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+Project Gutenberg's Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Der Mann des Schicksals
+
+Author: George Bernard Shaw
+
+Posting Date: November 15, 2011 [EBook #9802]
+Release Date: February, 2006
+First Posted: October 18, 2003
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER MANN DES SCHICKSALS ***
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+Produced by Michalina Makowska
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+DER MANN DES SCHICKSALS
+
+Komödie in einem Akt
+
+Bernard Shaw
+
+(Übersetztung von Siegfried Trabitsch)
+
+
+Diese Komödie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker"
+veröffentlicht und aufgeführt.
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+
+PERSONEN
+
+Napoleon
+Ein Leutnant
+Eine fremde Dame
+Giuseppe
+Grandi, Gastwirt
+
+
+Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von
+Mailand nach Lodi.
+
+(Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Straße
+von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die
+Ebenen der Lombardei. Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die
+Ameisenhügel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden
+Schweine und Ochsen in den Dörfern belästigt, noch verletzt durch das
+kühle Verhalten der Kirchen gegenüber ihrem Licht. Verachtungsvoll
+lacht sie jedoch über zwei Horden schädlicher Insekten, nämlich der
+österreichischen und der französischen Armee. Vor zwei Tagen, bei
+Lodi, hatten die Österreicher die Franzosen zu hindern versucht, den
+Fluß auf der dort befindlichen schmalen Brücke zu überschreiten. Aber
+die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjährigen General,
+Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, überschritten
+dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Brücke, unterstützt von
+einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand
+anlegte. Das Schießen mit Kanonen ist seine technische Spezialität.
+Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein
+Meister in den militärischen Künsten, sich von seinen Pflichten zu
+drücken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den
+Krieg mit dem Lärm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf
+allen militärischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist. Er ist
+jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des
+Schießpulvers als erster herausgefunden, daß eine Kanonenkugel den
+Mann, den sie trifft, unfehlbar töten muß. Dem gründlichen Erfassen
+dieser bemerkenswerten Entdeckung fügte er eine höchst entwickelte
+Fähigkeit für physikalische Geographie und für die Berechnung von Zeit
+und Entfernungen hinzu. Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und
+eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf
+öffentliche Angelegenheiten, die er während der französischen
+Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat. Er hat
+Einbildungskraft ohne Illusionen, und schöpferischen Geist ohne
+Religion, Loyalität, Patriotismus oder irgendeines der landläufigen
+Ideale, obwohl er dieser nicht unfähig ware; im Gegenteil: er hat sie
+alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine
+dramatische Fähigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines
+Schauspielers und Bühnenleiters äußerst geschickt auszuspielen. Dabei
+ist er durchaus kein verzogenes Kind. Armut, Mißgeschick, die Kniffe
+einer ärmlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfälle als
+Autor, die Demütigungen eines zurückgestoßenen Strebers, die Verweise
+und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu
+ertragen hat, haben das verhindert. Er entging sogar nur mit knapper
+Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden. Wenn recht
+Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants
+zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert hätte, würde er mit
+Verachtung aus dem Heere ausgestoßen worden sein. Alle diese
+Schicksale haben ihm jede Selbstüberschätzung ausgetrieben und ihn
+gezwungen, genügsam zu sein und zu begreifen, daß die Welt einem Manne
+seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann.
+Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit. Denn ein
+erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es
+war, ist der Welt von Nutzen. Man kann sogar heute nicht in England
+leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, daß
+es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Cäsar erobert wurde.)
+
+(An jenem Mainachmittag des Jahres 1796 jedoch ist es noch früh in
+seinem Leben. Er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt und erst kürzlich
+General geworden, teilweise mit Hilfe seiner Frau, die er dazu benutzt
+hat, das Direktorium (das damals Frankreich regierte) zu verführen,
+und teilweise durch den bereits erwähnten, infolge der Auswanderung
+entstandenen Mangel an Offizieren. Aber auch dank seiner Fähigkeit,
+ein Land mit all seinen Straßen, Flüssen, Hügeln und Tälern wie die
+Fläche seiner eigenen Hand zu kennen, und vor allem dank seinem neuen
+Glauben an die Wirkung der Kanonen auf Menschen. Seine Armee war, was
+die Disziplin betrifft, in einem Zustand, der moderne Historiker, vor
+denen das folgende Stück aufgeführt worden ist, so sehr entsetzt hat,
+daß sie, eingeschüchtert von dem späteren Ruhme des "Empereur", sich
+geweigert haben, an solche Vorkommnisse zu glauben. Aber Napoleon ist
+noch nicht "l'Empereur", es wurde ihm eben erst der Titel "le petit
+caporal" verliehen, und er ist im Begriff, durch renommistische
+Tapferkeit Einfluß auf seine Leute zu gewinnen. Er ist nicht in der
+Lage, seinen Willen nach orthodoxer militärischer Art mit Hilfe der
+neunschwänzigen Katze bei ihnen durchzusetzen. Die französische
+Revolution, die nur durch die monarchische Gewohnheit, den Soldaten
+den Lohn wenigstens vier Jahre lang schuldig zu bleiben, dem Schicksal,
+unterdrückt zu werden, entging, hat, wo es irgend anging, diesen
+Brauch durch die Gewohnheit ersetzt, überhaupt keinen zu zahlen.
+Statt dessen werden die Leute mit Versprechungen und patriotischen
+Schmeicheleien abgespeist, die mit dem Militärgeist preußischer Art
+unvereinbar gewesen wären. Napoleon hat sich daher als ein
+Befehlshaber von zerlumpten Leuten ohne Geld, die nicht aufgelegt sind,
+sich viel Disziplin gefallen zu lassen, namentlich nicht von
+emporgekommenen Generälen, den Alpen genähert. Dieser Umstand, der
+einen idealistischen Soldaten in Verlegenheit gebracht hätte, ersetzte
+Napoleon tausend Kanonen. Er sprach zu seinen Soldaten: "Ihr habt
+Patriotismus und Mut; aber ihr habt kein Geld, keine Kleidung und kaum
+etwas zu essen. In Italien gibt es all diese Dinge und Ruhm noch dazu
+für eine ergebene Armee, die von einem General geführt wird, der
+Plünderung als das natürliche Recht des Soldaten betrachtet. Ich bin
+ein solcher General. En avant, mes enfants!"--Das Resultat hat ihm
+vollkommen recht gegeben. Seine Soldaten eroberten Italien, wie die
+Wanderheuschrecken Cypern erobert haben. Sie kämpften den ganzen Tag
+und marschierten die ganze Nacht, legten unmögliche Entfernungen
+zurück, tauchten an unmöglichen Orten auf,--aber nicht etwa, weil
+jeder Soldat wußte, daß er den Marschallstab in seinem Tornister trage,
+sondern weil jeder hoffte, am nächsten Tage wenigstens ein halbes
+Dutzend silberner Gabeln fort zu tragen. Zugleich muß man sich
+darüber klar sein, daß die französische Armee nicht mit der
+italienischen Krieg führt. Sie ist nur da, um Italien von der
+Tyrannei seiner österreichischen Eroberer zu befreien und
+republikanische Einrichtungen herzustellen, so daß sie, wenn sie
+gelegentlich plündert, nur ein wenig frei mit dem Eigentum ihrer
+Freunde umgeht, wofür Italien sogar hätte dankbar sein sollen, wenn
+Undankbarkeit nicht die sprichwörtliche Schwäche der Italiener wäre.
+Die Österreicher, die sie bekämpfen, haben eine recht ansehnliche
+reguläre, gut disziplinierte Armee, von Herren kommandiert, die in der
+bisher geübten Kriegskunst erfahren sind, an ihrer Spitze Beaulieu,
+der die klassische Kriegskunst ausübt, nach Befehlen von Wien aus, und
+von Napoleon fürchterlich geschlagen wird, der auf eigene Faust
+handelt, ohne Rücksicht auf militärisches Herkommen und Befehle aus
+Paris. Selbst wenn die Österreicher eine Schlacht gewannen, brauchte
+man nur zu warten, bis sie nach ihrer Gewohnheit in ihre
+Hauptquartiere heimgekehrt waren, sozusagen zum Nachmittagstee, um sie
+dann zurückzugewinnen, ein Verfahren, das Napoleon später mit
+glänzendem Erfolge bei Marengo anzuwenden wußte. Mit einem Wort,
+Napoleon versteht es, ohne heroische Wunder zu vollbringen, einem
+Feinde gegenüber unwiderstehlich zu sein, der den Nachteil hat, von
+österreichischer Staatsmannschaft, klassischer Generalsweisheit und
+den Forderungen der aristokratischen Wiener Gesellschaft geleitet zu
+werden. Die Welt jedoch liebt Wunder und Helden und ist ganz unfähig,
+die Handlungsweise solcher Mächte, wie akademischer Militarismus und
+Wiener Boudoirunwesen sind, zu begreifen. Daher hat sie schon
+begonnen, das Wort "l'Empereur" zu prägen, und es dadurch hundert
+Jahre später den Romantikern erschwert, die folgende bis dahin
+unaufgezeichnete kleine Szene zu glauben, die sich in Tavazzano
+ereignet hat. Das beste Quartier in Tavazzano ist ein kleines
+Gasthaus, das erste, das der Wanderer antrifft, der auf dem Wege von
+Mailand noch Lodi den Ort berührt. Es steht in einem Weingarten, und
+sein größtes Zimmer, ein angenehmer Zufluchtsort vor der Sommerhitze,
+ist gegen diesen Weingarten nach rückwärts so weit geöffnet, daß es
+beinahe einer großen Veranda gleicht. Die mutigeren unter den Kindern,
+die durch Alarmsignale und die Ausfälle der letzten Tage und durch
+den Einmarsch französischer Truppen um sechs Uhr in großer Aufregung
+sind, wissen, daß der französische Kommandeur sich in dieses Zimmer
+einquartiert hat, und schwanken zwischen dem Verlangen, durch das
+Vorderfenster verstohlene Blicke hineinzuwerfen, und einer tödlichen
+Angst vor der Schildwache, einem jungen Soldaten aus vornehmer Familie,
+der keinen natürlichen Schnurrbart besitzt und sich deshalb einen
+sehr martialischen mit Stiefelwichse von seinem Feldwebel hat ins
+Gesicht hineinmalen lassen. Da seine schwere Uniform, wie alle
+Uniformen seiner Zeit, ohne die leiseste Rücksichtnahme auf seine
+Gesundheit oder seine Bequemlichkeit, lediglich für die Parade
+bestimmt ist, schwitzt er fürchterlich in der Sonne; sein gemalter
+Schnurrbart ist in kleinen Streifen sein Kinn und seinen Hals
+herabgelaufen, mit Ausnahme von jenen Stellen, wo er zu einer Kruste
+wie von japanischem Lack getrocknet ist, und wo seine schön
+geschweifte Linie durch groteske kleine Buchten und Landzungen
+unterbrochen wird. Alles dies macht ihn unsagbar lächerlich in den
+Augen der Geschichte hundert Jahre später, aber fürchterlich und
+schrecklich in den Augen der zeitgenössischen norditalienischen Kinder,
+denen es ganz natürlich erscheinen würde, wenn die Wache die
+Eintönigkeit des Postenstehens dadurch zu beleben versuchte, daß sie
+ein verlaufenes Kind auf ihr Bajonett spießte, um es ungekocht zu
+verspeisen. Trotzdem hat ein Mädchen von schlechtem Charakter, an dem
+schon der Sinn für ein gewisses Vorrecht, das sie bei den Soldaten hat,
+erwacht ist, sich für einen Augenblick verstohlen an das sicherste
+Fenster geschlichen, bis ein Blick und ein Klirren der Wache es
+davonjagt. Was die Kleine zumeist sieht, das hat sie schon früher
+gesehen: den Weingarten mit der alten Kelter dahinter und einen Karren
+bei den Weinstöcken; die Türe dicht zu ihrer Rechten, die nach dem
+Eingange des Gasthauses führt, wo des Wirtes bester Schenktisch weiter
+hinten an derselben Seite nun in voller Tätigkeit für das Mittagessen
+steht; auf der anderen Seite den Kamin mit einem Sofa in der Nähe und
+eine andere Tür, die zwischen Kamin und Weingarten in die inneren
+Räume führt; in der Mitte einen Tisch mit seiner Mahlzeit von
+Mailänder Risotto, Käse, Trauben, Brot, Oliven und einer großen, mit
+Weidenzweigen umflochtenen Flasche Rotwein. Der Wirt, Giuseppe Grandi,
+ist auch nichts Neues für sie; er ist ein dunkelfarbiger, lebhafter,
+gehörig heiterer, schwarzlockiger, kugelköpfiger, grinsender kleiner
+Mann von vierzig Jahren. Schon von Natur ein guter Wirt, ist er heute
+abend in extra guter Laune über sein Glück, den französischen
+Kommandeur als Gast unter seinem Dache zu haben, dessen Gegenwart ihn
+vor den Übergriffen der Soldaten schützt. Er trägt sogar ein Paar
+goldener Ohrringe zur Schau, die er sonst mit seinem kleinen Besitz an
+Silbergeschirr sorgfältig unter der Kelter versteckt haben würde.)
+
+(Napoleon jedoch, der ihm gegenüber an der hinteren Seite des Tisches
+sitzt, und seinen Hut, seinen Degen und seine Reitpeitsche, die auf
+dem Sofa liegen, sieht das Mädchen zum erstenmal. Er arbeitet hart,
+teils an seiner Mahlzeit, die er in zehn Minuten zu verschlingen weiß,
+indem er alle Gerichte gleichzeitig in Angriff nimmt (diese Gewohnheit
+ist der erste Schritt zu seinem späteren Untergange), und teils an
+einer Landkarte, die er aus dem Gedächtnis verbessert, wobei er
+gelegentlich die Stellungen seiner Streitkräfte kennzeichnet, indem er
+eine Traubenschale aus dem Munde nimmt und sie mit seinem Daumen wie
+eine Oblate auf die Landkarte drückt. Er hat Schreibmaterial vor sich
+liegen, unordentlich mit den Gerichten und Flaschen vermengt, und sein
+langes Haar fällt bald in die Risottobrühe herab, bald in die Tinte.)
+
+
+
+(Giuseppe.) Wollen Exzellenz....
+
+(Napoleon blickt gespannt auf seine Karte, stopft sich aber mit der
+linken Hand mechanisch den Mund dabei voll): Schwatz' nicht, ich habe
+zu tun.
+
+(Giuseppe in ungetrübt guter Laune:) Wie Sie befehlen, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Bring mir rote Tinte!
+
+(Giuseppe.) Leider habe ich keine, Exzellenz.
+
+(Napoleon mit korsischem Humor:) Töte etwas und bring' mir das Blut.
+
+(Giuseppe grinsend:) Es ist nichts im Hause, als das Pferd Eurer
+Exzellenz, die Schildwache, die Dame im ersten Stock und meine Frau.
+
+(Napoleon.) Töte deine Frau.
+
+(Giuseppe.) Mit größtem Vergnügen, Exzellenz. Aber
+unglücklicherweise ist sie stärker als ich--sie würde mich töten.
+
+(Napoleon.) Das wäre ebenso gut.
+
+(Giuseppe.) Exzellenz erweisen mir zu viel Ehre. (Seine Hand nach
+der Flasche ausstreckend:) Vielleicht kann etwas Wein den Zweck
+erfüllen.
+
+(Napoleon beschützt die Flasche schnell und wird ganz ernst:) Wein?
+Nein--das wäre Verschwendung. Ihr seid alle gleich--Verschwendung!
+Verschwendung! Verschwendung! (Er markiert die Landkarte mit Sauce,
+wobei er die Gabel als Feder benützt.) Räum' ab! (Er leert sein
+Weinglas, stößt seinen Stuhl zurück und benützt seine Serviette,
+streckt dann die Beine aus und lehnt sich zurück, aber noch immer die
+Stirn runzelnd und in Gedanken.)
+
+(Giuseppe räumt den Tisch ab und stellt die Sachen auf ein Tablett,
+das auf dem Büfett steht:) Ein jeder denkt, wie es für sein Geschäft
+taugt, Exzellenz. Wir Gastwirte verfügen über eine Menge billigen
+Wein; wir finden nichts dabei, ihn zu vergießen,--Ihr großen Generale
+verfügt über eine Menge billiges Blut: Ihr findet nichts dabei, es zu
+vergießen. Hab' ich recht, Exzellenz?
+
+(Napoleon.) Blut kostet nichts, Wein kostet Geld. (Er erhebt sich und
+geht an den Kamin.)
+
+(Giuseppe.) Man sagt, daß Sie mit allem sparen, außer mit
+Menschenleben, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Ein Menschenleben, mein Freund, ist das einzige Ding, das
+sparsam mit sich selbst umgeht. (Er wirft sich behaglich auf das Sofa.)
+
+(Giuseppe ihn bewundernd:) O Exzellenz, wie dumm sind wir alle, mit
+Ihnen verglichen! Wenn ich nur das Geheimnis Ihrer Erfolge erraten
+könnte!
+
+(Napoleon.) Dann würdest du dich zum Kaiser von Italien machen, was?
+
+(Giuseppe.) Das wäre für mich zu mühsam, Exzellenz, ich überlasse es
+lieber Ihnen. Überdies, was sollte aus meiner Wirtschaft werden,
+wenn ich Kaiser würde? Sie sehen mir gerne zu, wie ich mein Gasthaus
+für Sie verwalte und Sie bediene. Nun, ich will Ihnen gerne zusehen,
+wie Sie Kaiser von Europa werden und Italien für mich regieren.
+(Während er schwätzt, nimmt er das Tischtuch ab, ohne die Landkarte
+und das Tintenfaß wegzunehmen. Er nimmt die Ecken des Tuches in die
+Hände und die Mitte in den Mund, um es zusammenzufalten.)
+
+(Napoleon.) Kaiser von Europa? Was? Warum bloß von Europa?
+
+(Giuseppe.) Sie haben wahrhaftig recht, Exzellenz, warum nicht Kaiser
+der Welt? (Er faltet und rollt das Tischtuch zusammen, und bekräftigt
+seine Sätze mit den einzelnen Phasen dieses Vorgangs:) Ein Mensch ist
+wie der andre--(er faltet es:) ein Land ist wie das andre, (faltet:)
+eine Schlacht ist wie die andre. (Als er das letzte Stück gefaltet
+hat, schlägt er das Tischtuch auf den Tisch, rollt es geschickt
+zusammen and schließt seinen Redefluß:) Gewinnt man eine, so gewinnt
+man alle. (Er geht mit dem Tischtuch an das Büfett und legt es in
+eine Schublade.)
+
+(Napoleon.) Und für alle regieren, für alle kämpfen, jedermanns Knecht
+sein unter dem Vorwande, jedermanns Herr zu sein, Giuseppe!
+
+(Giuseppe vor dem Büfett:) Exzellenz--?
+
+(Napoleon.) Ich verbiete dir, mit mir über mich zu sprechen.
+
+(Giuseppe geht an das Fußende des Sofas:) Pardon, Exzellenz sind darin
+so ganz verschieden von andren großen Männern, die lieben gerade
+dieses Thema am meisten.
+
+(Napoleon.) Gut, sprich mit mir über das, was große Männer als
+zweitbestes lieben, was es auch sein mag.
+
+(Giuseppe ohne in Verlegenheit zu geraten:) Zu Befehl, Exzellenz.
+Haben Exzellenz durch irgendeinen Zufall etwas von der Dame da oben zu
+sehen bekommen?
+
+(Napoleon setzt sich sofort auf und sieht ihn mit einem Interesse an,
+das die Frage vollkommen angebracht erscheinen läßt:) Wie alt ist sie?
+
+(Giuseppe.) Sie hat das richtige Alter, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Meinst du siebzehn oder dreißig?
+
+(Giuseppe.) Dreißig, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Ist sie schön?
+
+(Giuseppe.) Ich kann nicht mit Ihren Augen sehn, Exzellenz! Jeder
+Mann muß das selbst beurteilen. Meiner Meinung nach ist sie eine
+schöne Dame. (Schlau:) Soll ich ihr hier den Tisch für das Frühstück
+decken?
+
+(Napoleon erhebt sich heftig:) Nein! Deck hier nicht mehr, bevor der
+Offizier, auf den ich warte, zurückkommt. (Er sieht auf seine Uhr und
+fängt an, zwischen dem Kamin und dem Weingarten auf und ab zu gehn.)
+
+(Giuseppe mit Überzeugung:) Exzellenz, glauben Sie mir, er ist von den
+verfluchten Österreichern gefangen worden; er würde es nicht wagen,
+Sie warten zu lassen, wenn er frei wäre.
+
+(Napoleon kehrt sich beim Schatten der Veranda um:) Giuseppe! wenn
+sich herausstellen sollte, daß du recht hast, so wird mich das in eine
+Laune versetzen, daß mich nichts anderes besänftigen kann, als dich
+und deinen ganzen Haushalt--die Dame dort oben inbegriffen--aufhängen
+zu lassen!
+
+(Giuseppe.) Wir stehen Ihnen alle gerne zur Verfügung, Exzellenz! mit
+Ausnahme der Dame. Ich kann für sie nicht bürgen; aber welche Frau
+könnte Ihnen widerstehen?!
+
+(Napoleon setzt seine Wanderung düster fort:) Hm, du wirst niemals am
+Galgen enden. Es ist kein Vergnügen dabei, einen Mann zu hängen, der
+nichts dagegen einzuwenden hat.
+
+(Giuseppe liebenswürdig:) Nicht das geringste, Exzellenz, nicht wahr?
+(Napoleon blickt wieder auf seine Uhr und wird sichtlich unruhig:) Oh,
+man sieht, daß Sie ein großer Mann sind, Exzellenz! Sie verstehen zu
+warten. Wenn ein Korporal oder ein junger Leutnant an Ihrer Stelle
+wäre--nach drei Minuten würde er fluchen, toben, drohen und das Haus
+von oben nach unten kehren.
+
+(Napoleon.) Giuseppe, deine Schmeicheleien sind unerträglich. Geh und
+schwatz draußen. (Er setzt sich wieder an den Tisch, sein Kinn auf
+die Hände, seine Ellbogen auf die Landkarte gestützt, und starrt mit
+unruhigem Ausdruck auf sie hin.)
+
+(Giuseppe.) Zu Befehl, Exzellenz, Sie sollen nicht gestört werden.
+(Er nimmt das Tablett und ist im Begriff, sich zurückzuziehen.)
+
+(Napoleon.) Sobald er da ist, schick' ihn zu mir herein.
+
+(Giuseppe.) Augenblicklich, Exzellenz.
+
+(Die Stimme einer Dame ruft von irgendeinem entfernten Teil des
+Gasthauses:) Giuseppe! (Die Stimme ist sehr melodisch, und die zwei
+letzten Buchstaben werden in aufsteigender Skala gesungen.)
+
+(Napoleon stutzig:) Was ist das?...
+
+(Giuseppe stützt das Ende seines Servierbrettes auf den Tisch und
+beugt sich vertraulich vor:) Die Dame, Exzellenz.
+
+(Napoleon zerstreut:) Ja... was für eine Dame... wessen Dame?...
+
+(Giuseppe.) Die fremde Dame, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Was für eine fremde Dame?
+
+(Giuseppe achselzuckend:) Wer kann es wissen! Sie ist eine halbe
+Stunde vor Ihnen hier angekommen, in einem Mietwagen, der dem
+"Goldenen Adler" in Borghetto gehört. Tatsächlich: sie ganz allein,
+Exzellenz,--ohne Dienerschaft! Eine Handtasche und ein Koffer, das
+war alles. Der Postillon sagte mir, daß sie im "Goldenen Adler" ein
+Pferd gelassen habe, ein Chargenpferd mit militärischem Sattelschmuck.
+
+(Napoleon.) Eine Frau mit einem Chargenpferd?--Das ist ungewöhnlich.
+
+(Die Stimme der Dame. Die zwei letzten Buchstaben werden jetzt in
+herabsteigender Skala gesungen:) Giuseppe!
+
+(Napoleon springt auf, um zu horchen:) Das ist eine interessante
+Stimme.
+
+(Giuseppe.) Oh es ist eine interessante Dame, Exzellenz. (Ruft:) Ich
+komme schon! ich komme schon, meine Gnädige! (Er eilt zur inneren Tür.)
+
+(Napoleon hält ihn mit starker Hand an der Schulter fest:) Halt! Sie
+soll hierher kommen.
+
+(Die Stimme ungeduldig:) Giuseppe!
+
+(Giuseppe flehentlich:) Lassen Sie mich gehn, Exzellenz. Es ist meine
+Ehrenpflicht als Wirt, zu kommen, wenn man mich ruft. Ich wende mich
+an den Soldaten in Ihnen!
+
+(Eines Mannes Stimme ruft draußen vor der Tür des Wirtshauses:) Ist
+jemand da? Hallo! Wirt! wo sind Sie? (Es wird heftig mit dem Knopf
+einer Peitsche auf eine Bank in der Einfahrt geschlagen. Napoleon der
+plötzlich wieder kommandierender Offizier wird, stößt Giuseppe fort:)
+Da ist er endlich! (Auf die innere Tür weisend:) Geh, kümmere dich um
+dein Geschäft. Die Dame ruft nach dir. (Er geht zum Kamin und steht
+mit dem Rücken dagegen, mit entschlossenem militärischem
+Gesichtsausdruck.)
+
+(Giuseppe atemlos, reißt sein Tablett an sich:) Gerne, Exzellenz! (Er
+eilt durch die innere Tür hinaus.)
+
+(Die Stimme des Mannes ungeduldig:) Schläft hier alles? (Die dem
+Kamin gegenüberliegende Tür wird heftig mit dem Fuße aufgestoßen, and
+ein staubbedeckter Leutnant stürzt in das Zimmer. Er ist ein
+törichter, junger Bursche von vierundzwanzig Jahren mit der hellen,
+zarten, reinen Haut des vornehmen Mannes und mit jener Selbstsicherheit
+des Aristokraten, welche die französische Revolution nicht im geringsten
+erschüttern konnte. Er hat eine dicke, dumme Lippe, ein eifriges,
+leichtgläubiges Auge, eine eigensinnige Nase und eine laute selbstbewußte
+Stimme.--Ein junger Mensch ohne Furcht, obne Ehrfurcht, ohne
+Einbildungskraft, ohne Verstand und hoffnungslos unempfänglich für die
+napoleonische oder irgendeine andere Idee. Fabelhaft egoistisch, im
+höchsten Grade dazu geeignet, dort geräuschvoll hereinzustürmen, wo
+selbst ein Engel sich fürchten würde, nur den Fuß aufzusetzen, doch von
+einer starken geschwätzigen Lebenskraft, die ihn mitten in das tollste
+Gewirr der Dinge hetzt. Er kocht eben vor Wut, anscheinend, weil er
+empört ist, nicht schnell vom Gesinde des Gasthauses bedient zu werden,
+aber ein schärfer beobachtendes Auge kann eine gewisse moralische
+Niedergeschlagenheit in ihm entdecken, welche andeutet, daß er unter
+einem anhaltenderen und wichtigeren Verdruß leidet. Als er Napoleon
+bemerkt, kommt er genügend zu sich, um sich zusammenzuraffen und zu
+salutieren. Aber er verrät auf keine Weise durch sein Benehmen etwas
+von jener prophetischen Voraussicht von Marengo und Austerlitz, Waterloo
+und St. Helena oder der Napoleonbilder von Delaroche und Meissonier, die
+die moderne Kultur instinktiv bei ihm voraussetzen würde.)
+
+(Napoleon scharf:) Nun, Herr, sind Sie endlich angekommen? Ihr Befehl
+lautete, daß ich um sechs Uhr hier sein würde, und daß Sie mich mit
+meiner Pariser Post and meinen Depeschen erwarten sollten! Und jetzt
+fehlen nur noch zwanzig Minuten an acht. Sie wurden als guter Reiter
+für diesen Dienst ausersehen, mit dem schnellsten Pferde, das wir im
+Lager haben. Sie kommen hundert Minuten zu spät und kommen zu Fuß--wo
+ist Ihr Pferd?
+
+(Leutnant zieht verdrießlich seine Handschuhe aus und wirft sie mit
+seiner Mütze und Peitsche auf den Tisch:) Ja, wo ist es? Das gerade
+wüßte ich selber gern, Herr General. (Mit Bewegung:) Sie wissen nicht,
+wie ich dies Pferd geliebt habe.
+
+(Napoleon ärgerlich, sarkastisch:) Wirklich! (Mit plötzlicher
+Besorgnis:) Wo sind die Briefe und Depeschen?
+
+(Leutnant wichtig, eher froh, daß er ganz besondere Nachrichten hat,
+als bekümmert:) Das weiß ich nicht.
+
+(Napoleon traut seinen Ohren nicht:) Das wissen Sie nicht?!
+
+(Leutnant.) Nicht besser als Sie, Herr General. Nun werde ich wohl
+vor ein Kriegsgericht kommen. Schön! ich habe nichts dagegen,
+standrechtlich behandelt zu werden, aber (mit feierlichem Entschluß:)
+ich sage Ihnen, Herr General, wenn ich diesen unschuldig aussehenden
+Burschen jemals erwischen sollte,--diesen verschmitzten, kleinen
+Lügner!--dann werde ich seine Schönheit zurichten... eine Fratze will
+ich aus ihm machen... ich werde---
+
+(Napoleon kommt vom Kamin an den Tisch vor:) Was für einen unschuldig
+aussehenden Burschen? Raffen Sie sich zusammen, Mensch--ja?--und
+berichten Sie militärisch!
+
+(Leutnant steht ihm gegenüber an der anderen Seite des Tisches und
+stützt sich mit den Fäusten auf:) Oh ich bin ganz gefaßt, Herr
+General--ich bin vollkommen bereit, Rede zu stehen. Ich werde dem
+Kriegsgericht gründlich klarmachen, daß ich unschuldig bin. Die
+bessere Seite meiner Natur wurde schändlich ausgenützt, und ich schäme
+mich dessen nicht. Aber mit allem Respekt vor Ihnen, als meinem
+Vorgesetzten, wiederhole ich, Herr General, daß, wenn ich diesem
+Satanssohne jemals wieder begegnen sollte, ich ihn--
+
+(Napoleon ärgerlich:) Das haben Sie schon einmal gesagt!
+
+Leutnant richtet sich auf: Und ich wiederhole es: warten Sie nur so
+lange, bis ich ihn erwischt habe!--weiter nichts! (Er kreuzt
+entschlossen die Arme und atmet schwer mit aufeinandergepreßten Lippen.)
+
+(Napoleon.) Ich warte, Herr--auf Ihre Aufklärungen!
+
+(Leutnant zuversichtlich:) Sie werden Ihren Ton ändern, Herr General,
+wenn Sie hören, was mir zugestoßen ist.
+
+(Napoleon.) Nichts ist Ihnen zugestoßen, Mensch! Sie leben und sind
+nicht kampfunfähig. Wo sind die Papiere, die Ihnen anvertraut wurden?
+
+(Leutnant.) Mir ist nichts zugestoßen--nichts? Oho! (Wirft sich in
+Positur, um Napoleon mit seinen Nachrichten zu überwältigen.) Er hat
+mir ewige Bruderschaft geschworen, war das nichts? Er hat gesagt, daß
+meine Augen ihn an die Augen seiner Schwester erinnerten--war das
+nichts? Er hat geweint--wirkliche Tränen--über die Geschichte meiner
+Trennung von Angelica--war das nichts?! Er hat beide Flaschen Wein
+bezahlt, obwohl er selbst nur Brot und Trauben gegessen
+hatte--vielleicht nennen Sie das auch nichts! Er hat mir seine
+Pistolen und sein Pferd und seine Depeschen gegeben--äußerst wichtige
+Depeschen--und hat mich damit fortgehen lassen--(triumphierend, da er
+sieht, daß er Napoleon in sprachloses Erstaunen versetzt hat:) war das
+nichts?!
+
+(Napoleon schwach vor Erstaunen:) Warum hat er das getan?
+
+(Leutnant als ob der Grund ganz klar wäre:) Um mir sein Vertrauen zu
+beweisen. (Napoleons Kiefer fällt nicht gerade herunter, aber seine
+Gelenkbänder werden schlaff. Der Leutnant fährt mit ehrlicher
+Entrüstung fort:) Und ich habe sein Vertrauen auch verdient: ich habe
+ihm alles ehrlich zurückgegeben. Aber würden Sie es glauben, Herr
+General,--als ich ihm meine Pistolen und mein Pferd and meine
+Depeschen anvertraut hatte...
+
+(Napoleon wütend:) Warum, zum Teufel, haben Sie das getan?
+
+(Leutnant.) Warum?... Um ihm auch meinerseits mein Vertrauen zu
+beweisen, natürlich. Und er hat mich betrogen, ausgenützt, ist nicht
+wiedergekommen--der Dieb--der Schwindler--der herzlose, verräterische,
+kleine Schuft! Und das--das nennen Sie wahrscheinlich "nichts
+zugestoßen"! Aber sehen Sie, Herr General--(hält sich wieder mit der
+Faust am Tische, um mit größerer Emphase zu sprechen.) Sie mögen
+diesen Schimpf von den Österreichern hinnehmen, wenn Sie wollen; aber
+was mich persönlich anbelangt--ich sage Ihnen, wenn ich ihn jemals
+erwische--
+
+(Napoleon wendet sich angewidert auf dem Absatz herum, um seine
+Wanderung wieder aufzunehmen:) Ja, ja, das haben Sie schon oft genug
+gesagt.
+
+(Leutnant äußerst erregt:) Oft genug?... Ich werde es hundertmal
+sagen--und mehr als das: ich werde es tun! Ich werde ihm mein
+Vertrauen zeigen--das werde ich! Ich werde---
+
+(Napoleon.) Ja, ja, Herr Leutnant--gewiß werden Sie das. Was für eine
+Art Mensch war er?
+
+(Leutnant.) Nun, ich glaube, nach seinem Benehmen sollten Sie
+schließen können, was für eine Art Mensch das war.
+
+(Napoleon.) Pah--Wie sah er aus?
+
+(Leutnant.) Ausgesehen... Er sah aus wie... nun... Sie hätten den
+Burschen bloß mal sehen müssen, dann würden Sie einen Begriff davon
+haben, wie er aussieht. Fünf Minuten, nachdem ich ihn erwischt habe,
+wird er nicht mehr so aussehen. Ich wiederhole Ihnen: wenn ich ihn
+jemals--
+
+(Napoleon ruft wütend nach dem Wirt:) Giuseppe! (Zum Leutnant, am
+Ende seiner Geduld:) Halten Sie jetzt Ihren Mund, wenn Sie können!
+
+(Leutnant.) Ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, daß es umsonst
+ist, zu versuchen, mir die Schuld aufzuhalsen. (Klagend:) Wie hätte
+ich wissen sollen, was für eine Art Mensch das ist. (Er nimmt einen
+Sessel, der zwischen der äußeren Tür und dem Büfett steht, stellt ihn
+an den Tisch und setzt sich.) Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie hungrig
+und müde ich bin, würden Sie mehr Rücksicht nehmen.
+
+(Giuseppe zurückkommend:) Was befehlen Exzellenz?
+
+(Napoleon mit seinem Temperament kämpfend:) Nimm diesen... diesen
+Offizier; gib' ihm zu essen; wenn nötig, bring ihn zu Bett; und wenn
+er dann wieder bei Trost ist, trachte herauszubringen, was ihm
+passiert ist, und laß mich es wissen. (Zum Leutnant.) Betrachten Sie
+sich als Arrestanten, Herr Leutnant.--
+
+(Leutnant ärgerlich mit Steifheit:) Darauf war ich vorbereitet. Nur
+ein Edelmann kann einen Edelmann verstehen. (Er wirft seinen Degen
+auf den Tisch, Giuseppe nimmt ihn und bietet ihn Napoleon höflich an,
+der ihn heftig auf das Sofa wirft.)
+
+(Giuseppe mit Teilnahme:) Sind Sie von den Österreichern überfallen
+worden, Herr Leutnant? O weh, o weh!
+
+(Leutnant verachtungsvoll:) Überfallen! Ich hätte sein Rückgrat
+zwischen meinem Zeigefinger und Daumen zerbrechen können! Wenn ich es
+nur getan hätte! Nein! ich bin hineingefallen, weil er an die bessere
+Seite meiner Natur appelliert hat--und darüber kann ich nicht
+hinwegkommen! Er sagte, daß ihm noch nie ein Mensch so gefallen hätte
+wie ich, er schlang sein Taschentuch um meinen Nacken, weil mich eine
+Mücke gestochen hatte und mein Kragen mich wund rieb--sehen Sie! (Er
+zieht ein Taschentuch unter seinem Kragen bervor; Giuseppe nimmt und
+untersucht es.)
+
+(Giuseppe zu Napoleon:) Das Taschentuch einer Dame, Exzellenz! (Er
+riecht daran:) Parfümiert!
+
+(Napoleon.) Wie? (Er nimmt es und betrachtet es aufmerksam:) Hm! (Er
+riecht daran:) Ha! (Er geht, das Taschentuch betrachtend,
+nachdenklich durch das Zimmer und steckt es schließlich in seine
+Brusttasche.)
+
+(Leutnant.) Jedenfalls paßt es zu ihm. Ich bemerkte, daß er
+Weiberhände hatte, als er mein Genick berührte in seiner
+schmeichlerisch tändelnden Art--dieser gemeine, weibische, kleine Hund!
+(Leiser, aber mit schauerlicher Heftigkeit:) Aber glauben Sie meinen
+Worten, Herr General: wenn ich ihn jemals---
+
+(Die Stimme einer Dame draußen wie zuvor:) Giuseppe!
+
+(Leutnant erstarrt:) Was war das?
+
+(Giuseppe.) Nur eine Dame über uns, Herr Leutnant, die mich ruft.
+
+(Leutnant.) Eine Dame!
+
+(Stimme.) Giuseppe! Giuseppe! wo bleiben Sie!?
+
+(Leutnant mordlustig:) Wo ist mein Degen? (Er stürzt an das Sofa,
+ergreift seinen Degen und zieht ihn.)
+
+(Giuseppe springt vor und faßt seinen rechten Arm:) Was fällt Ihnen
+denn ein, Herr Leutnant! Es ist eine Dame: hören Sie nicht, daß es
+eine weibliche Stimme ist?
+
+(Leutnant.) Ich sage Ihnen, daß es seine Stimme ist--lassen Sie mich
+los! (Er stürzt fort und will zur inneren Türe; da öffnet sich diese
+vor seiner Nase, und die fremde Dame tritt ein. Sie ist eine sehr
+anziehende Erscheinung, groß und ungewöhnlich graziös, mit einem zart
+intelligenten, empfindsamen, fragenden Gesicht. Auffassungskraft
+liegt auf ihrer Stirn, Empfindlichkeit in ihren Nasenflügeln,
+Charakter in ihrem Kinn: im ganzen sieht sie scharfsinnig, vornehm und
+originell aus. Sie ist sehr weiblich, aber durchaus nicht schwach.
+Die geschmeidige, schlanke Gestalt ist kräftig gebaut, die Hände und
+Füße, Hals und Schultern sind keine zerbrechlichen Schmuckstücke,
+sondern stehen im richtigen Größenverhältnis zu der ganzen Gestalt,
+die die Napoleons und des Wirtes beträchtlich überragt und der des
+Leutnants vollkommen gleichkommt; ihre Eleganz und ihr strahlender
+Reiz verdecken indessen ihre Größe und Kraft. Nach ihrem Kleide zu
+schließen, ist sie keine Bewunderin der neuesten Mode des Direktoriums,
+oder sie verträgt vielleicht auf der Reise ihre alten Kleider,
+jedenfalls trägt sie keine Jacke mit auffallenden Aufschlägen, kein
+nachgemacht griechisches Unterkleid à la Madame Tallien,--nichts,
+wahrhaftig nichts, das die Prinzessin von Lamballe nicht hätte tragen
+können. Ihr Kleid von geblümter Seide mit langer Taille ist am Rücken
+mit einer Watteaufalte versehen, aber die Puffen sind, da sie für
+diese zu groß ist, zu bloßen Rudimenten verkürzt. Es ist im Nacken
+ein wenig ausgeschnitten und dort mit einem cremefarbenen Fichu
+geschmückt. Sie ist von heller Hautfarbe und hat goldbraune Haare und
+graue Augen. Sie tritt mit der Selbstsicherheit einer Frau ein, die
+an die Vorrechte von Rang und Schönheit gewöhnt ist. Der Wirt, der
+von Natur sehr gute Manieren hat, ist von ihr höchst eingenommen.
+Napoleon, auf den ihre Augen zuerst fallen, wird sofort verlegen.
+Sein Gesicht rötet sich, er wird steifer und fühlt sich unsicherer als
+zuvor. Sie bemerkt dies augenblicklich, und, um ihn nicht in
+Verlegenheit zu bringen, wendet sie sich mit einer unendlich
+wohlerzogenen Art--um auch ihm die Ehre eines Blickes zu gewähren--zu
+dem andern Herrn, der mit Gefühlen, die ganz unaussprechlich und
+unbeschreiblich sind, auf ihr Kleid starrt, als ob es der Erde erstes
+Meisterwerk an Verräterei und Verstellung wäre. Als sie ihn erkennt,
+wird sie totenblaß; ihr Ausdruck kann nicht mißverstanden werden. Die
+Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gänzlich unerwarteten Irrtums
+hat sie jäh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und
+Siegesgewißheit. Im nächsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter
+dem cremefarbenen Fichu auf und ergießt sich über ihr ganzes Gesicht.
+Man sieht, daß sie am ganzen Leibe errötet. Selbst der Leutnant, der
+für gewöhnlich ganz unfähig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr
+seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man
+es ihm rot anstreicht. Da er das Erröten als das unfreiwillige
+Eingeständnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verräterei
+auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf
+sie--dann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich
+her in das Zimmer, schlägt die Türe zu und pflanzt sich mit dem Rücken
+davor auf.)
+
+(Leutnant.) Habe ich dich erwischt, Bursche! Du hast dich also
+verkleidet--was? (Mit Donnerstimme:) Zieh diesen Rock aus!
+
+(Giuseppe Verwahrung einlegend:) Aber, Herr Leutnant!
+
+(Dame erschrocken, aber höchst entrüstet, daß er es gewagt hat, sie
+anzurühren:) Meine Herren, ich wende mich an Sie! Giuseppe! (Macht
+eine Bewegung, als ob sie zu Giuseppe laufen wollte.)
+
+(Leutnant stellt sich dazwischen, den Degen in der Faust:) Nicht von
+der Stelle!
+
+(Dame zu Napoleon flüchtend:) O Herr, Sie sind Offizier--General--Sie
+werden mich beschützen--nicht wahr?
+
+(Leutnant.) Kümmern Sie sich nicht um ihn, Herr General.
+Überlassen Sie ihn mir.
+
+(Napoleon.) Ihn? Wen, Mensch? Warum behandeln Sie diese Dame in
+solcher Weise?
+
+(Leutnant.) Dame?... Er ist ein Mann--der Mann, dem ich mein
+Vertrauen geschenkt habe! (Geht drohend vor:) Hierher--du--
+
+(Dame läuft hinter Napoleon und umklammert in ihrer Aufregung seinen
+Arm, den er instinktiv vor ihr ausstreckt, um sie zu schützen:) Oh,
+ich danke Ihnen, Herr General! Halten Sie ihn fern!
+
+(Napoleon.) Unsinn! Das ist ganz bestimmt eine Frau! (Sie läßt
+seinen Arm plötzlich los und errötet wieder:) Und Sie sind im Arrest!
+Legen Sie augenblicklich Ihren Degen nieder, Herr Leutnant!
+
+(Leutnant.) Herr General, ich sage Ihnen, er ist ein österreichischer
+Spion! Heute nachmittag hat er sich mir gegenüber aufgespielt, als
+gehörte er zum Stabe General Massenas--und nun spielt er sich Ihnen
+gegenüber als Frau auf. Darf ich meinen eigenen Augen glauben oder
+nicht?
+
+(Dame.) Herr General--das muß mein Bruder gewesen sein--der ist beim
+Stabe General Massenas und sieht mir sehr ähnlich.
+
+(Leutnant den Verstand verlierend:) Wollen Sie damit sagen, daß Sie
+nicht Ihr Bruder, sondern Ihre Schwester sind... die Schwester, die
+mir so ähnlich sieht... die meine schönen blauen Augen hat? Es war
+eine Lüge,--Ihre Augen sind nicht wie die meinen--sie sind genau wie
+Ihre eigenen! Welche Perfidie!
+
+(Napoleon.) Herr Leutnant, wollen Sie meinen Befehlen gehorchen und
+dieses Zimmer verlassen, da Sie endlich überzeugt sind, daß diese Dame
+kein Mann ist?
+
+(Leutnant.) Kein Mann, das will ich meinen! Ein Mann würde mein
+Vertrauen nie so getäuscht haben--
+
+(Napoleon am Ende seiner Geduld:) Genug, Mensch, genug! Verlassen Sie
+dieses Zimmer! Ich befehle Ihnen, dieses Zimmer zu verlassen!
+
+(Dame.) O, bitte, ich will lieber gehen.
+
+(Napoleon trocken:) Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor
+Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was für ein Interesse ein
+Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann.
+Ich habe einige Fragen an Sie zu richten.
+
+(Giuseppe diskret:) Kommen Sie, Herr Leutnant. (Er öffnet die Türe.)
+
+(Leutnant.) Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen.
+Hüten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur. (Zur Dame:) Madame,
+Sie entschuldigen, ich hielt Sie für dieselbe Person, nur von
+entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich natürlich irregeführt.
+
+(Dame süß:) Es war doch nicht Ihre Schuld! Ich freue mich, daß Sie
+mir nicht länger böse sind, Herr Leutnant. (Sie reicht ihm die Hand.)
+
+(Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu küssen:) Oh, meine Gnädige,
+nicht im gering... (fährt zurück und starrt auf ihre Hand:) Sie haben
+die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er.
+
+(Dame freundlich:) Wir sind Zwillinge.
+
+(Leutnant.) Das erklärt alles. (Er küßt ihre Hand:) Bitte tausendmal
+um Verzeihung. Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das
+ist mehr Sache des Generals--aber es war der Mißbrauch meines
+Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur. (Er nimmt seine Mütze,
+Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:) Ich hoffe, Sie
+entschuldigen, daß ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure
+unendlich. (Er schwätzt sich aus dem Zimmer hinaus. Giuseppe folgt
+ihm und schließt die Tür.)
+
+(Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:) Idiot!
+
+(Dame lächelt liebenswürdig. Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch
+und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle
+seine Verlegenheit geschwunden:) Wie kann ich Ihnen für Ihren Schutz
+danken, Herr General?
+
+(Napoleon wendet sich plötzlich zu ihr um:) Meine Depeschen! schnell!
+(Er streckt die Hand danach aus.)
+
+(Dame.) Herr General! (Unwillkürlich greift sie mit den Händen nach
+dem Fichu, als wolle sie dort etwas beschützen.)
+
+(Napoleon.) Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt! Sie haben
+sich als Mann verkleidet! Ich will meine Depeschen haben; sie sind da
+in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren Händen...
+
+(Dame zieht ihre Hände rasch weg:) Oh, wie unliebenswürdig Sie mit mir
+sprechen! (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:) Sie ängstigen
+mich! (Sie berührt ihre Augen, als wollte sie eine Träne wegwischen.)
+
+(Napoleon.) Ich sehe, daß Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie
+würden sich die Mühe ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten.
+
+(Dame tut so, als ob sie zwischen Tränen lächeln wollte:) Doch, ich
+kenne Sie--Sie sind der berühmte General Buonaparte. (Sie gibt dem
+Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.)
+
+(Napoleon ärgerlich, mit französischer Aussprache:) Bonaparte, Madame,
+--Bonaparte!... Die Papiere, wenn's gefällig ist!
+
+(Dame.) Aber ich versichere Ihnen--(Er reißt ihr das Taschentuch
+heftig aus der Hand:) Herr General! (Entrüstet.)
+
+(Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:) Sie
+waren so liebenswürdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschentücher zu
+leihen, als Sie ihn beraubten. (Er betrachtet die beiden
+Taschentücher.) Sie sind einander vollständig gleich. (Er riecht
+daran:) Derselbe Duft! (Er wirft beide auf den Tisch.) Ich warte auf
+die Depeschen! Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit
+ebenso wenig Umständen wegnehmen, wie dieses Taschentuch. (Das
+duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre später in Victorien Sardous
+Drama "Dora" wieder auf.)
+
+(Dame mit würdevollem Vorwurf:) Herr General, bedrohen Sie wehrlose
+Frauen?
+
+(Napoleon grob:) Ja!
+
+(Dame verblüfft, sucht Zeit zu gewinnen:) Aber ich begreife
+nicht--ich ...
+
+(Napoleon.) Sie begreifen sehr gut. Sie sind hierhergekommen, weil
+Ihre österreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, daß ich
+sechs Meilen weit von hier entfernt sei. Ich bin immer dort zu finden,
+wo meine Feinde mich nicht erwarten. Sie sind in die Höhle des Löwen
+geraten. Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine
+vernünftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere! (Er geht
+drohend einen Schritt vor.)
+
+(Dame bricht in kindischer, ohnmächtiger Wut zusammen und wirft sich
+in Tränen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen
+gelassen wurde:) Ich--und tapfer! Wie wenig Sie mich kennen. Ich
+habe den Tag in Todesfurcht verbracht! Ich bekomme Brustschmerzen vor
+Herzklopfen bei jedem argwöhnischen Blick und jeder drohenden Bewegung.
+Halten Sie jeden Menschen für so tapfer, wie Sie es sind? Oh, warum
+vollbringt ihr tapferen Männer nicht die tapferen Taten? Warum
+überlaßt ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben? Ich bin nicht
+tapfer--ich schrecke vor Gewalt zurück--die Gefahr macht mich elend.
+
+(Napoleon mit Interesse:) Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben?
+
+(Dame.) Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem
+vertrauen. Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der
+keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gefühl, kein... (Sie
+hält inne und wirft sich auf die Knie.) Oh, Herr General, lassen Sie
+mich gehn! Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu
+stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schwöre es!
+
+(Napoleon seine Hand ausstreckend:) Ja--ich warte darauf. (Sie
+schnappt nach Luft. Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur
+Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und
+ihr Gerede zu rühren, aber wie sie starr zu ibm aufblickt, sieht man
+klar, daß sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu
+überlisten. Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.)
+
+(Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:) Ich will
+sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer. (Sie wendet sich zur Türe.)
+
+(Napoleon.) Ich werde Sie begleiten, Madame.
+
+(Dame richtet sich mit einer edlen Gebärde beleidigten Zartgefühls auf:)
+Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr
+General.
+
+(Napoleon.) Dann werden Sie hierbleiben, Madame, während ich Ihr
+Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse.
+
+(Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:) Sie können sich die
+Mühe ersparen: sie sind nicht dort.
+
+(Napoleon.) Nein. Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind. (Zeigt
+auf ihre Brust.)
+
+(Dame mit niedlicher Kläglichkeit:) Herr General, ich möchte nur einen
+kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir
+wenigstens den!
+
+(Napoleon kalt und finster:) Ist das eine vernünftige Bitte, Madame?
+
+(Dame weil er nicht kurzweg abschlägt, ermutigt:) Nein--aber gerade
+deshalb müssen Sie mir sie bewilligen. Sind Ihre eigenen Wünsche
+vernünftig? Sie verlangen Tausende von Menschenleben für Ihre Siege,
+Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche
+Kleinigkeit! Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein
+tapferer Mann. (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist
+im Begriff, ihm wieder zu Füßen zu fallen.)
