß nicht, die +zwei Frauen Canossa, Mutter und Tochter, zu laden. Es sei nicht +gesagt, daß der Mönch die von der Welt Gemiedenen und Verlassenen von +sich fernhält. Ich ehre das Recht einer Unglücklichen'--hier stimmte +der Majordom mit eifrigem Nicken bei--, 'von mir geladen und empfangen +zu werden. Würde sie übergangen, es dürfte sie schwer kränken, wie +sie beschaffen ist.' + +'Beileibe!' warnte Ascanio. Tu dir doch das nicht zuleide! Dein +Verlöbnis ist schon abenteuerlich genug! Und das Abenteuerliche +begeistert die Törichten. Sie wird nach ihrer Art etwas Unglaubliches +beginnen und irgendein tolles Wort in die Feier schleudern, welche +sonst schon alle Paduanerinnen aufregt.' + +Herr Burcardo aber, der die Berechtigung einer Canossa, ob sie bei +Verstande sei oder nicht, sich zu den Zwölfen zu versammeln, mit den +Zähnen festhielt und seinen Gehorsam dem Vicedomini und keinem andern +verpflichtet glaubte, verbeugte sich tief vor dem Mönch. 'Deiner +Herrlichkeit allein wird gehorcht', sprach er und entfernte sich. + +'O Mönch, Mönch', rief Ascanio, 'der die Barmherzigkeit in eine Welt +trägt, wo kaum die Güte ungestraft bleibt!' + +"Doch wie wir Menschen sind," flocht Dante ein, "oft zeigt uns ein +prophetisches Licht den Rand eines Abgrunds, aber dann kommt der Witz +und klügelt und lächelt und redet uns die Gefahr aus." + +Dergestalt fragte und beruhigte sich der Leichtsinnige: Welche +Beziehung auf der Welt hat die Närrin zu dem Mönch, in dessen Leben +sie nicht die geringste Rolle spielt? Und am Ende--wenn sie zu lachen +gibt, so würzt sie uns die Amarellen! Er ahnte nicht von ferne, was +sich in der Seele Astorres begab, aber auch wenn er geraten und +geforscht, dieser hätte sein keusches Geheimnis dem Weltkind nicht +preisgegeben. + +So ließ Ascanio es gut sein, und sich des andern Befehles des Tyrannen +erinnernd, den Mönch unter die Leute zu bringen, fragte er lustig: +'Ist für den Ehereif gesorgt, Astorre? Denn es steht in den +Zeremonien geschrieben, Abschnitt zwei, Paragraph soundso: Die Reife +werden gewechselt.' Dieser erwiderte, es werde sich dergleichen in dem +Hausschatz finden. + +'Nicht so, Astorre', meinte Ascanio. 'Wenn du mir folgst, kaufst du +deiner Diana einen neuen. Wer weiß, was für Geschichten an den +gebrauchten Ringen kleben. Wirf das Alte hinter dich. Auch schickt +es sich ganz allerliebst: du kaufst ihr einen Ring bei dem Florentiner +auf der Brücke. Kennst du den Mann? Doch wie solltest du! Höre: Als +ich heute in der Frühstunde, mit Germano in die Stadt zurückkehrend, +unsere einzige Brücke über den Kanal beschritt--wir mußten absitzen +und die Pferde führen, so dicht war dort das Gedränge--, hatte, meiner +Treu, auf dem verwitterten Kopf des Brückenpfeilers ein Goldschmied +seinen Laden aufgetan, und ganz Padua kramte und feilschte vor +demselben. Warum auf der engen Brücke, Astorre, da wir so viele +Plätze haben? Weil in Florenz die Schmuckläden auf der Arnobrücke +stehen. Denn--bewundere die Logik der Mode! wo kauft man feinen +Schmuck, als bei einem Florentiner, und wo legt ein Florentiner aus, +wenn nicht auf einer Brücke? Er tut es einmal nicht anders. Sonst +wäre seine Ware ein plumpes Zeug und er selbst kein echter Florentiner. +Doch dieser ist es, ich meine. Hat er doch mit riesigen Buchstaben +über seine Bude geschrieben: Niccola Lippo dei Lippi, der Goldschmied, +durch einen feilen und ungerechten Urteilsspruch, wie sie am Arno +gebräuchlich sind, aus der Heimat vertrieben. Auf, Astorre! gehen wir +nach der Brücke!' + +Dieser weigerte sich nicht, da er selbst das Bedürfnis fühlen mochte, +den Bann des Hausbezirkes zu brechen, welchen er, seit er seine Kutte +niedergestreift, nicht mehr verlassen hatte. + +'Hast du Geld zu dir gesteckt, Freund Mönch?' scherzte Ascanio. 'Dein +Gelübde der Armut ist hinfällig, und der Florentiner wird dich +überfordern.' Er pochte an das Schiebfensterchen des im untern Flur, +welchen die Jünglinge eben durchschritten, gelegenen Hauskontors. Es +zeigte sich ein verschmitztes Gesicht, Jede Falte ein Betrug, und der +Verwalter der Vicedomini--ein Genuese, wenn ich recht berichtet +bin--reichte seinem Herrn mit kriechender Verbeugung einen mit +Goldbyzantinern gefüllten Beutel. Dann wurde der Mönch von einem +Diener in den bequemen paduanischen Sommermantel mit Kapuze gehüllt. + +Auf der Straße zog sich Astorre dieselbe tief ins Gesicht, weniger +gegen die brennenden Strahlen der Sonne als aus langer Gewöhnung, und +wandte sich freundlich gegen seinen Begleiter. 'Nicht wahr, Ascanio', +sagte er, diesen Gang tue ich allein? Einen einfachen Goldring zu +kaufen übersteigt meinen Mönchsverstand nicht. Das traust du mir noch +zu? Auf Wiedersehen bei meiner Vermählung, wann es Vesper läutet!' +Ascanio ging und rief noch über die Schulter zurück: 'Einen, nicht +zwei! Den deinigen gibt dir Diana! Merke dir das, Astorre!' Es war +eine jener farbigen Seifenblasen, deren der Lustige mehr als eine +täglich von den Lippen in die Luft jagte. + +Fraget ihr mich, Herrschaften, warum der Mönch den Freund beurlaubte, +so sage ich: er wollte den himmlischen Ton, welchen die junge +Märtyrerin der Kindesliebe in seinem Gemüt geweckt hatte, rein +ausklingen lassen. + +Astorre hatte die Brücke erreicht, welche trotz des Sonnenbrandes +randvoll war und von den nahen zwei Ufern ein doppeltes +Menschengedränge vor den Laden des Florentiners führte. Der Mönch +blieb unter seinem Mantel unerkannt, ob auch hin und wieder ein Auge +fragend auf dem unbedecktem Teil seines Gesichtes ruhte. Adel und +Bürgerschaft suchte sich den Vortritt abzugewinnen. Vornehme Weiber +stiegen aus ihren Sänften und ließen sich drängen und drücken, um ein +Paar Armringe oder ein Stirnband von neuester Mache zu erhandeln. Der +Florentiner hatte auf allen Plätzen mit der Schelle verkündigen lassen, +er schließe heute nach dem Ave Maria. Er dachte nicht daran. Doch +was kostet einen Florentiner die Lüge! + +Endlich stand der Mönch, von Menschen eingeengt, vor der Bude. Der +bestürmte Händler, der sich verzehnfachte, streifte ihn mit einem +erfahrenen Seitenblick und erriet sofort den Neuling. Womit diene ich +dem gebildeten Geschmack der Herrlichkeit?' fragte er. Gib mir einen +einfachen Goldreif', antwortete der Mönch. Der Kaufmann ergriff einen +Becher, auf welchem, nach florentinischer Kunst und Art, in erhabener +Arbeit irgend etwas Üppiges zu sehen war. Er schüttelte den Kelch, in +dessen Bauch hundert Reifen wimmelten, und bot ihn Astorre. + +Dieser geriet in eine peinliche Verlegenheit. Er kannte den Umfang +des Fingers nicht, welchen er mit einem Reif bekleiden sollte, und +deren mehrere heraushebend, zauderte er sichtlich zwischen einem +weitern und einem engern. Der Florentiner konnte den Spott nicht +lassen, wie denn ein versteckter Hohn aus aller Rede am Arno +hervorkichert. 'Kennt der Herr die Gestalt des Fingers nicht, welchen +er doch wohl zuweilen gedrückt hat?' fragte er mit einem unschuldigen +Gesicht, aber als ein kluger Mann verbesserte er sich alsobald, und in +der heimischen Meinung, der Verdacht der Unwissenheit sei beleidigend, +derjenige der Sünde aber schmeichle, gab er Astorre zwei Ringe, einen +größern und einen kleinern, die er aus Daumen und Zeigefinger seiner +beiden Hände geschickt zwischen die Daumen und Zeigefinger des Mönches +hinübergleiten ließ. 'Für die zwei Liebchen der Herrlichkeit', +wisperte er sich verneigend. + +Ehe noch der Mönch über diese lose Rede ungehalten werden konnte, +erhielt er einen harten Stoß. Es war das Schulterblatt eines +Roßpanzers, das ihn so unsanft streifte, daß er den kleinern Ring +fallen ließ. In demselben Augenblick schmetterte ihm der betäubende +Ton von acht Tuben ins Ohr. Die Feldmusik der germanischen Leibwache +des Vogtes ritt in zwei Reihen, beide vier Rosse hoch, über die Brücke, +den ganzen Menscheninhalt derselben auseinanderwerfend und gegen die +steinernen Geländer pressend. + +Sobald die Bläser vorüber waren, stürzte der Mönch, den festgehaltenen +größern Ring rasch in seinem Gewand bergend, dem kleinern nach, +welcher unter den Hufen der Gäule weggerollt war. + +Das alte Bauwerk der Brücke war in der Mitte ausgefahren und vertieft, +so daß der Reif die Höhlung hinab und dann durch seine eigene Bewegung +getrieben die andere Seite hinanrollte. Hier hatte eine junge Zofe, +namens Isotta oder, wie man in Padua den Namen kürzt, Sotte, das +rollende und blitzende Ding gehascht, auf die Gefahr hin, von den +Pferden zerstampft zu werden. 'Ein Glücksring!' jubelte das unkluge +Geschöpf und steckte einer jugendlichen Herrin, welcher sie das +Begleite gab, mit kindischem Frohlocken den Fund an den schlanken +Finger, den vierten der linken Hand, welcher ihr durch seine zierliche +Bildung des engen Schmuckes besonders würdig und fähig schien. In +Padua aber, wie auch hier in Verona, wenn mir recht ist, pflegt man +den Trauring an der linken Hand zu tragen. + +Das Edelfräulein zeigte sich unwillig über die Posse der Magd, war +aber doch auch ein bißchen belustigt davon. Sie bemühte sich eifrig, +den fremden Ring, der ihr wie angegossen saß, dem Finger wieder +abzuziehen. Da stand unversehens der Mönch vor ihr und hob die Arme +in freudiger Verwunderung. Seine Gebärde aber war, daß er die +geöffnete rechte Hand vor sich hinstreckte, die linke in der Höhe des +Herzens hielt; denn er hatte, trotz der entfalteten Blüte, an der +auffallenden Schlankheit des Halses und wohl mehr noch an der Bewegung +seiner Seele das Kind wiedererkannt, dessen zartes Haupt er auf dem +Block gesehen hatte. + +Während das Mädchen bestürzte, fragende Augen auf den Mönch richtete +und immerfort an dem widerspenstigen Ring drehte, zauderte Astorre, +denselben zurückzuverlangen. Doch es mußte geschehen. Er öffnete den +Mund. 'Junge Herrin', begann er--und fühlte sich von zwei starken, +gepanzerten Armen umfaßt, die sich seiner bemächtigten und ihn +emporzogen. Im Augenblick sah er sich, mit Hilfe eines andern +Gepanzerten, ein Bein rechts, ein Bein links, auf ein stampfendes Roß +gesetzt. 'Laß schauen', schallte ein gutmütiges Gelächter, 'ob du das +Reiten nicht verlernt hast!' Es war Germano, welcher an der Spitze der +von ihm befehligten deutschen Kohorte ritt, die der Vogt auf eine +Ebene unweit Padua zur Musterung befohlen hatte. Da er unvermutet den +Freund und Schwager im Freien erblickte, hatte er sich den +unschuldigen Spaß gemacht, denselben neben sich auf ein Pferd zu heben, +von welchem ein junger Schwabe auf seinen Wink abgesprungen war. Das +feurige Tier, welches den veränderten Reiter spürte, tat ein paar +wilde Sprünge, es entstand ein Rossegedräng auf der nicht geräumigen +Brücke, und Astorre, dem die Kapuze zurückgefallen war und der sich +mit Mühe im Bügel hielt, wurde von dem entsetzt ausweichenden Volk +erkannt. 