diff options
| -rw-r--r-- | .gitattributes | 3 | ||||
| -rw-r--r-- | 9802-8.txt | 2698 | ||||
| -rw-r--r-- | 9802-8.zip | bin | 0 -> 49930 bytes | |||
| -rw-r--r-- | LICENSE.txt | 11 | ||||
| -rw-r--r-- | README.md | 2 | ||||
| -rw-r--r-- | old/7dmds10.txt | 2675 | ||||
| -rw-r--r-- | old/7dmds10.zip | bin | 0 -> 49572 bytes | |||
| -rw-r--r-- | old/8dmds10.txt | 2675 | ||||
| -rw-r--r-- | old/8dmds10.zip | bin | 0 -> 49611 bytes |
9 files changed, 8064 insertions, 0 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/9802-8.txt b/9802-8.txt new file mode 100644 index 0000000..9f6c59f --- /dev/null +++ b/9802-8.txt @@ -0,0 +1,2698 @@ +Project Gutenberg's Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Der Mann des Schicksals + +Author: George Bernard Shaw + +Posting Date: November 15, 2011 [EBook #9802] +Release Date: February, 2006 +First Posted: October 18, 2003 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER MANN DES SCHICKSALS *** + + + + +Produced by Michalina Makowska + + + + + + + + + + +DER MANN DES SCHICKSALS + +Komödie in einem Akt + +Bernard Shaw + +(Übersetztung von Siegfried Trabitsch) + + +Diese Komödie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker" +veröffentlicht und aufgeführt. + + + + + + + +PERSONEN + +Napoleon +Ein Leutnant +Eine fremde Dame +Giuseppe +Grandi, Gastwirt + + +Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von +Mailand nach Lodi. + +(Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Straße +von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die +Ebenen der Lombardei. Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die +Ameisenhügel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden +Schweine und Ochsen in den Dörfern belästigt, noch verletzt durch das +kühle Verhalten der Kirchen gegenüber ihrem Licht. Verachtungsvoll +lacht sie jedoch über zwei Horden schädlicher Insekten, nämlich der +österreichischen und der französischen Armee. Vor zwei Tagen, bei +Lodi, hatten die Österreicher die Franzosen zu hindern versucht, den +Fluß auf der dort befindlichen schmalen Brücke zu überschreiten. Aber +die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjährigen General, +Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, überschritten +dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Brücke, unterstützt von +einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand +anlegte. Das Schießen mit Kanonen ist seine technische Spezialität. +Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein +Meister in den militärischen Künsten, sich von seinen Pflichten zu +drücken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den +Krieg mit dem Lärm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf +allen militärischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist. Er ist +jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des +Schießpulvers als erster herausgefunden, daß eine Kanonenkugel den +Mann, den sie trifft, unfehlbar töten muß. Dem gründlichen Erfassen +dieser bemerkenswerten Entdeckung fügte er eine höchst entwickelte +Fähigkeit für physikalische Geographie und für die Berechnung von Zeit +und Entfernungen hinzu. Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und +eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf +öffentliche Angelegenheiten, die er während der französischen +Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat. Er hat +Einbildungskraft ohne Illusionen, und schöpferischen Geist ohne +Religion, Loyalität, Patriotismus oder irgendeines der landläufigen +Ideale, obwohl er dieser nicht unfähig ware; im Gegenteil: er hat sie +alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine +dramatische Fähigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines +Schauspielers und Bühnenleiters äußerst geschickt auszuspielen. Dabei +ist er durchaus kein verzogenes Kind. Armut, Mißgeschick, die Kniffe +einer ärmlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfälle als +Autor, die Demütigungen eines zurückgestoßenen Strebers, die Verweise +und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu +ertragen hat, haben das verhindert. Er entging sogar nur mit knapper +Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden. Wenn recht +Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants +zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert hätte, würde er mit +Verachtung aus dem Heere ausgestoßen worden sein. Alle diese +Schicksale haben ihm jede Selbstüberschätzung ausgetrieben und ihn +gezwungen, genügsam zu sein und zu begreifen, daß die Welt einem Manne +seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann. +Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit. Denn ein +erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es +war, ist der Welt von Nutzen. Man kann sogar heute nicht in England +leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, daß +es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Cäsar erobert wurde.) + +(An jenem Mainachmittag des Jahres 1796 jedoch ist es noch früh in +seinem Leben. Er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt und erst kürzlich +General geworden, teilweise mit Hilfe seiner Frau, die er dazu benutzt +hat, das Direktorium (das damals Frankreich regierte) zu verführen, +und teilweise durch den bereits erwähnten, infolge der Auswanderung +entstandenen Mangel an Offizieren. Aber auch dank seiner Fähigkeit, +ein Land mit all seinen Straßen, Flüssen, Hügeln und Tälern wie die +Fläche seiner eigenen Hand zu kennen, und vor allem dank seinem neuen +Glauben an die Wirkung der Kanonen auf Menschen. Seine Armee war, was +die Disziplin betrifft, in einem Zustand, der moderne Historiker, vor +denen das folgende Stück aufgeführt worden ist, so sehr entsetzt hat, +daß sie, eingeschüchtert von dem späteren Ruhme des "Empereur", sich +geweigert haben, an solche Vorkommnisse zu glauben. Aber Napoleon ist +noch nicht "l'Empereur", es wurde ihm eben erst der Titel "le petit +caporal" verliehen, und er ist im Begriff, durch renommistische +Tapferkeit Einfluß auf seine Leute zu gewinnen. Er ist nicht in der +Lage, seinen Willen nach orthodoxer militärischer Art mit Hilfe der +neunschwänzigen Katze bei ihnen durchzusetzen. Die französische +Revolution, die nur durch die monarchische Gewohnheit, den Soldaten +den Lohn wenigstens vier Jahre lang schuldig zu bleiben, dem Schicksal, +unterdrückt zu werden, entging, hat, wo es irgend anging, diesen +Brauch durch die Gewohnheit ersetzt, überhaupt keinen zu zahlen. +Statt dessen werden die Leute mit Versprechungen und patriotischen +Schmeicheleien abgespeist, die mit dem Militärgeist preußischer Art +unvereinbar gewesen wären. Napoleon hat sich daher als ein +Befehlshaber von zerlumpten Leuten ohne Geld, die nicht aufgelegt sind, +sich viel Disziplin gefallen zu lassen, namentlich nicht von +emporgekommenen Generälen, den Alpen genähert. Dieser Umstand, der +einen idealistischen Soldaten in Verlegenheit gebracht hätte, ersetzte +Napoleon tausend Kanonen. Er sprach zu seinen Soldaten: "Ihr habt +Patriotismus und Mut; aber ihr habt kein Geld, keine Kleidung und kaum +etwas zu essen. In Italien gibt es all diese Dinge und Ruhm noch dazu +für eine ergebene Armee, die von einem General geführt wird, der +Plünderung als das natürliche Recht des Soldaten betrachtet. Ich bin +ein solcher General. En avant, mes enfants!"--Das Resultat hat ihm +vollkommen recht gegeben. Seine Soldaten eroberten Italien, wie die +Wanderheuschrecken Cypern erobert haben. Sie kämpften den ganzen Tag +und marschierten die ganze Nacht, legten unmögliche Entfernungen +zurück, tauchten an unmöglichen Orten auf,--aber nicht etwa, weil +jeder Soldat wußte, daß er den Marschallstab in seinem Tornister trage, +sondern weil jeder hoffte, am nächsten Tage wenigstens ein halbes +Dutzend silberner Gabeln fort zu tragen. Zugleich muß man sich +darüber klar sein, daß die französische Armee nicht mit der +italienischen Krieg führt. Sie ist nur da, um Italien von der +Tyrannei seiner österreichischen Eroberer zu befreien und +republikanische Einrichtungen herzustellen, so daß sie, wenn sie +gelegentlich plündert, nur ein wenig frei mit dem Eigentum ihrer +Freunde umgeht, wofür Italien sogar hätte dankbar sein sollen, wenn +Undankbarkeit nicht die sprichwörtliche Schwäche der Italiener wäre. +Die Österreicher, die sie bekämpfen, haben eine recht ansehnliche +reguläre, gut disziplinierte Armee, von Herren kommandiert, die in der +bisher geübten Kriegskunst erfahren sind, an ihrer Spitze Beaulieu, +der die klassische Kriegskunst ausübt, nach Befehlen von Wien aus, und +von Napoleon fürchterlich geschlagen wird, der auf eigene Faust +handelt, ohne Rücksicht auf militärisches Herkommen und Befehle aus +Paris. Selbst wenn die Österreicher eine Schlacht gewannen, brauchte +man nur zu warten, bis sie nach ihrer Gewohnheit in ihre +Hauptquartiere heimgekehrt waren, sozusagen zum Nachmittagstee, um sie +dann zurückzugewinnen, ein Verfahren, das Napoleon später mit +glänzendem Erfolge bei Marengo anzuwenden wußte. Mit einem Wort, +Napoleon versteht es, ohne heroische Wunder zu vollbringen, einem +Feinde gegenüber unwiderstehlich zu sein, der den Nachteil hat, von +österreichischer Staatsmannschaft, klassischer Generalsweisheit und +den Forderungen der aristokratischen Wiener Gesellschaft geleitet zu +werden. Die Welt jedoch liebt Wunder und Helden und ist ganz unfähig, +die Handlungsweise solcher Mächte, wie akademischer Militarismus und +Wiener Boudoirunwesen sind, zu begreifen. Daher hat sie schon +begonnen, das Wort "l'Empereur" zu prägen, und es dadurch hundert +Jahre später den Romantikern erschwert, die folgende bis dahin +unaufgezeichnete kleine Szene zu glauben, die sich in Tavazzano +ereignet hat. Das beste Quartier in Tavazzano ist ein kleines +Gasthaus, das erste, das der Wanderer antrifft, der auf dem Wege von +Mailand noch Lodi den Ort berührt. Es steht in einem Weingarten, und +sein größtes Zimmer, ein angenehmer Zufluchtsort vor der Sommerhitze, +ist gegen diesen Weingarten nach rückwärts so weit geöffnet, daß es +beinahe einer großen Veranda gleicht. Die mutigeren unter den Kindern, +die durch Alarmsignale und die Ausfälle der letzten Tage und durch +den Einmarsch französischer Truppen um sechs Uhr in großer Aufregung +sind, wissen, daß der französische Kommandeur sich in dieses Zimmer +einquartiert hat, und schwanken zwischen dem Verlangen, durch das +Vorderfenster verstohlene Blicke hineinzuwerfen, und einer tödlichen +Angst vor der Schildwache, einem jungen Soldaten aus vornehmer Familie, +der keinen natürlichen Schnurrbart besitzt und sich deshalb einen +sehr martialischen mit Stiefelwichse von seinem Feldwebel hat ins +Gesicht hineinmalen lassen. Da seine schwere Uniform, wie alle +Uniformen seiner Zeit, ohne die leiseste Rücksichtnahme auf seine +Gesundheit oder seine Bequemlichkeit, lediglich für die Parade +bestimmt ist, schwitzt er fürchterlich in der Sonne; sein gemalter +Schnurrbart ist in kleinen Streifen sein Kinn und seinen Hals +herabgelaufen, mit Ausnahme von jenen Stellen, wo er zu einer Kruste +wie von japanischem Lack getrocknet ist, und wo seine schön +geschweifte Linie durch groteske kleine Buchten und Landzungen +unterbrochen wird. Alles dies macht ihn unsagbar lächerlich in den +Augen der Geschichte hundert Jahre später, aber fürchterlich und +schrecklich in den Augen der zeitgenössischen norditalienischen Kinder, +denen es ganz natürlich erscheinen würde, wenn die Wache die +Eintönigkeit des Postenstehens dadurch zu beleben versuchte, daß sie +ein verlaufenes Kind auf ihr Bajonett spießte, um es ungekocht zu +verspeisen. Trotzdem hat ein Mädchen von schlechtem Charakter, an dem +schon der Sinn für ein gewisses Vorrecht, das sie bei den Soldaten hat, +erwacht ist, sich für einen Augenblick verstohlen an das sicherste +Fenster geschlichen, bis ein Blick und ein Klirren der Wache es +davonjagt. Was die Kleine zumeist sieht, das hat sie schon früher +gesehen: den Weingarten mit der alten Kelter dahinter und einen Karren +bei den Weinstöcken; die Türe dicht zu ihrer Rechten, die nach dem +Eingange des Gasthauses führt, wo des Wirtes bester Schenktisch weiter +hinten an derselben Seite nun in voller Tätigkeit für das Mittagessen +steht; auf der anderen Seite den Kamin mit einem Sofa in der Nähe und +eine andere Tür, die zwischen Kamin und Weingarten in die inneren +Räume führt; in der Mitte einen Tisch mit seiner Mahlzeit von +Mailänder Risotto, Käse, Trauben, Brot, Oliven und einer großen, mit +Weidenzweigen umflochtenen Flasche Rotwein. Der Wirt, Giuseppe Grandi, +ist auch nichts Neues für sie; er ist ein dunkelfarbiger, lebhafter, +gehörig heiterer, schwarzlockiger, kugelköpfiger, grinsender kleiner +Mann von vierzig Jahren. Schon von Natur ein guter Wirt, ist er heute +abend in extra guter Laune über sein Glück, den französischen +Kommandeur als Gast unter seinem Dache zu haben, dessen Gegenwart ihn +vor den Übergriffen der Soldaten schützt. Er trägt sogar ein Paar +goldener Ohrringe zur Schau, die er sonst mit seinem kleinen Besitz an +Silbergeschirr sorgfältig unter der Kelter versteckt haben würde.) + +(Napoleon jedoch, der ihm gegenüber an der hinteren Seite des Tisches +sitzt, und seinen Hut, seinen Degen und seine Reitpeitsche, die auf +dem Sofa liegen, sieht das Mädchen zum erstenmal. Er arbeitet hart, +teils an seiner Mahlzeit, die er in zehn Minuten zu verschlingen weiß, +indem er alle Gerichte gleichzeitig in Angriff nimmt (diese Gewohnheit +ist der erste Schritt zu seinem späteren Untergange), und teils an +einer Landkarte, die er aus dem Gedächtnis verbessert, wobei er +gelegentlich die Stellungen seiner Streitkräfte kennzeichnet, indem er +eine Traubenschale aus dem Munde nimmt und sie mit seinem Daumen wie +eine Oblate auf die Landkarte drückt. Er hat Schreibmaterial vor sich +liegen, unordentlich mit den Gerichten und Flaschen vermengt, und sein +langes Haar fällt bald in die Risottobrühe herab, bald in die Tinte.) + + + +(Giuseppe.) Wollen Exzellenz.... + +(Napoleon blickt gespannt auf seine Karte, stopft sich aber mit der +linken Hand mechanisch den Mund dabei voll): Schwatz' nicht, ich habe +zu tun. + +(Giuseppe in ungetrübt guter Laune:) Wie Sie befehlen, Exzellenz. + +(Napoleon.) Bring mir rote Tinte! + +(Giuseppe.) Leider habe ich keine, Exzellenz. + +(Napoleon mit korsischem Humor:) Töte etwas und bring' mir das Blut. + +(Giuseppe grinsend:) Es ist nichts im Hause, als das Pferd Eurer +Exzellenz, die Schildwache, die Dame im ersten Stock und meine Frau. + +(Napoleon.) Töte deine Frau. + +(Giuseppe.) Mit größtem Vergnügen, Exzellenz. Aber +unglücklicherweise ist sie stärker als ich--sie würde mich töten. + +(Napoleon.) Das wäre ebenso gut. + +(Giuseppe.) Exzellenz erweisen mir zu viel Ehre. (Seine Hand nach +der Flasche ausstreckend:) Vielleicht kann etwas Wein den Zweck +erfüllen. + +(Napoleon beschützt die Flasche schnell und wird ganz ernst:) Wein? +Nein--das wäre Verschwendung. Ihr seid alle gleich--Verschwendung! +Verschwendung! Verschwendung! (Er markiert die Landkarte mit Sauce, +wobei er die Gabel als Feder benützt.) Räum' ab! (Er leert sein +Weinglas, stößt seinen Stuhl zurück und benützt seine Serviette, +streckt dann die Beine aus und lehnt sich zurück, aber noch immer die +Stirn runzelnd und in Gedanken.) + +(Giuseppe räumt den Tisch ab und stellt die Sachen auf ein Tablett, +das auf dem Büfett steht:) Ein jeder denkt, wie es für sein Geschäft +taugt, Exzellenz. Wir Gastwirte verfügen über eine Menge billigen +Wein; wir finden nichts dabei, ihn zu vergießen,--Ihr großen Generale +verfügt über eine Menge billiges Blut: Ihr findet nichts dabei, es zu +vergießen. Hab' ich recht, Exzellenz? + +(Napoleon.) Blut kostet nichts, Wein kostet Geld. (Er erhebt sich und +geht an den Kamin.) + +(Giuseppe.) Man sagt, daß Sie mit allem sparen, außer mit +Menschenleben, Exzellenz. + +(Napoleon.) Ein Menschenleben, mein Freund, ist das einzige Ding, das +sparsam mit sich selbst umgeht. (Er wirft sich behaglich auf das Sofa.) + +(Giuseppe ihn bewundernd:) O Exzellenz, wie dumm sind wir alle, mit +Ihnen verglichen! Wenn ich nur das Geheimnis Ihrer Erfolge erraten +könnte! + +(Napoleon.) Dann würdest du dich zum Kaiser von Italien machen, was? + +(Giuseppe.) Das wäre für mich zu mühsam, Exzellenz, ich überlasse es +lieber Ihnen. Überdies, was sollte aus meiner Wirtschaft werden, +wenn ich Kaiser würde? Sie sehen mir gerne zu, wie ich mein Gasthaus +für Sie verwalte und Sie bediene. Nun, ich will Ihnen gerne zusehen, +wie Sie Kaiser von Europa werden und Italien für mich regieren. +(Während er schwätzt, nimmt er das Tischtuch ab, ohne die Landkarte +und das Tintenfaß wegzunehmen. Er nimmt die Ecken des Tuches in die +Hände und die Mitte in den Mund, um es zusammenzufalten.) + +(Napoleon.) Kaiser von Europa? Was? Warum bloß von Europa? + +(Giuseppe.) Sie haben wahrhaftig recht, Exzellenz, warum nicht Kaiser +der Welt? (Er faltet und rollt das Tischtuch zusammen, und bekräftigt +seine Sätze mit den einzelnen Phasen dieses Vorgangs:) Ein Mensch ist +wie der andre--(er faltet es:) ein Land ist wie das andre, (faltet:) +eine Schlacht ist wie die andre. (Als er das letzte Stück gefaltet +hat, schlägt er das Tischtuch auf den Tisch, rollt es geschickt +zusammen and schließt seinen Redefluß:) Gewinnt man eine, so gewinnt +man alle. (Er geht mit dem Tischtuch an das Büfett und legt es in +eine Schublade.) + +(Napoleon.) Und für alle regieren, für alle kämpfen, jedermanns Knecht +sein unter dem Vorwande, jedermanns Herr zu sein, Giuseppe! + +(Giuseppe vor dem Büfett:) Exzellenz--? + +(Napoleon.) Ich verbiete dir, mit mir über mich zu sprechen. + +(Giuseppe geht an das Fußende des Sofas:) Pardon, Exzellenz sind darin +so ganz verschieden von andren großen Männern, die lieben gerade +dieses Thema am meisten. + +(Napoleon.) Gut, sprich mit mir über das, was große Männer als +zweitbestes lieben, was es auch sein mag. + +(Giuseppe ohne in Verlegenheit zu geraten:) Zu Befehl, Exzellenz. +Haben Exzellenz durch irgendeinen Zufall etwas von der Dame da oben zu +sehen bekommen? + +(Napoleon setzt sich sofort auf und sieht ihn mit einem Interesse an, +das die Frage vollkommen angebracht erscheinen läßt:) Wie alt ist sie? + +(Giuseppe.) Sie hat das richtige Alter, Exzellenz. + +(Napoleon.) Meinst du siebzehn oder dreißig? + +(Giuseppe.) Dreißig, Exzellenz. + +(Napoleon.) Ist sie schön? + +(Giuseppe.) Ich kann nicht mit Ihren Augen sehn, Exzellenz! Jeder +Mann muß das selbst beurteilen. Meiner Meinung nach ist sie eine +schöne Dame. (Schlau:) Soll ich ihr hier den Tisch für das Frühstück +decken? + +(Napoleon erhebt sich heftig:) Nein! Deck hier nicht mehr, bevor der +Offizier, auf den ich warte, zurückkommt. (Er sieht auf seine Uhr und +fängt an, zwischen dem Kamin und dem Weingarten auf und ab zu gehn.) + +(Giuseppe mit Überzeugung:) Exzellenz, glauben Sie mir, er ist von den +verfluchten Österreichern gefangen worden; er würde es nicht wagen, +Sie warten zu lassen, wenn er frei wäre. + +(Napoleon kehrt sich beim Schatten der Veranda um:) Giuseppe! wenn +sich herausstellen sollte, daß du recht hast, so wird mich das in eine +Laune versetzen, daß mich nichts anderes besänftigen kann, als dich +und deinen ganzen Haushalt--die Dame dort oben inbegriffen--aufhängen +zu lassen! + +(Giuseppe.) Wir stehen Ihnen alle gerne zur Verfügung, Exzellenz! mit +Ausnahme der Dame. Ich kann für sie nicht bürgen; aber welche Frau +könnte Ihnen widerstehen?! + +(Napoleon setzt seine Wanderung düster fort:) Hm, du wirst niemals am +Galgen enden. Es ist kein Vergnügen dabei, einen Mann zu hängen, der +nichts dagegen einzuwenden hat. + +(Giuseppe liebenswürdig:) Nicht das geringste, Exzellenz, nicht wahr? +(Napoleon blickt wieder auf seine Uhr und wird sichtlich unruhig:) Oh, +man sieht, daß Sie ein großer Mann sind, Exzellenz! Sie verstehen zu +warten. Wenn ein Korporal oder ein junger Leutnant an Ihrer Stelle +wäre--nach drei Minuten würde er fluchen, toben, drohen und das Haus +von oben nach unten kehren. + +(Napoleon.) Giuseppe, deine Schmeicheleien sind unerträglich. Geh und +schwatz draußen. (Er setzt sich wieder an den Tisch, sein Kinn auf +die Hände, seine Ellbogen auf die Landkarte gestützt, und starrt mit +unruhigem Ausdruck auf sie hin.) + +(Giuseppe.) Zu Befehl, Exzellenz, Sie sollen nicht gestört werden. +(Er nimmt das Tablett und ist im Begriff, sich zurückzuziehen.) + +(Napoleon.) Sobald er da ist, schick' ihn zu mir herein. + +(Giuseppe.) Augenblicklich, Exzellenz. + +(Die Stimme einer Dame ruft von irgendeinem entfernten Teil des +Gasthauses:) Giuseppe! (Die Stimme ist sehr melodisch, und die zwei +letzten Buchstaben werden in aufsteigender Skala gesungen.) + +(Napoleon stutzig:) Was ist das?... + +(Giuseppe stützt das Ende seines Servierbrettes auf den Tisch und +beugt sich vertraulich vor:) Die Dame, Exzellenz. + +(Napoleon zerstreut:) Ja... was für eine Dame... wessen Dame?... + +(Giuseppe.) Die fremde Dame, Exzellenz. + +(Napoleon.) Was für eine fremde Dame? + +(Giuseppe achselzuckend:) Wer kann es wissen! Sie ist eine halbe +Stunde vor Ihnen hier angekommen, in einem Mietwagen, der dem +"Goldenen Adler" in Borghetto gehört. Tatsächlich: sie ganz allein, +Exzellenz,--ohne Dienerschaft! Eine Handtasche und ein Koffer, das +war alles. Der Postillon sagte mir, daß sie im "Goldenen Adler" ein +Pferd gelassen habe, ein Chargenpferd mit militärischem Sattelschmuck. + +(Napoleon.) Eine Frau mit einem Chargenpferd?--Das ist ungewöhnlich. + +(Die Stimme der Dame. Die zwei letzten Buchstaben werden jetzt in +herabsteigender Skala gesungen:) Giuseppe! + +(Napoleon springt auf, um zu horchen:) Das ist eine interessante +Stimme. + +(Giuseppe.) Oh es ist eine interessante Dame, Exzellenz. (Ruft:) Ich +komme schon! ich komme schon, meine Gnädige! (Er eilt zur inneren Tür.) + +(Napoleon hält ihn mit starker Hand an der Schulter fest:) Halt! Sie +soll hierher kommen. + +(Die Stimme ungeduldig:) Giuseppe! + +(Giuseppe flehentlich:) Lassen Sie mich gehn, Exzellenz. Es ist meine +Ehrenpflicht als Wirt, zu kommen, wenn man mich ruft. Ich wende mich +an den Soldaten in Ihnen! + +(Eines Mannes Stimme ruft draußen vor der Tür des Wirtshauses:) Ist +jemand da? Hallo! Wirt! wo sind Sie? (Es wird heftig mit dem Knopf +einer Peitsche auf eine Bank in der Einfahrt geschlagen. Napoleon der +plötzlich wieder kommandierender Offizier wird, stößt Giuseppe fort:) +Da ist er endlich! (Auf die innere Tür weisend:) Geh, kümmere dich um +dein Geschäft. Die Dame ruft nach dir. (Er geht zum Kamin und steht +mit dem Rücken dagegen, mit entschlossenem militärischem +Gesichtsausdruck.) + +(Giuseppe atemlos, reißt sein Tablett an sich:) Gerne, Exzellenz! (Er +eilt durch die innere Tür hinaus.) + +(Die Stimme des Mannes ungeduldig:) Schläft hier alles? (Die dem +Kamin gegenüberliegende Tür wird heftig mit dem Fuße aufgestoßen, and +ein staubbedeckter Leutnant stürzt in das Zimmer. Er ist ein +törichter, junger Bursche von vierundzwanzig Jahren mit der hellen, +zarten, reinen Haut des vornehmen Mannes und mit jener Selbstsicherheit +des Aristokraten, welche die französische Revolution nicht im geringsten +erschüttern konnte. Er hat eine dicke, dumme Lippe, ein eifriges, +leichtgläubiges Auge, eine eigensinnige Nase und eine laute selbstbewußte +Stimme.--Ein junger Mensch ohne Furcht, obne Ehrfurcht, ohne +Einbildungskraft, ohne Verstand und hoffnungslos unempfänglich für die +napoleonische oder irgendeine andere Idee. Fabelhaft egoistisch, im +höchsten Grade dazu geeignet, dort geräuschvoll hereinzustürmen, wo +selbst ein Engel sich fürchten würde, nur den Fuß aufzusetzen, doch von +einer starken geschwätzigen Lebenskraft, die ihn mitten in das tollste +Gewirr der Dinge hetzt. Er kocht eben vor Wut, anscheinend, weil er +empört ist, nicht schnell vom Gesinde des Gasthauses bedient zu werden, +aber ein schärfer beobachtendes Auge kann eine gewisse moralische +Niedergeschlagenheit in ihm entdecken, welche andeutet, daß er unter +einem anhaltenderen und wichtigeren Verdruß leidet. Als er Napoleon +bemerkt, kommt er genügend zu sich, um sich zusammenzuraffen und zu +salutieren. Aber er verrät auf keine Weise durch sein Benehmen etwas +von jener prophetischen Voraussicht von Marengo und Austerlitz, Waterloo +und St. Helena oder der Napoleonbilder von Delaroche und Meissonier, die +die moderne Kultur instinktiv bei ihm voraussetzen würde.) + +(Napoleon scharf:) Nun, Herr, sind Sie endlich angekommen? Ihr Befehl +lautete, daß ich um sechs Uhr hier sein würde, und daß Sie mich mit +meiner Pariser Post and meinen Depeschen erwarten sollten! Und jetzt +fehlen nur noch zwanzig Minuten an acht. Sie wurden als guter Reiter +für diesen Dienst ausersehen, mit dem schnellsten Pferde, das wir im +Lager haben. Sie kommen hundert Minuten zu spät und kommen zu Fuß--wo +ist Ihr Pferd? + +(Leutnant zieht verdrießlich seine Handschuhe aus und wirft sie mit +seiner Mütze und Peitsche auf den Tisch:) Ja, wo ist es? Das gerade +wüßte ich selber gern, Herr General. (Mit Bewegung:) Sie wissen nicht, +wie ich dies Pferd geliebt habe. + +(Napoleon ärgerlich, sarkastisch:) Wirklich! (Mit plötzlicher +Besorgnis:) Wo sind die Briefe und Depeschen? + +(Leutnant wichtig, eher froh, daß er ganz besondere Nachrichten hat, +als bekümmert:) Das weiß ich nicht. + +(Napoleon traut seinen Ohren nicht:) Das wissen Sie nicht?! + +(Leutnant.) Nicht besser als Sie, Herr General. Nun werde ich wohl +vor ein Kriegsgericht kommen. Schön! ich habe nichts dagegen, +standrechtlich behandelt zu werden, aber (mit feierlichem Entschluß:) +ich sage Ihnen, Herr General, wenn ich diesen unschuldig aussehenden +Burschen jemals erwischen sollte,--diesen verschmitzten, kleinen +Lügner!--dann werde ich seine Schönheit zurichten... eine Fratze will +ich aus ihm machen... ich werde--- + +(Napoleon kommt vom Kamin an den Tisch vor:) Was für einen unschuldig +aussehenden Burschen? Raffen Sie sich zusammen, Mensch--ja?--und +berichten Sie militärisch! + +(Leutnant steht ihm gegenüber an der anderen Seite des Tisches und +stützt sich mit den Fäusten auf:) Oh ich bin ganz gefaßt, Herr +General--ich bin vollkommen bereit, Rede zu stehen. Ich werde dem +Kriegsgericht gründlich klarmachen, daß ich unschuldig bin. Die +bessere Seite meiner Natur wurde schändlich ausgenützt, und ich schäme +mich dessen nicht. Aber mit allem Respekt vor Ihnen, als meinem +Vorgesetzten, wiederhole ich, Herr General, daß, wenn ich diesem +Satanssohne jemals wieder begegnen sollte, ich ihn-- + +(Napoleon ärgerlich:) Das haben Sie schon einmal gesagt! + +Leutnant richtet sich auf: Und ich wiederhole es: warten Sie nur so +lange, bis ich ihn erwischt habe!--weiter nichts! (Er kreuzt +entschlossen die Arme und atmet schwer mit aufeinandergepreßten Lippen.) + +(Napoleon.) Ich warte, Herr--auf Ihre Aufklärungen! + +(Leutnant zuversichtlich:) Sie werden Ihren Ton ändern, Herr General, +wenn Sie hören, was mir zugestoßen ist. + +(Napoleon.) Nichts ist Ihnen zugestoßen, Mensch! Sie leben und sind +nicht kampfunfähig. Wo sind die Papiere, die Ihnen anvertraut wurden? + +(Leutnant.) Mir ist nichts zugestoßen--nichts? Oho! (Wirft sich in +Positur, um Napoleon mit seinen Nachrichten zu überwältigen.) Er hat +mir ewige Bruderschaft geschworen, war das nichts? Er hat gesagt, daß +meine Augen ihn an die Augen seiner Schwester erinnerten--war das +nichts? Er hat geweint--wirkliche Tränen--über die Geschichte meiner +Trennung von Angelica--war das nichts?! Er hat beide Flaschen Wein +bezahlt, obwohl er selbst nur Brot und Trauben gegessen +hatte--vielleicht nennen Sie das auch nichts! Er hat mir seine +Pistolen und sein Pferd und seine Depeschen gegeben--äußerst wichtige +Depeschen--und hat mich damit fortgehen lassen--(triumphierend, da er +sieht, daß er Napoleon in sprachloses Erstaunen versetzt hat:) war das +nichts?! + +(Napoleon schwach vor Erstaunen:) Warum hat er das getan? + +(Leutnant als ob der Grund ganz klar wäre:) Um mir sein Vertrauen zu +beweisen. (Napoleons Kiefer fällt nicht gerade herunter, aber seine +Gelenkbänder werden schlaff. Der Leutnant fährt mit ehrlicher +Entrüstung fort:) Und ich habe sein Vertrauen auch verdient: ich habe +ihm alles ehrlich zurückgegeben. Aber würden Sie es glauben, Herr +General,--als ich ihm meine Pistolen und mein Pferd and meine +Depeschen anvertraut hatte... + +(Napoleon wütend:) Warum, zum Teufel, haben Sie das getan? + +(Leutnant.) Warum?... Um ihm auch meinerseits mein Vertrauen zu +beweisen, natürlich. Und er hat mich betrogen, ausgenützt, ist nicht +wiedergekommen--der Dieb--der Schwindler--der herzlose, verräterische, +kleine Schuft! Und das--das nennen Sie wahrscheinlich "nichts +zugestoßen"! Aber sehen Sie, Herr General--(hält sich wieder mit der +Faust am Tische, um mit größerer Emphase zu sprechen.) Sie mögen +diesen Schimpf von den Österreichern hinnehmen, wenn Sie wollen; aber +was mich persönlich anbelangt--ich sage Ihnen, wenn ich ihn jemals +erwische-- + +(Napoleon wendet sich angewidert auf dem Absatz herum, um seine +Wanderung wieder aufzunehmen:) Ja, ja, das haben Sie schon oft genug +gesagt. + +(Leutnant äußerst erregt:) Oft genug?... Ich werde es hundertmal +sagen--und mehr als das: ich werde es tun! Ich werde ihm mein +Vertrauen zeigen--das werde ich! Ich werde--- + +(Napoleon.) Ja, ja, Herr Leutnant--gewiß werden Sie das. Was für eine +Art Mensch war er? + +(Leutnant.) Nun, ich glaube, nach seinem Benehmen sollten Sie +schließen können, was für eine Art Mensch das war. + +(Napoleon.) Pah--Wie sah er aus? + +(Leutnant.) Ausgesehen... Er sah aus wie... nun... Sie hätten den +Burschen bloß mal sehen müssen, dann würden Sie einen Begriff davon +haben, wie er aussieht. Fünf Minuten, nachdem ich ihn erwischt habe, +wird er nicht mehr so aussehen. Ich wiederhole Ihnen: wenn ich ihn +jemals-- + +(Napoleon ruft wütend nach dem Wirt:) Giuseppe! (Zum Leutnant, am +Ende seiner Geduld:) Halten Sie jetzt Ihren Mund, wenn Sie können! + +(Leutnant.) Ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, daß es umsonst +ist, zu versuchen, mir die Schuld aufzuhalsen. (Klagend:) Wie hätte +ich wissen sollen, was für eine Art Mensch das ist. (Er nimmt einen +Sessel, der zwischen der äußeren Tür und dem Büfett steht, stellt ihn +an den Tisch und setzt sich.) Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie hungrig +und müde ich bin, würden Sie mehr Rücksicht nehmen. + +(Giuseppe zurückkommend:) Was befehlen Exzellenz? + +(Napoleon mit seinem Temperament kämpfend:) Nimm diesen... diesen +Offizier; gib' ihm zu essen; wenn nötig, bring ihn zu Bett; und wenn +er dann wieder bei Trost ist, trachte herauszubringen, was ihm +passiert ist, und laß mich es wissen. (Zum Leutnant.) Betrachten Sie +sich als Arrestanten, Herr Leutnant.-- + +(Leutnant ärgerlich mit Steifheit:) Darauf war ich vorbereitet. Nur +ein Edelmann kann einen Edelmann verstehen. (Er wirft seinen Degen +auf den Tisch, Giuseppe nimmt ihn und bietet ihn Napoleon höflich an, +der ihn heftig auf das Sofa wirft.) + +(Giuseppe mit Teilnahme:) Sind Sie von den Österreichern überfallen +worden, Herr Leutnant? O weh, o weh! + +(Leutnant verachtungsvoll:) Überfallen! Ich hätte sein Rückgrat +zwischen meinem Zeigefinger und Daumen zerbrechen können! Wenn ich es +nur getan hätte! Nein! ich bin hineingefallen, weil er an die bessere +Seite meiner Natur appelliert hat--und darüber kann ich nicht +hinwegkommen! Er sagte, daß ihm noch nie ein Mensch so gefallen hätte +wie ich, er schlang sein Taschentuch um meinen Nacken, weil mich eine +Mücke gestochen hatte und mein Kragen mich wund rieb--sehen Sie! (Er +zieht ein Taschentuch unter seinem Kragen bervor; Giuseppe nimmt und +untersucht es.) + +(Giuseppe zu Napoleon:) Das Taschentuch einer Dame, Exzellenz! (Er +riecht daran:) Parfümiert! + +(Napoleon.) Wie? (Er nimmt es und betrachtet es aufmerksam:) Hm! (Er +riecht daran:) Ha! (Er geht, das Taschentuch betrachtend, +nachdenklich durch das Zimmer und steckt es schließlich in seine +Brusttasche.) + +(Leutnant.) Jedenfalls paßt es zu ihm. Ich bemerkte, daß er +Weiberhände hatte, als er mein Genick berührte in seiner +schmeichlerisch tändelnden Art--dieser gemeine, weibische, kleine Hund! +(Leiser, aber mit schauerlicher Heftigkeit:) Aber glauben Sie meinen +Worten, Herr General: wenn ich ihn jemals--- + +(Die Stimme einer Dame draußen wie zuvor:) Giuseppe! + +(Leutnant erstarrt:) Was war das? + +(Giuseppe.) Nur eine Dame über uns, Herr Leutnant, die mich ruft. + +(Leutnant.) Eine Dame! + +(Stimme.) Giuseppe! Giuseppe! wo bleiben Sie!? + +(Leutnant mordlustig:) Wo ist mein Degen? (Er stürzt an das Sofa, +ergreift seinen Degen und zieht ihn.) + +(Giuseppe springt vor und faßt seinen rechten Arm:) Was fällt Ihnen +denn ein, Herr Leutnant! Es ist eine Dame: hören Sie nicht, daß es +eine weibliche Stimme ist? + +(Leutnant.) Ich sage Ihnen, daß es seine Stimme ist--lassen Sie mich +los! (Er stürzt fort und will zur inneren Türe; da öffnet sich diese +vor seiner Nase, und die fremde Dame tritt ein. Sie ist eine sehr +anziehende Erscheinung, groß und ungewöhnlich graziös, mit einem zart +intelligenten, empfindsamen, fragenden Gesicht. Auffassungskraft +liegt auf ihrer Stirn, Empfindlichkeit in ihren Nasenflügeln, +Charakter in ihrem Kinn: im ganzen sieht sie scharfsinnig, vornehm und +originell aus. Sie ist sehr weiblich, aber durchaus nicht schwach. +Die geschmeidige, schlanke Gestalt ist kräftig gebaut, die Hände und +Füße, Hals und Schultern sind keine zerbrechlichen Schmuckstücke, +sondern stehen im richtigen Größenverhältnis zu der ganzen Gestalt, +die die Napoleons und des Wirtes beträchtlich überragt und der des +Leutnants vollkommen gleichkommt; ihre Eleganz und ihr strahlender +Reiz verdecken indessen ihre Größe und Kraft. Nach ihrem Kleide zu +schließen, ist sie keine Bewunderin der neuesten Mode des Direktoriums, +oder sie verträgt vielleicht auf der Reise ihre alten Kleider, +jedenfalls trägt sie keine Jacke mit auffallenden Aufschlägen, kein +nachgemacht griechisches Unterkleid à la Madame Tallien,--nichts, +wahrhaftig nichts, das die Prinzessin von Lamballe nicht hätte tragen +können. Ihr Kleid von geblümter Seide mit langer Taille ist am Rücken +mit einer Watteaufalte versehen, aber die Puffen sind, da sie für +diese zu groß ist, zu bloßen Rudimenten verkürzt. Es ist im Nacken +ein wenig ausgeschnitten und dort mit einem cremefarbenen Fichu +geschmückt. Sie ist von heller Hautfarbe und hat goldbraune Haare und +graue Augen. Sie tritt mit der Selbstsicherheit einer Frau ein, die +an die Vorrechte von Rang und Schönheit gewöhnt ist. Der Wirt, der +von Natur sehr gute Manieren hat, ist von ihr höchst eingenommen. +Napoleon, auf den ihre Augen zuerst fallen, wird sofort verlegen. +Sein Gesicht rötet sich, er wird steifer und fühlt sich unsicherer als +zuvor. Sie bemerkt dies augenblicklich, und, um ihn nicht in +Verlegenheit zu bringen, wendet sie sich mit einer unendlich +wohlerzogenen Art--um auch ihm die Ehre eines Blickes zu gewähren--zu +dem andern Herrn, der mit Gefühlen, die ganz unaussprechlich und +unbeschreiblich sind, auf ihr Kleid starrt, als ob es der Erde erstes +Meisterwerk an Verräterei und Verstellung wäre. Als sie ihn erkennt, +wird sie totenblaß; ihr Ausdruck kann nicht mißverstanden werden. Die +Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gänzlich unerwarteten Irrtums +hat sie jäh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und +Siegesgewißheit. Im nächsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter +dem cremefarbenen Fichu auf und ergießt sich über ihr ganzes Gesicht. +Man sieht, daß sie am ganzen Leibe errötet. Selbst der Leutnant, der +für gewöhnlich ganz unfähig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr +seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man +es ihm rot anstreicht. Da er das Erröten als das unfreiwillige +Eingeständnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verräterei +auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf +sie--dann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich +her in das Zimmer, schlägt die Türe zu und pflanzt sich mit dem Rücken +davor auf.) + +(Leutnant.) Habe ich dich erwischt, Bursche! Du hast dich also +verkleidet--was? (Mit Donnerstimme:) Zieh diesen Rock aus! + +(Giuseppe Verwahrung einlegend:) Aber, Herr Leutnant! + +(Dame erschrocken, aber höchst entrüstet, daß er es gewagt hat, sie +anzurühren:) Meine Herren, ich wende mich an Sie! Giuseppe! (Macht +eine Bewegung, als ob sie zu Giuseppe laufen wollte.) + +(Leutnant stellt sich dazwischen, den Degen in der Faust:) Nicht von +der Stelle! + +(Dame zu Napoleon flüchtend:) O Herr, Sie sind Offizier--General--Sie +werden mich beschützen--nicht wahr? + +(Leutnant.) Kümmern Sie sich nicht um ihn, Herr General. +Überlassen Sie ihn mir. + +(Napoleon.) Ihn? Wen, Mensch? Warum behandeln Sie diese Dame in +solcher Weise? + +(Leutnant.) Dame?... Er ist ein Mann--der Mann, dem ich mein +Vertrauen geschenkt habe! (Geht drohend vor:) Hierher--du-- + +(Dame läuft hinter Napoleon und umklammert in ihrer Aufregung seinen +Arm, den er instinktiv vor ihr ausstreckt, um sie zu schützen:) Oh, +ich danke Ihnen, Herr General! Halten Sie ihn fern! + +(Napoleon.) Unsinn! Das ist ganz bestimmt eine Frau! (Sie läßt +seinen Arm plötzlich los und errötet wieder:) Und Sie sind im Arrest! +Legen Sie augenblicklich Ihren Degen nieder, Herr Leutnant! + +(Leutnant.) Herr General, ich sage Ihnen, er ist ein österreichischer +Spion! Heute nachmittag hat er sich mir gegenüber aufgespielt, als +gehörte er zum Stabe General Massenas--und nun spielt er sich Ihnen +gegenüber als Frau auf. Darf ich meinen eigenen Augen glauben oder +nicht? + +(Dame.) Herr General--das muß mein Bruder gewesen sein--der ist beim +Stabe General Massenas und sieht mir sehr ähnlich. + +(Leutnant den Verstand verlierend:) Wollen Sie damit sagen, daß Sie +nicht Ihr Bruder, sondern Ihre Schwester sind... die Schwester, die +mir so ähnlich sieht... die meine schönen blauen Augen hat? Es war +eine Lüge,--Ihre Augen sind nicht wie die meinen--sie sind genau wie +Ihre eigenen! Welche Perfidie! + +(Napoleon.) Herr Leutnant, wollen Sie meinen Befehlen gehorchen und +dieses Zimmer verlassen, da Sie endlich überzeugt sind, daß diese Dame +kein Mann ist? + +(Leutnant.) Kein Mann, das will ich meinen! Ein Mann würde mein +Vertrauen nie so getäuscht haben-- + +(Napoleon am Ende seiner Geduld:) Genug, Mensch, genug! Verlassen Sie +dieses Zimmer! Ich befehle Ihnen, dieses Zimmer zu verlassen! + +(Dame.) O, bitte, ich will lieber gehen. + +(Napoleon trocken:) Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor +Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was für ein Interesse ein +Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann. +Ich habe einige Fragen an Sie zu richten. + +(Giuseppe diskret:) Kommen Sie, Herr Leutnant. (Er öffnet die Türe.) + +(Leutnant.) Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen. +Hüten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur. (Zur Dame:) Madame, +Sie entschuldigen, ich hielt Sie für dieselbe Person, nur von +entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich natürlich irregeführt. + +(Dame süß:) Es war doch nicht Ihre Schuld! Ich freue mich, daß Sie +mir nicht länger böse sind, Herr Leutnant. (Sie reicht ihm die Hand.) + +(Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu küssen:) Oh, meine Gnädige, +nicht im gering... (fährt zurück und starrt auf ihre Hand:) Sie haben +die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er. + +(Dame freundlich:) Wir sind Zwillinge. + +(Leutnant.) Das erklärt alles. (Er küßt ihre Hand:) Bitte tausendmal +um Verzeihung. Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das +ist mehr Sache des Generals--aber es war der Mißbrauch meines +Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur. (Er nimmt seine Mütze, +Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:) Ich hoffe, Sie +entschuldigen, daß ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure +unendlich. (Er schwätzt sich aus dem Zimmer hinaus. Giuseppe folgt +ihm und schließt die Tür.) + +(Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:) Idiot! + +(Dame lächelt liebenswürdig. Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch +und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle +seine Verlegenheit geschwunden:) Wie kann ich Ihnen für Ihren Schutz +danken, Herr General? + +(Napoleon wendet sich plötzlich zu ihr um:) Meine Depeschen! schnell! +(Er streckt die Hand danach aus.) + +(Dame.) Herr General! (Unwillkürlich greift sie mit den Händen nach +dem Fichu, als wolle sie dort etwas beschützen.) + +(Napoleon.) Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt! Sie haben +sich als Mann verkleidet! Ich will meine Depeschen haben; sie sind da +in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren Händen... + +(Dame zieht ihre Hände rasch weg:) Oh, wie unliebenswürdig Sie mit mir +sprechen! (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:) Sie ängstigen +mich! (Sie berührt ihre Augen, als wollte sie eine Träne wegwischen.) + +(Napoleon.) Ich sehe, daß Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie +würden sich die Mühe ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten. + +(Dame tut so, als ob sie zwischen Tränen lächeln wollte:) Doch, ich +kenne Sie--Sie sind der berühmte General Buonaparte. (Sie gibt dem +Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.) + +(Napoleon ärgerlich, mit französischer Aussprache:) Bonaparte, Madame, +--Bonaparte!... Die Papiere, wenn's gefällig ist! + +(Dame.) Aber ich versichere Ihnen--(Er reißt ihr das Taschentuch +heftig aus der Hand:) Herr General! (Entrüstet.) + +(Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:) Sie +waren so liebenswürdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschentücher zu +leihen, als Sie ihn beraubten. (Er betrachtet die beiden +Taschentücher.) Sie sind einander vollständig gleich. (Er riecht +daran:) Derselbe Duft! (Er wirft beide auf den Tisch.) Ich warte auf +die Depeschen! Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit +ebenso wenig Umständen wegnehmen, wie dieses Taschentuch. (Das +duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre später in Victorien Sardous +Drama "Dora" wieder auf.) + +(Dame mit würdevollem Vorwurf:) Herr General, bedrohen Sie wehrlose +Frauen? + +(Napoleon grob:) Ja! + +(Dame verblüfft, sucht Zeit zu gewinnen:) Aber ich begreife +nicht--ich ... + +(Napoleon.) Sie begreifen sehr gut. Sie sind hierhergekommen, weil +Ihre österreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, daß ich +sechs Meilen weit von hier entfernt sei. Ich bin immer dort zu finden, +wo meine Feinde mich nicht erwarten. Sie sind in die Höhle des Löwen +geraten. Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine +vernünftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere! (Er geht +drohend einen Schritt vor.) + +(Dame bricht in kindischer, ohnmächtiger Wut zusammen und wirft sich +in Tränen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen +gelassen wurde:) Ich--und tapfer! Wie wenig Sie mich kennen. Ich +habe den Tag in Todesfurcht verbracht! Ich bekomme Brustschmerzen vor +Herzklopfen bei jedem argwöhnischen Blick und jeder drohenden Bewegung. +Halten Sie jeden Menschen für so tapfer, wie Sie es sind? Oh, warum +vollbringt ihr tapferen Männer nicht die tapferen Taten? Warum +überlaßt ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben? Ich bin nicht +tapfer--ich schrecke vor Gewalt zurück--die Gefahr macht mich elend. + +(Napoleon mit Interesse:) Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben? + +(Dame.) Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem +vertrauen. Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der +keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gefühl, kein... (Sie +hält inne und wirft sich auf die Knie.) Oh, Herr General, lassen Sie +mich gehn! Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu +stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schwöre es! + +(Napoleon seine Hand ausstreckend:) Ja--ich warte darauf. (Sie +schnappt nach Luft. Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur +Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und +ihr Gerede zu rühren, aber wie sie starr zu ibm aufblickt, sieht man +klar, daß sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu +überlisten. Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.) + +(Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:) Ich will +sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer. (Sie wendet sich zur Türe.) + +(Napoleon.) Ich werde Sie begleiten, Madame. + +(Dame richtet sich mit einer edlen Gebärde beleidigten Zartgefühls auf:) +Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr +General. + +(Napoleon.) Dann werden Sie hierbleiben, Madame, während ich Ihr +Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse. + +(Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:) Sie können sich die +Mühe ersparen: sie sind nicht dort. + +(Napoleon.) Nein. Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind. (Zeigt +auf ihre Brust.) + +(Dame mit niedlicher Kläglichkeit:) Herr General, ich möchte nur einen +kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir +wenigstens den! + +(Napoleon kalt und finster:) Ist das eine vernünftige Bitte, Madame? + +(Dame weil er nicht kurzweg abschlägt, ermutigt:) Nein--aber gerade +deshalb müssen Sie mir sie bewilligen. Sind Ihre eigenen Wünsche +vernünftig? Sie verlangen Tausende von Menschenleben für Ihre Siege, +Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche +Kleinigkeit! Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein +tapferer Mann. (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist +im Begriff, ihm wieder zu Füßen zu fallen.) + +(Napoleon heftig:) Lassen Sie das, lassen Sie das! (Er wendet sich +ärgerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, hält einen Augenblick inne +und sagt über seine Schulter hinweg:) Sie sprechen Unsinn und Sie +wissen es. (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser +Verzweiflung, auf das Sofa. Als er sich umwendet und sie dort +erblickt, fühlt er, daß sein Sieg vollständig ist und daß er sich +jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann. Er +kommt zurück und setzt sich neben sie. Sie sieht geängstigt auf und +rückt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung +erglänzt in ihren Augen. Er beginnt wie einer, der sich über einen +heimlichen Scherz freut:) Woher wissen Sie, daß ich tapfer bin? + +(Dame erstaunt:) Sie! General Buonaparte! (Italienische Aussprache.) + +(Napoleon.) Ja, ich--General Bonaparte! (Die französische Aussprache +betonend.) + +(Dame.) Oh, wie können Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen +an der Brücke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell über den Fluß hinweg +auszufechten, während der Tod durch die Lüfte sauste! (Schaudernd:) +Oh, Sie vollbringen Heldentaten! + +(Napoleon.) So wie Sie. + +(Dame.) Ich? (Mit einem plötzlichen seltsamen Gedanken:) Oh, Sie sind +also ein Feigling? + +(Napoleon lacht grimmig und schlägt auf seine Knie:) Das ist die +einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen dürfen. Der +Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner Länge, seinem Alter, seinem +Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut. (Er steht auf und +geht, in sich hineinkichernd, mit den Händen auf dem Rücken und +vorgeneigtem Kopf, auf und ab.) + +(Dame als ob sie nichts Lächerliches dabei finden könnte:) Ah, Sie +können sich über die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht, +was Furcht ist. + +(Napoleon hinter das Sofa tretend:) Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an, +daß Sie diesen Brief nur hätten bekommen können, wenn Sie vorgestern +über die Brücke bei Lodi zu mir gekommen wären,--nehmen Sie an, daß +Sie keinen andern Weg gehabt hätten und daß dies ein sicherer Weg +war--vorausgesetzt, daß die Kanonenkugeln Sie verschonten. (Sie +schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den Händen.) Würden +Sie Angst gehabt haben? + +(Dame.) Oh, fürchterliche Angst! tödliche Angst! (Sie preßt ihre +Hände aufs Herz.) Die bloße Vorstellung schmerzt schon! + +(Napoleon unbeugsam:) Würden Sie wegen der Depeschen gekommen sein? + +(Dame überwältigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:) Fragen Sie +mich nicht! Ich hätte kommen müssen! + +(Napoleon.) Warum? + +(Dame.) Weil ich gezwungen gewesen wäre. Weil es keinen andern Ausweg +gegeben hätte! + +(Napoleon mit Überzeugung:) Weil es Sie nach diesem Brief so sehr +verlangt hätte, daß Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst würden +ertragen haben. Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die +Furcht. Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag, +ist die einzige, die Sie sowohl beim jüngsten Tambour als auch bei mir +finden werden, die Furcht. Sie ist es, die die Menschen in den Kampf +treibt: Gleichgültigkeit macht, daß sie davonlaufen. Furcht ist die +Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl, +besser als Sie, besser als irgend ein Weib. Ich sah einst, wie ein +Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde, +weil ich mich fürchtete einzugreifen. Ich fühlte mich als Feigling +bis in die Fußspitzen, als ich dabei zusah. Vor sieben Monaten rächte +ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode +knallte. Nun--was ist dabei? Hat die Furcht jemals einen Mann von +irgend etwas, das er wirklich wollte, zurückgehalten, oder auch nur +eine Frau? Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen +zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge +schauen um den Preis eines Glases Branntwein. Und glauben Sie, daß es +keine Frauen in der Armee gibt, die tapferer sind als die Männer, weil +ihr Leben weniger wert ist? Pah, ich halte gar nichts--weder von +Ihrer Furcht noch von Ihrem Mut. Wenn Sie bei Lodi zu mir hätten +kommen müssen, Sie würden keine Furcht gehabt haben: einmal auf der +Brücke wäre vor der Notwendigkeit jedes andere Gefühl geschwunden-- +vor der Notwendigkeit, Ihren Weg an meine Seite zu finden, um zu +bekommen, was Sie haben wollten. Und nun nehmen Sie an, daß Sie +davongekommen wären mit jenem Brief in Ihrer Hand und um die Erfahrung +reicher, daß in der Stunde der Not Ihre Furcht Ihnen nicht das Herz +zusammenschnürte, sondern die Ausführung Ihres Planes unterstützte, +daß sie aufgehört hätte, "Furcht" zu sein, und sich in Stärke, +Scharfsinn, verdoppelte Aufmerksamkeit und eiserne Entschlossenheit +verwandelt hätte,--wie würden Sie dann antworten, wenn Sie gefragt +würden, ob Sie ein Feigling sind? + +(Dame sich erhebend:) Ah, Sie sind ein Held--ein wirklicher Held! + +(Napoleon.) Pah! wirkliche Helden gibt es nicht. (Er schlendert durch +das Zimmer, ihren Enthusiasmus leicht nehmend, aber durchaus nicht +unzufrieden mit sich, ihn hervorgerufen zu haben.) + +(Dame.) O ja--es gibt welche. Es ist ein Unterschied zwischen dem, +was Sie meinen Mut nennen, und dem Ihrigen. Sie wollten die Schlacht +bei Lodi für niemand andern, als für sich selbst gewinnen--nicht wahr? + +(Napoleon.) Selbstverständlich! (Sich plötzlich besinnend:) +Halt--nein! (Er rafft sich ehrfürchtig zusammen und sagt wie ein Mann, +der einen frommen Dienst verrichtet:) Ich bin nur ein Diener der +französischen Republik. Ich folge demütig den Fußtapfen der Helden +des klassischen Altertums. Ich gewinne Schlachten für die +Menschheit--für mein Vaterland--nicht für mich! + +(Dame enttäuscht:) Oh, dann sind Sie doch auch nur ein weibischer Held. +(Sie setzt sich wieder, den Ellbogen auf die Lehne des Sofas, die +Wange in die Hand gestützt; alle ihre Begeisterung ist gewichen.) + +(Napoleon höchst erstaunt:) Weibisch?! + +(Dame teilnahmslos:) Ja, wie ich. (Mit tiefer Melancholie:) Glauben +Sie, wenn ich jene Depeschen nur für mich brauchte, daß ich mich dann +ihretwegen in eine Schlacht wagen würde? Nein! wenn das alles wäre, +würde ich nicht einmal den Mut finden, Sie in Ihrem Hotel aufzusuchen. +Mein Mut ist bloß Sklaverei. Ich weiß damit für meine eigenen Zwecke +nichts anzufangen. Nur aus Liebe, aus Mitleid, aus dem Instinkt +heraus, einen andern zu retten und zu beschützen, kann ich Dinge tun, +die mich entsetzen. + +(Napoleon verachtungsvoll:) Pah! (Er wendet sich geringschätzig von +ihr fort.) + +(Dame.) Aha! nun begreifen Sie, daß ich nicht wirklich mutig bin. +(Fällt wieder in ärgerliche Teilnahmslosigkeit zurück.) Aber was für +ein Recht haben Sie, mich zu verachten, wenn Sie Ihre Schlachten auch +nur für andere gewinnen? Für Ihr Land, aus Patriotismus--das ist es, +was ich weibisch nenne: das ist der echte Franzose. + +(Napoleon wütend:) Ich bin kein Franzose! + +(Dame unschuldig:) Ich glaubte zu hören, daß Sie sagten, Sie hätten +die Schlacht bei Lodi für Ihr Land gewonnen, General Bu... soll ich es +französisch oder italienisch aussprechen? + +(Napoleon.) Sie verlassen sich auf meine Geduld, Madame. Ich wurde +als französischer Untertan geboren, aber nicht in Frankreich. + +(Dame kreuzt ihre Arme am Rande des Sofas und stützt sich darauf mit +einem deutlich aufflammenden Interesse:) Ich glaube, Sie sind +überhaupt nicht als Untertan geboren. + +(Napoleon hocherfreut, beginnt einen neuen Spaziergang:) Sieh da! Das +meinen Sie also? + +(Dame.) Ich bin davon durchdrungen! + +(Napoleon.) Nun, nun, Sie mögen vielleicht recht haben. (Die +Selbstgefälligkeit seiner Beipflichtung fällt ihm selbst auf. Er hält +errötend inne und begibt sich in eine feierliche, den Helden des +klassischen Altertums nachgeahmte Pose und nimmt einen höchst +moralischen Ton an.) Aber wir dürfen niemals ausschließlich für uns +leben, liebes Kind. Vergessen Sie nie, daß wir immer an andere denken +sollen, für andere arbeiten, sie zu ihrem Besten lenken und regieren. +Selbstaufopferung ist die Grundlage aller echten Charaktergröße. + +(Dame gibt mit einem Seufzer ihre Stellung wieder auf:) Daran sieht +man leicht, daß Sie sie selbst nie versucht haben, Herr General. + +(Napoleon entrüstet, vergißt alles über Brutus und Scipio:) Was wollen +Sie mit diesen Worten sagen, Madame? + +(Dame.) Haben Sie nicht beobachtet, daß die Menschen den Wert der +Dinge, die sie nicht besitzen, immer überschätzen? Die Armen glauben, +daß sie nichts als Reichtümer brauchten, um vollkommen glücklich und +gut zu sein. Jedermann betet Wahrheit, Reinheit, Selbstlosigkeit aus +demselben Grunde an,--weil er auf diesen Gebieten keine Erfahrung hat. +Oh, wenn Sie nur wüßten! + +(Napoleon mit ärgerlichem Hohn:) Wenn Sie nur wüßten--? Ich bitte Sie, +haben (Sie) vielleicht Erfahrung darin? + +(Dame läßt die Arme fallen und faltet die Hände über den Knien, gerade +vor sich hinblickend:) Ja, ich hatte das Unglück, gut auf die Welt zu +kommen. (Einen Augenblick zu ihm aufschauend:) Und ich kann Ihnen +versichern, es (ist) ein Unglück, Herr General. Ich bin wirklich +wahrheitsliebend und selbstlos und alles, was dazu gehört, aber das +ist nichts als Feigheit, Mangel an Charakter, Mangel an dem Mut, +wirklich mit aller Kraft und unbedingt sich selbst treu zu sein. + +(Napoleon.) Ha! (Wendet sich rasch zu ihr um, mit einem Aufleuchten +starken Interesses:) + +(Dame ernst, mit wachsendem Enthusiasmus:) Was ist das Geheimnis Ihrer +Macht? Nur, daß Sie an sich selbst glauben. Sie können nur für sich +kämpfen und siegen--für niemand sonst. Sie haben keine Angst vor +Ihrem eigenen Schicksal, Sie zeigen uns, was wir (alle) erreichen +könnten, wenn wir den Willen und den Mut dazu hätten, und das +(plötzlich vor ihm auf die Knie fallend:) ist der Grund, warum wir Sie +alle anzubeten beginnen. (Sie küßt seine Hände.) + +(Napoleon in Verlegenheit:) Aber--aber--bitte, erheben Sie sich, +Madame! + +(Dame.) Weisen Sie meine Huldigung nicht zurück. Sie haben ein Recht +darauf--Sie werden einst als Kaiser über Frankreich herrschen---- + +(Napoleon rasch:) Nehmen Sie sich in acht, das ist Hochverrat! + +(Dame darauf bestehend:) Jawohl--als Kaiser über Frankreich--dann über +Europa--vielleicht über die ganze Welt... Ich bin nur der erste +Untertan, der Ihnen Treue schwört. (Küßt wieder seine Hand.) Mein +Kaiser! + +(Napoleon hebt sie überwältigt auf:) Ich bitte Sie--nein, nein, Kind, +das ist Wahnsinn! Gehen Sie, beruhigen Sie sich! (Sie streichelnd:) +So, so, liebes Kind! + +(Dame mit Glückstränen kämpfend:) Ja, ich weiß, daß es unverschämt ist, +Ihnen Dinge zu sagen, die Sie viel besser als ich wissen müssen. +Aber Sie sind mir nicht böse--nicht wahr, nein? + +(Napoleon.) Böse? Nein, nein, nicht im geringsten, nicht im +geringsten! Gehen Sie, Sie sind eine sehr gescheite, vernünftige und +interessante kleine Frau. (Er streichelt ihre Wangen:) Wollen wir +Freunde sein? + +(Dame hingerissen:) Ihre Freundin! Sie wollen mir gestatten, Ihre +Freundin zu sein? Oh! (Sie reicht ihm ihre beiden Hände mit einem +strahlenden Lächeln.) Sie sehen, ich beweise Ihnen mein Vertrauen. + +(Napoleon mit einem Wutschrei und blitzenden Augen:) Was?! + +(Dame.) Was ist geschehen? + +(Napoleon.) Ihr Vertrauen! damit ich Ihnen dafür mein Vertrauen +schenken und Ihnen gestatte, mir mit meinen Depeschen davonzugehen--was? +Ah, Delila, Delila! Sie haben Ihre Künste an mir versucht, und ich war +ein ebenso großer Einfaltspinsel wie mein Esel von einem Leutnant. (Er +geht drohend auf sie los.) Geben Sie die Depeschen--schnell! Ich lasse +jetzt nicht mehr mit mir spaßen! + +(Dame um das Sofa herumfliehend:) Herr General-- + +(Napoleon.) Ich sage Ihnen--rasch! (Er geht rasch durch die Mitte des +Zimmers und vertritt ihr den Weg, als sie sich gegen den Weingarten +wenden will.) + +(Dame bietet ihm die Stirne wie ein gehetztes Tier:) Wie können Sie es +wagen, in diesem Tone mit mir zu sprechen? + +(Napoleon.) Wagen?! + +(Dame.) Ja--wagen! Wer sind Sie, daß Sie sich herausnehmen dürfen, +mit mir auf so grobe Weise zu sprechen? Oh, der niedrig geborene, +gemeine, korsische Abenteurer tritt sehr leicht bei Ihnen zutage. + +(Napoleon außer sich:) Sie Teufelin, Sie--(Wild:) Zum letztenmal: +Wollen Sie mir die Papiere geben oder soll ich sie Ihnen +entreißen?--mit Gewalt! (Dame läßt die Hände sinken:) Ja, entreißen +Sie sie mir--mit Gewalt! (Während er sie anstarrt wie ein +sprungbereiter Tiger, kreuzt sie in Märtyrerstellung ihre Arme über +der Brust. Diese Geste und Pose wecken augenblicklich Napoleons +theatralischen Instinkt. Er vergißt seine Wut, um ihr zu zeigen, daß +er ihr auch im Komödienspielen gewachsen ist. Er läßt sie einen +Augenblick in Erwartung, dann hellt sich sein Gesicht plötzlich auf, +er legt die Hände mit herausfordernder Kälte auf den Rücken, sieht an +ihr ein paarmal hinauf und hinab, nimmt eine Prise Schnupftabak, +wischt seine Finger sorgfältig ab und steckt sein Taschentuch ein. +Ihre heroische Pose wird dadurch immer lächerlicher.) + +(Napoleon endlich:) Nun? + +(Dame verlegen, aber die Arme noch immer in Ergebung gekreuzt:) Nun, +was wollen Sie beginnen? + +(Napoleon.) Ihre Pose verderben! + +(Dame.) Sie roher Patron! (Ihre Stellung aufgebend, geht sie an das +Sofaende, wendet sich mit dem Rücken dagegen, lehnt sich an und steht +ihm, mit den Händen auf dem Rücken, gegenüber.) + +(Napoleon.) So ist's besser. Nun hören Sie mir zu. Sie gefallen +mir--und was mehr ist, ich schätze Ihre Achtung. + +(Dame.) Dann schätzen Sie, was Sie nicht besitzen. + +(Napoleon.) Ich werde sie gleich besitzen. Hören Sie: gesetzt den +Fall, ich würde mich von der Achtung, die ich Ihrem Geschlecht, Ihrer +Schönheit, Ihrem Heldentum und allem übrigen schuldig bin, bestimmen +lassen. Nehmen Sie an, daß ich, obwohl nichts als solch sentimentaler +Kram zwischen diesen meinen Muskeln und jenen mir so wichtigen +Papieren stünde, die Sie bei sich haben und die ich haben will and +auch bekommen werde, nehmen Sie an, daß ich mit der Beute vor mir +schwankend werden und mit leeren Händen mich hinwegschleichen würde, +--oder, was noch ärger wäre, daß ich meine Schwäche zu verdecken +suchte, indem ich den großen Helden spielte und Ihnen den Gewaltakt +ersparte, den ich nicht anzuwenden wagte--würden Sie mich nicht aus +der tiefsten Tiefe Ihrer weiblichen Seele verachten? Würde irgendeine +Frau so dumm sein? Nun,--Bonaparte kann zeigen, daß er auch dieser +Lage gewachsen ist und, wenn nötig, unmännlich handeln darf. +Verstehen Sie mich? (Ohne ein Wort au sprechen, richtet sich die Dame +auf und nimmt ein Paket mit Briefen aus den Brustfalten ihres Kleides. +Einen Moment fühlt sie sich versucht, sie ihm ins Gesicht zu werfen, +aber ihre gute Erziehung hält sie davon ab, ihrem Herzen auf gemeine +Weise Luft zu machen. Sie überreicht sie ihm höflich und wendet bloß +den Kopf dabei ab. Im Augenblick, als er sie nimmt, eilt sie nach der +entgegengesetzten Seite des Zimmers, bedeckt ihr Gesicht mit den +Händen und setzt sich, indem sie sich umwendet und das Gesicht der +Stuhllehne zukehrt.) + +(Napoleon sich an den Papieren weidend:) Ah, so ist's recht! (Bevor +er sie öffnet, blickt er nach ihr hin und sagt:) Sie entschuldigen... +(Er bemerkt, daß sie ihr Gesicht verdeckt hat.) Sehr böse auf +mich--wie? (Er bindet das Paket auf, dessen Siegel schon erbrochen +sind und legt es auf den Tisch, um seinen Inhalt zu untersuchen.) + +(Dame ruhig, nimmt ihre Hände herab und zeigt, daß sie nicht weint, +sondern bloß nachdenkt:) Nein, Sie hatten recht--aber Sie tun mir leid. + +(Napoleon hält in der Tätigkeit, den obersten Brief aus dem Paket zu +nehmen, inne:) Ich tue Ihnen leid--warum? + +(Dame.) Ich werde sehen müssen, wie Sie Ihre Ehre verlieren. + +(Napoleon.) Hm... ist das alles? (Er nimmt den Brief in die Hand.) + +(Dame.) Und Ihr Glück. + +(Napoleon.) Glück, meine Liebe, ist mir das langweiligste Ding von der +Welt. Wäre ich, was ich bin, wenn ich mich um Glück scherte? Sonst +noch etwas? + +(Dame.) Nichts--(Er unterbricht sie mit einem Ausruf der Befriedignng; +sie fährt ruhig fort:) als daß Sie eine sehr komische Figur in den +Augen Frankreichs abgeben werden. + +(Napoleon rasch:) Was?! (Die Hand, die den Brief hält, fällt +unwillkürlich herab. Die Dame blickt ihn rätselhaft an und verharrt +in ruhigem Schweigen. Er wirft den Brief hin und bricht in einen +Strom von Schmähungen aus:) Was meinen Sie damit, wie? Beginnen Sie +Ihre Kunststücke von neuem? Glauben Sie, daß ich nicht weiß, was +diese Papiere enthalten?... Ich will es Ihnen sagen. Erstens die +Verständigung über Beaulieus Rückzug... er hat ja nur die Wahl +zwischen zwei Dingen, die er tun kann, dieser dickköpfige Idiot! +Entweder sich in Mantua einschließen oder die Neutralität Venedigs +durch die Einnahme von Peschiera verletzen. Sie sind einer von den +Spionen des alten Idioten. Er hat entdeckt, daß er verraten wurde, +und hat Sie ausgesandt, um diese Nachricht um jeden Preis zu vereiteln. +Als wenn ihn das vor mir retten könnte, den alten Narren! Die +andern Papiere enthalten nur meine gewöhnliche Pariser Korrespondenz, +über die Sie nichts wissen. + +(Dame rasch und geschäftsmäßig:) Herr General, lassen Sie uns ehrlich +teilen: nehmen Sie die Nachrichten, die Ihnen Ihre Spione über die +österreichische Armee gesandt haben, und geben Sie mir die Pariser +Korrespondenz--das soll mir genügen. + +(Napoleon ganz atemlos über die Ruhe, mit der sie diesen Vorschlag +macht:) Ehrlich tei... (Er schnappt nach Luft.) Mir scheint, Madame, +daß Sie meine Briefe als Ihr rechtmäßiges Eigentum betrachten, dessen +ich Sie zu berauben versuche! + +(Dame ernst:) Nein, bei meiner Ehre, ich verlange keinen Ihrer +Briefe--nicht ein Wort, das von Ihnen oder an Sie geschrieben wurde. +Dieses Paket enthält einen gestohlenen Brief: einen Brief, den eine +Frau einem Manne geschrieben hat, einem Manne, der nicht ihr Gatte ist, +--einen Brief, der Schande, Infamie bedeutet-- + +(Napoleon.) Einen Liebesbrief? + +(Dame bitter-süß:) Was sonst als ein Liebesbrief könnte so viel Haß +aufrühren? + +(Napoleon.) Warum wurde er an mich gesandt? Um den Gatten in meine +Gewalt zu geben--was? + +(Dame.) Nein, nein--er kann Ihnen in keiner Weise nützlich sein. Ich +schwöre Ihnen, daß es Sie nichts kosten wird, wenn Sie ihn mir geben. +Er wurde Ihnen aus reiner Bosheit zugesandt--einzig und allein, um die +Frau, die ihn geschrieben hat, zu kompromittieren. + +(Napoleon.) Warum hat man ihn nicht ihrem Manne geschickt? Was soll +ich damit? + +(Dame vollkommen aus dem Text gebracht:) Oh! (Sie sinkt in den Stuhl +zurück:) Ich... weiß es nicht. (Sie bricht zusammen.) + +(Napoleon.) Aha! ich dacht' es gleich,--ein kleiner Roman, um die +Papiere zurückzubekommen. (Er wirft das Paket auf den Tisch und tritt +vor sie hin, in zynisch guter Laune,) Per Bacco, kleine Frau! ich kann +nicht umhin, Sie zu bewundern! Wenn ich so zu lügen verstünde wie Sie, +ich könnte, mir viele Mühe ersparen. + +(Dame die Hände ringend:) Oh, wie ich wünschte, daß ich Ihnen wirklich +bloß eine Lüge erzählt hätte! Dann würden Sie mir geglaubt haben! +Das einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit. + +(Napoleon mit roher Vertraulichkeit, behandelt sie, als ob sie eine +Marketenderin wäre:) Ausgezeichnet, ausgezeichnet! (Er legt seine +Hände hinter sich auf den Tisch und setzt sich mit in die Seite +gestemmten Armen und weit auseinander gestreckten Beinen auf den Tisch.) +Gehen Sie! Ich bin ein echter Korse in meiner Vorliebe für +Geschichten! Aber ich könnte sie besser erzählen als Sie, wenn ich +mir's angelegen sein ließe. Wenn man Sie wieder einmal fragen sollte, +warum man einen Brief, der eine Frau kompromittiert, nicht ihrem +Gatten schicken soll, dann antworten Sie einfach: Weil ihn der Gatte +nicht lesen würde.--Oder bilden Sie sich ein, Sie kleine Unschuld, daß +ein Ehemann von der öffentlichen Meinung gezwungen werden will, eine +Szene zu machen, ein Duell auszufechten, infolge eines Skandales +seinen Haushalt aufzugeben, seine Karriere zu zerstören, wenn er all +das verhindern kann, indem er sich hütet, etwas zu wissen? + +(Dame empört:) Und wenn dieses Paket einen Brief über Ihre eigene Frau +enthielte? + +(Napoleon beleidigt, den Tisch verlassend:) Sie werden unverschämt, +Madame! + +(Dame demütig:) Verzeihen Sie mir--Cäsars Frau ist über jeden Argwohn +erhaben. + +(Napoleon mit wohlerwogener Überlegenheit:) Sie haben eine +Indiskretion begangen--ich verzeihe Ihnen. In Zukunft erlauben Sie +sich aber nicht, wirkliche Personen in Ihre Romane einzuführen. + +(Dame höflich eine Rede überhörend, die ihr nur eine Vernachlässigung +der guten Manieren bedeutet, erhebt sie sich, um an den Tisch zu gehen:) +Herr General,--es ist wirklich der Brief einer Frau darunter. (Auf +das Paket zeigend:) Geben Sie ihn mir. + +(Napoleon grob und kurz, mit einer Bewegung, die verhindern soll, daß +sie den Briefen zu nahe kommt:) Warum? + +(Dame.) Er ist von einer alten Freundin, wir waren zusammen in der +Schule; sie hat mir geschrieben und mich angefleht, zu verhindern, daß +der Brief in Ihre Hände falle. + +(Napoleon.) Warum wurde er mir geschickt? + +(Dame.) Weil er den Direktor Barras kompromittiert. + +(Napoleon die Stirne runzelnd, sichtlich erregt:) Barras? (Hochmütig:) +Nehmen Sie sich in acht, Madame. Der Direktor Barras ist mein +treuer, persönlicher Freund. + +(Dame nickt gelassen:) Ja--Sie wurden durch Ihre Frau mit ihm +befreundet. + +(Napoleon.) Schon wieder! Habe ich Ihnen nicht verboten, von meiner +Frau zu sprechen? (Sie fährt fort, ihn neugierig anzublicken, ohne +diese Zurechtweisung zu beachten. Mehr und mehr erregt, läßt er seine +hochmütige Art fallen, die ihm selbst etwas lästig wird, und sagt +argwöhnisch, mit leiser Stimme:) Wer ist diese Frau, mit der Sie so +tief sympathisieren? + +(Dame.) Oh, Herr General, wie könnte ich Ihnen das sagen?! + +(Napoleon übellaunig, beginnt er wieder ärgerlich verwundert auf und +ab zu gehen:) Ja, ja--die eine hilft der andern--Ihr Weiber seid alle +gleich! + +(Dame entrüstet:) Wir sind nicht alle gleich--nicht mehr, als Ihr es +seid! Glauben Sie, daß, wenn ich einen andern Mann liebte, ich +vorgeben würde, meinen Mann weiter zu lieben, oder mich fürchten würde, +ihm oder der ganzen Welt alles zu sagen? Aber diese Frau ist nicht +aus solchem Stoff geschaffen--sie beherrscht die Männer, indem sie sie +betrügt, und (verachtungsvoll:) sie lieben das und lassen sich von ihr +beherrschen. (Sie setzt sich wieder nieder, mit dem Rücken gegen ihn.) + +(Napoleon sich um sie nicht bekümmernd:) Barras! Barras! (Wendet +sich drohend gegen sie, sein Gesicht verfinstert sich.) Nehmen Sie +sich in acht! nehmen Sie sich in acht!--hören Sie! Sie könnten zu +weit gehen! + +(Dame wendet ihm unschuldig ihr Gesicht zu:) Was haben Sie? + +(Napoleon.) Auf was spielen Sie an? Wer ist diese Frau? + +(Dame begegnet seinem ärgerlich forschenden Blick mit ruhiger +Gleichgültigkeit und bleibt, zu ihm aufsehend, mit übergeschlagenen +Beinen sitzen und läßt den rechten Arm leicht auf der Lehne des +Stuhles ruhen:) Ein eitles, dummes, verschwenderisches Geschöpf, das +einen sehr fähigen und ehrgeizigen Mann hat, der sie durch und durch +kennt--der weiß, daß sie ihn über ihr Alter, ihr Einkommen, ihre +soziale Stellung, über alles, worüber dumme Frauen Lügen erzählen, +belogen hat,--der weiß, daß sie unfähig ist, irgendeinem Prinzip oder +irgendeinem Menschen treu zu sein, und doch nicht umhin kann, sie zu +lieben,--dessen männlicher Instinkt ihm sogar erlaubt, sie zu benützen, +um mit ihrer Hilfe bei Barras etwas zu erreichen. + +(Napoleon mit einem leisen, kalt wilden Flüstern:) Das ist Ihre Rache, +Sie Katze, weil Sie mir die Briefe herausgeben mußten! + +(Dame.) Unsinn! Oder halten Sie sich selbst für so einen Menschen? + +(Napoleon außer sich, schlingt die Hände auf dem Rücken ineinander, +seine Finger zucken, und er sagt, während er aufgeregt von ihr fort +zum Kamin geht:) Dieses Weib wird mich noch um den Verstand bringen! +(Zu ihr:) Gehen Sie! + +(Dame bleibt unbeweglich sitzen:) Nicht ohne jenen Brief. + +(Napoleon.) Hinaus, sage ich Ihnen! (Er geht vom Kamin bis gegen den +Weingarten und wieder zurück an den Tisch.) Sie werden keinen Brief +bekommen--Sie gefallen mir nicht! Sie sind ein unausstehliches +Frauenzimmer and häßlich wie der leibhaftige Satan! Ich lasse mich +nicht von fremden Weibern belästigen! Machen Sie, daß Sie fortkommen! +(Er wendet ihr den Rücken zu. Sie stützt ihre Wange in die Hand und +lacht in stillem Vergnügen über ihn. Er wendet sich wieder um, ihr +ärgerlich nachahmend:) Hahaha! Worüber lachen Sie? + +(Dame.) Über Sie, Herr General. Ich habe schon oft Menschen Ihres +Geschlechtes aufgebracht und sich wie Kinder benehmen sehen, aber ich +habe das noch nie zuvor an einem wirklich großen Manne beobachtet. + +(Napoleon brutal, ihr die Worte ins Gesicht schleudernd:) Pah! +Schmeichelei! Schmeichelei! plumpe, unverschämte Schmeichelei! + +(Dame springt mit jähem Erröten auf:) Oh, Sie gehen zu weit! Behalten +Sie Ihre Briefe, lesen Sie darin die Geschichte Ihrer eigenen Schande, +und möge sie Ihnen gut bekommen! Leben Sie wohl! (Sie geht entrüstet +zur inneren Türe.) + +(Napoleon.) Meine eigene--! Bleiben Sie! Kommen Sie zurück! Ich +befehle Ihnen zu bleiben! (Sie mißachtet stolz seinen wilden +befehlshaberischen Ton und setzt den Weg zur Tür fort. Er springt auf +sie zu, faßt sie beim Handgelenk and zerrt sie zurück.) Jetzt werden +Sie mir sagen, was Sie meinen... erklären Sie sich! Erklären Sie, +sage ich Ihnen, sonst--! (Bedroht sie. Sie sieht ihn mit furchtlosem +Trotz an.) Brr! Sie hartnäckiger Teufel, Sie! warum wollen Sie eine +höfliche Frage nicht beantworten? + +(Dame durch seine Heftigkeit tief verletzt:) Warum fragen Sie mich? +Sie haben ja die Erklärung. + +(Napoleon.) Wo? + +(Dame zeigt auf den Tisch mit den Briefen:) Dort! Sie brauchen nur zu +lesen. (Er nimmt das Paket auf, zögert, sieht sie argwöhnisch an und +wirft es wieder hin.) + +(Napoleon.) Sie scheinen die Sorge um die Ehre Ihrer alten Freundin +vergessen zu haben? + +(Dame.) Jetzt läuft sie keine Gefahr mehr: sie versteht ihren Mann +nicht ganz. + +(Napoleon.) Soll ich den Brief also lesen? (Er streckt seine Hand aus, +als ob er das Paket wieder aufgreifen wollte, den Blick auf sie +gerichtet.) + +(Dame.) Ich sehe nicht, wie Sie jetzt noch vermeiden könnten, ihn zu +lesen. (Er zieht seine Hand sofort zurück.) Oh, fürchten Sie sich +nicht. Sie werden mancherlei interessante Dinge darin finden. + +(Napoleon.) Zum Beispiel? + +(Dame.) Zum Beispiel: ein Duell--mit Barras, eine häusliche Szene, +einen aufgelösten Haushalt, einen öffentlichen Skandal, eine zerstörte +Karriere--allerlei interessante Dinge-- + +(Napoleon.) Hm! (Er sieht sie an, nimmt das Paket und betrachtet es, +spitzt die Lippen und wiegt es in der Hand, sieht sie dann wieder an, +nimmt das Paket in seine linke Hand und stellt es hinter seinen Rücken; +seine rechte Hand erhebt er, um sich am Hinterkopf zu kratzen, indem +er sich umwendet und an die Schwelle des Weingartens geht, wo er einen +Augenblick stehen bleibt und, in tiefe Gedanken versunken, nach den +Weinreben blickt. Die Dame beobachtet ihn schweigend, mit einiger +Geringschätzung. Plötzlich kommt er wieder zurück, voll Kraft und +Entschlossenheit:) Ich will Ihre Bitte erfüllen, Madame. Ihr Mut und +Ihre Entschlossenheit verdienen einen Erfolg. Nehmen Sie die Briefe, +für die Sie so gut gekämpft haben, und erinnern Sie sich hinfort daran, +daß Sie den niedrig geborenen, gemeinen, korsischen Abenteurer nach +der gewonnenen Schlacht dem Besiegten gegenüber ebenso großmütig +gefunden haben, wie er vorher im Angesichte des Feindes unerbittlich +war. (Er bietet ihr das Paket an.) + +(Dame ohne es zu nehmen, ihn hart anblickend:) Ich frage mich, was Sie +wohl jetzt im Schilde führen. (Er wirft das Paket wütend auf den +Boden.) Aha! Mir scheint, diesmal habe ich eine Pose verdorben. (Sie +macht ihm eine hübsche, spöttische Verbeugung.) + +(Napoleon hebt die Briefe wieder auf:) Wollen Sie die Briefe nehmen +und dann gehen? (Geht auf sie los und will sie ihr aufdrängen.) + +(Dame um den Tisch herum entwischend:) Nein! ich will Ihre Briefe +nicht. + +(Napoleon.) Vor zehn Minuten wollte Ihnen nichts anderes genügen. + +(Dame den Tisch sorgfältig zwischen ihm und sich haltend:) Vor zehn +Minuten hatten Sie mich noch nicht über alles Ertragen beleidigt. + +(Napoleon.) Dann... (seine Wut hinunterwürgend:) dann bitte ich Sie um +Verzeihung. + +(Dame kühl:) Ich danke. (Er bietet ihr mit erzwungener Höflichkeit +das Paket über den Tisch an; sie tritt einen Schritt zurück, aus +seinem Bereich, und sagt:) Aber wollen Sie denn nicht mehr wissen, ob +die Österreicher in Mantua oder in Peschiera stehen? + +(Napoleon.) Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich meine Feinde ohne die +Mithilfe von Spionen zu besiegen weiß, Madame! + +(Dame.) Und den Brief--wollen Sie den nicht lesen? + +(Napoleon.) Sie haben gesagt, daß er nicht an mich adressiert ist--ich +habe nicht die Gewohnheit, anderer Leute Briefe zu lesen. (Er bietet +ihr das Paket abermals an.) + +(Dame.) Wenn dem so ist, dann ist dagegen, daß Sie ihn behalten, gewiß +nichts einzuwenden. Alles, was ich wollte, war: zu verhindern, daß +Sie ihn lesen. (Heiter:) Guten Abend, Herr General! (Sie wendet sich +kühl nach der inneren Türe.) + +(Napoleon wirft das Paket ärgerlich auf das Sofa:) Himmel, gib mir +Geduld! (Er pflanzt sich entschlossen vor der Tür auf und verstellt +ihr so den Weg.) Fehlt Ihnen jeder Sinn für persönliche Gefahr, oder +gehören Sie zu den Frauen, die es lieben, schwarz und blau geschlagen +zu werden? + +(Dame.) Ich danke schön, Herr General--das müßte zweifellos eine sehr +reizvolle Sensation sein, aber ich verzichte lieber darauf. Ich will +einfach nach Hause gehn, weiter nichts. Ich war arglistig genug, Ihre +Depeschen zu stehlen, aber Sie haben sie zurückbekommen und haben mir +verziehen, weil (seinen rhetorischen Tonfall liebenswürdig +wiederholend:) Sie nach der gewonnenen Schlacht ebenso großmütig gegen +den Besiegten sind, wie Sie vorher im Angesicht des Feindes +unerbittlich waren. Wollen Sie mir nicht Lebewohl sagen? (Sie reicht +ihm freundlich die Hand.) + +(Napoleon das Entgegenkommen mit einer Gebärde maßloser Wut +zurückweisend, öffnet die Tür und ruft wütend:) Giuseppe! (Lauter:) +Giuseppe! (Er schlägt die Tür zu und kommt in die Mitte des Zimmers. +Die Dame geht etwas gegen den Weingarten zu, um ihm auszuweichen.) + +(Giuseppe erscheint an den Tür:) Exzellenz befehlen? + +(Napoleon.) Wo ist der Narr? + +(Giuseppe.) Der Herr Leutnant hat, wie Exzellenz befohlen haben, ein +gutes Essen bekommen und erweist mir nun die Ehre, mit mir zu würfeln, +um sich die Zeit zu vertreiben. + +(Napoleon.) Schick' ihn her--bring ihn herein and komm mit ihm. + +(Giuseppe läuft mit unentwegter Bereitwilligkeit hinaus. Napoleon +wendet sich zu der Dame und sagt dabei barsch:) Ich muß Sie bitten, +noch einige Augenblicke hierzubleiben, Madame. (Er geht zum Sofa. +Sie schreitet vom Weingarten an der entgegengesetzten Seite des +Zimmers an das Büfett, lehnt sich dagegen und beobachtet ihn. Er +nimmt das Paket vom Sofa und knöpft es langsam und sorgfältig in seine +Brusttasche, während er sie dabei mit einem Ausdruck betrachtet, der +besagen soll, daß sie den Zweck seines Vorgehens bald herausfinden und +über diesen Zweck nicht erfreut sein wird. Es wird nichts mehr gesagt, +bis der Leutnant hereinkommt. Giuseppe folgt ihm und bleibt +bescheiden in Bereitschaft vor dem Tische stehn. Der Leutnant ohne +Mütze, ohne Degen und ohne Handschuhe und infolge seiner Mahlzeit in +viel besserer Laune und besserer Geistesverfassung wählt die Seite des +Zimmers, auf der die Dame steht, und wartet sehr behaglich, bis +Napoleon beginnt.) + +(Napoleon.) Herr Leutnant! + +(Leutnant ermutigend:) Herr General! + +(Napoleon.) Ich kann diese Dame nicht dazu bewegen, mir viele +Aufklärungen zu geben; aber es besteht kein Zweifel mehr darüber, daß +der Mann, der Sie durch seine List dahin brachte, Ihre Pflicht zu +verletzen, wie sie es bereits zugab, ihr Bruder ist. + +(Leutnant triumphierend:) Was habe ich Ihnen gesagt, Herr General? + +(Napoleon.) Sie müssen diesen Menschen finden, Ihre Ehre steht auf dem +Spiel, und der Ausgang des Feldzuges, das Schicksal Frankreichs--Europas +--der Menschheit vielleicht mag von den Mitteilungen abhängen, die jene +Depeschen enthalten. + +(Leutnant.) Ja, mir scheint, sie sind wirklich ziemlich wichtig. (Als +ob er vorher kaum daran gedacht hätte.) + +(Napoleon energisch:) Sie sind so wichtig, Herr Leutnant, daß ich Sie +in Gegenwart Ihres Regiments degradieren werde, wenn Sie diese +Depeschen nicht wiederfinden. + +(Leutnant.) Hu! Ich kann Ihnen versichern, daß dem Regimente das +wenig Spaß machen wird. + +(Napoleon.) Persönlich bedaure ich Sie; ich würde die Sache, wenn das +möglich wäre, gerne unterdrücken. Aber ich werde zur Rechenschaft +gezogen werden, wenn ich nicht nach den Depeschen handle--ich werde +der ganzen Welt beweisen müssen, daß ich sie niemals bekommen habe, +was für Folgen das auch immer für Sie haben mag--es tut mir leid, aber +Sie sehen, ich kann mir nicht anders helfen. + +(Leutnant gutmütig:) Oh, nehmen Sie sich die Sache nicht zu Herzen, +Herr General, Sie sind wirklich zu gütig. Was mir auch zustoßen +sollte, ich werde schon irgendwie durchkommen, und wir werden die +Österreicher für Sie schlagen--mit oder ohne Depeschen! Ich hoffe, +Sie werden nicht darauf bestehen, daß ich ganz umsonst sofort Jagd +nach diesem Burschen mache. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich ihn +suchen soll. + +(Giuseppe ehrerbietig:) Sie vergessen, Herr Leutnant,--er hat Ihr +Pferd. + +(Leutnant auffahrend:) Das hab' ich ganz vergessen. (Entschlossen:) +Ich werde nach ihm fahnden, Herr General, ich werde dieses Pferd, wenn +es irgendwo in Italien noch am Leben ist, aufstöbern, und ich werde +die Depeschen nicht vergessen--seien Sie unbesorgt. Geh', Giuseppe, +und sattle eines von deinen schäbigen alten Postkutschpferden, während +ich meine Mütze, meinen Degen und die übrigen Sachen hole,--schnell, +marsch! fort mit dir! (Drängt ihn hinaus.) + +(Giuseppe.) Sofort, Herr Leutnant, sofort! (Er verschwindet im +Weingarten, den der Sonnenuntergang rötet.) + +(Leutnant auf dem Wege nach der inneren Tür um sich blickend:) Da +fällt mir ein, Herr General, habe ich Ihnen meinen Degen gegeben oder +nicht? Oh, ich erinnere mich jetzt--(verdrießlich:) Das kommt davon, +wenn man einen Menschen in Arrest setzt! Man weiß dann nie, wo man +seine sieben Sachen gelassen... (Er schwätzt sich aus dem Zimmer.) + +(Dame noch vor dem Büfett:) Was soll das alles bedeuten, Herr General? + +(Napoleon.) Er wird Ihren Bruder nicht finden. + +(Dame.) Selbstverständlich nicht; weil ich keinen habe. + +(Napoleon.) Die Depeschen werden unwiederbringlich verloren sein. + +(Dame.) Unsinn! Sie sind in Ihrer Rocktasche. + +(Napoleon.) Sie werden einsehen, daß es schwerhalten wird, diese +abenteuerliche Behauptung zu beweisen. + +(Die Dame fährt auf; er fügt mit treffendem Nachdruck hinzu:) Diese +Papiere sind verloren. + +(Dame ängstlich, an die Ecke des Tisches vorwärtsschreitend:) Und +deshalb soll die Karriere dieses unglücklichen Menschen geopfert +werden? + +(Napoleon.) Seine Karriere?! Der Bursche ist das Schießpulver nicht +wert, das er kosten würde, wenn ich ihn niederknallen ließe! (Er +wendet sich verachtungsvoll ab und geht zum Kamin, wo er der Dame den +Rücken kehrt.) + +(Dame gedankenvoll:) Sie sind sehr hart. Männer und Frauen sind Ihnen +nichts als Dinge, dazu da, von Ihnen gebraucht zu werden, selbst wenn +sie bei dem Gebrauch zugrunde gehn. + +(Napoleon wendet sich zu ihr:) Wer von uns beiden hat diesen Burschen +zugrunde gerichtet--ich oder Sie? Wer hat ihm die Depeschen +abgelockt? Haben Sie dabei an seine Karriere gedacht? + +(Dame naiv bekümmert um den Leutnant:) Oh, daran habe ich nicht +gedacht! Es war brutal von mir--aber ich konnte nicht anders, nicht +wahr? Wie hätte ich sonst die Papiere bekommen sollen? (Flehentlich:) +Herr General, Sie werden ihm die Schande ersparen! + +(Napoleon bitter lachend:) Retten Sie ihn, da Sie so gescheit sind! +Sie waren es ja, die ihn ruiniert hat! (Mit wilder Betonung:) Ich +hasse einen schlechten Soldaten! (Er geht entschlossen durch den +Weingarten hinaus; sie folgt ihm einige Schritte mit einer +beschwörenden Gebärde, wird aber durch die Rückkehr des Leutnants +aufgehalten, der mit Handschuhen und Mütze und umgürtetem Degen +marschbereit ist. Er durchschreitet das Zimmer nach der äußeren Tür +zu, als sie ihm in den Weg tritt.) + +(Dame.) Herr Leutnant! + +(Leutnant wichtig:) Sie dürfen mich nicht aufhalten,--Dienst ist +Dienst, gnädige Frau. + +(Dame flehentlich:) O Herr Leutnant, was wollen Sie meinem armen +Bruder tun? + +(Leutnant.) Lieben Sie ihn sehr? + +(Dame.) Ich würde sterben, wenn ihm etwas zustieße--Sie müssen ihn +verschonen! (Der Leutnant schüttelt düster den Kopf.) Ja, ja, Sie +müssen--Sie werden... Er darf noch nicht sterben! Hören Sie mich! +Wenn ich Ihnen sage, wo er zu finden ist--wenn ich es unternehme, ihn +als Gefangenen in Ihre Hände zu liefern, damit Sie ihn dem General +Bonaparte übergeben können--wollen Sie mir dann als Offizier und +Edelmann bei Ihrer Ehre schwören, nicht mit ihm zu kämpfen oder ihn +auf irgendeine Weise schlecht zu behandeln? + +(Leutnant.) Aber gesetzt den Fall, daß er mich angreift... er hat +meine Pistolen! + +(Dame.) Dazu ist er viel zu feige. + +(Leutnant.) Davon bin ich durchaus nicht so überzeugt--der ist zu +allem fähig. + +(Dame.) Für den Fall, daß er Sie angreifen oder den leisesten +Widerstand leisten sollte, gebe ich Ihnen Ihr Versprechen zurück. + +(Leutnant.) Mein Versprechen? Ich habe ja noch nichts versprochen. +--Schauen Sie! Sie sind genau so gerieben wie Ihr Bruder.--Sie haben +mich auch mittels der besseren Seite meiner Natur übervorteilen wollen. +Und wie steht es mit meinem Pferd? + +(Dame.) Es ist in unsere Abmachung eingeschlossen, daß Sie Ihr Pferd +und Ihre Pistolen zurückbekommen sollen. + +(Leutnant.) Bei Ihrer Ehre? + +(Dame.) Bei meiner Ehre! (Sie reicht ihm die Hand.) + +(Leutnant erfaßt sie und hält sie fest:) Abgemacht! Ich werde mit ihm +sanft wie ein Lamm umgehen.--Seine Schwester ist eine sehr hübsche +Frau. (Er versucht, sie zu küssen.) + +(Dame ihm entschlüpfend:) O Herr Leutnant, Sie vergessen,--es geht um +Ihre Karriere--um das Schicksal Europas--der Menschheit vielleicht... + +(Leutnant.) Was schert mich das Schicksal der Menschheit! (Ihr +nachsetzend:) Nur einen Kuß! + +(Dame zieht sich hinter den Tisch zurück:) Nicht, bevor Sie Ihre +Offiziersehre wiedergewonnen haben. Bedenken Sie--noch ist mein +Bruder nicht Ihr Gefangener! + +(Leutnant verführerisch:) Sie werden mir sagen, wo er ist--nicht wahr? + +(Dame.) Ich brauche ihm nur ein vereinbartes Zeichen zu senden, und er +wird in einer Viertelstunde hier sein. + +(Leutnant.) Dann ist er also gar nicht weit? + +(Dame.) Nein--sogar ganz nahe. Warten Sie hier auf ihn; sobald er +meine Botschaft bekommt, wird er sofort hierhereilen, um sich Ihnen zu +ergeben--verstehen Sie jetzt? + +(Leutnant an dessen Verstand zu hohe Anforderungen gestellt werden:) +Nun, die Sache ist zwar ein wenig kompliziert, aber ich hoffe, es wird +schon alles in Ordnung sein. + +(Dame.) Und jetzt, während Sie auf den Gefangenen warten, glauben Sie +nicht, daß es besser wäre, Sie würden mit dem General die Bedingungen +der Übergabe vereinbaren? + +(Leutnant.) Sehen Sie, wie fürchterlich verwickelt die Sache ist! Was +für Bedingungen? + +(Dame.) Lassen Sie sich von ihm zusichern, daß er Ihre Soldatenehre +als wiederhergestellt betrachtet, sobald Sie meinen Bruder gefangen +haben. Unter dieser Bedingung wird er alles versprechen, was Sie +verlangen. + +(Leutnant.) Das ist keine schlechte Idee, ich danke Ihnen. Ich glaube, +das werde ich doch versuchen. + +(Dame.) Tun Sie das. Und vor allem eins: lassen Sie ihn ja nicht +merken, wie gescheit Sie sind. + +(Leutnant.) Ich verstehe:--er könnte neidisch werden. + +(Dame.) Sagen Sie ihm nichts anderes, als daß Sie entschlossen sind, +meinen Bruder gefangenzunehmen oder bei dem Versuche zugrunde zu gehn. +Er wird Ihnen nicht glauben wollen--dann werden Sie meinen Bruder +vorführen... + +(Leutnant unterbrechend, da er nun endlich das Komplott begreift:) Und +ihn auslachen! Nein, was für eine gescheite kleine Frau Sie sind! +(Rufend:) Giuseppe! + +(Dame.) Sch! Kein Wort zu Giuseppe über mich! (sie legt ihren Finger +auf die Lippen, er tut dasselbe; sie blicken einander warnend an; dann +ändert sie mit einem entzückenden Lächeln die Gebärde dahin, daß sie +ihm einen Kuß zuwirft, und läuft durch die innere Tür hinaus. +Elektrisiert, bricht er in ein kicherndes Frohlocken aus. Giuseppe +kommt durch die äußere Tür zurück.) + +(Giuseppe.) Das Pferd ist bereit, Herr Leutnant. + +(Leutnant.) Ich gehe noch nicht gleich. Lauf! suche den General und +sag ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche. + +(Giuseppe den Kopf schüttelnd:) Das ist ganz unmöglich, Herr Leutnant. + +(Leututnant.) Warum? + +(Giuseppe.) In dieser bösen Welt kann ein General zwar nach einem +Leutnant schicken, aber ein Leutnant darf niemals nach einem General +schicken. + +(Leutnant.) Ah, du meinst, das würde ihm nicht passen. Nun, du hast +vielleicht recht. Man muß in diesen Dingen jetzt ungemein vorsichtig +sein, seit wir eine Republik haben. (Da erscheint, vom Weingarten +kommend, Napoleon, seinen Rock auf der Brust zuknöpfend, bleich und +voll nagender Gedanken.) + +(Giuseppe der sich der Nähe Napoleons nicht bewußt ist:) Sehr richtig, +Herr Leutnant, sehr richtig! Ihr seid jetzt in Frankreich alle wie +die Wirte. Ihr müßt gegen jedermann höflich sein. + +(Napoleon seine Hand auf Giuseppes Schulter legend:) Und das nimmt der +Höflichkeit ihren ganzen Wert--nicht wahr? + +(Leutnant.) Ah, da ist mein Mann!--Herr General, gesetzt den Fall, daß +ich Ihnen den Burschen stelle-- + +(Napoleon mit ironischem Ernst:) Sie werden ihn mir nicht stellen, +mein Freund! + +(Leutnant.) Aha! das glauben Sie--aber Sie werden schon sehen, warten +Sie nur ab! Wenn ich ihn aber doch fangen und Ihnen übergeben sollte, +werden Sie dann sagen: wir sind quitt!? Werden Sie dann die +Geschichte von der Degradierung in Gegenwart meines Regiments fallen +lassen? Nicht meinetwegen, wissen Sie!--aber kein Regiment läßt sich +gerne dem Gelächter der andern Regimenter preisgeben. + +(Napoleon ein kalter Schimmer von Humor huscht über sein düsteres +Gesicht:) Was sollen wir mit diesem Offizier beginnen, Giuseppe, +--alles, was er sagt, ist falsch. + +(Giuseppe schlagfertig:) Machen Sie ihn zum General, Exzellenz; dann +wird alles, was er sagt, richtig sein. + +(Leutnant triumphierend:) Haha! (Er wirft sich in Ekstase auf das +Sofa, um den Witz auszukosten.) + +(Napoleon lacht und nimmt Giuseppe bei einem Ohr:) In diesem Wirtshaus +kommst du nicht zur Geltung, Giuseppe. (Er setzt sich und stellt +Giuseppe vor sich hin, wie ein Schulmeister seinen Schüler:) Soll ich +dich mit mir nehmen und einen Mann aus dir machen? + +(Giuseppe schüttelt wiederholt rasch den Kopf:) Nein, ich danke Ihnen, +Herr General. Mein ganzes Leben lang haben Leute versucht, aus mir +einen Mann zu machen. + +Als ich ein Knabe war, wollte unser guter Pastor einen Mann aus mir +machen, indem er mich lesen und schreiben lehrte; dann wollte der +Organist zu Melegnano einen Mann aus mir machen, indem er mich im +Notenlesen unterwies. Später würde der rekrutierende Korporal einen +Mann aus mir gemacht haben, wenn ich ein paar Zoll größer gewesen wäre, +--aber immer hätte das für mich Arbeit bedeutet; dazu bin ich aber zu +faul, dem Himmel sei Dank! So lernte ich statt alldem kochen und +wurde Wirt, und nun halte ich Dienerschaft für die Arbeit und habe +selber nichts zu tun, als zu schwatzen, was mir ausgezeichnet bekommt. + +(Napoleon ihn gedankenvoll anblickend:) Bist du zufrieden? + +(Giuseppe in froher Überzeugung:) Vollkommen, Exzellenz! + +(Napoleon.) Und du hast keinen verzehrenden Teufel im Leibe, der Tag +und Nacht mit Taten und Siegen gefüttert werden muß--der dich mit dem +Schweiße deines Körpers und deines Gehirnes, mit Wochen von +Herkulesarbeiten zehn Minuten des Genusses bezahlen läßt, der +gleichzeitig dein Sklave und dein Tyrann ist, dein Genius und dein +Verhängnis--der dir mit der einen Hand eine Krone reicht und das Ruder +eines Galeerensklaven mit der andern--der dir alle Königreiche der +Erde zeigt und dich zu ihrem Herrn zu machen verspricht unter der +Bedingung, daß du ihr Diener wirst?--Von alledem hast du nichts im +Leibe? + +(Giuseppe.) Nichts dergleichen. Aber ich versichere Ihnen, Exzellenz, +mein verzehrender Teufel ist weit schlimmer; er bietet mir weder +Kronen noch Königreiche: er erwartet alles umsonst von mir zu +bekommen--Würste, Omeletten, Trauben, Käse, Polenta, Wein--täglich +dreimal, Exzellenz, nichts Geringeres will ihm genügen. + +(Leutnant.) Hör' auf, Giuseppe!--Deine Worte machen mich wieder +hungrig. (Giuseppe verbeugt sich, sich entschuldigend und zieht sich +von dem Gespräche zurück. Er macht sich am Tische zu schaffen, staubt +ihn ab, legt die Landkarte zurecht and rückt Napoleons Stuhl, den die +Dame zurückgestoßen hat, wieder an seinen richtigen Platz.) + +(Napoleon wendet sich zum Leutnant mit sardonischer Feierlichkeit:) +Ich hoffe, daß ich nicht ehrgeizige Gefühle in Ihnen erweckt habe. + +(Leutnant.) Durchaus nicht. Ich fliege nicht so hoch,--überdies ist +es besser, daß ich so bleibe wie ich bin. Männer wie ich werden +gerade jetzt in der Armee gebraucht. Die Revolution paßte nämlich +ganz gut für Zivilisten, aber für die Armee taugt sie nichts. Sie +wissen, wie Soldaten sind, Herr General: sie bestehen darauf, Männer +von Rang zu Ihren Offizieren zu haben. Ein Leutnant muß ein Edelmann +sein, weil er mit den Soldaten soviel in Berührung kommt; aber ein +General oder selbst ein Oberst kann aus dem schlechtesten Ausschuß +entnommen werden, wenn er sein Geschäft gut genug versteht. Ein +Leutnant ist ein Edelmann, alles andere ist Zufall. Was glauben Sie, +wer hat die Schlacht bei Lodi gewonnen? Ich will es Ihnen sagen: mein +Pferd. + +(Napoleon erhebt sich:) Ihre Dummheit führt Sie zu weit,--nehmen Sie +sich in acht! + +(Leutnant.) Durchaus nicht. Sie erinnern sich doch an die heftige +Kanonade von einem Flußufer zum andern: die Österreicher bombardierten +Sie, um Ihren Übergang zu verhindern, und Sie bombardierten die +Österreicher, um sie davon abzuhalten, daß Sie die Brücke in Brand +setzten. Haben Sie bemerkt, wo ich während dieser Zeit gewesen bin? + +(Napoleon mit drohender Höflichkeit:) Ich bedaure--ich glaube, ich war +in diesem Augenblick zu sehr beschäftigt. + +(Giuseppe mit eifriger Bewunderung:) Man erzählt sich, daß Sie von +Ihrem Pferde abgesprungen sind und die großen Kanonen mit eigenen +Händen abgeprotzt haben, Herr General! + +(Leutnant.) Das war ein Mißgriff: ein Offizier sollte sich nie dazu +hergeben, die Arbeit seiner Untergebenen zu verrichten. (Napoleon +sieht ihn gefahrdrohend an und beginnt wie ein Tiger auf und ab zu +gehen.) Aber Sie könnten noch jetzt ganz zwecklos auf die Österreicher +feuern, wenn wir Kavalleristen nicht die Furt gefunden hätten, über +den Fluß gesetzt wären und Sie dadurch unterstützt hätten, daß wir +Beaulieus Flanke von Ihnen abwendeten. Sie würden es nicht gewagt +haben--und Sie wissen das selbst sehr genau--den Befehl zu geben, die +Brücke stürmen zu lassen, wenn Sie uns nicht auf dem jenseitigen Ufer +gesehen hätten. Deshalb sage ich, daß nur der Entdecker jener Furt +die Schlacht bei Lodi gewonnen hat.