summaryrefslogtreecommitdiff
diff options
context:
space:
mode:
authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 04:53:25 -0700
committerRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 04:53:25 -0700
commit2da16bbe27bea87e5710cf9ae7eb05e0106ddc1e (patch)
tree4a4ec38609e1cdea21ded75a965234b16ef7cffb
initial commit of ebook 18475HEADmain
-rw-r--r--.gitattributes3
-rw-r--r--18475-0.txt7517
-rw-r--r--18475-0.zipbin0 -> 155203 bytes
-rw-r--r--18475-8.txt7517
-rw-r--r--18475-8.zipbin0 -> 153886 bytes
-rw-r--r--18475-h.zipbin0 -> 805785 bytes
-rw-r--r--18475-h/18475-h.html8521
-rw-r--r--18475-h/images/illu001.jpgbin0 -> 124830 bytes
-rw-r--r--18475-h/images/illu002.jpgbin0 -> 128815 bytes
-rw-r--r--18475-h/images/illu003.jpgbin0 -> 128363 bytes
-rw-r--r--18475-h/images/illu004.jpgbin0 -> 123209 bytes
-rw-r--r--18475-h/images/illu005.jpgbin0 -> 129667 bytes
-rw-r--r--18475-pdf.pdfbin0 -> 1796209 bytes
-rw-r--r--18475-pdf.zipbin0 -> 998496 bytes
-rw-r--r--18475-tei.tei8745
-rw-r--r--18475-tei.zipbin0 -> 162663 bytes
-rw-r--r--18475.txt7517
-rw-r--r--18475.zipbin0 -> 153701 bytes
-rw-r--r--LICENSE.txt11
-rw-r--r--README.md2
20 files changed, 39833 insertions, 0 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes
new file mode 100644
index 0000000..6833f05
--- /dev/null
+++ b/.gitattributes
@@ -0,0 +1,3 @@
+* text=auto
+*.txt text
+*.md text
diff --git a/18475-0.txt b/18475-0.txt
new file mode 100644
index 0000000..269c44a
--- /dev/null
+++ b/18475-0.txt
@@ -0,0 +1,7517 @@
+The Project Gutenberg EBook of Nach Amerika! Erster Band by Friedrich
+Gerstäcker
+
+
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no
+restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under
+the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or
+online at http://www.gutenberg.org/license
+
+
+
+Title: Nach Amerika! Erster Band
+
+Author: Friedrich Gerstäcker
+
+Release Date: May 2006 [Ebook #18475]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+
+***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND***
+
+
+
+
+
+ Nach Amerika!
+ Ein Volksbuch
+
+ Erster Band
+ von
+ Friedrich Gerstäcker.
+Illustrirt von Theodor Hosemann.
+Leipzig, Hermann Costenoble, Verlagsbuchhandlung
+Berlin, Rudolph Gaertner, Amelang’sche Sort-Buchhandlung
+
+1855
+
+
+
+
+
+ [image]
+
+
+
+
+
+
+ NACH AMERIKA!
+
+
+Wie man ein Bild, aus einem Werk heraus, vorn auf den Umschlag bringt, den
+Beschauer dadurch gewissermaßen in den Charakter des Ganzen einzuweihen,
+so will auch ich hier den Anfang des einen Capitels, aus der Mitte des
+Bandes heraus, zum Vorwort wählen, den Leser gleich von vorn herein mit
+dem bekannt zu machen, was ich ihm biete.
+
+»Nach Amerika!« — Leser, erinnerst Du Dich noch der Märchen in »Tausend
+und eine Nacht«, wo das kleine Wörtchen »Sesam« dem, der es weiß, die
+Thore zu ungezählten Schätzen öffnet? hast Du von den Zaubersprüchen
+gehört, die vor alten Zeiten weise Männer gekannt, Geister heraufzurufen
+aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu
+machen? — Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe schlugen, wie sich die
+Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner
+zusammen, die Erde bebte, und das kecke, tollkühne Menschenkind das sie
+gesprochen, bebte zurück vor der furchtbaren Gewalt die es
+heraufbeschworen.
+
+_Die_ Zeiten sind vorüber; die Geister, die damals dem Menschengeschlecht
+gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder wir haben auch vielleicht das
+rechte Wort vergeben sie zu rufen — aber ein anderes dafür gefunden das,
+kaum minder stark, mit _einem_ Schlage das Kind aus den Armen der Eltern,
+den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhältnissen und
+Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reißt, in dem es bis dahin mit
+seinen stärksten, innigsten Fasern treulich festgehalten.
+
+»Nach Amerika,« leicht und keck ruft es der Tollkopf trotzig der ersten
+schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine Kraft prüfen sollte, seinen
+Muth stählen — »nach Amerika,« flüstert der Verzweifelte der hier am Rand
+des Verderbens dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde —
+»nach Amerika,« sagt still und entschlossen der Arme, der mit männlicher
+Kraft, und doch immer und immer wieder vergebens gegen die Macht der
+Verhältnisse angekämpft, der um sein »tägliches Brod« mit blutigem Schweiß
+gebeten — und es nicht erhalten, der keine Hülfe für sich und die Seinen
+hier im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln _will_, nicht stehlen
+_kann_ — »nach Amerika« lacht der Verbrecher nach glücklich verübtem Raub,
+frohlockend der fernen Küste entgegen jubelnd, die ihm Sicherheit bringt
+vor dem Arm des beleidigten Rechts — »nach Amerika,« jubelt der Idealist,
+der wirklichen Welt zürnend, weil sie eben wirklich ist, und über dem
+Ocean drüben ein Bild erhoffend, das dem in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht — »nach Amerika« und mit dem einen Wort liegt hinter
+ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes früheres Leben, Wirken, Schaffen — liegen
+die Bande die Blut oder Freundschaft hier geknüpft, liegen die Hoffnungen
+die sie für hier gehegt, die Sorgen die sie gedrückt — _»nach Amerika!«_
+
+So gährt und keimt der Saame um uns her — hier noch als leiser, kaum
+verstandener Wunsch im Herzen ruhend, dort ausgebrochen zu voller Kraft
+und Wirklichkeit, mit der reifen Frucht seiner gepackten Kisten und
+Kasten. Der Bauer draußen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain, der
+ihn zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so schwer
+geärgert, und der im Geist schon die langen geraden Furchen zieht, weit
+über dem Meer drüben, in dem fetten, herrlichen Land; — der Handwerker in
+seiner Werkstatt, dem sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft
+setzt, mit Neuerungen und großen, marktschreierischen Firmen, die wenigen
+Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in _seine_ Thür zu locken; der
+Künstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube, der über einer
+freieren Entwickelung brütet, und von einem Lande schwärmt wo
+Nahrungssorgen ihm nicht Geist und Hände binden; — der Kaufmann hinter
+seinem Pult, der Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Büchern
+zieht, und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt, von einem neuen,
+andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen, von reich gefüllten
+Waarenhäusern träumt; in Tausenden von ihnen drängt’s und treibt’s und
+quält’s, und wenn sie auch noch vielleicht Jahre lang nach außen die alte
+frühere Ruhe wahren, in ihren Herzen glüht und glimmt der Funke fort — ein
+stiller aber ein gefährlicher Brand. Jeder Bericht über das ferne Land
+wird gelesen und überdacht, neue Arzenei, neues Gift bringend für den
+Kranken. Vorsichtig und ängstlich, und wie weit herum um ihr Ziel, daß man
+die Absicht nicht errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem
+Ding — nach Leuten die vordem »hinüber« gezogen und denen es gut gegangen
+— nach Land- und Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk — für Andere natürlich,
+nicht für sich etwa — sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen
+will hinüber, ein entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wünschen
+daß es dem wohl geht, und häufen mehr und mehr Zunder für sich selber auf.
+
+So ringt und drängt und wühlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem
+nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den _salto mortale_ gethan,
+und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war — aus
+dem, aus jenem Grund — und täglich, stündlich noch hören wir von anderen,
+von denen wir im Leben nie geglaubt daß _sie_ je an Amerika gedacht, wie
+sie mit Weib und Kind und Hab und Gut hinüberziehn.
+
+Und dort? —
+
+— Die vorliegenden Blätter sollen dem Leser ein Bild geben von dem Leben
+und Treiben solcher Leute. Hier aus unserer Mitte heraus, aus den
+verschiedenartigsten Verhältnissen und Sphären, aus allen Schichten der
+menschlichen Gesellschaft sehen wir sie ziehen — Gute und Böse, den
+Leichtsinnigen und den Spekulanten, den Bauer und Handwerker, den
+Gelehrten und den Arbeiter, den rechtschaffenen Bürger und den heimlichen
+Verbrecher, Alle dem _einen_ Ziel entgegenstrebend. Und _Alle_ vereinigt
+sie das Schiff; der eine kleine Bau, der hunderte von Menschen auf seinem
+schwanken Kiel hinüberträgt, dem fernen Welttheil zu; oh was für
+Hoffnungen, was für Pläne und Träume birgt er in seinem Schooß. Aber die
+Auswanderer liegen die langen Wochen, ja Monate, verpuppten Raupen gleich,
+im engen Haus, still und gedrängt beisammen; Jeder mit dem alten Leben
+abgeschlossen hinter sich, mit dem neuen noch nicht begonnen, in einem
+wunderlichen unnatürlichen Zustand, ungeduldiger Ruhe, bis der Anker in
+die Tiefe rollt, und die ausgeschobene schmale Planke der bunten Schaar
+von Tag- und Nachtfaltern den Weg in’s Freie öffnet.
+
+Hinaus flattern sie da nach allen Seiten, wie eine Hand voll Spreu, vom
+Winde fort geführt; die Einen selbstbewußt und keck dem fremden,
+unbekannten Leben in die Arme springend, die Anderen scheu und zaghaft bei
+jedem Schritte fast moralische Selbstschüsse und Fußangeln fürchtend; Alle
+aber entschlossen, die meisten sogar gezwungen, dem neuen Vaterlande die,
+im alten aufgegebene Existenz abzuringen, Jeder in seiner Art, auf seine
+Weise.
+
+Dort nun sehen wir sie schaffen und wirken in Gutem und Bösen, die Einen
+mit ihren kühnsten Hoffnungen erfüllt, Andere, zerknirscht und zertreten,
+die Stunde verwünschend, die den Gedanken an Auswanderung gebar — sehn wie
+sich die Wildniß lichtet, wie Farmen und Städte entstehn, und sich das
+deutsche Element ausbreitet nach allen Seiten, und folgen den einzelnen
+Bekannten und Freunden, die wir zu Hause schon, oder auf der Fahrt erst
+lieb gewonnen, oder für die wir uns interessiren, auf ihren verschiedenen,
+oft wunderlichen Bahnen.
+
+Manchen alten Reisegefährten führ ich dabei dem Leser vor, und hoffe ihn
+nicht zu langweilen, den weiten Weg; schlafen wir dann auch manchmal
+draußen im Freien, oder in niederer Blockhütte auf dünnem »Quilt«, müssen
+wir auch eine Zeit lang mit Maisbrod und Wildpret, oder gar mit Speck und
+Syrup verlieb nehmen, wie es der Farmer am Ohio liebt, wir lernen doch das
+Land kennen, mit seinen guten und schlechten Eigenschaften, seinen
+Vortheilen und Mängeln, seinen Bürgern und Einwanderern, seinen inneren
+Verhältnissen, seinem Leben und seiner Lebenskraft, und bin ich im Stande
+ihn auch nur einen Blick in jene ferne, von Tausenden so heiß ersehnte
+Welt, wie ich sie selbst gefunden, thun zu lassen, so hab ich meinen Zweck
+mit diesem Buch erreicht.
+
+_Rosenau_ bei Coburg im September 1854.
+
+ Friedrich Gerstäcker.
+
+
+
+
+
+ INHALT DES ERSTEN BANDES.
+
+
+Das Dollinger’sche Haus
+Der rothe Drachen
+Der Diebstahl
+Franz Loßenwerder
+Die Auswanderungs-Agentur
+Die Weberfamilie
+Nach Amerika
+Der Tanz im rothen Drachen
+Rüstungen
+Die beiden Familien
+
+
+
+
+
+ Capitel 1.
+
+
+ DAS DOLLINGER’SCHE HAUS.
+
+
+Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger zu Heilingen — einer nicht
+unbedeutenden Stadt Deutschlands — hatte am Sonntag Mittag, ein kleines
+Familienfest die Glieder des Hauses um den Speisetisch versammelt, und
+diesen heute in außergewöhnlicher Weise mit Blumen geschmückt, und
+delicaten Speisen und Weinen gedeckt. Es war der Geburtstag der zweiten
+Tochter des Hauses, der liebenswürdigen Clara und nur ihr erklärter
+Bräutigam, ein junger deutscher, in New-Orleans ansässiger Kaufmann, als
+Gast der Familie zugezogen worden.
+
+Am oberen Ende des Tisches, um dem Leser die Personen gleich in
+Lebensgröße vorzuführen, saß Vater Dollinger, ein etwas wohlbeleibter aber
+behäbiger, stattlicher Mann, mit klaren, blauen, unendlich gutmüthigen
+Augen und schneeweißen Locken und Augenbrauen, die aber dem edel
+geschnittenen Gesicht gar gut und ehrwürdig standen. Ihm zur Rechten saß
+seine Frau, allem Anschein nach etwa funfzehn oder sechzehn Jahre jünger
+wie er selber, und durch ihr volles, dunkelbraunes Haar vielleicht auch
+noch sogar jünger aussehend, als sie wirklich war. Sie ebenfalls, mit
+ihrer stattlichen Gestalt, hatte einen leichten Anflug zu Corpulenz, aber
+das etwas ausgeschnittene Kleid, wie die schwere goldene Kette, Broche und
+Ohrringe, die sie fast etwas zu reichlich schmückten, paßten nicht ganz zu
+dem sonst so freundlichen, matronenhaften Aeußern.
+
+Clara neben ihr, war das veredelte Bild der Eltern; die lieben treublauen
+Augen schauten gar so vertrauungs- und unschuldsvoll hinein in die Welt,
+an deren Schwelle sie stand, und die ihr, wie ein eben geöffnetes,
+prachtvoll gebundenes Buch auf den ersten, flüchtig durchblätterten
+Seiten, nur freundliche Blumen und ihr zulächelnde Gestalten zeigte. Kein
+Schmerz hatte diese engelsanften Züge noch je durchzuckt, keine Thräne
+wirklichen Schmerzes den reinen Blick getrübt, und die ganze zarte,
+sinnige Gestalt glich der eben entkeimenden Frühlingsblüthe im sonnigen
+Wald, die dem jungen Frühlingstag in Glück und Unschuld die schwellenden
+Lippen zum Kusse bietet, und in der blitzenden Thauperle ihres Kelchs, den
+reinen Aether über sich, nur schöner, nur glühender zurückspiegelt.
+
+Ihre um nur wenige Jahre ältere Schwester, Sophie, die an des Vaters Seite
+saß, ähnelte der Schwester in mancher Hinsicht an Gestalt, aber das
+einfach kindliche, was Clärchen jenen unendlichen Reiz verlieh, fehlte
+ihr. Ihre Gestalt war voller, majestätischer, aber auch ihr Blick mehr
+kalt und stolz; »ich bin des reichen Dollingers Kind« lag klar und
+deutlich in den scharf zusammengezogenen Mundwinkeln, in dem fest und
+entschieden, blitzenden Auge, und auch ihre Kleidung, ihr Schmuck war,
+wenn nicht reicher, doch jedenfalls mehr in’s Auge springend, Bewunderung
+fordernd.
+
+Zwischen Beiden saß Clara’s Bräutigam, ein junger, bildhübscher Mann in
+moderner, fast für einen Mann etwas zu gewählter und sorgfältig geordneter
+Kleidung; er trug das Haar in natürlichen dunkelbraunen Locken und das
+Gesicht glatt rasirt, bis auf einen kleinen, aufmerksam gekräußten, und
+nur bis zur halben Backe reichenden Backenbart, an den Fingern aber mehre
+sehr kostbare Diamant-Ringe, eine Brillant-Tuchnadel von prachtvollem
+Feuer, und eine schwere goldene, ebenfalls mit kleinen Edelsteinen
+besetzte Uhrkette.
+
+Die Bekanntschaft Clara’s und ihrer Eltern hatte er dabei auf eine etwas
+romantische Weise, und zwar gleich als ihr Lebensretter oder doch Befreier
+aus einer nicht unbedeutenden Gefahr gemacht. Herr und Frau Dollinger
+waren nämlich mit ihren beiden Töchtern im vorigen Herbst auf einer
+Rheinreise bei Rüdesheim aus- und zu dem kleinen Waldtempel oben über
+Asmannshausen hinaufgestiegen, um sich von dort nach dem Rheinstein
+übersetzen zu lassen; die Mutter hatte aber durch das nicht gewohnte
+Bergsteigen heftige Kopfschmerzen bekommen oder, was wahrscheinlicher ist,
+ennuyirte sich am Land und wünschte an Bord des Dampfers zurückzukehren,
+und als sie gerade mit dem Kahn über den Rhein fuhren, kam ein Dampfboot
+stromab, und hielt auf ihr Winken, sie an Bord zu nehmen. Herr und Frau
+Dollinger, mit Sophie, von den Kahnführern unterstützt, hatten auch schon
+glücklich die Treppe und das Deck erreicht, und dicht hinter ihnen folgte
+Clara, als diese sich plötzlich erinnerte, ihre Geldtasche im Kahn
+vergessen zu haben, und anstatt diese sich heraufreichen zu lassen, selber
+wieder zurücksprang sie zu holen. Durch das Hineinspringen fing aber der
+schmale Kahn an zu schwanken, während sie, die vergessene kleine Tasche
+aufhebend, das Gleichgewicht verlor und, mit dem Kopf voran, in den Rhein
+stürzte. Unglücklicher Weise waren gerade in dem nämlichen Augenblick die
+Kahnleute an Deck des Dampfers gestiegen, den Koffer eines Passagiers, der
+mit an Land fahren wollte, in ihren Kahn zu heben, und wenn sie jetzt
+auch, auf das Geschrei an Bord, rasch in diesen zurücksprangen, trieb doch
+Clara schon hinter dem Dampfboot aus, als der junge, eben von Amerika
+zurückgekehrte Mann, der dem ganzen Vorfall vom Deck des Dampfers
+zugesehn, mit keckem Muth ins Wasser sprang und die Jungfrau doch
+wenigstens so lange an der Oberfläche unterstützte, bis das Boot herbeikam
+sie beide aufzunehmen.
+
+Das Weitere nahm einen ziemlich einfachen Verlauf, Joseph Henkel, wie der
+junge Mann hieß, gewann sich in den nächsten Wochen, die er in der
+Gesellschaft der ihm zu großen Dank verpachteten Familie zubrachte, die
+Achtung des Vaters und die Liebe von Mutter und Tochter, und als er zuerst
+bei der Mutter um die Hand der Tochter anhielt, sagten Beide nicht nein.
+Allerdings wollte der Vater erst, wenn auch nicht gerade Schwierigkeiten
+machen, doch etwas Genaueres über die Existenzmittel eines Mannes
+erfahren, dem er das Glück und Leben eines lieben Kindes anvertrauen
+sollte. Henkel selber bot ihm dazu die Hand und gab ihm Adressen an
+verschiedene Häuser in New-Orleans, die ihm über seine dortige Stellung
+genaue Auskunft geben konnten.
+
+Nach seinem Vermögen mochte der alte Dollinger, wenn auch Kaufmann, nicht
+so genau forschen; er war selber reich genug, einen _reichen_
+Schwiegersohn entbehren zu können, und etwas Vermögen mußte der junge Mann
+haben, dafür bürgte sein ganzes Auftreten, bürgte besonders in den Augen
+seiner Frau der reiche und wirklich kostbare Schmuck, den er trug. Joseph
+Henkel war aber auch außerdem ein interessanter und sehr gescheidter Mann,
+der Manches in der Welt schon gesehen und erlebt, und das Gesehene und
+Erlebte mit lebendigen Farben und Worten zu schildern wußte. Er hatte die
+ganzen Vereinigten Staaten von Nord nach Süd und von Ost nach West
+durchstreift, und dort theils seinen Geschäften gelebt, theils gejagt,
+sogar ein kleines Dampfschiff auf dem Arkansas laufen gehabt, mit den
+Indianern Handel zu treiben, und ihnen die Produkte des Ostens gegen ihre
+eigenen Fabrikate und den Gewinn ihrer Jagden einzutauschen. Er war auch
+einmal von jenen wilden trotzigen Stämmen, die uns Cooper so herrlich und
+unübertroffen beschrieben, gefangen genommen und zum Opfertod verdammt,
+und damals wirklich nur durch ein halbes Wunder gerettet worden, und Clara
+hatte eine ganze Nacht nicht schlafen können, nur in der Angst und Unruhe
+um die entsetzliche Gefahr, der sich der tollkühne Mensch damals schon
+ausgesetzt.
+
+Der junge Mann schien aber zwischen jenen wilden Stämmen den Umgang mit
+civilisirten Menschen keineswegs verlernt zu haben, und besaß ganz
+besonders ein fast wunderbares Geschick, sich seiner Umgebung
+anzuschmiegen, und sich in ihre Charaktere ordentlich hineinzuleben. Als
+ein tüchtiger und raffinirter Kaufmann, der vorzüglich eine vortreffliche
+statistische Kenntniß der Union besaß, gewann er sich dabei, und gleich
+von allem Anfang an, die Achtung des alten Dollinger. Der Frau aber hatte
+er leicht ihre kleinen, oft liebenswürdigen Schwachheiten abgelauscht, und
+wußte ihnen auf so geschickte Art zu begegnen, daß Frau Dollinger, mit der
+Rettung des geliebten Kindes im Hintergrund, schon nach sehr kurzer Zeit
+ganz entzückt von ihm war, und sein Lob dem Gatten unaufhörlich redete.
+Auch mit der älteren Schwester, Sophie, wußte sich Henkel bald auf guten
+Fuß zu stellen; er hatte bei ihr das leichteste Spiel, denn ihre Schwächen
+lagen offen zu Tag, denen aber schmeichelte er mit solcher
+Liebenswürdigkeit, daß ihm Clara, die es fühlte wie er dabei aus sich
+herausging und etwas annahm was ihm nicht natürlich war, oder doch
+jedenfalls dem Mann, den sie liebte, nicht natürlich sein _sollte_,
+dennoch nicht böse darüber werden konnte.
+
+Desto freier, offener und natürlicher war er dafür gegen sie selber; er
+las, sang und spielte Pianoforte mit ihr, lehrte sie eine Menge kleiner
+reizender, schottischer und irischer Lieder, oder plauderte mit ihr leicht
+und sorglos Stunden lang in den Tag hinein, und konnte oft so herzlich
+dabei lachen, daß es Einem ordentlich gut that, ihm zuzuhören. Selbst
+Sophie entsagte dann nicht selten ihrem sonst etwas mehr abgeschlossenen,
+fast steifen Wesen und kam zu ihnen, Theil an ihrer Fröhlichkeit zu
+nehmen.
+
+Nur in den letzten Tagen war der junge »Amerikaner« wie er im Hause
+gewöhnlich scherzhaft hieß, oder der »Delaware« wie ihn Sophie, wenn sie
+manchmal bei recht guter Laune war, nannte, auffällig niedergeschlagen
+gewesen; er hatte Briefe von Amerika bekommen, wie er sagte, und ein sehr
+lieber Freund von ihm war dort schwer erkrankt, auch ein Schiff das ihm
+gehörte, und das nicht versichert worden, so lange ausgeblieben, daß sein
+Compagnon fast den Untergang desselben befürchte. Der alte Herr Dollinger
+tröstete ihn deshalb, und er schien sich auch darüber hinwegzusetzen, die
+sonst so blühende Farbe seiner Wangen wollte aber doch nicht sogleich
+wieder dorthin zurückkehren, und das Auge hatte etwas Unsicheres,
+Unstätes, ihm sonst gar nicht Eigenes bekommen.
+
+Nur heute, zu dem Fest der holden Jungfrau, die er bald die seine zu
+nennen hoffte, hatte er all die trüben Gedanken, welcher Art sie auch
+gewesen, und woher sie stammten, von sich abgeschüttelt, und war ganz
+wieder der frohe glückliche Mann, wie ihn Clara kennen — _lieben_ gelernt.
+Auf seinen Wunsch nur, womit Frau Dollinger eigentlich nicht ganz
+einverstanden gewesen, war auch heute keine größere Gesellschaft geladen
+worden, sondern die kleine Familie speiste ganz »unter sich« in dem
+festlich mit Blumen und Guirlanden geschmückten Zimmer des jungen
+liebenswürdigen Geburtstagkindes. Frau Dollinger hatte sich eigentlich
+schon länger auf eine zu diesem Zweck einzuladende, größere Gesellschaft
+gefreut. Herr Dollinger selber hielt aber nicht viel von solchen Fêten;
+dafür jedoch bedung sie sich aus, daß sie wenigstens den Nachmittag
+spatzieren fahren wollten, wobei sie der junge Henkel gewöhnlich zu Pferde
+begleitete.
+
+Etwas that aber der alte Herr Dollinger gern, und zwar ein Glas Champagner
+trinken, und der zweite Stöpsel war eben lustig hinausgeknallt, der
+Gesundheit des »jungen Brautpaares« zu Ehren, als die Thür aufging und
+Loßenwerder, ein Comptoirdiener des Hauses, mit einem kleinen Paket in’s
+Zimmer trat.
+
+Loßenwerder war schon seit elf oder zwölf Jahren im Haus, und seinem
+Aeußern nach eben keine angenehme Persönlichkeit; er hinkte auf dem linken
+Bein, das er als Kind einmal gebrochen, war überhaupt häßlicher und
+magerer Natur, und schielte auf dem rechten Auge, wodurch sein sonst
+gerade nicht unangenehmes Gesicht einen etwas falschen Ausdruck bekam. Das
+Störendste aber an dem ganzen Menschen war sein Stottern, wegen dem man
+sich auf ein längeres Gespräch gar nicht mit ihm einlassen konnte, und kam
+er einmal in Affekt, konnte er kein Wort mehr herausbringen. Frau
+Dollinger sowohl wie Sophie konnten ihn auch nicht leiden, ja die letztere
+behauptete sogar er verstelle sich und sie habe ihn schon ganz ordentlich,
+wenigstens zehntausend Mal besser sprechen hören, als er es jedesmal
+affektire, wenn er zu ihnen in die Wohnung komme; Clara aber hatte Mitleid
+mit dem armen Menschen, den sie seines Unglücks wegen innig bedauerte,
+schenkte ihm oft eine Kleinigkeit und spottete nie über ihn, während Herr
+Dollinger selber, ihn als einen brauchbaren und treuen Diener, der noch
+außerdem eine vortreffliche Hand schrieb, kannte und sehr zufrieden mit
+ihm war, ihm auch jedes nur mögliche Vertrauen bewieß.
+
+»Hallo, Loßenwerder, was bringst Du mir da in’s Haus?« rief ihm sein
+Principal jetzt halb lachend, halb erstaunt entgegen, als der kleine Mann
+das Zimmer betrat und schüchtern an der Thüre stehen blieb — »ist das für
+mich oder meine Tochter?«
+
+»Gewiß für mich, Väterchen,« rief Clara, rasch von ihrem Sitze
+aufspringend — »siehst Du, der Onkel hat mich doch nicht ganz vergessen
+mit meinem Fest, und mir Gruß und Geschenk geschickt.«
+
+»Hehehe — mö — mö — möchten es sich wo — wo — wo — wo — wohl wü — n —
+nschen Fräulein« lachte aber der Stotternde, indem er Herrn Dollinger
+zuwinkte, daß das Paket für ihn sei — »ka — ka — ka — kann ich mir de — de
+— de — de — denken — Go — go — gold und Ba — ba — ba — ba — bank — no —
+noten.« Er zog dabei einen Brief aus der Tasche, den er dem Herrn übergab.
+
+»Hm, hm, hm« sagte aber dieser kopfschüttelnd, »und das bringst Du mir
+jetzt in’s Haus — gerade wo ich ausfahren will — warum hast Du es denn
+nicht dem Cassirer gegeben?«
+
+»Ni — ni — nirgends zu fi — fi — fi — finden« stotterte Loßenwerder.
+
+Herr Dollinger warf den Kopf, den Brief flüchtig durchfliegend, herüber
+und hinüber, sagte dann aber, aufstehend und das Papier vor sich
+hinlegend:
+
+»Ja, da läßt sich denn weiter Nichts ändern; gieb mir das Paket
+Loßenwerder, und sieh dann zu, daß Du Herrn Reibich findest. Ich lasse ihn
+bitten um sieben oder halb acht Uhr heute Abend auf einen Augenblick zu
+mir zu kommen — verstanden?«
+
+»Ja — ja — jawohl He — he — he — herr Do — do — do — Do — «
+
+»Schon gut« lachte Herr Dollinger, ihm zuwinkend, »und hier, Loßenwerder,
+magst Du auch einmal ein Glas auf das Wohl meiner Tochter trinken.
+Fräulein Clara’s Geburtstag ist heute — hier Clara, reich es dem jungen
+Herrn.« Er füllte dabei ein Wasserglas bis zum Rande voll von dem
+funkelnden, schäumenden Naß, und während Clara mit freundlichem Lächeln
+dem armen Teufel das Glas credenzte, nahm Herr Dollinger das Paket mit
+Geld, ging zu dem nahen Secretair, in dem der Schlüssel stak, öffnete ihn,
+legte das Geld hinein, zog dann den Schlüssel ab und sagte, diesen der
+Tochter überreichend:
+
+»So Kinder, heute müßt Ihr einmal auf ein paar Stunden mein Cassirer sein,
+bis der andere aufgefunden werden kann.«
+
+Clara nickte dem Vater freundlich zu, und Loßenwerder, der das volle Glas
+in der Hand hielt und auf einmal ganz blutroth im Gesicht geworden war,
+hob es empor und rief stotternd:
+
+»Fr — re, re, re, re, re, räu — le — le — lein Cla — ra — ra — ra — ra —
+aus ga — ga — ganzem He — he — he — he — he — he — her — ze — ze — zen.«
+
+Als ob er aber mit den Worten in der Kehle Luft gemacht, setzte er das
+Glas an, und der Wein verschwand wie durch Zauberei.
+
+»Alle Wetter« lachte Herr Dollinger, der sich gerade nach ihm umdrehte,
+»Loßenwerder hat einen vortrefflichen Zug — nun? — hat’s geschmeckt?«
+
+»Gu — gut Herr Do — do — do — do — do.«
+
+»Genug, genug« winkte ihm der Principal wieder ab — »also bestell mir das
+ordentlich.«
+
+Loßenwerder, der Art entlassen, und vielleicht froh aus einer Umgebung zu
+kommen, in der er sich nicht heimisch fühlen konnte, setzte das Glas auf
+einen Seitentisch ab, machte eine etwas linkische Verbeugung, und wohl
+wissend daß er zu einem ordentlichen Danke doch keine Zeit mehr übrig
+hatte, empfahl er sich ohne weiter auch nur einen Versuch zu mündlichem
+Abschied zu machen.
+
+»Eine unangenehme Persönlichkeit« sagte Frau Dollinger zu ihrem
+Schwiegersohn _in spe_, als der Mann noch die Thür nicht einmal ordentlich
+hinter sich geschlossen hatte; »ich kann mir nicht helfen, auf mich macht
+der Mensch immer einen fatalen Eindruck.«
+
+»Wie — wie befehlen Sie meine Gnädige?« sagte der junge Henkel etwas
+zerstreut; Sophie bog sich in diesem Augenblick zu ihm nieder und
+flüsterte ihm ein paar Worte zu —
+
+»Er kann ja doch Nichts für seine Gebrechen« nahm Clara aber die Antwort
+auf, »und thut gewiß Alles in seinen Kräften sie eben durch gutes Betragen
+vergessen zu machen.«
+
+»Papa, ich würde das Geld auch nicht so offen in dem Secretair da liegen
+lassen« sagte Sophie.
+
+»Nicht so offen? — ich habe ja zugeschlossen — «
+
+»Nun, es ist immer nicht gerade gut, wenn die Dienstleute wissen wo man
+Geld liegen hat« stimmte die Mutter bei.
+
+»Dienstleute?« meinte Herr Dollinger — es war ja Niemand von ihnen im
+Zimmer — «
+
+»Doch Loßenwerder?«
+
+»Bah« lachte der Kaufmann, mit dem Kopf schüttelnd.
+
+»Ist es denn viel?« frug seine Frau.
+
+»Nun, der Mühe werth wär’s immer« sagte Herr Dollinger, »fünf Tausend
+Thaler etwa — es soll aber auch nicht über Nacht da liegen bleiben, und
+Loßenwerder hat mir auf heute Abend den Cassirer zu bestellen, das Geld an
+sicheren Ort zu legen, bis ich morgen darüber verfügt habe.«
+
+»Der Loßenwerder verwandte keinen Blick von dem Geld, so lang er im Zimmer
+war« sagte die Mutter, mit dem Finger vor sich hindrohend.
+
+»Lieber Gott, Mütterchen, Du weißt ja aber doch daß er schielt«
+vertheidigte ihn lachend Clara — »eben so fest und unverwandt hat er mich
+indessen mit dem andern Auge angesehen; seine Schuld ist’s nicht daß er
+zwei Stellen auf einmal im Auge behalten muß.«
+
+»Laßt mir den armen Teufel zufrieden« sagte aber auch Herr Dollinger —
+»der ist mir nützlicher wie zwei von meinen anderen Leuten; mehr zum
+Nutzen wie Staat freilich, aber Staat will er auch nicht machen. Jetzt
+übrigens Kinder wird es Zeit daß wir uns rüsten, und Henkel, Sie müssen
+noch Ihr Pferd holen lassen.«
+
+»Ich habe es schon, in der Voraussetzung daß wir bei dem schönen Wetter
+doch wohl eine kleine Parthie machen würden, hierher bestellt,« erwiederte
+rasch der junge Mann — wünschen Sie den Wagen jetzt?«
+
+»Ich glaube ja, je eher, desto besser; die Tage sind kurz und wenn wir
+noch eine Stunde oder zwei fahren wollen, dürfen wir nicht mehr viel
+länger warten.«
+
+»Aber Ihr Mädchen möchtet Euch ein wenig warm einpacken« sagte jetzt die
+Mutter, alles Andere in dem Gedanken an ihre Toilette vergessend — »zum
+still im Wagen Sitzen paßt ein Sommerkleid noch nicht und heute Abend wird
+es kühl werden.«
+
+»Und nicht so lange machen,« mahnte der Vater, der sich sein Glas noch
+einmal voll schenkte und leerte; »der Wagen wird im Augenblick da sein.«
+
+Der Wagen fuhr auch wirklich kaum zehn Minuten später vor, Herr Dollinger,
+der nun seinen Hut und Stock aufgenommen, ging, seine Handschuh anziehend,
+im Hofe auf und nieder, und endlich erschienen, diesmal in wirklich sehr
+kurzer Zeit, die Damen, ihre Sitze einzunehmen.
+
+»Nun, wo ist Henkel?« sagte Herr Dollinger, sich nach seinem zukünftigen
+Schwiegersohne umschauend, »ich habe sein Pferd auch noch nicht gesehen;
+jetzt wird uns der warten lassen.«
+
+Die Familie hatte indessen im Wagen Platz genommen, und der alte Herr
+schaute etwas ungeduldig zum Schlag hinaus, als der junge Henkel zum Thor,
+aber ohne Pferd, hereinkam.
+
+»Nun? und Sie sitzen noch nicht im Sattel?« rief er ihm schon von weitem
+entgegen — »das ist eine schöne Geschichte; jetzt dürfen wir den Frauen
+nie im Leben wieder vorwerfen, daß sie uns warten lassen.«
+
+»Ich muß tausend Mal um Entschuldigung bitten,« sagte der junge Mann, zum
+Wagen hinantretend, »aber mein Stallmeister hat mich sitzen lassen. Wenn
+Sie mir erlauben schicke ich einen der Leute danach, oder gehe selber, es
+ist nicht weit von hier. Aber thun Sie mir die Liebe und fahren Sie
+langsam voraus, ich hole Sie in Zeit von zehn Minuten ein.«
+
+»Wir können ja hier warten,« sagte die Mutter.
+
+»Ja, wenn die Pferde stehen wollten,« brummte Herr Dollinger — »zieh nicht
+so fest in die Zügel Johann, das Handpferd kann das nicht vertragen und
+wird nur noch immer unruhiger — wir wollen langsam vorausfahren — machen
+Sie aber daß Sie nachkommen; auf dem Balkon vom rothen Drachen trinken wir
+Kaffee, dort ist eine wundervolle Aussicht — der Stalljunge mag
+hinüberlaufen und Ihnen das Pferd holen.«
+
+Die Pferde zogen in diesem Augenblick an, Henkel mußte aus dem Weg
+springen und verbeugte sich leicht gegen die Damen, von denen ihm Clara
+freundlich lächelnd zunickte.
+
+Eine starke Viertelstunde später sprengte der junge »Amerikaner,« seinem
+Thiere die Sporen gebend, daß es Funken und Kies hintenaus stob, über das
+Pflaster, zum Entsetzen der Fußgänger dahin, dem Wagen nach, den er nur
+erst eine kurze Strecke vor dem bezeichneten Platz wieder einholte. Im
+Stall wollte Niemand etwas davon gewußt haben, daß er sein Pferd bestellt
+gehabt — Einer schob die Vergessenheit natürlich auf den Andern, und
+Dollinger’s Stallknecht mußte die Leute sogar erst zusammensuchen, bis er
+das Pferd bekam, deshalb hatte es so lange gedauert. Als er mit demselben
+zurückkehrte, ging der junge Mann in dem kleinen, dicht am Haus liegenden
+Garten auf und ab, sprang aber dann, dem Burschen ein Trinkgeld zuwerfend,
+und dessen Entschuldigung nur halb hörend, rasch in den Sattel und flog,
+wie vorher erwähnt, in vollem Carrière die Straße nieder.
+
+Er hatte den Hof kaum verlassen, als Loßenwerder, einen großen,
+wunderschön blühenden Monatsrosenstock unter dem Arm, vorsichtig und wie
+scheu, daß ihn Niemand gewahre, über den Hof und in die Hinterthür des
+Hauses schlich, und sich leise und geräuschlos die Treppe damit
+hinaufstahl. Er blieb etwa zehn Minuten im Haus und wollte dann aus
+derselben Thür wieder über den Hof zurück, als der Stallknecht aus der
+Futterkammer kam. Unschlüssig blieb der kleine Mann eine kurze Zeit hinter
+der Thür stehen, und schlich sich dann, als der Bursche den Platz nicht
+verlassen wollte, vorn zur Hausthür hinaus auf die Straße, den Weg nach
+seiner Wohnung einschlagend.
+
+
+
+
+
+ Capitel 2.
+
+
+ DER ROTHE DRACHEN.
+
+
+Der »rothe Drachen«, ein Wirthshaus, das wegen seines vortrefflichen
+Bieres, wie sonst mancher schätzenswerthen Eigenschaften einen sehr guten
+Namen hatte, lag etwa eine halbe Stunde von Heilingen, an der großen
+Landstraße, die gen Norden führte. Ein freundlicher Thalgrund umschloß
+Haus und Garten und die dunklen, den Gipfel des nächsten Hanges krönenden
+Nadelhölzer hoben nur noch mehr das freundliche Grün der jungen Birken und
+Weißeichen hervor, die sich über die niedere Abdachung erstreckten, und
+bis scharf hinan an den hocheingefriedigten und sorgfältig in Ordnung
+gehaltenen Frucht-, Gemüse- und Blumengarten des Hauses selber lehnten.
+
+Es war ein warmer, sonniger Frühlingsnachmittag; der Bach, der am Hause
+dicht vorbeirieselte, plätscherte und schäumte in frischem jugendlichen
+Uebermuth, des Eises Hülle, die ihn so lange gefangen gehalten oder doch
+fest und ängstlich eingeklemmt, nun endlich einmal enthoben zu sein, und
+die Vögel zwitscherten so froh und munter in den Zweigen der alten
+knorrigen Linde, die unfern der Thüre stand, und flatterten und suchten
+herüber und hinüber, aus den blühenden Obstbäumen fort über den Hof und
+von dem Hof wieder fort in dicht versteckten Ast und Zweig hinein, mit
+einem gefundenen Strohhalm oder einer erbeuteten Feder im Schnabel, daß
+Einem das Herz ordentlich aufging über das rege glückliche Leben. Und wie
+blau spannte sich der Himmel über die blühende, knospende Welt, wie leicht
+und licht zogen weiße duftige Wolken, Schwänen gleich, durch den Aether
+hin, farbige, flüchtige Schatten werfend über Wiesen und Feld und die
+weite Thalesflucht, die sich dem Auge in die Ferne öffnete und dem
+leuchtenden Blick neue Schätze bot, wohin er fiel.
+
+Ein Frühling in Deutschland — ein Frühling im _Vaterland_; oh wie sich das
+Herz da mit der wirbelnden, schmetternden Lerche hebt und jubelnd,
+jauchzend gen Himmel steigt; zwinge die Thräne da nicht zurück, die sich
+Dir, dem Glücklichen, in’s Auge drängt — in ihrem Blitzen preisest Du den
+Vater droben, wie es die jubelnde Lerche dort thut, die mit zitterndem
+Flügelschlag über den grünen Matten schwebt; — wie das raschelnde
+flüsternde Blatt im Wald, wie der schwankende, thaugeschmückte Halm und
+die knospende, duftende Blüthe im Thal. Ein Frühling im Vaterland — oh wie
+schön, wie jung und frisch die Welt da um uns liegt in ihrem bräutlichen
+Glanz, voll neuer Hoffnungen in jedem jungen Keim, und wie sich das Herz
+der schönen Blume gleich zusammenzog, als der Herbststurm über die Haide
+fuhr, mit rauher Hand den Blattschmuck von den Bäumen riß und zu Boden
+warf und Schnee und Eis vor sich hin jagte über die erstarrende Flur, so
+öffnet es sich jetzt mit vollem Athemzug wieder den balsamischen
+Frühlingsgruß, und vorbei, vergessen liegt vergangenes Leid — wie der
+verwehte Sturm selber keine Spur mehr hinterließ und die schönsten Blumen
+jetzt gerade an den Stellen blühen, wo er am tollsten, rasendsten getobt.
+
+Ein warmer erquickender Regen war die letzten Tage gefallen, und so gut er
+dem Land gethan, hatte er doch die Bewohner des nahen Städtchens in ihre
+Häuser und Straßen gebannt gehalten, von wo aus sie sehnsüchtig die nahen
+grünenden Berge theils, theils die dunklen Wolken betrachteten, die nicht
+nachlassen wollten Segen auf die Fluren niederzuträufeln. Heute aber hatte
+sich das geändert; voll und warm glühte die Sonne am Himmelszelt und
+hinaus strömten sie in jubelnden Schaaren, hinaus in’s Freie. Der »rothe
+Drachen« vor allen anderen Plätzen, der so reizend an der Oeffnung des
+Thales lag und die Aussicht bot in das darunter liegende freie Land, hatte
+dabei sein reichlich Theil erhalten der fröhlichen Schaar, daß die Wirthin
+mit ihren Kellnern und Mägden nicht Hände genug hatte zu schaffen und
+herzurichten, und die Tische und Bänke im Garten draußen fast alle besetzt
+waren rund herum von Schmausenden.
+
+Der »rothe Drachen« sollte übrigens, wie die Sage ging, seinen Namen von
+einem wirklichen Drachen bekommen haben, der einmal vor vielen hundert
+Jahren in der Schlucht weiter oben, die auch noch ebenfalls nach ihm die
+Drachenschlucht hieß, gehaust und viele Menschen und Rinder verschlungen
+hatte. Der Wirth des »rothen Drachen« nun, Thuegut Lobsich, dessen
+Voreltern schon diesen Platz gehalten, behauptete dabei, Einer seiner
+»Ahnen« habe den Drachen im Einzelkampf erlegt — (die Gäste meinten, mit
+schlechtem Bier vergiftet) und dafür von dem damals regierenden Fürsten
+Platz und Wirtschaft als Gerechtsame, mit dem Schild als Wahrzeichen,
+erhalten.
+
+Wie dem auch sei, Thuegut Lobsich that wirklich gut auf dem Platz, der ihm
+vortreffliche Nahrung bot, und befand sich so wohl, wie sich nur ein Wirth
+in einer gut gelegenen Wirthschaft befinden kann. Seine Frau war aber
+dabei der Nerv des Ganzen, in Küche und Stall, in Keller und Haus, und
+während sich Vater Lobsich, wie er sich gern nennen ließ, obgleich er noch
+jung und rüstig war, am Liebsten zu seinen Gästen irgendwo an einen Tisch
+drückte und »das Bier controllirte«, wie er sagte, daß ihm die Burschen
+kein Saures brachten und die Gäste verjagten, arbeitete die Frau im
+Schweiße ihres Angesichts vor dem Heerd, die bestellten Portionen
+herzurichten und zu gleicher Zeit auch den Verkauf von Kaffee, Thee, Milch
+und Kuchen zu überwachen. Dabei führte sie die Kasse und rechnete mit
+Kellnern und Mädchen ab, und wehe denen, die eine halbe Portion Kaffee
+oder Kuchen vergessen, ein nichtbezahltes Glas nicht aufnotirt oder einem
+schlechten Kunden noch einmal gegen den direkt gegebenen Befehl geborgt
+hatten.
+
+Böse Zungen meinten dabei nicht selten, Frau Lobsich sei der »einzige Mann
+im Hause« und Thuegut dürfe nur tanzen, wenn sie nicht daheim wäre; böse
+Zungen erwähnten dann aber nicht dabei, daß sie wirklich allein das
+Hauswesen in Zucht und Ordnung hielt, und so scharf und heftig sie draußen
+in Küche und Wirtschaft, wo sie fremde Leute doch auch eigentlich nur zu
+sehen bekamen, sein konnte, und so große Ursache sie dabei oft hatte
+ärgerlich zu sein, und die Ursache dann auch für vollkommen genügend
+hielt, es wirklich zu werden, so still und freundlich konnte sie sich
+betragen, wenn sie allein mit ihrem Manne war, und so gern gab sie ihm in
+Allem nach, was nicht eben zu Ruin und Schaden trieb. Salome Lobsich war
+das Muster einer Hausfrau, und was ebensoviel sagen will, eine gute Gattin
+dabei — ob ihr Mann dasselbe auch von sich sagen konnte, stand auf einem
+anderen Blatt.
+
+Heute hatte sich übrigens eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft in dem gar
+so freundlich gelegenen Garten des rothen Drachen eingefunden, und dicht
+vor der Thür desselben, unter der alten breitschattigen Linde, die ihre
+Arme so weit nach rechts und links hinüberstreckte, daß man sie schon
+hatte stützen müssen, nur den Weg zu ihr und den Platz darunter frei zu
+behalten, saß Lobsich selber mit einem kleinen Kreis guter Bekannten,
+d. h. alter Kunden und quasi Stammgäste von ihm, denn er selber kam selten
+irgend wo anders hin, und wer also sein Bekannter _bleiben_ wollte, mußte
+ihn eben besuchen.
+
+Zu diesen gehörte besonders Jacob Kellmann, ein Kürschner und Pelzhändler
+aus Heilingen, dann der Aktuar Ledermann von dort, eine lange hagere,
+etwas ungeschickte Gestalt, mit aber nicht unangenehmen, gutmüthigen
+Gesichtszügen, und der Apotheker aus Heilingen, Schollfeld mit Namen, die
+es gewöhnlich so einzurichten wußten, daß sie an einen Tisch mit einander
+zu sitzen kamen. Lobsich nahm ebenfalls am Liebsten zwischen dieser
+kleinen Gesellschaft Platz, und nur dann und wann, besonders wenn er die
+Stimme seiner Frau irgendwo hörte, stand er auf und ging einmal durch den
+Garten und die Reihen seiner Gäste, zu sehn ob Alle ordentlich bedient
+würden, und keine Klagen einliefen gegen unaufmerksame Kellner, die er in
+dem Fall auch wohl gleich an Ort und Stelle mit einem Knuff oder einer
+Ohrfeige abstrafte, als warnendes Beispiel. Er mußte an irgend Jemand
+seinen Aerger auslassen, daß er nicht bei seinem Biere konnte sitzen
+bleiben.
+
+»Ist doch ein prachtvolles Wetter heute,« sagte Kellmann, der eben einen
+tüchtigen Zug aus seinem Glase gethan, und nun mit vollem zufriedenen
+Blick über das freundliche Bild hinaus schaute, das sich, von der warmen
+Nachmittagssonne beschienen, in all seinem blitzenden Glanz und
+Farbenschimmer vor ihnen aufrollte »und es wächst und gedeiht Alles
+draußen so schön und steht so prächtig — merkwürdig dabei, daß Alles so
+theuer bleibt, und die Preise, statt herunter zu gehen, immer nur steigen
+und steigen.«
+
+»Ja das weiß Gott,« seufzte der Aktuar, dem der Gedanke selbst den
+Geschmack am Bier wieder zu verderben schien, denn er setzte das schon zum
+Mund gehobene Glas unberührt vor sich nieder — »und wenn das noch eine
+Weile so fort geht, können wir alle mit einander verhungern oder
+davonlaufen.«
+
+»Nun Ihr habt gut reden,« sagte Kellmann, »Ihr bekommt vom Staat Euer
+Gewisses und könnt Euch genau danach einrichten — Euer Geld muß Euch
+werden, wenn der erste jedes Monats kommt, unsereins hängt aber allein von
+den Zeiten ab, und wenn die Lebensmittel knapp werden, kauft Niemand einen
+Pelz. Holz will auch sein und daran kann sich nachher die ganze Familie
+wärmen.«
+
+»Ihr redet wie Ihr’s versteht,« brummte der Aktuar, — »unser Gewisses
+bekommen wir, das ist wahr, aber nur deshalb, damit wir gewisses Elend vor
+den Augen haben. Ich habe fünfhundert Thaler Gehalt, und Frau und Kind und
+Dienstmädchen zu ernähren, und soll anständig dabei gekleidet gehn, denn
+vor zehn und zwanzig Jahren hatte ein Aktuar in meiner Stellung auch nicht
+mehr, und machte das Alles möglich, ja befand sich wohl dabei. Jetzt aber
+wird Brod, Butter, Fleisch, Holz, Wohnung, kurz Alles was wir nun einmal
+zum Leben brauchen, gesteigert von Tag zu Tag, aber meine fünfhundert
+Thaler _bleiben_; vor zehn Jahren kaufte ich zwanzig Pfund Brod für
+dasselbe Geld, für das ich jetzt nicht zehn bekomme — aber _meine_
+fünfhundert Thaler _bleiben_. Auch mein Hausherr verlangt höheren Zins —
+schon voriges Jahr bin ich höher gegangen, um nicht gesteigert zu werden,
+d. h. für denselben Preis aus der zweiten in die dritte Etage gezogen,
+aber dies Jahr muß ich ganz hinaus, denn er will wieder zehn Thaler mehr
+haben und ich kann’s ihm nicht geben. Ihr Leute habt Euch gut in die
+Zeiten schicken, denn wenn das Brod theuer wird, schlagt Ihr desto mehr
+auf Euere Waare, der kleine Beamte aber, der Staatsdiener um geringen
+Lohn, das ist das geplagte, gefährdete Geschöpf, und jede neue Taxe macht
+ihm keine neue Berechnung, sondern schnallt ihm nur den Leibriemen um ein
+Loch enger, daß er weniger ißt, bis er in’s _letzte_ Loch geworfen wird,
+zum ersten Mal von seinen irdischen Strapatzen, ohne Furcht vor rasch
+abgelaufenen Ferien, wirklich ungestört auszuruhen.«
+
+»Ach geht mit Eueren erbärmlichen Lamentationen an solch freundlichem
+Tag,« fiel ihm der Wirth hier in die Rede, der sich erst vor ein paar
+Augenblicken wieder mit zum Tisch gesetzt und schon eine ganze Weile
+ungeduldig mit dem Kopf geschüttelt hatte. »Das Reden macht’s nicht besser
+und Stöhnen und Seufzen hilft auch Nichts — Kopf oben, das ist die
+Hauptsache; das andere macht sich von selber — aber hallo« — unterbrach er
+sich plötzlich, von seinem Sitze aufstehend und die Straße
+hinunterzeigend, die in das weite Thal führte — »was kommt dort für ein
+Trupp den Weg entlang?« — und in der That wurde dort oben ein ganzer Zug
+Männer, Frauen und Kinder mit kleinen Handkarren und ein paar einspännigen
+Wägelchen sichtbar.
+
+»Das sind Auswanderer!« rief Jacob Kellmann, von seinem Stuhl aufspringend
+und dem Zug entgegenschauend — »seht nur ein Mensch an, wieder ein ganzer
+Schwarm aus dem Hessischen; Heiland der Welt, da muß doch endlich einmal
+Platz werden.«
+
+»Na nu ist wieder der Frieden beim Henker,« rief aber der Apotheker
+mürrisch — »hier Lobsich setzt Euch auf Eueren Stuhl und trinkt Euer Bier
+aus, und Ihr Kellmann, laßt das Volk da draußen laufen, wohin sie wollen —
+unzufriedene Bande, die es ist und die es nirgends gut genug kriegen kann,
+wo ihr nicht das Confekt auf goldenen Tellern präsentirt wird. Na kommt
+nur hinüber, wenn Euch hier der Hafer zu sehr sticht — Euch werden sie
+schon noch das Fell über die Ohren ziehn, daß Ihr am hellen lichten Tag
+die Sterne zu sehn bekommt.«
+
+»Nein was für ein Zug!« rief aber Kellmann, die langsam näher kommende
+Schaar mit unverkennbarem Interesse betrachtend; »die armen Teufel.«
+
+»Hört Kellmann,« rief aber Schollfeld ärgerlich, »tretet mir da ein wenig
+aus dem Weg, daß ich auch was sehen kann, und setzt Euch wieder, ich
+dächte doch wahrhaftig, Auswanderer hier an der Straße wären nichts so
+besonders Neues, daß Ihr Maul und Nase aufsperrt und thut, als ob Euch so
+etwas noch nicht im ganzen Leben vorgekommen wäre.«
+
+Schollfeld war übrigens nicht umsonst so mürrisch; er hatte einen Zorn auf
+Auswanderer, denn er betrachtete Auswanderung als eine indirekte
+Beleidigung gegen den Staat, gewissermaßen als eine Grobheit, die man ihm
+geradezu unter die Nase sage — : »ich mag nicht mehr in Dir leben und
+weiß einen Platz, wo’s besser ist.« Das _dachten_ sich nämlich die
+»Tölpel«, wie er sie nannte, aber Sie _wußten_ es nicht — gar Nichts
+wußten sie und liefen blind und toll in die Welt hinein. Der Staat hätte
+auch eigentlich den Skandal gar nicht dulden sollen; hunderte von
+Menschen, reine Deserteure aus ihrem Vaterland, liefen da frank und frei
+vorbei, Anderen noch obendrein ein böses Beispiel gebend, und er begriff
+die Regierung nicht, wie sie dem Volke nur noch einen Paß gestatten
+konnte.
+
+Der Zug war indessen näher gekommen und Lobsich rasch in das Haus gegangen
+Bier herbeizuschaffen, da sich bei solchen Trupps gewöhnlich eine Menge
+junge Burschen befanden, die noch Geld im Beutel und immer frischen Durst
+hatten; um so mehr, da das Bergesteigen heute wirklich warm und den Hals
+trocken machte.
+
+ [Capitel 2]
+
+Die ersten Wägen passirten still vorbei; die Führer warfen einen langen,
+vielleicht sehnsüchtigen Blick nach den behaglich hinter ihren Tischen
+sitzenden Gästen und dem kühlen funkelnden Bier hinüber, aber hielten
+nicht an, sich längere Rast dafür auf den Abend versprechend. Nur von den
+Fußgängern blieben mehre Trupps unfern der Linde, unter der unsere kleine
+Gesellschaft saß, und nicht weit von der Gartenthüre stehn, und während
+ein paar der Männer dem Kellner winkten, ihnen Bier herauszubringen, als
+ob sie sich scheuten in ihrer bestaubten schmuzigen Kleidung, mit der
+schweißbedeckten Stirn, zwischen die geputzten und jetzt nach ihnen
+herübersehenden Gruppen hineinzugehn, hielt ein Trupp Frauen ebenfalls
+dort. Angezogen von der plötzlichen weiten und freien Aussicht, die ihnen
+hier nach unten zu das Thal öffnete, durch das sie gekommen, blieben sie
+erfreut und überrascht stehn und schauten dabei auf das reizende Bild hin,
+das wie mit einem Schlage so vor ihnen in’s Leben sprang.
+
+»Heiland der Welt, Lisbeth,« rief ein junges, sechzehnjähriges Mädchen
+der, vielleicht zwei Jahr älteren Schwester zu — »dort drüben liegt
+Holstetten, und von da ist’s nur noch neun Stunden zu Haus — dahinter kann
+ich den weißen Weg durch’s schwarze Nadelholz sehn, der hinüberführt nach
+Krisheim.«
+
+»Ja Marie,« antwortete das Mädchen, und während sie sprach, liefen ihr die
+großen hellen Zähren an den bleichen Wangen nieder, »gleich hinter dem
+Berg dort muß die Windmühle liegen, und dann kommt Bachstetten und
+nachher« — sie konnte nicht mehr sprechen, das Herz war ihr zu voll und
+sie mochte doch nicht das der Schwester, wenn diese ihren Schmerz sah,
+noch schwerer machen. Aber zurückdämmen ließ sich das auch nicht, die
+Wunde war noch zu frisch und blutete zu stark, und beide Mädchen standen
+wenige Minuten still und weinend da, die schönen thränenüberströmten Züge
+den ihr nächsten Menschen ab- und der verlassenen Heimath, die sie wohl
+nie im Leben wieder schauen sollten, zugekehrt.
+
+»Ob auch wohl Martha der Mutter Grab ordentlich hält und pflegt, wie sie
+es versprochen,« brach die Jüngste endlich wieder mit leiser kaum hörbarer
+Stimme das Schweigen.
+
+»Sie hat’s ja versprochen,« flüsterte fast eben so leise die Schwester
+zurück, »aber — — — — so lieb wird sie’s doch nicht haben wie wir.«
+
+»Komm Lisbeth,« sagte die Jüngere wieder und ergriff, ohne sie aber dabei
+anzusehn, der Schwester Hand — »wir wollen gehn — die Wagen sind schon ein
+Stück voraus.«
+
+Beide Mädchen nickten leise und kaum bemerkbar der verlassenen Heimath zu
+und schritten dann schweigend Hand in Hand den Weg entlang, der nach und
+durch Heilingen führte, ihre weite, unbekannte Bahn.
+
+»He Marie, Lisbeth!« rief sie der Vater an, der eben an der Thür des
+Gartens ein Glas Bier von einem der Kellner erhalten hatte — »wollt Ihr
+einmal trinken Kinder?«
+
+»Ich danke Vater,« sagte Marie zurück, ohne sich umzusehn oder stehn zu
+bleiben, »wir sind nicht durstig.«
+
+»Woher des Wegs Ihr Leute?« wandte sich jetzt Kellmann, der trotz
+Schollfeld’s ärgerlichen Worten zu dem Alten getreten war, an diesen.
+
+»Aus Hessen,« sagte der Mann ruhig und that einen langen durstigen Zug aus
+dem, mit dem trefflichen Bier gefüllten, schäumenden Glas.
+
+»Und wohin?«
+
+»Nach Amerika.«
+
+»Hm — ist ein weiter Weg — ist Euch wohl schlecht gegangen hier im Lande?«
+sagte Kellmann, die kräftige und doch gramgebeugte Gestalt des alten
+Landmanns teilnehmend betrachtend.
+
+Der Bauer, dessen Blick auch an dem fernen Punkt indeß gehangen, wo seine
+frühere Heimath lag, ließ das Auge einen Moment wie mißtrauisch über den
+Frager gleiten und erwiederte dann leise und kopfschüttelnd:
+
+»Schlecht? — lieber Gott wie man’s nimmt; man soll g’rad nicht klagen; der
+liebe Gott hat geholfen und wird weiter helfen.«
+
+»Ihr wollt Euch wohl ein paar von den gebratenen Tauben holen die in
+Amerika herumfliegen?« mischte sich hier der Apotheker in’s Gespräch, der
+nicht umhin konnte dem »Auswanderer«, wie er sich ausdrückte, »einen Hieb
+zu versetzen« — »habt Ihr auch Messer und Gabeln mit?«
+
+Der Bauer sah den kleinen, spöttisch lächelnden Mann einen Augenblick
+ruhig von der Seite an, zahlte dann dem neben ihm stehenden Kellner, dem
+er das Glas zurückgab, sein Bier, und ohne irgend etwas auf die Frage zu
+erwiedern, oder ärgerlich darüber zu scheinen, ja als ob er sie nicht
+gehört hätte, wandte er sich und folgte mit einem »grüß Euch Gott Ihr
+Herren«, seinen vorangegangenen Töchtern.
+
+»Holzkopf,« brummte der Apotheker, nur noch mehr gereizt über diese
+anscheinende Misachtung, hinter ihm drein — »dem Volk ist zu wohl hier,«
+setzte er dann, mit einem kräftigen Zug aus seinem Glase hinzu — »der Art
+Leute fühlen sich nicht behaglich, wenn sie nicht baumfest unter dem
+Daumen gehalten werden.«
+
+»Guten Abend miteinander,« sagte in diesem Augenblick ein Anderer der
+Auswanderer, der, mit einem kurzen Pfeifenstummel in der Hand zu dem Tisch
+trat, auf dem in einem schützenden Kelchglas ein Licht mit darum
+gesteckten Fidibus zum Anzünden der Cigarren stand — »wenn’s erlaubt ist,
+möchte ich mir wohl einmal eine Pfeife bei Euch anbrennen.«
+
+»Mit Vergnügen,« sagte Ledermann, ihm einen Fidibus anzündend und
+hinreichend.
+
+»Danke schön,« nickte der Mann, das Feuer benutzend und den blauen Qualm
+in schnellen kurzen Zügen ausblasend. —
+
+»Und wo geht die Reise hin?« frug Ledermann dem Rauchenden.
+
+»Da hinüber,« sagte dieser; immer noch scharf ziehend, indeß er mit dem
+linken, zurückgebogenen Daumen über die linke Achsel wieß — »übers große
+Wasser.« —
+
+»Habt Ihr dort schon einen Platz?« frug der Aktuar.
+
+»Ja,« sagte der Mann freundlich — »mein Bruder hat mir geschrieben aus dem
+Wiskonsin heraus; da soll’s gut sein.«
+
+»Und geht Ihr Alle dorthin?« frug ihn Kellmann.
+
+»Die meisten von uns, ja; eine Parthie will aber auch hinüber in’s
+Missuri; da ist’s wärmer.«
+
+»Es sind wohl lauter Landleute hier miteinander?«
+
+»Ja meistens — ein Schneider ist dabei, und der Schmied aus dem Dorfe und
+der Herr Pastor ist schon voraus.«
+
+»Der Pastor geht auch mit?« frug Kellmann schnell.
+
+»Ahem,« nickte der Mann, »der ist aber mit der Post gefahren, aber er hat
+gesagt er wollte sehn daß wir Alle auf ein Schiff kämen. Danke schön Ihr
+Herren, adje.«
+
+»Glückliche Reise,« rief ihm Kellmann nach.
+
+»Danke,« nickte der Mann noch einmal zurück, »könnens brauchen,« und
+schloß sich den übrigen wieder an, von denen die letzten gerade die Thür
+des Wirthshauses passirten.
+
+Es waren ärmliche, viele von ihnen kränklich oder wenigstens bleich
+aussehende Gestalten, in die Bauerntracht ihrer Gegend gekleidet; die
+meisten Frauen mit Kindern auf dem Arm, Manche sogar deren an der Brust,
+und ein Bündel dazu auf dem Rücken, die im Schweiß ihres Angesichts, wie
+sie bis jetzt gelebt, mühsam der fernen ersehnten Heimath
+entgegenstrebten. Hie und da waren auch ein paar kräftige junge Burschen
+von zwölf bis vierzehn Jahren vor ein kleines leichtes Handwägelchen
+gespannt, darauf gepackte Betten, Kleidungsstücke und Lebensmittel die
+weite Straße entlang zu ziehen. — Die Leute hatten kein Geld übrig, denn
+das wenige, was sie zur Reise aufgespart, mußten sie für das Schiff
+aufheben, und ein paar Thaler sollten doch auch noch wenigstens, wenn das
+irgend anging, übrig bleiben, damit sie nur die ersten Tage in Amerika,
+ehe sie Arbeit bekämen, vor Sorge geschützt wären. Den glänzenden
+Schilderungen die ihnen von dem neuen Lande ihrer Hoffnungen gemacht
+waren, trauten die armen Frauen am wenigsten in ihrem vollen Umfange; von
+Jugend auf, wie ihnen nur eben die Kräfte wurden ihre jüngeren Geschwister
+in der Welt herumzuschleppen, hatten sie arbeiten, hart arbeiten müssen,
+und viel anders würde es auch wohl nicht da drüben sein. Der Sorgen waren
+hier nur gar so viele angewachsen, mit jedem Jahre mehr, wie sie sich auch
+plagten und quälten, und schlechter _konnte_ es dort drüben nicht sein.
+Das war für jetzt der einzige Trost den sie mit sich trugen die lange,
+heiße Straße entlang mit einer kleinen Hoffnung möglicher Besserung
+vielleicht, und sie drückten dann die Kinder nur fester an ihr Herz und
+küßten sie, und flüsterten ihnen leise und heimlich zu daß sie nicht mehr
+schreien sollten, denn sie gingen nach _Amerika_, und da würde schon Alles
+gut werden, wie ihnen der Vater gesagt.
+
+Die Männer und Burschen zogen der fernen Welt aber schon mit mehr
+Vertrauen entgegen; das Bewußtsein der eigenen Fähigkeit und Kraft hob sie
+dabei auch über Manches hinweg das die abhängigen Frauen schwerer zu Boden
+drückte. Wer bei einer langen Wanderung voran geht, und für den Weg zu
+_denken_ hat, wird nie so müde als der, der ihm folgt, nur für sich denken
+läßt, und hinter drein zieht. Viele von den Männern trugen auch
+Jagdtaschen und Gewehre auf dem Rücken, Büchsen und Schrotflinten — was
+sollte es »da drüben« nicht Alles zu schießen geben; — Manche auch
+nachgemachte bunte Blumensträuße auf dem Hut. Einzelne, aus Baiern und
+Thüringen, die sich ihnen angeschlossen, hatten sogar ein paar kleine
+gefärbte Maraboutfedern mit ihren Landesfarben, blau und weiß, und grün
+und weiß in ihrem Hutband stecken; die Meisten aber schienen keine solche
+Erinnerung an die Heimath mitnehmen zu wollen, in das neue Vaterland.
+
+Die Leute gingen vorüber, und die Gäste hatten ihnen schweigend
+nachgeschaut, so lange fast, bis sie die nächste Biegung der Straße ihren
+Blicken entzog. Auch Lobsich war wieder vor die Thür seines Gartens
+getreten, und sich jetzt kopfschüttelnd zurück zu seinem Tische wendend,
+brummte er vor sich hin.
+
+»S’ist mir doch was Unbedeutendes« — es war dieses eine seiner stehenden
+Redensarten, die in der That unbegrenztes Erstaunen ausdrücken sollte —
+»was die Leute dieß Frühjahr wieder an zu ziehen fangen; Tag für Tag geht
+das so fort; Trupp nach Trupp kommt über die Berge herüber, mit Sack und
+Pack, mit Weib und Kind — und Alles fort, Alles fort, und man merkt nicht
+einmal von _wo_ sie fort sind.«
+
+»Doch, doch,« sagte Kellmann, die Augenbrauen in die Höhe ziehend und mit
+dem Kopf nickend, »doch, doch Lobsich; ob man’s wohl merkt? — geht einmal
+da über die Berge hinüber und seht Euch in den Dörfern um; da steht
+manches alte halbzerfallene _leere_ Haus, an das irgend eine Familie da
+drüben noch mit Schmerzen zurückdenkt, und in das Niemand anderes mehr
+Lust hat einzuziehen, weil er noch eine Menge _bessere_, ebenfalls leer,
+in demselben Dorfe findet. Es ist immer ein trauriger Anblick solch ein
+leeres Haus, und ich seh’s nicht gern.«
+
+»Und was für _Geld_ tragen sie außer Land,« fiel der Apotheker hier ein,
+der indeß, sich zu zerstreuen, im Heilinger Tageblatt gelesen hatte, jetzt
+aber nicht umhin konnte auch noch ein Wort mit drein zu werfen — »was sie
+nicht mit hinübernehmen können, lassen sie wenigstens in den Seestädten,
+und zu uns kommt Nichts mehr davon zurück. Wenn ich nur das erst einmal
+erlebe, daß die Leute zu ihrem Glück förmlich _gezwungen_, und nicht mehr
+aus dem Land hinausgelassen werden; geht das aber so fort, so werden sie
+so lange auswandern, bis uns hier weiter gar Nichts übrig bleibt als
+mitzugehen, wenn wir nicht eben allein sitzen wollen in dem verödeten
+Land, unseren Acker selber zu bauen. Hol sie der Teufel, wofür hat sie
+denn eigentlich der liebe Gott in die Welt gesetzt und ihnen den Holzkopf
+gegeben, der sie zu allem Anderen untauglich macht. Ackern und Düngen
+müssen sie drüben doch auch, und weshalb können sie das nicht eben so gut
+_hier_? — Nein Gott bewahre, die paar Thaler die sie sich _hier_ erspart
+haben, müssen erst wieder verschleppt und hinausgeworfen werden an
+Experimente und reinen Uebermuth, und nachher sitzen sie erst recht da;
+dort drüben _können_ sie Nichts mehr sparen, und _müssen_ schon drüben
+bleiben, wenn sie auch wieder herüber möchten. Die Paar die sich doch noch
+ein paar Thaler zusammenscharren, die kommen nachher schnell genug wieder
+zurück, aber es sind nur wenige, und die anderen armen Teufel haben die
+Brücke muthwillig hinter sich abgebrochen, und sitzen nun auf der
+wohlriechenden Haide ohne Unterfutter. Jesus Maria und Joseph, es muß ein
+ordentlicher Jammer drüben sein.«
+
+»Na, _so_ arg nun denn doch wohl noch nicht, Schollfeld,« sagte Kellmann
+kopfschüttelnd, »man hört doch nun auch so Manches von da drüben was nicht
+gar so schlecht klingt, und wo sich’s schon aushalten ließe, wenn man —
+wenn man eben einmal einen solchen verzweifelten Schritt absolut thun
+müßte oder wollte.«
+
+»Nicht so arg?« rief aber Schollfeld, der hier sein Steckenpferd ritt, und
+sich selten eine Gelegenheit entgehen ließ auf Amerika zu schimpfen —
+»nicht so arg? da, hier lesen Sie einmal das Tageblatt, was der wackere
+Dr. Hayde darüber schreibt; das ist ein Mann, der hat Haare auf den Zähnen
+und muß die Sache verstehn, denn er ist Einer von den Wenigen die drüben
+gewesen und glücklich wiedergekommen sind. Er bringt kaum eine Nummer in
+der er nicht ein oder den anderen Hieb auf die Verhältnisse Ihres
+»glücklichen Amerika« hat — das muß ja ein wahres Raubnest sein, lesen Sie
+nur einmal.«
+
+»Hören Sie lieber Schollfeld, ich will Ihnen einmal ’was sagen,«
+erwiederte ihm Kellmann ruhig, »dieser Dr. Hayde, der Ihnen die schönen
+Artikel schreibt ist, der Meinung aller ordentlichen Kerle in Heilingen
+nach, das wenigste zu sagen eine kleine geschwollene Giftkröte, ein
+weggelaufener Advokat, den die Verhältnisse aus Deutschland vertrieben,
+und den in Amerika Niemand mit seinen Talenten haben mochte. Zu faul zum
+arbeiten, und nicht im Stande etwas Anderes zu thun, wurde er dort
+wahrscheinlich vom Schicksal hin- und hergestoßen, und wie ein aus einer
+Thür geworfener Mops, stellt er sich jetzt draußen hin, wo sich Niemand
+die Mühe giebt ihn zu stören, und schimpft und klefft. Ich will Amerika
+eben nicht in allem vertheidigen, aber was _der_ gerade darüber sagt würde
+mich auch nicht bestimmen. Wie ein Dreckkäfer schleppt er sich nur mit
+größter Mühe kleine Stückchen Koth herbei, und rollt sie zusammen eine
+Kugel zu machen in die er sein Ei legt — pfui über den Burschen.«
+
+»Na jetzt freut mich aber mein Leben,« rief Herr Schollfeld erstaunt aus —
+»erst schimpfen Sie selber auf Amerika, und nun auf einmal soll der arme
+Doktor die ganze Schuld tragen.«
+
+»Ich _schimpfe_ nicht auf Amerika,« sagte Kellmann ruhig, »ich kann nur
+nicht leiden wenn man es auf Kosten unseres eigenen Vaterlandes
+herausstreicht, und gegen alle seine Nachtheile blind ist. Es wäre
+allerdings noch viel gefährlicher sich die Lichtseiten alle zu bunt
+auszumalen; die armen Leute die nachher hinübergehn und es anders finden,
+sind dann zu sehr enttäuscht, und fallen gewöhnlich, wie mir gesagt ist,
+aus einem Extrem in’s Andere — aber so taugt’s auch Nichts.«
+
+»Guten Abend selbander,« sagte in dem Augenblick eine andere Stimme dicht
+hinter ihnen, und als sie sich danach umschauten, stand ein alter
+Bekannter von ihnen, Mathes Vogel, ein reicher junger Bauer aus dem
+nächsten Dorf, an ihrem Tisch und streckte ihnen freundlich die Hand
+entgegen.
+
+»Hallo Mathes, wie geht’s?« rief Kellmann die gebotene herzlich schüttelnd
+— »Wetter noch einmal Mann, wo habt Ihr jetzt gerade in der Saatzeit
+gesteckt, daß Ihr in der Welt herumreist wie ein Baron, der seine Güter
+verpachtet hat? Ihr seid verreist gewesen.«
+
+»Ja Herr Kellmann, in Bremen.«
+
+»Wo seid Ihr gewesen?« frug Schollfeld erstaunt.
+
+»In Bremen, Herr Schollfeld!« rief der junge Bauer, gegen diesen gewandt,
+»oben in der Hafenstadt.«
+
+»Guten Abend Mathes,« kam hier der Wirth dazwischen, der den alten Kunden
+ebenfalls begrüßte — »lange nicht gesehn, recht groß geworden mein Junge;
+hast Du Durst?«
+
+»Merkwürdigen,« sagte der Bauer lächelnd.
+
+»Na warte, den wollen wir begießen,« schmunzelte aber Lobsich, rasch in
+den Garten zurückgehend, »der soll mir nicht umsonst in den rothen Drachen
+gefallen sein.«
+
+»Aber was hat Euch nach Bremen geführt?« wiederholte Kellmann, fast etwas
+mißtrauisch gemacht durch das wunderliche halb verlegene Benehmen des
+jungen Burschen.
+
+»Ja Herr Kellmann,« sagte der reiche Bauerssohn, wirklich jetzt verlegen
+seinen Hut um den Zeigefinger der linken Hand drehend — »das hat — das hat
+so seine eigene Bewandtniß — Ich bin — ich bin zu einem Entschluß
+gekommen — ich will — ich will auswandern.«
+
+»Was will er?« schrie Schollfeld, der die Worte nicht ganz verstanden, den
+ungefähren Sinn aber etwa errathen hatte. Jedenfalls schöpfte er Verdacht
+und ehe Kellmann nur im Stande war ein Wort darauf zu erwiedern rief er
+nochmals laut: »wo will er hin?«
+
+»Nach Amerika,« sagte aber der junge Mann entschlossen und wollte noch
+etwas hinzusetzen, aber der Apotheker schlug dermaßen auf den Tisch, und
+fing so an zu schimpfen und zu fluchen, Niemand wußte eigentlich auf was
+und gegen wen, daß Mathes gar nicht gleich wieder zu Worte kommen konnte,
+und vielleicht auch eben nicht böse darüber war.
+
+»Hallo, wer ist todt?« rief aber in dem Augenblick Lobsich, der mit dem
+bestellten Bier für einen seiner besten Kunden selber ankam — »daß Dich
+die Milz sticht, was ist denn dem Apotheker eigentlich in die Krone
+gefahren?«
+
+»Dem Apotheker Nichts,« nahm aber Kellmann kopfschüttelnd das Wort, »doch
+hier dem Dings da, dem Mathes — was meint Ihr, Lobsich was er vor hat?«
+
+»_Heirathen_?« sagte dieser, und ein breites vergnügtes Schmunzeln über
+den so richtig und schnell gerathenen Vorsatz zog sich über sein dickes
+gutmüthiges Gesicht.
+
+»Heirathen!« schrie aber der Apotheker dazwischen, indem er sich seinen
+Hut in die Stirn drückte und seinen Rock anfing zuzuknöpfen — »heirathen?
+— ja prost die Mahlzeit; _auswandern_ will der Kerl, wie ein blindes Pferd
+das durch die Stallwand bricht, in einen Teich zu fallen.«
+
+»_Auswandern_?« schrie aber auch jetzt Lobsich in unbegrenztestem
+Erstaunen — »na das ist mir aber doch wahrhaftig was Unbedeutendes.«
+
+»Oh hol Euch der Teufel mit Eurer albernen Redensart!« rief aber der nun
+einmal ärgerliche Apotheker, und nahm seinen Stock unter den Arm — sein
+stetes Zeichen daß er fertig zum Gehen sei — »was Unbedeutendes; ja wohl,
+wenn der Raptus erst einmal in _solche_ Köpfe und Geldbeutel fährt,
+nachher werden wir sehn was wir hier anrichten. Ich will mir aber mein
+Abendbrod nicht verderben — gute Nacht Ihr Herren.«
+
+»Halt Schollfeld!« rief aber Kellmann, ihn am Arm fassend und
+zurückhaltend — »brennt mir nicht durch, ich gehe auch gleich mit und
+wollte nur erst hören, was Mathes den Gedanken in den Kopf gesetzt hat.
+Hol’s der Henker, er macht sich entweder einen Spaß mit uns, oder es ist
+nur so eine Idee von ihm, die wir ihm wieder ausreden können.«
+
+»Wenn ich das wüßte blieb ich die ganze Nacht hier,« sagte Schollfeld,
+seinen Stock wieder auf den Tisch legend und zu dem verlassenen Stuhl
+zurückgehend. »Mensch, Mathes, seid Ihr denn rein vom Teufel besessen,
+oder habt Ihr nur heute, in irgend einer Kneipe, ein wenig des Guten zu
+viel gethan, daß Ihr so tolles Zeug zusammenfaselt.«
+
+Mathes blieb aber bei allen diesen Ausbrüchen des Erstaunens, die erste
+Erklärung nur einmal überstanden, vollkommen ruhig, und zog nur, statt
+jeder weiteren Antwort, einen Brief aus seiner Brusttasche, den er langsam
+auffaltete und vor sich legte, als ob er ihn vorlesen wollte.
+
+»Nun was soll’s mit dem Wisch?« rief aber der Apotheker ärgerlich, »Ihr
+habt Euere Seele doch noch nicht dem Gott sei bei uns verkauft?«
+
+»So schlimm noch nicht,« lachte der junge Bursch, »das hier ist nur ein
+Brief von Caspar Lauber, den Sie ja Alle kennen und der vor etwa sieben
+Jahren nach Wisconsin auswanderte.«
+
+»Der was that?« rief der Apotheker, die Augen zusammenkneifend und das
+linke Ohr zu ihm hindrehend — »nuschelt nicht so in den Bart, daß Euch ein
+Christenmensch noch verstehen kann ehe Ihr unter die Heiden geht.«
+
+»Der nach Wisconsin auswanderte,« sagte der junge Bauer lächelnd — »er
+hatte mir damals versprochen zu schreiben wie es ihm ginge, schlecht oder
+gut; — wenn schlecht, wollte ich ihm helfen, wenn gut, vielleicht
+nachkommen. Aber er schrieb nicht Jahr nach Jahr, und da er überhaupt
+Nichts von sich hören ließ, glaubte ich schon er sei da drüben gestorben
+oder untergegangen in dem weiten Reich, bis ich vor vier Wochen etwa einen
+Brief von ihm erhielt und seit der Zeit habe ich keine Ruhe gehabt bis zu
+dem heutigen Tag.«
+
+»Nun ja natürlich,« brummte der Apotheker.
+
+»Aber so laßt ihn doch nur reden,« rief jetzt auch ärgerlich der Actuar
+dazwischen, »Ihr raisonnirt nur in einem fort und glaubt nachher, wenn Ihr
+recht geschrieen habt, Ihr hättet recht.«
+
+»So lest den Brief einmal!« sagte Kellmann, die Arme auf den Tisch
+stützend, »nachher wissen wir ja gleich woran wir sind.«
+
+»Aber erst muß ich noch Bier haben,« rief Schollfeld dazwischen, »ich mag
+die Lügen wenigstens nicht trocken mit anhören.«
+
+Lobsich winkte einem der nächsten Kellner, die indeß leer gewordenen
+Gläser wieder zu füllen, denn der Brief interessirte ihn selber zu sehr,
+den Tisch jetzt zu verlassen, und Mathes sagte wie entschuldigend:
+
+»Der Brief ist sehr kurz, aber es steht Alles darin was ich zu wissen
+verlangte, und er lautet:
+
+»Lieber Mathes — ich habe bis jetzt mein Versprechen nicht gehalten, Dir
+zu schreiben, weil es mir sehr schlecht gegangen ist.«
+
+»Na ja,« fiel ihm hier der Apotheker in das Wort — »und nun müßt Ihr Hals
+über Kopf machen daß Ihr auch hinüber kommt.«
+
+Kellmann wollte dem ewigen Einredner etwas erwiedern, aber Mathes fuhr,
+lächelnd die Hand gegen ihn aufhebend, wieder laut fort:
+
+»Ich wollte aber nicht gern, daß mich Jemand Anders unterstützen sollte,
+weil das hier im Lande eine Schande ist; ich wollte mir selber helfen, und
+habe mir kümmerlich, aber ehrlich und fleißig durchgeholfen. Jetzt habe
+ich eine kleine Farm von achtzig Acker, und vier und zwanzig Stück
+Rindvieh, und dreißig Schweine und zwei Pferde und es geht mir gut. Ich
+habe hart arbeiten müssen, aber ich komme durch. Wenn Du mit Geld hier
+herüber kommst und willst mich aufsuchen, daß ich Dir mit Rath und That an
+die Hand gehen kann, dann brauchst Du keine Angst zu haben, daß Du nicht
+durchkommst. Wenn Du eine Frau hast, bringe sie mit; Kinder sind ein Segen
+hier, kein Fluch wie für manchen armen Mann in Deutschland. Wer arbeiten
+will kommt fort, wer faul ist geht zu Grunde. Es grüßt Dich zehntausend
+Mal Dein Caspar Lauber — Lauber’s Farm bei Milwaukie, Wisconsin.«
+
+»Und auf den Brief wollt Ihr auswandern?« rief aber auch Kellmann jetzt
+erstaunt — »Mathes, ist Euch denn das Auswanderungsfieber so plötzlich in
+die Glieder geschlagen, daß Ihr die Seekrankheit für das einzige Mittel
+haltet die es curiren könnte?«
+
+Mathes schüttelte aber gar ernsthaft mit dem Kopf, faltete den Brief
+zusammen, den er zurück in seine Tasche schob, und sagte mit fester und
+entschlossener Stimme:
+
+»Lange im Sinn hab’ ich’s schon gehabt, aber der Brief hat es zuletzt zum
+Ausbruch gebracht.«
+
+»Aber Mathes, Ihr vor allen Anderen habt doch Euer Auskommen hier im
+Land,« rief jetzt auch Lobsich, während der Apotheker das ihm eben
+gebrachte Glas auf einen Zug hinuntergoß, wie um seinen Ingrimm damit
+nieder zu spülen — »wenn Ihr nach Amerika auswandern wollt, wer soll denn
+noch da bleiben?«
+
+»Ich _bliebe_ auch,« sagte Mathes rasch und mit vor innerer Bewegung fast
+erstickter Stimme, »ich bliebe auch, wenn mich mein Vater ließe, aber —
+der will nicht in die Heirath willigen mit Roßner’s Käthchen, des Häuslers
+Tochter aus Rodnach; hier hält er mich dabei unter dem Daumen mit seinem
+Gut und Geld, und das Mädchen stirbt mir indessen in Arbeit und Gram; dort
+drüben aber ist ein Platz, wo fleißige Menschen auch durchkommen können
+mit Gottes Hülfe _ohne_ Geld, _ohne_ Ansehn. Der Lauber hatte gar Nichts
+wie er hinüberging; nicht das Hemd auf seinem Rücken war sein, und ich
+weiß daß er nicht einen rothen Pfennig mit in das fremde Land gebracht
+hat. Aus dem ist jetzt ein rechtschaffener Farmer geworden, mit eigenem
+Land, Haus und Vieh, und was der kann — schwere Noth noch einmal — das
+kann ich auch. Ich gehe hinüber, nehme das Käthchen mit — Geld zur
+Ueberfahrt krieg ich schon, und wenn ich meine beiden Schimmel um den
+halben Werth verkaufen sollte, und dort hilft der liebe Gott schon weiter.
+Verhungern werden wir nicht, und ich brauche mir hier nicht mehr unter die
+Nase reiben zu lassen, »das sollst Du thun und das nicht, und _die_ sollst
+Du heirathen, die Du nicht magst und willst, und die Dich lieb hat und
+Dich glücklich machen kann, der sollst Du das Herz brechen — weil ihr eben
+nur der volle Geldsack fehlt.«
+
+»Unsinn!« sagte der Apotheker, jetzt wieder und zwar im Ernste aufstehend
+— »wenn Jemand einmal rein verrückt geworden ist, läßt sich auch nicht
+mehr mit ihm streiten. Gehn Sie mit Kellmann?«
+
+»Ja, gleich,« erwiederte der Gefragte — »weiß denn aber schon Euer Vater
+um den Plan, Mathes?«
+
+»Heute hab’ ich’s ihm gesagt,« erwiederte der Gefragte leise — »aber er
+glaubt es noch nicht.«
+
+»Und ist es denn schon wirklich so fest bestimmt?« sagte Kellmann
+theilnehmend.
+
+»Meine Passage in Bremen für mich und — meine _Frau_ ist schon bezahlt,«
+rief der junge Bursch da entschlossen — »den funfzehnten geht das Schiff
+ab, und ich habe nur noch eben Zeit das Nothwendigste in Ordnung zu
+bringen.«
+
+»Ja da kömmt freilich jeder gute Rath zu spät,« sagte Kellmann, jetzt
+ebenfalls aufstehend und seinen Hut ergreifend, »wenn der Sprung erst
+einmal geschehen ist, braucht man nicht mehr über das Springen zu streiten
+und ich wünsche Euch das Beste in Euerer neuen Heimath.«
+
+»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte Mathes gerührt — »aber vielleicht seh
+ich Sie selber noch einmal auf freiem Boden drüben, mit Axt oder Pflug in
+der Hand, wie ein wackerer, richtiger Farmer.«
+
+»Wen — mich?« rief aber Kellmann ordentlich erschreckt aus — »ich nach dem
+vermaledeiten Lande, daß alle unsere besten Bürger frißt? Nein Mathes, für
+dies Leben nicht — aber wann geht Ihr fort? vielleicht läßt Euer Vater
+doch noch mit sich reden, und lenkt ein wenn er sieht daß es Euch wirklich
+Ernst ist.«
+
+Mathes schüttelte mit dem Kopf und der Actuar rief:
+
+»Ein Bauer und einlenken, Kellmann? — da kennt Ihr unseren deutschen Bauer
+nicht; worauf der einmal seinen Dickkopf gesetzt hat, da muß er durch, und
+wenn’s nicht geht, so zerhaut er sich eben den Schädel, aber er läßt nicht
+nach. Der alte Vogel und nachgeben; Du lieber Gott, wenn er den eigenen
+Sohn mit einem einzigen Wort vom Verderben retten könnte — er spräch es
+nicht.«
+
+»Na, da kann ich wohl auch meine Bude hier bald zuschließen und mitgehn,«
+sagte Lobsich, sich den Kopf kratzend — »Schwerebrett das ist mir — hm —
+hm — ist mir doch was Unbedeutendes, das — das Amerika.«
+
+»Und was sagt denn das Käthchen dazu?« frug Kellmann jetzt den Mathes,
+während die Uebrigen schon aufgestanden waren und sich zum fortgehn
+gerüstet hatten.
+
+»Die weint und will nicht mit,« sagte Mathes leise — »aber sie wird schon
+gehen.«
+
+»Sie will nicht mit?«
+
+»Sie meint, es bräche meinem Vater das Herz.«
+
+»Das Herz brechen? — dem alten Vogel?« lachte aber dieser verächtlich —
+»na Gott sei Dank, die hat einen guten Begriff von ihm — als ob dem etwas
+das Herz brechen könnte.«
+
+»Nun, es frägt sich nur jetzt wem sie es lieber bricht,« meinte der
+Actuar, »dem Alten, wenn sie geht, oder dem Jungen, wenn sie bleibt — die
+Wahl wird ihr nicht schwer werden. Aber Schollfeld, Ihr seid ja auf einmal
+so still geworden?«
+
+»Ach laßt mich zufrieden,« brummte dieser ärgerlich — »weiß es Gott, man
+möchte am Ende selber mit hinüberlaufen, nur Nichts mehr von dem
+verwünschten Auswandern reden zu hören.«
+
+»Hahahaha!« rief da Kellmann, »Schollfeld bekömmt auch überseeische
+Ideen.«
+
+»Ueberseeische — hätte bald was gesagt,« knurrte dieser aber, auf der
+Straße hingehend, ohne weder Mathes noch Lobsich gute Nacht zu sagen.
+
+Die Uebrigen wechselten noch kurzen Gruß mit ihren Bekannten dort,
+zündeten sich frische Cigarren an, und schlenderten langsam, den
+freundlichen Abend so viel als möglich zu genießen, die Straße hinab, der
+eigenen Heimath zu.
+
+
+
+
+
+ Capitel 3.
+
+
+ DER DIEBSTAHL.
+
+
+Zehn Minuten mochten sie so etwa schweigend nebeneinander hergegangen
+sein, als hinter ihnen auf der Straße eine Equipage und klappernde
+Hufschläge gehört wurden, die sie rasch einholten und an ihnen
+vorbeirauschten, eine dicke Staubwolke dabei über den Weg wälzend. Es war
+die Familie Dollinger mit dem, neben dem Wagen hin galoppirenden Fremden,
+dem Bräutigam der Tochter.
+
+»Die kommen schneller von der Stelle als die armen Auswanderer vorhin,«
+sagte Kellmann, als sie vorbei waren — »Wetter noch einmal, es ist doch
+ein anderes Ding so ein paar flüchtige Rappen vor sich zu haben, und wie
+im Flug durch die Welt zu jagen, als mit einem schweren Packen auf dem
+Rücken und wunden Füßen vielleicht, mühselig die staubige Straße entlang
+zu keuchen.«
+
+»Ja, die Gaben sind ungleich vertheilt in der Welt,« seufzte der Actuar,
+»was der Eine haben möchte, _hat_ der Andere schon, und das ist auch wohl
+das ganze Geheimniß der socialen Frage, läßt sich aber nun einmal nicht
+ändern, und wir dürfen vielleicht den Kopf darüber schütteln, und wünschen
+daß es anders wäre, aber weiter eben Nichts.«
+
+»Der auf dem Pferd, war der Dings da von Amerika,« sagte der Apotheker
+jetzt, »der das schmählige Geld hat und des reichen Dollingers Tochter
+noch dazu heirathet. Soll mir noch einmal einer sagen daß Eisen der
+stärkste Magnet sei; Gold ist’s, und wo das liegt zieht es anderes hin.
+
+»Und wie steht’s mit Actien?« lachte Kellmann.
+
+»Bah — bleibt immer dasselbe,« brummte der Apotheker, »das Gold steckt
+darin, und kann durch einen sehr einfachen chemischen Proceß leicht
+herausgezogen werden — wenn man sie hat.«
+
+»Es wundert mich übrigens daß der alte Dollinger sein Kind über das große
+Wasser hinüberziehen läßt,« meinte der Actuar — »dem hätte es doch auch
+hier im Lande nicht an einer eben so guten Parthie gefehlt.«
+
+»Liebe,« meinte Kellmann achselzuckend — »Liebe ist blind sagt ein altes
+Sprichwort; dagegen lassen sich eben keine Gründe anbringen. Wär’s
+übrigens auch nicht wegen dem großen Wasser, der Bursche gefällt mir
+außerdem nicht, und ich möchte ihm meine Tochter nicht geben und wenn er
+bis über die Ohren in Golde stäcke. Er hat ein verschlossenes,
+hochfährtiges Wesen, behandelt den gemeinen Mann wie einen Hund, und
+spricht von Allem was wir hier haben, unseren Einrichtungen, unseren
+Gesetzen, unseren Vergnügungen selber, ja unserem Klima und Land, das doch
+zum Henker auch _sein_ Vaterland ist, mit der größten Verachtung. Amerika,
+und immer wieder Amerika, hinten und vorn; ei Blitz und Hagel, ich will
+gar nicht leugnen daß es manche gute Seiten haben mag, das Amerika, wenn
+ich sie auch gerade nicht einsehen kann, aber so viel besser wie unser
+Deutschland ist es doch auch nicht drüben, und wenn’s so einem Burschen da
+einmal zufällig geglückt ist, sollt’ er nicht als Lockvogel sich hier
+mitten zwischen uns hineinsetzen, anderen vernünftigen Leuten
+unglückselige Ideeen in den Kopf zu pflanzen.
+
+»Wenn sich andere vernünftige Leute solche Ideeen einpflanzen _lassen_,
+geschieht’s ihnen ganz recht,« sagte der Apotheker — »man braucht nicht zu
+glauben was jeder dahergelaufene Lump eben sagt.«
+
+»Nun _ganz_ ohne kann’s aber auch nicht sein,« meinte Kellmann
+kopfschüttelnd, »und ich — ich halt’ es immer für gefährlich. S’ist
+merkwürdig, wie rasch sich das mit der Hochzeit gemacht hat.«
+
+»Nun, wer sich die Braut gleich fix und fertig aus dem Wasser zieht hat
+leicht freien,« sagte der Actuar — »Glück muß der Mensch haben, dann geht
+Alles wie am Schnürchen; wer aber _das_ nicht hat, der mag sein Lebtag
+fischen und fängt doch Nichts — am wenigsten aber solch einen Goldfisch.
+
+»Wo stammt er denn eigentlich her?« frug der Apotheker jetzt, wie sie
+wieder eine Weile schweigend neben einander hingegangen waren, »man hört
+doch sonst eigentlich gar Nichts von ihm, und er kommt auch mit keinem
+Menschen weiter zusammen — stolzer aufgeblasener Bursche der.«
+
+»Gott weiß es,« sagte der Actuar; »er ist, glaub’ ich, mit einem
+holländischen Schiff herübergekommen, und hatte einen Paß von Amsterdam.«
+
+»Und der Paß lautete nach Heilingen?«
+
+»Nun nicht gerade nach Heilingen, aber doch nach der Residenz, und wie
+sich die Sache dann hier mit der Dollingerschen Familie gestaltete, nun
+lieber Gott, da drückte der Stadtrath das eine, und die Stadtverordneten
+drückten das andere Auge zu, und man sah nicht so genau nach den Papieren.
+Ueberdieß verzehrte er ja hier viel Geld; wär’ es ein armer Teufel
+gewesen, hätten wir ihn wahrscheinlich schon bald wieder über die Grenze
+gehabt.
+
+»Hm, ja, glaub’s,« sagte Kellmann mit dem Kopfe nickend, »s’ist in
+Heilingen eben nicht anders wie — wie anderswo — warum auch?«
+
+Das Gespräch drehte sich von da ab, auf die städtischen Einrichtungen,
+deren wärmster Vertheidiger der Apotheker war, und über die sich der
+Actuar natürlich nur sehr vorsichtig ausließ, während sie Kellmann um so
+unnachsichtiger angriff; kam dann auf die Saat und die Preise, und wieder
+mit einem Seitensprung auf die jetzige Politik unseres lieben deutschen
+Reiches, bis sie das Thor und zwar gerade mit Sonnenuntergang erreichten,
+wo Jeder seinen Weg ging, die eigene Heimath aufzusuchen.
+
+Der Actuar Ledermann besonders, der an dem entgegengesetzten Ende der
+Stadt wohnte, beeilte seine Schritte, noch vor einbrechender Dunkelheit
+seine Wohnung zu erreichen; das Gerücht ging nämlich in der Stadt, daß ihn
+seine Ehehälfte bei solchen Gelegenheiten oft allerdings sehr unfreundlich
+empfange, und ihm einmal sogar schon einige sonst sehr nützliche, bei
+_der_ Gelegenheit aber nichts weniger als passende häusliche Geräthe
+entgegen und vor die Füße geworfen habe. Thatsache war, daß »Madame« oder
+Frau Actuar Ledermann, was auch ihres Gemahls Thätigkeit und Ansehn
+außerhalb seiner eigenen vier Pfählen sein mochte, _innerhalb_ derselben
+jedenfalls das Commando, und nicht immer mit Mäßigung führte, und der
+Actuar suchte den Hausfrieden wenigstens soviel als möglich zu erhalten
+und jeden Anlaß, zu irgend einer Störung desselben, zu vermeiden.
+
+Mit solchen Gedanken vielleicht im Kopf, wollte Ledermann eben vom
+Marktplatz aus in die Straße einbiegen, an deren äußersten Ende seine
+eigene, sehr bescheidene Wohnung stand, als er seinen Titel genannt und
+sich selber gerufen hörte.
+
+»Herr Actuar — Herr Actuar Ledermann.«
+
+Er drehte sich rasch um und sah einen Gerichtsdiener eilig auf sich
+zukommen, der, die Mütze abnehmend, vor ihm stehen blieb und ihm meldete,
+daß er eben abgeschickt worden ihn zu holen oder aufzusuchen, da ein
+Einbruch geschehen sei, über den an Ort und Stelle Protokoll aufgenommen
+werden solle.
+
+»Protokoll aufnehmen?« sagte Actuar Ledermann, keineswegs angenehm
+überrascht; »ja was hab ich denn heute damit zu thun, wo ist mein
+_College_?«
+
+»Herr Actuar Beller sind unwohl geworden, heute Nachmittag,« berichtete
+der Polizeidiener, »und mußten zu Hause gehn; ich bin eben abgeschickt zu
+sehn, welchen von den andern Herren ich zuerst treffen könnte.«
+
+»Hm — ist sehr amüsant,« brummte Ledermann vor sich hin — »kommt mir
+gerade apropos. Bei wem ist es denn?«
+
+»Bei Herrn Dollinger.«
+
+»Was? — bei Kaufmann Dollinger?« rief der Actuar rasch und erstaunt — »am
+hellen Tag, während er ausgefahren war?«
+
+»Er ist, wenn ich nicht irre, eben zu Hause gekommen,« berichtete der
+Mann, und hat glaub’ ich sein Pult geöffnet, und eine bedeutende Summe
+Geldes entwendet gefunden.«
+
+»Hm, hm, hm,« sagte der Actuar kopfschüttelnd und seinen Rock dabei, den
+er der Bequemlichkeit wegen aufgelassen hatte, zuknöpfend, »es wird immer
+besser hier bei uns. Am hellen lichten Tage. Aber die ganze Stadt steckt
+auch voll fremden Volkes, das sich natürlich keine Gelegenheit
+entschlüpfen läßt Reisegeld zu bekommen.«
+
+»Es muß doch wohl Jemand gewesen sein der mit dem Hause genau bekannt
+war,« sagte der Polizeidiener — »nach dem wenigstens, was ich bis jetzt
+von den Dienstleuten darüber gehört habe, kann’s nicht gut anders sein.«
+
+»Nun wir werden ja sehn; da muß ich aber erst — «
+
+»Wenn sich der Herr Actuar nur eben an Ort und Stelle bemühen wollen,«
+sagte jedoch der Diener des Gerichts, »alles Nöthige ist schon dorthin
+geschafft und ich war eben nur fortgelaufen, einen der Herren zu suchen.«
+
+Der Actuar, dem Dienste natürlich Folge leistend, seufzte tief auf und
+schritt, im Geist wahrscheinlich des Empfangs gedenkend, der seiner
+harrte, wenn seine Frau auf ihn mit dem Abendessen warten mußte, rasch die
+»Poststraße« hinaufbiegend, dem gar nicht weit entfernten Dollinger’schen
+Hause zu, dort den Thatbestand in Augenschein und zu Protokoll zu nehmen,
+etwaige Spuren des Uebelthäters zu entdecken und zu verfolgen, und die
+Leute im Hause nach möglichem Verdachte zu inquiriren.
+
+ * * * * *
+
+Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger, in dem Alles sonst so still und
+ruhig und wie am Schnürchen zuging, wo Jeder seine angemessene und fest
+bestimmte Beschäftigung hatte, genau wußte was ihm oblag, und das that,
+ohne eben viel Lärm darum zu machen, lief und rannte und sprach heute
+alles durcheinander, und sämmtliche Bande der Ordnung schienen gelöst.
+
+Frau Dollinger vor allen Dingen lag in Krämpfen in ihrem Boudoir, und
+beanspruchte die Hülfe ihrer beiden Töchter und der weiblichen Dienstboten
+im Haus, ihren Zustand zu bewachen; Herr Dollinger selber war in seinem
+Zimmer des obern Stocks, und ging dort mit raschen Schritten und auf den
+Rücken gekreuzten Armen auf und ab, während dem jungen Henkel indessen die
+Bewachung des Platzes selber übertragen war, und die andern Dienstboten,
+mit einem nicht unbedeutenden Theil der Nachbarschaft und deren
+Verwandten, in den verschiedenen Winkeln und Ecken des Hauses herumstanden
+und kopfschüttelnd, die Hände ein über das andere Mal in Verwunderung
+zusammenschlugen. Die verschiedenartigsten Vermuthungen und Beweise wurden
+da laut, und die Orte und Stellungen oder Beschäftigungen jedes Einzelnen
+auf das Genaueste und Peinlichste angegeben, wo und wie sich Jeder gerade
+in der Zeit etwa befunden haben mochte, als die entsetzliche, verruchte
+That geschehen und vollbracht sein mußte.
+
+Dem Actuar, mit dem ihm folgenden Gerichtsdiener wurde übrigens willig und
+dienstfertig Platz gemacht; Alle wollten aber hinter drein, und die Frauen
+besonders gaben dabei durch die entschiedensten Ausrufe — »Ne Du meine
+Güte« und »Ne so was« ihre vollkommenste Misbilligung des Geschehenen zu
+erkennen. Nichts desto weniger wurde auch selbst ihnen die Thüre vor der
+Nase zugemacht, und Einer der Bedienten bekam strenge Ordre die Hausflur
+zu räumen, und Niemand mehr, so lange die Untersuchung dauere, die Treppe
+hinaufzulassen, ausgenommen, es wisse Jemand noch um den Diebstahl, und
+könne irgend einen Fingerzeig geben den Dieben auf die Spur zu kommen;
+solche Zeugen sollten nachher vernommen werden.
+
+Oben an der Treppe empfing sie Herr Henkel, um sie gleich zu dem Ort, wo
+der Diebstahl verübt worden, hinzuführen; einer der Leute war indessen
+abgeschickt Hrn. Dollinger selber zu rufen, und dieser erschien jetzt, den
+Actuar freundlich grüßend.
+
+Es war indessen schon ziemlich dunkel, und im Zimmer Licht angezündet
+worden.
+
+»Ich bedaure sehr, Herr Dollinger,« sagte der Actuar, »daß, wie ich gehört
+habe, eine so fatale Sache mich hier in Ihr Haus geführt haben muß.«
+
+»Ja allerdings,« erwiederte der alte Herr, »ist es sehr unangenehm;
+weniger des Verlustes wegen, der sich allenfalls ertragen ließ, als wegen
+dem Bewußtsein getäuschten Vertrauens, mit selbst keinem gewissen
+Anhaltspunkt auf Verdacht. Ich wollte gern das Doppelte verloren haben,
+wenn es hätte können auf andere Weise geschehn.«
+
+»Das Ganze ist übrigens mit einer raffinirten Geschicklichkeit
+ausgeführt,« fiel Henkel hier ein, »und der Thäter, wer auch immer,
+jedenfalls ein höchst gefährliches Subject, von dem ich nur hoffen will
+daß wir ihm auf die Spur kommen.«
+
+»Dürfte ich Sie bitten mir den Platz zu zeigen?«
+
+»Treten Sie hier in das Zimmer meiner Töchter; dort der Secretair ist
+erbrochen.«
+
+»Hm — mit einem breiten meißelartigen Instrument,« sagte der Actuar nach
+kurzer Besichtigung der offenen, arg beschädigten Mahagoniplatte — »und
+die Thür ebenfalls eingebrochen?«
+
+»Nein — die Thür ist unbeschädigt und muß jedenfalls mit einem
+Nachschlüssel geöffnet sein.«
+
+»Und was vermissen Sie in dem Secretair?«
+
+»Eine Summe Geldes, die ich erst vor wenigen Stunden, und im Beisein
+meiner Familie und eines zuverlässigen Comptoirdieners, im Paket wie ich
+sie von der Post erhalten, hier eingeschlossen hatte, und von der der Dieb
+auf eine mir unbegreifliche Weise muß Kenntniß bekommen haben.«
+
+»Wer ist dieser Comptoirdiener?«
+
+»Oh, Loßenwerder; Sie kennen ihn ja wohl?«
+
+»Loßenwerder,« sagte der Actuar nachdenkend — »ist wohl schon eine ganze
+Weile in Ihrem Geschäft?«
+
+»Schon zwölf Jahr; mit keinem Schatten irgend eines Verdachts; ich nahm
+ihn als einen ganz jungen Burschen in mein Haus; er muß aber gegen irgend
+Jemand davon gesprochen haben.«
+
+»Hm, hm, wollen ihn uns doch einmal nachher besehn; also hier hinein
+hatten Sie das Geld gelegt?«
+
+»Es ist ein Secretair, den meine Töchter gemeinschaftlich benutzen, und zu
+dem jede von ihnen ihren Schlüssel hat. Bitte lieber Henkel, lassen Sie
+doch einmal Sophie oder Clara einen Augenblick zu uns herüber rufen.«
+
+»Ich habe schon das Mädchen geschickt, eine der jungen Damen ersuchen zu
+lassen,« entgegnete der junge Henkel, der indessen im Zimmer umhergegangen
+war, und sich überall umgesehen hatte, ob nicht vielleicht doch der Dieb
+irgend eine Spur, irgend ein Zeichen hinterlassen habe, an das man sich
+später einmal halten könne. —
+
+»Und vermissen Sie weiter Nichts als das Geld?« frug der Actuar.
+
+»Auch ein Schmuck meiner ältesten Tochter scheint mit geraubt zu sein,«
+sagte Herr Dollinger — »aber da kommt Clara, die Ihnen das Nähere davon
+selber angeben wird.«
+
+Clara betrat in diesem Augenblick das Gemach; sie sah todtenbleich und
+angegriffen aus, und Henkel eilte ihr entgegen sie zu unterstützen.
+
+»Clara, mein liebes armes Kind,« sagte Herr Dollinger, auf sie zugehend
+und die Hand nach ihr ausstreckend, »fehlt Dir etwas? — Der Schreck hat
+Dich wohl so angegriffen. Mach Dir doch nur keine Sorge, mein Herz;
+vielleicht bekommen wir Alles wieder und wenn nicht — nun ein _Unglück_
+ist es dann auch nicht; wenn Ihr mir nur Alle gesund bleibt, können wir
+die paar tausend Thaler schon verschmerzen.«
+
+»Es ist nicht der Verlust, lieber Vater,« sagte aber das junge Mädchen,
+sich gewaltsam zusammennehmend, und des Vaters Hand ergreifend — »nur die
+Ueberraschung, der Schreck wahrscheinlich, und das — das Unheimliche
+dabei, als ich mein Zimmer vorhin betrat, und die Spuren des verübten
+Verbrechens entdeckte. Ich fürchtete die entsetzlichen Menschen noch
+irgend wo zu sehn, die vielleicht hinter einer Gardine stehen, unter einem
+der Divans liegen, hinter einem Ofen lauern konnten und, wenn entdeckt, zu
+verzweifelter Gegenwehr getrieben mich anfallen würden, und all solch
+kindische Gedanken mehr. Dort der auf den Tisch geworfene Regenschirm
+dabei, die hinuntergeworfene Stickerei von dem Secretair selber, am
+meisten aber der Tabaksgeruch im Zimmer und die verlöschte, angerauchte
+Cigarre dort auf dem Fensterbret, erfüllten mir das Herz mit einem
+unbeschreiblichen Grausen.«
+
+»Eine Cigarre?« sagte Ledermann, sich vergebens nach dem bezeichneten
+Gegenstand umschauend — »wo lag sie?«
+
+»Dort im Fenster, als ich zurückkam.«
+
+»Die alte angerauchte Cigarre?« sagte Henkel rasch — »die hab’ ich zum
+Fenster hinausgeworfen; ich glaubte Einer der Dienerschaft hätte sie in
+der Aufregung mit hereingebracht und dort abgelegt — sie muß unten auf der
+Straße liegen.«
+
+»Bitte schicken Sie doch einmal einen Burschen danach, daß er sie
+heraufholt,« sagte der Actuar; »man darf auch das Unbedeutendste nicht
+unbeachtet lassen, und wir wollen indessen die vermißten Gegenstände
+aufnehmen. Das Geld? — «
+
+»Davon giebt Ihnen dieser Brief das genaue Verzeichniß,« sagte Herr
+Dollinger, »aber ich fürchte fast daß wir durch das Geld selber nicht auf
+die Spur kommen werden, indem das Paket fast nur Gold und kleinere
+Banknoten enthielt, die leicht umzusetzen und schwer zu controliren sind.
+Eher hoffe ich durch den Schmuck den Dieb verrathen zu sehn, da einige
+sehr auffällige Stücke, wie ich höre, dabei gewesen sind.«
+
+»Dürfte ich Sie um eine genaue Angabe derselben, heute Abend noch, wenn
+irgend möglich _schriftlich_ bitten?« erwiderte, nach einigem Besinnen,
+der Actuar, »diese Einzelheiten würden mich jetzt zu lange aufhalten.«
+
+»Kannst Du das geben, Clara?
+
+»Bis auf die kleinste Nadel hinunter,« sagte das junge Mädchen rasch,
+»besonders auffällig war eine kleine, rundum mit Brillanten besetzte
+Broche, ein Erbstück unserer Großmutter, und ausgezeichnet vor jedem
+andern Schmuck, den ich noch in meinem ganzen Leben gesehen, durch einen,
+in der Mitte gefaßten, genau dreieckigen, hellblauen und wundervollen
+Turquis. Mein Schmuck lag gleich dicht dahinter, den aber muß der Dieb in
+der Eile übersehen haben; er ist unangerührt geblieben.«
+
+»Das ist allerdings glücklich,« sagte der Actuar, »wäre wohl auch des
+Mitnehmens werth gewesen. Lag gleich dabei?«
+
+»Hier in dem rothen Kästchen.«
+
+»Aber das ist auch geöffnet worden.«
+
+»Das? — nein, das hab ich wohl selbst geöffnet, nachzusehen, ob auch Alles
+darin sei, und nicht wieder ordentlich geschlossen. Die Haken waren
+allerdings auf, wenn ich mich nicht ganz irre, aber der Dieb hat
+keinenfalls eine Ahnung gehabt, welchen Werth das kleine unscheinbare
+Kästchen enthalte, oder es stände jetzt nicht mehr da.«
+
+»Sehr wahrscheinlich, hm — aber Sie vergeben wohl nicht, mein Fräulein,
+alle diese Einzelheiten besonders zu notiren; wer weiß ob sie nicht noch
+einmal wichtig werden. Ah, da kommt auch Herr Henkel wieder; haben Sie die
+Cigarre gefunden?«
+
+»Gott weiß wo sie ist;« lachte dieser, »irgend Jemand muß es doch noch der
+Mühe werth gehalten haben sie aufzuheben, und in einer Pfeife vielleicht
+zu verrauchen — ich bin selber hinunter gegangen, kann sie aber nirgends
+mehr entdecken. Uebrigens ist es auch fast dunkel geworden, und ich werde
+morgen ganz früh nachsuchen lassen. Der Stummel wird Ihnen freilich nicht
+viel helfen.«
+
+»Man weiß nicht,« sagte der Actuar kopfschüttelnd, »je nach der Güte des
+Tabaks ließ sich vielleicht auf die Schicht der menschlichen Gesellschaft
+schließen, in der sich unser heimlicher Besuch herumtriebe. Aber das ist
+allerdings Nebensache; wo also ist der Dieb hereingekommen? — hier durch
+diese Thür?«
+
+»Doch wohl vom Garten her durch das Fenster Euers Schlafzimmers,« sagte
+Herr Dollinger, »denn durch das Haus würde er es sich am hellen Tage im
+Leben nicht getraut haben.«
+
+»Aber ich möchte meine Seligkeit zum Pfande setzen daß ich den Schlüssel,
+der nach unserer Schlafkammer führt, ehe wir fortgingen, herumgedreht und
+stecken gelassen hätte, so daß von innen ein Oeffnen unmöglich war.«
+
+»Und war die Thür noch verschlossen wie wir zurückkamen?«
+
+»Nein, nur in’s Schloß gedrückt, aber der Schlüssel stak darin.«
+
+»Hm, hm, hm — dann ist der Bursche dort wahrscheinlich hinaus« — sagte der
+Actuar — »zur Thür hier hereingekommen und dort zur Nothröhre hinaus — hm,
+muß aber genau mit der Gelegenheit bekannt sein. Mein lieber Herr
+Dollinger, wir werden Ihre Leute doch ein wenig scharf in’s Gebet nehmen
+müssen, denn ein ganz Fremder, kann sich die Zeit nicht so abgepaßt
+haben.«
+
+»Wo kommt der Blumenstock her?« sagte da plötzlich Clara rasch und
+erstaunt, auf einen sehr schönen Rosenstock deutend, der in ihrem Fenster,
+zunächst der Thüre stand — »wer hat den jetzt hier heraufgestellt?«
+
+»So lange wir hier sind Niemand« — rief Henkel — »war er vorher nicht da?«
+
+»Nicht heute Mittag, das weiß ich gewiß; aber vielleicht hat ihn eins der
+Dienstleute mir heimlich hier hereingesetzt.«
+
+»Heimlich? — so?« sagte der Actuar, »den freundlichen Geber wollen wir
+also vor allen Dingen einmal herauszubekommen suchen.«
+
+»Es ist heute mein Geburtstag,« sagte Clara leise und erröthend.«
+
+»Oh?« meinte Herr Ledermann mit einem freundlichen Lächeln, »da thut es
+mir freilich leid, meine ganz ergebensten Gratulationen zu keiner
+angenehmeren Zeit vorbringen zu können — will eben nicht passen bei einer
+solchen Untersuchung, kann es aber doch auch nicht geradezu
+hinunterschlucken — ich gratulire eben nicht zur Untersuchung.«
+
+»Es muß gewiß ein gesegnetes Land sein,« sagte Henkel mit einem leisen,
+halb boshaften Lächeln, »wo die Polizei sogar witzig sein kann.«
+
+»Hm,« meinte der lange Aktuar, sich nach dem Sprecher umdrehend, »die
+Polizei macht eben keinen Anspruch darauf, und ist das meistens
+Privateigenthum. Aber wir wollen die Zeit nicht mit Allotrien vergeuden;
+ist nicht herauszubekommen wer den Blumenstock hier, während Ihrer
+Abwesenheit in das Zimmer gesetzt hat?«
+
+»Jedenfalls müssen die Dienstboten darum wissen,« sagte der junge Henkel,
+»und es wird das Beste sein sie einzeln darum zu befragen.«
+
+»Allerdings; — Einzelverhör hat überhaupt viele Vortheile, bitte schicken
+Sie einmal die Leute herauf, daß man vor allen Dingen ihre Gesichter zu
+sehen bekommt.«
+
+»Aber nicht hier, Väterchen, nicht wahr nicht hier in meiner Stube?« bat
+Clara — »ich würde den fatalen Gedanken im Leben nicht wieder los.«
+
+»Wir wollen hinuntergehn in das untere Zimmer,« sagte Herr Dollinger,
+freundlich dem Wunsch der Tochter nachgebend, »es läßt sich das dort eben
+so gut abmachen als hier.«
+
+»Manchmal ist der Platz des Verbrechens selber der geeignetste,« warf der
+Actuar ein, »aber wie Sie wünschen — nur um eines möchte ich Sie noch
+vorher bitten, daß ich mir einmal die Stelle oder das Fenster ansehn darf,
+durch das sich Ihrer Vermuthung nach, der oder die Diebe entfernt haben
+könnten.«
+
+»In unserem Schlafzimmer?«
+
+»Doch durch diese Thür?«
+
+»Lieber Henkel, Sie sind wohl indessen so freundlich, meine Leute unten
+zusammenzurufen; wir kommen gleich hinunter. Sie werden heut viel
+belästigt.«
+
+»Aber ich bitte Sie, bester Herr Dollinger,« sagte der junge Mann, rasch
+seinen Hut aufgreifend, »wenn ich Ihnen nur darin von irgend einem
+wirklichen Nutzen sein könnte. Lieber erlauben Sie mir vielleicht mit
+Ihnen einer möglichen Spur zu folgen, denn meine Augen sind darin
+vielleicht schärfer als manche andere.«
+
+»Es wird in der Dunkelheit nicht eben mehr viel zu spüren geben,« meinte
+indeß der Actuar; »das werden wir uns müssen auf morgen früh aufsparen —
+also jetzt noch das Fenster, wenn ich bitten darf — ich möchte mir nur die
+Gelegenheit einmal von oben besehn.«
+
+Clara selber öffnete die Thür und führte dem Actuar mit ihrem Vater in das
+kleine freundliche Gemach, dessen beide, schon von Blätter schießenden
+Weinranken überzogene Fenster, auf den Garten hinaussahen. Das eine
+Fenster war allerdings geöffnet gewesen, aber der Rankenwuchs so dicht
+zusammengezogen, daß sich ein Körper kaum hätte hindurchzwingen können.
+Die Höhe nach dem Garten hinunter, und gerade unter dem Fenster sollte ein
+kleiner Rasenplatz sein, war eben nicht beträchtlich, vielleicht zehn oder
+zwölf Fuß, und unten umgab niederer aber ziemlich dichter Hollunder den
+Rasen. Im Zimmer selber ließ sich aber nicht das mindeste erkennen, das
+einen solchen Verdacht unterstützt hätte; das Einzige was dafür sprach,
+war die aufgeschlossene Thür.
+
+Zu der Unterstube des Hauses waren indessen die Dienstleute versammelt
+worden, streng examinirt zu werden. Der Hausmagd vor allen andern lag die
+Pflicht ob, die Etage, wenn sie nach unten in die Küche ging, in
+Abwesenheit der Herrschaft verschlossen zu halten. Diese aber behauptete
+steif und fest, und weinte dabei und rief Gott und alle Heiligen zu Zeugen
+an, daß sie die Vorsaalthür auch ordentlich, »zweimal herum« abgeschlossen
+und den Schlüssel zu sich gesteckt hätte, und Niemanden in der weiten
+Gotteswelt gesehen habe, der das Haus in der Zeit betreten haben könne.
+Trotzdem aber sei die Vorsaalthür, als sie wieder nach oben gekommen
+offen, wenigstens aufgeschlossen, wenn auch zugeklinkt gewesen, und sie
+hätte selber im Anfang nicht begreifen können wie das möglich wäre, aber
+auch nicht weiter darüber nachgedacht, und es ihrer eigenen
+Unaufmerksamkeit zugeschoben. Nach der Abfahrt der Herrschaft sei sie aber
+nur eine ganz ganz kurze Zeit unten geblieben um — sie wollte erst nicht
+mit der Sprache heraus, aber der Herr Actuar drängte gar so sehr — um den
+jungen Herrn Henkel fortreiten zu sehn. Nachher mochte sie vielleicht noch
+zehn Minuten der Köchin geholfen haben, und war dann nicht wieder von dem
+Vorsaal oben fortgekommen, auf dessen Balkon sie gesessen und genäht
+hatte. In der Zeit habe Niemand mehr den Vorsaal oder des Fräuleins Zimmer
+betreten, darauf wolle sie das heilige Abendmahl nehmen, und der Diebstahl
+müsse jedenfalls in den paar Minuten, die zwischen dem Fortreiten des
+jungen Herrn und ihrem eigenen Wiederhinaufgehn nach oben gelegen hätten,
+verübt sein — anders war es nicht möglich.
+
+»Wer aber hatte den Blumenstock in des Fräuleins Zimmer gestellt?«
+
+»Einen Blumenstock? — während die Herrschaft fort war?«
+
+»Allerdings, eine Monatsrose — in das Fenster nächst der Thür.«
+
+»Der das gethan hat, müsse damit zum Fenster, oder in derselben Zeit mit
+einem Nachschlüssel zur Thür hereingekommen sein, als der Diebstahl verübt
+worden, denn sie hätte keine Seele im Haus gesehn.
+
+Die Dienstboten hatten indessen mit einander geflüstert, als der Actuar
+das Wort nahm und mit langsam bedächtiger, aber ziemlich ernster Stimme
+sagte:
+
+»Hört einmal Leute, ich will Euch etwas sagen; Ihr habt Euch da gut
+unschuldig stellen, als ob Ihr eben erst auf die Welt gekommen wärt, damit
+dringt Ihr aber nicht durch. Das Geld ist fort — Ihr seid die Einzigen die
+unter der Zeit im Haus waren, und Euere Pflicht wäre es gewesen —
+
+»Aber Herr Actuarius« —
+
+»Ruhe da, wenn ich Euch etwas mitzutheilen habe — und Euere Pflicht wäre
+es gewesen, sag’ ich, aufzupassen, daß niemand Fremdes den Platz betrat,
+der Euch anvertraut war, und für den Ihr also auch in der Zeit zu stehn
+hattet. Jemand ist aber in der Zeit da gewesen, und hat etwas gebracht und
+etwas geholt, und man wird sich jetzt an _Euch_ halten müssen, bis der
+Jemand ausfindig gemacht ist. Was giebt’s da hinten — was ist gekommen?«
+
+»Dullmanns Rieke von über dem Weg drüben,« sagte die Köchin jetzt, gegen
+den Actuar vortretend, »will den Loßenwerder haben heimlich aus dem Haus
+schleichen sehn. Da _haben_ Sie einen; _uns_ brauchen Sie so etwas nicht
+unter die Nase zu reiben, Herr Actuar — wir sind ehrliche Dienstboten die
+sich ihr bischen Brot sauer genug im Schweiße ihres Angesichts — «
+
+»Ach halt’ sie das Maul,« fiel ihr aber der Actuar etwas unsanft in die
+Rede — »_wer_ ist im Haus gewesen, Loßenwerder? — und heimlich
+hinausgeschlichen? — wer hat ihn gesehn?«
+
+»Hier die Rieke von Dullmann’s — «
+
+»Wann war das?« fragte der Actuar das jetzt vorgeschobene Mädchen, das
+feuerroth wurde und ihren einen Schürzenzipfel anfing wie einen Plumpsack
+zusammenzudrehen. Erst ganz kurze Zeit vorher hatte sie einer ihrer
+Freundinnen im Dollinger’schen Haus, und gewiß nicht in der Absicht die
+Mittheilung gemacht, gleich damit, ohne weitere Warnung, vor die Polizei
+gezogen zu werden.
+
+»Nun Mamsell — wie hieß sie? — Rieke? — Wann haben Sie Loßenwerder aus dem
+Haus kommen sehn, und ist er ruhig hinausgegangen oder _geschlichen_?«
+
+»Wenn Loßenwerder im Haus war,« sagte Herr Dollinger ruhig, »so wird er
+auch ordentlich hinaus_gegangen_ und nicht geschlichen sein; der wäre der
+Letzte dem ich so etwas zutrauen möchte.«
+
+»Die Rieke behauptet,« fiel aber hier die Köchin in dem Bewußtsein
+unrechtlich gekränkten Ehrgefühls rasch ein, »daß sie gar nicht auf ihn
+geachtet haben würde, wenn er sich nicht so schnell und heimlich, und
+dicht unter den Fenstern, am Hause hingedrückt hätte. Wer kein böses
+Gewissen hat, kann gerade und offen gehen.«
+
+»Sie sind aber gar nicht gefragt, zum Henker noch einmal,« rief der Actuar
+jetzt ungeduldig werdend — »wenn Sie jetzt nicht ruhig sind, lasse ich Sie
+so lange hinausführen, bis wir Sie wieder brauchen. Hier Mamsell Rieke;
+wenn Sie sich die Schürze abgedreht haben, dann sein Sie so gut und sagen
+Sie uns einmal wo und wie Sie den Herrn Loßenwerder gesehen haben.«
+
+»Ich — ich weiß nicht gewiß« — stammelte das Mädchen verlegen — »aber —
+aber Loßenwerder kam — bald nachher wie die Herrschaft fortgefahren war —
+
+»Wie lange nachher?« frug der Actuar.
+
+»Etwa eine halbe Stunde denk’ ich — vielleicht nicht so lange — kam er
+viel rascher als es sonst seine Art ist, denn er geht gewöhnlich immer
+sehr langsam — kam er — kam er aus der Thür heraus, die er geschwind
+hinter sich zuzog — und dann — «
+
+»Und dann?« —
+
+Und dann hielt er den Kopf nieder, als ob er nicht wollte daß ihn Jemand,
+der vielleicht von oben heruntersähe, erkennen möchte — hielt er den Kopf
+nieder und drückte sich — drückte sich dicht am Haus hin, so schnell er
+konnte die Straße hinunter, und um die Ecke.«
+
+»Und nachher?« frug der Actuar.
+
+»Nu, um die Ecke kann sie doch nicht sehn,« sagte die Köchin.
+
+»Ob Sie still sein wird,« sagte Herr Ledermann jetzt aber wirklich böse
+gemacht — »Wenzel, wenn mir die Person da jetzt noch einmal das — noch
+einmal den Mund aufthut, dann wissen Sie was Sie zu thun haben.«
+
+»Sehr wohl, Herr Actuar,« sagte der Gerichtsdiener —
+
+»Und sind Sie dann nachher nicht herübergekommen und haben das den Leuten
+im Hause gesagt, was Sie gesehn?« frug der Actuar.
+
+»Ich habe ja aber Nichts gesehen,« sagte die Rieke.
+
+»Sie haben doch den Loßenwerder gesehn« —
+
+»Ja aber der geht doch so oft in das Haus hier herein, und kommt nachher
+immer wieder heraus.«
+
+Der Actuar warf sich ungeduldig herüber und hinüber und sagte endlich
+mürrisch:
+
+»Unsinn — baarer Unsinn — aber hatte er denn irgend etwas in der Hand? —
+_trug_ er etwas?«
+
+»_Trug_? — ja — ja sehn Sie Herr Actuar — das kann ich Sie nicht sagen —
+das weiß ich nicht — «
+
+»Nun Sie werden doch gesehen haben, ob er irgend ein schweres Paket in der
+Hand hatte oder nicht.«
+
+»Ja sehn Sie, das weiß ich Sie wahrhaftig nicht, aber ich glaube es fast,«
+sagte das Mädchen, »denn ich habe den Herrn Loßenwerder eigentlich noch
+gar nicht anders gesehn, als daß er irgend ’was getragen hätte; und wenn’s
+nur ein paar Briefe gewesen wären, oder ein Regenschirm.«
+
+»Lieber Herr Actuar, ich glaube Sie sind da auf einer falschen Fährte,«
+sagte Herr Dollinger jetzt — »man kann einem Menschen allerdings nicht
+in’s Herz sehen, aber für den Loßenwerder möchte ich fast selber
+einstehen.«
+
+»Mein bester Herr Dollinger,« sagte aber der Actuar kopfschüttelnd, »es
+ist das mit den Untersuchungen eine wunderliche Sache, und Leute auf die
+man am allerwenigsten gedacht, von denen man nie das geringste Unrechte
+vermuthet hatte, kommen da oft in den sonderbarsten Verwickelungen vor und
+— sind schuldig. Ich selber kenne Loßenwerder als einen ordentlichen
+braven Menschen, und will zu Gott hoffen, daß unser ganzer Verdacht
+unbegründet ist; das heimliche Schleichen aus dem Haus aber, und daß ihn
+Niemand sonst im Haus gesehen hat macht ihn verdächtig. Meine Pflicht ist
+es wenigstens ihn selbst deshalb zu vernehmen und ich werde jedenfalls
+noch heute Abend nach ihm schicken müssen — unsere Eisenbahnverbindungen
+sind jetzt zu schnell, und man darf keiner Menschenseele mehr zwölf
+Stunden Vorsprung lassen, wenn man nicht oft das leere Nachsehn haben
+will.«
+
+»Passen Sie auf,« sagte Herr Dollinger, »der Loßenwerder wird den
+Blumenstock zum Geburtstag Clara’s oben hinaufgetragen haben, und zum Dank
+dafür kommt der arme Teufel jetzt noch in den Verdacht des fatalen
+Diebstahls.«
+
+»Wie aber ist er ohne Nachschlüssel in die verschlossene Thür gekommen,«
+warf der Actuar ein —
+
+»Hm — « sagte Herr Dollinger, »das weiß ich freilich nicht — nun fragen
+Sie ihn selber, das wird jedenfalls der kürzeste Weg sein.«
+
+»Um das Verzeichniß der gestohlenen Gegenstände dürfte ich Sie dann
+vielleicht nachher noch bitten.«
+
+»Meine Tochter wird es gerade jetzt eben schreiben,« sagte Herr Dollinger,
+»wenn Sie nur noch kurze Zeit warten wollen.«
+
+»Dann dürfte ich Sie wohl bitten, es mir gleich in meine Wohnung zu
+schicken,« meinte der Actuar nach kurzer Ueberlegung, »ich muß vor allen
+Dingen erst in meine Wohnung und werde dann von da gleich noch einmal in’s
+Bureau gehen. Wo ist denn der Loßenwerder wohl am leichtesten zu finden?«
+
+»Ich habe eben nach seinem Hause geschickt,« sagte Herr Dollinger, »aber
+dort ist er nicht. Paul, der Bursche, behauptet, er ginge manchmal, aber
+selten, in eine Bierstube an der Ecke der Rößnitzer und Hertzergasse, aber
+dort war er auch nicht; es ist übrigens an beiden Orten bestellt, ihn
+gleich, so wie Jemand seiner ansichtig wird, hierherzuschicken.«
+
+»Sehr wohl,« sagte der Actuar, seine Papiere zusammenpackend, und sie dem
+Gerichtsdiener übergebend; nach kurzer Begrüßung wollte er sich dann eben
+entfernen, als er noch einmal in der Thür stehen blieb und, sich scharf
+auf dem Absatz herumdrehend, fragte:
+
+»A prospos — _raucht_ Loßenwerder?«
+
+»Soviel ich weiß _nicht_,« sagte Herr Dollinger.
+
+»Doch ja, manchmal,« sagte Einer der Leute — Sonntags nach Tisch z. B.
+regelmäßig eine Cigarre.«
+
+»Hm, so?« sagte der Actuar und verließ dann rasch das Zimmer und Haus.
+
+Er hatte übrigens auch alle Ursache sich zu beeilen, denn daheim wartete
+ein mit jeder Minute drohender aufsteigendes Unwetter auf ihn, das er mit
+einer Art von verzweifelten Hoffnung immer noch mit den, dem
+Gerichtsdiener wieder zu dem Zweck abgenommenen, und geschäftsmäßig unter
+den Arm geklemmten Streifen Akten abzuleiten gedachte. Jedenfalls mußte
+ihm der Vorfall im Dollinger’schen Haus, der so viel von seiner Zeit in
+Anspruch genommen, entschuldigen. Frau Actuar Ledermann aber hatte sich
+schon den ganzen Nachmittag über, mit immer wachsender Ungeduld,
+vorgenommen gehabt mit ihrem Gatten gegen Abend einen der vor der Stadt
+gelegenen Gärten, wo Concert sein sollte, zu besuchen und die Parthie war
+ihr jetzt — was halfen alle Gründe dagegen — zu Wasser geworden; es
+verstand sich von selbst daß Actuar Ledermann die Schuld, und deshalb auch
+die Folgen trug.
+
+Frau Actuar Ledermann hatte sich übrigens vor einigen Tagen, wo sie trotz
+dem nassen Wetter und allen Vorstellungen ihres Mannes spatzieren gegangen
+war, furchtbar erkältet, und brachte keinen lauten Ton über die Lippen.
+Das aber, und daß sie ihren gerechtfertigten Ingrimm nicht mit der vollen
+Kraft ihrer Stimme hinaus_gießen_ konnte über den Gatten, wie sie es — und
+er auch — gewohnt war, sondern alles das was sie ihm zu sagen hatte — und
+sie hatte ihm viel zu sagen — heraus_flüstern_ mußte, reizte ihren Zorn
+nur noch immer mehr.
+
+»Aber liebes Kind, ich versichere Dich,« sagte der Actuar in einem
+vergeblichen Versuch den aufsteigenden Sturm zu beschwichtigen, »daß ich
+mich über anderthalb Stunden bei dem verwünschten Diebstahl im
+Dollinger’schen Hause aufgehalten habe und — «
+
+»Und ich versichere Dich,« zischte sie, mit einem Gesicht, dem die
+Anstrengung die es sie kostete die Worte hörbar zu machen, einen noch viel
+unfreundlicheren, ja sogar boshaften Ausdruck gab — »daß ich Dich vor
+anderthalb Stunden schon gerade so erwartet habe wie jetzt, und seit drei
+Stunden vollkommen angezogen dasitze und auf Dich passe.«
+
+»Aber Du _bist_ ja gar nicht angezogen, beste Therese.«
+
+»Weil ich mich wieder ausgezogen habe,« rief die Frau — »glaubst Du ich
+soll mir ein Beispiel an einem liederlichen Menschen nehmen, und bei Nacht
+und Nebel noch draußen herumstreichen, wie Leute die das Licht zu scheuen
+haben? — Und dann mit meinem Katharr — daß ich mir den Tag über im warmen
+Sonnenschein ein wenig Bewegung machte, das fällt Dir nicht ein; aber
+Nachts, wenn der schädliche Thau niederfällt, der für mich gerade Gift
+wäre, da möchtest Du mich jetzt wohl noch hinausschleppen nicht wahr?
+damit ich nur recht schnell unter die Erde käme — o ich armes
+unglückseliges Weib — «
+
+»Aber Therese Du bist unbillig, ich habe Dir doch angeboten heute
+Nachmittag mit mir nach dem rothen Drachen hinauszugehn — «
+
+»Weil Du wußtest daß das nichtsnutzige Geschöpf von einer Wäscherin mir
+mein Kleid nicht vor vier Uhr bringen würde,« zischte die Frau.
+
+»Aber Du hast ja noch andere — «
+
+»Am Sonntag zum Skandal der andern Menschen mit einer solchen _Fahne_ zu
+einem anständigen Vergnügungsort hinausziehn, nicht wahr? — _Dir_ läge
+natürlich Nichts daran was die Leute über Deine Frau sagten; aber Du bist
+auch an anderen Orten lieber wie zu Hause, und statt Deiner Frau einmal
+ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten, und nachher mit ihr zusammen
+auszugehen, mußt Du natürlich g’rad in’s Wirthshaus laufen, und ein
+Bischen vor Mitternacht dann wieder zu Hause kommen.«
+
+»Liebes Kind, es ist halb neun Uhr jetzt« — sagte der Actuar ruhig, »dann
+aber Therese,« fuhr er nach kleinem Zögern, mit einer fast gewaltsamen
+Anstrengung etwas herauszubringen, das er auf dem Herzen hatte, fort —
+»bist Du theilweise mit selbst Schuld daran, _daß_ ich mir eben außer dem
+Hause mein Vergnügen suchen _muß_.«
+
+»Ich?« wollte die Frau erstaunt rufen, der etwas zu hoch eingesetzte Ton
+blieb aber total aus, und Ledermann sah nur, mit der entsprechenden
+Gesticulation, das zum Höchsten erstaunte Gesicht der Gattin. Dadurch aber
+vielleicht, und durch die ungewöhnliche, freilich erzwungene Stille, etwas
+muthiger gemacht, fuhr er entschlossen fort:
+
+»Ja liebes Kind, Du; denn anstatt Deinem Mann, wenn er von seinen
+Berufsgeschäften ermüdet zu Hause kommt den Aufenthalt daheim zu einem
+freundlichen zu machen, in dem er gerne bleibt, läßt Dich Dein
+unglückseliges, heftiges Temperament nicht ruhen noch rasten, sondern Du
+mußt irgend eine Gelegenheit vom Zaune brechen mit mir zu zanken. Gebricht
+es Dir aber vollkommen an Stoff, was jedoch nur in höchst seltenen Fällen
+zu sein scheint, so bist Du mürrisch und verschlossen, machst ihm ein
+finsteres, verdrießliches Gesicht, und sprichst kein Wort.«
+
+Sprachlos nur vor Zorn und Staunen über die unerhörte, bodenlose
+Frechheit, hatte die Frau indessen dem heute so redseligen Gatten (der
+aber nicht dabei zu ihr aufzuschauen wagte, sondern bald die rechte, bald
+die linke Ecke der Stube mit den Augen suchte) angesehn. Es war eine
+allerdings noch jugendliche schlanke, aber eher magere als volle Gestalt,
+die Frau Actuar Ledermann, mit etwas vorstehenden, wenigstens stark
+markirten Backenknochen und durchdringend scharfen, wenn auch kleinen
+lichtgrauen Augen, die Lippen schmal und um den Mund in vielen kleinen
+Fältchen, zusammengezogen, das Kinn jedoch etwas zurückstehend, was ihr
+ein besonderes, und nicht eben angenehmes Profil gab. Auch in ihrem Anzug
+ließ sie sich zuviel gehn; der Zauber reinlicher Kleidung fehlte ihr, der
+selbst der ärmlichsten Tracht etwas Nettes, Freundliches giebt; die Krause
+die das oben am Hals dicht anschließende Kleid einfaßte, war schon mehrere
+Tage getragen und verdrückt, ebenso zeigten die Manschetten Spuren
+längeren Dienstes, und die Haube saß ihr verschoben und zu viel
+zurückgedrängt auf dem, nicht überreich mit Haaren bedeckten Scheitel.
+Frau Actuar Ledermann war nicht hübsch, und der Affect der ihre Züge in
+diesem Augenblick mehr entstellte als belebte, nahm ihnen leider auch die
+letzte Spur sanfter Weiblichkeit, die sonst doch wohl noch hie und da
+darin verborgen lag. Der bis jetzt mehr durch Erstaunen als Mäßigung
+niedergekämpfte Zorn gewann aber auch endlich die Oberhand, und während
+die Anstrengung, sich bei ihrer Heiserkeit gehört zu machen, ihr Antlitz
+fast dunkel färbte, keuchte sie, die Arme in die Seite gestemmt, den
+Oberkörper gegen den überrascht einen Schritt zurückweichenden Gatten
+vorgebeugt:
+
+»Spreche kein Wort, _heh_? sagt der Herr? — prahlt da, »wenn er von
+Berufsgeschäften nach Hause kommt« — spreche kein Wort? — sitzt in der
+Kneipe den ganzen gesegneten Nachmittag — im rothen Drachen und das nennt
+er Berufsgeschäfte; vertrinkt das Geld das wir hier zum nothwendigsten
+Leben brauchten, und wirft mir jetzt meine Heiserkeit vor, die mir der
+Himmel geschickt hat, oder mein böses Glück, dem ich auch einen solchen
+Mann verdanke — daß ich kein Wort spreche und verdrießlich bin. Ich soll
+wohl _tanzen_? eh? — wenn mir das Herz zum Zerspringen voll ist vor Jammer
+und Elend daheim, und wenn ich den ganzen Tag da sitze, und brüte und
+denke wie wir auskommen wollen mit den paar Groschen, die zum Sterben und
+Verhungern zu viel, zum Leben aber zu wenig sind. Dann soll ich nachher,
+wenn der gestrenge Herr sein Gesicht zeigt, lachen und vergnügt und lustig
+sein, nur damit der Haustyrann sich nicht unbehaglich fühlt in _seinen_
+vier Wänden.«
+
+Heftiger Husten unterbrach hier die Zornesrede der Frau, der die übermäßig
+angestrengte Luftröhre den Dienst versagte, und der Actuar Ledermann nahm
+still und schweigend, den Moment benutzend, ein Licht von dem kleinen
+Seitenschrank, zündete es an der Lampe an, und verließ kopfschüttelnd und
+seufzend das Gemach, sich auf sein eigenes kleines Stübchen zurückzuziehn.
+
+
+
+
+
+ Capitel 4.
+
+
+ FRANZ LOSSENWERDER.
+
+
+In Heilingen, in der Glockenstraße, stand ein vortreffliches Weinhaus, in
+dem die wohlhabenderen Bürger Abends gewöhnlich zusammenkamen und ihr
+Fläschchen, aus denen auch oft zwei und drei wurden, tranken. Das Lokal
+war ziemlich gemütlich, und dem Zweck entsprechend, in eine Menge kleiner
+Zimmerchen abgetheilt, die theils durch wirkliche Thüren und Verschläge,
+theils durch Vorhänge von einander getrennt lagen, einzelnen
+Gesellschaften zu gestatten eben einzeln zu bleiben, und ihr Glas,
+ungestört von dem Nachbar, zu trinken.
+
+Das Haus hieß »der Pechkranz« nach einer alten Sage, die der Wirth sehr
+gern mit der Heilinger Chronik belegte, und die noch in dem
+dreißigjährigen Kriege spielte; ein, über der Eingangsthür in neuerer Zeit
+erst aus Stein gehauener Bachus, hielt auch in der einen Hand einen
+Tyrsusstab, und in der anderen einen Pechkranz, in höchst wunderlicher
+Weise Sage und Geschäft mit einander vereinigend. Die Allegorie war aber
+gar nicht so übel angebracht, und hätte sich auch schon ohne Tilly recht
+leidlich und genügend erklären lassen, denn Bachus hatte hier schon in der
+That in manchen Kopf seinen Pechkranz hineingeworfen, daß es lichterloh
+zum Dache hinausbrannte, ohne weiter eben größeren Schaden anzurichten,
+als der alte Pechkranz in damaliger Zeit angerichtet haben sollte.
+
+Der Wirth war übrigens nicht in Heilingen geboren und erzogen, sondern ein
+Rheinländer, der sich hier erst vor einigen Jahren niedergelassen, und
+durch gute Getränke auch bald gute und schlechte Kunden genug bekommen
+hatte. Seine Preise waren allerdings ein wenig theuer, »aber,« sagten die
+Heilinger, »wer einmal Wein trinkt, dem darf es auch nicht auf einen
+Groschen dabei ankommen, wenn er nur ächt und rein ist,« und Wirth und
+Gäste befanden sich wohl dabei.
+
+Es war am Abend des nämlichen Tages, an welchem ich meine Erzählung
+begann, als die Gäste, die den Tag über meist auf Spaziergängen im Freien
+gewesen waren, anfingen einzutreffen, und die Kellner geschäftig herüber
+und hinüber sprangen, Wein und Speisen den Hungrigen und Durstigen zu
+bringen. Die kleinen Räumlichkeiten füllten sich nach und nach, und selbst
+in dem großen Mittelsaal, der ungefähr das Centrum des Ganzen bildete,
+hatten sich schon hie und da einzelne Gruppen gebildet, oder auch einzelne
+Gäste saßen in irgend einer Ecke, ihre Flasche Wein vor sich, und auf
+eigene Hand, in ungeselliger Gemüthlosigkeit, langsam Glas nach Glas zu
+leeren. Es ist das aber nicht die rechte Art; zu einer schönen Landschaft
+und einer guten Flasche Wein gehören mindestens zwei Personen, um Beides
+recht und ordentlich zu genießen, die eine sich _darüber_, die andere sich
+_dabei_ auszusprechen; wenn man allein ist, geht mehr als der halbe Genuß
+von Beiden verloren. Es giebt allerdings Menschen, die sich zufriedener
+fühlen wenn sie Alles allein genießen können, aber denen geh’ aus dem Weg;
+es sind Hypochonder oder Schlimmere, und der einzige Dank, den Du ihnen
+schuldig bist ist dafür, daß sie sich eben auch von Dir zurückziehn. Nur
+wer Niemanden hat an den er sich anschließen darf, wer allein und
+freundlos in der Welt dasteht und das Leid das ihn drückt, allein tragen,
+die wenigen frohen Momente seines Lebens allein genießen muß, den bedauere
+und hilf ihm, wenn Du kannst, denn er ist der Unglücklichste von Allen.
+
+Es mochte neun Uhr Abends sein, als ein Bekannter von uns, der
+Kürschnermeister Kellmann, die Weinstube betrat und, sich überall
+umschauend, ob er nicht irgend einen Freund träfe zu dem er sich setzen
+könnte, in einer der Ecken eine bekannte Gestalt entdeckte. Aber er sah
+erst ein paar Secunden wirklich aufmerksam dorthin, ehe er seinen Augen
+traute, und sagte dann, auf Jenen losgehend und neben dem Tisch stehen
+bleibend:
+
+»Hallo, _Loßenwerder_? Ihr hier im Pechkranz? na da möchte man doch, wie
+die Schwaben sagen, den Ofen einschlagen. Alle Wetter Mann und vor einer
+Flasche Rüdesheimer; nun das laß ich gelten und es freut mich wahrhaftig,
+daß Ihr endlich einmal aufthaut und unter Menschen kommt. Aber was ist
+denn heute los bei Euch? denn einen ganz besonderen Grund muß doch die
+Festlichkeit haben.«
+
+»Ha — ha — ha — hat sie auch He — he — he — he — herr Ke — ke — ke —
+kellmann,« sagte der kleine Mann verlegen lächelnd und sich etwas
+schüchtern dabei umschauend, denn es schien ihm nicht angenehm, die
+Aufmerksamkeit der übrigen Gäste so direkt auf sich gelenkt zu sehn.
+
+»Jetzt kann ich aber auch den Leuten widersprechen,« sagte Kellmann,
+seinen Hut und Stock an einen der nächsten Haken hängend und sich neben
+ihn setzend, »wenn sie behaupten Ihr tränkt nur Wasser, und Sonntags
+höchstens einmal ein Glas Dünnbier — ich kriege Leibschneiden, wenn ich
+nur an das Zeug denke — und sonst lebtet, als ob Ihr die Woche mit einem
+halben Thaler auskommen müßtet. Alle Wetter Mann, das ist recht, daß Ihr
+Euch auch manchmal ein Glas Rheinwein gönnt; das hält Leib und Seele
+zusammen, und stärkt die Nerven und Muskeln mehr wie Rindfleisch. Würde
+mir schwer ankommen, wenn ich unseren vaterländischen Wein entbehren
+müßte,« setzte er mit einem halbunterdrückten Seufzer hinzu.
+
+»Ha — ha — ha — haben Sie a — a — a — auch wohl ni — ni — nicht nö — nö —
+nö — nö — nö — nöthig, be — be — be — bester He — he — he — he — he — he.«
+
+»Ih nun wer weiß was Einem noch Alles bevorsteht,« unterbrach ihn Kellmann
+— »hier Kellner — mir auch eine Flasche von dem Rüdesheimer; der Duft hat
+mir Appetit gemacht.«
+
+»Hallo Loßenwerder bei einer Flasche Rüdesheimer,« rief aber jetzt noch
+eine andere Stimme aus dem nächsten Stübchen, wo ein paar junge Kaufleute
+bei ihrem Glase zusammensaßen — »da müssen wir auch dabei sein;
+Loßenwerder hat vielleicht heute seinen splendiden Tag und traktirt —
+haben Sie was in der Lotterie gewonnen?«
+
+Die jungen Leute, die Kellmann und Loßenwerder begrüßten, kamen mit ihrer
+Flasche heraus, und setzten sich an denselben Tisch, mit dem immer
+verlegener werdenden kleinen Mann anstoßend und trinkend. Denen gesellten
+sich aber noch bald darauf Andre zu; Loßenwerder war in der ganzen Stadt
+bekannt und oft auch, seiner körperlichen Mängel wegen, zum Besten
+gehalten. Vertheidigen konnte er sich aber schon seines Stotterns wegen
+nicht, was den Gegnern gleich nur noch mehr Anlaß und Stoff gegeben hätte;
+so wurde denn diese freilich gezwungene Zurückhaltung endlich für
+Gutmütigkeit ausgelegt, mit der er sich Scherz und Stichelrede ruhig
+gefallen ließ, und was die schärfste Erwiderung nicht vermocht, erreichte
+er unfreiwillig dadurch, daß man es endlich müde wurde, den sich nicht
+Verteidigenden zum Besten zu haben, und ihn eben zufrieden ließ. Aber in
+des Verwachsenen Betragen änderte das Nichts; abgestoßen und verhöhnt — in
+nur sehr wenigen Ausnahmen — von Allen, mit denen er in Berührung kam, zog
+er sich mehr und mehr in sich selbst zurück, ging, außer den nöthigen
+Geschäftswegen und außer der Geschäftszeit, fast nirgends hin, und lebte
+so einfach, ja fast dürftig, wie nur ein Mensch leben kann, der eben _nur_
+Geld ausgiebt, um zu existiren. In einem Weinkeller hatte ihn aber noch
+Niemand gesehn, und die Gäste dort, die überdies keinen weiteren Zweck da
+hatten als sich zu amüsiren, glaubten das einmal einen Abend mit dem
+kleinen »Stotterberg«, wie er spottweis, seines Stotterns und Höckers
+wegen genannt wurde, am Besten thun zu können.
+
+Im Anfang wollte sich Loßenwerder aber auf Nichts einlassen, ja machte
+sogar zwei oder drei, wenn gleich vergebliche Versuche, sich zu entfernen,
+denn von allen Seiten wurde er gehalten, und Jeder wollte und mußte mit
+ihm trinken. Nach und nach aber fing er an aufzuthauen; der ungewohnte
+kräftige Wein mochte ihm das Blut leichter und rascher durch die Adern
+jagen. Nun sollte er erzählen, aber das ging nicht, sein Stottern wurde,
+mit der schwereren Zunge, kaum verständlich, bis Einer, im Spott eben, auf
+den Gedanken kam, ihn zum Singen aufzufordern. Loßenwerder weigerte sich
+erst ganz verschämt; das aber kam den Anderen zu komisch vor, und mit
+Lachen und Toben, während ein paar schon Champagner bestellten, den Genuß
+würdig zu feiern, räusperte sich Loßenwerder plötzlich und stieg, von dem
+Wein erregt, und jetzt unter dem lauten Jubel der ihn umdrängenden Gäste,
+auf einen Stuhl.
+
+ [Capitel 4]
+
+Was aber, wie sich die Uebrigen gedacht, Spott und Scherz hatte werden
+sollen, das erstarb in athemlosem Schweigen, nur von leisen Ausrufungen
+des Staunens und der Bewunderung unterbrochen, als der kleine verkrüppelte
+Mensch, mit einer hellen, glockenreinen Stimme, und Tönen, die zum
+innersten Herzen drangen, erst noch scheu, dann aber immer
+zuversichtlicher werdend, und wie von dem Inhalt des Liedes mit
+fortgerissen, dieses also begann:
+
+ »Ich habe schon zu oft geschaut
+ In Deiner Augen Glanz, Du Holde,
+ Auf meine Kraft zu fest vertraut,
+ Viel mehr, als ich vertrauen sollte.
+
+ Doch nein, für Dich Geliebte sind
+ Des Lebens schönste, reinste Blüthen,
+ Von keinem Schmerz getrübt, bestimmt,
+ Und was könnt’ ich dafür Dir bieten?
+
+ Nichts — gar Nichts, als ein treues Herz;
+ Doch nimmer sollst Du es erfahren —
+ Ich kann, wie früher, meinen Schmerz
+ In tiefer, innerer Brust bewahren.
+
+ Sei glücklich! — wenn auch ohne mich,
+ Ich will Dich lieben, aber schweigen
+ Und mein Gebet nur soll für Dich
+ Empor, zum Thron des Höchsten steigen.
+
+ Wenn dann mein Herz im Grabe liegt,
+ Und austräumt seine stillen Leiden,
+ Dann soll der Geist zum Himmel nicht
+ Entfliehn, und zu der Seel’gen Freuden. —
+
+ Ein schön’res Loos werd’ ihm zu Theil,
+ Umschwebend Dich in trüben Tagen,
+ Soll er, zu Deinem Schutz und Heil,
+ Selbst seiner Seligkeit entsagen.«
+
+Loßenwerder war ganz gerührt geworden beim Schluß des Liedes, und die
+Thränen standen ihm in den Augen; während sein wirklich häßliches Gesicht
+durch den Schmerz aber eher einen komischen als ernsten Ausdruck bekam,
+jubelte die Schaar jetzt um ihn her, die wirklich erst wieder Athem und
+Laut gewann, als der wundersame Zauber dieser Stimme von ihnen genommen
+war.
+
+»Bravo — bravo Loßenwerder — bravo dacapo! Donnerwetter Mann, Ihr habt ja
+eine Stimme wie eine Nachtigall, und stottert nicht die Probe dabei — wie
+am Schnürchen geht das!«
+
+»Es ist erstaunlich!« rief Kellmann, vor lauter Verwunderung über das eben
+Gehörte wirklich fast sprachlos.
+
+»Nun aber auch trinken — hier Loßenwerder — hier,« riefen sie, ihm das
+Glas bis zum Rand mit dem schäumenden Trank füllend, »und dann noch ein
+Lied; bei Gott, das zuckt und prickelt Einem ordentlich durch die Adern,
+und klingt wie Glockenton so rein und voll; Loßenwerder wo habt Ihr das
+Singen gelernt?«
+
+»Vo — vo — vo — vo — vo — von mi — mi — mir se — se — se — se — selb —
+bber,« stotterte der kleine Mann, kaum im Stande jetzt mit immer schwerer
+werdender Zunge nur die paar Worte vorzubringen, während ihm im Gesang die
+Strophen wie der Lerche das schmetternde Lied; aus der Kehle wirbelten.
+
+»Und da hat bis jetzt noch gar kein Mensch etwas davon erfahren,« rief
+Kellmann wieder — »behält die liebe Gottesgabe da ebenfalls für sich
+allein, kommt nirgends hin, spricht mit Niemand, trinkt und singt mit
+Niemand, und hat eine Stimme in der Luftröhre sitzen, die Einer, wer es
+darauf anzulegen verstände, in reines Gold verwandeln könnte.«
+
+Von allen Seiten tranken sie jetzt dem kleinen Mann zu, und überschütteten
+ihn mit Lob und Jubel, und dieser schwamm wirklich in einem wahren Meer
+von Wonne. So wohl war ihm auch noch nie geworden — Niemand hatte sich bis
+jetzt um ihn bekümmert, Jeder ihn verspottet und verhöhnt, und zum ersten
+Mal, vielleicht seit langen, langen Jahren, fühlte er sich unter Menschen
+einem Menschen gleich, wußte sich nicht mehr verachtet und unter die Füße
+getreten, und sah freundliche Augen um sich her, die ihn wie ihres
+Gleichen anschauten.
+
+Dem löste sich auch endlich seine Zunge, oder wenigstens sein guter Wille
+zu reden, so weit, daß er beginnen wollte Geschichten zu erzählen. Das
+ging aber unter keiner Bedingung; beim Singen ja, aber beim Sprechen
+brachte er kein Wort mehr über die Lippen, und selbst das Singen versagte
+ihm zuletzt den Dienst; die Augenlider wurden ihm schwer, er fing an zu
+lallen, und war eben zurück auf seinen Stuhl und dem Schlaf in die Arme
+gesunken, als die Thür aufging und zwei Gerichtsdiener in’s Zimmer traten.
+Es war etwa elf Uhr Abends und die meisten Gäste, mit Ausnahme des einen
+Tisches, hatten das Haus schon verlassen.
+
+»Hallo was ist das?« sagte Herr Kellmann, der die beiden Leute zuerst
+bemerkte, »das ist wunderlicher Besuch — es wird doch nicht etwa eine
+Polizeistunde eingeführt in Heilingen?«
+
+Aber auch der Wirth war die »Diener der Gerechtigkeit«, wie sie meist
+etwas poetisch genannt werden, gewahr geworden und ging auf sie zu, sich
+zu erkundigen was sie hierher geführt.
+
+»Ein kleiner buckliger Mann soll hier heute Abend bei Ihnen sein,« sagte
+der Erste — »er ist aus dem Dollingerschen Geschäft.«
+
+»Dort sitzt er in der Ecke,« sagte der Wirth vom Pechkranz nach
+Loßenwerder hinüberzeigend, »hat er etwas verbrochen?«
+
+»Ich weiß nicht,« erwiederte der Zweite ziemlich kurz — »wir sollen ihn
+abholen.« —
+
+»Wird schwer sein,« meinte der Wirth — »sie haben ihm heute Abend hier
+ordentlich zugetrunken, und der Wein hat jetzt das Uebergewicht — wenn er
+aufsteht kippt er wieder um.«
+
+»Hm — da wird wohl auch nicht viel mit Fragen aus ihm herauszubringen
+sein, Meier; was meinst Du, nehmen wir ihn mit?«
+
+»Ich denke das Beste wird sein wir führen ihn zu Haus, und Einer bleibt
+bei ihm bis er morgen früh wieder zu Verstande kommt; jetzt ist doch
+Nichts mit ihm anzufangen.«
+
+»Aber um Gottes Willen was ist denn vorgefallen?« frug Kellmann bestürzt;
+»der arme Teufel hat doch nicht etwa irgend ’was verbrochen?«
+
+»Noch ist nichts Gewisses bekannt,« erwiederte der erste Polizeidiener,
+»nur bei Dollinger’s ist heute Nachmittag eingebrochen, und die
+Untersuchung muß jetzt erst ergeben, wer schuldig sei.«
+
+»Bei Dollinger’s eingebrochen?« riefen Mehrere, »heute Abend?«
+
+»Nein heute am hellen Tag,« sagte der Mann.
+
+»Alle Wetter das muß dann gewesen sein während sie nach dem rothen Drachen
+gefahren waren,« sagte Kellmann rasch — »sie kamen an uns vorbei mit dem
+jungen Henkel.«
+
+»In der Zeit war’s,« bestätigte der Polizeidiener, »denn wie sie zu Hause
+kamen, wurde es entdeckt — hier da Loßenwerder — Sie da — wachen Sie auf.«
+
+»Ja wenn Sie den stoßen wollen bis er munter wird,« lachte Einer der
+jungen Leute, »da haben Sie Arbeit.«
+
+»Sie — Loßenwerder — hören Sie?«
+
+»Ja — ja« — stammelte der von dem ungewohnten Weine, von dem er eigentlich
+gar nicht so sehr viel getrunken, Betäubte — »me — me — me — mehr We — we
+— wein; ich za — za — za — zahle A — a — a — a — a — alles!«
+
+»So?« sagte der Polizeidiener ruhig — »nun für heute möcht’ es doch wohl
+genug sein; komm, faß ihn da drüben unter den Arm, er wohnt ja auch nicht
+so sehr weit von hier — wo ist sein Hut?«
+
+»Hier — armer Teufel, das wird ein böses Erwachen werden.«
+
+»Wie man sich bettet so schläft man,« sagte der zweite Polizeidiener, und
+den Betrunkenen in die Höhe richtend, der dabei unverständliche Sachen
+stammelte und sogar einen total misglückenden Versuch machte wieder zu
+singen, führten sie ihn hinaus und seiner Wohnung zu, indeß die Gäste noch
+das »für und wider« der Schuld des Mannes, von dem sie nie etwas Uebles
+gehört bei einer anderen Flasche besprachen.
+
+Und es _war_ ein böses Erwachen für den Mann; von dem Weindunst betäubt
+schlief er, wie ein Todter, bis zum lichten Tag, und als er die Augen
+aufschlug und ihm der Kopf schmerzte zum Zerspringen, fiel sein erster
+Blick auf den ungeduldig in seinem Zimmer auf und ab gehenden
+Polizeidiener, den er einen Moment bestürzt anstarrte, und dann die Augen
+wieder schloß, wie vor einem unangenehmen Traumbild.
+
+»Nun Loßenwerder, ausgeschlafen?« sagte der Mann aber, froh endlich einmal
+zu einem Resultat zu kommen — »das hat lange gedauert — kommen Sie, stehn
+Sie auf und ziehn Sie sich an.«
+
+Die Stimme war _kein_ Traum, und der kleine Mann richtete sich erschreckt
+von seinem Bett, auf dem er noch mit den Kleidern vom vorigen Abend lag,
+empor. Wo war er? — wie war er hierher gekommen? er drückte sich mit
+beiden Händen die Stirn und der klare Angstschweiß brach ihm aus über den
+ganzen Körper; er _wußte_ nicht mehr was gestern Alles geschehn, und die
+unheimliche finstere Gestalt vor ihm füllte sein Herz mit einer wilden
+Ahnung von Unheil, die alles Blut dorthin in jähem Strom zurücktrieb.
+
+Wie ein Schlag da hinein traf ihn die Nachricht von dem entdecktem
+Diebstahl, das Gefühl, daß der Verdacht auf ihm laste, und die nächste
+Stunde — während ein anderer Polizeibeamter bei ihm visitirte und man
+nichts weiter, als in einem Winkel seines kleinen Schreibtisches, unter
+dreifachem Schloß, ein Päckchen mit 200 Thalern in fünf und zwanzig Thaler
+Cassenanweisungen, wie noch einige Goldstücke fand, wie seine Abführung
+dann nach dem Dollingerschen Hause, da Herr Dollinger gebeten hatte den
+Mann, an dessen Schuld er nicht glauben wollte, erst einmal an Ort und
+Stelle selber zu befragen — lag wie ein Alp auf seiner Seele, unter dessen
+Last er auch kein Wort zu seiner Verteidigung zu sagen, ja nicht einmal
+eine an ihn gerichtete Frage zu beantworten vermochte.
+
+In dem Dollingerschen Hause angekommen, wurde er gleich in Herrn
+Dollinger’s Zimmer hinaufgeführt, und der alte Herr ging, als Loßenwerder
+die Stube betrat, mit auf dem Rücken gekreuzten Händen in seinem Zimmer
+auf und ab. Der junge Henkel saß in der einen Ecke des Sophas, das rechte
+Knie über das linke geschlagen, mit einem Buch in der Hand, über das hin
+er aufmerksam den Gefangenen betrachtete.
+
+Loßenwerder war bleich wie ein Todter — jeder Blutstropfen hatte sein
+Antlitz verlassen, und bei dem Versuch den er zum Reden machte, kam kein
+Laut über seine Lippen.
+
+»Loßenwerder,« sagte Herr Dollinger endlich, nach einer kleinen Weile vor
+ihm stehen bleibend und ihn ernst, ja traurig betrachtend — »ein böser
+Mensch ist gestern, während unserer Abwesenheit, in unser Haus geschlichen
+und hat, außer einigen Juwelen, auch noch das Geld entwendet, das Du mir
+gestern Mittag gebracht und das ich, wie Du weißt, in den Secretair dort
+schloß. Warst Du während unserer Abwesenheit wieder im Haus und in dem
+Zimmer meiner Töchter?«
+
+»He — he — he — he — he — he — he — rr Do — Do — Do — Do.«
+
+»Schon gut Loßenwerder, Du bist jetzt aufgeregt und das Sprechen wird Dir
+schwer; beschränke Dich auf ein einfaches ja und nein.«
+
+»Ja — a — !«
+
+»In dem Zimmer meiner Töchter?«
+
+»J — a — a — a aber — i — i — i — i — ich wo — wo — wollte« —
+
+»Sie haben einen Blumentopf dort hineingesetzt?« sagte Herr Henkel jetzt
+ruhig.
+
+Das Blut stieg dem kleinen Mann rasch bis in die Schläfe hinauf, aber der
+nächste Moment ließ sein Antlitz wieder so weiß als vorher; er nickte nur,
+zur Betätigung des eben Gesagten, mit dem Kopf.
+
+»Loßenwerder,« sagte der Herr Dollinger mit leiser, bewegter Stimme und
+dicht zu dem kleinen Mann hinantretend, wobei er die Hand auf dessen
+Schulter legte, »Loßenwerder, noch gestern würde ich eben so leicht
+geglaubt haben, daß eines von meinen eigenen Kindern eines schlechten,
+unrechtlichen Streiches fähig wäre, bis mich leider die immer deutlicher
+sprechenden Thatsachen in meinem Glauben an Dich _wankend_ gemacht haben.«
+
+»He — he — he — he — he — herr Do — Do — Do — Do — — Dollinger« —
+
+»Ich will Dir klar und einfach unseren ganzen Verdacht vorlegen,« sagte da
+der alte Herr, dem Angeklagten jedes unnütze Wort zu ersparen — »gestern,
+während unserer Abwesenheit, ist der Secretair meiner Töchter erbrochen
+und das Dir bekannte Geld entwendet worden — drüben über der Straße hat
+Dich ein Mädchen gesehn, wie Du heimlich aus dem Hause geschlichen bist.
+Ebenso bestätigt Wilhelm, der Stalljunge, Dich gesehn zu haben, wie Du
+hättest das Haus durch die nach dem Hofe zu führende Thür verlassen
+wollen, bei seinem Anblick aber, was selbst dem Jungen aufgefallen ist,
+zurückgefahren, und dann auch nicht über den Hof gekommen wärst. Das
+Stubenmädchen, die keine Ahnung davon haben konnte daß Geld in dem
+Secretair lag, ist bereit den schwersten Eid abzulegen, daß sie, wenige
+Minuten später, nachdem man Dich hatte aus dem Hause schleichen sehen, die
+Vorsaalthür nicht mehr aus den Augen gelassen, und gewiß wäre, daß Niemand
+die Schwelle mehr überschritten habe, bis sie den zurückkehrenden Wagen in
+den Hof einfahren gehört. Heimlich bist Du im Haus gerade in der Zeit, in
+welcher das Geld entwendet wurde, gewesen, und die gestrige Ausschweifung,
+die man an Dir nicht gewöhnt ist, wie die bei Dir gefundene Summe, lassen
+allerdings das Schlimmste fürchten. Loßenwerder — ich brauche Dir nicht zu
+sagen, wie weh — wie weh mir das gerade von _Dir_ thut, und ich wollte die
+doppelte Summe, so bedeutend sie ist, gern verschmerzen, wenn es _nicht_
+geschehen wäre. Mache aber jetzt Deinen Fehler, wenigstens so weit das
+noch in Deinen Kräften steht, wieder gut; gestehe was Du mit dem übrigen
+Gelde gemacht, wo Du es verborgen hast, und ich selber will dann auch
+Alles thun was in meinen Kräften steht, Deine Strafe zu erleichtern. Ein
+anderer Welttheil mag Dir nachher in späterer Zeit Gelegenheit geben
+Deinen Fehltritt zu bereuen, und das wieder zu werden, für was ich Dich,
+selbst bis diesen Morgen noch, gehalten habe.«
+
+Loßenwerder hatte während dieser Auseinandersetzung wie aus Stein gehauen
+vor seinem Prinzipale gestanden, nur das Zittern seiner Glieder verrieth
+daß er lebe; jetzt aber brach er in die Knie, und zum ersten Mal
+vielleicht mit dem vollen Bewußtsein der gegen ihn erhobenen Anklage —
+oder auch von Schuld und Angst zu Boden gedrückt, denn wer konnte in den
+stieren, überdies nicht geraden Augen und in den todtenbleichen, mit
+großen Schweißperlen bedeckten Zügen das richtige lesen — umfaßte er die
+Knie des alten Herrn und bat mit wild stotternder Stimme, aus der dieser
+nur mit äußerster Anstrengung einen Sinn herausfinden mußte — ihn nicht
+unglücklich zu machen — Nichts so Schreckliches von ihm zu denken.
+
+»Ein aufrichtiges Geständniß, Loßenwerder,« entgegnete darauf Herr
+Dollinger, »ist das Einzige, was Deine Schuld jetzt noch in etwas
+erleichtern kann. Das Gericht wird einen unbewachten Augenblick, dem die
+Reue auf dem Fuße folgt, nicht so schwer strafen, wie den hartnäckigen
+Uebelthäter.
+
+»A — a — a — a — a — aber ich bi — bi — bin ni — ni — ni — nicht schu —
+schu — schu — schuldig,« — stotterte der Unglückliche — »ich we — we — we
+— we — weiß vo — vo — vo — von Ni — ni — ni — nichts — «
+
+»Du weißt von Nichts, Loßenwerder?« sagte Herr Dollinger leise mit dem
+Kopf schüttelnd — »und woher ist das Geld das man bei Dir gefunden, woher
+die Fünfundzwanzig Thaler-Note, die Du locker in der Tasche getragen, und
+die Dir der Polizeidiener gestern Abend noch herausgenommen hat?«
+
+»Ge — spa — pa — pa — pa — partes Geld — e — e — e — e — e — ehrlich ge —
+ge — gespartes G — g — g — geld!« stammelte der arme Teufel.
+
+Herr Henkel stand jetzt auf und ging langsam auf Herr Dollinger zu, dem er
+ein paar Worte in’s Ohr flüsterte und dann, während dieser leise und
+traurig mit dem Kopf nickte, das Zimmer verließ. Loßenwerder aber, der ihm
+ängstlich mit den Augen folgte und vielleicht in einer unbestimmten Ahnung
+fühlte daß man ihn fortführen — in ein Gefängniß bringen werde, ergriff
+wieder und jetzt aber wie in Todesangst des alten Mannes Hand, und bat ihn
+um Gottes — um seiner Seligkeit willen, soweit es ihm die, jetzt in der
+Aufregung nur noch mehr fehlende Sprache immer gestattete, daß er ihm nur
+das nicht anthun — daß er ihn in kein Gefängniß möge führen lassen. Herr
+Dollinger erklärte aber natürlich darin Nichts thun zu können, denn wenn
+er Nichts gestehen wolle oder zu gestehen habe, so müsse allerdings das
+Gericht, bei so stark vorliegendem Verdacht, die Untersuchung aufnehmen,
+wonach sich bald seine Schuld oder Unschuld herausstellen würde.
+
+»Hab’ ich aber einmal erst auf solchen Verdacht gesessen,« stotterte der
+Unglückliche, »so bin ich gebrandmarkt mein Lebelang« —
+
+Herr Dollinger zuckte die Achseln, und die Thür öffnete sich in diesem
+Augenblick, den einen Polizeidiener zeigend, der Loßenwerder leise auf die
+Achsel klopfte und freundlich sagte:
+
+»Wenn’s gefällig wäre.«
+
+Loßenwerder zuckte zusammen als ob er einen Schlag bekommen, und wandte
+sich noch einmal, wie Hülfe suchend, an Herrn Dollinger, aber ein Blick
+auf diesen überzeugte ihn, daß er schon nicht mehr helfen könne, wo das
+Gericht die Sache in die Hand genommen, und sein Gesicht in den Händen
+bergend, folgte er dem Gerichtsdiener fast willenlos hinaus.
+
+Gerade als er durch die Thür schritt begegnete ihm, noch auf der Schwelle,
+Frau Dollinger, und rasch bei Seite tretend, als ob sie selbst durch seine
+Berührung angesteckt zu werden fürchte, warf sie ihm einen zornigen,
+verächtlichen Blick zu und ging an ihm vorüber.
+
+Loßenwerder seufzte tief auf, sagte aber kein Wort, denn wie er den Kopf
+hob, sah er am andern Ende des Vorsaals Clara mit dem jungen Henkel in
+eifrigem Gespräch, und auch dort mußte er vorbei. Das war zu viel und wie
+unschlüssig blieb er stehn und sah sich um, als ob er einen Weg zur Flucht
+suche.
+
+»Na kommen Sie, Loßenwerder, machen Sie keine Dummheiten,« sagte aber, ihm
+ermunternd auf die Schulter klopfend, der Polizeidiener — »es ist Alles
+ein Uebergang, wie der Fuchs sagte, als sie ihm das Fell über die Ohren
+zogen.«
+
+Loßenwerder nahm sich zusammen und schritt festen Trittes an dem jungen
+Mädchen vorüber, das ihn mitleidig betrachtete.
+
+»Etwas über zweihundert Thaler hat man schon bei ihm gefunden,« flüsterte
+der junge Henkel ihr leise zu — »ich hoffe daß Vater Dollinger das andere
+auch noch wieder bekommen soll.«
+
+»Ach Loßenwerder, warum habt Ihr das gethan?« sagte Clara, leise und
+mitleidig den Gefangenen ansehend, als er an ihr vorüberging.
+
+»U — u — u — und Si — si — si — si — sie g — g — g — glau — ben d — d —
+das a — a — a — a — auch?« rief Loßenwerder und die großen hellen Thränen
+standen ihm dabei in den Augen, aber der Polizeidiener hatte sich schon
+länger mit ihm aufgehalten, als er meinte verantworten zu dürfen, nahm ihn
+leise an der Hand und führte ihn die Treppe hinunter. Loßenwerder folgte
+ihm wie in einem Traum.
+
+Das Polizeigebäude war nur höchstens fünfhundert Schritt von dort
+entfernt, und stand an der andern Seite einer kleinen steinernen Brücke
+die über den, mitten durch die Stadt und häufig überbrückten kleinen Fluß
+führte. Als sie hinunter auf die Straße kamen, ließ der Polizeidiener
+seinen Gefangenen los, kein Aufsehn zu erregen, und flüsterte ihm zu nur
+ruhig neben ihm hinzugehn. Loßenwerder verstand ihn wohl gar nicht, denn
+er sah verstört zu ihm auf, und dann um sich her, und fand die Augen der
+Vorübergehenden alle neugierig auf sich geheftet; sich aber doch, wenn
+auch nur dunkel, des Zwanges bewußt der auf ihm lag, nahm er sein
+Taschentuch heraus, trocknete sich die feuchte Stirn damit ab, und ging
+mit krampfhaft zusammenengebissenen Zähnen neben seinem Wächter her. So
+erreichten sie die Brücke, wo vier oder fünf Jungen standen, die neugierig
+die Ankommenden betrachteten; Loßenwerder’s Blick schweifte über sie hin,
+aber er sah sie nicht, bis er dicht bei ihnen war und einer derselben
+spottend rief:
+
+»Hoho, hoho — Stotterberg hat gestohlen, Stotterberg hat gestohlen!«
+
+Die Anderen stimmten lachend mit in den Ruf ein, und der Polizeidiener
+drehte sich ärgerlich und drohend gegen die Buben um, die scheu
+auseinander stoben; Loßenwerder aber fuhr sich mit beiden Händen
+krampfhaft gegen die Stirn — »hat gestohlen!« schrie er dabei, ohne zu
+stottern, mit gellendem wilden Schrei, und ehe sein Wächter es verhindern
+konnte, ja nur eine Ahnung davon hatte, warf er sich mit einem
+verzweifelten Sprung, über die niedere Ballustrade hin in den unten
+vorbeilaufenden Strom. Noch über dem Geländer erfaßte ihn der
+Polizeidiener an einem Rockzipfel, das Gewicht des niederfallenden Körpers
+war aber zu groß, als daß er es mit einer Hand hätte aufhalten können, ja
+er mußte sogar loslassen, nicht selber das Gleichgewicht zu verlieren, und
+der Unglückliche schlug gleich darauf auf das Wasser, unter dessen
+Oberfläche er im nächsten Augenblick verschwand.
+
+Der Fluß war indeß hier weder breit noch tief, und auf der ziemlich
+belebten Straße fanden sich gleich mehre Leute, die unterhalb der Brücke
+in’s Wasser sprangen, das ihnen etwa bis unter die Arme reichte, den
+niedertreibenden Körper aufzufangen. Sie hatten ihn auch bald erreicht und
+gefaßt, und von kräftigen Armen wurde derselbe an die Oberfläche gehoben
+und zum Ufer gezogen. Wenn ihm jedoch auch das Wasser selber noch nichts
+geschadet hatte, war der Unglückliche doch durch den Sturz, in dem er
+wahrscheinlich durch das Zurückhalten seines Rockes gegen einen der
+Brückenpfeiler geworfen worden, schwer am Kopf verletzt — die Wunde
+blutete stark, und die Männer trugen den Bewußtlosen zuerst auf die
+Polizei, und von dort, auf den Ausspruch eines rasch herbeigerufenen
+Arztes, in die Charité.
+
+
+
+
+
+ Capitel 5.
+
+
+ DIE AUSWANDERUNGS-AGENTUR.
+
+
+Am Marktplatz zu Heilingen, und an der Ecke eines kleinen, auf diesen
+auslaufenden Gäßchens, stand ein ziemlich großes, grün gemaltes und gewiß
+sehr altes Erkerhaus, dessen Giebel und Stützbalken geschnitzt, und mit
+wunderlichen Köpfen und Gesichtern verziert, und braun angestrichen waren,
+und sich so weit dabei nach vorn überneigten, daß es ordentlich aussah,
+als ob der ganze Bau mit dem spitzen, wettergrauen Dach nächstens einmal
+ohne weitere Meldung nach vorn über, und gerade mitten zwischen die Töpfer
+und Fleischer hineinspringen würde, die an Markttagen dort unten ihre
+Waare feil hielten.
+
+Nichtsdestoweniger wurde es noch immer, bis fast unter das Dach hinauf
+bewohnt, und der untere Theil desselben ganz besonders zu kleinen
+Waarenständen und Läden benutzt. Die Ecke desselben nun, hatte seit langen
+Jahren ein Kaufmann oder Krämer in Besitz, der sich zu seinen
+Materialwaaren, Kaffee, Zucker, Tabak, Lichten, Grütze &c. auch noch in
+der letzten Zeit die Agentur mehrer Bremer und Hamburger Schiffsmakler zu
+verschaffen gewußt, und damit bald in einer Zeit, wo die Auswanderungslust
+so überhand nahm, solch brillante Geschäfte machte, daß er die
+Materialwaarenhandlung seiner Frau, wie seinem ältesten Sohn übertrug, und
+für sich selber nur ein kleines Stübchen, ebenfalls nach dem Markt hinaus,
+behielt, über dessen Thüre ein riesiges, sehr buntgemaltes Schild jetzt
+prangte. Dies Schild verdient übrigens mit einigen Worten beschrieben zu
+werden, da die Heilinger in den ersten Tagen — als es eben erst
+aufgehangen worden — in wirklichen Schaaren davor stehen blieben und es
+anstaunten.
+
+Es war ein breites, länglich viereckiges Gemälde, ein großes, dreimastiges
+Schiff vorstellend, wie es sich unter vollen Segeln der fremden, ersehnten
+Küste näherte. Die See selber war hellgrün gemalt, mit einer Unmasse von
+sichtbar darin herumschwimmenden Fischen, die den Beschauer wirklich etwas
+besorgt um die Sicherheit des Fahrzeugs selber machen konnten. Dessen
+wackerer Kiel schäumte aber mitten hindurch, und der, dem Anschein nach
+vollkommen runde, nur nach hinten zu etwas länglich auslaufende Rumpf,
+preßte eine große grün und weiß gestreifte Welle vorne auf, die sich wie
+eine breite Falte quer vor seinen Bug legte. Die Segel standen dazu fast
+ein wenig zu sackartig, und nur an den vier Zipfeln festgehalten, stramm
+und steif von den Raaen ab, und die langen blutrothen Wimpel mit roth und
+weißer Bremer Flagge hinten an der Gaffel, strömten und flatterten lustig
+nach hinten aus, wahrscheinlich den raschen Durchgang des Schiffes durch
+das Wasser anzuzeigen, das derart, durch den Wind getrieben, selbst diesen
+überflügelte. Ueber Deck war aber auch die Mannschaft, und Kopf an Kopf
+eine volle Reihe bunter Passagiere sichtbar, mit sehr dicken rothen
+Gesichtern, die Gesundheit an Bord des Schiffes bestätigend, und mit sehr
+hellgelben und sehr breiträndigen, rothbebänderten Strohhüten auf, während
+hinten auf Deck der Capitain des Schiffes mit einem dreieckigen Hut, wie
+einem Fernglas in der einen und einem Dreizack in der andern Hand stand.
+Was der Maler mit dem Dreizack andeuten wollte weiß nur er und Gott; er
+müßte denn gemeint haben daß der Capitain, wie früher Neptun, das Meer
+beherrsche. Uebrigens war es auch möglich daß er fischen wolle, und sich
+mit dem Fernrohr nur eben den stärksten und fettesten der ihn reichlich
+umschwimmenden Fische ausgesucht habe.
+
+Den Hintergrund dieses prachtvollen Seestücks bildete ein schmaler
+Streifen mit einzelnen Palmen bedeckter Küste, an der eine Anzahl
+pechschwarzer, nackter Männer standen, die nur einen gelb und blauen
+Schurz um die Hüfte und einen grünen Busch in der Hand trugen. — Diese
+sahen übrigens gerade so aus, als ob sie die Ankunft des Schiffes schon
+sehnsüchtig und vielleicht sehr lange Zeit erhofft hätten, und nun die
+Zeit nicht erwarten könnten daß die Fremden an Land stiegen, damit sie
+geschwind für sie arbeiten, und ihnen den Boden urbar machen dürften.
+
+Neben dem Bild, und zu beiden Seiten der Thür, wie sogar noch an dem
+innern Theile des Fensterschalters, hingen lange Listen der verschiedenen
+anzupreisenden Plätze für Auswanderung. Obenan New-York, Philadelphia und
+Boston, dann Quebeck und New-Orleans, Galveston; in Brasilien, Rio de
+Janeiro und Rio Grande; in Australien Adelaide, dann Chile, Valdivia und
+Valparaiso, und Buenos Ayres mit einer Menge neu entdeckter verschiedener
+Kolonien und Ansiedlungen, wohin überall die besten kupferfesten Schiffe
+A¹, in unglaublich kurzer Zeit und mit Allem versehen ausliefen, was dem
+glücklichen Passagier das Leben an Bord eines solchen Schiffes nur in der
+That zu einer Vergnügungsfahrt machen müsse und würde.
+
+Weigel, wie der Eigentümer dieser »ausländischen Versorgungsanstalt« (ein
+Spottname den die Heilinger der Weigelschen Agentur gaben) hieß, war ein
+dicker, vollgenährt und blühend aussehender Mann, ungefähr sechs bis
+achtunddreißig Jahr alt, mit ein wenig fest umgeschnürter Cravatte, was
+seinen Augen etwas Stieres gab, und sonst einem leisen Anflug von Grau in
+den sonst braunen, widerspenstigen Haaren. Die Augen waren groß, blau und
+ziemlich ausdruckslos; ein fast mitleidiges Lächeln aber, das oft, und
+besonders dann wenn er irgend Jemandes Meinung bestritt, um seine
+Mundwinkel spielte, gab dem Ausdruck seiner Züge jene scheinbare
+Ueberlegenheit, die sich zuversichtliche Menschen oft über Andere, wenn
+mann es ihnen gestattet, anzumaßen wissen. Ganz vorzüglich wußte er diese
+Miene anzunehmen, wenn er über Amerika, oder irgend einen überseeischen
+Fleck Landes sprach, über dem für ihn ein gewisser heiliger und
+unantastbarer Zauber schwamm, und Jemand dann irgend einen Zweifel gegen
+das Gesagte zu hegen wagte. Er schwärmte besonders für Amerika, und es gab
+deshalb auch, seiner Aussage nach, keinen größeren Lügner in der Stadt,
+als den Redacteur des Tageblatts, den Advokaten und Doctor Hayde in
+Heilingen. Dieser und er waren denn auch, wie das sich leicht denken läßt,
+grimme und erbitterte Feinde und Gegner, woselbst sich nur irgend eine
+Gelegenheit dazu fand.
+
+Weigel bekam, wie das gewöhnlich bei den Agenturen der Schiffsbeförderung
+üblich und der Fall ist, für jede Person die er einem Bremer oder
+Hamburger Rheder sicher an Bord lieferte, einen Thaler, kurzweg genannt
+»für den Kopf« und er theilte deshalb die Leute — seine Mitbürger sowohl
+wie sämmtliche übrige Bewohner Deutschland’s, in solche ein »die Energie
+hatten,« d. h. zu ihm kamen und sich bei ihm einen »Platz nach Amerika«
+besorgen ließen, wo sie nachher drüben selber sehn konnten wie sie fertig
+wurden, und in solche, die »im alten Schlendrian hinkrochen, und hier
+lieber verfaulten, ehe sie einen männlichen entscheidenden Schritt thaten,
+ihrer Existenz auf die Beine zu helfen.« Jeder der hier blieb betrog ihn
+aber wissentlich und mit kaltem Blut um seinen, ihm in ehrlichem Verdienst
+zustehenden Thaler, und es verstand sich von selbst, daß er vor einem
+solchen Menschen keine Achtung haben konnte.
+
+Er selber kannte die Verhältnisse Amerika’s nur aus Büchern die das Land
+lobten, denn andere las er gar nicht, und bekam er sie einmal zufällig in
+die Hand, so warf er sie auch gewiß mit einem Kernfluch über den
+»nichtswürdigen Literaten, der wieder einmal einen ganzen Band voll Lügen
+zusammengeschmiert« in die Ecke. Sein größter Aerger war aber jedenfalls —
+und so regelmäßig wie die Uhr Morgens acht schlug — das Tageblatt, das er
+der häufigen Annoncen wegen halten _mußte_, und das ebenso regelmäßig
+kleine gehässige und schmutzige Artikel gegen Amerika wie überhaupt gegen
+Alles brachte, was sich frei und selbstständig bewegte.
+
+Zehnmal hatte er sich schon vorgenommen den »kleinen erbärmlichen Doctor«
+zu prügeln, und sehr vielen Leuten würde er dadurch ein großes Vergnügen
+bereitet haben; aber er unterließ es doch jedesmal auch wieder, wenn sich
+ihm gleich oft genug die Gelegenheit dazu bot; Beide mußten jedenfalls
+schon einmal früher etwas mit einander gehabt haben, vielleicht mehr von
+einander wissen als Beiden zuträglich war, und ein solcher Bruch wäre da
+nicht räthlich gewesen.
+
+Sonst lebte Weigel still, und anscheinend als ein vollkommen guter und
+achtbarer Bürger, vor sich hin, aber im Stillen wirkte und wühlte er
+seinem Ziel entgegen, und richtete in der That viel Unheil an. Seine
+Beschreibungen Amerika’s, die er sich selber in kleinen Brochüren aus
+anderen Büchern zusammentrug, und um ein Billiges verkaufte, waren ein
+langsames Gift, das er in manche friedliche und glückliche Familie warf,
+ein Saatkorn das dort wucherte und Wurzel schlug, und während es die Leser
+anreizte nur gleich ohne weiteres ihr Bündel zu schnüren und jenen
+herrlichen Länderstrichen zuzueilen, wo von da an ihr Leben nur einem
+murmelnden Bache gleichen würde, der zwischen Blumen dahin fließt, füllte
+er ihre Köpfe mit falschen Ideen und Begriffen von dem Land, das ihre neue
+Heimath werden sollte, und machte viele, viele Menschen unglücklich. In
+der neuen Heimath dann angekommen, die ihnen, mit mäßigen Ansprüchen,
+wirklich Manches geboten haben würde was ihre Lage, im Vergleich mit dem
+alten Vaterland gebessert haben könnte, fanden sie sich jetzt plötzlich in
+all den wilden extravaganten Ideen, die sie durch solche Lectüre
+eingesogen, enttäuscht, fanden die Hoffnungen nicht realisirt, die man
+ihnen gemacht, hielten sich für schlecht behandelt und unglücklich, und
+verfielen nun oft in das Extrem trostloser und eben so unbegründeter
+Verzweiflung, wobei sie den Mann verwünschten, der sie hierverlockt, und
+sie verleitet hatte, Heimath und eigenen Heerd zu verlassen, einem Phantom
+zu folgen. Weigel aber hatte seinen Thaler für den richtig abgelieferten
+»Kopf« bekommen, und dachte schon gar nicht mehr an die früher
+Beförderten, die seiner Meinung nach jetzt in einem Meer von Behagen
+schwammen und »unter Palmen wandelten.«
+
+Herr Weigel war allein in seinem kleinen Bureau, einem niederen, etwas
+dumpfen und nicht überhellen Stübchen, dessen eines breites Fenster mit
+durch Zeit und Rauch arg mitgenommenen Gardinen verziert war, während die
+Wände durch Karten und statistische Tabellen-Anzeigen von Schiffen und
+Gasthäusern, Plänen von neuangelegten Städten oder zu verkaufenden Farmen
+fast völlig bedeckt hingen. Er saß an einem hohen, ziemlich breiten Pult,
+das einen mächtigen Kamm von Gefachen und Schiebladen trug und las, mit
+einer Tasse Kaffee neben sich, eben seinen täglichen Aerger, das
+Tageblatt, als es an die Thür klopfte, und auf sein lautes »Herein« ein
+junger, sehr anständig, aber trotzdem etwas ärmlich gekleideter Mann das
+Zimmer betrat.
+
+»Herr Weigel?« sagte der Fremde mit einer leichten Verbeugung.
+
+»Bitte — ja wohl,« sagte Herr Weigel, seine Brille rasch in die Höhe
+schiebend und auf seinem Drehstuhl herumfahrend, seinen Besuch besser in’s
+Auge zu fassen — »womit kann ich Ihnen dienen?«
+
+»Sie befördern Passagiere nach Amerika?«
+
+»Nach Amerika? — denke so, hehehe,« lachte Herr Weigel, sich vergnügt die
+Händ reibend, »habe schon ganze Colonien hinüber geschafft, Männer und
+Frauen, Weiber und Kinder; sitzen jetzt drüben in der Wolle und schreiben
+einen Brief über den andern an mich, wie gut es ihnen geht — da nur den
+einen hier, den ich vor ein paar Tagen bekommen habe — der Mann ist blos
+mit zwei tausend Dollarn hinübergegangen und hat schon eine eigene Farm,
+achtzig Acker Land, vierundzwanzig Stück Rindvieh, einige sechzig
+Schweine, fünf Pferde und will jetzt eine Schäferei anlegen — schreibt an
+mich ich soll ihm einen Schäfer hinüber schicken, aber einen der die Sache
+aus dem Grund versteht, kommt ihm auf ein paar Dollar Lohn nicht dabei an
+— bitte lesen Sie einmal den Brief.«
+
+»Sie sind sehr freundlich Herr Weigel,« sagte der junge Fremde mit einem
+verlegenen wie schmerzhaften Zug um den Mund — »aber der Brief würde
+gerade nicht maßgebend für mich sein, da ich mich gegenwärtig nicht in den
+Verhältnissen befinde, gleich einen Platz zu _kaufen_. Sind die
+Passagierpreise jetzt theuer?«
+
+»Theuer? spottbillig,« lachte Herr Weigel, den Brief offen wieder zurück
+auf sein Pult, und seine Brille darauf legend, ihn zu weiterem Gebrauch
+bereit zu haben; »spottbillig sag’ ich Ihnen, man könnte wahrhaftig auf
+dem festen Land nicht einmal dafür leben — _so_ nicht; und unter uns — ich
+weiß wahrhaftig nicht wie die Leute dabei auskommen, aber es muß eben die
+rasende _Menge_ von Passagieren machen, die sie jetzt wöchentlich, ja fast
+täglich hinüber spediren. Es ist fabelhaft was jetzt für Menschen
+auswandern; auf einmal werden sie Alle gescheidt, und merken endlich was
+sie hier haben, und was sie dort erwartet — ist doch ein famoses Land, das
+Amerika.«
+
+Und wie viel beträgt die Passage nach dem _nächsten_ Hafen der Vereinigten
+Staaten, wenn ich fragen darf, für — für eine erwachsene Person und ein
+Kind?«
+
+»_Nächsten_ Hafen? — hehehe, fürchten sich wohl vor der Seekrankheit?
+lieber Gott, daran gewöhnt man sich bald; ist auch gar nicht so arg wie’s
+eigentlich gemacht wird. Der Mensch, der Doctor Hayde hier im Tageblatt,
+hat neulich einen Artikel über die Seekrankheit gebracht den er
+wahrscheinlich auch selber geschrieben, und wonach Einem gleich ach und
+weh zu Muthe werden müßte; der ist aber nur dazu bezweckt den Leuten das
+Auswandern zu verleiden. Sie möchten sie gern hier behalten, damit sie sie
+nur recht ordentlich plagen und schinden können, weiter Nichts; davor
+braucht sich kein Mensch zu fürchten.«
+
+»Sie wollten mir aber den _Preis_ der Passage nennen.«
+
+»Den Preis? — ja so — warten Sie einmal« — sein Blick fiel auf die
+Glacéhandschuhe und die schneeweiße Wäsche des Fremden, dessen etwas
+abgetragene Kleider er in dem halbdunklen Raum nicht so leicht erkennen
+konnte, oder auch übersah — »der Preis — Dampfschiff oder Segelschiff?«
+
+»Segelschiff.«
+
+»Segelschiff — wird — sein — Preis in erster Cajüte vier und achtzig
+Thaler Gold.«
+
+»Und die — die billigeren Plätze?«
+
+»Billigeren Plätze — zweite Cajüte oder Steerage fünfundsechzig Thaler
+Gold — «
+
+»Und Zwischendeck?« sagte der Fremde leise und verlegen.
+
+»Zwischendeck würde ich Ihnen nicht rathen,« meinte Herr Weigel, seine
+Brille jetzt abwischend und wieder aufsetzend; »besonders wenn man eine
+Frau und ein Kind bei sich hat und es nur irgend ermachen kann, sollte man
+nie Zwischendeck gehn, man ruinirt sich’s und den Seinigen an der
+Gesundheit herunter, was die paar Thaler mehr kosten.«
+
+»Aber Sie können mir wohl den Preis des Zwischendecks sagen?«
+
+»Ja wohl, mit dem größten Vergnügen — Zwischendeck nach New-York kostet —
+warten Sie einmal, ich habe ja hier die letzten Briefe von meinen Häusern.
+Zwischendeck nach New-York kostet vierundvierzig Thaler Gold.«
+
+»Vierundvierzig Thaler?«
+
+»Ja es ist seit ein paar Tagen erst wieder um vier Thaler aufgeschlagen,
+weil die Leute eben nicht Schiffe genug anschaffen können für die
+Auswanderer. Ist fabelhaft was besonders dieses Jahr für Leute
+übersiedeln. Soll ich Sie vielleicht einschreiben? es trifft sich jetzt
+gerade glücklich, denn am 15ten geht ein ganz vortreffliches Schiff ab,
+die _Diana_, Dreimaster, gut gekupfert, mit allen nur möglichen
+Bequemlichkeiten versehn und einem Capitain, ich sage Ihnen ein wahrer
+Schentelmann, wie er sich gerade nicht immer auf den Schiffen findet.«
+
+»Ich danke Ihnen für jetzt noch bestens, lieber Herr Weigel,« sagte der
+junge Mann — »ich muß doch nun erst mit meiner Frau Rücksprache über dieß
+nehmen, denn erst seit gestern ist mir die Idee überhaupt gekommen
+auszuwandern; aber — noch eine Bitte hätte ich an Sie,« und er drehte
+dabei den Hut den er in der Hand hielt, fast wie verlegen zwischen den
+Fingern — «
+
+»Ja? womit könnte ich Ihnen dienen?« frug Herr Weigel.
+
+»Könnten Sie mir wohl sagen, ob die Capitaine der Segelschiffe — ich habe
+einmal irgendwo gelesen daß das manchmal geschähe — auch Leute —
+Passagiere mitnähmen, die unterwegs ihre Passage — abarbeiten dürften und
+also — auch keine Ueberfahrt zu bezahlen brauchten?«
+
+»Keine Passage zahlen?« sagte Herr Weigel, die Lippen vordrückend und die
+Augenbrauen in die Höhe ziehend, während er langsam und halb lächelnd mit
+dem Kopfe schüttelte — »keine Passage bezahlen? — ne lieber Herr — ja so
+wie heißen Sie denn gleich — «
+
+»Eltrich,« sagte der junge Mann etwas zögernd —
+
+»So? — ne mein lieber Herr Eltrich, davon steht Nichts in unseren
+Verzeichnissen und Contracten; im Gegentheil, _da_ kommen wir zusammen;
+das ist der Hauptpunkt, der Nervum Rehrum, der die ganze Geschichte
+eigentlich zusammenhält, Amerika und Europa und die umliegenden
+Dorfschaften, heh, heh, heh.«
+
+»Aber wenn nun irgend ein armer Teufel,« fuhr der Fremde etwas lauter,
+fast wie ängstlich fort — »irgend ein armer Teufel sein ganzes Hoffen eben
+auf eine Reise nach Amerika gesetzt hätte, und bestimmt wüßte daß er dort,
+wenn auch nicht gerade sein Glück machen, doch sein Auskommen finden
+würde? — «
+
+»Nun dann soll er gehn — um Gottes Willen gehn, und am 15ten dieses wird
+wieder das neue, kupferfeste — ja so, aber er muß bezahlen,« unterbrach er
+sich rasch als ihm einfiel von was sie vor erst wenigen Secunden
+gesprochen, »er muß bezahlen, sonst nimmt ihn kein Capitain der Welt mit
+über See.«
+
+»Und Sie glauben nicht daß da jemals eine Ausnahme stattfinden dürfte?«
+sagte Herr Eltrich — »es werden doch Leute auf See gebraucht zu den
+nothwendigsten sowohl, wie den geringeren Arbeiten, und die Capitaine
+müssen gewiß dafür _bezahlen_. Wenn sich also nun Jemand erböte alle diese
+Verrichtungen ganz _umsonst_, nur um Passage und die einfachste
+Matrosenkost zu machen, sollte das nicht möglich sein zu erlangen?«
+
+»Lieber Herr,« sagte der Herr Weigel, dem es jetzt so vorkommen mochte als
+ob er mit dem Fremden da kein besonders großes Geschäft machen würde, und
+der anfing ungeduldig zu werden, »zu den Arbeiten an Bord eines Schiffes
+werden _Matrosen_ gebraucht, und wer kein Matrose ist, kann die auch nicht
+verrichten. Das ist keine kleine Kunst, lieber Herr Schelbig, in den Tauen
+den ganzen Tag herumzuklettern und zwischen den Segeln, wenn das Schiff
+bald so herüberschlenkert und bald so« — und er begleitete dabei seine
+Erklärung mit einer entsprechenden Bewegung der vor sich gerade
+aufgehaltenen Hand — »da müssen die Leute fest stehen können wie die
+Mauern, sonst kann man sie nicht gebrauchen.«
+
+»Aber glauben Sie nicht, wenn man einmal an einen Capitain schriebe, ob er
+sich doch nicht am Ende bewegen ließ; oder« — setzte er rasch hinzu, wie
+von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, »wenn man sich nun verbindlich
+machte die Passage nach einer bestimmten Zeit in Amerika nachzuzahlen —
+sie dort abzuverdienen?«
+
+»Ja da könnte Jeder kommen,« sagte Herr Weigel kopfschüttelnd, »wenn die
+Leute erst einmal drüben sind, thun sie was sie wollen. Das ist ein freies
+Land da drüben, Herr Wellrich, und da könnte man nachher jedem Einzelnen
+nachlaufen, und sehen daß man sein Geld wieder kriegte. Ne, damit ist’s
+faul, und ich nun einmal vor allen Dingen, möchte mich nicht auf solch
+eine Quängelei einlassen; daran hat man keine Freude, und das ist auch
+kein rundes Geschäft.«
+
+»Es ist nur ein armer Verwandter, der sich auf solche Weise gern
+forthelfen würde,« sagte Herr Eltrich erröthend — »er ist sehr fleißig und
+würde arbeiten wie ein Sclave, die Zeit über.«
+
+»Ja das glaub’ ich,« meinte Herr Weigel gleichgültig — »versprechen thun
+die Art Herren gewöhnlich Alles was man von ihnen haben will.«
+
+»Könnten Sie mir denn vielleicht die Adresse irgend eines Schiffes oder
+Rheders geben, der bald ein Schiff hinüberschickt,« sagte der junge
+Fremde, sich schon wieder zum Gehen rüstend — »wenn ich vielleicht selber
+einmal dorthin schriebe, um Sie nicht weiter mit der Sache zu belästigen.«
+
+»Ja, schreiben können Sie,« sagte Herr Weigel, »hehehe; aber Sie werden
+keine Antwort bekommen; darauf können Sie sich verlassen. Die Leute da
+haben mehr zu thun, als sich eines Passagiers wegen, für den sie noch
+umsonst die Kost hergeben müßten, in eine Correspondenz einzulassen; kann
+ich ihnen auch gar nicht so sehr verdenken.«
+
+»Und die Adresse?«
+
+»Die Adresse? — da, hier liegt die neueste Auswanderer-Zeitung; wenn Sie
+wollen, können Sie sich da ein oder zwei Adressen herausschreiben. Da
+hinten, auf der letzten Seite stehen sie.«
+
+Herr Weigel sah nach der Uhr, drehte sich wieder auf seinem Drehstuhl, der
+beim Aufschrauben etwas quietschte, herum, schob das Tageblatt zur Seite
+und rückte sich einen Bogen Papier zurecht, als ob er irgend einen
+nothwendigen Brief zu schreiben hätte.
+
+Wieder klopfte es da an die Thür, und dießmal, ohne ein ermunterndes
+»Herein« zu erwarten, öffnete sie sich, und drei Bauern, denen die großen
+silbernen Knöpfe auf Weste und Rock und das feine Tuch der letzteren, die
+jedoch ganz nach ihrem alten bäurischen Schnitt gemacht waren, etwas
+ungemein solides gaben, traten, die Hüte erst unter der Thür und schon im
+Zimmer abziehend, herein, und grüßten die beiden Leute die sie hier
+beisammen fanden, mit einem herzlichen »Guten Morgen miteinander.«
+
+Das waren die Leute die Herr Weigel gern kommen sah, die wußten weßhalb
+sie die eine Hand immer in der Tasche trugen, denn sie hatten dort etwas
+zu verlieren, und waren nicht selten dabei die Vorboten eines größern
+Trupps, oft einer ganzen »Schiffsladung voll« die aus ein und derselben
+Gegend auswandern wollte, und ein paar der Angesehensten indeß
+vorausgeschickt hatte, Platz für sie zu bestellen. Wie der Blitz war er
+denn auch von seinem Stuhle herunter, schüttelte ihnen nacheinander die
+Hand, und frug sie wie es ihnen ginge und was sie hier zu ihm geführt.
+
+»Seid Ihr der Mensch der die Leute nach Amerika schickt?« sagte da der
+Eine von ihnen, eine breitkräftige, sonngebräunte Gestalt mit vollkommen
+lichtblonden Haaren und Augenbrauen, aber dabei gutmüthigen vollen und
+frischen Zügen, dem das Ganze übrigens etwas fremd und unheimlich
+vorkommen mochte, denn er warf den Blick während er sprach wie scheu von
+einer der Schiffszeichnungen zur anderen, und schien sich ordentlich dazu
+zwingen zu müssen das zu sagen, was er eben hier zu sagen hatte.
+
+»Nun nach Amerika _schicken_ thu’ ich sie gerade nicht,« lächelte Herr
+Weigel, die Anderen dabei ansehend, und etwas verlegen über die vielleicht
+ein wenig plumpe Anrede.
+
+»Nicht?« sagte der Bauer rasch und erstaunt — »aber hier hängen doch all
+die vielen Schiffe.«
+
+»Nun ja, ich besorge den Leuten Schiffsgelegenheit die hinüber _wollen_,«
+sagte Herr Weigel, jetzt geradezu herauslachend, weil er glaubte daß sich
+der Mann mit ihm einen Scherz gemacht, auf den er natürlich einzugehen
+wünschte.«
+
+»Ja aber wir _wollen_ eigentlich noch nicht hinüber,« sagte der zweite von
+den Bauern, seinen Hut auf seinen langen Stock stellend, und sich dabei
+verlegen hinter den Ohren kratzend — »wir wollten uns nur erst einmal hier
+erkundigen ob denn das auch wirklich da drüben so ist, wie es jetzt immer
+in den Auswanderungszeitungen steht, und ob man blos hinüberzugehn und
+zuzulangen braucht, wenn man eine gut eingerichtete Farm mit ein paar
+hundert Morgen Land haben will.«
+
+»Ja wenn man Geld hat,« lachte Herr Weigel.
+
+»I nu — Geld hätten wir,« sagte der Bauer, und sah seine Nachbarn an.
+
+»Ich bin Ihnen sehr dankbar,« unterbrach den Sprecher hier der junge Mann,
+der indessen die Zeitung nachgesehn, und sich Einzelnes daraus notirt
+hatte. »Bitte,« sagte Herr Weigel, und nahm ihm das Blatt, ohne sich
+weiter um ihn zu bekümmern, aus der Hand, und wandte sich wieder zu den
+Bauern, als der junge Fremde sich mit einem artigen:
+
+»Guten Morgen meine Herren« empfahl.
+
+»Adje Herr — Herr Schnellig,« rief der Agent ziemlich laut hinter ihm her,
+ohne sich weiter nach ihm umzudrehen, während die Bauern freundlich den
+Gruß in ihrer Art erwiederten.
+
+»Wer war der junge Herr?« frug der erste Sprecher aber, als er die Thür
+rasch hinter sich in’s Schloß gedrückt.
+
+»Ach, ein armer Teufel, der gern mit umsonst nach Amerika hinüber möchte,«
+sagte Herr Weigel — »er thut zwar als wär’ es nur für einen armen
+Verwandten, aber, hehehe, derlei Ausreden kennen wir schon — kommen alle
+Wochen vor.«
+
+»Umsonst mit nach Amerika?« sagte der erste Sprecher verwundert, »_der_
+sieht doch nicht aus als ob er etwas umsonst haben wollte, der ging ja
+_so_ fein gekleidet; Donnerwetter — mit Handschuhen und allem — «
+
+»Ja auswendig sind die Leute in der Stadt meist alle schwarz und sauber
+angestrichen,« lachte Herr Weigel, »aber inwendig, in den Taschen, da
+hapert’s nachher. Wer aber ein Bischen Uebung darin hat, kann auch schon
+oben auf erkennen, ob der Lack ächt, oder blos nachgemacht ist, hehehe.«
+
+»Bei dem war er wohl nachgemacht?« sagte der zweite Bauer, dem Anschein
+nach gerade nicht unzufrieden damit, daß der »glatte Stadtmensch« nicht so
+viel galt wie sie, und daß der Auswanderungsmann das sogleich durchschaut
+hatte. Herr Weigel nickte, seine Zeit war ihm aber kostbarer, als sie noch
+länger an Jemanden zu verschwenden, bei dem er doch voraussah, daß er von
+ihm keinen Nutzen haben würde, und er suchte das Gespräch wieder dem mehr
+praktischen Anliegen der drei Bauern zuzulenken.
+
+»Also Sie wollten mitsammen nach Amerika gehn und sich eine ordentliche
+Farm, gleich mit Land, Vieh, Häusern und was dazu gehört, ankaufen heh? —
+’wär keine so schlechte Idee.«
+
+»Ja erst möchten wir aber einmal wissen wie die Sache steht;« sagte der
+Erste wieder, der Menzel hieß, »wenn man über einen Zaun springen will,
+ist es viel vernünftiger daß man erst einmal hinüber guckt was drüben ist,
+und wenn man das nicht kann, daß man Jemanden fragt der es genau weiß.
+Sind denn die Farmen da drüben wirklich so billig? — ist das wahr, daß man
+dort noch gutes frisches Land für ein und einen Viertel Thaler kaufen
+kann?«
+
+»Thaler? — nein,« sagte Herr Weigel, »_Dollar_.« »Ja nun, das ist aber
+auch nicht viel mehr,« meinte der Zweite, Müller.
+
+»Nun ein Dollar ist ungefähr ein Speciesthaler,« sagte Herr Weigel —
+»lassen Sie mich einmal sehn — die stehn jetzt — stehn jetzt 1 Thlr. 12½
+Silber- oder Neugroschen.«
+
+»Nu ja,« sagte Menzel wieder, »das ist aber immer kein Geld — und für
+tausend Dollar kauft man da eine fix und fertig eingerichtete Farm, wie
+sie’s glaub’ ich nennen? mit Allem was dazu gehört?«
+
+»Ich habe hier gerade,« sagte Herr Weigel in seinen Papieren suchend, »ein
+paar Anerbietungen von höchst achtbaren Leuten — wirklichen Amerikanern —
+die mir Farmen zu höchst mäßigen Bedingungen offeriren. — Die Leute wissen
+da drüben daß hier Viele zu mir kommen und sich nach solchen Plätzen
+erkundigen, und wenn sie dann ’was Gutes haben, schicken sie’s mir. — Wo
+hab’ ich denn die verwünschten Pläne jetzt hingelegt — ah, hier ist der
+eine — sehn Sie, Gebäude und Alles sind darauf angegeben — und der andere
+kann nun auch nicht weit sein; ich habe sie erst vorgestern meinem Bruder
+gezeigt, der gar nicht übel Lust hatte eine davon für sich zu kaufen — da
+ist er.«
+
+Die drei Bauern drängten sich um den kleinen Tisch herum auf dem Herr
+Weigel die Pläne jetzt ausbreitete, und suchten sich in den kreuz und quer
+laufenden Strichen zu orientiren, wie der Platz eigentlich liege, und was
+darauf stände.
+
+»Ja aber wo ist denn das nun eigentlich, und wie sieht’s dort aus?« sagte
+Menzel endlich, nach einigen vergeblichen Versuchen deshalb — »aus der
+Geschichte hier wird man nicht klug.«
+
+»Ja sehn Sie,« sagte Weigel, mit seinem Finger den Plan erklärend, und den
+angegebenen Zahlen folgend, »das hier, Nr. 1 ist das Wohnhaus, ein
+Doppelgebäude, der Zeichnung nach mit einer offenen Veranda dazwischen,
+des warmen Klima’s wegen, denn drum herum stehen »Baumwollenbäume«
+angegeben; Nr. 2 da ist ein anderes Gebäude, bis jetzt zu Negerwohnungen
+benutzt, denn der bisherige Besitzer scheint Sclaven gehalten zu haben;
+Nr. 3 ist eine Scheune; Nr. 4 ist ein Rauchhaus, die Leute verschicken von
+dort aus viel getrocknetes Fleisch; Nr. 5 ist, wie es scheint, ein
+Waschhaus, und Nr. 6 ein anderes Wohnhaus, was dem ersten gegenübersteht,
+und wahrscheinlich den ganzen Hofraum, da die Front nach dem Flusse zu
+liegt, abschließt.
+
+»Und welcher Fluß ist das?«
+
+»Der Missouri, einer der größten Ströme Amerika’s, über eine englische
+Meile breit, und viel hundert Meilen hinauf schiffbar; alle Wetter meine
+Herren, von den dortigen Strömen können wir uns hier gar keinen Begriff
+machen.«
+
+»Hm — und wieviel Land gehört dazu?«
+
+»Dazu gehört ein »Died« von 40 Acker, was früher als Congreßland gekauft
+und schon bezahlt ist, und natürlich mit übernommen wird, und um den Platz
+herum kann noch so viel Congreßland dazu genommen werden, wie man haben
+will — nur die vierzig Acker, von denen aber ein Theil schon urbar gemacht
+ist, müssen natürlich höher bezahlt werden.«
+
+»Und was soll die ganze Geschichte kosten?« frug Müller. — Der dritte,
+dessen Name Brauhede war, hatte noch kein einziges Wort zu der ganzen
+Verhandlung gesagt.
+
+»Die ganze Geschichte,« erwiederte Weigel, sich das Kinn streichend, »wie
+ich sie Ihnen hier gleich an Ort und Stelle überlassen kann, mit Häusern
+und Grundstück und dazu noch einem kleinen Viehstand von vielleicht
+einigen achtzig Stück Rindvieh, und fünfundfunfzig oder sechzig Schweinen,
+würde — etwa — ein tausend und einige sechzig spanische Dollar betragen —
+
+»Und das wäre nach unserem Geld?« sagte Menzel, Müller dabei heimlich
+unter dem Tisch anstoßend — «
+
+»Nach unserem Geld?« wiederholte Herr Weigel, mit einem Stück dort
+liegender Kreide die Summen rasch auf dem Tisch selber aufaddirend —
+»würde es in einer runden Zahl etwa 1000 — 400 — eine Kleinigkeit über
+1400 Thlr. Preuß. Courant betragen.«
+
+»Wieviel Stück Rindvieh?« sagte Müller.
+
+»Einige achtzig Stück sind angegeben,« sagte Weigel, »und müssen auch
+überliefert werden; aber gewöhnlich sind es noch mehr, denn das Vieh läuft
+draußen im Freien herum und bekommt Kälber und man weiß es oft nicht
+einmal — die Kälber werden überhaupt nie mitgezählt.«
+
+»Und die Passage hinüber kostet?« frug Menzel —
+
+»Zwischendeck oder Cajüte?«
+
+»Zwischendeck — immer wo’s am Billigten ist,« lachte Menzel, und strich
+sich wohlgefällig über die silbernen Knöpfe.
+
+»Ja, kann mir’s denken,« rief Herr Weigel, auf den Scherz eingehend, und
+ihn leise gegen den Arm von sich stoßend — »Sie sehn mir auch gerade aus,
+als ob’s Ihnen auf ein paar Thaler ankäme.«
+
+»Ja, wo man’s kann muß man’s zusammennehmen,« betheuerte aber auch Müller
+— »also wieviel kostet’s im Zwischendeck à Person?«
+
+»Vierundvierzig Thaler für die Person — Kinder zahlen die Hälfte.«
+
+»Aber ganz kleine Kinder?« sagte Müller.
+
+»Nun Säuglinge gehen ein,« lachte Herr Weigel, »das ist die Beilage, die
+doch auch nur vom Schiff aus indirecte Nahrung bekommen.«
+
+»Leichten Zwieback?« frug Menzel.
+
+»Ja wohl,« sagte Herr Weigel, etwas verlegen lächelnd, da er nicht wußte
+ob der Bauer das im Spaß oder Ernst gemeint — »wie viel Personen sind Sie
+denn aber wohl etwa?«
+
+»Nu, so eine sechzig möchten wir immer zusammen herausbekommen,« meinte
+Müller —
+
+»Aber Alle auf ein Schiff müßtet Ihr uns bringen,« sagte Menzel.
+
+»Nun das versteht sich von selbst,« rief Herr Weigel, und ein famoses
+Schiff geht gerade den funfzehnten ab — ich glaube das beste, das von
+Bremen und Hamburg überhaupt läuft — die Diana.«
+
+»Ne das wär’ uns noch zu früh — «
+
+»Am ersten nächsten Monats geht ein noch besseres,« sagte Herr Weigel —
+»wenigstens geräumiger und ein besserer Segler.«
+
+»Ne das wär’ uns auch noch zu früh,« sagte Menzel.
+
+»Gut, dann träfen Sie es gerade ausgezeichnet mit dem Meteor,« versicherte
+Herr Weigel, keineswegs außer Fassung gebracht; »ich wollte Ihnen den im
+Anfang nicht anbieten, weil ich fürchtete daß Sie früher zu reisen
+wünschten, wenn Sie aber _so_ lange Zeit haben, dann kann ich Ihnen
+allerdings die vorzüglichste Reisegelegenheit bieten, die sich nur
+überhaupt denken läßt.«
+
+»So — na das paßte schon besser — « sagte Müller — »wie hieß das Schiff
+gleich?«
+
+»Meteor.«
+
+»Hm — werd’ es mir merken — aber nicht wahr, beim _Dutzend_ kriegen wir
+die Passage doch auch was billiger.«
+
+»Ne, das geht nicht,« lachte aber Herr Weigel da gerade heraus; »es ist ja
+nicht so, daß ein Schiff nur eben so viel Menschen an Bord nehmen kann wie
+darauf Platz haben, sondern es muß auch genug Raum, und über und über
+genug Essen und Trinken für sie dabei sein, wenn einmal die Reise, in
+einem unglücklichen Fall länger dauerte als gewöhnlich. So ein Schiff hat
+deshalb auch nur eine bestimmte Zahl von Auswanderern, die es an Bord
+nehmen kann, und nach Amerikanischen Gesetzen nehmen _darf_, und auf die
+ist Alles mit Kosten und Preis ausgerechnet, auf’s tz. Die kleinen Kinder
+werden eingegeben, aber die großen müßen bezahlen. Und wie war’s mit der
+Farm?«
+
+»Wo ist denn der andere Platz — zu dem da der lange Zettel gehört?« sagte
+Menzel, der sich diesen indessen genau betrachtet, und nach allen Ecken
+herum und herumgedreht hatte, ohne, wie er meinte, einen Handgriff dran
+bekommen zu können.
+
+»Der hier? der ist in Wisconsin; auch ein guter Platz, aber kein so großer
+Strom dabei,« sagte Herr Weigel — »ist aber auch billiger. Dort kann ich
+Ihnen eine Farm, allerdings nur mit einigen vierzig Kühen, für etwa
+siebenhundertundfunfzehn Dollar überlassen, und dann habe ich noch fünf
+andere von sechs, acht, elf, neun und ich glaube zwölfhundert Dollar — die
+letztere ist aber eine wirkliche Musterwirthschaft mit importirtem
+Schweizervieh, und Backsteingebäuden, und einer prachtvollen Lage Milch
+und Butter in die nicht zu entfernte Stadt zu bringen; wird Ihnen aber
+auch freilich wohl zu theuer sein?«
+
+»Zu theuer? — warum?« sagte Menzel — »wenn man sich einmal etwas kauft,
+soll man sich auch gleich ’was ordentliches anschaffen. Ich habe mir
+übrigens die Sache immer viel schwieriger vorgestellt mit dem Ankaufen,
+und gedacht, daß man da erst lange in der Welt umher fahren und sein Geld
+verreisen müßte. Wenn man das gleich hier an Ort und Stelle abmachen kann,
+ist das ja weit bequemer.«
+
+»Auf eins möchte ich Sie übrigens noch aufmerksam machen, meine Herren,
+was Sie ja nicht versäumen dürfen,« sagte Herr Weigel — »nämlich sich hier
+gleich Ihre Billets zur Weiterfahrt in’s Innere, wohin Sie auch immer
+wollen, zu lösen.
+
+»Von Neu-York aus?« sagte Menzel verwundert.
+
+»Ja wohl von Neu-York oder Philadelphia oder wohin Ihr Reiseziel liegt.«
+
+»Ja aber kann man denn die _hier_ bekommen?« frug Müller.
+
+»Gewiß kann man das,« lächelte Herr Weigel, »und das ist gerade der
+ungeheure Vortheil unserer jetzigen Verbindung, die den Auswanderer von
+der Thür seiner alten Heimath fort, vor die seiner neuen setzt, ohne daß
+er ein einziges Mal in die Tasche zu greifen und mehr zu bezahlen braucht,
+als was er gleich von allem Anfang entrichtet hat. Das eben macht auch das
+Reisen jetzt so billig, daß man mit _einem_ Blick im Stande ist sämmtliche
+Kosten zu übersehn; die Extra-Ausgaben fallen ganz weg.«
+
+»Das wäre freilich ein Glück,« sagte Müller, von dem erst vor einigen
+Monaten ein Bruder »hinüber« gegangen war — »die Extra-Ausgaben fressen
+sonst das meiste Geld.«
+
+»Ob sie’s fressen, bester Herr, ob sie’s fressen,« sagte Herr Weigel, sich
+wieder vergnügt die Hände reibend.
+
+»Und wo kann man die Billete also bekommen?« frug Menzel.
+
+»Bei mir hier, versteht sich,« sagte Herr Weigel — »alle bei mir.«
+
+»Und die gelten dann drüben?«
+
+»Nun versteht sich doch von selbst,« lachte der freundliche Agent, »ich
+würde sie ja Ihnen doch sonst nicht verkaufen. Sehn Sie, wenn die
+Deutschen hinüber kommen, dann sprechen sie gewöhnlich noch kein Englisch
+— oder haben Sie das etwa schon gelernt?«
+
+»Ne — «
+
+»Nun sehn Sie, und dann werden sie dort von ihren Landsleuten — denn der
+Amerikaner ist nicht halb so schlimm — die sich das richtig zu Nutze zu
+machen wissen, tüchtig über’s Ohr gehauen, und müssen gewöhnlich gerade
+noch einmal so viel bezahlen, als die Sachen eigentlich kosten.
+
+»Aber es soll doch eine »Deutsche Gesellschaft« drüben in Neu-York sein,«
+sagte jetzt Brauhede, der zum ersten Mal bei der ganzen Verhandlung den
+Mund aufthat — »die sich eben der Deutschen annimmt und Nichts dafür
+verlangt.«
+
+»Leben wollen wir _Alle_,« sagte Herr Weigel achselzuckend — »umsonst ist
+der Tod, und daß die Leute, wenn sie ihre Zeit darauf verwenden für die
+Deutschen zu sorgen, auch etwas dafür nehmen werden, läßt sich wohl an den
+fünf Fingern abzählen. Neu-York ist aber ein theures Pflaster, die Leute
+_brauchen_ dort mehr wie wir hier, und wer es daher _billiger_ thun kann
+ist auch wieder leicht einzusehn. Ich will mich auch keineswegs empfehlen;
+lieber Gott es giebt noch eine Menge Leute in Deutschland, die sich
+demselben schwierigen und undankbaren Geschäft unterzogen haben wie ich,
+und die es sich vielleicht eben so sauer werden lassen gerade und ehrlich
+durch die Welt zu kommen; aber Einen der es besser _meint_ dabei, werden
+Sie wohl schwerlich finden, und ich überrede gewiß Niemanden nach Amerika
+auszuwandern. Jeder Mensch muß seinen freien Willen haben, und auch am
+Besten selber wissen was ihm gut ist.«
+
+»Ne gewiß,« sagte Menzel — »da habt Ihr ganz recht, das ist auch mein
+Grundsatz; aber das mit dem Amerika leuchtet mir auch ein, und umsonst
+thut da gewiß Niemand etwas — das sind verflixte Kerle da, hab’ ich mir
+sagen lassen, besonders die Deutschen, und wo die nicht wollen gucken sie
+nicht ’raus.«
+
+»Also die Billete kann man hier bei Euch kriegen?« sagte Müller.
+
+»Wohin Sie wollen, und ich stehe Ihnen dafür daß sie nicht allein ächt
+sind, sondern daß die hier in Deutschland gelösten Plätze auch noch den
+Vorrang haben vor allen in Amerika genommenen, wenn einmal Eisenbahn oder
+Dampfboote zu sehr besetzt sein sollten. Es ist ja hier gerade so mit der
+Post, wo Die, die sich zuerst, und auf der längsten Station haben
+einschreiben lassen, den Vorrang behalten müssen vor denen die nachher
+kommen.
+
+»Ahem, das ist klar,« sagte Menzel; »na also da dächt’ ich ließen wir uns
+gleich einmal Plätze belegen und gäben das D’raufgeld, damit wir die Sache
+richtig hätten, und nachher können wir ja einmal über die Farmen sprechen;
+ich habe verwünschte Lust.«
+
+»Du, das hat noch Zeit,« sagte aber jetzt Brauhede wieder, Menzel am Rocke
+zupfend; »erst müssen wir es uns doch einmal mit den Anderen zu Hause
+überlegen.«
+
+»Wenn aber nachher die Plätze auf dem ganz guten Schiffe fort sind,« sagte
+Müller mit einem sehr bedenklichen Gesicht.
+
+»Ja, _stehen_ kann ich Ihnen _nicht_ dafür,« versicherte Herr Weigel die
+Achseln zuckend, daß sie beinah seine Ohrläppchen berührten.
+
+»Na mein’twegen,« sagte Brauhede, der allerdings auch in der Absicht
+hierher gekommen war, ihre Passage fest zu accordiren, jetzt aber, da es
+dazu kam Geld zu zahlen, nur ungern damit herausrückte — »aber von wegen
+der Farm müssen wir noch erst mit den Anderen sprechen, und eine Farm
+kriegen wir auch noch immer.«
+
+»Ja aber was für eine,« sagte Herr Weigel.
+
+Brauhede blieb übrigens bei seiner Meinung, und Menzel bestand jetzt nur
+wenigstens darauf die beiden Pläne einmal mitzunehmen, damit sie sich zu
+Hause ordentlich hinein denken könnten. Wenn auch Herr Weigel sie im
+Anfang nicht außer Händen geben mochte, ja sogar versicherte er habe nicht
+übel Lust die eine Farm für sich selber auf Spekulation zu kaufen, ließ er
+sich doch zuletzt überreden ihnen, aber allerdings nur auf zwei Tage, die
+Pläne zu überlassen, und dann das Weitere über den Ankauf mit einer
+zweiten Deputation der Gesellschaft zu besprechen.
+
+Menzel bezahlte dann das Aufgeld auf ihre Passage im _Meteor_ für
+siebenundfunfzig Personen und dreizehn Kinder, die sämmtlich aus _einer_
+Ortschaft auswandern wollten, und nahm dann auch noch, nach einer kurzen
+Berathung mit den beiden anderen, die nöthigen Billete auf der Eisenbahn
+von Neu-York aus, oder machte wenigstens eine Anzahlung darauf, daß sie
+ihnen der Agent aufbewahrte, da dieser sie versicherte er sei nur noch im
+Besitz einer sehr kleinen Anzahl, und wisse nicht, wann er gleich wieder
+andere bekommen würde, während die Anfrage darnach sehr stark wäre.
+
+Außerdem kauften sie sich auch noch ein halbes Dutzend kleine Brochüren,
+die Herr Weigel, wie er sagte, gerade frisch aus der Druckerei als etwas
+_ganz Neues_ bekommen hatte — ein Datum stand nicht darauf — und die drei
+Männer verließen dann wieder, von dem schmunzelnden Agenten bis an die auf
+den Markt führende Thür begleitet, das Haus.
+
+»Höre Du,« sagte aber Brauhede als sie wieder vor dem Haus und auf der
+Straße waren, und langsam über den Markt weggingen, »mit dem Landkaufen
+wollen wir uns doch lieber hier noch nicht einlassen, das ist eine
+wunderliche Geschichte und will mir nicht recht in den Kopf.«
+
+»Nicht in den Kopf?« rief aber Menzel — »und warum nicht? — der Mann
+bekommt alle Tage Briefe aus Amerika, warum soll der nicht wissen was dort
+zu verkaufen ist?«
+
+»Wenn’s aber so gut und billig wäre, brauchten sie’s doch nicht hier
+herüberzuschicken,« meinte Brauhede kopfschüttelnd.
+
+»Das ist Alles was Du davon verstehst,« sagte Müller, »Amerikaner könnten
+sie gewiß genug zu Käufern kriegen, aber deutsche Bauern wollen sie, die
+ihnen zeigen wie man das Land behandeln muß, und darum schicken sie
+herüber — die sind froh drüben, wenn unsereins hinüber kommt.
+
+»Nun, mag sein,« brummte Brauhede — »aber sicher ist doch sicher, und wenn
+ich mein Geld hier weggegeben habe, und kann das Land was mein sein soll
+nachher nicht finden, wie’s dem Niklas seinem Bruder gegangen ist, nachher
+wäre die Geschichte aber faul.«
+
+»Dem Niklas sein Bruder war aber auch ein Esel,« sagte der Andere, »der
+sich hier Land von einem herumziehenden Vagabunden gekauft; da sollt’ er
+nachher wohl suchen. Aber _der_ Mann hier ist in der Stadt ansässig und
+hat ein Geschäft; was der verkauft das muß gut sein, sonst wär’ er ja gar
+nicht sicher daß man ihn einmal deshalb beim Kragen kriegte.«
+
+»Ja krieg’ ihn einmal wenn Du drüben in Amerika bist,« sagte Brauhede
+ruhig — »das ist ein verwünscht weiter und umständlicher Weg und — wenn
+man sich einmal hat anführen lassen, will man auch nicht gern noch dazu
+ausgelacht werden.«
+
+»Papperlapapp!« sagte Menzel — »dafür hat Jeder seine Augen daß er sie
+offen hält, und ehe ich ihm mein gutes Geld gebe, werd’ ich mich schon
+sicher stellen daß er mir Nichts aufbindet.«
+
+Und die Männer schritten, Jeder von jetzt an mit seinen eigenen Gedanken
+über die nahe Auswanderung beschäftigt, langsam die Straße hinunter,
+während in seinem kleinen Bureau, vergnügt die Hände zusammenreibend, Herr
+Weigel auf und ab spazieren ging, und sich im Geist die nächst zu
+ziehenden Summen zusammenaddirte, die er in kurzer Zeit, nach eifriger
+Aussaat, einzuerndten hoffte. Die Geschäfte gingen vortrefflich; Lust zur
+Auswanderung hatte in der That ein Drittel der sämmtlichen Bevölkerung,
+und es bedurfte nur manchmal wirklich einer leisen Anregung, die Leute zu
+etwas zu bewegen, zu dem sie schon halb und halb selber entschlossen
+gewesen waren.
+
+Herr Weigel war sehr guter Laune; er legte jetzt die Hände auf den Rücken
+und summte ein leises Lied vor sich hin, seinen Marsch dabei fortsetzend.
+Aber er sang falsch; er hatte keine Idee von irgend einer Melodie; doch
+das schadete nichts, er _meinte_ wenigstens eine, und da er selber nicht
+hörte was er sang, genügte es ihm vollkommen.
+
+Die Thür ging jetzt auf und der Tischler oder Schreiner kam herein, irgend
+etwas an dem Pult auszubessern — er hatte zweimal angeklopft ohne daß der
+vergnügte Agent darauf geantwortet hätte.
+
+»Guten Morgen Herr Weigel.«
+
+»Ah guten Morgen Meister — nun kommen Sie endlich? ich hatte schon ein
+paar Mal nach Ihnen hinübergeschickt — «
+
+»Ja lieber Gott Herr Weigel, ich war gerade drüben beim Herrn Geheimen
+Rath Bärlich beschäftigt — die Leute sind so eigen wenn man von der Arbeit
+fort geht — «
+
+»Sehn Sie, hier das Bein möcht’ ich gemacht haben; der Tisch wackelt da
+immer, und wenn man etwas darunter legt, verschiebt sich das doch jedesmal
+wieder. Können Sie es mir wohl bis heute Nachmittag in Ordnung bringen?«
+
+»Ja gewiß,« sagte der Mann, »das ist ja nur eine Kleinigkeit.«
+
+»Und wie ist es mit den Auswandererkisten die ich bestellt habe? — werden
+die bis heute Abend fertig?
+
+»Ja wohl Herr Weigel; sechs habe ich schon in das Gasthaus »Stadt
+Breslau,« wie Sie mir sagten, abgeliefert.«
+
+»Nun das ist gut, denn der ganze Zug wird noch heute Vormittag ankommen,
+und will morgen früh wieder fort — es sind doch noch keine Auswanderer
+heute Morgen hier eingetroffen? — «
+
+»Nicht daß ich gesehen hätte — aber gestern Abend zogen Viele durch.«
+
+»Ja ich weiß — von Hessen herüber — die armen Teufel; denen wird’s einmal
+wohl drüben werden. Nun wie gehn denn bei Ihnen die Geschäfte jetzt?«
+
+»Ih nu gut, Herr Weigel, ich kann gerade nicht klagen; das Brod wird
+freilich immer theuerer, aber man schlägt sich so durch — Kinder haben wir
+nicht, und was verdient wird reicht eben ordentlich aus.«
+
+»Ich begreife nicht,« sagte Herr Weigel da kopfschüttelnd vor dem Mann,
+der seine Mütze eben wieder aufgegriffen hatte und sich zum Fortgehen
+anschickte, stehen bleibend — »wie Ihr Leute Euch hier vom Morgen bis
+Abend plagt und schindet, eben nur das liebe Brod zu verdienen, wo Ihr in
+ein paar Wochen drüben sein könntet und so viel Dollare für Euere Arbeit
+bekämt, wie hier Groschen.
+
+»Drüben, wo?«
+
+»Nun in Amerika — «
+
+»Hm, ja,« sagte der Mann, sich nachdenkend das Kinn streichend, und einen
+leichten Seufzer unterdrückend — »gedacht hab’ ich auch schon ein paar Mal
+daran, aber — das geht nicht gut und — es ist auch so eine unsichere Sache
+mit da drüben. Hier weiß ich einmal was ich habe und daß ich auskomme, und
+wie mir’s da drüben geht weiß ich _nicht_.«
+
+»Aber Freund,« rief Herr Weigel verwundert — »ein Mann der fleißig
+arbeitet bringt es dort immer zu was. Wetter noch einmal, Meister, Amerika
+ist gerade der Platz für Euch, wo Ihr Euch rühren und ausbreiten könntet —
+wenn Ihr dort wäret, ein geschickter Arbeiter wie Ihr! in fünf Jahren
+hättet Ihr zwanzig Gesellen.«
+
+»Meister Leupold nickte langsam mit dem Kopf, und sah ein paar Secunden
+still vor sich nieder, als ob das Bild mit der großen Werkstätte und dem
+regen Treiben sich vor seinem inneren Geist eben auszubreiten beginne,
+dann aber sagte er, jetzt herzhaft aufseufzend — «
+
+»Und es geht doch nicht, Herr Weigel — ich habe die alte Mutter zu Hause,
+die ich unmöglich hier allein zurück lassen könnte — «
+
+»Hierlassen? das fehlte auch noch,« rief der Agent — »die nehmt Ihr mit,
+Mann — könnt Ihr der denn eine größere Freude machen, als wenn sie noch
+vor ihrem Ende sähe wie wohl es Euch geht auf der Welt, und wie sich Euer
+Zustand mit jeder Woche, mit jedem Tage fast bessert? — Muß sie hier nicht
+in Sorge und Kummer leben daß Ihr einmal krank werdet und Nichts verdienen
+könnt, und wie sieht’s dann aus?«
+
+»Wenn ich aber nun dort drüben krank werde?« sagte der Meister leise.
+
+»Wenn das nur nicht gleich die ersten Monate geschieht und für ein Unglück
+kann Niemand« — warf dagegen Herr Weigel ein, »so könnt Ihr Euch auch
+schon so viel gespart haben, das eine Weile mit ruhig anzusehn; und wenn
+Ihr nicht krank werdet, seid Ihr in ein paar Jahren ein wohlhabender
+Mann.«
+
+»Es ist eine verwünschte Geschichte mit dem Amerika,« seufzte der Mann
+wieder, sich hinter dem Ohr kratzend — »man hört so viel davon, und sieht
+eine solche Masse Menschen hinüberziehen, die alle voller Hoffnung sind
+daß es ihnen gut geht — und möchte am Ende ebenfalls gern mit — wenn man
+nur erst so einmal hinübergucken könnte wie es eigentlich aussieht.«
+
+»Dazu ist es ein Bischen zu weit,« meinte Herr Weigel.
+
+»Ja nun eben,« sagte der Tischler — »und so auf’s gerathewohl — «
+
+»Das könnt Ihr aber nicht auf’s gerathewohl nennen, wo wir alle Tage
+Briefe von drüben herüber bekommen, von denen einer immer besser lautet
+als der andere. Da — hier liegt gleich einer, der letzte den ich bekommen
+habe, wo ein Deutscher, den ich selber hinüberbefördert, und dem es jetzt
+ausgezeichnet gut geht, an mich schreibt, und ein oder zwei gute gelernte
+Schaafknechte haben will; lesen Sie einmal den Brief.«
+
+Leupold legte seine Mütze wieder hin, nahm den Brief und las ihn
+aufmerksam durch; er nickte dabei mehrmals mit dem Kopf, und sah dann
+wieder zu dem Agenten auf, der ihn indessen mit einem triumphirenden
+Lächeln betrachtet hatte.
+
+»Nun?« frug der Letztere, als Jener das Schreiben beendet und wieder
+zusammenfaltete — »wie klingt das?«
+
+»_Sehr_ gut« sagte Leupold leise, »aber — es hilft mir doch Nichts. Wenn
+ich jetzt mein kleines Häuschen, das ich mir mit Mühe und Noth
+zusammengespart und aufgebaut, auch verkaufen wollte; fände ich erstlich
+keinen Käufer, und dann bekäm ich auch das nicht dafür wieder, was es mich
+selber gekostet; wie gesagt, der Sperling in der Hand ist doch wohl besser
+wie die Taube auf dem Dache.«
+
+»Bah, Taube,« sagte Herr Weigel mürrisch — »wenn die Taube auf dem Dach
+eben so fest und sicher sitzen bleibt bis man sie holen kann, wie Amerika
+ruhig liegt, und auf die wartet die hinüber kommen, so ist sie mir lieber
+wie ein erbärmlicher Sperling, zum Sterben zu viel, und zum Leben zu
+wenig; aber — überlegt’s Euch — ah da kommt der Briefträger — ’was für
+mich?«
+
+»Nun guten Morgen Herr Weigel,« sagte der Tischler und wollte sich eben
+entfernen, während der Briefträger dem Agenten mehrere für ihn gekommene
+Briefe überreichte.