'Der Mönch! der Mönch!' rief und deutete es von allen Seiten, +aber schon hatte der kriegerische Tumult die Brücke hinter sich und +verschwand um eine Straßenecke. Der unbezahlt gebliebene Florentiner +rannte nach, aber kaum zwanzig Schritte, denn ihm wurde bange um seine +unter der schwachen Hut eines Jüngelchens gelassene Ware, und dann +belehrte ihn der Zuruf der Menge, daß er es mit einer bekannten und +leicht aufzufindenden Persönlichkeit zu tun habe. Er ließ sich den +Palast Astorres bezeichnen und meldete sich dort heute, morgen, +übermorgen. Die zwei ersten Male richtete er nichts aus, weil in der +Behausung des Mönches alles drunter und drüber ging, das dritte Mal +fand er die Siegel des Tyrannen an das verschlossene Tor geheftet. +Mit diesem wollte der Feigling nichts zu schaffen haben und so ging er +der Bezahlung verlustig. + +Die Frauen aber--zu Antiope und der leichtfertigen Zofe hatte sich +noch eine dritte, durch den Brückentumult von ihnen abgedrängte +wiedergefunden--schritten in der entgegengesetzten Richtung. Diese +war ein seltsam blickendes, vorzeitig, wie es schien, gealtertes Weib +mit tiefen Furchen, grauen Haarbüscheln, aufgeregten Mienen, und +schleppte ihr vernachlässigtes, aber vornehmes Gewand mitten durch den +Straßenstaub. + +Sotte erzählte eben der Alten, offenbar der Mutter des Fräuleins, mit +dummem Jubel den Vorgang auf der Brücke: Astorre--auch ihr hatte der +Zuruf des Volkes ihn genannt--Astorre der Mönch, der stadtkundig +freien müsse, habe Antiope verstohlenerweise einen Goldring zugerollt, +und als sie--Sotte--, den Wink der Vorsehung und die Schlauheit des +Mönches verstehend, ihn dem lieben Mädchen angesteckt, sei der Mönch +selbst vor dasselbe hingetreten, und da Antiope ihm den Ring in +Züchten habe zurückgeben wollen, habe er--sie ahmte den Mönch +nach--die Linke zärtlich auf das Herz gelegt, so! die Rechte aber +zurückweisend ausgestreckt mit einer Gebärde, die in ganz Italien +nichts anderes sage und bedeute als: Behalte, Schatz! + +Endlich kam die erstaunte Antiope zu Wort und beschwor die Mutter, auf +das alberne Geschwätz Isottens nichts zu geben, aber umsonst. Madonna +Olympia erhob die Arme gen Himmel und dankte auf offener Straße dem +heiligen Antonius mit Inbrunst, daß er ihre tägliche Bitte über alles +Hoffen und Erwarten erhört und ihrem Kleinod einen ebenbürtigen und +tugendhaften Mann, einen seiner eigenen Söhne beschert habe. Dabei +gebärdete sie sich so abenteuerlich, daß die Vorbeigehenden lachend +auf die Stirne wiesen. Die verwirrte Antiope gab sich alle +erdenkliche Mühe, der Mutter das blendende Märchen auszureden; aber +diese hörte nicht und baute leidenschaftlich an ihrem Luftschloß +weiter. + +So langten die Frauen in dem Palast Canossa an und begegneten im +Torbogen einem steif geputzten Majordom, dem sechs verschwenderisch +gekleidete Diener folgten. Herr Burcardo ließ, ehrerbietig +zurücktretend, Madonna Olympia die Treppe voraufgehen, dann, in einer +öden Halle angelangt, machte er drei abgezirkelte Verbeugungen, eine +immer näher und tiefer als die andere, und redete langsam und +feierlich: 'Herrlichkeiten, mich sendet Astorre Vicedomini, +hochdieselben untertänigst zu seinen Sbosalizien zu laden, heute'--er +verschluckte schmerzhaft 'in zehn Tagen'--'wann es Vesper läutet.'" + +Dante hielt inne. Seine Fabel lag in ausgeschütteter Fülle vor ihm; +aber sein strenger Geist wählte und vereinfachte. Da rief ihn +Cangrande. + +"Mein Dante", hub er an, "ich wundere mich, mit wie harten und ätzend +scharfen Zügen du deinen Florentiner umrissen hast! Dein Niccolò +Lippo dei Lippi ist verbannt durch ein feiles und ungerechtes Urteil. +Er selbst aber ist ein Überteurer, ein Schmeichler, ein Lügner, ein +Spötter, ein Schlüpfriger und eine Memme, alles nach Art der +Florentiner'. Und das ist nur ein winziges Flämmchen aus dem +Feuerregen von Verwünschungen, womit du dein Florenz überschüttest, +nur eine tröpfelnde Neige jener bittern von Essig und Galle triefenden +Terzinen, die du in deiner Komödie der Vaterstadt zu kosten gibst. +Lasse dir sagen, es ist unedel, seine Wiege zu schmähen, seine Mutter +zu beschämen! Es kleidet nicht gut! Glaube mir, es macht einen +schlechten Eindruck! + +Mein Dante, ich will dir erzählen von einem Puppenspiel, dem ich +jüngst, verkappt unter dem Volk mich umtreibend, in unserer Arena +zuschaute. Du rümpfst die Nase, daß ich den niedrigen Geschmack habe, +in mäßigen Augenblicken an Puppen und Narren mich zu vergnügen. +Dennoch begleite mich vor die kleine Bühne! Was schaust du da? Mann +und Weib zanken sich. Sie wird geprügelt und weint. Ein Nachbar +streckt den Kopf durch die Türspalte, predigt, straft, mischt sich ein. +Doch siehe! das tapfere Weib erhebt sich gegen den Eindringling und +nimmt Partei für den Mann. 'Wenn es mir beliebt, geprügelt zu werden!' +heult sie. + +Ähnlicherweise, mein Dante, spricht ein Hochherziger, welchen seine +Vaterstadt mißhandelt: Ich will geschlagen sein!" + +Viele junge und scharfe Augen hafteten auf dem Florentiner. Dieser +verhüllte sich schweigend das Haupt. Was in ihm vorging, weiß niemand. +Als er es wieder erhob, war seine Stirn vergrämter, sein Mund +bitterer und seine Nase länger. + +Dante lauschte. Der Wind pfiff um die Ecken der Burg und stieß einen +schlecht verwahrten Laden auf. Monte Baldo hatte seine ersten Schauer +gesendet. Man sah die Flocken stäuben und wirbeln, von der Flamme des +Herdes beleuchtet. Der Dichter betrachtete den Schneesturm, und seine +Tage, welche er sich entschlüpfen fühlte, erschienen ihm unter der +Gestalt dieser bleichen Jagd und Flucht durch eine unstete Röte. Er +bebte vor Frost. + +Und seine feinfühligen Zuhörer empfanden mit ihm, daß ihn kein eigenes +Heim, sondern nur wandelbare Gunst wechselnder Gönner bedache und vor +dem Winter beschirmen welcher Landstraße und Feldweg mit Schnee +bedeckte. Alle wurden es inne, und Cangrande, der von großer +Gesinnung war, zuerst: Hier sitzt ein Heimatloser! + +Der Fürst erhob sich, den Narren wie eine Feder von seinem Mantel +schüttelnd, trat auf den Verbannten zu, nahm ihn an der Hand und +führte ihn an seinen eigenen Platz, nahe dem Feuer. "Er gebührt dir", +sagte er, und Dante widersprach nicht. Cangrande aber bediente sich +des frei gewordenen Schemels. Er konnte dort bequem die beiden Frauen +betrachten, zwischen welchen jetzt der Wanderer durch die Hölle saß, +den das Feuer glühend beschien und der seine Erzählung folgendermaßen +fortsetzte. + +"Während die mindern Glocken in Padua die Vesper läuteten, versammelte +sich unter dem Zederngebälk des Prunksaales der Vicedomini, was von +den zwölf Geschlechtern übriggeblieben war, den Eintritt des Hausherrn +erwartend. Diana hielt sich zu Vater und Bruder. Ein leises +Geschwätz lief um. Die Männer besprachen ernst und gründlich die +politische Seite der Vermählung zweier großer städtischer Geschlechter. +Die Jünglinge scherzten halblaut über den heiratenden Mönch. Die +Frauen schauderten, trotz dem Breve des Papstes, vor dem Sakrilegium, +welches nur die von knospenden Töchtern umringten in milderem Licht +sahen, mit dem Zwang der Umstände entschuldigten oder aus der +Herzensgüte des Mönches erklärten. Die Mädchen waren lauter Erwartung. + +Die Anwesenheit der Olympia Canossa erregte Verwunderung und Unbehagen, +denn sie war in auffallendem, fast königlichem Staat, als ob ihr bei +der bevorstehenden Feier eine Hauptrolle zustünde, und redete mit +unheimlicher Zungenfertigkeit in Antiope hinein, welche bangen Herzens +die aufgebrachte Mutter flüsternd und flehend zu beschwichtigen suchte. +Donna Olympia hatte sich schon auf den Treppen gewaltig geärgert, wo +sie--Herr Burcardo beschäftigte sich eben mit dem Empfang zweier +anderer Herrschaften--von Gocciola, der eine neue, scharlachrote Kappe +mit silbernen Schellen in der Hand hielt, ehrfürchtig willkommen +geheißen wurde. Jetzt mit den andern im Kreis stehend, belästigte +oder ängstigte sie durch ihr maßloses Gebärdenspiel ihre +Standesgenossen. Mit Augenwinken und Kinnheben wurde auf die Ärmste +gedeutet. Keiner hätte sie an des Mönches Statt geladen, und jeder +machte sich darauf gefaßt, sie werde diesem einen ihrer Streiche +spielen. + +Burcardo meldete den Hausherrn. Astorre hatte sich von den Germanen +bald losgemacht, war auf die Brücke zurückgeeilt, ohne dort den Ring +noch die Frauen mehr zu finden, und sich darüber Vorwürfe machend, +obschon im Grunde nur der Zufall anzuklagen war, hatte er in der ihm +bis zur Vesper bleibenden Stunde den Entschluß gefaßt, in Zukunft +immerdar nach den Regeln der Klugheit zu handeln. Mit diesem Vorsatz +trat er in den Saal und in die Mitte der Versammelten. Der Druck der +auf ihn gerichteten Aufmerksamkeit und die sozusagen in der Luft +fühlbaren Formen und Forderungen der Gesellschaft ließen ihn empfinden, +daß er nicht die Wirklichkeit der Dinge sagen dürfe, energisch und +mitunter häßlich wie sie ist, sondern ihr eine gemilderte und +gefällige Gestalt geben müsse. So hielt er sich unwillkürlich in der +Mitte zwischen Wahrheit und schönem Schein und redete untadelig. + +'Herrschaften und Standesbrüder', begann er, 'der Tod hat eine reiche +Ernte unter uns Vicedomini gehalten. Wie ich in Schwarz gekleidet vor +euch stehe, trage ich Trauer um den Vater, drei Brüder und drei Neffen. +Daß ich, von der Kirche freigelassen, den Wunsch eines sterbenden +Vaters, in Sohn und Enkel fortzuleben, nach ernster Erwägung'--hier +verhallte sich der Klang seiner Stimme--'und gewissenhafter Prüfung +vor Gott nicht glaubte ungewährt lassen zu dürfen, dieses werdet ihr +verschieden beurteilen, billigend oder tadelnd, nach der Gerechtigkeit +oder Milde, die euch innewohnt. Darin aber werdet ihr einiggehen, daß +es mir bei meiner Vergangenheit nicht angestanden hätte zu zaudern und +zu wählen, und daß hier nur das Nächstliegende und Ungesuchte Gott +gefällig sein konnte. Wer aber stand mir näher als die schon mit mir +durch die trostlose Trauer um meinen letzten Bruder vereinigte +jungfräuliche Witwe desselben? Und so ergriff ich über einem teuern +Sterbebett diese Hand, wie ich sie jetzt ergreife'--er trat zu Diana +und führte sie in die Mitte--'und ihr den Trauring um den Finger lege.' +So tat er. Der Ring paßte. Diana tat dasselbe, indem sie dem Mönch +einen goldenen Reif anlegte. 'Es ist der meiner Mutter', sagte sie, +'die ein wahrhaftes und tugendsames Weib war. Ich gebe dir einen Ring, +der Treue gehalten hat.' Ein feierlich gemurmelter Glückwunsch aller +Anwesenden beschloß die ernste Handlung, und der alte Pizzaguerra, ein +würdiger Greis--denn der Geiz ist ein gesundes Laster und läßt zu +Jahren kommen--, weinte die übliche Träne. + +Donna Olympia sah ihr Traumschloß auflodern und brennen mit sinkenden +Säulen und krachenden Balken. Sie tat einen Schritt vorwärts, als +wolle sie ihre Augen überführen, daß sie sich betrügen, dann einen +zweiten in wachsender Wildheit, und jetzt stand sie dicht vor Astorre +und Diana, die grauen Haare gesträubt, und ihre rasenden Worte rannten +und stürzten wie ein Volk in Aufruhr. + +'Elender!' schrie sie. 'Gegen den Ring an dem Finger dieser da zeugt +ein anderer und zuerst gegebener.' Sie riß Antiope, welche ihr in +wachsender Angst und mit den flehendsten Gebärden gefolgt war, hinter +sich hervor und hob die Hand des Mädchens. 'Den Ring hier hast du +meinem Kinde vor nicht einer Stunde auf der Brücke bei dem Florentiner +an den Finger gesteckt!' So hatte ihr ein falscher Spiegel den Vorgang +verschoben. 'Ruchloser Mensch! Ehebrecherischer Mönch! Öffnet +sich die Erde nicht, dich zu verschlingen? Hängt den Bruder Pförtner, +der im Rausch schnarchte und dich deiner Zelle entspringen ließ! +Deinen Lüsten wolltest du frönen, aber du durftest dir eine andere +Beute wählen als eine ungerecht verfolgte, ratlose Wittib und eine +unbeschützte Waise!' + +Die Marmordiele öffnete sich nicht, und in den Blicken der Umstehenden +las die Unglückliche, die einem gerechten Mutterzorn arme und schwache +Worte zu geben glaubte, den hellen Hohn oder ein Mitleid anderer Art, +als sie es zu finden hoffte. Sie vernahm hinter sich das verständlich +geflüsterte Wort: 'Närrin!', und ihr Zorn schlug in ein wahnsinniges +Gelächter um. 'Ei, seht mir einmal den Toren', hohnlachte sie, 'der +so dumm zwischen diesen beiden wählen konnte! Ich mache euch zu +Richtern, Herrschaften, und jeden, der Augen hat. Hier das herzige +Köpfchen, die schwellende Jugend'--das übrige vergaß ich, aber ich +weiß eines: Alle Jünglinge im Saale Vicedominis, und mehr als einer +unter ihnen mochte locker leben, alle Jünglinge, die enthaltsamen und +die es nicht waren, wendeten Ohr und Auge ab von den empörenden Worten +und Gebärden einer Mutter, welche Zucht und Scham unter die Füße trat +vor dem Kind, das sie geboren, und dieses preisgab wie eine Kupplerin. + +Alle im Saal bemitleideten Antiope. Nur Diana, so wenig sie an der +Treue des Mönches zweifelte, empfand ich weiß nicht welchen dumpfen +Groll über die ihrem Bräutigam frech gezeigte Schönheit. + +Antiope mochte es verschuldet haben dadurch, daß sie den unseligen +Reif am Finger behielt. Vielleicht tat sie es, um die sich selbst +betörende Mutter nicht zu reizen, in dem Gedanken, diese werde, durch +die Wirklichkeit enttäuscht, aus dem Hochmut, nach ihrer Art, in +Kleinmut verfallen und alles mit einem Augenrollen und ein paar +gemurmelten Worten vorübergehen. Oder dann hatte die junge Antiope +selbst eine Fingerspitze in den sprudelnden Märchenbrunnen getaucht. +War die Begegnung auf der Brücke nicht wunderbar, und wäre ihre +Erkiesung durch den Mönch wunderbarer gewesen als das Schicksal, das +ihn dem Kloster entriß? + +Jetzt erlitt sie grausame Strafe. Soweit es eine zügellose Rede +vermag, beraubte sie die eigene Mutter der schützenden Hüllen. + +Eine dunkle Röte und eine noch dunklere fuhr ihr über Stirn und Nacken. +Darauf begann sie in der allgemeinen Stille laut und bitterlich zu +weinen. + +Selbst die graue Mänade lauschte betroffen. Dann zuckte ihr ein +entsetzlicher Schmerz über das Gesicht und verdoppelte ihre Wut. 