--Nun, und wer hat sie +entdeckt?--Ich war der erste Mann, der sie überschritt, und ich weiß +es--mein Pferd hat sie gefunden. (Mit Überzeugung, während er sich +vom Sofa erhebt:) Eigentlich hat mein Pferd die Österreicher besiegt. + +(Napoleon zornig:) Sie Idiot, ich werde Sie erschießen lassen, weil +Sie die Depeschen verloren haben! Ich werde Sie vor die Mündung einer +Kanone binden and in die Luft sprengen lassen! Andere Maßregeln sind +ja nicht imstande, Eindruck auf Sie zu machen. (Ihn anbrüllend:) +Hören Sie! verstehen Sie! (Ein französischer Offizier tritt +unbeachtet ein, seinen in der Scheide befindlichen Degen in der Hand.) + +(Leutnant uneingeschüchtert:) Wenn ich ihn nicht erwischen werde, Herr +General, nur dann! Bedenken Sie das Wenn! + +(Napoleon.) Wenn! wenn!... Esel! dieser Mann existiert überhaupt +nicht! + +(Der Offizier tritt plötzlich zwischen sie und spricht mit der +unverkennbaren Stimme der fremden Dame:) Herr Leutnant, ich bin Ihr +Gefangener! (Sie bietet ihm ihren Degen.--Sie sind sprachlos vor +Erstaunen. Napoleon start sie einen Augenblick, wie vom Donner +gerührt, an, reißt sie dann am Handgelenk rauh zu sich hin, betrachtet +sie wild aus der Nähe, um ihre Identität selbst festzustellen, denn es +beginnt rasch zu dunkeln und der rote Schein über dem Weingarten +weicht einem hellen Sternenlicht.) + +(Napoleon.) Pah! (Er läßt mit einem Ausruf des Widerwillens ihre Hand +fahren und wendet ihr düster blickend den Rücken zu, seine Hand in den +Brustfalten des Waffenrockes.) + +(Leutnant nimmt triumphierend den Degen:) Dieser Mann existiert +überhaupt nicht--was, Herr General? (Zu der Dame:) Ich frage Sie: wo +ist mein Pferd? + +(Dame.) Es wartet gesund in Borghetto auf Sie, Herr Leutnant. + +(Napoleon sich zu ihnen wendend:) Wo sind die Depeschen? + +(Dame.) Das würden Sie niemals erraten--die sind an dem +unwahrscheinlichsten Orte von der Welt. Hat jemand von Ihnen meine +Schwester hier gesehen? + +(Leutnant.) Ja! sehr hübsche Dame! Sie sieht Ihnen ganz wunderbar +ähnlich, aber natürlich ist sie viel hübscher. + +(Dame geheimnisvoll:) Nun--wissen Sie aber auch, daß sie eine +gefährliche Hexe ist? + +(Giuseppe läuft auf sie zu und bekreuzigt sich:) O nein, nein, nein! +Es ist gefährlich, mit solchen Dingen zu scherzen! Ich kann das in +meinem Hause nicht dulden, Exzellenz! + +(Leutnant.) Ja, lassen Sie das. Sie sind mein Gefangener, das wissen +Sie. Selbstverständlich glaube ich nicht an so einen Unsinn; aber es +ist doch kein Ding, mit dem man spaßen sollte. + +(Dame.) Es ist aber so, ich spreche vollkommen ernst. Meine Schwester +hat den Herrn General behext. (Giuseppe und der Leutnant weichen von +Napoleon zurück.) Herr General, öffnen Sie Ihren Rock, und Sie werden +die Depeschen in Ihrer Brusttasche finden. (Sie legt ihre Hand rasch +auf seine Brust.) Ja, hier sind sie--ich kann sie fühlen... Nun? +(Sie sieht ihm ins Gesicht, halb schmeichlerisch, halb spöttisch.) +Wollen Sie mir gestatten, Herr General--? (Sie faßt einen Knopf, als +ob sie seinen Rock aufknöpfen wollte, und wartet auf Erlaubnis.) + +(Napoleon unergründlich:) Wenn Sie es wagen. + +(Dame.) Ich danke Ihnen. (Sie öffnet seinen Rock und nimmt die +Depeschen heraus.) Da sind sie! (Zu Giuseppe, ihm die Depeschen +zeigend:) Sehen Sie? + +(Giuseppe zur äußeren Tür fliehend:) Nein--um Gottes willen; Sie sind +behext! + +(Dame sich zu dem Leutnant wendend:) Hier, Herr Leutnant, Sie fürchten +sich doch nicht vor den Papieren. + +(Leutnant zurückweichend:) Zehn Schritt vom Leibe! (Den Knauf des +Degens erfassend:) Ich sage Ihnen, zehn Schritt vom Leibe! + +(Dame zu Napoleon:) Die Schriftstücke gehören Ihnen, Herr General, +nehmen Sie sie! + +(Giuseppe.) Berühren Sie sie nicht, Exzellenz! Machen Sie sich damit +nicht zu schaffen! + +(Leutnant.) Seien Sie vorsichtig, Herr General,--seien Sie vorsichtig! + +(Giuseppe.) Verbrennen Sie sie--und verbrennen Sie die Hexe dazu! + +(Dame zu Napoleon:) Soll ich sie verbrennen? + +(Napoleon gedankenvoll:) Ja... verbrennen Sie sie.--Giuseppe, geh' und +hole ein Licht. + +(Giuseppe zitternd und stammelnd:) Muten Sie mir wirklich zu, daß ich +allein gehen soll... im Dunkeln... wo eine Hexe im Hause ist... + +(Napoleon.) Pah! Du bist ein Feigling! (Zum Leutnant:) Sie werden +mich verbinden, wenn Sie gehen wollen, Herr Leutnant. + +(Leutnant sich verwahrend:) Oh! gestatten Sie mir zu bemerken, Herr +General... nein, Sie wissen... niemand kann nach Lodi sagen, daß ich +ein Feigling bin... aber von mir zu verlangen, daß ich allein im +Dunkeln gehen soll... ohne eine Kerze... nach so einer schauerlichen +Unterhaltung... das ist ein bißchen zuviel!--Würden Sie selbst so +etwas gerne tun? + +(Napoleon gereitzt:) Sie weigern sich also, meinem Befehle zu +gehorchen? + +(Leutnant entschlossen:) Ja, das tu' ich. Es ist unbillig, so was zu +verlangen--aber ich will Ihnen sagen, wozu ich bereit bin: wenn +Giuseppe geht, dann will ich mit ihm gehn und ihn beschützen. + +(Napoleon zu Giuseppe:) Du hörst... Wird dir das genügen? Macht, daß +ihr fortkommt, alle beide! + +(Giuseppe demütig mit zitternden Lippen:) Sehr gerne--wie Sie befehlen, +Exzellenz! (Er geht widerstrebend nach der inneren Türe.) Der Himmel +schütze mich! (Zum Leutnant:) Nach Ihnen, Herr Leutnant! + +(Leutnant.) Es wäre besser, du gingest voraus--ich weiß den Weg nicht. + +(Giuseppe.) Er ist nicht zu verfehlen. Überdies (flehentlich die +Hand auf seinen Armel legend:) ich bin nur ein armer Wirt, und Sie +sind ein Edelmann! + +(Leutnant.) Da hast du nicht so unrecht. Da--du brauchst keine solche +Angst zu haben--nimm meinen Arm. (Giuseppe tut es.) So ist's recht... +(Sie gehen Arm in Arm hinaus. Jetzt ist es sternenhelle Nacht. Die +Dame wirft das Paket auf den Tisch, setzt sich behaglich auf das Sofa +und genießt die Freude, von ihren Unterröcken befreit zu sein.) + +(Dame.) Nun, Herr General--ich habe Sie doch besiegt! + +(Napoleon geht auf und ab:) Sie haben sich der Unzartheit, der +Unweiblichkeit schuldig gemacht. Halten Sie dieses Kleid, das Sie da +tragen, für schicklich? + +(Dame.) Es scheint mir dem Ihrigen sehr ähnlich zu sein. + +(Napoleon.) Pfui! ich erröte für Sie! + +(Dame naiv:) Ja?... Soldaten erröten so leicht! (Er brummt und +wendet sich ab. Sie blickt ihn schelmisch an, die Depeschen in ihrer +Hand wiegend.) Wollen Sie diese da nicht lesen, bevor wir sie +verbrennen, General? Sie müssen vor Neugierde sterben. Werfen Sie +einen Blick hinein. (Sie wirft das Paket auf den Tisch und wendet das +Gesicht davon ab.) Ich will nicht hinsehen.-- + +(Napoleon.) Ich habe keinerlei Neugierde, Madame. Aber da Sie selbst +augenscheinlich darauf brennen, sie zu lesen, erlaube ich Ihnen, es zu +tun. + +(Dame.) Oh! ich hab' sie schon gelesen. + +(Napoleon auffabrend:) Was?! + +(Dame.) Das war das erste, was ich getan habe, als ich auf dem Pferde +dieses armen Leutnants davongeritten bin. Sie sehen also: ich weiß, +was darin steht; aber Sie wissen es nicht. + +(Napoleon.) Sie entschuldigen--ich habe sie auch gelesen, als ich vor +zehn Minuten draußen im Weingarten spazieren ging. + +(Dame aufspringend:) Oh, Herr General! ich habe Sie nicht besiegt! +Ich bewundere Sie unendlich! (Er lacht und streichelt ihre Wangen.) +Diesmal wirklich und wahrhaftig, ohne Hintergedanken. Ich huldige +Ihnen! (Küßt seine Hand.) + +(Napoleon sie rasch zurückziehend:) Brrr! tun Sie das nicht. Genug +der Hexerei! + +(Dame.) Ich möchte Ihnen etwas sagen--doch Sie würden es +mißverstehen. + +(Napoleon.) Braucht Sie das zu hindern? + +(Dame.) Also, das ist es: ich bete einen Mann an, der sich nicht +fürchtet, gemein und selbstsüchtig zu sein. + +(Napoleon entrüstet:) Ich bin weder gemein noch selbstsüchtig! + +(Dame.) Oh, Sie tun sich selbst unrecht. Überdies, ich meine ja +nicht wirklich gemein und selbstsüchtig. + +(Napoleon.) Ich danke Ihnen--ich dachte, Sie meinten es vielleicht +doch! + +(Dame.) Na ja, natürlich mein' ich es auch in gewissem Sinne. Aber +was ich bewundere, das ist eine gewisse starke Einfachheit in Ihnen. + +(Napoleon.) Das klingt schon besser. + +(Dame.) Sie wollten die Briefe nicht lesen; aber Sie waren neugierig, +zu wissen, was darinnen steht. Sie gingen also in den Garten und +lasen sie, als niemand zusah, und kamen dann zurück und taten so, als +ob Sie sie nicht gelesen hätten. Das ist wohl das gemeinste, was ich +jemals einen Mann habe tun sehen; aber es erfüllte gerade Ihren Zweck, +und so haben Sie sich nicht im geringsten geschämt oder gefürchtet, es +zu tun. + +(Napoleon kurz angebunden:) Wo haben Sie all diese niedrigen Skrupeln +aufgelesen?--(Mit verachtungsvollem Nachdruck:) Dieses "Ihr Gewissen"? +Ich habe Sie für eine Dame gehalten--eine Aristokratin. Bitte, war +Ihr Großvater vielleicht ein Krämer? + +(Dame.) Nein, er war Engländer. + +(Napoleon.) Das erklärt alles. Die Engländer sind eine Nation von +Krämern. Nun begreife ich, warum Sie mich besiegt haben. + +(Dame.) Aber, ich habe Sie nicht besiegt--und ich bin keine +Engländerin. + +(Napoleon.) Doch, das sind Sie! Englisch bis in die Fingerspitzen. +Hören Sie mir zu, ich will Ihnen die Engländer erklären. + +(Dame erpicht darauf, es sru hören:) Ich bitte. (Mit gespannter Miene +einen intellektuellen Genuß erwartend, setzt sie sich auf das Sofa und +bereitet sich vor, ihm zuzuhören. Seines Publikums sicher, rafft sich +Napoleon sofort zu einer Vorstellung auf. Er überlegt ein bißchen, +bevor er beginnt, um ihre Aufmerksamkeit durch eine Pause zu erhöhen. +Anfangs ahmt er den Stil Talmas in Corneilles "Cinna" nach, aber in +der Dunkelheit geht etwas davon verloren, und Talma macht bald +Napoleon Platz, dessen Stimme mit überraschender Heftigkeit durch die +Dämmerung bricht.) + +(Napoleon.) Es gibt dreierlei Menschen auf Erden: die Kleinen, die +Mittleren und die Großen. Die Kleinen und die Großen sind einander in +einem Punkte gleich: sie haben keinerlei Skrupel, keinerlei Moral, +--die Kleinen stehen tief unter der Moral, die Großen hoch über ihr. +Ich fürchte sie beide nicht! Denn die Kleinen sind skrupellos, ohne +Wissen--sie machen mich deshalb zu ihrem Abgott; die Großen sind +ebenso skrupellos, ohne starkes Wollen, sie beugen sich deshalb vor +meinem Willen. Sehen Sie: ich werde über all das niedere Volk und +über all die Höfe Europas hinweggehen wie die Pflugschar über ein +Ackerfeld. Die Mittelklasse aber, die ist gefährlich. Sie besitzt +beides: Wissen and Wollen. Aber auch sie hat ihre schwache Seite: das +Gewissen. Sie ist voller Skrupel,--an Händen and Füßen durch Moral +und Ehrenhaftigkeit gefesselt. + +(Dame.) Dann werden Sie die Engländer überholen; denn alle Krämer +gehören zur Mittelklasse. + +(Napoleon.) Nein! Denn die Engländer sind eine Rasse für sich. Kein +Engländer steht zu tief, um Skrupel zu haben, und keiner hoch genug, +um von ihrer Tyrannei befreit zu sein. Aber jeder Engländer kommt mit +einem wunderbaren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der Erde macht. +Wenn der Engländer etwas will, gesteht er sich nie ein, daß er es +will. Er wartet geduldig, bis in ihm--Gott weiß wie--die tiefe +Überzeugung erwacht, daß es seine moralische und religiöse Pflicht sei, +diejenigen zu unterwerfen, die das haben, was er will. Dann wird er +unwiderstehlich. Wie der Aristokrat, tut er, was ihm gefällt, und +schnappt nach dem, wonach ihn gelüstet. Wie der Krämer, verfolgt er +seinen Zweck mit dem Fleiß und der Beharrlichkeit, die von starker, +religiöser Überzeugung und dem tiefen Sinn für moralische +Verantwortlichkeit herrühren. Er ist nie in Verlegenheit um eine +wirksame, moralische Pose. Als großer Vorkämpfer der Freiheit und der +nationalen Unabhängigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz +von ihr und nennt das "Kolonisation". Wenn er einen neuen Markt für +seine schlechten Manchesterwaren braucht, schickt er Missionäre aus, +die den Wilden das Evangelium des Friedens verkünden müssen. Die +Wilden töten den Missionar; nun eilt er zu den Waffen, zur +Verteidigung des Christentums, kämpft and siegt für seinen Glauben und +nimmt als göttliche Belohnung den Markt in Besitz. Zur Verteidigung +seiner Inselgestade nimmt er einen Schiffsgeistlichen an Bord, nagelt +eine Flagge mit einem Kreuz an den Hauptmast and segelt so bis ans +Ende der Welt, und bohrt in den Grund, verbrennt und zerstört alles, +was ihm die Herrschaft auf dem Meere streitig macht. Er prahlt damit, +daß jeder Sklave frei werde, sobald sein Fuß britischen Boden betritt; +dabei verkauft er die Kinder seiner Armen, kaum daß sie sechs Jahre +alt sind, an Fabrikherren und läßt sie täglich sechzehn Stunden +unter der Peitsche Sklavenarbeit verrichten. Er macht zwei +Revolutionen und erklärt dann im Namen des Gesetzes und der Ordnung +der unsern den Krieg. Nichts ist so schlecht und nichts so gut, daß +Sie es einen Engländer nicht werden vollbringen sehen, aber Sie werden +einem Engländer niemals beweisen können, daß er im Unrecht ist. Denn +er tut alles aus Grundsatz. Er führt Krieg aus patriotischem +Grundsatz, er betrügt aus geschäftlichem Grundsatz, er macht freie +Völker zu Sklaven aus reichspolitischem Grundsatz, er behandelt Euch +grob aus männlichem Grundsatz, er hält treu zu seinem Könige aus +loyalem Grundsatz und schlägt seinem Könige aus republikanischem +Grundsatz den Kopf ab. Seine Losung ist dabei immer nur seine +"Pflicht." Und er vergißt nie, daß die Nation verloren ist, die ihre +Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu finden ist. Er... + +(Dame.) Uh! uh! uh! Halten Sie einen Augenblick inne! Ich möchte +wissen, wie Sie auf Grund dieser Beobachtungen aus mir eine +Engländerin machen wollen. + +(Napoleon seinen rhetorischen Stil fallen lassend:) Das ist einfach +genug. Sie wollten einige Briefe, die mir gehörten. Sie haben den +Morgen damit verbracht, sie zu stehlen... jawohl, sie zu +stehlen--durch Straßenraub. Und Sie haben den Nachmittag damit +verbracht, mich darüber ins Unrecht zu setzen, indem Sie annahmen, daß +ich es war, der Ihre Briefe stehlen wollte. Denn Sie haben mir +einreden wollen, daß meine Gemeinheit and Selbstsucht und Ihre Güte, +Ihre Ergebenheit and Ihre Selbstaufopferung an allem schuld seien. +Das ist englisch! + +(Dame.) Unsinn! ich weiß zu gut, wie wenig ich Engländerin bin. Die +Engländer sind ein sehr dummes Volk. + +(Napoleon.) Ja, zu dumm manchmal, um zu wissen, wann sie geschlagen +sind. Aber ich gebe zu, daß Ihr Gehirn nicht englisch ist. Sie sehen: +obwohl Ihr Großvater ein Engländer war, war Ihre Großmutter +wohl--was? Französin? + +(Dame.) O nein! Irländerin. + +(Napoleon rasch:) Irländerin...? (Gedankenvoll:) Ja, ich vergaß--die +Irländer... Eine englische Armee, geführt von einem irischen General: +die könnte sich messen mit einer französischen Armee, die von einem +italienischen General befehligt wird. (Er hält inne und fügt halb +scherzend, halb traurig hinzu:) Wie immer es sei... Sie haben mich +besiegt--und was einen Mann zuerst besiegt, das wird ihn auch zuletzt +besiegen. (Er tritt gedankenvoll in den im Mondlicht gebadeten +Weingarten hinaus und blickt nach oben. Sie stiehlt sich an seine +Seite und wagt es, ihre Hand auf seine Schulter zu legen, überwältigt +von der Schönheit der Nacht und ermutigt durch ihre Dunkelheit.) + +(Dame sanft:) Wonach blicken Sie? + +(Napoleon nach aufwärts zeigend:) Nach meinem Stern. + +(Dame.) Glauben Sie an ihn? + +(Napoleon.) Ja. (Sie sehen einen Augenblick nach dem Stern hin; sie +lehnt sich ein wenig an seine Schulter.) + +(Dame.) Wissen Sie, daß man in England sagt, eines Mannes Stern sei +unvollständig ohne das Strumpfband einer Frau?[*] + +[Footnote *: Eine Anspielung auf den Stern eines Ordens und den +Hosenbandorden.] + +(Napoleon entrüstet, schüttelt sie kurz ab und kommt zurück in das +Zimmer:) Pah! die Heuchler! Wenn die Franzosen so etwas sagten, +würden sie in frommem Schauder abwehrend die Hände erheben. (Er geht +nach der inneren Türe und hält sie offen.) He! Giuseppe! wo bleibt +das Licht, Mensch? (Er kommt zwischen den Tisch und das Büfett und +rückt den zweiten Stuhl an den Tisch, neben seinen eigenen:) Wir +müssen den Brief noch verbrennen. (Er hebt das Paket auf. Giuseppe +kommt zurück. Noch bleich und zitternd, trägt er in der einen Hand +einen Armleuchter mit ein paar brennenden Kerzen und eine breite +Lichtputzschere in der andern.) + +(Giuseppe kläglich, während er das Licht auf den Tisch stellt:) +Exzellenz, wonach haben Sie eben da draußen ausgeschaut? (Er zeigt +über seine Schulter nach dem Weingarten, fürchtet sich aber, +umherzublicken.) + +(Napoleon das Paket aufmachend:) Was geht dich das an? + +(Giuseppe stammelnd:) Weil die Hexe fort ist--verschwunden... und +niemand hat sie fortgehen sehn. + +(Dame hinter ihm aus dem Weingarten tretend:) Wir haben sie beobachtet, +wie sie auf ihrem Besenstiel zum Mond hinaufgeritten ist. Giuseppe, +Sie werden sie nie wiedersehen! + +(Giuseppe.) Jesus Maria! (Er bekreuzigt sich und eilt hinaus.) + +(Napoleon wirft die Briefe in einem Haufen auf den Tisch:) Nun, also! +(Er setzt sich auf den Stuhl, den er eben hingestellt hat.) + +(Dame.) Ja; aber Sie wissen doch--den bewußten Brief haben Sie noch in +Ihrer Tasche. (Er lächelt, nimmt einen Brief aus der Tasche und wirft +ihn auf die Spitze des Haufens. Sie hebt ihn auf, betrachtet Napoleon +und sagt:) Cäsars Frau betreffend. + +(Napoleon.) Cäsars Frau ist über allen Verdacht erhaben--verbrennen +Sie ihn. + +(Dame nimmt den Brief mit der Lichtputzschere und hält ihn damit an +die Kerzenflamme:) Wäre Cäsars Frau wohl über allen Verdacht erhaben, +wenn sie uns beide hier sitzen sähe--? Wer weiß--? + +(Napoleon ihre Worte mechanisch wiederholend, die Ellbogen auf den +Tisch und die Wangen in die Hände gestützt, den Brief betrachtend:) +Wer weiß--? (Die fremde Dame legt den angezündeten Brief auf das +Lichtputzbrett und setzt sich neben Napoleon in der gleichen Stellung, +die Ellbogen auf den Tisch, die Wangen in die Hände gestützt, und +sieht zu, wie er verbrennt. Als er verkohlt, wenden sie beide +gleichzeitig ihre Blicke davon ab und sehen einander an. Der Vorhang +gleitet langsam herab und entzieht sie den Blicken.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Mann des Schicksals, von +Bernard Shaw. + + + + + + + + + + +End of Project Gutenberg's Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER MANN DES SCHICKSALS *** + +***** This file should be named 9802-8.txt or 9802-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/9/8/0/9802/ + +Produced by Michalina Makowska + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project +Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you +charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you +do not charge anything for copies of this eBook, complying with the +rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose +such as creation of derivative works, reports, performances and +research. They may be modified and printed and given away--you may do +practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is +subject to the trademark license, especially commercial +redistribution. + + + +*** START: FULL LICENSE *** + +THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE +PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK + +To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free +distribution of electronic works, by using or distributing this work +(or any other work associated in any way with the phrase "Project +Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project +Gutenberg-tm License (available with this file or online at +https://gutenberg.org/license). + + +Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm +electronic works + +1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm +electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to +and accept all the terms of this license and intellectual property +(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all +the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy +all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. +If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project +Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the +terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or +entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. + +1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be +used on or associated in any way with an electronic work by people who +agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few +things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works +even without complying with the full terms of this agreement. See +paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project +Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement +and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic +works. See paragraph 1.E below. + +1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" +or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project +Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the +collection are in the public domain in the United States. If an +individual work is in the public domain in the United States and you are +located in the United States, we do not claim a right to prevent you from +copying, distributing, performing, displaying or creating derivative +works based on the work as long as all references to Project Gutenberg +are removed. Of course, we hope that you will support the Project +Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by +freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of +this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with +the work. You can easily comply with the terms of this agreement by +keeping this work in the same format with its attached full Project +Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. + +1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern +what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in +a constant state of change. If you are outside the United States, check +the laws of your country in addition to the terms of this agreement +before downloading, copying, displaying, performing, distributing or +creating derivative works based on this work or any other Project +Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning +the copyright status of any work in any country outside the United +States. + +1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: + +1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate +access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently +whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the +phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project +Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, +copied or distributed: + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + +1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived +from the public domain (does not contain a notice indicating that it is +posted with permission of the copyright holder), the work can be copied +and distributed to anyone in the United States without paying any fees +or charges. If you are redistributing or providing access to a work +with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the +work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 +through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the +Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or +1.E.9. + +1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted +with the permission of the copyright holder, your use and distribution +must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional +terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked +to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the +permission of the copyright holder found at the beginning of this work. + +1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm +License terms from this work, or any files containing a part of this +work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. + +1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this +electronic work, or any part of this electronic work, without +prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with +active links or immediate access to the full terms of the Project +Gutenberg-tm License. + +1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, +compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any +word processing or hypertext form. However, if you provide access to or +distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than +"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version +posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), +you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a +copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon +request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other +form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm +License as specified in paragraph 1.E.1. + +1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, +performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works +unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. + +1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing +access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided +that + +- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from + the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method + you already use to calculate your applicable taxes. The fee is + owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he + has agreed to donate royalties under this paragraph to the + Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments + must be paid within 60 days following each date on which you + prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax + returns. Royalty payments should be clearly marked as such and + sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the + address specified in Section 4, "Information about donations to + the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." + +- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies + you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he + does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm + License. You must require such a user to return or + destroy all copies of the works possessed in a physical medium + and discontinue all use of and all access to other copies of + Project Gutenberg-tm works. + +- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any + money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the + electronic work is discovered and reported to you within 90 days + of receipt of the work. + +- You comply with all other terms of this agreement for free + distribution of Project Gutenberg-tm works. + +1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm +electronic work or group of works on different terms than are set +forth in this agreement, you must obtain permission in writing from +both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael +Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the +Foundation as set forth in Section 3 below. + +1.F. + +1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable +effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread +public domain works in creating the Project Gutenberg-tm +collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic +works, and the medium on which they may be stored, may contain +"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or +corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual +property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a +computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by +your equipment. + +1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right +of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project +Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project +Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all +liability to you for damages, costs and expenses, including legal +fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT +LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE +PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE +TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE +LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR +INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH +DAMAGE. + +1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a +defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can +receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a +written explanation to the person you received the work from. If you +received the work on a physical medium, you must return the medium with +your written explanation. The person or entity that provided you with +the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a +refund. If you received the work electronically, the person or entity +providing it to you may choose to give you a second opportunity to +receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy +is also defective, you may demand a refund in writing without further +opportunities to fix the problem. + +1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth +in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER +WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO +WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. + +1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied +warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. +If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the +law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be +interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by +the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any +provision of this agreement shall not void the remaining provisions. + +1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the +trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone +providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance +with this agreement, and any volunteers associated with the production, +promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, +harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, +that arise directly or indirectly from any of the following which you do +or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm +work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any +Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. + + +Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm + +Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of +electronic works in formats readable by the widest variety of computers +including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at https://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact +information can be found at the Foundation's web site and official +page at https://pglaf.org + +For additional contact information: + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. Compliance requirements are not uniform and it takes a +considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up +with these requirements. We do not solicit donations in locations +where we have not received written confirmation of compliance. To +SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any +particular state visit https://pglaf.org + +While we cannot and do not solicit contributions from states where we +have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition +against accepting unsolicited donations from donors in such states who +approach us with offers to donate. + +International donations are gratefully accepted, but we cannot make +any statements concerning tax treatment of donations received from +outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. + +Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation +methods and addresses. Donations are accepted in a number of other +ways including including checks, online payments and credit card +donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate + + +Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic +works. + +Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. + + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + https://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/9802-8.zip b/9802-8.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..27628db --- /dev/null +++ b/9802-8.zip diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..1aa441c --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #9802 (https://www.gutenberg.org/ebooks/9802) diff --git a/old/7dmds10.txt b/old/7dmds10.txt new file mode 100644 index 0000000..aa890c4 --- /dev/null +++ b/old/7dmds10.txt @@ -0,0 +1,2675 @@ +The Project Gutenberg EBook of Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is +important information about your specific rights and restrictions in +how the file may be used. You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Der Mann des Schicksals + +Author: George Bernard Shaw + +Release Date: February, 2006 [EBook #9802] +[This file was first posted on October 18, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: US-ASCII + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS *** + + + + +E-text prepared by Michalina Makowska + + + + + + + +This Etext is in German. + +We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, +known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- +and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- +which requires a binary transfer, or sent as email attachment and +may require more specialized programs to display the accents. +This is the 7-bit version. + + + + + +DER MANN DES SCHICKSALS + +Komoedie in einem Akt + +Bernard Shaw + +(Uebersetztung von Siegfried Trabitsch) + + +Diese Komoedie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker" +veroeffentlicht und aufgefuehrt. + + + + + + + +PERSONEN + +Napoleon +Ein Leutnant +Eine fremde Dame +Giuseppe +Grandi, Gastwirt + + +Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von +Mailand nach Lodi. + +(Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Strasse +von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die +Ebenen der Lombardei. Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die +Ameisenhuegel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden +Schweine und Ochsen in den Doerfern belaestigt, noch verletzt durch das +kuehle Verhalten der Kirchen gegenueber ihrem Licht. Verachtungsvoll +lacht sie jedoch ueber zwei Horden schaedlicher Insekten, naemlich der +oesterreichischen und der franzoesischen Armee. Vor zwei Tagen, bei +Lodi, hatten die Oesterreicher die Franzosen zu hindern versucht, den +Fluss auf der dort befindlichen schmalen Bruecke zu ueberschreiten. Aber +die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjaehrigen General, +Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, ueberschritten +dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Bruecke, unterstuetzt von +einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand +anlegte. Das Schiessen mit Kanonen ist seine technische Spezialitaet. +Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein +Meister in den militaerischen Kuensten, sich von seinen Pflichten zu +druecken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den +Krieg mit dem Laerm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf +allen militaerischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist. Er ist +jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des +Schiesspulvers als erster herausgefunden, dass eine Kanonenkugel den +Mann, den sie trifft, unfehlbar toeten muss. Dem gruendlichen Erfassen +dieser bemerkenswerten Entdeckung fuegte er eine hoechst entwickelte +Faehigkeit fuer physikalische Geographie und fuer die Berechnung von Zeit +und Entfernungen hinzu. Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und +eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf +oeffentliche Angelegenheiten, die er waehrend der franzoesischen +Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat. Er hat +Einbildungskraft ohne Illusionen, und schoepferischen Geist ohne +Religion, Loyalitaet, Patriotismus oder irgendeines der landlaeufigen +Ideale, obwohl er dieser nicht unfaehig ware; im Gegenteil: er hat sie +alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine +dramatische Faehigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines +Schauspielers und Buehnenleiters aeusserst geschickt auszuspielen. Dabei +ist er durchaus kein verzogenes Kind. Armut, Missgeschick, die Kniffe +einer aermlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfaelle als +Autor, die Demuetigungen eines zurueckgestossenen Strebers, die Verweise +und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu +ertragen hat, haben das verhindert. Er entging sogar nur mit knapper +Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden. Wenn recht +Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants +zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert haette, wuerde er mit +Verachtung aus dem Heere ausgestossen worden sein. Alle diese +Schicksale haben ihm jede Selbstueberschaetzung ausgetrieben und ihn +gezwungen, genuegsam zu sein und zu begreifen, dass die Welt einem Manne +seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann. +Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit. Denn ein +erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es +war, ist der Welt von Nutzen. Man kann sogar heute nicht in England +leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, dass +es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Caesar erobert wurde.) + +(An jenem Mainachmittag des Jahres 1796 jedoch ist es noch frueh in +seinem Leben. Er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt und erst kuerzlich +General geworden, teilweise mit Hilfe seiner Frau, die er dazu benutzt +hat, das Direktorium (das damals Frankreich regierte) zu verfuehren, +und teilweise durch den bereits erwaehnten, infolge der Auswanderung +entstandenen Mangel an Offizieren. Aber auch dank seiner Faehigkeit, +ein Land mit all seinen Strassen, Fluessen, Huegeln und Taelern wie die +Flaeche seiner eigenen Hand zu kennen, und vor allem dank seinem neuen +Glauben an die Wirkung der Kanonen auf Menschen. Seine Armee war, was +die Disziplin betrifft, in einem Zustand, der moderne Historiker, vor +denen das folgende Stueck aufgefuehrt worden ist, so sehr entsetzt hat, +dass sie, eingeschuechtert von dem spaeteren Ruhme des "Empereur", sich +geweigert haben, an solche Vorkommnisse zu glauben. Aber Napoleon ist +noch nicht "l'Empereur", es wurde ihm eben erst der Titel "le petit +caporal" verliehen, und er ist im Begriff, durch renommistische +Tapferkeit Einfluss auf seine Leute zu gewinnen. Er ist nicht in der +Lage, seinen Willen nach orthodoxer militaerischer Art mit Hilfe der +neunschwaenzigen Katze bei ihnen durchzusetzen. Die franzoesische +Revolution, die nur durch die monarchische Gewohnheit, den Soldaten +den Lohn wenigstens vier Jahre lang schuldig zu bleiben, dem Schicksal, +unterdrueckt zu werden, entging, hat, wo es irgend anging, diesen +Brauch durch die Gewohnheit ersetzt, ueberhaupt keinen zu zahlen. +Statt dessen werden die Leute mit Versprechungen und patriotischen +Schmeicheleien abgespeist, die mit dem Militaergeist preussischer Art +unvereinbar gewesen waeren. Napoleon hat sich daher als ein +Befehlshaber von zerlumpten Leuten ohne Geld, die nicht aufgelegt sind, +sich viel Disziplin gefallen zu lassen, namentlich nicht von +emporgekommenen Generaelen, den Alpen genaehert. Dieser Umstand, der +einen idealistischen Soldaten in Verlegenheit gebracht haette, ersetzte +Napoleon tausend Kanonen. Er sprach zu seinen Soldaten: "Ihr habt +Patriotismus und Mut; aber ihr habt kein Geld, keine Kleidung und kaum +etwas zu essen. In Italien gibt es all diese Dinge und Ruhm noch dazu +fuer eine ergebene Armee, die von einem General gefuehrt wird, der +Pluenderung als das natuerliche Recht des Soldaten betrachtet. Ich bin +ein solcher General. En avant, mes enfants!"