+
+»Siebzehn Silbergroschen drei Pfennige« sagte er dabei.
+
+»_Siebzehn_ Silbergroschen?« rief Herr Weigel verwundert — »aha da ist ein
+Amerikaner dabei — halt, wartet noch einmal einen Augenblick Leupold« — da
+ist vielleicht gleich noch was für uns, und was ganz Neues — wollen gleich
+einmal sehn was die Leute schreiben. Wahrscheinlich wieder von Jemand den
+ich hinüber befördert habe, und der sich jetzt bedankt — das kostet aber
+viel Geld — «
+
+»Apropos Neues,« sagte Leupold, während der Agent den Briefträger bezahlt
+hatte und seine Papierscheere vom Tisch nahm, den Amerikanischen Brief
+aufzuschneiden — »haben Sie schon gehört daß gestern Nachmittag bei Herrn
+Dollinger eingebrochen und für sieben tausend Thaler Gold und Juwelen
+gestohlen sind?«
+
+»Alle Wetter,« rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt ausgehaltenen Scheere
+in der Hand — »gestern Nachmittag?«
+
+»Am hellen Tage,« bestätigte Leupold.
+
+»Und weiß man nicht wer der Thäter ist?«
+
+»Sie haben den einen Comptoirdiener in Verdacht und auch schon
+eingezogen,« sagte der Tischler.
+
+»Gewiß den Loßenwerder,« rief Weigel.
+
+»Ich glaube so heißt er — er ist ein wenig verwachsen — «
+
+»Und schielt — derselbe, ich habe den Burschen von jeher nicht leiden
+können; hat mir auch schon ein paar Mal Kunden abspenstig gemacht, aus
+reinem Brodneid; ich wüßte wenigstens sonst nicht weshalb, und habe ihn
+dabei stark in Verdacht, daß er selber damit umgeht eine Agentur für
+Auswanderer zu errichten. Da könnte Jeder hergelaufen kommen, ohne Briefe,
+ohne Connexionen und ohne Kenntniß vom Land — schickte nachher die Leute
+in’s Blaue hinein, daß sie dort säßen und nicht wüßten wo aus noch ein. Na
+nun, wird ihm das Handwerk wohl gelegt werden; ich gönne nicht gern einem
+Menschen etwas Uebles, aber bei dem freut mich’s daß sie’s wenigstens
+herausbekommen haben, und er seine Schurkerei nicht mehr heimlich
+forttreiben darf. Ist denn das Geld schon wieder gefunden?«
+
+»So viel ich weiß nicht, einige hundert Thaler ausgenommen, von denen aber
+der Mann betheuert daß er sie sich gespart hätte; es ist übrigens Manches
+dabei zusammengekommen was ihn verdächtig macht; das Nähere weiß ich
+freilich nicht.«
+
+»Hm, hm, hm,« sagte Herr Weigel, kopfschüttelnd den Brief, den er noch
+immer in der Hand hielt, anschneidend — »böse Geschichten — böse
+Geschichten, was man nicht Alles hört auf der Welt. — Nun wollen wir also
+einmal sehen was der Herr da aus Amerika schreibt — hm — Washington
+County, Tennessee den siebenten Januar 18 — alle Wetter der Brief ist
+lange unterwegs gewesen — Herrn F. G. Weigel in Heilingen, Hauptagent der
+Central-Auswanderungs- und Colonisations-Gesellschaft in Deutschland —
+ahem — Sie nichtsw — hm — Sie haben — hm — vor allen Dingen — hm — hm —
+hm — hm« — Herrn Weigels Gesicht verlängerte sich immer mehr, je weiter er
+in seiner, wie es schien nicht eben angenehmen Lectüre vorrückte, aber er
+brach mit dem Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise
+höchst derber Art war, schon gleich nach den ersten Sylben ab, und
+murmelte, das Ganze nur flüchtig überfliegend, blos einzelne
+unzusammenhängende Worte, aus denen Leupold Nichts herausfinden konnte,
+vor sich hin.
+
+»Nun, was schreiben sie?« sagte dieser endlich lächelnd; er wäre schon
+lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurückgehalten hätte — »gute
+Neuigkeiten?«
+
+»Bah!« sagte Herr Weigel, den Brief zurück auf seinen Schreibtisch werfend
+— »Jemand der seine Geschwister will hinübergeschickt haben und mich
+ersucht das Geld für ihn auszulegen. Da müßt’ ich schöne Capitale
+herumstehn haben, wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie
+nachschicken. Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann
+suchen.«
+
+»Ne, das ist ein Bischen viel verlangt,« sagte der Meister, wieder nach
+der Klinke greifend — und dießmal hielt ihn Herr Weigel nicht zurück —
+»aber nun leben Sie auch recht wohl, und verlaßen Sie sich darauf ich
+besorge Ihnen das heute noch.«
+
+»Sein Sie so gut,« sagte der Agent — er war auf einmal ganz einsylbig
+geworden, und Meister Leupold verließ mit nochmaligem Gruß das Zimmer, in
+dem jetzt Herr Weigel mit in die Tasche geschobenen Händen, aber
+keineswegs mehr so guter Laune als vorher, raschen, heftigen Schrittes auf
+und ab ging.
+
+»Und vierzehn Groschen bezahlt für den Wisch — es ist eine Frechheit
+wahrhaftig, die in’s Bodenlose geht. Lumpengesindel! glaubt die gebratenen
+Tauben sollen ihm da in’s Maul fliegen, so bald sie’s nur aufsperren.« Und
+wieder riß er den Brief vom Pult, rückte sich die Brille zurecht, und las
+mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal, und zwar
+aufmerksamer durch als vorher.
+
+»Sie nichtswürdiger Hallunke« — wenn ich Dich nur hier hätte mein Bursche,
+dafür solltest Du mir brummen — »schändlich betrogen und angeführt« — wozu
+hat Dir denn der liebe Gott die großen Glotzaugen gegeben, wenn Du sie
+nicht aufsperren willst — »Land eine Wüste« — na versteht sich, ein
+Gewächshaus hab’ ich ihm nicht verkauft — »Hälfte gar nicht zu bekommen« —
+Holzkopf — »kein Mensch wollte die Billete nehmen« — bah, geschieht Dir
+recht — »Wohngebäude zu schlecht für einen Hund« — für Dich noch immer
+viel zu gut, mein Schatz — »wenn Sie nur einmal herüber kämen, Sie
+miserabeler« — bah« — unterbrach sich Herr Weigel in dieser nichts weniger
+als schmeichelhaften Lectüre, indem er den Brief in zwei Hälften riß, und
+sich dann ein Streichhölzchen mit einem Gewaltstrich an der Thür
+entzündete »so viel für den Wisch!« und das Papier anbrennend, warf er das
+auflodernde in den Ofen, und schloß die Klappe so heftig er konnte.
+
+Allerdings wollte er sich nun über den Brief hinwegsetzen, aber geärgert
+hatte er sich doch, und Rock und Stiefeln anziehend drückte er sich seinen
+Hut in die Stirn, griff seinen Stock aus der Ecke, und verließ sein
+Bureau, das er sorgfältig hinter sich abschloß, und eine kleine Pappe
+mitten an die Thür hing, auf der die Worte standen.
+
+»Kommt um elf Uhr wieder.«
+
+
+
+
+
+ Capitel 6.
+
+
+ DIE WEBERFAMILIE.
+
+
+Nicht weit von Heilingen, und in Hörweite der Domglocke selbst, in
+ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem Land, lag ein kleines armes
+Dorf, dessen Bewohner, da ihre Felder gerade nicht zu den besten gehörten,
+sich kümmerlich, aber meist ehrlich, mit verschiedenen Handwerken und
+Gewerben, mit Holzschnitzen wie auch hie und da mit dem Webstuhl,
+ernährten. Das Dorf hieß eigentlich »Zur Stelle«, welchen Namen aber die
+Bewohner im Laufe der Zeit, und mit Hülfe ihres Dialekts, zu dem von
+_Zurschtel_ umgearbeitet hatten, und mochte etwa dreißig Häuser und
+Hütten, mit der doppelten Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von
+Kindern zählen. Es ist eine wunderliche Thatsache, daß man in den
+ärmlichsten Distrikten stets die meisten Kinder findet.
+
+Mitten im Dorf lag eins der besseren Häuser; es war weiß getüncht, und
+hinter den sauber gehaltenen Fenstern hingen weiße, reinliche Gardinen.
+Vor dem Hause, über dessen Thüre ein frommer Spruch mit rothen und grünen
+Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Röhrtrog, und ein
+kleiner Koven an der Seite desselben, zeigte in der nach außen befestigten
+Klappe des Futterkastens dann und wann den schmuzigen Rüssel eines seine
+Kartoffelschalen kauenden Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket
+umgab das Haus wie den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach sehr zu
+ihrem Vortheil gegen manche der Nachbarhäuser ab.
+
+Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber nichtsdestoweniger
+sehr ärmlich aus. In der einen Ecke stand ein großer, viereckiger, sauber
+gescheuerter Tisch aus Tannenholz, an zweien der Wände waren Bänke aus dem
+nämlichen Material befestigt, und um den großen viereckigen Kachelofen,
+der fast den achten Theil der Stube einnahm, hingen verschiedene
+Kochgeräthschaften, während auf darüber angebrachten Regalen die braunen
+Kaffeekannen und geblümten Tassen gewissermaßen mit als Zierrath zur Schau
+ausstanden. Die dritte Ecke füllte der Webstuhl des Mannes aus, und dem
+gegenüber stand eine riesengroße, braunangestrichene Kommode, mit
+Messinghenkeln und Griffen und fünf Schiebladen, die, mit wirklich
+rührender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt, zwei mit bunten
+Blumen bemalte Henkelgläser, eine vergoldete Tasse mit der Aufschrift »der
+guten Mutter« — ein Geschenk aus früherer Zeit — und ein gelb irdenes aber
+allerdings sehr wenig benutztes Dintenfaß trug, während dahinter, in zwei
+ordinairen Stangengläsern, in dem einen Schilfblüthenbüschel, und in dem
+anderen große stattliche Aehren von Roggen, Waizen, Gerste und Hafer
+standen, zur Erinnerung an eine frühere segensreiche Erndte.
+
+Die Bewohner der kleinen Stube paßten genau in ihre Umgebung; es war eine,
+nicht mehr ganz junge aber doch rüstige Frau, in die nicht unschöne
+Bauertracht der dortigen Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad saß und
+eifrig das Rädchen schnurren ließ, während die rechte Hand manchmal eine
+neben ihr stehende Wiege berührte, den darin ruhenden kleinen Säugling,
+der immer wieder die großen dunklen Augen zu ihr aufschlug, endlich in
+Schlaf zu bringen. Sie war reinlich, aber in die gröbsten Stoffe
+gekleidet, ebenso der Bube von etwa vier Jahren, der ihr zu Füßen mit
+einer kleinen Mulde auf dem über die Diele gestreuten Sand »Schiff«
+spielte.
+
+Außerdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die alte Mutter der Frau,
+eine Greisin von nahe an siebzig Jahren, die auch noch ihr Spinnrad
+drehte, sich aber mit dem hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil
+ihr das heutige naßkalte, unfreundliche Wetter fröstelnd durch die alten
+Glieder zog. Es war eine gutmüthige, aber mürrische alte Frau, selten
+zufrieden mit dem was sich ihr gerade bot, und unermüdlich darin, sich und
+ihren Kindern die Last vorzuwerfen die sie ihnen mache, und den lieben
+Gott täglich zu bitten daß er sie doch bald zu sich nähme. Nur eine
+kleine, ganz kurze Frist erbat sie sich immer noch — dann wollte sie gerne
+sterben. Erst; wie das Aelteste geboren war, wollte sie das noch gerne
+laufen sehn; dann hätte sie gern erlebt wie es zum ersten Mal in die
+Schule ging; dann war es Frühjahr geworden und sie hoffte nur noch einmal
+neue Kartoffeln zu essen, zu Jacobi aber wollte sie noch einmal von dem
+Pflaumenbaum die Früchte kosten, den ihr »Seliger« noch gepflanzt. Wie der
+Herbst kam wünschte sie im Frühjahr begraben zu werden, und die knospenden
+Maiblumen weckten den Wunsch nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von
+denen sie sich eigenhändig ein schmales Beet in den kleinen Garten dicht
+am Hause gepflanzt. So lebt und webt die Hoffnung in unseren Herzen mit
+immer neuer, nie sterbender Kraft, und je älter wir werden, desto mehr
+lernen wir die schöne Erde lieb gewinnen, desto mehr klammern wir uns an
+sie, und wollen uns gar nicht mehr von ihr trennen.
+
+Der Tag neigte sich dem Abend zu; der Mann war in die Stadt gegangen seine
+Steuern zu zahlen, und Manches einzukaufen was sie nothwendig im Hause
+brauchten — zum Ersatz dafür hatte er das zweite Schwein, das sie bis
+dahin gehalten, hineingetrieben, und der Erlös sollte seine Ausgaben
+bestreiten.
+
+Der Regen wurde jetzt wieder heftiger, die großen schweren Tropfen
+schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde vollständig munter und fing
+an zu schreien. Die Mutter schob ihr Spinnrad zurück, nahm das Kleine aus
+der Wiege, und ging damit trällernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann
+indeß ruhig weiter, und suchte mit zitternder leiser Stimme ein
+geistliches Lied zu singen, und mit dem Rad trat sie den Takt dazu. Sonst
+sprach keine ein Wort.
+
+Endlich wurde die Hausthür geöffnet, Jemand kam von draußen herein, und
+strich sich die Füße auf den Steinen und der Strohdecke ab, und sie hörten
+gleich darauf wie der zurückkehrende Vater und Gatte seinen großen
+rothblauwollenen Schirm auf die Steine stieß, das Wasser so viel wie
+möglich davon abzuschütteln, und den Mantel auszog und über den großen
+Schleifstein hing der draußen im Flur stand, wie er das gewöhnlich that.
+Die Frau öffnete rasch die Thür den Mann zu begrüßen, der den Hut abnahm,
+sich die nassen Haare aus der Stirn strich, und das Kind küßte, das sie
+ihm entgegenhielt.
+
+»Jesus ist das ein Wetter, Gottlieb,« sagte sie dabei, als sie ihm den Hut
+aus der Hand nahm und neben den Ofen an den Nagel hing, »komm nur herein,
+daß Du ’was Trockenes auf den Leib bekommst; wo hast Du denn den Jungen? —
+ist er nicht bei Dir?« setzte sie, fast ängstlich, hinzu.
+
+»Er ist draußen bei Lehmann’s hineingegangen, denen wir ein paar Sachen
+aus der Stadt mitgebracht,« sagte der Mann — »wird wohl gleich kommen —
+wie geht’s Frau? — wie geht’s Mutter? — ha, das regnet einmal heute was
+vom Himmel herunter will; was nur d’raus werden soll wenn das Wetter so
+fort bleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir gehabt, und jetzt
+wieder Guß auf Guß — Guß auf Guß, als ob sie uns unsere paar Stücken Feld
+noch hinunter in die Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die
+Saat schon halb fortgespült — wenn dasmal das Korn misräth, weiß ich nicht
+wo der arme Mann das Brod hernehmen soll.«
+
+»Klag nicht, Gottlieb,« sagte aber die Frau freundlich — »es geht noch
+Vielen schlechter wie uns, und was sollen da die _ganz_ armen Leute sagen.
+Lieber Gott, es ist viel Noth in der Welt, und wer heut zu Tage eben sein
+Auskommen und ein Dach über dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht
+versündigen.«
+
+Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den Topf aus der
+Röhre, in der, trotz der vorgerückten Jahreszeit, noch ein Feuer brannte,
+der alten, fröstelnden Mutter wegen, und goß den darin heiß gehaltenen
+Kaffee — sie nannten das braune Getränk von gebrannten gelben Rüben und
+Gerste wenigstens so — in die eine braune Kanne, damit sich der Mann, der
+den ganzen Tag draußen im Regen herumgezogen war, daran erquicken könne.
+Zugleich auch deckte sie ein weißes Tuch über den Tisch, auf den sie noch
+Butter und Brod stellte, die versäumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas
+nachzuholen. Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse
+Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goß, und schnitt sich ein großes
+Stück Brod ab, das er mit Butter bestrich und verzehrte. Er sprach kein
+Wort dabei, und beendete still seine Mahlzeit, schob dann die Tasse und
+den Butterteller zurück, nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die
+Erde gesetzt hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten
+Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf gegen die Wand gelehnt,
+regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach dem Fenster
+hinüber, an das die Regentropfen immer noch, vom Wind draußen gepeitscht,
+hohl und heftig anschlugen.
+
+Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem Blick betrachtet; es
+war irgend etwas vorgefallen, aber sie wagte nicht zu fragen, denn
+Gottlieb, so seelensgut er auch sonst sein mochte, hatte doch auch seine
+»verdrießlichen Stunden« und war dann, wenn gestört, oft rauh und
+unfreundlich; aber eine eigene Angst überkam sie plötzlich. Ihr ältester
+Sohn — der Hans — war nicht mit zu Hause gekommen — konnte dem — heiliger
+Gott, wie ein Stich traf es sie in’s Herz und sie sprang erschreckt von
+ihrem Stuhl auf und auf den Mann zu.
+
+»Gottlieb — um aller Heiligen Willen wo ist der Hans? — es ist — es ist
+ihm doch nicht etwa ein Unglück geschehn?«
+
+»Der Hans?« sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt zu ihr auf, »was
+fällt Dir denn ein? was soll denn dem Hans zugestoßen sein? ich habe Dir
+ja gesagt daß er bei Lehmann’s etwas abgegeben hat, und dort
+wahrscheinlich das Wetter abwarten wird.«
+
+»Ich weiß nicht,« sagte die Frau, der dadurch allerdings eine Centnerlast
+von der Seele gewälzt wurde — »aber Du bist so sonderbar heut Abend, so
+still und ernst, und da schlugs mir wie ein Schreck in die Glieder, über
+den Hans. Ist etwas vorgefallen Gottlieb? — «
+
+Gottlieb schüttelte den Kopf langsam und sagte. — »Nicht daß ich wüßte —
+nichts Besonderes wenigstens, oder nichts Anderes, als was jetzt alle Tage
+vorfällt — Geld zahlen.«
+
+»War es denn so viel?« sagte die Frau leise und schüchtern.
+
+Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor sich nieder; endlich
+erwiederte er seufzend:
+
+»Das Schwein ist d’rauf gegangen, und vier Thaler Siebzehn Groschen sind
+immer noch mit Gerichtskosten und der alten Proceßgeschichte mit der
+Brückenplanke, mit der ich eigentlich gar Nichts mehr zu thun hatte,
+stehen geblieben, und ich muß sie bis zum ersten Juli nachzahlen, unter
+Androhung von Pfändung.«
+
+»Nun lieber Gott,« sagte die Frau tröstend — »wenn das das Schlimmste ist,
+läßt sich’s noch ertragen; da verkaufen wir eben das andere Schwein und
+behelfen uns so. Wie wenig Leute im Dorf haben überhaupt eins zu
+schlachten, und leben doch; warum sollen wir nicht eben so gut ohne eins
+leben können als die.«
+
+»Ja,« sagte der Mann leise und still vor sich hin brütend — »verkaufen und
+immer nur verkaufen, ein Stück nach dem anderen, und während wo anders die
+Leute mit jedem Jahr ihr kleines Besitzthum vergrößern, und für ihre
+Kinder etwas zurücklegen können, sieht man es hier mehr und mehr
+zusammenschmelzen, unter Müh und Plack das ganze Jahr lang.«
+
+»Aber kannst Du’s ändern?« sagte die Frau leise und fuhr, wie der Mann
+schwieg und mit der Faust die Stirn stützend vor sich nieder starrte,
+schüchtern fort — »arbeitest Du nicht von früh bis spät fleißig und
+unverdrossen? gönnst Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgend eine
+nöthige Beschäftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste
+vorzuwerfen?«
+
+»Nein,« sagte der Mann, während er die Hand auf den Tisch sinken ließ und
+die Frau voll und fest ansah — »nein, aber das ist es ja eben, was mir am
+Leben frißt. Wir können nicht mehr arbeiten, nicht mehr verdienen wie wir
+jetzt thun, und jetzt sind wir noch jung und kräftig, unsere Kinder noch
+klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr zurück, wird es mit
+jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie nun soll das werden, wenn uns
+erst einmal Krankheit heimsuchte, wenn die Kinder heranwachsen und mehr
+brauchen, wenn wir selber älter werden und nicht mehr so zugreifen können
+wie jetzt? — Schon jetzt können wir uns nicht mehr in der theueren Zeit
+oben halten — das eine Schwein ist verkauft, das andere wird noch fort
+müssen; unser Acker ist kleiner geworden in den letzten zehn Jahren,
+unsere Bedürfnisse aber sind gewachsen — wie soll das enden?«
+
+»Aber Gottlieb,« sagte die Frau freundlich — »wie kommen Dir jetzt doch
+nur solche Grillen? haben Dir die paar Thaler Steuern den Kopf verdreht?
+Mann, Mann, Du bist doch sonst so ruhig, und hast immer vertrauungsvoll in
+die Zukunft gesehn, wie sind Dir auf einmal solche schwarze Gedanken durch
+den Sinn gefahren?«
+
+Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die Beiden mit einander
+gesprochen, ihr Spinnrad ruhen lassen, und dem Gespräch aufmerksam
+zugehört; dabei schüttelte sie fortwährend mit dem Kopf, und sagte endlich
+mit ihrer schrillen, scharf klingenden Stimme:
+
+»Ja wohl, ja wohl — das Geld wird rar und das Brod theuer, und mehr Mäuler
+kommen — mehr Mäuler sind da zum Verzehren, wie zum Verdienen. Schlagt
+mich todt; schlagt mich todt daß ich weg komme aus dem Weg und Euch Platz
+mache — schlagt mich todt.«
+
+»Mutter,« bat die Frau, in Todesangst daß sie dem Manne mit solcher Rede
+wehe thun würde, denn _er_ gerade hatte sie immer auf das Freundlichste
+behandelt, und Alles gethan was in seinen Kräften stand, ihr jede
+Erleichterung, die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen — »wie dürft Ihr nur
+so etwas reden; versündigt Ihr Euch denn nicht?«
+
+»Wir haben noch genug für uns Alle Mutter,« sagte aber der Mann
+freundlich, der ihre Launen kannte und der alten Frau nicht wehe thun
+mochte — »nur für spätere Zeit ist mir bange; Sie aber wären die Letzte
+die darunter leiden sollte. Wir werden Alle alt, und wenn wir unsere
+Schuldigkeit in unserer Jugend gethan, wie Sie, dann ist es nicht mehr wie
+Pflicht und Schuldigkeit der Jüngeren für ihre Eltern zu sorgen — wenn sie
+nicht auch einmal wieder von ihren Kindern wollen verlassen werden.«
+
+Die Alte war wieder still geworden, sah noch eine Zeit lang vor sich
+nieder, und begann dann auf’s Neue ihre Arbeit, aber die Frau fuhr fort
+und sagte, fast mit einem leisen Vorwurf im Ton zu ihrem Mann.
+
+»Siehst Du Gottlieb, das hast Du nun davon mit Deinen trüben und traurigen
+Ideen; Du machst Dir und mir und der Mutter nur das Herz schwer, und
+nützest und hilfst doch Nichts. Der liebe Herr Gott da oben wird’s schon
+machen und lenken; Er hat die Welt so viele Jahrhunderte hindurch in ihrer
+Bahn gehalten, und die Menschen darauf geschirmt und gepflegt, wie unser
+Herr Pastor sagt, Er wird’s auch schon weiter thun, und wir dürfen uns
+eigentlich gar nicht sorgen und kümmern um den »nächsten Tag.«
+
+»Doch, doch Frau,« sagte aber der Mann, aufstehend und jetzt, die Hände in
+den Hosentaschen, in der Stube auf und ab gehend — »doch Frau, der Mann
+_muß_, denn wenn er’s _nicht_ thäte, wär er ein schlechter Hausvater, und
+ihm allein fielen dann all die schweren Folgen zur Last, die daraus
+entständen. Ich kann Dir das nicht so mit Worten deutlich machen, wie
+mir’s neulich der Schulmeister, mit dem ich darüber sprach, erklärte, aber
+der meinte es wäre etwa so wie wenn Einer im Wasser wäre. Da sei es auch
+nicht genug daß man sich oben hielte an der Luft, und im Kreis herum
+schwämme eben nur nicht zu ertrinken, das thäte nicht einmal ein
+unvernünftiges Stück Vieh; nein des Menschen, des verständigen Menschen
+Pflicht sei es sich schon im Wasser nach dem festen Lande umzusehn, ob man
+das nirgends erreichen könne, denn zuletzt würde man da im Wasser, man
+möchte noch so tapfer schwimmen, doch müde, und ließen erst einmal die
+Kräfte nach, dann hülfe auch zuletzt das Schwimmen Nichts mehr, und man
+sänke eben langsam zu Boden.«
+
+»Ich verstehe nicht recht was Du damit meinst,« sagte die Frau, »aber Du
+siehst mich so sonderbar dabei an — hast Du noch ’was anderes dahinter?«
+
+»Nein und Ja,« sagte der Mann nach kleiner Pause, indem er sich mit dem
+Rücken an den Ofen lehnte, und langsam dazu mit dem Kopfe nickte,
+»eigentlich nicht, denn Gott da oben weiß daß es wahr ist, und weiß wie,
+und ob’s einmal enden kann; aber dann — dann hab’ ich allerdings noch was
+dahinter, denn ich meine — ich meine — « er schwieg und es war
+augenscheinlich, er hatte etwas auf dem Herzen, das er sich scheue so mit
+blanken klaren Worten heraus zu sagen, die Frau aber, die eben damit
+beschäftigt war das Geschirr hinaus zu räumen, setzte die Kanne wieder auf
+den Tisch, sah den Mann erstaunt an, ging dann langsam zu ihm an den Ofen
+und sagte leise, vor ihm stehen bleibend:
+
+»Geh her, Gottlieb — Du hast ’was, was Dich drückt und willst nicht mit
+der Sprache heraus — es ist irgend noch etwas vorgefallen in der Stadt,
+was Du nicht sagen magst. Du darfst doch nicht _sitzen_?«
+
+»_Sitzen_? — weshalb?« lächelte der Mann kopfschüttelnd — »ich habe nie
+etwas Böses gethan.«
+
+»Nun was ist’s denn, so sprich doch nur, denn Du ängstigst mich ja mehr
+mit Deinem Schweigen, als wenn Du mir das Schlimmste gleich vornheraus
+erzählst — dem Hans fehlt doch Nichts?«
+
+»Was soll dem Hans fehlen, närrische Frau — wenn’s aufhört zu gießen wird
+er schon kommen.«
+
+»Und was ist’s denn? — gelt, Du sagst mir’s?«
+
+»Ich muß Dir’s wohl sagen;« seufzte der Mann, »nun sieh Hanne, ich meine —
+ich habe so darüber nachgedacht, daß es jetzt hier in Deutschland immer
+schlechter wird mit uns — und daß wir’s zu Nichts mehr bringen können,
+trotz aller Arbeit, trotz allem Fleiß, und daß jetzt — daß jetzt doch so
+viele Menschen hinüber ziehen — «
+
+»Hinüber ziehen?« frug die Frau erstaunt, fast erschreckt, und legte die
+Hand fest auf’s Herz, als ob sie die aufsteigende Angst und Ahnung über
+etwas Großes, Schreckliches da hinunter und zurückdrücken wolle, eh sie zu
+Tage käme — »wo hinüber Gottlieb?«
+
+»Nach Amerika;« sagte der Mann leise — so leise daß sie das Wort wohl
+nicht einmal verstand, und nur an der Bewegung der Lippen es sah und
+errieth. Wie ein Schlag aber traf sie die Wirklichkeit ihres Verdachts,
+und ohne ein Wort zu erwiedern, ohne eine Sylbe weiter zu sagen, setzte
+sie sich auf den, dicht am Ofen stehenden Stuhl, deckte ihr Gesicht mit
+der Schürze zu und saß eine lange, lange Weile still und regungslos. Auch
+der Mann wagte nicht zu sprechen — er hatte den Gedanken wohl schon eine
+Zeit lang mit sich herumgetragen, aber sich immer davor gefürchtet ihm
+Worte zu geben, sogar gegen sich selbst, wie viel weniger denn gegen die
+Frau. Jetzt war es heraus, und er betrachtete nur scheu die Wirkung die er
+hervorgebracht.
+
+Auch die alte Mutter saß, mit der Hand auf dem Rad das sie im Drehen
+aufgehalten, und horchte nach den Beiden hinüber, was sie mitsammen
+hatten, und wie die so still waren und kein Wort mehr sprachen, mochte es
+ihr auch unheimlich vorkommen und sie sagte laut und mürrisch:
+
+»Nun Gottlieb was giebt’s — was hast wieder Du mit der Hanne — was habt
+Ihr denn daß Ihr so still und heimlich thut — macht Einem nicht auch noch
+Angst unnützer Weise — was ist nun wieder los?«
+
+»Ja Mutter,« sagte der Mann jetzt, der sich gewaltsam Muth faßte über das,
+was nun doch nicht länger mehr verschwiegen bleiben konnte und besprochen
+werden _mußte_, auch laut zu reden, daß er’s vom Herzen herunter bekam —
+»es geht mit uns hier den Krebsgang, und ich habe eben zu Hannen gesagt
+daß uns zuletzt nichts anderes übrig bleiben würde als — als es eben auch
+wie andere zu machen, und — «
+
+»Und? — und was zu machen?« frug die alte Frau gespannt —
+
+»Als _auszuwandern_,« sagte der Mann mit einem plötzlichen Ruck und
+seufzte dann tief auf, als ob er selber froh wäre es los zu sein.
+
+»Herr Du meine Güte!« rief die alte Frau, ließ die Hände erschreckt in den
+Schooß sinken und lehnte sich in ihren Stuhl zurück, während ihr alle
+Glieder am Leibe flogen — »Herr Du meine Güte!« wiederholte sie noch
+einmal, und die Finger falteten sich unwillkürlich zusammen, so hatte sie
+der Schreck getroffen.
+
+»Auswandern,« sagte aber auch jetzt Gottliebs Frau mit tonloser Stimme,
+und ließ die Schürze vom Gesicht herunterfallen — »auswandern, das ist ein
+schweres — schweres Wort Gottlieb — hast Du Dir das auch recht — recht
+reiflich überlegt?«
+
+»Tag und Nacht die ganze letzte Woche hindurch,« rief aber der Mann, der
+jetzt, da das Eis einmal gebrochen war, wieder Leben und Wärme gewann.
+»Wie ein Mühlstein hat’s mir auf der Seele gelegen, und ich habe lange und
+tapfer dagegen angekämpft, aber es wäre das Beste für uns, was wir auf der
+weiten Gotteswelt thun könnten; und wenn auch nicht einmal für uns, wenn
+wir selber auch schwere und bittere Zeiten durchzumachen hätten, doch für
+die Kinder, die einmal den Segen erndten, den wir mit unserem Schweiß,
+unseren Thränen gesäet.«
+
+»Auswandern? ja,« sagte aber jetzt die Großmutter, mit dem Kopfe nickend
+und schüttelnd, als ob sie den schrecklichen Gedanken wieder von sich
+abwerfen wollte — »ja wohin es euch lüstet, aber erst wenn ich todt bin.
+Die paar Tage müßt Ihr noch hier bleiben die ich noch zu leben habe, oder
+sonst schlagt mich todt, werft mich in’s Wasser, oder schlagt mich mit dem
+Beil auf den Kopf daß ich fortkomme, und hier auf dem Kirchhof unter der
+alten Linde liegen kann, wo der Leberecht liegt. In der Welt könnt Ihr
+mich doch nicht mehr umherschleppen, und nutz bin ich auch Nichts mehr,
+wie das mit zu verzehren was andere verdienen. Wenn Ihr jetzt fort wollt
+schlagt mich vorher todt.«
+
+»Ach Mutter wenn Sie nur nicht gar so häßlich reden wollten,« sagte die
+Frau traurig, während der Mann wieder zum Tisch ging, sich dort auf den
+Stuhl setzte, und den Kopf in die Hand stützte — »Sie sind noch wohl und
+rüstig und werden, will’s Gott, noch manches Jahr leben und sich Ihrer
+Kinder freuen. Wo die dann hin ziehen und sich ihr Brod suchen müssen, da
+gehören Sie auch hin, und was die verdienen, das haben Sie auch verdient
+mit Mühe und Noth und banger Sorge schon vor langen Jahren, wie wir noch
+klein und unbehülflich waren, wie unsere Kinder jetzt.«
+
+»Wozu mich mitnehmen,« sagte aber die Frau, störrisch dabei mit dem
+Oberkörper herüber und hinüber schwankend, »unterwegs müßtet Ihr mich doch
+aus dem großen Schiff hinaus in’s Wasser werfen, die Fische zu füttern.
+Bleibe im Lande und nähre Dich redlich, das ist _mein_ Spruch und meines
+Leberecht Spruch von alter Zeit her gewesen, und wir haben uns wohl dabei
+befunden, aber das junge Volk jetzt will immer alles anders haben, will
+oben zur Decke ’naus und fliegen und schwimmen, anstatt hübsch auf der
+Erde und im alten Gleis zu bleiben. Warum ist’s denn früher gegangen? —
+nein Gott bewahre, jetzt soll Alles mit Eisenbahnen und Dampf gehen und
+keine Geduld, keine Ausdauer mehr; nur fort, immer gleich fort, in die
+Welt hinein und mit dem Kopf gegen die Wand — schlagt mich todt, dann seid
+Ihr mich los und könnt hingehn wohin Ihr wollt.«
+
+Und die alte Mutter stand auf, rückte ihr Spinnrad bei Seite, und
+humpelte, noch immer vor sich hin murmelnd und grollend, aus der Stube
+hinaus.
+
+»Sie meint es nicht so bös, Gottlieb,« sagte die Frau zu dem Mann tretend
+und ihre Hand auf seine Schulter legend, »es ist eine alte Frau die an
+ihrer Heimath mit ganzem Herzen hängt und sich vor der Reise fürchtet.«
+
+»Und Du nicht, Hanne?« rief der Mann sich rasch nach ihr umdrehend, und
+ihre Hand ergreifend — »Du nicht? Du würdest Dich dazu entschließen können
+unsere Heimath hier, unser Häuschen, unser Feld zu verlassen, und mit mir
+und den Kindern über das weite Meer zu fahren, in eine fremde Welt?«
+
+Die Frau schwieg und ihre Hand zitterte in der des Mannes — endlich sagte
+sie leise — »So weit fort? — und muß es denn sein, ist es denn gar nicht
+möglich mehr, daß wir hier gut und ehrlich durchkommen durch die Welt,
+wenn wir uns auch ein Bischen knapper einrichten wie bisher? Ach Gottlieb,
+es ist gar hart so von zu Hause fortzugehn, die Thür zuzuschließen und zu
+denken daß man nun nie und nimmer wieder dahin zurückkommt — «
+
+Der Mann nickte traurig mit dem Kopf und sagte endlich:
+
+»Du hast recht Hanne; es ist ein schwerer, recht schwerer Schritt, und man
+sollte ihn sich wohl vorher überlegen ehe man ihn thut, denn zurück kann
+man nicht wieder, wenn man nicht wenigstens Alles opfern will, was Einem
+bis dahin noch zu eigen gehört hat. Thun wir aber recht nur allein an uns
+zu denken? — Sieh, wir schleppen uns vielleicht noch wenn auch kümmerlich,
+doch ehrlich, durch, bis wir einmal sterben, und wenn es auch hart ist,
+daß es Einem nachher im Alter schlechter gehn soll wie in der Jugend,
+brauchten wir doch gerade keine Furcht zu haben daß wir verhungerten; aber
+die Kinder — die Kinder — was wird aus denen? Unser kleines Grundstück ist
+die Jahre über kleiner und kleiner geworden; mit dem Geschäft geht’s auch
+kümmerlicher wie bisher — neue, geschicktere Arbeiter, junge Burschen die
+noch keine Familie haben und weniger brauchen, sitzen in den Dörfern
+herum, und die Fabriken und Maschinen geben uns ohnedies den Todesstoß.
+Stahl und Holz braucht Nichts zu essen und arbeitet unermüdet Tag und
+Nacht durch, und die Räder und Walzen und Hämmer klopfen und drehen und
+schwingen ununterbrochen fort gegen den Schweiß des armen Arbeiters der
+darüber zu Grunde geht. Ich murre auch nicht darüber, es muß wohl schon so
+recht sein, denn Gott hat’s den Menschen selber gelehrt und die Welt muß
+vorwärts gehn — wir älteren Leute können uns aber eben nicht mehr darein
+schicken, können nichts Anderes mehr ergreifen, und wieder von vorne
+anfangen, wenigstens hier im Lande nicht wo Einem die Hände nach allen
+Seiten hin gebunden sind, und darum ist mir der Gedanke gekommen
+auszuwandern. Da drüben über dem Weltmeere hat der liebe Herr Gott noch
+einen großen gewaltigen Fleck Erde liegen, für uns arme Leute bestimmt,
+den Maschinen und Räderwerken zu entgehn; dort haben wir Platz uns zu
+bewegen, und wer nur da ordentlich arbeiten will hat nicht allein zu
+leben, sondern kann auch vielleicht für sich und die Kinder was vorwärts
+bringen und braucht sich nicht mehr vor der Zukunft zu fürchten und vor
+Hunger und Noth. Wenn wir nicht auswandern, was bleibt unsern Kindern da
+einmal anders übrig, als in Dienst zu gehn und sich bei fremden Leuten
+doch herumzuschlagen ihr Lebelang.«
+
+»Und die Mutter?« sagte die Frau, sich ängstlich nach der Thüre umsehend —
+»was würde aus der alten Frau auf dem Meere?«
+
+»Was aus so vielen alten Frauen da wird, liebes Herz,« sagte aber der
+Mann, augenscheinlich mit froherem, freudigeren Herzen, als er bei dem
+eigenen Weib nicht den Widerstand fand, den er vielleicht gefürchtet —
+»sie gewöhnen sich an das neue Leben, sobald sie das alte nicht mehr um
+sich sehen, und die Seeluft soll kräftigen und stärken.«
+
+»Aber sie wird nicht mit uns wollen.«
+
+»Sie wird ihre Kinder nicht verlassen,« tröstete sie der Mann, »und ohne
+sie dürften wir ja auch gar nicht fort.«
+
+Die Frau reichte ihm schweigend die Hand, die er herzlich drückte, und
+wandte sich dann, und wollte eben das Zimmer verlassen, als draußen Jemand
+die Thür aufriß und in das Haus trat. Das Unwetter hatte jetzt seinen
+höchsten Grad erreicht, und der Regen schlug in ordentlichen Güssen gegen
+die Fenster an, während der Wind die Wipfel der Bäume herüber und hinüber
+schüttelte und die Blüthen von den Zweigen riß mit rauher Hand.
+
+ [Capitel 6]
+
+»Schönen Gruß mit einander,« sagte dabei eine rauhe Stimme, während die
+Stubenthür halb geöffnet wurde — »darf man hinein kommen?«
+
+»Gott grüß Euch,« sagte die Frau — »kommt nur herein, bei dem Wetter ist’s
+bös draußen sein — es tobt ja, als ob der letzte Tag hereinbrechen
+sollte.«
+
+Der Fremde hing seinen Hut und Mantel draußen ab und trat mit nochmaligem
+Gruß in die Stube.
+
+»Gott grüß Euch,« sagte auch Gottlieb — »da, nehmt Euch einen Stuhl und
+setzt Euch zum Ofen; es ist heut unfreundlich draußen, und man kann ein
+Bischen Feuer brauchen.«
+
+»Sauwetter verdammtes,« fluchte der Mann, als er der Einladung Folge
+geleitet und sich die nassen Haare aus der Stirne strich — »ich wollte
+erst sehen daß ich die Schenke erreichte; hier um die Ecke herum kam der
+Wind aber so gepfiffen daß er mich bald von den Füßen hob, und es war
+gerade als ob sie Einem von da oben einen Eimer voll Wasser nach dem
+andern entgegen gossen. Schönes Wetter für Enten, aber für keine
+Menschen.«
+
+Es war eine rauhe, kräftige Gestalt, der Mann, mit krausem dicken
+schwarzen Bart und ein paar tiefliegenden unstäten Augen, in einen groben
+braunen Tuchrock gekleidet, wie ihn die Fleischer nicht selten auf dem
+Lande tragen. Die ebenfalls braunen Hosen hatte er dabei heraufgekrempelt,
+bis fast unter das Knie, mit seinen derben Wasserstiefeln besser durch
+alle Pfützen und Schlammwege hindurch zu können; die aus ungeborenem
+Kalbfell gemachte Weste war ihm bis an den Hals hinauf zugeknöpft, und
+eine lange silberne Kette, an der die in der Westentasche steckende Uhr
+befindlich war, hing ihm darüber hin.
+
+»Ihr seid wohl weit von hier zu Haus?« frug Gottlieb nach einer längeren
+Pause, in der er den Mann und dessen Aeußeres flüchtig nur betrachtet
+hatte — »hab’ Euch wenigstens noch nicht hier bei uns gesehen.«
+
+»Zehn Stunden etwa,« sagte der Fremde, seine Pfeife jetzt aus der
+Brusttasche seines Rockes nehmend und mit Stahl und Schwamm, den er bei
+sich führte, entzündend — »wie weit ist’s noch bis Heilingen.«
+
+»Eine tüchtige Stunde — wenn der Weg jetzt nicht so schrecklich wäre,
+könnte man’s recht bequem in kürzerer Zeit gehn.«
+
+»Hm — ist noch verdammt weit, puh wie das draußen stürmt; und die
+Pflaumenblüthen pflückt’s beim Armvoll herunter — Pflaumenmuß wird theuer
+werden nächsten Herbst.«
+
+»Das weiß Gott,« sagte Gottlieb — »es wird Alles theuer, immer mehr jedes
+Jahr, langsam aber Sicher.«
+
+»Bah, es geschieht denen recht die hier bleiben, wenn sie nicht hier
+bleiben müssen; ’s giebt Plätze die besser sind.«
+
+»Wollt Ihr auch auswandern?« sagte Gottlieb rasch.
+
+»Auswandern? — nach Amerika? — hm — ich weiß noch nicht,« brummte der
+Fremde, sich den Bart streichend — »es wäre aber möglich daß sie Einen
+noch dazu trieben. Sind das Euere Kinder?«
+
+»Ja. — «
+
+»Habt Ihr noch mehr?«
+
+»Noch einen Jungen von elf und ein halb Jahr.«
+
+»Und Ihr seid ein Weber?« sagte der Fremde mit einem Blick auf den
+Webstuhl — »auch schwere Zeiten für derlei Arbeit, mit einer Familie
+durchzukommen.«
+
+»Ja wohl, schwere Zeiten,« seufzte Gottlieb, als in diesem Augenblick die
+Thür draußen wieder aufging und die Mutter laut ausrief: —
+
+»Der Hans, lieber Himmel kommt der in dem Wetter.«
+
+Es war Hans, der älteste Sohn des Webers, durch und durch naß, aber mit
+frischem gesunden Gesicht und rothen Backen, auf denen das Regenwasser in
+großen Perlen stand.
+
+»Guten Tag mit einander,« sagte er, als er in’s Zimmer trat und die
+triefende Mütze vom Kopf riß — »guten Tag Mutter.«
+
+»Guten Tag Hans, aber wo um Gottes Willen kommst Du in dem Regen her;
+warum hast Du das Wetter nicht bei Lehmann’s abgewartet?«
+
+»Es wurde mir zu spät Mutter und ich war hungrig geworden; habe auch noch
+heute Abend dem Vater etwas zu helfen.«
+
+»Ein derber Junge,« sagte der Fremde, der sich den Knaben indeß mit
+finsterem Blick betrachtet hatte — »kann wohl schon ordentlich mit
+arbeiten.«
+
+»Ach ja, er packt tüchtig mit zu,« sagte der Vater — »lieber Gott in
+jetziger Zeit muß Alles mit Brod verdienen helfen.«
+
+»Die Kinder fressen Einen arm,« sagte der Fremde.
+
+»Habt Ihr Kinder?« frug Gottlieb.
+
+»Ich? — hm, ja,« sagte der Fremde nach einer Pause — »könnte noch Jemandem
+abgeben davon.«
+
+»Ich möchte keins hergeben,« sagte die Frau rasch, und küßte das Jüngste,
+das sie eben wieder aufgenommen hatte um es zu füttern, »Kinder sind ein
+Segen Gottes.«
+
+»Ja — so sprechen die Leute wenigstens,« sagte der Fremde trocken, »aber
+ich glaube es läßt nach mit Regnen; ich werde die Schenke wohl jetzt
+erreichen können.«
+
+»Wollt Ihr nicht vielleicht erst eine heiße Tasse Kaffee trinken?« frug
+die Frau, das Kind auf dem linken Arm, zum Ofen gehend, die dort
+warmgestellte Kanne wieder vorzuholen.
+
+»Danke, danke,« sagte aber der Fremde abwehrend — »kann das warme Zeug
+nicht vertragen; ein Glas Branntwein ist mir lieber.«
+
+»Das thut mir leid,« sagte der Mann, »den kann ich Euch nicht anbieten;
+ich habe keinen im Hause.«
+
+»Thut auch Nichts,« lachte der Fremde; »so lange halt ich’s schon noch
+aus. Sind doch hülflose Dinger so junge Menschen, ehe sie die Kinderschuh
+ausgetreten haben,« setzte er dann hinzu, als das Jüngste das Mäulchen
+nach dem schon einmal gereichten Löffel vorstreckte — »was machte nun so
+ein jung Ding, wenn man es hinsetzte und sich selber überließe.«
+
+»Ach Du lieber Gott,« sagte die Frau bedauernd — »so ein armer Wurm müßte
+ja elendiglich umkommen.«
+
+»Bis den Nachbarn das Geschrei zu arg würde und sie kämen und es
+fütterten,« lachte der Andere.
+
+»Dafür haben die Kinder Eltern,« sagte die Frau, das kleine, die Aermchen
+zu ihr ausstreckende Mädchen liebkosend und küssend, »die sorgen schon
+dafür daß kein Nachbar danach zu sehen braucht.«
+
+»Wenn die aber einmal plötzlich stürben, wie dann?« frug der Fremde, mit
+einem Seitenblick auf die Frau, indem er seinen Rock wieder zuknöpfte und
+sich zum Gehen rüstete.
+
+»Dann ist Gott im Himmel,« sagte Hanne, mit einem frommen
+vertrauungsvollen Blick nach oben.
+
+»Ja, das ist wahr;« sagte der Fremde mit einem leichtfertigen Lächeln,
+»der hat allerdings die große Kinderbewahranstalt. Aber es hat wirklich
+aufgehört mit Gießen,« unterbrach er sich rasch, »den Augenblick will ich
+doch lieber benutzen. So schön Dank für gegebenes Quartier Ihr Leute, und
+gut Glück.«
+
+»Bitte, Ihr habt für Nichts zu danken, behüt’ Euch Gott,« sagte Gottlieb
+freundlich.
+
+»Behüt’ Euch Gott;« sagte auch die Frau, und der Mann, ihnen noch einmal
+zunickend, nahm draußen wieder den nassen Mantel um, drückte sich den
+breiträndigen Hut in die Stirn, griff einen derben Knotenstock, der
+daneben in der Ecke lehnte, auf, und verließ rasch das Haus, die Richtung
+nach der Schenke einschlagend.
+
+»Mich freut’s daß er fort ist,« sagte die Frau, die dem Knaben gerade das
+Essen auf den Tisch setzte und den Kaffee einschenkte — »bewahr uns Gott,
+was hatte der Mann für ein finstres Gesicht und ein barsches Wesen; nicht
+schlafen könnt’ ich die Nacht, wenn ich den unter einem Dach mit mir
+wüßte. In dem Gesicht liegt auch nichts Gutes — und wie er fluchte und
+über die Kinder sprach — ob er nur wirklich selber welche hat.«
+
+»Er sagt’s ja,« bestätigte Gottlieb — »aber mir schien’s ein Fleischer zu
+sein, seinem Gewerbe nach, und die sind immer rauh und derb, meinen’s aber
+nicht immer so bös.«
+
+»So bess’re ihn Gott,« sagte die Frau mit einem Seufzer, »und je seltener
+er unseren Weg kreuzt, desto besser.«
+
+
+
+
+
+ Capitel 7.
+
+
+ NACH AMERIKA.
+
+
+»Nach Amerika!« — Leser, erinnerst Du Dich noch der Märchen in »Tausend
+und eine Nacht«, wo das kleine Wörtchen »Sesam« dem, der es weiß, die
+Thore zu ungezählten Schätzen öffnet? hast Du von den Zaubersprüchen
+gehört, die vor alten Zeiten weise Männer gekannt, Geister heraufzurufen
+aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu
+machen? — Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe schlugen, wie sich die
+Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner
+zusammen, die Erde bebte, und das kecke, tollkühne Menschenkind das sie
+gesprochen, bebte zurück vor der furchtbaren Gewalt die es
+heraufbeschworen.
+
+Die Zeiten sind vorüber; die Geister, die damals dem Menschengeschlecht
+gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder wir haben auch vielleicht das
+rechte Wort vergessen sie zu rufen — aber ein anderes dafür gefunden, das
+kaum minder stark mit _einem_ Schlage das Kind aus den Armen der Eltern,
+den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhältnissen und
+Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reißt, in dem es bis dahin mit
+seinen stärksten, innigsten Fasern treulich festgehalten.
+
+»Nach Amerika,« leicht und keck ruft es der Tollkopf trotzig der ersten
+schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine Kraft prüfen sollte, seinen
+Muth stählen — »nach Amerika,« flüstert der Verzweifelte der hier am Rand
+des Verderbens dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde —
+»nach Amerika,« sagt still und entschlossen der Arme, der mit männlicher
+Kraft und doch immer und immer wieder vergebens, gegen die Macht der
+Verhältnisse angekämpft, der um sein »tägliches Brod« mit blutigem Schweiß
+gebeten — und es nicht erhalten, der keine Hülfe für sich und die Seinen
+hier im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln _will_, nicht stehlen
+_kann_ — »nach Amerika« lacht der Verbrecher nach glücklich verübtem Raub,
+frohlockend der fernen Küste entgegen jubelnd, die ihm Sicherheit bringt
+vor dem Arm des beleidigten Rechts — »nach Amerika,« jubelt der Idealist,
+der wirklichen Welt zürnend, weil sie eben wirklich ist, und über den
+Ocean drüben ein Bild erhoffend, das dem, in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht — »nach Amerika« und mit dem einen Wort liegt hinter
+ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes früheres Leben, Wirken, Schaffen — liegen
+die Bande die Blut oder Freundschaft hier geknüpft, liegen die Hoffnungen
+die sie für hier gehegt, die Sorgen die sie gedrückt — _»nach Amerika!«_
+
+So gährt und keimt der Saame um uns her — hier noch als leiser, kaum
+verstandener Wunsch im Herzen ruhend, dort ausgebrochen zu voller Kraft
+und Wirklichkeit, mit der reifen Frucht seiner gepackten Kisten und
+Kasten. Der Bauer draußen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain der
+ihn zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so schwer
+geärgert, und der im Geist schon die langen geraden Furchen zieht, weit
+über dem Meer drüben, in dem fetten, herrlichen Land; — der Handwerker in
+seiner Werkstatt, dem sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt
+mit Neuerungen und großen, marktschreierischen Firmen, die wenigen Kunden
+die ihm bis dahin noch geblieben in _seine_ Thür zu locken; der Künstler
+in seinem Atelier, oder seiner Studirstube, der über einer freieren
+Entwickelung brütet, und von einem Lande schwärmt wo Nahrungssorgen ihm
+nicht Geist und Hände binden; — der Kaufmann hinter seinem Pult, der
+Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Büchern zieht und, das
+sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt, von einem neuen, andern Leben,
+von lustig bewimpelten Schiffen, von reich gefüllten Waarenhäusern träumt;
+in Tausenden von ihnen drängt’s und treibt’s und quält’s, und wenn sie
+auch noch vielleicht Jahre lang nach außen die alte frühere Ruhe wahren,
+in ihren Herzen glüht und glimmt der Funke schon — ein stiller aber ein
+gefährlicher Brand. Jeder Bericht über das ferne Land wird gelesen und
+überdacht, neue Arzenei, neues Gift bringend für den Kranken. Vorsichtig
+und ängstlich, und weit herum um ihr Ziel, daß man die Absicht nicht
+errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem Ding — nach Leuten
+die vordem »hinüber« gezogen und denen es gut gegangen — nach Land- und
+Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk — für Andere natürlich, nicht für sich
+etwa — sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will hinüber, ein
+entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wünschen daß es dem wohl
+geht, und häufen mehr und mehr Zunder für sich selber auf.
+
+So ringt und drängt und wühlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem
+nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den _salto mortale_ gethan,
+und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war — aus
+dem, aus jenem Grund — und täglich, stündlich noch hören wir von anderen,
+von denen wir im Leben nie geglaubt daß _sie_ je an Amerika gedacht, wie
+sie mit Weib und Kind, mit Hab’ und Gut hinüberziehn. Und _dort_? — noch
+liegt ein dichter Schleier über ihrem Schicksal dort, doch Gottes Sonne
+scheint ja überall — Dir aber lieber Leser, greif ich aus dem Leben noch
+hie und da ein paar Freunde heraus, die wir begleiten wollen auf dem
+weiten Weg.
+
+ * * * * *
+
+Oben in der Brandstraße — nicht weit vom Brandthor entfernt, und dem
+Gasthaus zum Löwen schräg gegenüber, wohnte Professor Lobenstein mit
+seiner Familie, in der ersten Etage eines, zwar sehr alten, aber auch sehr
+wohnlich eingerichteten Hauses, das ihm eigen gehörte.
+
+Der Professor war ein Mann, gerade an der anderen Seite der »besseren
+Jahre«, etwa einundfünfzig alt, aber rüstig und gesund, nur erst mit
+einzelnen grauen Haaren zwischen den rabenschwarzen Locken, die ihm über
+die bleiche, aber hohe und geistvolle Stirn fielen, wie mit fast
+jugendlichem, elastischem Gang und Wesen. Ein tüchtiger Kopf dabei, hatte
+er _jura_ und _cameralia_ studirt, und einen großen Schatz von Kenntnissen
+aufgehäuft; auch in manchem, mit schweren mühsamen Nachtwachen erkauften
+Werk der Welt, der undankbaren Welt das Resultat seiner Studien und
+Forschungen gebracht und dargelegt. Unzufrieden aber mit dem Erfolg, und
+der kalten Aufnahme die es gefunden, wandte er sich später wieder von den
+bis dahin bevorzugten juristischen Wissenschaften ganz ab und allein
+seinem Lieblingsstudium den Cameralien zu, in denen er besonders der
+Gewerbskunde seine Thätigkeit widmete, auch mit einem Buchhändler in
+Heilingen eine Gewerbszeitung gründete und herausgab.
+
+Hierin hatte er Unglück; der Buchhändler machte bankerott und er übernahm
+die Zeitung, mit ziemlich großen Verlusten schon, allein.
+
+So vortrefflich aber Professor Lobenstein in der Theorie seiner
+Wissenschaft bewandert sein mochte, so wenig sattelfest war er es in der
+Praxis, und seine Zeitung wollte und wollte keinen Boden gewinnen. Mit
+fabelhaftem Fleiß suchte er dem zu begegnen, umsonst — umsonst auch daß er
+Capital nach Capital in das, zuletzt nur noch zur Ehrensache gewordene
+Unternehmen steckte. Sein Haus bekam Hypothek auf Hypothek und mit einer
+höchst ungünstigen politischen Periode, in der ihm eine große Anzahl
+Abonnenten absprang, trafen ihn auch so bedeutende pecuniäre Verluste, daß
+er sich endlich genöthigt sah sein Blatt vollständig aufzugeben. Es war
+das das schwerste Opfer, das er bis dahin gebracht.
+
+Professor Lobenstein hatte eine ziemlich starke Familie, eine Frau, zwei
+erwachsene Töchter von siebzehn und zwanzig Jahren, einen Sohn von
+achtzehn, und zwei kleinere Kinder, einen Knaben von acht und ein Mädchen
+von sieben Jahren. Wenn auch nicht in Reichthum doch in einem gewissen
+Wohlstand erzogen, war aber der Familie bis jetzt das schwere Wort
+»_Nahrungssorgen_« fremd geblieben; der Professor hatte immer, was man so
+nennt, ein Haus gemacht, und sich in einem Umgangskreis bewegt, der ihnen
+schon an und für sich eine gewisse Verpflichtung auferlegte Manches
+mitzumachen, was seinen, sonst mehr einfachen Neigungen eben nicht
+Bedürfniß schien. Das Alles sollte, ja _mußte_ sich jetzt ändern, denn
+wenn er auch aus den Trümmern seines Vermögens, nach allen erlittenen
+Verlusten, einen kleinen Theil zu retten vermochte, genügte der nicht, das
+bisherige Leben fortzuführen. Die Wahl blieb ihm jetzt allein, von Neuem
+eine Laufbahn mit geringeren Mitteln anzufangen, und sich und den Seinen
+schwere und ungewohnte Entbehrungen an einem Orte aufzuerlegen, wo ihn
+Alles und Jedes an frühere und bessere Zeiten erinnerte oder — es war eine
+schwere Stunde in der ihm das Bild zum ersten Mal vor die Seele stieg — in
+einem anderen Welttheil, ungekannt, aber auch nicht bemitleidet oder
+verspottet, ein vollkommen neues _Leben_ zu beginnen.
+
+Aber die Frauen? — würden sie den Mühseligkeiten einer so langen Reise,
+einer Ansiedlung drüben in einem noch wilden Lande gewachsen sein? — Daß
+er selber die Beschwerden eines solchen Lebens leicht ertragen würde,
+daran zweifelte er keinen Augenblick; er hatte so viel über Amerika
+gelesen, sich mit den dortigen Verhältnissen aus allen erschienenen
+Schriften so vertraut gemacht, daß er Alles kannte was ihn dort erwartete,
+und einem derartigen Wirken eher mit Freude und Lust, als Bangen
+entgegenging; aber durfte er seine Frau all den sie erwartenden
+Unbequemlichkeiten und Strapatzen aussetzen? durfte er seine Töchter aus
+ihrem geselligen glücklichen Leben reißen, und ihnen mit einem Schlage
+alle jene Vergnügungen entziehen, die ihnen hier schon mehr als Erholung,
+die ihnen fast Bedürfniß geworden?
+
+Einen langen und schweren Kampf kämpfte er mit sich selber, Monate lang,
+und er wurde alt in der Zeit; die Augen lagen tief in ihren Höhlen und
+seine Züge bekamen etwas Mattes und Abgespanntes, das sie sonst, in seiner
+schwersten Arbeitszeit noch nie gehabt. Wenn auch die Kinder dabei sich
+leicht mit einem vorgeschützten Unwohlsein beruhigen ließen, dem scharfen
+Blick der Gattin entging die Sorge nicht, die an seinem Herzen heimlich,
+aber desto gewaltiger nagte, und ihren dringenden, ängstlichen Bitten
+konnte er zuletzt nicht länger widerstehen. Was sie doch zuletzt hätte
+erfahren _müssen_, vertraute er ihr an und wenn es die arme Frau auch wie
+ein Schlag aus heiterem Himmel traf, nahm sie das Ganze doch viel ruhiger
+auf als er erwartet, gefürchtet, und damit eine schwere Last von _seinem_
+Herzen — auf das ihre. Aber leichter trägt sich die getheilte, und bereden
+konnten sie jetzt zusammen was zu thun, welchen Weg zu gehen, die
+Möglichkeit besprechen die sich hier ihrem Leben bot, die Möglichkeit
+errwägen, die ihnen dort eine andere freiere Zukunft öffnete. Und die
+Kinder? wohin Mütter und Vater gingen folgten die ja gern; nur die Scene
+wechselte für sie, anderen, vielleicht selbst bunteren Bildern Raum zu
+geben, und Kummer und Sorge kannten die ja nicht.
+
+An demselben Abend waren die beiden ältesten Töchter zu einem kleinen
+Fest, dem Geburtstag einer Freundin, eingeladen und hatten schon den
+ganzen Tag mit rastlosen Fingern an dem bunten blitzenden Ballstaat
+genäht. Der Vater begleitete sie dorthin, nur die Mutter blieb daheim,
+Kopfschmerz vorschützend, und die Sorge um das jüngste Kind, das mit einem
+leichten Unwohlsein in seinem Bettchen lag. Aber gegen zehn Uhr
+schlummerte es sanft und ruhig auf dem weichen Lager ein, und daneben, das
+sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt, saß die Mutter und weinte —
+weinte als ob sie mit dieser Thränenfluth all den Gram und Kummer
+fortwaschen wollte, der jetzt, ein dunkler Wolkensaum, am Horizonte ihres
+Glücks erschien, und wild und drohend höher und höher stieg.
+
+Lachend und plaudernd kehrten die Töchter, mit dem Vater spät in der Nacht
+zurück; den leichten, sorglosen Herzen lag die Welt noch, ein weiter
+Garten offen da, und was etwa an wuchernden Giftpflanzen dazwischen stand,
+mischte noch sein fastgrünes Laub, dem jungen Auge nicht erkennbar, mit
+Blum’ und Blüthenpracht.
+
+Aber der Moment näherte sich auch, wo mit der vorgerückten Jahreszeit all’
+die nöthigen und mannichfaltigen Vorbereitungen zu einer so langen Reise,
+zu einer gänzlichen Umgestaltung aller ihrer Verhältnisse, getroffen
+werden _mußten_; auch schien die Zeit eine passende für den Sohn, der, von
+der Schule gerade abgegangen, eben sein Abiturienten-Examen glücklich
+bestanden hatte. Der Vater wünschte allerdings daß er hier erst studiren,
+und ihnen dann später, wenn er etwas Tüchtiges gelernt, vielleicht folgen
+sollte, dachte ihm aber doch die freie Wahl zu lassen, und seinem Herzen
+keinen Zwang aufzuerlegen.
+
+Am nächsten Morgen nach dem Balle nun — es war spät mit Aufstehn geworden
+nach der durchschwärmten Nacht und die zweite Tochter Marie eben erst zum
+Kaffee herübergekommen, während der Sohn das Haus schon, irgend eines
+notwendigen Ganges wegen verlassen hatte — saß der Vater, ungewohnter
+Weise nicht in seiner Studirstube an der Arbeit, sondern im Sopha, aus der
+langen Pfeife den Dampf in weißen Kräußelwolken von sich blasend, und die
+Mutter am Nähtisch, Kleider ausbessernd für das Jüngste, das in seinem
+herübergeschafften Bettchen wieder mit klaren Augen seine Puppe
+schaukelte.
+
+»Schon ausgeschlafen, Väterchen?« sagte Marie als sie, etwas beschämt, die
+Letzte am Kaffeetische Platz genommen, »ich habe wohl recht lange heut
+geschlafen, aber — was ist Dir denn? — und der Mutter auch?« — rief sie
+vom Stuhl wieder aufspringend, als sie das ungewohnte ernste Wesen der
+Eltern gewahrte — »bist Du böse auf mich, Mütterchen?«
+
+»Nein mein Kind,« sagte diese und zwang ein Lächeln auf die Lippen, »aber
+der Vater hat Euch etwas recht Ernstes heute zu sagen, etwas von dem wir
+noch nicht wissen, ob es Euch betrüben wird oder nicht.«
+
+»Der Vater?« rief Marie erschreckt, und auch Anna, die älteste Tochter,
+sah ängstlich zu ihm auf; Professor Lobenstein aber, so in die Enge und
+zum Aeußersten getrieben, hustete, paffte den Dampf ein paar Mal scharf
+vor sich hin, die Pfeife ordentlich in Gluth zu bringen, und sagte:
+
+»Ja Kinder, Ihr wißt — wir — wir haben doch in den letzten Tagen viel über
+Nord-Amerika gesprochen, und auch Manches gelesen — «
+
+»Ja, die herrlichen Romane von Cooper,« rief Marie rasch.
+
+»Und die schrecklichen Berichte im Tageblatt,« lächelte Anna.
+
+»Der Doctor Haide ist ein Esel,« sagte der Professor, den Rauch wieder ein
+paar Mal rasch ausstoßend — »wenn der hätte in Amerika ordentlich arbeiten
+wollen, brauchte er sich jetzt nicht von einer Winkeladvocatur und vom
+Schimpfen auf freisinnige Leute zu ernähren; über dessen Berichte wollen
+wir uns keine Sorgen machen, aber — « er schwieg wieder einen Augenblick
+und sah, wie furchtsam, nach der Frau hinüber. Die jedoch arbeitete um so
+emsiger weiter, und selber mit dem Bedürfniß dem, was ihn schon so lange
+gedrückt, endlich einmal Worte zu geben, fuhr er rasch fort — »ich habe
+eine Frage an Euch zu thun, Kinder — Hättet Ihr — hättet Ihr wohl selber
+Lust hinüber nach — nach Amerika zu gehn?«
+
+»Nach Amerika?« rief Anna rasch und auch wohl erschreckt. Marie aber
+sprang auf, schlug in die Hände und rief jubelnd:
+
+»Nach Amerika? oh das wäre ja prächtig — das wäre herrlich — nicht wahr da
+sind auch Bälle, Väterchen?«
+
+Die Mutter seufzte tief auf und der Vater zog wieder, etwas verlegen an
+der Bernsteinspitze.
+
+»Hm — ich weiß nicht,« sagte er langsam mit dem Kopf schüttelnd — »wo wir
+im Anfang hinwollten, werden wohl keine sein. Hängst Du so an Bällen,
+Marie?«
+
+»Ich tanze gern,« lächelte das junge fröhliche Mädchen etwas verlegen und
+schüchtern.
+
+»Nun tanzen wirst Du dort hoffentlich auch können, mein Kind,« sagte der
+Vater freundlich — »wenn auch nicht gerade gleich auf solchen Bällen wie
+wir sie hier gewohnt sind — das Leben ist dort einfacher.«
+
+»Oh, und bis zum nächsten Fasching sind wir gewiß auch wieder zurück,«
+rief Marie.
+
+Der Vater schwieg erst eine kleine Weile, und sagte dann leise aber
+entschlossen.
+
+»Wir wollen _ganz_ hinüberziehn, mein Kind.«
+
+»Auswandern?« rief die ältere Schwester fast erschreckt — das Wort, dessen
+Bedeutung sie noch gar nicht vollkommen verstand, traf sie mit einem
+unbekannten ahnenden Gefühl von Schmerz und Leid — »und die Mutter?«
+
+»Ihr werdet mich doch nicht wollen allein zurücklassen?« lächelte die
+Frau, sich gewaltsam zwingend über den Schmerz dieser Stunde.
+
+»Mutter!« sagte Anna, warf die Arme um ihren Nacken und küßte sie.
+
+»Und Eduard?« frug Marie.
+
+»Bleibt, wenn er meinem Rathe folgt, noch hier bis er ausstudirt und etwas
+ordentliches gelernt hat,« sagte der Vater — »wo nicht, hat er seinen
+freien Willen und mag uns begleiten; sowie er zu Hause kommt werde ich mit
+ihm sprechen.«
+
+»Aber — « rief Marie — »wer verwaltet unterdessen unser Haus?«
+
+»Wenn wir einmal fort sind von hier,« sagte der Professor ausweichend,
+»kann uns auch das Haus nichts mehr nützen, und ich werde es verkaufen.«
+
+»_Verkaufen_? — unser Haus und den Garten?« riefen Maria und Anna fast wie
+aus einem Munde erschreckt und rasch —
+
+»Unser freundliches Stübchen, wo wir als Kinder gespielt,« setzte Marie
+traurig hinzu.
+
+»Und die Bäume die Vater alle gepflanzt — die Laube, die wir uns selbst
+gebaut, und die so schön geworden ist in diesem Jahr,« sagte Anna leise —
+»verlassen wollt’ ich es ja gern, wenn wir Alle gehn, aber daß fremde
+Menschen jetzt darin hausen sollen, die vielleicht gar nicht wissen wie
+wir das Alles gehegt und gepflegt und — « ihr Blick fiel in diesem
+Augenblick auf der Mutter, halb von ihr abgewandte bleiche Züge, und faßte
+das Blitzen einer heimlich fallenden Thräne. Anna erschrak und wurde
+todtenbleich — hier lag mehr verborgen als man ihnen gesagt, und
+heimlicher Gram, heimliche Sorge nagte an der Eltern Herzen, durfte sie
+die vermehren? Sie schwieg einen Augenblick und sah sinnend vor sich
+nieder, dann aber Mariens Hand ergreifend sagte sie mit leichterem
+vielleicht gezwungen fröhlicherem Ton:
+
+»Aber wir wollen nicht klagen; Vater und Mutter wissen am Besten was sie
+zu thun haben, und was uns gut ist, und dort baut uns Vater dann ein
+anderes Haus, und wir selber pflanzen uns ein neues Gärtchen, schöner als
+das unsere hier.«
+
+»Aber ich bliebe hier, wenn ich an Vaters Stelle wäre,« schmollte Marie,
+»und was wird Herr Kellmann dazu sagen, wenn er es erfährt? der ist so
+immer gegen Amerika, und hat sich schon oft mit Vater darüber gezankt.«
+
+»Ach der macht mir die geringste Sorge,« sagte Anna in ihrem Schmerz
+lächelnd — »wenn man _für_ Amerika spricht, schimpft er aus Leibeskräften,
+und citirt Gott weiß was für Stellen aus Briefen und Zeitungen, alles
+Günstige zu widerlegen, oder wenigstens stark zu bezweifeln, und kommt
+Jemand der das Land ordentlich angreift, dann hab’ ich auch schon gesehn,
+daß er den Handschuh wacker dafür aufnimmt, und man wirklich glauben
+sollte er bekäme so und so viel für den Kopf, Leute zu bereden
+hinüberzuziehn. Das ist ein wunderlicher Kauz, der die meiste Zeit selber
+nicht weiß was er will, und ich glaube, wenn es Jemand recht ordentlich
+bei ihm darauf anlegte, könnte man ihn selber, nur durch Widersprechen,
+dahin bringen, daß er in eigener Person hinüberginge.«
+
+»Herr Kellmann?« lachte Marie — »nun _den_ möcht’ ich in Amerika sehn.«
+
+»Und wer weiß, ob Dir das nicht noch passirt,« bestätigte der Vater, mit
+dem Kopfe nickend.
+
+»Und darf ich mein neues seidenes Kleid mitnehmen, Mama?« frug das junge
+lebenslustige Mädchen jetzt die Mutter — »hier lassen möcht’ ich es doch
+nicht gern, und drüben im Wald — «
+
+»Liebes Kind, wir werden auch nicht mitten in den Wald gehn,« sagte die
+Mutter, die indessen heimlich die verrätherische Thräne aus dem Auge
+geschüttelt, freundlich dabei der zu ihr getretenen Tochter die Stirn
+streichend und küssend, »denkt es Euch nicht so schlimm. Der Vater wird
+uns schon einen Platz aussuchen, wo wir wenigstens unter Menschen und der
+Cultur nicht ganz verschlossen sind — er hielte es ja dort sonst selber
+nicht aus.«
+
+»Aber warum gehst Du nur, Väterchen?« bat Marie — »es ist doch hier so
+wunderhübsch in Heilingen, und was wir da drüben haben, wissen wir noch
+nicht.«
+
+Der Professor, zu dem Anna ängstlich aufsah, hatte seinen Sitz verlassen
+und ging, langsam dabei mit dem Kopf nickend, im Zimmer auf und ab; er
+fühlte daß er, auch den Töchtern gegenüber, diesen eine Erklärung seines
+Handelns schuldig sei, denn er riß sie aus einem liebgewonnenen Leben
+heraus, und führte sie vielen, vielen Entbehrungen — er durfte sich das
+nicht leugnen — entgegen. Von ihrer späteren Haltung dabei hing auch viel
+ihrer Aller Glück, ihrer Aller Zufriedenheit ab, und sie waren alt genug
+ihrem Urtheil zu vertrauen. Aber es kostete ihm der Entschluß einen
+schweren Kampf, und wo ihm die Frau war auf halbem Weg entgegen gekommen,
+fürchtete er hier gerade, nicht Widerstand zu finden, denn dafür hatten
+sie ihn zu lieb, aber Schmerz und Sorge zu wecken in den jungen Herzen,
+denen er die ungebetenen Gäste gern noch fern gehalten hätte so lang als
+möglich. Sie standen jedoch an einem wichtigen, bedeutungsvollen Abschnitt
+ihres Lebens, und mußten _sehen_, wohin der Weg sie führte.
+
+In kurzen, einfachen Worten, frei vom Herzen weg, und zu den Herzen
+sprechend, weil sie aus dem Herzen kamen, schilderte er ihnen jetzt die
+veränderte Lage in die er, durch das gezwungene Aufgeben seiner
+Zeitschrift sowohl, wie durch manche schwere, ihn betroffene Verluste
+gekommen. Er verheimlichte ihnen nicht länger daß er einen Theil — einen
+großen Theil seines Vermögens eingebüßt, und das ihm selber liebe Haus
+nicht verkaufen würde, wenn ihn eben nicht — die Verhältnisse dazu
+_zwängen_. Aber noch blieb ihnen genug nach einem fernen Welttheil
+überzusiedeln und dort, mit bescheideneren Bedürfnissen, von Neuem zu
+beginnen; Amerika mit seiner ungeheuren Lebenskraft bot ihnen nach allen
+Seiten hin die Möglichkeit der Existenz, und das gut und zweckmäßig
+angelegte kleine Capital konnte dort gute Zinsen tragen für spätere Zeit.
+Hatten sie sich dann etwas verdient, waren die Hoffnungen, mit denen sie
+hinüber gingen, Wahrheit geworden, und sehnte sich ihr Herz noch nach dem
+Vaterland, wer hinderte sie dann zurückzukehren zu den theueren Plätzen,
+die ihnen ewig lieb bleiben würden in der Erinnerung?
+
+Dem Professor war es leichter um die Brust geworden, wie er das Eis nur
+erst gebrochen. Selbst überzeugt von dem was er sprach, wurde er warm,
+indem er den Gedanken weiter dachte, und seine Phantasie verlor sich
+zuletzt sogar, Luftschlösser aufbauend, zauberschnell in weiter Ferne. Der
+Professor ging mit dem Menschen durch, und die leicht gerötheten Wangen
+belebte ein eigenes, inneres Feuer. Und die Mutter saß dabei, still und
+schweigend, und ängstlich bemüht, in der wiederaufgenommenen Arbeit die
+eigene Bewegung zu verbergen. Marie und Anna aber, die des Vaters Hände
+erfaßt und in den ihren hielten, schmiegten ihre Häupter an seine
+Schultern und flüsterten; die großen, zu ihm aufgeschlagenen Augen voll
+von Thränen.
+
+»Genug, genug, Väterchen; mal’ uns das Alles nicht so prächtig aus — wohin
+Du und Mutter gehn, gehn auch wir, und wär’ es mitten hinein in den
+wildesten Wald. Kein unzufriedenes Wort sollst Du dabei von uns hören,
+keine Klage, kein böses Gesicht weiter — keine Thräne — nur die hier sind
+uns so ganz von selber über die Backen gelaufen, weil wir die Mutter
+weinen sahen. Mit Lieb und Lust wollen wir das Leben dort beginnen — «
+
+»Und Kühe und Hühner schaffen wir uns an!« rief Marie, »und die Kühe
+melken wir selber und machen Butter und Käse.«
+
+»Wie gut,« sagte Anna, daß wir im vorigen Jahr auf dem Land bei der Tante
+waren, und dort das Alles zum Spaß gelernt haben; jetzt wird es uns
+nützen.«
+
+»Aber nicht wahr, Mütterchen, nun weinst Du auch nicht mehr,« rief Marie,
+zur Mutter hinübergleitend, ihren Arm um deren Nacken legend und sie
+küssend — »drüben wird schon Alles hübsch werden. Und ein paar von den
+großen Holzschuhen nehm’ ich mir mit, wie sie die Bauern tragen, für
+draußen bei nassem Wetter; hei wie wir da herumpatschen wollen und
+schaffen und arbeiten; und plätten thun wir auch selbst, dafür nimmst Du
+kein Mädchen mehr.«
+
+Den frohen, leichten Herzen schwammen schon die gewaltigen Umrisse ihrer
+ganzen fernen, so ungewissen Zukunft, in den einzelnen bunten
+Kleinigkeiten zusammen, die ihrem Geist, von dem Reiz der Neuheit mit
+frischem Duft überhaucht, entstiegen. Nur die Lichtpunkte erspähte der, in
+die Ferne arglos hinausschauende Blick, und die goß er sich lustig
+zusammen zu einem Ganzen: was dahinter lag, der düstere Hintergrund, den
+das erfahrenere Mutterauge wohl erkannt, diente ihnen nur dazu die
+einzelnen Lichter stärker hervorzuheben, deutlicher erkennen zu können,
+und der Himmel spannte sich blau und rein über ihren glücklichen Häuptern.
+
+
+
+
+
+ Capitel 8.
+
+
+ DER TANZ IM ROTHEN DRACHEN.
+
+
+Drei volle Monat waren nach den, in den vorigen Capiteln betriebenen
+Scenen verflossen, und der Diebstahl im Dollingerschen Hause zu Heilingen,
+der eine ganze Woche lang fast das alleinige Stadtgespräch gebildet, wurde
+kaum noch erwähnt. Der vermuthete Dieb (gegen den aber allerdings
+nachträglich keine weiteren Beweise aufgefunden worden), war zwei Tage
+nach dem Sturz von der Brücke an seiner Kopfwunde gestorben; er hatte die
+beiden Tage vollkommen bewußtlos gelegen, und kein Wort mehr gesprochen.
+Das übrige Geld aber — außer den zweihundert und einigen Thalern — wie die
+vermißten Pretiosen, konnten, trotz den genausten Nachforschungen nirgends
+aufgefunden werden, und hatte er es wirklich gestohlen, so ließ sich jetzt
+gar nichts Anderes vermuthen, als daß er es irgendwo an einer heimlichen
+Stelle vergraben, und außer Sicht gebracht habe.
+
+Actuar Ledermann hatte dabei ganze Actenstöße über den Fall geschrieben —
+man wußte wirklich nicht wo er nur den Stoff dazu herbekommen; aber mit
+dem üblichen Canzleistyl wurde die Sache, der jede gründliche Vorlage
+mangelte, nach Möglichkeit gereckt und ausgedehnt und dann, als sich
+Nichts weiter darüber ergab, mit starkem Bindfaden umschnürt und
+etiquettirt, um später vielleicht, mit Jahreszahl und Nummer versehn, in
+irgend ein staubiges Gefach geschoben zu werden, dort ein Jahrhundert
+fortzuträumen, — wie der Verstorbene unter dem Rasen, dicht an der
+Kirchhofsmauer, an die er, ohne Sang und Klang damals, noch vor Tag, still
+und heimlich hinausgeschafft worden.
+
+Die Geistlichkeit von Heilingen hatte dem Unglücklichen allerdings sogar
+dies »ehrliche Begräbniß« versagen und den Körper der Anatomie
+überantworten wollen, da er unter dem Verdacht eines schweren Diebstahls
+und gewissermaßen als Selbstmörder seinen Tod gefunden — was kümmerte die
+stolzen Geistlichen die duldende Liebe die Christus gelehrt, wo _ihre_
+Autorität Gefahr leiden konnte gekränkt zu werden, und sie hatten einmal
+verordnet, daß solchen Sündern ein »christliches Begräbniß« versagt werden
+solle; aber die Polizei war milder und verständiger als die »Diener des
+Höchsten« und erklärte den Tod des Armen für keinen Selbstmord, indem er
+nur »auf der Flucht« umgekommen, während wahrscheinlich der ihm
+beigegebene Wächter die allerdings unschuldige, und nicht zur
+Verantwortung zu ziehende direkte Ursache, seines Todes gewesen sei.
+
+Aber fort — fort mit den traurigen Bildern; das menschliche Leben hat der
+dunklen Seiten so viele, und sie drängen sich uns doch auf, wohin wir
+gehen — nur der Augenblick gehöret uns, und nicht muthwillig wollen wir
+den Schmerz suchen. So mag mir der Leser denn noch einmal zum rothen
+Drachen hinaus folgen — es dauert vielleicht lange, ehe wir den Platz
+wieder zu sehn bekommen — und dort tönt heut fröhliche Musik aus dem
+hellerleuchteten Saal des großen Hauses, der mit Guirlanden und Blumen und
+jungen Birkenreisern festlich geschmückt ist, indeß ihn eine muntere, laut
+und lustig durcheinander wogende Schaar belebt.
+
+Kaum eine Viertelstunde — oder eine »halbe Pfeife Tabak«, wie die Bauern
+sagten — vom rothen Drachen entfernt, lag Schloß Hohleck an der anderen
+Seite des nämlichen Hügelrückens, das gegenüber liegende Thal
+überschauend, und der Besitzer desselben, Graf von Hohleck, feierte heute
+die Vermählung seines ältesten Sohnes, der dabei das Gut selber übernahm,
+und nun seinen Leuten dem Tag zu Ehren ein Fest »in der Schenke« gab. Bier
+und Branntwein waren dabei zu freier Verfügung gestellt, und ein starkes
+Musikchor aus der Stadt engagirt worden, den Leuten die ganze Nacht
+hindurch zum Tanze aufzuspielen — und sie machten Gebrauch davon.
+
+Aber auch aus Heilingen selber hatten sich eine Menge Gäste eingefunden,
+dem muntern Leben und Treiben der fröhlichen Menschen zuzuschauen, und
+während der untere Gartensaal einzig und allein den Dienstleuten des
+Rittergutes eingeräumt war, zu dem den Stadtleuten jedoch gastlich der
+Zutritt gestattet wurde, hatten sich die letzteren noch besonders in einem
+paar der kleineren Stuben festgesetzt, wo sie ihren Wein oder ihr Bier
+tranken oder auch eine Parthie spielten, die Zeit auszufüllen.
+
+Zu den Gästen aus der Stadt gehörten auch mehre unserer alten Bekannten,
+unter ihnen Kellmann und Schollfeld, zwei Stammgäste des rothen Drachen.
+Ledermann war ebenfalls, wenn auch später, herausgekommen und ihnen hatte
+sich noch der Auswanderungsagent Weigel — sehr zum Aerger Schollfeld’s,
+der ihn nicht ausstehen konnte — zugesellt. Weigel blieb aber nicht ruhig
+an ihrem Tisch sitzen, sondern ging ab und zu, und hatte sein Glas nur mit
+bei ihnen stehn, gewissermaßen seinen Platz zu belegen.
+
+Ledermann war übrigens heute sehr still und niedergeschlagen, er hatte
+sein einziges Kind vor etwa vierzehn Tagen verloren, und schien sich das
+sehr zu Herzen zu nehmen, erklärte auch nur herausgekommen zu sein, sich
+ein wenig zu zerstreuen und die Gedanken los zu werden, die ihn in der
+Stadt drin peinigten.
+
+Uebrigens war ihm in den letzten Tagen höchst unerwarteter Weise eine
+kleine Erbschaft von 600 Thalern zugefallen und Schollfeld, der heute
+Abend außergewöhnlich gut aufgeräumt schien, versuchte jetzt sein Bestes
+des Freundes Grillen oder trübe Gedanken ebenfalls zu verscheuchen.
+
+»Hören Sie einmal Ledermann,« begann er, mit dem Deckel seines Kruges
+klappend und mehr Bier verlangend — »wie ist denn die Geschichte nun mit
+den 600 Thalern? — beiläufig gesagt schneiden Sie ein Gesicht dabei, als
+ob Sie Schwefelsäure verschluckt hätten.«
+
+»Er hört nicht einmal,« sagte Kellmann, als der Actuar kein Wort darauf
+erwiederte, und die Anrede in der That gar nicht verstanden zu haben
+schien — »Ledermann, Mensch, wo sind Sie jetzt mit Ihren Gedanken, im
+rothen Drachen bei Heilingen, im Monde, oder in Amerika?«
+
+»Wo?« sagte der Actuar, rasch und fast verstört aufschauend, als aber die
+Anderen laut lachten, schüttelte er mit dem Kopf und seinen Krug nehmend
+und trinkend sagte er ruhig und ernst:
+
+»Ach laßt mich zufrieden Kinder — ich habe den Kopf voll, und bin
+wahrhaftig heute Abend nicht zum Spaßen aufgelegt.«
+
+»Nicht zum Spaßen aufgelegt?« rief aber Schollfeld, Kellmann unter dem
+Tisch anstoßend — »ist auch gar nicht nöthig mein lieber Actuar — wir
+spaßen auch hier gar nicht; Jemand aber, der eine Erbschaft macht und
+irgendwo Stammgast ist, überkommt dabei die moralische Verpflichtung
+irgend etwas zum Besten zu geben, und es bleibt ein Skandal, daß man einen
+solchen Glückspilz auch nur noch daran erinnern muß. Hat der Henker da
+wieder den Schleicher, den Weigel,« unterbrach er sich aber plötzlich mit
+etwas leiserer Stimme, als er sah wie dieser das Zimmer wieder betrat, und
+sich ihrem Tische zuwandte — »ich hatte schon gehofft wir würden ihn heute
+Abend los sein; jetzt ist _mein_ Vergnügen beim Teufel.«
+
+»Nun meine Herren, noch so fröhlich beisammen?« sagte Weigel jetzt, indem
+er zum Tisch trat — »ah, da sind ja der Herr Actuar auch noch dazu
+gekommen — bitte behalten Sie ja Platz, ich rücke ein klein wenig hier
+herüber — so — das geht vortrefflich. Nun, der Herr Actuar haben in diesen
+Tagen ein großes Glück gehabt — da darf man ja wohl gratuliren.«
+
+»Danke herzlich,« sagte Ledermann ruhig; »es wird übrigens so viel von den
+paar hundert Thalern gesprochen, als ob’s eben so viel Tausende wären.«
+
+»Ih nun, das lassen Sie gut sein,« sagte aber Weigel, mit dem Kopf
+schüttelnd — »sechshundert Thaler richtig angewandt könnten in der That in
+kurzer Zeit zu so viel Tausenden werden.«
+
+»Wenn man sich Sächsische Löbau-Zittauer Eisenbahnactien dafür kaufte,
+nicht wahr?« sagte Schollfeld, das Gesicht halb in den ebengebrachten Krug
+versteckt, und einen grimmigen Blick über den Rand desselben hin, nach dem
+Auswanderungsagenten schießend.
+
+»Nun das gerade nicht,« schmunzelte Herr Weigel, sein Glas ein wenig
+weiter auf den Tisch schiebend, und sich die Hände reibend, »da wüßte ich
+doch noch eine bessere Speculation.«
+
+»Und die wäre,« sagte der Actuar, seitwärts zu ihm aufschauend.
+
+»Wenn Sie sich eine kleine Farm in Amerika kauften.«
+
+»Puh!« rief Schollfeld, verächtlich den Kopf abwendend, »jetzt sein Sie so
+gut, kommen Sie uns hier nicht mit Ihrer alten Leier von dem verdammten
+Amerika, und verderben Sie uns das Bier nicht — hier ist auch Nichts zu
+verdienen, denn von uns geht doch keiner hinüber.«
+
+»Lieber Herr Schollfeld,« sagte aber Weigel mit großer Ruhe, »von _uns_
+weiß noch Niemand was er nächstes Jahr thun wird, und verschwören läßt
+sich so eine Sache nun einmal gar nicht — Amerika ist immer noch ein
+Zufluchtsort.«
+
+»Ja für die Spitzbuben und Hallunken, _da_ haben Sie recht!« rief der
+Apotheker.
+
+»Ne lieber Herr Weigel!« rief aber auch Kellmann jetzt — »mit sechshundert
+Thalern kann ich da drüben auch Nichts anfangen, und bin dann noch
+obendrein bei jedem Schritt und Tritt der Gefahr ausgesetzt, daß ich
+betrogen und hintergangen werde. Man kann dort ja nicht einmal seinem
+eigenen Bruder trauen.«
+
+»Aber mein bester Herr Kellmann, das sind die unglückseligen Ideen, die
+von — na, ich will keinen Namen nennen — ausgesprengt werden, um die Leute
+blind zu machen, rein blind. Sie sollen eben nicht sehen was für
+Vortheile, für fabelhafte Vortheile dort gerade für sie zu Tage liegen,
+und die Gerüchte von dort verübten Betrügereien hängen eben als
+Vogelscheuche über den Erbsen. Wir haben _hier_ eben so viele schlechte
+Charaktere wie in Amerika.«
+
+»Ob eben so _viel_, will ich dahingestellt sein lassen,« sagte Schollfeld
+mit einem nichts weniger als freundlichen Seitenblick auf den Agenten —
+»aber eben so schlechte gewiß.«
+
+»Nun also,« erwiederte Weigel freundlich, ohne auf den Hieb einzugehn, ja
+im Gegentheil die Waffe lächelnd umdrehend — »sehn Sie, selber Herr
+Schollfeld stimmt mir darin bei.«
+
+»Ja aber nicht wie _Sie_ es meinen!« rief da Schollfeld entrüstet,
+keineswegs gesonnen sich die Worte so im Munde verdrehen zu lassen.
+
+»Von den Betrügereien will ich noch gar Nichts sagen,« unterbrach ihn aber
+Kellmann, ziemlich in Eifer — »was ich dagegen sehr guten Grund habe zu
+bezweifeln, sind die billigen Landkäufe, sind dabei die Erleichterungen,
+welche diese republikanische Regierung allen möglichen Gewerken und
+Unternehmungen bietet, die geringen Taxen, der freie Verkehr und Umsatz im
+Innern. Das wird Alles ausgemalt mit Gold und Silber und Himmelblau, und
+kommt man am Ende hinüber, so hat man die ganze nämliche Geschichte wie
+bei uns. Daß all das nichtsnutzige Gesindel dort ohne _Paß_ herumlaufen
+darf, mag wahr sein, das halte _ich_ aber eben für keinen Fortschritt.«
+
+»Verehrtester Herr Kellmann!« rief aber Weigel in Eifer — »gegen
+_Thatsachen_ können wir doch nicht anstreiten; wir wollen doch nicht blind
+und taub mit dem Kopf gegen die nächste, und womöglich härteste Wand
+rennen? wir sind doch vernünftige Menschen, aber haben Sie nicht alle die
+neueren Schriften jetzt gelesen, die — «
+
+»Ach gehn Sie mit Ihren Schmierereien,« rief aber Schollfeld, dem das
+Gespräch jetzt zur Last wurde, »für einen Thaler den Bogen malen ihnen die
+lumpigen Literaten selbst die Hölle himmelblau an, und kleben von oben bis
+unten Sterne drüber. Laßt mir jetzt Euer Geschwätz von Amerika hier, oder
+ich stehe, Gott straf mich, auf, und setze mich wo anders hin.«
+
+»Nun, jeder darf sich hinsetzen wo es ihn gerade freut,« sagte Weigel,
+wirklich etwas beleidigt, obgleich er sonst einen ziemlichen Theil
+vertragen konnte.
+
+»Ja leider,« sagte aber Schollfeld, mit wieder einem Seitenblick auf den
+Agenten, der diesen doch jetzt vermochte aufzustehn und sein Bier
+auszutrinken.
+
+»Herr Schollfeld,« sagte er dabei, »Sie sind in der Stadt als ein
+Antiamerikaner bekannt, und ich glaube Sie würden den Leuten eher zu einer
+Auswanderung nach Sibirien wie nach Nordamerika rathen.«
+
+»Würde ich auch,« sagte Herr Schollfeld trotzig, sich den Hut noch fester
+in die Stirn drückend.
+
+»Nun ja, der Geschmack ist verschieden — Jeder weiß am Besten wohin er
+gehört, und dahin treibt ihn der Instinkt,« sagte Herr Weigel
+achselzuckend, indem er den Tisch verließ, und Kellmann erwischte eben
+noch zur rechten Zeit Schollfeld hinten am Frackzipfel, der aufspringen
+und dem sich rasch entfernenden Weigel nach wollte.
+
+»Aber so fangen Sie hier doch um Gottes Willen keinen Skandal mit dem
+Menschen an!« rief Kellmann leise und bittend.
+
+»Instinkt treibt?« rief aber Schollfeld jetzt, da er sich hinten,
+vielleicht gern, gehalten fühlte — laut hinter dem Davoneilenden her —
+»Sie wird bald ’was anders treiben Sie — Sie _Seelenverkäufer_ Sie!«
+
+»Pst!« rief aber auch der Actuar jetzt, ihn rasch zu sich niederziehend —
+»Sind Sie denn ganz vom Bösen besessen Apotheker? auf das Wort könnte er
+Ihnen, wenn er’s noch gehört hätte, die schönste Injurienklage an den Hals
+hängen.«
+
+»S’ist aber wahr — der Lump!« rief Schollfeld ärgerlich, den leeren Krug
+zum hastigen Trunk aufhebend, und denselben dann laut auf den Tisch
+aufstoßend — »es ist ein Seelenverkäufer, der Kerl, und um einen Thaler
+beschwatzt er das Kind, daß es die Eltern, den Mann, daß er die Frau
+verläßt — hier Kellner, noch ein Glas Bier. — Sprecht mir von Raubmördern
+und Straßenräubern, gegen die das Gericht einschreitet und ihnen das
+Handwerk legt — allen Respect vor einem Mann, der es den Leuten geradezu
+in’s Gesicht wirft, »ich _bin_ ein schlechter Kerl — ich stehle wo ich’s
+bekommen kann, und wo ich’s nicht gutwillig kriege mord’ ich auch; aber
+solche heimliche Hallunken sind die Upasbäume der menschlichen
+Gesellschaft — sie vergiften was sie erreichen können, und von außen geben
+sie sich das Ansehen eines ehrlichen Baumes und haben grüne Blätter und
+glatte Rinde. Gegen _die_ Schufte sollte eingeschritten werden, nicht mit
+Geldstrafen oder Gefängniß, nein mit Knute und Strang —
+Himmeldonnerwetter, wenn ich da ’was in der Regierung zu befehlen hätte.«
+
+»Sie würden schöne Geschichten anrichten, kann ich mir etwa denken,« sagte
+der Actuar trocken, »s’ist so schon manchmal wie’s ist. Lassen Sie doch
+jeden seinen Weg gehn in der Welt; der liebe Gott weiß wohl wozu’s gut
+ist. Blutigel sind auch unangenehme Geschöpfe in der Naturgeschichte, und
+doch verwendet sie die Natur wieder zu höchst nützlichen und nothwendigen
+Zwecken; denken Sie sich so ein Individuum wäre ein menschlicher
+Blutigel.«
+
+»Dann trink’ ich aber nicht mein Bier an einem Tisch mit ihm,« rief der
+Apotheker.
+
+»Bah, das ist wieder zu weit gegangen,« sagte Kellmann, »viel zu weit
+gegangen. ’Was Schlechtes können Sie dem Mann überhaupt nicht nachsagen,
+denn daß er für Amerika wirbt, ist einesteils sein Geschäft, anderntheils
+seine Ansicht, und er könnte Ihnen von _seinem_ Standpunkt aus dann
+ebensogut wieder vorwerfen, daß Sie eine Menge Menschen absichtlich
+unglücklich machten, die sie von einer Auswanderung nach jenem Lande
+abhielten.«
+
+»Unsinn — baarer Unsinn!« rief aber Schollfeld, unwillig den Kopf herüber
+und hinüber werfend — »Jemand unglücklich machen, daß man ihm von einer
+Auswanderung nach Amerika abräth, wäre gerade so, als ob ich als eines
+Menschen Mörder betrachtet würde, den ich abhalte aus dem dritten Stock
+auf die Straße zu springen. Aber hol den Lump der Henker,« brach er kurz
+und ärgerlich ab, »ich war so guter Laune und jetzt hat er mir den ganzen
+Abend verdorben. — Nach Sibirien auswandern — « brummte er dabei,
+während er eine neue Cigarre aus der Tasche nahm und sie an dem, auf dem
+Tisch stehenden Licht entzündete — »Holzkopf der — nach Sibirien
+auswandern — ich will nur einmal in den Saal gehn und sehn wie sie’s da
+treiben, daß man auf andere Gedanken kömmt — ich bin bald wieder da.« Und
+von seinem Stuhl aufstehend verließ er langsam, und immer noch vor sich
+hin murmelnd, das Zimmer.
+
+Der Actuar stand ebenfalls auf und nahm seinen Hut.
+
+»Na nu?« sagte aber Kellmann erstaunt — »was ist das für eine Wirthschaft
+heut Abend? Schollfeld läuft fort, Lobsich hat sich gar nicht sehen
+lassen, und Sie wollen jetzt auch Fersengeld geben? wo bleibt denn da
+heute Abend unser Solo? — wir können doch nicht wie die Pferde zu Bette
+gehn, ohne unsere Parthie gespielt zu haben?«
+
+»Mir ist heute nicht wie spielen,« sagte der Actuar, langsam mit dem Kopfe
+schüttelnd, »ich habe auch Kopfschmerzen, und an der frischen Luft wird
+mir wohl besser werden.«
+
+»Fort dürfen Sie aber noch nicht,« sagte Kellmann, indem er sein Bier
+austrank, und ebenfalls aufstand, »da wollen wir lieber einmal unten im
+Garten auf und ab gehn.«
+
+Der Actuar zögerte einen Augenblick, dann aber legte er schweigend seinen
+Arm in den Kellmann’s und beide Freunde gingen mitsammen die Treppe
+hinunter.
+
+Es war indessen vollkommen dunkel geworden, und die Leute hatten sich, des
+feuchten Abends, wie des im Saal wogenden Tanzes wegen, meist alle aus dem
+Garten hinaus, und in die mehr geschützten Räume der Gebäude gezogen. Nur
+hie und da saß noch irgend ein kosendes Pärchen in einer Laube, oder
+schwärmte auch wohl auf dem Vorbau des Gartens nach dem, gerade über dem
+nebelgefüllten Thal jetzt aufzeigenden Vollmond hinüber, dessen große
+rothe Scheibe sich glühend aus den Bergen hob, und das weite,
+thaublitzende Thal überschaute.
+
+Kellmann ging ruhig neben dem still vor sich nieder schauenden Freund her,
+bis sie den breiten Fußweg der schönen ebenen Chaussee erreichten, und
+eine kleine Strecke derselben hinauf gewandert waren; dann aber blieb er,
+diesen zurück haltend, plötzlich stehen, und sagte mit freundlichem,
+herzlichen Ton:
+
+»Aber lieber Ledermann, Sie dürfen sich Ihrem Schmerz um das Kind nicht so
+ganz und rücksichtslos hingeben; lieber Gott ich begreife daß es ein
+schwerer, recht schwerer Verlust ist, aber Gott hat’s gegeben und Gott
+hat’s genommen, und wer weiß ob dem kleinen lieben Wesen dadurch nicht
+vielleicht ein recht trübes und schmerzliches Dasein erspart wurde.«
+
+»Es ist nicht das Kind, Kellmann,« sagte aber der Actuar, leise mit dem
+Kopf schüttelnd, »nicht der Tod meiner kleinen Adele nagt mir jetzt am
+Herzen, obgleich der da oben weiß wie weh er mir gethan — nein, ich halte
+ihn sogar unter den jetzigen Verhältnissen, in denen ich lebe, für ein
+_Glück_, und es ist _furchtbar_, daß ich gezwungen bin so etwas von dem
+Tod meines eigenen, einzigen Kindes zu sagen.«
+
+»Aber was, um Gottes Willen, haben Sie _denn_?« rief Kellmann, verwundert
+vor ihm stehen bleibend und ihn anschauend. »Irgend etwas _ist_
+vorgefallen, aber was? — etwa wieder zu Hause der alte wunde Fleck?«
+
+Ledermann nickte finster und schweigend mit dem Kopf.
+
+»Aber was _will_ sie denn eigentlich,« rief Kellmann finster die Brauen
+zusammen und seinen Arm aus dem des Freundes ziehend, um besser
+gesticuliren zu können — »Wetter noch einmal, Ledermann, Sie hätten da
+schon lange ernst und entschieden auftreten sollen, die Sache ist jetzt
+schon viel zu weit eingerissen, und die Frau bringt sie, wenn das so fort
+geht, wahrhaftig noch unter die Erde.«
+
+»Ernst und entschieden auftreten? — lieber Gott,« stöhnte der Actuar
+kopfschüttelnd — »soll ich mir denn die letzte leiseste Hoffnung auf
+einen, nur möglichen Hausfrieden selber muthwillig vernichten? — _Sie_
+haben gut reden; _Ihr_ Geschäft ist in Ihrer eignen Wohnung, und Ihre
+Erholung gestattet Ihnen, _die_ außerhalb desselben zu suchen, ich aber
+sitze und schwitze den ganzen lieben ausgeschlagenen Tag auf dem
+verwünschten Bureau, und komme ich dann Abends zu Hause, und sehne mich
+nach einer halbstündigen gemüthlichen Ruhe, so beginnt die Frau, und wenn
+sie eine Ursache aus der Luft greifen sollte, mir das Leben zu einer Hölle
+zu machen. Lieber Gott, es fiele mir ja gar nicht ein Abends in ein
+Wirthshaus zu gehn, wenn ich Frieden daheim hätte; es giebt vielleicht
+wenig Menschen in der Welt, die sich so nach einem stillen, häuslichen
+Leben sehnen, wie gerade ich, und keinen, Kellmann, keinen weiter, dem es
+_so_ verbittert, so gänzlich aus dem Fenster geworfen wird, jeden Abend
+wieder von Frischem, wie gerade mir.«
+
+»Aber was ist denn nur vorgefallen?«
+
+»Das Ganze ist mit wenig Worten erzählt,« sagte der Actuar nach kurzer
+Ueberlegung entschlossen, »und Sie sollen mir rathen, wie ich im Stande
+bin mich einem Zustand zu entziehn, der mir unerträglich wird. Sie haben
+gehört daß ich von einem entfernten Verwandten sechshundert Thaler geerbt,
+die ich in den nächsten Wochen ausgezahlt bekomme. Das Vernünftigste nun
+wäre das Geld in irgend einem _sichern_ Staatspapier, oder in guten Actien
+anzulegen, und mit den wenigen, aber gewissen Zinsen meinen, überdies
+ärmlichen Gehalt zu erhöhen — ich habe fünfhundert Thaler jährlich und
+weiß bei Gott oft nicht wie ich auskommen soll.«
+
+»Nun gut, das ist ja Alles so schön und glatt wie es nur sein kann.«
+
+»Jawohl, aber meine Frau besteht darauf das Capital ihrem Bruder geben zu
+wollen, der ein Geschäft hat und mir _fünf_ Procent verspricht.«
+
+»Ih nun, wenn es da sicher angelegt ist — fünf Procent wäre aller Ehren
+werth.«
+
+»Aber es _ist_ nicht sicher angelegt; der Bursche ist ein liederlicher
+leichtsinniger Mensch, der schon einmal Bankerott gemacht hat und — wie
+ich ziemlich guten Grund habe zu vermuthen — an der Grenze eines zweiten
+steht.«
+
+»Ahem,« sagte Kellmann nachdenkend.
+
+»Geb ich _ihm_ das Geld,« fuhr der Actuar fort, »so ist es über Jahr und
+Tag, so sicher wie dort drüben der Mond aufgeht, verloren, und geb’ ich es
+ihm _nicht_, so weiß ich daß mir die Frau zu Hause den eignen Heerd zur
+Hölle macht.«
+
+»Aber Donnerwetter, Ledermann, nehmen Sie mir das nicht übel,« sagte
+Kellmann stehen bleibend, »da würde ich denn doch einmal einen Trumpf
+darauf setzen und mein Recht als Mann und Herr im Hause wahren; nur durch
+Ihr ewiges Nachgeben haben Sie die Geschichte schon so, in Grund hinein
+verdorben.«
+
+»Aber was _soll_ ich thun?« rief der Actuar verzweifelnd — »mit Worten
+_kann_ ich nicht gegen sie anstreiten, nicht sechs Männer könnten das; in
+Ruhe und Güte ist Nichts anzufangen mit ihr, und schlagen darf und will
+ich sie ebenfalls nicht.«
+
+»So lassen Sie sich scheiden, zum Wetter noch einmal;« rief Kellmann,
+»lieber doch eine trockne Brodrinde kauen, als mit solchem Drachen das
+ganze Leben, eine ganze Existenz, mühselig und qualvoll hinzuschleppen.«
+
+»Heute Abend zum ersten Mal,« sagte der Actuar seufzend, »habe ich ihr
+selber damit gedroht; ich habe ihr vorgehalten, daß sie sich mit mir nicht
+glücklich fühlen _könne_, weil sie fortwährend, und ohne auch nur einen
+einzigen Tag Frieden zu gestatten, zanke, und das Beste sein würde, wir
+ließen uns, einem Leben zu entgehen das auf die Länge der Zeit doch nicht
+durchgeführt werden könne, gerichtlich scheiden.«
+
+»Nun? — und was hat sie darauf erwiedert?«
+
+»Ich bin fortgelaufen,« sagte der Actuar, seufzend den Kopf von dem Freund
+abwendend, »denn sie wurde — sie wurde so heftig, und betrug sich — betrug
+sich so unvernünftig, daß ich mich vor den Nachbarn schämte, und lieber
+Hut und Stock nahm, den Frieden wieder, wie schon so oft, auswärts zu
+suchen.«
+
+»Also sie weigert eine Scheidung?«
+
+»Sie schwur sie wolle mir die Augen auskratzen, wenn ich noch einmal ein
+derartiges Wort erwähne, zerbrach dann in ihrer Wuth Gott weiß was Alles,
+und — ich glaube sie bekam nachher Krämpfe — ihr altes Leiden. Erst hatte
+ich gehofft der Tod des Kindes würde sie milder stimmen, aber nein, und
+wenn mich etwas über den Verlust des kleinen lieben Wesens trösten könnte,
+so ist es gerade der Gedanke, es dem bösen Beispiel, das ihm die eigene
+Mutter täglich gab, entrissen zu sehn — was hätte zuletzt aus ihr werden
+sollen, als eben eine solche Frau.«
+
+»Und so ist gar keine Hoffnung, mit Güte durchzukommen? — «
+
+Der Actuar schüttelte schweigend mit dem Kopf.
+
+»Hm, das ist eine verfluchte Geschichte,« sagte Kellmann, »da — da weiß
+ich wahrhaftig auch nicht was ich rathen soll. Das Geld vertraute ich aber
+— wenn die Sache _so_ steht — meinem Schwager auch nicht an, soviel ist
+sicher — Sie sind das sich selber und Ihrer eigenen Existenz schuldig.«
+
+Der Actuar seufzte tief auf und die beiden Männer gingen wieder eine
+Zeitlang, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, nebeneinander
+hin. Sie waren indeß die Straße ein Stück hinauf- und wieder
+zurückgegangen, und blieben jetzt mehre Minuten nicht weit von dem Eingang
+des Gartens stehn, den Rücken diesem, und ihr Gesicht dem sich gerade über
+die Berge hebenden Monde zugewandt, als ein junges Mädchen, noch ein Kind
+fast und augenscheinlich auf der Wanderung, ganz allein mit einem kleinen
+Bündel in der linken Hand, und einem großen dunklen Tuch über dem rechten
+Arm, die Straße herunter kam und ziemlich dicht an ihnen vorüberging. So
+viel sie im Mondenlicht erkennen konnten, war sie nur ärmlich gekleidet,
+und auch wohl ermüdet von einem vielleicht langen Marsch, denn sie blieb
+zweimal stehen und trocknete sich dabei den Schweiß von der Stirn.
+
+Das zweite Mal als sie Halt machte geschah das fast dicht vor den beiden,
+hier im Schatten eines Hollunderbusches stehenden Männern, die sie im
+Anfang gar nicht bemerkte, und sie schien den Tönen zu lauschen die aus
+dem etwa zweihundert Schritt davon gelegenen hellerleuchteten Gartenhaus
+wild und lustig heraustönten.
+
+»Fröhliche Menschen,« flüsterte sie dabei — »_Glückliche_;« wie sie aber
+den Kopf dem Lichte zuwandte, fiel ihr Blick auch auf die beiden dunklen
+Schatten unter der Mauer, und wie unwillkürlich fuhr sie zurück; dabei
+glitt ihr das Bündel aus der Hand und fiel zu Boden.
+
+»Wir thun Dir Nichts, Kind,« sagte Kellmann, der die Bewegung gesehen
+hatte, gutmüthig; »wo willst Du denn noch so spät hin?«
+
+»Nach Heilingen,« antwortete das fremde Mädchen, ihr Bündel wieder
+aufnehmend — »ist es noch weit bis dorthin?«
+
+»Eine halbe Stunde etwa, wenn Du rüstig zugingst; aber Du scheinst müde zu
+sein und wirst wohl länger brauchen.«
+
+»Ich komme weit her,« sagte die Fremde, aber sie zögerte dabei und es war
+als ob sie noch nach irgend etwas fragen oder um etwas bitten wolle, und
+sich auch wieder scheue es zu thun.
+
+»Du bist wohl hungrig, Kind?« frug sie da Kellmann, dessen gutes Herz ihn
+zu helfen drängte, wo das in seinen Kräften stand — »sag’s gerad’ heraus;
+und wenn Du kein Geld hast macht das nichts, ich schaffe Dir was.«
+
+Das Mädchen schwieg und drehte seufzend den Kopf ab und Kellmann, dem
+richtigen Princip der Gastlichkeit und Menschenliebe treu, nicht viel zu
+fragen erst, wo man gern giebt, sagte ihr sich einen Augenblick auf die
+kleine Bank am Thor zu setzen, und er werde ihr einen Imbiß holen — sie
+könne dann Heilingen bald erreichen. Ohne erst eine Antwort abzuwarten
+ging er darauf rasch in’s Haus, und das Mädchen zögerte noch einen
+Augenblick und folgte dann, augenscheinlich zum Tod ermüdet, der
+freundlichen Einladung.
+
+»Du kommst weit her?« sagte der Actuar endlich, der neben ihr stehn
+geblieben, im Anfang aber noch zu sehr mit seinen eigenen Gedanken
+beschäftigt war, viel auf die Fremde zu achten.
+
+»Von Erfurt.«
+
+»Von Erfurt? hm — das ist eine lange Strecke; zu Fuß den ganzen Weg?«
+
+»Ja.«
+
+»Und willst in Heilingen bleiben?«
+
+»Ich weiß es noch nicht.«
+
+»Hast Du Verwandte dort?«
+
+»Einen Bruder.«
+
+»Hast Du denn einen Paß bei Dir?«
+
+»Ja,« sagte das Mädchen und holte, mit einem scheuen Blick auf den Frager,
+ihr kleines Bündel vor, das sie Miene machte aufzuknüpfen, der Actuar
+aber, der die Bewegung verstehen mochte, sagte rasch:
+
+»Nein nein — laß nur sein — ich will ihn nicht sehen — ich frug nur
+Deinethalben, damit Du hier in der Stadt in keine Verlegenheit kämest. Da
+ist auch Freund Kellmann schon mit dem Essen — nun laß Dir’s schmecken.«
+
+»Da,« sagte der kleine Kürschner, der schnellen Schrittes mit einem großen
+gestrichenen Weißbrod und einem hohen Glas Milch herankam und es der
+Fremden reichte — »das wird Dir gut thun.«
+
+Das junge Mädchen nahm das Glas mit schüchternem Danke an und trank — erst
+ein wenig, dann aber herzhafter — sie mochte wohl recht durstig gewesen
+sein. Wie sie fertig war setzte sie das Glas auf die Bank zurück und nahm
+ihr Bündel wieder auf.
+
+»Ich danke Ihnen auch noch viel tausend Mal,« sagte sie dabei mit weicher,
+ergriffener Stimme — »ich hatte seit heute Morgen Nichts gegessen und war
+recht matt geworden.«
+
+»Armes Kind,« sagte Kellmann mitleidig — »aber hast Du denn schon einen
+Platz in der Stadt wo Du übernachtest?«
+
+»Ja,« sagte die Kleine — »ich denke so — können Sie mir aber wohl noch
+sagen ob das Haus des reichen Herrn Dollinger nahe am Thore ist, oder weit
+in der Stadt drin?«
+
+»Dollinger’s Haus? oh nicht so weit in der Stadt drin — aber was willst
+Du dort?«
+
+»Mein Bruder ist in Herrn Dollinger’s Geschäft — wohnen auch die Leute bei
+ihm im Hause?«
+
+»Nicht daß ich wüßte,« sagte Kellmann.
+
+»Aber man kann es doch dort erfahren wo sie wohnen?«
+
+»Gewiß — gleich unten im Haus bei dem Hausmann; frage nur nach der
+Poststraße, wenn Du in’s Thor kommst.«
+
+»Gute Nacht Ihr Herren, und nochmals schönsten Dank — Gott mag es Ihnen
+vergelten.«
+
+»Gute Nacht Kind, guten Weg,« sagte Kellmann, »aber — wie heißt denn Dein
+Bruder?«
+
+»Franz Loßenwerder,« sagte das Mädchen und ging langsam die Straße hinab.
+
+»Oh Du mein Gott,« rief der Actuar leise und erschreckt vor sich hin, wie
+er den Namen hörte — »das ist ja schrecklich.«
+
+»Du lieber Gott, das arme Ding muß von dem Schicksal des Bruders gar
+Nichts wissen,« seufzte auch Kellmann — »und wenn sie das jetzt heute
+Abend erfährt — o wo wird sie nur die Nacht bleiben?«
+
+»Armes, armes Kind,« sagte der Actuar, »und selbst ohne Geld in der
+fremden Stadt.«
+
+»Ich geb’ ihr etwas,« rief Kellmann, rasch entschlossen, und eilte »heh! —
+pst!« rufend die Straße hinab dem Mädchen nach, das stehen blieb und nach
+Bündel und Tuch fühlte als sie den Ruf hörte, weil sie glaubte daß sie
+vielleicht etwas vergessen hätte.
+
+»Liebes Kind,« stotterte aber Kellmann verlegen, als er sie eingeholt,
+denn er konnte es nicht über’s Herz bringen ihr die Wahrheit zu sagen —
+»ich — ich kenne Deinen Bruder, aber — er ist jetzt nicht in Heilingen —
+Du — Du wirst es morgen schon hören, und im Dollingerschen Hause können
+sie Dir auch heute nichts weiter sagen, es ist sogar sehr die Frage ob der
+Mann unten im Haus noch auf ist. Gleich wenn Du in’s Thor hineinkommst,
+das dritte Haus an der rechten Seite, vor dem die beiden Laternen stecken,
+ist ein Gasthaus — ein gutes anständiges Haus, wo sie Dir Quartier geben
+werden — da gieb ihnen diese Karte, der Wirth kennt mich, und sage ihm nur
+ich hätte Dich hingeschickt.«
+
+»Aber bester Herr,« sagte das Mädchen bestürzt, als ihr der gutmüthige
+Kürschnermeister mit der Karte zwei große Stücken Geld — es waren zwei
+Thaler — in die Hand drückte — »ich weiß gar nicht — «
+
+Kellmann ließ sie aber gar nicht zu Worte kommen.
+
+»Schon gut — schon gut,« rief er, drehte sich um, und kehrte, das Mädchen
+allein auf der Straße zurücklassend, eben so rasch nach dem Platz zurück,
+wo der Actuar noch seiner harrend stand.
+
+»Haben Sie es ihr gesagt?« frug dieser ihn.
+
+»Nein — um Gottes Willen nein; das mögen Andere thun, _ich_ könnte es
+nicht.«
+
+»Aber was soll jetzt aus ihr werden?«
+
+»Ich werde mich im Löwen schon nach ihr erkundigen,« sagte Kellmann nach
+kurzer Ueberlegung — »und wenn es ein ordentliches Mädchen ist, hab ich
+Bekannte genug hier in der Stadt, ihr einen Dienst zu verschaffen. Aber
+wie ist es denn mit der Loßenwerderschen oder Dollingerschen Geschichte
+geworden? ist denn noch etwas von dem gestohlenen Gut zu Tage gekommen? —
+man hört ja keine Sterbenssylbe mehr darüber.«
+
+»Nichts — gar nichts weiter,« sagte der Actuar; »im Gegentheil hat der
+arme Teufel von Loßenwerder ein kleines Tagebuch geführt gehabt, was sich
+unter den confiscirten oder mit Beschlag belegten Sachen fand, und worin
+er jeden bis dahin eingenommenen Groschen sorgfältig und ordentlich, mit
+seinen höchst bescheidenen Ausgaben, aufnotirt. Das aber als gültig
+angenommen — und wir haben nicht die mindeste Ursache es zu bezweifeln da
+es fast zwölf Jahre zurückführt — wäre im Gegentheil der Beweis geliefert
+daß die aufgefundenen zweihundert Thaler mühsam und redlich gespartes Geld
+gewesen wären.«
+
+»Und _kein_ anderer Beweis hat sich gegen ihn herausgestellt?«
+
+»Keiner, als daß er im Hause war und sich auffällig heimlich daraus
+entfernt hat; aber auch selbst das findet nach den Acten eine
+wahrscheinliche, wenn auch etwas wunderliche Erklärung. Nach einer Zahl
+vieler höchst mittelmäßiger, oft aber auch ziemlich guter Gedichte, in
+denen sich besonders viel Gemüth ausspricht, scheint der arme verwachsene
+und hülflose Mensch eine Art von — Liebe — ich kann es nicht anders
+nennen, gegen Dollinger’s jüngste Tochter und Henkel’s Braut in seinem
+unschönen Körper mit herumgetragen, und nur, seinen Standpunkt gar wohl
+erkennend, den einzelnen, in seinem Pult verschlossenen Blättern
+anvertraut zu haben — doch das unter uns. Diese unglückselige und
+hoffnungslose Neigung _kann_ ihn möglicher Weise dazu getrieben haben, dem
+jungen Mädchen zu ihrem Geburtstag einen Blumenstock zu schenken — er hat
+sogar ein Gedicht geschrieben was den Punkt berührt, und worin er sich
+glücklich fühlt daß sie eine Blume pflegen könnte die er gezogen, wenn sie
+auch nicht wüßte von wem sie käme. Daß er unter solchen Umständen nicht
+wollte im Hause gesehen sein läßt sich denken, und ein Diebstahl in ihrem
+eigenen Zimmer verliert, diesen Thatsachen gegenüber, an
+Wahrscheinlichkeit, wenn er auch nicht eben zu einer Unmöglichkeit
+gehörte. Das Menschenherz ist schwach, und Mancher schon ist geringerer
+Verführung erlegen.«
+
+»Hm, hm, hm,« sagte Kellmann vor sich hin — »das ist ja eine rechte,
+rechte böse Geschichte, und der arme Teufel da am Ende ganz und gar
+unschuldig in sein Verderben gesprungen.«
+
+»Ja, und eine Sache die mir selber schon manche schlaflose Nacht gemacht
+hat,« sagte der Actuar, »denn ich _kann_ den Gedanken nicht los werden,
+welchen Antheil ich selber daran gehabt, den Unglücklichen dahin zu
+treiben — obgleich ich eben nicht mehr als meine Pflicht gethan, und an
+einen solchen verzweifelten Schritt nicht denken konnte; war er
+unschuldig, hätte sich das ja bald in der Untersuchung herausgestellt.«
+
+»Ja, und die Untersuchung rechnet Ihr Herrn vom Gericht eben für Nichts,«
+sagte Kellmann finster — »aber wenn das sein erspartes, und Gott weiß dann
+_wie_ mühsam erspartes Geld war, wird es doch auch seinen Erben nicht
+können vorenthalten werden.«
+
+»Die Untersuchung ist noch nicht ganz geschlossen,« sagte der Actuar,
+»aber ich glaube auch nicht daß irgend Jemand anders einen Anspruch darauf
+wird geltend machen können. Diese Schwester erwähnte er überhaupt mehrmals
+in seinen Notizen, und hat sie auch dann und wann unterstützt, das Geld
+wird ihr später allerdings zugesprochen werden.«
+
+»Und keine Spur ist sonst aufgefunden von dem möglichen, von dem
+wirklichen Dieb?«
+
+»Keine — die Dienstboten sind Alle mehrmals scharf inquirirt und auf das
+Genauste die ganze Zeit beobachtet, zu sehen ob eins von ihnen vielleicht
+größere Ausgaben als gewöhnlich mache, oder sich durch irgend etwas
+anderes verrathen würde; ja die Leute haben untereinander fast eben so
+scharfe Wacht gehalten, den Verdacht von sich abzuwälzen und den
+Schuldigen aufzufinden, aber es hat sich bis jetzt nicht das Mindeste
+herausstellen wollen. Mit Geld ist das eine böse Sache, und wenn der Dieb
+die Juwelen nur vorsichtig ein paar Jahr an sich hält, und dann vielleicht
+noch gar außer Landes schafft, wer soll ihn da aufspüren? allwissend sind
+wir auch nicht.«
+
+»Das weiß Gott,« sagte Kellmann — »wie damals mit der Pelzdecke, die mir
+Jemand von der Ladenthür weggestohlen, und die ich zwei Jahr später ganz
+gemüthlich im Polizeibureau, beim Polizeidirector selber in der Stube
+wiederfand; da hört denn doch Alles auf. Aber mir ist wahrhaftig jetzt
+nicht wie spaßen zu Muth; der Anblick des armen Mädchens hat einen
+wehmüthigen Eindruck auf mich gemacht; lieber Himmel, was es doch für
+Elend auf der Welt giebt, und still und bewußtlos gehen wir meist daran
+vorüber.«
+
+»Und die Musik da drinnen, während das arme Kind dort allein und freundlos
+seine Straße geht, und trotzdem jetzt noch glücklich ist gegen den
+Augenblick, wo es das Furchtbare doch erfahren _muß_. Mich leidet’s heute
+nicht länger hier draußen, Kellmann,« brach er kurz ab — »ich mag die
+Tanzmusik nicht hören — wollen wir zurück in die Stadt gehn? es ist
+überdies schon spät.«
+
+»Ich habe Nichts dagegen,« sagte Kellmann, tief aufseufzend — »mir ist
+der Abend heute auch verdorben, aber wir wollen Schollfeld erst abrufen.«
+
+»Da drin ist wohl Prügelei?« sagte da Ledermann, als aus dem Hause wilder
+Lärm zu ihnen heraus tönte.
+
+»Das wäre früh,« meinte Kellmann — »die kommt gewöhnlich sonst erst
+später, oder ganz zum Schluß. Es ist doch sonderbar, daß ein deutscher
+»Tanz« nie ohne eine Schlägerei enden kann; es scheint auch ungefähr
+dasselbe, wie der Cotillon bei einem Ball, nur daß sich die jungen Mädchen
+nicht dabei betheiligen — höchstens verheirathete Frauen, ihre Eheherren
+zu schützen, und die Verwirrung womöglich noch größer zu machen — hallo
+aber das kommt hier heraus.«
+
+»Sie werden Jemanden hinauswerfen,« sagte der Actuar ruhig — »lassen Sie
+uns an die Seite treten daß wir nicht in das Gewirr gerathen.«
+
+Der Actuar hatte allerdings recht, denn unter dem Lachen, Schreien und
+Jubeln der Menge, durch das einzelne wilde Flüche einer, ihnen keineswegs
+unbekannten Stimme tönten, wälzte sich ein Haufen Menschen aus dem Saal
+heraus, in der Mitte einen Mann schleppend, der sich mit Händen und Füßen,
+wenn auch umsonst, gegen solche unwürdige Behandlung sträubte, und in dem
+die beiden Freunde sehr zu ihrem Erstaunen den Auswanderungsagenten Weigel
+erkannten.
+
+»Laßt mich los!« schrie dieser dabei, mit den wildesten, ungemessensten
+Flüchen und Schimpfreden — »laßt mich los oder ich rufe die Polizei —
+Hülfe! — Mörder! Feuer!«
+
+»Brüll nur mein Herzchen!« sagte aber der Verwalter von Hohleck, eine
+riesige breitschultrige Gestalt, der den machtlos dagegen Ankämpfenden wie
+in einer eisernen Klammer am Kragen gepackt hielt — »Dich könnten wir hier
+brauchen, die Leute heimlich beschwatzen daß sie Hof und Dienst verlassen
+und nach Amerika liefen — ei Du Hallunke, Du kommst mir einmal wieder vor
+die Fäuste.«
+
+»Halt da — Hohmeier! laßt ihn los!« rief aber in diesem Augenblick eine
+andere, etwas schwer klingende Stimme, die dem also Gefährdeten zu Hülfe
+zu eilen schien — »der hier — Homeier — der hier ist mein Freund — mein
+ganz intimer Freund und den laß ich mir — Homeier, den laß ich mir nicht
+aus dem Hause werfen.«
+
+Es war Niemand anderes als der Wirth, Lobsich, selber, aber, wie es die
+Seeleute nennen, »halb im Wind«, mit schwerer Zunge und schon etwas
+taumelndem Gang, daß sich der Zustand in dem er sich befand, nicht gut
+verkennen ließ. Er versuchte dabei den Agenten zu halten und aus den
+Händen derer die ihn gefaßt hatten fortzuziehn; Hohmeier, der Verwalter
+schob ihn aber mit seinem linken Arm bei Seite, als ob es ein Kind gewesen
+wäre, und sagte ruhig:
+
+»Geht zu Bett Lobsich, das wär’ Euch viel besser heut Abend, aber mischt
+Euch nicht in Sachen die Euch Nichts kümmern.«
+
+»Nichts kümmern?« rief aber der Wirth gereizt, indem er den Verwalter mit
+großen stieren Augen ansah — »nichts kümmern _Hoh_meier? — oh _Hoh_meier
+wem gehört denn dies Haus, heh? — nichts _kümmern_? wem gehört denn der
+rothe Drache, heh, _Hoh_meier.«
+
+Die Schaar war indessen bis grade dorthin gekommen, wo Kellmann und der
+Actuar standen, und wo sie den Agenten zwischen zwei ziemlich nah zusammen
+wachsenden Akazienbäumen durchtragen wollten als dieser, solche letzte
+Gelegenheit vielleicht, benutzend, Arm und Beine auseinanderspreitzte, daß
+sie ihn nicht hindurchbringen konnten, während er von Neuem sein »Hülfe!
+Mörder! Feuer!« aus voller Kehle schrie.
+
+»Wenn ihm nur Jemand die Beine ausheben wollte!« sagte Herr Schollfeld,
+der ein höchst vergnügter Zeuge der Scene war, ohne jedoch seines
+schwächlichen Körpers wegen selber Theil daran zu nehmen, jetzt
+wohlmeinend. Ein paar Knechte vom Hof, die ihren Verwalter in seinem
+Richteramt unterstützten, ließen sich das auch nicht zweimal sagen, und
+der wüthend, aber vergebens dagegen Antretende fand sich bald in der
+vollkommnen Gewalt der Leute, ohne im Stande zu sein auch nur den
+geringsten erfolgreichen Widerstand zu leisten.
+
+»Heh _Hoh_meier!« schrie aber Lobsich, der sich indeß durch die im Garten
+stehenden Stühle und Tische wieder nach vorn gedrängt hatte den Mann frei
+zu machen, von dem er sich plötzlich einbildete daß er sein Freund sei,
+»laßt mir den Menschen los, sag ich Euch _Hoh_meier — Donnerwetter ich
+will doch einmal sehn wer hier in meinem eigenen Hause zu befehlen hat.
+Ihr oder ich — _Hoh_meier. Es ist mir doch was Unbedeutendes!« Er schien
+sich auch in der That den Leuten entgegenwerfen zu wollen; im Vorspringen,
+und das viele Getränk im Kopf, blieb er aber mit dem einen Fuß in einer
+dort stehenden Fußbank hängen, und schlug der Länge lang in den Garten,
+während die Knechte den jetzt wüthend um sich schlagenden Agenten rasch
+aufgriffen und, lachend über des Wirthes Unfall, aus der Gartenthür auf
+die Straße warfen.
+
+Ein furchtbarer Lärm entstand jetzt, die Leute jubelten und lachten, und
+erzählten sich untereinander wie der »Auswanderungsmann« einen
+Schaafknecht vom Gut hätte bereden wollen als »Schaafmeister« nach Amerika
+auszuwandern, und vom Verwalter dabei erwischt wäre, und der
+»Auswanderungsmann« stand vor dem Gartenthor und schimpfte und wüthete,
+bis einer der Knechte das Schloß wieder aufdrückte und hinaus und ihm nach
+wollte, und dann auf der Chaussee stehen blieb und hinter dem davon
+Laufenden herfluchte, und Steine hinter ihm drein warf.
+
+Drinnen im Saal tönte die Musik aber wieder rauschender als vorher, und
+die jungen Burschen durften die Zeit hier nicht länger im Garten
+versäumen. Während die aber wieder in den Saal drängten, Tänzerinnen zu
+bekommen, und Schollfeld von Kellmann angerufen war, mit ihnen zurück nach
+der Stadt zu gehn, blieb Lobsich noch im Garten, an dessen Thüre er trat,
+und nach der Straße hinaus mit lauter und immer ärgerlicher werdender
+Stimme Weigel’s Namen schrie. Lobsich war jedenfalls stark angetrunken und
+wollte sehr wahrscheinlich den Mann zurück holen, um ihm jetzt ernstlich
+beizustehn und den Skandal noch einmal von Neuem zu beginnen.
+
+Die drei Freunde hielten sich dabei im Schatten eines dichten
+Fliederbusches, von dem aufgeregten und jetzt doch nicht
+zurechnungsfähigen Menschen nicht bemerkt zu werden, und dann unbelästigt
+den Garten zu verlassen, als Lobsich’s Frau, die das Toben ihres Mannes
+wohl im Haus gehört, von dort her und den Mittelweg herunter eilte. Ohne
+daß er sie bemerkte kam sie auch bis dicht an ihn hinan, und hier seinen
+Arm ergreifend sagte sie mit leiser, bittender Stimme.
+
+»Lobsich — Vater — komm sei vernünftig, laß das Schreien und Toben hier
+auf der Landstraße und geh zu Bette — thu _mir’s_ zu Liebe Lobsich, wenn
+ich Dich darum bitte.«
+
+»Laßmchfrieden,« stammelte aber der Betrunkene mit schwerer Zunge und
+suchte sie von sich abzuschütteln — »laß mchfrieden sag ich — Dnrrwttrrr —
+ich weiß — ich weiß was ich ss — se thun habe — «
+
+»Aber Lobsich, ich bitte Dich um Gottes Willen,« flüsterte die Frau in
+Todesangst — »Du machst Dich und mich unglücklich wenn Du Dich nicht
+änderst — was soll daraus werden?« —
+
+»Laßmch — frieden,« stammelte aber der Mann, sie unwillig von sich
+abschüttelnd, aber er verließ den Thorweg wenigstens und taumelte durch
+den Garten fort, seitwärts vom Hause ab — »Weibervolk,« murmelte und
+fluchte er dabei — Himmelsakkrments Weibervolk — Unsinn — violettblaues —
+ist mir doch — ist mir doch was Unbe — Unbedeutendes — « und er
+verschwand damit hinter den Büschen. Die Frau aber blieb, den Ellbogen auf
+das Thürschloß gestützt und das Gesicht in den Händen bergend, allein
+zurück, richtete sich aber rasch wieder auf, als sie Schritte auf sich
+zukommen hörte, und wollte nach dem Haus zurück.
+
+»Frau Lobsich,« sagte Kellmann, der es war, gutmüthig, ja fast herzlich —
+»macht denn das Lobsich jetzt öfter daß er so über die Schnur haut?«
+
+»Ach Sie sind es Herr Kellmann,« sagte die arme Frau beruhigt. »Lieber
+Gott, ich weiß meinem Herzen keinen Rath mehr, wenn er’s so fort treibt;
+wie soll das enden?«
+
+»Aber ich habe Ihren Mann so doch noch in meinem Leben nicht gesehn,«
+sagte Kellmann verwundert.
+
+»Ach ja,« seufzte die Frau — »es ist nicht das erste Mal, aber ich habe
+immer gesucht es so viel als möglich zu verheimlichen, es giebt gar solch
+ein böses Beispiel für die Leute. Es sind auch eigentlich nur einige
+Wochen erst daß er so scharf zu trinken anfängt. Lieber Gott, im Kopf hat
+er früher schon manchmal eins gehabt, aber er artete doch nie aus, jetzt
+jedoch geht der Spiritus mit ihm durch, und er wird zum Thier. Ach guter
+Herr Kellmann, wenn Sie einmal ein recht ernstes aber doch freundliches
+Wort mit ihm sprechen wollten; auf Sie hält er etwas. Mir verspricht er’s
+wohl auch,« setzte sie leiser hinzu, »aber — er vergißt es immer nur zu
+rasch wieder.«
+
+»Ich will mein Möglichstes mit ihm versuchen, Frau Lobsich,« sagte
+Kellmann freundlich — »aber,« setzte er rascher und leiser hinzu — »dort
+glaub’ ich kommt er schon wieder zurück, es wird besser sein wenn Sie
+versuchen ihn heute Abend zu Bett zu bringen; mit einem betrunkenen
+Menschen läßt sich Nichts anfangen.«
+
+»Na? — Donnrrwttrrr,« stammelte aber in diesem Augenblick der Wirth, der
+auf seinem Zickzack Cours wieder nach der Thür zurückkam, und die Arme
+einstemmend einen, wenn auch vergebenen Versuch machte, mit gespreitzten
+Beinen vor seiner Frau stehen zu bleiben — »Dnnrrrwttrrr,« wiederholte er,
+herüber und hinüber schwankend — »was’s das vor Wirthschaft heh? wo gehört
+die — gehört die Frau hin, heh? — in die Hofthür mit fremden Kerlen
+schwatzen heh? — ist mir doch — ist mir doch was Unbe — Unbedeutendes.«
+
+»Aber lieber Lobsich,« nahm hier der jetzt auch hinzugetretene Schollfeld
+das Wort, »sein Sie doch vernünftig und gehn Sie — «
+
+»Hallo?« rief aber der Wirth, sich halb nach dem Redner herumdrehend, in
+dessen hell vom Mond beschienenen Zügen er den Apotheker erkannte — »sin’
+wir auch hier? heh? — haben auch mit g’holfen mein’ besten Freund — mein’
+besten Freund mit hinaus zu werfen — heh? Sie — Sie Giftmischer Sie — Sie
+— «
+
+»Herr Lobsich!« rief Schollfeld ärgerlich, »Sie sind heute nicht
+zurechnungsfähig, sonst — «
+
+»Was? — Pillendreher will noch — will noch raiss — raiss’niren — heh?«
+rief aber der gereizte Wirth und that einen Schritt gegen den Mann an.
+
+»Aber Lobsich so bedenke doch um Gottes Willen was Du sprichst,« bat ihn
+die Frau, seinen Arm ergreifend — »komm mit mir in’s Haus — wir haben
+noch so viel zu thun.«
+
+»Viel zu thun? — heh? — habe keine Zeit mehr heut Abend — hickup« —
+stammelte aber der Mann gegen den Schlucken ankämpfend — »muß noch — muß
+noch — hickup — muß noch Wein abziehn und — und Bier trinken — hickup —
+und — und hahahahaha — da ist — da ist ja die ganze Gesellschaft — ja wohl
+— hickup — ja wohl, komme schon — komme schon meine Herrn — Lobsich ist
+immer da — ein verfluchter Kerl, der — der — hickup — der Lobsich — ist
+mir doch — ist mir doch was Unbedeutendes;« — und in einer unbestimmten
+Idee daß ihn vom Haus aus Jemand gerufen hätte, wobei er seine Umgebung
+ganz vergaß, taumelte er dem Saal wieder zu, wohin ihm die Frau ängstlich
+folgte. Sie mußte ihn ja zurückhalten, daß er so seinen Gästen und Leuten
+nicht wieder unter die Augen kam.
+
+
+
+
+
+ Capitel 9.
+
+
+ RÜSTUNGEN.
+
+
+»Nach New-Orleans!«
+
+»Das ausgezeichnet schöne, 360 Last große, schnellsegelnde, kupferfeste
+und gekupferte dreimastige Bremer Schiff erster Klasse:
+
+_Die Haidschnucke_, Capitain _E. Siebelt_, mit vorzüglicher Gelegenheit
+für Cajüts- und Zwischendecks-Passagiere — wird am 30. August expedirt.
+
+Agent dafür, I. G. Weigel,
+
+Hauptagent des Central-Bureau’s für Norddeutsche Auswanderung in
+Heilingen, am Markt Nr. 17.«
+
+Diese Anzeige stand am Morgen nach den, im letzten Capitel beschriebenen
+Vorfällen im Heilinger Tageblatt, und Dr. Haide, der Redacteur desselben,
+hatte die Gelegenheit nicht unbenutzt wollen vorübergehen lassen, einige
+entsetzliche Mordgeschichten und falsche Bankerotte aus den Vereinigten
+Staaten, wie zur Entmuthigung aller Auswanderungslustigen, in der
+nämlichen Nummer seines Blattes abzudrucken.
+
+Weigel war wüthend darüber, und schrieb augenblicklich einen anderen
+Artikel dagegen; den nahm Doctor Haide aber nicht auf, weil er, wie er
+ganz naiv erklärte, »sich dadurch selber blamiren würde.« Uebrigens sei
+die Sache auch schon erledigt, indem die Schiffsanzeige _für_, sein
+Artikel aber _gegen_ Amerika und die Auswanderung wäre, und er es sich zum
+Grundsatz gemacht hätte, jeden Artikel nach beiden Seiten hin zu
+beleuchten — wenn Herr Weigel etwas gegen ihn wolle einrücken lassen, sei
+er keineswegs verpflichtet es aufzunehmen, und er möge ihn deshalb, wenn
+er damit durchzukommen glaube, nur ganz einfach darauf verklagen.
+
+Die Abfahrt dieses Schiffes war aber für Heilingen in so fern von nicht
+unbedeutender Wichtigkeit, als sich mehre Familien dieser Stadt ernstlich
+dahin entschlossen hatten, mit demselben nach Amerika auszuwandern. So
+unter Anderen Professor Lobenstein, der sein Haus jetzt verkauft, und der
+Stadt überhaupt durch seine beabsichtigte Auswanderung höchst willkommenen
+Stoff zu den mannichfaltigsten Vermuthungen und Erörterungen geliefert
+hatte. Ja mehrere Kaffeegesellschaften der näheren Bekannten Lobenstein’s
+waren wirklich nur einzig und allein zu dem Zweck gegeben worden, sich
+einmal ordentlich über die Sache »aussprechen« zu können.
+
+Auch in dem Dollinger’schen Haus hatten die letzten Wochen bedeutende
+Veränderungen hervorgebracht, indem der junge Henkel Briefe von Amerika
+erhielt, nach denen seine Anwesenheit dort, dringend nothwendig geworden.
+Zwei Wechsel trafen zugleich für ihn ein, wie ziemlich starke Aufträge zu
+Ankäufen in Tuchen und Seidenwaaren von seinem Haus, welches Geschäft er
+mit Herrn Dollinger in Gemeinschaft auszuführen gedachte.
+
+Der alte Herr Dollinger, so schwer es ihm auch wurde, und so lange er sich
+dagegen gesträubt, mußte da wohl endlich seine Einwilligung zu der
+Verbindung Clara’s mit dem jungen Amerikanischen Kaufmann, über dessen
+Familie und Geschäft in New-Orleans er von einem dortigen Geschäftsfreund
+das Beste erfahren hatte, geben. Nur wunderte man sich dort, daß der junge
+Henkel in Nord-Deutschland sei, während man ihn auf einer größern Tour
+durch Italien und Griechenland vermuthet. Die Leute dort konnten nicht
+wissen daß der junge Mann auf dem Rhein andere Pläne für seine Zukunft
+geschaffen, als er sie früher vielleicht ausgesonnen.
+
+Am letzten Sonntag war also, ganz in der Stille, die Trauung vollzogen und
+Clara, das liebe holde Mädchen, die Frau des jungen reichen Amerikaners —
+wie man ihn überall in der Stadt nannte, geworden. Jetzt galt es nun
+freilich noch, in der kurzen Zeit all die nöthigen und so mannichfachen
+Vorbereitungen zu einer Reise nach Amerika für die junge Frau zu treffen.
+Es sollte aber wirklich auch nicht viel mehr als eine Reise werden, denn
+Henkel hatte sich schon selber fest erklärt, seinen künftigen Wohnsitz
+keineswegs in Amerika, sondern in Havre nehmen zu wollen, wo überdies, der
+bedeutenden Geschäftsverbindung wegen mit diesem Hafen, ein Associé des
+Hauses sich aufhalten mußte. Ein oder zwei Monate gedachten die jungen
+Eheleute dann jedes Jahr in dem reizend gelegenen Heilingen zuzubringen,
+was ihnen, wie den Eltern, die jetzige Trennung sehr erleichterte, und
+spätestens im März oder April schon wieder nach Europa zurückkehren zu
+können. Die ganze Reise war dadurch wirklich fast nur zu einer etwas
+längeren Vergnügungsfahrt geworden.
+
+Auch für Clara’s Mutter war das Bewußtsein, ihr Kind nicht für immer zu
+verlieren und bald wieder in die Arme schließen zu können, eine unendliche
+Beruhigung, und selbst hierzu hatte es ihr einen großen Kampf gekostet,
+ihre Einwilligung zu geben. Clara selbst aber hing mit ganzem Herzen an
+dem theuren Mann, und fühlte sich vollkommen glücklich in einer
+Verbindung, die seit sie den Fremden kennen und lieben gelernt, ihr das
+Ziel ihrer irdischen Wünsche geschienen.
+
+Was war ihr die Reise, was die Gefahr und Mühseligkeit derselben? sie wäre
+ihm in eine Wildniß gefolgt, und hätte sich doch glücklich an seiner Seite
+gefühlt.
+
+Der junge Henkel wünschte nun die Ueberfahrt in einem Englischen Dampfer
+nach New-York, und von da mit einem Amerikanischen Dampfschiff nach
+New-Orleans zu bewerkstelligen, Clara fürchtete sich aber an Bord eines
+Dampfers zu gehn, theils der doppelten Gefahr, theils der unangenehmen
+Bewegung derselben in schwerem Wetter wegen, von der sie viel gehört, und
+da es sich jetzt gerade so traf daß eine ihr befreundete Familie,
+Professor Lobenstein’s, ebenfalls nach New-Orleans, und in einem
+Segelschiff von Bremen ab auswanderte, bat sie mit diesen reisen zu
+dürfen. Henkel selber schien nicht recht damit einverstanden, fügte sich
+aber doch endlich den Bitten seiner jungen Frau.
+
+Wenn aber bei Dollinger’s im Haus wenig mehr als Wäsche und Kleider
+herzurichten waren, nur zu einer Reise nicht zu einer Uebersiedlung nach
+Amerika, und man diese schon großenteils gepackt und vorausgeschickt
+hatte, die letzten Stunden in der Heimath durch kein Aussuchen und Packen
+gestört zu haben, so schien dagegen bei Professor Lobenstein das ganze
+Haus von innen nach außen gekehrt zu sein.
+
+Der Professor nämlich hatte auf keinerlei Weise bewogen werden können mit
+seinen Sachen eine Auction anzustellen, und nur das Nothwendigste
+mitzunehmen, da Fracht und Spesen unterwegs ein wirkliches Capital
+auffressen würden, für das er sich Alles was er dort brauchte auch an Ort
+und Stelle neu anschaffen könnte. Allen die ihm dies riethen zeigte er aus
+verschiedenen Schriften die statistisch aufgestellten Arbeitslöhne der
+verschiedenen Handwerker, wie die Preise der Provisionen, und bewieß ihnen
+auf das Klarste und Unumstößlichste was jedes einzelne Stück Meublen und
+Hausgeräth in notwendiger Folgerung in Amerika kosten müsse. Eben so hatte
+er sich mit unendlicher Ausdauer einen Ueberschlag der verschiedenen
+Frachtpreise nach New-Orleans, und von da in’s Innere gemacht, bis er
+endlich zu dem obigen Resultat gekommen, und nun auch augenblicklich eine
+Anzahl Tischler in Arbeit setzte, lauter neue Kisten für seine Sachen
+anzufertigen.
+
+Eine große Anzahl von diesen war nun schon, gepackt und mit eisernen
+Reifen beschlagen, als Fracht vorausgeschickt, eine andere Sendung sollte
+heute abgehn, und die letzten dann in den nächsten Tagen befördert werden,
+noch zur rechten Zeit an Ort und Stelle zu sein. Kellmann selbst, dem
+Hause eng befreundet, hatte dahin mehrere Aufträge übernommen, und kam
+heute Morgen, Bericht über die Ausführung derselben abzustatten.
+
+Er selber war natürlich mit der ganzen Uebersiedlung gar nicht
+einverstanden, hatte aber doch, als er alle Gründe des Professors dafür
+gehört, weit weniger dagegen gesagt, als die Familie im Anfang vermuthet
+und auch wohl gefürchtet haben mochte. Der Professor sei eben ein
+Professor, meinte er nur, und wo der einmal seinen Kopf aufgesetzt habe,
+ließ sich auch Nichts mehr abstreiten oder gar dagegen beweisen, man müsse
+ihn eben sich selber überlassen, und — es thue ihm nur um die Familie
+leid. Nichtsdestoweniger gab er sich jede erdenkliche Mühe ihnen, wo er es
+nur irgend vermochte, beizustehn, wobei er den Professor doch von manchem
+unüberlegten oder unpraktischen Schritt zurückhielt. So kämpfte er, und
+zwar glücklicher Weise mit Erfolg, gegen die unglückselige Idee des
+Professors an, sich hier, trotz Allem was er darüber schon gelesen, von
+dem Auswanderungsagenten Land und eine Farm zu kaufen. Er wollte drüben
+nicht »in Gefahr kommen« von Amerikanischen und betrügerischen
+Landspeculanten hintergangen zu werden, und seine Berechnung sämmtlicher
+Kosten gleich hier an Ort und Stelle machen können, was ihm nicht möglich
+sei, wenn er die Contracte nicht in der Tasche habe.
+
+Kellmann, auf dessen praktisches und gesundes Urtheil er sonst überhaupt
+viel gab, machte ihn mit seinen ernstlichen Vorstellungen aber doch
+stutzig, und noch eine authentische Person über die dortigen Verhältnis zu
+hören, wandte er sich zuletzt an den jungen Henkel, und bat diesen um
+Meinung und Rath über die, ihm allerdings sehr am Herzen liegende Sache.
+Dieser rieth ihm aber ebenfalls auf das Entschiedenste ab, sein Geld hier
+an eine solche Speculation wegzuwerfen, denn dieser Weigel scheine ihm,
+was er bis jetzt von ihm gesehn, eine keineswegs volles Vertrauen
+verdienende Persönlichkeit. Er solle warten bis sie drüben wären, dort
+habe er Zeit genug (Kellmann hatte ihm dasselbe gesagt), und finde er in
+New-Orleans oder Missouri nichts Besseres, so sei er selber vielleicht im
+Stande ihm ein kleines reizendes Gut abzutreten, das er einmal auf einem
+Jagdzug in’s innere Land gekauft, und jetzt noch verpachtet hätte.
+
+»Und der Preis?«
+
+»Er würde zufrieden sein.« Damit war die Sache für jetzt abgemacht;
+freilich zu Weigels Verdruß, der die Farm, wie er sich ausdrückte, nun
+noch »zur Verfügung« behielt.
+
+Es mochte etwa Morgens um elf sein, als Kellmann Professor Lobensteins
+besuchte. Das Haus war am vorigen Tag öffentlich verauctionirt und von
+einem reichen Weinhändler in Heilingen erstanden worden, die Familie aber
+jetzt in angestrengter Arbeit eifrig bemüht das unangenehme Gefühl nicht
+allein zu verscheuchen, sondern auch eines vor dem anderen zu verbergen,
+»zum _ersten_ Male in der _eigenen_ Heimath _fremd_ zu sein;« zum ersten
+Mal fremd in den Räumen, die ihrer Kindheit Spiele gesehn, und Zeuge
+gewesen waren ihrer keimenden Hoffnungen und Träume.
+
+Der erste schwere Schritt zu einem neuen Leben und Wirken war aber damit
+geschehn; freilich auch zu gleicher Zeit die Brücke abgebrochen, die noch
+zurück hätte führen können in das Vaterland. Das Band war damit zerrissen,
+das sie noch an dieses knüpfte, und wunderbarer Weise hatte sich jetzt,
+wie sie sich gestern noch fast Alle gefürchtet vor dem Gedanken die lieben
+theueren Räume zu verlassen, ein fremdes unheimliches Gefühl zwischen sie
+und das Haus geworfen, und sie _ersehnten_ den Augenblick wo sie hinaus
+konnten, fort, nur fort von hier — aus den Erinnerungen fort. Und doch
+sprachen sie das nicht aus gegen einander; Jedes hielt sich nur allein für
+so thöricht und kindisch, mit den quälenden Gedanken; keines wußte daß das
+Gefühl in ihrer Aller inneres Leben verwoben sei, und in des Herzens
+feinsten Fasern Wurzel schlug.
+
+Die Stimmung Aller, so sehr sie sich auch hüteten dem was sie dachten
+Worte zu geben, war denn auch an dem ganzen Morgen schon eine stille,
+gedrückte gewesen, und Kellmann’s Erscheinen befreite Alle wie von einer
+Last. Unten auf der Treppe wurde der aber schon laut.
+
+»Na, ist das ein Vergnügen zu so einer Auswanderungsfamilie in’s Haus zu
+kommen,« rief er, als er sich mit zusammengehaltenen Schößen zwischen
+einer Reihe Kistendeckel hindurchdrückte, die, mit den Nägeln nach außen,
+an der Wand lehnten, und dabei noch über eine Unzahl Körbe und Schachteln
+wegsteigen mußte, nur in die Stube zu kommen.
+
+»Nehmen Sie sich in Acht, lieber Kellmann,« rief ihm der Professor, der
+seine Stimme gehört hatte, aus der halbgeöffneten Thüre entgegen (er
+konnte diese nicht ganz aufmachen da ebenfalls eine Kiste dahinter stand).
+»Sie möchten sich da draußen die Kleider zerreißen.«
+
+»Ist schon bereits geschehen,« brummte Kellmann, indem er versuchte einen
+Blick nach seinem, allerdings beschädigten Rücktheil zu gewinnen, »meine
+Güte, wie sieht das bei Ihnen aus — ah guten Morgen meine Damen — und
+schon so fleißig? — was um Gottes Willen nähen Sie denn da? —
+Getraidesäcke für die nächste Erndte?«
+
+»Fehlgeschossen Herr Kellmann,« rief ihm aber Marie, die sich gern mit dem
+freundlichen Mann neckte, entgegen — »Jacken sind das für uns, in den
+Busch, zwischen den Dornen und Schlingpflanzen, die uns sonst das leichte
+Zeug von den Schultern rissen. Warten Sie einen Augenblick, da können Sie
+uns gleich Ihre Meinung sagen; die meinige ist gerade fertig, und ich will
+sie eben anprobiren. Lassen Sie nur, ich werde schon allein fertig, dort
+drüben müssen wir überdies Alles allein machen — So — nun, wie gefalle ich
+Ihnen darin?«
+
+»Gar nicht,« sagte Kellmann mürrisch, »ich sähe Sie weit lieber in einem
+leichten Ballkleid und mit Ihrem gewöhnlichen heiteren Gesicht, als in der
+Sackleinwand und — hm — das verdammte Amerika. Geht denn Eduard jetzt
+noch mit, oder bleibt er da? wo steckt er denn wieder? — der ist immer
+fort wenn ich komme.«
+
+»Der geht mit, lieber Kellmann,« rief der Professor, »er konnte sich nicht
+dazu entschließen, seine Eltern und Geschwister allein in die Welt ziehn
+zu lassen, wo er ihnen vielleicht, zum ersten Mal in seinem Leben,
+nützlich sein würde, und ist jetzt noch in der Geschwindigkeit zu einem
+Tischler gegangen, die paar Wochen wenigstens zu benutzen, und doch eine
+Idee von dem Handwerk zu gewinnen; wer weiß was wir da Alles zu thun
+bekommen.«
+
+»Wird auch was recht’s davon in den paar Tagen profitiren,« brummte
+Kellmann — »bei wem ist er denn, bei Leupold?«
+
+»Leupold?« rief der Professor, »der geht ja mit unserem Schiff nach
+New-Orleans.«
+
+»Der Tischlermeister Leupold wandert auch aus?« rief Kellmann laut und
+verwundert.
+
+»Hat sein Häuschen und seine Werkstätte verkauft, und ist jetzt
+wahrscheinlich schon unterwegs nach Bremen,« betätigte ihm der Professor.
+
+»Na nu ist mir’s aber doch über den Spaß,« rief Kellmann — »da läuft ja
+halb Heilingen fort; jetzt freut mich mein Leben; nächstens werden wir uns
+unsere Schränke und Schuhe und Röcke selber machen können wenn wir ’was
+haben wollen; ich darf nur gleich den meinigen zum Schneider schicken daß
+er ihn mir noch ausbessert, ehe er auch durchbrennt. S’ist wirklich zum
+Verzweifeln.«
+
+»Lieber Gott,« sagte der Professor — »die Leute verlangen nur Ellbogenraum
+sich zu rühren; sie wollen einen Platz haben, der ihren Bedürfnissen
+Befriedigung verspricht.«
+
+»Da haben Sie gleich den faulen Fleck,« rief Kellmann, »_Bedürfnisse
+befriedigen_, wenn die Leute lebten wie ihre Voreltern gelebt haben, und
+nicht mit jedem Jahre auch neue Bedürfnisse kennen lernten und befriedigt
+haben wollten, so hätten wir alle Platz, und das verwünschte Amerika
+könnte sehen wo es Hände und Fäuste bekäm zuzupacken und ihm den Boden zu
+bestellen. Aber ich will mich nicht länger ärgern — laßt sie laufen,
+nachher wird’s hier erst recht gemüthlich — apropos — Ihren Freund Weigel
+haben sie gestern Abend im rothen Drachen hinausgeworfen — er wollte
+Dienstleute, ich glaube einen Schäfer, verlocken nach seinem gerühmten
+Amerika auszuwandern.«
+
+»Meinen _Freund_?« sagte der Professor achselzuckend, »ich habe mit Herrn
+Weigel nie in einer solchen Beziehung gestanden, aber ich achte ihn als
+einen Mann der ein gutes Herz mit einer tüchtigen Portion gesundem
+Menschenverstand verbindet, und besonders schätzenswerthe statistische
+Kenntnisse Amerika’s besitzt.«
+
+»Bah!« sagte Kellmann, den Kopf auf die Seite werfend, und mit den Fingern
+schnalzend, »so viel für seine statistischen Kenntnisse; _unverschämt_ ist
+er, das halt’ ich für seine Hauptforce, und er wirft Ihnen da mit der
+größten Kaltblütigkeit eine Masse Zahlen in den Bart, denen man nicht
+gleich widersprechen kann, weil sich der Gegenbeweis eben nicht führen
+läßt. Wenn das Alles wahr ist was er über Amerika sagt, wäre _er_ der
+größte Esel wenn er nicht selber hinüberginge.«
+
+»Seine Verhältnisse gestatten es ihm nicht, wie er mich oft versichert
+hat,« vertheidigte ihn aber der Professor.
+
+»Ja, das kennen wir schon,« sagte Kellmann, »und wenn mich irgend etwas
+glauben machen könnte daß _er_ wirklich Amerika kennt, so wäre es der
+Umstand daß er selber nicht hinübergeht.«
+
+»Im rothen Drachen war ja wohl gestern ein kleines Fest?« frug die Frau
+Professorin dazwischen, die das unerquickliche Gespräch abzubrechen
+wünschte.
+
+»Ja, für die Dienstleute von Hohleck,« sagte Kellmann, »und Schollfeld und
+ich waren ebenfalls hinausgegangen um den Spaß mit anzusehn.«
+
+»Und ihr Freund, der lange Actuar war nicht dabei?« lachte Marie.
+
+»Er kam später nach,« sagte Kellmann — »der arme Teufel ist jetzt auch
+immer verdrießlich und niederschlagen.«
+
+»Er hat sein Kind verloren,« sagte Anna mitleidig.
+
+»Ja, und zu Hause fühlt er sich auch wohl nicht so recht wohl und
+behaglich.«
+
+»Wir haben davon gehört,« sagte die Professorin — »seine Frau soll
+eigenwillig und heftig sein, und ihm oft gar unangenehme Scenen bereiten.«
+
+»Seine Frau ist — « fuhr Kellmann auf, aber er unterbrach sich selber
+wieder, und trommelte eine Weile mit den Fingern auf dem vor ihm stehenden
+Tisch.
+
+»Was ist Ihnen denn nur heute, Herr Kellmann?« sagte aber Marie, jetzt zu
+ihm tretend und seinen Arm berührend — »Sie schneiden ja heut Morgen ein
+so bitterböses Gesicht, wie ich noch fast in meinem Leben nicht an Ihnen
+gesehn. Ist Ihnen irgend etwas Aergerliches begegnet? — oder — Sie sind
+doch nicht böse mit uns?«
+
+»Böse mit Ihnen? lieber Gott Mariechen,« sagte Kellmann herzlich ihre Hand
+ergreifend — »ich müßte böse mit Ihnen sein daß Sie fortgehn und mich hier
+allein zurücklassen; sonst wüßt’ ich wahrhaftig nicht weshalb.«
+
+»So kommen Sie mit,« lachte Marie, indem sie neckisch zu ihm aufsah.
+
+Kellmann seufzte tief auf, sagte dann aber kopfschüttelnd, und mit der
+Hand über seine Stirn streichend, als ob er sich daraus all’ die trüben
+Gedanken verscheuchen wollte —
+
+»Nach Amerika? — ja, weiter fehlte mir gar Nichts; aber heute sind es
+wirklich andere Sachen die mir im Kopf herumgehn.«
+
+»Ist etwas vorgefallen, und können wir Ihnen helfen, lieber Herr
+Kellmann?« sagte Anna freundlich.
+
+»Ach Gott nein,« sagte der kleine Mann seufzend — »es ist ein Stück von
+dem allgemeinen Elend, das über den ganzen Erdball hinspielt, und das uns
+gewöhnlich mit einem unheimlichen Gefühl, auch nicht außer dem Bereich
+desselben zu liegen, durchschauert, wenn wir ihm einmal auf unserem
+Lebenspfad begegnen. Sie sahen mich als ich vor dritthalb Stunden etwa
+drüben aus dem Löwen kam?«
+
+»Ja, Sie grüßten ja herauf,« sagte die Professorin —
+
+»Nun gut; ich war dort, einem armen Mädchen nachzufragen, das wir gestern
+Abend spät auf der Straße trafen, und das ich dorthin schickte
+Nachtquartier zu suchen« — Und nun erzählte ihnen Kellmann mit kurzen
+Worten das gestrige Zusammentreffen mit des unglücklichen Loßenwerder
+Schwester, und ebenfalls daß sich schon jetzt herauszustellen scheine, wie
+der arme Teufel von Loßenwerder unschuldig in Verdacht gerathen sei. Nur
+in reiner Verzweiflung mochte er sich den Tod gegeben haben, als man ihm
+das letzte, einzige das er auf der Welt hatte — seinen ehrlichen Namen —
+nehmen wollte — oder eigentlich schon von Gerichts wegen genommen hatte.
+Unsere wackeren Polizeigesetze halten ja nun einmal jeden Menschen für
+einen Spitzbuben, bis er nicht durch Atteste genügend dargethan hat daß —
+»gegen ihn noch nichts Gravirendes bekannt geworden.«
+
+»Und was geschieht jetzt mit dem armen, armen Mädchen?« frugen fast
+gleichzeitig Marie und Anna — »lieber Gott, hier in der fremden Stadt,
+allein, ohne Mittel, ohne Freunde, wie entsetzlich müßte es da sein, wenn
+sie vielleicht aus rohem Munde zuerst die furchtbare Nachricht vernähme.«
+
+»Gestern Abend,« sagte Herr Kellmann etwas verlegen, »kam uns das Ganze
+wirklich so schnell und überraschend, daß wir nicht die geringste Zeit zum
+Ueberlegen behielten; wir — wir gaben ihr nur ein paar Groschen und
+schickten sie in den Löwen, hier gegenüber, um da zu übernachten, damit
+sie nicht in der Stadt nach ihrem Bruder früge, und die entsetzliche
+Geschichte gleich in der ersten Viertelstunde erführe; heute Morgen wollte
+ich dann selber herkommen und sehn was sich thun ließ — «
+
+»Und jetzt? — weiß sie was geschehen ist? frug die Professorin mitleidig
+die Hände faltend — Herr Kellmann zuckte mit den Achseln und sagte:
+
+»Sie ist fort — «
+
+»Fort? — wohin?« riefen die Frauen.
+
+»Kein Mensch konnte mir darüber Auskunft geben, gestern Abend war sie
+richtig dort angekommen, und ihres dürftigen Aussehns wegen in die
+Gesindestube gewiesen, und dort muß sie unglückseliger Weise ihren Namen
+genannt, vielleicht nach ihrem Bruder gefragt und das Schrecklichste
+gleich erfahren haben, denn sie war, selbst ihr Bündel im Stich lassend,
+hinausgelaufen in Nacht und Nebel und — und nicht wieder zurückgekehrt.«
+
+»Du lieber Gott,« sagte Anna, »wenn sie sich nur kein Leides gethan.«
+
+»Ich bin gleich zu Ledermann und dann auf die Polizei gegangen, diese
+aufmerksam zu machen,« sagte Kellmann etwas kleinlaut, »werde auch selber
+noch mein möglichstes thun das arme Ding wieder aufzufinden, aber — ich
+weiß wahrhaftig nicht wo man die eigentlich suchen soll, denn sie kennt ja
+keinen einzigen Menschen in der Stadt.«
+
+»Und in ihres Bruders früherem Logis? — «
+
+»Hat sie Niemand gesehn — ich war dort.«
+
+»Waren Sie auch schon — auf dem Kirchhof?« frug ihn Marie jetzt leise und
+schüchtern.«
+
+»Wahrhaftig, daran hatte ich gar nicht gedacht,« sagte Kellmann rasch
+seinen Stuhl zurückschiebend, »die Möglichkeit ist da, und ich will keinen
+Augenblick mehr versäumen — vielleicht ist es jetzt noch nicht zu spät.«
+
+»Und Sie sagen uns Antwort?«
+
+»Sowie ich etwas Bestimmtes über sie weiß — aber — aber was dann mit ihr
+anfangen? — hier in der Stadt _kann_ sie nicht bleiben,« sagte Kellmann,
+die Thürklinke schon in der Hand, »und überhaupt scheint mir ihr
+schwächlicher Körper zu grober Handarbeit gar nicht geeignet.«
+
+»Vielleicht bietet sich da für die Schwester in demselben Haus ein
+Ausweg,« rief Anna plötzlich, »das für den Bruder ja so viel gut zu
+machen, wenn er wirklich unschuldig gelitten. Gestern Nachmittag noch
+klagte mir Clara ihr Leid, daß ihre Kammerjungfer, mit der sie sehr
+zufrieden ist, und die ihr bis dahin fest versprochen mitzugehn, plötzlich
+anderes Sinnes geworden wäre, und sich jetzt weigerte Heilingen zu
+verlassen. Clara ist so seelensgut, sie würde gewiß Alles thun was nur in
+ihren Kräften steht, das arme Kind den herben Verlust vergessen zu machen.
+
+»Aber wird sich das Mädchen selber dazu eignen?« sagte Kellmann.
+
+»Weshalb nicht,« rief aber auch jetzt Marie — »bringen Sie die Arme nur
+hierher, sobald Sie sie finden, und nehmen sie Henkel’s nicht mit, findet
+Papa gewiß einen Ausweg.«
+
+»Ja, Papa einen Ausweg,« sagte aber der Professor — »ich kann _Niemanden_
+mehr mitnehmen Kinder, so viel solltet Ihr eigentlich jetzt schon wissen,
+denn wir sind Leute genug.«
+
+»Ach wenn sie überhaupt gehen will,« rief Kellmann, »die Passage bringen
+wir hier schon zusammen, und wenn sich Fräulein Anna bei Frau Henkel für
+sie verwenden will, wär’ es ein Glück für das arme Mädchen, den hiesigen
+für sie so trüben Verhältnissen so rasch wieder entrissen zu werden. Doch
+jetzt leben Sie wohl — ich habe da nicht lange Zeit mehr zu verlieren, und
+hoffe Ihnen bald günstige Nachrichten bringen zu können.«
+
+ * * * * *
+
+Actuar Ledermann hatte die Nacht einen heftigen Fieberanfall bekommen, und
+sich am anderen Morgen auf seinem Bureau entschuldigen lassen. Erst um
+zehn Uhr etwa fühlte er sich etwas besser, und beschloß ein wenig an die
+frische Luft zu gehn, in dem sonnigen Morgen draußen die trüben quälenden
+Gedanken zu verscheuchen.
+
+Er ging auf den Kirchhof, das Grab seines kleinen Lieblings zu besuchen,
+und nahm einen Monatsrosenstock mit hinaus, ihn darauf zu pflanzen.
+
+Der Weg der zu dem Grab, zwischen den andern Hügeln hin, führte, lief eine
+kurze Strecke die Mauer entlang, die bis jetzt leer gelassen und von
+Unkraut überwuchert lag. Nur ein einziger, unter Gras und Unkraut fast
+versteckter flacher Hügel war dort aufgeworfen, über dem kein Kreuz den
+Namen des Hingeschiedenen kündete, keine Blume ein sorgendes Herz
+verrieth, das dem Entschlafenen die stille Thräne nachgeweint. Und dort? —
+in das hohe, feuchte Gras geschmiegt, lag eine schlanke Mädchengestalt,
+Stirn und Antlitz in dem wuchernden Unkraut verborgen, auf dem die vollen
+aufgelösten Locken ruhten.
+
+»Lieber Gott,« sagte der Actuar, mit dem Blumenstock im Arm neben ihr
+stehen bleibend, leise vor sich hin — »es ist doch noch viel, viel Elend
+in der Welt, und wenn Einem recht traurig und weh um’s Herz ist, sollte
+man eigentlich immer hinaus auf den Kirchhof gehn. Da haben die Leute
+nicht ihre glatten unbewegten Alltagsgesichter vor, sondern geben sich wie
+sie sind, und wenn es auch eben kein Trost sein sollte andere Menschen
+unglücklich zu sehn, ist es doch jedenfalls einer, zu wissen daß man es
+nicht allein ist.« Und sich langsam abwendend schritt er dem Grabe seines
+Kindes zu, setzte den Blumentopf auf den kleinen Hügel, und sich selber
+dann auf eine dicht daneben liegende Marmorplatte, die das Grab eines
+anderen Menschen deckte.
+
+Dort blieb er lange, das Gesicht mit den Händen bedeckt, und regungslos in
+seiner Stellung verharrend, seinen schmerzlichen Gedanken überlassen, bis
+die Sonne höher und höher stieg, und ein stechender Kopfschmerz ihn mahnte
+den, den heißen Strahlen vollkommen ausgesetzten Platz zu verlassen, wenn
+er sich nicht noch kränker machen wollte als er schon war. Er stand auf,
+und sah sich nach dem Todtengräber um, diesen zu bitten den Blumenstock
+für ihn einzusetzen, und fand ihn auch, nicht weit von dort entfernt, mit
+einem neuen Grabe beschäftigt. Langsam seinen Spaten schulternd ging er
+mit ihm zu dem verlangten Platz, und dort sein Handwerksgeräth neben sich
+in den Boden stoßend und sich den Schweiß von der glühenden Stirne
+trocknend, sagte er freundlich:
+
+»Warmer Tag heute, Herr Actuar — sehn Sie einmal was für ein schönes
+Stöckchen; das müssen wir aber ordentlich angießen, sonst vertrocknet es
+gleich in der lockeren Erde — werde Ihnen das schon besorgen.«
+
+»Bitte sein Sie so gut,« sagte Ledermann, und der Mann nahm den Stock auf,
+drehte ihn um und schlug mit der flachen Hand unter den Topf, diesen
+locker und los zu bekommen.
+
+»Kennen Sie das junge Mädchen was da auf dem Grabe an der Mauer liegt?«
+frug der Actuar jetzt, als sein Blick wieder zufällig dort hinüber
+streifte — »dort drüben meine ich.«
+
+»Ja ich weiß schon,« sagte der Mann, ohne den Kopf zu wenden und mit
+seiner Arbeit beschäftigt — »nein — sie saß vor dem Kirchhofsgitter schon
+heut’ Morgen wie ich öffnete, um drei Uhr früh, und muß die ganze Nacht da
+zugebracht haben. Wie ich das Thor aufmachte frug sie mich nur nach dem
+Grabe eines armen Teufels, den wir hier vor kurzer Zeit zu Ruh gebracht,
+und ist seit der Zeit nicht von dort weggegangen. Das kommt manchmal vor.«
+
+»Und wer liegt da begraben?« frug Ledermann schnell, dem ein plötzlicher
+Gedanke an das Mädchen von gestern Abend aufstieg.
+
+ [Capitel 9]
+
+»Dort an der Mauer?« sagte der Todtengräber, »ih Sie wissen ja, der kleine
+bucklige Bursche, der von der Brücke gesprungen war, und sich den Kopf
+aufgeschlagen hatte.«
+
+Dem Actuar fuhr es mit einem eisigen Stich durchs Herz, aber er erwiederte
+Nichts, gab dem Mann eine Kleinigkeit für seine Dienstleistung, und ging
+dann langsam, als ihn dieser wieder verlassen und seine frühere Arbeit
+aufgenommen hatte, zu Loßenwerder’s Grab, wo die Trauernde noch still und
+regungslos in ihrem Jammer lag. Nur das krampfhafte Zittern des Körpers
+verrieth das darin wohnende Leben.
+
+»Liebes Kind,« sagte Ledermann leise — das Mädchen bewegte sich nicht —
+»mein liebes Kind,« sagte er lauter, und berührte ihre Schulter mit seinem
+Finger. Langsam hob sie das bleiche, Thränen überströmte Gesicht zu ihm
+empor, und als sie den fremden Mann neben sich sah, richtete sie sich
+verwirrt, beschämt aus ihrer Stellung auf.
+
+»Aber wie können Sie sich hier so Stunden lang in das feuchte Gras
+werfen,« sagte der Actuar mit freundlichem Vorwurf — »Sie _müssen_ ja
+krank werden — nicht wahr, Sie kennen mich nicht mehr?«
+
+Das Mädchen sah ihn groß und verwundert an, und schüttelte dann langsam
+mit dem Kopf.
+
+»Ich sprach gestern Abend mit Ihnen, draußen vor dem Thor, wo die Musik in
+dem Hause war,« sagte Ledermann — »hatten Sie gar keine Ahnung von dem
+Schicksal des Bruders?«
+
+»Keine,« sagte die Arme leise, das Köpfchen wieder senkend.
+
+»Und wo erfuhren Sie seinen Tod?«
+
+Das Mädchen schauderte zusammen als sie des Augenblicks gedachte, und
+sagte endlich, wie mit angstgepreßter Stimme:
+
+»Gestern Abend in dem Haus — die Leute in der Gesindestube frugen mich wo
+ich herkäme und um meinen Namen, und dann —
+
+»Und dann?« frug der Actuar mitleidig, als das Mädchen schwieg und ihr
+Antlitz wieder zitternd in den Händen barg —
+
+»Dann sagten sie« — setzte das Mädchen, am ganzen Körper bebend hinzu —
+»daß Einer der so hieß — und sie spotteten dabei über sein Gebrechen — daß
+Einer — hier — « sie vermochte nicht auszureden und warf sich,
+rücksichtslos um den neben ihr stehenden Fremden, und in krampfhafter
+Verzweiflung, wieder auf das Grab nieder, das sie laut schluchzend mit
+ihren Armen umschlang, und den Bruder rief, sie zu sich zu nehmen in sein
+stilles, kühles Bett.
+
+Nur mit Mühe, und herzlichen tröstenden Worten die er zu ihr sprach,
+brachte sie Ledermann, als sich ihr Schmerz in etwas ausgetobt, endlich
+dahin sich etwas zu fassen und zu beruhigen, und ihm mehr über ihr
+Schicksal und sich selber zu sagen. Sie hieß Hedwig, war funfzehn Jahr alt
+und hatte bis zu ihrem elften Jahr bei einer entfernten armen Verwandten
+zugebracht, nach deren Tode sie, ein Kind noch, bei fremden Leuten in
+Dienst gehen mußte. Ihre Elteren schienen in besseren Verhältnissen gelebt
+zu haben, waren aber früh gestorben, und die Waisen sich selber überlassen
+gewesen. Ihr um zehn Jahr älterer Bruder Franz hatte sie dabei noch immer
+dann und wann von dem Wenigen was er selber verdiente, unterstützt, auch
+ihr vor einigen Monaten — und das mußte etwa grade vor seinem Tode gewesen
+sein, geschrieben, daß er recht sparsam lebe, und bald so viel zusammen zu
+haben hoffe mit ihr, der Schwester, nach Amerika auszuwandern, dort
+vielleicht ein kleines Geschäft oder irgend etwas Anderes anzufangen,
+ehrlich durch die Welt zu kommen. Hedwigs Aussage nach mußte er ihr auch
+die genaue Summe geschrieben haben, die er besaß, und als sie der Actuar
+dringend bat ihm den Brief zu verschaffen, wenn es irgend möglich sei, da
+der vielleicht vollständig des Bruders Unschuld beweisen konnte, zog sie
+aus ihrer Brust das zusammengefaltete und dort bis jetzt sorgfältig
+bewahrte Papier. Es war das letzte was sie von ihm bekommen, und als Monat
+nach Monat verstrich und keine neue Nachricht kam, wurde sie zuletzt
+unruhig und schrieb nach Heilingen. Aber auch hierauf erhielt sie keine
+Antwort und nicht mehr im Stande die Ungewißheit zu ertragen, verließ sie
+ihren Dienst und machte sich, mit wenigen Groschen in der Tasche auf, den
+weiten Weg zu Fuß zurückzulegen. Und ihr Empfang? großer Gott mit Spott
+und Hohn wurde ihr Bruder — das einzige noch auf der Welt ihr gehörende
+Wesen, das sie mehr als sich selber liebte — eines furchtbaren Verbrechens
+beschuldigt, in Folge dessen er sich selber das Leben genommen, und
+schlimmer, gewaltiger noch als die Nachricht seines Todes, erschütterte
+das reine, vertrauensvolle Herz des armen Kindes der erste _Zweifel_ an
+den Hingeschiedenen, der doch heimlich und quälend in ihr aufsteigen
+wollte, wie sie sich auch dagegen sträubte; und doch _wußte_ sie daß er
+keiner schlechten Handlung fähig gewesen sei.
+
+Während dieser Erzählung flossen ihre Thränen stärker; wenn aber der
+Schmerz auch nur mehr aufgerüttelt wurde durch das Wiederdurchleben
+vergangener Scenen, fand sie doch auch einen Trost in dem Aussprechen über
+ihren Verlust. Der Actuar überlas indeß flüchtig den Brief, und den Datum
+mit dem verübten Raub vergleichend sah er, ob Loßenwerder nun schuldig
+oder unschuldig sei, daß jenes, bei ihm gefundene Geld sein Eigenthum
+gewesen sein müsse, schon vor dem Tag, und nicht mehr als Beweis gegen ihn
+gelten konnte.
+
+So traf sie Kellmann, der von Lobensteins direct auf den Gottesacker
+gegangen war, das arme Mädchen aufzusuchen. Mit wenigen Worten sagte ihm
+der Actuar was er von ihr erfahren, und der gutmüthige kleine Kürschner
+setzte sich neben sie auf das Grab des Bruders, nahm ihre Hand in die
+seine, und diese streichelnd sprach er ihr Muth und Hoffnung in das arme
+gequälte Herz. Sie sollte nicht mehr allein stehn auf der Welt; er wollte
+Freunde für sie finden, die sich ihrer annähmen, und sie Beide, Ledermann
+und er, wollten nicht ruhen noch rasten bis ihres Bruders Name wieder
+ehrlich gemacht sei vor der ganzen Stadt; lieber Gott, sie konnten ja
+nichts mehr für den Armen thun.
+
+Hedwig weinte, während er sprach; aber die Thränen lösten ihren Schmerz —
+die freundlichen Worte; oh die ersten wieder seit so langer, langer Zeit
+die sie gehört, thaten ihr wohl und bannten die Verzweiflung aus ihrem
+Herzen, der sie ja sonst wohl rettungslos verfallen wäre. Wieviel Segen
+hat schon ein herzliches Wort gebracht, dem Unglücklichen gespendet — wie
+viele Thränen getrocknet, wie manches Weh, wenn es nicht heilen konnte,
+doch gelindert.
+
+Kellmann erbot sich dann auch, sie zu seiner Mutter zu führen, wo sie
+wenigstens bleiben konnte bis sich etwas Weiteres entschieden. Von Amerika
+sagte er ihr noch Nichts, die nächsten Tage mochten sie erst mit dem
+Gedanken vertrauter machen, wenn sie hörte wie viel Leute die auch ihren
+Bruder gekannt und liebe Freunde von ihm selber seien, gerade jetzt nach
+dort hinübergingen.
+
+Hedwig zögerte noch schüchtern das gütige Erbieten anzunehmen, aber die
+Worte klangen so herzlich, so gut gemeint, sie stand so hülflos, so allein
+in der weiten Welt, der fremde Mann erschien ihr wie ein Engel des Himmels
+in ihrem Schmerz, und unter Thränen nahm sie seine Hand und dankte ihm,
+und sagte daß sie ihm folgen würde, wohin er sie führe.
+
+
+
+
+
+ Capitel 10.
+
+
+ DIE BEIDEN FAMILIEN.
+
+
+Der Leser muß mir noch, ehe wir unsere weitere Wanderung zusammen
+antreten, zu zwei Stellen folgen, in Lage und Art freilich gar sehr
+verschieden. Den Characteren, die wir dort finden, begegnen wir später
+wieder, theils auf der Reise, theils in ihrem neugewählten Vaterland.
+
+An der Hannöverschen Grenze lag ein kleines Dorf, Waldenhayn mit Namen,
+und fast versteckt zwischen mächtigen Linden und Fruchtbäumen, die es von
+allen Seiten dicht umgaben.
+
+Mitten im Dorf auf einem flachen, aber die ganze Ortschaft überschauenden
+Hügel stand die Kirche, und daneben das kleine freundliche Pfarrhaus, das
+sein Dach über gute und glückliche Menschen gespannt hatte, Jahrzehnte
+lang — und heute? — Guter Gott welche Veränderung in dem Haus — der Vater,
+Pastor Donner, still und ernst in seinem Sorgenstuhl, und, ganz gegen
+seine sonstige Gewohnheit, ordentlich eingehüllt in eine dichte
+Tabakswolke, die Mutter mit verweinten Augen, und doch immer geschäftig
+herüber- und hinübergehend, bald aus der in jene Stube, Kleinigkeiten zu
+besorgen die sie immer wieder vergaß, ehe sie nur das andere Zimmer
+betreten.
+
+Der älteste Sohn Georg ging zu Schiff — ging nach Amerika über das weite,
+wilde Weltmeer nach einem anderen Vaterland, dort für den unruhigen Geist
+das Glück zu suchen, das er hier nicht fand, und »wann würden sie ihn — ja
+würden sie ihn je wieder sehen?« Oh es ist ein großer Schmerz für ein
+Elternherz ein Kind in der Blüthe der Jahre zu verlieren — wie viel Sorge,
+wie viel schlaflose Nächte hat es gemacht, bis es wuchs und gedieh; welche
+Hoffnungen knüpften sich an das junge Wesen, und blühten und reisten mit
+ihm; wie treulich wurde da nicht jeder Schritt bewacht, den noch
+unsicheren Fuß vor Stoß und Fall zu schützen, wie ängstlich jedem bösen
+Eindruck gewehrt, der Herz oder Geist hätte vergiften können. Und nun das
+Alles preiszugeben der Welt, ihren Verführungen, ihren Gefahren für Geist
+und Körper, das Alles preiszugeben und hinausgeworfen zu sehn auf die
+stürmischen Wogen des Lebens — sich selbst überlassen, und der eigenen,
+vielleicht doch noch zu schwachen Kraft. Wie viele heimliche Thränen
+werden da geweint, wie trüb und traurig liegt da oft des Kindes Zukunft
+vor dem ahnenden Blick des Vaters und der Mutter — Krankheit wird es
+erfassen und halten, und keine liebende Hand in der Nähe sein, es zu
+pflegen und ihm den Schweiß von der heißen, glühenden Stirn zu trocknen,
+die Verführung ihre falschen, goldblinkenden Netze nach ihm auswerfen, und
+keine treu warnende Stimme ihm zur Seite stehn — Noth und Mangel
+vielleicht in bitterem Weh auf ihm lasten, und Niemand da sein, der ihm
+Hülfe bringt, und den Unglücklichen tröstet und unterstützt — Mutter und
+Vater sind fern, fern von dem Geliebten, seine Klage dringt nicht herüber
+zu ihnen — ihr Trost und Hülfswort nicht zurück zu ihm.
+
+Und ein solcher Abschied dann — der Tod pocht nicht viel härter an des
+Glückes Thor, und das Bewußtsein den Geschiedenen still und geschützt in
+kühler Erde zu wissen, auf der die treu gepflegten Blumen keimen, ist oft
+noch weniger bitter als dieser _freiwillige_ Tod — der Fortgang über’s
+Meer, in eine fremde, ungekannte Welt — vielleicht so ohne Wiederkehr wie
+jener, und ohne jedes beruhigende Gefühl der Sicherheit. Der Scheidende
+ist da noch immer besser, weit besser daran als die Zurückbleibenden; ihm
+liegt die Welt jetzt frei und offen da, jede Stunde draußen, jede Meile
+Wegs bringt ihm Neues, Unbekanntes, und wehrt dem Blick nur an dem einen
+Schmerz zu haften. Er hat auch zu sorgen, für sich und sein Gepäck, seine
+ganze Zukunft ist ihm in der einen Stunde in die eigene Hand gegeben — ein
+ungewohnt Geschäft bis jetzt — und fremde Landschaft, fremde Scenen
+wechseln so rasch an ihm vorüber, daß jedes Bild einen Theil des alten
+Schmerzes fortführt mit sich. Selbst der Gedanke an die Verlassenen hat
+nicht das Herbe, Bittere für ihn, als es für diese hat, wenn sie sein
+gedenken, und sich mit Vermuthungen quälen müssen wie es jetzt ihm geht,
+was er thut, was er treibt, wo er jetzt gerade weilt. _Er weiß_ in welchem
+Kreis die Seinen sich bewegen, kennt in jeder Tageszeit ihre kleinen,
+häuslichen Beschäftigungen, ihr gleichmäßiges Wirken und Schaffen, und
+sein Herz, das immer noch daheim bei ihnen weilt, wahrt seinen festen
+Anhaltspunkt an sie sich unverkümmert fort, bis das Bild, von anderen
+dicht umdrängt in weiter immer weiterer Ferne langsam erbleicht, und nur
+noch auf dem Hintergrund des Herzens wie schlummernd liegt, in seinen
+Träumen ihn zu segnen, oder dereinst, wenn die Welt ihn kalt und rauh von
+sich stößt, und er allein und freundlos sich da fühlt, wieder aufzuglühen
+in aller Frische und Wärme, ein Trost und Hoffnungsziel, dem armen,
+einsamen Wanderer.
+
+Georg war ein junger lebenskräftiger Mann von dreiundzwanzig Jahren, mit
+dunkelbraunen, vollen, ihm frei und ungescheitelt über die offene
+sonngebräunte Stirn fallenden Locken, schwarzen klaren Augen und freien,
+gutmüthigen Zügen, die selbst eine breite dunkle Narbe über den rechten
+Backen, der Autograph eines Commilitonen, nicht entstellen konnte. Er
+hatte Medicin studirt, und sich das Doctordiplom mit eifrigem Fleiß
+verdient, aber die Aussichten für einen jungen Arzt waren trüb und
+unversprechend in seiner Heimath, und jene fremde Welt, von der er schon
+so viel gelesen und gehört, zog ihn mächtig an. Sein Vater konnte und
+wollte dieses Streben nicht bei ihm unterdrücken; auch er erkannte die
+Banden, die hier einen kräftigen Geist so leicht in Fesseln legen, und
+ehrte den Wunsch und Drang der jungen, nach Thaten dürstenden Brust, einen
+Schauplatz zu finden für ihr Sehnen und Wirken, wenn er sich auch wohl
+selber dann wieder mit einem schweren Seufzer gestehen mußte, wie manche
+Hoffnung der Sohn zertrümmert, wie manche Erwartung er getäuscht sehn
+würde in dem neuen Leben, das jetzt ihm freilich im vollen Glanz einer
+aufsteigenden Sonne, von warmem Lichte übergossen winkte. Und wie würde
+sich sein Herz dann bewähren, das jetzt jubelnd zu den blinkenden,
+Flaggen- und Blumengeschmückten Wällen seiner eigenen Luftschlösser
+aufschaute, wenn es an deren Trümmern stand? oh daß er dann hätte an
+seiner Seite stehen und ihn leiten dürfen den dunklen, schmalen Pfad zum
+wahren Glück — retten ihn dann vor sich selbst und seinem bittern Weh.
+
+Aber die Zeit lag noch fern, und weshalb sich selbst den Augenblick
+vergiften, wo sich der Himmel noch blau und rein über seiner Zukunft
+spannte. Georg selbst sah auch Nichts von solchen trüben Bildern, die das
+Herz des Vaters oft mit banger Trauer füllten; ihm war das Thor jetzt weit
+und frei geöffnet, das hinaus in’s Leben führte und an dessen Schwelle er
+stand, und nur die Trennung noch vom Vaterhaus lag schwer auf seiner
+Seele.
+
+Am schwersten freilich trug gerade diese Stunde, weil ganz und ungetheilt,
+das Mutterherz. Nicht dachte _sie_ in diesem Augenblick an die Hoffnungen
+die dem Sohne in der Welt draußen blühen, an die Gefahren die ihm drohen
+könnten; sie sah und fühlte Nichts, als die Trennung von dem _Kind_, den
+Abschied von dem Heißgeliebten, und wie im Traum hatte sie schon den
+ganzen Tag ihren gewöhnlichen Beschäftigungen obgelegen, wie im Traum noch
+einmal seine Lieblingsgerichte bereitet für den Abend, den letzten Abend,
+den er im Vaterhause zubringen würde.
+
+Lieber Gott, die Speisen kamen Abends auf den Tisch und wurden gegessen,
+aber Keiner von allen, die jüngsten Geschwister ausgenommen, schmeckten
+was sie aßen; man sprach dabei über das an dem Nachmittag fortgesandte
+Gepäck, über das Wetter, über die Uhr die zehn Minuten vorging — Georg
+trug Grüße auf an alle seine Bekannte, die sich noch seiner erinnerten. Er
+hatte an dem Tag noch selber ein paar Briefe schreiben wollen, war aber
+nicht dazu gekommen — Vieles Andere war ihm ebenfalls entfallen; so wollte
+er einen Absenker von dem Rosenstock mitnehmen der vor der Mutter Fenster
+blühte, und jetzt blieb ihm doch keine Zeit mehr; aber während dem Essen
+stand die Schwester — unvermißt — vom Tische auf, ging hinaus, grub einen
+Absenker aus, und brachte ihn in einem kleinen Topf dem Bruder, dem sich
+die Thränen in die Augen zwangen — er mochte kämpfen dagegen wie er wollte
+als er die Gabe sah. Die Mutter stand vom Tisch auf und ging hinaus —
+nicht ein Wort wurde gesprochen so lange sie fort war. Die Speisen
+verschwanden dabei von den Tellern und der Wein wurde getrunken, und die
+Mutter kam zurück und nahm ihren Platz wieder ein, lautlos wie vorher; man
+konnte den langsamen Gang der Uhr hören, an der Wand.
+
+Da endlich füllte der Vater sein Glas bis zum Rand, hob es mit der Linken
+und ergriff mit der anderen Georgs Hand. Er hatte etwas zum Herzen des
+Sohnes, zum Trost vielleicht der Mutter sprechen wollen, aber die Worte
+schwollen ihm im Mund — er brachte eine volle Minute keine Sylbe über die
+Lippen, und sich gewaltsam fassend und zusammennehmend sagte er endlich.
+
+»Auf ein frohes Wiedersehn Georg!«
+
+Georg preßte des Vaters Hand und trank ihm und der Mutter und den
+Geschwistern zu — und die Mutter hob ihr Glas und stieß mit dem Sohne an,
+aber mehr vermochte das Mutterherz nicht — zu lange hatte sie jetzt
+gewaltsam gegen ihr eigenes Gefühl an- und den Schmerz niedergekämpft, den
+Anderen zu Liebe; länger war sie es nicht im Stande, und das Glas mit
+zitternder Hand niedersetzend, daß der Wein über und auf das Tischtuch
+floß, stand sie auf, warf die Arme krampfhaft um den Hals des Sohnes und
+schluchzte laut.
+
+»Mutter, liebe — liebe Mutter — «
+
+»Mein Kind — mein Kind,« jammerte die Frau und der Schmerz wuchs an
+Heftigkeit, wie der mächtig aber still dahinwälzende Strom schäumend
+hinausdonnert in’s Freie, wo er sich erst einmal Bahn gebrochen aus seinem
+Bett — »mein liebes — liebes Kind.«
+
+»Aber Mutter,« bat der Pastor, »fasse Dich; es ist ja doch nur vielleicht
+auf kurze Zeit, bis sich der Junge draußen die Hörner abgelaufen, und ihm
+die Heimath anders aussieht wie jetzt; dann kommt er wieder.«
+
+»Liebe — liebe Mutter,« flüsterte Georg, sie innig an sich schließend, und
+auch ihm erstickten unaufhaltsam fließende Thränen die Stimme.
+
+Die Geschwister weinten auch, und der Vater war aufgestanden und ein paar
+Mal mit raschen Schritten, wie um den Anderen Zeit zu geben, eigentlich
+aber nur seine eigene Fassung wiederzugewinnen, im Zimmer auf- und
+abgegangen. Jetzt blieb er neben der Gattin und dem Sohne stehn, und sie
+langsam trennend sagte er mit sanfter, bittender Stimme:
+
+»Kommt Kinder, kommt — macht Euch selber nicht das Herz zum Brechen
+schwer; das ist unrecht. Ueberdies quält Ihr Euch zweimal, und habt morgen
+früh noch dasselbe Leid. Es ist eine lange Trennung, aber keine Trennung
+für’s Leben — wir sind Alle noch rüstig und gesund, und werden uns, will
+es Gott, hoffentlich Alle einmal froh und freudig in die Arme schließen
+können.«
+
+»Aber Du schreibst bald, Georg,« flüsterte die Mutter sich mit aller Kraft
+zusammennehmend — »Du läßt uns nie lange ohne Nachricht, nicht wahr Du
+versprichst mir das?«
+
+»Gewiß Mutter, gewiß — so oft ich kann — aber ängstigt Euch nur auch
+nicht, wenn einmal ein Brief länger ausbleibt als gewöhnlich; der Weg ist
+weit, und ein Brief kann leicht verloren gehn.«
+
+»So, und jetzt zu Bett Kinder,« mahnte der Vater — »es ist spät geworden,
+sehr spät, und Du mußt früh wieder heraus Georg, die Post nicht zu
+versäumen; sind Deine Koffer hinübergeschafft?«
+
+»Es ist Alles drüben,« sagte die Mutter, sich aus den Armen des Sohnes
+windend und ihre Thränen trocknend, »nur sein Ueberrock ist noch hier, den
+er anzieht, und die kleine Tasche in die er morgen früh sein Nacht- und
+Waschzeug steckt — doch das besorg’ ich schon selber und werd’ es nicht
+vergessen. Ich bin früh auf, Georg, Du mußt ja doch auch noch Deinen
+Kaffee haben bevor Du gehst.«
+
+»Gute Nacht Mutter!« rief Georg, umschlang sie noch einmal und küßte ihr
+Lippen, Augen und Stirn, »gute Nacht meine gute, gute Mutter — gute
+Nacht!«
+
+»Gute Nacht mein Georg, mein Kind,« sagte die arme Frau unter Thränen —
+»schlaf nur jetzt recht aus — zum letzten Mal unter unserem Dach — für die
+nächste Zeit wenigstens,« setzte sie rasch hinzu — »denn mit Gottes
+Beistand hoff’ ich soll es nicht das letzte Mal gewesen sein — und — und
+meinen Segen nimm mit Dir, wohin Du gehst — wo Du weilst — was Du thust —
+— er ruhe auf Dir, mein gutes, gutes Kind!«
+
+Georg beugte sich unwillkürlich dem ernsten heiligen Wort — seine ganze
+Gestalt zitterte dabei, und die Mutter mußte sich endlich mit freundlicher
+Gewalt aus seinen Armen winden; dann aber floh sie auch hastigen Schrittes
+aus dem Zimmer, sich in dem eigenen Kämmerlein recht, recht herzlich
+auszuweinen.
+
+Die Geschwister sagten dem Bruder jetzt gute Nacht — die älteste Schwester
+Louise hing lange an seinem Hals, aber riß sich los, den Schmerz der
+Eltern nicht zu vermehren. Die Jüngeren küßten ihn auf die Wangen und
+sagten. »Gute Nacht Georg — weck’ uns nicht zu spät morgen früh, daß wir
+Dir auch noch können glückliche Reise wünschen.«
+
+Georg küßte sie herzlich und bat sie brav und gut zu sein, und Vater und
+Mutter Freude — viel Freude zu machen, denn er selber ginge nun fort, und
+die Eltern würden deshalb recht traurig sein.
+
+»Gute Nacht Georg,« sagte der Vater, als die Kinder zu Bett gegangen
+waren, und Alle, außer ihm, das Zimmer verlassen hatten, »habe keine Angst
+daß Du die Post morgen verschläfst, ich wache schon auf zur rechten Zeit —
+gute Nacht mein Sohn. Komm komm, fange nicht selber wieder an, und mach’
+mir das Herz nicht schwer vor der Zeit — aber Georg, um Gottes Willen was
+ist Dir? — sei ein Mann — Nun ja — so lange die Frauen da waren hat es mir
+auch das Herz fast abgedrückt — man darf es sie ja nicht so merken lassen,
+sonst zerfließen sie ganz — «
+
+»Mein lieber — lieber Vater,« schluchzte Georg an seinem Halse.«
+
+»Mein guter, guter Sohn!« flüsterte der Pastor, des Kindes Stirne küssend,
+und jetzt selber im Innersten ergriffen und bewegt — »bleibe brav — bleibe
+so brav wie Du bist — ich kann Dir nichts Besseres wünschen — trage Gott
+im Herzen und Dich selbst, und — Deiner alten Eltern Bild, deren Segen Dir
+folgt auf allen Deinen Wegen.«
+
+»Mein Vater!«
+
+»So mein Sohn — jetzt gute Nacht und bete zu Deinem Schöpfer daß er uns
+morgen in der schweren Abschiedsstunde stärkt — gute Nacht mein Georg —
+gute Nacht.«
+
+Leise machte er sich los aus des Sohnes Arm, küßte ihn noch einmal, und
+verließ dann rasch das Zimmer. Georg aber blieb lange, lange Minuten auf
+dem Stuhle sitzen wo ihn der Vater verlassen, das Gesicht in seinen Händen
+bergend.
+
+»Gute Nacht,« flüsterte er endlich leise und kaum hörbar, als Alles schon
+im Hause still war, und zu Ruhe gegangen — »gute Nacht Ihr Lieben und Gott
+schütze Euch und mich; aber nicht möglich wäre es mir, die furchtbare
+Trennungsstunde noch einmal durchzuleben, nicht möcht’ ich Dir Vater, Dir
+Mutter den Schmerz, das bittere Weh zum zweiten Mal bereiten. Es ist
+vorbei — Alles vorbei, und wenig Stunden noch und die Heimath selber
+liegt, ein schöner Traum nur, in der Erinnerung Tiefe. So denn an’s Werk«
+setzte er fest und entschlossen hinzu, »und ob das Herz darüber brechen
+will, »durch« ist mein Wahlspruch jetzt, durch Nacht zum Licht — _durch_.«
+
+Und mit den, fest zwischen den zusammengebissenen Zähnen gemurmelten
+Worten stand er auf, und sein Schlafzimmer öffnend warf er den Rock ab,
+und badete Gesicht und Nacken in kühlem Wasser. Dann, als er die Glut die
+ihn durchtobte, in etwas gelöscht, packte er den kleinen Nachtsack mit
+den, sorglich für ihn auf dem Waschtisch ausgebreiteten Gegenständen, zog
+sich wieder an, knöpfte den Ueberrock bis an den Hals zu, denn die Nacht
+war kalt, und nach der gehabten Aufregung fröstelten ihn die Glieder, und
+im Zimmer umherschauend fiel sein Blick auf den, unter dem Spiegel
+stehenden, für ihn eingeschlagenen Rosenstock. Rasch barg er ihn in der
+weiten Tasche seines Ueberrocks, öffnete dann das Fenster, das in den
+Garten hinaus und von da über den Kirchhof führte, der Landstraße zu, und
+schwang sich auf das Fensterbret.
+
+»Ade!« flüsterte er, »ade Du trautes, liebes Haus, ade — Gott halte seine
+Hand über Dir, und schütze die lieben Menschen — ade, ade.« Und von dem
+Bret hinunterspringend in den Garten, durcheilte er diesen, schwang sich
+leicht über die Kirchhofmauer, die er als Kind unzählige Male
+überklettert, und schritt dann langsam und traurig seinen einsam dunklen
+Weg entlang.
+
+ * * * * *
+
+Noch hob sich die Sonne nicht über den östlichen Fichtenhang, und der
+dämmernde Tag grüßte eben die schlummernde Erde, als sich die Mutter von
+ihrem Lager hob, das Mädchen weckte daß es Feuer in der Küche mache, den
+Kaffee bereit zu halten, und dann den Mann rief, dem Sohn ade zu sagen.
+Pastor Donner hatte aber auch nur in unruhigem Schlaf gelegen — die
+Gedanken und Sorgen ließen ihn nicht ruhen, und wie aus bösem Traum fuhr
+er oft empor, mit einem wehen Stich durch’s Herz zurückzusinken, _daß_ es
+eben kein Traum sei, der ihn bedrücke und quäle.
+
+Er stand auf, zog sich an, und während die Mutter draußen in der Küche
+sorgte, dem Sohn ein rasches Frühstück zu bereiten, ging der Vater hin ihn
+zu wecken.
+
+»Georg!« sagte er, als er die Thür öffnete, die in des Sohnes Kammer
+führte — »Georg — es wird Zeit — heiliger Gott!« unterbrach er sich aber
+rasch und erschreckt als er das Gemach leer, das Bett unberührt und keine
+Spur mehr von dem Kinde fand — »heiliger, erbarmender Gott — er ist fort.«
+Und wie er sich auch vorgenommen sich zu fassen, und der Frau, dem Kind,
+die letzten Augenblicke nicht mehr zu erschweren, durch seine eigene
+Schwäche, traf ihn _der_ Schlag doch zu hart — zu unerwartet. In diesem
+Augenblick betrat die Mutter das Zimmer, und sah wie der Vater sich
+erschüttert von der Thür abwandte und das Antlitz in den Händen barg.
+
+»Mein Sohn — mein Kind!« stammelte sie, in der sie durchzuckenden Ahnung
+des Geschehenen, der sie wie ein jäher Schlag in’s Herz traf — »wo ist —
+wo ist Georg?« Aber der Vater zog sie an die Brust, und ihre Stirn, auf
+die seine heißen Thränen fielen, küssend, flüsterte er leise:
+
+»Er hat uns den Schmerz des Abschiedes sparen wollen, Louise — er ist
+fort.«
+
+»_Fort!_« hauchte die Frau — kaum noch den Sinn der Worte fassend, und
+brach bewußtlos in den Armen des Gatten zusammen.
+
+ * * * * *
+
+Außerhalb Waldenhayn, wenn auch noch zu demselben Kirchspiel gehörend, und
+dicht an der Grenze des bis hier herniederlaufenden Holzes, stand ein
+kleines, schon halb verfallenes Haus, das früher einmal von einem
+Forstgehülfen des herrschaftlichen Waldes bewohnt, dann aber nicht mehr
+benutzt, und um ein Billiges, eigentlich auf Abbruch, verkauft worden war.
+Der Mann der es kaufte aber, hatte früher ebenfalls in herrschaftlichen
+Diensten gestanden, und dann das Metzger-Handwerk getrieben; sein wildes,
+liederliches Leben jedoch ließ sein Geschäft nicht fördern, noch vorwärts
+gehn. Er schien auch keine rechte Lust an einer regelmäßigen Arbeit zu
+haben, heirathete dann, als er Alles was er sein nannte, durchgebracht,
+ein Mädchen vom herrschaftlichen Gut, das den Dienst dort verlassen mußte
+und von dem Herrn selber eine Abstandssumme bekam, und kaufte mit dem
+Gelde eben das kleine unwohnliche Gebäude, das er nichtsdestoweniger
+bezog, und sich jetzt angeblich vom Viehhandel ernährte. Er zog im Lande
+herüber und hinüber, und kaufte und verkaufte Vieh, mehr aber noch trieb
+er sich in den Wirthshäusern herum, wo er trank und spielte, und den
+schlimmsten Ruf im Lande hatte, den ein Mensch haben kann, ohne daß jedoch
+die Polizei den mindesten Halt an ihn bekommen konnte. Aber die
+ordentlichen Leute zogen sich von ihm zurück; Niemand mochte Umgang mit
+ihm oder seinem Weibe haben, und auf dem Weg zu seinem Hause wuchs Gras;
+wen dort nicht ein besonderes Geschäft hinführte, betrat ihn nimmer.
+
+So hatte der »schwarze Steffen,« wie er im Lande seines dunklen Haares und
+Aussehns wegen hieß, sechs Jahre in dem kleinen Haus gewohnt, und sein
+Weib ihm, außer dem Kind das sie in die Ehe gebracht, noch drei andere
+geboren. In der letzten Zeit tauchte dabei ein anderer Verdacht gegen ihn
+auf, daß er sich nämlich unter der Hand mit Wilddieben einlasse, und —
+wenn auch vielleicht nicht selber wildere, doch das Gestohlene kaufe und
+unterbringe.
+
+Sicher ist, daß nicht alles Fleisch was er zu Markte führte, im Stall
+gemästet worden, und als nun auch gar einmal, und vor nicht so sehr langer
+Zeit, ein Forstgehülfe, in Ausübung seiner Pflicht, erschossen worden,
+wurde die Aufsicht über den schwarzen Steffen, dem man aber doch nicht zu
+Kragen konnte, so scharf geführt, und diesem zuletzt so unerträglich, daß
+er schon ein paar Mal mit den Forstbeamten im Wirthshaus Streit gesucht
+und gefunden, und ihm zuletzt von der Herrschaft, nach lange geübter
+Nachsicht, der Befehl zugestellt wurde, das auf den Abbruch damals
+erstandene Haus, von dem übrigens kein Ziegel mehr sein gehörte, zu räumen
+und abzutragen oder stehen zu lassen, wie es ihm gefalle, seinen Wohnsitz
+aber, wider ihn eingelaufener Klagen wegen, wo anders zu nehmen, vom
+ersten des nächsten Monats an.
+
+Steffen war heute einmal ausnahmsweise den ganzen Tag zu Haus geblieben,
+und hatte manche von seinen Sachen, wobei ihm die Frau half,
+zusammengetragen und in einen Ranzen gepackt. Die Kinder aber achteten
+wenig darauf; sie waren gewohnt daß der Vater oft fortging, und dann immer
+mehre, manchmal sogar acht Tage fortblieb, ehe sie ihn wieder zu sehen
+bekamen, oder auch nur von ihm hörten. Fragen, wohin er ging, durften sie
+nie.
+
+Der Vater war übrigens mürrischer heute als je — er sprach fast kein Wort,
+trank aber oft aus der Flasche, die zum ersten Mal offen in der Stube
+stand, und woraus sich auch die Mutter zweimal einschenkte, und sich dann
+zu dem jüngsten Kinde setzte, und es auf den Schoos nahm und küßte.
+
+»Weshalb weinst Du, Mama?« sagte das zweite Kind, ein Junge von etwas über
+fünf Jahren — »hat Dir Jemand ’was zu Leid gethan?«
+
+»Weil sie eine Närrin ist,« brummte der Vater, der die Frage gehört hatte,
+und jetzt einen ärgerlichen Blick nach der Frau schoß — »ich dächte wir
+hätten nun genug darüber geschwatzt und die Sache wär’ abgemacht.«
+
+»Nun ja — ich sage ja auch kein Wort mehr dagegen,« erwiederte die Frau —
+»es — es überkommt Einen nur noch manchmal so — nachher wird’s besser und
+— es geht ja doch nun einmal nicht anders,« setzte sie still und schwer
+vor sich hinseufzend, hinzu.
+
+Steffen entgegnete nichts weiter darauf, schickte aber bald darauf, unter
+irgend einem Vorwand, die Kinder mitsammen hinaus in den Garten, und sagte
+dann, als er sich mit der Frau allein sah, mürrisch und finster.
+
+»Du flennst und flennst, und wirst die Bälge noch zuletzt aufmerksam und
+ängstlich machen mit Deiner Heulerei — kannst Du sie hier ernähren, so
+bleib da, ich habe Nichts dagegen; kannst Du’s aber nicht, dann sei auch
+vernünftig und mach’ jetzt keine dummen Streiche — es wär’ ein Spaß, wenn
+sie uns abfaßten, und Du weißt am Besten was uns nachher bevorstünde.«
+
+Die Frau war schlank und voll gewachsen, mit besonders kleinen Händen und
+Füßen, mußte auch einmal in früheren Jahren wirklich schön gewesen sein,
+und mehr noch als nur die Spuren war ihr davon geblieben, hätte sie eben
+etwas gethan sich das zu erhalten. Aber in ihrem ganzen Aeußeren ging sie,
+wenn nicht geradezu unreinlich, doch vernachlässigt; die ungeordneten
+Haare wurden durch einen zerbrochenen, ächten Schildpatkamm, und durch ein
+schwarzes abgescheuertes Sammetband, in dem vorn eine große bronzene
+Broche mit einem unächten Turquis saß, gehalten; in den Ohren hingen ihr
+ebenfalls lange emaillirte unächte Ohrringe, die mit dazu beigetragen
+hatten ihr bei ihren bescheidenen und einfachen Nachbarn den Namen der
+»stolzen Jule« zu geben, und das Kleid von gutem Stoff und nach neuem
+Schnitt gemacht, zeigte unausgebesserte Risse, und Spuren von Fett, in
+Streifen und Flecken, die schlecht zu dem blitzenden falschen Schmucke
+paßten.
+
+Auch in den Augen selber lag etwas Keckes, Unweibliches, das aber doch
+jetzt einem mächtigeren Gefühl gewichen war, denn nur manchmal, bei den
+rauhen Worten, blitzte es an gegen den Mann, und um die Lippen zog sich
+dann ein eigener fester Zug von Trotz und Zorn.
+
+»Ich hab’ Dir genug zu Willen gethan, daß ich mit Dir gehe und die Kinder
+zurücklasse,« sagte sie dann nach kleiner Weile — »wenn’s mir das Herz
+dabei zusammenzieht, wärst Du schlimmer wie ein Thier, wolltest Du’s mir
+wehren. Der Wolf läßt seine Brut nicht im Stich, und wir wollen fort — «
+
+»Der Wolf hat auch draußen zu leben, und für die Jungen Milch — wer
+giebt’s uns?« zischte der Mann zwischen den zusammgebissenen Zähnen durch
+— »wir könnten krepiren hier im Nest, keine Katze miaute deshalb im ganzen
+Kreis.«
+
+»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte die Frau, »und das ist das Einzige was
+mich freut, daß wir ihnen jetzt einen Streich spielen — den Lumpen. Und
+wie sie schreien und schimpfen werden — aber ernähren müßen sie sie doch,
+davon hilft ihnen kein Gott. Leid thut’s Einem freilich immer, die armen
+Dinger, die noch Nichts von der Welt wissen und begreifen, so allein
+zurückzulassen — wenn ich das Jüngste nur mitnehmen dürfte — « setzte sie
+leise hinzu.
+
+»Komm mir nur jetzt nicht wieder mit dem alten Gewäsch,« rief aber der
+Mann finster und ärgerlich — »ich dächte das hätten wir über und genug
+besprochen und überlegt, und wären einig darüber.«
+
+»Ueberlegt gar nicht,« sagte aber die Frau, die Brauen fest
+zusammenziehend — »wenn ich davon anfing hast Du mich immer grob
+angefahren und ausgezankt, und Deinen Willen gehabt dabei, wie bei allem
+Anderen. Ich weiß daß ich nicht zu den Weichen gehöre, aber — Mutter
+bleibt doch Mutter, und — ’s ist immer ein häßlich unnatürlich Ding.«
+
+»Papperlapapp!« sagte der Mann den Kopf herüber und hinüber werfend —
+»unnatürlich — natürlich ist’s allerdings nicht daß die Scheunen
+ringsherum voll liegen, und das reiche Lumpenpack das Geld mit vollen
+Fausten zum Fenster hinauswirft, während wir hier trocken Brod nagen
+sollen, und das nicht einmal immer kriegen — schöne Natürlichkeit das.«
+
+»Wenn Du nur nicht den dummen Streich mit dem — «
+
+»Halt’s Maul!« brummte aber der Mann mürrisch — »ich sollte mich wohl
+erwischen und anzeigen lassen, daß ich jetzt im Zuchthaus säß und spänn —
+Gott verdamm mich, ich schösse eher die ganze Bande über den Haufen, einen
+nach dem anderen — bist Du nun fertig mit Deinen Sachen?«
+
+»Ja!« sagte die Frau leise und unwillkürlich zusammenschaudernd — »es kann
+fort gehn.«
+
+»Wir wollen aber doch warten bis es dunkel ist,« sagte Steffen nach
+kleiner Pause; »besser ist besser, und der Märtens unten an der Straße
+braucht nicht gleich zu wissen daß wir fortgefahren sind, beide zusammen,
+seine Nase hineinzustecken vor der Zeit; er ist mir so schon ein paar Mal
+hier oben herumgekrochen, wo er Nichts zu suchen hatte.«
+
+»Aber wenn sie uns nun doch vor der Zeit vermissen?« sagte die Frau, »und
+unserer Spur nachgehn; wenn’s jetzt schlimm ist, nachher wird’s erst bös,
+und wir dürften dann nur gleich mit Sack und Pack abziehn.«
+
+»In’s Arbeitshaus, eh? — nein, eine Weile halt’ ich sie uns schon von den
+Hacken, und Gefahr daß sie uns finden, hat es auch nicht. Wo wir zur
+Eisenbahn kommen bin ich bekannt, und habe schon manchmal Vieh da gekauft,
+wenn sie auch eben meinen Namen nicht wissen, und wenn wir fortgehn, lasse
+ich einen alten Hut von mir und das gelbe Tuch von Dir unten an dem tiefen
+Wasserloch unter den Erlen. Sobald Jemand hier in der Gegend vermißt wird,
+suchen sie dort immer zuerst, und der Schulze im Dorf hat das Pulver nicht
+erfunden, dem ist leicht was aufgehängt. Bis sie eine Weile stromab
+geangelt haben, sind wir hoffentlich unterwegs, und wenn nicht unter, doch
+über dem Wasser. Aber ich will jetzt noch einmal hinunter zum Märtens gehn
+und Mehl holen; es ist auch heute der gewöhnliche Tag, und hierher kommt
+nachher keiner so leicht, nimm Du indeß die Kinder vor, und instruire sie
+wie sie sich zu verhalten haben.«
+
+Und seine Mütze aufgreifend steckte Steffen die Hände in die Taschen, und
+schlenderte langsam den Hang hinunter dem nächsten, eine gute
+Viertelstunde entfernten Hause zu, während die Frau die Kinder zu sich
+hereinrief, das Jüngste, ein kleines liebes Mädchen von anderthalb Jahren,
+auf den Schoos nahm, und sich damit still und lautlos in die Ecke setzte.
+
+Die Sonne neigte sich indessen ihrem Untergang, und der Vater kam nach
+etwa einer Stunde, als es schon völlig dunkel geworden war zurück — die
+Mutter saß noch immer mit dem Kind auf dem Schoos, das bei ihr
+eingeschlafen war, und hielt es fest an sich gedrückt.
+
+»So Jule, es ist Zeit,« sagte der Mann, seine Arbeitsjacke abwerfend und
+den Rock anziehend, »weiß die Albertine was sie zu thun hat?«
+
+Die Frau zitterte am ganzen Leib, aber sie erwiederte kein Wort, stand
+auf, küßte das Kind das sie auf dem Arm trug, und legte es in sein
+Bettchen — einen Kasten, der in der Ecke der Stube stand.
+
+»Albertine,« sagte sie dann zu der Aeltesten, und wandte sich von der
+düster brennenden Oellampe, die Steffen auf den Ofen gestellt hatte, ab,
+daß die Tochter ihr nicht in die jetzt wirklich todtenbleichen Züge
+schauen sollte — »ich gehe mit dem Vater heute Abend eine Weile fort — den
+Karl bring ich erst noch zu Bett — sollten wir morgen früh nicht bei
+Zeiten da sein, so — so zieh die Kinder an und gieb ihnen zu essen — der
+Brodschrank ist offen, und Milch steht unter der Diele in der Schüssel —
+Du paßt mir auf daß den Kleinen Nichts passirt — Du — Du bist ja schon ein
+großes Mädchen.«
+
+»Und geht mir nicht vor die Thür morgen, bis wir nicht wieder da sind,«
+sagte Steffen, »wie ich heut Abend drunten gehört habe, ist hier ein
+toller Hund herumgelaufen. Das Beste wird sein Ihr haltet die Hausthür zu,
+daß er nicht etwa gar herein kommt.«
+
+Die Frau hatte dabei das etwa dreijährige Mädchen das indeß gar schläfrig
+geworden war, ausgezogen und in sein Bettchen gelegt — und der Junge,
+Carl, saß auf der Bank am Fenster, noch auf sein Abendbrod wartend. Aber
+er sah auch erstaunt dabei die Eltern an, die noch nie so spät Abends
+fortgegangen waren, und auch wohl noch nie, oder doch nur selten gar so
+freundlich mit ihnen gesprochen hatten.
+
+»Was für ein Hund ist es, Vater?« frug er jetzt, da der Gedanke an den
+tollgewordenen Hund ihn besonders interessiren mochte — »Märtens’ Bello?
+der kennt mich, und beißt mich nicht.«
+
+»Nein, der große Türk aus dem Dorfe unten,« sagte Steffen — »der den
+Müller auch schon einmal gebissen hat.«
+
+»Oh der ist schlimm!« rief der Knabe erschreckt — »da geh’ ich gewiß nicht
+hinaus.«
+
+»Geh’ nun zu Bett Carl, es ist spät,« sagte der Vater.
+
+»Ich habe mein Abendbrod noch nicht,« brummte der arme kleine Bursch.
+
+»So? — dann wird Dir’s Albertine geben — und — seid brav und folgt ihr —
+
+Er gab dem Knaben und ältesten Mädchen die Hand, und ging zu den Bettchen
+der Kleinen die er küßte; dann aber als ob er sich einer solchen Regung
+schäme, richtete er sich rasch wieder auf, drückte den Hut in die Stirn,
+und sagte, das Zimmer verlassend, und noch in der Thür sich umdrehend:
+
+»Ich warte auf Dich unten am Wasser — mach schnell!«
+
+»Sei ein gut Kind Albertine, und hab mir gut auf die Kleinen Acht,«
+flüsterte die Frau jetzt dem Mädchen zu, das eben dem Bruder ein Stück
+Brod und Salz gegeben hatte, an dem der aß und verwundert dabei hinter den
+Vater her aus der Thür, und nach der Mutter schaute, die lange — o lange
+Zeit nicht so freundlich mit ihnen gesprochen hatte.
+
+»Aber Mutter wo geht Ihr nur hin?« — frug das Mädchen, der das Benehmen
+der Eltern ebenfalls auffiel, verwundert.
+
+»Auf’s Amt,« sagte die Frau, auf die Frage schon vorbereitet — »wir müssen
+morgen früh mit Tagesanbruch in der Stadt sein, und wollen gehn so lang’s
+kühl ist.«
+
+»Und wann kommst Du wieder?«
+
+»Hoffentlich morgen gegen Abend — wenn wir fertig werden; auf dem Amt sind
+sie aber gar weitläufig — manchmal dauert’s länger als man denkt. Geht mir
+aber nicht vor die Thür, Ihr habt zu essen genug — jedenfalls sind wir
+morgen Abend um die Zeit wieder da — und acht’ mir auf die Kleinen, Tine —
+sei ein vernünftig gutes Mädchen — Du bist groß genug. Und — wenn Jemand
+nach uns fragen sollte, so sag nur wir wären in den Wald gegangen, und
+kämen gleich wieder — es wird aber wohl Niemand fragen,« — setzte sie
+leise, und wie zu ihrer eigenen Beruhigung hinzu.
+
+Sie sah sich im Zimmer um, ob sie Nichts vergessen habe — ihr Bündel lag
+aber versteckt draußen vor der Thür, wie der Mann seine gepackte
+Jagdtasche ebenfalls draußen verborgen gehabt und jetzt mitgenommen hatte.
+Ihr Blick überflog auch nur flüchtig den kleinen Raum, und haftete dann
+auf dem Bettchen des jüngsten Kindes — sie konnte nicht widerstehn, und
+trat noch einmal zu dem schlummernden Kind.
+
+»Geh doch hinaus Tine, und hole ein paar Stücken Holz herein, so lang ich
+noch hier bin, daß Du morgen früh Kaffee kochen kannst — ich bleibe so
+lang bei den Kindern,« setzte sie langsam und ohne das älteste Mädchen
+dabei anzusehn, hinzu. Dieses ging, und in wilder, fast ängstlicher Hast
+küßte die Frau jetzt die kleine, schon sanft schlummernde Line, und hob
+dann das Jüngste aus seinem Kasten, auf dessen rosige Lippen sie den
+eigenen Mund in wilder Heftigkeit preßte, bis es schrie. Die Thränen — die
+Mutter _konnte_ sich nicht ganz verleugnen in dem Augenblick — liefen ihr
+dabei voll und schwer die Wangen hinunter, und erst als sie das Aelteste
+mit dem Holz zurückkehren hörte, legte sie das leicht beruhigte Kind
+wieder auf sein Lager, und küßte den Jungen, dem die Thränen auch anfingen
+in die Augen zu steigen. Er wußte freilich nicht recht weshalb, und nur
+vielleicht weil er die Mutter weinen sah, wurd’ es ihm auch so weh und
+weich um’s Herz.
+
+»Aber Mutter, was ist Dir nur heute Abend?« sagte das Mädchen, dem die
+außergewöhnliche Bewegung derselben unmöglich entgehen konnte — »was habt
+Ihr nur, Du und der Vater?«
+
+»Bah — der Vater war garstig mit mir, und wir haben uns gezankt,« sagte
+die Mutter, das Gesicht abwendend von dem Kind.
+
+Ein scharfer Pfiff von draußen her schlug an ihr Ohr, und sie fuhr
+erschreckt in die Höhe.
+
+»Ja — ich komme schon!« murmelte sie, kaum hörbar, vor sich hin, »so adieu
+Albertine — hab auf die Kinder Acht, und — _behüt Euch Gott_!« und mit
+dem, wie scheu geflüsterten und vielleicht seit langer, langer Zeit nicht
+ausgesprochenen Segen, verließ sie rasch das Zimmer und das Haus.
+
+»Was zum Teufel trödelst Du denn da drin, und läßt mich eine Stunde hier
+warten?« rief der Mann mürrisch, als sie ihn endlich an der verabredeten
+Stelle traf — aber die Frau erwiederte kein Wort, und die fieberheiße
+Stirn in die Hand pressend, folgte sie dem, jetzt ebenfalls finster und
+schweigend Voranschreitenden, durch die Nacht.
+
+
+
+
+
+
+***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND***
+
+
+
+CREDITS
+
+
+May 2006
+
+ Project Gutenberg Edition
+ richyfortytwo
+ Joshua Hutchinson
+ Online Distributed Proofreading Team
+
+
+
+A WORD FROM PROJECT GUTENBERG
+
+
+This file should be named 18475-0.txt or 18475-0.zip.
+
+This and all associated files of various formats will be found in:
+
+
+ http://www.gutenberg.org/dirs/1/8/4/7/18475/
+
+
+Updated editions will replace the previous one — the old editions will be
+renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no one
+owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and
+you!) can copy and distribute it in the United States without permission
+and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the
+General Terms of Use part of this license, apply to copying and
+distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the Project
+Gutenberg™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered
+trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you
+receive specific permission. If you do not charge anything for copies of
+this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given away
+— you may do practically _anything_ with public domain eBooks.
+Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+
+
+_Please read this before you distribute or use this work._
+
+To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work (or
+any other work associated in any way with the phrase „Project Gutenberg“),
+you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™
+License (available with this file or online at
+http://www.gutenberg.org/license).
+
+
+Section 1.
+
+
+General Terms of Use & Redistributing Project Gutenberg™ electronic works
+
+
+1.A.
+
+
+By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work,
+you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the
+terms of this license and intellectual property (trademark/copyright)
+agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this
+agreement, you must cease using and return or destroy all copies of
+Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee
+for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work
+and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may
+obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set
+forth in paragraph 1.E.8.
+
+
+1.B.
+
+
+„Project Gutenberg“ is a registered trademark. It may only be used on or
+associated in any way with an electronic work by people who agree to be
+bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can
+do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying
+with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are
+a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you
+follow the terms of this agreement and help preserve free future access to
+Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+
+1.C.
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation („the Foundation“ or
+PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an individual
+work is in the public domain in the United States and you are located in
+the United States, we do not claim a right to prevent you from copying,
+distributing, performing, displaying or creating derivative works based on
+the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of
+course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of
+promoting free access to electronic works by freely sharing Project
+Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for
+keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can
+easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
+same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you
+share it without charge with others.
+
+
+1.D.
+
+
+The copyright laws of the place where you are located also govern what you
+can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant
+state of change. If you are outside the United States, check the laws of
+your country in addition to the terms of this agreement before
+downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating
+derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work.
+The Foundation makes no representations concerning the copyright status of
+any work in any country outside the United States.
+
+
+1.E.
+
+
+Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
+
+
+1.E.1.
+
+
+The following sentence, with active links to, or other immediate access
+to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever
+any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase
+„Project Gutenberg“ appears, or with which the phrase „Project Gutenberg“
+is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or
+distributed:
+
+
+ This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+ almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away
+ or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License
+ included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org
+
+
+1.E.2.
+
+
+If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from the
+public domain (does not contain a notice indicating that it is posted with
+permission of the copyright holder), the work can be copied and
+distributed to anyone in the United States without paying any fees or
+charges. If you are redistributing or providing access to a work with the
+phrase „Project Gutenberg“ associated with or appearing on the work, you
+must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7
+or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™
+trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
+
+
+1.E.3.
+
+
+If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the
+permission of the copyright holder, your use and distribution must comply
+with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed
+by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project
+Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the
+copyright holder found at the beginning of this work.
+
+
+1.E.4.
+
+
+Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License
+terms from this work, or any files containing a part of this work or any
+other work associated with Project Gutenberg™.
+
+
+1.E.5.
+
+
+Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic
+work, or any part of this electronic work, without prominently displaying
+the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate
+access to the full terms of the Project Gutenberg™ License.
+
+
+1.E.6.
+
+
+You may convert to and distribute this work in any binary, compressed,
+marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word
+processing or hypertext form. However, if you provide access to or
+distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than
+„Plain Vanilla ASCII“ or other format used in the official version posted
+on the official Project Gutenberg™ web site (http://www.gutenberg.org),
+you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
+copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
+request, of the work in its original „Plain Vanilla ASCII“ or other form.
+Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as
+specified in paragraph 1.E.1.
+
+
+1.E.7.
+
+
+Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing,
+copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply
+with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
+
+
+1.E.8.
+
+
+You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or
+distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that
+
+ - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you
+ already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to
+ the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to
+ donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60
+ days following each date on which you prepare (or are legally
+ required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments
+ should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4,
+ „Information about donations to the Project Gutenberg Literary
+ Archive Foundation.“
+
+ - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License.
+ You must require such a user to return or destroy all copies of the
+ works possessed in a physical medium and discontinue all use of and
+ all access to other copies of Project Gutenberg™ works.
+
+ - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
+ any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
+ receipt of the work.
+
+ - You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg™ works.
+
+
+1.E.9.
+
+
+If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic
+work or group of works on different terms than are set forth in this
+agreement, you must obtain permission in writing from both the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the
+Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in
+Section 3 below.
+
+
+1.F.
+
+
+1.F.1.
+
+
+Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to
+identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain
+works in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these
+efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they
+may be stored, may contain „Defects,“ such as, but not limited to,
+incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright
+or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk
+or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot
+be read by your equipment.
+
+
+1.F.2.
+
+
+LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES — Except for the „Right of
+Replacement or Refund“ described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™
+trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™
+electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for
+damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE
+NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH
+OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE
+FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT
+WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL,
+PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY
+OF SUCH DAMAGE.
+
+
+1.F.3.
+
+
+LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND — If you discover a defect in this
+electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund
+of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to
+the person you received the work from. If you received the work on a
+physical medium, you must return the medium with your written explanation.
+The person or entity that provided you with the defective work may elect
+to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the
+work electronically, the person or entity providing it to you may choose
+to give you a second opportunity to receive the work electronically in
+lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a
+refund in writing without further opportunities to fix the problem.
+
+
+1.F.4.
+
+
+Except for the limited right of replacement or refund set forth in
+paragraph 1.F.3, this work is provided to you ’AS-IS,’ WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+
+1.F.5.
+
+
+Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the
+exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or
+limitation set forth in this agreement violates the law of the state
+applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make
+the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state
+law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement
+shall not void the remaining provisions.
+
+
+1.F.6.
+
+
+INDEMNITY — You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark
+owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of
+Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and
+any volunteers associated with the production, promotion and distribution
+of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs
+and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from
+any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of
+this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect
+you cause.
+
+
+Section 2.
+
+
+ Information about the Mission of Project Gutenberg™
+
+
+Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic
+works in formats readable by the widest variety of computers including
+obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the
+efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks
+of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance
+they need, is critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring
+that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for
+generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation was created to provide a secure and permanent future for
+Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations
+can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at
+http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3.
+
+
+ Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of
+Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service.
+The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541.
+Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full
+extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws.
+
+The Foundation’s principal office is located at 4557 Melan Dr.
+S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North
+1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information
+can be found at the Foundation’s web site and official page at
+http://www.pglaf.org
+
+For additional contact information:
+
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4.
+
+
+ Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive
+ Foundation
+
+
+Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without wide spread
+public support and donations to carry out its mission of increasing the
+number of public domain and licensed works that can be freely distributed
+in machine readable form accessible by the widest array of equipment
+including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are
+particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United States.
+Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable
+effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these
+requirements. We do not solicit donations in locations where we have not
+received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or
+determine the status of compliance for any particular state visit
+http://www.gutenberg.org/fundraising/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we have
+not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against
+accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us
+with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make any
+statements concerning tax treatment of donations received from outside the
+United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods
+and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including
+checks, online payments and credit card donations. To donate, please
+visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate
+
+
+Section 5.
+
+
+ General Information About Project Gutenberg™ electronic works.
+
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg™
+concept of a library of electronic works that could be freely shared with
+anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg™
+eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions,
+all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright
+notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance
+with any particular paper edition.
+
+Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook’s eBook
+number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed
+(zipped), HTML and others.
+
+Corrected _editions_ of our eBooks replace the old file and take over the
+old filename and etext number. The replaced older file is renamed.
+_Versions_ based on separate sources are treated as new eBooks receiving
+new filenames and etext numbers.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg™, including how
+to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation,
+how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email
+newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+
+
+
+
+***FINIS***
+ \ No newline at end of file
diff --git a/18475-0.zip b/18475-0.zip
new file mode 100644
index 0000000..a71d069
--- /dev/null
+++ b/18475-0.zip
Binary files differ
diff --git a/18475-8.txt b/18475-8.txt
new file mode 100644
index 0000000..f300065
--- /dev/null
+++ b/18475-8.txt
@@ -0,0 +1,7517 @@
+The Project Gutenberg EBook of Nach Amerika! Erster Band by Friedrich
+Gerstcker
+
+
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no
+restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under
+the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or
+online at http://www.gutenberg.org/license
+
+
+
+Title: Nach Amerika! Erster Band
+
+Author: Friedrich Gerstcker
+
+Release Date: May 2006 [Ebook #18475]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO 8859-1
+
+
+***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND***
+
+
+
+
+
+ Nach Amerika!
+ Ein Volksbuch
+
+ Erster Band
+ von
+ Friedrich Gerstcker.
+Illustrirt von Theodor Hosemann.
+Leipzig, Hermann Costenoble, Verlagsbuchhandlung
+Berlin, Rudolph Gaertner, Amelang'sche Sort-Buchhandlung
+
+1855
+
+
+
+
+
+ [image]
+
+
+
+
+
+
+ NACH AMERIKA!
+
+
+Wie man ein Bild, aus einem Werk heraus, vorn auf den Umschlag bringt, den
+Beschauer dadurch gewissermaen in den Charakter des Ganzen einzuweihen,
+so will auch ich hier den Anfang des einen Capitels, aus der Mitte des
+Bandes heraus, zum Vorwort whlen, den Leser gleich von vorn herein mit
+dem bekannt zu machen, was ich ihm biete.
+
+Nach Amerika! -- Leser, erinnerst Du Dich noch der Mrchen in Tausend
+und eine Nacht, wo das kleine Wrtchen Sesam dem, der es wei, die
+Thore zu ungezhlten Schtzen ffnet? hast Du von den Zaubersprchen
+gehrt, die vor alten Zeiten weise Mnner gekannt, Geister heraufzurufen
+aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu
+machen? -- Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe schlugen, wie sich die
+Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner
+zusammen, die Erde bebte, und das kecke, tollkhne Menschenkind das sie
+gesprochen, bebte zurck vor der furchtbaren Gewalt die es
+heraufbeschworen.
+
+_Die_ Zeiten sind vorber; die Geister, die damals dem Menschengeschlecht
+gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder wir haben auch vielleicht das
+rechte Wort vergeben sie zu rufen -- aber ein anderes dafr gefunden das,
+kaum minder stark, mit _einem_ Schlage das Kind aus den Armen der Eltern,
+den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhltnissen und
+Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reit, in dem es bis dahin mit
+seinen strksten, innigsten Fasern treulich festgehalten.
+
+Nach Amerika, leicht und keck ruft es der Tollkopf trotzig der ersten
+schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine Kraft prfen sollte, seinen
+Muth sthlen -- nach Amerika, flstert der Verzweifelte der hier am Rand
+des Verderbens dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde --
+nach Amerika, sagt still und entschlossen der Arme, der mit mnnlicher
+Kraft, und doch immer und immer wieder vergebens gegen die Macht der
+Verhltnisse angekmpft, der um sein tgliches Brod mit blutigem Schwei
+gebeten -- und es nicht erhalten, der keine Hlfe fr sich und die Seinen
+hier im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln _will_, nicht stehlen
+_kann_ -- nach Amerika lacht der Verbrecher nach glcklich verbtem Raub,
+frohlockend der fernen Kste entgegen jubelnd, die ihm Sicherheit bringt
+vor dem Arm des beleidigten Rechts -- nach Amerika, jubelt der Idealist,
+der wirklichen Welt zrnend, weil sie eben wirklich ist, und ber dem
+Ocean drben ein Bild erhoffend, das dem in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht -- nach Amerika und mit dem einen Wort liegt hinter
+ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes frheres Leben, Wirken, Schaffen -- liegen
+die Bande die Blut oder Freundschaft hier geknpft, liegen die Hoffnungen
+die sie fr hier gehegt, die Sorgen die sie gedrckt -- _nach Amerika!_
+
+So ghrt und keimt der Saame um uns her -- hier noch als leiser, kaum
+verstandener Wunsch im Herzen ruhend, dort ausgebrochen zu voller Kraft
+und Wirklichkeit, mit der reifen Frucht seiner gepackten Kisten und
+Kasten. Der Bauer drauen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain, der
+ihn zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so schwer
+gergert, und der im Geist schon die langen geraden Furchen zieht, weit
+ber dem Meer drben, in dem fetten, herrlichen Land; -- der Handwerker in
+seiner Werkstatt, dem sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft
+setzt, mit Neuerungen und groen, marktschreierischen Firmen, die wenigen
+Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in _seine_ Thr zu locken; der
+Knstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube, der ber einer
+freieren Entwickelung brtet, und von einem Lande schwrmt wo
+Nahrungssorgen ihm nicht Geist und Hnde binden; -- der Kaufmann hinter
+seinem Pult, der Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Bchern
+zieht, und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gesttzt, von einem neuen,
+andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen, von reich gefllten
+Waarenhusern trumt; in Tausenden von ihnen drngt's und treibt's und
+qult's, und wenn sie auch noch vielleicht Jahre lang nach auen die alte
+frhere Ruhe wahren, in ihren Herzen glht und glimmt der Funke fort -- ein
+stiller aber ein gefhrlicher Brand. Jeder Bericht ber das ferne Land
+wird gelesen und berdacht, neue Arzenei, neues Gift bringend fr den
+Kranken. Vorsichtig und ngstlich, und wie weit herum um ihr Ziel, da man
+die Absicht nicht errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem
+Ding -- nach Leuten die vordem hinber gezogen und denen es gut gegangen
+-- nach Land- und Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk -- fr Andere natrlich,
+nicht fr sich etwa -- sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen
+will hinber, ein entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wnschen
+da es dem wohl geht, und hufen mehr und mehr Zunder fr sich selber auf.
+
+So ringt und drngt und whlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem
+nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den _salto mortale_ gethan,
+und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war -- aus
+dem, aus jenem Grund -- und tglich, stndlich noch hren wir von anderen,
+von denen wir im Leben nie geglaubt da _sie_ je an Amerika gedacht, wie
+sie mit Weib und Kind und Hab und Gut hinberziehn.
+
+Und dort? --
+
+-- Die vorliegenden Bltter sollen dem Leser ein Bild geben von dem Leben
+und Treiben solcher Leute. Hier aus unserer Mitte heraus, aus den
+verschiedenartigsten Verhltnissen und Sphren, aus allen Schichten der
+menschlichen Gesellschaft sehen wir sie ziehen -- Gute und Bse, den
+Leichtsinnigen und den Spekulanten, den Bauer und Handwerker, den
+Gelehrten und den Arbeiter, den rechtschaffenen Brger und den heimlichen
+Verbrecher, Alle dem _einen_ Ziel entgegenstrebend. Und _Alle_ vereinigt
+sie das Schiff; der eine kleine Bau, der hunderte von Menschen auf seinem
+schwanken Kiel hinbertrgt, dem fernen Welttheil zu; oh was fr
+Hoffnungen, was fr Plne und Trume birgt er in seinem Schoo. Aber die
+Auswanderer liegen die langen Wochen, ja Monate, verpuppten Raupen gleich,
+im engen Haus, still und gedrngt beisammen; Jeder mit dem alten Leben
+abgeschlossen hinter sich, mit dem neuen noch nicht begonnen, in einem
+wunderlichen unnatrlichen Zustand, ungeduldiger Ruhe, bis der Anker in
+die Tiefe rollt, und die ausgeschobene schmale Planke der bunten Schaar
+von Tag- und Nachtfaltern den Weg in's Freie ffnet.
+
+Hinaus flattern sie da nach allen Seiten, wie eine Hand voll Spreu, vom
+Winde fort gefhrt; die Einen selbstbewut und keck dem fremden,
+unbekannten Leben in die Arme springend, die Anderen scheu und zaghaft bei
+jedem Schritte fast moralische Selbstschsse und Fuangeln frchtend; Alle
+aber entschlossen, die meisten sogar gezwungen, dem neuen Vaterlande die,
+im alten aufgegebene Existenz abzuringen, Jeder in seiner Art, auf seine
+Weise.
+
+Dort nun sehen wir sie schaffen und wirken in Gutem und Bsen, die Einen
+mit ihren khnsten Hoffnungen erfllt, Andere, zerknirscht und zertreten,
+die Stunde verwnschend, die den Gedanken an Auswanderung gebar -- sehn wie
+sich die Wildni lichtet, wie Farmen und Stdte entstehn, und sich das
+deutsche Element ausbreitet nach allen Seiten, und folgen den einzelnen
+Bekannten und Freunden, die wir zu Hause schon, oder auf der Fahrt erst
+lieb gewonnen, oder fr die wir uns interessiren, auf ihren verschiedenen,
+oft wunderlichen Bahnen.