'Und +die andere!' kreischte sie, auf Diana zeigend, 'dieses kaum aus dem +Rohen gehauene breite Stück Marmor! Diese verpfuschte Riesin, die +Gott Vater stümperte, als er noch Gesell war und kneten lernte! Pfui +über den plumpen Leib ohne Leben und Seele! Wer hätte ihr auch eine +gespendet? Die Bastardin, ihre Mutter? die stupide Orsola? Oder der +dürre Knicker dort? Nur widerstrebend hat er ihr ein karges Almosen +von Seele verabfolgt!' + +Der alte Pizzaguerra blieb gelassen. Mit dem klaren Verstand der +Geizigen vergaß er nicht, wen er vor sich hatte. Seine Tochter Diana +aber vergaß es. Durch die rohe Verhöhnung ihres Leibes und ihrer +Seele aufgebracht, tief empört, zog sie die Brauen zusammen und ballte +die Hände. Jetzt geriet sie außer sich, da die Närrin ihre Eltern ins +Spiel zog, ihr die Mutter im Grabe beschimpfte, den Vater an den +Pranger stellte. Ein bleicher Jähzorn packte und übermannte sie. + +'Hündin!' schrie sie und schlug--in Antiopes Angesicht; denn das +verzweifelnde und beherzte Mädchen hatte sich vor die Mutter geworfen. +Antiope stieß einen Laut aus, der den Saal und alle Herzen +erschütterte. + +Nun drehte sich das Rad in dem Kopf der Törin vollständig um. Die +höchste Wut ging unter in unsäglichem Jammer. 'Sie haben mir mein +Kind geschlagen!' stöhnte sie, sank auf die Knie und schluchzte: 'Gibt +es keinen Gott mehr im Himmel?' + +Jetzt war das Maß voll. Es wäre schon früher überlaufen, doch das +Verhängnis schritt rascher, als mein Mund es erzählte, so rasch, daß +weder der Mönch noch der nahestehende Germano den gehobenen Arm Dianas +ergreifen und aufhalten konnte. Ascanio umschlang die Törin, ein +anderer Jüngling faßte sie bei den Füßen, die sich kaum Sträubende +wurde fortgetragen, in ihre Sänfte gehoben und nach Hause gebracht. + +Noch stunden sich Diana und Antiope gegenüber, eine bleicher als die +andere, Diana reuig und zerknirscht nach schnell verrauchtem Jähzorn, +Antiope nach Worten ringend; sie konnte nur nicht stammeln, sie +bewegte lautlos die Lippen. + +Wenn jetzt der Mönch Antiopes Hand ergriff, um der von seinem +verlobten Weibe Mißhandelten das Geleit zu geben, so erfüllte er damit +nur die ritterliche und die gastwirtliche Pflicht. Alle fanden es +selbstverständlich. Besonders Diana mußte wünschen, das Opfer ihrer +Gewalttat aus den Augen zu verlieren. Auch sie entfernte sich dann +mit Vater und Bruder. Die versammelten Gäste aber hielten es für das +Zarteste, gleichfalls bis auf die letzte Ferse zu verschwinden. + +Es klingelte unter dem mit Amarellen und Zyperwein bestellten +Kredenztisch. Eine Narrenkappe kam zum Vorschein und Gocciola kroch +auf allen vieren aus seinem leckern Versteck hervor. Alles war +köstlich verlaufen nach seiner Ansicht; denn er hatte jetzt die volle +Freiheit, Amarellen zu naschen und ein Gläschen um das andere zu +leeren. So vergnügte er sich eine Weile, bis er nahende Schritte +vernahm. Er wollte entwischen, aber einen verdrießlichen Blick, nach +dem Störer werfend, erachtete er jede Flucht für unnötig. Es war der +Mönch, der zurückkehrte, und der Mönch war ebenso frohlockend und +ebenso berauscht wie er; denn der Mönch--" + +"--Liebte Antiope?" unterbrach den Erzähler die Freundin des Fürsten +mit einem krankhaften Gelächter. + +"Du sagst es, Herrin, er liebte Antiope", wiederholte Dante in +tragischem Ton. + +"Natürlich!"--"Wie anders?"--"Es mußte so kommen!--So geht es +gewöhnlich!" scholl es dem Erzähler aus dem ganzen Hörerkreis entgegen. + +"Sachte, Jünglinge", murrte Dante. "Nein, so geht es nicht gewöhnlich. +Meinet ihr denn, eine Liebe mit voller Hingabe des Lebens und der +Seele sei etwas Alltägliches, und glaubet wohl gar, so geliebt zu +haben oder zu lieben? Enttäuschet euch! Jeder spricht von Geistern, +doch wenige haben sie gesehen. Ich will euch einen unverwerflichen +Zeugen bringen. Es schleppt sich hier im Hause ein modisches +Märenbuch herum. Darin mit vorsichtigen Fingern blätternd, habe ich +unter vielem Wust ein wahres Wort gefunden. 'Liebe', heißt es an +einer Stelle, 'ist selten und nimmt meistens ein schlimmes Ende.'" +Dieses hatte Dante ernst gesprochen. Dann spottete er: "Da ihr alle +in der Liebe so ausgelernt und bewandert seid und es mir überdies +nicht ansteht, einen von der Leidenschaft überwältigten Jüngling aus +meinem zahnlosen Mund reden zu lassen, überspringe ich das +verräterische Selbstgespräch des zurückkehrenden Astorre und sage kurz: +Da ihn der verständige Ascanio belauschte, erschrak er und predigte +ihm Vernunft." + +"Wirst du deine rührende Fabel so kläglich verstümmeln, mein Dante?" +wendete sich die entzündliche Freundin des Fürsten mit bittenden +Händen gegen den Florentiner. "Laß den Mönch reden, daß wir +teilnehmend erfahren, wie er sich abwendete von einer Rohen zu einer +Zarten, einer Kalten zu einer Fühlenden, von einem steinernen zu einem +schlagenden Herzen--" + +"Ja, Florentiner", unterbrach die Fürstin in, tiefer Bewegung und mit +dunkel glühender Wange, "laß deinen Mönch reden, daß wir staunend +vernehmen, wie es kommen konnte, daß Astorre, so unerfahren und +täuschbar er war, ein edles Weib verriet für eine Verschmitzte--hast +du nicht gemerkt, Dante, daß Antiope eine Verschmitzte ist? Du kennst +die Weiber wenig! In Wahrheit, ich sage dir"--sie hob den kräftigen +Arm und ballte die Faust--, "auch ich hätte geschlagen, nicht die arme +Törin, sondern wissentlich die Arglistige, die sich um jeden Preis dem +Mönch vor das Angesicht bringen wollte!" Und sie führte den Schlag in +die Luft. Die andere erbebte leise. + +Cangrande, welcher die zwei Frauen, denen er jetzt gegenübersaß, nicht +aufhörte zu betrachten, bewunderte seine Fürstin und freute sich ihrer +großen Leidenschaft. In diesem Augenblick fand er sie unvergleichlich +schöner als die kleinere und zarte Nebenbuhlerin, welche er ihr +gegeben hatte, denn das Höchste und Tiefste der Empfindung erreicht +seinen Ausdruck nur in einem starken Körper und in einer starken Seele. + +Dante für sein Teil lächelte zum ersten und einzigen Mal an diesem +Abend, da er die beiden Frauen so heftig auf der Schaukel seines +Märchens sich wiegen sah. Er brachte es sogar zu einer Neckerei. +"Herrinnen", sagte er, "was verlangt ihr von mir? Selbstgespräch ist +unvernünftig. Hat je ein weiser Mann mit sich selbst gesprochen?" + +Nun erhob sich aus dem Halbdunkel ein mutwilliger Lockenkopf, und ein +Edelknabe, der hinter irgendeinem Sessel oder einer Schleppe in +traulichem Versteck mochte gekauert haben, rief herzhaft: "Großer +Meister, wie wenig du dich kennst oder zu kennen vorgibst! Wisse, +Dante, niemand plaudert geläufiger mit sich selbst als du, in dem Grad, +daß du nicht nur uns dumme Buben übersiehst, sondern selbst das +Schöne dicht an dir vorübergehen läßt, ohne es zu begrüßen." + +"Wirklich?" sagte Dante. "Wo war das? Wo und wann?" + +"Nun gestern auf der Etschbrücke", lächelte der Knabe. "Du lehntest +am Geländer. Da ging die reizende Lukrezia Nani vorüber, deine Toga +streifend. Wir Knaben folgten, sie bewundernd, und ihr entgegen +schritten zwei feurige Kriegsleute, nach einem Blick aus ihren sanften +Augen haschend. Sie aber suchte die deinigen--denn nicht jeder hat +mit heiler Haut in der Hölle gelustwandelt! Du, Meister, +betrachtetest eine rollende Welle, welche in der Mitte der Etsch +daherfuhr, und murmeltest etwas." + +"Ich ließ das Meer grüßen. Die Woge war schöner als das Mädchen. +Doch zurück zu den zwei Toren! Horch, sie sprechen miteinander! Und +bei allen Musen, fortan unterbreche mich keiner mehr, sonst findet uns +Mitternacht noch am Märchenherde. + +Als der Mönch, nachdem er Antiope heimgeführt, seinen Saal wieder +betrat--doch ich vergaß zu sagen, daß er Ascanio nicht begegnete, +obwohl dieser mit der Sänfte und Madonna Olympia darin denselben Weg +gemacht hatte. Denn der Neffe, nachdem er die gänzlich Vernichtete +ihrer Dienerschaft übergeben, war schleunig zu seinem Ohm, dem +Tyrannen, geeilt, ihm den tollen Vorgang als frisches Gebäck +aufzutischen. Er hinterbrachte Ezzelin lieber eine Stadtgeschichte +als eine Verschwörung. + +Ich weiß nicht, ob der Mönch so wohlgestaltet war, wie der Spötter +Ascanio ihn genannt hatte. Aber ich sehe ihn, der wie der blühendste +Jüngling schreitet. Mit beflügelten Füßen durchschwebt er den Saal, +als trüge ihn Zephir oder führte ihn Iris. Seine Augen sind voller +Sonne, und er murmelt Laute aus der Sprache der Seligen. Gocciola, +der viel Zyperwein geschluckt hatte, fühlte sich gleichfalls beherzt +und verjüngt. Auch unter seinen Sohlen löste sich der Marmorboden in +weißes Gewölk auf. Er verspürte einen unbesiegbaren Durst, das +Gemurmel auf den frischen Lippen Astorres, wie man sich über eine +Quelle beugt, zu belauschen, und begann neben demselben die Länge des +Saales zu durchmessen, bald mit gespreizten, bald mit hüpfenden +Schritten, das Narrenzepter unter dem Arm. + +'Das zärtliche Haupt, das sich für den Vater bot, hat sich auch für +die Mutter geboten und gegeben!' lispelte Astorre. 'Das schamhafte! +wie es brannte! Das mißhandelte! wie es litt! Das geschlagene! wie +es aufschrie! Hat es mich je verlassen, seit es auf dem Block lag? +Es wohnte in meinem Geist. Es begleitete mich allgegenwärtig, +schwebte in meinem Gebet, strahlte in meiner Zelle, bettete sich auf +mein Kissen! Lag das herzige Haupt mit dem weißen, schmalen Hälschen +nicht neben dem des heiligen Paulus--' + +'Des heiligen Paulus?' kicherte das Tröpfchen. + +'Des heiligen Paulus auf unserm Altarbild--' + +'Mit dem schwarzen Kraushaar und dem roten Hals auf dem breiten Block +und dem Beil des Henkers darüber?' Gocciola verrichtete bei den +Franziskanern zeitweilig seine Andacht. + +Der Mönch nickte. 'Sah ich lange hin, so zuckte das Beil, und ich +bebte zusammen. Habe ich es nicht dem Prior gebeichtet?' + +'Und was sagte der Prior?' examinierte Gocciola. + +'Mein Sohn', sagte er, 'was du sahest, war ein vorausgeeiltes Kind des +himmlischen Triumphzuges. Fürchte nichts! Dem ambrosischen Hälschen +geschieht kein Leid!' + +'Aber', reizte der böse Narr, 'das Kind ist gewachsen, so hoch!' Er +hob die Hand. Dann senkte er sie und hielt sie über dem Boden. 'Und +die Kutte Euer Herrlichkeit', grinste er, 'liegt so tief!' + +Das Gemeine konnte den Mönch nicht berühren. Ein schöpferisches Feuer +war aus der Hand Antiopes in die seinige gefahren und begann zuerst +zart und sanft, dann immer heißer und schärfer in seinen Adern zu +brennen. 'Gepriesen sei Gott Vater', frohlockte er plötzlich, 'der +Mann und Weib geschaffen hat!' + +'Die Eva?' fragte der Narr. + +'Die Antiope!' antwortete der Mönch. + +'Und die andere? Die Große? Was fängst du mit der an? Schickst du +sie betteln?' Gocciola wischte sich die Augen. + +'Welche andere?' fragte der Mönch. 'Gibt es ein Weib, das nicht +Antiope wäre!' + +Dies war selbst dem Narren zu stark. Er glotzte Astorre erschreckt an, +wurde aber von einer Faust am Kragen gepackt, gegen die Pforte +geschleppt und auf den Flur gesetzt. Dieselbe Hand legte sich dann +auf Astorres Schulter. + +'Erwache, Traumwandler!' rief der zurückgekehrte Ascanio, welcher die +letzte schwärmerische Rede des Mönches belauscht hatte. Er zog den +Verzückten auf eine Fensterbank nieder, heftete fest Augen auf Augen, +und: 'Astorre, du bist von Sinnen!' sprach er ihn an. Dieser wich +zuerst den prüfenden Blicken wie geblendet aus, dann begegnete er +ihnen mit den seinigen, die noch voller Jubel waren, um sie scheu +niederzuschlagen. + +'Wunderst du dich?' sagte er dann. + +'So wenig wie über das Lodern einer Flamme', versetzte Ascanio. 'Aber +da du kein blindes Element, sondern eine Vernunft und ein Wille bist, +so tritt die Flamme aus, sonst frißt sie dich und ganz Padua. Muß dir +das Weltkind göttliches und menschliches Gesetz predigen? Du bist +vermählt! So redet dieser Ring an deinem Finger. Wenn du, wie erst +dein Gelübde, jetzt dein Verlöbnis brichst, brichst du Sitte, Pflicht, +Ehre und den Stadtfrieden. Wenn du dir den Pfeil des blinden Gottes +nicht rasch und heldenmütig aus dem Herzen ziehst, ermordet er dich, +Antiope und noch ein paar andere, wen es gerade treffen wird. Astorre! +Astorre!' + +Ascanios mutwillige Lippen erstaunten über die großen und ernsten +Worte, welche er in seiner Herzensangst ihnen zu reden gab. 