+
+(Napoleon heftig:) Lassen Sie das, lassen Sie das! (Er wendet sich
+ärgerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, hält einen Augenblick inne
+und sagt über seine Schulter hinweg:) Sie sprechen Unsinn und Sie
+wissen es. (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser
+Verzweiflung, auf das Sofa. Als er sich umwendet und sie dort
+erblickt, fühlt er, daß sein Sieg vollständig ist und daß er sich
+jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann. Er
+kommt zurück und setzt sich neben sie. Sie sieht geängstigt auf und
+rückt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung
+erglänzt in ihren Augen. Er beginnt wie einer, der sich über einen
+heimlichen Scherz freut:) Woher wissen Sie, daß ich tapfer bin?
+
+(Dame erstaunt:) Sie! General Buonaparte! (Italienische Aussprache.)
+
+(Napoleon.) Ja, ich--General Bonaparte! (Die französische Aussprache
+betonend.)
+
+(Dame.) Oh, wie können Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen
+an der Brücke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell über den Fluß hinweg
+auszufechten, während der Tod durch die Lüfte sauste! (Schaudernd:)
+Oh, Sie vollbringen Heldentaten!
+
+(Napoleon.) So wie Sie.
+
+(Dame.) Ich? (Mit einem plötzlichen seltsamen Gedanken:) Oh, Sie sind
+also ein Feigling?
+
+(Napoleon lacht grimmig und schlägt auf seine Knie:) Das ist die
+einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen dürfen. Der
+Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner Länge, seinem Alter, seinem
+Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut. (Er steht auf und
+geht, in sich hineinkichernd, mit den Händen auf dem Rücken und
+vorgeneigtem Kopf, auf und ab.)
+
+(Dame als ob sie nichts Lächerliches dabei finden könnte:) Ah, Sie
+können sich über die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht,
+was Furcht ist.
+
+(Napoleon hinter das Sofa tretend:) Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an,
+daß Sie diesen Brief nur hätten bekommen können, wenn Sie vorgestern
+über die Brücke bei Lodi zu mir gekommen wären,--nehmen Sie an, daß
+Sie keinen andern Weg gehabt hätten und daß dies ein sicherer Weg
+war--vorausgesetzt, daß die Kanonenkugeln Sie verschonten. (Sie
+schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den Händen.) Würden
+Sie Angst gehabt haben?
+
+(Dame.) Oh, fürchterliche Angst! tödliche Angst! (Sie preßt ihre
+Hände aufs Herz.) Die bloße Vorstellung schmerzt schon!
+
+(Napoleon unbeugsam:) Würden Sie wegen der Depeschen gekommen sein?
+
+(Dame überwältigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:) Fragen Sie
+mich nicht! Ich hätte kommen müssen!
+
+(Napoleon.) Warum?
+
+(Dame.) Weil ich gezwungen gewesen wäre. Weil es keinen andern Ausweg
+gegeben hätte!
+
+(Napoleon mit Überzeugung:) Weil es Sie nach diesem Brief so sehr
+verlangt hätte, daß Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst würden
+ertragen haben. Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die
+Furcht. Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag,
+ist die einzige, die Sie sowohl beim jüngsten Tambour als auch bei mir
+finden werden, die Furcht. Sie ist es, die die Menschen in den Kampf
+treibt: Gleichgültigkeit macht, daß sie davonlaufen. Furcht ist die
+Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl,
+besser als Sie, besser als irgend ein Weib. Ich sah einst, wie ein
+Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde,
+weil ich mich fürchtete einzugreifen. Ich fühlte mich als Feigling
+bis in die Fußspitzen, als ich dabei zusah. Vor sieben Monaten rächte
+ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode
+knallte. Nun--was ist dabei? Hat die Furcht jemals einen Mann von
+irgend etwas, das er wirklich wollte, zurückgehalten, oder auch nur
+eine Frau? Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen
+zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge
+schauen um den Preis eines Glases Branntwein. Und glauben Sie, daß es
+keine Frauen in der Armee gibt, die tapferer sind als die Männer, weil
+ihr Leben weniger wert ist? Pah, ich halte gar nichts--weder von
+Ihrer Furcht noch von Ihrem Mut. Wenn Sie bei Lodi zu mir hätten
+kommen müssen, Sie würden keine Furcht gehabt haben: einmal auf der
+Brücke wäre vor der Notwendigkeit jedes andere Gefühl geschwunden--
+vor der Notwendigkeit, Ihren Weg an meine Seite zu finden, um zu
+bekommen, was Sie haben wollten. Und nun nehmen Sie an, daß Sie
+davongekommen wären mit jenem Brief in Ihrer Hand und um die Erfahrung
+reicher, daß in der Stunde der Not Ihre Furcht Ihnen nicht das Herz
+zusammenschnürte, sondern die Ausführung Ihres Planes unterstützte,
+daß sie aufgehört hätte, "Furcht" zu sein, und sich in Stärke,
+Scharfsinn, verdoppelte Aufmerksamkeit und eiserne Entschlossenheit
+verwandelt hätte,--wie würden Sie dann antworten, wenn Sie gefragt
+würden, ob Sie ein Feigling sind?
+
+(Dame sich erhebend:) Ah, Sie sind ein Held--ein wirklicher Held!
+
+(Napoleon.) Pah! wirkliche Helden gibt es nicht. (Er schlendert durch
+das Zimmer, ihren Enthusiasmus leicht nehmend, aber durchaus nicht
+unzufrieden mit sich, ihn hervorgerufen zu haben.)
+
+(Dame.) O ja--es gibt welche. Es ist ein Unterschied zwischen dem,
+was Sie meinen Mut nennen, und dem Ihrigen. Sie wollten die Schlacht
+bei Lodi für niemand andern, als für sich selbst gewinnen--nicht wahr?
+
+(Napoleon.) Selbstverständlich! (Sich plötzlich besinnend:)
+Halt--nein! (Er rafft sich ehrfürchtig zusammen und sagt wie ein Mann,
+der einen frommen Dienst verrichtet:) Ich bin nur ein Diener der
+französischen Republik. Ich folge demütig den Fußtapfen der Helden
+des klassischen Altertums. Ich gewinne Schlachten für die
+Menschheit--für mein Vaterland--nicht für mich!
+
+(Dame enttäuscht:) Oh, dann sind Sie doch auch nur ein weibischer Held.
+(Sie setzt sich wieder, den Ellbogen auf die Lehne des Sofas, die
+Wange in die Hand gestützt; alle ihre Begeisterung ist gewichen.)
+
+(Napoleon höchst erstaunt:) Weibisch?!
+
+(Dame teilnahmslos:) Ja, wie ich. (Mit tiefer Melancholie:) Glauben
+Sie, wenn ich jene Depeschen nur für mich brauchte, daß ich mich dann
+ihretwegen in eine Schlacht wagen würde? Nein! wenn das alles wäre,
+würde ich nicht einmal den Mut finden, Sie in Ihrem Hotel aufzusuchen.
+Mein Mut ist bloß Sklaverei. Ich weiß damit für meine eigenen Zwecke
+nichts anzufangen. Nur aus Liebe, aus Mitleid, aus dem Instinkt
+heraus, einen andern zu retten und zu beschützen, kann ich Dinge tun,
+die mich entsetzen.
+
+(Napoleon verachtungsvoll:) Pah! (Er wendet sich geringschätzig von
+ihr fort.)
+
+(Dame.) Aha! nun begreifen Sie, daß ich nicht wirklich mutig bin.
+(Fällt wieder in ärgerliche Teilnahmslosigkeit zurück.) Aber was für
+ein Recht haben Sie, mich zu verachten, wenn Sie Ihre Schlachten auch
+nur für andere gewinnen? Für Ihr Land, aus Patriotismus--das ist es,
+was ich weibisch nenne: das ist der echte Franzose.
+
+(Napoleon wütend:) Ich bin kein Franzose!
+
+(Dame unschuldig:) Ich glaubte zu hören, daß Sie sagten, Sie hätten
+die Schlacht bei Lodi für Ihr Land gewonnen, General Bu... soll ich es
+französisch oder italienisch aussprechen?
+
+(Napoleon.) Sie verlassen sich auf meine Geduld, Madame. Ich wurde
+als französischer Untertan geboren, aber nicht in Frankreich.
+
+(Dame kreuzt ihre Arme am Rande des Sofas und stützt sich darauf mit
+einem deutlich aufflammenden Interesse:) Ich glaube, Sie sind
+überhaupt nicht als Untertan geboren.
+
+(Napoleon hocherfreut, beginnt einen neuen Spaziergang:) Sieh da! Das
+meinen Sie also?
+
+(Dame.) Ich bin davon durchdrungen!
+
+(Napoleon.) Nun, nun, Sie mögen vielleicht recht haben. (Die
+Selbstgefälligkeit seiner Beipflichtung fällt ihm selbst auf. Er hält
+errötend inne und begibt sich in eine feierliche, den Helden des
+klassischen Altertums nachgeahmte Pose und nimmt einen höchst
+moralischen Ton an.) Aber wir dürfen niemals ausschließlich für uns
+leben, liebes Kind. Vergessen Sie nie, daß wir immer an andere denken
+sollen, für andere arbeiten, sie zu ihrem Besten lenken und regieren.
+Selbstaufopferung ist die Grundlage aller echten Charaktergröße.
+
+(Dame gibt mit einem Seufzer ihre Stellung wieder auf:) Daran sieht
+man leicht, daß Sie sie selbst nie versucht haben, Herr General.
+
+(Napoleon entrüstet, vergißt alles über Brutus und Scipio:) Was wollen
+Sie mit diesen Worten sagen, Madame?
+
+(Dame.) Haben Sie nicht beobachtet, daß die Menschen den Wert der
+Dinge, die sie nicht besitzen, immer überschätzen? Die Armen glauben,
+daß sie nichts als Reichtümer brauchten, um vollkommen glücklich und
+gut zu sein. Jedermann betet Wahrheit, Reinheit, Selbstlosigkeit aus
+demselben Grunde an,--weil er auf diesen Gebieten keine Erfahrung hat.
+Oh, wenn Sie nur wüßten!
+
+(Napoleon mit ärgerlichem Hohn:) Wenn Sie nur wüßten--? Ich bitte Sie,
+haben (Sie) vielleicht Erfahrung darin?
+
+(Dame läßt die Arme fallen und faltet die Hände über den Knien, gerade
+vor sich hinblickend:) Ja, ich hatte das Unglück, gut auf die Welt zu
+kommen. (Einen Augenblick zu ihm aufschauend:) Und ich kann Ihnen
+versichern, es (ist) ein Unglück, Herr General. Ich bin wirklich
+wahrheitsliebend und selbstlos und alles, was dazu gehört, aber das
+ist nichts als Feigheit, Mangel an Charakter, Mangel an dem Mut,
+wirklich mit aller Kraft und unbedingt sich selbst treu zu sein.
+
+(Napoleon.) Ha! (Wendet sich rasch zu ihr um, mit einem Aufleuchten
+starken Interesses:)
+
+(Dame ernst, mit wachsendem Enthusiasmus:) Was ist das Geheimnis Ihrer
+Macht? Nur, daß Sie an sich selbst glauben. Sie können nur für sich
+kämpfen und siegen--für niemand sonst. Sie haben keine Angst vor
+Ihrem eigenen Schicksal, Sie zeigen uns, was wir (alle) erreichen
+könnten, wenn wir den Willen und den Mut dazu hätten, und das
+(plötzlich vor ihm auf die Knie fallend:) ist der Grund, warum wir Sie
+alle anzubeten beginnen. (Sie küßt seine Hände.)
+
+(Napoleon in Verlegenheit:) Aber--aber--bitte, erheben Sie sich,
+Madame!
+
+(Dame.) Weisen Sie meine Huldigung nicht zurück. Sie haben ein Recht
+darauf--Sie werden einst als Kaiser über Frankreich herrschen----
+
+(Napoleon rasch:) Nehmen Sie sich in acht, das ist Hochverrat!
+
+(Dame darauf bestehend:) Jawohl--als Kaiser über Frankreich--dann über
+Europa--vielleicht über die ganze Welt... Ich bin nur der erste
+Untertan, der Ihnen Treue schwört. (Küßt wieder seine Hand.) Mein
+Kaiser!
+
+(Napoleon hebt sie überwältigt auf:) Ich bitte Sie--nein, nein, Kind,
+das ist Wahnsinn! Gehen Sie, beruhigen Sie sich! (Sie streichelnd:)
+So, so, liebes Kind!
+
+(Dame mit Glückstränen kämpfend:) Ja, ich weiß, daß es unverschämt ist,
+Ihnen Dinge zu sagen, die Sie viel besser als ich wissen müssen.
+Aber Sie sind mir nicht böse--nicht wahr, nein?
+
+(Napoleon.) Böse? Nein, nein, nicht im geringsten, nicht im
+geringsten! Gehen Sie, Sie sind eine sehr gescheite, vernünftige und
+interessante kleine Frau. (Er streichelt ihre Wangen:) Wollen wir
+Freunde sein?
+
+(Dame hingerissen:) Ihre Freundin! Sie wollen mir gestatten, Ihre
+Freundin zu sein? Oh! (Sie reicht ihm ihre beiden Hände mit einem
+strahlenden Lächeln.) Sie sehen, ich beweise Ihnen mein Vertrauen.
+
+(Napoleon mit einem Wutschrei und blitzenden Augen:) Was?!
+
+(Dame.) Was ist geschehen?
+
+(Napoleon.) Ihr Vertrauen! damit ich Ihnen dafür mein Vertrauen
+schenken und Ihnen gestatte, mir mit meinen Depeschen davonzugehen--was?
+Ah, Delila, Delila! Sie haben Ihre Künste an mir versucht, und ich war
+ein ebenso großer Einfaltspinsel wie mein Esel von einem Leutnant. (Er
+geht drohend auf sie los.) Geben Sie die Depeschen--schnell! Ich lasse
+jetzt nicht mehr mit mir spaßen!
+
+(Dame um das Sofa herumfliehend:) Herr General--
+
+(Napoleon.) Ich sage Ihnen--rasch! (Er geht rasch durch die Mitte des
+Zimmers und vertritt ihr den Weg, als sie sich gegen den Weingarten
+wenden will.)
+
+(Dame bietet ihm die Stirne wie ein gehetztes Tier:) Wie können Sie es
+wagen, in diesem Tone mit mir zu sprechen?
+
+(Napoleon.) Wagen?!
+
+(Dame.) Ja--wagen! Wer sind Sie, daß Sie sich herausnehmen dürfen,
+mit mir auf so grobe Weise zu sprechen? Oh, der niedrig geborene,
+gemeine, korsische Abenteurer tritt sehr leicht bei Ihnen zutage.
+
+(Napoleon außer sich:) Sie Teufelin, Sie--(Wild:) Zum letztenmal:
+Wollen Sie mir die Papiere geben oder soll ich sie Ihnen
+entreißen?--mit Gewalt! (Dame läßt die Hände sinken:) Ja, entreißen
+Sie sie mir--mit Gewalt! (Während er sie anstarrt wie ein
+sprungbereiter Tiger, kreuzt sie in Märtyrerstellung ihre Arme über
+der Brust. Diese Geste und Pose wecken augenblicklich Napoleons
+theatralischen Instinkt. Er vergißt seine Wut, um ihr zu zeigen, daß
+er ihr auch im Komödienspielen gewachsen ist. Er läßt sie einen
+Augenblick in Erwartung, dann hellt sich sein Gesicht plötzlich auf,
+er legt die Hände mit herausfordernder Kälte auf den Rücken, sieht an
+ihr ein paarmal hinauf und hinab, nimmt eine Prise Schnupftabak,
+wischt seine Finger sorgfältig ab und steckt sein Taschentuch ein.
+Ihre heroische Pose wird dadurch immer lächerlicher.)
+
+(Napoleon endlich:) Nun?
+
+(Dame verlegen, aber die Arme noch immer in Ergebung gekreuzt:) Nun,
+was wollen Sie beginnen?
+
+(Napoleon.) Ihre Pose verderben!
+
+(Dame.) Sie roher Patron! (Ihre Stellung aufgebend, geht sie an das
+Sofaende, wendet sich mit dem Rücken dagegen, lehnt sich an und steht
+ihm, mit den Händen auf dem Rücken, gegenüber.)
+
+(Napoleon.) So ist's besser. Nun hören Sie mir zu. Sie gefallen
+mir--und was mehr ist, ich schätze Ihre Achtung.
+
+(Dame.) Dann schätzen Sie, was Sie nicht besitzen.
+
+(Napoleon.) Ich werde sie gleich besitzen. Hören Sie: gesetzt den
+Fall, ich würde mich von der Achtung, die ich Ihrem Geschlecht, Ihrer
+Schönheit, Ihrem Heldentum und allem übrigen schuldig bin, bestimmen
+lassen. Nehmen Sie an, daß ich, obwohl nichts als solch sentimentaler
+Kram zwischen diesen meinen Muskeln und jenen mir so wichtigen
+Papieren stünde, die Sie bei sich haben und die ich haben will and
+auch bekommen werde, nehmen Sie an, daß ich mit der Beute vor mir
+schwankend werden und mit leeren Händen mich hinwegschleichen würde,
+--oder, was noch ärger wäre, daß ich meine Schwäche zu verdecken
+suchte, indem ich den großen Helden spielte und Ihnen den Gewaltakt
+ersparte, den ich nicht anzuwenden wagte--würden Sie mich nicht aus
+der tiefsten Tiefe Ihrer weiblichen Seele verachten? Würde irgendeine
+Frau so dumm sein? Nun,--Bonaparte kann zeigen, daß er auch dieser
+Lage gewachsen ist und, wenn nötig, unmännlich handeln darf.
+Verstehen Sie mich? (Ohne ein Wort au sprechen, richtet sich die Dame
+auf und nimmt ein Paket mit Briefen aus den Brustfalten ihres Kleides.
+Einen Moment fühlt sie sich versucht, sie ihm ins Gesicht zu werfen,
+aber ihre gute Erziehung hält sie davon ab, ihrem Herzen auf gemeine
+Weise Luft zu machen. Sie überreicht sie ihm höflich und wendet bloß
+den Kopf dabei ab. Im Augenblick, als er sie nimmt, eilt sie nach der
+entgegengesetzten Seite des Zimmers, bedeckt ihr Gesicht mit den
+Händen und setzt sich, indem sie sich umwendet und das Gesicht der
+Stuhllehne zukehrt.)
+
+(Napoleon sich an den Papieren weidend:) Ah, so ist's recht! (Bevor
+er sie öffnet, blickt er nach ihr hin und sagt:) Sie entschuldigen...
+(Er bemerkt, daß sie ihr Gesicht verdeckt hat.) Sehr böse auf
+mich--wie? (Er bindet das Paket auf, dessen Siegel schon erbrochen
+sind und legt es auf den Tisch, um seinen Inhalt zu untersuchen.)
+
+(Dame ruhig, nimmt ihre Hände herab und zeigt, daß sie nicht weint,
+sondern bloß nachdenkt:) Nein, Sie hatten recht--aber Sie tun mir leid.
+
+(Napoleon hält in der Tätigkeit, den obersten Brief aus dem Paket zu
+nehmen, inne:) Ich tue Ihnen leid--warum?
+
+(Dame.) Ich werde sehen müssen, wie Sie Ihre Ehre verlieren.
+
+(Napoleon.) Hm... ist das alles? (Er nimmt den Brief in die Hand.)
+
+(Dame.) Und Ihr Glück.
+
+(Napoleon.) Glück, meine Liebe, ist mir das langweiligste Ding von der
+Welt. Wäre ich, was ich bin, wenn ich mich um Glück scherte? Sonst
+noch etwas?
+
+(Dame.) Nichts--(Er unterbricht sie mit einem Ausruf der Befriedignng;
+sie fährt ruhig fort:) als daß Sie eine sehr komische Figur in den
+Augen Frankreichs abgeben werden.
+
+(Napoleon rasch:) Was?! (Die Hand, die den Brief hält, fällt
+unwillkürlich herab. Die Dame blickt ihn rätselhaft an und verharrt
+in ruhigem Schweigen. Er wirft den Brief hin und bricht in einen
+Strom von Schmähungen aus:) Was meinen Sie damit, wie? Beginnen Sie
+Ihre Kunststücke von neuem? Glauben Sie, daß ich nicht weiß, was
+diese Papiere enthalten?... Ich will es Ihnen sagen. Erstens die
+Verständigung über Beaulieus Rückzug... er hat ja nur die Wahl
+zwischen zwei Dingen, die er tun kann, dieser dickköpfige Idiot!
+Entweder sich in Mantua einschließen oder die Neutralität Venedigs
+durch die Einnahme von Peschiera verletzen. Sie sind einer von den
+Spionen des alten Idioten. Er hat entdeckt, daß er verraten wurde,
+und hat Sie ausgesandt, um diese Nachricht um jeden Preis zu vereiteln.
+Als wenn ihn das vor mir retten könnte, den alten Narren! Die
+andern Papiere enthalten nur meine gewöhnliche Pariser Korrespondenz,
+über die Sie nichts wissen.
+
+(Dame rasch und geschäftsmäßig:) Herr General, lassen Sie uns ehrlich
+teilen: nehmen Sie die Nachrichten, die Ihnen Ihre Spione über die
+österreichische Armee gesandt haben, und geben Sie mir die Pariser
+Korrespondenz--das soll mir genügen.
+
+(Napoleon ganz atemlos über die Ruhe, mit der sie diesen Vorschlag
+macht:) Ehrlich tei... (Er schnappt nach Luft.) Mir scheint, Madame,
+daß Sie meine Briefe als Ihr rechtmäßiges Eigentum betrachten, dessen
+ich Sie zu berauben versuche!
+
+(Dame ernst:) Nein, bei meiner Ehre, ich verlange keinen Ihrer
+Briefe--nicht ein Wort, das von Ihnen oder an Sie geschrieben wurde.
+Dieses Paket enthält einen gestohlenen Brief: einen Brief, den eine
+Frau einem Manne geschrieben hat, einem Manne, der nicht ihr Gatte ist,
+--einen Brief, der Schande, Infamie bedeutet--
+
+(Napoleon.) Einen Liebesbrief?
+
+(Dame bitter-süß:) Was sonst als ein Liebesbrief könnte so viel Haß
+aufrühren?
+
+(Napoleon.) Warum wurde er an mich gesandt? Um den Gatten in meine
+Gewalt zu geben--was?
+
+(Dame.) Nein, nein--er kann Ihnen in keiner Weise nützlich sein. Ich
+schwöre Ihnen, daß es Sie nichts kosten wird, wenn Sie ihn mir geben.
+Er wurde Ihnen aus reiner Bosheit zugesandt--einzig und allein, um die
+Frau, die ihn geschrieben hat, zu kompromittieren.
+
+(Napoleon.) Warum hat man ihn nicht ihrem Manne geschickt? Was soll
+ich damit?
+
+(Dame vollkommen aus dem Text gebracht:) Oh! (Sie sinkt in den Stuhl
+zurück:) Ich... weiß es nicht. (Sie bricht zusammen.)
+
+(Napoleon.) Aha! ich dacht' es gleich,--ein kleiner Roman, um die
+Papiere zurückzubekommen. (Er wirft das Paket auf den Tisch und tritt
+vor sie hin, in zynisch guter Laune,) Per Bacco, kleine Frau! ich kann
+nicht umhin, Sie zu bewundern! Wenn ich so zu lügen verstünde wie Sie,
+ich könnte, mir viele Mühe ersparen.
+
+(Dame die Hände ringend:) Oh, wie ich wünschte, daß ich Ihnen wirklich
+bloß eine Lüge erzählt hätte! Dann würden Sie mir geglaubt haben!
+Das einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit.
+
+(Napoleon mit roher Vertraulichkeit, behandelt sie, als ob sie eine
+Marketenderin wäre:) Ausgezeichnet, ausgezeichnet! (Er legt seine
+Hände hinter sich auf den Tisch und setzt sich mit in die Seite
+gestemmten Armen und weit auseinander gestreckten Beinen auf den Tisch.)
+Gehen Sie! Ich bin ein echter Korse in meiner Vorliebe für
+Geschichten! Aber ich könnte sie besser erzählen als Sie, wenn ich
+mir's angelegen sein ließe. Wenn man Sie wieder einmal fragen sollte,
+warum man einen Brief, der eine Frau kompromittiert, nicht ihrem
+Gatten schicken soll, dann antworten Sie einfach: Weil ihn der Gatte
+nicht lesen würde.--Oder bilden Sie sich ein, Sie kleine Unschuld, daß
+ein Ehemann von der öffentlichen Meinung gezwungen werden will, eine
+Szene zu machen, ein Duell auszufechten, infolge eines Skandales
+seinen Haushalt aufzugeben, seine Karriere zu zerstören, wenn er all
+das verhindern kann, indem er sich hütet, etwas zu wissen?
+
+(Dame empört:) Und wenn dieses Paket einen Brief über Ihre eigene Frau
+enthielte?
+
+(Napoleon beleidigt, den Tisch verlassend:) Sie werden unverschämt,
+Madame!
+
+(Dame demütig:) Verzeihen Sie mir--Cäsars Frau ist über jeden Argwohn
+erhaben.
+
+(Napoleon mit wohlerwogener Überlegenheit:) Sie haben eine
+Indiskretion begangen--ich verzeihe Ihnen. In Zukunft erlauben Sie
+sich aber nicht, wirkliche Personen in Ihre Romane einzuführen.
+
+(Dame höflich eine Rede überhörend, die ihr nur eine Vernachlässigung
+der guten Manieren bedeutet, erhebt sie sich, um an den Tisch zu gehen:)
+Herr General,--es ist wirklich der Brief einer Frau darunter. (Auf
+das Paket zeigend:) Geben Sie ihn mir.
+
+(Napoleon grob und kurz, mit einer Bewegung, die verhindern soll, daß
+sie den Briefen zu nahe kommt:) Warum?
+
+(Dame.) Er ist von einer alten Freundin, wir waren zusammen in der
+Schule; sie hat mir geschrieben und mich angefleht, zu verhindern, daß
+der Brief in Ihre Hände falle.
+
+(Napoleon.) Warum wurde er mir geschickt?
+
+(Dame.) Weil er den Direktor Barras kompromittiert.
+
+(Napoleon die Stirne runzelnd, sichtlich erregt:) Barras? (Hochmütig:)
+Nehmen Sie sich in acht, Madame. Der Direktor Barras ist mein
+treuer, persönlicher Freund.
+
+(Dame nickt gelassen:) Ja--Sie wurden durch Ihre Frau mit ihm
+befreundet.
+
+(Napoleon.) Schon wieder! Habe ich Ihnen nicht verboten, von meiner
+Frau zu sprechen? (Sie fährt fort, ihn neugierig anzublicken, ohne
+diese Zurechtweisung zu beachten. Mehr und mehr erregt, läßt er seine
+hochmütige Art fallen, die ihm selbst etwas lästig wird, und sagt
+argwöhnisch, mit leiser Stimme:) Wer ist diese Frau, mit der Sie so
+tief sympathisieren?
+
+(Dame.) Oh, Herr General, wie könnte ich Ihnen das sagen?!
+
+(Napoleon übellaunig, beginnt er wieder ärgerlich verwundert auf und
+ab zu gehen:) Ja, ja--die eine hilft der andern--Ihr Weiber seid alle
+gleich!
+
+(Dame entrüstet:) Wir sind nicht alle gleich--nicht mehr, als Ihr es
+seid! Glauben Sie, daß, wenn ich einen andern Mann liebte, ich
+vorgeben würde, meinen Mann weiter zu lieben, oder mich fürchten würde,
+ihm oder der ganzen Welt alles zu sagen? Aber diese Frau ist nicht
+aus solchem Stoff geschaffen--sie beherrscht die Männer, indem sie sie
+betrügt, und (verachtungsvoll:) sie lieben das und lassen sich von ihr
+beherrschen. (Sie setzt sich wieder nieder, mit dem Rücken gegen ihn.)
+
+(Napoleon sich um sie nicht bekümmernd:) Barras! Barras! (Wendet
+sich drohend gegen sie, sein Gesicht verfinstert sich.) Nehmen Sie
+sich in acht! nehmen Sie sich in acht!--hören Sie! Sie könnten zu
+weit gehen!
+
+(Dame wendet ihm unschuldig ihr Gesicht zu:) Was haben Sie?
+
+(Napoleon.) Auf was spielen Sie an? Wer ist diese Frau?
+
+(Dame begegnet seinem ärgerlich forschenden Blick mit ruhiger
+Gleichgültigkeit und bleibt, zu ihm aufsehend, mit übergeschlagenen
+Beinen sitzen und läßt den rechten Arm leicht auf der Lehne des
+Stuhles ruhen:) Ein eitles, dummes, verschwenderisches Geschöpf, das
+einen sehr fähigen und ehrgeizigen Mann hat, der sie durch und durch
+kennt--der weiß, daß sie ihn über ihr Alter, ihr Einkommen, ihre
+soziale Stellung, über alles, worüber dumme Frauen Lügen erzählen,
+belogen hat,--der weiß, daß sie unfähig ist, irgendeinem Prinzip oder
+irgendeinem Menschen treu zu sein, und doch nicht umhin kann, sie zu
+lieben,--dessen männlicher Instinkt ihm sogar erlaubt, sie zu benützen,
+um mit ihrer Hilfe bei Barras etwas zu erreichen.
+
+(Napoleon mit einem leisen, kalt wilden Flüstern:) Das ist Ihre Rache,
+Sie Katze, weil Sie mir die Briefe herausgeben mußten!
+
+(Dame.) Unsinn! Oder halten Sie sich selbst für so einen Menschen?
+
+(Napoleon außer sich, schlingt die Hände auf dem Rücken ineinander,
+seine Finger zucken, und er sagt, während er aufgeregt von ihr fort
+zum Kamin geht:) Dieses Weib wird mich noch um den Verstand bringen!
+(Zu ihr:) Gehen Sie!
+
+(Dame bleibt unbeweglich sitzen:) Nicht ohne jenen Brief.
+
+(Napoleon.) Hinaus, sage ich Ihnen! (Er geht vom Kamin bis gegen den
+Weingarten und wieder zurück an den Tisch.) Sie werden keinen Brief
+bekommen--Sie gefallen mir nicht! Sie sind ein unausstehliches
+Frauenzimmer and häßlich wie der leibhaftige Satan! Ich lasse mich
+nicht von fremden Weibern belästigen! Machen Sie, daß Sie fortkommen!
+(Er wendet ihr den Rücken zu. Sie stützt ihre Wange in die Hand und
+lacht in stillem Vergnügen über ihn. Er wendet sich wieder um, ihr
+ärgerlich nachahmend:) Hahaha! Worüber lachen Sie?
+
+(Dame.) Über Sie, Herr General. Ich habe schon oft Menschen Ihres
+Geschlechtes aufgebracht und sich wie Kinder benehmen sehen, aber ich
+habe das noch nie zuvor an einem wirklich großen Manne beobachtet.
+
+(Napoleon brutal, ihr die Worte ins Gesicht schleudernd:) Pah!
+Schmeichelei! Schmeichelei! plumpe, unverschämte Schmeichelei!
+
+(Dame springt mit jähem Erröten auf:) Oh, Sie gehen zu weit! Behalten
+Sie Ihre Briefe, lesen Sie darin die Geschichte Ihrer eigenen Schande,
+und möge sie Ihnen gut bekommen! Leben Sie wohl! (Sie geht entrüstet
+zur inneren Türe.)
+
+(Napoleon.) Meine eigene--! Bleiben Sie! Kommen Sie zurück! Ich
+befehle Ihnen zu bleiben! (Sie mißachtet stolz seinen wilden
+befehlshaberischen Ton und setzt den Weg zur Tür fort. Er springt auf
+sie zu, faßt sie beim Handgelenk and zerrt sie zurück.) Jetzt werden
+Sie mir sagen, was Sie meinen... erklären Sie sich! Erklären Sie,
+sage ich Ihnen, sonst--! (Bedroht sie. Sie sieht ihn mit furchtlosem
+Trotz an.) Brr! Sie hartnäckiger Teufel, Sie! warum wollen Sie eine
+höfliche Frage nicht beantworten?
+
+(Dame durch seine Heftigkeit tief verletzt:) Warum fragen Sie mich?
+Sie haben ja die Erklärung.
+
+(Napoleon.) Wo?
+
+(Dame zeigt auf den Tisch mit den Briefen:) Dort! Sie brauchen nur zu
+lesen. (Er nimmt das Paket auf, zögert, sieht sie argwöhnisch an und
+wirft es wieder hin.)
+
+(Napoleon.) Sie scheinen die Sorge um die Ehre Ihrer alten Freundin
+vergessen zu haben?
+
+(Dame.) Jetzt läuft sie keine Gefahr mehr: sie versteht ihren Mann
+nicht ganz.
+
+(Napoleon.) Soll ich den Brief also lesen? (Er streckt seine Hand aus,
+als ob er das Paket wieder aufgreifen wollte, den Blick auf sie
+gerichtet.)
+
+(Dame.) Ich sehe nicht, wie Sie jetzt noch vermeiden könnten, ihn zu
+lesen. (Er zieht seine Hand sofort zurück.) Oh, fürchten Sie sich
+nicht. Sie werden mancherlei interessante Dinge darin finden.
+
+(Napoleon.) Zum Beispiel?
+
+(Dame.) Zum Beispiel: ein Duell--mit Barras, eine häusliche Szene,
+einen aufgelösten Haushalt, einen öffentlichen Skandal, eine zerstörte
+Karriere--allerlei interessante Dinge--
+
+(Napoleon.) Hm! (Er sieht sie an, nimmt das Paket und betrachtet es,
+spitzt die Lippen und wiegt es in der Hand, sieht sie dann wieder an,
+nimmt das Paket in seine linke Hand und stellt es hinter seinen Rücken;
+seine rechte Hand erhebt er, um sich am Hinterkopf zu kratzen, indem
+er sich umwendet und an die Schwelle des Weingartens geht, wo er einen
+Augenblick stehen bleibt und, in tiefe Gedanken versunken, nach den
+Weinreben blickt. Die Dame beobachtet ihn schweigend, mit einiger
+Geringschätzung. Plötzlich kommt er wieder zurück, voll Kraft und
+Entschlossenheit:) Ich will Ihre Bitte erfüllen, Madame. Ihr Mut und
+Ihre Entschlossenheit verdienen einen Erfolg. Nehmen Sie die Briefe,
+für die Sie so gut gekämpft haben, und erinnern Sie sich hinfort daran,
+daß Sie den niedrig geborenen, gemeinen, korsischen Abenteurer nach
+der gewonnenen Schlacht dem Besiegten gegenüber ebenso großmütig
+gefunden haben, wie er vorher im Angesichte des Feindes unerbittlich
+war. (Er bietet ihr das Paket an.)
+
+(Dame ohne es zu nehmen, ihn hart anblickend:) Ich frage mich, was Sie
+wohl jetzt im Schilde führen. (Er wirft das Paket wütend auf den
+Boden.) Aha! Mir scheint, diesmal habe ich eine Pose verdorben. (Sie
+macht ihm eine hübsche, spöttische Verbeugung.)
+
+(Napoleon hebt die Briefe wieder auf:) Wollen Sie die Briefe nehmen
+und dann gehen? (Geht auf sie los und will sie ihr aufdrängen.)
+
+(Dame um den Tisch herum entwischend:) Nein! ich will Ihre Briefe
+nicht.
+
+(Napoleon.) Vor zehn Minuten wollte Ihnen nichts anderes genügen.
+
+(Dame den Tisch sorgfältig zwischen ihm und sich haltend:) Vor zehn
+Minuten hatten Sie mich noch nicht über alles Ertragen beleidigt.
+
+(Napoleon.) Dann... (seine Wut hinunterwürgend:) dann bitte ich Sie um
+Verzeihung.
+
+(Dame kühl:) Ich danke. (Er bietet ihr mit erzwungener Höflichkeit
+das Paket über den Tisch an; sie tritt einen Schritt zurück, aus
+seinem Bereich, und sagt:) Aber wollen Sie denn nicht mehr wissen, ob
+die Österreicher in Mantua oder in Peschiera stehen?
+
+(Napoleon.) Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich meine Feinde ohne die
+Mithilfe von Spionen zu besiegen weiß, Madame!
+
+(Dame.) Und den Brief--wollen Sie den nicht lesen?
+
+(Napoleon.) Sie haben gesagt, daß er nicht an mich adressiert ist--ich
+habe nicht die Gewohnheit, anderer Leute Briefe zu lesen. (Er bietet
+ihr das Paket abermals an.)
+
+(Dame.) Wenn dem so ist, dann ist dagegen, daß Sie ihn behalten, gewiß
+nichts einzuwenden. Alles, was ich wollte, war: zu verhindern, daß
+Sie ihn lesen. (Heiter:) Guten Abend, Herr General! (Sie wendet sich
+kühl nach der inneren Türe.)
+
+(Napoleon wirft das Paket ärgerlich auf das Sofa:) Himmel, gib mir
+Geduld! (Er pflanzt sich entschlossen vor der Tür auf und verstellt
+ihr so den Weg.) Fehlt Ihnen jeder Sinn für persönliche Gefahr, oder
+gehören Sie zu den Frauen, die es lieben, schwarz und blau geschlagen
+zu werden?
+
+(Dame.) Ich danke schön, Herr General--das müßte zweifellos eine sehr
+reizvolle Sensation sein, aber ich verzichte lieber darauf. Ich will
+einfach nach Hause gehn, weiter nichts. Ich war arglistig genug, Ihre
+Depeschen zu stehlen, aber Sie haben sie zurückbekommen und haben mir
+verziehen, weil (seinen rhetorischen Tonfall liebenswürdig
+wiederholend:) Sie nach der gewonnenen Schlacht ebenso großmütig gegen
+den Besiegten sind, wie Sie vorher im Angesicht des Feindes
+unerbittlich waren. Wollen Sie mir nicht Lebewohl sagen? (Sie reicht
+ihm freundlich die Hand.)
+
+(Napoleon das Entgegenkommen mit einer Gebärde maßloser Wut
+zurückweisend, öffnet die Tür und ruft wütend:) Giuseppe! (Lauter:)
+Giuseppe! (Er schlägt die Tür zu und kommt in die Mitte des Zimmers.
+Die Dame geht etwas gegen den Weingarten zu, um ihm auszuweichen.)
+
+(Giuseppe erscheint an den Tür:) Exzellenz befehlen?
+
+(Napoleon.) Wo ist der Narr?
+
+(Giuseppe.) Der Herr Leutnant hat, wie Exzellenz befohlen haben, ein
+gutes Essen bekommen und erweist mir nun die Ehre, mit mir zu würfeln,
+um sich die Zeit zu vertreiben.
+
+(Napoleon.) Schick' ihn her--bring ihn herein and komm mit ihm.
+
+(Giuseppe läuft mit unentwegter Bereitwilligkeit hinaus. Napoleon
+wendet sich zu der Dame und sagt dabei barsch:) Ich muß Sie bitten,
+noch einige Augenblicke hierzubleiben, Madame. (Er geht zum Sofa.
+Sie schreitet vom Weingarten an der entgegengesetzten Seite des
+Zimmers an das Büfett, lehnt sich dagegen und beobachtet ihn. Er
+nimmt das Paket vom Sofa und knöpft es langsam und sorgfältig in seine
+Brusttasche, während er sie dabei mit einem Ausdruck betrachtet, der
+besagen soll, daß sie den Zweck seines Vorgehens bald herausfinden und
+über diesen Zweck nicht erfreut sein wird. Es wird nichts mehr gesagt,
+bis der Leutnant hereinkommt. Giuseppe folgt ihm und bleibt
+bescheiden in Bereitschaft vor dem Tische stehn. Der Leutnant ohne
+Mütze, ohne Degen und ohne Handschuhe und infolge seiner Mahlzeit in
+viel besserer Laune und besserer Geistesverfassung wählt die Seite des
+Zimmers, auf der die Dame steht, und wartet sehr behaglich, bis
+Napoleon beginnt.)
+
+(Napoleon.) Herr Leutnant!
+
+(Leutnant ermutigend:) Herr General!
+
+(Napoleon.) Ich kann diese Dame nicht dazu bewegen, mir viele
+Aufklärungen zu geben; aber es besteht kein Zweifel mehr darüber, daß
+der Mann, der Sie durch seine List dahin brachte, Ihre Pflicht zu
+verletzen, wie sie es bereits zugab, ihr Bruder ist.
+
+(Leutnant triumphierend:) Was habe ich Ihnen gesagt, Herr General?
+
+(Napoleon.) Sie müssen diesen Menschen finden, Ihre Ehre steht auf dem
+Spiel, und der Ausgang des Feldzuges, das Schicksal Frankreichs--Europas
+--der Menschheit vielleicht mag von den Mitteilungen abhängen, die jene
+Depeschen enthalten.
+
+(Leutnant.) Ja, mir scheint, sie sind wirklich ziemlich wichtig. (Als
+ob er vorher kaum daran gedacht hätte.)
+
+(Napoleon energisch:) Sie sind so wichtig, Herr Leutnant, daß ich Sie
+in Gegenwart Ihres Regiments degradieren werde, wenn Sie diese
+Depeschen nicht wiederfinden.
+
+(Leutnant.) Hu! Ich kann Ihnen versichern, daß dem Regimente das
+wenig Spaß machen wird.
+
+(Napoleon.) Persönlich bedaure ich Sie; ich würde die Sache, wenn das
+möglich wäre, gerne unterdrücken. Aber ich werde zur Rechenschaft
+gezogen werden, wenn ich nicht nach den Depeschen handle--ich werde
+der ganzen Welt beweisen müssen, daß ich sie niemals bekommen habe,
+was für Folgen das auch immer für Sie haben mag--es tut mir leid, aber
+Sie sehen, ich kann mir nicht anders helfen.
+
+(Leutnant gutmütig:) Oh, nehmen Sie sich die Sache nicht zu Herzen,
+Herr General, Sie sind wirklich zu gütig. Was mir auch zustoßen
+sollte, ich werde schon irgendwie durchkommen, und wir werden die
+Österreicher für Sie schlagen--mit oder ohne Depeschen! Ich hoffe,
+Sie werden nicht darauf bestehen, daß ich ganz umsonst sofort Jagd
+nach diesem Burschen mache. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich ihn
+suchen soll.
+
+(Giuseppe ehrerbietig:) Sie vergessen, Herr Leutnant,--er hat Ihr
+Pferd.
+
+(Leutnant auffahrend:) Das hab' ich ganz vergessen. (Entschlossen:)
+Ich werde nach ihm fahnden, Herr General, ich werde dieses Pferd, wenn
+es irgendwo in Italien noch am Leben ist, aufstöbern, und ich werde
+die Depeschen nicht vergessen--seien Sie unbesorgt. Geh', Giuseppe,
+und sattle eines von deinen schäbigen alten Postkutschpferden, während
+ich meine Mütze, meinen Degen und die übrigen Sachen hole,--schnell,
+marsch! fort mit dir! (Drängt ihn hinaus.)
+
+(Giuseppe.) Sofort, Herr Leutnant, sofort! (Er verschwindet im
+Weingarten, den der Sonnenuntergang rötet.)
+
+(Leutnant auf dem Wege nach der inneren Tür um sich blickend:) Da
+fällt mir ein, Herr General, habe ich Ihnen meinen Degen gegeben oder
+nicht? Oh, ich erinnere mich jetzt--(verdrießlich:) Das kommt davon,
+wenn man einen Menschen in Arrest setzt! Man weiß dann nie, wo man
+seine sieben Sachen gelassen... (Er schwätzt sich aus dem Zimmer.)
+
+(Dame noch vor dem Büfett:) Was soll das alles bedeuten, Herr General?
+
+(Napoleon.) Er wird Ihren Bruder nicht finden.
+
+(Dame.) Selbstverständlich nicht; weil ich keinen habe.
+
+(Napoleon.) Die Depeschen werden unwiederbringlich verloren sein.
+
+(Dame.) Unsinn! Sie sind in Ihrer Rocktasche.
+
+(Napoleon.) Sie werden einsehen, daß es schwerhalten wird, diese
+abenteuerliche Behauptung zu beweisen.
+
+(Die Dame fährt auf; er fügt mit treffendem Nachdruck hinzu:) Diese
+Papiere sind verloren.
+
+(Dame ängstlich, an die Ecke des Tisches vorwärtsschreitend:) Und
+deshalb soll die Karriere dieses unglücklichen Menschen geopfert
+werden?
+
+(Napoleon.) Seine Karriere?! Der Bursche ist das Schießpulver nicht
+wert, das er kosten würde, wenn ich ihn niederknallen ließe! (Er
+wendet sich verachtungsvoll ab und geht zum Kamin, wo er der Dame den
+Rücken kehrt.)
+
+(Dame gedankenvoll:) Sie sind sehr hart. Männer und Frauen sind Ihnen
+nichts als Dinge, dazu da, von Ihnen gebraucht zu werden, selbst wenn
+sie bei dem Gebrauch zugrunde gehn.
+
+(Napoleon wendet sich zu ihr:) Wer von uns beiden hat diesen Burschen
+zugrunde gerichtet--ich oder Sie? Wer hat ihm die Depeschen
+abgelockt? Haben Sie dabei an seine Karriere gedacht?
+
+(Dame naiv bekümmert um den Leutnant:) Oh, daran habe ich nicht
+gedacht! Es war brutal von mir--aber ich konnte nicht anders, nicht
+wahr? Wie hätte ich sonst die Papiere bekommen sollen? (Flehentlich:)
+Herr General, Sie werden ihm die Schande ersparen!
+
+(Napoleon bitter lachend:) Retten Sie ihn, da Sie so gescheit sind!
+Sie waren es ja, die ihn ruiniert hat! (Mit wilder Betonung:) Ich
+hasse einen schlechten Soldaten! (Er geht entschlossen durch den
+Weingarten hinaus; sie folgt ihm einige Schritte mit einer
+beschwörenden Gebärde, wird aber durch die Rückkehr des Leutnants
+aufgehalten, der mit Handschuhen und Mütze und umgürtetem Degen
+marschbereit ist. Er durchschreitet das Zimmer nach der äußeren Tür
+zu, als sie ihm in den Weg tritt.)
+
+(Dame.) Herr Leutnant!
+
+(Leutnant wichtig:) Sie dürfen mich nicht aufhalten,--Dienst ist
+Dienst, gnädige Frau.
+
+(Dame flehentlich:) O Herr Leutnant, was wollen Sie meinem armen
+Bruder tun?
+
+(Leutnant.) Lieben Sie ihn sehr?
+
+(Dame.) Ich würde sterben, wenn ihm etwas zustieße--Sie müssen ihn
+verschonen! (Der Leutnant schüttelt düster den Kopf.) Ja, ja, Sie
+müssen--Sie werden... Er darf noch nicht sterben! Hören Sie mich!
+Wenn ich Ihnen sage, wo er zu finden ist--wenn ich es unternehme, ihn
+als Gefangenen in Ihre Hände zu liefern, damit Sie ihn dem General
+Bonaparte übergeben können--wollen Sie mir dann als Offizier und
+Edelmann bei Ihrer Ehre schwören, nicht mit ihm zu kämpfen oder ihn
+auf irgendeine Weise schlecht zu behandeln?
+
+(Leutnant.) Aber gesetzt den Fall, daß er mich angreift... er hat
+meine Pistolen!
+
+(Dame.) Dazu ist er viel zu feige.
+
+(Leutnant.) Davon bin ich durchaus nicht so überzeugt--der ist zu
+allem fähig.
+
+(Dame.) Für den Fall, daß er Sie angreifen oder den leisesten
+Widerstand leisten sollte, gebe ich Ihnen Ihr Versprechen zurück.
+
+(Leutnant.) Mein Versprechen? Ich habe ja noch nichts versprochen.
+--Schauen Sie! Sie sind genau so gerieben wie Ihr Bruder.--Sie haben
+mich auch mittels der besseren Seite meiner Natur übervorteilen wollen.
+Und wie steht es mit meinem Pferd?
+
+(Dame.) Es ist in unsere Abmachung eingeschlossen, daß Sie Ihr Pferd
+und Ihre Pistolen zurückbekommen sollen.
+
+(Leutnant.) Bei Ihrer Ehre?
+
+(Dame.) Bei meiner Ehre! (Sie reicht ihm die Hand.)
+
+(Leutnant erfaßt sie und hält sie fest:) Abgemacht! Ich werde mit ihm
+sanft wie ein Lamm umgehen.--Seine Schwester ist eine sehr hübsche
+Frau. (Er versucht, sie zu küssen.)
+
+(Dame ihm entschlüpfend:) O Herr Leutnant, Sie vergessen,--es geht um
+Ihre Karriere--um das Schicksal Europas--der Menschheit vielleicht...
+
+(Leutnant.) Was schert mich das Schicksal der Menschheit! (Ihr
+nachsetzend:) Nur einen Kuß!
+
+(Dame zieht sich hinter den Tisch zurück:) Nicht, bevor Sie Ihre
+Offiziersehre wiedergewonnen haben. Bedenken Sie--noch ist mein
+Bruder nicht Ihr Gefangener!
+
+(Leutnant verführerisch:) Sie werden mir sagen, wo er ist--nicht wahr?
+
+(Dame.) Ich brauche ihm nur ein vereinbartes Zeichen zu senden, und er
+wird in einer Viertelstunde hier sein.
+
+(Leutnant.) Dann ist er also gar nicht weit?
+
+(Dame.) Nein--sogar ganz nahe. Warten Sie hier auf ihn; sobald er
+meine Botschaft bekommt, wird er sofort hierhereilen, um sich Ihnen zu
+ergeben--verstehen Sie jetzt?
+
+(Leutnant an dessen Verstand zu hohe Anforderungen gestellt werden:)
+Nun, die Sache ist zwar ein wenig kompliziert, aber ich hoffe, es wird
+schon alles in Ordnung sein.
+
+(Dame.) Und jetzt, während Sie auf den Gefangenen warten, glauben Sie
+nicht, daß es besser wäre, Sie würden mit dem General die Bedingungen
+der Übergabe vereinbaren?
+
+(Leutnant.) Sehen Sie, wie fürchterlich verwickelt die Sache ist! Was
+für Bedingungen?
+
+(Dame.) Lassen Sie sich von ihm zusichern, daß er Ihre Soldatenehre
+als wiederhergestellt betrachtet, sobald Sie meinen Bruder gefangen
+haben. Unter dieser Bedingung wird er alles versprechen, was Sie
+verlangen.
+
+(Leutnant.) Das ist keine schlechte Idee, ich danke Ihnen. Ich glaube,
+das werde ich doch versuchen.
+
+(Dame.) Tun Sie das. Und vor allem eins: lassen Sie ihn ja nicht
+merken, wie gescheit Sie sind.
+
+(Leutnant.) Ich verstehe:--er könnte neidisch werden.
+
+(Dame.) Sagen Sie ihm nichts anderes, als daß Sie entschlossen sind,
+meinen Bruder gefangenzunehmen oder bei dem Versuche zugrunde zu gehn.
+Er wird Ihnen nicht glauben wollen--dann werden Sie meinen Bruder
+vorführen...
+
+(Leutnant unterbrechend, da er nun endlich das Komplott begreift:) Und
+ihn auslachen! Nein, was für eine gescheite kleine Frau Sie sind!
+(Rufend:) Giuseppe!
+
+(Dame.) Sch! Kein Wort zu Giuseppe über mich! (sie legt ihren Finger
+auf die Lippen, er tut dasselbe; sie blicken einander warnend an; dann
+ändert sie mit einem entzückenden Lächeln die Gebärde dahin, daß sie
+ihm einen Kuß zuwirft, und läuft durch die innere Tür hinaus.
+Elektrisiert, bricht er in ein kicherndes Frohlocken aus. Giuseppe
+kommt durch die äußere Tür zurück.)