+
+Manchen alten Reisegefhrten fhr ich dabei dem Leser vor, und hoffe ihn
+nicht zu langweilen, den weiten Weg; schlafen wir dann auch manchmal
+drauen im Freien, oder in niederer Blockhtte auf dnnem Quilt, mssen
+wir auch eine Zeit lang mit Maisbrod und Wildpret, oder gar mit Speck und
+Syrup verlieb nehmen, wie es der Farmer am Ohio liebt, wir lernen doch das
+Land kennen, mit seinen guten und schlechten Eigenschaften, seinen
+Vortheilen und Mngeln, seinen Brgern und Einwanderern, seinen inneren
+Verhltnissen, seinem Leben und seiner Lebenskraft, und bin ich im Stande
+ihn auch nur einen Blick in jene ferne, von Tausenden so hei ersehnte
+Welt, wie ich sie selbst gefunden, thun zu lassen, so hab ich meinen Zweck
+mit diesem Buch erreicht.
+
+_Rosenau_ bei Coburg im September 1854.
+
+ Friedrich Gerstcker.
+
+
+
+
+
+ INHALT DES ERSTEN BANDES.
+
+
+Das Dollinger'sche Haus
+Der rothe Drachen
+Der Diebstahl
+Franz Loenwerder
+Die Auswanderungs-Agentur
+Die Weberfamilie
+Nach Amerika
+Der Tanz im rothen Drachen
+Rstungen
+Die beiden Familien
+
+
+
+
+
+ Capitel 1.
+
+
+ DAS DOLLINGER'SCHE HAUS.
+
+
+Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger zu Heilingen -- einer nicht
+unbedeutenden Stadt Deutschlands -- hatte am Sonntag Mittag, ein kleines
+Familienfest die Glieder des Hauses um den Speisetisch versammelt, und
+diesen heute in auergewhnlicher Weise mit Blumen geschmckt, und
+delicaten Speisen und Weinen gedeckt. Es war der Geburtstag der zweiten
+Tochter des Hauses, der liebenswrdigen Clara und nur ihr erklrter
+Brutigam, ein junger deutscher, in New-Orleans ansssiger Kaufmann, als
+Gast der Familie zugezogen worden.
+
+Am oberen Ende des Tisches, um dem Leser die Personen gleich in
+Lebensgre vorzufhren, sa Vater Dollinger, ein etwas wohlbeleibter aber
+behbiger, stattlicher Mann, mit klaren, blauen, unendlich gutmthigen
+Augen und schneeweien Locken und Augenbrauen, die aber dem edel
+geschnittenen Gesicht gar gut und ehrwrdig standen. Ihm zur Rechten sa
+seine Frau, allem Anschein nach etwa funfzehn oder sechzehn Jahre jnger
+wie er selber, und durch ihr volles, dunkelbraunes Haar vielleicht auch
+noch sogar jnger aussehend, als sie wirklich war. Sie ebenfalls, mit
+ihrer stattlichen Gestalt, hatte einen leichten Anflug zu Corpulenz, aber
+das etwas ausgeschnittene Kleid, wie die schwere goldene Kette, Broche und
+Ohrringe, die sie fast etwas zu reichlich schmckten, paten nicht ganz zu
+dem sonst so freundlichen, matronenhaften Aeuern.
+
+Clara neben ihr, war das veredelte Bild der Eltern; die lieben treublauen
+Augen schauten gar so vertrauungs- und unschuldsvoll hinein in die Welt,
+an deren Schwelle sie stand, und die ihr, wie ein eben geffnetes,
+prachtvoll gebundenes Buch auf den ersten, flchtig durchbltterten
+Seiten, nur freundliche Blumen und ihr zulchelnde Gestalten zeigte. Kein
+Schmerz hatte diese engelsanften Zge noch je durchzuckt, keine Thrne
+wirklichen Schmerzes den reinen Blick getrbt, und die ganze zarte,
+sinnige Gestalt glich der eben entkeimenden Frhlingsblthe im sonnigen
+Wald, die dem jungen Frhlingstag in Glck und Unschuld die schwellenden
+Lippen zum Kusse bietet, und in der blitzenden Thauperle ihres Kelchs, den
+reinen Aether ber sich, nur schner, nur glhender zurckspiegelt.
+
+Ihre um nur wenige Jahre ltere Schwester, Sophie, die an des Vaters Seite
+sa, hnelte der Schwester in mancher Hinsicht an Gestalt, aber das
+einfach kindliche, was Clrchen jenen unendlichen Reiz verlieh, fehlte
+ihr. Ihre Gestalt war voller, majesttischer, aber auch ihr Blick mehr
+kalt und stolz; ich bin des reichen Dollingers Kind lag klar und
+deutlich in den scharf zusammengezogenen Mundwinkeln, in dem fest und
+entschieden, blitzenden Auge, und auch ihre Kleidung, ihr Schmuck war,
+wenn nicht reicher, doch jedenfalls mehr in's Auge springend, Bewunderung
+fordernd.
+
+Zwischen Beiden sa Clara's Brutigam, ein junger, bildhbscher Mann in
+moderner, fast fr einen Mann etwas zu gewhlter und sorgfltig geordneter
+Kleidung; er trug das Haar in natrlichen dunkelbraunen Locken und das
+Gesicht glatt rasirt, bis auf einen kleinen, aufmerksam gekruten, und
+nur bis zur halben Backe reichenden Backenbart, an den Fingern aber mehre
+sehr kostbare Diamant-Ringe, eine Brillant-Tuchnadel von prachtvollem
+Feuer, und eine schwere goldene, ebenfalls mit kleinen Edelsteinen
+besetzte Uhrkette.
+
+Die Bekanntschaft Clara's und ihrer Eltern hatte er dabei auf eine etwas
+romantische Weise, und zwar gleich als ihr Lebensretter oder doch Befreier
+aus einer nicht unbedeutenden Gefahr gemacht. Herr und Frau Dollinger
+waren nmlich mit ihren beiden Tchtern im vorigen Herbst auf einer
+Rheinreise bei Rdesheim aus- und zu dem kleinen Waldtempel oben ber
+Asmannshausen hinaufgestiegen, um sich von dort nach dem Rheinstein
+bersetzen zu lassen; die Mutter hatte aber durch das nicht gewohnte
+Bergsteigen heftige Kopfschmerzen bekommen oder, was wahrscheinlicher ist,
+ennuyirte sich am Land und wnschte an Bord des Dampfers zurckzukehren,
+und als sie gerade mit dem Kahn ber den Rhein fuhren, kam ein Dampfboot
+stromab, und hielt auf ihr Winken, sie an Bord zu nehmen. Herr und Frau
+Dollinger, mit Sophie, von den Kahnfhrern untersttzt, hatten auch schon
+glcklich die Treppe und das Deck erreicht, und dicht hinter ihnen folgte
+Clara, als diese sich pltzlich erinnerte, ihre Geldtasche im Kahn
+vergessen zu haben, und anstatt diese sich heraufreichen zu lassen, selber
+wieder zurcksprang sie zu holen. Durch das Hineinspringen fing aber der
+schmale Kahn an zu schwanken, whrend sie, die vergessene kleine Tasche
+aufhebend, das Gleichgewicht verlor und, mit dem Kopf voran, in den Rhein
+strzte. Unglcklicher Weise waren gerade in dem nmlichen Augenblick die
+Kahnleute an Deck des Dampfers gestiegen, den Koffer eines Passagiers, der
+mit an Land fahren wollte, in ihren Kahn zu heben, und wenn sie jetzt
+auch, auf das Geschrei an Bord, rasch in diesen zurcksprangen, trieb doch
+Clara schon hinter dem Dampfboot aus, als der junge, eben von Amerika
+zurckgekehrte Mann, der dem ganzen Vorfall vom Deck des Dampfers
+zugesehn, mit keckem Muth ins Wasser sprang und die Jungfrau doch
+wenigstens so lange an der Oberflche untersttzte, bis das Boot herbeikam
+sie beide aufzunehmen.
+
+Das Weitere nahm einen ziemlich einfachen Verlauf, Joseph Henkel, wie der
+junge Mann hie, gewann sich in den nchsten Wochen, die er in der
+Gesellschaft der ihm zu groen Dank verpachteten Familie zubrachte, die
+Achtung des Vaters und die Liebe von Mutter und Tochter, und als er zuerst
+bei der Mutter um die Hand der Tochter anhielt, sagten Beide nicht nein.
+Allerdings wollte der Vater erst, wenn auch nicht gerade Schwierigkeiten
+machen, doch etwas Genaueres ber die Existenzmittel eines Mannes
+erfahren, dem er das Glck und Leben eines lieben Kindes anvertrauen
+sollte. Henkel selber bot ihm dazu die Hand und gab ihm Adressen an
+verschiedene Huser in New-Orleans, die ihm ber seine dortige Stellung
+genaue Auskunft geben konnten.
+
+Nach seinem Vermgen mochte der alte Dollinger, wenn auch Kaufmann, nicht
+so genau forschen; er war selber reich genug, einen _reichen_
+Schwiegersohn entbehren zu knnen, und etwas Vermgen mute der junge Mann
+haben, dafr brgte sein ganzes Auftreten, brgte besonders in den Augen
+seiner Frau der reiche und wirklich kostbare Schmuck, den er trug. Joseph
+Henkel war aber auch auerdem ein interessanter und sehr gescheidter Mann,
+der Manches in der Welt schon gesehen und erlebt, und das Gesehene und
+Erlebte mit lebendigen Farben und Worten zu schildern wute. Er hatte die
+ganzen Vereinigten Staaten von Nord nach Sd und von Ost nach West
+durchstreift, und dort theils seinen Geschften gelebt, theils gejagt,
+sogar ein kleines Dampfschiff auf dem Arkansas laufen gehabt, mit den
+Indianern Handel zu treiben, und ihnen die Produkte des Ostens gegen ihre
+eigenen Fabrikate und den Gewinn ihrer Jagden einzutauschen. Er war auch
+einmal von jenen wilden trotzigen Stmmen, die uns Cooper so herrlich und
+unbertroffen beschrieben, gefangen genommen und zum Opfertod verdammt,
+und damals wirklich nur durch ein halbes Wunder gerettet worden, und Clara
+hatte eine ganze Nacht nicht schlafen knnen, nur in der Angst und Unruhe
+um die entsetzliche Gefahr, der sich der tollkhne Mensch damals schon
+ausgesetzt.
+
+Der junge Mann schien aber zwischen jenen wilden Stmmen den Umgang mit
+civilisirten Menschen keineswegs verlernt zu haben, und besa ganz
+besonders ein fast wunderbares Geschick, sich seiner Umgebung
+anzuschmiegen, und sich in ihre Charaktere ordentlich hineinzuleben. Als
+ein tchtiger und raffinirter Kaufmann, der vorzglich eine vortreffliche
+statistische Kenntni der Union besa, gewann er sich dabei, und gleich
+von allem Anfang an, die Achtung des alten Dollinger. Der Frau aber hatte
+er leicht ihre kleinen, oft liebenswrdigen Schwachheiten abgelauscht, und
+wute ihnen auf so geschickte Art zu begegnen, da Frau Dollinger, mit der
+Rettung des geliebten Kindes im Hintergrund, schon nach sehr kurzer Zeit
+ganz entzckt von ihm war, und sein Lob dem Gatten unaufhrlich redete.
+Auch mit der lteren Schwester, Sophie, wute sich Henkel bald auf guten
+Fu zu stellen; er hatte bei ihr das leichteste Spiel, denn ihre Schwchen
+lagen offen zu Tag, denen aber schmeichelte er mit solcher
+Liebenswrdigkeit, da ihm Clara, die es fhlte wie er dabei aus sich
+herausging und etwas annahm was ihm nicht natrlich war, oder doch
+jedenfalls dem Mann, den sie liebte, nicht natrlich sein _sollte_,
+dennoch nicht bse darber werden konnte.
+
+Desto freier, offener und natrlicher war er dafr gegen sie selber; er
+las, sang und spielte Pianoforte mit ihr, lehrte sie eine Menge kleiner
+reizender, schottischer und irischer Lieder, oder plauderte mit ihr leicht
+und sorglos Stunden lang in den Tag hinein, und konnte oft so herzlich
+dabei lachen, da es Einem ordentlich gut that, ihm zuzuhren. Selbst
+Sophie entsagte dann nicht selten ihrem sonst etwas mehr abgeschlossenen,
+fast steifen Wesen und kam zu ihnen, Theil an ihrer Frhlichkeit zu
+nehmen.
+
+Nur in den letzten Tagen war der junge Amerikaner wie er im Hause
+gewhnlich scherzhaft hie, oder der Delaware wie ihn Sophie, wenn sie
+manchmal bei recht guter Laune war, nannte, auffllig niedergeschlagen
+gewesen; er hatte Briefe von Amerika bekommen, wie er sagte, und ein sehr
+lieber Freund von ihm war dort schwer erkrankt, auch ein Schiff das ihm
+gehrte, und das nicht versichert worden, so lange ausgeblieben, da sein
+Compagnon fast den Untergang desselben befrchte. Der alte Herr Dollinger
+trstete ihn deshalb, und er schien sich auch darber hinwegzusetzen, die
+sonst so blhende Farbe seiner Wangen wollte aber doch nicht sogleich
+wieder dorthin zurckkehren, und das Auge hatte etwas Unsicheres,
+Unsttes, ihm sonst gar nicht Eigenes bekommen.
+
+Nur heute, zu dem Fest der holden Jungfrau, die er bald die seine zu
+nennen hoffte, hatte er all die trben Gedanken, welcher Art sie auch
+gewesen, und woher sie stammten, von sich abgeschttelt, und war ganz
+wieder der frohe glckliche Mann, wie ihn Clara kennen -- _lieben_ gelernt.
+Auf seinen Wunsch nur, womit Frau Dollinger eigentlich nicht ganz
+einverstanden gewesen, war auch heute keine grere Gesellschaft geladen
+worden, sondern die kleine Familie speiste ganz unter sich in dem
+festlich mit Blumen und Guirlanden geschmckten Zimmer des jungen
+liebenswrdigen Geburtstagkindes. Frau Dollinger hatte sich eigentlich
+schon lnger auf eine zu diesem Zweck einzuladende, grere Gesellschaft
+gefreut. Herr Dollinger selber hielt aber nicht viel von solchen Ften;
+dafr jedoch bedung sie sich aus, da sie wenigstens den Nachmittag
+spatzieren fahren wollten, wobei sie der junge Henkel gewhnlich zu Pferde
+begleitete.
+
+Etwas that aber der alte Herr Dollinger gern, und zwar ein Glas Champagner
+trinken, und der zweite Stpsel war eben lustig hinausgeknallt, der
+Gesundheit des jungen Brautpaares zu Ehren, als die Thr aufging und
+Loenwerder, ein Comptoirdiener des Hauses, mit einem kleinen Paket in's
+Zimmer trat.
+
+Loenwerder war schon seit elf oder zwlf Jahren im Haus, und seinem
+Aeuern nach eben keine angenehme Persnlichkeit; er hinkte auf dem linken
+Bein, das er als Kind einmal gebrochen, war berhaupt hlicher und
+magerer Natur, und schielte auf dem rechten Auge, wodurch sein sonst
+gerade nicht unangenehmes Gesicht einen etwas falschen Ausdruck bekam. Das
+Strendste aber an dem ganzen Menschen war sein Stottern, wegen dem man
+sich auf ein lngeres Gesprch gar nicht mit ihm einlassen konnte, und kam
+er einmal in Affekt, konnte er kein Wort mehr herausbringen. Frau
+Dollinger sowohl wie Sophie konnten ihn auch nicht leiden, ja die letztere
+behauptete sogar er verstelle sich und sie habe ihn schon ganz ordentlich,
+wenigstens zehntausend Mal besser sprechen hren, als er es jedesmal
+affektire, wenn er zu ihnen in die Wohnung komme; Clara aber hatte Mitleid
+mit dem armen Menschen, den sie seines Unglcks wegen innig bedauerte,
+schenkte ihm oft eine Kleinigkeit und spottete nie ber ihn, whrend Herr
+Dollinger selber, ihn als einen brauchbaren und treuen Diener, der noch
+auerdem eine vortreffliche Hand schrieb, kannte und sehr zufrieden mit
+ihm war, ihm auch jedes nur mgliche Vertrauen bewie.
+
+Hallo, Loenwerder, was bringst Du mir da in's Haus? rief ihm sein
+Principal jetzt halb lachend, halb erstaunt entgegen, als der kleine Mann
+das Zimmer betrat und schchtern an der Thre stehen blieb -- ist das fr
+mich oder meine Tochter?
+
+Gewi fr mich, Vterchen, rief Clara, rasch von ihrem Sitze
+aufspringend -- siehst Du, der Onkel hat mich doch nicht ganz vergessen
+mit meinem Fest, und mir Gru und Geschenk geschickt.
+
+Hehehe -- m -- m -- mchten es sich wo -- wo -- wo -- wo -- wohl w -- n --
+nschen Frulein lachte aber der Stotternde, indem er Herrn Dollinger
+zuwinkte, da das Paket fr ihn sei -- ka -- ka -- ka -- kann ich mir de -- de
+-- de -- de -- denken -- Go -- go -- gold und Ba -- ba -- ba -- ba -- bank -- no --
+noten. Er zog dabei einen Brief aus der Tasche, den er dem Herrn bergab.
+
+Hm, hm, hm sagte aber dieser kopfschttelnd, und das bringst Du mir
+jetzt in's Haus -- gerade wo ich ausfahren will -- warum hast Du es denn
+nicht dem Cassirer gegeben?
+
+Ni -- ni -- nirgends zu fi -- fi -- fi -- finden stotterte Loenwerder.
+
+Herr Dollinger warf den Kopf, den Brief flchtig durchfliegend, herber
+und hinber, sagte dann aber, aufstehend und das Papier vor sich
+hinlegend:
+
+Ja, da lt sich denn weiter Nichts ndern; gieb mir das Paket
+Loenwerder, und sieh dann zu, da Du Herrn Reibich findest. Ich lasse ihn
+bitten um sieben oder halb acht Uhr heute Abend auf einen Augenblick zu
+mir zu kommen -- verstanden?
+
+Ja -- ja -- jawohl He -- he -- he -- herr Do -- do -- do -- Do --
+
+Schon gut lachte Herr Dollinger, ihm zuwinkend, und hier, Loenwerder,
+magst Du auch einmal ein Glas auf das Wohl meiner Tochter trinken.
+Frulein Clara's Geburtstag ist heute -- hier Clara, reich es dem jungen
+Herrn. Er fllte dabei ein Wasserglas bis zum Rande voll von dem
+funkelnden, schumenden Na, und whrend Clara mit freundlichem Lcheln
+dem armen Teufel das Glas credenzte, nahm Herr Dollinger das Paket mit
+Geld, ging zu dem nahen Secretair, in dem der Schlssel stak, ffnete ihn,
+legte das Geld hinein, zog dann den Schlssel ab und sagte, diesen der
+Tochter berreichend:
+
+So Kinder, heute mt Ihr einmal auf ein paar Stunden mein Cassirer sein,
+bis der andere aufgefunden werden kann.
+
+Clara nickte dem Vater freundlich zu, und Loenwerder, der das volle Glas
+in der Hand hielt und auf einmal ganz blutroth im Gesicht geworden war,
+hob es empor und rief stotternd:
+
+Fr -- re, re, re, re, re, ru -- le -- le -- lein Cla -- ra -- ra -- ra -- ra --
+aus ga -- ga -- ganzem He -- he -- he -- he -- he -- he -- her -- ze -- ze -- zen.
+
+Als ob er aber mit den Worten in der Kehle Luft gemacht, setzte er das
+Glas an, und der Wein verschwand wie durch Zauberei.
+
+Alle Wetter lachte Herr Dollinger, der sich gerade nach ihm umdrehte,
+Loenwerder hat einen vortrefflichen Zug -- nun? -- hat's geschmeckt?
+
+Gu -- gut Herr Do -- do -- do -- do -- do.
+
+Genug, genug winkte ihm der Principal wieder ab -- also bestell mir das
+ordentlich.
+
+Loenwerder, der Art entlassen, und vielleicht froh aus einer Umgebung zu
+kommen, in der er sich nicht heimisch fhlen konnte, setzte das Glas auf
+einen Seitentisch ab, machte eine etwas linkische Verbeugung, und wohl
+wissend da er zu einem ordentlichen Danke doch keine Zeit mehr brig
+hatte, empfahl er sich ohne weiter auch nur einen Versuch zu mndlichem
+Abschied zu machen.
+
+Eine unangenehme Persnlichkeit sagte Frau Dollinger zu ihrem
+Schwiegersohn _in spe_, als der Mann noch die Thr nicht einmal ordentlich
+hinter sich geschlossen hatte; ich kann mir nicht helfen, auf mich macht
+der Mensch immer einen fatalen Eindruck.
+
+Wie -- wie befehlen Sie meine Gndige? sagte der junge Henkel etwas
+zerstreut; Sophie bog sich in diesem Augenblick zu ihm nieder und
+flsterte ihm ein paar Worte zu --
+
+Er kann ja doch Nichts fr seine Gebrechen nahm Clara aber die Antwort
+auf, und thut gewi Alles in seinen Krften sie eben durch gutes Betragen
+vergessen zu machen.
+
+Papa, ich wrde das Geld auch nicht so offen in dem Secretair da liegen
+lassen sagte Sophie.
+
+Nicht so offen? -- ich habe ja zugeschlossen --
+
+Nun, es ist immer nicht gerade gut, wenn die Dienstleute wissen wo man
+Geld liegen hat stimmte die Mutter bei.
+
+Dienstleute? meinte Herr Dollinger -- es war ja Niemand von ihnen im
+Zimmer --
+
+Doch Loenwerder?
+
+Bah lachte der Kaufmann, mit dem Kopf schttelnd.
+
+Ist es denn viel? frug seine Frau.
+
+Nun, der Mhe werth wr's immer sagte Herr Dollinger, fnf Tausend
+Thaler etwa -- es soll aber auch nicht ber Nacht da liegen bleiben, und
+Loenwerder hat mir auf heute Abend den Cassirer zu bestellen, das Geld an
+sicheren Ort zu legen, bis ich morgen darber verfgt habe.
+
+Der Loenwerder verwandte keinen Blick von dem Geld, so lang er im Zimmer
+war sagte die Mutter, mit dem Finger vor sich hindrohend.
+
+Lieber Gott, Mtterchen, Du weit ja aber doch da er schielt
+vertheidigte ihn lachend Clara -- eben so fest und unverwandt hat er mich
+indessen mit dem andern Auge angesehen; seine Schuld ist's nicht da er
+zwei Stellen auf einmal im Auge behalten mu.
+
+Lat mir den armen Teufel zufrieden sagte aber auch Herr Dollinger --
+der ist mir ntzlicher wie zwei von meinen anderen Leuten; mehr zum
+Nutzen wie Staat freilich, aber Staat will er auch nicht machen. Jetzt
+brigens Kinder wird es Zeit da wir uns rsten, und Henkel, Sie mssen
+noch Ihr Pferd holen lassen.
+
+Ich habe es schon, in der Voraussetzung da wir bei dem schnen Wetter
+doch wohl eine kleine Parthie machen wrden, hierher bestellt, erwiederte
+rasch der junge Mann -- wnschen Sie den Wagen jetzt?
+
+Ich glaube ja, je eher, desto besser; die Tage sind kurz und wenn wir
+noch eine Stunde oder zwei fahren wollen, drfen wir nicht mehr viel
+lnger warten.
+
+Aber Ihr Mdchen mchtet Euch ein wenig warm einpacken sagte jetzt die
+Mutter, alles Andere in dem Gedanken an ihre Toilette vergessend -- zum
+still im Wagen Sitzen pat ein Sommerkleid noch nicht und heute Abend wird
+es khl werden.
+
+Und nicht so lange machen, mahnte der Vater, der sich sein Glas noch
+einmal voll schenkte und leerte; der Wagen wird im Augenblick da sein.
+
+Der Wagen fuhr auch wirklich kaum zehn Minuten spter vor, Herr Dollinger,
+der nun seinen Hut und Stock aufgenommen, ging, seine Handschuh anziehend,
+im Hofe auf und nieder, und endlich erschienen, diesmal in wirklich sehr
+kurzer Zeit, die Damen, ihre Sitze einzunehmen.
+
+Nun, wo ist Henkel? sagte Herr Dollinger, sich nach seinem zuknftigen
+Schwiegersohne umschauend, ich habe sein Pferd auch noch nicht gesehen;
+jetzt wird uns der warten lassen.
+
+Die Familie hatte indessen im Wagen Platz genommen, und der alte Herr
+schaute etwas ungeduldig zum Schlag hinaus, als der junge Henkel zum Thor,
+aber ohne Pferd, hereinkam.
+
+Nun? und Sie sitzen noch nicht im Sattel? rief er ihm schon von weitem
+entgegen -- das ist eine schne Geschichte; jetzt drfen wir den Frauen
+nie im Leben wieder vorwerfen, da sie uns warten lassen.
+
+Ich mu tausend Mal um Entschuldigung bitten, sagte der junge Mann, zum
+Wagen hinantretend, aber mein Stallmeister hat mich sitzen lassen. Wenn
+Sie mir erlauben schicke ich einen der Leute danach, oder gehe selber, es
+ist nicht weit von hier. Aber thun Sie mir die Liebe und fahren Sie
+langsam voraus, ich hole Sie in Zeit von zehn Minuten ein.
+
+Wir knnen ja hier warten, sagte die Mutter.
+
+Ja, wenn die Pferde stehen wollten, brummte Herr Dollinger -- zieh nicht
+so fest in die Zgel Johann, das Handpferd kann das nicht vertragen und
+wird nur noch immer unruhiger -- wir wollen langsam vorausfahren -- machen
+Sie aber da Sie nachkommen; auf dem Balkon vom rothen Drachen trinken wir
+Kaffee, dort ist eine wundervolle Aussicht -- der Stalljunge mag
+hinberlaufen und Ihnen das Pferd holen.
+
+Die Pferde zogen in diesem Augenblick an, Henkel mute aus dem Weg
+springen und verbeugte sich leicht gegen die Damen, von denen ihm Clara
+freundlich lchelnd zunickte.
+
+Eine starke Viertelstunde spter sprengte der junge Amerikaner, seinem
+Thiere die Sporen gebend, da es Funken und Kies hintenaus stob, ber das
+Pflaster, zum Entsetzen der Fugnger dahin, dem Wagen nach, den er nur
+erst eine kurze Strecke vor dem bezeichneten Platz wieder einholte. Im
+Stall wollte Niemand etwas davon gewut haben, da er sein Pferd bestellt
+gehabt -- Einer schob die Vergessenheit natrlich auf den Andern, und
+Dollinger's Stallknecht mute die Leute sogar erst zusammensuchen, bis er
+das Pferd bekam, deshalb hatte es so lange gedauert. Als er mit demselben
+zurckkehrte, ging der junge Mann in dem kleinen, dicht am Haus liegenden
+Garten auf und ab, sprang aber dann, dem Burschen ein Trinkgeld zuwerfend,
+und dessen Entschuldigung nur halb hrend, rasch in den Sattel und flog,
+wie vorher erwhnt, in vollem Carrire die Strae nieder.
+
+Er hatte den Hof kaum verlassen, als Loenwerder, einen groen,
+wunderschn blhenden Monatsrosenstock unter dem Arm, vorsichtig und wie
+scheu, da ihn Niemand gewahre, ber den Hof und in die Hinterthr des
+Hauses schlich, und sich leise und geruschlos die Treppe damit
+hinaufstahl. Er blieb etwa zehn Minuten im Haus und wollte dann aus
+derselben Thr wieder ber den Hof zurck, als der Stallknecht aus der
+Futterkammer kam. Unschlssig blieb der kleine Mann eine kurze Zeit hinter
+der Thr stehen, und schlich sich dann, als der Bursche den Platz nicht
+verlassen wollte, vorn zur Hausthr hinaus auf die Strae, den Weg nach
+seiner Wohnung einschlagend.
+
+
+
+
+
+ Capitel 2.
+
+
+ DER ROTHE DRACHEN.
+
+
+Der rothe Drachen, ein Wirthshaus, das wegen seines vortrefflichen
+Bieres, wie sonst mancher schtzenswerthen Eigenschaften einen sehr guten
+Namen hatte, lag etwa eine halbe Stunde von Heilingen, an der groen
+Landstrae, die gen Norden fhrte. Ein freundlicher Thalgrund umschlo
+Haus und Garten und die dunklen, den Gipfel des nchsten Hanges krnenden
+Nadelhlzer hoben nur noch mehr das freundliche Grn der jungen Birken und
+Weieichen hervor, die sich ber die niedere Abdachung erstreckten, und
+bis scharf hinan an den hocheingefriedigten und sorgfltig in Ordnung
+gehaltenen Frucht-, Gemse- und Blumengarten des Hauses selber lehnten.
+
+Es war ein warmer, sonniger Frhlingsnachmittag; der Bach, der am Hause
+dicht vorbeirieselte, pltscherte und schumte in frischem jugendlichen
+Uebermuth, des Eises Hlle, die ihn so lange gefangen gehalten oder doch
+fest und ngstlich eingeklemmt, nun endlich einmal enthoben zu sein, und
+die Vgel zwitscherten so froh und munter in den Zweigen der alten
+knorrigen Linde, die unfern der Thre stand, und flatterten und suchten
+herber und hinber, aus den blhenden Obstbumen fort ber den Hof und
+von dem Hof wieder fort in dicht versteckten Ast und Zweig hinein, mit
+einem gefundenen Strohhalm oder einer erbeuteten Feder im Schnabel, da
+Einem das Herz ordentlich aufging ber das rege glckliche Leben. Und wie
+blau spannte sich der Himmel ber die blhende, knospende Welt, wie leicht
+und licht zogen weie duftige Wolken, Schwnen gleich, durch den Aether
+hin, farbige, flchtige Schatten werfend ber Wiesen und Feld und die
+weite Thalesflucht, die sich dem Auge in die Ferne ffnete und dem
+leuchtenden Blick neue Schtze bot, wohin er fiel.
+
+Ein Frhling in Deutschland -- ein Frhling im _Vaterland_; oh wie sich das
+Herz da mit der wirbelnden, schmetternden Lerche hebt und jubelnd,
+jauchzend gen Himmel steigt; zwinge die Thrne da nicht zurck, die sich
+Dir, dem Glcklichen, in's Auge drngt -- in ihrem Blitzen preisest Du den
+Vater droben, wie es die jubelnde Lerche dort thut, die mit zitterndem
+Flgelschlag ber den grnen Matten schwebt; -- wie das raschelnde
+flsternde Blatt im Wald, wie der schwankende, thaugeschmckte Halm und
+die knospende, duftende Blthe im Thal. Ein Frhling im Vaterland -- oh wie
+schn, wie jung und frisch die Welt da um uns liegt in ihrem brutlichen
+Glanz, voll neuer Hoffnungen in jedem jungen Keim, und wie sich das Herz
+der schnen Blume gleich zusammenzog, als der Herbststurm ber die Haide
+fuhr, mit rauher Hand den Blattschmuck von den Bumen ri und zu Boden
+warf und Schnee und Eis vor sich hin jagte ber die erstarrende Flur, so
+ffnet es sich jetzt mit vollem Athemzug wieder den balsamischen
+Frhlingsgru, und vorbei, vergessen liegt vergangenes Leid -- wie der
+verwehte Sturm selber keine Spur mehr hinterlie und die schnsten Blumen
+jetzt gerade an den Stellen blhen, wo er am tollsten, rasendsten getobt.
+
+Ein warmer erquickender Regen war die letzten Tage gefallen, und so gut er
+dem Land gethan, hatte er doch die Bewohner des nahen Stdtchens in ihre
+Huser und Straen gebannt gehalten, von wo aus sie sehnschtig die nahen
+grnenden Berge theils, theils die dunklen Wolken betrachteten, die nicht
+nachlassen wollten Segen auf die Fluren niederzutrufeln. Heute aber hatte
+sich das gendert; voll und warm glhte die Sonne am Himmelszelt und
+hinaus strmten sie in jubelnden Schaaren, hinaus in's Freie. Der rothe
+Drachen vor allen anderen Pltzen, der so reizend an der Oeffnung des
+Thales lag und die Aussicht bot in das darunter liegende freie Land, hatte
+dabei sein reichlich Theil erhalten der frhlichen Schaar, da die Wirthin
+mit ihren Kellnern und Mgden nicht Hnde genug hatte zu schaffen und
+herzurichten, und die Tische und Bnke im Garten drauen fast alle besetzt
+waren rund herum von Schmausenden.
+
+Der rothe Drachen sollte brigens, wie die Sage ging, seinen Namen von
+einem wirklichen Drachen bekommen haben, der einmal vor vielen hundert
+Jahren in der Schlucht weiter oben, die auch noch ebenfalls nach ihm die
+Drachenschlucht hie, gehaust und viele Menschen und Rinder verschlungen
+hatte. Der Wirth des rothen Drachen nun, Thuegut Lobsich, dessen
+Voreltern schon diesen Platz gehalten, behauptete dabei, Einer seiner
+Ahnen habe den Drachen im Einzelkampf erlegt -- (die Gste meinten, mit
+schlechtem Bier vergiftet) und dafr von dem damals regierenden Frsten
+Platz und Wirtschaft als Gerechtsame, mit dem Schild als Wahrzeichen,
+erhalten.
+
+Wie dem auch sei, Thuegut Lobsich that wirklich gut auf dem Platz, der ihm
+vortreffliche Nahrung bot, und befand sich so wohl, wie sich nur ein Wirth
+in einer gut gelegenen Wirthschaft befinden kann. Seine Frau war aber
+dabei der Nerv des Ganzen, in Kche und Stall, in Keller und Haus, und
+whrend sich Vater Lobsich, wie er sich gern nennen lie, obgleich er noch
+jung und rstig war, am Liebsten zu seinen Gsten irgendwo an einen Tisch
+drckte und das Bier controllirte, wie er sagte, da ihm die Burschen
+kein Saures brachten und die Gste verjagten, arbeitete die Frau im
+Schweie ihres Angesichts vor dem Heerd, die bestellten Portionen
+herzurichten und zu gleicher Zeit auch den Verkauf von Kaffee, Thee, Milch
+und Kuchen zu berwachen. Dabei fhrte sie die Kasse und rechnete mit
+Kellnern und Mdchen ab, und wehe denen, die eine halbe Portion Kaffee
+oder Kuchen vergessen, ein nichtbezahltes Glas nicht aufnotirt oder einem
+schlechten Kunden noch einmal gegen den direkt gegebenen Befehl geborgt
+hatten.
+
+Bse Zungen meinten dabei nicht selten, Frau Lobsich sei der einzige Mann
+im Hause und Thuegut drfe nur tanzen, wenn sie nicht daheim wre; bse
+Zungen erwhnten dann aber nicht dabei, da sie wirklich allein das
+Hauswesen in Zucht und Ordnung hielt, und so scharf und heftig sie drauen
+in Kche und Wirtschaft, wo sie fremde Leute doch auch eigentlich nur zu
+sehen bekamen, sein konnte, und so groe Ursache sie dabei oft hatte
+rgerlich zu sein, und die Ursache dann auch fr vollkommen gengend
+hielt, es wirklich zu werden, so still und freundlich konnte sie sich
+betragen, wenn sie allein mit ihrem Manne war, und so gern gab sie ihm in
+Allem nach, was nicht eben zu Ruin und Schaden trieb. Salome Lobsich war
+das Muster einer Hausfrau, und was ebensoviel sagen will, eine gute Gattin
+dabei -- ob ihr Mann dasselbe auch von sich sagen konnte, stand auf einem
+anderen Blatt.
+
+Heute hatte sich brigens eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft in dem gar
+so freundlich gelegenen Garten des rothen Drachen eingefunden, und dicht
+vor der Thr desselben, unter der alten breitschattigen Linde, die ihre
+Arme so weit nach rechts und links hinberstreckte, da man sie schon
+hatte sttzen mssen, nur den Weg zu ihr und den Platz darunter frei zu
+behalten, sa Lobsich selber mit einem kleinen Kreis guter Bekannten,
+d. h. alter Kunden und quasi Stammgste von ihm, denn er selber kam selten
+irgend wo anders hin, und wer also sein Bekannter _bleiben_ wollte, mute
+ihn eben besuchen.
+
+Zu diesen gehrte besonders Jacob Kellmann, ein Krschner und Pelzhndler
+aus Heilingen, dann der Aktuar Ledermann von dort, eine lange hagere,
+etwas ungeschickte Gestalt, mit aber nicht unangenehmen, gutmthigen
+Gesichtszgen, und der Apotheker aus Heilingen, Schollfeld mit Namen, die
+es gewhnlich so einzurichten wuten, da sie an einen Tisch mit einander
+zu sitzen kamen. Lobsich nahm ebenfalls am Liebsten zwischen dieser
+kleinen Gesellschaft Platz, und nur dann und wann, besonders wenn er die
+Stimme seiner Frau irgendwo hrte, stand er auf und ging einmal durch den
+Garten und die Reihen seiner Gste, zu sehn ob Alle ordentlich bedient
+wrden, und keine Klagen einliefen gegen unaufmerksame Kellner, die er in
+dem Fall auch wohl gleich an Ort und Stelle mit einem Knuff oder einer
+Ohrfeige abstrafte, als warnendes Beispiel. Er mute an irgend Jemand
+seinen Aerger auslassen, da er nicht bei seinem Biere konnte sitzen
+bleiben.
+
+Ist doch ein prachtvolles Wetter heute, sagte Kellmann, der eben einen
+tchtigen Zug aus seinem Glase gethan, und nun mit vollem zufriedenen
+Blick ber das freundliche Bild hinaus schaute, das sich, von der warmen
+Nachmittagssonne beschienen, in all seinem blitzenden Glanz und
+Farbenschimmer vor ihnen aufrollte und es wchst und gedeiht Alles
+drauen so schn und steht so prchtig -- merkwrdig dabei, da Alles so
+theuer bleibt, und die Preise, statt herunter zu gehen, immer nur steigen
+und steigen.
+
+Ja das wei Gott, seufzte der Aktuar, dem der Gedanke selbst den
+Geschmack am Bier wieder zu verderben schien, denn er setzte das schon zum
+Mund gehobene Glas unberhrt vor sich nieder -- und wenn das noch eine
+Weile so fort geht, knnen wir alle mit einander verhungern oder
+davonlaufen.
+
+Nun Ihr habt gut reden, sagte Kellmann, Ihr bekommt vom Staat Euer
+Gewisses und knnt Euch genau danach einrichten -- Euer Geld mu Euch
+werden, wenn der erste jedes Monats kommt, unsereins hngt aber allein von
+den Zeiten ab, und wenn die Lebensmittel knapp werden, kauft Niemand einen
+Pelz. Holz will auch sein und daran kann sich nachher die ganze Familie
+wrmen.
+
+Ihr redet wie Ihr's versteht, brummte der Aktuar, -- unser Gewisses
+bekommen wir, das ist wahr, aber nur deshalb, damit wir gewisses Elend vor
+den Augen haben. Ich habe fnfhundert Thaler Gehalt, und Frau und Kind und
+Dienstmdchen zu ernhren, und soll anstndig dabei gekleidet gehn, denn
+vor zehn und zwanzig Jahren hatte ein Aktuar in meiner Stellung auch nicht
+mehr, und machte das Alles mglich, ja befand sich wohl dabei. Jetzt aber
+wird Brod, Butter, Fleisch, Holz, Wohnung, kurz Alles was wir nun einmal
+zum Leben brauchen, gesteigert von Tag zu Tag, aber meine fnfhundert
+Thaler _bleiben_; vor zehn Jahren kaufte ich zwanzig Pfund Brod fr
+dasselbe Geld, fr das ich jetzt nicht zehn bekomme -- aber _meine_
+fnfhundert Thaler _bleiben_. Auch mein Hausherr verlangt hheren Zins --
+schon voriges Jahr bin ich hher gegangen, um nicht gesteigert zu werden,
+d. h. fr denselben Preis aus der zweiten in die dritte Etage gezogen,
+aber dies Jahr mu ich ganz hinaus, denn er will wieder zehn Thaler mehr
+haben und ich kann's ihm nicht geben. Ihr Leute habt Euch gut in die
+Zeiten schicken, denn wenn das Brod theuer wird, schlagt Ihr desto mehr
+auf Euere Waare, der kleine Beamte aber, der Staatsdiener um geringen
+Lohn, das ist das geplagte, gefhrdete Geschpf, und jede neue Taxe macht
+ihm keine neue Berechnung, sondern schnallt ihm nur den Leibriemen um ein
+Loch enger, da er weniger it, bis er in's _letzte_ Loch geworfen wird,
+zum ersten Mal von seinen irdischen Strapatzen, ohne Furcht vor rasch
+abgelaufenen Ferien, wirklich ungestrt auszuruhen.
+
+Ach geht mit Eueren erbrmlichen Lamentationen an solch freundlichem
+Tag, fiel ihm der Wirth hier in die Rede, der sich erst vor ein paar
+Augenblicken wieder mit zum Tisch gesetzt und schon eine ganze Weile
+ungeduldig mit dem Kopf geschttelt hatte. Das Reden macht's nicht besser
+und Sthnen und Seufzen hilft auch Nichts -- Kopf oben, das ist die
+Hauptsache; das andere macht sich von selber -- aber hallo -- unterbrach er
+sich pltzlich, von seinem Sitze aufstehend und die Strae
+hinunterzeigend, die in das weite Thal fhrte -- was kommt dort fr ein
+Trupp den Weg entlang? -- und in der That wurde dort oben ein ganzer Zug
+Mnner, Frauen und Kinder mit kleinen Handkarren und ein paar einspnnigen
+Wgelchen sichtbar.
+
+Das sind Auswanderer! rief Jacob Kellmann, von seinem Stuhl aufspringend
+und dem Zug entgegenschauend -- seht nur ein Mensch an, wieder ein ganzer
+Schwarm aus dem Hessischen; Heiland der Welt, da mu doch endlich einmal
+Platz werden.
+
+Na nu ist wieder der Frieden beim Henker, rief aber der Apotheker
+mrrisch -- hier Lobsich setzt Euch auf Eueren Stuhl und trinkt Euer Bier
+aus, und Ihr Kellmann, lat das Volk da drauen laufen, wohin sie wollen --
+unzufriedene Bande, die es ist und die es nirgends gut genug kriegen kann,
+wo ihr nicht das Confekt auf goldenen Tellern prsentirt wird. Na kommt
+nur hinber, wenn Euch hier der Hafer zu sehr sticht -- Euch werden sie
+schon noch das Fell ber die Ohren ziehn, da Ihr am hellen lichten Tag
+die Sterne zu sehn bekommt.
+
+Nein was fr ein Zug! rief aber Kellmann, die langsam nher kommende
+Schaar mit unverkennbarem Interesse betrachtend; die armen Teufel.
+
+Hrt Kellmann, rief aber Schollfeld rgerlich, tretet mir da ein wenig
+aus dem Weg, da ich auch was sehen kann, und setzt Euch wieder, ich
+dchte doch wahrhaftig, Auswanderer hier an der Strae wren nichts so
+besonders Neues, da Ihr Maul und Nase aufsperrt und thut, als ob Euch so
+etwas noch nicht im ganzen Leben vorgekommen wre.
+
+Schollfeld war brigens nicht umsonst so mrrisch; er hatte einen Zorn auf
+Auswanderer, denn er betrachtete Auswanderung als eine indirekte
+Beleidigung gegen den Staat, gewissermaen als eine Grobheit, die man ihm
+geradezu unter die Nase sage -- : ich mag nicht mehr in Dir leben und
+wei einen Platz, wo's besser ist. Das _dachten_ sich nmlich die
+Tlpel, wie er sie nannte, aber Sie _wuten_ es nicht -- gar Nichts
+wuten sie und liefen blind und toll in die Welt hinein. Der Staat htte
+auch eigentlich den Skandal gar nicht dulden sollen; hunderte von
+Menschen, reine Deserteure aus ihrem Vaterland, liefen da frank und frei
+vorbei, Anderen noch obendrein ein bses Beispiel gebend, und er begriff
+die Regierung nicht, wie sie dem Volke nur noch einen Pa gestatten
+konnte.
+
+Der Zug war indessen nher gekommen und Lobsich rasch in das Haus gegangen
+Bier herbeizuschaffen, da sich bei solchen Trupps gewhnlich eine Menge
+junge Burschen befanden, die noch Geld im Beutel und immer frischen Durst
+hatten; um so mehr, da das Bergesteigen heute wirklich warm und den Hals
+trocken machte.
+
+ [Capitel 2]
+
+Die ersten Wgen passirten still vorbei; die Fhrer warfen einen langen,
+vielleicht sehnschtigen Blick nach den behaglich hinter ihren Tischen
+sitzenden Gsten und dem khlen funkelnden Bier hinber, aber hielten
+nicht an, sich lngere Rast dafr auf den Abend versprechend. Nur von den
+Fugngern blieben mehre Trupps unfern der Linde, unter der unsere kleine
+Gesellschaft sa, und nicht weit von der Gartenthre stehn, und whrend
+ein paar der Mnner dem Kellner winkten, ihnen Bier herauszubringen, als
+ob sie sich scheuten in ihrer bestaubten schmuzigen Kleidung, mit der
+schweibedeckten Stirn, zwischen die geputzten und jetzt nach ihnen
+herbersehenden Gruppen hineinzugehn, hielt ein Trupp Frauen ebenfalls
+dort. Angezogen von der pltzlichen weiten und freien Aussicht, die ihnen
+hier nach unten zu das Thal ffnete, durch das sie gekommen, blieben sie
+erfreut und berrascht stehn und schauten dabei auf das reizende Bild hin,
+das wie mit einem Schlage so vor ihnen in's Leben sprang.
+
+Heiland der Welt, Lisbeth, rief ein junges, sechzehnjhriges Mdchen
+der, vielleicht zwei Jahr lteren Schwester zu -- dort drben liegt
+Holstetten, und von da ist's nur noch neun Stunden zu Haus -- dahinter kann
+ich den weien Weg durch's schwarze Nadelholz sehn, der hinberfhrt nach
+Krisheim.
+
+Ja Marie, antwortete das Mdchen, und whrend sie sprach, liefen ihr die
+groen hellen Zhren an den bleichen Wangen nieder, gleich hinter dem
+Berg dort mu die Windmhle liegen, und dann kommt Bachstetten und
+nachher -- sie konnte nicht mehr sprechen, das Herz war ihr zu voll und
+sie mochte doch nicht das der Schwester, wenn diese ihren Schmerz sah,
+noch schwerer machen. Aber zurckdmmen lie sich das auch nicht, die
+Wunde war noch zu frisch und blutete zu stark, und beide Mdchen standen
+wenige Minuten still und weinend da, die schnen thrnenberstrmten Zge
+den ihr nchsten Menschen ab- und der verlassenen Heimath, die sie wohl
+nie im Leben wieder schauen sollten, zugekehrt.
+
+Ob auch wohl Martha der Mutter Grab ordentlich hlt und pflegt, wie sie
+es versprochen, brach die Jngste endlich wieder mit leiser kaum hrbarer
+Stimme das Schweigen.
+
+Sie hat's ja versprochen, flsterte fast eben so leise die Schwester
+zurck, aber -- -- -- -- so lieb wird sie's doch nicht haben wie wir.
+
+Komm Lisbeth, sagte die Jngere wieder und ergriff, ohne sie aber dabei
+anzusehn, der Schwester Hand -- wir wollen gehn -- die Wagen sind schon ein
+Stck voraus.
+
+Beide Mdchen nickten leise und kaum bemerkbar der verlassenen Heimath zu
+und schritten dann schweigend Hand in Hand den Weg entlang, der nach und
+durch Heilingen fhrte, ihre weite, unbekannte Bahn.
+
+He Marie, Lisbeth! rief sie der Vater an, der eben an der Thr des
+Gartens ein Glas Bier von einem der Kellner erhalten hatte -- wollt Ihr
+einmal trinken Kinder?
+
+Ich danke Vater, sagte Marie zurck, ohne sich umzusehn oder stehn zu
+bleiben, wir sind nicht durstig.
+
+Woher des Wegs Ihr Leute? wandte sich jetzt Kellmann, der trotz
+Schollfeld's rgerlichen Worten zu dem Alten getreten war, an diesen.
+
+Aus Hessen, sagte der Mann ruhig und that einen langen durstigen Zug aus
+dem, mit dem trefflichen Bier gefllten, schumenden Glas.
+
+Und wohin?
+
+Nach Amerika.
+
+Hm -- ist ein weiter Weg -- ist Euch wohl schlecht gegangen hier im Lande?
+sagte Kellmann, die krftige und doch gramgebeugte Gestalt des alten
+Landmanns teilnehmend betrachtend.
+
+Der Bauer, dessen Blick auch an dem fernen Punkt inde gehangen, wo seine
+frhere Heimath lag, lie das Auge einen Moment wie mitrauisch ber den
+Frager gleiten und erwiederte dann leise und kopfschttelnd:
+
+Schlecht? -- lieber Gott wie man's nimmt; man soll g'rad nicht klagen; der
+liebe Gott hat geholfen und wird weiter helfen.
+
+Ihr wollt Euch wohl ein paar von den gebratenen Tauben holen die in
+Amerika herumfliegen? mischte sich hier der Apotheker in's Gesprch, der
+nicht umhin konnte dem Auswanderer, wie er sich ausdrckte, einen Hieb
+zu versetzen -- habt Ihr auch Messer und Gabeln mit?
+
+Der Bauer sah den kleinen, spttisch lchelnden Mann einen Augenblick
+ruhig von der Seite an, zahlte dann dem neben ihm stehenden Kellner, dem
+er das Glas zurckgab, sein Bier, und ohne irgend etwas auf die Frage zu
+erwiedern, oder rgerlich darber zu scheinen, ja als ob er sie nicht
+gehrt htte, wandte er sich und folgte mit einem gr Euch Gott Ihr
+Herren, seinen vorangegangenen Tchtern.
+
+Holzkopf, brummte der Apotheker, nur noch mehr gereizt ber diese
+anscheinende Misachtung, hinter ihm drein -- dem Volk ist zu wohl hier,
+setzte er dann, mit einem krftigen Zug aus seinem Glase hinzu -- der Art
+Leute fhlen sich nicht behaglich, wenn sie nicht baumfest unter dem
+Daumen gehalten werden.
+
+Guten Abend miteinander, sagte in diesem Augenblick ein Anderer der
+Auswanderer, der, mit einem kurzen Pfeifenstummel in der Hand zu dem Tisch
+trat, auf dem in einem schtzenden Kelchglas ein Licht mit darum
+gesteckten Fidibus zum Anznden der Cigarren stand -- wenn's erlaubt ist,
+mchte ich mir wohl einmal eine Pfeife bei Euch anbrennen.
+
+Mit Vergngen, sagte Ledermann, ihm einen Fidibus anzndend und
+hinreichend.
+
+Danke schn, nickte der Mann, das Feuer benutzend und den blauen Qualm
+in schnellen kurzen Zgen ausblasend. --
+
+Und wo geht die Reise hin? frug Ledermann dem Rauchenden.
+
+Da hinber, sagte dieser; immer noch scharf ziehend, inde er mit dem
+linken, zurckgebogenen Daumen ber die linke Achsel wie -- bers groe
+Wasser. --
+
+Habt Ihr dort schon einen Platz? frug der Aktuar.
+
+Ja, sagte der Mann freundlich -- mein Bruder hat mir geschrieben aus dem
+Wiskonsin heraus; da soll's gut sein.
+
+Und geht Ihr Alle dorthin? frug ihn Kellmann.
+
+Die meisten von uns, ja; eine Parthie will aber auch hinber in's
+Missuri; da ist's wrmer.
+
+Es sind wohl lauter Landleute hier miteinander?
+
+Ja meistens -- ein Schneider ist dabei, und der Schmied aus dem Dorfe und
+der Herr Pastor ist schon voraus.
+
+Der Pastor geht auch mit? frug Kellmann schnell.
+
+Ahem, nickte der Mann, der ist aber mit der Post gefahren, aber er hat
+gesagt er wollte sehn da wir Alle auf ein Schiff kmen. Danke schn Ihr
+Herren, adje.
+
+Glckliche Reise, rief ihm Kellmann nach.
+
+Danke, nickte der Mann noch einmal zurck, knnens brauchen, und
+schlo sich den brigen wieder an, von denen die letzten gerade die Thr
+des Wirthshauses passirten.
+
+Es waren rmliche, viele von ihnen krnklich oder wenigstens bleich
+aussehende Gestalten, in die Bauerntracht ihrer Gegend gekleidet; die
+meisten Frauen mit Kindern auf dem Arm, Manche sogar deren an der Brust,
+und ein Bndel dazu auf dem Rcken, die im Schwei ihres Angesichts, wie
+sie bis jetzt gelebt, mhsam der fernen ersehnten Heimath
+entgegenstrebten. Hie und da waren auch ein paar krftige junge Burschen
+von zwlf bis vierzehn Jahren vor ein kleines leichtes Handwgelchen
+gespannt, darauf gepackte Betten, Kleidungsstcke und Lebensmittel die
+weite Strae entlang zu ziehen. -- Die Leute hatten kein Geld brig, denn
+das wenige, was sie zur Reise aufgespart, muten sie fr das Schiff
+aufheben, und ein paar Thaler sollten doch auch noch wenigstens, wenn das
+irgend anging, brig bleiben, damit sie nur die ersten Tage in Amerika,
+ehe sie Arbeit bekmen, vor Sorge geschtzt wren. Den glnzenden
+Schilderungen die ihnen von dem neuen Lande ihrer Hoffnungen gemacht
+waren, trauten die armen Frauen am wenigsten in ihrem vollen Umfange; von
+Jugend auf, wie ihnen nur eben die Krfte wurden ihre jngeren Geschwister
+in der Welt herumzuschleppen, hatten sie arbeiten, hart arbeiten mssen,
+und viel anders wrde es auch wohl nicht da drben sein. Der Sorgen waren
+hier nur gar so viele angewachsen, mit jedem Jahre mehr, wie sie sich auch
+plagten und qulten, und schlechter _konnte_ es dort drben nicht sein.
+Das war fr jetzt der einzige Trost den sie mit sich trugen die lange,
+heie Strae entlang mit einer kleinen Hoffnung mglicher Besserung
+vielleicht, und sie drckten dann die Kinder nur fester an ihr Herz und
+kten sie, und flsterten ihnen leise und heimlich zu da sie nicht mehr
+schreien sollten, denn sie gingen nach _Amerika_, und da wrde schon Alles
+gut werden, wie ihnen der Vater gesagt.
+
+Die Mnner und Burschen zogen der fernen Welt aber schon mit mehr
+Vertrauen entgegen; das Bewutsein der eigenen Fhigkeit und Kraft hob sie
+dabei auch ber Manches hinweg das die abhngigen Frauen schwerer zu Boden
+drckte. Wer bei einer langen Wanderung voran geht, und fr den Weg zu
+_denken_ hat, wird nie so mde als der, der ihm folgt, nur fr sich denken
+lt, und hinter drein zieht. Viele von den Mnnern trugen auch
+Jagdtaschen und Gewehre auf dem Rcken, Bchsen und Schrotflinten -- was
+sollte es da drben nicht Alles zu schieen geben; -- Manche auch
+nachgemachte bunte Blumenstrue auf dem Hut. Einzelne, aus Baiern und
+Thringen, die sich ihnen angeschlossen, hatten sogar ein paar kleine
+gefrbte Maraboutfedern mit ihren Landesfarben, blau und wei, und grn
+und wei in ihrem Hutband stecken; die Meisten aber schienen keine solche
+Erinnerung an die Heimath mitnehmen zu wollen, in das neue Vaterland.
+
+Die Leute gingen vorber, und die Gste hatten ihnen schweigend
+nachgeschaut, so lange fast, bis sie die nchste Biegung der Strae ihren
+Blicken entzog. Auch Lobsich war wieder vor die Thr seines Gartens
+getreten, und sich jetzt kopfschttelnd zurck zu seinem Tische wendend,
+brummte er vor sich hin.
+
+S'ist mir doch was Unbedeutendes -- es war dieses eine seiner stehenden
+Redensarten, die in der That unbegrenztes Erstaunen ausdrcken sollte --
+was die Leute die Frhjahr wieder an zu ziehen fangen; Tag fr Tag geht
+das so fort; Trupp nach Trupp kommt ber die Berge herber, mit Sack und
+Pack, mit Weib und Kind -- und Alles fort, Alles fort, und man merkt nicht
+einmal von _wo_ sie fort sind.
+
+Doch, doch, sagte Kellmann, die Augenbrauen in die Hhe ziehend und mit
+dem Kopf nickend, doch, doch Lobsich; ob man's wohl merkt? -- geht einmal
+da ber die Berge hinber und seht Euch in den Drfern um; da steht
+manches alte halbzerfallene _leere_ Haus, an das irgend eine Familie da
+drben noch mit Schmerzen zurckdenkt, und in das Niemand anderes mehr
+Lust hat einzuziehen, weil er noch eine Menge _bessere_, ebenfalls leer,
+in demselben Dorfe findet. Es ist immer ein trauriger Anblick solch ein
+leeres Haus, und ich seh's nicht gern.
+
+Und was fr _Geld_ tragen sie auer Land, fiel der Apotheker hier ein,
+der inde, sich zu zerstreuen, im Heilinger Tageblatt gelesen hatte, jetzt
+aber nicht umhin konnte auch noch ein Wort mit drein zu werfen -- was sie
+nicht mit hinbernehmen knnen, lassen sie wenigstens in den Seestdten,
+und zu uns kommt Nichts mehr davon zurck. Wenn ich nur das erst einmal
+erlebe, da die Leute zu ihrem Glck frmlich _gezwungen_, und nicht mehr
+aus dem Land hinausgelassen werden; geht das aber so fort, so werden sie
+so lange auswandern, bis uns hier weiter gar Nichts brig bleibt als
+mitzugehen, wenn wir nicht eben allein sitzen wollen in dem verdeten
+Land, unseren Acker selber zu bauen. Hol sie der Teufel, wofr hat sie
+denn eigentlich der liebe Gott in die Welt gesetzt und ihnen den Holzkopf
+gegeben, der sie zu allem Anderen untauglich macht. Ackern und Dngen
+mssen sie drben doch auch, und weshalb knnen sie das nicht eben so gut
+_hier_? -- Nein Gott bewahre, die paar Thaler die sie sich _hier_ erspart
+haben, mssen erst wieder verschleppt und hinausgeworfen werden an
+Experimente und reinen Uebermuth, und nachher sitzen sie erst recht da;
+dort drben _knnen_ sie Nichts mehr sparen, und _mssen_ schon drben
+bleiben, wenn sie auch wieder herber mchten. Die Paar die sich doch noch
+ein paar Thaler zusammenscharren, die kommen nachher schnell genug wieder
+zurck, aber es sind nur wenige, und die anderen armen Teufel haben die
+Brcke muthwillig hinter sich abgebrochen, und sitzen nun auf der
+wohlriechenden Haide ohne Unterfutter. Jesus Maria und Joseph, es mu ein
+ordentlicher Jammer drben sein.
+
+Na, _so_ arg nun denn doch wohl noch nicht, Schollfeld, sagte Kellmann
+kopfschttelnd, man hrt doch nun auch so Manches von da drben was nicht
+gar so schlecht klingt, und wo sich's schon aushalten liee, wenn man --
+wenn man eben einmal einen solchen verzweifelten Schritt absolut thun
+mte oder wollte.
+
+Nicht so arg? rief aber Schollfeld, der hier sein Steckenpferd ritt, und
+sich selten eine Gelegenheit entgehen lie auf Amerika zu schimpfen --
+nicht so arg? da, hier lesen Sie einmal das Tageblatt, was der wackere
+Dr. Hayde darber schreibt; das ist ein Mann, der hat Haare auf den Zhnen
+und mu die Sache verstehn, denn er ist Einer von den Wenigen die drben
+gewesen und glcklich wiedergekommen sind. Er bringt kaum eine Nummer in
+der er nicht ein oder den anderen Hieb auf die Verhltnisse Ihres
+glcklichen Amerika hat -- das mu ja ein wahres Raubnest sein, lesen Sie
+nur einmal.
+
+Hren Sie lieber Schollfeld, ich will Ihnen einmal 'was sagen,
+erwiederte ihm Kellmann ruhig, dieser Dr. Hayde, der Ihnen die schnen
+Artikel schreibt ist, der Meinung aller ordentlichen Kerle in Heilingen
+nach, das wenigste zu sagen eine kleine geschwollene Giftkrte, ein
+weggelaufener Advokat, den die Verhltnisse aus Deutschland vertrieben,
+und den in Amerika Niemand mit seinen Talenten haben mochte. Zu faul zum
+arbeiten, und nicht im Stande etwas Anderes zu thun, wurde er dort
+wahrscheinlich vom Schicksal hin- und hergestoen, und wie ein aus einer
+Thr geworfener Mops, stellt er sich jetzt drauen hin, wo sich Niemand
+die Mhe giebt ihn zu stren, und schimpft und klefft. Ich will Amerika
+eben nicht in allem vertheidigen, aber was _der_ gerade darber sagt wrde
+mich auch nicht bestimmen. Wie ein Dreckkfer schleppt er sich nur mit
+grter Mhe kleine Stckchen Koth herbei, und rollt sie zusammen eine
+Kugel zu machen in die er sein Ei legt -- pfui ber den Burschen.
+
+Na jetzt freut mich aber mein Leben, rief Herr Schollfeld erstaunt aus --
+erst schimpfen Sie selber auf Amerika, und nun auf einmal soll der arme
+Doktor die ganze Schuld tragen.
+
+Ich _schimpfe_ nicht auf Amerika, sagte Kellmann ruhig, ich kann nur
+nicht leiden wenn man es auf Kosten unseres eigenen Vaterlandes
+herausstreicht, und gegen alle seine Nachtheile blind ist. Es wre
+allerdings noch viel gefhrlicher sich die Lichtseiten alle zu bunt
+auszumalen; die armen Leute die nachher hinbergehn und es anders finden,
+sind dann zu sehr enttuscht, und fallen gewhnlich, wie mir gesagt ist,
+aus einem Extrem in's Andere -- aber so taugt's auch Nichts.
+
+Guten Abend selbander, sagte in dem Augenblick eine andere Stimme dicht
+hinter ihnen, und als sie sich danach umschauten, stand ein alter
+Bekannter von ihnen, Mathes Vogel, ein reicher junger Bauer aus dem
+nchsten Dorf, an ihrem Tisch und streckte ihnen freundlich die Hand
+entgegen.
+
+Hallo Mathes, wie geht's? rief Kellmann die gebotene herzlich schttelnd
+-- Wetter noch einmal Mann, wo habt Ihr jetzt gerade in der Saatzeit
+gesteckt, da Ihr in der Welt herumreist wie ein Baron, der seine Gter
+verpachtet hat? Ihr seid verreist gewesen.
+
+Ja Herr Kellmann, in Bremen.
+
+Wo seid Ihr gewesen? frug Schollfeld erstaunt.
+
+In Bremen, Herr Schollfeld! rief der junge Bauer, gegen diesen gewandt,
+oben in der Hafenstadt.
+
+Guten Abend Mathes, kam hier der Wirth dazwischen, der den alten Kunden
+ebenfalls begrte -- lange nicht gesehn, recht gro geworden mein Junge;
+hast Du Durst?
+
+Merkwrdigen, sagte der Bauer lchelnd.
+
+Na warte, den wollen wir begieen, schmunzelte aber Lobsich, rasch in
+den Garten zurckgehend, der soll mir nicht umsonst in den rothen Drachen
+gefallen sein.
+
+Aber was hat Euch nach Bremen gefhrt? wiederholte Kellmann, fast etwas
+mitrauisch gemacht durch das wunderliche halb verlegene Benehmen des
+jungen Burschen.
+
+Ja Herr Kellmann, sagte der reiche Bauerssohn, wirklich jetzt verlegen
+seinen Hut um den Zeigefinger der linken Hand drehend -- das hat -- das hat
+so seine eigene Bewandtni -- Ich bin -- ich bin zu einem Entschlu
+gekommen -- ich will -- ich will auswandern.
+
+Was will er? schrie Schollfeld, der die Worte nicht ganz verstanden, den
+ungefhren Sinn aber etwa errathen hatte. Jedenfalls schpfte er Verdacht
+und ehe Kellmann nur im Stande war ein Wort darauf zu erwiedern rief er
+nochmals laut: wo will er hin?
+
+Nach Amerika, sagte aber der junge Mann entschlossen und wollte noch
+etwas hinzusetzen, aber der Apotheker schlug dermaen auf den Tisch, und
+fing so an zu schimpfen und zu fluchen, Niemand wute eigentlich auf was
+und gegen wen, da Mathes gar nicht gleich wieder zu Worte kommen konnte,
+und vielleicht auch eben nicht bse darber war.
+
+Hallo, wer ist todt? rief aber in dem Augenblick Lobsich, der mit dem
+bestellten Bier fr einen seiner besten Kunden selber ankam -- da Dich
+die Milz sticht, was ist denn dem Apotheker eigentlich in die Krone
+gefahren?
+
+Dem Apotheker Nichts, nahm aber Kellmann kopfschttelnd das Wort, doch
+hier dem Dings da, dem Mathes -- was meint Ihr, Lobsich was er vor hat?
+
+_Heirathen_? sagte dieser, und ein breites vergngtes Schmunzeln ber
+den so richtig und schnell gerathenen Vorsatz zog sich ber sein dickes
+gutmthiges Gesicht.
+
+Heirathen! schrie aber der Apotheker dazwischen, indem er sich seinen
+Hut in die Stirn drckte und seinen Rock anfing zuzuknpfen -- heirathen?
+-- ja prost die Mahlzeit; _auswandern_ will der Kerl, wie ein blindes Pferd
+das durch die Stallwand bricht, in einen Teich zu fallen.
+
+_Auswandern_? schrie aber auch jetzt Lobsich in unbegrenztestem
+Erstaunen -- na das ist mir aber doch wahrhaftig was Unbedeutendes.
+
+Oh hol Euch der Teufel mit Eurer albernen Redensart! rief aber der nun
+einmal rgerliche Apotheker, und nahm seinen Stock unter den Arm -- sein
+stetes Zeichen da er fertig zum Gehen sei -- was Unbedeutendes; ja wohl,
+wenn der Raptus erst einmal in _solche_ Kpfe und Geldbeutel fhrt,
+nachher werden wir sehn was wir hier anrichten. Ich will mir aber mein
+Abendbrod nicht verderben -- gute Nacht Ihr Herren.
+
+Halt Schollfeld! rief aber Kellmann, ihn am Arm fassend und
+zurckhaltend -- brennt mir nicht durch, ich gehe auch gleich mit und
+wollte nur erst hren, was Mathes den Gedanken in den Kopf gesetzt hat.
+Hol's der Henker, er macht sich entweder einen Spa mit uns, oder es ist
+nur so eine Idee von ihm, die wir ihm wieder ausreden knnen.
+
+Wenn ich das wte blieb ich die ganze Nacht hier, sagte Schollfeld,
+seinen Stock wieder auf den Tisch legend und zu dem verlassenen Stuhl
+zurckgehend. Mensch, Mathes, seid Ihr denn rein vom Teufel besessen,
+oder habt Ihr nur heute, in irgend einer Kneipe, ein wenig des Guten zu
+viel gethan, da Ihr so tolles Zeug zusammenfaselt.
+
+Mathes blieb aber bei allen diesen Ausbrchen des Erstaunens, die erste
+Erklrung nur einmal berstanden, vollkommen ruhig, und zog nur, statt
+jeder weiteren Antwort, einen Brief aus seiner Brusttasche, den er langsam
+auffaltete und vor sich legte, als ob er ihn vorlesen wollte.
+
+Nun was soll's mit dem Wisch? rief aber der Apotheker rgerlich, Ihr
+habt Euere Seele doch noch nicht dem Gott sei bei uns verkauft?
+
+So schlimm noch nicht, lachte der junge Bursch, das hier ist nur ein
+Brief von Caspar Lauber, den Sie ja Alle kennen und der vor etwa sieben
+Jahren nach Wisconsin auswanderte.
+
+Der was that? rief der Apotheker, die Augen zusammenkneifend und das
+linke Ohr zu ihm hindrehend -- nuschelt nicht so in den Bart, da Euch ein
+Christenmensch noch verstehen kann ehe Ihr unter die Heiden geht.
+
+Der nach Wisconsin auswanderte, sagte der junge Bauer lchelnd -- er
+hatte mir damals versprochen zu schreiben wie es ihm ginge, schlecht oder
+gut; -- wenn schlecht, wollte ich ihm helfen, wenn gut, vielleicht
+nachkommen. Aber er schrieb nicht Jahr nach Jahr, und da er berhaupt
+Nichts von sich hren lie, glaubte ich schon er sei da drben gestorben
+oder untergegangen in dem weiten Reich, bis ich vor vier Wochen etwa einen
+Brief von ihm erhielt und seit der Zeit habe ich keine Ruhe gehabt bis zu
+dem heutigen Tag.
+
+Nun ja natrlich, brummte der Apotheker.
+
+Aber so lat ihn doch nur reden, rief jetzt auch rgerlich der Actuar
+dazwischen, Ihr raisonnirt nur in einem fort und glaubt nachher, wenn Ihr
+recht geschrieen habt, Ihr httet recht.
+
+So lest den Brief einmal! sagte Kellmann, die Arme auf den Tisch
+sttzend, nachher wissen wir ja gleich woran wir sind.
+
+Aber erst mu ich noch Bier haben, rief Schollfeld dazwischen, ich mag
+die Lgen wenigstens nicht trocken mit anhren.
+
+Lobsich winkte einem der nchsten Kellner, die inde leer gewordenen
+Glser wieder zu fllen, denn der Brief interessirte ihn selber zu sehr,
+den Tisch jetzt zu verlassen, und Mathes sagte wie entschuldigend:
+
+Der Brief ist sehr kurz, aber es steht Alles darin was ich zu wissen
+verlangte, und er lautet:
+
+Lieber Mathes -- ich habe bis jetzt mein Versprechen nicht gehalten, Dir
+zu schreiben, weil es mir sehr schlecht gegangen ist.
+
+Na ja, fiel ihm hier der Apotheker in das Wort -- und nun mt Ihr Hals
+ber Kopf machen da Ihr auch hinber kommt.
+
+Kellmann wollte dem ewigen Einredner etwas erwiedern, aber Mathes fuhr,
+lchelnd die Hand gegen ihn aufhebend, wieder laut fort:
+
+Ich wollte aber nicht gern, da mich Jemand Anders untersttzen sollte,
+weil das hier im Lande eine Schande ist; ich wollte mir selber helfen, und
+habe mir kmmerlich, aber ehrlich und fleiig durchgeholfen. Jetzt habe
+ich eine kleine Farm von achtzig Acker, und vier und zwanzig Stck
+Rindvieh, und dreiig Schweine und zwei Pferde und es geht mir gut. Ich
+habe hart arbeiten mssen, aber ich komme durch. Wenn Du mit Geld hier
+herber kommst und willst mich aufsuchen, da ich Dir mit Rath und That an
+die Hand gehen kann, dann brauchst Du keine Angst zu haben, da Du nicht
+durchkommst. Wenn Du eine Frau hast, bringe sie mit; Kinder sind ein Segen
+hier, kein Fluch wie fr manchen armen Mann in Deutschland. Wer arbeiten
+will kommt fort, wer faul ist geht zu Grunde. Es grt Dich zehntausend
+Mal Dein Caspar Lauber -- Lauber's Farm bei Milwaukie, Wisconsin.
+
+Und auf den Brief wollt Ihr auswandern? rief aber auch Kellmann jetzt
+erstaunt -- Mathes, ist Euch denn das Auswanderungsfieber so pltzlich in
+die Glieder geschlagen, da Ihr die Seekrankheit fr das einzige Mittel
+haltet die es curiren knnte?
+
+Mathes schttelte aber gar ernsthaft mit dem Kopf, faltete den Brief
+zusammen, den er zurck in seine Tasche schob, und sagte mit fester und
+entschlossener Stimme:
+
+Lange im Sinn hab' ich's schon gehabt, aber der Brief hat es zuletzt zum
+Ausbruch gebracht.
+
+Aber Mathes, Ihr vor allen Anderen habt doch Euer Auskommen hier im
+Land, rief jetzt auch Lobsich, whrend der Apotheker das ihm eben
+gebrachte Glas auf einen Zug hinuntergo, wie um seinen Ingrimm damit
+nieder zu splen -- wenn Ihr nach Amerika auswandern wollt, wer soll denn
+noch da bleiben?
+
+Ich _bliebe_ auch, sagte Mathes rasch und mit vor innerer Bewegung fast
+erstickter Stimme, ich bliebe auch, wenn mich mein Vater liee, aber --
+der will nicht in die Heirath willigen mit Roner's Kthchen, des Huslers
+Tochter aus Rodnach; hier hlt er mich dabei unter dem Daumen mit seinem
+Gut und Geld, und das Mdchen stirbt mir indessen in Arbeit und Gram; dort
+drben aber ist ein Platz, wo fleiige Menschen auch durchkommen knnen
+mit Gottes Hlfe _ohne_ Geld, _ohne_ Ansehn. Der Lauber hatte gar Nichts
+wie er hinberging; nicht das Hemd auf seinem Rcken war sein, und ich
+wei da er nicht einen rothen Pfennig mit in das fremde Land gebracht
+hat. Aus dem ist jetzt ein rechtschaffener Farmer geworden, mit eigenem
+Land, Haus und Vieh, und was der kann -- schwere Noth noch einmal -- das
+kann ich auch. Ich gehe hinber, nehme das Kthchen mit -- Geld zur
+Ueberfahrt krieg ich schon, und wenn ich meine beiden Schimmel um den
+halben Werth verkaufen sollte, und dort hilft der liebe Gott schon weiter.
+Verhungern werden wir nicht, und ich brauche mir hier nicht mehr unter die
+Nase reiben zu lassen, das sollst Du thun und das nicht, und _die_ sollst
+Du heirathen, die Du nicht magst und willst, und die Dich lieb hat und
+Dich glcklich machen kann, der sollst Du das Herz brechen -- weil ihr eben
+nur der volle Geldsack fehlt.
+
+Unsinn! sagte der Apotheker, jetzt wieder und zwar im Ernste aufstehend
+-- wenn Jemand einmal rein verrckt geworden ist, lt sich auch nicht
+mehr mit ihm streiten. Gehn Sie mit Kellmann?
+
+Ja, gleich, erwiederte der Gefragte -- wei denn aber schon Euer Vater
+um den Plan, Mathes?
+
+Heute hab' ich's ihm gesagt, erwiederte der Gefragte leise -- aber er
+glaubt es noch nicht.
+
+Und ist es denn schon wirklich so fest bestimmt? sagte Kellmann
+theilnehmend.
+
+Meine Passage in Bremen fr mich und -- meine _Frau_ ist schon bezahlt,
+rief der junge Bursch da entschlossen -- den funfzehnten geht das Schiff
+ab, und ich habe nur noch eben Zeit das Nothwendigste in Ordnung zu
+bringen.
+
+Ja da kmmt freilich jeder gute Rath zu spt, sagte Kellmann, jetzt
+ebenfalls aufstehend und seinen Hut ergreifend, wenn der Sprung erst
+einmal geschehen ist, braucht man nicht mehr ber das Springen zu streiten
+und ich wnsche Euch das Beste in Euerer neuen Heimath.
+
+Ich wei es, ich wei es, sagte Mathes gerhrt -- aber vielleicht seh
+ich Sie selber noch einmal auf freiem Boden drben, mit Axt oder Pflug in
+der Hand, wie ein wackerer, richtiger Farmer.
+
+Wen -- mich? rief aber Kellmann ordentlich erschreckt aus -- ich nach dem
+vermaledeiten Lande, da alle unsere besten Brger frit? Nein Mathes, fr
+dies Leben nicht -- aber wann geht Ihr fort? vielleicht lt Euer Vater
+doch noch mit sich reden, und lenkt ein wenn er sieht da es Euch wirklich
+Ernst ist.
+
+Mathes schttelte mit dem Kopf und der Actuar rief:
+
+Ein Bauer und einlenken, Kellmann? -- da kennt Ihr unseren deutschen Bauer
+nicht; worauf der einmal seinen Dickkopf gesetzt hat, da mu er durch, und
+wenn's nicht geht, so zerhaut er sich eben den Schdel, aber er lt nicht
+nach. Der alte Vogel und nachgeben; Du lieber Gott, wenn er den eigenen
+Sohn mit einem einzigen Wort vom Verderben retten knnte -- er sprch es
+nicht.
+
+Na, da kann ich wohl auch meine Bude hier bald zuschlieen und mitgehn,
+sagte Lobsich, sich den Kopf kratzend -- Schwerebrett das ist mir -- hm --
+hm -- ist mir doch was Unbedeutendes, das -- das Amerika.
+
+Und was sagt denn das Kthchen dazu? frug Kellmann jetzt den Mathes,
+whrend die Uebrigen schon aufgestanden waren und sich zum fortgehn
+gerstet hatten.
+
+Die weint und will nicht mit, sagte Mathes leise -- aber sie wird schon
+gehen.
+
+Sie will nicht mit?
+
+Sie meint, es brche meinem Vater das Herz.
+
+Das Herz brechen? -- dem alten Vogel? lachte aber dieser verchtlich --
+na Gott sei Dank, die hat einen guten Begriff von ihm -- als ob dem etwas
+das Herz brechen knnte.
+
+Nun, es frgt sich nur jetzt wem sie es lieber bricht, meinte der
+Actuar, dem Alten, wenn sie geht, oder dem Jungen, wenn sie bleibt -- die
+Wahl wird ihr nicht schwer werden. Aber Schollfeld, Ihr seid ja auf einmal
+so still geworden?
+
+Ach lat mich zufrieden, brummte dieser rgerlich -- wei es Gott, man
+mchte am Ende selber mit hinberlaufen, nur Nichts mehr von dem
+verwnschten Auswandern reden zu hren.
+
+Hahahaha! rief da Kellmann, Schollfeld bekmmt auch berseeische
+Ideen.
+
+Ueberseeische -- htte bald was gesagt, knurrte dieser aber, auf der
+Strae hingehend, ohne weder Mathes noch Lobsich gute Nacht zu sagen.
+
+Die Uebrigen wechselten noch kurzen Gru mit ihren Bekannten dort,
+zndeten sich frische Cigarren an, und schlenderten langsam, den
+freundlichen Abend so viel als mglich zu genieen, die Strae hinab, der
+eigenen Heimath zu.
+
+
+
+
+
+ Capitel 3.
+
+
+ DER DIEBSTAHL.
+
+
+Zehn Minuten mochten sie so etwa schweigend nebeneinander hergegangen
+sein, als hinter ihnen auf der Strae eine Equipage und klappernde
+Hufschlge gehrt wurden, die sie rasch einholten und an ihnen
+vorbeirauschten, eine dicke Staubwolke dabei ber den Weg wlzend. Es war
+die Familie Dollinger mit dem, neben dem Wagen hin galoppirenden Fremden,
+dem Brutigam der Tochter.
+
+Die kommen schneller von der Stelle als die armen Auswanderer vorhin,
+sagte Kellmann, als sie vorbei waren -- Wetter noch einmal, es ist doch
+ein anderes Ding so ein paar flchtige Rappen vor sich zu haben, und wie
+im Flug durch die Welt zu jagen, als mit einem schweren Packen auf dem
+Rcken und wunden Fen vielleicht, mhselig die staubige Strae entlang
+zu keuchen.
+
+Ja, die Gaben sind ungleich vertheilt in der Welt, seufzte der Actuar,
+was der Eine haben mchte, _hat_ der Andere schon, und das ist auch wohl
+das ganze Geheimni der socialen Frage, lt sich aber nun einmal nicht
+ndern, und wir drfen vielleicht den Kopf darber schtteln, und wnschen
+da es anders wre, aber weiter eben Nichts.
+
+Der auf dem Pferd, war der Dings da von Amerika, sagte der Apotheker
+jetzt, der das schmhlige Geld hat und des reichen Dollingers Tochter
+noch dazu heirathet. Soll mir noch einmal einer sagen da Eisen der
+strkste Magnet sei; Gold ist's, und wo das liegt zieht es anderes hin.
+
+Und wie steht's mit Actien? lachte Kellmann.
+
+Bah -- bleibt immer dasselbe, brummte der Apotheker, das Gold steckt
+darin, und kann durch einen sehr einfachen chemischen Proce leicht
+herausgezogen werden -- wenn man sie hat.
+
+Es wundert mich brigens da der alte Dollinger sein Kind ber das groe
+Wasser hinberziehen lt, meinte der Actuar -- dem htte es doch auch
+hier im Lande nicht an einer eben so guten Parthie gefehlt.
+
+Liebe, meinte Kellmann achselzuckend -- Liebe ist blind sagt ein altes
+Sprichwort; dagegen lassen sich eben keine Grnde anbringen. Wr's
+brigens auch nicht wegen dem groen Wasser, der Bursche gefllt mir
+auerdem nicht, und ich mchte ihm meine Tochter nicht geben und wenn er
+bis ber die Ohren in Golde stcke. Er hat ein verschlossenes,
+hochfhrtiges Wesen, behandelt den gemeinen Mann wie einen Hund, und
+spricht von Allem was wir hier haben, unseren Einrichtungen, unseren
+Gesetzen, unseren Vergngungen selber, ja unserem Klima und Land, das doch
+zum Henker auch _sein_ Vaterland ist, mit der grten Verachtung. Amerika,
+und immer wieder Amerika, hinten und vorn; ei Blitz und Hagel, ich will
+gar nicht leugnen da es manche gute Seiten haben mag, das Amerika, wenn
+ich sie auch gerade nicht einsehen kann, aber so viel besser wie unser
+Deutschland ist es doch auch nicht drben, und wenn's so einem Burschen da
+einmal zufllig geglckt ist, sollt' er nicht als Lockvogel sich hier
+mitten zwischen uns hineinsetzen, anderen vernnftigen Leuten
+unglckselige Ideeen in den Kopf zu pflanzen.
+
+Wenn sich andere vernnftige Leute solche Ideeen einpflanzen _lassen_,
+geschieht's ihnen ganz recht, sagte der Apotheker -- man braucht nicht zu
+glauben was jeder dahergelaufene Lump eben sagt.
+
+Nun _ganz_ ohne kann's aber auch nicht sein, meinte Kellmann
+kopfschttelnd, und ich -- ich halt' es immer fr gefhrlich. S'ist
+merkwrdig, wie rasch sich das mit der Hochzeit gemacht hat.
+
+Nun, wer sich die Braut gleich fix und fertig aus dem Wasser zieht hat
+leicht freien, sagte der Actuar -- Glck mu der Mensch haben, dann geht
+Alles wie am Schnrchen; wer aber _das_ nicht hat, der mag sein Lebtag
+fischen und fngt doch Nichts -- am wenigsten aber solch einen Goldfisch.
+
+Wo stammt er denn eigentlich her? frug der Apotheker jetzt, wie sie
+wieder eine Weile schweigend neben einander hingegangen waren, man hrt
+doch sonst eigentlich gar Nichts von ihm, und er kommt auch mit keinem
+Menschen weiter zusammen -- stolzer aufgeblasener Bursche der.
+
+Gott wei es, sagte der Actuar; er ist, glaub' ich, mit einem
+hollndischen Schiff herbergekommen, und hatte einen Pa von Amsterdam.
+
+Und der Pa lautete nach Heilingen?
+
+Nun nicht gerade nach Heilingen, aber doch nach der Residenz, und wie
+sich die Sache dann hier mit der Dollingerschen Familie gestaltete, nun
+lieber Gott, da drckte der Stadtrath das eine, und die Stadtverordneten
+drckten das andere Auge zu, und man sah nicht so genau nach den Papieren.
+Ueberdie verzehrte er ja hier viel Geld; wr' es ein armer Teufel
+gewesen, htten wir ihn wahrscheinlich schon bald wieder ber die Grenze
+gehabt.
+
+Hm, ja, glaub's, sagte Kellmann mit dem Kopfe nickend, s'ist in
+Heilingen eben nicht anders wie -- wie anderswo -- warum auch?
+
+Das Gesprch drehte sich von da ab, auf die stdtischen Einrichtungen,
+deren wrmster Vertheidiger der Apotheker war, und ber die sich der
+Actuar natrlich nur sehr vorsichtig auslie, whrend sie Kellmann um so
+unnachsichtiger angriff; kam dann auf die Saat und die Preise, und wieder
+mit einem Seitensprung auf die jetzige Politik unseres lieben deutschen
+Reiches, bis sie das Thor und zwar gerade mit Sonnenuntergang erreichten,
+wo Jeder seinen Weg ging, die eigene Heimath aufzusuchen.
+
+Der Actuar Ledermann besonders, der an dem entgegengesetzten Ende der
+Stadt wohnte, beeilte seine Schritte, noch vor einbrechender Dunkelheit
+seine Wohnung zu erreichen; das Gercht ging nmlich in der Stadt, da ihn
+seine Ehehlfte bei solchen Gelegenheiten oft allerdings sehr unfreundlich
+empfange, und ihm einmal sogar schon einige sonst sehr ntzliche, bei
+_der_ Gelegenheit aber nichts weniger als passende husliche Gerthe
+entgegen und vor die Fe geworfen habe. Thatsache war, da Madame oder
+Frau Actuar Ledermann, was auch ihres Gemahls Thtigkeit und Ansehn
+auerhalb seiner eigenen vier Pfhlen sein mochte, _innerhalb_ derselben
+jedenfalls das Commando, und nicht immer mit Migung fhrte, und der
+Actuar suchte den Hausfrieden wenigstens soviel als mglich zu erhalten
+und jeden Anla, zu irgend einer Strung desselben, zu vermeiden.
+
+Mit solchen Gedanken vielleicht im Kopf, wollte Ledermann eben vom
+Marktplatz aus in die Strae einbiegen, an deren uersten Ende seine
+eigene, sehr bescheidene Wohnung stand, als er seinen Titel genannt und
+sich selber gerufen hrte.
+
+Herr Actuar -- Herr Actuar Ledermann.
+
+Er drehte sich rasch um und sah einen Gerichtsdiener eilig auf sich
+zukommen, der, die Mtze abnehmend, vor ihm stehen blieb und ihm meldete,
+da er eben abgeschickt worden ihn zu holen oder aufzusuchen, da ein
+Einbruch geschehen sei, ber den an Ort und Stelle Protokoll aufgenommen
+werden solle.
+
+Protokoll aufnehmen? sagte Actuar Ledermann, keineswegs angenehm
+berrascht; ja was hab ich denn heute damit zu thun, wo ist mein
+_College_?
+
+Herr Actuar Beller sind unwohl geworden, heute Nachmittag, berichtete
+der Polizeidiener, und muten zu Hause gehn; ich bin eben abgeschickt zu
+sehn, welchen von den andern Herren ich zuerst treffen knnte.
+
+Hm -- ist sehr amsant, brummte Ledermann vor sich hin -- kommt mir
+gerade apropos. Bei wem ist es denn?
+
+Bei Herrn Dollinger.
+
+Was? -- bei Kaufmann Dollinger? rief der Actuar rasch und erstaunt -- am
+hellen Tag, whrend er ausgefahren war?
+
+Er ist, wenn ich nicht irre, eben zu Hause gekommen, berichtete der
+Mann, und hat glaub' ich sein Pult geffnet, und eine bedeutende Summe
+Geldes entwendet gefunden.
+
+Hm, hm, hm, sagte der Actuar kopfschttelnd und seinen Rock dabei, den
+er der Bequemlichkeit wegen aufgelassen hatte, zuknpfend, es wird immer
+besser hier bei uns. Am hellen lichten Tage. Aber die ganze Stadt steckt
+auch voll fremden Volkes, das sich natrlich keine Gelegenheit
+entschlpfen lt Reisegeld zu bekommen.
+
+Es mu doch wohl Jemand gewesen sein der mit dem Hause genau bekannt
+war, sagte der Polizeidiener -- nach dem wenigstens, was ich bis jetzt
+von den Dienstleuten darber gehrt habe, kann's nicht gut anders sein.
+
+Nun wir werden ja sehn; da mu ich aber erst --
+
+Wenn sich der Herr Actuar nur eben an Ort und Stelle bemhen wollen,
+sagte jedoch der Diener des Gerichts, alles Nthige ist schon dorthin
+geschafft und ich war eben nur fortgelaufen, einen der Herren zu suchen.
+
+Der Actuar, dem Dienste natrlich Folge leistend, seufzte tief auf und
+schritt, im Geist wahrscheinlich des Empfangs gedenkend, der seiner
+harrte, wenn seine Frau auf ihn mit dem Abendessen warten mute, rasch die
+Poststrae hinaufbiegend, dem gar nicht weit entfernten Dollinger'schen
+Hause zu, dort den Thatbestand in Augenschein und zu Protokoll zu nehmen,
+etwaige Spuren des Uebelthters zu entdecken und zu verfolgen, und die
+Leute im Hause nach mglichem Verdachte zu inquiriren.
+
+ * * * * *
+
+Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger, in dem Alles sonst so still und
+ruhig und wie am Schnrchen zuging, wo Jeder seine angemessene und fest
+bestimmte Beschftigung hatte, genau wute was ihm oblag, und das that,
+ohne eben viel Lrm darum zu machen, lief und rannte und sprach heute
+alles durcheinander, und smmtliche Bande der Ordnung schienen gelst.
+
+Frau Dollinger vor allen Dingen lag in Krmpfen in ihrem Boudoir, und
+beanspruchte die Hlfe ihrer beiden Tchter und der weiblichen Dienstboten
+im Haus, ihren Zustand zu bewachen; Herr Dollinger selber war in seinem
+Zimmer des obern Stocks, und ging dort mit raschen Schritten und auf den
+Rcken gekreuzten Armen auf und ab, whrend dem jungen Henkel indessen die
+Bewachung des Platzes selber bertragen war, und die andern Dienstboten,
+mit einem nicht unbedeutenden Theil der Nachbarschaft und deren
+Verwandten, in den verschiedenen Winkeln und Ecken des Hauses herumstanden
+und kopfschttelnd, die Hnde ein ber das andere Mal in Verwunderung
+zusammenschlugen. Die verschiedenartigsten Vermuthungen und Beweise wurden
+da laut, und die Orte und Stellungen oder Beschftigungen jedes Einzelnen
+auf das Genaueste und Peinlichste angegeben, wo und wie sich Jeder gerade
+in der Zeit etwa befunden haben mochte, als die entsetzliche, verruchte
+That geschehen und vollbracht sein mute.
+
+Dem Actuar, mit dem ihm folgenden Gerichtsdiener wurde brigens willig und
+dienstfertig Platz gemacht; Alle wollten aber hinter drein, und die Frauen
+besonders gaben dabei durch die entschiedensten Ausrufe -- Ne Du meine
+Gte und Ne so was ihre vollkommenste Misbilligung des Geschehenen zu
+erkennen. Nichts desto weniger wurde auch selbst ihnen die Thre vor der
+Nase zugemacht, und Einer der Bedienten bekam strenge Ordre die Hausflur
+zu rumen, und Niemand mehr, so lange die Untersuchung dauere, die Treppe
+hinaufzulassen, ausgenommen, es wisse Jemand noch um den Diebstahl, und
+knne irgend einen Fingerzeig geben den Dieben auf die Spur zu kommen;
+solche Zeugen sollten nachher vernommen werden.
+
+Oben an der Treppe empfing sie Herr Henkel, um sie gleich zu dem Ort, wo
+der Diebstahl verbt worden, hinzufhren; einer der Leute war indessen
+abgeschickt Hrn. Dollinger selber zu rufen, und dieser erschien jetzt, den
+Actuar freundlich grend.
+
+Es war indessen schon ziemlich dunkel, und im Zimmer Licht angezndet
+worden.
+
+Ich bedaure sehr, Herr Dollinger, sagte der Actuar, da, wie ich gehrt
+habe, eine so fatale Sache mich hier in Ihr Haus gefhrt haben mu.
+
+Ja allerdings, erwiederte der alte Herr, ist es sehr unangenehm;
+weniger des Verlustes wegen, der sich allenfalls ertragen lie, als wegen
+dem Bewutsein getuschten Vertrauens, mit selbst keinem gewissen
+Anhaltspunkt auf Verdacht. Ich wollte gern das Doppelte verloren haben,
+wenn es htte knnen auf andere Weise geschehn.
+
+Das Ganze ist brigens mit einer raffinirten Geschicklichkeit
+ausgefhrt, fiel Henkel hier ein, und der Thter, wer auch immer,
+jedenfalls ein hchst gefhrliches Subject, von dem ich nur hoffen will
+da wir ihm auf die Spur kommen.
+
+Drfte ich Sie bitten mir den Platz zu zeigen?
+
+Treten Sie hier in das Zimmer meiner Tchter; dort der Secretair ist
+erbrochen.
+
+Hm -- mit einem breiten meielartigen Instrument, sagte der Actuar nach
+kurzer Besichtigung der offenen, arg beschdigten Mahagoniplatte -- und
+die Thr ebenfalls eingebrochen?
+
+Nein -- die Thr ist unbeschdigt und mu jedenfalls mit einem
+Nachschlssel geffnet sein.
+
+Und was vermissen Sie in dem Secretair?
+
+Eine Summe Geldes, die ich erst vor wenigen Stunden, und im Beisein
+meiner Familie und eines zuverlssigen Comptoirdieners, im Paket wie ich
+sie von der Post erhalten, hier eingeschlossen hatte, und von der der Dieb
+auf eine mir unbegreifliche Weise mu Kenntni bekommen haben.
+
+Wer ist dieser Comptoirdiener?
+
+Oh, Loenwerder; Sie kennen ihn ja wohl?
+
+Loenwerder, sagte der Actuar nachdenkend -- ist wohl schon eine ganze
+Weile in Ihrem Geschft?
+
+Schon zwlf Jahr; mit keinem Schatten irgend eines Verdachts; ich nahm
+ihn als einen ganz jungen Burschen in mein Haus; er mu aber gegen irgend
+Jemand davon gesprochen haben.
+
+Hm, hm, wollen ihn uns doch einmal nachher besehn; also hier hinein
+hatten Sie das Geld gelegt?
+
+Es ist ein Secretair, den meine Tchter gemeinschaftlich benutzen, und zu
+dem jede von ihnen ihren Schlssel hat. Bitte lieber Henkel, lassen Sie
+doch einmal Sophie oder Clara einen Augenblick zu uns herber rufen.
+
+Ich habe schon das Mdchen geschickt, eine der jungen Damen ersuchen zu
+lassen, entgegnete der junge Henkel, der indessen im Zimmer umhergegangen
+war, und sich berall umgesehen hatte, ob nicht vielleicht doch der Dieb
+irgend eine Spur, irgend ein Zeichen hinterlassen habe, an das man sich
+spter einmal halten knne. --
+
+Und vermissen Sie weiter Nichts als das Geld? frug der Actuar.
+
+Auch ein Schmuck meiner ltesten Tochter scheint mit geraubt zu sein,
+sagte Herr Dollinger -- aber da kommt Clara, die Ihnen das Nhere davon
+selber angeben wird.
+
+Clara betrat in diesem Augenblick das Gemach; sie sah todtenbleich und
+angegriffen aus, und Henkel eilte ihr entgegen sie zu untersttzen.
+
+Clara, mein liebes armes Kind, sagte Herr Dollinger, auf sie zugehend
+und die Hand nach ihr ausstreckend, fehlt Dir etwas? -- Der Schreck hat
+Dich wohl so angegriffen. Mach Dir doch nur keine Sorge, mein Herz;
+vielleicht bekommen wir Alles wieder und wenn nicht -- nun ein _Unglck_
+ist es dann auch nicht; wenn Ihr mir nur Alle gesund bleibt, knnen wir
+die paar tausend Thaler schon verschmerzen.
+
+Es ist nicht der Verlust, lieber Vater, sagte aber das junge Mdchen,
+sich gewaltsam zusammennehmend, und des Vaters Hand ergreifend -- nur die
+Ueberraschung, der Schreck wahrscheinlich, und das -- das Unheimliche
+dabei, als ich mein Zimmer vorhin betrat, und die Spuren des verbten
+Verbrechens entdeckte. Ich frchtete die entsetzlichen Menschen noch
+irgend wo zu sehn, die vielleicht hinter einer Gardine stehen, unter einem
+der Divans liegen, hinter einem Ofen lauern konnten und, wenn entdeckt, zu
+verzweifelter Gegenwehr getrieben mich anfallen wrden, und all solch
+kindische Gedanken mehr. Dort der auf den Tisch geworfene Regenschirm
+dabei, die hinuntergeworfene Stickerei von dem Secretair selber, am
+meisten aber der Tabaksgeruch im Zimmer und die verlschte, angerauchte
+Cigarre dort auf dem Fensterbret, erfllten mir das Herz mit einem
+unbeschreiblichen Grausen.
+
+Eine Cigarre? sagte Ledermann, sich vergebens nach dem bezeichneten
+Gegenstand umschauend -- wo lag sie?
+
+Dort im Fenster, als ich zurckkam.
+
+Die alte angerauchte Cigarre? sagte Henkel rasch -- die hab' ich zum
+Fenster hinausgeworfen; ich glaubte Einer der Dienerschaft htte sie in
+der Aufregung mit hereingebracht und dort abgelegt -- sie mu unten auf der
+Strae liegen.
+
+Bitte schicken Sie doch einmal einen Burschen danach, da er sie
+heraufholt, sagte der Actuar; man darf auch das Unbedeutendste nicht
+unbeachtet lassen, und wir wollen indessen die vermiten Gegenstnde
+aufnehmen. Das Geld? --
+
+Davon giebt Ihnen dieser Brief das genaue Verzeichni, sagte Herr
+Dollinger, aber ich frchte fast da wir durch das Geld selber nicht auf
+die Spur kommen werden, indem das Paket fast nur Gold und kleinere
+Banknoten enthielt, die leicht umzusetzen und schwer zu controliren sind.
+Eher hoffe ich durch den Schmuck den Dieb verrathen zu sehn, da einige
+sehr auffllige Stcke, wie ich hre, dabei gewesen sind.
+
+Drfte ich Sie um eine genaue Angabe derselben, heute Abend noch, wenn
+irgend mglich _schriftlich_ bitten? erwiderte, nach einigem Besinnen,
+der Actuar, diese Einzelheiten wrden mich jetzt zu lange aufhalten.
+
+Kannst Du das geben, Clara?
+
+Bis auf die kleinste Nadel hinunter, sagte das junge Mdchen rasch,
+besonders auffllig war eine kleine, rundum mit Brillanten besetzte
+Broche, ein Erbstck unserer Gromutter, und ausgezeichnet vor jedem
+andern Schmuck, den ich noch in meinem ganzen Leben gesehen, durch einen,
+in der Mitte gefaten, genau dreieckigen, hellblauen und wundervollen
+Turquis. Mein Schmuck lag gleich dicht dahinter, den aber mu der Dieb in
+der Eile bersehen haben; er ist unangerhrt geblieben.
+
+Das ist allerdings glcklich, sagte der Actuar, wre wohl auch des
+Mitnehmens werth gewesen. Lag gleich dabei?
+
+Hier in dem rothen Kstchen.
+
+Aber das ist auch geffnet worden.
+
+Das? -- nein, das hab ich wohl selbst geffnet, nachzusehen, ob auch Alles
+darin sei, und nicht wieder ordentlich geschlossen. Die Haken waren
+allerdings auf, wenn ich mich nicht ganz irre, aber der Dieb hat
+keinenfalls eine Ahnung gehabt, welchen Werth das kleine unscheinbare
+Kstchen enthalte, oder es stnde jetzt nicht mehr da.
+
+Sehr wahrscheinlich, hm -- aber Sie vergeben wohl nicht, mein Frulein,
+alle diese Einzelheiten besonders zu notiren; wer wei ob sie nicht noch
+einmal wichtig werden. Ah, da kommt auch Herr Henkel wieder; haben Sie die
+Cigarre gefunden?
+
+Gott wei wo sie ist; lachte dieser, irgend Jemand mu es doch noch der
+Mhe werth gehalten haben sie aufzuheben, und in einer Pfeife vielleicht
+zu verrauchen -- ich bin selber hinunter gegangen, kann sie aber nirgends
+mehr entdecken. Uebrigens ist es auch fast dunkel geworden, und ich werde
+morgen ganz frh nachsuchen lassen. Der Stummel wird Ihnen freilich nicht
+viel helfen.
+
+Man wei nicht, sagte der Actuar kopfschttelnd, je nach der Gte des
+Tabaks lie sich vielleicht auf die Schicht der menschlichen Gesellschaft
+schlieen, in der sich unser heimlicher Besuch herumtriebe. Aber das ist
+allerdings Nebensache; wo also ist der Dieb hereingekommen? -- hier durch
+diese Thr?
+
+Doch wohl vom Garten her durch das Fenster Euers Schlafzimmers, sagte
+Herr Dollinger, denn durch das Haus wrde er es sich am hellen Tage im
+Leben nicht getraut haben.
+
+Aber ich mchte meine Seligkeit zum Pfande setzen da ich den Schlssel,
+der nach unserer Schlafkammer fhrt, ehe wir fortgingen, herumgedreht und
+stecken gelassen htte, so da von innen ein Oeffnen unmglich war.
+
+Und war die Thr noch verschlossen wie wir zurckkamen?
+
+Nein, nur in's Schlo gedrckt, aber der Schlssel stak darin.
+
+Hm, hm, hm -- dann ist der Bursche dort wahrscheinlich hinaus -- sagte der
+Actuar -- zur Thr hier hereingekommen und dort zur Nothrhre hinaus -- hm,
+mu aber genau mit der Gelegenheit bekannt sein. Mein lieber Herr
+Dollinger, wir werden Ihre Leute doch ein wenig scharf in's Gebet nehmen
+mssen, denn ein ganz Fremder, kann sich die Zeit nicht so abgepat
+haben.
+
+Wo kommt der Blumenstock her? sagte da pltzlich Clara rasch und
+erstaunt, auf einen sehr schnen Rosenstock deutend, der in ihrem Fenster,
+zunchst der Thre stand -- wer hat den jetzt hier heraufgestellt?
+
+So lange wir hier sind Niemand -- rief Henkel -- war er vorher nicht da?
+
+Nicht heute Mittag, das wei ich gewi; aber vielleicht hat ihn eins der
+Dienstleute mir heimlich hier hereingesetzt.
+
+Heimlich? -- so? sagte der Actuar, den freundlichen Geber wollen wir
+also vor allen Dingen einmal herauszubekommen suchen.
+
+Es ist heute mein Geburtstag, sagte Clara leise und errthend.
+
+Oh? meinte Herr Ledermann mit einem freundlichen Lcheln, da thut es
+mir freilich leid, meine ganz ergebensten Gratulationen zu keiner
+angenehmeren Zeit vorbringen zu knnen -- will eben nicht passen bei einer
+solchen Untersuchung, kann es aber doch auch nicht geradezu
+hinunterschlucken -- ich gratulire eben nicht zur Untersuchung.
+
+Es mu gewi ein gesegnetes Land sein, sagte Henkel mit einem leisen,
+halb boshaften Lcheln, wo die Polizei sogar witzig sein kann.
+
+Hm, meinte der lange Aktuar, sich nach dem Sprecher umdrehend, die
+Polizei macht eben keinen Anspruch darauf, und ist das meistens
+Privateigenthum. Aber wir wollen die Zeit nicht mit Allotrien vergeuden;
+ist nicht herauszubekommen wer den Blumenstock hier, whrend Ihrer
+Abwesenheit in das Zimmer gesetzt hat?
+
+Jedenfalls mssen die Dienstboten darum wissen, sagte der junge Henkel,
+und es wird das Beste sein sie einzeln darum zu befragen.
+
+Allerdings; -- Einzelverhr hat berhaupt viele Vortheile, bitte schicken
+Sie einmal die Leute herauf, da man vor allen Dingen ihre Gesichter zu
+sehen bekommt.
+
+Aber nicht hier, Vterchen, nicht wahr nicht hier in meiner Stube? bat
+Clara -- ich wrde den fatalen Gedanken im Leben nicht wieder los.
+
+Wir wollen hinuntergehn in das untere Zimmer, sagte Herr Dollinger,
+freundlich dem Wunsch der Tochter nachgebend, es lt sich das dort eben
+so gut abmachen als hier.
+
+Manchmal ist der Platz des Verbrechens selber der geeignetste, warf der
+Actuar ein, aber wie Sie wnschen -- nur um eines mchte ich Sie noch
+vorher bitten, da ich mir einmal die Stelle oder das Fenster ansehn darf,
+durch das sich Ihrer Vermuthung nach, der oder die Diebe entfernt haben
+knnten.
+
+In unserem Schlafzimmer?
+
+Doch durch diese Thr?
+
+Lieber Henkel, Sie sind wohl indessen so freundlich, meine Leute unten
+zusammenzurufen; wir kommen gleich hinunter. Sie werden heut viel
+belstigt.
+
+Aber ich bitte Sie, bester Herr Dollinger, sagte der junge Mann, rasch
+seinen Hut aufgreifend, wenn ich Ihnen nur darin von irgend einem
+wirklichen Nutzen sein knnte. Lieber erlauben Sie mir vielleicht mit
+Ihnen einer mglichen Spur zu folgen, denn meine Augen sind darin
+vielleicht schrfer als manche andere.
+
+Es wird in der Dunkelheit nicht eben mehr viel zu spren geben, meinte
+inde der Actuar; das werden wir uns mssen auf morgen frh aufsparen --
+also jetzt noch das Fenster, wenn ich bitten darf -- ich mchte mir nur die
+Gelegenheit einmal von oben besehn.
+
+Clara selber ffnete die Thr und fhrte dem Actuar mit ihrem Vater in das
+kleine freundliche Gemach, dessen beide, schon von Bltter schieenden
+Weinranken berzogene Fenster, auf den Garten hinaussahen. Das eine
+Fenster war allerdings geffnet gewesen, aber der Rankenwuchs so dicht
+zusammengezogen, da sich ein Krper kaum htte hindurchzwingen knnen.
+Die Hhe nach dem Garten hinunter, und gerade unter dem Fenster sollte ein
+kleiner Rasenplatz sein, war eben nicht betrchtlich, vielleicht zehn oder
+zwlf Fu, und unten umgab niederer aber ziemlich dichter Hollunder den
+Rasen. Im Zimmer selber lie sich aber nicht das mindeste erkennen, das
+einen solchen Verdacht untersttzt htte; das Einzige was dafr sprach,
+war die aufgeschlossene Thr.
+
+Zu der Unterstube des Hauses waren indessen die Dienstleute versammelt
+worden, streng examinirt zu werden. Der Hausmagd vor allen andern lag die
+Pflicht ob, die Etage, wenn sie nach unten in die Kche ging, in
+Abwesenheit der Herrschaft verschlossen zu halten. Diese aber behauptete
+steif und fest, und weinte dabei und rief Gott und alle Heiligen zu Zeugen
+an, da sie die Vorsaalthr auch ordentlich, zweimal herum abgeschlossen
+und den Schlssel zu sich gesteckt htte, und Niemanden in der weiten
+Gotteswelt gesehen habe, der das Haus in der Zeit betreten haben knne.
+Trotzdem aber sei die Vorsaalthr, als sie wieder nach oben gekommen
+offen, wenigstens aufgeschlossen, wenn auch zugeklinkt gewesen, und sie
+htte selber im Anfang nicht begreifen knnen wie das mglich wre, aber
+auch nicht weiter darber nachgedacht, und es ihrer eigenen
+Unaufmerksamkeit zugeschoben. Nach der Abfahrt der Herrschaft sei sie aber
+nur eine ganz ganz kurze Zeit unten geblieben um -- sie wollte erst nicht
+mit der Sprache heraus, aber der Herr Actuar drngte gar so sehr -- um den
+jungen Herrn Henkel fortreiten zu sehn. Nachher mochte sie vielleicht noch
+zehn Minuten der Kchin geholfen haben, und war dann nicht wieder von dem
+Vorsaal oben fortgekommen, auf dessen Balkon sie gesessen und genht
+hatte. In der Zeit habe Niemand mehr den Vorsaal oder des Fruleins Zimmer
+betreten, darauf wolle sie das heilige Abendmahl nehmen, und der Diebstahl
+msse jedenfalls in den paar Minuten, die zwischen dem Fortreiten des
+jungen Herrn und ihrem eigenen Wiederhinaufgehn nach oben gelegen htten,
+verbt sein -- anders war es nicht mglich.
+
+Wer aber hatte den Blumenstock in des Fruleins Zimmer gestellt?
+
+Einen Blumenstock? -- whrend die Herrschaft fort war?
+
+Allerdings, eine Monatsrose -- in das Fenster nchst der Thr.
+
+Der das gethan hat, msse damit zum Fenster, oder in derselben Zeit mit
+einem Nachschlssel zur Thr hereingekommen sein, als der Diebstahl verbt
+worden, denn sie htte keine Seele im Haus gesehn.
+
+Die Dienstboten hatten indessen mit einander geflstert, als der Actuar
+das Wort nahm und mit langsam bedchtiger, aber ziemlich ernster Stimme
+sagte:
+
+Hrt einmal Leute, ich will Euch etwas sagen; Ihr habt Euch da gut
+unschuldig stellen, als ob Ihr eben erst auf die Welt gekommen wrt, damit
+dringt Ihr aber nicht durch. Das Geld ist fort -- Ihr seid die Einzigen die
+unter der Zeit im Haus waren, und Euere Pflicht wre es gewesen --
+
+Aber Herr Actuarius --
+
+Ruhe da, wenn ich Euch etwas mitzutheilen habe -- und Euere Pflicht wre
+es gewesen, sag' ich, aufzupassen, da niemand Fremdes den Platz betrat,
+der Euch anvertraut war, und fr den Ihr also auch in der Zeit zu stehn
+hattet. Jemand ist aber in der Zeit da gewesen, und hat etwas gebracht und
+etwas geholt, und man wird sich jetzt an _Euch_ halten mssen, bis der
+Jemand ausfindig gemacht ist. Was giebt's da hinten -- was ist gekommen?
+
+Dullmanns Rieke von ber dem Weg drben, sagte die Kchin jetzt, gegen
+den Actuar vortretend, will den Loenwerder haben heimlich aus dem Haus
+schleichen sehn. Da _haben_ Sie einen; _uns_ brauchen Sie so etwas nicht
+unter die Nase zu reiben, Herr Actuar -- wir sind ehrliche Dienstboten die
+sich ihr bischen Brot sauer genug im Schweie ihres Angesichts --
+
+Ach halt' sie das Maul, fiel ihr aber der Actuar etwas unsanft in die
+Rede -- _wer_ ist im Haus gewesen, Loenwerder? -- und heimlich
+hinausgeschlichen? -- wer hat ihn gesehn?
+
+Hier die Rieke von Dullmann's --
+
+Wann war das? fragte der Actuar das jetzt vorgeschobene Mdchen, das
+feuerroth wurde und ihren einen Schrzenzipfel anfing wie einen Plumpsack
+zusammenzudrehen. Erst ganz kurze Zeit vorher hatte sie einer ihrer
+Freundinnen im Dollinger'schen Haus, und gewi nicht in der Absicht die
+Mittheilung gemacht, gleich damit, ohne weitere Warnung, vor die Polizei
+gezogen zu werden.
+
+Nun Mamsell -- wie hie sie? -- Rieke? -- Wann haben Sie Loenwerder aus dem
+Haus kommen sehn, und ist er ruhig hinausgegangen oder _geschlichen_?
+
+Wenn Loenwerder im Haus war, sagte Herr Dollinger ruhig, so wird er
+auch ordentlich hinaus_gegangen_ und nicht geschlichen sein; der wre der
+Letzte dem ich so etwas zutrauen mchte.
+
+Die Rieke behauptet, fiel aber hier die Kchin in dem Bewutsein
+unrechtlich gekrnkten Ehrgefhls rasch ein, da sie gar nicht auf ihn
+geachtet haben wrde, wenn er sich nicht so schnell und heimlich, und
+dicht unter den Fenstern, am Hause hingedrckt htte. Wer kein bses
+Gewissen hat, kann gerade und offen gehen.
+
+Sie sind aber gar nicht gefragt, zum Henker noch einmal, rief der Actuar
+jetzt ungeduldig werdend -- wenn Sie jetzt nicht ruhig sind, lasse ich Sie
+so lange hinausfhren, bis wir Sie wieder brauchen. Hier Mamsell Rieke;
+wenn Sie sich die Schrze abgedreht haben, dann sein Sie so gut und sagen
+Sie uns einmal wo und wie Sie den Herrn Loenwerder gesehen haben.
+
+Ich -- ich wei nicht gewi߫ -- stammelte das Mdchen verlegen -- aber --
+aber Loenwerder kam -- bald nachher wie die Herrschaft fortgefahren war --
+
+
+Wie lange nachher? frug der Actuar.
+
+Etwa eine halbe Stunde denk' ich -- vielleicht nicht so lange -- kam er
+viel rascher als es sonst seine Art ist, denn er geht gewhnlich immer
+sehr langsam -- kam er -- kam er aus der Thr heraus, die er geschwind
+hinter sich zuzog -- und dann --
+
+Und dann? --
+
+Und dann hielt er den Kopf nieder, als ob er nicht wollte da ihn Jemand,
+der vielleicht von oben heruntershe, erkennen mchte -- hielt er den Kopf
+nieder und drckte sich -- drckte sich dicht am Haus hin, so schnell er
+konnte die Strae hinunter, und um die Ecke.
+
+Und nachher? frug der Actuar.
+
+Nu, um die Ecke kann sie doch nicht sehn, sagte die Kchin.
+
+Ob Sie still sein wird, sagte Herr Ledermann jetzt aber wirklich bse
+gemacht -- Wenzel, wenn mir die Person da jetzt noch einmal das -- noch
+einmal den Mund aufthut, dann wissen Sie was Sie zu thun haben.
+
+Sehr wohl, Herr Actuar, sagte der Gerichtsdiener --
+
+Und sind Sie dann nachher nicht herbergekommen und haben das den Leuten
+im Hause gesagt, was Sie gesehn? frug der Actuar.
+
+Ich habe ja aber Nichts gesehen, sagte die Rieke.
+
+Sie haben doch den Loenwerder gesehn --
+
+Ja aber der geht doch so oft in das Haus hier herein, und kommt nachher
+immer wieder heraus.
+
+Der Actuar warf sich ungeduldig herber und hinber und sagte endlich
+mrrisch:
+
+Unsinn -- baarer Unsinn -- aber hatte er denn irgend etwas in der Hand? --
+_trug_ er etwas?
+
+_Trug_? -- ja -- ja sehn Sie Herr Actuar -- das kann ich Sie nicht sagen --
+das wei ich nicht --
+
+Nun Sie werden doch gesehen haben, ob er irgend ein schweres Paket in der
+Hand hatte oder nicht.
+
+Ja sehn Sie, das wei ich Sie wahrhaftig nicht, aber ich glaube es fast,
+sagte das Mdchen, denn ich habe den Herrn Loenwerder eigentlich noch
+gar nicht anders gesehn, als da er irgend 'was getragen htte; und wenn's
+nur ein paar Briefe gewesen wren, oder ein Regenschirm.
+
+Lieber Herr Actuar, ich glaube Sie sind da auf einer falschen Fhrte,
+sagte Herr Dollinger jetzt -- man kann einem Menschen allerdings nicht
+in's Herz sehen, aber fr den Loenwerder mchte ich fast selber
+einstehen.
+
+Mein bester Herr Dollinger, sagte aber der Actuar kopfschttelnd, es
+ist das mit den Untersuchungen eine wunderliche Sache, und Leute auf die
+man am allerwenigsten gedacht, von denen man nie das geringste Unrechte
+vermuthet hatte, kommen da oft in den sonderbarsten Verwickelungen vor und
+-- sind schuldig. Ich selber kenne Loenwerder als einen ordentlichen
+braven Menschen, und will zu Gott hoffen, da unser ganzer Verdacht
+unbegrndet ist; das heimliche Schleichen aus dem Haus aber, und da ihn
+Niemand sonst im Haus gesehen hat macht ihn verdchtig. Meine Pflicht ist
+es wenigstens ihn selbst deshalb zu vernehmen und ich werde jedenfalls
+noch heute Abend nach ihm schicken mssen -- unsere Eisenbahnverbindungen
+sind jetzt zu schnell, und man darf keiner Menschenseele mehr zwlf
+Stunden Vorsprung lassen, wenn man nicht oft das leere Nachsehn haben
+will.
+
+Passen Sie auf, sagte Herr Dollinger, der Loenwerder wird den
+Blumenstock zum Geburtstag Clara's oben hinaufgetragen haben, und zum Dank
+dafr kommt der arme Teufel jetzt noch in den Verdacht des fatalen
+Diebstahls.
+
+Wie aber ist er ohne Nachschlssel in die verschlossene Thr gekommen,
+warf der Actuar ein --
+
+Hm -- sagte Herr Dollinger, das wei ich freilich nicht -- nun fragen
+Sie ihn selber, das wird jedenfalls der krzeste Weg sein.
+
+Um das Verzeichni der gestohlenen Gegenstnde drfte ich Sie dann
+vielleicht nachher noch bitten.
+
+Meine Tochter wird es gerade jetzt eben schreiben, sagte Herr Dollinger,
+wenn Sie nur noch kurze Zeit warten wollen.
+
+Dann drfte ich Sie wohl bitten, es mir gleich in meine Wohnung zu
+schicken, meinte der Actuar nach kurzer Ueberlegung, ich mu vor allen
+Dingen erst in meine Wohnung und werde dann von da gleich noch einmal in's
+Bureau gehen. Wo ist denn der Loenwerder wohl am leichtesten zu finden?
+
+Ich habe eben nach seinem Hause geschickt, sagte Herr Dollinger, aber
+dort ist er nicht. Paul, der Bursche, behauptet, er ginge manchmal, aber
+selten, in eine Bierstube an der Ecke der Rnitzer und Hertzergasse, aber
+dort war er auch nicht; es ist brigens an beiden Orten bestellt, ihn
+gleich, so wie Jemand seiner ansichtig wird, hierherzuschicken.
+
+Sehr wohl, sagte der Actuar, seine Papiere zusammenpackend, und sie dem
+Gerichtsdiener bergebend; nach kurzer Begrung wollte er sich dann eben
+entfernen, als er noch einmal in der Thr stehen blieb und, sich scharf
+auf dem Absatz herumdrehend, fragte:
+
+A prospos -- _raucht_ Loenwerder?
+
+Soviel ich wei _nicht_, sagte Herr Dollinger.
+
+Doch ja, manchmal, sagte Einer der Leute -- Sonntags nach Tisch z. B.
+regelmig eine Cigarre.
+
+Hm, so? sagte der Actuar und verlie dann rasch das Zimmer und Haus.
+
+Er hatte brigens auch alle Ursache sich zu beeilen, denn daheim wartete
+ein mit jeder Minute drohender aufsteigendes Unwetter auf ihn, das er mit
+einer Art von verzweifelten Hoffnung immer noch mit den, dem
+Gerichtsdiener wieder zu dem Zweck abgenommenen, und geschftsmig unter
+den Arm geklemmten Streifen Akten abzuleiten gedachte. Jedenfalls mute
+ihm der Vorfall im Dollinger'schen Haus, der so viel von seiner Zeit in
+Anspruch genommen, entschuldigen. Frau Actuar Ledermann aber hatte sich
+schon den ganzen Nachmittag ber, mit immer wachsender Ungeduld,
+vorgenommen gehabt mit ihrem Gatten gegen Abend einen der vor der Stadt
+gelegenen Grten, wo Concert sein sollte, zu besuchen und die Parthie war
+ihr jetzt -- was halfen alle Grnde dagegen -- zu Wasser geworden; es
+verstand sich von selbst da Actuar Ledermann die Schuld, und deshalb auch
+die Folgen trug.
+
+Frau Actuar Ledermann hatte sich brigens vor einigen Tagen, wo sie trotz
+dem nassen Wetter und allen Vorstellungen ihres Mannes spatzieren gegangen
+war, furchtbar erkltet, und brachte keinen lauten Ton ber die Lippen.
+Das aber, und da sie ihren gerechtfertigten Ingrimm nicht mit der vollen
+Kraft ihrer Stimme hinaus_gieen_ konnte ber den Gatten, wie sie es -- und
+er auch -- gewohnt war, sondern alles das was sie ihm zu sagen hatte -- und
+sie hatte ihm viel zu sagen -- heraus_flstern_ mute, reizte ihren Zorn
+nur noch immer mehr.
+
+Aber liebes Kind, ich versichere Dich, sagte der Actuar in einem
+vergeblichen Versuch den aufsteigenden Sturm zu beschwichtigen, da ich
+mich ber anderthalb Stunden bei dem verwnschten Diebstahl im
+Dollinger'schen Hause aufgehalten habe und --
+
+Und ich versichere Dich, zischte sie, mit einem Gesicht, dem die
+Anstrengung die es sie kostete die Worte hrbar zu machen, einen noch viel
+unfreundlicheren, ja sogar boshaften Ausdruck gab -- da ich Dich vor
+anderthalb Stunden schon gerade so erwartet habe wie jetzt, und seit drei
+Stunden vollkommen angezogen dasitze und auf Dich passe.
+
+Aber Du _bist_ ja gar nicht angezogen, beste Therese.
+
+Weil ich mich wieder ausgezogen habe, rief die Frau -- glaubst Du ich
+soll mir ein Beispiel an einem liederlichen Menschen nehmen, und bei Nacht
+und Nebel noch drauen herumstreichen, wie Leute die das Licht zu scheuen
+haben? -- Und dann mit meinem Katharr -- da ich mir den Tag ber im warmen
+Sonnenschein ein wenig Bewegung machte, das fllt Dir nicht ein; aber
+Nachts, wenn der schdliche Thau niederfllt, der fr mich gerade Gift
+wre, da mchtest Du mich jetzt wohl noch hinausschleppen nicht wahr?
+damit ich nur recht schnell unter die Erde kme -- o ich armes
+unglckseliges Weib --
+
+Aber Therese Du bist unbillig, ich habe Dir doch angeboten heute
+Nachmittag mit mir nach dem rothen Drachen hinauszugehn --
+
+Weil Du wutest da das nichtsnutzige Geschpf von einer Wscherin mir
+mein Kleid nicht vor vier Uhr bringen wrde, zischte die Frau.
+
+Aber Du hast ja noch andere --
+
+Am Sonntag zum Skandal der andern Menschen mit einer solchen _Fahne_ zu
+einem anstndigen Vergngungsort hinausziehn, nicht wahr? -- _Dir_ lge
+natrlich Nichts daran was die Leute ber Deine Frau sagten; aber Du bist
+auch an anderen Orten lieber wie zu Hause, und statt Deiner Frau einmal
+ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten, und nachher mit ihr zusammen
+auszugehen, mut Du natrlich g'rad in's Wirthshaus laufen, und ein
+Bischen vor Mitternacht dann wieder zu Hause kommen.
+
+Liebes Kind, es ist halb neun Uhr jetzt -- sagte der Actuar ruhig, dann
+aber Therese, fuhr er nach kleinem Zgern, mit einer fast gewaltsamen
+Anstrengung etwas herauszubringen, das er auf dem Herzen hatte, fort --
+bist Du theilweise mit selbst Schuld daran, _da_ ich mir eben auer dem
+Hause mein Vergngen suchen _mu_.
+
+Ich? wollte die Frau erstaunt rufen, der etwas zu hoch eingesetzte Ton
+blieb aber total aus, und Ledermann sah nur, mit der entsprechenden
+Gesticulation, das zum Hchsten erstaunte Gesicht der Gattin. Dadurch aber
+vielleicht, und durch die ungewhnliche, freilich erzwungene Stille, etwas
+muthiger gemacht, fuhr er entschlossen fort:
+
+Ja liebes Kind, Du; denn anstatt Deinem Mann, wenn er von seinen
+Berufsgeschften ermdet zu Hause kommt den Aufenthalt daheim zu einem
+freundlichen zu machen, in dem er gerne bleibt, lt Dich Dein
+unglckseliges, heftiges Temperament nicht ruhen noch rasten, sondern Du
+mut irgend eine Gelegenheit vom Zaune brechen mit mir zu zanken. Gebricht
+es Dir aber vollkommen an Stoff, was jedoch nur in hchst seltenen Fllen
+zu sein scheint, so bist Du mrrisch und verschlossen, machst ihm ein
+finsteres, verdrieliches Gesicht, und sprichst kein Wort.
+
+Sprachlos nur vor Zorn und Staunen ber die unerhrte, bodenlose
+Frechheit, hatte die Frau indessen dem heute so redseligen Gatten (der
+aber nicht dabei zu ihr aufzuschauen wagte, sondern bald die rechte, bald
+die linke Ecke der Stube mit den Augen suchte) angesehn. Es war eine
+allerdings noch jugendliche schlanke, aber eher magere als volle Gestalt,
+die Frau Actuar Ledermann, mit etwas vorstehenden, wenigstens stark
+markirten Backenknochen und durchdringend scharfen, wenn auch kleinen
+lichtgrauen Augen, die Lippen schmal und um den Mund in vielen kleinen
+Fltchen, zusammengezogen, das Kinn jedoch etwas zurckstehend, was ihr
+ein besonderes, und nicht eben angenehmes Profil gab. Auch in ihrem Anzug
+lie sie sich zuviel gehn; der Zauber reinlicher Kleidung fehlte ihr, der
+selbst der rmlichsten Tracht etwas Nettes, Freundliches giebt; die Krause
+die das oben am Hals dicht anschlieende Kleid einfate, war schon mehrere
+Tage getragen und verdrckt, ebenso zeigten die Manschetten Spuren
+lngeren Dienstes, und die Haube sa ihr verschoben und zu viel
+zurckgedrngt auf dem, nicht berreich mit Haaren bedeckten Scheitel.
+Frau Actuar Ledermann war nicht hbsch, und der Affect der ihre Zge in
+diesem Augenblick mehr entstellte als belebte, nahm ihnen leider auch die
+letzte Spur sanfter Weiblichkeit, die sonst doch wohl noch hie und da
+darin verborgen lag. Der bis jetzt mehr durch Erstaunen als Migung
+niedergekmpfte Zorn gewann aber auch endlich die Oberhand, und whrend
+die Anstrengung, sich bei ihrer Heiserkeit gehrt zu machen, ihr Antlitz
+fast dunkel frbte, keuchte sie, die Arme in die Seite gestemmt, den
+Oberkrper gegen den berrascht einen Schritt zurckweichenden Gatten
+vorgebeugt:
+
+Spreche kein Wort, _heh_? sagt der Herr? -- prahlt da, wenn er von
+Berufsgeschften nach Hause kommt -- spreche kein Wort? -- sitzt in der
+Kneipe den ganzen gesegneten Nachmittag -- im rothen Drachen und das nennt
+er Berufsgeschfte; vertrinkt das Geld das wir hier zum nothwendigsten
+Leben brauchten, und wirft mir jetzt meine Heiserkeit vor, die mir der
+Himmel geschickt hat, oder mein bses Glck, dem ich auch einen solchen
+Mann verdanke -- da ich kein Wort spreche und verdrielich bin. Ich soll
+wohl _tanzen_? eh? -- wenn mir das Herz zum Zerspringen voll ist vor Jammer
+und Elend daheim, und wenn ich den ganzen Tag da sitze, und brte und
+denke wie wir auskommen wollen mit den paar Groschen, die zum Sterben und
+Verhungern zu viel, zum Leben aber zu wenig sind. Dann soll ich nachher,
+wenn der gestrenge Herr sein Gesicht zeigt, lachen und vergngt und lustig
+sein, nur damit der Haustyrann sich nicht unbehaglich fhlt in _seinen_
+vier Wnden.
+
+Heftiger Husten unterbrach hier die Zornesrede der Frau, der die bermig
+angestrengte Luftrhre den Dienst versagte, und der Actuar Ledermann nahm
+still und schweigend, den Moment benutzend, ein Licht von dem kleinen
+Seitenschrank, zndete es an der Lampe an, und verlie kopfschttelnd und
+seufzend das Gemach, sich auf sein eigenes kleines Stbchen zurckzuziehn.
+
+
+
+
+
+ Capitel 4.
+
+
+ FRANZ LOSSENWERDER.
+
+
+In Heilingen, in der Glockenstrae, stand ein vortreffliches Weinhaus, in
+dem die wohlhabenderen Brger Abends gewhnlich zusammenkamen und ihr
+Flschchen, aus denen auch oft zwei und drei wurden, tranken. Das Lokal
+war ziemlich gemtlich, und dem Zweck entsprechend, in eine Menge kleiner
+Zimmerchen abgetheilt, die theils durch wirkliche Thren und Verschlge,
+theils durch Vorhnge von einander getrennt lagen, einzelnen
+Gesellschaften zu gestatten eben einzeln zu bleiben, und ihr Glas,
+ungestrt von dem Nachbar, zu trinken.
+
+Das Haus hie der Pechkranz nach einer alten Sage, die der Wirth sehr
+gern mit der Heilinger Chronik belegte, und die noch in dem
+dreiigjhrigen Kriege spielte; ein, ber der Eingangsthr in neuerer Zeit
+erst aus Stein gehauener Bachus, hielt auch in der einen Hand einen
+Tyrsusstab, und in der anderen einen Pechkranz, in hchst wunderlicher
+Weise Sage und Geschft mit einander vereinigend. Die Allegorie war aber
+gar nicht so bel angebracht, und htte sich auch schon ohne Tilly recht
+leidlich und gengend erklren lassen, denn Bachus hatte hier schon in der
+That in manchen Kopf seinen Pechkranz hineingeworfen, da es lichterloh
+zum Dache hinausbrannte, ohne weiter eben greren Schaden anzurichten,
+als der alte Pechkranz in damaliger Zeit angerichtet haben sollte.
+
+Der Wirth war brigens nicht in Heilingen geboren und erzogen, sondern ein
+Rheinlnder, der sich hier erst vor einigen Jahren niedergelassen, und
+durch gute Getrnke auch bald gute und schlechte Kunden genug bekommen
+hatte. Seine Preise waren allerdings ein wenig theuer, aber, sagten die
+Heilinger, wer einmal Wein trinkt, dem darf es auch nicht auf einen
+Groschen dabei ankommen, wenn er nur cht und rein ist, und Wirth und
+Gste befanden sich wohl dabei.
+
+Es war am Abend des nmlichen Tages, an welchem ich meine Erzhlung
+begann, als die Gste, die den Tag ber meist auf Spaziergngen im Freien
+gewesen waren, anfingen einzutreffen, und die Kellner geschftig herber
+und hinber sprangen, Wein und Speisen den Hungrigen und Durstigen zu
+bringen. Die kleinen Rumlichkeiten fllten sich nach und nach, und selbst
+in dem groen Mittelsaal, der ungefhr das Centrum des Ganzen bildete,
+hatten sich schon hie und da einzelne Gruppen gebildet, oder auch einzelne
+Gste saen in irgend einer Ecke, ihre Flasche Wein vor sich, und auf
+eigene Hand, in ungeselliger Gemthlosigkeit, langsam Glas nach Glas zu
+leeren. Es ist das aber nicht die rechte Art; zu einer schnen Landschaft
+und einer guten Flasche Wein gehren mindestens zwei Personen, um Beides
+recht und ordentlich zu genieen, die eine sich _darber_, die andere sich
+_dabei_ auszusprechen; wenn man allein ist, geht mehr als der halbe Genu
+von Beiden verloren. Es giebt allerdings Menschen, die sich zufriedener
+fhlen wenn sie Alles allein genieen knnen, aber denen geh' aus dem Weg;
+es sind Hypochonder oder Schlimmere, und der einzige Dank, den Du ihnen
+schuldig bist ist dafr, da sie sich eben auch von Dir zurckziehn. Nur
+wer Niemanden hat an den er sich anschlieen darf, wer allein und
+freundlos in der Welt dasteht und das Leid das ihn drckt, allein tragen,
+die wenigen frohen Momente seines Lebens allein genieen mu, den bedauere
+und hilf ihm, wenn Du kannst, denn er ist der Unglcklichste von Allen.
+
+Es mochte neun Uhr Abends sein, als ein Bekannter von uns, der
+Krschnermeister Kellmann, die Weinstube betrat und, sich berall
+umschauend, ob er nicht irgend einen Freund trfe zu dem er sich setzen
+knnte, in einer der Ecken eine bekannte Gestalt entdeckte. Aber er sah
+erst ein paar Secunden wirklich aufmerksam dorthin, ehe er seinen Augen
+traute, und sagte dann, auf Jenen losgehend und neben dem Tisch stehen
+bleibend:
+
+Hallo, _Loenwerder_? Ihr hier im Pechkranz? na da mchte man doch, wie
+die Schwaben sagen, den Ofen einschlagen. Alle Wetter Mann und vor einer
+Flasche Rdesheimer; nun das la ich gelten und es freut mich wahrhaftig,
+da Ihr endlich einmal aufthaut und unter Menschen kommt. Aber was ist
+denn heute los bei Euch? denn einen ganz besonderen Grund mu doch die
+Festlichkeit haben.
+
+Ha -- ha -- ha -- hat sie auch He -- he -- he -- he -- herr Ke -- ke -- ke --
+kellmann, sagte der kleine Mann verlegen lchelnd und sich etwas
+schchtern dabei umschauend, denn es schien ihm nicht angenehm, die
+Aufmerksamkeit der brigen Gste so direkt auf sich gelenkt zu sehn.
+
+Jetzt kann ich aber auch den Leuten widersprechen, sagte Kellmann,
+seinen Hut und Stock an einen der nchsten Haken hngend und sich neben
+ihn setzend, wenn sie behaupten Ihr trnkt nur Wasser, und Sonntags
+hchstens einmal ein Glas Dnnbier -- ich kriege Leibschneiden, wenn ich
+nur an das Zeug denke -- und sonst lebtet, als ob Ihr die Woche mit einem
+halben Thaler auskommen mtet. Alle Wetter Mann, das ist recht, da Ihr
+Euch auch manchmal ein Glas Rheinwein gnnt; das hlt Leib und Seele
+zusammen, und strkt die Nerven und Muskeln mehr wie Rindfleisch. Wrde
+mir schwer ankommen, wenn ich unseren vaterlndischen Wein entbehren
+mte, setzte er mit einem halbunterdrckten Seufzer hinzu.
+
+Ha -- ha -- ha -- haben Sie a -- a -- a -- auch wohl ni -- ni -- nicht n -- n --
+n -- n -- n -- nthig, be -- be -- be -- bester He -- he -- he -- he -- he -- he.
+
+Ih nun wer wei was Einem noch Alles bevorsteht, unterbrach ihn Kellmann
+-- hier Kellner -- mir auch eine Flasche von dem Rdesheimer; der Duft hat
+mir Appetit gemacht.
+
+Hallo Loenwerder bei einer Flasche Rdesheimer, rief aber jetzt noch
+eine andere Stimme aus dem nchsten Stbchen, wo ein paar junge Kaufleute
+bei ihrem Glase zusammensaen -- da mssen wir auch dabei sein;
+Loenwerder hat vielleicht heute seinen splendiden Tag und traktirt --
+haben Sie was in der Lotterie gewonnen?
+
+Die jungen Leute, die Kellmann und Loenwerder begrten, kamen mit ihrer
+Flasche heraus, und setzten sich an denselben Tisch, mit dem immer
+verlegener werdenden kleinen Mann anstoend und trinkend. Denen gesellten
+sich aber noch bald darauf Andre zu; Loenwerder war in der ganzen Stadt
+bekannt und oft auch, seiner krperlichen Mngel wegen, zum Besten
+gehalten. Vertheidigen konnte er sich aber schon seines Stotterns wegen
+nicht, was den Gegnern gleich nur noch mehr Anla und Stoff gegeben htte;
+so wurde denn diese freilich gezwungene Zurckhaltung endlich fr
+Gutmtigkeit ausgelegt, mit der er sich Scherz und Stichelrede ruhig
+gefallen lie, und was die schrfste Erwiderung nicht vermocht, erreichte
+er unfreiwillig dadurch, da man es endlich mde wurde, den sich nicht
+Verteidigenden zum Besten zu haben, und ihn eben zufrieden lie. Aber in
+des Verwachsenen Betragen nderte das Nichts; abgestoen und verhhnt -- in
+nur sehr wenigen Ausnahmen -- von Allen, mit denen er in Berhrung kam, zog
+er sich mehr und mehr in sich selbst zurck, ging, auer den nthigen
+Geschftswegen und auer der Geschftszeit, fast nirgends hin, und lebte
+so einfach, ja fast drftig, wie nur ein Mensch leben kann, der eben _nur_
+Geld ausgiebt, um zu existiren. In einem Weinkeller hatte ihn aber noch
+Niemand gesehn, und die Gste dort, die berdies keinen weiteren Zweck da
+hatten als sich zu amsiren, glaubten das einmal einen Abend mit dem
+kleinen Stotterberg, wie er spottweis, seines Stotterns und Hckers
+wegen genannt wurde, am Besten thun zu knnen.
+
+Im Anfang wollte sich Loenwerder aber auf Nichts einlassen, ja machte
+sogar zwei oder drei, wenn gleich vergebliche Versuche, sich zu entfernen,
+denn von allen Seiten wurde er gehalten, und Jeder wollte und mute mit
+ihm trinken. Nach und nach aber fing er an aufzuthauen; der ungewohnte
+krftige Wein mochte ihm das Blut leichter und rascher durch die Adern
+jagen. Nun sollte er erzhlen, aber das ging nicht, sein Stottern wurde,
+mit der schwereren Zunge, kaum verstndlich, bis Einer, im Spott eben, auf
+den Gedanken kam, ihn zum Singen aufzufordern. Loenwerder weigerte sich
+erst ganz verschmt; das aber kam den Anderen zu komisch vor, und mit
+Lachen und Toben, whrend ein paar schon Champagner bestellten, den Genu
+wrdig zu feiern, rusperte sich Loenwerder pltzlich und stieg, von dem
+Wein erregt, und jetzt unter dem lauten Jubel der ihn umdrngenden Gste,
+auf einen Stuhl.
+
+ [Capitel 4]
+
+Was aber, wie sich die Uebrigen gedacht, Spott und Scherz hatte werden
+sollen, das erstarb in athemlosem Schweigen, nur von leisen Ausrufungen
+des Staunens und der Bewunderung unterbrochen, als der kleine verkrppelte
+Mensch, mit einer hellen, glockenreinen Stimme, und Tnen, die zum
+innersten Herzen drangen, erst noch scheu, dann aber immer
+zuversichtlicher werdend, und wie von dem Inhalt des Liedes mit
+fortgerissen, dieses also begann:
+
+ Ich habe schon zu oft geschaut
+ In Deiner Augen Glanz, Du Holde,
+ Auf meine Kraft zu fest vertraut,
+ Viel mehr, als ich vertrauen sollte.
+
+ Doch nein, fr Dich Geliebte sind
+ Des Lebens schnste, reinste Blthen,
+ Von keinem Schmerz getrbt, bestimmt,
+ Und was knnt' ich dafr Dir bieten?
+
+ Nichts -- gar Nichts, als ein treues Herz;
+ Doch nimmer sollst Du es erfahren --
+ Ich kann, wie frher, meinen Schmerz
+ In tiefer, innerer Brust bewahren.
+
+ Sei glcklich! -- wenn auch ohne mich,
+ Ich will Dich lieben, aber schweigen
+ Und mein Gebet nur soll fr Dich
+ Empor, zum Thron des Hchsten steigen.
+
+ Wenn dann mein Herz im Grabe liegt,
+ Und austrumt seine stillen Leiden,
+ Dann soll der Geist zum Himmel nicht
+ Entfliehn, und zu der Seel'gen Freuden. --
+
+ Ein schn'res Loos werd' ihm zu Theil,
+ Umschwebend Dich in trben Tagen,
+ Soll er, zu Deinem Schutz und Heil,
+ Selbst seiner Seligkeit entsagen.
+
+Loenwerder war ganz gerhrt geworden beim Schlu des Liedes, und die
+Thrnen standen ihm in den Augen; whrend sein wirklich hliches Gesicht
+durch den Schmerz aber eher einen komischen als ernsten Ausdruck bekam,
+jubelte die Schaar jetzt um ihn her, die wirklich erst wieder Athem und
+Laut gewann, als der wundersame Zauber dieser Stimme von ihnen genommen
+war.
+
+Bravo -- bravo Loenwerder -- bravo dacapo! Donnerwetter Mann, Ihr habt ja
+eine Stimme wie eine Nachtigall, und stottert nicht die Probe dabei -- wie
+am Schnrchen geht das!
+
+Es ist erstaunlich! rief Kellmann, vor lauter Verwunderung ber das eben
+Gehrte wirklich fast sprachlos.
+
+Nun aber auch trinken -- hier Loenwerder -- hier, riefen sie, ihm das
+Glas bis zum Rand mit dem schumenden Trank fllend, und dann noch ein
+Lied; bei Gott, das zuckt und prickelt Einem ordentlich durch die Adern,
+und klingt wie Glockenton so rein und voll; Loenwerder wo habt Ihr das
+Singen gelernt?
+
+Vo -- vo -- vo -- vo -- vo -- von mi -- mi -- mir se -- se -- se -- se -- selb --
+bber, stotterte der kleine Mann, kaum im Stande jetzt mit immer schwerer
+werdender Zunge nur die paar Worte vorzubringen, whrend ihm im Gesang die
+Strophen wie der Lerche das schmetternde Lied; aus der Kehle wirbelten.
+
+Und da hat bis jetzt noch gar kein Mensch etwas davon erfahren, rief
+Kellmann wieder -- behlt die liebe Gottesgabe da ebenfalls fr sich
+allein, kommt nirgends hin, spricht mit Niemand, trinkt und singt mit
+Niemand, und hat eine Stimme in der Luftrhre sitzen, die Einer, wer es
+darauf anzulegen verstnde, in reines Gold verwandeln knnte.
+
+Von allen Seiten tranken sie jetzt dem kleinen Mann zu, und berschtteten
+ihn mit Lob und Jubel, und dieser schwamm wirklich in einem wahren Meer
+von Wonne. So wohl war ihm auch noch nie geworden -- Niemand hatte sich bis
+jetzt um ihn bekmmert, Jeder ihn verspottet und verhhnt, und zum ersten
+Mal, vielleicht seit langen, langen Jahren, fhlte er sich unter Menschen
+einem Menschen gleich, wute sich nicht mehr verachtet und unter die Fe
+getreten, und sah freundliche Augen um sich her, die ihn wie ihres
+Gleichen anschauten.
+
+Dem lste sich auch endlich seine Zunge, oder wenigstens sein guter Wille
+zu reden, so weit, da er beginnen wollte Geschichten zu erzhlen. Das
+ging aber unter keiner Bedingung; beim Singen ja, aber beim Sprechen
+brachte er kein Wort mehr ber die Lippen, und selbst das Singen versagte
+ihm zuletzt den Dienst; die Augenlider wurden ihm schwer, er fing an zu
+lallen, und war eben zurck auf seinen Stuhl und dem Schlaf in die Arme
+gesunken, als die Thr aufging und zwei Gerichtsdiener in's Zimmer traten.
+Es war etwa elf Uhr Abends und die meisten Gste, mit Ausnahme des einen
+Tisches, hatten das Haus schon verlassen.
+
+Hallo was ist das? sagte Herr Kellmann, der die beiden Leute zuerst
+bemerkte, das ist wunderlicher Besuch -- es wird doch nicht etwa eine
+Polizeistunde eingefhrt in Heilingen?
+
+Aber auch der Wirth war die Diener der Gerechtigkeit, wie sie meist
+etwas poetisch genannt werden, gewahr geworden und ging auf sie zu, sich
+zu erkundigen was sie hierher gefhrt.
+
+Ein kleiner buckliger Mann soll hier heute Abend bei Ihnen sein, sagte
+der Erste -- er ist aus dem Dollingerschen Geschft.
+
+Dort sitzt er in der Ecke, sagte der Wirth vom Pechkranz nach
+Loenwerder hinberzeigend, hat er etwas verbrochen?
+
+Ich wei nicht, erwiederte der Zweite ziemlich kurz -- wir sollen ihn
+abholen. --
+
+Wird schwer sein, meinte der Wirth -- sie haben ihm heute Abend hier
+ordentlich zugetrunken, und der Wein hat jetzt das Uebergewicht -- wenn er
+aufsteht kippt er wieder um.
+
+Hm -- da wird wohl auch nicht viel mit Fragen aus ihm herauszubringen
+sein, Meier; was meinst Du, nehmen wir ihn mit?
+
+Ich denke das Beste wird sein wir fhren ihn zu Haus, und Einer bleibt
+bei ihm bis er morgen frh wieder zu Verstande kommt; jetzt ist doch
+Nichts mit ihm anzufangen.
+
+Aber um Gottes Willen was ist denn vorgefallen? frug Kellmann bestrzt;
+der arme Teufel hat doch nicht etwa irgend 'was verbrochen?
+
+Noch ist nichts Gewisses bekannt, erwiederte der erste Polizeidiener,
+nur bei Dollinger's ist heute Nachmittag eingebrochen, und die
+Untersuchung mu jetzt erst ergeben, wer schuldig sei.
+
+Bei Dollinger's eingebrochen? riefen Mehrere, heute Abend?
+
+Nein heute am hellen Tag, sagte der Mann.
+
+Alle Wetter das mu dann gewesen sein whrend sie nach dem rothen Drachen
+gefahren waren, sagte Kellmann rasch -- sie kamen an uns vorbei mit dem
+jungen Henkel.
+
+In der Zeit war's, besttigte der Polizeidiener, denn wie sie zu Hause
+kamen, wurde es entdeckt -- hier da Loenwerder -- Sie da -- wachen Sie auf.
+
+Ja wenn Sie den stoen wollen bis er munter wird, lachte Einer der
+jungen Leute, da haben Sie Arbeit.
+
+Sie -- Loenwerder -- hren Sie?
+
+Ja -- ja -- stammelte der von dem ungewohnten Weine, von dem er eigentlich
+gar nicht so sehr viel getrunken, Betubte -- me -- me -- me -- mehr We -- we
+-- wein; ich za -- za -- za -- zahle A -- a -- a -- a -- a -- alles!
+
+So? sagte der Polizeidiener ruhig -- nun fr heute mcht' es doch wohl
+genug sein; komm, fa ihn da drben unter den Arm, er wohnt ja auch nicht
+so sehr weit von hier -- wo ist sein Hut?
+
+Hier -- armer Teufel, das wird ein bses Erwachen werden.
+
+Wie man sich bettet so schlft man, sagte der zweite Polizeidiener, und
+den Betrunkenen in die Hhe richtend, der dabei unverstndliche Sachen
+stammelte und sogar einen total misglckenden Versuch machte wieder zu
+singen, fhrten sie ihn hinaus und seiner Wohnung zu, inde die Gste noch
+das fr und wider der Schuld des Mannes, von dem sie nie etwas Uebles
+gehrt bei einer anderen Flasche besprachen.
+
+Und es _war_ ein bses Erwachen fr den Mann; von dem Weindunst betubt
+schlief er, wie ein Todter, bis zum lichten Tag, und als er die Augen
+aufschlug und ihm der Kopf schmerzte zum Zerspringen, fiel sein erster
+Blick auf den ungeduldig in seinem Zimmer auf und ab gehenden
+Polizeidiener, den er einen Moment bestrzt anstarrte, und dann die Augen
+wieder schlo, wie vor einem unangenehmen Traumbild.
+
+Nun Loenwerder, ausgeschlafen? sagte der Mann aber, froh endlich einmal
+zu einem Resultat zu kommen -- das hat lange gedauert -- kommen Sie, stehn
+Sie auf und ziehn Sie sich an.
+
+Die Stimme war _kein_ Traum, und der kleine Mann richtete sich erschreckt
+von seinem Bett, auf dem er noch mit den Kleidern vom vorigen Abend lag,
+empor. Wo war er? -- wie war er hierher gekommen? er drckte sich mit
+beiden Hnden die Stirn und der klare Angstschwei brach ihm aus ber den
+ganzen Krper; er _wute_ nicht mehr was gestern Alles geschehn, und die
+unheimliche finstere Gestalt vor ihm fllte sein Herz mit einer wilden
+Ahnung von Unheil, die alles Blut dorthin in jhem Strom zurcktrieb.
+
+Wie ein Schlag da hinein traf ihn die Nachricht von dem entdecktem
+Diebstahl, das Gefhl, da der Verdacht auf ihm laste, und die nchste
+Stunde -- whrend ein anderer Polizeibeamter bei ihm visitirte und man
+nichts weiter, als in einem Winkel seines kleinen Schreibtisches, unter
+dreifachem Schlo, ein Pckchen mit 200 Thalern in fnf und zwanzig Thaler
+Cassenanweisungen, wie noch einige Goldstcke fand, wie seine Abfhrung
+dann nach dem Dollingerschen Hause, da Herr Dollinger gebeten hatte den
+Mann, an dessen Schuld er nicht glauben wollte, erst einmal an Ort und
+Stelle selber zu befragen -- lag wie ein Alp auf seiner Seele, unter dessen
+Last er auch kein Wort zu seiner Verteidigung zu sagen, ja nicht einmal
+eine an ihn gerichtete Frage zu beantworten vermochte.
+
+In dem Dollingerschen Hause angekommen, wurde er gleich in Herrn
+Dollinger's Zimmer hinaufgefhrt, und der alte Herr ging, als Loenwerder
+die Stube betrat, mit auf dem Rcken gekreuzten Hnden in seinem Zimmer
+auf und ab. Der junge Henkel sa in der einen Ecke des Sophas, das rechte
+Knie ber das linke geschlagen, mit einem Buch in der Hand, ber das hin
+er aufmerksam den Gefangenen betrachtete.
+
+Loenwerder war bleich wie ein Todter -- jeder Blutstropfen hatte sein
+Antlitz verlassen, und bei dem Versuch den er zum Reden machte, kam kein
+Laut ber seine Lippen.
+
+Loenwerder, sagte Herr Dollinger endlich, nach einer kleinen Weile vor
+ihm stehen bleibend und ihn ernst, ja traurig betrachtend -- ein bser
+Mensch ist gestern, whrend unserer Abwesenheit, in unser Haus geschlichen
+und hat, auer einigen Juwelen, auch noch das Geld entwendet, das Du mir
+gestern Mittag gebracht und das ich, wie Du weit, in den Secretair dort
+schlo. Warst Du whrend unserer Abwesenheit wieder im Haus und in dem
+Zimmer meiner Tchter?
+
+He -- he -- he -- he -- he -- he -- he -- rr Do -- Do -- Do -- Do.
+
+Schon gut Loenwerder, Du bist jetzt aufgeregt und das Sprechen wird Dir
+schwer; beschrnke Dich auf ein einfaches ja und nein.
+
+Ja -- a -- !
+
+In dem Zimmer meiner Tchter?
+
+J -- a -- a -- a aber -- i -- i -- i -- i -- ich wo -- wo -- wollte --
+
+Sie haben einen Blumentopf dort hineingesetzt? sagte Herr Henkel jetzt
+ruhig.
+
+Das Blut stieg dem kleinen Mann rasch bis in die Schlfe hinauf, aber der
+nchste Moment lie sein Antlitz wieder so wei als vorher; er nickte nur,
+zur Bettigung des eben Gesagten, mit dem Kopf.
+
+Loenwerder, sagte der Herr Dollinger mit leiser, bewegter Stimme und
+dicht zu dem kleinen Mann hinantretend, wobei er die Hand auf dessen
+Schulter legte, Loenwerder, noch gestern wrde ich eben so leicht
+geglaubt haben, da eines von meinen eigenen Kindern eines schlechten,
+unrechtlichen Streiches fhig wre, bis mich leider die immer deutlicher
+sprechenden Thatsachen in meinem Glauben an Dich _wankend_ gemacht haben.
+
+He -- he -- he -- he -- he -- herr Do -- Do -- Do -- Do -- -- Dollinger --
+
+Ich will Dir klar und einfach unseren ganzen Verdacht vorlegen, sagte da
+der alte Herr, dem Angeklagten jedes unntze Wort zu ersparen -- gestern,
+whrend unserer Abwesenheit, ist der Secretair meiner Tchter erbrochen
+und das Dir bekannte Geld entwendet worden -- drben ber der Strae hat
+Dich ein Mdchen gesehn, wie Du heimlich aus dem Hause geschlichen bist.
+Ebenso besttigt Wilhelm, der Stalljunge, Dich gesehn zu haben, wie Du
+httest das Haus durch die nach dem Hofe zu fhrende Thr verlassen
+wollen, bei seinem Anblick aber, was selbst dem Jungen aufgefallen ist,
+zurckgefahren, und dann auch nicht ber den Hof gekommen wrst. Das
+Stubenmdchen, die keine Ahnung davon haben konnte da Geld in dem
+Secretair lag, ist bereit den schwersten Eid abzulegen, da sie, wenige
+Minuten spter, nachdem man Dich hatte aus dem Hause schleichen sehen, die
+Vorsaalthr nicht mehr aus den Augen gelassen, und gewi wre, da Niemand
+die Schwelle mehr berschritten habe, bis sie den zurckkehrenden Wagen in
+den Hof einfahren gehrt. Heimlich bist Du im Haus gerade in der Zeit, in
+welcher das Geld entwendet wurde, gewesen, und die gestrige Ausschweifung,
+die man an Dir nicht gewhnt ist, wie die bei Dir gefundene Summe, lassen
+allerdings das Schlimmste frchten. Loenwerder -- ich brauche Dir nicht zu
+sagen, wie weh -- wie weh mir das gerade von _Dir_ thut, und ich wollte die
+doppelte Summe, so bedeutend sie ist, gern verschmerzen, wenn es _nicht_
+geschehen wre. Mache aber jetzt Deinen Fehler, wenigstens so weit das
+noch in Deinen Krften steht, wieder gut; gestehe was Du mit dem brigen
+Gelde gemacht, wo Du es verborgen hast, und ich selber will dann auch
+Alles thun was in meinen Krften steht, Deine Strafe zu erleichtern. Ein
+anderer Welttheil mag Dir nachher in spterer Zeit Gelegenheit geben
+Deinen Fehltritt zu bereuen, und das wieder zu werden, fr was ich Dich,
+selbst bis diesen Morgen noch, gehalten habe.
+
+Loenwerder hatte whrend dieser Auseinandersetzung wie aus Stein gehauen
+vor seinem Prinzipale gestanden, nur das Zittern seiner Glieder verrieth
+da er lebe; jetzt aber brach er in die Knie, und zum ersten Mal
+vielleicht mit dem vollen Bewutsein der gegen ihn erhobenen Anklage --
+oder auch von Schuld und Angst zu Boden gedrckt, denn wer konnte in den
+stieren, berdies nicht geraden Augen und in den todtenbleichen, mit
+groen Schweiperlen bedeckten Zgen das richtige lesen -- umfate er die
+Knie des alten Herrn und bat mit wild stotternder Stimme, aus der dieser
+nur mit uerster Anstrengung einen Sinn herausfinden mute -- ihn nicht
+unglcklich zu machen -- Nichts so Schreckliches von ihm zu denken.
+
+Ein aufrichtiges Gestndni, Loenwerder, entgegnete darauf Herr
+Dollinger, ist das Einzige, was Deine Schuld jetzt noch in etwas
+erleichtern kann. Das Gericht wird einen unbewachten Augenblick, dem die
+Reue auf dem Fue folgt, nicht so schwer strafen, wie den hartnckigen
+Uebelthter.
+
+A -- a -- a -- a -- a -- aber ich bi -- bi -- bin ni -- ni -- ni -- nicht schu --
+schu -- schu -- schuldig, -- stotterte der Unglckliche -- ich we -- we -- we
+-- we -- wei vo -- vo -- vo -- von Ni -- ni -- ni -- nichts --
+
+Du weit von Nichts, Loenwerder? sagte Herr Dollinger leise mit dem
+Kopf schttelnd -- und woher ist das Geld das man bei Dir gefunden, woher
+die Fnfundzwanzig Thaler-Note, die Du locker in der Tasche getragen, und
+die Dir der Polizeidiener gestern Abend noch herausgenommen hat?
+
+Ge -- spa -- pa -- pa -- pa -- partes Geld -- e -- e -- e -- e -- e -- ehrlich ge --
+ge -- gespartes G -- g -- g -- geld! stammelte der arme Teufel.
+
+Herr Henkel stand jetzt auf und ging langsam auf Herr Dollinger zu, dem er
+ein paar Worte in's Ohr flsterte und dann, whrend dieser leise und
+traurig mit dem Kopf nickte, das Zimmer verlie. Loenwerder aber, der ihm
+ngstlich mit den Augen folgte und vielleicht in einer unbestimmten Ahnung
+fhlte da man ihn fortfhren -- in ein Gefngni bringen werde, ergriff
+wieder und jetzt aber wie in Todesangst des alten Mannes Hand, und bat ihn
+um Gottes -- um seiner Seligkeit willen, soweit es ihm die, jetzt in der
+Aufregung nur noch mehr fehlende Sprache immer gestattete, da er ihm nur
+das nicht anthun -- da er ihn in kein Gefngni mge fhren lassen. Herr
+Dollinger erklrte aber natrlich darin Nichts thun zu knnen, denn wenn
+er Nichts gestehen wolle oder zu gestehen habe, so msse allerdings das
+Gericht, bei so stark vorliegendem Verdacht, die Untersuchung aufnehmen,
+wonach sich bald seine Schuld oder Unschuld herausstellen wrde.
+
+Hab' ich aber einmal erst auf solchen Verdacht gesessen, stotterte der
+Unglckliche, so bin ich gebrandmarkt mein Lebelang --
+
+Herr Dollinger zuckte die Achseln, und die Thr ffnete sich in diesem
+Augenblick, den einen Polizeidiener zeigend, der Loenwerder leise auf die
+Achsel klopfte und freundlich sagte:
+
+Wenn's gefllig wre.
+
+Loenwerder zuckte zusammen als ob er einen Schlag bekommen, und wandte
+sich noch einmal, wie Hlfe suchend, an Herrn Dollinger, aber ein Blick
+auf diesen berzeugte ihn, da er schon nicht mehr helfen knne, wo das
+Gericht die Sache in die Hand genommen, und sein Gesicht in den Hnden
+bergend, folgte er dem Gerichtsdiener fast willenlos hinaus.
+
+Gerade als er durch die Thr schritt begegnete ihm, noch auf der Schwelle,
+Frau Dollinger, und rasch bei Seite tretend, als ob sie selbst durch seine
+Berhrung angesteckt zu werden frchte, warf sie ihm einen zornigen,
+verchtlichen Blick zu und ging an ihm vorber.
+
+Loenwerder seufzte tief auf, sagte aber kein Wort, denn wie er den Kopf
+hob, sah er am andern Ende des Vorsaals Clara mit dem jungen Henkel in
+eifrigem Gesprch, und auch dort mute er vorbei. Das war zu viel und wie
+unschlssig blieb er stehn und sah sich um, als ob er einen Weg zur Flucht
+suche.
+
+Na kommen Sie, Loenwerder, machen Sie keine Dummheiten, sagte aber, ihm
+ermunternd auf die Schulter klopfend, der Polizeidiener -- es ist Alles
+ein Uebergang, wie der Fuchs sagte, als sie ihm das Fell ber die Ohren
+zogen.
+
+Loenwerder nahm sich zusammen und schritt festen Trittes an dem jungen
+Mdchen vorber, das ihn mitleidig betrachtete.
+
+Etwas ber zweihundert Thaler hat man schon bei ihm gefunden, flsterte
+der junge Henkel ihr leise zu -- ich hoffe da Vater Dollinger das andere
+auch noch wieder bekommen soll.
+
+Ach Loenwerder, warum habt Ihr das gethan? sagte Clara, leise und
+mitleidig den Gefangenen ansehend, als er an ihr vorberging.
+
+U -- u -- u -- und Si -- si -- si -- si -- sie g -- g -- g -- glau -- ben d -- d --
+das a -- a -- a -- a -- auch? rief Loenwerder und die groen hellen Thrnen
+standen ihm dabei in den Augen, aber der Polizeidiener hatte sich schon
+lnger mit ihm aufgehalten, als er meinte verantworten zu drfen, nahm ihn
+leise an der Hand und fhrte ihn die Treppe hinunter. Loenwerder folgte
+ihm wie in einem Traum.
+
+Das Polizeigebude war nur hchstens fnfhundert Schritt von dort
+entfernt, und stand an der andern Seite einer kleinen steinernen Brcke
+die ber den, mitten durch die Stadt und hufig berbrckten kleinen Flu
+fhrte. Als sie hinunter auf die Strae kamen, lie der Polizeidiener
+seinen Gefangenen los, kein Aufsehn zu erregen, und flsterte ihm zu nur
+ruhig neben ihm hinzugehn. Loenwerder verstand ihn wohl gar nicht, denn
+er sah verstrt zu ihm auf, und dann um sich her, und fand die Augen der
+Vorbergehenden alle neugierig auf sich geheftet; sich aber doch, wenn
+auch nur dunkel, des Zwanges bewut der auf ihm lag, nahm er sein
+Taschentuch heraus, trocknete sich die feuchte Stirn damit ab, und ging
+mit krampfhaft zusammenengebissenen Zhnen neben seinem Wchter her. So
+erreichten sie die Brcke, wo vier oder fnf Jungen standen, die neugierig
+die Ankommenden betrachteten; Loenwerder's Blick schweifte ber sie hin,
+aber er sah sie nicht, bis er dicht bei ihnen war und einer derselben
+spottend rief:
+
+Hoho, hoho -- Stotterberg hat gestohlen, Stotterberg hat gestohlen!
+
+Die Anderen stimmten lachend mit in den Ruf ein, und der Polizeidiener
+drehte sich rgerlich und drohend gegen die Buben um, die scheu
+auseinander stoben; Loenwerder aber fuhr sich mit beiden Hnden
+krampfhaft gegen die Stirn -- hat gestohlen! schrie er dabei, ohne zu
+stottern, mit gellendem wilden Schrei, und ehe sein Wchter es verhindern
+konnte, ja nur eine Ahnung davon hatte, warf er sich mit einem
+verzweifelten Sprung, ber die niedere Ballustrade hin in den unten
+vorbeilaufenden Strom. Noch ber dem Gelnder erfate ihn der
+Polizeidiener an einem Rockzipfel, das Gewicht des niederfallenden Krpers
+war aber zu gro, als da er es mit einer Hand htte aufhalten knnen, ja
+er mute sogar loslassen, nicht selber das Gleichgewicht zu verlieren, und
+der Unglckliche schlug gleich darauf auf das Wasser, unter dessen
+Oberflche er im nchsten Augenblick verschwand.
+
+Der Flu war inde hier weder breit noch tief, und auf der ziemlich
+belebten Strae fanden sich gleich mehre Leute, die unterhalb der Brcke
+in's Wasser sprangen, das ihnen etwa bis unter die Arme reichte, den
+niedertreibenden Krper aufzufangen. Sie hatten ihn auch bald erreicht und
+gefat, und von krftigen Armen wurde derselbe an die Oberflche gehoben
+und zum Ufer gezogen. Wenn ihm jedoch auch das Wasser selber noch nichts
+geschadet hatte, war der Unglckliche doch durch den Sturz, in dem er
+wahrscheinlich durch das Zurckhalten seines Rockes gegen einen der
+Brckenpfeiler geworfen worden, schwer am Kopf verletzt -- die Wunde
+blutete stark, und die Mnner trugen den Bewutlosen zuerst auf die
+Polizei, und von dort, auf den Ausspruch eines rasch herbeigerufenen
+Arztes, in die Charit.
+
+
+
+
+
+ Capitel 5.
+
+
+ DIE AUSWANDERUNGS-AGENTUR.
+
+
+Am Marktplatz zu Heilingen, und an der Ecke eines kleinen, auf diesen
+auslaufenden Gchens, stand ein ziemlich groes, grn gemaltes und gewi
+sehr altes Erkerhaus, dessen Giebel und Sttzbalken geschnitzt, und mit
+wunderlichen Kpfen und Gesichtern verziert, und braun angestrichen waren,
+und sich so weit dabei nach vorn berneigten, da es ordentlich aussah,
+als ob der ganze Bau mit dem spitzen, wettergrauen Dach nchstens einmal
+ohne weitere Meldung nach vorn ber, und gerade mitten zwischen die Tpfer
+und Fleischer hineinspringen wrde, die an Markttagen dort unten ihre
+Waare feil hielten.
+
+Nichtsdestoweniger wurde es noch immer, bis fast unter das Dach hinauf
+bewohnt, und der untere Theil desselben ganz besonders zu kleinen
+Waarenstnden und Lden benutzt. Die Ecke desselben nun, hatte seit langen
+Jahren ein Kaufmann oder Krmer in Besitz, der sich zu seinen
+Materialwaaren, Kaffee, Zucker, Tabak, Lichten, Grtze &c. auch noch in
+der letzten Zeit die Agentur mehrer Bremer und Hamburger Schiffsmakler zu
+verschaffen gewut, und damit bald in einer Zeit, wo die Auswanderungslust
+so berhand nahm, solch brillante Geschfte machte, da er die
+Materialwaarenhandlung seiner Frau, wie seinem ltesten Sohn bertrug, und
+fr sich selber nur ein kleines Stbchen, ebenfalls nach dem Markt hinaus,
+behielt, ber dessen Thre ein riesiges, sehr buntgemaltes Schild jetzt
+prangte. Dies Schild verdient brigens mit einigen Worten beschrieben zu
+werden, da die Heilinger in den ersten Tagen -- als es eben erst
+aufgehangen worden -- in wirklichen Schaaren davor stehen blieben und es
+anstaunten.
+
+Es war ein breites, lnglich viereckiges Gemlde, ein groes, dreimastiges
+Schiff vorstellend, wie es sich unter vollen Segeln der fremden, ersehnten
+Kste nherte. Die See selber war hellgrn gemalt, mit einer Unmasse von
+sichtbar darin herumschwimmenden Fischen, die den Beschauer wirklich etwas
+besorgt um die Sicherheit des Fahrzeugs selber machen konnten. Dessen
+wackerer Kiel schumte aber mitten hindurch, und der, dem Anschein nach
+vollkommen runde, nur nach hinten zu etwas lnglich auslaufende Rumpf,
+prete eine groe grn und wei gestreifte Welle vorne auf, die sich wie
+eine breite Falte quer vor seinen Bug legte. Die Segel standen dazu fast
+ein wenig zu sackartig, und nur an den vier Zipfeln festgehalten, stramm
+und steif von den Raaen ab, und die langen blutrothen Wimpel mit roth und
+weier Bremer Flagge hinten an der Gaffel, strmten und flatterten lustig
+nach hinten aus, wahrscheinlich den raschen Durchgang des Schiffes durch
+das Wasser anzuzeigen, das derart, durch den Wind getrieben, selbst diesen
+berflgelte. Ueber Deck war aber auch die Mannschaft, und Kopf an Kopf
+eine volle Reihe bunter Passagiere sichtbar, mit sehr dicken rothen
+Gesichtern, die Gesundheit an Bord des Schiffes besttigend, und mit sehr
+hellgelben und sehr breitrndigen, rothbebnderten Strohhten auf, whrend
+hinten auf Deck der Capitain des Schiffes mit einem dreieckigen Hut, wie
+einem Fernglas in der einen und einem Dreizack in der andern Hand stand.
+Was der Maler mit dem Dreizack andeuten wollte wei nur er und Gott; er
+mte denn gemeint haben da der Capitain, wie frher Neptun, das Meer
+beherrsche. Uebrigens war es auch mglich da er fischen wolle, und sich
+mit dem Fernrohr nur eben den strksten und fettesten der ihn reichlich
+umschwimmenden Fische ausgesucht habe.
+
+Den Hintergrund dieses prachtvollen Seestcks bildete ein schmaler
+Streifen mit einzelnen Palmen bedeckter Kste, an der eine Anzahl
+pechschwarzer, nackter Mnner standen, die nur einen gelb und blauen
+Schurz um die Hfte und einen grnen Busch in der Hand trugen. -- Diese
+sahen brigens gerade so aus, als ob sie die Ankunft des Schiffes schon
+sehnschtig und vielleicht sehr lange Zeit erhofft htten, und nun die
+Zeit nicht erwarten knnten da die Fremden an Land stiegen, damit sie
+geschwind fr sie arbeiten, und ihnen den Boden urbar machen drften.
+
+Neben dem Bild, und zu beiden Seiten der Thr, wie sogar noch an dem
+innern Theile des Fensterschalters, hingen lange Listen der verschiedenen
+anzupreisenden Pltze fr Auswanderung. Obenan New-York, Philadelphia und
+Boston, dann Quebeck und New-Orleans, Galveston; in Brasilien, Rio de
+Janeiro und Rio Grande; in Australien Adelaide, dann Chile, Valdivia und
+Valparaiso, und Buenos Ayres mit einer Menge neu entdeckter verschiedener
+Kolonien und Ansiedlungen, wohin berall die besten kupferfesten Schiffe
+A, in unglaublich kurzer Zeit und mit Allem versehen ausliefen, was dem
+glcklichen Passagier das Leben an Bord eines solchen Schiffes nur in der
+That zu einer Vergngungsfahrt machen msse und wrde.
+
+Weigel, wie der Eigentmer dieser auslndischen Versorgungsanstalt (ein
+Spottname den die Heilinger der Weigelschen Agentur gaben) hie, war ein
+dicker, vollgenhrt und blhend aussehender Mann, ungefhr sechs bis
+achtunddreiig Jahr alt, mit ein wenig fest umgeschnrter Cravatte, was
+seinen Augen etwas Stieres gab, und sonst einem leisen Anflug von Grau in
+den sonst braunen, widerspenstigen Haaren. Die Augen waren gro, blau und
+ziemlich ausdruckslos; ein fast mitleidiges Lcheln aber, das oft, und
+besonders dann wenn er irgend Jemandes Meinung bestritt, um seine
+Mundwinkel spielte, gab dem Ausdruck seiner Zge jene scheinbare
+Ueberlegenheit, die sich zuversichtliche Menschen oft ber Andere, wenn
+mann es ihnen gestattet, anzumaen wissen. Ganz vorzglich wute er diese
+Miene anzunehmen, wenn er ber Amerika, oder irgend einen berseeischen
+Fleck Landes sprach, ber dem fr ihn ein gewisser heiliger und
+unantastbarer Zauber schwamm, und Jemand dann irgend einen Zweifel gegen
+das Gesagte zu hegen wagte. Er schwrmte besonders fr Amerika, und es gab
+deshalb auch, seiner Aussage nach, keinen greren Lgner in der Stadt,
+als den Redacteur des Tageblatts, den Advokaten und Doctor Hayde in
+Heilingen. Dieser und er waren denn auch, wie das sich leicht denken lt,
+grimme und erbitterte Feinde und Gegner, woselbst sich nur irgend eine
+Gelegenheit dazu fand.
+
+Weigel bekam, wie das gewhnlich bei den Agenturen der Schiffsbefrderung
+blich und der Fall ist, fr jede Person die er einem Bremer oder
+Hamburger Rheder sicher an Bord lieferte, einen Thaler, kurzweg genannt
+fr den Kopf und er theilte deshalb die Leute -- seine Mitbrger sowohl
+wie smmtliche brige Bewohner Deutschland's, in solche ein die Energie
+hatten, d. h. zu ihm kamen und sich bei ihm einen Platz nach Amerika
+besorgen lieen, wo sie nachher drben selber sehn konnten wie sie fertig
+wurden, und in solche, die im alten Schlendrian hinkrochen, und hier
+lieber verfaulten, ehe sie einen mnnlichen entscheidenden Schritt thaten,
+ihrer Existenz auf die Beine zu helfen. Jeder der hier blieb betrog ihn
+aber wissentlich und mit kaltem Blut um seinen, ihm in ehrlichem Verdienst
+zustehenden Thaler, und es verstand sich von selbst, da er vor einem
+solchen Menschen keine Achtung haben konnte.
+
+Er selber kannte die Verhltnisse Amerika's nur aus Bchern die das Land
+lobten, denn andere las er gar nicht, und bekam er sie einmal zufllig in
+die Hand, so warf er sie auch gewi mit einem Kernfluch ber den
+nichtswrdigen Literaten, der wieder einmal einen ganzen Band voll Lgen
+zusammengeschmiert in die Ecke. Sein grter Aerger war aber jedenfalls --
+und so regelmig wie die Uhr Morgens acht schlug -- das Tageblatt, das er
+der hufigen Annoncen wegen halten _mute_, und das ebenso regelmig
+kleine gehssige und schmutzige Artikel gegen Amerika wie berhaupt gegen
+Alles brachte, was sich frei und selbststndig bewegte.
+
+Zehnmal hatte er sich schon vorgenommen den kleinen erbrmlichen Doctor
+zu prgeln, und sehr vielen Leuten wrde er dadurch ein groes Vergngen
+bereitet haben; aber er unterlie es doch jedesmal auch wieder, wenn sich
+ihm gleich oft genug die Gelegenheit dazu bot; Beide muten jedenfalls
+schon einmal frher etwas mit einander gehabt haben, vielleicht mehr von
+einander wissen als Beiden zutrglich war, und ein solcher Bruch wre da
+nicht rthlich gewesen.
+
+Sonst lebte Weigel still, und anscheinend als ein vollkommen guter und
+achtbarer Brger, vor sich hin, aber im Stillen wirkte und whlte er
+seinem Ziel entgegen, und richtete in der That viel Unheil an. Seine
+Beschreibungen Amerika's, die er sich selber in kleinen Brochren aus
+anderen Bchern zusammentrug, und um ein Billiges verkaufte, waren ein
+langsames Gift, das er in manche friedliche und glckliche Familie warf,
+ein Saatkorn das dort wucherte und Wurzel schlug, und whrend es die Leser
+anreizte nur gleich ohne weiteres ihr Bndel zu schnren und jenen
+herrlichen Lnderstrichen zuzueilen, wo von da an ihr Leben nur einem
+murmelnden Bache gleichen wrde, der zwischen Blumen dahin fliet, fllte
+er ihre Kpfe mit falschen Ideen und Begriffen von dem Land, das ihre neue
+Heimath werden sollte, und machte viele, viele Menschen unglcklich. In
+der neuen Heimath dann angekommen, die ihnen, mit migen Ansprchen,
+wirklich Manches geboten haben wrde was ihre Lage, im Vergleich mit dem
+alten Vaterland gebessert haben knnte, fanden sie sich jetzt pltzlich in
+all den wilden extravaganten Ideen, die sie durch solche Lectre
+eingesogen, enttuscht, fanden die Hoffnungen nicht realisirt, die man
+ihnen gemacht, hielten sich fr schlecht behandelt und unglcklich, und
+verfielen nun oft in das Extrem trostloser und eben so unbegrndeter
+Verzweiflung, wobei sie den Mann verwnschten, der sie hierverlockt, und
+sie verleitet hatte, Heimath und eigenen Heerd zu verlassen, einem Phantom
+zu folgen. Weigel aber hatte seinen Thaler fr den richtig abgelieferten
+Kopf bekommen, und dachte schon gar nicht mehr an die frher
+Befrderten, die seiner Meinung nach jetzt in einem Meer von Behagen
+schwammen und unter Palmen wandelten.
+
+Herr Weigel war allein in seinem kleinen Bureau, einem niederen, etwas
+dumpfen und nicht berhellen Stbchen, dessen eines breites Fenster mit
+durch Zeit und Rauch arg mitgenommenen Gardinen verziert war, whrend die
+Wnde durch Karten und statistische Tabellen-Anzeigen von Schiffen und
+Gasthusern, Plnen von neuangelegten Stdten oder zu verkaufenden Farmen
+fast vllig bedeckt hingen. Er sa an einem hohen, ziemlich breiten Pult,
+das einen mchtigen Kamm von Gefachen und Schiebladen trug und las, mit
+einer Tasse Kaffee neben sich, eben seinen tglichen Aerger, das
+Tageblatt, als es an die Thr klopfte, und auf sein lautes Herein ein
+junger, sehr anstndig, aber trotzdem etwas rmlich gekleideter Mann das
+Zimmer betrat.
+
+Herr Weigel? sagte der Fremde mit einer leichten Verbeugung.
+
+Bitte -- ja wohl, sagte Herr Weigel, seine Brille rasch in die Hhe
+schiebend und auf seinem Drehstuhl herumfahrend, seinen Besuch besser in's
+Auge zu fassen -- womit kann ich Ihnen dienen?
+
+Sie befrdern Passagiere nach Amerika?
+
+Nach Amerika? -- denke so, hehehe, lachte Herr Weigel, sich vergngt die
+Hnd reibend, habe schon ganze Colonien hinber geschafft, Mnner und
+Frauen, Weiber und Kinder; sitzen jetzt drben in der Wolle und schreiben
+einen Brief ber den andern an mich, wie gut es ihnen geht -- da nur den
+einen hier, den ich vor ein paar Tagen bekommen habe -- der Mann ist blos
+mit zwei tausend Dollarn hinbergegangen und hat schon eine eigene Farm,
+achtzig Acker Land, vierundzwanzig Stck Rindvieh, einige sechzig
+Schweine, fnf Pferde und will jetzt eine Schferei anlegen -- schreibt an
+mich ich soll ihm einen Schfer hinber schicken, aber einen der die Sache
+aus dem Grund versteht, kommt ihm auf ein paar Dollar Lohn nicht dabei an
+-- bitte lesen Sie einmal den Brief.
+
+Sie sind sehr freundlich Herr Weigel, sagte der junge Fremde mit einem
+verlegenen wie schmerzhaften Zug um den Mund -- aber der Brief wrde
+gerade nicht magebend fr mich sein, da ich mich gegenwrtig nicht in den
+Verhltnissen befinde, gleich einen Platz zu _kaufen_. Sind die
+Passagierpreise jetzt theuer?
+
+Theuer? spottbillig, lachte Herr Weigel, den Brief offen wieder zurck
+auf sein Pult, und seine Brille darauf legend, ihn zu weiterem Gebrauch
+bereit zu haben; spottbillig sag' ich Ihnen, man knnte wahrhaftig auf
+dem festen Land nicht einmal dafr leben -- _so_ nicht; und unter uns -- ich
+wei wahrhaftig nicht wie die Leute dabei auskommen, aber es mu eben die
+rasende _Menge_ von Passagieren machen, die sie jetzt wchentlich, ja fast
+tglich hinber spediren. Es ist fabelhaft was jetzt fr Menschen
+auswandern; auf einmal werden sie Alle gescheidt, und merken endlich was
+sie hier haben, und was sie dort erwartet -- ist doch ein famoses Land, das
+Amerika.
+
+Und wie viel betrgt die Passage nach dem _nchsten_ Hafen der Vereinigten
+Staaten, wenn ich fragen darf, fr -- fr eine erwachsene Person und ein
+Kind?
+
+_Nchsten_ Hafen? -- hehehe, frchten sich wohl vor der Seekrankheit?
+lieber Gott, daran gewhnt man sich bald; ist auch gar nicht so arg wie's
+eigentlich gemacht wird. Der Mensch, der Doctor Hayde hier im Tageblatt,
+hat neulich einen Artikel ber die Seekrankheit gebracht den er
+wahrscheinlich auch selber geschrieben, und wonach Einem gleich ach und
+weh zu Muthe werden mte; der ist aber nur dazu bezweckt den Leuten das
+Auswandern zu verleiden. Sie mchten sie gern hier behalten, damit sie sie
+nur recht ordentlich plagen und schinden knnen, weiter Nichts; davor
+braucht sich kein Mensch zu frchten.
+
+Sie wollten mir aber den _Preis_ der Passage nennen.
+
+Den Preis? -- ja so -- warten Sie einmal -- sein Blick fiel auf die
+Glachandschuhe und die schneeweie Wsche des Fremden, dessen etwas
+abgetragene Kleider er in dem halbdunklen Raum nicht so leicht erkennen
+konnte, oder auch bersah -- der Preis -- Dampfschiff oder Segelschiff?
+
+Segelschiff.
+
+Segelschiff -- wird -- sein -- Preis in erster Cajte vier und achtzig
+Thaler Gold.
+
+Und die -- die billigeren Pltze?
+
+Billigeren Pltze -- zweite Cajte oder Steerage fnfundsechzig Thaler
+Gold --
+
+Und Zwischendeck? sagte der Fremde leise und verlegen.
+
+Zwischendeck wrde ich Ihnen nicht rathen, meinte Herr Weigel, seine
+Brille jetzt abwischend und wieder aufsetzend; besonders wenn man eine
+Frau und ein Kind bei sich hat und es nur irgend ermachen kann, sollte man
+nie Zwischendeck gehn, man ruinirt sich's und den Seinigen an der
+Gesundheit herunter, was die paar Thaler mehr kosten.
+
+Aber Sie knnen mir wohl den Preis des Zwischendecks sagen?
+
+Ja wohl, mit dem grten Vergngen -- Zwischendeck nach New-York kostet --
+warten Sie einmal, ich habe ja hier die letzten Briefe von meinen Husern.
+Zwischendeck nach New-York kostet vierundvierzig Thaler Gold.
+
+Vierundvierzig Thaler?
+
+Ja es ist seit ein paar Tagen erst wieder um vier Thaler aufgeschlagen,
+weil die Leute eben nicht Schiffe genug anschaffen knnen fr die
+Auswanderer. Ist fabelhaft was besonders dieses Jahr fr Leute
+bersiedeln. Soll ich Sie vielleicht einschreiben? es trifft sich jetzt
+gerade glcklich, denn am 15ten geht ein ganz vortreffliches Schiff ab,
+die _Diana_, Dreimaster, gut gekupfert, mit allen nur mglichen
+Bequemlichkeiten versehn und einem Capitain, ich sage Ihnen ein wahrer
+Schentelmann, wie er sich gerade nicht immer auf den Schiffen findet.
+
+Ich danke Ihnen fr jetzt noch bestens, lieber Herr Weigel, sagte der
+junge Mann -- ich mu doch nun erst mit meiner Frau Rcksprache ber die
+nehmen, denn erst seit gestern ist mir die Idee berhaupt gekommen
+auszuwandern; aber -- noch eine Bitte htte ich an Sie, und er drehte
+dabei den Hut den er in der Hand hielt, fast wie verlegen zwischen den
+Fingern --
+
+Ja? womit knnte ich Ihnen dienen? frug Herr Weigel.
+
+Knnten Sie mir wohl sagen, ob die Capitaine der Segelschiffe -- ich habe
+einmal irgendwo gelesen da das manchmal geschhe -- auch Leute --
+Passagiere mitnhmen, die unterwegs ihre Passage -- abarbeiten drften und
+also -- auch keine Ueberfahrt zu bezahlen brauchten?
+
+Keine Passage zahlen? sagte Herr Weigel, die Lippen vordrckend und die
+Augenbrauen in die Hhe ziehend, whrend er langsam und halb lchelnd mit
+dem Kopfe schttelte -- keine Passage bezahlen? -- ne lieber Herr -- ja so
+wie heien Sie denn gleich --
+
+Eltrich, sagte der junge Mann etwas zgernd --
+
+So? -- ne mein lieber Herr Eltrich, davon steht Nichts in unseren
+Verzeichnissen und Contracten; im Gegentheil, _da_ kommen wir zusammen;
+das ist der Hauptpunkt, der Nervum Rehrum, der die ganze Geschichte
+eigentlich zusammenhlt, Amerika und Europa und die umliegenden
+Dorfschaften, heh, heh, heh.
+
+Aber wenn nun irgend ein armer Teufel, fuhr der Fremde etwas lauter,
+fast wie ngstlich fort -- irgend ein armer Teufel sein ganzes Hoffen eben
+auf eine Reise nach Amerika gesetzt htte, und bestimmt wte da er dort,
+wenn auch nicht gerade sein Glck machen, doch sein Auskommen finden
+wrde? --
+
+Nun dann soll er gehn -- um Gottes Willen gehn, und am 15ten dieses wird
+wieder das neue, kupferfeste -- ja so, aber er mu bezahlen, unterbrach er
+sich rasch als ihm einfiel von was sie vor erst wenigen Secunden
+gesprochen, er mu bezahlen, sonst nimmt ihn kein Capitain der Welt mit
+ber See.
+
+Und Sie glauben nicht da da jemals eine Ausnahme stattfinden drfte?
+sagte Herr Eltrich -- es werden doch Leute auf See gebraucht zu den
+nothwendigsten sowohl, wie den geringeren Arbeiten, und die Capitaine
+mssen gewi dafr _bezahlen_. Wenn sich also nun Jemand erbte alle diese
+Verrichtungen ganz _umsonst_, nur um Passage und die einfachste
+Matrosenkost zu machen, sollte das nicht mglich sein zu erlangen?
+
+Lieber Herr, sagte der Herr Weigel, dem es jetzt so vorkommen mochte als
+ob er mit dem Fremden da kein besonders groes Geschft machen wrde, und
+der anfing ungeduldig zu werden, zu den Arbeiten an Bord eines Schiffes
+werden _Matrosen_ gebraucht, und wer kein Matrose ist, kann die auch nicht
+verrichten. Das ist keine kleine Kunst, lieber Herr Schelbig, in den Tauen
+den ganzen Tag herumzuklettern und zwischen den Segeln, wenn das Schiff
+bald so herberschlenkert und bald so -- und er begleitete dabei seine
+Erklrung mit einer entsprechenden Bewegung der vor sich gerade
+aufgehaltenen Hand -- da mssen die Leute fest stehen knnen wie die
+Mauern, sonst kann man sie nicht gebrauchen.
+
+Aber glauben Sie nicht, wenn man einmal an einen Capitain schriebe, ob er
+sich doch nicht am Ende bewegen lie; oder -- setzte er rasch hinzu, wie
+von einem pltzlichen Gedanken ergriffen, wenn man sich nun verbindlich
+machte die Passage nach einer bestimmten Zeit in Amerika nachzuzahlen --
+sie dort abzuverdienen?
+
+Ja da knnte Jeder kommen, sagte Herr Weigel kopfschttelnd, wenn die
+Leute erst einmal drben sind, thun sie was sie wollen. Das ist ein freies
+Land da drben, Herr Wellrich, und da knnte man nachher jedem Einzelnen
+nachlaufen, und sehen da man sein Geld wieder kriegte. Ne, damit ist's
+faul, und ich nun einmal vor allen Dingen, mchte mich nicht auf solch
+eine Qungelei einlassen; daran hat man keine Freude, und das ist auch
+kein rundes Geschft.
+
+Es ist nur ein armer Verwandter, der sich auf solche Weise gern
+forthelfen wrde, sagte Herr Eltrich errthend -- er ist sehr fleiig und
+wrde arbeiten wie ein Sclave, die Zeit ber.
+
+Ja das glaub' ich, meinte Herr Weigel gleichgltig -- versprechen thun
+die Art Herren gewhnlich Alles was man von ihnen haben will.
+
+Knnten Sie mir denn vielleicht die Adresse irgend eines Schiffes oder
+Rheders geben, der bald ein Schiff hinberschickt, sagte der junge
+Fremde, sich schon wieder zum Gehen rstend -- wenn ich vielleicht selber
+einmal dorthin schriebe, um Sie nicht weiter mit der Sache zu belstigen.
+
+Ja, schreiben knnen Sie, sagte Herr Weigel, hehehe; aber Sie werden
+keine Antwort bekommen; darauf knnen Sie sich verlassen. Die Leute da
+haben mehr zu thun, als sich eines Passagiers wegen, fr den sie noch
+umsonst die Kost hergeben mten, in eine Correspondenz einzulassen; kann
+ich ihnen auch gar nicht so sehr verdenken.
+
+Und die Adresse?
+
+Die Adresse? -- da, hier liegt die neueste Auswanderer-Zeitung; wenn Sie
+wollen, knnen Sie sich da ein oder zwei Adressen herausschreiben. Da
+hinten, auf der letzten Seite stehen sie.
+
+Herr Weigel sah nach der Uhr, drehte sich wieder auf seinem Drehstuhl, der
+beim Aufschrauben etwas quietschte, herum, schob das Tageblatt zur Seite
+und rckte sich einen Bogen Papier zurecht, als ob er irgend einen
+nothwendigen Brief zu schreiben htte.
+
+Wieder klopfte es da an die Thr, und diemal, ohne ein ermunterndes
+Herein zu erwarten, ffnete sie sich, und drei Bauern, denen die groen
+silbernen Knpfe auf Weste und Rock und das feine Tuch der letzteren, die
+jedoch ganz nach ihrem alten burischen Schnitt gemacht waren, etwas
+ungemein solides gaben, traten, die Hte erst unter der Thr und schon im
+Zimmer abziehend, herein, und grten die beiden Leute die sie hier
+beisammen fanden, mit einem herzlichen Guten Morgen miteinander.
+
+Das waren die Leute die Herr Weigel gern kommen sah, die wuten wehalb
+sie die eine Hand immer in der Tasche trugen, denn sie hatten dort etwas
+zu verlieren, und waren nicht selten dabei die Vorboten eines grern
+Trupps, oft einer ganzen Schiffsladung voll die aus ein und derselben
+Gegend auswandern wollte, und ein paar der Angesehensten inde
+vorausgeschickt hatte, Platz fr sie zu bestellen. Wie der Blitz war er
+denn auch von seinem Stuhle herunter, schttelte ihnen nacheinander die
+Hand, und frug sie wie es ihnen ginge und was sie hier zu ihm gefhrt.
+
+Seid Ihr der Mensch der die Leute nach Amerika schickt? sagte da der
+Eine von ihnen, eine breitkrftige, sonngebrunte Gestalt mit vollkommen
+lichtblonden Haaren und Augenbrauen, aber dabei gutmthigen vollen und
+frischen Zgen, dem das Ganze brigens etwas fremd und unheimlich
+vorkommen mochte, denn er warf den Blick whrend er sprach wie scheu von
+einer der Schiffszeichnungen zur anderen, und schien sich ordentlich dazu
+zwingen zu mssen das zu sagen, was er eben hier zu sagen hatte.
+
+Nun nach Amerika _schicken_ thu' ich sie gerade nicht, lchelte Herr
+Weigel, die Anderen dabei ansehend, und etwas verlegen ber die vielleicht
+ein wenig plumpe Anrede.
+
+Nicht? sagte der Bauer rasch und erstaunt -- aber hier hngen doch all
+die vielen Schiffe.
+
+Nun ja, ich besorge den Leuten Schiffsgelegenheit die hinber _wollen_,
+sagte Herr Weigel, jetzt geradezu herauslachend, weil er glaubte da sich
+der Mann mit ihm einen Scherz gemacht, auf den er natrlich einzugehen
+wnschte.
+
+Ja aber wir _wollen_ eigentlich noch nicht hinber, sagte der zweite von
+den Bauern, seinen Hut auf seinen langen Stock stellend, und sich dabei
+verlegen hinter den Ohren kratzend -- wir wollten uns nur erst einmal hier
+erkundigen ob denn das auch wirklich da drben so ist, wie es jetzt immer
+in den Auswanderungszeitungen steht, und ob man blos hinberzugehn und
+zuzulangen braucht, wenn man eine gut eingerichtete Farm mit ein paar
+hundert Morgen Land haben will.
+
+Ja wenn man Geld hat, lachte Herr Weigel.
+
+I nu -- Geld htten wir, sagte der Bauer, und sah seine Nachbarn an.
+
+Ich bin Ihnen sehr dankbar, unterbrach den Sprecher hier der junge Mann,
+der indessen die Zeitung nachgesehn, und sich Einzelnes daraus notirt
+hatte. Bitte, sagte Herr Weigel, und nahm ihm das Blatt, ohne sich
+weiter um ihn zu bekmmern, aus der Hand, und wandte sich wieder zu den
+Bauern, als der junge Fremde sich mit einem artigen:
+
+Guten Morgen meine Herren empfahl.
+
+Adje Herr -- Herr Schnellig, rief der Agent ziemlich laut hinter ihm her,
+ohne sich weiter nach ihm umzudrehen, whrend die Bauern freundlich den
+Gru in ihrer Art erwiederten.
+
+Wer war der junge Herr? frug der erste Sprecher aber, als er die Thr
+rasch hinter sich in's Schlo gedrckt.
+
+Ach, ein armer Teufel, der gern mit umsonst nach Amerika hinber mchte,
+sagte Herr Weigel -- er thut zwar als wr' es nur fr einen armen
+Verwandten, aber, hehehe, derlei Ausreden kennen wir schon -- kommen alle
+Wochen vor.
+
+Umsonst mit nach Amerika? sagte der erste Sprecher verwundert, _der_
+sieht doch nicht aus als ob er etwas umsonst haben wollte, der ging ja
+_so_ fein gekleidet; Donnerwetter -- mit Handschuhen und allem --
+
+Ja auswendig sind die Leute in der Stadt meist alle schwarz und sauber
+angestrichen, lachte Herr Weigel, aber inwendig, in den Taschen, da
+hapert's nachher. Wer aber ein Bischen Uebung darin hat, kann auch schon
+oben auf erkennen, ob der Lack cht, oder blos nachgemacht ist, hehehe.
+
+Bei dem war er wohl nachgemacht? sagte der zweite Bauer, dem Anschein
+nach gerade nicht unzufrieden damit, da der glatte Stadtmensch nicht so
+viel galt wie sie, und da der Auswanderungsmann das sogleich durchschaut
+hatte. Herr Weigel nickte, seine Zeit war ihm aber kostbarer, als sie noch
+lnger an Jemanden zu verschwenden, bei dem er doch voraussah, da er von
+ihm keinen Nutzen haben wrde, und er suchte das Gesprch wieder dem mehr
+praktischen Anliegen der drei Bauern zuzulenken.
+
+Also Sie wollten mitsammen nach Amerika gehn und sich eine ordentliche
+Farm, gleich mit Land, Vieh, Husern und was dazu gehrt, ankaufen heh? --
+'wr keine so schlechte Idee.
+
+Ja erst mchten wir aber einmal wissen wie die Sache steht; sagte der
+Erste wieder, der Menzel hie, wenn man ber einen Zaun springen will,
+ist es viel vernnftiger da man erst einmal hinber guckt was drben ist,
+und wenn man das nicht kann, da man Jemanden fragt der es genau wei.
+Sind denn die Farmen da drben wirklich so billig? -- ist das wahr, da man
+dort noch gutes frisches Land fr ein und einen Viertel Thaler kaufen
+kann?
+
+Thaler? -- nein, sagte Herr Weigel, _Dollar_. Ja nun, das ist aber
+auch nicht viel mehr, meinte der Zweite, Mller.
+
+Nun ein Dollar ist ungefhr ein Speciesthaler, sagte Herr Weigel --
+lassen Sie mich einmal sehn -- die stehn jetzt -- stehn jetzt 1 Thlr. 12
+Silber- oder Neugroschen.
+
+Nu ja, sagte Menzel wieder, das ist aber immer kein Geld -- und fr
+tausend Dollar kauft man da eine fix und fertig eingerichtete Farm, wie
+sie's glaub' ich nennen? mit Allem was dazu gehrt?
+
+Ich habe hier gerade, sagte Herr Weigel in seinen Papieren suchend, ein
+paar Anerbietungen von hchst achtbaren Leuten -- wirklichen Amerikanern --
+die mir Farmen zu hchst migen Bedingungen offeriren. -- Die Leute wissen
+da drben da hier Viele zu mir kommen und sich nach solchen Pltzen
+erkundigen, und wenn sie dann 'was Gutes haben, schicken sie's mir. -- Wo
+hab' ich denn die verwnschten Plne jetzt hingelegt -- ah, hier ist der
+eine -- sehn Sie, Gebude und Alles sind darauf angegeben -- und der andere
+kann nun auch nicht weit sein; ich habe sie erst vorgestern meinem Bruder
+gezeigt, der gar nicht bel Lust hatte eine davon fr sich zu kaufen -- da
+ist er.
+
+Die drei Bauern drngten sich um den kleinen Tisch herum auf dem Herr
+Weigel die Plne jetzt ausbreitete, und suchten sich in den kreuz und quer
+laufenden Strichen zu orientiren, wie der Platz eigentlich liege, und was
+darauf stnde.
+
+Ja aber wo ist denn das nun eigentlich, und wie sieht's dort aus? sagte
+Menzel endlich, nach einigen vergeblichen Versuchen deshalb -- aus der
+Geschichte hier wird man nicht klug.
+
+Ja sehn Sie, sagte Weigel, mit seinem Finger den Plan erklrend, und den
+angegebenen Zahlen folgend, das hier, Nr. 1 ist das Wohnhaus, ein
+Doppelgebude, der Zeichnung nach mit einer offenen Veranda dazwischen,
+des warmen Klima's wegen, denn drum herum stehen Baumwollenbume
+angegeben; Nr. 2 da ist ein anderes Gebude, bis jetzt zu Negerwohnungen
+benutzt, denn der bisherige Besitzer scheint Sclaven gehalten zu haben;
+Nr. 3 ist eine Scheune; Nr. 4 ist ein Rauchhaus, die Leute verschicken von
+dort aus viel getrocknetes Fleisch; Nr. 5 ist, wie es scheint, ein
+Waschhaus, und Nr. 6 ein anderes Wohnhaus, was dem ersten gegenbersteht,
+und wahrscheinlich den ganzen Hofraum, da die Front nach dem Flusse zu
+liegt, abschliet.
+
+Und welcher Flu ist das?
+
+Der Missouri, einer der grten Strme Amerika's, ber eine englische
+Meile breit, und viel hundert Meilen hinauf schiffbar; alle Wetter meine
+Herren, von den dortigen Strmen knnen wir uns hier gar keinen Begriff
+machen.
+
+Hm -- und wieviel Land gehrt dazu?
+
+Dazu gehrt ein Died von 40 Acker, was frher als Congreland gekauft
+und schon bezahlt ist, und natrlich mit bernommen wird, und um den Platz
+herum kann noch so viel Congreland dazu genommen werden, wie man haben
+will -- nur die vierzig Acker, von denen aber ein Theil schon urbar gemacht
+ist, mssen natrlich hher bezahlt werden.
+
+Und was soll die ganze Geschichte kosten? frug Mller. -- Der dritte,
+dessen Name Brauhede war, hatte noch kein einziges Wort zu der ganzen
+Verhandlung gesagt.
+
+Die ganze Geschichte, erwiederte Weigel, sich das Kinn streichend, wie
+ich sie Ihnen hier gleich an Ort und Stelle berlassen kann, mit Husern
+und Grundstck und dazu noch einem kleinen Viehstand von vielleicht
+einigen achtzig Stck Rindvieh, und fnfundfunfzig oder sechzig Schweinen,
+wrde -- etwa -- ein tausend und einige sechzig spanische Dollar betragen --
+
+
+Und das wre nach unserem Geld? sagte Menzel, Mller dabei heimlich
+unter dem Tisch anstoend --
+
+Nach unserem Geld? wiederholte Herr Weigel, mit einem Stck dort
+liegender Kreide die Summen rasch auf dem Tisch selber aufaddirend --
+wrde es in einer runden Zahl etwa 1000 -- 400 -- eine Kleinigkeit ber
+1400 Thlr. Preu. Courant betragen.
+
+Wieviel Stck Rindvieh? sagte Mller.
+
+Einige achtzig Stck sind angegeben, sagte Weigel, und mssen auch
+berliefert werden; aber gewhnlich sind es noch mehr, denn das Vieh luft
+drauen im Freien herum und bekommt Klber und man wei es oft nicht
+einmal -- die Klber werden berhaupt nie mitgezhlt.
+
+Und die Passage hinber kostet? frug Menzel --
+
+Zwischendeck oder Cajte?
+
+Zwischendeck -- immer wo's am Billigten ist, lachte Menzel, und strich
+sich wohlgefllig ber die silbernen Knpfe.
+
+Ja, kann mir's denken, rief Herr Weigel, auf den Scherz eingehend, und
+ihn leise gegen den Arm von sich stoend -- Sie sehn mir auch gerade aus,
+als ob's Ihnen auf ein paar Thaler ankme.
+
+Ja, wo man's kann mu man's zusammennehmen, betheuerte aber auch Mller
+-- also wieviel kostet's im Zwischendeck Person?
+
+Vierundvierzig Thaler fr die Person -- Kinder zahlen die Hlfte.
+
+Aber ganz kleine Kinder? sagte Mller.
+
+Nun Suglinge gehen ein, lachte Herr Weigel, das ist die Beilage, die
+doch auch nur vom Schiff aus indirecte Nahrung bekommen.
+
+Leichten Zwieback? frug Menzel.
+
+Ja wohl, sagte Herr Weigel, etwas verlegen lchelnd, da er nicht wute
+ob der Bauer das im Spa oder Ernst gemeint -- wie viel Personen sind Sie
+denn aber wohl etwa?
+
+Nu, so eine sechzig mchten wir immer zusammen herausbekommen, meinte
+Mller --
+
+Aber Alle auf ein Schiff mtet Ihr uns bringen, sagte Menzel.
+
+Nun das versteht sich von selbst, rief Herr Weigel, und ein famoses
+Schiff geht gerade den funfzehnten ab -- ich glaube das beste, das von
+Bremen und Hamburg berhaupt luft -- die Diana.
+
+Ne das wr' uns noch zu frh --
+
+Am ersten nchsten Monats geht ein noch besseres, sagte Herr Weigel --
+wenigstens gerumiger und ein besserer Segler.
+
+Ne das wr' uns auch noch zu frh, sagte Menzel.
+
+Gut, dann trfen Sie es gerade ausgezeichnet mit dem Meteor, versicherte
+Herr Weigel, keineswegs auer Fassung gebracht; ich wollte Ihnen den im
+Anfang nicht anbieten, weil ich frchtete da Sie frher zu reisen
+wnschten, wenn Sie aber _so_ lange Zeit haben, dann kann ich Ihnen
+allerdings die vorzglichste Reisegelegenheit bieten, die sich nur
+berhaupt denken lt.
+
+So -- na das pate schon besser -- sagte Mller -- wie hie das Schiff
+gleich?
+
+Meteor.
+
+Hm -- werd' es mir merken -- aber nicht wahr, beim _Dutzend_ kriegen wir
+die Passage doch auch was billiger.
+
+Ne, das geht nicht, lachte aber Herr Weigel da gerade heraus; es ist ja
+nicht so, da ein Schiff nur eben so viel Menschen an Bord nehmen kann wie
+darauf Platz haben, sondern es mu auch genug Raum, und ber und ber
+genug Essen und Trinken fr sie dabei sein, wenn einmal die Reise, in
+einem unglcklichen Fall lnger dauerte als gewhnlich. So ein Schiff hat
+deshalb auch nur eine bestimmte Zahl von Auswanderern, die es an Bord
+nehmen kann, und nach Amerikanischen Gesetzen nehmen _darf_, und auf die
+ist Alles mit Kosten und Preis ausgerechnet, auf's tz. Die kleinen Kinder
+werden eingegeben, aber die groen men bezahlen. Und wie war's mit der
+Farm?
+
+Wo ist denn der andere Platz -- zu dem da der lange Zettel gehrt? sagte
+Menzel, der sich diesen indessen genau betrachtet, und nach allen Ecken
+herum und herumgedreht hatte, ohne, wie er meinte, einen Handgriff dran
+bekommen zu knnen.
+
+Der hier? der ist in Wisconsin; auch ein guter Platz, aber kein so groer
+Strom dabei, sagte Herr Weigel -- ist aber auch billiger. Dort kann ich
+Ihnen eine Farm, allerdings nur mit einigen vierzig Khen, fr etwa
+siebenhundertundfunfzehn Dollar berlassen, und dann habe ich noch fnf
+andere von sechs, acht, elf, neun und ich glaube zwlfhundert Dollar -- die
+letztere ist aber eine wirkliche Musterwirthschaft mit importirtem
+Schweizervieh, und Backsteingebuden, und einer prachtvollen Lage Milch
+und Butter in die nicht zu entfernte Stadt zu bringen; wird Ihnen aber
+auch freilich wohl zu theuer sein?
+
+Zu theuer? -- warum? sagte Menzel -- wenn man sich einmal etwas kauft,
+soll man sich auch gleich 'was ordentliches anschaffen. Ich habe mir
+brigens die Sache immer viel schwieriger vorgestellt mit dem Ankaufen,
+und gedacht, da man da erst lange in der Welt umher fahren und sein Geld
+verreisen mte. Wenn man das gleich hier an Ort und Stelle abmachen kann,
+ist das ja weit bequemer.
+
+Auf eins mchte ich Sie brigens noch aufmerksam machen, meine Herren,
+was Sie ja nicht versumen drfen, sagte Herr Weigel -- nmlich sich hier
+gleich Ihre Billets zur Weiterfahrt in's Innere, wohin Sie auch immer
+wollen, zu lsen.
+
+Von Neu-York aus? sagte Menzel verwundert.
+
+Ja wohl von Neu-York oder Philadelphia oder wohin Ihr Reiseziel liegt.
+
+Ja aber kann man denn die _hier_ bekommen? frug Mller.
+
+Gewi kann man das, lchelte Herr Weigel, und das ist gerade der
+ungeheure Vortheil unserer jetzigen Verbindung, die den Auswanderer von
+der Thr seiner alten Heimath fort, vor die seiner neuen setzt, ohne da
+er ein einziges Mal in die Tasche zu greifen und mehr zu bezahlen braucht,
+als was er gleich von allem Anfang entrichtet hat. Das eben macht auch das
+Reisen jetzt so billig, da man mit _einem_ Blick im Stande ist smmtliche
+Kosten zu bersehn; die Extra-Ausgaben fallen ganz weg.
+
+Das wre freilich ein Glck, sagte Mller, von dem erst vor einigen
+Monaten ein Bruder hinber gegangen war -- die Extra-Ausgaben fressen
+sonst das meiste Geld.
+
+Ob sie's fressen, bester Herr, ob sie's fressen, sagte Herr Weigel, sich
+wieder vergngt die Hnde reibend.
+
+Und wo kann man die Billete also bekommen? frug Menzel.
+
+Bei mir hier, versteht sich, sagte Herr Weigel -- alle bei mir.
+
+Und die gelten dann drben?
+
+Nun versteht sich doch von selbst, lachte der freundliche Agent, ich
+wrde sie ja Ihnen doch sonst nicht verkaufen. Sehn Sie, wenn die
+Deutschen hinber kommen, dann sprechen sie gewhnlich noch kein Englisch
+-- oder haben Sie das etwa schon gelernt?
+
+Ne --
+
+Nun sehn Sie, und dann werden sie dort von ihren Landsleuten -- denn der
+Amerikaner ist nicht halb so schlimm -- die sich das richtig zu Nutze zu
+machen wissen, tchtig ber's Ohr gehauen, und mssen gewhnlich gerade
+noch einmal so viel bezahlen, als die Sachen eigentlich kosten.
+
+Aber es soll doch eine Deutsche Gesellschaft drben in Neu-York sein,
+sagte jetzt Brauhede, der zum ersten Mal bei der ganzen Verhandlung den
+Mund aufthat -- die sich eben der Deutschen annimmt und Nichts dafr
+verlangt.
+
+Leben wollen wir _Alle_, sagte Herr Weigel achselzuckend -- umsonst ist
+der Tod, und da die Leute, wenn sie ihre Zeit darauf verwenden fr die
+Deutschen zu sorgen, auch etwas dafr nehmen werden, lt sich wohl an den
+fnf Fingern abzhlen. Neu-York ist aber ein theures Pflaster, die Leute
+_brauchen_ dort mehr wie wir hier, und wer es daher _billiger_ thun kann
+ist auch wieder leicht einzusehn. Ich will mich auch keineswegs empfehlen;
+lieber Gott es giebt noch eine Menge Leute in Deutschland, die sich
+demselben schwierigen und undankbaren Geschft unterzogen haben wie ich,
+und die es sich vielleicht eben so sauer werden lassen gerade und ehrlich
+durch die Welt zu kommen; aber Einen der es besser _meint_ dabei, werden
+Sie wohl schwerlich finden, und ich berrede gewi Niemanden nach Amerika
+auszuwandern. Jeder Mensch mu seinen freien Willen haben, und auch am
+Besten selber wissen was ihm gut ist.
+
+Ne gewi, sagte Menzel -- da habt Ihr ganz recht, das ist auch mein
+Grundsatz; aber das mit dem Amerika leuchtet mir auch ein, und umsonst
+thut da gewi Niemand etwas -- das sind verflixte Kerle da, hab' ich mir
+sagen lassen, besonders die Deutschen, und wo die nicht wollen gucken sie
+nicht 'raus.
+
+Also die Billete kann man hier bei Euch kriegen? sagte Mller.
+
+Wohin Sie wollen, und ich stehe Ihnen dafr da sie nicht allein cht
+sind, sondern da die hier in Deutschland gelsten Pltze auch noch den
+Vorrang haben vor allen in Amerika genommenen, wenn einmal Eisenbahn oder
+Dampfboote zu sehr besetzt sein sollten. Es ist ja hier gerade so mit der
+Post, wo Die, die sich zuerst, und auf der lngsten Station haben
+einschreiben lassen, den Vorrang behalten mssen vor denen die nachher
+kommen.
+
+Ahem, das ist klar, sagte Menzel; na also da dcht' ich lieen wir uns
+gleich einmal Pltze belegen und gben das D'raufgeld, damit wir die Sache
+richtig htten, und nachher knnen wir ja einmal ber die Farmen sprechen;
+ich habe verwnschte Lust.
+
+Du, das hat noch Zeit, sagte aber jetzt Brauhede wieder, Menzel am Rocke
+zupfend; erst mssen wir es uns doch einmal mit den Anderen zu Hause
+berlegen.
+
+Wenn aber nachher die Pltze auf dem ganz guten Schiffe fort sind, sagte
+Mller mit einem sehr bedenklichen Gesicht.
+
+Ja, _stehen_ kann ich Ihnen _nicht_ dafr, versicherte Herr Weigel die
+Achseln zuckend, da sie beinah seine Ohrlppchen berhrten.
+
+Na mein'twegen, sagte Brauhede, der allerdings auch in der Absicht
+hierher gekommen war, ihre Passage fest zu accordiren, jetzt aber, da es
+dazu kam Geld zu zahlen, nur ungern damit herausrckte -- aber von wegen
+der Farm mssen wir noch erst mit den Anderen sprechen, und eine Farm
+kriegen wir auch noch immer.
+
+Ja aber was fr eine, sagte Herr Weigel.
+
+Brauhede blieb brigens bei seiner Meinung, und Menzel bestand jetzt nur
+wenigstens darauf die beiden Plne einmal mitzunehmen, damit sie sich zu
+Hause ordentlich hinein denken knnten. Wenn auch Herr Weigel sie im
+Anfang nicht auer Hnden geben mochte, ja sogar versicherte er habe nicht
+bel Lust die eine Farm fr sich selber auf Spekulation zu kaufen, lie er
+sich doch zuletzt berreden ihnen, aber allerdings nur auf zwei Tage, die
+Plne zu berlassen, und dann das Weitere ber den Ankauf mit einer
+zweiten Deputation der Gesellschaft zu besprechen.
+
+Menzel bezahlte dann das Aufgeld auf ihre Passage im _Meteor_ fr
+siebenundfunfzig Personen und dreizehn Kinder, die smmtlich aus _einer_
+Ortschaft auswandern wollten, und nahm dann auch noch, nach einer kurzen
+Berathung mit den beiden anderen, die nthigen Billete auf der Eisenbahn
+von Neu-York aus, oder machte wenigstens eine Anzahlung darauf, da sie
+ihnen der Agent aufbewahrte, da dieser sie versicherte er sei nur noch im
+Besitz einer sehr kleinen Anzahl, und wisse nicht, wann er gleich wieder
+andere bekommen wrde, whrend die Anfrage darnach sehr stark wre.
+
+Auerdem kauften sie sich auch noch ein halbes Dutzend kleine Brochren,
+die Herr Weigel, wie er sagte, gerade frisch aus der Druckerei als etwas
+_ganz Neues_ bekommen hatte -- ein Datum stand nicht darauf -- und die drei
+Mnner verlieen dann wieder, von dem schmunzelnden Agenten bis an die auf
+den Markt fhrende Thr begleitet, das Haus.
+
+Hre Du, sagte aber Brauhede als sie wieder vor dem Haus und auf der
+Strae waren, und langsam ber den Markt weggingen, mit dem Landkaufen
+wollen wir uns doch lieber hier noch nicht einlassen, das ist eine
+wunderliche Geschichte und will mir nicht recht in den Kopf.
+
+Nicht in den Kopf? rief aber Menzel -- und warum nicht? -- der Mann
+bekommt alle Tage Briefe aus Amerika, warum soll der nicht wissen was dort
+zu verkaufen ist?
+
+Wenn's aber so gut und billig wre, brauchten sie's doch nicht hier
+herberzuschicken, meinte Brauhede kopfschttelnd.
+
+Das ist Alles was Du davon verstehst, sagte Mller, Amerikaner knnten
+sie gewi genug zu Kufern kriegen, aber deutsche Bauern wollen sie, die
+ihnen zeigen wie man das Land behandeln mu, und darum schicken sie
+herber -- die sind froh drben, wenn unsereins hinber kommt.
+
+Nun, mag sein, brummte Brauhede -- aber sicher ist doch sicher, und wenn
+ich mein Geld hier weggegeben habe, und kann das Land was mein sein soll
+nachher nicht finden, wie's dem Niklas seinem Bruder gegangen ist, nachher
+wre die Geschichte aber faul.
+
+Dem Niklas sein Bruder war aber auch ein Esel, sagte der Andere, der
+sich hier Land von einem herumziehenden Vagabunden gekauft; da sollt' er
+nachher wohl suchen. Aber _der_ Mann hier ist in der Stadt ansssig und
+hat ein Geschft; was der verkauft das mu gut sein, sonst wr' er ja gar
+nicht sicher da man ihn einmal deshalb beim Kragen kriegte.
+
+Ja krieg' ihn einmal wenn Du drben in Amerika bist, sagte Brauhede
+ruhig -- das ist ein verwnscht weiter und umstndlicher Weg und -- wenn
+man sich einmal hat anfhren lassen, will man auch nicht gern noch dazu
+ausgelacht werden.
+
+Papperlapapp! sagte Menzel -- dafr hat Jeder seine Augen da er sie
+offen hlt, und ehe ich ihm mein gutes Geld gebe, werd' ich mich schon
+sicher stellen da er mir Nichts aufbindet.
+
+Und die Mnner schritten, Jeder von jetzt an mit seinen eigenen Gedanken
+ber die nahe Auswanderung beschftigt, langsam die Strae hinunter,
+whrend in seinem kleinen Bureau, vergngt die Hnde zusammenreibend, Herr
+Weigel auf und ab spazieren ging, und sich im Geist die nchst zu
+ziehenden Summen zusammenaddirte, die er in kurzer Zeit, nach eifriger
+Aussaat, einzuerndten hoffte. Die Geschfte gingen vortrefflich; Lust zur
+Auswanderung hatte in der That ein Drittel der smmtlichen Bevlkerung,
+und es bedurfte nur manchmal wirklich einer leisen Anregung, die Leute zu
+etwas zu bewegen, zu dem sie schon halb und halb selber entschlossen
+gewesen waren.
+
+Herr Weigel war sehr guter Laune; er legte jetzt die Hnde auf den Rcken
+und summte ein leises Lied vor sich hin, seinen Marsch dabei fortsetzend.
+Aber er sang falsch; er hatte keine Idee von irgend einer Melodie; doch
+das schadete nichts, er _meinte_ wenigstens eine, und da er selber nicht
+hrte was er sang, gengte es ihm vollkommen.
+
+Die Thr ging jetzt auf und der Tischler oder Schreiner kam herein, irgend
+etwas an dem Pult auszubessern -- er hatte zweimal angeklopft ohne da der
+vergngte Agent darauf geantwortet htte.
+
+Guten Morgen Herr Weigel.
+
+Ah guten Morgen Meister -- nun kommen Sie endlich? ich hatte schon ein
+paar Mal nach Ihnen hinbergeschickt --
+
+Ja lieber Gott Herr Weigel, ich war gerade drben beim Herrn Geheimen
+Rath Brlich beschftigt -- die Leute sind so eigen wenn man von der Arbeit
+fort geht --
+
+Sehn Sie, hier das Bein mcht' ich gemacht haben; der Tisch wackelt da
+immer, und wenn man etwas darunter legt, verschiebt sich das doch jedesmal
+wieder. Knnen Sie es mir wohl bis heute Nachmittag in Ordnung bringen?
+
+Ja gewi, sagte der Mann, das ist ja nur eine Kleinigkeit.
+
+Und wie ist es mit den Auswandererkisten die ich bestellt habe? -- werden
+die bis heute Abend fertig?
+
+Ja wohl Herr Weigel; sechs habe ich schon in das Gasthaus Stadt
+Breslau, wie Sie mir sagten, abgeliefert.
+
+Nun das ist gut, denn der ganze Zug wird noch heute Vormittag ankommen,
+und will morgen frh wieder fort -- es sind doch noch keine Auswanderer
+heute Morgen hier eingetroffen? --
+
+Nicht da ich gesehen htte -- aber gestern Abend zogen Viele durch.
+
+Ja ich wei -- von Hessen herber -- die armen Teufel; denen wird's einmal
+wohl drben werden. Nun wie gehn denn bei Ihnen die Geschfte jetzt?
+
+Ih nu gut, Herr Weigel, ich kann gerade nicht klagen; das Brod wird
+freilich immer theuerer, aber man schlgt sich so durch -- Kinder haben wir
+nicht, und was verdient wird reicht eben ordentlich aus.
+
+Ich begreife nicht, sagte Herr Weigel da kopfschttelnd vor dem Mann,
+der seine Mtze eben wieder aufgegriffen hatte und sich zum Fortgehen
+anschickte, stehen bleibend -- wie Ihr Leute Euch hier vom Morgen bis
+Abend plagt und schindet, eben nur das liebe Brod zu verdienen, wo Ihr in
+ein paar Wochen drben sein knntet und so viel Dollare fr Euere Arbeit
+bekmt, wie hier Groschen.
+
+Drben, wo?
+
+Nun in Amerika --
+
+Hm, ja, sagte der Mann, sich nachdenkend das Kinn streichend, und einen
+leichten Seufzer unterdrckend -- gedacht hab' ich auch schon ein paar Mal
+daran, aber -- das geht nicht gut und -- es ist auch so eine unsichere Sache
+mit da drben. Hier wei ich einmal was ich habe und da ich auskomme, und
+wie mir's da drben geht wei ich _nicht_.
+
+Aber Freund, rief Herr Weigel verwundert -- ein Mann der fleiig
+arbeitet bringt es dort immer zu was. Wetter noch einmal, Meister, Amerika
+ist gerade der Platz fr Euch, wo Ihr Euch rhren und ausbreiten knntet --
+wenn Ihr dort wret, ein geschickter Arbeiter wie Ihr! in fnf Jahren
+httet Ihr zwanzig Gesellen.
+
+Meister Leupold nickte langsam mit dem Kopf, und sah ein paar Secunden
+still vor sich nieder, als ob das Bild mit der groen Werksttte und dem
+regen Treiben sich vor seinem inneren Geist eben auszubreiten beginne,
+dann aber sagte er, jetzt herzhaft aufseufzend --
+
+Und es geht doch nicht, Herr Weigel -- ich habe die alte Mutter zu Hause,
+die ich unmglich hier allein zurck lassen knnte --
+
+Hierlassen? das fehlte auch noch, rief der Agent -- die nehmt Ihr mit,
+Mann -- knnt Ihr der denn eine grere Freude machen, als wenn sie noch
+vor ihrem Ende she wie wohl es Euch geht auf der Welt, und wie sich Euer
+Zustand mit jeder Woche, mit jedem Tage fast bessert? -- Mu sie hier nicht
+in Sorge und Kummer leben da Ihr einmal krank werdet und Nichts verdienen
+knnt, und wie sieht's dann aus?
+
+Wenn ich aber nun dort drben krank werde? sagte der Meister leise.
+
+Wenn das nur nicht gleich die ersten Monate geschieht und fr ein Unglck
+kann Niemand -- warf dagegen Herr Weigel ein, so knnt Ihr Euch auch
+schon so viel gespart haben, das eine Weile mit ruhig anzusehn; und wenn
+Ihr nicht krank werdet, seid Ihr in ein paar Jahren ein wohlhabender
+Mann.
+
+Es ist eine verwnschte Geschichte mit dem Amerika, seufzte der Mann
+wieder, sich hinter dem Ohr kratzend -- man hrt so viel davon, und sieht
+eine solche Masse Menschen hinberziehen, die alle voller Hoffnung sind
+da es ihnen gut geht -- und mchte am Ende ebenfalls gern mit -- wenn man
+nur erst so einmal hinbergucken knnte wie es eigentlich aussieht.
+
+Dazu ist es ein Bischen zu weit, meinte Herr Weigel.
+
+Ja nun eben, sagte der Tischler -- und so auf's gerathewohl --
+
+Das knnt Ihr aber nicht auf's gerathewohl nennen, wo wir alle Tage
+Briefe von drben herber bekommen, von denen einer immer besser lautet
+als der andere. Da -- hier liegt gleich einer, der letzte den ich bekommen
+habe, wo ein Deutscher, den ich selber hinberbefrdert, und dem es jetzt
+ausgezeichnet gut geht, an mich schreibt, und ein oder zwei gute gelernte
+Schaafknechte haben will; lesen Sie einmal den Brief.
+
+Leupold legte seine Mtze wieder hin, nahm den Brief und las ihn
+aufmerksam durch; er nickte dabei mehrmals mit dem Kopf, und sah dann
+wieder zu dem Agenten auf, der ihn indessen mit einem triumphirenden
+Lcheln betrachtet hatte.
+
+Nun? frug der Letztere, als Jener das Schreiben beendet und wieder
+zusammenfaltete -- wie klingt das?
+
+_Sehr_ gut sagte Leupold leise, aber -- es hilft mir doch Nichts. Wenn
+ich jetzt mein kleines Huschen, das ich mir mit Mhe und Noth
+zusammengespart und aufgebaut, auch verkaufen wollte; fnde ich erstlich
+keinen Kufer, und dann bekm ich auch das nicht dafr wieder, was es mich
+selber gekostet; wie gesagt, der Sperling in der Hand ist doch wohl besser
+wie die Taube auf dem Dache.
+
+Bah, Taube, sagte Herr Weigel mrrisch -- wenn die Taube auf dem Dach
+eben so fest und sicher sitzen bleibt bis man sie holen kann, wie Amerika
+ruhig liegt, und auf die wartet die hinber kommen, so ist sie mir lieber
+wie ein erbrmlicher Sperling, zum Sterben zu viel, und zum Leben zu
+wenig; aber -- berlegt's Euch -- ah da kommt der Brieftrger -- 'was fr
+mich?
+
+Nun guten Morgen Herr Weigel, sagte der Tischler und wollte sich eben
+entfernen, whrend der Brieftrger dem Agenten mehrere fr ihn gekommene
+Briefe berreichte.
+
+Siebzehn Silbergroschen drei Pfennige sagte er dabei.
+
+_Siebzehn_ Silbergroschen? rief Herr Weigel verwundert -- aha da ist ein
+Amerikaner dabei -- halt, wartet noch einmal einen Augenblick Leupold -- da
+ist vielleicht gleich noch was fr uns, und was ganz Neues -- wollen gleich
+einmal sehn was die Leute schreiben. Wahrscheinlich wieder von Jemand den
+ich hinber befrdert habe, und der sich jetzt bedankt -- das kostet aber
+viel Geld --
+
+Apropos Neues, sagte Leupold, whrend der Agent den Brieftrger bezahlt
+hatte und seine Papierscheere vom Tisch nahm, den Amerikanischen Brief
+aufzuschneiden -- haben Sie schon gehrt da gestern Nachmittag bei Herrn
+Dollinger eingebrochen und fr sieben tausend Thaler Gold und Juwelen
+gestohlen sind?
+
+Alle Wetter, rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt ausgehaltenen Scheere
+in der Hand -- gestern Nachmittag?
+
+Am hellen Tage, besttigte Leupold.
+
+Und wei man nicht wer der Thter ist?
+
+Sie haben den einen Comptoirdiener in Verdacht und auch schon
+eingezogen, sagte der Tischler.
+
+Gewi den Loenwerder, rief Weigel.
+
+Ich glaube so heit er -- er ist ein wenig verwachsen --
+
+Und schielt -- derselbe, ich habe den Burschen von jeher nicht leiden
+knnen; hat mir auch schon ein paar Mal Kunden abspenstig gemacht, aus
+reinem Brodneid; ich wte wenigstens sonst nicht weshalb, und habe ihn
+dabei stark in Verdacht, da er selber damit umgeht eine Agentur fr
+Auswanderer zu errichten. Da knnte Jeder hergelaufen kommen, ohne Briefe,
+ohne Connexionen und ohne Kenntni vom Land -- schickte nachher die Leute
+in's Blaue hinein, da sie dort sen und nicht wten wo aus noch ein. Na
+nun, wird ihm das Handwerk wohl gelegt werden; ich gnne nicht gern einem
+Menschen etwas Uebles, aber bei dem freut mich's da sie's wenigstens
+herausbekommen haben, und er seine Schurkerei nicht mehr heimlich
+forttreiben darf. Ist denn das Geld schon wieder gefunden?
+
+So viel ich wei nicht, einige hundert Thaler ausgenommen, von denen aber
+der Mann betheuert da er sie sich gespart htte; es ist brigens Manches
+dabei zusammengekommen was ihn verdchtig macht; das Nhere wei ich
+freilich nicht.
+
+Hm, hm, hm, sagte Herr Weigel, kopfschttelnd den Brief, den er noch
+immer in der Hand hielt, anschneidend -- bse Geschichten -- bse
+Geschichten, was man nicht Alles hrt auf der Welt. -- Nun wollen wir also
+einmal sehen was der Herr da aus Amerika schreibt -- hm -- Washington
+County, Tennessee den siebenten Januar 18 -- alle Wetter der Brief ist
+lange unterwegs gewesen -- Herrn F. G. Weigel in Heilingen, Hauptagent der
+Central-Auswanderungs- und Colonisations-Gesellschaft in Deutschland --
+ahem -- Sie nichtsw -- hm -- Sie haben -- hm -- vor allen Dingen -- hm -- hm --
+hm -- hm -- Herrn Weigels Gesicht verlngerte sich immer mehr, je weiter er
+in seiner, wie es schien nicht eben angenehmen Lectre vorrckte, aber er
+brach mit dem Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise
+hchst derber Art war, schon gleich nach den ersten Sylben ab, und
+murmelte, das Ganze nur flchtig berfliegend, blos einzelne
+unzusammenhngende Worte, aus denen Leupold Nichts herausfinden konnte,
+vor sich hin.
+
+Nun, was schreiben sie? sagte dieser endlich lchelnd; er wre schon
+lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurckgehalten htte -- gute
+Neuigkeiten?
+
+Bah! sagte Herr Weigel, den Brief zurck auf seinen Schreibtisch werfend
+-- Jemand der seine Geschwister will hinbergeschickt haben und mich
+ersucht das Geld fr ihn auszulegen. Da mt' ich schne Capitale
+herumstehn haben, wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie
+nachschicken. Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann
+suchen.
+
+Ne, das ist ein Bischen viel verlangt, sagte der Meister, wieder nach
+der Klinke greifend -- und diemal hielt ihn Herr Weigel nicht zurck --
+aber nun leben Sie auch recht wohl, und verlaen Sie sich darauf ich
+besorge Ihnen das heute noch.
+
+Sein Sie so gut, sagte der Agent -- er war auf einmal ganz einsylbig
+geworden, und Meister Leupold verlie mit nochmaligem Gru das Zimmer, in
+dem jetzt Herr Weigel mit in die Tasche geschobenen Hnden, aber
+keineswegs mehr so guter Laune als vorher, raschen, heftigen Schrittes auf
+und ab ging.
+
+Und vierzehn Groschen bezahlt fr den Wisch -- es ist eine Frechheit
+wahrhaftig, die in's Bodenlose geht. Lumpengesindel! glaubt die gebratenen
+Tauben sollen ihm da in's Maul fliegen, so bald sie's nur aufsperren. Und
+wieder ri er den Brief vom Pult, rckte sich die Brille zurecht, und las
+mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal, und zwar
+aufmerksamer durch als vorher.
+
+Sie nichtswrdiger Hallunke -- wenn ich Dich nur hier htte mein Bursche,
+dafr solltest Du mir brummen -- schndlich betrogen und angefhrt -- wozu
+hat Dir denn der liebe Gott die groen Glotzaugen gegeben, wenn Du sie
+nicht aufsperren willst -- Land eine Wste -- na versteht sich, ein
+Gewchshaus hab' ich ihm nicht verkauft -- Hlfte gar nicht zu bekommen --
+Holzkopf -- kein Mensch wollte die Billete nehmen -- bah, geschieht Dir
+recht -- Wohngebude zu schlecht fr einen Hund -- fr Dich noch immer
+viel zu gut, mein Schatz -- wenn Sie nur einmal herber kmen, Sie
+miserabeler -- bah -- unterbrach sich Herr Weigel in dieser nichts weniger
+als schmeichelhaften Lectre, indem er den Brief in zwei Hlften ri, und
+sich dann ein Streichhlzchen mit einem Gewaltstrich an der Thr
+entzndete so viel fr den Wisch! und das Papier anbrennend, warf er das
+auflodernde in den Ofen, und schlo die Klappe so heftig er konnte.
+
+Allerdings wollte er sich nun ber den Brief hinwegsetzen, aber gergert
+hatte er sich doch, und Rock und Stiefeln anziehend drckte er sich seinen
+Hut in die Stirn, griff seinen Stock aus der Ecke, und verlie sein
+Bureau, das er sorgfltig hinter sich abschlo, und eine kleine Pappe
+mitten an die Thr hing, auf der die Worte standen.
+
+Kommt um elf Uhr wieder.
+
+
+
+
+
+ Capitel 6.
+
+
+ DIE WEBERFAMILIE.
+
+
+Nicht weit von Heilingen, und in Hrweite der Domglocke selbst, in
+ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem Land, lag ein kleines armes
+Dorf, dessen Bewohner, da ihre Felder gerade nicht zu den besten gehrten,
+sich kmmerlich, aber meist ehrlich, mit verschiedenen Handwerken und
+Gewerben, mit Holzschnitzen wie auch hie und da mit dem Webstuhl,
+ernhrten. Das Dorf hie eigentlich Zur Stelle, welchen Namen aber die
+Bewohner im Laufe der Zeit, und mit Hlfe ihres Dialekts, zu dem von
+_Zurschtel_ umgearbeitet hatten, und mochte etwa dreiig Huser und
+Htten, mit der doppelten Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von
+Kindern zhlen. Es ist eine wunderliche Thatsache, da man in den
+rmlichsten Distrikten stets die meisten Kinder findet.
+
+Mitten im Dorf lag eins der besseren Huser; es war wei getncht, und
+hinter den sauber gehaltenen Fenstern hingen weie, reinliche Gardinen.
+Vor dem Hause, ber dessen Thre ein frommer Spruch mit rothen und grnen
+Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Rhrtrog, und ein
+kleiner Koven an der Seite desselben, zeigte in der nach auen befestigten
+Klappe des Futterkastens dann und wann den schmuzigen Rssel eines seine
+Kartoffelschalen kauenden Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket
+umgab das Haus wie den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach sehr zu
+ihrem Vortheil gegen manche der Nachbarhuser ab.
+
+Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber nichtsdestoweniger
+sehr rmlich aus. In der einen Ecke stand ein groer, viereckiger, sauber
+gescheuerter Tisch aus Tannenholz, an zweien der Wnde waren Bnke aus dem
+nmlichen Material befestigt, und um den groen viereckigen Kachelofen,
+der fast den achten Theil der Stube einnahm, hingen verschiedene
+Kochgerthschaften, whrend auf darber angebrachten Regalen die braunen
+Kaffeekannen und geblmten Tassen gewissermaen mit als Zierrath zur Schau
+ausstanden. Die dritte Ecke fllte der Webstuhl des Mannes aus, und dem
+gegenber stand eine riesengroe, braunangestrichene Kommode, mit
+Messinghenkeln und Griffen und fnf Schiebladen, die, mit wirklich
+rhrender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt, zwei mit bunten
+Blumen bemalte Henkelglser, eine vergoldete Tasse mit der Aufschrift der
+guten Mutter -- ein Geschenk aus frherer Zeit -- und ein gelb irdenes aber
+allerdings sehr wenig benutztes Dintenfa trug, whrend dahinter, in zwei
+ordinairen Stangenglsern, in dem einen Schilfblthenbschel, und in dem
+anderen groe stattliche Aehren von Roggen, Waizen, Gerste und Hafer
+standen, zur Erinnerung an eine frhere segensreiche Erndte.
+
+Die Bewohner der kleinen Stube paten genau in ihre Umgebung; es war eine,
+nicht mehr ganz junge aber doch rstige Frau, in die nicht unschne
+Bauertracht der dortigen Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad sa und
+eifrig das Rdchen schnurren lie, whrend die rechte Hand manchmal eine
+neben ihr stehende Wiege berhrte, den darin ruhenden kleinen Sugling,
+der immer wieder die groen dunklen Augen zu ihr aufschlug, endlich in
+Schlaf zu bringen. Sie war reinlich, aber in die grbsten Stoffe
+gekleidet, ebenso der Bube von etwa vier Jahren, der ihr zu Fen mit
+einer kleinen Mulde auf dem ber die Diele gestreuten Sand Schiff
+spielte.
+
+Auerdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die alte Mutter der Frau,
+eine Greisin von nahe an siebzig Jahren, die auch noch ihr Spinnrad
+drehte, sich aber mit dem hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil
+ihr das heutige nakalte, unfreundliche Wetter frstelnd durch die alten
+Glieder zog. Es war eine gutmthige, aber mrrische alte Frau, selten
+zufrieden mit dem was sich ihr gerade bot, und unermdlich darin, sich und
+ihren Kindern die Last vorzuwerfen die sie ihnen mache, und den lieben
+Gott tglich zu bitten da er sie doch bald zu sich nhme. Nur eine
+kleine, ganz kurze Frist erbat sie sich immer noch -- dann wollte sie gerne
+sterben. Erst; wie das Aelteste geboren war, wollte sie das noch gerne
+laufen sehn; dann htte sie gern erlebt wie es zum ersten Mal in die
+Schule ging; dann war es Frhjahr geworden und sie hoffte nur noch einmal
+neue Kartoffeln zu essen, zu Jacobi aber wollte sie noch einmal von dem
+Pflaumenbaum die Frchte kosten, den ihr Seliger noch gepflanzt. Wie der
+Herbst kam wnschte sie im Frhjahr begraben zu werden, und die knospenden
+Maiblumen weckten den Wunsch nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von
+denen sie sich eigenhndig ein schmales Beet in den kleinen Garten dicht
+am Hause gepflanzt. So lebt und webt die Hoffnung in unseren Herzen mit
+immer neuer, nie sterbender Kraft, und je lter wir werden, desto mehr
+lernen wir die schne Erde lieb gewinnen, desto mehr klammern wir uns an
+sie, und wollen uns gar nicht mehr von ihr trennen.
+
+Der Tag neigte sich dem Abend zu; der Mann war in die Stadt gegangen seine
+Steuern zu zahlen, und Manches einzukaufen was sie nothwendig im Hause
+brauchten -- zum Ersatz dafr hatte er das zweite Schwein, das sie bis
+dahin gehalten, hineingetrieben, und der Erls sollte seine Ausgaben
+bestreiten.
+
+Der Regen wurde jetzt wieder heftiger, die groen schweren Tropfen
+schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde vollstndig munter und fing
+an zu schreien. Die Mutter schob ihr Spinnrad zurck, nahm das Kleine aus
+der Wiege, und ging damit trllernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann
+inde ruhig weiter, und suchte mit zitternder leiser Stimme ein
+geistliches Lied zu singen, und mit dem Rad trat sie den Takt dazu. Sonst
+sprach keine ein Wort.
+
+Endlich wurde die Hausthr geffnet, Jemand kam von drauen herein, und
+strich sich die Fe auf den Steinen und der Strohdecke ab, und sie hrten
+gleich darauf wie der zurckkehrende Vater und Gatte seinen groen
+rothblauwollenen Schirm auf die Steine stie, das Wasser so viel wie
+mglich davon abzuschtteln, und den Mantel auszog und ber den groen
+Schleifstein hing der drauen im Flur stand, wie er das gewhnlich that.
+Die Frau ffnete rasch die Thr den Mann zu begren, der den Hut abnahm,
+sich die nassen Haare aus der Stirn strich, und das Kind kte, das sie
+ihm entgegenhielt.