'Dein +Name, Astorre', sagte er dann halb scherzend, 'schmettert wie eine +Tuba und ruft dich zum Kampfe gegen dich selbst!' + +Astorre ermannte sich. 'Man hat mir ein Philtrum gegeben!' rief er +aus. 'Ich rase, ich bin ein Wahnsinniger! Ascanio, ich gebe dir +Macht über mich, feßle mich!' + +'An Dianen will ich dich fesseln!' sagte Ascanio. 'Folge mir, daß wir +sie suchen!' + +'War es nicht Diana, die Antiope schlug?' fragte der Mönch. 'Das hast +du geträumt! Du hast alles geträumt! Du warst deiner Sinne nicht +mächtig! Komm! Ich beschwöre dich! Ich befehle es dir! Ich +ergreife und führe dich!' + +Wenn Ascanio die Wirklichkeit verjagen wollte, so führte sie der auf +dem Flur klirrende Schritt Germanos zurück. Mit einem entschlossenen +Gesicht trat der Bruder Dianens vor den Mönch und faßte seine Hand. +'Ein gestörtes Fest, Schwager!' sagte er. 'Die Schwester schickt +mich--ich lüge, sie schickt mich nicht. Denn sie hat sich in ihre +Kammer eingeschlossen, und drinnen flennt sie und verflucht ihren +Jähzorn--heute ersaufen wir in Weibertränen! Sie liebt dich, nur +bringt sie es nicht über die Lippen--es ist in der Familie: ich kann +es auch nicht. An dir hat sie keinen Augenblick gezweifelt. Es ist +einfach.- Du hast irgendwo einen Ring verschleudert--wenn es der +deinige war, den die kleine Canossa--wie heißt sie doch? richtig: die +Antiope!--am Finger trug. Die närrische Mutter fand ihn und hat +daraus ihr Märchen gesponnen. Antiope ist natürlich an alledem +unschuldig wie ein neugeborenes Kind--wer es anders meint, hat es mit +mir zu tun!' + +'Nicht ich!' rief Astorre. 'Antiope ist rein wie der Himmel! Der +Ring wurde von einem Zufall gerollt!' und er erzählte mit fliegenden +Worten. + +'Aber auch der Schwester, die zufuhr, darfst du es nicht anrechnen, +Astorre', behauptete Germano. 'Ihr schoß das Blut zu Kopf, sie sah +nicht, wen sie vor sich hatte. Sie glaubte die Närrin zu treffen, die +ihr die Eltern verhunzte, und schlug die liebe Unschuld. Diese aber +muß vor Gott und Menschen wieder zu Ehren und Würden gezogen werden. +Laß das meine Sache sein, Schwager! Ich bin der Bruder. Es ist +einfach.' + +'Du redest in einem fort und bleibst doch dunkel, Germano! Was hast +du vor? Wie vergütest du es der Ärmsten?' fragte Ascanio. + +'Es ist einfach', wiederholte Germano. 'Ich biete Antiope Canossa +meine Hand und mache sie zu meinem Weibe.' + +Ascanio griff sich an die Stirn. Der Streich betäubte ihn. Als er +dann aber, schnell besonnen, näher zusah, fand er das heroische Mittel +gar nicht so übel; doch warf er einen ängstlichen Blick auf den Mönch. +Dieser, seiner selbst wieder mächtig, hielt sich mäuschenstille und +horchte aufmerksam. Das Ehrgefühl des Kriegers scholl wie ein heller +Ruf durch die Wildnis seiner Seele. + +'So treffe ich zwei Fliegen mit einem Schlag, Schwager', erläuterte +Germano. 'Das Mädchen wird in ihren Züchten und Ehren hergestellt. +Den möchte ich sehen, der hinter meinem Weibe zischelte! Dann stifte +ich Frieden zwischen euch Eheleuten. Diana braucht sich nicht länger +vor dir noch vor sich selbst zu schämen und ist von ihrem Jähzorn +gründlich geheilt. Ich sage dir: sie ist davon genesen, zeitlebens!' + +Astorre drückte ihm die Hand. 'Du bist brav!' sagte er. Der Wille, +seine himmlische oder irdische Lust tapfer zu überwinden, erstarkte in +dem Mönch. Doch dieser Wille war nicht frei und diese Tugend nicht +selbstlos; denn sie klammerte sich an einen gefährlichen Sophismus: +Nicht anders, als ich selbst eine Ungeliebte umarmen werde, tröstete +sich Astorre, wird auch Antiope von einem Mann sich umfangen lassen, +welcher sie kurzerdinge freit, um fremdes Unrecht gutzumachen. Wir +verzichten alle! Entsagung und Kasteiung in der Welt wie im Kloster! + +'Was geschehen muß, verschiebe ich nicht', drängte Germano. 'Sonst +würde sie sich schlummerlos wälzen.' Ich weiß nicht, meinte er Diana +oder Antiope. 'Schwager, du begleitest mich als Zeuge: ich tue es in +den Formen.' + +'Nein, nein!' schrie Ascanio erschreckt. 'Nicht Astorre! Nimm mich!' + +Germano schüttelte den Kopf. 'Ascanio, mein Freund', sagte er, 'dazu +eignest du dich nicht. Du bist kein ernsthafter Zeuge in Ehesachen! +Auch wird mein Bruder Astorre es sich nicht nehmen lassen, für mich zu +werben. Es ist ja zum großen Teil seine eigene Angelegenheit. Nicht +wahr, Astorre?' Dieser nickte. 'So bereite dich, Schwager. Mache +dich hübsch! Hänge dir eine Kette um!' + +'Und', scherzte Ascanio gezwungen, 'wann du über den Hof gehst, tauche +den Kopf in den Brunnen! Du selbst aber, Germano, trägst Panzer? So +kriegerisch? Schickt sich das zur Freite?' + +'Ich bin lange nicht aus der Rüstung gekommen, und sie kleidet mich. +Was betrachtest du mich von Kopf zu Füßen, Ascanio?' + +'Ich frage mich, woher dieser Gepanzerte seine Sicherheit nimmt, nicht +mitsamt der Sturmleiter in den Graben geworfen zu werden?' + +'Das kann nicht in Frage stehen', meinte Germano seelenruhig. 'Wird +sich eine Beschämte und Geschlagene einem Ritter verweigern? Da wäre +sie eine noch größere Närrin als ihre Mutter. Das ist doch sonnenklar, +Ascanio. Komm, Astorre.' + +Während der Zurückbleibende mit verschlungenen Armen diese neue +Wendung der Dinge bedachte, zweifelnd, ob dieselbe auf einen +Spielplatz blühender Kinder oder auf ein Camposanto führe, schritten +seine Jugendfreunde den nicht langen Weg zum Palast Canossa. + +Der wolkenlose Tag verglomm in einem reinglühenden Abendgold, und +horch! es läutete Ave. Der Mönch sprach innerlich die +Gewohnheitsgebete, und sein etwas erhöht liegendes Kloster verlängerte +zufällig das vertraute Geläute um ein paar friedlich wehmütige Schläge, +welchen die andern Stadtglocken den Luftraum nicht länger streitig +machten. Auch der Mönch wurde des allgemeinen Friedens teilhaft. + +Da traf sein Blick das Gesicht des Freundes und ruhte auf den +wetterharten Zügen. Sie waren hell und freudig, von erfüllter Pflicht +ohne Zweifel, aber doch auch von dem unbewußten oder unbewachten Glück, +unter dem von Ehre geschwellten Segel einer ritterlichen Handlung den +Port einer seligen Insel zu erreichen. 'Die süße Unschuld!' seufzte +der Krieger. + +Rasend schnell begriff der Mönch, daß der Bruder Dianens sich selbst +täuschte, wenn er sich für uneigennützig hielt, daß Germano Antiope zu +lieben begann und sein Nebenbuhler war. Seine Brust empfand einen +scharfen Biß, dann einen zweiten noch schärfern, daß er hätte +aufschreien mögen. Und jetzt wühlte und wimmelte schon ein ganzes +Nest grimmiger Schlangen in seinem Busen. Herrschaften, Gott möge uns +alle, Männer und Weiber, vor der Eifersucht behüten! Sie ist die +qualvollste der Peinen, und wer sie leidet, ist unseliger als meine +Verdammten! + +Mit verzogenem Gesicht und gepreßtem Herzen folgte der Mönch dem +selbstbewußten Freier die Treppen des erreichten Palastes hinauf. +Dieser stand leer und verwahrlost. Madonna Olympia mochte sich +eingeschlossen haben. Kein Gesinde, und alle Türen offen. Sie +durchschritten ungemeldet eine Reihe schon dämmernder Gemächer: vor +der Schwelle der letzten Kammer hielten sie stille, denn die junge +Antiope saß am Fenster. + +Sein in den Umriß eines Kleeblattes endigender Bogen war voller +Abendglorie, welche die liebreizende Gestalt im Halbkreis von Brust zu +Nacken umfing. Ihre gezauste Haarkrone ähnelte den Spitzen eines +Dornenkranzes, und die schmachtenden Lippen schlürften den Himmel. +Das geschlagene Mädchen lag müde unter dem Druck der erduldeten +Schande, mit zugefallenen Augendeckeln und erschlafften Armen; aber in +der Stille ihres Herzens frohlockte sie und pries ihre Schmach, denn +diese hatte sie mit Astorre auf ewig vereinigt. + +Und entzündet sich nicht heute noch und bis ans Ende der Tage aus +tiefstem Erbarmen höchste Liebe? Wer widersteht dem Anblick des +Schönen, wenn es ungerecht leidet? Ich lästere nicht und kenne die +Unterschiede, aber auch das Göttliche wurde geschlagen, und wir küssen +seine Striemen und Wunden. + +Antiope grübelte nicht, ob Astorre sie liebe. Sie wußte es. Da war +kein Zweifel. Sie war davon überzeugter als von den Atemzügen ihrer +Brust und den Schlägen ihres Herzens. Keine Silbe hatte sie mit +Astorre gewechselt vom ersten Schritt des Weges an, den sie zusammen +gingen. Die Hände hielten sich nicht fester beim letzten: sie +verwuchsen, ohne sich zu drücken. Sie durchdrangen sich wie zwei +leichte, geistige Flammen und waren doch beim Scheiden wie die Wurzel +aus der Erde kaum auseinander zu lösen. + +Antiope vergriff sich an fremdem Eigentum und beging Raub an Dianen +fast in Unschuld, denn sie hatte weder Gewissen mehr noch auch nur +Selbstbewußtsein. Padua, das mit seinen Türmen vor ihr lag, die +Mutter, des Mönches Verlöbnis, Diana, die ganze Erde, alles war +vernichtet: nichts als der Abgrund des Himmels, und dieser gefüllt mit +Licht und Liebe. + +Astorre hatte von der ersten zur letzten Stufe der Treppe mit sich +gerungen und meinte den Sieg erkämpft zu haben. Ich werde das Opfer +vollbringen, prahlte er gegen sich selbst, und Germano bei seiner +Werbung zur Seite stehen. Auf dem obersten Tritt rief er noch alle +seine Heiligen an, voraus Sankt Franziskus, den Meister der +Selbstüberwindung. Er griff in die Brust und glaubte, durch den +himmlischen Beistand stark wie Herkules, die Schlangen erwürgt zu +haben. Aber der Heilige mit den vier Wundmalen hatte sich abgewendet +von dem untreuen Jünger, der seinen Strick und seine Kutte verschmähte. + +Der danebenstehende Germano entwarf indessen seine Rede, konnte aber +nicht über die zwei Argumente hinauskommen, welche ihm gleich +anfänglich eingeleuchtet hatten. Übrigens war er guten +Mutes--hatte er doch schon öfter im Reiterkampf seine Germanen +angeredet--und fürchtete sich nicht vor einem Mädchen. Nur das Warten +ertrug er ebensowenig wie vor der Schlacht. Er klirrte leis mit dem +Schwert an den Panzer. + +Antiope schrak zusammen, blickte hin, erhob sich rasch und stand, den +Rücken gegen das Fenster gewendet, mit dunklem Antlitz den sich im +Dämmerlicht vor ihr verbeugenden Männern gegenüber. + +'Sei getrost, Antiope Canossa!' redete Germano. + +'Ich bringe dir diesen mit, Astorre Vicedomini, welchen sie den Mönch +nennen, den Gatten meiner Schwester Diana, als gültigen Zeugen: siehe, +ich bin gekommen, dich--ohne Vater wie du bist und bei einer solchen +Mutter--von dir selbst zum Weib zu begehren. Meine Schwester hat sich +gegen dich vergessen'--er sträubte sich, ein stärkeres Wort zu +brauchen und damit Dianen, die er verehrte, preiszugeben--'und ich, +der Bruder, bin da, gutzumachen, was die Schwester schlecht gemacht +hat. Diana mit Astorre, du mit mir, so euch entgegenkommend, werdet +ihr Weiber euch die Hände geben.' + +Das empfindliche Gemüt des lauschenden Mönches verwundete diese rohe +Gleichstellung des Mißhandelns und des Leidens, der Schlagenden und +der Geschlagenen--oder krümmte sich eine Natter?--'Germano, so wirbt +man nicht!' raunte er dem Gepanzerten zu. + +Dieser vernahm es, und da die dunkle Antiope mäuschenstille blieb, +verstimmte er sich. Er fühlte, daß er weicher reden sollte, und +redete barscher. 'Ohne Vater und mit einer solchen Mutter', +wiederholte er, bedürfet Ihr einer männlichen Hut! Das konntet Ihr +heute lernen, junge Herrin. Ihr werdet nicht zum andern Male vor ganz +Padua beschämt und geschlagen werden wollen! Gebet Euch mir, wie Ihr +seid, und ich schirme Euch vom Wirbel zur Zehe!' Germano dachte an +seinen Panzer. + +Astorre fand diese Werbung von empörender Härte: Germano, so schien +ihm, behandelte Antiope wie seine Kriegsgefangene--oder zischte die +Schlange?--'So wirbt man nicht, Germano!' keuchte er. Dieser wendete +sich halb. 'Wenn du es besser verstehst', sagte er mißmutig, 'wirb du +für mich, Schwager.' Er trat raumgebend beiseite. + +Da näherte sich Astorre, das Knie gebogen, hob die Hände mit sich +einander berührenden Fingerspitzen, und seine bangen Blicke befragten +das zarte Haupt auf dem blassen Goldgrunde. 'Findet Liebe Worte?' +stammelte er. Dämmerung und Schweigen. + +Endlich lispelte Antiope: 'Für wen wirbst du, Astorre?' + +'Für diesen hier, meinen Bruder Germano', preßte er hervor. Da barg +sie das Antlitz mit den Händen. + +Jetzt riß Germano die Geduld. 