+
+(Giuseppe.) Das Pferd ist bereit, Herr Leutnant.
+
+(Leutnant.) Ich gehe noch nicht gleich. Lauf! suche den General und
+sag ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche.
+
+(Giuseppe den Kopf schüttelnd:) Das ist ganz unmöglich, Herr Leutnant.
+
+(Leututnant.) Warum?
+
+(Giuseppe.) In dieser bösen Welt kann ein General zwar nach einem
+Leutnant schicken, aber ein Leutnant darf niemals nach einem General
+schicken.
+
+(Leutnant.) Ah, du meinst, das würde ihm nicht passen. Nun, du hast
+vielleicht recht. Man muß in diesen Dingen jetzt ungemein vorsichtig
+sein, seit wir eine Republik haben. (Da erscheint, vom Weingarten
+kommend, Napoleon, seinen Rock auf der Brust zuknöpfend, bleich und
+voll nagender Gedanken.)
+
+(Giuseppe der sich der Nähe Napoleons nicht bewußt ist:) Sehr richtig,
+Herr Leutnant, sehr richtig! Ihr seid jetzt in Frankreich alle wie
+die Wirte. Ihr müßt gegen jedermann höflich sein.
+
+(Napoleon seine Hand auf Giuseppes Schulter legend:) Und das nimmt der
+Höflichkeit ihren ganzen Wert--nicht wahr?
+
+(Leutnant.) Ah, da ist mein Mann!--Herr General, gesetzt den Fall, daß
+ich Ihnen den Burschen stelle--
+
+(Napoleon mit ironischem Ernst:) Sie werden ihn mir nicht stellen,
+mein Freund!
+
+(Leutnant.) Aha! das glauben Sie--aber Sie werden schon sehen, warten
+Sie nur ab! Wenn ich ihn aber doch fangen und Ihnen übergeben sollte,
+werden Sie dann sagen: wir sind quitt!? Werden Sie dann die
+Geschichte von der Degradierung in Gegenwart meines Regiments fallen
+lassen? Nicht meinetwegen, wissen Sie!--aber kein Regiment läßt sich
+gerne dem Gelächter der andern Regimenter preisgeben.
+
+(Napoleon ein kalter Schimmer von Humor huscht über sein düsteres
+Gesicht:) Was sollen wir mit diesem Offizier beginnen, Giuseppe,
+--alles, was er sagt, ist falsch.
+
+(Giuseppe schlagfertig:) Machen Sie ihn zum General, Exzellenz; dann
+wird alles, was er sagt, richtig sein.
+
+(Leutnant triumphierend:) Haha! (Er wirft sich in Ekstase auf das
+Sofa, um den Witz auszukosten.)
+
+(Napoleon lacht und nimmt Giuseppe bei einem Ohr:) In diesem Wirtshaus
+kommst du nicht zur Geltung, Giuseppe. (Er setzt sich und stellt
+Giuseppe vor sich hin, wie ein Schulmeister seinen Schüler:) Soll ich
+dich mit mir nehmen und einen Mann aus dir machen?
+
+(Giuseppe schüttelt wiederholt rasch den Kopf:) Nein, ich danke Ihnen,
+Herr General. Mein ganzes Leben lang haben Leute versucht, aus mir
+einen Mann zu machen.
+
+Als ich ein Knabe war, wollte unser guter Pastor einen Mann aus mir
+machen, indem er mich lesen und schreiben lehrte; dann wollte der
+Organist zu Melegnano einen Mann aus mir machen, indem er mich im
+Notenlesen unterwies. Später würde der rekrutierende Korporal einen
+Mann aus mir gemacht haben, wenn ich ein paar Zoll größer gewesen wäre,
+--aber immer hätte das für mich Arbeit bedeutet; dazu bin ich aber zu
+faul, dem Himmel sei Dank! So lernte ich statt alldem kochen und
+wurde Wirt, und nun halte ich Dienerschaft für die Arbeit und habe
+selber nichts zu tun, als zu schwatzen, was mir ausgezeichnet bekommt.
+
+(Napoleon ihn gedankenvoll anblickend:) Bist du zufrieden?
+
+(Giuseppe in froher Überzeugung:) Vollkommen, Exzellenz!
+
+(Napoleon.) Und du hast keinen verzehrenden Teufel im Leibe, der Tag
+und Nacht mit Taten und Siegen gefüttert werden muß--der dich mit dem
+Schweiße deines Körpers und deines Gehirnes, mit Wochen von
+Herkulesarbeiten zehn Minuten des Genusses bezahlen läßt, der
+gleichzeitig dein Sklave und dein Tyrann ist, dein Genius und dein
+Verhängnis--der dir mit der einen Hand eine Krone reicht und das Ruder
+eines Galeerensklaven mit der andern--der dir alle Königreiche der
+Erde zeigt und dich zu ihrem Herrn zu machen verspricht unter der
+Bedingung, daß du ihr Diener wirst?--Von alledem hast du nichts im
+Leibe?
+
+(Giuseppe.) Nichts dergleichen. Aber ich versichere Ihnen, Exzellenz,
+mein verzehrender Teufel ist weit schlimmer; er bietet mir weder
+Kronen noch Königreiche: er erwartet alles umsonst von mir zu
+bekommen--Würste, Omeletten, Trauben, Käse, Polenta, Wein--täglich
+dreimal, Exzellenz, nichts Geringeres will ihm genügen.
+
+(Leutnant.) Hör' auf, Giuseppe!--Deine Worte machen mich wieder
+hungrig. (Giuseppe verbeugt sich, sich entschuldigend und zieht sich
+von dem Gespräche zurück. Er macht sich am Tische zu schaffen, staubt
+ihn ab, legt die Landkarte zurecht and rückt Napoleons Stuhl, den die
+Dame zurückgestoßen hat, wieder an seinen richtigen Platz.)
+
+(Napoleon wendet sich zum Leutnant mit sardonischer Feierlichkeit:)
+Ich hoffe, daß ich nicht ehrgeizige Gefühle in Ihnen erweckt habe.
+
+(Leutnant.) Durchaus nicht. Ich fliege nicht so hoch,--überdies ist
+es besser, daß ich so bleibe wie ich bin. Männer wie ich werden
+gerade jetzt in der Armee gebraucht. Die Revolution paßte nämlich
+ganz gut für Zivilisten, aber für die Armee taugt sie nichts. Sie
+wissen, wie Soldaten sind, Herr General: sie bestehen darauf, Männer
+von Rang zu Ihren Offizieren zu haben. Ein Leutnant muß ein Edelmann
+sein, weil er mit den Soldaten soviel in Berührung kommt; aber ein
+General oder selbst ein Oberst kann aus dem schlechtesten Ausschuß
+entnommen werden, wenn er sein Geschäft gut genug versteht. Ein
+Leutnant ist ein Edelmann, alles andere ist Zufall. Was glauben Sie,
+wer hat die Schlacht bei Lodi gewonnen? Ich will es Ihnen sagen: mein
+Pferd.
+
+(Napoleon erhebt sich:) Ihre Dummheit führt Sie zu weit,--nehmen Sie
+sich in acht!
+
+(Leutnant.) Durchaus nicht. Sie erinnern sich doch an die heftige
+Kanonade von einem Flußufer zum andern: die Österreicher bombardierten
+Sie, um Ihren Übergang zu verhindern, und Sie bombardierten die
+Österreicher, um sie davon abzuhalten, daß Sie die Brücke in Brand
+setzten. Haben Sie bemerkt, wo ich während dieser Zeit gewesen bin?
+
+(Napoleon mit drohender Höflichkeit:) Ich bedaure--ich glaube, ich war
+in diesem Augenblick zu sehr beschäftigt.
+
+(Giuseppe mit eifriger Bewunderung:) Man erzählt sich, daß Sie von
+Ihrem Pferde abgesprungen sind und die großen Kanonen mit eigenen
+Händen abgeprotzt haben, Herr General!
+
+(Leutnant.) Das war ein Mißgriff: ein Offizier sollte sich nie dazu
+hergeben, die Arbeit seiner Untergebenen zu verrichten. (Napoleon
+sieht ihn gefahrdrohend an und beginnt wie ein Tiger auf und ab zu
+gehen.) Aber Sie könnten noch jetzt ganz zwecklos auf die Österreicher
+feuern, wenn wir Kavalleristen nicht die Furt gefunden hätten, über
+den Fluß gesetzt wären und Sie dadurch unterstützt hätten, daß wir
+Beaulieus Flanke von Ihnen abwendeten. Sie würden es nicht gewagt
+haben--und Sie wissen das selbst sehr genau--den Befehl zu geben, die
+Brücke stürmen zu lassen, wenn Sie uns nicht auf dem jenseitigen Ufer
+gesehen hätten. Deshalb sage ich, daß nur der Entdecker jener Furt
+die Schlacht bei Lodi gewonnen hat.--Nun, und wer hat sie
+entdeckt?--Ich war der erste Mann, der sie überschritt, und ich weiß
+es--mein Pferd hat sie gefunden. (Mit Überzeugung, während er sich
+vom Sofa erhebt:) Eigentlich hat mein Pferd die Österreicher besiegt.
+
+(Napoleon zornig:) Sie Idiot, ich werde Sie erschießen lassen, weil
+Sie die Depeschen verloren haben! Ich werde Sie vor die Mündung einer
+Kanone binden and in die Luft sprengen lassen! Andere Maßregeln sind
+ja nicht imstande, Eindruck auf Sie zu machen. (Ihn anbrüllend:)
+Hören Sie! verstehen Sie! (Ein französischer Offizier tritt
+unbeachtet ein, seinen in der Scheide befindlichen Degen in der Hand.)
+
+(Leutnant uneingeschüchtert:) Wenn ich ihn nicht erwischen werde, Herr
+General, nur dann! Bedenken Sie das Wenn!
+
+(Napoleon.) Wenn! wenn!... Esel! dieser Mann existiert überhaupt
+nicht!
+
+(Der Offizier tritt plötzlich zwischen sie und spricht mit der
+unverkennbaren Stimme der fremden Dame:) Herr Leutnant, ich bin Ihr
+Gefangener! (Sie bietet ihm ihren Degen.--Sie sind sprachlos vor
+Erstaunen. Napoleon start sie einen Augenblick, wie vom Donner
+gerührt, an, reißt sie dann am Handgelenk rauh zu sich hin, betrachtet
+sie wild aus der Nähe, um ihre Identität selbst festzustellen, denn es
+beginnt rasch zu dunkeln und der rote Schein über dem Weingarten
+weicht einem hellen Sternenlicht.)
+
+(Napoleon.) Pah! (Er läßt mit einem Ausruf des Widerwillens ihre Hand
+fahren und wendet ihr düster blickend den Rücken zu, seine Hand in den
+Brustfalten des Waffenrockes.)
+
+(Leutnant nimmt triumphierend den Degen:) Dieser Mann existiert
+überhaupt nicht--was, Herr General? (Zu der Dame:) Ich frage Sie: wo
+ist mein Pferd?
+
+(Dame.) Es wartet gesund in Borghetto auf Sie, Herr Leutnant.
+
+(Napoleon sich zu ihnen wendend:) Wo sind die Depeschen?
+
+(Dame.) Das würden Sie niemals erraten--die sind an dem
+unwahrscheinlichsten Orte von der Welt. Hat jemand von Ihnen meine
+Schwester hier gesehen?
+
+(Leutnant.) Ja! sehr hübsche Dame! Sie sieht Ihnen ganz wunderbar
+ähnlich, aber natürlich ist sie viel hübscher.
+
+(Dame geheimnisvoll:) Nun--wissen Sie aber auch, daß sie eine
+gefährliche Hexe ist?
+
+(Giuseppe läuft auf sie zu und bekreuzigt sich:) O nein, nein, nein!
+Es ist gefährlich, mit solchen Dingen zu scherzen! Ich kann das in
+meinem Hause nicht dulden, Exzellenz!
+
+(Leutnant.) Ja, lassen Sie das. Sie sind mein Gefangener, das wissen
+Sie. Selbstverständlich glaube ich nicht an so einen Unsinn; aber es
+ist doch kein Ding, mit dem man spaßen sollte.
+
+(Dame.) Es ist aber so, ich spreche vollkommen ernst. Meine Schwester
+hat den Herrn General behext. (Giuseppe und der Leutnant weichen von
+Napoleon zurück.) Herr General, öffnen Sie Ihren Rock, und Sie werden
+die Depeschen in Ihrer Brusttasche finden. (Sie legt ihre Hand rasch
+auf seine Brust.) Ja, hier sind sie--ich kann sie fühlen... Nun?
+(Sie sieht ihm ins Gesicht, halb schmeichlerisch, halb spöttisch.)
+Wollen Sie mir gestatten, Herr General--? (Sie faßt einen Knopf, als
+ob sie seinen Rock aufknöpfen wollte, und wartet auf Erlaubnis.)
+
+(Napoleon unergründlich:) Wenn Sie es wagen.
+
+(Dame.) Ich danke Ihnen. (Sie öffnet seinen Rock und nimmt die
+Depeschen heraus.) Da sind sie! (Zu Giuseppe, ihm die Depeschen
+zeigend:) Sehen Sie?
+
+(Giuseppe zur äußeren Tür fliehend:) Nein--um Gottes willen; Sie sind
+behext!
+
+(Dame sich zu dem Leutnant wendend:) Hier, Herr Leutnant, Sie fürchten
+sich doch nicht vor den Papieren.
+
+(Leutnant zurückweichend:) Zehn Schritt vom Leibe! (Den Knauf des
+Degens erfassend:) Ich sage Ihnen, zehn Schritt vom Leibe!
+
+(Dame zu Napoleon:) Die Schriftstücke gehören Ihnen, Herr General,
+nehmen Sie sie!
+
+(Giuseppe.) Berühren Sie sie nicht, Exzellenz! Machen Sie sich damit
+nicht zu schaffen!
+
+(Leutnant.) Seien Sie vorsichtig, Herr General,--seien Sie vorsichtig!
+
+(Giuseppe.) Verbrennen Sie sie--und verbrennen Sie die Hexe dazu!
+
+(Dame zu Napoleon:) Soll ich sie verbrennen?
+
+(Napoleon gedankenvoll:) Ja... verbrennen Sie sie.--Giuseppe, geh' und
+hole ein Licht.
+
+(Giuseppe zitternd und stammelnd:) Muten Sie mir wirklich zu, daß ich
+allein gehen soll... im Dunkeln... wo eine Hexe im Hause ist...
+
+(Napoleon.) Pah! Du bist ein Feigling! (Zum Leutnant:) Sie werden
+mich verbinden, wenn Sie gehen wollen, Herr Leutnant.
+
+(Leutnant sich verwahrend:) Oh! gestatten Sie mir zu bemerken, Herr
+General... nein, Sie wissen... niemand kann nach Lodi sagen, daß ich
+ein Feigling bin... aber von mir zu verlangen, daß ich allein im
+Dunkeln gehen soll... ohne eine Kerze... nach so einer schauerlichen
+Unterhaltung... das ist ein bißchen zuviel!--Würden Sie selbst so
+etwas gerne tun?
+
+(Napoleon gereitzt:) Sie weigern sich also, meinem Befehle zu
+gehorchen?
+
+(Leutnant entschlossen:) Ja, das tu' ich. Es ist unbillig, so was zu
+verlangen--aber ich will Ihnen sagen, wozu ich bereit bin: wenn
+Giuseppe geht, dann will ich mit ihm gehn und ihn beschützen.
+
+(Napoleon zu Giuseppe:) Du hörst... Wird dir das genügen? Macht, daß
+ihr fortkommt, alle beide!
+
+(Giuseppe demütig mit zitternden Lippen:) Sehr gerne--wie Sie befehlen,
+Exzellenz! (Er geht widerstrebend nach der inneren Türe.) Der Himmel
+schütze mich! (Zum Leutnant:) Nach Ihnen, Herr Leutnant!
+
+(Leutnant.) Es wäre besser, du gingest voraus--ich weiß den Weg nicht.
+
+(Giuseppe.) Er ist nicht zu verfehlen. Überdies (flehentlich die
+Hand auf seinen Armel legend:) ich bin nur ein armer Wirt, und Sie
+sind ein Edelmann!
+
+(Leutnant.) Da hast du nicht so unrecht. Da--du brauchst keine solche
+Angst zu haben--nimm meinen Arm. (Giuseppe tut es.) So ist's recht...
+(Sie gehen Arm in Arm hinaus. Jetzt ist es sternenhelle Nacht. Die
+Dame wirft das Paket auf den Tisch, setzt sich behaglich auf das Sofa
+und genießt die Freude, von ihren Unterröcken befreit zu sein.)
+
+(Dame.) Nun, Herr General--ich habe Sie doch besiegt!
+
+(Napoleon geht auf und ab:) Sie haben sich der Unzartheit, der
+Unweiblichkeit schuldig gemacht. Halten Sie dieses Kleid, das Sie da
+tragen, für schicklich?
+
+(Dame.) Es scheint mir dem Ihrigen sehr ähnlich zu sein.
+
+(Napoleon.) Pfui! ich erröte für Sie!
+
+(Dame naiv:) Ja?... Soldaten erröten so leicht! (Er brummt und
+wendet sich ab. Sie blickt ihn schelmisch an, die Depeschen in ihrer
+Hand wiegend.) Wollen Sie diese da nicht lesen, bevor wir sie
+verbrennen, General? Sie müssen vor Neugierde sterben. Werfen Sie
+einen Blick hinein. (Sie wirft das Paket auf den Tisch und wendet das
+Gesicht davon ab.) Ich will nicht hinsehen.--
+
+(Napoleon.) Ich habe keinerlei Neugierde, Madame. Aber da Sie selbst
+augenscheinlich darauf brennen, sie zu lesen, erlaube ich Ihnen, es zu
+tun.
+
+(Dame.) Oh! ich hab' sie schon gelesen.
+
+(Napoleon auffabrend:) Was?!
+
+(Dame.) Das war das erste, was ich getan habe, als ich auf dem Pferde
+dieses armen Leutnants davongeritten bin. Sie sehen also: ich weiß,
+was darin steht; aber Sie wissen es nicht.
+
+(Napoleon.) Sie entschuldigen--ich habe sie auch gelesen, als ich vor
+zehn Minuten draußen im Weingarten spazieren ging.
+
+(Dame aufspringend:) Oh, Herr General! ich habe Sie nicht besiegt!
+Ich bewundere Sie unendlich! (Er lacht und streichelt ihre Wangen.)
+Diesmal wirklich und wahrhaftig, ohne Hintergedanken. Ich huldige
+Ihnen! (Küßt seine Hand.)
+
+(Napoleon sie rasch zurückziehend:) Brrr! tun Sie das nicht. Genug
+der Hexerei!
+
+(Dame.) Ich möchte Ihnen etwas sagen--doch Sie würden es
+mißverstehen.
+
+(Napoleon.) Braucht Sie das zu hindern?
+
+(Dame.) Also, das ist es: ich bete einen Mann an, der sich nicht
+fürchtet, gemein und selbstsüchtig zu sein.
+
+(Napoleon entrüstet:) Ich bin weder gemein noch selbstsüchtig!
+
+(Dame.) Oh, Sie tun sich selbst unrecht. Überdies, ich meine ja
+nicht wirklich gemein und selbstsüchtig.
+
+(Napoleon.) Ich danke Ihnen--ich dachte, Sie meinten es vielleicht
+doch!
+
+(Dame.) Na ja, natürlich mein' ich es auch in gewissem Sinne. Aber
+was ich bewundere, das ist eine gewisse starke Einfachheit in Ihnen.
+
+(Napoleon.) Das klingt schon besser.
+
+(Dame.) Sie wollten die Briefe nicht lesen; aber Sie waren neugierig,
+zu wissen, was darinnen steht. Sie gingen also in den Garten und
+lasen sie, als niemand zusah, und kamen dann zurück und taten so, als
+ob Sie sie nicht gelesen hätten. Das ist wohl das gemeinste, was ich
+jemals einen Mann habe tun sehen; aber es erfüllte gerade Ihren Zweck,
+und so haben Sie sich nicht im geringsten geschämt oder gefürchtet, es
+zu tun.
+
+(Napoleon kurz angebunden:) Wo haben Sie all diese niedrigen Skrupeln
+aufgelesen?--(Mit verachtungsvollem Nachdruck:) Dieses "Ihr Gewissen"?
+Ich habe Sie für eine Dame gehalten--eine Aristokratin. Bitte, war
+Ihr Großvater vielleicht ein Krämer?
+
+(Dame.) Nein, er war Engländer.
+
+(Napoleon.) Das erklärt alles. Die Engländer sind eine Nation von
+Krämern. Nun begreife ich, warum Sie mich besiegt haben.
+
+(Dame.) Aber, ich habe Sie nicht besiegt--und ich bin keine
+Engländerin.
+
+(Napoleon.) Doch, das sind Sie! Englisch bis in die Fingerspitzen.
+Hören Sie mir zu, ich will Ihnen die Engländer erklären.
+
+(Dame erpicht darauf, es sru hören:) Ich bitte. (Mit gespannter Miene
+einen intellektuellen Genuß erwartend, setzt sie sich auf das Sofa und
+bereitet sich vor, ihm zuzuhören. Seines Publikums sicher, rafft sich
+Napoleon sofort zu einer Vorstellung auf. Er überlegt ein bißchen,
+bevor er beginnt, um ihre Aufmerksamkeit durch eine Pause zu erhöhen.
+Anfangs ahmt er den Stil Talmas in Corneilles "Cinna" nach, aber in
+der Dunkelheit geht etwas davon verloren, und Talma macht bald
+Napoleon Platz, dessen Stimme mit überraschender Heftigkeit durch die
+Dämmerung bricht.)
+
+(Napoleon.) Es gibt dreierlei Menschen auf Erden: die Kleinen, die
+Mittleren und die Großen. Die Kleinen und die Großen sind einander in
+einem Punkte gleich: sie haben keinerlei Skrupel, keinerlei Moral,
+--die Kleinen stehen tief unter der Moral, die Großen hoch über ihr.
+Ich fürchte sie beide nicht! Denn die Kleinen sind skrupellos, ohne
+Wissen--sie machen mich deshalb zu ihrem Abgott; die Großen sind
+ebenso skrupellos, ohne starkes Wollen, sie beugen sich deshalb vor
+meinem Willen. Sehen Sie: ich werde über all das niedere Volk und
+über all die Höfe Europas hinweggehen wie die Pflugschar über ein
+Ackerfeld. Die Mittelklasse aber, die ist gefährlich. Sie besitzt
+beides: Wissen and Wollen. Aber auch sie hat ihre schwache Seite: das
+Gewissen. Sie ist voller Skrupel,--an Händen and Füßen durch Moral
+und Ehrenhaftigkeit gefesselt.
+
+(Dame.) Dann werden Sie die Engländer überholen; denn alle Krämer
+gehören zur Mittelklasse.
+
+(Napoleon.) Nein! Denn die Engländer sind eine Rasse für sich. Kein
+Engländer steht zu tief, um Skrupel zu haben, und keiner hoch genug,
+um von ihrer Tyrannei befreit zu sein. Aber jeder Engländer kommt mit
+einem wunderbaren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der Erde macht.
+Wenn der Engländer etwas will, gesteht er sich nie ein, daß er es
+will. Er wartet geduldig, bis in ihm--Gott weiß wie--die tiefe
+Überzeugung erwacht, daß es seine moralische und religiöse Pflicht sei,
+diejenigen zu unterwerfen, die das haben, was er will. Dann wird er
+unwiderstehlich. Wie der Aristokrat, tut er, was ihm gefällt, und
+schnappt nach dem, wonach ihn gelüstet. Wie der Krämer, verfolgt er
+seinen Zweck mit dem Fleiß und der Beharrlichkeit, die von starker,
+religiöser Überzeugung und dem tiefen Sinn für moralische
+Verantwortlichkeit herrühren. Er ist nie in Verlegenheit um eine
+wirksame, moralische Pose. Als großer Vorkämpfer der Freiheit und der
+nationalen Unabhängigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz
+von ihr und nennt das "Kolonisation". Wenn er einen neuen Markt für
+seine schlechten Manchesterwaren braucht, schickt er Missionäre aus,
+die den Wilden das Evangelium des Friedens verkünden müssen. Die
+Wilden töten den Missionar; nun eilt er zu den Waffen, zur
+Verteidigung des Christentums, kämpft and siegt für seinen Glauben und
+nimmt als göttliche Belohnung den Markt in Besitz. Zur Verteidigung
+seiner Inselgestade nimmt er einen Schiffsgeistlichen an Bord, nagelt
+eine Flagge mit einem Kreuz an den Hauptmast and segelt so bis ans
+Ende der Welt, und bohrt in den Grund, verbrennt und zerstört alles,
+was ihm die Herrschaft auf dem Meere streitig macht. Er prahlt damit,
+daß jeder Sklave frei werde, sobald sein Fuß britischen Boden betritt;
+dabei verkauft er die Kinder seiner Armen, kaum daß sie sechs Jahre
+alt sind, an Fabrikherren und läßt sie täglich sechzehn Stunden
+unter der Peitsche Sklavenarbeit verrichten. Er macht zwei
+Revolutionen und erklärt dann im Namen des Gesetzes und der Ordnung
+der unsern den Krieg. Nichts ist so schlecht und nichts so gut, daß
+Sie es einen Engländer nicht werden vollbringen sehen, aber Sie werden
+einem Engländer niemals beweisen können, daß er im Unrecht ist. Denn
+er tut alles aus Grundsatz. Er führt Krieg aus patriotischem
+Grundsatz, er betrügt aus geschäftlichem Grundsatz, er macht freie
+Völker zu Sklaven aus reichspolitischem Grundsatz, er behandelt Euch
+grob aus männlichem Grundsatz, er hält treu zu seinem Könige aus
+loyalem Grundsatz und schlägt seinem Könige aus republikanischem
+Grundsatz den Kopf ab. Seine Losung ist dabei immer nur seine
+"Pflicht." Und er vergißt nie, daß die Nation verloren ist, die ihre
+Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu finden ist. Er...
+
+(Dame.) Uh! uh! uh! Halten Sie einen Augenblick inne! Ich möchte
+wissen, wie Sie auf Grund dieser Beobachtungen aus mir eine
+Engländerin machen wollen.
+
+(Napoleon seinen rhetorischen Stil fallen lassend:) Das ist einfach
+genug. Sie wollten einige Briefe, die mir gehörten. Sie haben den
+Morgen damit verbracht, sie zu stehlen... jawohl, sie zu
+stehlen--durch Straßenraub. Und Sie haben den Nachmittag damit
+verbracht, mich darüber ins Unrecht zu setzen, indem Sie annahmen, daß
+ich es war, der Ihre Briefe stehlen wollte. Denn Sie haben mir
+einreden wollen, daß meine Gemeinheit and Selbstsucht und Ihre Güte,
+Ihre Ergebenheit and Ihre Selbstaufopferung an allem schuld seien.
+Das ist englisch!
+
+(Dame.) Unsinn! ich weiß zu gut, wie wenig ich Engländerin bin. Die
+Engländer sind ein sehr dummes Volk.
+
+(Napoleon.) Ja, zu dumm manchmal, um zu wissen, wann sie geschlagen
+sind. Aber ich gebe zu, daß Ihr Gehirn nicht englisch ist. Sie sehen:
+obwohl Ihr Großvater ein Engländer war, war Ihre Großmutter
+wohl--was? Französin?
+
+(Dame.) O nein! Irländerin.
+
+(Napoleon rasch:) Irländerin...? (Gedankenvoll:) Ja, ich vergaß--die
+Irländer... Eine englische Armee, geführt von einem irischen General:
+die könnte sich messen mit einer französischen Armee, die von einem
+italienischen General befehligt wird. (Er hält inne und fügt halb
+scherzend, halb traurig hinzu:) Wie immer es sei... Sie haben mich
+besiegt--und was einen Mann zuerst besiegt, das wird ihn auch zuletzt
+besiegen. (Er tritt gedankenvoll in den im Mondlicht gebadeten
+Weingarten hinaus und blickt nach oben. Sie stiehlt sich an seine
+Seite und wagt es, ihre Hand auf seine Schulter zu legen, überwältigt
+von der Schönheit der Nacht und ermutigt durch ihre Dunkelheit.)
+
+(Dame sanft:) Wonach blicken Sie?
+
+(Napoleon nach aufwärts zeigend:) Nach meinem Stern.
+
+(Dame.) Glauben Sie an ihn?
+
+(Napoleon.) Ja. (Sie sehen einen Augenblick nach dem Stern hin; sie
+lehnt sich ein wenig an seine Schulter.)
+
+(Dame.) Wissen Sie, daß man in England sagt, eines Mannes Stern sei
+unvollständig ohne das Strumpfband einer Frau?[*]
+
+[Footnote *: Eine Anspielung auf den Stern eines Ordens und den
+Hosenbandorden.]
+
+(Napoleon entrüstet, schüttelt sie kurz ab und kommt zurück in das
+Zimmer:) Pah! die Heuchler! Wenn die Franzosen so etwas sagten,
+würden sie in frommem Schauder abwehrend die Hände erheben. (Er geht
+nach der inneren Türe und hält sie offen.) He! Giuseppe! wo bleibt
+das Licht, Mensch? (Er kommt zwischen den Tisch und das Büfett und
+rückt den zweiten Stuhl an den Tisch, neben seinen eigenen:) Wir
+müssen den Brief noch verbrennen. (Er hebt das Paket auf. Giuseppe
+kommt zurück. Noch bleich und zitternd, trägt er in der einen Hand
+einen Armleuchter mit ein paar brennenden Kerzen und eine breite
+Lichtputzschere in der andern.)
+
+(Giuseppe kläglich, während er das Licht auf den Tisch stellt:)
+Exzellenz, wonach haben Sie eben da draußen ausgeschaut? (Er zeigt
+über seine Schulter nach dem Weingarten, fürchtet sich aber,
+umherzublicken.)
+
+(Napoleon das Paket aufmachend:) Was geht dich das an?
+
+(Giuseppe stammelnd:) Weil die Hexe fort ist--verschwunden... und
+niemand hat sie fortgehen sehn.
+
+(Dame hinter ihm aus dem Weingarten tretend:) Wir haben sie beobachtet,
+wie sie auf ihrem Besenstiel zum Mond hinaufgeritten ist. Giuseppe,
+Sie werden sie nie wiedersehen!
+
+(Giuseppe.) Jesus Maria! (Er bekreuzigt sich und eilt hinaus.)
+
+(Napoleon wirft die Briefe in einem Haufen auf den Tisch:) Nun, also!
+(Er setzt sich auf den Stuhl, den er eben hingestellt hat.)
+
+(Dame.) Ja; aber Sie wissen doch--den bewußten Brief haben Sie noch in
+Ihrer Tasche. (Er lächelt, nimmt einen Brief aus der Tasche und wirft
+ihn auf die Spitze des Haufens. Sie hebt ihn auf, betrachtet Napoleon
+und sagt:) Cäsars Frau betreffend.
+
+(Napoleon.) Cäsars Frau ist über allen Verdacht erhaben--verbrennen
+Sie ihn.
+
+(Dame nimmt den Brief mit der Lichtputzschere und hält ihn damit an
+die Kerzenflamme:) Wäre Cäsars Frau wohl über allen Verdacht erhaben,
+wenn sie uns beide hier sitzen sähe--? Wer weiß--?
+
+(Napoleon ihre Worte mechanisch wiederholend, die Ellbogen auf den
+Tisch und die Wangen in die Hände gestützt, den Brief betrachtend:)
+Wer weiß--? (Die fremde Dame legt den angezündeten Brief auf das
+Lichtputzbrett und setzt sich neben Napoleon in der gleichen Stellung,
+die Ellbogen auf den Tisch, die Wangen in die Hände gestützt, und
+sieht zu, wie er verbrennt. Als er verkohlt, wenden sie beide
+gleichzeitig ihre Blicke davon ab und sehen einander an. Der Vorhang
+gleitet langsam herab und entzieht sie den Blicken.)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Mann des Schicksals, von
+Bernard Shaw.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER MANN DES SCHICKSALS ***
+
+***** This file should be named 9802-8.txt or 9802-8.zip *****
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+Produced by Michalina Makowska
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+will be renamed.
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+one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
+permission and without paying copyright royalties. Special rules,
+set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
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+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
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+rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
+such as creation of derivative works, reports, performances and
+research. They may be modified and printed and given away--you may do
+practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
+subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
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+*** START: FULL LICENSE ***
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+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
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+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
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+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
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+ you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
+ owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
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+ address specified in Section 4, "Information about donations to
+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
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+ and discontinue all use of and all access to other copies of
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+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
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+ of receipt of the work.
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+electronic work or group of works on different terms than are set
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+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
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+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
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+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
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+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
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+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
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+increasing the number of public domain and licensed works that can be
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+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
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+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
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+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ https://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
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+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
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+The Project Gutenberg EBook of Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw
+
+Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the
+copyright laws for your country before downloading or redistributing
+this or any other Project Gutenberg eBook.
+
+This header should be the first thing seen when viewing this Project
+Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the
+header without written permission.
+
+Please read the "legal small print," and other information about the
+eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is
+important information about your specific rights and restrictions in
+how the file may be used. You can also find out about how to make a
+donation to Project Gutenberg, and how to get involved.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
+
+
+Title: Der Mann des Schicksals
+
+Author: George Bernard Shaw
+
+Release Date: February, 2006 [EBook #9802]
+[This file was first posted on October 18, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: US-ASCII
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS ***
+
+
+
+
+E-text prepared by Michalina Makowska
+
+
+
+
+
+
+
+This Etext is in German.
+
+We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format,
+known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email--
+and one in 8-bit format, which includes higher order characters--
+which requires a binary transfer, or sent as email attachment and
+may require more specialized programs to display the accents.
+This is the 7-bit version.
+
+
+
+
+
+DER MANN DES SCHICKSALS
+
+Komoedie in einem Akt
+
+Bernard Shaw
+
+(Uebersetztung von Siegfried Trabitsch)
+
+
+Diese Komoedie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker"
+veroeffentlicht und aufgefuehrt.
+
+
+
+
+
+
+
+PERSONEN
+
+Napoleon
+Ein Leutnant
+Eine fremde Dame
+Giuseppe
+Grandi, Gastwirt
+
+
+Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von
+Mailand nach Lodi.
+
+(Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Strasse
+von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die
+Ebenen der Lombardei. Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die
+Ameisenhuegel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden
+Schweine und Ochsen in den Doerfern belaestigt, noch verletzt durch das
+kuehle Verhalten der Kirchen gegenueber ihrem Licht. Verachtungsvoll
+lacht sie jedoch ueber zwei Horden schaedlicher Insekten, naemlich der
+oesterreichischen und der franzoesischen Armee. Vor zwei Tagen, bei
+Lodi, hatten die Oesterreicher die Franzosen zu hindern versucht, den
+Fluss auf der dort befindlichen schmalen Bruecke zu ueberschreiten. Aber
+die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjaehrigen General,
+Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, ueberschritten
+dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Bruecke, unterstuetzt von
+einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand
+anlegte. Das Schiessen mit Kanonen ist seine technische Spezialitaet.
+Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein
+Meister in den militaerischen Kuensten, sich von seinen Pflichten zu
+druecken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den
+Krieg mit dem Laerm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf
+allen militaerischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist. Er ist
+jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des
+Schiesspulvers als erster herausgefunden, dass eine Kanonenkugel den
+Mann, den sie trifft, unfehlbar toeten muss. Dem gruendlichen Erfassen
+dieser bemerkenswerten Entdeckung fuegte er eine hoechst entwickelte
+Faehigkeit fuer physikalische Geographie und fuer die Berechnung von Zeit
+und Entfernungen hinzu. Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und
+eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf
+oeffentliche Angelegenheiten, die er waehrend der franzoesischen
+Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat. Er hat
+Einbildungskraft ohne Illusionen, und schoepferischen Geist ohne
+Religion, Loyalitaet, Patriotismus oder irgendeines der landlaeufigen
+Ideale, obwohl er dieser nicht unfaehig ware; im Gegenteil: er hat sie
+alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine
+dramatische Faehigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines
+Schauspielers und Buehnenleiters aeusserst geschickt auszuspielen. Dabei
+ist er durchaus kein verzogenes Kind. Armut, Missgeschick, die Kniffe
+einer aermlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfaelle als
+Autor, die Demuetigungen eines zurueckgestossenen Strebers, die Verweise
+und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu
+ertragen hat, haben das verhindert. Er entging sogar nur mit knapper
+Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden. Wenn recht
+Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants
+zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert haette, wuerde er mit
+Verachtung aus dem Heere ausgestossen worden sein. Alle diese
+Schicksale haben ihm jede Selbstueberschaetzung ausgetrieben und ihn
+gezwungen, genuegsam zu sein und zu begreifen, dass die Welt einem Manne
+seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann.
+Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit. Denn ein
+erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es
+war, ist der Welt von Nutzen. Man kann sogar heute nicht in England
+leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, dass
+es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Caesar erobert wurde.)
+
+(An jenem Mainachmittag des Jahres 1796 jedoch ist es noch frueh in
+seinem Leben. Er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt und erst kuerzlich
+General geworden, teilweise mit Hilfe seiner Frau, die er dazu benutzt
+hat, das Direktorium (das damals Frankreich regierte) zu verfuehren,
+und teilweise durch den bereits erwaehnten, infolge der Auswanderung
+entstandenen Mangel an Offizieren. Aber auch dank seiner Faehigkeit,
+ein Land mit all seinen Strassen, Fluessen, Huegeln und Taelern wie die
+Flaeche seiner eigenen Hand zu kennen, und vor allem dank seinem neuen
+Glauben an die Wirkung der Kanonen auf Menschen. Seine Armee war, was
+die Disziplin betrifft, in einem Zustand, der moderne Historiker, vor
+denen das folgende Stueck aufgefuehrt worden ist, so sehr entsetzt hat,
+dass sie, eingeschuechtert von dem spaeteren Ruhme des "Empereur", sich
+geweigert haben, an solche Vorkommnisse zu glauben. Aber Napoleon ist
+noch nicht "l'Empereur", es wurde ihm eben erst der Titel "le petit
+caporal" verliehen, und er ist im Begriff, durch renommistische
+Tapferkeit Einfluss auf seine Leute zu gewinnen. Er ist nicht in der
+Lage, seinen Willen nach orthodoxer militaerischer Art mit Hilfe der
+neunschwaenzigen Katze bei ihnen durchzusetzen. Die franzoesische
+Revolution, die nur durch die monarchische Gewohnheit, den Soldaten
+den Lohn wenigstens vier Jahre lang schuldig zu bleiben, dem Schicksal,
+unterdrueckt zu werden, entging, hat, wo es irgend anging, diesen
+Brauch durch die Gewohnheit ersetzt, ueberhaupt keinen zu zahlen.
+Statt dessen werden die Leute mit Versprechungen und patriotischen
+Schmeicheleien abgespeist, die mit dem Militaergeist preussischer Art
+unvereinbar gewesen waeren. Napoleon hat sich daher als ein
+Befehlshaber von zerlumpten Leuten ohne Geld, die nicht aufgelegt sind,
+sich viel Disziplin gefallen zu lassen, namentlich nicht von
+emporgekommenen Generaelen, den Alpen genaehert. Dieser Umstand, der
+einen idealistischen Soldaten in Verlegenheit gebracht haette, ersetzte
+Napoleon tausend Kanonen. Er sprach zu seinen Soldaten: "Ihr habt
+Patriotismus und Mut; aber ihr habt kein Geld, keine Kleidung und kaum
+etwas zu essen. In Italien gibt es all diese Dinge und Ruhm noch dazu
+fuer eine ergebene Armee, die von einem General gefuehrt wird, der
+Pluenderung als das natuerliche Recht des Soldaten betrachtet. Ich bin
+ein solcher General. En avant, mes enfants!"--Das Resultat hat ihm
+vollkommen recht gegeben. Seine Soldaten eroberten Italien, wie die
+Wanderheuschrecken Cypern erobert haben. Sie kaempften den ganzen Tag
+und marschierten die ganze Nacht, legten unmoegliche Entfernungen
+zurueck, tauchten an unmoeglichen Orten auf,--aber nicht etwa, weil
+jeder Soldat wusste, dass er den Marschallstab in seinem Tornister trage,
+sondern weil jeder hoffte, am naechsten Tage wenigstens ein halbes
+Dutzend silberner Gabeln fort zu tragen. Zugleich muss man sich
+darueber klar sein, dass die franzoesische Armee nicht mit der
+italienischen Krieg fuehrt. Sie ist nur da, um Italien von der
+Tyrannei seiner oesterreichischen Eroberer zu befreien und
+republikanische Einrichtungen herzustellen, so dass sie, wenn sie
+gelegentlich pluendert, nur ein wenig frei mit dem Eigentum ihrer
+Freunde umgeht, wofuer Italien sogar haette dankbar sein sollen, wenn
+Undankbarkeit nicht die sprichwoertliche Schwaeche der Italiener waere.
+Die Oesterreicher, die sie bekaempfen, haben eine recht ansehnliche
+regulaere, gut disziplinierte Armee, von Herren kommandiert, die in der
+bisher geuebten Kriegskunst erfahren sind, an ihrer Spitze Beaulieu,
+der die klassische Kriegskunst ausuebt, nach Befehlen von Wien aus, und
+von Napoleon fuerchterlich geschlagen wird, der auf eigene Faust
+handelt, ohne Ruecksicht auf militaerisches Herkommen und Befehle aus
+Paris. Selbst wenn die Oesterreicher eine Schlacht gewannen, brauchte
+man nur zu warten, bis sie nach ihrer Gewohnheit in ihre
+Hauptquartiere heimgekehrt waren, sozusagen zum Nachmittagstee, um sie
+dann zurueckzugewinnen, ein Verfahren, das Napoleon spaeter mit
+glaenzendem Erfolge bei Marengo anzuwenden wusste. Mit einem Wort,
+Napoleon versteht es, ohne heroische Wunder zu vollbringen, einem
+Feinde gegenueber unwiderstehlich zu sein, der den Nachteil hat, von
+oesterreichischer Staatsmannschaft, klassischer Generalsweisheit und
+den Forderungen der aristokratischen Wiener Gesellschaft geleitet zu
+werden. Die Welt jedoch liebt Wunder und Helden und ist ganz unfaehig,
+die Handlungsweise solcher Maechte, wie akademischer Militarismus und
+Wiener Boudoirunwesen sind, zu begreifen. Daher hat sie schon
+begonnen, das Wort "l'Empereur" zu praegen, und es dadurch hundert
+Jahre spaeter den Romantikern erschwert, die folgende bis dahin
+unaufgezeichnete kleine Szene zu glauben, die sich in Tavazzano
+ereignet hat. Das beste Quartier in Tavazzano ist ein kleines
+Gasthaus, das erste, das der Wanderer antrifft, der auf dem Wege von
+Mailand noch Lodi den Ort beruehrt. Es steht in einem Weingarten, und
+sein groesstes Zimmer, ein angenehmer Zufluchtsort vor der Sommerhitze,
+ist gegen diesen Weingarten nach rueckwaerts so weit geoeffnet, dass es
+beinahe einer grossen Veranda gleicht. Die mutigeren unter den Kindern,
+die durch Alarmsignale und die Ausfaelle der letzten Tage und durch
+den Einmarsch franzoesischer Truppen um sechs Uhr in grosser Aufregung
+sind, wissen, dass der franzoesische Kommandeur sich in dieses Zimmer
+einquartiert hat, und schwanken zwischen dem Verlangen, durch das
+Vorderfenster verstohlene Blicke hineinzuwerfen, und einer toedlichen
+Angst vor der Schildwache, einem jungen Soldaten aus vornehmer Familie,
+der keinen natuerlichen Schnurrbart besitzt und sich deshalb einen
+sehr martialischen mit Stiefelwichse von seinem Feldwebel hat ins
+Gesicht hineinmalen lassen. Da seine schwere Uniform, wie alle
+Uniformen seiner Zeit, ohne die leiseste Ruecksichtnahme auf seine
+Gesundheit oder seine Bequemlichkeit, lediglich fuer die Parade
+bestimmt ist, schwitzt er fuerchterlich in der Sonne; sein gemalter
+Schnurrbart ist in kleinen Streifen sein Kinn und seinen Hals
+herabgelaufen, mit Ausnahme von jenen Stellen, wo er zu einer Kruste
+wie von japanischem Lack getrocknet ist, und wo seine schoen
+geschweifte Linie durch groteske kleine Buchten und Landzungen
+unterbrochen wird. Alles dies macht ihn unsagbar laecherlich in den
+Augen der Geschichte hundert Jahre spaeter, aber fuerchterlich und
+schrecklich in den Augen der zeitgenoessischen norditalienischen Kinder,
+denen es ganz natuerlich erscheinen wuerde, wenn die Wache die
+Eintoenigkeit des Postenstehens dadurch zu beleben versuchte, dass sie
+ein verlaufenes Kind auf ihr Bajonett spiesste, um es ungekocht zu
+verspeisen. Trotzdem hat ein Maedchen von schlechtem Charakter, an dem
+schon der Sinn fuer ein gewisses Vorrecht, das sie bei den Soldaten hat,
+erwacht ist, sich fuer einen Augenblick verstohlen an das sicherste
+Fenster geschlichen, bis ein Blick und ein Klirren der Wache es
+davonjagt. Was die Kleine zumeist sieht, das hat sie schon frueher
+gesehen: den Weingarten mit der alten Kelter dahinter und einen Karren
+bei den Weinstoecken; die Tuere dicht zu ihrer Rechten, die nach dem
+Eingange des Gasthauses fuehrt, wo des Wirtes bester Schenktisch weiter
+hinten an derselben Seite nun in voller Taetigkeit fuer das Mittagessen
+steht; auf der anderen Seite den Kamin mit einem Sofa in der Naehe und
+eine andere Tuer, die zwischen Kamin und Weingarten in die inneren
+Raeume fuehrt; in der Mitte einen Tisch mit seiner Mahlzeit von
+Mailaender Risotto, Kaese, Trauben, Brot, Oliven und einer grossen, mit
+Weidenzweigen umflochtenen Flasche Rotwein. Der Wirt, Giuseppe Grandi,
+ist auch nichts Neues fuer sie; er ist ein dunkelfarbiger, lebhafter,
+gehoerig heiterer, schwarzlockiger, kugelkoepfiger, grinsender kleiner
+Mann von vierzig Jahren. Schon von Natur ein guter Wirt, ist er heute
+abend in extra guter Laune ueber sein Glueck, den franzoesischen
+Kommandeur als Gast unter seinem Dache zu haben, dessen Gegenwart ihn
+vor den Uebergriffen der Soldaten schuetzt. Er traegt sogar ein Paar
+goldener Ohrringe zur Schau, die er sonst mit seinem kleinen Besitz an
+Silbergeschirr sorgfaeltig unter der Kelter versteckt haben wuerde.)
+
+(Napoleon jedoch, der ihm gegenueber an der hinteren Seite des Tisches
+sitzt, und seinen Hut, seinen Degen und seine Reitpeitsche, die auf
+dem Sofa liegen, sieht das Maedchen zum erstenmal. Er arbeitet hart,
+teils an seiner Mahlzeit, die er in zehn Minuten zu verschlingen weiss,
+indem er alle Gerichte gleichzeitig in Angriff nimmt (diese Gewohnheit
+ist der erste Schritt zu seinem spaeteren Untergange), und teils an
+einer Landkarte, die er aus dem Gedaechtnis verbessert, wobei er
+gelegentlich die Stellungen seiner Streitkraefte kennzeichnet, indem er
+eine Traubenschale aus dem Munde nimmt und sie mit seinem Daumen wie
+eine Oblate auf die Landkarte drueckt. Er hat Schreibmaterial vor sich
+liegen, unordentlich mit den Gerichten und Flaschen vermengt, und sein
+langes Haar faellt bald in die Risottobruehe herab, bald in die Tinte.)
+
+
+
+(Giuseppe.) Wollen Exzellenz....
+
+(Napoleon blickt gespannt auf seine Karte, stopft sich aber mit der
+linken Hand mechanisch den Mund dabei voll): Schwatz' nicht, ich habe
+zu tun.
+
+(Giuseppe in ungetruebt guter Laune:) Wie Sie befehlen, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Bring mir rote Tinte!
+
+(Giuseppe.) Leider habe ich keine, Exzellenz.
+
+(Napoleon mit korsischem Humor:) Toete etwas und bring' mir das Blut.
+
+(Giuseppe grinsend:) Es ist nichts im Hause, als das Pferd Eurer
+Exzellenz, die Schildwache, die Dame im ersten Stock und meine Frau.
+
+(Napoleon.) Toete deine Frau.
+
+(Giuseppe.) Mit groesstem Vergnuegen, Exzellenz. Aber
+ungluecklicherweise ist sie staerker als ich--sie wuerde mich toeten.
+
+(Napoleon.) Das waere ebenso gut.
+
+(Giuseppe.) Exzellenz erweisen mir zu viel Ehre. (Seine Hand nach
+der Flasche ausstreckend:) Vielleicht kann etwas Wein den Zweck
+erfuellen.
+
+(Napoleon beschuetzt die Flasche schnell und wird ganz ernst:) Wein?
+Nein--das waere Verschwendung. Ihr seid alle gleich--Verschwendung!
+Verschwendung! Verschwendung! (Er markiert die Landkarte mit Sauce,
+wobei er die Gabel als Feder benuetzt.) Raeum' ab! (Er leert sein
+Weinglas, stoesst seinen Stuhl zurueck und benuetzt seine Serviette,
+streckt dann die Beine aus und lehnt sich zurueck, aber noch immer die
+Stirn runzelnd und in Gedanken.)
+
+(Giuseppe raeumt den Tisch ab und stellt die Sachen auf ein Tablett,
+das auf dem Buefett steht:) Ein jeder denkt, wie es fuer sein Geschaeft
+taugt, Exzellenz. Wir Gastwirte verfuegen ueber eine Menge billigen
+Wein; wir finden nichts dabei, ihn zu vergiessen,--Ihr grossen Generale
+verfuegt ueber eine Menge billiges Blut: Ihr findet nichts dabei, es zu
+vergiessen. Hab' ich recht, Exzellenz?
+
+(Napoleon.) Blut kostet nichts, Wein kostet Geld. (Er erhebt sich und
+geht an den Kamin.)
+
+(Giuseppe.) Man sagt, dass Sie mit allem sparen, ausser mit
+Menschenleben, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Ein Menschenleben, mein Freund, ist das einzige Ding, das
+sparsam mit sich selbst umgeht. (Er wirft sich behaglich auf das Sofa.)
+
+(Giuseppe ihn bewundernd:) O Exzellenz, wie dumm sind wir alle, mit
+Ihnen verglichen! Wenn ich nur das Geheimnis Ihrer Erfolge erraten
+koennte!
+
+(Napoleon.) Dann wuerdest du dich zum Kaiser von Italien machen, was?
+
+(Giuseppe.) Das waere fuer mich zu muehsam, Exzellenz, ich ueberlasse es
+lieber Ihnen. Ueberdies, was sollte aus meiner Wirtschaft werden,
+wenn ich Kaiser wuerde? Sie sehen mir gerne zu, wie ich mein Gasthaus
+fuer Sie verwalte und Sie bediene. Nun, ich will Ihnen gerne zusehen,
+wie Sie Kaiser von Europa werden und Italien fuer mich regieren.
+(Waehrend er schwaetzt, nimmt er das Tischtuch ab, ohne die Landkarte
+und das Tintenfass wegzunehmen. Er nimmt die Ecken des Tuches in die
+Haende und die Mitte in den Mund, um es zusammenzufalten.)
+
+(Napoleon.) Kaiser von Europa? Was? Warum bloss von Europa?