+
+Jesus ist das ein Wetter, Gottlieb, sagte sie dabei, als sie ihm den Hut
+aus der Hand nahm und neben den Ofen an den Nagel hing, komm nur herein,
+da Du 'was Trockenes auf den Leib bekommst; wo hast Du denn den Jungen? --
+ist er nicht bei Dir? setzte sie, fast ngstlich, hinzu.
+
+Er ist drauen bei Lehmann's hineingegangen, denen wir ein paar Sachen
+aus der Stadt mitgebracht, sagte der Mann -- wird wohl gleich kommen --
+wie geht's Frau? -- wie geht's Mutter? -- ha, das regnet einmal heute was
+vom Himmel herunter will; was nur d'raus werden soll wenn das Wetter so
+fort bleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir gehabt, und jetzt
+wieder Gu auf Gu -- Gu auf Gu, als ob sie uns unsere paar Stcken Feld
+noch hinunter in die Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die
+Saat schon halb fortgesplt -- wenn dasmal das Korn misrth, wei ich nicht
+wo der arme Mann das Brod hernehmen soll.
+
+Klag nicht, Gottlieb, sagte aber die Frau freundlich -- es geht noch
+Vielen schlechter wie uns, und was sollen da die _ganz_ armen Leute sagen.
+Lieber Gott, es ist viel Noth in der Welt, und wer heut zu Tage eben sein
+Auskommen und ein Dach ber dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht
+versndigen.
+
+Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den Topf aus der
+Rhre, in der, trotz der vorgerckten Jahreszeit, noch ein Feuer brannte,
+der alten, frstelnden Mutter wegen, und go den darin hei gehaltenen
+Kaffee -- sie nannten das braune Getrnk von gebrannten gelben Rben und
+Gerste wenigstens so -- in die eine braune Kanne, damit sich der Mann, der
+den ganzen Tag drauen im Regen herumgezogen war, daran erquicken knne.
+Zugleich auch deckte sie ein weies Tuch ber den Tisch, auf den sie noch
+Butter und Brod stellte, die versumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas
+nachzuholen. Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse
+Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch go, und schnitt sich ein groes
+Stck Brod ab, das er mit Butter bestrich und verzehrte. Er sprach kein
+Wort dabei, und beendete still seine Mahlzeit, schob dann die Tasse und
+den Butterteller zurck, nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die
+Erde gesetzt hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten
+Ellbogen auf den Tisch gesttzt, den Kopf gegen die Wand gelehnt,
+regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach dem Fenster
+hinber, an das die Regentropfen immer noch, vom Wind drauen gepeitscht,
+hohl und heftig anschlugen.
+
+Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem Blick betrachtet; es
+war irgend etwas vorgefallen, aber sie wagte nicht zu fragen, denn
+Gottlieb, so seelensgut er auch sonst sein mochte, hatte doch auch seine
+verdrielichen Stunden und war dann, wenn gestrt, oft rauh und
+unfreundlich; aber eine eigene Angst berkam sie pltzlich. Ihr ltester
+Sohn -- der Hans -- war nicht mit zu Hause gekommen -- konnte dem -- heiliger
+Gott, wie ein Stich traf es sie in's Herz und sie sprang erschreckt von
+ihrem Stuhl auf und auf den Mann zu.
+
+Gottlieb -- um aller Heiligen Willen wo ist der Hans? -- es ist -- es ist
+ihm doch nicht etwa ein Unglck geschehn?
+
+Der Hans? sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt zu ihr auf, was
+fllt Dir denn ein? was soll denn dem Hans zugestoen sein? ich habe Dir
+ja gesagt da er bei Lehmann's etwas abgegeben hat, und dort
+wahrscheinlich das Wetter abwarten wird.
+
+Ich wei nicht, sagte die Frau, der dadurch allerdings eine Centnerlast
+von der Seele gewlzt wurde -- aber Du bist so sonderbar heut Abend, so
+still und ernst, und da schlugs mir wie ein Schreck in die Glieder, ber
+den Hans. Ist etwas vorgefallen Gottlieb? --
+
+Gottlieb schttelte den Kopf langsam und sagte. -- Nicht da ich wte --
+nichts Besonderes wenigstens, oder nichts Anderes, als was jetzt alle Tage
+vorfllt -- Geld zahlen.
+
+War es denn so viel? sagte die Frau leise und schchtern.
+
+Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor sich nieder; endlich
+erwiederte er seufzend:
+
+Das Schwein ist d'rauf gegangen, und vier Thaler Siebzehn Groschen sind
+immer noch mit Gerichtskosten und der alten Procegeschichte mit der
+Brckenplanke, mit der ich eigentlich gar Nichts mehr zu thun hatte,
+stehen geblieben, und ich mu sie bis zum ersten Juli nachzahlen, unter
+Androhung von Pfndung.
+
+Nun lieber Gott, sagte die Frau trstend -- wenn das das Schlimmste ist,
+lt sich's noch ertragen; da verkaufen wir eben das andere Schwein und
+behelfen uns so. Wie wenig Leute im Dorf haben berhaupt eins zu
+schlachten, und leben doch; warum sollen wir nicht eben so gut ohne eins
+leben knnen als die.
+
+Ja, sagte der Mann leise und still vor sich hin brtend -- verkaufen und
+immer nur verkaufen, ein Stck nach dem anderen, und whrend wo anders die
+Leute mit jedem Jahr ihr kleines Besitzthum vergrern, und fr ihre
+Kinder etwas zurcklegen knnen, sieht man es hier mehr und mehr
+zusammenschmelzen, unter Mh und Plack das ganze Jahr lang.
+
+Aber kannst Du's ndern? sagte die Frau leise und fuhr, wie der Mann
+schwieg und mit der Faust die Stirn sttzend vor sich nieder starrte,
+schchtern fort -- arbeitest Du nicht von frh bis spt fleiig und
+unverdrossen? gnnst Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgend eine
+nthige Beschftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste
+vorzuwerfen?
+
+Nein, sagte der Mann, whrend er die Hand auf den Tisch sinken lie und
+die Frau voll und fest ansah -- nein, aber das ist es ja eben, was mir am
+Leben frit. Wir knnen nicht mehr arbeiten, nicht mehr verdienen wie wir
+jetzt thun, und jetzt sind wir noch jung und krftig, unsere Kinder noch
+klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr zurck, wird es mit
+jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie nun soll das werden, wenn uns
+erst einmal Krankheit heimsuchte, wenn die Kinder heranwachsen und mehr
+brauchen, wenn wir selber lter werden und nicht mehr so zugreifen knnen
+wie jetzt? -- Schon jetzt knnen wir uns nicht mehr in der theueren Zeit
+oben halten -- das eine Schwein ist verkauft, das andere wird noch fort
+mssen; unser Acker ist kleiner geworden in den letzten zehn Jahren,
+unsere Bedrfnisse aber sind gewachsen -- wie soll das enden?
+
+Aber Gottlieb, sagte die Frau freundlich -- wie kommen Dir jetzt doch
+nur solche Grillen? haben Dir die paar Thaler Steuern den Kopf verdreht?
+Mann, Mann, Du bist doch sonst so ruhig, und hast immer vertrauungsvoll in
+die Zukunft gesehn, wie sind Dir auf einmal solche schwarze Gedanken durch
+den Sinn gefahren?
+
+Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die Beiden mit einander
+gesprochen, ihr Spinnrad ruhen lassen, und dem Gesprch aufmerksam
+zugehrt; dabei schttelte sie fortwhrend mit dem Kopf, und sagte endlich
+mit ihrer schrillen, scharf klingenden Stimme:
+
+Ja wohl, ja wohl -- das Geld wird rar und das Brod theuer, und mehr Muler
+kommen -- mehr Muler sind da zum Verzehren, wie zum Verdienen. Schlagt
+mich todt; schlagt mich todt da ich weg komme aus dem Weg und Euch Platz
+mache -- schlagt mich todt.
+
+Mutter, bat die Frau, in Todesangst da sie dem Manne mit solcher Rede
+wehe thun wrde, denn _er_ gerade hatte sie immer auf das Freundlichste
+behandelt, und Alles gethan was in seinen Krften stand, ihr jede
+Erleichterung, die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen -- wie drft Ihr nur
+so etwas reden; versndigt Ihr Euch denn nicht?
+
+Wir haben noch genug fr uns Alle Mutter, sagte aber der Mann
+freundlich, der ihre Launen kannte und der alten Frau nicht wehe thun
+mochte -- nur fr sptere Zeit ist mir bange; Sie aber wren die Letzte
+die darunter leiden sollte. Wir werden Alle alt, und wenn wir unsere
+Schuldigkeit in unserer Jugend gethan, wie Sie, dann ist es nicht mehr wie
+Pflicht und Schuldigkeit der Jngeren fr ihre Eltern zu sorgen -- wenn sie
+nicht auch einmal wieder von ihren Kindern wollen verlassen werden.
+
+Die Alte war wieder still geworden, sah noch eine Zeit lang vor sich
+nieder, und begann dann auf's Neue ihre Arbeit, aber die Frau fuhr fort
+und sagte, fast mit einem leisen Vorwurf im Ton zu ihrem Mann.
+
+Siehst Du Gottlieb, das hast Du nun davon mit Deinen trben und traurigen
+Ideen; Du machst Dir und mir und der Mutter nur das Herz schwer, und
+ntzest und hilfst doch Nichts. Der liebe Herr Gott da oben wird's schon
+machen und lenken; Er hat die Welt so viele Jahrhunderte hindurch in ihrer
+Bahn gehalten, und die Menschen darauf geschirmt und gepflegt, wie unser
+Herr Pastor sagt, Er wird's auch schon weiter thun, und wir drfen uns
+eigentlich gar nicht sorgen und kmmern um den nchsten Tag.
+
+Doch, doch Frau, sagte aber der Mann, aufstehend und jetzt, die Hnde in
+den Hosentaschen, in der Stube auf und ab gehend -- doch Frau, der Mann
+_mu_, denn wenn er's _nicht_ thte, wr er ein schlechter Hausvater, und
+ihm allein fielen dann all die schweren Folgen zur Last, die daraus
+entstnden. Ich kann Dir das nicht so mit Worten deutlich machen, wie
+mir's neulich der Schulmeister, mit dem ich darber sprach, erklrte, aber
+der meinte es wre etwa so wie wenn Einer im Wasser wre. Da sei es auch
+nicht genug da man sich oben hielte an der Luft, und im Kreis herum
+schwmme eben nur nicht zu ertrinken, das thte nicht einmal ein
+unvernnftiges Stck Vieh; nein des Menschen, des verstndigen Menschen
+Pflicht sei es sich schon im Wasser nach dem festen Lande umzusehn, ob man
+das nirgends erreichen knne, denn zuletzt wrde man da im Wasser, man
+mchte noch so tapfer schwimmen, doch mde, und lieen erst einmal die
+Krfte nach, dann hlfe auch zuletzt das Schwimmen Nichts mehr, und man
+snke eben langsam zu Boden.
+
+Ich verstehe nicht recht was Du damit meinst, sagte die Frau, aber Du
+siehst mich so sonderbar dabei an -- hast Du noch 'was anderes dahinter?
+
+Nein und Ja, sagte der Mann nach kleiner Pause, indem er sich mit dem
+Rcken an den Ofen lehnte, und langsam dazu mit dem Kopfe nickte,
+eigentlich nicht, denn Gott da oben wei da es wahr ist, und wei wie,
+und ob's einmal enden kann; aber dann -- dann hab' ich allerdings noch was
+dahinter, denn ich meine -- ich meine -- er schwieg und es war
+augenscheinlich, er hatte etwas auf dem Herzen, das er sich scheue so mit
+blanken klaren Worten heraus zu sagen, die Frau aber, die eben damit
+beschftigt war das Geschirr hinaus zu rumen, setzte die Kanne wieder auf
+den Tisch, sah den Mann erstaunt an, ging dann langsam zu ihm an den Ofen
+und sagte leise, vor ihm stehen bleibend:
+
+Geh her, Gottlieb -- Du hast 'was, was Dich drckt und willst nicht mit
+der Sprache heraus -- es ist irgend noch etwas vorgefallen in der Stadt,
+was Du nicht sagen magst. Du darfst doch nicht _sitzen_?
+
+_Sitzen_? -- weshalb? lchelte der Mann kopfschttelnd -- ich habe nie
+etwas Bses gethan.
+
+Nun was ist's denn, so sprich doch nur, denn Du ngstigst mich ja mehr
+mit Deinem Schweigen, als wenn Du mir das Schlimmste gleich vornheraus
+erzhlst -- dem Hans fehlt doch Nichts?
+
+Was soll dem Hans fehlen, nrrische Frau -- wenn's aufhrt zu gieen wird
+er schon kommen.
+
+Und was ist's denn? -- gelt, Du sagst mir's?
+
+Ich mu Dir's wohl sagen; seufzte der Mann, nun sieh Hanne, ich meine --
+ich habe so darber nachgedacht, da es jetzt hier in Deutschland immer
+schlechter wird mit uns -- und da wir's zu Nichts mehr bringen knnen,
+trotz aller Arbeit, trotz allem Flei, und da jetzt -- da jetzt doch so
+viele Menschen hinber ziehen --
+
+Hinber ziehen? frug die Frau erstaunt, fast erschreckt, und legte die
+Hand fest auf's Herz, als ob sie die aufsteigende Angst und Ahnung ber
+etwas Groes, Schreckliches da hinunter und zurckdrcken wolle, eh sie zu
+Tage kme -- wo hinber Gottlieb?
+
+Nach Amerika; sagte der Mann leise -- so leise da sie das Wort wohl
+nicht einmal verstand, und nur an der Bewegung der Lippen es sah und
+errieth. Wie ein Schlag aber traf sie die Wirklichkeit ihres Verdachts,
+und ohne ein Wort zu erwiedern, ohne eine Sylbe weiter zu sagen, setzte
+sie sich auf den, dicht am Ofen stehenden Stuhl, deckte ihr Gesicht mit
+der Schrze zu und sa eine lange, lange Weile still und regungslos. Auch
+der Mann wagte nicht zu sprechen -- er hatte den Gedanken wohl schon eine
+Zeit lang mit sich herumgetragen, aber sich immer davor gefrchtet ihm
+Worte zu geben, sogar gegen sich selbst, wie viel weniger denn gegen die
+Frau. Jetzt war es heraus, und er betrachtete nur scheu die Wirkung die er
+hervorgebracht.
+
+Auch die alte Mutter sa, mit der Hand auf dem Rad das sie im Drehen
+aufgehalten, und horchte nach den Beiden hinber, was sie mitsammen
+hatten, und wie die so still waren und kein Wort mehr sprachen, mochte es
+ihr auch unheimlich vorkommen und sie sagte laut und mrrisch:
+
+Nun Gottlieb was giebt's -- was hast wieder Du mit der Hanne -- was habt
+Ihr denn da Ihr so still und heimlich thut -- macht Einem nicht auch noch
+Angst unntzer Weise -- was ist nun wieder los?
+
+Ja Mutter, sagte der Mann jetzt, der sich gewaltsam Muth fate ber das,
+was nun doch nicht lnger mehr verschwiegen bleiben konnte und besprochen
+werden _mute_, auch laut zu reden, da er's vom Herzen herunter bekam --
+es geht mit uns hier den Krebsgang, und ich habe eben zu Hannen gesagt
+da uns zuletzt nichts anderes brig bleiben wrde als -- als es eben auch
+wie andere zu machen, und --
+
+Und? -- und was zu machen? frug die alte Frau gespannt --
+
+Als _auszuwandern_, sagte der Mann mit einem pltzlichen Ruck und
+seufzte dann tief auf, als ob er selber froh wre es los zu sein.
+
+Herr Du meine Gte! rief die alte Frau, lie die Hnde erschreckt in den
+Schoo sinken und lehnte sich in ihren Stuhl zurck, whrend ihr alle
+Glieder am Leibe flogen -- Herr Du meine Gte! wiederholte sie noch
+einmal, und die Finger falteten sich unwillkrlich zusammen, so hatte sie
+der Schreck getroffen.
+
+Auswandern, sagte aber auch jetzt Gottliebs Frau mit tonloser Stimme,
+und lie die Schrze vom Gesicht herunterfallen -- auswandern, das ist ein
+schweres -- schweres Wort Gottlieb -- hast Du Dir das auch recht -- recht
+reiflich berlegt?
+
+Tag und Nacht die ganze letzte Woche hindurch, rief aber der Mann, der
+jetzt, da das Eis einmal gebrochen war, wieder Leben und Wrme gewann.
+Wie ein Mhlstein hat's mir auf der Seele gelegen, und ich habe lange und
+tapfer dagegen angekmpft, aber es wre das Beste fr uns, was wir auf der
+weiten Gotteswelt thun knnten; und wenn auch nicht einmal fr uns, wenn
+wir selber auch schwere und bittere Zeiten durchzumachen htten, doch fr
+die Kinder, die einmal den Segen erndten, den wir mit unserem Schwei,
+unseren Thrnen geset.
+
+Auswandern? ja, sagte aber jetzt die Gromutter, mit dem Kopfe nickend
+und schttelnd, als ob sie den schrecklichen Gedanken wieder von sich
+abwerfen wollte -- ja wohin es euch lstet, aber erst wenn ich todt bin.
+Die paar Tage mt Ihr noch hier bleiben die ich noch zu leben habe, oder
+sonst schlagt mich todt, werft mich in's Wasser, oder schlagt mich mit dem
+Beil auf den Kopf da ich fortkomme, und hier auf dem Kirchhof unter der
+alten Linde liegen kann, wo der Leberecht liegt. In der Welt knnt Ihr
+mich doch nicht mehr umherschleppen, und nutz bin ich auch Nichts mehr,
+wie das mit zu verzehren was andere verdienen. Wenn Ihr jetzt fort wollt
+schlagt mich vorher todt.
+
+Ach Mutter wenn Sie nur nicht gar so hlich reden wollten, sagte die
+Frau traurig, whrend der Mann wieder zum Tisch ging, sich dort auf den
+Stuhl setzte, und den Kopf in die Hand sttzte -- Sie sind noch wohl und
+rstig und werden, will's Gott, noch manches Jahr leben und sich Ihrer
+Kinder freuen. Wo die dann hin ziehen und sich ihr Brod suchen mssen, da
+gehren Sie auch hin, und was die verdienen, das haben Sie auch verdient
+mit Mhe und Noth und banger Sorge schon vor langen Jahren, wie wir noch
+klein und unbehlflich waren, wie unsere Kinder jetzt.
+
+Wozu mich mitnehmen, sagte aber die Frau, strrisch dabei mit dem
+Oberkrper herber und hinber schwankend, unterwegs mtet Ihr mich doch
+aus dem groen Schiff hinaus in's Wasser werfen, die Fische zu fttern.
+Bleibe im Lande und nhre Dich redlich, das ist _mein_ Spruch und meines
+Leberecht Spruch von alter Zeit her gewesen, und wir haben uns wohl dabei
+befunden, aber das junge Volk jetzt will immer alles anders haben, will
+oben zur Decke 'naus und fliegen und schwimmen, anstatt hbsch auf der
+Erde und im alten Gleis zu bleiben. Warum ist's denn frher gegangen? --
+nein Gott bewahre, jetzt soll Alles mit Eisenbahnen und Dampf gehen und
+keine Geduld, keine Ausdauer mehr; nur fort, immer gleich fort, in die
+Welt hinein und mit dem Kopf gegen die Wand -- schlagt mich todt, dann seid
+Ihr mich los und knnt hingehn wohin Ihr wollt.
+
+Und die alte Mutter stand auf, rckte ihr Spinnrad bei Seite, und
+humpelte, noch immer vor sich hin murmelnd und grollend, aus der Stube
+hinaus.
+
+Sie meint es nicht so bs, Gottlieb, sagte die Frau zu dem Mann tretend
+und ihre Hand auf seine Schulter legend, es ist eine alte Frau die an
+ihrer Heimath mit ganzem Herzen hngt und sich vor der Reise frchtet.
+
+Und Du nicht, Hanne? rief der Mann sich rasch nach ihr umdrehend, und
+ihre Hand ergreifend -- Du nicht? Du wrdest Dich dazu entschlieen knnen
+unsere Heimath hier, unser Huschen, unser Feld zu verlassen, und mit mir
+und den Kindern ber das weite Meer zu fahren, in eine fremde Welt?
+
+Die Frau schwieg und ihre Hand zitterte in der des Mannes -- endlich sagte
+sie leise -- So weit fort? -- und mu es denn sein, ist es denn gar nicht
+mglich mehr, da wir hier gut und ehrlich durchkommen durch die Welt,
+wenn wir uns auch ein Bischen knapper einrichten wie bisher? Ach Gottlieb,
+es ist gar hart so von zu Hause fortzugehn, die Thr zuzuschlieen und zu
+denken da man nun nie und nimmer wieder dahin zurckkommt --
+
+Der Mann nickte traurig mit dem Kopf und sagte endlich:
+
+Du hast recht Hanne; es ist ein schwerer, recht schwerer Schritt, und man
+sollte ihn sich wohl vorher berlegen ehe man ihn thut, denn zurck kann
+man nicht wieder, wenn man nicht wenigstens Alles opfern will, was Einem
+bis dahin noch zu eigen gehrt hat. Thun wir aber recht nur allein an uns
+zu denken? -- Sieh, wir schleppen uns vielleicht noch wenn auch kmmerlich,
+doch ehrlich, durch, bis wir einmal sterben, und wenn es auch hart ist,
+da es Einem nachher im Alter schlechter gehn soll wie in der Jugend,
+brauchten wir doch gerade keine Furcht zu haben da wir verhungerten; aber
+die Kinder -- die Kinder -- was wird aus denen? Unser kleines Grundstck ist
+die Jahre ber kleiner und kleiner geworden; mit dem Geschft geht's auch
+kmmerlicher wie bisher -- neue, geschicktere Arbeiter, junge Burschen die
+noch keine Familie haben und weniger brauchen, sitzen in den Drfern
+herum, und die Fabriken und Maschinen geben uns ohnedies den Todessto.
+Stahl und Holz braucht Nichts zu essen und arbeitet unermdet Tag und
+Nacht durch, und die Rder und Walzen und Hmmer klopfen und drehen und
+schwingen ununterbrochen fort gegen den Schwei des armen Arbeiters der
+darber zu Grunde geht. Ich murre auch nicht darber, es mu wohl schon so
+recht sein, denn Gott hat's den Menschen selber gelehrt und die Welt mu
+vorwrts gehn -- wir lteren Leute knnen uns aber eben nicht mehr darein
+schicken, knnen nichts Anderes mehr ergreifen, und wieder von vorne
+anfangen, wenigstens hier im Lande nicht wo Einem die Hnde nach allen
+Seiten hin gebunden sind, und darum ist mir der Gedanke gekommen
+auszuwandern. Da drben ber dem Weltmeere hat der liebe Herr Gott noch
+einen groen gewaltigen Fleck Erde liegen, fr uns arme Leute bestimmt,
+den Maschinen und Rderwerken zu entgehn; dort haben wir Platz uns zu
+bewegen, und wer nur da ordentlich arbeiten will hat nicht allein zu
+leben, sondern kann auch vielleicht fr sich und die Kinder was vorwrts
+bringen und braucht sich nicht mehr vor der Zukunft zu frchten und vor
+Hunger und Noth. Wenn wir nicht auswandern, was bleibt unsern Kindern da
+einmal anders brig, als in Dienst zu gehn und sich bei fremden Leuten
+doch herumzuschlagen ihr Lebelang.
+
+Und die Mutter? sagte die Frau, sich ngstlich nach der Thre umsehend --
+was wrde aus der alten Frau auf dem Meere?
+
+Was aus so vielen alten Frauen da wird, liebes Herz, sagte aber der
+Mann, augenscheinlich mit froherem, freudigeren Herzen, als er bei dem
+eigenen Weib nicht den Widerstand fand, den er vielleicht gefrchtet --
+sie gewhnen sich an das neue Leben, sobald sie das alte nicht mehr um
+sich sehen, und die Seeluft soll krftigen und strken.
+
+Aber sie wird nicht mit uns wollen.
+
+Sie wird ihre Kinder nicht verlassen, trstete sie der Mann, und ohne
+sie drften wir ja auch gar nicht fort.
+
+Die Frau reichte ihm schweigend die Hand, die er herzlich drckte, und
+wandte sich dann, und wollte eben das Zimmer verlassen, als drauen Jemand
+die Thr aufri und in das Haus trat. Das Unwetter hatte jetzt seinen
+hchsten Grad erreicht, und der Regen schlug in ordentlichen Gssen gegen
+die Fenster an, whrend der Wind die Wipfel der Bume herber und hinber
+schttelte und die Blthen von den Zweigen ri mit rauher Hand.
+
+ [Capitel 6]
+
+Schnen Gru mit einander, sagte dabei eine rauhe Stimme, whrend die
+Stubenthr halb geffnet wurde -- darf man hinein kommen?
+
+Gott gr Euch, sagte die Frau -- kommt nur herein, bei dem Wetter ist's
+bs drauen sein -- es tobt ja, als ob der letzte Tag hereinbrechen
+sollte.
+
+Der Fremde hing seinen Hut und Mantel drauen ab und trat mit nochmaligem
+Gru in die Stube.
+
+Gott gr Euch, sagte auch Gottlieb -- da, nehmt Euch einen Stuhl und
+setzt Euch zum Ofen; es ist heut unfreundlich drauen, und man kann ein
+Bischen Feuer brauchen.
+
+Sauwetter verdammtes, fluchte der Mann, als er der Einladung Folge
+geleitet und sich die nassen Haare aus der Stirne strich -- ich wollte
+erst sehen da ich die Schenke erreichte; hier um die Ecke herum kam der
+Wind aber so gepfiffen da er mich bald von den Fen hob, und es war
+gerade als ob sie Einem von da oben einen Eimer voll Wasser nach dem
+andern entgegen gossen. Schnes Wetter fr Enten, aber fr keine
+Menschen.
+
+Es war eine rauhe, krftige Gestalt, der Mann, mit krausem dicken
+schwarzen Bart und ein paar tiefliegenden unstten Augen, in einen groben
+braunen Tuchrock gekleidet, wie ihn die Fleischer nicht selten auf dem
+Lande tragen. Die ebenfalls braunen Hosen hatte er dabei heraufgekrempelt,
+bis fast unter das Knie, mit seinen derben Wasserstiefeln besser durch
+alle Pftzen und Schlammwege hindurch zu knnen; die aus ungeborenem
+Kalbfell gemachte Weste war ihm bis an den Hals hinauf zugeknpft, und
+eine lange silberne Kette, an der die in der Westentasche steckende Uhr
+befindlich war, hing ihm darber hin.
+
+Ihr seid wohl weit von hier zu Haus? frug Gottlieb nach einer lngeren
+Pause, in der er den Mann und dessen Aeueres flchtig nur betrachtet
+hatte -- hab' Euch wenigstens noch nicht hier bei uns gesehen.
+
+Zehn Stunden etwa, sagte der Fremde, seine Pfeife jetzt aus der
+Brusttasche seines Rockes nehmend und mit Stahl und Schwamm, den er bei
+sich fhrte, entzndend -- wie weit ist's noch bis Heilingen.
+
+Eine tchtige Stunde -- wenn der Weg jetzt nicht so schrecklich wre,
+knnte man's recht bequem in krzerer Zeit gehn.
+
+Hm -- ist noch verdammt weit, puh wie das drauen strmt; und die
+Pflaumenblthen pflckt's beim Armvoll herunter -- Pflaumenmu wird theuer
+werden nchsten Herbst.
+
+Das wei Gott, sagte Gottlieb -- es wird Alles theuer, immer mehr jedes
+Jahr, langsam aber Sicher.
+
+Bah, es geschieht denen recht die hier bleiben, wenn sie nicht hier
+bleiben mssen; 's giebt Pltze die besser sind.
+
+Wollt Ihr auch auswandern? sagte Gottlieb rasch.
+
+Auswandern? -- nach Amerika? -- hm -- ich wei noch nicht, brummte der
+Fremde, sich den Bart streichend -- es wre aber mglich da sie Einen
+noch dazu trieben. Sind das Euere Kinder?
+
+Ja. --
+
+Habt Ihr noch mehr?
+
+Noch einen Jungen von elf und ein halb Jahr.
+
+Und Ihr seid ein Weber? sagte der Fremde mit einem Blick auf den
+Webstuhl -- auch schwere Zeiten fr derlei Arbeit, mit einer Familie
+durchzukommen.
+
+Ja wohl, schwere Zeiten, seufzte Gottlieb, als in diesem Augenblick die
+Thr drauen wieder aufging und die Mutter laut ausrief: --
+
+Der Hans, lieber Himmel kommt der in dem Wetter.
+
+Es war Hans, der lteste Sohn des Webers, durch und durch na, aber mit
+frischem gesunden Gesicht und rothen Backen, auf denen das Regenwasser in
+groen Perlen stand.
+
+Guten Tag mit einander, sagte er, als er in's Zimmer trat und die
+triefende Mtze vom Kopf ri -- guten Tag Mutter.
+
+Guten Tag Hans, aber wo um Gottes Willen kommst Du in dem Regen her;
+warum hast Du das Wetter nicht bei Lehmann's abgewartet?
+
+Es wurde mir zu spt Mutter und ich war hungrig geworden; habe auch noch
+heute Abend dem Vater etwas zu helfen.
+
+Ein derber Junge, sagte der Fremde, der sich den Knaben inde mit
+finsterem Blick betrachtet hatte -- kann wohl schon ordentlich mit
+arbeiten.
+
+Ach ja, er packt tchtig mit zu, sagte der Vater -- lieber Gott in
+jetziger Zeit mu Alles mit Brod verdienen helfen.
+
+Die Kinder fressen Einen arm, sagte der Fremde.
+
+Habt Ihr Kinder? frug Gottlieb.
+
+Ich? -- hm, ja, sagte der Fremde nach einer Pause -- knnte noch Jemandem
+abgeben davon.
+
+Ich mchte keins hergeben, sagte die Frau rasch, und kte das Jngste,
+das sie eben wieder aufgenommen hatte um es zu fttern, Kinder sind ein
+Segen Gottes.
+
+Ja -- so sprechen die Leute wenigstens, sagte der Fremde trocken, aber
+ich glaube es lt nach mit Regnen; ich werde die Schenke wohl jetzt
+erreichen knnen.
+
+Wollt Ihr nicht vielleicht erst eine heie Tasse Kaffee trinken? frug
+die Frau, das Kind auf dem linken Arm, zum Ofen gehend, die dort
+warmgestellte Kanne wieder vorzuholen.
+
+Danke, danke, sagte aber der Fremde abwehrend -- kann das warme Zeug
+nicht vertragen; ein Glas Branntwein ist mir lieber.
+
+Das thut mir leid, sagte der Mann, den kann ich Euch nicht anbieten;
+ich habe keinen im Hause.
+
+Thut auch Nichts, lachte der Fremde; so lange halt ich's schon noch
+aus. Sind doch hlflose Dinger so junge Menschen, ehe sie die Kinderschuh
+ausgetreten haben, setzte er dann hinzu, als das Jngste das Mulchen
+nach dem schon einmal gereichten Lffel vorstreckte -- was machte nun so
+ein jung Ding, wenn man es hinsetzte und sich selber berliee.
+
+Ach Du lieber Gott, sagte die Frau bedauernd -- so ein armer Wurm mte
+ja elendiglich umkommen.
+
+Bis den Nachbarn das Geschrei zu arg wrde und sie kmen und es
+ftterten, lachte der Andere.
+
+Dafr haben die Kinder Eltern, sagte die Frau, das kleine, die Aermchen
+zu ihr ausstreckende Mdchen liebkosend und kssend, die sorgen schon
+dafr da kein Nachbar danach zu sehen braucht.
+
+Wenn die aber einmal pltzlich strben, wie dann? frug der Fremde, mit
+einem Seitenblick auf die Frau, indem er seinen Rock wieder zuknpfte und
+sich zum Gehen rstete.
+
+Dann ist Gott im Himmel, sagte Hanne, mit einem frommen
+vertrauungsvollen Blick nach oben.
+
+Ja, das ist wahr; sagte der Fremde mit einem leichtfertigen Lcheln,
+der hat allerdings die groe Kinderbewahranstalt. Aber es hat wirklich
+aufgehrt mit Gieen, unterbrach er sich rasch, den Augenblick will ich
+doch lieber benutzen. So schn Dank fr gegebenes Quartier Ihr Leute, und
+gut Glck.
+
+Bitte, Ihr habt fr Nichts zu danken, beht' Euch Gott, sagte Gottlieb
+freundlich.
+
+Beht' Euch Gott; sagte auch die Frau, und der Mann, ihnen noch einmal
+zunickend, nahm drauen wieder den nassen Mantel um, drckte sich den
+breitrndigen Hut in die Stirn, griff einen derben Knotenstock, der
+daneben in der Ecke lehnte, auf, und verlie rasch das Haus, die Richtung
+nach der Schenke einschlagend.
+
+Mich freut's da er fort ist, sagte die Frau, die dem Knaben gerade das
+Essen auf den Tisch setzte und den Kaffee einschenkte -- bewahr uns Gott,
+was hatte der Mann fr ein finstres Gesicht und ein barsches Wesen; nicht
+schlafen knnt' ich die Nacht, wenn ich den unter einem Dach mit mir
+wte. In dem Gesicht liegt auch nichts Gutes -- und wie er fluchte und
+ber die Kinder sprach -- ob er nur wirklich selber welche hat.
+
+Er sagt's ja, besttigte Gottlieb -- aber mir schien's ein Fleischer zu
+sein, seinem Gewerbe nach, und die sind immer rauh und derb, meinen's aber
+nicht immer so bs.
+
+So bess're ihn Gott, sagte die Frau mit einem Seufzer, und je seltener
+er unseren Weg kreuzt, desto besser.
+
+
+
+
+
+ Capitel 7.
+
+
+ NACH AMERIKA.
+
+
+Nach Amerika! -- Leser, erinnerst Du Dich noch der Mrchen in Tausend
+und eine Nacht, wo das kleine Wrtchen Sesam dem, der es wei, die
+Thore zu ungezhlten Schtzen ffnet? hast Du von den Zaubersprchen
+gehrt, die vor alten Zeiten weise Mnner gekannt, Geister heraufzurufen
+aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu
+machen? -- Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe schlugen, wie sich die
+Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner
+zusammen, die Erde bebte, und das kecke, tollkhne Menschenkind das sie
+gesprochen, bebte zurck vor der furchtbaren Gewalt die es
+heraufbeschworen.
+
+Die Zeiten sind vorber; die Geister, die damals dem Menschengeschlecht
+gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder wir haben auch vielleicht das
+rechte Wort vergessen sie zu rufen -- aber ein anderes dafr gefunden, das
+kaum minder stark mit _einem_ Schlage das Kind aus den Armen der Eltern,
+den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhltnissen und
+Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reit, in dem es bis dahin mit
+seinen strksten, innigsten Fasern treulich festgehalten.
+
+Nach Amerika, leicht und keck ruft es der Tollkopf trotzig der ersten
+schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine Kraft prfen sollte, seinen
+Muth sthlen -- nach Amerika, flstert der Verzweifelte der hier am Rand
+des Verderbens dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde --
+nach Amerika, sagt still und entschlossen der Arme, der mit mnnlicher
+Kraft und doch immer und immer wieder vergebens, gegen die Macht der
+Verhltnisse angekmpft, der um sein tgliches Brod mit blutigem Schwei
+gebeten -- und es nicht erhalten, der keine Hlfe fr sich und die Seinen
+hier im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln _will_, nicht stehlen
+_kann_ -- nach Amerika lacht der Verbrecher nach glcklich verbtem Raub,
+frohlockend der fernen Kste entgegen jubelnd, die ihm Sicherheit bringt
+vor dem Arm des beleidigten Rechts -- nach Amerika, jubelt der Idealist,
+der wirklichen Welt zrnend, weil sie eben wirklich ist, und ber den
+Ocean drben ein Bild erhoffend, das dem, in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht -- nach Amerika und mit dem einen Wort liegt hinter
+ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes frheres Leben, Wirken, Schaffen -- liegen
+die Bande die Blut oder Freundschaft hier geknpft, liegen die Hoffnungen
+die sie fr hier gehegt, die Sorgen die sie gedrckt -- _nach Amerika!_
+
+So ghrt und keimt der Saame um uns her -- hier noch als leiser, kaum
+verstandener Wunsch im Herzen ruhend, dort ausgebrochen zu voller Kraft
+und Wirklichkeit, mit der reifen Frucht seiner gepackten Kisten und
+Kasten. Der Bauer drauen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain der
+ihn zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so schwer
+gergert, und der im Geist schon die langen geraden Furchen zieht, weit
+ber dem Meer drben, in dem fetten, herrlichen Land; -- der Handwerker in
+seiner Werkstatt, dem sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt
+mit Neuerungen und groen, marktschreierischen Firmen, die wenigen Kunden
+die ihm bis dahin noch geblieben in _seine_ Thr zu locken; der Knstler
+in seinem Atelier, oder seiner Studirstube, der ber einer freieren
+Entwickelung brtet, und von einem Lande schwrmt wo Nahrungssorgen ihm
+nicht Geist und Hnde binden; -- der Kaufmann hinter seinem Pult, der
+Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Bchern zieht und, das
+sorgenschwere Haupt in die Hand gesttzt, von einem neuen, andern Leben,
+von lustig bewimpelten Schiffen, von reich gefllten Waarenhusern trumt;
+in Tausenden von ihnen drngt's und treibt's und qult's, und wenn sie
+auch noch vielleicht Jahre lang nach auen die alte frhere Ruhe wahren,
+in ihren Herzen glht und glimmt der Funke schon -- ein stiller aber ein
+gefhrlicher Brand. Jeder Bericht ber das ferne Land wird gelesen und
+berdacht, neue Arzenei, neues Gift bringend fr den Kranken. Vorsichtig
+und ngstlich, und weit herum um ihr Ziel, da man die Absicht nicht
+errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem Ding -- nach Leuten
+die vordem hinber gezogen und denen es gut gegangen -- nach Land- und
+Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk -- fr Andere natrlich, nicht fr sich
+etwa -- sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will hinber, ein
+entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wnschen da es dem wohl
+geht, und hufen mehr und mehr Zunder fr sich selber auf.
+
+So ringt und drngt und whlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem
+nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den _salto mortale_ gethan,
+und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war -- aus
+dem, aus jenem Grund -- und tglich, stndlich noch hren wir von anderen,
+von denen wir im Leben nie geglaubt da _sie_ je an Amerika gedacht, wie
+sie mit Weib und Kind, mit Hab' und Gut hinberziehn. Und _dort_? -- noch
+liegt ein dichter Schleier ber ihrem Schicksal dort, doch Gottes Sonne
+scheint ja berall -- Dir aber lieber Leser, greif ich aus dem Leben noch
+hie und da ein paar Freunde heraus, die wir begleiten wollen auf dem
+weiten Weg.
+
+ * * * * *
+
+Oben in der Brandstrae -- nicht weit vom Brandthor entfernt, und dem
+Gasthaus zum Lwen schrg gegenber, wohnte Professor Lobenstein mit
+seiner Familie, in der ersten Etage eines, zwar sehr alten, aber auch sehr
+wohnlich eingerichteten Hauses, das ihm eigen gehrte.
+
+Der Professor war ein Mann, gerade an der anderen Seite der besseren
+Jahre, etwa einundfnfzig alt, aber rstig und gesund, nur erst mit
+einzelnen grauen Haaren zwischen den rabenschwarzen Locken, die ihm ber
+die bleiche, aber hohe und geistvolle Stirn fielen, wie mit fast
+jugendlichem, elastischem Gang und Wesen. Ein tchtiger Kopf dabei, hatte
+er _jura_ und _cameralia_ studirt, und einen groen Schatz von Kenntnissen
+aufgehuft; auch in manchem, mit schweren mhsamen Nachtwachen erkauften
+Werk der Welt, der undankbaren Welt das Resultat seiner Studien und
+Forschungen gebracht und dargelegt. Unzufrieden aber mit dem Erfolg, und
+der kalten Aufnahme die es gefunden, wandte er sich spter wieder von den
+bis dahin bevorzugten juristischen Wissenschaften ganz ab und allein
+seinem Lieblingsstudium den Cameralien zu, in denen er besonders der
+Gewerbskunde seine Thtigkeit widmete, auch mit einem Buchhndler in
+Heilingen eine Gewerbszeitung grndete und herausgab.
+
+Hierin hatte er Unglck; der Buchhndler machte bankerott und er bernahm
+die Zeitung, mit ziemlich groen Verlusten schon, allein.
+
+So vortrefflich aber Professor Lobenstein in der Theorie seiner
+Wissenschaft bewandert sein mochte, so wenig sattelfest war er es in der
+Praxis, und seine Zeitung wollte und wollte keinen Boden gewinnen. Mit
+fabelhaftem Flei suchte er dem zu begegnen, umsonst -- umsonst auch da er
+Capital nach Capital in das, zuletzt nur noch zur Ehrensache gewordene
+Unternehmen steckte. Sein Haus bekam Hypothek auf Hypothek und mit einer
+hchst ungnstigen politischen Periode, in der ihm eine groe Anzahl
+Abonnenten absprang, trafen ihn auch so bedeutende pecunire Verluste, da
+er sich endlich genthigt sah sein Blatt vollstndig aufzugeben. Es war
+das das schwerste Opfer, das er bis dahin gebracht.
+
+Professor Lobenstein hatte eine ziemlich starke Familie, eine Frau, zwei
+erwachsene Tchter von siebzehn und zwanzig Jahren, einen Sohn von
+achtzehn, und zwei kleinere Kinder, einen Knaben von acht und ein Mdchen
+von sieben Jahren. Wenn auch nicht in Reichthum doch in einem gewissen
+Wohlstand erzogen, war aber der Familie bis jetzt das schwere Wort
+_Nahrungssorgen_ fremd geblieben; der Professor hatte immer, was man so
+nennt, ein Haus gemacht, und sich in einem Umgangskreis bewegt, der ihnen
+schon an und fr sich eine gewisse Verpflichtung auferlegte Manches
+mitzumachen, was seinen, sonst mehr einfachen Neigungen eben nicht
+Bedrfni schien. Das Alles sollte, ja _mute_ sich jetzt ndern, denn
+wenn er auch aus den Trmmern seines Vermgens, nach allen erlittenen
+Verlusten, einen kleinen Theil zu retten vermochte, gengte der nicht, das
+bisherige Leben fortzufhren. Die Wahl blieb ihm jetzt allein, von Neuem
+eine Laufbahn mit geringeren Mitteln anzufangen, und sich und den Seinen
+schwere und ungewohnte Entbehrungen an einem Orte aufzuerlegen, wo ihn
+Alles und Jedes an frhere und bessere Zeiten erinnerte oder -- es war eine
+schwere Stunde in der ihm das Bild zum ersten Mal vor die Seele stieg -- in
+einem anderen Welttheil, ungekannt, aber auch nicht bemitleidet oder
+verspottet, ein vollkommen neues _Leben_ zu beginnen.
+
+Aber die Frauen? -- wrden sie den Mhseligkeiten einer so langen Reise,
+einer Ansiedlung drben in einem noch wilden Lande gewachsen sein? -- Da
+er selber die Beschwerden eines solchen Lebens leicht ertragen wrde,
+daran zweifelte er keinen Augenblick; er hatte so viel ber Amerika
+gelesen, sich mit den dortigen Verhltnissen aus allen erschienenen
+Schriften so vertraut gemacht, da er Alles kannte was ihn dort erwartete,
+und einem derartigen Wirken eher mit Freude und Lust, als Bangen
+entgegenging; aber durfte er seine Frau all den sie erwartenden
+Unbequemlichkeiten und Strapatzen aussetzen? durfte er seine Tchter aus
+ihrem geselligen glcklichen Leben reien, und ihnen mit einem Schlage
+alle jene Vergngungen entziehen, die ihnen hier schon mehr als Erholung,
+die ihnen fast Bedrfni geworden?
+
+Einen langen und schweren Kampf kmpfte er mit sich selber, Monate lang,
+und er wurde alt in der Zeit; die Augen lagen tief in ihren Hhlen und
+seine Zge bekamen etwas Mattes und Abgespanntes, das sie sonst, in seiner
+schwersten Arbeitszeit noch nie gehabt. Wenn auch die Kinder dabei sich
+leicht mit einem vorgeschtzten Unwohlsein beruhigen lieen, dem scharfen
+Blick der Gattin entging die Sorge nicht, die an seinem Herzen heimlich,
+aber desto gewaltiger nagte, und ihren dringenden, ngstlichen Bitten
+konnte er zuletzt nicht lnger widerstehen. Was sie doch zuletzt htte
+erfahren _mssen_, vertraute er ihr an und wenn es die arme Frau auch wie
+ein Schlag aus heiterem Himmel traf, nahm sie das Ganze doch viel ruhiger
+auf als er erwartet, gefrchtet, und damit eine schwere Last von _seinem_
+Herzen -- auf das ihre. Aber leichter trgt sich die getheilte, und bereden
+konnten sie jetzt zusammen was zu thun, welchen Weg zu gehen, die
+Mglichkeit besprechen die sich hier ihrem Leben bot, die Mglichkeit
+errwgen, die ihnen dort eine andere freiere Zukunft ffnete. Und die
+Kinder? wohin Mtter und Vater gingen folgten die ja gern; nur die Scene
+wechselte fr sie, anderen, vielleicht selbst bunteren Bildern Raum zu
+geben, und Kummer und Sorge kannten die ja nicht.
+
+An demselben Abend waren die beiden ltesten Tchter zu einem kleinen
+Fest, dem Geburtstag einer Freundin, eingeladen und hatten schon den
+ganzen Tag mit rastlosen Fingern an dem bunten blitzenden Ballstaat
+genht. Der Vater begleitete sie dorthin, nur die Mutter blieb daheim,
+Kopfschmerz vorschtzend, und die Sorge um das jngste Kind, das mit einem
+leichten Unwohlsein in seinem Bettchen lag. Aber gegen zehn Uhr
+schlummerte es sanft und ruhig auf dem weichen Lager ein, und daneben, das
+sorgenschwere Haupt in die Hand gesttzt, sa die Mutter und weinte --
+weinte als ob sie mit dieser Thrnenfluth all den Gram und Kummer
+fortwaschen wollte, der jetzt, ein dunkler Wolkensaum, am Horizonte ihres
+Glcks erschien, und wild und drohend hher und hher stieg.
+
+Lachend und plaudernd kehrten die Tchter, mit dem Vater spt in der Nacht
+zurck; den leichten, sorglosen Herzen lag die Welt noch, ein weiter
+Garten offen da, und was etwa an wuchernden Giftpflanzen dazwischen stand,
+mischte noch sein fastgrnes Laub, dem jungen Auge nicht erkennbar, mit
+Blum' und Blthenpracht.
+
+Aber der Moment nherte sich auch, wo mit der vorgerckten Jahreszeit all'
+die nthigen und mannichfaltigen Vorbereitungen zu einer so langen Reise,
+zu einer gnzlichen Umgestaltung aller ihrer Verhltnisse, getroffen
+werden _muten_; auch schien die Zeit eine passende fr den Sohn, der, von
+der Schule gerade abgegangen, eben sein Abiturienten-Examen glcklich
+bestanden hatte. Der Vater wnschte allerdings da er hier erst studiren,
+und ihnen dann spter, wenn er etwas Tchtiges gelernt, vielleicht folgen
+sollte, dachte ihm aber doch die freie Wahl zu lassen, und seinem Herzen
+keinen Zwang aufzuerlegen.
+
+Am nchsten Morgen nach dem Balle nun -- es war spt mit Aufstehn geworden
+nach der durchschwrmten Nacht und die zweite Tochter Marie eben erst zum
+Kaffee herbergekommen, whrend der Sohn das Haus schon, irgend eines
+notwendigen Ganges wegen verlassen hatte -- sa der Vater, ungewohnter
+Weise nicht in seiner Studirstube an der Arbeit, sondern im Sopha, aus der
+langen Pfeife den Dampf in weien Kruelwolken von sich blasend, und die
+Mutter am Nhtisch, Kleider ausbessernd fr das Jngste, das in seinem
+herbergeschafften Bettchen wieder mit klaren Augen seine Puppe
+schaukelte.
+
+Schon ausgeschlafen, Vterchen? sagte Marie als sie, etwas beschmt, die
+Letzte am Kaffeetische Platz genommen, ich habe wohl recht lange heut
+geschlafen, aber -- was ist Dir denn? -- und der Mutter auch? -- rief sie
+vom Stuhl wieder aufspringend, als sie das ungewohnte ernste Wesen der
+Eltern gewahrte -- bist Du bse auf mich, Mtterchen?
+
+Nein mein Kind, sagte diese und zwang ein Lcheln auf die Lippen, aber
+der Vater hat Euch etwas recht Ernstes heute zu sagen, etwas von dem wir
+noch nicht wissen, ob es Euch betrben wird oder nicht.
+
+Der Vater? rief Marie erschreckt, und auch Anna, die lteste Tochter,
+sah ngstlich zu ihm auf; Professor Lobenstein aber, so in die Enge und
+zum Aeuersten getrieben, hustete, paffte den Dampf ein paar Mal scharf
+vor sich hin, die Pfeife ordentlich in Gluth zu bringen, und sagte:
+
+Ja Kinder, Ihr wit -- wir -- wir haben doch in den letzten Tagen viel ber
+Nord-Amerika gesprochen, und auch Manches gelesen --
+
+Ja, die herrlichen Romane von Cooper, rief Marie rasch.
+
+Und die schrecklichen Berichte im Tageblatt, lchelte Anna.
+
+Der Doctor Haide ist ein Esel, sagte der Professor, den Rauch wieder ein
+paar Mal rasch ausstoend -- wenn der htte in Amerika ordentlich arbeiten
+wollen, brauchte er sich jetzt nicht von einer Winkeladvocatur und vom
+Schimpfen auf freisinnige Leute zu ernhren; ber dessen Berichte wollen
+wir uns keine Sorgen machen, aber -- er schwieg wieder einen Augenblick
+und sah, wie furchtsam, nach der Frau hinber. Die jedoch arbeitete um so
+emsiger weiter, und selber mit dem Bedrfni dem, was ihn schon so lange
+gedrckt, endlich einmal Worte zu geben, fuhr er rasch fort -- ich habe
+eine Frage an Euch zu thun, Kinder -- Httet Ihr -- httet Ihr wohl selber
+Lust hinber nach -- nach Amerika zu gehn?
+
+Nach Amerika? rief Anna rasch und auch wohl erschreckt. Marie aber
+sprang auf, schlug in die Hnde und rief jubelnd:
+
+Nach Amerika? oh das wre ja prchtig -- das wre herrlich -- nicht wahr da
+sind auch Blle, Vterchen?
+
+Die Mutter seufzte tief auf und der Vater zog wieder, etwas verlegen an
+der Bernsteinspitze.
+
+Hm -- ich wei nicht, sagte er langsam mit dem Kopf schttelnd -- wo wir
+im Anfang hinwollten, werden wohl keine sein. Hngst Du so an Bllen,
+Marie?
+
+Ich tanze gern, lchelte das junge frhliche Mdchen etwas verlegen und
+schchtern.
+
+Nun tanzen wirst Du dort hoffentlich auch knnen, mein Kind, sagte der
+Vater freundlich -- wenn auch nicht gerade gleich auf solchen Bllen wie
+wir sie hier gewohnt sind -- das Leben ist dort einfacher.
+
+Oh, und bis zum nchsten Fasching sind wir gewi auch wieder zurck,
+rief Marie.
+
+Der Vater schwieg erst eine kleine Weile, und sagte dann leise aber
+entschlossen.
+
+Wir wollen _ganz_ hinberziehn, mein Kind.
+
+Auswandern? rief die ltere Schwester fast erschreckt -- das Wort, dessen
+Bedeutung sie noch gar nicht vollkommen verstand, traf sie mit einem
+unbekannten ahnenden Gefhl von Schmerz und Leid -- und die Mutter?
+
+Ihr werdet mich doch nicht wollen allein zurcklassen? lchelte die
+Frau, sich gewaltsam zwingend ber den Schmerz dieser Stunde.
+
+Mutter! sagte Anna, warf die Arme um ihren Nacken und kte sie.
+
+Und Eduard? frug Marie.
+
+Bleibt, wenn er meinem Rathe folgt, noch hier bis er ausstudirt und etwas
+ordentliches gelernt hat, sagte der Vater -- wo nicht, hat er seinen
+freien Willen und mag uns begleiten; sowie er zu Hause kommt werde ich mit
+ihm sprechen.
+
+Aber -- rief Marie -- wer verwaltet unterdessen unser Haus?
+
+Wenn wir einmal fort sind von hier, sagte der Professor ausweichend,
+kann uns auch das Haus nichts mehr ntzen, und ich werde es verkaufen.
+
+_Verkaufen_? -- unser Haus und den Garten? riefen Maria und Anna fast wie
+aus einem Munde erschreckt und rasch --
+
+Unser freundliches Stbchen, wo wir als Kinder gespielt, setzte Marie
+traurig hinzu.
+
+Und die Bume die Vater alle gepflanzt -- die Laube, die wir uns selbst
+gebaut, und die so schn geworden ist in diesem Jahr, sagte Anna leise --
+verlassen wollt' ich es ja gern, wenn wir Alle gehn, aber da fremde
+Menschen jetzt darin hausen sollen, die vielleicht gar nicht wissen wie
+wir das Alles gehegt und gepflegt und -- ihr Blick fiel in diesem
+Augenblick auf der Mutter, halb von ihr abgewandte bleiche Zge, und fate
+das Blitzen einer heimlich fallenden Thrne. Anna erschrak und wurde
+todtenbleich -- hier lag mehr verborgen als man ihnen gesagt, und
+heimlicher Gram, heimliche Sorge nagte an der Eltern Herzen, durfte sie
+die vermehren? Sie schwieg einen Augenblick und sah sinnend vor sich
+nieder, dann aber Mariens Hand ergreifend sagte sie mit leichterem
+vielleicht gezwungen frhlicherem Ton:
+
+Aber wir wollen nicht klagen; Vater und Mutter wissen am Besten was sie
+zu thun haben, und was uns gut ist, und dort baut uns Vater dann ein
+anderes Haus, und wir selber pflanzen uns ein neues Grtchen, schner als
+das unsere hier.
+
+Aber ich bliebe hier, wenn ich an Vaters Stelle wre, schmollte Marie,
+und was wird Herr Kellmann dazu sagen, wenn er es erfhrt? der ist so
+immer gegen Amerika, und hat sich schon oft mit Vater darber gezankt.
+
+Ach der macht mir die geringste Sorge, sagte Anna in ihrem Schmerz
+lchelnd -- wenn man _fr_ Amerika spricht, schimpft er aus Leibeskrften,
+und citirt Gott wei was fr Stellen aus Briefen und Zeitungen, alles
+Gnstige zu widerlegen, oder wenigstens stark zu bezweifeln, und kommt
+Jemand der das Land ordentlich angreift, dann hab' ich auch schon gesehn,
+da er den Handschuh wacker dafr aufnimmt, und man wirklich glauben
+sollte er bekme so und so viel fr den Kopf, Leute zu bereden
+hinberzuziehn. Das ist ein wunderlicher Kauz, der die meiste Zeit selber
+nicht wei was er will, und ich glaube, wenn es Jemand recht ordentlich
+bei ihm darauf anlegte, knnte man ihn selber, nur durch Widersprechen,
+dahin bringen, da er in eigener Person hinberginge.
+
+Herr Kellmann? lachte Marie -- nun _den_ mcht' ich in Amerika sehn.
+
+Und wer wei, ob Dir das nicht noch passirt, besttigte der Vater, mit
+dem Kopfe nickend.
+
+Und darf ich mein neues seidenes Kleid mitnehmen, Mama? frug das junge
+lebenslustige Mdchen jetzt die Mutter -- hier lassen mcht' ich es doch
+nicht gern, und drben im Wald --
+
+Liebes Kind, wir werden auch nicht mitten in den Wald gehn, sagte die
+Mutter, die indessen heimlich die verrtherische Thrne aus dem Auge
+geschttelt, freundlich dabei der zu ihr getretenen Tochter die Stirn
+streichend und kssend, denkt es Euch nicht so schlimm. Der Vater wird
+uns schon einen Platz aussuchen, wo wir wenigstens unter Menschen und der
+Cultur nicht ganz verschlossen sind -- er hielte es ja dort sonst selber
+nicht aus.
+
+Aber warum gehst Du nur, Vterchen? bat Marie -- es ist doch hier so
+wunderhbsch in Heilingen, und was wir da drben haben, wissen wir noch
+nicht.
+
+Der Professor, zu dem Anna ngstlich aufsah, hatte seinen Sitz verlassen
+und ging, langsam dabei mit dem Kopf nickend, im Zimmer auf und ab; er
+fhlte da er, auch den Tchtern gegenber, diesen eine Erklrung seines
+Handelns schuldig sei, denn er ri sie aus einem liebgewonnenen Leben
+heraus, und fhrte sie vielen, vielen Entbehrungen -- er durfte sich das
+nicht leugnen -- entgegen. Von ihrer spteren Haltung dabei hing auch viel
+ihrer Aller Glck, ihrer Aller Zufriedenheit ab, und sie waren alt genug
+ihrem Urtheil zu vertrauen. Aber es kostete ihm der Entschlu einen
+schweren Kampf, und wo ihm die Frau war auf halbem Weg entgegen gekommen,
+frchtete er hier gerade, nicht Widerstand zu finden, denn dafr hatten
+sie ihn zu lieb, aber Schmerz und Sorge zu wecken in den jungen Herzen,
+denen er die ungebetenen Gste gern noch fern gehalten htte so lang als
+mglich. Sie standen jedoch an einem wichtigen, bedeutungsvollen Abschnitt
+ihres Lebens, und muten _sehen_, wohin der Weg sie fhrte.
+
+In kurzen, einfachen Worten, frei vom Herzen weg, und zu den Herzen
+sprechend, weil sie aus dem Herzen kamen, schilderte er ihnen jetzt die
+vernderte Lage in die er, durch das gezwungene Aufgeben seiner
+Zeitschrift sowohl, wie durch manche schwere, ihn betroffene Verluste
+gekommen. Er verheimlichte ihnen nicht lnger da er einen Theil -- einen
+groen Theil seines Vermgens eingebt, und das ihm selber liebe Haus
+nicht verkaufen wrde, wenn ihn eben nicht -- die Verhltnisse dazu
+_zwngen_. Aber noch blieb ihnen genug nach einem fernen Welttheil
+berzusiedeln und dort, mit bescheideneren Bedrfnissen, von Neuem zu
+beginnen; Amerika mit seiner ungeheuren Lebenskraft bot ihnen nach allen
+Seiten hin die Mglichkeit der Existenz, und das gut und zweckmig
+angelegte kleine Capital konnte dort gute Zinsen tragen fr sptere Zeit.
+Hatten sie sich dann etwas verdient, waren die Hoffnungen, mit denen sie
+hinber gingen, Wahrheit geworden, und sehnte sich ihr Herz noch nach dem
+Vaterland, wer hinderte sie dann zurckzukehren zu den theueren Pltzen,
+die ihnen ewig lieb bleiben wrden in der Erinnerung?
+
+Dem Professor war es leichter um die Brust geworden, wie er das Eis nur
+erst gebrochen. Selbst berzeugt von dem was er sprach, wurde er warm,
+indem er den Gedanken weiter dachte, und seine Phantasie verlor sich
+zuletzt sogar, Luftschlsser aufbauend, zauberschnell in weiter Ferne. Der
+Professor ging mit dem Menschen durch, und die leicht gertheten Wangen
+belebte ein eigenes, inneres Feuer. Und die Mutter sa dabei, still und
+schweigend, und ngstlich bemht, in der wiederaufgenommenen Arbeit die
+eigene Bewegung zu verbergen. Marie und Anna aber, die des Vaters Hnde
+erfat und in den ihren hielten, schmiegten ihre Hupter an seine
+Schultern und flsterten; die groen, zu ihm aufgeschlagenen Augen voll
+von Thrnen.
+
+Genug, genug, Vterchen; mal' uns das Alles nicht so prchtig aus -- wohin
+Du und Mutter gehn, gehn auch wir, und wr' es mitten hinein in den
+wildesten Wald. Kein unzufriedenes Wort sollst Du dabei von uns hren,
+keine Klage, kein bses Gesicht weiter -- keine Thrne -- nur die hier sind
+uns so ganz von selber ber die Backen gelaufen, weil wir die Mutter
+weinen sahen. Mit Lieb und Lust wollen wir das Leben dort beginnen --
+
+Und Khe und Hhner schaffen wir uns an! rief Marie, und die Khe
+melken wir selber und machen Butter und Kse.
+
+Wie gut, sagte Anna, da wir im vorigen Jahr auf dem Land bei der Tante
+waren, und dort das Alles zum Spa gelernt haben; jetzt wird es uns
+ntzen.
+
+Aber nicht wahr, Mtterchen, nun weinst Du auch nicht mehr, rief Marie,
+zur Mutter hinbergleitend, ihren Arm um deren Nacken legend und sie
+kssend -- drben wird schon Alles hbsch werden. Und ein paar von den
+groen Holzschuhen nehm' ich mir mit, wie sie die Bauern tragen, fr
+drauen bei nassem Wetter; hei wie wir da herumpatschen wollen und
+schaffen und arbeiten; und pltten thun wir auch selbst, dafr nimmst Du
+kein Mdchen mehr.
+
+Den frohen, leichten Herzen schwammen schon die gewaltigen Umrisse ihrer
+ganzen fernen, so ungewissen Zukunft, in den einzelnen bunten
+Kleinigkeiten zusammen, die ihrem Geist, von dem Reiz der Neuheit mit
+frischem Duft berhaucht, entstiegen. Nur die Lichtpunkte ersphte der, in
+die Ferne arglos hinausschauende Blick, und die go er sich lustig
+zusammen zu einem Ganzen: was dahinter lag, der dstere Hintergrund, den
+das erfahrenere Mutterauge wohl erkannt, diente ihnen nur dazu die
+einzelnen Lichter strker hervorzuheben, deutlicher erkennen zu knnen,
+und der Himmel spannte sich blau und rein ber ihren glcklichen Huptern.
+
+
+
+
+
+ Capitel 8.
+
+
+ DER TANZ IM ROTHEN DRACHEN.
+
+
+Drei volle Monat waren nach den, in den vorigen Capiteln betriebenen
+Scenen verflossen, und der Diebstahl im Dollingerschen Hause zu Heilingen,
+der eine ganze Woche lang fast das alleinige Stadtgesprch gebildet, wurde
+kaum noch erwhnt. Der vermuthete Dieb (gegen den aber allerdings
+nachtrglich keine weiteren Beweise aufgefunden worden), war zwei Tage
+nach dem Sturz von der Brcke an seiner Kopfwunde gestorben; er hatte die
+beiden Tage vollkommen bewutlos gelegen, und kein Wort mehr gesprochen.
+Das brige Geld aber -- auer den zweihundert und einigen Thalern -- wie die
+vermiten Pretiosen, konnten, trotz den genausten Nachforschungen nirgends
+aufgefunden werden, und hatte er es wirklich gestohlen, so lie sich jetzt
+gar nichts Anderes vermuthen, als da er es irgendwo an einer heimlichen
+Stelle vergraben, und auer Sicht gebracht habe.
+
+Actuar Ledermann hatte dabei ganze Actenste ber den Fall geschrieben --
+man wute wirklich nicht wo er nur den Stoff dazu herbekommen; aber mit
+dem blichen Canzleistyl wurde die Sache, der jede grndliche Vorlage
+mangelte, nach Mglichkeit gereckt und ausgedehnt und dann, als sich
+Nichts weiter darber ergab, mit starkem Bindfaden umschnrt und
+etiquettirt, um spter vielleicht, mit Jahreszahl und Nummer versehn, in
+irgend ein staubiges Gefach geschoben zu werden, dort ein Jahrhundert
+fortzutrumen, -- wie der Verstorbene unter dem Rasen, dicht an der
+Kirchhofsmauer, an die er, ohne Sang und Klang damals, noch vor Tag, still
+und heimlich hinausgeschafft worden.
+
+Die Geistlichkeit von Heilingen hatte dem Unglcklichen allerdings sogar
+dies ehrliche Begrbni߫ versagen und den Krper der Anatomie
+berantworten wollen, da er unter dem Verdacht eines schweren Diebstahls
+und gewissermaen als Selbstmrder seinen Tod gefunden -- was kmmerte die
+stolzen Geistlichen die duldende Liebe die Christus gelehrt, wo _ihre_
+Autoritt Gefahr leiden konnte gekrnkt zu werden, und sie hatten einmal
+verordnet, da solchen Sndern ein christliches Begrbni߫ versagt werden
+solle; aber die Polizei war milder und verstndiger als die Diener des
+Hchsten und erklrte den Tod des Armen fr keinen Selbstmord, indem er
+nur auf der Flucht umgekommen, whrend wahrscheinlich der ihm
+beigegebene Wchter die allerdings unschuldige, und nicht zur
+Verantwortung zu ziehende direkte Ursache, seines Todes gewesen sei.
+
+Aber fort -- fort mit den traurigen Bildern; das menschliche Leben hat der
+dunklen Seiten so viele, und sie drngen sich uns doch auf, wohin wir
+gehen -- nur der Augenblick gehret uns, und nicht muthwillig wollen wir
+den Schmerz suchen. So mag mir der Leser denn noch einmal zum rothen
+Drachen hinaus folgen -- es dauert vielleicht lange, ehe wir den Platz
+wieder zu sehn bekommen -- und dort tnt heut frhliche Musik aus dem
+hellerleuchteten Saal des groen Hauses, der mit Guirlanden und Blumen und
+jungen Birkenreisern festlich geschmckt ist, inde ihn eine muntere, laut
+und lustig durcheinander wogende Schaar belebt.
+
+Kaum eine Viertelstunde -- oder eine halbe Pfeife Tabak, wie die Bauern
+sagten -- vom rothen Drachen entfernt, lag Schlo Hohleck an der anderen
+Seite des nmlichen Hgelrckens, das gegenber liegende Thal
+berschauend, und der Besitzer desselben, Graf von Hohleck, feierte heute
+die Vermhlung seines ltesten Sohnes, der dabei das Gut selber bernahm,
+und nun seinen Leuten dem Tag zu Ehren ein Fest in der Schenke gab. Bier
+und Branntwein waren dabei zu freier Verfgung gestellt, und ein starkes
+Musikchor aus der Stadt engagirt worden, den Leuten die ganze Nacht
+hindurch zum Tanze aufzuspielen -- und sie machten Gebrauch davon.
+
+Aber auch aus Heilingen selber hatten sich eine Menge Gste eingefunden,
+dem muntern Leben und Treiben der frhlichen Menschen zuzuschauen, und
+whrend der untere Gartensaal einzig und allein den Dienstleuten des
+Rittergutes eingerumt war, zu dem den Stadtleuten jedoch gastlich der
+Zutritt gestattet wurde, hatten sich die letzteren noch besonders in einem
+paar der kleineren Stuben festgesetzt, wo sie ihren Wein oder ihr Bier
+tranken oder auch eine Parthie spielten, die Zeit auszufllen.
+
+Zu den Gsten aus der Stadt gehrten auch mehre unserer alten Bekannten,
+unter ihnen Kellmann und Schollfeld, zwei Stammgste des rothen Drachen.
+Ledermann war ebenfalls, wenn auch spter, herausgekommen und ihnen hatte
+sich noch der Auswanderungsagent Weigel -- sehr zum Aerger Schollfeld's,
+der ihn nicht ausstehen konnte -- zugesellt. Weigel blieb aber nicht ruhig
+an ihrem Tisch sitzen, sondern ging ab und zu, und hatte sein Glas nur mit
+bei ihnen stehn, gewissermaen seinen Platz zu belegen.
+
+Ledermann war brigens heute sehr still und niedergeschlagen, er hatte
+sein einziges Kind vor etwa vierzehn Tagen verloren, und schien sich das
+sehr zu Herzen zu nehmen, erklrte auch nur herausgekommen zu sein, sich
+ein wenig zu zerstreuen und die Gedanken los zu werden, die ihn in der
+Stadt drin peinigten.
+
+Uebrigens war ihm in den letzten Tagen hchst unerwarteter Weise eine
+kleine Erbschaft von 600 Thalern zugefallen und Schollfeld, der heute
+Abend auergewhnlich gut aufgerumt schien, versuchte jetzt sein Bestes
+des Freundes Grillen oder trbe Gedanken ebenfalls zu verscheuchen.
+
+Hren Sie einmal Ledermann, begann er, mit dem Deckel seines Kruges
+klappend und mehr Bier verlangend -- wie ist denn die Geschichte nun mit
+den 600 Thalern? -- beilufig gesagt schneiden Sie ein Gesicht dabei, als
+ob Sie Schwefelsure verschluckt htten.
+
+Er hrt nicht einmal, sagte Kellmann, als der Actuar kein Wort darauf
+erwiederte, und die Anrede in der That gar nicht verstanden zu haben
+schien -- Ledermann, Mensch, wo sind Sie jetzt mit Ihren Gedanken, im
+rothen Drachen bei Heilingen, im Monde, oder in Amerika?
+
+Wo? sagte der Actuar, rasch und fast verstrt aufschauend, als aber die
+Anderen laut lachten, schttelte er mit dem Kopf und seinen Krug nehmend
+und trinkend sagte er ruhig und ernst:
+
+Ach lat mich zufrieden Kinder -- ich habe den Kopf voll, und bin
+wahrhaftig heute Abend nicht zum Spaen aufgelegt.
+
+Nicht zum Spaen aufgelegt? rief aber Schollfeld, Kellmann unter dem
+Tisch anstoend -- ist auch gar nicht nthig mein lieber Actuar -- wir
+spaen auch hier gar nicht; Jemand aber, der eine Erbschaft macht und
+irgendwo Stammgast ist, berkommt dabei die moralische Verpflichtung
+irgend etwas zum Besten zu geben, und es bleibt ein Skandal, da man einen
+solchen Glckspilz auch nur noch daran erinnern mu. Hat der Henker da
+wieder den Schleicher, den Weigel, unterbrach er sich aber pltzlich mit
+etwas leiserer Stimme, als er sah wie dieser das Zimmer wieder betrat, und
+sich ihrem Tische zuwandte -- ich hatte schon gehofft wir wrden ihn heute
+Abend los sein; jetzt ist _mein_ Vergngen beim Teufel.
+
+Nun meine Herren, noch so frhlich beisammen? sagte Weigel jetzt, indem
+er zum Tisch trat -- ah, da sind ja der Herr Actuar auch noch dazu
+gekommen -- bitte behalten Sie ja Platz, ich rcke ein klein wenig hier
+herber -- so -- das geht vortrefflich. Nun, der Herr Actuar haben in diesen
+Tagen ein groes Glck gehabt -- da darf man ja wohl gratuliren.
+
+Danke herzlich, sagte Ledermann ruhig; es wird brigens so viel von den
+paar hundert Thalern gesprochen, als ob's eben so viel Tausende wren.
+
+Ih nun, das lassen Sie gut sein, sagte aber Weigel, mit dem Kopf
+schttelnd -- sechshundert Thaler richtig angewandt knnten in der That in
+kurzer Zeit zu so viel Tausenden werden.
+
+Wenn man sich Schsische Lbau-Zittauer Eisenbahnactien dafr kaufte,
+nicht wahr? sagte Schollfeld, das Gesicht halb in den ebengebrachten Krug
+versteckt, und einen grimmigen Blick ber den Rand desselben hin, nach dem
+Auswanderungsagenten schieend.
+
+Nun das gerade nicht, schmunzelte Herr Weigel, sein Glas ein wenig
+weiter auf den Tisch schiebend, und sich die Hnde reibend, da wte ich
+doch noch eine bessere Speculation.
+
+Und die wre, sagte der Actuar, seitwrts zu ihm aufschauend.
+
+Wenn Sie sich eine kleine Farm in Amerika kauften.
+
+Puh! rief Schollfeld, verchtlich den Kopf abwendend, jetzt sein Sie so
+gut, kommen Sie uns hier nicht mit Ihrer alten Leier von dem verdammten
+Amerika, und verderben Sie uns das Bier nicht -- hier ist auch Nichts zu
+verdienen, denn von uns geht doch keiner hinber.
+
+Lieber Herr Schollfeld, sagte aber Weigel mit groer Ruhe, von _uns_
+wei noch Niemand was er nchstes Jahr thun wird, und verschwren lt
+sich so eine Sache nun einmal gar nicht -- Amerika ist immer noch ein
+Zufluchtsort.
+
+Ja fr die Spitzbuben und Hallunken, _da_ haben Sie recht! rief der
+Apotheker.
+
+Ne lieber Herr Weigel! rief aber auch Kellmann jetzt -- mit sechshundert
+Thalern kann ich da drben auch Nichts anfangen, und bin dann noch
+obendrein bei jedem Schritt und Tritt der Gefahr ausgesetzt, da ich
+betrogen und hintergangen werde. Man kann dort ja nicht einmal seinem
+eigenen Bruder trauen.
+
+Aber mein bester Herr Kellmann, das sind die unglckseligen Ideen, die
+von -- na, ich will keinen Namen nennen -- ausgesprengt werden, um die Leute
+blind zu machen, rein blind. Sie sollen eben nicht sehen was fr
+Vortheile, fr fabelhafte Vortheile dort gerade fr sie zu Tage liegen,
+und die Gerchte von dort verbten Betrgereien hngen eben als
+Vogelscheuche ber den Erbsen. Wir haben _hier_ eben so viele schlechte
+Charaktere wie in Amerika.
+
+Ob eben so _viel_, will ich dahingestellt sein lassen, sagte Schollfeld
+mit einem nichts weniger als freundlichen Seitenblick auf den Agenten --
+aber eben so schlechte gewi.
+
+Nun also, erwiederte Weigel freundlich, ohne auf den Hieb einzugehn, ja
+im Gegentheil die Waffe lchelnd umdrehend -- sehn Sie, selber Herr
+Schollfeld stimmt mir darin bei.
+
+Ja aber nicht wie _Sie_ es meinen! rief da Schollfeld entrstet,
+keineswegs gesonnen sich die Worte so im Munde verdrehen zu lassen.
+
+Von den Betrgereien will ich noch gar Nichts sagen, unterbrach ihn aber
+Kellmann, ziemlich in Eifer -- was ich dagegen sehr guten Grund habe zu
+bezweifeln, sind die billigen Landkufe, sind dabei die Erleichterungen,
+welche diese republikanische Regierung allen mglichen Gewerken und
+Unternehmungen bietet, die geringen Taxen, der freie Verkehr und Umsatz im
+Innern. Das wird Alles ausgemalt mit Gold und Silber und Himmelblau, und
+kommt man am Ende hinber, so hat man die ganze nmliche Geschichte wie
+bei uns. Da all das nichtsnutzige Gesindel dort ohne _Pa_ herumlaufen
+darf, mag wahr sein, das halte _ich_ aber eben fr keinen Fortschritt.
+
+Verehrtester Herr Kellmann! rief aber Weigel in Eifer -- gegen
+_Thatsachen_ knnen wir doch nicht anstreiten; wir wollen doch nicht blind
+und taub mit dem Kopf gegen die nchste, und womglich hrteste Wand
+rennen? wir sind doch vernnftige Menschen, aber haben Sie nicht alle die
+neueren Schriften jetzt gelesen, die --
+
+Ach gehn Sie mit Ihren Schmierereien, rief aber Schollfeld, dem das
+Gesprch jetzt zur Last wurde, fr einen Thaler den Bogen malen ihnen die
+lumpigen Literaten selbst die Hlle himmelblau an, und kleben von oben bis
+unten Sterne drber. Lat mir jetzt Euer Geschwtz von Amerika hier, oder
+ich stehe, Gott straf mich, auf, und setze mich wo anders hin.
+
+Nun, jeder darf sich hinsetzen wo es ihn gerade freut, sagte Weigel,
+wirklich etwas beleidigt, obgleich er sonst einen ziemlichen Theil
+vertragen konnte.
+
+Ja leider, sagte aber Schollfeld, mit wieder einem Seitenblick auf den
+Agenten, der diesen doch jetzt vermochte aufzustehn und sein Bier
+auszutrinken.
+
+Herr Schollfeld, sagte er dabei, Sie sind in der Stadt als ein
+Antiamerikaner bekannt, und ich glaube Sie wrden den Leuten eher zu einer
+Auswanderung nach Sibirien wie nach Nordamerika rathen.
+
+Wrde ich auch, sagte Herr Schollfeld trotzig, sich den Hut noch fester
+in die Stirn drckend.
+
+Nun ja, der Geschmack ist verschieden -- Jeder wei am Besten wohin er
+gehrt, und dahin treibt ihn der Instinkt, sagte Herr Weigel
+achselzuckend, indem er den Tisch verlie, und Kellmann erwischte eben
+noch zur rechten Zeit Schollfeld hinten am Frackzipfel, der aufspringen
+und dem sich rasch entfernenden Weigel nach wollte.
+
+Aber so fangen Sie hier doch um Gottes Willen keinen Skandal mit dem
+Menschen an! rief Kellmann leise und bittend.
+
+Instinkt treibt? rief aber Schollfeld jetzt, da er sich hinten,
+vielleicht gern, gehalten fhlte -- laut hinter dem Davoneilenden her --
+Sie wird bald 'was anders treiben Sie -- Sie _Seelenverkufer_ Sie!
+
+Pst! rief aber auch der Actuar jetzt, ihn rasch zu sich niederziehend --
+Sind Sie denn ganz vom Bsen besessen Apotheker? auf das Wort knnte er
+Ihnen, wenn er's noch gehrt htte, die schnste Injurienklage an den Hals
+hngen.
+
+S'ist aber wahr -- der Lump! rief Schollfeld rgerlich, den leeren Krug
+zum hastigen Trunk aufhebend, und denselben dann laut auf den Tisch
+aufstoend -- es ist ein Seelenverkufer, der Kerl, und um einen Thaler
+beschwatzt er das Kind, da es die Eltern, den Mann, da er die Frau
+verlt -- hier Kellner, noch ein Glas Bier. -- Sprecht mir von Raubmrdern
+und Straenrubern, gegen die das Gericht einschreitet und ihnen das
+Handwerk legt -- allen Respect vor einem Mann, der es den Leuten geradezu
+in's Gesicht wirft, ich _bin_ ein schlechter Kerl -- ich stehle wo ich's
+bekommen kann, und wo ich's nicht gutwillig kriege mord' ich auch; aber
+solche heimliche Hallunken sind die Upasbume der menschlichen
+Gesellschaft -- sie vergiften was sie erreichen knnen, und von auen geben
+sie sich das Ansehen eines ehrlichen Baumes und haben grne Bltter und
+glatte Rinde. Gegen _die_ Schufte sollte eingeschritten werden, nicht mit
+Geldstrafen oder Gefngni, nein mit Knute und Strang --
+Himmeldonnerwetter, wenn ich da 'was in der Regierung zu befehlen htte.
+
+Sie wrden schne Geschichten anrichten, kann ich mir etwa denken, sagte
+der Actuar trocken, s'ist so schon manchmal wie's ist. Lassen Sie doch
+jeden seinen Weg gehn in der Welt; der liebe Gott wei wohl wozu's gut
+ist. Blutigel sind auch unangenehme Geschpfe in der Naturgeschichte, und
+doch verwendet sie die Natur wieder zu hchst ntzlichen und nothwendigen
+Zwecken; denken Sie sich so ein Individuum wre ein menschlicher
+Blutigel.
+
+Dann trink' ich aber nicht mein Bier an einem Tisch mit ihm, rief der
+Apotheker.
+
+Bah, das ist wieder zu weit gegangen, sagte Kellmann, viel zu weit
+gegangen. 'Was Schlechtes knnen Sie dem Mann berhaupt nicht nachsagen,
+denn da er fr Amerika wirbt, ist einesteils sein Geschft, anderntheils
+seine Ansicht, und er knnte Ihnen von _seinem_ Standpunkt aus dann
+ebensogut wieder vorwerfen, da Sie eine Menge Menschen absichtlich
+unglcklich machten, die sie von einer Auswanderung nach jenem Lande
+abhielten.
+
+Unsinn -- baarer Unsinn! rief aber Schollfeld, unwillig den Kopf herber
+und hinber werfend -- Jemand unglcklich machen, da man ihm von einer
+Auswanderung nach Amerika abrth, wre gerade so, als ob ich als eines
+Menschen Mrder betrachtet wrde, den ich abhalte aus dem dritten Stock
+auf die Strae zu springen. Aber hol den Lump der Henker, brach er kurz
+und rgerlich ab, ich war so guter Laune und jetzt hat er mir den ganzen
+Abend verdorben. -- Nach Sibirien auswandern -- brummte er dabei,
+whrend er eine neue Cigarre aus der Tasche nahm und sie an dem, auf dem
+Tisch stehenden Licht entzndete -- Holzkopf der -- nach Sibirien
+auswandern -- ich will nur einmal in den Saal gehn und sehn wie sie's da
+treiben, da man auf andere Gedanken kmmt -- ich bin bald wieder da. Und
+von seinem Stuhl aufstehend verlie er langsam, und immer noch vor sich
+hin murmelnd, das Zimmer.
+
+Der Actuar stand ebenfalls auf und nahm seinen Hut.
+
+Na nu? sagte aber Kellmann erstaunt -- was ist das fr eine Wirthschaft
+heut Abend? Schollfeld luft fort, Lobsich hat sich gar nicht sehen
+lassen, und Sie wollen jetzt auch Fersengeld geben? wo bleibt denn da
+heute Abend unser Solo? -- wir knnen doch nicht wie die Pferde zu Bette
+gehn, ohne unsere Parthie gespielt zu haben?
+
+Mir ist heute nicht wie spielen, sagte der Actuar, langsam mit dem Kopfe
+schttelnd, ich habe auch Kopfschmerzen, und an der frischen Luft wird
+mir wohl besser werden.
+
+Fort drfen Sie aber noch nicht, sagte Kellmann, indem er sein Bier
+austrank, und ebenfalls aufstand, da wollen wir lieber einmal unten im
+Garten auf und ab gehn.
+
+Der Actuar zgerte einen Augenblick, dann aber legte er schweigend seinen
+Arm in den Kellmann's und beide Freunde gingen mitsammen die Treppe
+hinunter.
+
+Es war indessen vollkommen dunkel geworden, und die Leute hatten sich, des
+feuchten Abends, wie des im Saal wogenden Tanzes wegen, meist alle aus dem
+Garten hinaus, und in die mehr geschtzten Rume der Gebude gezogen. Nur
+hie und da sa noch irgend ein kosendes Prchen in einer Laube, oder
+schwrmte auch wohl auf dem Vorbau des Gartens nach dem, gerade ber dem
+nebelgefllten Thal jetzt aufzeigenden Vollmond hinber, dessen groe
+rothe Scheibe sich glhend aus den Bergen hob, und das weite,
+thaublitzende Thal berschaute.
+
+Kellmann ging ruhig neben dem still vor sich nieder schauenden Freund her,
+bis sie den breiten Fuweg der schnen ebenen Chaussee erreichten, und
+eine kleine Strecke derselben hinauf gewandert waren; dann aber blieb er,
+diesen zurck haltend, pltzlich stehen, und sagte mit freundlichem,
+herzlichen Ton:
+
+Aber lieber Ledermann, Sie drfen sich Ihrem Schmerz um das Kind nicht so
+ganz und rcksichtslos hingeben; lieber Gott ich begreife da es ein
+schwerer, recht schwerer Verlust ist, aber Gott hat's gegeben und Gott
+hat's genommen, und wer wei ob dem kleinen lieben Wesen dadurch nicht
+vielleicht ein recht trbes und schmerzliches Dasein erspart wurde.
+
+Es ist nicht das Kind, Kellmann, sagte aber der Actuar, leise mit dem
+Kopf schttelnd, nicht der Tod meiner kleinen Adele nagt mir jetzt am
+Herzen, obgleich der da oben wei wie weh er mir gethan -- nein, ich halte
+ihn sogar unter den jetzigen Verhltnissen, in denen ich lebe, fr ein
+_Glck_, und es ist _furchtbar_, da ich gezwungen bin so etwas von dem
+Tod meines eigenen, einzigen Kindes zu sagen.
+
+Aber was, um Gottes Willen, haben Sie _denn_? rief Kellmann, verwundert
+vor ihm stehen bleibend und ihn anschauend. Irgend etwas _ist_
+vorgefallen, aber was? -- etwa wieder zu Hause der alte wunde Fleck?
+
+Ledermann nickte finster und schweigend mit dem Kopf.
+
+Aber was _will_ sie denn eigentlich, rief Kellmann finster die Brauen
+zusammen und seinen Arm aus dem des Freundes ziehend, um besser
+gesticuliren zu knnen -- Wetter noch einmal, Ledermann, Sie htten da
+schon lange ernst und entschieden auftreten sollen, die Sache ist jetzt
+schon viel zu weit eingerissen, und die Frau bringt sie, wenn das so fort
+geht, wahrhaftig noch unter die Erde.
+
+Ernst und entschieden auftreten? -- lieber Gott, sthnte der Actuar
+kopfschttelnd -- soll ich mir denn die letzte leiseste Hoffnung auf
+einen, nur mglichen Hausfrieden selber muthwillig vernichten? -- _Sie_
+haben gut reden; _Ihr_ Geschft ist in Ihrer eignen Wohnung, und Ihre
+Erholung gestattet Ihnen, _die_ auerhalb desselben zu suchen, ich aber
+sitze und schwitze den ganzen lieben ausgeschlagenen Tag auf dem
+verwnschten Bureau, und komme ich dann Abends zu Hause, und sehne mich
+nach einer halbstndigen gemthlichen Ruhe, so beginnt die Frau, und wenn
+sie eine Ursache aus der Luft greifen sollte, mir das Leben zu einer Hlle
+zu machen. Lieber Gott, es fiele mir ja gar nicht ein Abends in ein
+Wirthshaus zu gehn, wenn ich Frieden daheim htte; es giebt vielleicht
+wenig Menschen in der Welt, die sich so nach einem stillen, huslichen
+Leben sehnen, wie gerade ich, und keinen, Kellmann, keinen weiter, dem es
+_so_ verbittert, so gnzlich aus dem Fenster geworfen wird, jeden Abend
+wieder von Frischem, wie gerade mir.
+
+Aber was ist denn nur vorgefallen?
+
+Das Ganze ist mit wenig Worten erzhlt, sagte der Actuar nach kurzer
+Ueberlegung entschlossen, und Sie sollen mir rathen, wie ich im Stande
+bin mich einem Zustand zu entziehn, der mir unertrglich wird. Sie haben
+gehrt da ich von einem entfernten Verwandten sechshundert Thaler geerbt,
+die ich in den nchsten Wochen ausgezahlt bekomme. Das Vernnftigste nun
+wre das Geld in irgend einem _sichern_ Staatspapier, oder in guten Actien
+anzulegen, und mit den wenigen, aber gewissen Zinsen meinen, berdies
+rmlichen Gehalt zu erhhen -- ich habe fnfhundert Thaler jhrlich und
+wei bei Gott oft nicht wie ich auskommen soll.
+
+Nun gut, das ist ja Alles so schn und glatt wie es nur sein kann.
+
+Jawohl, aber meine Frau besteht darauf das Capital ihrem Bruder geben zu
+wollen, der ein Geschft hat und mir _fnf_ Procent verspricht.
+
+Ih nun, wenn es da sicher angelegt ist -- fnf Procent wre aller Ehren
+werth.
+
+Aber es _ist_ nicht sicher angelegt; der Bursche ist ein liederlicher
+leichtsinniger Mensch, der schon einmal Bankerott gemacht hat und -- wie
+ich ziemlich guten Grund habe zu vermuthen -- an der Grenze eines zweiten
+steht.
+
+Ahem, sagte Kellmann nachdenkend.
+
+Geb ich _ihm_ das Geld, fuhr der Actuar fort, so ist es ber Jahr und
+Tag, so sicher wie dort drben der Mond aufgeht, verloren, und geb' ich es
+ihm _nicht_, so wei ich da mir die Frau zu Hause den eignen Heerd zur
+Hlle macht.
+
+Aber Donnerwetter, Ledermann, nehmen Sie mir das nicht bel, sagte
+Kellmann stehen bleibend, da wrde ich denn doch einmal einen Trumpf
+darauf setzen und mein Recht als Mann und Herr im Hause wahren; nur durch
+Ihr ewiges Nachgeben haben Sie die Geschichte schon so, in Grund hinein
+verdorben.
+
+Aber was _soll_ ich thun? rief der Actuar verzweifelnd -- mit Worten
+_kann_ ich nicht gegen sie anstreiten, nicht sechs Mnner knnten das; in
+Ruhe und Gte ist Nichts anzufangen mit ihr, und schlagen darf und will
+ich sie ebenfalls nicht.
+
+So lassen Sie sich scheiden, zum Wetter noch einmal; rief Kellmann,
+lieber doch eine trockne Brodrinde kauen, als mit solchem Drachen das
+ganze Leben, eine ganze Existenz, mhselig und qualvoll hinzuschleppen.
+
+Heute Abend zum ersten Mal, sagte der Actuar seufzend, habe ich ihr
+selber damit gedroht; ich habe ihr vorgehalten, da sie sich mit mir nicht
+glcklich fhlen _knne_, weil sie fortwhrend, und ohne auch nur einen
+einzigen Tag Frieden zu gestatten, zanke, und das Beste sein wrde, wir
+lieen uns, einem Leben zu entgehen das auf die Lnge der Zeit doch nicht
+durchgefhrt werden knne, gerichtlich scheiden.
+
+Nun? -- und was hat sie darauf erwiedert?
+
+Ich bin fortgelaufen, sagte der Actuar, seufzend den Kopf von dem Freund
+abwendend, denn sie wurde -- sie wurde so heftig, und betrug sich -- betrug
+sich so unvernnftig, da ich mich vor den Nachbarn schmte, und lieber
+Hut und Stock nahm, den Frieden wieder, wie schon so oft, auswrts zu
+suchen.
+
+Also sie weigert eine Scheidung?
+
+Sie schwur sie wolle mir die Augen auskratzen, wenn ich noch einmal ein
+derartiges Wort erwhne, zerbrach dann in ihrer Wuth Gott wei was Alles,
+und -- ich glaube sie bekam nachher Krmpfe -- ihr altes Leiden. Erst hatte
+ich gehofft der Tod des Kindes wrde sie milder stimmen, aber nein, und
+wenn mich etwas ber den Verlust des kleinen lieben Wesens trsten knnte,
+so ist es gerade der Gedanke, es dem bsen Beispiel, das ihm die eigene
+Mutter tglich gab, entrissen zu sehn -- was htte zuletzt aus ihr werden
+sollen, als eben eine solche Frau.
+
+Und so ist gar keine Hoffnung, mit Gte durchzukommen? --
+
+Der Actuar schttelte schweigend mit dem Kopf.
+
+Hm, das ist eine verfluchte Geschichte, sagte Kellmann, da -- da wei
+ich wahrhaftig auch nicht was ich rathen soll. Das Geld vertraute ich aber
+-- wenn die Sache _so_ steht -- meinem Schwager auch nicht an, soviel ist
+sicher -- Sie sind das sich selber und Ihrer eigenen Existenz schuldig.
+
+Der Actuar seufzte tief auf und die beiden Mnner gingen wieder eine
+Zeitlang, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschftigt, nebeneinander
+hin. Sie waren inde die Strae ein Stck hinauf- und wieder
+zurckgegangen, und blieben jetzt mehre Minuten nicht weit von dem Eingang
+des Gartens stehn, den Rcken diesem, und ihr Gesicht dem sich gerade ber
+die Berge hebenden Monde zugewandt, als ein junges Mdchen, noch ein Kind
+fast und augenscheinlich auf der Wanderung, ganz allein mit einem kleinen
+Bndel in der linken Hand, und einem groen dunklen Tuch ber dem rechten
+Arm, die Strae herunter kam und ziemlich dicht an ihnen vorberging. So
+viel sie im Mondenlicht erkennen konnten, war sie nur rmlich gekleidet,
+und auch wohl ermdet von einem vielleicht langen Marsch, denn sie blieb
+zweimal stehen und trocknete sich dabei den Schwei von der Stirn.
+
+Das zweite Mal als sie Halt machte geschah das fast dicht vor den beiden,
+hier im Schatten eines Hollunderbusches stehenden Mnnern, die sie im
+Anfang gar nicht bemerkte, und sie schien den Tnen zu lauschen die aus
+dem etwa zweihundert Schritt davon gelegenen hellerleuchteten Gartenhaus
+wild und lustig heraustnten.
+
+Frhliche Menschen, flsterte sie dabei -- _Glckliche_; wie sie aber
+den Kopf dem Lichte zuwandte, fiel ihr Blick auch auf die beiden dunklen
+Schatten unter der Mauer, und wie unwillkrlich fuhr sie zurck; dabei
+glitt ihr das Bndel aus der Hand und fiel zu Boden.
+
+Wir thun Dir Nichts, Kind, sagte Kellmann, der die Bewegung gesehen
+hatte, gutmthig; wo willst Du denn noch so spt hin?
+
+Nach Heilingen, antwortete das fremde Mdchen, ihr Bndel wieder
+aufnehmend -- ist es noch weit bis dorthin?
+
+Eine halbe Stunde etwa, wenn Du rstig zugingst; aber Du scheinst mde zu
+sein und wirst wohl lnger brauchen.
+
+Ich komme weit her, sagte die Fremde, aber sie zgerte dabei und es war
+als ob sie noch nach irgend etwas fragen oder um etwas bitten wolle, und
+sich auch wieder scheue es zu thun.
+
+Du bist wohl hungrig, Kind? frug sie da Kellmann, dessen gutes Herz ihn
+zu helfen drngte, wo das in seinen Krften stand -- sag's gerad' heraus;
+und wenn Du kein Geld hast macht das nichts, ich schaffe Dir was.
+
+Das Mdchen schwieg und drehte seufzend den Kopf ab und Kellmann, dem
+richtigen Princip der Gastlichkeit und Menschenliebe treu, nicht viel zu
+fragen erst, wo man gern giebt, sagte ihr sich einen Augenblick auf die
+kleine Bank am Thor zu setzen, und er werde ihr einen Imbi holen -- sie
+knne dann Heilingen bald erreichen. Ohne erst eine Antwort abzuwarten
+ging er darauf rasch in's Haus, und das Mdchen zgerte noch einen
+Augenblick und folgte dann, augenscheinlich zum Tod ermdet, der
+freundlichen Einladung.
+
+Du kommst weit her? sagte der Actuar endlich, der neben ihr stehn
+geblieben, im Anfang aber noch zu sehr mit seinen eigenen Gedanken
+beschftigt war, viel auf die Fremde zu achten.
+
+Von Erfurt.
+
+Von Erfurt? hm -- das ist eine lange Strecke; zu Fu den ganzen Weg?
+
+Ja.
+
+Und willst in Heilingen bleiben?
+
+Ich wei es noch nicht.
+
+Hast Du Verwandte dort?
+
+Einen Bruder.
+
+Hast Du denn einen Pa bei Dir?
+
+Ja, sagte das Mdchen und holte, mit einem scheuen Blick auf den Frager,
+ihr kleines Bndel vor, das sie Miene machte aufzuknpfen, der Actuar
+aber, der die Bewegung verstehen mochte, sagte rasch:
+
+Nein nein -- la nur sein -- ich will ihn nicht sehen -- ich frug nur
+Deinethalben, damit Du hier in der Stadt in keine Verlegenheit kmest. Da
+ist auch Freund Kellmann schon mit dem Essen -- nun la Dir's schmecken.
+
+Da, sagte der kleine Krschner, der schnellen Schrittes mit einem groen
+gestrichenen Weibrod und einem hohen Glas Milch herankam und es der
+Fremden reichte -- das wird Dir gut thun.
+
+Das junge Mdchen nahm das Glas mit schchternem Danke an und trank -- erst
+ein wenig, dann aber herzhafter -- sie mochte wohl recht durstig gewesen
+sein. Wie sie fertig war setzte sie das Glas auf die Bank zurck und nahm
+ihr Bndel wieder auf.
+
+Ich danke Ihnen auch noch viel tausend Mal, sagte sie dabei mit weicher,
+ergriffener Stimme -- ich hatte seit heute Morgen Nichts gegessen und war
+recht matt geworden.
+
+Armes Kind, sagte Kellmann mitleidig -- aber hast Du denn schon einen
+Platz in der Stadt wo Du bernachtest?
+
+Ja, sagte die Kleine -- ich denke so -- knnen Sie mir aber wohl noch
+sagen ob das Haus des reichen Herrn Dollinger nahe am Thore ist, oder weit
+in der Stadt drin?
+
+Dollinger's Haus? oh nicht so weit in der Stadt drin -- aber was willst
+Du dort?
+
+Mein Bruder ist in Herrn Dollinger's Geschft -- wohnen auch die Leute bei
+ihm im Hause?
+
+Nicht da ich wte, sagte Kellmann.
+
+Aber man kann es doch dort erfahren wo sie wohnen?
+
+Gewi -- gleich unten im Haus bei dem Hausmann; frage nur nach der
+Poststrae, wenn Du in's Thor kommst.
+
+Gute Nacht Ihr Herren, und nochmals schnsten Dank -- Gott mag es Ihnen
+vergelten.
+
+Gute Nacht Kind, guten Weg, sagte Kellmann, aber -- wie heit denn Dein
+Bruder?
+
+Franz Loenwerder, sagte das Mdchen und ging langsam die Strae hinab.
+
+Oh Du mein Gott, rief der Actuar leise und erschreckt vor sich hin, wie
+er den Namen hrte -- das ist ja schrecklich.
+
+Du lieber Gott, das arme Ding mu von dem Schicksal des Bruders gar
+Nichts wissen, seufzte auch Kellmann -- und wenn sie das jetzt heute
+Abend erfhrt -- o wo wird sie nur die Nacht bleiben?
+
+Armes, armes Kind, sagte der Actuar, und selbst ohne Geld in der
+fremden Stadt.
+
+Ich geb' ihr etwas, rief Kellmann, rasch entschlossen, und eilte heh! --
+pst! rufend die Strae hinab dem Mdchen nach, das stehen blieb und nach
+Bndel und Tuch fhlte als sie den Ruf hrte, weil sie glaubte da sie
+vielleicht etwas vergessen htte.
+
+Liebes Kind, stotterte aber Kellmann verlegen, als er sie eingeholt,
+denn er konnte es nicht ber's Herz bringen ihr die Wahrheit zu sagen --
+ich -- ich kenne Deinen Bruder, aber -- er ist jetzt nicht in Heilingen --
+Du -- Du wirst es morgen schon hren, und im Dollingerschen Hause knnen
+sie Dir auch heute nichts weiter sagen, es ist sogar sehr die Frage ob der
+Mann unten im Haus noch auf ist. Gleich wenn Du in's Thor hineinkommst,
+das dritte Haus an der rechten Seite, vor dem die beiden Laternen stecken,
+ist ein Gasthaus -- ein gutes anstndiges Haus, wo sie Dir Quartier geben
+werden -- da gieb ihnen diese Karte, der Wirth kennt mich, und sage ihm nur
+ich htte Dich hingeschickt.
+
+Aber bester Herr, sagte das Mdchen bestrzt, als ihr der gutmthige
+Krschnermeister mit der Karte zwei groe Stcken Geld -- es waren zwei
+Thaler -- in die Hand drckte -- ich wei gar nicht --
+
+Kellmann lie sie aber gar nicht zu Worte kommen.
+
+Schon gut -- schon gut, rief er, drehte sich um, und kehrte, das Mdchen
+allein auf der Strae zurcklassend, eben so rasch nach dem Platz zurck,
+wo der Actuar noch seiner harrend stand.
+
+Haben Sie es ihr gesagt? frug dieser ihn.
+
+Nein -- um Gottes Willen nein; das mgen Andere thun, _ich_ knnte es
+nicht.
+
+Aber was soll jetzt aus ihr werden?
+
+Ich werde mich im Lwen schon nach ihr erkundigen, sagte Kellmann nach
+kurzer Ueberlegung -- und wenn es ein ordentliches Mdchen ist, hab ich
+Bekannte genug hier in der Stadt, ihr einen Dienst zu verschaffen. Aber
+wie ist es denn mit der Loenwerderschen oder Dollingerschen Geschichte
+geworden? ist denn noch etwas von dem gestohlenen Gut zu Tage gekommen? --
+man hrt ja keine Sterbenssylbe mehr darber.
+
+Nichts -- gar nichts weiter, sagte der Actuar; im Gegentheil hat der
+arme Teufel von Loenwerder ein kleines Tagebuch gefhrt gehabt, was sich
+unter den confiscirten oder mit Beschlag belegten Sachen fand, und worin
+er jeden bis dahin eingenommenen Groschen sorgfltig und ordentlich, mit
+seinen hchst bescheidenen Ausgaben, aufnotirt. Das aber als gltig
+angenommen -- und wir haben nicht die mindeste Ursache es zu bezweifeln da
+es fast zwlf Jahre zurckfhrt -- wre im Gegentheil der Beweis geliefert
+da die aufgefundenen zweihundert Thaler mhsam und redlich gespartes Geld
+gewesen wren.
+
+Und _kein_ anderer Beweis hat sich gegen ihn herausgestellt?
+
+Keiner, als da er im Hause war und sich auffllig heimlich daraus
+entfernt hat; aber auch selbst das findet nach den Acten eine
+wahrscheinliche, wenn auch etwas wunderliche Erklrung. Nach einer Zahl
+vieler hchst mittelmiger, oft aber auch ziemlich guter Gedichte, in
+denen sich besonders viel Gemth ausspricht, scheint der arme verwachsene
+und hlflose Mensch eine Art von -- Liebe -- ich kann es nicht anders
+nennen, gegen Dollinger's jngste Tochter und Henkel's Braut in seinem
+unschnen Krper mit herumgetragen, und nur, seinen Standpunkt gar wohl
+erkennend, den einzelnen, in seinem Pult verschlossenen Blttern
+anvertraut zu haben -- doch das unter uns. Diese unglckselige und
+hoffnungslose Neigung _kann_ ihn mglicher Weise dazu getrieben haben, dem
+jungen Mdchen zu ihrem Geburtstag einen Blumenstock zu schenken -- er hat
+sogar ein Gedicht geschrieben was den Punkt berhrt, und worin er sich
+glcklich fhlt da sie eine Blume pflegen knnte die er gezogen, wenn sie
+auch nicht wte von wem sie kme. Da er unter solchen Umstnden nicht
+wollte im Hause gesehen sein lt sich denken, und ein Diebstahl in ihrem
+eigenen Zimmer verliert, diesen Thatsachen gegenber, an
+Wahrscheinlichkeit, wenn er auch nicht eben zu einer Unmglichkeit
+gehrte. Das Menschenherz ist schwach, und Mancher schon ist geringerer
+Verfhrung erlegen.
+
+Hm, hm, hm, sagte Kellmann vor sich hin -- das ist ja eine rechte,
+rechte bse Geschichte, und der arme Teufel da am Ende ganz und gar
+unschuldig in sein Verderben gesprungen.
+
+Ja, und eine Sache die mir selber schon manche schlaflose Nacht gemacht
+hat, sagte der Actuar, denn ich _kann_ den Gedanken nicht los werden,
+welchen Antheil ich selber daran gehabt, den Unglcklichen dahin zu
+treiben -- obgleich ich eben nicht mehr als meine Pflicht gethan, und an
+einen solchen verzweifelten Schritt nicht denken konnte; war er
+unschuldig, htte sich das ja bald in der Untersuchung herausgestellt.
+
+Ja, und die Untersuchung rechnet Ihr Herrn vom Gericht eben fr Nichts,
+sagte Kellmann finster -- aber wenn das sein erspartes, und Gott wei dann
+_wie_ mhsam erspartes Geld war, wird es doch auch seinen Erben nicht
+knnen vorenthalten werden.
+
+Die Untersuchung ist noch nicht ganz geschlossen, sagte der Actuar,
+aber ich glaube auch nicht da irgend Jemand anders einen Anspruch darauf
+wird geltend machen knnen. Diese Schwester erwhnte er berhaupt mehrmals
+in seinen Notizen, und hat sie auch dann und wann untersttzt, das Geld
+wird ihr spter allerdings zugesprochen werden.
+
+Und keine Spur ist sonst aufgefunden von dem mglichen, von dem
+wirklichen Dieb?
+
+Keine -- die Dienstboten sind Alle mehrmals scharf inquirirt und auf das
+Genauste die ganze Zeit beobachtet, zu sehen ob eins von ihnen vielleicht
+grere Ausgaben als gewhnlich mache, oder sich durch irgend etwas
+anderes verrathen wrde; ja die Leute haben untereinander fast eben so
+scharfe Wacht gehalten, den Verdacht von sich abzuwlzen und den
+Schuldigen aufzufinden, aber es hat sich bis jetzt nicht das Mindeste
+herausstellen wollen. Mit Geld ist das eine bse Sache, und wenn der Dieb
+die Juwelen nur vorsichtig ein paar Jahr an sich hlt, und dann vielleicht
+noch gar auer Landes schafft, wer soll ihn da aufspren? allwissend sind
+wir auch nicht.
+
+Das wei Gott, sagte Kellmann -- wie damals mit der Pelzdecke, die mir
+Jemand von der Ladenthr weggestohlen, und die ich zwei Jahr spter ganz
+gemthlich im Polizeibureau, beim Polizeidirector selber in der Stube
+wiederfand; da hrt denn doch Alles auf. Aber mir ist wahrhaftig jetzt
+nicht wie spaen zu Muth; der Anblick des armen Mdchens hat einen
+wehmthigen Eindruck auf mich gemacht; lieber Himmel, was es doch fr
+Elend auf der Welt giebt, und still und bewutlos gehen wir meist daran
+vorber.
+
+Und die Musik da drinnen, whrend das arme Kind dort allein und freundlos
+seine Strae geht, und trotzdem jetzt noch glcklich ist gegen den
+Augenblick, wo es das Furchtbare doch erfahren _mu_. Mich leidet's heute
+nicht lnger hier drauen, Kellmann, brach er kurz ab -- ich mag die
+Tanzmusik nicht hren -- wollen wir zurck in die Stadt gehn? es ist
+berdies schon spt.
+
+Ich habe Nichts dagegen, sagte Kellmann, tief aufseufzend -- mir ist
+der Abend heute auch verdorben, aber wir wollen Schollfeld erst abrufen.
+
+Da drin ist wohl Prgelei? sagte da Ledermann, als aus dem Hause wilder
+Lrm zu ihnen heraus tnte.
+
+Das wre frh, meinte Kellmann -- die kommt gewhnlich sonst erst
+spter, oder ganz zum Schlu. Es ist doch sonderbar, da ein deutscher
+Tanz nie ohne eine Schlgerei enden kann; es scheint auch ungefhr
+dasselbe, wie der Cotillon bei einem Ball, nur da sich die jungen Mdchen
+nicht dabei betheiligen -- hchstens verheirathete Frauen, ihre Eheherren
+zu schtzen, und die Verwirrung womglich noch grer zu machen -- hallo
+aber das kommt hier heraus.
+
+Sie werden Jemanden hinauswerfen, sagte der Actuar ruhig -- lassen Sie
+uns an die Seite treten da wir nicht in das Gewirr gerathen.
+
+Der Actuar hatte allerdings recht, denn unter dem Lachen, Schreien und
+Jubeln der Menge, durch das einzelne wilde Flche einer, ihnen keineswegs
+unbekannten Stimme tnten, wlzte sich ein Haufen Menschen aus dem Saal
+heraus, in der Mitte einen Mann schleppend, der sich mit Hnden und Fen,
+wenn auch umsonst, gegen solche unwrdige Behandlung strubte, und in dem
+die beiden Freunde sehr zu ihrem Erstaunen den Auswanderungsagenten Weigel
+erkannten.
+
+Lat mich los! schrie dieser dabei, mit den wildesten, ungemessensten
+Flchen und Schimpfreden -- lat mich los oder ich rufe die Polizei --
+Hlfe! -- Mrder! Feuer!
+
+Brll nur mein Herzchen! sagte aber der Verwalter von Hohleck, eine
+riesige breitschultrige Gestalt, der den machtlos dagegen Ankmpfenden wie
+in einer eisernen Klammer am Kragen gepackt hielt -- Dich knnten wir hier
+brauchen, die Leute heimlich beschwatzen da sie Hof und Dienst verlassen
+und nach Amerika liefen -- ei Du Hallunke, Du kommst mir einmal wieder vor
+die Fuste.
+
+Halt da -- Hohmeier! lat ihn los! rief aber in diesem Augenblick eine
+andere, etwas schwer klingende Stimme, die dem also Gefhrdeten zu Hlfe
+zu eilen schien -- der hier -- Homeier -- der hier ist mein Freund -- mein
+ganz intimer Freund und den la ich mir -- Homeier, den la ich mir nicht
+aus dem Hause werfen.
+
+Es war Niemand anderes als der Wirth, Lobsich, selber, aber, wie es die
+Seeleute nennen, halb im Wind, mit schwerer Zunge und schon etwas
+taumelndem Gang, da sich der Zustand in dem er sich befand, nicht gut
+verkennen lie. Er versuchte dabei den Agenten zu halten und aus den
+Hnden derer die ihn gefat hatten fortzuziehn; Hohmeier, der Verwalter
+schob ihn aber mit seinem linken Arm bei Seite, als ob es ein Kind gewesen
+wre, und sagte ruhig:
+
+Geht zu Bett Lobsich, das wr' Euch viel besser heut Abend, aber mischt
+Euch nicht in Sachen die Euch Nichts kmmern.
+
+Nichts kmmern? rief aber der Wirth gereizt, indem er den Verwalter mit
+groen stieren Augen ansah -- nichts kmmern _Hoh_meier? -- oh _Hoh_meier
+wem gehrt denn dies Haus, heh? -- nichts _kmmern_? wem gehrt denn der
+rothe Drache, heh, _Hoh_meier.
+
+Die Schaar war indessen bis grade dorthin gekommen, wo Kellmann und der
+Actuar standen, und wo sie den Agenten zwischen zwei ziemlich nah zusammen
+wachsenden Akazienbumen durchtragen wollten als dieser, solche letzte
+Gelegenheit vielleicht, benutzend, Arm und Beine auseinanderspreitzte, da
+sie ihn nicht hindurchbringen konnten, whrend er von Neuem sein Hlfe!
+Mrder! Feuer! aus voller Kehle schrie.
+
+Wenn ihm nur Jemand die Beine ausheben wollte! sagte Herr Schollfeld,
+der ein hchst vergngter Zeuge der Scene war, ohne jedoch seines
+schwchlichen Krpers wegen selber Theil daran zu nehmen, jetzt
+wohlmeinend. Ein paar Knechte vom Hof, die ihren Verwalter in seinem
+Richteramt untersttzten, lieen sich das auch nicht zweimal sagen, und
+der wthend, aber vergebens dagegen Antretende fand sich bald in der
+vollkommnen Gewalt der Leute, ohne im Stande zu sein auch nur den
+geringsten erfolgreichen Widerstand zu leisten.
+
+Heh _Hoh_meier! schrie aber Lobsich, der sich inde durch die im Garten
+stehenden Sthle und Tische wieder nach vorn gedrngt hatte den Mann frei
+zu machen, von dem er sich pltzlich einbildete da er sein Freund sei,
+lat mir den Menschen los, sag ich Euch _Hoh_meier -- Donnerwetter ich
+will doch einmal sehn wer hier in meinem eigenen Hause zu befehlen hat.
+Ihr oder ich -- _Hoh_meier. Es ist mir doch was Unbedeutendes! Er schien
+sich auch in der That den Leuten entgegenwerfen zu wollen; im Vorspringen,
+und das viele Getrnk im Kopf, blieb er aber mit dem einen Fu in einer
+dort stehenden Fubank hngen, und schlug der Lnge lang in den Garten,
+whrend die Knechte den jetzt wthend um sich schlagenden Agenten rasch
+aufgriffen und, lachend ber des Wirthes Unfall, aus der Gartenthr auf
+die Strae warfen.
+
+Ein furchtbarer Lrm entstand jetzt, die Leute jubelten und lachten, und
+erzhlten sich untereinander wie der Auswanderungsmann einen
+Schaafknecht vom Gut htte bereden wollen als Schaafmeister nach Amerika
+auszuwandern, und vom Verwalter dabei erwischt wre, und der
+Auswanderungsmann stand vor dem Gartenthor und schimpfte und wthete,
+bis einer der Knechte das Schlo wieder aufdrckte und hinaus und ihm nach
+wollte, und dann auf der Chaussee stehen blieb und hinter dem davon
+Laufenden herfluchte, und Steine hinter ihm drein warf.
+
+Drinnen im Saal tnte die Musik aber wieder rauschender als vorher, und
+die jungen Burschen durften die Zeit hier nicht lnger im Garten
+versumen. Whrend die aber wieder in den Saal drngten, Tnzerinnen zu
+bekommen, und Schollfeld von Kellmann angerufen war, mit ihnen zurck nach
+der Stadt zu gehn, blieb Lobsich noch im Garten, an dessen Thre er trat,
+und nach der Strae hinaus mit lauter und immer rgerlicher werdender
+Stimme Weigel's Namen schrie. Lobsich war jedenfalls stark angetrunken und
+wollte sehr wahrscheinlich den Mann zurck holen, um ihm jetzt ernstlich
+beizustehn und den Skandal noch einmal von Neuem zu beginnen.
+
+Die drei Freunde hielten sich dabei im Schatten eines dichten
+Fliederbusches, von dem aufgeregten und jetzt doch nicht
+zurechnungsfhigen Menschen nicht bemerkt zu werden, und dann unbelstigt
+den Garten zu verlassen, als Lobsich's Frau, die das Toben ihres Mannes
+wohl im Haus gehrt, von dort her und den Mittelweg herunter eilte. Ohne
+da er sie bemerkte kam sie auch bis dicht an ihn hinan, und hier seinen
+Arm ergreifend sagte sie mit leiser, bittender Stimme.
+
+Lobsich -- Vater -- komm sei vernnftig, la das Schreien und Toben hier
+auf der Landstrae und geh zu Bette -- thu _mir's_ zu Liebe Lobsich, wenn
+ich Dich darum bitte.
+
+Lamchfrieden, stammelte aber der Betrunkene mit schwerer Zunge und
+suchte sie von sich abzuschtteln -- la mchfrieden sag ich -- Dnrrwttrrr --
+ich wei -- ich wei was ich ss -- se thun habe --
+
+Aber Lobsich, ich bitte Dich um Gottes Willen, flsterte die Frau in
+Todesangst -- Du machst Dich und mich unglcklich wenn Du Dich nicht
+nderst -- was soll daraus werden? --
+
+Lamch -- frieden, stammelte aber der Mann, sie unwillig von sich
+abschttelnd, aber er verlie den Thorweg wenigstens und taumelte durch
+den Garten fort, seitwrts vom Hause ab -- Weibervolk, murmelte und
+fluchte er dabei -- Himmelsakkrments Weibervolk -- Unsinn -- violettblaues --
+ist mir doch -- ist mir doch was Unbe -- Unbedeutendes -- und er
+verschwand damit hinter den Bschen. Die Frau aber blieb, den Ellbogen auf
+das Thrschlo gesttzt und das Gesicht in den Hnden bergend, allein
+zurck, richtete sich aber rasch wieder auf, als sie Schritte auf sich
+zukommen hrte, und wollte nach dem Haus zurck.
+
+Frau Lobsich, sagte Kellmann, der es war, gutmthig, ja fast herzlich --
+macht denn das Lobsich jetzt fter da er so ber die Schnur haut?
+
+Ach Sie sind es Herr Kellmann, sagte die arme Frau beruhigt. Lieber
+Gott, ich wei meinem Herzen keinen Rath mehr, wenn er's so fort treibt;
+wie soll das enden?
+
+Aber ich habe Ihren Mann so doch noch in meinem Leben nicht gesehn,
+sagte Kellmann verwundert.
+
+Ach ja, seufzte die Frau -- es ist nicht das erste Mal, aber ich habe
+immer gesucht es so viel als mglich zu verheimlichen, es giebt gar solch
+ein bses Beispiel fr die Leute. Es sind auch eigentlich nur einige
+Wochen erst da er so scharf zu trinken anfngt. Lieber Gott, im Kopf hat
+er frher schon manchmal eins gehabt, aber er artete doch nie aus, jetzt
+jedoch geht der Spiritus mit ihm durch, und er wird zum Thier. Ach guter
+Herr Kellmann, wenn Sie einmal ein recht ernstes aber doch freundliches
+Wort mit ihm sprechen wollten; auf Sie hlt er etwas. Mir verspricht er's
+wohl auch, setzte sie leiser hinzu, aber -- er vergit es immer nur zu
+rasch wieder.
+
+Ich will mein Mglichstes mit ihm versuchen, Frau Lobsich, sagte
+Kellmann freundlich -- aber, setzte er rascher und leiser hinzu -- dort
+glaub' ich kommt er schon wieder zurck, es wird besser sein wenn Sie
+versuchen ihn heute Abend zu Bett zu bringen; mit einem betrunkenen
+Menschen lt sich Nichts anfangen.
+
+Na? -- Donnrrwttrrr, stammelte aber in diesem Augenblick der Wirth, der
+auf seinem Zickzack Cours wieder nach der Thr zurckkam, und die Arme
+einstemmend einen, wenn auch vergebenen Versuch machte, mit gespreitzten
+Beinen vor seiner Frau stehen zu bleiben -- Dnnrrrwttrrr, wiederholte er,
+herber und hinber schwankend -- was's das vor Wirthschaft heh? wo gehrt
+die -- gehrt die Frau hin, heh? -- in die Hofthr mit fremden Kerlen
+schwatzen heh? -- ist mir doch -- ist mir doch was Unbe -- Unbedeutendes.
+
+Aber lieber Lobsich, nahm hier der jetzt auch hinzugetretene Schollfeld
+das Wort, sein Sie doch vernnftig und gehn Sie --
+
+Hallo? rief aber der Wirth, sich halb nach dem Redner herumdrehend, in
+dessen hell vom Mond beschienenen Zgen er den Apotheker erkannte -- sin'
+wir auch hier? heh? -- haben auch mit g'holfen mein' besten Freund -- mein'
+besten Freund mit hinaus zu werfen -- heh? Sie -- Sie Giftmischer Sie -- Sie
+--
+
+Herr Lobsich! rief Schollfeld rgerlich, Sie sind heute nicht
+zurechnungsfhig, sonst --
+
+Was? -- Pillendreher will noch -- will noch raiss -- raiss'niren -- heh?
+rief aber der gereizte Wirth und that einen Schritt gegen den Mann an.
+
+Aber Lobsich so bedenke doch um Gottes Willen was Du sprichst, bat ihn
+die Frau, seinen Arm ergreifend -- komm mit mir in's Haus -- wir haben
+noch so viel zu thun.
+
+Viel zu thun? -- heh? -- habe keine Zeit mehr heut Abend -- hickup --
+stammelte aber der Mann gegen den Schlucken ankmpfend -- mu noch -- mu
+noch -- hickup -- mu noch Wein abziehn und -- und Bier trinken -- hickup --
+und -- und hahahahaha -- da ist -- da ist ja die ganze Gesellschaft -- ja wohl
+-- hickup -- ja wohl, komme schon -- komme schon meine Herrn -- Lobsich ist
+immer da -- ein verfluchter Kerl, der -- der -- hickup -- der Lobsich -- ist
+mir doch -- ist mir doch was Unbedeutendes; -- und in einer unbestimmten
+Idee da ihn vom Haus aus Jemand gerufen htte, wobei er seine Umgebung
+ganz verga, taumelte er dem Saal wieder zu, wohin ihm die Frau ngstlich
+folgte. Sie mute ihn ja zurckhalten, da er so seinen Gsten und Leuten
+nicht wieder unter die Augen kam.
+
+
+
+
+
+ Capitel 9.
+
+
+ RSTUNGEN.
+
+
+Nach New-Orleans!
+
+Das ausgezeichnet schne, 360 Last groe, schnellsegelnde, kupferfeste
+und gekupferte dreimastige Bremer Schiff erster Klasse:
+
+_Die Haidschnucke_, Capitain _E. Siebelt_, mit vorzglicher Gelegenheit
+fr Cajts- und Zwischendecks-Passagiere -- wird am 30. August expedirt.
+
+Agent dafr, I. G. Weigel,
+
+Hauptagent des Central-Bureau's fr Norddeutsche Auswanderung in
+Heilingen, am Markt Nr. 17.
+
+Diese Anzeige stand am Morgen nach den, im letzten Capitel beschriebenen
+Vorfllen im Heilinger Tageblatt, und Dr. Haide, der Redacteur desselben,
+hatte die Gelegenheit nicht unbenutzt wollen vorbergehen lassen, einige
+entsetzliche Mordgeschichten und falsche Bankerotte aus den Vereinigten
+Staaten, wie zur Entmuthigung aller Auswanderungslustigen, in der
+nmlichen Nummer seines Blattes abzudrucken.
+
+Weigel war wthend darber, und schrieb augenblicklich einen anderen
+Artikel dagegen; den nahm Doctor Haide aber nicht auf, weil er, wie er
+ganz naiv erklrte, sich dadurch selber blamiren wrde. Uebrigens sei
+die Sache auch schon erledigt, indem die Schiffsanzeige _fr_, sein
+Artikel aber _gegen_ Amerika und die Auswanderung wre, und er es sich zum
+Grundsatz gemacht htte, jeden Artikel nach beiden Seiten hin zu
+beleuchten -- wenn Herr Weigel etwas gegen ihn wolle einrcken lassen, sei
+er keineswegs verpflichtet es aufzunehmen, und er mge ihn deshalb, wenn
+er damit durchzukommen glaube, nur ganz einfach darauf verklagen.
+
+Die Abfahrt dieses Schiffes war aber fr Heilingen in so fern von nicht
+unbedeutender Wichtigkeit, als sich mehre Familien dieser Stadt ernstlich
+dahin entschlossen hatten, mit demselben nach Amerika auszuwandern. So
+unter Anderen Professor Lobenstein, der sein Haus jetzt verkauft, und der
+Stadt berhaupt durch seine beabsichtigte Auswanderung hchst willkommenen
+Stoff zu den mannichfaltigsten Vermuthungen und Errterungen geliefert
+hatte. Ja mehrere Kaffeegesellschaften der nheren Bekannten Lobenstein's
+waren wirklich nur einzig und allein zu dem Zweck gegeben worden, sich
+einmal ordentlich ber die Sache aussprechen zu knnen.
+
+Auch in dem Dollinger'schen Haus hatten die letzten Wochen bedeutende
+Vernderungen hervorgebracht, indem der junge Henkel Briefe von Amerika
+erhielt, nach denen seine Anwesenheit dort, dringend nothwendig geworden.
+Zwei Wechsel trafen zugleich fr ihn ein, wie ziemlich starke Auftrge zu
+Ankufen in Tuchen und Seidenwaaren von seinem Haus, welches Geschft er
+mit Herrn Dollinger in Gemeinschaft auszufhren gedachte.
+
+Der alte Herr Dollinger, so schwer es ihm auch wurde, und so lange er sich
+dagegen gestrubt, mute da wohl endlich seine Einwilligung zu der
+Verbindung Clara's mit dem jungen Amerikanischen Kaufmann, ber dessen
+Familie und Geschft in New-Orleans er von einem dortigen Geschftsfreund
+das Beste erfahren hatte, geben. Nur wunderte man sich dort, da der junge
+Henkel in Nord-Deutschland sei, whrend man ihn auf einer grern Tour
+durch Italien und Griechenland vermuthet. Die Leute dort konnten nicht
+wissen da der junge Mann auf dem Rhein andere Plne fr seine Zukunft
+geschaffen, als er sie frher vielleicht ausgesonnen.
+
+Am letzten Sonntag war also, ganz in der Stille, die Trauung vollzogen und
+Clara, das liebe holde Mdchen, die Frau des jungen reichen Amerikaners --
+wie man ihn berall in der Stadt nannte, geworden. Jetzt galt es nun
+freilich noch, in der kurzen Zeit all die nthigen und so mannichfachen
+Vorbereitungen zu einer Reise nach Amerika fr die junge Frau zu treffen.
+Es sollte aber wirklich auch nicht viel mehr als eine Reise werden, denn
+Henkel hatte sich schon selber fest erklrt, seinen knftigen Wohnsitz
+keineswegs in Amerika, sondern in Havre nehmen zu wollen, wo berdies, der
+bedeutenden Geschftsverbindung wegen mit diesem Hafen, ein Associ des
+Hauses sich aufhalten mute. Ein oder zwei Monate gedachten die jungen
+Eheleute dann jedes Jahr in dem reizend gelegenen Heilingen zuzubringen,
+was ihnen, wie den Eltern, die jetzige Trennung sehr erleichterte, und
+sptestens im Mrz oder April schon wieder nach Europa zurckkehren zu
+knnen. Die ganze Reise war dadurch wirklich fast nur zu einer etwas
+lngeren Vergngungsfahrt geworden.
+
+Auch fr Clara's Mutter war das Bewutsein, ihr Kind nicht fr immer zu
+verlieren und bald wieder in die Arme schlieen zu knnen, eine unendliche
+Beruhigung, und selbst hierzu hatte es ihr einen groen Kampf gekostet,
+ihre Einwilligung zu geben. Clara selbst aber hing mit ganzem Herzen an
+dem theuren Mann, und fhlte sich vollkommen glcklich in einer
+Verbindung, die seit sie den Fremden kennen und lieben gelernt, ihr das
+Ziel ihrer irdischen Wnsche geschienen.
+
+Was war ihr die Reise, was die Gefahr und Mhseligkeit derselben? sie wre
+ihm in eine Wildni gefolgt, und htte sich doch glcklich an seiner Seite
+gefhlt.
+
+Der junge Henkel wnschte nun die Ueberfahrt in einem Englischen Dampfer
+nach New-York, und von da mit einem Amerikanischen Dampfschiff nach
+New-Orleans zu bewerkstelligen, Clara frchtete sich aber an Bord eines
+Dampfers zu gehn, theils der doppelten Gefahr, theils der unangenehmen
+Bewegung derselben in schwerem Wetter wegen, von der sie viel gehrt, und
+da es sich jetzt gerade so traf da eine ihr befreundete Familie,
+Professor Lobenstein's, ebenfalls nach New-Orleans, und in einem
+Segelschiff von Bremen ab auswanderte, bat sie mit diesen reisen zu
+drfen. Henkel selber schien nicht recht damit einverstanden, fgte sich
+aber doch endlich den Bitten seiner jungen Frau.
+
+Wenn aber bei Dollinger's im Haus wenig mehr als Wsche und Kleider
+herzurichten waren, nur zu einer Reise nicht zu einer Uebersiedlung nach
+Amerika, und man diese schon groenteils gepackt und vorausgeschickt
+hatte, die letzten Stunden in der Heimath durch kein Aussuchen und Packen
+gestrt zu haben, so schien dagegen bei Professor Lobenstein das ganze
+Haus von innen nach auen gekehrt zu sein.
+
+Der Professor nmlich hatte auf keinerlei Weise bewogen werden knnen mit
+seinen Sachen eine Auction anzustellen, und nur das Nothwendigste
+mitzunehmen, da Fracht und Spesen unterwegs ein wirkliches Capital
+auffressen wrden, fr das er sich Alles was er dort brauchte auch an Ort
+und Stelle neu anschaffen knnte. Allen die ihm dies riethen zeigte er aus
+verschiedenen Schriften die statistisch aufgestellten Arbeitslhne der
+verschiedenen Handwerker, wie die Preise der Provisionen, und bewie ihnen
+auf das Klarste und Unumstlichste was jedes einzelne Stck Meublen und
+Hausgerth in notwendiger Folgerung in Amerika kosten msse. Eben so hatte
+er sich mit unendlicher Ausdauer einen Ueberschlag der verschiedenen
+Frachtpreise nach New-Orleans, und von da in's Innere gemacht, bis er
+endlich zu dem obigen Resultat gekommen, und nun auch augenblicklich eine
+Anzahl Tischler in Arbeit setzte, lauter neue Kisten fr seine Sachen
+anzufertigen.
+
+Eine groe Anzahl von diesen war nun schon, gepackt und mit eisernen
+Reifen beschlagen, als Fracht vorausgeschickt, eine andere Sendung sollte
+heute abgehn, und die letzten dann in den nchsten Tagen befrdert werden,
+noch zur rechten Zeit an Ort und Stelle zu sein. Kellmann selbst, dem
+Hause eng befreundet, hatte dahin mehrere Auftrge bernommen, und kam
+heute Morgen, Bericht ber die Ausfhrung derselben abzustatten.
+
+Er selber war natrlich mit der ganzen Uebersiedlung gar nicht
+einverstanden, hatte aber doch, als er alle Grnde des Professors dafr
+gehrt, weit weniger dagegen gesagt, als die Familie im Anfang vermuthet
+und auch wohl gefrchtet haben mochte. Der Professor sei eben ein
+Professor, meinte er nur, und wo der einmal seinen Kopf aufgesetzt habe,
+lie sich auch Nichts mehr abstreiten oder gar dagegen beweisen, man msse
+ihn eben sich selber berlassen, und -- es thue ihm nur um die Familie
+leid. Nichtsdestoweniger gab er sich jede erdenkliche Mhe ihnen, wo er es
+nur irgend vermochte, beizustehn, wobei er den Professor doch von manchem
+unberlegten oder unpraktischen Schritt zurckhielt. So kmpfte er, und
+zwar glcklicher Weise mit Erfolg, gegen die unglckselige Idee des
+Professors an, sich hier, trotz Allem was er darber schon gelesen, von
+dem Auswanderungsagenten Land und eine Farm zu kaufen. Er wollte drben
+nicht in Gefahr kommen von Amerikanischen und betrgerischen
+Landspeculanten hintergangen zu werden, und seine Berechnung smmtlicher
+Kosten gleich hier an Ort und Stelle machen knnen, was ihm nicht mglich
+sei, wenn er die Contracte nicht in der Tasche habe.
+
+Kellmann, auf dessen praktisches und gesundes Urtheil er sonst berhaupt
+viel gab, machte ihn mit seinen ernstlichen Vorstellungen aber doch
+stutzig, und noch eine authentische Person ber die dortigen Verhltnis zu
+hren, wandte er sich zuletzt an den jungen Henkel, und bat diesen um
+Meinung und Rath ber die, ihm allerdings sehr am Herzen liegende Sache.
+Dieser rieth ihm aber ebenfalls auf das Entschiedenste ab, sein Geld hier
+an eine solche Speculation wegzuwerfen, denn dieser Weigel scheine ihm,
+was er bis jetzt von ihm gesehn, eine keineswegs volles Vertrauen
+verdienende Persnlichkeit. Er solle warten bis sie drben wren, dort
+habe er Zeit genug (Kellmann hatte ihm dasselbe gesagt), und finde er in
+New-Orleans oder Missouri nichts Besseres, so sei er selber vielleicht im
+Stande ihm ein kleines reizendes Gut abzutreten, das er einmal auf einem
+Jagdzug in's innere Land gekauft, und jetzt noch verpachtet htte.
+
+Und der Preis?
+
+Er wrde zufrieden sein. Damit war die Sache fr jetzt abgemacht;
+freilich zu Weigels Verdru, der die Farm, wie er sich ausdrckte, nun
+noch zur Verfgung behielt.
+
+Es mochte etwa Morgens um elf sein, als Kellmann Professor Lobensteins
+besuchte. Das Haus war am vorigen Tag ffentlich verauctionirt und von
+einem reichen Weinhndler in Heilingen erstanden worden, die Familie aber
+jetzt in angestrengter Arbeit eifrig bemht das unangenehme Gefhl nicht
+allein zu verscheuchen, sondern auch eines vor dem anderen zu verbergen,
+zum _ersten_ Male in der _eigenen_ Heimath _fremd_ zu sein; zum ersten
+Mal fremd in den Rumen, die ihrer Kindheit Spiele gesehn, und Zeuge
+gewesen waren ihrer keimenden Hoffnungen und Trume.
+
+Der erste schwere Schritt zu einem neuen Leben und Wirken war aber damit
+geschehn; freilich auch zu gleicher Zeit die Brcke abgebrochen, die noch
+zurck htte fhren knnen in das Vaterland. Das Band war damit zerrissen,
+das sie noch an dieses knpfte, und wunderbarer Weise hatte sich jetzt,
+wie sie sich gestern noch fast Alle gefrchtet vor dem Gedanken die lieben
+theueren Rume zu verlassen, ein fremdes unheimliches Gefhl zwischen sie
+und das Haus geworfen, und sie _ersehnten_ den Augenblick wo sie hinaus
+konnten, fort, nur fort von hier -- aus den Erinnerungen fort. Und doch
+sprachen sie das nicht aus gegen einander; Jedes hielt sich nur allein fr
+so thricht und kindisch, mit den qulenden Gedanken; keines wute da das
+Gefhl in ihrer Aller inneres Leben verwoben sei, und in des Herzens
+feinsten Fasern Wurzel schlug.
+
+Die Stimmung Aller, so sehr sie sich auch hteten dem was sie dachten
+Worte zu geben, war denn auch an dem ganzen Morgen schon eine stille,
+gedrckte gewesen, und Kellmann's Erscheinen befreite Alle wie von einer
+Last. Unten auf der Treppe wurde der aber schon laut.
+
+Na, ist das ein Vergngen zu so einer Auswanderungsfamilie in's Haus zu
+kommen, rief er, als er sich mit zusammengehaltenen Schen zwischen
+einer Reihe Kistendeckel hindurchdrckte, die, mit den Ngeln nach auen,
+an der Wand lehnten, und dabei noch ber eine Unzahl Krbe und Schachteln
+wegsteigen mute, nur in die Stube zu kommen.
+
+Nehmen Sie sich in Acht, lieber Kellmann, rief ihm der Professor, der
+seine Stimme gehrt hatte, aus der halbgeffneten Thre entgegen (er
+konnte diese nicht ganz aufmachen da ebenfalls eine Kiste dahinter stand).
+Sie mchten sich da drauen die Kleider zerreien.
+
+Ist schon bereits geschehen, brummte Kellmann, indem er versuchte einen
+Blick nach seinem, allerdings beschdigten Rcktheil zu gewinnen, meine
+Gte, wie sieht das bei Ihnen aus -- ah guten Morgen meine Damen -- und
+schon so fleiig? -- was um Gottes Willen nhen Sie denn da? --
+Getraidescke fr die nchste Erndte?
+
+Fehlgeschossen Herr Kellmann, rief ihm aber Marie, die sich gern mit dem
+freundlichen Mann neckte, entgegen -- Jacken sind das fr uns, in den
+Busch, zwischen den Dornen und Schlingpflanzen, die uns sonst das leichte
+Zeug von den Schultern rissen. Warten Sie einen Augenblick, da knnen Sie
+uns gleich Ihre Meinung sagen; die meinige ist gerade fertig, und ich will
+sie eben anprobiren. Lassen Sie nur, ich werde schon allein fertig, dort
+drben mssen wir berdies Alles allein machen -- So -- nun, wie gefalle ich
+Ihnen darin?
+
+Gar nicht, sagte Kellmann mrrisch, ich she Sie weit lieber in einem
+leichten Ballkleid und mit Ihrem gewhnlichen heiteren Gesicht, als in der
+Sackleinwand und -- hm -- das verdammte Amerika. Geht denn Eduard jetzt
+noch mit, oder bleibt er da? wo steckt er denn wieder? -- der ist immer
+fort wenn ich komme.
+
+Der geht mit, lieber Kellmann, rief der Professor, er konnte sich nicht
+dazu entschlieen, seine Eltern und Geschwister allein in die Welt ziehn
+zu lassen, wo er ihnen vielleicht, zum ersten Mal in seinem Leben,
+ntzlich sein wrde, und ist jetzt noch in der Geschwindigkeit zu einem
+Tischler gegangen, die paar Wochen wenigstens zu benutzen, und doch eine
+Idee von dem Handwerk zu gewinnen; wer wei was wir da Alles zu thun
+bekommen.
+
+Wird auch was recht's davon in den paar Tagen profitiren, brummte
+Kellmann -- bei wem ist er denn, bei Leupold?
+
+Leupold? rief der Professor, der geht ja mit unserem Schiff nach
+New-Orleans.
+
+Der Tischlermeister Leupold wandert auch aus? rief Kellmann laut und
+verwundert.
+
+Hat sein Huschen und seine Werksttte verkauft, und ist jetzt
+wahrscheinlich schon unterwegs nach Bremen, bettigte ihm der Professor.
+
+Na nu ist mir's aber doch ber den Spa, rief Kellmann -- da luft ja
+halb Heilingen fort; jetzt freut mich mein Leben; nchstens werden wir uns
+unsere Schrnke und Schuhe und Rcke selber machen knnen wenn wir 'was
+haben wollen; ich darf nur gleich den meinigen zum Schneider schicken da
+er ihn mir noch ausbessert, ehe er auch durchbrennt. S'ist wirklich zum
+Verzweifeln.
+
+Lieber Gott, sagte der Professor -- die Leute verlangen nur Ellbogenraum
+sich zu rhren; sie wollen einen Platz haben, der ihren Bedrfnissen
+Befriedigung verspricht.
+
+Da haben Sie gleich den faulen Fleck, rief Kellmann, _Bedrfnisse
+befriedigen_, wenn die Leute lebten wie ihre Voreltern gelebt haben, und
+nicht mit jedem Jahre auch neue Bedrfnisse kennen lernten und befriedigt
+haben wollten, so htten wir alle Platz, und das verwnschte Amerika
+knnte sehen wo es Hnde und Fuste bekm zuzupacken und ihm den Boden zu
+bestellen. Aber ich will mich nicht lnger rgern -- lat sie laufen,
+nachher wird's hier erst recht gemthlich -- apropos -- Ihren Freund Weigel
+haben sie gestern Abend im rothen Drachen hinausgeworfen -- er wollte
+Dienstleute, ich glaube einen Schfer, verlocken nach seinem gerhmten
+Amerika auszuwandern.
+
+Meinen _Freund_? sagte der Professor achselzuckend, ich habe mit Herrn
+Weigel nie in einer solchen Beziehung gestanden, aber ich achte ihn als
+einen Mann der ein gutes Herz mit einer tchtigen Portion gesundem
+Menschenverstand verbindet, und besonders schtzenswerthe statistische
+Kenntnisse Amerika's besitzt.
+
+Bah! sagte Kellmann, den Kopf auf die Seite werfend, und mit den Fingern
+schnalzend, so viel fr seine statistischen Kenntnisse; _unverschmt_ ist
+er, das halt' ich fr seine Hauptforce, und er wirft Ihnen da mit der
+grten Kaltbltigkeit eine Masse Zahlen in den Bart, denen man nicht
+gleich widersprechen kann, weil sich der Gegenbeweis eben nicht fhren
+lt. Wenn das Alles wahr ist was er ber Amerika sagt, wre _er_ der
+grte Esel wenn er nicht selber hinberginge.
+
+Seine Verhltnisse gestatten es ihm nicht, wie er mich oft versichert
+hat, vertheidigte ihn aber der Professor.
+
+Ja, das kennen wir schon, sagte Kellmann, und wenn mich irgend etwas
+glauben machen knnte da _er_ wirklich Amerika kennt, so wre es der
+Umstand da er selber nicht hinbergeht.
+
+Im rothen Drachen war ja wohl gestern ein kleines Fest? frug die Frau
+Professorin dazwischen, die das unerquickliche Gesprch abzubrechen
+wnschte.
+
+Ja, fr die Dienstleute von Hohleck, sagte Kellmann, und Schollfeld und
+ich waren ebenfalls hinausgegangen um den Spa mit anzusehn.
+
+Und ihr Freund, der lange Actuar war nicht dabei? lachte Marie.
+
+Er kam spter nach, sagte Kellmann -- der arme Teufel ist jetzt auch
+immer verdrielich und niederschlagen.
+
+Er hat sein Kind verloren, sagte Anna mitleidig.
+
+Ja, und zu Hause fhlt er sich auch wohl nicht so recht wohl und
+behaglich.
+
+Wir haben davon gehrt, sagte die Professorin -- seine Frau soll
+eigenwillig und heftig sein, und ihm oft gar unangenehme Scenen bereiten.
+
+Seine Frau ist -- fuhr Kellmann auf, aber er unterbrach sich selber
+wieder, und trommelte eine Weile mit den Fingern auf dem vor ihm stehenden
+Tisch.
+
+Was ist Ihnen denn nur heute, Herr Kellmann? sagte aber Marie, jetzt zu
+ihm tretend und seinen Arm berhrend -- Sie schneiden ja heut Morgen ein
+so bitterbses Gesicht, wie ich noch fast in meinem Leben nicht an Ihnen
+gesehn. Ist Ihnen irgend etwas Aergerliches begegnet? -- oder -- Sie sind
+doch nicht bse mit uns?
+
+Bse mit Ihnen? lieber Gott Mariechen, sagte Kellmann herzlich ihre Hand
+ergreifend -- ich mte bse mit Ihnen sein da Sie fortgehn und mich hier
+allein zurcklassen; sonst wt' ich wahrhaftig nicht weshalb.
+
+So kommen Sie mit, lachte Marie, indem sie neckisch zu ihm aufsah.
+
+Kellmann seufzte tief auf, sagte dann aber kopfschttelnd, und mit der
+Hand ber seine Stirn streichend, als ob er sich daraus all' die trben
+Gedanken verscheuchen wollte --
+
+Nach Amerika? -- ja, weiter fehlte mir gar Nichts; aber heute sind es
+wirklich andere Sachen die mir im Kopf herumgehn.
+
+Ist etwas vorgefallen, und knnen wir Ihnen helfen, lieber Herr
+Kellmann? sagte Anna freundlich.
+
+Ach Gott nein, sagte der kleine Mann seufzend -- es ist ein Stck von
+dem allgemeinen Elend, das ber den ganzen Erdball hinspielt, und das uns
+gewhnlich mit einem unheimlichen Gefhl, auch nicht auer dem Bereich
+desselben zu liegen, durchschauert, wenn wir ihm einmal auf unserem
+Lebenspfad begegnen. Sie sahen mich als ich vor dritthalb Stunden etwa
+drben aus dem Lwen kam?
+
+Ja, Sie grten ja herauf, sagte die Professorin --
+
+Nun gut; ich war dort, einem armen Mdchen nachzufragen, das wir gestern
+Abend spt auf der Strae trafen, und das ich dorthin schickte
+Nachtquartier zu suchen -- Und nun erzhlte ihnen Kellmann mit kurzen
+Worten das gestrige Zusammentreffen mit des unglcklichen Loenwerder
+Schwester, und ebenfalls da sich schon jetzt herauszustellen scheine, wie
+der arme Teufel von Loenwerder unschuldig in Verdacht gerathen sei. Nur
+in reiner Verzweiflung mochte er sich den Tod gegeben haben, als man ihm
+das letzte, einzige das er auf der Welt hatte -- seinen ehrlichen Namen --
+nehmen wollte -- oder eigentlich schon von Gerichts wegen genommen hatte.
+Unsere wackeren Polizeigesetze halten ja nun einmal jeden Menschen fr
+einen Spitzbuben, bis er nicht durch Atteste gengend dargethan hat da --
+gegen ihn noch nichts Gravirendes bekannt geworden.
+
+Und was geschieht jetzt mit dem armen, armen Mdchen? frugen fast
+gleichzeitig Marie und Anna -- lieber Gott, hier in der fremden Stadt,
+allein, ohne Mittel, ohne Freunde, wie entsetzlich mte es da sein, wenn
+sie vielleicht aus rohem Munde zuerst die furchtbare Nachricht vernhme.
+
+Gestern Abend, sagte Herr Kellmann etwas verlegen, kam uns das Ganze
+wirklich so schnell und berraschend, da wir nicht die geringste Zeit zum
+Ueberlegen behielten; wir -- wir gaben ihr nur ein paar Groschen und
+schickten sie in den Lwen, hier gegenber, um da zu bernachten, damit
+sie nicht in der Stadt nach ihrem Bruder frge, und die entsetzliche
+Geschichte gleich in der ersten Viertelstunde erfhre; heute Morgen wollte
+ich dann selber herkommen und sehn was sich thun lie --
+
+Und jetzt? -- wei sie was geschehen ist? frug die Professorin mitleidig
+die Hnde faltend -- Herr Kellmann zuckte mit den Achseln und sagte:
+
+Sie ist fort --
+
+Fort? -- wohin? riefen die Frauen.
+
+Kein Mensch konnte mir darber Auskunft geben, gestern Abend war sie
+richtig dort angekommen, und ihres drftigen Aussehns wegen in die
+Gesindestube gewiesen, und dort mu sie unglckseliger Weise ihren Namen
+genannt, vielleicht nach ihrem Bruder gefragt und das Schrecklichste
+gleich erfahren haben, denn sie war, selbst ihr Bndel im Stich lassend,
+hinausgelaufen in Nacht und Nebel und -- und nicht wieder zurckgekehrt.
+
+Du lieber Gott, sagte Anna, wenn sie sich nur kein Leides gethan.
+
+Ich bin gleich zu Ledermann und dann auf die Polizei gegangen, diese
+aufmerksam zu machen, sagte Kellmann etwas kleinlaut, werde auch selber
+noch mein mglichstes thun das arme Ding wieder aufzufinden, aber -- ich
+wei wahrhaftig nicht wo man die eigentlich suchen soll, denn sie kennt ja
+keinen einzigen Menschen in der Stadt.
+
+Und in ihres Bruders frherem Logis? --
+
+Hat sie Niemand gesehn -- ich war dort.
+
+Waren Sie auch schon -- auf dem Kirchhof? frug ihn Marie jetzt leise und
+schchtern.
+
+Wahrhaftig, daran hatte ich gar nicht gedacht, sagte Kellmann rasch
+seinen Stuhl zurckschiebend, die Mglichkeit ist da, und ich will keinen
+Augenblick mehr versumen -- vielleicht ist es jetzt noch nicht zu spt.
+
+Und Sie sagen uns Antwort?
+
+Sowie ich etwas Bestimmtes ber sie wei -- aber -- aber was dann mit ihr
+anfangen? -- hier in der Stadt _kann_ sie nicht bleiben, sagte Kellmann,
+die Thrklinke schon in der Hand, und berhaupt scheint mir ihr
+schwchlicher Krper zu grober Handarbeit gar nicht geeignet.
+
+Vielleicht bietet sich da fr die Schwester in demselben Haus ein
+Ausweg, rief Anna pltzlich, das fr den Bruder ja so viel gut zu
+machen, wenn er wirklich unschuldig gelitten. Gestern Nachmittag noch
+klagte mir Clara ihr Leid, da ihre Kammerjungfer, mit der sie sehr
+zufrieden ist, und die ihr bis dahin fest versprochen mitzugehn, pltzlich
+anderes Sinnes geworden wre, und sich jetzt weigerte Heilingen zu
+verlassen. Clara ist so seelensgut, sie wrde gewi Alles thun was nur in
+ihren Krften steht, das arme Kind den herben Verlust vergessen zu machen.
+
+Aber wird sich das Mdchen selber dazu eignen? sagte Kellmann.
+
+Weshalb nicht, rief aber auch jetzt Marie -- bringen Sie die Arme nur
+hierher, sobald Sie sie finden, und nehmen sie Henkel's nicht mit, findet
+Papa gewi einen Ausweg.
+
+Ja, Papa einen Ausweg, sagte aber der Professor -- ich kann _Niemanden_
+mehr mitnehmen Kinder, so viel solltet Ihr eigentlich jetzt schon wissen,
+denn wir sind Leute genug.
+
+Ach wenn sie berhaupt gehen will, rief Kellmann, die Passage bringen
+wir hier schon zusammen, und wenn sich Frulein Anna bei Frau Henkel fr
+sie verwenden will, wr' es ein Glck fr das arme Mdchen, den hiesigen
+fr sie so trben Verhltnissen so rasch wieder entrissen zu werden. Doch
+jetzt leben Sie wohl -- ich habe da nicht lange Zeit mehr zu verlieren, und
+hoffe Ihnen bald gnstige Nachrichten bringen zu knnen.
+
+ * * * * *
+
+Actuar Ledermann hatte die Nacht einen heftigen Fieberanfall bekommen, und
+sich am anderen Morgen auf seinem Bureau entschuldigen lassen. Erst um
+zehn Uhr etwa fhlte er sich etwas besser, und beschlo ein wenig an die
+frische Luft zu gehn, in dem sonnigen Morgen drauen die trben qulenden
+Gedanken zu verscheuchen.
+
+Er ging auf den Kirchhof, das Grab seines kleinen Lieblings zu besuchen,
+und nahm einen Monatsrosenstock mit hinaus, ihn darauf zu pflanzen.
+
+Der Weg der zu dem Grab, zwischen den andern Hgeln hin, fhrte, lief eine
+kurze Strecke die Mauer entlang, die bis jetzt leer gelassen und von
+Unkraut berwuchert lag. Nur ein einziger, unter Gras und Unkraut fast
+versteckter flacher Hgel war dort aufgeworfen, ber dem kein Kreuz den
+Namen des Hingeschiedenen kndete, keine Blume ein sorgendes Herz
+verrieth, das dem Entschlafenen die stille Thrne nachgeweint. Und dort? --
+in das hohe, feuchte Gras geschmiegt, lag eine schlanke Mdchengestalt,
+Stirn und Antlitz in dem wuchernden Unkraut verborgen, auf dem die vollen
+aufgelsten Locken ruhten.
+
+Lieber Gott, sagte der Actuar, mit dem Blumenstock im Arm neben ihr
+stehen bleibend, leise vor sich hin -- es ist doch noch viel, viel Elend
+in der Welt, und wenn Einem recht traurig und weh um's Herz ist, sollte
+man eigentlich immer hinaus auf den Kirchhof gehn. Da haben die Leute
+nicht ihre glatten unbewegten Alltagsgesichter vor, sondern geben sich wie
+sie sind, und wenn es auch eben kein Trost sein sollte andere Menschen
+unglcklich zu sehn, ist es doch jedenfalls einer, zu wissen da man es
+nicht allein ist. Und sich langsam abwendend schritt er dem Grabe seines
+Kindes zu, setzte den Blumentopf auf den kleinen Hgel, und sich selber
+dann auf eine dicht daneben liegende Marmorplatte, die das Grab eines
+anderen Menschen deckte.
+
+Dort blieb er lange, das Gesicht mit den Hnden bedeckt, und regungslos in
+seiner Stellung verharrend, seinen schmerzlichen Gedanken berlassen, bis
+die Sonne hher und hher stieg, und ein stechender Kopfschmerz ihn mahnte
+den, den heien Strahlen vollkommen ausgesetzten Platz zu verlassen, wenn
+er sich nicht noch krnker machen wollte als er schon war. Er stand auf,
+und sah sich nach dem Todtengrber um, diesen zu bitten den Blumenstock
+fr ihn einzusetzen, und fand ihn auch, nicht weit von dort entfernt, mit
+einem neuen Grabe beschftigt. Langsam seinen Spaten schulternd ging er
+mit ihm zu dem verlangten Platz, und dort sein Handwerksgerth neben sich
+in den Boden stoend und sich den Schwei von der glhenden Stirne
+trocknend, sagte er freundlich:
+
+Warmer Tag heute, Herr Actuar -- sehn Sie einmal was fr ein schnes
+Stckchen; das mssen wir aber ordentlich angieen, sonst vertrocknet es
+gleich in der lockeren Erde -- werde Ihnen das schon besorgen.
+
+Bitte sein Sie so gut, sagte Ledermann, und der Mann nahm den Stock auf,
+drehte ihn um und schlug mit der flachen Hand unter den Topf, diesen
+locker und los zu bekommen.
+
+Kennen Sie das junge Mdchen was da auf dem Grabe an der Mauer liegt?
+frug der Actuar jetzt, als sein Blick wieder zufllig dort hinber
+streifte -- dort drben meine ich.
+
+Ja ich wei schon, sagte der Mann, ohne den Kopf zu wenden und mit
+seiner Arbeit beschftigt -- nein -- sie sa vor dem Kirchhofsgitter schon
+heut' Morgen wie ich ffnete, um drei Uhr frh, und mu die ganze Nacht da
+zugebracht haben. Wie ich das Thor aufmachte frug sie mich nur nach dem
+Grabe eines armen Teufels, den wir hier vor kurzer Zeit zu Ruh gebracht,
+und ist seit der Zeit nicht von dort weggegangen. Das kommt manchmal vor.
+
+Und wer liegt da begraben? frug Ledermann schnell, dem ein pltzlicher
+Gedanke an das Mdchen von gestern Abend aufstieg.
+
+ [Capitel 9]
+
+Dort an der Mauer? sagte der Todtengrber, ih Sie wissen ja, der kleine
+bucklige Bursche, der von der Brcke gesprungen war, und sich den Kopf
+aufgeschlagen hatte.
+
+Dem Actuar fuhr es mit einem eisigen Stich durchs Herz, aber er erwiederte
+Nichts, gab dem Mann eine Kleinigkeit fr seine Dienstleistung, und ging
+dann langsam, als ihn dieser wieder verlassen und seine frhere Arbeit
+aufgenommen hatte, zu Loenwerder's Grab, wo die Trauernde noch still und
+regungslos in ihrem Jammer lag. Nur das krampfhafte Zittern des Krpers
+verrieth das darin wohnende Leben.
+
+Liebes Kind, sagte Ledermann leise -- das Mdchen bewegte sich nicht --
+mein liebes Kind, sagte er lauter, und berhrte ihre Schulter mit seinem
+Finger. Langsam hob sie das bleiche, Thrnen berstrmte Gesicht zu ihm
+empor, und als sie den fremden Mann neben sich sah, richtete sie sich
+verwirrt, beschmt aus ihrer Stellung auf.
+
+Aber wie knnen Sie sich hier so Stunden lang in das feuchte Gras
+werfen, sagte der Actuar mit freundlichem Vorwurf -- Sie _mssen_ ja
+krank werden -- nicht wahr, Sie kennen mich nicht mehr?
+
+Das Mdchen sah ihn gro und verwundert an, und schttelte dann langsam
+mit dem Kopf.
+
+Ich sprach gestern Abend mit Ihnen, drauen vor dem Thor, wo die Musik in
+dem Hause war, sagte Ledermann -- hatten Sie gar keine Ahnung von dem
+Schicksal des Bruders?
+
+Keine, sagte die Arme leise, das Kpfchen wieder senkend.
+
+Und wo erfuhren Sie seinen Tod?
+
+Das Mdchen schauderte zusammen als sie des Augenblicks gedachte, und
+sagte endlich, wie mit angstgepreter Stimme:
+
+Gestern Abend in dem Haus -- die Leute in der Gesindestube frugen mich wo
+ich herkme und um meinen Namen, und dann --
+
+Und dann? frug der Actuar mitleidig, als das Mdchen schwieg und ihr
+Antlitz wieder zitternd in den Hnden barg --
+
+Dann sagten sie -- setzte das Mdchen, am ganzen Krper bebend hinzu --
+da Einer der so hie -- und sie spotteten dabei ber sein Gebrechen -- da
+Einer -- hier -- sie vermochte nicht auszureden und warf sich,
+rcksichtslos um den neben ihr stehenden Fremden, und in krampfhafter
+Verzweiflung, wieder auf das Grab nieder, das sie laut schluchzend mit
+ihren Armen umschlang, und den Bruder rief, sie zu sich zu nehmen in sein
+stilles, khles Bett.
+
+Nur mit Mhe, und herzlichen trstenden Worten die er zu ihr sprach,
+brachte sie Ledermann, als sich ihr Schmerz in etwas ausgetobt, endlich
+dahin sich etwas zu fassen und zu beruhigen, und ihm mehr ber ihr
+Schicksal und sich selber zu sagen. Sie hie Hedwig, war funfzehn Jahr alt
+und hatte bis zu ihrem elften Jahr bei einer entfernten armen Verwandten
+zugebracht, nach deren Tode sie, ein Kind noch, bei fremden Leuten in
+Dienst gehen mute. Ihre Elteren schienen in besseren Verhltnissen gelebt
+zu haben, waren aber frh gestorben, und die Waisen sich selber berlassen
+gewesen. Ihr um zehn Jahr lterer Bruder Franz hatte sie dabei noch immer
+dann und wann von dem Wenigen was er selber verdiente, untersttzt, auch
+ihr vor einigen Monaten -- und das mute etwa grade vor seinem Tode gewesen
+sein, geschrieben, da er recht sparsam lebe, und bald so viel zusammen zu
+haben hoffe mit ihr, der Schwester, nach Amerika auszuwandern, dort
+vielleicht ein kleines Geschft oder irgend etwas Anderes anzufangen,
+ehrlich durch die Welt zu kommen. Hedwigs Aussage nach mute er ihr auch
+die genaue Summe geschrieben haben, die er besa, und als sie der Actuar
+dringend bat ihm den Brief zu verschaffen, wenn es irgend mglich sei, da
+der vielleicht vollstndig des Bruders Unschuld beweisen konnte, zog sie
+aus ihrer Brust das zusammengefaltete und dort bis jetzt sorgfltig
+bewahrte Papier. Es war das letzte was sie von ihm bekommen, und als Monat
+nach Monat verstrich und keine neue Nachricht kam, wurde sie zuletzt
+unruhig und schrieb nach Heilingen. Aber auch hierauf erhielt sie keine
+Antwort und nicht mehr im Stande die Ungewiheit zu ertragen, verlie sie
+ihren Dienst und machte sich, mit wenigen Groschen in der Tasche auf, den
+weiten Weg zu Fu zurckzulegen. Und ihr Empfang? groer Gott mit Spott
+und Hohn wurde ihr Bruder -- das einzige noch auf der Welt ihr gehrende
+Wesen, das sie mehr als sich selber liebte -- eines furchtbaren Verbrechens
+beschuldigt, in Folge dessen er sich selber das Leben genommen, und
+schlimmer, gewaltiger noch als die Nachricht seines Todes, erschtterte
+das reine, vertrauensvolle Herz des armen Kindes der erste _Zweifel_ an
+den Hingeschiedenen, der doch heimlich und qulend in ihr aufsteigen
+wollte, wie sie sich auch dagegen strubte; und doch _wute_ sie da er
+keiner schlechten Handlung fhig gewesen sei.
+
+Whrend dieser Erzhlung flossen ihre Thrnen strker; wenn aber der
+Schmerz auch nur mehr aufgerttelt wurde durch das Wiederdurchleben
+vergangener Scenen, fand sie doch auch einen Trost in dem Aussprechen ber
+ihren Verlust. Der Actuar berlas inde flchtig den Brief, und den Datum
+mit dem verbten Raub vergleichend sah er, ob Loenwerder nun schuldig
+oder unschuldig sei, da jenes, bei ihm gefundene Geld sein Eigenthum
+gewesen sein msse, schon vor dem Tag, und nicht mehr als Beweis gegen ihn
+gelten konnte.
+
+So traf sie Kellmann, der von Lobensteins direct auf den Gottesacker
+gegangen war, das arme Mdchen aufzusuchen. Mit wenigen Worten sagte ihm
+der Actuar was er von ihr erfahren, und der gutmthige kleine Krschner
+setzte sich neben sie auf das Grab des Bruders, nahm ihre Hand in die
+seine, und diese streichelnd sprach er ihr Muth und Hoffnung in das arme
+gequlte Herz. Sie sollte nicht mehr allein stehn auf der Welt; er wollte
+Freunde fr sie finden, die sich ihrer annhmen, und sie Beide, Ledermann
+und er, wollten nicht ruhen noch rasten bis ihres Bruders Name wieder
+ehrlich gemacht sei vor der ganzen Stadt; lieber Gott, sie konnten ja
+nichts mehr fr den Armen thun.
+
+Hedwig weinte, whrend er sprach; aber die Thrnen lsten ihren Schmerz --
+die freundlichen Worte; oh die ersten wieder seit so langer, langer Zeit
+die sie gehrt, thaten ihr wohl und bannten die Verzweiflung aus ihrem
+Herzen, der sie ja sonst wohl rettungslos verfallen wre. Wieviel Segen
+hat schon ein herzliches Wort gebracht, dem Unglcklichen gespendet -- wie
+viele Thrnen getrocknet, wie manches Weh, wenn es nicht heilen konnte,
+doch gelindert.
+
+Kellmann erbot sich dann auch, sie zu seiner Mutter zu fhren, wo sie
+wenigstens bleiben konnte bis sich etwas Weiteres entschieden. Von Amerika
+sagte er ihr noch Nichts, die nchsten Tage mochten sie erst mit dem
+Gedanken vertrauter machen, wenn sie hrte wie viel Leute die auch ihren
+Bruder gekannt und liebe Freunde von ihm selber seien, gerade jetzt nach
+dort hinbergingen.
+
+Hedwig zgerte noch schchtern das gtige Erbieten anzunehmen, aber die
+Worte klangen so herzlich, so gut gemeint, sie stand so hlflos, so allein
+in der weiten Welt, der fremde Mann erschien ihr wie ein Engel des Himmels
+in ihrem Schmerz, und unter Thrnen nahm sie seine Hand und dankte ihm,
+und sagte da sie ihm folgen wrde, wohin er sie fhre.
+
+
+
+
+
+ Capitel 10.
+
+
+ DIE BEIDEN FAMILIEN.
+
+
+Der Leser mu mir noch, ehe wir unsere weitere Wanderung zusammen
+antreten, zu zwei Stellen folgen, in Lage und Art freilich gar sehr
+verschieden. Den Characteren, die wir dort finden, begegnen wir spter
+wieder, theils auf der Reise, theils in ihrem neugewhlten Vaterland.
+
+An der Hannverschen Grenze lag ein kleines Dorf, Waldenhayn mit Namen,
+und fast versteckt zwischen mchtigen Linden und Fruchtbumen, die es von
+allen Seiten dicht umgaben.
+
+Mitten im Dorf auf einem flachen, aber die ganze Ortschaft berschauenden
+Hgel stand die Kirche, und daneben das kleine freundliche Pfarrhaus, das
+sein Dach ber gute und glckliche Menschen gespannt hatte, Jahrzehnte
+lang -- und heute? -- Guter Gott welche Vernderung in dem Haus -- der Vater,
+Pastor Donner, still und ernst in seinem Sorgenstuhl, und, ganz gegen
+seine sonstige Gewohnheit, ordentlich eingehllt in eine dichte
+Tabakswolke, die Mutter mit verweinten Augen, und doch immer geschftig
+herber- und hinbergehend, bald aus der in jene Stube, Kleinigkeiten zu
+besorgen die sie immer wieder verga, ehe sie nur das andere Zimmer
+betreten.
+
+Der lteste Sohn Georg ging zu Schiff -- ging nach Amerika ber das weite,
+wilde Weltmeer nach einem anderen Vaterland, dort fr den unruhigen Geist
+das Glck zu suchen, das er hier nicht fand, und wann wrden sie ihn -- ja
+wrden sie ihn je wieder sehen? Oh es ist ein groer Schmerz fr ein
+Elternherz ein Kind in der Blthe der Jahre zu verlieren -- wie viel Sorge,
+wie viel schlaflose Nchte hat es gemacht, bis es wuchs und gedieh; welche
+Hoffnungen knpften sich an das junge Wesen, und blhten und reisten mit
+ihm; wie treulich wurde da nicht jeder Schritt bewacht, den noch
+unsicheren Fu vor Sto und Fall zu schtzen, wie ngstlich jedem bsen
+Eindruck gewehrt, der Herz oder Geist htte vergiften knnen. Und nun das
+Alles preiszugeben der Welt, ihren Verfhrungen, ihren Gefahren fr Geist
+und Krper, das Alles preiszugeben und hinausgeworfen zu sehn auf die
+strmischen Wogen des Lebens -- sich selbst berlassen, und der eigenen,
+vielleicht doch noch zu schwachen Kraft. Wie viele heimliche Thrnen
+werden da geweint, wie trb und traurig liegt da oft des Kindes Zukunft
+vor dem ahnenden Blick des Vaters und der Mutter -- Krankheit wird es
+erfassen und halten, und keine liebende Hand in der Nhe sein, es zu
+pflegen und ihm den Schwei von der heien, glhenden Stirn zu trocknen,
+die Verfhrung ihre falschen, goldblinkenden Netze nach ihm auswerfen, und
+keine treu warnende Stimme ihm zur Seite stehn -- Noth und Mangel
+vielleicht in bitterem Weh auf ihm lasten, und Niemand da sein, der ihm
+Hlfe bringt, und den Unglcklichen trstet und untersttzt -- Mutter und
+Vater sind fern, fern von dem Geliebten, seine Klage dringt nicht herber
+zu ihnen -- ihr Trost und Hlfswort nicht zurck zu ihm.
+
+Und ein solcher Abschied dann -- der Tod pocht nicht viel hrter an des
+Glckes Thor, und das Bewutsein den Geschiedenen still und geschtzt in
+khler Erde zu wissen, auf der die treu gepflegten Blumen keimen, ist oft
+noch weniger bitter als dieser _freiwillige_ Tod -- der Fortgang ber's
+Meer, in eine fremde, ungekannte Welt -- vielleicht so ohne Wiederkehr wie
+jener, und ohne jedes beruhigende Gefhl der Sicherheit. Der Scheidende
+ist da noch immer besser, weit besser daran als die Zurckbleibenden; ihm
+liegt die Welt jetzt frei und offen da, jede Stunde drauen, jede Meile
+Wegs bringt ihm Neues, Unbekanntes, und wehrt dem Blick nur an dem einen
+Schmerz zu haften. Er hat auch zu sorgen, fr sich und sein Gepck, seine
+ganze Zukunft ist ihm in der einen Stunde in die eigene Hand gegeben -- ein
+ungewohnt Geschft bis jetzt -- und fremde Landschaft, fremde Scenen
+wechseln so rasch an ihm vorber, da jedes Bild einen Theil des alten
+Schmerzes fortfhrt mit sich. Selbst der Gedanke an die Verlassenen hat
+nicht das Herbe, Bittere fr ihn, als es fr diese hat, wenn sie sein
+gedenken, und sich mit Vermuthungen qulen mssen wie es jetzt ihm geht,
+was er thut, was er treibt, wo er jetzt gerade weilt. _Er wei_ in welchem
+Kreis die Seinen sich bewegen, kennt in jeder Tageszeit ihre kleinen,
+huslichen Beschftigungen, ihr gleichmiges Wirken und Schaffen, und
+sein Herz, das immer noch daheim bei ihnen weilt, wahrt seinen festen
+Anhaltspunkt an sie sich unverkmmert fort, bis das Bild, von anderen
+dicht umdrngt in weiter immer weiterer Ferne langsam erbleicht, und nur
+noch auf dem Hintergrund des Herzens wie schlummernd liegt, in seinen
+Trumen ihn zu segnen, oder dereinst, wenn die Welt ihn kalt und rauh von
+sich stt, und er allein und freundlos sich da fhlt, wieder aufzuglhen
+in aller Frische und Wrme, ein Trost und Hoffnungsziel, dem armen,
+einsamen Wanderer.
+
+Georg war ein junger lebenskrftiger Mann von dreiundzwanzig Jahren, mit
+dunkelbraunen, vollen, ihm frei und ungescheitelt ber die offene
+sonngebrunte Stirn fallenden Locken, schwarzen klaren Augen und freien,
+gutmthigen Zgen, die selbst eine breite dunkle Narbe ber den rechten
+Backen, der Autograph eines Commilitonen, nicht entstellen konnte. Er
+hatte Medicin studirt, und sich das Doctordiplom mit eifrigem Flei
+verdient, aber die Aussichten fr einen jungen Arzt waren trb und
+unversprechend in seiner Heimath, und jene fremde Welt, von der er schon
+so viel gelesen und gehrt, zog ihn mchtig an. Sein Vater konnte und
+wollte dieses Streben nicht bei ihm unterdrcken; auch er erkannte die
+Banden, die hier einen krftigen Geist so leicht in Fesseln legen, und
+ehrte den Wunsch und Drang der jungen, nach Thaten drstenden Brust, einen
+Schauplatz zu finden fr ihr Sehnen und Wirken, wenn er sich auch wohl
+selber dann wieder mit einem schweren Seufzer gestehen mute, wie manche
+Hoffnung der Sohn zertrmmert, wie manche Erwartung er getuscht sehn
+wrde in dem neuen Leben, das jetzt ihm freilich im vollen Glanz einer
+aufsteigenden Sonne, von warmem Lichte bergossen winkte. Und wie wrde
+sich sein Herz dann bewhren, das jetzt jubelnd zu den blinkenden,
+Flaggen- und Blumengeschmckten Wllen seiner eigenen Luftschlsser
+aufschaute, wenn es an deren Trmmern stand? oh da er dann htte an
+seiner Seite stehen und ihn leiten drfen den dunklen, schmalen Pfad zum
+wahren Glck -- retten ihn dann vor sich selbst und seinem bittern Weh.
+
+Aber die Zeit lag noch fern, und weshalb sich selbst den Augenblick
+vergiften, wo sich der Himmel noch blau und rein ber seiner Zukunft
+spannte. Georg selbst sah auch Nichts von solchen trben Bildern, die das
+Herz des Vaters oft mit banger Trauer fllten; ihm war das Thor jetzt weit
+und frei geffnet, das hinaus in's Leben fhrte und an dessen Schwelle er
+stand, und nur die Trennung noch vom Vaterhaus lag schwer auf seiner
+Seele.
+
+Am schwersten freilich trug gerade diese Stunde, weil ganz und ungetheilt,
+das Mutterherz. Nicht dachte _sie_ in diesem Augenblick an die Hoffnungen
+die dem Sohne in der Welt drauen blhen, an die Gefahren die ihm drohen
+knnten; sie sah und fhlte Nichts, als die Trennung von dem _Kind_, den
+Abschied von dem Heigeliebten, und wie im Traum hatte sie schon den
+ganzen Tag ihren gewhnlichen Beschftigungen obgelegen, wie im Traum noch
+einmal seine Lieblingsgerichte bereitet fr den Abend, den letzten Abend,
+den er im Vaterhause zubringen wrde.
+
+Lieber Gott, die Speisen kamen Abends auf den Tisch und wurden gegessen,
+aber Keiner von allen, die jngsten Geschwister ausgenommen, schmeckten
+was sie aen; man sprach dabei ber das an dem Nachmittag fortgesandte
+Gepck, ber das Wetter, ber die Uhr die zehn Minuten vorging -- Georg
+trug Gre auf an alle seine Bekannte, die sich noch seiner erinnerten. Er
+hatte an dem Tag noch selber ein paar Briefe schreiben wollen, war aber
+nicht dazu gekommen -- Vieles Andere war ihm ebenfalls entfallen; so wollte
+er einen Absenker von dem Rosenstock mitnehmen der vor der Mutter Fenster
+blhte, und jetzt blieb ihm doch keine Zeit mehr; aber whrend dem Essen
+stand die Schwester -- unvermit -- vom Tische auf, ging hinaus, grub einen
+Absenker aus, und brachte ihn in einem kleinen Topf dem Bruder, dem sich
+die Thrnen in die Augen zwangen -- er mochte kmpfen dagegen wie er wollte
+als er die Gabe sah. Die Mutter stand vom Tisch auf und ging hinaus --
+nicht ein Wort wurde gesprochen so lange sie fort war. Die Speisen
+verschwanden dabei von den Tellern und der Wein wurde getrunken, und die
+Mutter kam zurck und nahm ihren Platz wieder ein, lautlos wie vorher; man
+konnte den langsamen Gang der Uhr hren, an der Wand.
+
+Da endlich fllte der Vater sein Glas bis zum Rand, hob es mit der Linken
+und ergriff mit der anderen Georgs Hand. Er hatte etwas zum Herzen des
+Sohnes, zum Trost vielleicht der Mutter sprechen wollen, aber die Worte
+schwollen ihm im Mund -- er brachte eine volle Minute keine Sylbe ber die
+Lippen, und sich gewaltsam fassend und zusammennehmend sagte er endlich.
+
+Auf ein frohes Wiedersehn Georg!
+
+Georg prete des Vaters Hand und trank ihm und der Mutter und den
+Geschwistern zu -- und die Mutter hob ihr Glas und stie mit dem Sohne an,
+aber mehr vermochte das Mutterherz nicht -- zu lange hatte sie jetzt
+gewaltsam gegen ihr eigenes Gefhl an- und den Schmerz niedergekmpft, den
+Anderen zu Liebe; lnger war sie es nicht im Stande, und das Glas mit
+zitternder Hand niedersetzend, da der Wein ber und auf das Tischtuch
+flo, stand sie auf, warf die Arme krampfhaft um den Hals des Sohnes und
+schluchzte laut.
+
+Mutter, liebe -- liebe Mutter --
+
+Mein Kind -- mein Kind, jammerte die Frau und der Schmerz wuchs an
+Heftigkeit, wie der mchtig aber still dahinwlzende Strom schumend
+hinausdonnert in's Freie, wo er sich erst einmal Bahn gebrochen aus seinem
+Bett -- mein liebes -- liebes Kind.
+
+Aber Mutter, bat der Pastor, fasse Dich; es ist ja doch nur vielleicht
+auf kurze Zeit, bis sich der Junge drauen die Hrner abgelaufen, und ihm
+die Heimath anders aussieht wie jetzt; dann kommt er wieder.
+
+Liebe -- liebe Mutter, flsterte Georg, sie innig an sich schlieend, und
+auch ihm erstickten unaufhaltsam flieende Thrnen die Stimme.
+
+Die Geschwister weinten auch, und der Vater war aufgestanden und ein paar
+Mal mit raschen Schritten, wie um den Anderen Zeit zu geben, eigentlich
+aber nur seine eigene Fassung wiederzugewinnen, im Zimmer auf- und
+abgegangen. Jetzt blieb er neben der Gattin und dem Sohne stehn, und sie
+langsam trennend sagte er mit sanfter, bittender Stimme:
+
+Kommt Kinder, kommt -- macht Euch selber nicht das Herz zum Brechen
+schwer; das ist unrecht. Ueberdies qult Ihr Euch zweimal, und habt morgen
+frh noch dasselbe Leid. Es ist eine lange Trennung, aber keine Trennung
+fr's Leben -- wir sind Alle noch rstig und gesund, und werden uns, will
+es Gott, hoffentlich Alle einmal froh und freudig in die Arme schlieen
+knnen.
+
+Aber Du schreibst bald, Georg, flsterte die Mutter sich mit aller Kraft
+zusammennehmend -- Du lt uns nie lange ohne Nachricht, nicht wahr Du
+versprichst mir das?
+
+Gewi Mutter, gewi -- so oft ich kann -- aber ngstigt Euch nur auch
+nicht, wenn einmal ein Brief lnger ausbleibt als gewhnlich; der Weg ist
+weit, und ein Brief kann leicht verloren gehn.
+
+So, und jetzt zu Bett Kinder, mahnte der Vater -- es ist spt geworden,
+sehr spt, und Du mut frh wieder heraus Georg, die Post nicht zu
+versumen; sind Deine Koffer hinbergeschafft?
+
+Es ist Alles drben, sagte die Mutter, sich aus den Armen des Sohnes
+windend und ihre Thrnen trocknend, nur sein Ueberrock ist noch hier, den
+er anzieht, und die kleine Tasche in die er morgen frh sein Nacht- und
+Waschzeug steckt -- doch das besorg' ich schon selber und werd' es nicht
+vergessen. Ich bin frh auf, Georg, Du mut ja doch auch noch Deinen
+Kaffee haben bevor Du gehst.
+
+Gute Nacht Mutter! rief Georg, umschlang sie noch einmal und kte ihr
+Lippen, Augen und Stirn, gute Nacht meine gute, gute Mutter -- gute
+Nacht!
+
+Gute Nacht mein Georg, mein Kind, sagte die arme Frau unter Thrnen --
+schlaf nur jetzt recht aus -- zum letzten Mal unter unserem Dach -- fr die
+nchste Zeit wenigstens, setzte sie rasch hinzu -- denn mit Gottes
+Beistand hoff' ich soll es nicht das letzte Mal gewesen sein -- und -- und
+meinen Segen nimm mit Dir, wohin Du gehst -- wo Du weilst -- was Du thust --
+-- er ruhe auf Dir, mein gutes, gutes Kind!
+
+Georg beugte sich unwillkrlich dem ernsten heiligen Wort -- seine ganze
+Gestalt zitterte dabei, und die Mutter mute sich endlich mit freundlicher
+Gewalt aus seinen Armen winden; dann aber floh sie auch hastigen Schrittes
+aus dem Zimmer, sich in dem eigenen Kmmerlein recht, recht herzlich
+auszuweinen.
+
+Die Geschwister sagten dem Bruder jetzt gute Nacht -- die lteste Schwester
+Louise hing lange an seinem Hals, aber ri sich los, den Schmerz der
+Eltern nicht zu vermehren. Die Jngeren kten ihn auf die Wangen und
+sagten. Gute Nacht Georg -- weck' uns nicht zu spt morgen frh, da wir
+Dir auch noch knnen glckliche Reise wnschen.
+
+Georg kte sie herzlich und bat sie brav und gut zu sein, und Vater und
+Mutter Freude -- viel Freude zu machen, denn er selber ginge nun fort, und
+die Eltern wrden deshalb recht traurig sein.
+
+Gute Nacht Georg, sagte der Vater, als die Kinder zu Bett gegangen
+waren, und Alle, auer ihm, das Zimmer verlassen hatten, habe keine Angst
+da Du die Post morgen verschlfst, ich wache schon auf zur rechten Zeit --
+gute Nacht mein Sohn. Komm komm, fange nicht selber wieder an, und mach'
+mir das Herz nicht schwer vor der Zeit -- aber Georg, um Gottes Willen was
+ist Dir? -- sei ein Mann -- Nun ja -- so lange die Frauen da waren hat es mir
+auch das Herz fast abgedrckt -- man darf es sie ja nicht so merken lassen,
+sonst zerflieen sie ganz --
+
+Mein lieber -- lieber Vater, schluchzte Georg an seinem Halse.
+
+Mein guter, guter Sohn! flsterte der Pastor, des Kindes Stirne kssend,
+und jetzt selber im Innersten ergriffen und bewegt -- bleibe brav -- bleibe
+so brav wie Du bist -- ich kann Dir nichts Besseres wnschen -- trage Gott
+im Herzen und Dich selbst, und -- Deiner alten Eltern Bild, deren Segen Dir
+folgt auf allen Deinen Wegen.
+
+Mein Vater!
+
+So mein Sohn -- jetzt gute Nacht und bete zu Deinem Schpfer da er uns
+morgen in der schweren Abschiedsstunde strkt -- gute Nacht mein Georg --
+gute Nacht.
+
+Leise machte er sich los aus des Sohnes Arm, kte ihn noch einmal, und
+verlie dann rasch das Zimmer. Georg aber blieb lange, lange Minuten auf
+dem Stuhle sitzen wo ihn der Vater verlassen, das Gesicht in seinen Hnden
+bergend.
+
+Gute Nacht, flsterte er endlich leise und kaum hrbar, als Alles schon
+im Hause still war, und zu Ruhe gegangen -- gute Nacht Ihr Lieben und Gott
+schtze Euch und mich; aber nicht mglich wre es mir, die furchtbare
+Trennungsstunde noch einmal durchzuleben, nicht mcht' ich Dir Vater, Dir
+Mutter den Schmerz, das bittere Weh zum zweiten Mal bereiten. Es ist
+vorbei -- Alles vorbei, und wenig Stunden noch und die Heimath selber
+liegt, ein schner Traum nur, in der Erinnerung Tiefe. So denn an's Werk
+setzte er fest und entschlossen hinzu, und ob das Herz darber brechen
+will, durch ist mein Wahlspruch jetzt, durch Nacht zum Licht -- _durch_.
+
+Und mit den, fest zwischen den zusammengebissenen Zhnen gemurmelten
+Worten stand er auf, und sein Schlafzimmer ffnend warf er den Rock ab,
+und badete Gesicht und Nacken in khlem Wasser. Dann, als er die Glut die
+ihn durchtobte, in etwas gelscht, packte er den kleinen Nachtsack mit
+den, sorglich fr ihn auf dem Waschtisch ausgebreiteten Gegenstnden, zog
+sich wieder an, knpfte den Ueberrock bis an den Hals zu, denn die Nacht
+war kalt, und nach der gehabten Aufregung frstelten ihn die Glieder, und
+im Zimmer umherschauend fiel sein Blick auf den, unter dem Spiegel
+stehenden, fr ihn eingeschlagenen Rosenstock. Rasch barg er ihn in der
+weiten Tasche seines Ueberrocks, ffnete dann das Fenster, das in den
+Garten hinaus und von da ber den Kirchhof fhrte, der Landstrae zu, und
+schwang sich auf das Fensterbret.
+
+Ade! flsterte er, ade Du trautes, liebes Haus, ade -- Gott halte seine
+Hand ber Dir, und schtze die lieben Menschen -- ade, ade. Und von dem
+Bret hinunterspringend in den Garten, durcheilte er diesen, schwang sich
+leicht ber die Kirchhofmauer, die er als Kind unzhlige Male
+berklettert, und schritt dann langsam und traurig seinen einsam dunklen
+Weg entlang.
+
+ * * * * *
+
+Noch hob sich die Sonne nicht ber den stlichen Fichtenhang, und der
+dmmernde Tag grte eben die schlummernde Erde, als sich die Mutter von
+ihrem Lager hob, das Mdchen weckte da es Feuer in der Kche mache, den
+Kaffee bereit zu halten, und dann den Mann rief, dem Sohn ade zu sagen.
+Pastor Donner hatte aber auch nur in unruhigem Schlaf gelegen -- die
+Gedanken und Sorgen lieen ihn nicht ruhen, und wie aus bsem Traum fuhr
+er oft empor, mit einem wehen Stich durch's Herz zurckzusinken, _da_ es
+eben kein Traum sei, der ihn bedrcke und qule.
+
+Er stand auf, zog sich an, und whrend die Mutter drauen in der Kche
+sorgte, dem Sohn ein rasches Frhstck zu bereiten, ging der Vater hin ihn
+zu wecken.
+
+Georg! sagte er, als er die Thr ffnete, die in des Sohnes Kammer
+fhrte -- Georg -- es wird Zeit -- heiliger Gott! unterbrach er sich aber
+rasch und erschreckt als er das Gemach leer, das Bett unberhrt und keine
+Spur mehr von dem Kinde fand -- heiliger, erbarmender Gott -- er ist fort.
+Und wie er sich auch vorgenommen sich zu fassen, und der Frau, dem Kind,
+die letzten Augenblicke nicht mehr zu erschweren, durch seine eigene
+Schwche, traf ihn _der_ Schlag doch zu hart -- zu unerwartet. In diesem
+Augenblick betrat die Mutter das Zimmer, und sah wie der Vater sich
+erschttert von der Thr abwandte und das Antlitz in den Hnden barg.
+
+Mein Sohn -- mein Kind! stammelte sie, in der sie durchzuckenden Ahnung
+des Geschehenen, der sie wie ein jher Schlag in's Herz traf -- wo ist --
+wo ist Georg? Aber der Vater zog sie an die Brust, und ihre Stirn, auf
+die seine heien Thrnen fielen, kssend, flsterte er leise:
+
+Er hat uns den Schmerz des Abschiedes sparen wollen, Louise -- er ist
+fort.
+
+_Fort!_ hauchte die Frau -- kaum noch den Sinn der Worte fassend, und
+brach bewutlos in den Armen des Gatten zusammen.
+
+ * * * * *
+
+Auerhalb Waldenhayn, wenn auch noch zu demselben Kirchspiel gehrend, und
+dicht an der Grenze des bis hier herniederlaufenden Holzes, stand ein
+kleines, schon halb verfallenes Haus, das frher einmal von einem
+Forstgehlfen des herrschaftlichen Waldes bewohnt, dann aber nicht mehr
+benutzt, und um ein Billiges, eigentlich auf Abbruch, verkauft worden war.
+Der Mann der es kaufte aber, hatte frher ebenfalls in herrschaftlichen
+Diensten gestanden, und dann das Metzger-Handwerk getrieben; sein wildes,
+liederliches Leben jedoch lie sein Geschft nicht frdern, noch vorwrts
+gehn. Er schien auch keine rechte Lust an einer regelmigen Arbeit zu
+haben, heirathete dann, als er Alles was er sein nannte, durchgebracht,
+ein Mdchen vom herrschaftlichen Gut, das den Dienst dort verlassen mute
+und von dem Herrn selber eine Abstandssumme bekam, und kaufte mit dem
+Gelde eben das kleine unwohnliche Gebude, das er nichtsdestoweniger
+bezog, und sich jetzt angeblich vom Viehhandel ernhrte. Er zog im Lande
+herber und hinber, und kaufte und verkaufte Vieh, mehr aber noch trieb
+er sich in den Wirthshusern herum, wo er trank und spielte, und den
+schlimmsten Ruf im Lande hatte, den ein Mensch haben kann, ohne da jedoch
+die Polizei den mindesten Halt an ihn bekommen konnte. Aber die
+ordentlichen Leute zogen sich von ihm zurck; Niemand mochte Umgang mit
+ihm oder seinem Weibe haben, und auf dem Weg zu seinem Hause wuchs Gras;
+wen dort nicht ein besonderes Geschft hinfhrte, betrat ihn nimmer.
+
+So hatte der schwarze Steffen, wie er im Lande seines dunklen Haares und
+Aussehns wegen hie, sechs Jahre in dem kleinen Haus gewohnt, und sein
+Weib ihm, auer dem Kind das sie in die Ehe gebracht, noch drei andere
+geboren. In der letzten Zeit tauchte dabei ein anderer Verdacht gegen ihn
+auf, da er sich nmlich unter der Hand mit Wilddieben einlasse, und --
+wenn auch vielleicht nicht selber wildere, doch das Gestohlene kaufe und
+unterbringe.
+
+Sicher ist, da nicht alles Fleisch was er zu Markte fhrte, im Stall
+gemstet worden, und als nun auch gar einmal, und vor nicht so sehr langer
+Zeit, ein Forstgehlfe, in Ausbung seiner Pflicht, erschossen worden,
+wurde die Aufsicht ber den schwarzen Steffen, dem man aber doch nicht zu
+Kragen konnte, so scharf gefhrt, und diesem zuletzt so unertrglich, da
+er schon ein paar Mal mit den Forstbeamten im Wirthshaus Streit gesucht
+und gefunden, und ihm zuletzt von der Herrschaft, nach lange gebter
+Nachsicht, der Befehl zugestellt wurde, das auf den Abbruch damals
+erstandene Haus, von dem brigens kein Ziegel mehr sein gehrte, zu rumen
+und abzutragen oder stehen zu lassen, wie es ihm gefalle, seinen Wohnsitz
+aber, wider ihn eingelaufener Klagen wegen, wo anders zu nehmen, vom
+ersten des nchsten Monats an.
+
+Steffen war heute einmal ausnahmsweise den ganzen Tag zu Haus geblieben,
+und hatte manche von seinen Sachen, wobei ihm die Frau half,
+zusammengetragen und in einen Ranzen gepackt. Die Kinder aber achteten
+wenig darauf; sie waren gewohnt da der Vater oft fortging, und dann immer
+mehre, manchmal sogar acht Tage fortblieb, ehe sie ihn wieder zu sehen
+bekamen, oder auch nur von ihm hrten. Fragen, wohin er ging, durften sie
+nie.
+
+Der Vater war brigens mrrischer heute als je -- er sprach fast kein Wort,
+trank aber oft aus der Flasche, die zum ersten Mal offen in der Stube
+stand, und woraus sich auch die Mutter zweimal einschenkte, und sich dann
+zu dem jngsten Kinde setzte, und es auf den Schoos nahm und kte.
+
+Weshalb weinst Du, Mama? sagte das zweite Kind, ein Junge von etwas ber
+fnf Jahren -- hat Dir Jemand 'was zu Leid gethan?
+
+Weil sie eine Nrrin ist, brummte der Vater, der die Frage gehrt hatte,
+und jetzt einen rgerlichen Blick nach der Frau scho -- ich dchte wir
+htten nun genug darber geschwatzt und die Sache wr' abgemacht.
+
+Nun ja -- ich sage ja auch kein Wort mehr dagegen, erwiederte die Frau --
+es -- es berkommt Einen nur noch manchmal so -- nachher wird's besser und
+-- es geht ja doch nun einmal nicht anders, setzte sie still und schwer
+vor sich hinseufzend, hinzu.
+
+Steffen entgegnete nichts weiter darauf, schickte aber bald darauf, unter
+irgend einem Vorwand, die Kinder mitsammen hinaus in den Garten, und sagte
+dann, als er sich mit der Frau allein sah, mrrisch und finster.
+
+Du flennst und flennst, und wirst die Blge noch zuletzt aufmerksam und
+ngstlich machen mit Deiner Heulerei -- kannst Du sie hier ernhren, so
+bleib da, ich habe Nichts dagegen; kannst Du's aber nicht, dann sei auch
+vernnftig und mach' jetzt keine dummen Streiche -- es wr' ein Spa, wenn
+sie uns abfaten, und Du weit am Besten was uns nachher bevorstnde.
+
+Die Frau war schlank und voll gewachsen, mit besonders kleinen Hnden und
+Fen, mute auch einmal in frheren Jahren wirklich schn gewesen sein,
+und mehr noch als nur die Spuren war ihr davon geblieben, htte sie eben
+etwas gethan sich das zu erhalten. Aber in ihrem ganzen Aeueren ging sie,
+wenn nicht geradezu unreinlich, doch vernachlssigt; die ungeordneten
+Haare wurden durch einen zerbrochenen, chten Schildpatkamm, und durch ein
+schwarzes abgescheuertes Sammetband, in dem vorn eine groe bronzene
+Broche mit einem unchten Turquis sa, gehalten; in den Ohren hingen ihr
+ebenfalls lange emaillirte unchte Ohrringe, die mit dazu beigetragen
+hatten ihr bei ihren bescheidenen und einfachen Nachbarn den Namen der
+stolzen Jule zu geben, und das Kleid von gutem Stoff und nach neuem
+Schnitt gemacht, zeigte unausgebesserte Risse, und Spuren von Fett, in
+Streifen und Flecken, die schlecht zu dem blitzenden falschen Schmucke
+paten.
+
+Auch in den Augen selber lag etwas Keckes, Unweibliches, das aber doch
+jetzt einem mchtigeren Gefhl gewichen war, denn nur manchmal, bei den
+rauhen Worten, blitzte es an gegen den Mann, und um die Lippen zog sich
+dann ein eigener fester Zug von Trotz und Zorn.
+
+Ich hab' Dir genug zu Willen gethan, da ich mit Dir gehe und die Kinder
+zurcklasse, sagte sie dann nach kleiner Weile -- wenn's mir das Herz
+dabei zusammenzieht, wrst Du schlimmer wie ein Thier, wolltest Du's mir
+wehren. Der Wolf lt seine Brut nicht im Stich, und wir wollen fort --
+
+Der Wolf hat auch drauen zu leben, und fr die Jungen Milch -- wer
+giebt's uns? zischte der Mann zwischen den zusammgebissenen Zhnen durch
+-- wir knnten krepiren hier im Nest, keine Katze miaute deshalb im ganzen
+Kreis.
+
+Ich wei es, ich wei es, sagte die Frau, und das ist das Einzige was
+mich freut, da wir ihnen jetzt einen Streich spielen -- den Lumpen. Und
+wie sie schreien und schimpfen werden -- aber ernhren men sie sie doch,
+davon hilft ihnen kein Gott. Leid thut's Einem freilich immer, die armen
+Dinger, die noch Nichts von der Welt wissen und begreifen, so allein
+zurckzulassen -- wenn ich das Jngste nur mitnehmen drfte -- setzte sie
+leise hinzu.
+
+Komm mir nur jetzt nicht wieder mit dem alten Gewsch, rief aber der
+Mann finster und rgerlich -- ich dchte das htten wir ber und genug
+besprochen und berlegt, und wren einig darber.
+
+Ueberlegt gar nicht, sagte aber die Frau, die Brauen fest
+zusammenziehend -- wenn ich davon anfing hast Du mich immer grob
+angefahren und ausgezankt, und Deinen Willen gehabt dabei, wie bei allem
+Anderen. Ich wei da ich nicht zu den Weichen gehre, aber -- Mutter
+bleibt doch Mutter, und -- 's ist immer ein hlich unnatrlich Ding.
+
+Papperlapapp! sagte der Mann den Kopf herber und hinber werfend --
+unnatrlich -- natrlich ist's allerdings nicht da die Scheunen
+ringsherum voll liegen, und das reiche Lumpenpack das Geld mit vollen
+Fausten zum Fenster hinauswirft, whrend wir hier trocken Brod nagen
+sollen, und das nicht einmal immer kriegen -- schne Natrlichkeit das.
+
+Wenn Du nur nicht den dummen Streich mit dem --
+
+Halt's Maul! brummte aber der Mann mrrisch -- ich sollte mich wohl
+erwischen und anzeigen lassen, da ich jetzt im Zuchthaus s und spnn --
+Gott verdamm mich, ich schsse eher die ganze Bande ber den Haufen, einen
+nach dem anderen -- bist Du nun fertig mit Deinen Sachen?
+
+Ja! sagte die Frau leise und unwillkrlich zusammenschaudernd -- es kann
+fort gehn.
+
+Wir wollen aber doch warten bis es dunkel ist, sagte Steffen nach
+kleiner Pause; besser ist besser, und der Mrtens unten an der Strae
+braucht nicht gleich zu wissen da wir fortgefahren sind, beide zusammen,
+seine Nase hineinzustecken vor der Zeit; er ist mir so schon ein paar Mal
+hier oben herumgekrochen, wo er Nichts zu suchen hatte.
+
+Aber wenn sie uns nun doch vor der Zeit vermissen? sagte die Frau, und
+unserer Spur nachgehn; wenn's jetzt schlimm ist, nachher wird's erst bs,
+und wir drften dann nur gleich mit Sack und Pack abziehn.
+
+In's Arbeitshaus, eh? -- nein, eine Weile halt' ich sie uns schon von den
+Hacken, und Gefahr da sie uns finden, hat es auch nicht. Wo wir zur
+Eisenbahn kommen bin ich bekannt, und habe schon manchmal Vieh da gekauft,
+wenn sie auch eben meinen Namen nicht wissen, und wenn wir fortgehn, lasse
+ich einen alten Hut von mir und das gelbe Tuch von Dir unten an dem tiefen
+Wasserloch unter den Erlen. Sobald Jemand hier in der Gegend vermit wird,
+suchen sie dort immer zuerst, und der Schulze im Dorf hat das Pulver nicht
+erfunden, dem ist leicht was aufgehngt. Bis sie eine Weile stromab
+geangelt haben, sind wir hoffentlich unterwegs, und wenn nicht unter, doch
+ber dem Wasser. Aber ich will jetzt noch einmal hinunter zum Mrtens gehn
+und Mehl holen; es ist auch heute der gewhnliche Tag, und hierher kommt
+nachher keiner so leicht, nimm Du inde die Kinder vor, und instruire sie
+wie sie sich zu verhalten haben.
+
+Und seine Mtze aufgreifend steckte Steffen die Hnde in die Taschen, und
+schlenderte langsam den Hang hinunter dem nchsten, eine gute
+Viertelstunde entfernten Hause zu, whrend die Frau die Kinder zu sich
+hereinrief, das Jngste, ein kleines liebes Mdchen von anderthalb Jahren,
+auf den Schoos nahm, und sich damit still und lautlos in die Ecke setzte.
+
+Die Sonne neigte sich indessen ihrem Untergang, und der Vater kam nach
+etwa einer Stunde, als es schon vllig dunkel geworden war zurck -- die
+Mutter sa noch immer mit dem Kind auf dem Schoos, das bei ihr
+eingeschlafen war, und hielt es fest an sich gedrckt.
+
+So Jule, es ist Zeit, sagte der Mann, seine Arbeitsjacke abwerfend und
+den Rock anziehend, wei die Albertine was sie zu thun hat?
+
+Die Frau zitterte am ganzen Leib, aber sie erwiederte kein Wort, stand
+auf, kte das Kind das sie auf dem Arm trug, und legte es in sein
+Bettchen -- einen Kasten, der in der Ecke der Stube stand.
+
+Albertine, sagte sie dann zu der Aeltesten, und wandte sich von der
+dster brennenden Oellampe, die Steffen auf den Ofen gestellt hatte, ab,
+da die Tochter ihr nicht in die jetzt wirklich todtenbleichen Zge
+schauen sollte -- ich gehe mit dem Vater heute Abend eine Weile fort -- den
+Karl bring ich erst noch zu Bett -- sollten wir morgen frh nicht bei
+Zeiten da sein, so -- so zieh die Kinder an und gieb ihnen zu essen -- der
+Brodschrank ist offen, und Milch steht unter der Diele in der Schssel --
+Du pat mir auf da den Kleinen Nichts passirt -- Du -- Du bist ja schon ein
+groes Mdchen.
+
+Und geht mir nicht vor die Thr morgen, bis wir nicht wieder da sind,
+sagte Steffen, wie ich heut Abend drunten gehrt habe, ist hier ein
+toller Hund herumgelaufen. Das Beste wird sein Ihr haltet die Hausthr zu,
+da er nicht etwa gar herein kommt.
+
+Die Frau hatte dabei das etwa dreijhrige Mdchen das inde gar schlfrig
+geworden war, ausgezogen und in sein Bettchen gelegt -- und der Junge,
+Carl, sa auf der Bank am Fenster, noch auf sein Abendbrod wartend. Aber
+er sah auch erstaunt dabei die Eltern an, die noch nie so spt Abends
+fortgegangen waren, und auch wohl noch nie, oder doch nur selten gar so
+freundlich mit ihnen gesprochen hatten.
+
+Was fr ein Hund ist es, Vater? frug er jetzt, da der Gedanke an den
+tollgewordenen Hund ihn besonders interessiren mochte -- Mrtens' Bello?
+der kennt mich, und beit mich nicht.
+
+Nein, der groe Trk aus dem Dorfe unten, sagte Steffen -- der den
+Mller auch schon einmal gebissen hat.
+
+Oh der ist schlimm! rief der Knabe erschreckt -- da geh' ich gewi nicht
+hinaus.
+
+Geh' nun zu Bett Carl, es ist spt, sagte der Vater.
+
+Ich habe mein Abendbrod noch nicht, brummte der arme kleine Bursch.
+
+So? -- dann wird Dir's Albertine geben -- und -- seid brav und folgt ihr --
+
+
+Er gab dem Knaben und ltesten Mdchen die Hand, und ging zu den Bettchen
+der Kleinen die er kte; dann aber als ob er sich einer solchen Regung
+schme, richtete er sich rasch wieder auf, drckte den Hut in die Stirn,
+und sagte, das Zimmer verlassend, und noch in der Thr sich umdrehend:
+
+Ich warte auf Dich unten am Wasser -- mach schnell!
+
+Sei ein gut Kind Albertine, und hab mir gut auf die Kleinen Acht,
+flsterte die Frau jetzt dem Mdchen zu, das eben dem Bruder ein Stck
+Brod und Salz gegeben hatte, an dem der a und verwundert dabei hinter den
+Vater her aus der Thr, und nach der Mutter schaute, die lange -- o lange
+Zeit nicht so freundlich mit ihnen gesprochen hatte.
+
+Aber Mutter wo geht Ihr nur hin? -- frug das Mdchen, der das Benehmen
+der Eltern ebenfalls auffiel, verwundert.
+
+Auf's Amt, sagte die Frau, auf die Frage schon vorbereitet -- wir mssen
+morgen frh mit Tagesanbruch in der Stadt sein, und wollen gehn so lang's
+khl ist.
+
+Und wann kommst Du wieder?
+
+Hoffentlich morgen gegen Abend -- wenn wir fertig werden; auf dem Amt sind
+sie aber gar weitlufig -- manchmal dauert's lnger als man denkt. Geht mir
+aber nicht vor die Thr, Ihr habt zu essen genug -- jedenfalls sind wir
+morgen Abend um die Zeit wieder da -- und acht' mir auf die Kleinen, Tine --
+sei ein vernnftig gutes Mdchen -- Du bist gro genug. Und -- wenn Jemand
+nach uns fragen sollte, so sag nur wir wren in den Wald gegangen, und
+kmen gleich wieder -- es wird aber wohl Niemand fragen, -- setzte sie
+leise, und wie zu ihrer eigenen Beruhigung hinzu.
+
+Sie sah sich im Zimmer um, ob sie Nichts vergessen habe -- ihr Bndel lag
+aber versteckt drauen vor der Thr, wie der Mann seine gepackte
+Jagdtasche ebenfalls drauen verborgen gehabt und jetzt mitgenommen hatte.
+Ihr Blick berflog auch nur flchtig den kleinen Raum, und haftete dann
+auf dem Bettchen des jngsten Kindes -- sie konnte nicht widerstehn, und
+trat noch einmal zu dem schlummernden Kind.
+
+Geh doch hinaus Tine, und hole ein paar Stcken Holz herein, so lang ich
+noch hier bin, da Du morgen frh Kaffee kochen kannst -- ich bleibe so
+lang bei den Kindern, setzte sie langsam und ohne das lteste Mdchen
+dabei anzusehn, hinzu. Dieses ging, und in wilder, fast ngstlicher Hast
+kte die Frau jetzt die kleine, schon sanft schlummernde Line, und hob
+dann das Jngste aus seinem Kasten, auf dessen rosige Lippen sie den
+eigenen Mund in wilder Heftigkeit prete, bis es schrie. Die Thrnen -- die
+Mutter _konnte_ sich nicht ganz verleugnen in dem Augenblick -- liefen ihr
+dabei voll und schwer die Wangen hinunter, und erst als sie das Aelteste
+mit dem Holz zurckkehren hrte, legte sie das leicht beruhigte Kind
+wieder auf sein Lager, und kte den Jungen, dem die Thrnen auch anfingen
+in die Augen zu steigen. Er wute freilich nicht recht weshalb, und nur
+vielleicht weil er die Mutter weinen sah, wurd' es ihm auch so weh und
+weich um's Herz.
+
+Aber Mutter, was ist Dir nur heute Abend? sagte das Mdchen, dem die
+auergewhnliche Bewegung derselben unmglich entgehen konnte -- was habt
+Ihr nur, Du und der Vater?
+
+Bah -- der Vater war garstig mit mir, und wir haben uns gezankt, sagte
+die Mutter, das Gesicht abwendend von dem Kind.
+
+Ein scharfer Pfiff von drauen her schlug an ihr Ohr, und sie fuhr
+erschreckt in die Hhe.
+
+Ja -- ich komme schon! murmelte sie, kaum hrbar, vor sich hin, so adieu
+Albertine -- hab auf die Kinder Acht, und -- _beht Euch Gott_! und mit
+dem, wie scheu geflsterten und vielleicht seit langer, langer Zeit nicht
+ausgesprochenen Segen, verlie sie rasch das Zimmer und das Haus.
+
+Was zum Teufel trdelst Du denn da drin, und lt mich eine Stunde hier
+warten? rief der Mann mrrisch, als sie ihn endlich an der verabredeten
+Stelle traf -- aber die Frau erwiederte kein Wort, und die fieberheie
+Stirn in die Hand pressend, folgte sie dem, jetzt ebenfalls finster und
+schweigend Voranschreitenden, durch die Nacht.
+
+
+
+
+
+
+***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND***
+
+
+
+CREDITS
+
+
+May 2006
+
+ Project Gutenberg Edition
+ richyfortytwo
+ Joshua Hutchinson
+ Online Distributed Proofreading Team
+
+
+
+A WORD FROM PROJECT GUTENBERG
+
+
+This file should be named 18475-0.txt or 18475-0.zip.
+
+This and all associated files of various formats will be found in:
+
+
+ http://www.gutenberg.org/dirs/1/8/4/7/18475/
+
+
+Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be
+renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no one
+owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and
+you!) can copy and distribute it in the United States without permission
+and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the
+General Terms of Use part of this license, apply to copying and
+distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works to protect the Project
+Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept and trademark. Project Gutenberg is a registered
+trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you
+receive specific permission. If you do not charge anything for copies of
+this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given away
+-- you may do practically _anything_ with public domain eBooks.
+Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+
+
+_Please read this before you distribute or use this work._
+
+To protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work (or
+any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"),
+you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+License (available with this file or online at
+http://www.gutenberg.org/license).
+
+
+Section 1.
+
+
+General Terms of Use & Redistributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works
+
+
+1.A.
+
+
+By reading or using any part of this Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work,
+you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the
+terms of this license and intellectual property (trademark/copyright)
+agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this
+agreement, you must cease using and return or destroy all copies of
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works in your possession. If you paid a fee
+for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work
+and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may
+obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set
+forth in paragraph 1.E.8.
+
+
+1.B.
+
+
+"Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or
+associated in any way with an electronic work by people who agree to be
+bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can
+do with most Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works even without complying
+with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are
+a lot of things you can do with Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works if you
+follow the terms of this agreement and help preserve free future access to
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+
+1.C.
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or
+PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an individual
+work is in the public domain in the United States and you are located in
+the United States, we do not claim a right to prevent you from copying,
+distributing, performing, displaying or creating derivative works based on
+the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of
+course, we hope that you will support the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} mission of
+promoting free access to electronic works by freely sharing Project
+Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works in compliance with the terms of this agreement for
+keeping the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} name associated with the work. You can
+easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
+same format with its attached full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License when you
+share it without charge with others.
+
+
+1.D.
+
+
+The copyright laws of the place where you are located also govern what you
+can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant
+state of change. If you are outside the United States, check the laws of
+your country in addition to the terms of this agreement before
+downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating
+derivative works based on this work or any other Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work.
+The Foundation makes no representations concerning the copyright status of
+any work in any country outside the United States.
+
+
+1.E.
+
+
+Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
+
+
+1.E.1.
+
+
+The following sentence, with active links to, or other immediate access
+to, the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License must appear prominently whenever
+any copy of a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work (any work on which the phrase
+"Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project Gutenberg"
+is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or
+distributed:
+
+
+ This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+ almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away
+ or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License
+ included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org
+
+
+1.E.2.
+
+
+If an individual Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work is derived from the
+public domain (does not contain a notice indicating that it is posted with
+permission of the copyright holder), the work can be copied and
+distributed to anyone in the United States without paying any fees or
+charges. If you are redistributing or providing access to a work with the
+phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the work, you
+must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7
+or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
+
+
+1.E.3.
+
+
+If an individual Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work is posted with the
+permission of the copyright holder, your use and distribution must comply
+with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed
+by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project
+Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License for all works posted with the permission of the
+copyright holder found at the beginning of this work.
+
+
+1.E.4.
+
+
+Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License
+terms from this work, or any files containing a part of this work or any
+other work associated with Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}.
+
+
+1.E.5.
+
+
+Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic
+work, or any part of this electronic work, without prominently displaying
+the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate
+access to the full terms of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License.
+
+
+1.E.6.
+
+
+You may convert to and distribute this work in any binary, compressed,
+marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word
+processing or hypertext form. However, if you provide access to or
+distribute copies of a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work in a format other than
+"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version posted
+on the official Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} web site (http://www.gutenberg.org),
+you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
+copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
+request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other form.
+Any alternate format must include the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License as
+specified in paragraph 1.E.1.
+
+
+1.E.7.
+
+
+Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing,
+copying or distributing any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works unless you comply
+with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
+
+
+1.E.8.
+
+
+You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or
+distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works provided that
+
+ - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works calculated using the method you
+ already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to
+ the owner of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} trademark, but he has agreed to
+ donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60
+ days following each date on which you prepare (or are legally
+ required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments
+ should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4,
+ "Information about donations to the Project Gutenberg Literary
+ Archive Foundation."
+
+ - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License.
+ You must require such a user to return or destroy all copies of the
+ works possessed in a physical medium and discontinue all use of and
+ all access to other copies of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works.
+
+ - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
+ any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
+ receipt of the work.
+
+ - You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works.
+
+
+1.E.9.
+
+
+If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic
+work or group of works on different terms than are set forth in this
+agreement, you must obtain permission in writing from both the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} trademark. Contact the Foundation as set forth in
+Section 3 below.
+
+
+1.F.
+
+
+1.F.1.
+
+
+Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to
+identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain
+works in creating the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} collection. Despite these
+efforts, Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works, and the medium on which they
+may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to,
+incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright
+or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk
+or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot
+be read by your equipment.
+
+
+1.F.2.
+
+
+LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES -- Except for the "Right of
+Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for
+damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE
+NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH
+OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE
+FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT
+WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL,
+PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY
+OF SUCH DAMAGE.
+
+
+1.F.3.
+
+
+LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND -- If you discover a defect in this
+electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund
+of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to
+the person you received the work from. If you received the work on a
+physical medium, you must return the medium with your written explanation.
+The person or entity that provided you with the defective work may elect
+to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the
+work electronically, the person or entity providing it to you may choose
+to give you a second opportunity to receive the work electronically in
+lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a
+refund in writing without further opportunities to fix the problem.
+
+
+1.F.4.
+
+
+Except for the limited right of replacement or refund set forth in
+paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS,' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+
+1.F.5.
+
+
+Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the
+exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or
+limitation set forth in this agreement violates the law of the state
+applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make
+the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state
+law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement
+shall not void the remaining provisions.
+
+
+1.F.6.
+
+
+INDEMNITY -- You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark
+owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works in accordance with this agreement, and
+any volunteers associated with the production, promotion and distribution
+of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works, harmless from all liability, costs
+and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from
+any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of
+this or any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work, and (c) any Defect
+you cause.
+
+
+Section 2.
+
+
+ Information about the Mission of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+
+
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} is synonymous with the free distribution of electronic
+works in formats readable by the widest variety of computers including
+obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the
+efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks
+of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance
+they need, is critical to reaching Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}'s goals and ensuring
+that the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} collection will remain freely available for
+generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation was created to provide a secure and permanent future for
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} and future generations. To learn more about the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations
+can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at
+http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3.
+
+
+ Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of
+Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service.
+The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541.
+Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full
+extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr.
+S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North
+1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information
+can be found at the Foundation's web site and official page at
+http://www.pglaf.org
+
+For additional contact information:
+
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4.
+
+
+ Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive
+ Foundation
+
+
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} depends upon and cannot survive without wide spread
+public support and donations to carry out its mission of increasing the
+number of public domain and licensed works that can be freely distributed
+in machine readable form accessible by the widest array of equipment
+including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are
+particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United States.
+Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable
+effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these
+requirements. We do not solicit donations in locations where we have not
+received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or
+determine the status of compliance for any particular state visit
+http://www.gutenberg.org/fundraising/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we have
+not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against
+accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us
+with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make any
+statements concerning tax treatment of donations received from outside the
+United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods
+and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including
+checks, online payments and credit card donations. To donate, please
+visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate
+
+
+Section 5.
+
+
+ General Information About Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works.
+
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+concept of a library of electronic works that could be freely shared with
+anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} eBooks are often created from several printed editions,
+all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright
+notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance
+with any particular paper edition.
+
+Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook
+number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed
+(zipped), HTML and others.
+
+Corrected _editions_ of our eBooks replace the old file and take over the
+old filename and etext number. The replaced older file is renamed.
+_Versions_ based on separate sources are treated as new eBooks receiving
+new filenames and etext numbers.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}, including how
+to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation,
+how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email
+newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+
+
+
+
+***FINIS***
+ \ No newline at end of file
diff --git a/18475-8.zip b/18475-8.zip
new file mode 100644
index 0000000..668e72e
--- /dev/null
+++ b/18475-8.zip
Binary files differ
diff --git a/18475-h.zip b/18475-h.zip
new file mode 100644
index 0000000..e8773a6
--- /dev/null
+++ b/18475-h.zip
Binary files differ
diff --git a/18475-h/18475-h.html b/18475-h/18475-h.html
new file mode 100644
index 0000000..a3b7ab8
--- /dev/null
+++ b/18475-h/18475-h.html
@@ -0,0 +1,8521 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?>
+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd">
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" lang="de" xml:lang="de"><head><meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /><meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /><link rel="schema.DC" href="http://purl.org/dc/elements/1.1/" /><meta name="DC.Creator" content="Friedrich Gerstäcker" /><meta name="DC.Title" content="Nach Amerika! Erster Band" /><meta name="DC.Date" content="May 2006" /><meta name="DC.Language" content="German" /><meta name="DC.Publisher" content="Project Gutenberg" /><meta name="DC.Identifier" content="http://www.gutenberg.org/etext/18475" /><meta name="DC.Rights" content="This text is in the public domain." /><title>The Project Gutenberg EBook of Nach Amerika! Erster Band by Friedrich Gerstäcker</title><style type="text/css">/*
+The Gnutenberg Press - default CSS2 stylesheet
+
+Any generated element will have a class "tei" and a class "tei-elem"
+where elem is the element name in TEI.
+The order of statements is important !!!
+*/
+
+.tei { margin: 0; padding: 0;
+ font-size: 100%; font-weight: normal; font-style: normal }
+
+.block { display: block; }
+.inline { display: inline; }
+.floatleft { float: left; margin: 1em 2em 1em 0; }
+.floatright { float: right; margin: 1em 0 1em 2em; }
+.shaded { margin-top: 1em; margin-bottom: 1em;
+ padding: 1em; background-color: #eee; }
+.boxed { margin-top: 1em; margin-bottom: 1em;
+ padding: 1em; border: 1px solid black; }
+
+body.tei { margin: 4ex 10%; text-align: justify }
+div.tei { margin: 2em 0em }
+p.tei { margin: 0em 0em 1em 0em; text-indent: 0em; }
+blockquote.tei { margin: 2em 4em }
+
+div.tei-lg { margin: 1em 0em; }
+div.tei-l { margin: 0em; text-align: left; }
+div.tei-tb { text-align: center; }
+div.tei-epigraph { margin: 0em 0em 1em 10em; }
+div.tei-dateline { margin: 1ex 0em; text-align: right }
+div.tei-salute { margin: 1ex 0em; }
+div.tei-signed { margin: 1ex 0em; text-align: right }
+div.tei-byline { margin: 1ex 0em; }
+
+ /* calculate from size of body = 80% */
+div.tei-marginnote { margin: 0em 0em 0em -12%; width: 11%; float: left; }
+
+div.tei-sp { margin: 1em 0em 1em 2em }
+div.tei-speaker { margin: 0em 0em 1em -2em;
+ font-weight: bold; text-indent: 0em }
+div.tei-stage { margin: 1em 0em; font-weight: normal; font-style: italic }
+span.tei-stage { font-weight: normal; font-style: italic }
+
+div.tei-eg { padding: 1em;
+ color: black; background-color: #eee }
+
+hr.doublepage { margin: 4em 0em; height: 5px; }
+hr.page { margin: 4em 0em; height: 2px; }
+
+ul.tei-index { list-style-type: none }
+
+dl.tei { margin: 1em 0em }
+
+dt.tei-notelabel { font-weight: normal; text-align: right;
+ float: left; width: 3em }
+dd.tei-notetext { margin: 0em 0em 1ex 4em }
+
+span.tei-pb { position: absolute; left: 1%; width: 8%;
+ font-style: normal; }
+
+span.code { font-family: monospace; font-size: 110%; }
+
+ul.tei-castlist { margin: 0em; list-style-type: none }
+li.tei-castitem { margin: 0em; }
+table.tei-castgroup { margin: 0em; }
+ul.tei-castgroup { margin: 0em; list-style-type: none;
+ padding-right: 2em; border-right: solid black 2px; }
+caption.tei-castgroup-head { caption-side: right; width: 50%; text-align: left;
+ vertical-align: middle; padding-left: 2em; }
+*.tei-roledesc { font-style: italic }
+*.tei-set { font-style: italic }
+
+table.rules { border-collapse: collapse; }
+table.rules caption,
+table.rules th,
+table.rules td { border: 1px solid black; }
+
+table.tei { border-collapse: collapse; }
+table.tei-list { width: 100% }
+
+th.tei-head-table { padding: 0.5ex 1em }
+
+th.tei-cell { padding: 0em 1em }
+td.tei-cell { padding: 0em 1em }
+
+td.tei-item { padding: 0; font-weight: normal;
+ vertical-align: top; text-align: left; }
+th.tei-label,
+td.tei-label { width: 3em; padding: 0; font-weight: normal;
+ vertical-align: top; text-align: right; }
+
+th.tei-label-gloss,
+td.tei-label-gloss { text-align: left }
+
+td.tei-item-gloss,
+th.tei-headItem-gloss { padding-left: 4em; }
+
+img.tei-formula { vertical-align: middle; }
+
+</style></head><body class="tei">
+
+
+
+
+
+
+
+<div class="tei tei-text" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">
+<div class="tei tei-front" style="margin-bottom: 6.00em; margin-top: 2.00em">
+
+<div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em">
+<div id="pgheader" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 4.00em; margin-top: 4.00em"><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 3.00em; margin-top: 3.00em"><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 2.00em">The Project Gutenberg EBook of Nach Amerika! Erster Band by Friedrich Gerstäcker</p></div><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 3.00em; margin-top: 3.00em"><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost
+ and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it,
+ give it away or re-use it under the terms of the Project
+ Gutenberg License <a href="#pglicense" class="tei tei-ref">included with this
+ eBook</a> or online at <a href="http://www.gutenberg.org/license" class="tei tei-xref">http://www.gutenberg.org/license</a></p></div><pre class="pre tei tei-div" style="margin-bottom: 3.00em; margin-top: 3.00em">Title: Nach Amerika! Erster Band
+
+Author: Friedrich Gerstäcker
+
+Release Date: May 2006 [Ebook #18475]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+
+***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND***
+</pre></div>
+</div>
+
+<hr class="doublepage" /><div class="tei tei-titlePage" style="text-align: center">
+<div class="block tei tei-docTitle" style="text-align: center">
+<span class="tei tei-titlePart" style="text-align: center">Nach Amerika!<br /></span>
+<span class="tei tei-titlePart" style="text-align: center">Ein Volksbuch<br /><br />
+Erster Band<br /></span>
+</div>
+<div class="tei tei-byline" style="text-align: center">von<br />
+<div class="block tei tei-docAuthor" style="text-align: center">
+Friedrich Gerstäcker.<br /></div>
+Illustrirt von <span class="tei tei-name" style="text-align: center">Theodor Hosemann</span>.</div>
+
+<span class="tei tei-docImprint" style="text-align: center">
+Leipzig, Hermann Costenoble, Verlagsbuchhandlung<br />
+Berlin, Rudolph Gaertner, Amelang'sche Sort-Buchhandlung
+</span><br /><br />
+<span class="tei tei-docDate" style="text-align: center"><span class="tei tei-date" style="text-align: center">1855</span></span>
+</div>
+
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em">
+<p class="tei tei-p" style="text-align: center; margin-bottom: 1.00em"></p><div class="tei tei-figure" style="text-align: center"><img src="images/illu001.jpg" width="511" height="666" /></div>
+</div>
+
+</div>
+
+<div class="tei tei-body" style="margin-bottom: 6.00em; margin-top: 6.00em">
+
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em">
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Nach Amerika!</span></h1>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Wie man ein Bild, aus einem Werk heraus, vorn auf
+den Umschlag bringt, den Beschauer dadurch gewissermaßen
+in den Charakter des Ganzen einzuweihen, so will auch ich
+hier den Anfang des einen Capitels, aus der Mitte des Bandes
+heraus, zum Vorwort wählen, den Leser gleich von vorn
+herein mit dem bekannt zu machen, was ich ihm biete.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika!« — Leser, erinnerst Du Dich noch der
+Märchen in »Tausend und eine Nacht«, wo das kleine Wörtchen
+»Sesam« dem, der es weiß, die Thore zu ungezählten
+Schätzen öffnet? hast Du von den Zaubersprüchen gehört, die
+vor alten Zeiten weise Männer gekannt, Geister heraufzurufen
+aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich
+dienstbar zu machen? — Mit dem ersten Klang der einfachen
+Sylbe schlugen, wie sich die Sage seit Jahrhunderten im
+Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner zusammen,
+die Erde bebte, und das kecke, tollkühne Menschenkind das sie
+gesprochen, bebte zurück vor der furchtbaren Gewalt die es
+heraufbeschworen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Die</span></em> Zeiten sind vorüber; die Geister, die damals dem
+Menschengeschlecht gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder
+wir haben auch vielleicht das rechte Wort vergeben sie zu
+rufen — aber ein anderes dafür gefunden das, kaum minder
+stark, mit <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">einem</span></em> Schlage das Kind aus den Armen der Eltern,
+den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhältnissen
+und Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden
+reißt, in dem es bis dahin mit seinen stärksten, innigsten Fasern
+treulich festgehalten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika,« leicht und keck ruft es der Tollkopf
+trotzig der ersten schweren, traurigen Stunde entgegen, die
+seine Kraft prüfen sollte, seinen Muth stählen — »nach Amerika,«
+flüstert der Verzweifelte der hier am Rand des Verderbens
+dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde — »nach
+Amerika,« sagt still und entschlossen der Arme, der
+mit männlicher Kraft, und doch immer und immer wieder vergebens
+gegen die Macht der Verhältnisse angekämpft, der um
+sein »tägliches Brod« mit blutigem Schweiß gebeten — und
+es nicht erhalten, der keine Hülfe für sich und die Seinen hier
+im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">will</span></em>, nicht stehlen
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kann</span></em> — »nach Amerika« lacht der Verbrecher nach glücklich
+verübtem Raub, frohlockend der fernen Küste entgegen jubelnd,
+die ihm Sicherheit bringt vor dem Arm des beleidigten Rechts — »nach
+Amerika,« jubelt der Idealist, der wirklichen Welt
+zürnend, weil sie eben wirklich ist, und über dem Ocean drüben
+ein Bild erhoffend, das dem in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht — »nach Amerika« und mit dem einen Wort
+liegt hinter ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes früheres Leben,
+Wirken, Schaffen — liegen die Bande die Blut oder Freundschaft
+hier geknüpft, liegen die Hoffnungen die sie für hier gehegt,
+die Sorgen die sie gedrückt — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">»nach Amerika!«</span></em></p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">So gährt und keimt der Saame um uns her — hier
+noch als leiser, kaum verstandener Wunsch im Herzen ruhend,
+dort ausgebrochen zu voller Kraft und Wirklichkeit, mit der
+reifen Frucht seiner gepackten Kisten und Kasten. Der Bauer
+draußen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain, der ihn
+zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so
+schwer geärgert, und der im Geist schon die langen geraden
+Furchen zieht, weit über dem Meer drüben, in dem fetten,
+herrlichen Land; — der Handwerker in seiner Werkstatt, dem
+sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt, mit Neuerungen
+und großen, marktschreierischen Firmen, die wenigen
+Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">seine</span></em> Thür zu
+locken; der Künstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube,
+der über einer freieren Entwickelung brütet, und von einem
+Lande schwärmt wo Nahrungssorgen ihm nicht Geist und
+Hände binden; — der Kaufmann hinter seinem Pult, der
+Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Büchern
+zieht, und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt, von
+einem neuen, andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen,
+von reich gefüllten Waarenhäusern träumt; in Tausenden von
+ihnen drängt's und treibt's und quält's, und wenn sie auch
+noch vielleicht Jahre lang nach außen die alte frühere Ruhe
+wahren, in ihren Herzen glüht und glimmt der Funke fort — ein
+stiller aber ein gefährlicher Brand. Jeder Bericht über
+das ferne Land wird gelesen und überdacht, neue Arzenei,
+neues Gift bringend für den Kranken. Vorsichtig und ängstlich,
+und wie weit herum um ihr Ziel, daß man die Absicht
+nicht errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem
+Ding — nach Leuten die vordem »hinüber« gezogen und denen
+es gut gegangen — nach Land- und Fruchtpreis, Klima,
+Boden, Volk — für Andere natürlich, nicht für sich etwa — sie
+lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will
+hinüber, ein entfernter Verwandter oder naher Freund, sie
+wünschen daß es dem wohl geht, und häufen mehr und mehr
+Zunder für sich selber auf.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">So ringt und drängt und wühlt das um uns her; keiner
+ist unter uns, dem nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter
+den <span class="tei tei-foreign"><span style="font-style: italic">salto mortale</span></span> gethan, und Alles hinter sich gelassen,
+was ihm einst lieb und theuer war — aus dem, aus
+jenem Grund — und täglich, stündlich noch hören wir von
+anderen, von denen wir im Leben nie geglaubt daß <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">sie</span></em> je an
+Amerika gedacht, wie sie mit Weib und Kind und Hab und
+Gut hinüberziehn.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Und dort? — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"> — Die vorliegenden Blätter sollen dem Leser ein Bild
+geben von dem Leben und Treiben solcher Leute. Hier aus
+unserer Mitte heraus, aus den verschiedenartigsten Verhältnissen
+und Sphären, aus allen Schichten der menschlichen
+Gesellschaft sehen wir sie ziehen — Gute und Böse, den Leichtsinnigen
+und den Spekulanten, den Bauer und Handwerker,
+den Gelehrten und den Arbeiter, den rechtschaffenen Bürger
+und den heimlichen Verbrecher, Alle dem <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">einen</span></em> Ziel entgegenstrebend.
+Und <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Alle</span></em> vereinigt sie das Schiff; der eine
+kleine Bau, der hunderte von Menschen auf seinem schwanken
+Kiel hinüberträgt, dem fernen Welttheil zu; oh was für Hoffnungen,
+was für Pläne und Träume birgt er in seinem Schooß.
+Aber die Auswanderer liegen die langen Wochen, ja Monate,
+verpuppten Raupen gleich, im engen Haus, still und gedrängt
+beisammen; Jeder mit dem alten Leben abgeschlossen hinter
+sich, mit dem neuen noch nicht begonnen, in einem wunderlichen
+unnatürlichen Zustand, ungeduldiger Ruhe, bis der
+Anker in die Tiefe rollt, und die ausgeschobene schmale Planke
+der bunten Schaar von Tag- und Nachtfaltern den Weg in's
+Freie öffnet.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Hinaus flattern sie da nach allen Seiten, wie eine Hand
+voll Spreu, vom Winde fort geführt; die Einen selbstbewußt
+und keck dem fremden, unbekannten Leben in die Arme springend,
+die Anderen scheu und zaghaft bei jedem Schritte fast moralische
+Selbstschüsse und Fußangeln fürchtend; Alle aber entschlossen,
+die meisten sogar gezwungen, dem neuen Vaterlande
+die, im alten aufgegebene Existenz abzuringen, Jeder in seiner
+Art, auf seine Weise.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Dort nun sehen wir sie schaffen und wirken in Gutem
+und Bösen, die Einen mit ihren kühnsten Hoffnungen erfüllt,
+Andere, zerknirscht und zertreten, die Stunde verwünschend,
+die den Gedanken an Auswanderung gebar — sehn wie sich
+die Wildniß lichtet, wie Farmen und Städte entstehn, und
+sich das deutsche Element ausbreitet nach allen Seiten, und
+folgen den einzelnen Bekannten und Freunden, die wir zu
+Hause schon, oder auf der Fahrt erst lieb gewonnen, oder für
+die wir uns interessiren, auf ihren verschiedenen, oft wunderlichen
+Bahnen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Manchen alten Reisegefährten führ ich dabei dem Leser
+vor, und hoffe ihn nicht zu langweilen, den weiten Weg;
+schlafen wir dann auch manchmal draußen im Freien, oder in
+niederer Blockhütte auf dünnem »Quilt«, müssen wir auch
+eine Zeit lang mit Maisbrod und Wildpret, oder gar mit
+Speck und Syrup verlieb nehmen, wie es der Farmer am
+Ohio liebt, wir lernen doch das Land kennen, mit seinen
+guten und schlechten Eigenschaften, seinen Vortheilen und
+Mängeln, seinen Bürgern und Einwanderern, seinen inneren
+Verhältnissen, seinem Leben und seiner Lebenskraft, und bin
+ich im Stande ihn auch nur einen Blick in jene ferne, von
+Tausenden so heiß ersehnte Welt, wie ich sie selbst gefunden,
+thun zu lassen, so hab ich meinen Zweck mit diesem Buch
+erreicht.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-hi"><span style="letter-spacing: 0.20em">Rosenau</span></span> bei Coburg im September 1854.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="text-align: right; margin-bottom: 1.00em">Friedrich Gerstäcker.</p>
+</div>
+
+<hr class="doublepage" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em">
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Inhalt des ersten Bandes.</span></h1>
+<ul class="tei tei-index tei-index-toc"><li><a href="#toc1">Das Dollinger'sche Haus</a></li><li><a href="#toc4">Der rothe Drachen</a></li><li><a href="#toc7">Der Diebstahl</a></li><li><a href="#toc10">Franz Loßenwerder</a></li><li><a href="#toc13">Die Auswanderungs-Agentur</a></li><li><a href="#toc16">Die Weberfamilie</a></li><li><a href="#toc19">Nach Amerika</a></li><li><a href="#toc22">Der Tanz im rothen Drachen</a></li><li><a href="#toc25">Rüstungen</a></li><li><a href="#toc28">Die beiden Familien</a></li></ul>
+</div>
+
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em">
+<span class="tei tei-pb" id="page001">[pg 001]</span><a name="Pg001" id="Pg001" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc1" id="toc1"></a>
+<a name="pdf2" id="pdf2"></a>
+<a name="pdb3" id="pdb3"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 1.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Das Dollinger'sche Haus.</span></h1>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger zu Heilingen — einer
+nicht unbedeutenden Stadt Deutschlands — hatte
+am Sonntag Mittag, ein kleines Familienfest die Glieder
+des Hauses um den Speisetisch versammelt, und diesen heute
+in außergewöhnlicher Weise mit Blumen geschmückt, und delicaten
+Speisen und Weinen gedeckt. Es war der Geburtstag
+der zweiten Tochter des Hauses, der liebenswürdigen Clara
+und nur ihr erklärter Bräutigam, ein junger deutscher, in
+New-Orleans ansässiger Kaufmann, als Gast der Familie
+zugezogen worden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Am oberen Ende des Tisches, um dem Leser die Personen
+gleich in Lebensgröße vorzuführen, saß Vater Dollinger, ein
+etwas wohlbeleibter aber behäbiger, stattlicher Mann, mit klaren,
+blauen, unendlich gutmüthigen Augen und schneeweißen
+Locken und Augenbrauen, die aber dem edel geschnittenen Ge<span class="tei tei-pb" id="page002">[pg 002]</span><a name="Pg002" id="Pg002" class="tei tei-anchor"></a>sicht
+gar gut und ehrwürdig standen. Ihm zur Rechten saß
+seine Frau, allem Anschein nach etwa funfzehn oder sechzehn
+Jahre jünger wie er selber, und durch ihr volles, dunkelbraunes
+Haar vielleicht auch noch sogar jünger aussehend, als sie wirklich war.
+Sie ebenfalls, mit ihrer stattlichen Gestalt, hatte
+einen leichten Anflug zu Corpulenz, aber das etwas ausgeschnittene
+Kleid, wie die schwere goldene Kette, Broche und
+Ohrringe, die sie fast etwas zu reichlich schmückten, paßten
+nicht ganz zu dem sonst so freundlichen, matronenhaften
+Aeußern.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Clara neben ihr, war das veredelte Bild der Eltern; die
+lieben treublauen Augen schauten gar so vertrauungs- und
+unschuldsvoll hinein in die Welt, an deren Schwelle sie stand,
+und die ihr, wie ein eben geöffnetes, prachtvoll gebundenes
+Buch auf den ersten, flüchtig durchblätterten Seiten, nur freundliche
+Blumen und ihr zulächelnde Gestalten zeigte. Kein
+Schmerz hatte diese engelsanften Züge noch je durchzuckt, keine
+Thräne wirklichen Schmerzes den reinen Blick getrübt, und die
+ganze zarte, sinnige Gestalt glich der eben entkeimenden Frühlingsblüthe
+im sonnigen Wald, die dem jungen Frühlingstag
+in Glück und Unschuld die schwellenden Lippen zum Kusse
+bietet, und in der blitzenden Thauperle ihres Kelchs, den reinen
+Aether über sich, nur schöner, nur glühender zurückspiegelt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Ihre um nur wenige Jahre ältere Schwester, Sophie, die
+an des Vaters Seite saß, ähnelte der Schwester in mancher
+Hinsicht an Gestalt, aber das einfach kindliche, was Clärchen
+jenen unendlichen Reiz verlieh, fehlte ihr. Ihre Gestalt war
+<span class="tei tei-pb" id="page003">[pg 003]</span><a name="Pg003" id="Pg003" class="tei tei-anchor"></a>voller, majestätischer, aber auch ihr Blick mehr kalt und stolz;
+»ich bin des reichen Dollingers Kind« lag klar und deutlich
+in den scharf zusammengezogenen Mundwinkeln, in dem fest
+und entschieden, blitzenden Auge, und auch ihre Kleidung, ihr
+Schmuck war, wenn nicht reicher, doch jedenfalls mehr in's
+Auge springend, Bewunderung fordernd.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Zwischen Beiden saß Clara's Bräutigam, ein junger, bildhübscher
+Mann in moderner, fast für einen Mann etwas zu gewählter
+und sorgfältig geordneter Kleidung; er trug das Haar in
+natürlichen dunkelbraunen Locken und das Gesicht glatt rasirt,
+bis auf einen kleinen, aufmerksam gekräußten, und nur bis zur
+halben Backe reichenden Backenbart, an den Fingern aber mehre
+sehr kostbare Diamant-Ringe, eine Brillant-Tuchnadel von
+prachtvollem Feuer, und eine schwere goldene, ebenfalls mit
+kleinen Edelsteinen besetzte Uhrkette.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Bekanntschaft Clara's und ihrer Eltern hatte er dabei
+auf eine etwas romantische Weise, und zwar gleich als ihr
+Lebensretter oder doch Befreier aus einer nicht unbedeutenden
+Gefahr gemacht. Herr und Frau Dollinger waren nämlich
+mit ihren beiden Töchtern im vorigen Herbst auf einer Rheinreise
+bei Rüdesheim aus- und zu dem kleinen Waldtempel
+oben über Asmannshausen hinaufgestiegen, um sich von dort
+nach dem Rheinstein übersetzen zu lassen; die Mutter hatte aber
+durch das nicht gewohnte Bergsteigen heftige Kopfschmerzen
+bekommen oder, was wahrscheinlicher ist, ennuyirte sich am Land
+und wünschte an Bord des Dampfers zurückzukehren, und als
+sie gerade mit dem Kahn über den Rhein fuhren, kam ein<span class="tei tei-pb" id="page004">[pg 004]</span><a name="Pg004" id="Pg004" class="tei tei-anchor"></a>
+Dampfboot stromab, und hielt auf ihr Winken, sie an Bord
+zu nehmen. Herr und Frau Dollinger, mit Sophie, von den
+Kahnführern unterstützt, hatten auch schon glücklich die Treppe
+und das Deck erreicht, und dicht hinter ihnen folgte Clara, als
+diese sich plötzlich erinnerte, ihre Geldtasche im Kahn vergessen
+zu haben, und anstatt diese sich heraufreichen zu lassen,
+selber wieder zurücksprang sie zu holen. Durch das Hineinspringen
+fing aber der schmale Kahn an zu schwanken, während
+sie, die vergessene kleine Tasche aufhebend, das Gleichgewicht
+verlor und, mit dem Kopf voran, in den Rhein stürzte.