'Ich werde deutsch mit ihr reden', +brach er los und: 'Kurz und gut, Antiope Canossa', ließ er das Mädchen +rauh an, 'wirst du mein Weib oder nicht?' Antiope wiegte das kleine +Haupt sanft und sachte, aber trotz der wachsenden Nacht mit deutlicher +Verneinung. + +'Ich habe meinen Korb', sprach Germano trocken. 'Komm, Schwager!' und +er verließ den Saal mit ebenso festen Schritten, wie er ihn betreten +hatte. Der Mönch aber folgte ihm nicht. + +Astorre verharrte in seiner flehenden Stellung. Dann ergriff er, +selbst zitternd, Antiopes zitternde Hände und löste sie von dem +Antlitz. Welcher Mund den andern suchte, weiß ich nicht, denn die +Kammer war völlig finster geworden. + +Auch wurde es darin so stille, daß, wäre ihr Ohr nicht voll +stürmischen Jubels und seliger Chöre gewesen, die Liebenden leicht in +einem anstoßenden Gelasse gemurmelte Gebete hätten vernehmen können. +Das verhielt sich so: Neben Antiopes Kammer, einige Stufen tiefer, lag +die Hauskapelle, und morgen jährte sich zum dritten Male der Tod des +Grafen Canossa. Nach überschrittener Mitternacht sollte in Gegenwart +der Witwe und der Waise die Seelenmesse gelesen werden. Schon hatte +sich der Priester eingestellt, den Ministranten erwartend. + +Ebensowenig wie das unterirdische Gemurmel vernahm das Paar die +schlurfenden Pantoffeln der Madonna Olympia, welche die Tochter suchte +und nun bei dem spärlichen Schein der Hausleuchte, die sie in der Hand +trug, die Liebenden still und aufmerksam betrachtete. Daß die +frechste Lüge einer ausschweifenden Einbildungskraft vor ihren Augen +in diesen zärtlich verschlungenen Gestalten zu Tat und Wahrheit wurde, +darüber wunderte sich Madonna Olympia nicht; aber, es sei der Törin +zum Lobe gesagt, ebensowenig kostete sie einen Genuß der Rache. Sie +weidete sich nicht an dem der gewalttätigen Diana bevorstehenden +bittern Leiden, sondern es überwog die einfache mütterliche Freude, +ihr Kind zu seinem Preise gewertet, begehrt und geliebt zu sehen. + +Da jetzt, von einem scharfen Strahl aus ihrer Leuchte getroffen, die +beiden verwundert aufblickten, fragte sie mit einer weichen und +natürlichen Stimme: 'Astorre Vicedomini, liebst du die Antiope +Canossa?' + +'Über alles, Madonna!' antwortete der Mönch. + +'Und verteidigst sie?' + +'Gegen eine Welt!' rief Astorre verwegen. + +'So ist es recht', begütigte sie, 'aber nicht wahr, du meinst es +redlich? Du verstoßest sie nicht wie Dianen? Du närrst mich nicht? +Du machst eine arme Törin, wie sie mich nennen, nicht unglücklich? Du +läßt mein Kindchen nicht wieder zu Schanden kommen? Du suchst keine +Ausflüchte noch Aufschübe? Du gibst den Augen die Gewißheit und +führst die Antiope gleich, als ein frommer Christ und wackerer +Edelmann, zum Altar? Auch hast du nicht weit nach dem Pfaffen zu +gehen. Hörst du es murmeln? Da unten kniet einer.' + +Und sie öffnete eine niedrige Tür, hinter welcher ein paar steile +Stufen in das häusliche Heiligtum hinabführten. Astorre warf einen +Blick: Unter dem plumpen Gewölbe vor einem kleinen Altar bei dem +ungewissen Licht einer Kerze betete ein Barfüßer, welcher ihm an Alter +und Gestalt nicht unähnlich war und auch die Kutte und den Strick des +heiligen Franziskus trug. + +Ich glaube, daß dieser Barfüßer hier und gerade zu dieser Stunde durch +göttliche Schickung knien und beten mußte, um Astorre zum letzten Male +zu erschrecken und zu warnen. Doch in seinen lodernden Adern wurde +die Arznei zum Gift. Da er die Verkörperung seines Klosterlebens +erblickte, kam ein trotziger Geist des Frevels und der Sicherheit über +ihn. Mit gleichen Füßen habe ich über mein erstes Gelübde weggesetzt, +lachte er, und siehe, die Schranke fiel unter meinem Sprung--warum +nicht über das zweite? Meine Heiligen haben mich unterliegen lassen! +Vielleicht retten und beschützen sie den Sünder! Der Verwildernde +bemächtigte sich Antiopes und trug sie, mehr als daß er sie führte, +die Stufen hinunter; Madonna Olympia aber, die sich nach einem kurzen +lichten Moment wieder verwirrte, schlug hinter dem Mönch und ihrem +Kind die schwere Türe zu wie hinter einem gelungenen Fang, einer +gehuschten Beute und lauschte durch das Schlüsselloch. + +Was sie sah, bleibt ungewiß. Nach der Meinung des Volkes hätte +Astorre den Barfüßer mit gezogenem Schwert bedroht und vergewaltigt. +Das ist unmöglich, denn der Mann Astorre hat niemals den Leib mit +einem Schwert gegürtet. Der Wahrheit näher mag es kommen, daß der +Barfüßer--traurig zu sagen--ein schlechter Mönch war und vielleicht +derselbe Beutel unter seine Kutte wanderte, den Astorre zu sich +gesteckt hatte, da er für Diana den Ehereif kaufen ging. + +Daß aber anfänglich der Priester sich sperrte, daß die zwei Mönche +miteinander rangen, daß das schwere Gewölbe eine häßliche Szene +verbarg--solches lese ich in dem verzerrten und entsetzten Gesicht der +Lauscherin. Donna Olympia verstand, daß da unten ein Frevel begangen +werde, daß sie als die Anstifterin und Mitschuldige desselben der +Strenge des Gesetzes und der Rache der Verratenen sich preisgebe, und +da sich die Hinrichtung des Grafen, ihres Gemahls, jährte, glaubte sie +auch ihr törichtes Haupt dem Beil unrettbar verfallen. Sie wähnte den +nahenden Schritt Ezzelins zu vernehmen. Da floh sie und schrie: +'Hilfe! Mörder!' + +Die Gequälte stürzte auf den Flur und an das in den engen innern Hof +blickende Fenster. 'Mein Maultier! Meine Sänfte!' rief sie hinunter, +und lachend über den doppelten Befehl--das Maultier war für das Land, +die Sänfte für die Stadt--erhob sich das Gesinde der Törin langsam und +bequem aus einem Winkel, wo es bei einer Kürbislaterne trank und +würfelte. Ein alter Stallmeister, welcher allein der unglücklichen +Herrin Treue hielt, sattelte bekümmert zwei Maultiere und führte sie +durch den Torweg auf den an der Gasse liegenden Vorplatz des Palastes. +Er hatte Donna Olympia schon auf mancher Irrfahrt begleitet. Die +andern folgten witzereißend mit der Sänfte. + +Auf der großen Treppe stieß die flüchtige Törin, welche der auch bei +den Unseligen übermächtige Trieb der Selbsterhaltung ihr geliebtes +Kind vergessen ließ, gegen den besorgten Ascanio, der, ohne Nachricht +gelassen und von Unruhe getrieben, auf Kundschaft ausgegangen war. + +'Was ist geschehen, Signora?' fragte er eilig. + +'Ein Unglück!' krächzte sie wie ein aufwiegender Rabe, rannte die +Treppe hinab, saß auf ihrem Tier, stachelte es mit rasender Ferse und +verschwand im Dunkel. + +Ascanio suchte durch die finstern Gemächer bis in die von der +stehengebliebenen Ampel der Madonna Olympia erhellte Kammer Antiopes. +Wie er sich darin umblickte, wurde die Tür der Hauskapelle geöffnet, +und zwei schöne Gespenster entstiegen der Tiefe. Der Mutige begann zu +zittern. 'Astorre, du bist mit ihr vermählt!' Der schallvolle Name +dröhnte im Echo des Gewölbes wie die Tuba jenes Tages. 'Und trägst +Dianens Ring am Finger!' + +Astorre riß ihn ab und schleuderte ihn von sich. + +Ascanio stürzte an das offene Fenster, durch welches der Ring +gesprungen war. 'Er ist in eine Spalte zwischen zwei Quadern +geglitscht', sprach es aus der Gasse herauf. Ascanio erblickte +Turbane und Eisenkappen. Es waren die Leute des Vogtes, welche ihre +nächtliche Runde begannen. + +'Auf ein Wort, Abu Mohammed!' rief er, rasch besonnen, einen +weißbärtigen Greis, der höflich erwiderte: 'Dein Wunsch ist mir Befehl!' +und mit zwei anderen Sarazenen und einem Deutschen im Tore des +Palastes verschwand. + +Abu-Mohammed-al-Tabîb überwachte nicht nur die Sicherheit der Straße, +sondern betrat auch das Innerste der Häuser, um Reichsverräter--oder +was der Vogt so benannte--zu verhaften. Kaiser Friedrich hatte ihn +seinem Schwiegersohn, dem Tyrannen, gegeben, damit er diesem eine +sarazenische Leibwache werbe, und an deren Spitze war er in Padua +verblieben. Abu Mohammed war eine feine Erscheinung und hatte +gewinnende Formen. Er nahm Anteil an dem Schmerz der Familie, deren +Glied er in den Kerker oder zum Block führte, und tröstete die +betrübte in seinem gebrochenen Italienisch mit Sprüchen arabischer +Dichter. Ich vermute, daß er seinen Beinamen 'al Tabîb', das ist der +Arzt, wenn er auch einige chirurgische Kenntnisse und Griffe besitzen +mochte, zuerst und voraus gewissen ärztlichen Manieren verdankte: +ermutigenden Handgebärden, beruhigenden Worten, wie zum Beispiel: 'Es +tut nicht weh' oder: 'Es geht vorüber', womit die Jünger Galens eine +schmerzliche Operation einzuleiten pflegen. Kurz, Abu Mohammed +behandelte das Tragische gelinde und war zur Zeit meiner Fabel trotz +seines strengen und bittern Amtes in Padua keine verhaßte +Persönlichkeit. Später, da der Tyrann eine Lust daran fand, +menschliche Leiber zu martern, woran du nicht glauben kannst, +Cangrande!, verließ ihn Abu Mohammed und kehrte zu seinem gütigen +Kaiser zurück. + +Auf der Schwelle des Gemaches winkte Abu Mohammed seinen drei +Begleitern, stehenzubleiben. Der Deutsche, der die Fackel trug, ein +trotzig blickender Geselle, verharrte nicht lange. Er hatte heute zur +Vesperstunde Germano nach dem Palaste Vicedomini begleitet und dieser +ihm zugelacht: 'Laß mich jetzt! Ich verlobe hier mein Schwesterchen +Diana dem Mönche!' Der Germane kannte die Schwester seines Hauptmanns +und hatte eine Art stiller Neigung zu ihr, ihres hohen Wuchses und +ihrer redlichen Augen halber. Da er nun den Mönch, welchem er heute +mittag zur Seite geritten, Hand in Hand mit einem kleinen und +zierlichen Weibe sah, das ihm, neben dem großen Bilde Dianens, als +eine Puppe erschien, witterte er Treubruch, schmiß erzürnt die +lodernde Fackel auf den Steinboden, wo sie der eine der Sarazenen +behutsam aufhob, und eilte davon, Germano den Verrat des Mönches zu +melden. + +Ascanio, der den Deutschen erriet, bat Abu Mohammed, ihn zurückzurufen. +Dieser aber weigerte sich. 'Er würde nicht gehorchen', sagte er +sanft, 'und mir zwei oder drei meiner Leute niederhauen. Mit welchem +andern Dienst, Herr, bin ich dir gefällig? Verhafte ich diese +blühenden Jugenden?' + +'Astorre, sie wollen uns trennen!' schrie Antiope und suchte Schutz in +den Armen des Mönches. Die am Altare Frevelnde hatte mit einer +schuldlosen Seele auch die natürliche Beherztheit eingebüßt. Der +Mönch, welchen seine Schuld vielmehr ermutigte und begeisterte, tat +einen Schritt gegen den Sarazenen und riß ihm unversehens das Schwert +aus der Scheide. 'Vorsichtig, Knabe, du könntest dich schneiden', +warnte dieser gutmütig. + +'Laß dir sagen, Abu Mohammed', erklärte Ascanio, 'dieser Rasende ist +der Gespiele meiner Jugend und war lange Zeit der Mönch Astorre, den +du sicherlich auf den Straßen Paduas gesehen hast. Der eigene Vater +hat ihn um sein Klostergelübde geprellt und mit einem ungeliebten Weib +vermählt. Vor wenigen Stunden wechselte er mit ihr die Ringe, und +jetzt, wie du ihn hier siehst, ist er der Gatte dieser andern.' + +'Verhängnis!' urteilte der Sarazene mild. + +'Und die Verratene', fuhr Ascanio fort, 'ist Diana Pizzaguerra, die +Schwester Germanos! Du kennst ihn. Er glaubt und traut lange, sieht +und greift er aber, daß er ein Getäuschter und Betrogener ist, so +spritzt ihm das Blut in die Augen, und er tötet.' + +'Nicht anders', bestätigte Abu Mohammed. 'Er ist von der Mutter her +ein Deutscher, und diese sind Kinder der Treue!' + +'Rate mir, Sarazene. Ich weiß nur eine Auskunft: vielleicht eine +Rettung. Wir bringen die Sache vor den Vogt. Ezzelin mag richten. +Inzwischen bewachen deine Leute den Mönch in seinem eigenen festen +Haus. Ich eile zum Ohm. Diese aber bringst du, Abu Mohammed, zu der +Markgräfin Cunizza, der Schwester des Vogts, der frommen und +leutseligen Domina, die hier seit einigen Wochen hofhält. Nimm die +hübsche Sünderin! Ich anvertraue sie deinem weißen Barte.'--'Du +darfst es', versicherte Mohammed. + +Antiope umklammerte den Mönch und schrie noch kläglicher als das +erstemal: 'Sie wollen mich von dir trennen! Laß mich nicht, Astorre! +keine Stunde! keinen Augenblick! Oder ich sterbe!' Der Mönch hob das +Schwert. + +Ascanio, der jede Gewalttat verabscheute, blickte den Sarazenen +fragend an. Dieser betrachtete die sich umschlungen Haltenden mit +väterlichen Augen. 