+
+(Giuseppe.) Sie haben wahrhaftig recht, Exzellenz, warum nicht Kaiser
+der Welt? (Er faltet und rollt das Tischtuch zusammen, und bekraeftigt
+seine Saetze mit den einzelnen Phasen dieses Vorgangs:) Ein Mensch ist
+wie der andre--(er faltet es:) ein Land ist wie das andre, (faltet:)
+eine Schlacht ist wie die andre. (Als er das letzte Stueck gefaltet
+hat, schlaegt er das Tischtuch auf den Tisch, rollt es geschickt
+zusammen and schliesst seinen Redefluss:) Gewinnt man eine, so gewinnt
+man alle. (Er geht mit dem Tischtuch an das Buefett und legt es in
+eine Schublade.)
+
+(Napoleon.) Und fuer alle regieren, fuer alle kaempfen, jedermanns Knecht
+sein unter dem Vorwande, jedermanns Herr zu sein, Giuseppe!
+
+(Giuseppe vor dem Buefett:) Exzellenz--?
+
+(Napoleon.) Ich verbiete dir, mit mir ueber mich zu sprechen.
+
+(Giuseppe geht an das Fussende des Sofas:) Pardon, Exzellenz sind darin
+so ganz verschieden von andren grossen Maennern, die lieben gerade
+dieses Thema am meisten.
+
+(Napoleon.) Gut, sprich mit mir ueber das, was grosse Maenner als
+zweitbestes lieben, was es auch sein mag.
+
+(Giuseppe ohne in Verlegenheit zu geraten:) Zu Befehl, Exzellenz.
+Haben Exzellenz durch irgendeinen Zufall etwas von der Dame da oben zu
+sehen bekommen?
+
+(Napoleon setzt sich sofort auf und sieht ihn mit einem Interesse an,
+das die Frage vollkommen angebracht erscheinen laesst:) Wie alt ist sie?
+
+(Giuseppe.) Sie hat das richtige Alter, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Meinst du siebzehn oder dreissig?
+
+(Giuseppe.) Dreissig, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Ist sie schoen?
+
+(Giuseppe.) Ich kann nicht mit Ihren Augen sehn, Exzellenz! Jeder
+Mann muss das selbst beurteilen. Meiner Meinung nach ist sie eine
+schoene Dame. (Schlau:) Soll ich ihr hier den Tisch fuer das Fruehstueck
+decken?
+
+(Napoleon erhebt sich heftig:) Nein! Deck hier nicht mehr, bevor der
+Offizier, auf den ich warte, zurueckkommt. (Er sieht auf seine Uhr und
+faengt an, zwischen dem Kamin und dem Weingarten auf und ab zu gehn.)
+
+(Giuseppe mit Ueberzeugung:) Exzellenz, glauben Sie mir, er ist von den
+verfluchten Oesterreichern gefangen worden; er wuerde es nicht wagen,
+Sie warten zu lassen, wenn er frei waere.
+
+(Napoleon kehrt sich beim Schatten der Veranda um:) Giuseppe! wenn
+sich herausstellen sollte, dass du recht hast, so wird mich das in eine
+Laune versetzen, dass mich nichts anderes besaenftigen kann, als dich
+und deinen ganzen Haushalt--die Dame dort oben inbegriffen--aufhaengen
+zu lassen!
+
+(Giuseppe.) Wir stehen Ihnen alle gerne zur Verfuegung, Exzellenz! mit
+Ausnahme der Dame. Ich kann fuer sie nicht buergen; aber welche Frau
+koennte Ihnen widerstehen?!
+
+(Napoleon setzt seine Wanderung duester fort:) Hm, du wirst niemals am
+Galgen enden. Es ist kein Vergnuegen dabei, einen Mann zu haengen, der
+nichts dagegen einzuwenden hat.
+
+(Giuseppe liebenswuerdig:) Nicht das geringste, Exzellenz, nicht wahr?
+(Napoleon blickt wieder auf seine Uhr und wird sichtlich unruhig:) Oh,
+man sieht, dass Sie ein grosser Mann sind, Exzellenz! Sie verstehen zu
+warten. Wenn ein Korporal oder ein junger Leutnant an Ihrer Stelle
+waere--nach drei Minuten wuerde er fluchen, toben, drohen und das Haus
+von oben nach unten kehren.
+
+(Napoleon.) Giuseppe, deine Schmeicheleien sind unertraeglich. Geh und
+schwatz draussen. (Er setzt sich wieder an den Tisch, sein Kinn auf
+die Haende, seine Ellbogen auf die Landkarte gestuetzt, und starrt mit
+unruhigem Ausdruck auf sie hin.)
+
+(Giuseppe.) Zu Befehl, Exzellenz, Sie sollen nicht gestoert werden.
+(Er nimmt das Tablett und ist im Begriff, sich zurueckzuziehen.)
+
+(Napoleon.) Sobald er da ist, schick' ihn zu mir herein.
+
+(Giuseppe.) Augenblicklich, Exzellenz.
+
+(Die Stimme einer Dame ruft von irgendeinem entfernten Teil des
+Gasthauses:) Giuseppe! (Die Stimme ist sehr melodisch, und die zwei
+letzten Buchstaben werden in aufsteigender Skala gesungen.)
+
+(Napoleon stutzig:) Was ist das?...
+
+(Giuseppe stuetzt das Ende seines Servierbrettes auf den Tisch und
+beugt sich vertraulich vor:) Die Dame, Exzellenz.
+
+(Napoleon zerstreut:) Ja... was fuer eine Dame... wessen Dame?...
+
+(Giuseppe.) Die fremde Dame, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Was fuer eine fremde Dame?
+
+(Giuseppe achselzuckend:) Wer kann es wissen! Sie ist eine halbe
+Stunde vor Ihnen hier angekommen, in einem Mietwagen, der dem
+"Goldenen Adler" in Borghetto gehoert. Tatsaechlich: sie ganz allein,
+Exzellenz,--ohne Dienerschaft! Eine Handtasche und ein Koffer, das
+war alles. Der Postillon sagte mir, dass sie im "Goldenen Adler" ein
+Pferd gelassen habe, ein Chargenpferd mit militaerischem Sattelschmuck.
+
+(Napoleon.) Eine Frau mit einem Chargenpferd?--Das ist ungewoehnlich.
+
+(Die Stimme der Dame. Die zwei letzten Buchstaben werden jetzt in
+herabsteigender Skala gesungen:) Giuseppe!
+
+(Napoleon springt auf, um zu horchen:) Das ist eine interessante
+Stimme.
+
+(Giuseppe.) Oh es ist eine interessante Dame, Exzellenz. (Ruft:) Ich
+komme schon! ich komme schon, meine Gnaedige! (Er eilt zur inneren Tuer.)
+
+(Napoleon haelt ihn mit starker Hand an der Schulter fest:) Halt! Sie
+soll hierher kommen.
+
+(Die Stimme ungeduldig:) Giuseppe!
+
+(Giuseppe flehentlich:) Lassen Sie mich gehn, Exzellenz. Es ist meine
+Ehrenpflicht als Wirt, zu kommen, wenn man mich ruft. Ich wende mich
+an den Soldaten in Ihnen!
+
+(Eines Mannes Stimme ruft draussen vor der Tuer des Wirtshauses:) Ist
+jemand da? Hallo! Wirt! wo sind Sie? (Es wird heftig mit dem Knopf
+einer Peitsche auf eine Bank in der Einfahrt geschlagen. Napoleon der
+ploetzlich wieder kommandierender Offizier wird, stoesst Giuseppe fort:)
+Da ist er endlich! (Auf die innere Tuer weisend:) Geh, kuemmere dich um
+dein Geschaeft. Die Dame ruft nach dir. (Er geht zum Kamin und steht
+mit dem Ruecken dagegen, mit entschlossenem militaerischem
+Gesichtsausdruck.)
+
+(Giuseppe atemlos, reisst sein Tablett an sich:) Gerne, Exzellenz! (Er
+eilt durch die innere Tuer hinaus.)
+
+(Die Stimme des Mannes ungeduldig:) Schlaeft hier alles? (Die dem
+Kamin gegenueberliegende Tuer wird heftig mit dem Fusse aufgestossen, and
+ein staubbedeckter Leutnant stuerzt in das Zimmer. Er ist ein
+toerichter, junger Bursche von vierundzwanzig Jahren mit der hellen,
+zarten, reinen Haut des vornehmen Mannes und mit jener Selbstsicherheit
+des Aristokraten, welche die franzoesische Revolution nicht im geringsten
+erschuettern konnte. Er hat eine dicke, dumme Lippe, ein eifriges,
+leichtglaeubiges Auge, eine eigensinnige Nase und eine laute selbstbewusste
+Stimme.--Ein junger Mensch ohne Furcht, obne Ehrfurcht, ohne
+Einbildungskraft, ohne Verstand und hoffnungslos unempfaenglich fuer die
+napoleonische oder irgendeine andere Idee. Fabelhaft egoistisch, im
+hoechsten Grade dazu geeignet, dort geraeuschvoll hereinzustuermen, wo
+selbst ein Engel sich fuerchten wuerde, nur den Fuss aufzusetzen, doch von
+einer starken geschwaetzigen Lebenskraft, die ihn mitten in das tollste
+Gewirr der Dinge hetzt. Er kocht eben vor Wut, anscheinend, weil er
+empoert ist, nicht schnell vom Gesinde des Gasthauses bedient zu werden,
+aber ein schaerfer beobachtendes Auge kann eine gewisse moralische
+Niedergeschlagenheit in ihm entdecken, welche andeutet, dass er unter
+einem anhaltenderen und wichtigeren Verdruss leidet. Als er Napoleon
+bemerkt, kommt er genuegend zu sich, um sich zusammenzuraffen und zu
+salutieren. Aber er verraet auf keine Weise durch sein Benehmen etwas
+von jener prophetischen Voraussicht von Marengo und Austerlitz, Waterloo
+und St. Helena oder der Napoleonbilder von Delaroche und Meissonier, die
+die moderne Kultur instinktiv bei ihm voraussetzen wuerde.)
+
+(Napoleon scharf:) Nun, Herr, sind Sie endlich angekommen? Ihr Befehl
+lautete, dass ich um sechs Uhr hier sein wuerde, und dass Sie mich mit
+meiner Pariser Post and meinen Depeschen erwarten sollten! Und jetzt
+fehlen nur noch zwanzig Minuten an acht. Sie wurden als guter Reiter
+fuer diesen Dienst ausersehen, mit dem schnellsten Pferde, das wir im
+Lager haben. Sie kommen hundert Minuten zu spaet und kommen zu Fuss--wo
+ist Ihr Pferd?
+
+(Leutnant zieht verdriesslich seine Handschuhe aus und wirft sie mit
+seiner Muetze und Peitsche auf den Tisch:) Ja, wo ist es? Das gerade
+wuesste ich selber gern, Herr General. (Mit Bewegung:) Sie wissen nicht,
+wie ich dies Pferd geliebt habe.
+
+(Napoleon aergerlich, sarkastisch:) Wirklich! (Mit ploetzlicher
+Besorgnis:) Wo sind die Briefe und Depeschen?
+
+(Leutnant wichtig, eher froh, dass er ganz besondere Nachrichten hat,
+als bekuemmert:) Das weiss ich nicht.
+
+(Napoleon traut seinen Ohren nicht:) Das wissen Sie nicht?!
+
+(Leutnant.) Nicht besser als Sie, Herr General. Nun werde ich wohl
+vor ein Kriegsgericht kommen. Schoen! ich habe nichts dagegen,
+standrechtlich behandelt zu werden, aber (mit feierlichem Entschluss:)
+ich sage Ihnen, Herr General, wenn ich diesen unschuldig aussehenden
+Burschen jemals erwischen sollte,--diesen verschmitzten, kleinen
+Luegner!--dann werde ich seine Schoenheit zurichten... eine Fratze will
+ich aus ihm machen... ich werde---
+
+(Napoleon kommt vom Kamin an den Tisch vor:) Was fuer einen unschuldig
+aussehenden Burschen? Raffen Sie sich zusammen, Mensch--ja?--und
+berichten Sie militaerisch!
+
+(Leutnant steht ihm gegenueber an der anderen Seite des Tisches und
+stuetzt sich mit den Faeusten auf:) Oh ich bin ganz gefasst, Herr
+General--ich bin vollkommen bereit, Rede zu stehen. Ich werde dem
+Kriegsgericht gruendlich klarmachen, dass ich unschuldig bin. Die
+bessere Seite meiner Natur wurde schaendlich ausgenuetzt, und ich schaeme
+mich dessen nicht. Aber mit allem Respekt vor Ihnen, als meinem
+Vorgesetzten, wiederhole ich, Herr General, dass, wenn ich diesem
+Satanssohne jemals wieder begegnen sollte, ich ihn--
+
+(Napoleon aergerlich:) Das haben Sie schon einmal gesagt!
+
+Leutnant richtet sich auf: Und ich wiederhole es: warten Sie nur so
+lange, bis ich ihn erwischt habe!--weiter nichts! (Er kreuzt
+entschlossen die Arme und atmet schwer mit aufeinandergepressten Lippen.)
+
+(Napoleon.) Ich warte, Herr--auf Ihre Aufklaerungen!
+
+(Leutnant zuversichtlich:) Sie werden Ihren Ton aendern, Herr General,
+wenn Sie hoeren, was mir zugestossen ist.
+
+(Napoleon.) Nichts ist Ihnen zugestossen, Mensch! Sie leben und sind
+nicht kampfunfaehig. Wo sind die Papiere, die Ihnen anvertraut wurden?
+
+(Leutnant.) Mir ist nichts zugestossen--nichts? Oho! (Wirft sich in
+Positur, um Napoleon mit seinen Nachrichten zu ueberwaeltigen.) Er hat
+mir ewige Bruderschaft geschworen, war das nichts? Er hat gesagt, dass
+meine Augen ihn an die Augen seiner Schwester erinnerten--war das
+nichts? Er hat geweint--wirkliche Traenen--ueber die Geschichte meiner
+Trennung von Angelica--war das nichts?! Er hat beide Flaschen Wein
+bezahlt, obwohl er selbst nur Brot und Trauben gegessen
+hatte--vielleicht nennen Sie das auch nichts! Er hat mir seine
+Pistolen und sein Pferd und seine Depeschen gegeben--aeusserst wichtige
+Depeschen--und hat mich damit fortgehen lassen--(triumphierend, da er
+sieht, dass er Napoleon in sprachloses Erstaunen versetzt hat:) war das
+nichts?!
+
+(Napoleon schwach vor Erstaunen:) Warum hat er das getan?
+
+(Leutnant als ob der Grund ganz klar waere:) Um mir sein Vertrauen zu
+beweisen. (Napoleons Kiefer faellt nicht gerade herunter, aber seine
+Gelenkbaender werden schlaff. Der Leutnant faehrt mit ehrlicher
+Entruestung fort:) Und ich habe sein Vertrauen auch verdient: ich habe
+ihm alles ehrlich zurueckgegeben. Aber wuerden Sie es glauben, Herr
+General,--als ich ihm meine Pistolen und mein Pferd and meine
+Depeschen anvertraut hatte...
+
+(Napoleon wuetend:) Warum, zum Teufel, haben Sie das getan?
+
+(Leutnant.) Warum?... Um ihm auch meinerseits mein Vertrauen zu
+beweisen, natuerlich. Und er hat mich betrogen, ausgenuetzt, ist nicht
+wiedergekommen--der Dieb--der Schwindler--der herzlose, verraeterische,
+kleine Schuft! Und das--das nennen Sie wahrscheinlich "nichts
+zugestossen"! Aber sehen Sie, Herr General--(haelt sich wieder mit der
+Faust am Tische, um mit groesserer Emphase zu sprechen.) Sie moegen
+diesen Schimpf von den Oesterreichern hinnehmen, wenn Sie wollen; aber
+was mich persoenlich anbelangt--ich sage Ihnen, wenn ich ihn jemals
+erwische--
+
+(Napoleon wendet sich angewidert auf dem Absatz herum, um seine
+Wanderung wieder aufzunehmen:) Ja, ja, das haben Sie schon oft genug
+gesagt.
+
+(Leutnant aeusserst erregt:) Oft genug?... Ich werde es hundertmal
+sagen--und mehr als das: ich werde es tun! Ich werde ihm mein
+Vertrauen zeigen--das werde ich! Ich werde---
+
+(Napoleon.) Ja, ja, Herr Leutnant--gewiss werden Sie das. Was fuer eine
+Art Mensch war er?
+
+(Leutnant.) Nun, ich glaube, nach seinem Benehmen sollten Sie
+schliessen koennen, was fuer eine Art Mensch das war.
+
+(Napoleon.) Pah--Wie sah er aus?
+
+(Leutnant.) Ausgesehen... Er sah aus wie... nun... Sie haetten den
+Burschen bloss mal sehen muessen, dann wuerden Sie einen Begriff davon
+haben, wie er aussieht. Fuenf Minuten, nachdem ich ihn erwischt habe,
+wird er nicht mehr so aussehen. Ich wiederhole Ihnen: wenn ich ihn
+jemals--
+
+(Napoleon ruft wuetend nach dem Wirt:) Giuseppe! (Zum Leutnant, am
+Ende seiner Geduld:) Halten Sie jetzt Ihren Mund, wenn Sie koennen!
+
+(Leutnant.) Ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, dass es umsonst
+ist, zu versuchen, mir die Schuld aufzuhalsen. (Klagend:) Wie haette
+ich wissen sollen, was fuer eine Art Mensch das ist. (Er nimmt einen
+Sessel, der zwischen der aeusseren Tuer und dem Buefett steht, stellt ihn
+an den Tisch und setzt sich.) Wenn Sie eine Ahnung haetten, wie hungrig
+und muede ich bin, wuerden Sie mehr Ruecksicht nehmen.
+
+(Giuseppe zurueckkommend:) Was befehlen Exzellenz?
+
+(Napoleon mit seinem Temperament kaempfend:) Nimm diesen... diesen
+Offizier; gib' ihm zu essen; wenn noetig, bring ihn zu Bett; und wenn
+er dann wieder bei Trost ist, trachte herauszubringen, was ihm
+passiert ist, und lass mich es wissen. (Zum Leutnant.) Betrachten Sie
+sich als Arrestanten, Herr Leutnant.--
+
+(Leutnant aergerlich mit Steifheit:) Darauf war ich vorbereitet. Nur
+ein Edelmann kann einen Edelmann verstehen. (Er wirft seinen Degen
+auf den Tisch, Giuseppe nimmt ihn und bietet ihn Napoleon hoeflich an,
+der ihn heftig auf das Sofa wirft.)
+
+(Giuseppe mit Teilnahme:) Sind Sie von den Oesterreichern ueberfallen
+worden, Herr Leutnant? O weh, o weh!
+
+(Leutnant verachtungsvoll:) Ueberfallen! Ich haette sein Rueckgrat
+zwischen meinem Zeigefinger und Daumen zerbrechen koennen! Wenn ich es
+nur getan haette! Nein! ich bin hineingefallen, weil er an die bessere
+Seite meiner Natur appelliert hat--und darueber kann ich nicht
+hinwegkommen! Er sagte, dass ihm noch nie ein Mensch so gefallen haette
+wie ich, er schlang sein Taschentuch um meinen Nacken, weil mich eine
+Muecke gestochen hatte und mein Kragen mich wund rieb--sehen Sie! (Er
+zieht ein Taschentuch unter seinem Kragen bervor; Giuseppe nimmt und
+untersucht es.)
+
+(Giuseppe zu Napoleon:) Das Taschentuch einer Dame, Exzellenz! (Er
+riecht daran:) Parfuemiert!
+
+(Napoleon.) Wie? (Er nimmt es und betrachtet es aufmerksam:) Hm! (Er
+riecht daran:) Ha! (Er geht, das Taschentuch betrachtend,
+nachdenklich durch das Zimmer und steckt es schliesslich in seine
+Brusttasche.)
+
+(Leutnant.) Jedenfalls passt es zu ihm. Ich bemerkte, dass er
+Weiberhaende hatte, als er mein Genick beruehrte in seiner
+schmeichlerisch taendelnden Art--dieser gemeine, weibische, kleine Hund!
+(Leiser, aber mit schauerlicher Heftigkeit:) Aber glauben Sie meinen
+Worten, Herr General: wenn ich ihn jemals---
+
+(Die Stimme einer Dame draussen wie zuvor:) Giuseppe!
+
+(Leutnant erstarrt:) Was war das?
+
+(Giuseppe.) Nur eine Dame ueber uns, Herr Leutnant, die mich ruft.
+
+(Leutnant.) Eine Dame!
+
+(Stimme.) Giuseppe! Giuseppe! wo bleiben Sie!?
+
+(Leutnant mordlustig:) Wo ist mein Degen? (Er stuerzt an das Sofa,
+ergreift seinen Degen und zieht ihn.)
+
+(Giuseppe springt vor und fasst seinen rechten Arm:) Was faellt Ihnen
+denn ein, Herr Leutnant! Es ist eine Dame: hoeren Sie nicht, dass es
+eine weibliche Stimme ist?
+
+(Leutnant.) Ich sage Ihnen, dass es seine Stimme ist--lassen Sie mich
+los! (Er stuerzt fort und will zur inneren Tuere; da oeffnet sich diese
+vor seiner Nase, und die fremde Dame tritt ein. Sie ist eine sehr
+anziehende Erscheinung, gross und ungewoehnlich grazioes, mit einem zart
+intelligenten, empfindsamen, fragenden Gesicht. Auffassungskraft
+liegt auf ihrer Stirn, Empfindlichkeit in ihren Nasenfluegeln,
+Charakter in ihrem Kinn: im ganzen sieht sie scharfsinnig, vornehm und
+originell aus. Sie ist sehr weiblich, aber durchaus nicht schwach.
+Die geschmeidige, schlanke Gestalt ist kraeftig gebaut, die Haende und
+Fuesse, Hals und Schultern sind keine zerbrechlichen Schmuckstuecke,
+sondern stehen im richtigen Groessenverhaeltnis zu der ganzen Gestalt,
+die die Napoleons und des Wirtes betraechtlich ueberragt und der des
+Leutnants vollkommen gleichkommt; ihre Eleganz und ihr strahlender
+Reiz verdecken indessen ihre Groesse und Kraft. Nach ihrem Kleide zu
+schliessen, ist sie keine Bewunderin der neuesten Mode des Direktoriums,
+oder sie vertraegt vielleicht auf der Reise ihre alten Kleider,
+jedenfalls traegt sie keine Jacke mit auffallenden Aufschlaegen, kein
+nachgemacht griechisches Unterkleid a la Madame Tallien,--nichts,
+wahrhaftig nichts, das die Prinzessin von Lamballe nicht haette tragen
+koennen. Ihr Kleid von gebluemter Seide mit langer Taille ist am Ruecken
+mit einer Watteaufalte versehen, aber die Puffen sind, da sie fuer
+diese zu gross ist, zu blossen Rudimenten verkuerzt. Es ist im Nacken
+ein wenig ausgeschnitten und dort mit einem cremefarbenen Fichu
+geschmueckt. Sie ist von heller Hautfarbe und hat goldbraune Haare und
+graue Augen. Sie tritt mit der Selbstsicherheit einer Frau ein, die
+an die Vorrechte von Rang und Schoenheit gewoehnt ist. Der Wirt, der
+von Natur sehr gute Manieren hat, ist von ihr hoechst eingenommen.
+Napoleon, auf den ihre Augen zuerst fallen, wird sofort verlegen.
+Sein Gesicht roetet sich, er wird steifer und fuehlt sich unsicherer als
+zuvor. Sie bemerkt dies augenblicklich, und, um ihn nicht in
+Verlegenheit zu bringen, wendet sie sich mit einer unendlich
+wohlerzogenen Art--um auch ihm die Ehre eines Blickes zu gewaehren--zu
+dem andern Herrn, der mit Gefuehlen, die ganz unaussprechlich und
+unbeschreiblich sind, auf ihr Kleid starrt, als ob es der Erde erstes
+Meisterwerk an Verraeterei und Verstellung waere. Als sie ihn erkennt,
+wird sie totenblass; ihr Ausdruck kann nicht missverstanden werden. Die
+Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gaenzlich unerwarteten Irrtums
+hat sie jaeh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und
+Siegesgewissheit. Im naechsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter
+dem cremefarbenen Fichu auf und ergiesst sich ueber ihr ganzes Gesicht.
+Man sieht, dass sie am ganzen Leibe erroetet. Selbst der Leutnant, der
+fuer gewoehnlich ganz unfaehig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr
+seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man
+es ihm rot anstreicht. Da er das Erroeten als das unfreiwillige
+Eingestaendnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verraeterei
+auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf
+sie--dann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich
+her in das Zimmer, schlaegt die Tuere zu und pflanzt sich mit dem Ruecken
+davor auf.)
+
+(Leutnant.) Habe ich dich erwischt, Bursche! Du hast dich also
+verkleidet--was? (Mit Donnerstimme:) Zieh diesen Rock aus!
+
+(Giuseppe Verwahrung einlegend:) Aber, Herr Leutnant!
+
+(Dame erschrocken, aber hoechst entruestet, dass er es gewagt hat, sie
+anzuruehren:) Meine Herren, ich wende mich an Sie! Giuseppe! (Macht
+eine Bewegung, als ob sie zu Giuseppe laufen wollte.)
+
+(Leutnant stellt sich dazwischen, den Degen in der Faust:) Nicht von
+der Stelle!
+
+(Dame zu Napoleon fluechtend:) O Herr, Sie sind Offizier--General--Sie
+werden mich beschuetzen--nicht wahr?
+
+(Leutnant.) Kuemmern Sie sich nicht um ihn, Herr General.
+Ueberlassen Sie ihn mir.
+
+(Napoleon.) Ihn? Wen, Mensch? Warum behandeln Sie diese Dame in
+solcher Weise?
+
+(Leutnant.) Dame?... Er ist ein Mann--der Mann, dem ich mein
+Vertrauen geschenkt habe! (Geht drohend vor:) Hierher--du--
+
+(Dame laeuft hinter Napoleon und umklammert in ihrer Aufregung seinen
+Arm, den er instinktiv vor ihr ausstreckt, um sie zu schuetzen:) Oh,
+ich danke Ihnen, Herr General! Halten Sie ihn fern!
+
+(Napoleon.) Unsinn! Das ist ganz bestimmt eine Frau! (Sie laesst
+seinen Arm ploetzlich los und erroetet wieder:) Und Sie sind im Arrest!
+Legen Sie augenblicklich Ihren Degen nieder, Herr Leutnant!
+
+(Leutnant.) Herr General, ich sage Ihnen, er ist ein oesterreichischer
+Spion! Heute nachmittag hat er sich mir gegenueber aufgespielt, als
+gehoerte er zum Stabe General Massenas--und nun spielt er sich Ihnen
+gegenueber als Frau auf. Darf ich meinen eigenen Augen glauben oder
+nicht?
+
+(Dame.) Herr General--das muss mein Bruder gewesen sein--der ist beim
+Stabe General Massenas und sieht mir sehr aehnlich.
+
+(Leutnant den Verstand verlierend:) Wollen Sie damit sagen, dass Sie
+nicht Ihr Bruder, sondern Ihre Schwester sind... die Schwester, die
+mir so aehnlich sieht... die meine schoenen blauen Augen hat? Es war
+eine Luege,--Ihre Augen sind nicht wie die meinen--sie sind genau wie
+Ihre eigenen! Welche Perfidie!
+
+(Napoleon.) Herr Leutnant, wollen Sie meinen Befehlen gehorchen und
+dieses Zimmer verlassen, da Sie endlich ueberzeugt sind, dass diese Dame
+kein Mann ist?
+
+(Leutnant.) Kein Mann, das will ich meinen! Ein Mann wuerde mein
+Vertrauen nie so getaeuscht haben--
+
+(Napoleon am Ende seiner Geduld:) Genug, Mensch, genug! Verlassen Sie
+dieses Zimmer! Ich befehle Ihnen, dieses Zimmer zu verlassen!
+
+(Dame.) O, bitte, ich will lieber gehen.
+
+(Napoleon trocken:) Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor
+Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was fuer ein Interesse ein
+Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann.
+Ich habe einige Fragen an Sie zu richten.
+
+(Giuseppe diskret:) Kommen Sie, Herr Leutnant. (Er oeffnet die Tuere.)
+
+(Leutnant.) Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen.
+Hueten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur. (Zur Dame:) Madame,
+Sie entschuldigen, ich hielt Sie fuer dieselbe Person, nur von
+entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich natuerlich irregefuehrt.
+
+(Dame suess:) Es war doch nicht Ihre Schuld! Ich freue mich, dass Sie
+mir nicht laenger boese sind, Herr Leutnant. (Sie reicht ihm die Hand.)
+
+(Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu kuessen:) Oh, meine Gnaedige,
+nicht im gering... (faehrt zurueck und starrt auf ihre Hand:) Sie haben
+die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er.
+
+(Dame freundlich:) Wir sind Zwillinge.
+
+(Leutnant.) Das erklaert alles. (Er kuesst ihre Hand:) Bitte tausendmal
+um Verzeihung. Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das
+ist mehr Sache des Generals--aber es war der Missbrauch meines
+Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur. (Er nimmt seine Muetze,
+Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:) Ich hoffe, Sie
+entschuldigen, dass ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure
+unendlich. (Er schwaetzt sich aus dem Zimmer hinaus. Giuseppe folgt
+ihm und schliesst die Tuer.)
+
+(Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:) Idiot!
+
+(Dame laechelt liebenswuerdig. Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch
+und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle
+seine Verlegenheit geschwunden:) Wie kann ich Ihnen fuer Ihren Schutz
+danken, Herr General?
+
+(Napoleon wendet sich ploetzlich zu ihr um:) Meine Depeschen! schnell!
+(Er streckt die Hand danach aus.)
+
+(Dame.) Herr General! (Unwillkuerlich greift sie mit den Haenden nach
+dem Fichu, als wolle sie dort etwas beschuetzen.)
+
+(Napoleon.) Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt! Sie haben
+sich als Mann verkleidet! Ich will meine Depeschen haben; sie sind da
+in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren Haenden...
+
+(Dame zieht ihre Haende rasch weg:) Oh, wie unliebenswuerdig Sie mit mir
+sprechen! (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:) Sie aengstigen
+mich! (Sie beruehrt ihre Augen, als wollte sie eine Traene wegwischen.)
+
+(Napoleon.) Ich sehe, dass Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie
+wuerden sich die Muehe ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten.
+
+(Dame tut so, als ob sie zwischen Traenen laecheln wollte:) Doch, ich
+kenne Sie--Sie sind der beruehmte General Buonaparte. (Sie gibt dem
+Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.)
+
+(Napoleon aergerlich, mit franzoesischer Aussprache:) Bonaparte, Madame,
+--Bonaparte!... Die Papiere, wenn's gefaellig ist!
+
+(Dame.) Aber ich versichere Ihnen--(Er reisst ihr das Taschentuch
+heftig aus der Hand:) Herr General! (Entruestet.)
+
+(Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:) Sie
+waren so liebenswuerdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschentuecher zu
+leihen, als Sie ihn beraubten. (Er betrachtet die beiden
+Taschentuecher.) Sie sind einander vollstaendig gleich. (Er riecht
+daran:) Derselbe Duft! (Er wirft beide auf den Tisch.) Ich warte auf
+die Depeschen! Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit
+ebenso wenig Umstaenden wegnehmen, wie dieses Taschentuch. (Das
+duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre spaeter in Victorien Sardous
+Drama "Dora" wieder auf.)
+
+(Dame mit wuerdevollem Vorwurf:) Herr General, bedrohen Sie wehrlose
+Frauen?
+
+(Napoleon grob:) Ja!
+
+(Dame verbluefft, sucht Zeit zu gewinnen:) Aber ich begreife
+nicht--ich ...
+
+(Napoleon.) Sie begreifen sehr gut. Sie sind hierhergekommen, weil
+Ihre oesterreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, dass ich
+sechs Meilen weit von hier entfernt sei. Ich bin immer dort zu finden,
+wo meine Feinde mich nicht erwarten. Sie sind in die Hoehle des Loewen
+geraten. Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine
+vernuenftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere! (Er geht
+drohend einen Schritt vor.)
+
+(Dame bricht in kindischer, ohnmaechtiger Wut zusammen und wirft sich
+in Traenen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen
+gelassen wurde:) Ich--und tapfer! Wie wenig Sie mich kennen. Ich
+habe den Tag in Todesfurcht verbracht! Ich bekomme Brustschmerzen vor
+Herzklopfen bei jedem argwoehnischen Blick und jeder drohenden Bewegung.
+Halten Sie jeden Menschen fuer so tapfer, wie Sie es sind? Oh, warum
+vollbringt ihr tapferen Maenner nicht die tapferen Taten? Warum
+ueberlasst ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben? Ich bin nicht
+tapfer--ich schrecke vor Gewalt zurueck--die Gefahr macht mich elend.
+
+(Napoleon mit Interesse:) Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben?
+
+(Dame.) Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem
+vertrauen. Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der
+keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gefuehl, kein... (Sie
+haelt inne und wirft sich auf die Knie.) Oh, Herr General, lassen Sie
+mich gehn! Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu
+stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schwoere es!
+
+(Napoleon seine Hand ausstreckend:) Ja--ich warte darauf. (Sie
+schnappt nach Luft. Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur
+Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und
+ihr Gerede zu ruehren, aber wie sie starr zu ibm aufblickt, sieht man
+klar, dass sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu
+ueberlisten. Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.)
+
+(Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:) Ich will
+sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer. (Sie wendet sich zur Tuere.)
+
+(Napoleon.) Ich werde Sie begleiten, Madame.
+
+(Dame richtet sich mit einer edlen Gebaerde beleidigten Zartgefuehls auf:)
+Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr
+General.
+
+(Napoleon.) Dann werden Sie hierbleiben, Madame, waehrend ich Ihr
+Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse.
+
+(Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:) Sie koennen sich die
+Muehe ersparen: sie sind nicht dort.
+
+(Napoleon.) Nein. Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind. (Zeigt
+auf ihre Brust.)
+
+(Dame mit niedlicher Klaeglichkeit:) Herr General, ich moechte nur einen
+kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir
+wenigstens den!
+
+(Napoleon kalt und finster:) Ist das eine vernuenftige Bitte, Madame?
+
+(Dame weil er nicht kurzweg abschlaegt, ermutigt:) Nein--aber gerade
+deshalb muessen Sie mir sie bewilligen. Sind Ihre eigenen Wuensche
+vernuenftig? Sie verlangen Tausende von Menschenleben fuer Ihre Siege,
+Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche
+Kleinigkeit! Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein
+tapferer Mann. (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist
+im Begriff, ihm wieder zu Fuessen zu fallen.)
+
+(Napoleon heftig:) Lassen Sie das, lassen Sie das! (Er wendet sich
+aergerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, haelt einen Augenblick inne
+und sagt ueber seine Schulter hinweg:) Sie sprechen Unsinn und Sie
+wissen es. (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser
+Verzweiflung, auf das Sofa. Als er sich umwendet und sie dort
+erblickt, fuehlt er, dass sein Sieg vollstaendig ist und dass er sich
+jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann. Er
+kommt zurueck und setzt sich neben sie. Sie sieht geaengstigt auf und
+rueckt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung
+erglaenzt in ihren Augen. Er beginnt wie einer, der sich ueber einen
+heimlichen Scherz freut:) Woher wissen Sie, dass ich tapfer bin?
+
+(Dame erstaunt:) Sie! General Buonaparte! (Italienische Aussprache.)
+
+(Napoleon.) Ja, ich--General Bonaparte! (Die franzoesische Aussprache
+betonend.)
+
+(Dame.) Oh, wie koennen Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen
+an der Bruecke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell ueber den Fluss hinweg
+auszufechten, waehrend der Tod durch die Luefte sauste! (Schaudernd:)
+Oh, Sie vollbringen Heldentaten!
+
+(Napoleon.) So wie Sie.
+
+(Dame.) Ich? (Mit einem ploetzlichen seltsamen Gedanken:) Oh, Sie sind
+also ein Feigling?
+
+(Napoleon lacht grimmig und schlaegt auf seine Knie:) Das ist die
+einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen duerfen. Der
+Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner Laenge, seinem Alter, seinem
+Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut. (Er steht auf und
+geht, in sich hineinkichernd, mit den Haenden auf dem Ruecken und
+vorgeneigtem Kopf, auf und ab.)
+
+(Dame als ob sie nichts Laecherliches dabei finden koennte:) Ah, Sie
+koennen sich ueber die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht,
+was Furcht ist.
+
+(Napoleon hinter das Sofa tretend:) Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an,
+dass Sie diesen Brief nur haetten bekommen koennen, wenn Sie vorgestern
+ueber die Bruecke bei Lodi zu mir gekommen waeren,--nehmen Sie an, dass
+Sie keinen andern Weg gehabt haetten und dass dies ein sicherer Weg
+war--vorausgesetzt, dass die Kanonenkugeln Sie verschonten. (Sie
+schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den Haenden.) Wuerden
+Sie Angst gehabt haben?
+
+(Dame.) Oh, fuerchterliche Angst! toedliche Angst! (Sie presst ihre
+Haende aufs Herz.) Die blosse Vorstellung schmerzt schon!
+
+(Napoleon unbeugsam:) Wuerden Sie wegen der Depeschen gekommen sein?
+
+(Dame ueberwaeltigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:) Fragen Sie
+mich nicht! Ich haette kommen muessen!
+
+(Napoleon.) Warum?
+
+(Dame.) Weil ich gezwungen gewesen waere. Weil es keinen andern Ausweg
+gegeben haette!
+
+(Napoleon mit Ueberzeugung:) Weil es Sie nach diesem Brief so sehr
+verlangt haette, dass Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst wuerden
+ertragen haben. Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die
+Furcht. Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag,
+ist die einzige, die Sie sowohl beim juengsten Tambour als auch bei mir
+finden werden, die Furcht. Sie ist es, die die Menschen in den Kampf
+treibt: Gleichgueltigkeit macht, dass sie davonlaufen. Furcht ist die
+Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl,
+besser als Sie, besser als irgend ein Weib. Ich sah einst, wie ein
+Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde,
+weil ich mich fuerchtete einzugreifen. Ich fuehlte mich als Feigling
+bis in die Fussspitzen, als ich dabei zusah. Vor sieben Monaten raechte
+ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode
+knallte. Nun--was ist dabei? Hat die Furcht jemals einen Mann von
+irgend etwas, das er wirklich wollte, zurueckgehalten, oder auch nur
+eine Frau? Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen
+zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge
+schauen um den Preis eines Glases Branntwein. Und glauben Sie, dass es
+keine Frauen in der Armee gibt, die tapferer sind als die Maenner, weil
+ihr Leben weniger wert ist? Pah, ich halte gar nichts--weder von
+Ihrer Furcht noch von Ihrem Mut. Wenn Sie bei Lodi zu mir haetten
+kommen muessen, Sie wuerden keine Furcht gehabt haben: einmal auf der
+Bruecke waere vor der Notwendigkeit jedes andere Gefuehl geschwunden--
+vor der Notwendigkeit, Ihren Weg an meine Seite zu finden, um zu
+bekommen, was Sie haben wollten. Und nun nehmen Sie an, dass Sie
+davongekommen waeren mit jenem Brief in Ihrer Hand und um die Erfahrung
+reicher, dass in der Stunde der Not Ihre Furcht Ihnen nicht das Herz
+zusammenschnuerte, sondern die Ausfuehrung Ihres Planes unterstuetzte,
+dass sie aufgehoert haette, "Furcht" zu sein, und sich in Staerke,
+Scharfsinn, verdoppelte Aufmerksamkeit und eiserne Entschlossenheit
+verwandelt haette,--wie wuerden Sie dann antworten, wenn Sie gefragt
+wuerden, ob Sie ein Feigling sind?
+
+(Dame sich erhebend:) Ah, Sie sind ein Held--ein wirklicher Held!
+
+(Napoleon.) Pah! wirkliche Helden gibt es nicht. (Er schlendert durch
+das Zimmer, ihren Enthusiasmus leicht nehmend, aber durchaus nicht
+unzufrieden mit sich, ihn hervorgerufen zu haben.)
+
+(Dame.) O ja--es gibt welche. Es ist ein Unterschied zwischen dem,
+was Sie meinen Mut nennen, und dem Ihrigen. Sie wollten die Schlacht
+bei Lodi fuer niemand andern, als fuer sich selbst gewinnen--nicht wahr?
+
+(Napoleon.) Selbstverstaendlich! (Sich ploetzlich besinnend:)
+Halt--nein! (Er rafft sich ehrfuerchtig zusammen und sagt wie ein Mann,
+der einen frommen Dienst verrichtet:) Ich bin nur ein Diener der
+franzoesischen Republik. Ich folge demuetig den Fusstapfen der Helden
+des klassischen Altertums. Ich gewinne Schlachten fuer die
+Menschheit--fuer mein Vaterland--nicht fuer mich!
+
+(Dame enttaeuscht:) Oh, dann sind Sie doch auch nur ein weibischer Held.
+(Sie setzt sich wieder, den Ellbogen auf die Lehne des Sofas, die
+Wange in die Hand gestuetzt; alle ihre Begeisterung ist gewichen.)
+
+(Napoleon hoechst erstaunt:) Weibisch?!
+
+(Dame teilnahmslos:) Ja, wie ich. (Mit tiefer Melancholie:) Glauben
+Sie, wenn ich jene Depeschen nur fuer mich brauchte, dass ich mich dann
+ihretwegen in eine Schlacht wagen wuerde? Nein! wenn das alles waere,
+wuerde ich nicht einmal den Mut finden, Sie in Ihrem Hotel aufzusuchen.
+Mein Mut ist bloss Sklaverei. Ich weiss damit fuer meine eigenen Zwecke
+nichts anzufangen. Nur aus Liebe, aus Mitleid, aus dem Instinkt
+heraus, einen andern zu retten und zu beschuetzen, kann ich Dinge tun,
+die mich entsetzen.
+
+(Napoleon verachtungsvoll:) Pah! (Er wendet sich geringschaetzig von
+ihr fort.)
+
+(Dame.) Aha! nun begreifen Sie, dass ich nicht wirklich mutig bin.
+(Faellt wieder in aergerliche Teilnahmslosigkeit zurueck.) Aber was fuer
+ein Recht haben Sie, mich zu verachten, wenn Sie Ihre Schlachten auch
+nur fuer andere gewinnen? Fuer Ihr Land, aus Patriotismus--das ist es,
+was ich weibisch nenne: das ist der echte Franzose.
+
+(Napoleon wuetend:) Ich bin kein Franzose!
+
+(Dame unschuldig:) Ich glaubte zu hoeren, dass Sie sagten, Sie haetten
+die Schlacht bei Lodi fuer Ihr Land gewonnen, General Bu... soll ich es
+franzoesisch oder italienisch aussprechen?
+
+(Napoleon.) Sie verlassen sich auf meine Geduld, Madame. Ich wurde
+als franzoesischer Untertan geboren, aber nicht in Frankreich.
+
+(Dame kreuzt ihre Arme am Rande des Sofas und stuetzt sich darauf mit
+einem deutlich aufflammenden Interesse:) Ich glaube, Sie sind
+ueberhaupt nicht als Untertan geboren.
+
+(Napoleon hocherfreut, beginnt einen neuen Spaziergang:) Sieh da! Das
+meinen Sie also?
+
+(Dame.) Ich bin davon durchdrungen!
+
+(Napoleon.) Nun, nun, Sie moegen vielleicht recht haben. (Die
+Selbstgefaelligkeit seiner Beipflichtung faellt ihm selbst auf. Er haelt
+erroetend inne und begibt sich in eine feierliche, den Helden des
+klassischen Altertums nachgeahmte Pose und nimmt einen hoechst
+moralischen Ton an.) Aber wir duerfen niemals ausschliesslich fuer uns
+leben, liebes Kind. Vergessen Sie nie, dass wir immer an andere denken
+sollen, fuer andere arbeiten, sie zu ihrem Besten lenken und regieren.
+Selbstaufopferung ist die Grundlage aller echten Charaktergroesse.
+
+(Dame gibt mit einem Seufzer ihre Stellung wieder auf:) Daran sieht
+man leicht, dass Sie sie selbst nie versucht haben, Herr General.
+
+(Napoleon entruestet, vergisst alles ueber Brutus und Scipio:) Was wollen
+Sie mit diesen Worten sagen, Madame?
+
+(Dame.) Haben Sie nicht beobachtet, dass die Menschen den Wert der
+Dinge, die sie nicht besitzen, immer ueberschaetzen? Die Armen glauben,
+dass sie nichts als Reichtuemer brauchten, um vollkommen gluecklich und
+gut zu sein. Jedermann betet Wahrheit, Reinheit, Selbstlosigkeit aus
+demselben Grunde an,--weil er auf diesen Gebieten keine Erfahrung hat.
+Oh, wenn Sie nur wuessten!
+
+(Napoleon mit aergerlichem Hohn:) Wenn Sie nur wuessten--? Ich bitte Sie,
+haben (Sie) vielleicht Erfahrung darin?
+
+(Dame laesst die Arme fallen und faltet die Haende ueber den Knien, gerade
+vor sich hinblickend:) Ja, ich hatte das Unglueck, gut auf die Welt zu
+kommen. (Einen Augenblick zu ihm aufschauend:) Und ich kann Ihnen
+versichern, es (ist) ein Unglueck, Herr General. Ich bin wirklich
+wahrheitsliebend und selbstlos und alles, was dazu gehoert, aber das
+ist nichts als Feigheit, Mangel an Charakter, Mangel an dem Mut,
+wirklich mit aller Kraft und unbedingt sich selbst treu zu sein.
+
+(Napoleon.) Ha! (Wendet sich rasch zu ihr um, mit einem Aufleuchten
+starken Interesses:)
+
+(Dame ernst, mit wachsendem Enthusiasmus:) Was ist das Geheimnis Ihrer
+Macht? Nur, dass Sie an sich selbst glauben. Sie koennen nur fuer sich
+kaempfen und siegen--fuer niemand sonst. Sie haben keine Angst vor
+Ihrem eigenen Schicksal, Sie zeigen uns, was wir (alle) erreichen
+koennten, wenn wir den Willen und den Mut dazu haetten, und das
+(ploetzlich vor ihm auf die Knie fallend:) ist der Grund, warum wir Sie
+alle anzubeten beginnen. (Sie kuesst seine Haende.)
+
+(Napoleon in Verlegenheit:) Aber--aber--bitte, erheben Sie sich,
+Madame!
+
+(Dame.) Weisen Sie meine Huldigung nicht zurueck. Sie haben ein Recht
+darauf--Sie werden einst als Kaiser ueber Frankreich herrschen----
+
+(Napoleon rasch:) Nehmen Sie sich in acht, das ist Hochverrat!
+
+(Dame darauf bestehend:) Jawohl--als Kaiser ueber Frankreich--dann ueber
+Europa--vielleicht ueber die ganze Welt... Ich bin nur der erste
+Untertan, der Ihnen Treue schwoert. (Kuesst wieder seine Hand.) Mein
+Kaiser!
+
+(Napoleon hebt sie ueberwaeltigt auf:) Ich bitte Sie--nein, nein, Kind,
+das ist Wahnsinn! Gehen Sie, beruhigen Sie sich! (Sie streichelnd:)
+So, so, liebes Kind!
+
+(Dame mit Glueckstraenen kaempfend:) Ja, ich weiss, dass es unverschaemt
+ist, Ihnen Dinge zu sagen, die Sie viel besser als ich wissen muessen.
+Aber Sie sind mir nicht boese--nicht wahr, nein?
+
+(Napoleon.) Boese? Nein, nein, nicht im geringsten, nicht im
+geringsten! Gehen Sie, Sie sind eine sehr gescheite, vernuenftige und
+interessante kleine Frau. (Er streichelt ihre Wangen:) Wollen wir
+Freunde sein?
+
+(Dame hingerissen:) Ihre Freundin! Sie wollen mir gestatten, Ihre
+Freundin zu sein? Oh! (Sie reicht ihm ihre beiden Haende mit einem
+strahlenden Laecheln.) Sie sehen, ich beweise Ihnen mein Vertrauen.
+
+(Napoleon mit einem Wutschrei und blitzenden Augen:) Was?!
+
+(Dame.) Was ist geschehen?
+
+(Napoleon.) Ihr Vertrauen! damit ich Ihnen dafuer mein Vertrauen
+schenken und Ihnen gestatte, mir mit meinen Depeschen davonzugehen--was?
+Ah, Delila, Delila! Sie haben Ihre Kuenste an mir versucht, und ich war
+ein ebenso grosser Einfaltspinsel wie mein Esel von einem Leutnant. (Er
+geht drohend auf sie los.) Geben Sie die Depeschen--schnell! Ich lasse
+jetzt nicht mehr mit mir spassen!
+
+(Dame um das Sofa herumfliehend:) Herr General--
+
+(Napoleon.) Ich sage Ihnen--rasch! (Er geht rasch durch die Mitte des
+Zimmers und vertritt ihr den Weg, als sie sich gegen den Weingarten
+wenden will.)
+
+(Dame bietet ihm die Stirne wie ein gehetztes Tier:) Wie koennen Sie es
+wagen, in diesem Tone mit mir zu sprechen?
+
+(Napoleon.) Wagen?!
+
+(Dame.) Ja--wagen! Wer sind Sie, dass Sie sich herausnehmen duerfen,
+mit mir auf so grobe Weise zu sprechen? Oh, der niedrig geborene,
+gemeine, korsische Abenteurer tritt sehr leicht bei Ihnen zutage.
+
+(Napoleon ausser sich:) Sie Teufelin, Sie--(Wild:) Zum letztenmal:
+Wollen Sie mir die Papiere geben oder soll ich sie Ihnen
+entreissen?--mit Gewalt! (Dame laesst die Haende sinken:) Ja, entreissen
+Sie sie mir--mit Gewalt! (Waehrend er sie anstarrt wie ein
+sprungbereiter Tiger, kreuzt sie in Maertyrerstellung ihre Arme ueber
+der Brust. Diese Geste und Pose wecken augenblicklich Napoleons
+theatralischen Instinkt. Er vergisst seine Wut, um ihr zu zeigen, dass
+er ihr auch im Komoedienspielen gewachsen ist. Er laesst sie einen
+Augenblick in Erwartung, dann hellt sich sein Gesicht ploetzlich auf,
+er legt die Haende mit herausfordernder Kaelte auf den Ruecken, sieht an
+ihr ein paarmal hinauf und hinab, nimmt eine Prise Schnupftabak,
+wischt seine Finger sorgfaeltig ab und steckt sein Taschentuch ein.
+Ihre heroische Pose wird dadurch immer laecherlicher.)
+
+(Napoleon endlich:) Nun?
+
+(Dame verlegen, aber die Arme noch immer in Ergebung gekreuzt:) Nun,
+was wollen Sie beginnen?
+
+(Napoleon.) Ihre Pose verderben!
+
+(Dame.) Sie roher Patron! (Ihre Stellung aufgebend, geht sie an das
+Sofaende, wendet sich mit dem Ruecken dagegen, lehnt sich an und steht
+ihm, mit den Haenden auf dem Ruecken, gegenueber.)
+
+(Napoleon.) So ist's besser. Nun hoeren Sie mir zu. Sie gefallen
+mir--und was mehr ist, ich schaetze Ihre Achtung.
+
+(Dame.) Dann schaetzen Sie, was Sie nicht besitzen.