--Das Resultat hat ihm +vollkommen recht gegeben. Seine Soldaten eroberten Italien, wie die +Wanderheuschrecken Cypern erobert haben. Sie kaempften den ganzen Tag +und marschierten die ganze Nacht, legten unmoegliche Entfernungen +zurueck, tauchten an unmoeglichen Orten auf,--aber nicht etwa, weil +jeder Soldat wusste, dass er den Marschallstab in seinem Tornister trage, +sondern weil jeder hoffte, am naechsten Tage wenigstens ein halbes +Dutzend silberner Gabeln fort zu tragen. Zugleich muss man sich +darueber klar sein, dass die franzoesische Armee nicht mit der +italienischen Krieg fuehrt. Sie ist nur da, um Italien von der +Tyrannei seiner oesterreichischen Eroberer zu befreien und +republikanische Einrichtungen herzustellen, so dass sie, wenn sie +gelegentlich pluendert, nur ein wenig frei mit dem Eigentum ihrer +Freunde umgeht, wofuer Italien sogar haette dankbar sein sollen, wenn +Undankbarkeit nicht die sprichwoertliche Schwaeche der Italiener waere. +Die Oesterreicher, die sie bekaempfen, haben eine recht ansehnliche +regulaere, gut disziplinierte Armee, von Herren kommandiert, die in der +bisher geuebten Kriegskunst erfahren sind, an ihrer Spitze Beaulieu, +der die klassische Kriegskunst ausuebt, nach Befehlen von Wien aus, und +von Napoleon fuerchterlich geschlagen wird, der auf eigene Faust +handelt, ohne Ruecksicht auf militaerisches Herkommen und Befehle aus +Paris. Selbst wenn die Oesterreicher eine Schlacht gewannen, brauchte +man nur zu warten, bis sie nach ihrer Gewohnheit in ihre +Hauptquartiere heimgekehrt waren, sozusagen zum Nachmittagstee, um sie +dann zurueckzugewinnen, ein Verfahren, das Napoleon spaeter mit +glaenzendem Erfolge bei Marengo anzuwenden wusste. Mit einem Wort, +Napoleon versteht es, ohne heroische Wunder zu vollbringen, einem +Feinde gegenueber unwiderstehlich zu sein, der den Nachteil hat, von +oesterreichischer Staatsmannschaft, klassischer Generalsweisheit und +den Forderungen der aristokratischen Wiener Gesellschaft geleitet zu +werden. Die Welt jedoch liebt Wunder und Helden und ist ganz unfaehig, +die Handlungsweise solcher Maechte, wie akademischer Militarismus und +Wiener Boudoirunwesen sind, zu begreifen. Daher hat sie schon +begonnen, das Wort "l'Empereur" zu praegen, und es dadurch hundert +Jahre spaeter den Romantikern erschwert, die folgende bis dahin +unaufgezeichnete kleine Szene zu glauben, die sich in Tavazzano +ereignet hat. Das beste Quartier in Tavazzano ist ein kleines +Gasthaus, das erste, das der Wanderer antrifft, der auf dem Wege von +Mailand noch Lodi den Ort beruehrt. Es steht in einem Weingarten, und +sein groesstes Zimmer, ein angenehmer Zufluchtsort vor der Sommerhitze, +ist gegen diesen Weingarten nach rueckwaerts so weit geoeffnet, dass es +beinahe einer grossen Veranda gleicht. Die mutigeren unter den Kindern, +die durch Alarmsignale und die Ausfaelle der letzten Tage und durch +den Einmarsch franzoesischer Truppen um sechs Uhr in grosser Aufregung +sind, wissen, dass der franzoesische Kommandeur sich in dieses Zimmer +einquartiert hat, und schwanken zwischen dem Verlangen, durch das +Vorderfenster verstohlene Blicke hineinzuwerfen, und einer toedlichen +Angst vor der Schildwache, einem jungen Soldaten aus vornehmer Familie, +der keinen natuerlichen Schnurrbart besitzt und sich deshalb einen +sehr martialischen mit Stiefelwichse von seinem Feldwebel hat ins +Gesicht hineinmalen lassen. Da seine schwere Uniform, wie alle +Uniformen seiner Zeit, ohne die leiseste Ruecksichtnahme auf seine +Gesundheit oder seine Bequemlichkeit, lediglich fuer die Parade +bestimmt ist, schwitzt er fuerchterlich in der Sonne; sein gemalter +Schnurrbart ist in kleinen Streifen sein Kinn und seinen Hals +herabgelaufen, mit Ausnahme von jenen Stellen, wo er zu einer Kruste +wie von japanischem Lack getrocknet ist, und wo seine schoen +geschweifte Linie durch groteske kleine Buchten und Landzungen +unterbrochen wird. Alles dies macht ihn unsagbar laecherlich in den +Augen der Geschichte hundert Jahre spaeter, aber fuerchterlich und +schrecklich in den Augen der zeitgenoessischen norditalienischen Kinder, +denen es ganz natuerlich erscheinen wuerde, wenn die Wache die +Eintoenigkeit des Postenstehens dadurch zu beleben versuchte, dass sie +ein verlaufenes Kind auf ihr Bajonett spiesste, um es ungekocht zu +verspeisen. Trotzdem hat ein Maedchen von schlechtem Charakter, an dem +schon der Sinn fuer ein gewisses Vorrecht, das sie bei den Soldaten hat, +erwacht ist, sich fuer einen Augenblick verstohlen an das sicherste +Fenster geschlichen, bis ein Blick und ein Klirren der Wache es +davonjagt. Was die Kleine zumeist sieht, das hat sie schon frueher +gesehen: den Weingarten mit der alten Kelter dahinter und einen Karren +bei den Weinstoecken; die Tuere dicht zu ihrer Rechten, die nach dem +Eingange des Gasthauses fuehrt, wo des Wirtes bester Schenktisch weiter +hinten an derselben Seite nun in voller Taetigkeit fuer das Mittagessen +steht; auf der anderen Seite den Kamin mit einem Sofa in der Naehe und +eine andere Tuer, die zwischen Kamin und Weingarten in die inneren +Raeume fuehrt; in der Mitte einen Tisch mit seiner Mahlzeit von +Mailaender Risotto, Kaese, Trauben, Brot, Oliven und einer grossen, mit +Weidenzweigen umflochtenen Flasche Rotwein. Der Wirt, Giuseppe Grandi, +ist auch nichts Neues fuer sie; er ist ein dunkelfarbiger, lebhafter, +gehoerig heiterer, schwarzlockiger, kugelkoepfiger, grinsender kleiner +Mann von vierzig Jahren. Schon von Natur ein guter Wirt, ist er heute +abend in extra guter Laune ueber sein Glueck, den franzoesischen +Kommandeur als Gast unter seinem Dache zu haben, dessen Gegenwart ihn +vor den Uebergriffen der Soldaten schuetzt. Er traegt sogar ein Paar +goldener Ohrringe zur Schau, die er sonst mit seinem kleinen Besitz an +Silbergeschirr sorgfaeltig unter der Kelter versteckt haben wuerde.) + +(Napoleon jedoch, der ihm gegenueber an der hinteren Seite des Tisches +sitzt, und seinen Hut, seinen Degen und seine Reitpeitsche, die auf +dem Sofa liegen, sieht das Maedchen zum erstenmal. Er arbeitet hart, +teils an seiner Mahlzeit, die er in zehn Minuten zu verschlingen weiss, +indem er alle Gerichte gleichzeitig in Angriff nimmt (diese Gewohnheit +ist der erste Schritt zu seinem spaeteren Untergange), und teils an +einer Landkarte, die er aus dem Gedaechtnis verbessert, wobei er +gelegentlich die Stellungen seiner Streitkraefte kennzeichnet, indem er +eine Traubenschale aus dem Munde nimmt und sie mit seinem Daumen wie +eine Oblate auf die Landkarte drueckt. Er hat Schreibmaterial vor sich +liegen, unordentlich mit den Gerichten und Flaschen vermengt, und sein +langes Haar faellt bald in die Risottobruehe herab, bald in die Tinte.) + + + +(Giuseppe.) Wollen Exzellenz.... + +(Napoleon blickt gespannt auf seine Karte, stopft sich aber mit der +linken Hand mechanisch den Mund dabei voll): Schwatz' nicht, ich habe +zu tun. + +(Giuseppe in ungetruebt guter Laune:) Wie Sie befehlen, Exzellenz. + +(Napoleon.) Bring mir rote Tinte! + +(Giuseppe.) Leider habe ich keine, Exzellenz. + +(Napoleon mit korsischem Humor:) Toete etwas und bring' mir das Blut. + +(Giuseppe grinsend:) Es ist nichts im Hause, als das Pferd Eurer +Exzellenz, die Schildwache, die Dame im ersten Stock und meine Frau. + +(Napoleon.) Toete deine Frau. + +(Giuseppe.) Mit groesstem Vergnuegen, Exzellenz. Aber +ungluecklicherweise ist sie staerker als ich--sie wuerde mich toeten. + +(Napoleon.) Das waere ebenso gut. + +(Giuseppe.) Exzellenz erweisen mir zu viel Ehre. (Seine Hand nach +der Flasche ausstreckend:) Vielleicht kann etwas Wein den Zweck +erfuellen. + +(Napoleon beschuetzt die Flasche schnell und wird ganz ernst:) Wein? +Nein--das waere Verschwendung. Ihr seid alle gleich--Verschwendung! +Verschwendung! Verschwendung! (Er markiert die Landkarte mit Sauce, +wobei er die Gabel als Feder benuetzt.) Raeum' ab! (Er leert sein +Weinglas, stoesst seinen Stuhl zurueck und benuetzt seine Serviette, +streckt dann die Beine aus und lehnt sich zurueck, aber noch immer die +Stirn runzelnd und in Gedanken.) + +(Giuseppe raeumt den Tisch ab und stellt die Sachen auf ein Tablett, +das auf dem Buefett steht:) Ein jeder denkt, wie es fuer sein Geschaeft +taugt, Exzellenz. Wir Gastwirte verfuegen ueber eine Menge billigen +Wein; wir finden nichts dabei, ihn zu vergiessen,--Ihr grossen Generale +verfuegt ueber eine Menge billiges Blut: Ihr findet nichts dabei, es zu +vergiessen. Hab' ich recht, Exzellenz? + +(Napoleon.) Blut kostet nichts, Wein kostet Geld. (Er erhebt sich und +geht an den Kamin.) + +(Giuseppe.) Man sagt, dass Sie mit allem sparen, ausser mit +Menschenleben, Exzellenz. + +(Napoleon.) Ein Menschenleben, mein Freund, ist das einzige Ding, das +sparsam mit sich selbst umgeht. (Er wirft sich behaglich auf das Sofa.) + +(Giuseppe ihn bewundernd:) O Exzellenz, wie dumm sind wir alle, mit +Ihnen verglichen! Wenn ich nur das Geheimnis Ihrer Erfolge erraten +koennte! + +(Napoleon.) Dann wuerdest du dich zum Kaiser von Italien machen, was? + +(Giuseppe.) Das waere fuer mich zu muehsam, Exzellenz, ich ueberlasse es +lieber Ihnen. Ueberdies, was sollte aus meiner Wirtschaft werden, +wenn ich Kaiser wuerde? Sie sehen mir gerne zu, wie ich mein Gasthaus +fuer Sie verwalte und Sie bediene. Nun, ich will Ihnen gerne zusehen, +wie Sie Kaiser von Europa werden und Italien fuer mich regieren. +(Waehrend er schwaetzt, nimmt er das Tischtuch ab, ohne die Landkarte +und das Tintenfass wegzunehmen. Er nimmt die Ecken des Tuches in die +Haende und die Mitte in den Mund, um es zusammenzufalten.) + +(Napoleon.) Kaiser von Europa? Was? Warum bloss von Europa? + +(Giuseppe.) Sie haben wahrhaftig recht, Exzellenz, warum nicht Kaiser +der Welt? (Er faltet und rollt das Tischtuch zusammen, und bekraeftigt +seine Saetze mit den einzelnen Phasen dieses Vorgangs:) Ein Mensch ist +wie der andre--(er faltet es:) ein Land ist wie das andre, (faltet:) +eine Schlacht ist wie die andre. (Als er das letzte Stueck gefaltet +hat, schlaegt er das Tischtuch auf den Tisch, rollt es geschickt +zusammen and schliesst seinen Redefluss:) Gewinnt man eine, so gewinnt +man alle. (Er geht mit dem Tischtuch an das Buefett und legt es in +eine Schublade.) + +(Napoleon.) Und fuer alle regieren, fuer alle kaempfen, jedermanns Knecht +sein unter dem Vorwande, jedermanns Herr zu sein, Giuseppe! + +(Giuseppe vor dem Buefett:) Exzellenz--? + +(Napoleon.) Ich verbiete dir, mit mir ueber mich zu sprechen. + +(Giuseppe geht an das Fussende des Sofas:) Pardon, Exzellenz sind darin +so ganz verschieden von andren grossen Maennern, die lieben gerade +dieses Thema am meisten. + +(Napoleon.) Gut, sprich mit mir ueber das, was grosse Maenner als +zweitbestes lieben, was es auch sein mag. + +(Giuseppe ohne in Verlegenheit zu geraten:) Zu Befehl, Exzellenz. +Haben Exzellenz durch irgendeinen Zufall etwas von der Dame da oben zu +sehen bekommen? + +(Napoleon setzt sich sofort auf und sieht ihn mit einem Interesse an, +das die Frage vollkommen angebracht erscheinen laesst:) Wie alt ist sie? + +(Giuseppe.) Sie hat das richtige Alter, Exzellenz. + +(Napoleon.) Meinst du siebzehn oder dreissig? + +(Giuseppe.) Dreissig, Exzellenz. + +(Napoleon.) Ist sie schoen? + +(Giuseppe.) Ich kann nicht mit Ihren Augen sehn, Exzellenz! Jeder +Mann muss das selbst beurteilen. Meiner Meinung nach ist sie eine +schoene Dame. (Schlau:) Soll ich ihr hier den Tisch fuer das Fruehstueck +decken? + +(Napoleon erhebt sich heftig:) Nein! Deck hier nicht mehr, bevor der +Offizier, auf den ich warte, zurueckkommt. (Er sieht auf seine Uhr und +faengt an, zwischen dem Kamin und dem Weingarten auf und ab zu gehn.) + +(Giuseppe mit Ueberzeugung:) Exzellenz, glauben Sie mir, er ist von den +verfluchten Oesterreichern gefangen worden; er wuerde es nicht wagen, +Sie warten zu lassen, wenn er frei waere. + +(Napoleon kehrt sich beim Schatten der Veranda um:) Giuseppe! wenn +sich herausstellen sollte, dass du recht hast, so wird mich das in eine +Laune versetzen, dass mich nichts anderes besaenftigen kann, als dich +und deinen ganzen Haushalt--die Dame dort oben inbegriffen--aufhaengen +zu lassen! + +(Giuseppe.) Wir stehen Ihnen alle gerne zur Verfuegung, Exzellenz! mit +Ausnahme der Dame. Ich kann fuer sie nicht buergen; aber welche Frau +koennte Ihnen widerstehen?! + +(Napoleon setzt seine Wanderung duester fort:) Hm, du wirst niemals am +Galgen enden. Es ist kein Vergnuegen dabei, einen Mann zu haengen, der +nichts dagegen einzuwenden hat. + +(Giuseppe liebenswuerdig:) Nicht das geringste, Exzellenz, nicht wahr? +(Napoleon blickt wieder auf seine Uhr und wird sichtlich unruhig:) Oh, +man sieht, dass Sie ein grosser Mann sind, Exzellenz! Sie verstehen zu +warten. Wenn ein Korporal oder ein junger Leutnant an Ihrer Stelle +waere--nach drei Minuten wuerde er fluchen, toben, drohen und das Haus +von oben nach unten kehren. + +(Napoleon.) Giuseppe, deine Schmeicheleien sind unertraeglich. Geh und +schwatz draussen. (Er setzt sich wieder an den Tisch, sein Kinn auf +die Haende, seine Ellbogen auf die Landkarte gestuetzt, und starrt mit +unruhigem Ausdruck auf sie hin.) + +(Giuseppe.) Zu Befehl, Exzellenz, Sie sollen nicht gestoert werden. +(Er nimmt das Tablett und ist im Begriff, sich zurueckzuziehen.) + +(Napoleon.) Sobald er da ist, schick' ihn zu mir herein. + +(Giuseppe.) Augenblicklich, Exzellenz. + +(Die Stimme einer Dame ruft von irgendeinem entfernten Teil des +Gasthauses:) Giuseppe! (Die Stimme ist sehr melodisch, und die zwei +letzten Buchstaben werden in aufsteigender Skala gesungen.) + +(Napoleon stutzig:) Was ist das?... + +(Giuseppe stuetzt das Ende seines Servierbrettes auf den Tisch und +beugt sich vertraulich vor:) Die Dame, Exzellenz. + +(Napoleon zerstreut:) Ja... was fuer eine Dame... wessen Dame?... + +(Giuseppe.) Die fremde Dame, Exzellenz. + +(Napoleon.) Was fuer eine fremde Dame? + +(Giuseppe achselzuckend:) Wer kann es wissen! Sie ist eine halbe +Stunde vor Ihnen hier angekommen, in einem Mietwagen, der dem +"Goldenen Adler" in Borghetto gehoert. Tatsaechlich: sie ganz allein, +Exzellenz,--ohne Dienerschaft! Eine Handtasche und ein Koffer, das +war alles. Der Postillon sagte mir, dass sie im "Goldenen Adler" ein +Pferd gelassen habe, ein Chargenpferd mit militaerischem Sattelschmuck. + +(Napoleon.) Eine Frau mit einem Chargenpferd?--Das ist ungewoehnlich. + +(Die Stimme der Dame. Die zwei letzten Buchstaben werden jetzt in +herabsteigender Skala gesungen:) Giuseppe! + +(Napoleon springt auf, um zu horchen:) Das ist eine interessante +Stimme. + +(Giuseppe.) Oh es ist eine interessante Dame, Exzellenz. (Ruft:) Ich +komme schon! ich komme schon, meine Gnaedige! (Er eilt zur inneren Tuer.) + +(Napoleon haelt ihn mit starker Hand an der Schulter fest:) Halt! Sie +soll hierher kommen. + +(Die Stimme ungeduldig:) Giuseppe! + +(Giuseppe flehentlich:) Lassen Sie mich gehn, Exzellenz. Es ist meine +Ehrenpflicht als Wirt, zu kommen, wenn man mich ruft. Ich wende mich +an den Soldaten in Ihnen! + +(Eines Mannes Stimme ruft draussen vor der Tuer des Wirtshauses:) Ist +jemand da? Hallo! Wirt! wo sind Sie? (Es wird heftig mit dem Knopf +einer Peitsche auf eine Bank in der Einfahrt geschlagen. Napoleon der +ploetzlich wieder kommandierender Offizier wird, stoesst Giuseppe fort:) +Da ist er endlich! (Auf die innere Tuer weisend:) Geh, kuemmere dich um +dein Geschaeft. Die Dame ruft nach dir. (Er geht zum Kamin und steht +mit dem Ruecken dagegen, mit entschlossenem militaerischem +Gesichtsausdruck.) + +(Giuseppe atemlos, reisst sein Tablett an sich:) Gerne, Exzellenz! (Er +eilt durch die innere Tuer hinaus.) + +(Die Stimme des Mannes ungeduldig:) Schlaeft hier alles? (Die dem +Kamin gegenueberliegende Tuer wird heftig mit dem Fusse aufgestossen, and +ein staubbedeckter Leutnant stuerzt in das Zimmer. Er ist ein +toerichter, junger Bursche von vierundzwanzig Jahren mit der hellen, +zarten, reinen Haut des vornehmen Mannes und mit jener Selbstsicherheit +des Aristokraten, welche die franzoesische Revolution nicht im geringsten +erschuettern konnte. Er hat eine dicke, dumme Lippe, ein eifriges, +leichtglaeubiges Auge, eine eigensinnige Nase und eine laute selbstbewusste +Stimme.--Ein junger Mensch ohne Furcht, obne Ehrfurcht, ohne +Einbildungskraft, ohne Verstand und hoffnungslos unempfaenglich fuer die +napoleonische oder irgendeine andere Idee. Fabelhaft egoistisch, im +hoechsten Grade dazu geeignet, dort geraeuschvoll hereinzustuermen, wo +selbst ein Engel sich fuerchten wuerde, nur den Fuss aufzusetzen, doch von +einer starken geschwaetzigen Lebenskraft, die ihn mitten in das tollste +Gewirr der Dinge hetzt. Er kocht eben vor Wut, anscheinend, weil er +empoert ist, nicht schnell vom Gesinde des Gasthauses bedient zu werden, +aber ein schaerfer beobachtendes Auge kann eine gewisse moralische +Niedergeschlagenheit in ihm entdecken, welche andeutet, dass er unter +einem anhaltenderen und wichtigeren Verdruss leidet. Als er Napoleon +bemerkt, kommt er genuegend zu sich, um sich zusammenzuraffen und zu +salutieren. Aber er verraet auf keine Weise durch sein Benehmen etwas +von jener prophetischen Voraussicht von Marengo und Austerlitz, Waterloo +und St. Helena oder der Napoleonbilder von Delaroche und Meissonier, die +die moderne Kultur instinktiv bei ihm voraussetzen wuerde.) + +(Napoleon scharf:) Nun, Herr, sind Sie endlich angekommen? Ihr Befehl +lautete, dass ich um sechs Uhr hier sein wuerde, und dass Sie mich mit +meiner Pariser Post and meinen Depeschen erwarten sollten! Und jetzt +fehlen nur noch zwanzig Minuten an acht. Sie wurden als guter Reiter +fuer diesen Dienst ausersehen, mit dem schnellsten Pferde, das wir im +Lager haben. Sie kommen hundert Minuten zu spaet und kommen zu Fuss--wo +ist Ihr Pferd? + +(Leutnant zieht verdriesslich seine Handschuhe aus und wirft sie mit +seiner Muetze und Peitsche auf den Tisch:) Ja, wo ist es? Das gerade +wuesste ich selber gern, Herr General. (Mit Bewegung:) Sie wissen nicht, +wie ich dies Pferd geliebt habe. + +(Napoleon aergerlich, sarkastisch:) Wirklich! (Mit ploetzlicher +Besorgnis:) Wo sind die Briefe und Depeschen? + +(Leutnant wichtig, eher froh, dass er ganz besondere Nachrichten hat, +als bekuemmert:) Das weiss ich nicht. + +(Napoleon traut seinen Ohren nicht:) Das wissen Sie nicht?! + +(Leutnant.) Nicht besser als Sie, Herr General. Nun werde ich wohl +vor ein Kriegsgericht kommen. Schoen! ich habe nichts dagegen, +standrechtlich behandelt zu werden, aber (mit feierlichem Entschluss:) +ich sage Ihnen, Herr General, wenn ich diesen unschuldig aussehenden +Burschen jemals erwischen sollte,--diesen verschmitzten, kleinen +Luegner!--dann werde ich seine Schoenheit zurichten... eine Fratze will +ich aus ihm machen... ich werde--- + +(Napoleon kommt vom Kamin an den Tisch vor:) Was fuer einen unschuldig +aussehenden Burschen? Raffen Sie sich zusammen, Mensch--ja?--und +berichten Sie militaerisch! + +(Leutnant steht ihm gegenueber an der anderen Seite des Tisches und +stuetzt sich mit den Faeusten auf:) Oh ich bin ganz gefasst, Herr +General--ich bin vollkommen bereit, Rede zu stehen. Ich werde dem +Kriegsgericht gruendlich klarmachen, dass ich unschuldig bin. Die +bessere Seite meiner Natur wurde schaendlich ausgenuetzt, und ich schaeme +mich dessen nicht. Aber mit allem Respekt vor Ihnen, als meinem +Vorgesetzten, wiederhole ich, Herr General, dass, wenn ich diesem +Satanssohne jemals wieder begegnen sollte, ich ihn-- + +(Napoleon aergerlich:) Das haben Sie schon einmal gesagt! + +Leutnant richtet sich auf: Und ich wiederhole es: warten Sie nur so +lange, bis ich ihn erwischt habe!--weiter nichts! (Er kreuzt +entschlossen die Arme und atmet schwer mit aufeinandergepressten Lippen.) + +(Napoleon.) Ich warte, Herr--auf Ihre Aufklaerungen! + +(Leutnant zuversichtlich:) Sie werden Ihren Ton aendern, Herr General, +wenn Sie hoeren, was mir zugestossen ist. + +(Napoleon.) Nichts ist Ihnen zugestossen, Mensch! Sie leben und sind +nicht kampfunfaehig. Wo sind die Papiere, die Ihnen anvertraut wurden? + +(Leutnant.) Mir ist nichts zugestossen--nichts? Oho! (Wirft sich in +Positur, um Napoleon mit seinen Nachrichten zu ueberwaeltigen.) Er hat +mir ewige Bruderschaft geschworen, war das nichts? Er hat gesagt, dass +meine Augen ihn an die Augen seiner Schwester erinnerten--war das +nichts? Er hat geweint--wirkliche Traenen--ueber die Geschichte meiner +Trennung von Angelica--war das nichts?! Er hat beide Flaschen Wein +bezahlt, obwohl er selbst nur Brot und Trauben gegessen +hatte--vielleicht nennen Sie das auch nichts! Er hat mir seine +Pistolen und sein Pferd und seine Depeschen gegeben--aeusserst wichtige +Depeschen--und hat mich damit fortgehen lassen--(triumphierend, da er +sieht, dass er Napoleon in sprachloses Erstaunen versetzt hat:) war das +nichts?! + +(Napoleon schwach vor Erstaunen:) Warum hat er das getan? + +(Leutnant als ob der Grund ganz klar waere:) Um mir sein Vertrauen zu +beweisen. (Napoleons Kiefer faellt nicht gerade herunter, aber seine +Gelenkbaender werden schlaff. Der Leutnant faehrt mit ehrlicher +Entruestung fort:) Und ich habe sein Vertrauen auch verdient: ich habe +ihm alles ehrlich zurueckgegeben. Aber wuerden Sie es glauben, Herr +General,--als ich ihm meine Pistolen und mein Pferd and meine +Depeschen anvertraut hatte... + +(Napoleon wuetend:) Warum, zum Teufel, haben Sie das getan? + +(Leutnant.) Warum?... Um ihm auch meinerseits mein Vertrauen zu +beweisen, natuerlich. Und er hat mich betrogen, ausgenuetzt, ist nicht +wiedergekommen--der Dieb--der Schwindler--der herzlose, verraeterische, +kleine Schuft! Und das--das nennen Sie wahrscheinlich "nichts +zugestossen"! Aber sehen Sie, Herr General--(haelt sich wieder mit der +Faust am Tische, um mit groesserer Emphase zu sprechen.) Sie moegen +diesen Schimpf von den Oesterreichern hinnehmen, wenn Sie wollen; aber +was mich persoenlich anbelangt--ich sage Ihnen, wenn ich ihn jemals +erwische-- + +(Napoleon wendet sich angewidert auf dem Absatz herum, um seine +Wanderung wieder aufzunehmen:) Ja, ja, das haben Sie schon oft genug +gesagt. + +(Leutnant aeusserst erregt:) Oft genug?... Ich werde es hundertmal +sagen--und mehr als das: ich werde es tun! Ich werde ihm mein +Vertrauen zeigen--das werde ich! Ich werde--- + +(Napoleon.) Ja, ja, Herr Leutnant--gewiss werden Sie das. Was fuer eine +Art Mensch war er? + +(Leutnant.) Nun, ich glaube, nach seinem Benehmen sollten Sie +schliessen koennen, was fuer eine Art Mensch das war. + +(Napoleon.) Pah--Wie sah er aus? + +(Leutnant.) Ausgesehen... Er sah aus wie... nun... Sie haetten den +Burschen bloss mal sehen muessen, dann wuerden Sie einen Begriff davon +haben, wie er aussieht. Fuenf Minuten, nachdem ich ihn erwischt habe, +wird er nicht mehr so aussehen. Ich wiederhole Ihnen: wenn ich ihn +jemals-- + +(Napoleon ruft wuetend nach dem Wirt:) Giuseppe! (Zum Leutnant, am +Ende seiner Geduld:) Halten Sie jetzt Ihren Mund, wenn Sie koennen! + +(Leutnant.) Ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, dass es umsonst +ist, zu versuchen, mir die Schuld aufzuhalsen. (Klagend:) Wie haette +ich wissen sollen, was fuer eine Art Mensch das ist. (Er nimmt einen +Sessel, der zwischen der aeusseren Tuer und dem Buefett steht, stellt ihn +an den Tisch und setzt sich.) Wenn Sie eine Ahnung haetten, wie hungrig +und muede ich bin, wuerden Sie mehr Ruecksicht nehmen. + +(Giuseppe zurueckkommend:) Was befehlen Exzellenz? + +(Napoleon mit seinem Temperament kaempfend:) Nimm diesen... diesen +Offizier; gib' ihm zu essen; wenn noetig, bring ihn zu Bett; und wenn +er dann wieder bei Trost ist, trachte herauszubringen, was ihm +passiert ist, und lass mich es wissen. (Zum Leutnant.) Betrachten Sie +sich als Arrestanten, Herr Leutnant.-- + +(Leutnant aergerlich mit Steifheit:) Darauf war ich vorbereitet. Nur +ein Edelmann kann einen Edelmann verstehen. (Er wirft seinen Degen +auf den Tisch, Giuseppe nimmt ihn und bietet ihn Napoleon hoeflich an, +der ihn heftig auf das Sofa wirft.) + +(Giuseppe mit Teilnahme:) Sind Sie von den Oesterreichern ueberfallen +worden, Herr Leutnant? O weh, o weh! + +(Leutnant verachtungsvoll:) Ueberfallen! Ich haette sein Rueckgrat +zwischen meinem Zeigefinger und Daumen zerbrechen koennen! Wenn ich es +nur getan haette! Nein! ich bin hineingefallen, weil er an die bessere +Seite meiner Natur appelliert hat--und darueber kann ich nicht +hinwegkommen! Er sagte, dass ihm noch nie ein Mensch so gefallen haette +wie ich, er schlang sein Taschentuch um meinen Nacken, weil mich eine +Muecke gestochen hatte und mein Kragen mich wund rieb--sehen Sie! (Er +zieht ein Taschentuch unter seinem Kragen bervor; Giuseppe nimmt und +untersucht es.) + +(Giuseppe zu Napoleon:) Das Taschentuch einer Dame, Exzellenz! (Er +riecht daran:) Parfuemiert! + +(Napoleon.) Wie? (Er nimmt es und betrachtet es aufmerksam:) Hm! (Er +riecht daran:) Ha! (Er geht, das Taschentuch betrachtend, +nachdenklich durch das Zimmer und steckt es schliesslich in seine +Brusttasche.) + +(Leutnant.) Jedenfalls passt es zu ihm. Ich bemerkte, dass er +Weiberhaende hatte, als er mein Genick beruehrte in seiner +schmeichlerisch taendelnden Art--dieser gemeine, weibische, kleine Hund! +(Leiser, aber mit schauerlicher Heftigkeit:) Aber glauben Sie meinen +Worten, Herr General: wenn ich ihn jemals--- + +(Die Stimme einer Dame draussen wie zuvor:) Giuseppe! + +(Leutnant erstarrt:) Was war das? + +(Giuseppe.) Nur eine Dame ueber uns, Herr Leutnant, die mich ruft. + +(Leutnant.) Eine Dame! + +(Stimme.) Giuseppe! Giuseppe! wo bleiben Sie!? + +(Leutnant mordlustig:) Wo ist mein Degen? (Er stuerzt an das Sofa, +ergreift seinen Degen und zieht ihn.) + +(Giuseppe springt vor und fasst seinen rechten Arm:) Was faellt Ihnen +denn ein, Herr Leutnant! Es ist eine Dame: hoeren Sie nicht, dass es +eine weibliche Stimme ist? + +(Leutnant.) Ich sage Ihnen, dass es seine Stimme ist--lassen Sie mich +los! (Er stuerzt fort und will zur inneren Tuere; da oeffnet sich diese +vor seiner Nase, und die fremde Dame tritt ein. Sie ist eine sehr +anziehende Erscheinung, gross und ungewoehnlich grazioes, mit einem zart +intelligenten, empfindsamen, fragenden Gesicht. Auffassungskraft +liegt auf ihrer Stirn, Empfindlichkeit in ihren Nasenfluegeln, +Charakter in ihrem Kinn: im ganzen sieht sie scharfsinnig, vornehm und +originell aus. Sie ist sehr weiblich, aber durchaus nicht schwach. +Die geschmeidige, schlanke Gestalt ist kraeftig gebaut, die Haende und +Fuesse, Hals und Schultern sind keine zerbrechlichen Schmuckstuecke, +sondern stehen im richtigen Groessenverhaeltnis zu der ganzen Gestalt, +die die Napoleons und des Wirtes betraechtlich ueberragt und der des +Leutnants vollkommen gleichkommt; ihre Eleganz und ihr strahlender +Reiz verdecken indessen ihre Groesse und Kraft. Nach ihrem Kleide zu +schliessen, ist sie keine Bewunderin der neuesten Mode des Direktoriums, +oder sie vertraegt vielleicht auf der Reise ihre alten Kleider, +jedenfalls traegt sie keine Jacke mit auffallenden Aufschlaegen, kein +nachgemacht griechisches Unterkleid a la Madame Tallien,--nichts, +wahrhaftig nichts, das die Prinzessin von Lamballe nicht haette tragen +koennen. Ihr Kleid von gebluemter Seide mit langer Taille ist am Ruecken +mit einer Watteaufalte versehen, aber die Puffen sind, da sie fuer +diese zu gross ist, zu blossen Rudimenten verkuerzt. Es ist im Nacken +ein wenig ausgeschnitten und dort mit einem cremefarbenen Fichu +geschmueckt. Sie ist von heller Hautfarbe und hat goldbraune Haare und +graue Augen. Sie tritt mit der Selbstsicherheit einer Frau ein, die +an die Vorrechte von Rang und Schoenheit gewoehnt ist. Der Wirt, der +von Natur sehr gute Manieren hat, ist von ihr hoechst eingenommen. +Napoleon, auf den ihre Augen zuerst fallen, wird sofort verlegen. +Sein Gesicht roetet sich, er wird steifer und fuehlt sich unsicherer als +zuvor. Sie bemerkt dies augenblicklich, und, um ihn nicht in +Verlegenheit zu bringen, wendet sie sich mit einer unendlich +wohlerzogenen Art--um auch ihm die Ehre eines Blickes zu gewaehren--zu +dem andern Herrn, der mit Gefuehlen, die ganz unaussprechlich und +unbeschreiblich sind, auf ihr Kleid starrt, als ob es der Erde erstes +Meisterwerk an Verraeterei und Verstellung waere. Als sie ihn erkennt, +wird sie totenblass; ihr Ausdruck kann nicht missverstanden werden. Die +Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gaenzlich unerwarteten Irrtums +hat sie jaeh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und +Siegesgewissheit. Im naechsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter +dem cremefarbenen Fichu auf und ergiesst sich ueber ihr ganzes Gesicht. +Man sieht, dass sie am ganzen Leibe erroetet. Selbst der Leutnant, der +fuer gewoehnlich ganz unfaehig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr +seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man +es ihm rot anstreicht. Da er das Erroeten als das unfreiwillige +Eingestaendnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verraeterei +auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf +sie--dann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich +her in das Zimmer, schlaegt die Tuere zu und pflanzt sich mit dem Ruecken +davor auf.) + +(Leutnant.) Habe ich dich erwischt, Bursche! Du hast dich also +verkleidet--was? (Mit Donnerstimme:) Zieh diesen Rock aus! + +(Giuseppe Verwahrung einlegend:) Aber, Herr Leutnant! + +(Dame erschrocken, aber hoechst entruestet, dass er es gewagt hat, sie +anzuruehren:) Meine Herren, ich wende mich an Sie! Giuseppe! (Macht +eine Bewegung, als ob sie zu Giuseppe laufen wollte.) + +(Leutnant stellt sich dazwischen, den Degen in der Faust:) Nicht von +der Stelle! + +(Dame zu Napoleon fluechtend:) O Herr, Sie sind Offizier--General--Sie +werden mich beschuetzen--nicht wahr? + +(Leutnant.) Kuemmern Sie sich nicht um ihn, Herr General. +Ueberlassen Sie ihn mir. + +(Napoleon.) Ihn? Wen, Mensch? Warum behandeln Sie diese Dame in +solcher Weise? + +(Leutnant.) Dame?... Er ist ein Mann--der Mann, dem ich mein +Vertrauen geschenkt habe! (Geht drohend vor:) Hierher--du-- + +(Dame laeuft hinter Napoleon und umklammert in ihrer Aufregung seinen +Arm, den er instinktiv vor ihr ausstreckt, um sie zu schuetzen:) Oh, +ich danke Ihnen, Herr General! Halten Sie ihn fern! + +(Napoleon.) Unsinn! Das ist ganz bestimmt eine Frau! (Sie laesst +seinen Arm ploetzlich los und erroetet wieder:) Und Sie sind im Arrest! +Legen Sie augenblicklich Ihren Degen nieder, Herr Leutnant! + +(Leutnant.) Herr General, ich sage Ihnen, er ist ein oesterreichischer +Spion! Heute nachmittag hat er sich mir gegenueber aufgespielt, als +gehoerte er zum Stabe General Massenas--und nun spielt er sich Ihnen +gegenueber als Frau auf. Darf ich meinen eigenen Augen glauben oder +nicht? + +(Dame.) Herr General--das muss mein Bruder gewesen sein--der ist beim +Stabe General Massenas und sieht mir sehr aehnlich. + +(Leutnant den Verstand verlierend:) Wollen Sie damit sagen, dass Sie +nicht Ihr Bruder, sondern Ihre Schwester sind... die Schwester, die +mir so aehnlich sieht... die meine schoenen blauen Augen hat? Es war +eine Luege,--Ihre Augen sind nicht wie die meinen--sie sind genau wie +Ihre eigenen! Welche Perfidie! + +(Napoleon.) Herr Leutnant, wollen Sie meinen Befehlen gehorchen und +dieses Zimmer verlassen, da Sie endlich ueberzeugt sind, dass diese Dame +kein Mann ist? + +(Leutnant.) Kein Mann, das will ich meinen! Ein Mann wuerde mein +Vertrauen nie so getaeuscht haben-- + +(Napoleon am Ende seiner Geduld:) Genug, Mensch, genug! Verlassen Sie +dieses Zimmer! Ich befehle Ihnen, dieses Zimmer zu verlassen! + +(Dame.) O, bitte, ich will lieber gehen. + +(Napoleon trocken:) Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor +Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was fuer ein Interesse ein +Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann. +Ich habe einige Fragen an Sie zu richten. + +(Giuseppe diskret:) Kommen Sie, Herr Leutnant. (Er oeffnet die Tuere.) + +(Leutnant.) Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen. +Hueten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur. (Zur Dame:) Madame, +Sie entschuldigen, ich hielt Sie fuer dieselbe Person, nur von +entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich natuerlich irregefuehrt. + +(Dame suess:) Es war doch nicht Ihre Schuld! Ich freue mich, dass Sie +mir nicht laenger boese sind, Herr Leutnant. (Sie reicht ihm die Hand.) + +(Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu kuessen:) Oh, meine Gnaedige, +nicht im gering... (faehrt zurueck und starrt auf ihre Hand:) Sie haben +die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er. + +(Dame freundlich:) Wir sind Zwillinge. + +(Leutnant.) Das erklaert alles. (Er kuesst ihre Hand:) Bitte tausendmal +um Verzeihung. Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das +ist mehr Sache des Generals--aber es war der Missbrauch meines +Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur. (Er nimmt seine Muetze, +Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:) Ich hoffe, Sie +entschuldigen, dass ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure +unendlich. (Er schwaetzt sich aus dem Zimmer hinaus. Giuseppe folgt +ihm und schliesst die Tuer.) + +(Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:) Idiot! + +(Dame laechelt liebenswuerdig. Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch +und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle +seine Verlegenheit geschwunden:) Wie kann ich Ihnen fuer Ihren Schutz +danken, Herr General? + +(Napoleon wendet sich ploetzlich zu ihr um:) Meine Depeschen! schnell! +(Er streckt die Hand danach aus.) + +(Dame.) Herr General! (Unwillkuerlich greift sie mit den Haenden nach +dem Fichu, als wolle sie dort etwas beschuetzen.) + +(Napoleon.) Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt! Sie haben +sich als Mann verkleidet! Ich will meine Depeschen haben; sie sind da +in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren Haenden... + +(Dame zieht ihre Haende rasch weg:) Oh, wie unliebenswuerdig Sie mit mir +sprechen! (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:) Sie aengstigen +mich! (Sie beruehrt ihre Augen, als wollte sie eine Traene wegwischen.) + +(Napoleon.) Ich sehe, dass Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie +wuerden sich die Muehe ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten. + +(Dame tut so, als ob sie zwischen Traenen laecheln wollte:) Doch, ich +kenne Sie--Sie sind der beruehmte General Buonaparte. (Sie gibt dem +Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.) + +(Napoleon aergerlich, mit franzoesischer Aussprache:) Bonaparte, Madame, +--Bonaparte!... Die Papiere, wenn's gefaellig ist! + +(Dame.) Aber ich versichere Ihnen--(Er reisst ihr das Taschentuch +heftig aus der Hand:) Herr General! (Entruestet.) + +(Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:) Sie +waren so liebenswuerdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschentuecher zu +leihen, als Sie ihn beraubten. (Er betrachtet die beiden +Taschentuecher.) Sie sind einander vollstaendig gleich. (Er riecht +daran:) Derselbe Duft! (Er wirft beide auf den Tisch.) Ich warte auf +die Depeschen! Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit +ebenso wenig Umstaenden wegnehmen, wie dieses Taschentuch. (Das +duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre spaeter in Victorien Sardous +Drama "Dora" wieder auf.) + +(Dame mit wuerdevollem Vorwurf:) Herr General, bedrohen Sie wehrlose +Frauen? + +(Napoleon grob:) Ja! + +(Dame verbluefft, sucht Zeit zu gewinnen:) Aber ich begreife +nicht--ich ... + +(Napoleon.) Sie begreifen sehr gut. Sie sind hierhergekommen, weil +Ihre oesterreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, dass ich +sechs Meilen weit von hier entfernt sei. Ich bin immer dort zu finden, +wo meine Feinde mich nicht erwarten. Sie sind in die Hoehle des Loewen +geraten. Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine +vernuenftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere! (Er geht +drohend einen Schritt vor.) + +(Dame bricht in kindischer, ohnmaechtiger Wut zusammen und wirft sich +in Traenen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen +gelassen wurde:) Ich--und tapfer! Wie wenig Sie mich kennen. Ich +habe den Tag in Todesfurcht verbracht! Ich bekomme Brustschmerzen vor +Herzklopfen bei jedem argwoehnischen Blick und jeder drohenden Bewegung. +Halten Sie jeden Menschen fuer so tapfer, wie Sie es sind? Oh, warum +vollbringt ihr tapferen Maenner nicht die tapferen Taten? Warum +ueberlasst ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben? Ich bin nicht +tapfer--ich schrecke vor Gewalt zurueck--die Gefahr macht mich elend. + +(Napoleon mit Interesse:) Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben? + +(Dame.) Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem +vertrauen. Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der +keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gefuehl, kein... (Sie +haelt inne und wirft sich auf die Knie.) Oh, Herr General, lassen Sie +mich gehn! Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu +stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schwoere es! + +(Napoleon seine Hand ausstreckend:) Ja--ich warte darauf. (Sie +schnappt nach Luft. Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur +Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und +ihr Gerede zu ruehren, aber wie sie starr zu ibm aufblickt, sieht man +klar, dass sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu +ueberlisten. Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.) + +(Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:) Ich will +sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer. (Sie wendet sich zur Tuere.) + +(Napoleon.) Ich werde Sie begleiten, Madame. + +(Dame richtet sich mit einer edlen Gebaerde beleidigten Zartgefuehls auf:) +Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr +General. + +(Napoleon.) Dann werden Sie hierbleiben, Madame, waehrend ich Ihr +Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse. + +(Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:) Sie koennen sich die +Muehe ersparen: sie sind nicht dort. + +(Napoleon.) Nein. Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind. (Zeigt +auf ihre Brust.) + +(Dame mit niedlicher Klaeglichkeit:) Herr General, ich moechte nur einen +kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir +wenigstens den! + +(Napoleon kalt und finster:) Ist das eine vernuenftige Bitte, Madame? + +(Dame weil er nicht kurzweg abschlaegt, ermutigt:) Nein--aber gerade +deshalb muessen Sie mir sie bewilligen. Sind Ihre eigenen Wuensche +vernuenftig? Sie verlangen Tausende von Menschenleben fuer Ihre Siege, +Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche +Kleinigkeit! Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein +tapferer Mann. (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist +im Begriff, ihm wieder zu Fuessen zu fallen.) + +(Napoleon heftig:) Lassen Sie das, lassen Sie das! (Er wendet sich +aergerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, haelt einen Augenblick inne +und sagt ueber seine Schulter hinweg:) Sie sprechen Unsinn und Sie +wissen es. (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser +Verzweiflung, auf das Sofa. Als er sich umwendet und sie dort +erblickt, fuehlt er, dass sein Sieg vollstaendig ist und dass er sich +jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann. Er +kommt zurueck und setzt sich neben sie. Sie sieht geaengstigt auf und +rueckt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung +erglaenzt in ihren Augen. Er beginnt wie einer, der sich ueber einen +heimlichen Scherz freut:) Woher wissen Sie, dass ich tapfer bin? + +(Dame erstaunt:) Sie! General Buonaparte! (Italienische Aussprache.) + +(Napoleon.) Ja, ich--General Bonaparte! (Die franzoesische Aussprache +betonend.) + +(Dame.) Oh, wie koennen Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen +an der Bruecke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell ueber den Fluss hinweg +auszufechten, waehrend der Tod durch die Luefte sauste! (Schaudernd:) +Oh, Sie vollbringen Heldentaten! + +(Napoleon.) So wie Sie. + +(Dame.) Ich? (Mit einem ploetzlichen seltsamen Gedanken:) Oh, Sie sind +also ein Feigling? + +(Napoleon lacht grimmig und schlaegt auf seine Knie:) Das ist die +einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen duerfen. Der +Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner Laenge, seinem Alter, seinem +Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut. (Er steht auf und +geht, in sich hineinkichernd, mit den Haenden auf dem Ruecken und +vorgeneigtem Kopf, auf und ab.) + +(Dame als ob sie nichts Laecherliches dabei finden koennte:) Ah, Sie +koennen sich ueber die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht, +was Furcht ist. + +(Napoleon hinter das Sofa tretend:) Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an, +dass Sie diesen Brief nur haetten bekommen koennen, wenn Sie vorgestern +ueber die Bruecke bei Lodi zu mir gekommen waeren,--nehmen Sie an, dass +Sie keinen andern Weg gehabt haetten und dass dies ein sicherer Weg +war--vorausgesetzt, dass die Kanonenkugeln Sie verschonten. (Sie +schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den Haenden.) Wuerden +Sie Angst gehabt haben? + +(Dame.) Oh, fuerchterliche Angst! toedliche Angst! (Sie presst ihre +Haende aufs Herz.) Die blosse Vorstellung schmerzt schon! + +(Napoleon unbeugsam:) Wuerden Sie wegen der Depeschen gekommen sein? + +(Dame ueberwaeltigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:) Fragen Sie +mich nicht! Ich haette kommen muessen! + +(Napoleon.) Warum? + +(Dame.) Weil ich gezwungen gewesen waere. Weil es keinen andern Ausweg +gegeben haette! + +(Napoleon mit Ueberzeugung:) Weil es Sie nach diesem Brief so sehr +verlangt haette, dass Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst wuerden +ertragen haben. Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die +Furcht. Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag, +ist die einzige, die Sie sowohl beim juengsten Tambour als auch bei mir +finden werden, die Furcht. Sie ist es, die die Menschen in den Kampf +treibt: Gleichgueltigkeit macht, dass sie davonlaufen. Furcht ist die +Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl, +besser als Sie, besser als irgend ein Weib. Ich sah einst, wie ein +Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde, +weil ich mich fuerchtete einzugreifen. Ich fuehlte mich als Feigling +bis in die Fussspitzen, als ich dabei zusah. Vor sieben Monaten raechte +ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode +knallte. Nun--was ist dabei? Hat die Furcht jemals einen Mann von +irgend etwas, das er wirklich wollte, zurueckgehalten, oder auch nur +eine Frau? Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen +zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge +schauen um den Preis eines Glases Branntwein. Und glauben Sie, dass es +keine Frauen in der Armee gibt, die tapferer sind als die Maenner, weil +ihr Leben weniger wert ist? Pah, ich halte gar nichts--weder von +Ihrer Furcht noch von Ihrem Mut. Wenn Sie bei Lodi zu mir haetten +kommen muessen, Sie wuerden keine Furcht gehabt haben: einmal auf der +Bruecke waere vor der Notwendigkeit jedes andere Gefuehl geschwunden-- +vor der Notwendigkeit, Ihren Weg an meine Seite zu finden, um zu +bekommen, was Sie haben wollten. Und nun nehmen Sie an, dass Sie +davongekommen waeren mit jenem Brief in Ihrer Hand und um die Erfahrung +reicher, dass in der Stunde der Not Ihre Furcht Ihnen nicht das Herz +zusammenschnuerte, sondern die Ausfuehrung Ihres Planes unterstuetzte, +dass sie aufgehoert haette, "Furcht" zu sein, und sich in Staerke, +Scharfsinn, verdoppelte Aufmerksamkeit und eiserne Entschlossenheit +verwandelt haette,--wie wuerden Sie dann antworten, wenn Sie gefragt +wuerden, ob Sie ein Feigling sind? + +(Dame sich erhebend:) Ah, Sie sind ein Held--ein wirklicher Held! + +(Napoleon.) Pah! wirkliche Helden gibt es nicht. (Er schlendert durch +das Zimmer, ihren Enthusiasmus leicht nehmend, aber durchaus nicht +unzufrieden mit sich, ihn hervorgerufen zu haben.) + +(Dame.) O ja--es gibt welche. Es ist ein Unterschied zwischen dem, +was Sie meinen Mut nennen, und dem Ihrigen. Sie wollten die Schlacht +bei Lodi fuer niemand andern, als fuer sich selbst gewinnen--nicht wahr? + +(Napoleon.) Selbstverstaendlich! (Sich ploetzlich besinnend:) +Halt--nein! (Er rafft sich ehrfuerchtig zusammen und sagt wie ein Mann, +der einen frommen Dienst verrichtet:) Ich bin nur ein Diener der +franzoesischen Republik. Ich folge demuetig den Fusstapfen der Helden +des klassischen Altertums. Ich gewinne Schlachten fuer die +Menschheit--fuer mein Vaterland--nicht fuer mich! + +(Dame enttaeuscht:) Oh, dann sind Sie doch auch nur ein weibischer Held. +(Sie setzt sich wieder, den Ellbogen auf die Lehne des Sofas, die +Wange in die Hand gestuetzt; alle ihre Begeisterung ist gewichen.) + +(Napoleon hoechst erstaunt:) Weibisch?! + +(Dame teilnahmslos:) Ja, wie ich. (Mit tiefer Melancholie:) Glauben +Sie, wenn ich jene Depeschen nur fuer mich brauchte, dass ich mich dann +ihretwegen in eine Schlacht wagen wuerde? Nein! wenn das alles waere, +wuerde ich nicht einmal den Mut finden, Sie in Ihrem Hotel aufzusuchen. +Mein Mut ist bloss Sklaverei. Ich weiss damit fuer meine eigenen Zwecke +nichts anzufangen. Nur aus Liebe, aus Mitleid, aus dem Instinkt +heraus, einen andern zu retten und zu beschuetzen, kann ich Dinge tun, +die mich entsetzen. + +(Napoleon verachtungsvoll:) Pah! (Er wendet sich geringschaetzig von +ihr fort.) + +(Dame.) Aha! nun begreifen Sie, dass ich nicht wirklich mutig bin. +(Faellt wieder in aergerliche Teilnahmslosigkeit zurueck.) Aber was fuer +ein Recht haben Sie, mich zu verachten, wenn Sie Ihre Schlachten auch +nur fuer andere gewinnen? Fuer Ihr Land, aus Patriotismus--das ist es, +was ich weibisch nenne: das ist der echte Franzose. + +(Napoleon wuetend:) Ich bin kein Franzose! + +(Dame unschuldig:) Ich glaubte zu hoeren, dass Sie sagten, Sie haetten +die Schlacht bei Lodi fuer Ihr Land gewonnen, General Bu... soll ich es +franzoesisch oder italienisch aussprechen? + +(Napoleon.) Sie verlassen sich auf meine Geduld, Madame. Ich wurde +als franzoesischer Untertan geboren, aber nicht in Frankreich. + +(Dame kreuzt ihre Arme am Rande des Sofas und stuetzt sich darauf mit +einem deutlich aufflammenden Interesse:) Ich glaube, Sie sind +ueberhaupt nicht als Untertan geboren. + +(Napoleon hocherfreut, beginnt einen neuen Spaziergang:) Sieh da! Das +meinen Sie also? + +(Dame.) Ich bin davon durchdrungen! + +(Napoleon.) Nun, nun, Sie moegen vielleicht recht haben. (Die +Selbstgefaelligkeit seiner Beipflichtung faellt ihm selbst auf. Er haelt +erroetend inne und begibt sich in eine feierliche, den Helden des +klassischen Altertums nachgeahmte Pose und nimmt einen hoechst +moralischen Ton an.) Aber wir duerfen niemals ausschliesslich fuer uns +leben, liebes Kind. Vergessen Sie nie, dass wir immer an andere denken +sollen, fuer andere arbeiten, sie zu ihrem Besten lenken und regieren. +Selbstaufopferung ist die Grundlage aller echten Charaktergroesse. + +(Dame gibt mit einem Seufzer ihre Stellung wieder auf:) Daran sieht +man leicht, dass Sie sie selbst nie versucht haben, Herr General. + +(Napoleon entruestet, vergisst alles ueber Brutus und Scipio:) Was wollen +Sie mit diesen Worten sagen, Madame? + +(Dame.) Haben Sie nicht beobachtet, dass die Menschen den Wert der +Dinge, die sie nicht besitzen, immer ueberschaetzen? Die Armen glauben, +dass sie nichts als Reichtuemer brauchten, um vollkommen gluecklich und +gut zu sein. Jedermann betet Wahrheit, Reinheit, Selbstlosigkeit aus +demselben Grunde an,--weil er auf diesen Gebieten keine Erfahrung hat. +Oh, wenn Sie nur wuessten! + +(Napoleon mit aergerlichem Hohn:) Wenn Sie nur wuessten--? Ich bitte Sie, +haben (Sie) vielleicht Erfahrung darin? + +(Dame laesst die Arme fallen und faltet die Haende ueber den Knien, gerade +vor sich hinblickend:) Ja, ich hatte das Unglueck, gut auf die Welt zu +kommen. (Einen Augenblick zu ihm aufschauend:) Und ich kann Ihnen +versichern, es (ist) ein Unglueck, Herr General. Ich bin wirklich +wahrheitsliebend und selbstlos und alles, was dazu gehoert, aber das +ist nichts als Feigheit, Mangel an Charakter, Mangel an dem Mut, +wirklich mit aller Kraft und unbedingt sich selbst treu zu sein. + +(Napoleon.) Ha! (Wendet sich rasch zu ihr um, mit einem Aufleuchten +starken Interesses:) + +(Dame ernst, mit wachsendem Enthusiasmus:) Was ist das Geheimnis Ihrer +Macht? Nur, dass Sie an sich selbst glauben. Sie koennen nur fuer sich +kaempfen und siegen--fuer niemand sonst. Sie haben keine Angst vor +Ihrem eigenen Schicksal, Sie zeigen uns, was wir (alle) erreichen +koennten, wenn wir den Willen und den Mut dazu haetten, und das +(ploetzlich vor ihm auf die Knie fallend:) ist der Grund, warum wir Sie +alle anzubeten beginnen. (Sie kuesst seine Haende.) + +(Napoleon in Verlegenheit:) Aber--aber--bitte, erheben Sie sich, +Madame! + +(Dame.) Weisen Sie meine Huldigung nicht zurueck. Sie haben ein Recht +darauf--Sie werden einst als Kaiser ueber Frankreich herrschen---- + +(Napoleon rasch:) Nehmen Sie sich in acht, das ist Hochverrat! + +(Dame darauf bestehend:) Jawohl--als Kaiser ueber Frankreich--dann ueber +Europa--vielleicht ueber die ganze Welt... Ich bin nur der erste +Untertan, der Ihnen Treue schwoert. (Kuesst wieder seine Hand.) Mein +Kaiser! + +(Napoleon hebt sie ueberwaeltigt auf:) Ich bitte Sie--nein, nein, Kind, +das ist Wahnsinn! Gehen Sie, beruhigen Sie sich! (Sie streichelnd:) +So, so, liebes Kind! + +(Dame mit Glueckstraenen kaempfend:) Ja, ich weiss, dass es unverschaemt +ist, Ihnen Dinge zu sagen, die Sie viel besser als ich wissen muessen. +Aber Sie sind mir nicht boese--nicht wahr, nein? + +(Napoleon.) Boese? Nein, nein, nicht im geringsten, nicht im +geringsten! Gehen Sie, Sie sind eine sehr gescheite, vernuenftige und +interessante kleine Frau. (Er streichelt ihre Wangen:) Wollen wir +Freunde sein? + +(Dame hingerissen:) Ihre Freundin! Sie wollen mir gestatten, Ihre +Freundin zu sein? Oh! (Sie reicht ihm ihre beiden Haende mit einem +strahlenden Laecheln.) Sie sehen, ich beweise Ihnen mein Vertrauen. + +(Napoleon mit einem Wutschrei und blitzenden Augen:) Was?! + +(Dame.) Was ist geschehen? + +(Napoleon.) Ihr Vertrauen! damit ich Ihnen dafuer mein Vertrauen +schenken und Ihnen gestatte, mir mit meinen Depeschen davonzugehen--was? +Ah, Delila, Delila! Sie haben Ihre Kuenste an mir versucht, und ich war +ein ebenso grosser Einfaltspinsel wie mein Esel von einem Leutnant. (Er +geht drohend auf sie los.) Geben Sie die Depeschen--schnell! Ich lasse +jetzt nicht mehr mit mir spassen! + +(Dame um das Sofa herumfliehend:) Herr General-- + +(Napoleon.) Ich sage Ihnen--rasch! (Er geht rasch durch die Mitte des +Zimmers und vertritt ihr den Weg, als sie sich gegen den Weingarten +wenden will.) + +(Dame bietet ihm die Stirne wie ein gehetztes Tier:) Wie koennen Sie es +wagen, in diesem Tone mit mir zu sprechen? + +(Napoleon.) Wagen?! + +(Dame.) Ja--wagen! Wer sind Sie, dass Sie sich herausnehmen duerfen, +mit mir auf so grobe Weise zu sprechen? Oh, der niedrig geborene, +gemeine, korsische Abenteurer tritt sehr leicht bei Ihnen zutage. + +(Napoleon ausser sich:) Sie Teufelin, Sie--(Wild:) Zum letztenmal: +Wollen Sie mir die Papiere geben oder soll ich sie Ihnen +entreissen?