'Laß die Schatten sich umarmen!' sagte er dann +weichgestimmt, sei es, daß er ein Philosoph war und das Leben für +Schein hielt, sei es, daß er sagen wollte: vielleicht verurteilt sie +morgen Ezzelin zum Tode, gönne den verliebten Faltern die Stunde! + +Ascanio zweifelte nicht an der Wirklichkeit der Dinge; desto +zugänglicher war er dem zweiten Sinne des Spruches. Nicht allein als +der Leichtfertige, der er war, sondern auch als ein Gütiger und +Menschlicher zauderte er, die Liebenden auseinanderzureißen. + +'Astorre', fragte er, kennst du mich?' + +'Du warst mein Freund', antwortete dieser. + +'Und bin es noch. Du hast keinen treuern.' + +'O trenne mich nicht von ihr!' flehte jetzt der Mönch in einem so +ergreifenden Ton, daß Ascanio nicht widerstand. 'So bleibet zusammen', +sagte er, 'bis ihr vor das Gericht tretet.' Er flüsterte mit Abu +Mohammed. + +Dieser näherte sich dem Mönch, entwand ihm sachte das Schwert, Finger +um Finger von dem Griff lösend, und ließ es in die Scheide an seiner +Hüfte zurückfallen. Dann trat er ans Fenster, winkte seiner Schar, +und die Sarazenen bemächtigten sich der auf dem Vorplatz +stehengebliebenen Sänfte Madonna Olympias. + +Durch eine enge, finstere Gasse bewegte sich die schleunige Flucht: +Antiope voran, von vier Sarazenen getragen, ihr zur Seite der Mönch +und Ascanio, dann die Turbane. Abu Mohammed schloß den Zug. + +Dieser eilte an einem kleinen Platz und einer erhellten Kirche vorüber. +In die dunkle Fortsetzung der Gasse einmündend, stieß er in hartem +Anprall mit einem ihm entgegenkommenden andern, von zahlreichem Volk +begleiteten Zuge zusammen. Heftiges Gezänk erhob sich. 'Raum der +Sposina!' rief die Menge. Chorknaben brachten aus der Kirche lange +Kerzen herbei, deren wehende Flämmchen sie mit vorgehaltener Hand +schätzten. Der gelbe Schimmer zeigte eine geneigte Sänfte und eine +umgestürzte Bahre. La Sposina war ein gestorbenes Bräutchen aus dem +Volke, das zu Grabe getragen wurde. Die Tote regte sich nicht und +ließ sich gelassen wieder auf ihre Bahre legen. Das versammelte Volk +aber erblickte den Mönch, der die aus der Sänfte gesprungene Antiope +schirmend umfing, und es wußte doch, daß der Mönch heute mit Diana +Pizzaguerra sich vermählt hatte. Abu Mohammed schaffte Ordnung. Ohne +weitern Unfall erreichte man den Palast. + +Astorre und Antiope wurden von der Dienerschaft mit erstaunten und +bestürzten Blicken empfangen. Sie verschwanden im Tore, ohne von Abu +Mohammed und Ascanio Abschied genommen zu haben. Dieser wickelte sich +in sein Kleid und begleitete noch einige Schritte weit den Sarazenen, +welcher die Stadtburg, die er bewachen sollte, umging, ihre Tore +zählend und mit dem Blick die Höhe ihrer Mauern messend. + +'Ein gefüllter Tag', sagte Ascanio. + +'Eine selige Nacht', erwiderte der Sarazene, den sternbesäten Himmel +betrachtend. Die ewigen Lichter, ob sie nun unsere Schicksale +beherrschen oder nicht, wanderten nach ihren stillen Gesetzen, bis ein +junger Tag, der jüngste und letzte Astorres und Antiopes, die +göttliche Fackel schwang. + +In einer Morgenstunde desselben lauschte der Tyrann mit seinem Neffen +durch ein kleines Rundbogenfenster seines Stadtturmes auf den +anliegenden Platz hinunter, den eine aufgeregte Menge füllte, murmelnd +und tosend wie die wechselnde Meereswoge. + +Die gestrige Begegnung der Sänfte mit der Bahre und der daraus +entstandene Tumult hatten blitzschnell durch die ganze Stadt verlautet. +Alle Köpfe beschäftigten sich wachend und träumend mit nichts anderm +mehr als mit dem Mönch und seiner Hochzeit: nicht nur dem Himmel habe +der Ruchlose sein Gelübde gebrochen, sondern jetzt auch der Erde, +seine Braut habe er verraten, seinen Reif verschleudert, in rasend +raschem Wechsel mit einmal aufgeloderten Sinnen ein neues Weib gefreit, +ein fünfzehnjähriges Mädchen, die Blüte des Lebens, und aus der +zerrissenen Kutte sei ein gieriger Raubvogel aufgeflattert. Aber der +gerechte Tyrann, der kein Ansehen der Person kenne, lasse das Haus, +das den Verbrecher und die Verbrecherin verberge, von seinen Sarazenen +bewachen; er werde heute, bald, jetzt die Missetat der zwei +Vornehmen--denn die junge Sünderin Antiope sei eine Canossa--vor +seinen Stuhl ziehen, der keuschen Diana ihr Recht schaffen und dem +durch das schlechte Beispiel seines Adels beleidigten tugendhaften +Volk die blutenden Köpfe der zwei Schuldigen durch das Fenster +zuwerfen. + +Der Tyrann ließ sich, während er einen beobachtenden Blick auf die +gärende Masse warf, von Ascanio das Gestrige berichten. Die +Verliebung rührte ihn nicht, nur der zugerollte Ring beschäftigte ihn +einen Augenblick als eine neue Form des Schicksals. 'Ich tadle', +sagte er, 'daß du sie gestern nicht auseinandergerissen hast! Ich +lobe, daß du sie bewachst! Die Vermählung mit Diana besteht zu Recht. +Das mit dem Schwert erzwungene oder mit dem Beutel gekaufte Sakrament +ist so nichtig wie möglich. Der Pfaffe, der sich erschrecken oder +bestechen ließ, verdient den Galgen und, wird er eingefangen, so +baumelt er. Noch einmal: warum tratest du nicht zwischen den +Unmündigen und das Kind? warum zerrtest du nicht einen Taumelnden aus +den Armen einer Berauschten? Du gabest sie ihm! Jetzt sind sie +Gatten.' + +Ascanio, welcher sich wieder hell und leichtfertig geschlafen hatte, +verbarg ein Lächeln. 'Epikuräer!' strafte ihn Ezzelin. Er aber +schmeichelte: 'Es ist geschehen, gestrenger Ohm. Wenn du den Fall in +deinen Machtkreis ziehst, ist alles gerettet! Beide Parteien habe ich +vor deinen Richterstuhl beschieden auf diese neunte Stunde.' Ein +gegenüberstehender Campanile schlug sie. 'Wolle nur, Ezzelin, und +deine feste und kluge Hand löst den Knoten spielend. Liebe +verschwendet, und Geist kennt Ehre nicht. Der verliebte Mönch wird +dem niederträchtigen Geizhals, als welchen wir alle diesen würdigen +Pizzaguerra kennen, hinwerfen, was er verlangt. Germano freilich wird +das Schwert ziehen, doch du heißt es ihn in die Scheide zurückstoßen. +Er ist dein Mann. Er knirscht, aber er gehorcht.' + +'Ich frage mich', sagte Ezzelin, 'ob ich recht tue, den Mönch dem +Schwert meines Germano zu entziehen. Darf Astorre leben? Kann er es, +jetzt, da er nach verschleuderter Sandale auch den angezogenen +ritterlichen Schuh zur Schlarpe tritt und der Cantus firmus des +Mönches in einem geltenden Gassenhauer vertönt? Ich--was an mir +liegt--friste dem Wankelmütigen und Wertlosen das Dasein. Allein ich +vermag nichts gegen sein Schicksal. Ist Astorre dem Schwerte Germanos +bestimmt, so kann ich diesen es senken heißen, jener rennt doch hinein. +Ich kenne das. Ich habe das erfahren.' Und er verfiel in ein Brüten. + +Scheu wandte Ascanio den Blick seitwärts. Er wußte eine grausame +Geschichte. + +Einst hatte der Tyrann ein Kastell erobert und die Empörer, die es +gehalten hatten, zum Schwerte verurteilt. Der erste beste +Kriegsknecht schwang es. Da kniete, um den Todesstreich zu empfangen, +ein schöner Knabe, dessen Züge den Tyrannen fesselten. Ezzelin +glaubte die seinigen zu erkennen und fragte den Jüngling nach seinem +Ursprung. Es war der Sohn eines Weibes, das Ezzelin in seiner Jugend +sündig geliebt hatte. Er begnadigte den Verdammten. Dieser, von der +eigenen Neugierde und den neidischen Sticheleien derer, welche ihre +Söhne oder Verwandten durch jenes Bluturteil eingebüßt hatten, gereizt +und verfolgt, ruhte nicht, bis er das Rätsel seiner Bevorzugung löste. +Er soll den Dolch gegen die eigene Mutter gezückt und ihr das böse +Geheimnis entrissen haben. Die enthüllte unehrliche Geburt vergiftete +seine junge Seele. Er verschwor sich von neuem gegen den Tyrannen, +überfiel ihn auf der Straße und wurde von demselben Kriegsknecht, der +zufällig der erste war, Ezzelin zu Hilfe zu eilen, und mit demselben +Schwert niedergestoßen. + +Ezzelin verbarg das Haupt eine Weile mit der Rechten und betrachtete +den Untergang seines Sohnes. Dann erhob er es langsam und fragte: Was +aber wird aus Diana?' + +Ascanio zuckte die Achseln. 'Diana hat einen Unstern. Zwei Männer +hat sie verloren, den einen an die Brenta, den andern an ein +lieblicheres Weib. Und dazu der karge Vater! Sie geht ins Kloster. +Was bliebe ihr sonst?' + +Jetzt erhob sich drunten auf dem Platze ein Murren, ein Schelten, ein +Verwünschen, ein Drohen. 'Mordet den Mönch!' reizten einzelne Stimmen, +doch da sie sich in einen allgemeinen Schrei vereinigen wollten, ging +der Volkszorn auf eine seltsame Weise in ein erstauntes und +bewunderndes 'Ach!' über. 'Ach, wie schön ist sie!' Der Tyrann und +Ascanio konnten durch ihr Fenster den Auftritt bequem beobachten: +Sarazenen auf schlanken Berbern, den Mönch Astorre und sein junges +Weib, die von Maultieren getragen wurden, umringend. Die neue +Vicedomini ritt verhüllt. Aber wie die tausend Fäuste des Volkes sich +gegen den Mönch, ihren Gemahl, ballten, hatte sie sich +leidenschaftlich vor ihn geworfen. Die liebende Gebärde zerriß den +Schleier. Es war nicht der Reiz ihres Antlitzes allein, noch die +Jugend ihres Wuchses, sondern das volle Spiel der Seele, das +gestaltete Gefühl, der Atem des Lebens, was die Menge entwaffnete und +hinriß, wie gestern den Mönch, der jetzt als ein blühender Triumphator +ohne die leiseste Furcht, denn er glaubte sich gefestet und gefeit, +mit seiner warmen Beute einherzog. + +Ezzelin betrachtete diesen Sieg der Schönheit fast verächtlich. Er +wandte sein Auge teilnehmend gegen den zweiten Auftritt, welcher aus +einer andern Gasse auf den Turmplatz mündete. Drei Vornehme, wie +Astorre und Antiope zahlreich begleitet, suchten Bahn durch die Menge. +In der Mitte ein schneeweißes Haupt: die würdige Erscheinung des +alten Pizzaguerra. Ihm zur Linken Germano. Dieser hatte gestern +schrecklich gezürnt, als ihm sein Deutscher die Kunde des Verrates +brachte, und stürzte spornstreichs zur Rache, wurde aber von dem +Sarazenen ereilt, welcher ihn, den Vater und die Schwester auf die +nächste Frühstunde in den Turm und vor das Gericht des Vogtes lud. Er +hatte darauf der Schwester den Frevel des Mönches, welchen er ihr +lieber bis nach genommener Rache verheimlicht, offenbaren müssen und +sich über ihre Fassung gewundert. Diana ritt zur Rechten des Vaters, +keine andere als sonst, nur daß sie den breiten Nacken um einen +schweren Gedanken tiefer als gestern trug. + +Die Menge, welche die Gekränkte und ihr Recht Fordernde eine Minute +früher mit zürnendem Jubel begrüßt hätte, begnügte sich jetzt, das +Auge noch geblendet von dem Glanze Antiopes und den Verrat des Mönches +begreifend und mitbegehend, der Gedrückten ein mitleidiges: 'Arme! +Ärmste! Immer Geopferte!' zuzumurmeln. + +Jetzt erschienen die fünf vor dem Tyrannen, der in einem nackten Saal +auf einem nur um zwei Stufen über dem Boden erhöhten Stuhle saß. Vor +ihm standen Kläger und Verklagte sich gegenüber: hier die beiden +Pizzaguerra und, ein wenig beiseite, die große Gestalt Dianas, dort, +Hand in Hand verschlungen, der Mönch und Antiope, alle in Ehrfurcht, +während Ascanio an dem hohen Sessel des Tyrannen lehnte, als wolle er +seine Unparteilichkeit und die Mitte wahren zwischen zwei +Jugendgespielen. + +'Herrschaften', begann Ezzelin, ich werde euern Fall nicht als eine +Staatssache, wo Treubruch Verrat und Verrat Majestätsverbrechen ist, +behandeln, sondern als eine läßliche Familienangelegenheit. In der +Tat, die Pizzaguerra, die Vicedomini, die Canossa sind ebenso edeln +Blutes wie ich, nur daß die Erhabenheit des Kaisers mich zu ihrem Vogt +in diesen ihren Ländern gemacht hat.' Ezzelin neigte das Haupt bei der +Nennung der höchsten Macht; er konnte es nicht entblößen, da er +dasselbe, wenn er es nicht mit dem Streithelm bedeckte, überall, +selbst in Wind und Wetter, nach antiker Weise bar trug. 