+
+(Napoleon.) Ich werde sie gleich besitzen. Hoeren Sie: gesetzt den
+Fall, ich wuerde mich von der Achtung, die ich Ihrem Geschlecht, Ihrer
+Schoenheit, Ihrem Heldentum und allem uebrigen schuldig bin, bestimmen
+lassen. Nehmen Sie an, dass ich, obwohl nichts als solch sentimentaler
+Kram zwischen diesen meinen Muskeln und jenen mir so wichtigen
+Papieren stuende, die Sie bei sich haben und die ich haben will and
+auch bekommen werde, nehmen Sie an, dass ich mit der Beute vor mir
+schwankend werden und mit leeren Haenden mich hinwegschleichen wuerde,
+--oder, was noch aerger waere, dass ich meine Schwaeche zu verdecken
+suchte, indem ich den grossen Helden spielte und Ihnen den Gewaltakt
+ersparte, den ich nicht anzuwenden wagte--wuerden Sie mich nicht aus
+der tiefsten Tiefe Ihrer weiblichen Seele verachten? Wuerde irgendeine
+Frau so dumm sein? Nun,--Bonaparte kann zeigen, dass er auch dieser
+Lage gewachsen ist und, wenn noetig, unmaennlich handeln darf.
+Verstehen Sie mich? (Ohne ein Wort au sprechen, richtet sich die Dame
+auf und nimmt ein Paket mit Briefen aus den Brustfalten ihres Kleides.
+Einen Moment fuehlt sie sich versucht, sie ihm ins Gesicht zu werfen,
+aber ihre gute Erziehung haelt sie davon ab, ihrem Herzen auf gemeine
+Weise Luft zu machen. Sie ueberreicht sie ihm hoeflich und wendet bloss
+den Kopf dabei ab. Im Augenblick, als er sie nimmt, eilt sie nach der
+entgegengesetzten Seite des Zimmers, bedeckt ihr Gesicht mit den
+Haenden und setzt sich, indem sie sich umwendet und das Gesicht der
+Stuhllehne zukehrt.)
+
+(Napoleon sich an den Papieren weidend:) Ah, so ist's recht! (Bevor
+er sie oeffnet, blickt er nach ihr hin und sagt:) Sie entschuldigen...
+(Er bemerkt, dass sie ihr Gesicht verdeckt hat.) Sehr boese auf
+mich--wie? (Er bindet das Paket auf, dessen Siegel schon erbrochen
+sind und legt es auf den Tisch, um seinen Inhalt zu untersuchen.)
+
+(Dame ruhig, nimmt ihre Haende herab und zeigt, dass sie nicht weint,
+sondern bloss nachdenkt:) Nein, Sie hatten recht--aber Sie tun mir leid.
+
+(Napoleon haelt in der Taetigkeit, den obersten Brief aus dem Paket zu
+nehmen, inne:) Ich tue Ihnen leid--warum?
+
+(Dame.) Ich werde sehen muessen, wie Sie Ihre Ehre verlieren.
+
+(Napoleon.) Hm... ist das alles? (Er nimmt den Brief in die Hand.)
+
+(Dame.) Und Ihr Glueck.
+
+(Napoleon.) Glueck, meine Liebe, ist mir das langweiligste Ding von der
+Welt. Waere ich, was ich bin, wenn ich mich um Glueck scherte? Sonst
+noch etwas?
+
+(Dame.) Nichts--(Er unterbricht sie mit einem Ausruf der Befriedignng;
+sie faehrt ruhig fort:) als dass Sie eine sehr komische Figur in den
+Augen Frankreichs abgeben werden.
+
+(Napoleon rasch:) Was?! (Die Hand, die den Brief haelt, faellt
+unwillkuerlich herab. Die Dame blickt ihn raetselhaft an und verharrt
+in ruhigem Schweigen. Er wirft den Brief hin und bricht in einen
+Strom von Schmaehungen aus:) Was meinen Sie damit, wie? Beginnen Sie
+Ihre Kunststuecke von neuem? Glauben Sie, dass ich nicht weiss, was
+diese Papiere enthalten?... Ich will es Ihnen sagen. Erstens die
+Verstaendigung ueber Beaulieus Rueckzug... er hat ja nur die Wahl
+zwischen zwei Dingen, die er tun kann, dieser dickkoepfige Idiot!
+Entweder sich in Mantua einschliessen oder die Neutralitaet Venedigs
+durch die Einnahme von Peschiera verletzen. Sie sind einer von den
+Spionen des alten Idioten. Er hat entdeckt, dass er verraten wurde,
+und hat Sie ausgesandt, um diese Nachricht um jeden Preis zu vereiteln.
+Als wenn ihn das vor mir retten koennte, den alten Narren! Die
+andern Papiere enthalten nur meine gewoehnliche Pariser Korrespondenz,
+ueber die Sie nichts wissen.
+
+(Dame rasch und geschaeftsmaessig:) Herr General, lassen Sie uns ehrlich
+teilen: nehmen Sie die Nachrichten, die Ihnen Ihre Spione ueber die
+oesterreichische Armee gesandt haben, und geben Sie mir die Pariser
+Korrespondenz--das soll mir genuegen.
+
+(Napoleon ganz atemlos ueber die Ruhe, mit der sie diesen Vorschlag
+macht:) Ehrlich tei... (Er schnappt nach Luft.) Mir scheint, Madame,
+dass Sie meine Briefe als Ihr rechtmaessiges Eigentum betrachten, dessen
+ich Sie zu berauben versuche!
+
+(Dame ernst:) Nein, bei meiner Ehre, ich verlange keinen Ihrer
+Briefe--nicht ein Wort, das von Ihnen oder an Sie geschrieben wurde.
+Dieses Paket enthaelt einen gestohlenen Brief: einen Brief, den eine
+Frau einem Manne geschrieben hat, einem Manne, der nicht ihr Gatte ist,
+--einen Brief, der Schande, Infamie bedeutet--
+
+(Napoleon.) Einen Liebesbrief?
+
+(Dame bitter-suess:) Was sonst als ein Liebesbrief koennte so viel Hass
+aufruehren?
+
+(Napoleon.) Warum wurde er an mich gesandt? Um den Gatten in meine
+Gewalt zu geben--was?
+
+(Dame.) Nein, nein--er kann Ihnen in keiner Weise nuetzlich sein. Ich
+schwoere Ihnen, dass es Sie nichts kosten wird, wenn Sie ihn mir geben.
+Er wurde Ihnen aus reiner Bosheit zugesandt--einzig und allein, um die
+Frau, die ihn geschrieben hat, zu kompromittieren.
+
+(Napoleon.) Warum hat man ihn nicht ihrem Manne geschickt? Was soll
+ich damit?
+
+(Dame vollkommen aus dem Text gebracht:) Oh! (Sie sinkt in den Stuhl
+zurueck:) Ich... weiss es nicht. (Sie bricht zusammen.)
+
+(Napoleon.) Aha! ich dacht' es gleich,--ein kleiner Roman, um die
+Papiere zurueckzubekommen. (Er wirft das Paket auf den Tisch und tritt
+vor sie hin, in zynisch guter Laune,) Per Bacco, kleine Frau! ich kann
+nicht umhin, Sie zu bewundern! Wenn ich so zu luegen verstuende wie Sie,
+ich koennte, mir viele Muehe ersparen.
+
+(Dame die Haende ringend:) Oh, wie ich wuenschte, dass ich Ihnen wirklich
+bloss eine Luege erzaehlt haette! Dann wuerden Sie mir geglaubt haben!
+Das einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit.
+
+(Napoleon mit roher Vertraulichkeit, behandelt sie, als ob sie eine
+Marketenderin waere:) Ausgezeichnet, ausgezeichnet! (Er legt seine
+Haende hinter sich auf den Tisch und setzt sich mit in die Seite
+gestemmten Armen und weit auseinander gestreckten Beinen auf den Tisch.)
+Gehen Sie! Ich bin ein echter Korse in meiner Vorliebe fuer
+Geschichten! Aber ich koennte sie besser erzaehlen als Sie, wenn ich
+mir's angelegen sein liesse. Wenn man Sie wieder einmal fragen sollte,
+warum man einen Brief, der eine Frau kompromittiert, nicht ihrem
+Gatten schicken soll, dann antworten Sie einfach: Weil ihn der Gatte
+nicht lesen wuerde.--Oder bilden Sie sich ein, Sie kleine Unschuld, dass
+ein Ehemann von der oeffentlichen Meinung gezwungen werden will, eine
+Szene zu machen, ein Duell auszufechten, infolge eines Skandales
+seinen Haushalt aufzugeben, seine Karriere zu zerstoeren, wenn er all
+das verhindern kann, indem er sich huetet, etwas zu wissen?
+
+(Dame empoert:) Und wenn dieses Paket einen Brief ueber Ihre eigene Frau
+enthielte?
+
+(Napoleon beleidigt, den Tisch verlassend:) Sie werden unverschaemt,
+Madame!
+
+(Dame demuetig:) Verzeihen Sie mir--Caesars Frau ist ueber jeden Argwohn
+erhaben.
+
+(Napoleon mit wohlerwogener Ueberlegenheit:) Sie haben eine
+Indiskretion begangen--ich verzeihe Ihnen. In Zukunft erlauben Sie
+sich aber nicht, wirkliche Personen in Ihre Romane einzufuehren.
+
+(Dame hoeflich eine Rede ueberhoerend, die ihr nur eine Vernachlaessigung
+der guten Manieren bedeutet, erhebt sie sich, um an den Tisch zu gehen:)
+Herr General,--es ist wirklich der Brief einer Frau darunter. (Auf
+das Paket zeigend:) Geben Sie ihn mir.
+
+(Napoleon grob und kurz, mit einer Bewegung, die verhindern soll, dass
+sie den Briefen zu nahe kommt:) Warum?
+
+(Dame.) Er ist von einer alten Freundin, wir waren zusammen in der
+Schule; sie hat mir geschrieben und mich angefleht, zu verhindern, dass
+der Brief in Ihre Haende falle.
+
+(Napoleon.) Warum wurde er mir geschickt?
+
+(Dame.) Weil er den Direktor Barras kompromittiert.
+
+(Napoleon die Stirne runzelnd, sichtlich erregt:) Barras? (Hochmuetig:)
+Nehmen Sie sich in acht, Madame. Der Direktor Barras ist mein
+treuer, persoenlicher Freund.
+
+(Dame nickt gelassen:) Ja--Sie wurden durch Ihre Frau mit ihm
+befreundet.
+
+(Napoleon.) Schon wieder! Habe ich Ihnen nicht verboten, von meiner
+Frau zu sprechen? (Sie faehrt fort, ihn neugierig anzublicken, ohne
+diese Zurechtweisung zu beachten. Mehr und mehr erregt, laesst er seine
+hochmuetige Art fallen, die ihm selbst etwas laestig wird, und sagt
+argwoehnisch, mit leiser Stimme:) Wer ist diese Frau, mit der Sie so
+tief sympathisieren?
+
+(Dame.) Oh, Herr General, wie koennte ich Ihnen das sagen?!
+
+(Napoleon uebellaunig, beginnt er wieder aergerlich verwundert auf und
+ab zu gehen:) Ja, ja--die eine hilft der andern--Ihr Weiber seid alle
+gleich!
+
+(Dame entruestet:) Wir sind nicht alle gleich--nicht mehr, als Ihr es
+seid! Glauben Sie, dass, wenn ich einen andern Mann liebte, ich
+vorgeben wuerde, meinen Mann weiter zu lieben, oder mich fuerchten wuerde,
+ihm oder der ganzen Welt alles zu sagen? Aber diese Frau ist nicht
+aus solchem Stoff geschaffen--sie beherrscht die Maenner, indem sie sie
+betruegt, und (verachtungsvoll:) sie lieben das und lassen sich von ihr
+beherrschen. (Sie setzt sich wieder nieder, mit dem Ruecken gegen ihn.)
+
+(Napoleon sich um sie nicht bekuemmernd:) Barras! Barras! (Wendet
+sich drohend gegen sie, sein Gesicht verfinstert sich.) Nehmen Sie
+sich in acht! nehmen Sie sich in acht!--hoeren Sie! Sie koennten zu
+weit gehen!
+
+(Dame wendet ihm unschuldig ihr Gesicht zu:) Was haben Sie?
+
+(Napoleon.) Auf was spielen Sie an? Wer ist diese Frau?
+
+(Dame begegnet seinem aergerlich forschenden Blick mit ruhiger
+Gleichgueltigkeit und bleibt, zu ihm aufsehend, mit uebergeschlagenen
+Beinen sitzen und laesst den rechten Arm leicht auf der Lehne des
+Stuhles ruhen:) Ein eitles, dummes, verschwenderisches Geschoepf, das
+einen sehr faehigen und ehrgeizigen Mann hat, der sie durch und durch
+kennt--der weiss, dass sie ihn ueber ihr Alter, ihr Einkommen, ihre
+soziale Stellung, ueber alles, worueber dumme Frauen Luegen erzaehlen,
+belogen hat,--der weiss, dass sie unfaehig ist, irgendeinem Prinzip oder
+irgendeinem Menschen treu zu sein, und doch nicht umhin kann, sie zu
+lieben,--dessen maennlicher Instinkt ihm sogar erlaubt, sie zu benuetzen,
+um mit ihrer Hilfe bei Barras etwas zu erreichen.
+
+(Napoleon mit einem leisen, kalt wilden Fluestern:) Das ist Ihre Rache,
+Sie Katze, weil Sie mir die Briefe herausgeben mussten!
+
+(Dame.) Unsinn! Oder halten Sie sich selbst fuer so einen Menschen?
+
+(Napoleon ausser sich, schlingt die Haende auf dem Ruecken ineinander,
+seine Finger zucken, und er sagt, waehrend er aufgeregt von ihr fort
+zum Kamin geht:) Dieses Weib wird mich noch um den Verstand bringen!
+(Zu ihr:) Gehen Sie!
+
+(Dame bleibt unbeweglich sitzen:) Nicht ohne jenen Brief.
+
+(Napoleon.) Hinaus, sage ich Ihnen! (Er geht vom Kamin bis gegen den
+Weingarten und wieder zurueck an den Tisch.) Sie werden keinen Brief
+bekommen--Sie gefallen mir nicht! Sie sind ein unausstehliches
+Frauenzimmer and haesslich wie der leibhaftige Satan! Ich lasse mich
+nicht von fremden Weibern belaestigen! Machen Sie, dass Sie fortkommen!
+(Er wendet ihr den Ruecken zu. Sie stuetzt ihre Wange in die Hand und
+lacht in stillem Vergnuegen ueber ihn. Er wendet sich wieder um, ihr
+aergerlich nachahmend:) Hahaha! Worueber lachen Sie?
+
+(Dame.) Ueber Sie, Herr General. Ich habe schon oft Menschen Ihres
+Geschlechtes aufgebracht und sich wie Kinder benehmen sehen, aber ich
+habe das noch nie zuvor an einem wirklich grossen Manne beobachtet.
+
+(Napoleon brutal, ihr die Worte ins Gesicht schleudernd:) Pah!
+Schmeichelei! Schmeichelei! plumpe, unverschaemte Schmeichelei!
+
+(Dame springt mit jaehem Erroeten auf:) Oh, Sie gehen zu weit! Behalten
+Sie Ihre Briefe, lesen Sie darin die Geschichte Ihrer eigenen Schande,
+und moege sie Ihnen gut bekommen! Leben Sie wohl! (Sie geht entruestet
+zur inneren Tuere.)
+
+(Napoleon.) Meine eigene--! Bleiben Sie! Kommen Sie zurueck! Ich
+befehle Ihnen zu bleiben! (Sie missachtet stolz seinen wilden
+befehlshaberischen Ton und setzt den Weg zur Tuer fort. Er springt auf
+sie zu, fasst sie beim Handgelenk and zerrt sie zurueck.) Jetzt werden
+Sie mir sagen, was Sie meinen... erklaeren Sie sich! Erklaeren Sie,
+sage ich Ihnen, sonst--! (Bedroht sie. Sie sieht ihn mit furchtlosem
+Trotz an.) Brr! Sie hartnaeckiger Teufel, Sie! warum wollen Sie eine
+hoefliche Frage nicht beantworten?
+
+(Dame durch seine Heftigkeit tief verletzt:) Warum fragen Sie mich?
+Sie haben ja die Erklaerung.
+
+(Napoleon.) Wo?
+
+(Dame zeigt auf den Tisch mit den Briefen:) Dort! Sie brauchen nur zu
+lesen. (Er nimmt das Paket auf, zoegert, sieht sie argwoehnisch an und
+wirft es wieder hin.)
+
+(Napoleon.) Sie scheinen die Sorge um die Ehre Ihrer alten Freundin
+vergessen zu haben?
+
+(Dame.) Jetzt laeuft sie keine Gefahr mehr: sie versteht ihren Mann
+nicht ganz.
+
+(Napoleon.) Soll ich den Brief also lesen? (Er streckt seine Hand aus,
+als ob er das Paket wieder aufgreifen wollte, den Blick auf sie
+gerichtet.)
+
+(Dame.) Ich sehe nicht, wie Sie jetzt noch vermeiden koennten, ihn zu
+lesen. (Er zieht seine Hand sofort zurueck.) Oh, fuerchten Sie sich
+nicht. Sie werden mancherlei interessante Dinge darin finden.
+
+(Napoleon.) Zum Beispiel?
+
+(Dame.) Zum Beispiel: ein Duell--mit Barras, eine haeusliche Szene,
+einen aufgeloesten Haushalt, einen oeffentlichen Skandal, eine zerstoerte
+Karriere--allerlei interessante Dinge--
+
+(Napoleon.) Hm! (Er sieht sie an, nimmt das Paket und betrachtet es,
+spitzt die Lippen und wiegt es in der Hand, sieht sie dann wieder an,
+nimmt das Paket in seine linke Hand und stellt es hinter seinen Ruecken;
+seine rechte Hand erhebt er, um sich am Hinterkopf zu kratzen, indem
+er sich umwendet und an die Schwelle des Weingartens geht, wo er einen
+Augenblick stehen bleibt und, in tiefe Gedanken versunken, nach den
+Weinreben blickt. Die Dame beobachtet ihn schweigend, mit einiger
+Geringschaetzung. Ploetzlich kommt er wieder zurueck, voll Kraft und
+Entschlossenheit:) Ich will Ihre Bitte erfuellen, Madame. Ihr Mut und
+Ihre Entschlossenheit verdienen einen Erfolg. Nehmen Sie die Briefe,
+fuer die Sie so gut gekaempft haben, und erinnern Sie sich hinfort daran,
+dass Sie den niedrig geborenen, gemeinen, korsischen Abenteurer nach
+der gewonnenen Schlacht dem Besiegten gegenueber ebenso grossmuetig
+gefunden haben, wie er vorher im Angesichte des Feindes unerbittlich
+war. (Er bietet ihr das Paket an.)
+
+(Dame ohne es zu nehmen, ihn hart anblickend:) Ich frage mich, was Sie
+wohl jetzt im Schilde fuehren. (Er wirft das Paket wuetend auf den
+Boden.) Aha! Mir scheint, diesmal habe ich eine Pose verdorben. (Sie
+macht ihm eine huebsche, spoettische Verbeugung.)
+
+(Napoleon hebt die Briefe wieder auf:) Wollen Sie die Briefe nehmen
+und dann gehen? (Geht auf sie los und will sie ihr aufdraengen.)
+
+(Dame um den Tisch herum entwischend:) Nein! ich will Ihre Briefe
+nicht.
+
+(Napoleon.) Vor zehn Minuten wollte Ihnen nichts anderes genuegen.
+
+(Dame den Tisch sorgfaeltig zwischen ihm und sich haltend:) Vor zehn
+Minuten hatten Sie mich noch nicht ueber alles Ertragen beleidigt.
+
+(Napoleon.) Dann... (seine Wut hinunterwuergend:) dann bitte ich Sie um
+Verzeihung.
+
+(Dame kuehl:) Ich danke. (Er bietet ihr mit erzwungener Hoeflichkeit
+das Paket ueber den Tisch an; sie tritt einen Schritt zurueck, aus
+seinem Bereich, und sagt:) Aber wollen Sie denn nicht mehr wissen, ob
+die Oesterreicher in Mantua oder in Peschiera stehen?
+
+(Napoleon.) Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich meine Feinde ohne die
+Mithilfe von Spionen zu besiegen weiss, Madame!
+
+(Dame.) Und den Brief--wollen Sie den nicht lesen?
+
+(Napoleon.) Sie haben gesagt, dass er nicht an mich adressiert ist--ich
+habe nicht die Gewohnheit, anderer Leute Briefe zu lesen. (Er bietet
+ihr das Paket abermals an.)
+
+(Dame.) Wenn dem so ist, dann ist dagegen, dass Sie ihn behalten, gewiss
+nichts einzuwenden. Alles, was ich wollte, war: zu verhindern, dass
+Sie ihn lesen. (Heiter:) Guten Abend, Herr General! (Sie wendet sich
+kuehl nach der inneren Tuere.)
+
+(Napoleon wirft das Paket aergerlich auf das Sofa:) Himmel, gib mir
+Geduld! (Er pflanzt sich entschlossen vor der Tuer auf und verstellt
+ihr so den Weg.) Fehlt Ihnen jeder Sinn fuer persoenliche Gefahr, oder
+gehoeren Sie zu den Frauen, die es lieben, schwarz und blau geschlagen
+zu werden?
+
+(Dame.) Ich danke schoen, Herr General--das muesste zweifellos eine sehr
+reizvolle Sensation sein, aber ich verzichte lieber darauf. Ich will
+einfach nach Hause gehn, weiter nichts. Ich war arglistig genug, Ihre
+Depeschen zu stehlen, aber Sie haben sie zurueckbekommen und haben mir
+verziehen, weil (seinen rhetorischen Tonfall liebenswuerdig
+wiederholend:) Sie nach der gewonnenen Schlacht ebenso grossmuetig gegen
+den Besiegten sind, wie Sie vorher im Angesicht des Feindes
+unerbittlich waren. Wollen Sie mir nicht Lebewohl sagen? (Sie reicht
+ihm freundlich die Hand.)
+
+(Napoleon das Entgegenkommen mit einer Gebaerde massloser Wut
+zurueckweisend, oeffnet die Tuer und ruft wuetend:) Giuseppe! (Lauter:)
+Giuseppe! (Er schlaegt die Tuer zu und kommt in die Mitte des Zimmers.
+Die Dame geht etwas gegen den Weingarten zu, um ihm auszuweichen.)
+
+(Giuseppe erscheint an den Tuer:) Exzellenz befehlen?
+
+(Napoleon.) Wo ist der Narr?
+
+(Giuseppe.) Der Herr Leutnant hat, wie Exzellenz befohlen haben, ein
+gutes Essen bekommen und erweist mir nun die Ehre, mit mir zu wuerfeln,
+um sich die Zeit zu vertreiben.
+
+(Napoleon.) Schick' ihn her--bring ihn herein and komm mit ihm.
+
+(Giuseppe laeuft mit unentwegter Bereitwilligkeit hinaus. Napoleon
+wendet sich zu der Dame und sagt dabei barsch:) Ich muss Sie bitten,
+noch einige Augenblicke hierzubleiben, Madame. (Er geht zum Sofa.
+Sie schreitet vom Weingarten an der entgegengesetzten Seite des
+Zimmers an das Buefett, lehnt sich dagegen und beobachtet ihn. Er
+nimmt das Paket vom Sofa und knoepft es langsam und sorgfaeltig in seine
+Brusttasche, waehrend er sie dabei mit einem Ausdruck betrachtet, der
+besagen soll, dass sie den Zweck seines Vorgehens bald herausfinden und
+ueber diesen Zweck nicht erfreut sein wird. Es wird nichts mehr gesagt,
+bis der Leutnant hereinkommt. Giuseppe folgt ihm und bleibt
+bescheiden in Bereitschaft vor dem Tische stehn. Der Leutnant ohne
+Muetze, ohne Degen und ohne Handschuhe und infolge seiner Mahlzeit in
+viel besserer Laune und besserer Geistesverfassung waehlt die Seite des
+Zimmers, auf der die Dame steht, und wartet sehr behaglich, bis
+Napoleon beginnt.)
+
+(Napoleon.) Herr Leutnant!
+
+(Leutnant ermutigend:) Herr General!
+
+(Napoleon.) Ich kann diese Dame nicht dazu bewegen, mir viele
+Aufklaerungen zu geben; aber es besteht kein Zweifel mehr darueber, dass
+der Mann, der Sie durch seine List dahin brachte, Ihre Pflicht zu
+verletzen, wie sie es bereits zugab, ihr Bruder ist.
+
+(Leutnant triumphierend:) Was habe ich Ihnen gesagt, Herr General?
+
+(Napoleon.) Sie muessen diesen Menschen finden, Ihre Ehre steht auf dem
+Spiel, und der Ausgang des Feldzuges, das Schicksal Frankreichs--Europas
+--der Menschheit vielleicht mag von den Mitteilungen abhaengen, die jene
+Depeschen enthalten.
+
+(Leutnant.) Ja, mir scheint, sie sind wirklich ziemlich wichtig. (Als
+ob er vorher kaum daran gedacht haette.)
+
+(Napoleon energisch:) Sie sind so wichtig, Herr Leutnant, dass ich Sie
+in Gegenwart Ihres Regiments degradieren werde, wenn Sie diese
+Depeschen nicht wiederfinden.
+
+(Leutnant.) Hu! Ich kann Ihnen versichern, dass dem Regimente das
+wenig Spass machen wird.
+
+(Napoleon.) Persoenlich bedaure ich Sie; ich wuerde die Sache, wenn das
+moeglich waere, gerne unterdruecken. Aber ich werde zur Rechenschaft
+gezogen werden, wenn ich nicht nach den Depeschen handle--ich werde
+der ganzen Welt beweisen muessen, dass ich sie niemals bekommen habe,
+was fuer Folgen das auch immer fuer Sie haben mag--es tut mir leid, aber
+Sie sehen, ich kann mir nicht anders helfen.
+
+(Leutnant gutmuetig:) Oh, nehmen Sie sich die Sache nicht zu Herzen,
+Herr General, Sie sind wirklich zu guetig. Was mir auch zustossen
+sollte, ich werde schon irgendwie durchkommen, und wir werden die
+Oesterreicher fuer Sie schlagen--mit oder ohne Depeschen! Ich hoffe,
+Sie werden nicht darauf bestehen, dass ich ganz umsonst sofort Jagd
+nach diesem Burschen mache. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich ihn
+suchen soll.
+
+(Giuseppe ehrerbietig:) Sie vergessen, Herr Leutnant,--er hat Ihr
+Pferd.
+
+(Leutnant auffahrend:) Das hab' ich ganz vergessen. (Entschlossen:)
+Ich werde nach ihm fahnden, Herr General, ich werde dieses Pferd, wenn
+es irgendwo in Italien noch am Leben ist, aufstoebern, und ich werde
+die Depeschen nicht vergessen--seien Sie unbesorgt. Geh', Giuseppe,
+und sattle eines von deinen schaebigen alten Postkutschpferden, waehrend
+ich meine Muetze, meinen Degen und die uebrigen Sachen hole,--schnell,
+marsch! fort mit dir! (Draengt ihn hinaus.)
+
+(Giuseppe.) Sofort, Herr Leutnant, sofort! (Er verschwindet im
+Weingarten, den der Sonnenuntergang roetet.)
+
+(Leutnant auf dem Wege nach der inneren Tuer um sich blickend:) Da
+faellt mir ein, Herr General, habe ich Ihnen meinen Degen gegeben oder
+nicht? Oh, ich erinnere mich jetzt--(verdriesslich:) Das kommt davon,
+wenn man einen Menschen in Arrest setzt! Man weiss dann nie, wo man
+seine sieben Sachen gelassen... (Er schwaetzt sich aus dem Zimmer.)
+
+(Dame noch vor dem Buefett:) Was soll das alles bedeuten, Herr General?
+
+(Napoleon.) Er wird Ihren Bruder nicht finden.
+
+(Dame.) Selbstverstaendlich nicht; weil ich keinen habe.
+
+(Napoleon.) Die Depeschen werden unwiederbringlich verloren sein.
+
+(Dame.) Unsinn! Sie sind in Ihrer Rocktasche.
+
+(Napoleon.) Sie werden einsehen, dass es schwerhalten wird, diese
+abenteuerliche Behauptung zu beweisen.
+
+(Die Dame faehrt auf; er fuegt mit treffendem Nachdruck hinzu:) Diese
+Papiere sind verloren.
+
+(Dame aengstlich, an die Ecke des Tisches vorwaertsschreitend:) Und
+deshalb soll die Karriere dieses ungluecklichen Menschen geopfert
+werden?
+
+(Napoleon.) Seine Karriere?! Der Bursche ist das Schiesspulver nicht
+wert, das er kosten wuerde, wenn ich ihn niederknallen liesse! (Er
+wendet sich verachtungsvoll ab und geht zum Kamin, wo er der Dame den
+Ruecken kehrt.)
+
+(Dame gedankenvoll:) Sie sind sehr hart. Maenner und Frauen sind Ihnen
+nichts als Dinge, dazu da, von Ihnen gebraucht zu werden, selbst wenn
+sie bei dem Gebrauch zugrunde gehn.
+
+(Napoleon wendet sich zu ihr:) Wer von uns beiden hat diesen Burschen
+zugrunde gerichtet--ich oder Sie? Wer hat ihm die Depeschen
+abgelockt? Haben Sie dabei an seine Karriere gedacht?
+
+(Dame naiv bekuemmert um den Leutnant:) Oh, daran habe ich nicht
+gedacht! Es war brutal von mir--aber ich konnte nicht anders, nicht
+wahr? Wie haette ich sonst die Papiere bekommen sollen? (Flehentlich:)
+Herr General, Sie werden ihm die Schande ersparen!
+
+(Napoleon bitter lachend:) Retten Sie ihn, da Sie so gescheit sind!
+Sie waren es ja, die ihn ruiniert hat! (Mit wilder Betonung:) Ich
+hasse einen schlechten Soldaten! (Er geht entschlossen durch den
+Weingarten hinaus; sie folgt ihm einige Schritte mit einer
+beschwoerenden Gebaerde, wird aber durch die Rueckkehr des Leutnants
+aufgehalten, der mit Handschuhen und Muetze und umguertetem Degen
+marschbereit ist. Er durchschreitet das Zimmer nach der aeusseren Tuer
+zu, als sie ihm in den Weg tritt.)
+
+(Dame.) Herr Leutnant!
+
+(Leutnant wichtig:) Sie duerfen mich nicht aufhalten,--Dienst ist
+Dienst, gnaedige Frau.
+
+(Dame flehentlich:) O Herr Leutnant, was wollen Sie meinem armen
+Bruder tun?
+
+(Leutnant.) Lieben Sie ihn sehr?
+
+(Dame.) Ich wuerde sterben, wenn ihm etwas zustiesse--Sie muessen ihn
+verschonen! (Der Leutnant schuettelt duester den Kopf.) Ja, ja, Sie
+muessen--Sie werden... Er darf noch nicht sterben! Hoeren Sie mich!
+Wenn ich Ihnen sage, wo er zu finden ist--wenn ich es unternehme, ihn
+als Gefangenen in Ihre Haende zu liefern, damit Sie ihn dem General
+Bonaparte uebergeben koennen--wollen Sie mir dann als Offizier und
+Edelmann bei Ihrer Ehre schwoeren, nicht mit ihm zu kaempfen oder ihn
+auf irgendeine Weise schlecht zu behandeln?
+
+(Leutnant.) Aber gesetzt den Fall, dass er mich angreift... er hat
+meine Pistolen!
+
+(Dame.) Dazu ist er viel zu feige.
+
+(Leutnant.) Davon bin ich durchaus nicht so ueberzeugt--der ist zu
+allem faehig.
+
+(Dame.) Fuer den Fall, dass er Sie angreifen oder den leisesten
+Widerstand leisten sollte, gebe ich Ihnen Ihr Versprechen zurueck.
+
+(Leutnant.) Mein Versprechen? Ich habe ja noch nichts versprochen.
+--Schauen Sie! Sie sind genau so gerieben wie Ihr Bruder.--Sie haben
+mich auch mittels der besseren Seite meiner Natur uebervorteilen wollen.
+Und wie steht es mit meinem Pferd?
+
+(Dame.) Es ist in unsere Abmachung eingeschlossen, dass Sie Ihr Pferd
+und Ihre Pistolen zurueckbekommen sollen.
+
+(Leutnant.) Bei Ihrer Ehre?
+
+(Dame.) Bei meiner Ehre! (Sie reicht ihm die Hand.)
+
+(Leutnant erfasst sie und haelt sie fest:) Abgemacht! Ich werde mit ihm
+sanft wie ein Lamm umgehen.--Seine Schwester ist eine sehr huebsche
+Frau. (Er versucht, sie zu kuessen.)
+
+(Dame ihm entschluepfend:) O Herr Leutnant, Sie vergessen,--es geht um
+Ihre Karriere--um das Schicksal Europas--der Menschheit vielleicht...
+
+(Leutnant.) Was schert mich das Schicksal der Menschheit! (Ihr
+nachsetzend:) Nur einen Kuss!
+
+(Dame zieht sich hinter den Tisch zurueck:) Nicht, bevor Sie Ihre
+Offiziersehre wiedergewonnen haben. Bedenken Sie--noch ist mein
+Bruder nicht Ihr Gefangener!
+
+(Leutnant verfuehrerisch:) Sie werden mir sagen, wo er ist--nicht wahr?
+
+(Dame.) Ich brauche ihm nur ein vereinbartes Zeichen zu senden, und er
+wird in einer Viertelstunde hier sein.
+
+(Leutnant.) Dann ist er also gar nicht weit?
+
+(Dame.) Nein--sogar ganz nahe. Warten Sie hier auf ihn; sobald er
+meine Botschaft bekommt, wird er sofort hierhereilen, um sich Ihnen zu
+ergeben--verstehen Sie jetzt?
+
+(Leutnant an dessen Verstand zu hohe Anforderungen gestellt werden:)
+Nun, die Sache ist zwar ein wenig kompliziert, aber ich hoffe, es wird
+schon alles in Ordnung sein.
+
+(Dame.) Und jetzt, waehrend Sie auf den Gefangenen warten, glauben Sie
+nicht, dass es besser waere, Sie wuerden mit dem General die Bedingungen
+der Uebergabe vereinbaren?
+
+(Leutnant.) Sehen Sie, wie fuerchterlich verwickelt die Sache ist! Was
+fuer Bedingungen?
+
+(Dame.) Lassen Sie sich von ihm zusichern, dass er Ihre Soldatenehre
+als wiederhergestellt betrachtet, sobald Sie meinen Bruder gefangen
+haben. Unter dieser Bedingung wird er alles versprechen, was Sie
+verlangen.
+
+(Leutnant.) Das ist keine schlechte Idee, ich danke Ihnen. Ich glaube,
+das werde ich doch versuchen.
+
+(Dame.) Tun Sie das. Und vor allem eins: lassen Sie ihn ja nicht
+merken, wie gescheit Sie sind.
+
+(Leutnant.) Ich verstehe:--er koennte neidisch werden.
+
+(Dame.) Sagen Sie ihm nichts anderes, als dass Sie entschlossen sind,
+meinen Bruder gefangenzunehmen oder bei dem Versuche zugrunde zu gehn.
+Er wird Ihnen nicht glauben wollen--dann werden Sie meinen Bruder
+vorfuehren...
+
+(Leutnant unterbrechend, da er nun endlich das Komplott begreift:) Und
+ihn auslachen! Nein, was fuer eine gescheite kleine Frau Sie sind!
+(Rufend:) Giuseppe!
+
+(Dame.) Sch! Kein Wort zu Giuseppe ueber mich! (sie legt ihren Finger
+auf die Lippen, er tut dasselbe; sie blicken einander warnend an; dann
+aendert sie mit einem entzueckenden Laecheln die Gebaerde dahin, dass sie
+ihm einen Kuss zuwirft, und laeuft durch die innere Tuer hinaus.
+Elektrisiert, bricht er in ein kicherndes Frohlocken aus. Giuseppe
+kommt durch die aeussere Tuer zurueck.)
+
+(Giuseppe.) Das Pferd ist bereit, Herr Leutnant.
+
+(Leutnant.) Ich gehe noch nicht gleich. Lauf! suche den General und
+sag ihm, dass ich ihn zu sprechen wuensche.
+
+(Giuseppe den Kopf schuettelnd:) Das ist ganz unmoeglich, Herr Leutnant.
+
+(Leututnant.) Warum?
+
+(Giuseppe.) In dieser boesen Welt kann ein General zwar nach einem
+Leutnant schicken, aber ein Leutnant darf niemals nach einem General
+schicken.
+
+(Leutnant.) Ah, du meinst, das wuerde ihm nicht passen. Nun, du hast
+vielleicht recht. Man muss in diesen Dingen jetzt ungemein vorsichtig
+sein, seit wir eine Republik haben. (Da erscheint, vom Weingarten
+kommend, Napoleon, seinen Rock auf der Brust zuknoepfend, bleich und
+voll nagender Gedanken.)
+
+(Giuseppe der sich der Naehe Napoleons nicht bewusst ist:) Sehr richtig,
+Herr Leutnant, sehr richtig! Ihr seid jetzt in Frankreich alle wie
+die Wirte. Ihr muesst gegen jedermann hoeflich sein.
+
+(Napoleon seine Hand auf Giuseppes Schulter legend:) Und das nimmt der
+Hoeflichkeit ihren ganzen Wert--nicht wahr?
+
+(Leutnant.) Ah, da ist mein Mann!--Herr General, gesetzt den Fall, dass
+ich Ihnen den Burschen stelle--
+
+(Napoleon mit ironischem Ernst:) Sie werden ihn mir nicht stellen,
+mein Freund!
+
+(Leutnant.) Aha! das glauben Sie--aber Sie werden schon sehen, warten
+Sie nur ab! Wenn ich ihn aber doch fangen und Ihnen uebergeben sollte,
+werden Sie dann sagen: wir sind quitt!? Werden Sie dann die
+Geschichte von der Degradierung in Gegenwart meines Regiments fallen
+lassen? Nicht meinetwegen, wissen Sie!--aber kein Regiment laesst sich
+gerne dem Gelaechter der andern Regimenter preisgeben.
+
+(Napoleon ein kalter Schimmer von Humor huscht ueber sein duesteres
+Gesicht:) Was sollen wir mit diesem Offizier beginnen, Giuseppe,
+--alles, was er sagt, ist falsch.
+
+(Giuseppe schlagfertig:) Machen Sie ihn zum General, Exzellenz; dann
+wird alles, was er sagt, richtig sein.
+
+(Leutnant triumphierend:) Haha! (Er wirft sich in Ekstase auf das
+Sofa, um den Witz auszukosten.)
+
+(Napoleon lacht und nimmt Giuseppe bei einem Ohr:) In diesem Wirtshaus
+kommst du nicht zur Geltung, Giuseppe. (Er setzt sich und stellt
+Giuseppe vor sich hin, wie ein Schulmeister seinen Schueler:) Soll ich
+dich mit mir nehmen und einen Mann aus dir machen?
+
+(Giuseppe schuettelt wiederholt rasch den Kopf:) Nein, ich danke Ihnen,
+Herr General. Mein ganzes Leben lang haben Leute versucht, aus mir
+einen Mann zu machen.
+
+Als ich ein Knabe war, wollte unser guter Pastor einen Mann aus mir
+machen, indem er mich lesen und schreiben lehrte; dann wollte der
+Organist zu Melegnano einen Mann aus mir machen, indem er mich im
+Notenlesen unterwies. Spaeter wuerde der rekrutierende Korporal einen
+Mann aus mir gemacht haben, wenn ich ein paar Zoll groesser gewesen waere,
+--aber immer haette das fuer mich Arbeit bedeutet; dazu bin ich aber zu
+faul, dem Himmel sei Dank! So lernte ich statt alldem kochen und
+wurde Wirt, und nun halte ich Dienerschaft fuer die Arbeit und habe
+selber nichts zu tun, als zu schwatzen, was mir ausgezeichnet bekommt.
+
+(Napoleon ihn gedankenvoll anblickend:) Bist du zufrieden?
+
+(Giuseppe in froher Ueberzeugung:) Vollkommen, Exzellenz!
+
+(Napoleon.) Und du hast keinen verzehrenden Teufel im Leibe, der Tag
+und Nacht mit Taten und Siegen gefuettert werden muss--der dich mit dem
+Schweisse deines Koerpers und deines Gehirnes, mit Wochen von
+Herkulesarbeiten zehn Minuten des Genusses bezahlen laesst, der
+gleichzeitig dein Sklave und dein Tyrann ist, dein Genius und dein
+Verhaengnis--der dir mit der einen Hand eine Krone reicht und das Ruder
+eines Galeerensklaven mit der andern--der dir alle Koenigreiche der
+Erde zeigt und dich zu ihrem Herrn zu machen verspricht unter der
+Bedingung, dass du ihr Diener wirst?--Von alledem hast du nichts im
+Leibe?
+
+(Giuseppe.) Nichts dergleichen. Aber ich versichere Ihnen, Exzellenz,
+mein verzehrender Teufel ist weit schlimmer; er bietet mir weder
+Kronen noch Koenigreiche: er erwartet alles umsonst von mir zu
+bekommen--Wuerste, Omeletten, Trauben, Kaese, Polenta, Wein--taeglich
+dreimal, Exzellenz, nichts Geringeres will ihm genuegen.
+
+(Leutnant.) Hoer' auf, Giuseppe!--Deine Worte machen mich wieder
+hungrig. (Giuseppe verbeugt sich, sich entschuldigend und zieht sich
+von dem Gespraeche zurueck. Er macht sich am Tische zu schaffen, staubt
+ihn ab, legt die Landkarte zurecht and rueckt Napoleons Stuhl, den die
+Dame zurueckgestossen hat, wieder an seinen richtigen Platz.)
+
+(Napoleon wendet sich zum Leutnant mit sardonischer Feierlichkeit:)
+Ich hoffe, dass ich nicht ehrgeizige Gefuehle in Ihnen erweckt habe.
+
+(Leutnant.) Durchaus nicht. Ich fliege nicht so hoch,--ueberdies ist
+es besser, dass ich so bleibe wie ich bin. Maenner wie ich werden
+gerade jetzt in der Armee gebraucht. Die Revolution passte naemlich
+ganz gut fuer Zivilisten, aber fuer die Armee taugt sie nichts. Sie
+wissen, wie Soldaten sind, Herr General: sie bestehen darauf, Maenner
+von Rang zu Ihren Offizieren zu haben. Ein Leutnant muss ein Edelmann
+sein, weil er mit den Soldaten soviel in Beruehrung kommt; aber ein
+General oder selbst ein Oberst kann aus dem schlechtesten Ausschuss
+entnommen werden, wenn er sein Geschaeft gut genug versteht. Ein
+Leutnant ist ein Edelmann, alles andere ist Zufall. Was glauben Sie,
+wer hat die Schlacht bei Lodi gewonnen? Ich will es Ihnen sagen: mein
+Pferd.
+
+(Napoleon erhebt sich:) Ihre Dummheit fuehrt Sie zu weit,--nehmen Sie
+sich in acht!
+
+(Leutnant.) Durchaus nicht. Sie erinnern sich doch an die heftige
+Kanonade von einem Flussufer zum andern: die Oesterreicher bombardierten
+Sie, um Ihren Uebergang zu verhindern, und Sie bombardierten die
+Oesterreicher, um sie davon abzuhalten, dass Sie die Bruecke in Brand
+setzten. Haben Sie bemerkt, wo ich waehrend dieser Zeit gewesen bin?
+
+(Napoleon mit drohender Hoeflichkeit:) Ich bedaure--ich glaube, ich war
+in diesem Augenblick zu sehr beschaeftigt.
+
+(Giuseppe mit eifriger Bewunderung:) Man erzaehlt sich, dass Sie von
+Ihrem Pferde abgesprungen sind und die grossen Kanonen mit eigenen
+Haenden abgeprotzt haben, Herr General!
+
+(Leutnant.) Das war ein Missgriff: ein Offizier sollte sich nie dazu
+hergeben, die Arbeit seiner Untergebenen zu verrichten. (Napoleon
+sieht ihn gefahrdrohend an und beginnt wie ein Tiger auf und ab zu
+gehen.) Aber Sie koennten noch jetzt ganz zwecklos auf die Oesterreicher
+feuern, wenn wir Kavalleristen nicht die Furt gefunden haetten, ueber
+den Fluss gesetzt waeren und Sie dadurch unterstuetzt haetten, dass wir
+Beaulieus Flanke von Ihnen abwendeten. Sie wuerden es nicht gewagt
+haben--und Sie wissen das selbst sehr genau--den Befehl zu geben, die
+Bruecke stuermen zu lassen, wenn Sie uns nicht auf dem jenseitigen Ufer
+gesehen haetten. Deshalb sage ich, dass nur der Entdecker jener Furt
+die Schlacht bei Lodi gewonnen hat.--Nun, und wer hat sie
+entdeckt?--Ich war der erste Mann, der sie ueberschritt, und ich weiss
+es--mein Pferd hat sie gefunden. (Mit Ueberzeugung, waehrend er sich
+vom Sofa erhebt:) Eigentlich hat mein Pferd die Oesterreicher besiegt.
+
+(Napoleon zornig:) Sie Idiot, ich werde Sie erschiessen lassen, weil
+Sie die Depeschen verloren haben! Ich werde Sie vor die Muendung einer
+Kanone binden and in die Luft sprengen lassen! Andere Massregeln sind
+ja nicht imstande, Eindruck auf Sie zu machen. (Ihn anbruellend:)
+Hoeren Sie! verstehen Sie! (Ein franzoesischer Offizier tritt
+unbeachtet ein, seinen in der Scheide befindlichen Degen in der Hand.)
+
+(Leutnant uneingeschuechtert:) Wenn ich ihn nicht erwischen werde, Herr
+General, nur dann! Bedenken Sie das Wenn!
+
+(Napoleon.) Wenn! wenn!... Esel! dieser Mann existiert ueberhaupt
+nicht!
+
+(Der Offizier tritt ploetzlich zwischen sie und spricht mit der
+unverkennbaren Stimme der fremden Dame:) Herr Leutnant, ich bin Ihr
+Gefangener! (Sie bietet ihm ihren Degen.--Sie sind sprachlos vor
+Erstaunen. Napoleon start sie einen Augenblick, wie vom Donner
+geruehrt, an, reisst sie dann am Handgelenk rauh zu sich hin, betrachtet
+sie wild aus der Naehe, um ihre Identitaet selbst festzustellen, denn es
+beginnt rasch zu dunkeln und der rote Schein ueber dem Weingarten
+weicht einem hellen Sternenlicht.)
+
+(Napoleon.) Pah! (Er laesst mit einem Ausruf des Widerwillens ihre Hand
+fahren und wendet ihr duester blickend den Ruecken zu, seine Hand in den
+Brustfalten des Waffenrockes.)
+
+(Leutnant nimmt triumphierend den Degen:) Dieser Mann existiert
+ueberhaupt nicht--was, Herr General? (Zu der Dame:) Ich frage Sie: wo
+ist mein Pferd?
+
+(Dame.) Es wartet gesund in Borghetto auf Sie, Herr Leutnant.
+
+(Napoleon sich zu ihnen wendend:) Wo sind die Depeschen?
+
+(Dame.) Das wuerden Sie niemals erraten--die sind an dem
+unwahrscheinlichsten Orte von der Welt. Hat jemand von Ihnen meine
+Schwester hier gesehen?
+
+(Leutnant.) Ja! sehr huebsche Dame! Sie sieht Ihnen ganz wunderbar
+aehnlich, aber natuerlich ist sie viel huebscher.
+
+(Dame geheimnisvoll:) Nun--wissen Sie aber auch, dass sie eine
+gefaehrliche Hexe ist?
+
+(Giuseppe laeuft auf sie zu und bekreuzigt sich:) O nein, nein, nein!
+Es ist gefaehrlich, mit solchen Dingen zu scherzen! Ich kann das in
+meinem Hause nicht dulden, Exzellenz!
+
+(Leutnant.) Ja, lassen Sie das. Sie sind mein Gefangener, das wissen
+Sie. Selbstverstaendlich glaube ich nicht an so einen Unsinn; aber es
+ist doch kein Ding, mit dem man spassen sollte.
+
+(Dame.) Es ist aber so, ich spreche vollkommen ernst. Meine Schwester
+hat den Herrn General behext. (Giuseppe und der Leutnant weichen von
+Napoleon zurueck.) Herr General, oeffnen Sie Ihren Rock, und Sie werden
+die Depeschen in Ihrer Brusttasche finden. (Sie legt ihre Hand rasch
+auf seine Brust.) Ja, hier sind sie--ich kann sie fuehlen... Nun?
+(Sie sieht ihm ins Gesicht, halb schmeichlerisch, halb spoettisch.)
+Wollen Sie mir gestatten, Herr General--? (Sie fasst einen Knopf, als
+ob sie seinen Rock aufknoepfen wollte, und wartet auf Erlaubnis.)
+
+(Napoleon unergruendlich:) Wenn Sie es wagen.
+
+(Dame.) Ich danke Ihnen. (Sie oeffnet seinen Rock und nimmt die
+Depeschen heraus.) Da sind sie! (Zu Giuseppe, ihm die Depeschen
+zeigend:) Sehen Sie?
+
+(Giuseppe zur aeusseren Tuer fliehend:) Nein--um Gottes willen; Sie sind
+behext!
+
+(Dame sich zu dem Leutnant wendend:) Hier, Herr Leutnant, Sie fuerchten
+sich doch nicht vor den Papieren.
+
+(Leutnant zurueckweichend:) Zehn Schritt vom Leibe! (Den Knauf des
+Degens erfassend:) Ich sage Ihnen, zehn Schritt vom Leibe!
+
+(Dame zu Napoleon:) Die Schriftstuecke gehoeren Ihnen, Herr General,
+nehmen Sie sie!
+
+(Giuseppe.) Beruehren Sie sie nicht, Exzellenz! Machen Sie sich damit
+nicht zu schaffen!
+
+(Leutnant.) Seien Sie vorsichtig, Herr General,--seien Sie vorsichtig!
+
+(Giuseppe.) Verbrennen Sie sie--und verbrennen Sie die Hexe dazu!
+
+(Dame zu Napoleon:) Soll ich sie verbrennen?
+
+(Napoleon gedankenvoll:) Ja... verbrennen Sie sie.--Giuseppe, geh' und
+hole ein Licht.
+
+(Giuseppe zitternd und stammelnd:) Muten Sie mir wirklich zu, dass ich
+allein gehen soll... im Dunkeln... wo eine Hexe im Hause ist...
+
+(Napoleon.) Pah! Du bist ein Feigling! (Zum Leutnant:) Sie werden
+mich verbinden, wenn Sie gehen wollen, Herr Leutnant.
+
+(Leutnant sich verwahrend:) Oh! gestatten Sie mir zu bemerken, Herr
+General... nein, Sie wissen... niemand kann nach Lodi sagen, dass ich
+ein Feigling bin... aber von mir zu verlangen, dass ich allein im
+Dunkeln gehen soll... ohne eine Kerze... nach so einer schauerlichen
+Unterhaltung... das ist ein bisschen zuviel!--Wuerden Sie selbst so
+etwas gerne tun?
+
+(Napoleon gereitzt:) Sie weigern sich also, meinem Befehle zu
+gehorchen?
+
+(Leutnant entschlossen:) Ja, das tu' ich. Es ist unbillig, so was zu
+verlangen--aber ich will Ihnen sagen, wozu ich bereit bin: wenn
+Giuseppe geht, dann will ich mit ihm gehn und ihn beschuetzen.
+
+(Napoleon zu Giuseppe:) Du hoerst... Wird dir das genuegen? Macht, dass
+ihr fortkommt, alle beide!