+Unglücklicher Weise waren gerade in dem nämlichen Augenblick
+die Kahnleute an Deck des Dampfers gestiegen, den Koffer
+eines Passagiers, der mit an Land fahren wollte, in ihren
+Kahn zu heben, und wenn sie jetzt auch, auf das Geschrei an
+Bord, rasch in diesen zurücksprangen, trieb doch Clara schon
+hinter dem Dampfboot aus, als der junge, eben von Amerika
+zurückgekehrte Mann, der dem ganzen Vorfall vom Deck des
+Dampfers zugesehn, mit keckem Muth ins Wasser sprang und
+die Jungfrau doch wenigstens so lange an der Oberfläche unterstützte,
+bis das Boot herbeikam sie beide aufzunehmen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das Weitere nahm einen ziemlich einfachen Verlauf,
+Joseph Henkel, wie der junge Mann hieß, gewann sich in den
+nächsten Wochen, die er in der Gesellschaft der ihm zu großen
+Dank verpachteten Familie zubrachte, die Achtung des Vaters
+und die Liebe von Mutter und Tochter, und als er zuerst bei
+der Mutter um die Hand der Tochter anhielt, sagten Beide
+nicht nein. Allerdings wollte der Vater erst, wenn auch nicht
+<span class="tei tei-pb" id="page005">[pg 005]</span><a name="Pg005" id="Pg005" class="tei tei-anchor"></a>gerade Schwierigkeiten machen, doch etwas Genaueres über
+die Existenzmittel eines Mannes erfahren, dem er das Glück
+und Leben eines lieben Kindes anvertrauen sollte. Henkel
+selber bot ihm dazu die Hand und gab ihm Adressen an verschiedene
+Häuser in New-Orleans, die ihm über seine dortige
+Stellung genaue Auskunft geben konnten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Nach seinem Vermögen mochte der alte Dollinger, wenn
+auch Kaufmann, nicht so genau forschen; er war selber
+reich genug, einen <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">reichen</span></em> Schwiegersohn entbehren zu
+können, und etwas Vermögen mußte der junge Mann
+haben, dafür bürgte sein ganzes Auftreten, bürgte besonders
+in den Augen seiner Frau der reiche und wirklich kostbare
+Schmuck, den er trug. Joseph Henkel war aber auch außerdem
+ein interessanter und sehr gescheidter Mann, der Manches
+in der Welt schon gesehen und erlebt, und das Gesehene
+und Erlebte mit lebendigen Farben und Worten zu schildern
+wußte. Er hatte die ganzen Vereinigten Staaten von
+Nord nach Süd und von Ost nach West durchstreift, und dort
+theils seinen Geschäften gelebt, theils gejagt, sogar ein kleines
+Dampfschiff auf dem Arkansas laufen gehabt, mit den Indianern
+Handel zu treiben, und ihnen die Produkte des Ostens
+gegen ihre eigenen Fabrikate und den Gewinn ihrer Jagden
+einzutauschen. Er war auch einmal von jenen wilden trotzigen
+Stämmen, die uns Cooper so herrlich und unübertroffen beschrieben,
+gefangen genommen und zum Opfertod verdammt,
+und damals wirklich nur durch ein halbes Wunder gerettet
+worden, und Clara hatte eine ganze Nacht nicht schlafen kön<span class="tei tei-pb" id="page006">[pg 006]</span><a name="Pg006" id="Pg006" class="tei tei-anchor"></a>nen,
+nur in der Angst und Unruhe um die entsetzliche Gefahr,
+der sich der tollkühne Mensch damals schon ausgesetzt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der junge Mann schien aber zwischen jenen wilden Stämmen
+den Umgang mit civilisirten Menschen keineswegs verlernt
+zu haben, und besaß ganz besonders ein fast wunderbares
+Geschick, sich seiner Umgebung anzuschmiegen, und sich in ihre
+Charaktere ordentlich hineinzuleben. Als ein tüchtiger und
+raffinirter Kaufmann, der vorzüglich eine vortreffliche statistische
+Kenntniß der Union besaß, gewann er sich dabei, und gleich
+von allem Anfang an, die Achtung des alten Dollinger. Der
+Frau aber hatte er leicht ihre kleinen, oft liebenswürdigen
+Schwachheiten abgelauscht, und wußte ihnen auf so geschickte
+Art zu begegnen, daß Frau Dollinger, mit der Rettung des
+geliebten Kindes im Hintergrund, schon nach sehr kurzer Zeit
+ganz entzückt von ihm war, und sein Lob dem Gatten unaufhörlich
+redete. Auch mit der älteren Schwester, Sophie, wußte
+sich Henkel bald auf guten Fuß zu stellen; er hatte bei ihr das
+leichteste Spiel, denn ihre Schwächen lagen offen zu Tag,
+denen aber schmeichelte er mit solcher Liebenswürdigkeit, daß
+ihm Clara, die es fühlte wie er dabei aus sich herausging
+und etwas annahm was ihm nicht natürlich war, oder doch
+jedenfalls dem Mann, den sie liebte, nicht natürlich sein <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">sollte</span></em>,
+dennoch nicht böse darüber werden konnte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Desto freier, offener und natürlicher war er dafür gegen
+sie selber; er las, sang und spielte Pianoforte mit ihr, lehrte
+sie eine Menge kleiner reizender, schottischer und irischer Lieder,
+oder plauderte mit ihr leicht und sorglos Stunden lang in den<span class="tei tei-pb" id="page007">[pg 007]</span><a name="Pg007" id="Pg007" class="tei tei-anchor"></a>
+Tag hinein, und konnte oft so herzlich dabei lachen, daß es
+Einem ordentlich gut that, ihm zuzuhören. Selbst Sophie entsagte
+dann nicht selten ihrem sonst etwas mehr abgeschlossenen,
+fast steifen Wesen und kam zu ihnen, Theil an ihrer Fröhlichkeit
+zu nehmen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Nur in den letzten Tagen war der junge »Amerikaner«
+wie er im Hause gewöhnlich scherzhaft hieß, oder der »Delaware«
+wie ihn Sophie, wenn sie manchmal bei recht guter
+Laune war, nannte, auffällig niedergeschlagen gewesen; er hatte
+Briefe von Amerika bekommen, wie er sagte, und ein sehr
+lieber Freund von ihm war dort schwer erkrankt, auch ein
+Schiff das ihm gehörte, und das nicht versichert worden, so
+lange ausgeblieben, daß sein Compagnon fast den Untergang
+desselben befürchte. Der alte Herr Dollinger tröstete ihn deshalb,
+und er schien sich auch darüber hinwegzusetzen, die sonst
+so blühende Farbe seiner Wangen wollte aber doch nicht
+sogleich wieder dorthin zurückkehren, und das Auge hatte etwas
+Unsicheres, Unstätes, ihm sonst gar nicht Eigenes bekommen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Nur heute, zu dem Fest der holden Jungfrau, die er bald
+die seine zu nennen hoffte, hatte er all die trüben Gedanken,
+welcher Art sie auch gewesen, und woher sie stammten, von
+sich abgeschüttelt, und war ganz wieder der frohe glückliche
+Mann, wie ihn Clara kennen — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">lieben</span></em> gelernt. Auf seinen
+Wunsch nur, womit Frau Dollinger eigentlich nicht ganz einverstanden
+gewesen, war auch heute keine größere Gesellschaft
+geladen worden, sondern die kleine Familie speiste ganz »unter
+sich« in dem festlich mit Blumen und Guirlanden geschmückten<span class="tei tei-pb" id="page008">[pg 008]</span><a name="Pg008" id="Pg008" class="tei tei-anchor"></a>
+Zimmer des jungen liebenswürdigen Geburtstagkindes. Frau
+Dollinger hatte sich eigentlich schon länger auf eine zu diesem
+Zweck einzuladende, größere Gesellschaft gefreut. Herr Dollinger
+selber hielt aber nicht viel von solchen Fêten; dafür jedoch bedung
+sie sich aus, daß sie wenigstens den Nachmittag spatzieren
+fahren wollten, wobei sie der junge Henkel gewöhnlich zu Pferde
+begleitete.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Etwas that aber der alte Herr Dollinger gern, und zwar
+ein Glas Champagner trinken, und der zweite Stöpsel war
+eben lustig hinausgeknallt, der Gesundheit des »jungen Brautpaares«
+zu Ehren, als die Thür aufging und Loßenwerder,
+ein Comptoirdiener des Hauses, mit einem kleinen Paket in's
+Zimmer trat.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Loßenwerder war schon seit elf oder zwölf Jahren im
+Haus, und seinem Aeußern nach eben keine angenehme Persönlichkeit;
+er hinkte auf dem linken Bein, das er als Kind
+einmal gebrochen, war überhaupt häßlicher und magerer Natur,
+und schielte auf dem rechten Auge, wodurch sein sonst gerade
+nicht unangenehmes Gesicht einen etwas falschen Ausdruck bekam.
+Das Störendste aber an dem ganzen Menschen war sein
+Stottern, wegen dem man sich auf ein längeres Gespräch gar
+nicht mit ihm einlassen konnte, und kam er einmal in Affekt,
+konnte er kein Wort mehr herausbringen. Frau Dollinger
+sowohl wie Sophie konnten ihn auch nicht leiden, ja die letztere
+behauptete sogar er verstelle sich und sie habe ihn schon ganz
+ordentlich, wenigstens zehntausend Mal besser sprechen hören,
+als er es jedesmal affektire, wenn er zu ihnen in die Wohnung
+<span class="tei tei-pb" id="page009">[pg 009]</span><a name="Pg009" id="Pg009" class="tei tei-anchor"></a>komme; Clara aber hatte Mitleid mit dem armen Menschen,
+den sie seines Unglücks wegen innig bedauerte, schenkte ihm
+oft eine Kleinigkeit und spottete nie über ihn, während Herr
+Dollinger selber, ihn als einen brauchbaren und treuen Diener,
+der noch außerdem eine vortreffliche Hand schrieb, kannte und
+sehr zufrieden mit ihm war, ihm auch jedes nur mögliche Vertrauen
+bewieß.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hallo, Loßenwerder, was bringst Du mir da in's Haus?«
+rief ihm sein Principal jetzt halb lachend, halb erstaunt entgegen,
+als der kleine Mann das Zimmer betrat und schüchtern
+an der Thüre stehen blieb — »ist das für mich oder meine
+Tochter?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gewiß für mich, Väterchen,« rief Clara, rasch von ihrem
+Sitze aufspringend — »siehst Du, der Onkel hat mich doch
+nicht ganz vergessen mit meinem Fest, und mir Gruß und Geschenk
+geschickt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hehehe — mö — mö — möchten es sich wo — wo — wo — wo — wohl
+wü — n — nschen Fräulein« lachte aber der Stotternde,
+indem er Herrn Dollinger zuwinkte, daß das Paket für ihn
+sei — »ka — ka — ka — kann ich mir de — de — de — de — denken — Go — go — gold
+und Ba — ba — ba — ba — bank — no — noten.«
+Er zog dabei einen Brief aus der Tasche, den er dem Herrn
+übergab.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, hm, hm« sagte aber dieser kopfschüttelnd, »und das
+bringst Du mir jetzt in's Haus — gerade wo ich ausfahren
+will — warum hast Du es denn nicht dem Cassirer gegeben?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page010">[pg 010]</span><a name="Pg010" id="Pg010" class="tei tei-anchor"></a>»Ni — ni — nirgends zu fi — fi — fi — finden« stotterte Loßenwerder.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Herr Dollinger warf den Kopf, den Brief flüchtig durchfliegend,
+herüber und hinüber, sagte dann aber, aufstehend und
+das Papier vor sich hinlegend:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, da läßt sich denn weiter Nichts ändern; gieb mir
+das Paket Loßenwerder, und sieh dann zu, daß Du Herrn
+Reibich findest. Ich lasse ihn bitten um sieben oder halb acht
+Uhr heute Abend auf einen Augenblick zu mir zu kommen — verstanden?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja — ja — jawohl He — he — he — herr Do — do — do — Do — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Schon gut« lachte Herr Dollinger, ihm zuwinkend,
+»und hier, Loßenwerder, magst Du auch einmal ein Glas auf
+das Wohl meiner Tochter trinken. Fräulein Clara's Geburtstag
+ist heute — hier Clara, reich es dem jungen Herrn.« Er
+füllte dabei ein Wasserglas bis zum Rande voll von dem
+funkelnden, schäumenden Naß, und während Clara mit freundlichem
+Lächeln dem armen Teufel das Glas credenzte, nahm
+Herr Dollinger das Paket mit Geld, ging zu dem nahen Secretair,
+in dem der Schlüssel stak, öffnete ihn, legte das Geld
+hinein, zog dann den Schlüssel ab und sagte, diesen der Tochter
+überreichend:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So Kinder, heute müßt Ihr einmal auf ein paar Stunden
+mein Cassirer sein, bis der andere aufgefunden werden
+kann.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Clara nickte dem Vater freundlich zu, und Loßenwerder,
+<span class="tei tei-pb" id="page011">[pg 011]</span><a name="Pg011" id="Pg011" class="tei tei-anchor"></a>der das volle Glas in der Hand hielt und auf einmal ganz
+blutroth im Gesicht geworden war, hob es empor und rief
+stotternd:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Fr — re, re, re, re, re, räu — le — le — lein Cla — ra — ra — ra — ra — aus
+ga — ga — ganzem He — he — he — he — he — he — her — ze — ze — zen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Als ob er aber mit den Worten in der Kehle Luft gemacht,
+setzte er das Glas an, und der Wein verschwand wie
+durch Zauberei.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Alle Wetter« lachte Herr Dollinger, der sich gerade nach
+ihm umdrehte, »Loßenwerder hat einen vortrefflichen Zug — nun? — hat's
+geschmeckt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gu — gut Herr Do — do — do — do — do.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Genug, genug« winkte ihm der Principal wieder ab — »also
+bestell mir das ordentlich.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Loßenwerder, der Art entlassen, und vielleicht froh aus
+einer Umgebung zu kommen, in der er sich nicht heimisch
+fühlen konnte, setzte das Glas auf einen Seitentisch ab, machte
+eine etwas linkische Verbeugung, und wohl wissend daß er zu
+einem ordentlichen Danke doch keine Zeit mehr übrig hatte,
+empfahl er sich ohne weiter auch nur einen Versuch zu mündlichem
+Abschied zu machen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Eine unangenehme Persönlichkeit« sagte Frau Dollinger
+zu ihrem Schwiegersohn <span class="tei tei-foreign"><span style="font-style: italic">in spe</span></span>, als der Mann noch die Thür
+nicht einmal ordentlich hinter sich geschlossen hatte; »ich kann
+mir nicht helfen, auf mich macht der Mensch immer einen fatalen
+Eindruck.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page012">[pg 012]</span><a name="Pg012" id="Pg012" class="tei tei-anchor"></a>»Wie — wie befehlen Sie meine Gnädige?« sagte der
+junge Henkel etwas zerstreut; Sophie bog sich in diesem Augenblick
+zu ihm nieder und flüsterte ihm ein paar Worte zu — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Er kann ja doch Nichts für seine Gebrechen« nahm Clara
+aber die Antwort auf, »und thut gewiß Alles in seinen Kräften
+sie eben durch gutes Betragen vergessen zu machen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Papa, ich würde das Geld auch nicht so offen in dem
+Secretair da liegen lassen« sagte Sophie.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nicht so offen? — ich habe ja zugeschlossen — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun, es ist immer nicht gerade gut, wenn die Dienstleute
+wissen wo man Geld liegen hat« stimmte die Mutter bei.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dienstleute?« meinte Herr Dollinger — es war ja Niemand
+von ihnen im Zimmer — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Doch Loßenwerder?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bah« lachte der Kaufmann, mit dem Kopf schüttelnd.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ist es denn viel?« frug seine Frau.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun, der Mühe werth wär's immer« sagte Herr Dollinger,
+»fünf Tausend Thaler etwa — es soll aber auch nicht
+über Nacht da liegen bleiben, und Loßenwerder hat mir auf
+heute Abend den Cassirer zu bestellen, das Geld an sicheren
+Ort zu legen, bis ich morgen darüber verfügt habe.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der Loßenwerder verwandte keinen Blick von dem Geld,
+so lang er im Zimmer war« sagte die Mutter, mit dem Finger
+vor sich hindrohend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Lieber Gott, Mütterchen, Du weißt ja aber doch daß er
+schielt« vertheidigte ihn lachend Clara — »eben so fest und
+unverwandt hat er mich indessen mit dem andern Auge ange<span class="tei tei-pb" id="page013">[pg 013]</span><a name="Pg013" id="Pg013" class="tei tei-anchor"></a>sehen;
+seine Schuld ist's nicht daß er zwei Stellen auf einmal
+im Auge behalten muß.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Laßt mir den armen Teufel zufrieden« sagte aber auch
+Herr Dollinger — »der ist mir nützlicher wie zwei von meinen
+anderen Leuten; mehr zum Nutzen wie Staat freilich, aber Staat
+will er auch nicht machen. Jetzt übrigens Kinder wird es Zeit
+daß wir uns rüsten, und Henkel, Sie müssen noch Ihr Pferd
+holen lassen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich habe es schon, in der Voraussetzung daß wir bei
+dem schönen Wetter doch wohl eine kleine Parthie machen
+würden, hierher bestellt,« erwiederte rasch der junge Mann — wünschen
+Sie den Wagen jetzt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich glaube ja, je eher, desto besser; die Tage sind kurz
+und wenn wir noch eine Stunde oder zwei fahren wollen, dürfen
+wir nicht mehr viel länger warten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Ihr Mädchen möchtet Euch ein wenig warm einpacken«
+sagte jetzt die Mutter, alles Andere in dem Gedanken
+an ihre Toilette vergessend — »zum still im Wagen Sitzen
+paßt ein Sommerkleid noch nicht und heute Abend wird es
+kühl werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und nicht so lange machen,« mahnte der Vater, der sich
+sein Glas noch einmal voll schenkte und leerte; »der Wagen
+wird im Augenblick da sein.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Wagen fuhr auch wirklich kaum zehn Minuten später
+vor, Herr Dollinger, der nun seinen Hut und Stock aufgenommen,
+ging, seine Handschuh anziehend, im Hofe auf und
+<span class="tei tei-pb" id="page014">[pg 014]</span><a name="Pg014" id="Pg014" class="tei tei-anchor"></a>nieder, und endlich erschienen, diesmal in wirklich sehr kurzer
+Zeit, die Damen, ihre Sitze einzunehmen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun, wo ist Henkel?« sagte Herr Dollinger, sich nach
+seinem zukünftigen Schwiegersohne umschauend, »ich habe sein
+Pferd auch noch nicht gesehen; jetzt wird uns der warten
+lassen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Familie hatte indessen im Wagen Platz genommen,
+und der alte Herr schaute etwas ungeduldig zum Schlag hinaus,
+als der junge Henkel zum Thor, aber ohne Pferd, hereinkam.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun? und Sie sitzen noch nicht im Sattel?« rief er ihm
+schon von weitem entgegen — »das ist eine schöne Geschichte;
+jetzt dürfen wir den Frauen nie im Leben wieder vorwerfen,
+daß sie uns warten lassen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich muß tausend Mal um Entschuldigung bitten,«
+sagte der junge Mann, zum Wagen hinantretend, »aber mein
+Stallmeister hat mich sitzen lassen. Wenn Sie mir erlauben
+schicke ich einen der Leute danach, oder gehe selber, es ist nicht
+weit von hier. Aber thun Sie mir die Liebe und fahren Sie
+langsam voraus, ich hole Sie in Zeit von zehn Minuten ein.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wir können ja hier warten,« sagte die Mutter.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, wenn die Pferde stehen wollten,« brummte Herr
+Dollinger — »zieh nicht so fest in die Zügel Johann, das
+Handpferd kann das nicht vertragen und wird nur noch immer
+unruhiger — wir wollen langsam vorausfahren — machen
+Sie aber daß Sie nachkommen; auf dem Balkon vom rothen<span class="tei tei-pb" id="page015">[pg 015]</span><a name="Pg015" id="Pg015" class="tei tei-anchor"></a>
+Drachen trinken wir Kaffee, dort ist eine wundervolle Aussicht — der
+Stalljunge mag hinüberlaufen und Ihnen das
+Pferd holen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Pferde zogen in diesem Augenblick an, Henkel mußte
+aus dem Weg springen und verbeugte sich leicht gegen die
+Damen, von denen ihm Clara freundlich lächelnd zunickte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Eine starke Viertelstunde später sprengte der junge »Amerikaner,«
+seinem Thiere die Sporen gebend, daß es Funken
+und Kies hintenaus stob, über das Pflaster, zum Entsetzen
+der Fußgänger dahin, dem Wagen nach, den er nur erst eine
+kurze Strecke vor dem bezeichneten Platz wieder einholte.
+Im Stall wollte Niemand etwas davon gewußt haben, daß er
+sein Pferd bestellt gehabt — Einer schob die Vergessenheit natürlich
+auf den Andern, und Dollinger's Stallknecht mußte
+die Leute sogar erst zusammensuchen, bis er das Pferd bekam,
+deshalb hatte es so lange gedauert. Als er mit demselben
+zurückkehrte, ging der junge Mann in dem kleinen, dicht am
+Haus liegenden Garten auf und ab, sprang aber dann, dem
+Burschen ein Trinkgeld zuwerfend, und dessen Entschuldigung
+nur halb hörend, rasch in den Sattel und flog, wie vorher
+erwähnt, in vollem Carrière die Straße nieder.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Er hatte den Hof kaum verlassen, als Loßenwerder, einen
+großen, wunderschön blühenden Monatsrosenstock unter dem
+Arm, vorsichtig und wie scheu, daß ihn Niemand gewahre,
+über den Hof und in die Hinterthür des Hauses schlich, und
+sich leise und geräuschlos die Treppe damit hinaufstahl. Er
+<span class="tei tei-pb" id="page016">[pg 016]</span><a name="Pg016" id="Pg016" class="tei tei-anchor"></a>blieb etwa zehn Minuten im Haus und wollte dann aus
+derselben Thür wieder über den Hof zurück, als der Stallknecht
+aus der Futterkammer kam. Unschlüssig blieb der
+kleine Mann eine kurze Zeit hinter der Thür stehen, und
+schlich sich dann, als der Bursche den Platz nicht verlassen
+wollte, vorn zur Hausthür hinaus auf die Straße, den Weg
+nach seiner Wohnung einschlagend.</p>
+</div>
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em"><span class="tei tei-pb" id="page017">[pg 017]</span><a name="Pg017" id="Pg017" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc4" id="toc4"></a>
+<a name="pdf5" id="pdf5"></a>
+<a name="pdb6" id="pdb6"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 2.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Der rothe Drachen.</span></h1>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der »rothe Drachen«, ein Wirthshaus, das wegen seines
+vortrefflichen Bieres, wie sonst mancher schätzenswerthen
+Eigenschaften einen sehr guten Namen hatte, lag etwa eine
+halbe Stunde von Heilingen, an der großen Landstraße, die
+gen Norden führte. Ein freundlicher Thalgrund umschloß
+Haus und Garten und die dunklen, den Gipfel des nächsten
+Hanges krönenden Nadelhölzer hoben nur noch mehr das
+freundliche Grün der jungen Birken und Weißeichen hervor,
+die sich über die niedere Abdachung erstreckten, und bis scharf
+hinan an den hocheingefriedigten und sorgfältig in Ordnung
+gehaltenen Frucht-, Gemüse- und Blumengarten des Hauses
+selber lehnten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es war ein warmer, sonniger Frühlingsnachmittag; der
+Bach, der am Hause dicht vorbeirieselte, plätscherte und schäumte
+in frischem jugendlichen Uebermuth, des Eises Hülle, die ihn
+<span class="tei tei-pb" id="page018">[pg 018]</span><a name="Pg018" id="Pg018" class="tei tei-anchor"></a>so lange gefangen gehalten oder doch fest und ängstlich eingeklemmt,
+nun endlich einmal enthoben zu sein, und die Vögel
+zwitscherten so froh und munter in den Zweigen der alten
+knorrigen Linde, die unfern der Thüre stand, und flatterten
+und suchten herüber und hinüber, aus den blühenden Obstbäumen
+fort über den Hof und von dem Hof wieder fort in dicht
+versteckten Ast und Zweig hinein, mit einem gefundenen Strohhalm
+oder einer erbeuteten Feder im Schnabel, daß Einem das
+Herz ordentlich aufging über das rege glückliche Leben. Und
+wie blau spannte sich der Himmel über die blühende, knospende
+Welt, wie leicht und licht zogen weiße duftige Wolken, Schwänen
+gleich, durch den Aether hin, farbige, flüchtige Schatten
+werfend über Wiesen und Feld und die weite Thalesflucht, die
+sich dem Auge in die Ferne öffnete und dem leuchtenden Blick
+neue Schätze bot, wohin er fiel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Ein Frühling in Deutschland — ein Frühling im <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Vaterland</span></em>;
+oh wie sich das Herz da mit der wirbelnden, schmetternden
+Lerche hebt und jubelnd, jauchzend gen Himmel steigt;
+zwinge die Thräne da nicht zurück, die sich Dir, dem Glücklichen,
+in's Auge drängt — in ihrem Blitzen preisest Du den
+Vater droben, wie es die jubelnde Lerche dort thut, die mit
+zitterndem Flügelschlag über den grünen Matten schwebt; — wie
+das raschelnde flüsternde Blatt im Wald, wie der schwankende,
+thaugeschmückte Halm und die knospende, duftende
+Blüthe im Thal. Ein Frühling im Vaterland — oh wie
+schön, wie jung und frisch die Welt da um uns liegt in ihrem
+bräutlichen Glanz, voll neuer Hoffnungen in jedem jungen<span class="tei tei-pb" id="page019">[pg 019]</span><a name="Pg019" id="Pg019" class="tei tei-anchor"></a>
+Keim, und wie sich das Herz der schönen Blume gleich zusammenzog,
+als der Herbststurm über die Haide fuhr, mit
+rauher Hand den Blattschmuck von den Bäumen riß und zu
+Boden warf und Schnee und Eis vor sich hin jagte über die
+erstarrende Flur, so öffnet es sich jetzt mit vollem Athemzug
+wieder den balsamischen Frühlingsgruß, und vorbei, vergessen
+liegt vergangenes Leid — wie der verwehte Sturm selber keine
+Spur mehr hinterließ und die schönsten Blumen jetzt gerade
+an den Stellen blühen, wo er am tollsten, rasendsten getobt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Ein warmer erquickender Regen war die letzten Tage gefallen,
+und so gut er dem Land gethan, hatte er doch die Bewohner
+des nahen Städtchens in ihre Häuser und Straßen
+gebannt gehalten, von wo aus sie sehnsüchtig die nahen grünenden
+Berge theils, theils die dunklen Wolken betrachteten,
+die nicht nachlassen wollten Segen auf die Fluren niederzuträufeln.
+Heute aber hatte sich das geändert; voll und warm
+glühte die Sonne am Himmelszelt und hinaus strömten sie in
+jubelnden Schaaren, hinaus in's Freie. Der »rothe Drachen«
+vor allen anderen Plätzen, der so reizend an der Oeffnung des
+Thales lag und die Aussicht bot in das darunter liegende
+freie Land, hatte dabei sein reichlich Theil erhalten der fröhlichen
+Schaar, daß die Wirthin mit ihren Kellnern und Mägden
+nicht Hände genug hatte zu schaffen und herzurichten, und
+die Tische und Bänke im Garten draußen fast alle besetzt waren
+rund herum von Schmausenden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der »rothe Drachen« sollte übrigens, wie die Sage ging,
+seinen Namen von einem wirklichen Drachen bekommen haben,
+<span class="tei tei-pb" id="page020">[pg 020]</span><a name="Pg020" id="Pg020" class="tei tei-anchor"></a>der einmal vor vielen hundert Jahren in der Schlucht weiter
+oben, die auch noch ebenfalls nach ihm die Drachenschlucht
+hieß, gehaust und viele Menschen und Rinder verschlungen
+hatte. Der Wirth des »rothen Drachen« nun, Thuegut Lobsich,
+dessen Voreltern schon diesen Platz gehalten, behauptete
+dabei, Einer seiner »Ahnen« habe den Drachen im Einzelkampf
+erlegt — (die Gäste meinten, mit schlechtem Bier vergiftet)
+und dafür von dem damals regierenden Fürsten Platz
+und Wirtschaft als Gerechtsame, mit dem Schild als Wahrzeichen,
+erhalten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Wie dem auch sei, Thuegut Lobsich that wirklich gut auf
+dem Platz, der ihm vortreffliche Nahrung bot, und befand sich
+so wohl, wie sich nur ein Wirth in einer gut gelegenen Wirthschaft
+befinden kann. Seine Frau war aber dabei der Nerv
+des Ganzen, in Küche und Stall, in Keller und Haus, und
+während sich Vater Lobsich, wie er sich gern nennen ließ, obgleich
+er noch jung und rüstig war, am Liebsten zu seinen
+Gästen irgendwo an einen Tisch drückte und »das Bier controllirte«,
+wie er sagte, daß ihm die Burschen kein Saures
+brachten und die Gäste verjagten, arbeitete die Frau im
+Schweiße ihres Angesichts vor dem Heerd, die bestellten Portionen
+herzurichten und zu gleicher Zeit auch den Verkauf von
+Kaffee, Thee, Milch und Kuchen zu überwachen. Dabei führte
+sie die Kasse und rechnete mit Kellnern und Mädchen ab, und
+wehe denen, die eine halbe Portion Kaffee oder Kuchen vergessen,
+ein nichtbezahltes Glas nicht aufnotirt oder einem
+<span class="tei tei-pb" id="page021">[pg 021]</span><a name="Pg021" id="Pg021" class="tei tei-anchor"></a>schlechten Kunden noch einmal gegen den direkt gegebenen
+Befehl geborgt hatten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Böse Zungen meinten dabei nicht selten, Frau Lobsich sei
+der »einzige Mann im Hause« und Thuegut dürfe nur tanzen,
+wenn sie nicht daheim wäre; böse Zungen erwähnten dann
+aber nicht dabei, daß sie wirklich allein das Hauswesen in
+Zucht und Ordnung hielt, und so scharf und heftig sie draußen
+in Küche und Wirtschaft, wo sie fremde Leute doch auch
+eigentlich nur zu sehen bekamen, sein konnte, und so große
+Ursache sie dabei oft hatte ärgerlich zu sein, und die Ursache
+dann auch für vollkommen genügend hielt, es wirklich zu werden,
+so still und freundlich konnte sie sich betragen, wenn sie
+allein mit ihrem Manne war, und so gern gab sie ihm in
+Allem nach, was nicht eben zu Ruin und Schaden trieb. Salome
+Lobsich war das Muster einer Hausfrau, und was ebensoviel
+sagen will, eine gute Gattin dabei — ob ihr Mann
+dasselbe auch von sich sagen konnte, stand auf einem anderen
+Blatt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Heute hatte sich übrigens eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft
+in dem gar so freundlich gelegenen Garten des rothen
+Drachen eingefunden, und dicht vor der Thür desselben, unter
+der alten breitschattigen Linde, die ihre Arme so weit nach
+rechts und links hinüberstreckte, daß man sie schon hatte stützen
+müssen, nur den Weg zu ihr und den Platz darunter frei zu behalten,
+saß Lobsich selber mit einem kleinen Kreis guter
+Bekannten, d. h. alter Kunden und quasi Stammgäste von
+ihm, denn er selber kam selten irgend wo anders hin, und
+<span class="tei tei-pb" id="page022">[pg 022]</span><a name="Pg022" id="Pg022" class="tei tei-anchor"></a>wer also sein Bekannter <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">bleiben</span></em> wollte, mußte ihn eben
+besuchen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Zu diesen gehörte besonders Jacob Kellmann, ein Kürschner
+und Pelzhändler aus Heilingen, dann der Aktuar Ledermann
+von dort, eine lange hagere, etwas ungeschickte Gestalt,
+mit aber nicht unangenehmen, gutmüthigen Gesichtszügen, und
+der Apotheker aus Heilingen, Schollfeld mit Namen, die es
+gewöhnlich so einzurichten wußten, daß sie an einen Tisch mit
+einander zu sitzen kamen. Lobsich nahm ebenfalls am Liebsten
+zwischen dieser kleinen Gesellschaft Platz, und nur dann und
+wann, besonders wenn er die Stimme seiner Frau irgendwo
+hörte, stand er auf und ging einmal durch den Garten und
+die Reihen seiner Gäste, zu sehn ob Alle ordentlich bedient
+würden, und keine Klagen einliefen gegen unaufmerksame Kellner,
+die er in dem Fall auch wohl gleich an Ort und Stelle
+mit einem Knuff oder einer Ohrfeige abstrafte, als warnendes
+Beispiel. Er mußte an irgend Jemand seinen Aerger auslassen,
+daß er nicht bei seinem Biere konnte sitzen bleiben.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ist doch ein prachtvolles Wetter heute,« sagte Kellmann,
+der eben einen tüchtigen Zug aus seinem Glase gethan, und
+nun mit vollem zufriedenen Blick über das freundliche Bild
+hinaus schaute, das sich, von der warmen Nachmittagssonne
+beschienen, in all seinem blitzenden Glanz und Farbenschimmer
+vor ihnen aufrollte »und es wächst und gedeiht Alles draußen
+so schön und steht so prächtig — merkwürdig dabei, daß Alles
+so theuer bleibt, und die Preise, statt herunter zu gehen, immer
+nur steigen und steigen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page023">[pg 023]</span><a name="Pg023" id="Pg023" class="tei tei-anchor"></a>»Ja das weiß Gott,« seufzte der Aktuar, dem der Gedanke
+selbst den Geschmack am Bier wieder zu verderben schien,
+denn er setzte das schon zum Mund gehobene Glas unberührt
+vor sich nieder — »und wenn das noch eine Weile so fort
+geht, können wir alle mit einander verhungern oder davonlaufen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun Ihr habt gut reden,« sagte Kellmann, »Ihr bekommt
+vom Staat Euer Gewisses und könnt Euch genau danach
+einrichten — Euer Geld muß Euch werden, wenn der
+erste jedes Monats kommt, unsereins hängt aber allein von
+den Zeiten ab, und wenn die Lebensmittel knapp werden, kauft
+Niemand einen Pelz. Holz will auch sein und daran kann
+sich nachher die ganze Familie wärmen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ihr redet wie Ihr's versteht,« brummte der Aktuar, — »unser
+Gewisses bekommen wir, das ist wahr, aber nur deshalb,
+damit wir gewisses Elend vor den Augen haben. Ich
+habe fünfhundert Thaler Gehalt, und Frau und Kind und
+Dienstmädchen zu ernähren, und soll anständig dabei gekleidet
+gehn, denn vor zehn und zwanzig Jahren hatte ein Aktuar in
+meiner Stellung auch nicht mehr, und machte das Alles möglich,
+ja befand sich wohl dabei. Jetzt aber wird Brod, Butter,
+Fleisch, Holz, Wohnung, kurz Alles was wir nun einmal
+zum Leben brauchen, gesteigert von Tag zu Tag, aber meine
+fünfhundert Thaler <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">bleiben</span></em>; vor zehn Jahren kaufte ich
+zwanzig Pfund Brod für dasselbe Geld, für das ich jetzt nicht
+zehn bekomme — aber <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">meine</span></em> fünfhundert Thaler <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">bleiben</span></em>.
+Auch mein Hausherr verlangt höheren Zins — schon voriges<span class="tei tei-pb" id="page024">[pg 024]</span><a name="Pg024" id="Pg024" class="tei tei-anchor"></a>
+Jahr bin ich höher gegangen, um nicht gesteigert zu werden,
+d. h. für denselben Preis aus der zweiten in die dritte Etage
+gezogen, aber dies Jahr muß ich ganz hinaus, denn er will
+wieder zehn Thaler mehr haben und ich kann's ihm nicht
+geben. Ihr Leute habt Euch gut in die Zeiten schicken, denn
+wenn das Brod theuer wird, schlagt Ihr desto mehr auf Euere
+Waare, der kleine Beamte aber, der Staatsdiener um geringen
+Lohn, das ist das geplagte, gefährdete Geschöpf, und jede
+neue Taxe macht ihm keine neue Berechnung, sondern schnallt
+ihm nur den Leibriemen um ein Loch enger, daß er weniger
+ißt, bis er in's <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">letzte</span></em> Loch geworfen wird, zum ersten Mal
+von seinen irdischen Strapatzen, ohne Furcht vor rasch abgelaufenen
+Ferien, wirklich ungestört auszuruhen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach geht mit Eueren erbärmlichen Lamentationen an
+solch freundlichem Tag,« fiel ihm der Wirth hier in die Rede,
+der sich erst vor ein paar Augenblicken wieder mit zum Tisch
+gesetzt und schon eine ganze Weile ungeduldig mit dem Kopf
+geschüttelt hatte. »Das Reden macht's nicht besser und Stöhnen
+und Seufzen hilft auch Nichts — Kopf oben, das ist die
+Hauptsache; das andere macht sich von selber — aber hallo« — unterbrach
+er sich plötzlich, von seinem Sitze aufstehend und
+die Straße hinunterzeigend, die in das weite Thal führte — »was
+kommt dort für ein Trupp den Weg entlang?« — und
+in der That wurde dort oben ein ganzer Zug Männer, Frauen
+und Kinder mit kleinen Handkarren und ein paar einspännigen
+Wägelchen sichtbar.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das sind Auswanderer!« rief Jacob Kellmann, von
+<span class="tei tei-pb" id="page025">[pg 025]</span><a name="Pg025" id="Pg025" class="tei tei-anchor"></a>seinem Stuhl aufspringend und dem Zug entgegenschauend — »seht
+nur ein Mensch an, wieder ein ganzer Schwarm aus
+dem Hessischen; Heiland der Welt, da muß doch endlich einmal
+Platz werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na nu ist wieder der Frieden beim Henker,« rief aber
+der Apotheker mürrisch — »hier Lobsich setzt Euch auf Eueren
+Stuhl und trinkt Euer Bier aus, und Ihr Kellmann, laßt das
+Volk da draußen laufen, wohin sie wollen — unzufriedene
+Bande, die es ist und die es nirgends gut genug kriegen kann,
+wo ihr nicht das Confekt auf goldenen Tellern präsentirt wird.
+Na kommt nur hinüber, wenn Euch hier der Hafer zu sehr
+sticht — Euch werden sie schon noch das Fell über die Ohren
+ziehn, daß Ihr am hellen lichten Tag die Sterne zu sehn
+bekommt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein was für ein Zug!« rief aber Kellmann, die langsam
+näher kommende Schaar mit unverkennbarem Interesse
+betrachtend; »die armen Teufel.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hört Kellmann,« rief aber Schollfeld ärgerlich, »tretet
+mir da ein wenig aus dem Weg, daß ich auch was sehen
+kann, und setzt Euch wieder, ich dächte doch wahrhaftig, Auswanderer
+hier an der Straße wären nichts so besonders Neues,
+daß Ihr Maul und Nase aufsperrt und thut, als ob Euch so
+etwas noch nicht im ganzen Leben vorgekommen wäre.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Schollfeld war übrigens nicht umsonst so mürrisch; er
+hatte einen Zorn auf Auswanderer, denn er betrachtete Auswanderung
+als eine indirekte Beleidigung gegen den Staat,
+gewissermaßen als eine Grobheit, die man ihm geradezu unter
+<span class="tei tei-pb" id="page026">[pg 026]</span><a name="Pg026" id="Pg026" class="tei tei-anchor"></a>die Nase sage — : »ich mag nicht mehr in Dir leben und weiß
+einen Platz, wo's besser ist.« Das <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">dachten</span></em> sich nämlich die
+»Tölpel«, wie er sie nannte, aber Sie <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">wußten</span></em> es nicht — gar
+Nichts wußten sie und liefen blind und toll in die Welt
+hinein. Der Staat hätte auch eigentlich den Skandal gar
+nicht dulden sollen; hunderte von Menschen, reine Deserteure
+aus ihrem Vaterland, liefen da frank und frei vorbei, Anderen
+noch obendrein ein böses Beispiel gebend, und er begriff die
+Regierung nicht, wie sie dem Volke nur noch einen Paß gestatten
+konnte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Zug war indessen näher gekommen und Lobsich rasch
+in das Haus gegangen Bier herbeizuschaffen, da sich bei solchen
+Trupps gewöhnlich eine Menge junge Burschen befanden,
+die noch Geld im Beutel und immer frischen Durst hatten;
+um so mehr, da das Bergesteigen heute wirklich warm und
+den Hals trocken machte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="text-align: center; margin-bottom: 1.00em">
+</p><div class="tei tei-figure" style="text-align: center"><img src="images/illu002.jpg" width="511" height="704" alt="Capitel 2" /></div>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die ersten Wägen passirten still vorbei; die Führer warfen
+einen langen, vielleicht sehnsüchtigen Blick nach den behaglich
+hinter ihren Tischen sitzenden Gästen und dem <span class="tei tei-corr">kühlen</span>
+funkelnden Bier hinüber, aber hielten nicht an, sich längere
+Rast dafür auf den Abend versprechend. Nur von den Fußgängern
+blieben mehre Trupps unfern der Linde, unter der
+unsere kleine Gesellschaft saß, und nicht weit von der <span class="tei tei-corr">Gartenthüre</span>
+stehn, und während ein paar der Männer dem Kellner
+winkten, ihnen Bier herauszubringen, als ob sie sich scheuten
+in ihrer bestaubten schmuzigen Kleidung, mit der schweißbedeckten
+Stirn, zwischen die geputzten und jetzt nach ihnen
+<span class="tei tei-pb" id="page027">[pg 027]</span><a name="Pg027" id="Pg027" class="tei tei-anchor"></a>herübersehenden Gruppen hineinzugehn, hielt ein Trupp Frauen
+ebenfalls dort. Angezogen von der plötzlichen weiten und freien
+Aussicht, die ihnen hier nach unten zu das Thal öffnete, durch
+das sie gekommen, blieben sie erfreut und überrascht stehn und
+schauten dabei auf das reizende Bild hin, das wie mit einem
+Schlage so vor ihnen in's Leben sprang.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Heiland der Welt, Lisbeth,« rief ein junges, sechzehnjähriges
+Mädchen der, vielleicht zwei Jahr älteren Schwester
+zu — »dort drüben liegt Holstetten, und von da ist's nur noch
+neun Stunden zu Haus — dahinter kann ich den weißen
+Weg durch's schwarze Nadelholz sehn, der hinüberführt nach
+Krisheim.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja Marie,« antwortete das Mädchen, und während sie
+sprach, liefen ihr die großen hellen Zähren an den bleichen
+Wangen nieder, »gleich hinter dem Berg dort muß die Windmühle
+liegen, und dann kommt Bachstetten und nachher« — sie
+konnte nicht mehr sprechen, das Herz war ihr zu voll und
+sie mochte doch nicht das der Schwester, wenn diese ihren
+Schmerz sah, noch schwerer machen. Aber zurückdämmen ließ
+sich das auch nicht, die Wunde war noch zu frisch und blutete
+zu stark, und beide Mädchen standen wenige Minuten still und
+weinend da, die schönen thränenüberströmten Züge den ihr
+nächsten Menschen ab- und der verlassenen Heimath, die sie
+wohl nie im Leben wieder schauen sollten, zugekehrt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ob auch wohl Martha der Mutter Grab ordentlich hält
+und pflegt, wie sie es versprochen,« brach die Jüngste endlich
+wieder mit leiser kaum hörbarer Stimme das Schweigen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page028">[pg 028]</span><a name="Pg028" id="Pg028" class="tei tei-anchor"></a>»Sie hat's ja versprochen,« flüsterte fast eben so leise die
+Schwester zurück, »aber — — — — so lieb wird sie's doch
+nicht haben wie wir.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Komm Lisbeth,« sagte die Jüngere wieder und ergriff,
+ohne sie aber dabei anzusehn, der Schwester Hand — »wir
+wollen gehn — die Wagen sind schon ein Stück voraus.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Beide Mädchen nickten leise und kaum bemerkbar der verlassenen
+Heimath zu und schritten dann schweigend Hand in
+Hand den Weg entlang, der nach und durch Heilingen führte,
+ihre weite, unbekannte Bahn.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»He Marie, Lisbeth!« rief sie der Vater an, der eben an
+der Thür des Gartens ein Glas Bier von einem der Kellner
+erhalten hatte — »wollt Ihr einmal trinken Kinder?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich danke Vater,« sagte Marie zurück, ohne sich umzusehn
+oder stehn zu bleiben, »wir sind nicht durstig.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Woher des Wegs Ihr Leute?« wandte sich jetzt Kellmann,
+der trotz Schollfeld's ärgerlichen Worten zu dem Alten
+getreten war, an diesen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aus Hessen,« sagte der Mann ruhig und that einen
+langen durstigen Zug aus dem, mit dem trefflichen Bier gefüllten,
+schäumenden Glas.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und wohin?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm — ist ein weiter Weg — ist Euch wohl schlecht
+gegangen hier im Lande?« sagte Kellmann, die kräftige und
+doch gramgebeugte Gestalt des alten Landmanns teilnehmend
+betrachtend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page029">[pg 029]</span><a name="Pg029" id="Pg029" class="tei tei-anchor"></a>Der Bauer, dessen Blick auch an dem fernen Punkt indeß
+gehangen, wo seine frühere Heimath lag, ließ das Auge einen
+Moment wie mißtrauisch über den Frager gleiten und erwiederte
+dann leise und kopfschüttelnd:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Schlecht? — lieber Gott wie man's nimmt; man soll
+g'rad nicht klagen; der liebe Gott hat geholfen und wird weiter
+helfen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ihr wollt Euch wohl ein paar von den gebratenen Tauben
+holen die in Amerika herumfliegen?« mischte sich hier der
+Apotheker in's Gespräch, der nicht umhin konnte dem »Auswanderer«,
+wie er sich ausdrückte, »einen Hieb zu versetzen« — »habt
+Ihr auch Messer und Gabeln mit?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Bauer sah den kleinen, spöttisch lächelnden Mann
+einen Augenblick ruhig von der Seite an, zahlte dann dem
+neben ihm stehenden Kellner, dem er das Glas zurückgab, sein
+Bier, und ohne irgend etwas auf die Frage zu erwiedern, oder
+ärgerlich darüber zu scheinen, ja als ob er sie nicht gehört
+hätte, wandte er sich und folgte mit einem »grüß Euch Gott
+Ihr Herren«, seinen vorangegangenen Töchtern.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Holzkopf,« brummte der Apotheker, nur noch mehr gereizt
+über diese anscheinende Misachtung, hinter ihm drein — »dem
+Volk ist zu wohl hier,« setzte er dann, mit einem kräftigen
+Zug aus seinem Glase hinzu — »der Art Leute fühlen
+sich nicht behaglich, wenn sie nicht baumfest unter dem Daumen
+gehalten werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Guten Abend miteinander,« sagte in diesem Augenblick
+ein Anderer der Auswanderer, der, mit einem kurzen Pfeifen<span class="tei tei-pb" id="page030">[pg 030]</span><a name="Pg030" id="Pg030" class="tei tei-anchor"></a>stummel
+in der Hand zu dem Tisch trat, auf dem in einem
+schützenden Kelchglas ein Licht mit darum gesteckten Fidibus
+zum Anzünden der Cigarren stand — »wenn's erlaubt ist,
+möchte ich mir wohl einmal eine Pfeife bei Euch anbrennen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mit Vergnügen,« sagte Ledermann, ihm einen Fidibus
+anzündend und hinreichend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Danke schön,« nickte der Mann, das Feuer benutzend und
+den blauen Qualm in schnellen kurzen Zügen ausblasend. — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und wo geht die Reise hin?« frug Ledermann dem Rauchenden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Da hinüber,« sagte dieser; immer noch scharf ziehend,
+indeß er mit dem linken, zurückgebogenen Daumen über die
+linke Achsel wieß — »übers große Wasser.« — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Habt Ihr dort schon einen Platz?« frug der Aktuar.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja,« sagte der Mann freundlich — »mein Bruder hat
+mir geschrieben aus dem Wiskonsin heraus; da soll's gut sein.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und geht Ihr Alle dorthin?« frug ihn Kellmann.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Die meisten von uns, ja; eine Parthie will aber auch
+hinüber in's Missuri; da ist's wärmer.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es sind wohl lauter Landleute hier miteinander?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja meistens — ein Schneider ist dabei, und der Schmied
+aus dem Dorfe und der Herr Pastor ist schon voraus.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der Pastor geht auch mit?« frug Kellmann schnell.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ahem,« nickte der Mann, »der ist aber mit der Post
+gefahren, aber er hat gesagt er wollte sehn daß wir Alle auf
+ein Schiff kämen. Danke schön Ihr Herren, adje.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Glückliche Reise,« rief ihm Kellmann nach.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page031">[pg 031]</span><a name="Pg031" id="Pg031" class="tei tei-anchor"></a>»Danke,« nickte der Mann noch einmal zurück, »könnens
+brauchen,« und schloß sich den übrigen wieder an, von denen
+die letzten gerade die Thür des Wirthshauses passirten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es waren ärmliche, viele von ihnen kränklich oder wenigstens
+bleich aussehende Gestalten, in die Bauerntracht ihrer
+Gegend gekleidet; die meisten Frauen mit Kindern auf dem
+Arm, Manche sogar deren an der Brust, und ein Bündel dazu
+auf dem Rücken, die im Schweiß ihres Angesichts, wie sie bis
+jetzt gelebt, mühsam der fernen ersehnten Heimath entgegenstrebten.
+Hie und da waren auch ein paar kräftige junge
+Burschen von zwölf bis vierzehn Jahren vor ein kleines leichtes
+Handwägelchen gespannt, darauf gepackte Betten, Kleidungsstücke
+und Lebensmittel die weite Straße entlang zu
+ziehen. — Die Leute hatten kein Geld übrig, denn das wenige,
+was sie zur Reise aufgespart, mußten sie für das Schiff aufheben,
+und ein paar Thaler sollten doch auch noch wenigstens,
+wenn das irgend anging, übrig bleiben, damit sie nur die
+ersten Tage in Amerika, ehe sie Arbeit bekämen, vor Sorge
+geschützt wären. Den glänzenden Schilderungen die ihnen von
+dem neuen Lande ihrer Hoffnungen gemacht waren, trauten
+die armen Frauen am wenigsten in ihrem vollen Umfange;
+von Jugend auf, wie ihnen nur eben die Kräfte wurden ihre
+jüngeren Geschwister in der Welt herumzuschleppen, hatten sie
+arbeiten, hart arbeiten müssen, und viel anders würde es auch
+wohl nicht da drüben sein. Der Sorgen waren hier nur gar
+so viele angewachsen, mit jedem Jahre mehr, wie sie sich auch
+plagten und quälten, und schlechter <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">konnte</span></em> es dort drüben
+<span class="tei tei-pb" id="page032">[pg 032]</span><a name="Pg032" id="Pg032" class="tei tei-anchor"></a>nicht sein. Das war für jetzt der einzige Trost den sie mit
+sich trugen die lange, heiße Straße entlang mit einer kleinen
+Hoffnung möglicher Besserung vielleicht, und sie drückten
+dann die Kinder nur fester an ihr Herz und küßten sie, und
+flüsterten ihnen leise und heimlich zu daß sie nicht mehr schreien
+sollten, denn sie gingen nach <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Amerika</span></em>, und da würde schon
+Alles gut werden, wie ihnen der Vater gesagt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Männer und Burschen zogen der fernen Welt aber
+schon mit mehr Vertrauen entgegen; das Bewußtsein der eigenen
+Fähigkeit und Kraft hob sie dabei auch über Manches
+hinweg das die abhängigen Frauen schwerer zu Boden drückte.
+Wer bei einer langen Wanderung voran geht, und für den
+Weg zu <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">denken</span></em> hat, wird nie so müde als der, der ihm
+folgt, nur für sich denken läßt, und hinter drein zieht. Viele
+von den Männern trugen auch Jagdtaschen und Gewehre auf
+dem Rücken, Büchsen und Schrotflinten — was sollte es »da
+drüben« nicht Alles zu schießen geben; — Manche auch nachgemachte
+bunte Blumensträuße auf dem Hut. Einzelne, aus
+Baiern und Thüringen, die sich ihnen angeschlossen, hatten
+sogar ein paar kleine gefärbte Maraboutfedern mit ihren Landesfarben,
+blau und weiß, und grün und weiß in ihrem Hutband
+stecken; die Meisten aber schienen keine solche Erinnerung
+an die Heimath mitnehmen zu wollen, in das neue Vaterland.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Leute gingen vorüber, und die Gäste hatten ihnen
+schweigend nachgeschaut, so lange fast, bis sie die nächste Biegung
+der Straße ihren Blicken entzog. Auch Lobsich war
+wieder vor die Thür seines Gartens getreten, und sich jetzt
+<span class="tei tei-pb" id="page033">[pg 033]</span><a name="Pg033" id="Pg033" class="tei tei-anchor"></a>kopfschüttelnd zurück zu seinem Tische wendend, brummte er
+vor sich hin.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»S'ist mir doch was Unbedeutendes« — es war dieses
+eine seiner stehenden Redensarten, die in der That unbegrenztes
+Erstaunen ausdrücken sollte — »was die Leute dieß Frühjahr
+wieder an zu ziehen fangen; Tag für Tag geht das so fort;
+Trupp nach Trupp kommt über die Berge herüber, mit Sack
+und Pack, mit Weib und Kind — und Alles fort, Alles fort,
+und man merkt nicht einmal von <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">wo</span></em> sie fort sind.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Doch, doch,« sagte Kellmann, die Augenbrauen in die
+Höhe ziehend und mit dem Kopf nickend, »doch, doch Lobsich;
+ob man's wohl merkt? — geht einmal da über die Berge hinüber
+und seht Euch in den Dörfern um; da steht manches alte
+halbzerfallene <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">leere</span></em> Haus, an das irgend eine Familie da
+drüben noch mit Schmerzen zurückdenkt, und in das Niemand
+anderes mehr Lust hat einzuziehen, weil er noch eine Menge
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">bessere</span></em>, ebenfalls leer, in demselben Dorfe findet. Es ist
+immer ein trauriger Anblick solch ein leeres Haus, und ich
+seh's nicht gern.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und was für <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Geld</span></em> tragen sie außer Land,« fiel der
+Apotheker hier ein, der indeß, sich zu zerstreuen, im Heilinger
+Tageblatt gelesen hatte, jetzt aber nicht umhin konnte auch noch
+ein Wort mit drein zu werfen — »was sie nicht mit hinübernehmen
+können, lassen sie wenigstens in den Seestädten, und
+zu uns kommt Nichts mehr davon zurück. Wenn ich nur das
+erst einmal erlebe, daß die Leute zu ihrem Glück förmlich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">gezwungen</span></em>,
+und nicht mehr aus dem Land hinausgelassen wer<span class="tei tei-pb" id="page034">[pg 034]</span><a name="Pg034" id="Pg034" class="tei tei-anchor"></a>den;
+geht das aber so fort, so werden sie so lange auswandern,
+bis uns hier weiter gar Nichts übrig bleibt als mitzugehen,
+wenn wir nicht eben allein sitzen wollen in dem verödeten
+Land, unseren Acker selber zu bauen. Hol sie der Teufel,
+wofür hat sie denn eigentlich der liebe Gott in die Welt gesetzt
+und ihnen den Holzkopf gegeben, der sie zu allem Anderen untauglich
+macht. Ackern und Düngen müssen sie drüben doch
+auch, und weshalb können sie das nicht eben so gut <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">hier</span></em>? — Nein
+Gott bewahre, die paar Thaler die sie sich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">hier</span></em> erspart
+haben, müssen erst wieder verschleppt und hinausgeworfen
+werden an Experimente und reinen Uebermuth, und nachher
+sitzen sie erst recht da; dort drüben <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">können</span></em> sie Nichts mehr
+sparen, und <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">müssen</span></em> schon drüben bleiben, wenn sie auch
+wieder herüber möchten. Die Paar die sich doch noch ein paar
+Thaler zusammenscharren, die kommen nachher schnell genug
+wieder zurück, aber es sind nur wenige, und die anderen armen
+Teufel haben die Brücke muthwillig hinter sich abgebrochen,
+und sitzen nun auf der wohlriechenden Haide ohne Unterfutter.
+Jesus Maria und Joseph, es muß ein ordentlicher Jammer
+drüben sein.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">so</span></em> arg nun denn doch wohl noch nicht, Schollfeld,«
+sagte Kellmann kopfschüttelnd, »man hört doch nun auch
+so Manches von da drüben was nicht gar so schlecht klingt,
+und wo sich's schon aushalten ließe, wenn man — wenn man
+eben einmal einen solchen verzweifelten Schritt absolut thun
+müßte oder wollte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nicht so arg?« rief aber Schollfeld, der hier sein Stecken<span class="tei tei-pb" id="page035">[pg 035]</span><a name="Pg035" id="Pg035" class="tei tei-anchor"></a>pferd
+ritt, und sich selten eine Gelegenheit entgehen ließ auf
+Amerika zu schimpfen — »nicht so arg? da, hier lesen Sie
+einmal das Tageblatt, was der wackere Dr. Hayde darüber
+schreibt; das ist ein Mann, der hat Haare auf den Zähnen
+und muß die Sache verstehn, denn er ist Einer von den Wenigen
+die drüben gewesen und glücklich wiedergekommen sind.
+Er bringt kaum eine Nummer in der er nicht ein oder den
+anderen Hieb auf die Verhältnisse Ihres »glücklichen Amerika«
+hat — das muß ja ein wahres Raubnest sein, lesen Sie nur
+einmal.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hören Sie lieber Schollfeld, ich will Ihnen einmal 'was
+sagen,« erwiederte ihm Kellmann ruhig, »dieser Dr. Hayde,
+der Ihnen die schönen Artikel schreibt ist, der Meinung aller
+ordentlichen Kerle in Heilingen nach, das wenigste zu sagen
+eine kleine geschwollene Giftkröte, ein weggelaufener Advokat,
+den die Verhältnisse aus Deutschland vertrieben, und den in
+Amerika Niemand mit seinen Talenten haben mochte. Zu faul
+zum arbeiten, und nicht im Stande etwas Anderes zu thun,
+wurde er dort wahrscheinlich vom Schicksal hin- und hergestoßen,
+und wie ein aus einer Thür geworfener Mops, stellt
+er sich jetzt draußen hin, wo sich Niemand die Mühe giebt ihn
+zu stören, und schimpft und klefft. Ich will Amerika eben
+nicht in allem vertheidigen, aber was <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">der</span></em> gerade darüber sagt
+würde mich auch nicht bestimmen. Wie ein Dreckkäfer schleppt
+er sich nur mit größter Mühe kleine Stückchen Koth herbei,
+und rollt sie zusammen eine Kugel zu machen in die er sein
+Ei legt — pfui über den Burschen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page036">[pg 036]</span><a name="Pg036" id="Pg036" class="tei tei-anchor"></a>»Na jetzt freut mich aber mein Leben,« rief Herr Schollfeld
+erstaunt aus — »erst schimpfen Sie selber auf Amerika,
+und nun auf einmal soll der arme Doktor die ganze Schuld
+tragen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">schimpfe</span></em> nicht auf Amerika,« sagte Kellmann
+ruhig, »ich kann nur nicht leiden wenn man es auf Kosten
+unseres eigenen Vaterlandes herausstreicht, und gegen alle seine
+Nachtheile blind ist. Es wäre allerdings noch viel gefährlicher
+sich die Lichtseiten alle zu bunt auszumalen; die armen
+Leute die nachher hinübergehn und es anders finden, sind dann
+zu sehr enttäuscht, und fallen gewöhnlich, wie mir gesagt ist,
+aus einem Extrem in's Andere — aber so taugt's auch Nichts.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Guten Abend selbander,« sagte in dem Augenblick eine
+andere Stimme dicht hinter ihnen, und als sie sich danach umschauten,
+stand ein alter Bekannter von ihnen, Mathes Vogel,
+ein reicher junger Bauer aus dem nächsten Dorf, an ihrem
+Tisch und streckte ihnen freundlich die Hand entgegen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hallo Mathes, wie geht's?« rief Kellmann die gebotene
+herzlich schüttelnd — »Wetter noch einmal Mann, wo habt
+Ihr jetzt gerade in der Saatzeit gesteckt, daß Ihr in der Welt
+herumreist wie ein Baron, der seine Güter verpachtet hat?
+Ihr seid verreist gewesen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja Herr Kellmann, in Bremen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wo seid Ihr gewesen?« frug Schollfeld erstaunt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»In Bremen, Herr Schollfeld!« rief der junge Bauer,
+gegen diesen gewandt, »oben in der Hafenstadt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Guten Abend Mathes,« kam hier der Wirth dazwischen,
+<span class="tei tei-pb" id="page037">[pg 037]</span><a name="Pg037" id="Pg037" class="tei tei-anchor"></a>der den alten Kunden ebenfalls begrüßte — »lange nicht gesehn,
+recht groß geworden mein Junge; hast Du Durst?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Merkwürdigen,« sagte der Bauer lächelnd.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na warte, den wollen wir begießen,« schmunzelte aber
+Lobsich, rasch in den Garten zurückgehend, »der soll mir nicht
+umsonst in den rothen Drachen gefallen sein.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber was hat Euch nach Bremen geführt?« wiederholte
+Kellmann, fast etwas mißtrauisch gemacht durch das wunderliche
+halb verlegene Benehmen des jungen Burschen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja Herr Kellmann,« sagte der reiche Bauerssohn, wirklich
+jetzt verlegen seinen Hut um den Zeigefinger der linken
+Hand drehend — »das hat — das hat so seine eigene Bewandtniß
+ — Ich bin — ich bin zu einem Entschluß gekommen
+ — ich will — ich will auswandern.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Was will er?« schrie Schollfeld, der die Worte nicht
+ganz verstanden, den ungefähren Sinn aber etwa errathen
+hatte. Jedenfalls schöpfte er Verdacht und ehe Kellmann nur
+im Stande war ein Wort darauf zu erwiedern rief er nochmals
+laut: »wo will er hin?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika,« sagte aber der junge Mann entschlossen
+und wollte noch etwas hinzusetzen, aber der Apotheker schlug
+dermaßen auf den Tisch, und fing so an zu schimpfen und zu
+fluchen, Niemand wußte eigentlich auf was und gegen wen,
+daß Mathes gar nicht gleich wieder zu Worte kommen konnte,
+und vielleicht auch eben nicht böse darüber war.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hallo, wer ist todt?« rief aber in dem Augenblick Lobsich,
+der mit dem bestellten Bier für einen seiner besten Kunden
+<span class="tei tei-pb" id="page038">[pg 038]</span><a name="Pg038" id="Pg038" class="tei tei-anchor"></a>selber ankam — »daß Dich die Milz sticht, was ist denn dem
+Apotheker eigentlich in die Krone gefahren?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dem Apotheker Nichts,« nahm aber Kellmann kopfschüttelnd
+das Wort, »doch hier dem Dings da, dem Mathes — was
+meint Ihr, Lobsich was er vor hat?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Heirathen</span></em>?« sagte dieser, und ein breites vergnügtes
+Schmunzeln über den so richtig und schnell gerathenen Vorsatz
+zog sich über sein dickes gutmüthiges Gesicht.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Heirathen!« schrie aber der Apotheker dazwischen, indem
+er sich seinen Hut in die Stirn drückte und seinen Rock anfing
+zuzuknöpfen — »heirathen? — ja prost die Mahlzeit; <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">auswandern</span></em>
+will der Kerl, wie ein blindes Pferd das durch die
+Stallwand bricht, in einen Teich zu fallen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Auswandern</span></em>?« schrie aber auch jetzt Lobsich in unbegrenztestem
+Erstaunen — »na das ist mir aber doch wahrhaftig
+was Unbedeutendes.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Oh hol Euch der Teufel mit Eurer albernen Redensart!«
+rief aber der nun einmal ärgerliche Apotheker, und nahm
+seinen Stock unter den Arm — sein stetes Zeichen daß er
+fertig zum Gehen sei — »was Unbedeutendes; ja wohl, wenn
+der Raptus erst einmal in <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">solche</span></em> Köpfe und Geldbeutel fährt,
+nachher werden wir sehn was wir hier anrichten. Ich will
+mir aber mein Abendbrod nicht verderben — gute Nacht Ihr
+Herren.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Halt Schollfeld!« rief aber Kellmann, ihn am Arm
+fassend und zurückhaltend — »brennt mir nicht durch, ich gehe
+auch gleich mit und wollte nur erst hören, was Mathes den<span class="tei tei-pb" id="page039">[pg 039]</span><a name="Pg039" id="Pg039" class="tei tei-anchor"></a>
+Gedanken in den Kopf gesetzt hat. Hol's der Henker, er macht
+sich entweder einen Spaß mit uns, oder es ist nur so eine Idee
+von ihm, die wir ihm wieder ausreden können.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn ich das wüßte blieb ich die ganze Nacht hier,«
+sagte Schollfeld, seinen Stock wieder auf den Tisch legend und
+zu dem verlassenen Stuhl zurückgehend. »Mensch, Mathes,
+seid Ihr denn rein vom Teufel besessen, oder habt Ihr nur
+heute, in irgend einer Kneipe, ein wenig des Guten zu viel
+gethan, daß Ihr so tolles Zeug zusammenfaselt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Mathes blieb aber bei allen diesen Ausbrüchen des Erstaunens,
+die erste Erklärung nur einmal überstanden, vollkommen
+ruhig, und zog nur, statt jeder weiteren Antwort,
+einen Brief aus seiner Brusttasche, den er langsam auffaltete
+und vor sich legte, als ob er ihn vorlesen wollte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun was soll's mit dem Wisch?« rief aber der Apotheker
+ärgerlich, »Ihr habt Euere Seele doch noch nicht dem Gott
+sei bei uns verkauft?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So schlimm noch nicht,« lachte der junge Bursch, »das
+hier ist nur ein Brief von Caspar Lauber, den Sie ja Alle
+kennen und der vor etwa sieben Jahren nach Wisconsin auswanderte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der was that?« rief der Apotheker, die Augen zusammenkneifend
+und das linke Ohr zu ihm hindrehend — »nuschelt
+nicht so in den Bart, daß Euch ein Christenmensch noch verstehen
+kann ehe Ihr unter die Heiden geht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der nach Wisconsin auswanderte,« sagte der junge
+Bauer lächelnd — »er hatte mir damals versprochen zu schrei<span class="tei tei-pb" id="page040">[pg 040]</span><a name="Pg040" id="Pg040" class="tei tei-anchor"></a>ben
+wie es ihm ginge, schlecht oder gut; — wenn schlecht,
+wollte ich ihm helfen, wenn gut, vielleicht nachkommen. Aber
+er schrieb nicht Jahr nach Jahr, und da er überhaupt Nichts
+von sich hören ließ, glaubte ich schon er sei da drüben gestorben
+oder untergegangen in dem weiten Reich, bis ich vor vier
+Wochen etwa einen Brief von ihm erhielt und seit der Zeit
+habe ich keine Ruhe gehabt bis zu dem heutigen Tag.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun ja natürlich,« brummte der Apotheker.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber so laßt ihn doch nur reden,« rief jetzt auch ärgerlich
+der Actuar dazwischen, »Ihr raisonnirt nur in einem fort und
+glaubt nachher, wenn Ihr recht geschrieen habt, Ihr hättet
+recht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So lest den Brief einmal!« sagte Kellmann, die Arme
+auf den Tisch stützend, »nachher wissen wir ja gleich woran
+wir sind.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber erst muß ich noch Bier haben,« rief Schollfeld dazwischen,
+»ich mag die Lügen wenigstens nicht trocken mit
+anhören.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Lobsich winkte einem der nächsten Kellner, die indeß leer
+gewordenen Gläser wieder zu füllen, denn der Brief interessirte
+ihn selber zu sehr, den Tisch jetzt zu verlassen, und Mathes
+sagte wie entschuldigend:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der Brief ist sehr kurz, aber es steht Alles darin was
+ich zu wissen verlangte, und er lautet:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Lieber Mathes — ich habe bis jetzt mein Versprechen
+nicht gehalten, Dir zu schreiben, weil es mir sehr schlecht gegangen
+ist.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page041">[pg 041]</span><a name="Pg041" id="Pg041" class="tei tei-anchor"></a>»Na ja,« fiel ihm hier der Apotheker in das Wort — »und
+nun müßt Ihr Hals über Kopf machen daß Ihr auch
+hinüber kommt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Kellmann wollte dem ewigen Einredner etwas erwiedern,
+aber Mathes fuhr, lächelnd die Hand gegen ihn aufhebend,
+wieder laut fort:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich wollte aber nicht gern, daß mich Jemand Anders
+unterstützen sollte, weil das hier im Lande eine Schande ist;
+ich wollte mir selber helfen, und habe mir kümmerlich, aber
+ehrlich und fleißig durchgeholfen. Jetzt habe ich eine kleine
+Farm von achtzig Acker, und vier und zwanzig Stück Rindvieh,
+und dreißig Schweine und zwei Pferde und es geht mir gut.
+Ich habe hart arbeiten müssen, aber ich komme durch. Wenn
+Du mit Geld hier herüber kommst und willst mich aufsuchen,
+daß ich Dir mit Rath und That an die Hand gehen kann,
+dann brauchst Du keine Angst zu haben, daß Du nicht durchkommst.
+Wenn Du eine Frau hast, bringe sie mit; Kinder
+sind ein Segen hier, kein Fluch wie für manchen armen Mann
+in Deutschland. Wer arbeiten will kommt fort, wer faul ist
+geht zu Grunde. Es grüßt Dich zehntausend Mal Dein
+Caspar Lauber — Lauber's Farm bei Milwaukie, Wisconsin.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und auf den Brief wollt Ihr auswandern?« rief aber
+auch Kellmann jetzt erstaunt — »Mathes, ist Euch denn das
+Auswanderungsfieber so plötzlich in die Glieder geschlagen,
+daß Ihr die Seekrankheit für das einzige Mittel haltet die es
+curiren könnte?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Mathes schüttelte aber gar ernsthaft mit dem Kopf, fal<span class="tei tei-pb" id="page042">[pg 042]</span><a name="Pg042" id="Pg042" class="tei tei-anchor"></a>tete
+den Brief zusammen, den er zurück in seine Tasche schob,
+und sagte mit fester und entschlossener Stimme:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Lange im Sinn hab' ich's schon gehabt, aber der Brief
+hat es zuletzt zum Ausbruch gebracht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Mathes, Ihr vor allen Anderen habt doch Euer
+Auskommen hier im Land,« rief jetzt auch Lobsich, während
+der Apotheker das ihm eben gebrachte Glas auf einen
+Zug hinuntergoß, wie um seinen Ingrimm damit nieder zu
+spülen — »wenn Ihr nach Amerika auswandern wollt, wer
+soll denn noch da bleiben?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">bliebe</span></em> auch,« sagte Mathes rasch und mit vor
+innerer Bewegung fast erstickter Stimme, »ich bliebe auch,
+wenn mich mein Vater ließe, aber — der will nicht in die
+Heirath willigen mit Roßner's Käthchen, des Häuslers Tochter
+aus Rodnach; hier hält er mich dabei unter dem Daumen
+mit seinem Gut und Geld, und das Mädchen stirbt mir indessen
+in Arbeit und Gram; dort drüben aber ist ein Platz, wo
+fleißige Menschen auch durchkommen können mit Gottes Hülfe
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ohne</span></em> Geld, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ohne</span></em> Ansehn. Der Lauber hatte gar Nichts
+wie er hinüberging; nicht das Hemd auf seinem Rücken war
+sein, und ich weiß daß er nicht einen rothen Pfennig mit in
+das fremde Land gebracht hat. Aus dem ist jetzt ein rechtschaffener
+Farmer geworden, mit eigenem Land, Haus und
+Vieh, und was der kann — schwere Noth noch einmal — das
+kann ich auch. Ich gehe hinüber, nehme das Käthchen
+mit — Geld zur Ueberfahrt krieg ich schon, und wenn ich
+meine beiden Schimmel um den halben Werth verkaufen sollte,
+<span class="tei tei-pb" id="page043">[pg 043]</span><a name="Pg043" id="Pg043" class="tei tei-anchor"></a>und dort hilft der liebe Gott schon weiter. Verhungern werden
+wir nicht, und ich brauche mir hier nicht mehr unter die
+Nase reiben zu lassen, »das sollst Du thun und das nicht, und
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">die</span></em> sollst Du heirathen, die Du nicht magst und willst, und
+die Dich lieb hat und Dich glücklich machen kann, der sollst
+Du das Herz brechen — weil ihr eben nur der volle Geldsack
+fehlt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Unsinn!« sagte der Apotheker, jetzt wieder und zwar im
+Ernste aufstehend — »wenn Jemand einmal rein verrückt geworden
+ist, läßt sich auch nicht mehr mit ihm streiten. Gehn
+Sie mit Kellmann?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, gleich,« erwiederte der Gefragte — »weiß denn
+aber schon Euer Vater um den Plan, Mathes?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Heute hab' ich's ihm gesagt,« erwiederte der Gefragte
+leise — »aber er glaubt es noch nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und ist es denn schon wirklich so fest bestimmt?« sagte
+Kellmann theilnehmend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Meine Passage in Bremen für mich und — meine <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Frau</span></em>
+ist schon bezahlt,« rief der junge Bursch da entschlossen — »den
+funfzehnten geht das Schiff ab, und ich habe nur noch
+eben Zeit das Nothwendigste in Ordnung zu bringen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja da kömmt freilich jeder gute Rath zu spät,« sagte
+Kellmann, jetzt ebenfalls aufstehend und seinen Hut ergreifend,
+»wenn der Sprung erst einmal geschehen ist, braucht man nicht
+mehr über das Springen zu streiten und ich wünsche Euch
+das Beste in Euerer neuen Heimath.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte Mathes gerührt — »aber
+<span class="tei tei-pb" id="page044">[pg 044]</span><a name="Pg044" id="Pg044" class="tei tei-anchor"></a>vielleicht seh ich Sie selber noch einmal auf freiem Boden
+drüben, mit Axt oder Pflug in der Hand, wie ein wackerer,
+richtiger Farmer.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wen — mich?« rief aber Kellmann ordentlich erschreckt
+aus — »ich nach dem vermaledeiten Lande, daß alle unsere
+besten Bürger frißt? Nein Mathes, für dies Leben nicht — aber
+wann geht Ihr fort? vielleicht läßt Euer Vater doch noch
+mit sich reden, und lenkt ein wenn er sieht daß es Euch wirklich
+Ernst ist.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Mathes schüttelte mit dem Kopf und der Actuar rief:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ein Bauer und einlenken, Kellmann? — da kennt Ihr
+unseren deutschen Bauer nicht; worauf der einmal seinen Dickkopf
+gesetzt hat, da muß er durch, und wenn's nicht geht, so
+zerhaut er sich eben den Schädel, aber er läßt nicht nach. Der
+alte Vogel und nachgeben; Du lieber Gott, wenn er den
+eigenen Sohn mit einem einzigen Wort vom Verderben retten
+könnte — er spräch es nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na, da kann ich wohl auch meine Bude hier bald zuschließen
+und mitgehn,« sagte Lobsich, sich den Kopf kratzend — »Schwerebrett
+das ist mir — hm — hm — ist mir doch
+was Unbedeutendes, das — das Amerika.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und was sagt denn das Käthchen dazu?« frug Kellmann
+<span class="tei tei-corr">jetzt</span> den Mathes, während die Uebrigen schon aufgestanden
+waren und sich zum fortgehn gerüstet hatten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Die weint und will nicht mit,« sagte Mathes leise — »aber
+sie wird schon gehen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie will nicht mit?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page045">[pg 045]</span><a name="Pg045" id="Pg045" class="tei tei-anchor"></a>»Sie meint, es bräche meinem Vater das Herz.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das Herz brechen? — dem alten Vogel?« lachte aber
+dieser verächtlich — »na Gott sei Dank, die hat einen guten
+Begriff von ihm — als ob dem etwas das Herz brechen
+könnte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun, es frägt sich nur jetzt wem sie es lieber bricht,«
+meinte der Actuar, »dem Alten, wenn sie geht, oder dem
+Jungen, wenn sie bleibt — die Wahl wird ihr nicht schwer
+werden. Aber Schollfeld, Ihr seid ja auf einmal so still geworden?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach laßt mich zufrieden,« brummte dieser ärgerlich — »weiß
+es Gott, man möchte am Ende selber mit hinüberlaufen,
+nur Nichts mehr von dem verwünschten Auswandern
+reden zu hören.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hahahaha!« rief da Kellmann, »Schollfeld bekömmt
+auch überseeische Ideen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ueberseeische — hätte bald was gesagt,« knurrte dieser
+aber, auf der Straße hingehend, ohne weder Mathes noch
+Lobsich gute Nacht zu sagen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Uebrigen wechselten noch kurzen Gruß mit ihren
+Bekannten dort, zündeten sich frische Cigarren an, und schlenderten
+langsam, den freundlichen Abend so viel als möglich zu
+genießen, die Straße hinab, der eigenen Heimath zu.</p>
+</div>
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em"><span class="tei tei-pb" id="page046">[pg 046]</span><a name="Pg046" id="Pg046" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc7" id="toc7"></a>
+<a name="pdf8" id="pdf8"></a>
+<a name="pdb9" id="pdb9"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 3.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Der Diebstahl.</span></h1>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Zehn Minuten mochten sie so etwa schweigend nebeneinander
+hergegangen sein, als hinter ihnen auf der Straße
+eine Equipage und klappernde Hufschläge gehört wurden, die
+sie rasch einholten und an ihnen vorbeirauschten, eine dicke
+Staubwolke dabei über den Weg wälzend. Es war die Familie
+Dollinger mit dem, neben dem Wagen hin galoppirenden
+Fremden, dem Bräutigam der Tochter.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Die kommen schneller von der Stelle als die armen
+Auswanderer vorhin,« sagte Kellmann, als sie vorbei waren — »Wetter
+noch einmal, es ist doch ein anderes Ding so ein paar
+flüchtige Rappen vor sich zu haben, und wie im Flug durch
+die Welt zu jagen, als mit einem schweren Packen auf dem
+Rücken und wunden Füßen vielleicht, mühselig die staubige
+Straße entlang zu keuchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, die Gaben sind ungleich vertheilt in der Welt,«
+<span class="tei tei-pb" id="page047">[pg 047]</span><a name="Pg047" id="Pg047" class="tei tei-anchor"></a>seufzte der Actuar, »was der Eine haben möchte, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">hat</span></em> der
+Andere schon, und das ist auch wohl das ganze Geheimniß
+der socialen Frage, läßt sich aber nun einmal nicht ändern,
+und wir dürfen vielleicht den Kopf darüber schütteln, und wünschen
+daß es anders wäre, aber weiter eben Nichts.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der auf dem Pferd, war der Dings da von Amerika,«
+sagte der Apotheker jetzt, »der das schmählige Geld hat und
+des reichen Dollingers Tochter noch dazu heirathet. Soll mir
+noch einmal einer sagen daß Eisen der stärkste Magnet sei;
+Gold ist's, und wo das liegt zieht es anderes hin.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und wie steht's mit Actien?« lachte Kellmann.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bah — bleibt immer dasselbe,« brummte der Apotheker,
+»das Gold steckt darin, und kann durch einen sehr einfachen
+chemischen Proceß leicht herausgezogen werden — wenn man
+sie hat.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es wundert mich übrigens daß der alte Dollinger sein
+Kind über das große Wasser hinüberziehen läßt,« meinte der
+Actuar — »dem hätte es doch auch hier im Lande nicht an
+einer eben so guten Parthie gefehlt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Liebe,« meinte Kellmann achselzuckend — »Liebe ist
+blind sagt ein altes Sprichwort; dagegen lassen sich eben keine
+Gründe anbringen. Wär's übrigens auch nicht wegen dem
+großen Wasser, der Bursche gefällt mir außerdem nicht, und
+ich möchte ihm meine Tochter nicht geben und wenn er bis
+über die Ohren in Golde stäcke. Er hat ein verschlossenes,
+hochfährtiges Wesen, behandelt den gemeinen Mann wie einen
+Hund, und spricht von Allem was wir hier haben, unseren<span class="tei tei-pb" id="page048">[pg 048]</span><a name="Pg048" id="Pg048" class="tei tei-anchor"></a>
+Einrichtungen, unseren Gesetzen, unseren Vergnügungen selber,
+ja unserem Klima und Land, das doch zum Henker auch <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">sein</span></em>
+Vaterland ist, mit der größten Verachtung. Amerika, und
+immer wieder Amerika, hinten und vorn; ei Blitz und Hagel,
+ich will gar nicht leugnen daß es manche gute Seiten haben
+mag, das Amerika, wenn ich sie auch gerade nicht einsehen
+kann, aber so viel besser wie unser Deutschland ist es doch auch
+nicht drüben, und wenn's so einem Burschen da einmal zufällig
+geglückt ist, sollt' er nicht als Lockvogel sich hier mitten zwischen
+uns hineinsetzen, anderen vernünftigen Leuten unglückselige
+Ideeen in den Kopf zu pflanzen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn sich andere vernünftige Leute solche Ideeen einpflanzen
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">lassen</span></em>, geschieht's ihnen ganz recht,« sagte der Apotheker — »man
+braucht nicht zu glauben was jeder dahergelaufene
+Lump eben sagt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ganz</span></em> ohne kann's aber auch nicht sein,« meinte
+Kellmann kopfschüttelnd<span class="tei tei-corr">,</span> <span class="tei tei-corr">»</span>und ich — ich halt' es immer für gefährlich.
+S'ist merkwürdig, wie rasch sich das mit der Hochzeit
+gemacht hat.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun, wer sich die Braut gleich fix und fertig aus dem
+Wasser zieht hat leicht freien,« sagte der Actuar — »Glück
+muß der Mensch haben, dann geht Alles wie am Schnürchen;
+wer aber <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">das</span></em> nicht hat, der mag sein Lebtag fischen und fängt
+doch Nichts — am wenigsten aber solch einen Goldfisch.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wo stammt er denn eigentlich her?« frug der Apotheker
+jetzt, wie sie wieder eine Weile schweigend neben einander hingegangen
+waren, »man hört doch sonst eigentlich gar Nichts
+<span class="tei tei-pb" id="page049">[pg 049]</span><a name="Pg049" id="Pg049" class="tei tei-anchor"></a>von ihm, und er kommt auch mit keinem Menschen weiter zusammen — stolzer
+aufgeblasener Bursche der.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gott weiß es,« sagte der Actuar; »er ist, glaub' ich, mit
+einem holländischen Schiff herübergekommen, und hatte einen
+Paß von Amsterdam.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und der Paß lautete nach Heilingen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun nicht gerade nach Heilingen, aber doch nach der
+Residenz, und wie sich die Sache dann hier mit der Dollingerschen
+Familie gestaltete, nun lieber Gott, da drückte der Stadtrath
+das eine, und die Stadtverordneten drückten das andere
+Auge zu, und man sah nicht so genau nach den Papieren.
+Ueberdieß verzehrte er ja hier viel Geld; wär' es ein armer
+Teufel gewesen, hätten wir ihn wahrscheinlich schon bald wieder
+über die Grenze gehabt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, ja, glaub's,« sagte Kellmann mit dem Kopfe nickend,
+»s'ist in Heilingen eben nicht anders wie — wie anderswo — warum
+auch?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das Gespräch drehte sich von da ab, auf die städtischen
+Einrichtungen, deren wärmster Vertheidiger der Apotheker war,
+und über die sich der Actuar natürlich nur sehr vorsichtig ausließ,
+während sie Kellmann um so unnachsichtiger angriff;
+kam dann auf die Saat und die Preise, und wieder mit einem
+Seitensprung auf die jetzige Politik unseres lieben deutschen
+Reiches, bis sie das Thor und zwar gerade mit Sonnenuntergang
+erreichten, wo Jeder seinen Weg ging, die eigene Heimath
+aufzusuchen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Actuar Ledermann besonders, der an dem entgegen<span class="tei tei-pb" id="page050">[pg 050]</span><a name="Pg050" id="Pg050" class="tei tei-anchor"></a>gesetzten
+Ende der Stadt wohnte, beeilte seine Schritte, noch
+vor einbrechender Dunkelheit seine Wohnung zu erreichen; das
+Gerücht ging nämlich in der Stadt, daß ihn seine Ehehälfte
+bei solchen Gelegenheiten oft allerdings sehr unfreundlich
+empfange, und ihm einmal sogar schon einige sonst sehr nützliche,
+bei <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">der</span></em> Gelegenheit aber nichts weniger als passende
+häusliche Geräthe entgegen und vor die Füße geworfen habe.
+Thatsache war, daß »Madame« oder Frau Actuar Ledermann,
+was auch ihres Gemahls Thätigkeit und Ansehn außerhalb
+seiner eigenen vier Pfählen sein mochte, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">innerhalb</span></em> derselben
+jedenfalls das Commando, und nicht immer mit Mäßigung
+führte, und der Actuar suchte den Hausfrieden wenigstens soviel
+als möglich zu erhalten und jeden Anlaß, zu irgend einer
+Störung desselben, zu vermeiden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Mit solchen Gedanken vielleicht im Kopf, wollte Ledermann
+eben vom Marktplatz aus in die Straße einbiegen, an
+deren äußersten Ende seine eigene, sehr bescheidene Wohnung
+stand, als er seinen Titel genannt und sich selber gerufen
+hörte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Herr Actuar — Herr Actuar Ledermann.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Er drehte sich rasch um und sah einen Gerichtsdiener
+eilig auf sich zukommen, der, die Mütze abnehmend, vor ihm
+stehen blieb und ihm meldete, daß er eben abgeschickt worden
+ihn zu holen oder aufzusuchen, da ein Einbruch geschehen sei,
+über den an Ort und Stelle Protokoll aufgenommen werden
+solle.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Protokoll aufnehmen?« sagte Actuar Ledermann, keines<span class="tei tei-pb" id="page051">[pg 051]</span><a name="Pg051" id="Pg051" class="tei tei-anchor"></a>wegs
+angenehm überrascht; »ja was hab ich denn heute damit
+zu thun, wo ist mein <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">College</span></em>?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Herr Actuar Beller sind unwohl geworden, heute Nachmittag,«
+berichtete der Polizeidiener, »und mußten zu Hause
+gehn; ich bin eben abgeschickt zu sehn, welchen von den andern
+Herren ich zuerst treffen könnte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm — ist sehr amüsant,« brummte Ledermann vor sich
+hin — »kommt mir gerade apropos. Bei wem ist es denn?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bei Herrn Dollinger.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Was? — bei Kaufmann Dollinger?« rief der Actuar
+rasch und erstaunt — »am hellen Tag, während er ausgefahren
+war?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Er ist, wenn ich nicht irre, eben zu Hause gekommen,«
+berichtete der Mann, und hat glaub' ich sein Pult geöffnet,
+und eine bedeutende Summe Geldes entwendet gefunden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, hm, hm,« sagte der Actuar kopfschüttelnd und seinen
+Rock dabei, den er der Bequemlichkeit wegen aufgelassen
+hatte, zuknöpfend, »es wird immer besser hier bei uns. Am
+hellen lichten Tage. Aber die ganze Stadt steckt auch voll
+fremden Volkes, das sich natürlich keine Gelegenheit entschlüpfen
+läßt Reisegeld zu bekommen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es muß doch wohl Jemand gewesen sein der mit dem
+Hause genau bekannt war,« sagte der Polizeidiener — »nach
+dem wenigstens, was ich bis jetzt von den Dienstleuten darüber
+gehört habe, kann's nicht gut anders sein.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun wir werden ja sehn; da muß ich aber erst — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn sich der Herr Actuar nur eben an Ort und Stelle
+<span class="tei tei-pb" id="page052">[pg 052]</span><a name="Pg052" id="Pg052" class="tei tei-anchor"></a>bemühen wollen,« sagte jedoch der Diener des Gerichts, »alles
+Nöthige ist schon dorthin geschafft und ich war eben nur fortgelaufen,
+einen der Herren zu suchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Actuar, dem Dienste natürlich Folge leistend, seufzte
+tief auf und schritt, im Geist wahrscheinlich des Empfangs
+gedenkend, der seiner harrte, wenn seine Frau auf ihn mit dem
+Abendessen warten mußte, rasch die »Poststraße« hinaufbiegend,
+dem gar nicht weit entfernten Dollinger'schen Hause zu, dort
+den Thatbestand in Augenschein und zu Protokoll zu nehmen,
+etwaige Spuren des Uebelthäters zu entdecken und zu verfolgen,
+und die Leute im Hause nach möglichem Verdachte zu inquiriren.</p>
+
+<div class="tei tei-tb">* * * * * </div>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger, in dem
+Alles sonst so still und ruhig und wie am Schnürchen zuging,
+wo Jeder seine angemessene und fest bestimmte Beschäftigung
+hatte, genau wußte was ihm oblag, und das that, ohne
+eben viel Lärm darum zu machen, lief und rannte und sprach
+heute alles durcheinander, und sämmtliche Bande der Ordnung
+schienen gelöst.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Frau Dollinger vor allen Dingen lag in Krämpfen in
+ihrem Boudoir, und beanspruchte die Hülfe ihrer beiden Töchter
+und der weiblichen Dienstboten im Haus, ihren Zustand zu bewachen;
+Herr Dollinger selber war in seinem Zimmer des
+obern Stocks, und ging dort mit raschen Schritten und auf
+den Rücken gekreuzten Armen auf und ab, während dem jungen<span class="tei tei-pb" id="page053">[pg 053]</span><a name="Pg053" id="Pg053" class="tei tei-anchor"></a>
+Henkel indessen die Bewachung des Platzes selber übertragen
+war, und die andern Dienstboten, mit einem nicht unbedeutenden
+Theil der Nachbarschaft und deren Verwandten, in den verschiedenen
+Winkeln und Ecken des Hauses herumstanden und
+kopfschüttelnd, die Hände ein über das andere Mal in Verwunderung
+zusammenschlugen. Die verschiedenartigsten Vermuthungen
+und Beweise wurden da laut, und die Orte und
+Stellungen oder Beschäftigungen jedes Einzelnen auf das Genaueste
+und Peinlichste angegeben, wo und wie sich Jeder gerade
+in der Zeit etwa befunden haben mochte, als die entsetzliche,
+verruchte That geschehen und vollbracht sein mußte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Dem Actuar, mit dem ihm folgenden Gerichtsdiener
+wurde übrigens willig und dienstfertig Platz gemacht; Alle
+wollten aber hinter drein, und die Frauen besonders gaben
+dabei durch die entschiedensten Ausrufe — »Ne Du meine
+Güte« und »Ne so was« ihre vollkommenste Misbilligung
+des Geschehenen zu erkennen. Nichts desto weniger wurde auch
+selbst ihnen die Thüre vor der Nase zugemacht, und Einer der
+Bedienten bekam strenge Ordre die Hausflur zu räumen, und
+Niemand mehr, so lange die Untersuchung dauere, die Treppe
+hinaufzulassen, ausgenommen, es wisse Jemand noch um den
+Diebstahl, und könne irgend einen Fingerzeig geben den Dieben
+auf die Spur zu kommen; solche Zeugen sollten nachher vernommen
+werden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Oben an der Treppe empfing sie Herr Henkel, um sie
+gleich zu dem Ort, wo der Diebstahl verübt worden, hinzuführen;
+einer der Leute war indessen abgeschickt Hrn. Dollinger
+<span class="tei tei-pb" id="page054">[pg 054]</span><a name="Pg054" id="Pg054" class="tei tei-anchor"></a>selber zu rufen, und dieser erschien jetzt, den Actuar freundlich
+grüßend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es war indessen schon ziemlich dunkel, und im Zimmer
+Licht angezündet worden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich bedaure sehr, Herr Dollinger,« sagte der Actuar,
+»daß, wie ich gehört habe, eine so fatale Sache mich hier in
+Ihr Haus geführt haben muß.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja allerdings,« erwiederte der alte Herr, »ist es sehr
+unangenehm; weniger des Verlustes wegen, der sich allenfalls
+ertragen ließ, als wegen dem Bewußtsein getäuschten Vertrauens,
+mit selbst keinem gewissen Anhaltspunkt auf Verdacht.
+Ich wollte gern das Doppelte verloren haben, wenn es hätte
+können auf andere Weise geschehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das Ganze ist übrigens mit einer raffinirten Geschicklichkeit
+ausgeführt,« fiel Henkel hier ein, »und der Thäter,
+wer auch immer, jedenfalls ein höchst gefährliches Subject, von
+dem ich nur hoffen will daß wir ihm auf die Spur kommen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dürfte ich Sie bitten mir den Platz zu zeigen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Treten Sie hier in das Zimmer meiner Töchter; dort
+der Secretair ist erbrochen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm — mit einem breiten meißelartigen Instrument,«
+sagte der Actuar nach kurzer Besichtigung der offenen, arg beschädigten
+Mahagoniplatte — »und die Thür ebenfalls eingebrochen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein — die Thür ist unbeschädigt und muß jedenfalls
+mit einem Nachschlüssel geöffnet sein.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und was vermissen Sie in dem Secretair?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page055">[pg 055]</span><a name="Pg055" id="Pg055" class="tei tei-anchor"></a>»Eine Summe Geldes, die ich erst vor wenigen Stunden,
+und im Beisein meiner Familie und eines zuverlässigen Comptoirdieners,
+im Paket wie ich sie von der Post erhalten, hier
+eingeschlossen hatte, und von der der Dieb auf eine mir unbegreifliche
+Weise muß Kenntniß bekommen haben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wer ist dieser Comptoirdiener?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Oh, Loßenwerder; Sie kennen ihn ja wohl?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Loßenwerder,« sagte der Actuar nachdenkend — »ist
+wohl schon eine ganze Weile in Ihrem Geschäft?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Schon zwölf Jahr; mit keinem Schatten irgend eines
+Verdachts; ich nahm ihn als einen ganz jungen Burschen in
+mein Haus; er muß aber gegen irgend Jemand davon gesprochen
+haben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, hm, wollen ihn uns doch einmal nachher besehn;
+also hier hinein hatten Sie das Geld gelegt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es ist ein Secretair, den meine Töchter gemeinschaftlich
+benutzen, und zu dem jede von ihnen ihren Schlüssel hat. Bitte
+lieber Henkel, lassen Sie doch einmal Sophie oder Clara einen
+Augenblick zu uns herüber rufen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich habe schon das Mädchen geschickt, eine der jungen
+Damen ersuchen zu lassen,« entgegnete der junge Henkel, der
+indessen im Zimmer umhergegangen war, und sich überall umgesehen
+hatte, ob nicht vielleicht doch der Dieb irgend eine
+Spur, irgend ein Zeichen hinterlassen habe, an das man sich
+später einmal halten könne. — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und vermissen Sie weiter Nichts als das Geld?« frug
+der Actuar.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page056">[pg 056]</span><a name="Pg056" id="Pg056" class="tei tei-anchor"></a>»Auch ein Schmuck meiner ältesten Tochter scheint mit
+geraubt zu sein,« sagte Herr Dollinger — »aber da kommt
+Clara, die Ihnen das Nähere davon selber angeben wird.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Clara betrat in diesem Augenblick das Gemach; sie sah
+todtenbleich und angegriffen aus, und Henkel eilte ihr entgegen
+sie zu unterstützen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Clara, mein liebes armes Kind,« sagte Herr Dollinger,
+auf sie zugehend und die Hand nach ihr ausstreckend, »fehlt
+Dir etwas? — Der Schreck hat Dich wohl so angegriffen.
+Mach Dir doch nur keine Sorge, mein Herz; vielleicht bekommen
+wir Alles wieder und wenn nicht — nun ein <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Unglück</span></em>
+ist es dann auch nicht; wenn Ihr mir nur Alle gesund bleibt,
+können wir die paar tausend Thaler schon verschmerzen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es ist nicht der Verlust, lieber Vater,« sagte aber das
+junge Mädchen, sich gewaltsam zusammennehmend, und des
+Vaters Hand ergreifend — »nur die Ueberraschung, der Schreck
+wahrscheinlich, und das — das Unheimliche dabei, als ich
+mein Zimmer vorhin betrat, und die Spuren des verübten
+Verbrechens entdeckte. Ich fürchtete die entsetzlichen Menschen
+noch irgend wo zu sehn, die vielleicht hinter einer Gardine
+stehen, unter einem der Divans liegen, hinter einem Ofen
+lauern konnten und, wenn entdeckt, zu verzweifelter Gegenwehr
+getrieben mich anfallen würden, und all solch kindische
+Gedanken mehr. Dort der auf den Tisch geworfene Regenschirm
+dabei, die hinuntergeworfene Stickerei von dem Secretair
+selber, am meisten aber der Tabaksgeruch im Zimmer und
+<span class="tei tei-pb" id="page057">[pg 057]</span><a name="Pg057" id="Pg057" class="tei tei-anchor"></a>die verlöschte, angerauchte Cigarre dort auf dem Fensterbret,
+erfüllten mir das Herz mit einem unbeschreiblichen Grausen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Eine Cigarre?« sagte Ledermann, sich vergebens nach
+dem bezeichneten Gegenstand umschauend — »wo lag sie?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dort im Fenster, als ich zurückkam.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Die alte angerauchte Cigarre?« sagte Henkel rasch — »die
+hab' ich zum Fenster hinausgeworfen; ich glaubte Einer
+der Dienerschaft hätte sie in der Aufregung mit hereingebracht
+und dort abgelegt — sie muß unten auf der Straße liegen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bitte schicken Sie doch einmal einen Burschen danach,
+daß er sie heraufholt,« sagte der Actuar; »man darf auch das
+Unbedeutendste nicht unbeachtet lassen, und wir wollen indessen
+die vermißten Gegenstände aufnehmen. Das Geld? — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Davon giebt Ihnen dieser Brief das genaue Verzeichniß,«
+sagte Herr Dollinger, »aber ich fürchte fast daß wir
+durch das Geld selber nicht auf die Spur kommen werden, indem
+das Paket fast nur Gold und kleinere Banknoten enthielt,
+die leicht umzusetzen und schwer zu controliren sind. Eher
+hoffe ich durch den Schmuck den Dieb verrathen zu sehn, da
+einige sehr auffällige Stücke, wie ich höre, dabei gewesen
+sind.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dürfte ich Sie um eine genaue Angabe derselben, heute
+Abend noch, wenn irgend möglich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">schriftlich</span></em> bitten?« erwiderte,
+nach einigem Besinnen, der Actuar, »diese Einzelheiten
+würden mich jetzt zu lange aufhalten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Kannst Du das geben, Clara?</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bis auf die kleinste Nadel hinunter,« sagte das junge<span class="tei tei-pb" id="page058">[pg 058]</span><a name="Pg058" id="Pg058" class="tei tei-anchor"></a>
+Mädchen rasch, »besonders auffällig war eine kleine, rundum
+mit Brillanten besetzte Broche, ein Erbstück unserer Großmutter,
+und ausgezeichnet vor jedem andern Schmuck, den ich
+noch in meinem ganzen Leben gesehen, durch einen, in der
+Mitte gefaßten, genau dreieckigen, hellblauen und wundervollen
+Turquis. Mein Schmuck lag gleich dicht dahinter, den
+aber muß der Dieb in der Eile übersehen haben; er ist unangerührt
+geblieben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das ist allerdings glücklich,« sagte der Actuar, »wäre
+wohl auch des Mitnehmens werth gewesen. Lag gleich dabei?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hier in dem rothen Kästchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber das ist auch geöffnet worden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das? — nein, das hab ich wohl selbst geöffnet, nachzusehen,
+ob auch Alles darin sei, und nicht wieder ordentlich
+geschlossen. Die Haken waren allerdings auf, wenn ich mich
+nicht ganz irre, aber der Dieb hat keinenfalls eine Ahnung gehabt,
+welchen Werth das kleine unscheinbare Kästchen enthalte,
+oder es stände jetzt nicht mehr da.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sehr wahrscheinlich, hm — aber Sie vergeben wohl
+nicht, mein Fräulein, alle diese Einzelheiten besonders zu notiren;
+wer weiß ob sie nicht noch einmal wichtig werden. Ah,
+da kommt auch Herr Henkel wieder; haben Sie die Cigarre
+gefunden?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gott weiß wo sie ist;« lachte dieser, »irgend Jemand
+muß es doch noch der Mühe werth gehalten haben sie aufzuheben,
+und in einer Pfeife vielleicht zu verrauchen — ich bin selber
+<span class="tei tei-pb" id="page059">[pg 059]</span><a name="Pg059" id="Pg059" class="tei tei-anchor"></a>hinunter gegangen, kann sie aber nirgends mehr entdecken.
+Uebrigens ist es auch fast dunkel geworden, und ich werde
+morgen ganz früh nachsuchen lassen. Der Stummel wird Ihnen
+freilich nicht viel helfen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Man weiß nicht,« sagte der Actuar kopfschüttelnd, »je
+nach der Güte des Tabaks ließ sich vielleicht auf die Schicht
+der menschlichen Gesellschaft schließen, in der sich unser heimlicher
+Besuch herumtriebe. Aber das ist allerdings Nebensache;
+wo also ist der Dieb hereingekommen? — hier durch
+diese Thür?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Doch wohl vom Garten her durch das Fenster Euers
+Schlafzimmers,« sagte Herr Dollinger, »denn durch das Haus
+würde er es sich am hellen Tage im Leben nicht getraut
+haben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber ich möchte meine Seligkeit zum Pfande setzen daß
+ich den Schlüssel, der nach unserer Schlafkammer führt, ehe
+wir fortgingen, herumgedreht und stecken gelassen hätte, so daß
+von innen ein Oeffnen unmöglich war.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und war die Thür noch verschlossen wie wir zurückkamen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein, nur in's Schloß gedrückt, aber der Schlüssel stak
+darin.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, hm, hm — dann ist der Bursche dort wahrscheinlich
+hinaus« — sagte der Actuar — »zur Thür hier hereingekommen
+und dort zur Nothröhre hinaus — hm, muß aber
+genau mit der Gelegenheit bekannt sein. Mein lieber Herr
+Dollinger, wir werden Ihre Leute doch ein wenig scharf in's<span class="tei tei-pb" id="page060">[pg 060]</span><a name="Pg060" id="Pg060" class="tei tei-anchor"></a>
+Gebet nehmen müssen, denn ein ganz Fremder, kann sich die
+Zeit nicht so abgepaßt haben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wo kommt der Blumenstock her?« sagte da plötzlich
+Clara rasch und erstaunt, auf einen sehr schönen Rosenstock
+deutend, der in ihrem Fenster, zunächst der Thüre stand — »wer
+hat den jetzt hier heraufgestellt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So lange wir hier sind Niemand« — rief Henkel — »war
+er vorher nicht da?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nicht heute Mittag, das weiß ich gewiß; aber vielleicht
+hat ihn eins der Dienstleute mir heimlich hier hereingesetzt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Heimlich? — so?« sagte der Actuar, »den freundlichen
+Geber wollen wir also vor allen Dingen einmal herauszubekommen
+suchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es ist heute mein Geburtstag,« sagte Clara leise und
+erröthend.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Oh?« meinte Herr Ledermann mit einem freundlichen
+Lächeln, »da thut es mir freilich leid, meine ganz ergebensten
+Gratulationen zu keiner angenehmeren Zeit vorbringen zu können — will
+eben nicht passen bei einer solchen Untersuchung,
+kann es aber doch auch nicht geradezu hinunterschlucken — ich
+gratulire eben nicht zur Untersuchung.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es muß gewiß ein gesegnetes Land sein,« sagte Henkel
+mit einem leisen, halb boshaften Lächeln, »wo die Polizei sogar
+witzig sein kann.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm,« meinte der lange Aktuar, sich nach dem Sprecher
+umdrehend, »die Polizei macht eben keinen Anspruch darauf,
+und ist das meistens Privateigenthum. Aber wir wollen die<span class="tei tei-pb" id="page061">[pg 061]</span><a name="Pg061" id="Pg061" class="tei tei-anchor"></a>
+Zeit nicht mit Allotrien vergeuden; ist nicht herauszubekommen
+wer den Blumenstock hier, während Ihrer Abwesenheit in das
+Zimmer gesetzt hat?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Jedenfalls müssen die Dienstboten darum wissen,« sagte
+der junge Henkel, »und es wird das Beste sein sie einzeln
+darum zu befragen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Allerdings; — Einzelverhör hat überhaupt viele Vortheile,
+bitte schicken Sie einmal die Leute herauf, daß man vor
+allen Dingen ihre Gesichter zu sehen bekommt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber nicht hier, Väterchen, nicht wahr nicht hier in
+meiner Stube?« bat Clara — »ich würde den fatalen Gedanken
+im Leben nicht wieder los.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wir wollen hinuntergehn in das untere Zimmer,« sagte
+Herr Dollinger, freundlich dem Wunsch der Tochter nachgebend,
+»es läßt sich das dort eben so gut abmachen als hier.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Manchmal ist der Platz des Verbrechens selber der geeignetste,«
+warf der Actuar ein, »aber wie Sie wünschen — nur
+um eines möchte ich Sie noch vorher bitten, daß ich mir
+einmal die Stelle oder das Fenster ansehn darf, durch das sich
+Ihrer Vermuthung nach, der oder die Diebe entfernt haben
+könnten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»In unserem Schlafzimmer?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Doch durch diese Thür?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Lieber Henkel, Sie sind wohl indessen so freundlich,
+meine Leute unten zusammenzurufen; wir kommen gleich hinunter.
+Sie werden heut viel belästigt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber ich bitte Sie, bester Herr Dollinger,« sagte der
+<span class="tei tei-pb" id="page062">[pg 062]</span><a name="Pg062" id="Pg062" class="tei tei-anchor"></a>junge Mann, rasch seinen Hut aufgreifend, »wenn ich Ihnen
+nur darin von irgend einem wirklichen Nutzen sein könnte.
+Lieber erlauben Sie mir vielleicht mit Ihnen einer möglichen
+Spur zu folgen, denn meine Augen sind darin vielleicht schärfer
+als manche andere.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es wird in der Dunkelheit nicht eben mehr viel zu
+spüren geben,« meinte indeß der Actuar; »das werden wir
+uns müssen auf morgen früh aufsparen — also jetzt noch das
+Fenster, wenn ich bitten darf — ich möchte mir nur die Gelegenheit
+einmal von oben besehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Clara selber öffnete die Thür und führte dem Actuar mit
+ihrem Vater in das kleine freundliche Gemach, dessen beide,
+schon von Blätter schießenden Weinranken überzogene Fenster,
+auf den Garten hinaussahen. Das eine Fenster war allerdings
+geöffnet gewesen, aber der Rankenwuchs so dicht zusammengezogen,
+daß sich ein <span class="tei tei-corr">Körper</span> kaum hätte hindurchzwingen
+können. Die Höhe nach dem Garten hinunter, und
+gerade unter dem Fenster sollte ein kleiner Rasenplatz sein,
+war eben nicht beträchtlich, vielleicht zehn oder zwölf Fuß, und
+unten umgab niederer aber ziemlich dichter Hollunder den
+Rasen. Im Zimmer selber ließ sich aber nicht das mindeste erkennen,
+das einen solchen Verdacht unterstützt hätte; das
+Einzige was dafür sprach, war die aufgeschlossene Thür.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Zu der Unterstube des Hauses waren indessen die Dienstleute
+versammelt worden, streng examinirt zu werden. Der
+Hausmagd vor allen andern lag die Pflicht ob, die Etage, wenn
+sie nach unten in die Küche ging, in Abwesenheit der Herr<span class="tei tei-pb" id="page063">[pg 063]</span><a name="Pg063" id="Pg063" class="tei tei-anchor"></a>schaft
+verschlossen zu halten. Diese aber behauptete steif und
+fest, und weinte dabei und rief Gott und alle Heiligen zu
+Zeugen an, daß sie die Vorsaalthür auch ordentlich, »zweimal
+herum« abgeschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt hätte,
+und Niemanden in der weiten Gotteswelt gesehen habe, der
+das Haus in der Zeit betreten haben könne. Trotzdem aber
+sei die Vorsaalthür, als sie wieder nach oben gekommen offen,
+wenigstens aufgeschlossen, wenn auch zugeklinkt gewesen, und
+sie hätte selber im Anfang nicht begreifen können wie das möglich
+wäre, aber auch nicht weiter darüber nachgedacht, und es
+ihrer eigenen Unaufmerksamkeit zugeschoben. Nach der Abfahrt
+der Herrschaft sei sie aber nur eine ganz ganz kurze Zeit
+unten geblieben um — sie wollte erst nicht mit der Sprache
+heraus, aber der Herr Actuar drängte gar so sehr — um den
+jungen Herrn Henkel fortreiten zu sehn. Nachher mochte sie
+vielleicht noch zehn Minuten der Köchin geholfen haben, und
+war dann nicht wieder von dem Vorsaal oben fortgekommen,
+auf dessen Balkon sie gesessen und genäht hatte. In der Zeit
+habe Niemand mehr den Vorsaal oder des Fräuleins Zimmer
+betreten, darauf wolle sie das heilige Abendmahl nehmen, und
+der Diebstahl müsse jedenfalls in den paar Minuten, die
+zwischen dem Fortreiten des jungen Herrn und ihrem eigenen
+Wiederhinaufgehn nach oben gelegen hätten, verübt sein — anders
+war es nicht möglich.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wer aber hatte den Blumenstock in des Fräuleins Zimmer
+gestellt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Einen Blumenstock? — während die Herrschaft fort war?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page064">[pg 064]</span><a name="Pg064" id="Pg064" class="tei tei-anchor"></a>»Allerdings, eine Monatsrose — in das Fenster nächst
+der Thür.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der das gethan hat, müsse damit zum Fenster, oder in
+derselben Zeit mit einem Nachschlüssel zur Thür hereingekommen
+sein, als der Diebstahl verübt worden, denn sie hätte keine
+Seele im Haus gesehn.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Dienstboten hatten indessen mit einander geflüstert,
+als der Actuar das Wort nahm und mit langsam bedächtiger,
+aber ziemlich ernster Stimme sagte:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hört einmal Leute, ich will Euch etwas sagen; Ihr habt
+Euch da gut unschuldig stellen, als ob Ihr eben erst auf die
+Welt gekommen wärt, damit dringt Ihr aber nicht durch. Das
+Geld ist fort — Ihr seid die Einzigen die unter der Zeit im
+Haus waren, und Euere Pflicht wäre es gewesen — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Herr Actuarius« — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ruhe da, wenn ich Euch etwas mitzutheilen habe — und
+Euere Pflicht wäre es gewesen, sag' ich, aufzupassen, daß
+niemand Fremdes den Platz betrat, der Euch anvertraut war,
+und für den Ihr also auch in der Zeit zu stehn hattet. Jemand
+ist aber in der Zeit da gewesen, und hat etwas gebracht
+und etwas geholt, und man wird sich jetzt an <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Euch</span></em> halten
+müssen, bis der Jemand ausfindig gemacht ist. Was giebt's
+da hinten — was ist gekommen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dullmanns Rieke von über dem Weg drüben,« sagte
+die Köchin jetzt, gegen den Actuar vortretend, »will den Loßenwerder
+haben heimlich aus dem Haus schleichen sehn. Da
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">haben</span></em> Sie einen; <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">uns</span></em> brauchen Sie so etwas nicht unter die<span class="tei tei-pb" id="page065">[pg 065]</span><a name="Pg065" id="Pg065" class="tei tei-anchor"></a>
+Nase zu reiben, Herr Actuar — wir sind ehrliche Dienstboten
+die sich ihr bischen Brot sauer genug im Schweiße ihres Angesichts — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach halt' sie das Maul,« fiel ihr aber der Actuar etwas
+unsanft in die Rede — »<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">wer</span></em> ist im Haus gewesen, Loßenwerder? — und
+heimlich hinausgeschlichen? — wer hat ihn
+gesehn?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hier die Rieke von Dullmann's — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wann war das?« fragte der Actuar das jetzt vorgeschobene
+<span class="tei tei-corr">Mädchen</span>, das feuerroth wurde und ihren einen Schürzenzipfel
+anfing wie einen Plumpsack zusammenzudrehen. Erst
+ganz kurze Zeit vorher hatte sie einer ihrer Freundinnen im
+Dollinger'schen Haus, und gewiß nicht in der Absicht die Mittheilung
+gemacht, gleich damit, ohne weitere Warnung, vor
+die Polizei gezogen zu werden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun Mamsell — wie hieß sie? — Rieke? — Wann
+haben Sie Loßenwerder aus dem Haus kommen sehn, und ist
+er ruhig hinausgegangen oder <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">geschlichen</span></em>?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn Loßenwerder im Haus war,« sagte Herr Dollinger
+ruhig, »so wird er auch ordentlich hinaus<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">gegangen</span></em> und
+nicht geschlichen sein; der wäre der Letzte dem ich so etwas zutrauen
+möchte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Die Rieke behauptet,« fiel aber hier die Köchin in dem
+Bewußtsein unrechtlich gekränkten Ehrgefühls rasch ein, »daß
+sie gar nicht auf ihn geachtet haben würde, wenn er sich nicht
+so schnell und heimlich, und dicht unter den Fenstern, am Hause
+<span class="tei tei-pb" id="page066">[pg 066]</span><a name="Pg066" id="Pg066" class="tei tei-anchor"></a>hingedrückt hätte. Wer kein böses Gewissen hat, kann gerade
+und offen gehen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie sind aber gar nicht gefragt, zum Henker noch einmal,«
+rief der Actuar jetzt ungeduldig werdend — »wenn Sie
+jetzt nicht ruhig sind, lasse ich Sie so lange hinausführen, bis
+wir Sie wieder brauchen. Hier Mamsell Rieke; wenn Sie
+sich die Schürze abgedreht haben, dann sein Sie so gut und
+sagen Sie uns einmal wo und wie Sie den Herrn Loßenwerder
+gesehen haben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich — ich weiß nicht gewiß« — stammelte das Mädchen
+verlegen — »aber — aber Loßenwerder kam — bald nachher
+wie die Herrschaft fortgefahren war — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wie lange nachher?« frug der Actuar.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Etwa eine halbe Stunde denk' ich — vielleicht nicht so
+lange — kam er viel rascher als es sonst seine Art ist, denn
+er geht gewöhnlich immer sehr langsam — kam er — kam er
+aus der Thür heraus, die er geschwind hinter sich zuzog — und
+dann — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und dann?« — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Und dann hielt er den Kopf nieder, als ob er nicht wollte
+daß ihn Jemand, der vielleicht von oben heruntersähe, erkennen
+möchte — hielt er den Kopf nieder und drückte sich — drückte
+sich dicht am Haus hin, so schnell er konnte die Straße hinunter,
+und um die Ecke.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und nachher?« frug der Actuar.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nu, um die Ecke kann sie doch nicht sehn,« sagte die
+Köchin.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page067">[pg 067]</span><a name="Pg067" id="Pg067" class="tei tei-anchor"></a>»Ob Sie still sein wird,« sagte Herr Ledermann jetzt
+aber wirklich böse gemacht — »Wenzel, wenn mir die Person
+da jetzt noch einmal das — noch einmal den Mund aufthut,
+dann wissen Sie was Sie zu thun haben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sehr wohl, Herr Actuar,« sagte der Gerichtsdiener — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und sind Sie dann nachher nicht herübergekommen und
+haben das den Leuten im Hause gesagt, was Sie gesehn?«
+frug der Actuar.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich habe ja aber Nichts gesehen,« sagte die Rieke.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie haben doch den Loßenwerder gesehn« — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja aber der geht doch so oft in das Haus hier herein, und
+kommt nachher immer wieder heraus.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Actuar warf sich ungeduldig herüber und hinüber
+und sagte endlich mürrisch:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Unsinn — baarer Unsinn — aber hatte er denn irgend
+etwas in der Hand? — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">trug</span></em> er etwas?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Trug</span></em>? — ja — ja sehn Sie Herr Actuar — das kann
+ich Sie nicht sagen — das weiß ich nicht — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun Sie werden doch gesehen haben, ob er irgend ein
+schweres Paket in der Hand hatte oder nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja sehn Sie, das weiß ich Sie wahrhaftig nicht, aber
+ich glaube es fast,« sagte das Mädchen, »denn ich habe den
+Herrn Loßenwerder eigentlich noch gar nicht anders gesehn,
+als daß er irgend 'was getragen hätte; und wenn's nur ein
+paar Briefe gewesen wären, oder ein Regenschirm.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Lieber Herr Actuar, ich glaube Sie sind da auf einer
+falschen Fährte,« sagte Herr Dollinger jetzt — »man kann
+<span class="tei tei-pb" id="page068">[pg 068]</span><a name="Pg068" id="Pg068" class="tei tei-anchor"></a>einem Menschen allerdings nicht in's Herz sehen, aber für den
+Loßenwerder möchte ich fast selber einstehen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mein bester Herr Dollinger,« sagte aber der Actuar
+kopfschüttelnd, »es ist das mit den Untersuchungen eine wunderliche
+Sache, und Leute auf die man am allerwenigsten gedacht,
+von denen man nie das geringste Unrechte vermuthet
+hatte, kommen da oft in den sonderbarsten Verwickelungen
+vor und — sind schuldig. Ich selber kenne Loßenwerder
+als einen ordentlichen braven Menschen, und will zu
+Gott hoffen, daß unser ganzer Verdacht unbegründet ist; das
+heimliche Schleichen aus dem Haus aber, und daß ihn Niemand
+sonst im Haus gesehen hat macht ihn verdächtig. Meine
+Pflicht ist es wenigstens ihn selbst deshalb zu vernehmen und
+ich werde jedenfalls noch heute Abend nach ihm schicken müssen — unsere
+Eisenbahnverbindungen sind jetzt zu schnell, und
+man darf keiner Menschenseele mehr zwölf Stunden Vorsprung
+lassen, wenn man nicht oft das leere Nachsehn haben will.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Passen Sie auf,« sagte Herr Dollinger, »der Loßenwerder
+wird den Blumenstock zum Geburtstag Clara's oben
+hinaufgetragen haben, und zum Dank dafür kommt der arme
+Teufel jetzt noch in den Verdacht des fatalen Diebstahls.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wie aber ist er ohne Nachschlüssel in die verschlossene
+Thür gekommen,« warf der Actuar ein — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm — « sagte Herr Dollinger, »das weiß ich freilich
+nicht — nun fragen Sie ihn selber, das wird jedenfalls der
+kürzeste Weg sein.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page069">[pg 069]</span><a name="Pg069" id="Pg069" class="tei tei-anchor"></a>»Um das Verzeichniß der gestohlenen Gegenstände dürfte
+ich Sie dann vielleicht nachher noch bitten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Meine Tochter wird es gerade jetzt eben schreiben,« sagte
+Herr Dollinger, »wenn Sie nur noch kurze Zeit warten wollen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dann dürfte ich Sie wohl bitten, es mir gleich in meine
+Wohnung zu schicken,« meinte der Actuar nach kurzer Ueberlegung,
+»ich muß vor allen Dingen erst in meine Wohnung
+und werde dann von da gleich noch einmal in's Bureau
+gehen. Wo ist denn der Loßenwerder wohl am leichtesten zu
+finden?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich habe eben nach seinem Hause geschickt,« sagte Herr
+Dollinger, »aber dort ist er nicht. Paul, der Bursche, behauptet,
+er ginge manchmal, aber selten, in eine Bierstube an der
+Ecke der Rößnitzer und Hertzergasse, aber dort war er auch
+nicht; es ist übrigens an beiden Orten bestellt, ihn gleich, so
+wie Jemand seiner ansichtig wird, hierherzuschicken.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sehr wohl,« sagte der Actuar, seine Papiere zusammenpackend,
+und sie dem Gerichtsdiener übergebend; nach kurzer
+Begrüßung wollte er sich dann eben entfernen, als er noch einmal
+in der Thür stehen blieb und, sich scharf auf dem Absatz
+herumdrehend, fragte:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»A prospos — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">raucht</span></em> Loßenwerder?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Soviel ich weiß <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">nicht</span></em>,« sagte Herr Dollinger.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Doch ja, manchmal,« sagte Einer der Leute — Sonntags
+nach Tisch z. B. regelmäßig eine Cigarre.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, so?« sagte der Actuar und verließ dann rasch das
+Zimmer und Haus.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page070">[pg 070]</span><a name="Pg070" id="Pg070" class="tei tei-anchor"></a>Er hatte übrigens auch alle Ursache sich zu beeilen, denn
+daheim wartete ein mit jeder Minute drohender aufsteigendes
+Unwetter auf ihn, das er mit einer Art von verzweifelten Hoffnung
+immer noch mit den, dem Gerichtsdiener wieder zu dem
+Zweck abgenommenen, und geschäftsmäßig unter den Arm geklemmten
+Streifen Akten abzuleiten gedachte. Jedenfalls
+mußte ihm der Vorfall im Dollinger'schen Haus, der so viel
+von seiner Zeit in Anspruch genommen, entschuldigen. Frau
+Actuar Ledermann aber hatte sich schon den ganzen Nachmittag
+über, mit immer wachsender Ungeduld, vorgenommen gehabt
+mit ihrem Gatten gegen Abend einen der vor der Stadt
+gelegenen Gärten, wo Concert sein sollte, zu besuchen
+und die Parthie war ihr jetzt — was halfen alle Gründe
+dagegen — zu Wasser geworden; es verstand sich von selbst
+daß Actuar Ledermann die Schuld, und deshalb auch die Folgen
+trug.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Frau Actuar Ledermann hatte sich übrigens vor einigen
+Tagen, wo sie trotz dem nassen Wetter und allen Vorstellungen
+ihres Mannes spatzieren gegangen war, furchtbar erkältet, und
+brachte keinen lauten Ton über die Lippen. Das aber, und
+daß sie ihren gerechtfertigten Ingrimm nicht mit der vollen
+Kraft ihrer Stimme hinaus<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">gießen</span></em> konnte über den Gatten,
+wie sie es — und er auch — gewohnt war, sondern alles das was
+sie ihm zu sagen hatte — und sie hatte ihm viel zu sagen — heraus<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">flüstern</span></em>
+mußte, reizte ihren Zorn nur noch immer
+mehr.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber liebes Kind, ich versichere Dich,« sagte der Actuar
+<span class="tei tei-pb" id="page071">[pg 071]</span><a name="Pg071" id="Pg071" class="tei tei-anchor"></a>in einem vergeblichen Versuch den aufsteigenden Sturm zu
+beschwichtigen, »daß ich mich über anderthalb Stunden bei
+dem verwünschten Diebstahl im Dollinger'schen Hause aufgehalten
+habe und — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und ich versichere Dich,« zischte sie, mit einem Gesicht,
+dem die Anstrengung die es sie kostete die Worte hörbar zu
+machen, einen noch viel unfreundlicheren, ja sogar boshaften
+Ausdruck gab — »daß ich Dich vor anderthalb Stunden
+schon gerade so erwartet habe wie jetzt, und seit drei Stunden
+vollkommen angezogen dasitze und auf Dich passe.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Du <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">bist</span></em> ja gar nicht angezogen, beste Therese.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Weil ich mich wieder ausgezogen habe,« rief die Frau — »glaubst
+Du ich soll mir ein Beispiel an einem liederlichen
+Menschen nehmen, und bei Nacht und Nebel noch draußen
+herumstreichen, wie Leute die das Licht zu scheuen haben? — Und
+dann mit meinem Katharr — daß ich mir den Tag über
+im warmen Sonnenschein ein wenig Bewegung machte, das
+fällt Dir nicht ein; aber Nachts, wenn der schädliche Thau
+niederfällt, der für mich gerade Gift wäre, da möchtest Du
+mich jetzt wohl noch hinausschleppen nicht wahr? damit ich
+nur recht schnell unter die Erde käme — o ich armes unglückseliges
+Weib — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Therese Du bist unbillig, ich habe Dir doch angeboten
+heute Nachmittag mit mir nach dem rothen Drachen
+hinauszugehn — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Weil Du wußtest daß das nichtsnutzige Geschöpf von
+<span class="tei tei-pb" id="page072">[pg 072]</span><a name="Pg072" id="Pg072" class="tei tei-anchor"></a>einer Wäscherin mir mein Kleid nicht vor vier Uhr bringen
+würde,« zischte die Frau.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Du hast ja noch andere — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Am Sonntag zum Skandal der andern Menschen mit
+einer solchen <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Fahne</span></em> zu einem anständigen Vergnügungsort
+hinausziehn, nicht wahr? — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Dir</span></em> läge natürlich Nichts daran
+was die Leute über Deine Frau sagten; aber Du bist auch an
+anderen Orten lieber wie zu Hause, und statt Deiner Frau
+einmal ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten, und nachher
+mit ihr zusammen auszugehen, mußt Du natürlich g'rad in's
+Wirthshaus laufen, und ein Bischen vor Mitternacht dann
+wieder zu Hause kommen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Liebes Kind, es ist halb neun Uhr jetzt« — sagte der
+Actuar ruhig, »dann aber Therese,« fuhr er nach kleinem
+Zögern, mit einer fast gewaltsamen Anstrengung etwas herauszubringen,
+das er auf dem Herzen hatte, fort — »bist Du
+theilweise mit selbst Schuld daran, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">daß</span></em> ich mir eben außer
+dem Hause mein Vergnügen suchen <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">muß</span></em>.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich?« wollte die Frau erstaunt rufen, der etwas zu hoch
+eingesetzte Ton blieb aber total aus, und Ledermann sah nur,
+mit der entsprechenden Gesticulation, das zum Höchsten erstaunte
+Gesicht der Gattin. Dadurch aber vielleicht, und durch
+die ungewöhnliche, freilich erzwungene Stille, etwas muthiger
+gemacht, fuhr er entschlossen fort:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja liebes Kind, Du; denn anstatt Deinem Mann, wenn
+er von seinen Berufsgeschäften ermüdet zu Hause kommt den
+Aufenthalt daheim zu einem freundlichen zu machen, in dem
+<span class="tei tei-pb" id="page073">[pg 073]</span><a name="Pg073" id="Pg073" class="tei tei-anchor"></a>er gerne bleibt, läßt Dich Dein unglückseliges, heftiges Temperament
+nicht ruhen noch rasten, sondern Du mußt irgend
+eine Gelegenheit vom Zaune brechen mit mir zu zanken. Gebricht
+es Dir aber vollkommen an Stoff, was jedoch nur in höchst
+seltenen Fällen zu sein scheint, so bist Du mürrisch und verschlossen,
+machst ihm ein finsteres, verdrießliches Gesicht, und
+sprichst kein Wort.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Sprachlos nur vor Zorn und Staunen über die unerhörte,
+bodenlose Frechheit, hatte die Frau indessen dem heute
+so redseligen Gatten (der aber nicht dabei zu ihr aufzuschauen
+wagte, sondern bald die rechte, bald die linke Ecke der Stube
+mit den Augen suchte) angesehn. Es war eine allerdings
+noch jugendliche schlanke, aber eher magere als volle Gestalt,
+die Frau Actuar Ledermann, mit etwas vorstehenden, wenigstens
+stark markirten Backenknochen und durchdringend scharfen,
+wenn auch kleinen lichtgrauen Augen, die Lippen schmal und
+um den Mund in vielen kleinen Fältchen, zusammengezogen,
+das Kinn jedoch etwas zurückstehend, was ihr ein besonderes,
+und nicht eben angenehmes Profil gab. Auch in ihrem
+Anzug ließ sie sich zuviel gehn; der Zauber reinlicher Kleidung
+fehlte ihr, der selbst der ärmlichsten Tracht etwas Nettes,
+Freundliches giebt; die Krause die das oben am Hals dicht anschließende
+Kleid einfaßte, war schon mehrere Tage getragen
+und verdrückt, ebenso zeigten die Manschetten Spuren längeren
+Dienstes, und die Haube saß ihr verschoben und zu viel zurückgedrängt
+auf dem, nicht überreich mit Haaren bedeckten Scheitel.
+Frau Actuar Ledermann war nicht hübsch, und der Affect
+<span class="tei tei-pb" id="page074">[pg 074]</span><a name="Pg074" id="Pg074" class="tei tei-anchor"></a>der ihre Züge in diesem Augenblick mehr entstellte als belebte,
+nahm ihnen leider auch die letzte Spur sanfter Weiblichkeit,
+die sonst doch wohl noch hie und da darin verborgen lag. Der
+bis jetzt mehr durch Erstaunen als Mäßigung niedergekämpfte
+Zorn gewann aber auch endlich die Oberhand, und während
+die Anstrengung, sich bei ihrer Heiserkeit gehört zu machen, ihr
+Antlitz fast dunkel färbte, keuchte sie, die Arme in die Seite gestemmt,
+den Oberkörper gegen den überrascht einen Schritt
+zurückweichenden Gatten vorgebeugt:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Spreche kein Wort, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">heh</span></em>? sagt der Herr? — prahlt
+da, »wenn er von Berufsgeschäften nach Hause kommt« — spreche
+kein Wort? — sitzt in der Kneipe den ganzen gesegneten
+Nachmittag — im rothen Drachen und das nennt er
+Berufsgeschäfte; vertrinkt das Geld das wir hier zum nothwendigsten
+Leben brauchten, und wirft mir jetzt meine Heiserkeit
+vor, die mir der Himmel geschickt hat, oder mein
+böses Glück, dem ich auch einen solchen Mann verdanke — daß
+ich kein Wort spreche und verdrießlich bin. Ich soll
+wohl <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">tanzen</span></em>? eh? — wenn mir das Herz zum Zerspringen
+voll ist vor Jammer und Elend daheim, und wenn ich den
+ganzen Tag da sitze, und brüte und denke wie wir auskommen
+wollen mit den paar Groschen, die zum Sterben und
+Verhungern zu viel, zum Leben aber zu wenig sind. Dann
+soll ich nachher, wenn der gestrenge Herr sein Gesicht
+zeigt, lachen und vergnügt und lustig sein, nur damit
+der Haustyrann sich nicht unbehaglich fühlt in <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">seinen</span></em> vier
+Wänden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page075">[pg 075]</span><a name="Pg075" id="Pg075" class="tei tei-anchor"></a>Heftiger Husten unterbrach hier die Zornesrede der
+Frau, der die übermäßig angestrengte Luftröhre den Dienst
+versagte, und der Actuar Ledermann nahm still und schweigend,
+den Moment benutzend, ein Licht von dem kleinen
+Seitenschrank, zündete es an der Lampe an, und verließ
+kopfschüttelnd und seufzend das Gemach, sich auf sein eigenes
+kleines Stübchen zurückzuziehn.</p>
+</div>
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em"><span class="tei tei-pb" id="page076">[pg 076]</span><a name="Pg076" id="Pg076" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc10" id="toc10"></a>
+<a name="pdf11" id="pdf11"></a>
+<a name="pdb12" id="pdb12"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 4.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Franz Loßenwerder.</span></h1>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">In Heilingen, in der Glockenstraße, stand ein vortreffliches
+Weinhaus, in dem die wohlhabenderen Bürger Abends gewöhnlich
+zusammenkamen und ihr Fläschchen, aus denen auch
+oft zwei und drei wurden, tranken. Das Lokal war ziemlich
+gemütlich, und dem Zweck entsprechend, in eine Menge kleiner
+Zimmerchen abgetheilt, die theils durch wirkliche Thüren
+und Verschläge, theils durch Vorhänge von einander getrennt
+lagen, einzelnen Gesellschaften zu gestatten eben einzeln zu
+bleiben, und ihr Glas, ungestört von dem Nachbar, zu trinken.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das Haus hieß »der Pechkranz« nach einer alten Sage,
+die der Wirth sehr gern mit der Heilinger Chronik belegte, und
+die noch in dem dreißigjährigen Kriege spielte; ein, über der
+Eingangsthür in neuerer Zeit erst aus Stein gehauener Bachus,
+hielt auch in der einen Hand einen Tyrsusstab, und in der anderen
+einen Pechkranz, in höchst wunderlicher Weise Sage und<span class="tei tei-pb" id="page077">[pg 077]</span><a name="Pg077" id="Pg077" class="tei tei-anchor"></a>
+Geschäft mit einander vereinigend. Die Allegorie war aber gar
+nicht so übel angebracht, und hätte sich auch schon ohne Tilly
+recht leidlich und genügend erklären lassen, denn Bachus hatte
+hier schon in der That in manchen Kopf seinen Pechkranz
+hineingeworfen, daß es lichterloh zum Dache hinausbrannte,
+ohne weiter eben größeren Schaden anzurichten, als der alte
+Pechkranz in damaliger Zeit angerichtet haben sollte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Wirth war übrigens nicht in Heilingen geboren und
+erzogen, sondern ein Rheinländer, der sich hier erst vor einigen
+Jahren niedergelassen, und durch gute Getränke auch bald gute
+und schlechte Kunden genug bekommen hatte. Seine Preise
+waren allerdings ein wenig theuer, »aber,« sagten die Heilinger,
+»wer einmal Wein trinkt, dem darf es auch nicht auf
+einen Groschen dabei ankommen, wenn er nur ächt und rein
+ist,« und Wirth und Gäste befanden sich wohl dabei.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es war am Abend des nämlichen Tages, an welchem ich
+meine Erzählung begann, als die Gäste, die den Tag über
+meist auf Spaziergängen im Freien gewesen waren, anfingen
+einzutreffen, und die Kellner geschäftig herüber und hinüber
+sprangen, Wein und Speisen den Hungrigen und Durstigen
+zu bringen. Die kleinen Räumlichkeiten füllten sich nach und
+nach, und selbst in dem großen Mittelsaal, der ungefähr das
+Centrum des Ganzen bildete, hatten sich schon hie und da einzelne
+Gruppen gebildet, oder auch einzelne Gäste saßen in
+irgend einer Ecke, ihre Flasche Wein vor sich, und auf eigene
+Hand, in ungeselliger Gemüthlosigkeit, langsam Glas nach
+Glas zu leeren. Es ist das aber nicht die rechte Art; zu einer
+<span class="tei tei-pb" id="page078">[pg 078]</span><a name="Pg078" id="Pg078" class="tei tei-anchor"></a>schönen Landschaft und einer guten Flasche Wein gehören
+mindestens zwei Personen, um Beides recht und ordentlich zu
+genießen, die eine sich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">darüber</span></em>, die andere sich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">dabei</span></em> auszusprechen;
+wenn man allein ist, geht mehr als der halbe Genuß
+von Beiden verloren. Es giebt allerdings Menschen, die
+sich zufriedener fühlen wenn sie Alles allein genießen können,
+aber denen geh' aus dem Weg; es sind Hypochonder oder
+Schlimmere, und der einzige Dank, den Du ihnen schuldig bist
+ist dafür, daß sie sich eben auch von Dir zurückziehn. Nur
+wer Niemanden hat an den er sich anschließen darf, wer allein
+und freundlos in der Welt dasteht und das Leid das ihn
+drückt, allein tragen, die wenigen frohen Momente seines Lebens
+allein genießen muß, den bedauere und hilf ihm, wenn
+Du kannst, denn er ist der Unglücklichste von Allen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es mochte neun Uhr Abends sein, als ein Bekannter
+von uns, der Kürschnermeister Kellmann, die Weinstube betrat
+und, sich überall umschauend, ob er nicht irgend einen Freund
+träfe zu dem er sich setzen könnte, in einer der Ecken eine bekannte
+Gestalt entdeckte. Aber er sah erst ein paar Secunden
+wirklich aufmerksam dorthin, ehe er seinen Augen traute, und
+sagte dann, auf Jenen losgehend und neben dem Tisch stehen
+bleibend:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hallo, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Loßenwerder</span></em>? Ihr hier im Pechkranz? na da
+möchte man doch, wie die Schwaben sagen, den Ofen einschlagen.
+Alle Wetter Mann und vor einer Flasche Rüdesheimer;
+nun das laß ich gelten und es freut mich wahrhaftig,
+daß Ihr endlich einmal aufthaut und unter Menschen kommt.<span class="tei tei-pb" id="page079">[pg 079]</span><a name="Pg079" id="Pg079" class="tei tei-anchor"></a>
+Aber was ist denn heute los bei Euch? denn einen ganz besonderen
+Grund muß doch die Festlichkeit haben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ha — ha — ha — hat sie auch He — he — he — he — herr
+Ke — ke — ke — kellmann,« sagte der kleine Mann verlegen
+lächelnd und sich etwas schüchtern dabei umschauend, denn es
+schien ihm nicht angenehm, die Aufmerksamkeit der übrigen
+Gäste so direkt auf sich gelenkt zu sehn.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Jetzt kann ich aber auch den Leuten widersprechen,« sagte
+Kellmann, seinen Hut und Stock an einen der nächsten Haken
+hängend und sich neben ihn setzend, »wenn sie behaupten Ihr
+tränkt nur Wasser, und Sonntags höchstens einmal ein Glas
+Dünnbier — ich kriege Leibschneiden, wenn ich nur an das
+Zeug denke — und sonst lebtet, als ob Ihr die Woche mit
+einem halben Thaler auskommen müßtet. Alle Wetter Mann,
+das ist recht, daß Ihr Euch auch manchmal ein Glas Rheinwein
+gönnt; das hält Leib und Seele zusammen, und stärkt die
+Nerven und Muskeln mehr wie Rindfleisch. Würde mir
+schwer ankommen, wenn ich unseren vaterländischen Wein entbehren
+müßte,« setzte er mit einem halbunterdrückten Seufzer
+hinzu.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ha — ha — ha — haben Sie a — a — a — auch wohl
+ni — ni — nicht nö — nö — nö — nö — nö — nöthig, be — be — be — bester
+He — he — he — he — he — he.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ih nun wer weiß was Einem noch Alles bevorsteht,«
+unterbrach ihn Kellmann — »hier Kellner — mir auch eine
+Flasche von dem Rüdesheimer; der Duft hat mir Appetit
+gemacht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page080">[pg 080]</span><a name="Pg080" id="Pg080" class="tei tei-anchor"></a>»Hallo Loßenwerder bei einer Flasche Rüdesheimer,« rief
+aber jetzt noch eine andere Stimme aus dem nächsten Stübchen,
+wo ein paar junge Kaufleute bei ihrem Glase zusammensaßen — »da
+müssen wir auch dabei sein; Loßenwerder hat vielleicht
+heute seinen splendiden Tag und traktirt — haben Sie
+was in der Lotterie gewonnen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die jungen Leute, die Kellmann und Loßenwerder begrüßten,
+kamen mit ihrer Flasche heraus, und setzten sich an
+denselben Tisch, mit dem immer verlegener werdenden kleinen
+Mann anstoßend und trinkend. Denen gesellten sich aber noch
+bald darauf Andre zu; Loßenwerder war in der ganzen Stadt
+bekannt und oft auch, seiner körperlichen Mängel wegen, zum
+Besten gehalten. Vertheidigen konnte er sich aber schon seines
+Stotterns wegen nicht, was den Gegnern gleich nur noch
+mehr Anlaß und Stoff gegeben hätte; so wurde denn diese
+freilich gezwungene Zurückhaltung endlich für Gutmütigkeit
+ausgelegt, mit der er sich Scherz und Stichelrede ruhig gefallen
+ließ, und was die schärfste Erwiderung nicht vermocht,
+erreichte er unfreiwillig dadurch, daß man es endlich müde
+wurde, den sich nicht Verteidigenden zum Besten zu haben,
+und ihn eben zufrieden ließ. Aber in des Verwachsenen Betragen
+änderte das Nichts; abgestoßen und verhöhnt — in
+nur sehr wenigen Ausnahmen — von Allen, mit denen er in
+Berührung kam, zog er sich mehr und mehr in sich selbst zurück,
+ging, außer den nöthigen Geschäftswegen und außer der Geschäftszeit,
+fast nirgends hin, und lebte so einfach, ja fast dürftig,
+wie nur ein Mensch leben kann, der eben <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">nur</span></em> Geld ausgiebt,
+<span class="tei tei-pb" id="page081">[pg 081]</span><a name="Pg081" id="Pg081" class="tei tei-anchor"></a>um zu existiren. In einem Weinkeller hatte ihn aber noch
+Niemand gesehn, und die Gäste dort, die überdies keinen weiteren
+Zweck da hatten als sich zu amüsiren, glaubten das
+einmal einen Abend mit dem kleinen »Stotterberg«, wie er
+spottweis, seines Stotterns und Höckers wegen genannt wurde,
+am Besten thun zu können.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Im Anfang wollte sich Loßenwerder aber auf Nichts einlassen,
+ja machte sogar zwei oder drei, wenn gleich vergebliche
+Versuche, sich zu entfernen, denn von allen Seiten wurde er
+gehalten, und Jeder wollte und mußte mit ihm trinken. Nach
+und nach aber fing er an aufzuthauen; der ungewohnte kräftige
+Wein mochte ihm das Blut leichter und rascher durch die
+Adern jagen. Nun sollte er erzählen, aber das ging nicht, sein
+Stottern wurde, mit der schwereren Zunge, kaum verständlich,
+bis Einer, im Spott eben, auf den Gedanken kam, ihn
+zum Singen aufzufordern. Loßenwerder weigerte sich erst
+ganz verschämt; das aber kam den Anderen zu komisch vor,
+und mit Lachen und Toben, während ein paar schon Champagner
+bestellten, den Genuß würdig zu feiern, räusperte sich
+Loßenwerder plötzlich und stieg, von dem Wein erregt, und
+jetzt unter dem lauten Jubel der ihn umdrängenden Gäste, auf
+einen Stuhl.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="text-align: center; margin-bottom: 1.00em">
+</p><div class="tei tei-figure" style="text-align: center"><img src="images/illu003.jpg" width="511" height="712" alt="Capitel 4" /></div>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Was aber, wie sich die Uebrigen gedacht, Spott und Scherz
+hatte werden sollen, das erstarb in athemlosem Schweigen,
+nur von leisen Ausrufungen des Staunens und der Bewunderung
+unterbrochen, als der kleine verkrüppelte Mensch, mit
+einer hellen, glockenreinen Stimme, und Tönen, die zum in<span class="tei tei-pb" id="page082">[pg 082]</span><a name="Pg082" id="Pg082" class="tei tei-anchor"></a>nersten
+Herzen drangen, erst noch scheu, dann aber immer
+zuversichtlicher werdend, und wie von dem Inhalt des Liedes mit
+fortgerissen, dieses also begann:</p>
+
+<div class="tei tei-lg" style="margin-bottom: 1.00em; margin-left: 2.00em; margin-top: 1.00em">
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">»Ich habe schon zu oft geschaut</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">In Deiner Augen Glanz, Du Holde,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Auf meine Kraft zu fest vertraut,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Viel mehr, als ich vertrauen sollte.</div>
+</div>
+<div class="tei tei-lg" style="margin-bottom: 1.00em; margin-left: 2.00em; margin-top: 1.00em">
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Doch nein, für Dich Geliebte sind</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Des Lebens schönste, reinste Blüthen,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Von keinem Schmerz getrübt, bestimmt,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Und was könnt' ich dafür Dir bieten?</div>
+</div>
+<div class="tei tei-lg" style="margin-bottom: 1.00em; margin-left: 2.00em; margin-top: 1.00em">
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Nichts — gar Nichts, als ein treues Herz;</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Doch nimmer sollst Du es erfahren — </div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Ich kann, wie früher, meinen Schmerz</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">In tiefer, innerer Brust bewahren.</div>
+</div>
+<div class="tei tei-lg" style="margin-bottom: 1.00em; margin-left: 2.00em; margin-top: 1.00em">
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Sei glücklich! — wenn auch ohne mich,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Ich will Dich lieben, aber schweigen</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Und mein Gebet nur soll für Dich</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Empor, zum Thron des Höchsten steigen.</div>
+</div>
+<div class="tei tei-lg" style="margin-bottom: 1.00em; margin-left: 2.00em; margin-top: 1.00em">
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Wenn dann mein Herz im Grabe liegt,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Und austräumt seine stillen Leiden,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Dann soll der Geist zum Himmel nicht</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Entfliehn, und zu der Seel'gen Freuden. — </div>
+</div>
+<span class="tei tei-pb" id="page083">[pg 083]</span><a name="Pg083" id="Pg083" class="tei tei-anchor"></a>
+<div class="tei tei-lg" style="margin-bottom: 1.00em; margin-left: 2.00em; margin-top: 1.00em">
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Ein schön'res Loos werd' ihm zu Theil,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Umschwebend Dich in trüben Tagen,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Soll er, zu Deinem Schutz und Heil,</div>
+<div class="tei tei-l" style="text-align: left">Selbst seiner Seligkeit entsagen.«</div>
+</div>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Loßenwerder war ganz gerührt geworden beim Schluß
+des Liedes, und die Thränen standen ihm in den Augen; während
+sein wirklich häßliches Gesicht durch den Schmerz aber
+eher einen komischen als ernsten Ausdruck bekam, jubelte die
+Schaar jetzt um ihn her, die wirklich erst wieder Athem und
+Laut gewann, als der wundersame Zauber dieser Stimme
+von ihnen genommen war.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bravo — bravo Loßenwerder — bravo dacapo! Donnerwetter
+Mann, Ihr habt ja eine Stimme wie eine Nachtigall,
+und stottert nicht die Probe dabei — wie am Schnürchen
+geht das!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es ist erstaunlich!« rief Kellmann, vor lauter Verwunderung
+über das eben Gehörte wirklich fast sprachlos.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun aber auch trinken — hier Loßenwerder — hier,«
+riefen sie, ihm das Glas bis zum Rand mit dem schäumenden
+Trank füllend, »und dann noch ein Lied; bei Gott, das
+zuckt und prickelt Einem ordentlich durch die Adern, und klingt
+wie Glockenton so rein und voll; Loßenwerder wo habt Ihr
+das Singen gelernt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Vo — vo — vo — vo — vo — von mi — mi — mir se — se — se — se — selb — bber,«
+stotterte der kleine Mann, kaum im Stande
+jetzt mit immer schwerer werdender Zunge nur die paar Worte
+<span class="tei tei-pb" id="page084">[pg 084]</span><a name="Pg084" id="Pg084" class="tei tei-anchor"></a>vorzubringen, während ihm im Gesang die Strophen wie der
+Lerche das schmetternde Lied; aus der Kehle wirbelten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und da hat bis jetzt noch gar kein Mensch etwas davon
+erfahren,« rief Kellmann wieder — »behält die liebe Gottesgabe
+da ebenfalls für sich allein, kommt nirgends hin, spricht
+mit Niemand, trinkt und singt mit Niemand, und hat eine
+Stimme in der Luftröhre sitzen, die Einer, wer es darauf anzulegen
+verstände, in reines Gold verwandeln könnte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Von allen Seiten tranken sie jetzt dem kleinen Mann
+zu, und überschütteten ihn mit Lob und Jubel, und dieser
+schwamm wirklich in einem wahren Meer von Wonne. So
+wohl war ihm auch noch nie geworden — Niemand hatte sich
+bis jetzt um ihn bekümmert, Jeder ihn verspottet und verhöhnt,
+und zum ersten Mal, vielleicht seit langen, langen Jahren,
+fühlte er sich unter Menschen einem Menschen gleich, wußte
+sich nicht mehr verachtet und unter die Füße getreten, und sah
+freundliche Augen um sich her, die ihn wie ihres Gleichen
+anschauten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Dem löste sich auch endlich seine Zunge, oder wenigstens
+sein guter Wille zu reden, so weit, daß er beginnen wollte Geschichten
+zu erzählen. Das ging aber unter keiner Bedingung;
+beim Singen ja, aber beim Sprechen brachte er kein Wort mehr
+über die Lippen, und selbst das Singen versagte ihm zuletzt
+den Dienst; die Augenlider wurden ihm schwer, er fing an zu
+lallen, und war eben zurück auf seinen Stuhl und dem Schlaf
+in die Arme gesunken, als die Thür aufging und zwei
+Gerichtsdiener in's Zimmer traten. Es war etwa elf Uhr<span class="tei tei-pb" id="page085">[pg 085]</span><a name="Pg085" id="Pg085" class="tei tei-anchor"></a>
+Abends und die meisten Gäste, mit Ausnahme des einen
+Tisches, hatten das Haus schon verlassen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hallo was ist das?« sagte Herr Kellmann, der die beiden
+Leute zuerst bemerkte, »das ist wunderlicher Besuch — es
+wird doch nicht etwa eine Polizeistunde eingeführt in Heilingen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Aber auch der Wirth war die »Diener der Gerechtigkeit«,
+wie sie meist etwas poetisch genannt werden, gewahr geworden
+und ging auf sie zu, sich zu erkundigen was sie hierher geführt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ein kleiner buckliger Mann soll hier heute Abend bei
+Ihnen sein,« sagte der Erste — »er ist aus dem Dollingerschen
+Geschäft.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dort sitzt er in der Ecke,« sagte der Wirth vom Pechkranz
+nach Loßenwerder hinüberzeigend, »hat er etwas verbrochen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich weiß nicht,« erwiederte der Zweite ziemlich kurz — »wir
+sollen ihn abholen.« — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wird schwer sein,« meinte der Wirth — »sie haben
+ihm heute Abend hier ordentlich zugetrunken, und der Wein hat
+jetzt das Uebergewicht — wenn er aufsteht kippt er wieder um.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm — da wird wohl auch nicht viel mit Fragen aus
+ihm herauszubringen sein, Meier; was meinst Du, nehmen
+wir ihn mit?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich denke das Beste wird sein wir führen ihn zu Haus,
+und Einer bleibt bei ihm bis er morgen früh wieder zu Verstande
+kommt; jetzt ist doch Nichts mit ihm anzufangen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber um Gottes Willen was ist denn vorgefallen?«
+<span class="tei tei-pb" id="page086">[pg 086]</span><a name="Pg086" id="Pg086" class="tei tei-anchor"></a>frug Kellmann bestürzt; »der arme Teufel hat doch nicht etwa
+irgend 'was verbrochen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Noch ist nichts Gewisses bekannt,« erwiederte der erste
+Polizeidiener, »nur bei Dollinger's ist heute Nachmittag eingebrochen,
+und die Untersuchung muß jetzt erst ergeben, wer
+schuldig sei.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bei Dollinger's eingebrochen?« riefen Mehrere, »heute
+Abend?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein heute am hellen Tag,« sagte der Mann.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Alle Wetter das muß dann gewesen sein während sie
+nach dem rothen Drachen gefahren waren,« sagte Kellmann
+rasch — »sie kamen an uns vorbei mit dem jungen Henkel.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»In der Zeit war's,« bestätigte der Polizeidiener, »denn
+wie sie zu Hause kamen, wurde es entdeckt — hier da Loßenwerder — Sie
+da — wachen Sie auf.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja wenn Sie den stoßen wollen bis er munter wird,«
+lachte Einer der jungen Leute, »da haben Sie Arbeit.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie — Loßenwerder — hören Sie?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja — ja« — stammelte der von dem ungewohnten
+Weine, von dem er eigentlich gar nicht so sehr viel getrunken,
+Betäubte — »me — me — me — mehr We — we — wein; ich za — za — za — zahle
+A — a — a — a — a — alles!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So?« sagte der Polizeidiener ruhig — »nun für heute
+möcht' es doch wohl genug sein; komm, faß ihn da drüben
+unter den Arm, er wohnt ja auch nicht so sehr weit von hier — wo
+ist sein Hut?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page087">[pg 087]</span><a name="Pg087" id="Pg087" class="tei tei-anchor"></a>»Hier — armer Teufel, das wird ein böses Erwachen
+werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wie man sich bettet so schläft man,« sagte der zweite Polizeidiener,
+und den Betrunkenen in die Höhe richtend, der dabei
+unverständliche Sachen stammelte und sogar einen total misglückenden
+Versuch machte wieder zu singen, führten sie ihn
+hinaus und seiner Wohnung zu, indeß die Gäste noch das »für
+und wider« der Schuld des Mannes, von dem sie nie etwas
+Uebles gehört bei einer anderen Flasche besprachen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Und es <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">war</span></em> ein böses Erwachen für den Mann; von
+dem Weindunst betäubt schlief er, wie ein Todter, bis zum
+lichten Tag, und als er die Augen aufschlug und ihm der
+Kopf schmerzte zum Zerspringen, fiel sein erster Blick auf den
+ungeduldig in seinem Zimmer auf und ab gehenden Polizeidiener,
+den er einen Moment bestürzt anstarrte, und dann die
+Augen wieder schloß, wie vor einem unangenehmen Traumbild.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun Loßenwerder, ausgeschlafen?« sagte der Mann
+aber, froh endlich einmal zu einem Resultat zu kommen — »das
+hat lange gedauert — kommen Sie, stehn Sie auf und
+ziehn Sie sich an.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Stimme war <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kein</span></em> Traum, und der kleine Mann
+richtete sich erschreckt von seinem Bett, auf dem er noch mit
+den Kleidern vom vorigen Abend lag, empor. Wo war er? — wie
+war er hierher gekommen? er drückte sich mit beiden Händen
+die Stirn und der klare Angstschweiß brach ihm aus über
+den ganzen Körper; er <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">wußte</span></em> nicht mehr was gestern Alles
+geschehn, und die unheimliche finstere Gestalt vor ihm füllte
+<span class="tei tei-pb" id="page088">[pg 088]</span><a name="Pg088" id="Pg088" class="tei tei-anchor"></a>sein Herz mit einer wilden Ahnung von Unheil, die alles Blut
+dorthin in jähem Strom zurücktrieb.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Wie ein Schlag da hinein traf ihn die Nachricht von dem
+entdecktem Diebstahl, das Gefühl, daß der Verdacht auf ihm
+laste, und die nächste Stunde — während ein anderer Polizeibeamter
+bei ihm visitirte und man nichts weiter, als in einem
+Winkel seines kleinen Schreibtisches, unter dreifachem Schloß,
+ein Päckchen mit 200 Thalern in fünf und zwanzig Thaler
+Cassenanweisungen, wie noch einige Goldstücke fand, wie seine
+Abführung dann nach dem Dollingerschen Hause, da Herr
+Dollinger gebeten hatte den Mann, an dessen Schuld er nicht
+glauben wollte, erst einmal an Ort und Stelle selber zu befragen — lag
+wie ein Alp auf seiner Seele, unter dessen Last er
+auch kein Wort zu seiner Verteidigung zu sagen, ja nicht
+einmal eine an ihn gerichtete Frage zu beantworten vermochte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">In dem Dollingerschen Hause angekommen, wurde er
+gleich in Herrn Dollinger's Zimmer hinaufgeführt, und der
+alte Herr ging, als Loßenwerder die Stube betrat, mit auf
+dem Rücken gekreuzten Händen in seinem Zimmer auf und ab.
+Der junge Henkel saß in der einen Ecke des Sophas, das
+rechte Knie über das linke geschlagen, mit einem Buch in der
+Hand, über das hin er aufmerksam den Gefangenen betrachtete.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Loßenwerder war bleich wie ein Todter — jeder Blutstropfen
+hatte sein Antlitz verlassen, und bei dem Versuch den
+er zum Reden machte, kam kein Laut über seine Lippen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Loßenwerder,« sagte Herr Dollinger endlich, nach einer
+kleinen Weile vor ihm stehen bleibend und ihn ernst, ja traurig
+<span class="tei tei-pb" id="page089">[pg 089]</span><a name="Pg089" id="Pg089" class="tei tei-anchor"></a>betrachtend — »ein böser Mensch ist gestern, während unserer
+Abwesenheit, in unser Haus geschlichen und hat, außer einigen
+Juwelen, auch noch das Geld entwendet, das Du mir gestern
+Mittag gebracht und das ich, wie Du weißt, in den Secretair
+dort schloß. Warst Du während unserer Abwesenheit wieder
+im Haus und in dem Zimmer meiner Töchter?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»He — he — he — he — he — he — he — rr Do — Do — Do — Do.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Schon gut Loßenwerder, Du bist jetzt aufgeregt und das
+Sprechen wird Dir schwer; beschränke Dich auf ein einfaches
+ja und nein.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja — a — !«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»In dem Zimmer meiner Töchter?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»J — a — a — a aber — i — i — i — i — ich wo — wo — wollte« — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie haben einen Blumentopf dort hineingesetzt?« sagte
+Herr Henkel jetzt ruhig.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das Blut stieg dem kleinen Mann rasch bis in die Schläfe
+hinauf, aber der nächste Moment ließ sein Antlitz wieder so
+weiß als vorher; er nickte nur, zur Betätigung des eben Gesagten,
+mit dem Kopf.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Loßenwerder,« sagte der Herr Dollinger mit leiser, bewegter
+Stimme und dicht zu dem kleinen Mann hinantretend,
+wobei er die Hand auf dessen Schulter legte, »Loßenwerder,
+noch gestern würde ich eben so leicht geglaubt haben, daß eines
+von meinen eigenen Kindern eines schlechten, unrechtlichen
+Streiches fähig wäre, bis mich leider die immer deutlicher
+<span class="tei tei-pb" id="page090">[pg 090]</span><a name="Pg090" id="Pg090" class="tei tei-anchor"></a>sprechenden Thatsachen in meinem Glauben an Dich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">wankend</span></em>
+gemacht haben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»He — he — he — he — he — herr Do — Do — Do — Do — — Dollinger« — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich will Dir klar und einfach unseren ganzen Verdacht
+vorlegen,« sagte da der alte Herr, dem Angeklagten jedes unnütze
+Wort zu ersparen — »gestern, während unserer Abwesenheit,
+ist der Secretair meiner Töchter erbrochen und das
+Dir bekannte Geld entwendet worden — drüben über der
+Straße hat Dich ein Mädchen gesehn, wie Du heimlich aus
+dem Hause geschlichen bist. Ebenso bestätigt Wilhelm, der
+Stalljunge, Dich gesehn zu haben, wie Du hättest das Haus
+durch die nach dem Hofe zu führende Thür verlassen wollen,
+bei seinem Anblick aber, was selbst dem Jungen aufgefallen
+ist, zurückgefahren, und dann auch nicht über den Hof gekommen
+wärst. Das Stubenmädchen, die keine Ahnung davon
+haben konnte daß Geld in dem Secretair lag, ist bereit den
+schwersten Eid abzulegen, daß sie, wenige Minuten später,
+nachdem man Dich hatte aus dem Hause schleichen sehen, die
+Vorsaalthür nicht mehr aus den Augen gelassen, und gewiß
+wäre, daß Niemand die Schwelle mehr überschritten habe, bis
+sie den zurückkehrenden Wagen in den Hof einfahren gehört.
+Heimlich bist Du im Haus gerade in der Zeit, in welcher das
+Geld entwendet wurde, gewesen, und die gestrige Ausschweifung,
+die man an Dir nicht gewöhnt ist, wie die bei Dir gefundene
+Summe, lassen allerdings das Schlimmste fürchten.
+Loßenwerder — ich brauche Dir nicht zu sagen, wie weh — wie
+<span class="tei tei-pb" id="page091">[pg 091]</span><a name="Pg091" id="Pg091" class="tei tei-anchor"></a>weh mir das gerade von <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Dir</span></em> thut, und ich wollte die
+doppelte Summe, so bedeutend sie ist, gern verschmerzen, wenn
+es <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">nicht</span></em> geschehen wäre. Mache aber jetzt Deinen Fehler,
+wenigstens so weit das noch in Deinen Kräften steht, wieder
+gut; gestehe was Du mit dem übrigen Gelde gemacht, wo Du
+es verborgen hast, und ich selber will dann auch Alles thun
+was in meinen Kräften steht, Deine Strafe zu erleichtern. Ein
+anderer Welttheil mag Dir nachher in späterer Zeit Gelegenheit
+geben Deinen Fehltritt zu bereuen, und das wieder zu
+werden, für was ich Dich, selbst bis diesen Morgen noch,
+gehalten habe.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Loßenwerder hatte während dieser Auseinandersetzung
+wie aus Stein gehauen vor seinem Prinzipale gestanden,
+nur das Zittern seiner Glieder verrieth daß er lebe; jetzt aber
+brach er in die Knie, und zum ersten Mal vielleicht mit
+dem vollen Bewußtsein der gegen ihn erhobenen Anklage — oder
+auch von Schuld und Angst zu Boden gedrückt, denn
+wer konnte in den stieren, überdies nicht geraden Augen und
+in den todtenbleichen, mit großen Schweißperlen bedeckten Zügen
+das richtige lesen — umfaßte er die Knie des alten Herrn
+und bat mit wild stotternder Stimme, aus der dieser nur mit
+äußerster Anstrengung einen Sinn herausfinden mußte — ihn
+nicht unglücklich zu machen — Nichts so Schreckliches von
+ihm zu denken.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ein aufrichtiges Geständniß, Loßenwerder,« entgegnete
+darauf Herr Dollinger, »ist das Einzige, was Deine Schuld
+jetzt noch in etwas erleichtern kann. Das Gericht wird einen
+<span class="tei tei-pb" id="page092">[pg 092]</span><a name="Pg092" id="Pg092" class="tei tei-anchor"></a>unbewachten Augenblick, dem die Reue auf dem Fuße folgt,
+nicht so schwer strafen, wie den hartnäckigen Uebelthäter.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»A — a — a — a — a — aber ich bi — bi — bin ni — ni — ni — nicht
+schu — schu — schu — schuldig,« — stotterte der Unglückliche — »ich
+we — we — we — we — weiß vo — vo — vo — von
+Ni — ni — ni — nichts — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Du weißt von Nichts, Loßenwerder?« sagte Herr Dollinger
+leise mit dem Kopf schüttelnd — »und woher ist das
+Geld das man bei Dir gefunden, woher die Fünfundzwanzig
+Thaler-Note, die Du locker in der Tasche getragen, und die
+Dir der Polizeidiener gestern Abend noch herausgenommen hat?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ge — spa — pa — pa — pa — partes Geld — e — e — e — e — e — ehrlich
+ge — ge — gespartes G — g — g — geld!« stammelte der
+arme Teufel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Herr Henkel stand jetzt auf und ging langsam auf Herr
+Dollinger zu, dem er ein paar Worte in's Ohr flüsterte und
+dann, während dieser leise und traurig mit dem Kopf nickte,
+das Zimmer verließ. Loßenwerder aber, der ihm ängstlich mit
+den Augen folgte und vielleicht in einer unbestimmten Ahnung
+fühlte daß man ihn fortführen — in ein Gefängniß bringen
+werde, ergriff wieder und jetzt aber wie in Todesangst des
+alten Mannes Hand, und bat ihn um Gottes — um seiner
+Seligkeit willen, soweit es ihm die, jetzt in der Aufregung nur
+noch mehr fehlende Sprache immer gestattete, daß er ihm nur
+das nicht anthun — daß er ihn in kein Gefängniß möge
+führen lassen. Herr Dollinger erklärte aber natürlich darin
+Nichts thun zu können, denn wenn er Nichts gestehen wolle
+<span class="tei tei-pb" id="page093">[pg 093]</span><a name="Pg093" id="Pg093" class="tei tei-anchor"></a>oder zu gestehen habe, so müsse allerdings das Gericht, bei so
+stark vorliegendem Verdacht, die Untersuchung aufnehmen, wonach
+sich bald seine Schuld oder Unschuld herausstellen würde.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hab' ich aber einmal erst auf solchen Verdacht gesessen,«
+stotterte der Unglückliche, »so bin ich gebrandmarkt mein Lebelang« — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Herr Dollinger zuckte die Achseln, und die Thür öffnete
+sich in diesem Augenblick, den einen Polizeidiener zeigend, der
+Loßenwerder leise auf die Achsel klopfte und freundlich sagte:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn's gefällig wäre.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Loßenwerder zuckte zusammen als ob er einen Schlag
+bekommen, und wandte sich noch einmal, wie Hülfe suchend,
+an Herrn Dollinger, aber ein Blick auf diesen überzeugte ihn,
+daß er schon nicht mehr helfen könne, wo das Gericht die
+Sache in die Hand genommen, und sein Gesicht in den Händen
+bergend, folgte er dem Gerichtsdiener fast willenlos
+hinaus.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Gerade als er durch die Thür schritt begegnete ihm, noch
+auf der Schwelle, Frau Dollinger, und rasch bei Seite
+tretend, als ob sie selbst durch seine Berührung angesteckt zu
+werden fürchte, warf sie ihm einen zornigen, verächtlichen
+Blick zu und ging an ihm vorüber.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Loßenwerder seufzte tief auf, sagte aber kein Wort, denn
+wie er den Kopf hob, sah er am andern Ende des Vorsaals
+Clara mit dem jungen Henkel in eifrigem Gespräch, und auch
+dort mußte er vorbei. Das war zu viel und wie unschlüssig
+<span class="tei tei-pb" id="page094">[pg 094]</span><a name="Pg094" id="Pg094" class="tei tei-anchor"></a>blieb er stehn und sah sich um, als ob er einen Weg zur Flucht
+suche.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na kommen Sie, Loßenwerder, machen Sie keine Dummheiten,«
+sagte aber, ihm ermunternd auf die Schulter klopfend,
+der Polizeidiener — »es ist Alles ein Uebergang, wie der Fuchs
+sagte, als sie ihm das Fell über die Ohren zogen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Loßenwerder nahm sich zusammen und schritt festen
+Trittes an dem jungen Mädchen vorüber, das ihn mitleidig
+betrachtete.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Etwas über zweihundert Thaler hat man schon bei
+ihm gefunden,« flüsterte der junge Henkel ihr leise zu — »ich
+hoffe daß Vater Dollinger das andere auch noch wieder bekommen
+soll.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach Loßenwerder, warum habt Ihr das gethan?« sagte
+Clara, leise und mitleidig den Gefangenen ansehend, als er an
+ihr vorüberging.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»U — u — u — und Si — si — si — si — sie g — g — g — glau — ben
+d — d — das a — a — a — a — auch?« rief Loßenwerder und
+die großen hellen Thränen standen ihm dabei in den Augen,
+aber der Polizeidiener hatte sich schon länger mit ihm aufgehalten,
+als er meinte verantworten zu dürfen, nahm ihn leise
+an der Hand und führte ihn die Treppe hinunter. Loßenwerder
+folgte ihm wie in einem Traum.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das Polizeigebäude war nur höchstens fünfhundert Schritt
+von dort entfernt, und stand an der andern Seite einer kleinen
+steinernen Brücke die über den, mitten durch die Stadt und
+häufig überbrückten kleinen Fluß führte. Als sie hinunter auf
+<span class="tei tei-pb" id="page095">[pg 095]</span><a name="Pg095" id="Pg095" class="tei tei-anchor"></a>die Straße kamen, ließ der Polizeidiener seinen Gefangenen
+los, kein Aufsehn zu erregen, und flüsterte ihm zu nur ruhig
+neben ihm hinzugehn. Loßenwerder verstand ihn wohl gar
+nicht, denn er sah verstört zu ihm auf, und dann um sich her,
+und fand die Augen der Vorübergehenden alle neugierig auf
+sich geheftet; sich aber doch, wenn auch nur dunkel, des Zwanges
+bewußt der auf ihm lag, nahm er sein Taschentuch heraus,
+trocknete sich die feuchte Stirn damit ab, und ging mit krampfhaft
+zusammenengebissenen Zähnen neben seinem Wächter her.
+So erreichten sie die Brücke, wo vier oder fünf Jungen standen,
+die neugierig die Ankommenden betrachteten; Loßenwerder's
+Blick schweifte über sie hin, aber er sah sie nicht, bis er dicht
+bei ihnen war und einer derselben spottend rief:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hoho, hoho — Stotterberg hat gestohlen, Stotterberg hat
+gestohlen!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Anderen stimmten lachend mit in den Ruf ein, und
+der Polizeidiener drehte sich ärgerlich und drohend gegen die
+Buben um, die scheu auseinander stoben; Loßenwerder aber
+fuhr sich mit beiden Händen krampfhaft gegen die Stirn —
+»hat gestohlen!« schrie er dabei, ohne zu stottern, mit gellendem
+wilden Schrei, und ehe sein Wächter es verhindern konnte,
+ja nur eine Ahnung davon hatte, warf er sich mit einem verzweifelten
+Sprung, über die niedere Ballustrade hin in den unten
+vorbeilaufenden Strom. Noch über dem Geländer erfaßte
+ihn der Polizeidiener an einem Rockzipfel, das Gewicht des
+niederfallenden Körpers war aber zu groß, als daß er es mit
+einer Hand hätte aufhalten können, ja er mußte sogar loslassen,
+<span class="tei tei-pb" id="page096">[pg 096]</span><a name="Pg096" id="Pg096" class="tei tei-anchor"></a>nicht selber das Gleichgewicht zu verlieren, und der Unglückliche
+schlug gleich darauf auf das Wasser, unter dessen Oberfläche
+er im nächsten Augenblick verschwand.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Fluß war indeß hier weder breit noch tief, und auf
+der ziemlich belebten Straße fanden sich gleich mehre Leute, die
+unterhalb der Brücke in's Wasser sprangen, das ihnen etwa
+bis unter die Arme reichte, den niedertreibenden Körper aufzufangen.
+Sie hatten ihn auch bald erreicht und gefaßt, und
+von kräftigen Armen wurde derselbe an die Oberfläche gehoben
+und zum Ufer gezogen. Wenn ihm jedoch auch das Wasser
+selber noch nichts geschadet hatte, war der Unglückliche doch
+durch den Sturz, in dem er wahrscheinlich durch das Zurückhalten
+seines Rockes gegen einen der Brückenpfeiler geworfen
+worden, schwer am Kopf verletzt — die Wunde blutete stark,
+und die Männer trugen den Bewußtlosen zuerst auf die Polizei,
+und von dort, auf den Ausspruch eines rasch herbeigerufenen
+Arztes, in die Charité.</p>
+</div>
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em"><span class="tei tei-pb" id="page097">[pg 097]</span><a name="Pg097" id="Pg097" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc13" id="toc13"></a>
+<a name="pdf14" id="pdf14"></a>
+<a name="pdb15" id="pdb15"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 5.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Die Auswanderungs-Agentur.</span></h1>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Am Marktplatz zu Heilingen, und an der Ecke eines kleinen,
+auf diesen auslaufenden Gäßchens, stand ein ziemlich
+großes, grün gemaltes und gewiß sehr altes Erkerhaus, dessen
+Giebel und Stützbalken geschnitzt, und mit wunderlichen Köpfen
+und Gesichtern verziert, und braun angestrichen waren, und
+sich so weit dabei nach vorn überneigten, daß es ordentlich
+aussah, als ob der ganze Bau mit dem spitzen, wettergrauen
+Dach nächstens einmal ohne weitere Meldung nach vorn über,
+und gerade mitten zwischen die Töpfer und Fleischer hineinspringen
+würde, die an Markttagen dort unten ihre Waare
+feil hielten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Nichtsdestoweniger wurde es noch immer, bis fast unter
+das Dach hinauf bewohnt, und der untere Theil desselben ganz
+besonders zu kleinen Waarenständen und Läden benutzt. Die
+Ecke desselben nun, hatte seit langen Jahren ein Kaufmann
+<span class="tei tei-pb" id="page098">[pg 098]</span><a name="Pg098" id="Pg098" class="tei tei-anchor"></a>oder Krämer in Besitz, der sich zu seinen Materialwaaren,
+Kaffee, Zucker, Tabak, Lichten, Grütze &amp;c. auch noch in der letzten
+Zeit die Agentur mehrer Bremer und Hamburger Schiffsmakler
+zu verschaffen gewußt, und damit bald in einer Zeit,
+wo die Auswanderungslust so überhand nahm, solch brillante
+Geschäfte machte, daß er die Materialwaarenhandlung seiner
+Frau, wie seinem ältesten Sohn übertrug, und für sich selber
+nur ein kleines Stübchen, ebenfalls nach dem Markt hinaus,
+behielt, über dessen Thüre ein riesiges, sehr buntgemaltes
+Schild jetzt prangte. Dies Schild verdient übrigens mit
+einigen Worten beschrieben zu werden, da die Heilinger
+in den ersten Tagen — als es eben erst aufgehangen worden — in
+wirklichen Schaaren davor stehen blieben und es
+anstaunten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es war ein breites, länglich viereckiges Gemälde, ein
+großes, dreimastiges Schiff vorstellend, wie es sich unter vollen
+Segeln der fremden, ersehnten Küste näherte. Die See selber
+war hellgrün gemalt, mit einer Unmasse von sichtbar darin
+herumschwimmenden Fischen, die den Beschauer wirklich etwas
+besorgt um die Sicherheit des Fahrzeugs selber machen konnten.
+Dessen wackerer Kiel schäumte aber mitten hindurch, und der,
+dem Anschein nach vollkommen runde, nur nach hinten zu etwas
+länglich auslaufende Rumpf, preßte eine große grün und
+weiß gestreifte Welle vorne auf, die sich wie eine breite Falte
+quer vor seinen Bug legte. Die Segel standen dazu fast ein
+wenig zu sackartig, und nur an den vier Zipfeln festgehalten,
+stramm und steif von den Raaen ab, und die langen blut<span class="tei tei-pb" id="page099">[pg 099]</span><a name="Pg099" id="Pg099" class="tei tei-anchor"></a>rothen
+Wimpel mit roth und weißer Bremer Flagge hinten an
+der Gaffel, strömten und flatterten lustig nach hinten aus,
+wahrscheinlich den raschen Durchgang des Schiffes durch das
+Wasser anzuzeigen, das derart, durch den Wind getrieben, selbst
+diesen überflügelte. Ueber Deck war aber auch die Mannschaft,
+und Kopf an Kopf eine volle Reihe bunter Passagiere sichtbar,
+mit sehr dicken rothen Gesichtern, die Gesundheit an Bord
+des Schiffes bestätigend, und mit sehr hellgelben und sehr
+breiträndigen, rothbebänderten Strohhüten auf, während hinten
+auf Deck der Capitain des Schiffes mit einem dreieckigen Hut,
+wie einem Fernglas in der einen und einem Dreizack in der
+andern Hand stand. Was der Maler mit dem Dreizack andeuten
+wollte weiß nur er und Gott; er müßte denn gemeint
+haben daß der Capitain, wie früher Neptun, das Meer beherrsche.
+Uebrigens war es auch möglich daß er fischen wolle,
+und sich mit dem Fernrohr nur eben den stärksten und fettesten
+der ihn reichlich umschwimmenden Fische ausgesucht habe.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Den Hintergrund dieses prachtvollen Seestücks bildete
+ein schmaler Streifen mit einzelnen Palmen bedeckter Küste, an
+der eine Anzahl pechschwarzer, nackter Männer standen, die
+nur einen gelb und blauen Schurz um die Hüfte und einen
+grünen Busch in der Hand trugen. — Diese sahen übrigens
+gerade so aus, als ob sie die Ankunft des Schiffes schon sehnsüchtig
+und vielleicht sehr lange Zeit erhofft hätten, und nun
+die Zeit nicht erwarten könnten daß die Fremden an Land
+stiegen, damit sie geschwind für sie arbeiten, und ihnen den
+Boden urbar machen dürften.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page100">[pg 100]</span><a name="Pg100" id="Pg100" class="tei tei-anchor"></a>Neben dem Bild, und zu beiden Seiten der Thür, wie
+sogar noch an dem innern Theile des Fensterschalters, hingen
+lange Listen der verschiedenen anzupreisenden Plätze für Auswanderung.
+Obenan New-York, Philadelphia und Boston,
+dann Quebeck und New-Orleans, Galveston; in Brasilien, Rio
+de Janeiro und Rio Grande; in Australien Adelaide, dann
+Chile, Valdivia und Valparaiso, und Buenos Ayres mit einer
+Menge neu entdeckter verschiedener Kolonien und Ansiedlungen,
+wohin überall die besten kupferfesten Schiffe A¹, in unglaublich
+kurzer Zeit und mit Allem versehen ausliefen, was dem
+glücklichen Passagier das Leben an Bord eines solchen Schiffes
+nur in der That zu einer Vergnügungsfahrt machen müsse
+und würde.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Weigel, wie der Eigentümer dieser »ausländischen Versorgungsanstalt«
+(ein Spottname den die Heilinger der Weigelschen
+Agentur gaben) hieß, war ein dicker, vollgenährt und
+blühend aussehender Mann, ungefähr sechs bis achtunddreißig
+Jahr alt, mit ein wenig fest umgeschnürter Cravatte, was seinen
+Augen etwas Stieres gab, und sonst einem leisen Anflug
+von Grau in den sonst braunen, widerspenstigen Haaren. Die
+Augen waren groß, blau und ziemlich ausdruckslos; ein
+fast mitleidiges Lächeln aber, das oft, und besonders dann
+wenn er irgend Jemandes Meinung bestritt, um seine Mundwinkel
+spielte, gab dem Ausdruck seiner Züge jene scheinbare
+Ueberlegenheit, die sich zuversichtliche Menschen oft über Andere,
+wenn mann es ihnen gestattet, anzumaßen wissen. Ganz vorzüglich
+wußte er diese Miene anzunehmen, wenn er über<span class="tei tei-pb" id="page101">[pg 101]</span><a name="Pg101" id="Pg101" class="tei tei-anchor"></a>
+Amerika, oder irgend einen überseeischen Fleck Landes sprach,
+über dem für ihn ein gewisser heiliger und unantastbarer Zauber
+schwamm, und Jemand dann irgend einen Zweifel gegen
+das Gesagte zu hegen wagte. Er schwärmte besonders für
+Amerika, und es gab deshalb auch, seiner Aussage nach, keinen
+größeren Lügner in der Stadt, als den Redacteur des Tageblatts,
+den Advokaten und Doctor Hayde in Heilingen. Dieser
+und er waren denn auch, wie das sich leicht denken läßt, grimme
+und erbitterte Feinde und Gegner, woselbst sich nur irgend eine
+Gelegenheit dazu fand.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Weigel bekam, wie das gewöhnlich bei den Agenturen der
+Schiffsbeförderung üblich und der Fall ist, für jede Person
+die er einem Bremer oder Hamburger Rheder sicher an Bord
+lieferte, einen Thaler, kurzweg genannt »für den Kopf« und
+er theilte deshalb die Leute — seine Mitbürger sowohl wie
+sämmtliche übrige Bewohner Deutschland's, in solche ein »die
+Energie hatten,« d. h. zu ihm kamen und sich bei ihm einen
+»Platz nach Amerika« besorgen ließen, wo sie nachher drüben
+selber sehn konnten wie sie fertig wurden, und in solche, die
+»im alten Schlendrian hinkrochen, und hier lieber verfaulten,
+ehe sie einen männlichen entscheidenden Schritt thaten, ihrer
+Existenz auf die Beine zu helfen.« Jeder der hier blieb betrog
+ihn aber wissentlich und mit kaltem Blut um seinen, ihm
+in ehrlichem Verdienst zustehenden Thaler, und es verstand sich
+von selbst, daß er vor einem solchen Menschen keine Achtung
+haben konnte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Er selber kannte die Verhältnisse Amerika's nur aus<span class="tei tei-pb" id="page102">[pg 102]</span><a name="Pg102" id="Pg102" class="tei tei-anchor"></a>
+Büchern die das Land lobten, denn andere las er gar nicht,
+und bekam er sie einmal zufällig in die Hand, so warf er sie
+auch gewiß mit einem Kernfluch über den »nichtswürdigen
+Literaten, der wieder einmal einen ganzen Band voll Lügen
+zusammengeschmiert« in die Ecke. Sein größter Aerger war
+aber jedenfalls — und so regelmäßig wie die Uhr Morgens
+acht schlug — das Tageblatt, das er der häufigen Annoncen
+wegen halten <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">mußte</span></em>, und das ebenso regelmäßig kleine gehässige
+und schmutzige Artikel gegen Amerika wie überhaupt
+gegen Alles brachte, was sich frei und selbstständig bewegte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Zehnmal hatte er sich schon vorgenommen den »kleinen erbärmlichen
+Doctor« zu prügeln, und sehr vielen Leuten würde
+er dadurch ein großes Vergnügen bereitet haben; aber er unterließ
+es doch jedesmal auch wieder, wenn sich ihm gleich oft genug die
+Gelegenheit dazu bot; Beide mußten jedenfalls schon einmal
+früher etwas mit einander gehabt haben, vielleicht mehr von
+einander wissen als Beiden zuträglich war, und ein solcher
+Bruch wäre da nicht räthlich gewesen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Sonst lebte Weigel still, und anscheinend als ein vollkommen
+guter und achtbarer Bürger, vor sich hin, aber im
+Stillen wirkte und wühlte er seinem Ziel entgegen, und richtete
+in der That viel Unheil an. Seine Beschreibungen
+Amerika's, die er sich selber in kleinen Brochüren aus anderen
+Büchern zusammentrug, und um ein Billiges verkaufte, waren
+ein langsames Gift, das er in manche friedliche und glückliche
+Familie warf, ein Saatkorn das dort wucherte und Wurzel
+schlug, und während es die Leser anreizte nur gleich ohne wei<span class="tei tei-pb" id="page103">[pg 103]</span><a name="Pg103" id="Pg103" class="tei tei-anchor"></a>teres
+ihr Bündel zu schnüren und jenen herrlichen Länderstrichen
+zuzueilen, wo von da an ihr Leben nur einem murmelnden
+Bache gleichen würde, der zwischen Blumen dahin
+fließt, füllte er ihre Köpfe mit falschen Ideen und Begriffen
+von dem Land, das ihre neue Heimath werden sollte, und
+machte viele, viele Menschen unglücklich. In der neuen Heimath
+dann angekommen, die ihnen, mit mäßigen Ansprüchen,
+wirklich Manches geboten haben würde was ihre Lage, im
+Vergleich mit dem alten Vaterland gebessert haben könnte,
+fanden sie sich jetzt plötzlich in all den wilden extravaganten
+Ideen, die sie durch solche Lectüre eingesogen, enttäuscht,
+fanden die Hoffnungen nicht realisirt, die man ihnen gemacht,
+hielten sich für schlecht behandelt und unglücklich, und verfielen
+nun oft in das Extrem trostloser und eben so unbegründeter
+Verzweiflung, wobei sie den Mann verwünschten, der sie hierverlockt,
+und sie verleitet hatte, Heimath und eigenen Heerd zu
+verlassen, einem Phantom zu folgen. Weigel aber hatte seinen
+Thaler für den richtig abgelieferten »Kopf« bekommen,
+und dachte schon gar nicht mehr an die früher Beförderten, die
+seiner Meinung nach jetzt in einem Meer von Behagen schwammen
+und »unter Palmen wandelten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Herr Weigel war allein in seinem kleinen Bureau, einem
+niederen, etwas dumpfen und nicht überhellen Stübchen, dessen
+eines breites Fenster mit durch Zeit und Rauch arg mitgenommenen
+Gardinen verziert war, während die Wände durch
+Karten und statistische Tabellen-Anzeigen von Schiffen und
+Gasthäusern, Plänen von neuangelegten Städten oder zu ver<span class="tei tei-pb" id="page104">[pg 104]</span><a name="Pg104" id="Pg104" class="tei tei-anchor"></a>kaufenden
+Farmen fast völlig bedeckt hingen. Er saß an einem
+hohen, ziemlich breiten Pult, das einen mächtigen Kamm von
+Gefachen und Schiebladen trug und las, mit einer Tasse Kaffee
+neben sich, eben seinen täglichen Aerger, das Tageblatt, als
+es an die Thür klopfte, und auf sein lautes »Herein« ein
+junger, sehr anständig, aber trotzdem etwas ärmlich gekleideter
+Mann das Zimmer betrat.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Herr Weigel?« sagte der Fremde mit einer leichten Verbeugung.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bitte — ja wohl,« sagte Herr Weigel, seine Brille rasch
+in die Höhe schiebend und auf seinem Drehstuhl herumfahrend,
+seinen Besuch besser in's Auge zu fassen — »womit kann ich
+Ihnen dienen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie befördern Passagiere nach Amerika?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika? — denke so, hehehe,« lachte Herr Weigel,
+sich vergnügt die Händ reibend, »habe schon ganze Colonien
+hinüber geschafft, Männer und Frauen, Weiber und
+Kinder; sitzen jetzt drüben in der Wolle und schreiben einen
+Brief über den andern an mich, wie gut es ihnen geht — da
+nur den einen hier, den ich vor ein paar Tagen bekommen
+habe — der Mann ist blos mit zwei tausend Dollarn hinübergegangen
+und hat schon eine eigene Farm, achtzig Acker Land,
+vierundzwanzig Stück Rindvieh, einige sechzig Schweine, fünf
+Pferde und will jetzt eine Schäferei anlegen — schreibt an
+mich ich soll ihm einen Schäfer hinüber schicken, aber einen
+der die Sache aus dem Grund versteht, kommt ihm auf ein
+<span class="tei tei-pb" id="page105">[pg 105]</span><a name="Pg105" id="Pg105" class="tei tei-anchor"></a>paar Dollar Lohn nicht dabei an — bitte lesen Sie einmal
+den Brief.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie sind sehr freundlich Herr Weigel,« sagte der junge
+Fremde mit einem verlegenen wie schmerzhaften Zug um den
+Mund — »aber der Brief würde gerade nicht maßgebend für
+mich sein, da ich mich gegenwärtig nicht in den Verhältnissen
+befinde, gleich einen Platz zu <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kaufen</span></em>. Sind die Passagierpreise
+jetzt theuer?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Theuer? spottbillig,« lachte Herr Weigel, den Brief
+offen wieder zurück auf sein Pult, und seine Brille darauf
+legend, ihn zu weiterem Gebrauch bereit zu haben; »spottbillig
+sag' ich Ihnen, man könnte wahrhaftig auf dem festen Land
+nicht einmal dafür leben — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">so</span></em> nicht; und unter uns — ich
+weiß wahrhaftig nicht wie die Leute dabei auskommen, aber
+es muß eben die rasende <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Menge</span></em> von Passagieren machen,
+die sie jetzt wöchentlich, ja fast täglich hinüber spediren. Es
+ist fabelhaft was jetzt für Menschen auswandern; auf einmal
+werden sie Alle gescheidt, und merken endlich was sie hier haben,
+und was sie dort erwartet — ist doch ein famoses Land, das
+Amerika.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Und wie viel beträgt die Passage nach dem <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">nächsten</span></em>
+Hafen der Vereinigten Staaten, wenn ich fragen darf, für — für
+eine erwachsene Person und ein Kind?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»<span class="tei tei-foreign"><span style="font-style: italic">Nächsten</span></span> Hafen? — hehehe, fürchten sich wohl vor der
+Seekrankheit? lieber Gott, daran gewöhnt man sich bald; ist
+auch gar nicht so arg wie's eigentlich gemacht wird. Der Mensch,
+der Doctor Hayde hier im Tageblatt, hat neulich einen Ar<span class="tei tei-pb" id="page106">[pg 106]</span><a name="Pg106" id="Pg106" class="tei tei-anchor"></a>tikel
+über die Seekrankheit gebracht den er wahrscheinlich
+auch selber geschrieben, und wonach Einem gleich ach und weh
+zu Muthe werden müßte; der ist aber nur dazu bezweckt den
+Leuten das Auswandern zu verleiden. Sie möchten sie gern hier
+behalten, damit sie sie nur recht ordentlich plagen und schinden
+können, weiter Nichts; davor braucht sich kein Mensch zu
+fürchten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie wollten mir aber den <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Preis</span></em> der Passage nennen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Den Preis? — ja so — warten Sie einmal« — sein
+Blick fiel auf die Glacéhandschuhe und die schneeweiße Wäsche
+des Fremden, dessen etwas abgetragene Kleider er in dem halbdunklen
+Raum nicht so leicht erkennen konnte, oder auch übersah — »der
+Preis — Dampfschiff oder Segelschiff?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Segelschiff.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Segelschiff — wird — sein — Preis in erster Cajüte
+vier und achtzig Thaler Gold.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und die — die billigeren Plätze?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Billigeren Plätze — zweite Cajüte oder Steerage fünfundsechzig
+Thaler Gold — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und Zwischendeck?« sagte der Fremde leise und verlegen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Zwischendeck würde ich Ihnen nicht rathen,« meinte
+Herr Weigel, seine Brille jetzt abwischend und wieder aufsetzend;
+»besonders wenn man eine Frau und ein Kind bei sich
+hat und es nur irgend ermachen kann, sollte man nie Zwischendeck
+gehn, man ruinirt sich's und den Seinigen an der Gesundheit
+herunter, was die paar Thaler mehr kosten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page107">[pg 107]</span><a name="Pg107" id="Pg107" class="tei tei-anchor"></a>»Aber Sie können mir wohl den Preis des Zwischendecks
+sagen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja wohl, mit dem größten Vergnügen — Zwischendeck
+nach New-York kostet — warten Sie einmal, ich habe ja
+hier die letzten Briefe von meinen Häusern. Zwischendeck nach
+New-York kostet vierundvierzig Thaler Gold.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Vierundvierzig Thaler?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja es ist seit ein paar Tagen erst wieder um vier Thaler
+aufgeschlagen, weil die Leute eben nicht Schiffe genug anschaffen
+können für die Auswanderer. Ist fabelhaft was besonders
+dieses Jahr für Leute übersiedeln. Soll ich Sie
+vielleicht einschreiben? es trifft sich jetzt gerade glücklich, denn
+am 15ten geht ein ganz vortreffliches Schiff ab, die <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Diana</span></em>,
+Dreimaster, gut gekupfert, mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten
+versehn und einem Capitain, ich sage Ihnen ein
+wahrer Schentelmann, wie er sich gerade nicht immer auf den
+Schiffen findet.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich danke Ihnen für jetzt noch bestens, lieber Herr
+Weigel,« sagte der junge Mann — »ich muß doch nun erst
+mit meiner Frau Rücksprache über dieß nehmen, denn erst seit
+gestern ist mir die Idee überhaupt gekommen auszuwandern;
+aber — noch eine Bitte hätte ich an Sie,« und er drehte dabei
+den Hut den er in der Hand hielt, fast wie verlegen zwischen
+den Fingern — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja? womit könnte ich Ihnen dienen?« frug Herr Weigel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Könnten Sie mir wohl sagen, ob die Capitaine der
+Segelschiffe — ich habe einmal irgendwo gelesen daß das
+<span class="tei tei-pb" id="page108">[pg 108]</span><a name="Pg108" id="Pg108" class="tei tei-anchor"></a>manchmal geschähe — auch Leute — Passagiere mitnähmen,
+die unterwegs ihre Passage — abarbeiten dürften und also — auch
+keine Ueberfahrt zu bezahlen brauchten?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Keine Passage zahlen?« sagte Herr Weigel, die Lippen
+vordrückend und die Augenbrauen in die Höhe ziehend, während
+er langsam und halb lächelnd mit dem Kopfe schüttelte — »keine
+Passage bezahlen? — ne lieber Herr — ja so wie heißen
+Sie denn gleich — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Eltrich,« sagte der junge Mann etwas zögernd — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So? — ne mein lieber Herr Eltrich, davon steht Nichts
+in unseren Verzeichnissen und Contracten; im Gegentheil, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">da</span></em>
+kommen wir zusammen; das ist der Hauptpunkt, der Nervum Rehrum,
+der die ganze Geschichte eigentlich zusammenhält, Amerika
+und Europa und die umliegenden Dorfschaften, heh, heh, heh.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber wenn nun irgend ein armer Teufel,« fuhr der
+Fremde etwas lauter, fast wie ängstlich fort — »irgend ein
+armer Teufel sein ganzes Hoffen eben auf eine Reise nach
+Amerika gesetzt hätte, und bestimmt wüßte daß er dort, wenn
+auch nicht gerade sein Glück machen, doch sein Auskommen
+finden würde? — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun dann soll er gehn — um Gottes Willen gehn,
+und am 15ten dieses wird wieder das neue, kupferfeste — ja
+so, aber er muß bezahlen,« unterbrach er sich rasch als ihm
+einfiel von was sie vor erst wenigen Secunden gesprochen,
+»er muß bezahlen, sonst nimmt ihn kein Capitain der Welt
+mit über See.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und Sie glauben nicht daß da jemals eine Ausnahme
+<span class="tei tei-pb" id="page109">[pg 109]</span><a name="Pg109" id="Pg109" class="tei tei-anchor"></a>stattfinden dürfte?« sagte Herr Eltrich — »es werden doch
+Leute auf See gebraucht zu den nothwendigsten sowohl, wie
+den geringeren Arbeiten, und die Capitaine müssen gewiß dafür
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">bezahlen</span></em>. Wenn sich also nun Jemand erböte alle diese Verrichtungen
+ganz <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">umsonst</span></em>, nur um Passage und die einfachste
+Matrosenkost zu machen, sollte das nicht möglich sein zu erlangen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Lieber Herr,« sagte der Herr Weigel, dem es jetzt so vorkommen
+mochte als ob er mit dem Fremden da kein besonders
+großes Geschäft machen würde, und der anfing ungeduldig zu
+werden, »zu den Arbeiten an Bord eines Schiffes werden
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Matrosen</span></em> gebraucht, und wer kein Matrose ist, kann die auch
+nicht verrichten. Das ist keine kleine Kunst, lieber Herr Schelbig,
+in den Tauen den ganzen Tag herumzuklettern und zwischen
+den Segeln, wenn das Schiff bald so herüberschlenkert
+und bald so« — und er begleitete dabei seine Erklärung mit
+einer entsprechenden Bewegung der vor sich gerade aufgehaltenen
+Hand — »da müssen die Leute fest stehen können wie die
+Mauern, sonst kann man sie nicht gebrauchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber glauben Sie nicht, wenn man einmal an einen Capitain
+schriebe, ob er sich doch nicht am Ende bewegen ließ;
+oder« — setzte er rasch hinzu, wie von einem plötzlichen Gedanken
+ergriffen, »wenn man sich nun verbindlich machte die
+Passage nach einer bestimmten Zeit in Amerika nachzuzahlen — sie
+dort abzuverdienen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja da könnte Jeder kommen,« sagte Herr Weigel kopfschüttelnd,
+»wenn die Leute erst einmal drüben sind, thun sie
+<span class="tei tei-pb" id="page110">[pg 110]</span><a name="Pg110" id="Pg110" class="tei tei-anchor"></a>was sie wollen. Das ist ein freies Land da drüben, Herr
+Wellrich, und da könnte man nachher jedem Einzelnen nachlaufen,
+und sehen daß man sein Geld wieder kriegte. Ne, damit
+ist's faul, und ich nun einmal vor allen Dingen, möchte
+mich nicht auf solch eine Quängelei einlassen; daran hat
+man keine Freude, und das ist auch kein rundes Geschäft.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es ist nur ein armer Verwandter, der sich auf solche
+Weise gern forthelfen würde,« sagte Herr Eltrich erröthend — »er
+ist sehr fleißig und würde arbeiten wie ein Sclave, die
+Zeit über.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja das glaub' ich,« meinte Herr Weigel gleichgültig — »versprechen
+thun die Art Herren gewöhnlich Alles was man
+von ihnen haben will.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Könnten Sie mir denn vielleicht die Adresse irgend eines
+Schiffes oder Rheders geben, der bald ein Schiff hinüberschickt,«
+sagte der junge Fremde, sich schon wieder zum Gehen rüstend — »wenn
+ich vielleicht selber einmal dorthin schriebe, um Sie
+nicht weiter mit der Sache zu belästigen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, schreiben können Sie,« sagte Herr Weigel, »hehehe;
+aber Sie werden keine Antwort bekommen; darauf können Sie
+sich verlassen. Die Leute da haben mehr zu thun, als sich eines
+Passagiers wegen, für den sie noch umsonst die Kost hergeben
+müßten, in eine Correspondenz einzulassen; kann ich ihnen auch
+gar nicht so sehr verdenken.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und die Adresse?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Die Adresse? — da, hier liegt die neueste Auswanderer-Zeitung;
+wenn Sie wollen, können Sie sich da ein oder zwei<span class="tei tei-pb" id="page111">[pg 111]</span><a name="Pg111" id="Pg111" class="tei tei-anchor"></a>
+Adressen herausschreiben. Da hinten, auf der letzten Seite
+stehen sie.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Herr Weigel sah nach der Uhr, drehte sich wieder auf seinem
+Drehstuhl, der beim Aufschrauben etwas quietschte, herum,
+schob das Tageblatt zur Seite und rückte sich einen Bogen
+Papier zurecht, als ob er irgend einen nothwendigen Brief zu
+schreiben hätte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Wieder klopfte es da an die Thür, und dießmal, ohne
+ein ermunterndes »Herein« zu erwarten, öffnete sie sich, und
+drei Bauern, denen die großen silbernen Knöpfe auf Weste
+und Rock und das feine Tuch der letzteren, die jedoch ganz
+nach ihrem alten bäurischen Schnitt gemacht waren, etwas ungemein
+solides gaben, traten, die Hüte erst unter der Thür
+und schon im Zimmer abziehend, herein, und grüßten die beiden
+Leute die sie hier beisammen fanden, mit einem herzlichen
+»Guten Morgen miteinander.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das waren die Leute die Herr Weigel gern kommen sah,
+die wußten weßhalb sie die eine Hand immer in der Tasche
+trugen, denn sie hatten dort etwas zu verlieren, und waren
+nicht selten dabei die Vorboten eines größern Trupps, oft einer
+ganzen »Schiffsladung voll« die aus ein und derselben Gegend
+auswandern wollte, und ein paar der Angesehensten indeß
+vorausgeschickt hatte, Platz für sie zu bestellen. Wie der
+Blitz war er denn auch von seinem Stuhle herunter, schüttelte
+ihnen nacheinander die Hand, und frug sie wie es ihnen ginge
+und was sie hier zu ihm geführt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Seid Ihr der Mensch der die Leute nach Amerika schickt?«
+<span class="tei tei-pb" id="page112">[pg 112]</span><a name="Pg112" id="Pg112" class="tei tei-anchor"></a>sagte da der Eine von ihnen, eine breitkräftige, sonngebräunte
+Gestalt mit vollkommen lichtblonden Haaren und Augenbrauen,
+aber dabei gutmüthigen vollen und frischen Zügen, dem das
+Ganze übrigens etwas fremd und unheimlich vorkommen
+mochte, denn er warf den Blick während er sprach wie scheu
+von einer der Schiffszeichnungen zur anderen, und schien sich
+ordentlich dazu zwingen zu müssen das zu sagen, was er eben
+hier zu sagen hatte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun nach Amerika <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">schicken</span></em> thu' ich sie gerade nicht,«
+lächelte Herr Weigel, die Anderen dabei ansehend, und etwas
+verlegen über die vielleicht ein wenig plumpe Anrede.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nicht?« sagte der Bauer rasch und erstaunt — »aber
+hier hängen doch all die vielen Schiffe.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun ja, ich besorge den Leuten Schiffsgelegenheit die
+hinüber <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">wollen</span></em>,« sagte Herr Weigel, jetzt geradezu herauslachend,
+weil er glaubte daß sich der Mann mit ihm einen
+Scherz gemacht, auf den er natürlich einzugehen wünschte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja aber wir <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">wollen</span></em> eigentlich noch nicht hinüber,«
+sagte der zweite von den Bauern, seinen Hut auf seinen langen
+Stock stellend, und sich dabei verlegen hinter den Ohren kratzend — »wir
+wollten uns nur erst einmal hier erkundigen ob denn
+das auch wirklich da drüben so ist, wie es jetzt immer in den
+Auswanderungszeitungen steht, und ob man blos hinüberzugehn
+und zuzulangen braucht, wenn man eine gut eingerichtete
+Farm mit ein paar hundert Morgen Land haben will.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja wenn man Geld hat,« lachte Herr Weigel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page113">[pg 113]</span><a name="Pg113" id="Pg113" class="tei tei-anchor"></a>»I nu — Geld hätten wir,« sagte der Bauer, und sah
+seine Nachbarn an.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich bin Ihnen sehr dankbar,« unterbrach den Sprecher
+hier der junge Mann, der indessen die Zeitung nachgesehn, und
+sich Einzelnes daraus notirt hatte. »Bitte,« sagte Herr Weigel,
+und nahm ihm das Blatt, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern,
+aus der Hand, und wandte sich wieder zu den Bauern,
+als der junge Fremde sich mit einem artigen:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Guten Morgen meine Herren« empfahl.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Adje Herr — Herr Schnellig,« rief der Agent ziemlich
+laut hinter ihm her, ohne sich weiter nach ihm umzudrehen,
+während die Bauern freundlich den Gruß in ihrer Art erwiederten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wer war der junge Herr?« frug der erste Sprecher aber,
+als er die Thür rasch hinter sich in's Schloß gedrückt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach, ein armer Teufel, der gern mit umsonst nach Amerika
+hinüber möchte,« sagte Herr Weigel — »er thut zwar als
+wär' es nur für einen armen Verwandten, aber, hehehe, derlei
+Ausreden kennen wir schon — kommen alle Wochen vor.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Umsonst mit nach Amerika?« sagte der erste Sprecher
+verwundert, »<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">der</span></em> sieht doch nicht aus als ob er etwas umsonst
+haben wollte, der ging ja <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">so</span></em> fein gekleidet; Donnerwetter — mit
+Handschuhen und allem — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja auswendig sind die Leute in der Stadt meist alle
+schwarz und sauber angestrichen,« lachte Herr Weigel, »aber
+inwendig, in den Taschen, da hapert's nachher. Wer aber
+<span class="tei tei-pb" id="page114">[pg 114]</span><a name="Pg114" id="Pg114" class="tei tei-anchor"></a>ein Bischen Uebung darin hat, kann auch schon oben auf erkennen,
+ob der Lack ächt, oder blos nachgemacht ist, hehehe.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bei dem war er wohl nachgemacht?« sagte der zweite
+Bauer, dem Anschein nach gerade nicht unzufrieden damit, daß
+der »glatte Stadtmensch« nicht so viel galt wie sie, und daß
+der Auswanderungsmann das sogleich durchschaut hatte. Herr
+Weigel nickte, seine Zeit war ihm aber kostbarer, als sie noch
+länger an Jemanden zu verschwenden, bei dem er doch voraussah,
+daß er von ihm keinen Nutzen haben würde, und er suchte
+das Gespräch wieder dem mehr praktischen Anliegen der drei
+Bauern zuzulenken.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Also Sie wollten mitsammen nach Amerika gehn und
+sich eine ordentliche Farm, gleich mit Land, Vieh, Häusern
+und was dazu gehört, ankaufen heh? — 'wär keine so schlechte
+Idee.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja erst möchten wir aber einmal wissen wie die Sache
+steht;« sagte der Erste wieder, der Menzel hieß, »wenn man
+über einen Zaun springen will, ist es viel vernünftiger daß
+man erst einmal hinüber guckt was drüben ist, und wenn man
+das nicht kann, daß man Jemanden fragt der es genau weiß.
+Sind denn die Farmen da drüben wirklich so billig? — ist das
+wahr, daß man dort noch gutes frisches Land für ein und einen
+Viertel Thaler kaufen kann?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Thaler? — nein,« sagte Herr Weigel, »<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Dollar</span></em>.«
+»Ja nun, das ist aber auch nicht viel mehr,« meinte der
+Zweite, Müller.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun ein Dollar ist ungefähr ein Speciesthaler,« sagte<span class="tei tei-pb" id="page115">[pg 115]</span><a name="Pg115" id="Pg115" class="tei tei-anchor"></a>
+Herr Weigel — »lassen Sie mich einmal sehn — die stehn
+jetzt — stehn jetzt 1 Thlr. 12½ Silber- oder Neugroschen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nu ja,« sagte Menzel wieder, »das ist aber immer kein
+Geld — und für tausend Dollar kauft man da eine fix und
+fertig eingerichtete Farm, wie sie's glaub' ich nennen? mit
+Allem was dazu gehört?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich habe hier gerade,« sagte Herr Weigel in seinen
+Papieren suchend, »ein paar Anerbietungen von höchst achtbaren
+Leuten — wirklichen Amerikanern — die mir Farmen
+zu höchst mäßigen Bedingungen offeriren. — Die Leute wissen
+da drüben daß hier Viele zu mir kommen und sich nach solchen
+Plätzen erkundigen, und wenn sie dann 'was Gutes haben,
+schicken sie's mir. — Wo hab' ich denn die verwünschten Pläne
+jetzt hingelegt — ah, hier ist der eine — sehn Sie, Gebäude
+und Alles sind darauf angegeben — und der andere kann nun
+auch nicht weit sein; ich habe sie erst vorgestern meinem Bruder
+gezeigt, der gar nicht übel Lust hatte eine davon für sich
+zu kaufen — da ist er.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die drei Bauern drängten sich um den kleinen Tisch herum
+auf dem Herr Weigel die Pläne jetzt ausbreitete, und suchten
+sich in den kreuz und quer laufenden Strichen zu orientiren,
+wie der Platz eigentlich liege, und was darauf stände.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja aber wo ist denn das nun eigentlich, und wie sieht's
+dort aus?« sagte Menzel endlich, nach einigen vergeblichen
+Versuchen deshalb — »aus der Geschichte hier wird man nicht
+klug.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja sehn Sie,« sagte Weigel, mit seinem Finger den<span class="tei tei-pb" id="page116">[pg 116]</span><a name="Pg116" id="Pg116" class="tei tei-anchor"></a>
+Plan erklärend, und den angegebenen Zahlen folgend, »das
+hier, Nr. 1 ist das Wohnhaus, ein Doppelgebäude, der Zeichnung
+nach mit einer offenen Veranda dazwischen, des warmen
+Klima's wegen, denn drum herum stehen »Baumwollenbäume«
+angegeben; Nr. 2 da ist ein anderes Gebäude, bis
+jetzt zu Negerwohnungen benutzt, denn der bisherige Besitzer
+scheint Sclaven gehalten zu haben; Nr. 3 ist eine Scheune;
+Nr. 4 ist ein Rauchhaus, die Leute verschicken von dort aus
+viel getrocknetes Fleisch; Nr. 5 ist, wie es scheint, ein Waschhaus,
+und Nr. 6 ein anderes Wohnhaus, was dem ersten
+gegenübersteht, und wahrscheinlich den ganzen Hofraum, da
+die Front nach dem Flusse zu liegt, abschließt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und welcher Fluß ist das?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der Missouri, einer der größten Ströme Amerika's, über
+eine englische Meile breit, und viel hundert Meilen hinauf
+schiffbar; alle Wetter meine Herren, von den dortigen Strömen
+können wir uns hier gar keinen Begriff machen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm — und wieviel Land gehört dazu?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dazu gehört ein »Died« von 40 Acker, was früher als
+Congreßland gekauft und schon bezahlt ist, und natürlich mit
+übernommen wird, und um den Platz herum kann noch so viel
+Congreßland dazu genommen werden, wie man haben will — nur
+die vierzig Acker, von denen aber ein Theil schon urbar
+gemacht ist, müssen natürlich höher bezahlt werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und was soll die ganze Geschichte kosten?« frug Müller. — Der
+dritte, dessen Name Brauhede war, hatte noch kein einziges
+Wort zu der ganzen Verhandlung gesagt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page117">[pg 117]</span><a name="Pg117" id="Pg117" class="tei tei-anchor"></a>»Die ganze Geschichte,« erwiederte Weigel, sich das Kinn
+streichend, »wie ich sie Ihnen hier gleich an Ort und Stelle
+überlassen kann, mit Häusern und Grundstück und dazu noch
+einem kleinen Viehstand von vielleicht einigen achtzig Stück
+Rindvieh, und fünfundfunfzig oder sechzig Schweinen, würde — etwa — ein
+tausend und einige sechzig spanische Dollar
+betragen — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und das wäre nach unserem Geld?« sagte Menzel,
+Müller dabei heimlich unter dem Tisch anstoßend — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach unserem Geld?« wiederholte Herr Weigel, mit
+einem Stück dort liegender Kreide die Summen rasch auf dem
+Tisch selber aufaddirend — »würde es in einer runden Zahl
+etwa 1000 — 400 — eine Kleinigkeit über 1400 Thlr. Preuß.
+Courant betragen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wieviel Stück Rindvieh?« sagte Müller.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Einige achtzig Stück sind angegeben,« sagte Weigel, »und
+müssen auch überliefert werden; aber gewöhnlich sind es noch
+mehr, denn das Vieh läuft draußen im Freien herum und bekommt
+Kälber und man weiß es oft nicht einmal — die Kälber
+werden überhaupt nie mitgezählt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und die Passage hinüber kostet?« frug Menzel — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Zwischendeck oder Cajüte?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Zwischendeck — immer wo's am Billigten ist,« lachte
+Menzel, und strich sich wohlgefällig über die silbernen
+Knöpfe.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, kann mir's denken,« rief Herr Weigel, auf den
+Scherz eingehend, und ihn leise gegen den Arm von sich
+<span class="tei tei-pb" id="page118">[pg 118]</span><a name="Pg118" id="Pg118" class="tei tei-anchor"></a>stoßend — »Sie sehn mir auch gerade aus, als ob's Ihnen
+auf ein paar Thaler ankäme.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, wo man's kann muß man's zusammennehmen,«
+betheuerte aber auch Müller — »also wieviel kostet's im Zwischendeck
+à Person?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Vierundvierzig Thaler für die Person — Kinder zahlen
+die Hälfte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber ganz kleine Kinder?« sagte Müller.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun Säuglinge gehen ein,« lachte Herr Weigel, <span class="tei tei-corr">»</span>das
+ist die Beilage, die doch auch nur vom Schiff aus indirecte
+Nahrung bekommen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Leichten Zwieback?« frug Menzel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja wohl,« sagte Herr Weigel, etwas verlegen lächelnd,
+da er nicht wußte ob der Bauer das im Spaß oder Ernst <span class="tei tei-corr">gemeint</span> — »wie
+viel Personen sind Sie denn aber wohl
+etwa?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nu, so eine sechzig möchten wir immer zusammen herausbekommen,«
+meinte Müller — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Alle auf ein Schiff müßtet Ihr uns bringen,«
+sagte Menzel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun das versteht sich von selbst,« rief Herr Weigel, und
+ein famoses Schiff geht gerade den funfzehnten ab — ich
+glaube das beste, das von Bremen und Hamburg überhaupt
+läuft — die Diana.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ne das wär' uns noch zu früh — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Am ersten nächsten Monats geht ein noch besseres,« sagte<span class="tei tei-pb" id="page119">[pg 119]</span><a name="Pg119" id="Pg119" class="tei tei-anchor"></a>
+Herr Weigel — »wenigstens geräumiger und ein besserer
+Segler.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ne das wär' uns auch noch zu früh,« sagte Menzel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gut, dann träfen Sie es gerade ausgezeichnet mit dem
+Meteor,« versicherte Herr Weigel, keineswegs außer Fassung
+gebracht; »ich wollte Ihnen den im Anfang nicht anbieten, weil
+ich fürchtete daß Sie früher zu reisen wünschten, wenn Sie
+aber <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">so</span></em> lange Zeit haben, dann kann ich Ihnen allerdings die
+vorzüglichste Reisegelegenheit bieten, die sich nur überhaupt
+denken läßt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So — na das paßte schon besser — « sagte Müller — »wie
+hieß das Schiff gleich?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Meteor.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm — werd' es mir merken — aber nicht wahr, beim
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Dutzend</span></em> kriegen wir die Passage doch auch was billiger.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ne, das geht nicht,« lachte aber Herr Weigel da gerade
+heraus; »es ist ja nicht so, daß ein Schiff nur eben so viel
+Menschen an Bord nehmen kann wie darauf Platz haben,
+sondern es muß auch genug Raum, und über und über genug
+Essen und Trinken für sie dabei sein, wenn einmal die Reise,
+in einem unglücklichen Fall länger dauerte als gewöhnlich.
+So ein Schiff hat deshalb auch nur eine bestimmte Zahl von
+Auswanderern, die es an Bord nehmen kann, und nach Amerikanischen
+Gesetzen nehmen <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">darf</span></em>, und auf die ist Alles mit
+Kosten und Preis ausgerechnet, auf's tz. Die kleinen Kinder
+werden eingegeben, aber die großen müßen bezahlen. Und wie
+war's mit der Farm?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page120">[pg 120]</span><a name="Pg120" id="Pg120" class="tei tei-anchor"></a>»Wo ist denn der andere Platz — zu dem da der lange
+Zettel gehört?« sagte Menzel, der sich diesen indessen genau
+betrachtet, und nach allen Ecken herum und herumgedreht
+hatte, ohne, wie er meinte, einen Handgriff dran bekommen
+zu können.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der hier? der ist in Wisconsin; auch ein guter Platz,
+aber kein so großer Strom dabei,« sagte Herr Weigel — »ist
+aber auch billiger. Dort kann ich Ihnen eine Farm, allerdings
+nur mit einigen vierzig Kühen, für etwa siebenhundertundfunfzehn
+Dollar überlassen, und dann habe ich noch fünf
+andere von sechs, acht, elf, neun und ich glaube zwölfhundert
+Dollar — die letztere ist aber eine wirkliche Musterwirthschaft
+mit importirtem Schweizervieh, und Backsteingebäuden, und einer
+prachtvollen Lage Milch und Butter in die nicht zu entfernte
+Stadt zu bringen; wird Ihnen aber auch freilich wohl zu
+theuer sein?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Zu theuer? — warum?« sagte Menzel — »wenn man
+sich einmal etwas kauft, soll man sich auch gleich 'was ordentliches
+anschaffen. Ich habe mir übrigens die Sache immer
+viel schwieriger vorgestellt mit dem Ankaufen, und gedacht, daß
+man da erst lange in der Welt umher fahren und sein Geld
+verreisen müßte. Wenn man das gleich hier an Ort und Stelle
+abmachen kann, ist das ja weit bequemer.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Auf eins möchte ich Sie übrigens noch aufmerksam
+machen, meine Herren, was Sie ja nicht versäumen dürfen,«
+sagte Herr Weigel — »nämlich sich hier gleich Ihre Billets
+<span class="tei tei-pb" id="page121">[pg 121]</span><a name="Pg121" id="Pg121" class="tei tei-anchor"></a>zur Weiterfahrt in's Innere, wohin Sie auch immer wollen,
+zu lösen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Von Neu-York aus?« sagte Menzel verwundert.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja wohl von Neu-York oder Philadelphia oder wohin
+Ihr Reiseziel liegt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja aber kann man denn die <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">hier</span></em> bekommen?« frug
+Müller.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gewiß kann man das,« lächelte Herr Weigel, »und
+das ist gerade der ungeheure Vortheil unserer jetzigen Verbindung,
+die den Auswanderer von der Thür seiner alten Heimath
+fort, vor die seiner neuen setzt, ohne daß er ein einziges
+Mal in die Tasche zu greifen und mehr zu bezahlen braucht, als
+was er gleich von allem Anfang entrichtet hat. Das eben
+macht auch das Reisen jetzt so billig, daß man mit <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">einem</span></em>
+Blick im Stande ist sämmtliche Kosten zu übersehn; die Extra-Ausgaben
+fallen ganz weg.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das wäre freilich ein Glück,« sagte Müller, von dem
+erst vor einigen Monaten ein Bruder »hinüber« gegangen war — »die
+Extra-Ausgaben fressen sonst das meiste Geld.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ob sie's fressen, bester Herr, ob sie's fressen,« sagte Herr
+Weigel, sich wieder vergnügt die Hände reibend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und wo kann man die Billete also bekommen?« frug
+Menzel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bei mir hier, versteht sich,« sagte Herr Weigel — »alle
+bei mir.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und die gelten dann drüben?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun versteht sich doch von selbst,« lachte der freundliche<span class="tei tei-pb" id="page122">[pg 122]</span><a name="Pg122" id="Pg122" class="tei tei-anchor"></a>
+Agent, »ich würde sie ja Ihnen doch sonst nicht verkaufen.
+Sehn Sie, wenn die Deutschen hinüber kommen, dann sprechen
+sie gewöhnlich noch kein Englisch — oder haben Sie das etwa
+schon gelernt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ne — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun sehn Sie, und dann werden sie dort von ihren
+Landsleuten — denn der Amerikaner ist nicht halb so schlimm — die
+sich das richtig zu Nutze zu machen wissen, tüchtig über's
+Ohr gehauen, und müssen gewöhnlich gerade noch einmal so
+viel bezahlen, als die Sachen eigentlich kosten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber es soll doch eine »Deutsche Gesellschaft« drüben in
+Neu-York sein,« sagte jetzt Brauhede, der zum ersten Mal bei
+der ganzen Verhandlung den Mund aufthat — »die sich eben
+der Deutschen annimmt und Nichts dafür verlangt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Leben wollen wir <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Alle</span></em>,« sagte Herr Weigel
+achselzuckend — »umsonst ist der Tod, und daß die Leute, wenn sie
+ihre Zeit darauf verwenden für die Deutschen zu sorgen, auch
+etwas dafür nehmen werden, läßt sich wohl an den fünf
+Fingern abzählen. Neu-York ist aber ein theures Pflaster, die
+Leute <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">brauchen</span></em> dort mehr wie wir hier, und wer es daher
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">billiger</span></em> thun kann ist auch wieder leicht einzusehn. Ich will
+mich auch keineswegs empfehlen; lieber Gott es giebt noch
+eine Menge Leute in Deutschland, die sich demselben schwierigen
+und undankbaren Geschäft unterzogen haben wie ich, und
+die es sich vielleicht eben so sauer werden lassen gerade und
+ehrlich durch die Welt zu kommen; aber Einen der es besser
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">meint</span></em> dabei, werden Sie wohl schwerlich finden, und ich
+<span class="tei tei-pb" id="page123">[pg 123]</span><a name="Pg123" id="Pg123" class="tei tei-anchor"></a>überrede gewiß Niemanden nach Amerika auszuwandern. Jeder
+Mensch muß seinen freien Willen haben, und auch am
+Besten selber wissen was ihm gut ist.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ne gewiß,« sagte Menzel — »da habt Ihr ganz recht,
+das ist auch mein Grundsatz; aber das mit dem Amerika leuchtet
+mir auch ein, und umsonst thut da gewiß Niemand etwas — das
+sind verflixte Kerle da, hab' ich mir sagen lassen, besonders
+die Deutschen, und wo die nicht wollen gucken sie
+nicht 'raus.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Also die Billete kann man hier bei Euch kriegen?«
+sagte Müller.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wohin Sie wollen, und ich stehe Ihnen dafür daß sie
+nicht allein ächt sind, sondern daß die hier in Deutschland gelösten
+Plätze auch noch den Vorrang haben vor allen in Amerika
+genommenen, wenn einmal Eisenbahn oder Dampfboote zu
+sehr besetzt sein sollten. Es ist ja hier gerade so mit der Post,
+wo Die, die sich zuerst, und auf der längsten Station haben
+einschreiben lassen, den Vorrang behalten müssen vor denen
+die nachher kommen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ahem, das ist klar,« sagte Menzel; »na also da dächt' ich
+ließen wir uns gleich einmal Plätze belegen und gäben das
+D'raufgeld, damit wir die Sache richtig hätten, und nachher
+können wir ja einmal über die Farmen sprechen; ich habe verwünschte
+Lust.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Du, das hat noch Zeit,« sagte aber jetzt Brauhede wieder,
+Menzel am Rocke zupfend; »erst müssen wir es uns doch
+einmal mit den Anderen zu Hause überlegen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page124">[pg 124]</span><a name="Pg124" id="Pg124" class="tei tei-anchor"></a>»Wenn aber nachher die Plätze auf dem ganz guten Schiffe
+fort sind,« sagte Müller mit einem sehr bedenklichen Gesicht.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">stehen</span></em> kann ich Ihnen <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">nicht</span></em> dafür,« versicherte
+Herr Weigel die Achseln zuckend, daß sie beinah seine Ohrläppchen
+berührten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na mein'twegen,« sagte Brauhede, der allerdings auch
+in der Absicht hierher gekommen war, ihre Passage fest zu accordiren,
+jetzt aber, da es dazu kam Geld zu zahlen, nur ungern
+damit herausrückte — »aber von wegen der Farm müssen
+wir noch erst mit den Anderen sprechen, und eine Farm kriegen
+wir auch noch immer.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja aber was für eine,« sagte Herr Weigel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Brauhede blieb übrigens bei seiner Meinung, und Menzel
+bestand jetzt nur wenigstens darauf die beiden Pläne einmal
+mitzunehmen, damit sie sich zu Hause ordentlich hinein
+denken könnten. Wenn auch Herr Weigel sie im Anfang nicht
+außer Händen geben mochte, ja sogar versicherte er habe nicht
+übel Lust die eine Farm für sich selber auf Spekulation zu
+kaufen, ließ er sich doch zuletzt überreden ihnen, aber allerdings
+nur auf zwei Tage, die Pläne zu überlassen, und dann das
+Weitere über den Ankauf mit einer zweiten Deputation der
+Gesellschaft zu besprechen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Menzel bezahlte dann das Aufgeld auf ihre Passage im
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Meteor</span></em> für siebenundfunfzig Personen und dreizehn Kinder,
+die sämmtlich aus <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">einer</span></em> Ortschaft auswandern wollten, und
+nahm dann auch noch, nach einer kurzen Berathung mit den
+beiden anderen, die nöthigen Billete auf der Eisenbahn von<span class="tei tei-pb" id="page125">[pg 125]</span><a name="Pg125" id="Pg125" class="tei tei-anchor"></a>
+Neu-York aus, oder machte wenigstens eine Anzahlung darauf,
+daß sie ihnen der Agent aufbewahrte, da dieser sie versicherte
+er sei nur noch im Besitz einer sehr kleinen Anzahl, und wisse
+nicht, wann er gleich wieder andere bekommen würde, während
+die Anfrage darnach sehr stark wäre.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Außerdem kauften sie sich auch noch ein halbes Dutzend
+kleine Brochüren, die Herr Weigel, wie er sagte, gerade frisch
+aus der Druckerei als etwas <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ganz Neues</span></em> bekommen hatte — ein
+Datum stand nicht darauf — und die drei Männer verließen
+dann wieder, von dem schmunzelnden Agenten bis an
+die auf den Markt führende Thür begleitet, das Haus.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Höre Du,« sagte aber Brauhede als sie wieder vor dem
+Haus und auf der Straße waren, und langsam über den
+Markt weggingen, »mit dem Landkaufen wollen wir uns doch
+lieber hier noch nicht einlassen, das ist eine wunderliche Geschichte
+und will mir nicht recht in den Kopf.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nicht in den Kopf?« rief aber Menzel — »und warum
+nicht? — der Mann bekommt alle Tage Briefe aus Amerika,
+warum soll der nicht wissen was dort zu verkaufen ist?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn's aber so gut und billig wäre, brauchten sie's doch
+nicht hier herüberzuschicken,« meinte Brauhede kopfschüttelnd.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das ist Alles was Du davon verstehst,« sagte Müller,
+»Amerikaner könnten sie gewiß genug zu Käufern kriegen, aber
+deutsche Bauern wollen sie, die ihnen zeigen wie man das
+Land behandeln muß, und darum schicken sie herüber — die
+sind froh drüben, wenn unsereins hinüber kommt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page126">[pg 126]</span><a name="Pg126" id="Pg126" class="tei tei-anchor"></a>»Nun, mag sein,« brummte Brauhede — »aber sicher ist
+doch sicher, und wenn ich mein Geld hier weggegeben habe,
+und kann das Land was mein sein soll nachher nicht finden,
+wie's dem Niklas seinem Bruder gegangen ist, nachher wäre
+die Geschichte aber faul.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dem Niklas sein Bruder war aber auch ein Esel,« sagte
+der Andere, »der sich hier Land von einem herumziehenden
+Vagabunden gekauft; da sollt' er nachher wohl suchen. Aber
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">der</span></em> Mann hier ist in der Stadt ansässig und hat ein Geschäft;
+was der verkauft das muß gut sein, sonst wär' er ja
+gar nicht sicher daß man ihn einmal deshalb beim Kragen
+kriegte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja krieg' ihn einmal wenn Du drüben in Amerika bist,«
+sagte Brauhede ruhig — »das ist ein verwünscht weiter und
+umständlicher Weg und — wenn man sich einmal hat anführen
+lassen, will man auch nicht gern noch dazu ausgelacht
+werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Papperlapapp!« sagte Menzel — »dafür hat Jeder
+seine Augen daß er sie offen hält, und ehe ich ihm mein gutes
+Geld gebe, werd' ich mich schon sicher stellen daß er mir Nichts
+aufbindet.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Und die Männer schritten, Jeder von jetzt an mit seinen
+eigenen Gedanken über die nahe Auswanderung beschäftigt,
+langsam die Straße hinunter, während in seinem kleinen
+Bureau, vergnügt die Hände zusammenreibend, Herr Weigel
+auf und ab spazieren ging, und sich im Geist die nächst zu
+ziehenden Summen zusammenaddirte, die er in kurzer Zeit,
+<span class="tei tei-pb" id="page127">[pg 127]</span><a name="Pg127" id="Pg127" class="tei tei-anchor"></a>nach eifriger Aussaat, einzuerndten hoffte. Die Geschäfte
+gingen vortrefflich; Lust zur Auswanderung hatte in der That
+ein Drittel der sämmtlichen Bevölkerung, und es bedurfte nur
+manchmal wirklich einer leisen Anregung, die Leute zu etwas
+zu bewegen, zu dem sie schon halb und halb selber entschlossen
+gewesen waren.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Herr Weigel war sehr guter Laune; er legte jetzt die
+Hände auf den Rücken und summte ein leises Lied vor sich hin,
+seinen Marsch dabei fortsetzend. Aber er sang falsch; er hatte
+keine Idee von irgend einer Melodie; doch das schadete nichts,
+er <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">meinte</span></em> wenigstens eine, und da er selber nicht hörte was
+er sang, genügte es ihm vollkommen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Thür ging jetzt auf und der Tischler oder Schreiner
+kam herein, irgend etwas an dem Pult auszubessern — er
+hatte zweimal angeklopft ohne daß der vergnügte Agent darauf
+geantwortet hätte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Guten Morgen Herr Weigel.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ah guten Morgen Meister — nun kommen Sie endlich?
+ich hatte schon ein paar Mal nach Ihnen hinübergeschickt — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja lieber Gott Herr Weigel, ich war gerade drüben
+beim Herrn Geheimen Rath Bärlich beschäftigt — die Leute
+sind so eigen wenn man von der Arbeit fort geht — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sehn Sie, hier das Bein möcht' ich gemacht haben; der
+Tisch wackelt da immer, und wenn man etwas darunter legt,
+verschiebt sich das doch jedesmal wieder. Können Sie es mir
+wohl bis heute Nachmittag in Ordnung bringen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page128">[pg 128]</span><a name="Pg128" id="Pg128" class="tei tei-anchor"></a>»Ja gewiß,« sagte der Mann, »das ist ja nur eine Kleinigkeit.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und wie ist es mit den Auswandererkisten die ich bestellt
+habe? — werden die bis heute Abend fertig?</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja wohl Herr Weigel; sechs habe ich schon in das Gasthaus
+»Stadt Breslau,« wie Sie mir sagten, abgeliefert.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun das ist gut, denn der ganze Zug wird noch heute
+Vormittag ankommen, und will morgen früh wieder fort — es
+sind doch noch keine Auswanderer heute Morgen hier eingetroffen? — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nicht daß ich gesehen hätte — aber gestern Abend zogen
+Viele durch.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja ich weiß — von Hessen herüber — die armen Teufel;
+denen wird's einmal wohl drüben werden. Nun wie gehn
+denn bei Ihnen die Geschäfte jetzt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ih nu gut, Herr Weigel, ich kann gerade nicht klagen;
+das Brod wird freilich immer theuerer, aber man schlägt sich
+so durch — Kinder haben wir nicht, und was verdient wird
+reicht eben ordentlich aus.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich begreife nicht,« sagte Herr Weigel da kopfschüttelnd
+vor dem Mann, der seine Mütze eben wieder aufgegriffen
+hatte und sich zum Fortgehen anschickte, stehen bleibend — »wie
+Ihr Leute Euch hier vom Morgen bis Abend plagt und
+schindet, eben nur das liebe Brod zu verdienen, wo Ihr in
+ein paar Wochen drüben sein könntet und so viel Dollare für
+Euere Arbeit bekämt, wie hier Groschen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Drüben, wo?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page129">[pg 129]</span><a name="Pg129" id="Pg129" class="tei tei-anchor"></a>»Nun in Amerika — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, ja,« sagte der Mann, sich nachdenkend das Kinn
+streichend, und einen leichten Seufzer unterdrückend — »gedacht
+hab' ich auch schon ein paar Mal daran, aber — das geht
+nicht gut und — es ist auch so eine unsichere Sache mit da
+drüben. Hier weiß ich einmal was ich habe und daß ich auskomme,
+und wie mir's da drüben geht weiß ich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">nicht</span></em>.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Freund,« rief Herr Weigel verwundert — »ein
+Mann der fleißig arbeitet bringt es dort immer zu was. Wetter
+noch einmal, Meister, Amerika ist gerade der Platz für Euch,
+wo Ihr Euch rühren und ausbreiten könntet — wenn Ihr
+dort wäret, ein geschickter Arbeiter wie Ihr! in fünf Jahren
+hättet Ihr zwanzig Gesellen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Meister Leupold nickte langsam mit dem Kopf, und sah
+ein paar Secunden still vor sich nieder, als ob das Bild mit
+der großen Werkstätte und dem regen Treiben sich vor seinem
+inneren Geist eben auszubreiten beginne, dann aber sagte er,
+jetzt herzhaft aufseufzend — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und es geht doch nicht, Herr Weigel — ich habe die
+alte Mutter zu Hause, die ich unmöglich hier allein zurück
+lassen könnte — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hierlassen? das fehlte auch noch,« rief der Agent — »die
+nehmt Ihr mit, Mann — könnt Ihr der denn eine größere
+Freude machen, als wenn sie noch vor ihrem Ende sähe wie
+wohl es Euch geht auf der Welt, und wie sich Euer Zustand
+mit jeder Woche, mit jedem Tage fast bessert? — Muß sie hier
+<span class="tei tei-pb" id="page130">[pg 130]</span><a name="Pg130" id="Pg130" class="tei tei-anchor"></a>nicht in Sorge und Kummer leben daß Ihr einmal krank
+werdet und Nichts verdienen könnt, und wie sieht's dann aus?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn ich aber nun dort drüben krank werde?« sagte
+der Meister leise.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn das nur nicht gleich die ersten Monate geschieht
+und für ein Unglück kann Niemand« — warf dagegen Herr
+Weigel ein, »so könnt Ihr Euch auch schon so viel gespart
+haben, das eine Weile mit ruhig anzusehn; und wenn Ihr
+nicht krank werdet, seid Ihr in ein paar Jahren ein wohlhabender
+Mann.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es ist eine verwünschte Geschichte mit dem Amerika,«
+seufzte der Mann wieder, sich hinter dem Ohr kratzend — »man
+hört so viel davon, und sieht eine solche Masse Menschen
+hinüberziehen, die alle voller Hoffnung sind daß es ihnen
+gut geht — und möchte am Ende ebenfalls gern mit — wenn
+man nur erst so einmal hinübergucken könnte wie es
+eigentlich aussieht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dazu ist es ein Bischen zu weit,« meinte Herr Weigel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja nun eben,« sagte der Tischler — »und so auf's gerathewohl — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das könnt Ihr aber nicht auf's gerathewohl nennen,
+wo wir alle Tage Briefe von drüben herüber bekommen, von
+denen einer immer besser lautet als der andere. Da — hier
+liegt gleich einer, der letzte den ich bekommen habe, wo ein
+Deutscher, den ich selber hinüberbefördert, und dem es jetzt ausgezeichnet
+gut geht, an mich schreibt, und ein oder zwei gute
+gelernte Schaafknechte haben will; lesen Sie einmal den Brief.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page131">[pg 131]</span><a name="Pg131" id="Pg131" class="tei tei-anchor"></a>Leupold legte seine Mütze wieder hin, nahm den Brief
+und las ihn aufmerksam durch; er nickte dabei mehrmals mit
+dem Kopf, und sah dann wieder zu dem Agenten auf, der ihn
+indessen mit einem triumphirenden Lächeln betrachtet hatte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun?« frug der Letztere, als Jener das Schreiben beendet
+und wieder zusammenfaltete — »wie klingt das?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Sehr</span></em> gut« sagte Leupold leise, »aber — es hilft mir
+doch Nichts. Wenn ich jetzt mein kleines Häuschen, das ich
+mir mit Mühe und Noth zusammengespart und aufgebaut,
+auch verkaufen wollte; fände ich erstlich keinen Käufer, und
+dann bekäm ich auch das nicht dafür wieder, was es mich
+selber gekostet; wie gesagt, der Sperling in der Hand ist doch
+wohl besser wie die Taube auf dem Dache.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bah, Taube,« sagte Herr Weigel mürrisch — »wenn
+die Taube auf dem Dach eben so fest und sicher sitzen bleibt
+bis man sie holen kann, wie Amerika ruhig liegt, und auf die
+wartet die hinüber kommen, so ist sie mir lieber wie ein erbärmlicher
+Sperling, zum Sterben zu viel, und zum Leben zu
+wenig; aber — überlegt's Euch — ah da kommt der Briefträger — 'was
+für mich?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun guten Morgen Herr Weigel,« sagte der Tischler
+und wollte sich eben entfernen, während der Briefträger dem
+Agenten mehrere für ihn gekommene Briefe überreichte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Siebzehn Silbergroschen drei Pfennige« sagte er dabei.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Siebzehn</span></em> Silbergroschen?« rief Herr Weigel verwundert — »aha
+da ist ein Amerikaner dabei — halt, wartet noch
+einmal einen Augenblick Leupold« — da ist vielleicht gleich
+<span class="tei tei-pb" id="page132">[pg 132]</span><a name="Pg132" id="Pg132" class="tei tei-anchor"></a>noch was für uns, und was ganz Neues — wollen gleich einmal
+sehn was die Leute schreiben. Wahrscheinlich wieder von
+Jemand den ich hinüber befördert habe, und der sich jetzt bedankt — das
+kostet aber viel Geld — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Apropos Neues,« sagte Leupold, während der Agent den
+Briefträger bezahlt hatte und seine Papierscheere vom Tisch
+nahm, den Amerikanischen Brief aufzuschneiden — »haben
+Sie schon gehört daß gestern Nachmittag bei Herrn Dollinger
+eingebrochen und für sieben tausend Thaler Gold und Juwelen
+gestohlen sind?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Alle Wetter,« rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt
+ausgehaltenen Scheere in der Hand — »gestern Nachmittag?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Am hellen Tage,« bestätigte Leupold.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und weiß man nicht wer der Thäter ist?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie haben den einen Comptoirdiener in Verdacht und
+auch schon eingezogen,« sagte der Tischler.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gewiß den Loßenwerder,« rief Weigel.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich glaube so heißt er — er ist ein wenig verwachsen — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und schielt — derselbe, ich habe den Burschen von jeher
+nicht leiden können; hat mir auch schon ein paar Mal Kunden
+abspenstig gemacht, aus reinem Brodneid; ich wüßte wenigstens
+sonst nicht weshalb, und habe ihn dabei stark in Verdacht,
+daß er selber damit umgeht eine Agentur für Auswanderer
+zu errichten. Da könnte Jeder hergelaufen kommen,
+ohne Briefe, ohne Connexionen und ohne Kenntniß vom Land
+ — schickte nachher die Leute in's Blaue hinein, daß sie dort
+säßen und nicht wüßten wo aus noch ein. Na nun, wird ihm
+<span class="tei tei-pb" id="page133">[pg 133]</span><a name="Pg133" id="Pg133" class="tei tei-anchor"></a>das Handwerk wohl gelegt werden; ich gönne nicht gern einem
+Menschen etwas Uebles, aber bei dem freut mich's daß sie's
+wenigstens herausbekommen haben, und er seine Schurkerei
+nicht mehr heimlich forttreiben darf. Ist denn das Geld schon
+wieder gefunden?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So viel ich weiß nicht, einige hundert Thaler ausgenommen,
+von denen aber der Mann betheuert daß er sie sich
+gespart hätte; es ist übrigens Manches dabei zusammengekommen
+was ihn verdächtig macht; das Nähere weiß ich freilich
+nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, hm, hm,« sagte Herr Weigel, kopfschüttelnd den
+Brief, den er noch immer in der Hand hielt, anschneidend — »böse
+Geschichten — böse Geschichten, was man nicht Alles
+hört auf der Welt. — Nun wollen wir also einmal sehen
+was der Herr da aus Amerika schreibt — hm — Washington
+County, Tennessee den siebenten Januar 18 — alle Wetter der
+Brief ist lange unterwegs gewesen — Herrn F. G. Weigel in
+Heilingen, Hauptagent der Central-Auswanderungs- und Colonisations-Gesellschaft
+in Deutschland — ahem — Sie
+nichtsw — hm — Sie haben — hm — vor allen Dingen — hm
+ — hm — hm — hm« — Herrn Weigels Gesicht verlängerte
+sich immer mehr, je weiter er in seiner, wie es schien
+nicht eben angenehmen Lectüre vorrückte, aber er brach mit dem
+Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise
+höchst derber Art war, schon gleich nach den ersten Sylben
+ab, und murmelte, das Ganze nur flüchtig überfliegend, blos
+<span class="tei tei-pb" id="page134">[pg 134]</span><a name="Pg134" id="Pg134" class="tei tei-anchor"></a>einzelne unzusammenhängende Worte, aus denen Leupold
+Nichts herausfinden konnte, vor sich hin.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun, was schreiben sie?« sagte dieser endlich lächelnd;
+er wäre schon lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurückgehalten
+hätte — »gute Neuigkeiten?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bah!« sagte Herr Weigel, den Brief zurück auf seinen
+Schreibtisch werfend — »Jemand der seine Geschwister will
+hinübergeschickt haben und mich ersucht das Geld für ihn auszulegen.
+Da müßt' ich schöne Capitale herumstehn haben,
+wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie nachschicken.
+Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann
+suchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ne, das ist ein Bischen viel verlangt,« sagte der Meister,
+wieder nach der Klinke greifend — und dießmal hielt ihn
+Herr Weigel nicht zurück — »aber nun leben Sie auch recht
+wohl, und verlaßen Sie sich darauf ich besorge Ihnen das
+heute noch.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sein Sie so gut,« sagte der Agent — er war auf einmal
+ganz einsylbig geworden, und Meister Leupold verließ mit nochmaligem
+Gruß das Zimmer, in dem jetzt Herr Weigel mit in die
+Tasche geschobenen Händen, aber keineswegs mehr so guter
+Laune als vorher, raschen, heftigen Schrittes auf und ab ging.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und vierzehn Groschen bezahlt für den Wisch — es ist
+eine Frechheit wahrhaftig, die in's Bodenlose geht. Lumpengesindel!