--mit Gewalt! (Dame laesst die Haende sinken:) Ja, entreissen +Sie sie mir--mit Gewalt! (Waehrend er sie anstarrt wie ein +sprungbereiter Tiger, kreuzt sie in Maertyrerstellung ihre Arme ueber +der Brust. Diese Geste und Pose wecken augenblicklich Napoleons +theatralischen Instinkt. Er vergisst seine Wut, um ihr zu zeigen, dass +er ihr auch im Komoedienspielen gewachsen ist. Er laesst sie einen +Augenblick in Erwartung, dann hellt sich sein Gesicht ploetzlich auf, +er legt die Haende mit herausfordernder Kaelte auf den Ruecken, sieht an +ihr ein paarmal hinauf und hinab, nimmt eine Prise Schnupftabak, +wischt seine Finger sorgfaeltig ab und steckt sein Taschentuch ein. +Ihre heroische Pose wird dadurch immer laecherlicher.) + +(Napoleon endlich:) Nun? + +(Dame verlegen, aber die Arme noch immer in Ergebung gekreuzt:) Nun, +was wollen Sie beginnen? + +(Napoleon.) Ihre Pose verderben! + +(Dame.) Sie roher Patron! (Ihre Stellung aufgebend, geht sie an das +Sofaende, wendet sich mit dem Ruecken dagegen, lehnt sich an und steht +ihm, mit den Haenden auf dem Ruecken, gegenueber.) + +(Napoleon.) So ist's besser. Nun hoeren Sie mir zu. Sie gefallen +mir--und was mehr ist, ich schaetze Ihre Achtung. + +(Dame.) Dann schaetzen Sie, was Sie nicht besitzen. + +(Napoleon.) Ich werde sie gleich besitzen. Hoeren Sie: gesetzt den +Fall, ich wuerde mich von der Achtung, die ich Ihrem Geschlecht, Ihrer +Schoenheit, Ihrem Heldentum und allem uebrigen schuldig bin, bestimmen +lassen. Nehmen Sie an, dass ich, obwohl nichts als solch sentimentaler +Kram zwischen diesen meinen Muskeln und jenen mir so wichtigen +Papieren stuende, die Sie bei sich haben und die ich haben will and +auch bekommen werde, nehmen Sie an, dass ich mit der Beute vor mir +schwankend werden und mit leeren Haenden mich hinwegschleichen wuerde, +--oder, was noch aerger waere, dass ich meine Schwaeche zu verdecken +suchte, indem ich den grossen Helden spielte und Ihnen den Gewaltakt +ersparte, den ich nicht anzuwenden wagte--wuerden Sie mich nicht aus +der tiefsten Tiefe Ihrer weiblichen Seele verachten? Wuerde irgendeine +Frau so dumm sein? Nun,--Bonaparte kann zeigen, dass er auch dieser +Lage gewachsen ist und, wenn noetig, unmaennlich handeln darf. +Verstehen Sie mich? (Ohne ein Wort au sprechen, richtet sich die Dame +auf und nimmt ein Paket mit Briefen aus den Brustfalten ihres Kleides. +Einen Moment fuehlt sie sich versucht, sie ihm ins Gesicht zu werfen, +aber ihre gute Erziehung haelt sie davon ab, ihrem Herzen auf gemeine +Weise Luft zu machen. Sie ueberreicht sie ihm hoeflich und wendet bloss +den Kopf dabei ab. Im Augenblick, als er sie nimmt, eilt sie nach der +entgegengesetzten Seite des Zimmers, bedeckt ihr Gesicht mit den +Haenden und setzt sich, indem sie sich umwendet und das Gesicht der +Stuhllehne zukehrt.) + +(Napoleon sich an den Papieren weidend:) Ah, so ist's recht! (Bevor +er sie oeffnet, blickt er nach ihr hin und sagt:) Sie entschuldigen... +(Er bemerkt, dass sie ihr Gesicht verdeckt hat.) Sehr boese auf +mich--wie? (Er bindet das Paket auf, dessen Siegel schon erbrochen +sind und legt es auf den Tisch, um seinen Inhalt zu untersuchen.) + +(Dame ruhig, nimmt ihre Haende herab und zeigt, dass sie nicht weint, +sondern bloss nachdenkt:) Nein, Sie hatten recht--aber Sie tun mir leid. + +(Napoleon haelt in der Taetigkeit, den obersten Brief aus dem Paket zu +nehmen, inne:) Ich tue Ihnen leid--warum? + +(Dame.) Ich werde sehen muessen, wie Sie Ihre Ehre verlieren. + +(Napoleon.) Hm... ist das alles? (Er nimmt den Brief in die Hand.) + +(Dame.) Und Ihr Glueck. + +(Napoleon.) Glueck, meine Liebe, ist mir das langweiligste Ding von der +Welt. Waere ich, was ich bin, wenn ich mich um Glueck scherte? Sonst +noch etwas? + +(Dame.) Nichts--(Er unterbricht sie mit einem Ausruf der Befriedignng; +sie faehrt ruhig fort:) als dass Sie eine sehr komische Figur in den +Augen Frankreichs abgeben werden. + +(Napoleon rasch:) Was?! (Die Hand, die den Brief haelt, faellt +unwillkuerlich herab. Die Dame blickt ihn raetselhaft an und verharrt +in ruhigem Schweigen. Er wirft den Brief hin und bricht in einen +Strom von Schmaehungen aus:) Was meinen Sie damit, wie? Beginnen Sie +Ihre Kunststuecke von neuem? Glauben Sie, dass ich nicht weiss, was +diese Papiere enthalten?... Ich will es Ihnen sagen. Erstens die +Verstaendigung ueber Beaulieus Rueckzug... er hat ja nur die Wahl +zwischen zwei Dingen, die er tun kann, dieser dickkoepfige Idiot! +Entweder sich in Mantua einschliessen oder die Neutralitaet Venedigs +durch die Einnahme von Peschiera verletzen. Sie sind einer von den +Spionen des alten Idioten. Er hat entdeckt, dass er verraten wurde, +und hat Sie ausgesandt, um diese Nachricht um jeden Preis zu vereiteln. +Als wenn ihn das vor mir retten koennte, den alten Narren! Die +andern Papiere enthalten nur meine gewoehnliche Pariser Korrespondenz, +ueber die Sie nichts wissen. + +(Dame rasch und geschaeftsmaessig:) Herr General, lassen Sie uns ehrlich +teilen: nehmen Sie die Nachrichten, die Ihnen Ihre Spione ueber die +oesterreichische Armee gesandt haben, und geben Sie mir die Pariser +Korrespondenz--das soll mir genuegen. + +(Napoleon ganz atemlos ueber die Ruhe, mit der sie diesen Vorschlag +macht:) Ehrlich tei... (Er schnappt nach Luft.) Mir scheint, Madame, +dass Sie meine Briefe als Ihr rechtmaessiges Eigentum betrachten, dessen +ich Sie zu berauben versuche! + +(Dame ernst:) Nein, bei meiner Ehre, ich verlange keinen Ihrer +Briefe--nicht ein Wort, das von Ihnen oder an Sie geschrieben wurde. +Dieses Paket enthaelt einen gestohlenen Brief: einen Brief, den eine +Frau einem Manne geschrieben hat, einem Manne, der nicht ihr Gatte ist, +--einen Brief, der Schande, Infamie bedeutet-- + +(Napoleon.) Einen Liebesbrief? + +(Dame bitter-suess:) Was sonst als ein Liebesbrief koennte so viel Hass +aufruehren? + +(Napoleon.) Warum wurde er an mich gesandt? Um den Gatten in meine +Gewalt zu geben--was? + +(Dame.) Nein, nein--er kann Ihnen in keiner Weise nuetzlich sein. Ich +schwoere Ihnen, dass es Sie nichts kosten wird, wenn Sie ihn mir geben. +Er wurde Ihnen aus reiner Bosheit zugesandt--einzig und allein, um die +Frau, die ihn geschrieben hat, zu kompromittieren. + +(Napoleon.) Warum hat man ihn nicht ihrem Manne geschickt? Was soll +ich damit? + +(Dame vollkommen aus dem Text gebracht:) Oh! (Sie sinkt in den Stuhl +zurueck:) Ich... weiss es nicht. (Sie bricht zusammen.) + +(Napoleon.) Aha! ich dacht' es gleich,--ein kleiner Roman, um die +Papiere zurueckzubekommen. (Er wirft das Paket auf den Tisch und tritt +vor sie hin, in zynisch guter Laune,) Per Bacco, kleine Frau! ich kann +nicht umhin, Sie zu bewundern! Wenn ich so zu luegen verstuende wie Sie, +ich koennte, mir viele Muehe ersparen. + +(Dame die Haende ringend:) Oh, wie ich wuenschte, dass ich Ihnen wirklich +bloss eine Luege erzaehlt haette! Dann wuerden Sie mir geglaubt haben! +Das einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit. + +(Napoleon mit roher Vertraulichkeit, behandelt sie, als ob sie eine +Marketenderin waere:) Ausgezeichnet, ausgezeichnet! (Er legt seine +Haende hinter sich auf den Tisch und setzt sich mit in die Seite +gestemmten Armen und weit auseinander gestreckten Beinen auf den Tisch.) +Gehen Sie! Ich bin ein echter Korse in meiner Vorliebe fuer +Geschichten! Aber ich koennte sie besser erzaehlen als Sie, wenn ich +mir's angelegen sein liesse. Wenn man Sie wieder einmal fragen sollte, +warum man einen Brief, der eine Frau kompromittiert, nicht ihrem +Gatten schicken soll, dann antworten Sie einfach: Weil ihn der Gatte +nicht lesen wuerde.--Oder bilden Sie sich ein, Sie kleine Unschuld, dass +ein Ehemann von der oeffentlichen Meinung gezwungen werden will, eine +Szene zu machen, ein Duell auszufechten, infolge eines Skandales +seinen Haushalt aufzugeben, seine Karriere zu zerstoeren, wenn er all +das verhindern kann, indem er sich huetet, etwas zu wissen? + +(Dame empoert:) Und wenn dieses Paket einen Brief ueber Ihre eigene Frau +enthielte? + +(Napoleon beleidigt, den Tisch verlassend:) Sie werden unverschaemt, +Madame! + +(Dame demuetig:) Verzeihen Sie mir--Caesars Frau ist ueber jeden Argwohn +erhaben. + +(Napoleon mit wohlerwogener Ueberlegenheit:) Sie haben eine +Indiskretion begangen--ich verzeihe Ihnen. In Zukunft erlauben Sie +sich aber nicht, wirkliche Personen in Ihre Romane einzufuehren. + +(Dame hoeflich eine Rede ueberhoerend, die ihr nur eine Vernachlaessigung +der guten Manieren bedeutet, erhebt sie sich, um an den Tisch zu gehen:) +Herr General,--es ist wirklich der Brief einer Frau darunter. (Auf +das Paket zeigend:) Geben Sie ihn mir. + +(Napoleon grob und kurz, mit einer Bewegung, die verhindern soll, dass +sie den Briefen zu nahe kommt:) Warum? + +(Dame.) Er ist von einer alten Freundin, wir waren zusammen in der +Schule; sie hat mir geschrieben und mich angefleht, zu verhindern, dass +der Brief in Ihre Haende falle. + +(Napoleon.) Warum wurde er mir geschickt? + +(Dame.) Weil er den Direktor Barras kompromittiert. + +(Napoleon die Stirne runzelnd, sichtlich erregt:) Barras? (Hochmuetig:) +Nehmen Sie sich in acht, Madame. Der Direktor Barras ist mein +treuer, persoenlicher Freund. + +(Dame nickt gelassen:) Ja--Sie wurden durch Ihre Frau mit ihm +befreundet. + +(Napoleon.) Schon wieder! Habe ich Ihnen nicht verboten, von meiner +Frau zu sprechen? (Sie faehrt fort, ihn neugierig anzublicken, ohne +diese Zurechtweisung zu beachten. Mehr und mehr erregt, laesst er seine +hochmuetige Art fallen, die ihm selbst etwas laestig wird, und sagt +argwoehnisch, mit leiser Stimme:) Wer ist diese Frau, mit der Sie so +tief sympathisieren? + +(Dame.) Oh, Herr General, wie koennte ich Ihnen das sagen?! + +(Napoleon uebellaunig, beginnt er wieder aergerlich verwundert auf und +ab zu gehen:) Ja, ja--die eine hilft der andern--Ihr Weiber seid alle +gleich! + +(Dame entruestet:) Wir sind nicht alle gleich--nicht mehr, als Ihr es +seid! Glauben Sie, dass, wenn ich einen andern Mann liebte, ich +vorgeben wuerde, meinen Mann weiter zu lieben, oder mich fuerchten wuerde, +ihm oder der ganzen Welt alles zu sagen? Aber diese Frau ist nicht +aus solchem Stoff geschaffen--sie beherrscht die Maenner, indem sie sie +betruegt, und (verachtungsvoll:) sie lieben das und lassen sich von ihr +beherrschen. (Sie setzt sich wieder nieder, mit dem Ruecken gegen ihn.) + +(Napoleon sich um sie nicht bekuemmernd:) Barras! Barras! (Wendet +sich drohend gegen sie, sein Gesicht verfinstert sich.) Nehmen Sie +sich in acht! nehmen Sie sich in acht!--hoeren Sie! Sie koennten zu +weit gehen! + +(Dame wendet ihm unschuldig ihr Gesicht zu:) Was haben Sie? + +(Napoleon.) Auf was spielen Sie an? Wer ist diese Frau? + +(Dame begegnet seinem aergerlich forschenden Blick mit ruhiger +Gleichgueltigkeit und bleibt, zu ihm aufsehend, mit uebergeschlagenen +Beinen sitzen und laesst den rechten Arm leicht auf der Lehne des +Stuhles ruhen:) Ein eitles, dummes, verschwenderisches Geschoepf, das +einen sehr faehigen und ehrgeizigen Mann hat, der sie durch und durch +kennt--der weiss, dass sie ihn ueber ihr Alter, ihr Einkommen, ihre +soziale Stellung, ueber alles, worueber dumme Frauen Luegen erzaehlen, +belogen hat,--der weiss, dass sie unfaehig ist, irgendeinem Prinzip oder +irgendeinem Menschen treu zu sein, und doch nicht umhin kann, sie zu +lieben,--dessen maennlicher Instinkt ihm sogar erlaubt, sie zu benuetzen, +um mit ihrer Hilfe bei Barras etwas zu erreichen. + +(Napoleon mit einem leisen, kalt wilden Fluestern:) Das ist Ihre Rache, +Sie Katze, weil Sie mir die Briefe herausgeben mussten! + +(Dame.) Unsinn! Oder halten Sie sich selbst fuer so einen Menschen? + +(Napoleon ausser sich, schlingt die Haende auf dem Ruecken ineinander, +seine Finger zucken, und er sagt, waehrend er aufgeregt von ihr fort +zum Kamin geht:) Dieses Weib wird mich noch um den Verstand bringen! +(Zu ihr:) Gehen Sie! + +(Dame bleibt unbeweglich sitzen:) Nicht ohne jenen Brief. + +(Napoleon.) Hinaus, sage ich Ihnen! (Er geht vom Kamin bis gegen den +Weingarten und wieder zurueck an den Tisch.) Sie werden keinen Brief +bekommen--Sie gefallen mir nicht! Sie sind ein unausstehliches +Frauenzimmer and haesslich wie der leibhaftige Satan! Ich lasse mich +nicht von fremden Weibern belaestigen! Machen Sie, dass Sie fortkommen! +(Er wendet ihr den Ruecken zu. Sie stuetzt ihre Wange in die Hand und +lacht in stillem Vergnuegen ueber ihn. Er wendet sich wieder um, ihr +aergerlich nachahmend:) Hahaha! Worueber lachen Sie? + +(Dame.) Ueber Sie, Herr General. Ich habe schon oft Menschen Ihres +Geschlechtes aufgebracht und sich wie Kinder benehmen sehen, aber ich +habe das noch nie zuvor an einem wirklich grossen Manne beobachtet. + +(Napoleon brutal, ihr die Worte ins Gesicht schleudernd:) Pah! +Schmeichelei! Schmeichelei! plumpe, unverschaemte Schmeichelei! + +(Dame springt mit jaehem Erroeten auf:) Oh, Sie gehen zu weit! Behalten +Sie Ihre Briefe, lesen Sie darin die Geschichte Ihrer eigenen Schande, +und moege sie Ihnen gut bekommen! Leben Sie wohl! (Sie geht entruestet +zur inneren Tuere.) + +(Napoleon.) Meine eigene--! Bleiben Sie! Kommen Sie zurueck! Ich +befehle Ihnen zu bleiben! (Sie missachtet stolz seinen wilden +befehlshaberischen Ton und setzt den Weg zur Tuer fort. Er springt auf +sie zu, fasst sie beim Handgelenk and zerrt sie zurueck.) Jetzt werden +Sie mir sagen, was Sie meinen... erklaeren Sie sich! Erklaeren Sie, +sage ich Ihnen, sonst--! (Bedroht sie. Sie sieht ihn mit furchtlosem +Trotz an.) Brr! Sie hartnaeckiger Teufel, Sie! warum wollen Sie eine +hoefliche Frage nicht beantworten? + +(Dame durch seine Heftigkeit tief verletzt:) Warum fragen Sie mich? +Sie haben ja die Erklaerung. + +(Napoleon.) Wo? + +(Dame zeigt auf den Tisch mit den Briefen:) Dort! Sie brauchen nur zu +lesen. (Er nimmt das Paket auf, zoegert, sieht sie argwoehnisch an und +wirft es wieder hin.) + +(Napoleon.) Sie scheinen die Sorge um die Ehre Ihrer alten Freundin +vergessen zu haben? + +(Dame.) Jetzt laeuft sie keine Gefahr mehr: sie versteht ihren Mann +nicht ganz. + +(Napoleon.) Soll ich den Brief also lesen? (Er streckt seine Hand aus, +als ob er das Paket wieder aufgreifen wollte, den Blick auf sie +gerichtet.) + +(Dame.) Ich sehe nicht, wie Sie jetzt noch vermeiden koennten, ihn zu +lesen. (Er zieht seine Hand sofort zurueck.) Oh, fuerchten Sie sich +nicht. Sie werden mancherlei interessante Dinge darin finden. + +(Napoleon.) Zum Beispiel? + +(Dame.) Zum Beispiel: ein Duell--mit Barras, eine haeusliche Szene, +einen aufgeloesten Haushalt, einen oeffentlichen Skandal, eine zerstoerte +Karriere--allerlei interessante Dinge-- + +(Napoleon.) Hm! (Er sieht sie an, nimmt das Paket und betrachtet es, +spitzt die Lippen und wiegt es in der Hand, sieht sie dann wieder an, +nimmt das Paket in seine linke Hand und stellt es hinter seinen Ruecken; +seine rechte Hand erhebt er, um sich am Hinterkopf zu kratzen, indem +er sich umwendet und an die Schwelle des Weingartens geht, wo er einen +Augenblick stehen bleibt und, in tiefe Gedanken versunken, nach den +Weinreben blickt. Die Dame beobachtet ihn schweigend, mit einiger +Geringschaetzung. Ploetzlich kommt er wieder zurueck, voll Kraft und +Entschlossenheit:) Ich will Ihre Bitte erfuellen, Madame. Ihr Mut und +Ihre Entschlossenheit verdienen einen Erfolg. Nehmen Sie die Briefe, +fuer die Sie so gut gekaempft haben, und erinnern Sie sich hinfort daran, +dass Sie den niedrig geborenen, gemeinen, korsischen Abenteurer nach +der gewonnenen Schlacht dem Besiegten gegenueber ebenso grossmuetig +gefunden haben, wie er vorher im Angesichte des Feindes unerbittlich +war. (Er bietet ihr das Paket an.) + +(Dame ohne es zu nehmen, ihn hart anblickend:) Ich frage mich, was Sie +wohl jetzt im Schilde fuehren. (Er wirft das Paket wuetend auf den +Boden.) Aha! Mir scheint, diesmal habe ich eine Pose verdorben. (Sie +macht ihm eine huebsche, spoettische Verbeugung.) + +(Napoleon hebt die Briefe wieder auf:) Wollen Sie die Briefe nehmen +und dann gehen? (Geht auf sie los und will sie ihr aufdraengen.) + +(Dame um den Tisch herum entwischend:) Nein! ich will Ihre Briefe +nicht. + +(Napoleon.) Vor zehn Minuten wollte Ihnen nichts anderes genuegen. + +(Dame den Tisch sorgfaeltig zwischen ihm und sich haltend:) Vor zehn +Minuten hatten Sie mich noch nicht ueber alles Ertragen beleidigt. + +(Napoleon.) Dann... (seine Wut hinunterwuergend:) dann bitte ich Sie um +Verzeihung. + +(Dame kuehl:) Ich danke. (Er bietet ihr mit erzwungener Hoeflichkeit +das Paket ueber den Tisch an; sie tritt einen Schritt zurueck, aus +seinem Bereich, und sagt:) Aber wollen Sie denn nicht mehr wissen, ob +die Oesterreicher in Mantua oder in Peschiera stehen? + +(Napoleon.) Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich meine Feinde ohne die +Mithilfe von Spionen zu besiegen weiss, Madame! + +(Dame.) Und den Brief--wollen Sie den nicht lesen? + +(Napoleon.) Sie haben gesagt, dass er nicht an mich adressiert ist--ich +habe nicht die Gewohnheit, anderer Leute Briefe zu lesen. (Er bietet +ihr das Paket abermals an.) + +(Dame.) Wenn dem so ist, dann ist dagegen, dass Sie ihn behalten, gewiss +nichts einzuwenden. Alles, was ich wollte, war: zu verhindern, dass +Sie ihn lesen. (Heiter:) Guten Abend, Herr General! (Sie wendet sich +kuehl nach der inneren Tuere.) + +(Napoleon wirft das Paket aergerlich auf das Sofa:) Himmel, gib mir +Geduld! (Er pflanzt sich entschlossen vor der Tuer auf und verstellt +ihr so den Weg.) Fehlt Ihnen jeder Sinn fuer persoenliche Gefahr, oder +gehoeren Sie zu den Frauen, die es lieben, schwarz und blau geschlagen +zu werden? + +(Dame.) Ich danke schoen, Herr General--das muesste zweifellos eine sehr +reizvolle Sensation sein, aber ich verzichte lieber darauf. Ich will +einfach nach Hause gehn, weiter nichts. Ich war arglistig genug, Ihre +Depeschen zu stehlen, aber Sie haben sie zurueckbekommen und haben mir +verziehen, weil (seinen rhetorischen Tonfall liebenswuerdig +wiederholend:) Sie nach der gewonnenen Schlacht ebenso grossmuetig gegen +den Besiegten sind, wie Sie vorher im Angesicht des Feindes +unerbittlich waren. Wollen Sie mir nicht Lebewohl sagen? (Sie reicht +ihm freundlich die Hand.) + +(Napoleon das Entgegenkommen mit einer Gebaerde massloser Wut +zurueckweisend, oeffnet die Tuer und ruft wuetend:) Giuseppe! (Lauter:) +Giuseppe! (Er schlaegt die Tuer zu und kommt in die Mitte des Zimmers. +Die Dame geht etwas gegen den Weingarten zu, um ihm auszuweichen.) + +(Giuseppe erscheint an den Tuer:) Exzellenz befehlen? + +(Napoleon.) Wo ist der Narr? + +(Giuseppe.) Der Herr Leutnant hat, wie Exzellenz befohlen haben, ein +gutes Essen bekommen und erweist mir nun die Ehre, mit mir zu wuerfeln, +um sich die Zeit zu vertreiben. + +(Napoleon.) Schick' ihn her--bring ihn herein and komm mit ihm. + +(Giuseppe laeuft mit unentwegter Bereitwilligkeit hinaus. Napoleon +wendet sich zu der Dame und sagt dabei barsch:) Ich muss Sie bitten, +noch einige Augenblicke hierzubleiben, Madame. (Er geht zum Sofa. +Sie schreitet vom Weingarten an der entgegengesetzten Seite des +Zimmers an das Buefett, lehnt sich dagegen und beobachtet ihn. Er +nimmt das Paket vom Sofa und knoepft es langsam und sorgfaeltig in seine +Brusttasche, waehrend er sie dabei mit einem Ausdruck betrachtet, der +besagen soll, dass sie den Zweck seines Vorgehens bald herausfinden und +ueber diesen Zweck nicht erfreut sein wird. Es wird nichts mehr gesagt, +bis der Leutnant hereinkommt. Giuseppe folgt ihm und bleibt +bescheiden in Bereitschaft vor dem Tische stehn. Der Leutnant ohne +Muetze, ohne Degen und ohne Handschuhe und infolge seiner Mahlzeit in +viel besserer Laune und besserer Geistesverfassung waehlt die Seite des +Zimmers, auf der die Dame steht, und wartet sehr behaglich, bis +Napoleon beginnt.) + +(Napoleon.) Herr Leutnant! + +(Leutnant ermutigend:) Herr General! + +(Napoleon.) Ich kann diese Dame nicht dazu bewegen, mir viele +Aufklaerungen zu geben; aber es besteht kein Zweifel mehr darueber, dass +der Mann, der Sie durch seine List dahin brachte, Ihre Pflicht zu +verletzen, wie sie es bereits zugab, ihr Bruder ist. + +(Leutnant triumphierend:) Was habe ich Ihnen gesagt, Herr General? + +(Napoleon.) Sie muessen diesen Menschen finden, Ihre Ehre steht auf dem +Spiel, und der Ausgang des Feldzuges, das Schicksal Frankreichs--Europas +--der Menschheit vielleicht mag von den Mitteilungen abhaengen, die jene +Depeschen enthalten. + +(Leutnant.) Ja, mir scheint, sie sind wirklich ziemlich wichtig. (Als +ob er vorher kaum daran gedacht haette.) + +(Napoleon energisch:) Sie sind so wichtig, Herr Leutnant, dass ich Sie +in Gegenwart Ihres Regiments degradieren werde, wenn Sie diese +Depeschen nicht wiederfinden. + +(Leutnant.) Hu! Ich kann Ihnen versichern, dass dem Regimente das +wenig Spass machen wird. + +(Napoleon.) Persoenlich bedaure ich Sie; ich wuerde die Sache, wenn das +moeglich waere, gerne unterdruecken. Aber ich werde zur Rechenschaft +gezogen werden, wenn ich nicht nach den Depeschen handle--ich werde +der ganzen Welt beweisen muessen, dass ich sie niemals bekommen habe, +was fuer Folgen das auch immer fuer Sie haben mag--es tut mir leid, aber +Sie sehen, ich kann mir nicht anders helfen. + +(Leutnant gutmuetig:) Oh, nehmen Sie sich die Sache nicht zu Herzen, +Herr General, Sie sind wirklich zu guetig. Was mir auch zustossen +sollte, ich werde schon irgendwie durchkommen, und wir werden die +Oesterreicher fuer Sie schlagen--mit oder ohne Depeschen! Ich hoffe, +Sie werden nicht darauf bestehen, dass ich ganz umsonst sofort Jagd +nach diesem Burschen mache. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich ihn +suchen soll. + +(Giuseppe ehrerbietig:) Sie vergessen, Herr Leutnant,--er hat Ihr +Pferd. + +(Leutnant auffahrend:) Das hab' ich ganz vergessen. (Entschlossen:) +Ich werde nach ihm fahnden, Herr General, ich werde dieses Pferd, wenn +es irgendwo in Italien noch am Leben ist, aufstoebern, und ich werde +die Depeschen nicht vergessen--seien Sie unbesorgt. Geh', Giuseppe, +und sattle eines von deinen schaebigen alten Postkutschpferden, waehrend +ich meine Muetze, meinen Degen und die uebrigen Sachen hole,--schnell, +marsch! fort mit dir! (Draengt ihn hinaus.) + +(Giuseppe.) Sofort, Herr Leutnant, sofort! (Er verschwindet im +Weingarten, den der Sonnenuntergang roetet.) + +(Leutnant auf dem Wege nach der inneren Tuer um sich blickend:) Da +faellt mir ein, Herr General, habe ich Ihnen meinen Degen gegeben oder +nicht? Oh, ich erinnere mich jetzt--(verdriesslich:) Das kommt davon, +wenn man einen Menschen in Arrest setzt! Man weiss dann nie, wo man +seine sieben Sachen gelassen... (Er schwaetzt sich aus dem Zimmer.) + +(Dame noch vor dem Buefett:) Was soll das alles bedeuten, Herr General? + +(Napoleon.) Er wird Ihren Bruder nicht finden. + +(Dame.) Selbstverstaendlich nicht; weil ich keinen habe. + +(Napoleon.) Die Depeschen werden unwiederbringlich verloren sein. + +(Dame.) Unsinn! Sie sind in Ihrer Rocktasche. + +(Napoleon.) Sie werden einsehen, dass es schwerhalten wird, diese +abenteuerliche Behauptung zu beweisen. + +(Die Dame faehrt auf; er fuegt mit treffendem Nachdruck hinzu:) Diese +Papiere sind verloren. + +(Dame aengstlich, an die Ecke des Tisches vorwaertsschreitend:) Und +deshalb soll die Karriere dieses ungluecklichen Menschen geopfert +werden? + +(Napoleon.) Seine Karriere?! Der Bursche ist das Schiesspulver nicht +wert, das er kosten wuerde, wenn ich ihn niederknallen liesse! (Er +wendet sich verachtungsvoll ab und geht zum Kamin, wo er der Dame den +Ruecken kehrt.) + +(Dame gedankenvoll:) Sie sind sehr hart. Maenner und Frauen sind Ihnen +nichts als Dinge, dazu da, von Ihnen gebraucht zu werden, selbst wenn +sie bei dem Gebrauch zugrunde gehn. + +(Napoleon wendet sich zu ihr:) Wer von uns beiden hat diesen Burschen +zugrunde gerichtet--ich oder Sie? Wer hat ihm die Depeschen +abgelockt? Haben Sie dabei an seine Karriere gedacht? + +(Dame naiv bekuemmert um den Leutnant:) Oh, daran habe ich nicht +gedacht! Es war brutal von mir--aber ich konnte nicht anders, nicht +wahr? Wie haette ich sonst die Papiere bekommen sollen? (Flehentlich:) +Herr General, Sie werden ihm die Schande ersparen! + +(Napoleon bitter lachend:) Retten Sie ihn, da Sie so gescheit sind! +Sie waren es ja, die ihn ruiniert hat! (Mit wilder Betonung:) Ich +hasse einen schlechten Soldaten! (Er geht entschlossen durch den +Weingarten hinaus; sie folgt ihm einige Schritte mit einer +beschwoerenden Gebaerde, wird aber durch die Rueckkehr des Leutnants +aufgehalten, der mit Handschuhen und Muetze und umguertetem Degen +marschbereit ist. Er durchschreitet das Zimmer nach der aeusseren Tuer +zu, als sie ihm in den Weg tritt.) + +(Dame.) Herr Leutnant! + +(Leutnant wichtig:) Sie duerfen mich nicht aufhalten,--Dienst ist +Dienst, gnaedige Frau. + +(Dame flehentlich:) O Herr Leutnant, was wollen Sie meinem armen +Bruder tun? + +(Leutnant.) Lieben Sie ihn sehr? + +(Dame.) Ich wuerde sterben, wenn ihm etwas zustiesse--Sie muessen ihn +verschonen! (Der Leutnant schuettelt duester den Kopf.) Ja, ja, Sie +muessen--Sie werden... Er darf noch nicht sterben! Hoeren Sie mich! +Wenn ich Ihnen sage, wo er zu finden ist--wenn ich es unternehme, ihn +als Gefangenen in Ihre Haende zu liefern, damit Sie ihn dem General +Bonaparte uebergeben koennen--wollen Sie mir dann als Offizier und +Edelmann bei Ihrer Ehre schwoeren, nicht mit ihm zu kaempfen oder ihn +auf irgendeine Weise schlecht zu behandeln? + +(Leutnant.) Aber gesetzt den Fall, dass er mich angreift... er hat +meine Pistolen! + +(Dame.) Dazu ist er viel zu feige. + +(Leutnant.) Davon bin ich durchaus nicht so ueberzeugt--der ist zu +allem faehig. + +(Dame.) Fuer den Fall, dass er Sie angreifen oder den leisesten +Widerstand leisten sollte, gebe ich Ihnen Ihr Versprechen zurueck. + +(Leutnant.) Mein Versprechen? Ich habe ja noch nichts versprochen. +--Schauen Sie! Sie sind genau so gerieben wie Ihr Bruder.--Sie haben +mich auch mittels der besseren Seite meiner Natur uebervorteilen wollen. +Und wie steht es mit meinem Pferd? + +(Dame.) Es ist in unsere Abmachung eingeschlossen, dass Sie Ihr Pferd +und Ihre Pistolen zurueckbekommen sollen. + +(Leutnant.) Bei Ihrer Ehre? + +(Dame.) Bei meiner Ehre! (Sie reicht ihm die Hand.) + +(Leutnant erfasst sie und haelt sie fest:) Abgemacht! Ich werde mit ihm +sanft wie ein Lamm umgehen.--Seine Schwester ist eine sehr huebsche +Frau. (Er versucht, sie zu kuessen.) + +(Dame ihm entschluepfend:) O Herr Leutnant, Sie vergessen,--es geht um +Ihre Karriere--um das Schicksal Europas--der Menschheit vielleicht... + +(Leutnant.) Was schert mich das Schicksal der Menschheit! (Ihr +nachsetzend:) Nur einen Kuss! + +(Dame zieht sich hinter den Tisch zurueck:) Nicht, bevor Sie Ihre +Offiziersehre wiedergewonnen haben. Bedenken Sie--noch ist mein +Bruder nicht Ihr Gefangener! + +(Leutnant verfuehrerisch:) Sie werden mir sagen, wo er ist--nicht wahr? + +(Dame.) Ich brauche ihm nur ein vereinbartes Zeichen zu senden, und er +wird in einer Viertelstunde hier sein. + +(Leutnant.) Dann ist er also gar nicht weit? + +(Dame.) Nein--sogar ganz nahe. Warten Sie hier auf ihn; sobald er +meine Botschaft bekommt, wird er sofort hierhereilen, um sich Ihnen zu +ergeben--verstehen Sie jetzt? + +(Leutnant an dessen Verstand zu hohe Anforderungen gestellt werden:) +Nun, die Sache ist zwar ein wenig kompliziert, aber ich hoffe, es wird +schon alles in Ordnung sein. + +(Dame.) Und jetzt, waehrend Sie auf den Gefangenen warten, glauben Sie +nicht, dass es besser waere, Sie wuerden mit dem General die Bedingungen +der Uebergabe vereinbaren? + +(Leutnant.) Sehen Sie, wie fuerchterlich verwickelt die Sache ist! Was +fuer Bedingungen? + +(Dame.) Lassen Sie sich von ihm zusichern, dass er Ihre Soldatenehre +als wiederhergestellt betrachtet, sobald Sie meinen Bruder gefangen +haben. Unter dieser Bedingung wird er alles versprechen, was Sie +verlangen. + +(Leutnant.) Das ist keine schlechte Idee, ich danke Ihnen. Ich glaube, +das werde ich doch versuchen. + +(Dame.) Tun Sie das. Und vor allem eins: lassen Sie ihn ja nicht +merken, wie gescheit Sie sind. + +(Leutnant.) Ich verstehe:--er koennte neidisch werden. + +(Dame.) Sagen Sie ihm nichts anderes, als dass Sie entschlossen sind, +meinen Bruder gefangenzunehmen oder bei dem Versuche zugrunde zu gehn. +Er wird Ihnen nicht glauben wollen--dann werden Sie meinen Bruder +vorfuehren... + +(Leutnant unterbrechend, da er nun endlich das Komplott begreift:) Und +ihn auslachen! Nein, was fuer eine gescheite kleine Frau Sie sind! +(Rufend:) Giuseppe! + +(Dame.) Sch! Kein Wort zu Giuseppe ueber mich! (sie legt ihren Finger +auf die Lippen, er tut dasselbe; sie blicken einander warnend an; dann +aendert sie mit einem entzueckenden Laecheln die Gebaerde dahin, dass sie +ihm einen Kuss zuwirft, und laeuft durch die innere Tuer hinaus. +Elektrisiert, bricht er in ein kicherndes Frohlocken aus. Giuseppe +kommt durch die aeussere Tuer zurueck.) + +(Giuseppe.) Das Pferd ist bereit, Herr Leutnant. + +(Leutnant.) Ich gehe noch nicht gleich. Lauf! suche den General und +sag ihm, dass ich ihn zu sprechen wuensche. + +(Giuseppe den Kopf schuettelnd:) Das ist ganz unmoeglich, Herr Leutnant. + +(Leututnant.) Warum? + +(Giuseppe.) In dieser boesen Welt kann ein General zwar nach einem +Leutnant schicken, aber ein Leutnant darf niemals nach einem General +schicken. + +(Leutnant.) Ah, du meinst, das wuerde ihm nicht passen. Nun, du hast +vielleicht recht. Man muss in diesen Dingen jetzt ungemein vorsichtig +sein, seit wir eine Republik haben. (Da erscheint, vom Weingarten +kommend, Napoleon, seinen Rock auf der Brust zuknoepfend, bleich und +voll nagender Gedanken.) + +(Giuseppe der sich der Naehe Napoleons nicht bewusst ist:) Sehr richtig, +Herr Leutnant, sehr richtig! Ihr seid jetzt in Frankreich alle wie +die Wirte. Ihr muesst gegen jedermann hoeflich sein. + +(Napoleon seine Hand auf Giuseppes Schulter legend:) Und das nimmt der +Hoeflichkeit ihren ganzen Wert--nicht wahr? + +(Leutnant.) Ah, da ist mein Mann!--Herr General, gesetzt den Fall, dass +ich Ihnen den Burschen stelle-- + +(Napoleon mit ironischem Ernst:) Sie werden ihn mir nicht stellen, +mein Freund! + +(Leutnant.) Aha! das glauben Sie--aber Sie werden schon sehen, warten +Sie nur ab! Wenn ich ihn aber doch fangen und Ihnen uebergeben sollte, +werden Sie dann sagen: wir sind quitt!? Werden Sie dann die +Geschichte von der Degradierung in Gegenwart meines Regiments fallen +lassen? Nicht meinetwegen, wissen Sie!--aber kein Regiment laesst sich +gerne dem Gelaechter der andern Regimenter preisgeben. + +(Napoleon ein kalter Schimmer von Humor huscht ueber sein duesteres +Gesicht:) Was sollen wir mit diesem Offizier beginnen, Giuseppe, +--alles, was er sagt, ist falsch. + +(Giuseppe schlagfertig:) Machen Sie ihn zum General, Exzellenz; dann +wird alles, was er sagt, richtig sein. + +(Leutnant triumphierend:) Haha! (Er wirft sich in Ekstase auf das +Sofa, um den Witz auszukosten.) + +(Napoleon lacht und nimmt Giuseppe bei einem Ohr:) In diesem Wirtshaus +kommst du nicht zur Geltung, Giuseppe. (Er setzt sich und stellt +Giuseppe vor sich hin, wie ein Schulmeister seinen Schueler:) Soll ich +dich mit mir nehmen und einen Mann aus dir machen? + +(Giuseppe schuettelt wiederholt rasch den Kopf:) Nein, ich danke Ihnen, +Herr General. Mein ganzes Leben lang haben Leute versucht, aus mir +einen Mann zu machen. + +Als ich ein Knabe war, wollte unser guter Pastor einen Mann aus mir +machen, indem er mich lesen und schreiben lehrte; dann wollte der +Organist zu Melegnano einen Mann aus mir machen, indem er mich im +Notenlesen unterwies. Spaeter wuerde der rekrutierende Korporal einen +Mann aus mir gemacht haben, wenn ich ein paar Zoll groesser gewesen waere, +--aber immer haette das fuer mich Arbeit bedeutet; dazu bin ich aber zu +faul, dem Himmel sei Dank! So lernte ich statt alldem kochen und +wurde Wirt, und nun halte ich Dienerschaft fuer die Arbeit und habe +selber nichts zu tun, als zu schwatzen, was mir ausgezeichnet bekommt. + +(Napoleon ihn gedankenvoll anblickend:) Bist du zufrieden? + +(Giuseppe in froher Ueberzeugung:) Vollkommen, Exzellenz! + +(Napoleon.) Und du hast keinen verzehrenden Teufel im Leibe, der Tag +und Nacht mit Taten und Siegen gefuettert werden muss--der dich mit dem +Schweisse deines Koerpers und deines Gehirnes, mit Wochen von +Herkulesarbeiten zehn Minuten des Genusses bezahlen laesst, der +gleichzeitig dein Sklave und dein Tyrann ist, dein Genius und dein +Verhaengnis--der dir mit der einen Hand eine Krone reicht und das Ruder +eines Galeerensklaven mit der andern--der dir alle Koenigreiche der +Erde zeigt und dich zu ihrem Herrn zu machen verspricht unter der +Bedingung, dass du ihr Diener wirst?--Von alledem hast du nichts im +Leibe? + +(Giuseppe.) Nichts dergleichen. Aber ich versichere Ihnen, Exzellenz, +mein verzehrender Teufel ist weit schlimmer; er bietet mir weder +Kronen noch Koenigreiche: er erwartet alles umsonst von mir zu +bekommen--Wuerste, Omeletten, Trauben, Kaese, Polenta, Wein--taeglich +dreimal, Exzellenz, nichts Geringeres will ihm genuegen. + +(Leutnant.) Hoer' auf, Giuseppe!--Deine Worte machen mich wieder +hungrig. (Giuseppe verbeugt sich, sich entschuldigend und zieht sich +von dem Gespraeche zurueck. Er macht sich am Tische zu schaffen, staubt +ihn ab, legt die Landkarte zurecht and rueckt Napoleons Stuhl, den die +Dame zurueckgestossen hat, wieder an seinen richtigen Platz.) + +(Napoleon wendet sich zum Leutnant mit sardonischer Feierlichkeit:) +Ich hoffe, dass ich nicht ehrgeizige Gefuehle in Ihnen erweckt habe. + +(Leutnant.) Durchaus nicht. Ich fliege nicht so hoch,--ueberdies ist +es besser, dass ich so bleibe wie ich bin. Maenner wie ich werden +gerade jetzt in der Armee gebraucht. Die Revolution passte naemlich +ganz gut fuer Zivilisten, aber fuer die Armee taugt sie nichts. Sie +wissen, wie Soldaten sind, Herr General: sie bestehen darauf, Maenner +von Rang zu Ihren Offizieren zu haben. Ein Leutnant muss ein Edelmann +sein, weil er mit den Soldaten soviel in Beruehrung kommt; aber ein +General oder selbst ein Oberst kann aus dem schlechtesten Ausschuss +entnommen werden, wenn er sein Geschaeft gut genug versteht. Ein +Leutnant ist ein Edelmann, alles andere ist Zufall. Was glauben Sie, +wer hat die Schlacht bei Lodi gewonnen? Ich will es Ihnen sagen: mein +Pferd. + +(Napoleon erhebt sich:) Ihre Dummheit fuehrt Sie zu weit,--nehmen Sie +sich in acht! + +(Leutnant.) Durchaus nicht. Sie erinnern sich doch an die heftige +Kanonade von einem Flussufer zum andern: die Oesterreicher bombardierten +Sie, um Ihren Uebergang zu verhindern, und Sie bombardierten die +Oesterreicher, um sie davon abzuhalten, dass Sie die Bruecke in Brand +setzten. Haben Sie bemerkt, wo ich waehrend dieser Zeit gewesen bin? + +(Napoleon mit drohender Hoeflichkeit:) Ich bedaure--ich glaube, ich war +in diesem Augenblick zu sehr beschaeftigt. + +(Giuseppe mit eifriger Bewunderung:) Man erzaehlt sich, dass Sie von +Ihrem Pferde abgesprungen sind und die grossen Kanonen mit eigenen +Haenden abgeprotzt haben, Herr General! + +(Leutnant.) Das war ein Missgriff: ein Offizier sollte sich nie dazu +hergeben, die Arbeit seiner Untergebenen zu verrichten. (Napoleon +sieht ihn gefahrdrohend an und beginnt wie ein Tiger auf und ab zu +gehen.) Aber Sie koennten noch jetzt ganz zwecklos auf die Oesterreicher +feuern, wenn wir Kavalleristen nicht die Furt gefunden haetten, ueber +den Fluss gesetzt waeren und Sie dadurch unterstuetzt haetten, dass wir +Beaulieus Flanke von Ihnen abwendeten. Sie wuerden es nicht gewagt +haben--und Sie wissen das selbst sehr genau--den Befehl zu geben, die +Bruecke stuermen zu lassen, wenn Sie uns nicht auf dem jenseitigen Ufer +gesehen haetten. Deshalb sage ich, dass nur der Entdecker jener Furt +die Schlacht bei Lodi gewonnen hat.--Nun, und wer hat sie +entdeckt?--Ich war der erste Mann, der sie ueberschritt, und ich weiss +es--mein Pferd hat sie gefunden. (Mit Ueberzeugung, waehrend er sich +vom Sofa erhebt:) Eigentlich hat mein Pferd die Oesterreicher besiegt. + +(Napoleon zornig:) Sie Idiot, ich werde Sie erschiessen lassen, weil +Sie die Depeschen verloren haben! Ich werde Sie vor die Muendung einer +Kanone binden and in die Luft sprengen lassen! Andere Massregeln sind +ja nicht imstande, Eindruck auf Sie zu machen. (Ihn anbruellend:) +Hoeren Sie! verstehen Sie! (Ein franzoesischer Offizier tritt +unbeachtet ein, seinen in der Scheide befindlichen Degen in der Hand.) + +(Leutnant uneingeschuechtert:) Wenn ich ihn nicht erwischen werde, Herr +General, nur dann! Bedenken Sie das Wenn! + +(Napoleon.) Wenn! wenn!... Esel! dieser Mann existiert ueberhaupt +nicht! + +(Der Offizier tritt ploetzlich zwischen sie und spricht mit der +unverkennbaren Stimme der fremden Dame:) Herr Leutnant, ich bin Ihr +Gefangener! (Sie bietet ihm ihren Degen.--Sie sind sprachlos vor +Erstaunen. Napoleon start sie einen Augenblick, wie vom Donner +geruehrt, an, reisst sie dann am Handgelenk rauh zu sich hin, betrachtet +sie wild aus der Naehe, um ihre Identitaet selbst festzustellen, denn es +beginnt rasch zu dunkeln und der rote Schein ueber dem Weingarten +weicht einem hellen Sternenlicht.) + +(Napoleon.) Pah! (Er laesst mit einem Ausruf des Widerwillens ihre Hand +fahren und wendet ihr duester blickend den Ruecken zu, seine Hand in den +Brustfalten des Waffenrockes.) + +(Leutnant nimmt triumphierend den Degen:) Dieser Mann existiert +ueberhaupt nicht--was, Herr General? (Zu der Dame:) Ich frage Sie: wo +ist mein Pferd? + +(Dame.) Es wartet gesund in Borghetto auf Sie, Herr Leutnant. + +(Napoleon sich zu ihnen wendend:) Wo sind die Depeschen? + +(Dame.) Das wuerden Sie niemals erraten--die sind an dem +unwahrscheinlichsten Orte von der Welt. Hat jemand von Ihnen meine +Schwester hier gesehen? + +(Leutnant.) Ja! sehr huebsche Dame! Sie sieht Ihnen ganz wunderbar +aehnlich, aber natuerlich ist sie viel huebscher. + +(Dame geheimnisvoll:) Nun--wissen Sie aber auch, dass sie eine +gefaehrliche Hexe ist? + +(Giuseppe laeuft auf sie zu und bekreuzigt sich:) O nein, nein, nein! +Es ist gefaehrlich, mit solchen Dingen zu scherzen! Ich kann das in +meinem Hause nicht dulden, Exzellenz! + +(Leutnant.) Ja, lassen Sie das. Sie sind mein Gefangener, das wissen +Sie. Selbstverstaendlich glaube ich nicht an so einen Unsinn; aber es +ist doch kein Ding, mit dem man spassen sollte. + +(Dame.) Es ist aber so, ich spreche vollkommen ernst. Meine Schwester +hat den Herrn General behext. (Giuseppe und der Leutnant weichen von +Napoleon zurueck.) Herr General, oeffnen Sie Ihren Rock, und Sie werden +die Depeschen in Ihrer Brusttasche finden. (Sie legt ihre Hand rasch +auf seine Brust.) Ja, hier sind sie--ich kann sie fuehlen... Nun? +(Sie sieht ihm ins Gesicht, halb schmeichlerisch, halb spoettisch.) +Wollen Sie mir gestatten, Herr General--? (Sie fasst einen Knopf, als +ob sie seinen Rock aufknoepfen wollte, und wartet auf Erlaubnis.) + +(Napoleon unergruendlich:) Wenn Sie es wagen. + +(Dame.) Ich danke Ihnen. (Sie oeffnet seinen Rock und nimmt die +Depeschen heraus.) Da sind sie! (Zu Giuseppe, ihm die Depeschen +zeigend:) Sehen Sie? + +(Giuseppe zur aeusseren Tuer fliehend:) Nein--um Gottes willen; Sie sind +behext! + +(Dame sich zu dem Leutnant wendend:) Hier, Herr Leutnant, Sie fuerchten +sich doch nicht vor den Papieren. + +(Leutnant zurueckweichend:) Zehn Schritt vom Leibe! (Den Knauf des +Degens erfassend:) Ich sage Ihnen, zehn Schritt vom Leibe! + +(Dame zu Napoleon:) Die Schriftstuecke gehoeren Ihnen, Herr General, +nehmen Sie sie! + +(Giuseppe.) Beruehren Sie sie nicht, Exzellenz! Machen Sie sich damit +nicht zu schaffen! + +(Leutnant.) Seien Sie vorsichtig, Herr General,--seien Sie vorsichtig! + +(Giuseppe.) Verbrennen Sie sie--und verbrennen Sie die Hexe dazu! + +(Dame zu Napoleon:) Soll ich sie verbrennen? + +(Napoleon gedankenvoll:) Ja... verbrennen Sie sie.--Giuseppe, geh' und +hole ein Licht. + +(Giuseppe zitternd und stammelnd:) Muten Sie mir wirklich zu, dass ich +allein gehen soll... im Dunkeln... wo eine Hexe im Hause ist... + +(Napoleon.) Pah! Du bist ein Feigling! (Zum Leutnant:) Sie werden +mich verbinden, wenn Sie gehen wollen, Herr Leutnant. + +(Leutnant sich verwahrend:) Oh! gestatten Sie mir zu bemerken, Herr +General... nein, Sie wissen... niemand kann nach Lodi sagen, dass ich +ein Feigling bin... aber von mir zu verlangen, dass ich allein im +Dunkeln gehen soll... ohne eine Kerze... nach so einer schauerlichen +Unterhaltung... das ist ein bisschen zuviel!--Wuerden Sie selbst so +etwas gerne tun? + +(Napoleon gereitzt:) Sie weigern sich also, meinem Befehle zu +gehorchen? + +(Leutnant entschlossen:) Ja, das tu' ich. Es ist unbillig, so was zu +verlangen--aber ich will Ihnen sagen, wozu ich bereit bin: wenn +Giuseppe geht, dann will ich mit ihm gehn und ihn beschuetzen. + +(Napoleon zu Giuseppe:) Du hoerst... Wird dir das genuegen? Macht, dass +ihr fortkommt, alle beide! + +(Giuseppe demuetig mit zitternden Lippen:) Sehr gerne--wie Sie befehlen, +Exzellenz! (Er geht widerstrebend nach der inneren Tuere.) Der Himmel +schuetze mich! (Zum Leutnant:) Nach Ihnen, Herr Leutnant! + +(Leutnant.) Es waere besser, du gingest voraus--ich weiss den Weg nicht. + +(Giuseppe.) Er ist nicht zu verfehlen. Ueberdies (flehentlich die +Hand auf seinen Armel legend:) ich bin nur ein armer Wirt, und Sie +sind ein Edelmann! + +(Leutnant.) Da hast du nicht so unrecht. Da--du brauchst keine solche +Angst zu haben--nimm meinen Arm. (Giuseppe tut es.) So ist's recht... +(Sie gehen Arm in Arm hinaus. Jetzt ist es sternenhelle Nacht. Die +Dame wirft das Paket auf den Tisch, setzt sich behaglich auf das Sofa +und geniesst die Freude, von ihren Unterroecken befreit zu sein.) + +(Dame.) Nun, Herr General--ich habe Sie doch besiegt! + +(Napoleon geht auf und ab:) Sie haben sich der Unzartheit, der +Unweiblichkeit schuldig gemacht. Halten Sie dieses Kleid, das Sie da +tragen, fuer schicklich? + +(Dame.) Es scheint mir dem Ihrigen sehr aehnlich zu sein. + +(Napoleon.) Pfui! ich erroete fuer Sie! + +(Dame naiv:) Ja?... Soldaten erroeten so leicht! (Er brummt und +wendet sich ab. Sie blickt ihn schelmisch an, die Depeschen in ihrer +Hand wiegend.) Wollen Sie diese da nicht lesen, bevor wir sie +verbrennen, General? Sie muessen vor Neugierde sterben. Werfen Sie +einen Blick hinein. (Sie wirft das Paket auf den Tisch und wendet das +Gesicht davon ab.) Ich will nicht hinsehen.-- + +(Napoleon.) Ich habe keinerlei Neugierde, Madame. Aber da Sie selbst +augenscheinlich darauf brennen, sie zu lesen, erlaube ich Ihnen, es zu +tun. + +(Dame.) Oh! ich hab' sie schon gelesen. + +(Napoleon auffabrend:) Was?! + +(Dame.) Das war das erste, was ich getan habe, als ich auf dem Pferde +dieses armen Leutnants davongeritten bin. Sie sehen also: ich weiss, +was darin steht; aber Sie wissen es nicht. + +(Napoleon.) Sie entschuldigen--ich habe sie auch gelesen, als ich vor +zehn Minuten draussen im Weingarten spazieren ging. + +(Dame aufspringend:) Oh, Herr General! ich habe Sie nicht besiegt! +Ich bewundere Sie unendlich! (Er lacht und streichelt ihre Wangen.) +Diesmal wirklich und wahrhaftig, ohne Hintergedanken. Ich huldige +Ihnen! (Kuesst seine Hand.) + +(Napoleon sie rasch zurueckziehend:) Brrr! tun Sie das nicht. Genug +der Hexerei! + +(Dame.) Ich moechte Ihnen etwas sagen--doch Sie wuerden es +missverstehen. + +(Napoleon.) Braucht Sie das zu hindern? + +(Dame.) Also, das ist es: ich bete einen Mann an, der sich nicht +fuerchtet, gemein und selbstsuechtig zu sein. + +(Napoleon entruestet:) Ich bin weder gemein noch selbstsuechtig! + +(Dame.) Oh, Sie tun sich selbst unrecht. Ueberdies, ich meine ja +nicht wirklich gemein und selbstsuechtig. + +(Napoleon.) Ich danke Ihnen--ich dachte, Sie meinten es vielleicht +doch! + +(Dame.) Na ja, natuerlich mein' ich es auch in gewissem Sinne. Aber +was ich bewundere, das ist eine gewisse starke Einfachheit in Ihnen. + +(Napoleon.) Das klingt schon besser. + +(Dame.) Sie wollten die Briefe nicht lesen; aber Sie waren neugierig, +zu wissen, was darinnen steht. Sie gingen also in den Garten und +lasen sie, als niemand zusah, und kamen dann zurueck und taten so, als +ob Sie sie nicht gelesen haetten. Das ist wohl das gemeinste, was ich +jemals einen Mann habe tun sehen; aber es erfuellte gerade Ihren Zweck, +und so haben Sie sich nicht im geringsten geschaemt oder gefuerchtet, es +zu tun. + +(Napoleon kurz angebunden:) Wo haben Sie all diese niedrigen Skrupeln +aufgelesen?