+
+(Giuseppe demuetig mit zitternden Lippen:) Sehr gerne--wie Sie befehlen,
+Exzellenz! (Er geht widerstrebend nach der inneren Tuere.) Der Himmel
+schuetze mich! (Zum Leutnant:) Nach Ihnen, Herr Leutnant!
+
+(Leutnant.) Es waere besser, du gingest voraus--ich weiss den Weg nicht.
+
+(Giuseppe.) Er ist nicht zu verfehlen. Ueberdies (flehentlich die
+Hand auf seinen Armel legend:) ich bin nur ein armer Wirt, und Sie
+sind ein Edelmann!
+
+(Leutnant.) Da hast du nicht so unrecht. Da--du brauchst keine solche
+Angst zu haben--nimm meinen Arm. (Giuseppe tut es.) So ist's recht...
+(Sie gehen Arm in Arm hinaus. Jetzt ist es sternenhelle Nacht. Die
+Dame wirft das Paket auf den Tisch, setzt sich behaglich auf das Sofa
+und geniesst die Freude, von ihren Unterroecken befreit zu sein.)
+
+(Dame.) Nun, Herr General--ich habe Sie doch besiegt!
+
+(Napoleon geht auf und ab:) Sie haben sich der Unzartheit, der
+Unweiblichkeit schuldig gemacht. Halten Sie dieses Kleid, das Sie da
+tragen, fuer schicklich?
+
+(Dame.) Es scheint mir dem Ihrigen sehr aehnlich zu sein.
+
+(Napoleon.) Pfui! ich erroete fuer Sie!
+
+(Dame naiv:) Ja?... Soldaten erroeten so leicht! (Er brummt und
+wendet sich ab. Sie blickt ihn schelmisch an, die Depeschen in ihrer
+Hand wiegend.) Wollen Sie diese da nicht lesen, bevor wir sie
+verbrennen, General? Sie muessen vor Neugierde sterben. Werfen Sie
+einen Blick hinein. (Sie wirft das Paket auf den Tisch und wendet das
+Gesicht davon ab.) Ich will nicht hinsehen.--
+
+(Napoleon.) Ich habe keinerlei Neugierde, Madame. Aber da Sie selbst
+augenscheinlich darauf brennen, sie zu lesen, erlaube ich Ihnen, es zu
+tun.
+
+(Dame.) Oh! ich hab' sie schon gelesen.
+
+(Napoleon auffabrend:) Was?!
+
+(Dame.) Das war das erste, was ich getan habe, als ich auf dem Pferde
+dieses armen Leutnants davongeritten bin. Sie sehen also: ich weiss,
+was darin steht; aber Sie wissen es nicht.
+
+(Napoleon.) Sie entschuldigen--ich habe sie auch gelesen, als ich vor
+zehn Minuten draussen im Weingarten spazieren ging.
+
+(Dame aufspringend:) Oh, Herr General! ich habe Sie nicht besiegt!
+Ich bewundere Sie unendlich! (Er lacht und streichelt ihre Wangen.)
+Diesmal wirklich und wahrhaftig, ohne Hintergedanken. Ich huldige
+Ihnen! (Kuesst seine Hand.)
+
+(Napoleon sie rasch zurueckziehend:) Brrr! tun Sie das nicht. Genug
+der Hexerei!
+
+(Dame.) Ich moechte Ihnen etwas sagen--doch Sie wuerden es
+missverstehen.
+
+(Napoleon.) Braucht Sie das zu hindern?
+
+(Dame.) Also, das ist es: ich bete einen Mann an, der sich nicht
+fuerchtet, gemein und selbstsuechtig zu sein.
+
+(Napoleon entruestet:) Ich bin weder gemein noch selbstsuechtig!
+
+(Dame.) Oh, Sie tun sich selbst unrecht. Ueberdies, ich meine ja
+nicht wirklich gemein und selbstsuechtig.
+
+(Napoleon.) Ich danke Ihnen--ich dachte, Sie meinten es vielleicht
+doch!
+
+(Dame.) Na ja, natuerlich mein' ich es auch in gewissem Sinne. Aber
+was ich bewundere, das ist eine gewisse starke Einfachheit in Ihnen.
+
+(Napoleon.) Das klingt schon besser.
+
+(Dame.) Sie wollten die Briefe nicht lesen; aber Sie waren neugierig,
+zu wissen, was darinnen steht. Sie gingen also in den Garten und
+lasen sie, als niemand zusah, und kamen dann zurueck und taten so, als
+ob Sie sie nicht gelesen haetten. Das ist wohl das gemeinste, was ich
+jemals einen Mann habe tun sehen; aber es erfuellte gerade Ihren Zweck,
+und so haben Sie sich nicht im geringsten geschaemt oder gefuerchtet, es
+zu tun.
+
+(Napoleon kurz angebunden:) Wo haben Sie all diese niedrigen Skrupeln
+aufgelesen?--(Mit verachtungsvollem Nachdruck:) Dieses "Ihr Gewissen"?
+Ich habe Sie fuer eine Dame gehalten--eine Aristokratin. Bitte, war
+Ihr Grossvater vielleicht ein Kraemer?
+
+(Dame.) Nein, er war Englaender.
+
+(Napoleon.) Das erklaert alles. Die Englaender sind eine Nation von
+Kraemern. Nun begreife ich, warum Sie mich besiegt haben.
+
+(Dame.) Aber, ich habe Sie nicht besiegt--und ich bin keine
+Englaenderin.
+
+(Napoleon.) Doch, das sind Sie! Englisch bis in die Fingerspitzen.
+Hoeren Sie mir zu, ich will Ihnen die Englaender erklaeren.
+
+(Dame erpicht darauf, es sru hoeren:) Ich bitte. (Mit gespannter Miene
+einen intellektuellen Genuss erwartend, setzt sie sich auf das Sofa und
+bereitet sich vor, ihm zuzuhoeren. Seines Publikums sicher, rafft sich
+Napoleon sofort zu einer Vorstellung auf. Er ueberlegt ein bisschen,
+bevor er beginnt, um ihre Aufmerksamkeit durch eine Pause zu erhoehen.
+Anfangs ahmt er den Stil Talmas in Corneilles "Cinna" nach, aber in
+der Dunkelheit geht etwas davon verloren, und Talma macht bald
+Napoleon Platz, dessen Stimme mit ueberraschender Heftigkeit durch die
+Daemmerung bricht.)
+
+(Napoleon.) Es gibt dreierlei Menschen auf Erden: die Kleinen, die
+Mittleren und die Grossen. Die Kleinen und die Grossen sind einander in
+einem Punkte gleich: sie haben keinerlei Skrupel, keinerlei Moral,
+--die Kleinen stehen tief unter der Moral, die Grossen hoch ueber ihr.
+Ich fuerchte sie beide nicht! Denn die Kleinen sind skrupellos, ohne
+Wissen--sie machen mich deshalb zu ihrem Abgott; die Grossen sind
+ebenso skrupellos, ohne starkes Wollen, sie beugen sich deshalb vor
+meinem Willen. Sehen Sie: ich werde ueber all das niedere Volk und
+ueber all die Hoefe Europas hinweggehen wie die Pflugschar ueber ein
+Ackerfeld. Die Mittelklasse aber, die ist gefaehrlich. Sie besitzt
+beides: Wissen and Wollen. Aber auch sie hat ihre schwache Seite: das
+Gewissen. Sie ist voller Skrupel,--an Haenden and Fuessen durch Moral
+und Ehrenhaftigkeit gefesselt.
+
+(Dame.) Dann werden Sie die Englaender ueberholen; denn alle Kraemer
+gehoeren zur Mittelklasse.
+
+(Napoleon.) Nein! Denn die Englaender sind eine Rasse fuer sich. Kein
+Englaender steht zu tief, um Skrupel zu haben, und keiner hoch genug,
+um von ihrer Tyrannei befreit zu sein. Aber jeder Englaender kommt mit
+einem wunderbaren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der Erde macht.
+Wenn der Englaender etwas will, gesteht er sich nie ein, dass er es
+will. Er wartet geduldig, bis in ihm--Gott weiss wie--die tiefe
+Ueberzeugung erwacht, dass es seine moralische und religioese Pflicht sei,
+diejenigen zu unterwerfen, die das haben, was er will. Dann wird er
+unwiderstehlich. Wie der Aristokrat, tut er, was ihm gefaellt, und
+schnappt nach dem, wonach ihn geluestet. Wie der Kraemer, verfolgt er
+seinen Zweck mit dem Fleiss und der Beharrlichkeit, die von starker,
+religioeser Ueberzeugung und dem tiefen Sinn fuer moralische
+Verantwortlichkeit herruehren. Er ist nie in Verlegenheit um eine
+wirksame, moralische Pose. Als grosser Vorkaempfer der Freiheit und der
+nationalen Unabhaengigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz
+von ihr und nennt das "Kolonisation". Wenn er einen neuen Markt fuer
+seine schlechten Manchesterwaren braucht, schickt er Missionaere aus,
+die den Wilden das Evangelium des Friedens verkuenden muessen. Die
+Wilden toeten den Missionar; nun eilt er zu den Waffen, zur
+Verteidigung des Christentums, kaempft and siegt fuer seinen Glauben und
+nimmt als goettliche Belohnung den Markt in Besitz. Zur Verteidigung
+seiner Inselgestade nimmt er einen Schiffsgeistlichen an Bord, nagelt
+eine Flagge mit einem Kreuz an den Hauptmast and segelt so bis ans
+Ende der Welt, und bohrt in den Grund, verbrennt und zerstoert alles,
+was ihm die Herrschaft auf dem Meere streitig macht. Er prahlt damit,
+dass jeder Sklave frei werde, sobald sein Fuss britischen Boden betritt;
+dabei verkauft er die Kinder seiner Armen, kaum dass sie sechs Jahre
+alt sind, an Fabrikherren und laesst sie taeglich sechzehn Stunden
+unter der Peitsche Sklavenarbeit verrichten. Er macht zwei
+Revolutionen und erklaert dann im Namen des Gesetzes und der Ordnung
+der unsern den Krieg. Nichts ist so schlecht und nichts so gut, dass
+Sie es einen Englaender nicht werden vollbringen sehen, aber Sie werden
+einem Englaender niemals beweisen koennen, dass er im Unrecht ist. Denn
+er tut alles aus Grundsatz. Er fuehrt Krieg aus patriotischem
+Grundsatz, er betruegt aus geschaeftlichem Grundsatz, er macht freie
+Voelker zu Sklaven aus reichspolitischem Grundsatz, er behandelt Euch
+grob aus maennlichem Grundsatz, er haelt treu zu seinem Koenige aus
+loyalem Grundsatz und schlaegt seinem Koenige aus republikanischem
+Grundsatz den Kopf ab. Seine Losung ist dabei immer nur seine
+"Pflicht." Und er vergisst nie, dass die Nation verloren ist, die ihre
+Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu finden ist. Er...
+
+(Dame.) Uh! uh! uh! Halten Sie einen Augenblick inne! Ich moechte
+wissen, wie Sie auf Grund dieser Beobachtungen aus mir eine
+Englaenderin machen wollen.
+
+(Napoleon seinen rhetorischen Stil fallen lassend:) Das ist einfach
+genug. Sie wollten einige Briefe, die mir gehoerten. Sie haben den
+Morgen damit verbracht, sie zu stehlen... jawohl, sie zu
+stehlen--durch Strassenraub. Und Sie haben den Nachmittag damit
+verbracht, mich darueber ins Unrecht zu setzen, indem Sie annahmen, dass
+ich es war, der Ihre Briefe stehlen wollte. Denn Sie haben mir
+einreden wollen, dass meine Gemeinheit and Selbstsucht und Ihre Guete,
+Ihre Ergebenheit and Ihre Selbstaufopferung an allem schuld seien.
+Das ist englisch!
+
+(Dame.) Unsinn! ich weiss zu gut, wie wenig ich Englaenderin bin. Die
+Englaender sind ein sehr dummes Volk.
+
+(Napoleon.) Ja, zu dumm manchmal, um zu wissen, wann sie geschlagen
+sind. Aber ich gebe zu, dass Ihr Gehirn nicht englisch ist. Sie sehen:
+obwohl Ihr Grossvater ein Englaender war, war Ihre Grossmutter
+wohl--was? Franzoesin?
+
+(Dame.) O nein! Irlaenderin.
+
+(Napoleon rasch:) Irlaenderin...? (Gedankenvoll:) Ja, ich vergass--die
+Irlaender... Eine englische Armee, gefuehrt von einem irischen General:
+die koennte sich messen mit einer franzoesischen Armee, die von einem
+italienischen General befehligt wird. (Er haelt inne und fuegt halb
+scherzend, halb traurig hinzu:) Wie immer es sei... Sie haben mich
+besiegt--und was einen Mann zuerst besiegt, das wird ihn auch zuletzt
+besiegen. (Er tritt gedankenvoll in den im Mondlicht gebadeten
+Weingarten hinaus und blickt nach oben. Sie stiehlt sich an seine
+Seite und wagt es, ihre Hand auf seine Schulter zu legen, ueberwaeltigt
+von der Schoenheit der Nacht und ermutigt durch ihre Dunkelheit.)
+
+(Dame sanft:) Wonach blicken Sie?
+
+(Napoleon nach aufwaerts zeigend:) Nach meinem Stern.
+
+(Dame.) Glauben Sie an ihn?
+
+(Napoleon.) Ja. (Sie sehen einen Augenblick nach dem Stern hin; sie
+lehnt sich ein wenig an seine Schulter.)
+
+(Dame.) Wissen Sie, dass man in England sagt, eines Mannes Stern sei
+unvollstaendig ohne das Strumpfband einer Frau?[*]
+
+[Footnote *: Eine Anspielung auf den Stern eines Ordens und den
+Hosenbandorden.]
+
+(Napoleon entruestet, schuettelt sie kurz ab und kommt zurueck in das
+Zimmer:) Pah! die Heuchler! Wenn die Franzosen so etwas sagten,
+wuerden sie in frommem Schauder abwehrend die Haende erheben. (Er geht
+nach der inneren Tuere und haelt sie offen.) He! Giuseppe! wo bleibt
+das Licht, Mensch? (Er kommt zwischen den Tisch und das Buefett und
+rueckt den zweiten Stuhl an den Tisch, neben seinen eigenen:) Wir
+muessen den Brief noch verbrennen. (Er hebt das Paket auf. Giuseppe
+kommt zurueck. Noch bleich und zitternd, traegt er in der einen Hand
+einen Armleuchter mit ein paar brennenden Kerzen und eine breite
+Lichtputzschere in der andern.)
+
+(Giuseppe klaeglich, waehrend er das Licht auf den Tisch stellt:)
+Exzellenz, wonach haben Sie eben da draussen ausgeschaut? (Er zeigt
+ueber seine Schulter nach dem Weingarten, fuerchtet sich aber,
+umherzublicken.)
+
+(Napoleon das Paket aufmachend:) Was geht dich das an?
+
+(Giuseppe stammelnd:) Weil die Hexe fort ist--verschwunden... und
+niemand hat sie fortgehen sehn.
+
+(Dame hinter ihm aus dem Weingarten tretend:) Wir haben sie beobachtet,
+wie sie auf ihrem Besenstiel zum Mond hinaufgeritten ist. Giuseppe,
+Sie werden sie nie wiedersehen!
+
+(Giuseppe.) Jesus Maria! (Er bekreuzigt sich und eilt hinaus.)
+
+(Napoleon wirft die Briefe in einem Haufen auf den Tisch:) Nun, also!
+(Er setzt sich auf den Stuhl, den er eben hingestellt hat.)
+
+(Dame.) Ja; aber Sie wissen doch--den bewussten Brief haben Sie noch in
+Ihrer Tasche. (Er laechelt, nimmt einen Brief aus der Tasche und wirft
+ihn auf die Spitze des Haufens. Sie hebt ihn auf, betrachtet Napoleon
+und sagt:) Caesars Frau betreffend.
+
+(Napoleon.) Caesars Frau ist ueber allen Verdacht erhaben--verbrennen
+Sie ihn.
+
+(Dame nimmt den Brief mit der Lichtputzschere und haelt ihn damit an
+die Kerzenflamme:) Waere Caesars Frau wohl ueber allen Verdacht erhaben,
+wenn sie uns beide hier sitzen saehe--? Wer weiss--?
+
+(Napoleon ihre Worte mechanisch wiederholend, die Ellbogen auf den
+Tisch und die Wangen in die Haende gestuetzt, den Brief betrachtend:)
+Wer weiss--? (Die fremde Dame legt den angezuendeten Brief auf das
+Lichtputzbrett und setzt sich neben Napoleon in der gleichen Stellung,
+die Ellbogen auf den Tisch, die Wangen in die Haende gestuetzt, und
+sieht zu, wie er verbrennt. Als er verkohlt, wenden sie beide
+gleichzeitig ihre Blicke davon ab und sehen einander an. Der Vorhang
+gleitet langsam herab und entzieht sie den Blicken.)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Mann des Schicksals, von
+Bernard Shaw.
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS ***
+
+This file should be named 7dmds10.txt or 7dmds10.zip
+Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7dmds11.txt
+VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7dmds10a.txt
+
+Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our eBooks one year in advance
+of the official release dates, leaving time for better editing.
+Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
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+can get to them as follows, and just download by date. This is
+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
+indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
+announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
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+Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92,
+91 or 90
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+Just search by the first five letters of the filename you want,
+as it appears in our Newsletters.
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+We produce about two million dollars for each hour we work. The
+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
+eBooks Year Month
+
+ 1 1971 July
+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
+ 2000 1999 December
+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
+ 4000 2001 October/November
+ 6000 2002 December*
+ 9000 2003 November*
+10000 2004 January*
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+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
+to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
+
+We need your donations more than ever!
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+and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
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+that have responded.
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+Please feel free to ask to check the status of your state.
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+request donations in all 50 states. If your state is not listed and
+you would like to know if we have added it since the list you have,
+just ask.
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+not yet registered, we know of no prohibition against accepting
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+deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
+ways.
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+[Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only
+when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by
+Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be
+used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be
+they hardware or software or any other related product without
+express permission.]
+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*
+
diff --git a/old/7dmds10.zip b/old/7dmds10.zip
new file mode 100644
index 0000000..4c691eb
--- /dev/null
+++ b/old/7dmds10.zip
Binary files differ
diff --git a/old/8dmds10.txt b/old/8dmds10.txt
new file mode 100644
index 0000000..eb63045
--- /dev/null
+++ b/old/8dmds10.txt
@@ -0,0 +1,2675 @@
+The Project Gutenberg EBook of Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw
+
+Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the
+copyright laws for your country before downloading or redistributing
+this or any other Project Gutenberg eBook.
+
+This header should be the first thing seen when viewing this Project
+Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the
+header without written permission.
+
+Please read the "legal small print," and other information about the
+eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is
+important information about your specific rights and restrictions in
+how the file may be used. You can also find out about how to make a
+donation to Project Gutenberg, and how to get involved.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
+
+
+Title: Der Mann des Schicksals
+
+Author: George Bernard Shaw
+
+Release Date: February, 2006 [EBook #9802]
+[This file was first posted on October 18, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS ***
+
+
+
+
+E-text prepared by Michalina Makowska
+
+
+
+
+
+
+
+This Etext is in German.
+
+We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format,
+known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email--
+and one in 8-bit format, which includes higher order characters--
+which requires a binary transfer, or sent as email attachment and
+may require more specialized programs to display the accents.
+This is the 8-bit version.
+
+
+
+
+
+DER MANN DES SCHICKSALS
+
+Komödie in einem Akt
+
+Bernard Shaw
+
+(Übersetztung von Siegfried Trabitsch)
+
+
+Diese Komödie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker"
+veröffentlicht und aufgeführt.
+
+
+
+
+
+
+
+PERSONEN
+
+Napoleon
+Ein Leutnant
+Eine fremde Dame
+Giuseppe
+Grandi, Gastwirt
+
+
+Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von
+Mailand nach Lodi.
+
+(Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Straße
+von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die
+Ebenen der Lombardei. Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die
+Ameisenhügel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden
+Schweine und Ochsen in den Dörfern belästigt, noch verletzt durch das
+kühle Verhalten der Kirchen gegenüber ihrem Licht. Verachtungsvoll
+lacht sie jedoch über zwei Horden schädlicher Insekten, nämlich der
+österreichischen und der französischen Armee. Vor zwei Tagen, bei
+Lodi, hatten die Österreicher die Franzosen zu hindern versucht, den
+Fluß auf der dort befindlichen schmalen Brücke zu überschreiten. Aber
+die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjährigen General,
+Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, überschritten
+dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Brücke, unterstützt von
+einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand
+anlegte. Das Schießen mit Kanonen ist seine technische Spezialität.
+Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein
+Meister in den militärischen Künsten, sich von seinen Pflichten zu
+drücken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den
+Krieg mit dem Lärm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf
+allen militärischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist. Er ist
+jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des
+Schießpulvers als erster herausgefunden, daß eine Kanonenkugel den
+Mann, den sie trifft, unfehlbar töten muß. Dem gründlichen Erfassen
+dieser bemerkenswerten Entdeckung fügte er eine höchst entwickelte
+Fähigkeit für physikalische Geographie und für die Berechnung von Zeit
+und Entfernungen hinzu. Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und
+eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf
+öffentliche Angelegenheiten, die er während der französischen
+Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat. Er hat
+Einbildungskraft ohne Illusionen, und schöpferischen Geist ohne
+Religion, Loyalität, Patriotismus oder irgendeines der landläufigen
+Ideale, obwohl er dieser nicht unfähig ware; im Gegenteil: er hat sie
+alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine
+dramatische Fähigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines
+Schauspielers und Bühnenleiters äußerst geschickt auszuspielen. Dabei
+ist er durchaus kein verzogenes Kind. Armut, Mißgeschick, die Kniffe
+einer ärmlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfälle als
+Autor, die Demütigungen eines zurückgestoßenen Strebers, die Verweise
+und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu
+ertragen hat, haben das verhindert. Er entging sogar nur mit knapper
+Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden. Wenn recht
+Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants
+zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert hätte, würde er mit
+Verachtung aus dem Heere ausgestoßen worden sein. Alle diese
+Schicksale haben ihm jede Selbstüberschätzung ausgetrieben und ihn
+gezwungen, genügsam zu sein und zu begreifen, daß die Welt einem Manne
+seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann.
+Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit. Denn ein
+erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es
+war, ist der Welt von Nutzen. Man kann sogar heute nicht in England
+leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, daß
+es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Cäsar erobert wurde.)
+
+(An jenem Mainachmittag des Jahres 1796 jedoch ist es noch früh in
+seinem Leben. Er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt und erst kürzlich
+General geworden, teilweise mit Hilfe seiner Frau, die er dazu benutzt
+hat, das Direktorium (das damals Frankreich regierte) zu verführen,
+und teilweise durch den bereits erwähnten, infolge der Auswanderung
+entstandenen Mangel an Offizieren. Aber auch dank seiner Fähigkeit,
+ein Land mit all seinen Straßen, Flüssen, Hügeln und Tälern wie die
+Fläche seiner eigenen Hand zu kennen, und vor allem dank seinem neuen
+Glauben an die Wirkung der Kanonen auf Menschen. Seine Armee war, was
+die Disziplin betrifft, in einem Zustand, der moderne Historiker, vor
+denen das folgende Stück aufgeführt worden ist, so sehr entsetzt hat,
+daß sie, eingeschüchtert von dem späteren Ruhme des "Empereur", sich
+geweigert haben, an solche Vorkommnisse zu glauben. Aber Napoleon ist
+noch nicht "l'Empereur", es wurde ihm eben erst der Titel "le petit
+caporal" verliehen, und er ist im Begriff, durch renommistische
+Tapferkeit Einfluß auf seine Leute zu gewinnen. Er ist nicht in der
+Lage, seinen Willen nach orthodoxer militärischer Art mit Hilfe der
+neunschwänzigen Katze bei ihnen durchzusetzen. Die französische
+Revolution, die nur durch die monarchische Gewohnheit, den Soldaten
+den Lohn wenigstens vier Jahre lang schuldig zu bleiben, dem Schicksal,
+unterdrückt zu werden, entging, hat, wo es irgend anging, diesen
+Brauch durch die Gewohnheit ersetzt, überhaupt keinen zu zahlen.
+Statt dessen werden die Leute mit Versprechungen und patriotischen
+Schmeicheleien abgespeist, die mit dem Militärgeist preußischer Art
+unvereinbar gewesen wären. Napoleon hat sich daher als ein
+Befehlshaber von zerlumpten Leuten ohne Geld, die nicht aufgelegt sind,
+sich viel Disziplin gefallen zu lassen, namentlich nicht von
+emporgekommenen Generälen, den Alpen genähert. Dieser Umstand, der
+einen idealistischen Soldaten in Verlegenheit gebracht hätte, ersetzte
+Napoleon tausend Kanonen. Er sprach zu seinen Soldaten: "Ihr habt
+Patriotismus und Mut; aber ihr habt kein Geld, keine Kleidung und kaum
+etwas zu essen. In Italien gibt es all diese Dinge und Ruhm noch dazu
+für eine ergebene Armee, die von einem General geführt wird, der
+Plünderung als das natürliche Recht des Soldaten betrachtet. Ich bin
+ein solcher General. En avant, mes enfants!"--Das Resultat hat ihm
+vollkommen recht gegeben. Seine Soldaten eroberten Italien, wie die
+Wanderheuschrecken Cypern erobert haben. Sie kämpften den ganzen Tag
+und marschierten die ganze Nacht, legten unmögliche Entfernungen
+zurück, tauchten an unmöglichen Orten auf,--aber nicht etwa, weil
+jeder Soldat wußte, daß er den Marschallstab in seinem Tornister trage,
+sondern weil jeder hoffte, am nächsten Tage wenigstens ein halbes
+Dutzend silberner Gabeln fort zu tragen. Zugleich muß man sich
+darüber klar sein, daß die französische Armee nicht mit der
+italienischen Krieg führt. Sie ist nur da, um Italien von der
+Tyrannei seiner österreichischen Eroberer zu befreien und
+republikanische Einrichtungen herzustellen, so daß sie, wenn sie
+gelegentlich plündert, nur ein wenig frei mit dem Eigentum ihrer
+Freunde umgeht, wofür Italien sogar hätte dankbar sein sollen, wenn
+Undankbarkeit nicht die sprichwörtliche Schwäche der Italiener wäre.
+Die Österreicher, die sie bekämpfen, haben eine recht ansehnliche
+reguläre, gut disziplinierte Armee, von Herren kommandiert, die in der
+bisher geübten Kriegskunst erfahren sind, an ihrer Spitze Beaulieu,
+der die klassische Kriegskunst ausübt, nach Befehlen von Wien aus, und
+von Napoleon fürchterlich geschlagen wird, der auf eigene Faust
+handelt, ohne Rücksicht auf militärisches Herkommen und Befehle aus
+Paris. Selbst wenn die Österreicher eine Schlacht gewannen, brauchte
+man nur zu warten, bis sie nach ihrer Gewohnheit in ihre
+Hauptquartiere heimgekehrt waren, sozusagen zum Nachmittagstee, um sie
+dann zurückzugewinnen, ein Verfahren, das Napoleon später mit
+glänzendem Erfolge bei Marengo anzuwenden wußte. Mit einem Wort,
+Napoleon versteht es, ohne heroische Wunder zu vollbringen, einem
+Feinde gegenüber unwiderstehlich zu sein, der den Nachteil hat, von
+österreichischer Staatsmannschaft, klassischer Generalsweisheit und
+den Forderungen der aristokratischen Wiener Gesellschaft geleitet zu
+werden. Die Welt jedoch liebt Wunder und Helden und ist ganz unfähig,
+die Handlungsweise solcher Mächte, wie akademischer Militarismus und
+Wiener Boudoirunwesen sind, zu begreifen. Daher hat sie schon
+begonnen, das Wort "l'Empereur" zu prägen, und es dadurch hundert
+Jahre später den Romantikern erschwert, die folgende bis dahin
+unaufgezeichnete kleine Szene zu glauben, die sich in Tavazzano
+ereignet hat. Das beste Quartier in Tavazzano ist ein kleines
+Gasthaus, das erste, das der Wanderer antrifft, der auf dem Wege von
+Mailand noch Lodi den Ort berührt. Es steht in einem Weingarten, und
+sein größtes Zimmer, ein angenehmer Zufluchtsort vor der Sommerhitze,
+ist gegen diesen Weingarten nach rückwärts so weit geöffnet, daß es
+beinahe einer großen Veranda gleicht. Die mutigeren unter den Kindern,
+die durch Alarmsignale und die Ausfälle der letzten Tage und durch
+den Einmarsch französischer Truppen um sechs Uhr in großer Aufregung
+sind, wissen, daß der französische Kommandeur sich in dieses Zimmer
+einquartiert hat, und schwanken zwischen dem Verlangen, durch das
+Vorderfenster verstohlene Blicke hineinzuwerfen, und einer tödlichen
+Angst vor der Schildwache, einem jungen Soldaten aus vornehmer Familie,
+der keinen natürlichen Schnurrbart besitzt und sich deshalb einen
+sehr martialischen mit Stiefelwichse von seinem Feldwebel hat ins
+Gesicht hineinmalen lassen. Da seine schwere Uniform, wie alle
+Uniformen seiner Zeit, ohne die leiseste Rücksichtnahme auf seine
+Gesundheit oder seine Bequemlichkeit, lediglich für die Parade
+bestimmt ist, schwitzt er fürchterlich in der Sonne; sein gemalter
+Schnurrbart ist in kleinen Streifen sein Kinn und seinen Hals
+herabgelaufen, mit Ausnahme von jenen Stellen, wo er zu einer Kruste
+wie von japanischem Lack getrocknet ist, und wo seine schön
+geschweifte Linie durch groteske kleine Buchten und Landzungen
+unterbrochen wird. Alles dies macht ihn unsagbar lächerlich in den
+Augen der Geschichte hundert Jahre später, aber fürchterlich und
+schrecklich in den Augen der zeitgenössischen norditalienischen Kinder,
+denen es ganz natürlich erscheinen würde, wenn die Wache die
+Eintönigkeit des Postenstehens dadurch zu beleben versuchte, daß sie
+ein verlaufenes Kind auf ihr Bajonett spießte, um es ungekocht zu
+verspeisen. Trotzdem hat ein Mädchen von schlechtem Charakter, an dem
+schon der Sinn für ein gewisses Vorrecht, das sie bei den Soldaten hat,
+erwacht ist, sich für einen Augenblick verstohlen an das sicherste
+Fenster geschlichen, bis ein Blick und ein Klirren der Wache es
+davonjagt. Was die Kleine zumeist sieht, das hat sie schon früher
+gesehen: den Weingarten mit der alten Kelter dahinter und einen Karren
+bei den Weinstöcken; die Türe dicht zu ihrer Rechten, die nach dem
+Eingange des Gasthauses führt, wo des Wirtes bester Schenktisch weiter
+hinten an derselben Seite nun in voller Tätigkeit für das Mittagessen
+steht; auf der anderen Seite den Kamin mit einem Sofa in der Nähe und
+eine andere Tür, die zwischen Kamin und Weingarten in die inneren
+Räume führt; in der Mitte einen Tisch mit seiner Mahlzeit von
+Mailänder Risotto, Käse, Trauben, Brot, Oliven und einer großen, mit
+Weidenzweigen umflochtenen Flasche Rotwein. Der Wirt, Giuseppe Grandi,
+ist auch nichts Neues für sie; er ist ein dunkelfarbiger, lebhafter,
+gehörig heiterer, schwarzlockiger, kugelköpfiger, grinsender kleiner
+Mann von vierzig Jahren. Schon von Natur ein guter Wirt, ist er heute
+abend in extra guter Laune über sein Glück, den französischen
+Kommandeur als Gast unter seinem Dache zu haben, dessen Gegenwart ihn
+vor den Übergriffen der Soldaten schützt. Er trägt sogar ein Paar
+goldener Ohrringe zur Schau, die er sonst mit seinem kleinen Besitz an
+Silbergeschirr sorgfältig unter der Kelter versteckt haben würde.)
+
+(Napoleon jedoch, der ihm gegenüber an der hinteren Seite des Tisches
+sitzt, und seinen Hut, seinen Degen und seine Reitpeitsche, die auf
+dem Sofa liegen, sieht das Mädchen zum erstenmal. Er arbeitet hart,
+teils an seiner Mahlzeit, die er in zehn Minuten zu verschlingen weiß,
+indem er alle Gerichte gleichzeitig in Angriff nimmt (diese Gewohnheit
+ist der erste Schritt zu seinem späteren Untergange), und teils an
+einer Landkarte, die er aus dem Gedächtnis verbessert, wobei er
+gelegentlich die Stellungen seiner Streitkräfte kennzeichnet, indem er
+eine Traubenschale aus dem Munde nimmt und sie mit seinem Daumen wie
+eine Oblate auf die Landkarte drückt. Er hat Schreibmaterial vor sich
+liegen, unordentlich mit den Gerichten und Flaschen vermengt, und sein
+langes Haar fällt bald in die Risottobrühe herab, bald in die Tinte.)
+
+
+
+(Giuseppe.) Wollen Exzellenz....
+
+(Napoleon blickt gespannt auf seine Karte, stopft sich aber mit der
+linken Hand mechanisch den Mund dabei voll): Schwatz' nicht, ich habe
+zu tun.
+
+(Giuseppe in ungetrübt guter Laune:) Wie Sie befehlen, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Bring mir rote Tinte!
+
+(Giuseppe.) Leider habe ich keine, Exzellenz.
+
+(Napoleon mit korsischem Humor:) Töte etwas und bring' mir das Blut.
+
+(Giuseppe grinsend:) Es ist nichts im Hause, als das Pferd Eurer
+Exzellenz, die Schildwache, die Dame im ersten Stock und meine Frau.
+
+(Napoleon.) Töte deine Frau.
+
+(Giuseppe.) Mit größtem Vergnügen, Exzellenz. Aber
+unglücklicherweise ist sie stärker als ich--sie würde mich töten.
+
+(Napoleon.) Das wäre ebenso gut.
+
+(Giuseppe.) Exzellenz erweisen mir zu viel Ehre. (Seine Hand nach
+der Flasche ausstreckend:) Vielleicht kann etwas Wein den Zweck
+erfüllen.
+
+(Napoleon beschützt die Flasche schnell und wird ganz ernst:) Wein?
+Nein--das wäre Verschwendung. Ihr seid alle gleich--Verschwendung!
+Verschwendung! Verschwendung! (Er markiert die Landkarte mit Sauce,
+wobei er die Gabel als Feder benützt.) Räum' ab! (Er leert sein
+Weinglas, stößt seinen Stuhl zurück und benützt seine Serviette,
+streckt dann die Beine aus und lehnt sich zurück, aber noch immer die
+Stirn runzelnd und in Gedanken.)
+
+(Giuseppe räumt den Tisch ab und stellt die Sachen auf ein Tablett,
+das auf dem Büfett steht:) Ein jeder denkt, wie es für sein Geschäft
+taugt, Exzellenz. Wir Gastwirte verfügen über eine Menge billigen
+Wein; wir finden nichts dabei, ihn zu vergießen,--Ihr großen Generale
+verfügt über eine Menge billiges Blut: Ihr findet nichts dabei, es zu
+vergießen. Hab' ich recht, Exzellenz?
+
+(Napoleon.) Blut kostet nichts, Wein kostet Geld. (Er erhebt sich und
+geht an den Kamin.)
+
+(Giuseppe.) Man sagt, daß Sie mit allem sparen, außer mit
+Menschenleben, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Ein Menschenleben, mein Freund, ist das einzige Ding, das
+sparsam mit sich selbst umgeht. (Er wirft sich behaglich auf das Sofa.)
+
+(Giuseppe ihn bewundernd:) O Exzellenz, wie dumm sind wir alle, mit
+Ihnen verglichen! Wenn ich nur das Geheimnis Ihrer Erfolge erraten
+könnte!
+
+(Napoleon.) Dann würdest du dich zum Kaiser von Italien machen, was?
+
+(Giuseppe.) Das wäre für mich zu mühsam, Exzellenz, ich überlasse es
+lieber Ihnen. Überdies, was sollte aus meiner Wirtschaft werden,
+wenn ich Kaiser würde? Sie sehen mir gerne zu, wie ich mein Gasthaus
+für Sie verwalte und Sie bediene. Nun, ich will Ihnen gerne zusehen,
+wie Sie Kaiser von Europa werden und Italien für mich regieren.
+(Während er schwätzt, nimmt er das Tischtuch ab, ohne die Landkarte
+und das Tintenfaß wegzunehmen. Er nimmt die Ecken des Tuches in die
+Hände und die Mitte in den Mund, um es zusammenzufalten.)
+
+(Napoleon.) Kaiser von Europa? Was? Warum bloß von Europa?
+
+(Giuseppe.) Sie haben wahrhaftig recht, Exzellenz, warum nicht Kaiser
+der Welt? (Er faltet und rollt das Tischtuch zusammen, und bekräftigt
+seine Sätze mit den einzelnen Phasen dieses Vorgangs:) Ein Mensch ist
+wie der andre--(er faltet es:) ein Land ist wie das andre, (faltet:)
+eine Schlacht ist wie die andre. (Als er das letzte Stück gefaltet
+hat, schlägt er das Tischtuch auf den Tisch, rollt es geschickt
+zusammen and schließt seinen Redefluß:) Gewinnt man eine, so gewinnt
+man alle. (Er geht mit dem Tischtuch an das Büfett und legt es in
+eine Schublade.)
+
+(Napoleon.) Und für alle regieren, für alle kämpfen, jedermanns Knecht
+sein unter dem Vorwande, jedermanns Herr zu sein, Giuseppe!
+
+(Giuseppe vor dem Büfett:) Exzellenz--?
+
+(Napoleon.) Ich verbiete dir, mit mir über mich zu sprechen.
+
+(Giuseppe geht an das Fußende des Sofas:) Pardon, Exzellenz sind darin
+so ganz verschieden von andren großen Männern, die lieben gerade
+dieses Thema am meisten.
+
+(Napoleon.) Gut, sprich mit mir über das, was große Männer als
+zweitbestes lieben, was es auch sein mag.
+
+(Giuseppe ohne in Verlegenheit zu geraten:) Zu Befehl, Exzellenz.
+Haben Exzellenz durch irgendeinen Zufall etwas von der Dame da oben zu
+sehen bekommen?
+
+(Napoleon setzt sich sofort auf und sieht ihn mit einem Interesse an,
+das die Frage vollkommen angebracht erscheinen läßt:) Wie alt ist sie?
+
+(Giuseppe.) Sie hat das richtige Alter, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Meinst du siebzehn oder dreißig?
+
+(Giuseppe.) Dreißig, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Ist sie schön?
+
+(Giuseppe.) Ich kann nicht mit Ihren Augen sehn, Exzellenz! Jeder
+Mann muß das selbst beurteilen. Meiner Meinung nach ist sie eine
+schöne Dame. (Schlau:) Soll ich ihr hier den Tisch für das Frühstück
+decken?
+
+(Napoleon erhebt sich heftig:) Nein! Deck hier nicht mehr, bevor der
+Offizier, auf den ich warte, zurückkommt. (Er sieht auf seine Uhr und
+fängt an, zwischen dem Kamin und dem Weingarten auf und ab zu gehn.)
+
+(Giuseppe mit Überzeugung:) Exzellenz, glauben Sie mir, er ist von den
+verfluchten Österreichern gefangen worden; er würde es nicht wagen,
+Sie warten zu lassen, wenn er frei wäre.
+
+(Napoleon kehrt sich beim Schatten der Veranda um:) Giuseppe! wenn
+sich herausstellen sollte, daß du recht hast, so wird mich das in eine
+Laune versetzen, daß mich nichts anderes besänftigen kann, als dich
+und deinen ganzen Haushalt--die Dame dort oben inbegriffen--aufhängen
+zu lassen!
+
+(Giuseppe.) Wir stehen Ihnen alle gerne zur Verfügung, Exzellenz! mit
+Ausnahme der Dame. Ich kann für sie nicht bürgen; aber welche Frau
+könnte Ihnen widerstehen?!
+
+(Napoleon setzt seine Wanderung düster fort:) Hm, du wirst niemals am
+Galgen enden. Es ist kein Vergnügen dabei, einen Mann zu hängen, der
+nichts dagegen einzuwenden hat.
+
+(Giuseppe liebenswürdig:) Nicht das geringste, Exzellenz, nicht wahr?
+(Napoleon blickt wieder auf seine Uhr und wird sichtlich unruhig:) Oh,
+man sieht, daß Sie ein großer Mann sind, Exzellenz! Sie verstehen zu
+warten. Wenn ein Korporal oder ein junger Leutnant an Ihrer Stelle
+wäre--nach drei Minuten würde er fluchen, toben, drohen und das Haus
+von oben nach unten kehren.
+
+(Napoleon.) Giuseppe, deine Schmeicheleien sind unerträglich. Geh und
+schwatz draußen. (Er setzt sich wieder an den Tisch, sein Kinn auf
+die Hände, seine Ellbogen auf die Landkarte gestützt, und starrt mit
+unruhigem Ausdruck auf sie hin.)
+
+(Giuseppe.) Zu Befehl, Exzellenz, Sie sollen nicht gestört werden.
+(Er nimmt das Tablett und ist im Begriff, sich zurückzuziehen.)
+
+(Napoleon.) Sobald er da ist, schick' ihn zu mir herein.
+
+(Giuseppe.) Augenblicklich, Exzellenz.
+
+(Die Stimme einer Dame ruft von irgendeinem entfernten Teil des
+Gasthauses:) Giuseppe! (Die Stimme ist sehr melodisch, und die zwei
+letzten Buchstaben werden in aufsteigender Skala gesungen.)
+
+(Napoleon stutzig:) Was ist das?...
+
+(Giuseppe stützt das Ende seines Servierbrettes auf den Tisch und
+beugt sich vertraulich vor:) Die Dame, Exzellenz.
+
+(Napoleon zerstreut:) Ja... was für eine Dame... wessen Dame?...
+
+(Giuseppe.) Die fremde Dame, Exzellenz.
+
+(Napoleon.) Was für eine fremde Dame?
+
+(Giuseppe achselzuckend:) Wer kann es wissen! Sie ist eine halbe
+Stunde vor Ihnen hier angekommen, in einem Mietwagen, der dem
+"Goldenen Adler" in Borghetto gehört. Tatsächlich: sie ganz allein,
+Exzellenz,--ohne Dienerschaft! Eine Handtasche und ein Koffer, das
+war alles. Der Postillon sagte mir, daß sie im "Goldenen Adler" ein
+Pferd gelassen habe, ein Chargenpferd mit militärischem Sattelschmuck.
+
+(Napoleon.) Eine Frau mit einem Chargenpferd?--Das ist ungewöhnlich.
+
+(Die Stimme der Dame. Die zwei letzten Buchstaben werden jetzt in
+herabsteigender Skala gesungen:) Giuseppe!
+
+(Napoleon springt auf, um zu horchen:) Das ist eine interessante
+Stimme.
+
+(Giuseppe.) Oh es ist eine interessante Dame, Exzellenz. (Ruft:) Ich
+komme schon! ich komme schon, meine Gnädige! (Er eilt zur inneren Tür.)
+
+(Napoleon hält ihn mit starker Hand an der Schulter fest:) Halt! Sie
+soll hierher kommen.
+
+(Die Stimme ungeduldig:) Giuseppe!
+
+(Giuseppe flehentlich:) Lassen Sie mich gehn, Exzellenz. Es ist meine
+Ehrenpflicht als Wirt, zu kommen, wenn man mich ruft. Ich wende mich
+an den Soldaten in Ihnen!
+
+(Eines Mannes Stimme ruft draußen vor der Tür des Wirtshauses:) Ist
+jemand da? Hallo! Wirt! wo sind Sie? (Es wird heftig mit dem Knopf
+einer Peitsche auf eine Bank in der Einfahrt geschlagen. Napoleon der
+plötzlich wieder kommandierender Offizier wird, stößt Giuseppe fort:)
+Da ist er endlich! (Auf die innere Tür weisend:) Geh, kümmere dich um
+dein Geschäft. Die Dame ruft nach dir. (Er geht zum Kamin und steht
+mit dem Rücken dagegen, mit entschlossenem militärischem
+Gesichtsausdruck.)
+
+(Giuseppe atemlos, reißt sein Tablett an sich:) Gerne, Exzellenz! (Er
+eilt durch die innere Tür hinaus.)
+
+(Die Stimme des Mannes ungeduldig:) Schläft hier alles? (Die dem
+Kamin gegenüberliegende Tür wird heftig mit dem Fuße aufgestoßen, and
+ein staubbedeckter Leutnant stürzt in das Zimmer. Er ist ein
+törichter, junger Bursche von vierundzwanzig Jahren mit der hellen,
+zarten, reinen Haut des vornehmen Mannes und mit jener Selbstsicherheit
+des Aristokraten, welche die französische Revolution nicht im geringsten
+erschüttern konnte. Er hat eine dicke, dumme Lippe, ein eifriges,
+leichtgläubiges Auge, eine eigensinnige Nase und eine laute selbstbewußte
+Stimme.--Ein junger Mensch ohne Furcht, obne Ehrfurcht, ohne
+Einbildungskraft, ohne Verstand und hoffnungslos unempfänglich für die
+napoleonische oder irgendeine andere Idee. Fabelhaft egoistisch, im
+höchsten Grade dazu geeignet, dort geräuschvoll hereinzustürmen, wo
+selbst ein Engel sich fürchten würde, nur den Fuß aufzusetzen, doch von
+einer starken geschwätzigen Lebenskraft, die ihn mitten in das tollste
+Gewirr der Dinge hetzt. Er kocht eben vor Wut, anscheinend, weil er
+empört ist, nicht schnell vom Gesinde des Gasthauses bedient zu werden,
+aber ein schärfer beobachtendes Auge kann eine gewisse moralische
+Niedergeschlagenheit in ihm entdecken, welche andeutet, daß er unter
+einem anhaltenderen und wichtigeren Verdruß leidet. Als er Napoleon
+bemerkt, kommt er genügend zu sich, um sich zusammenzuraffen und zu
+salutieren. Aber er verrät auf keine Weise durch sein Benehmen etwas
+von jener prophetischen Voraussicht von Marengo und Austerlitz, Waterloo
+und St. Helena oder der Napoleonbilder von Delaroche und Meissonier, die
+die moderne Kultur instinktiv bei ihm voraussetzen würde.)
+
+(Napoleon scharf:) Nun, Herr, sind Sie endlich angekommen? Ihr Befehl
+lautete, daß ich um sechs Uhr hier sein würde, und daß Sie mich mit
+meiner Pariser Post and meinen Depeschen erwarten sollten! Und jetzt
+fehlen nur noch zwanzig Minuten an acht. Sie wurden als guter Reiter
+für diesen Dienst ausersehen, mit dem schnellsten Pferde, das wir im
+Lager haben. Sie kommen hundert Minuten zu spät und kommen zu Fuß--wo
+ist Ihr Pferd?
+
+(Leutnant zieht verdrießlich seine Handschuhe aus und wirft sie mit
+seiner Mütze und Peitsche auf den Tisch:) Ja, wo ist es? Das gerade
+wüßte ich selber gern, Herr General. (Mit Bewegung:) Sie wissen nicht,
+wie ich dies Pferd geliebt habe.
+
+(Napoleon ärgerlich, sarkastisch:) Wirklich! (Mit plötzlicher
+Besorgnis:) Wo sind die Briefe und Depeschen?
+
+(Leutnant wichtig, eher froh, daß er ganz besondere Nachrichten hat,
+als bekümmert:) Das weiß ich nicht.
+
+(Napoleon traut seinen Ohren nicht:) Das wissen Sie nicht?!
+
+(Leutnant.) Nicht besser als Sie, Herr General. Nun werde ich wohl
+vor ein Kriegsgericht kommen. Schön! ich habe nichts dagegen,
+standrechtlich behandelt zu werden, aber (mit feierlichem Entschluß:)
+ich sage Ihnen, Herr General, wenn ich diesen unschuldig aussehenden
+Burschen jemals erwischen sollte,--diesen verschmitzten, kleinen
+Lügner!--dann werde ich seine Schönheit zurichten... eine Fratze will
+ich aus ihm machen... ich werde---
+
+(Napoleon kommt vom Kamin an den Tisch vor:) Was für einen unschuldig
+aussehenden Burschen? Raffen Sie sich zusammen, Mensch--ja?--und
+berichten Sie militärisch!
+
+(Leutnant steht ihm gegenüber an der anderen Seite des Tisches und
+stützt sich mit den Fäusten auf:) Oh ich bin ganz gefaßt, Herr
+General--ich bin vollkommen bereit, Rede zu stehen. Ich werde dem
+Kriegsgericht gründlich klarmachen, daß ich unschuldig bin. Die
+bessere Seite meiner Natur wurde schändlich ausgenützt, und ich schäme
+mich dessen nicht. Aber mit allem Respekt vor Ihnen, als meinem
+Vorgesetzten, wiederhole ich, Herr General, daß, wenn ich diesem
+Satanssohne jemals wieder begegnen sollte, ich ihn--
+
+(Napoleon ärgerlich:) Das haben Sie schon einmal gesagt!
+
+Leutnant richtet sich auf: Und ich wiederhole es: warten Sie nur so
+lange, bis ich ihn erwischt habe!--weiter nichts! (Er kreuzt
+entschlossen die Arme und atmet schwer mit aufeinandergepreßten Lippen.)
+
+(Napoleon.) Ich warte, Herr--auf Ihre Aufklärungen!
+
+(Leutnant zuversichtlich:) Sie werden Ihren Ton ändern, Herr General,
+wenn Sie hören, was mir zugestoßen ist.
+
+(Napoleon.) Nichts ist Ihnen zugestoßen, Mensch! Sie leben und sind
+nicht kampfunfähig. Wo sind die Papiere, die Ihnen anvertraut wurden?
+
+(Leutnant.) Mir ist nichts zugestoßen--nichts? Oho! (Wirft sich in
+Positur, um Napoleon mit seinen Nachrichten zu überwältigen.) Er hat
+mir ewige Bruderschaft geschworen, war das nichts? Er hat gesagt, daß
+meine Augen ihn an die Augen seiner Schwester erinnerten--war das
+nichts? Er hat geweint--wirkliche Tränen--über die Geschichte meiner
+Trennung von Angelica--war das nichts?! Er hat beide Flaschen Wein
+bezahlt, obwohl er selbst nur Brot und Trauben gegessen
+hatte--vielleicht nennen Sie das auch nichts! Er hat mir seine
+Pistolen und sein Pferd und seine Depeschen gegeben--äußerst wichtige
+Depeschen--und hat mich damit fortgehen lassen--(triumphierend, da er
+sieht, daß er Napoleon in sprachloses Erstaunen versetzt hat:) war das
+nichts?!
+
+(Napoleon schwach vor Erstaunen:) Warum hat er das getan?
+
+(Leutnant als ob der Grund ganz klar wäre:) Um mir sein Vertrauen zu
+beweisen. (Napoleons Kiefer fällt nicht gerade herunter, aber seine
+Gelenkbänder werden schlaff. Der Leutnant fährt mit ehrlicher
+Entrüstung fort:) Und ich habe sein Vertrauen auch verdient: ich habe
+ihm alles ehrlich zurückgegeben. Aber würden Sie es glauben, Herr
+General,--als ich ihm meine Pistolen und mein Pferd and meine
+Depeschen anvertraut hatte...
+
+(Napoleon wütend:) Warum, zum Teufel, haben Sie das getan?