+glaubt die gebratenen Tauben sollen ihm da in's
+Maul fliegen, so bald sie's nur aufsperren.« Und wieder riß
+er den Brief vom Pult, rückte sich die Brille zurecht, und las
+<span class="tei tei-pb" id="page135">[pg 135]</span><a name="Pg135" id="Pg135" class="tei tei-anchor"></a>mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal,
+und zwar aufmerksamer durch als vorher.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie nichtswürdiger Hallunke« — wenn ich Dich nur
+hier hätte mein Bursche, dafür solltest Du mir brummen — »schändlich
+betrogen und angeführt« — wozu hat Dir denn
+der liebe Gott die großen Glotzaugen gegeben, wenn Du sie
+nicht aufsperren willst — »Land eine Wüste« — na versteht
+sich, ein Gewächshaus hab' ich ihm nicht verkauft — »Hälfte
+gar nicht zu bekommen« — Holzkopf — »kein Mensch wollte
+die Billete nehmen« — bah, geschieht Dir recht — »Wohngebäude
+zu schlecht für einen Hund« — für Dich noch immer
+viel zu gut, mein Schatz — »wenn Sie nur einmal herüber
+kämen, Sie miserabeler« — bah« — unterbrach sich Herr Weigel
+in dieser nichts weniger als schmeichelhaften Lectüre, indem er
+den Brief in zwei Hälften riß, und sich dann ein Streichhölzchen
+mit einem Gewaltstrich an der Thür entzündete »so viel
+für den Wisch!« und das Papier anbrennend, warf er das auflodernde
+in den Ofen, und schloß die Klappe so heftig er konnte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Allerdings wollte er sich nun über den Brief hinwegsetzen,
+aber geärgert hatte er sich doch, und Rock und Stiefeln anziehend
+drückte er sich seinen Hut in die Stirn, griff seinen
+Stock aus der Ecke, und verließ sein Bureau, das er sorgfältig
+hinter sich abschloß, und eine kleine Pappe mitten an die Thür
+hing, auf der die Worte standen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Kommt um elf Uhr wieder.«</p>
+</div>
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em"><span class="tei tei-pb" id="page136">[pg 136]</span><a name="Pg136" id="Pg136" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc16" id="toc16"></a>
+<a name="pdf17" id="pdf17"></a>
+<a name="pdb18" id="pdb18"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 6.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Die Weberfamilie.</span></h1>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Nicht weit von Heilingen, und in Hörweite der Domglocke
+selbst, in ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem
+Land, lag ein kleines armes Dorf, dessen Bewohner, da ihre
+Felder gerade nicht zu den besten gehörten, sich kümmerlich,
+aber meist ehrlich, mit verschiedenen Handwerken und Gewerben,
+mit Holzschnitzen wie auch hie und da mit dem Webstuhl,
+ernährten. Das Dorf hieß eigentlich »Zur Stelle«, welchen
+Namen aber die Bewohner im Laufe der Zeit, und mit Hülfe
+ihres Dialekts, zu dem von <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Zurschtel</span></em> umgearbeitet hatten,
+und mochte etwa dreißig Häuser und Hütten, mit der doppelten
+Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von Kindern zählen.
+Es ist eine wunderliche Thatsache, daß man in den ärmlichsten
+Distrikten stets die meisten Kinder findet.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Mitten im Dorf lag eins der besseren Häuser; es war
+weiß getüncht, und hinter den sauber gehaltenen Fenstern
+<span class="tei tei-pb" id="page137">[pg 137]</span><a name="Pg137" id="Pg137" class="tei tei-anchor"></a>hingen weiße, reinliche Gardinen. Vor dem Hause, über
+dessen Thüre ein frommer Spruch mit rothen und grünen
+Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Röhrtrog,
+und ein kleiner Koven an der Seite desselben, zeigte in
+der nach außen befestigten Klappe des Futterkastens dann und
+wann den schmuzigen Rüssel eines seine Kartoffelschalen kauenden
+Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket umgab
+das Haus wie den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach
+sehr zu ihrem Vortheil gegen manche der Nachbarhäuser ab.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber
+nichtsdestoweniger sehr ärmlich aus. In der einen Ecke stand
+ein großer, viereckiger, sauber gescheuerter Tisch aus Tannenholz,
+an zweien der Wände waren Bänke aus dem nämlichen
+Material befestigt, und um den großen viereckigen Kachelofen,
+der fast den achten Theil der Stube einnahm, hingen
+verschiedene Kochgeräthschaften, während auf darüber angebrachten
+Regalen die braunen Kaffeekannen und geblümten
+Tassen gewissermaßen mit als Zierrath zur Schau ausstanden.
+Die dritte Ecke füllte der Webstuhl des Mannes aus, und dem
+gegenüber stand eine riesengroße, braunangestrichene Kommode,
+mit Messinghenkeln und Griffen und fünf Schiebladen, die,
+mit wirklich rührender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt,
+zwei mit bunten Blumen bemalte Henkelgläser, eine
+vergoldete Tasse mit der Aufschrift »der guten Mutter« — ein
+Geschenk aus früherer Zeit — und ein gelb irdenes aber allerdings
+sehr wenig benutztes Dintenfaß trug, während dahinter,
+in zwei ordinairen Stangengläsern, in dem einen Schilfblü<span class="tei tei-pb" id="page138">[pg 138]</span><a name="Pg138" id="Pg138" class="tei tei-anchor"></a>thenbüschel,
+und in dem anderen große stattliche Aehren von
+Roggen, Waizen, Gerste und Hafer standen, zur Erinnerung
+an eine frühere segensreiche Erndte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Bewohner der kleinen Stube paßten genau in ihre
+Umgebung; es war eine, nicht mehr ganz junge aber doch
+rüstige Frau, in die nicht unschöne Bauertracht der dortigen
+Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad saß und eifrig das
+Rädchen schnurren ließ, während die rechte Hand manchmal
+eine neben ihr stehende Wiege berührte, den darin ruhenden
+kleinen Säugling, der immer wieder die großen dunklen Augen
+zu ihr aufschlug, endlich in Schlaf zu bringen. Sie war reinlich,
+aber in die gröbsten Stoffe gekleidet, ebenso der Bube
+von etwa vier Jahren, der ihr zu Füßen mit einer kleinen
+Mulde auf dem über die Diele gestreuten Sand »Schiff«
+spielte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Außerdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die
+alte Mutter der Frau, eine Greisin von nahe an siebzig Jahren,
+die auch noch ihr Spinnrad drehte, sich aber mit dem
+hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil ihr das heutige
+naßkalte, unfreundliche Wetter fröstelnd durch die alten
+Glieder zog. Es war eine gutmüthige, aber mürrische alte
+Frau, selten zufrieden mit dem was sich ihr gerade bot, und
+unermüdlich darin, sich und ihren Kindern die Last vorzuwerfen
+die sie ihnen mache, und den lieben Gott täglich zu bitten
+daß er sie doch bald zu sich nähme. Nur eine kleine, ganz
+kurze Frist erbat sie sich immer noch — dann wollte sie gerne
+sterben. Erst; wie das Aelteste geboren war, wollte sie das
+<span class="tei tei-pb" id="page139">[pg 139]</span><a name="Pg139" id="Pg139" class="tei tei-anchor"></a>noch gerne laufen sehn; dann hätte sie gern erlebt wie es zum
+ersten Mal in die Schule ging; dann war es Frühjahr geworden
+und sie hoffte nur noch einmal neue Kartoffeln zu
+essen, zu Jacobi aber wollte sie noch einmal von dem Pflaumenbaum
+die Früchte kosten, den ihr »Seliger« noch gepflanzt.
+Wie der Herbst kam wünschte sie im Frühjahr begraben zu
+werden, und die knospenden Maiblumen weckten den Wunsch
+nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von denen sie sich
+eigenhändig ein schmales Beet in den kleinen Garten dicht am
+Hause gepflanzt. So lebt und webt die Hoffnung in unseren
+Herzen mit immer neuer, nie sterbender Kraft, und je älter
+wir werden, desto mehr lernen wir die schöne Erde lieb gewinnen,
+desto mehr klammern wir uns an sie, und wollen
+uns gar nicht mehr von ihr trennen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Tag neigte sich dem Abend zu; der Mann war in
+die Stadt gegangen seine Steuern zu zahlen, und Manches
+einzukaufen was sie nothwendig im Hause brauchten — zum
+Ersatz dafür hatte er das zweite Schwein, das sie bis dahin
+gehalten, hineingetrieben, und der Erlös sollte seine Ausgaben
+bestreiten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Regen wurde jetzt wieder heftiger, die großen schweren
+Tropfen schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde
+vollständig munter und fing an zu schreien. Die Mutter schob
+ihr Spinnrad zurück, nahm das Kleine aus der Wiege, und
+ging damit trällernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann
+indeß ruhig weiter, und suchte mit zitternder leiser Stimme ein
+<span class="tei tei-pb" id="page140">[pg 140]</span><a name="Pg140" id="Pg140" class="tei tei-anchor"></a>geistliches Lied zu singen, und mit dem Rad trat sie den Takt
+dazu. Sonst sprach keine ein Wort.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Endlich wurde die Hausthür geöffnet, Jemand kam von
+draußen herein, und strich sich die Füße auf den Steinen und
+der Strohdecke ab, und sie hörten gleich darauf wie der zurückkehrende
+Vater und Gatte seinen großen rothblauwollenen
+Schirm auf die Steine stieß, das Wasser so viel wie möglich
+davon abzuschütteln, und den Mantel auszog und über den
+großen Schleifstein hing der draußen im Flur stand, wie er
+das gewöhnlich that. Die Frau öffnete rasch die Thür den
+Mann zu begrüßen, der den Hut abnahm, sich die nassen
+Haare aus der Stirn strich, und das Kind küßte, das sie ihm
+entgegenhielt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Jesus ist das ein Wetter, Gottlieb,« sagte sie dabei, als
+sie ihm den Hut aus der Hand nahm und neben den Ofen an
+den Nagel hing, »komm nur herein, daß Du 'was Trockenes
+auf den Leib bekommst; wo hast Du denn den Jungen? — ist
+er nicht bei Dir?« setzte sie, fast ängstlich, hinzu.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Er ist draußen bei Lehmann's hineingegangen, denen
+wir ein paar Sachen aus der Stadt mitgebracht,« sagte der
+Mann — »wird wohl gleich kommen — wie geht's Frau? — wie
+geht's Mutter? — ha, das regnet einmal heute was vom
+Himmel herunter will; was nur d'raus werden soll wenn das
+Wetter so fort bleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir
+gehabt, und jetzt wieder Guß auf Guß — Guß auf Guß, als
+ob sie uns unsere paar Stücken Feld noch hinunter in die
+Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die Saat
+<span class="tei tei-pb" id="page141">[pg 141]</span><a name="Pg141" id="Pg141" class="tei tei-anchor"></a>schon halb fortgespült — wenn dasmal das Korn misräth,
+weiß ich nicht wo der arme Mann das Brod hernehmen soll.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Klag nicht, Gottlieb,« sagte aber die Frau freundlich — »es
+geht noch Vielen schlechter wie uns, und was sollen
+da die <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ganz</span></em> armen Leute sagen. Lieber Gott, es ist viel Noth
+in der Welt, und wer heut zu Tage eben sein Auskommen und
+ein Dach über dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht
+versündigen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den
+Topf aus der Röhre, in der, trotz der vorgerückten Jahreszeit,
+noch ein Feuer brannte, der alten, fröstelnden Mutter wegen,
+und goß den darin heiß gehaltenen Kaffee — sie nannten das
+braune Getränk von gebrannten gelben Rüben und Gerste wenigstens
+so — in die eine braune Kanne, damit sich der Mann,
+der den ganzen Tag draußen im Regen herumgezogen war,
+daran erquicken könne. Zugleich auch deckte sie ein weißes Tuch
+über den Tisch, auf den sie noch Butter und Brod stellte, die
+versäumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas nachzuholen.
+Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse
+Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goß, und schnitt
+sich ein großes Stück Brod ab, das er mit Butter bestrich und
+verzehrte. Er sprach kein Wort dabei, und beendete still seine
+Mahlzeit, schob dann die Tasse und den Butterteller zurück,
+nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die Erde gesetzt
+hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten Ellbogen
+auf den Tisch gestützt, den Kopf gegen die Wand gelehnt,
+regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach
+<span class="tei tei-pb" id="page142">[pg 142]</span><a name="Pg142" id="Pg142" class="tei tei-anchor"></a>dem Fenster hinüber, an das die Regentropfen immer noch,
+vom Wind draußen gepeitscht, hohl und heftig anschlugen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem
+Blick betrachtet; es war irgend etwas vorgefallen, aber sie
+wagte nicht zu fragen, denn Gottlieb, so seelensgut er auch
+sonst sein mochte, hatte doch auch seine »verdrießlichen Stunden«
+und war dann, wenn gestört, oft rauh und unfreundlich;
+aber eine eigene Angst überkam sie plötzlich. Ihr ältester Sohn — der
+Hans — war nicht mit zu Hause gekommen — konnte
+dem — heiliger Gott, wie ein Stich traf es sie in's Herz und
+sie sprang erschreckt von ihrem Stuhl auf und auf den
+Mann zu.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gottlieb — um aller Heiligen Willen wo ist der Hans? — es
+ist — es ist ihm doch nicht etwa ein Unglück geschehn?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der Hans?« sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt
+zu ihr auf, »was fällt Dir denn ein? was soll denn
+dem Hans zugestoßen sein? ich habe Dir ja gesagt daß er bei
+Lehmann's etwas abgegeben hat, und dort wahrscheinlich das
+Wetter abwarten wird.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich weiß nicht,« sagte die Frau, der dadurch allerdings
+eine Centnerlast von der Seele gewälzt wurde — »aber Du
+bist so sonderbar heut Abend, so still und ernst, und da schlugs
+mir wie ein Schreck in die Glieder, über den Hans. Ist etwas
+vorgefallen Gottlieb? — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Gottlieb schüttelte den Kopf langsam und sagte. — »Nicht
+daß ich wüßte — nichts Besonderes wenigstens,
+<span class="tei tei-pb" id="page143">[pg 143]</span><a name="Pg143" id="Pg143" class="tei tei-anchor"></a>oder nichts Anderes, als was jetzt alle Tage vorfällt — Geld
+zahlen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»War es denn so viel?« sagte die Frau leise und
+schüchtern.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor
+sich nieder; endlich erwiederte er seufzend:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das Schwein ist d'rauf gegangen, und vier Thaler
+Siebzehn Groschen sind immer noch mit Gerichtskosten und der
+alten Proceßgeschichte mit der Brückenplanke, mit der ich
+eigentlich gar Nichts mehr zu thun hatte, stehen geblieben, und
+ich muß sie bis zum ersten Juli nachzahlen, unter Androhung
+von Pfändung.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun lieber Gott,« sagte die Frau tröstend — »wenn
+das das Schlimmste ist, läßt sich's noch ertragen; da verkaufen
+wir eben das andere Schwein und behelfen uns so. Wie
+wenig Leute im Dorf haben überhaupt eins zu schlachten, und
+leben doch; warum sollen wir nicht eben so gut ohne eins
+leben können als die.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja,« sagte der Mann leise und still vor sich hin brütend — »verkaufen
+und immer nur verkaufen, ein Stück nach
+dem anderen, und während wo anders die Leute mit jedem
+Jahr ihr kleines Besitzthum vergrößern, und für ihre Kinder
+etwas zurücklegen können, sieht man es hier mehr und mehr
+zusammenschmelzen, unter Müh und Plack das ganze Jahr
+lang.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber kannst Du's ändern?« sagte die Frau leise und
+fuhr, wie der Mann schwieg und mit der Faust die Stirn
+<span class="tei tei-pb" id="page144">[pg 144]</span><a name="Pg144" id="Pg144" class="tei tei-anchor"></a>stützend vor sich nieder starrte, schüchtern fort — »arbeitest Du
+nicht von früh bis spät fleißig und unverdrossen? gönnst
+Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgend eine nöthige
+Beschäftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste
+vorzuwerfen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein,« sagte der Mann, während er die Hand auf den
+Tisch sinken ließ und die Frau voll und fest ansah — »nein,
+aber das ist es ja eben, was mir am Leben frißt. Wir können
+nicht mehr arbeiten, nicht mehr verdienen wie wir jetzt
+thun, und jetzt sind wir noch jung und kräftig, unsere Kinder
+noch klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr
+zurück, wird es mit jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie
+nun soll das werden, wenn uns erst einmal Krankheit heimsuchte,
+wenn die Kinder heranwachsen und mehr brauchen,
+wenn wir selber älter werden und nicht mehr so zugreifen
+können wie jetzt? — Schon jetzt können wir uns nicht mehr
+in der theueren Zeit oben halten — das eine Schwein ist verkauft,
+das andere wird noch fort müssen; unser Acker ist kleiner
+geworden in den letzten zehn Jahren, unsere Bedürfnisse
+aber sind gewachsen — wie soll das enden?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Gottlieb,« sagte die Frau freundlich — »wie
+kommen Dir jetzt doch nur solche Grillen? haben Dir die paar
+Thaler Steuern den Kopf verdreht? Mann, Mann, Du bist
+doch sonst so ruhig, und hast immer vertrauungsvoll in die
+Zukunft gesehn, wie sind Dir auf einmal solche schwarze Gedanken
+durch den Sinn gefahren?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die Beiden
+<span class="tei tei-pb" id="page145">[pg 145]</span><a name="Pg145" id="Pg145" class="tei tei-anchor"></a>mit einander gesprochen, ihr Spinnrad ruhen lassen, und dem
+Gespräch aufmerksam zugehört; dabei schüttelte sie fortwährend
+mit dem Kopf, und sagte endlich mit ihrer schrillen, scharf
+klingenden Stimme:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja wohl, ja wohl — das Geld wird rar und das Brod
+theuer, und mehr Mäuler kommen — mehr Mäuler sind da
+zum Verzehren, wie zum Verdienen. Schlagt mich todt;
+schlagt mich todt daß ich weg komme aus dem Weg und Euch
+Platz mache — schlagt mich todt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mutter,« bat die Frau, in Todesangst daß sie dem
+Manne mit solcher Rede wehe thun würde, denn <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">er</span></em> gerade
+hatte sie immer auf das Freundlichste behandelt, und Alles
+gethan was in seinen Kräften stand, ihr jede Erleichterung,
+die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen — »wie dürft Ihr nur
+so etwas reden; versündigt Ihr Euch denn nicht?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wir haben noch genug für uns Alle Mutter,« sagte
+aber der Mann freundlich, der ihre Launen kannte und der
+alten Frau nicht wehe thun mochte — »nur für spätere Zeit
+ist mir bange; Sie aber wären die Letzte die darunter leiden
+sollte. Wir werden Alle alt, und wenn wir unsere Schuldigkeit
+in unserer Jugend gethan, wie Sie, dann ist es nicht
+mehr wie Pflicht und Schuldigkeit der Jüngeren für ihre
+Eltern zu sorgen — wenn sie nicht auch einmal wieder von
+ihren Kindern wollen verlassen werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Alte war wieder still geworden, sah noch eine Zeit
+lang vor sich nieder, und begann dann auf's Neue ihre Arbeit,
+<span class="tei tei-pb" id="page146">[pg 146]</span><a name="Pg146" id="Pg146" class="tei tei-anchor"></a>aber die Frau fuhr fort und sagte, fast mit einem leisen Vorwurf
+im Ton zu ihrem Mann.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Siehst Du Gottlieb, das hast Du nun davon mit Deinen
+trüben und traurigen Ideen; Du machst Dir und mir und
+der Mutter nur das Herz schwer, und nützest und hilfst doch
+Nichts. Der liebe Herr Gott da oben wird's schon machen
+und lenken; Er hat die Welt so viele Jahrhunderte hindurch
+in ihrer Bahn gehalten, und die Menschen darauf geschirmt
+und gepflegt, wie unser Herr Pastor sagt, Er wird's auch
+schon weiter thun, und wir dürfen uns eigentlich gar nicht
+sorgen und kümmern um den »nächsten Tag.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Doch, doch Frau,« sagte aber der Mann, aufstehend
+und jetzt, die Hände in den Hosentaschen, in der Stube auf
+und ab gehend — »doch Frau, der Mann <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">muß</span></em>, denn wenn
+er's <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">nicht</span></em> thäte, wär er ein schlechter Hausvater, und ihm
+allein fielen dann all die schweren Folgen zur Last, die daraus
+entständen. Ich kann Dir das nicht so mit Worten deutlich
+machen, wie mir's neulich der Schulmeister, mit dem ich
+darüber sprach, erklärte, aber der meinte es wäre etwa so wie
+wenn Einer im Wasser wäre. Da sei es auch nicht genug daß
+man sich oben hielte an der Luft, und im Kreis herum schwämme
+eben nur nicht zu ertrinken, das thäte nicht einmal ein unvernünftiges
+Stück Vieh; nein des Menschen, des verständigen
+Menschen Pflicht sei es sich schon im Wasser nach dem festen
+Lande umzusehn, ob man das nirgends erreichen könne, denn
+zuletzt würde man da im Wasser, man möchte noch so tapfer
+schwimmen, doch müde, und ließen erst einmal die Kräfte
+<span class="tei tei-pb" id="page147">[pg 147]</span><a name="Pg147" id="Pg147" class="tei tei-anchor"></a>nach, dann hülfe auch zuletzt das Schwimmen Nichts mehr,
+und man sänke eben langsam zu Boden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich verstehe nicht recht was Du damit meinst,« sagte
+die Frau, »aber Du siehst mich so sonderbar dabei an — hast
+Du noch 'was anderes dahinter?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein und Ja,« sagte der Mann nach kleiner Pause,
+indem er sich mit dem Rücken an den Ofen lehnte, und langsam
+dazu mit dem Kopfe nickte, »eigentlich nicht, denn Gott da
+oben weiß daß es wahr ist, und weiß wie, und ob's einmal
+enden kann; aber dann — dann hab' ich allerdings noch was
+dahinter, denn ich meine — ich meine — « er schwieg und es
+war augenscheinlich, er hatte etwas auf dem Herzen, das er
+sich scheue so mit blanken klaren Worten heraus zu sagen, die
+Frau aber, die eben damit beschäftigt war das Geschirr hinaus
+zu räumen, setzte die Kanne wieder auf den Tisch, sah den
+Mann erstaunt an, ging dann langsam zu ihm an den Ofen
+und sagte leise, vor ihm stehen bleibend:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Geh her, Gottlieb — Du hast 'was, was Dich drückt
+und willst nicht mit der Sprache heraus — es ist irgend noch
+etwas vorgefallen in der Stadt, was Du nicht sagen magst.
+Du darfst doch nicht <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">sitzen</span></em>?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Sitzen</span></em>? — weshalb?« lächelte der Mann kopfschüttelnd — »ich
+habe nie etwas Böses gethan.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun was ist's denn, so sprich doch nur, denn Du ängstigst
+mich ja mehr mit Deinem Schweigen, als wenn Du mir
+das Schlimmste gleich vornheraus erzählst — dem Hans fehlt
+doch Nichts?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page148">[pg 148]</span><a name="Pg148" id="Pg148" class="tei tei-anchor"></a>»Was soll dem Hans fehlen, närrische Frau — wenn's
+aufhört zu gießen wird er schon kommen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und was ist's denn? — gelt, Du sagst mir's?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich muß Dir's wohl sagen;« seufzte der Mann, »nun
+sieh Hanne, ich meine — ich habe so darüber nachgedacht, daß
+es jetzt hier in Deutschland immer schlechter wird mit uns — und
+daß wir's zu Nichts mehr bringen können, trotz aller Arbeit,
+trotz allem Fleiß, und daß jetzt — daß jetzt doch so viele
+Menschen hinüber ziehen — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hinüber ziehen?« frug die Frau erstaunt, fast erschreckt,
+und legte die Hand fest auf's Herz, als ob sie die aufsteigende
+Angst und Ahnung über etwas Großes, Schreckliches da
+hinunter und zurückdrücken wolle, eh sie zu Tage käme — »wo
+hinüber Gottlieb?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika;« sagte der Mann leise — so leise daß
+sie das Wort wohl nicht einmal verstand, und nur an der
+Bewegung der Lippen es sah und errieth. Wie ein Schlag
+aber traf sie die Wirklichkeit ihres Verdachts, und ohne ein
+Wort zu erwiedern, ohne eine Sylbe weiter zu sagen, setzte sie
+sich auf den, dicht am Ofen stehenden Stuhl, deckte ihr Gesicht
+mit der Schürze zu und saß eine lange, lange Weile still und
+regungslos. Auch der Mann wagte nicht zu sprechen — er
+hatte den Gedanken wohl schon eine Zeit lang mit sich herumgetragen,
+aber sich immer davor gefürchtet ihm Worte zu geben,
+sogar gegen sich selbst, wie viel weniger denn gegen die
+Frau. Jetzt war es heraus, und er betrachtete nur scheu die
+Wirkung die er hervorgebracht.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page149">[pg 149]</span><a name="Pg149" id="Pg149" class="tei tei-anchor"></a>Auch die alte Mutter saß, mit der Hand auf dem Rad
+das sie im Drehen aufgehalten, und horchte nach den Beiden
+hinüber, was sie mitsammen hatten, und wie die so still waren
+und kein Wort mehr sprachen, mochte es ihr auch unheimlich
+vorkommen und sie sagte laut und mürrisch:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun Gottlieb was giebt's — was hast wieder Du mit
+der Hanne — was habt Ihr denn daß Ihr so still und heimlich
+thut — macht Einem nicht auch noch Angst unnützer Weise — was
+ist nun wieder los?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja Mutter,« sagte der Mann jetzt, der sich gewaltsam
+Muth faßte über das, was nun doch nicht länger mehr verschwiegen
+bleiben konnte und besprochen werden <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">mußte</span></em>, auch
+laut zu reden, daß er's vom Herzen herunter bekam — »es
+geht mit uns hier den Krebsgang, und ich habe eben zu Hannen
+gesagt daß uns zuletzt nichts anderes übrig bleiben würde
+als — als es eben auch wie andere zu machen, und — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und? — und was zu machen?« frug die alte Frau
+gespannt — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Als <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">auszuwandern</span></em>,« sagte der Mann mit einem
+plötzlichen Ruck und seufzte dann tief auf, als ob er selber froh
+wäre es los zu sein.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Herr Du meine Güte!« rief die alte Frau, ließ die
+Hände erschreckt in den Schooß sinken und lehnte sich in ihren
+Stuhl zurück, während ihr alle Glieder am Leibe flogen — »Herr
+Du meine Güte!« wiederholte sie noch einmal, und die
+Finger falteten sich unwillkürlich zusammen, so hatte sie der
+Schreck getroffen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page150">[pg 150]</span><a name="Pg150" id="Pg150" class="tei tei-anchor"></a>»Auswandern,« sagte aber auch jetzt Gottliebs Frau mit
+tonloser Stimme, und ließ die Schürze vom Gesicht herunterfallen — »auswandern,
+das ist ein schweres — schweres
+Wort Gottlieb — hast Du Dir das auch recht — recht
+reiflich überlegt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Tag und Nacht die ganze letzte Woche hindurch,« rief
+aber der Mann, der jetzt, da das Eis einmal gebrochen war,
+wieder Leben und Wärme gewann. »Wie ein Mühlstein hat's
+mir auf der Seele gelegen, und ich habe lange und tapfer dagegen
+angekämpft, aber es wäre das Beste für uns, was wir
+auf der weiten Gotteswelt thun könnten; und wenn auch nicht
+einmal für uns, wenn wir selber auch schwere und bittere
+Zeiten durchzumachen hätten, doch für die Kinder, die einmal
+den Segen erndten, den wir mit unserem Schweiß, unseren
+Thränen gesäet.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Auswandern? ja,« sagte aber jetzt die Großmutter, mit
+dem Kopfe nickend und schüttelnd, als ob sie den schrecklichen
+Gedanken wieder von sich abwerfen wollte — »ja wohin es
+euch lüstet, aber erst wenn ich todt bin. Die paar Tage
+müßt Ihr noch hier bleiben die ich noch zu leben habe, oder
+sonst schlagt mich todt, werft mich in's Wasser, oder schlagt
+mich mit dem Beil auf den Kopf daß ich fortkomme, und hier
+auf dem Kirchhof unter der alten Linde liegen kann, wo der
+Leberecht liegt. In der Welt könnt Ihr mich doch nicht mehr
+umherschleppen, und nutz bin ich auch Nichts mehr, wie das
+mit zu verzehren was andere verdienen. Wenn Ihr jetzt fort
+wollt schlagt mich vorher todt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page151">[pg 151]</span><a name="Pg151" id="Pg151" class="tei tei-anchor"></a>»Ach Mutter wenn Sie nur nicht gar so häßlich reden
+wollten,« sagte die Frau traurig, während der Mann wieder
+zum Tisch ging, sich dort auf den Stuhl setzte, und den Kopf
+in die Hand stützte — »Sie sind noch wohl und rüstig und
+werden, will's Gott, noch manches Jahr leben und sich
+Ihrer Kinder freuen. Wo die dann hin ziehen und sich ihr
+Brod suchen müssen, da gehören Sie auch hin, und was
+die verdienen, das haben Sie auch verdient mit Mühe
+und Noth und banger Sorge schon vor langen Jahren,
+wie wir noch klein und unbehülflich waren, wie unsere
+Kinder jetzt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wozu mich mitnehmen,« sagte aber die Frau, störrisch
+dabei mit dem Oberkörper herüber und hinüber schwankend,
+»unterwegs müßtet Ihr mich doch aus dem großen Schiff
+hinaus in's Wasser werfen, die Fische zu füttern. Bleibe im
+Lande und nähre Dich redlich, das ist <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">mein</span></em> Spruch und
+meines Leberecht Spruch von alter Zeit her gewesen, und wir
+haben uns wohl dabei befunden, aber das junge Volk jetzt
+will immer alles anders haben, will oben zur Decke 'naus und
+fliegen und schwimmen, anstatt hübsch auf der Erde und im
+alten Gleis zu bleiben. Warum ist's denn früher gegangen? — nein
+Gott bewahre, jetzt soll Alles mit Eisenbahnen und
+Dampf gehen und keine Geduld, keine Ausdauer mehr; nur
+fort, immer gleich fort, in die Welt hinein und mit dem Kopf
+gegen die Wand — schlagt mich todt, dann seid Ihr mich los
+und könnt hingehn wohin Ihr wollt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Und die alte Mutter stand auf, rückte ihr Spinnrad bei<span class="tei tei-pb" id="page152">[pg 152]</span><a name="Pg152" id="Pg152" class="tei tei-anchor"></a>
+Seite, und humpelte, noch immer vor sich hin murmelnd und
+grollend, aus der Stube hinaus.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie meint es nicht so bös, Gottlieb,« sagte die Frau
+zu dem Mann tretend und ihre Hand auf seine Schulter
+legend, »es ist eine alte Frau die an ihrer Heimath mit ganzem
+Herzen hängt und sich vor der Reise fürchtet.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und Du nicht, Hanne?« rief der Mann sich rasch nach
+ihr umdrehend, und ihre Hand ergreifend — »Du nicht? Du
+würdest Dich dazu entschließen können unsere Heimath hier,
+unser Häuschen, unser Feld zu verlassen, und mit mir und
+den Kindern über das weite Meer zu fahren, in eine fremde
+Welt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Frau schwieg und ihre Hand zitterte in der des
+Mannes — endlich sagte sie leise —
+»So weit fort? — und muß es denn sein, ist es denn
+gar nicht möglich mehr, daß wir hier gut und ehrlich durchkommen
+durch die Welt, wenn wir uns auch ein Bischen
+knapper einrichten wie bisher? Ach Gottlieb, es ist gar hart
+so von zu Hause fortzugehn, die Thür zuzuschließen und zu
+denken daß man nun nie und nimmer wieder dahin zurückkommt — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Mann nickte traurig mit dem Kopf und sagte
+endlich:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Du hast recht Hanne; es ist ein schwerer, recht schwerer
+Schritt, und man sollte ihn sich wohl vorher überlegen ehe
+man ihn thut, denn zurück kann man nicht wieder, wenn man
+nicht wenigstens Alles opfern will, was Einem bis dahin
+<span class="tei tei-pb" id="page153">[pg 153]</span><a name="Pg153" id="Pg153" class="tei tei-anchor"></a>noch zu eigen gehört hat. Thun wir aber recht nur allein
+an uns zu denken? — Sieh, wir schleppen uns vielleicht
+noch wenn auch kümmerlich, doch ehrlich, durch, bis wir einmal
+sterben, und wenn es auch hart ist, daß es Einem nachher
+im Alter schlechter gehn soll wie in der Jugend, brauchten
+wir doch gerade keine Furcht zu haben daß wir verhungerten;
+aber die Kinder — die Kinder — was wird aus denen? Unser
+kleines Grundstück ist die Jahre über kleiner und kleiner
+geworden; mit dem Geschäft geht's auch kümmerlicher wie
+bisher — neue, geschicktere Arbeiter, junge Burschen die noch
+keine Familie haben und weniger brauchen, sitzen in den Dörfern
+herum, und die Fabriken und Maschinen geben uns ohnedies
+den Todesstoß. Stahl und Holz braucht Nichts zu essen
+und arbeitet unermüdet Tag und Nacht durch, und die Räder
+und Walzen und Hämmer klopfen und drehen und schwingen
+ununterbrochen fort gegen den Schweiß des armen Arbeiters
+der darüber zu Grunde geht. Ich murre auch nicht darüber,
+es muß wohl schon so recht sein, denn Gott hat's den Menschen
+selber gelehrt und die Welt muß vorwärts gehn — wir
+älteren Leute können uns aber eben nicht mehr darein schicken,
+können nichts Anderes mehr ergreifen, und wieder von vorne
+anfangen, wenigstens hier im Lande nicht wo Einem die
+Hände nach allen Seiten hin gebunden sind, und darum ist
+mir der Gedanke gekommen auszuwandern. Da drüben
+über dem Weltmeere hat der liebe Herr Gott noch einen großen
+gewaltigen Fleck Erde liegen, für uns arme Leute bestimmt,
+den Maschinen und Räderwerken zu entgehn; dort haben wir<span class="tei tei-pb" id="page154">[pg 154]</span><a name="Pg154" id="Pg154" class="tei tei-anchor"></a>
+Platz uns zu bewegen, und wer nur da ordentlich arbeiten
+will hat nicht allein zu leben, sondern kann auch vielleicht für
+sich und die Kinder was vorwärts bringen und braucht sich
+nicht mehr vor der Zukunft zu fürchten und vor Hunger und
+Noth. Wenn wir nicht auswandern, was bleibt unsern
+Kindern da einmal anders übrig, als in Dienst zu gehn und
+sich bei fremden Leuten doch herumzuschlagen ihr Lebelang.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und die Mutter?« sagte die Frau, sich ängstlich nach
+der Thüre umsehend — »was würde aus der alten Frau auf
+dem Meere?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Was aus so vielen alten Frauen da wird, liebes Herz,«
+sagte aber der Mann, augenscheinlich mit froherem, freudigeren
+Herzen, als er bei dem eigenen Weib nicht den Widerstand
+fand, den er vielleicht gefürchtet — »sie gewöhnen sich an das
+neue Leben, sobald sie das alte nicht mehr um sich sehen, und
+die Seeluft soll kräftigen und stärken.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber sie wird nicht mit uns wollen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie wird ihre Kinder nicht verlassen,« tröstete sie der
+Mann, »und ohne sie dürften wir ja auch gar nicht fort.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Frau reichte ihm schweigend die Hand, die er herzlich
+drückte, und wandte sich dann, und wollte eben das Zimmer
+verlassen, als draußen Jemand die Thür aufriß und in
+das Haus trat. Das Unwetter hatte jetzt seinen höchsten
+Grad erreicht, und der Regen schlug in ordentlichen Güssen
+gegen die Fenster an, während der Wind die Wipfel der
+Bäume herüber und hinüber schüttelte und die Blüthen von
+den Zweigen riß mit rauher Hand.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="text-align: center; margin-bottom: 1.00em">
+</p><div class="tei tei-figure" style="text-align: center"><img src="images/illu004.jpg" width="511" height="663" alt="Capitel 6" /></div>
+
+<span class="tei tei-pb" id="page155">[pg 155]</span><a name="Pg155" id="Pg155" class="tei tei-anchor"></a>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Schönen Gruß mit einander,« sagte dabei eine rauhe
+Stimme, während die Stubenthür halb geöffnet wurde — »darf
+man hinein kommen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gott grüß Euch,« sagte die Frau — »kommt nur herein,
+bei dem Wetter ist's bös draußen sein — es tobt ja, als ob
+der letzte Tag hereinbrechen sollte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Fremde hing seinen Hut und Mantel draußen ab und
+trat mit nochmaligem Gruß in die Stube.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gott grüß Euch,« sagte auch Gottlieb — »da, nehmt
+Euch einen Stuhl und setzt Euch zum Ofen; es ist heut unfreundlich
+draußen, und man kann ein Bischen Feuer brauchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sauwetter verdammtes,« fluchte der Mann, als er der
+Einladung Folge geleitet und sich die nassen Haare aus der
+Stirne strich — »ich wollte erst sehen daß ich die Schenke erreichte;
+hier um die Ecke herum kam der Wind aber so gepfiffen
+daß er mich bald von den Füßen hob, und es war gerade
+als ob sie Einem von da oben einen Eimer voll Wasser nach
+dem andern entgegen gossen. Schönes Wetter für Enten, aber
+für keine Menschen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es war eine rauhe, kräftige Gestalt, der Mann, mit
+krausem dicken schwarzen Bart und ein paar tiefliegenden unstäten
+Augen, in einen groben braunen Tuchrock gekleidet, wie
+ihn die Fleischer nicht selten auf dem Lande tragen. Die ebenfalls
+braunen Hosen hatte er dabei heraufgekrempelt, bis fast
+unter das Knie, mit seinen derben Wasserstiefeln besser durch
+alle Pfützen und Schlammwege hindurch zu können; die aus
+ungeborenem Kalbfell gemachte Weste war ihm bis an den<span class="tei tei-pb" id="page156">[pg 156]</span><a name="Pg156" id="Pg156" class="tei tei-anchor"></a>
+Hals hinauf zugeknöpft, und eine lange silberne Kette, an der
+die in der Westentasche steckende Uhr befindlich war, hing ihm
+darüber hin.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ihr seid wohl weit von hier zu Haus?« frug Gottlieb
+nach einer längeren Pause, in der er den Mann und dessen
+Aeußeres flüchtig nur betrachtet hatte — »hab' Euch wenigstens
+noch nicht hier bei uns gesehen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Zehn Stunden etwa,« sagte der Fremde, seine Pfeife
+jetzt aus der Brusttasche seines Rockes nehmend und mit Stahl
+und Schwamm, den er bei sich führte, entzündend — »wie
+weit ist's noch bis Heilingen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Eine tüchtige Stunde — wenn der Weg jetzt nicht so schrecklich
+wäre, könnte man's recht bequem in kürzerer Zeit gehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm — ist noch verdammt weit, puh wie das draußen
+stürmt; und die Pflaumenblüthen pflückt's beim Armvoll herunter — Pflaumenmuß
+wird theuer werden nächsten Herbst.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das weiß Gott,« sagte Gottlieb — »es wird Alles
+theuer, immer mehr jedes Jahr, langsam aber Sicher.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bah, es geschieht denen recht die hier bleiben, wenn sie
+nicht hier bleiben müssen; 's giebt Plätze die besser sind.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wollt Ihr auch auswandern?« sagte Gottlieb rasch.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Auswandern? — nach Amerika? — hm — ich weiß
+noch nicht,« brummte der Fremde, sich den Bart streichend —
+»es wäre aber möglich daß sie Einen noch dazu trieben. Sind
+das Euere Kinder?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja. — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Habt Ihr noch mehr?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page157">[pg 157]</span><a name="Pg157" id="Pg157" class="tei tei-anchor"></a>»Noch einen Jungen von elf und ein halb Jahr.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und Ihr seid ein Weber?« sagte der Fremde mit einem
+Blick auf den Webstuhl — »auch schwere Zeiten für derlei Arbeit,
+mit einer Familie durchzukommen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja wohl, schwere Zeiten,« seufzte Gottlieb, als in diesem
+Augenblick die Thür draußen wieder aufging und die
+Mutter laut ausrief: — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der Hans, lieber Himmel kommt der in dem Wetter.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es war Hans, der älteste Sohn des Webers, durch und
+durch naß, aber mit frischem gesunden Gesicht und rothen
+Backen, auf denen das Regenwasser in großen Perlen stand.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Guten Tag mit einander,« sagte er, als er in's Zimmer
+trat und die triefende Mütze vom Kopf riß — »guten
+Tag Mutter.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Guten Tag Hans, aber wo um Gottes Willen kommst
+Du in dem Regen her; warum hast Du das Wetter nicht bei
+Lehmann's abgewartet?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es wurde mir zu spät Mutter und ich war hungrig
+geworden; habe auch noch heute Abend dem Vater etwas zu
+helfen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ein derber Junge,« sagte der Fremde, der sich den
+Knaben indeß mit finsterem Blick betrachtet hatte — »kann
+wohl schon ordentlich mit arbeiten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach ja, er packt tüchtig mit zu,« sagte der Vater — »lieber
+Gott in jetziger Zeit muß Alles mit Brod verdienen
+helfen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Die Kinder fressen Einen arm,« sagte der Fremde.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page158">[pg 158]</span><a name="Pg158" id="Pg158" class="tei tei-anchor"></a>»Habt Ihr Kinder?« frug Gottlieb.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich? — hm, ja,« sagte der Fremde nach einer Pause — »könnte
+noch Jemandem abgeben davon.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich möchte keins hergeben,« sagte die Frau rasch, und
+küßte das Jüngste, das sie eben wieder aufgenommen hatte
+um es zu füttern, »Kinder sind ein Segen Gottes.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja — so sprechen die Leute wenigstens,« sagte der
+Fremde trocken, »aber ich glaube es läßt nach mit Regnen; ich
+werde die Schenke wohl jetzt erreichen können.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wollt Ihr nicht vielleicht erst eine heiße Tasse Kaffee
+trinken?« frug die Frau, das Kind auf dem linken Arm, zum
+Ofen gehend, die dort warmgestellte Kanne wieder vorzuholen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Danke, danke,« sagte aber der Fremde abwehrend — »kann
+das warme Zeug nicht vertragen; ein Glas Branntwein
+ist mir lieber.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das thut mir leid,« sagte der Mann, »den kann ich
+Euch nicht anbieten; ich habe keinen im Hause.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Thut auch Nichts,« lachte der Fremde; »so lange halt
+ich's schon noch aus. Sind doch hülflose Dinger so junge Menschen,
+ehe sie die Kinderschuh ausgetreten haben,« setzte er
+dann hinzu, als das Jüngste das Mäulchen nach dem schon
+einmal gereichten Löffel vorstreckte — »was machte nun so ein
+jung Ding, wenn man es hinsetzte und sich selber überließe.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach Du lieber Gott,« sagte die Frau bedauernd — »so
+ein armer Wurm müßte ja elendiglich umkommen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bis den Nachbarn das Geschrei zu arg würde und sie
+kämen und es fütterten,« lachte der Andere.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page159">[pg 159]</span><a name="Pg159" id="Pg159" class="tei tei-anchor"></a>»Dafür haben die Kinder Eltern,« sagte die Frau, das
+kleine, die Aermchen zu ihr ausstreckende Mädchen liebkosend
+und küssend, »die sorgen schon dafür daß kein Nachbar danach
+zu sehen braucht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn die aber einmal plötzlich stürben, wie dann?«
+frug der Fremde, mit einem Seitenblick auf die Frau, indem
+er seinen Rock wieder zuknöpfte und sich zum Gehen rüstete.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dann ist Gott im Himmel,« sagte Hanne, mit einem
+frommen vertrauungsvollen Blick nach oben.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, das ist wahr;« sagte der Fremde mit einem leichtfertigen
+Lächeln, »der hat allerdings die große Kinderbewahranstalt.
+Aber es hat wirklich aufgehört mit Gießen,« unterbrach
+er sich rasch, »den Augenblick will ich doch lieber benutzen.
+So schön Dank für gegebenes Quartier Ihr Leute,
+und gut Glück.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bitte, Ihr habt für Nichts zu danken, behüt' Euch
+Gott,« sagte Gottlieb freundlich.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Behüt' Euch Gott;« sagte auch die Frau, und der Mann,
+ihnen noch einmal zunickend, nahm draußen wieder den nassen
+Mantel um, drückte sich den breiträndigen Hut in die Stirn,
+griff einen derben Knotenstock, der daneben in der Ecke lehnte,
+auf, und verließ rasch das Haus, die Richtung nach der
+Schenke einschlagend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mich freut's daß er fort ist,« sagte die Frau, die dem
+Knaben gerade das Essen auf den Tisch setzte und den Kaffee
+einschenkte — »bewahr uns Gott, was hatte der Mann für
+ein finstres Gesicht und ein barsches Wesen; nicht schlafen
+<span class="tei tei-pb" id="page160">[pg 160]</span><a name="Pg160" id="Pg160" class="tei tei-anchor"></a>könnt' ich die Nacht, wenn ich den unter einem Dach mit mir
+wüßte. In dem Gesicht liegt auch nichts Gutes — und wie
+er fluchte und über die Kinder sprach — ob er nur wirklich
+selber welche hat.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Er sagt's ja,« bestätigte Gottlieb — »aber mir schien's
+ein Fleischer zu sein, seinem Gewerbe nach, und die sind immer
+rauh und derb, meinen's aber nicht immer so bös.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So bess're ihn Gott,« sagte die Frau mit einem Seufzer,
+»und je seltener er unseren Weg kreuzt, desto besser.«</p>
+</div>
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em"><span class="tei tei-pb" id="page161">[pg 161]</span><a name="Pg161" id="Pg161" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc19" id="toc19"></a>
+<a name="pdf20" id="pdf20"></a>
+<a name="pdb21" id="pdb21"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 7.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Nach Amerika.</span></h1>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika!« — Leser, erinnerst Du Dich noch der
+Märchen in »Tausend und eine Nacht«, wo das kleine Wörtchen
+»Sesam« dem, der es weiß, die Thore zu ungezählten Schätzen
+öffnet? hast Du von den Zaubersprüchen gehört, die vor alten
+Zeiten weise Männer gekannt, Geister heraufzurufen aus ihrem
+Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar
+zu machen? — Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe
+schlugen, wie sich die Sage seit Jahrhunderten im Munde des
+Volkes erhalten, Blitz und Donner zusammen, die Erde bebte,
+und das kecke, tollkühne Menschenkind das sie gesprochen, bebte
+zurück vor der furchtbaren Gewalt die es heraufbeschworen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Zeiten sind vorüber; die Geister, die damals dem
+Menschengeschlecht gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder
+wir haben auch vielleicht das rechte Wort vergessen sie zu rufen — aber
+ein anderes dafür gefunden, das kaum minder stark
+<span class="tei tei-pb" id="page162">[pg 162]</span><a name="Pg162" id="Pg162" class="tei tei-anchor"></a>mit <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">einem</span></em> Schlage das Kind aus den Armen der Eltern, den
+Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhältnissen
+und Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reißt,
+in dem es bis dahin mit seinen stärksten, innigsten Fasern
+treulich festgehalten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika,« leicht und keck ruft es der Tollkopf
+trotzig der ersten schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine
+Kraft prüfen sollte, seinen Muth stählen — »nach Amerika,«
+flüstert der Verzweifelte der hier am Rand des Verderbens dem
+Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde — »nach
+Amerika,« sagt still und entschlossen der Arme, der mit männlicher
+Kraft und doch immer und immer wieder vergebens,
+gegen die Macht der Verhältnisse angekämpft, der um sein
+»tägliches Brod« mit blutigem Schweiß gebeten — und es
+nicht erhalten, der keine Hülfe für sich und die Seinen hier
+im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">will</span></em>, nicht stehlen
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kann</span></em> — »nach Amerika« lacht der Verbrecher nach glücklich
+verübtem Raub, frohlockend der fernen Küste entgegen jubelnd,
+die ihm Sicherheit bringt vor dem Arm des beleidigten Rechts — »nach
+Amerika,« jubelt der Idealist, der wirklichen Welt
+zürnend, weil sie eben wirklich ist, und über den Ocean drüben
+ein Bild erhoffend, das dem, in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht — »nach Amerika« und mit dem einen Wort
+liegt hinter ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes früheres Leben,
+Wirken, Schaffen — liegen die Bande die Blut oder Freundschaft
+hier geknüpft, liegen die Hoffnungen die sie für hier gehegt,
+die Sorgen die sie gedrückt — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">»nach Amerika!«</span></em></p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page163">[pg 163]</span><a name="Pg163" id="Pg163" class="tei tei-anchor"></a>So gährt und keimt der Saame um uns her — hier
+noch als leiser, kaum verstandener Wunsch im Herzen ruhend,
+dort ausgebrochen zu voller Kraft und Wirklichkeit, mit der
+reifen Frucht seiner gepackten Kisten und Kasten. Der Bauer
+draußen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain der ihn
+zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so
+schwer geärgert, und der im Geist schon die langen geraden
+Furchen zieht, weit über dem Meer drüben, in dem fetten,
+herrlichen Land; — der Handwerker in seiner Werkstatt, dem
+sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt mit Neuerungen
+und großen, marktschreierischen Firmen, die wenigen
+Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">seine</span></em> Thür zu
+locken; der Künstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube,
+der über einer freieren Entwickelung brütet, und von einem
+Lande schwärmt wo Nahrungssorgen ihm nicht Geist und
+Hände binden; — der Kaufmann hinter seinem Pult, der
+Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Büchern
+zieht und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt, von
+einem neuen, andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen,
+von reich gefüllten Waarenhäusern träumt; in Tausenden von
+ihnen drängt's und treibt's und quält's, und wenn sie auch
+noch vielleicht Jahre lang nach außen die alte frühere Ruhe
+wahren, in ihren Herzen glüht und glimmt der Funke schon — ein
+stiller aber ein gefährlicher Brand. Jeder Bericht über
+das ferne Land wird gelesen und überdacht, neue Arzenei, neues
+Gift bringend für den Kranken. Vorsichtig und ängstlich, und
+weit herum um ihr Ziel, daß man die Absicht nicht errathen
+<span class="tei tei-pb" id="page164">[pg 164]</span><a name="Pg164" id="Pg164" class="tei tei-anchor"></a>soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem Ding — nach
+Leuten die vordem »hinüber« gezogen und denen es gut gegangen — nach
+Land- und Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk — für
+Andere natürlich, nicht für sich etwa — sie lachen bei
+dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will hinüber, ein entfernter
+Verwandter oder naher Freund, sie wünschen daß es
+dem wohl geht, und häufen mehr und mehr Zunder für sich
+selber auf.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">So ringt und drängt und wühlt das um uns her; keiner
+ist unter uns, dem nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter
+den <span class="tei tei-foreign"><span style="font-style: italic">salto mortale</span></span> gethan, und Alles hinter sich gelassen,
+was ihm einst lieb und theuer war — aus dem, aus
+jenem Grund — und täglich, stündlich noch hören wir von anderen,
+von denen wir im Leben nie geglaubt daß <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">sie</span></em> je an
+Amerika gedacht, wie sie mit Weib und Kind, mit Hab' und
+Gut hinüberziehn. Und <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">dort</span></em>? — noch liegt ein dichter
+Schleier über ihrem Schicksal dort, doch Gottes Sonne scheint
+ja überall — Dir aber lieber Leser, greif ich aus dem Leben
+noch hie und da ein paar Freunde heraus, die wir begleiten
+wollen auf dem weiten Weg.</p>
+
+<div class="tei tei-tb">* * * * * </div>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Oben in der Brandstraße — nicht weit vom Brandthor
+entfernt, und dem Gasthaus zum Löwen schräg gegenüber,
+wohnte Professor Lobenstein mit seiner Familie, in der ersten
+Etage eines, zwar sehr alten, aber auch sehr wohnlich eingerichteten
+Hauses, das ihm eigen gehörte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page165">[pg 165]</span><a name="Pg165" id="Pg165" class="tei tei-anchor"></a>Der Professor war ein Mann, gerade an der anderen
+Seite der »besseren Jahre«, etwa einundfünfzig alt, aber rüstig
+und gesund, nur erst mit einzelnen grauen Haaren zwischen
+den rabenschwarzen Locken, die ihm über die bleiche, aber hohe
+und geistvolle Stirn fielen, wie mit fast jugendlichem, elastischem
+Gang und Wesen. Ein tüchtiger Kopf dabei, hatte er
+<span class="tei tei-foreign"><span style="font-style: italic">jura</span></span> und <span class="tei tei-foreign"><span style="font-style: italic">cameralia</span></span> studirt, und einen großen Schatz von
+Kenntnissen aufgehäuft; auch in manchem, mit schweren mühsamen
+Nachtwachen erkauften Werk der Welt, der undankbaren
+Welt das Resultat seiner Studien und Forschungen gebracht
+und dargelegt. Unzufrieden aber mit dem Erfolg, und der kalten
+Aufnahme die es gefunden, wandte er sich später wieder
+von den bis dahin bevorzugten juristischen Wissenschaften ganz
+ab und allein seinem Lieblingsstudium den Cameralien zu, in
+denen er besonders der Gewerbskunde seine Thätigkeit widmete,
+auch mit einem Buchhändler in Heilingen eine Gewerbszeitung
+gründete und herausgab.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Hierin hatte er Unglück; der Buchhändler machte bankerott
+und er übernahm die Zeitung, mit ziemlich großen Verlusten
+schon, allein.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">So vortrefflich aber Professor Lobenstein in der Theorie
+seiner Wissenschaft bewandert sein mochte, so wenig sattelfest
+war er es in der Praxis, und seine Zeitung wollte und wollte
+keinen Boden gewinnen. Mit fabelhaftem Fleiß suchte er dem
+zu begegnen, umsonst — umsonst auch daß er Capital nach
+Capital in das, zuletzt nur noch zur Ehrensache gewordene
+Unternehmen steckte. Sein Haus bekam Hypothek auf Hypo<span class="tei tei-pb" id="page166">[pg 166]</span><a name="Pg166" id="Pg166" class="tei tei-anchor"></a>thek
+und mit einer höchst ungünstigen politischen Periode, in
+der ihm eine große Anzahl Abonnenten absprang, trafen ihn
+auch so bedeutende pecuniäre Verluste, daß er sich endlich genöthigt
+sah sein Blatt vollständig aufzugeben. Es war das
+das schwerste Opfer, das er bis dahin gebracht.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Professor Lobenstein hatte eine ziemlich starke Familie,
+eine Frau, zwei erwachsene Töchter von siebzehn und zwanzig
+Jahren, einen Sohn von achtzehn, und zwei kleinere Kinder,
+einen Knaben von acht und ein Mädchen von sieben Jahren.
+Wenn auch nicht in Reichthum doch in einem gewissen Wohlstand
+erzogen, war aber der Familie bis jetzt das schwere Wort
+»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Nahrungssorgen</span></em>« fremd geblieben; der Professor hatte
+immer, was man so nennt, ein Haus gemacht, und sich in
+einem Umgangskreis bewegt, der ihnen schon an und für sich
+eine gewisse Verpflichtung auferlegte Manches mitzumachen,
+was seinen, sonst mehr einfachen Neigungen eben nicht Bedürfniß
+schien. Das Alles sollte, ja <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">mußte</span></em> sich jetzt ändern,
+denn wenn er auch aus den Trümmern seines Vermögens,
+nach allen erlittenen Verlusten, einen kleinen Theil zu retten
+vermochte, genügte der nicht, das bisherige Leben fortzuführen.
+Die Wahl blieb ihm jetzt allein, von Neuem
+eine Laufbahn mit geringeren Mitteln anzufangen, und sich
+und den Seinen schwere und ungewohnte Entbehrungen
+an einem Orte aufzuerlegen, wo ihn Alles und Jedes an
+frühere und bessere Zeiten erinnerte oder — es war eine
+schwere Stunde in der ihm das Bild zum ersten Mal vor die
+Seele stieg — in einem anderen Welttheil, ungekannt, aber
+<span class="tei tei-pb" id="page167">[pg 167]</span><a name="Pg167" id="Pg167" class="tei tei-anchor"></a>auch nicht bemitleidet oder verspottet, ein vollkommen neues
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Leben</span></em> zu beginnen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Aber die Frauen? — würden sie den Mühseligkeiten einer
+so langen Reise, einer Ansiedlung drüben in einem noch wilden
+Lande gewachsen sein? — Daß er selber die Beschwerden
+eines solchen Lebens leicht ertragen würde, daran zweifelte er
+keinen Augenblick; er hatte so viel über Amerika gelesen, sich
+mit den dortigen Verhältnissen aus allen erschienenen Schriften
+so vertraut gemacht, daß er Alles kannte was ihn dort erwartete,
+und einem derartigen Wirken eher mit Freude und
+Lust, als Bangen entgegenging; aber durfte er seine Frau all
+den sie erwartenden Unbequemlichkeiten und Strapatzen aussetzen?
+durfte er seine Töchter aus ihrem geselligen glücklichen
+Leben reißen, und ihnen mit einem Schlage alle jene Vergnügungen
+entziehen, die ihnen hier schon mehr als Erholung,
+die ihnen fast Bedürfniß geworden?</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Einen langen und schweren Kampf kämpfte er mit sich
+selber, Monate lang, und er wurde alt in der Zeit; die Augen
+lagen tief in ihren Höhlen und seine Züge bekamen etwas
+Mattes und Abgespanntes, das sie sonst, in seiner schwersten
+Arbeitszeit noch nie gehabt. Wenn auch die Kinder dabei
+sich leicht mit einem vorgeschützten Unwohlsein beruhigen ließen,
+dem scharfen Blick der Gattin entging die Sorge nicht, die
+an seinem Herzen heimlich, aber desto gewaltiger nagte, und
+ihren dringenden, ängstlichen Bitten konnte er zuletzt nicht
+länger widerstehen. Was sie doch zuletzt hätte erfahren
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">müssen</span></em>, vertraute er ihr an und wenn es die arme Frau
+<span class="tei tei-pb" id="page168">[pg 168]</span><a name="Pg168" id="Pg168" class="tei tei-anchor"></a>auch wie ein Schlag aus heiterem Himmel traf, nahm sie das
+Ganze doch viel ruhiger auf als er erwartet, gefürchtet, und
+damit eine schwere Last von <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">seinem</span></em> Herzen — auf das ihre.
+Aber leichter trägt sich die getheilte, und bereden konnten sie
+jetzt zusammen was zu thun, welchen Weg zu gehen, die
+Möglichkeit besprechen die sich hier ihrem Leben bot, die Möglichkeit
+errwägen, die ihnen dort eine andere freiere Zukunft
+öffnete. Und die Kinder? wohin Mütter und Vater gingen
+folgten die ja gern; nur die Scene wechselte für sie, anderen,
+vielleicht selbst bunteren Bildern Raum zu geben, und Kummer
+und Sorge kannten die ja nicht.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">An demselben Abend waren die beiden ältesten Töchter zu
+einem kleinen Fest, dem Geburtstag einer Freundin, eingeladen
+und hatten schon den ganzen Tag mit rastlosen Fingern an
+dem bunten blitzenden Ballstaat genäht. Der Vater begleitete
+sie dorthin, nur die Mutter blieb daheim, Kopfschmerz vorschützend,
+und die Sorge um das jüngste Kind, das mit einem
+leichten Unwohlsein in seinem Bettchen lag. Aber gegen zehn
+Uhr schlummerte es sanft und ruhig auf dem weichen Lager
+ein, und daneben, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt,
+saß die Mutter und weinte — weinte als ob sie mit dieser
+Thränenfluth all den Gram und Kummer fortwaschen
+wollte, der jetzt, ein dunkler Wolkensaum, am Horizonte ihres
+Glücks erschien, und wild und drohend höher und höher stieg.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Lachend und plaudernd kehrten die Töchter, mit dem
+Vater spät in der Nacht zurück; den leichten, sorglosen
+Herzen lag die Welt noch, ein weiter Garten offen da,
+<span class="tei tei-pb" id="page169">[pg 169]</span><a name="Pg169" id="Pg169" class="tei tei-anchor"></a>und was etwa an wuchernden Giftpflanzen dazwischen stand,
+mischte noch sein fastgrünes Laub, dem jungen Auge nicht erkennbar,
+mit Blum' und Blüthenpracht.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Aber der Moment näherte sich auch, wo mit der vorgerückten
+Jahreszeit all' die nöthigen und mannichfaltigen Vorbereitungen
+zu einer so langen Reise, zu einer gänzlichen Umgestaltung
+aller ihrer Verhältnisse, getroffen werden <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">mußten</span></em>;
+auch schien die Zeit eine passende für den Sohn, der, von der
+Schule gerade abgegangen, eben sein Abiturienten-Examen
+glücklich bestanden hatte. Der Vater wünschte allerdings daß er
+hier erst studiren, und ihnen dann später, wenn er etwas Tüchtiges
+gelernt, vielleicht folgen sollte, dachte ihm aber doch die
+freie Wahl zu lassen, und seinem Herzen keinen Zwang aufzuerlegen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Am nächsten Morgen nach dem Balle nun — es war
+spät mit Aufstehn geworden nach der durchschwärmten Nacht
+und die zweite Tochter Marie eben erst zum Kaffee herübergekommen,
+während der Sohn das Haus schon, irgend eines
+notwendigen Ganges wegen verlassen hatte — saß der Vater,
+ungewohnter Weise nicht in seiner Studirstube an der Arbeit,
+sondern im Sopha, aus der langen Pfeife den Dampf in
+weißen Kräußelwolken von sich blasend, und die Mutter am
+Nähtisch, Kleider ausbessernd für das Jüngste, das in seinem
+herübergeschafften Bettchen wieder mit klaren Augen seine Puppe
+schaukelte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Schon ausgeschlafen, Väterchen?« sagte Marie als sie,
+etwas beschämt, die Letzte am Kaffeetische Platz genommen,<span class="tei tei-pb" id="page170">[pg 170]</span><a name="Pg170" id="Pg170" class="tei tei-anchor"></a>
+»ich habe wohl recht lange heut geschlafen, aber — was ist
+Dir denn? — und der Mutter auch?« — rief sie vom Stuhl
+wieder aufspringend, als sie das ungewohnte ernste Wesen der
+Eltern gewahrte — »bist Du böse auf mich, Mütterchen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein mein Kind,« sagte diese und zwang ein Lächeln
+auf die Lippen, »aber der Vater hat Euch etwas recht Ernstes
+heute zu sagen, etwas von dem wir noch nicht wissen, ob es
+Euch betrüben wird oder nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der Vater?« rief Marie erschreckt, und auch Anna, die
+älteste Tochter, sah ängstlich zu ihm auf; Professor Lobenstein
+aber, so in die Enge und zum Aeußersten getrieben, hustete,
+paffte den Dampf ein paar Mal scharf vor sich hin, die Pfeife
+ordentlich in Gluth zu bringen, und sagte:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja Kinder, Ihr wißt — wir — wir haben doch in den
+letzten Tagen viel über Nord-Amerika gesprochen, und auch
+Manches gelesen — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, die herrlichen Romane von Cooper,« rief Marie rasch.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und die schrecklichen Berichte im Tageblatt,« lächelte
+Anna.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der Doctor Haide ist ein Esel,« sagte der Professor, den
+Rauch wieder ein paar Mal rasch ausstoßend — »wenn der
+hätte in Amerika ordentlich arbeiten wollen, brauchte er sich
+jetzt nicht von einer Winkeladvocatur und vom Schimpfen auf
+freisinnige Leute zu ernähren; über dessen Berichte wollen wir
+uns keine Sorgen machen, aber — « er schwieg wieder einen
+Augenblick und sah, wie furchtsam, nach der Frau hinüber.
+Die jedoch arbeitete um so emsiger weiter, und selber mit dem<span class="tei tei-pb" id="page171">[pg 171]</span><a name="Pg171" id="Pg171" class="tei tei-anchor"></a>
+Bedürfniß dem, was ihn schon so lange gedrückt, endlich einmal
+Worte zu geben, fuhr er rasch fort — »ich habe eine Frage
+an Euch zu thun, Kinder — Hättet Ihr — hättet Ihr wohl
+selber Lust hinüber nach — nach Amerika zu gehn?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika?« rief Anna rasch und auch wohl erschreckt.
+Marie aber sprang auf, schlug in die Hände und rief
+jubelnd:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika? oh das wäre ja prächtig — das wäre
+herrlich — nicht wahr da sind auch Bälle, Väterchen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Mutter seufzte tief auf und der Vater zog wieder,
+etwas verlegen an der Bernsteinspitze.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm — ich weiß nicht,« sagte er langsam mit dem Kopf
+schüttelnd — »wo wir im Anfang hinwollten, werden wohl
+keine sein. Hängst Du so an Bällen, Marie?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich tanze gern,« lächelte das junge fröhliche Mädchen
+etwas verlegen und schüchtern.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun tanzen wirst Du dort hoffentlich auch können, mein
+Kind,« sagte der Vater freundlich — »wenn auch nicht gerade
+gleich auf solchen Bällen wie wir sie hier gewohnt sind — das
+Leben ist dort einfacher.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Oh, und bis zum nächsten Fasching sind wir gewiß
+auch wieder zurück,« rief Marie.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Vater schwieg erst eine kleine Weile, und sagte dann
+leise aber entschlossen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wir wollen <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ganz</span></em> hinüberziehn, mein Kind.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Auswandern?« rief die ältere Schwester fast erschreckt — das
+Wort, dessen Bedeutung sie noch gar nicht vollkommen
+<span class="tei tei-pb" id="page172">[pg 172]</span><a name="Pg172" id="Pg172" class="tei tei-anchor"></a>verstand, traf sie mit einem unbekannten ahnenden Gefühl von
+Schmerz und Leid — »und die Mutter?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ihr werdet mich doch nicht wollen allein zurücklassen?«
+lächelte die Frau, sich gewaltsam zwingend über den Schmerz
+dieser Stunde.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mutter!« sagte Anna, warf die Arme um ihren Nacken
+und küßte sie.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und Eduard?« frug Marie.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bleibt, wenn er meinem Rathe folgt, noch hier bis er
+ausstudirt und etwas ordentliches gelernt hat,« sagte der Vater — »wo
+nicht, hat er seinen freien Willen und mag uns begleiten;
+sowie er zu Hause kommt werde ich mit ihm sprechen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber — « rief Marie — »wer verwaltet unterdessen unser
+Haus?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn wir einmal fort sind von hier,« sagte der Professor
+ausweichend, »kann uns auch das Haus nichts mehr
+nützen, und ich werde es verkaufen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Verkaufen</span></em>? — unser Haus und den Garten?« riefen
+Maria und Anna fast wie aus einem Munde erschreckt und
+rasch — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Unser freundliches Stübchen, wo wir als Kinder gespielt,«
+setzte Marie traurig hinzu.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und die Bäume die Vater alle gepflanzt — die Laube,
+die wir uns selbst gebaut, und die so schön geworden ist in
+diesem Jahr,« sagte Anna leise — »verlassen wollt' ich es ja
+gern, wenn wir Alle gehn, aber daß fremde Menschen jetzt
+darin hausen sollen, die vielleicht gar nicht wissen wie wir das<span class="tei tei-pb" id="page173">[pg 173]</span><a name="Pg173" id="Pg173" class="tei tei-anchor"></a>
+Alles gehegt und gepflegt und — « ihr Blick fiel in diesem
+Augenblick auf der Mutter, halb von ihr abgewandte bleiche
+Züge, und faßte das Blitzen einer heimlich fallenden Thräne.
+Anna erschrak und wurde todtenbleich — hier lag mehr verborgen
+als man ihnen gesagt, und heimlicher Gram, heimliche
+Sorge nagte an der Eltern Herzen, durfte sie die vermehren?
+Sie schwieg einen Augenblick und sah sinnend vor sich nieder,
+dann aber Mariens Hand ergreifend sagte sie mit leichterem
+vielleicht gezwungen fröhlicherem Ton:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber wir wollen nicht klagen; Vater und Mutter wissen
+am Besten was sie zu thun haben, und was uns gut ist, und
+dort baut uns Vater dann ein anderes Haus, und wir selber
+pflanzen uns ein neues Gärtchen, schöner als das unsere hier.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber ich bliebe hier, wenn ich an Vaters Stelle wäre,«
+schmollte Marie, »und was wird Herr Kellmann dazu sagen,
+wenn er es erfährt? der ist so immer gegen Amerika, und hat
+sich schon oft mit Vater darüber gezankt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach der macht mir die geringste Sorge,« sagte Anna in
+ihrem Schmerz lächelnd — »wenn man <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">für</span></em> Amerika spricht,
+schimpft er aus Leibeskräften, und citirt Gott weiß was für
+Stellen aus Briefen und Zeitungen, alles Günstige zu widerlegen,
+oder wenigstens stark zu bezweifeln, und kommt Jemand
+der das Land ordentlich angreift, dann hab' ich auch schon
+gesehn, daß er den Handschuh wacker dafür aufnimmt, und
+man wirklich glauben sollte er bekäme so und so viel für den
+Kopf, Leute zu bereden hinüberzuziehn. Das ist ein wunderlicher
+Kauz, der die meiste Zeit selber nicht weiß was er will,
+<span class="tei tei-pb" id="page174">[pg 174]</span><a name="Pg174" id="Pg174" class="tei tei-anchor"></a>und ich glaube, wenn es Jemand recht ordentlich bei ihm
+darauf anlegte, könnte man ihn selber, nur durch Widersprechen,
+dahin bringen, daß er in eigener Person hinüberginge.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Herr Kellmann?« lachte Marie — »nun <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">den</span></em> möcht' ich
+in Amerika sehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und wer weiß, ob Dir das nicht noch passirt,« bestätigte
+der Vater, mit dem Kopfe nickend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und darf ich mein neues seidenes Kleid mitnehmen,
+Mama?« frug das junge lebenslustige Mädchen jetzt die
+Mutter — »hier lassen möcht' ich es doch nicht gern, und
+drüben im Wald — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Liebes Kind, wir werden auch nicht mitten in den Wald
+gehn,« sagte die Mutter, die indessen heimlich die verrätherische
+Thräne aus dem Auge geschüttelt, freundlich dabei der zu ihr
+getretenen Tochter die Stirn streichend und küssend, »denkt es
+Euch nicht so schlimm. Der Vater wird uns schon einen
+Platz aussuchen, wo wir wenigstens unter Menschen und der
+Cultur nicht ganz verschlossen sind — er hielte es ja dort sonst
+selber nicht aus.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber warum gehst Du nur, Väterchen?« bat Marie —
+»es ist doch hier so wunderhübsch in Heilingen, und was wir
+da drüben haben, wissen wir noch nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Professor, zu dem Anna ängstlich aufsah, hatte seinen
+Sitz verlassen und ging, langsam dabei mit dem Kopf nickend,
+im Zimmer auf und ab; er fühlte daß er, auch den Töchtern
+gegenüber, diesen eine Erklärung seines Handelns schuldig
+sei, denn er riß sie aus einem liebgewonnenen Leben heraus,
+<span class="tei tei-pb" id="page175">[pg 175]</span><a name="Pg175" id="Pg175" class="tei tei-anchor"></a>und führte sie vielen, vielen Entbehrungen — er durfte sich
+das nicht leugnen — entgegen. Von ihrer späteren Haltung
+dabei hing auch viel ihrer Aller Glück, ihrer Aller Zufriedenheit
+ab, und sie waren alt genug ihrem Urtheil zu vertrauen.
+Aber es kostete ihm der Entschluß einen schweren Kampf, und
+wo ihm die Frau war auf halbem Weg entgegen gekommen,
+fürchtete er hier gerade, nicht Widerstand zu finden, denn
+dafür hatten sie ihn zu lieb, aber Schmerz und Sorge zu
+wecken in den jungen Herzen, denen er die ungebetenen Gäste
+gern noch fern gehalten hätte so lang als möglich. Sie standen
+jedoch an einem wichtigen, bedeutungsvollen Abschnitt ihres
+Lebens, und mußten <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">sehen</span></em>, wohin der Weg sie führte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">In kurzen, einfachen Worten, frei vom Herzen weg, und
+zu den Herzen sprechend, weil sie aus dem Herzen kamen, schilderte
+er ihnen jetzt die veränderte Lage in die er, durch das gezwungene
+Aufgeben seiner Zeitschrift sowohl, wie durch manche
+schwere, ihn betroffene Verluste gekommen. Er verheimlichte
+ihnen nicht länger daß er einen Theil — einen großen Theil
+seines Vermögens eingebüßt, und das ihm selber liebe Haus
+nicht verkaufen würde, wenn ihn eben nicht — die Verhältnisse
+dazu <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">zwängen</span></em>. Aber noch blieb ihnen genug nach
+einem fernen Welttheil überzusiedeln und dort, mit bescheideneren
+Bedürfnissen, von Neuem zu beginnen; Amerika mit seiner
+ungeheuren Lebenskraft bot ihnen nach allen Seiten hin die
+Möglichkeit der Existenz, und das gut und zweckmäßig angelegte
+kleine Capital konnte dort gute Zinsen tragen für spätere
+Zeit. Hatten sie sich dann etwas verdient, waren die Hoff<span class="tei tei-pb" id="page176">[pg 176]</span><a name="Pg176" id="Pg176" class="tei tei-anchor"></a>nungen,
+mit denen sie hinüber gingen, Wahrheit geworden,
+und sehnte sich ihr Herz noch nach dem Vaterland, wer hinderte
+sie dann zurückzukehren zu den theueren Plätzen, die ihnen
+ewig lieb bleiben würden in der Erinnerung?</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Dem Professor war es leichter um die Brust geworden,
+wie er das Eis nur erst gebrochen. Selbst überzeugt von dem
+was er sprach, wurde er warm, indem er den Gedanken weiter
+dachte, und seine Phantasie verlor sich zuletzt sogar, Luftschlösser
+aufbauend, zauberschnell in weiter Ferne. Der Professor ging
+mit dem Menschen durch, und die leicht gerötheten Wangen
+belebte ein eigenes, inneres Feuer. Und die Mutter saß dabei,
+still und schweigend, und ängstlich bemüht, in der wiederaufgenommenen
+Arbeit die eigene Bewegung zu verbergen. Marie
+und Anna aber, die des Vaters Hände erfaßt und in den
+ihren hielten, schmiegten ihre Häupter an seine Schultern und
+flüsterten; die großen, zu ihm aufgeschlagenen Augen voll von
+Thränen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Genug, genug, Väterchen; mal' uns das Alles nicht so
+prächtig aus — wohin Du und Mutter gehn, gehn auch wir,
+und wär' es mitten hinein in den wildesten Wald. Kein unzufriedenes
+Wort sollst Du dabei von uns hören, keine Klage,
+kein böses Gesicht weiter — keine Thräne — nur die hier sind
+uns so ganz von selber über die Backen gelaufen, weil wir die
+Mutter weinen sahen. Mit Lieb und Lust wollen wir das
+Leben dort beginnen — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und Kühe und Hühner schaffen wir uns an!« rief Marie,<span class="tei tei-pb" id="page177">[pg 177]</span><a name="Pg177" id="Pg177" class="tei tei-anchor"></a>
+»und die Kühe melken wir selber und machen Butter und
+Käse.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wie gut,« sagte Anna, daß wir im vorigen Jahr auf
+dem Land bei der Tante waren, und dort das Alles zum Spaß
+gelernt haben; jetzt wird es uns nützen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber nicht wahr, Mütterchen, nun weinst Du auch nicht
+mehr,« rief Marie, zur Mutter hinübergleitend, ihren Arm um
+deren Nacken legend und sie küssend — »drüben wird schon
+Alles hübsch werden. Und ein paar von den großen Holzschuhen
+nehm' ich mir mit, wie sie die Bauern tragen, für draußen bei
+nassem Wetter; hei wie wir da herumpatschen wollen und
+schaffen und arbeiten; und plätten thun wir auch selbst, dafür
+nimmst Du kein Mädchen mehr.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Den frohen, leichten Herzen schwammen schon die gewaltigen
+Umrisse ihrer ganzen fernen, so ungewissen Zukunft, in
+den einzelnen bunten Kleinigkeiten zusammen, die ihrem Geist,
+von dem Reiz der Neuheit mit frischem Duft überhaucht, entstiegen.
+Nur die Lichtpunkte erspähte der, in die Ferne arglos
+hinausschauende Blick, und die goß er sich lustig zusammen zu
+einem Ganzen: was dahinter lag, der düstere Hintergrund,
+den das erfahrenere Mutterauge wohl erkannt, diente ihnen
+nur dazu die einzelnen Lichter stärker hervorzuheben, deutlicher
+erkennen zu können, und der Himmel spannte sich blau und
+rein über ihren glücklichen Häuptern.</p>
+</div>
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em"><span class="tei tei-pb" id="page178">[pg 178]</span><a name="Pg178" id="Pg178" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc22" id="toc22"></a>
+<a name="pdf23" id="pdf23"></a>
+<a name="pdb24" id="pdb24"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 8.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Der Tanz im rothen Drachen.</span></h1>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Drei volle Monat waren nach den, in den vorigen Capiteln
+betriebenen Scenen verflossen, und der Diebstahl im
+Dollingerschen Hause zu Heilingen, der eine ganze Woche
+lang fast das alleinige Stadtgespräch gebildet, wurde kaum
+noch erwähnt. Der vermuthete Dieb (gegen den aber allerdings
+nachträglich keine weiteren Beweise aufgefunden worden),
+war zwei Tage nach dem Sturz von der Brücke an seiner
+Kopfwunde gestorben; er hatte die beiden Tage vollkommen
+bewußtlos gelegen, und kein Wort mehr gesprochen. Das
+übrige Geld aber — außer den zweihundert und einigen Thalern — wie
+die vermißten Pretiosen, konnten, trotz den genausten
+Nachforschungen nirgends aufgefunden werden, und hatte
+er es wirklich gestohlen, so ließ sich jetzt gar nichts Anderes
+vermuthen, als daß er es irgendwo an einer heimlichen Stelle
+vergraben, und außer Sicht gebracht habe.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page179">[pg 179]</span><a name="Pg179" id="Pg179" class="tei tei-anchor"></a>Actuar Ledermann hatte dabei ganze Actenstöße über den
+Fall geschrieben — man wußte wirklich nicht wo er nur den
+Stoff dazu herbekommen; aber mit dem üblichen Canzleistyl
+wurde die Sache, der jede gründliche Vorlage mangelte, nach
+Möglichkeit gereckt und ausgedehnt und dann, als sich Nichts
+weiter darüber ergab, mit starkem Bindfaden umschnürt und
+etiquettirt, um später vielleicht, mit Jahreszahl und Nummer
+versehn, in irgend ein staubiges Gefach geschoben zu werden,
+dort ein Jahrhundert fortzuträumen, — wie der Verstorbene
+unter dem Rasen, dicht an der Kirchhofsmauer, an die er,
+ohne Sang und Klang damals, noch vor Tag, still und heimlich
+hinausgeschafft worden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Geistlichkeit von Heilingen hatte dem Unglücklichen
+allerdings sogar dies »ehrliche Begräbniß« versagen und den
+Körper der Anatomie überantworten wollen, da er unter dem
+Verdacht eines schweren Diebstahls und gewissermaßen als
+Selbstmörder seinen Tod gefunden — was kümmerte die stolzen
+Geistlichen die duldende Liebe die Christus gelehrt, wo
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ihre</span></em> Autorität Gefahr leiden konnte gekränkt zu werden, und
+sie hatten einmal verordnet, daß solchen Sündern ein »christliches
+Begräbniß« versagt werden solle; aber die Polizei war
+milder und verständiger als die »Diener des Höchsten« und
+erklärte den Tod des Armen für keinen Selbstmord, indem er
+nur »auf der Flucht« umgekommen, während wahrscheinlich
+der ihm beigegebene Wächter die allerdings unschuldige, und
+nicht zur Verantwortung zu ziehende direkte Ursache, seines
+Todes gewesen sei.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page180">[pg 180]</span><a name="Pg180" id="Pg180" class="tei tei-anchor"></a>Aber fort — fort mit den traurigen Bildern; das menschliche
+Leben hat der dunklen Seiten so viele, und sie drängen
+sich uns doch auf, wohin wir gehen — nur der Augenblick
+gehöret uns, und nicht muthwillig wollen wir den Schmerz
+suchen. So mag mir der Leser denn noch einmal zum rothen
+Drachen hinaus folgen — es dauert vielleicht lange, ehe wir
+den Platz wieder zu sehn bekommen — und dort tönt heut
+fröhliche Musik aus dem hellerleuchteten Saal des großen
+Hauses, der mit Guirlanden und Blumen und jungen Birkenreisern
+festlich geschmückt ist, indeß ihn eine muntere, laut und
+lustig durcheinander wogende Schaar belebt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Kaum eine Viertelstunde — oder eine »halbe Pfeife Tabak«,
+wie die Bauern sagten — vom rothen Drachen entfernt,
+lag Schloß Hohleck an der anderen Seite des nämlichen Hügelrückens,
+das gegenüber liegende Thal überschauend, und
+der Besitzer desselben, Graf von Hohleck, feierte heute die Vermählung
+seines ältesten Sohnes, der dabei das Gut selber
+übernahm, und nun seinen Leuten dem Tag zu Ehren ein
+Fest »in der Schenke« gab. Bier und Branntwein waren dabei
+zu freier Verfügung gestellt, und ein starkes Musikchor aus
+der Stadt engagirt worden, den Leuten die ganze Nacht hindurch
+zum Tanze aufzuspielen — und sie machten Gebrauch
+davon.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Aber auch aus Heilingen selber hatten sich eine Menge
+Gäste eingefunden, dem muntern Leben und Treiben der fröhlichen
+Menschen zuzuschauen, und während der untere Gartensaal
+einzig und allein den Dienstleuten des Rittergutes einge<span class="tei tei-pb" id="page181">[pg 181]</span><a name="Pg181" id="Pg181" class="tei tei-anchor"></a>räumt
+war, zu dem den Stadtleuten jedoch gastlich der Zutritt
+gestattet wurde, hatten sich die letzteren noch besonders in einem
+paar der kleineren Stuben festgesetzt, wo sie ihren Wein oder
+ihr Bier tranken oder auch eine Parthie spielten, die Zeit auszufüllen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Zu den Gästen aus der Stadt gehörten auch mehre unserer
+alten Bekannten, unter ihnen Kellmann und Schollfeld,
+zwei Stammgäste des rothen Drachen. Ledermann war ebenfalls,
+wenn auch später, herausgekommen und ihnen hatte sich
+noch der Auswanderungsagent Weigel — sehr zum Aerger
+Schollfeld's, der ihn nicht ausstehen konnte — zugesellt.
+Weigel blieb aber nicht ruhig an ihrem Tisch sitzen, sondern
+ging ab und zu, und hatte sein Glas nur mit bei ihnen stehn,
+gewissermaßen seinen Platz zu belegen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Ledermann war übrigens heute sehr still und niedergeschlagen,
+er hatte sein einziges Kind vor etwa vierzehn Tagen
+verloren, und schien sich das sehr zu Herzen zu nehmen, erklärte
+auch nur herausgekommen zu sein, sich ein wenig zu zerstreuen
+und die Gedanken los zu werden, die ihn in der Stadt drin
+peinigten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Uebrigens war ihm in den letzten Tagen höchst unerwarteter
+Weise eine kleine Erbschaft von 600 Thalern zugefallen
+und Schollfeld, der heute Abend außergewöhnlich gut aufgeräumt
+schien, versuchte jetzt sein Bestes des Freundes Grillen
+oder trübe Gedanken ebenfalls zu verscheuchen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hören Sie einmal Ledermann,« begann er, mit dem
+Deckel seines Kruges klappend und mehr Bier verlangend — »wie
+<span class="tei tei-pb" id="page182">[pg 182]</span><a name="Pg182" id="Pg182" class="tei tei-anchor"></a>ist denn die Geschichte nun mit den 600 Thalern? —
+beiläufig gesagt schneiden Sie ein Gesicht dabei, als ob Sie
+Schwefelsäure verschluckt hätten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Er hört nicht einmal,« sagte Kellmann, als der Actuar
+kein Wort darauf erwiederte, und die Anrede in der That gar
+nicht verstanden zu haben schien — »Ledermann, Mensch, wo
+sind Sie jetzt mit Ihren Gedanken, im rothen Drachen bei
+Heilingen, im Monde, oder in Amerika?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wo?« sagte der Actuar, rasch und fast verstört aufschauend,
+als aber die Anderen laut lachten, schüttelte er mit
+dem Kopf und seinen Krug nehmend und trinkend sagte er
+ruhig und ernst:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach laßt mich zufrieden Kinder — ich habe den Kopf
+voll, und bin wahrhaftig heute Abend nicht zum Spaßen
+aufgelegt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nicht zum Spaßen aufgelegt?« rief aber Schollfeld,
+Kellmann unter dem Tisch anstoßend — »ist auch gar nicht
+nöthig mein lieber Actuar — wir spaßen auch hier gar nicht;
+Jemand aber, der eine Erbschaft macht und irgendwo Stammgast
+ist, überkommt dabei die moralische Verpflichtung irgend
+etwas zum Besten zu geben, und es bleibt ein Skandal, daß
+man einen solchen Glückspilz auch nur noch daran erinnern
+muß. Hat der Henker da wieder den Schleicher, den Weigel,«
+unterbrach er sich aber plötzlich mit etwas leiserer Stimme, als
+er sah wie dieser das Zimmer wieder betrat, und sich ihrem
+Tische zuwandte — »ich hatte schon gehofft wir würden ihn
+heute Abend los sein; jetzt ist <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">mein</span></em> Vergnügen beim Teufel.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page183">[pg 183]</span><a name="Pg183" id="Pg183" class="tei tei-anchor"></a>»Nun meine Herren, noch so fröhlich beisammen?« sagte
+Weigel jetzt, indem er zum Tisch trat — »ah, da sind ja der
+Herr Actuar auch noch dazu gekommen — bitte behalten Sie
+ja Platz, ich rücke ein klein wenig hier herüber — so — das
+geht vortrefflich. Nun, der Herr Actuar haben in diesen Tagen
+ein großes Glück gehabt — da darf man ja wohl gratuliren.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Danke herzlich,« sagte Ledermann ruhig; »es wird
+übrigens so viel von den paar hundert Thalern gesprochen,
+als ob's eben so viel Tausende wären.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ih nun, das lassen Sie gut sein,« sagte aber Weigel,
+mit dem Kopf schüttelnd — »sechshundert Thaler richtig angewandt
+könnten in der That in kurzer Zeit zu so viel Tausenden
+werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn man sich Sächsische Löbau-Zittauer Eisenbahnactien
+dafür kaufte, nicht wahr?« sagte Schollfeld, das Gesicht
+halb in den ebengebrachten Krug versteckt, und einen
+grimmigen Blick über den Rand desselben hin, nach dem Auswanderungsagenten
+schießend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun das gerade nicht,« schmunzelte Herr Weigel, sein
+Glas ein wenig weiter auf den Tisch schiebend, und sich die
+Hände reibend, »da wüßte ich doch noch eine bessere Speculation.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und die wäre,« sagte der Actuar, seitwärts zu ihm
+aufschauend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn Sie sich eine kleine Farm in Amerika kauften.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Puh!« rief Schollfeld, verächtlich den Kopf abwendend,<span class="tei tei-pb" id="page184">[pg 184]</span><a name="Pg184" id="Pg184" class="tei tei-anchor"></a>
+»jetzt sein Sie so gut, kommen Sie uns hier nicht mit Ihrer
+alten Leier von dem verdammten Amerika, und verderben Sie
+uns das Bier nicht — hier ist auch Nichts zu verdienen, denn
+von uns geht doch keiner hinüber.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Lieber Herr Schollfeld,« sagte aber Weigel mit großer
+Ruhe, »von <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">uns</span></em> weiß noch Niemand was er nächstes Jahr
+thun wird, und verschwören läßt sich so eine Sache nun einmal
+gar nicht — Amerika ist immer noch ein Zufluchtsort.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja für die Spitzbuben und Hallunken, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">da</span></em> haben Sie
+recht!« rief der Apotheker.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ne lieber Herr Weigel!« rief aber auch Kellmann jetzt — »mit
+sechshundert Thalern kann ich da drüben auch Nichts
+anfangen, und bin dann noch obendrein bei jedem Schritt und
+Tritt der Gefahr ausgesetzt, daß ich betrogen und hintergangen
+werde. Man kann dort ja nicht einmal seinem eigenen
+Bruder trauen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber mein bester Herr Kellmann, das sind die unglückseligen
+Ideen, die von — na, ich will keinen Namen nennen — ausgesprengt
+werden, um die Leute blind zu machen, rein
+blind. Sie sollen eben nicht sehen was für Vortheile, für
+fabelhafte Vortheile dort gerade für sie zu Tage liegen, und
+die Gerüchte von dort verübten Betrügereien hängen eben als
+Vogelscheuche über den Erbsen. Wir haben <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">hier</span></em> eben so
+viele schlechte Charaktere wie in Amerika.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ob eben so <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">viel</span></em>, will ich dahingestellt sein lassen,«
+sagte Schollfeld mit einem nichts weniger als freundlichen
+Seitenblick auf den Agenten — »aber eben so schlechte gewiß.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page185">[pg 185]</span><a name="Pg185" id="Pg185" class="tei tei-anchor"></a>»Nun also,« erwiederte Weigel freundlich, ohne auf den
+Hieb einzugehn, ja im Gegentheil die Waffe lächelnd umdrehend — »sehn
+Sie, selber Herr Schollfeld stimmt mir
+darin bei.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja aber nicht wie <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Sie</span></em> es meinen!« rief da Schollfeld
+entrüstet, keineswegs gesonnen sich die Worte so im Munde
+verdrehen zu lassen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Von den Betrügereien will ich noch gar Nichts sagen,«
+unterbrach ihn aber Kellmann, ziemlich in Eifer — »was ich
+dagegen sehr guten Grund habe zu bezweifeln, sind die billigen
+Landkäufe, sind dabei die Erleichterungen, welche diese
+republikanische Regierung allen möglichen Gewerken und Unternehmungen
+bietet, die geringen Taxen, der freie Verkehr
+und Umsatz im Innern. Das wird Alles ausgemalt mit Gold
+und Silber und Himmelblau, und kommt man am Ende hinüber,
+so hat man die ganze nämliche Geschichte wie bei uns.
+Daß all das nichtsnutzige Gesindel dort ohne <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Paß</span></em> herumlaufen
+darf, mag wahr sein, das halte <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ich</span></em> aber eben für keinen
+Fortschritt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Verehrtester Herr Kellmann!« rief aber Weigel in Eifer — »gegen
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Thatsachen</span></em> können wir doch nicht anstreiten;
+wir wollen doch nicht blind und taub mit dem Kopf gegen die
+nächste, und womöglich härteste Wand rennen? wir sind doch
+vernünftige Menschen, aber haben Sie nicht alle die neueren
+Schriften jetzt gelesen, die — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach gehn Sie mit Ihren Schmierereien,« rief aber
+Schollfeld, dem das Gespräch jetzt zur Last wurde, »für einen<span class="tei tei-pb" id="page186">[pg 186]</span><a name="Pg186" id="Pg186" class="tei tei-anchor"></a>
+Thaler den Bogen malen ihnen die lumpigen Literaten selbst
+die Hölle himmelblau an, und kleben von oben bis unten
+Sterne drüber. Laßt mir jetzt Euer Geschwätz von Amerika
+hier, oder ich stehe, Gott straf mich, auf, und setze mich wo
+anders hin.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun, jeder darf sich hinsetzen wo es ihn gerade freut,«
+sagte Weigel, wirklich etwas beleidigt, obgleich er sonst einen
+ziemlichen Theil vertragen konnte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja leider,« sagte aber Schollfeld, mit wieder einem
+Seitenblick auf den Agenten, der diesen doch jetzt vermochte
+aufzustehn und sein Bier auszutrinken.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Herr Schollfeld,« sagte er dabei, »Sie sind in der
+Stadt als ein Antiamerikaner bekannt, und ich glaube Sie
+würden den Leuten eher zu einer Auswanderung nach Sibirien
+wie nach Nordamerika rathen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Würde ich auch,« sagte Herr Schollfeld trotzig, sich den
+Hut noch fester in die Stirn drückend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun ja, der Geschmack ist verschieden — Jeder weiß
+am Besten wohin er gehört, und dahin treibt ihn der Instinkt,«
+sagte Herr Weigel achselzuckend, indem er den Tisch verließ,
+und Kellmann erwischte eben noch zur rechten Zeit Schollfeld
+hinten am Frackzipfel, der aufspringen und dem sich rasch entfernenden
+Weigel nach wollte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber so fangen Sie hier doch um Gottes Willen keinen
+Skandal mit dem Menschen an!« rief Kellmann leise und
+bittend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Instinkt treibt?« rief aber Schollfeld jetzt, da er sich
+<span class="tei tei-pb" id="page187">[pg 187]</span><a name="Pg187" id="Pg187" class="tei tei-anchor"></a>hinten, vielleicht gern, gehalten fühlte — laut hinter dem
+Davoneilenden her — »Sie wird bald 'was anders treiben
+Sie — Sie <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Seelenverkäufer</span></em> Sie!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Pst!« rief aber auch der Actuar jetzt, ihn rasch zu sich
+niederziehend — »Sind Sie denn ganz vom Bösen besessen
+Apotheker? auf das Wort könnte er Ihnen, wenn er's noch
+gehört hätte, die schönste Injurienklage an den Hals hängen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»S'ist aber wahr — der Lump!« rief Schollfeld ärgerlich,
+den leeren Krug zum hastigen Trunk aufhebend, und denselben
+dann laut auf den Tisch aufstoßend — »es ist ein
+Seelenverkäufer, der Kerl, und um einen Thaler beschwatzt er
+das Kind, daß es die Eltern, den Mann, daß er die Frau
+verläßt — hier Kellner, noch ein Glas Bier. — Sprecht mir
+von Raubmördern und Straßenräubern, gegen die das Gericht
+einschreitet und ihnen das Handwerk legt — allen Respect
+vor einem Mann, der es den Leuten geradezu in's Gesicht
+wirft, »ich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">bin</span></em> ein schlechter Kerl — ich stehle wo ich's
+bekommen kann, und wo ich's nicht gutwillig kriege mord' ich
+auch; aber solche heimliche Hallunken sind die Upasbäume der
+menschlichen Gesellschaft — sie vergiften was sie erreichen
+können, und von außen geben sie sich das Ansehen eines ehrlichen
+Baumes und haben grüne Blätter und glatte Rinde.
+Gegen <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">die</span></em> Schufte sollte eingeschritten werden, nicht mit
+Geldstrafen oder Gefängniß, nein mit Knute und Strang — Himmeldonnerwetter,
+wenn ich da 'was in der Regierung zu
+befehlen hätte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie würden schöne Geschichten anrichten, kann ich mir
+<span class="tei tei-pb" id="page188">[pg 188]</span><a name="Pg188" id="Pg188" class="tei tei-anchor"></a>etwa denken,« sagte der Actuar trocken, »s'ist so schon manchmal
+wie's ist. Lassen Sie doch jeden seinen Weg gehn in der
+Welt; der liebe Gott weiß wohl wozu's gut ist. Blutigel sind
+auch unangenehme Geschöpfe in der Naturgeschichte, und doch
+verwendet sie die Natur wieder zu höchst nützlichen und nothwendigen
+Zwecken; denken Sie sich so ein Individuum wäre
+ein menschlicher Blutigel.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dann trink' ich aber nicht mein Bier an einem Tisch
+mit ihm,« rief der Apotheker.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bah, das ist wieder zu weit gegangen,« sagte Kellmann,
+»viel zu weit gegangen. 'Was Schlechtes können Sie dem
+Mann überhaupt nicht nachsagen, denn daß er für Amerika
+wirbt, ist einesteils sein Geschäft, anderntheils seine Ansicht,
+und er könnte Ihnen von <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">seinem</span></em> Standpunkt aus dann
+ebensogut wieder vorwerfen, daß Sie eine Menge Menschen
+absichtlich unglücklich machten, die sie von einer Auswanderung
+nach jenem Lande abhielten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Unsinn — baarer Unsinn!« rief aber Schollfeld, unwillig
+den Kopf herüber und hinüber werfend — »Jemand
+unglücklich machen, daß man ihm von einer Auswanderung
+nach Amerika abräth, wäre gerade so, als ob ich als eines
+Menschen Mörder betrachtet würde, den ich abhalte aus dem
+dritten Stock auf die Straße zu springen. Aber hol den
+Lump der Henker,« brach er kurz und ärgerlich ab, »ich war
+so guter Laune und jetzt hat er mir den ganzen Abend verdorben.
+ — Nach Sibirien auswandern — « brummte er dabei,
+während er eine neue Cigarre aus der Tasche nahm und sie
+<span class="tei tei-pb" id="page189">[pg 189]</span><a name="Pg189" id="Pg189" class="tei tei-anchor"></a>an dem, auf dem Tisch stehenden Licht entzündete — »Holzkopf
+der — nach Sibirien auswandern — ich will nur einmal
+in den Saal gehn und sehn wie sie's da treiben, daß
+man auf andere Gedanken kömmt — ich bin bald wieder da.«
+Und von seinem Stuhl aufstehend verließ er langsam, und
+immer noch vor sich hin murmelnd, das Zimmer.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Actuar stand ebenfalls auf und nahm seinen Hut.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na nu?« sagte aber Kellmann erstaunt — »was ist
+das für eine Wirthschaft heut Abend? Schollfeld läuft fort,
+Lobsich hat sich gar nicht sehen lassen, und Sie wollen jetzt
+auch Fersengeld geben? wo bleibt denn da heute Abend unser
+Solo? — wir können doch nicht wie die Pferde zu Bette
+gehn, ohne unsere Parthie gespielt zu haben?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mir ist heute nicht wie spielen,« sagte der Actuar, langsam
+mit dem Kopfe schüttelnd, »ich habe auch Kopfschmerzen,
+und an der frischen Luft wird mir wohl besser werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Fort dürfen Sie aber noch nicht,« sagte Kellmann, indem
+er sein Bier austrank, und ebenfalls aufstand, »da wollen
+wir lieber einmal unten im Garten auf und ab gehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Actuar zögerte einen Augenblick, dann aber legte er
+schweigend seinen Arm in den Kellmann's und beide Freunde
+gingen mitsammen die Treppe hinunter.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es war indessen vollkommen dunkel geworden, und die
+Leute hatten sich, des feuchten Abends, wie des im Saal wogenden
+Tanzes wegen, meist alle aus dem Garten hinaus, und
+in die mehr geschützten Räume der Gebäude gezogen. Nur hie
+und da saß noch irgend ein kosendes Pärchen in einer Laube,
+<span class="tei tei-pb" id="page190">[pg 190]</span><a name="Pg190" id="Pg190" class="tei tei-anchor"></a>oder schwärmte auch wohl auf dem Vorbau des Gartens nach
+dem, gerade über dem nebelgefüllten Thal jetzt aufzeigenden
+Vollmond hinüber, dessen große rothe Scheibe sich glühend
+aus den Bergen hob, und das weite, thaublitzende Thal
+überschaute.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Kellmann ging ruhig neben dem still vor sich nieder
+schauenden Freund her, bis sie den breiten Fußweg der schönen
+ebenen Chaussee erreichten, und eine kleine Strecke derselben
+hinauf gewandert waren; dann aber blieb er, diesen zurück
+haltend, plötzlich stehen, und sagte mit freundlichem, herzlichen
+Ton:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber lieber Ledermann, Sie dürfen sich Ihrem Schmerz
+um das Kind nicht so ganz und rücksichtslos hingeben; lieber
+Gott ich begreife daß es ein schwerer, recht schwerer Verlust
+ist, aber Gott hat's gegeben und Gott hat's genommen, und
+wer weiß ob dem kleinen lieben Wesen dadurch nicht vielleicht
+ein recht trübes und schmerzliches Dasein erspart wurde.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es ist nicht das Kind, Kellmann,« sagte aber der
+Actuar, leise mit dem Kopf schüttelnd, »nicht der Tod meiner
+kleinen Adele nagt mir jetzt am Herzen, obgleich der da oben
+weiß wie weh er mir gethan — nein, ich halte ihn sogar
+unter den jetzigen Verhältnissen, in denen ich lebe, für ein
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Glück</span></em>, und es ist <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">furchtbar</span></em>, daß ich gezwungen bin so
+etwas von dem Tod meines eigenen, einzigen Kindes zu
+sagen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber was, um Gottes Willen, haben Sie <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">denn</span></em>?«
+rief Kellmann, verwundert vor ihm stehen bleibend und ihn
+<span class="tei tei-pb" id="page191">[pg 191]</span><a name="Pg191" id="Pg191" class="tei tei-anchor"></a>anschauend. »Irgend etwas <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ist</span></em> vorgefallen, aber was? — etwa
+wieder zu Hause der alte wunde Fleck?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Ledermann nickte finster und schweigend mit dem Kopf.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber was <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">will</span></em> sie denn eigentlich,« rief Kellmann
+finster die Brauen zusammen und seinen Arm aus dem des
+Freundes ziehend, um besser gesticuliren zu können — »Wetter
+noch einmal, Ledermann, Sie hätten da schon lange ernst und
+entschieden auftreten sollen, die Sache ist jetzt schon viel zu
+weit eingerissen, und die Frau bringt sie, wenn das so fort
+geht, wahrhaftig noch unter die Erde.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ernst und entschieden auftreten? — lieber Gott,« stöhnte
+der Actuar kopfschüttelnd — »soll ich mir denn die letzte leiseste
+Hoffnung auf einen, nur möglichen Hausfrieden selber
+muthwillig vernichten? — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Sie</span></em> haben gut reden; <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Ihr</span></em> Geschäft
+ist in Ihrer eignen Wohnung, und Ihre Erholung gestattet
+Ihnen, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">die</span></em> außerhalb desselben zu suchen, ich aber sitze
+und schwitze den ganzen lieben ausgeschlagenen Tag auf dem
+verwünschten Bureau, und komme ich dann Abends zu Hause,
+und sehne mich nach einer halbstündigen gemüthlichen Ruhe,
+so beginnt die Frau, und wenn sie eine Ursache aus der Luft
+greifen sollte, mir das Leben zu einer Hölle zu machen. Lieber
+Gott, es fiele mir ja gar nicht ein Abends in ein Wirthshaus
+zu gehn, wenn ich Frieden daheim hätte; es giebt vielleicht
+wenig Menschen in der Welt, die sich so nach einem stillen,
+häuslichen Leben sehnen, wie gerade ich, und keinen, Kellmann,
+keinen weiter, dem es <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">so</span></em> verbittert, so gänzlich aus dem Fen<span class="tei tei-pb" id="page192">[pg 192]</span><a name="Pg192" id="Pg192" class="tei tei-anchor"></a>ster
+geworfen wird, jeden Abend wieder von Frischem, wie
+gerade mir.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber was ist denn nur vorgefallen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das Ganze ist mit wenig Worten erzählt,« sagte der
+Actuar nach kurzer Ueberlegung entschlossen, »und Sie sollen
+mir rathen, wie ich im Stande bin mich einem Zustand zu
+entziehn, der mir unerträglich wird. Sie haben gehört daß
+ich von einem entfernten Verwandten sechshundert Thaler
+geerbt, die ich in den nächsten Wochen ausgezahlt bekomme.
+Das Vernünftigste nun wäre das Geld in irgend einem
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">sichern</span></em> Staatspapier, oder in guten Actien anzulegen, und
+mit den wenigen, aber gewissen Zinsen meinen, überdies ärmlichen
+Gehalt zu erhöhen — ich habe fünfhundert Thaler jährlich
+und weiß bei Gott oft nicht wie ich auskommen soll.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun gut, das ist ja Alles so schön und glatt wie es
+nur sein kann.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Jawohl, aber meine Frau besteht darauf das Capital
+ihrem Bruder geben zu wollen, der ein Geschäft hat und mir
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">fünf</span></em> Procent verspricht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ih nun, wenn es da sicher angelegt ist — fünf Procent
+wäre aller Ehren werth.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber es <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ist</span></em> nicht sicher angelegt; der Bursche ist ein
+liederlicher leichtsinniger Mensch, der schon einmal Bankerott
+gemacht hat und — wie ich ziemlich guten Grund habe zu
+vermuthen — an der Grenze eines zweiten steht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ahem,« sagte Kellmann nachdenkend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Geb ich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ihm</span></em> das Geld,« fuhr der Actuar fort, »so ist
+<span class="tei tei-pb" id="page193">[pg 193]</span><a name="Pg193" id="Pg193" class="tei tei-anchor"></a>es über Jahr und Tag, so sicher wie dort drüben der Mond
+aufgeht, verloren, und geb' ich es ihm <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">nicht</span></em>, so weiß ich daß
+mir die Frau zu Hause den eignen Heerd zur Hölle macht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Donnerwetter, Ledermann, nehmen Sie mir das
+nicht übel,« sagte Kellmann stehen bleibend, »da würde ich
+denn doch einmal einen Trumpf darauf setzen und mein Recht
+als Mann und Herr im Hause wahren; nur durch Ihr ewiges
+Nachgeben haben Sie die Geschichte schon so, in Grund hinein
+verdorben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber was <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">soll</span></em> ich thun?« rief der Actuar verzweifelnd
+ — »mit Worten <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kann</span></em> ich nicht gegen sie anstreiten, nicht
+sechs Männer könnten das; in Ruhe und Güte ist Nichts anzufangen
+mit ihr, und schlagen darf und will ich sie ebenfalls
+nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So lassen Sie sich scheiden, zum Wetter noch einmal;«
+rief Kellmann, »lieber doch eine trockne Brodrinde kauen, als
+mit solchem Drachen das ganze Leben, eine ganze Existenz,
+mühselig und qualvoll hinzuschleppen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Heute Abend zum ersten Mal,« sagte der Actuar seufzend,
+»habe ich ihr selber damit gedroht; ich habe ihr vorgehalten,
+daß sie sich mit mir nicht glücklich fühlen <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">könne</span></em>,
+weil sie fortwährend, und ohne auch nur einen einzigen Tag
+Frieden zu gestatten, zanke, und das Beste sein würde, wir
+ließen uns, einem Leben zu entgehen das auf die Länge der
+Zeit doch nicht durchgeführt werden könne, gerichtlich scheiden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun? — und was hat sie darauf erwiedert?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich bin fortgelaufen,« sagte der Actuar, seufzend den<span class="tei tei-pb" id="page194">[pg 194]</span><a name="Pg194" id="Pg194" class="tei tei-anchor"></a>
+Kopf von dem Freund abwendend, »denn sie wurde — sie
+wurde so heftig, und betrug sich — betrug sich so unvernünftig,
+daß ich mich vor den Nachbarn schämte, und lieber Hut und
+Stock nahm, den Frieden wieder, wie schon so oft, auswärts
+zu suchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Also sie weigert eine Scheidung?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie schwur sie wolle mir die Augen auskratzen, wenn
+ich noch einmal ein derartiges Wort erwähne, zerbrach dann
+in ihrer Wuth Gott weiß was Alles, und — ich glaube sie
+bekam nachher Krämpfe — ihr altes Leiden. Erst hatte ich
+gehofft der Tod des Kindes würde sie milder stimmen, aber
+nein, und wenn mich etwas über den Verlust des kleinen lieben
+Wesens trösten könnte, so ist es gerade der Gedanke, es
+dem bösen Beispiel, das ihm die eigene Mutter täglich gab,
+entrissen zu sehn — was hätte zuletzt aus ihr werden sollen,
+als eben eine solche Frau.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und so ist gar keine Hoffnung, mit Güte durchzukommen? — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Actuar schüttelte schweigend mit dem Kopf.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, das ist eine verfluchte Geschichte,« sagte Kellmann,
+»da — da weiß ich wahrhaftig auch nicht was ich rathen soll.
+Das Geld vertraute ich aber — wenn die Sache <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">so</span></em> steht —
+meinem Schwager auch nicht an, soviel ist sicher — Sie sind
+das sich selber und Ihrer eigenen Existenz schuldig.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Actuar seufzte tief auf und die beiden Männer gingen
+wieder eine Zeitlang, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt,
+nebeneinander hin. Sie waren indeß die Straße
+<span class="tei tei-pb" id="page195">[pg 195]</span><a name="Pg195" id="Pg195" class="tei tei-anchor"></a>ein Stück hinauf- und wieder zurückgegangen, und blieben
+jetzt mehre Minuten nicht weit von dem Eingang des Gartens
+stehn, den Rücken diesem, und ihr Gesicht dem sich gerade über
+die Berge hebenden Monde zugewandt, als ein junges Mädchen,
+noch ein Kind fast und augenscheinlich auf der Wanderung,
+ganz allein mit einem kleinen Bündel in der linken Hand, und
+einem großen dunklen Tuch über dem rechten Arm, die Straße
+herunter kam und ziemlich dicht an ihnen vorüberging. So
+viel sie im Mondenlicht erkennen konnten, war sie nur ärmlich
+gekleidet, und auch wohl ermüdet von einem vielleicht langen
+Marsch, denn sie blieb zweimal stehen und trocknete sich dabei
+den Schweiß von der Stirn.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das zweite Mal als sie Halt machte geschah das fast
+dicht vor den beiden, hier im Schatten eines Hollunderbusches
+stehenden Männern, die sie im Anfang gar nicht bemerkte, und
+sie schien den Tönen zu lauschen die aus dem etwa zweihundert
+Schritt davon gelegenen hellerleuchteten Gartenhaus wild
+und lustig heraustönten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Fröhliche Menschen,« flüsterte sie dabei — »<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Glückliche</span></em>;«
+wie sie aber den Kopf dem Lichte zuwandte, fiel ihr
+Blick auch auf die beiden dunklen Schatten unter der Mauer,
+und wie unwillkürlich fuhr sie zurück; dabei glitt ihr das
+Bündel aus der Hand und fiel zu Boden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wir thun Dir Nichts, Kind,« sagte Kellmann, der die
+Bewegung gesehen hatte, gutmüthig; »wo willst Du denn noch
+so spät hin?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page196">[pg 196]</span><a name="Pg196" id="Pg196" class="tei tei-anchor"></a>»Nach Heilingen,« antwortete das fremde Mädchen, ihr
+Bündel wieder aufnehmend — »ist es noch weit bis dorthin?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Eine halbe Stunde etwa, wenn Du rüstig zugingst;
+aber Du scheinst müde zu sein und wirst wohl länger brauchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich komme weit her,« sagte die Fremde, aber sie zögerte
+dabei und es war als ob sie noch nach irgend etwas
+fragen oder um etwas bitten wolle, und sich auch wieder scheue
+es zu thun.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Du bist wohl hungrig, Kind?« frug sie da Kellmann,
+dessen gutes Herz ihn zu helfen drängte, wo das in seinen
+Kräften stand — »sag's gerad' heraus; und wenn Du kein
+Geld hast macht das nichts, ich schaffe Dir was.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das Mädchen schwieg und drehte seufzend den Kopf ab
+und Kellmann, dem richtigen Princip der Gastlichkeit und
+Menschenliebe treu, nicht viel zu fragen erst, wo man gern
+giebt, sagte ihr sich einen Augenblick auf die kleine Bank am
+Thor zu setzen, und er werde ihr einen Imbiß holen — sie
+könne dann Heilingen bald erreichen. Ohne erst eine Antwort
+abzuwarten ging er darauf rasch in's Haus, und das Mädchen
+zögerte noch einen Augenblick und folgte dann, augenscheinlich
+zum Tod ermüdet, der freundlichen Einladung.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Du kommst weit her?« sagte der Actuar endlich, der
+neben ihr stehn geblieben, im Anfang aber noch zu sehr mit
+seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, viel auf die Fremde
+zu achten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Von Erfurt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page197">[pg 197]</span><a name="Pg197" id="Pg197" class="tei tei-anchor"></a>»Von Erfurt? hm — das ist eine lange Strecke; zu Fuß
+den ganzen Weg?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und willst in Heilingen bleiben?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich weiß es noch nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hast Du Verwandte dort?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Einen Bruder.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hast Du denn einen Paß bei Dir?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja,« sagte das Mädchen und holte, mit einem scheuen
+Blick auf den Frager, ihr kleines Bündel vor, das sie Miene
+machte aufzuknüpfen, der Actuar aber, der die Bewegung verstehen
+mochte, sagte rasch:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein nein — laß nur sein — ich will ihn nicht sehen
+ — ich frug nur Deinethalben, damit Du hier in der Stadt
+in keine Verlegenheit kämest. Da ist auch Freund Kellmann
+schon mit dem Essen — nun laß Dir's schmecken.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Da,« sagte der kleine Kürschner, der schnellen Schrittes
+mit einem großen gestrichenen Weißbrod und einem hohen
+Glas Milch herankam und es der Fremden reichte — »das
+wird Dir gut thun.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das junge Mädchen nahm das Glas mit schüchternem
+Danke an und trank — erst ein wenig, dann aber herzhafter
+ — sie mochte wohl recht durstig gewesen sein. Wie sie fertig
+war setzte sie das Glas auf die Bank zurück und nahm ihr
+Bündel wieder auf.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich danke Ihnen auch noch viel tausend Mal,« sagte
+sie dabei mit weicher, ergriffener Stimme — »ich hatte
+<span class="tei tei-pb" id="page198">[pg 198]</span><a name="Pg198" id="Pg198" class="tei tei-anchor"></a>seit heute Morgen Nichts gegessen und war recht matt geworden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Armes Kind,« sagte Kellmann mitleidig — »aber hast
+Du denn schon einen Platz in der Stadt wo Du übernachtest?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja,« sagte die Kleine — »ich denke so — können Sie
+mir aber wohl noch sagen ob das Haus des reichen Herrn
+Dollinger nahe am Thore ist, oder weit in der Stadt drin?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dollinger's Haus? oh nicht so weit in der Stadt drin
+ — aber was willst Du dort?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mein Bruder ist in Herrn Dollinger's Geschäft — wohnen
+auch die Leute bei ihm im Hause?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nicht daß ich wüßte,« sagte Kellmann.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber man kann es doch dort erfahren wo sie wohnen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gewiß — gleich unten im Haus bei dem Hausmann;
+frage nur nach der Poststraße, wenn Du in's Thor kommst.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gute Nacht Ihr Herren, und nochmals schönsten Dank
+ — Gott mag es Ihnen vergelten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gute Nacht Kind, guten Weg,« sagte Kellmann, »aber
+ — wie heißt denn Dein Bruder?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Franz Loßenwerder,« sagte das Mädchen und ging langsam
+die Straße hinab.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Oh Du mein Gott,« rief der Actuar leise und erschreckt
+vor sich hin, wie er den Namen hörte — »das ist ja schrecklich.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Du lieber Gott, das arme Ding muß von dem Schicksal
+des Bruders gar Nichts wissen,« seufzte auch Kellmann —
+»und wenn sie das jetzt heute Abend erfährt — o wo wird sie
+nur die Nacht bleiben?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page199">[pg 199]</span><a name="Pg199" id="Pg199" class="tei tei-anchor"></a>»Armes, armes Kind,« sagte der Actuar, »und selbst
+ohne Geld in der fremden Stadt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich geb' ihr etwas,« rief Kellmann, rasch entschlossen,
+und eilte »heh! — pst!« rufend die Straße hinab dem Mädchen
+nach, das stehen blieb und nach Bündel und Tuch fühlte
+als sie den Ruf hörte, weil sie glaubte daß sie vielleicht etwas
+vergessen hätte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Liebes Kind,« stotterte aber Kellmann verlegen, als er
+sie eingeholt, denn er konnte es nicht über's Herz bringen ihr
+die Wahrheit zu sagen — »ich — ich kenne Deinen Bruder,
+aber — er ist jetzt nicht in Heilingen — Du — Du wirst es
+morgen schon hören, und im Dollingerschen Hause können sie
+Dir auch heute nichts weiter sagen, es ist sogar sehr die
+Frage ob der Mann unten im Haus noch auf ist. Gleich
+wenn Du in's Thor hineinkommst, das dritte Haus an der
+rechten Seite, vor dem die beiden Laternen stecken, ist ein
+Gasthaus — ein gutes anständiges Haus, wo sie Dir Quartier
+geben werden — da gieb ihnen diese Karte, der Wirth
+kennt mich, und sage ihm nur ich hätte Dich hingeschickt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber bester Herr,« sagte das Mädchen bestürzt, als ihr
+der gutmüthige Kürschnermeister mit der Karte zwei große
+Stücken Geld — es waren zwei Thaler — in die Hand
+drückte — »ich weiß gar nicht — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Kellmann ließ sie aber gar nicht zu Worte kommen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Schon gut — schon gut,« rief er, drehte sich um, und
+kehrte, das Mädchen allein auf der Straße zurücklassend, eben
+<span class="tei tei-pb" id="page200">[pg 200]</span><a name="Pg200" id="Pg200" class="tei tei-anchor"></a>so rasch nach dem Platz zurück, wo der Actuar noch seiner
+harrend stand.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Haben Sie es ihr gesagt?« frug dieser ihn.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein — um Gottes Willen nein; das mögen Andere
+thun, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ich</span></em> könnte es nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber was soll jetzt aus ihr werden?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich werde mich im Löwen schon nach ihr erkundigen,«
+sagte Kellmann nach kurzer Ueberlegung — »und wenn es
+ein ordentliches Mädchen ist, hab ich Bekannte genug hier in
+der Stadt, ihr einen Dienst zu verschaffen. Aber wie ist es
+denn mit der Loßenwerderschen oder Dollingerschen Geschichte
+geworden? ist denn noch etwas von dem gestohlenen Gut zu
+Tage gekommen? — man hört ja keine Sterbenssylbe mehr
+darüber.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nichts — gar nichts weiter,« sagte der Actuar; »im
+Gegentheil hat der arme Teufel von Loßenwerder ein kleines
+Tagebuch geführt gehabt, was sich unter den confiscirten
+oder mit Beschlag belegten Sachen fand, und worin er
+jeden bis dahin eingenommenen Groschen sorgfältig und ordentlich,
+mit seinen höchst bescheidenen Ausgaben, aufnotirt.
+Das aber als gültig angenommen — und wir haben nicht
+die mindeste Ursache es zu bezweifeln da es fast zwölf Jahre
+zurückführt — wäre im Gegentheil der Beweis geliefert daß
+die aufgefundenen zweihundert Thaler mühsam und redlich
+gespartes Geld gewesen wären.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kein</span></em> anderer Beweis hat sich gegen ihn herausgestellt?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page201">[pg 201]</span><a name="Pg201" id="Pg201" class="tei tei-anchor"></a>»Keiner, als daß er im Hause war und sich auffällig
+heimlich daraus entfernt hat; aber auch selbst das findet nach
+den Acten eine wahrscheinliche, wenn auch etwas wunderliche
+Erklärung. Nach einer Zahl vieler höchst mittelmäßiger, oft
+aber auch ziemlich guter Gedichte, in denen sich besonders viel
+Gemüth ausspricht, scheint der arme verwachsene und hülflose
+Mensch eine Art von — Liebe — ich kann es nicht anders
+nennen, gegen Dollinger's jüngste Tochter und Henkel's Braut
+in seinem unschönen Körper mit herumgetragen, und nur,
+seinen Standpunkt gar wohl erkennend, den einzelnen, in seinem
+Pult verschlossenen Blättern anvertraut zu haben —
+doch das unter uns. Diese unglückselige und hoffnungslose
+Neigung <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kann</span></em> ihn möglicher Weise dazu getrieben haben,
+dem jungen Mädchen zu ihrem Geburtstag einen Blumenstock
+zu schenken — er hat sogar ein Gedicht geschrieben was den
+Punkt berührt, und worin er sich glücklich fühlt daß sie eine
+Blume pflegen könnte die er gezogen, wenn sie auch nicht
+wüßte von wem sie käme. Daß er unter solchen Umständen
+nicht wollte im Hause gesehen sein läßt sich denken, und ein
+Diebstahl in ihrem eigenen Zimmer verliert, diesen Thatsachen
+gegenüber, an Wahrscheinlichkeit, wenn er auch nicht eben zu
+einer Unmöglichkeit gehörte. Das Menschenherz ist schwach,
+und Mancher schon ist geringerer Verführung erlegen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hm, hm, hm,« sagte Kellmann vor sich hin — »das
+ist ja eine rechte, rechte böse Geschichte, und der arme Teufel
+da am Ende ganz und gar unschuldig in sein Verderben
+gesprungen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page202">[pg 202]</span><a name="Pg202" id="Pg202" class="tei tei-anchor"></a>»Ja, und eine Sache die mir selber schon manche schlaflose
+Nacht gemacht hat,« sagte der Actuar, »denn ich <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kann</span></em>
+den Gedanken nicht los werden, welchen Antheil ich selber
+daran gehabt, den Unglücklichen dahin zu treiben — obgleich
+ich eben nicht mehr als meine Pflicht gethan, und an einen
+solchen verzweifelten Schritt nicht denken konnte; war er
+unschuldig, hätte sich das ja bald in der Untersuchung herausgestellt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, und die Untersuchung rechnet Ihr Herrn vom Gericht
+eben für Nichts,« sagte Kellmann finster — »aber wenn
+das sein erspartes, und Gott weiß dann <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">wie</span></em> mühsam erspartes
+Geld war, wird es doch auch seinen Erben nicht können
+vorenthalten werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Die Untersuchung ist noch nicht ganz geschlossen,« sagte
+der Actuar, »aber ich glaube auch nicht daß irgend Jemand
+anders einen Anspruch darauf wird geltend machen können.
+Diese Schwester erwähnte er überhaupt mehrmals in seinen
+Notizen, und hat sie auch dann und wann unterstützt, das
+Geld wird ihr später allerdings zugesprochen werden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und keine Spur ist sonst aufgefunden von dem möglichen,
+von dem wirklichen Dieb?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Keine — die Dienstboten sind Alle mehrmals scharf inquirirt
+und auf das Genauste die ganze Zeit beobachtet, zu
+sehen ob eins von ihnen vielleicht größere Ausgaben als gewöhnlich
+mache, oder sich durch irgend etwas anderes verrathen
+würde; ja die Leute haben untereinander fast eben so
+scharfe Wacht gehalten, den Verdacht von sich abzuwälzen
+<span class="tei tei-pb" id="page203">[pg 203]</span><a name="Pg203" id="Pg203" class="tei tei-anchor"></a>und den Schuldigen aufzufinden, aber es hat sich bis jetzt nicht
+das Mindeste herausstellen wollen. Mit Geld ist das eine
+böse Sache, und wenn der Dieb die Juwelen nur vorsichtig ein
+paar Jahr an sich hält, und dann vielleicht noch gar außer
+Landes schafft, wer soll ihn da aufspüren? allwissend sind wir
+auch nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das weiß Gott,« sagte Kellmann — »wie damals mit
+der Pelzdecke, die mir Jemand von der Ladenthür weggestohlen,
+und die ich zwei Jahr später ganz gemüthlich im Polizeibureau,
+beim Polizeidirector selber in der Stube wiederfand; da
+hört denn doch Alles auf. Aber mir ist wahrhaftig jetzt nicht
+wie spaßen zu Muth; der Anblick des armen Mädchens hat
+einen wehmüthigen Eindruck auf mich gemacht; lieber Himmel,
+was es doch für Elend auf der Welt giebt, und still und bewußtlos
+gehen wir meist daran vorüber.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und die Musik da drinnen, während das arme Kind
+dort allein und freundlos seine Straße geht, und trotzdem jetzt
+noch glücklich ist gegen den Augenblick, wo es das Furchtbare
+doch erfahren <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">muß</span></em>. Mich leidet's heute nicht länger hier
+draußen, Kellmann,« brach er kurz ab — »ich mag die Tanzmusik
+nicht hören — wollen wir zurück in die Stadt gehn?
+es ist überdies schon spät.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich habe Nichts dagegen,« sagte Kellmann, tief aufseufzend
+ — »mir ist der Abend heute auch verdorben, aber
+wir wollen Schollfeld erst abrufen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Da drin ist wohl Prügelei?« sagte da Ledermann,
+als aus dem Hause wilder Lärm zu ihnen heraus tönte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page204">[pg 204]</span><a name="Pg204" id="Pg204" class="tei tei-anchor"></a>»Das wäre früh,« meinte Kellmann — »die kommt gewöhnlich
+sonst erst später, oder ganz zum Schluß. Es ist
+doch sonderbar, daß ein deutscher »Tanz« nie ohne eine
+Schlägerei enden kann; es scheint auch ungefähr dasselbe, wie
+der Cotillon bei einem Ball, nur daß sich die jungen Mädchen
+nicht dabei betheiligen — höchstens verheirathete Frauen, ihre
+Eheherren zu schützen, und die Verwirrung womöglich noch
+größer zu machen — hallo aber das kommt hier heraus.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie werden Jemanden hinauswerfen,« sagte der Actuar
+ruhig — »lassen Sie uns an die Seite treten daß wir nicht
+in das Gewirr gerathen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Actuar hatte allerdings recht, denn unter dem Lachen,
+Schreien und Jubeln der Menge, durch das einzelne wilde
+Flüche einer, ihnen keineswegs unbekannten Stimme tönten,
+wälzte sich ein Haufen Menschen aus dem Saal heraus, in
+der Mitte einen Mann schleppend, der sich mit Händen und
+Füßen, wenn auch umsonst, gegen solche unwürdige Behandlung
+sträubte, und in dem die beiden Freunde sehr zu ihrem
+Erstaunen den Auswanderungsagenten Weigel erkannten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Laßt mich los!« schrie dieser dabei, mit den wildesten,
+ungemessensten Flüchen und Schimpfreden — »laßt mich los
+oder ich rufe die Polizei — Hülfe! — Mörder! Feuer!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Brüll nur mein Herzchen!« sagte aber der Verwalter
+von Hohleck, eine riesige breitschultrige Gestalt, der den machtlos
+dagegen Ankämpfenden wie in einer eisernen Klammer am
+Kragen gepackt hielt — »Dich könnten wir hier brauchen,
+die Leute heimlich beschwatzen daß sie Hof und Dienst verlassen
+<span class="tei tei-pb" id="page205">[pg 205]</span><a name="Pg205" id="Pg205" class="tei tei-anchor"></a>und nach Amerika liefen — ei Du Hallunke, Du kommst mir
+einmal wieder vor die Fäuste.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Halt da — Hohmeier! laßt ihn los!« rief aber in diesem
+Augenblick eine andere, etwas schwer klingende Stimme, die
+dem also Gefährdeten zu Hülfe zu eilen schien — »der hier — Homeier — der
+hier ist mein Freund — mein ganz intimer
+Freund und den laß ich mir — Homeier, den laß ich mir
+nicht aus dem Hause werfen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es war Niemand anderes als der Wirth, Lobsich, selber,
+aber, wie es die Seeleute nennen, »halb im Wind«, mit
+schwerer Zunge und schon etwas taumelndem Gang, daß sich
+der Zustand in dem er sich befand, nicht gut verkennen ließ.
+Er versuchte dabei den Agenten zu halten und aus den Händen
+derer die ihn gefaßt hatten fortzuziehn; Hohmeier, der Verwalter
+schob ihn aber mit seinem linken Arm bei Seite, als
+ob es ein Kind gewesen wäre, und sagte ruhig:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Geht zu Bett Lobsich, das wär' Euch viel besser heut
+Abend, aber mischt Euch nicht in Sachen die Euch Nichts
+kümmern.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nichts kümmern?« rief aber der Wirth gereizt, indem
+er den Verwalter mit großen stieren Augen ansah — »nichts
+kümmern <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Hoh</span></em>meier? — oh <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Hoh</span></em>meier wem gehört denn dies
+Haus, heh? — nichts <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kümmern</span></em>? wem gehört denn der
+rothe Drache, heh, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Hoh</span></em>meier.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Schaar war indessen bis grade dorthin gekommen,
+wo Kellmann und der Actuar standen, und wo sie den Agenten
+zwischen zwei ziemlich nah zusammen wachsenden Akazienbäu<span class="tei tei-pb" id="page206">[pg 206]</span><a name="Pg206" id="Pg206" class="tei tei-anchor"></a>men
+durchtragen wollten als dieser, solche letzte Gelegenheit
+vielleicht, benutzend, Arm und Beine auseinanderspreitzte, daß
+sie ihn nicht hindurchbringen konnten, während er von Neuem
+sein »Hülfe! Mörder! Feuer!« aus voller Kehle schrie.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn ihm nur Jemand die Beine ausheben wollte!«
+sagte Herr Schollfeld, der ein höchst vergnügter Zeuge der
+Scene war, ohne jedoch seines schwächlichen Körpers wegen
+selber Theil daran zu nehmen, jetzt wohlmeinend. Ein paar
+Knechte vom Hof, die ihren Verwalter in seinem Richteramt
+unterstützten, ließen sich das auch nicht zweimal sagen, und
+der wüthend, aber vergebens dagegen Antretende fand sich bald
+in der vollkommnen Gewalt der Leute, ohne im Stande zu
+sein auch nur den geringsten erfolgreichen Widerstand zu
+leisten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Heh <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Hoh</span></em>meier!« schrie aber Lobsich, der sich indeß
+durch die im Garten stehenden Stühle und Tische wieder nach
+vorn gedrängt hatte den Mann frei zu machen, von dem er
+sich plötzlich einbildete daß er sein Freund sei, »laßt mir den
+Menschen los, sag ich Euch <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Hoh</span></em>meier — Donnerwetter ich
+will doch einmal sehn wer hier in meinem eigenen Hause zu
+befehlen hat. Ihr oder ich — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Hoh</span></em>meier. Es ist mir doch
+was Unbedeutendes!« Er schien sich auch in der That den
+Leuten entgegenwerfen zu wollen; im Vorspringen, und das
+viele Getränk im Kopf, blieb er aber mit dem einen Fuß in
+einer dort stehenden Fußbank hängen, und schlug der Länge
+lang in den Garten, während die Knechte den jetzt wüthend
+um sich schlagenden Agenten rasch aufgriffen und, lachend
+<span class="tei tei-pb" id="page207">[pg 207]</span><a name="Pg207" id="Pg207" class="tei tei-anchor"></a>über des Wirthes Unfall, aus der Gartenthür auf die Straße
+warfen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Ein furchtbarer Lärm entstand jetzt, die Leute jubelten
+und lachten, und erzählten sich untereinander wie der »Auswanderungsmann«
+einen Schaafknecht vom Gut hätte bereden
+wollen als »Schaafmeister« nach Amerika auszuwandern, und
+vom Verwalter dabei erwischt wäre, und der »Auswanderungsmann«
+stand vor dem Gartenthor und schimpfte und wüthete,
+bis einer der Knechte das Schloß wieder aufdrückte und hinaus
+und ihm nach wollte, und dann auf der Chaussee stehen blieb
+und hinter dem davon Laufenden herfluchte, und Steine hinter
+ihm drein warf.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Drinnen im Saal tönte die Musik aber wieder rauschender
+als vorher, und die jungen Burschen durften die Zeit hier
+nicht länger im Garten versäumen. Während die aber wieder
+in den Saal drängten, Tänzerinnen zu bekommen, und
+Schollfeld von Kellmann angerufen war, mit ihnen zurück
+nach der Stadt zu gehn, blieb Lobsich noch im Garten, an
+dessen Thüre er trat, und nach der Straße hinaus mit lauter
+und immer ärgerlicher werdender Stimme Weigel's Namen
+schrie. Lobsich war jedenfalls stark angetrunken und wollte
+sehr wahrscheinlich den Mann zurück holen, um ihm jetzt ernstlich
+beizustehn und den Skandal noch einmal von Neuem zu
+beginnen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die drei Freunde hielten sich dabei im Schatten eines
+dichten Fliederbusches, von dem aufgeregten und jetzt doch nicht
+zurechnungsfähigen Menschen nicht bemerkt zu werden, und
+<span class="tei tei-pb" id="page208">[pg 208]</span><a name="Pg208" id="Pg208" class="tei tei-anchor"></a>dann unbelästigt den Garten zu verlassen, als Lobsich's Frau,
+die das Toben ihres Mannes wohl im Haus gehört, von
+dort her und den Mittelweg herunter eilte. Ohne daß er sie
+bemerkte kam sie auch bis dicht an ihn hinan, und hier seinen
+Arm ergreifend sagte sie mit leiser, bittender Stimme.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Lobsich — Vater — komm sei vernünftig, laß das
+Schreien und Toben hier auf der Landstraße und geh zu Bette — thu
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">mir's</span></em> zu Liebe Lobsich, wenn ich Dich darum bitte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Laßmchfrieden,« stammelte aber der Betrunkene mit
+schwerer Zunge und suchte sie von sich abzuschütteln — »laß
+mchfrieden sag ich — Dnrrwttrrr — ich weiß — ich weiß
+was ich ss — se thun habe — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Lobsich, ich bitte Dich um Gottes Willen,« flüsterte
+die Frau in Todesangst — »Du machst Dich und mich
+unglücklich wenn Du Dich nicht änderst — was soll daraus
+werden?« — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Laßmch — frieden,« stammelte aber der Mann, sie
+unwillig von sich abschüttelnd, aber er verließ den Thorweg
+wenigstens und taumelte durch den Garten fort, seitwärts vom
+Hause ab — »Weibervolk,« murmelte und fluchte er
+dabei — Himmelsakkrments Weibervolk — Unsinn — violettblaues — ist
+mir doch — ist mir doch was Unbe — Unbedeutendes — «
+und er verschwand damit hinter den Büschen. Die Frau aber
+blieb, den Ellbogen auf das Thürschloß gestützt und das Gesicht
+in den Händen bergend, allein zurück, richtete sich aber
+rasch wieder auf, als sie Schritte auf sich zukommen hörte, und
+wollte nach dem Haus zurück.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page209">[pg 209]</span><a name="Pg209" id="Pg209" class="tei tei-anchor"></a>»Frau Lobsich,« sagte Kellmann, der es war, gutmüthig,
+ja fast herzlich — »macht denn das Lobsich jetzt öfter daß er
+so über die Schnur haut?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach Sie sind es Herr Kellmann,« sagte die arme Frau
+beruhigt. »Lieber Gott, ich weiß meinem Herzen keinen Rath
+mehr, wenn er's so fort treibt; wie soll das enden?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber ich habe Ihren Mann so doch noch in meinem
+Leben nicht gesehn,« sagte Kellmann verwundert.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach ja,« seufzte die Frau — »es ist nicht das erste Mal,
+aber ich habe immer gesucht es so viel als möglich zu verheimlichen,
+es giebt gar solch ein böses Beispiel für die Leute.
+Es sind auch eigentlich nur einige Wochen erst daß er so scharf
+zu trinken anfängt. Lieber Gott, im Kopf hat er früher schon
+manchmal eins gehabt, aber er artete doch nie aus, jetzt jedoch
+geht der Spiritus mit ihm durch, und er wird zum Thier.
+Ach guter Herr Kellmann, wenn Sie einmal ein recht ernstes
+aber doch freundliches Wort mit ihm sprechen wollten; auf
+Sie hält er etwas. Mir verspricht er's wohl auch,« setzte sie
+leiser hinzu, »aber — er vergißt es immer nur zu rasch wieder.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich will mein Möglichstes mit ihm versuchen, Frau
+Lobsich,« sagte Kellmann freundlich — »aber,« setzte er rascher
+und leiser hinzu — »dort glaub' ich kommt er schon wieder
+zurück, es wird besser sein wenn Sie versuchen ihn heute
+Abend zu Bett zu bringen; mit einem betrunkenen Menschen
+läßt sich Nichts anfangen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na? — Donnrrwttrrr,« stammelte aber in diesem Augenblick
+der Wirth, der auf seinem Zickzack Cours wieder nach der<span class="tei tei-pb" id="page210">[pg 210]</span><a name="Pg210" id="Pg210" class="tei tei-anchor"></a>
+Thür zurückkam, und die Arme einstemmend einen, wenn auch
+vergebenen Versuch machte, mit gespreitzten Beinen vor seiner
+Frau stehen zu bleiben — »Dnnrrrwttrrr,« wiederholte er,
+herüber und hinüber schwankend — »was's das vor Wirthschaft
+heh? wo gehört die — gehört die Frau hin, heh? —
+in die Hofthür mit fremden Kerlen schwatzen heh? — ist
+mir doch — ist mir doch was Unbe — Unbedeutendes.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber lieber Lobsich,« nahm hier der jetzt auch hinzugetretene
+Schollfeld das Wort, »sein Sie doch vernünftig und
+gehn Sie — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hallo?« rief aber der Wirth, sich halb nach dem Redner
+herumdrehend, in dessen hell vom Mond beschienenen Zügen
+er den Apotheker erkannte — »sin' wir auch hier? heh? —
+haben auch mit g'holfen mein' besten Freund — mein' besten
+Freund mit hinaus zu werfen — heh? Sie — Sie Giftmischer
+Sie — Sie — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Herr Lobsich!« rief Schollfeld ärgerlich, »Sie sind
+heute nicht zurechnungsfähig, sonst — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Was? — Pillendreher will noch — will noch raiss —
+raiss'niren — heh?« rief aber der gereizte Wirth und that
+einen Schritt gegen den Mann an.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Lobsich so bedenke doch um Gottes Willen was
+Du sprichst,« bat ihn die Frau, seinen Arm ergreifend —
+»komm mit mir in's Haus — wir haben noch so viel zu thun.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Viel zu thun? — heh? — habe keine Zeit mehr heut
+Abend — hickup« — stammelte aber der Mann gegen den
+Schlucken ankämpfend — »muß noch — muß noch — hickup — muß
+<span class="tei tei-pb" id="page211">[pg 211]</span><a name="Pg211" id="Pg211" class="tei tei-anchor"></a>noch Wein abziehn und — und Bier trinken —
+hickup — und — und hahahahaha — da ist — da ist ja die
+ganze Gesellschaft — ja wohl — hickup — ja wohl, komme
+schon — komme schon meine Herrn — Lobsich ist immer da —
+ein verfluchter Kerl, der — der — hickup — der Lobsich —
+ist mir doch — ist mir doch was Unbedeutendes;« — und in
+einer unbestimmten Idee daß ihn vom Haus aus Jemand gerufen
+hätte, wobei er seine Umgebung ganz vergaß, taumelte
+er dem Saal wieder zu, wohin ihm die Frau ängstlich folgte.
+Sie mußte ihn ja zurückhalten, daß er so seinen Gästen und
+Leuten nicht wieder unter die Augen kam.</p>
+</div>
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em"><span class="tei tei-pb" id="page212">[pg 212]</span><a name="Pg212" id="Pg212" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc25" id="toc25"></a>
+<a name="pdf26" id="pdf26"></a>
+<a name="pdb27" id="pdb27"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 9.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Rüstungen.</span></h1>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach New-Orleans!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Das ausgezeichnet schöne, 360 Last große, schnellsegelnde,
+kupferfeste und gekupferte dreimastige Bremer Schiff erster
+Klasse:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Die Haidschnucke</span></em>, Capitain <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">E. Siebelt</span></em>,
+mit vorzüglicher Gelegenheit für Cajüts- und Zwischendecks-Passagiere — wird
+am 30. August expedirt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Agent dafür, I. G. Weigel,</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Hauptagent des Central-Bureau's für Norddeutsche Auswanderung
+in Heilingen, am Markt Nr. 17.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Diese Anzeige stand am Morgen nach den, im letzten Capitel
+beschriebenen Vorfällen im Heilinger Tageblatt, und Dr.
+Haide, der Redacteur desselben, hatte die Gelegenheit nicht unbenutzt
+wollen vorübergehen lassen, einige entsetzliche Mordgeschichten
+und falsche Bankerotte aus den Vereinigten Staaten,
+<span class="tei tei-pb" id="page213">[pg 213]</span><a name="Pg213" id="Pg213" class="tei tei-anchor"></a>wie zur Entmuthigung aller Auswanderungslustigen, in der
+nämlichen Nummer seines Blattes abzudrucken.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Weigel war wüthend darüber, und schrieb augenblicklich
+einen anderen Artikel dagegen; den nahm Doctor Haide aber
+nicht auf, weil er, wie er ganz naiv erklärte, »sich dadurch selber
+blamiren würde.« Uebrigens sei die Sache auch schon erledigt,
+indem die Schiffsanzeige <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">für</span></em>, sein Artikel aber <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">gegen</span></em> Amerika
+und die Auswanderung wäre, und er es sich zum Grundsatz
+gemacht hätte, jeden Artikel nach beiden Seiten hin zu beleuchten — wenn
+Herr Weigel etwas gegen ihn wolle einrücken
+lassen, sei er keineswegs verpflichtet es aufzunehmen, und er
+möge ihn deshalb, wenn er damit durchzukommen glaube, nur
+ganz einfach darauf verklagen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Abfahrt dieses Schiffes war aber für Heilingen in
+so fern von nicht unbedeutender Wichtigkeit, als sich mehre
+Familien dieser Stadt ernstlich dahin entschlossen hatten, mit
+demselben nach Amerika auszuwandern. So unter Anderen
+Professor Lobenstein, der sein Haus jetzt verkauft, und der Stadt
+überhaupt durch seine beabsichtigte Auswanderung höchst willkommenen
+Stoff zu den mannichfaltigsten Vermuthungen und
+Erörterungen geliefert hatte. Ja mehrere Kaffeegesellschaften
+der näheren Bekannten Lobenstein's waren wirklich nur einzig
+und allein zu dem Zweck gegeben worden, sich einmal ordentlich
+über die Sache »aussprechen« zu können.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Auch in dem Dollinger'schen Haus hatten die letzten
+Wochen bedeutende Veränderungen hervorgebracht, indem der
+junge Henkel Briefe von Amerika erhielt, nach denen seine An<span class="tei tei-pb" id="page214">[pg 214]</span><a name="Pg214" id="Pg214" class="tei tei-anchor"></a>wesenheit
+dort, dringend nothwendig geworden. Zwei Wechsel
+trafen zugleich für ihn ein, wie ziemlich starke Aufträge zu Ankäufen
+in Tuchen und Seidenwaaren von seinem Haus, welches
+Geschäft er mit Herrn Dollinger in Gemeinschaft auszuführen
+gedachte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der alte Herr Dollinger, so schwer es ihm auch wurde,
+und so lange er sich dagegen gesträubt, mußte da wohl endlich
+seine Einwilligung zu der Verbindung Clara's mit dem jungen
+Amerikanischen Kaufmann, über dessen Familie und Geschäft
+in New-Orleans er von einem dortigen Geschäftsfreund das
+Beste erfahren hatte, geben. Nur wunderte man sich dort, daß
+der junge Henkel in Nord-Deutschland sei, während man ihn
+auf einer größern Tour durch Italien und Griechenland vermuthet.
+Die Leute dort konnten nicht wissen daß der junge
+Mann auf dem Rhein andere Pläne für seine Zukunft geschaffen,
+als er sie früher vielleicht ausgesonnen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Am letzten Sonntag war also, ganz in der Stille, die
+Trauung vollzogen und Clara, das liebe holde Mädchen, die
+Frau des jungen reichen Amerikaners — wie man ihn überall
+in der Stadt nannte, geworden. Jetzt galt es nun freilich noch,
+in der kurzen Zeit all die nöthigen und so mannichfachen Vorbereitungen
+zu einer Reise nach Amerika für die junge Frau
+zu treffen. Es sollte aber wirklich auch nicht viel mehr als
+eine Reise werden, denn Henkel hatte sich schon selber fest erklärt,
+seinen künftigen Wohnsitz keineswegs in Amerika, sondern
+in Havre nehmen zu wollen, wo überdies, der bedeutenden
+Geschäftsverbindung wegen mit diesem Hafen, ein Associé
+<span class="tei tei-pb" id="page215">[pg 215]</span><a name="Pg215" id="Pg215" class="tei tei-anchor"></a>des Hauses sich aufhalten mußte. Ein oder zwei Monate gedachten
+die jungen Eheleute dann jedes Jahr in dem reizend
+gelegenen Heilingen zuzubringen, was ihnen, wie den Eltern,
+die jetzige Trennung sehr erleichterte, und spätestens im März
+oder April schon wieder nach Europa zurückkehren zu können.
+Die ganze Reise war dadurch wirklich fast nur zu einer etwas
+längeren Vergnügungsfahrt geworden.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Auch für Clara's Mutter war das Bewußtsein, ihr Kind
+nicht für immer zu verlieren und bald wieder in die Arme
+schließen zu können, eine unendliche Beruhigung, und selbst
+hierzu hatte es ihr einen großen Kampf gekostet, ihre Einwilligung
+zu geben. Clara selbst aber hing mit ganzem Herzen
+an dem theuren Mann, und fühlte sich vollkommen glücklich
+in einer Verbindung, die seit sie den Fremden kennen und lieben
+gelernt, ihr das Ziel ihrer irdischen Wünsche geschienen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Was war ihr die Reise, was die Gefahr und Mühseligkeit
+derselben? sie wäre ihm in eine Wildniß gefolgt, und hätte
+sich doch glücklich an seiner Seite gefühlt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der junge Henkel wünschte nun die Ueberfahrt in einem
+Englischen Dampfer nach New-York, und von da mit einem
+Amerikanischen Dampfschiff nach New-Orleans zu bewerkstelligen,
+Clara fürchtete sich aber an Bord eines Dampfers zu gehn,
+theils der doppelten Gefahr, theils der unangenehmen Bewegung
+derselben in schwerem Wetter wegen, von der sie viel
+gehört, und da es sich jetzt gerade so traf daß eine ihr befreundete
+Familie, Professor Lobenstein's, ebenfalls nach New-Orleans,
+und in einem Segelschiff von Bremen ab auswan<span class="tei tei-pb" id="page216">[pg 216]</span><a name="Pg216" id="Pg216" class="tei tei-anchor"></a>derte,
+bat sie mit diesen reisen zu dürfen. Henkel selber schien
+nicht recht damit einverstanden, fügte sich aber doch endlich den
+Bitten seiner jungen Frau.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Wenn aber bei Dollinger's im Haus wenig mehr als
+Wäsche und Kleider herzurichten waren, nur zu einer Reise
+nicht zu einer Uebersiedlung nach Amerika, und man diese schon
+großenteils gepackt und vorausgeschickt hatte, die letzten Stunden
+in der Heimath durch kein Aussuchen und Packen gestört
+zu haben, so schien dagegen bei Professor Lobenstein das ganze
+Haus von innen nach außen gekehrt zu sein.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Professor nämlich hatte auf keinerlei Weise bewogen
+werden können mit seinen Sachen eine Auction anzustellen,
+und nur das Nothwendigste mitzunehmen, da Fracht und
+Spesen unterwegs ein wirkliches Capital auffressen würden,
+für das er sich Alles was er dort brauchte auch an Ort und
+Stelle neu anschaffen könnte. Allen die ihm dies riethen
+zeigte er aus verschiedenen Schriften die statistisch aufgestellten
+Arbeitslöhne der verschiedenen Handwerker, wie die Preise der
+Provisionen, und bewieß ihnen auf das Klarste und Unumstößlichste
+was jedes einzelne Stück Meublen und Hausgeräth
+in notwendiger Folgerung in Amerika kosten müsse. Eben
+so hatte er sich mit unendlicher Ausdauer einen Ueberschlag
+der verschiedenen Frachtpreise nach New-Orleans, und von
+da in's Innere gemacht, bis er endlich zu dem obigen Resultat
+gekommen, und nun auch augenblicklich eine Anzahl Tischler
+in Arbeit setzte, lauter neue Kisten für seine Sachen anzufertigen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page217">[pg 217]</span><a name="Pg217" id="Pg217" class="tei tei-anchor"></a>Eine große Anzahl von diesen war nun schon, gepackt
+und mit eisernen Reifen beschlagen, als Fracht vorausgeschickt,
+eine andere Sendung sollte heute abgehn, und die letzten dann
+in den nächsten Tagen befördert werden, noch zur rechten Zeit
+an Ort und Stelle zu sein. Kellmann selbst, dem Hause eng
+befreundet, hatte dahin mehrere Aufträge übernommen, und
+kam heute Morgen, Bericht über die Ausführung derselben abzustatten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Er selber war natürlich mit der ganzen Uebersiedlung gar
+nicht einverstanden, hatte aber doch, als er alle Gründe des
+Professors dafür gehört, weit weniger dagegen gesagt, als die
+Familie im Anfang vermuthet und auch wohl gefürchtet haben
+mochte. Der Professor sei eben ein Professor, meinte er nur,
+und wo der einmal seinen Kopf aufgesetzt habe, ließ sich auch
+Nichts mehr abstreiten oder gar dagegen beweisen, man müsse
+ihn eben sich selber überlassen, und — es thue ihm nur um
+die Familie leid. Nichtsdestoweniger gab er sich jede erdenkliche
+Mühe ihnen, wo er es nur irgend vermochte, beizustehn,
+wobei er den Professor doch von manchem unüberlegten oder
+unpraktischen Schritt zurückhielt. So kämpfte er, und zwar
+glücklicher Weise mit Erfolg, gegen die unglückselige Idee des
+Professors an, sich hier, trotz Allem was er darüber schon gelesen,
+von dem Auswanderungsagenten Land und eine Farm
+zu kaufen. Er wollte drüben nicht »in Gefahr kommen« von
+Amerikanischen und betrügerischen Landspeculanten hintergangen
+zu werden, und seine Berechnung sämmtlicher Kosten gleich
+<span class="tei tei-pb" id="page218">[pg 218]</span><a name="Pg218" id="Pg218" class="tei tei-anchor"></a>hier an Ort und Stelle machen können, was ihm nicht möglich
+sei, wenn er die Contracte nicht in der Tasche habe.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Kellmann, auf dessen praktisches und gesundes Urtheil er
+sonst überhaupt viel gab, machte ihn mit seinen ernstlichen
+Vorstellungen aber doch stutzig, und noch eine authentische Person
+über die dortigen Verhältnis zu hören, wandte er sich zuletzt
+an den jungen Henkel, und bat diesen um Meinung und
+Rath über die, ihm allerdings sehr am Herzen liegende Sache.
+Dieser rieth ihm aber ebenfalls auf das Entschiedenste ab, sein
+Geld hier an eine solche Speculation wegzuwerfen, denn dieser
+Weigel scheine ihm, was er bis jetzt von ihm gesehn, eine keineswegs
+volles Vertrauen verdienende Persönlichkeit. Er solle
+warten bis sie drüben wären, dort habe er Zeit genug (Kellmann
+hatte ihm dasselbe gesagt), und finde er in New-Orleans
+oder Missouri nichts Besseres, so sei er selber vielleicht im
+Stande ihm ein kleines reizendes Gut abzutreten, das er einmal
+auf einem Jagdzug in's innere Land gekauft, und jetzt
+noch verpachtet hätte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und der Preis?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Er würde zufrieden sein.« Damit war die Sache für
+jetzt abgemacht; freilich zu Weigels Verdruß, der die Farm,
+wie er sich ausdrückte, nun noch »zur Verfügung« behielt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Es mochte etwa Morgens um elf sein, als Kellmann
+Professor Lobensteins besuchte. Das Haus war am vorigen
+Tag öffentlich verauctionirt und von einem reichen Weinhändler
+in Heilingen erstanden worden, die Familie aber jetzt in
+angestrengter Arbeit eifrig bemüht das unangenehme Gefühl
+<span class="tei tei-pb" id="page219">[pg 219]</span><a name="Pg219" id="Pg219" class="tei tei-anchor"></a>nicht allein zu verscheuchen, sondern auch eines vor dem anderen
+zu verbergen, »zum <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ersten</span></em> Male in der <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">eigenen</span></em> Heimath
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">fremd</span></em> zu sein;« zum ersten Mal fremd in den Räumen,
+die ihrer Kindheit Spiele gesehn, und Zeuge gewesen waren
+ihrer keimenden Hoffnungen und Träume.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der erste schwere Schritt zu einem neuen Leben und Wirken
+war aber damit geschehn; freilich auch zu gleicher Zeit die
+Brücke abgebrochen, die noch zurück hätte führen können in das
+Vaterland. Das Band war damit zerrissen, das sie noch an
+dieses knüpfte, und wunderbarer Weise hatte sich jetzt, wie sie
+sich gestern noch fast Alle gefürchtet vor dem Gedanken die
+lieben theueren Räume zu verlassen, ein fremdes unheimliches
+Gefühl zwischen sie und das Haus geworfen, und sie <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">ersehnten</span></em>
+den Augenblick wo sie hinaus konnten, fort, nur fort von
+hier — aus den Erinnerungen fort. Und doch sprachen sie das
+nicht aus gegen einander; Jedes hielt sich nur allein für so
+thöricht und kindisch, mit den quälenden Gedanken; keines
+wußte daß das Gefühl in ihrer Aller inneres Leben verwoben
+sei, und in des Herzens feinsten Fasern Wurzel schlug.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Stimmung Aller, so sehr sie sich auch hüteten dem
+was sie dachten Worte zu geben, war denn auch an dem ganzen
+Morgen schon eine stille, gedrückte gewesen, und Kellmann's
+Erscheinen befreite Alle wie von einer Last. Unten auf der
+Treppe wurde der aber schon laut.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na, ist das ein Vergnügen zu so einer Auswanderungsfamilie
+in's Haus zu kommen,« rief er, als er sich mit zusammengehaltenen
+Schößen zwischen einer Reihe Kistendeckel hin<span class="tei tei-pb" id="page220">[pg 220]</span><a name="Pg220" id="Pg220" class="tei tei-anchor"></a>durchdrückte,
+die, mit den Nägeln nach außen, an der Wand
+lehnten, und dabei noch über eine Unzahl Körbe und Schachteln
+wegsteigen mußte, nur in die Stube zu kommen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nehmen Sie sich in Acht, lieber Kellmann,« rief ihm
+der Professor, der seine Stimme gehört hatte, aus der halbgeöffneten
+Thüre entgegen (er konnte diese nicht ganz aufmachen
+da ebenfalls eine Kiste dahinter stand). »Sie möchten sich da
+draußen die Kleider zerreißen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ist schon bereits geschehen,« brummte Kellmann, indem
+er versuchte einen Blick nach seinem, allerdings beschädigten
+Rücktheil zu gewinnen, »meine Güte, wie sieht das bei Ihnen
+aus — ah guten Morgen meine Damen — und schon so
+fleißig? — was um Gottes Willen nähen Sie denn da? — Getraidesäcke
+für die nächste Erndte?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Fehlgeschossen Herr Kellmann,« rief ihm aber Marie, die
+sich gern mit dem freundlichen Mann neckte, entgegen — »Jacken
+sind das für uns, in den Busch, zwischen den Dornen und
+Schlingpflanzen, die uns sonst das leichte Zeug von den Schultern
+rissen. Warten Sie einen Augenblick, da können Sie uns
+gleich Ihre Meinung sagen; die meinige ist gerade fertig, und
+ich will sie eben anprobiren. Lassen Sie nur, ich werde
+schon allein fertig, dort drüben müssen wir überdies Alles
+allein machen — So — nun, wie gefalle ich Ihnen darin?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gar nicht,« sagte Kellmann mürrisch, »ich sähe Sie
+weit lieber in einem leichten Ballkleid und mit Ihrem gewöhnlichen
+heiteren Gesicht, als in der Sackleinwand und — hm —
+das verdammte Amerika. Geht denn Eduard jetzt noch mit,
+<span class="tei tei-pb" id="page221">[pg 221]</span><a name="Pg221" id="Pg221" class="tei tei-anchor"></a>oder bleibt er da? wo steckt er denn wieder? — der ist immer
+fort wenn ich komme.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der geht mit, lieber Kellmann,« rief der Professor, »er
+konnte sich nicht dazu entschließen, seine Eltern und Geschwister
+allein in die Welt ziehn zu lassen, wo er ihnen vielleicht, zum
+ersten Mal in seinem Leben, nützlich sein würde, und ist jetzt
+noch in der Geschwindigkeit zu einem Tischler gegangen, die
+paar Wochen wenigstens zu benutzen, und doch eine Idee von
+dem Handwerk zu gewinnen; wer weiß was wir da Alles zu
+thun bekommen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wird auch was recht's davon in den paar Tagen profitiren,«
+brummte Kellmann — »bei wem ist er denn, bei
+Leupold?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Leupold?« rief der Professor, »der geht ja mit unserem
+Schiff nach New-Orleans.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Der Tischlermeister Leupold wandert auch aus?« rief
+Kellmann laut und verwundert.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hat sein Häuschen und seine Werkstätte verkauft, und
+ist jetzt wahrscheinlich schon unterwegs nach Bremen,« betätigte
+ihm der Professor.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Na nu ist mir's aber doch über den Spaß,« rief Kellmann
+ — »da läuft ja halb Heilingen fort; jetzt freut mich
+mein Leben; nächstens werden wir uns unsere Schränke und
+Schuhe und Röcke selber machen können wenn wir 'was haben
+wollen; ich darf nur gleich den meinigen zum Schneider schicken
+daß er ihn mir noch ausbessert, ehe er auch durchbrennt. S'ist
+wirklich zum Verzweifeln.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page222">[pg 222]</span><a name="Pg222" id="Pg222" class="tei tei-anchor"></a>»Lieber Gott,« sagte der Professor — »die Leute verlangen
+nur Ellbogenraum sich zu rühren; sie wollen einen Platz haben,
+der ihren Bedürfnissen Befriedigung verspricht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Da haben Sie gleich den faulen Fleck,« rief Kellmann,
+»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Bedürfnisse befriedigen</span></em>, wenn die Leute lebten wie ihre
+Voreltern gelebt haben, und nicht mit jedem Jahre auch neue
+Bedürfnisse kennen lernten und befriedigt haben wollten, so
+hätten wir alle Platz, und das verwünschte Amerika könnte
+sehen wo es Hände und Fäuste bekäm zuzupacken und ihm den
+Boden zu bestellen. Aber ich will mich nicht länger ärgern — laßt
+sie laufen, nachher wird's hier erst recht gemüthlich — apropos — Ihren
+Freund Weigel haben sie gestern Abend im
+rothen Drachen hinausgeworfen — er wollte Dienstleute, ich
+glaube einen Schäfer, verlocken nach seinem gerühmten Amerika
+auszuwandern.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Meinen <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Freund</span></em>?« sagte der Professor achselzuckend,
+»ich habe mit Herrn Weigel nie in einer solchen Beziehung
+gestanden, aber ich achte ihn als einen Mann der ein gutes
+Herz mit einer tüchtigen Portion gesundem Menschenverstand
+verbindet, und besonders schätzenswerthe statistische Kenntnisse
+Amerika's besitzt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bah!« sagte Kellmann, den Kopf auf die Seite werfend,
+und mit den Fingern schnalzend, »so viel für seine statistischen
+Kenntnisse; <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">unverschämt</span></em> ist er, das halt' ich für seine
+Hauptforce, und er wirft Ihnen da mit der größten Kaltblütigkeit
+eine Masse Zahlen in den Bart, denen man nicht gleich widersprechen
+kann, weil sich der Gegenbeweis eben nicht führen
+<span class="tei tei-pb" id="page223">[pg 223]</span><a name="Pg223" id="Pg223" class="tei tei-anchor"></a>läßt. Wenn das Alles wahr ist was er über Amerika sagt,
+wäre <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">er</span></em> der größte Esel wenn er nicht selber hinüberginge.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Seine Verhältnisse gestatten es ihm nicht, wie er mich
+oft versichert hat,« vertheidigte ihn aber der Professor.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, das kennen wir schon,« sagte Kellmann, »und wenn
+mich irgend etwas glauben machen könnte daß <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">er</span></em> wirklich
+Amerika kennt, so wäre es der Umstand daß er selber nicht
+hinübergeht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Im rothen Drachen war ja wohl gestern ein kleines
+Fest?« frug die Frau Professorin dazwischen, die das unerquickliche
+Gespräch abzubrechen wünschte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, für die Dienstleute von Hohleck,« sagte Kellmann,
+»und Schollfeld und ich waren ebenfalls hinausgegangen um
+den Spaß mit anzusehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und ihr Freund, der lange Actuar war nicht dabei?«
+lachte Marie.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Er kam später nach,« sagte Kellmann — »der arme
+Teufel ist jetzt auch immer verdrießlich und niederschlagen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Er hat sein Kind verloren,« sagte Anna mitleidig.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja, und zu Hause fühlt er sich auch wohl nicht so recht
+wohl und behaglich.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wir haben davon gehört,« sagte die Professorin — »seine
+Frau soll eigenwillig und heftig sein, und ihm oft gar
+unangenehme Scenen bereiten.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Seine Frau ist — « fuhr Kellmann auf, aber er unterbrach
+sich selber wieder, und trommelte eine Weile mit den
+Fingern auf dem vor ihm stehenden Tisch.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page224">[pg 224]</span><a name="Pg224" id="Pg224" class="tei tei-anchor"></a>»Was ist Ihnen denn nur heute, Herr Kellmann?« sagte
+aber Marie, jetzt zu ihm tretend und seinen Arm berührend — »Sie
+schneiden ja heut Morgen ein so bitterböses Gesicht, wie
+ich noch fast in meinem Leben nicht an Ihnen gesehn. Ist
+Ihnen irgend etwas Aergerliches begegnet? — oder — Sie
+sind doch nicht böse mit uns?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Böse mit Ihnen? lieber Gott Mariechen,« sagte Kellmann
+herzlich ihre Hand ergreifend — »ich müßte böse mit
+Ihnen sein daß Sie fortgehn und mich hier allein zurücklassen;
+sonst wüßt' ich wahrhaftig nicht weshalb.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So kommen Sie mit,« lachte Marie, indem sie neckisch
+zu ihm aufsah.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Kellmann seufzte tief auf, sagte dann aber kopfschüttelnd,
+und mit der Hand über seine Stirn streichend, als ob er sich
+daraus all' die trüben Gedanken verscheuchen wollte — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nach Amerika? — ja, weiter fehlte mir gar Nichts;
+aber heute sind es wirklich andere Sachen die mir im Kopf
+herumgehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ist etwas vorgefallen, und können wir Ihnen helfen,
+lieber Herr Kellmann?« sagte Anna freundlich.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach Gott nein,« sagte der kleine Mann seufzend — »es
+ist ein Stück von dem allgemeinen Elend, das über den ganzen
+Erdball hinspielt, und das uns gewöhnlich mit einem unheimlichen
+Gefühl, auch nicht außer dem Bereich desselben zu liegen,
+durchschauert, wenn wir ihm einmal auf unserem Lebenspfad
+begegnen. Sie sahen mich als ich vor dritthalb Stunden
+etwa drüben aus dem Löwen kam?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page225">[pg 225]</span><a name="Pg225" id="Pg225" class="tei tei-anchor"></a>»Ja, Sie grüßten ja herauf,« sagte die Professorin — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun gut; ich war dort, einem armen Mädchen nachzufragen,
+das wir gestern Abend spät auf der Straße trafen, und
+das ich dorthin schickte Nachtquartier zu suchen« — Und nun
+erzählte ihnen Kellmann mit kurzen Worten das gestrige Zusammentreffen
+mit des unglücklichen Loßenwerder Schwester,
+und ebenfalls daß sich schon jetzt herauszustellen scheine, wie der
+arme Teufel von Loßenwerder unschuldig in Verdacht gerathen
+sei. Nur in reiner Verzweiflung mochte er sich den Tod gegeben
+haben, als man ihm das letzte, einzige das er auf der
+Welt hatte — seinen ehrlichen Namen — nehmen wollte — oder
+eigentlich schon von Gerichts wegen genommen hatte. Unsere
+wackeren Polizeigesetze halten ja nun einmal jeden Menschen
+für einen Spitzbuben, bis er nicht durch Atteste genügend dargethan
+hat daß — »gegen ihn noch nichts Gravirendes bekannt
+geworden.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und was geschieht jetzt mit dem armen, armen Mädchen?«
+frugen fast gleichzeitig Marie und Anna — »lieber
+Gott, hier in der fremden Stadt, allein, ohne Mittel, ohne
+Freunde, wie entsetzlich müßte es da sein, wenn sie vielleicht
+aus rohem Munde zuerst die furchtbare Nachricht vernähme.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gestern Abend,« sagte Herr Kellmann etwas verlegen,
+»kam uns das Ganze wirklich so schnell und überraschend, daß
+wir nicht die geringste Zeit zum Ueberlegen behielten; wir — wir
+gaben ihr nur ein paar Groschen und schickten sie in den
+Löwen, hier gegenüber, um da zu übernachten, damit sie nicht
+in der Stadt nach ihrem Bruder früge, und die entsetzliche<span class="tei tei-pb" id="page226">[pg 226]</span><a name="Pg226" id="Pg226" class="tei tei-anchor"></a>
+Geschichte gleich in der ersten Viertelstunde erführe; heute
+Morgen wollte ich dann selber herkommen und sehn was sich
+thun ließ — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und jetzt? — weiß sie was geschehen ist? frug die Professorin
+mitleidig die Hände faltend — Herr Kellmann zuckte
+mit den Achseln und sagte:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sie ist fort — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Fort? — wohin?« riefen die Frauen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Kein Mensch konnte mir darüber Auskunft geben, gestern
+Abend war sie richtig dort angekommen, und ihres dürftigen
+Aussehns wegen in die Gesindestube gewiesen, und dort muß
+sie unglückseliger Weise ihren Namen genannt, vielleicht nach
+ihrem Bruder gefragt und das Schrecklichste gleich erfahren
+haben, denn sie war, selbst ihr Bündel im Stich lassend, hinausgelaufen
+in Nacht und Nebel und — und nicht wieder
+zurückgekehrt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Du lieber Gott,« sagte Anna, »wenn sie sich nur kein
+Leides gethan.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich bin gleich zu Ledermann und dann auf die Polizei
+gegangen, diese aufmerksam zu machen,« sagte Kellmann etwas
+kleinlaut, »werde auch selber noch mein möglichstes thun das
+arme Ding wieder aufzufinden, aber — ich weiß wahrhaftig
+nicht wo man die eigentlich suchen soll, denn sie kennt ja keinen
+einzigen Menschen in der Stadt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und in ihres Bruders früherem Logis? — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hat sie Niemand gesehn — ich war dort.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page227">[pg 227]</span><a name="Pg227" id="Pg227" class="tei tei-anchor"></a>»Waren Sie auch schon — auf dem Kirchhof?« frug
+ihn Marie jetzt leise und schüchtern.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wahrhaftig, daran hatte ich gar nicht gedacht,« sagte
+Kellmann rasch seinen Stuhl zurückschiebend, »die Möglichkeit
+ist da, und ich will keinen Augenblick mehr versäumen — vielleicht
+ist es jetzt noch nicht zu spät.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und Sie sagen uns Antwort?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sowie ich etwas Bestimmtes über sie weiß — aber — aber
+was dann mit ihr anfangen? — hier in der Stadt <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">kann</span></em>
+sie nicht bleiben,« sagte Kellmann, die Thürklinke schon in der
+Hand, »und überhaupt scheint mir ihr schwächlicher Körper
+zu grober Handarbeit gar nicht geeignet.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Vielleicht bietet sich da für die Schwester in demselben
+Haus ein Ausweg,« rief Anna plötzlich, »das für den Bruder
+ja so viel gut zu machen, wenn er wirklich unschuldig gelitten.
+Gestern Nachmittag noch klagte mir Clara ihr Leid, daß ihre
+Kammerjungfer, mit der sie sehr zufrieden ist, und die ihr bis
+dahin fest versprochen mitzugehn, plötzlich anderes Sinnes geworden
+wäre, und sich jetzt weigerte Heilingen zu verlassen.
+Clara ist so seelensgut, sie würde gewiß Alles thun was nur
+in ihren Kräften steht, das arme Kind den herben Verlust vergessen
+zu machen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber wird sich das Mädchen selber dazu eignen?« sagte
+Kellmann.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Weshalb nicht,« rief aber auch jetzt Marie — »bringen
+Sie die Arme nur hierher, sobald Sie sie finden, und nehmen
+sie Henkel's nicht mit, findet Papa gewiß einen Ausweg.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page228">[pg 228]</span><a name="Pg228" id="Pg228" class="tei tei-anchor"></a>»Ja, Papa einen Ausweg,« sagte aber der Professor — »ich
+kann <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Niemanden</span></em> mehr mitnehmen Kinder, so viel
+solltet Ihr eigentlich jetzt schon wissen, denn wir sind Leute
+genug.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ach wenn sie überhaupt gehen will,« rief Kellmann,
+»die Passage bringen wir hier schon zusammen, und wenn sich
+Fräulein Anna bei Frau Henkel für sie verwenden will, wär'
+es ein Glück für das arme Mädchen, den hiesigen für sie so
+trüben Verhältnissen so rasch wieder entrissen zu werden. Doch
+jetzt leben Sie wohl — ich habe da nicht lange Zeit mehr zu
+verlieren, und hoffe Ihnen bald günstige Nachrichten bringen
+zu können.«</p>
+
+<div class="tei tei-tb">* * * * * </div>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Actuar Ledermann hatte die Nacht einen heftigen Fieberanfall
+bekommen, und sich am anderen Morgen auf seinem
+Bureau entschuldigen lassen. Erst um zehn Uhr etwa fühlte
+er sich etwas besser, und beschloß ein wenig an die frische Luft
+zu gehn, in dem sonnigen Morgen draußen die trüben quälenden
+Gedanken zu verscheuchen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Er ging auf den Kirchhof, das Grab seines kleinen Lieblings
+zu besuchen, und nahm einen Monatsrosenstock mit hinaus,
+ihn darauf zu pflanzen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Weg der zu dem Grab, zwischen den andern Hügeln
+hin, führte, lief eine kurze Strecke die Mauer entlang, die bis
+jetzt leer gelassen und von Unkraut überwuchert lag. Nur ein
+einziger, unter Gras und Unkraut fast versteckter flacher Hügel war
+<span class="tei tei-pb" id="page229">[pg 229]</span><a name="Pg229" id="Pg229" class="tei tei-anchor"></a>dort aufgeworfen, über dem kein Kreuz den Namen des Hingeschiedenen
+kündete, keine Blume ein sorgendes Herz verrieth,
+das dem Entschlafenen die stille Thräne nachgeweint. Und
+dort? — in das hohe, feuchte Gras geschmiegt, lag eine schlanke
+Mädchengestalt, Stirn und Antlitz in dem wuchernden Unkraut
+verborgen, auf dem die vollen aufgelösten Locken ruhten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Lieber Gott,« sagte der Actuar, mit dem Blumenstock im
+Arm neben ihr stehen bleibend, leise vor sich hin — »es ist
+doch noch viel, viel Elend in der Welt, und wenn Einem recht
+traurig und weh um's Herz ist, sollte man eigentlich immer
+hinaus auf den Kirchhof gehn. Da haben die Leute nicht
+ihre glatten unbewegten Alltagsgesichter vor, sondern geben
+sich wie sie sind, und wenn es auch eben kein Trost sein sollte
+andere Menschen unglücklich zu sehn, ist es doch jedenfalls
+einer, zu wissen daß man es nicht allein ist.« Und sich
+langsam abwendend schritt er dem Grabe seines Kindes zu,
+setzte den Blumentopf auf den kleinen Hügel, und sich selber
+dann auf eine dicht daneben liegende Marmorplatte, die das
+Grab eines anderen Menschen deckte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Dort blieb er lange, das Gesicht mit den Händen bedeckt,
+und regungslos in seiner Stellung verharrend, seinen schmerzlichen
+Gedanken überlassen, bis die Sonne höher und höher
+stieg, und ein stechender Kopfschmerz ihn mahnte den, den heißen
+Strahlen vollkommen ausgesetzten Platz zu verlassen, wenn er
+sich nicht noch kränker machen wollte als er schon war. Er
+stand auf, und sah sich nach dem Todtengräber um, diesen zu
+bitten den Blumenstock für ihn einzusetzen, und fand ihn auch,
+<span class="tei tei-pb" id="page230">[pg 230]</span><a name="Pg230" id="Pg230" class="tei tei-anchor"></a>nicht weit von dort entfernt, mit einem neuen Grabe beschäftigt.
+Langsam seinen Spaten schulternd ging er mit ihm zu
+dem verlangten Platz, und dort sein Handwerksgeräth neben
+sich in den Boden stoßend und sich den Schweiß von der <span class="tei tei-corr">glühenden</span>
+Stirne trocknend, sagte er freundlich:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Warmer Tag heute, Herr Actuar — sehn Sie einmal
+was für ein schönes <span class="tei tei-corr">Stöckchen</span>; das müssen wir aber ordentlich
+angießen, sonst vertrocknet es gleich in der lockeren Erde — werde
+Ihnen das schon besorgen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bitte sein Sie so gut,« sagte Ledermann, und der Mann
+nahm den Stock auf, drehte ihn um und schlug mit der flachen
+Hand unter den Topf, diesen locker und los zu bekommen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Kennen Sie das junge Mädchen was da auf dem Grabe
+an der Mauer liegt?« frug der Actuar jetzt, als sein Blick wieder
+zufällig dort hinüber streifte — »dort drüben meine ich.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja ich weiß schon,« sagte der Mann, ohne den Kopf zu
+wenden und mit seiner Arbeit beschäftigt — »nein — sie saß
+vor dem Kirchhofsgitter schon heut' Morgen wie ich <span class="tei tei-corr">öffnete</span>,
+um drei Uhr <span class="tei tei-corr">früh</span>, und muß die ganze Nacht da zugebracht
+haben. Wie ich das Thor aufmachte frug sie mich nur nach
+dem Grabe eines armen Teufels, den wir hier vor kurzer Zeit
+zu Ruh gebracht, und ist seit der Zeit nicht von dort weggegangen.
+Das kommt manchmal vor.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und wer liegt da begraben?« frug Ledermann schnell,
+dem ein plötzlicher Gedanke an das Mädchen von gestern Abend
+aufstieg.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="text-align: center; margin-bottom: 1.00em">
+</p><div class="tei tei-figure" style="text-align: center"><img src="images/illu005.jpg" width="511" height="729" alt="Capitel 9" /></div>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dort an der Mauer?« sagte der <span class="tei tei-corr">Todtengräber</span>, »ih Sie
+<span class="tei tei-pb" id="page231">[pg 231]</span><a name="Pg231" id="Pg231" class="tei tei-anchor"></a>wissen ja, der kleine bucklige Bursche, der von der Brücke gesprungen
+war, und sich den Kopf aufgeschlagen hatte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Dem Actuar fuhr es mit einem eisigen Stich durchs
+Herz, aber er erwiederte Nichts, gab dem Mann eine Kleinigkeit
+für seine Dienstleistung, und ging dann langsam, als ihn
+dieser wieder verlassen und seine frühere Arbeit aufgenommen
+hatte, zu Loßenwerder's Grab, wo die Trauernde noch still und
+regungslos in ihrem Jammer lag. Nur das krampfhafte Zittern
+des Körpers verrieth das darin wohnende Leben.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Liebes Kind,« sagte Ledermann leise — das Mädchen
+bewegte sich nicht — »mein liebes Kind,« sagte er lauter, und
+berührte ihre Schulter mit seinem Finger. Langsam hob sie
+das bleiche, Thränen überströmte Gesicht zu ihm empor, und
+als sie den fremden Mann neben sich sah, richtete sie sich verwirrt,
+beschämt aus ihrer Stellung auf.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber wie können Sie sich hier so Stunden lang in das
+feuchte Gras werfen,« sagte der Actuar mit freundlichem Vorwurf — »Sie
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">müssen</span></em> ja krank werden — nicht wahr, Sie
+kennen mich nicht mehr?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das Mädchen sah ihn groß und verwundert an, und schüttelte
+dann langsam mit dem Kopf.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich sprach gestern Abend mit Ihnen, draußen vor dem
+Thor, wo die Musik in dem Hause war,« sagte Ledermann — »hatten
+Sie gar keine Ahnung von dem Schicksal des
+Bruders?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Keine,« sagte die Arme leise, das Köpfchen wieder
+senkend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page232">[pg 232]</span><a name="Pg232" id="Pg232" class="tei tei-anchor"></a>»Und wo erfuhren Sie seinen Tod?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Das Mädchen schauderte zusammen als sie des Augenblicks
+gedachte, und sagte endlich, wie mit angstgepreßter
+Stimme:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gestern Abend in dem Haus — die Leute in der Gesindestube
+frugen mich wo ich herkäme und um meinen Namen,
+und dann — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und dann?« frug der Actuar mitleidig, als das Mädchen
+schwieg und ihr Antlitz wieder zitternd in den Händen
+barg — </p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Dann sagten sie« — setzte das Mädchen, am ganzen
+Körper bebend hinzu — »daß Einer der so hieß — und sie
+spotteten dabei über sein Gebrechen — daß Einer — hier — «
+sie vermochte nicht auszureden und warf sich, rücksichtslos um
+den neben ihr stehenden Fremden, und in krampfhafter Verzweiflung,
+wieder auf das Grab nieder, das sie laut schluchzend mit
+ihren Armen umschlang, und den Bruder rief, sie zu sich zu
+nehmen in sein stilles, kühles Bett.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Nur mit Mühe, und herzlichen tröstenden Worten die er
+zu ihr sprach, brachte sie Ledermann, als sich ihr Schmerz in
+etwas ausgetobt, endlich dahin sich etwas zu fassen und zu beruhigen,
+und ihm mehr über ihr Schicksal und sich selber zu
+sagen. Sie hieß Hedwig, war funfzehn Jahr alt und hatte
+bis zu ihrem elften Jahr bei einer entfernten armen Verwandten
+zugebracht, nach deren Tode sie, ein Kind noch, bei fremden
+Leuten in Dienst gehen mußte. Ihre Elteren schienen in
+besseren Verhältnissen gelebt zu haben, waren aber früh ge<span class="tei tei-pb" id="page233">[pg 233]</span><a name="Pg233" id="Pg233" class="tei tei-anchor"></a>storben,
+und die Waisen sich selber überlassen gewesen. Ihr
+um zehn Jahr älterer Bruder Franz hatte sie dabei noch immer
+dann und wann von dem Wenigen was er selber verdiente,
+unterstützt, auch ihr vor einigen Monaten — und das mußte
+etwa grade vor seinem Tode gewesen sein, geschrieben, daß er
+recht sparsam lebe, und bald so viel zusammen zu haben hoffe
+mit ihr, der Schwester, nach Amerika auszuwandern, dort
+vielleicht ein kleines Geschäft oder irgend etwas Anderes anzufangen,
+ehrlich durch die Welt zu kommen. Hedwigs Aussage
+nach mußte er ihr auch die genaue Summe geschrieben
+haben, die er besaß, und als sie der Actuar dringend bat ihm
+den Brief zu verschaffen, wenn es irgend möglich sei, da der
+vielleicht vollständig des Bruders Unschuld beweisen konnte,
+zog sie aus ihrer Brust das zusammengefaltete und dort bis
+jetzt sorgfältig bewahrte Papier. Es war das letzte was sie
+von ihm bekommen, und als Monat nach Monat verstrich
+und keine neue Nachricht kam, wurde sie zuletzt unruhig und
+schrieb nach Heilingen. Aber auch hierauf erhielt sie keine
+Antwort und nicht mehr im Stande die Ungewißheit zu ertragen,
+verließ sie ihren Dienst und machte sich, mit wenigen
+Groschen in der Tasche auf, den weiten Weg zu Fuß zurückzulegen.
+Und ihr Empfang? großer Gott mit Spott und
+Hohn wurde ihr Bruder — das einzige noch auf der Welt
+ihr gehörende Wesen, das sie mehr als sich selber liebte — eines
+furchtbaren Verbrechens beschuldigt, in Folge dessen er
+sich selber das Leben genommen, und schlimmer, gewaltiger
+noch als die Nachricht seines Todes, erschütterte das reine,
+<span class="tei tei-pb" id="page234">[pg 234]</span><a name="Pg234" id="Pg234" class="tei tei-anchor"></a>vertrauensvolle Herz des armen Kindes der erste <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Zweifel</span></em> an
+den Hingeschiedenen, der doch heimlich und quälend in ihr aufsteigen
+wollte, wie sie sich auch dagegen sträubte; und doch
+<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">wußte</span></em> sie daß er keiner schlechten Handlung fähig gewesen sei.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Während dieser Erzählung flossen ihre Thränen stärker;
+wenn aber der Schmerz auch nur mehr aufgerüttelt wurde durch
+das Wiederdurchleben vergangener Scenen, fand sie doch auch
+einen Trost in dem Aussprechen über ihren Verlust. Der Actuar
+überlas indeß flüchtig den Brief, und den Datum mit
+dem verübten Raub vergleichend sah er, ob Loßenwerder nun
+schuldig oder unschuldig sei, daß jenes, bei ihm gefundene
+Geld sein Eigenthum gewesen sein müsse, schon vor dem Tag,
+und nicht mehr als Beweis gegen ihn gelten konnte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">So traf sie Kellmann, der von Lobensteins direct auf den
+Gottesacker gegangen war, das arme Mädchen aufzusuchen.
+Mit wenigen Worten sagte ihm der Actuar was er von ihr
+erfahren, und der gutmüthige kleine Kürschner setzte sich neben
+sie auf das Grab des Bruders, nahm ihre Hand in die seine,
+und diese streichelnd sprach er ihr Muth und Hoffnung in das
+arme gequälte Herz. Sie sollte nicht mehr allein stehn auf
+der Welt; er wollte Freunde für sie finden, die sich ihrer annähmen,
+und sie Beide, Ledermann und er, wollten nicht ruhen
+noch rasten bis ihres Bruders Name wieder ehrlich gemacht
+sei vor der ganzen Stadt; lieber Gott, sie konnten ja nichts mehr
+für den Armen thun.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Hedwig weinte, während er sprach; aber die Thränen
+lösten ihren Schmerz — die freundlichen Worte; oh die ersten
+<span class="tei tei-pb" id="page235">[pg 235]</span><a name="Pg235" id="Pg235" class="tei tei-anchor"></a>wieder seit so langer, langer Zeit die sie gehört, thaten ihr
+wohl und bannten die Verzweiflung aus ihrem Herzen, der sie
+ja sonst wohl rettungslos verfallen wäre. Wieviel Segen hat
+schon ein herzliches Wort gebracht, dem Unglücklichen gespendet — wie
+viele Thränen getrocknet, wie manches Weh,
+wenn es nicht heilen konnte, doch gelindert.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Kellmann erbot sich dann auch, sie zu seiner Mutter zu
+führen, wo sie wenigstens bleiben konnte bis sich etwas Weiteres
+entschieden. Von Amerika sagte er ihr noch Nichts, die
+nächsten Tage mochten sie erst mit dem Gedanken vertrauter
+machen, wenn sie hörte wie viel Leute die auch ihren Bruder
+gekannt und liebe Freunde von ihm selber seien, gerade jetzt
+nach dort hinübergingen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Hedwig zögerte noch schüchtern das gütige Erbieten anzunehmen,
+aber die Worte klangen so herzlich, so gut gemeint,
+sie stand so hülflos, so allein in der weiten Welt, der fremde
+Mann erschien ihr wie ein Engel des Himmels in ihrem
+Schmerz, und unter Thränen nahm sie seine Hand und dankte
+ihm, und sagte daß sie ihm folgen würde, wohin er sie führe.</p>
+</div>
+<hr class="page" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em"><span class="tei tei-pb" id="page236">[pg 236]</span><a name="Pg236" id="Pg236" class="tei tei-anchor"></a>
+<a name="toc28" id="toc28"></a>
+<a name="pdf29" id="pdf29"></a>
+<a name="pdb30" id="pdb30"></a>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Capitel 10.</span></h1>
+<h1 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Die beiden Familien.</span></h1>
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Leser muß mir noch, ehe wir unsere weitere Wanderung
+zusammen antreten, zu zwei Stellen folgen, in Lage
+und Art freilich gar sehr verschieden. Den Characteren, die wir
+dort finden, begegnen wir später wieder, theils auf der Reise,
+theils in ihrem neugewählten Vaterland.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">An der Hannöverschen Grenze lag ein kleines Dorf, Waldenhayn
+mit Namen, und fast versteckt zwischen mächtigen
+Linden und Fruchtbäumen, die es von allen Seiten dicht umgaben.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Mitten im Dorf auf einem flachen, aber die ganze Ortschaft
+überschauenden Hügel stand die Kirche, und daneben das
+kleine freundliche Pfarrhaus, das sein Dach über gute und
+glückliche Menschen gespannt hatte, Jahrzehnte lang — und
+heute? — Guter Gott welche Veränderung in dem Haus — der
+Vater, Pastor Donner, still und ernst in seinem Sorgen<span class="tei tei-pb" id="page237">[pg 237]</span><a name="Pg237" id="Pg237" class="tei tei-anchor"></a>stuhl,
+und, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, ordentlich
+eingehüllt in eine dichte Tabakswolke, die Mutter mit verweinten
+Augen, und doch immer geschäftig herüber- und hinübergehend,
+bald aus der in jene Stube, Kleinigkeiten zu besorgen
+die sie immer wieder vergaß, ehe sie nur das andere Zimmer
+betreten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der älteste Sohn Georg ging zu Schiff — ging nach
+Amerika über das weite, wilde Weltmeer nach einem anderen
+Vaterland, dort für den unruhigen Geist das Glück zu suchen,
+das er hier nicht fand, und »wann würden sie ihn — ja würden
+sie ihn je wieder sehen?« Oh es ist ein großer Schmerz
+für ein Elternherz ein Kind in der Blüthe der Jahre zu verlieren — wie
+viel Sorge, wie viel schlaflose Nächte hat es gemacht,
+bis es wuchs und gedieh; welche Hoffnungen knüpften
+sich an das junge Wesen, und blühten und reisten mit ihm;
+wie treulich wurde da nicht jeder Schritt bewacht, den noch
+unsicheren Fuß vor Stoß und Fall zu schützen, wie ängstlich
+jedem bösen Eindruck gewehrt, der Herz oder Geist hätte vergiften
+können. Und nun das Alles preiszugeben der Welt,
+ihren Verführungen, ihren Gefahren für Geist und Körper,
+das Alles preiszugeben und hinausgeworfen zu sehn auf die
+stürmischen Wogen des Lebens — sich selbst überlassen, und
+der eigenen, vielleicht doch noch zu schwachen Kraft. Wie viele
+heimliche Thränen werden da geweint, wie trüb und traurig
+liegt da oft des Kindes Zukunft vor dem ahnenden Blick des
+Vaters und der Mutter — Krankheit wird es erfassen und
+halten, und keine liebende Hand in der Nähe sein, es zu pflegen
+<span class="tei tei-pb" id="page238">[pg 238]</span><a name="Pg238" id="Pg238" class="tei tei-anchor"></a>und ihm den Schweiß von der heißen, glühenden Stirn zu
+trocknen, die Verführung ihre falschen, goldblinkenden Netze
+nach ihm auswerfen, und keine treu warnende Stimme ihm
+zur Seite stehn — Noth und Mangel vielleicht in bitterem
+Weh auf ihm lasten, und Niemand da sein, der ihm Hülfe
+bringt, und den Unglücklichen tröstet und unterstützt — Mutter
+und Vater sind fern, fern von dem Geliebten, seine Klage
+dringt nicht herüber zu ihnen — ihr Trost und Hülfswort
+nicht zurück zu ihm.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Und ein solcher Abschied dann — der Tod pocht nicht
+viel härter an des Glückes Thor, und das Bewußtsein den
+Geschiedenen still und geschützt in kühler Erde zu wissen, auf
+der die treu gepflegten Blumen keimen, ist oft noch weniger
+bitter als dieser <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">freiwillige</span></em> Tod — der Fortgang über's
+Meer, in eine fremde, ungekannte Welt — vielleicht so ohne
+Wiederkehr wie jener, und ohne jedes beruhigende Gefühl der
+Sicherheit. Der Scheidende ist da noch immer besser, weit
+besser daran als die Zurückbleibenden; ihm liegt die Welt jetzt
+frei und offen da, jede Stunde draußen, jede Meile Wegs
+bringt ihm Neues, Unbekanntes, und wehrt dem Blick nur an
+dem einen Schmerz zu haften. Er hat auch zu sorgen, für
+sich und sein Gepäck, seine ganze Zukunft ist ihm in der einen
+Stunde in die eigene Hand gegeben — ein ungewohnt Geschäft
+bis jetzt — und fremde Landschaft, fremde Scenen wechseln
+so rasch an ihm vorüber, daß jedes Bild einen Theil des
+alten Schmerzes fortführt mit sich. Selbst der Gedanke an die
+Verlassenen hat nicht das Herbe, Bittere für ihn, als es für
+<span class="tei tei-pb" id="page239">[pg 239]</span><a name="Pg239" id="Pg239" class="tei tei-anchor"></a>diese hat, wenn sie sein gedenken, und sich mit Vermuthungen
+quälen müssen wie es jetzt ihm geht, was er thut, was er
+treibt, wo er jetzt gerade weilt. <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Er weiß</span></em> in welchem Kreis
+die Seinen sich bewegen, kennt in jeder Tageszeit ihre kleinen,
+häuslichen Beschäftigungen, ihr gleichmäßiges Wirken und
+Schaffen, und sein Herz, das immer noch daheim bei ihnen
+weilt, wahrt seinen festen Anhaltspunkt an sie sich unverkümmert
+fort, bis das Bild, von anderen dicht umdrängt in weiter
+immer weiterer Ferne langsam erbleicht, und nur noch auf dem
+Hintergrund des Herzens wie schlummernd liegt, in seinen
+Träumen ihn zu segnen, oder dereinst, wenn die Welt ihn kalt
+und rauh von sich stößt, und er allein und freundlos sich da
+fühlt, wieder aufzuglühen in aller Frische und Wärme, ein
+Trost und Hoffnungsziel, dem armen, einsamen Wanderer.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Georg war ein junger lebenskräftiger Mann von dreiundzwanzig
+Jahren, mit dunkelbraunen, vollen, ihm frei und ungescheitelt
+über die offene sonngebräunte Stirn fallenden Locken,
+schwarzen klaren Augen und freien, gutmüthigen Zügen, die
+selbst eine breite dunkle Narbe über den rechten Backen, der
+Autograph eines Commilitonen, nicht entstellen konnte. Er hatte
+Medicin studirt, und sich das Doctordiplom mit eifrigem Fleiß
+verdient, aber die Aussichten für einen jungen Arzt waren trüb
+und unversprechend in seiner Heimath, und jene fremde Welt,
+von der er schon so viel gelesen und gehört, zog ihn mächtig
+an. Sein Vater konnte und wollte dieses Streben nicht bei
+ihm unterdrücken; auch er erkannte die Banden, die hier einen
+kräftigen Geist so leicht in Fesseln legen, und ehrte den Wunsch
+<span class="tei tei-pb" id="page240">[pg 240]</span><a name="Pg240" id="Pg240" class="tei tei-anchor"></a>und Drang der jungen, nach Thaten dürstenden Brust, einen
+Schauplatz zu finden für ihr Sehnen und Wirken, wenn er
+sich auch wohl selber dann wieder mit einem schweren Seufzer
+gestehen mußte, wie manche Hoffnung der Sohn zertrümmert,
+wie manche Erwartung er getäuscht sehn würde in dem neuen
+Leben, das jetzt ihm freilich im vollen Glanz einer aufsteigenden
+Sonne, von warmem Lichte übergossen winkte. Und wie
+würde sich sein Herz dann bewähren, das jetzt jubelnd zu den
+blinkenden, Flaggen- und Blumengeschmückten Wällen seiner
+eigenen Luftschlösser aufschaute, wenn es an deren Trümmern
+stand? oh daß er dann hätte an seiner Seite stehen und ihn
+leiten dürfen den dunklen, schmalen Pfad zum wahren Glück — retten
+ihn dann vor sich selbst und seinem bittern Weh.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Aber die Zeit lag noch fern, und weshalb sich selbst den
+Augenblick vergiften, wo sich der Himmel noch blau und rein
+über seiner Zukunft spannte. Georg selbst sah auch Nichts
+von solchen trüben Bildern, die das Herz des Vaters oft mit
+banger Trauer füllten; ihm war das Thor jetzt weit und frei
+geöffnet, das hinaus in's Leben führte und an dessen Schwelle
+er stand, und nur die Trennung noch vom Vaterhaus lag
+schwer auf seiner Seele.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Am schwersten freilich trug gerade diese Stunde, weil
+ganz und ungetheilt, das Mutterherz. Nicht dachte <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">sie</span></em> in diesem
+Augenblick an die Hoffnungen die dem Sohne in der Welt
+draußen blühen, an die Gefahren die ihm drohen könnten; sie
+sah und fühlte Nichts, als die Trennung von dem <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Kind</span></em>, den
+Abschied von dem Heißgeliebten, und wie im Traum hatte sie
+<span class="tei tei-pb" id="page241">[pg 241]</span><a name="Pg241" id="Pg241" class="tei tei-anchor"></a>schon den ganzen Tag ihren gewöhnlichen Beschäftigungen
+obgelegen, wie im Traum noch einmal seine Lieblingsgerichte
+bereitet für den Abend, den letzten Abend, den er im Vaterhause
+zubringen würde.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Lieber Gott, die Speisen kamen Abends auf den Tisch
+und wurden gegessen, aber Keiner von allen, die jüngsten Geschwister
+ausgenommen, schmeckten was sie aßen; man sprach
+dabei über das an dem Nachmittag fortgesandte Gepäck, über
+das Wetter, über die Uhr die zehn Minuten vorging — Georg
+trug Grüße auf an alle seine Bekannte, die sich noch seiner erinnerten.
+Er hatte an dem Tag noch selber ein paar Briefe
+schreiben wollen, war aber nicht dazu gekommen — Vieles
+Andere war ihm ebenfalls entfallen; so wollte er einen Absenker
+von dem Rosenstock mitnehmen der vor der Mutter Fenster
+blühte, und jetzt blieb ihm doch keine Zeit mehr; aber während
+dem Essen stand die Schwester — unvermißt — vom Tische
+auf, ging hinaus, grub einen Absenker aus, und brachte ihn
+in einem kleinen Topf dem Bruder, dem sich die Thränen in
+die Augen zwangen — er mochte kämpfen dagegen wie er
+wollte als er die Gabe sah. Die Mutter stand vom Tisch
+auf und ging hinaus — nicht ein Wort wurde gesprochen
+so lange sie fort war. Die Speisen verschwanden dabei von
+den Tellern und der Wein wurde getrunken, und die Mutter
+kam zurück und nahm ihren Platz wieder ein, lautlos wie
+vorher; man konnte den langsamen Gang der Uhr hören, an
+der Wand.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Da endlich füllte der Vater sein Glas bis zum Rand,
+<span class="tei tei-pb" id="page242">[pg 242]</span><a name="Pg242" id="Pg242" class="tei tei-anchor"></a>hob es mit der Linken und ergriff mit der anderen Georgs
+Hand. Er hatte etwas zum Herzen des Sohnes, zum Trost
+vielleicht der Mutter sprechen wollen, aber die Worte schwollen
+ihm im Mund — er brachte eine volle Minute keine Sylbe
+über die Lippen, und sich gewaltsam fassend und zusammennehmend
+sagte er endlich.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Auf ein frohes Wiedersehn Georg!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Georg preßte des Vaters Hand und trank ihm und der
+Mutter und den Geschwistern zu — und die Mutter hob ihr
+Glas und stieß mit dem Sohne an, aber mehr vermochte das
+Mutterherz nicht — zu lange hatte sie jetzt gewaltsam gegen
+ihr eigenes Gefühl an- und den Schmerz niedergekämpft, den
+Anderen zu Liebe; länger war sie es nicht im Stande, und das
+Glas mit zitternder Hand niedersetzend, daß der Wein über
+und auf das Tischtuch floß, stand sie auf, warf die Arme
+krampfhaft um den Hals des Sohnes und schluchzte laut.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mutter, liebe — liebe Mutter — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mein Kind — mein Kind,« jammerte die Frau und der
+Schmerz wuchs an Heftigkeit, wie der mächtig aber still dahinwälzende
+Strom schäumend hinausdonnert in's Freie, wo er
+sich erst einmal Bahn gebrochen aus seinem Bett — »mein
+liebes — liebes Kind.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Mutter,« bat der Pastor, »fasse Dich; es ist ja doch
+nur vielleicht auf kurze Zeit, bis sich der Junge draußen die
+Hörner abgelaufen, und ihm die Heimath anders aussieht wie
+jetzt; dann kommt er wieder.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Liebe — liebe Mutter,« flüsterte Georg, sie innig an sich
+<span class="tei tei-pb" id="page243">[pg 243]</span><a name="Pg243" id="Pg243" class="tei tei-anchor"></a>schließend, und auch ihm erstickten unaufhaltsam fließende
+Thränen die Stimme.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Geschwister weinten auch, und der Vater war aufgestanden
+und ein paar Mal mit raschen Schritten, wie um
+den Anderen Zeit zu geben, eigentlich aber nur seine eigene
+Fassung wiederzugewinnen, im Zimmer auf- und abgegangen.
+Jetzt blieb er neben der Gattin und dem Sohne stehn, und
+sie langsam trennend sagte er mit sanfter, bittender Stimme:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Kommt Kinder, kommt — macht Euch selber nicht das
+Herz zum Brechen schwer; das ist unrecht. Ueberdies quält Ihr
+Euch zweimal, und habt morgen früh noch dasselbe Leid. Es
+ist eine lange Trennung, aber keine Trennung für's Leben — wir
+sind Alle noch rüstig und gesund, und werden uns,
+will es Gott, hoffentlich Alle einmal froh und freudig in die
+Arme schließen können.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Du schreibst bald, Georg,« flüsterte die Mutter sich
+mit aller Kraft zusammennehmend — »Du läßt uns nie lange
+ohne Nachricht, nicht wahr Du versprichst mir das?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gewiß Mutter, gewiß — so oft ich kann — aber ängstigt
+Euch nur auch nicht, wenn einmal ein Brief länger ausbleibt
+als gewöhnlich; der Weg ist weit, und ein Brief kann
+leicht verloren gehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So, und jetzt zu Bett Kinder,« mahnte der Vater — »es
+ist spät geworden, sehr spät, und Du mußt früh wieder heraus
+Georg, die Post nicht zu versäumen; sind Deine Koffer hinübergeschafft?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Es ist Alles drüben,« sagte die Mutter, sich aus den<span class="tei tei-pb" id="page244">[pg 244]</span><a name="Pg244" id="Pg244" class="tei tei-anchor"></a>
+Armen des Sohnes windend und ihre Thränen trocknend,
+»nur sein Ueberrock ist noch hier, den er anzieht, und die kleine
+Tasche in die er morgen früh sein Nacht- und Waschzeug steckt — doch
+das besorg' ich schon selber und werd' es nicht vergessen.
+Ich bin früh auf, Georg, Du mußt ja doch auch noch
+Deinen Kaffee haben bevor Du gehst.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gute Nacht Mutter!« rief Georg, umschlang sie noch
+einmal und küßte ihr Lippen, Augen und Stirn, »gute Nacht
+meine gute, gute Mutter — gute Nacht!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gute Nacht mein Georg, mein Kind,« sagte die arme
+Frau unter Thränen — »schlaf nur jetzt recht aus — zum
+letzten Mal unter unserem Dach — für die nächste Zeit wenigstens,«
+setzte sie rasch hinzu — »denn mit Gottes Beistand
+hoff' ich soll es nicht das letzte Mal gewesen sein — und — und
+meinen Segen nimm mit Dir, wohin Du gehst — wo
+Du weilst — was Du thust — — er ruhe auf Dir, mein
+gutes, gutes Kind!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Georg beugte sich unwillkürlich dem ernsten heiligen Wort — seine
+ganze Gestalt zitterte dabei, und die Mutter mußte
+sich endlich mit freundlicher Gewalt aus seinen Armen winden;
+dann aber floh sie auch hastigen Schrittes aus dem Zimmer,
+sich in dem eigenen Kämmerlein recht, recht herzlich auszuweinen.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Geschwister sagten dem Bruder jetzt gute Nacht — die
+älteste Schwester Louise hing lange an seinem Hals, aber
+riß sich los, den Schmerz der Eltern nicht zu vermehren. Die
+Jüngeren küßten ihn auf die Wangen und sagten. »Gute<span class="tei tei-pb" id="page245">[pg 245]</span><a name="Pg245" id="Pg245" class="tei tei-anchor"></a>
+Nacht Georg — weck' uns nicht zu spät morgen früh, daß wir
+Dir auch noch können glückliche Reise wünschen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Georg küßte sie herzlich und bat sie brav und gut zu sein,
+und Vater und Mutter Freude — viel Freude zu machen,
+denn er selber ginge nun fort, und die Eltern würden deshalb
+recht traurig sein.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gute Nacht Georg,« sagte der Vater, als die Kinder zu
+Bett gegangen waren, und Alle, außer ihm, das Zimmer verlassen
+hatten, »habe keine Angst daß Du die Post morgen verschläfst,
+ich wache schon auf zur rechten Zeit — gute Nacht
+mein Sohn. Komm komm, fange nicht selber wieder an,
+und mach' mir das Herz nicht schwer vor der Zeit — aber
+Georg, um Gottes Willen was ist Dir? — sei ein Mann — Nun
+ja — so lange die Frauen da waren hat es mir auch
+das Herz fast abgedrückt — man darf es sie ja nicht so merken
+lassen, sonst zerfließen sie ganz — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mein lieber — lieber Vater,« schluchzte Georg an seinem
+Halse.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mein guter, guter Sohn!« flüsterte der Pastor, des
+Kindes Stirne küssend, und jetzt selber im Innersten ergriffen
+und bewegt — »bleibe brav — bleibe so brav wie Du
+bist — ich kann Dir nichts Besseres wünschen — trage Gott
+im Herzen und Dich selbst, und — Deiner alten Eltern Bild,
+deren Segen Dir folgt auf allen Deinen Wegen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mein Vater!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So mein Sohn — jetzt gute Nacht und bete zu Deinem<span class="tei tei-pb" id="page246">[pg 246]</span><a name="Pg246" id="Pg246" class="tei tei-anchor"></a>
+Schöpfer daß er uns morgen in der schweren Abschiedsstunde
+stärkt — gute Nacht mein Georg — gute Nacht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Leise machte er sich los aus des Sohnes Arm, küßte ihn
+noch einmal, und verließ dann rasch das Zimmer. Georg
+aber blieb lange, lange Minuten auf dem Stuhle sitzen wo
+ihn der Vater verlassen, das Gesicht in seinen Händen bergend.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Gute Nacht,« flüsterte er endlich leise und kaum hörbar,
+als Alles schon im Hause still war, und zu Ruhe gegangen — »gute
+Nacht Ihr Lieben und Gott schütze Euch und mich; aber
+nicht möglich wäre es mir, die furchtbare Trennungsstunde noch
+einmal durchzuleben, nicht möcht' ich Dir Vater, Dir Mutter den
+Schmerz, das bittere Weh zum zweiten Mal bereiten. Es ist
+vorbei — Alles vorbei, und wenig Stunden noch und die
+Heimath selber liegt, ein schöner Traum nur, in der Erinnerung
+Tiefe. So denn an's Werk« setzte er fest und entschlossen hinzu,
+»und ob das Herz darüber brechen will, »durch« ist mein Wahlspruch
+jetzt, durch Nacht zum Licht — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">durch</span></em>.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Und mit den, fest zwischen den zusammengebissenen Zähnen
+gemurmelten Worten stand er auf, und sein Schlafzimmer
+öffnend warf er den Rock ab, und badete Gesicht und Nacken
+in kühlem Wasser. Dann, als er die Glut die ihn durchtobte,
+in etwas gelöscht, packte er den kleinen Nachtsack mit den, sorglich
+für ihn auf dem Waschtisch ausgebreiteten Gegenständen,
+zog sich wieder an, knöpfte den Ueberrock bis an den Hals zu,
+denn die Nacht war kalt, und nach der gehabten Aufregung
+fröstelten ihn die Glieder, und im Zimmer umherschauend fiel
+sein Blick auf den, unter dem Spiegel stehenden, für ihn ein<span class="tei tei-pb" id="page247">[pg 247]</span><a name="Pg247" id="Pg247" class="tei tei-anchor"></a>geschlagenen
+Rosenstock. Rasch barg er ihn in der weiten Tasche
+seines Ueberrocks, öffnete dann das Fenster, das in den Garten
+hinaus und von da über den Kirchhof führte, der Landstraße
+zu, und schwang sich auf das Fensterbret.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ade!« flüsterte er, »ade Du trautes, liebes Haus, ade — Gott
+halte seine Hand über Dir, und schütze die lieben Menschen — ade,
+ade.« Und von dem Bret hinunterspringend in
+den Garten, durcheilte er diesen, schwang sich leicht über die
+Kirchhofmauer, die er als Kind unzählige Male überklettert,
+und schritt dann langsam und traurig seinen einsam dunklen
+Weg entlang.</p>
+
+<div class="tei tei-tb">* * * * * </div>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Noch hob sich die Sonne nicht über den östlichen Fichtenhang,
+und der dämmernde Tag grüßte eben die schlummernde
+Erde, als sich die Mutter von ihrem Lager hob, das Mädchen
+weckte daß es Feuer in der Küche mache, den Kaffee bereit zu
+halten, und dann den Mann rief, dem Sohn ade zu sagen.
+Pastor Donner hatte aber auch nur in unruhigem Schlaf
+gelegen — die Gedanken und Sorgen ließen ihn nicht ruhen,
+und wie aus bösem Traum fuhr er oft empor, mit einem
+wehen Stich durch's Herz zurückzusinken, <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">daß</span></em> es eben kein
+Traum sei, der ihn bedrücke und quäle.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Er stand auf, zog sich an, und während die Mutter draußen
+in der Küche sorgte, dem Sohn ein rasches Frühstück zu bereiten,
+ging der Vater hin ihn zu wecken.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page248">[pg 248]</span><a name="Pg248" id="Pg248" class="tei tei-anchor"></a>»Georg!« sagte er, als er die Thür öffnete, die in des
+Sohnes Kammer führte — »Georg — es wird Zeit — heiliger
+Gott!« unterbrach er sich aber rasch und erschreckt als er
+das Gemach leer, das Bett unberührt und keine Spur mehr
+von dem Kinde fand — »heiliger, erbarmender Gott — er ist
+fort.« Und wie er sich auch vorgenommen sich zu fassen, und
+der Frau, dem Kind, die letzten Augenblicke nicht mehr zu erschweren,
+durch seine eigene Schwäche, traf ihn <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">der</span></em> Schlag
+doch zu hart — zu unerwartet. In diesem Augenblick betrat
+die Mutter das Zimmer, und sah wie der Vater sich erschüttert
+von der Thür abwandte und das Antlitz in den Händen barg.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Mein Sohn — mein Kind!« stammelte sie, in der sie
+durchzuckenden Ahnung des Geschehenen, der sie wie ein jäher
+Schlag in's Herz traf — »wo ist — wo ist Georg?« Aber
+der Vater zog sie an die Brust, und ihre Stirn, auf die seine
+heißen Thränen fielen, küssend, flüsterte er leise:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Er hat uns den Schmerz des Abschiedes sparen wollen,
+Louise — er ist fort.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»<em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">Fort!</span></em>« hauchte die Frau — kaum noch den Sinn der
+Worte fassend, und brach bewußtlos in den Armen des Gatten
+zusammen.</p>
+
+<div class="tei tei-tb">* * * * * </div>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Außerhalb Waldenhayn, wenn auch noch zu demselben
+Kirchspiel gehörend, und dicht an der Grenze des bis hier herniederlaufenden
+Holzes, stand ein kleines, schon halb verfallenes<span class="tei tei-pb" id="page249">[pg 249]</span><a name="Pg249" id="Pg249" class="tei tei-anchor"></a>
+Haus, das früher einmal von einem Forstgehülfen des herrschaftlichen
+Waldes bewohnt, dann aber nicht mehr benutzt,
+und um ein Billiges, eigentlich auf Abbruch, verkauft worden
+war. Der Mann der es kaufte aber, hatte früher ebenfalls in
+herrschaftlichen Diensten gestanden, und dann das Metzger-Handwerk
+getrieben; sein wildes, liederliches Leben jedoch
+ließ sein Geschäft nicht fördern, noch vorwärts gehn. Er schien
+auch keine rechte Lust an einer regelmäßigen Arbeit zu haben,
+heirathete dann, als er Alles was er sein nannte, durchgebracht,
+ein Mädchen vom herrschaftlichen Gut, das den Dienst
+dort verlassen mußte und von dem Herrn selber eine Abstandssumme
+bekam, und kaufte mit dem Gelde eben das kleine unwohnliche
+Gebäude, das er nichtsdestoweniger bezog, und sich
+jetzt angeblich vom Viehhandel ernährte. Er zog im Lande
+herüber und hinüber, und kaufte und verkaufte Vieh, mehr
+aber noch trieb er sich in den Wirthshäusern herum, wo er
+trank und spielte, und den schlimmsten Ruf im Lande hatte,
+den ein Mensch haben kann, ohne daß jedoch die Polizei den
+mindesten Halt an ihn bekommen konnte. Aber die ordentlichen
+Leute zogen sich von ihm zurück; Niemand mochte Umgang
+mit ihm oder seinem Weibe haben, und auf dem Weg
+zu seinem Hause wuchs Gras; wen dort nicht ein besonderes
+Geschäft hinführte, betrat ihn nimmer.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">So hatte der »schwarze Steffen,« wie er im Lande seines
+dunklen Haares und Aussehns wegen hieß, sechs Jahre in dem
+kleinen Haus gewohnt, und sein Weib ihm, außer dem Kind
+das sie in die Ehe gebracht, noch drei andere geboren. In der
+<span class="tei tei-pb" id="page250">[pg 250]</span><a name="Pg250" id="Pg250" class="tei tei-anchor"></a>letzten Zeit tauchte dabei ein anderer Verdacht gegen ihn auf,
+daß er sich nämlich unter der Hand mit Wilddieben einlasse,
+und — wenn auch vielleicht nicht selber wildere, doch das Gestohlene
+kaufe und unterbringe.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Sicher ist, daß nicht alles Fleisch was er zu Markte führte,
+im Stall gemästet worden, und als nun auch gar einmal, und
+vor nicht so sehr langer Zeit, ein Forstgehülfe, in Ausübung
+seiner Pflicht, erschossen worden, wurde die Aufsicht über den
+schwarzen Steffen, dem man aber doch nicht zu Kragen konnte,
+so scharf geführt, und diesem zuletzt so unerträglich, daß er
+schon ein paar Mal mit den Forstbeamten im Wirthshaus
+Streit gesucht und gefunden, und ihm zuletzt von der Herrschaft,
+nach lange geübter Nachsicht, der Befehl zugestellt wurde,
+das auf den Abbruch damals erstandene Haus, von dem übrigens
+kein Ziegel mehr sein gehörte, zu räumen und abzutragen
+oder stehen zu lassen, wie es ihm gefalle, seinen Wohnsitz aber,
+wider ihn eingelaufener Klagen wegen, wo anders zu nehmen,
+vom ersten des nächsten Monats an.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Steffen war heute einmal ausnahmsweise den ganzen
+Tag zu Haus geblieben, und hatte manche von seinen Sachen,
+wobei ihm die Frau half, zusammengetragen und in einen
+Ranzen gepackt. Die Kinder aber achteten wenig darauf; sie
+waren gewohnt daß der Vater oft fortging, und dann immer
+mehre, manchmal sogar acht Tage fortblieb, ehe sie ihn wieder
+zu sehen bekamen, oder auch nur von ihm hörten. Fragen,
+wohin er ging, durften sie nie.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Der Vater war übrigens mürrischer heute als je — er
+<span class="tei tei-pb" id="page251">[pg 251]</span><a name="Pg251" id="Pg251" class="tei tei-anchor"></a>sprach fast kein Wort, trank aber oft aus der Flasche, die zum
+ersten Mal offen in der Stube stand, und woraus sich auch
+die Mutter zweimal einschenkte, und sich dann zu dem jüngsten
+Kinde setzte, und es auf den Schoos nahm und küßte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Weshalb weinst Du, Mama?« sagte das zweite Kind,
+ein Junge von etwas über fünf Jahren — »hat Dir Jemand
+'was zu Leid gethan?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Weil sie eine Närrin ist,« brummte der Vater, der die
+Frage gehört hatte, und jetzt einen ärgerlichen Blick nach der
+Frau schoß — »ich dächte wir hätten nun genug darüber geschwatzt
+und die Sache wär' abgemacht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nun ja — ich sage ja auch kein Wort mehr dagegen,«
+erwiederte die Frau — »es — es überkommt Einen nur noch
+manchmal so — nachher wird's besser und — es geht ja doch
+nun einmal nicht anders,« setzte sie still und schwer vor sich
+hinseufzend, hinzu.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Steffen entgegnete nichts weiter darauf, schickte aber bald
+darauf, unter irgend einem Vorwand, die Kinder mitsammen
+hinaus in den Garten, und sagte dann, als er sich mit der
+Frau allein sah, mürrisch und finster.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Du flennst und flennst, und wirst die Bälge noch zuletzt
+aufmerksam und ängstlich machen mit Deiner Heulerei — kannst
+Du sie hier ernähren, so bleib da, ich habe Nichts dagegen;
+kannst Du's aber nicht, dann sei auch vernünftig
+und mach' jetzt keine dummen Streiche — es wär' ein Spaß,
+wenn sie uns abfaßten, und Du weißt am Besten was uns
+nachher bevorstünde.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page252">[pg 252]</span><a name="Pg252" id="Pg252" class="tei tei-anchor"></a>Die Frau war schlank und voll gewachsen, mit besonders
+kleinen Händen und Füßen, mußte auch einmal in früheren
+Jahren wirklich schön gewesen sein, und mehr noch als nur
+die Spuren war ihr davon geblieben, hätte sie eben etwas gethan
+sich das zu erhalten. Aber in ihrem ganzen Aeußeren
+ging sie, wenn nicht geradezu unreinlich, doch vernachlässigt;
+die ungeordneten Haare wurden durch einen zerbrochenen,
+ächten Schildpatkamm, und durch ein schwarzes abgescheuertes
+Sammetband, in dem vorn eine große bronzene Broche mit
+einem unächten Turquis saß, gehalten; in den Ohren hingen
+ihr ebenfalls lange emaillirte unächte Ohrringe, die mit dazu
+beigetragen hatten ihr bei ihren bescheidenen und einfachen
+Nachbarn den Namen der »stolzen Jule« zu geben, und das
+Kleid von gutem Stoff und nach neuem Schnitt gemacht,
+zeigte unausgebesserte Risse, und Spuren von Fett, in Streifen
+und Flecken, die schlecht zu dem blitzenden falschen Schmucke
+paßten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Auch in den Augen selber lag etwas Keckes, Unweibliches,
+das aber doch jetzt einem mächtigeren Gefühl gewichen war,
+denn nur manchmal, bei den rauhen Worten, blitzte es an
+gegen den Mann, und um die Lippen zog sich dann ein eigener
+fester Zug von Trotz und Zorn.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich hab' Dir genug zu Willen gethan, daß ich mit Dir
+gehe und die Kinder zurücklasse,« sagte sie dann nach kleiner
+Weile — »wenn's mir das Herz dabei zusammenzieht, wärst
+Du schlimmer wie ein Thier, wolltest Du's mir wehren. Der
+Wolf läßt seine Brut nicht im Stich, und wir wollen fort — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page253">[pg 253]</span><a name="Pg253" id="Pg253" class="tei tei-anchor"></a>»Der Wolf hat auch draußen zu leben, und für die Jungen
+Milch — wer giebt's uns?« zischte der Mann zwischen den
+zusammgebissenen Zähnen durch — »wir könnten krepiren hier
+im Nest, keine Katze miaute deshalb im ganzen Kreis.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte die Frau, »und das
+ist das Einzige was mich freut, daß wir ihnen jetzt einen
+Streich spielen — den Lumpen. Und wie sie schreien und
+schimpfen werden — aber ernähren müßen sie sie doch, davon
+hilft ihnen kein Gott. Leid thut's Einem freilich immer, die
+armen Dinger, die noch Nichts von der Welt wissen und begreifen,
+so allein zurückzulassen — wenn ich das Jüngste nur
+mitnehmen dürfte — « setzte sie leise hinzu.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Komm mir nur jetzt nicht wieder mit dem alten Gewäsch,«
+rief aber der Mann finster und ärgerlich — »ich dächte
+das hätten wir über und genug besprochen und überlegt, und
+wären einig darüber.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ueberlegt gar nicht,« sagte aber die Frau, die Brauen
+fest zusammenziehend — »wenn ich davon anfing hast Du
+mich immer grob angefahren und ausgezankt, und Deinen
+Willen gehabt dabei, wie bei allem Anderen. Ich weiß daß
+ich nicht zu den Weichen gehöre, aber — Mutter bleibt doch
+Mutter, und — 's ist immer ein häßlich unnatürlich Ding.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Papperlapapp!« sagte der Mann den Kopf herüber und
+hinüber werfend — »unnatürlich — natürlich ist's allerdings
+nicht daß die Scheunen ringsherum voll liegen, und das reiche
+Lumpenpack das Geld mit vollen Fausten zum Fenster hinaus<span class="tei tei-pb" id="page254">[pg 254]</span><a name="Pg254" id="Pg254" class="tei tei-anchor"></a>wirft,
+während wir hier trocken Brod nagen sollen, und das
+nicht einmal immer kriegen — schöne Natürlichkeit das.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wenn Du nur nicht den dummen Streich mit dem — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Halt's Maul!« brummte aber der Mann mürrisch — »ich
+sollte mich wohl erwischen und anzeigen lassen, daß ich
+jetzt im Zuchthaus säß und spänn — Gott verdamm mich, ich
+schösse eher die ganze Bande über den Haufen, einen nach dem
+anderen — bist Du nun fertig mit Deinen Sachen?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja!« sagte die Frau leise und unwillkürlich zusammenschaudernd — »es
+kann fort gehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Wir wollen aber doch warten bis es dunkel ist,« sagte
+Steffen nach kleiner Pause; »besser ist besser, und der Märtens
+unten an der Straße braucht nicht gleich zu wissen daß wir
+fortgefahren sind, beide zusammen, seine Nase hineinzustecken
+vor der Zeit; er ist mir so schon ein paar Mal hier oben herumgekrochen,
+wo er Nichts zu suchen hatte.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber wenn sie uns nun doch vor der Zeit vermissen?«
+sagte die Frau, »und unserer Spur nachgehn; wenn's jetzt
+schlimm ist, nachher wird's erst bös, und wir dürften dann nur
+gleich mit Sack und Pack abziehn.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»In's Arbeitshaus, eh? — nein, eine Weile halt' ich sie
+uns schon von den Hacken, und Gefahr daß sie uns finden,
+hat es auch nicht. Wo wir zur Eisenbahn kommen bin ich
+bekannt, und habe schon manchmal Vieh da gekauft, wenn sie
+auch eben meinen Namen nicht wissen, und wenn wir fortgehn,
+lasse ich einen alten Hut von mir und das gelbe Tuch von
+Dir unten an dem tiefen Wasserloch unter den Erlen. Sobald<span class="tei tei-pb" id="page255">[pg 255]</span><a name="Pg255" id="Pg255" class="tei tei-anchor"></a>
+Jemand hier in der Gegend vermißt wird, suchen sie dort immer
+zuerst, und der Schulze im Dorf hat das Pulver nicht
+erfunden, dem ist leicht was aufgehängt. Bis sie eine Weile
+stromab geangelt haben, sind wir hoffentlich unterwegs, und
+wenn nicht unter, doch über dem Wasser. Aber ich will jetzt
+noch einmal hinunter zum Märtens gehn und Mehl holen;
+es ist auch heute der gewöhnliche Tag, und hierher kommt nachher
+keiner so leicht, nimm Du indeß die Kinder vor, und instruire
+sie wie sie sich zu verhalten haben.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Und seine Mütze aufgreifend steckte Steffen die Hände in
+die Taschen, und schlenderte langsam den Hang hinunter dem
+nächsten, eine gute Viertelstunde entfernten Hause zu, während
+die Frau die Kinder zu sich hereinrief, das Jüngste, ein
+kleines liebes Mädchen von anderthalb Jahren, auf den
+Schoos nahm, und sich damit still und lautlos in die Ecke
+setzte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Sonne neigte sich indessen ihrem Untergang, und der
+Vater kam nach etwa einer Stunde, als es schon völlig dunkel
+geworden war zurück — die Mutter saß noch immer mit dem
+Kind auf dem Schoos, das bei ihr eingeschlafen war, und hielt
+es fest an sich gedrückt.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So Jule, es ist Zeit,« sagte der Mann, seine Arbeitsjacke
+abwerfend und den Rock anziehend, »weiß die Albertine was
+sie zu thun hat?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Frau zitterte am ganzen Leib, aber sie erwiederte kein
+Wort, stand auf, küßte das Kind das sie auf dem Arm trug,
+<span class="tei tei-pb" id="page256">[pg 256]</span><a name="Pg256" id="Pg256" class="tei tei-anchor"></a>und legte es in sein Bettchen — einen Kasten, der in der Ecke
+der Stube stand.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Albertine,« sagte sie dann zu der Aeltesten, und wandte
+sich von der düster brennenden Oellampe, die Steffen auf den
+Ofen gestellt hatte, ab, daß die Tochter ihr nicht in die jetzt
+wirklich todtenbleichen Züge schauen sollte — »ich gehe mit
+dem Vater heute Abend eine Weile fort — den Karl bring ich
+erst noch zu Bett — sollten wir morgen früh nicht bei Zeiten
+da sein, so — so zieh die Kinder an und gieb ihnen zu essen — der
+Brodschrank ist offen, und Milch steht unter der Diele
+in der Schüssel — Du paßt mir auf daß den Kleinen Nichts
+passirt — Du — Du bist ja schon ein großes Mädchen.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und geht mir nicht vor die Thür morgen, bis wir nicht
+wieder da sind,« sagte Steffen, »wie ich heut Abend drunten
+gehört habe, ist hier ein toller Hund herumgelaufen. Das
+Beste wird sein Ihr haltet die Hausthür zu, daß er nicht etwa
+gar herein kommt.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Die Frau hatte dabei das etwa dreijährige Mädchen
+das indeß gar schläfrig geworden war, ausgezogen und in sein
+Bettchen gelegt — und der Junge, Carl, saß auf der Bank
+am Fenster, noch auf sein Abendbrod wartend. Aber er sah
+auch erstaunt dabei die Eltern an, die noch nie so spät Abends
+fortgegangen waren, und auch wohl noch nie, oder doch nur
+selten gar so freundlich mit ihnen gesprochen hatten.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Was für ein Hund ist es, Vater?« frug er jetzt, da der
+Gedanke an den tollgewordenen Hund ihn besonders interessiren
+<span class="tei tei-pb" id="page257">[pg 257]</span><a name="Pg257" id="Pg257" class="tei tei-anchor"></a>mochte — »Märtens' Bello? der kennt mich, und beißt mich
+nicht.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Nein, der große Türk aus dem Dorfe unten,« sagte
+Steffen — »der den Müller auch schon einmal gebissen hat.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Oh der ist schlimm!« rief der Knabe erschreckt — »da
+geh' ich gewiß nicht hinaus.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Geh' nun zu Bett Carl, es ist spät,« sagte der Vater.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich habe mein Abendbrod noch nicht,« brummte der arme
+kleine Bursch.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»So? — dann wird Dir's Albertine geben — und — seid
+brav und folgt ihr — «</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Er gab dem Knaben und ältesten Mädchen die Hand,
+und ging zu den Bettchen der Kleinen die er küßte; dann aber
+als ob er sich einer solchen Regung schäme, richtete er sich rasch
+wieder auf, drückte den Hut in die Stirn, und sagte, das Zimmer
+verlassend, und noch in der Thür sich umdrehend:</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ich warte auf Dich unten am Wasser — mach schnell!«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Sei ein gut Kind Albertine, und hab mir gut auf die
+Kleinen Acht,« flüsterte die Frau jetzt dem Mädchen zu, das
+eben dem Bruder ein Stück Brod und Salz gegeben hatte, an
+dem der aß und verwundert dabei hinter den Vater her aus
+der Thür, und nach der Mutter schaute, die lange — o lange
+Zeit nicht so freundlich mit ihnen gesprochen hatte.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Mutter wo geht Ihr nur hin?« — frug das Mädchen,
+der das Benehmen der Eltern ebenfalls auffiel, verwundert.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Auf's Amt,« sagte die Frau, auf die Frage schon vor<span class="tei tei-pb" id="page258">[pg 258]</span><a name="Pg258" id="Pg258" class="tei tei-anchor"></a>bereitet — »wir
+müssen morgen früh mit Tagesanbruch in der
+Stadt sein, und wollen gehn so lang's kühl ist.«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Und wann kommst Du wieder?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Hoffentlich morgen gegen Abend — wenn wir fertig
+werden; auf dem Amt sind sie aber gar weitläufig — manchmal
+dauert's länger als man denkt. Geht mir aber nicht vor
+die Thür, Ihr habt zu essen genug — jedenfalls sind wir morgen
+Abend um die Zeit wieder da — und acht' mir auf die
+Kleinen, Tine — sei ein vernünftig gutes Mädchen — Du
+bist groß genug. Und — wenn Jemand nach uns fragen
+sollte, so sag nur wir wären in den Wald gegangen, und
+kämen gleich wieder — es wird aber wohl Niemand fragen,«
+ — setzte sie leise, und wie zu ihrer eigenen Beruhigung
+hinzu.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Sie sah sich im Zimmer um, ob sie Nichts vergessen habe
+ — ihr Bündel lag aber versteckt draußen vor der Thür, wie
+der Mann seine gepackte Jagdtasche ebenfalls draußen verborgen
+gehabt und jetzt mitgenommen hatte. Ihr Blick überflog
+auch nur flüchtig den kleinen Raum, und haftete dann auf dem
+Bettchen des jüngsten Kindes — sie konnte nicht widerstehn,
+und trat noch einmal zu dem schlummernden Kind.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Geh doch hinaus Tine, und hole ein paar Stücken Holz
+herein, so lang ich noch hier bin, daß Du morgen früh Kaffee
+kochen kannst — ich bleibe so lang bei den Kindern,« setzte sie
+langsam und ohne das älteste Mädchen dabei anzusehn, hinzu.
+Dieses ging, und in wilder, fast ängstlicher Hast küßte die Frau
+jetzt die kleine, schon sanft schlummernde Line, und hob dann
+<span class="tei tei-pb" id="page259">[pg 259]</span><a name="Pg259" id="Pg259" class="tei tei-anchor"></a>das Jüngste aus seinem Kasten, auf dessen rosige Lippen sie
+den eigenen Mund in wilder Heftigkeit preßte, bis es schrie.
+Die Thränen — die Mutter <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">konnte</span></em> sich nicht ganz verleugnen
+in dem Augenblick — liefen ihr dabei voll und
+schwer die Wangen hinunter, und erst als sie das Aelteste
+mit dem Holz zurückkehren hörte, legte sie das leicht beruhigte
+Kind wieder auf sein Lager, und küßte den Jungen, dem die
+Thränen auch anfingen in die Augen zu steigen. Er wußte
+freilich nicht recht weshalb, und nur vielleicht weil er die
+Mutter weinen sah, wurd' es ihm auch so weh und weich
+um's Herz.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Aber Mutter, was ist Dir nur heute Abend?« sagte das
+Mädchen, dem die außergewöhnliche Bewegung derselben unmöglich
+entgehen konnte — »was habt Ihr nur, Du und der
+Vater?«</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Bah — der Vater war garstig mit mir, und wir haben
+uns gezankt,« sagte die Mutter, das Gesicht abwendend von
+dem Kind.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Ein scharfer Pfiff von draußen her schlug an ihr Ohr,
+und sie fuhr erschreckt in die Höhe.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">»Ja — ich komme schon!« murmelte sie, kaum hörbar,
+vor sich hin, »so adieu Albertine — hab auf die Kinder Acht,
+und — <em class="tei tei-emph"><span style="letter-spacing: 0.20em">behüt Euch Gott</span></em>!« und mit dem, wie scheu geflüsterten
+und vielleicht seit langer, langer Zeit nicht ausgesprochenen
+Segen, verließ sie rasch das Zimmer und das
+Haus.</p>
+
+<p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-pb" id="page260">[pg 260]</span><a name="Pg260" id="Pg260" class="tei tei-anchor"></a>»Was zum Teufel trödelst Du denn da drin, und läßt
+mich eine Stunde hier warten?« rief der Mann mürrisch, als
+sie ihn endlich an der verabredeten Stelle traf — aber die
+Frau erwiederte kein Wort, und die fieberheiße Stirn in die
+Hand pressend, folgte sie dem, jetzt ebenfalls finster und schweigend
+Voranschreitenden, durch die Nacht.</p>
+</div>
+</div>
+
+<div class="tei tei-back" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 6.00em">
+<hr class="doublepage" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 5.00em; margin-top: 5.00em">
+<div id="pgfooter" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 4.00em; margin-top: 4.00em"><pre class="pre tei tei-div" style="margin-bottom: 3.00em; margin-top: 3.00em">***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND***
+</pre><hr class="doublepage" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 3.00em; margin-top: 3.00em"><a name="rightpageheader31" id="rightpageheader31"></a><a name="pgtoc32" id="pgtoc32"></a><a name="pdf33" id="pdf33"></a><h1 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">Credits</span></h1><table summary="This is a list." class="tei tei-list" style="margin-bottom: 1.00em; margin-top: 1.00em"><tbody><tr><th class="tei tei-label tei-label-gloss">May 2006  </th></tr><tr><td class="tei tei-item tei-item-gloss"><table summary="This is a list." class="tei tei-list" style="margin-bottom: 1.00em; margin-top: 1.00em"><tbody><tr class="tei tei-labelitem"><th class="tei tei-label"></th><td class="tei tei-item">Project Gutenberg Edition</td></tr><tr class="tei tei-labelitem"><th class="tei tei-label"></th><td class="tei tei-item"><span class="tei tei-respStmt">
+ <span class="tei tei-name">richyfortytwo<br /></span>
+ <span class="tei tei-name">Joshua Hutchinson<br /></span>
+ <span class="tei tei-name">Online Distributed Proofreading Team</span>
+ </span></td></tr></tbody></table></td></tr></tbody></table></div><hr class="doublepage" /><div class="tei tei-div" style="margin-bottom: 3.00em; margin-top: 3.00em"><a name="rightpageheader34" id="rightpageheader34"></a><a name="pgtoc35" id="pgtoc35"></a><a name="pdf36" id="pdf36"></a><h1 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">A Word from Project Gutenberg</span></h1><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">This file should be named
+ 18475-h.html or
+ 18475-h.zip.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">This and all associated files of various formats will be found
+ in:
+
+ <a href="http://www.gutenberg.org/dirs/1/8/4/7/18475/" class="block tei tei-xref" style="margin-bottom: 1.80em; margin-left: 3.60em; margin-top: 1.80em; margin-right: 3.60em"><span style="font-size: 90%">http://www.gutenberg.org</span><span style="font-size: 90%">/dirs/1/8/4/7/18475/</span></a></p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Updated editions will replace the previous one — the old
+ editions will be renamed.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Creating the works from public domain print editions means that
+ no one owns a United States copyright in these works, so the
+ Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
+ States without permission and without paying copyright royalties.
+ Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this
+ license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works
+ to protect the Project Gutenberg™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered
+ trademark, and may not be used if you charge for the eBooks,
+ unless you receive specific permission. If you do not charge
+ anything for copies of this eBook, complying with the rules is
+ very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as
+ creation of derivative works, reports, performances and research.
+ They may be modified and printed and given away — you may do
+ practically <em class="tei tei-emph"><span style="font-style: italic">anything</span></em> with public domain eBooks.
+ Redistribution is subject to the trademark license, especially
+ commercial redistribution.</p></div><hr class="page" /><div id="pglicense" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 3.00em; margin-top: 3.00em"><a name="rightpageheader37" id="rightpageheader37"></a><a name="pgtoc38" id="pgtoc38"></a><a name="pdf39" id="pdf39"></a><h1 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 3.46em; margin-top: 3.46em"><span style="font-size: 173%">The Full Project Gutenberg License</span></h1><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><em class="tei tei-emph"><span style="font-style: italic">Please read this before you distribute or use this
+ work.</span></em></p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free
+ distribution of electronic works, by using or distributing
+ this work (or any other work associated in any way with the
+ phrase <span class="tei tei-q">„Project Gutenberg“</span>), you agree to comply with all the terms
+ of the Full Project Gutenberg™ License (<a href="#pglicense" class="tei tei-ref">available with this file</a> or online
+ at <a href="http://www.gutenberg.org/license" class="tei tei-xref">http://www.gutenberg.org/license</a>).</p><div id="pglicense1" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h2 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Section 1.</span></h2><h2 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">General Terms of Use &amp; Redistributing Project Gutenberg™
+ electronic works</span></h2><div id="pglicense1A" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h3 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">1.A.</span></h3><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic
+ work, you indicate that you have read, understand, agree to
+ and accept all the terms of this license and intellectual
+ property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree
+ to abide by all the terms of this agreement, you must cease
+ using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic
+ works in your possession. If you paid a fee for obtaining a
+ copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not
+ agree to be bound by the terms of this agreement, you may
+ obtain a refund from the person or entity to whom you paid the
+ fee as set forth in paragraph <a href="#pglicense1E8" class="tei tei-ref">1.E.8.</a></p></div><div id="pglicense1B" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h3 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">1.B.</span></h3><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-q">„Project Gutenberg“</span> is a registered trademark. It may only be used on or
+ associated in any way with an electronic work by people who agree to be
+ bound by the terms of this agreement. There are a few things that you
+ can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the
+ full terms of this agreement. See paragraph <a href="#pglicense1C" class="tei tei-ref">1.C</a> below. There are a lot of things you can
+ do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this
+ agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic
+ works. See paragraph <a href="#pglicense1E" class="tei tei-ref">1.E</a> below.</p></div><div id="pglicense1C" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h3 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">1.C.</span></h3><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (<span class="tei tei-q">„the Foundation“</span> or PGLAF), owns a compilation
+ copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the
+ individual works in the collection are in the public domain in the
+ United States. If an individual work is in the public domain in the
+ United States and you are located in the United States, we do not claim
+ a right to prevent you from copying, distributing, performing,
+ displaying or creating derivative works based on the work as long as all
+ references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support
+ the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by
+ freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this
+ agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can
+ easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in
+ the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it
+ without charge with others.</p></div><div id="pglicense1D" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h3 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">1.D.</span></h3><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">The copyright laws of the place where you are located also govern
+ what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in
+ a constant state of change. If you are outside the United States, check
+ the laws of your country in addition to the terms of this agreement
+ before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
+ creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work.