'So bilden +die zwölf Geschlechter eine große Familie, zu der auch ich durch eine +meiner Ahnfrauen gehöre. Aber wie sind wir zusammengeschmolzen durch +unselige Verblendung und strafbare Auflehnung einiger unter uns gegen +das höchste weltliche Amt! Wenn ihr mir glaubet, so sparen wir nach +Kräften, was noch vorhanden ist. In diesem Sinne halte ich die Rache +der Pizzaguerra gegen Astorre Vicedomini auf, obwohl ich sie ihrer +Natur nach eine gerechte nenne. Seid ihr', er wendete sich gegen die +drei Pizzaguerra, 'mit meiner Milde nicht einverstanden, so höret und +bedenket eines: Ich, Ezzelino da Romano, bin der erste und darum der +Hauptschuldige. Hätte ich mein Roß nicht an einem gewissen Tage und +zu einer gewissen Stunde längs der Brenta jagen lassen, Diana wäre +standesgemäß vermählt, und dieser hier murmelte sein Brevier. Hätte +ich meine Deutschen nicht zur Musterung befohlen an einem gewissen +Tage und zu einer gewissen Stunde, so hätte mein Germano den Mönch +nicht unzeitig auf einen Gaul gesetzt und dieser der Frau, welche er +jetzt an der Hand hält, den ihr von seinem bösen Dämon--' + +'Von meinem guten!' frohlockte der Mönch. + +'--von seinem Dämon zugerollten Brautring wieder vom Finger gezogen. +Darum, Herrschaften, begünstigt mich, indem ihr mir die verwickelte +Sache entwirren und schlichten helfet; denn bestandet ihr auf der +Strenge, so müßte ich auch mich und mich zuerst verurteilen!' + +Diese ungewöhnliche Rede brachte den alten Pizzaguerra keineswegs aus +der Fassung, und als ihn der Tyrann ansprach: 'Edler Herr, Euer ist +die Klage', sagte er kurz und karg 'Herrlichkeit, Astorre Vicedomini +verlobte sich öffentlich und ganz nach den Gebräuchen mit meinem Kinde +Diana. Dann aber, ohne daß Diana sich gegen ihn vergangen hätte, +brach er sein Verlöbnis. Unbegründet, ungesetzlich, +kirchenschänderisch. Diese Tat wiegt schwer, und verlangt, wo nicht +Blut, welches Deine Herrlichkeit nicht vergossen sehen will, eine +schwere Sühne', und er machte die Gebärde eines Krämers, der +Gewichtstein um Gewichtstein in eine Waagschale legt. + +'Ohne daß Diana sich vergangen hätte?' wiederholte der Tyrann. 'Mich +dünkt, sie verging sich. Hatte sie nicht eine Wahnsinnige vor sich? +Und Diana schilt und schlägt. Denn Diana ist jähzornig und +unvernünftig, wenn sie sich in ihrem Recht gekränkt glaubt.' + +Da nickte Diana und sprach: 'Du sagst die Wahrheit, Ezzelin.' + +'Das ist es auch', fuhr der Tyrann fort, 'warum Astorre sein Herz von +ihr abgekehrt hat: er erblickte eine Barbarin.' + +'Nein, Herr', widersprach der Mönch, die Verratene von neuem +beleidigend, 'ich habe Diana nicht angeschaut, sondern das süße +Antlitz, das den Schlag empfing, und mein Eingeweide erbarmte sich.' + +Der Tyrann zuckte die Achseln. 'Du siehst, Pizzaguerra', lächelte er, +'der Mönch gleicht einem sittsamen Mädchen, das zum erstenmal einen +starken Wein geschlurft hat und sich danach gebärdet. Wir aber sind +alte, nüchterne Leute. Sehen wir zu, wie die Sache sich austragen +läßt.' + +Pizzaguerra erwiderte: 'Viel, Ezzelin, täte ich dir zu Gefallen wegen +deiner Verdienste um Padua. Doch läßt sich beleidigte Hausehre sühnen +anders als mit gezogenem Schwerte?' So redete der Vater Dianens und +machte mit dem Arm eine edle Bewegung, welche aber in eine Gebärde +ausartete, die einer geöffneten, wo nicht hingehaltenen Hand zum +Verwechseln ähnlich sah. 'Biete, Astorre!' sagte der Vogt mit dem +Doppelsinne: Biete die Hand! oder: Biete Geld und Gut! + +'Herr', wendete sich jetzt der Mönch offen und edel gegen den Tyrannen, +'wenn du einen Haltlosen, ja einen Sinnberaubten in mir erblickst, +ich zürne dir es nicht, denn ein starker Gott, den ich leugnete, weil +ich sein Dasein nicht ahnen konnte, hat sich an mir gerächt und mich +überwältigt. Noch jetzt treibt er mich wie ein Sturm und jagt mir den +Mantel über den Kopf. Muß ich mein Glück--bettelhaftes Wort! +armselige Sprache!--muß ich das Höchste des Lebens mit dem Leben +bezahlen: ich begreife es und finde den Preis niedrig gestellt! Darf +ich aber leben und mit dieser leben, so markte ich nicht!' Er lächelte +selig. 'Nimm meine Habe, Pizzaguerra!' + +'Herrschaften', verfügte der Tyrann, ich bevormunde diesen +verschwenderischen Jüngling. Unterhandeln wir zusammen, Pizzaguerra. +Du hörtest es: ich habe weite Vollmacht. Was denkst du von den +Bergwerken der Vicedomini?' + +Der ehrbare Greis schwieg, aber seine nahe zusammenliegenden Augen +glitzerten wie zwei Diamanten. + +'Nimm meine Perlfischereien dazu!' rief Astorre, doch Ascanio, der die +Stufen heruntergeglitten kam, verschloß ihm den Mund. + +'Edler Pizzaguerra', versuchte jetzt Ezzelin den Alten, 'nimm die +Bergwerke! Ich weiß, die Ehre deines Hauses geht dir über alles und +steht um keinen Preis feil, aber ich weiß ebenfalls, du bist ein guter +Paduaner und tust dem Stadtfrieden etwas zuliebe.' + +Der Alte schwieg hartnäckig. + +'Nimm die Minen', wiederholte Ezzelin, der das Wortspiel liebte, 'und +gib die Minne!' + +'Die Bergwerke und die Fischereien?' fragte der Alte, als wäre er +schwerhörig. + +'Die Bergwerke, sagte ich, und damit gut. Sie tragen viele tausend +Pfund. Würdest du mehr fordern, Pizzaguerra, so hätte ich mich in +deiner Gesinnung betrogen und du setztest dich dem häßlichen Verdacht +aus, um Ehre zu feilschen.' + +Da der Geizhals den Tyrannen fürchtete und nicht mehr erlangen konnte, +verschluckte er seinen Verdruß und bot dem Mönch die trockene Hand. +'Ein schriftliches Wort, Lebens und Sterbens halber', sagte er dann, +zog Stift und Rechenbüchlein aus der Gürteltasche, entwarf mit +zitternden Fingern die Urkunde 'coram domino Azzolino' und ließ den +Mönch unterzeichnen. Hierauf verbeugte er sich vor dem Vogt und bat, +ihn zu entschuldigen, wenn er, obwohl einer aus den Zwölfen, +Altersschwäche halber der Hochzeit des Mönches nicht beiwohne. + +Germano hatte, seine Wut verbeißend, neben dem Vater gestanden. Jetzt +löste er den einen seiner Eisenhandschuhe. Er schleuderte ihn dem +Mönch ins Gesicht, hätte ihm nicht eine Machtgebärde des Tyrannen Halt +geboten. + +'Sohn, willst du den öffentlichen Frieden brechen?' mahnte jetzt auch +der alte Pizzaguerra. Mein gegebenes Wort enthält und verbürgt auch +das deinige. Gehorche! Bei meinem Fluch! Bei deiner Enterbung!' +drohte er. + +Germano lachte. 'Kümmert Euch um Eure schmutzigen Händel, Vater!' +warf er verächtlich hin. 'Doch auch du, Ezzelin, Herr von Padua, +darfst es mir nicht verwehren! Es ist Mannesrecht und Privatsache. +Verweigere ich dem Kaiser und dir, seinem Vogt, den Gehorsam, so +enthaupte mich; aber du hinderst mich nicht, gerecht wie du bist, +diesen Mönch zu erwürgen, der meine Schwester geäfft und mich +beheuchelt hat. Wäre Untreue straflos, wer möchte leben? Es ist des +Platzes auf der Erde zu wenig für den Mönch und mich. Das wird er +selbst begreifen, wann er wieder zu Sinnen kommt.' + +'Germano', gebot Ezzelin, 'ich bin dein Kriegsherr. Morgen vielleicht +ruft die Tuba. Du bist nicht dein eigen, du gehörst dem Reich!' + +Germano erwiderte nichts. Er befestigte den Handschuh. 'Vorzeiten', +sagte er dann, 'unter den blinden Heiden gab es eine Gottheit, welche +gebrochene Treue rächte. Das wird sich mit dem Glockengeläute nicht +geändert haben. Ihr befehle ich meine Sache!' Rasch erhob er die Hand. + +'So steht es gut', lächelte Ezzelin. 'Heute abend wird im Palaste +Vicedomini Hochzeit mit Masken gefeiert, ganz wie gebräuchlich. Ich +gebe das Fest und lade euch ein, Germano und Diana. Ungepanzert, +Germano! Mit kurzem Schwert!' + +'Grausamer!' stöhnte der Krieger. 'Kommt, Vater! Wie möget Ihr +länger das Schauspiel unserer Schande geben?' Er riß den Alten mit +sich fort. + +'Und du, Diana?' fragte Ezzelin, da er vor seinem Stuhl nur noch diese +und die Neuvermählten sah. 'Begleitest du nicht Vater und Bruder?' + +'Wenn du es gestattest, Herr', sagte sie, 'habe ich ein Wort mit der +Vicedomini zu reden.' An dem Mönche vorüber blickte sie fest auf +Antiope. + +Diese, deren Hand Astorre nicht losgab, hatte an dem Gericht des +Tyrannen einen leidenden, aber tief erregten Anteil genommen. Bald +errötete das liebende Weib. Bald entfärbte sich eine Schuldige, die +unter dem Lächeln und der Gnade Ezzelins sein wahres und ein sie +verdammendes Urteil entdeckte. Bald jubelte ein der Strafe +entwischtes Kind. Bald regte sich das erste Selbstgefühl der jungen +Herrin, der neuen Vicedomini. Jetzt, von Diana ins Gesicht angeredet, +warf sie ihr scheue und feindselige Blicke entgegen. + +Diese ließ sich nicht beirren. 'Schau her, Antiope!' sagte sie. +'Hier mein Finger'--sie streckte ihn--'trägt den Ring deines Gatten. +Den darfst du nicht vergessen. Ich bin nicht abergläubischer als +andere, aber an deiner Stelle wäre mir schlimm zumute! Schwer hast du +dich an mir versündigt, doch ich will gut und milde sein. Heute abend +feierst du Hochzeit mit Masken nach den Gebräuchen. Ich werde dir +erscheinen. Komme reuig und demütig und ziehe mir den Ring vom Finger!' + +Antiope stieß einen Schrei der Angst aus und klammerte sich an ihren +Gatten. Dann, in seinen Armen geborgen, redete sie stürmisch: 'Ich +soll mich erniedrigen? Was befiehlst du, Astorre? Meine Ehre ist +deine Ehre! Ich bin nichts mehr als dein Eigentum, dein Herzklopfen, +dein Atemzug und deine Seele. Wenn du willst und du gebietest, dann!' + +Astorre sprach, sein Weib zärtlich beruhigend, gegen Diana: 'Sie wird +es tun. Möge dich ihre Demut versöhnen! und die meinige! Sei mein +Gast heute nacht und bleibe meinem Hause günstig!' Er wendete sich zu +Ezzelin, dankte ihm ehrerbietig für Gericht und Gnade, verneigte sich +und entführte sein Weib. Auf der Schwelle aber wandte er sich noch +fragend gegen Diana: 'Und in welcher Tracht wirst du bei uns +erscheinen, daß wir dich kennen und dir Ehre bezeigen?' + +Diese lächelte verächtlich. Wieder, wendete sie sich gegen Antiope. +'Kommen werde ich als die, welche ich mich nenne und welche ich bin: +die Unberührte, die Jungfräuliche!' sagte sie stolz. Dann wiederholte +sie: 'Antiope, denke daran: reuig und demütig!' + +'Du meinst es ehrlich, Diana? Du führst nichts im Schilde?' zweifelte +der Tyrann, da ihm jetzt die Pizzaguerra allein gegenüberstand. + +'Nichts', erwiderte sie, jede Beteurung verschmähend. + +'Und was wird aus dir, Diana?' fragte er. + +'Ezzelin', antwortete sie bitter, 'vor diesem deinem Richtstuhl hat +mein Vater die Ehre und Rache seines Kindes um ein paar Erzklumpen +verschachert. Ich bin nicht wert, daß mich die Sonne bescheine. Für +solche ist die Zelle!' Und sie verließ den Saal. + +'Allervortrefflichster Ohm!' jubelte Ascanio. 'Du vermählst das +seligste Paar in Padua und machst aus einer gefährlichen Geschichte +ein reizendes Märchen, womit ich einst, als ein ehrwürdiger Greis, +meine Enkel und Enkelinnen am Herdfeuer ergötzen werde!' + +'Idyllischer Neffe', spottete der Tyrann. Er trat ans Fenster und +blickte auf den Platz hinunter, wo die Menge noch in fieberhafter +Neugierde standhielt. Ezzelin hatte Befehl gegeben, die vor ihn +Beschiedenen durch eine Hinterpforte zu entlassen. 'Paduaner!' redete +er jetzt mit gewaltiger Stimme, und Tausende schwiegen wie eine Einöde. +'Ich habe den Handel untersucht. Er war verwickelt und die Schuld +geteilt. Ich vergab, denn ich bin zur Milde geneigt jedesmal, wo die +Majestät des Reiches nicht berührt wird. Heute abend halten Hochzeit +mit Masken Astorre Vicedomini und Antiope Canossa. Ich, Ezzelin, gebe +das Fest und lade euch alle. Lasset es euch schmecken, ich bin der +Wirt! Euch gehören Schenke und Gasse! Den Palast Vicedomini aber +betrete noch gefährde mir keiner, sonst, bei meiner Hand!--und jetzt +kehre ruhig jeder in das Seinige, wenn ihr mich lieb habet!' + +'Wie sie dich lieben!' scherzte Ascanio.