--(Mit verachtungsvollem Nachdruck:) Dieses "Ihr Gewissen"? +Ich habe Sie fuer eine Dame gehalten--eine Aristokratin. Bitte, war +Ihr Grossvater vielleicht ein Kraemer? + +(Dame.) Nein, er war Englaender. + +(Napoleon.) Das erklaert alles. Die Englaender sind eine Nation von +Kraemern. Nun begreife ich, warum Sie mich besiegt haben. + +(Dame.) Aber, ich habe Sie nicht besiegt--und ich bin keine +Englaenderin. + +(Napoleon.) Doch, das sind Sie! Englisch bis in die Fingerspitzen. +Hoeren Sie mir zu, ich will Ihnen die Englaender erklaeren. + +(Dame erpicht darauf, es sru hoeren:) Ich bitte. (Mit gespannter Miene +einen intellektuellen Genuss erwartend, setzt sie sich auf das Sofa und +bereitet sich vor, ihm zuzuhoeren. Seines Publikums sicher, rafft sich +Napoleon sofort zu einer Vorstellung auf. Er ueberlegt ein bisschen, +bevor er beginnt, um ihre Aufmerksamkeit durch eine Pause zu erhoehen. +Anfangs ahmt er den Stil Talmas in Corneilles "Cinna" nach, aber in +der Dunkelheit geht etwas davon verloren, und Talma macht bald +Napoleon Platz, dessen Stimme mit ueberraschender Heftigkeit durch die +Daemmerung bricht.) + +(Napoleon.) Es gibt dreierlei Menschen auf Erden: die Kleinen, die +Mittleren und die Grossen. Die Kleinen und die Grossen sind einander in +einem Punkte gleich: sie haben keinerlei Skrupel, keinerlei Moral, +--die Kleinen stehen tief unter der Moral, die Grossen hoch ueber ihr. +Ich fuerchte sie beide nicht! Denn die Kleinen sind skrupellos, ohne +Wissen--sie machen mich deshalb zu ihrem Abgott; die Grossen sind +ebenso skrupellos, ohne starkes Wollen, sie beugen sich deshalb vor +meinem Willen. Sehen Sie: ich werde ueber all das niedere Volk und +ueber all die Hoefe Europas hinweggehen wie die Pflugschar ueber ein +Ackerfeld. Die Mittelklasse aber, die ist gefaehrlich. Sie besitzt +beides: Wissen and Wollen. Aber auch sie hat ihre schwache Seite: das +Gewissen. Sie ist voller Skrupel,--an Haenden and Fuessen durch Moral +und Ehrenhaftigkeit gefesselt. + +(Dame.) Dann werden Sie die Englaender ueberholen; denn alle Kraemer +gehoeren zur Mittelklasse. + +(Napoleon.) Nein! Denn die Englaender sind eine Rasse fuer sich. Kein +Englaender steht zu tief, um Skrupel zu haben, und keiner hoch genug, +um von ihrer Tyrannei befreit zu sein. Aber jeder Englaender kommt mit +einem wunderbaren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der Erde macht. +Wenn der Englaender etwas will, gesteht er sich nie ein, dass er es +will. Er wartet geduldig, bis in ihm--Gott weiss wie--die tiefe +Ueberzeugung erwacht, dass es seine moralische und religioese Pflicht sei, +diejenigen zu unterwerfen, die das haben, was er will. Dann wird er +unwiderstehlich. Wie der Aristokrat, tut er, was ihm gefaellt, und +schnappt nach dem, wonach ihn geluestet. Wie der Kraemer, verfolgt er +seinen Zweck mit dem Fleiss und der Beharrlichkeit, die von starker, +religioeser Ueberzeugung und dem tiefen Sinn fuer moralische +Verantwortlichkeit herruehren. Er ist nie in Verlegenheit um eine +wirksame, moralische Pose. Als grosser Vorkaempfer der Freiheit und der +nationalen Unabhaengigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz +von ihr und nennt das "Kolonisation". Wenn er einen neuen Markt fuer +seine schlechten Manchesterwaren braucht, schickt er Missionaere aus, +die den Wilden das Evangelium des Friedens verkuenden muessen. Die +Wilden toeten den Missionar; nun eilt er zu den Waffen, zur +Verteidigung des Christentums, kaempft and siegt fuer seinen Glauben und +nimmt als goettliche Belohnung den Markt in Besitz. Zur Verteidigung +seiner Inselgestade nimmt er einen Schiffsgeistlichen an Bord, nagelt +eine Flagge mit einem Kreuz an den Hauptmast and segelt so bis ans +Ende der Welt, und bohrt in den Grund, verbrennt und zerstoert alles, +was ihm die Herrschaft auf dem Meere streitig macht. Er prahlt damit, +dass jeder Sklave frei werde, sobald sein Fuss britischen Boden betritt; +dabei verkauft er die Kinder seiner Armen, kaum dass sie sechs Jahre +alt sind, an Fabrikherren und laesst sie taeglich sechzehn Stunden +unter der Peitsche Sklavenarbeit verrichten. Er macht zwei +Revolutionen und erklaert dann im Namen des Gesetzes und der Ordnung +der unsern den Krieg. Nichts ist so schlecht und nichts so gut, dass +Sie es einen Englaender nicht werden vollbringen sehen, aber Sie werden +einem Englaender niemals beweisen koennen, dass er im Unrecht ist. Denn +er tut alles aus Grundsatz. Er fuehrt Krieg aus patriotischem +Grundsatz, er betruegt aus geschaeftlichem Grundsatz, er macht freie +Voelker zu Sklaven aus reichspolitischem Grundsatz, er behandelt Euch +grob aus maennlichem Grundsatz, er haelt treu zu seinem Koenige aus +loyalem Grundsatz und schlaegt seinem Koenige aus republikanischem +Grundsatz den Kopf ab. Seine Losung ist dabei immer nur seine +"Pflicht." Und er vergisst nie, dass die Nation verloren ist, die ihre +Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu finden ist. Er... + +(Dame.) Uh! uh! uh! Halten Sie einen Augenblick inne! Ich moechte +wissen, wie Sie auf Grund dieser Beobachtungen aus mir eine +Englaenderin machen wollen. + +(Napoleon seinen rhetorischen Stil fallen lassend:) Das ist einfach +genug. Sie wollten einige Briefe, die mir gehoerten. Sie haben den +Morgen damit verbracht, sie zu stehlen... jawohl, sie zu +stehlen--durch Strassenraub. Und Sie haben den Nachmittag damit +verbracht, mich darueber ins Unrecht zu setzen, indem Sie annahmen, dass +ich es war, der Ihre Briefe stehlen wollte. Denn Sie haben mir +einreden wollen, dass meine Gemeinheit and Selbstsucht und Ihre Guete, +Ihre Ergebenheit and Ihre Selbstaufopferung an allem schuld seien. +Das ist englisch! + +(Dame.) Unsinn! ich weiss zu gut, wie wenig ich Englaenderin bin. Die +Englaender sind ein sehr dummes Volk. + +(Napoleon.) Ja, zu dumm manchmal, um zu wissen, wann sie geschlagen +sind. Aber ich gebe zu, dass Ihr Gehirn nicht englisch ist. Sie sehen: +obwohl Ihr Grossvater ein Englaender war, war Ihre Grossmutter +wohl--was? Franzoesin? + +(Dame.) O nein! Irlaenderin. + +(Napoleon rasch:) Irlaenderin...? (Gedankenvoll:) Ja, ich vergass--die +Irlaender... Eine englische Armee, gefuehrt von einem irischen General: +die koennte sich messen mit einer franzoesischen Armee, die von einem +italienischen General befehligt wird. (Er haelt inne und fuegt halb +scherzend, halb traurig hinzu:) Wie immer es sei... Sie haben mich +besiegt--und was einen Mann zuerst besiegt, das wird ihn auch zuletzt +besiegen. (Er tritt gedankenvoll in den im Mondlicht gebadeten +Weingarten hinaus und blickt nach oben. Sie stiehlt sich an seine +Seite und wagt es, ihre Hand auf seine Schulter zu legen, ueberwaeltigt +von der Schoenheit der Nacht und ermutigt durch ihre Dunkelheit.) + +(Dame sanft:) Wonach blicken Sie? + +(Napoleon nach aufwaerts zeigend:) Nach meinem Stern. + +(Dame.) Glauben Sie an ihn? + +(Napoleon.) Ja. (Sie sehen einen Augenblick nach dem Stern hin; sie +lehnt sich ein wenig an seine Schulter.) + +(Dame.) Wissen Sie, dass man in England sagt, eines Mannes Stern sei +unvollstaendig ohne das Strumpfband einer Frau?[*] + +[Footnote *: Eine Anspielung auf den Stern eines Ordens und den +Hosenbandorden.] + +(Napoleon entruestet, schuettelt sie kurz ab und kommt zurueck in das +Zimmer:) Pah! die Heuchler! Wenn die Franzosen so etwas sagten, +wuerden sie in frommem Schauder abwehrend die Haende erheben. (Er geht +nach der inneren Tuere und haelt sie offen.) He! Giuseppe! wo bleibt +das Licht, Mensch? (Er kommt zwischen den Tisch und das Buefett und +rueckt den zweiten Stuhl an den Tisch, neben seinen eigenen:) Wir +muessen den Brief noch verbrennen. (Er hebt das Paket auf. Giuseppe +kommt zurueck. Noch bleich und zitternd, traegt er in der einen Hand +einen Armleuchter mit ein paar brennenden Kerzen und eine breite +Lichtputzschere in der andern.) + +(Giuseppe klaeglich, waehrend er das Licht auf den Tisch stellt:) +Exzellenz, wonach haben Sie eben da draussen ausgeschaut? (Er zeigt +ueber seine Schulter nach dem Weingarten, fuerchtet sich aber, +umherzublicken.) + +(Napoleon das Paket aufmachend:) Was geht dich das an? + +(Giuseppe stammelnd:) Weil die Hexe fort ist--verschwunden... und +niemand hat sie fortgehen sehn. + +(Dame hinter ihm aus dem Weingarten tretend:) Wir haben sie beobachtet, +wie sie auf ihrem Besenstiel zum Mond hinaufgeritten ist. Giuseppe, +Sie werden sie nie wiedersehen! + +(Giuseppe.) Jesus Maria! (Er bekreuzigt sich und eilt hinaus.) + +(Napoleon wirft die Briefe in einem Haufen auf den Tisch:) Nun, also! +(Er setzt sich auf den Stuhl, den er eben hingestellt hat.) + +(Dame.) Ja; aber Sie wissen doch--den bewussten Brief haben Sie noch in +Ihrer Tasche. (Er laechelt, nimmt einen Brief aus der Tasche und wirft +ihn auf die Spitze des Haufens. Sie hebt ihn auf, betrachtet Napoleon +und sagt:) Caesars Frau betreffend. + +(Napoleon.) Caesars Frau ist ueber allen Verdacht erhaben--verbrennen +Sie ihn. + +(Dame nimmt den Brief mit der Lichtputzschere und haelt ihn damit an +die Kerzenflamme:) Waere Caesars Frau wohl ueber allen Verdacht erhaben, +wenn sie uns beide hier sitzen saehe--? Wer weiss--? + +(Napoleon ihre Worte mechanisch wiederholend, die Ellbogen auf den +Tisch und die Wangen in die Haende gestuetzt, den Brief betrachtend:) +Wer weiss--? (Die fremde Dame legt den angezuendeten Brief auf das +Lichtputzbrett und setzt sich neben Napoleon in der gleichen Stellung, +die Ellbogen auf den Tisch, die Wangen in die Haende gestuetzt, und +sieht zu, wie er verbrennt. Als er verkohlt, wenden sie beide +gleichzeitig ihre Blicke davon ab und sehen einander an. Der Vorhang +gleitet langsam herab und entzieht sie den Blicken.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Mann des Schicksals, von +Bernard Shaw. + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS *** + +This file should be named 7dmds10.txt or 7dmds10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7dmds11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7dmds10a.txt + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A +preliminary version may often be posted for suggestion, comment +and editing by those who wish to do so. + +Most people start at our Web sites at: +http://gutenberg.net or +http://promo.net/pg + +These Web sites include award-winning information about Project +Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new +eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). + + +Those of you who want to download any eBook before announcement +can get to them as follows, and just download by date. This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05 + +Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, +91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. If your state is not listed and +you would like to know if we have added it since the list you have, +just ask. + +While we cannot solicit donations from people in states where we are +not yet registered, we know of no prohibition against accepting +donations from donors in these states who approach us with an offer to +donate. + +International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about +how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made +deductible, and don't have the staff to handle it even if there are +ways. + +Donations by check or money order may be sent to: + + PROJECT GUTENBERG LITERARY ARCHIVE FOUNDATION + 809 North 1500 West + Salt Lake City, UT 84116 + +Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment +method other than by check or money order. + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by +the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN +[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are +tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising +requirements for other states are met, additions to this list will be +made and fund-raising will begin in the additional states. + +We need your donations more than ever! + +You can get up to date donation information online at: + +http://www.gutenberg.net/donation.html + + +*** + +If you can't reach Project Gutenberg, +you can always email directly to: + +Michael S. Hart <hart@pobox.com> + +Prof. Hart will answer or forward your message. + +We would prefer to send you information by email. + + +**The Legal Small Print** + + +(Three Pages) + +***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** +Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. +They tell us you might sue us if there is something wrong with +your copy of this eBook, even if you got it for free from +someone other than us, and even if what's wrong is not our +fault. So, among other things, this "Small Print!" statement +disclaims most of our liability to you. It also tells you how +you may distribute copies of this eBook if you want to. + +*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK +By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm +eBook, you indicate that you understand, agree to and accept +this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive +a refund of the money (if any) you paid for this eBook by +sending a request within 30 days of receiving it to the person +you got it from. If you received this eBook on a physical +medium (such as a disk), you must return it with your request. + +ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS +This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks, +is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart +through the Project Gutenberg Association (the "Project"). +Among other things, this means that no one owns a United States copyright +on or for this work, so the Project (and you!) can copy and +distribute it in the United States without permission and +without paying copyright royalties. Special rules, set forth +below, apply if you wish to copy and distribute this eBook +under the "PROJECT GUTENBERG" trademark. + +Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market +any commercial products without permission. + +To create these eBooks, the Project expends considerable +efforts to identify, transcribe and proofread public domain +works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any +medium they may be on may contain "Defects". Among other +things, Defects may take the form of incomplete, inaccurate or +corrupt data, transcription errors, a copyright or other +intellectual property infringement, a defective or damaged +disk or other eBook medium, a computer virus, or computer +codes that damage or cannot be read by your equipment. + +LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES +But for the "Right of Replacement or Refund" described below, +[1] Michael Hart and the Foundation (and any other party you may +receive this eBook from as a PROJECT GUTENBERG-tm eBook) disclaims +all liability to you for damages, costs and expenses, including +legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR +UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT, +INCLUDING BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE +OR INCIDENTAL DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE +POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES. + +If you discover a Defect in this eBook within 90 days of +receiving it, you can receive a refund of the money (if any) +you paid for it by sending an explanatory note within that +time to the person you received it from. If you received it +on a physical medium, you must return it with your note, and +such person may choose to alternatively give you a replacement +copy. If you received it electronically, such person may +choose to alternatively give you a second opportunity to +receive it electronically. + +THIS EBOOK IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER +WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS +TO THE EBOOK OR ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT +LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A +PARTICULAR PURPOSE. + +Some states do not allow disclaimers of implied warranties or +the exclusion or limitation of consequential damages, so the +above disclaimers and exclusions may not apply to you, and you +may have other legal rights. + +INDEMNITY +You will indemnify and hold Michael Hart, the Foundation, +and its trustees and agents, and any volunteers associated +with the production and distribution of Project Gutenberg-tm +texts harmless, from all liability, cost and expense, including +legal fees, that arise directly or indirectly from any of the +following that you do or cause: [1] distribution of this eBook, +[2] alteration, modification, or addition to the eBook, +or [3] any Defect. + +DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm" +You may distribute copies of this eBook electronically, or by +disk, book or any other medium if you either delete this +"Small Print!" and all other references to Project Gutenberg, +or: + +[1] Only give exact copies of it. Among other things, this + requires that you do not remove, alter or modify the + eBook or this "small print!" statement. You may however, + if you wish, distribute this eBook in machine readable + binary, compressed, mark-up, or proprietary form, + including any form resulting from conversion by word + processing or hypertext software, but only so long as + *EITHER*: + + [*] The eBook, when displayed, is clearly readable, and + does *not* contain characters other than those + intended by the author of the work, although tilde + (~), asterisk (*) and underline (_) characters may + be used to convey punctuation intended by the + author, and additional characters may be used to + indicate hypertext links; OR + + [*] The eBook may be readily converted by the reader at + no expense into plain ASCII, EBCDIC or equivalent + form by the program that displays the eBook (as is + the case, for instance, with most word processors); + OR + + [*] You provide, or agree to also provide on request at + no additional cost, fee or expense, a copy of the + eBook in its original plain ASCII form (or in EBCDIC + or other equivalent proprietary form). + +[2] Honor the eBook refund and replacement provisions of this + "Small Print!" statement. + +[3] Pay a trademark license fee to the Foundation of 20% of the + gross profits you derive calculated using the method you + already use to calculate your applicable taxes. If you + don't derive profits, no royalty is due. Royalties are + payable to "Project Gutenberg Literary Archive Foundation" + the 60 days following each date you prepare (or were + legally required to prepare) your annual (or equivalent + periodic) tax return. Please contact us beforehand to + let us know your plans and to work out the details. + +WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO? +Project Gutenberg is dedicated to increasing the number of +public domain and licensed works that can be freely distributed +in machine readable form. + +The Project gratefully accepts contributions of money, time, +public domain materials, or royalty free copyright licenses. +Money should be paid to the: +"Project Gutenberg Literary Archive Foundation." + +If you are interested in contributing scanning equipment or +software or other items, please contact Michael Hart at: +hart@pobox.com + +[Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only +when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by +Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be +used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be +they hardware or software or any other related product without +express permission.] + +*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END* + diff --git a/old/7dmds10.zip b/old/7dmds10.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..4c691eb --- /dev/null +++ b/old/7dmds10.zip diff --git a/old/8dmds10.txt b/old/8dmds10.txt new file mode 100644 index 0000000..eb63045 --- /dev/null +++ b/old/8dmds10.txt @@ -0,0 +1,2675 @@ +The Project Gutenberg EBook of Der Mann des Schicksals, by George Bernard Shaw + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is +important information about your specific rights and restrictions in +how the file may be used. You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Der Mann des Schicksals + +Author: George Bernard Shaw + +Release Date: February, 2006 [EBook #9802] +[This file was first posted on October 18, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS *** + + + + +E-text prepared by Michalina Makowska + + + + + + + +This Etext is in German. + +We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, +known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- +and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- +which requires a binary transfer, or sent as email attachment and +may require more specialized programs to display the accents. +This is the 8-bit version. + + + + + +DER MANN DES SCHICKSALS + +Komödie in einem Akt + +Bernard Shaw + +(Übersetztung von Siegfried Trabitsch) + + +Diese Komödie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker" +veröffentlicht und aufgeführt. + + + + + + + +PERSONEN + +Napoleon +Ein Leutnant +Eine fremde Dame +Giuseppe +Grandi, Gastwirt + + +Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von +Mailand nach Lodi. + +(Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Straße +von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die +Ebenen der Lombardei. Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die +Ameisenhügel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden +Schweine und Ochsen in den Dörfern belästigt, noch verletzt durch das +kühle Verhalten der Kirchen gegenüber ihrem Licht. Verachtungsvoll +lacht sie jedoch über zwei Horden schädlicher Insekten, nämlich der +österreichischen und der französischen Armee. Vor zwei Tagen, bei +Lodi, hatten die Österreicher die Franzosen zu hindern versucht, den +Fluß auf der dort befindlichen schmalen Brücke zu überschreiten. Aber +die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjährigen General, +Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, überschritten +dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Brücke, unterstützt von +einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand +anlegte. Das Schießen mit Kanonen ist seine technische Spezialität. +Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein +Meister in den militärischen Künsten, sich von seinen Pflichten zu +drücken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den +Krieg mit dem Lärm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf +allen militärischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist. Er ist +jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des +Schießpulvers als erster herausgefunden, daß eine Kanonenkugel den +Mann, den sie trifft, unfehlbar töten muß. Dem gründlichen Erfassen +dieser bemerkenswerten Entdeckung fügte er eine höchst entwickelte +Fähigkeit für physikalische Geographie und für die Berechnung von Zeit +und Entfernungen hinzu. Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und +eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf +öffentliche Angelegenheiten, die er während der französischen +Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat. Er hat +Einbildungskraft ohne Illusionen, und schöpferischen Geist ohne +Religion, Loyalität, Patriotismus oder irgendeines der landläufigen +Ideale, obwohl er dieser nicht unfähig ware; im Gegenteil: er hat sie +alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine +dramatische Fähigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines +Schauspielers und Bühnenleiters äußerst geschickt auszuspielen. Dabei +ist er durchaus kein verzogenes Kind. Armut, Mißgeschick, die Kniffe +einer ärmlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfälle als +Autor, die Demütigungen eines zurückgestoßenen Strebers, die Verweise +und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu +ertragen hat, haben das verhindert. Er entging sogar nur mit knapper +Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden. Wenn recht +Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants +zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert hätte, würde er mit +Verachtung aus dem Heere ausgestoßen worden sein. Alle diese +Schicksale haben ihm jede Selbstüberschätzung ausgetrieben und ihn +gezwungen, genügsam zu sein und zu begreifen, daß die Welt einem Manne +seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann. +Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit. Denn ein +erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es +war, ist der Welt von Nutzen. Man kann sogar heute nicht in England +leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, daß +es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Cäsar erobert wurde.) + +(An jenem Mainachmittag des Jahres 1796 jedoch ist es noch früh in +seinem Leben. Er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt und erst kürzlich +General geworden, teilweise mit Hilfe seiner Frau, die er dazu benutzt +hat, das Direktorium (das damals Frankreich regierte) zu verführen, +und teilweise durch den bereits erwähnten, infolge der Auswanderung +entstandenen Mangel an Offizieren. Aber auch dank seiner Fähigkeit, +ein Land mit all seinen Straßen, Flüssen, Hügeln und Tälern wie die +Fläche seiner eigenen Hand zu kennen, und vor allem dank seinem neuen +Glauben an die Wirkung der Kanonen auf Menschen. Seine Armee war, was +die Disziplin betrifft, in einem Zustand, der moderne Historiker, vor +denen das folgende Stück aufgeführt worden ist, so sehr entsetzt hat, +daß sie, eingeschüchtert von dem späteren Ruhme des "Empereur", sich +geweigert haben, an solche Vorkommnisse zu glauben. Aber Napoleon ist +noch nicht "l'Empereur", es wurde ihm eben erst der Titel "le petit +caporal" verliehen, und er ist im Begriff, durch renommistische +Tapferkeit Einfluß auf seine Leute zu gewinnen. Er ist nicht in der +Lage, seinen Willen nach orthodoxer militärischer Art mit Hilfe der +neunschwänzigen Katze bei ihnen durchzusetzen. Die französische +Revolution, die nur durch die monarchische Gewohnheit, den Soldaten +den Lohn wenigstens vier Jahre lang schuldig zu bleiben, dem Schicksal, +unterdrückt zu werden, entging, hat, wo es irgend anging, diesen +Brauch durch die Gewohnheit ersetzt, überhaupt keinen zu zahlen. +Statt dessen werden die Leute mit Versprechungen und patriotischen +Schmeicheleien abgespeist, die mit dem Militärgeist preußischer Art +unvereinbar gewesen wären. Napoleon hat sich daher als ein +Befehlshaber von zerlumpten Leuten ohne Geld, die nicht aufgelegt sind, +sich viel Disziplin gefallen zu lassen, namentlich nicht von +emporgekommenen Generälen, den Alpen genähert. Dieser Umstand, der +einen idealistischen Soldaten in Verlegenheit gebracht hätte, ersetzte +Napoleon tausend Kanonen. Er sprach zu seinen Soldaten: "Ihr habt +Patriotismus und Mut; aber ihr habt kein Geld, keine Kleidung und kaum +etwas zu essen. In Italien gibt es all diese Dinge und Ruhm noch dazu +für eine ergebene Armee, die von einem General geführt wird, der +Plünderung als das natürliche Recht des Soldaten betrachtet. Ich bin +ein solcher General. En avant, mes enfants!"--Das Resultat hat ihm +vollkommen recht gegeben. Seine Soldaten eroberten Italien, wie die +Wanderheuschrecken Cypern erobert haben. Sie kämpften den ganzen Tag +und marschierten die ganze Nacht, legten unmögliche Entfernungen +zurück, tauchten an unmöglichen Orten auf,--aber nicht etwa, weil +jeder Soldat wußte, daß er den Marschallstab in seinem Tornister trage, +sondern weil jeder hoffte, am nächsten Tage wenigstens ein halbes +Dutzend silberner Gabeln fort zu tragen. Zugleich muß man sich +darüber klar sein, daß die französische Armee nicht mit der +italienischen Krieg führt. Sie ist nur da, um Italien von der +Tyrannei seiner österreichischen Eroberer zu befreien und +republikanische Einrichtungen herzustellen, so daß sie, wenn sie +gelegentlich plündert, nur ein wenig frei mit dem Eigentum ihrer +Freunde umgeht, wofür Italien sogar hätte dankbar sein sollen, wenn +Undankbarkeit nicht die sprichwörtliche Schwäche der Italiener wäre. +Die Österreicher, die sie bekämpfen, haben eine recht ansehnliche +reguläre, gut disziplinierte Armee, von Herren kommandiert, die in der +bisher geübten Kriegskunst erfahren sind, an ihrer Spitze Beaulieu, +der die klassische Kriegskunst ausübt, nach Befehlen von Wien aus, und +von Napoleon fürchterlich geschlagen wird, der auf eigene Faust +handelt, ohne Rücksicht auf militärisches Herkommen und Befehle aus +Paris. Selbst wenn die Österreicher eine Schlacht gewannen, brauchte +man nur zu warten, bis sie nach ihrer Gewohnheit in ihre +Hauptquartiere heimgekehrt waren, sozusagen zum Nachmittagstee, um sie +dann zurückzugewinnen, ein Verfahren, das Napoleon später mit +glänzendem Erfolge bei Marengo anzuwenden wußte. Mit einem Wort, +Napoleon versteht es, ohne heroische Wunder zu vollbringen, einem +Feinde gegenüber unwiderstehlich zu sein, der den Nachteil hat, von +österreichischer Staatsmannschaft, klassischer Generalsweisheit und +den Forderungen der aristokratischen Wiener Gesellschaft geleitet zu +werden. Die Welt jedoch liebt Wunder und Helden und ist ganz unfähig, +die Handlungsweise solcher Mächte, wie akademischer Militarismus und +Wiener Boudoirunwesen sind, zu begreifen. Daher hat sie schon +begonnen, das Wort "l'Empereur" zu prägen, und es dadurch hundert +Jahre später den Romantikern erschwert, die folgende bis dahin +unaufgezeichnete kleine Szene zu glauben, die sich in Tavazzano +ereignet hat. Das beste Quartier in Tavazzano ist ein kleines +Gasthaus, das erste, das der Wanderer antrifft, der auf dem Wege von +Mailand noch Lodi den Ort berührt. Es steht in einem Weingarten, und +sein größtes Zimmer, ein angenehmer Zufluchtsort vor der Sommerhitze, +ist gegen diesen Weingarten nach rückwärts so weit geöffnet, daß es +beinahe einer großen Veranda gleicht. Die mutigeren unter den Kindern, +die durch Alarmsignale und die Ausfälle der letzten Tage und durch +den Einmarsch französischer Truppen um sechs Uhr in großer Aufregung +sind, wissen, daß der französische Kommandeur sich in dieses Zimmer +einquartiert hat, und schwanken zwischen dem Verlangen, durch das +Vorderfenster verstohlene Blicke hineinzuwerfen, und einer tödlichen +Angst vor der Schildwache, einem jungen Soldaten aus vornehmer Familie, +der keinen natürlichen Schnurrbart besitzt und sich deshalb einen +sehr martialischen mit Stiefelwichse von seinem Feldwebel hat ins +Gesicht hineinmalen lassen. Da seine schwere Uniform, wie alle +Uniformen seiner Zeit, ohne die leiseste Rücksichtnahme auf seine +Gesundheit oder seine Bequemlichkeit, lediglich für die Parade +bestimmt ist, schwitzt er fürchterlich in der Sonne; sein gemalter +Schnurrbart ist in kleinen Streifen sein Kinn und seinen Hals +herabgelaufen, mit Ausnahme von jenen Stellen, wo er zu einer Kruste +wie von japanischem Lack getrocknet ist, und wo seine schön +geschweifte Linie durch groteske kleine Buchten und Landzungen +unterbrochen wird. Alles dies macht ihn unsagbar lächerlich in den +Augen der Geschichte hundert Jahre später, aber fürchterlich und +schrecklich in den Augen der zeitgenössischen norditalienischen Kinder, +denen es ganz natürlich erscheinen würde, wenn die Wache die +Eintönigkeit des Postenstehens dadurch zu beleben versuchte, daß sie +ein verlaufenes Kind auf ihr Bajonett spießte, um es ungekocht zu +verspeisen. Trotzdem hat ein Mädchen von schlechtem Charakter, an dem +schon der Sinn für ein gewisses Vorrecht, das sie bei den Soldaten hat, +erwacht ist, sich für einen Augenblick verstohlen an das sicherste +Fenster geschlichen, bis ein Blick und ein Klirren der Wache es +davonjagt. Was die Kleine zumeist sieht, das hat sie schon früher +gesehen: den Weingarten mit der alten Kelter dahinter und einen Karren +bei den Weinstöcken; die Türe dicht zu ihrer Rechten, die nach dem +Eingange des Gasthauses führt, wo des Wirtes bester Schenktisch weiter +hinten an derselben Seite nun in voller Tätigkeit für das Mittagessen +steht; auf der anderen Seite den Kamin mit einem Sofa in der Nähe und +eine andere Tür, die zwischen Kamin und Weingarten in die inneren +Räume führt; in der Mitte einen Tisch mit seiner Mahlzeit von +Mailänder Risotto, Käse, Trauben, Brot, Oliven und einer großen, mit +Weidenzweigen umflochtenen Flasche Rotwein. Der Wirt, Giuseppe Grandi, +ist auch nichts Neues für sie; er ist ein dunkelfarbiger, lebhafter, +gehörig heiterer, schwarzlockiger, kugelköpfiger, grinsender kleiner +Mann von vierzig Jahren. Schon von Natur ein guter Wirt, ist er heute +abend in extra guter Laune über sein Glück, den französischen +Kommandeur als Gast unter seinem Dache zu haben, dessen Gegenwart ihn +vor den Übergriffen der Soldaten schützt. Er trägt sogar ein Paar +goldener Ohrringe zur Schau, die er sonst mit seinem kleinen Besitz an +Silbergeschirr sorgfältig unter der Kelter versteckt haben würde.) + +(Napoleon jedoch, der ihm gegenüber an der hinteren Seite des Tisches +sitzt, und seinen Hut, seinen Degen und seine Reitpeitsche, die auf +dem Sofa liegen, sieht das Mädchen zum erstenmal. Er arbeitet hart, +teils an seiner Mahlzeit, die er in zehn Minuten zu verschlingen weiß, +indem er alle Gerichte gleichzeitig in Angriff nimmt (diese Gewohnheit +ist der erste Schritt zu seinem späteren Untergange), und teils an +einer Landkarte, die er aus dem Gedächtnis verbessert, wobei er +gelegentlich die Stellungen seiner Streitkräfte kennzeichnet, indem er +eine Traubenschale aus dem Munde nimmt und sie mit seinem Daumen wie +eine Oblate auf die Landkarte drückt. Er hat Schreibmaterial vor sich +liegen, unordentlich mit den Gerichten und Flaschen vermengt, und sein +langes Haar fällt bald in die Risottobrühe herab, bald in die Tinte.) + + + +(Giuseppe.) Wollen Exzellenz.... + +(Napoleon blickt gespannt auf seine Karte, stopft sich aber mit der +linken Hand mechanisch den Mund dabei voll): Schwatz' nicht, ich habe +zu tun. + +(Giuseppe in ungetrübt guter Laune:) Wie Sie befehlen, Exzellenz. + +(Napoleon.) Bring mir rote Tinte! + +(Giuseppe.) Leider habe ich keine, Exzellenz. + +(Napoleon mit korsischem Humor:) Töte etwas und bring' mir das Blut. + +(Giuseppe grinsend:) Es ist nichts im Hause, als das Pferd Eurer +Exzellenz, die Schildwache, die Dame im ersten Stock und meine Frau. + +(Napoleon.) Töte deine Frau. + +(Giuseppe.) Mit größtem Vergnügen, Exzellenz. Aber +unglücklicherweise ist sie stärker als ich--sie würde mich töten. + +(Napoleon.) Das wäre ebenso gut. + +(Giuseppe.) Exzellenz erweisen mir zu viel Ehre. (Seine Hand nach +der Flasche ausstreckend:) Vielleicht kann etwas Wein den Zweck +erfüllen. + +(Napoleon beschützt die Flasche schnell und wird ganz ernst:) Wein? +Nein--das wäre Verschwendung. Ihr seid alle gleich--Verschwendung! +Verschwendung! Verschwendung! (Er markiert die Landkarte mit Sauce, +wobei er die Gabel als Feder benützt.) Räum' ab! (Er leert sein +Weinglas, stößt seinen Stuhl zurück und benützt seine Serviette, +streckt dann die Beine aus und lehnt sich zurück, aber noch immer die +Stirn runzelnd und in Gedanken.) + +(Giuseppe räumt den Tisch ab und stellt die Sachen auf ein Tablett, +das auf dem Büfett steht:) Ein jeder denkt, wie es für sein Geschäft +taugt, Exzellenz. Wir Gastwirte verfügen über eine Menge billigen +Wein; wir finden nichts dabei, ihn zu vergießen,--Ihr großen Generale +verfügt über eine Menge billiges Blut: Ihr findet nichts dabei, es zu +vergießen. Hab' ich recht, Exzellenz? + +(Napoleon.) Blut kostet nichts, Wein kostet Geld. (Er erhebt sich und +geht an den Kamin.) + +(Giuseppe.) Man sagt, daß Sie mit allem sparen, außer mit +Menschenleben, Exzellenz. + +(Napoleon.) Ein Menschenleben, mein Freund, ist das einzige Ding, das +sparsam mit sich selbst umgeht. (Er wirft sich behaglich auf das Sofa.) + +(Giuseppe ihn bewundernd:) O Exzellenz, wie dumm sind wir alle, mit +Ihnen verglichen! Wenn ich nur das Geheimnis Ihrer Erfolge erraten +könnte! + +(Napoleon.) Dann würdest du dich zum Kaiser von Italien machen, was? + +(Giuseppe.) Das wäre für mich zu mühsam, Exzellenz, ich überlasse es +lieber Ihnen. Überdies, was sollte aus meiner Wirtschaft werden, +wenn ich Kaiser würde? Sie sehen mir gerne zu, wie ich mein Gasthaus +für Sie verwalte und Sie bediene. Nun, ich will Ihnen gerne zusehen, +wie Sie Kaiser von Europa werden und Italien für mich regieren. +(Während er schwätzt, nimmt er das Tischtuch ab, ohne die Landkarte +und das Tintenfaß wegzunehmen. Er nimmt die Ecken des Tuches in die +Hände und die Mitte in den Mund, um es zusammenzufalten.) + +(Napoleon.) Kaiser von Europa? Was? Warum bloß von Europa? + +(Giuseppe.) Sie haben wahrhaftig recht, Exzellenz, warum nicht Kaiser +der Welt? (Er faltet und rollt das Tischtuch zusammen, und bekräftigt +seine Sätze mit den einzelnen Phasen dieses Vorgangs:) Ein Mensch ist +wie der andre--(er faltet es:) ein Land ist wie das andre, (faltet:) +eine Schlacht ist wie die andre. (Als er das letzte Stück gefaltet +hat, schlägt er das Tischtuch auf den Tisch, rollt es geschickt +zusammen and schließt seinen Redefluß:) Gewinnt man eine, so gewinnt +man alle. (Er geht mit dem Tischtuch an das Büfett und legt es in +eine Schublade.) + +(Napoleon.) Und für alle regieren, für alle kämpfen, jedermanns Knecht +sein unter dem Vorwande, jedermanns Herr zu sein, Giuseppe! + +(Giuseppe vor dem Büfett:) Exzellenz--? + +(Napoleon.) Ich verbiete dir, mit mir über mich zu sprechen. + +(Giuseppe geht an das Fußende des Sofas:) Pardon, Exzellenz sind darin +so ganz verschieden von andren großen Männern, die lieben gerade +dieses Thema am meisten. + +(Napoleon.) Gut, sprich mit mir über das, was große Männer als +zweitbestes lieben, was es auch sein mag. + +(Giuseppe ohne in Verlegenheit zu geraten:) Zu Befehl, Exzellenz. +Haben Exzellenz durch irgendeinen Zufall etwas von der Dame da oben zu +sehen bekommen? + +(Napoleon setzt sich sofort auf und sieht ihn mit einem Interesse an, +das die Frage vollkommen angebracht erscheinen läßt:) Wie alt ist sie? + +(Giuseppe.) Sie hat das richtige Alter, Exzellenz. + +(Napoleon.) Meinst du siebzehn oder dreißig? + +(Giuseppe.) Dreißig, Exzellenz. + +(Napoleon.) Ist sie schön? + +(Giuseppe.) Ich kann nicht mit Ihren Augen sehn, Exzellenz! Jeder +Mann muß das selbst beurteilen. Meiner Meinung nach ist sie eine +schöne Dame. (Schlau:) Soll ich ihr hier den Tisch für das Frühstück +decken? + +(Napoleon erhebt sich heftig:) Nein! Deck hier nicht mehr, bevor der +Offizier, auf den ich warte, zurückkommt. (Er sieht auf seine Uhr und +fängt an, zwischen dem Kamin und dem Weingarten auf und ab zu gehn.) + +(Giuseppe mit Überzeugung:) Exzellenz, glauben Sie mir, er ist von den +verfluchten Österreichern gefangen worden; er würde es nicht wagen, +Sie warten zu lassen, wenn er frei wäre. + +(Napoleon kehrt sich beim Schatten der Veranda um:) Giuseppe! wenn +sich herausstellen sollte, daß du recht hast, so wird mich das in eine +Laune versetzen, daß mich nichts anderes besänftigen kann, als dich +und deinen ganzen Haushalt--die Dame dort oben inbegriffen--aufhängen +zu lassen! + +(Giuseppe.) Wir stehen Ihnen alle gerne zur Verfügung, Exzellenz! mit +Ausnahme der Dame. Ich kann für sie nicht bürgen; aber welche Frau +könnte Ihnen widerstehen?! + +(Napoleon setzt seine Wanderung düster fort:) Hm, du wirst niemals am +Galgen enden. Es ist kein Vergnügen dabei, einen Mann zu hängen, der +nichts dagegen einzuwenden hat. + +(Giuseppe liebenswürdig:) Nicht das geringste, Exzellenz, nicht wahr? +(Napoleon blickt wieder auf seine Uhr und wird sichtlich unruhig:) Oh, +man sieht, daß Sie ein großer Mann sind, Exzellenz! Sie verstehen zu +warten. Wenn ein Korporal oder ein junger Leutnant an Ihrer Stelle +wäre--nach drei Minuten würde er fluchen, toben, drohen und das Haus +von oben nach unten kehren. + +(Napoleon.) Giuseppe, deine Schmeicheleien sind unerträglich. Geh und +schwatz draußen. (Er setzt sich wieder an den Tisch, sein Kinn auf +die Hände, seine Ellbogen auf die Landkarte gestützt, und starrt mit +unruhigem Ausdruck auf sie hin.) + +(Giuseppe.) Zu Befehl, Exzellenz, Sie sollen nicht gestört werden. +(Er nimmt das Tablett und ist im Begriff, sich zurückzuziehen.) + +(Napoleon.) Sobald er da ist, schick' ihn zu mir herein. + +(Giuseppe.) Augenblicklich, Exzellenz. + +(Die Stimme einer Dame ruft von irgendeinem entfernten Teil des +Gasthauses:) Giuseppe! (Die Stimme ist sehr melodisch, und die zwei +letzten Buchstaben werden in aufsteigender Skala gesungen.) + +(Napoleon stutzig:) Was ist das?... + +(Giuseppe stützt das Ende seines Servierbrettes auf den Tisch und +beugt sich vertraulich vor:) Die Dame, Exzellenz. + +(Napoleon zerstreut:) Ja... was für eine Dame... wessen Dame?... + +(Giuseppe.) Die fremde Dame, Exzellenz. + +(Napoleon.) Was für eine fremde Dame? + +(Giuseppe achselzuckend:) Wer kann es wissen! Sie ist eine halbe +Stunde vor Ihnen hier angekommen, in einem Mietwagen, der dem +"Goldenen Adler" in Borghetto gehört. Tatsächlich: sie ganz allein, +Exzellenz,--ohne Dienerschaft! Eine Handtasche und ein Koffer, das +war alles. Der Postillon sagte mir, daß sie im "Goldenen Adler" ein +Pferd gelassen habe, ein Chargenpferd mit militärischem Sattelschmuck. + +(Napoleon.) Eine Frau mit einem Chargenpferd?--Das ist ungewöhnlich. + +(Die Stimme der Dame. Die zwei letzten Buchstaben werden jetzt in +herabsteigender Skala gesungen:) Giuseppe! + +(Napoleon springt auf, um zu horchen:) Das ist eine interessante +Stimme. + +(Giuseppe.) Oh es ist eine interessante Dame, Exzellenz. (Ruft:) Ich +komme schon! ich komme schon, meine Gnädige! (Er eilt zur inneren Tür.) + +(Napoleon hält ihn mit starker Hand an der Schulter fest:) Halt! Sie +soll hierher kommen. + +(Die Stimme ungeduldig:) Giuseppe! + +(Giuseppe flehentlich:) Lassen Sie mich gehn, Exzellenz. Es ist meine +Ehrenpflicht als Wirt, zu kommen, wenn man mich ruft. Ich wende mich +an den Soldaten in Ihnen! + +(Eines Mannes Stimme ruft draußen vor der Tür des Wirtshauses:) Ist +jemand da? Hallo! Wirt! wo sind Sie? (Es wird heftig mit dem Knopf +einer Peitsche auf eine Bank in der Einfahrt geschlagen. Napoleon der +plötzlich wieder kommandierender Offizier wird, stößt Giuseppe fort:) +Da ist er endlich! (Auf die innere Tür weisend:) Geh, kümmere dich um +dein Geschäft. Die Dame ruft nach dir. (Er geht zum Kamin und steht +mit dem Rücken dagegen, mit entschlossenem militärischem +Gesichtsausdruck.) + +(Giuseppe atemlos, reißt sein Tablett an sich:) Gerne, Exzellenz! (Er +eilt durch die innere Tür hinaus.) + +(Die Stimme des Mannes ungeduldig:) Schläft hier alles? (Die dem +Kamin gegenüberliegende Tür wird heftig mit dem Fuße aufgestoßen, and +ein staubbedeckter Leutnant stürzt in das Zimmer. Er ist ein +törichter, junger Bursche von vierundzwanzig Jahren mit der hellen, +zarten, reinen Haut des vornehmen Mannes und mit jener Selbstsicherheit +des Aristokraten, welche die französische Revolution nicht im geringsten +erschüttern konnte. Er hat eine dicke, dumme Lippe, ein eifriges, +leichtgläubiges Auge, eine eigensinnige Nase und eine laute selbstbewußte +Stimme.--Ein junger Mensch ohne Furcht, obne Ehrfurcht, ohne +Einbildungskraft, ohne Verstand und hoffnungslos unempfänglich für die +napoleonische oder irgendeine andere Idee. Fabelhaft egoistisch, im +höchsten Grade dazu geeignet, dort geräuschvoll hereinzustürmen, wo +selbst ein Engel sich fürchten würde, nur den Fuß aufzusetzen, doch von +einer starken geschwätzigen Lebenskraft, die ihn mitten in das tollste +Gewirr der Dinge hetzt. Er kocht eben vor Wut, anscheinend, weil er +empört ist, nicht schnell vom Gesinde des Gasthauses bedient zu werden, +aber ein schärfer beobachtendes Auge kann eine gewisse moralische +Niedergeschlagenheit in ihm entdecken, welche andeutet, daß er unter +einem anhaltenderen und wichtigeren Verdruß leidet. Als er Napoleon +bemerkt, kommt er genügend zu sich, um sich zusammenzuraffen und zu +salutieren. Aber er verrät auf keine Weise durch sein Benehmen etwas +von jener prophetischen Voraussicht von Marengo und Austerlitz, Waterloo +und St. Helena oder der Napoleonbilder von Delaroche und Meissonier, die +die moderne Kultur instinktiv bei ihm voraussetzen würde.) + +(Napoleon scharf:) Nun, Herr, sind Sie endlich angekommen? Ihr Befehl +lautete, daß ich um sechs Uhr hier sein würde, und daß Sie mich mit +meiner Pariser Post and meinen Depeschen erwarten sollten! Und jetzt +fehlen nur noch zwanzig Minuten an acht. Sie wurden als guter Reiter +für diesen Dienst ausersehen, mit dem schnellsten Pferde, das wir im +Lager haben. Sie kommen hundert Minuten zu spät und kommen zu Fuß--wo +ist Ihr Pferd? + +(Leutnant zieht verdrießlich seine Handschuhe aus und wirft sie mit +seiner Mütze und Peitsche auf den Tisch:) Ja, wo ist es? Das gerade +wüßte ich selber gern, Herr General. (Mit Bewegung:) Sie wissen nicht, +wie ich dies Pferd geliebt habe. + +(Napoleon ärgerlich, sarkastisch:) Wirklich! (Mit plötzlicher +Besorgnis:) Wo sind die Briefe und Depeschen? + +(Leutnant wichtig, eher froh, daß er ganz besondere Nachrichten hat, +als bekümmert:) Das weiß ich nicht. + +(Napoleon traut seinen Ohren nicht:) Das wissen Sie nicht?! + +(Leutnant.) Nicht besser als Sie, Herr General. Nun werde ich wohl +vor ein Kriegsgericht kommen. Schön! ich habe nichts dagegen, +standrechtlich behandelt zu werden, aber (mit feierlichem Entschluß:) +ich sage Ihnen, Herr General, wenn ich diesen unschuldig aussehenden +Burschen jemals erwischen sollte,--diesen verschmitzten, kleinen +Lügner!--dann werde ich seine Schönheit zurichten... eine Fratze will +ich aus ihm machen... ich werde--- + +(Napoleon kommt vom Kamin an den Tisch vor:) Was für einen unschuldig +aussehenden Burschen? Raffen Sie sich zusammen, Mensch--ja?--und +berichten Sie militärisch! + +(Leutnant steht ihm gegenüber an der anderen Seite des Tisches und +stützt sich mit den Fäusten auf:) Oh ich bin ganz gefaßt, Herr +General--ich bin vollkommen bereit, Rede zu stehen. Ich werde dem +Kriegsgericht gründlich klarmachen, daß ich unschuldig bin. Die +bessere Seite meiner Natur wurde schändlich ausgenützt, und ich schäme +mich dessen nicht. Aber mit allem Respekt vor Ihnen, als meinem +Vorgesetzten, wiederhole ich, Herr General, daß, wenn ich diesem +Satanssohne jemals wieder begegnen sollte, ich ihn-- + +(Napoleon ärgerlich:) Das haben Sie schon einmal gesagt! + +Leutnant richtet sich auf: Und ich wiederhole es: warten Sie nur so +lange, bis ich ihn erwischt habe!--weiter nichts! (Er kreuzt +entschlossen die Arme und atmet schwer mit aufeinandergepreßten Lippen.) + +(Napoleon.) Ich warte, Herr--auf Ihre Aufklärungen! + +(Leutnant zuversichtlich:) Sie werden Ihren Ton ändern, Herr General, +wenn Sie hören, was mir zugestoßen ist. + +(Napoleon.) Nichts ist Ihnen zugestoßen, Mensch! Sie leben und sind +nicht kampfunfähig. Wo sind die Papiere, die Ihnen anvertraut wurden? + +(Leutnant.) Mir ist nichts zugestoßen--nichts? Oho! (Wirft sich in +Positur, um Napoleon mit seinen Nachrichten zu überwältigen.) Er hat +mir ewige Bruderschaft geschworen, war das nichts? Er hat gesagt, daß +meine Augen ihn an die Augen seiner Schwester erinnerten--war das +nichts? Er hat geweint--wirkliche Tränen--über die Geschichte meiner +Trennung von Angelica--war das nichts?! Er hat beide Flaschen Wein +bezahlt, obwohl er selbst nur Brot und Trauben gegessen +hatte--vielleicht nennen Sie das auch nichts! Er hat mir seine +Pistolen und sein Pferd und seine Depeschen gegeben--äußerst wichtige +Depeschen--und hat mich damit fortgehen lassen--(triumphierend, da er +sieht, daß er Napoleon in sprachloses Erstaunen versetzt hat:) war das +nichts?! + +(Napoleon schwach vor Erstaunen:) Warum hat er das getan? + +(Leutnant als ob der Grund ganz klar wäre:) Um mir sein Vertrauen zu +beweisen. (Napoleons Kiefer fällt nicht gerade herunter, aber seine +Gelenkbänder werden schlaff. Der Leutnant fährt mit ehrlicher +Entrüstung fort:) Und ich habe sein Vertrauen auch verdient: ich habe +ihm alles ehrlich zurückgegeben. Aber würden Sie es glauben, Herr +General,--als ich ihm meine Pistolen und mein Pferd and meine +Depeschen anvertraut hatte... + +(Napoleon wütend:) Warum, zum Teufel, haben Sie das getan? + +(Leutnant.) Warum?... Um ihm auch meinerseits mein Vertrauen zu +beweisen, natürlich. Und er hat mich betrogen, ausgenützt, ist nicht +wiedergekommen--der Dieb--der Schwindler--der herzlose, verräterische, +kleine Schuft! Und das--das nennen Sie wahrscheinlich "nichts +zugestoßen"! Aber sehen Sie, Herr General--(hält sich wieder mit der +Faust am Tische, um mit größerer Emphase zu sprechen.) Sie mögen +diesen Schimpf von den Österreichern hinnehmen, wenn Sie wollen; aber +was mich persönlich anbelangt--ich sage Ihnen, wenn ich ihn jemals +erwische-- + +(Napoleon wendet sich angewidert auf dem Absatz herum, um seine +Wanderung wieder aufzunehmen:) Ja, ja, das haben Sie schon oft genug +gesagt. + +(Leutnant äußerst erregt:) Oft genug?... Ich werde es hundertmal +sagen--und mehr als das: ich werde es tun! Ich werde ihm mein +Vertrauen zeigen--das werde ich! Ich werde--- + +(Napoleon.) Ja, ja, Herr Leutnant--gewiß werden Sie das. Was für eine +Art Mensch war er? + +(Leutnant.) Nun, ich glaube, nach seinem Benehmen sollten Sie +schließen können, was für eine Art Mensch das war. + +(Napoleon.) Pah--Wie sah er aus? + +(Leutnant.) Ausgesehen... Er sah aus wie... nun... Sie hätten den +Burschen bloß mal sehen müssen, dann würden Sie einen Begriff davon +haben, wie er aussieht. Fünf Minuten, nachdem ich ihn erwischt habe, +wird er nicht mehr so aussehen. Ich wiederhole Ihnen: wenn ich ihn +jemals-- + +(Napoleon ruft wütend nach dem Wirt:) Giuseppe! (Zum Leutnant, am +Ende seiner Geduld:) Halten Sie jetzt Ihren Mund, wenn Sie können! + +(Leutnant.) Ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, daß es umsonst +ist, zu versuchen, mir die Schuld aufzuhalsen. (Klagend:) Wie hätte +ich wissen sollen, was für eine Art Mensch das ist. (Er nimmt einen +Sessel, der zwischen der äußeren Tür und dem Büfett steht, stellt ihn +an den Tisch und setzt sich.) Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie hungrig +und müde ich bin, würden Sie mehr Rücksicht nehmen. + +(Giuseppe zurückkommend:) Was befehlen Exzellenz? + +(Napoleon mit seinem Temperament kämpfend:) Nimm diesen... diesen +Offizier; gib' ihm zu essen; wenn nötig, bring ihn zu Bett; und wenn +er dann wieder bei Trost ist, trachte herauszubringen, was ihm +passiert ist, und laß mich es wissen. (Zum Leutnant.) Betrachten Sie +sich als Arrestanten, Herr Leutnant.-- + +(Leutnant ärgerlich mit Steifheit:) Darauf war ich vorbereitet. Nur +ein Edelmann kann einen Edelmann verstehen. (Er wirft seinen Degen +auf den Tisch, Giuseppe nimmt ihn und bietet ihn Napoleon höflich an, +der ihn heftig auf das Sofa wirft.) + +(Giuseppe mit Teilnahme:) Sind Sie von den Österreichern überfallen +worden, Herr Leutnant? O weh, o weh! + +(Leutnant verachtungsvoll:) Überfallen! Ich hätte sein Rückgrat +zwischen meinem Zeigefinger und Daumen zerbrechen können! Wenn ich es +nur getan hätte! Nein! ich bin hineingefallen, weil er an die bessere +Seite meiner Natur appelliert hat--und darüber kann ich nicht +hinwegkommen! Er sagte, daß ihm noch nie ein Mensch so gefallen hätte +wie ich, er schlang sein Taschentuch um meinen Nacken, weil mich eine +Mücke gestochen hatte und mein Kragen mich wund rieb--sehen Sie! (Er +zieht ein Taschentuch unter seinem Kragen bervor; Giuseppe nimmt und +untersucht es.) + +(Giuseppe zu Napoleon:) Das Taschentuch einer Dame, Exzellenz! (Er +riecht daran:) Parfümiert! + +(Napoleon.) Wie? (Er nimmt es und betrachtet es aufmerksam:) Hm! (Er +riecht daran:) Ha! (Er geht, das Taschentuch betrachtend, +nachdenklich durch das Zimmer und steckt es schließlich in seine +Brusttasche.) + +(Leutnant.) Jedenfalls paßt es zu ihm. Ich bemerkte, daß er +Weiberhände hatte, als er mein Genick berührte in seiner +schmeichlerisch tändelnden Art--dieser gemeine, weibische, kleine Hund! +(Leiser, aber mit schauerlicher Heftigkeit:) Aber glauben Sie meinen +Worten, Herr General: wenn ich ihn jemals--- + +(Die Stimme einer Dame draußen wie zuvor:) Giuseppe! + +(Leutnant erstarrt:) Was war das? + +(Giuseppe.) Nur eine Dame über uns, Herr Leutnant, die mich ruft. + +(Leutnant.) Eine Dame! + +(Stimme.) Giuseppe! Giuseppe! wo bleiben Sie!? + +(Leutnant mordlustig:) Wo ist mein Degen? (Er stürzt an das Sofa, +ergreift seinen Degen und zieht ihn.) + +(Giuseppe springt vor und faßt seinen rechten Arm:) Was fällt Ihnen +denn ein, Herr Leutnant! Es ist eine Dame: hören Sie nicht, daß es +eine weibliche Stimme ist? + +(Leutnant.) Ich sage Ihnen, daß es seine Stimme ist--lassen Sie mich +los! (Er stürzt fort und will zur inneren Türe; da öffnet sich diese +vor seiner Nase, und die fremde Dame tritt ein. Sie ist eine sehr +anziehende Erscheinung, groß und ungewöhnlich graziös, mit einem zart +intelligenten, empfindsamen, fragenden Gesicht. Auffassungskraft +liegt auf ihrer Stirn, Empfindlichkeit in ihren Nasenflügeln, +Charakter in ihrem Kinn: im ganzen sieht sie scharfsinnig, vornehm und +originell aus. Sie ist sehr weiblich, aber durchaus nicht schwach. +Die geschmeidige, schlanke Gestalt ist kräftig gebaut, die Hände und +Füße, Hals und Schultern sind keine zerbrechlichen Schmuckstücke, +sondern stehen im richtigen Größenverhältnis zu der ganzen Gestalt, +die die Napoleons und des Wirtes beträchtlich überragt und der des +Leutnants vollkommen gleichkommt; ihre Eleganz und ihr strahlender +Reiz verdecken indessen ihre Größe und Kraft. Nach ihrem Kleide zu +schließen, ist sie keine Bewunderin der neuesten Mode des Direktoriums, +oder sie verträgt vielleicht auf der Reise ihre alten Kleider, +jedenfalls trägt sie keine Jacke mit auffallenden Aufschlägen, kein +nachgemacht griechisches Unterkleid à la Madame Tallien,--nichts, +wahrhaftig nichts, das die Prinzessin von Lamballe nicht hätte tragen +können. Ihr Kleid von geblümter Seide mit langer Taille ist am Rücken +mit einer Watteaufalte versehen, aber die Puffen sind, da sie für +diese zu groß ist, zu bloßen Rudimenten verkürzt. Es ist im Nacken +ein wenig ausgeschnitten und dort mit einem cremefarbenen Fichu +geschmückt. Sie ist von heller Hautfarbe und hat goldbraune Haare und +graue Augen. Sie tritt mit der Selbstsicherheit einer Frau ein, die +an die Vorrechte von Rang und Schönheit gewöhnt ist. Der Wirt, der +von Natur sehr gute Manieren hat, ist von ihr höchst eingenommen. +Napoleon, auf den ihre Augen zuerst fallen, wird sofort verlegen. +Sein Gesicht rötet sich, er wird steifer und fühlt sich unsicherer als +zuvor. Sie bemerkt dies augenblicklich, und, um ihn nicht in +Verlegenheit zu bringen, wendet sie sich mit einer unendlich +wohlerzogenen Art--um auch ihm die Ehre eines Blickes zu gewähren--zu +dem andern Herrn, der mit Gefühlen, die ganz unaussprechlich und +unbeschreiblich sind, auf ihr Kleid starrt, als ob es der Erde erstes +Meisterwerk an Verräterei und Verstellung wäre. Als sie ihn erkennt, +wird sie totenblaß; ihr Ausdruck kann nicht mißverstanden werden. Die +Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gänzlich unerwarteten Irrtums +hat sie jäh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und +Siegesgewißheit. Im nächsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter +dem cremefarbenen Fichu auf und ergießt sich über ihr ganzes Gesicht. +Man sieht, daß sie am ganzen Leibe errötet. Selbst der Leutnant, der +für gewöhnlich ganz unfähig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr +seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man +es ihm rot anstreicht. Da er das Erröten als das unfreiwillige +Eingeständnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verräterei +auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf +sie--dann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich +her in das Zimmer, schlägt die Türe zu und pflanzt sich mit dem Rücken +davor auf.) + +(Leutnant.) Habe ich dich erwischt, Bursche! Du hast dich also +verkleidet--was? (Mit Donnerstimme:) Zieh diesen Rock aus! + +(Giuseppe Verwahrung einlegend:) Aber, Herr Leutnant! + +(Dame erschrocken, aber höchst entrüstet, daß er es gewagt hat, sie +anzurühren:) Meine Herren, ich wende mich an Sie! Giuseppe! (Macht +eine Bewegung, als ob sie zu Giuseppe laufen wollte.) + +(Leutnant stellt sich dazwischen, den Degen in der Faust:) Nicht von +der Stelle! + +(Dame zu Napoleon flüchtend:) O Herr, Sie sind Offizier--General--Sie +werden mich beschützen--nicht wahr? + +(Leutnant.) Kümmern Sie sich nicht um ihn, Herr General. +Überlassen Sie ihn mir. + +(Napoleon.) Ihn? Wen, Mensch? Warum behandeln Sie diese Dame in +solcher Weise? + +(Leutnant.) Dame?... Er ist ein Mann--der Mann, dem ich mein +Vertrauen geschenkt habe! (Geht drohend vor:) Hierher--du-- + +(Dame läuft hinter Napoleon und umklammert in ihrer Aufregung seinen +Arm, den er instinktiv vor ihr ausstreckt, um sie zu schützen:) Oh, +ich danke Ihnen, Herr General! Halten Sie ihn fern! + +(Napoleon.) Unsinn! Das ist ganz bestimmt eine Frau! (Sie läßt +seinen Arm plötzlich los und errötet wieder:) Und Sie sind im Arrest! +Legen Sie augenblicklich Ihren Degen nieder, Herr Leutnant! + +(Leutnant.) Herr General, ich sage Ihnen, er ist ein österreichischer +Spion! Heute nachmittag hat er sich mir gegenüber aufgespielt, als +gehörte er zum Stabe General Massenas--und nun spielt er sich Ihnen +gegenüber als Frau auf. Darf ich meinen eigenen Augen glauben oder +nicht? + +(Dame.) Herr General--das muß mein Bruder gewesen sein--der ist beim +Stabe General Massenas und sieht mir sehr ähnlich. + +(Leutnant den Verstand verlierend:) Wollen Sie damit sagen, daß Sie +nicht Ihr Bruder, sondern Ihre Schwester sind... die Schwester, die +mir so ähnlich sieht... die meine schönen blauen Augen hat? Es war +eine Lüge,--Ihre Augen sind nicht wie die meinen--sie sind genau wie +Ihre eigenen! Welche Perfidie! + +(Napoleon.) Herr Leutnant, wollen Sie meinen Befehlen gehorchen und +dieses Zimmer verlassen, da Sie endlich überzeugt sind, daß diese Dame +kein Mann ist? + +(Leutnant.) Kein Mann, das will ich meinen! Ein Mann würde mein +Vertrauen nie so getäuscht haben-- + +(Napoleon am Ende seiner Geduld:) Genug, Mensch, genug! Verlassen Sie +dieses Zimmer! Ich befehle Ihnen, dieses Zimmer zu verlassen! + +(Dame.) O, bitte, ich will lieber gehen. + +(Napoleon trocken:) Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor +Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was für ein Interesse ein +Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann. +Ich habe einige Fragen an Sie zu richten. + +(Giuseppe diskret:) Kommen Sie, Herr Leutnant. (Er öffnet die Türe.) + +(Leutnant.) Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen. +Hüten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur. (Zur Dame:) Madame, +Sie entschuldigen, ich hielt Sie für dieselbe Person, nur von +entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich natürlich irregeführt. + +(Dame süß:) Es war doch nicht Ihre Schuld! Ich freue mich, daß Sie +mir nicht länger böse sind, Herr Leutnant. (Sie reicht ihm die Hand.) + +(Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu küssen:) Oh, meine Gnädige, +nicht im gering... (fährt zurück und starrt auf ihre Hand:) Sie haben +die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er. + +(Dame freundlich:) Wir sind Zwillinge. + +(Leutnant.) Das erklärt alles. (Er küßt ihre Hand:) Bitte tausendmal +um Verzeihung. Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das +ist mehr Sache des Generals--aber es war der Mißbrauch meines +Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur. (Er nimmt seine Mütze, +Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:) Ich hoffe, Sie +entschuldigen, daß ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure +unendlich. (Er schwätzt sich aus dem Zimmer hinaus. Giuseppe folgt +ihm und schließt die Tür.) + +(Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:) Idiot! + +(Dame lächelt liebenswürdig. Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch +und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle +seine Verlegenheit geschwunden:) Wie kann ich Ihnen für Ihren Schutz +danken, Herr General? + +(Napoleon wendet sich plötzlich zu ihr um:) Meine Depeschen! schnell! +(Er streckt die Hand danach aus.) + +(Dame.) Herr General! (Unwillkürlich greift sie mit den Händen nach +dem Fichu, als wolle sie dort etwas beschützen.) + +(Napoleon.) Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt! Sie haben +sich als Mann verkleidet! Ich will meine Depeschen haben; sie sind da +in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren Händen... + +(Dame zieht ihre Hände rasch weg:) Oh, wie unliebenswürdig Sie mit mir +sprechen! (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:) Sie ängstigen +mich! (Sie berührt ihre Augen, als wollte sie eine Träne wegwischen.) + +(Napoleon.) Ich sehe, daß Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie +würden sich die Mühe ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten. + +(Dame tut so, als ob sie zwischen Tränen lächeln wollte:) Doch, ich +kenne Sie--Sie sind der berühmte General Buonaparte. (Sie gibt dem +Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.) + +(Napoleon ärgerlich, mit französischer Aussprache:) Bonaparte, Madame, +--Bonaparte!... Die Papiere, wenn's gefällig ist! + +(Dame.) Aber ich versichere Ihnen--(Er reißt ihr das Taschentuch +heftig aus der Hand:) Herr General! (Entrüstet.) + +(Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:) Sie +waren so liebenswürdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschentücher zu +leihen, als Sie ihn beraubten. (Er betrachtet die beiden +Taschentücher.) Sie sind einander vollständig gleich. (Er riecht +daran:) Derselbe Duft! (Er wirft beide auf den Tisch.) Ich warte auf +die Depeschen! Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit +ebenso wenig Umständen wegnehmen, wie dieses Taschentuch. (Das +duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre später in Victorien Sardous +Drama "Dora" wieder auf.) + +(Dame mit würdevollem Vorwurf:) Herr General, bedrohen Sie wehrlose +Frauen? + +(Napoleon grob:) Ja! + +(Dame verblüfft, sucht Zeit zu gewinnen:) Aber ich begreife +nicht--ich ... + +(Napoleon.) Sie begreifen sehr gut. Sie sind hierhergekommen, weil +Ihre österreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, daß ich +sechs Meilen weit von hier entfernt sei. Ich bin immer dort zu finden, +wo meine Feinde mich nicht erwarten. Sie sind in die Höhle des Löwen +geraten. Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine +vernünftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere! (Er geht +drohend einen Schritt vor.) + +(Dame bricht in kindischer, ohnmächtiger Wut zusammen und wirft sich +in Tränen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen +gelassen wurde:) Ich--und tapfer! Wie wenig Sie mich kennen. Ich +habe den Tag in Todesfurcht verbracht! Ich bekomme Brustschmerzen vor +Herzklopfen bei jedem argwöhnischen Blick und jeder drohenden Bewegung. +Halten Sie jeden Menschen für so tapfer, wie Sie es sind? Oh, warum +vollbringt ihr tapferen Männer nicht die tapferen Taten? Warum +überlaßt ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben? Ich bin nicht +tapfer--ich schrecke vor Gewalt zurück--die Gefahr macht mich elend. + +(Napoleon mit Interesse:) Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben? + +(Dame.) Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem +vertrauen. Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der +keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gefühl, kein... (Sie +hält inne und wirft sich auf die Knie.) Oh, Herr General, lassen Sie +mich gehn! Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu +stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schwöre es! + +(Napoleon seine Hand ausstreckend:) Ja--ich warte darauf. (Sie +schnappt nach Luft. Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur +Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und +ihr Gerede zu rühren, aber wie sie starr zu ibm aufblickt, sieht man +klar, daß sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu +überlisten. Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.) + +(Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:) Ich will +sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer. (Sie wendet sich zur Türe.) + +(Napoleon.) Ich werde Sie begleiten, Madame. + +(Dame richtet sich mit einer edlen Gebärde beleidigten Zartgefühls auf:) +Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr +General. + +(Napoleon.) Dann werden Sie hierbleiben, Madame, während ich Ihr +Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse. + +(Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:) Sie können sich die +Mühe ersparen: sie sind nicht dort. + +(Napoleon.) Nein. Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind. (Zeigt +auf ihre Brust.) + +(Dame mit niedlicher Kläglichkeit:) Herr General, ich möchte nur einen +kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir +wenigstens den! + +(Napoleon kalt und finster:) Ist das eine vernünftige Bitte, Madame? + +(Dame weil er nicht kurzweg abschlägt, ermutigt:) Nein--aber gerade +deshalb müssen Sie mir sie bewilligen. Sind Ihre eigenen Wünsche +vernünftig? Sie verlangen Tausende von Menschenleben für Ihre Siege, +Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche +Kleinigkeit! Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein +tapferer Mann. (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist +im Begriff, ihm wieder zu Füßen zu fallen.) + +(Napoleon heftig:) Lassen Sie das, lassen Sie das! (Er wendet sich +ärgerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, hält einen Augenblick inne +und sagt über seine Schulter hinweg:) Sie sprechen Unsinn und Sie +wissen es. (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser +Verzweiflung, auf das Sofa. Als er sich umwendet und sie dort +erblickt, fühlt er, daß sein Sieg vollständig ist und daß er sich +jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann. Er +kommt zurück und setzt sich neben sie. Sie sieht geängstigt auf und +rückt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung +erglänzt in ihren Augen. Er beginnt wie einer, der sich über einen +heimlichen Scherz freut:) Woher wissen Sie, daß ich tapfer bin? + +(Dame erstaunt:) Sie! General Buonaparte! (Italienische Aussprache.) + +(Napoleon.) Ja, ich--General Bonaparte! (Die französische Aussprache +betonend.) + +(Dame.) Oh, wie können Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen +an der Brücke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell über den Fluß hinweg +auszufechten, während der Tod durch die Lüfte sauste! (Schaudernd:) +Oh, Sie vollbringen Heldentaten! + +(Napoleon.) So wie Sie. + +(Dame.) Ich? (Mit einem plötzlichen seltsamen Gedanken:) Oh, Sie sind +also ein Feigling? + +(Napoleon lacht grimmig und schlägt auf seine Knie:) Das ist die +einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen dürfen. Der +Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner Länge, seinem Alter, seinem +Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut. (Er steht auf und +geht, in sich hineinkichernd, mit den Händen auf dem Rücken und +vorgeneigtem Kopf, auf und ab.) + +(Dame als ob sie nichts Lächerliches dabei finden könnte:) Ah, Sie +können sich über die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht, +was Furcht ist. + +(Napoleon hinter das Sofa tretend:) Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an, +daß Sie diesen Brief nur hätten bekommen können, wenn Sie vorgestern +über die Brücke bei Lodi zu mir gekommen wären,--nehmen Sie an, daß +Sie keinen andern Weg gehabt hätten und daß dies ein sicherer Weg +war--vorausgesetzt, daß die Kanonenkugeln Sie verschonten. (Sie +schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den Händen.) Würden +Sie Angst gehabt haben? + +(Dame.) Oh, fürchterliche Angst! tödliche Angst! (Sie preßt ihre +Hände aufs Herz.) Die bloße Vorstellung schmerzt schon! + +(Napoleon unbeugsam:) Würden Sie wegen der Depeschen gekommen sein? + +(Dame überwältigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:) Fragen Sie +mich nicht! Ich hätte kommen müssen! + +(Napoleon.) Warum? + +(Dame.) Weil ich gezwungen gewesen wäre. Weil es keinen andern Ausweg +gegeben hätte! + +(Napoleon mit Überzeugung:) Weil es Sie nach diesem Brief so sehr +verlangt hätte, daß Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst würden +ertragen haben. Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die +Furcht. Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag, +ist die einzige, die Sie sowohl beim jüngsten Tambour als auch bei mir +finden werden, die Furcht. Sie ist es, die die Menschen in den Kampf +treibt: Gleichgültigkeit macht, daß sie davonlaufen. Furcht ist die +Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl, +besser als Sie, besser als irgend ein Weib. Ich sah einst, wie ein +Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde, +weil ich mich fürchtete einzugreifen. Ich fühlte mich als Feigling +bis in die Fußspitzen, als ich dabei zusah. Vor sieben Monaten rächte +ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode +knallte. Nun--was ist dabei? Hat die Furcht jemals einen Mann von +irgend etwas, das er wirklich wollte, zurückgehalten, oder auch nur +eine Frau? Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen +zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge +schauen um den Preis eines Glases Branntwein. Und glauben Sie, daß es +keine Frauen in der Armee gibt, die tapferer sind als die Männer, weil +ihr Leben weniger wert ist? Pah, ich halte gar nichts--weder von +Ihrer Furcht noch von Ihrem Mut. Wenn Sie bei Lodi zu mir hätten +kommen müssen, Sie würden keine Furcht gehabt haben: einmal auf der +Brücke wäre vor der Notwendigkeit jedes andere Gefühl geschwunden-- +vor der Notwendigkeit, Ihren Weg an meine Seite zu finden, um zu +bekommen, was Sie haben wollten. Und nun nehmen Sie an, daß Sie +davongekommen wären mit jenem Brief in Ihrer Hand und um die Erfahrung +reicher, daß in der Stunde der Not Ihre Furcht Ihnen nicht das Herz +zusammenschnürte, sondern die Ausführung Ihres Planes unterstützte, +daß sie aufgehört hätte, "Furcht" zu sein, und sich in Stärke, +Scharfsinn, verdoppelte Aufmerksamkeit und eiserne Entschlossenheit +verwandelt hätte,--wie würden Sie dann antworten, wenn Sie gefragt +würden, ob Sie ein Feigling sind? + +(Dame sich erhebend:) Ah, Sie sind ein Held--ein wirklicher Held! + +(Napoleon.) Pah! wirkliche Helden gibt es nicht. (Er schlendert durch +das Zimmer, ihren Enthusiasmus leicht nehmend, aber durchaus nicht +unzufrieden mit sich, ihn hervorgerufen zu haben.) + +(Dame.) O ja--es gibt welche. Es ist ein Unterschied zwischen dem, +was Sie meinen Mut nennen, und dem Ihrigen. Sie wollten die Schlacht +bei Lodi für niemand andern, als für sich selbst gewinnen--nicht wahr? + +(Napoleon.) Selbstverständlich! (Sich plötzlich besinnend:) +Halt--nein! (Er rafft sich ehrfürchtig zusammen und sagt wie ein Mann, +der einen frommen Dienst verrichtet:) Ich bin nur ein Diener der +französischen Republik. Ich folge demütig den Fußtapfen der Helden +des klassischen Altertums. Ich gewinne Schlachten für die +Menschheit--für mein Vaterland--nicht für mich! + +(Dame enttäuscht:) Oh, dann sind Sie doch auch nur ein weibischer Held. +(Sie setzt sich wieder, den Ellbogen auf die Lehne des Sofas, die +Wange in die Hand gestützt; alle ihre Begeisterung ist gewichen.) + +(Napoleon höchst erstaunt:) Weibisch?! + +(Dame teilnahmslos:) Ja, wie ich. (Mit tiefer Melancholie:) Glauben +Sie, wenn ich jene Depeschen nur für mich brauchte, daß ich mich dann +ihretwegen in eine Schlacht wagen würde? Nein! wenn das alles wäre, +würde ich nicht einmal den Mut finden, Sie in Ihrem Hotel aufzusuchen. +Mein Mut ist bloß Sklaverei. Ich weiß damit für meine eigenen Zwecke +nichts anzufangen. Nur aus Liebe, aus Mitleid, aus dem Instinkt +heraus, einen andern zu retten und zu beschützen, kann ich Dinge tun, +die mich entsetzen. + +(Napoleon verachtungsvoll:) Pah! (Er wendet sich geringschätzig von +ihr fort.) + +(Dame.) Aha! nun begreifen Sie, daß ich nicht wirklich mutig bin. +(Fällt wieder in ärgerliche Teilnahmslosigkeit zurück.) Aber was für +ein Recht haben Sie, mich zu verachten, wenn Sie Ihre Schlachten auch +nur für andere gewinnen? Für Ihr Land, aus Patriotismus--das ist es, +was ich weibisch nenne: das ist der echte Franzose. + +(Napoleon wütend:) Ich bin kein Franzose! + +(Dame unschuldig:) Ich glaubte zu hören, daß Sie sagten, Sie hätten +die Schlacht bei Lodi für Ihr Land gewonnen, General Bu... soll ich es +französisch oder italienisch aussprechen? + +(Napoleon.) Sie verlassen sich auf meine Geduld, Madame. Ich wurde +als französischer Untertan geboren, aber nicht in Frankreich. + +(Dame kreuzt ihre Arme am Rande des Sofas und stützt sich darauf mit +einem deutlich aufflammenden Interesse:) Ich glaube, Sie sind +überhaupt nicht als Untertan geboren. + +(Napoleon hocherfreut, beginnt einen neuen Spaziergang:) Sieh da! Das +meinen Sie also? + +(Dame.) Ich bin davon durchdrungen! + +(Napoleon.) Nun, nun, Sie mögen vielleicht recht haben. (Die +Selbstgefälligkeit seiner Beipflichtung fällt ihm selbst auf. Er hält +errötend inne und begibt sich in eine feierliche, den Helden des +klassischen Altertums nachgeahmte Pose und nimmt einen höchst +moralischen Ton an.) Aber wir dürfen niemals ausschließlich für uns +leben, liebes Kind. Vergessen Sie nie, daß wir immer an andere denken +sollen, für andere arbeiten, sie zu ihrem Besten lenken und regieren. +Selbstaufopferung ist die Grundlage aller echten Charaktergröße. + +(Dame gibt mit einem Seufzer ihre Stellung wieder auf:) Daran sieht +man leicht, daß Sie sie selbst nie versucht haben, Herr General. + +(Napoleon entrüstet, vergißt alles über Brutus und Scipio:) Was wollen +Sie mit diesen Worten sagen, Madame? + +(Dame.) Haben Sie nicht beobachtet, daß die Menschen den Wert der +Dinge, die sie nicht besitzen, immer überschätzen? Die Armen glauben, +daß sie nichts als Reichtümer brauchten, um vollkommen glücklich und +gut zu sein. Jedermann betet Wahrheit, Reinheit, Selbstlosigkeit aus +demselben Grunde an,--weil er auf diesen Gebieten keine Erfahrung hat. +Oh, wenn Sie nur wüßten! + +(Napoleon mit ärgerlichem Hohn:) Wenn Sie nur wüßten--? Ich bitte Sie, +haben (Sie) vielleicht Erfahrung darin? + +(Dame läßt die Arme fallen und faltet die Hände über den Knien, gerade +vor sich hinblickend:) Ja, ich hatte das Unglück, gut auf die Welt zu +kommen. (Einen Augenblick zu ihm aufschauend:) Und ich kann Ihnen +versichern, es (ist) ein Unglück, Herr General. Ich bin wirklich +wahrheitsliebend und selbstlos und alles, was dazu gehört, aber das +ist nichts als Feigheit, Mangel an Charakter, Mangel an dem Mut, +wirklich mit aller Kraft und unbedingt sich selbst treu zu sein. + +(Napoleon.) Ha! (Wendet sich rasch zu ihr um, mit einem Aufleuchten +starken Interesses:) + +(Dame ernst, mit wachsendem Enthusiasmus:) Was ist das Geheimnis Ihrer +Macht? Nur, daß Sie an sich selbst glauben. Sie können nur für sich +kämpfen und siegen--für niemand sonst. Sie haben keine Angst vor +Ihrem eigenen Schicksal, Sie zeigen uns, was wir (alle) erreichen +könnten, wenn wir den Willen und den Mut dazu hätten, und das +(plötzlich vor ihm auf die Knie fallend:) ist der Grund, warum wir Sie +alle anzubeten beginnen. (Sie küßt seine Hände.) + +(Napoleon in Verlegenheit:) Aber--aber--bitte, erheben Sie sich, +Madame! + +(Dame.) Weisen Sie meine Huldigung nicht zurück. Sie haben ein Recht +darauf--Sie werden einst als Kaiser über Frankreich herrschen---- + +(Napoleon rasch:) Nehmen Sie sich in acht, das ist Hochverrat! + +(Dame darauf bestehend:) Jawohl--als Kaiser über Frankreich--dann über +Europa--vielleicht über die ganze Welt... Ich bin nur der erste +Untertan, der Ihnen Treue schwört. (Küßt wieder seine Hand.) Mein +Kaiser! + +(Napoleon hebt sie überwältigt auf:) Ich bitte Sie--nein, nein, Kind, +das ist Wahnsinn! Gehen Sie, beruhigen Sie sich! (Sie streichelnd:) +So, so, liebes Kind! + +(Dame mit Glückstränen kämpfend:) Ja, ich weiß, daß es unverschämt ist, +Ihnen Dinge zu sagen, die Sie viel besser als ich wissen müssen. +Aber Sie sind mir nicht böse--nicht wahr, nein? + +(Napoleon.) Böse? Nein, nein, nicht im geringsten, nicht im +geringsten! Gehen Sie, Sie sind eine sehr gescheite, vernünftige und +interessante kleine Frau. (Er streichelt ihre Wangen:) Wollen wir +Freunde sein? + +(Dame hingerissen:) Ihre Freundin! Sie wollen mir gestatten, Ihre +Freundin zu sein? Oh! (Sie reicht ihm ihre beiden Hände mit einem +strahlenden Lächeln.) Sie sehen, ich beweise Ihnen mein Vertrauen. + +(Napoleon mit einem Wutschrei und blitzenden Augen:) Was?! + +(Dame.) Was ist geschehen? + +(Napoleon.) Ihr Vertrauen! damit ich Ihnen dafür mein Vertrauen +schenken und Ihnen gestatte, mir mit meinen Depeschen davonzugehen--was? +Ah, Delila, Delila! Sie haben Ihre Künste an mir versucht, und ich war +ein ebenso großer Einfaltspinsel wie mein Esel von einem Leutnant. (Er +geht drohend auf sie los.) Geben Sie die Depeschen--schnell! Ich lasse +jetzt nicht mehr mit mir spaßen! + +(Dame um das Sofa herumfliehend:) Herr General-- + +(Napoleon.) Ich sage Ihnen--rasch! (Er geht rasch durch die Mitte des +Zimmers und vertritt ihr den Weg, als sie sich gegen den Weingarten +wenden will.) + +(Dame bietet ihm die Stirne wie ein gehetztes Tier:) Wie können Sie es +wagen, in diesem Tone mit mir zu sprechen? + +(Napoleon.) Wagen?! + +(Dame.) Ja--wagen! Wer sind Sie, daß Sie sich herausnehmen dürfen, +mit mir auf so grobe Weise zu sprechen? Oh, der niedrig geborene, +gemeine, korsische Abenteurer tritt sehr leicht bei Ihnen zutage. + +(Napoleon außer sich:) Sie Teufelin, Sie--(Wild:) Zum letztenmal: +Wollen Sie mir die Papiere geben oder soll ich sie Ihnen +entreißen?--mit Gewalt! (Dame läßt die Hände sinken:) Ja, entreißen +Sie sie mir--mit Gewalt! (Während er sie anstarrt wie ein +sprungbereiter Tiger, kreuzt sie in Märtyrerstellung ihre Arme über +der Brust. Diese Geste und Pose wecken augenblicklich Napoleons +theatralischen Instinkt. Er vergißt seine Wut, um ihr zu zeigen, daß +er ihr auch im Komödienspielen gewachsen ist. Er läßt sie einen +Augenblick in Erwartung, dann hellt sich sein Gesicht plötzlich auf, +er legt die Hände mit herausfordernder Kälte auf den Rücken, sieht an +ihr ein paarmal hinauf und hinab, nimmt eine Prise Schnupftabak, +wischt seine Finger sorgfältig ab und steckt sein Taschentuch ein. +Ihre heroische Pose wird dadurch immer lächerlicher.) + +(Napoleon endlich:) Nun? + +(Dame verlegen, aber die Arme noch immer in Ergebung gekreuzt:) Nun, +was wollen Sie beginnen? + +(Napoleon.) Ihre Pose verderben! + +(Dame.) Sie roher Patron! (Ihre Stellung aufgebend, geht sie an das +Sofaende, wendet sich mit dem Rücken dagegen, lehnt sich an und steht +ihm, mit den Händen auf dem Rücken, gegenüber.) + +(Napoleon.) So ist's besser. Nun hören Sie mir zu. Sie gefallen +mir--und was mehr ist, ich schätze Ihre Achtung. + +(Dame.) Dann schätzen Sie, was Sie nicht besitzen. + +(Napoleon.) Ich werde sie gleich besitzen. Hören Sie: gesetzt den +Fall, ich würde mich von der Achtung, die ich Ihrem Geschlecht, Ihrer +Schönheit, Ihrem Heldentum und allem übrigen schuldig bin, bestimmen +lassen. Nehmen Sie an, daß ich, obwohl nichts als solch sentimentaler +Kram zwischen diesen meinen Muskeln und jenen mir so wichtigen +Papieren stünde, die Sie bei sich haben und die ich haben will and +auch bekommen werde, nehmen Sie an, daß ich mit der Beute vor mir +schwankend werden und mit leeren Händen mich hinwegschleichen würde, +--oder, was noch ärger wäre, daß ich meine Schwäche zu verdecken +suchte, indem ich den großen Helden spielte und Ihnen den Gewaltakt +ersparte, den ich nicht anzuwenden wagte--würden Sie mich nicht aus +der tiefsten Tiefe Ihrer weiblichen Seele verachten? Würde irgendeine +Frau so dumm sein? Nun,--Bonaparte kann zeigen, daß er auch dieser +Lage gewachsen ist und, wenn nötig, unmännlich handeln darf. +Verstehen Sie mich? (Ohne ein Wort au sprechen, richtet sich die Dame +auf und nimmt ein Paket mit Briefen aus den Brustfalten ihres Kleides. +Einen Moment fühlt sie sich versucht, sie ihm ins Gesicht zu werfen, +aber ihre gute Erziehung hält sie davon ab, ihrem Herzen auf gemeine +Weise Luft zu machen. Sie überreicht sie ihm höflich und wendet bloß +den Kopf dabei ab. Im Augenblick, als er sie nimmt, eilt sie nach der +entgegengesetzten Seite des Zimmers, bedeckt ihr Gesicht mit den +Händen und setzt sich, indem sie sich umwendet und das Gesicht der +Stuhllehne zukehrt.) + +(Napoleon sich an den Papieren weidend:) Ah, so ist's recht! (Bevor +er sie öffnet, blickt er nach ihr hin und sagt:) Sie entschuldigen... +(Er bemerkt, daß sie ihr Gesicht verdeckt hat.) Sehr böse auf +mich--wie? (Er bindet das Paket auf, dessen Siegel schon erbrochen +sind und legt es auf den Tisch, um seinen Inhalt zu untersuchen.) + +(Dame ruhig, nimmt ihre Hände herab und zeigt, daß sie nicht weint, +sondern bloß nachdenkt:) Nein, Sie hatten recht--aber Sie tun mir leid. + +(Napoleon hält in der Tätigkeit, den obersten Brief aus dem Paket zu +nehmen, inne:) Ich tue Ihnen leid--warum? + +(Dame.) Ich werde sehen müssen, wie Sie Ihre Ehre verlieren. + +(Napoleon.) Hm... ist das alles? (Er nimmt den Brief in die Hand.) + +(Dame.) Und Ihr Glück. + +(Napoleon.) Glück, meine Liebe, ist mir das langweiligste Ding von der +Welt. Wäre ich, was ich bin, wenn ich mich um Glück scherte? Sonst +noch etwas? + +(Dame.) Nichts--(Er unterbricht sie mit einem Ausruf der Befriedignng; +sie fährt ruhig fort:) als daß Sie eine sehr komische Figur in den +Augen Frankreichs abgeben werden. + +(Napoleon rasch:) Was?! (Die Hand, die den Brief hält, fällt +unwillkürlich herab. Die Dame blickt ihn rätselhaft an und verharrt +in ruhigem Schweigen. Er wirft den Brief hin und bricht in einen +Strom von Schmähungen aus:) Was meinen Sie damit, wie? Beginnen Sie +Ihre Kunststücke von neuem? Glauben Sie, daß ich nicht weiß, was +diese Papiere enthalten?... Ich will es Ihnen sagen. Erstens die +Verständigung über Beaulieus Rückzug... er hat ja nur die Wahl +zwischen zwei Dingen, die er tun kann, dieser dickköpfige Idiot! +Entweder sich in Mantua einschließen oder die Neutralität Venedigs +durch die Einnahme von Peschiera verletzen. Sie sind einer von den +Spionen des alten Idioten. Er hat entdeckt, daß er verraten wurde, +und hat Sie ausgesandt, um diese Nachricht um jeden Preis zu vereiteln. +Als wenn ihn das vor mir retten könnte, den alten Narren! Die +andern Papiere enthalten nur meine gewöhnliche Pariser Korrespondenz, +über die Sie nichts wissen. + +(Dame rasch und geschäftsmäßig:) Herr General, lassen Sie uns ehrlich +teilen: nehmen Sie die Nachrichten, die Ihnen Ihre Spione über die +österreichische Armee gesandt haben, und geben Sie mir die Pariser +Korrespondenz--das soll mir genügen. + +(Napoleon ganz atemlos über die Ruhe, mit der sie diesen Vorschlag +macht:) Ehrlich tei... (Er schnappt nach Luft.) Mir scheint, Madame, +daß Sie meine Briefe als Ihr rechtmäßiges Eigentum betrachten, dessen +ich Sie zu berauben versuche! + +(Dame ernst:) Nein, bei meiner Ehre, ich verlange keinen Ihrer +Briefe--nicht ein Wort, das von Ihnen oder an Sie geschrieben wurde. +Dieses Paket enthält einen gestohlenen Brief: einen Brief, den eine +Frau einem Manne geschrieben hat, einem Manne, der nicht ihr Gatte ist, +--einen Brief, der Schande, Infamie bedeutet-- + +(Napoleon.) Einen Liebesbrief? + +(Dame bitter-süß:) Was sonst als ein Liebesbrief könnte so viel Haß +aufrühren? + +(Napoleon.) Warum wurde er an mich gesandt? Um den Gatten in meine +Gewalt zu geben--was? + +(Dame.) Nein, nein--er kann Ihnen in keiner Weise nützlich sein. Ich +schwöre Ihnen, daß es Sie nichts kosten wird, wenn Sie ihn mir geben. +Er wurde Ihnen aus reiner Bosheit zugesandt--einzig und allein, um die +Frau, die ihn geschrieben hat, zu kompromittieren. + +(Napoleon.) Warum hat man ihn nicht ihrem Manne geschickt? Was soll +ich damit? + +(Dame vollkommen aus dem Text gebracht:) Oh! (Sie sinkt in den Stuhl +zurück:) Ich... weiß es nicht. (Sie bricht zusammen.) + +(Napoleon.) Aha! ich dacht' es gleich,--ein kleiner Roman, um die +Papiere zurückzubekommen. (Er wirft das Paket auf den Tisch und tritt +vor sie hin, in zynisch guter Laune,) Per Bacco, kleine Frau! ich kann +nicht umhin, Sie zu bewundern! Wenn ich so zu lügen verstünde wie Sie, +ich könnte, mir viele Mühe ersparen. + +(Dame die Hände ringend:) Oh, wie ich wünschte, daß ich Ihnen wirklich +bloß eine Lüge erzählt hätte! Dann würden Sie mir geglaubt haben! +Das einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit. + +(Napoleon mit roher Vertraulichkeit, behandelt sie, als ob sie eine +Marketenderin wäre:) Ausgezeichnet, ausgezeichnet! (Er legt seine +Hände hinter sich auf den Tisch und setzt sich mit in die Seite +gestemmten Armen und weit auseinander gestreckten Beinen auf den Tisch.) +Gehen Sie! Ich bin ein echter Korse in meiner Vorliebe für +Geschichten! Aber ich könnte sie besser erzählen als Sie, wenn ich +mir's angelegen sein ließe. Wenn man Sie wieder einmal fragen sollte, +warum man einen Brief, der eine Frau kompromittiert, nicht ihrem +Gatten schicken soll, dann antworten Sie einfach: Weil ihn der Gatte +nicht lesen würde.--Oder bilden Sie sich ein, Sie kleine Unschuld, daß +ein Ehemann von der öffentlichen Meinung gezwungen werden will, eine +Szene zu machen, ein Duell auszufechten, infolge eines Skandales +seinen Haushalt aufzugeben, seine Karriere zu zerstören, wenn er all +das verhindern kann, indem er sich hütet, etwas zu wissen? + +(Dame empört:) Und wenn dieses Paket einen Brief über Ihre eigene Frau +enthielte? + +(Napoleon beleidigt, den Tisch verlassend:) Sie werden unverschämt, +Madame! + +(Dame demütig:) Verzeihen Sie mir--Cäsars Frau ist über jeden Argwohn +erhaben. + +(Napoleon mit wohlerwogener Überlegenheit:) Sie haben eine +Indiskretion begangen--ich verzeihe Ihnen. In Zukunft erlauben Sie +sich aber nicht, wirkliche Personen in Ihre Romane einzuführen. + +(Dame höflich eine Rede überhörend, die ihr nur eine Vernachlässigung +der guten Manieren bedeutet, erhebt sie sich, um an den Tisch zu gehen:) +Herr General,--es ist wirklich der Brief einer Frau darunter. (Auf +das Paket zeigend:) Geben Sie ihn mir. + +(Napoleon grob und kurz, mit einer Bewegung, die verhindern soll, daß +sie den Briefen zu nahe kommt:) Warum? + +(Dame.) Er ist von einer alten Freundin, wir waren zusammen in der +Schule; sie hat mir geschrieben und mich angefleht, zu verhindern, daß +der Brief in Ihre Hände falle. + +(Napoleon.) Warum wurde er mir geschickt? + +(Dame.) Weil er den Direktor Barras kompromittiert. + +(Napoleon die Stirne runzelnd, sichtlich erregt:) Barras? (Hochmütig:) +Nehmen Sie sich in acht, Madame. Der Direktor Barras ist mein +treuer, persönlicher Freund. + +(Dame nickt gelassen:) Ja--Sie wurden durch Ihre Frau mit ihm +befreundet. + +(Napoleon.) Schon wieder! Habe ich Ihnen nicht verboten, von meiner +Frau zu sprechen? (Sie fährt fort, ihn neugierig anzublicken, ohne +diese Zurechtweisung zu beachten. Mehr und mehr erregt, läßt er seine +hochmütige Art fallen, die ihm selbst etwas lästig wird, und sagt +argwöhnisch, mit leiser Stimme:) Wer ist diese Frau, mit der Sie so +tief sympathisieren? + +(Dame.) Oh, Herr General, wie könnte ich Ihnen das sagen?! + +(Napoleon übellaunig, beginnt er wieder ärgerlich verwundert auf und +ab zu gehen:) Ja, ja--die eine hilft der andern--Ihr Weiber seid alle +gleich! + +(Dame entrüstet:) Wir sind nicht alle gleich--nicht mehr, als Ihr es +seid! Glauben Sie, daß, wenn ich einen andern Mann liebte, ich +vorgeben würde, meinen Mann weiter zu lieben, oder mich fürchten würde, +ihm oder der ganzen Welt alles zu sagen? Aber diese Frau ist nicht +aus solchem Stoff geschaffen--sie beherrscht die Männer, indem sie sie +betrügt, und (verachtungsvoll:) sie lieben das und lassen sich von ihr +beherrschen. (Sie setzt sich wieder nieder, mit dem Rücken gegen ihn.) + +(Napoleon sich um sie nicht bekümmernd:) Barras! Barras! (Wendet +sich drohend gegen sie, sein Gesicht verfinstert sich.) Nehmen Sie +sich in acht! nehmen Sie sich in acht!--hören Sie! Sie könnten zu +weit gehen! + +(Dame wendet ihm unschuldig ihr Gesicht zu:) Was haben Sie? + +(Napoleon.) Auf was spielen Sie an? Wer ist diese Frau? + +(Dame begegnet seinem ärgerlich forschenden Blick mit ruhiger +Gleichgültigkeit und bleibt, zu ihm aufsehend, mit übergeschlagenen +Beinen sitzen und läßt den rechten Arm leicht auf der Lehne des +Stuhles ruhen:) Ein eitles, dummes, verschwenderisches Geschöpf, das +einen sehr fähigen und ehrgeizigen Mann hat, der sie durch und durch +kennt--der weiß, daß sie ihn über ihr Alter, ihr Einkommen, ihre +soziale Stellung, über alles, worüber dumme Frauen Lügen erzählen, +belogen hat,--der weiß, daß sie unfähig ist, irgendeinem Prinzip oder +irgendeinem Menschen treu zu sein, und doch nicht umhin kann, sie zu +lieben,--dessen männlicher Instinkt ihm sogar erlaubt, sie zu benützen, +um mit ihrer Hilfe bei Barras etwas zu erreichen. + +(Napoleon mit einem leisen, kalt wilden Flüstern:) Das ist Ihre Rache, +Sie Katze, weil Sie mir die Briefe herausgeben mußten! + +(Dame.) Unsinn! Oder halten Sie sich selbst für so einen Menschen? + +(Napoleon außer sich, schlingt die Hände auf dem Rücken ineinander, +seine Finger zucken, und er sagt, während er aufgeregt von ihr fort +zum Kamin geht:) Dieses Weib wird mich noch um den Verstand bringen! +(Zu ihr:) Gehen Sie! + +(Dame bleibt unbeweglich sitzen:) Nicht ohne jenen Brief. + +(Napoleon.) Hinaus, sage ich Ihnen! (Er geht vom Kamin bis gegen den +Weingarten und wieder zurück an den Tisch.) Sie werden keinen Brief +bekommen--Sie gefallen mir nicht! Sie sind ein unausstehliches +Frauenzimmer and häßlich wie der leibhaftige Satan! Ich lasse mich +nicht von fremden Weibern belästigen! Machen Sie, daß Sie fortkommen! +(Er wendet ihr den Rücken zu. Sie stützt ihre Wange in die Hand und +lacht in stillem Vergnügen über ihn. Er wendet sich wieder um, ihr +ärgerlich nachahmend:) Hahaha! Worüber lachen Sie? + +(Dame.) Über Sie, Herr General. Ich habe schon oft Menschen Ihres +Geschlechtes aufgebracht und sich wie Kinder benehmen sehen, aber ich +habe das noch nie zuvor an einem wirklich großen Manne beobachtet. + +(Napoleon brutal, ihr die Worte ins Gesicht schleudernd:) Pah! +Schmeichelei! Schmeichelei! plumpe, unverschämte Schmeichelei! + +(Dame springt mit jähem Erröten auf:) Oh, Sie gehen zu weit! Behalten +Sie Ihre Briefe, lesen Sie darin die Geschichte Ihrer eigenen Schande, +und möge sie Ihnen gut bekommen! Leben Sie wohl! (Sie geht entrüstet +zur inneren Türe.) + +(Napoleon.) Meine eigene--! Bleiben Sie! Kommen Sie zurück! Ich +befehle Ihnen zu bleiben! (Sie mißachtet stolz seinen wilden +befehlshaberischen Ton und setzt den Weg zur Tür fort. Er springt auf +sie zu, faßt sie beim Handgelenk and zerrt sie zurück.) Jetzt werden +Sie mir sagen, was Sie meinen... erklären Sie sich! Erklären Sie, +sage ich Ihnen, sonst--! (Bedroht sie. Sie sieht ihn mit furchtlosem +Trotz an.) Brr! Sie hartnäckiger Teufel, Sie! warum wollen Sie eine +höfliche Frage nicht beantworten? + +(Dame durch seine Heftigkeit tief verletzt:) Warum fragen Sie mich? +Sie haben ja die Erklärung. + +(Napoleon.) Wo? + +(Dame zeigt auf den Tisch mit den Briefen:) Dort! Sie brauchen nur zu +lesen. (Er nimmt das Paket auf, zögert, sieht sie argwöhnisch an und +wirft es wieder hin.) + +(Napoleon.) Sie scheinen die Sorge um die Ehre Ihrer alten Freundin +vergessen zu haben? + +(Dame.) Jetzt läuft sie keine Gefahr mehr: sie versteht ihren Mann +nicht ganz. + +(Napoleon.) Soll ich den Brief also lesen? (Er streckt seine Hand aus, +als ob er das Paket wieder aufgreifen wollte, den Blick auf sie +gerichtet.) + +(Dame.) Ich sehe nicht, wie Sie jetzt noch vermeiden könnten, ihn zu +lesen. (Er zieht seine Hand sofort zurück.) Oh, fürchten Sie sich +nicht. Sie werden mancherlei interessante Dinge darin finden. + +(Napoleon.) Zum Beispiel? + +(Dame.) Zum Beispiel: ein Duell--mit Barras, eine häusliche Szene, +einen aufgelösten Haushalt, einen öffentlichen Skandal, eine zerstörte +Karriere--allerlei interessante Dinge-- + +(Napoleon.) Hm! (Er sieht sie an, nimmt das Paket und betrachtet es, +spitzt die Lippen und wiegt es in der Hand, sieht sie dann wieder an, +nimmt das Paket in seine linke Hand und stellt es hinter seinen Rücken; +seine rechte Hand erhebt er, um sich am Hinterkopf zu kratzen, indem +er sich umwendet und an die Schwelle des Weingartens geht, wo er einen +Augenblick stehen bleibt und, in tiefe Gedanken versunken, nach den +Weinreben blickt. Die Dame beobachtet ihn schweigend, mit einiger +Geringschätzung. Plötzlich kommt er wieder zurück, voll Kraft und +Entschlossenheit:) Ich will Ihre Bitte erfüllen, Madame. Ihr Mut und +Ihre Entschlossenheit verdienen einen Erfolg. Nehmen Sie die Briefe, +für die Sie so gut gekämpft haben, und erinnern Sie sich hinfort daran, +daß Sie den niedrig geborenen, gemeinen, korsischen Abenteurer nach +der gewonnenen Schlacht dem Besiegten gegenüber ebenso großmütig +gefunden haben, wie er vorher im Angesichte des Feindes unerbittlich +war. (Er bietet ihr das Paket an.) + +(Dame ohne es zu nehmen, ihn hart anblickend:) Ich frage mich, was Sie +wohl jetzt im Schilde führen. (Er wirft das Paket wütend auf den +Boden.) Aha! Mir scheint, diesmal habe ich eine Pose verdorben. (Sie +macht ihm eine hübsche, spöttische Verbeugung.) + +(Napoleon hebt die Briefe wieder auf:) Wollen Sie die Briefe nehmen +und dann gehen? (Geht auf sie los und will sie ihr aufdrängen.) + +(Dame um den Tisch herum entwischend:) Nein! ich will Ihre Briefe +nicht. + +(Napoleon.) Vor zehn Minuten wollte Ihnen nichts anderes genügen. + +(Dame den Tisch sorgfältig zwischen ihm und sich haltend:) Vor zehn +Minuten hatten Sie mich noch nicht über alles Ertragen beleidigt. + +(Napoleon.) Dann... (seine Wut hinunterwürgend:) dann bitte ich Sie um +Verzeihung. + +(Dame kühl:) Ich danke. (Er bietet ihr mit erzwungener Höflichkeit +das Paket über den Tisch an; sie tritt einen Schritt zurück, aus +seinem Bereich, und sagt:) Aber wollen Sie denn nicht mehr wissen, ob +die Österreicher in Mantua oder in Peschiera stehen? + +(Napoleon.) Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich meine Feinde ohne die +Mithilfe von Spionen zu besiegen weiß, Madame! + +(Dame.) Und den Brief--wollen Sie den nicht lesen? + +(Napoleon.) Sie haben gesagt, daß er nicht an mich adressiert ist--ich +habe nicht die Gewohnheit, anderer Leute Briefe zu lesen. (Er bietet +ihr das Paket abermals an.) + +(Dame.) Wenn dem so ist, dann ist dagegen, daß Sie ihn behalten, gewiß +nichts einzuwenden. Alles, was ich wollte, war: zu verhindern, daß +Sie ihn lesen. (Heiter:) Guten Abend, Herr General! (Sie wendet sich +kühl nach der inneren Türe.) + +(Napoleon wirft das Paket ärgerlich auf das Sofa:) Himmel, gib mir +Geduld! (Er pflanzt sich entschlossen vor der Tür auf und verstellt +ihr so den Weg.) Fehlt Ihnen jeder Sinn für persönliche Gefahr, oder +gehören Sie zu den Frauen, die es lieben, schwarz und blau geschlagen +zu werden? + +(Dame.) Ich danke schön, Herr General--das müßte zweifellos eine sehr +reizvolle Sensation sein, aber ich verzichte lieber darauf. Ich will +einfach nach Hause gehn, weiter nichts. Ich war arglistig genug, Ihre +Depeschen zu stehlen, aber Sie haben sie zurückbekommen und haben mir +verziehen, weil (seinen rhetorischen Tonfall liebenswürdig +wiederholend:) Sie nach der gewonnenen Schlacht ebenso großmütig gegen +den Besiegten sind, wie Sie vorher im Angesicht des Feindes +unerbittlich waren. Wollen Sie mir nicht Lebewohl sagen? (Sie reicht +ihm freundlich die Hand.) + +(Napoleon das Entgegenkommen mit einer Gebärde maßloser Wut +zurückweisend, öffnet die Tür und ruft wütend:) Giuseppe! (Lauter:) +Giuseppe! (Er schlägt die Tür zu und kommt in die Mitte des Zimmers. +Die Dame geht etwas gegen den Weingarten zu, um ihm auszuweichen.) + +(Giuseppe erscheint an den Tür:) Exzellenz befehlen? + +(Napoleon.) Wo ist der Narr? + +(Giuseppe.) Der Herr Leutnant hat, wie Exzellenz befohlen haben, ein +gutes Essen bekommen und erweist mir nun die Ehre, mit mir zu würfeln, +um sich die Zeit zu vertreiben. + +(Napoleon.) Schick' ihn her--bring ihn herein and komm mit ihm. + +(Giuseppe läuft mit unentwegter Bereitwilligkeit hinaus. Napoleon +wendet sich zu der Dame und sagt dabei barsch:) Ich muß Sie bitten, +noch einige Augenblicke hierzubleiben, Madame. (Er geht zum Sofa. +Sie schreitet vom Weingarten an der entgegengesetzten Seite des +Zimmers an das Büfett, lehnt sich dagegen und beobachtet ihn. Er +nimmt das Paket vom Sofa und knöpft es langsam und sorgfältig in seine +Brusttasche, während er sie dabei mit einem Ausdruck betrachtet, der +besagen soll, daß sie den Zweck seines Vorgehens bald herausfinden und +über diesen Zweck nicht erfreut sein wird. Es wird nichts mehr gesagt, +bis der Leutnant hereinkommt. Giuseppe folgt ihm und bleibt +bescheiden in Bereitschaft vor dem Tische stehn. Der Leutnant ohne +Mütze, ohne Degen und ohne Handschuhe und infolge seiner Mahlzeit in +viel besserer Laune und besserer Geistesverfassung wählt die Seite des +Zimmers, auf der die Dame steht, und wartet sehr behaglich, bis +Napoleon beginnt.) + +(Napoleon.) Herr Leutnant! + +(Leutnant ermutigend:) Herr General! + +(Napoleon.) Ich kann diese Dame nicht dazu bewegen, mir viele +Aufklärungen zu geben; aber es besteht kein Zweifel mehr darüber, daß +der Mann, der Sie durch seine List dahin brachte, Ihre Pflicht zu +verletzen, wie sie es bereits zugab, ihr Bruder ist. + +(Leutnant triumphierend:) Was habe ich Ihnen gesagt, Herr General? + +(Napoleon.) Sie müssen diesen Menschen finden, Ihre Ehre steht auf dem +Spiel, und der Ausgang des Feldzuges, das Schicksal Frankreichs--Europas +--der Menschheit vielleicht mag von den Mitteilungen abhängen, die jene +Depeschen enthalten. + +(Leutnant.) Ja, mir scheint, sie sind wirklich ziemlich wichtig. (Als +ob er vorher kaum daran gedacht hätte.) + +(Napoleon energisch:) Sie sind so wichtig, Herr Leutnant, daß ich Sie +in Gegenwart Ihres Regiments degradieren werde, wenn Sie diese +Depeschen nicht wiederfinden. + +(Leutnant.) Hu! Ich kann Ihnen versichern, daß dem Regimente das +wenig Spaß machen wird. + +(Napoleon.) Persönlich bedaure ich Sie; ich würde die Sache, wenn das +möglich wäre, gerne unterdrücken. Aber ich werde zur Rechenschaft +gezogen werden, wenn ich nicht nach den Depeschen handle--ich werde +der ganzen Welt beweisen müssen, daß ich sie niemals bekommen habe, +was für Folgen das auch immer für Sie haben mag--es tut mir leid, aber +Sie sehen, ich kann mir nicht anders helfen. + +(Leutnant gutmütig:) Oh, nehmen Sie sich die Sache nicht zu Herzen, +Herr General, Sie sind wirklich zu gütig. Was mir auch zustoßen +sollte, ich werde schon irgendwie durchkommen, und wir werden die +Österreicher für Sie schlagen--mit oder ohne Depeschen! Ich hoffe, +Sie werden nicht darauf bestehen, daß ich ganz umsonst sofort Jagd +nach diesem Burschen mache. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich ihn +suchen soll. + +(Giuseppe ehrerbietig:) Sie vergessen, Herr Leutnant,--er hat Ihr +Pferd. + +(Leutnant auffahrend:) Das hab' ich ganz vergessen. (Entschlossen:) +Ich werde nach ihm fahnden, Herr General, ich werde dieses Pferd, wenn +es irgendwo in Italien noch am Leben ist, aufstöbern, und ich werde +die Depeschen nicht vergessen--seien Sie unbesorgt. Geh', Giuseppe, +und sattle eines von deinen schäbigen alten Postkutschpferden, während +ich meine Mütze, meinen Degen und die übrigen Sachen hole,--schnell, +marsch! fort mit dir! (Drängt ihn hinaus.) + +(Giuseppe.) Sofort, Herr Leutnant, sofort! (Er verschwindet im +Weingarten, den der Sonnenuntergang rötet.) + +(Leutnant auf dem Wege nach der inneren Tür um sich blickend:) Da +fällt mir ein, Herr General, habe ich Ihnen meinen Degen gegeben oder +nicht? Oh, ich erinnere mich jetzt--(verdrießlich:) Das kommt davon, +wenn man einen Menschen in Arrest setzt! Man weiß dann nie, wo man +seine sieben Sachen gelassen... (Er schwätzt sich aus dem Zimmer.) + +(Dame noch vor dem Büfett:) Was soll das alles bedeuten, Herr General? + +(Napoleon.) Er wird Ihren Bruder nicht finden. + +(Dame.) Selbstverständlich nicht; weil ich keinen habe. + +(Napoleon.) Die Depeschen werden unwiederbringlich verloren sein. + +(Dame.) Unsinn! Sie sind in Ihrer Rocktasche. + +(Napoleon.) Sie werden einsehen, daß es schwerhalten wird, diese +abenteuerliche Behauptung zu beweisen. + +(Die Dame fährt auf; er fügt mit treffendem Nachdruck hinzu:) Diese +Papiere sind verloren. + +(Dame ängstlich, an die Ecke des Tisches vorwärtsschreitend:) Und +deshalb soll die Karriere dieses unglücklichen Menschen geopfert +werden? + +(Napoleon.) Seine Karriere?! Der Bursche ist das Schießpulver nicht +wert, das er kosten würde, wenn ich ihn niederknallen ließe! (Er +wendet sich verachtungsvoll ab und geht zum Kamin, wo er der Dame den +Rücken kehrt.) + +(Dame gedankenvoll:) Sie sind sehr hart. Männer und Frauen sind Ihnen +nichts als Dinge, dazu da, von Ihnen gebraucht zu werden, selbst wenn +sie bei dem Gebrauch zugrunde gehn. + +(Napoleon wendet sich zu ihr:) Wer von uns beiden hat diesen Burschen +zugrunde gerichtet--ich oder Sie? Wer hat ihm die Depeschen +abgelockt? Haben Sie dabei an seine Karriere gedacht? + +(Dame naiv bekümmert um den Leutnant:) Oh, daran habe ich nicht +gedacht! Es war brutal von mir--aber ich konnte nicht anders, nicht +wahr? Wie hätte ich sonst die Papiere bekommen sollen? (Flehentlich:) +Herr General, Sie werden ihm die Schande ersparen! + +(Napoleon bitter lachend:) Retten Sie ihn, da Sie so gescheit sind! +Sie waren es ja, die ihn ruiniert hat! (Mit wilder Betonung:) Ich +hasse einen schlechten Soldaten! (Er geht entschlossen durch den +Weingarten hinaus; sie folgt ihm einige Schritte mit einer +beschwörenden Gebärde, wird aber durch die Rückkehr des Leutnants +aufgehalten, der mit Handschuhen und Mütze und umgürtetem Degen +marschbereit ist. Er durchschreitet das Zimmer nach der äußeren Tür +zu, als sie ihm in den Weg tritt.) + +(Dame.) Herr Leutnant! + +(Leutnant wichtig:) Sie dürfen mich nicht aufhalten,--Dienst ist +Dienst, gnädige Frau. + +(Dame flehentlich:) O Herr Leutnant, was wollen Sie meinem armen +Bruder tun? + +(Leutnant.) Lieben Sie ihn sehr? + +(Dame.) Ich würde sterben, wenn ihm etwas zustieße--Sie müssen ihn +verschonen! (Der Leutnant schüttelt düster den Kopf.) Ja, ja, Sie +müssen--Sie werden... Er darf noch nicht sterben! Hören Sie mich! +Wenn ich Ihnen sage, wo er zu finden ist--wenn ich es unternehme, ihn +als Gefangenen in Ihre Hände zu liefern, damit Sie ihn dem General +Bonaparte übergeben können--wollen Sie mir dann als Offizier und +Edelmann bei Ihrer Ehre schwören, nicht mit ihm zu kämpfen oder ihn +auf irgendeine Weise schlecht zu behandeln? + +(Leutnant.) Aber gesetzt den Fall, daß er mich angreift... er hat +meine Pistolen! + +(Dame.) Dazu ist er viel zu feige. + +(Leutnant.) Davon bin ich durchaus nicht so überzeugt--der ist zu +allem fähig. + +(Dame.) Für den Fall, daß er Sie angreifen oder den leisesten +Widerstand leisten sollte, gebe ich Ihnen Ihr Versprechen zurück. + +(Leutnant.) Mein Versprechen? Ich habe ja noch nichts versprochen. +--Schauen Sie! Sie sind genau so gerieben wie Ihr Bruder.--Sie haben +mich auch mittels der besseren Seite meiner Natur übervorteilen wollen. +Und wie steht es mit meinem Pferd? + +(Dame.) Es ist in unsere Abmachung eingeschlossen, daß Sie Ihr Pferd +und Ihre Pistolen zurückbekommen sollen. + +(Leutnant.) Bei Ihrer Ehre? + +(Dame.) Bei meiner Ehre! (Sie reicht ihm die Hand.) + +(Leutnant erfaßt sie und hält sie fest:) Abgemacht! Ich werde mit ihm +sanft wie ein Lamm umgehen.--Seine Schwester ist eine sehr hübsche +Frau. (Er versucht, sie zu küssen.) + +(Dame ihm entschlüpfend:) O Herr Leutnant, Sie vergessen,--es geht um +Ihre Karriere--um das Schicksal Europas--der Menschheit vielleicht... + +(Leutnant.) Was schert mich das Schicksal der Menschheit! (Ihr +nachsetzend:) Nur einen Kuß! + +(Dame zieht sich hinter den Tisch zurück:) Nicht, bevor Sie Ihre +Offiziersehre wiedergewonnen haben. Bedenken Sie--noch ist mein +Bruder nicht Ihr Gefangener! + +(Leutnant verführerisch:) Sie werden mir sagen, wo er ist--nicht wahr? + +(Dame.) Ich brauche ihm nur ein vereinbartes Zeichen zu senden, und er +wird in einer Viertelstunde hier sein. + +(Leutnant.) Dann ist er also gar nicht weit? + +(Dame.) Nein--sogar ganz nahe. Warten Sie hier auf ihn; sobald er +meine Botschaft bekommt, wird er sofort hierhereilen, um sich Ihnen zu +ergeben--verstehen Sie jetzt? + +(Leutnant an dessen Verstand zu hohe Anforderungen gestellt werden:) +Nun, die Sache ist zwar ein wenig kompliziert, aber ich hoffe, es wird +schon alles in Ordnung sein. + +(Dame.) Und jetzt, während Sie auf den Gefangenen warten, glauben Sie +nicht, daß es besser wäre, Sie würden mit dem General die Bedingungen +der Übergabe vereinbaren? + +(Leutnant.) Sehen Sie, wie fürchterlich verwickelt die Sache ist! Was +für Bedingungen? + +(Dame.) Lassen Sie sich von ihm zusichern, daß er Ihre Soldatenehre +als wiederhergestellt betrachtet, sobald Sie meinen Bruder gefangen +haben. Unter dieser Bedingung wird er alles versprechen, was Sie +verlangen. + +(Leutnant.) Das ist keine schlechte Idee, ich danke Ihnen. Ich glaube, +das werde ich doch versuchen. + +(Dame.) Tun Sie das. Und vor allem eins: lassen Sie ihn ja nicht +merken, wie gescheit Sie sind. + +(Leutnant.) Ich verstehe:--er könnte neidisch werden. + +(Dame.) Sagen Sie ihm nichts anderes, als daß Sie entschlossen sind, +meinen Bruder gefangenzunehmen oder bei dem Versuche zugrunde zu gehn. +Er wird Ihnen nicht glauben wollen--dann werden Sie meinen Bruder +vorführen... + +(Leutnant unterbrechend, da er nun endlich das Komplott begreift:) Und +ihn auslachen! Nein, was für eine gescheite kleine Frau Sie sind! +(Rufend:) Giuseppe! + +(Dame.) Sch! Kein Wort zu Giuseppe über mich! (sie legt ihren Finger +auf die Lippen, er tut dasselbe; sie blicken einander warnend an; dann +ändert sie mit einem entzückenden Lächeln die Gebärde dahin, daß sie +ihm einen Kuß zuwirft, und läuft durch die innere Tür hinaus. +Elektrisiert, bricht er in ein kicherndes Frohlocken aus. Giuseppe +kommt durch die äußere Tür zurück.) + +(Giuseppe.) Das Pferd ist bereit, Herr Leutnant. + +(Leutnant.) Ich gehe noch nicht gleich. Lauf! suche den General und +sag ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche. + +(Giuseppe den Kopf schüttelnd:) Das ist ganz unmöglich, Herr Leutnant. + +(Leututnant.) Warum? + +(Giuseppe.) In dieser bösen Welt kann ein General zwar nach einem +Leutnant schicken, aber ein Leutnant darf niemals nach einem General +schicken. + +(Leutnant.) Ah, du meinst, das würde ihm nicht passen. Nun, du hast +vielleicht recht. Man muß in diesen Dingen jetzt ungemein vorsichtig +sein, seit wir eine Republik haben. (Da erscheint, vom Weingarten +kommend, Napoleon, seinen Rock auf der Brust zuknöpfend, bleich und +voll nagender Gedanken.) + +(Giuseppe der sich der Nähe Napoleons nicht bewußt ist:) Sehr richtig, +Herr Leutnant, sehr richtig! Ihr seid jetzt in Frankreich alle wie +die Wirte. Ihr müßt gegen jedermann höflich sein. + +(Napoleon seine Hand auf Giuseppes Schulter legend:) Und das nimmt der +Höflichkeit ihren ganzen Wert--nicht wahr? + +(Leutnant.) Ah, da ist mein Mann!--Herr General, gesetzt den Fall, daß +ich Ihnen den Burschen stelle-- + +(Napoleon mit ironischem Ernst:) Sie werden ihn mir nicht stellen, +mein Freund! + +(Leutnant.) Aha! das glauben Sie--aber Sie werden schon sehen, warten +Sie nur ab! Wenn ich ihn aber doch fangen und Ihnen übergeben sollte, +werden Sie dann sagen: wir sind quitt!? Werden Sie dann die +Geschichte von der Degradierung in Gegenwart meines Regiments fallen +lassen? Nicht meinetwegen, wissen Sie!--aber kein Regiment läßt sich +gerne dem Gelächter der andern Regimenter preisgeben. + +(Napoleon ein kalter Schimmer von Humor huscht über sein düsteres +Gesicht:) Was sollen wir mit diesem Offizier beginnen, Giuseppe, +--alles, was er sagt, ist falsch. + +(Giuseppe schlagfertig:) Machen Sie ihn zum General, Exzellenz; dann +wird alles, was er sagt, richtig sein. + +(Leutnant triumphierend:) Haha! (Er wirft sich in Ekstase auf das +Sofa, um den Witz auszukosten.) + +(Napoleon lacht und nimmt Giuseppe bei einem Ohr:) In diesem Wirtshaus +kommst du nicht zur Geltung, Giuseppe. (Er setzt sich und stellt +Giuseppe vor sich hin, wie ein Schulmeister seinen Schüler:) Soll ich +dich mit mir nehmen und einen Mann aus dir machen? + +(Giuseppe schüttelt wiederholt rasch den Kopf:) Nein, ich danke Ihnen, +Herr General. Mein ganzes Leben lang haben Leute versucht, aus mir +einen Mann zu machen. + +Als ich ein Knabe war, wollte unser guter Pastor einen Mann aus mir +machen, indem er mich lesen und schreiben lehrte; dann wollte der +Organist zu Melegnano einen Mann aus mir machen, indem er mich im +Notenlesen unterwies. Später würde der rekrutierende Korporal einen +Mann aus mir gemacht haben, wenn ich ein paar Zoll größer gewesen wäre, +--aber immer hätte das für mich Arbeit bedeutet; dazu bin ich aber zu +faul, dem Himmel sei Dank! So lernte ich statt alldem kochen und +wurde Wirt, und nun halte ich Dienerschaft für die Arbeit und habe +selber nichts zu tun, als zu schwatzen, was mir ausgezeichnet bekommt. + +(Napoleon ihn gedankenvoll anblickend:) Bist du zufrieden? + +(Giuseppe in froher Überzeugung:) Vollkommen, Exzellenz! + +(Napoleon.) Und du hast keinen verzehrenden Teufel im Leibe, der Tag +und Nacht mit Taten und Siegen gefüttert werden muß--der dich mit dem +Schweiße deines Körpers und deines Gehirnes, mit Wochen von +Herkulesarbeiten zehn Minuten des Genusses bezahlen läßt, der +gleichzeitig dein Sklave und dein Tyrann ist, dein Genius und dein +Verhängnis--der dir mit der einen Hand eine Krone reicht und das Ruder +eines Galeerensklaven mit der andern--der dir alle Königreiche der +Erde zeigt und dich zu ihrem Herrn zu machen verspricht unter der +Bedingung, daß du ihr Diener wirst?--Von alledem hast du nichts im +Leibe? + +(Giuseppe.) Nichts dergleichen. Aber ich versichere Ihnen, Exzellenz, +mein verzehrender Teufel ist weit schlimmer; er bietet mir weder +Kronen noch Königreiche: er erwartet alles umsonst von mir zu +bekommen--Würste, Omeletten, Trauben, Käse, Polenta, Wein--täglich +dreimal, Exzellenz, nichts Geringeres will ihm genügen. + +(Leutnant.) Hör' auf, Giuseppe!--Deine Worte machen mich wieder +hungrig. (Giuseppe verbeugt sich, sich entschuldigend und zieht sich +von dem Gespräche zurück. Er macht sich am Tische zu schaffen, staubt +ihn ab, legt die Landkarte zurecht and rückt Napoleons Stuhl, den die +Dame zurückgestoßen hat, wieder an seinen richtigen Platz.) + +(Napoleon wendet sich zum Leutnant mit sardonischer Feierlichkeit:) +Ich hoffe, daß ich nicht ehrgeizige Gefühle in Ihnen erweckt habe. + +(Leutnant.) Durchaus nicht. Ich fliege nicht so hoch,--überdies ist +es besser, daß ich so bleibe wie ich bin. Männer wie ich werden +gerade jetzt in der Armee gebraucht. Die Revolution paßte nämlich +ganz gut für Zivilisten, aber für die Armee taugt sie nichts. Sie +wissen, wie Soldaten sind, Herr General: sie bestehen darauf, Männer +von Rang zu Ihren Offizieren zu haben. Ein Leutnant muß ein Edelmann +sein, weil er mit den Soldaten soviel in Berührung kommt; aber ein +General oder selbst ein Oberst kann aus dem schlechtesten Ausschuß +entnommen werden, wenn er sein Geschäft gut genug versteht. Ein +Leutnant ist ein Edelmann, alles andere ist Zufall. Was glauben Sie, +wer hat die Schlacht bei Lodi gewonnen? Ich will es Ihnen sagen: mein +Pferd. + +(Napoleon erhebt sich:) Ihre Dummheit führt Sie zu weit,--nehmen Sie +sich in acht! + +(Leutnant.) Durchaus nicht. Sie erinnern sich doch an die heftige +Kanonade von einem Flußufer zum andern: die Österreicher bombardierten +Sie, um Ihren Übergang zu verhindern, und Sie bombardierten die +Österreicher, um sie davon abzuhalten, daß Sie die Brücke in Brand +setzten. Haben Sie bemerkt, wo ich während dieser Zeit gewesen bin? + +(Napoleon mit drohender Höflichkeit:) Ich bedaure--ich glaube, ich war +in diesem Augenblick zu sehr beschäftigt. + +(Giuseppe mit eifriger Bewunderung:) Man erzählt sich, daß Sie von +Ihrem Pferde abgesprungen sind und die großen Kanonen mit eigenen +Händen abgeprotzt haben, Herr General! + +(Leutnant.) Das war ein Mißgriff: ein Offizier sollte sich nie dazu +hergeben, die Arbeit seiner Untergebenen zu verrichten. (Napoleon +sieht ihn gefahrdrohend an und beginnt wie ein Tiger auf und ab zu +gehen.) Aber Sie könnten noch jetzt ganz zwecklos auf die Österreicher +feuern, wenn wir Kavalleristen nicht die Furt gefunden hätten, über +den Fluß gesetzt wären und Sie dadurch unterstützt hätten, daß wir +Beaulieus Flanke von Ihnen abwendeten. Sie würden es nicht gewagt +haben--und Sie wissen das selbst sehr genau--den Befehl zu geben, die +Brücke stürmen zu lassen, wenn Sie uns nicht auf dem jenseitigen Ufer +gesehen hätten. Deshalb sage ich, daß nur der Entdecker jener Furt +die Schlacht bei Lodi gewonnen hat.--Nun, und wer hat sie +entdeckt?--Ich war der erste Mann, der sie überschritt, und ich weiß +es--mein Pferd hat sie gefunden. (Mit Überzeugung, während er sich +vom Sofa erhebt:) Eigentlich hat mein Pferd die Österreicher besiegt. + +(Napoleon zornig:) Sie Idiot, ich werde Sie erschießen lassen, weil +Sie die Depeschen verloren haben! Ich werde Sie vor die Mündung einer +Kanone binden and in die Luft sprengen lassen! Andere Maßregeln sind +ja nicht imstande, Eindruck auf Sie zu machen. (Ihn anbrüllend:) +Hören Sie! verstehen Sie! (Ein französischer Offizier tritt +unbeachtet ein, seinen in der Scheide befindlichen Degen in der Hand.) + +(Leutnant uneingeschüchtert:) Wenn ich ihn nicht erwischen werde, Herr +General, nur dann! Bedenken Sie das Wenn! + +(Napoleon.) Wenn! wenn!... Esel! dieser Mann existiert überhaupt +nicht! + +(Der Offizier tritt plötzlich zwischen sie und spricht mit der +unverkennbaren Stimme der fremden Dame:) Herr Leutnant, ich bin Ihr +Gefangener! (Sie bietet ihm ihren Degen.--Sie sind sprachlos vor +Erstaunen. Napoleon start sie einen Augenblick, wie vom Donner +gerührt, an, reißt sie dann am Handgelenk rauh zu sich hin, betrachtet +sie wild aus der Nähe, um ihre Identität selbst festzustellen, denn es +beginnt rasch zu dunkeln und der rote Schein über dem Weingarten +weicht einem hellen Sternenlicht.) + +(Napoleon.) Pah! (Er läßt mit einem Ausruf des Widerwillens ihre Hand +fahren und wendet ihr düster blickend den Rücken zu, seine Hand in den +Brustfalten des Waffenrockes.) + +(Leutnant nimmt triumphierend den Degen:) Dieser Mann existiert +überhaupt nicht--was, Herr General? (Zu der Dame:) Ich frage Sie: wo +ist mein Pferd? + +(Dame.) Es wartet gesund in Borghetto auf Sie, Herr Leutnant. + +(Napoleon sich zu ihnen wendend:) Wo sind die Depeschen? + +(Dame.) Das würden Sie niemals erraten--die sind an dem +unwahrscheinlichsten Orte von der Welt. Hat jemand von Ihnen meine +Schwester hier gesehen? + +(Leutnant.) Ja! sehr hübsche Dame! Sie sieht Ihnen ganz wunderbar +ähnlich, aber natürlich ist sie viel hübscher. + +(Dame geheimnisvoll:) Nun--wissen Sie aber auch, daß sie eine +gefährliche Hexe ist? + +(Giuseppe läuft auf sie zu und bekreuzigt sich:) O nein, nein, nein! +Es ist gefährlich, mit solchen Dingen zu scherzen! Ich kann das in +meinem Hause nicht dulden, Exzellenz! + +(Leutnant.) Ja, lassen Sie das. Sie sind mein Gefangener, das wissen +Sie. Selbstverständlich glaube ich nicht an so einen Unsinn; aber es +ist doch kein Ding, mit dem man spaßen sollte. + +(Dame.) Es ist aber so, ich spreche vollkommen ernst. Meine Schwester +hat den Herrn General behext. (Giuseppe und der Leutnant weichen von +Napoleon zurück.) Herr General, öffnen Sie Ihren Rock, und Sie werden +die Depeschen in Ihrer Brusttasche finden. (Sie legt ihre Hand rasch +auf seine Brust.) Ja, hier sind sie--ich kann sie fühlen... Nun? +(Sie sieht ihm ins Gesicht, halb schmeichlerisch, halb spöttisch.) +Wollen Sie mir gestatten, Herr General--? (Sie faßt einen Knopf, als +ob sie seinen Rock aufknöpfen wollte, und wartet auf Erlaubnis.) + +(Napoleon unergründlich:) Wenn Sie es wagen. + +(Dame.) Ich danke Ihnen. (Sie öffnet seinen Rock und nimmt die +Depeschen heraus.) Da sind sie! (Zu Giuseppe, ihm die Depeschen +zeigend:) Sehen Sie? + +(Giuseppe zur äußeren Tür fliehend:) Nein--um Gottes willen; Sie sind +behext! + +(Dame sich zu dem Leutnant wendend:) Hier, Herr Leutnant, Sie fürchten +sich doch nicht vor den Papieren. + +(Leutnant zurückweichend:) Zehn Schritt vom Leibe! (Den Knauf des +Degens erfassend:) Ich sage Ihnen, zehn Schritt vom Leibe! + +(Dame zu Napoleon:) Die Schriftstücke gehören Ihnen, Herr General, +nehmen Sie sie! + +(Giuseppe.) Berühren Sie sie nicht, Exzellenz! Machen Sie sich damit +nicht zu schaffen! + +(Leutnant.) Seien Sie vorsichtig, Herr General,--seien Sie vorsichtig! + +(Giuseppe.) Verbrennen Sie sie--und verbrennen Sie die Hexe dazu! + +(Dame zu Napoleon:) Soll ich sie verbrennen? + +(Napoleon gedankenvoll:) Ja... verbrennen Sie sie.--Giuseppe, geh' und +hole ein Licht. + +(Giuseppe zitternd und stammelnd:) Muten Sie mir wirklich zu, daß ich +allein gehen soll... im Dunkeln... wo eine Hexe im Hause ist... + +(Napoleon.) Pah! Du bist ein Feigling! (Zum Leutnant:) Sie werden +mich verbinden, wenn Sie gehen wollen, Herr Leutnant. + +(Leutnant sich verwahrend:) Oh! gestatten Sie mir zu bemerken, Herr +General... nein, Sie wissen... niemand kann nach Lodi sagen, daß ich +ein Feigling bin... aber von mir zu verlangen, daß ich allein im +Dunkeln gehen soll... ohne eine Kerze... nach so einer schauerlichen +Unterhaltung... das ist ein bißchen zuviel!--Würden Sie selbst so +etwas gerne tun? + +(Napoleon gereitzt:) Sie weigern sich also, meinem Befehle zu +gehorchen? + +(Leutnant entschlossen:) Ja, das tu' ich. Es ist unbillig, so was zu +verlangen--aber ich will Ihnen sagen, wozu ich bereit bin: wenn +Giuseppe geht, dann will ich mit ihm gehn und ihn beschützen. + +(Napoleon zu Giuseppe:) Du hörst... Wird dir das genügen? Macht, daß +ihr fortkommt, alle beide! + +(Giuseppe demütig mit zitternden Lippen:) Sehr gerne--wie Sie befehlen, +Exzellenz! (Er geht widerstrebend nach der inneren Türe.) Der Himmel +schütze mich! (Zum Leutnant:) Nach Ihnen, Herr Leutnant! + +(Leutnant.) Es wäre besser, du gingest voraus--ich weiß den Weg nicht. + +(Giuseppe.) Er ist nicht zu verfehlen. Überdies (flehentlich die +Hand auf seinen Armel legend:) ich bin nur ein armer Wirt, und Sie +sind ein Edelmann! + +(Leutnant.) Da hast du nicht so unrecht. Da--du brauchst keine solche +Angst zu haben--nimm meinen Arm. (Giuseppe tut es.) So ist's recht... +(Sie gehen Arm in Arm hinaus. Jetzt ist es sternenhelle Nacht. Die +Dame wirft das Paket auf den Tisch, setzt sich behaglich auf das Sofa +und genießt die Freude, von ihren Unterröcken befreit zu sein.) + +(Dame.) Nun, Herr General--ich habe Sie doch besiegt! + +(Napoleon geht auf und ab:) Sie haben sich der Unzartheit, der +Unweiblichkeit schuldig gemacht. Halten Sie dieses Kleid, das Sie da +tragen, für schicklich? + +(Dame.) Es scheint mir dem Ihrigen sehr ähnlich zu sein. + +(Napoleon.) Pfui! ich erröte für Sie! + +(Dame naiv:) Ja?... Soldaten erröten so leicht! (Er brummt und +wendet sich ab. Sie blickt ihn schelmisch an, die Depeschen in ihrer +Hand wiegend.) Wollen Sie diese da nicht lesen, bevor wir sie +verbrennen, General? Sie müssen vor Neugierde sterben. Werfen Sie +einen Blick hinein. (Sie wirft das Paket auf den Tisch und wendet das +Gesicht davon ab.) Ich will nicht hinsehen.-- + +(Napoleon.) Ich habe keinerlei Neugierde, Madame. Aber da Sie selbst +augenscheinlich darauf brennen, sie zu lesen, erlaube ich Ihnen, es zu +tun. + +(Dame.) Oh! ich hab' sie schon gelesen. + +(Napoleon auffabrend:) Was?! + +(Dame.) Das war das erste, was ich getan habe, als ich auf dem Pferde +dieses armen Leutnants davongeritten bin. Sie sehen also: ich weiß, +was darin steht; aber Sie wissen es nicht. + +(Napoleon.) Sie entschuldigen--ich habe sie auch gelesen, als ich vor +zehn Minuten draußen im Weingarten spazieren ging. + +(Dame aufspringend:) Oh, Herr General! ich habe Sie nicht besiegt! +Ich bewundere Sie unendlich! (Er lacht und streichelt ihre Wangen.) +Diesmal wirklich und wahrhaftig, ohne Hintergedanken. Ich huldige +Ihnen! (Küßt seine Hand.) + +(Napoleon sie rasch zurückziehend:) Brrr! tun Sie das nicht. Genug +der Hexerei! + +(Dame.) Ich möchte Ihnen etwas sagen--doch Sie würden es +mißverstehen. + +(Napoleon.) Braucht Sie das zu hindern? + +(Dame.) Also, das ist es: ich bete einen Mann an, der sich nicht +fürchtet, gemein und selbstsüchtig zu sein. + +(Napoleon entrüstet:) Ich bin weder gemein noch selbstsüchtig! + +(Dame.) Oh, Sie tun sich selbst unrecht. Überdies, ich meine ja +nicht wirklich gemein und selbstsüchtig. + +(Napoleon.) Ich danke Ihnen--ich dachte, Sie meinten es vielleicht +doch! + +(Dame.) Na ja, natürlich mein' ich es auch in gewissem Sinne. Aber +was ich bewundere, das ist eine gewisse starke Einfachheit in Ihnen. + +(Napoleon.) Das klingt schon besser. + +(Dame.) Sie wollten die Briefe nicht lesen; aber Sie waren neugierig, +zu wissen, was darinnen steht. Sie gingen also in den Garten und +lasen sie, als niemand zusah, und kamen dann zurück und taten so, als +ob Sie sie nicht gelesen hätten. Das ist wohl das gemeinste, was ich +jemals einen Mann habe tun sehen; aber es erfüllte gerade Ihren Zweck, +und so haben Sie sich nicht im geringsten geschämt oder gefürchtet, es +zu tun. + +(Napoleon kurz angebunden:) Wo haben Sie all diese niedrigen Skrupeln +aufgelesen?--(Mit verachtungsvollem Nachdruck:) Dieses "Ihr Gewissen"? +Ich habe Sie für eine Dame gehalten--eine Aristokratin. Bitte, war +Ihr Großvater vielleicht ein Krämer? + +(Dame.) Nein, er war Engländer. + +(Napoleon.) Das erklärt alles. Die Engländer sind eine Nation von +Krämern. Nun begreife ich, warum Sie mich besiegt haben. + +(Dame.) Aber, ich habe Sie nicht besiegt--und ich bin keine +Engländerin. + +(Napoleon.) Doch, das sind Sie! Englisch bis in die Fingerspitzen. +Hören Sie mir zu, ich will Ihnen die Engländer erklären. + +(Dame erpicht darauf, es sru hören:) Ich bitte. (Mit gespannter Miene +einen intellektuellen Genuß erwartend, setzt sie sich auf das Sofa und +bereitet sich vor, ihm zuzuhören. Seines Publikums sicher, rafft sich +Napoleon sofort zu einer Vorstellung auf. Er überlegt ein bißchen, +bevor er beginnt, um ihre Aufmerksamkeit durch eine Pause zu erhöhen. +Anfangs ahmt er den Stil Talmas in Corneilles "Cinna" nach, aber in +der Dunkelheit geht etwas davon verloren, und Talma macht bald +Napoleon Platz, dessen Stimme mit überraschender Heftigkeit durch die +Dämmerung bricht.) + +(Napoleon.) Es gibt dreierlei Menschen auf Erden: die Kleinen, die +Mittleren und die Großen. Die Kleinen und die Großen sind einander in +einem Punkte gleich: sie haben keinerlei Skrupel, keinerlei Moral, +--die Kleinen stehen tief unter der Moral, die Großen hoch über ihr. +Ich fürchte sie beide nicht! Denn die Kleinen sind skrupellos, ohne +Wissen--sie machen mich deshalb zu ihrem Abgott; die Großen sind +ebenso skrupellos, ohne starkes Wollen, sie beugen sich deshalb vor +meinem Willen. Sehen Sie: ich werde über all das niedere Volk und +über all die Höfe Europas hinweggehen wie die Pflugschar über ein +Ackerfeld. Die Mittelklasse aber, die ist gefährlich. Sie besitzt +beides: Wissen and Wollen. Aber auch sie hat ihre schwache Seite: das +Gewissen. Sie ist voller Skrupel,--an Händen and Füßen durch Moral +und Ehrenhaftigkeit gefesselt. + +(Dame.) Dann werden Sie die Engländer überholen; denn alle Krämer +gehören zur Mittelklasse. + +(Napoleon.) Nein! Denn die Engländer sind eine Rasse für sich. Kein +Engländer steht zu tief, um Skrupel zu haben, und keiner hoch genug, +um von ihrer Tyrannei befreit zu sein. Aber jeder Engländer kommt mit +einem wunderbaren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der Erde macht. +Wenn der Engländer etwas will, gesteht er sich nie ein, daß er es +will. Er wartet geduldig, bis in ihm--Gott weiß wie--die tiefe +Überzeugung erwacht, daß es seine moralische und religiöse Pflicht sei, +diejenigen zu unterwerfen, die das haben, was er will. Dann wird er +unwiderstehlich. Wie der Aristokrat, tut er, was ihm gefällt, und +schnappt nach dem, wonach ihn gelüstet. Wie der Krämer, verfolgt er +seinen Zweck mit dem Fleiß und der Beharrlichkeit, die von starker, +religiöser Überzeugung und dem tiefen Sinn für moralische +Verantwortlichkeit herrühren. Er ist nie in Verlegenheit um eine +wirksame, moralische Pose. Als großer Vorkämpfer der Freiheit und der +nationalen Unabhängigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz +von ihr und nennt das "Kolonisation". Wenn er einen neuen Markt für +seine schlechten Manchesterwaren braucht, schickt er Missionäre aus, +die den Wilden das Evangelium des Friedens verkünden müssen. Die +Wilden töten den Missionar; nun eilt er zu den Waffen, zur +Verteidigung des Christentums, kämpft and siegt für seinen Glauben und +nimmt als göttliche Belohnung den Markt in Besitz. Zur Verteidigung +seiner Inselgestade nimmt er einen Schiffsgeistlichen an Bord, nagelt +eine Flagge mit einem Kreuz an den Hauptmast and segelt so bis ans +Ende der Welt, und bohrt in den Grund, verbrennt und zerstört alles, +was ihm die Herrschaft auf dem Meere streitig macht. Er prahlt damit, +daß jeder Sklave frei werde, sobald sein Fuß britischen Boden betritt; +dabei verkauft er die Kinder seiner Armen, kaum daß sie sechs Jahre +alt sind, an Fabrikherren und läßt sie täglich sechzehn Stunden +unter der Peitsche Sklavenarbeit verrichten. Er macht zwei +Revolutionen und erklärt dann im Namen des Gesetzes und der Ordnung +der unsern den Krieg. Nichts ist so schlecht und nichts so gut, daß +Sie es einen Engländer nicht werden vollbringen sehen, aber Sie werden +einem Engländer niemals beweisen können, daß er im Unrecht ist. Denn +er tut alles aus Grundsatz. Er führt Krieg aus patriotischem +Grundsatz, er betrügt aus geschäftlichem Grundsatz, er macht freie +Völker zu Sklaven aus reichspolitischem Grundsatz, er behandelt Euch +grob aus männlichem Grundsatz, er hält treu zu seinem Könige aus +loyalem Grundsatz und schlägt seinem Könige aus republikanischem +Grundsatz den Kopf ab. Seine Losung ist dabei immer nur seine +"Pflicht." Und er vergißt nie, daß die Nation verloren ist, die ihre +Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu finden ist. Er... + +(Dame.) Uh! uh! uh! Halten Sie einen Augenblick inne! Ich möchte +wissen, wie Sie auf Grund dieser Beobachtungen aus mir eine +Engländerin machen wollen. + +(Napoleon seinen rhetorischen Stil fallen lassend:) Das ist einfach +genug. Sie wollten einige Briefe, die mir gehörten. Sie haben den +Morgen damit verbracht, sie zu stehlen... jawohl, sie zu +stehlen--durch Straßenraub. Und Sie haben den Nachmittag damit +verbracht, mich darüber ins Unrecht zu setzen, indem Sie annahmen, daß +ich es war, der Ihre Briefe stehlen wollte. Denn Sie haben mir +einreden wollen, daß meine Gemeinheit and Selbstsucht und Ihre Güte, +Ihre Ergebenheit and Ihre Selbstaufopferung an allem schuld seien. +Das ist englisch! + +(Dame.) Unsinn! ich weiß zu gut, wie wenig ich Engländerin bin. Die +Engländer sind ein sehr dummes Volk. + +(Napoleon.) Ja, zu dumm manchmal, um zu wissen, wann sie geschlagen +sind. Aber ich gebe zu, daß Ihr Gehirn nicht englisch ist. Sie sehen: +obwohl Ihr Großvater ein Engländer war, war Ihre Großmutter +wohl--was? Französin? + +(Dame.) O nein! Irländerin. + +(Napoleon rasch:) Irländerin...? (Gedankenvoll:) Ja, ich vergaß--die +Irländer... Eine englische Armee, geführt von einem irischen General: +die könnte sich messen mit einer französischen Armee, die von einem +italienischen General befehligt wird. (Er hält inne und fügt halb +scherzend, halb traurig hinzu:) Wie immer es sei... Sie haben mich +besiegt--und was einen Mann zuerst besiegt, das wird ihn auch zuletzt +besiegen. (Er tritt gedankenvoll in den im Mondlicht gebadeten +Weingarten hinaus und blickt nach oben. Sie stiehlt sich an seine +Seite und wagt es, ihre Hand auf seine Schulter zu legen, überwältigt +von der Schönheit der Nacht und ermutigt durch ihre Dunkelheit.) + +(Dame sanft:) Wonach blicken Sie? + +(Napoleon nach aufwärts zeigend:) Nach meinem Stern. + +(Dame.) Glauben Sie an ihn? + +(Napoleon.) Ja. (Sie sehen einen Augenblick nach dem Stern hin; sie +lehnt sich ein wenig an seine Schulter.) + +(Dame.) Wissen Sie, daß man in England sagt, eines Mannes Stern sei +unvollständig ohne das Strumpfband einer Frau?[*] + +[Footnote *: Eine Anspielung auf den Stern eines Ordens und den +Hosenbandorden.] + +(Napoleon entrüstet, schüttelt sie kurz ab und kommt zurück in das +Zimmer:) Pah! die Heuchler! Wenn die Franzosen so etwas sagten, +würden sie in frommem Schauder abwehrend die Hände erheben. (Er geht +nach der inneren Türe und hält sie offen.) He! Giuseppe! wo bleibt +das Licht, Mensch? (Er kommt zwischen den Tisch und das Büfett und +rückt den zweiten Stuhl an den Tisch, neben seinen eigenen:) Wir +müssen den Brief noch verbrennen. (Er hebt das Paket auf. Giuseppe +kommt zurück. Noch bleich und zitternd, trägt er in der einen Hand +einen Armleuchter mit ein paar brennenden Kerzen und eine breite +Lichtputzschere in der andern.) + +(Giuseppe kläglich, während er das Licht auf den Tisch stellt:) +Exzellenz, wonach haben Sie eben da draußen ausgeschaut? (Er zeigt +über seine Schulter nach dem Weingarten, fürchtet sich aber, +umherzublicken.) + +(Napoleon das Paket aufmachend:) Was geht dich das an? + +(Giuseppe stammelnd:) Weil die Hexe fort ist--verschwunden... und +niemand hat sie fortgehen sehn. + +(Dame hinter ihm aus dem Weingarten tretend:) Wir haben sie beobachtet, +wie sie auf ihrem Besenstiel zum Mond hinaufgeritten ist. Giuseppe, +Sie werden sie nie wiedersehen! + +(Giuseppe.) Jesus Maria! (Er bekreuzigt sich und eilt hinaus.) + +(Napoleon wirft die Briefe in einem Haufen auf den Tisch:) Nun, also! +(Er setzt sich auf den Stuhl, den er eben hingestellt hat.) + +(Dame.) Ja; aber Sie wissen doch--den bewußten Brief haben Sie noch in +Ihrer Tasche. (Er lächelt, nimmt einen Brief aus der Tasche und wirft +ihn auf die Spitze des Haufens. Sie hebt ihn auf, betrachtet Napoleon +und sagt:) Cäsars Frau betreffend. + +(Napoleon.) Cäsars Frau ist über allen Verdacht erhaben--verbrennen +Sie ihn. + +(Dame nimmt den Brief mit der Lichtputzschere und hält ihn damit an +die Kerzenflamme:) Wäre Cäsars Frau wohl über allen Verdacht erhaben, +wenn sie uns beide hier sitzen sähe--? Wer weiß--? + +(Napoleon ihre Worte mechanisch wiederholend, die Ellbogen auf den +Tisch und die Wangen in die Hände gestützt, den Brief betrachtend:) +Wer weiß--? (Die fremde Dame legt den angezündeten Brief auf das +Lichtputzbrett und setzt sich neben Napoleon in der gleichen Stellung, +die Ellbogen auf den Tisch, die Wangen in die Hände gestützt, und +sieht zu, wie er verbrennt. Als er verkohlt, wenden sie beide +gleichzeitig ihre Blicke davon ab und sehen einander an. Der Vorhang +gleitet langsam herab und entzieht sie den Blicken.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Mann des Schicksals, von +Bernard Shaw. + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER MANN DES SCHICKSALS *** + +This file should be named 8dmds10.txt or 8dmds10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8dmds11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8dmds10a.txt + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A +preliminary version may often be posted for suggestion, comment +and editing by those who wish to do so. + +Most people start at our Web sites at: +http://gutenberg.net or +http://promo.net/pg + +These Web sites include award-winning information about Project +Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new +eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). + + +Those of you who want to download any eBook before announcement +can get to them as follows, and just download by date. This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05 + +Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, +91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. If your state is not listed and +you would like to know if we have added it since the list you have, +just ask. + +While we cannot solicit donations from people in states where we are +not yet registered, we know of no prohibition against accepting +donations from donors in these states who approach us with an offer to +donate. + +International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about +how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made +deductible, and don't have the staff to handle it even if there are +ways. + +Donations by check or money order may be sent to: + + PROJECT GUTENBERG LITERARY ARCHIVE FOUNDATION + 809 North 1500 West + Salt Lake City, UT 84116 + +Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment +method other than by check or money order. + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by +the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN +[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are +tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising +requirements for other states are met, additions to this list will be +made and fund-raising will begin in the additional states. + +We need your donations more than ever! + +You can get up to date donation information online at: + +http://www.gutenberg.net/donation.html + + +*** + +If you can't reach Project Gutenberg, +you can always email directly to: + +Michael S. Hart <hart@pobox.com> + +Prof. Hart will answer or forward your message. + +We would prefer to send you information by email. + + +**The Legal Small Print** + + +(Three Pages) + +***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** +Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. +They tell us you might sue us if there is something wrong with +your copy of this eBook, even if you got it for free from +someone other than us, and even if what's wrong is not our +fault. So, among other things, this "Small Print!" statement +disclaims most of our liability to you. It also tells you how +you may distribute copies of this eBook if you want to. + +*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK +By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm +eBook, you indicate that you understand, agree to and accept +this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive +a refund of the money (if any) you paid for this eBook by +sending a request within 30 days of receiving it to the person +you got it from. If you received this eBook on a physical +medium (such as a disk), you must return it with your request. + +ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS +This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks, +is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart +through the Project Gutenberg Association (the "Project"). +Among other things, this means that no one owns a United States copyright +on or for this work, so the Project (and you!) can copy and +distribute it in the United States without permission and +without paying copyright royalties. Special rules, set forth +below, apply if you wish to copy and distribute this eBook +under the "PROJECT GUTENBERG" trademark. + +Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market +any commercial products without permission. + +To create these eBooks, the Project expends considerable +efforts to identify, transcribe and proofread public domain +works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any +medium they may be on may contain "Defects". Among other +things, Defects may take the form of incomplete, inaccurate or +corrupt data, transcription errors, a copyright or other +intellectual property infringement, a defective or damaged +disk or other eBook medium, a computer virus, or computer +codes that damage or cannot be read by your equipment. + +LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES +But for the "Right of Replacement or Refund" described below, +[1] Michael Hart and the Foundation (and any other party you may +receive this eBook from as a PROJECT GUTENBERG-tm eBook) disclaims +all liability to you for damages, costs and expenses, including +legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR +UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT, +INCLUDING BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE +OR INCIDENTAL DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE +POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES. + +If you discover a Defect in this eBook within 90 days of +receiving it, you can receive a refund of the money (if any) +you paid for it by sending an explanatory note within that +time to the person you received it from. If you received it +on a physical medium, you must return it with your note, and +such person may choose to alternatively give you a replacement +copy. If you received it electronically, such person may +choose to alternatively give you a second opportunity to +receive it electronically. + +THIS EBOOK IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER +WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS +TO THE EBOOK OR ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT +LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A +PARTICULAR PURPOSE. + +Some states do not allow disclaimers of implied warranties or +the exclusion or limitation of consequential damages, so the +above disclaimers and exclusions may not apply to you, and you +may have other legal rights. + +INDEMNITY +You will indemnify and hold Michael Hart, the Foundation, +and its trustees and agents, and any volunteers associated +with the production and distribution of Project Gutenberg-tm +texts harmless, from all liability, cost and expense, including +legal fees, that arise directly or indirectly from any of the +following that you do or cause: [1] distribution of this eBook, +[2] alteration, modification, or addition to the eBook, +or [3] any Defect. + +DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm" +You may distribute copies of this eBook electronically, or by +disk, book or any other medium if you either delete this +"Small Print!" and all other references to Project Gutenberg, +or: + +[1] Only give exact copies of it. Among other things, this + requires that you do not remove, alter or modify the + eBook or this "small print!" statement. You may however, + if you wish, distribute this eBook in machine readable + binary, compressed, mark-up, or proprietary form, + including any form resulting from conversion by word + processing or hypertext software, but only so long as + *EITHER*: + + [*] The eBook, when displayed, is clearly readable, and + does *not* contain characters other than those + intended by the author of the work, although tilde + (~), asterisk (*) and underline (_) characters may + be used to convey punctuation intended by the + author, and additional characters may be used to + indicate hypertext links; OR + + [*] The eBook may be readily converted by the reader at + no expense into plain ASCII, EBCDIC or equivalent + form by the program that displays the eBook (as is + the case, for instance, with most word processors); + OR + + [*] You provide, or agree to also provide on request at + no additional cost, fee or expense, a copy of the + eBook in its original plain ASCII form (or in EBCDIC + or other equivalent proprietary form). + +[2] Honor the eBook refund and replacement provisions of this + "Small Print!" statement. + +[3] Pay a trademark license fee to the Foundation of 20% of the + gross profits you derive calculated using the method you + already use to calculate your applicable taxes. If you + don't derive profits, no royalty is due. Royalties are + payable to "Project Gutenberg Literary Archive Foundation" + the 60 days following each date you prepare (or were + legally required to prepare) your annual (or equivalent + periodic) tax return. Please contact us beforehand to + let us know your plans and to work out the details. + +WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO? +Project Gutenberg is dedicated to increasing the number of +public domain and licensed works that can be freely distributed +in machine readable form. + +The Project gratefully accepts contributions of money, time, +public domain materials, or royalty free copyright licenses. +Money should be paid to the: +"Project Gutenberg Literary Archive Foundation." + +If you are interested in contributing scanning equipment or +software or other items, please contact Michael Hart at: +hart@pobox.com + +[Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only +when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by +Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be +used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be +they hardware or software or any other related product without +express permission.] + +*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END* + diff --git a/old/8dmds10.zip b/old/8dmds10.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ed8a3f7 --- /dev/null +++ b/old/8dmds10.zip |