+ The Foundation makes no representations concerning the copyright status
+ of any work in any country outside the United States.</p></div><div id="pglicense1E" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h3 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">1.E.</span></h3><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Unless you have removed all references to Project Gutenberg:</p><div id="pglicense1E1" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.E.1.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">The following sentence, with active links to, or other immediate
+ access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any
+ copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase <span class="tei tei-q">„Project Gutenberg“</span>
+ appears, or with which the phrase <span class="tei tei-q">„Project Gutenberg“</span> is associated) is
+ accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed:
+
+ </p><div class="block tei tei-q" style="margin-bottom: 1.80em; margin-left: 3.60em; margin-top: 1.80em; margin-right: 3.60em"><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 0.90em"><span style="font-size: 90%">This eBook is for the use of
+ anyone anywhere at no cost and with almost no
+ restrictions whatsoever. You may copy it, give it
+ away or re-use it under the terms of the Project
+ Gutenberg License included with this eBook or
+ online at </span><a href="http://www.gutenberg.org" class="tei tei-xref"><span style="font-size: 90%">http://www.gutenberg.org</span></a></p></div></div><div id="pglicense1E2" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.E.2.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from the public
+ domain (does not contain a notice indicating that it is posted with
+ permission of the copyright holder), the work can be copied and
+ distributed to anyone in the United States without paying any fees or
+ charges. If you are redistributing or providing access to a work with
+ the phrase <span class="tei tei-q">„Project Gutenberg“</span> associated with or appearing on the work, you
+ must comply either with the requirements of paragraphs <a href="#pglicense1E1" class="tei tei-ref">1.E.1</a> through 1.E.7 or obtain permission for
+ the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs
+ <a href="#pglicense1E8" class="tei tei-ref">1.E.8</a> or 1.E.9.</p></div><div id="pglicense1E3" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.E.3.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission
+ of the copyright holder, your use and distribution must comply with both
+ paragraphs <a href="#pglicense1E1" class="tei tei-ref">1.E.1</a> through 1.E.7 and any
+ additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will
+ be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission
+ of the copyright holder found at the beginning of this work.</p></div><div id="pglicense1E4" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.E.4.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from
+ this work, or any files containing a part of this work or any other work
+ associated with Project Gutenberg™.</p></div><div id="pglicense1E5" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.E.5.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
+ electronic work, or any part of this electronic work, without
+ prominently displaying the sentence set forth in paragraph <a href="#pglicense1E1" class="tei tei-ref">1.E.1</a> with active links or immediate access
+ to the full terms of the Project Gutenberg™ License.</p></div><div id="pglicense1E6" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.E.6.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">You may convert to and distribute this work in any binary,
+ compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
+ any word processing or hypertext form. However, if you provide access
+ to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than
+ <span class="tei tei-q">„Plain Vanilla ASCII“</span> or other format used in the official
+ version posted on the official Project Gutenberg™ web site (http://www.gutenberg.org), you must, at
+ no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a
+ means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
+ request, of the work in its original <span class="tei tei-q">„Plain Vanilla ASCII“</span> or
+ other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License
+ as specified in paragraph <a href="#pglicense1E1" class="tei tei-ref">1.E.1.</a></p></div><div id="pglicense1E7" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.E.7.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing,
+ copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with
+ paragraph <a href="#pglicense1E8" class="tei tei-ref">1.E.8</a> or 1.E.9.</p></div><div id="pglicense1E8" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.E.8.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to
+ or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that</p><table summary="This is a list." class="tei tei-list" style="margin-bottom: 1.00em; margin-top: 1.00em"><tbody><tr class="tei tei-labelitem"><th class="tei tei-label">•  </th><td class="tei tei-item"><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to
+ calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the
+ Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this
+ paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days
+ following each date on which you prepare (or are legally required to
+ prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly
+ marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in <a href="#pglicense4" class="tei tei-ref">Section 4, <span class="tei tei-q">„Information about donations to the
+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation.“</span></a></p></td></tr><tr class="tei tei-labelitem"><th class="tei tei-label">•  </th><td class="tei tei-item"><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does
+ not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such
+ a user to return or destroy all copies of the works possessed in a
+ physical medium and discontinue all use of and all access to other
+ copies of Project Gutenberg™ works.</p></td></tr><tr class="tei tei-labelitem"><th class="tei tei-label">•  </th><td class="tei tei-item"><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">You provide, in accordance with paragraph <a href="#pglicense1F3" class="tei tei-ref">1.F.3</a>, a full refund of any money paid for a
+ work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is
+ discovered and reported to you within 90 days of receipt of the
+ work.</p></td></tr><tr class="tei tei-labelitem"><th class="tei tei-label">•  </th><td class="tei tei-item"><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg™ works.</p></td></tr></tbody></table></div><div id="pglicense1E9" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.E.9.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or
+ group of works on different terms than are set forth in this agreement,
+ you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
+ Hart, the owner of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set
+ forth in <a href="#pglicense3" class="tei tei-ref">Section 3</a> below.</p></div></div><div id="pglicense1F" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h3 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">1.F.</span></h3><div id="pglicense1F1" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.F.1.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify,
+ do copyright research on, transcribe and proofread public domain works
+ in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™
+ electronic works, and the medium on which they may be stored, may
+ contain <span class="tei tei-q">„Defects,“</span> such as, but not limited to, incomplete,
+ inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
+ intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other
+ medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be
+ read by your equipment.</p></div><div id="pglicense1F2" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.F.2.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES — Except for the <span class="tei tei-q">„Right of
+ Replacement or Refund“</span> described in <a href="#pglicense1F3" class="tei tei-ref">paragraph
+ 1.F.3</a>, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any
+ other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement,
+ disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including
+ legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
+ LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
+ PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK
+ OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO
+ YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL
+ DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE.</p></div><div id="pglicense1F3" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.F.3.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND — If you discover a defect in
+ this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a
+ refund of the money (if any) you paid for it by sending a written
+ explanation to the person you received the work from. If you received
+ the work on a physical medium, you must return the medium with your
+ written explanation. The person or entity that provided you with the
+ defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
+ refund. If you received the work electronically, the person or entity
+ providing it to you may choose to give you a second opportunity to
+ receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+ is also defective, you may demand a refund in writing without further
+ opportunities to fix the problem.</p></div><div id="pglicense1F4" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.F.4.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Except for the limited right of replacement or refund set forth in
+ <a href="#pglicense1F3" class="tei tei-ref">paragraph 1.F.3</a>, this work is provided
+ to you 'AS-IS,' WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR
+ IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR
+ FITNESS FOR ANY PURPOSE.</p></div><div id="pglicense1F5" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.F.5.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or
+ the exclusion or limitation of certain types of damages. If any
+ disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of
+ the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+ interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+ the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+ provision of this agreement shall not void the remaining provisions.</p></div><div id="pglicense1F6" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h4 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em">1.F.6.</h4><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">INDEMNITY — You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+ trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+ providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this
+ agreement, and any volunteers associated with the production, promotion
+ and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all
+ liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly
+ or indirectly from any of the following which you do or cause to occur:
+ (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration,
+ modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
+ Defect you cause.</p></div></div></div><div id="pglicense2" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h2 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Section 2.</span></h2><h2 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">Information about the Mission of Project Gutenberg™</span></h2><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works
+ in formats readable by the widest variety of computers including
+ obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the
+ efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks
+ of life.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+ assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg™'s goals and
+ ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for
+ generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a
+ secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn
+ more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+ Sections <a href="#pglicense3" class="tei tei-ref">3</a> and <a href="#pglicense4" class="tei tei-ref">4</a> and the Foundation web page at <a href="http://www.pglaf.org" class="tei tei-xref">http://www.pglaf.org</a>.</p></div><div id="pglicense3" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h2 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Section 3.</span></h2><h2 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation</span></h2><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation
+ organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax
+ exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or
+ federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter
+ is posted at <a href="http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf" class="tei tei-xref">http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf</a>. Contributions
+ to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S.
+ federal laws and your state's laws.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr.
+ S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are
+ scattered throughout numerous locations. Its business office is
+ located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801)
+ 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date
+ contact information can be found at the Foundation's web site and
+ official page at <a href="http://www.pglaf.org" class="tei tei-xref">http://www.pglaf.org</a></p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">For additional contact information:
+
+ </p><div class="block tei tei-address" style="margin-bottom: 1.80em; margin-left: 3.60em; margin-top: 1.80em; margin-right: 3.60em"><span class="tei tei-addrLine"><span style="font-size: 90%">Dr. Gregory B. Newby</span></span><br /><span class="tei tei-addrLine"><span style="font-size: 90%">Chief Executive and Director</span></span><br /><span class="tei tei-addrLine"><span style="font-size: 90%">gbnewby@pglaf.org</span></span><br /></div></div><div id="pglicense4" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h2 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Section 4.</span></h2><h2 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation</span></h2><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without wide spread public
+ support and donations to carry out its mission of increasing the number
+ of public domain and licensed works that can be freely distributed in
+ machine readable form accessible by the widest array of equipment
+ including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are
+ particularly important to maintaining tax exempt status with the
+ IRS.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+ charities and charitable donations in all 50 states of the United
+ States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+ considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+ with these requirements. We do not solicit donations in locations where
+ we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+ DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
+ visit <a href="http://www.gutenberg.org/fundraising/donate" class="tei tei-xref">http://www.gutenberg.org/fundraising/donate</a></p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+ have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+ against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+ approach us with offers to donate.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+ any statements concerning tax treatment of donations received from
+ outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and
+ addresses. Donations are accepted in a number of other ways including
+ checks, online payments and credit card donations. To donate, please
+ visit: <a href="http://www.gutenberg.org/fundraising/donate" class="tei tei-xref">http://www.gutenberg.org/fundraising/donate</a></p></div><div id="pglicense5" class="tei tei-div" style="margin-bottom: 2.00em; margin-top: 2.00em"><h2 class="tei tei-head" style="text-align: left; margin-bottom: 2.88em; margin-top: 2.88em"><span style="font-size: 144%">Section 5.</span></h2><h2 class="tei tei-head" style="text-align: center; margin-bottom: 2.40em; margin-top: 2.40em"><span style="font-size: 120%">General Information About Project Gutenberg™ electronic
+ works.</span></h2><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em"><span class="tei tei-name">Professor Michael S. Hart</span> is the
+ originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that
+ could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and
+ distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer
+ support.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of
+ which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright
+ notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in
+ compliance with any particular paper edition.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's
+ eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII,
+ compressed (zipped), HTML and others.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Corrected <em class="tei tei-emph"><span style="font-style: italic">editions</span></em> of our eBooks replace the old file
+ and take over the old filename and etext number. The replaced older file
+ is renamed. <em class="tei tei-emph"><span style="font-style: italic">Versions</span></em> based on separate sources are treated
+ as new eBooks receiving new filenames and etext numbers.</p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">Most people start at our Web site which has the main PG search
+ facility:
+
+ <a href="http://www.gutenberg.org" class="block tei tei-xref" style="margin-bottom: 1.80em; margin-left: 3.60em; margin-top: 1.80em; margin-right: 3.60em"><span style="font-size: 90%">http://www.gutenberg.org</span></a></p><p class="tei tei-p" style="margin-bottom: 1.00em">This Web site includes information about Project Gutenberg™, including how to
+ make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and
+ how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.</p></div></div></div>
+</div>
+</div>
+
+</div>
+</body></html>
diff --git a/18475-h/images/illu001.jpg b/18475-h/images/illu001.jpg
new file mode 100644
index 0000000..7df80ac
--- /dev/null
+++ b/18475-h/images/illu001.jpg
Binary files differ
diff --git a/18475-h/images/illu002.jpg b/18475-h/images/illu002.jpg
new file mode 100644
index 0000000..98522b0
--- /dev/null
+++ b/18475-h/images/illu002.jpg
Binary files differ
diff --git a/18475-h/images/illu003.jpg b/18475-h/images/illu003.jpg
new file mode 100644
index 0000000..303255e
--- /dev/null
+++ b/18475-h/images/illu003.jpg
Binary files differ
diff --git a/18475-h/images/illu004.jpg b/18475-h/images/illu004.jpg
new file mode 100644
index 0000000..653df65
--- /dev/null
+++ b/18475-h/images/illu004.jpg
Binary files differ
diff --git a/18475-h/images/illu005.jpg b/18475-h/images/illu005.jpg
new file mode 100644
index 0000000..4013a9d
--- /dev/null
+++ b/18475-h/images/illu005.jpg
Binary files differ
diff --git a/18475-pdf.pdf b/18475-pdf.pdf
new file mode 100644
index 0000000..56bb6ed
--- /dev/null
+++ b/18475-pdf.pdf
Binary files differ
diff --git a/18475-pdf.zip b/18475-pdf.zip
new file mode 100644
index 0000000..63e2847
--- /dev/null
+++ b/18475-pdf.zip
Binary files differ
diff --git a/18475-tei.tei b/18475-tei.tei
new file mode 100644
index 0000000..365179b
--- /dev/null
+++ b/18475-tei.tei
@@ -0,0 +1,8745 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8" ?>
+
+<!--
+The Project Gutenberg EBook of Nach Amerika! Erster Band by Friedrich Gerstäcker
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license
+
+Title: Nach Amerika! Erster Band
+
+Author: Friedrich Gerstäcker
+
+Release Date: 2006 [Ebook #18475]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+-->
+
+<!DOCTYPE TEI.2 SYSTEM "http://www.gutenberg.org/tei/marcello/0.4/dtd/pgtei.dtd">
+<TEI.2 lang="de">
+
+<teiHeader>
+
+<fileDesc>
+<titleStmt>
+<title>Nach Amerika! Erster Band</title>
+<author><name reg="Gerstäcker, Friedrich">Friedrich Gerstäcker</name></author>
+<editor role="illustrator"><name reg="Hosemann, Theodor">Theodor Hosemann</name></editor>
+</titleStmt>
+
+<editionStmt>
+<edition n="1">Edition 1</edition>
+</editionStmt>
+
+<publicationStmt>
+<publisher>Project Gutenberg</publisher>
+<pubPlace>Urbana</pubPlace>
+<date>May 2006</date>
+<idno type="etext-no">18475</idno>
+<idno type="DPid">projectID423450f484829</idno>
+<availability>
+<p>This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and
+with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it
+away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg
+License online at www.gutenberg.org/license</p>
+</availability>
+</publicationStmt>
+
+<sourceDesc>
+<bibl>
+<title>Nach Amerika! Erster Band</title>
+<author>Gerstäcker, Friedrich</author>
+<imprint>
+<pubPlace>Leipzig</pubPlace>
+<publisher>Hermann Costenoble, Verlagsbuchhandlung</publisher>
+<pubPlace>Berlin</pubPlace>
+<publisher>Rudolph Gaertner, Amelang'sche Sort-Buchhandlung</publisher>
+<date>1855</date>
+</imprint>
+</bibl>
+</sourceDesc>
+
+</fileDesc>
+
+<encodingDesc>
+<classDecl>
+<taxonomy id="lc">
+<bibl>
+<title>Library of Congress Classification</title>
+</bibl>
+</taxonomy>
+</classDecl>
+</encodingDesc>
+
+<profileDesc>
+<langUsage>
+<language id="de">German</language>
+</langUsage>
+</profileDesc>
+
+<revisionDesc>
+<change>
+<date value="2006-5">May 2006</date>
+ <respStmt>
+ <name>richyfortytwo<lb /></name>
+ <name>Joshua Hutchinson<lb /></name>
+ <name>Online Distributed Proofreading Team</name>
+ </respStmt>
+ <item>Project Gutenberg Edition</item>
+ </change>
+ </revisionDesc>
+
+</teiHeader>
+
+<pgExtensions>
+ <pgStyleSheet>
+ .w95 { }
+ .w75 { }
+ .w65 { }
+ .w50 { }
+ .w45 { }
+ .w40 { }
+ .w35 { }
+ .w30 { }
+ .w25 { }
+ @media pdf {
+ .w95 { width: 95% }
+ .w75 { width: 75% }
+ .w65 { width: 65% }
+ .w50 { width: 50% }
+ .w45 { width: 45% }
+ .w40 { width: 40% }
+ .w35 { width: 35% }
+ .w30 { width: 30% }
+ .w25 { width: 25% }
+ }
+ </pgStyleSheet>
+</pgExtensions>
+
+<text>
+<front>
+
+<div>
+<divGen type="pgheader" />
+</div>
+
+<titlePage rend="text-align: center; page-break-before: right">
+<docTitle rend="display: block">
+<titlePart>Nach Amerika!<lb /></titlePart>
+<titlePart>Ein Volksbuch<lb/><lb/>
+Erster Band<lb /></titlePart>
+</docTitle>
+<byline>von<lb />
+<docAuthor rend="display: block">
+Friedrich Gerstäcker.<lb /></docAuthor>
+Illustrirt von <name>Theodor Hosemann</name>.</byline>
+
+<docImprint>
+Leipzig, Hermann Costenoble, Verlagsbuchhandlung<lb/>
+Berlin, Rudolph Gaertner, Amelang'sche Sort-Buchhandlung
+</docImprint><lb/><lb/>
+<docDate><date value="1855">1855</date></docDate>
+</titlePage>
+
+<div rend="page-break-before: always">
+<p rend="text-align: center"><figure url="images/illu001.jpg" rend="w75"></figure></p>
+</div>
+
+</front>
+
+<body>
+
+<div rend="page-break-before: always">
+<head rend="text-align: center">Nach Amerika!</head>
+
+<p>Wie man ein Bild, aus einem Werk heraus, vorn auf
+den Umschlag bringt, den Beschauer dadurch gewissermaßen
+in den Charakter des Ganzen einzuweihen, so will auch ich
+hier den Anfang des einen Capitels, aus der Mitte des Bandes
+heraus, zum Vorwort wählen, den Leser gleich von vorn
+herein mit dem bekannt zu machen, was ich ihm biete.</p>
+
+<p>»Nach Amerika!« — Leser, erinnerst Du Dich noch der
+Märchen in »Tausend und eine Nacht«, wo das kleine Wörtchen
+»Sesam« dem, der es weiß, die Thore zu ungezählten
+Schätzen öffnet? hast Du von den Zaubersprüchen gehört, die
+vor alten Zeiten weise Männer gekannt, Geister heraufzurufen
+aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich
+dienstbar zu machen? — Mit dem ersten Klang der einfachen
+Sylbe schlugen, wie sich die Sage seit Jahrhunderten im
+Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner zusammen,
+die Erde bebte, und das kecke, tollkühne Menschenkind das sie
+gesprochen, bebte zurück vor der furchtbaren Gewalt die es
+heraufbeschworen.</p>
+
+<p><emph rend="letter-spacing: 0.20em">Die</emph> Zeiten sind vorüber; die Geister, die damals dem
+Menschengeschlecht gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder
+wir haben auch vielleicht das rechte Wort vergeben sie zu
+rufen — aber ein anderes dafür gefunden das, kaum minder
+stark, mit <emph rend="letter-spacing: 0.20em">einem</emph> Schlage das Kind aus den Armen der Eltern,
+den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhältnissen
+und Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden
+reißt, in dem es bis dahin mit seinen stärksten, innigsten Fasern
+treulich festgehalten.</p>
+
+<p>»Nach Amerika,« leicht und keck ruft es der Tollkopf
+trotzig der ersten schweren, traurigen Stunde entgegen, die
+seine Kraft prüfen sollte, seinen Muth stählen — »nach Amerika,«
+flüstert der Verzweifelte der hier am Rand des Verderbens
+dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde — »nach
+Amerika,« sagt still und entschlossen der Arme, der
+mit männlicher Kraft, und doch immer und immer wieder vergebens
+gegen die Macht der Verhältnisse angekämpft, der um
+sein »tägliches Brod« mit blutigem Schweiß gebeten — und
+es nicht erhalten, der keine Hülfe für sich und die Seinen hier
+im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln <emph rend="letter-spacing: 0.20em">will</emph>, nicht stehlen
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">kann</emph> — »nach Amerika« lacht der Verbrecher nach glücklich
+verübtem Raub, frohlockend der fernen Küste entgegen jubelnd,
+die ihm Sicherheit bringt vor dem Arm des beleidigten Rechts — »nach
+Amerika,« jubelt der Idealist, der wirklichen Welt
+zürnend, weil sie eben wirklich ist, und über dem Ocean drüben
+ein Bild erhoffend, das dem in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht — »nach Amerika« und mit dem einen Wort
+liegt hinter ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes früheres Leben,
+Wirken, Schaffen — liegen die Bande die Blut oder Freundschaft
+hier geknüpft, liegen die Hoffnungen die sie für hier gehegt,
+die Sorgen die sie gedrückt — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">»nach Amerika!«</emph></p>
+
+<p>So gährt und keimt der Saame um uns her — hier
+noch als leiser, kaum verstandener Wunsch im Herzen ruhend,
+dort ausgebrochen zu voller Kraft und Wirklichkeit, mit der
+reifen Frucht seiner gepackten Kisten und Kasten. Der Bauer
+draußen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain, der ihn
+zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so
+schwer geärgert, und der im Geist schon die langen geraden
+Furchen zieht, weit über dem Meer drüben, in dem fetten,
+herrlichen Land; — der Handwerker in seiner Werkstatt, dem
+sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt, mit Neuerungen
+und großen, marktschreierischen Firmen, die wenigen
+Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in <emph rend="letter-spacing: 0.20em">seine</emph> Thür zu
+locken; der Künstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube,
+der über einer freieren Entwickelung brütet, und von einem
+Lande schwärmt wo Nahrungssorgen ihm nicht Geist und
+Hände binden; — der Kaufmann hinter seinem Pult, der
+Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Büchern
+zieht, und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt, von
+einem neuen, andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen,
+von reich gefüllten Waarenhäusern träumt; in Tausenden von
+ihnen drängt's und treibt's und quält's, und wenn sie auch
+noch vielleicht Jahre lang nach außen die alte frühere Ruhe
+wahren, in ihren Herzen glüht und glimmt der Funke fort — ein
+stiller aber ein gefährlicher Brand. Jeder Bericht über
+das ferne Land wird gelesen und überdacht, neue Arzenei,
+neues Gift bringend für den Kranken. Vorsichtig und ängstlich,
+und wie weit herum um ihr Ziel, daß man die Absicht
+nicht errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem
+Ding — nach Leuten die vordem »hinüber« gezogen und denen
+es gut gegangen — nach Land- und Fruchtpreis, Klima,
+Boden, Volk — für Andere natürlich, nicht für sich etwa — sie
+lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will
+hinüber, ein entfernter Verwandter oder naher Freund, sie
+wünschen daß es dem wohl geht, und häufen mehr und mehr
+Zunder für sich selber auf.</p>
+
+<p>So ringt und drängt und wühlt das um uns her; keiner
+ist unter uns, dem nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter
+den <foreign rend="font-style: italic">salto mortale</foreign> gethan, und Alles hinter sich gelassen,
+was ihm einst lieb und theuer war — aus dem, aus
+jenem Grund — und täglich, stündlich noch hören wir von
+anderen, von denen wir im Leben nie geglaubt daß <emph rend="letter-spacing: 0.20em">sie</emph> je an
+Amerika gedacht, wie sie mit Weib und Kind und Hab und
+Gut hinüberziehn.</p>
+
+<p>Und dort? — </p>
+
+<p> — Die vorliegenden Blätter sollen dem Leser ein Bild
+geben von dem Leben und Treiben solcher Leute. Hier aus
+unserer Mitte heraus, aus den verschiedenartigsten Verhältnissen
+und Sphären, aus allen Schichten der menschlichen
+Gesellschaft sehen wir sie ziehen — Gute und Böse, den Leichtsinnigen
+und den Spekulanten, den Bauer und Handwerker,
+den Gelehrten und den Arbeiter, den rechtschaffenen Bürger
+und den heimlichen Verbrecher, Alle dem <emph rend="letter-spacing: 0.20em">einen</emph> Ziel entgegenstrebend.
+Und <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Alle</emph> vereinigt sie das Schiff; der eine
+kleine Bau, der hunderte von Menschen auf seinem schwanken
+Kiel hinüberträgt, dem fernen Welttheil zu; oh was für Hoffnungen,
+was für Pläne und Träume birgt er in seinem Schooß.
+Aber die Auswanderer liegen die langen Wochen, ja Monate,
+verpuppten Raupen gleich, im engen Haus, still und gedrängt
+beisammen; Jeder mit dem alten Leben abgeschlossen hinter
+sich, mit dem neuen noch nicht begonnen, in einem wunderlichen
+unnatürlichen Zustand, ungeduldiger Ruhe, bis der
+Anker in die Tiefe rollt, und die ausgeschobene schmale Planke
+der bunten Schaar von Tag- und Nachtfaltern den Weg in's
+Freie öffnet.</p>
+
+<p>Hinaus flattern sie da nach allen Seiten, wie eine Hand
+voll Spreu, vom Winde fort geführt; die Einen selbstbewußt
+und keck dem fremden, unbekannten Leben in die Arme springend,
+die Anderen scheu und zaghaft bei jedem Schritte fast moralische
+Selbstschüsse und Fußangeln fürchtend; Alle aber entschlossen,
+die meisten sogar gezwungen, dem neuen Vaterlande
+die, im alten aufgegebene Existenz abzuringen, Jeder in seiner
+Art, auf seine Weise.</p>
+
+<p>Dort nun sehen wir sie schaffen und wirken in Gutem
+und Bösen, die Einen mit ihren kühnsten Hoffnungen erfüllt,
+Andere, zerknirscht und zertreten, die Stunde verwünschend,
+die den Gedanken an Auswanderung gebar — sehn wie sich
+die Wildniß lichtet, wie Farmen und Städte entstehn, und
+sich das deutsche Element ausbreitet nach allen Seiten, und
+folgen den einzelnen Bekannten und Freunden, die wir zu
+Hause schon, oder auf der Fahrt erst lieb gewonnen, oder für
+die wir uns interessiren, auf ihren verschiedenen, oft wunderlichen
+Bahnen.</p>
+
+<p>Manchen alten Reisegefährten führ ich dabei dem Leser
+vor, und hoffe ihn nicht zu langweilen, den weiten Weg;
+schlafen wir dann auch manchmal draußen im Freien, oder in
+niederer Blockhütte auf dünnem »Quilt«, müssen wir auch
+eine Zeit lang mit Maisbrod und Wildpret, oder gar mit
+Speck und Syrup verlieb nehmen, wie es der Farmer am
+Ohio liebt, wir lernen doch das Land kennen, mit seinen
+guten und schlechten Eigenschaften, seinen Vortheilen und
+Mängeln, seinen Bürgern und Einwanderern, seinen inneren
+Verhältnissen, seinem Leben und seiner Lebenskraft, und bin
+ich im Stande ihn auch nur einen Blick in jene ferne, von
+Tausenden so heiß ersehnte Welt, wie ich sie selbst gefunden,
+thun zu lassen, so hab ich meinen Zweck mit diesem Buch
+erreicht.</p>
+
+<p><hi rend="letter-spacing: 0.20em">Rosenau</hi> bei Coburg im September 1854.</p>
+
+<p rend="text-align: right">Friedrich Gerstäcker.</p>
+</div>
+
+<div rend="page-break-before: right">
+<head rend="text-align: center">Inhalt des ersten Bandes.</head>
+<divGen type="toc" />
+</div>
+
+<div rend="page-break-before: always">
+<pb n="001" /><anchor id="Pg001" />
+<index index="toc" level1="Das Dollinger'sche Haus" />
+<index index="pdf" level1="Das Dollinger'sche Haus" />
+<index index="pdb" level1="Dollingers Haus" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 1.</head>
+<head rend="text-align: center">Das Dollinger'sche Haus.</head>
+
+<p>Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger zu Heilingen — einer
+nicht unbedeutenden Stadt Deutschlands — hatte
+am Sonntag Mittag, ein kleines Familienfest die Glieder
+des Hauses um den Speisetisch versammelt, und diesen heute
+in außergewöhnlicher Weise mit Blumen geschmückt, und delicaten
+Speisen und Weinen gedeckt. Es war der Geburtstag
+der zweiten Tochter des Hauses, der liebenswürdigen Clara
+und nur ihr erklärter Bräutigam, ein junger deutscher, in
+New-Orleans ansässiger Kaufmann, als Gast der Familie
+zugezogen worden.</p>
+
+<p>Am oberen Ende des Tisches, um dem Leser die Personen
+gleich in Lebensgröße vorzuführen, saß Vater Dollinger, ein
+etwas wohlbeleibter aber behäbiger, stattlicher Mann, mit klaren,
+blauen, unendlich gutmüthigen Augen und schneeweißen
+Locken und Augenbrauen, die aber dem edel geschnittenen Ge<pb n="002" /><anchor id="Pg002" />sicht
+gar gut und ehrwürdig standen. Ihm zur Rechten saß
+seine Frau, allem Anschein nach etwa funfzehn oder sechzehn
+Jahre jünger wie er selber, und durch ihr volles, dunkelbraunes
+Haar vielleicht auch noch sogar jünger aussehend, als sie wirklich war.
+Sie ebenfalls, mit ihrer stattlichen Gestalt, hatte
+einen leichten Anflug zu Corpulenz, aber das etwas ausgeschnittene
+Kleid, wie die schwere goldene Kette, Broche und
+Ohrringe, die sie fast etwas zu reichlich schmückten, paßten
+nicht ganz zu dem sonst so freundlichen, matronenhaften
+Aeußern.</p>
+
+<p>Clara neben ihr, war das veredelte Bild der Eltern; die
+lieben treublauen Augen schauten gar so vertrauungs- und
+unschuldsvoll hinein in die Welt, an deren Schwelle sie stand,
+und die ihr, wie ein eben geöffnetes, prachtvoll gebundenes
+Buch auf den ersten, flüchtig durchblätterten Seiten, nur freundliche
+Blumen und ihr zulächelnde Gestalten zeigte. Kein
+Schmerz hatte diese engelsanften Züge noch je durchzuckt, keine
+Thräne wirklichen Schmerzes den reinen Blick getrübt, und die
+ganze zarte, sinnige Gestalt glich der eben entkeimenden Frühlingsblüthe
+im sonnigen Wald, die dem jungen Frühlingstag
+in Glück und Unschuld die schwellenden Lippen zum Kusse
+bietet, und in der blitzenden Thauperle ihres Kelchs, den reinen
+Aether über sich, nur schöner, nur glühender zurückspiegelt.</p>
+
+<p>Ihre um nur wenige Jahre ältere Schwester, Sophie, die
+an des Vaters Seite saß, ähnelte der Schwester in mancher
+Hinsicht an Gestalt, aber das einfach kindliche, was Clärchen
+jenen unendlichen Reiz verlieh, fehlte ihr. Ihre Gestalt war
+<pb n="003" /><anchor id="Pg003" />voller, majestätischer, aber auch ihr Blick mehr kalt und stolz;
+»ich bin des reichen Dollingers Kind« lag klar und deutlich
+in den scharf zusammengezogenen Mundwinkeln, in dem fest
+und entschieden, blitzenden Auge, und auch ihre Kleidung, ihr
+Schmuck war, wenn nicht reicher, doch jedenfalls mehr in's
+Auge springend, Bewunderung fordernd.</p>
+
+<p>Zwischen Beiden saß Clara's Bräutigam, ein junger, bildhübscher
+Mann in moderner, fast für einen Mann etwas zu gewählter
+und sorgfältig geordneter Kleidung; er trug das Haar in
+natürlichen dunkelbraunen Locken und das Gesicht glatt rasirt,
+bis auf einen kleinen, aufmerksam gekräußten, und nur bis zur
+halben Backe reichenden Backenbart, an den Fingern aber mehre
+sehr kostbare Diamant-Ringe, eine Brillant-Tuchnadel von
+prachtvollem Feuer, und eine schwere goldene, ebenfalls mit
+kleinen Edelsteinen besetzte Uhrkette.</p>
+
+<p>Die Bekanntschaft Clara's und ihrer Eltern hatte er dabei
+auf eine etwas romantische Weise, und zwar gleich als ihr
+Lebensretter oder doch Befreier aus einer nicht unbedeutenden
+Gefahr gemacht. Herr und Frau Dollinger waren nämlich
+mit ihren beiden Töchtern im vorigen Herbst auf einer Rheinreise
+bei Rüdesheim aus- und zu dem kleinen Waldtempel
+oben über Asmannshausen hinaufgestiegen, um sich von dort
+nach dem Rheinstein übersetzen zu lassen; die Mutter hatte aber
+durch das nicht gewohnte Bergsteigen heftige Kopfschmerzen
+bekommen oder, was wahrscheinlicher ist, ennuyirte sich am Land
+und wünschte an Bord des Dampfers zurückzukehren, und als
+sie gerade mit dem Kahn über den Rhein fuhren, kam ein<pb n="004" /><anchor id="Pg004" />
+Dampfboot stromab, und hielt auf ihr Winken, sie an Bord
+zu nehmen. Herr und Frau Dollinger, mit Sophie, von den
+Kahnführern unterstützt, hatten auch schon glücklich die Treppe
+und das Deck erreicht, und dicht hinter ihnen folgte Clara, als
+diese sich plötzlich erinnerte, ihre Geldtasche im Kahn vergessen
+zu haben, und anstatt diese sich heraufreichen zu lassen,
+selber wieder zurücksprang sie zu holen. Durch das Hineinspringen
+fing aber der schmale Kahn an zu schwanken, während
+sie, die vergessene kleine Tasche aufhebend, das Gleichgewicht
+verlor und, mit dem Kopf voran, in den Rhein stürzte.
+Unglücklicher Weise waren gerade in dem nämlichen Augenblick
+die Kahnleute an Deck des Dampfers gestiegen, den Koffer
+eines Passagiers, der mit an Land fahren wollte, in ihren
+Kahn zu heben, und wenn sie jetzt auch, auf das Geschrei an
+Bord, rasch in diesen zurücksprangen, trieb doch Clara schon
+hinter dem Dampfboot aus, als der junge, eben von Amerika
+zurückgekehrte Mann, der dem ganzen Vorfall vom Deck des
+Dampfers zugesehn, mit keckem Muth ins Wasser sprang und
+die Jungfrau doch wenigstens so lange an der Oberfläche unterstützte,
+bis das Boot herbeikam sie beide aufzunehmen.</p>
+
+<p>Das Weitere nahm einen ziemlich einfachen Verlauf,
+Joseph Henkel, wie der junge Mann hieß, gewann sich in den
+nächsten Wochen, die er in der Gesellschaft der ihm zu großen
+Dank verpachteten Familie zubrachte, die Achtung des Vaters
+und die Liebe von Mutter und Tochter, und als er zuerst bei
+der Mutter um die Hand der Tochter anhielt, sagten Beide
+nicht nein. Allerdings wollte der Vater erst, wenn auch nicht
+<pb n="005" /><anchor id="Pg005" />gerade Schwierigkeiten machen, doch etwas Genaueres über
+die Existenzmittel eines Mannes erfahren, dem er das Glück
+und Leben eines lieben Kindes anvertrauen sollte. Henkel
+selber bot ihm dazu die Hand und gab ihm Adressen an verschiedene
+Häuser in New-Orleans, die ihm über seine dortige
+Stellung genaue Auskunft geben konnten.</p>
+
+<p>Nach seinem Vermögen mochte der alte Dollinger, wenn
+auch Kaufmann, nicht so genau forschen; er war selber
+reich genug, einen <emph rend="letter-spacing: 0.20em">reichen</emph> Schwiegersohn entbehren zu
+können, und etwas Vermögen mußte der junge Mann
+haben, dafür bürgte sein ganzes Auftreten, bürgte besonders
+in den Augen seiner Frau der reiche und wirklich kostbare
+Schmuck, den er trug. Joseph Henkel war aber auch außerdem
+ein interessanter und sehr gescheidter Mann, der Manches
+in der Welt schon gesehen und erlebt, und das Gesehene
+und Erlebte mit lebendigen Farben und Worten zu schildern
+wußte. Er hatte die ganzen Vereinigten Staaten von
+Nord nach Süd und von Ost nach West durchstreift, und dort
+theils seinen Geschäften gelebt, theils gejagt, sogar ein kleines
+Dampfschiff auf dem Arkansas laufen gehabt, mit den Indianern
+Handel zu treiben, und ihnen die Produkte des Ostens
+gegen ihre eigenen Fabrikate und den Gewinn ihrer Jagden
+einzutauschen. Er war auch einmal von jenen wilden trotzigen
+Stämmen, die uns Cooper so herrlich und unübertroffen beschrieben,
+gefangen genommen und zum Opfertod verdammt,
+und damals wirklich nur durch ein halbes Wunder gerettet
+worden, und Clara hatte eine ganze Nacht nicht schlafen kön<pb n="006" /><anchor id="Pg006" />nen,
+nur in der Angst und Unruhe um die entsetzliche Gefahr,
+der sich der tollkühne Mensch damals schon ausgesetzt.</p>
+
+<p>Der junge Mann schien aber zwischen jenen wilden Stämmen
+den Umgang mit civilisirten Menschen keineswegs verlernt
+zu haben, und besaß ganz besonders ein fast wunderbares
+Geschick, sich seiner Umgebung anzuschmiegen, und sich in ihre
+Charaktere ordentlich hineinzuleben. Als ein tüchtiger und
+raffinirter Kaufmann, der vorzüglich eine vortreffliche statistische
+Kenntniß der Union besaß, gewann er sich dabei, und gleich
+von allem Anfang an, die Achtung des alten Dollinger. Der
+Frau aber hatte er leicht ihre kleinen, oft liebenswürdigen
+Schwachheiten abgelauscht, und wußte ihnen auf so geschickte
+Art zu begegnen, daß Frau Dollinger, mit der Rettung des
+geliebten Kindes im Hintergrund, schon nach sehr kurzer Zeit
+ganz entzückt von ihm war, und sein Lob dem Gatten unaufhörlich
+redete. Auch mit der älteren Schwester, Sophie, wußte
+sich Henkel bald auf guten Fuß zu stellen; er hatte bei ihr das
+leichteste Spiel, denn ihre Schwächen lagen offen zu Tag,
+denen aber schmeichelte er mit solcher Liebenswürdigkeit, daß
+ihm Clara, die es fühlte wie er dabei aus sich herausging
+und etwas annahm was ihm nicht natürlich war, oder doch
+jedenfalls dem Mann, den sie liebte, nicht natürlich sein <emph rend="letter-spacing: 0.20em">sollte</emph>,
+dennoch nicht böse darüber werden konnte.</p>
+
+<p>Desto freier, offener und natürlicher war er dafür gegen
+sie selber; er las, sang und spielte Pianoforte mit ihr, lehrte
+sie eine Menge kleiner reizender, schottischer und irischer Lieder,
+oder plauderte mit ihr leicht und sorglos Stunden lang in den<pb n="007" /><anchor id="Pg007" />
+Tag hinein, und konnte oft so herzlich dabei lachen, daß es
+Einem ordentlich gut that, ihm zuzuhören. Selbst Sophie entsagte
+dann nicht selten ihrem sonst etwas mehr abgeschlossenen,
+fast steifen Wesen und kam zu ihnen, Theil an ihrer Fröhlichkeit
+zu nehmen.</p>
+
+<p>Nur in den letzten Tagen war der junge »Amerikaner«
+wie er im Hause gewöhnlich scherzhaft hieß, oder der »Delaware«
+wie ihn Sophie, wenn sie manchmal bei recht guter
+Laune war, nannte, auffällig niedergeschlagen gewesen; er hatte
+Briefe von Amerika bekommen, wie er sagte, und ein sehr
+lieber Freund von ihm war dort schwer erkrankt, auch ein
+Schiff das ihm gehörte, und das nicht versichert worden, so
+lange ausgeblieben, daß sein Compagnon fast den Untergang
+desselben befürchte. Der alte Herr Dollinger tröstete ihn deshalb,
+und er schien sich auch darüber hinwegzusetzen, die sonst
+so blühende Farbe seiner Wangen wollte aber doch nicht
+sogleich wieder dorthin zurückkehren, und das Auge hatte etwas
+Unsicheres, Unstätes, ihm sonst gar nicht Eigenes bekommen.</p>
+
+<p>Nur heute, zu dem Fest der holden Jungfrau, die er bald
+die seine zu nennen hoffte, hatte er all die trüben Gedanken,
+welcher Art sie auch gewesen, und woher sie stammten, von
+sich abgeschüttelt, und war ganz wieder der frohe glückliche
+Mann, wie ihn Clara kennen — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">lieben</emph> gelernt. Auf seinen
+Wunsch nur, womit Frau Dollinger eigentlich nicht ganz einverstanden
+gewesen, war auch heute keine größere Gesellschaft
+geladen worden, sondern die kleine Familie speiste ganz »unter
+sich« in dem festlich mit Blumen und Guirlanden geschmückten<pb n="008" /><anchor id="Pg008" />
+Zimmer des jungen liebenswürdigen Geburtstagkindes. Frau
+Dollinger hatte sich eigentlich schon länger auf eine zu diesem
+Zweck einzuladende, größere Gesellschaft gefreut. Herr Dollinger
+selber hielt aber nicht viel von solchen Fêten; dafür jedoch bedung
+sie sich aus, daß sie wenigstens den Nachmittag spatzieren
+fahren wollten, wobei sie der junge Henkel gewöhnlich zu Pferde
+begleitete.</p>
+
+<p>Etwas that aber der alte Herr Dollinger gern, und zwar
+ein Glas Champagner trinken, und der zweite Stöpsel war
+eben lustig hinausgeknallt, der Gesundheit des »jungen Brautpaares«
+zu Ehren, als die Thür aufging und Loßenwerder,
+ein Comptoirdiener des Hauses, mit einem kleinen Paket in's
+Zimmer trat.</p>
+
+<p>Loßenwerder war schon seit elf oder zwölf Jahren im
+Haus, und seinem Aeußern nach eben keine angenehme Persönlichkeit;
+er hinkte auf dem linken Bein, das er als Kind
+einmal gebrochen, war überhaupt häßlicher und magerer Natur,
+und schielte auf dem rechten Auge, wodurch sein sonst gerade
+nicht unangenehmes Gesicht einen etwas falschen Ausdruck bekam.
+Das Störendste aber an dem ganzen Menschen war sein
+Stottern, wegen dem man sich auf ein längeres Gespräch gar
+nicht mit ihm einlassen konnte, und kam er einmal in Affekt,
+konnte er kein Wort mehr herausbringen. Frau Dollinger
+sowohl wie Sophie konnten ihn auch nicht leiden, ja die letztere
+behauptete sogar er verstelle sich und sie habe ihn schon ganz
+ordentlich, wenigstens zehntausend Mal besser sprechen hören,
+als er es jedesmal affektire, wenn er zu ihnen in die Wohnung
+<pb n="009" /><anchor id="Pg009" />komme; Clara aber hatte Mitleid mit dem armen Menschen,
+den sie seines Unglücks wegen innig bedauerte, schenkte ihm
+oft eine Kleinigkeit und spottete nie über ihn, während Herr
+Dollinger selber, ihn als einen brauchbaren und treuen Diener,
+der noch außerdem eine vortreffliche Hand schrieb, kannte und
+sehr zufrieden mit ihm war, ihm auch jedes nur mögliche Vertrauen
+bewieß.</p>
+
+<p>»Hallo, Loßenwerder, was bringst Du mir da in's Haus?«
+rief ihm sein Principal jetzt halb lachend, halb erstaunt entgegen,
+als der kleine Mann das Zimmer betrat und schüchtern
+an der Thüre stehen blieb — »ist das für mich oder meine
+Tochter?«</p>
+
+<p>»Gewiß für mich, Väterchen,« rief Clara, rasch von ihrem
+Sitze aufspringend — »siehst Du, der Onkel hat mich doch
+nicht ganz vergessen mit meinem Fest, und mir Gruß und Geschenk
+geschickt.«</p>
+
+<p>»Hehehe — mö — mö — möchten es sich wo — wo — wo — wo — wohl
+wü — n — nschen Fräulein« lachte aber der Stotternde,
+indem er Herrn Dollinger zuwinkte, daß das Paket für ihn
+sei — »ka — ka — ka — kann ich mir de — de — de — de — denken — Go — go — gold
+und Ba — ba — ba — ba — bank — no — noten.«
+Er zog dabei einen Brief aus der Tasche, den er dem Herrn
+übergab.</p>
+
+<p>»Hm, hm, hm« sagte aber dieser kopfschüttelnd, »und das
+bringst Du mir jetzt in's Haus — gerade wo ich ausfahren
+will — warum hast Du es denn nicht dem Cassirer gegeben?«</p>
+
+<p><pb n="010" /><anchor id="Pg010" />»Ni — ni — nirgends zu fi — fi — fi — finden« stotterte Loßenwerder.</p>
+
+<p>Herr Dollinger warf den Kopf, den Brief flüchtig durchfliegend,
+herüber und hinüber, sagte dann aber, aufstehend und
+das Papier vor sich hinlegend:</p>
+
+<p>»Ja, da läßt sich denn weiter Nichts ändern; gieb mir
+das Paket Loßenwerder, und sieh dann zu, daß Du Herrn
+Reibich findest. Ich lasse ihn bitten um sieben oder halb acht
+Uhr heute Abend auf einen Augenblick zu mir zu kommen — verstanden?«</p>
+
+<p>»Ja — ja — jawohl He — he — he — herr Do — do — do — Do — «</p>
+
+<p>»Schon gut« lachte Herr Dollinger, ihm zuwinkend,
+»und hier, Loßenwerder, magst Du auch einmal ein Glas auf
+das Wohl meiner Tochter trinken. Fräulein Clara's Geburtstag
+ist heute — hier Clara, reich es dem jungen Herrn.« Er
+füllte dabei ein Wasserglas bis zum Rande voll von dem
+funkelnden, schäumenden Naß, und während Clara mit freundlichem
+Lächeln dem armen Teufel das Glas credenzte, nahm
+Herr Dollinger das Paket mit Geld, ging zu dem nahen Secretair,
+in dem der Schlüssel stak, öffnete ihn, legte das Geld
+hinein, zog dann den Schlüssel ab und sagte, diesen der Tochter
+überreichend:</p>
+
+<p>»So Kinder, heute müßt Ihr einmal auf ein paar Stunden
+mein Cassirer sein, bis der andere aufgefunden werden
+kann.«</p>
+
+<p>Clara nickte dem Vater freundlich zu, und Loßenwerder,
+<pb n="011" /><anchor id="Pg011" />der das volle Glas in der Hand hielt und auf einmal ganz
+blutroth im Gesicht geworden war, hob es empor und rief
+stotternd:</p>
+
+<p>»Fr — re, re, re, re, re, räu — le — le — lein Cla — ra — ra — ra — ra — aus
+ga — ga — ganzem He — he — he — he — he — he — her — ze — ze — zen.«</p>
+
+<p>Als ob er aber mit den Worten in der Kehle Luft gemacht,
+setzte er das Glas an, und der Wein verschwand wie
+durch Zauberei.</p>
+
+<p>»Alle Wetter« lachte Herr Dollinger, der sich gerade nach
+ihm umdrehte, »Loßenwerder hat einen vortrefflichen Zug — nun? — hat's
+geschmeckt?«</p>
+
+<p>»Gu — gut Herr Do — do — do — do — do.«</p>
+
+<p>»Genug, genug« winkte ihm der Principal wieder ab — »also
+bestell mir das ordentlich.«</p>
+
+<p>Loßenwerder, der Art entlassen, und vielleicht froh aus
+einer Umgebung zu kommen, in der er sich nicht heimisch
+fühlen konnte, setzte das Glas auf einen Seitentisch ab, machte
+eine etwas linkische Verbeugung, und wohl wissend daß er zu
+einem ordentlichen Danke doch keine Zeit mehr übrig hatte,
+empfahl er sich ohne weiter auch nur einen Versuch zu mündlichem
+Abschied zu machen.</p>
+
+<p>»Eine unangenehme Persönlichkeit« sagte Frau Dollinger
+zu ihrem Schwiegersohn <foreign rend="font-style: italic">in spe</foreign>, als der Mann noch die Thür
+nicht einmal ordentlich hinter sich geschlossen hatte; »ich kann
+mir nicht helfen, auf mich macht der Mensch immer einen fatalen
+Eindruck.«</p>
+
+<p><pb n="012" /><anchor id="Pg012" />»Wie — wie befehlen Sie meine Gnädige?« sagte der
+junge Henkel etwas zerstreut; Sophie bog sich in diesem Augenblick
+zu ihm nieder und flüsterte ihm ein paar Worte zu — </p>
+
+<p>»Er kann ja doch Nichts für seine Gebrechen« nahm Clara
+aber die Antwort auf, »und thut gewiß Alles in seinen Kräften
+sie eben durch gutes Betragen vergessen zu machen.«</p>
+
+<p>»Papa, ich würde das Geld auch nicht so offen in dem
+Secretair da liegen lassen« sagte Sophie.</p>
+
+<p>»Nicht so offen? — ich habe ja zugeschlossen — «</p>
+
+<p>»Nun, es ist immer nicht gerade gut, wenn die Dienstleute
+wissen wo man Geld liegen hat« stimmte die Mutter bei.</p>
+
+<p>»Dienstleute?« meinte Herr Dollinger — es war ja Niemand
+von ihnen im Zimmer — «</p>
+
+<p>»Doch Loßenwerder?«</p>
+
+<p>»Bah« lachte der Kaufmann, mit dem Kopf schüttelnd.</p>
+
+<p>»Ist es denn viel?« frug seine Frau.</p>
+
+<p>»Nun, der Mühe werth wär's immer« sagte Herr Dollinger,
+»fünf Tausend Thaler etwa — es soll aber auch nicht
+über Nacht da liegen bleiben, und Loßenwerder hat mir auf
+heute Abend den Cassirer zu bestellen, das Geld an sicheren
+Ort zu legen, bis ich morgen darüber verfügt habe.«</p>
+
+<p>»Der Loßenwerder verwandte keinen Blick von dem Geld,
+so lang er im Zimmer war« sagte die Mutter, mit dem Finger
+vor sich hindrohend.</p>
+
+<p>»Lieber Gott, Mütterchen, Du weißt ja aber doch daß er
+schielt« vertheidigte ihn lachend Clara — »eben so fest und
+unverwandt hat er mich indessen mit dem andern Auge ange<pb n="013" /><anchor id="Pg013" />sehen;
+seine Schuld ist's nicht daß er zwei Stellen auf einmal
+im Auge behalten muß.«</p>
+
+<p>»Laßt mir den armen Teufel zufrieden« sagte aber auch
+Herr Dollinger — »der ist mir nützlicher wie zwei von meinen
+anderen Leuten; mehr zum Nutzen wie Staat freilich, aber Staat
+will er auch nicht machen. Jetzt übrigens Kinder wird es Zeit
+daß wir uns rüsten, und Henkel, Sie müssen noch Ihr Pferd
+holen lassen.«</p>
+
+<p>»Ich habe es schon, in der Voraussetzung daß wir bei
+dem schönen Wetter doch wohl eine kleine Parthie machen
+würden, hierher bestellt,« erwiederte rasch der junge Mann — wünschen
+Sie den Wagen jetzt?«</p>
+
+<p>»Ich glaube ja, je eher, desto besser; die Tage sind kurz
+und wenn wir noch eine Stunde oder zwei fahren wollen, dürfen
+wir nicht mehr viel länger warten.«</p>
+
+<p>»Aber Ihr Mädchen möchtet Euch ein wenig warm einpacken«
+sagte jetzt die Mutter, alles Andere in dem Gedanken
+an ihre Toilette vergessend — »zum still im Wagen Sitzen
+paßt ein Sommerkleid noch nicht und heute Abend wird es
+kühl werden.«</p>
+
+<p>»Und nicht so lange machen,« mahnte der Vater, der sich
+sein Glas noch einmal voll schenkte und leerte; »der Wagen
+wird im Augenblick da sein.«</p>
+
+<p>Der Wagen fuhr auch wirklich kaum zehn Minuten später
+vor, Herr Dollinger, der nun seinen Hut und Stock aufgenommen,
+ging, seine Handschuh anziehend, im Hofe auf und
+<pb n="014" /><anchor id="Pg014" />nieder, und endlich erschienen, diesmal in wirklich sehr kurzer
+Zeit, die Damen, ihre Sitze einzunehmen.</p>
+
+<p>»Nun, wo ist Henkel?« sagte Herr Dollinger, sich nach
+seinem zukünftigen Schwiegersohne umschauend, »ich habe sein
+Pferd auch noch nicht gesehen; jetzt wird uns der warten
+lassen.«</p>
+
+<p>Die Familie hatte indessen im Wagen Platz genommen,
+und der alte Herr schaute etwas ungeduldig zum Schlag hinaus,
+als der junge Henkel zum Thor, aber ohne Pferd, hereinkam.</p>
+
+<p>»Nun? und Sie sitzen noch nicht im Sattel?« rief er ihm
+schon von weitem entgegen — »das ist eine schöne Geschichte;
+jetzt dürfen wir den Frauen nie im Leben wieder vorwerfen,
+daß sie uns warten lassen.«</p>
+
+<p>»Ich muß tausend Mal um Entschuldigung bitten,«
+sagte der junge Mann, zum Wagen hinantretend, »aber mein
+Stallmeister hat mich sitzen lassen. Wenn Sie mir erlauben
+schicke ich einen der Leute danach, oder gehe selber, es ist nicht
+weit von hier. Aber thun Sie mir die Liebe und fahren Sie
+langsam voraus, ich hole Sie in Zeit von zehn Minuten ein.«</p>
+
+<p>»Wir können ja hier warten,« sagte die Mutter.</p>
+
+<p>»Ja, wenn die Pferde stehen wollten,« brummte Herr
+Dollinger — »zieh nicht so fest in die Zügel Johann, das
+Handpferd kann das nicht vertragen und wird nur noch immer
+unruhiger — wir wollen langsam vorausfahren — machen
+Sie aber daß Sie nachkommen; auf dem Balkon vom rothen<pb n="015" /><anchor id="Pg015" />
+Drachen trinken wir Kaffee, dort ist eine wundervolle Aussicht — der
+Stalljunge mag hinüberlaufen und Ihnen das
+Pferd holen.«</p>
+
+<p>Die Pferde zogen in diesem Augenblick an, Henkel mußte
+aus dem Weg springen und verbeugte sich leicht gegen die
+Damen, von denen ihm Clara freundlich lächelnd zunickte.</p>
+
+<p>Eine starke Viertelstunde später sprengte der junge »Amerikaner,«
+seinem Thiere die Sporen gebend, daß es Funken
+und Kies hintenaus stob, über das Pflaster, zum Entsetzen
+der Fußgänger dahin, dem Wagen nach, den er nur erst eine
+kurze Strecke vor dem bezeichneten Platz wieder einholte.
+Im Stall wollte Niemand etwas davon gewußt haben, daß er
+sein Pferd bestellt gehabt — Einer schob die Vergessenheit natürlich
+auf den Andern, und Dollinger's Stallknecht mußte
+die Leute sogar erst zusammensuchen, bis er das Pferd bekam,
+deshalb hatte es so lange gedauert. Als er mit demselben
+zurückkehrte, ging der junge Mann in dem kleinen, dicht am
+Haus liegenden Garten auf und ab, sprang aber dann, dem
+Burschen ein Trinkgeld zuwerfend, und dessen Entschuldigung
+nur halb hörend, rasch in den Sattel und flog, wie vorher
+erwähnt, in vollem Carrière die Straße nieder.</p>
+
+<p>Er hatte den Hof kaum verlassen, als Loßenwerder, einen
+großen, wunderschön blühenden Monatsrosenstock unter dem
+Arm, vorsichtig und wie scheu, daß ihn Niemand gewahre,
+über den Hof und in die Hinterthür des Hauses schlich, und
+sich leise und geräuschlos die Treppe damit hinaufstahl. Er
+<pb n="016" /><anchor id="Pg016" />blieb etwa zehn Minuten im Haus und wollte dann aus
+derselben Thür wieder über den Hof zurück, als der Stallknecht
+aus der Futterkammer kam. Unschlüssig blieb der
+kleine Mann eine kurze Zeit hinter der Thür stehen, und
+schlich sich dann, als der Bursche den Platz nicht verlassen
+wollte, vorn zur Hausthür hinaus auf die Straße, den Weg
+nach seiner Wohnung einschlagend.</p>
+</div>
+<div rend="page-break-before: always"><pb n="017" /><anchor id="Pg017" />
+<index index="toc" level1="Der rothe Drachen" />
+<index index="pdf" level1="Der rothe Drachen" />
+<index index="pdb" level1="D. rothe Drache" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 2.</head>
+<head rend="text-align: center">Der rothe Drachen.</head>
+<p>Der »rothe Drachen«, ein Wirthshaus, das wegen seines
+vortrefflichen Bieres, wie sonst mancher schätzenswerthen
+Eigenschaften einen sehr guten Namen hatte, lag etwa eine
+halbe Stunde von Heilingen, an der großen Landstraße, die
+gen Norden führte. Ein freundlicher Thalgrund umschloß
+Haus und Garten und die dunklen, den Gipfel des nächsten
+Hanges krönenden Nadelhölzer hoben nur noch mehr das
+freundliche Grün der jungen Birken und Weißeichen hervor,
+die sich über die niedere Abdachung erstreckten, und bis scharf
+hinan an den hocheingefriedigten und sorgfältig in Ordnung
+gehaltenen Frucht-, Gemüse- und Blumengarten des Hauses
+selber lehnten.</p>
+
+<p>Es war ein warmer, sonniger Frühlingsnachmittag; der
+Bach, der am Hause dicht vorbeirieselte, plätscherte und schäumte
+in frischem jugendlichen Uebermuth, des Eises Hülle, die ihn
+<pb n="018" /><anchor id="Pg018" />so lange gefangen gehalten oder doch fest und ängstlich eingeklemmt,
+nun endlich einmal enthoben zu sein, und die Vögel
+zwitscherten so froh und munter in den Zweigen der alten
+knorrigen Linde, die unfern der Thüre stand, und flatterten
+und suchten herüber und hinüber, aus den blühenden Obstbäumen
+fort über den Hof und von dem Hof wieder fort in dicht
+versteckten Ast und Zweig hinein, mit einem gefundenen Strohhalm
+oder einer erbeuteten Feder im Schnabel, daß Einem das
+Herz ordentlich aufging über das rege glückliche Leben. Und
+wie blau spannte sich der Himmel über die blühende, knospende
+Welt, wie leicht und licht zogen weiße duftige Wolken, Schwänen
+gleich, durch den Aether hin, farbige, flüchtige Schatten
+werfend über Wiesen und Feld und die weite Thalesflucht, die
+sich dem Auge in die Ferne öffnete und dem leuchtenden Blick
+neue Schätze bot, wohin er fiel.</p>
+
+<p>Ein Frühling in Deutschland — ein Frühling im <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Vaterland</emph>;
+oh wie sich das Herz da mit der wirbelnden, schmetternden
+Lerche hebt und jubelnd, jauchzend gen Himmel steigt;
+zwinge die Thräne da nicht zurück, die sich Dir, dem Glücklichen,
+in's Auge drängt — in ihrem Blitzen preisest Du den
+Vater droben, wie es die jubelnde Lerche dort thut, die mit
+zitterndem Flügelschlag über den grünen Matten schwebt; — wie
+das raschelnde flüsternde Blatt im Wald, wie der schwankende,
+thaugeschmückte Halm und die knospende, duftende
+Blüthe im Thal. Ein Frühling im Vaterland — oh wie
+schön, wie jung und frisch die Welt da um uns liegt in ihrem
+bräutlichen Glanz, voll neuer Hoffnungen in jedem jungen<pb n="019" /><anchor id="Pg019" />
+Keim, und wie sich das Herz der schönen Blume gleich zusammenzog,
+als der Herbststurm über die Haide fuhr, mit
+rauher Hand den Blattschmuck von den Bäumen riß und zu
+Boden warf und Schnee und Eis vor sich hin jagte über die
+erstarrende Flur, so öffnet es sich jetzt mit vollem Athemzug
+wieder den balsamischen Frühlingsgruß, und vorbei, vergessen
+liegt vergangenes Leid — wie der verwehte Sturm selber keine
+Spur mehr hinterließ und die schönsten Blumen jetzt gerade
+an den Stellen blühen, wo er am tollsten, rasendsten getobt.</p>
+
+<p>Ein warmer erquickender Regen war die letzten Tage gefallen,
+und so gut er dem Land gethan, hatte er doch die Bewohner
+des nahen Städtchens in ihre Häuser und Straßen
+gebannt gehalten, von wo aus sie sehnsüchtig die nahen grünenden
+Berge theils, theils die dunklen Wolken betrachteten,
+die nicht nachlassen wollten Segen auf die Fluren niederzuträufeln.
+Heute aber hatte sich das geändert; voll und warm
+glühte die Sonne am Himmelszelt und hinaus strömten sie in
+jubelnden Schaaren, hinaus in's Freie. Der »rothe Drachen«
+vor allen anderen Plätzen, der so reizend an der Oeffnung des
+Thales lag und die Aussicht bot in das darunter liegende
+freie Land, hatte dabei sein reichlich Theil erhalten der fröhlichen
+Schaar, daß die Wirthin mit ihren Kellnern und Mägden
+nicht Hände genug hatte zu schaffen und herzurichten, und
+die Tische und Bänke im Garten draußen fast alle besetzt waren
+rund herum von Schmausenden.</p>
+
+<p>Der »rothe Drachen« sollte übrigens, wie die Sage ging,
+seinen Namen von einem wirklichen Drachen bekommen haben,
+<pb n="020" /><anchor id="Pg020" />der einmal vor vielen hundert Jahren in der Schlucht weiter
+oben, die auch noch ebenfalls nach ihm die Drachenschlucht
+hieß, gehaust und viele Menschen und Rinder verschlungen
+hatte. Der Wirth des »rothen Drachen« nun, Thuegut Lobsich,
+dessen Voreltern schon diesen Platz gehalten, behauptete
+dabei, Einer seiner »Ahnen« habe den Drachen im Einzelkampf
+erlegt — (die Gäste meinten, mit schlechtem Bier vergiftet)
+und dafür von dem damals regierenden Fürsten Platz
+und Wirtschaft als Gerechtsame, mit dem Schild als Wahrzeichen,
+erhalten.</p>
+
+<p>Wie dem auch sei, Thuegut Lobsich that wirklich gut auf
+dem Platz, der ihm vortreffliche Nahrung bot, und befand sich
+so wohl, wie sich nur ein Wirth in einer gut gelegenen Wirthschaft
+befinden kann. Seine Frau war aber dabei der Nerv
+des Ganzen, in Küche und Stall, in Keller und Haus, und
+während sich Vater Lobsich, wie er sich gern nennen ließ, obgleich
+er noch jung und rüstig war, am Liebsten zu seinen
+Gästen irgendwo an einen Tisch drückte und »das Bier controllirte«,
+wie er sagte, daß ihm die Burschen kein Saures
+brachten und die Gäste verjagten, arbeitete die Frau im
+Schweiße ihres Angesichts vor dem Heerd, die bestellten Portionen
+herzurichten und zu gleicher Zeit auch den Verkauf von
+Kaffee, Thee, Milch und Kuchen zu überwachen. Dabei führte
+sie die Kasse und rechnete mit Kellnern und Mädchen ab, und
+wehe denen, die eine halbe Portion Kaffee oder Kuchen vergessen,
+ein nichtbezahltes Glas nicht aufnotirt oder einem
+<pb n="021" /><anchor id="Pg021" />schlechten Kunden noch einmal gegen den direkt gegebenen
+Befehl geborgt hatten.</p>
+
+<p>Böse Zungen meinten dabei nicht selten, Frau Lobsich sei
+der »einzige Mann im Hause« und Thuegut dürfe nur tanzen,
+wenn sie nicht daheim wäre; böse Zungen erwähnten dann
+aber nicht dabei, daß sie wirklich allein das Hauswesen in
+Zucht und Ordnung hielt, und so scharf und heftig sie draußen
+in Küche und Wirtschaft, wo sie fremde Leute doch auch
+eigentlich nur zu sehen bekamen, sein konnte, und so große
+Ursache sie dabei oft hatte ärgerlich zu sein, und die Ursache
+dann auch für vollkommen genügend hielt, es wirklich zu werden,
+so still und freundlich konnte sie sich betragen, wenn sie
+allein mit ihrem Manne war, und so gern gab sie ihm in
+Allem nach, was nicht eben zu Ruin und Schaden trieb. Salome
+Lobsich war das Muster einer Hausfrau, und was ebensoviel
+sagen will, eine gute Gattin dabei — ob ihr Mann
+dasselbe auch von sich sagen konnte, stand auf einem anderen
+Blatt.</p>
+
+<p>Heute hatte sich übrigens eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft
+in dem gar so freundlich gelegenen Garten des rothen
+Drachen eingefunden, und dicht vor der Thür desselben, unter
+der alten breitschattigen Linde, die ihre Arme so weit nach
+rechts und links hinüberstreckte, daß man sie schon hatte stützen
+müssen, nur den Weg zu ihr und den Platz darunter frei zu behalten,
+saß Lobsich selber mit einem kleinen Kreis guter
+Bekannten, d.&nbsp;h. alter Kunden und quasi Stammgäste von
+ihm, denn er selber kam selten irgend wo anders hin, und
+<pb n="022" /><anchor id="Pg022" />wer also sein Bekannter <emph rend="letter-spacing: 0.20em">bleiben</emph> wollte, mußte ihn eben
+besuchen.</p>
+
+<p>Zu diesen gehörte besonders Jacob Kellmann, ein Kürschner
+und Pelzhändler aus Heilingen, dann der Aktuar Ledermann
+von dort, eine lange hagere, etwas ungeschickte Gestalt,
+mit aber nicht unangenehmen, gutmüthigen Gesichtszügen, und
+der Apotheker aus Heilingen, Schollfeld mit Namen, die es
+gewöhnlich so einzurichten wußten, daß sie an einen Tisch mit
+einander zu sitzen kamen. Lobsich nahm ebenfalls am Liebsten
+zwischen dieser kleinen Gesellschaft Platz, und nur dann und
+wann, besonders wenn er die Stimme seiner Frau irgendwo
+hörte, stand er auf und ging einmal durch den Garten und
+die Reihen seiner Gäste, zu sehn ob Alle ordentlich bedient
+würden, und keine Klagen einliefen gegen unaufmerksame Kellner,
+die er in dem Fall auch wohl gleich an Ort und Stelle
+mit einem Knuff oder einer Ohrfeige abstrafte, als warnendes
+Beispiel. Er mußte an irgend Jemand seinen Aerger auslassen,
+daß er nicht bei seinem Biere konnte sitzen bleiben.</p>
+
+<p>»Ist doch ein prachtvolles Wetter heute,« sagte Kellmann,
+der eben einen tüchtigen Zug aus seinem Glase gethan, und
+nun mit vollem zufriedenen Blick über das freundliche Bild
+hinaus schaute, das sich, von der warmen Nachmittagssonne
+beschienen, in all seinem blitzenden Glanz und Farbenschimmer
+vor ihnen aufrollte »und es wächst und gedeiht Alles draußen
+so schön und steht so prächtig — merkwürdig dabei, daß Alles
+so theuer bleibt, und die Preise, statt herunter zu gehen, immer
+nur steigen und steigen.«</p>
+
+<p><pb n="023" /><anchor id="Pg023" />»Ja das weiß Gott,« seufzte der Aktuar, dem der Gedanke
+selbst den Geschmack am Bier wieder zu verderben schien,
+denn er setzte das schon zum Mund gehobene Glas unberührt
+vor sich nieder — »und wenn das noch eine Weile so fort
+geht, können wir alle mit einander verhungern oder davonlaufen.«</p>
+
+<p>»Nun Ihr habt gut reden,« sagte Kellmann, »Ihr bekommt
+vom Staat Euer Gewisses und könnt Euch genau danach
+einrichten — Euer Geld muß Euch werden, wenn der
+erste jedes Monats kommt, unsereins hängt aber allein von
+den Zeiten ab, und wenn die Lebensmittel knapp werden, kauft
+Niemand einen Pelz. Holz will auch sein und daran kann
+sich nachher die ganze Familie wärmen.«</p>
+
+<p>»Ihr redet wie Ihr's versteht,« brummte der Aktuar, — »unser
+Gewisses bekommen wir, das ist wahr, aber nur deshalb,
+damit wir gewisses Elend vor den Augen haben. Ich
+habe fünfhundert Thaler Gehalt, und Frau und Kind und
+Dienstmädchen zu ernähren, und soll anständig dabei gekleidet
+gehn, denn vor zehn und zwanzig Jahren hatte ein Aktuar in
+meiner Stellung auch nicht mehr, und machte das Alles möglich,
+ja befand sich wohl dabei. Jetzt aber wird Brod, Butter,
+Fleisch, Holz, Wohnung, kurz Alles was wir nun einmal
+zum Leben brauchen, gesteigert von Tag zu Tag, aber meine
+fünfhundert Thaler <emph rend="letter-spacing: 0.20em">bleiben</emph>; vor zehn Jahren kaufte ich
+zwanzig Pfund Brod für dasselbe Geld, für das ich jetzt nicht
+zehn bekomme — aber <emph rend="letter-spacing: 0.20em">meine</emph> fünfhundert Thaler <emph rend="letter-spacing: 0.20em">bleiben</emph>.
+Auch mein Hausherr verlangt höheren Zins — schon voriges<pb n="024" /><anchor id="Pg024" />
+Jahr bin ich höher gegangen, um nicht gesteigert zu werden,
+d.&nbsp;h. für denselben Preis aus der zweiten in die dritte Etage
+gezogen, aber dies Jahr muß ich ganz hinaus, denn er will
+wieder zehn Thaler mehr haben und ich kann's ihm nicht
+geben. Ihr Leute habt Euch gut in die Zeiten schicken, denn
+wenn das Brod theuer wird, schlagt Ihr desto mehr auf Euere
+Waare, der kleine Beamte aber, der Staatsdiener um geringen
+Lohn, das ist das geplagte, gefährdete Geschöpf, und jede
+neue Taxe macht ihm keine neue Berechnung, sondern schnallt
+ihm nur den Leibriemen um ein Loch enger, daß er weniger
+ißt, bis er in's <emph rend="letter-spacing: 0.20em">letzte</emph> Loch geworfen wird, zum ersten Mal
+von seinen irdischen Strapatzen, ohne Furcht vor rasch abgelaufenen
+Ferien, wirklich ungestört auszuruhen.«</p>
+
+<p>»Ach geht mit Eueren erbärmlichen Lamentationen an
+solch freundlichem Tag,« fiel ihm der Wirth hier in die Rede,
+der sich erst vor ein paar Augenblicken wieder mit zum Tisch
+gesetzt und schon eine ganze Weile ungeduldig mit dem Kopf
+geschüttelt hatte. »Das Reden macht's nicht besser und Stöhnen
+und Seufzen hilft auch Nichts — Kopf oben, das ist die
+Hauptsache; das andere macht sich von selber — aber hallo« — unterbrach
+er sich plötzlich, von seinem Sitze aufstehend und
+die Straße hinunterzeigend, die in das weite Thal führte — »was
+kommt dort für ein Trupp den Weg entlang?« — und
+in der That wurde dort oben ein ganzer Zug Männer, Frauen
+und Kinder mit kleinen Handkarren und ein paar einspännigen
+Wägelchen sichtbar.</p>
+
+<p>»Das sind Auswanderer!« rief Jacob Kellmann, von
+<pb n="025" /><anchor id="Pg025" />seinem Stuhl aufspringend und dem Zug entgegenschauend — »seht
+nur ein Mensch an, wieder ein ganzer Schwarm aus
+dem Hessischen; Heiland der Welt, da muß doch endlich einmal
+Platz werden.«</p>
+
+<p>»Na nu ist wieder der Frieden beim Henker,« rief aber
+der Apotheker mürrisch — »hier Lobsich setzt Euch auf Eueren
+Stuhl und trinkt Euer Bier aus, und Ihr Kellmann, laßt das
+Volk da draußen laufen, wohin sie wollen — unzufriedene
+Bande, die es ist und die es nirgends gut genug kriegen kann,
+wo ihr nicht das Confekt auf goldenen Tellern präsentirt wird.
+Na kommt nur hinüber, wenn Euch hier der Hafer zu sehr
+sticht — Euch werden sie schon noch das Fell über die Ohren
+ziehn, daß Ihr am hellen lichten Tag die Sterne zu sehn
+bekommt.«</p>
+
+<p>»Nein was für ein Zug!« rief aber Kellmann, die langsam
+näher kommende Schaar mit unverkennbarem Interesse
+betrachtend; »die armen Teufel.«</p>
+
+<p>»Hört Kellmann,« rief aber Schollfeld ärgerlich, »tretet
+mir da ein wenig aus dem Weg, daß ich auch was sehen
+kann, und setzt Euch wieder, ich dächte doch wahrhaftig, Auswanderer
+hier an der Straße wären nichts so besonders Neues,
+daß Ihr Maul und Nase aufsperrt und thut, als ob Euch so
+etwas noch nicht im ganzen Leben vorgekommen wäre.«</p>
+
+<p>Schollfeld war übrigens nicht umsonst so mürrisch; er
+hatte einen Zorn auf Auswanderer, denn er betrachtete Auswanderung
+als eine indirekte Beleidigung gegen den Staat,
+gewissermaßen als eine Grobheit, die man ihm geradezu unter
+<pb n="026" /><anchor id="Pg026" />die Nase sage — : »ich mag nicht mehr in Dir leben und weiß
+einen Platz, wo's besser ist.« Das <emph rend="letter-spacing: 0.20em">dachten</emph> sich nämlich die
+»Tölpel«, wie er sie nannte, aber Sie <emph rend="letter-spacing: 0.20em">wußten</emph> es nicht — gar
+Nichts wußten sie und liefen blind und toll in die Welt
+hinein. Der Staat hätte auch eigentlich den Skandal gar
+nicht dulden sollen; hunderte von Menschen, reine Deserteure
+aus ihrem Vaterland, liefen da frank und frei vorbei, Anderen
+noch obendrein ein böses Beispiel gebend, und er begriff die
+Regierung nicht, wie sie dem Volke nur noch einen Paß gestatten
+konnte.</p>
+
+<p>Der Zug war indessen näher gekommen und Lobsich rasch
+in das Haus gegangen Bier herbeizuschaffen, da sich bei solchen
+Trupps gewöhnlich eine Menge junge Burschen befanden,
+die noch Geld im Beutel und immer frischen Durst hatten;
+um so mehr, da das Bergesteigen heute wirklich warm und
+den Hals trocken machte.</p>
+
+<p rend="page-float: 'htb'; text-align: center">
+<figure url="images/illu002.jpg" rend="w50">
+<figDesc>Capitel 2</figDesc>
+</figure>
+</p>
+
+<p>Die ersten Wägen passirten still vorbei; die Führer warfen
+einen langen, vielleicht sehnsüchtigen Blick nach den behaglich
+hinter ihren Tischen sitzenden Gästen und dem <corr sic="kuhlen">kühlen</corr>
+funkelnden Bier hinüber, aber hielten nicht an, sich längere
+Rast dafür auf den Abend versprechend. Nur von den Fußgängern
+blieben mehre Trupps unfern der Linde, unter der
+unsere kleine Gesellschaft saß, und nicht weit von der <corr sic="Gartenthure">Gartenthüre</corr>
+stehn, und während ein paar der Männer dem Kellner
+winkten, ihnen Bier herauszubringen, als ob sie sich scheuten
+in ihrer bestaubten schmuzigen Kleidung, mit der schweißbedeckten
+Stirn, zwischen die geputzten und jetzt nach ihnen
+<pb n="027" /><anchor id="Pg027" />herübersehenden Gruppen hineinzugehn, hielt ein Trupp Frauen
+ebenfalls dort. Angezogen von der plötzlichen weiten und freien
+Aussicht, die ihnen hier nach unten zu das Thal öffnete, durch
+das sie gekommen, blieben sie erfreut und überrascht stehn und
+schauten dabei auf das reizende Bild hin, das wie mit einem
+Schlage so vor ihnen in's Leben sprang.</p>
+
+<p>»Heiland der Welt, Lisbeth,« rief ein junges, sechzehnjähriges
+Mädchen der, vielleicht zwei Jahr älteren Schwester
+zu — »dort drüben liegt Holstetten, und von da ist's nur noch
+neun Stunden zu Haus — dahinter kann ich den weißen
+Weg durch's schwarze Nadelholz sehn, der hinüberführt nach
+Krisheim.«</p>
+
+<p>»Ja Marie,« antwortete das Mädchen, und während sie
+sprach, liefen ihr die großen hellen Zähren an den bleichen
+Wangen nieder, »gleich hinter dem Berg dort muß die Windmühle
+liegen, und dann kommt Bachstetten und nachher« — sie
+konnte nicht mehr sprechen, das Herz war ihr zu voll und
+sie mochte doch nicht das der Schwester, wenn diese ihren
+Schmerz sah, noch schwerer machen. Aber zurückdämmen ließ
+sich das auch nicht, die Wunde war noch zu frisch und blutete
+zu stark, und beide Mädchen standen wenige Minuten still und
+weinend da, die schönen thränenüberströmten Züge den ihr
+nächsten Menschen ab- und der verlassenen Heimath, die sie
+wohl nie im Leben wieder schauen sollten, zugekehrt.</p>
+
+<p>»Ob auch wohl Martha der Mutter Grab ordentlich hält
+und pflegt, wie sie es versprochen,« brach die Jüngste endlich
+wieder mit leiser kaum hörbarer Stimme das Schweigen.</p>
+
+<p><pb n="028" /><anchor id="Pg028" />»Sie hat's ja versprochen,« flüsterte fast eben so leise die
+Schwester zurück, »aber — — — — so lieb wird sie's doch
+nicht haben wie wir.«</p>
+
+<p>»Komm Lisbeth,« sagte die Jüngere wieder und ergriff,
+ohne sie aber dabei anzusehn, der Schwester Hand — »wir
+wollen gehn — die Wagen sind schon ein Stück voraus.«</p>
+
+<p>Beide Mädchen nickten leise und kaum bemerkbar der verlassenen
+Heimath zu und schritten dann schweigend Hand in
+Hand den Weg entlang, der nach und durch Heilingen führte,
+ihre weite, unbekannte Bahn.</p>
+
+<p>»He Marie, Lisbeth!« rief sie der Vater an, der eben an
+der Thür des Gartens ein Glas Bier von einem der Kellner
+erhalten hatte — »wollt Ihr einmal trinken Kinder?«</p>
+
+<p>»Ich danke Vater,« sagte Marie zurück, ohne sich umzusehn
+oder stehn zu bleiben, »wir sind nicht durstig.«</p>
+
+<p>»Woher des Wegs Ihr Leute?« wandte sich jetzt Kellmann,
+der trotz Schollfeld's ärgerlichen Worten zu dem Alten
+getreten war, an diesen.</p>
+
+<p>»Aus Hessen,« sagte der Mann ruhig und that einen
+langen durstigen Zug aus dem, mit dem trefflichen Bier gefüllten,
+schäumenden Glas.</p>
+
+<p>»Und wohin?«</p>
+
+<p>»Nach Amerika.«</p>
+
+<p>»Hm — ist ein weiter Weg — ist Euch wohl schlecht
+gegangen hier im Lande?« sagte Kellmann, die kräftige und
+doch gramgebeugte Gestalt des alten Landmanns teilnehmend
+betrachtend.</p>
+
+<p><pb n="029" /><anchor id="Pg029" />Der Bauer, dessen Blick auch an dem fernen Punkt indeß
+gehangen, wo seine frühere Heimath lag, ließ das Auge einen
+Moment wie mißtrauisch über den Frager gleiten und erwiederte
+dann leise und kopfschüttelnd:</p>
+
+<p>»Schlecht? — lieber Gott wie man's nimmt; man soll
+g'rad nicht klagen; der liebe Gott hat geholfen und wird weiter
+helfen.«</p>
+
+<p>»Ihr wollt Euch wohl ein paar von den gebratenen Tauben
+holen die in Amerika herumfliegen?« mischte sich hier der
+Apotheker in's Gespräch, der nicht umhin konnte dem »Auswanderer«,
+wie er sich ausdrückte, »einen Hieb zu versetzen« — »habt
+Ihr auch Messer und Gabeln mit?«</p>
+
+<p>Der Bauer sah den kleinen, spöttisch lächelnden Mann
+einen Augenblick ruhig von der Seite an, zahlte dann dem
+neben ihm stehenden Kellner, dem er das Glas zurückgab, sein
+Bier, und ohne irgend etwas auf die Frage zu erwiedern, oder
+ärgerlich darüber zu scheinen, ja als ob er sie nicht gehört
+hätte, wandte er sich und folgte mit einem »grüß Euch Gott
+Ihr Herren«, seinen vorangegangenen Töchtern.</p>
+
+<p>»Holzkopf,« brummte der Apotheker, nur noch mehr gereizt
+über diese anscheinende Misachtung, hinter ihm drein — »dem
+Volk ist zu wohl hier,« setzte er dann, mit einem kräftigen
+Zug aus seinem Glase hinzu — »der Art Leute fühlen
+sich nicht behaglich, wenn sie nicht baumfest unter dem Daumen
+gehalten werden.«</p>
+
+<p>»Guten Abend miteinander,« sagte in diesem Augenblick
+ein Anderer der Auswanderer, der, mit einem kurzen Pfeifen<pb n="030" /><anchor id="Pg030" />stummel
+in der Hand zu dem Tisch trat, auf dem in einem
+schützenden Kelchglas ein Licht mit darum gesteckten Fidibus
+zum Anzünden der Cigarren stand — »wenn's erlaubt ist,
+möchte ich mir wohl einmal eine Pfeife bei Euch anbrennen.«</p>
+
+<p>»Mit Vergnügen,« sagte Ledermann, ihm einen Fidibus
+anzündend und hinreichend.</p>
+
+<p>»Danke schön,« nickte der Mann, das Feuer benutzend und
+den blauen Qualm in schnellen kurzen Zügen ausblasend. — </p>
+
+<p>»Und wo geht die Reise hin?« frug Ledermann dem Rauchenden.</p>
+
+<p>»Da hinüber,« sagte dieser; immer noch scharf ziehend,
+indeß er mit dem linken, zurückgebogenen Daumen über die
+linke Achsel wieß — »übers große Wasser.« — </p>
+
+<p>»Habt Ihr dort schon einen Platz?« frug der Aktuar.</p>
+
+<p>»Ja,« sagte der Mann freundlich — »mein Bruder hat
+mir geschrieben aus dem Wiskonsin heraus; da soll's gut sein.«</p>
+
+<p>»Und geht Ihr Alle dorthin?« frug ihn Kellmann.</p>
+
+<p>»Die meisten von uns, ja; eine Parthie will aber auch
+hinüber in's Missuri; da ist's wärmer.«</p>
+
+<p>»Es sind wohl lauter Landleute hier miteinander?«</p>
+
+<p>»Ja meistens — ein Schneider ist dabei, und der Schmied
+aus dem Dorfe und der Herr Pastor ist schon voraus.«</p>
+
+<p>»Der Pastor geht auch mit?« frug Kellmann schnell.</p>
+
+<p>»Ahem,« nickte der Mann, »der ist aber mit der Post
+gefahren, aber er hat gesagt er wollte sehn daß wir Alle auf
+ein Schiff kämen. Danke schön Ihr Herren, adje.«</p>
+
+<p>»Glückliche Reise,« rief ihm Kellmann nach.</p>
+
+<p><pb n="031" /><anchor id="Pg031" />»Danke,« nickte der Mann noch einmal zurück, »könnens
+brauchen,« und schloß sich den übrigen wieder an, von denen
+die letzten gerade die Thür des Wirthshauses passirten.</p>
+
+<p>Es waren ärmliche, viele von ihnen kränklich oder wenigstens
+bleich aussehende Gestalten, in die Bauerntracht ihrer
+Gegend gekleidet; die meisten Frauen mit Kindern auf dem
+Arm, Manche sogar deren an der Brust, und ein Bündel dazu
+auf dem Rücken, die im Schweiß ihres Angesichts, wie sie bis
+jetzt gelebt, mühsam der fernen ersehnten Heimath entgegenstrebten.
+Hie und da waren auch ein paar kräftige junge
+Burschen von zwölf bis vierzehn Jahren vor ein kleines leichtes
+Handwägelchen gespannt, darauf gepackte Betten, Kleidungsstücke
+und Lebensmittel die weite Straße entlang zu
+ziehen. — Die Leute hatten kein Geld übrig, denn das wenige,
+was sie zur Reise aufgespart, mußten sie für das Schiff aufheben,
+und ein paar Thaler sollten doch auch noch wenigstens,
+wenn das irgend anging, übrig bleiben, damit sie nur die
+ersten Tage in Amerika, ehe sie Arbeit bekämen, vor Sorge
+geschützt wären. Den glänzenden Schilderungen die ihnen von
+dem neuen Lande ihrer Hoffnungen gemacht waren, trauten
+die armen Frauen am wenigsten in ihrem vollen Umfange;
+von Jugend auf, wie ihnen nur eben die Kräfte wurden ihre
+jüngeren Geschwister in der Welt herumzuschleppen, hatten sie
+arbeiten, hart arbeiten müssen, und viel anders würde es auch
+wohl nicht da drüben sein. Der Sorgen waren hier nur gar
+so viele angewachsen, mit jedem Jahre mehr, wie sie sich auch
+plagten und quälten, und schlechter <emph rend="letter-spacing: 0.20em">konnte</emph> es dort drüben
+<pb n="032" /><anchor id="Pg032" />nicht sein. Das war für jetzt der einzige Trost den sie mit
+sich trugen die lange, heiße Straße entlang mit einer kleinen
+Hoffnung möglicher Besserung vielleicht, und sie drückten
+dann die Kinder nur fester an ihr Herz und küßten sie, und
+flüsterten ihnen leise und heimlich zu daß sie nicht mehr schreien
+sollten, denn sie gingen nach <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Amerika</emph>, und da würde schon
+Alles gut werden, wie ihnen der Vater gesagt.</p>
+
+<p>Die Männer und Burschen zogen der fernen Welt aber
+schon mit mehr Vertrauen entgegen; das Bewußtsein der eigenen
+Fähigkeit und Kraft hob sie dabei auch über Manches
+hinweg das die abhängigen Frauen schwerer zu Boden drückte.
+Wer bei einer langen Wanderung voran geht, und für den
+Weg zu <emph rend="letter-spacing: 0.20em">denken</emph> hat, wird nie so müde als der, der ihm
+folgt, nur für sich denken läßt, und hinter drein zieht. Viele
+von den Männern trugen auch Jagdtaschen und Gewehre auf
+dem Rücken, Büchsen und Schrotflinten — was sollte es »da
+drüben« nicht Alles zu schießen geben; — Manche auch nachgemachte
+bunte Blumensträuße auf dem Hut. Einzelne, aus
+Baiern und Thüringen, die sich ihnen angeschlossen, hatten
+sogar ein paar kleine gefärbte Maraboutfedern mit ihren Landesfarben,
+blau und weiß, und grün und weiß in ihrem Hutband
+stecken; die Meisten aber schienen keine solche Erinnerung
+an die Heimath mitnehmen zu wollen, in das neue Vaterland.</p>
+
+<p>Die Leute gingen vorüber, und die Gäste hatten ihnen
+schweigend nachgeschaut, so lange fast, bis sie die nächste Biegung
+der Straße ihren Blicken entzog. Auch Lobsich war
+wieder vor die Thür seines Gartens getreten, und sich jetzt
+<pb n="033" /><anchor id="Pg033" />kopfschüttelnd zurück zu seinem Tische wendend, brummte er
+vor sich hin.</p>
+
+<p>»S'ist mir doch was Unbedeutendes« — es war dieses
+eine seiner stehenden Redensarten, die in der That unbegrenztes
+Erstaunen ausdrücken sollte — »was die Leute dieß Frühjahr
+wieder an zu ziehen fangen; Tag für Tag geht das so fort;
+Trupp nach Trupp kommt über die Berge herüber, mit Sack
+und Pack, mit Weib und Kind — und Alles fort, Alles fort,
+und man merkt nicht einmal von <emph rend="letter-spacing: 0.20em">wo</emph> sie fort sind.«</p>
+
+<p>»Doch, doch,« sagte Kellmann, die Augenbrauen in die
+Höhe ziehend und mit dem Kopf nickend, »doch, doch Lobsich;
+ob man's wohl merkt? — geht einmal da über die Berge hinüber
+und seht Euch in den Dörfern um; da steht manches alte
+halbzerfallene <emph rend="letter-spacing: 0.20em">leere</emph> Haus, an das irgend eine Familie da
+drüben noch mit Schmerzen zurückdenkt, und in das Niemand
+anderes mehr Lust hat einzuziehen, weil er noch eine Menge
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">bessere</emph>, ebenfalls leer, in demselben Dorfe findet. Es ist
+immer ein trauriger Anblick solch ein leeres Haus, und ich
+seh's nicht gern.«</p>
+
+<p>»Und was für <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Geld</emph> tragen sie außer Land,« fiel der
+Apotheker hier ein, der indeß, sich zu zerstreuen, im Heilinger
+Tageblatt gelesen hatte, jetzt aber nicht umhin konnte auch noch
+ein Wort mit drein zu werfen — »was sie nicht mit hinübernehmen
+können, lassen sie wenigstens in den Seestädten, und
+zu uns kommt Nichts mehr davon zurück. Wenn ich nur das
+erst einmal erlebe, daß die Leute zu ihrem Glück förmlich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">gezwungen</emph>,
+und nicht mehr aus dem Land hinausgelassen wer<pb n="034" /><anchor id="Pg034" />den;
+geht das aber so fort, so werden sie so lange auswandern,
+bis uns hier weiter gar Nichts übrig bleibt als mitzugehen,
+wenn wir nicht eben allein sitzen wollen in dem verödeten
+Land, unseren Acker selber zu bauen. Hol sie der Teufel,
+wofür hat sie denn eigentlich der liebe Gott in die Welt gesetzt
+und ihnen den Holzkopf gegeben, der sie zu allem Anderen untauglich
+macht. Ackern und Düngen müssen sie drüben doch
+auch, und weshalb können sie das nicht eben so gut <emph rend="letter-spacing: 0.20em">hier</emph>? — Nein
+Gott bewahre, die paar Thaler die sie sich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">hier</emph> erspart
+haben, müssen erst wieder verschleppt und hinausgeworfen
+werden an Experimente und reinen Uebermuth, und nachher
+sitzen sie erst recht da; dort drüben <emph rend="letter-spacing: 0.20em">können</emph> sie Nichts mehr
+sparen, und <emph rend="letter-spacing: 0.20em">müssen</emph> schon drüben bleiben, wenn sie auch
+wieder herüber möchten. Die Paar die sich doch noch ein paar
+Thaler zusammenscharren, die kommen nachher schnell genug
+wieder zurück, aber es sind nur wenige, und die anderen armen
+Teufel haben die Brücke muthwillig hinter sich abgebrochen,
+und sitzen nun auf der wohlriechenden Haide ohne Unterfutter.
+Jesus Maria und Joseph, es muß ein ordentlicher Jammer
+drüben sein.«</p>
+
+<p>»Na, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">so</emph> arg nun denn doch wohl noch nicht, Schollfeld,«
+sagte Kellmann kopfschüttelnd, »man hört doch nun auch
+so Manches von da drüben was nicht gar so schlecht klingt,
+und wo sich's schon aushalten ließe, wenn man — wenn man
+eben einmal einen solchen verzweifelten Schritt absolut thun
+müßte oder wollte.«</p>
+
+<p>»Nicht so arg?« rief aber Schollfeld, der hier sein Stecken<pb n="035" /><anchor id="Pg035" />pferd
+ritt, und sich selten eine Gelegenheit entgehen ließ auf
+Amerika zu schimpfen — »nicht so arg? da, hier lesen Sie
+einmal das Tageblatt, was der wackere Dr. Hayde darüber
+schreibt; das ist ein Mann, der hat Haare auf den Zähnen
+und muß die Sache verstehn, denn er ist Einer von den Wenigen
+die drüben gewesen und glücklich wiedergekommen sind.
+Er bringt kaum eine Nummer in der er nicht ein oder den
+anderen Hieb auf die Verhältnisse Ihres »glücklichen Amerika«
+hat — das muß ja ein wahres Raubnest sein, lesen Sie nur
+einmal.«</p>
+
+<p>»Hören Sie lieber Schollfeld, ich will Ihnen einmal 'was
+sagen,« erwiederte ihm Kellmann ruhig, »dieser Dr. Hayde,
+der Ihnen die schönen Artikel schreibt ist, der Meinung aller
+ordentlichen Kerle in Heilingen nach, das wenigste zu sagen
+eine kleine geschwollene Giftkröte, ein weggelaufener Advokat,
+den die Verhältnisse aus Deutschland vertrieben, und den in
+Amerika Niemand mit seinen Talenten haben mochte. Zu faul
+zum arbeiten, und nicht im Stande etwas Anderes zu thun,
+wurde er dort wahrscheinlich vom Schicksal hin- und hergestoßen,
+und wie ein aus einer Thür geworfener Mops, stellt
+er sich jetzt draußen hin, wo sich Niemand die Mühe giebt ihn
+zu stören, und schimpft und klefft. Ich will Amerika eben
+nicht in allem vertheidigen, aber was <emph rend="letter-spacing: 0.20em">der</emph> gerade darüber sagt
+würde mich auch nicht bestimmen. Wie ein Dreckkäfer schleppt
+er sich nur mit größter Mühe kleine Stückchen Koth herbei,
+und rollt sie zusammen eine Kugel zu machen in die er sein
+Ei legt — pfui über den Burschen.«</p>
+
+<p><pb n="036" /><anchor id="Pg036" />»Na jetzt freut mich aber mein Leben,« rief Herr Schollfeld
+erstaunt aus — »erst schimpfen Sie selber auf Amerika,
+und nun auf einmal soll der arme Doktor die ganze Schuld
+tragen.«</p>
+
+<p>»Ich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">schimpfe</emph> nicht auf Amerika,« sagte Kellmann
+ruhig, »ich kann nur nicht leiden wenn man es auf Kosten
+unseres eigenen Vaterlandes herausstreicht, und gegen alle seine
+Nachtheile blind ist. Es wäre allerdings noch viel gefährlicher
+sich die Lichtseiten alle zu bunt auszumalen; die armen
+Leute die nachher hinübergehn und es anders finden, sind dann
+zu sehr enttäuscht, und fallen gewöhnlich, wie mir gesagt ist,
+aus einem Extrem in's Andere — aber so taugt's auch Nichts.«</p>
+
+<p>»Guten Abend selbander,« sagte in dem Augenblick eine
+andere Stimme dicht hinter ihnen, und als sie sich danach umschauten,
+stand ein alter Bekannter von ihnen, Mathes Vogel,
+ein reicher junger Bauer aus dem nächsten Dorf, an ihrem
+Tisch und streckte ihnen freundlich die Hand entgegen.</p>
+
+<p>»Hallo Mathes, wie geht's?« rief Kellmann die gebotene
+herzlich schüttelnd — »Wetter noch einmal Mann, wo habt
+Ihr jetzt gerade in der Saatzeit gesteckt, daß Ihr in der Welt
+herumreist wie ein Baron, der seine Güter verpachtet hat?
+Ihr seid verreist gewesen.«</p>
+
+<p>»Ja Herr Kellmann, in Bremen.«</p>
+
+<p>»Wo seid Ihr gewesen?« frug Schollfeld erstaunt.</p>
+
+<p>»In Bremen, Herr Schollfeld!« rief der junge Bauer,
+gegen diesen gewandt, »oben in der Hafenstadt.«</p>
+
+<p>»Guten Abend Mathes,« kam hier der Wirth dazwischen,
+<pb n="037" /><anchor id="Pg037" />der den alten Kunden ebenfalls begrüßte — »lange nicht gesehn,
+recht groß geworden mein Junge; hast Du Durst?«</p>
+
+<p>»Merkwürdigen,« sagte der Bauer lächelnd.</p>
+
+<p>»Na warte, den wollen wir begießen,« schmunzelte aber
+Lobsich, rasch in den Garten zurückgehend, »der soll mir nicht
+umsonst in den rothen Drachen gefallen sein.«</p>
+
+<p>»Aber was hat Euch nach Bremen geführt?« wiederholte
+Kellmann, fast etwas mißtrauisch gemacht durch das wunderliche
+halb verlegene Benehmen des jungen Burschen.</p>
+
+<p>»Ja Herr Kellmann,« sagte der reiche Bauerssohn, wirklich
+jetzt verlegen seinen Hut um den Zeigefinger der linken
+Hand drehend — »das hat — das hat so seine eigene Bewandtniß
+ — Ich bin — ich bin zu einem Entschluß gekommen
+ — ich will — ich will auswandern.«</p>
+
+<p>»Was will er?« schrie Schollfeld, der die Worte nicht
+ganz verstanden, den ungefähren Sinn aber etwa errathen
+hatte. Jedenfalls schöpfte er Verdacht und ehe Kellmann nur
+im Stande war ein Wort darauf zu erwiedern rief er nochmals
+laut: »wo will er hin?«</p>
+
+<p>»Nach Amerika,« sagte aber der junge Mann entschlossen
+und wollte noch etwas hinzusetzen, aber der Apotheker schlug
+dermaßen auf den Tisch, und fing so an zu schimpfen und zu
+fluchen, Niemand wußte eigentlich auf was und gegen wen,
+daß Mathes gar nicht gleich wieder zu Worte kommen konnte,
+und vielleicht auch eben nicht böse darüber war.</p>
+
+<p>»Hallo, wer ist todt?« rief aber in dem Augenblick Lobsich,
+der mit dem bestellten Bier für einen seiner besten Kunden
+<pb n="038" /><anchor id="Pg038" />selber ankam — »daß Dich die Milz sticht, was ist denn dem
+Apotheker eigentlich in die Krone gefahren?«</p>
+
+<p>»Dem Apotheker Nichts,« nahm aber Kellmann kopfschüttelnd
+das Wort, »doch hier dem Dings da, dem Mathes — was
+meint Ihr, Lobsich was er vor hat?«</p>
+
+<p>»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Heirathen</emph>?« sagte dieser, und ein breites vergnügtes
+Schmunzeln über den so richtig und schnell gerathenen Vorsatz
+zog sich über sein dickes gutmüthiges Gesicht.</p>
+
+<p>»Heirathen!« schrie aber der Apotheker dazwischen, indem
+er sich seinen Hut in die Stirn drückte und seinen Rock anfing
+zuzuknöpfen — »heirathen? — ja prost die Mahlzeit; <emph rend="letter-spacing: 0.20em">auswandern</emph>
+will der Kerl, wie ein blindes Pferd das durch die
+Stallwand bricht, in einen Teich zu fallen.«</p>
+
+<p>»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Auswandern</emph>?« schrie aber auch jetzt Lobsich in unbegrenztestem
+Erstaunen — »na das ist mir aber doch wahrhaftig
+was Unbedeutendes.«</p>
+
+<p>»Oh hol Euch der Teufel mit Eurer albernen Redensart!«
+rief aber der nun einmal ärgerliche Apotheker, und nahm
+seinen Stock unter den Arm — sein stetes Zeichen daß er
+fertig zum Gehen sei — »was Unbedeutendes; ja wohl, wenn
+der Raptus erst einmal in <emph rend="letter-spacing: 0.20em">solche</emph> Köpfe und Geldbeutel fährt,
+nachher werden wir sehn was wir hier anrichten. Ich will
+mir aber mein Abendbrod nicht verderben — gute Nacht Ihr
+Herren.«</p>
+
+<p>»Halt Schollfeld!« rief aber Kellmann, ihn am Arm
+fassend und zurückhaltend — »brennt mir nicht durch, ich gehe
+auch gleich mit und wollte nur erst hören, was Mathes den<pb n="039" /><anchor id="Pg039" />
+Gedanken in den Kopf gesetzt hat. Hol's der Henker, er macht
+sich entweder einen Spaß mit uns, oder es ist nur so eine Idee
+von ihm, die wir ihm wieder ausreden können.«</p>
+
+<p>»Wenn ich das wüßte blieb ich die ganze Nacht hier,«
+sagte Schollfeld, seinen Stock wieder auf den Tisch legend und
+zu dem verlassenen Stuhl zurückgehend. »Mensch, Mathes,
+seid Ihr denn rein vom Teufel besessen, oder habt Ihr nur
+heute, in irgend einer Kneipe, ein wenig des Guten zu viel
+gethan, daß Ihr so tolles Zeug zusammenfaselt.«</p>
+
+<p>Mathes blieb aber bei allen diesen Ausbrüchen des Erstaunens,
+die erste Erklärung nur einmal überstanden, vollkommen
+ruhig, und zog nur, statt jeder weiteren Antwort,
+einen Brief aus seiner Brusttasche, den er langsam auffaltete
+und vor sich legte, als ob er ihn vorlesen wollte.</p>
+
+<p>»Nun was soll's mit dem Wisch?« rief aber der Apotheker
+ärgerlich, »Ihr habt Euere Seele doch noch nicht dem Gott
+sei bei uns verkauft?«</p>
+
+<p>»So schlimm noch nicht,« lachte der junge Bursch, »das
+hier ist nur ein Brief von Caspar Lauber, den Sie ja Alle
+kennen und der vor etwa sieben Jahren nach Wisconsin auswanderte.«</p>
+
+<p>»Der was that?« rief der Apotheker, die Augen zusammenkneifend
+und das linke Ohr zu ihm hindrehend — »nuschelt
+nicht so in den Bart, daß Euch ein Christenmensch noch verstehen
+kann ehe Ihr unter die Heiden geht.«</p>
+
+<p>»Der nach Wisconsin auswanderte,« sagte der junge
+Bauer lächelnd — »er hatte mir damals versprochen zu schrei<pb n="040" /><anchor id="Pg040" />ben
+wie es ihm ginge, schlecht oder gut; — wenn schlecht,
+wollte ich ihm helfen, wenn gut, vielleicht nachkommen. Aber
+er schrieb nicht Jahr nach Jahr, und da er überhaupt Nichts
+von sich hören ließ, glaubte ich schon er sei da drüben gestorben
+oder untergegangen in dem weiten Reich, bis ich vor vier
+Wochen etwa einen Brief von ihm erhielt und seit der Zeit
+habe ich keine Ruhe gehabt bis zu dem heutigen Tag.«</p>
+
+<p>»Nun ja natürlich,« brummte der Apotheker.</p>
+
+<p>»Aber so laßt ihn doch nur reden,« rief jetzt auch ärgerlich
+der Actuar dazwischen, »Ihr raisonnirt nur in einem fort und
+glaubt nachher, wenn Ihr recht geschrieen habt, Ihr hättet
+recht.«</p>
+
+<p>»So lest den Brief einmal!« sagte Kellmann, die Arme
+auf den Tisch stützend, »nachher wissen wir ja gleich woran
+wir sind.«</p>
+
+<p>»Aber erst muß ich noch Bier haben,« rief Schollfeld dazwischen,
+»ich mag die Lügen wenigstens nicht trocken mit
+anhören.«</p>
+
+<p>Lobsich winkte einem der nächsten Kellner, die indeß leer
+gewordenen Gläser wieder zu füllen, denn der Brief interessirte
+ihn selber zu sehr, den Tisch jetzt zu verlassen, und Mathes
+sagte wie entschuldigend:</p>
+
+<p>»Der Brief ist sehr kurz, aber es steht Alles darin was
+ich zu wissen verlangte, und er lautet:</p>
+
+<p>»Lieber Mathes — ich habe bis jetzt mein Versprechen
+nicht gehalten, Dir zu schreiben, weil es mir sehr schlecht gegangen
+ist.«</p>
+
+<p><pb n="041" /><anchor id="Pg041" />»Na ja,« fiel ihm hier der Apotheker in das Wort — »und
+nun müßt Ihr Hals über Kopf machen daß Ihr auch
+hinüber kommt.«</p>
+
+<p>Kellmann wollte dem ewigen Einredner etwas erwiedern,
+aber Mathes fuhr, lächelnd die Hand gegen ihn aufhebend,
+wieder laut fort:</p>
+
+<p>»Ich wollte aber nicht gern, daß mich Jemand Anders
+unterstützen sollte, weil das hier im Lande eine Schande ist;
+ich wollte mir selber helfen, und habe mir kümmerlich, aber
+ehrlich und fleißig durchgeholfen. Jetzt habe ich eine kleine
+Farm von achtzig Acker, und vier und zwanzig Stück Rindvieh,
+und dreißig Schweine und zwei Pferde und es geht mir gut.
+Ich habe hart arbeiten müssen, aber ich komme durch. Wenn
+Du mit Geld hier herüber kommst und willst mich aufsuchen,
+daß ich Dir mit Rath und That an die Hand gehen kann,
+dann brauchst Du keine Angst zu haben, daß Du nicht durchkommst.
+Wenn Du eine Frau hast, bringe sie mit; Kinder
+sind ein Segen hier, kein Fluch wie für manchen armen Mann
+in Deutschland. Wer arbeiten will kommt fort, wer faul ist
+geht zu Grunde. Es grüßt Dich zehntausend Mal Dein
+Caspar Lauber — Lauber's Farm bei Milwaukie, Wisconsin.«</p>
+
+<p>»Und auf den Brief wollt Ihr auswandern?« rief aber
+auch Kellmann jetzt erstaunt — »Mathes, ist Euch denn das
+Auswanderungsfieber so plötzlich in die Glieder geschlagen,
+daß Ihr die Seekrankheit für das einzige Mittel haltet die es
+curiren könnte?«</p>
+
+<p>Mathes schüttelte aber gar ernsthaft mit dem Kopf, fal<pb n="042" /><anchor id="Pg042" />tete
+den Brief zusammen, den er zurück in seine Tasche schob,
+und sagte mit fester und entschlossener Stimme:</p>
+
+<p>»Lange im Sinn hab' ich's schon gehabt, aber der Brief
+hat es zuletzt zum Ausbruch gebracht.«</p>
+
+<p>»Aber Mathes, Ihr vor allen Anderen habt doch Euer
+Auskommen hier im Land,« rief jetzt auch Lobsich, während
+der Apotheker das ihm eben gebrachte Glas auf einen
+Zug hinuntergoß, wie um seinen Ingrimm damit nieder zu
+spülen — »wenn Ihr nach Amerika auswandern wollt, wer
+soll denn noch da bleiben?«</p>
+
+<p>»Ich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">bliebe</emph> auch,« sagte Mathes rasch und mit vor
+innerer Bewegung fast erstickter Stimme, »ich bliebe auch,
+wenn mich mein Vater ließe, aber — der will nicht in die
+Heirath willigen mit Roßner's Käthchen, des Häuslers Tochter
+aus Rodnach; hier hält er mich dabei unter dem Daumen
+mit seinem Gut und Geld, und das Mädchen stirbt mir indessen
+in Arbeit und Gram; dort drüben aber ist ein Platz, wo
+fleißige Menschen auch durchkommen können mit Gottes Hülfe
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">ohne</emph> Geld, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ohne</emph> Ansehn. Der Lauber hatte gar Nichts
+wie er hinüberging; nicht das Hemd auf seinem Rücken war
+sein, und ich weiß daß er nicht einen rothen Pfennig mit in
+das fremde Land gebracht hat. Aus dem ist jetzt ein rechtschaffener
+Farmer geworden, mit eigenem Land, Haus und
+Vieh, und was der kann — schwere Noth noch einmal — das
+kann ich auch. Ich gehe hinüber, nehme das Käthchen
+mit — Geld zur Ueberfahrt krieg ich schon, und wenn ich
+meine beiden Schimmel um den halben Werth verkaufen sollte,
+<pb n="043" /><anchor id="Pg043" />und dort hilft der liebe Gott schon weiter. Verhungern werden
+wir nicht, und ich brauche mir hier nicht mehr unter die
+Nase reiben zu lassen, »das sollst Du thun und das nicht, und
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">die</emph> sollst Du heirathen, die Du nicht magst und willst, und
+die Dich lieb hat und Dich glücklich machen kann, der sollst
+Du das Herz brechen — weil ihr eben nur der volle Geldsack
+fehlt.«</p>
+
+<p>»Unsinn!« sagte der Apotheker, jetzt wieder und zwar im
+Ernste aufstehend — »wenn Jemand einmal rein verrückt geworden
+ist, läßt sich auch nicht mehr mit ihm streiten. Gehn
+Sie mit Kellmann?«</p>
+
+<p>»Ja, gleich,« erwiederte der Gefragte — »weiß denn
+aber schon Euer Vater um den Plan, Mathes?«</p>
+
+<p>»Heute hab' ich's ihm gesagt,« erwiederte der Gefragte
+leise — »aber er glaubt es noch nicht.«</p>
+
+<p>»Und ist es denn schon wirklich so fest bestimmt?« sagte
+Kellmann theilnehmend.</p>
+
+<p>»Meine Passage in Bremen für mich und — meine <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Frau</emph>
+ist schon bezahlt,« rief der junge Bursch da entschlossen — »den
+funfzehnten geht das Schiff ab, und ich habe nur noch
+eben Zeit das Nothwendigste in Ordnung zu bringen.«</p>
+
+<p>»Ja da kömmt freilich jeder gute Rath zu spät,« sagte
+Kellmann, jetzt ebenfalls aufstehend und seinen Hut ergreifend,
+»wenn der Sprung erst einmal geschehen ist, braucht man nicht
+mehr über das Springen zu streiten und ich wünsche Euch
+das Beste in Euerer neuen Heimath.«</p>
+
+<p>»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte Mathes gerührt — »aber
+<pb n="044" /><anchor id="Pg044" />vielleicht seh ich Sie selber noch einmal auf freiem Boden
+drüben, mit Axt oder Pflug in der Hand, wie ein wackerer,
+richtiger Farmer.«</p>
+
+<p>»Wen — mich?« rief aber Kellmann ordentlich erschreckt
+aus — »ich nach dem vermaledeiten Lande, daß alle unsere
+besten Bürger frißt? Nein Mathes, für dies Leben nicht — aber
+wann geht Ihr fort? vielleicht läßt Euer Vater doch noch
+mit sich reden, und lenkt ein wenn er sieht daß es Euch wirklich
+Ernst ist.«</p>
+
+<p>Mathes schüttelte mit dem Kopf und der Actuar rief:</p>
+
+<p>»Ein Bauer und einlenken, Kellmann? — da kennt Ihr
+unseren deutschen Bauer nicht; worauf der einmal seinen Dickkopf
+gesetzt hat, da muß er durch, und wenn's nicht geht, so
+zerhaut er sich eben den Schädel, aber er läßt nicht nach. Der
+alte Vogel und nachgeben; Du lieber Gott, wenn er den
+eigenen Sohn mit einem einzigen Wort vom Verderben retten
+könnte — er spräch es nicht.«</p>
+
+<p>»Na, da kann ich wohl auch meine Bude hier bald zuschließen
+und mitgehn,« sagte Lobsich, sich den Kopf kratzend — »Schwerebrett
+das ist mir — hm — hm — ist mir doch
+was Unbedeutendes, das — das Amerika.«</p>
+
+<p>»Und was sagt denn das Käthchen dazu?« frug Kellmann
+<corr sic="etzt">jetzt</corr> den Mathes, während die Uebrigen schon aufgestanden
+waren und sich zum fortgehn gerüstet hatten.</p>
+
+<p>»Die weint und will nicht mit,« sagte Mathes leise — »aber
+sie wird schon gehen.«</p>
+
+<p>»Sie will nicht mit?«</p>
+
+<p><pb n="045" /><anchor id="Pg045" />»Sie meint, es bräche meinem Vater das Herz.«</p>
+
+<p>»Das Herz brechen? — dem alten Vogel?« lachte aber
+dieser verächtlich — »na Gott sei Dank, die hat einen guten
+Begriff von ihm — als ob dem etwas das Herz brechen
+könnte.«</p>
+
+<p>»Nun, es frägt sich nur jetzt wem sie es lieber bricht,«
+meinte der Actuar, »dem Alten, wenn sie geht, oder dem
+Jungen, wenn sie bleibt — die Wahl wird ihr nicht schwer
+werden. Aber Schollfeld, Ihr seid ja auf einmal so still geworden?«</p>
+
+<p>»Ach laßt mich zufrieden,« brummte dieser ärgerlich — »weiß
+es Gott, man möchte am Ende selber mit hinüberlaufen,
+nur Nichts mehr von dem verwünschten Auswandern
+reden zu hören.«</p>
+
+<p>»Hahahaha!« rief da Kellmann, »Schollfeld bekömmt
+auch überseeische Ideen.«</p>
+
+<p>»Ueberseeische — hätte bald was gesagt,« knurrte dieser
+aber, auf der Straße hingehend, ohne weder Mathes noch
+Lobsich gute Nacht zu sagen.</p>
+
+<p>Die Uebrigen wechselten noch kurzen Gruß mit ihren
+Bekannten dort, zündeten sich frische Cigarren an, und schlenderten
+langsam, den freundlichen Abend so viel als möglich zu
+genießen, die Straße hinab, der eigenen Heimath zu.</p>
+</div>
+<div rend="page-break-before: always"><pb n="046" /><anchor id="Pg046" />
+<index index="toc" level1="Der Diebstahl" />
+<index index="pdf" level1="Der Diebstahl" />
+<index index="pdb" level1="Der Diebstahl" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 3.</head>
+<head rend="text-align: center">Der Diebstahl.</head>
+<p>Zehn Minuten mochten sie so etwa schweigend nebeneinander
+hergegangen sein, als hinter ihnen auf der Straße
+eine Equipage und klappernde Hufschläge gehört wurden, die
+sie rasch einholten und an ihnen vorbeirauschten, eine dicke
+Staubwolke dabei über den Weg wälzend. Es war die Familie
+Dollinger mit dem, neben dem Wagen hin galoppirenden
+Fremden, dem Bräutigam der Tochter.</p>
+
+<p>»Die kommen schneller von der Stelle als die armen
+Auswanderer vorhin,« sagte Kellmann, als sie vorbei waren — »Wetter
+noch einmal, es ist doch ein anderes Ding so ein paar
+flüchtige Rappen vor sich zu haben, und wie im Flug durch
+die Welt zu jagen, als mit einem schweren Packen auf dem
+Rücken und wunden Füßen vielleicht, mühselig die staubige
+Straße entlang zu keuchen.«</p>
+
+<p>»Ja, die Gaben sind ungleich vertheilt in der Welt,«
+<pb n="047" /><anchor id="Pg047" />seufzte der Actuar, »was der Eine haben möchte, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">hat</emph> der
+Andere schon, und das ist auch wohl das ganze Geheimniß
+der socialen Frage, läßt sich aber nun einmal nicht ändern,
+und wir dürfen vielleicht den Kopf darüber schütteln, und wünschen
+daß es anders wäre, aber weiter eben Nichts.«</p>
+
+<p>»Der auf dem Pferd, war der Dings da von Amerika,«
+sagte der Apotheker jetzt, »der das schmählige Geld hat und
+des reichen Dollingers Tochter noch dazu heirathet. Soll mir
+noch einmal einer sagen daß Eisen der stärkste Magnet sei;
+Gold ist's, und wo das liegt zieht es anderes hin.</p>
+
+<p>»Und wie steht's mit Actien?« lachte Kellmann.</p>
+
+<p>»Bah — bleibt immer dasselbe,« brummte der Apotheker,
+»das Gold steckt darin, und kann durch einen sehr einfachen
+chemischen Proceß leicht herausgezogen werden — wenn man
+sie hat.«</p>
+
+<p>»Es wundert mich übrigens daß der alte Dollinger sein
+Kind über das große Wasser hinüberziehen läßt,« meinte der
+Actuar — »dem hätte es doch auch hier im Lande nicht an
+einer eben so guten Parthie gefehlt.«</p>
+
+<p>»Liebe,« meinte Kellmann achselzuckend — »Liebe ist
+blind sagt ein altes Sprichwort; dagegen lassen sich eben keine
+Gründe anbringen. Wär's übrigens auch nicht wegen dem
+großen Wasser, der Bursche gefällt mir außerdem nicht, und
+ich möchte ihm meine Tochter nicht geben und wenn er bis
+über die Ohren in Golde stäcke. Er hat ein verschlossenes,
+hochfährtiges Wesen, behandelt den gemeinen Mann wie einen
+Hund, und spricht von Allem was wir hier haben, unseren<pb n="048" /><anchor id="Pg048" />
+Einrichtungen, unseren Gesetzen, unseren Vergnügungen selber,
+ja unserem Klima und Land, das doch zum Henker auch <emph rend="letter-spacing: 0.20em">sein</emph>
+Vaterland ist, mit der größten Verachtung. Amerika, und
+immer wieder Amerika, hinten und vorn; ei Blitz und Hagel,
+ich will gar nicht leugnen daß es manche gute Seiten haben
+mag, das Amerika, wenn ich sie auch gerade nicht einsehen
+kann, aber so viel besser wie unser Deutschland ist es doch auch
+nicht drüben, und wenn's so einem Burschen da einmal zufällig
+geglückt ist, sollt' er nicht als Lockvogel sich hier mitten zwischen
+uns hineinsetzen, anderen vernünftigen Leuten unglückselige
+Ideeen in den Kopf zu pflanzen.</p>
+
+<p>»Wenn sich andere vernünftige Leute solche Ideeen einpflanzen
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">lassen</emph>, geschieht's ihnen ganz recht,« sagte der Apotheker — »man
+braucht nicht zu glauben was jeder dahergelaufene
+Lump eben sagt.«</p>
+
+<p>»Nun <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ganz</emph> ohne kann's aber auch nicht sein,« meinte
+Kellmann kopfschüttelnd<corr sic="">,</corr> <corr sic="">»</corr>und ich — ich halt' es immer für gefährlich.
+S'ist merkwürdig, wie rasch sich das mit der Hochzeit
+gemacht hat.«</p>
+
+<p>»Nun, wer sich die Braut gleich fix und fertig aus dem
+Wasser zieht hat leicht freien,« sagte der Actuar — »Glück
+muß der Mensch haben, dann geht Alles wie am Schnürchen;
+wer aber <emph rend="letter-spacing: 0.20em">das</emph> nicht hat, der mag sein Lebtag fischen und fängt
+doch Nichts — am wenigsten aber solch einen Goldfisch.</p>
+
+<p>»Wo stammt er denn eigentlich her?« frug der Apotheker
+jetzt, wie sie wieder eine Weile schweigend neben einander hingegangen
+waren, »man hört doch sonst eigentlich gar Nichts
+<pb n="049" /><anchor id="Pg049" />von ihm, und er kommt auch mit keinem Menschen weiter zusammen — stolzer
+aufgeblasener Bursche der.«</p>
+
+<p>»Gott weiß es,« sagte der Actuar; »er ist, glaub' ich, mit
+einem holländischen Schiff herübergekommen, und hatte einen
+Paß von Amsterdam.«</p>
+
+<p>»Und der Paß lautete nach Heilingen?«</p>
+
+<p>»Nun nicht gerade nach Heilingen, aber doch nach der
+Residenz, und wie sich die Sache dann hier mit der Dollingerschen
+Familie gestaltete, nun lieber Gott, da drückte der Stadtrath
+das eine, und die Stadtverordneten drückten das andere
+Auge zu, und man sah nicht so genau nach den Papieren.
+Ueberdieß verzehrte er ja hier viel Geld; wär' es ein armer
+Teufel gewesen, hätten wir ihn wahrscheinlich schon bald wieder
+über die Grenze gehabt.</p>
+
+<p>»Hm, ja, glaub's,« sagte Kellmann mit dem Kopfe nickend,
+»s'ist in Heilingen eben nicht anders wie — wie anderswo — warum
+auch?«</p>
+
+<p>Das Gespräch drehte sich von da ab, auf die städtischen
+Einrichtungen, deren wärmster Vertheidiger der Apotheker war,
+und über die sich der Actuar natürlich nur sehr vorsichtig ausließ,
+während sie Kellmann um so unnachsichtiger angriff;
+kam dann auf die Saat und die Preise, und wieder mit einem
+Seitensprung auf die jetzige Politik unseres lieben deutschen
+Reiches, bis sie das Thor und zwar gerade mit Sonnenuntergang
+erreichten, wo Jeder seinen Weg ging, die eigene Heimath
+aufzusuchen.</p>
+
+<p>Der Actuar Ledermann besonders, der an dem entgegen<pb n="050" /><anchor id="Pg050" />gesetzten
+Ende der Stadt wohnte, beeilte seine Schritte, noch
+vor einbrechender Dunkelheit seine Wohnung zu erreichen; das
+Gerücht ging nämlich in der Stadt, daß ihn seine Ehehälfte
+bei solchen Gelegenheiten oft allerdings sehr unfreundlich
+empfange, und ihm einmal sogar schon einige sonst sehr nützliche,
+bei <emph rend="letter-spacing: 0.20em">der</emph> Gelegenheit aber nichts weniger als passende
+häusliche Geräthe entgegen und vor die Füße geworfen habe.
+Thatsache war, daß »Madame« oder Frau Actuar Ledermann,
+was auch ihres Gemahls Thätigkeit und Ansehn außerhalb
+seiner eigenen vier Pfählen sein mochte, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">innerhalb</emph> derselben
+jedenfalls das Commando, und nicht immer mit Mäßigung
+führte, und der Actuar suchte den Hausfrieden wenigstens soviel
+als möglich zu erhalten und jeden Anlaß, zu irgend einer
+Störung desselben, zu vermeiden.</p>
+
+<p>Mit solchen Gedanken vielleicht im Kopf, wollte Ledermann
+eben vom Marktplatz aus in die Straße einbiegen, an
+deren äußersten Ende seine eigene, sehr bescheidene Wohnung
+stand, als er seinen Titel genannt und sich selber gerufen
+hörte.</p>
+
+<p>»Herr Actuar — Herr Actuar Ledermann.«</p>
+
+<p>Er drehte sich rasch um und sah einen Gerichtsdiener
+eilig auf sich zukommen, der, die Mütze abnehmend, vor ihm
+stehen blieb und ihm meldete, daß er eben abgeschickt worden
+ihn zu holen oder aufzusuchen, da ein Einbruch geschehen sei,
+über den an Ort und Stelle Protokoll aufgenommen werden
+solle.</p>
+
+<p>»Protokoll aufnehmen?« sagte Actuar Ledermann, keines<pb n="051" /><anchor id="Pg051" />wegs
+angenehm überrascht; »ja was hab ich denn heute damit
+zu thun, wo ist mein <emph rend="letter-spacing: 0.20em">College</emph>?«</p>
+
+<p>»Herr Actuar Beller sind unwohl geworden, heute Nachmittag,«
+berichtete der Polizeidiener, »und mußten zu Hause
+gehn; ich bin eben abgeschickt zu sehn, welchen von den andern
+Herren ich zuerst treffen könnte.«</p>
+
+<p>»Hm — ist sehr amüsant,« brummte Ledermann vor sich
+hin — »kommt mir gerade apropos. Bei wem ist es denn?«</p>
+
+<p>»Bei Herrn Dollinger.«</p>
+
+<p>»Was? — bei Kaufmann Dollinger?« rief der Actuar
+rasch und erstaunt — »am hellen Tag, während er ausgefahren
+war?«</p>
+
+<p>»Er ist, wenn ich nicht irre, eben zu Hause gekommen,«
+berichtete der Mann, und hat glaub' ich sein Pult geöffnet,
+und eine bedeutende Summe Geldes entwendet gefunden.«</p>
+
+<p>»Hm, hm, hm,« sagte der Actuar kopfschüttelnd und seinen
+Rock dabei, den er der Bequemlichkeit wegen aufgelassen
+hatte, zuknöpfend, »es wird immer besser hier bei uns. Am
+hellen lichten Tage. Aber die ganze Stadt steckt auch voll
+fremden Volkes, das sich natürlich keine Gelegenheit entschlüpfen
+läßt Reisegeld zu bekommen.«</p>
+
+<p>»Es muß doch wohl Jemand gewesen sein der mit dem
+Hause genau bekannt war,« sagte der Polizeidiener — »nach
+dem wenigstens, was ich bis jetzt von den Dienstleuten darüber
+gehört habe, kann's nicht gut anders sein.«</p>
+
+<p>»Nun wir werden ja sehn; da muß ich aber erst — «</p>
+
+<p>»Wenn sich der Herr Actuar nur eben an Ort und Stelle
+<pb n="052" /><anchor id="Pg052" />bemühen wollen,« sagte jedoch der Diener des Gerichts, »alles
+Nöthige ist schon dorthin geschafft und ich war eben nur fortgelaufen,
+einen der Herren zu suchen.«</p>
+
+<p>Der Actuar, dem Dienste natürlich Folge leistend, seufzte
+tief auf und schritt, im Geist wahrscheinlich des Empfangs
+gedenkend, der seiner harrte, wenn seine Frau auf ihn mit dem
+Abendessen warten mußte, rasch die »Poststraße« hinaufbiegend,
+dem gar nicht weit entfernten Dollinger'schen Hause zu, dort
+den Thatbestand in Augenschein und zu Protokoll zu nehmen,
+etwaige Spuren des Uebelthäters zu entdecken und zu verfolgen,
+und die Leute im Hause nach möglichem Verdachte zu inquiriren.</p>
+
+<milestone unit="tb" rend="stars: 5" />
+
+<p>Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger, in dem
+Alles sonst so still und ruhig und wie am Schnürchen zuging,
+wo Jeder seine angemessene und fest bestimmte Beschäftigung
+hatte, genau wußte was ihm oblag, und das that, ohne
+eben viel Lärm darum zu machen, lief und rannte und sprach
+heute alles durcheinander, und sämmtliche Bande der Ordnung
+schienen gelöst.</p>
+
+<p>Frau Dollinger vor allen Dingen lag in Krämpfen in
+ihrem Boudoir, und beanspruchte die Hülfe ihrer beiden Töchter
+und der weiblichen Dienstboten im Haus, ihren Zustand zu bewachen;
+Herr Dollinger selber war in seinem Zimmer des
+obern Stocks, und ging dort mit raschen Schritten und auf
+den Rücken gekreuzten Armen auf und ab, während dem jungen<pb n="053" /><anchor id="Pg053" />
+Henkel indessen die Bewachung des Platzes selber übertragen
+war, und die andern Dienstboten, mit einem nicht unbedeutenden
+Theil der Nachbarschaft und deren Verwandten, in den verschiedenen
+Winkeln und Ecken des Hauses herumstanden und
+kopfschüttelnd, die Hände ein über das andere Mal in Verwunderung
+zusammenschlugen. Die verschiedenartigsten Vermuthungen
+und Beweise wurden da laut, und die Orte und
+Stellungen oder Beschäftigungen jedes Einzelnen auf das Genaueste
+und Peinlichste angegeben, wo und wie sich Jeder gerade
+in der Zeit etwa befunden haben mochte, als die entsetzliche,
+verruchte That geschehen und vollbracht sein mußte.</p>
+
+<p>Dem Actuar, mit dem ihm folgenden Gerichtsdiener
+wurde übrigens willig und dienstfertig Platz gemacht; Alle
+wollten aber hinter drein, und die Frauen besonders gaben
+dabei durch die entschiedensten Ausrufe — »Ne Du meine
+Güte« und »Ne so was« ihre vollkommenste Misbilligung
+des Geschehenen zu erkennen. Nichts desto weniger wurde auch
+selbst ihnen die Thüre vor der Nase zugemacht, und Einer der
+Bedienten bekam strenge Ordre die Hausflur zu räumen, und
+Niemand mehr, so lange die Untersuchung dauere, die Treppe
+hinaufzulassen, ausgenommen, es wisse Jemand noch um den
+Diebstahl, und könne irgend einen Fingerzeig geben den Dieben
+auf die Spur zu kommen; solche Zeugen sollten nachher vernommen
+werden.</p>
+
+<p>Oben an der Treppe empfing sie Herr Henkel, um sie
+gleich zu dem Ort, wo der Diebstahl verübt worden, hinzuführen;
+einer der Leute war indessen abgeschickt Hrn. Dollinger
+<pb n="054" /><anchor id="Pg054" />selber zu rufen, und dieser erschien jetzt, den Actuar freundlich
+grüßend.</p>
+
+<p>Es war indessen schon ziemlich dunkel, und im Zimmer
+Licht angezündet worden.</p>
+
+<p>»Ich bedaure sehr, Herr Dollinger,« sagte der Actuar,
+»daß, wie ich gehört habe, eine so fatale Sache mich hier in
+Ihr Haus geführt haben muß.«</p>
+
+<p>»Ja allerdings,« erwiederte der alte Herr, »ist es sehr
+unangenehm; weniger des Verlustes wegen, der sich allenfalls
+ertragen ließ, als wegen dem Bewußtsein getäuschten Vertrauens,
+mit selbst keinem gewissen Anhaltspunkt auf Verdacht.
+Ich wollte gern das Doppelte verloren haben, wenn es hätte
+können auf andere Weise geschehn.«</p>
+
+<p>»Das Ganze ist übrigens mit einer raffinirten Geschicklichkeit
+ausgeführt,« fiel Henkel hier ein, »und der Thäter,
+wer auch immer, jedenfalls ein höchst gefährliches Subject, von
+dem ich nur hoffen will daß wir ihm auf die Spur kommen.«</p>
+
+<p>»Dürfte ich Sie bitten mir den Platz zu zeigen?«</p>
+
+<p>»Treten Sie hier in das Zimmer meiner Töchter; dort
+der Secretair ist erbrochen.«</p>
+
+<p>»Hm — mit einem breiten meißelartigen Instrument,«
+sagte der Actuar nach kurzer Besichtigung der offenen, arg beschädigten
+Mahagoniplatte — »und die Thür ebenfalls eingebrochen?«</p>
+
+<p>»Nein — die Thür ist unbeschädigt und muß jedenfalls
+mit einem Nachschlüssel geöffnet sein.«</p>
+
+<p>»Und was vermissen Sie in dem Secretair?«</p>
+
+<p><pb n="055" /><anchor id="Pg055" />»Eine Summe Geldes, die ich erst vor wenigen Stunden,
+und im Beisein meiner Familie und eines zuverlässigen Comptoirdieners,
+im Paket wie ich sie von der Post erhalten, hier
+eingeschlossen hatte, und von der der Dieb auf eine mir unbegreifliche
+Weise muß Kenntniß bekommen haben.«</p>
+
+<p>»Wer ist dieser Comptoirdiener?«</p>
+
+<p>»Oh, Loßenwerder; Sie kennen ihn ja wohl?«</p>
+
+<p>»Loßenwerder,« sagte der Actuar nachdenkend — »ist
+wohl schon eine ganze Weile in Ihrem Geschäft?«</p>
+
+<p>»Schon zwölf Jahr; mit keinem Schatten irgend eines
+Verdachts; ich nahm ihn als einen ganz jungen Burschen in
+mein Haus; er muß aber gegen irgend Jemand davon gesprochen
+haben.«</p>
+
+<p>»Hm, hm, wollen ihn uns doch einmal nachher besehn;
+also hier hinein hatten Sie das Geld gelegt?«</p>
+
+<p>»Es ist ein Secretair, den meine Töchter gemeinschaftlich
+benutzen, und zu dem jede von ihnen ihren Schlüssel hat. Bitte
+lieber Henkel, lassen Sie doch einmal Sophie oder Clara einen
+Augenblick zu uns herüber rufen.«</p>
+
+<p>»Ich habe schon das Mädchen geschickt, eine der jungen
+Damen ersuchen zu lassen,« entgegnete der junge Henkel, der
+indessen im Zimmer umhergegangen war, und sich überall umgesehen
+hatte, ob nicht vielleicht doch der Dieb irgend eine
+Spur, irgend ein Zeichen hinterlassen habe, an das man sich
+später einmal halten könne. — </p>
+
+<p>»Und vermissen Sie weiter Nichts als das Geld?« frug
+der Actuar.</p>
+
+<p><pb n="056" /><anchor id="Pg056" />»Auch ein Schmuck meiner ältesten Tochter scheint mit
+geraubt zu sein,« sagte Herr Dollinger — »aber da kommt
+Clara, die Ihnen das Nähere davon selber angeben wird.«</p>
+
+<p>Clara betrat in diesem Augenblick das Gemach; sie sah
+todtenbleich und angegriffen aus, und Henkel eilte ihr entgegen
+sie zu unterstützen.</p>
+
+<p>»Clara, mein liebes armes Kind,« sagte Herr Dollinger,
+auf sie zugehend und die Hand nach ihr ausstreckend, »fehlt
+Dir etwas? — Der Schreck hat Dich wohl so angegriffen.
+Mach Dir doch nur keine Sorge, mein Herz; vielleicht bekommen
+wir Alles wieder und wenn nicht — nun ein <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Unglück</emph>
+ist es dann auch nicht; wenn Ihr mir nur Alle gesund bleibt,
+können wir die paar tausend Thaler schon verschmerzen.«</p>
+
+<p>»Es ist nicht der Verlust, lieber Vater,« sagte aber das
+junge Mädchen, sich gewaltsam zusammennehmend, und des
+Vaters Hand ergreifend — »nur die Ueberraschung, der Schreck
+wahrscheinlich, und das — das Unheimliche dabei, als ich
+mein Zimmer vorhin betrat, und die Spuren des verübten
+Verbrechens entdeckte. Ich fürchtete die entsetzlichen Menschen
+noch irgend wo zu sehn, die vielleicht hinter einer Gardine
+stehen, unter einem der Divans liegen, hinter einem Ofen
+lauern konnten und, wenn entdeckt, zu verzweifelter Gegenwehr
+getrieben mich anfallen würden, und all solch kindische
+Gedanken mehr. Dort der auf den Tisch geworfene Regenschirm
+dabei, die hinuntergeworfene Stickerei von dem Secretair
+selber, am meisten aber der Tabaksgeruch im Zimmer und
+<pb n="057" /><anchor id="Pg057" />die verlöschte, angerauchte Cigarre dort auf dem Fensterbret,
+erfüllten mir das Herz mit einem unbeschreiblichen Grausen.«</p>
+
+<p>»Eine Cigarre?« sagte Ledermann, sich vergebens nach
+dem bezeichneten Gegenstand umschauend — »wo lag sie?«</p>
+
+<p>»Dort im Fenster, als ich zurückkam.«</p>
+
+<p>»Die alte angerauchte Cigarre?« sagte Henkel rasch — »die
+hab' ich zum Fenster hinausgeworfen; ich glaubte Einer
+der Dienerschaft hätte sie in der Aufregung mit hereingebracht
+und dort abgelegt — sie muß unten auf der Straße liegen.«</p>
+
+<p>»Bitte schicken Sie doch einmal einen Burschen danach,
+daß er sie heraufholt,« sagte der Actuar; »man darf auch das
+Unbedeutendste nicht unbeachtet lassen, und wir wollen indessen
+die vermißten Gegenstände aufnehmen. Das Geld? — «</p>
+
+<p>»Davon giebt Ihnen dieser Brief das genaue Verzeichniß,«
+sagte Herr Dollinger, »aber ich fürchte fast daß wir
+durch das Geld selber nicht auf die Spur kommen werden, indem
+das Paket fast nur Gold und kleinere Banknoten enthielt,
+die leicht umzusetzen und schwer zu controliren sind. Eher
+hoffe ich durch den Schmuck den Dieb verrathen zu sehn, da
+einige sehr auffällige Stücke, wie ich höre, dabei gewesen
+sind.«</p>
+
+<p>»Dürfte ich Sie um eine genaue Angabe derselben, heute
+Abend noch, wenn irgend möglich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">schriftlich</emph> bitten?« erwiderte,
+nach einigem Besinnen, der Actuar, »diese Einzelheiten
+würden mich jetzt zu lange aufhalten.«</p>
+
+<p>»Kannst Du das geben, Clara?</p>
+
+<p>»Bis auf die kleinste Nadel hinunter,« sagte das junge<pb n="058" /><anchor id="Pg058" />
+Mädchen rasch, »besonders auffällig war eine kleine, rundum
+mit Brillanten besetzte Broche, ein Erbstück unserer Großmutter,
+und ausgezeichnet vor jedem andern Schmuck, den ich
+noch in meinem ganzen Leben gesehen, durch einen, in der
+Mitte gefaßten, genau dreieckigen, hellblauen und wundervollen
+Turquis. Mein Schmuck lag gleich dicht dahinter, den
+aber muß der Dieb in der Eile übersehen haben; er ist unangerührt
+geblieben.«</p>
+
+<p>»Das ist allerdings glücklich,« sagte der Actuar, »wäre
+wohl auch des Mitnehmens werth gewesen. Lag gleich dabei?«</p>
+
+<p>»Hier in dem rothen Kästchen.«</p>
+
+<p>»Aber das ist auch geöffnet worden.«</p>
+
+<p>»Das? — nein, das hab ich wohl selbst geöffnet, nachzusehen,
+ob auch Alles darin sei, und nicht wieder ordentlich
+geschlossen. Die Haken waren allerdings auf, wenn ich mich
+nicht ganz irre, aber der Dieb hat keinenfalls eine Ahnung gehabt,
+welchen Werth das kleine unscheinbare Kästchen enthalte,
+oder es stände jetzt nicht mehr da.«</p>
+
+<p>»Sehr wahrscheinlich, hm — aber Sie vergeben wohl
+nicht, mein Fräulein, alle diese Einzelheiten besonders zu notiren;
+wer weiß ob sie nicht noch einmal wichtig werden. Ah,
+da kommt auch Herr Henkel wieder; haben Sie die Cigarre
+gefunden?«</p>
+
+<p>»Gott weiß wo sie ist;« lachte dieser, »irgend Jemand
+muß es doch noch der Mühe werth gehalten haben sie aufzuheben,
+und in einer Pfeife vielleicht zu verrauchen — ich bin selber
+<pb n="059" /><anchor id="Pg059" />hinunter gegangen, kann sie aber nirgends mehr entdecken.
+Uebrigens ist es auch fast dunkel geworden, und ich werde
+morgen ganz früh nachsuchen lassen. Der Stummel wird Ihnen
+freilich nicht viel helfen.«</p>
+
+<p>»Man weiß nicht,« sagte der Actuar kopfschüttelnd, »je
+nach der Güte des Tabaks ließ sich vielleicht auf die Schicht
+der menschlichen Gesellschaft schließen, in der sich unser heimlicher
+Besuch herumtriebe. Aber das ist allerdings Nebensache;
+wo also ist der Dieb hereingekommen? — hier durch
+diese Thür?«</p>
+
+<p>»Doch wohl vom Garten her durch das Fenster Euers
+Schlafzimmers,« sagte Herr Dollinger, »denn durch das Haus
+würde er es sich am hellen Tage im Leben nicht getraut
+haben.«</p>
+
+<p>»Aber ich möchte meine Seligkeit zum Pfande setzen daß
+ich den Schlüssel, der nach unserer Schlafkammer führt, ehe
+wir fortgingen, herumgedreht und stecken gelassen hätte, so daß
+von innen ein Oeffnen unmöglich war.«</p>
+
+<p>»Und war die Thür noch verschlossen wie wir zurückkamen?«</p>
+
+<p>»Nein, nur in's Schloß gedrückt, aber der Schlüssel stak
+darin.«</p>
+
+<p>»Hm, hm, hm — dann ist der Bursche dort wahrscheinlich
+hinaus« — sagte der Actuar — »zur Thür hier hereingekommen
+und dort zur Nothröhre hinaus — hm, muß aber
+genau mit der Gelegenheit bekannt sein. Mein lieber Herr
+Dollinger, wir werden Ihre Leute doch ein wenig scharf in's<pb n="060" /><anchor id="Pg060" />
+Gebet nehmen müssen, denn ein ganz Fremder, kann sich die
+Zeit nicht so abgepaßt haben.«</p>
+
+<p>»Wo kommt der Blumenstock her?« sagte da plötzlich
+Clara rasch und erstaunt, auf einen sehr schönen Rosenstock
+deutend, der in ihrem Fenster, zunächst der Thüre stand — »wer
+hat den jetzt hier heraufgestellt?«</p>
+
+<p>»So lange wir hier sind Niemand« — rief Henkel — »war
+er vorher nicht da?«</p>
+
+<p>»Nicht heute Mittag, das weiß ich gewiß; aber vielleicht
+hat ihn eins der Dienstleute mir heimlich hier hereingesetzt.«</p>
+
+<p>»Heimlich? — so?« sagte der Actuar, »den freundlichen
+Geber wollen wir also vor allen Dingen einmal herauszubekommen
+suchen.«</p>
+
+<p>»Es ist heute mein Geburtstag,« sagte Clara leise und
+erröthend.«</p>
+
+<p>»Oh?« meinte Herr Ledermann mit einem freundlichen
+Lächeln, »da thut es mir freilich leid, meine ganz ergebensten
+Gratulationen zu keiner angenehmeren Zeit vorbringen zu können — will
+eben nicht passen bei einer solchen Untersuchung,
+kann es aber doch auch nicht geradezu hinunterschlucken — ich
+gratulire eben nicht zur Untersuchung.«</p>
+
+<p>»Es muß gewiß ein gesegnetes Land sein,« sagte Henkel
+mit einem leisen, halb boshaften Lächeln, »wo die Polizei sogar
+witzig sein kann.«</p>
+
+<p>»Hm,« meinte der lange Aktuar, sich nach dem Sprecher
+umdrehend, »die Polizei macht eben keinen Anspruch darauf,
+und ist das meistens Privateigenthum. Aber wir wollen die<pb n="061" /><anchor id="Pg061" />
+Zeit nicht mit Allotrien vergeuden; ist nicht herauszubekommen
+wer den Blumenstock hier, während Ihrer Abwesenheit in das
+Zimmer gesetzt hat?«</p>
+
+<p>»Jedenfalls müssen die Dienstboten darum wissen,« sagte
+der junge Henkel, »und es wird das Beste sein sie einzeln
+darum zu befragen.«</p>
+
+<p>»Allerdings; — Einzelverhör hat überhaupt viele Vortheile,
+bitte schicken Sie einmal die Leute herauf, daß man vor
+allen Dingen ihre Gesichter zu sehen bekommt.«</p>
+
+<p>»Aber nicht hier, Väterchen, nicht wahr nicht hier in
+meiner Stube?« bat Clara — »ich würde den fatalen Gedanken
+im Leben nicht wieder los.«</p>
+
+<p>»Wir wollen hinuntergehn in das untere Zimmer,« sagte
+Herr Dollinger, freundlich dem Wunsch der Tochter nachgebend,
+»es läßt sich das dort eben so gut abmachen als hier.«</p>
+
+<p>»Manchmal ist der Platz des Verbrechens selber der geeignetste,«
+warf der Actuar ein, »aber wie Sie wünschen — nur
+um eines möchte ich Sie noch vorher bitten, daß ich mir
+einmal die Stelle oder das Fenster ansehn darf, durch das sich
+Ihrer Vermuthung nach, der oder die Diebe entfernt haben
+könnten.«</p>
+
+<p>»In unserem Schlafzimmer?«</p>
+
+<p>»Doch durch diese Thür?«</p>
+
+<p>»Lieber Henkel, Sie sind wohl indessen so freundlich,
+meine Leute unten zusammenzurufen; wir kommen gleich hinunter.
+Sie werden heut viel belästigt.«</p>
+
+<p>»Aber ich bitte Sie, bester Herr Dollinger,« sagte der
+<pb n="062" /><anchor id="Pg062" />junge Mann, rasch seinen Hut aufgreifend, »wenn ich Ihnen
+nur darin von irgend einem wirklichen Nutzen sein könnte.
+Lieber erlauben Sie mir vielleicht mit Ihnen einer möglichen
+Spur zu folgen, denn meine Augen sind darin vielleicht schärfer
+als manche andere.«</p>
+
+<p>»Es wird in der Dunkelheit nicht eben mehr viel zu
+spüren geben,« meinte indeß der Actuar; »das werden wir
+uns müssen auf morgen früh aufsparen — also jetzt noch das
+Fenster, wenn ich bitten darf — ich möchte mir nur die Gelegenheit
+einmal von oben besehn.«</p>
+
+<p>Clara selber öffnete die Thür und führte dem Actuar mit
+ihrem Vater in das kleine freundliche Gemach, dessen beide,
+schon von Blätter schießenden Weinranken überzogene Fenster,
+auf den Garten hinaussahen. Das eine Fenster war allerdings
+geöffnet gewesen, aber der Rankenwuchs so dicht zusammengezogen,
+daß sich ein <corr sic="Korper">Körper</corr> kaum hätte hindurchzwingen
+können. Die Höhe nach dem Garten hinunter, und
+gerade unter dem Fenster sollte ein kleiner Rasenplatz sein,
+war eben nicht beträchtlich, vielleicht zehn oder zwölf Fuß, und
+unten umgab niederer aber ziemlich dichter Hollunder den
+Rasen. Im Zimmer selber ließ sich aber nicht das mindeste erkennen,
+das einen solchen Verdacht unterstützt hätte; das
+Einzige was dafür sprach, war die aufgeschlossene Thür.</p>
+
+<p>Zu der Unterstube des Hauses waren indessen die Dienstleute
+versammelt worden, streng examinirt zu werden. Der
+Hausmagd vor allen andern lag die Pflicht ob, die Etage, wenn
+sie nach unten in die Küche ging, in Abwesenheit der Herr<pb n="063" /><anchor id="Pg063" />schaft
+verschlossen zu halten. Diese aber behauptete steif und
+fest, und weinte dabei und rief Gott und alle Heiligen zu
+Zeugen an, daß sie die Vorsaalthür auch ordentlich, »zweimal
+herum« abgeschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt hätte,
+und Niemanden in der weiten Gotteswelt gesehen habe, der
+das Haus in der Zeit betreten haben könne. Trotzdem aber
+sei die Vorsaalthür, als sie wieder nach oben gekommen offen,
+wenigstens aufgeschlossen, wenn auch zugeklinkt gewesen, und
+sie hätte selber im Anfang nicht begreifen können wie das möglich
+wäre, aber auch nicht weiter darüber nachgedacht, und es
+ihrer eigenen Unaufmerksamkeit zugeschoben. Nach der Abfahrt
+der Herrschaft sei sie aber nur eine ganz ganz kurze Zeit
+unten geblieben um — sie wollte erst nicht mit der Sprache
+heraus, aber der Herr Actuar drängte gar so sehr — um den
+jungen Herrn Henkel fortreiten zu sehn. Nachher mochte sie
+vielleicht noch zehn Minuten der Köchin geholfen haben, und
+war dann nicht wieder von dem Vorsaal oben fortgekommen,
+auf dessen Balkon sie gesessen und genäht hatte. In der Zeit
+habe Niemand mehr den Vorsaal oder des Fräuleins Zimmer
+betreten, darauf wolle sie das heilige Abendmahl nehmen, und
+der Diebstahl müsse jedenfalls in den paar Minuten, die
+zwischen dem Fortreiten des jungen Herrn und ihrem eigenen
+Wiederhinaufgehn nach oben gelegen hätten, verübt sein — anders
+war es nicht möglich.</p>
+
+<p>»Wer aber hatte den Blumenstock in des Fräuleins Zimmer
+gestellt?«</p>
+
+<p>»Einen Blumenstock? — während die Herrschaft fort war?«</p>
+
+<p><pb n="064" /><anchor id="Pg064" />»Allerdings, eine Monatsrose — in das Fenster nächst
+der Thür.«</p>
+
+<p>»Der das gethan hat, müsse damit zum Fenster, oder in
+derselben Zeit mit einem Nachschlüssel zur Thür hereingekommen
+sein, als der Diebstahl verübt worden, denn sie hätte keine
+Seele im Haus gesehn.</p>
+
+<p>Die Dienstboten hatten indessen mit einander geflüstert,
+als der Actuar das Wort nahm und mit langsam bedächtiger,
+aber ziemlich ernster Stimme sagte:</p>
+
+<p>»Hört einmal Leute, ich will Euch etwas sagen; Ihr habt
+Euch da gut unschuldig stellen, als ob Ihr eben erst auf die
+Welt gekommen wärt, damit dringt Ihr aber nicht durch. Das
+Geld ist fort — Ihr seid die Einzigen die unter der Zeit im
+Haus waren, und Euere Pflicht wäre es gewesen — </p>
+
+<p>»Aber Herr Actuarius« — </p>
+
+<p>»Ruhe da, wenn ich Euch etwas mitzutheilen habe — und
+Euere Pflicht wäre es gewesen, sag' ich, aufzupassen, daß
+niemand Fremdes den Platz betrat, der Euch anvertraut war,
+und für den Ihr also auch in der Zeit zu stehn hattet. Jemand
+ist aber in der Zeit da gewesen, und hat etwas gebracht
+und etwas geholt, und man wird sich jetzt an <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Euch</emph> halten
+müssen, bis der Jemand ausfindig gemacht ist. Was giebt's
+da hinten — was ist gekommen?«</p>
+
+<p>»Dullmanns Rieke von über dem Weg drüben,« sagte
+die Köchin jetzt, gegen den Actuar vortretend, »will den Loßenwerder
+haben heimlich aus dem Haus schleichen sehn. Da
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">haben</emph> Sie einen; <emph rend="letter-spacing: 0.20em">uns</emph> brauchen Sie so etwas nicht unter die<pb n="065" /><anchor id="Pg065" />
+Nase zu reiben, Herr Actuar — wir sind ehrliche Dienstboten
+die sich ihr bischen Brot sauer genug im Schweiße ihres Angesichts — «</p>
+
+<p>»Ach halt' sie das Maul,« fiel ihr aber der Actuar etwas
+unsanft in die Rede — »<emph rend="letter-spacing: 0.20em">wer</emph> ist im Haus gewesen, Loßenwerder? — und
+heimlich hinausgeschlichen? — wer hat ihn
+gesehn?«</p>
+
+<p>»Hier die Rieke von Dullmann's — «</p>
+
+<p>»Wann war das?« fragte der Actuar das jetzt vorgeschobene
+<corr sic="Mächen">Mädchen</corr>, das feuerroth wurde und ihren einen Schürzenzipfel
+anfing wie einen Plumpsack zusammenzudrehen. Erst
+ganz kurze Zeit vorher hatte sie einer ihrer Freundinnen im
+Dollinger'schen Haus, und gewiß nicht in der Absicht die Mittheilung
+gemacht, gleich damit, ohne weitere Warnung, vor
+die Polizei gezogen zu werden.</p>
+
+<p>»Nun Mamsell — wie hieß sie? — Rieke? — Wann
+haben Sie Loßenwerder aus dem Haus kommen sehn, und ist
+er ruhig hinausgegangen oder <emph rend="letter-spacing: 0.20em">geschlichen</emph>?«</p>
+
+<p>»Wenn Loßenwerder im Haus war,« sagte Herr Dollinger
+ruhig, »so wird er auch ordentlich hinaus<emph rend="letter-spacing: 0.20em">gegangen</emph> und
+nicht geschlichen sein; der wäre der Letzte dem ich so etwas zutrauen
+möchte.«</p>
+
+<p>»Die Rieke behauptet,« fiel aber hier die Köchin in dem
+Bewußtsein unrechtlich gekränkten Ehrgefühls rasch ein, »daß
+sie gar nicht auf ihn geachtet haben würde, wenn er sich nicht
+so schnell und heimlich, und dicht unter den Fenstern, am Hause
+<pb n="066" /><anchor id="Pg066" />hingedrückt hätte. Wer kein böses Gewissen hat, kann gerade
+und offen gehen.«</p>
+
+<p>»Sie sind aber gar nicht gefragt, zum Henker noch einmal,«
+rief der Actuar jetzt ungeduldig werdend — »wenn Sie
+jetzt nicht ruhig sind, lasse ich Sie so lange hinausführen, bis
+wir Sie wieder brauchen. Hier Mamsell Rieke; wenn Sie
+sich die Schürze abgedreht haben, dann sein Sie so gut und
+sagen Sie uns einmal wo und wie Sie den Herrn Loßenwerder
+gesehen haben.«</p>
+
+<p>»Ich — ich weiß nicht gewiß« — stammelte das Mädchen
+verlegen — »aber — aber Loßenwerder kam — bald nachher
+wie die Herrschaft fortgefahren war — «</p>
+
+<p>»Wie lange nachher?« frug der Actuar.</p>
+
+<p>»Etwa eine halbe Stunde denk' ich — vielleicht nicht so
+lange — kam er viel rascher als es sonst seine Art ist, denn
+er geht gewöhnlich immer sehr langsam — kam er — kam er
+aus der Thür heraus, die er geschwind hinter sich zuzog — und
+dann — «</p>
+
+<p>»Und dann?« — </p>
+
+<p>Und dann hielt er den Kopf nieder, als ob er nicht wollte
+daß ihn Jemand, der vielleicht von oben heruntersähe, erkennen
+möchte — hielt er den Kopf nieder und drückte sich — drückte
+sich dicht am Haus hin, so schnell er konnte die Straße hinunter,
+und um die Ecke.«</p>
+
+<p>»Und nachher?« frug der Actuar.</p>
+
+<p>»Nu, um die Ecke kann sie doch nicht sehn,« sagte die
+Köchin.</p>
+
+<p><pb n="067" /><anchor id="Pg067" />»Ob Sie still sein wird,« sagte Herr Ledermann jetzt
+aber wirklich böse gemacht — »Wenzel, wenn mir die Person
+da jetzt noch einmal das — noch einmal den Mund aufthut,
+dann wissen Sie was Sie zu thun haben.«</p>
+
+<p>»Sehr wohl, Herr Actuar,« sagte der Gerichtsdiener — </p>
+
+<p>»Und sind Sie dann nachher nicht herübergekommen und
+haben das den Leuten im Hause gesagt, was Sie gesehn?«
+frug der Actuar.</p>
+
+<p>»Ich habe ja aber Nichts gesehen,« sagte die Rieke.</p>
+
+<p>»Sie haben doch den Loßenwerder gesehn« — </p>
+
+<p>»Ja aber der geht doch so oft in das Haus hier herein, und
+kommt nachher immer wieder heraus.«</p>
+
+<p>Der Actuar warf sich ungeduldig herüber und hinüber
+und sagte endlich mürrisch:</p>
+
+<p>»Unsinn — baarer Unsinn — aber hatte er denn irgend
+etwas in der Hand? — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">trug</emph> er etwas?«</p>
+
+<p>»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Trug</emph>? — ja — ja sehn Sie Herr Actuar — das kann
+ich Sie nicht sagen — das weiß ich nicht — «</p>
+
+<p>»Nun Sie werden doch gesehen haben, ob er irgend ein
+schweres Paket in der Hand hatte oder nicht.«</p>
+
+<p>»Ja sehn Sie, das weiß ich Sie wahrhaftig nicht, aber
+ich glaube es fast,« sagte das Mädchen, »denn ich habe den
+Herrn Loßenwerder eigentlich noch gar nicht anders gesehn,
+als daß er irgend 'was getragen hätte; und wenn's nur ein
+paar Briefe gewesen wären, oder ein Regenschirm.«</p>
+
+<p>»Lieber Herr Actuar, ich glaube Sie sind da auf einer
+falschen Fährte,« sagte Herr Dollinger jetzt — »man kann
+<pb n="068" /><anchor id="Pg068" />einem Menschen allerdings nicht in's Herz sehen, aber für den
+Loßenwerder möchte ich fast selber einstehen.«</p>
+
+<p>»Mein bester Herr Dollinger,« sagte aber der Actuar
+kopfschüttelnd, »es ist das mit den Untersuchungen eine wunderliche
+Sache, und Leute auf die man am allerwenigsten gedacht,
+von denen man nie das geringste Unrechte vermuthet
+hatte, kommen da oft in den sonderbarsten Verwickelungen
+vor und — sind schuldig. Ich selber kenne Loßenwerder
+als einen ordentlichen braven Menschen, und will zu
+Gott hoffen, daß unser ganzer Verdacht unbegründet ist; das
+heimliche Schleichen aus dem Haus aber, und daß ihn Niemand
+sonst im Haus gesehen hat macht ihn verdächtig. Meine
+Pflicht ist es wenigstens ihn selbst deshalb zu vernehmen und
+ich werde jedenfalls noch heute Abend nach ihm schicken müssen — unsere
+Eisenbahnverbindungen sind jetzt zu schnell, und
+man darf keiner Menschenseele mehr zwölf Stunden Vorsprung
+lassen, wenn man nicht oft das leere Nachsehn haben will.«</p>
+
+<p>»Passen Sie auf,« sagte Herr Dollinger, »der Loßenwerder
+wird den Blumenstock zum Geburtstag Clara's oben
+hinaufgetragen haben, und zum Dank dafür kommt der arme
+Teufel jetzt noch in den Verdacht des fatalen Diebstahls.«</p>
+
+<p>»Wie aber ist er ohne Nachschlüssel in die verschlossene
+Thür gekommen,« warf der Actuar ein — </p>
+
+<p>»Hm — « sagte Herr Dollinger, »das weiß ich freilich
+nicht — nun fragen Sie ihn selber, das wird jedenfalls der
+kürzeste Weg sein.«</p>
+
+<p><pb n="069" /><anchor id="Pg069" />»Um das Verzeichniß der gestohlenen Gegenstände dürfte
+ich Sie dann vielleicht nachher noch bitten.«</p>
+
+<p>»Meine Tochter wird es gerade jetzt eben schreiben,« sagte
+Herr Dollinger, »wenn Sie nur noch kurze Zeit warten wollen.«</p>
+
+<p>»Dann dürfte ich Sie wohl bitten, es mir gleich in meine
+Wohnung zu schicken,« meinte der Actuar nach kurzer Ueberlegung,
+»ich muß vor allen Dingen erst in meine Wohnung
+und werde dann von da gleich noch einmal in's Bureau
+gehen. Wo ist denn der Loßenwerder wohl am leichtesten zu
+finden?«</p>
+
+<p>»Ich habe eben nach seinem Hause geschickt,« sagte Herr
+Dollinger, »aber dort ist er nicht. Paul, der Bursche, behauptet,
+er ginge manchmal, aber selten, in eine Bierstube an der
+Ecke der Rößnitzer und Hertzergasse, aber dort war er auch
+nicht; es ist übrigens an beiden Orten bestellt, ihn gleich, so
+wie Jemand seiner ansichtig wird, hierherzuschicken.«</p>
+
+<p>»Sehr wohl,« sagte der Actuar, seine Papiere zusammenpackend,
+und sie dem Gerichtsdiener übergebend; nach kurzer
+Begrüßung wollte er sich dann eben entfernen, als er noch einmal
+in der Thür stehen blieb und, sich scharf auf dem Absatz
+herumdrehend, fragte:</p>
+
+<p>»A prospos — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">raucht</emph> Loßenwerder?«</p>
+
+<p>»Soviel ich weiß <emph rend="letter-spacing: 0.20em">nicht</emph>,« sagte Herr Dollinger.</p>
+
+<p>»Doch ja, manchmal,« sagte Einer der Leute — Sonntags
+nach Tisch z.&nbsp;B. regelmäßig eine Cigarre.«</p>
+
+<p>»Hm, so?« sagte der Actuar und verließ dann rasch das
+Zimmer und Haus.</p>
+
+<p><pb n="070" /><anchor id="Pg070" />Er hatte übrigens auch alle Ursache sich zu beeilen, denn
+daheim wartete ein mit jeder Minute drohender aufsteigendes
+Unwetter auf ihn, das er mit einer Art von verzweifelten Hoffnung
+immer noch mit den, dem Gerichtsdiener wieder zu dem
+Zweck abgenommenen, und geschäftsmäßig unter den Arm geklemmten
+Streifen Akten abzuleiten gedachte. Jedenfalls
+mußte ihm der Vorfall im Dollinger'schen Haus, der so viel
+von seiner Zeit in Anspruch genommen, entschuldigen. Frau
+Actuar Ledermann aber hatte sich schon den ganzen Nachmittag
+über, mit immer wachsender Ungeduld, vorgenommen gehabt
+mit ihrem Gatten gegen Abend einen der vor der Stadt
+gelegenen Gärten, wo Concert sein sollte, zu besuchen
+und die Parthie war ihr jetzt — was halfen alle Gründe
+dagegen — zu Wasser geworden; es verstand sich von selbst
+daß Actuar Ledermann die Schuld, und deshalb auch die Folgen
+trug.</p>
+
+<p>Frau Actuar Ledermann hatte sich übrigens vor einigen
+Tagen, wo sie trotz dem nassen Wetter und allen Vorstellungen
+ihres Mannes spatzieren gegangen war, furchtbar erkältet, und
+brachte keinen lauten Ton über die Lippen. Das aber, und
+daß sie ihren gerechtfertigten Ingrimm nicht mit der vollen
+Kraft ihrer Stimme hinaus<emph rend="letter-spacing: 0.20em">gießen</emph> konnte über den Gatten,
+wie sie es — und er auch — gewohnt war, sondern alles das was
+sie ihm zu sagen hatte — und sie hatte ihm viel zu sagen — heraus<emph rend="letter-spacing: 0.20em">flüstern</emph>
+mußte, reizte ihren Zorn nur noch immer
+mehr.</p>
+
+<p>»Aber liebes Kind, ich versichere Dich,« sagte der Actuar
+<pb n="071" /><anchor id="Pg071" />in einem vergeblichen Versuch den aufsteigenden Sturm zu
+beschwichtigen, »daß ich mich über anderthalb Stunden bei
+dem verwünschten Diebstahl im Dollinger'schen Hause aufgehalten
+habe und — «</p>
+
+<p>»Und ich versichere Dich,« zischte sie, mit einem Gesicht,
+dem die Anstrengung die es sie kostete die Worte hörbar zu
+machen, einen noch viel unfreundlicheren, ja sogar boshaften
+Ausdruck gab — »daß ich Dich vor anderthalb Stunden
+schon gerade so erwartet habe wie jetzt, und seit drei Stunden
+vollkommen angezogen dasitze und auf Dich passe.«</p>
+
+<p>»Aber Du <emph rend="letter-spacing: 0.20em">bist</emph> ja gar nicht angezogen, beste Therese.«</p>
+
+<p>»Weil ich mich wieder ausgezogen habe,« rief die Frau — »glaubst
+Du ich soll mir ein Beispiel an einem liederlichen
+Menschen nehmen, und bei Nacht und Nebel noch draußen
+herumstreichen, wie Leute die das Licht zu scheuen haben? — Und
+dann mit meinem Katharr — daß ich mir den Tag über
+im warmen Sonnenschein ein wenig Bewegung machte, das
+fällt Dir nicht ein; aber Nachts, wenn der schädliche Thau
+niederfällt, der für mich gerade Gift wäre, da möchtest Du
+mich jetzt wohl noch hinausschleppen nicht wahr? damit ich
+nur recht schnell unter die Erde käme — o ich armes unglückseliges
+Weib — «</p>
+
+<p>»Aber Therese Du bist unbillig, ich habe Dir doch angeboten
+heute Nachmittag mit mir nach dem rothen Drachen
+hinauszugehn — «</p>
+
+<p>»Weil Du wußtest daß das nichtsnutzige Geschöpf von
+<pb n="072" /><anchor id="Pg072" />einer Wäscherin mir mein Kleid nicht vor vier Uhr bringen
+würde,« zischte die Frau.</p>
+
+<p>»Aber Du hast ja noch andere — «</p>
+
+<p>»Am Sonntag zum Skandal der andern Menschen mit
+einer solchen <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Fahne</emph> zu einem anständigen Vergnügungsort
+hinausziehn, nicht wahr? — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Dir</emph> läge natürlich Nichts daran
+was die Leute über Deine Frau sagten; aber Du bist auch an
+anderen Orten lieber wie zu Hause, und statt Deiner Frau
+einmal ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten, und nachher
+mit ihr zusammen auszugehen, mußt Du natürlich g'rad in's
+Wirthshaus laufen, und ein Bischen vor Mitternacht dann
+wieder zu Hause kommen.«</p>
+
+<p>»Liebes Kind, es ist halb neun Uhr jetzt« — sagte der
+Actuar ruhig, »dann aber Therese,« fuhr er nach kleinem
+Zögern, mit einer fast gewaltsamen Anstrengung etwas herauszubringen,
+das er auf dem Herzen hatte, fort — »bist Du
+theilweise mit selbst Schuld daran, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">daß</emph> ich mir eben außer
+dem Hause mein Vergnügen suchen <emph rend="letter-spacing: 0.20em">muß</emph>.«</p>
+
+<p>»Ich?« wollte die Frau erstaunt rufen, der etwas zu hoch
+eingesetzte Ton blieb aber total aus, und Ledermann sah nur,
+mit der entsprechenden Gesticulation, das zum Höchsten erstaunte
+Gesicht der Gattin. Dadurch aber vielleicht, und durch
+die ungewöhnliche, freilich erzwungene Stille, etwas muthiger
+gemacht, fuhr er entschlossen fort:</p>
+
+<p>»Ja liebes Kind, Du; denn anstatt Deinem Mann, wenn
+er von seinen Berufsgeschäften ermüdet zu Hause kommt den
+Aufenthalt daheim zu einem freundlichen zu machen, in dem
+<pb n="073" /><anchor id="Pg073" />er gerne bleibt, läßt Dich Dein unglückseliges, heftiges Temperament
+nicht ruhen noch rasten, sondern Du mußt irgend
+eine Gelegenheit vom Zaune brechen mit mir zu zanken. Gebricht
+es Dir aber vollkommen an Stoff, was jedoch nur in höchst
+seltenen Fällen zu sein scheint, so bist Du mürrisch und verschlossen,
+machst ihm ein finsteres, verdrießliches Gesicht, und
+sprichst kein Wort.«</p>
+
+<p>Sprachlos nur vor Zorn und Staunen über die unerhörte,
+bodenlose Frechheit, hatte die Frau indessen dem heute
+so redseligen Gatten (der aber nicht dabei zu ihr aufzuschauen
+wagte, sondern bald die rechte, bald die linke Ecke der Stube
+mit den Augen suchte) angesehn. Es war eine allerdings
+noch jugendliche schlanke, aber eher magere als volle Gestalt,
+die Frau Actuar Ledermann, mit etwas vorstehenden, wenigstens
+stark markirten Backenknochen und durchdringend scharfen,
+wenn auch kleinen lichtgrauen Augen, die Lippen schmal und
+um den Mund in vielen kleinen Fältchen, zusammengezogen,
+das Kinn jedoch etwas zurückstehend, was ihr ein besonderes,
+und nicht eben angenehmes Profil gab. Auch in ihrem
+Anzug ließ sie sich zuviel gehn; der Zauber reinlicher Kleidung
+fehlte ihr, der selbst der ärmlichsten Tracht etwas Nettes,
+Freundliches giebt; die Krause die das oben am Hals dicht anschließende
+Kleid einfaßte, war schon mehrere Tage getragen
+und verdrückt, ebenso zeigten die Manschetten Spuren längeren
+Dienstes, und die Haube saß ihr verschoben und zu viel zurückgedrängt
+auf dem, nicht überreich mit Haaren bedeckten Scheitel.
+Frau Actuar Ledermann war nicht hübsch, und der Affect
+<pb n="074" /><anchor id="Pg074" />der ihre Züge in diesem Augenblick mehr entstellte als belebte,
+nahm ihnen leider auch die letzte Spur sanfter Weiblichkeit,
+die sonst doch wohl noch hie und da darin verborgen lag. Der
+bis jetzt mehr durch Erstaunen als Mäßigung niedergekämpfte
+Zorn gewann aber auch endlich die Oberhand, und während
+die Anstrengung, sich bei ihrer Heiserkeit gehört zu machen, ihr
+Antlitz fast dunkel färbte, keuchte sie, die Arme in die Seite gestemmt,
+den Oberkörper gegen den überrascht einen Schritt
+zurückweichenden Gatten vorgebeugt:</p>
+
+<p>»Spreche kein Wort, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">heh</emph>? sagt der Herr? — prahlt
+da, »wenn er von Berufsgeschäften nach Hause kommt« — spreche
+kein Wort? — sitzt in der Kneipe den ganzen gesegneten
+Nachmittag — im rothen Drachen und das nennt er
+Berufsgeschäfte; vertrinkt das Geld das wir hier zum nothwendigsten
+Leben brauchten, und wirft mir jetzt meine Heiserkeit
+vor, die mir der Himmel geschickt hat, oder mein
+böses Glück, dem ich auch einen solchen Mann verdanke — daß
+ich kein Wort spreche und verdrießlich bin. Ich soll
+wohl <emph rend="letter-spacing: 0.20em">tanzen</emph>? eh? — wenn mir das Herz zum Zerspringen
+voll ist vor Jammer und Elend daheim, und wenn ich den
+ganzen Tag da sitze, und brüte und denke wie wir auskommen
+wollen mit den paar Groschen, die zum Sterben und
+Verhungern zu viel, zum Leben aber zu wenig sind. Dann
+soll ich nachher, wenn der gestrenge Herr sein Gesicht
+zeigt, lachen und vergnügt und lustig sein, nur damit
+der Haustyrann sich nicht unbehaglich fühlt in <emph rend="letter-spacing: 0.20em">seinen</emph> vier
+Wänden.«</p>
+
+<p><pb n="075" /><anchor id="Pg075" />Heftiger Husten unterbrach hier die Zornesrede der
+Frau, der die übermäßig angestrengte Luftröhre den Dienst
+versagte, und der Actuar Ledermann nahm still und schweigend,
+den Moment benutzend, ein Licht von dem kleinen
+Seitenschrank, zündete es an der Lampe an, und verließ
+kopfschüttelnd und seufzend das Gemach, sich auf sein eigenes
+kleines Stübchen zurückzuziehn.</p>
+</div>
+<div rend="page-break-before: always"><pb n="076" /><anchor id="Pg076" />
+<index index="toc" level1="Franz Loßenwerder" />
+<index index="pdf" level1="Franz Loßenwerder" />
+<index index="pdb" level1="Fr. Loßenwerder" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 4.</head>
+<head rend="text-align: center">Franz Loßenwerder.</head>
+<p>In Heilingen, in der Glockenstraße, stand ein vortreffliches
+Weinhaus, in dem die wohlhabenderen Bürger Abends gewöhnlich
+zusammenkamen und ihr Fläschchen, aus denen auch
+oft zwei und drei wurden, tranken. Das Lokal war ziemlich
+gemütlich, und dem Zweck entsprechend, in eine Menge kleiner
+Zimmerchen abgetheilt, die theils durch wirkliche Thüren
+und Verschläge, theils durch Vorhänge von einander getrennt
+lagen, einzelnen Gesellschaften zu gestatten eben einzeln zu
+bleiben, und ihr Glas, ungestört von dem Nachbar, zu trinken.</p>
+
+<p>Das Haus hieß »der Pechkranz« nach einer alten Sage,
+die der Wirth sehr gern mit der Heilinger Chronik belegte, und
+die noch in dem dreißigjährigen Kriege spielte; ein, über der
+Eingangsthür in neuerer Zeit erst aus Stein gehauener Bachus,
+hielt auch in der einen Hand einen Tyrsusstab, und in der anderen
+einen Pechkranz, in höchst wunderlicher Weise Sage und<pb n="077" /><anchor id="Pg077" />
+Geschäft mit einander vereinigend. Die Allegorie war aber gar
+nicht so übel angebracht, und hätte sich auch schon ohne Tilly
+recht leidlich und genügend erklären lassen, denn Bachus hatte
+hier schon in der That in manchen Kopf seinen Pechkranz
+hineingeworfen, daß es lichterloh zum Dache hinausbrannte,
+ohne weiter eben größeren Schaden anzurichten, als der alte
+Pechkranz in damaliger Zeit angerichtet haben sollte.</p>
+
+<p>Der Wirth war übrigens nicht in Heilingen geboren und
+erzogen, sondern ein Rheinländer, der sich hier erst vor einigen
+Jahren niedergelassen, und durch gute Getränke auch bald gute
+und schlechte Kunden genug bekommen hatte. Seine Preise
+waren allerdings ein wenig theuer, »aber,« sagten die Heilinger,
+»wer einmal Wein trinkt, dem darf es auch nicht auf
+einen Groschen dabei ankommen, wenn er nur ächt und rein
+ist,« und Wirth und Gäste befanden sich wohl dabei.</p>
+
+<p>Es war am Abend des nämlichen Tages, an welchem ich
+meine Erzählung begann, als die Gäste, die den Tag über
+meist auf Spaziergängen im Freien gewesen waren, anfingen
+einzutreffen, und die Kellner geschäftig herüber und hinüber
+sprangen, Wein und Speisen den Hungrigen und Durstigen
+zu bringen. Die kleinen Räumlichkeiten füllten sich nach und
+nach, und selbst in dem großen Mittelsaal, der ungefähr das
+Centrum des Ganzen bildete, hatten sich schon hie und da einzelne
+Gruppen gebildet, oder auch einzelne Gäste saßen in
+irgend einer Ecke, ihre Flasche Wein vor sich, und auf eigene
+Hand, in ungeselliger Gemüthlosigkeit, langsam Glas nach
+Glas zu leeren. Es ist das aber nicht die rechte Art; zu einer
+<pb n="078" /><anchor id="Pg078" />schönen Landschaft und einer guten Flasche Wein gehören
+mindestens zwei Personen, um Beides recht und ordentlich zu
+genießen, die eine sich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">darüber</emph>, die andere sich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">dabei</emph> auszusprechen;
+wenn man allein ist, geht mehr als der halbe Genuß
+von Beiden verloren. Es giebt allerdings Menschen, die
+sich zufriedener fühlen wenn sie Alles allein genießen können,
+aber denen geh' aus dem Weg; es sind Hypochonder oder
+Schlimmere, und der einzige Dank, den Du ihnen schuldig bist
+ist dafür, daß sie sich eben auch von Dir zurückziehn. Nur
+wer Niemanden hat an den er sich anschließen darf, wer allein
+und freundlos in der Welt dasteht und das Leid das ihn
+drückt, allein tragen, die wenigen frohen Momente seines Lebens
+allein genießen muß, den bedauere und hilf ihm, wenn
+Du kannst, denn er ist der Unglücklichste von Allen.</p>
+
+<p>Es mochte neun Uhr Abends sein, als ein Bekannter
+von uns, der Kürschnermeister Kellmann, die Weinstube betrat
+und, sich überall umschauend, ob er nicht irgend einen Freund
+träfe zu dem er sich setzen könnte, in einer der Ecken eine bekannte
+Gestalt entdeckte. Aber er sah erst ein paar Secunden
+wirklich aufmerksam dorthin, ehe er seinen Augen traute, und
+sagte dann, auf Jenen losgehend und neben dem Tisch stehen
+bleibend:</p>
+
+<p>»Hallo, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Loßenwerder</emph>? Ihr hier im Pechkranz? na da
+möchte man doch, wie die Schwaben sagen, den Ofen einschlagen.
+Alle Wetter Mann und vor einer Flasche Rüdesheimer;
+nun das laß ich gelten und es freut mich wahrhaftig,
+daß Ihr endlich einmal aufthaut und unter Menschen kommt.<pb n="079" /><anchor id="Pg079" />
+Aber was ist denn heute los bei Euch? denn einen ganz besonderen
+Grund muß doch die Festlichkeit haben.«</p>
+
+<p>»Ha — ha — ha — hat sie auch He — he — he — he — herr
+Ke — ke — ke — kellmann,« sagte der kleine Mann verlegen
+lächelnd und sich etwas schüchtern dabei umschauend, denn es
+schien ihm nicht angenehm, die Aufmerksamkeit der übrigen
+Gäste so direkt auf sich gelenkt zu sehn.</p>
+
+<p>»Jetzt kann ich aber auch den Leuten widersprechen,« sagte
+Kellmann, seinen Hut und Stock an einen der nächsten Haken
+hängend und sich neben ihn setzend, »wenn sie behaupten Ihr
+tränkt nur Wasser, und Sonntags höchstens einmal ein Glas
+Dünnbier — ich kriege Leibschneiden, wenn ich nur an das
+Zeug denke — und sonst lebtet, als ob Ihr die Woche mit
+einem halben Thaler auskommen müßtet. Alle Wetter Mann,
+das ist recht, daß Ihr Euch auch manchmal ein Glas Rheinwein
+gönnt; das hält Leib und Seele zusammen, und stärkt die
+Nerven und Muskeln mehr wie Rindfleisch. Würde mir
+schwer ankommen, wenn ich unseren vaterländischen Wein entbehren
+müßte,« setzte er mit einem halbunterdrückten Seufzer
+hinzu.</p>
+
+<p>»Ha — ha — ha — haben Sie a — a — a — auch wohl
+ni — ni — nicht nö — nö — nö — nö — nö — nöthig, be — be — be — bester
+He — he — he — he — he — he.«</p>
+
+<p>»Ih nun wer weiß was Einem noch Alles bevorsteht,«
+unterbrach ihn Kellmann — »hier Kellner — mir auch eine
+Flasche von dem Rüdesheimer; der Duft hat mir Appetit
+gemacht.«</p>
+
+<p><pb n="080" /><anchor id="Pg080" />»Hallo Loßenwerder bei einer Flasche Rüdesheimer,« rief
+aber jetzt noch eine andere Stimme aus dem nächsten Stübchen,
+wo ein paar junge Kaufleute bei ihrem Glase zusammensaßen — »da
+müssen wir auch dabei sein; Loßenwerder hat vielleicht
+heute seinen splendiden Tag und traktirt — haben Sie
+was in der Lotterie gewonnen?«</p>
+
+<p>Die jungen Leute, die Kellmann und Loßenwerder begrüßten,
+kamen mit ihrer Flasche heraus, und setzten sich an
+denselben Tisch, mit dem immer verlegener werdenden kleinen
+Mann anstoßend und trinkend. Denen gesellten sich aber noch
+bald darauf Andre zu; Loßenwerder war in der ganzen Stadt
+bekannt und oft auch, seiner körperlichen Mängel wegen, zum
+Besten gehalten. Vertheidigen konnte er sich aber schon seines
+Stotterns wegen nicht, was den Gegnern gleich nur noch
+mehr Anlaß und Stoff gegeben hätte; so wurde denn diese
+freilich gezwungene Zurückhaltung endlich für Gutmütigkeit
+ausgelegt, mit der er sich Scherz und Stichelrede ruhig gefallen
+ließ, und was die schärfste Erwiderung nicht vermocht,
+erreichte er unfreiwillig dadurch, daß man es endlich müde
+wurde, den sich nicht Verteidigenden zum Besten zu haben,
+und ihn eben zufrieden ließ. Aber in des Verwachsenen Betragen
+änderte das Nichts; abgestoßen und verhöhnt — in
+nur sehr wenigen Ausnahmen — von Allen, mit denen er in
+Berührung kam, zog er sich mehr und mehr in sich selbst zurück,
+ging, außer den nöthigen Geschäftswegen und außer der Geschäftszeit,
+fast nirgends hin, und lebte so einfach, ja fast dürftig,
+wie nur ein Mensch leben kann, der eben <emph rend="letter-spacing: 0.20em">nur</emph> Geld ausgiebt,
+<pb n="081" /><anchor id="Pg081" />um zu existiren. In einem Weinkeller hatte ihn aber noch
+Niemand gesehn, und die Gäste dort, die überdies keinen weiteren
+Zweck da hatten als sich zu amüsiren, glaubten das
+einmal einen Abend mit dem kleinen »Stotterberg«, wie er
+spottweis, seines Stotterns und Höckers wegen genannt wurde,
+am Besten thun zu können.</p>
+
+<p>Im Anfang wollte sich Loßenwerder aber auf Nichts einlassen,
+ja machte sogar zwei oder drei, wenn gleich vergebliche
+Versuche, sich zu entfernen, denn von allen Seiten wurde er
+gehalten, und Jeder wollte und mußte mit ihm trinken. Nach
+und nach aber fing er an aufzuthauen; der ungewohnte kräftige
+Wein mochte ihm das Blut leichter und rascher durch die
+Adern jagen. Nun sollte er erzählen, aber das ging nicht, sein
+Stottern wurde, mit der schwereren Zunge, kaum verständlich,
+bis Einer, im Spott eben, auf den Gedanken kam, ihn
+zum Singen aufzufordern. Loßenwerder weigerte sich erst
+ganz verschämt; das aber kam den Anderen zu komisch vor,
+und mit Lachen und Toben, während ein paar schon Champagner
+bestellten, den Genuß würdig zu feiern, räusperte sich
+Loßenwerder plötzlich und stieg, von dem Wein erregt, und
+jetzt unter dem lauten Jubel der ihn umdrängenden Gäste, auf
+einen Stuhl.</p>
+
+<p rend="page-float: 'htb'; text-align: center">
+<figure url="images/illu003.jpg" rend="w50">
+<figDesc>Capitel 4</figDesc>
+</figure>
+</p>
+
+<p>Was aber, wie sich die Uebrigen gedacht, Spott und Scherz
+hatte werden sollen, das erstarb in athemlosem Schweigen,
+nur von leisen Ausrufungen des Staunens und der Bewunderung
+unterbrochen, als der kleine verkrüppelte Mensch, mit
+einer hellen, glockenreinen Stimme, und Tönen, die zum in<pb n="082" /><anchor id="Pg082" />nersten
+Herzen drangen, erst noch scheu, dann aber immer
+zuversichtlicher werdend, und wie von dem Inhalt des Liedes mit
+fortgerissen, dieses also begann:</p>
+
+<lg rend="margin-left: 2">
+<l>»Ich habe schon zu oft geschaut</l>
+<l>In Deiner Augen Glanz, Du Holde,</l>
+<l>Auf meine Kraft zu fest vertraut,</l>
+<l>Viel mehr, als ich vertrauen sollte.</l>
+</lg>
+<lg rend="margin-left: 2">
+<l>Doch nein, für Dich Geliebte sind</l>
+<l>Des Lebens schönste, reinste Blüthen,</l>
+<l>Von keinem Schmerz getrübt, bestimmt,</l>
+<l>Und was könnt' ich dafür Dir bieten?</l>
+</lg>
+<lg rend="margin-left: 2">
+<l>Nichts — gar Nichts, als ein treues Herz;</l>
+<l>Doch nimmer sollst Du es erfahren — </l>
+<l>Ich kann, wie früher, meinen Schmerz</l>
+<l>In tiefer, innerer Brust bewahren.</l>
+</lg>
+<lg rend="margin-left: 2">
+<l>Sei glücklich! — wenn auch ohne mich,</l>
+<l>Ich will Dich lieben, aber schweigen</l>
+<l>Und mein Gebet nur soll für Dich</l>
+<l>Empor, zum Thron des Höchsten steigen.</l>
+</lg>
+<lg rend="margin-left: 2">
+<l>Wenn dann mein Herz im Grabe liegt,</l>
+<l>Und austräumt seine stillen Leiden,</l>
+<l>Dann soll der Geist zum Himmel nicht</l>
+<l>Entfliehn, und zu der Seel'gen Freuden. — </l>
+</lg>
+<pb n="083" /><anchor id="Pg083" />
+<lg rend="margin-left: 2">
+<l>Ein schön'res Loos werd' ihm zu Theil,</l>
+<l>Umschwebend Dich in trüben Tagen,</l>
+<l>Soll er, zu Deinem Schutz und Heil,</l>
+<l>Selbst seiner Seligkeit entsagen.«</l>
+</lg>
+
+<p>Loßenwerder war ganz gerührt geworden beim Schluß
+des Liedes, und die Thränen standen ihm in den Augen; während
+sein wirklich häßliches Gesicht durch den Schmerz aber
+eher einen komischen als ernsten Ausdruck bekam, jubelte die
+Schaar jetzt um ihn her, die wirklich erst wieder Athem und
+Laut gewann, als der wundersame Zauber dieser Stimme
+von ihnen genommen war.</p>
+
+<p>»Bravo — bravo Loßenwerder — bravo dacapo! Donnerwetter
+Mann, Ihr habt ja eine Stimme wie eine Nachtigall,
+und stottert nicht die Probe dabei — wie am Schnürchen
+geht das!«</p>
+
+<p>»Es ist erstaunlich!« rief Kellmann, vor lauter Verwunderung
+über das eben Gehörte wirklich fast sprachlos.</p>
+
+<p>»Nun aber auch trinken — hier Loßenwerder — hier,«
+riefen sie, ihm das Glas bis zum Rand mit dem schäumenden
+Trank füllend, »und dann noch ein Lied; bei Gott, das
+zuckt und prickelt Einem ordentlich durch die Adern, und klingt
+wie Glockenton so rein und voll; Loßenwerder wo habt Ihr
+das Singen gelernt?«</p>
+
+<p>»Vo — vo — vo — vo — vo — von mi — mi — mir se — se — se — se — selb — bber,«
+stotterte der kleine Mann, kaum im Stande
+jetzt mit immer schwerer werdender Zunge nur die paar Worte
+<pb n="084" /><anchor id="Pg084" />vorzubringen, während ihm im Gesang die Strophen wie der
+Lerche das schmetternde Lied; aus der Kehle wirbelten.</p>
+
+<p>»Und da hat bis jetzt noch gar kein Mensch etwas davon
+erfahren,« rief Kellmann wieder — »behält die liebe Gottesgabe
+da ebenfalls für sich allein, kommt nirgends hin, spricht
+mit Niemand, trinkt und singt mit Niemand, und hat eine
+Stimme in der Luftröhre sitzen, die Einer, wer es darauf anzulegen
+verstände, in reines Gold verwandeln könnte.«</p>
+
+<p>Von allen Seiten tranken sie jetzt dem kleinen Mann
+zu, und überschütteten ihn mit Lob und Jubel, und dieser
+schwamm wirklich in einem wahren Meer von Wonne. So
+wohl war ihm auch noch nie geworden — Niemand hatte sich
+bis jetzt um ihn bekümmert, Jeder ihn verspottet und verhöhnt,
+und zum ersten Mal, vielleicht seit langen, langen Jahren,
+fühlte er sich unter Menschen einem Menschen gleich, wußte
+sich nicht mehr verachtet und unter die Füße getreten, und sah
+freundliche Augen um sich her, die ihn wie ihres Gleichen
+anschauten.</p>
+
+<p>Dem löste sich auch endlich seine Zunge, oder wenigstens
+sein guter Wille zu reden, so weit, daß er beginnen wollte Geschichten
+zu erzählen. Das ging aber unter keiner Bedingung;
+beim Singen ja, aber beim Sprechen brachte er kein Wort mehr
+über die Lippen, und selbst das Singen versagte ihm zuletzt
+den Dienst; die Augenlider wurden ihm schwer, er fing an zu
+lallen, und war eben zurück auf seinen Stuhl und dem Schlaf
+in die Arme gesunken, als die Thür aufging und zwei
+Gerichtsdiener in's Zimmer traten. Es war etwa elf Uhr<pb n="085" /><anchor id="Pg085" />
+Abends und die meisten Gäste, mit Ausnahme des einen
+Tisches, hatten das Haus schon verlassen.</p>
+
+<p>»Hallo was ist das?« sagte Herr Kellmann, der die beiden
+Leute zuerst bemerkte, »das ist wunderlicher Besuch — es
+wird doch nicht etwa eine Polizeistunde eingeführt in Heilingen?«</p>
+
+<p>Aber auch der Wirth war die »Diener der Gerechtigkeit«,
+wie sie meist etwas poetisch genannt werden, gewahr geworden
+und ging auf sie zu, sich zu erkundigen was sie hierher geführt.</p>
+
+<p>»Ein kleiner buckliger Mann soll hier heute Abend bei
+Ihnen sein,« sagte der Erste — »er ist aus dem Dollingerschen
+Geschäft.«</p>
+
+<p>»Dort sitzt er in der Ecke,« sagte der Wirth vom Pechkranz
+nach Loßenwerder hinüberzeigend, »hat er etwas verbrochen?«</p>
+
+<p>»Ich weiß nicht,« erwiederte der Zweite ziemlich kurz — »wir
+sollen ihn abholen.« — </p>
+
+<p>»Wird schwer sein,« meinte der Wirth — »sie haben
+ihm heute Abend hier ordentlich zugetrunken, und der Wein hat
+jetzt das Uebergewicht — wenn er aufsteht kippt er wieder um.«</p>
+
+<p>»Hm — da wird wohl auch nicht viel mit Fragen aus
+ihm herauszubringen sein, Meier; was meinst Du, nehmen
+wir ihn mit?«</p>
+
+<p>»Ich denke das Beste wird sein wir führen ihn zu Haus,
+und Einer bleibt bei ihm bis er morgen früh wieder zu Verstande
+kommt; jetzt ist doch Nichts mit ihm anzufangen.«</p>
+
+<p>»Aber um Gottes Willen was ist denn vorgefallen?«
+<pb n="086" /><anchor id="Pg086" />frug Kellmann bestürzt; »der arme Teufel hat doch nicht etwa
+irgend 'was verbrochen?«</p>
+
+<p>»Noch ist nichts Gewisses bekannt,« erwiederte der erste
+Polizeidiener, »nur bei Dollinger's ist heute Nachmittag eingebrochen,
+und die Untersuchung muß jetzt erst ergeben, wer
+schuldig sei.«</p>
+
+<p>»Bei Dollinger's eingebrochen?« riefen Mehrere, »heute
+Abend?«</p>
+
+<p>»Nein heute am hellen Tag,« sagte der Mann.</p>
+
+<p>»Alle Wetter das muß dann gewesen sein während sie
+nach dem rothen Drachen gefahren waren,« sagte Kellmann
+rasch — »sie kamen an uns vorbei mit dem jungen Henkel.«</p>
+
+<p>»In der Zeit war's,« bestätigte der Polizeidiener, »denn
+wie sie zu Hause kamen, wurde es entdeckt — hier da Loßenwerder — Sie
+da — wachen Sie auf.«</p>
+
+<p>»Ja wenn Sie den stoßen wollen bis er munter wird,«
+lachte Einer der jungen Leute, »da haben Sie Arbeit.«</p>
+
+<p>»Sie — Loßenwerder — hören Sie?«</p>
+
+<p>»Ja — ja« — stammelte der von dem ungewohnten
+Weine, von dem er eigentlich gar nicht so sehr viel getrunken,
+Betäubte — »me — me — me — mehr We — we — wein; ich za — za — za — zahle
+A — a — a — a — a — alles!«</p>
+
+<p>»So?« sagte der Polizeidiener ruhig — »nun für heute
+möcht' es doch wohl genug sein; komm, faß ihn da drüben
+unter den Arm, er wohnt ja auch nicht so sehr weit von hier — wo
+ist sein Hut?«</p>
+
+<p><pb n="087" /><anchor id="Pg087" />»Hier — armer Teufel, das wird ein böses Erwachen
+werden.«</p>
+
+<p>»Wie man sich bettet so schläft man,« sagte der zweite Polizeidiener,
+und den Betrunkenen in die Höhe richtend, der dabei
+unverständliche Sachen stammelte und sogar einen total misglückenden
+Versuch machte wieder zu singen, führten sie ihn
+hinaus und seiner Wohnung zu, indeß die Gäste noch das »für
+und wider« der Schuld des Mannes, von dem sie nie etwas
+Uebles gehört bei einer anderen Flasche besprachen.</p>
+
+<p>Und es <emph rend="letter-spacing: 0.20em">war</emph> ein böses Erwachen für den Mann; von
+dem Weindunst betäubt schlief er, wie ein Todter, bis zum
+lichten Tag, und als er die Augen aufschlug und ihm der
+Kopf schmerzte zum Zerspringen, fiel sein erster Blick auf den
+ungeduldig in seinem Zimmer auf und ab gehenden Polizeidiener,
+den er einen Moment bestürzt anstarrte, und dann die
+Augen wieder schloß, wie vor einem unangenehmen Traumbild.</p>
+
+<p>»Nun Loßenwerder, ausgeschlafen?« sagte der Mann
+aber, froh endlich einmal zu einem Resultat zu kommen — »das
+hat lange gedauert — kommen Sie, stehn Sie auf und
+ziehn Sie sich an.«</p>
+
+<p>Die Stimme war <emph rend="letter-spacing: 0.20em">kein</emph> Traum, und der kleine Mann
+richtete sich erschreckt von seinem Bett, auf dem er noch mit
+den Kleidern vom vorigen Abend lag, empor. Wo war er? — wie
+war er hierher gekommen? er drückte sich mit beiden Händen
+die Stirn und der klare Angstschweiß brach ihm aus über
+den ganzen Körper; er <emph rend="letter-spacing: 0.20em">wußte</emph> nicht mehr was gestern Alles
+geschehn, und die unheimliche finstere Gestalt vor ihm füllte
+<pb n="088" /><anchor id="Pg088" />sein Herz mit einer wilden Ahnung von Unheil, die alles Blut
+dorthin in jähem Strom zurücktrieb.</p>
+
+<p>Wie ein Schlag da hinein traf ihn die Nachricht von dem
+entdecktem Diebstahl, das Gefühl, daß der Verdacht auf ihm
+laste, und die nächste Stunde — während ein anderer Polizeibeamter
+bei ihm visitirte und man nichts weiter, als in einem
+Winkel seines kleinen Schreibtisches, unter dreifachem Schloß,
+ein Päckchen mit 200 Thalern in fünf und zwanzig Thaler
+Cassenanweisungen, wie noch einige Goldstücke fand, wie seine
+Abführung dann nach dem Dollingerschen Hause, da Herr
+Dollinger gebeten hatte den Mann, an dessen Schuld er nicht
+glauben wollte, erst einmal an Ort und Stelle selber zu befragen — lag
+wie ein Alp auf seiner Seele, unter dessen Last er
+auch kein Wort zu seiner Verteidigung zu sagen, ja nicht
+einmal eine an ihn gerichtete Frage zu beantworten vermochte.</p>
+
+<p>In dem Dollingerschen Hause angekommen, wurde er
+gleich in Herrn Dollinger's Zimmer hinaufgeführt, und der
+alte Herr ging, als Loßenwerder die Stube betrat, mit auf
+dem Rücken gekreuzten Händen in seinem Zimmer auf und ab.
+Der junge Henkel saß in der einen Ecke des Sophas, das
+rechte Knie über das linke geschlagen, mit einem Buch in der
+Hand, über das hin er aufmerksam den Gefangenen betrachtete.</p>
+
+<p>Loßenwerder war bleich wie ein Todter — jeder Blutstropfen
+hatte sein Antlitz verlassen, und bei dem Versuch den
+er zum Reden machte, kam kein Laut über seine Lippen.</p>
+
+<p>»Loßenwerder,« sagte Herr Dollinger endlich, nach einer
+kleinen Weile vor ihm stehen bleibend und ihn ernst, ja traurig
+<pb n="089" /><anchor id="Pg089" />betrachtend — »ein böser Mensch ist gestern, während unserer
+Abwesenheit, in unser Haus geschlichen und hat, außer einigen
+Juwelen, auch noch das Geld entwendet, das Du mir gestern
+Mittag gebracht und das ich, wie Du weißt, in den Secretair
+dort schloß. Warst Du während unserer Abwesenheit wieder
+im Haus und in dem Zimmer meiner Töchter?«</p>
+
+<p>»He — he — he — he — he — he — he — rr Do — Do — Do — Do.«</p>
+
+<p>»Schon gut Loßenwerder, Du bist jetzt aufgeregt und das
+Sprechen wird Dir schwer; beschränke Dich auf ein einfaches
+ja und nein.«</p>
+
+<p>»Ja — a — !«</p>
+
+<p>»In dem Zimmer meiner Töchter?«</p>
+
+<p>»J — a — a — a aber — i — i — i — i — ich wo — wo — wollte« — </p>
+
+<p>»Sie haben einen Blumentopf dort hineingesetzt?« sagte
+Herr Henkel jetzt ruhig.</p>
+
+<p>Das Blut stieg dem kleinen Mann rasch bis in die Schläfe
+hinauf, aber der nächste Moment ließ sein Antlitz wieder so
+weiß als vorher; er nickte nur, zur Betätigung des eben Gesagten,
+mit dem Kopf.</p>
+
+<p>»Loßenwerder,« sagte der Herr Dollinger mit leiser, bewegter
+Stimme und dicht zu dem kleinen Mann hinantretend,
+wobei er die Hand auf dessen Schulter legte, »Loßenwerder,
+noch gestern würde ich eben so leicht geglaubt haben, daß eines
+von meinen eigenen Kindern eines schlechten, unrechtlichen
+Streiches fähig wäre, bis mich leider die immer deutlicher
+<pb n="090" /><anchor id="Pg090" />sprechenden Thatsachen in meinem Glauben an Dich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">wankend</emph>
+gemacht haben.«</p>
+
+<p>»He — he — he — he — he — herr Do — Do — Do — Do — — Dollinger« — </p>
+
+<p>»Ich will Dir klar und einfach unseren ganzen Verdacht
+vorlegen,« sagte da der alte Herr, dem Angeklagten jedes unnütze
+Wort zu ersparen — »gestern, während unserer Abwesenheit,
+ist der Secretair meiner Töchter erbrochen und das
+Dir bekannte Geld entwendet worden — drüben über der
+Straße hat Dich ein Mädchen gesehn, wie Du heimlich aus
+dem Hause geschlichen bist. Ebenso bestätigt Wilhelm, der
+Stalljunge, Dich gesehn zu haben, wie Du hättest das Haus
+durch die nach dem Hofe zu führende Thür verlassen wollen,
+bei seinem Anblick aber, was selbst dem Jungen aufgefallen
+ist, zurückgefahren, und dann auch nicht über den Hof gekommen
+wärst. Das Stubenmädchen, die keine Ahnung davon
+haben konnte daß Geld in dem Secretair lag, ist bereit den
+schwersten Eid abzulegen, daß sie, wenige Minuten später,
+nachdem man Dich hatte aus dem Hause schleichen sehen, die
+Vorsaalthür nicht mehr aus den Augen gelassen, und gewiß
+wäre, daß Niemand die Schwelle mehr überschritten habe, bis
+sie den zurückkehrenden Wagen in den Hof einfahren gehört.
+Heimlich bist Du im Haus gerade in der Zeit, in welcher das
+Geld entwendet wurde, gewesen, und die gestrige Ausschweifung,
+die man an Dir nicht gewöhnt ist, wie die bei Dir gefundene
+Summe, lassen allerdings das Schlimmste fürchten.
+Loßenwerder — ich brauche Dir nicht zu sagen, wie weh — wie
+<pb n="091" /><anchor id="Pg091" />weh mir das gerade von <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Dir</emph> thut, und ich wollte die
+doppelte Summe, so bedeutend sie ist, gern verschmerzen, wenn
+es <emph rend="letter-spacing: 0.20em">nicht</emph> geschehen wäre. Mache aber jetzt Deinen Fehler,
+wenigstens so weit das noch in Deinen Kräften steht, wieder
+gut; gestehe was Du mit dem übrigen Gelde gemacht, wo Du
+es verborgen hast, und ich selber will dann auch Alles thun
+was in meinen Kräften steht, Deine Strafe zu erleichtern. Ein
+anderer Welttheil mag Dir nachher in späterer Zeit Gelegenheit
+geben Deinen Fehltritt zu bereuen, und das wieder zu
+werden, für was ich Dich, selbst bis diesen Morgen noch,
+gehalten habe.«</p>
+
+<p>Loßenwerder hatte während dieser Auseinandersetzung
+wie aus Stein gehauen vor seinem Prinzipale gestanden,
+nur das Zittern seiner Glieder verrieth daß er lebe; jetzt aber
+brach er in die Knie, und zum ersten Mal vielleicht mit
+dem vollen Bewußtsein der gegen ihn erhobenen Anklage — oder
+auch von Schuld und Angst zu Boden gedrückt, denn
+wer konnte in den stieren, überdies nicht geraden Augen und
+in den todtenbleichen, mit großen Schweißperlen bedeckten Zügen
+das richtige lesen — umfaßte er die Knie des alten Herrn
+und bat mit wild stotternder Stimme, aus der dieser nur mit
+äußerster Anstrengung einen Sinn herausfinden mußte — ihn
+nicht unglücklich zu machen — Nichts so Schreckliches von
+ihm zu denken.</p>
+
+<p>»Ein aufrichtiges Geständniß, Loßenwerder,« entgegnete
+darauf Herr Dollinger, »ist das Einzige, was Deine Schuld
+jetzt noch in etwas erleichtern kann. Das Gericht wird einen
+<pb n="092" /><anchor id="Pg092" />unbewachten Augenblick, dem die Reue auf dem Fuße folgt,
+nicht so schwer strafen, wie den hartnäckigen Uebelthäter.</p>
+
+<p>»A — a — a — a — a — aber ich bi — bi — bin ni — ni — ni — nicht
+schu — schu — schu — schuldig,« — stotterte der Unglückliche — »ich
+we — we — we — we — weiß vo — vo — vo — von
+Ni — ni — ni — nichts — «</p>
+
+<p>»Du weißt von Nichts, Loßenwerder?« sagte Herr Dollinger
+leise mit dem Kopf schüttelnd — »und woher ist das
+Geld das man bei Dir gefunden, woher die Fünfundzwanzig
+Thaler-Note, die Du locker in der Tasche getragen, und die
+Dir der Polizeidiener gestern Abend noch herausgenommen hat?«</p>
+
+<p>»Ge — spa — pa — pa — pa — partes Geld — e — e — e — e — e — ehrlich
+ge — ge — gespartes G — g — g — geld!« stammelte der
+arme Teufel.</p>
+
+<p>Herr Henkel stand jetzt auf und ging langsam auf Herr
+Dollinger zu, dem er ein paar Worte in's Ohr flüsterte und
+dann, während dieser leise und traurig mit dem Kopf nickte,
+das Zimmer verließ. Loßenwerder aber, der ihm ängstlich mit
+den Augen folgte und vielleicht in einer unbestimmten Ahnung
+fühlte daß man ihn fortführen — in ein Gefängniß bringen
+werde, ergriff wieder und jetzt aber wie in Todesangst des
+alten Mannes Hand, und bat ihn um Gottes — um seiner
+Seligkeit willen, soweit es ihm die, jetzt in der Aufregung nur
+noch mehr fehlende Sprache immer gestattete, daß er ihm nur
+das nicht anthun — daß er ihn in kein Gefängniß möge
+führen lassen. Herr Dollinger erklärte aber natürlich darin
+Nichts thun zu können, denn wenn er Nichts gestehen wolle
+<pb n="093" /><anchor id="Pg093" />oder zu gestehen habe, so müsse allerdings das Gericht, bei so
+stark vorliegendem Verdacht, die Untersuchung aufnehmen, wonach
+sich bald seine Schuld oder Unschuld herausstellen würde.</p>
+
+<p>»Hab' ich aber einmal erst auf solchen Verdacht gesessen,«
+stotterte der Unglückliche, »so bin ich gebrandmarkt mein Lebelang« — </p>
+
+<p>Herr Dollinger zuckte die Achseln, und die Thür öffnete
+sich in diesem Augenblick, den einen Polizeidiener zeigend, der
+Loßenwerder leise auf die Achsel klopfte und freundlich sagte:</p>
+
+<p>»Wenn's gefällig wäre.«</p>
+
+<p>Loßenwerder zuckte zusammen als ob er einen Schlag
+bekommen, und wandte sich noch einmal, wie Hülfe suchend,
+an Herrn Dollinger, aber ein Blick auf diesen überzeugte ihn,
+daß er schon nicht mehr helfen könne, wo das Gericht die
+Sache in die Hand genommen, und sein Gesicht in den Händen
+bergend, folgte er dem Gerichtsdiener fast willenlos
+hinaus.</p>
+
+<p>Gerade als er durch die Thür schritt begegnete ihm, noch
+auf der Schwelle, Frau Dollinger, und rasch bei Seite
+tretend, als ob sie selbst durch seine Berührung angesteckt zu
+werden fürchte, warf sie ihm einen zornigen, verächtlichen
+Blick zu und ging an ihm vorüber.</p>
+
+<p>Loßenwerder seufzte tief auf, sagte aber kein Wort, denn
+wie er den Kopf hob, sah er am andern Ende des Vorsaals
+Clara mit dem jungen Henkel in eifrigem Gespräch, und auch
+dort mußte er vorbei. Das war zu viel und wie unschlüssig
+<pb n="094" /><anchor id="Pg094" />blieb er stehn und sah sich um, als ob er einen Weg zur Flucht
+suche.</p>
+
+<p>»Na kommen Sie, Loßenwerder, machen Sie keine Dummheiten,«
+sagte aber, ihm ermunternd auf die Schulter klopfend,
+der Polizeidiener — »es ist Alles ein Uebergang, wie der Fuchs
+sagte, als sie ihm das Fell über die Ohren zogen.«</p>
+
+<p>Loßenwerder nahm sich zusammen und schritt festen
+Trittes an dem jungen Mädchen vorüber, das ihn mitleidig
+betrachtete.</p>
+
+<p>»Etwas über zweihundert Thaler hat man schon bei
+ihm gefunden,« flüsterte der junge Henkel ihr leise zu — »ich
+hoffe daß Vater Dollinger das andere auch noch wieder bekommen
+soll.«</p>
+
+<p>»Ach Loßenwerder, warum habt Ihr das gethan?« sagte
+Clara, leise und mitleidig den Gefangenen ansehend, als er an
+ihr vorüberging.</p>
+
+<p>»U — u — u — und Si — si — si — si — sie g — g — g — glau — ben
+d — d — das a — a — a — a — auch?« rief Loßenwerder und
+die großen hellen Thränen standen ihm dabei in den Augen,
+aber der Polizeidiener hatte sich schon länger mit ihm aufgehalten,
+als er meinte verantworten zu dürfen, nahm ihn leise
+an der Hand und führte ihn die Treppe hinunter. Loßenwerder
+folgte ihm wie in einem Traum.</p>
+
+<p>Das Polizeigebäude war nur höchstens fünfhundert Schritt
+von dort entfernt, und stand an der andern Seite einer kleinen
+steinernen Brücke die über den, mitten durch die Stadt und
+häufig überbrückten kleinen Fluß führte. Als sie hinunter auf
+<pb n="095" /><anchor id="Pg095" />die Straße kamen, ließ der Polizeidiener seinen Gefangenen
+los, kein Aufsehn zu erregen, und flüsterte ihm zu nur ruhig
+neben ihm hinzugehn. Loßenwerder verstand ihn wohl gar
+nicht, denn er sah verstört zu ihm auf, und dann um sich her,
+und fand die Augen der Vorübergehenden alle neugierig auf
+sich geheftet; sich aber doch, wenn auch nur dunkel, des Zwanges
+bewußt der auf ihm lag, nahm er sein Taschentuch heraus,
+trocknete sich die feuchte Stirn damit ab, und ging mit krampfhaft
+zusammenengebissenen Zähnen neben seinem Wächter her.
+So erreichten sie die Brücke, wo vier oder fünf Jungen standen,
+die neugierig die Ankommenden betrachteten; Loßenwerder's
+Blick schweifte über sie hin, aber er sah sie nicht, bis er dicht
+bei ihnen war und einer derselben spottend rief:</p>
+
+<p>»Hoho, hoho — Stotterberg hat gestohlen, Stotterberg hat
+gestohlen!«</p>
+
+<p>Die Anderen stimmten lachend mit in den Ruf ein, und
+der Polizeidiener drehte sich ärgerlich und drohend gegen die
+Buben um, die scheu auseinander stoben; Loßenwerder aber
+fuhr sich mit beiden Händen krampfhaft gegen die Stirn —
+»hat gestohlen!« schrie er dabei, ohne zu stottern, mit gellendem
+wilden Schrei, und ehe sein Wächter es verhindern konnte,
+ja nur eine Ahnung davon hatte, warf er sich mit einem verzweifelten
+Sprung, über die niedere Ballustrade hin in den unten
+vorbeilaufenden Strom. Noch über dem Geländer erfaßte
+ihn der Polizeidiener an einem Rockzipfel, das Gewicht des
+niederfallenden Körpers war aber zu groß, als daß er es mit
+einer Hand hätte aufhalten können, ja er mußte sogar loslassen,
+<pb n="096" /><anchor id="Pg096" />nicht selber das Gleichgewicht zu verlieren, und der Unglückliche
+schlug gleich darauf auf das Wasser, unter dessen Oberfläche
+er im nächsten Augenblick verschwand.</p>
+
+<p>Der Fluß war indeß hier weder breit noch tief, und auf
+der ziemlich belebten Straße fanden sich gleich mehre Leute, die
+unterhalb der Brücke in's Wasser sprangen, das ihnen etwa
+bis unter die Arme reichte, den niedertreibenden Körper aufzufangen.
+Sie hatten ihn auch bald erreicht und gefaßt, und
+von kräftigen Armen wurde derselbe an die Oberfläche gehoben
+und zum Ufer gezogen. Wenn ihm jedoch auch das Wasser
+selber noch nichts geschadet hatte, war der Unglückliche doch
+durch den Sturz, in dem er wahrscheinlich durch das Zurückhalten
+seines Rockes gegen einen der Brückenpfeiler geworfen
+worden, schwer am Kopf verletzt — die Wunde blutete stark,
+und die Männer trugen den Bewußtlosen zuerst auf die Polizei,
+und von dort, auf den Ausspruch eines rasch herbeigerufenen
+Arztes, in die Charité.</p>
+</div>
+<div rend="page-break-before: always"><pb n="097" /><anchor id="Pg097" />
+<index index="toc" level1="Die Auswanderungs-Agentur" />
+<index index="pdf" level1="Die Auswanderungs-Agentur" />
+<index index="pdb" level1="Ausw.-Agentur" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 5.</head>
+<head rend="text-align: center">Die Auswanderungs-Agentur.</head>
+<p>Am Marktplatz zu Heilingen, und an der Ecke eines kleinen,
+auf diesen auslaufenden Gäßchens, stand ein ziemlich
+großes, grün gemaltes und gewiß sehr altes Erkerhaus, dessen
+Giebel und Stützbalken geschnitzt, und mit wunderlichen Köpfen
+und Gesichtern verziert, und braun angestrichen waren, und
+sich so weit dabei nach vorn überneigten, daß es ordentlich
+aussah, als ob der ganze Bau mit dem spitzen, wettergrauen
+Dach nächstens einmal ohne weitere Meldung nach vorn über,
+und gerade mitten zwischen die Töpfer und Fleischer hineinspringen
+würde, die an Markttagen dort unten ihre Waare
+feil hielten.</p>
+
+<p>Nichtsdestoweniger wurde es noch immer, bis fast unter
+das Dach hinauf bewohnt, und der untere Theil desselben ganz
+besonders zu kleinen Waarenständen und Läden benutzt. Die
+Ecke desselben nun, hatte seit langen Jahren ein Kaufmann
+<pb n="098" /><anchor id="Pg098" />oder Krämer in Besitz, der sich zu seinen Materialwaaren,
+Kaffee, Zucker, Tabak, Lichten, Grütze &amp;c. auch noch in der letzten
+Zeit die Agentur mehrer Bremer und Hamburger Schiffsmakler
+zu verschaffen gewußt, und damit bald in einer Zeit,
+wo die Auswanderungslust so überhand nahm, solch brillante
+Geschäfte machte, daß er die Materialwaarenhandlung seiner
+Frau, wie seinem ältesten Sohn übertrug, und für sich selber
+nur ein kleines Stübchen, ebenfalls nach dem Markt hinaus,
+behielt, über dessen Thüre ein riesiges, sehr buntgemaltes
+Schild jetzt prangte. Dies Schild verdient übrigens mit
+einigen Worten beschrieben zu werden, da die Heilinger
+in den ersten Tagen — als es eben erst aufgehangen worden — in
+wirklichen Schaaren davor stehen blieben und es
+anstaunten.</p>
+
+<p>Es war ein breites, länglich viereckiges Gemälde, ein
+großes, dreimastiges Schiff vorstellend, wie es sich unter vollen
+Segeln der fremden, ersehnten Küste näherte. Die See selber
+war hellgrün gemalt, mit einer Unmasse von sichtbar darin
+herumschwimmenden Fischen, die den Beschauer wirklich etwas
+besorgt um die Sicherheit des Fahrzeugs selber machen konnten.
+Dessen wackerer Kiel schäumte aber mitten hindurch, und der,
+dem Anschein nach vollkommen runde, nur nach hinten zu etwas
+länglich auslaufende Rumpf, preßte eine große grün und
+weiß gestreifte Welle vorne auf, die sich wie eine breite Falte
+quer vor seinen Bug legte. Die Segel standen dazu fast ein
+wenig zu sackartig, und nur an den vier Zipfeln festgehalten,
+stramm und steif von den Raaen ab, und die langen blut<pb n="099" /><anchor id="Pg099" />rothen
+Wimpel mit roth und weißer Bremer Flagge hinten an
+der Gaffel, strömten und flatterten lustig nach hinten aus,
+wahrscheinlich den raschen Durchgang des Schiffes durch das
+Wasser anzuzeigen, das derart, durch den Wind getrieben, selbst
+diesen überflügelte. Ueber Deck war aber auch die Mannschaft,
+und Kopf an Kopf eine volle Reihe bunter Passagiere sichtbar,
+mit sehr dicken rothen Gesichtern, die Gesundheit an Bord
+des Schiffes bestätigend, und mit sehr hellgelben und sehr
+breiträndigen, rothbebänderten Strohhüten auf, während hinten
+auf Deck der Capitain des Schiffes mit einem dreieckigen Hut,
+wie einem Fernglas in der einen und einem Dreizack in der
+andern Hand stand. Was der Maler mit dem Dreizack andeuten
+wollte weiß nur er und Gott; er müßte denn gemeint
+haben daß der Capitain, wie früher Neptun, das Meer beherrsche.
+Uebrigens war es auch möglich daß er fischen wolle,
+und sich mit dem Fernrohr nur eben den stärksten und fettesten
+der ihn reichlich umschwimmenden Fische ausgesucht habe.</p>
+
+<p>Den Hintergrund dieses prachtvollen Seestücks bildete
+ein schmaler Streifen mit einzelnen Palmen bedeckter Küste, an
+der eine Anzahl pechschwarzer, nackter Männer standen, die
+nur einen gelb und blauen Schurz um die Hüfte und einen
+grünen Busch in der Hand trugen. — Diese sahen übrigens
+gerade so aus, als ob sie die Ankunft des Schiffes schon sehnsüchtig
+und vielleicht sehr lange Zeit erhofft hätten, und nun
+die Zeit nicht erwarten könnten daß die Fremden an Land
+stiegen, damit sie geschwind für sie arbeiten, und ihnen den
+Boden urbar machen dürften.</p>
+
+<p><pb n="100" /><anchor id="Pg100" />Neben dem Bild, und zu beiden Seiten der Thür, wie
+sogar noch an dem innern Theile des Fensterschalters, hingen
+lange Listen der verschiedenen anzupreisenden Plätze für Auswanderung.
+Obenan New-York, Philadelphia und Boston,
+dann Quebeck und New-Orleans, Galveston; in Brasilien, Rio
+de Janeiro und Rio Grande; in Australien Adelaide, dann
+Chile, Valdivia und Valparaiso, und Buenos Ayres mit einer
+Menge neu entdeckter verschiedener Kolonien und Ansiedlungen,
+wohin überall die besten kupferfesten Schiffe A¹, in unglaublich
+kurzer Zeit und mit Allem versehen ausliefen, was dem
+glücklichen Passagier das Leben an Bord eines solchen Schiffes
+nur in der That zu einer Vergnügungsfahrt machen müsse
+und würde.</p>
+
+<p>Weigel, wie der Eigentümer dieser »ausländischen Versorgungsanstalt«
+(ein Spottname den die Heilinger der Weigelschen
+Agentur gaben) hieß, war ein dicker, vollgenährt und
+blühend aussehender Mann, ungefähr sechs bis achtunddreißig
+Jahr alt, mit ein wenig fest umgeschnürter Cravatte, was seinen
+Augen etwas Stieres gab, und sonst einem leisen Anflug
+von Grau in den sonst braunen, widerspenstigen Haaren. Die
+Augen waren groß, blau und ziemlich ausdruckslos; ein
+fast mitleidiges Lächeln aber, das oft, und besonders dann
+wenn er irgend Jemandes Meinung bestritt, um seine Mundwinkel
+spielte, gab dem Ausdruck seiner Züge jene scheinbare
+Ueberlegenheit, die sich zuversichtliche Menschen oft über Andere,
+wenn mann es ihnen gestattet, anzumaßen wissen. Ganz vorzüglich
+wußte er diese Miene anzunehmen, wenn er über<pb n="101" /><anchor id="Pg101" />
+Amerika, oder irgend einen überseeischen Fleck Landes sprach,
+über dem für ihn ein gewisser heiliger und unantastbarer Zauber
+schwamm, und Jemand dann irgend einen Zweifel gegen
+das Gesagte zu hegen wagte. Er schwärmte besonders für
+Amerika, und es gab deshalb auch, seiner Aussage nach, keinen
+größeren Lügner in der Stadt, als den Redacteur des Tageblatts,
+den Advokaten und Doctor Hayde in Heilingen. Dieser
+und er waren denn auch, wie das sich leicht denken läßt, grimme
+und erbitterte Feinde und Gegner, woselbst sich nur irgend eine
+Gelegenheit dazu fand.</p>
+
+<p>Weigel bekam, wie das gewöhnlich bei den Agenturen der
+Schiffsbeförderung üblich und der Fall ist, für jede Person
+die er einem Bremer oder Hamburger Rheder sicher an Bord
+lieferte, einen Thaler, kurzweg genannt »für den Kopf« und
+er theilte deshalb die Leute — seine Mitbürger sowohl wie
+sämmtliche übrige Bewohner Deutschland's, in solche ein »die
+Energie hatten,« d.&nbsp;h. zu ihm kamen und sich bei ihm einen
+»Platz nach Amerika« besorgen ließen, wo sie nachher drüben
+selber sehn konnten wie sie fertig wurden, und in solche, die
+»im alten Schlendrian hinkrochen, und hier lieber verfaulten,
+ehe sie einen männlichen entscheidenden Schritt thaten, ihrer
+Existenz auf die Beine zu helfen.« Jeder der hier blieb betrog
+ihn aber wissentlich und mit kaltem Blut um seinen, ihm
+in ehrlichem Verdienst zustehenden Thaler, und es verstand sich
+von selbst, daß er vor einem solchen Menschen keine Achtung
+haben konnte.</p>
+
+<p>Er selber kannte die Verhältnisse Amerika's nur aus<pb n="102" /><anchor id="Pg102" />
+Büchern die das Land lobten, denn andere las er gar nicht,
+und bekam er sie einmal zufällig in die Hand, so warf er sie
+auch gewiß mit einem Kernfluch über den »nichtswürdigen
+Literaten, der wieder einmal einen ganzen Band voll Lügen
+zusammengeschmiert« in die Ecke. Sein größter Aerger war
+aber jedenfalls — und so regelmäßig wie die Uhr Morgens
+acht schlug — das Tageblatt, das er der häufigen Annoncen
+wegen halten <emph rend="letter-spacing: 0.20em">mußte</emph>, und das ebenso regelmäßig kleine gehässige
+und schmutzige Artikel gegen Amerika wie überhaupt
+gegen Alles brachte, was sich frei und selbstständig bewegte.</p>
+
+<p>Zehnmal hatte er sich schon vorgenommen den »kleinen erbärmlichen
+Doctor« zu prügeln, und sehr vielen Leuten würde
+er dadurch ein großes Vergnügen bereitet haben; aber er unterließ
+es doch jedesmal auch wieder, wenn sich ihm gleich oft genug die
+Gelegenheit dazu bot; Beide mußten jedenfalls schon einmal
+früher etwas mit einander gehabt haben, vielleicht mehr von
+einander wissen als Beiden zuträglich war, und ein solcher
+Bruch wäre da nicht räthlich gewesen.</p>
+
+<p>Sonst lebte Weigel still, und anscheinend als ein vollkommen
+guter und achtbarer Bürger, vor sich hin, aber im
+Stillen wirkte und wühlte er seinem Ziel entgegen, und richtete
+in der That viel Unheil an. Seine Beschreibungen
+Amerika's, die er sich selber in kleinen Brochüren aus anderen
+Büchern zusammentrug, und um ein Billiges verkaufte, waren
+ein langsames Gift, das er in manche friedliche und glückliche
+Familie warf, ein Saatkorn das dort wucherte und Wurzel
+schlug, und während es die Leser anreizte nur gleich ohne wei<pb n="103" /><anchor id="Pg103" />teres
+ihr Bündel zu schnüren und jenen herrlichen Länderstrichen
+zuzueilen, wo von da an ihr Leben nur einem murmelnden
+Bache gleichen würde, der zwischen Blumen dahin
+fließt, füllte er ihre Köpfe mit falschen Ideen und Begriffen
+von dem Land, das ihre neue Heimath werden sollte, und
+machte viele, viele Menschen unglücklich. In der neuen Heimath
+dann angekommen, die ihnen, mit mäßigen Ansprüchen,
+wirklich Manches geboten haben würde was ihre Lage, im
+Vergleich mit dem alten Vaterland gebessert haben könnte,
+fanden sie sich jetzt plötzlich in all den wilden extravaganten
+Ideen, die sie durch solche Lectüre eingesogen, enttäuscht,
+fanden die Hoffnungen nicht realisirt, die man ihnen gemacht,
+hielten sich für schlecht behandelt und unglücklich, und verfielen
+nun oft in das Extrem trostloser und eben so unbegründeter
+Verzweiflung, wobei sie den Mann verwünschten, der sie hierverlockt,
+und sie verleitet hatte, Heimath und eigenen Heerd zu
+verlassen, einem Phantom zu folgen. Weigel aber hatte seinen
+Thaler für den richtig abgelieferten »Kopf« bekommen,
+und dachte schon gar nicht mehr an die früher Beförderten, die
+seiner Meinung nach jetzt in einem Meer von Behagen schwammen
+und »unter Palmen wandelten.«</p>
+
+<p>Herr Weigel war allein in seinem kleinen Bureau, einem
+niederen, etwas dumpfen und nicht überhellen Stübchen, dessen
+eines breites Fenster mit durch Zeit und Rauch arg mitgenommenen
+Gardinen verziert war, während die Wände durch
+Karten und statistische Tabellen-Anzeigen von Schiffen und
+Gasthäusern, Plänen von neuangelegten Städten oder zu ver<pb n="104" /><anchor id="Pg104" />kaufenden
+Farmen fast völlig bedeckt hingen. Er saß an einem
+hohen, ziemlich breiten Pult, das einen mächtigen Kamm von
+Gefachen und Schiebladen trug und las, mit einer Tasse Kaffee
+neben sich, eben seinen täglichen Aerger, das Tageblatt, als
+es an die Thür klopfte, und auf sein lautes »Herein« ein
+junger, sehr anständig, aber trotzdem etwas ärmlich gekleideter
+Mann das Zimmer betrat.</p>
+
+<p>»Herr Weigel?« sagte der Fremde mit einer leichten Verbeugung.</p>
+
+<p>»Bitte — ja wohl,« sagte Herr Weigel, seine Brille rasch
+in die Höhe schiebend und auf seinem Drehstuhl herumfahrend,
+seinen Besuch besser in's Auge zu fassen — »womit kann ich
+Ihnen dienen?«</p>
+
+<p>»Sie befördern Passagiere nach Amerika?«</p>
+
+<p>»Nach Amerika? — denke so, hehehe,« lachte Herr Weigel,
+sich vergnügt die Händ reibend, »habe schon ganze Colonien
+hinüber geschafft, Männer und Frauen, Weiber und
+Kinder; sitzen jetzt drüben in der Wolle und schreiben einen
+Brief über den andern an mich, wie gut es ihnen geht — da
+nur den einen hier, den ich vor ein paar Tagen bekommen
+habe — der Mann ist blos mit zwei tausend Dollarn hinübergegangen
+und hat schon eine eigene Farm, achtzig Acker Land,
+vierundzwanzig Stück Rindvieh, einige sechzig Schweine, fünf
+Pferde und will jetzt eine Schäferei anlegen — schreibt an
+mich ich soll ihm einen Schäfer hinüber schicken, aber einen
+der die Sache aus dem Grund versteht, kommt ihm auf ein
+<pb n="105" /><anchor id="Pg105" />paar Dollar Lohn nicht dabei an — bitte lesen Sie einmal
+den Brief.«</p>
+
+<p>»Sie sind sehr freundlich Herr Weigel,« sagte der junge
+Fremde mit einem verlegenen wie schmerzhaften Zug um den
+Mund — »aber der Brief würde gerade nicht maßgebend für
+mich sein, da ich mich gegenwärtig nicht in den Verhältnissen
+befinde, gleich einen Platz zu <emph rend="letter-spacing: 0.20em">kaufen</emph>. Sind die Passagierpreise
+jetzt theuer?«</p>
+
+<p>»Theuer? spottbillig,« lachte Herr Weigel, den Brief
+offen wieder zurück auf sein Pult, und seine Brille darauf
+legend, ihn zu weiterem Gebrauch bereit zu haben; »spottbillig
+sag' ich Ihnen, man könnte wahrhaftig auf dem festen Land
+nicht einmal dafür leben — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">so</emph> nicht; und unter uns — ich
+weiß wahrhaftig nicht wie die Leute dabei auskommen, aber
+es muß eben die rasende <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Menge</emph> von Passagieren machen,
+die sie jetzt wöchentlich, ja fast täglich hinüber spediren. Es
+ist fabelhaft was jetzt für Menschen auswandern; auf einmal
+werden sie Alle gescheidt, und merken endlich was sie hier haben,
+und was sie dort erwartet — ist doch ein famoses Land, das
+Amerika.«</p>
+
+<p>Und wie viel beträgt die Passage nach dem <emph rend="letter-spacing: 0.20em">nächsten</emph>
+Hafen der Vereinigten Staaten, wenn ich fragen darf, für — für
+eine erwachsene Person und ein Kind?«</p>
+
+<p>»<foreign rend="font-style: italic">Nächsten</foreign> Hafen? — hehehe, fürchten sich wohl vor der
+Seekrankheit? lieber Gott, daran gewöhnt man sich bald; ist
+auch gar nicht so arg wie's eigentlich gemacht wird. Der Mensch,
+der Doctor Hayde hier im Tageblatt, hat neulich einen Ar<pb n="106" /><anchor id="Pg106" />tikel
+über die Seekrankheit gebracht den er wahrscheinlich
+auch selber geschrieben, und wonach Einem gleich ach und weh
+zu Muthe werden müßte; der ist aber nur dazu bezweckt den
+Leuten das Auswandern zu verleiden. Sie möchten sie gern hier
+behalten, damit sie sie nur recht ordentlich plagen und schinden
+können, weiter Nichts; davor braucht sich kein Mensch zu
+fürchten.«</p>
+
+<p>»Sie wollten mir aber den <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Preis</emph> der Passage nennen.«</p>
+
+<p>»Den Preis? — ja so — warten Sie einmal« — sein
+Blick fiel auf die Glacéhandschuhe und die schneeweiße Wäsche
+des Fremden, dessen etwas abgetragene Kleider er in dem halbdunklen
+Raum nicht so leicht erkennen konnte, oder auch übersah — »der
+Preis — Dampfschiff oder Segelschiff?«</p>
+
+<p>»Segelschiff.«</p>
+
+<p>»Segelschiff — wird — sein — Preis in erster Cajüte
+vier und achtzig Thaler Gold.«</p>
+
+<p>»Und die — die billigeren Plätze?«</p>
+
+<p>»Billigeren Plätze — zweite Cajüte oder Steerage fünfundsechzig
+Thaler Gold — «</p>
+
+<p>»Und Zwischendeck?« sagte der Fremde leise und verlegen.</p>
+
+<p>»Zwischendeck würde ich Ihnen nicht rathen,« meinte
+Herr Weigel, seine Brille jetzt abwischend und wieder aufsetzend;
+»besonders wenn man eine Frau und ein Kind bei sich
+hat und es nur irgend ermachen kann, sollte man nie Zwischendeck
+gehn, man ruinirt sich's und den Seinigen an der Gesundheit
+herunter, was die paar Thaler mehr kosten.«</p>
+
+<p><pb n="107" /><anchor id="Pg107" />»Aber Sie können mir wohl den Preis des Zwischendecks
+sagen?«</p>
+
+<p>»Ja wohl, mit dem größten Vergnügen — Zwischendeck
+nach New-York kostet — warten Sie einmal, ich habe ja
+hier die letzten Briefe von meinen Häusern. Zwischendeck nach
+New-York kostet vierundvierzig Thaler Gold.«</p>
+
+<p>»Vierundvierzig Thaler?«</p>
+
+<p>»Ja es ist seit ein paar Tagen erst wieder um vier Thaler
+aufgeschlagen, weil die Leute eben nicht Schiffe genug anschaffen
+können für die Auswanderer. Ist fabelhaft was besonders
+dieses Jahr für Leute übersiedeln. Soll ich Sie
+vielleicht einschreiben? es trifft sich jetzt gerade glücklich, denn
+am 15ten geht ein ganz vortreffliches Schiff ab, die <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Diana</emph>,
+Dreimaster, gut gekupfert, mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten
+versehn und einem Capitain, ich sage Ihnen ein
+wahrer Schentelmann, wie er sich gerade nicht immer auf den
+Schiffen findet.«</p>
+
+<p>»Ich danke Ihnen für jetzt noch bestens, lieber Herr
+Weigel,« sagte der junge Mann — »ich muß doch nun erst
+mit meiner Frau Rücksprache über dieß nehmen, denn erst seit
+gestern ist mir die Idee überhaupt gekommen auszuwandern;
+aber — noch eine Bitte hätte ich an Sie,« und er drehte dabei
+den Hut den er in der Hand hielt, fast wie verlegen zwischen
+den Fingern — «</p>
+
+<p>»Ja? womit könnte ich Ihnen dienen?« frug Herr Weigel.</p>
+
+<p>»Könnten Sie mir wohl sagen, ob die Capitaine der
+Segelschiffe — ich habe einmal irgendwo gelesen daß das
+<pb n="108" /><anchor id="Pg108" />manchmal geschähe — auch Leute — Passagiere mitnähmen,
+die unterwegs ihre Passage — abarbeiten dürften und also — auch
+keine Ueberfahrt zu bezahlen brauchten?«</p>
+
+<p>»Keine Passage zahlen?« sagte Herr Weigel, die Lippen
+vordrückend und die Augenbrauen in die Höhe ziehend, während
+er langsam und halb lächelnd mit dem Kopfe schüttelte — »keine
+Passage bezahlen? — ne lieber Herr — ja so wie heißen
+Sie denn gleich — «</p>
+
+<p>»Eltrich,« sagte der junge Mann etwas zögernd — </p>
+
+<p>»So? — ne mein lieber Herr Eltrich, davon steht Nichts
+in unseren Verzeichnissen und Contracten; im Gegentheil, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">da</emph>
+kommen wir zusammen; das ist der Hauptpunkt, der Nervum Rehrum,
+der die ganze Geschichte eigentlich zusammenhält, Amerika
+und Europa und die umliegenden Dorfschaften, heh, heh, heh.«</p>
+
+<p>»Aber wenn nun irgend ein armer Teufel,« fuhr der
+Fremde etwas lauter, fast wie ängstlich fort — »irgend ein
+armer Teufel sein ganzes Hoffen eben auf eine Reise nach
+Amerika gesetzt hätte, und bestimmt wüßte daß er dort, wenn
+auch nicht gerade sein Glück machen, doch sein Auskommen
+finden würde? — «</p>
+
+<p>»Nun dann soll er gehn — um Gottes Willen gehn,
+und am 15ten dieses wird wieder das neue, kupferfeste — ja
+so, aber er muß bezahlen,« unterbrach er sich rasch als ihm
+einfiel von was sie vor erst wenigen Secunden gesprochen,
+»er muß bezahlen, sonst nimmt ihn kein Capitain der Welt
+mit über See.«</p>
+
+<p>»Und Sie glauben nicht daß da jemals eine Ausnahme
+<pb n="109" /><anchor id="Pg109" />stattfinden dürfte?« sagte Herr Eltrich — »es werden doch
+Leute auf See gebraucht zu den nothwendigsten sowohl, wie
+den geringeren Arbeiten, und die Capitaine müssen gewiß dafür
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">bezahlen</emph>. Wenn sich also nun Jemand erböte alle diese Verrichtungen
+ganz <emph rend="letter-spacing: 0.20em">umsonst</emph>, nur um Passage und die einfachste
+Matrosenkost zu machen, sollte das nicht möglich sein zu erlangen?«</p>
+
+<p>»Lieber Herr,« sagte der Herr Weigel, dem es jetzt so vorkommen
+mochte als ob er mit dem Fremden da kein besonders
+großes Geschäft machen würde, und der anfing ungeduldig zu
+werden, »zu den Arbeiten an Bord eines Schiffes werden
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Matrosen</emph> gebraucht, und wer kein Matrose ist, kann die auch
+nicht verrichten. Das ist keine kleine Kunst, lieber Herr Schelbig,
+in den Tauen den ganzen Tag herumzuklettern und zwischen
+den Segeln, wenn das Schiff bald so herüberschlenkert
+und bald so« — und er begleitete dabei seine Erklärung mit
+einer entsprechenden Bewegung der vor sich gerade aufgehaltenen
+Hand — »da müssen die Leute fest stehen können wie die
+Mauern, sonst kann man sie nicht gebrauchen.«</p>
+
+<p>»Aber glauben Sie nicht, wenn man einmal an einen Capitain
+schriebe, ob er sich doch nicht am Ende bewegen ließ;
+oder« — setzte er rasch hinzu, wie von einem plötzlichen Gedanken
+ergriffen, »wenn man sich nun verbindlich machte die
+Passage nach einer bestimmten Zeit in Amerika nachzuzahlen — sie
+dort abzuverdienen?«</p>
+
+<p>»Ja da könnte Jeder kommen,« sagte Herr Weigel kopfschüttelnd,
+»wenn die Leute erst einmal drüben sind, thun sie
+<pb n="110" /><anchor id="Pg110" />was sie wollen. Das ist ein freies Land da drüben, Herr
+Wellrich, und da könnte man nachher jedem Einzelnen nachlaufen,
+und sehen daß man sein Geld wieder kriegte. Ne, damit
+ist's faul, und ich nun einmal vor allen Dingen, möchte
+mich nicht auf solch eine Quängelei einlassen; daran hat
+man keine Freude, und das ist auch kein rundes Geschäft.«</p>
+
+<p>»Es ist nur ein armer Verwandter, der sich auf solche
+Weise gern forthelfen würde,« sagte Herr Eltrich erröthend — »er
+ist sehr fleißig und würde arbeiten wie ein Sclave, die
+Zeit über.«</p>
+
+<p>»Ja das glaub' ich,« meinte Herr Weigel gleichgültig — »versprechen
+thun die Art Herren gewöhnlich Alles was man
+von ihnen haben will.«</p>
+
+<p>»Könnten Sie mir denn vielleicht die Adresse irgend eines
+Schiffes oder Rheders geben, der bald ein Schiff hinüberschickt,«
+sagte der junge Fremde, sich schon wieder zum Gehen rüstend — »wenn
+ich vielleicht selber einmal dorthin schriebe, um Sie
+nicht weiter mit der Sache zu belästigen.«</p>
+
+<p>»Ja, schreiben können Sie,« sagte Herr Weigel, »hehehe;
+aber Sie werden keine Antwort bekommen; darauf können Sie
+sich verlassen. Die Leute da haben mehr zu thun, als sich eines
+Passagiers wegen, für den sie noch umsonst die Kost hergeben
+müßten, in eine Correspondenz einzulassen; kann ich ihnen auch
+gar nicht so sehr verdenken.«</p>
+
+<p>»Und die Adresse?«</p>
+
+<p>»Die Adresse? — da, hier liegt die neueste Auswanderer-Zeitung;
+wenn Sie wollen, können Sie sich da ein oder zwei<pb n="111" /><anchor id="Pg111" />
+Adressen herausschreiben. Da hinten, auf der letzten Seite
+stehen sie.«</p>
+
+<p>Herr Weigel sah nach der Uhr, drehte sich wieder auf seinem
+Drehstuhl, der beim Aufschrauben etwas quietschte, herum,
+schob das Tageblatt zur Seite und rückte sich einen Bogen
+Papier zurecht, als ob er irgend einen nothwendigen Brief zu
+schreiben hätte.</p>
+
+<p>Wieder klopfte es da an die Thür, und dießmal, ohne
+ein ermunterndes »Herein« zu erwarten, öffnete sie sich, und
+drei Bauern, denen die großen silbernen Knöpfe auf Weste
+und Rock und das feine Tuch der letzteren, die jedoch ganz
+nach ihrem alten bäurischen Schnitt gemacht waren, etwas ungemein
+solides gaben, traten, die Hüte erst unter der Thür
+und schon im Zimmer abziehend, herein, und grüßten die beiden
+Leute die sie hier beisammen fanden, mit einem herzlichen
+»Guten Morgen miteinander.«</p>
+
+<p>Das waren die Leute die Herr Weigel gern kommen sah,
+die wußten weßhalb sie die eine Hand immer in der Tasche
+trugen, denn sie hatten dort etwas zu verlieren, und waren
+nicht selten dabei die Vorboten eines größern Trupps, oft einer
+ganzen »Schiffsladung voll« die aus ein und derselben Gegend
+auswandern wollte, und ein paar der Angesehensten indeß
+vorausgeschickt hatte, Platz für sie zu bestellen. Wie der
+Blitz war er denn auch von seinem Stuhle herunter, schüttelte
+ihnen nacheinander die Hand, und frug sie wie es ihnen ginge
+und was sie hier zu ihm geführt.</p>
+
+<p>»Seid Ihr der Mensch der die Leute nach Amerika schickt?«
+<pb n="112" /><anchor id="Pg112" />sagte da der Eine von ihnen, eine breitkräftige, sonngebräunte
+Gestalt mit vollkommen lichtblonden Haaren und Augenbrauen,
+aber dabei gutmüthigen vollen und frischen Zügen, dem das
+Ganze übrigens etwas fremd und unheimlich vorkommen
+mochte, denn er warf den Blick während er sprach wie scheu
+von einer der Schiffszeichnungen zur anderen, und schien sich
+ordentlich dazu zwingen zu müssen das zu sagen, was er eben
+hier zu sagen hatte.</p>
+
+<p>»Nun nach Amerika <emph rend="letter-spacing: 0.20em">schicken</emph> thu' ich sie gerade nicht,«
+lächelte Herr Weigel, die Anderen dabei ansehend, und etwas
+verlegen über die vielleicht ein wenig plumpe Anrede.</p>
+
+<p>»Nicht?« sagte der Bauer rasch und erstaunt — »aber
+hier hängen doch all die vielen Schiffe.«</p>
+
+<p>»Nun ja, ich besorge den Leuten Schiffsgelegenheit die
+hinüber <emph rend="letter-spacing: 0.20em">wollen</emph>,« sagte Herr Weigel, jetzt geradezu herauslachend,
+weil er glaubte daß sich der Mann mit ihm einen
+Scherz gemacht, auf den er natürlich einzugehen wünschte.«</p>
+
+<p>»Ja aber wir <emph rend="letter-spacing: 0.20em">wollen</emph> eigentlich noch nicht hinüber,«
+sagte der zweite von den Bauern, seinen Hut auf seinen langen
+Stock stellend, und sich dabei verlegen hinter den Ohren kratzend — »wir
+wollten uns nur erst einmal hier erkundigen ob denn
+das auch wirklich da drüben so ist, wie es jetzt immer in den
+Auswanderungszeitungen steht, und ob man blos hinüberzugehn
+und zuzulangen braucht, wenn man eine gut eingerichtete
+Farm mit ein paar hundert Morgen Land haben will.«</p>
+
+<p>»Ja wenn man Geld hat,« lachte Herr Weigel.</p>
+
+<p><pb n="113" /><anchor id="Pg113" />»I nu — Geld hätten wir,« sagte der Bauer, und sah
+seine Nachbarn an.</p>
+
+<p>»Ich bin Ihnen sehr dankbar,« unterbrach den Sprecher
+hier der junge Mann, der indessen die Zeitung nachgesehn, und
+sich Einzelnes daraus notirt hatte. »Bitte,« sagte Herr Weigel,
+und nahm ihm das Blatt, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern,
+aus der Hand, und wandte sich wieder zu den Bauern,
+als der junge Fremde sich mit einem artigen:</p>
+
+<p>»Guten Morgen meine Herren« empfahl.</p>
+
+<p>»Adje Herr — Herr Schnellig,« rief der Agent ziemlich
+laut hinter ihm her, ohne sich weiter nach ihm umzudrehen,
+während die Bauern freundlich den Gruß in ihrer Art erwiederten.</p>
+
+<p>»Wer war der junge Herr?« frug der erste Sprecher aber,
+als er die Thür rasch hinter sich in's Schloß gedrückt.</p>
+
+<p>»Ach, ein armer Teufel, der gern mit umsonst nach Amerika
+hinüber möchte,« sagte Herr Weigel — »er thut zwar als
+wär' es nur für einen armen Verwandten, aber, hehehe, derlei
+Ausreden kennen wir schon — kommen alle Wochen vor.«</p>
+
+<p>»Umsonst mit nach Amerika?« sagte der erste Sprecher
+verwundert, »<emph rend="letter-spacing: 0.20em">der</emph> sieht doch nicht aus als ob er etwas umsonst
+haben wollte, der ging ja <emph rend="letter-spacing: 0.20em">so</emph> fein gekleidet; Donnerwetter — mit
+Handschuhen und allem — «</p>
+
+<p>»Ja auswendig sind die Leute in der Stadt meist alle
+schwarz und sauber angestrichen,« lachte Herr Weigel, »aber
+inwendig, in den Taschen, da hapert's nachher. Wer aber
+<pb n="114" /><anchor id="Pg114" />ein Bischen Uebung darin hat, kann auch schon oben auf erkennen,
+ob der Lack ächt, oder blos nachgemacht ist, hehehe.«</p>
+
+<p>»Bei dem war er wohl nachgemacht?« sagte der zweite
+Bauer, dem Anschein nach gerade nicht unzufrieden damit, daß
+der »glatte Stadtmensch« nicht so viel galt wie sie, und daß
+der Auswanderungsmann das sogleich durchschaut hatte. Herr
+Weigel nickte, seine Zeit war ihm aber kostbarer, als sie noch
+länger an Jemanden zu verschwenden, bei dem er doch voraussah,
+daß er von ihm keinen Nutzen haben würde, und er suchte
+das Gespräch wieder dem mehr praktischen Anliegen der drei
+Bauern zuzulenken.</p>
+
+<p>»Also Sie wollten mitsammen nach Amerika gehn und
+sich eine ordentliche Farm, gleich mit Land, Vieh, Häusern
+und was dazu gehört, ankaufen heh? — 'wär keine so schlechte
+Idee.«</p>
+
+<p>»Ja erst möchten wir aber einmal wissen wie die Sache
+steht;« sagte der Erste wieder, der Menzel hieß, »wenn man
+über einen Zaun springen will, ist es viel vernünftiger daß
+man erst einmal hinüber guckt was drüben ist, und wenn man
+das nicht kann, daß man Jemanden fragt der es genau weiß.