--Ein unbestimmtes Gemurmel +drang empor. Es verriegelte und verrann." + +Dante schöpfte Atem. Dann endigte er in raschen Sätzen. + +"Nachdem der Tyrann sein Gericht gehalten hatte, verritt er um Mittag +nach einem seiner Kastelle, wo er baute. Er begehrte rechtzeitig nach +Padua zurückzukehren, um die vor Diana sich demütigende Antiope zu +betrachten. + +Aber gegen Voraussicht und Willen wurde er auf der mehrere Miglien von +der Stadt entfernten Burg festgehalten. Dorthin kam ihm ein +staubbedeckter Sarazene nachgesprengt und überreichte ihm ein +eigenhändiges Schreiben des Kaisers, das umgehende Antwort verlangte. +Die Sache war von Bedeutung. Ezzelin hatte vor kurzem eine +kaiserliche Burg im Ferraresischen, in deren Befehlshaber, einem +Sizilianer, sein Scharfblick den Verräter argwöhnte, nächtlicherweile +überfallen, eingenommen und den zweideutigen kaiserlichen Burgvogt in +Fesseln gelegt. Nun verlangte der Staufe Rechenschaft über diesen +klugen, aber verwegenen Eingriff in seinen Machtkreis. Die arbeitende +Stirn in die Linke gelegt, ließ Ezzelin die Rechte über das Pergament +gleiten, und sein Stift zog ihn vom ersten zum zweiten und vom zweiten +zu einem dritten. Gründlich unterhielt er sich mit dem erleuchten +Schwiegervater über die Möglichkeiten und Ziele eines bevorstehenden +oder wenigstens geplanten Feldzuges. So verschwand ihm Stunde und +Zeitmaß. Erst als er sich wieder zu Pferde warf, erkannte er aus dem +ihm vertrauten Wandel der Gestirne--sie blitzten in voller Klarheit--, +daß er Padua kaum vor Mitternacht erreichen werde. Sein Gefolge weit +hinter sich lassend, schnell wie ein Gespenst, flog er über die +nächtige Ebene. Doch er wählte seinen Weg und umritt vorsichtig einen +wenig tiefen Graben, über welchen der kühne Reiter an einem andern +Tage spielend gesetzt hätte: er verhinderte das Schicksal, seine Fahrt +zu bedrohen und seinen Hengst zu stürzen. Wieder verschlang er auf +gestrecktem Renner den Raum, aber Paduas Lichter wollten noch nicht +schimmern. + +Dort, vor der breiten Stadtfeste der Vicedomini, während sie sich in +rasch wachsender Dämmerung schwärzte, hatte sich das trunkene Volk +versammelt. Zügellose wechselten mit possierlichen Szenen auf dem +nicht großen Platze. In der gedrängten Menge gor eine wilde, zornige +Lust, ein bacchantischer Taumel, welchem die ausgelassene Jugend der +Hochschule ein Element des Spottes und Witzes beimischte. + +Jetzt ließ sich eine schleppende Kantilene vernehmen, in der Art einer +Litanei, wie unsere Landleute zu singen pflegen. Es war ein Zug +Bauern, alt und jung, aus einem der zahlreichen Dörfer im Besitz der +Vicedomini. Dieses arme Volk, welches in seiner Abgelegenheit nichts +von der Verweltlichung des Mönches, sondern nur in unbestimmten +Umrissen die Vermählung des Erben erfahren, hatte sich vor +Tagesanbruch mit den üblichen Hochzeitsgeschenken aufgemacht und +erreichte nun sein Ziel nach einer langen Wallfahrt im Staub der +Landstraße. Es hielt und duckte sich zusammen, langsam über den +wogenden Platz vorrückend, hier ein lockiger Knabe, fast noch ein Kind, +mit einer goldenen Honigwabe, dort eine scheue, stolze Dirne, ein +blökendes, bebändertes Lämmchen in den sorglichen Armen. Alle +verlangten sie sehnlich nach dem Angesicht ihres neuen Herrn. + +Nun verschwanden sie nach und nach in der Wölbung des Tores, wo rechts +und links die angezündeten Fackeln in den Eisenringen loderten, mit +der letzten Tageshelle streitend. Im Torweg befahl Ascanio als Ordner +des Festes, er, der sonst so freundliche, mit einer schreienden und +gereizten Stimme. + +Von Stunde zu Stunde wuchs der Frevelmut des Volkes, und als endlich +die vornehmen Masken anlangten, wurden sie gestoßen, dem Gesinde die +Fackeln entrissen und auf den Steinplatten ausgetreten, die Edelweiber +von ihren männlichen Begleitern abgedrängt und lüstern gehänselt, +ungerächt von dem Schwertstich, der an gewöhnlichen Abenden die +Frechheit sofort gestraft hätte. + +Dergestalt kämpfte unweit des Palasttores ein hohes Weib in der Tracht +einer Diana mit einem immer enger sich schließenden Ringe von +Klerikern und Schülern niedersten Ranges. Ein hagerer Mensch ließ +seine mythologischen Kenntnisse glänzen. 'Nicht Diana bist du!' +näselte er verbuhlt, 'du bist eine andere! ich erkenne dich. Hier +sitzt dein Täubchen!' und er zeigte auf den silbernen Halbmond über +der Stirne der Göttin. Diese aber schmeichelte nicht wie Aphrodite, +sondern zürnte wie Artemis. 'Weg, Schweine!' schalt sie. 'Ich bin +eine reinliche Göttin und verabscheue die Kleriker!'--'Gurr, gurr!' +girrte die Hopfenstange und tastete mit den Knochenhänden, stieß aber +auf der Stelle einen durchdringenden Schrei aus. Wimmernd hob der +Elende die Hand und zeigte seinen Schaden. Sie war durch und durch +gestochen und überquoll von Blut: das ergrimmte Mädchen hatte hinter +sich in den Köcher gelangt--den entwendeten Jagdköcher ihres +Bruders--und mit einem der scharfgeschliffenen Pfeile die ekle Hand +gezüchtigt. Schon wurde der rasche Auftritt von einem andern ebenso +grausamen, wenn auch unblutigen verdrängt. Eine alle erdenklichen +Widersprüche und schneidenden Mißtöne durcheinanderwerfende Musik, die +einem rasenden Zank der Verdammten in der Hölle glich, brach sich Bahn +durch die betäubte und ergötzte Menge. Das niederste und schlimmste +Volk--Beutelschneider, Kuppler, Dirnen, Betteljungen--blies, kratzte, +paukte, pfiff, quiekte, meckerte und grunzte vor und hinter einem +abenteuerlichen Paar. Ein großes, verwildertes Weib von zerstörter +Schönheit ging Arm in Arm mit einem trunkenen Mönch in zerfetzter +Kutte. Dieses war der Klosterbruder Serapion, der, von dem Beispiel +Astorres aufgestachelt, nächtlicherweile aus der Zelle entsprungen war +und sich seit einer Woche im Schlamm der Gasse wälzte. Vor einem aus +der finstern Palastmauer vorspringenden erhellten Erker machte die +Horde halt, und mit einer geltenden Stimme und der Gebärde eines +öffentlichen Ausrufers schrie das Weib: 'Kund und zu wissen, +Herrschaften: über ein kurzes schlummert der Mönch Astorre neben +seiner Gattin Antiope!' Ein unbändiges Gelächter begleitete diese +Verkündigung. + +Jetzt nickte aus dem schmalen Bogenfenster des Erkers die läutende +Schellenkappe Gocciolas, und ein melancholisches Gesicht zeigte sich +der Gasse. + +'Gutes Weib, sei stille!' klagte der Narr weinerlich auf den Platz +hinunter. 'Du verletzest meine Erziehung und beleidigst mein +Schamgefühl!' + +'Guter Narr', antwortete die Schamlose, 'stoße dich nicht daran! Was +die Vornehmen begehen, dem geben wir den Namen. Wir setzen die Titel +auf die Büchsen der Apotheke!' + +'Bei meinen Todsünden', jubelte Serapion, 'das tun wir! Bis +Mitternacht soll die Hochzeit meines Brüderchens auf allen Plätzen +Paduas ausgeschellt und hell verkündigt werden. Vorwärts, marsch! +Hopsassa!' und er hob das nackte Bein mit der Sandale aus den +hängenden Lumpen der besudelten Kutte. + +Dieser von der Menge wütend beklatschte Schwank verscholl an den +steilen Mauern der mächtigen Burg, deren Fenster und Gemächer zum +großen Teil gegen die innern Hofräume gingen. + +In einem stillen, geschützten Gemach wurde Antiope von ihren Zofen, +Sotte und einer andern, gekleidet und geschmückt, während Astorre den +nicht enden wollenden Schwarm der Gäste oben an den Treppen empfing. +Sie schaute in ihre eigenen bangen Augen, die ihr aus einem +Silberspiegel begegneten, welchen die Unterzofe mit einem neidischen +Gesicht in nackten, frechen Armen hielt. + +'Sotte', flüsterte das junge Weib zu der Dienerin, die ihr die Haare +flocht, 'du ähnelst mir und hast meinen Wuchs.--wechsle mit mir die +Kleider, wenn du mich lieb hast! Gehe hin und ziehe ihr den Ring vom +Finger! Reuig und demütig! Verbeuge dich mit gekreuzten Armen vor +der Pizzaguerra, wie die letzte Sklavin! Falle auf die Knie! Wälze +dich am Boden! Wirf dich ganz weg! Nur nimm ihr den Ring! Ich lohne +fürstlich!' und da sie Sotte zaudern sah: 'Nimm und behalte alles, was +ich Köstliches trage!' flehte die Herrin, und dieser Versuchung +widerstand die eitle Sotte nicht. + +Astorre, welcher der Pflicht des Wirtes einen Augenblick entwendete, +um sein Liebstes zu besuchen, fand im Gemach zwei sich umkleidende +Frauen. Er erriet. 'Nein, Antiope!' verbot er. 'So darfst du nicht +durchschlüpfen. Es muß Wort gehalten werden! Ich verlange es von +deiner Liebe. Ich befehle es dir!' Indem er diesen strengen Spruch +mit einem Kuß auf den geliebten Nacken zu einem Kosewort machte, wurde +er weggerissen von dem herbeieilenden Ascanio, welcher ihm vorstellte, +seine Bauern wünschten ihm ihre Gaben ohne Verzug zu überreichen, um +in der Kühle der Nacht den Heimweg anzutreten. Da sich Antiope +wendete, um den Gatten wiederzuküssen, küßte sie die Luft. + +Jetzt ließ sie sich rasch fertig kleiden. Selbst die leichtfertige +Sotte erschrak vor der Blässe des Angesichts im Spiegel. Nichts lebte +darin als die Angst der Augen und der Schimmer der zusarnmengepreßten +Zähnchen. Ein roter Streif, der Schlag Dianens, wurde auf der weißen +Stirn sichtbar. + +Nach beendigtem Putz erhob sich das Weib Astorres mit klopfenden +Pulsen und hämmernden Schläfen, verließ die sichere Kammer und +durcheilte die Säle, Dianen suchend. Sie wurde gejagt von dem Mute +der Furcht. Sie wollte jubelnd mit dem zurückeroberten Ring ihrem +Gatten entgegeneilen, dem sie den Anblick ihrer Buße erspart hätte. + +Bald unterschied sie aus den Masken die hochgewachsene Göttin der Jagd, +erkannte in ihr die Feindin und folgte, bebend und zornige Worte +murmelnd, der gemessen Schreitenden, welche den Hauptsaal verließ und +sich gnädig in eines der schwachbeleuchteten und nur halb so hohen +Nebengemächer verlor. Die Göttin schien nicht öffentliche Demütigung, +sondern Demut des Herzens zu verlangen. + +Jetzt neigte sich im Halbdunkel Antiope vor Diana. 'Gib mir den Ring!' +preßte sie hervor und tastete an dem kräftigen Finger. + +'Demütig und reuig?' fragte Diana. + +'Wie anders, Herrin?' fieberte die Unselige. 'Aber du treibst dein +Spiel mit mir, Grausame! Du biegst deinen Finger, jetzt krümmst du +ihn!' + +Ob Antiope es sich einbildete? Ob Diana wirklich dieses Spiel trieb? +Wie wenig ist ein gekrümmter Finger! Cangrande, du hast mich der +Ungerechtigkeit bezichtigt. Ich entscheide nicht. + +Genug, die Vicedomini hob den geschmeidigen Leib und rief, die +flammenden Augen auf die strengen der Pizzaguerra gerichtet: 'Neckst +du eine Frau, Mädchen?' Dann bog sie sich wieder und suchte mit beiden +Händen dem Finger den Ring zu entreißen--da durchfuhr sie ein Blitz. +Ihr die linke Hand überlassend, hatte die strafende Diana mit der +Rechten einen Pfeil aus dem Köcher gezogen und Antiope getötet. Diese +sank zuerst auf die linke, dann auf die rechte Hand, drehte sich und +lag, den Pfeil im Genick, auf die Seite gewendet. + +Der Mönch, der nach Verabschiedung seiner ländlichen Gäste +zurückgeeilt kam und sehnlich sein Weib suchte, fand eine Entseelte. +Mit einem erstickten Schrei warf er sich neben sie nieder und zog ihr +den Pfeil aus dem Halse. Ein Blutstrahl folgte. Astorre verlor die +Besinnung. + +Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, stand Germano vor ihm mit +gekreuzten Armen. 'Bist du der Mörder?' fragte der Mönch. + +'Ich morde keine Weiber', antwortete der andere traurig. 'Es ist +meine Schwester, die ihr Recht gesucht hat.' + +Astorre tastete nach dem Pfeil und fand ihn. Aufgesprungen in einem +Satz und das lange Geschoß mit der blutigen Spitze wie eine Klinge +handhabend, fiel er in blinder Wut den Jugendgespielen an. Der +Krieger schauderte leicht vor dem schwarzgekleideten, fahlen Gespenst +mit den gesträubten Haaren und dem Pfeil in der Faust. + +Er wich um einen Schritt. Das kurze Schwert ziehend, welches der +Ungepanzerte heute trug, und den Pfeil damit festhaltend, sagte er +mitleidig: 'Geh in dein Kloster zurück, Astorre, das du nie hättest +verlassen sollen!' + +Da gewahrte er plötzlich den Tyrannen, der, gefolgt von dem ganzen +Feste, welches dem längst Erwarteten bis ans Tor entgegengestürzt war, +ihm gerade gegenüber durch die Tür trat. + +Ezzelin streckte die Rechte, Friede gebietend, und Germano senkte +ehrfürchtig seine Waffe vor dem Kriegsherrn. Diesen Augenblick +ergriff der rasende Mönch und stieß dem Ezzelin Entgegenschauenden den +Pfeil in die Brust. Aber auch sich traf er tödlich, von dem +blitzschnell wieder gehobenen Schwert des Kriegers erreicht. + +Germano war stumm zusammengesunken. Der Mönch, von Ascanio gestützt, +tat noch einige wankende Schritte nach seinem Weib und bettete sich, +von dem Freund niedergelassen, zu ihr, Mund an Mund. + +Die Hochzeitsgäste umstanden die Vermählten. Ezzelin betrachtete den +Tod. Hernach ließ er sich auf ein Knie nieder und drückte erst +Antiope, darauf Astorre die Augen zu. In die Stille klang es mißtönig +herein durch ein offenes Fenster. Man verstand aus dem Dunkel: 'Jetzt +schlummert der Mönch Astorre neben seiner Gattin Antiope.' Und ein +fernes Gelächter." + +Dante erhob sich. "Ich habe meinen Platz am Feuer bezahlt", sagte er, +"und suche nun das Glück des Schlummers. Der Herr des Friedens behüte +uns alle!" Er wendete sich und schritt durch die Pforte, welche ihm +der Edelknabe geöffnet hatte. Aller Augen folgten ihm, der die Stufen +einer fackelhellen Treppe langsam emporstieg. + + +Ende dieses PRojekt Gutenberg Etxtes Die Hochzeit des Mönchs, von +Conrad Ferdinand Meyer. + + + + + + +End of Project Gutenberg's Die Hochzeit des Moenchs, +by Conrad Ferdinand Meyer + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE HOCHZEIT DES MOENCHS *** + +This file should be named 8dhdm10.txt or 8dhdm10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8dhdm11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8dhdm10a.txt + +Produced by Delphine Lettau + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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