+
+(Leutnant.) Warum?... Um ihm auch meinerseits mein Vertrauen zu
+beweisen, natürlich. Und er hat mich betrogen, ausgenützt, ist nicht
+wiedergekommen--der Dieb--der Schwindler--der herzlose, verräterische,
+kleine Schuft! Und das--das nennen Sie wahrscheinlich "nichts
+zugestoßen"! Aber sehen Sie, Herr General--(hält sich wieder mit der
+Faust am Tische, um mit größerer Emphase zu sprechen.) Sie mögen
+diesen Schimpf von den Österreichern hinnehmen, wenn Sie wollen; aber
+was mich persönlich anbelangt--ich sage Ihnen, wenn ich ihn jemals
+erwische--
+
+(Napoleon wendet sich angewidert auf dem Absatz herum, um seine
+Wanderung wieder aufzunehmen:) Ja, ja, das haben Sie schon oft genug
+gesagt.
+
+(Leutnant äußerst erregt:) Oft genug?... Ich werde es hundertmal
+sagen--und mehr als das: ich werde es tun! Ich werde ihm mein
+Vertrauen zeigen--das werde ich! Ich werde---
+
+(Napoleon.) Ja, ja, Herr Leutnant--gewiß werden Sie das. Was für eine
+Art Mensch war er?
+
+(Leutnant.) Nun, ich glaube, nach seinem Benehmen sollten Sie
+schließen können, was für eine Art Mensch das war.
+
+(Napoleon.) Pah--Wie sah er aus?
+
+(Leutnant.) Ausgesehen... Er sah aus wie... nun... Sie hätten den
+Burschen bloß mal sehen müssen, dann würden Sie einen Begriff davon
+haben, wie er aussieht. Fünf Minuten, nachdem ich ihn erwischt habe,
+wird er nicht mehr so aussehen. Ich wiederhole Ihnen: wenn ich ihn
+jemals--
+
+(Napoleon ruft wütend nach dem Wirt:) Giuseppe! (Zum Leutnant, am
+Ende seiner Geduld:) Halten Sie jetzt Ihren Mund, wenn Sie können!
+
+(Leutnant.) Ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, daß es umsonst
+ist, zu versuchen, mir die Schuld aufzuhalsen. (Klagend:) Wie hätte
+ich wissen sollen, was für eine Art Mensch das ist. (Er nimmt einen
+Sessel, der zwischen der äußeren Tür und dem Büfett steht, stellt ihn
+an den Tisch und setzt sich.) Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie hungrig
+und müde ich bin, würden Sie mehr Rücksicht nehmen.
+
+(Giuseppe zurückkommend:) Was befehlen Exzellenz?
+
+(Napoleon mit seinem Temperament kämpfend:) Nimm diesen... diesen
+Offizier; gib' ihm zu essen; wenn nötig, bring ihn zu Bett; und wenn
+er dann wieder bei Trost ist, trachte herauszubringen, was ihm
+passiert ist, und laß mich es wissen. (Zum Leutnant.) Betrachten Sie
+sich als Arrestanten, Herr Leutnant.--
+
+(Leutnant ärgerlich mit Steifheit:) Darauf war ich vorbereitet. Nur
+ein Edelmann kann einen Edelmann verstehen. (Er wirft seinen Degen
+auf den Tisch, Giuseppe nimmt ihn und bietet ihn Napoleon höflich an,
+der ihn heftig auf das Sofa wirft.)
+
+(Giuseppe mit Teilnahme:) Sind Sie von den Österreichern überfallen
+worden, Herr Leutnant? O weh, o weh!
+
+(Leutnant verachtungsvoll:) Überfallen! Ich hätte sein Rückgrat
+zwischen meinem Zeigefinger und Daumen zerbrechen können! Wenn ich es
+nur getan hätte! Nein! ich bin hineingefallen, weil er an die bessere
+Seite meiner Natur appelliert hat--und darüber kann ich nicht
+hinwegkommen! Er sagte, daß ihm noch nie ein Mensch so gefallen hätte
+wie ich, er schlang sein Taschentuch um meinen Nacken, weil mich eine
+Mücke gestochen hatte und mein Kragen mich wund rieb--sehen Sie! (Er
+zieht ein Taschentuch unter seinem Kragen bervor; Giuseppe nimmt und
+untersucht es.)
+
+(Giuseppe zu Napoleon:) Das Taschentuch einer Dame, Exzellenz! (Er
+riecht daran:) Parfümiert!
+
+(Napoleon.) Wie? (Er nimmt es und betrachtet es aufmerksam:) Hm! (Er
+riecht daran:) Ha! (Er geht, das Taschentuch betrachtend,
+nachdenklich durch das Zimmer und steckt es schließlich in seine
+Brusttasche.)
+
+(Leutnant.) Jedenfalls paßt es zu ihm. Ich bemerkte, daß er
+Weiberhände hatte, als er mein Genick berührte in seiner
+schmeichlerisch tändelnden Art--dieser gemeine, weibische, kleine Hund!
+(Leiser, aber mit schauerlicher Heftigkeit:) Aber glauben Sie meinen
+Worten, Herr General: wenn ich ihn jemals---
+
+(Die Stimme einer Dame draußen wie zuvor:) Giuseppe!
+
+(Leutnant erstarrt:) Was war das?
+
+(Giuseppe.) Nur eine Dame über uns, Herr Leutnant, die mich ruft.
+
+(Leutnant.) Eine Dame!
+
+(Stimme.) Giuseppe! Giuseppe! wo bleiben Sie!?
+
+(Leutnant mordlustig:) Wo ist mein Degen? (Er stürzt an das Sofa,
+ergreift seinen Degen und zieht ihn.)
+
+(Giuseppe springt vor und faßt seinen rechten Arm:) Was fällt Ihnen
+denn ein, Herr Leutnant! Es ist eine Dame: hören Sie nicht, daß es
+eine weibliche Stimme ist?
+
+(Leutnant.) Ich sage Ihnen, daß es seine Stimme ist--lassen Sie mich
+los! (Er stürzt fort und will zur inneren Türe; da öffnet sich diese
+vor seiner Nase, und die fremde Dame tritt ein. Sie ist eine sehr
+anziehende Erscheinung, groß und ungewöhnlich graziös, mit einem zart
+intelligenten, empfindsamen, fragenden Gesicht. Auffassungskraft
+liegt auf ihrer Stirn, Empfindlichkeit in ihren Nasenflügeln,
+Charakter in ihrem Kinn: im ganzen sieht sie scharfsinnig, vornehm und
+originell aus. Sie ist sehr weiblich, aber durchaus nicht schwach.
+Die geschmeidige, schlanke Gestalt ist kräftig gebaut, die Hände und
+Füße, Hals und Schultern sind keine zerbrechlichen Schmuckstücke,
+sondern stehen im richtigen Größenverhältnis zu der ganzen Gestalt,
+die die Napoleons und des Wirtes beträchtlich überragt und der des
+Leutnants vollkommen gleichkommt; ihre Eleganz und ihr strahlender
+Reiz verdecken indessen ihre Größe und Kraft. Nach ihrem Kleide zu
+schließen, ist sie keine Bewunderin der neuesten Mode des Direktoriums,
+oder sie verträgt vielleicht auf der Reise ihre alten Kleider,
+jedenfalls trägt sie keine Jacke mit auffallenden Aufschlägen, kein
+nachgemacht griechisches Unterkleid à la Madame Tallien,--nichts,
+wahrhaftig nichts, das die Prinzessin von Lamballe nicht hätte tragen
+können. Ihr Kleid von geblümter Seide mit langer Taille ist am Rücken
+mit einer Watteaufalte versehen, aber die Puffen sind, da sie für
+diese zu groß ist, zu bloßen Rudimenten verkürzt. Es ist im Nacken
+ein wenig ausgeschnitten und dort mit einem cremefarbenen Fichu
+geschmückt. Sie ist von heller Hautfarbe und hat goldbraune Haare und
+graue Augen. Sie tritt mit der Selbstsicherheit einer Frau ein, die
+an die Vorrechte von Rang und Schönheit gewöhnt ist. Der Wirt, der
+von Natur sehr gute Manieren hat, ist von ihr höchst eingenommen.
+Napoleon, auf den ihre Augen zuerst fallen, wird sofort verlegen.
+Sein Gesicht rötet sich, er wird steifer und fühlt sich unsicherer als
+zuvor. Sie bemerkt dies augenblicklich, und, um ihn nicht in
+Verlegenheit zu bringen, wendet sie sich mit einer unendlich
+wohlerzogenen Art--um auch ihm die Ehre eines Blickes zu gewähren--zu
+dem andern Herrn, der mit Gefühlen, die ganz unaussprechlich und
+unbeschreiblich sind, auf ihr Kleid starrt, als ob es der Erde erstes
+Meisterwerk an Verräterei und Verstellung wäre. Als sie ihn erkennt,
+wird sie totenblaß; ihr Ausdruck kann nicht mißverstanden werden. Die
+Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gänzlich unerwarteten Irrtums
+hat sie jäh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und
+Siegesgewißheit. Im nächsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter
+dem cremefarbenen Fichu auf und ergießt sich über ihr ganzes Gesicht.
+Man sieht, daß sie am ganzen Leibe errötet. Selbst der Leutnant, der
+für gewöhnlich ganz unfähig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr
+seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man
+es ihm rot anstreicht. Da er das Erröten als das unfreiwillige
+Eingeständnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verräterei
+auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf
+sie--dann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich
+her in das Zimmer, schlägt die Türe zu und pflanzt sich mit dem Rücken
+davor auf.)
+
+(Leutnant.) Habe ich dich erwischt, Bursche! Du hast dich also
+verkleidet--was? (Mit Donnerstimme:) Zieh diesen Rock aus!
+
+(Giuseppe Verwahrung einlegend:) Aber, Herr Leutnant!
+
+(Dame erschrocken, aber höchst entrüstet, daß er es gewagt hat, sie
+anzurühren:) Meine Herren, ich wende mich an Sie! Giuseppe! (Macht
+eine Bewegung, als ob sie zu Giuseppe laufen wollte.)
+
+(Leutnant stellt sich dazwischen, den Degen in der Faust:) Nicht von
+der Stelle!
+
+(Dame zu Napoleon flüchtend:) O Herr, Sie sind Offizier--General--Sie
+werden mich beschützen--nicht wahr?
+
+(Leutnant.) Kümmern Sie sich nicht um ihn, Herr General.
+Überlassen Sie ihn mir.
+
+(Napoleon.) Ihn? Wen, Mensch? Warum behandeln Sie diese Dame in
+solcher Weise?
+
+(Leutnant.) Dame?... Er ist ein Mann--der Mann, dem ich mein
+Vertrauen geschenkt habe! (Geht drohend vor:) Hierher--du--
+
+(Dame läuft hinter Napoleon und umklammert in ihrer Aufregung seinen
+Arm, den er instinktiv vor ihr ausstreckt, um sie zu schützen:) Oh,
+ich danke Ihnen, Herr General! Halten Sie ihn fern!
+
+(Napoleon.) Unsinn! Das ist ganz bestimmt eine Frau! (Sie läßt
+seinen Arm plötzlich los und errötet wieder:) Und Sie sind im Arrest!
+Legen Sie augenblicklich Ihren Degen nieder, Herr Leutnant!
+
+(Leutnant.) Herr General, ich sage Ihnen, er ist ein österreichischer
+Spion! Heute nachmittag hat er sich mir gegenüber aufgespielt, als
+gehörte er zum Stabe General Massenas--und nun spielt er sich Ihnen
+gegenüber als Frau auf. Darf ich meinen eigenen Augen glauben oder
+nicht?
+
+(Dame.) Herr General--das muß mein Bruder gewesen sein--der ist beim
+Stabe General Massenas und sieht mir sehr ähnlich.
+
+(Leutnant den Verstand verlierend:) Wollen Sie damit sagen, daß Sie
+nicht Ihr Bruder, sondern Ihre Schwester sind... die Schwester, die
+mir so ähnlich sieht... die meine schönen blauen Augen hat? Es war
+eine Lüge,--Ihre Augen sind nicht wie die meinen--sie sind genau wie
+Ihre eigenen! Welche Perfidie!
+
+(Napoleon.) Herr Leutnant, wollen Sie meinen Befehlen gehorchen und
+dieses Zimmer verlassen, da Sie endlich überzeugt sind, daß diese Dame
+kein Mann ist?
+
+(Leutnant.) Kein Mann, das will ich meinen! Ein Mann würde mein
+Vertrauen nie so getäuscht haben--
+
+(Napoleon am Ende seiner Geduld:) Genug, Mensch, genug! Verlassen Sie
+dieses Zimmer! Ich befehle Ihnen, dieses Zimmer zu verlassen!
+
+(Dame.) O, bitte, ich will lieber gehen.
+
+(Napoleon trocken:) Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor
+Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was für ein Interesse ein
+Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann.
+Ich habe einige Fragen an Sie zu richten.
+
+(Giuseppe diskret:) Kommen Sie, Herr Leutnant. (Er öffnet die Türe.)
+
+(Leutnant.) Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen.
+Hüten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur. (Zur Dame:) Madame,
+Sie entschuldigen, ich hielt Sie für dieselbe Person, nur von
+entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich natürlich irregeführt.
+
+(Dame süß:) Es war doch nicht Ihre Schuld! Ich freue mich, daß Sie
+mir nicht länger böse sind, Herr Leutnant. (Sie reicht ihm die Hand.)
+
+(Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu küssen:) Oh, meine Gnädige,
+nicht im gering... (fährt zurück und starrt auf ihre Hand:) Sie haben
+die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er.
+
+(Dame freundlich:) Wir sind Zwillinge.
+
+(Leutnant.) Das erklärt alles. (Er küßt ihre Hand:) Bitte tausendmal
+um Verzeihung. Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das
+ist mehr Sache des Generals--aber es war der Mißbrauch meines
+Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur. (Er nimmt seine Mütze,
+Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:) Ich hoffe, Sie
+entschuldigen, daß ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure
+unendlich. (Er schwätzt sich aus dem Zimmer hinaus. Giuseppe folgt
+ihm und schließt die Tür.)
+
+(Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:) Idiot!
+
+(Dame lächelt liebenswürdig. Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch
+und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle
+seine Verlegenheit geschwunden:) Wie kann ich Ihnen für Ihren Schutz
+danken, Herr General?
+
+(Napoleon wendet sich plötzlich zu ihr um:) Meine Depeschen! schnell!
+(Er streckt die Hand danach aus.)
+
+(Dame.) Herr General! (Unwillkürlich greift sie mit den Händen nach
+dem Fichu, als wolle sie dort etwas beschützen.)
+
+(Napoleon.) Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt! Sie haben
+sich als Mann verkleidet! Ich will meine Depeschen haben; sie sind da
+in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren Händen...
+
+(Dame zieht ihre Hände rasch weg:) Oh, wie unliebenswürdig Sie mit mir
+sprechen! (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:) Sie ängstigen
+mich! (Sie berührt ihre Augen, als wollte sie eine Träne wegwischen.)
+
+(Napoleon.) Ich sehe, daß Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie
+würden sich die Mühe ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten.
+
+(Dame tut so, als ob sie zwischen Tränen lächeln wollte:) Doch, ich
+kenne Sie--Sie sind der berühmte General Buonaparte. (Sie gibt dem
+Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.)
+
+(Napoleon ärgerlich, mit französischer Aussprache:) Bonaparte, Madame,
+--Bonaparte!... Die Papiere, wenn's gefällig ist!
+
+(Dame.) Aber ich versichere Ihnen--(Er reißt ihr das Taschentuch
+heftig aus der Hand:) Herr General! (Entrüstet.)
+
+(Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:) Sie
+waren so liebenswürdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschentücher zu
+leihen, als Sie ihn beraubten. (Er betrachtet die beiden
+Taschentücher.) Sie sind einander vollständig gleich. (Er riecht
+daran:) Derselbe Duft! (Er wirft beide auf den Tisch.) Ich warte auf
+die Depeschen! Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit
+ebenso wenig Umständen wegnehmen, wie dieses Taschentuch. (Das
+duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre später in Victorien Sardous
+Drama "Dora" wieder auf.)
+
+(Dame mit würdevollem Vorwurf:) Herr General, bedrohen Sie wehrlose
+Frauen?
+
+(Napoleon grob:) Ja!
+
+(Dame verblüfft, sucht Zeit zu gewinnen:) Aber ich begreife
+nicht--ich ...
+
+(Napoleon.) Sie begreifen sehr gut. Sie sind hierhergekommen, weil
+Ihre österreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, daß ich
+sechs Meilen weit von hier entfernt sei. Ich bin immer dort zu finden,
+wo meine Feinde mich nicht erwarten. Sie sind in die Höhle des Löwen
+geraten. Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine
+vernünftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere! (Er geht
+drohend einen Schritt vor.)
+
+(Dame bricht in kindischer, ohnmächtiger Wut zusammen und wirft sich
+in Tränen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen
+gelassen wurde:) Ich--und tapfer! Wie wenig Sie mich kennen. Ich
+habe den Tag in Todesfurcht verbracht! Ich bekomme Brustschmerzen vor
+Herzklopfen bei jedem argwöhnischen Blick und jeder drohenden Bewegung.
+Halten Sie jeden Menschen für so tapfer, wie Sie es sind? Oh, warum
+vollbringt ihr tapferen Männer nicht die tapferen Taten? Warum
+überlaßt ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben? Ich bin nicht
+tapfer--ich schrecke vor Gewalt zurück--die Gefahr macht mich elend.
+
+(Napoleon mit Interesse:) Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben?
+
+(Dame.) Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem
+vertrauen. Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der
+keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gefühl, kein... (Sie
+hält inne und wirft sich auf die Knie.) Oh, Herr General, lassen Sie
+mich gehn! Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu
+stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schwöre es!
+
+(Napoleon seine Hand ausstreckend:) Ja--ich warte darauf. (Sie
+schnappt nach Luft. Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur
+Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und
+ihr Gerede zu rühren, aber wie sie starr zu ibm aufblickt, sieht man
+klar, daß sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu
+überlisten. Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.)
+
+(Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:) Ich will
+sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer. (Sie wendet sich zur Türe.)
+
+(Napoleon.) Ich werde Sie begleiten, Madame.
+
+(Dame richtet sich mit einer edlen Gebärde beleidigten Zartgefühls auf:)
+Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr
+General.
+
+(Napoleon.) Dann werden Sie hierbleiben, Madame, während ich Ihr
+Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse.
+
+(Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:) Sie können sich die
+Mühe ersparen: sie sind nicht dort.
+
+(Napoleon.) Nein. Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind. (Zeigt
+auf ihre Brust.)
+
+(Dame mit niedlicher Kläglichkeit:) Herr General, ich möchte nur einen
+kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir
+wenigstens den!
+
+(Napoleon kalt und finster:) Ist das eine vernünftige Bitte, Madame?
+
+(Dame weil er nicht kurzweg abschlägt, ermutigt:) Nein--aber gerade
+deshalb müssen Sie mir sie bewilligen. Sind Ihre eigenen Wünsche
+vernünftig? Sie verlangen Tausende von Menschenleben für Ihre Siege,
+Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche
+Kleinigkeit! Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein
+tapferer Mann. (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist
+im Begriff, ihm wieder zu Füßen zu fallen.)
+
+(Napoleon heftig:) Lassen Sie das, lassen Sie das! (Er wendet sich
+ärgerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, hält einen Augenblick inne
+und sagt über seine Schulter hinweg:) Sie sprechen Unsinn und Sie
+wissen es. (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser
+Verzweiflung, auf das Sofa. Als er sich umwendet und sie dort
+erblickt, fühlt er, daß sein Sieg vollständig ist und daß er sich
+jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann. Er
+kommt zurück und setzt sich neben sie. Sie sieht geängstigt auf und
+rückt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung
+erglänzt in ihren Augen. Er beginnt wie einer, der sich über einen
+heimlichen Scherz freut:) Woher wissen Sie, daß ich tapfer bin?
+
+(Dame erstaunt:) Sie! General Buonaparte! (Italienische Aussprache.)
+
+(Napoleon.) Ja, ich--General Bonaparte! (Die französische Aussprache
+betonend.)
+
+(Dame.) Oh, wie können Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen
+an der Brücke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell über den Fluß hinweg
+auszufechten, während der Tod durch die Lüfte sauste! (Schaudernd:)
+Oh, Sie vollbringen Heldentaten!
+
+(Napoleon.) So wie Sie.
+
+(Dame.) Ich? (Mit einem plötzlichen seltsamen Gedanken:) Oh, Sie sind
+also ein Feigling?
+
+(Napoleon lacht grimmig und schlägt auf seine Knie:) Das ist die
+einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen dürfen. Der
+Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner Länge, seinem Alter, seinem
+Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut. (Er steht auf und
+geht, in sich hineinkichernd, mit den Händen auf dem Rücken und
+vorgeneigtem Kopf, auf und ab.)
+
+(Dame als ob sie nichts Lächerliches dabei finden könnte:) Ah, Sie
+können sich über die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht,
+was Furcht ist.
+
+(Napoleon hinter das Sofa tretend:) Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an,
+daß Sie diesen Brief nur hätten bekommen können, wenn Sie vorgestern
+über die Brücke bei Lodi zu mir gekommen wären,--nehmen Sie an, daß
+Sie keinen andern Weg gehabt hätten und daß dies ein sicherer Weg
+war--vorausgesetzt, daß die Kanonenkugeln Sie verschonten. (Sie
+schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den Händen.) Würden
+Sie Angst gehabt haben?
+
+(Dame.) Oh, fürchterliche Angst! tödliche Angst! (Sie preßt ihre
+Hände aufs Herz.) Die bloße Vorstellung schmerzt schon!
+
+(Napoleon unbeugsam:) Würden Sie wegen der Depeschen gekommen sein?
+
+(Dame überwältigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:) Fragen Sie
+mich nicht! Ich hätte kommen müssen!
+
+(Napoleon.) Warum?
+
+(Dame.) Weil ich gezwungen gewesen wäre. Weil es keinen andern Ausweg
+gegeben hätte!
+
+(Napoleon mit Überzeugung:) Weil es Sie nach diesem Brief so sehr
+verlangt hätte, daß Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst würden
+ertragen haben. Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die
+Furcht. Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag,
+ist die einzige, die Sie sowohl beim jüngsten Tambour als auch bei mir
+finden werden, die Furcht. Sie ist es, die die Menschen in den Kampf
+treibt: Gleichgültigkeit macht, daß sie davonlaufen. Furcht ist die
+Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl,
+besser als Sie, besser als irgend ein Weib. Ich sah einst, wie ein
+Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde,
+weil ich mich fürchtete einzugreifen. Ich fühlte mich als Feigling
+bis in die Fußspitzen, als ich dabei zusah. Vor sieben Monaten rächte
+ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode
+knallte. Nun--was ist dabei? Hat die Furcht jemals einen Mann von
+irgend etwas, das er wirklich wollte, zurückgehalten, oder auch nur
+eine Frau? Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen
+zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge
+schauen um den Preis eines Glases Branntwein. Und glauben Sie, daß es
+keine Frauen in der Armee gibt, die tapferer sind als die Männer, weil
+ihr Leben weniger wert ist? Pah, ich halte gar nichts--weder von
+Ihrer Furcht noch von Ihrem Mut. Wenn Sie bei Lodi zu mir hätten
+kommen müssen, Sie würden keine Furcht gehabt haben: einmal auf der
+Brücke wäre vor der Notwendigkeit jedes andere Gefühl geschwunden--
+vor der Notwendigkeit, Ihren Weg an meine Seite zu finden, um zu
+bekommen, was Sie haben wollten. Und nun nehmen Sie an, daß Sie
+davongekommen wären mit jenem Brief in Ihrer Hand und um die Erfahrung
+reicher, daß in der Stunde der Not Ihre Furcht Ihnen nicht das Herz
+zusammenschnürte, sondern die Ausführung Ihres Planes unterstützte,
+daß sie aufgehört hätte, "Furcht" zu sein, und sich in Stärke,
+Scharfsinn, verdoppelte Aufmerksamkeit und eiserne Entschlossenheit
+verwandelt hätte,--wie würden Sie dann antworten, wenn Sie gefragt
+würden, ob Sie ein Feigling sind?
+
+(Dame sich erhebend:) Ah, Sie sind ein Held--ein wirklicher Held!
+
+(Napoleon.) Pah! wirkliche Helden gibt es nicht. (Er schlendert durch
+das Zimmer, ihren Enthusiasmus leicht nehmend, aber durchaus nicht
+unzufrieden mit sich, ihn hervorgerufen zu haben.)
+
+(Dame.) O ja--es gibt welche. Es ist ein Unterschied zwischen dem,
+was Sie meinen Mut nennen, und dem Ihrigen. Sie wollten die Schlacht
+bei Lodi für niemand andern, als für sich selbst gewinnen--nicht wahr?
+
+(Napoleon.) Selbstverständlich! (Sich plötzlich besinnend:)
+Halt--nein! (Er rafft sich ehrfürchtig zusammen und sagt wie ein Mann,
+der einen frommen Dienst verrichtet:) Ich bin nur ein Diener der
+französischen Republik. Ich folge demütig den Fußtapfen der Helden
+des klassischen Altertums. Ich gewinne Schlachten für die
+Menschheit--für mein Vaterland--nicht für mich!
+
+(Dame enttäuscht:) Oh, dann sind Sie doch auch nur ein weibischer Held.
+(Sie setzt sich wieder, den Ellbogen auf die Lehne des Sofas, die
+Wange in die Hand gestützt; alle ihre Begeisterung ist gewichen.)
+
+(Napoleon höchst erstaunt:) Weibisch?!
+
+(Dame teilnahmslos:) Ja, wie ich. (Mit tiefer Melancholie:) Glauben
+Sie, wenn ich jene Depeschen nur für mich brauchte, daß ich mich dann
+ihretwegen in eine Schlacht wagen würde? Nein! wenn das alles wäre,
+würde ich nicht einmal den Mut finden, Sie in Ihrem Hotel aufzusuchen.
+Mein Mut ist bloß Sklaverei. Ich weiß damit für meine eigenen Zwecke
+nichts anzufangen. Nur aus Liebe, aus Mitleid, aus dem Instinkt
+heraus, einen andern zu retten und zu beschützen, kann ich Dinge tun,
+die mich entsetzen.
+
+(Napoleon verachtungsvoll:) Pah! (Er wendet sich geringschätzig von
+ihr fort.)
+
+(Dame.) Aha! nun begreifen Sie, daß ich nicht wirklich mutig bin.
+(Fällt wieder in ärgerliche Teilnahmslosigkeit zurück.) Aber was für
+ein Recht haben Sie, mich zu verachten, wenn Sie Ihre Schlachten auch
+nur für andere gewinnen? Für Ihr Land, aus Patriotismus--das ist es,
+was ich weibisch nenne: das ist der echte Franzose.
+
+(Napoleon wütend:) Ich bin kein Franzose!
+
+(Dame unschuldig:) Ich glaubte zu hören, daß Sie sagten, Sie hätten
+die Schlacht bei Lodi für Ihr Land gewonnen, General Bu... soll ich es
+französisch oder italienisch aussprechen?
+
+(Napoleon.) Sie verlassen sich auf meine Geduld, Madame. Ich wurde
+als französischer Untertan geboren, aber nicht in Frankreich.
+
+(Dame kreuzt ihre Arme am Rande des Sofas und stützt sich darauf mit
+einem deutlich aufflammenden Interesse:) Ich glaube, Sie sind
+überhaupt nicht als Untertan geboren.
+
+(Napoleon hocherfreut, beginnt einen neuen Spaziergang:) Sieh da! Das
+meinen Sie also?
+
+(Dame.) Ich bin davon durchdrungen!
+
+(Napoleon.) Nun, nun, Sie mögen vielleicht recht haben. (Die
+Selbstgefälligkeit seiner Beipflichtung fällt ihm selbst auf. Er hält
+errötend inne und begibt sich in eine feierliche, den Helden des
+klassischen Altertums nachgeahmte Pose und nimmt einen höchst
+moralischen Ton an.) Aber wir dürfen niemals ausschließlich für uns
+leben, liebes Kind. Vergessen Sie nie, daß wir immer an andere denken
+sollen, für andere arbeiten, sie zu ihrem Besten lenken und regieren.
+Selbstaufopferung ist die Grundlage aller echten Charaktergröße.
+
+(Dame gibt mit einem Seufzer ihre Stellung wieder auf:) Daran sieht
+man leicht, daß Sie sie selbst nie versucht haben, Herr General.
+
+(Napoleon entrüstet, vergißt alles über Brutus und Scipio:) Was wollen
+Sie mit diesen Worten sagen, Madame?
+
+(Dame.) Haben Sie nicht beobachtet, daß die Menschen den Wert der
+Dinge, die sie nicht besitzen, immer überschätzen? Die Armen glauben,
+daß sie nichts als Reichtümer brauchten, um vollkommen glücklich und
+gut zu sein. Jedermann betet Wahrheit, Reinheit, Selbstlosigkeit aus
+demselben Grunde an,--weil er auf diesen Gebieten keine Erfahrung hat.
+Oh, wenn Sie nur wüßten!
+
+(Napoleon mit ärgerlichem Hohn:) Wenn Sie nur wüßten--? Ich bitte Sie,
+haben (Sie) vielleicht Erfahrung darin?
+
+(Dame läßt die Arme fallen und faltet die Hände über den Knien, gerade
+vor sich hinblickend:) Ja, ich hatte das Unglück, gut auf die Welt zu
+kommen. (Einen Augenblick zu ihm aufschauend:) Und ich kann Ihnen
+versichern, es (ist) ein Unglück, Herr General. Ich bin wirklich
+wahrheitsliebend und selbstlos und alles, was dazu gehört, aber das
+ist nichts als Feigheit, Mangel an Charakter, Mangel an dem Mut,
+wirklich mit aller Kraft und unbedingt sich selbst treu zu sein.
+
+(Napoleon.) Ha! (Wendet sich rasch zu ihr um, mit einem Aufleuchten
+starken Interesses:)
+
+(Dame ernst, mit wachsendem Enthusiasmus:) Was ist das Geheimnis Ihrer
+Macht? Nur, daß Sie an sich selbst glauben. Sie können nur für sich
+kämpfen und siegen--für niemand sonst. Sie haben keine Angst vor
+Ihrem eigenen Schicksal, Sie zeigen uns, was wir (alle) erreichen
+könnten, wenn wir den Willen und den Mut dazu hätten, und das
+(plötzlich vor ihm auf die Knie fallend:) ist der Grund, warum wir Sie
+alle anzubeten beginnen. (Sie küßt seine Hände.)
+
+(Napoleon in Verlegenheit:) Aber--aber--bitte, erheben Sie sich,
+Madame!
+
+(Dame.) Weisen Sie meine Huldigung nicht zurück. Sie haben ein Recht
+darauf--Sie werden einst als Kaiser über Frankreich herrschen----
+
+(Napoleon rasch:) Nehmen Sie sich in acht, das ist Hochverrat!
+
+(Dame darauf bestehend:) Jawohl--als Kaiser über Frankreich--dann über
+Europa--vielleicht über die ganze Welt... Ich bin nur der erste
+Untertan, der Ihnen Treue schwört. (Küßt wieder seine Hand.) Mein
+Kaiser!
+
+(Napoleon hebt sie überwältigt auf:) Ich bitte Sie--nein, nein, Kind,
+das ist Wahnsinn! Gehen Sie, beruhigen Sie sich! (Sie streichelnd:)
+So, so, liebes Kind!
+
+(Dame mit Glückstränen kämpfend:) Ja, ich weiß, daß es unverschämt ist,
+Ihnen Dinge zu sagen, die Sie viel besser als ich wissen müssen.
+Aber Sie sind mir nicht böse--nicht wahr, nein?
+
+(Napoleon.) Böse? Nein, nein, nicht im geringsten, nicht im
+geringsten! Gehen Sie, Sie sind eine sehr gescheite, vernünftige und
+interessante kleine Frau. (Er streichelt ihre Wangen:) Wollen wir
+Freunde sein?
+
+(Dame hingerissen:) Ihre Freundin! Sie wollen mir gestatten, Ihre
+Freundin zu sein? Oh! (Sie reicht ihm ihre beiden Hände mit einem
+strahlenden Lächeln.) Sie sehen, ich beweise Ihnen mein Vertrauen.
+
+(Napoleon mit einem Wutschrei und blitzenden Augen:) Was?!
+
+(Dame.) Was ist geschehen?
+
+(Napoleon.) Ihr Vertrauen! damit ich Ihnen dafür mein Vertrauen
+schenken und Ihnen gestatte, mir mit meinen Depeschen davonzugehen--was?
+Ah, Delila, Delila! Sie haben Ihre Künste an mir versucht, und ich war
+ein ebenso großer Einfaltspinsel wie mein Esel von einem Leutnant. (Er
+geht drohend auf sie los.) Geben Sie die Depeschen--schnell! Ich lasse
+jetzt nicht mehr mit mir spaßen!
+
+(Dame um das Sofa herumfliehend:) Herr General--
+
+(Napoleon.) Ich sage Ihnen--rasch! (Er geht rasch durch die Mitte des
+Zimmers und vertritt ihr den Weg, als sie sich gegen den Weingarten
+wenden will.)
+
+(Dame bietet ihm die Stirne wie ein gehetztes Tier:) Wie können Sie es
+wagen, in diesem Tone mit mir zu sprechen?
+
+(Napoleon.) Wagen?!
+
+(Dame.) Ja--wagen! Wer sind Sie, daß Sie sich herausnehmen dürfen,
+mit mir auf so grobe Weise zu sprechen? Oh, der niedrig geborene,
+gemeine, korsische Abenteurer tritt sehr leicht bei Ihnen zutage.
+
+(Napoleon außer sich:) Sie Teufelin, Sie--(Wild:) Zum letztenmal:
+Wollen Sie mir die Papiere geben oder soll ich sie Ihnen
+entreißen?--mit Gewalt! (Dame läßt die Hände sinken:) Ja, entreißen
+Sie sie mir--mit Gewalt! (Während er sie anstarrt wie ein
+sprungbereiter Tiger, kreuzt sie in Märtyrerstellung ihre Arme über
+der Brust. Diese Geste und Pose wecken augenblicklich Napoleons
+theatralischen Instinkt. Er vergißt seine Wut, um ihr zu zeigen, daß
+er ihr auch im Komödienspielen gewachsen ist. Er läßt sie einen
+Augenblick in Erwartung, dann hellt sich sein Gesicht plötzlich auf,
+er legt die Hände mit herausfordernder Kälte auf den Rücken, sieht an
+ihr ein paarmal hinauf und hinab, nimmt eine Prise Schnupftabak,
+wischt seine Finger sorgfältig ab und steckt sein Taschentuch ein.
+Ihre heroische Pose wird dadurch immer lächerlicher.)
+
+(Napoleon endlich:) Nun?
+
+(Dame verlegen, aber die Arme noch immer in Ergebung gekreuzt:) Nun,
+was wollen Sie beginnen?
+
+(Napoleon.) Ihre Pose verderben!
+
+(Dame.) Sie roher Patron! (Ihre Stellung aufgebend, geht sie an das
+Sofaende, wendet sich mit dem Rücken dagegen, lehnt sich an und steht
+ihm, mit den Händen auf dem Rücken, gegenüber.)
+
+(Napoleon.) So ist's besser. Nun hören Sie mir zu. Sie gefallen
+mir--und was mehr ist, ich schätze Ihre Achtung.
+
+(Dame.) Dann schätzen Sie, was Sie nicht besitzen.
+
+(Napoleon.) Ich werde sie gleich besitzen. Hören Sie: gesetzt den
+Fall, ich würde mich von der Achtung, die ich Ihrem Geschlecht, Ihrer
+Schönheit, Ihrem Heldentum und allem übrigen schuldig bin, bestimmen
+lassen. Nehmen Sie an, daß ich, obwohl nichts als solch sentimentaler
+Kram zwischen diesen meinen Muskeln und jenen mir so wichtigen
+Papieren stünde, die Sie bei sich haben und die ich haben will and
+auch bekommen werde, nehmen Sie an, daß ich mit der Beute vor mir
+schwankend werden und mit leeren Händen mich hinwegschleichen würde,
+--oder, was noch ärger wäre, daß ich meine Schwäche zu verdecken
+suchte, indem ich den großen Helden spielte und Ihnen den Gewaltakt
+ersparte, den ich nicht anzuwenden wagte--würden Sie mich nicht aus
+der tiefsten Tiefe Ihrer weiblichen Seele verachten? Würde irgendeine
+Frau so dumm sein? Nun,--Bonaparte kann zeigen, daß er auch dieser
+Lage gewachsen ist und, wenn nötig, unmännlich handeln darf.
+Verstehen Sie mich? (Ohne ein Wort au sprechen, richtet sich die Dame
+auf und nimmt ein Paket mit Briefen aus den Brustfalten ihres Kleides.
+Einen Moment fühlt sie sich versucht, sie ihm ins Gesicht zu werfen,
+aber ihre gute Erziehung hält sie davon ab, ihrem Herzen auf gemeine
+Weise Luft zu machen. Sie überreicht sie ihm höflich und wendet bloß
+den Kopf dabei ab. Im Augenblick, als er sie nimmt, eilt sie nach der
+entgegengesetzten Seite des Zimmers, bedeckt ihr Gesicht mit den
+Händen und setzt sich, indem sie sich umwendet und das Gesicht der
+Stuhllehne zukehrt.)
+
+(Napoleon sich an den Papieren weidend:) Ah, so ist's recht! (Bevor
+er sie öffnet, blickt er nach ihr hin und sagt:) Sie entschuldigen...
+(Er bemerkt, daß sie ihr Gesicht verdeckt hat.) Sehr böse auf
+mich--wie? (Er bindet das Paket auf, dessen Siegel schon erbrochen
+sind und legt es auf den Tisch, um seinen Inhalt zu untersuchen.)
+
+(Dame ruhig, nimmt ihre Hände herab und zeigt, daß sie nicht weint,
+sondern bloß nachdenkt:) Nein, Sie hatten recht--aber Sie tun mir leid.
+
+(Napoleon hält in der Tätigkeit, den obersten Brief aus dem Paket zu
+nehmen, inne:) Ich tue Ihnen leid--warum?
+
+(Dame.) Ich werde sehen müssen, wie Sie Ihre Ehre verlieren.
+
+(Napoleon.) Hm... ist das alles? (Er nimmt den Brief in die Hand.)
+
+(Dame.) Und Ihr Glück.
+
+(Napoleon.) Glück, meine Liebe, ist mir das langweiligste Ding von der
+Welt. Wäre ich, was ich bin, wenn ich mich um Glück scherte? Sonst
+noch etwas?
+
+(Dame.) Nichts--(Er unterbricht sie mit einem Ausruf der Befriedignng;
+sie fährt ruhig fort:) als daß Sie eine sehr komische Figur in den
+Augen Frankreichs abgeben werden.
+
+(Napoleon rasch:) Was?! (Die Hand, die den Brief hält, fällt
+unwillkürlich herab. Die Dame blickt ihn rätselhaft an und verharrt
+in ruhigem Schweigen. Er wirft den Brief hin und bricht in einen
+Strom von Schmähungen aus:) Was meinen Sie damit, wie? Beginnen Sie
+Ihre Kunststücke von neuem? Glauben Sie, daß ich nicht weiß, was
+diese Papiere enthalten?... Ich will es Ihnen sagen. Erstens die
+Verständigung über Beaulieus Rückzug... er hat ja nur die Wahl
+zwischen zwei Dingen, die er tun kann, dieser dickköpfige Idiot!
+Entweder sich in Mantua einschließen oder die Neutralität Venedigs
+durch die Einnahme von Peschiera verletzen. Sie sind einer von den
+Spionen des alten Idioten. Er hat entdeckt, daß er verraten wurde,
+und hat Sie ausgesandt, um diese Nachricht um jeden Preis zu vereiteln.
+Als wenn ihn das vor mir retten könnte, den alten Narren! Die
+andern Papiere enthalten nur meine gewöhnliche Pariser Korrespondenz,
+über die Sie nichts wissen.
+
+(Dame rasch und geschäftsmäßig:) Herr General, lassen Sie uns ehrlich
+teilen: nehmen Sie die Nachrichten, die Ihnen Ihre Spione über die
+österreichische Armee gesandt haben, und geben Sie mir die Pariser
+Korrespondenz--das soll mir genügen.
+
+(Napoleon ganz atemlos über die Ruhe, mit der sie diesen Vorschlag
+macht:) Ehrlich tei... (Er schnappt nach Luft.) Mir scheint, Madame,
+daß Sie meine Briefe als Ihr rechtmäßiges Eigentum betrachten, dessen
+ich Sie zu berauben versuche!
+
+(Dame ernst:) Nein, bei meiner Ehre, ich verlange keinen Ihrer
+Briefe--nicht ein Wort, das von Ihnen oder an Sie geschrieben wurde.
+Dieses Paket enthält einen gestohlenen Brief: einen Brief, den eine
+Frau einem Manne geschrieben hat, einem Manne, der nicht ihr Gatte ist,
+--einen Brief, der Schande, Infamie bedeutet--
+
+(Napoleon.) Einen Liebesbrief?
+
+(Dame bitter-süß:) Was sonst als ein Liebesbrief könnte so viel Haß
+aufrühren?
+
+(Napoleon.) Warum wurde er an mich gesandt? Um den Gatten in meine
+Gewalt zu geben--was?
+
+(Dame.) Nein, nein--er kann Ihnen in keiner Weise nützlich sein. Ich
+schwöre Ihnen, daß es Sie nichts kosten wird, wenn Sie ihn mir geben.
+Er wurde Ihnen aus reiner Bosheit zugesandt--einzig und allein, um die
+Frau, die ihn geschrieben hat, zu kompromittieren.
+
+(Napoleon.) Warum hat man ihn nicht ihrem Manne geschickt? Was soll
+ich damit?
+
+(Dame vollkommen aus dem Text gebracht:) Oh! (Sie sinkt in den Stuhl
+zurück:) Ich... weiß es nicht. (Sie bricht zusammen.)
+
+(Napoleon.) Aha! ich dacht' es gleich,--ein kleiner Roman, um die
+Papiere zurückzubekommen. (Er wirft das Paket auf den Tisch und tritt
+vor sie hin, in zynisch guter Laune,) Per Bacco, kleine Frau! ich kann
+nicht umhin, Sie zu bewundern! Wenn ich so zu lügen verstünde wie Sie,
+ich könnte, mir viele Mühe ersparen.
+
+(Dame die Hände ringend:) Oh, wie ich wünschte, daß ich Ihnen wirklich
+bloß eine Lüge erzählt hätte! Dann würden Sie mir geglaubt haben!
+Das einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit.
+
+(Napoleon mit roher Vertraulichkeit, behandelt sie, als ob sie eine
+Marketenderin wäre:) Ausgezeichnet, ausgezeichnet! (Er legt seine
+Hände hinter sich auf den Tisch und setzt sich mit in die Seite
+gestemmten Armen und weit auseinander gestreckten Beinen auf den Tisch.)
+Gehen Sie! Ich bin ein echter Korse in meiner Vorliebe für
+Geschichten! Aber ich könnte sie besser erzählen als Sie, wenn ich
+mir's angelegen sein ließe. Wenn man Sie wieder einmal fragen sollte,
+warum man einen Brief, der eine Frau kompromittiert, nicht ihrem
+Gatten schicken soll, dann antworten Sie einfach: Weil ihn der Gatte
+nicht lesen würde.--Oder bilden Sie sich ein, Sie kleine Unschuld, daß
+ein Ehemann von der öffentlichen Meinung gezwungen werden will, eine
+Szene zu machen, ein Duell auszufechten, infolge eines Skandales
+seinen Haushalt aufzugeben, seine Karriere zu zerstören, wenn er all
+das verhindern kann, indem er sich hütet, etwas zu wissen?
+
+(Dame empört:) Und wenn dieses Paket einen Brief über Ihre eigene Frau
+enthielte?
+
+(Napoleon beleidigt, den Tisch verlassend:) Sie werden unverschämt,
+Madame!
+
+(Dame demütig:) Verzeihen Sie mir--Cäsars Frau ist über jeden Argwohn
+erhaben.
+
+(Napoleon mit wohlerwogener Überlegenheit:) Sie haben eine
+Indiskretion begangen--ich verzeihe Ihnen. In Zukunft erlauben Sie
+sich aber nicht, wirkliche Personen in Ihre Romane einzuführen.
+
+(Dame höflich eine Rede überhörend, die ihr nur eine Vernachlässigung
+der guten Manieren bedeutet, erhebt sie sich, um an den Tisch zu gehen:)
+Herr General,--es ist wirklich der Brief einer Frau darunter. (Auf
+das Paket zeigend:) Geben Sie ihn mir.
+
+(Napoleon grob und kurz, mit einer Bewegung, die verhindern soll, daß
+sie den Briefen zu nahe kommt:) Warum?
+
+(Dame.) Er ist von einer alten Freundin, wir waren zusammen in der
+Schule; sie hat mir geschrieben und mich angefleht, zu verhindern, daß
+der Brief in Ihre Hände falle.
+
+(Napoleon.) Warum wurde er mir geschickt?
+
+(Dame.) Weil er den Direktor Barras kompromittiert.
+
+(Napoleon die Stirne runzelnd, sichtlich erregt:) Barras? (Hochmütig:)
+Nehmen Sie sich in acht, Madame. Der Direktor Barras ist mein
+treuer, persönlicher Freund.
+
+(Dame nickt gelassen:) Ja--Sie wurden durch Ihre Frau mit ihm
+befreundet.
+
+(Napoleon.) Schon wieder! Habe ich Ihnen nicht verboten, von meiner
+Frau zu sprechen? (Sie fährt fort, ihn neugierig anzublicken, ohne
+diese Zurechtweisung zu beachten. Mehr und mehr erregt, läßt er seine
+hochmütige Art fallen, die ihm selbst etwas lästig wird, und sagt
+argwöhnisch, mit leiser Stimme:) Wer ist diese Frau, mit der Sie so
+tief sympathisieren?
+
+(Dame.) Oh, Herr General, wie könnte ich Ihnen das sagen?!
+
+(Napoleon übellaunig, beginnt er wieder ärgerlich verwundert auf und
+ab zu gehen:) Ja, ja--die eine hilft der andern--Ihr Weiber seid alle
+gleich!
+
+(Dame entrüstet:) Wir sind nicht alle gleich--nicht mehr, als Ihr es
+seid! Glauben Sie, daß, wenn ich einen andern Mann liebte, ich
+vorgeben würde, meinen Mann weiter zu lieben, oder mich fürchten würde,
+ihm oder der ganzen Welt alles zu sagen? Aber diese Frau ist nicht
+aus solchem Stoff geschaffen--sie beherrscht die Männer, indem sie sie
+betrügt, und (verachtungsvoll:) sie lieben das und lassen sich von ihr
+beherrschen. (Sie setzt sich wieder nieder, mit dem Rücken gegen ihn.)
+
+(Napoleon sich um sie nicht bekümmernd:) Barras! Barras! (Wendet
+sich drohend gegen sie, sein Gesicht verfinstert sich.) Nehmen Sie
+sich in acht! nehmen Sie sich in acht!--hören Sie! Sie könnten zu
+weit gehen!
+
+(Dame wendet ihm unschuldig ihr Gesicht zu:) Was haben Sie?
+
+(Napoleon.) Auf was spielen Sie an? Wer ist diese Frau?
+
+(Dame begegnet seinem ärgerlich forschenden Blick mit ruhiger
+Gleichgültigkeit und bleibt, zu ihm aufsehend, mit übergeschlagenen
+Beinen sitzen und läßt den rechten Arm leicht auf der Lehne des
+Stuhles ruhen:) Ein eitles, dummes, verschwenderisches Geschöpf, das
+einen sehr fähigen und ehrgeizigen Mann hat, der sie durch und durch
+kennt--der weiß, daß sie ihn über ihr Alter, ihr Einkommen, ihre
+soziale Stellung, über alles, worüber dumme Frauen Lügen erzählen,
+belogen hat,--der weiß, daß sie unfähig ist, irgendeinem Prinzip oder
+irgendeinem Menschen treu zu sein, und doch nicht umhin kann, sie zu
+lieben,--dessen männlicher Instinkt ihm sogar erlaubt, sie zu benützen,
+um mit ihrer Hilfe bei Barras etwas zu erreichen.
+
+(Napoleon mit einem leisen, kalt wilden Flüstern:) Das ist Ihre Rache,
+Sie Katze, weil Sie mir die Briefe herausgeben mußten!
+
+(Dame.) Unsinn! Oder halten Sie sich selbst für so einen Menschen?
+
+(Napoleon außer sich, schlingt die Hände auf dem Rücken ineinander,
+seine Finger zucken, und er sagt, während er aufgeregt von ihr fort
+zum Kamin geht:) Dieses Weib wird mich noch um den Verstand bringen!
+(Zu ihr:) Gehen Sie!
+
+(Dame bleibt unbeweglich sitzen:) Nicht ohne jenen Brief.
+
+(Napoleon.) Hinaus, sage ich Ihnen! (Er geht vom Kamin bis gegen den
+Weingarten und wieder zurück an den Tisch.) Sie werden keinen Brief
+bekommen--Sie gefallen mir nicht! Sie sind ein unausstehliches
+Frauenzimmer and häßlich wie der leibhaftige Satan! Ich lasse mich
+nicht von fremden Weibern belästigen! Machen Sie, daß Sie fortkommen!
+(Er wendet ihr den Rücken zu. Sie stützt ihre Wange in die Hand und
+lacht in stillem Vergnügen über ihn. Er wendet sich wieder um, ihr
+ärgerlich nachahmend:) Hahaha! Worüber lachen Sie?
+
+(Dame.) Über Sie, Herr General. Ich habe schon oft Menschen Ihres
+Geschlechtes aufgebracht und sich wie Kinder benehmen sehen, aber ich
+habe das noch nie zuvor an einem wirklich großen Manne beobachtet.
+
+(Napoleon brutal, ihr die Worte ins Gesicht schleudernd:) Pah!
+Schmeichelei! Schmeichelei! plumpe, unverschämte Schmeichelei!
+
+(Dame springt mit jähem Erröten auf:) Oh, Sie gehen zu weit! Behalten
+Sie Ihre Briefe, lesen Sie darin die Geschichte Ihrer eigenen Schande,
+und möge sie Ihnen gut bekommen! Leben Sie wohl! (Sie geht entrüstet
+zur inneren Türe.)
+
+(Napoleon.) Meine eigene--! Bleiben Sie! Kommen Sie zurück! Ich
+befehle Ihnen zu bleiben! (Sie mißachtet stolz seinen wilden
+befehlshaberischen Ton und setzt den Weg zur Tür fort. Er springt auf
+sie zu, faßt sie beim Handgelenk and zerrt sie zurück.) Jetzt werden
+Sie mir sagen, was Sie meinen... erklären Sie sich! Erklären Sie,
+sage ich Ihnen, sonst--! (Bedroht sie. Sie sieht ihn mit furchtlosem
+Trotz an.) Brr! Sie hartnäckiger Teufel, Sie! warum wollen Sie eine
+höfliche Frage nicht beantworten?
+
+(Dame durch seine Heftigkeit tief verletzt:) Warum fragen Sie mich?
+Sie haben ja die Erklärung.
+
+(Napoleon.) Wo?
+
+(Dame zeigt auf den Tisch mit den Briefen:) Dort! Sie brauchen nur zu
+lesen. (Er nimmt das Paket auf, zögert, sieht sie argwöhnisch an und
+wirft es wieder hin.)
+
+(Napoleon.) Sie scheinen die Sorge um die Ehre Ihrer alten Freundin
+vergessen zu haben?
+
+(Dame.) Jetzt läuft sie keine Gefahr mehr: sie versteht ihren Mann
+nicht ganz.
+
+(Napoleon.) Soll ich den Brief also lesen? (Er streckt seine Hand aus,
+als ob er das Paket wieder aufgreifen wollte, den Blick auf sie
+gerichtet.)
+
+(Dame.) Ich sehe nicht, wie Sie jetzt noch vermeiden könnten, ihn zu
+lesen. (Er zieht seine Hand sofort zurück.) Oh, fürchten Sie sich
+nicht. Sie werden mancherlei interessante Dinge darin finden.
+
+(Napoleon.) Zum Beispiel?
+
+(Dame.) Zum Beispiel: ein Duell--mit Barras, eine häusliche Szene,
+einen aufgelösten Haushalt, einen öffentlichen Skandal, eine zerstörte
+Karriere--allerlei interessante Dinge--
+
+(Napoleon.) Hm! (Er sieht sie an, nimmt das Paket und betrachtet es,
+spitzt die Lippen und wiegt es in der Hand, sieht sie dann wieder an,
+nimmt das Paket in seine linke Hand und stellt es hinter seinen Rücken;
+seine rechte Hand erhebt er, um sich am Hinterkopf zu kratzen, indem
+er sich umwendet und an die Schwelle des Weingartens geht, wo er einen
+Augenblick stehen bleibt und, in tiefe Gedanken versunken, nach den
+Weinreben blickt. Die Dame beobachtet ihn schweigend, mit einiger
+Geringschätzung. Plötzlich kommt er wieder zurück, voll Kraft und
+Entschlossenheit:) Ich will Ihre Bitte erfüllen, Madame. Ihr Mut und
+Ihre Entschlossenheit verdienen einen Erfolg. Nehmen Sie die Briefe,
+für die Sie so gut gekämpft haben, und erinnern Sie sich hinfort daran,
+daß Sie den niedrig geborenen, gemeinen, korsischen Abenteurer nach
+der gewonnenen Schlacht dem Besiegten gegenüber ebenso großmütig
+gefunden haben, wie er vorher im Angesichte des Feindes unerbittlich
+war. (Er bietet ihr das Paket an.)
+
+(Dame ohne es zu nehmen, ihn hart anblickend:) Ich frage mich, was Sie
+wohl jetzt im Schilde führen. (Er wirft das Paket wütend auf den
+Boden.) Aha! Mir scheint, diesmal habe ich eine Pose verdorben. (Sie
+macht ihm eine hübsche, spöttische Verbeugung.)
+
+(Napoleon hebt die Briefe wieder auf:) Wollen Sie die Briefe nehmen
+und dann gehen? (Geht auf sie los und will sie ihr aufdrängen.)
+
+(Dame um den Tisch herum entwischend:) Nein! ich will Ihre Briefe
+nicht.
+
+(Napoleon.) Vor zehn Minuten wollte Ihnen nichts anderes genügen.
+
+(Dame den Tisch sorgfältig zwischen ihm und sich haltend:) Vor zehn
+Minuten hatten Sie mich noch nicht über alles Ertragen beleidigt.
+
+(Napoleon.) Dann... (seine Wut hinunterwürgend:) dann bitte ich Sie um
+Verzeihung.
+
+(Dame kühl:) Ich danke. (Er bietet ihr mit erzwungener Höflichkeit
+das Paket über den Tisch an; sie tritt einen Schritt zurück, aus
+seinem Bereich, und sagt:) Aber wollen Sie denn nicht mehr wissen, ob
+die Österreicher in Mantua oder in Peschiera stehen?
+
+(Napoleon.) Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich meine Feinde ohne die
+Mithilfe von Spionen zu besiegen weiß, Madame!
+
+(Dame.) Und den Brief--wollen Sie den nicht lesen?
+
+(Napoleon.) Sie haben gesagt, daß er nicht an mich adressiert ist--ich
+habe nicht die Gewohnheit, anderer Leute Briefe zu lesen. (Er bietet
+ihr das Paket abermals an.)
+
+(Dame.) Wenn dem so ist, dann ist dagegen, daß Sie ihn behalten, gewiß
+nichts einzuwenden. Alles, was ich wollte, war: zu verhindern, daß
+Sie ihn lesen. (Heiter:) Guten Abend, Herr General! (Sie wendet sich
+kühl nach der inneren Türe.)
+
+(Napoleon wirft das Paket ärgerlich auf das Sofa:) Himmel, gib mir
+Geduld! (Er pflanzt sich entschlossen vor der Tür auf und verstellt
+ihr so den Weg.) Fehlt Ihnen jeder Sinn für persönliche Gefahr, oder
+gehören Sie zu den Frauen, die es lieben, schwarz und blau geschlagen
+zu werden?
+
+(Dame.) Ich danke schön, Herr General--das müßte zweifellos eine sehr
+reizvolle Sensation sein, aber ich verzichte lieber darauf. Ich will
+einfach nach Hause gehn, weiter nichts. Ich war arglistig genug, Ihre
+Depeschen zu stehlen, aber Sie haben sie zurückbekommen und haben mir
+verziehen, weil (seinen rhetorischen Tonfall liebenswürdig
+wiederholend:) Sie nach der gewonnenen Schlacht ebenso großmütig gegen
+den Besiegten sind, wie Sie vorher im Angesicht des Feindes
+unerbittlich waren. Wollen Sie mir nicht Lebewohl sagen? (Sie reicht
+ihm freundlich die Hand.)
+
+(Napoleon das Entgegenkommen mit einer Gebärde maßloser Wut
+zurückweisend, öffnet die Tür und ruft wütend:) Giuseppe! (Lauter:)
+Giuseppe! (Er schlägt die Tür zu und kommt in die Mitte des Zimmers.
+Die Dame geht etwas gegen den Weingarten zu, um ihm auszuweichen.)
+
+(Giuseppe erscheint an den Tür:) Exzellenz befehlen?
+
+(Napoleon.) Wo ist der Narr?
+
+(Giuseppe.) Der Herr Leutnant hat, wie Exzellenz befohlen haben, ein
+gutes Essen bekommen und erweist mir nun die Ehre, mit mir zu würfeln,
+um sich die Zeit zu vertreiben.
+
+(Napoleon.) Schick' ihn her--bring ihn herein and komm mit ihm.
+
+(Giuseppe läuft mit unentwegter Bereitwilligkeit hinaus. Napoleon
+wendet sich zu der Dame und sagt dabei barsch:) Ich muß Sie bitten,
+noch einige Augenblicke hierzubleiben, Madame. (Er geht zum Sofa.
+Sie schreitet vom Weingarten an der entgegengesetzten Seite des
+Zimmers an das Büfett, lehnt sich dagegen und beobachtet ihn. Er
+nimmt das Paket vom Sofa und knöpft es langsam und sorgfältig in seine
+Brusttasche, während er sie dabei mit einem Ausdruck betrachtet, der
+besagen soll, daß sie den Zweck seines Vorgehens bald herausfinden und
+über diesen Zweck nicht erfreut sein wird. Es wird nichts mehr gesagt,
+bis der Leutnant hereinkommt. Giuseppe folgt ihm und bleibt
+bescheiden in Bereitschaft vor dem Tische stehn. Der Leutnant ohne
+Mütze, ohne Degen und ohne Handschuhe und infolge seiner Mahlzeit in
+viel besserer Laune und besserer Geistesverfassung wählt die Seite des
+Zimmers, auf der die Dame steht, und wartet sehr behaglich, bis
+Napoleon beginnt.)
+
+(Napoleon.) Herr Leutnant!
+
+(Leutnant ermutigend:) Herr General!
+
+(Napoleon.) Ich kann diese Dame nicht dazu bewegen, mir viele
+Aufklärungen zu geben; aber es besteht kein Zweifel mehr darüber, daß
+der Mann, der Sie durch seine List dahin brachte, Ihre Pflicht zu
+verletzen, wie sie es bereits zugab, ihr Bruder ist.
+
+(Leutnant triumphierend:) Was habe ich Ihnen gesagt, Herr General?
+
+(Napoleon.) Sie müssen diesen Menschen finden, Ihre Ehre steht auf dem
+Spiel, und der Ausgang des Feldzuges, das Schicksal Frankreichs--Europas
+--der Menschheit vielleicht mag von den Mitteilungen abhängen, die jene
+Depeschen enthalten.
+
+(Leutnant.) Ja, mir scheint, sie sind wirklich ziemlich wichtig. (Als
+ob er vorher kaum daran gedacht hätte.)
+
+(Napoleon energisch:) Sie sind so wichtig, Herr Leutnant, daß ich Sie
+in Gegenwart Ihres Regiments degradieren werde, wenn Sie diese
+Depeschen nicht wiederfinden.
+
+(Leutnant.) Hu! Ich kann Ihnen versichern, daß dem Regimente das
+wenig Spaß machen wird.
+
+(Napoleon.) Persönlich bedaure ich Sie; ich würde die Sache, wenn das
+möglich wäre, gerne unterdrücken. Aber ich werde zur Rechenschaft
+gezogen werden, wenn ich nicht nach den Depeschen handle--ich werde
+der ganzen Welt beweisen müssen, daß ich sie niemals bekommen habe,
+was für Folgen das auch immer für Sie haben mag--es tut mir leid, aber
+Sie sehen, ich kann mir nicht anders helfen.
+
+(Leutnant gutmütig:) Oh, nehmen Sie sich die Sache nicht zu Herzen,
+Herr General, Sie sind wirklich zu gütig. Was mir auch zustoßen
+sollte, ich werde schon irgendwie durchkommen, und wir werden die
+Österreicher für Sie schlagen--mit oder ohne Depeschen! Ich hoffe,
+Sie werden nicht darauf bestehen, daß ich ganz umsonst sofort Jagd
+nach diesem Burschen mache. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich ihn
+suchen soll.
+
+(Giuseppe ehrerbietig:) Sie vergessen, Herr Leutnant,--er hat Ihr
+Pferd.
+
+(Leutnant auffahrend:) Das hab' ich ganz vergessen. (Entschlossen:)
+Ich werde nach ihm fahnden, Herr General, ich werde dieses Pferd, wenn
+es irgendwo in Italien noch am Leben ist, aufstöbern, und ich werde
+die Depeschen nicht vergessen--seien Sie unbesorgt. Geh', Giuseppe,
+und sattle eines von deinen schäbigen alten Postkutschpferden, während
+ich meine Mütze, meinen Degen und die übrigen Sachen hole,--schnell,
+marsch! fort mit dir! (Drängt ihn hinaus.)
+
+(Giuseppe.) Sofort, Herr Leutnant, sofort! (Er verschwindet im
+Weingarten, den der Sonnenuntergang rötet.)
+
+(Leutnant auf dem Wege nach der inneren Tür um sich blickend:) Da
+fällt mir ein, Herr General, habe ich Ihnen meinen Degen gegeben oder
+nicht? Oh, ich erinnere mich jetzt--(verdrießlich:) Das kommt davon,
+wenn man einen Menschen in Arrest setzt! Man weiß dann nie, wo man
+seine sieben Sachen gelassen... (Er schwätzt sich aus dem Zimmer.)
+
+(Dame noch vor dem Büfett:) Was soll das alles bedeuten, Herr General?
+
+(Napoleon.) Er wird Ihren Bruder nicht finden.
+
+(Dame.) Selbstverständlich nicht; weil ich keinen habe.
+
+(Napoleon.) Die Depeschen werden unwiederbringlich verloren sein.
+
+(Dame.) Unsinn! Sie sind in Ihrer Rocktasche.
+
+(Napoleon.) Sie werden einsehen, daß es schwerhalten wird, diese
+abenteuerliche Behauptung zu beweisen.
+
+(Die Dame fährt auf; er fügt mit treffendem Nachdruck hinzu:) Diese
+Papiere sind verloren.
+
+(Dame ängstlich, an die Ecke des Tisches vorwärtsschreitend:) Und
+deshalb soll die Karriere dieses unglücklichen Menschen geopfert
+werden?
+
+(Napoleon.) Seine Karriere?! Der Bursche ist das Schießpulver nicht
+wert, das er kosten würde, wenn ich ihn niederknallen ließe! (Er
+wendet sich verachtungsvoll ab und geht zum Kamin, wo er der Dame den
+Rücken kehrt.)
+
+(Dame gedankenvoll:) Sie sind sehr hart. Männer und Frauen sind Ihnen
+nichts als Dinge, dazu da, von Ihnen gebraucht zu werden, selbst wenn
+sie bei dem Gebrauch zugrunde gehn.
+
+(Napoleon wendet sich zu ihr:) Wer von uns beiden hat diesen Burschen
+zugrunde gerichtet--ich oder Sie? Wer hat ihm die Depeschen
+abgelockt? Haben Sie dabei an seine Karriere gedacht?
+
+(Dame naiv bekümmert um den Leutnant:) Oh, daran habe ich nicht
+gedacht! Es war brutal von mir--aber ich konnte nicht anders, nicht
+wahr? Wie hätte ich sonst die Papiere bekommen sollen? (Flehentlich:)
+Herr General, Sie werden ihm die Schande ersparen!
+
+(Napoleon bitter lachend:) Retten Sie ihn, da Sie so gescheit sind!
+Sie waren es ja, die ihn ruiniert hat! (Mit wilder Betonung:) Ich
+hasse einen schlechten Soldaten! (Er geht entschlossen durch den
+Weingarten hinaus; sie folgt ihm einige Schritte mit einer
+beschwörenden Gebärde, wird aber durch die Rückkehr des Leutnants
+aufgehalten, der mit Handschuhen und Mütze und umgürtetem Degen
+marschbereit ist. Er durchschreitet das Zimmer nach der äußeren Tür
+zu, als sie ihm in den Weg tritt.)
+
+(Dame.) Herr Leutnant!
+
+(Leutnant wichtig:) Sie dürfen mich nicht aufhalten,--Dienst ist
+Dienst, gnädige Frau.
+
+(Dame flehentlich:) O Herr Leutnant, was wollen Sie meinem armen
+Bruder tun?
+
+(Leutnant.) Lieben Sie ihn sehr?
+
+(Dame.) Ich würde sterben, wenn ihm etwas zustieße--Sie müssen ihn
+verschonen! (Der Leutnant schüttelt düster den Kopf.) Ja, ja, Sie
+müssen--Sie werden... Er darf noch nicht sterben! Hören Sie mich!
+Wenn ich Ihnen sage, wo er zu finden ist--wenn ich es unternehme, ihn
+als Gefangenen in Ihre Hände zu liefern, damit Sie ihn dem General
+Bonaparte übergeben können--wollen Sie mir dann als Offizier und
+Edelmann bei Ihrer Ehre schwören, nicht mit ihm zu kämpfen oder ihn
+auf irgendeine Weise schlecht zu behandeln?
+
+(Leutnant.) Aber gesetzt den Fall, daß er mich angreift... er hat
+meine Pistolen!
+
+(Dame.) Dazu ist er viel zu feige.
+
+(Leutnant.) Davon bin ich durchaus nicht so überzeugt--der ist zu
+allem fähig.
+
+(Dame.) Für den Fall, daß er Sie angreifen oder den leisesten
+Widerstand leisten sollte, gebe ich Ihnen Ihr Versprechen zurück.
+
+(Leutnant.) Mein Versprechen? Ich habe ja noch nichts versprochen.
+--Schauen Sie! Sie sind genau so gerieben wie Ihr Bruder.--Sie haben
+mich auch mittels der besseren Seite meiner Natur übervorteilen wollen.
+Und wie steht es mit meinem Pferd?
+
+(Dame.) Es ist in unsere Abmachung eingeschlossen, daß Sie Ihr Pferd
+und Ihre Pistolen zurückbekommen sollen.
+
+(Leutnant.) Bei Ihrer Ehre?
+
+(Dame.) Bei meiner Ehre! (Sie reicht ihm die Hand.)
+
+(Leutnant erfaßt sie und hält sie fest:) Abgemacht! Ich werde mit ihm
+sanft wie ein Lamm umgehen.--Seine Schwester ist eine sehr hübsche
+Frau. (Er versucht, sie zu küssen.)
+
+(Dame ihm entschlüpfend:) O Herr Leutnant, Sie vergessen,--es geht um
+Ihre Karriere--um das Schicksal Europas--der Menschheit vielleicht...
+
+(Leutnant.) Was schert mich das Schicksal der Menschheit! (Ihr
+nachsetzend:) Nur einen Kuß!
+
+(Dame zieht sich hinter den Tisch zurück:) Nicht, bevor Sie Ihre
+Offiziersehre wiedergewonnen haben. Bedenken Sie--noch ist mein
+Bruder nicht Ihr Gefangener!
+
+(Leutnant verführerisch:) Sie werden mir sagen, wo er ist--nicht wahr?
+
+(Dame.) Ich brauche ihm nur ein vereinbartes Zeichen zu senden, und er
+wird in einer Viertelstunde hier sein.
+
+(Leutnant.) Dann ist er also gar nicht weit?
+
+(Dame.) Nein--sogar ganz nahe. Warten Sie hier auf ihn; sobald er
+meine Botschaft bekommt, wird er sofort hierhereilen, um sich Ihnen zu
+ergeben--verstehen Sie jetzt?
+
+(Leutnant an dessen Verstand zu hohe Anforderungen gestellt werden:)
+Nun, die Sache ist zwar ein wenig kompliziert, aber ich hoffe, es wird
+schon alles in Ordnung sein.
+
+(Dame.) Und jetzt, während Sie auf den Gefangenen warten, glauben Sie
+nicht, daß es besser wäre, Sie würden mit dem General die Bedingungen
+der Übergabe vereinbaren?
+
+(Leutnant.) Sehen Sie, wie fürchterlich verwickelt die Sache ist! Was
+für Bedingungen?
+
+(Dame.) Lassen Sie sich von ihm zusichern, daß er Ihre Soldatenehre
+als wiederhergestellt betrachtet, sobald Sie meinen Bruder gefangen
+haben. Unter dieser Bedingung wird er alles versprechen, was Sie
+verlangen.
+
+(Leutnant.) Das ist keine schlechte Idee, ich danke Ihnen. Ich glaube,
+das werde ich doch versuchen.
+
+(Dame.) Tun Sie das. Und vor allem eins: lassen Sie ihn ja nicht
+merken, wie gescheit Sie sind.
+
+(Leutnant.) Ich verstehe:--er könnte neidisch werden.
+
+(Dame.) Sagen Sie ihm nichts anderes, als daß Sie entschlossen sind,
+meinen Bruder gefangenzunehmen oder bei dem Versuche zugrunde zu gehn.
+Er wird Ihnen nicht glauben wollen--dann werden Sie meinen Bruder
+vorführen...
+
+(Leutnant unterbrechend, da er nun endlich das Komplott begreift:) Und
+ihn auslachen! Nein, was für eine gescheite kleine Frau Sie sind!
+(Rufend:) Giuseppe!
+
+(Dame.) Sch! Kein Wort zu Giuseppe über mich! (sie legt ihren Finger
+auf die Lippen, er tut dasselbe; sie blicken einander warnend an; dann
+ändert sie mit einem entzückenden Lächeln die Gebärde dahin, daß sie
+ihm einen Kuß zuwirft, und läuft durch die innere Tür hinaus.
+Elektrisiert, bricht er in ein kicherndes Frohlocken aus. Giuseppe
+kommt durch die äußere Tür zurück.)
+
+(Giuseppe.) Das Pferd ist bereit, Herr Leutnant.
+
+(Leutnant.) Ich gehe noch nicht gleich. Lauf! suche den General und
+sag ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche.
+
+(Giuseppe den Kopf schüttelnd:) Das ist ganz unmöglich, Herr Leutnant.
+
+(Leututnant.) Warum?
+
+(Giuseppe.) In dieser bösen Welt kann ein General zwar nach einem
+Leutnant schicken, aber ein Leutnant darf niemals nach einem General
+schicken.
+
+(Leutnant.) Ah, du meinst, das würde ihm nicht passen. Nun, du hast
+vielleicht recht. Man muß in diesen Dingen jetzt ungemein vorsichtig
+sein, seit wir eine Republik haben. (Da erscheint, vom Weingarten
+kommend, Napoleon, seinen Rock auf der Brust zuknöpfend, bleich und
+voll nagender Gedanken.)
+
+(Giuseppe der sich der Nähe Napoleons nicht bewußt ist:) Sehr richtig,
+Herr Leutnant, sehr richtig! Ihr seid jetzt in Frankreich alle wie
+die Wirte. Ihr müßt gegen jedermann höflich sein.
+
+(Napoleon seine Hand auf Giuseppes Schulter legend:) Und das nimmt der
+Höflichkeit ihren ganzen Wert--nicht wahr?
+
+(Leutnant.) Ah, da ist mein Mann!--Herr General, gesetzt den Fall, daß
+ich Ihnen den Burschen stelle--
+
+(Napoleon mit ironischem Ernst:) Sie werden ihn mir nicht stellen,
+mein Freund!
+
+(Leutnant.) Aha! das glauben Sie--aber Sie werden schon sehen, warten
+Sie nur ab! Wenn ich ihn aber doch fangen und Ihnen übergeben sollte,
+werden Sie dann sagen: wir sind quitt!? Werden Sie dann die
+Geschichte von der Degradierung in Gegenwart meines Regiments fallen
+lassen? Nicht meinetwegen, wissen Sie!--aber kein Regiment läßt sich
+gerne dem Gelächter der andern Regimenter preisgeben.
+
+(Napoleon ein kalter Schimmer von Humor huscht über sein düsteres
+Gesicht:) Was sollen wir mit diesem Offizier beginnen, Giuseppe,
+--alles, was er sagt, ist falsch.
+
+(Giuseppe schlagfertig:) Machen Sie ihn zum General, Exzellenz; dann
+wird alles, was er sagt, richtig sein.
+
+(Leutnant triumphierend:) Haha! (Er wirft sich in Ekstase auf das
+Sofa, um den Witz auszukosten.)
+
+(Napoleon lacht und nimmt Giuseppe bei einem Ohr:) In diesem Wirtshaus
+kommst du nicht zur Geltung, Giuseppe. (Er setzt sich und stellt
+Giuseppe vor sich hin, wie ein Schulmeister seinen Schüler:) Soll ich
+dich mit mir nehmen und einen Mann aus dir machen?
+
+(Giuseppe schüttelt wiederholt rasch den Kopf:) Nein, ich danke Ihnen,
+Herr General. Mein ganzes Leben lang haben Leute versucht, aus mir
+einen Mann zu machen.
+
+Als ich ein Knabe war, wollte unser guter Pastor einen Mann aus mir
+machen, indem er mich lesen und schreiben lehrte; dann wollte der
+Organist zu Melegnano einen Mann aus mir machen, indem er mich im
+Notenlesen unterwies. Später würde der rekrutierende Korporal einen
+Mann aus mir gemacht haben, wenn ich ein paar Zoll größer gewesen wäre,
+--aber immer hätte das für mich Arbeit bedeutet; dazu bin ich aber zu
+faul, dem Himmel sei Dank! So lernte ich statt alldem kochen und
+wurde Wirt, und nun halte ich Dienerschaft für die Arbeit und habe
+selber nichts zu tun, als zu schwatzen, was mir ausgezeichnet bekommt.
+
+(Napoleon ihn gedankenvoll anblickend:) Bist du zufrieden?
+
+(Giuseppe in froher Überzeugung:) Vollkommen, Exzellenz!
+
+(Napoleon.) Und du hast keinen verzehrenden Teufel im Leibe, der Tag
+und Nacht mit Taten und Siegen gefüttert werden muß--der dich mit dem
+Schweiße deines Körpers und deines Gehirnes, mit Wochen von
+Herkulesarbeiten zehn Minuten des Genusses bezahlen läßt, der
+gleichzeitig dein Sklave und dein Tyrann ist, dein Genius und dein
+Verhängnis--der dir mit der einen Hand eine Krone reicht und das Ruder
+eines Galeerensklaven mit der andern--der dir alle Königreiche der
+Erde zeigt und dich zu ihrem Herrn zu machen verspricht unter der
+Bedingung, daß du ihr Diener wirst?--Von alledem hast du nichts im
+Leibe?
+
+(Giuseppe.) Nichts dergleichen. Aber ich versichere Ihnen, Exzellenz,
+mein verzehrender Teufel ist weit schlimmer; er bietet mir weder
+Kronen noch Königreiche: er erwartet alles umsonst von mir zu
+bekommen--Würste, Omeletten, Trauben, Käse, Polenta, Wein--täglich
+dreimal, Exzellenz, nichts Geringeres will ihm genügen.
+
+(Leutnant.) Hör' auf, Giuseppe!--Deine Worte machen mich wieder
+hungrig. (Giuseppe verbeugt sich, sich entschuldigend und zieht sich
+von dem Gespräche zurück. Er macht sich am Tische zu schaffen, staubt
+ihn ab, legt die Landkarte zurecht and rückt Napoleons Stuhl, den die
+Dame zurückgestoßen hat, wieder an seinen richtigen Platz.)
+
+(Napoleon wendet sich zum Leutnant mit sardonischer Feierlichkeit:)
+Ich hoffe, daß ich nicht ehrgeizige Gefühle in Ihnen erweckt habe.
+
+(Leutnant.) Durchaus nicht. Ich fliege nicht so hoch,--überdies ist
+es besser, daß ich so bleibe wie ich bin. Männer wie ich werden
+gerade jetzt in der Armee gebraucht. Die Revolution paßte nämlich
+ganz gut für Zivilisten, aber für die Armee taugt sie nichts. Sie
+wissen, wie Soldaten sind, Herr General: sie bestehen darauf, Männer
+von Rang zu Ihren Offizieren zu haben. Ein Leutnant muß ein Edelmann
+sein, weil er mit den Soldaten soviel in Berührung kommt; aber ein
+General oder selbst ein Oberst kann aus dem schlechtesten Ausschuß
+entnommen werden, wenn er sein Geschäft gut genug versteht. Ein
+Leutnant ist ein Edelmann, alles andere ist Zufall. Was glauben Sie,
+wer hat die Schlacht bei Lodi gewonnen? Ich will es Ihnen sagen: mein
+Pferd.
+
+(Napoleon erhebt sich:) Ihre Dummheit führt Sie zu weit,--nehmen Sie
+sich in acht!
+
+(Leutnant.) Durchaus nicht. Sie erinnern sich doch an die heftige
+Kanonade von einem Flußufer zum andern: die Österreicher bombardierten
+Sie, um Ihren Übergang zu verhindern, und Sie bombardierten die
+Österreicher, um sie davon abzuhalten, daß Sie die Brücke in Brand
+setzten. Haben Sie bemerkt, wo ich während dieser Zeit gewesen bin?
+
+(Napoleon mit drohender Höflichkeit:) Ich bedaure--ich glaube, ich war
+in diesem Augenblick zu sehr beschäftigt.
+
+(Giuseppe mit eifriger Bewunderung:) Man erzählt sich, daß Sie von
+Ihrem Pferde abgesprungen sind und die großen Kanonen mit eigenen
+Händen abgeprotzt haben, Herr General!
+
+(Leutnant.) Das war ein Mißgriff: ein Offizier sollte sich nie dazu
+hergeben, die Arbeit seiner Untergebenen zu verrichten. (Napoleon
+sieht ihn gefahrdrohend an und beginnt wie ein Tiger auf und ab zu
+gehen.) Aber Sie könnten noch jetzt ganz zwecklos auf die Österreicher
+feuern, wenn wir Kavalleristen nicht die Furt gefunden hätten, über
+den Fluß gesetzt wären und Sie dadurch unterstützt hätten, daß wir
+Beaulieus Flanke von Ihnen abwendeten. Sie würden es nicht gewagt
+haben--und Sie wissen das selbst sehr genau--den Befehl zu geben, die
+Brücke stürmen zu lassen, wenn Sie uns nicht auf dem jenseitigen Ufer
+gesehen hätten. Deshalb sage ich, daß nur der Entdecker jener Furt
+die Schlacht bei Lodi gewonnen hat.--Nun, und wer hat sie
+entdeckt?--Ich war der erste Mann, der sie überschritt, und ich weiß
+es--mein Pferd hat sie gefunden. (Mit Überzeugung, während er sich
+vom Sofa erhebt:) Eigentlich hat mein Pferd die Österreicher besiegt.
+
+(Napoleon zornig:) Sie Idiot, ich werde Sie erschießen lassen, weil
+Sie die Depeschen verloren haben! Ich werde Sie vor die Mündung einer
+Kanone binden and in die Luft sprengen lassen! Andere Maßregeln sind
+ja nicht imstande, Eindruck auf Sie zu machen. (Ihn anbrüllend:)
+Hören Sie! verstehen Sie! (Ein französischer Offizier tritt
+unbeachtet ein, seinen in der Scheide befindlichen Degen in der Hand.)
+
+(Leutnant uneingeschüchtert:) Wenn ich ihn nicht erwischen werde, Herr
+General, nur dann! Bedenken Sie das Wenn!
+
+(Napoleon.) Wenn! wenn!... Esel! dieser Mann existiert überhaupt
+nicht!
+
+(Der Offizier tritt plötzlich zwischen sie und spricht mit der
+unverkennbaren Stimme der fremden Dame:) Herr Leutnant, ich bin Ihr
+Gefangener! (Sie bietet ihm ihren Degen.--Sie sind sprachlos vor
+Erstaunen. Napoleon start sie einen Augenblick, wie vom Donner
+gerührt, an, reißt sie dann am Handgelenk rauh zu sich hin, betrachtet
+sie wild aus der Nähe, um ihre Identität selbst festzustellen, denn es
+beginnt rasch zu dunkeln und der rote Schein über dem Weingarten
+weicht einem hellen Sternenlicht.)
+
+(Napoleon.) Pah! (Er läßt mit einem Ausruf des Widerwillens ihre Hand
+fahren und wendet ihr düster blickend den Rücken zu, seine Hand in den
+Brustfalten des Waffenrockes.)
+
+(Leutnant nimmt triumphierend den Degen:) Dieser Mann existiert
+überhaupt nicht--was, Herr General? (Zu der Dame:) Ich frage Sie: wo
+ist mein Pferd?
+
+(Dame.) Es wartet gesund in Borghetto auf Sie, Herr Leutnant.
+
+(Napoleon sich zu ihnen wendend:) Wo sind die Depeschen?
+
+(Dame.) Das würden Sie niemals erraten--die sind an dem
+unwahrscheinlichsten Orte von der Welt. Hat jemand von Ihnen meine
+Schwester hier gesehen?
+
+(Leutnant.) Ja! sehr hübsche Dame! Sie sieht Ihnen ganz wunderbar
+ähnlich, aber natürlich ist sie viel hübscher.
+
+(Dame geheimnisvoll:) Nun--wissen Sie aber auch, daß sie eine
+gefährliche Hexe ist?
+
+(Giuseppe läuft auf sie zu und bekreuzigt sich:) O nein, nein, nein!
+Es ist gefährlich, mit solchen Dingen zu scherzen! Ich kann das in
+meinem Hause nicht dulden, Exzellenz!
+
+(Leutnant.) Ja, lassen Sie das. Sie sind mein Gefangener, das wissen
+Sie. Selbstverständlich glaube ich nicht an so einen Unsinn; aber es
+ist doch kein Ding, mit dem man spaßen sollte.
+
+(Dame.) Es ist aber so, ich spreche vollkommen ernst. Meine Schwester
+hat den Herrn General behext. (Giuseppe und der Leutnant weichen von
+Napoleon zurück.) Herr General, öffnen Sie Ihren Rock, und Sie werden
+die Depeschen in Ihrer Brusttasche finden. (Sie legt ihre Hand rasch
+auf seine Brust.) Ja, hier sind sie--ich kann sie fühlen... Nun?
+(Sie sieht ihm ins Gesicht, halb schmeichlerisch, halb spöttisch.)
+Wollen Sie mir gestatten, Herr General--? (Sie faßt einen Knopf, als
+ob sie seinen Rock aufknöpfen wollte, und wartet auf Erlaubnis.)
+
+(Napoleon unergründlich:) Wenn Sie es wagen.
+
+(Dame.) Ich danke Ihnen. (Sie öffnet seinen Rock und nimmt die
+Depeschen heraus.) Da sind sie! (Zu Giuseppe, ihm die Depeschen
+zeigend:) Sehen Sie?
+
+(Giuseppe zur äußeren Tür fliehend:) Nein--um Gottes willen; Sie sind
+behext!
+
+(Dame sich zu dem Leutnant wendend:) Hier, Herr Leutnant, Sie fürchten
+sich doch nicht vor den Papieren.
+
+(Leutnant zurückweichend:) Zehn Schritt vom Leibe! (Den Knauf des
+Degens erfassend:) Ich sage Ihnen, zehn Schritt vom Leibe!
+
+(Dame zu Napoleon:) Die Schriftstücke gehören Ihnen, Herr General,
+nehmen Sie sie!
+
+(Giuseppe.) Berühren Sie sie nicht, Exzellenz! Machen Sie sich damit
+nicht zu schaffen!
+
+(Leutnant.) Seien Sie vorsichtig, Herr General,--seien Sie vorsichtig!
+
+(Giuseppe.) Verbrennen Sie sie--und verbrennen Sie die Hexe dazu!
+
+(Dame zu Napoleon:) Soll ich sie verbrennen?
+
+(Napoleon gedankenvoll:) Ja... verbrennen Sie sie.--Giuseppe, geh' und
+hole ein Licht.
+
+(Giuseppe zitternd und stammelnd:) Muten Sie mir wirklich zu, daß ich
+allein gehen soll... im Dunkeln... wo eine Hexe im Hause ist...
+
+(Napoleon.) Pah! Du bist ein Feigling! (Zum Leutnant:) Sie werden
+mich verbinden, wenn Sie gehen wollen, Herr Leutnant.
+
+(Leutnant sich verwahrend:) Oh! gestatten Sie mir zu bemerken, Herr
+General... nein, Sie wissen... niemand kann nach Lodi sagen, daß ich
+ein Feigling bin... aber von mir zu verlangen, daß ich allein im
+Dunkeln gehen soll... ohne eine Kerze... nach so einer schauerlichen
+Unterhaltung... das ist ein bißchen zuviel!--Würden Sie selbst so
+etwas gerne tun?
+
+(Napoleon gereitzt:) Sie weigern sich also, meinem Befehle zu
+gehorchen?
+
+(Leutnant entschlossen:) Ja, das tu' ich. Es ist unbillig, so was zu
+verlangen--aber ich will Ihnen sagen, wozu ich bereit bin: wenn
+Giuseppe geht, dann will ich mit ihm gehn und ihn beschützen.
+
+(Napoleon zu Giuseppe:) Du hörst... Wird dir das genügen? Macht, daß
+ihr fortkommt, alle beide!
+
+(Giuseppe demütig mit zitternden Lippen:) Sehr gerne--wie Sie befehlen,
+Exzellenz! (Er geht widerstrebend nach der inneren Türe.) Der Himmel
+schütze mich! (Zum Leutnant:) Nach Ihnen, Herr Leutnant!
+
+(Leutnant.) Es wäre besser, du gingest voraus--ich weiß den Weg nicht.
+
+(Giuseppe.) Er ist nicht zu verfehlen. Überdies (flehentlich die
+Hand auf seinen Armel legend:) ich bin nur ein armer Wirt, und Sie
+sind ein Edelmann!
+
+(Leutnant.) Da hast du nicht so unrecht. Da--du brauchst keine solche
+Angst zu haben--nimm meinen Arm. (Giuseppe tut es.) So ist's recht...
+(Sie gehen Arm in Arm hinaus. Jetzt ist es sternenhelle Nacht. Die
+Dame wirft das Paket auf den Tisch, setzt sich behaglich auf das Sofa
+und genießt die Freude, von ihren Unterröcken befreit zu sein.)
+
+(Dame.) Nun, Herr General--ich habe Sie doch besiegt!
+
+(Napoleon geht auf und ab:) Sie haben sich der Unzartheit, der
+Unweiblichkeit schuldig gemacht. Halten Sie dieses Kleid, das Sie da
+tragen, für schicklich?
+
+(Dame.) Es scheint mir dem Ihrigen sehr ähnlich zu sein.
+
+(Napoleon.) Pfui! ich erröte für Sie!
+
+(Dame naiv:) Ja?... Soldaten erröten so leicht! (Er brummt und
+wendet sich ab. Sie blickt ihn schelmisch an, die Depeschen in ihrer
+Hand wiegend.) Wollen Sie diese da nicht lesen, bevor wir sie
+verbrennen, General? Sie müssen vor Neugierde sterben. Werfen Sie
+einen Blick hinein. (Sie wirft das Paket auf den Tisch und wendet das
+Gesicht davon ab.) Ich will nicht hinsehen.--
+
+(Napoleon.) Ich habe keinerlei Neugierde, Madame. Aber da Sie selbst
+augenscheinlich darauf brennen, sie zu lesen, erlaube ich Ihnen, es zu
+tun.
+
+(Dame.) Oh! ich hab' sie schon gelesen.
+
+(Napoleon auffabrend:) Was?!
+
+(Dame.) Das war das erste, was ich getan habe, als ich auf dem Pferde
+dieses armen Leutnants davongeritten bin. Sie sehen also: ich weiß,
+was darin steht; aber Sie wissen es nicht.
+
+(Napoleon.) Sie entschuldigen--ich habe sie auch gelesen, als ich vor
+zehn Minuten draußen im Weingarten spazieren ging.
+
+(Dame aufspringend:) Oh, Herr General! ich habe Sie nicht besiegt!
+Ich bewundere Sie unendlich! (Er lacht und streichelt ihre Wangen.)
+Diesmal wirklich und wahrhaftig, ohne Hintergedanken. Ich huldige
+Ihnen! (Küßt seine Hand.)
+
+(Napoleon sie rasch zurückziehend:) Brrr! tun Sie das nicht. Genug
+der Hexerei!
+
+(Dame.) Ich möchte Ihnen etwas sagen--doch Sie würden es
+mißverstehen.
+
+(Napoleon.) Braucht Sie das zu hindern?
+
+(Dame.) Also, das ist es: ich bete einen Mann an, der sich nicht
+fürchtet, gemein und selbstsüchtig zu sein.
+
+(Napoleon entrüstet:) Ich bin weder gemein noch selbstsüchtig!
+
+(Dame.) Oh, Sie tun sich selbst unrecht. Überdies, ich meine ja
+nicht wirklich gemein und selbstsüchtig.
+
+(Napoleon.) Ich danke Ihnen--ich dachte, Sie meinten es vielleicht
+doch!
+
+(Dame.) Na ja, natürlich mein' ich es auch in gewissem Sinne. Aber
+was ich bewundere, das ist eine gewisse starke Einfachheit in Ihnen.
+
+(Napoleon.) Das klingt schon besser.
+
+(Dame.) Sie wollten die Briefe nicht lesen; aber Sie waren neugierig,
+zu wissen, was darinnen steht. Sie gingen also in den Garten und
+lasen sie, als niemand zusah, und kamen dann zurück und taten so, als
+ob Sie sie nicht gelesen hätten. Das ist wohl das gemeinste, was ich
+jemals einen Mann habe tun sehen; aber es erfüllte gerade Ihren Zweck,
+und so haben Sie sich nicht im geringsten geschämt oder gefürchtet, es
+zu tun.
+
+(Napoleon kurz angebunden:) Wo haben Sie all diese niedrigen Skrupeln
+aufgelesen?--(Mit verachtungsvollem Nachdruck:) Dieses "Ihr Gewissen"?
+Ich habe Sie für eine Dame gehalten--eine Aristokratin. Bitte, war
+Ihr Großvater vielleicht ein Krämer?
+
+(Dame.) Nein, er war Engländer.
+
+(Napoleon.) Das erklärt alles. Die Engländer sind eine Nation von
+Krämern. Nun begreife ich, warum Sie mich besiegt haben.
+
+(Dame.) Aber, ich habe Sie nicht besiegt--und ich bin keine
+Engländerin.
+
+(Napoleon.) Doch, das sind Sie! Englisch bis in die Fingerspitzen.
+Hören Sie mir zu, ich will Ihnen die Engländer erklären.
+
+(Dame erpicht darauf, es sru hören:) Ich bitte. (Mit gespannter Miene
+einen intellektuellen Genuß erwartend, setzt sie sich auf das Sofa und
+bereitet sich vor, ihm zuzuhören. Seines Publikums sicher, rafft sich
+Napoleon sofort zu einer Vorstellung auf. Er überlegt ein bißchen,
+bevor er beginnt, um ihre Aufmerksamkeit durch eine Pause zu erhöhen.
+Anfangs ahmt er den Stil Talmas in Corneilles "Cinna" nach, aber in
+der Dunkelheit geht etwas davon verloren, und Talma macht bald
+Napoleon Platz, dessen Stimme mit überraschender Heftigkeit durch die
+Dämmerung bricht.)
+
+(Napoleon.) Es gibt dreierlei Menschen auf Erden: die Kleinen, die
+Mittleren und die Großen. Die Kleinen und die Großen sind einander in
+einem Punkte gleich: sie haben keinerlei Skrupel, keinerlei Moral,
+--die Kleinen stehen tief unter der Moral, die Großen hoch über ihr.
+Ich fürchte sie beide nicht! Denn die Kleinen sind skrupellos, ohne
+Wissen--sie machen mich deshalb zu ihrem Abgott; die Großen sind
+ebenso skrupellos, ohne starkes Wollen, sie beugen sich deshalb vor
+meinem Willen. Sehen Sie: ich werde über all das niedere Volk und
+über all die Höfe Europas hinweggehen wie die Pflugschar über ein
+Ackerfeld. Die Mittelklasse aber, die ist gefährlich. Sie besitzt
+beides: Wissen and Wollen. Aber auch sie hat ihre schwache Seite: das
+Gewissen. Sie ist voller Skrupel,--an Händen and Füßen durch Moral
+und Ehrenhaftigkeit gefesselt.
+
+(Dame.) Dann werden Sie die Engländer überholen; denn alle Krämer
+gehören zur Mittelklasse.
+
+(Napoleon.) Nein! Denn die Engländer sind eine Rasse für sich. Kein
+Engländer steht zu tief, um Skrupel zu haben, und keiner hoch genug,
+um von ihrer Tyrannei befreit zu sein. Aber jeder Engländer kommt mit
+einem wunderbaren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der Erde macht.
+Wenn der Engländer etwas will, gesteht er sich nie ein, daß er es
+will. Er wartet geduldig, bis in ihm--Gott weiß wie--die tiefe
+Überzeugung erwacht, daß es seine moralische und religiöse Pflicht sei,
+diejenigen zu unterwerfen, die das haben, was er will. Dann wird er
+unwiderstehlich. Wie der Aristokrat, tut er, was ihm gefällt, und
+schnappt nach dem, wonach ihn gelüstet. Wie der Krämer, verfolgt er
+seinen Zweck mit dem Fleiß und der Beharrlichkeit, die von starker,
+religiöser Überzeugung und dem tiefen Sinn für moralische
+Verantwortlichkeit herrühren. Er ist nie in Verlegenheit um eine
+wirksame, moralische Pose. Als großer Vorkämpfer der Freiheit und der
+nationalen Unabhängigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz
+von ihr und nennt das "Kolonisation". Wenn er einen neuen Markt für
+seine schlechten Manchesterwaren braucht, schickt er Missionäre aus,
+die den Wilden das Evangelium des Friedens verkünden müssen. Die
+Wilden töten den Missionar; nun eilt er zu den Waffen, zur
+Verteidigung des Christentums, kämpft and siegt für seinen Glauben und
+nimmt als göttliche Belohnung den Markt in Besitz. Zur Verteidigung
+seiner Inselgestade nimmt er einen Schiffsgeistlichen an Bord, nagelt
+eine Flagge mit einem Kreuz an den Hauptmast and segelt so bis ans
+Ende der Welt, und bohrt in den Grund, verbrennt und zerstört alles,
+was ihm die Herrschaft auf dem Meere streitig macht. Er prahlt damit,
+daß jeder Sklave frei werde, sobald sein Fuß britischen Boden betritt;
+dabei verkauft er die Kinder seiner Armen, kaum daß sie sechs Jahre
+alt sind, an Fabrikherren und läßt sie täglich sechzehn Stunden
+unter der Peitsche Sklavenarbeit verrichten. Er macht zwei
+Revolutionen und erklärt dann im Namen des Gesetzes und der Ordnung
+der unsern den Krieg. Nichts ist so schlecht und nichts so gut, daß
+Sie es einen Engländer nicht werden vollbringen sehen, aber Sie werden
+einem Engländer niemals beweisen können, daß er im Unrecht ist. Denn
+er tut alles aus Grundsatz. Er führt Krieg aus patriotischem
+Grundsatz, er betrügt aus geschäftlichem Grundsatz, er macht freie
+Völker zu Sklaven aus reichspolitischem Grundsatz, er behandelt Euch
+grob aus männlichem Grundsatz, er hält treu zu seinem Könige aus
+loyalem Grundsatz und schlägt seinem Könige aus republikanischem
+Grundsatz den Kopf ab. Seine Losung ist dabei immer nur seine
+"Pflicht." Und er vergißt nie, daß die Nation verloren ist, die ihre
+Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu finden ist. Er...
+
+(Dame.) Uh! uh! uh! Halten Sie einen Augenblick inne! Ich möchte
+wissen, wie Sie auf Grund dieser Beobachtungen aus mir eine
+Engländerin machen wollen.
+
+(Napoleon seinen rhetorischen Stil fallen lassend:) Das ist einfach
+genug. Sie wollten einige Briefe, die mir gehörten. Sie haben den
+Morgen damit verbracht, sie zu stehlen... jawohl, sie zu
+stehlen--durch Straßenraub. Und Sie haben den Nachmittag damit
+verbracht, mich darüber ins Unrecht zu setzen, indem Sie annahmen, daß
+ich es war, der Ihre Briefe stehlen wollte. Denn Sie haben mir
+einreden wollen, daß meine Gemeinheit and Selbstsucht und Ihre Güte,
+Ihre Ergebenheit and Ihre Selbstaufopferung an allem schuld seien.
+Das ist englisch!
+
+(Dame.) Unsinn! ich weiß zu gut, wie wenig ich Engländerin bin. Die
+Engländer sind ein sehr dummes Volk.
+
+(Napoleon.) Ja, zu dumm manchmal, um zu wissen, wann sie geschlagen
+sind. Aber ich gebe zu, daß Ihr Gehirn nicht englisch ist. Sie sehen:
+obwohl Ihr Großvater ein Engländer war, war Ihre Großmutter
+wohl--was? Französin?
+
+(Dame.) O nein! Irländerin.
+
+(Napoleon rasch:) Irländerin...? (Gedankenvoll:) Ja, ich vergaß--die
+Irländer... Eine englische Armee, geführt von einem irischen General:
+die könnte sich messen mit einer französischen Armee, die von einem
+italienischen General befehligt wird. (Er hält inne und fügt halb
+scherzend, halb traurig hinzu:) Wie immer es sei... Sie haben mich
+besiegt--und was einen Mann zuerst besiegt, das wird ihn auch zuletzt
+besiegen. (Er tritt gedankenvoll in den im Mondlicht gebadeten
+Weingarten hinaus und blickt nach oben. Sie stiehlt sich an seine
+Seite und wagt es, ihre Hand auf seine Schulter zu legen, überwältigt
+von der Schönheit der Nacht und ermutigt durch ihre Dunkelheit.)
+
+(Dame sanft:) Wonach blicken Sie?
+
+(Napoleon nach aufwärts zeigend:) Nach meinem Stern.
+
+(Dame.) Glauben Sie an ihn?
+
+(Napoleon.) Ja. (Sie sehen einen Augenblick nach dem Stern hin; sie
+lehnt sich ein wenig an seine Schulter.)
+
+(Dame.) Wissen Sie, daß man in England sagt, eines Mannes Stern sei
+unvollständig ohne das Strumpfband einer Frau?[*]
+
+[Footnote *: Eine Anspielung auf den Stern eines Ordens und den
+Hosenbandorden.]
+
+(Napoleon entrüstet, schüttelt sie kurz ab und kommt zurück in das
+Zimmer:) Pah! die Heuchler! Wenn die Franzosen so etwas sagten,
+würden sie in frommem Schauder abwehrend die Hände erheben. (Er geht
+nach der inneren Türe und hält sie offen.) He! Giuseppe! wo bleibt
+das Licht, Mensch? (Er kommt zwischen den Tisch und das Büfett und
+rückt den zweiten Stuhl an den Tisch, neben seinen eigenen:) Wir
+müssen den Brief noch verbrennen. (Er hebt das Paket auf. Giuseppe
+kommt zurück. Noch bleich und zitternd, trägt er in der einen Hand
+einen Armleuchter mit ein paar brennenden Kerzen und eine breite
+Lichtputzschere in der andern.)
+
+(Giuseppe kläglich, während er das Licht auf den Tisch stellt:)
+Exzellenz, wonach haben Sie eben da draußen ausgeschaut? (Er zeigt
+über seine Schulter nach dem Weingarten, fürchtet sich aber,
+umherzublicken.)
+
+(Napoleon das Paket aufmachend:) Was geht dich das an?
+
+(Giuseppe stammelnd:) Weil die Hexe fort ist--verschwunden... und
+niemand hat sie fortgehen sehn.
+
+(Dame hinter ihm aus dem Weingarten tretend:) Wir haben sie beobachtet,
+wie sie auf ihrem Besenstiel zum Mond hinaufgeritten ist. Giuseppe,
+Sie werden sie nie wiedersehen!
+
+(Giuseppe.) Jesus Maria! (Er bekreuzigt sich und eilt hinaus.)
+
+(Napoleon wirft die Briefe in einem Haufen auf den Tisch:) Nun, also!
+(Er setzt sich auf den Stuhl, den er eben hingestellt hat.)
+
+(Dame.) Ja; aber Sie wissen doch--den bewußten Brief haben Sie noch in
+Ihrer Tasche. (Er lächelt, nimmt einen Brief aus der Tasche und wirft
+ihn auf die Spitze des Haufens. Sie hebt ihn auf, betrachtet Napoleon
+und sagt:) Cäsars Frau betreffend.
+
+(Napoleon.) Cäsars Frau ist über allen Verdacht erhaben--verbrennen
+Sie ihn.
+
+(Dame nimmt den Brief mit der Lichtputzschere und hält ihn damit an
+die Kerzenflamme:) Wäre Cäsars Frau wohl über allen Verdacht erhaben,
+wenn sie uns beide hier sitzen sähe--? Wer weiß--?
+
+(Napoleon ihre Worte mechanisch wiederholend, die Ellbogen auf den
+Tisch und die Wangen in die Hände gestützt, den Brief betrachtend:)
+Wer weiß--? (Die fremde Dame legt den angezündeten Brief auf das
+Lichtputzbrett und setzt sich neben Napoleon in der gleichen Stellung,
+die Ellbogen auf den Tisch, die Wangen in die Hände gestützt, und
+sieht zu, wie er verbrennt. Als er verkohlt, wenden sie beide
+gleichzeitig ihre Blicke davon ab und sehen einander an. Der Vorhang
+gleitet langsam herab und entzieht sie den Blicken.)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Mann des Schicksals, von
+Bernard Shaw.
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS ***
+
+This file should be named 8dmds10.txt or 8dmds10.zip
+Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8dmds11.txt
+VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8dmds10a.txt
+
+Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our eBooks one year in advance
+of the official release dates, leaving time for better editing.
+Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
+even years after the official publication date.
+
+Please note neither this listing nor its contents are final til
+midnight of the last day of the month of any such announcement.
+The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
+Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A
+preliminary version may often be posted for suggestion, comment
+and editing by those who wish to do so.
+
+Most people start at our Web sites at:
+http://gutenberg.net or
+http://promo.net/pg
+
+These Web sites include award-winning information about Project
+Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
+eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!).
+
+
+Those of you who want to download any eBook before announcement
+can get to them as follows, and just download by date. This is
+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
+indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
+announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05
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+Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92,
+91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want,
+as it appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The
+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
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+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
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+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
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+
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+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
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+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
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