+Sind denn die Farmen da drüben wirklich so billig? — ist das
+wahr, daß man dort noch gutes frisches Land für ein und einen
+Viertel Thaler kaufen kann?«</p>
+
+<p>»Thaler? — nein,« sagte Herr Weigel, »<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Dollar</emph>.«
+»Ja nun, das ist aber auch nicht viel mehr,« meinte der
+Zweite, Müller.</p>
+
+<p>»Nun ein Dollar ist ungefähr ein Speciesthaler,« sagte<pb n="115" /><anchor id="Pg115" />
+Herr Weigel — »lassen Sie mich einmal sehn — die stehn
+jetzt — stehn jetzt 1 Thlr. 12½ Silber- oder Neugroschen.«</p>
+
+<p>»Nu ja,« sagte Menzel wieder, »das ist aber immer kein
+Geld — und für tausend Dollar kauft man da eine fix und
+fertig eingerichtete Farm, wie sie's glaub' ich nennen? mit
+Allem was dazu gehört?«</p>
+
+<p>»Ich habe hier gerade,« sagte Herr Weigel in seinen
+Papieren suchend, »ein paar Anerbietungen von höchst achtbaren
+Leuten — wirklichen Amerikanern — die mir Farmen
+zu höchst mäßigen Bedingungen offeriren. — Die Leute wissen
+da drüben daß hier Viele zu mir kommen und sich nach solchen
+Plätzen erkundigen, und wenn sie dann 'was Gutes haben,
+schicken sie's mir. — Wo hab' ich denn die verwünschten Pläne
+jetzt hingelegt — ah, hier ist der eine — sehn Sie, Gebäude
+und Alles sind darauf angegeben — und der andere kann nun
+auch nicht weit sein; ich habe sie erst vorgestern meinem Bruder
+gezeigt, der gar nicht übel Lust hatte eine davon für sich
+zu kaufen — da ist er.«</p>
+
+<p>Die drei Bauern drängten sich um den kleinen Tisch herum
+auf dem Herr Weigel die Pläne jetzt ausbreitete, und suchten
+sich in den kreuz und quer laufenden Strichen zu orientiren,
+wie der Platz eigentlich liege, und was darauf stände.</p>
+
+<p>»Ja aber wo ist denn das nun eigentlich, und wie sieht's
+dort aus?« sagte Menzel endlich, nach einigen vergeblichen
+Versuchen deshalb — »aus der Geschichte hier wird man nicht
+klug.«</p>
+
+<p>»Ja sehn Sie,« sagte Weigel, mit seinem Finger den<pb n="116" /><anchor id="Pg116" />
+Plan erklärend, und den angegebenen Zahlen folgend, »das
+hier, Nr. 1 ist das Wohnhaus, ein Doppelgebäude, der Zeichnung
+nach mit einer offenen Veranda dazwischen, des warmen
+Klima's wegen, denn drum herum stehen »Baumwollenbäume«
+angegeben; Nr. 2 da ist ein anderes Gebäude, bis
+jetzt zu Negerwohnungen benutzt, denn der bisherige Besitzer
+scheint Sclaven gehalten zu haben; Nr. 3 ist eine Scheune;
+Nr. 4 ist ein Rauchhaus, die Leute verschicken von dort aus
+viel getrocknetes Fleisch; Nr. 5 ist, wie es scheint, ein Waschhaus,
+und Nr. 6 ein anderes Wohnhaus, was dem ersten
+gegenübersteht, und wahrscheinlich den ganzen Hofraum, da
+die Front nach dem Flusse zu liegt, abschließt.</p>
+
+<p>»Und welcher Fluß ist das?«</p>
+
+<p>»Der Missouri, einer der größten Ströme Amerika's, über
+eine englische Meile breit, und viel hundert Meilen hinauf
+schiffbar; alle Wetter meine Herren, von den dortigen Strömen
+können wir uns hier gar keinen Begriff machen.«</p>
+
+<p>»Hm — und wieviel Land gehört dazu?«</p>
+
+<p>»Dazu gehört ein »Died« von 40 Acker, was früher als
+Congreßland gekauft und schon bezahlt ist, und natürlich mit
+übernommen wird, und um den Platz herum kann noch so viel
+Congreßland dazu genommen werden, wie man haben will — nur
+die vierzig Acker, von denen aber ein Theil schon urbar
+gemacht ist, müssen natürlich höher bezahlt werden.«</p>
+
+<p>»Und was soll die ganze Geschichte kosten?« frug Müller. — Der
+dritte, dessen Name Brauhede war, hatte noch kein einziges
+Wort zu der ganzen Verhandlung gesagt.</p>
+
+<p><pb n="117" /><anchor id="Pg117" />»Die ganze Geschichte,« erwiederte Weigel, sich das Kinn
+streichend, »wie ich sie Ihnen hier gleich an Ort und Stelle
+überlassen kann, mit Häusern und Grundstück und dazu noch
+einem kleinen Viehstand von vielleicht einigen achtzig Stück
+Rindvieh, und fünfundfunfzig oder sechzig Schweinen, würde — etwa — ein
+tausend und einige sechzig spanische Dollar
+betragen — «</p>
+
+<p>»Und das wäre nach unserem Geld?« sagte Menzel,
+Müller dabei heimlich unter dem Tisch anstoßend — «</p>
+
+<p>»Nach unserem Geld?« wiederholte Herr Weigel, mit
+einem Stück dort liegender Kreide die Summen rasch auf dem
+Tisch selber aufaddirend — »würde es in einer runden Zahl
+etwa 1000 — 400 — eine Kleinigkeit über 1400 Thlr. Preuß.
+Courant betragen.«</p>
+
+<p>»Wieviel Stück Rindvieh?« sagte Müller.</p>
+
+<p>»Einige achtzig Stück sind angegeben,« sagte Weigel, »und
+müssen auch überliefert werden; aber gewöhnlich sind es noch
+mehr, denn das Vieh läuft draußen im Freien herum und bekommt
+Kälber und man weiß es oft nicht einmal — die Kälber
+werden überhaupt nie mitgezählt.«</p>
+
+<p>»Und die Passage hinüber kostet?« frug Menzel — </p>
+
+<p>»Zwischendeck oder Cajüte?«</p>
+
+<p>»Zwischendeck — immer wo's am Billigten ist,« lachte
+Menzel, und strich sich wohlgefällig über die silbernen
+Knöpfe.</p>
+
+<p>»Ja, kann mir's denken,« rief Herr Weigel, auf den
+Scherz eingehend, und ihn leise gegen den Arm von sich
+<pb n="118" /><anchor id="Pg118" />stoßend — »Sie sehn mir auch gerade aus, als ob's Ihnen
+auf ein paar Thaler ankäme.«</p>
+
+<p>»Ja, wo man's kann muß man's zusammennehmen,«
+betheuerte aber auch Müller — »also wieviel kostet's im Zwischendeck
+à Person?«</p>
+
+<p>»Vierundvierzig Thaler für die Person — Kinder zahlen
+die Hälfte.«</p>
+
+<p>»Aber ganz kleine Kinder?« sagte Müller.</p>
+
+<p>»Nun Säuglinge gehen ein,« lachte Herr Weigel, <corr sic="">»</corr>das
+ist die Beilage, die doch auch nur vom Schiff aus indirecte
+Nahrung bekommen.«</p>
+
+<p>»Leichten Zwieback?« frug Menzel.</p>
+
+<p>»Ja wohl,« sagte Herr Weigel, etwas verlegen lächelnd,
+da er nicht wußte ob der Bauer das im Spaß oder Ernst <corr sic="gegemeint">gemeint</corr> — »wie
+viel Personen sind Sie denn aber wohl
+etwa?«</p>
+
+<p>»Nu, so eine sechzig möchten wir immer zusammen herausbekommen,«
+meinte Müller — </p>
+
+<p>»Aber Alle auf ein Schiff müßtet Ihr uns bringen,«
+sagte Menzel.</p>
+
+<p>»Nun das versteht sich von selbst,« rief Herr Weigel, und
+ein famoses Schiff geht gerade den funfzehnten ab — ich
+glaube das beste, das von Bremen und Hamburg überhaupt
+läuft — die Diana.«</p>
+
+<p>»Ne das wär' uns noch zu früh — «</p>
+
+<p>»Am ersten nächsten Monats geht ein noch besseres,« sagte<pb n="119" /><anchor id="Pg119" />
+Herr Weigel — »wenigstens geräumiger und ein besserer
+Segler.«</p>
+
+<p>»Ne das wär' uns auch noch zu früh,« sagte Menzel.</p>
+
+<p>»Gut, dann träfen Sie es gerade ausgezeichnet mit dem
+Meteor,« versicherte Herr Weigel, keineswegs außer Fassung
+gebracht; »ich wollte Ihnen den im Anfang nicht anbieten, weil
+ich fürchtete daß Sie früher zu reisen wünschten, wenn Sie
+aber <emph rend="letter-spacing: 0.20em">so</emph> lange Zeit haben, dann kann ich Ihnen allerdings die
+vorzüglichste Reisegelegenheit bieten, die sich nur überhaupt
+denken läßt.«</p>
+
+<p>»So — na das paßte schon besser — « sagte Müller — »wie
+hieß das Schiff gleich?«</p>
+
+<p>»Meteor.«</p>
+
+<p>»Hm — werd' es mir merken — aber nicht wahr, beim
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Dutzend</emph> kriegen wir die Passage doch auch was billiger.«</p>
+
+<p>»Ne, das geht nicht,« lachte aber Herr Weigel da gerade
+heraus; »es ist ja nicht so, daß ein Schiff nur eben so viel
+Menschen an Bord nehmen kann wie darauf Platz haben,
+sondern es muß auch genug Raum, und über und über genug
+Essen und Trinken für sie dabei sein, wenn einmal die Reise,
+in einem unglücklichen Fall länger dauerte als gewöhnlich.
+So ein Schiff hat deshalb auch nur eine bestimmte Zahl von
+Auswanderern, die es an Bord nehmen kann, und nach Amerikanischen
+Gesetzen nehmen <emph rend="letter-spacing: 0.20em">darf</emph>, und auf die ist Alles mit
+Kosten und Preis ausgerechnet, auf's tz. Die kleinen Kinder
+werden eingegeben, aber die großen müßen bezahlen. Und wie
+war's mit der Farm?«</p>
+
+<p><pb n="120" /><anchor id="Pg120" />»Wo ist denn der andere Platz — zu dem da der lange
+Zettel gehört?« sagte Menzel, der sich diesen indessen genau
+betrachtet, und nach allen Ecken herum und herumgedreht
+hatte, ohne, wie er meinte, einen Handgriff dran bekommen
+zu können.</p>
+
+<p>»Der hier? der ist in Wisconsin; auch ein guter Platz,
+aber kein so großer Strom dabei,« sagte Herr Weigel — »ist
+aber auch billiger. Dort kann ich Ihnen eine Farm, allerdings
+nur mit einigen vierzig Kühen, für etwa siebenhundertundfunfzehn
+Dollar überlassen, und dann habe ich noch fünf
+andere von sechs, acht, elf, neun und ich glaube zwölfhundert
+Dollar — die letztere ist aber eine wirkliche Musterwirthschaft
+mit importirtem Schweizervieh, und Backsteingebäuden, und einer
+prachtvollen Lage Milch und Butter in die nicht zu entfernte
+Stadt zu bringen; wird Ihnen aber auch freilich wohl zu
+theuer sein?«</p>
+
+<p>»Zu theuer? — warum?« sagte Menzel — »wenn man
+sich einmal etwas kauft, soll man sich auch gleich 'was ordentliches
+anschaffen. Ich habe mir übrigens die Sache immer
+viel schwieriger vorgestellt mit dem Ankaufen, und gedacht, daß
+man da erst lange in der Welt umher fahren und sein Geld
+verreisen müßte. Wenn man das gleich hier an Ort und Stelle
+abmachen kann, ist das ja weit bequemer.«</p>
+
+<p>»Auf eins möchte ich Sie übrigens noch aufmerksam
+machen, meine Herren, was Sie ja nicht versäumen dürfen,«
+sagte Herr Weigel — »nämlich sich hier gleich Ihre Billets
+<pb n="121" /><anchor id="Pg121" />zur Weiterfahrt in's Innere, wohin Sie auch immer wollen,
+zu lösen.</p>
+
+<p>»Von Neu-York aus?« sagte Menzel verwundert.</p>
+
+<p>»Ja wohl von Neu-York oder Philadelphia oder wohin
+Ihr Reiseziel liegt.«</p>
+
+<p>»Ja aber kann man denn die <emph rend="letter-spacing: 0.20em">hier</emph> bekommen?« frug
+Müller.</p>
+
+<p>»Gewiß kann man das,« lächelte Herr Weigel, »und
+das ist gerade der ungeheure Vortheil unserer jetzigen Verbindung,
+die den Auswanderer von der Thür seiner alten Heimath
+fort, vor die seiner neuen setzt, ohne daß er ein einziges
+Mal in die Tasche zu greifen und mehr zu bezahlen braucht, als
+was er gleich von allem Anfang entrichtet hat. Das eben
+macht auch das Reisen jetzt so billig, daß man mit <emph rend="letter-spacing: 0.20em">einem</emph>
+Blick im Stande ist sämmtliche Kosten zu übersehn; die Extra-Ausgaben
+fallen ganz weg.«</p>
+
+<p>»Das wäre freilich ein Glück,« sagte Müller, von dem
+erst vor einigen Monaten ein Bruder »hinüber« gegangen war — »die
+Extra-Ausgaben fressen sonst das meiste Geld.«</p>
+
+<p>»Ob sie's fressen, bester Herr, ob sie's fressen,« sagte Herr
+Weigel, sich wieder vergnügt die Hände reibend.</p>
+
+<p>»Und wo kann man die Billete also bekommen?« frug
+Menzel.</p>
+
+<p>»Bei mir hier, versteht sich,« sagte Herr Weigel — »alle
+bei mir.«</p>
+
+<p>»Und die gelten dann drüben?«</p>
+
+<p>»Nun versteht sich doch von selbst,« lachte der freundliche<pb n="122" /><anchor id="Pg122" />
+Agent, »ich würde sie ja Ihnen doch sonst nicht verkaufen.
+Sehn Sie, wenn die Deutschen hinüber kommen, dann sprechen
+sie gewöhnlich noch kein Englisch — oder haben Sie das etwa
+schon gelernt?«</p>
+
+<p>»Ne — «</p>
+
+<p>»Nun sehn Sie, und dann werden sie dort von ihren
+Landsleuten — denn der Amerikaner ist nicht halb so schlimm — die
+sich das richtig zu Nutze zu machen wissen, tüchtig über's
+Ohr gehauen, und müssen gewöhnlich gerade noch einmal so
+viel bezahlen, als die Sachen eigentlich kosten.</p>
+
+<p>»Aber es soll doch eine »Deutsche Gesellschaft« drüben in
+Neu-York sein,« sagte jetzt Brauhede, der zum ersten Mal bei
+der ganzen Verhandlung den Mund aufthat — »die sich eben
+der Deutschen annimmt und Nichts dafür verlangt.«</p>
+
+<p>»Leben wollen wir <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Alle</emph>,« sagte Herr Weigel
+achselzuckend — »umsonst ist der Tod, und daß die Leute, wenn sie
+ihre Zeit darauf verwenden für die Deutschen zu sorgen, auch
+etwas dafür nehmen werden, läßt sich wohl an den fünf
+Fingern abzählen. Neu-York ist aber ein theures Pflaster, die
+Leute <emph rend="letter-spacing: 0.20em">brauchen</emph> dort mehr wie wir hier, und wer es daher
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">billiger</emph> thun kann ist auch wieder leicht einzusehn. Ich will
+mich auch keineswegs empfehlen; lieber Gott es giebt noch
+eine Menge Leute in Deutschland, die sich demselben schwierigen
+und undankbaren Geschäft unterzogen haben wie ich, und
+die es sich vielleicht eben so sauer werden lassen gerade und
+ehrlich durch die Welt zu kommen; aber Einen der es besser
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">meint</emph> dabei, werden Sie wohl schwerlich finden, und ich
+<pb n="123" /><anchor id="Pg123" />überrede gewiß Niemanden nach Amerika auszuwandern. Jeder
+Mensch muß seinen freien Willen haben, und auch am
+Besten selber wissen was ihm gut ist.«</p>
+
+<p>»Ne gewiß,« sagte Menzel — »da habt Ihr ganz recht,
+das ist auch mein Grundsatz; aber das mit dem Amerika leuchtet
+mir auch ein, und umsonst thut da gewiß Niemand etwas — das
+sind verflixte Kerle da, hab' ich mir sagen lassen, besonders
+die Deutschen, und wo die nicht wollen gucken sie
+nicht 'raus.«</p>
+
+<p>»Also die Billete kann man hier bei Euch kriegen?«
+sagte Müller.</p>
+
+<p>»Wohin Sie wollen, und ich stehe Ihnen dafür daß sie
+nicht allein ächt sind, sondern daß die hier in Deutschland gelösten
+Plätze auch noch den Vorrang haben vor allen in Amerika
+genommenen, wenn einmal Eisenbahn oder Dampfboote zu
+sehr besetzt sein sollten. Es ist ja hier gerade so mit der Post,
+wo Die, die sich zuerst, und auf der längsten Station haben
+einschreiben lassen, den Vorrang behalten müssen vor denen
+die nachher kommen.</p>
+
+<p>»Ahem, das ist klar,« sagte Menzel; »na also da dächt' ich
+ließen wir uns gleich einmal Plätze belegen und gäben das
+D'raufgeld, damit wir die Sache richtig hätten, und nachher
+können wir ja einmal über die Farmen sprechen; ich habe verwünschte
+Lust.«</p>
+
+<p>»Du, das hat noch Zeit,« sagte aber jetzt Brauhede wieder,
+Menzel am Rocke zupfend; »erst müssen wir es uns doch
+einmal mit den Anderen zu Hause überlegen.«</p>
+
+<p><pb n="124" /><anchor id="Pg124" />»Wenn aber nachher die Plätze auf dem ganz guten Schiffe
+fort sind,« sagte Müller mit einem sehr bedenklichen Gesicht.</p>
+
+<p>»Ja, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">stehen</emph> kann ich Ihnen <emph rend="letter-spacing: 0.20em">nicht</emph> dafür,« versicherte
+Herr Weigel die Achseln zuckend, daß sie beinah seine Ohrläppchen
+berührten.</p>
+
+<p>»Na mein'twegen,« sagte Brauhede, der allerdings auch
+in der Absicht hierher gekommen war, ihre Passage fest zu accordiren,
+jetzt aber, da es dazu kam Geld zu zahlen, nur ungern
+damit herausrückte — »aber von wegen der Farm müssen
+wir noch erst mit den Anderen sprechen, und eine Farm kriegen
+wir auch noch immer.«</p>
+
+<p>»Ja aber was für eine,« sagte Herr Weigel.</p>
+
+<p>Brauhede blieb übrigens bei seiner Meinung, und Menzel
+bestand jetzt nur wenigstens darauf die beiden Pläne einmal
+mitzunehmen, damit sie sich zu Hause ordentlich hinein
+denken könnten. Wenn auch Herr Weigel sie im Anfang nicht
+außer Händen geben mochte, ja sogar versicherte er habe nicht
+übel Lust die eine Farm für sich selber auf Spekulation zu
+kaufen, ließ er sich doch zuletzt überreden ihnen, aber allerdings
+nur auf zwei Tage, die Pläne zu überlassen, und dann das
+Weitere über den Ankauf mit einer zweiten Deputation der
+Gesellschaft zu besprechen.</p>
+
+<p>Menzel bezahlte dann das Aufgeld auf ihre Passage im
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Meteor</emph> für siebenundfunfzig Personen und dreizehn Kinder,
+die sämmtlich aus <emph rend="letter-spacing: 0.20em">einer</emph> Ortschaft auswandern wollten, und
+nahm dann auch noch, nach einer kurzen Berathung mit den
+beiden anderen, die nöthigen Billete auf der Eisenbahn von<pb n="125" /><anchor id="Pg125" />
+Neu-York aus, oder machte wenigstens eine Anzahlung darauf,
+daß sie ihnen der Agent aufbewahrte, da dieser sie versicherte
+er sei nur noch im Besitz einer sehr kleinen Anzahl, und wisse
+nicht, wann er gleich wieder andere bekommen würde, während
+die Anfrage darnach sehr stark wäre.</p>
+
+<p>Außerdem kauften sie sich auch noch ein halbes Dutzend
+kleine Brochüren, die Herr Weigel, wie er sagte, gerade frisch
+aus der Druckerei als etwas <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ganz Neues</emph> bekommen hatte — ein
+Datum stand nicht darauf — und die drei Männer verließen
+dann wieder, von dem schmunzelnden Agenten bis an
+die auf den Markt führende Thür begleitet, das Haus.</p>
+
+<p>»Höre Du,« sagte aber Brauhede als sie wieder vor dem
+Haus und auf der Straße waren, und langsam über den
+Markt weggingen, »mit dem Landkaufen wollen wir uns doch
+lieber hier noch nicht einlassen, das ist eine wunderliche Geschichte
+und will mir nicht recht in den Kopf.«</p>
+
+<p>»Nicht in den Kopf?« rief aber Menzel — »und warum
+nicht? — der Mann bekommt alle Tage Briefe aus Amerika,
+warum soll der nicht wissen was dort zu verkaufen ist?«</p>
+
+<p>»Wenn's aber so gut und billig wäre, brauchten sie's doch
+nicht hier herüberzuschicken,« meinte Brauhede kopfschüttelnd.</p>
+
+<p>»Das ist Alles was Du davon verstehst,« sagte Müller,
+»Amerikaner könnten sie gewiß genug zu Käufern kriegen, aber
+deutsche Bauern wollen sie, die ihnen zeigen wie man das
+Land behandeln muß, und darum schicken sie herüber — die
+sind froh drüben, wenn unsereins hinüber kommt.</p>
+
+<p><pb n="126" /><anchor id="Pg126" />»Nun, mag sein,« brummte Brauhede — »aber sicher ist
+doch sicher, und wenn ich mein Geld hier weggegeben habe,
+und kann das Land was mein sein soll nachher nicht finden,
+wie's dem Niklas seinem Bruder gegangen ist, nachher wäre
+die Geschichte aber faul.«</p>
+
+<p>»Dem Niklas sein Bruder war aber auch ein Esel,« sagte
+der Andere, »der sich hier Land von einem herumziehenden
+Vagabunden gekauft; da sollt' er nachher wohl suchen. Aber
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">der</emph> Mann hier ist in der Stadt ansässig und hat ein Geschäft;
+was der verkauft das muß gut sein, sonst wär' er ja
+gar nicht sicher daß man ihn einmal deshalb beim Kragen
+kriegte.«</p>
+
+<p>»Ja krieg' ihn einmal wenn Du drüben in Amerika bist,«
+sagte Brauhede ruhig — »das ist ein verwünscht weiter und
+umständlicher Weg und — wenn man sich einmal hat anführen
+lassen, will man auch nicht gern noch dazu ausgelacht
+werden.«</p>
+
+<p>»Papperlapapp!« sagte Menzel — »dafür hat Jeder
+seine Augen daß er sie offen hält, und ehe ich ihm mein gutes
+Geld gebe, werd' ich mich schon sicher stellen daß er mir Nichts
+aufbindet.«</p>
+
+<p>Und die Männer schritten, Jeder von jetzt an mit seinen
+eigenen Gedanken über die nahe Auswanderung beschäftigt,
+langsam die Straße hinunter, während in seinem kleinen
+Bureau, vergnügt die Hände zusammenreibend, Herr Weigel
+auf und ab spazieren ging, und sich im Geist die nächst zu
+ziehenden Summen zusammenaddirte, die er in kurzer Zeit,
+<pb n="127" /><anchor id="Pg127" />nach eifriger Aussaat, einzuerndten hoffte. Die Geschäfte
+gingen vortrefflich; Lust zur Auswanderung hatte in der That
+ein Drittel der sämmtlichen Bevölkerung, und es bedurfte nur
+manchmal wirklich einer leisen Anregung, die Leute zu etwas
+zu bewegen, zu dem sie schon halb und halb selber entschlossen
+gewesen waren.</p>
+
+<p>Herr Weigel war sehr guter Laune; er legte jetzt die
+Hände auf den Rücken und summte ein leises Lied vor sich hin,
+seinen Marsch dabei fortsetzend. Aber er sang falsch; er hatte
+keine Idee von irgend einer Melodie; doch das schadete nichts,
+er <emph rend="letter-spacing: 0.20em">meinte</emph> wenigstens eine, und da er selber nicht hörte was
+er sang, genügte es ihm vollkommen.</p>
+
+<p>Die Thür ging jetzt auf und der Tischler oder Schreiner
+kam herein, irgend etwas an dem Pult auszubessern — er
+hatte zweimal angeklopft ohne daß der vergnügte Agent darauf
+geantwortet hätte.</p>
+
+<p>»Guten Morgen Herr Weigel.«</p>
+
+<p>»Ah guten Morgen Meister — nun kommen Sie endlich?
+ich hatte schon ein paar Mal nach Ihnen hinübergeschickt — «</p>
+
+<p>»Ja lieber Gott Herr Weigel, ich war gerade drüben
+beim Herrn Geheimen Rath Bärlich beschäftigt — die Leute
+sind so eigen wenn man von der Arbeit fort geht — «</p>
+
+<p>»Sehn Sie, hier das Bein möcht' ich gemacht haben; der
+Tisch wackelt da immer, und wenn man etwas darunter legt,
+verschiebt sich das doch jedesmal wieder. Können Sie es mir
+wohl bis heute Nachmittag in Ordnung bringen?«</p>
+
+<p><pb n="128" /><anchor id="Pg128" />»Ja gewiß,« sagte der Mann, »das ist ja nur eine Kleinigkeit.«</p>
+
+<p>»Und wie ist es mit den Auswandererkisten die ich bestellt
+habe? — werden die bis heute Abend fertig?</p>
+
+<p>»Ja wohl Herr Weigel; sechs habe ich schon in das Gasthaus
+»Stadt Breslau,« wie Sie mir sagten, abgeliefert.«</p>
+
+<p>»Nun das ist gut, denn der ganze Zug wird noch heute
+Vormittag ankommen, und will morgen früh wieder fort — es
+sind doch noch keine Auswanderer heute Morgen hier eingetroffen? — «</p>
+
+<p>»Nicht daß ich gesehen hätte — aber gestern Abend zogen
+Viele durch.«</p>
+
+<p>»Ja ich weiß — von Hessen herüber — die armen Teufel;
+denen wird's einmal wohl drüben werden. Nun wie gehn
+denn bei Ihnen die Geschäfte jetzt?«</p>
+
+<p>»Ih nu gut, Herr Weigel, ich kann gerade nicht klagen;
+das Brod wird freilich immer theuerer, aber man schlägt sich
+so durch — Kinder haben wir nicht, und was verdient wird
+reicht eben ordentlich aus.«</p>
+
+<p>»Ich begreife nicht,« sagte Herr Weigel da kopfschüttelnd
+vor dem Mann, der seine Mütze eben wieder aufgegriffen
+hatte und sich zum Fortgehen anschickte, stehen bleibend — »wie
+Ihr Leute Euch hier vom Morgen bis Abend plagt und
+schindet, eben nur das liebe Brod zu verdienen, wo Ihr in
+ein paar Wochen drüben sein könntet und so viel Dollare für
+Euere Arbeit bekämt, wie hier Groschen.</p>
+
+<p>»Drüben, wo?«</p>
+
+<p><pb n="129" /><anchor id="Pg129" />»Nun in Amerika — «</p>
+
+<p>»Hm, ja,« sagte der Mann, sich nachdenkend das Kinn
+streichend, und einen leichten Seufzer unterdrückend — »gedacht
+hab' ich auch schon ein paar Mal daran, aber — das geht
+nicht gut und — es ist auch so eine unsichere Sache mit da
+drüben. Hier weiß ich einmal was ich habe und daß ich auskomme,
+und wie mir's da drüben geht weiß ich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">nicht</emph>.«</p>
+
+<p>»Aber Freund,« rief Herr Weigel verwundert — »ein
+Mann der fleißig arbeitet bringt es dort immer zu was. Wetter
+noch einmal, Meister, Amerika ist gerade der Platz für Euch,
+wo Ihr Euch rühren und ausbreiten könntet — wenn Ihr
+dort wäret, ein geschickter Arbeiter wie Ihr! in fünf Jahren
+hättet Ihr zwanzig Gesellen.«</p>
+
+<p>»Meister Leupold nickte langsam mit dem Kopf, und sah
+ein paar Secunden still vor sich nieder, als ob das Bild mit
+der großen Werkstätte und dem regen Treiben sich vor seinem
+inneren Geist eben auszubreiten beginne, dann aber sagte er,
+jetzt herzhaft aufseufzend — «</p>
+
+<p>»Und es geht doch nicht, Herr Weigel — ich habe die
+alte Mutter zu Hause, die ich unmöglich hier allein zurück
+lassen könnte — «</p>
+
+<p>»Hierlassen? das fehlte auch noch,« rief der Agent — »die
+nehmt Ihr mit, Mann — könnt Ihr der denn eine größere
+Freude machen, als wenn sie noch vor ihrem Ende sähe wie
+wohl es Euch geht auf der Welt, und wie sich Euer Zustand
+mit jeder Woche, mit jedem Tage fast bessert? — Muß sie hier
+<pb n="130" /><anchor id="Pg130" />nicht in Sorge und Kummer leben daß Ihr einmal krank
+werdet und Nichts verdienen könnt, und wie sieht's dann aus?«</p>
+
+<p>»Wenn ich aber nun dort drüben krank werde?« sagte
+der Meister leise.</p>
+
+<p>»Wenn das nur nicht gleich die ersten Monate geschieht
+und für ein Unglück kann Niemand« — warf dagegen Herr
+Weigel ein, »so könnt Ihr Euch auch schon so viel gespart
+haben, das eine Weile mit ruhig anzusehn; und wenn Ihr
+nicht krank werdet, seid Ihr in ein paar Jahren ein wohlhabender
+Mann.«</p>
+
+<p>»Es ist eine verwünschte Geschichte mit dem Amerika,«
+seufzte der Mann wieder, sich hinter dem Ohr kratzend — »man
+hört so viel davon, und sieht eine solche Masse Menschen
+hinüberziehen, die alle voller Hoffnung sind daß es ihnen
+gut geht — und möchte am Ende ebenfalls gern mit — wenn
+man nur erst so einmal hinübergucken könnte wie es
+eigentlich aussieht.«</p>
+
+<p>»Dazu ist es ein Bischen zu weit,« meinte Herr Weigel.</p>
+
+<p>»Ja nun eben,« sagte der Tischler — »und so auf's gerathewohl — «</p>
+
+<p>»Das könnt Ihr aber nicht auf's gerathewohl nennen,
+wo wir alle Tage Briefe von drüben herüber bekommen, von
+denen einer immer besser lautet als der andere. Da — hier
+liegt gleich einer, der letzte den ich bekommen habe, wo ein
+Deutscher, den ich selber hinüberbefördert, und dem es jetzt ausgezeichnet
+gut geht, an mich schreibt, und ein oder zwei gute
+gelernte Schaafknechte haben will; lesen Sie einmal den Brief.«</p>
+
+<p><pb n="131" /><anchor id="Pg131" />Leupold legte seine Mütze wieder hin, nahm den Brief
+und las ihn aufmerksam durch; er nickte dabei mehrmals mit
+dem Kopf, und sah dann wieder zu dem Agenten auf, der ihn
+indessen mit einem triumphirenden Lächeln betrachtet hatte.</p>
+
+<p>»Nun?« frug der Letztere, als Jener das Schreiben beendet
+und wieder zusammenfaltete — »wie klingt das?«</p>
+
+<p>»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Sehr</emph> gut« sagte Leupold leise, »aber — es hilft mir
+doch Nichts. Wenn ich jetzt mein kleines Häuschen, das ich
+mir mit Mühe und Noth zusammengespart und aufgebaut,
+auch verkaufen wollte; fände ich erstlich keinen Käufer, und
+dann bekäm ich auch das nicht dafür wieder, was es mich
+selber gekostet; wie gesagt, der Sperling in der Hand ist doch
+wohl besser wie die Taube auf dem Dache.«</p>
+
+<p>»Bah, Taube,« sagte Herr Weigel mürrisch — »wenn
+die Taube auf dem Dach eben so fest und sicher sitzen bleibt
+bis man sie holen kann, wie Amerika ruhig liegt, und auf die
+wartet die hinüber kommen, so ist sie mir lieber wie ein erbärmlicher
+Sperling, zum Sterben zu viel, und zum Leben zu
+wenig; aber — überlegt's Euch — ah da kommt der Briefträger — 'was
+für mich?«</p>
+
+<p>»Nun guten Morgen Herr Weigel,« sagte der Tischler
+und wollte sich eben entfernen, während der Briefträger dem
+Agenten mehrere für ihn gekommene Briefe überreichte.</p>
+
+<p>»Siebzehn Silbergroschen drei Pfennige« sagte er dabei.</p>
+
+<p>»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Siebzehn</emph> Silbergroschen?« rief Herr Weigel verwundert — »aha
+da ist ein Amerikaner dabei — halt, wartet noch
+einmal einen Augenblick Leupold« — da ist vielleicht gleich
+<pb n="132" /><anchor id="Pg132" />noch was für uns, und was ganz Neues — wollen gleich einmal
+sehn was die Leute schreiben. Wahrscheinlich wieder von
+Jemand den ich hinüber befördert habe, und der sich jetzt bedankt — das
+kostet aber viel Geld — «</p>
+
+<p>»Apropos Neues,« sagte Leupold, während der Agent den
+Briefträger bezahlt hatte und seine Papierscheere vom Tisch
+nahm, den Amerikanischen Brief aufzuschneiden — »haben
+Sie schon gehört daß gestern Nachmittag bei Herrn Dollinger
+eingebrochen und für sieben tausend Thaler Gold und Juwelen
+gestohlen sind?«</p>
+
+<p>»Alle Wetter,« rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt
+ausgehaltenen Scheere in der Hand — »gestern Nachmittag?«</p>
+
+<p>»Am hellen Tage,« bestätigte Leupold.</p>
+
+<p>»Und weiß man nicht wer der Thäter ist?«</p>
+
+<p>»Sie haben den einen Comptoirdiener in Verdacht und
+auch schon eingezogen,« sagte der Tischler.</p>
+
+<p>»Gewiß den Loßenwerder,« rief Weigel.</p>
+
+<p>»Ich glaube so heißt er — er ist ein wenig verwachsen — «</p>
+
+<p>»Und schielt — derselbe, ich habe den Burschen von jeher
+nicht leiden können; hat mir auch schon ein paar Mal Kunden
+abspenstig gemacht, aus reinem Brodneid; ich wüßte wenigstens
+sonst nicht weshalb, und habe ihn dabei stark in Verdacht,
+daß er selber damit umgeht eine Agentur für Auswanderer
+zu errichten. Da könnte Jeder hergelaufen kommen,
+ohne Briefe, ohne Connexionen und ohne Kenntniß vom Land
+ — schickte nachher die Leute in's Blaue hinein, daß sie dort
+säßen und nicht wüßten wo aus noch ein. Na nun, wird ihm
+<pb n="133" /><anchor id="Pg133" />das Handwerk wohl gelegt werden; ich gönne nicht gern einem
+Menschen etwas Uebles, aber bei dem freut mich's daß sie's
+wenigstens herausbekommen haben, und er seine Schurkerei
+nicht mehr heimlich forttreiben darf. Ist denn das Geld schon
+wieder gefunden?«</p>
+
+<p>»So viel ich weiß nicht, einige hundert Thaler ausgenommen,
+von denen aber der Mann betheuert daß er sie sich
+gespart hätte; es ist übrigens Manches dabei zusammengekommen
+was ihn verdächtig macht; das Nähere weiß ich freilich
+nicht.«</p>
+
+<p>»Hm, hm, hm,« sagte Herr Weigel, kopfschüttelnd den
+Brief, den er noch immer in der Hand hielt, anschneidend — »böse
+Geschichten — böse Geschichten, was man nicht Alles
+hört auf der Welt. — Nun wollen wir also einmal sehen
+was der Herr da aus Amerika schreibt — hm — Washington
+County, Tennessee den siebenten Januar 18 — alle Wetter der
+Brief ist lange unterwegs gewesen — Herrn F. G. Weigel in
+Heilingen, Hauptagent der Central-Auswanderungs- und Colonisations-Gesellschaft
+in Deutschland — ahem — Sie
+nichtsw — hm — Sie haben — hm — vor allen Dingen — hm
+ — hm — hm — hm« — Herrn Weigels Gesicht verlängerte
+sich immer mehr, je weiter er in seiner, wie es schien
+nicht eben angenehmen Lectüre vorrückte, aber er brach mit dem
+Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise
+höchst derber Art war, schon gleich nach den ersten Sylben
+ab, und murmelte, das Ganze nur flüchtig überfliegend, blos
+<pb n="134" /><anchor id="Pg134" />einzelne unzusammenhängende Worte, aus denen Leupold
+Nichts herausfinden konnte, vor sich hin.</p>
+
+<p>»Nun, was schreiben sie?« sagte dieser endlich lächelnd;
+er wäre schon lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurückgehalten
+hätte — »gute Neuigkeiten?«</p>
+
+<p>»Bah!« sagte Herr Weigel, den Brief zurück auf seinen
+Schreibtisch werfend — »Jemand der seine Geschwister will
+hinübergeschickt haben und mich ersucht das Geld für ihn auszulegen.
+Da müßt' ich schöne Capitale herumstehn haben,
+wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie nachschicken.
+Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann
+suchen.«</p>
+
+<p>»Ne, das ist ein Bischen viel verlangt,« sagte der Meister,
+wieder nach der Klinke greifend — und dießmal hielt ihn
+Herr Weigel nicht zurück — »aber nun leben Sie auch recht
+wohl, und verlaßen Sie sich darauf ich besorge Ihnen das
+heute noch.«</p>
+
+<p>»Sein Sie so gut,« sagte der Agent — er war auf einmal
+ganz einsylbig geworden, und Meister Leupold verließ mit nochmaligem
+Gruß das Zimmer, in dem jetzt Herr Weigel mit in die
+Tasche geschobenen Händen, aber keineswegs mehr so guter
+Laune als vorher, raschen, heftigen Schrittes auf und ab ging.</p>
+
+<p>»Und vierzehn Groschen bezahlt für den Wisch — es ist
+eine Frechheit wahrhaftig, die in's Bodenlose geht. Lumpengesindel!
+glaubt die gebratenen Tauben sollen ihm da in's
+Maul fliegen, so bald sie's nur aufsperren.« Und wieder riß
+er den Brief vom Pult, rückte sich die Brille zurecht, und las
+<pb n="135" /><anchor id="Pg135" />mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal,
+und zwar aufmerksamer durch als vorher.</p>
+
+<p>»Sie nichtswürdiger Hallunke« — wenn ich Dich nur
+hier hätte mein Bursche, dafür solltest Du mir brummen — »schändlich
+betrogen und angeführt« — wozu hat Dir denn
+der liebe Gott die großen Glotzaugen gegeben, wenn Du sie
+nicht aufsperren willst — »Land eine Wüste« — na versteht
+sich, ein Gewächshaus hab' ich ihm nicht verkauft — »Hälfte
+gar nicht zu bekommen« — Holzkopf — »kein Mensch wollte
+die Billete nehmen« — bah, geschieht Dir recht — »Wohngebäude
+zu schlecht für einen Hund« — für Dich noch immer
+viel zu gut, mein Schatz — »wenn Sie nur einmal herüber
+kämen, Sie miserabeler« — bah« — unterbrach sich Herr Weigel
+in dieser nichts weniger als schmeichelhaften Lectüre, indem er
+den Brief in zwei Hälften riß, und sich dann ein Streichhölzchen
+mit einem Gewaltstrich an der Thür entzündete »so viel
+für den Wisch!« und das Papier anbrennend, warf er das auflodernde
+in den Ofen, und schloß die Klappe so heftig er konnte.</p>
+
+<p>Allerdings wollte er sich nun über den Brief hinwegsetzen,
+aber geärgert hatte er sich doch, und Rock und Stiefeln anziehend
+drückte er sich seinen Hut in die Stirn, griff seinen
+Stock aus der Ecke, und verließ sein Bureau, das er sorgfältig
+hinter sich abschloß, und eine kleine Pappe mitten an die Thür
+hing, auf der die Worte standen.</p>
+
+<p>»Kommt um elf Uhr wieder.«</p>
+</div>
+<div rend="page-break-before: always"><pb n="136" /><anchor id="Pg136" />
+<index index="toc" level1="Die Weberfamilie" />
+<index index="pdf" level1="Die Weberfamilie" />
+<index index="pdb" level1="D. Weberfamilie" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 6.</head>
+<head rend="text-align: center">Die Weberfamilie.</head>
+<p>Nicht weit von Heilingen, und in Hörweite der Domglocke
+selbst, in ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem
+Land, lag ein kleines armes Dorf, dessen Bewohner, da ihre
+Felder gerade nicht zu den besten gehörten, sich kümmerlich,
+aber meist ehrlich, mit verschiedenen Handwerken und Gewerben,
+mit Holzschnitzen wie auch hie und da mit dem Webstuhl,
+ernährten. Das Dorf hieß eigentlich »Zur Stelle«, welchen
+Namen aber die Bewohner im Laufe der Zeit, und mit Hülfe
+ihres Dialekts, zu dem von <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Zurschtel</emph> umgearbeitet hatten,
+und mochte etwa dreißig Häuser und Hütten, mit der doppelten
+Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von Kindern zählen.
+Es ist eine wunderliche Thatsache, daß man in den ärmlichsten
+Distrikten stets die meisten Kinder findet.</p>
+
+<p>Mitten im Dorf lag eins der besseren Häuser; es war
+weiß getüncht, und hinter den sauber gehaltenen Fenstern
+<pb n="137" /><anchor id="Pg137" />hingen weiße, reinliche Gardinen. Vor dem Hause, über
+dessen Thüre ein frommer Spruch mit rothen und grünen
+Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Röhrtrog,
+und ein kleiner Koven an der Seite desselben, zeigte in
+der nach außen befestigten Klappe des Futterkastens dann und
+wann den schmuzigen Rüssel eines seine Kartoffelschalen kauenden
+Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket umgab
+das Haus wie den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach
+sehr zu ihrem Vortheil gegen manche der Nachbarhäuser ab.</p>
+
+<p>Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber
+nichtsdestoweniger sehr ärmlich aus. In der einen Ecke stand
+ein großer, viereckiger, sauber gescheuerter Tisch aus Tannenholz,
+an zweien der Wände waren Bänke aus dem nämlichen
+Material befestigt, und um den großen viereckigen Kachelofen,
+der fast den achten Theil der Stube einnahm, hingen
+verschiedene Kochgeräthschaften, während auf darüber angebrachten
+Regalen die braunen Kaffeekannen und geblümten
+Tassen gewissermaßen mit als Zierrath zur Schau ausstanden.
+Die dritte Ecke füllte der Webstuhl des Mannes aus, und dem
+gegenüber stand eine riesengroße, braunangestrichene Kommode,
+mit Messinghenkeln und Griffen und fünf Schiebladen, die,
+mit wirklich rührender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt,
+zwei mit bunten Blumen bemalte Henkelgläser, eine
+vergoldete Tasse mit der Aufschrift »der guten Mutter« — ein
+Geschenk aus früherer Zeit — und ein gelb irdenes aber allerdings
+sehr wenig benutztes Dintenfaß trug, während dahinter,
+in zwei ordinairen Stangengläsern, in dem einen Schilfblü<pb n="138" /><anchor id="Pg138" />thenbüschel,
+und in dem anderen große stattliche Aehren von
+Roggen, Waizen, Gerste und Hafer standen, zur Erinnerung
+an eine frühere segensreiche Erndte.</p>
+
+<p>Die Bewohner der kleinen Stube paßten genau in ihre
+Umgebung; es war eine, nicht mehr ganz junge aber doch
+rüstige Frau, in die nicht unschöne Bauertracht der dortigen
+Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad saß und eifrig das
+Rädchen schnurren ließ, während die rechte Hand manchmal
+eine neben ihr stehende Wiege berührte, den darin ruhenden
+kleinen Säugling, der immer wieder die großen dunklen Augen
+zu ihr aufschlug, endlich in Schlaf zu bringen. Sie war reinlich,
+aber in die gröbsten Stoffe gekleidet, ebenso der Bube
+von etwa vier Jahren, der ihr zu Füßen mit einer kleinen
+Mulde auf dem über die Diele gestreuten Sand »Schiff«
+spielte.</p>
+
+<p>Außerdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die
+alte Mutter der Frau, eine Greisin von nahe an siebzig Jahren,
+die auch noch ihr Spinnrad drehte, sich aber mit dem
+hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil ihr das heutige
+naßkalte, unfreundliche Wetter fröstelnd durch die alten
+Glieder zog. Es war eine gutmüthige, aber mürrische alte
+Frau, selten zufrieden mit dem was sich ihr gerade bot, und
+unermüdlich darin, sich und ihren Kindern die Last vorzuwerfen
+die sie ihnen mache, und den lieben Gott täglich zu bitten
+daß er sie doch bald zu sich nähme. Nur eine kleine, ganz
+kurze Frist erbat sie sich immer noch — dann wollte sie gerne
+sterben. Erst; wie das Aelteste geboren war, wollte sie das
+<pb n="139" /><anchor id="Pg139" />noch gerne laufen sehn; dann hätte sie gern erlebt wie es zum
+ersten Mal in die Schule ging; dann war es Frühjahr geworden
+und sie hoffte nur noch einmal neue Kartoffeln zu
+essen, zu Jacobi aber wollte sie noch einmal von dem Pflaumenbaum
+die Früchte kosten, den ihr »Seliger« noch gepflanzt.
+Wie der Herbst kam wünschte sie im Frühjahr begraben zu
+werden, und die knospenden Maiblumen weckten den Wunsch
+nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von denen sie sich
+eigenhändig ein schmales Beet in den kleinen Garten dicht am
+Hause gepflanzt. So lebt und webt die Hoffnung in unseren
+Herzen mit immer neuer, nie sterbender Kraft, und je älter
+wir werden, desto mehr lernen wir die schöne Erde lieb gewinnen,
+desto mehr klammern wir uns an sie, und wollen
+uns gar nicht mehr von ihr trennen.</p>
+
+<p>Der Tag neigte sich dem Abend zu; der Mann war in
+die Stadt gegangen seine Steuern zu zahlen, und Manches
+einzukaufen was sie nothwendig im Hause brauchten — zum
+Ersatz dafür hatte er das zweite Schwein, das sie bis dahin
+gehalten, hineingetrieben, und der Erlös sollte seine Ausgaben
+bestreiten.</p>
+
+<p>Der Regen wurde jetzt wieder heftiger, die großen schweren
+Tropfen schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde
+vollständig munter und fing an zu schreien. Die Mutter schob
+ihr Spinnrad zurück, nahm das Kleine aus der Wiege, und
+ging damit trällernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann
+indeß ruhig weiter, und suchte mit zitternder leiser Stimme ein
+<pb n="140" /><anchor id="Pg140" />geistliches Lied zu singen, und mit dem Rad trat sie den Takt
+dazu. Sonst sprach keine ein Wort.</p>
+
+<p>Endlich wurde die Hausthür geöffnet, Jemand kam von
+draußen herein, und strich sich die Füße auf den Steinen und
+der Strohdecke ab, und sie hörten gleich darauf wie der zurückkehrende
+Vater und Gatte seinen großen rothblauwollenen
+Schirm auf die Steine stieß, das Wasser so viel wie möglich
+davon abzuschütteln, und den Mantel auszog und über den
+großen Schleifstein hing der draußen im Flur stand, wie er
+das gewöhnlich that. Die Frau öffnete rasch die Thür den
+Mann zu begrüßen, der den Hut abnahm, sich die nassen
+Haare aus der Stirn strich, und das Kind küßte, das sie ihm
+entgegenhielt.</p>
+
+<p>»Jesus ist das ein Wetter, Gottlieb,« sagte sie dabei, als
+sie ihm den Hut aus der Hand nahm und neben den Ofen an
+den Nagel hing, »komm nur herein, daß Du 'was Trockenes
+auf den Leib bekommst; wo hast Du denn den Jungen? — ist
+er nicht bei Dir?« setzte sie, fast ängstlich, hinzu.</p>
+
+<p>»Er ist draußen bei Lehmann's hineingegangen, denen
+wir ein paar Sachen aus der Stadt mitgebracht,« sagte der
+Mann — »wird wohl gleich kommen — wie geht's Frau? — wie
+geht's Mutter? — ha, das regnet einmal heute was vom
+Himmel herunter will; was nur d'raus werden soll wenn das
+Wetter so fort bleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir
+gehabt, und jetzt wieder Guß auf Guß — Guß auf Guß, als
+ob sie uns unsere paar Stücken Feld noch hinunter in die
+Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die Saat
+<pb n="141" /><anchor id="Pg141" />schon halb fortgespült — wenn dasmal das Korn misräth,
+weiß ich nicht wo der arme Mann das Brod hernehmen soll.«</p>
+
+<p>»Klag nicht, Gottlieb,« sagte aber die Frau freundlich — »es
+geht noch Vielen schlechter wie uns, und was sollen
+da die <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ganz</emph> armen Leute sagen. Lieber Gott, es ist viel Noth
+in der Welt, und wer heut zu Tage eben sein Auskommen und
+ein Dach über dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht
+versündigen.«</p>
+
+<p>Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den
+Topf aus der Röhre, in der, trotz der vorgerückten Jahreszeit,
+noch ein Feuer brannte, der alten, fröstelnden Mutter wegen,
+und goß den darin heiß gehaltenen Kaffee — sie nannten das
+braune Getränk von gebrannten gelben Rüben und Gerste wenigstens
+so — in die eine braune Kanne, damit sich der Mann,
+der den ganzen Tag draußen im Regen herumgezogen war,
+daran erquicken könne. Zugleich auch deckte sie ein weißes Tuch
+über den Tisch, auf den sie noch Butter und Brod stellte, die
+versäumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas nachzuholen.
+Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse
+Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goß, und schnitt
+sich ein großes Stück Brod ab, das er mit Butter bestrich und
+verzehrte. Er sprach kein Wort dabei, und beendete still seine
+Mahlzeit, schob dann die Tasse und den Butterteller zurück,
+nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die Erde gesetzt
+hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten Ellbogen
+auf den Tisch gestützt, den Kopf gegen die Wand gelehnt,
+regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach
+<pb n="142" /><anchor id="Pg142" />dem Fenster hinüber, an das die Regentropfen immer noch,
+vom Wind draußen gepeitscht, hohl und heftig anschlugen.</p>
+
+<p>Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem
+Blick betrachtet; es war irgend etwas vorgefallen, aber sie
+wagte nicht zu fragen, denn Gottlieb, so seelensgut er auch
+sonst sein mochte, hatte doch auch seine »verdrießlichen Stunden«
+und war dann, wenn gestört, oft rauh und unfreundlich;
+aber eine eigene Angst überkam sie plötzlich. Ihr ältester Sohn — der
+Hans — war nicht mit zu Hause gekommen — konnte
+dem — heiliger Gott, wie ein Stich traf es sie in's Herz und
+sie sprang erschreckt von ihrem Stuhl auf und auf den
+Mann zu.</p>
+
+<p>»Gottlieb — um aller Heiligen Willen wo ist der Hans? — es
+ist — es ist ihm doch nicht etwa ein Unglück geschehn?«</p>
+
+<p>»Der Hans?« sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt
+zu ihr auf, »was fällt Dir denn ein? was soll denn
+dem Hans zugestoßen sein? ich habe Dir ja gesagt daß er bei
+Lehmann's etwas abgegeben hat, und dort wahrscheinlich das
+Wetter abwarten wird.«</p>
+
+<p>»Ich weiß nicht,« sagte die Frau, der dadurch allerdings
+eine Centnerlast von der Seele gewälzt wurde — »aber Du
+bist so sonderbar heut Abend, so still und ernst, und da schlugs
+mir wie ein Schreck in die Glieder, über den Hans. Ist etwas
+vorgefallen Gottlieb? — «</p>
+
+<p>Gottlieb schüttelte den Kopf langsam und sagte. — »Nicht
+daß ich wüßte — nichts Besonderes wenigstens,
+<pb n="143" /><anchor id="Pg143" />oder nichts Anderes, als was jetzt alle Tage vorfällt — Geld
+zahlen.«</p>
+
+<p>»War es denn so viel?« sagte die Frau leise und
+schüchtern.</p>
+
+<p>Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor
+sich nieder; endlich erwiederte er seufzend:</p>
+
+<p>»Das Schwein ist d'rauf gegangen, und vier Thaler
+Siebzehn Groschen sind immer noch mit Gerichtskosten und der
+alten Proceßgeschichte mit der Brückenplanke, mit der ich
+eigentlich gar Nichts mehr zu thun hatte, stehen geblieben, und
+ich muß sie bis zum ersten Juli nachzahlen, unter Androhung
+von Pfändung.«</p>
+
+<p>»Nun lieber Gott,« sagte die Frau tröstend — »wenn
+das das Schlimmste ist, läßt sich's noch ertragen; da verkaufen
+wir eben das andere Schwein und behelfen uns so. Wie
+wenig Leute im Dorf haben überhaupt eins zu schlachten, und
+leben doch; warum sollen wir nicht eben so gut ohne eins
+leben können als die.«</p>
+
+<p>»Ja,« sagte der Mann leise und still vor sich hin brütend — »verkaufen
+und immer nur verkaufen, ein Stück nach
+dem anderen, und während wo anders die Leute mit jedem
+Jahr ihr kleines Besitzthum vergrößern, und für ihre Kinder
+etwas zurücklegen können, sieht man es hier mehr und mehr
+zusammenschmelzen, unter Müh und Plack das ganze Jahr
+lang.«</p>
+
+<p>»Aber kannst Du's ändern?« sagte die Frau leise und
+fuhr, wie der Mann schwieg und mit der Faust die Stirn
+<pb n="144" /><anchor id="Pg144" />stützend vor sich nieder starrte, schüchtern fort — »arbeitest Du
+nicht von früh bis spät fleißig und unverdrossen? gönnst
+Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgend eine nöthige
+Beschäftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste
+vorzuwerfen?«</p>
+
+<p>»Nein,« sagte der Mann, während er die Hand auf den
+Tisch sinken ließ und die Frau voll und fest ansah — »nein,
+aber das ist es ja eben, was mir am Leben frißt. Wir können
+nicht mehr arbeiten, nicht mehr verdienen wie wir jetzt
+thun, und jetzt sind wir noch jung und kräftig, unsere Kinder
+noch klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr
+zurück, wird es mit jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie
+nun soll das werden, wenn uns erst einmal Krankheit heimsuchte,
+wenn die Kinder heranwachsen und mehr brauchen,
+wenn wir selber älter werden und nicht mehr so zugreifen
+können wie jetzt? — Schon jetzt können wir uns nicht mehr
+in der theueren Zeit oben halten — das eine Schwein ist verkauft,
+das andere wird noch fort müssen; unser Acker ist kleiner
+geworden in den letzten zehn Jahren, unsere Bedürfnisse
+aber sind gewachsen — wie soll das enden?«</p>
+
+<p>»Aber Gottlieb,« sagte die Frau freundlich — »wie
+kommen Dir jetzt doch nur solche Grillen? haben Dir die paar
+Thaler Steuern den Kopf verdreht? Mann, Mann, Du bist
+doch sonst so ruhig, und hast immer vertrauungsvoll in die
+Zukunft gesehn, wie sind Dir auf einmal solche schwarze Gedanken
+durch den Sinn gefahren?«</p>
+
+<p>Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die Beiden
+<pb n="145" /><anchor id="Pg145" />mit einander gesprochen, ihr Spinnrad ruhen lassen, und dem
+Gespräch aufmerksam zugehört; dabei schüttelte sie fortwährend
+mit dem Kopf, und sagte endlich mit ihrer schrillen, scharf
+klingenden Stimme:</p>
+
+<p>»Ja wohl, ja wohl — das Geld wird rar und das Brod
+theuer, und mehr Mäuler kommen — mehr Mäuler sind da
+zum Verzehren, wie zum Verdienen. Schlagt mich todt;
+schlagt mich todt daß ich weg komme aus dem Weg und Euch
+Platz mache — schlagt mich todt.«</p>
+
+<p>»Mutter,« bat die Frau, in Todesangst daß sie dem
+Manne mit solcher Rede wehe thun würde, denn <emph rend="letter-spacing: 0.20em">er</emph> gerade
+hatte sie immer auf das Freundlichste behandelt, und Alles
+gethan was in seinen Kräften stand, ihr jede Erleichterung,
+die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen — »wie dürft Ihr nur
+so etwas reden; versündigt Ihr Euch denn nicht?«</p>
+
+<p>»Wir haben noch genug für uns Alle Mutter,« sagte
+aber der Mann freundlich, der ihre Launen kannte und der
+alten Frau nicht wehe thun mochte — »nur für spätere Zeit
+ist mir bange; Sie aber wären die Letzte die darunter leiden
+sollte. Wir werden Alle alt, und wenn wir unsere Schuldigkeit
+in unserer Jugend gethan, wie Sie, dann ist es nicht
+mehr wie Pflicht und Schuldigkeit der Jüngeren für ihre
+Eltern zu sorgen — wenn sie nicht auch einmal wieder von
+ihren Kindern wollen verlassen werden.«</p>
+
+<p>Die Alte war wieder still geworden, sah noch eine Zeit
+lang vor sich nieder, und begann dann auf's Neue ihre Arbeit,
+<pb n="146" /><anchor id="Pg146" />aber die Frau fuhr fort und sagte, fast mit einem leisen Vorwurf
+im Ton zu ihrem Mann.</p>
+
+<p>»Siehst Du Gottlieb, das hast Du nun davon mit Deinen
+trüben und traurigen Ideen; Du machst Dir und mir und
+der Mutter nur das Herz schwer, und nützest und hilfst doch
+Nichts. Der liebe Herr Gott da oben wird's schon machen
+und lenken; Er hat die Welt so viele Jahrhunderte hindurch
+in ihrer Bahn gehalten, und die Menschen darauf geschirmt
+und gepflegt, wie unser Herr Pastor sagt, Er wird's auch
+schon weiter thun, und wir dürfen uns eigentlich gar nicht
+sorgen und kümmern um den »nächsten Tag.«</p>
+
+<p>»Doch, doch Frau,« sagte aber der Mann, aufstehend
+und jetzt, die Hände in den Hosentaschen, in der Stube auf
+und ab gehend — »doch Frau, der Mann <emph rend="letter-spacing: 0.20em">muß</emph>, denn wenn
+er's <emph rend="letter-spacing: 0.20em">nicht</emph> thäte, wär er ein schlechter Hausvater, und ihm
+allein fielen dann all die schweren Folgen zur Last, die daraus
+entständen. Ich kann Dir das nicht so mit Worten deutlich
+machen, wie mir's neulich der Schulmeister, mit dem ich
+darüber sprach, erklärte, aber der meinte es wäre etwa so wie
+wenn Einer im Wasser wäre. Da sei es auch nicht genug daß
+man sich oben hielte an der Luft, und im Kreis herum schwämme
+eben nur nicht zu ertrinken, das thäte nicht einmal ein unvernünftiges
+Stück Vieh; nein des Menschen, des verständigen
+Menschen Pflicht sei es sich schon im Wasser nach dem festen
+Lande umzusehn, ob man das nirgends erreichen könne, denn
+zuletzt würde man da im Wasser, man möchte noch so tapfer
+schwimmen, doch müde, und ließen erst einmal die Kräfte
+<pb n="147" /><anchor id="Pg147" />nach, dann hülfe auch zuletzt das Schwimmen Nichts mehr,
+und man sänke eben langsam zu Boden.«</p>
+
+<p>»Ich verstehe nicht recht was Du damit meinst,« sagte
+die Frau, »aber Du siehst mich so sonderbar dabei an — hast
+Du noch 'was anderes dahinter?«</p>
+
+<p>»Nein und Ja,« sagte der Mann nach kleiner Pause,
+indem er sich mit dem Rücken an den Ofen lehnte, und langsam
+dazu mit dem Kopfe nickte, »eigentlich nicht, denn Gott da
+oben weiß daß es wahr ist, und weiß wie, und ob's einmal
+enden kann; aber dann — dann hab' ich allerdings noch was
+dahinter, denn ich meine — ich meine — « er schwieg und es
+war augenscheinlich, er hatte etwas auf dem Herzen, das er
+sich scheue so mit blanken klaren Worten heraus zu sagen, die
+Frau aber, die eben damit beschäftigt war das Geschirr hinaus
+zu räumen, setzte die Kanne wieder auf den Tisch, sah den
+Mann erstaunt an, ging dann langsam zu ihm an den Ofen
+und sagte leise, vor ihm stehen bleibend:</p>
+
+<p>»Geh her, Gottlieb — Du hast 'was, was Dich drückt
+und willst nicht mit der Sprache heraus — es ist irgend noch
+etwas vorgefallen in der Stadt, was Du nicht sagen magst.
+Du darfst doch nicht <emph rend="letter-spacing: 0.20em">sitzen</emph>?«</p>
+
+<p>»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Sitzen</emph>? — weshalb?« lächelte der Mann kopfschüttelnd — »ich
+habe nie etwas Böses gethan.«</p>
+
+<p>»Nun was ist's denn, so sprich doch nur, denn Du ängstigst
+mich ja mehr mit Deinem Schweigen, als wenn Du mir
+das Schlimmste gleich vornheraus erzählst — dem Hans fehlt
+doch Nichts?«</p>
+
+<p><pb n="148" /><anchor id="Pg148" />»Was soll dem Hans fehlen, närrische Frau — wenn's
+aufhört zu gießen wird er schon kommen.«</p>
+
+<p>»Und was ist's denn? — gelt, Du sagst mir's?«</p>
+
+<p>»Ich muß Dir's wohl sagen;« seufzte der Mann, »nun
+sieh Hanne, ich meine — ich habe so darüber nachgedacht, daß
+es jetzt hier in Deutschland immer schlechter wird mit uns — und
+daß wir's zu Nichts mehr bringen können, trotz aller Arbeit,
+trotz allem Fleiß, und daß jetzt — daß jetzt doch so viele
+Menschen hinüber ziehen — «</p>
+
+<p>»Hinüber ziehen?« frug die Frau erstaunt, fast erschreckt,
+und legte die Hand fest auf's Herz, als ob sie die aufsteigende
+Angst und Ahnung über etwas Großes, Schreckliches da
+hinunter und zurückdrücken wolle, eh sie zu Tage käme — »wo
+hinüber Gottlieb?«</p>
+
+<p>»Nach Amerika;« sagte der Mann leise — so leise daß
+sie das Wort wohl nicht einmal verstand, und nur an der
+Bewegung der Lippen es sah und errieth. Wie ein Schlag
+aber traf sie die Wirklichkeit ihres Verdachts, und ohne ein
+Wort zu erwiedern, ohne eine Sylbe weiter zu sagen, setzte sie
+sich auf den, dicht am Ofen stehenden Stuhl, deckte ihr Gesicht
+mit der Schürze zu und saß eine lange, lange Weile still und
+regungslos. Auch der Mann wagte nicht zu sprechen — er
+hatte den Gedanken wohl schon eine Zeit lang mit sich herumgetragen,
+aber sich immer davor gefürchtet ihm Worte zu geben,
+sogar gegen sich selbst, wie viel weniger denn gegen die
+Frau. Jetzt war es heraus, und er betrachtete nur scheu die
+Wirkung die er hervorgebracht.</p>
+
+<p><pb n="149" /><anchor id="Pg149" />Auch die alte Mutter saß, mit der Hand auf dem Rad
+das sie im Drehen aufgehalten, und horchte nach den Beiden
+hinüber, was sie mitsammen hatten, und wie die so still waren
+und kein Wort mehr sprachen, mochte es ihr auch unheimlich
+vorkommen und sie sagte laut und mürrisch:</p>
+
+<p>»Nun Gottlieb was giebt's — was hast wieder Du mit
+der Hanne — was habt Ihr denn daß Ihr so still und heimlich
+thut — macht Einem nicht auch noch Angst unnützer Weise — was
+ist nun wieder los?«</p>
+
+<p>»Ja Mutter,« sagte der Mann jetzt, der sich gewaltsam
+Muth faßte über das, was nun doch nicht länger mehr verschwiegen
+bleiben konnte und besprochen werden <emph rend="letter-spacing: 0.20em">mußte</emph>, auch
+laut zu reden, daß er's vom Herzen herunter bekam — »es
+geht mit uns hier den Krebsgang, und ich habe eben zu Hannen
+gesagt daß uns zuletzt nichts anderes übrig bleiben würde
+als — als es eben auch wie andere zu machen, und — «</p>
+
+<p>»Und? — und was zu machen?« frug die alte Frau
+gespannt — </p>
+
+<p>»Als <emph rend="letter-spacing: 0.20em">auszuwandern</emph>,« sagte der Mann mit einem
+plötzlichen Ruck und seufzte dann tief auf, als ob er selber froh
+wäre es los zu sein.</p>
+
+<p>»Herr Du meine Güte!« rief die alte Frau, ließ die
+Hände erschreckt in den Schooß sinken und lehnte sich in ihren
+Stuhl zurück, während ihr alle Glieder am Leibe flogen — »Herr
+Du meine Güte!« wiederholte sie noch einmal, und die
+Finger falteten sich unwillkürlich zusammen, so hatte sie der
+Schreck getroffen.</p>
+
+<p><pb n="150" /><anchor id="Pg150" />»Auswandern,« sagte aber auch jetzt Gottliebs Frau mit
+tonloser Stimme, und ließ die Schürze vom Gesicht herunterfallen — »auswandern,
+das ist ein schweres — schweres
+Wort Gottlieb — hast Du Dir das auch recht — recht
+reiflich überlegt?«</p>
+
+<p>»Tag und Nacht die ganze letzte Woche hindurch,« rief
+aber der Mann, der jetzt, da das Eis einmal gebrochen war,
+wieder Leben und Wärme gewann. »Wie ein Mühlstein hat's
+mir auf der Seele gelegen, und ich habe lange und tapfer dagegen
+angekämpft, aber es wäre das Beste für uns, was wir
+auf der weiten Gotteswelt thun könnten; und wenn auch nicht
+einmal für uns, wenn wir selber auch schwere und bittere
+Zeiten durchzumachen hätten, doch für die Kinder, die einmal
+den Segen erndten, den wir mit unserem Schweiß, unseren
+Thränen gesäet.«</p>
+
+<p>»Auswandern? ja,« sagte aber jetzt die Großmutter, mit
+dem Kopfe nickend und schüttelnd, als ob sie den schrecklichen
+Gedanken wieder von sich abwerfen wollte — »ja wohin es
+euch lüstet, aber erst wenn ich todt bin. Die paar Tage
+müßt Ihr noch hier bleiben die ich noch zu leben habe, oder
+sonst schlagt mich todt, werft mich in's Wasser, oder schlagt
+mich mit dem Beil auf den Kopf daß ich fortkomme, und hier
+auf dem Kirchhof unter der alten Linde liegen kann, wo der
+Leberecht liegt. In der Welt könnt Ihr mich doch nicht mehr
+umherschleppen, und nutz bin ich auch Nichts mehr, wie das
+mit zu verzehren was andere verdienen. Wenn Ihr jetzt fort
+wollt schlagt mich vorher todt.«</p>
+
+<p><pb n="151" /><anchor id="Pg151" />»Ach Mutter wenn Sie nur nicht gar so häßlich reden
+wollten,« sagte die Frau traurig, während der Mann wieder
+zum Tisch ging, sich dort auf den Stuhl setzte, und den Kopf
+in die Hand stützte — »Sie sind noch wohl und rüstig und
+werden, will's Gott, noch manches Jahr leben und sich
+Ihrer Kinder freuen. Wo die dann hin ziehen und sich ihr
+Brod suchen müssen, da gehören Sie auch hin, und was
+die verdienen, das haben Sie auch verdient mit Mühe
+und Noth und banger Sorge schon vor langen Jahren,
+wie wir noch klein und unbehülflich waren, wie unsere
+Kinder jetzt.«</p>
+
+<p>»Wozu mich mitnehmen,« sagte aber die Frau, störrisch
+dabei mit dem Oberkörper herüber und hinüber schwankend,
+»unterwegs müßtet Ihr mich doch aus dem großen Schiff
+hinaus in's Wasser werfen, die Fische zu füttern. Bleibe im
+Lande und nähre Dich redlich, das ist <emph rend="letter-spacing: 0.20em">mein</emph> Spruch und
+meines Leberecht Spruch von alter Zeit her gewesen, und wir
+haben uns wohl dabei befunden, aber das junge Volk jetzt
+will immer alles anders haben, will oben zur Decke 'naus und
+fliegen und schwimmen, anstatt hübsch auf der Erde und im
+alten Gleis zu bleiben. Warum ist's denn früher gegangen? — nein
+Gott bewahre, jetzt soll Alles mit Eisenbahnen und
+Dampf gehen und keine Geduld, keine Ausdauer mehr; nur
+fort, immer gleich fort, in die Welt hinein und mit dem Kopf
+gegen die Wand — schlagt mich todt, dann seid Ihr mich los
+und könnt hingehn wohin Ihr wollt.«</p>
+
+<p>Und die alte Mutter stand auf, rückte ihr Spinnrad bei<pb n="152" /><anchor id="Pg152" />
+Seite, und humpelte, noch immer vor sich hin murmelnd und
+grollend, aus der Stube hinaus.</p>
+
+<p>»Sie meint es nicht so bös, Gottlieb,« sagte die Frau
+zu dem Mann tretend und ihre Hand auf seine Schulter
+legend, »es ist eine alte Frau die an ihrer Heimath mit ganzem
+Herzen hängt und sich vor der Reise fürchtet.«</p>
+
+<p>»Und Du nicht, Hanne?« rief der Mann sich rasch nach
+ihr umdrehend, und ihre Hand ergreifend — »Du nicht? Du
+würdest Dich dazu entschließen können unsere Heimath hier,
+unser Häuschen, unser Feld zu verlassen, und mit mir und
+den Kindern über das weite Meer zu fahren, in eine fremde
+Welt?«</p>
+
+<p>Die Frau schwieg und ihre Hand zitterte in der des
+Mannes — endlich sagte sie leise —
+»So weit fort? — und muß es denn sein, ist es denn
+gar nicht möglich mehr, daß wir hier gut und ehrlich durchkommen
+durch die Welt, wenn wir uns auch ein Bischen
+knapper einrichten wie bisher? Ach Gottlieb, es ist gar hart
+so von zu Hause fortzugehn, die Thür zuzuschließen und zu
+denken daß man nun nie und nimmer wieder dahin zurückkommt — «</p>
+
+<p>Der Mann nickte traurig mit dem Kopf und sagte
+endlich:</p>
+
+<p>»Du hast recht Hanne; es ist ein schwerer, recht schwerer
+Schritt, und man sollte ihn sich wohl vorher überlegen ehe
+man ihn thut, denn zurück kann man nicht wieder, wenn man
+nicht wenigstens Alles opfern will, was Einem bis dahin
+<pb n="153" /><anchor id="Pg153" />noch zu eigen gehört hat. Thun wir aber recht nur allein
+an uns zu denken? — Sieh, wir schleppen uns vielleicht
+noch wenn auch kümmerlich, doch ehrlich, durch, bis wir einmal
+sterben, und wenn es auch hart ist, daß es Einem nachher
+im Alter schlechter gehn soll wie in der Jugend, brauchten
+wir doch gerade keine Furcht zu haben daß wir verhungerten;
+aber die Kinder — die Kinder — was wird aus denen? Unser
+kleines Grundstück ist die Jahre über kleiner und kleiner
+geworden; mit dem Geschäft geht's auch kümmerlicher wie
+bisher — neue, geschicktere Arbeiter, junge Burschen die noch
+keine Familie haben und weniger brauchen, sitzen in den Dörfern
+herum, und die Fabriken und Maschinen geben uns ohnedies
+den Todesstoß. Stahl und Holz braucht Nichts zu essen
+und arbeitet unermüdet Tag und Nacht durch, und die Räder
+und Walzen und Hämmer klopfen und drehen und schwingen
+ununterbrochen fort gegen den Schweiß des armen Arbeiters
+der darüber zu Grunde geht. Ich murre auch nicht darüber,
+es muß wohl schon so recht sein, denn Gott hat's den Menschen
+selber gelehrt und die Welt muß vorwärts gehn — wir
+älteren Leute können uns aber eben nicht mehr darein schicken,
+können nichts Anderes mehr ergreifen, und wieder von vorne
+anfangen, wenigstens hier im Lande nicht wo Einem die
+Hände nach allen Seiten hin gebunden sind, und darum ist
+mir der Gedanke gekommen auszuwandern. Da drüben
+über dem Weltmeere hat der liebe Herr Gott noch einen großen
+gewaltigen Fleck Erde liegen, für uns arme Leute bestimmt,
+den Maschinen und Räderwerken zu entgehn; dort haben wir<pb n="154" /><anchor id="Pg154" />
+Platz uns zu bewegen, und wer nur da ordentlich arbeiten
+will hat nicht allein zu leben, sondern kann auch vielleicht für
+sich und die Kinder was vorwärts bringen und braucht sich
+nicht mehr vor der Zukunft zu fürchten und vor Hunger und
+Noth. Wenn wir nicht auswandern, was bleibt unsern
+Kindern da einmal anders übrig, als in Dienst zu gehn und
+sich bei fremden Leuten doch herumzuschlagen ihr Lebelang.«</p>
+
+<p>»Und die Mutter?« sagte die Frau, sich ängstlich nach
+der Thüre umsehend — »was würde aus der alten Frau auf
+dem Meere?«</p>
+
+<p>»Was aus so vielen alten Frauen da wird, liebes Herz,«
+sagte aber der Mann, augenscheinlich mit froherem, freudigeren
+Herzen, als er bei dem eigenen Weib nicht den Widerstand
+fand, den er vielleicht gefürchtet — »sie gewöhnen sich an das
+neue Leben, sobald sie das alte nicht mehr um sich sehen, und
+die Seeluft soll kräftigen und stärken.«</p>
+
+<p>»Aber sie wird nicht mit uns wollen.«</p>
+
+<p>»Sie wird ihre Kinder nicht verlassen,« tröstete sie der
+Mann, »und ohne sie dürften wir ja auch gar nicht fort.«</p>
+
+<p>Die Frau reichte ihm schweigend die Hand, die er herzlich
+drückte, und wandte sich dann, und wollte eben das Zimmer
+verlassen, als draußen Jemand die Thür aufriß und in
+das Haus trat. Das Unwetter hatte jetzt seinen höchsten
+Grad erreicht, und der Regen schlug in ordentlichen Güssen
+gegen die Fenster an, während der Wind die Wipfel der
+Bäume herüber und hinüber schüttelte und die Blüthen von
+den Zweigen riß mit rauher Hand.</p>
+
+<p rend="page-float: 'htb'; text-align: center">
+<figure url="images/illu004.jpg" rend="w50">
+<figDesc>Capitel 6</figDesc>
+</figure>
+</p>
+
+<pb n="155" /><anchor id="Pg155" />
+<p>»Schönen Gruß mit einander,« sagte dabei eine rauhe
+Stimme, während die Stubenthür halb geöffnet wurde — »darf
+man hinein kommen?«</p>
+
+<p>»Gott grüß Euch,« sagte die Frau — »kommt nur herein,
+bei dem Wetter ist's bös draußen sein — es tobt ja, als ob
+der letzte Tag hereinbrechen sollte.«</p>
+
+<p>Der Fremde hing seinen Hut und Mantel draußen ab und
+trat mit nochmaligem Gruß in die Stube.</p>
+
+<p>»Gott grüß Euch,« sagte auch Gottlieb — »da, nehmt
+Euch einen Stuhl und setzt Euch zum Ofen; es ist heut unfreundlich
+draußen, und man kann ein Bischen Feuer brauchen.«</p>
+
+<p>»Sauwetter verdammtes,« fluchte der Mann, als er der
+Einladung Folge geleitet und sich die nassen Haare aus der
+Stirne strich — »ich wollte erst sehen daß ich die Schenke erreichte;
+hier um die Ecke herum kam der Wind aber so gepfiffen
+daß er mich bald von den Füßen hob, und es war gerade
+als ob sie Einem von da oben einen Eimer voll Wasser nach
+dem andern entgegen gossen. Schönes Wetter für Enten, aber
+für keine Menschen.«</p>
+
+<p>Es war eine rauhe, kräftige Gestalt, der Mann, mit
+krausem dicken schwarzen Bart und ein paar tiefliegenden unstäten
+Augen, in einen groben braunen Tuchrock gekleidet, wie
+ihn die Fleischer nicht selten auf dem Lande tragen. Die ebenfalls
+braunen Hosen hatte er dabei heraufgekrempelt, bis fast
+unter das Knie, mit seinen derben Wasserstiefeln besser durch
+alle Pfützen und Schlammwege hindurch zu können; die aus
+ungeborenem Kalbfell gemachte Weste war ihm bis an den<pb n="156" /><anchor id="Pg156" />
+Hals hinauf zugeknöpft, und eine lange silberne Kette, an der
+die in der Westentasche steckende Uhr befindlich war, hing ihm
+darüber hin.</p>
+
+<p>»Ihr seid wohl weit von hier zu Haus?« frug Gottlieb
+nach einer längeren Pause, in der er den Mann und dessen
+Aeußeres flüchtig nur betrachtet hatte — »hab' Euch wenigstens
+noch nicht hier bei uns gesehen.«</p>
+
+<p>»Zehn Stunden etwa,« sagte der Fremde, seine Pfeife
+jetzt aus der Brusttasche seines Rockes nehmend und mit Stahl
+und Schwamm, den er bei sich führte, entzündend — »wie
+weit ist's noch bis Heilingen.«</p>
+
+<p>»Eine tüchtige Stunde — wenn der Weg jetzt nicht so schrecklich
+wäre, könnte man's recht bequem in kürzerer Zeit gehn.«</p>
+
+<p>»Hm — ist noch verdammt weit, puh wie das draußen
+stürmt; und die Pflaumenblüthen pflückt's beim Armvoll herunter — Pflaumenmuß
+wird theuer werden nächsten Herbst.«</p>
+
+<p>»Das weiß Gott,« sagte Gottlieb — »es wird Alles
+theuer, immer mehr jedes Jahr, langsam aber Sicher.«</p>
+
+<p>»Bah, es geschieht denen recht die hier bleiben, wenn sie
+nicht hier bleiben müssen; 's giebt Plätze die besser sind.«</p>
+
+<p>»Wollt Ihr auch auswandern?« sagte Gottlieb rasch.</p>
+
+<p>»Auswandern? — nach Amerika? — hm — ich weiß
+noch nicht,« brummte der Fremde, sich den Bart streichend —
+»es wäre aber möglich daß sie Einen noch dazu trieben. Sind
+das Euere Kinder?«</p>
+
+<p>»Ja. — «</p>
+
+<p>»Habt Ihr noch mehr?«</p>
+
+<p><pb n="157" /><anchor id="Pg157" />»Noch einen Jungen von elf und ein halb Jahr.«</p>
+
+<p>»Und Ihr seid ein Weber?« sagte der Fremde mit einem
+Blick auf den Webstuhl — »auch schwere Zeiten für derlei Arbeit,
+mit einer Familie durchzukommen.«</p>
+
+<p>»Ja wohl, schwere Zeiten,« seufzte Gottlieb, als in diesem
+Augenblick die Thür draußen wieder aufging und die
+Mutter laut ausrief: — </p>
+
+<p>»Der Hans, lieber Himmel kommt der in dem Wetter.«</p>
+
+<p>Es war Hans, der älteste Sohn des Webers, durch und
+durch naß, aber mit frischem gesunden Gesicht und rothen
+Backen, auf denen das Regenwasser in großen Perlen stand.</p>
+
+<p>»Guten Tag mit einander,« sagte er, als er in's Zimmer
+trat und die triefende Mütze vom Kopf riß — »guten
+Tag Mutter.«</p>
+
+<p>»Guten Tag Hans, aber wo um Gottes Willen kommst
+Du in dem Regen her; warum hast Du das Wetter nicht bei
+Lehmann's abgewartet?«</p>
+
+<p>»Es wurde mir zu spät Mutter und ich war hungrig
+geworden; habe auch noch heute Abend dem Vater etwas zu
+helfen.«</p>
+
+<p>»Ein derber Junge,« sagte der Fremde, der sich den
+Knaben indeß mit finsterem Blick betrachtet hatte — »kann
+wohl schon ordentlich mit arbeiten.«</p>
+
+<p>»Ach ja, er packt tüchtig mit zu,« sagte der Vater — »lieber
+Gott in jetziger Zeit muß Alles mit Brod verdienen
+helfen.«</p>
+
+<p>»Die Kinder fressen Einen arm,« sagte der Fremde.</p>
+
+<p><pb n="158" /><anchor id="Pg158" />»Habt Ihr Kinder?« frug Gottlieb.</p>
+
+<p>»Ich? — hm, ja,« sagte der Fremde nach einer Pause — »könnte
+noch Jemandem abgeben davon.«</p>
+
+<p>»Ich möchte keins hergeben,« sagte die Frau rasch, und
+küßte das Jüngste, das sie eben wieder aufgenommen hatte
+um es zu füttern, »Kinder sind ein Segen Gottes.«</p>
+
+<p>»Ja — so sprechen die Leute wenigstens,« sagte der
+Fremde trocken, »aber ich glaube es läßt nach mit Regnen; ich
+werde die Schenke wohl jetzt erreichen können.«</p>
+
+<p>»Wollt Ihr nicht vielleicht erst eine heiße Tasse Kaffee
+trinken?« frug die Frau, das Kind auf dem linken Arm, zum
+Ofen gehend, die dort warmgestellte Kanne wieder vorzuholen.</p>
+
+<p>»Danke, danke,« sagte aber der Fremde abwehrend — »kann
+das warme Zeug nicht vertragen; ein Glas Branntwein
+ist mir lieber.«</p>
+
+<p>»Das thut mir leid,« sagte der Mann, »den kann ich
+Euch nicht anbieten; ich habe keinen im Hause.«</p>
+
+<p>»Thut auch Nichts,« lachte der Fremde; »so lange halt
+ich's schon noch aus. Sind doch hülflose Dinger so junge Menschen,
+ehe sie die Kinderschuh ausgetreten haben,« setzte er
+dann hinzu, als das Jüngste das Mäulchen nach dem schon
+einmal gereichten Löffel vorstreckte — »was machte nun so ein
+jung Ding, wenn man es hinsetzte und sich selber überließe.«</p>
+
+<p>»Ach Du lieber Gott,« sagte die Frau bedauernd — »so
+ein armer Wurm müßte ja elendiglich umkommen.«</p>
+
+<p>»Bis den Nachbarn das Geschrei zu arg würde und sie
+kämen und es fütterten,« lachte der Andere.</p>
+
+<p><pb n="159" /><anchor id="Pg159" />»Dafür haben die Kinder Eltern,« sagte die Frau, das
+kleine, die Aermchen zu ihr ausstreckende Mädchen liebkosend
+und küssend, »die sorgen schon dafür daß kein Nachbar danach
+zu sehen braucht.«</p>
+
+<p>»Wenn die aber einmal plötzlich stürben, wie dann?«
+frug der Fremde, mit einem Seitenblick auf die Frau, indem
+er seinen Rock wieder zuknöpfte und sich zum Gehen rüstete.</p>
+
+<p>»Dann ist Gott im Himmel,« sagte Hanne, mit einem
+frommen vertrauungsvollen Blick nach oben.</p>
+
+<p>»Ja, das ist wahr;« sagte der Fremde mit einem leichtfertigen
+Lächeln, »der hat allerdings die große Kinderbewahranstalt.
+Aber es hat wirklich aufgehört mit Gießen,« unterbrach
+er sich rasch, »den Augenblick will ich doch lieber benutzen.
+So schön Dank für gegebenes Quartier Ihr Leute,
+und gut Glück.«</p>
+
+<p>»Bitte, Ihr habt für Nichts zu danken, behüt' Euch
+Gott,« sagte Gottlieb freundlich.</p>
+
+<p>»Behüt' Euch Gott;« sagte auch die Frau, und der Mann,
+ihnen noch einmal zunickend, nahm draußen wieder den nassen
+Mantel um, drückte sich den breiträndigen Hut in die Stirn,
+griff einen derben Knotenstock, der daneben in der Ecke lehnte,
+auf, und verließ rasch das Haus, die Richtung nach der
+Schenke einschlagend.</p>
+
+<p>»Mich freut's daß er fort ist,« sagte die Frau, die dem
+Knaben gerade das Essen auf den Tisch setzte und den Kaffee
+einschenkte — »bewahr uns Gott, was hatte der Mann für
+ein finstres Gesicht und ein barsches Wesen; nicht schlafen
+<pb n="160" /><anchor id="Pg160" />könnt' ich die Nacht, wenn ich den unter einem Dach mit mir
+wüßte. In dem Gesicht liegt auch nichts Gutes — und wie
+er fluchte und über die Kinder sprach — ob er nur wirklich
+selber welche hat.«</p>
+
+<p>»Er sagt's ja,« bestätigte Gottlieb — »aber mir schien's
+ein Fleischer zu sein, seinem Gewerbe nach, und die sind immer
+rauh und derb, meinen's aber nicht immer so bös.«</p>
+
+<p>»So bess're ihn Gott,« sagte die Frau mit einem Seufzer,
+»und je seltener er unseren Weg kreuzt, desto besser.«</p>
+</div>
+<div rend="page-break-before: always"><pb n="161" /><anchor id="Pg161" />
+<index index="toc" level1="Nach Amerika" />
+<index index="pdf" level1="Nach Amerika" />
+<index index="pdb" level1="Nach Amerika" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 7.</head>
+<head rend="text-align: center">Nach Amerika.</head>
+<p>»Nach Amerika!« — Leser, erinnerst Du Dich noch der
+Märchen in »Tausend und eine Nacht«, wo das kleine Wörtchen
+»Sesam« dem, der es weiß, die Thore zu ungezählten Schätzen
+öffnet? hast Du von den Zaubersprüchen gehört, die vor alten
+Zeiten weise Männer gekannt, Geister heraufzurufen aus ihrem
+Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar
+zu machen? — Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe
+schlugen, wie sich die Sage seit Jahrhunderten im Munde des
+Volkes erhalten, Blitz und Donner zusammen, die Erde bebte,
+und das kecke, tollkühne Menschenkind das sie gesprochen, bebte
+zurück vor der furchtbaren Gewalt die es heraufbeschworen.</p>
+
+<p>Die Zeiten sind vorüber; die Geister, die damals dem
+Menschengeschlecht gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder
+wir haben auch vielleicht das rechte Wort vergessen sie zu rufen — aber
+ein anderes dafür gefunden, das kaum minder stark
+<pb n="162" /><anchor id="Pg162" />mit <emph rend="letter-spacing: 0.20em">einem</emph> Schlage das Kind aus den Armen der Eltern, den
+Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhältnissen
+und Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reißt,
+in dem es bis dahin mit seinen stärksten, innigsten Fasern
+treulich festgehalten.</p>
+
+<p>»Nach Amerika,« leicht und keck ruft es der Tollkopf
+trotzig der ersten schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine
+Kraft prüfen sollte, seinen Muth stählen — »nach Amerika,«
+flüstert der Verzweifelte der hier am Rand des Verderbens dem
+Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde — »nach
+Amerika,« sagt still und entschlossen der Arme, der mit männlicher
+Kraft und doch immer und immer wieder vergebens,
+gegen die Macht der Verhältnisse angekämpft, der um sein
+»tägliches Brod« mit blutigem Schweiß gebeten — und es
+nicht erhalten, der keine Hülfe für sich und die Seinen hier
+im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln <emph rend="letter-spacing: 0.20em">will</emph>, nicht stehlen
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">kann</emph> — »nach Amerika« lacht der Verbrecher nach glücklich
+verübtem Raub, frohlockend der fernen Küste entgegen jubelnd,
+die ihm Sicherheit bringt vor dem Arm des beleidigten Rechts — »nach
+Amerika,« jubelt der Idealist, der wirklichen Welt
+zürnend, weil sie eben wirklich ist, und über den Ocean drüben
+ein Bild erhoffend, das dem, in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht — »nach Amerika« und mit dem einen Wort
+liegt hinter ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes früheres Leben,
+Wirken, Schaffen — liegen die Bande die Blut oder Freundschaft
+hier geknüpft, liegen die Hoffnungen die sie für hier gehegt,
+die Sorgen die sie gedrückt — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">»nach Amerika!«</emph></p>
+
+<p><pb n="163" /><anchor id="Pg163" />So gährt und keimt der Saame um uns her — hier
+noch als leiser, kaum verstandener Wunsch im Herzen ruhend,
+dort ausgebrochen zu voller Kraft und Wirklichkeit, mit der
+reifen Frucht seiner gepackten Kisten und Kasten. Der Bauer
+draußen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain der ihn
+zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so
+schwer geärgert, und der im Geist schon die langen geraden
+Furchen zieht, weit über dem Meer drüben, in dem fetten,
+herrlichen Land; — der Handwerker in seiner Werkstatt, dem
+sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt mit Neuerungen
+und großen, marktschreierischen Firmen, die wenigen
+Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in <emph rend="letter-spacing: 0.20em">seine</emph> Thür zu
+locken; der Künstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube,
+der über einer freieren Entwickelung brütet, und von einem
+Lande schwärmt wo Nahrungssorgen ihm nicht Geist und
+Hände binden; — der Kaufmann hinter seinem Pult, der
+Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Büchern
+zieht und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt, von
+einem neuen, andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen,
+von reich gefüllten Waarenhäusern träumt; in Tausenden von
+ihnen drängt's und treibt's und quält's, und wenn sie auch
+noch vielleicht Jahre lang nach außen die alte frühere Ruhe
+wahren, in ihren Herzen glüht und glimmt der Funke schon — ein
+stiller aber ein gefährlicher Brand. Jeder Bericht über
+das ferne Land wird gelesen und überdacht, neue Arzenei, neues
+Gift bringend für den Kranken. Vorsichtig und ängstlich, und
+weit herum um ihr Ziel, daß man die Absicht nicht errathen
+<pb n="164" /><anchor id="Pg164" />soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem Ding — nach
+Leuten die vordem »hinüber« gezogen und denen es gut gegangen — nach
+Land- und Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk — für
+Andere natürlich, nicht für sich etwa — sie lachen bei
+dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will hinüber, ein entfernter
+Verwandter oder naher Freund, sie wünschen daß es
+dem wohl geht, und häufen mehr und mehr Zunder für sich
+selber auf.</p>
+
+<p>So ringt und drängt und wühlt das um uns her; keiner
+ist unter uns, dem nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter
+den <foreign rend="font-style: italic">salto mortale</foreign> gethan, und Alles hinter sich gelassen,
+was ihm einst lieb und theuer war — aus dem, aus
+jenem Grund — und täglich, stündlich noch hören wir von anderen,
+von denen wir im Leben nie geglaubt daß <emph rend="letter-spacing: 0.20em">sie</emph> je an
+Amerika gedacht, wie sie mit Weib und Kind, mit Hab' und
+Gut hinüberziehn. Und <emph rend="letter-spacing: 0.20em">dort</emph>? — noch liegt ein dichter
+Schleier über ihrem Schicksal dort, doch Gottes Sonne scheint
+ja überall — Dir aber lieber Leser, greif ich aus dem Leben
+noch hie und da ein paar Freunde heraus, die wir begleiten
+wollen auf dem weiten Weg.</p>
+
+<milestone unit="tb" rend="stars: 5" />
+
+<p>Oben in der Brandstraße — nicht weit vom Brandthor
+entfernt, und dem Gasthaus zum Löwen schräg gegenüber,
+wohnte Professor Lobenstein mit seiner Familie, in der ersten
+Etage eines, zwar sehr alten, aber auch sehr wohnlich eingerichteten
+Hauses, das ihm eigen gehörte.</p>
+
+<p><pb n="165" /><anchor id="Pg165" />Der Professor war ein Mann, gerade an der anderen
+Seite der »besseren Jahre«, etwa einundfünfzig alt, aber rüstig
+und gesund, nur erst mit einzelnen grauen Haaren zwischen
+den rabenschwarzen Locken, die ihm über die bleiche, aber hohe
+und geistvolle Stirn fielen, wie mit fast jugendlichem, elastischem
+Gang und Wesen. Ein tüchtiger Kopf dabei, hatte er
+<foreign rend="font-style: italic">jura</foreign> und <foreign rend="font-style: italic">cameralia</foreign> studirt, und einen großen Schatz von
+Kenntnissen aufgehäuft; auch in manchem, mit schweren mühsamen
+Nachtwachen erkauften Werk der Welt, der undankbaren
+Welt das Resultat seiner Studien und Forschungen gebracht
+und dargelegt. Unzufrieden aber mit dem Erfolg, und der kalten
+Aufnahme die es gefunden, wandte er sich später wieder
+von den bis dahin bevorzugten juristischen Wissenschaften ganz
+ab und allein seinem Lieblingsstudium den Cameralien zu, in
+denen er besonders der Gewerbskunde seine Thätigkeit widmete,
+auch mit einem Buchhändler in Heilingen eine Gewerbszeitung
+gründete und herausgab.</p>
+
+<p>Hierin hatte er Unglück; der Buchhändler machte bankerott
+und er übernahm die Zeitung, mit ziemlich großen Verlusten
+schon, allein.</p>
+
+<p>So vortrefflich aber Professor Lobenstein in der Theorie
+seiner Wissenschaft bewandert sein mochte, so wenig sattelfest
+war er es in der Praxis, und seine Zeitung wollte und wollte
+keinen Boden gewinnen. Mit fabelhaftem Fleiß suchte er dem
+zu begegnen, umsonst — umsonst auch daß er Capital nach
+Capital in das, zuletzt nur noch zur Ehrensache gewordene
+Unternehmen steckte. Sein Haus bekam Hypothek auf Hypo<pb n="166" /><anchor id="Pg166" />thek
+und mit einer höchst ungünstigen politischen Periode, in
+der ihm eine große Anzahl Abonnenten absprang, trafen ihn
+auch so bedeutende pecuniäre Verluste, daß er sich endlich genöthigt
+sah sein Blatt vollständig aufzugeben. Es war das
+das schwerste Opfer, das er bis dahin gebracht.</p>
+
+<p>Professor Lobenstein hatte eine ziemlich starke Familie,
+eine Frau, zwei erwachsene Töchter von siebzehn und zwanzig
+Jahren, einen Sohn von achtzehn, und zwei kleinere Kinder,
+einen Knaben von acht und ein Mädchen von sieben Jahren.
+Wenn auch nicht in Reichthum doch in einem gewissen Wohlstand
+erzogen, war aber der Familie bis jetzt das schwere Wort
+»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Nahrungssorgen</emph>« fremd geblieben; der Professor hatte
+immer, was man so nennt, ein Haus gemacht, und sich in
+einem Umgangskreis bewegt, der ihnen schon an und für sich
+eine gewisse Verpflichtung auferlegte Manches mitzumachen,
+was seinen, sonst mehr einfachen Neigungen eben nicht Bedürfniß
+schien. Das Alles sollte, ja <emph rend="letter-spacing: 0.20em">mußte</emph> sich jetzt ändern,
+denn wenn er auch aus den Trümmern seines Vermögens,
+nach allen erlittenen Verlusten, einen kleinen Theil zu retten
+vermochte, genügte der nicht, das bisherige Leben fortzuführen.
+Die Wahl blieb ihm jetzt allein, von Neuem
+eine Laufbahn mit geringeren Mitteln anzufangen, und sich
+und den Seinen schwere und ungewohnte Entbehrungen
+an einem Orte aufzuerlegen, wo ihn Alles und Jedes an
+frühere und bessere Zeiten erinnerte oder — es war eine
+schwere Stunde in der ihm das Bild zum ersten Mal vor die
+Seele stieg — in einem anderen Welttheil, ungekannt, aber
+<pb n="167" /><anchor id="Pg167" />auch nicht bemitleidet oder verspottet, ein vollkommen neues
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Leben</emph> zu beginnen.</p>
+
+<p>Aber die Frauen? — würden sie den Mühseligkeiten einer
+so langen Reise, einer Ansiedlung drüben in einem noch wilden
+Lande gewachsen sein? — Daß er selber die Beschwerden
+eines solchen Lebens leicht ertragen würde, daran zweifelte er
+keinen Augenblick; er hatte so viel über Amerika gelesen, sich
+mit den dortigen Verhältnissen aus allen erschienenen Schriften
+so vertraut gemacht, daß er Alles kannte was ihn dort erwartete,
+und einem derartigen Wirken eher mit Freude und
+Lust, als Bangen entgegenging; aber durfte er seine Frau all
+den sie erwartenden Unbequemlichkeiten und Strapatzen aussetzen?
+durfte er seine Töchter aus ihrem geselligen glücklichen
+Leben reißen, und ihnen mit einem Schlage alle jene Vergnügungen
+entziehen, die ihnen hier schon mehr als Erholung,
+die ihnen fast Bedürfniß geworden?</p>
+
+<p>Einen langen und schweren Kampf kämpfte er mit sich
+selber, Monate lang, und er wurde alt in der Zeit; die Augen
+lagen tief in ihren Höhlen und seine Züge bekamen etwas
+Mattes und Abgespanntes, das sie sonst, in seiner schwersten
+Arbeitszeit noch nie gehabt. Wenn auch die Kinder dabei
+sich leicht mit einem vorgeschützten Unwohlsein beruhigen ließen,
+dem scharfen Blick der Gattin entging die Sorge nicht, die
+an seinem Herzen heimlich, aber desto gewaltiger nagte, und
+ihren dringenden, ängstlichen Bitten konnte er zuletzt nicht
+länger widerstehen. Was sie doch zuletzt hätte erfahren
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">müssen</emph>, vertraute er ihr an und wenn es die arme Frau
+<pb n="168" /><anchor id="Pg168" />auch wie ein Schlag aus heiterem Himmel traf, nahm sie das
+Ganze doch viel ruhiger auf als er erwartet, gefürchtet, und
+damit eine schwere Last von <emph rend="letter-spacing: 0.20em">seinem</emph> Herzen — auf das ihre.
+Aber leichter trägt sich die getheilte, und bereden konnten sie
+jetzt zusammen was zu thun, welchen Weg zu gehen, die
+Möglichkeit besprechen die sich hier ihrem Leben bot, die Möglichkeit
+errwägen, die ihnen dort eine andere freiere Zukunft
+öffnete. Und die Kinder? wohin Mütter und Vater gingen
+folgten die ja gern; nur die Scene wechselte für sie, anderen,
+vielleicht selbst bunteren Bildern Raum zu geben, und Kummer
+und Sorge kannten die ja nicht.</p>
+
+<p>An demselben Abend waren die beiden ältesten Töchter zu
+einem kleinen Fest, dem Geburtstag einer Freundin, eingeladen
+und hatten schon den ganzen Tag mit rastlosen Fingern an
+dem bunten blitzenden Ballstaat genäht. Der Vater begleitete
+sie dorthin, nur die Mutter blieb daheim, Kopfschmerz vorschützend,
+und die Sorge um das jüngste Kind, das mit einem
+leichten Unwohlsein in seinem Bettchen lag. Aber gegen zehn
+Uhr schlummerte es sanft und ruhig auf dem weichen Lager
+ein, und daneben, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt,
+saß die Mutter und weinte — weinte als ob sie mit dieser
+Thränenfluth all den Gram und Kummer fortwaschen
+wollte, der jetzt, ein dunkler Wolkensaum, am Horizonte ihres
+Glücks erschien, und wild und drohend höher und höher stieg.</p>
+
+<p>Lachend und plaudernd kehrten die Töchter, mit dem
+Vater spät in der Nacht zurück; den leichten, sorglosen
+Herzen lag die Welt noch, ein weiter Garten offen da,
+<pb n="169" /><anchor id="Pg169" />und was etwa an wuchernden Giftpflanzen dazwischen stand,
+mischte noch sein fastgrünes Laub, dem jungen Auge nicht erkennbar,
+mit Blum' und Blüthenpracht.</p>
+
+<p>Aber der Moment näherte sich auch, wo mit der vorgerückten
+Jahreszeit all' die nöthigen und mannichfaltigen Vorbereitungen
+zu einer so langen Reise, zu einer gänzlichen Umgestaltung
+aller ihrer Verhältnisse, getroffen werden <emph rend="letter-spacing: 0.20em">mußten</emph>;
+auch schien die Zeit eine passende für den Sohn, der, von der
+Schule gerade abgegangen, eben sein Abiturienten-Examen
+glücklich bestanden hatte. Der Vater wünschte allerdings daß er
+hier erst studiren, und ihnen dann später, wenn er etwas Tüchtiges
+gelernt, vielleicht folgen sollte, dachte ihm aber doch die
+freie Wahl zu lassen, und seinem Herzen keinen Zwang aufzuerlegen.</p>
+
+<p>Am nächsten Morgen nach dem Balle nun — es war
+spät mit Aufstehn geworden nach der durchschwärmten Nacht
+und die zweite Tochter Marie eben erst zum Kaffee herübergekommen,
+während der Sohn das Haus schon, irgend eines
+notwendigen Ganges wegen verlassen hatte — saß der Vater,
+ungewohnter Weise nicht in seiner Studirstube an der Arbeit,
+sondern im Sopha, aus der langen Pfeife den Dampf in
+weißen Kräußelwolken von sich blasend, und die Mutter am
+Nähtisch, Kleider ausbessernd für das Jüngste, das in seinem
+herübergeschafften Bettchen wieder mit klaren Augen seine Puppe
+schaukelte.</p>
+
+<p>»Schon ausgeschlafen, Väterchen?« sagte Marie als sie,
+etwas beschämt, die Letzte am Kaffeetische Platz genommen,<pb n="170" /><anchor id="Pg170" />
+»ich habe wohl recht lange heut geschlafen, aber — was ist
+Dir denn? — und der Mutter auch?« — rief sie vom Stuhl
+wieder aufspringend, als sie das ungewohnte ernste Wesen der
+Eltern gewahrte — »bist Du böse auf mich, Mütterchen?«</p>
+
+<p>»Nein mein Kind,« sagte diese und zwang ein Lächeln
+auf die Lippen, »aber der Vater hat Euch etwas recht Ernstes
+heute zu sagen, etwas von dem wir noch nicht wissen, ob es
+Euch betrüben wird oder nicht.«</p>
+
+<p>»Der Vater?« rief Marie erschreckt, und auch Anna, die
+älteste Tochter, sah ängstlich zu ihm auf; Professor Lobenstein
+aber, so in die Enge und zum Aeußersten getrieben, hustete,
+paffte den Dampf ein paar Mal scharf vor sich hin, die Pfeife
+ordentlich in Gluth zu bringen, und sagte:</p>
+
+<p>»Ja Kinder, Ihr wißt — wir — wir haben doch in den
+letzten Tagen viel über Nord-Amerika gesprochen, und auch
+Manches gelesen — «</p>
+
+<p>»Ja, die herrlichen Romane von Cooper,« rief Marie rasch.</p>
+
+<p>»Und die schrecklichen Berichte im Tageblatt,« lächelte
+Anna.</p>
+
+<p>»Der Doctor Haide ist ein Esel,« sagte der Professor, den
+Rauch wieder ein paar Mal rasch ausstoßend — »wenn der
+hätte in Amerika ordentlich arbeiten wollen, brauchte er sich
+jetzt nicht von einer Winkeladvocatur und vom Schimpfen auf
+freisinnige Leute zu ernähren; über dessen Berichte wollen wir
+uns keine Sorgen machen, aber — « er schwieg wieder einen
+Augenblick und sah, wie furchtsam, nach der Frau hinüber.
+Die jedoch arbeitete um so emsiger weiter, und selber mit dem<pb n="171" /><anchor id="Pg171" />
+Bedürfniß dem, was ihn schon so lange gedrückt, endlich einmal
+Worte zu geben, fuhr er rasch fort — »ich habe eine Frage
+an Euch zu thun, Kinder — Hättet Ihr — hättet Ihr wohl
+selber Lust hinüber nach — nach Amerika zu gehn?«</p>
+
+<p>»Nach Amerika?« rief Anna rasch und auch wohl erschreckt.
+Marie aber sprang auf, schlug in die Hände und rief
+jubelnd:</p>
+
+<p>»Nach Amerika? oh das wäre ja prächtig — das wäre
+herrlich — nicht wahr da sind auch Bälle, Väterchen?«</p>
+
+<p>Die Mutter seufzte tief auf und der Vater zog wieder,
+etwas verlegen an der Bernsteinspitze.</p>
+
+<p>»Hm — ich weiß nicht,« sagte er langsam mit dem Kopf
+schüttelnd — »wo wir im Anfang hinwollten, werden wohl
+keine sein. Hängst Du so an Bällen, Marie?«</p>
+
+<p>»Ich tanze gern,« lächelte das junge fröhliche Mädchen
+etwas verlegen und schüchtern.</p>
+
+<p>»Nun tanzen wirst Du dort hoffentlich auch können, mein
+Kind,« sagte der Vater freundlich — »wenn auch nicht gerade
+gleich auf solchen Bällen wie wir sie hier gewohnt sind — das
+Leben ist dort einfacher.«</p>
+
+<p>»Oh, und bis zum nächsten Fasching sind wir gewiß
+auch wieder zurück,« rief Marie.</p>
+
+<p>Der Vater schwieg erst eine kleine Weile, und sagte dann
+leise aber entschlossen.</p>
+
+<p>»Wir wollen <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ganz</emph> hinüberziehn, mein Kind.«</p>
+
+<p>»Auswandern?« rief die ältere Schwester fast erschreckt — das
+Wort, dessen Bedeutung sie noch gar nicht vollkommen
+<pb n="172" /><anchor id="Pg172" />verstand, traf sie mit einem unbekannten ahnenden Gefühl von
+Schmerz und Leid — »und die Mutter?«</p>
+
+<p>»Ihr werdet mich doch nicht wollen allein zurücklassen?«
+lächelte die Frau, sich gewaltsam zwingend über den Schmerz
+dieser Stunde.</p>
+
+<p>»Mutter!« sagte Anna, warf die Arme um ihren Nacken
+und küßte sie.</p>
+
+<p>»Und Eduard?« frug Marie.</p>
+
+<p>»Bleibt, wenn er meinem Rathe folgt, noch hier bis er
+ausstudirt und etwas ordentliches gelernt hat,« sagte der Vater — »wo
+nicht, hat er seinen freien Willen und mag uns begleiten;
+sowie er zu Hause kommt werde ich mit ihm sprechen.«</p>
+
+<p>»Aber — « rief Marie — »wer verwaltet unterdessen unser
+Haus?«</p>
+
+<p>»Wenn wir einmal fort sind von hier,« sagte der Professor
+ausweichend, »kann uns auch das Haus nichts mehr
+nützen, und ich werde es verkaufen.«</p>
+
+<p>»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Verkaufen</emph>? — unser Haus und den Garten?« riefen
+Maria und Anna fast wie aus einem Munde erschreckt und
+rasch — </p>
+
+<p>»Unser freundliches Stübchen, wo wir als Kinder gespielt,«
+setzte Marie traurig hinzu.</p>
+
+<p>»Und die Bäume die Vater alle gepflanzt — die Laube,
+die wir uns selbst gebaut, und die so schön geworden ist in
+diesem Jahr,« sagte Anna leise — »verlassen wollt' ich es ja
+gern, wenn wir Alle gehn, aber daß fremde Menschen jetzt
+darin hausen sollen, die vielleicht gar nicht wissen wie wir das<pb n="173" /><anchor id="Pg173" />
+Alles gehegt und gepflegt und — « ihr Blick fiel in diesem
+Augenblick auf der Mutter, halb von ihr abgewandte bleiche
+Züge, und faßte das Blitzen einer heimlich fallenden Thräne.
+Anna erschrak und wurde todtenbleich — hier lag mehr verborgen
+als man ihnen gesagt, und heimlicher Gram, heimliche
+Sorge nagte an der Eltern Herzen, durfte sie die vermehren?
+Sie schwieg einen Augenblick und sah sinnend vor sich nieder,
+dann aber Mariens Hand ergreifend sagte sie mit leichterem
+vielleicht gezwungen fröhlicherem Ton:</p>
+
+<p>»Aber wir wollen nicht klagen; Vater und Mutter wissen
+am Besten was sie zu thun haben, und was uns gut ist, und
+dort baut uns Vater dann ein anderes Haus, und wir selber
+pflanzen uns ein neues Gärtchen, schöner als das unsere hier.«</p>
+
+<p>»Aber ich bliebe hier, wenn ich an Vaters Stelle wäre,«
+schmollte Marie, »und was wird Herr Kellmann dazu sagen,
+wenn er es erfährt? der ist so immer gegen Amerika, und hat
+sich schon oft mit Vater darüber gezankt.«</p>
+
+<p>»Ach der macht mir die geringste Sorge,« sagte Anna in
+ihrem Schmerz lächelnd — »wenn man <emph rend="letter-spacing: 0.20em">für</emph> Amerika spricht,
+schimpft er aus Leibeskräften, und citirt Gott weiß was für
+Stellen aus Briefen und Zeitungen, alles Günstige zu widerlegen,
+oder wenigstens stark zu bezweifeln, und kommt Jemand
+der das Land ordentlich angreift, dann hab' ich auch schon
+gesehn, daß er den Handschuh wacker dafür aufnimmt, und
+man wirklich glauben sollte er bekäme so und so viel für den
+Kopf, Leute zu bereden hinüberzuziehn. Das ist ein wunderlicher
+Kauz, der die meiste Zeit selber nicht weiß was er will,
+<pb n="174" /><anchor id="Pg174" />und ich glaube, wenn es Jemand recht ordentlich bei ihm
+darauf anlegte, könnte man ihn selber, nur durch Widersprechen,
+dahin bringen, daß er in eigener Person hinüberginge.«</p>
+
+<p>»Herr Kellmann?« lachte Marie — »nun <emph rend="letter-spacing: 0.20em">den</emph> möcht' ich
+in Amerika sehn.«</p>
+
+<p>»Und wer weiß, ob Dir das nicht noch passirt,« bestätigte
+der Vater, mit dem Kopfe nickend.</p>
+
+<p>»Und darf ich mein neues seidenes Kleid mitnehmen,
+Mama?« frug das junge lebenslustige Mädchen jetzt die
+Mutter — »hier lassen möcht' ich es doch nicht gern, und
+drüben im Wald — «</p>
+
+<p>»Liebes Kind, wir werden auch nicht mitten in den Wald
+gehn,« sagte die Mutter, die indessen heimlich die verrätherische
+Thräne aus dem Auge geschüttelt, freundlich dabei der zu ihr
+getretenen Tochter die Stirn streichend und küssend, »denkt es
+Euch nicht so schlimm. Der Vater wird uns schon einen
+Platz aussuchen, wo wir wenigstens unter Menschen und der
+Cultur nicht ganz verschlossen sind — er hielte es ja dort sonst
+selber nicht aus.«</p>
+
+<p>»Aber warum gehst Du nur, Väterchen?« bat Marie —
+»es ist doch hier so wunderhübsch in Heilingen, und was wir
+da drüben haben, wissen wir noch nicht.«</p>
+
+<p>Der Professor, zu dem Anna ängstlich aufsah, hatte seinen
+Sitz verlassen und ging, langsam dabei mit dem Kopf nickend,
+im Zimmer auf und ab; er fühlte daß er, auch den Töchtern
+gegenüber, diesen eine Erklärung seines Handelns schuldig
+sei, denn er riß sie aus einem liebgewonnenen Leben heraus,
+<pb n="175" /><anchor id="Pg175" />und führte sie vielen, vielen Entbehrungen — er durfte sich
+das nicht leugnen — entgegen. Von ihrer späteren Haltung
+dabei hing auch viel ihrer Aller Glück, ihrer Aller Zufriedenheit
+ab, und sie waren alt genug ihrem Urtheil zu vertrauen.
+Aber es kostete ihm der Entschluß einen schweren Kampf, und
+wo ihm die Frau war auf halbem Weg entgegen gekommen,
+fürchtete er hier gerade, nicht Widerstand zu finden, denn
+dafür hatten sie ihn zu lieb, aber Schmerz und Sorge zu
+wecken in den jungen Herzen, denen er die ungebetenen Gäste
+gern noch fern gehalten hätte so lang als möglich. Sie standen
+jedoch an einem wichtigen, bedeutungsvollen Abschnitt ihres
+Lebens, und mußten <emph rend="letter-spacing: 0.20em">sehen</emph>, wohin der Weg sie führte.</p>
+
+<p>In kurzen, einfachen Worten, frei vom Herzen weg, und
+zu den Herzen sprechend, weil sie aus dem Herzen kamen, schilderte
+er ihnen jetzt die veränderte Lage in die er, durch das gezwungene
+Aufgeben seiner Zeitschrift sowohl, wie durch manche
+schwere, ihn betroffene Verluste gekommen. Er verheimlichte
+ihnen nicht länger daß er einen Theil — einen großen Theil
+seines Vermögens eingebüßt, und das ihm selber liebe Haus
+nicht verkaufen würde, wenn ihn eben nicht — die Verhältnisse
+dazu <emph rend="letter-spacing: 0.20em">zwängen</emph>. Aber noch blieb ihnen genug nach
+einem fernen Welttheil überzusiedeln und dort, mit bescheideneren
+Bedürfnissen, von Neuem zu beginnen; Amerika mit seiner
+ungeheuren Lebenskraft bot ihnen nach allen Seiten hin die
+Möglichkeit der Existenz, und das gut und zweckmäßig angelegte
+kleine Capital konnte dort gute Zinsen tragen für spätere
+Zeit. Hatten sie sich dann etwas verdient, waren die Hoff<pb n="176" /><anchor id="Pg176" />nungen,
+mit denen sie hinüber gingen, Wahrheit geworden,
+und sehnte sich ihr Herz noch nach dem Vaterland, wer hinderte
+sie dann zurückzukehren zu den theueren Plätzen, die ihnen
+ewig lieb bleiben würden in der Erinnerung?</p>
+
+<p>Dem Professor war es leichter um die Brust geworden,
+wie er das Eis nur erst gebrochen. Selbst überzeugt von dem
+was er sprach, wurde er warm, indem er den Gedanken weiter
+dachte, und seine Phantasie verlor sich zuletzt sogar, Luftschlösser
+aufbauend, zauberschnell in weiter Ferne. Der Professor ging
+mit dem Menschen durch, und die leicht gerötheten Wangen
+belebte ein eigenes, inneres Feuer. Und die Mutter saß dabei,
+still und schweigend, und ängstlich bemüht, in der wiederaufgenommenen
+Arbeit die eigene Bewegung zu verbergen. Marie
+und Anna aber, die des Vaters Hände erfaßt und in den
+ihren hielten, schmiegten ihre Häupter an seine Schultern und
+flüsterten; die großen, zu ihm aufgeschlagenen Augen voll von
+Thränen.</p>
+
+<p>»Genug, genug, Väterchen; mal' uns das Alles nicht so
+prächtig aus — wohin Du und Mutter gehn, gehn auch wir,
+und wär' es mitten hinein in den wildesten Wald. Kein unzufriedenes
+Wort sollst Du dabei von uns hören, keine Klage,
+kein böses Gesicht weiter — keine Thräne — nur die hier sind
+uns so ganz von selber über die Backen gelaufen, weil wir die
+Mutter weinen sahen. Mit Lieb und Lust wollen wir das
+Leben dort beginnen — «</p>
+
+<p>»Und Kühe und Hühner schaffen wir uns an!« rief Marie,<pb n="177" /><anchor id="Pg177" />
+»und die Kühe melken wir selber und machen Butter und
+Käse.«</p>
+
+<p>»Wie gut,« sagte Anna, daß wir im vorigen Jahr auf
+dem Land bei der Tante waren, und dort das Alles zum Spaß
+gelernt haben; jetzt wird es uns nützen.«</p>
+
+<p>»Aber nicht wahr, Mütterchen, nun weinst Du auch nicht
+mehr,« rief Marie, zur Mutter hinübergleitend, ihren Arm um
+deren Nacken legend und sie küssend — »drüben wird schon
+Alles hübsch werden. Und ein paar von den großen Holzschuhen
+nehm' ich mir mit, wie sie die Bauern tragen, für draußen bei
+nassem Wetter; hei wie wir da herumpatschen wollen und
+schaffen und arbeiten; und plätten thun wir auch selbst, dafür
+nimmst Du kein Mädchen mehr.«</p>
+
+<p>Den frohen, leichten Herzen schwammen schon die gewaltigen
+Umrisse ihrer ganzen fernen, so ungewissen Zukunft, in
+den einzelnen bunten Kleinigkeiten zusammen, die ihrem Geist,
+von dem Reiz der Neuheit mit frischem Duft überhaucht, entstiegen.
+Nur die Lichtpunkte erspähte der, in die Ferne arglos
+hinausschauende Blick, und die goß er sich lustig zusammen zu
+einem Ganzen: was dahinter lag, der düstere Hintergrund,
+den das erfahrenere Mutterauge wohl erkannt, diente ihnen
+nur dazu die einzelnen Lichter stärker hervorzuheben, deutlicher
+erkennen zu können, und der Himmel spannte sich blau und
+rein über ihren glücklichen Häuptern.</p>
+</div>
+<div rend="page-break-before: always"><pb n="178" /><anchor id="Pg178" />
+<index index="toc" level1="Der Tanz im rothen Drachen" />
+<index index="pdf" level1="Der Tanz im rothen Drachen" />
+<index index="pdb" level1="Tanz im Drachen" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 8.</head>
+<head rend="text-align: center">Der Tanz im rothen Drachen.</head>
+<p>Drei volle Monat waren nach den, in den vorigen Capiteln
+betriebenen Scenen verflossen, und der Diebstahl im
+Dollingerschen Hause zu Heilingen, der eine ganze Woche
+lang fast das alleinige Stadtgespräch gebildet, wurde kaum
+noch erwähnt. Der vermuthete Dieb (gegen den aber allerdings
+nachträglich keine weiteren Beweise aufgefunden worden),
+war zwei Tage nach dem Sturz von der Brücke an seiner
+Kopfwunde gestorben; er hatte die beiden Tage vollkommen
+bewußtlos gelegen, und kein Wort mehr gesprochen. Das
+übrige Geld aber — außer den zweihundert und einigen Thalern — wie
+die vermißten Pretiosen, konnten, trotz den genausten
+Nachforschungen nirgends aufgefunden werden, und hatte
+er es wirklich gestohlen, so ließ sich jetzt gar nichts Anderes
+vermuthen, als daß er es irgendwo an einer heimlichen Stelle
+vergraben, und außer Sicht gebracht habe.</p>
+
+<p><pb n="179" /><anchor id="Pg179" />Actuar Ledermann hatte dabei ganze Actenstöße über den
+Fall geschrieben — man wußte wirklich nicht wo er nur den
+Stoff dazu herbekommen; aber mit dem üblichen Canzleistyl
+wurde die Sache, der jede gründliche Vorlage mangelte, nach
+Möglichkeit gereckt und ausgedehnt und dann, als sich Nichts
+weiter darüber ergab, mit starkem Bindfaden umschnürt und
+etiquettirt, um später vielleicht, mit Jahreszahl und Nummer
+versehn, in irgend ein staubiges Gefach geschoben zu werden,
+dort ein Jahrhundert fortzuträumen, — wie der Verstorbene
+unter dem Rasen, dicht an der Kirchhofsmauer, an die er,
+ohne Sang und Klang damals, noch vor Tag, still und heimlich
+hinausgeschafft worden.</p>
+
+<p>Die Geistlichkeit von Heilingen hatte dem Unglücklichen
+allerdings sogar dies »ehrliche Begräbniß« versagen und den
+Körper der Anatomie überantworten wollen, da er unter dem
+Verdacht eines schweren Diebstahls und gewissermaßen als
+Selbstmörder seinen Tod gefunden — was kümmerte die stolzen
+Geistlichen die duldende Liebe die Christus gelehrt, wo
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">ihre</emph> Autorität Gefahr leiden konnte gekränkt zu werden, und
+sie hatten einmal verordnet, daß solchen Sündern ein »christliches
+Begräbniß« versagt werden solle; aber die Polizei war
+milder und verständiger als die »Diener des Höchsten« und
+erklärte den Tod des Armen für keinen Selbstmord, indem er
+nur »auf der Flucht« umgekommen, während wahrscheinlich
+der ihm beigegebene Wächter die allerdings unschuldige, und
+nicht zur Verantwortung zu ziehende direkte Ursache, seines
+Todes gewesen sei.</p>
+
+<p><pb n="180" /><anchor id="Pg180" />Aber fort — fort mit den traurigen Bildern; das menschliche
+Leben hat der dunklen Seiten so viele, und sie drängen
+sich uns doch auf, wohin wir gehen — nur der Augenblick
+gehöret uns, und nicht muthwillig wollen wir den Schmerz
+suchen. So mag mir der Leser denn noch einmal zum rothen
+Drachen hinaus folgen — es dauert vielleicht lange, ehe wir
+den Platz wieder zu sehn bekommen — und dort tönt heut
+fröhliche Musik aus dem hellerleuchteten Saal des großen
+Hauses, der mit Guirlanden und Blumen und jungen Birkenreisern
+festlich geschmückt ist, indeß ihn eine muntere, laut und
+lustig durcheinander wogende Schaar belebt.</p>
+
+<p>Kaum eine Viertelstunde — oder eine »halbe Pfeife Tabak«,
+wie die Bauern sagten — vom rothen Drachen entfernt,
+lag Schloß Hohleck an der anderen Seite des nämlichen Hügelrückens,
+das gegenüber liegende Thal überschauend, und
+der Besitzer desselben, Graf von Hohleck, feierte heute die Vermählung
+seines ältesten Sohnes, der dabei das Gut selber
+übernahm, und nun seinen Leuten dem Tag zu Ehren ein
+Fest »in der Schenke« gab. Bier und Branntwein waren dabei
+zu freier Verfügung gestellt, und ein starkes Musikchor aus
+der Stadt engagirt worden, den Leuten die ganze Nacht hindurch
+zum Tanze aufzuspielen — und sie machten Gebrauch
+davon.</p>
+
+<p>Aber auch aus Heilingen selber hatten sich eine Menge
+Gäste eingefunden, dem muntern Leben und Treiben der fröhlichen
+Menschen zuzuschauen, und während der untere Gartensaal
+einzig und allein den Dienstleuten des Rittergutes einge<pb n="181" /><anchor id="Pg181" />räumt
+war, zu dem den Stadtleuten jedoch gastlich der Zutritt
+gestattet wurde, hatten sich die letzteren noch besonders in einem
+paar der kleineren Stuben festgesetzt, wo sie ihren Wein oder
+ihr Bier tranken oder auch eine Parthie spielten, die Zeit auszufüllen.</p>
+
+<p>Zu den Gästen aus der Stadt gehörten auch mehre unserer
+alten Bekannten, unter ihnen Kellmann und Schollfeld,
+zwei Stammgäste des rothen Drachen. Ledermann war ebenfalls,
+wenn auch später, herausgekommen und ihnen hatte sich
+noch der Auswanderungsagent Weigel — sehr zum Aerger
+Schollfeld's, der ihn nicht ausstehen konnte — zugesellt.
+Weigel blieb aber nicht ruhig an ihrem Tisch sitzen, sondern
+ging ab und zu, und hatte sein Glas nur mit bei ihnen stehn,
+gewissermaßen seinen Platz zu belegen.</p>
+
+<p>Ledermann war übrigens heute sehr still und niedergeschlagen,
+er hatte sein einziges Kind vor etwa vierzehn Tagen
+verloren, und schien sich das sehr zu Herzen zu nehmen, erklärte
+auch nur herausgekommen zu sein, sich ein wenig zu zerstreuen
+und die Gedanken los zu werden, die ihn in der Stadt drin
+peinigten.</p>
+
+<p>Uebrigens war ihm in den letzten Tagen höchst unerwarteter
+Weise eine kleine Erbschaft von 600 Thalern zugefallen
+und Schollfeld, der heute Abend außergewöhnlich gut aufgeräumt
+schien, versuchte jetzt sein Bestes des Freundes Grillen
+oder trübe Gedanken ebenfalls zu verscheuchen.</p>
+
+<p>»Hören Sie einmal Ledermann,« begann er, mit dem
+Deckel seines Kruges klappend und mehr Bier verlangend — »wie
+<pb n="182" /><anchor id="Pg182" />ist denn die Geschichte nun mit den 600 Thalern? —
+beiläufig gesagt schneiden Sie ein Gesicht dabei, als ob Sie
+Schwefelsäure verschluckt hätten.«</p>
+
+<p>»Er hört nicht einmal,« sagte Kellmann, als der Actuar
+kein Wort darauf erwiederte, und die Anrede in der That gar
+nicht verstanden zu haben schien — »Ledermann, Mensch, wo
+sind Sie jetzt mit Ihren Gedanken, im rothen Drachen bei
+Heilingen, im Monde, oder in Amerika?«</p>
+
+<p>»Wo?« sagte der Actuar, rasch und fast verstört aufschauend,
+als aber die Anderen laut lachten, schüttelte er mit
+dem Kopf und seinen Krug nehmend und trinkend sagte er
+ruhig und ernst:</p>
+
+<p>»Ach laßt mich zufrieden Kinder — ich habe den Kopf
+voll, und bin wahrhaftig heute Abend nicht zum Spaßen
+aufgelegt.«</p>
+
+<p>»Nicht zum Spaßen aufgelegt?« rief aber Schollfeld,
+Kellmann unter dem Tisch anstoßend — »ist auch gar nicht
+nöthig mein lieber Actuar — wir spaßen auch hier gar nicht;
+Jemand aber, der eine Erbschaft macht und irgendwo Stammgast
+ist, überkommt dabei die moralische Verpflichtung irgend
+etwas zum Besten zu geben, und es bleibt ein Skandal, daß
+man einen solchen Glückspilz auch nur noch daran erinnern
+muß. Hat der Henker da wieder den Schleicher, den Weigel,«
+unterbrach er sich aber plötzlich mit etwas leiserer Stimme, als
+er sah wie dieser das Zimmer wieder betrat, und sich ihrem
+Tische zuwandte — »ich hatte schon gehofft wir würden ihn
+heute Abend los sein; jetzt ist <emph rend="letter-spacing: 0.20em">mein</emph> Vergnügen beim Teufel.«</p>
+
+<p><pb n="183" /><anchor id="Pg183" />»Nun meine Herren, noch so fröhlich beisammen?« sagte
+Weigel jetzt, indem er zum Tisch trat — »ah, da sind ja der
+Herr Actuar auch noch dazu gekommen — bitte behalten Sie
+ja Platz, ich rücke ein klein wenig hier herüber — so — das
+geht vortrefflich. Nun, der Herr Actuar haben in diesen Tagen
+ein großes Glück gehabt — da darf man ja wohl gratuliren.«</p>
+
+<p>»Danke herzlich,« sagte Ledermann ruhig; »es wird
+übrigens so viel von den paar hundert Thalern gesprochen,
+als ob's eben so viel Tausende wären.«</p>
+
+<p>»Ih nun, das lassen Sie gut sein,« sagte aber Weigel,
+mit dem Kopf schüttelnd — »sechshundert Thaler richtig angewandt
+könnten in der That in kurzer Zeit zu so viel Tausenden
+werden.«</p>
+
+<p>»Wenn man sich Sächsische Löbau-Zittauer Eisenbahnactien
+dafür kaufte, nicht wahr?« sagte Schollfeld, das Gesicht
+halb in den ebengebrachten Krug versteckt, und einen
+grimmigen Blick über den Rand desselben hin, nach dem Auswanderungsagenten
+schießend.</p>
+
+<p>»Nun das gerade nicht,« schmunzelte Herr Weigel, sein
+Glas ein wenig weiter auf den Tisch schiebend, und sich die
+Hände reibend, »da wüßte ich doch noch eine bessere Speculation.«</p>
+
+<p>»Und die wäre,« sagte der Actuar, seitwärts zu ihm
+aufschauend.</p>
+
+<p>»Wenn Sie sich eine kleine Farm in Amerika kauften.«</p>
+
+<p>»Puh!« rief Schollfeld, verächtlich den Kopf abwendend,<pb n="184" /><anchor id="Pg184" />
+»jetzt sein Sie so gut, kommen Sie uns hier nicht mit Ihrer
+alten Leier von dem verdammten Amerika, und verderben Sie
+uns das Bier nicht — hier ist auch Nichts zu verdienen, denn
+von uns geht doch keiner hinüber.«</p>
+
+<p>»Lieber Herr Schollfeld,« sagte aber Weigel mit großer
+Ruhe, »von <emph rend="letter-spacing: 0.20em">uns</emph> weiß noch Niemand was er nächstes Jahr
+thun wird, und verschwören läßt sich so eine Sache nun einmal
+gar nicht — Amerika ist immer noch ein Zufluchtsort.«</p>
+
+<p>»Ja für die Spitzbuben und Hallunken, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">da</emph> haben Sie
+recht!« rief der Apotheker.</p>
+
+<p>»Ne lieber Herr Weigel!« rief aber auch Kellmann jetzt — »mit
+sechshundert Thalern kann ich da drüben auch Nichts
+anfangen, und bin dann noch obendrein bei jedem Schritt und
+Tritt der Gefahr ausgesetzt, daß ich betrogen und hintergangen
+werde. Man kann dort ja nicht einmal seinem eigenen
+Bruder trauen.«</p>
+
+<p>»Aber mein bester Herr Kellmann, das sind die unglückseligen
+Ideen, die von — na, ich will keinen Namen nennen — ausgesprengt
+werden, um die Leute blind zu machen, rein
+blind. Sie sollen eben nicht sehen was für Vortheile, für
+fabelhafte Vortheile dort gerade für sie zu Tage liegen, und
+die Gerüchte von dort verübten Betrügereien hängen eben als
+Vogelscheuche über den Erbsen. Wir haben <emph rend="letter-spacing: 0.20em">hier</emph> eben so
+viele schlechte Charaktere wie in Amerika.«</p>
+
+<p>»Ob eben so <emph rend="letter-spacing: 0.20em">viel</emph>, will ich dahingestellt sein lassen,«
+sagte Schollfeld mit einem nichts weniger als freundlichen
+Seitenblick auf den Agenten — »aber eben so schlechte gewiß.«</p>
+
+<p><pb n="185" /><anchor id="Pg185" />»Nun also,« erwiederte Weigel freundlich, ohne auf den
+Hieb einzugehn, ja im Gegentheil die Waffe lächelnd umdrehend — »sehn
+Sie, selber Herr Schollfeld stimmt mir
+darin bei.«</p>
+
+<p>»Ja aber nicht wie <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Sie</emph> es meinen!« rief da Schollfeld
+entrüstet, keineswegs gesonnen sich die Worte so im Munde
+verdrehen zu lassen.</p>
+
+<p>»Von den Betrügereien will ich noch gar Nichts sagen,«
+unterbrach ihn aber Kellmann, ziemlich in Eifer — »was ich
+dagegen sehr guten Grund habe zu bezweifeln, sind die billigen
+Landkäufe, sind dabei die Erleichterungen, welche diese
+republikanische Regierung allen möglichen Gewerken und Unternehmungen
+bietet, die geringen Taxen, der freie Verkehr
+und Umsatz im Innern. Das wird Alles ausgemalt mit Gold
+und Silber und Himmelblau, und kommt man am Ende hinüber,
+so hat man die ganze nämliche Geschichte wie bei uns.
+Daß all das nichtsnutzige Gesindel dort ohne <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Paß</emph> herumlaufen
+darf, mag wahr sein, das halte <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ich</emph> aber eben für keinen
+Fortschritt.«</p>
+
+<p>»Verehrtester Herr Kellmann!« rief aber Weigel in Eifer — »gegen
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Thatsachen</emph> können wir doch nicht anstreiten;
+wir wollen doch nicht blind und taub mit dem Kopf gegen die
+nächste, und womöglich härteste Wand rennen? wir sind doch
+vernünftige Menschen, aber haben Sie nicht alle die neueren
+Schriften jetzt gelesen, die — «</p>
+
+<p>»Ach gehn Sie mit Ihren Schmierereien,« rief aber
+Schollfeld, dem das Gespräch jetzt zur Last wurde, »für einen<pb n="186" /><anchor id="Pg186" />
+Thaler den Bogen malen ihnen die lumpigen Literaten selbst
+die Hölle himmelblau an, und kleben von oben bis unten
+Sterne drüber. Laßt mir jetzt Euer Geschwätz von Amerika
+hier, oder ich stehe, Gott straf mich, auf, und setze mich wo
+anders hin.«</p>
+
+<p>»Nun, jeder darf sich hinsetzen wo es ihn gerade freut,«
+sagte Weigel, wirklich etwas beleidigt, obgleich er sonst einen
+ziemlichen Theil vertragen konnte.</p>
+
+<p>»Ja leider,« sagte aber Schollfeld, mit wieder einem
+Seitenblick auf den Agenten, der diesen doch jetzt vermochte
+aufzustehn und sein Bier auszutrinken.</p>
+
+<p>»Herr Schollfeld,« sagte er dabei, »Sie sind in der
+Stadt als ein Antiamerikaner bekannt, und ich glaube Sie
+würden den Leuten eher zu einer Auswanderung nach Sibirien
+wie nach Nordamerika rathen.«</p>
+
+<p>»Würde ich auch,« sagte Herr Schollfeld trotzig, sich den
+Hut noch fester in die Stirn drückend.</p>
+
+<p>»Nun ja, der Geschmack ist verschieden — Jeder weiß
+am Besten wohin er gehört, und dahin treibt ihn der Instinkt,«
+sagte Herr Weigel achselzuckend, indem er den Tisch verließ,
+und Kellmann erwischte eben noch zur rechten Zeit Schollfeld
+hinten am Frackzipfel, der aufspringen und dem sich rasch entfernenden
+Weigel nach wollte.</p>
+
+<p>»Aber so fangen Sie hier doch um Gottes Willen keinen
+Skandal mit dem Menschen an!« rief Kellmann leise und
+bittend.</p>
+
+<p>»Instinkt treibt?« rief aber Schollfeld jetzt, da er sich
+<pb n="187" /><anchor id="Pg187" />hinten, vielleicht gern, gehalten fühlte — laut hinter dem
+Davoneilenden her — »Sie wird bald 'was anders treiben
+Sie — Sie <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Seelenverkäufer</emph> Sie!«</p>
+
+<p>»Pst!« rief aber auch der Actuar jetzt, ihn rasch zu sich
+niederziehend — »Sind Sie denn ganz vom Bösen besessen
+Apotheker? auf das Wort könnte er Ihnen, wenn er's noch
+gehört hätte, die schönste Injurienklage an den Hals hängen.«</p>
+
+<p>»S'ist aber wahr — der Lump!« rief Schollfeld ärgerlich,
+den leeren Krug zum hastigen Trunk aufhebend, und denselben
+dann laut auf den Tisch aufstoßend — »es ist ein
+Seelenverkäufer, der Kerl, und um einen Thaler beschwatzt er
+das Kind, daß es die Eltern, den Mann, daß er die Frau
+verläßt — hier Kellner, noch ein Glas Bier. — Sprecht mir
+von Raubmördern und Straßenräubern, gegen die das Gericht
+einschreitet und ihnen das Handwerk legt — allen Respect
+vor einem Mann, der es den Leuten geradezu in's Gesicht
+wirft, »ich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">bin</emph> ein schlechter Kerl — ich stehle wo ich's
+bekommen kann, und wo ich's nicht gutwillig kriege mord' ich
+auch; aber solche heimliche Hallunken sind die Upasbäume der
+menschlichen Gesellschaft — sie vergiften was sie erreichen
+können, und von außen geben sie sich das Ansehen eines ehrlichen
+Baumes und haben grüne Blätter und glatte Rinde.
+Gegen <emph rend="letter-spacing: 0.20em">die</emph> Schufte sollte eingeschritten werden, nicht mit
+Geldstrafen oder Gefängniß, nein mit Knute und Strang — Himmeldonnerwetter,
+wenn ich da 'was in der Regierung zu
+befehlen hätte.«</p>
+
+<p>»Sie würden schöne Geschichten anrichten, kann ich mir
+<pb n="188" /><anchor id="Pg188" />etwa denken,« sagte der Actuar trocken, »s'ist so schon manchmal
+wie's ist. Lassen Sie doch jeden seinen Weg gehn in der
+Welt; der liebe Gott weiß wohl wozu's gut ist. Blutigel sind
+auch unangenehme Geschöpfe in der Naturgeschichte, und doch
+verwendet sie die Natur wieder zu höchst nützlichen und nothwendigen
+Zwecken; denken Sie sich so ein Individuum wäre
+ein menschlicher Blutigel.«</p>
+
+<p>»Dann trink' ich aber nicht mein Bier an einem Tisch
+mit ihm,« rief der Apotheker.</p>
+
+<p>»Bah, das ist wieder zu weit gegangen,« sagte Kellmann,
+»viel zu weit gegangen. 'Was Schlechtes können Sie dem
+Mann überhaupt nicht nachsagen, denn daß er für Amerika
+wirbt, ist einesteils sein Geschäft, anderntheils seine Ansicht,
+und er könnte Ihnen von <emph rend="letter-spacing: 0.20em">seinem</emph> Standpunkt aus dann
+ebensogut wieder vorwerfen, daß Sie eine Menge Menschen
+absichtlich unglücklich machten, die sie von einer Auswanderung
+nach jenem Lande abhielten.«</p>
+
+<p>»Unsinn — baarer Unsinn!« rief aber Schollfeld, unwillig
+den Kopf herüber und hinüber werfend — »Jemand
+unglücklich machen, daß man ihm von einer Auswanderung
+nach Amerika abräth, wäre gerade so, als ob ich als eines
+Menschen Mörder betrachtet würde, den ich abhalte aus dem
+dritten Stock auf die Straße zu springen. Aber hol den
+Lump der Henker,« brach er kurz und ärgerlich ab, »ich war
+so guter Laune und jetzt hat er mir den ganzen Abend verdorben.
+ — Nach Sibirien auswandern — « brummte er dabei,
+während er eine neue Cigarre aus der Tasche nahm und sie
+<pb n="189" /><anchor id="Pg189" />an dem, auf dem Tisch stehenden Licht entzündete — »Holzkopf
+der — nach Sibirien auswandern — ich will nur einmal
+in den Saal gehn und sehn wie sie's da treiben, daß
+man auf andere Gedanken kömmt — ich bin bald wieder da.«
+Und von seinem Stuhl aufstehend verließ er langsam, und
+immer noch vor sich hin murmelnd, das Zimmer.</p>
+
+<p>Der Actuar stand ebenfalls auf und nahm seinen Hut.</p>
+
+<p>»Na nu?« sagte aber Kellmann erstaunt — »was ist
+das für eine Wirthschaft heut Abend? Schollfeld läuft fort,
+Lobsich hat sich gar nicht sehen lassen, und Sie wollen jetzt
+auch Fersengeld geben? wo bleibt denn da heute Abend unser
+Solo? — wir können doch nicht wie die Pferde zu Bette
+gehn, ohne unsere Parthie gespielt zu haben?«</p>
+
+<p>»Mir ist heute nicht wie spielen,« sagte der Actuar, langsam
+mit dem Kopfe schüttelnd, »ich habe auch Kopfschmerzen,
+und an der frischen Luft wird mir wohl besser werden.«</p>
+
+<p>»Fort dürfen Sie aber noch nicht,« sagte Kellmann, indem
+er sein Bier austrank, und ebenfalls aufstand, »da wollen
+wir lieber einmal unten im Garten auf und ab gehn.«</p>
+
+<p>Der Actuar zögerte einen Augenblick, dann aber legte er
+schweigend seinen Arm in den Kellmann's und beide Freunde
+gingen mitsammen die Treppe hinunter.</p>
+
+<p>Es war indessen vollkommen dunkel geworden, und die
+Leute hatten sich, des feuchten Abends, wie des im Saal wogenden
+Tanzes wegen, meist alle aus dem Garten hinaus, und
+in die mehr geschützten Räume der Gebäude gezogen. Nur hie
+und da saß noch irgend ein kosendes Pärchen in einer Laube,
+<pb n="190" /><anchor id="Pg190" />oder schwärmte auch wohl auf dem Vorbau des Gartens nach
+dem, gerade über dem nebelgefüllten Thal jetzt aufzeigenden
+Vollmond hinüber, dessen große rothe Scheibe sich glühend
+aus den Bergen hob, und das weite, thaublitzende Thal
+überschaute.</p>
+
+<p>Kellmann ging ruhig neben dem still vor sich nieder
+schauenden Freund her, bis sie den breiten Fußweg der schönen
+ebenen Chaussee erreichten, und eine kleine Strecke derselben
+hinauf gewandert waren; dann aber blieb er, diesen zurück
+haltend, plötzlich stehen, und sagte mit freundlichem, herzlichen
+Ton:</p>
+
+<p>»Aber lieber Ledermann, Sie dürfen sich Ihrem Schmerz
+um das Kind nicht so ganz und rücksichtslos hingeben; lieber
+Gott ich begreife daß es ein schwerer, recht schwerer Verlust
+ist, aber Gott hat's gegeben und Gott hat's genommen, und
+wer weiß ob dem kleinen lieben Wesen dadurch nicht vielleicht
+ein recht trübes und schmerzliches Dasein erspart wurde.«</p>
+
+<p>»Es ist nicht das Kind, Kellmann,« sagte aber der
+Actuar, leise mit dem Kopf schüttelnd, »nicht der Tod meiner
+kleinen Adele nagt mir jetzt am Herzen, obgleich der da oben
+weiß wie weh er mir gethan — nein, ich halte ihn sogar
+unter den jetzigen Verhältnissen, in denen ich lebe, für ein
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Glück</emph>, und es ist <emph rend="letter-spacing: 0.20em">furchtbar</emph>, daß ich gezwungen bin so
+etwas von dem Tod meines eigenen, einzigen Kindes zu
+sagen.«</p>
+
+<p>»Aber was, um Gottes Willen, haben Sie <emph rend="letter-spacing: 0.20em">denn</emph>?«
+rief Kellmann, verwundert vor ihm stehen bleibend und ihn
+<pb n="191" /><anchor id="Pg191" />anschauend. »Irgend etwas <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ist</emph> vorgefallen, aber was? — etwa
+wieder zu Hause der alte wunde Fleck?«</p>
+
+<p>Ledermann nickte finster und schweigend mit dem Kopf.</p>
+
+<p>»Aber was <emph rend="letter-spacing: 0.20em">will</emph> sie denn eigentlich,« rief Kellmann
+finster die Brauen zusammen und seinen Arm aus dem des
+Freundes ziehend, um besser gesticuliren zu können — »Wetter
+noch einmal, Ledermann, Sie hätten da schon lange ernst und
+entschieden auftreten sollen, die Sache ist jetzt schon viel zu
+weit eingerissen, und die Frau bringt sie, wenn das so fort
+geht, wahrhaftig noch unter die Erde.«</p>
+
+<p>»Ernst und entschieden auftreten? — lieber Gott,« stöhnte
+der Actuar kopfschüttelnd — »soll ich mir denn die letzte leiseste
+Hoffnung auf einen, nur möglichen Hausfrieden selber
+muthwillig vernichten? — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Sie</emph> haben gut reden; <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Ihr</emph> Geschäft
+ist in Ihrer eignen Wohnung, und Ihre Erholung gestattet
+Ihnen, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">die</emph> außerhalb desselben zu suchen, ich aber sitze
+und schwitze den ganzen lieben ausgeschlagenen Tag auf dem
+verwünschten Bureau, und komme ich dann Abends zu Hause,
+und sehne mich nach einer halbstündigen gemüthlichen Ruhe,
+so beginnt die Frau, und wenn sie eine Ursache aus der Luft
+greifen sollte, mir das Leben zu einer Hölle zu machen. Lieber
+Gott, es fiele mir ja gar nicht ein Abends in ein Wirthshaus
+zu gehn, wenn ich Frieden daheim hätte; es giebt vielleicht
+wenig Menschen in der Welt, die sich so nach einem stillen,
+häuslichen Leben sehnen, wie gerade ich, und keinen, Kellmann,
+keinen weiter, dem es <emph rend="letter-spacing: 0.20em">so</emph> verbittert, so gänzlich aus dem Fen<pb n="192" /><anchor id="Pg192" />ster
+geworfen wird, jeden Abend wieder von Frischem, wie
+gerade mir.«</p>
+
+<p>»Aber was ist denn nur vorgefallen?«</p>
+
+<p>»Das Ganze ist mit wenig Worten erzählt,« sagte der
+Actuar nach kurzer Ueberlegung entschlossen, »und Sie sollen
+mir rathen, wie ich im Stande bin mich einem Zustand zu
+entziehn, der mir unerträglich wird. Sie haben gehört daß
+ich von einem entfernten Verwandten sechshundert Thaler
+geerbt, die ich in den nächsten Wochen ausgezahlt bekomme.
+Das Vernünftigste nun wäre das Geld in irgend einem
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">sichern</emph> Staatspapier, oder in guten Actien anzulegen, und
+mit den wenigen, aber gewissen Zinsen meinen, überdies ärmlichen
+Gehalt zu erhöhen — ich habe fünfhundert Thaler jährlich
+und weiß bei Gott oft nicht wie ich auskommen soll.«</p>
+
+<p>»Nun gut, das ist ja Alles so schön und glatt wie es
+nur sein kann.«</p>
+
+<p>»Jawohl, aber meine Frau besteht darauf das Capital
+ihrem Bruder geben zu wollen, der ein Geschäft hat und mir
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">fünf</emph> Procent verspricht.«</p>
+
+<p>»Ih nun, wenn es da sicher angelegt ist — fünf Procent
+wäre aller Ehren werth.«</p>
+
+<p>»Aber es <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ist</emph> nicht sicher angelegt; der Bursche ist ein
+liederlicher leichtsinniger Mensch, der schon einmal Bankerott
+gemacht hat und — wie ich ziemlich guten Grund habe zu
+vermuthen — an der Grenze eines zweiten steht.«</p>
+
+<p>»Ahem,« sagte Kellmann nachdenkend.</p>
+
+<p>»Geb ich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ihm</emph> das Geld,« fuhr der Actuar fort, »so ist
+<pb n="193" /><anchor id="Pg193" />es über Jahr und Tag, so sicher wie dort drüben der Mond
+aufgeht, verloren, und geb' ich es ihm <emph rend="letter-spacing: 0.20em">nicht</emph>, so weiß ich daß
+mir die Frau zu Hause den eignen Heerd zur Hölle macht.«</p>
+
+<p>»Aber Donnerwetter, Ledermann, nehmen Sie mir das
+nicht übel,« sagte Kellmann stehen bleibend, »da würde ich
+denn doch einmal einen Trumpf darauf setzen und mein Recht
+als Mann und Herr im Hause wahren; nur durch Ihr ewiges
+Nachgeben haben Sie die Geschichte schon so, in Grund hinein
+verdorben.«</p>
+
+<p>»Aber was <emph rend="letter-spacing: 0.20em">soll</emph> ich thun?« rief der Actuar verzweifelnd
+ — »mit Worten <emph rend="letter-spacing: 0.20em">kann</emph> ich nicht gegen sie anstreiten, nicht
+sechs Männer könnten das; in Ruhe und Güte ist Nichts anzufangen
+mit ihr, und schlagen darf und will ich sie ebenfalls
+nicht.«</p>
+
+<p>»So lassen Sie sich scheiden, zum Wetter noch einmal;«
+rief Kellmann, »lieber doch eine trockne Brodrinde kauen, als
+mit solchem Drachen das ganze Leben, eine ganze Existenz,
+mühselig und qualvoll hinzuschleppen.«</p>
+
+<p>»Heute Abend zum ersten Mal,« sagte der Actuar seufzend,
+»habe ich ihr selber damit gedroht; ich habe ihr vorgehalten,
+daß sie sich mit mir nicht glücklich fühlen <emph rend="letter-spacing: 0.20em">könne</emph>,
+weil sie fortwährend, und ohne auch nur einen einzigen Tag
+Frieden zu gestatten, zanke, und das Beste sein würde, wir
+ließen uns, einem Leben zu entgehen das auf die Länge der
+Zeit doch nicht durchgeführt werden könne, gerichtlich scheiden.«</p>
+
+<p>»Nun? — und was hat sie darauf erwiedert?«</p>
+
+<p>»Ich bin fortgelaufen,« sagte der Actuar, seufzend den<pb n="194" /><anchor id="Pg194" />
+Kopf von dem Freund abwendend, »denn sie wurde — sie
+wurde so heftig, und betrug sich — betrug sich so unvernünftig,
+daß ich mich vor den Nachbarn schämte, und lieber Hut und
+Stock nahm, den Frieden wieder, wie schon so oft, auswärts
+zu suchen.«</p>
+
+<p>»Also sie weigert eine Scheidung?«</p>
+
+<p>»Sie schwur sie wolle mir die Augen auskratzen, wenn
+ich noch einmal ein derartiges Wort erwähne, zerbrach dann
+in ihrer Wuth Gott weiß was Alles, und — ich glaube sie
+bekam nachher Krämpfe — ihr altes Leiden. Erst hatte ich
+gehofft der Tod des Kindes würde sie milder stimmen, aber
+nein, und wenn mich etwas über den Verlust des kleinen lieben
+Wesens trösten könnte, so ist es gerade der Gedanke, es
+dem bösen Beispiel, das ihm die eigene Mutter täglich gab,
+entrissen zu sehn — was hätte zuletzt aus ihr werden sollen,
+als eben eine solche Frau.«</p>
+
+<p>»Und so ist gar keine Hoffnung, mit Güte durchzukommen? — «</p>
+
+<p>Der Actuar schüttelte schweigend mit dem Kopf.</p>
+
+<p>»Hm, das ist eine verfluchte Geschichte,« sagte Kellmann,
+»da — da weiß ich wahrhaftig auch nicht was ich rathen soll.
+Das Geld vertraute ich aber — wenn die Sache <emph rend="letter-spacing: 0.20em">so</emph> steht —
+meinem Schwager auch nicht an, soviel ist sicher — Sie sind
+das sich selber und Ihrer eigenen Existenz schuldig.«</p>
+
+<p>Der Actuar seufzte tief auf und die beiden Männer gingen
+wieder eine Zeitlang, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt,
+nebeneinander hin. Sie waren indeß die Straße
+<pb n="195" /><anchor id="Pg195" />ein Stück hinauf- und wieder zurückgegangen, und blieben
+jetzt mehre Minuten nicht weit von dem Eingang des Gartens
+stehn, den Rücken diesem, und ihr Gesicht dem sich gerade über
+die Berge hebenden Monde zugewandt, als ein junges Mädchen,
+noch ein Kind fast und augenscheinlich auf der Wanderung,
+ganz allein mit einem kleinen Bündel in der linken Hand, und
+einem großen dunklen Tuch über dem rechten Arm, die Straße
+herunter kam und ziemlich dicht an ihnen vorüberging. So
+viel sie im Mondenlicht erkennen konnten, war sie nur ärmlich
+gekleidet, und auch wohl ermüdet von einem vielleicht langen
+Marsch, denn sie blieb zweimal stehen und trocknete sich dabei
+den Schweiß von der Stirn.</p>
+
+<p>Das zweite Mal als sie Halt machte geschah das fast
+dicht vor den beiden, hier im Schatten eines Hollunderbusches
+stehenden Männern, die sie im Anfang gar nicht bemerkte, und
+sie schien den Tönen zu lauschen die aus dem etwa zweihundert
+Schritt davon gelegenen hellerleuchteten Gartenhaus wild
+und lustig heraustönten.</p>
+
+<p>»Fröhliche Menschen,« flüsterte sie dabei — »<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Glückliche</emph>;«
+wie sie aber den Kopf dem Lichte zuwandte, fiel ihr
+Blick auch auf die beiden dunklen Schatten unter der Mauer,
+und wie unwillkürlich fuhr sie zurück; dabei glitt ihr das
+Bündel aus der Hand und fiel zu Boden.</p>
+
+<p>»Wir thun Dir Nichts, Kind,« sagte Kellmann, der die
+Bewegung gesehen hatte, gutmüthig; »wo willst Du denn noch
+so spät hin?«</p>
+
+<p><pb n="196" /><anchor id="Pg196" />»Nach Heilingen,« antwortete das fremde Mädchen, ihr
+Bündel wieder aufnehmend — »ist es noch weit bis dorthin?«</p>
+
+<p>»Eine halbe Stunde etwa, wenn Du rüstig zugingst;
+aber Du scheinst müde zu sein und wirst wohl länger brauchen.«</p>
+
+<p>»Ich komme weit her,« sagte die Fremde, aber sie zögerte
+dabei und es war als ob sie noch nach irgend etwas
+fragen oder um etwas bitten wolle, und sich auch wieder scheue
+es zu thun.</p>
+
+<p>»Du bist wohl hungrig, Kind?« frug sie da Kellmann,
+dessen gutes Herz ihn zu helfen drängte, wo das in seinen
+Kräften stand — »sag's gerad' heraus; und wenn Du kein
+Geld hast macht das nichts, ich schaffe Dir was.«</p>
+
+<p>Das Mädchen schwieg und drehte seufzend den Kopf ab
+und Kellmann, dem richtigen Princip der Gastlichkeit und
+Menschenliebe treu, nicht viel zu fragen erst, wo man gern
+giebt, sagte ihr sich einen Augenblick auf die kleine Bank am
+Thor zu setzen, und er werde ihr einen Imbiß holen — sie
+könne dann Heilingen bald erreichen. Ohne erst eine Antwort
+abzuwarten ging er darauf rasch in's Haus, und das Mädchen
+zögerte noch einen Augenblick und folgte dann, augenscheinlich
+zum Tod ermüdet, der freundlichen Einladung.</p>
+
+<p>»Du kommst weit her?« sagte der Actuar endlich, der
+neben ihr stehn geblieben, im Anfang aber noch zu sehr mit
+seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, viel auf die Fremde
+zu achten.</p>
+
+<p>»Von Erfurt.«</p>
+
+<p><pb n="197" /><anchor id="Pg197" />»Von Erfurt? hm — das ist eine lange Strecke; zu Fuß
+den ganzen Weg?«</p>
+
+<p>»Ja.«</p>
+
+<p>»Und willst in Heilingen bleiben?«</p>
+
+<p>»Ich weiß es noch nicht.«</p>
+
+<p>»Hast Du Verwandte dort?«</p>
+
+<p>»Einen Bruder.«</p>
+
+<p>»Hast Du denn einen Paß bei Dir?«</p>
+
+<p>»Ja,« sagte das Mädchen und holte, mit einem scheuen
+Blick auf den Frager, ihr kleines Bündel vor, das sie Miene
+machte aufzuknüpfen, der Actuar aber, der die Bewegung verstehen
+mochte, sagte rasch:</p>
+
+<p>»Nein nein — laß nur sein — ich will ihn nicht sehen
+ — ich frug nur Deinethalben, damit Du hier in der Stadt
+in keine Verlegenheit kämest. Da ist auch Freund Kellmann
+schon mit dem Essen — nun laß Dir's schmecken.«</p>
+
+<p>»Da,« sagte der kleine Kürschner, der schnellen Schrittes
+mit einem großen gestrichenen Weißbrod und einem hohen
+Glas Milch herankam und es der Fremden reichte — »das
+wird Dir gut thun.«</p>
+
+<p>Das junge Mädchen nahm das Glas mit schüchternem
+Danke an und trank — erst ein wenig, dann aber herzhafter
+ — sie mochte wohl recht durstig gewesen sein. Wie sie fertig
+war setzte sie das Glas auf die Bank zurück und nahm ihr
+Bündel wieder auf.</p>
+
+<p>»Ich danke Ihnen auch noch viel tausend Mal,« sagte
+sie dabei mit weicher, ergriffener Stimme — »ich hatte
+<pb n="198" /><anchor id="Pg198" />seit heute Morgen Nichts gegessen und war recht matt geworden.«</p>
+
+<p>»Armes Kind,« sagte Kellmann mitleidig — »aber hast
+Du denn schon einen Platz in der Stadt wo Du übernachtest?«</p>
+
+<p>»Ja,« sagte die Kleine — »ich denke so — können Sie
+mir aber wohl noch sagen ob das Haus des reichen Herrn
+Dollinger nahe am Thore ist, oder weit in der Stadt drin?«</p>
+
+<p>»Dollinger's Haus? oh nicht so weit in der Stadt drin
+ — aber was willst Du dort?«</p>
+
+<p>»Mein Bruder ist in Herrn Dollinger's Geschäft — wohnen
+auch die Leute bei ihm im Hause?«</p>
+
+<p>»Nicht daß ich wüßte,« sagte Kellmann.</p>
+
+<p>»Aber man kann es doch dort erfahren wo sie wohnen?«</p>
+
+<p>»Gewiß — gleich unten im Haus bei dem Hausmann;
+frage nur nach der Poststraße, wenn Du in's Thor kommst.«</p>
+
+<p>»Gute Nacht Ihr Herren, und nochmals schönsten Dank
+ — Gott mag es Ihnen vergelten.«</p>
+
+<p>»Gute Nacht Kind, guten Weg,« sagte Kellmann, »aber
+ — wie heißt denn Dein Bruder?«</p>
+
+<p>»Franz Loßenwerder,« sagte das Mädchen und ging langsam
+die Straße hinab.</p>
+
+<p>»Oh Du mein Gott,« rief der Actuar leise und erschreckt
+vor sich hin, wie er den Namen hörte — »das ist ja schrecklich.«</p>
+
+<p>»Du lieber Gott, das arme Ding muß von dem Schicksal
+des Bruders gar Nichts wissen,« seufzte auch Kellmann —
+»und wenn sie das jetzt heute Abend erfährt — o wo wird sie
+nur die Nacht bleiben?«</p>
+
+<p><pb n="199" /><anchor id="Pg199" />»Armes, armes Kind,« sagte der Actuar, »und selbst
+ohne Geld in der fremden Stadt.«</p>
+
+<p>»Ich geb' ihr etwas,« rief Kellmann, rasch entschlossen,
+und eilte »heh! — pst!« rufend die Straße hinab dem Mädchen
+nach, das stehen blieb und nach Bündel und Tuch fühlte
+als sie den Ruf hörte, weil sie glaubte daß sie vielleicht etwas
+vergessen hätte.</p>
+
+<p>»Liebes Kind,« stotterte aber Kellmann verlegen, als er
+sie eingeholt, denn er konnte es nicht über's Herz bringen ihr
+die Wahrheit zu sagen — »ich — ich kenne Deinen Bruder,
+aber — er ist jetzt nicht in Heilingen — Du — Du wirst es
+morgen schon hören, und im Dollingerschen Hause können sie
+Dir auch heute nichts weiter sagen, es ist sogar sehr die
+Frage ob der Mann unten im Haus noch auf ist. Gleich
+wenn Du in's Thor hineinkommst, das dritte Haus an der
+rechten Seite, vor dem die beiden Laternen stecken, ist ein
+Gasthaus — ein gutes anständiges Haus, wo sie Dir Quartier
+geben werden — da gieb ihnen diese Karte, der Wirth
+kennt mich, und sage ihm nur ich hätte Dich hingeschickt.«</p>
+
+<p>»Aber bester Herr,« sagte das Mädchen bestürzt, als ihr
+der gutmüthige Kürschnermeister mit der Karte zwei große
+Stücken Geld — es waren zwei Thaler — in die Hand
+drückte — »ich weiß gar nicht — «</p>
+
+<p>Kellmann ließ sie aber gar nicht zu Worte kommen.</p>
+
+<p>»Schon gut — schon gut,« rief er, drehte sich um, und
+kehrte, das Mädchen allein auf der Straße zurücklassend, eben
+<pb n="200" /><anchor id="Pg200" />so rasch nach dem Platz zurück, wo der Actuar noch seiner
+harrend stand.</p>
+
+<p>»Haben Sie es ihr gesagt?« frug dieser ihn.</p>
+
+<p>»Nein — um Gottes Willen nein; das mögen Andere
+thun, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ich</emph> könnte es nicht.«</p>
+
+<p>»Aber was soll jetzt aus ihr werden?«</p>
+
+<p>»Ich werde mich im Löwen schon nach ihr erkundigen,«
+sagte Kellmann nach kurzer Ueberlegung — »und wenn es
+ein ordentliches Mädchen ist, hab ich Bekannte genug hier in
+der Stadt, ihr einen Dienst zu verschaffen. Aber wie ist es
+denn mit der Loßenwerderschen oder Dollingerschen Geschichte
+geworden? ist denn noch etwas von dem gestohlenen Gut zu
+Tage gekommen? — man hört ja keine Sterbenssylbe mehr
+darüber.«</p>
+
+<p>»Nichts — gar nichts weiter,« sagte der Actuar; »im
+Gegentheil hat der arme Teufel von Loßenwerder ein kleines
+Tagebuch geführt gehabt, was sich unter den confiscirten
+oder mit Beschlag belegten Sachen fand, und worin er
+jeden bis dahin eingenommenen Groschen sorgfältig und ordentlich,
+mit seinen höchst bescheidenen Ausgaben, aufnotirt.
+Das aber als gültig angenommen — und wir haben nicht
+die mindeste Ursache es zu bezweifeln da es fast zwölf Jahre
+zurückführt — wäre im Gegentheil der Beweis geliefert daß
+die aufgefundenen zweihundert Thaler mühsam und redlich
+gespartes Geld gewesen wären.«</p>
+
+<p>»Und <emph rend="letter-spacing: 0.20em">kein</emph> anderer Beweis hat sich gegen ihn herausgestellt?«</p>
+
+<p><pb n="201" /><anchor id="Pg201" />»Keiner, als daß er im Hause war und sich auffällig
+heimlich daraus entfernt hat; aber auch selbst das findet nach
+den Acten eine wahrscheinliche, wenn auch etwas wunderliche
+Erklärung. Nach einer Zahl vieler höchst mittelmäßiger, oft
+aber auch ziemlich guter Gedichte, in denen sich besonders viel
+Gemüth ausspricht, scheint der arme verwachsene und hülflose
+Mensch eine Art von — Liebe — ich kann es nicht anders
+nennen, gegen Dollinger's jüngste Tochter und Henkel's Braut
+in seinem unschönen Körper mit herumgetragen, und nur,
+seinen Standpunkt gar wohl erkennend, den einzelnen, in seinem
+Pult verschlossenen Blättern anvertraut zu haben —
+doch das unter uns. Diese unglückselige und hoffnungslose
+Neigung <emph rend="letter-spacing: 0.20em">kann</emph> ihn möglicher Weise dazu getrieben haben,
+dem jungen Mädchen zu ihrem Geburtstag einen Blumenstock
+zu schenken — er hat sogar ein Gedicht geschrieben was den
+Punkt berührt, und worin er sich glücklich fühlt daß sie eine
+Blume pflegen könnte die er gezogen, wenn sie auch nicht
+wüßte von wem sie käme. Daß er unter solchen Umständen
+nicht wollte im Hause gesehen sein läßt sich denken, und ein
+Diebstahl in ihrem eigenen Zimmer verliert, diesen Thatsachen
+gegenüber, an Wahrscheinlichkeit, wenn er auch nicht eben zu
+einer Unmöglichkeit gehörte. Das Menschenherz ist schwach,
+und Mancher schon ist geringerer Verführung erlegen.«</p>
+
+<p>»Hm, hm, hm,« sagte Kellmann vor sich hin — »das
+ist ja eine rechte, rechte böse Geschichte, und der arme Teufel
+da am Ende ganz und gar unschuldig in sein Verderben
+gesprungen.«</p>
+
+<p><pb n="202" /><anchor id="Pg202" />»Ja, und eine Sache die mir selber schon manche schlaflose
+Nacht gemacht hat,« sagte der Actuar, »denn ich <emph rend="letter-spacing: 0.20em">kann</emph>
+den Gedanken nicht los werden, welchen Antheil ich selber
+daran gehabt, den Unglücklichen dahin zu treiben — obgleich
+ich eben nicht mehr als meine Pflicht gethan, und an einen
+solchen verzweifelten Schritt nicht denken konnte; war er
+unschuldig, hätte sich das ja bald in der Untersuchung herausgestellt.«</p>
+
+<p>»Ja, und die Untersuchung rechnet Ihr Herrn vom Gericht
+eben für Nichts,« sagte Kellmann finster — »aber wenn
+das sein erspartes, und Gott weiß dann <emph rend="letter-spacing: 0.20em">wie</emph> mühsam erspartes
+Geld war, wird es doch auch seinen Erben nicht können
+vorenthalten werden.«</p>
+
+<p>»Die Untersuchung ist noch nicht ganz geschlossen,« sagte
+der Actuar, »aber ich glaube auch nicht daß irgend Jemand
+anders einen Anspruch darauf wird geltend machen können.
+Diese Schwester erwähnte er überhaupt mehrmals in seinen
+Notizen, und hat sie auch dann und wann unterstützt, das
+Geld wird ihr später allerdings zugesprochen werden.«</p>
+
+<p>»Und keine Spur ist sonst aufgefunden von dem möglichen,
+von dem wirklichen Dieb?«</p>
+
+<p>»Keine — die Dienstboten sind Alle mehrmals scharf inquirirt
+und auf das Genauste die ganze Zeit beobachtet, zu
+sehen ob eins von ihnen vielleicht größere Ausgaben als gewöhnlich
+mache, oder sich durch irgend etwas anderes verrathen
+würde; ja die Leute haben untereinander fast eben so
+scharfe Wacht gehalten, den Verdacht von sich abzuwälzen
+<pb n="203" /><anchor id="Pg203" />und den Schuldigen aufzufinden, aber es hat sich bis jetzt nicht
+das Mindeste herausstellen wollen. Mit Geld ist das eine
+böse Sache, und wenn der Dieb die Juwelen nur vorsichtig ein
+paar Jahr an sich hält, und dann vielleicht noch gar außer
+Landes schafft, wer soll ihn da aufspüren? allwissend sind wir
+auch nicht.«</p>
+
+<p>»Das weiß Gott,« sagte Kellmann — »wie damals mit
+der Pelzdecke, die mir Jemand von der Ladenthür weggestohlen,
+und die ich zwei Jahr später ganz gemüthlich im Polizeibureau,
+beim Polizeidirector selber in der Stube wiederfand; da
+hört denn doch Alles auf. Aber mir ist wahrhaftig jetzt nicht
+wie spaßen zu Muth; der Anblick des armen Mädchens hat
+einen wehmüthigen Eindruck auf mich gemacht; lieber Himmel,
+was es doch für Elend auf der Welt giebt, und still und bewußtlos
+gehen wir meist daran vorüber.«</p>
+
+<p>»Und die Musik da drinnen, während das arme Kind
+dort allein und freundlos seine Straße geht, und trotzdem jetzt
+noch glücklich ist gegen den Augenblick, wo es das Furchtbare
+doch erfahren <emph rend="letter-spacing: 0.20em">muß</emph>. Mich leidet's heute nicht länger hier
+draußen, Kellmann,« brach er kurz ab — »ich mag die Tanzmusik
+nicht hören — wollen wir zurück in die Stadt gehn?
+es ist überdies schon spät.«</p>
+
+<p>»Ich habe Nichts dagegen,« sagte Kellmann, tief aufseufzend
+ — »mir ist der Abend heute auch verdorben, aber
+wir wollen Schollfeld erst abrufen.«</p>
+
+<p>»Da drin ist wohl Prügelei?« sagte da Ledermann,
+als aus dem Hause wilder Lärm zu ihnen heraus tönte.</p>
+
+<p><pb n="204" /><anchor id="Pg204" />»Das wäre früh,« meinte Kellmann — »die kommt gewöhnlich
+sonst erst später, oder ganz zum Schluß. Es ist
+doch sonderbar, daß ein deutscher »Tanz« nie ohne eine
+Schlägerei enden kann; es scheint auch ungefähr dasselbe, wie
+der Cotillon bei einem Ball, nur daß sich die jungen Mädchen
+nicht dabei betheiligen — höchstens verheirathete Frauen, ihre
+Eheherren zu schützen, und die Verwirrung womöglich noch
+größer zu machen — hallo aber das kommt hier heraus.«</p>
+
+<p>»Sie werden Jemanden hinauswerfen,« sagte der Actuar
+ruhig — »lassen Sie uns an die Seite treten daß wir nicht
+in das Gewirr gerathen.«</p>
+
+<p>Der Actuar hatte allerdings recht, denn unter dem Lachen,
+Schreien und Jubeln der Menge, durch das einzelne wilde
+Flüche einer, ihnen keineswegs unbekannten Stimme tönten,
+wälzte sich ein Haufen Menschen aus dem Saal heraus, in
+der Mitte einen Mann schleppend, der sich mit Händen und
+Füßen, wenn auch umsonst, gegen solche unwürdige Behandlung
+sträubte, und in dem die beiden Freunde sehr zu ihrem
+Erstaunen den Auswanderungsagenten Weigel erkannten.</p>
+
+<p>»Laßt mich los!« schrie dieser dabei, mit den wildesten,
+ungemessensten Flüchen und Schimpfreden — »laßt mich los
+oder ich rufe die Polizei — Hülfe! — Mörder! Feuer!«</p>
+
+<p>»Brüll nur mein Herzchen!« sagte aber der Verwalter
+von Hohleck, eine riesige breitschultrige Gestalt, der den machtlos
+dagegen Ankämpfenden wie in einer eisernen Klammer am
+Kragen gepackt hielt — »Dich könnten wir hier brauchen,
+die Leute heimlich beschwatzen daß sie Hof und Dienst verlassen
+<pb n="205" /><anchor id="Pg205" />und nach Amerika liefen — ei Du Hallunke, Du kommst mir
+einmal wieder vor die Fäuste.«</p>
+
+<p>»Halt da — Hohmeier! laßt ihn los!« rief aber in diesem
+Augenblick eine andere, etwas schwer klingende Stimme, die
+dem also Gefährdeten zu Hülfe zu eilen schien — »der hier — Homeier — der
+hier ist mein Freund — mein ganz intimer
+Freund und den laß ich mir — Homeier, den laß ich mir
+nicht aus dem Hause werfen.«</p>
+
+<p>Es war Niemand anderes als der Wirth, Lobsich, selber,
+aber, wie es die Seeleute nennen, »halb im Wind«, mit
+schwerer Zunge und schon etwas taumelndem Gang, daß sich
+der Zustand in dem er sich befand, nicht gut verkennen ließ.
+Er versuchte dabei den Agenten zu halten und aus den Händen
+derer die ihn gefaßt hatten fortzuziehn; Hohmeier, der Verwalter
+schob ihn aber mit seinem linken Arm bei Seite, als
+ob es ein Kind gewesen wäre, und sagte ruhig:</p>
+
+<p>»Geht zu Bett Lobsich, das wär' Euch viel besser heut
+Abend, aber mischt Euch nicht in Sachen die Euch Nichts
+kümmern.«</p>
+
+<p>»Nichts kümmern?« rief aber der Wirth gereizt, indem
+er den Verwalter mit großen stieren Augen ansah — »nichts
+kümmern <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Hoh</emph>meier? — oh <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Hoh</emph>meier wem gehört denn dies
+Haus, heh? — nichts <emph rend="letter-spacing: 0.20em">kümmern</emph>? wem gehört denn der
+rothe Drache, heh, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Hoh</emph>meier.«</p>
+
+<p>Die Schaar war indessen bis grade dorthin gekommen,
+wo Kellmann und der Actuar standen, und wo sie den Agenten
+zwischen zwei ziemlich nah zusammen wachsenden Akazienbäu<pb n="206" /><anchor id="Pg206" />men
+durchtragen wollten als dieser, solche letzte Gelegenheit
+vielleicht, benutzend, Arm und Beine auseinanderspreitzte, daß
+sie ihn nicht hindurchbringen konnten, während er von Neuem
+sein »Hülfe! Mörder! Feuer!« aus voller Kehle schrie.</p>
+
+<p>»Wenn ihm nur Jemand die Beine ausheben wollte!«
+sagte Herr Schollfeld, der ein höchst vergnügter Zeuge der
+Scene war, ohne jedoch seines schwächlichen Körpers wegen
+selber Theil daran zu nehmen, jetzt wohlmeinend. Ein paar
+Knechte vom Hof, die ihren Verwalter in seinem Richteramt
+unterstützten, ließen sich das auch nicht zweimal sagen, und
+der wüthend, aber vergebens dagegen Antretende fand sich bald
+in der vollkommnen Gewalt der Leute, ohne im Stande zu
+sein auch nur den geringsten erfolgreichen Widerstand zu
+leisten.</p>
+
+<p>»Heh <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Hoh</emph>meier!« schrie aber Lobsich, der sich indeß
+durch die im Garten stehenden Stühle und Tische wieder nach
+vorn gedrängt hatte den Mann frei zu machen, von dem er
+sich plötzlich einbildete daß er sein Freund sei, »laßt mir den
+Menschen los, sag ich Euch <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Hoh</emph>meier — Donnerwetter ich
+will doch einmal sehn wer hier in meinem eigenen Hause zu
+befehlen hat. Ihr oder ich — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Hoh</emph>meier. Es ist mir doch
+was Unbedeutendes!« Er schien sich auch in der That den
+Leuten entgegenwerfen zu wollen; im Vorspringen, und das
+viele Getränk im Kopf, blieb er aber mit dem einen Fuß in
+einer dort stehenden Fußbank hängen, und schlug der Länge
+lang in den Garten, während die Knechte den jetzt wüthend
+um sich schlagenden Agenten rasch aufgriffen und, lachend
+<pb n="207" /><anchor id="Pg207" />über des Wirthes Unfall, aus der Gartenthür auf die Straße
+warfen.</p>
+
+<p>Ein furchtbarer Lärm entstand jetzt, die Leute jubelten
+und lachten, und erzählten sich untereinander wie der »Auswanderungsmann«
+einen Schaafknecht vom Gut hätte bereden
+wollen als »Schaafmeister« nach Amerika auszuwandern, und
+vom Verwalter dabei erwischt wäre, und der »Auswanderungsmann«
+stand vor dem Gartenthor und schimpfte und wüthete,
+bis einer der Knechte das Schloß wieder aufdrückte und hinaus
+und ihm nach wollte, und dann auf der Chaussee stehen blieb
+und hinter dem davon Laufenden herfluchte, und Steine hinter
+ihm drein warf.</p>
+
+<p>Drinnen im Saal tönte die Musik aber wieder rauschender
+als vorher, und die jungen Burschen durften die Zeit hier
+nicht länger im Garten versäumen. Während die aber wieder
+in den Saal drängten, Tänzerinnen zu bekommen, und
+Schollfeld von Kellmann angerufen war, mit ihnen zurück
+nach der Stadt zu gehn, blieb Lobsich noch im Garten, an
+dessen Thüre er trat, und nach der Straße hinaus mit lauter
+und immer ärgerlicher werdender Stimme Weigel's Namen
+schrie. Lobsich war jedenfalls stark angetrunken und wollte
+sehr wahrscheinlich den Mann zurück holen, um ihm jetzt ernstlich
+beizustehn und den Skandal noch einmal von Neuem zu
+beginnen.</p>
+
+<p>Die drei Freunde hielten sich dabei im Schatten eines
+dichten Fliederbusches, von dem aufgeregten und jetzt doch nicht
+zurechnungsfähigen Menschen nicht bemerkt zu werden, und
+<pb n="208" /><anchor id="Pg208" />dann unbelästigt den Garten zu verlassen, als Lobsich's Frau,
+die das Toben ihres Mannes wohl im Haus gehört, von
+dort her und den Mittelweg herunter eilte. Ohne daß er sie
+bemerkte kam sie auch bis dicht an ihn hinan, und hier seinen
+Arm ergreifend sagte sie mit leiser, bittender Stimme.</p>
+
+<p>»Lobsich — Vater — komm sei vernünftig, laß das
+Schreien und Toben hier auf der Landstraße und geh zu Bette — thu
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">mir's</emph> zu Liebe Lobsich, wenn ich Dich darum bitte.«</p>
+
+<p>»Laßmchfrieden,« stammelte aber der Betrunkene mit
+schwerer Zunge und suchte sie von sich abzuschütteln — »laß
+mchfrieden sag ich — Dnrrwttrrr — ich weiß — ich weiß
+was ich ss — se thun habe — «</p>
+
+<p>»Aber Lobsich, ich bitte Dich um Gottes Willen,« flüsterte
+die Frau in Todesangst — »Du machst Dich und mich
+unglücklich wenn Du Dich nicht änderst — was soll daraus
+werden?« — </p>
+
+<p>»Laßmch — frieden,« stammelte aber der Mann, sie
+unwillig von sich abschüttelnd, aber er verließ den Thorweg
+wenigstens und taumelte durch den Garten fort, seitwärts vom
+Hause ab — »Weibervolk,« murmelte und fluchte er
+dabei — Himmelsakkrments Weibervolk — Unsinn — violettblaues — ist
+mir doch — ist mir doch was Unbe — Unbedeutendes — «
+und er verschwand damit hinter den Büschen. Die Frau aber
+blieb, den Ellbogen auf das Thürschloß gestützt und das Gesicht
+in den Händen bergend, allein zurück, richtete sich aber
+rasch wieder auf, als sie Schritte auf sich zukommen hörte, und
+wollte nach dem Haus zurück.</p>
+
+<p><pb n="209" /><anchor id="Pg209" />»Frau Lobsich,« sagte Kellmann, der es war, gutmüthig,
+ja fast herzlich — »macht denn das Lobsich jetzt öfter daß er
+so über die Schnur haut?«</p>
+
+<p>»Ach Sie sind es Herr Kellmann,« sagte die arme Frau
+beruhigt. »Lieber Gott, ich weiß meinem Herzen keinen Rath
+mehr, wenn er's so fort treibt; wie soll das enden?«</p>
+
+<p>»Aber ich habe Ihren Mann so doch noch in meinem
+Leben nicht gesehn,« sagte Kellmann verwundert.</p>
+
+<p>»Ach ja,« seufzte die Frau — »es ist nicht das erste Mal,
+aber ich habe immer gesucht es so viel als möglich zu verheimlichen,
+es giebt gar solch ein böses Beispiel für die Leute.
+Es sind auch eigentlich nur einige Wochen erst daß er so scharf
+zu trinken anfängt. Lieber Gott, im Kopf hat er früher schon
+manchmal eins gehabt, aber er artete doch nie aus, jetzt jedoch
+geht der Spiritus mit ihm durch, und er wird zum Thier.
+Ach guter Herr Kellmann, wenn Sie einmal ein recht ernstes
+aber doch freundliches Wort mit ihm sprechen wollten; auf
+Sie hält er etwas. Mir verspricht er's wohl auch,« setzte sie
+leiser hinzu, »aber — er vergißt es immer nur zu rasch wieder.«</p>
+
+<p>»Ich will mein Möglichstes mit ihm versuchen, Frau
+Lobsich,« sagte Kellmann freundlich — »aber,« setzte er rascher
+und leiser hinzu — »dort glaub' ich kommt er schon wieder
+zurück, es wird besser sein wenn Sie versuchen ihn heute
+Abend zu Bett zu bringen; mit einem betrunkenen Menschen
+läßt sich Nichts anfangen.«</p>
+
+<p>»Na? — Donnrrwttrrr,« stammelte aber in diesem Augenblick
+der Wirth, der auf seinem Zickzack Cours wieder nach der<pb n="210" /><anchor id="Pg210" />
+Thür zurückkam, und die Arme einstemmend einen, wenn auch
+vergebenen Versuch machte, mit gespreitzten Beinen vor seiner
+Frau stehen zu bleiben — »Dnnrrrwttrrr,« wiederholte er,
+herüber und hinüber schwankend — »was's das vor Wirthschaft
+heh? wo gehört die — gehört die Frau hin, heh? —
+in die Hofthür mit fremden Kerlen schwatzen heh? — ist
+mir doch — ist mir doch was Unbe — Unbedeutendes.«</p>
+
+<p>»Aber lieber Lobsich,« nahm hier der jetzt auch hinzugetretene
+Schollfeld das Wort, »sein Sie doch vernünftig und
+gehn Sie — «</p>
+
+<p>»Hallo?« rief aber der Wirth, sich halb nach dem Redner
+herumdrehend, in dessen hell vom Mond beschienenen Zügen
+er den Apotheker erkannte — »sin' wir auch hier? heh? —
+haben auch mit g'holfen mein' besten Freund — mein' besten
+Freund mit hinaus zu werfen — heh? Sie — Sie Giftmischer
+Sie — Sie — «</p>
+
+<p>»Herr Lobsich!« rief Schollfeld ärgerlich, »Sie sind
+heute nicht zurechnungsfähig, sonst — «</p>
+
+<p>»Was? — Pillendreher will noch — will noch raiss —
+raiss'niren — heh?« rief aber der gereizte Wirth und that
+einen Schritt gegen den Mann an.</p>
+
+<p>»Aber Lobsich so bedenke doch um Gottes Willen was
+Du sprichst,« bat ihn die Frau, seinen Arm ergreifend —
+»komm mit mir in's Haus — wir haben noch so viel zu thun.«</p>
+
+<p>»Viel zu thun? — heh? — habe keine Zeit mehr heut
+Abend — hickup« — stammelte aber der Mann gegen den
+Schlucken ankämpfend — »muß noch — muß noch — hickup — muß
+<pb n="211" /><anchor id="Pg211" />noch Wein abziehn und — und Bier trinken —
+hickup — und — und hahahahaha — da ist — da ist ja die
+ganze Gesellschaft — ja wohl — hickup — ja wohl, komme
+schon — komme schon meine Herrn — Lobsich ist immer da —
+ein verfluchter Kerl, der — der — hickup — der Lobsich —
+ist mir doch — ist mir doch was Unbedeutendes;« — und in
+einer unbestimmten Idee daß ihn vom Haus aus Jemand gerufen
+hätte, wobei er seine Umgebung ganz vergaß, taumelte
+er dem Saal wieder zu, wohin ihm die Frau ängstlich folgte.
+Sie mußte ihn ja zurückhalten, daß er so seinen Gästen und
+Leuten nicht wieder unter die Augen kam.</p>
+</div>
+<div rend="page-break-before: always"><pb n="212" /><anchor id="Pg212" />
+<index index="toc" level1="Rüstungen" />
+<index index="pdf" level1="Rüstungen" />
+<index index="pdb" level1="Rüstungen" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 9.</head>
+<head rend="text-align: center">Rüstungen.</head>
+<p>»Nach New-Orleans!«</p>
+
+<p>»Das ausgezeichnet schöne, 360 Last große, schnellsegelnde,
+kupferfeste und gekupferte dreimastige Bremer Schiff erster
+Klasse:</p>
+
+<p><emph rend="letter-spacing: 0.20em">Die Haidschnucke</emph>, Capitain <emph rend="letter-spacing: 0.20em">E. Siebelt</emph>,
+mit vorzüglicher Gelegenheit für Cajüts- und Zwischendecks-Passagiere — wird
+am 30. August expedirt.</p>
+
+<p>Agent dafür, I. G. Weigel,</p>
+
+<p>Hauptagent des Central-Bureau's für Norddeutsche Auswanderung
+in Heilingen, am Markt Nr. 17.«</p>
+
+<p>Diese Anzeige stand am Morgen nach den, im letzten Capitel
+beschriebenen Vorfällen im Heilinger Tageblatt, und Dr.
+Haide, der Redacteur desselben, hatte die Gelegenheit nicht unbenutzt
+wollen vorübergehen lassen, einige entsetzliche Mordgeschichten
+und falsche Bankerotte aus den Vereinigten Staaten,
+<pb n="213" /><anchor id="Pg213" />wie zur Entmuthigung aller Auswanderungslustigen, in der
+nämlichen Nummer seines Blattes abzudrucken.</p>
+
+<p>Weigel war wüthend darüber, und schrieb augenblicklich
+einen anderen Artikel dagegen; den nahm Doctor Haide aber
+nicht auf, weil er, wie er ganz naiv erklärte, »sich dadurch selber
+blamiren würde.« Uebrigens sei die Sache auch schon erledigt,
+indem die Schiffsanzeige <emph rend="letter-spacing: 0.20em">für</emph>, sein Artikel aber <emph rend="letter-spacing: 0.20em">gegen</emph> Amerika
+und die Auswanderung wäre, und er es sich zum Grundsatz
+gemacht hätte, jeden Artikel nach beiden Seiten hin zu beleuchten — wenn
+Herr Weigel etwas gegen ihn wolle einrücken
+lassen, sei er keineswegs verpflichtet es aufzunehmen, und er
+möge ihn deshalb, wenn er damit durchzukommen glaube, nur
+ganz einfach darauf verklagen.</p>
+
+<p>Die Abfahrt dieses Schiffes war aber für Heilingen in
+so fern von nicht unbedeutender Wichtigkeit, als sich mehre
+Familien dieser Stadt ernstlich dahin entschlossen hatten, mit
+demselben nach Amerika auszuwandern. So unter Anderen
+Professor Lobenstein, der sein Haus jetzt verkauft, und der Stadt
+überhaupt durch seine beabsichtigte Auswanderung höchst willkommenen
+Stoff zu den mannichfaltigsten Vermuthungen und
+Erörterungen geliefert hatte. Ja mehrere Kaffeegesellschaften
+der näheren Bekannten Lobenstein's waren wirklich nur einzig
+und allein zu dem Zweck gegeben worden, sich einmal ordentlich
+über die Sache »aussprechen« zu können.</p>
+
+<p>Auch in dem Dollinger'schen Haus hatten die letzten
+Wochen bedeutende Veränderungen hervorgebracht, indem der
+junge Henkel Briefe von Amerika erhielt, nach denen seine An<pb n="214" /><anchor id="Pg214" />wesenheit
+dort, dringend nothwendig geworden. Zwei Wechsel
+trafen zugleich für ihn ein, wie ziemlich starke Aufträge zu Ankäufen
+in Tuchen und Seidenwaaren von seinem Haus, welches
+Geschäft er mit Herrn Dollinger in Gemeinschaft auszuführen
+gedachte.</p>
+
+<p>Der alte Herr Dollinger, so schwer es ihm auch wurde,
+und so lange er sich dagegen gesträubt, mußte da wohl endlich
+seine Einwilligung zu der Verbindung Clara's mit dem jungen
+Amerikanischen Kaufmann, über dessen Familie und Geschäft
+in New-Orleans er von einem dortigen Geschäftsfreund das
+Beste erfahren hatte, geben. Nur wunderte man sich dort, daß
+der junge Henkel in Nord-Deutschland sei, während man ihn
+auf einer größern Tour durch Italien und Griechenland vermuthet.
+Die Leute dort konnten nicht wissen daß der junge
+Mann auf dem Rhein andere Pläne für seine Zukunft geschaffen,
+als er sie früher vielleicht ausgesonnen.</p>
+
+<p>Am letzten Sonntag war also, ganz in der Stille, die
+Trauung vollzogen und Clara, das liebe holde Mädchen, die
+Frau des jungen reichen Amerikaners — wie man ihn überall
+in der Stadt nannte, geworden. Jetzt galt es nun freilich noch,
+in der kurzen Zeit all die nöthigen und so mannichfachen Vorbereitungen
+zu einer Reise nach Amerika für die junge Frau
+zu treffen. Es sollte aber wirklich auch nicht viel mehr als
+eine Reise werden, denn Henkel hatte sich schon selber fest erklärt,
+seinen künftigen Wohnsitz keineswegs in Amerika, sondern
+in Havre nehmen zu wollen, wo überdies, der bedeutenden
+Geschäftsverbindung wegen mit diesem Hafen, ein Associé
+<pb n="215" /><anchor id="Pg215" />des Hauses sich aufhalten mußte. Ein oder zwei Monate gedachten
+die jungen Eheleute dann jedes Jahr in dem reizend
+gelegenen Heilingen zuzubringen, was ihnen, wie den Eltern,
+die jetzige Trennung sehr erleichterte, und spätestens im März
+oder April schon wieder nach Europa zurückkehren zu können.
+Die ganze Reise war dadurch wirklich fast nur zu einer etwas
+längeren Vergnügungsfahrt geworden.</p>
+
+<p>Auch für Clara's Mutter war das Bewußtsein, ihr Kind
+nicht für immer zu verlieren und bald wieder in die Arme
+schließen zu können, eine unendliche Beruhigung, und selbst
+hierzu hatte es ihr einen großen Kampf gekostet, ihre Einwilligung
+zu geben. Clara selbst aber hing mit ganzem Herzen
+an dem theuren Mann, und fühlte sich vollkommen glücklich
+in einer Verbindung, die seit sie den Fremden kennen und lieben
+gelernt, ihr das Ziel ihrer irdischen Wünsche geschienen.</p>
+
+<p>Was war ihr die Reise, was die Gefahr und Mühseligkeit
+derselben? sie wäre ihm in eine Wildniß gefolgt, und hätte
+sich doch glücklich an seiner Seite gefühlt.</p>
+
+<p>Der junge Henkel wünschte nun die Ueberfahrt in einem
+Englischen Dampfer nach New-York, und von da mit einem
+Amerikanischen Dampfschiff nach New-Orleans zu bewerkstelligen,
+Clara fürchtete sich aber an Bord eines Dampfers zu gehn,
+theils der doppelten Gefahr, theils der unangenehmen Bewegung
+derselben in schwerem Wetter wegen, von der sie viel
+gehört, und da es sich jetzt gerade so traf daß eine ihr befreundete
+Familie, Professor Lobenstein's, ebenfalls nach New-Orleans,
+und in einem Segelschiff von Bremen ab auswan<pb n="216" /><anchor id="Pg216" />derte,
+bat sie mit diesen reisen zu dürfen. Henkel selber schien
+nicht recht damit einverstanden, fügte sich aber doch endlich den
+Bitten seiner jungen Frau.</p>
+
+<p>Wenn aber bei Dollinger's im Haus wenig mehr als
+Wäsche und Kleider herzurichten waren, nur zu einer Reise
+nicht zu einer Uebersiedlung nach Amerika, und man diese schon
+großenteils gepackt und vorausgeschickt hatte, die letzten Stunden
+in der Heimath durch kein Aussuchen und Packen gestört
+zu haben, so schien dagegen bei Professor Lobenstein das ganze
+Haus von innen nach außen gekehrt zu sein.</p>
+
+<p>Der Professor nämlich hatte auf keinerlei Weise bewogen
+werden können mit seinen Sachen eine Auction anzustellen,
+und nur das Nothwendigste mitzunehmen, da Fracht und
+Spesen unterwegs ein wirkliches Capital auffressen würden,
+für das er sich Alles was er dort brauchte auch an Ort und
+Stelle neu anschaffen könnte. Allen die ihm dies riethen
+zeigte er aus verschiedenen Schriften die statistisch aufgestellten
+Arbeitslöhne der verschiedenen Handwerker, wie die Preise der
+Provisionen, und bewieß ihnen auf das Klarste und Unumstößlichste
+was jedes einzelne Stück Meublen und Hausgeräth
+in notwendiger Folgerung in Amerika kosten müsse. Eben
+so hatte er sich mit unendlicher Ausdauer einen Ueberschlag
+der verschiedenen Frachtpreise nach New-Orleans, und von
+da in's Innere gemacht, bis er endlich zu dem obigen Resultat
+gekommen, und nun auch augenblicklich eine Anzahl Tischler
+in Arbeit setzte, lauter neue Kisten für seine Sachen anzufertigen.</p>
+
+<p><pb n="217" /><anchor id="Pg217" />Eine große Anzahl von diesen war nun schon, gepackt
+und mit eisernen Reifen beschlagen, als Fracht vorausgeschickt,
+eine andere Sendung sollte heute abgehn, und die letzten dann
+in den nächsten Tagen befördert werden, noch zur rechten Zeit
+an Ort und Stelle zu sein. Kellmann selbst, dem Hause eng
+befreundet, hatte dahin mehrere Aufträge übernommen, und
+kam heute Morgen, Bericht über die Ausführung derselben abzustatten.</p>
+
+<p>Er selber war natürlich mit der ganzen Uebersiedlung gar
+nicht einverstanden, hatte aber doch, als er alle Gründe des
+Professors dafür gehört, weit weniger dagegen gesagt, als die
+Familie im Anfang vermuthet und auch wohl gefürchtet haben
+mochte. Der Professor sei eben ein Professor, meinte er nur,
+und wo der einmal seinen Kopf aufgesetzt habe, ließ sich auch
+Nichts mehr abstreiten oder gar dagegen beweisen, man müsse
+ihn eben sich selber überlassen, und — es thue ihm nur um
+die Familie leid. Nichtsdestoweniger gab er sich jede erdenkliche
+Mühe ihnen, wo er es nur irgend vermochte, beizustehn,
+wobei er den Professor doch von manchem unüberlegten oder
+unpraktischen Schritt zurückhielt. So kämpfte er, und zwar
+glücklicher Weise mit Erfolg, gegen die unglückselige Idee des
+Professors an, sich hier, trotz Allem was er darüber schon gelesen,
+von dem Auswanderungsagenten Land und eine Farm
+zu kaufen. Er wollte drüben nicht »in Gefahr kommen« von
+Amerikanischen und betrügerischen Landspeculanten hintergangen
+zu werden, und seine Berechnung sämmtlicher Kosten gleich
+<pb n="218" /><anchor id="Pg218" />hier an Ort und Stelle machen können, was ihm nicht möglich
+sei, wenn er die Contracte nicht in der Tasche habe.</p>
+
+<p>Kellmann, auf dessen praktisches und gesundes Urtheil er
+sonst überhaupt viel gab, machte ihn mit seinen ernstlichen
+Vorstellungen aber doch stutzig, und noch eine authentische Person
+über die dortigen Verhältnis zu hören, wandte er sich zuletzt
+an den jungen Henkel, und bat diesen um Meinung und
+Rath über die, ihm allerdings sehr am Herzen liegende Sache.
+Dieser rieth ihm aber ebenfalls auf das Entschiedenste ab, sein
+Geld hier an eine solche Speculation wegzuwerfen, denn dieser
+Weigel scheine ihm, was er bis jetzt von ihm gesehn, eine keineswegs
+volles Vertrauen verdienende Persönlichkeit. Er solle
+warten bis sie drüben wären, dort habe er Zeit genug (Kellmann
+hatte ihm dasselbe gesagt), und finde er in New-Orleans
+oder Missouri nichts Besseres, so sei er selber vielleicht im
+Stande ihm ein kleines reizendes Gut abzutreten, das er einmal
+auf einem Jagdzug in's innere Land gekauft, und jetzt
+noch verpachtet hätte.</p>
+
+<p>»Und der Preis?«</p>
+
+<p>»Er würde zufrieden sein.« Damit war die Sache für
+jetzt abgemacht; freilich zu Weigels Verdruß, der die Farm,
+wie er sich ausdrückte, nun noch »zur Verfügung« behielt.</p>
+
+<p>Es mochte etwa Morgens um elf sein, als Kellmann
+Professor Lobensteins besuchte. Das Haus war am vorigen
+Tag öffentlich verauctionirt und von einem reichen Weinhändler
+in Heilingen erstanden worden, die Familie aber jetzt in
+angestrengter Arbeit eifrig bemüht das unangenehme Gefühl
+<pb n="219" /><anchor id="Pg219" />nicht allein zu verscheuchen, sondern auch eines vor dem anderen
+zu verbergen, »zum <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ersten</emph> Male in der <emph rend="letter-spacing: 0.20em">eigenen</emph> Heimath
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">fremd</emph> zu sein;« zum ersten Mal fremd in den Räumen,
+die ihrer Kindheit Spiele gesehn, und Zeuge gewesen waren
+ihrer keimenden Hoffnungen und Träume.</p>
+
+<p>Der erste schwere Schritt zu einem neuen Leben und Wirken
+war aber damit geschehn; freilich auch zu gleicher Zeit die
+Brücke abgebrochen, die noch zurück hätte führen können in das
+Vaterland. Das Band war damit zerrissen, das sie noch an
+dieses knüpfte, und wunderbarer Weise hatte sich jetzt, wie sie
+sich gestern noch fast Alle gefürchtet vor dem Gedanken die
+lieben theueren Räume zu verlassen, ein fremdes unheimliches
+Gefühl zwischen sie und das Haus geworfen, und sie <emph rend="letter-spacing: 0.20em">ersehnten</emph>
+den Augenblick wo sie hinaus konnten, fort, nur fort von
+hier — aus den Erinnerungen fort. Und doch sprachen sie das
+nicht aus gegen einander; Jedes hielt sich nur allein für so
+thöricht und kindisch, mit den quälenden Gedanken; keines
+wußte daß das Gefühl in ihrer Aller inneres Leben verwoben
+sei, und in des Herzens feinsten Fasern Wurzel schlug.</p>
+
+<p>Die Stimmung Aller, so sehr sie sich auch hüteten dem
+was sie dachten Worte zu geben, war denn auch an dem ganzen
+Morgen schon eine stille, gedrückte gewesen, und Kellmann's
+Erscheinen befreite Alle wie von einer Last. Unten auf der
+Treppe wurde der aber schon laut.</p>
+
+<p>»Na, ist das ein Vergnügen zu so einer Auswanderungsfamilie
+in's Haus zu kommen,« rief er, als er sich mit zusammengehaltenen
+Schößen zwischen einer Reihe Kistendeckel hin<pb n="220" /><anchor id="Pg220" />durchdrückte,
+die, mit den Nägeln nach außen, an der Wand
+lehnten, und dabei noch über eine Unzahl Körbe und Schachteln
+wegsteigen mußte, nur in die Stube zu kommen.</p>
+
+<p>»Nehmen Sie sich in Acht, lieber Kellmann,« rief ihm
+der Professor, der seine Stimme gehört hatte, aus der halbgeöffneten
+Thüre entgegen (er konnte diese nicht ganz aufmachen
+da ebenfalls eine Kiste dahinter stand). »Sie möchten sich da
+draußen die Kleider zerreißen.«</p>
+
+<p>»Ist schon bereits geschehen,« brummte Kellmann, indem
+er versuchte einen Blick nach seinem, allerdings beschädigten
+Rücktheil zu gewinnen, »meine Güte, wie sieht das bei Ihnen
+aus — ah guten Morgen meine Damen — und schon so
+fleißig? — was um Gottes Willen nähen Sie denn da? — Getraidesäcke
+für die nächste Erndte?«</p>
+
+<p>»Fehlgeschossen Herr Kellmann,« rief ihm aber Marie, die
+sich gern mit dem freundlichen Mann neckte, entgegen — »Jacken
+sind das für uns, in den Busch, zwischen den Dornen und
+Schlingpflanzen, die uns sonst das leichte Zeug von den Schultern
+rissen. Warten Sie einen Augenblick, da können Sie uns
+gleich Ihre Meinung sagen; die meinige ist gerade fertig, und
+ich will sie eben anprobiren. Lassen Sie nur, ich werde
+schon allein fertig, dort drüben müssen wir überdies Alles
+allein machen — So — nun, wie gefalle ich Ihnen darin?«</p>
+
+<p>»Gar nicht,« sagte Kellmann mürrisch, »ich sähe Sie
+weit lieber in einem leichten Ballkleid und mit Ihrem gewöhnlichen
+heiteren Gesicht, als in der Sackleinwand und — hm —
+das verdammte Amerika. Geht denn Eduard jetzt noch mit,
+<pb n="221" /><anchor id="Pg221" />oder bleibt er da? wo steckt er denn wieder? — der ist immer
+fort wenn ich komme.«</p>
+
+<p>»Der geht mit, lieber Kellmann,« rief der Professor, »er
+konnte sich nicht dazu entschließen, seine Eltern und Geschwister
+allein in die Welt ziehn zu lassen, wo er ihnen vielleicht, zum
+ersten Mal in seinem Leben, nützlich sein würde, und ist jetzt
+noch in der Geschwindigkeit zu einem Tischler gegangen, die
+paar Wochen wenigstens zu benutzen, und doch eine Idee von
+dem Handwerk zu gewinnen; wer weiß was wir da Alles zu
+thun bekommen.«</p>
+
+<p>»Wird auch was recht's davon in den paar Tagen profitiren,«
+brummte Kellmann — »bei wem ist er denn, bei
+Leupold?«</p>
+
+<p>»Leupold?« rief der Professor, »der geht ja mit unserem
+Schiff nach New-Orleans.«</p>
+
+<p>»Der Tischlermeister Leupold wandert auch aus?« rief
+Kellmann laut und verwundert.</p>
+
+<p>»Hat sein Häuschen und seine Werkstätte verkauft, und
+ist jetzt wahrscheinlich schon unterwegs nach Bremen,« betätigte
+ihm der Professor.</p>
+
+<p>»Na nu ist mir's aber doch über den Spaß,« rief Kellmann
+ — »da läuft ja halb Heilingen fort; jetzt freut mich
+mein Leben; nächstens werden wir uns unsere Schränke und
+Schuhe und Röcke selber machen können wenn wir 'was haben
+wollen; ich darf nur gleich den meinigen zum Schneider schicken
+daß er ihn mir noch ausbessert, ehe er auch durchbrennt. S'ist
+wirklich zum Verzweifeln.«</p>
+
+<p><pb n="222" /><anchor id="Pg222" />»Lieber Gott,« sagte der Professor — »die Leute verlangen
+nur Ellbogenraum sich zu rühren; sie wollen einen Platz haben,
+der ihren Bedürfnissen Befriedigung verspricht.«</p>
+
+<p>»Da haben Sie gleich den faulen Fleck,« rief Kellmann,
+»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Bedürfnisse befriedigen</emph>, wenn die Leute lebten wie ihre
+Voreltern gelebt haben, und nicht mit jedem Jahre auch neue
+Bedürfnisse kennen lernten und befriedigt haben wollten, so
+hätten wir alle Platz, und das verwünschte Amerika könnte
+sehen wo es Hände und Fäuste bekäm zuzupacken und ihm den
+Boden zu bestellen. Aber ich will mich nicht länger ärgern — laßt
+sie laufen, nachher wird's hier erst recht gemüthlich — apropos — Ihren
+Freund Weigel haben sie gestern Abend im
+rothen Drachen hinausgeworfen — er wollte Dienstleute, ich
+glaube einen Schäfer, verlocken nach seinem gerühmten Amerika
+auszuwandern.«</p>
+
+<p>»Meinen <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Freund</emph>?« sagte der Professor achselzuckend,
+»ich habe mit Herrn Weigel nie in einer solchen Beziehung
+gestanden, aber ich achte ihn als einen Mann der ein gutes
+Herz mit einer tüchtigen Portion gesundem Menschenverstand
+verbindet, und besonders schätzenswerthe statistische Kenntnisse
+Amerika's besitzt.«</p>
+
+<p>»Bah!« sagte Kellmann, den Kopf auf die Seite werfend,
+und mit den Fingern schnalzend, »so viel für seine statistischen
+Kenntnisse; <emph rend="letter-spacing: 0.20em">unverschämt</emph> ist er, das halt' ich für seine
+Hauptforce, und er wirft Ihnen da mit der größten Kaltblütigkeit
+eine Masse Zahlen in den Bart, denen man nicht gleich widersprechen
+kann, weil sich der Gegenbeweis eben nicht führen
+<pb n="223" /><anchor id="Pg223" />läßt. Wenn das Alles wahr ist was er über Amerika sagt,
+wäre <emph rend="letter-spacing: 0.20em">er</emph> der größte Esel wenn er nicht selber hinüberginge.«</p>
+
+<p>»Seine Verhältnisse gestatten es ihm nicht, wie er mich
+oft versichert hat,« vertheidigte ihn aber der Professor.</p>
+
+<p>»Ja, das kennen wir schon,« sagte Kellmann, »und wenn
+mich irgend etwas glauben machen könnte daß <emph rend="letter-spacing: 0.20em">er</emph> wirklich
+Amerika kennt, so wäre es der Umstand daß er selber nicht
+hinübergeht.«</p>
+
+<p>»Im rothen Drachen war ja wohl gestern ein kleines
+Fest?« frug die Frau Professorin dazwischen, die das unerquickliche
+Gespräch abzubrechen wünschte.</p>
+
+<p>»Ja, für die Dienstleute von Hohleck,« sagte Kellmann,
+»und Schollfeld und ich waren ebenfalls hinausgegangen um
+den Spaß mit anzusehn.«</p>
+
+<p>»Und ihr Freund, der lange Actuar war nicht dabei?«
+lachte Marie.</p>
+
+<p>»Er kam später nach,« sagte Kellmann — »der arme
+Teufel ist jetzt auch immer verdrießlich und niederschlagen.«</p>
+
+<p>»Er hat sein Kind verloren,« sagte Anna mitleidig.</p>
+
+<p>»Ja, und zu Hause fühlt er sich auch wohl nicht so recht
+wohl und behaglich.«</p>
+
+<p>»Wir haben davon gehört,« sagte die Professorin — »seine
+Frau soll eigenwillig und heftig sein, und ihm oft gar
+unangenehme Scenen bereiten.«</p>
+
+<p>»Seine Frau ist — « fuhr Kellmann auf, aber er unterbrach
+sich selber wieder, und trommelte eine Weile mit den
+Fingern auf dem vor ihm stehenden Tisch.</p>
+
+<p><pb n="224" /><anchor id="Pg224" />»Was ist Ihnen denn nur heute, Herr Kellmann?« sagte
+aber Marie, jetzt zu ihm tretend und seinen Arm berührend — »Sie
+schneiden ja heut Morgen ein so bitterböses Gesicht, wie
+ich noch fast in meinem Leben nicht an Ihnen gesehn. Ist
+Ihnen irgend etwas Aergerliches begegnet? — oder — Sie
+sind doch nicht böse mit uns?«</p>
+
+<p>»Böse mit Ihnen? lieber Gott Mariechen,« sagte Kellmann
+herzlich ihre Hand ergreifend — »ich müßte böse mit
+Ihnen sein daß Sie fortgehn und mich hier allein zurücklassen;
+sonst wüßt' ich wahrhaftig nicht weshalb.«</p>
+
+<p>»So kommen Sie mit,« lachte Marie, indem sie neckisch
+zu ihm aufsah.</p>
+
+<p>Kellmann seufzte tief auf, sagte dann aber kopfschüttelnd,
+und mit der Hand über seine Stirn streichend, als ob er sich
+daraus all' die trüben Gedanken verscheuchen wollte — </p>
+
+<p>»Nach Amerika? — ja, weiter fehlte mir gar Nichts;
+aber heute sind es wirklich andere Sachen die mir im Kopf
+herumgehn.«</p>
+
+<p>»Ist etwas vorgefallen, und können wir Ihnen helfen,
+lieber Herr Kellmann?« sagte Anna freundlich.</p>
+
+<p>»Ach Gott nein,« sagte der kleine Mann seufzend — »es
+ist ein Stück von dem allgemeinen Elend, das über den ganzen
+Erdball hinspielt, und das uns gewöhnlich mit einem unheimlichen
+Gefühl, auch nicht außer dem Bereich desselben zu liegen,
+durchschauert, wenn wir ihm einmal auf unserem Lebenspfad
+begegnen. Sie sahen mich als ich vor dritthalb Stunden
+etwa drüben aus dem Löwen kam?«</p>
+
+<p><pb n="225" /><anchor id="Pg225" />»Ja, Sie grüßten ja herauf,« sagte die Professorin — </p>
+
+<p>»Nun gut; ich war dort, einem armen Mädchen nachzufragen,
+das wir gestern Abend spät auf der Straße trafen, und
+das ich dorthin schickte Nachtquartier zu suchen« — Und nun
+erzählte ihnen Kellmann mit kurzen Worten das gestrige Zusammentreffen
+mit des unglücklichen Loßenwerder Schwester,
+und ebenfalls daß sich schon jetzt herauszustellen scheine, wie der
+arme Teufel von Loßenwerder unschuldig in Verdacht gerathen
+sei. Nur in reiner Verzweiflung mochte er sich den Tod gegeben
+haben, als man ihm das letzte, einzige das er auf der
+Welt hatte — seinen ehrlichen Namen — nehmen wollte — oder
+eigentlich schon von Gerichts wegen genommen hatte. Unsere
+wackeren Polizeigesetze halten ja nun einmal jeden Menschen
+für einen Spitzbuben, bis er nicht durch Atteste genügend dargethan
+hat daß — »gegen ihn noch nichts Gravirendes bekannt
+geworden.«</p>
+
+<p>»Und was geschieht jetzt mit dem armen, armen Mädchen?«
+frugen fast gleichzeitig Marie und Anna — »lieber
+Gott, hier in der fremden Stadt, allein, ohne Mittel, ohne
+Freunde, wie entsetzlich müßte es da sein, wenn sie vielleicht
+aus rohem Munde zuerst die furchtbare Nachricht vernähme.«</p>
+
+<p>»Gestern Abend,« sagte Herr Kellmann etwas verlegen,
+»kam uns das Ganze wirklich so schnell und überraschend, daß
+wir nicht die geringste Zeit zum Ueberlegen behielten; wir — wir
+gaben ihr nur ein paar Groschen und schickten sie in den
+Löwen, hier gegenüber, um da zu übernachten, damit sie nicht
+in der Stadt nach ihrem Bruder früge, und die entsetzliche<pb n="226" /><anchor id="Pg226" />
+Geschichte gleich in der ersten Viertelstunde erführe; heute
+Morgen wollte ich dann selber herkommen und sehn was sich
+thun ließ — «</p>
+
+<p>»Und jetzt? — weiß sie was geschehen ist? frug die Professorin
+mitleidig die Hände faltend — Herr Kellmann zuckte
+mit den Achseln und sagte:</p>
+
+<p>»Sie ist fort — «</p>
+
+<p>»Fort? — wohin?« riefen die Frauen.</p>
+
+<p>»Kein Mensch konnte mir darüber Auskunft geben, gestern
+Abend war sie richtig dort angekommen, und ihres dürftigen
+Aussehns wegen in die Gesindestube gewiesen, und dort muß
+sie unglückseliger Weise ihren Namen genannt, vielleicht nach
+ihrem Bruder gefragt und das Schrecklichste gleich erfahren
+haben, denn sie war, selbst ihr Bündel im Stich lassend, hinausgelaufen
+in Nacht und Nebel und — und nicht wieder
+zurückgekehrt.«</p>
+
+<p>»Du lieber Gott,« sagte Anna, »wenn sie sich nur kein
+Leides gethan.«</p>
+
+<p>»Ich bin gleich zu Ledermann und dann auf die Polizei
+gegangen, diese aufmerksam zu machen,« sagte Kellmann etwas
+kleinlaut, »werde auch selber noch mein möglichstes thun das
+arme Ding wieder aufzufinden, aber — ich weiß wahrhaftig
+nicht wo man die eigentlich suchen soll, denn sie kennt ja keinen
+einzigen Menschen in der Stadt.«</p>
+
+<p>»Und in ihres Bruders früherem Logis? — «</p>
+
+<p>»Hat sie Niemand gesehn — ich war dort.«</p>
+
+<p><pb n="227" /><anchor id="Pg227" />»Waren Sie auch schon — auf dem Kirchhof?« frug
+ihn Marie jetzt leise und schüchtern.«</p>
+
+<p>»Wahrhaftig, daran hatte ich gar nicht gedacht,« sagte
+Kellmann rasch seinen Stuhl zurückschiebend, »die Möglichkeit
+ist da, und ich will keinen Augenblick mehr versäumen — vielleicht
+ist es jetzt noch nicht zu spät.«</p>
+
+<p>»Und Sie sagen uns Antwort?«</p>
+
+<p>»Sowie ich etwas Bestimmtes über sie weiß — aber — aber
+was dann mit ihr anfangen? — hier in der Stadt <emph rend="letter-spacing: 0.20em">kann</emph>
+sie nicht bleiben,« sagte Kellmann, die Thürklinke schon in der
+Hand, »und überhaupt scheint mir ihr schwächlicher Körper
+zu grober Handarbeit gar nicht geeignet.«</p>
+
+<p>»Vielleicht bietet sich da für die Schwester in demselben
+Haus ein Ausweg,« rief Anna plötzlich, »das für den Bruder
+ja so viel gut zu machen, wenn er wirklich unschuldig gelitten.
+Gestern Nachmittag noch klagte mir Clara ihr Leid, daß ihre
+Kammerjungfer, mit der sie sehr zufrieden ist, und die ihr bis
+dahin fest versprochen mitzugehn, plötzlich anderes Sinnes geworden
+wäre, und sich jetzt weigerte Heilingen zu verlassen.
+Clara ist so seelensgut, sie würde gewiß Alles thun was nur
+in ihren Kräften steht, das arme Kind den herben Verlust vergessen
+zu machen.</p>
+
+<p>»Aber wird sich das Mädchen selber dazu eignen?« sagte
+Kellmann.</p>
+
+<p>»Weshalb nicht,« rief aber auch jetzt Marie — »bringen
+Sie die Arme nur hierher, sobald Sie sie finden, und nehmen
+sie Henkel's nicht mit, findet Papa gewiß einen Ausweg.«</p>
+
+<p><pb n="228" /><anchor id="Pg228" />»Ja, Papa einen Ausweg,« sagte aber der Professor — »ich
+kann <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Niemanden</emph> mehr mitnehmen Kinder, so viel
+solltet Ihr eigentlich jetzt schon wissen, denn wir sind Leute
+genug.«</p>
+
+<p>»Ach wenn sie überhaupt gehen will,« rief Kellmann,
+»die Passage bringen wir hier schon zusammen, und wenn sich
+Fräulein Anna bei Frau Henkel für sie verwenden will, wär'
+es ein Glück für das arme Mädchen, den hiesigen für sie so
+trüben Verhältnissen so rasch wieder entrissen zu werden. Doch
+jetzt leben Sie wohl — ich habe da nicht lange Zeit mehr zu
+verlieren, und hoffe Ihnen bald günstige Nachrichten bringen
+zu können.«</p>
+
+<milestone unit="tb" rend="stars: 5" />
+
+<p>Actuar Ledermann hatte die Nacht einen heftigen Fieberanfall
+bekommen, und sich am anderen Morgen auf seinem
+Bureau entschuldigen lassen. Erst um zehn Uhr etwa fühlte
+er sich etwas besser, und beschloß ein wenig an die frische Luft
+zu gehn, in dem sonnigen Morgen draußen die trüben quälenden
+Gedanken zu verscheuchen.</p>
+
+<p>Er ging auf den Kirchhof, das Grab seines kleinen Lieblings
+zu besuchen, und nahm einen Monatsrosenstock mit hinaus,
+ihn darauf zu pflanzen.</p>
+
+<p>Der Weg der zu dem Grab, zwischen den andern Hügeln
+hin, führte, lief eine kurze Strecke die Mauer entlang, die bis
+jetzt leer gelassen und von Unkraut überwuchert lag. Nur ein
+einziger, unter Gras und Unkraut fast versteckter flacher Hügel war
+<pb n="229" /><anchor id="Pg229" />dort aufgeworfen, über dem kein Kreuz den Namen des Hingeschiedenen
+kündete, keine Blume ein sorgendes Herz verrieth,
+das dem Entschlafenen die stille Thräne nachgeweint. Und
+dort? — in das hohe, feuchte Gras geschmiegt, lag eine schlanke
+Mädchengestalt, Stirn und Antlitz in dem wuchernden Unkraut
+verborgen, auf dem die vollen aufgelösten Locken ruhten.</p>
+
+<p>»Lieber Gott,« sagte der Actuar, mit dem Blumenstock im
+Arm neben ihr stehen bleibend, leise vor sich hin — »es ist
+doch noch viel, viel Elend in der Welt, und wenn Einem recht
+traurig und weh um's Herz ist, sollte man eigentlich immer
+hinaus auf den Kirchhof gehn. Da haben die Leute nicht
+ihre glatten unbewegten Alltagsgesichter vor, sondern geben
+sich wie sie sind, und wenn es auch eben kein Trost sein sollte
+andere Menschen unglücklich zu sehn, ist es doch jedenfalls
+einer, zu wissen daß man es nicht allein ist.« Und sich
+langsam abwendend schritt er dem Grabe seines Kindes zu,
+setzte den Blumentopf auf den kleinen Hügel, und sich selber
+dann auf eine dicht daneben liegende Marmorplatte, die das
+Grab eines anderen Menschen deckte.</p>
+
+<p>Dort blieb er lange, das Gesicht mit den Händen bedeckt,
+und regungslos in seiner Stellung verharrend, seinen schmerzlichen
+Gedanken überlassen, bis die Sonne höher und höher
+stieg, und ein stechender Kopfschmerz ihn mahnte den, den heißen
+Strahlen vollkommen ausgesetzten Platz zu verlassen, wenn er
+sich nicht noch kränker machen wollte als er schon war. Er
+stand auf, und sah sich nach dem Todtengräber um, diesen zu
+bitten den Blumenstock für ihn einzusetzen, und fand ihn auch,
+<pb n="230" /><anchor id="Pg230" />nicht weit von dort entfernt, mit einem neuen Grabe beschäftigt.
+Langsam seinen Spaten schulternd ging er mit ihm zu
+dem verlangten Platz, und dort sein Handwerksgeräth neben
+sich in den Boden stoßend und sich den Schweiß von der <corr sic="gluhenden">glühenden</corr>
+Stirne trocknend, sagte er freundlich:</p>
+
+<p>»Warmer Tag heute, Herr Actuar — sehn Sie einmal
+was für ein schönes <corr sic="Stockchen">Stöckchen</corr>; das müssen wir aber ordentlich
+angießen, sonst vertrocknet es gleich in der lockeren Erde — werde
+Ihnen das schon besorgen.«</p>
+
+<p>»Bitte sein Sie so gut,« sagte Ledermann, und der Mann
+nahm den Stock auf, drehte ihn um und schlug mit der flachen
+Hand unter den Topf, diesen locker und los zu bekommen.</p>
+
+<p>»Kennen Sie das junge Mädchen was da auf dem Grabe
+an der Mauer liegt?« frug der Actuar jetzt, als sein Blick wieder
+zufällig dort hinüber streifte — »dort drüben meine ich.«</p>
+
+<p>»Ja ich weiß schon,« sagte der Mann, ohne den Kopf zu
+wenden und mit seiner Arbeit beschäftigt — »nein — sie saß
+vor dem Kirchhofsgitter schon heut' Morgen wie ich <corr sic="offnete">öffnete</corr>,
+um drei Uhr <corr sic="fruh">früh</corr>, und muß die ganze Nacht da zugebracht
+haben. Wie ich das Thor aufmachte frug sie mich nur nach
+dem Grabe eines armen Teufels, den wir hier vor kurzer Zeit
+zu Ruh gebracht, und ist seit der Zeit nicht von dort weggegangen.
+Das kommt manchmal vor.«</p>
+
+<p>»Und wer liegt da begraben?« frug Ledermann schnell,
+dem ein plötzlicher Gedanke an das Mädchen von gestern Abend
+aufstieg.</p>
+
+<p rend="page-float: 'htb'; text-align: center">
+<figure url="images/illu005.jpg" rend="w50">
+<figDesc>Capitel 9</figDesc>
+</figure>
+</p>
+
+<p>»Dort an der Mauer?« sagte der <corr sic="Todtengraber">Todtengräber</corr>, »ih Sie
+<pb n="231" /><anchor id="Pg231" />wissen ja, der kleine bucklige Bursche, der von der Brücke gesprungen
+war, und sich den Kopf aufgeschlagen hatte.«</p>
+
+<p>Dem Actuar fuhr es mit einem eisigen Stich durchs
+Herz, aber er erwiederte Nichts, gab dem Mann eine Kleinigkeit
+für seine Dienstleistung, und ging dann langsam, als ihn
+dieser wieder verlassen und seine frühere Arbeit aufgenommen
+hatte, zu Loßenwerder's Grab, wo die Trauernde noch still und
+regungslos in ihrem Jammer lag. Nur das krampfhafte Zittern
+des Körpers verrieth das darin wohnende Leben.</p>
+
+<p>»Liebes Kind,« sagte Ledermann leise — das Mädchen
+bewegte sich nicht — »mein liebes Kind,« sagte er lauter, und
+berührte ihre Schulter mit seinem Finger. Langsam hob sie
+das bleiche, Thränen überströmte Gesicht zu ihm empor, und
+als sie den fremden Mann neben sich sah, richtete sie sich verwirrt,
+beschämt aus ihrer Stellung auf.</p>
+
+<p>»Aber wie können Sie sich hier so Stunden lang in das
+feuchte Gras werfen,« sagte der Actuar mit freundlichem Vorwurf — »Sie
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">müssen</emph> ja krank werden — nicht wahr, Sie
+kennen mich nicht mehr?«</p>
+
+<p>Das Mädchen sah ihn groß und verwundert an, und schüttelte
+dann langsam mit dem Kopf.</p>
+
+<p>»Ich sprach gestern Abend mit Ihnen, draußen vor dem
+Thor, wo die Musik in dem Hause war,« sagte Ledermann — »hatten
+Sie gar keine Ahnung von dem Schicksal des
+Bruders?«</p>
+
+<p>»Keine,« sagte die Arme leise, das Köpfchen wieder
+senkend.</p>
+
+<p><pb n="232" /><anchor id="Pg232" />»Und wo erfuhren Sie seinen Tod?«</p>
+
+<p>Das Mädchen schauderte zusammen als sie des Augenblicks
+gedachte, und sagte endlich, wie mit angstgepreßter
+Stimme:</p>
+
+<p>»Gestern Abend in dem Haus — die Leute in der Gesindestube
+frugen mich wo ich herkäme und um meinen Namen,
+und dann — </p>
+
+<p>»Und dann?« frug der Actuar mitleidig, als das Mädchen
+schwieg und ihr Antlitz wieder zitternd in den Händen
+barg — </p>
+
+<p>»Dann sagten sie« — setzte das Mädchen, am ganzen
+Körper bebend hinzu — »daß Einer der so hieß — und sie
+spotteten dabei über sein Gebrechen — daß Einer — hier — «
+sie vermochte nicht auszureden und warf sich, rücksichtslos um
+den neben ihr stehenden Fremden, und in krampfhafter Verzweiflung,
+wieder auf das Grab nieder, das sie laut schluchzend mit
+ihren Armen umschlang, und den Bruder rief, sie zu sich zu
+nehmen in sein stilles, kühles Bett.</p>
+
+<p>Nur mit Mühe, und herzlichen tröstenden Worten die er
+zu ihr sprach, brachte sie Ledermann, als sich ihr Schmerz in
+etwas ausgetobt, endlich dahin sich etwas zu fassen und zu beruhigen,
+und ihm mehr über ihr Schicksal und sich selber zu
+sagen. Sie hieß Hedwig, war funfzehn Jahr alt und hatte
+bis zu ihrem elften Jahr bei einer entfernten armen Verwandten
+zugebracht, nach deren Tode sie, ein Kind noch, bei fremden
+Leuten in Dienst gehen mußte. Ihre Elteren schienen in
+besseren Verhältnissen gelebt zu haben, waren aber früh ge<pb n="233" /><anchor id="Pg233" />storben,
+und die Waisen sich selber überlassen gewesen. Ihr
+um zehn Jahr älterer Bruder Franz hatte sie dabei noch immer
+dann und wann von dem Wenigen was er selber verdiente,
+unterstützt, auch ihr vor einigen Monaten — und das mußte
+etwa grade vor seinem Tode gewesen sein, geschrieben, daß er
+recht sparsam lebe, und bald so viel zusammen zu haben hoffe
+mit ihr, der Schwester, nach Amerika auszuwandern, dort
+vielleicht ein kleines Geschäft oder irgend etwas Anderes anzufangen,
+ehrlich durch die Welt zu kommen. Hedwigs Aussage
+nach mußte er ihr auch die genaue Summe geschrieben
+haben, die er besaß, und als sie der Actuar dringend bat ihm
+den Brief zu verschaffen, wenn es irgend möglich sei, da der
+vielleicht vollständig des Bruders Unschuld beweisen konnte,
+zog sie aus ihrer Brust das zusammengefaltete und dort bis
+jetzt sorgfältig bewahrte Papier. Es war das letzte was sie
+von ihm bekommen, und als Monat nach Monat verstrich
+und keine neue Nachricht kam, wurde sie zuletzt unruhig und
+schrieb nach Heilingen. Aber auch hierauf erhielt sie keine
+Antwort und nicht mehr im Stande die Ungewißheit zu ertragen,
+verließ sie ihren Dienst und machte sich, mit wenigen
+Groschen in der Tasche auf, den weiten Weg zu Fuß zurückzulegen.
+Und ihr Empfang? großer Gott mit Spott und
+Hohn wurde ihr Bruder — das einzige noch auf der Welt
+ihr gehörende Wesen, das sie mehr als sich selber liebte — eines
+furchtbaren Verbrechens beschuldigt, in Folge dessen er
+sich selber das Leben genommen, und schlimmer, gewaltiger
+noch als die Nachricht seines Todes, erschütterte das reine,
+<pb n="234" /><anchor id="Pg234" />vertrauensvolle Herz des armen Kindes der erste <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Zweifel</emph> an
+den Hingeschiedenen, der doch heimlich und quälend in ihr aufsteigen
+wollte, wie sie sich auch dagegen sträubte; und doch
+<emph rend="letter-spacing: 0.20em">wußte</emph> sie daß er keiner schlechten Handlung fähig gewesen sei.</p>
+
+<p>Während dieser Erzählung flossen ihre Thränen stärker;
+wenn aber der Schmerz auch nur mehr aufgerüttelt wurde durch
+das Wiederdurchleben vergangener Scenen, fand sie doch auch
+einen Trost in dem Aussprechen über ihren Verlust. Der Actuar
+überlas indeß flüchtig den Brief, und den Datum mit
+dem verübten Raub vergleichend sah er, ob Loßenwerder nun
+schuldig oder unschuldig sei, daß jenes, bei ihm gefundene
+Geld sein Eigenthum gewesen sein müsse, schon vor dem Tag,
+und nicht mehr als Beweis gegen ihn gelten konnte.</p>
+
+<p>So traf sie Kellmann, der von Lobensteins direct auf den
+Gottesacker gegangen war, das arme Mädchen aufzusuchen.
+Mit wenigen Worten sagte ihm der Actuar was er von ihr
+erfahren, und der gutmüthige kleine Kürschner setzte sich neben
+sie auf das Grab des Bruders, nahm ihre Hand in die seine,
+und diese streichelnd sprach er ihr Muth und Hoffnung in das
+arme gequälte Herz. Sie sollte nicht mehr allein stehn auf
+der Welt; er wollte Freunde für sie finden, die sich ihrer annähmen,
+und sie Beide, Ledermann und er, wollten nicht ruhen
+noch rasten bis ihres Bruders Name wieder ehrlich gemacht
+sei vor der ganzen Stadt; lieber Gott, sie konnten ja nichts mehr
+für den Armen thun.</p>
+
+<p>Hedwig weinte, während er sprach; aber die Thränen
+lösten ihren Schmerz — die freundlichen Worte; oh die ersten
+<pb n="235" /><anchor id="Pg235" />wieder seit so langer, langer Zeit die sie gehört, thaten ihr
+wohl und bannten die Verzweiflung aus ihrem Herzen, der sie
+ja sonst wohl rettungslos verfallen wäre. Wieviel Segen hat
+schon ein herzliches Wort gebracht, dem Unglücklichen gespendet — wie
+viele Thränen getrocknet, wie manches Weh,
+wenn es nicht heilen konnte, doch gelindert.</p>
+
+<p>Kellmann erbot sich dann auch, sie zu seiner Mutter zu
+führen, wo sie wenigstens bleiben konnte bis sich etwas Weiteres
+entschieden. Von Amerika sagte er ihr noch Nichts, die
+nächsten Tage mochten sie erst mit dem Gedanken vertrauter
+machen, wenn sie hörte wie viel Leute die auch ihren Bruder
+gekannt und liebe Freunde von ihm selber seien, gerade jetzt
+nach dort hinübergingen.</p>
+
+<p>Hedwig zögerte noch schüchtern das gütige Erbieten anzunehmen,
+aber die Worte klangen so herzlich, so gut gemeint,
+sie stand so hülflos, so allein in der weiten Welt, der fremde
+Mann erschien ihr wie ein Engel des Himmels in ihrem
+Schmerz, und unter Thränen nahm sie seine Hand und dankte
+ihm, und sagte daß sie ihm folgen würde, wohin er sie führe.</p>
+</div>
+<div rend="page-break-before: always"><pb n="236" /><anchor id="Pg236" />
+<index index="toc" level1="Die beiden Familien" />
+<index index="pdf" level1="Die beiden Familien" />
+<index index="pdb" level1="D. bd. Familien" />
+<head type="sub" rend="text-align: center">Capitel 10.</head>
+<head rend="text-align: center">Die beiden Familien.</head>
+<p>Der Leser muß mir noch, ehe wir unsere weitere Wanderung
+zusammen antreten, zu zwei Stellen folgen, in Lage
+und Art freilich gar sehr verschieden. Den Characteren, die wir
+dort finden, begegnen wir später wieder, theils auf der Reise,
+theils in ihrem neugewählten Vaterland.</p>
+
+<p>An der Hannöverschen Grenze lag ein kleines Dorf, Waldenhayn
+mit Namen, und fast versteckt zwischen mächtigen
+Linden und Fruchtbäumen, die es von allen Seiten dicht umgaben.</p>
+
+<p>Mitten im Dorf auf einem flachen, aber die ganze Ortschaft
+überschauenden Hügel stand die Kirche, und daneben das
+kleine freundliche Pfarrhaus, das sein Dach über gute und
+glückliche Menschen gespannt hatte, Jahrzehnte lang — und
+heute? — Guter Gott welche Veränderung in dem Haus — der
+Vater, Pastor Donner, still und ernst in seinem Sorgen<pb n="237" /><anchor id="Pg237" />stuhl,
+und, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, ordentlich
+eingehüllt in eine dichte Tabakswolke, die Mutter mit verweinten
+Augen, und doch immer geschäftig herüber- und hinübergehend,
+bald aus der in jene Stube, Kleinigkeiten zu besorgen
+die sie immer wieder vergaß, ehe sie nur das andere Zimmer
+betreten.</p>
+
+<p>Der älteste Sohn Georg ging zu Schiff — ging nach
+Amerika über das weite, wilde Weltmeer nach einem anderen
+Vaterland, dort für den unruhigen Geist das Glück zu suchen,
+das er hier nicht fand, und »wann würden sie ihn — ja würden
+sie ihn je wieder sehen?« Oh es ist ein großer Schmerz
+für ein Elternherz ein Kind in der Blüthe der Jahre zu verlieren — wie
+viel Sorge, wie viel schlaflose Nächte hat es gemacht,
+bis es wuchs und gedieh; welche Hoffnungen knüpften
+sich an das junge Wesen, und blühten und reisten mit ihm;
+wie treulich wurde da nicht jeder Schritt bewacht, den noch
+unsicheren Fuß vor Stoß und Fall zu schützen, wie ängstlich
+jedem bösen Eindruck gewehrt, der Herz oder Geist hätte vergiften
+können. Und nun das Alles preiszugeben der Welt,
+ihren Verführungen, ihren Gefahren für Geist und Körper,
+das Alles preiszugeben und hinausgeworfen zu sehn auf die
+stürmischen Wogen des Lebens — sich selbst überlassen, und
+der eigenen, vielleicht doch noch zu schwachen Kraft. Wie viele
+heimliche Thränen werden da geweint, wie trüb und traurig
+liegt da oft des Kindes Zukunft vor dem ahnenden Blick des
+Vaters und der Mutter — Krankheit wird es erfassen und
+halten, und keine liebende Hand in der Nähe sein, es zu pflegen
+<pb n="238" /><anchor id="Pg238" />und ihm den Schweiß von der heißen, glühenden Stirn zu
+trocknen, die Verführung ihre falschen, goldblinkenden Netze
+nach ihm auswerfen, und keine treu warnende Stimme ihm
+zur Seite stehn — Noth und Mangel vielleicht in bitterem
+Weh auf ihm lasten, und Niemand da sein, der ihm Hülfe
+bringt, und den Unglücklichen tröstet und unterstützt — Mutter
+und Vater sind fern, fern von dem Geliebten, seine Klage
+dringt nicht herüber zu ihnen — ihr Trost und Hülfswort
+nicht zurück zu ihm.</p>
+
+<p>Und ein solcher Abschied dann — der Tod pocht nicht
+viel härter an des Glückes Thor, und das Bewußtsein den
+Geschiedenen still und geschützt in kühler Erde zu wissen, auf
+der die treu gepflegten Blumen keimen, ist oft noch weniger
+bitter als dieser <emph rend="letter-spacing: 0.20em">freiwillige</emph> Tod — der Fortgang über's
+Meer, in eine fremde, ungekannte Welt — vielleicht so ohne
+Wiederkehr wie jener, und ohne jedes beruhigende Gefühl der
+Sicherheit. Der Scheidende ist da noch immer besser, weit
+besser daran als die Zurückbleibenden; ihm liegt die Welt jetzt
+frei und offen da, jede Stunde draußen, jede Meile Wegs
+bringt ihm Neues, Unbekanntes, und wehrt dem Blick nur an
+dem einen Schmerz zu haften. Er hat auch zu sorgen, für
+sich und sein Gepäck, seine ganze Zukunft ist ihm in der einen
+Stunde in die eigene Hand gegeben — ein ungewohnt Geschäft
+bis jetzt — und fremde Landschaft, fremde Scenen wechseln
+so rasch an ihm vorüber, daß jedes Bild einen Theil des
+alten Schmerzes fortführt mit sich. Selbst der Gedanke an die
+Verlassenen hat nicht das Herbe, Bittere für ihn, als es für
+<pb n="239" /><anchor id="Pg239" />diese hat, wenn sie sein gedenken, und sich mit Vermuthungen
+quälen müssen wie es jetzt ihm geht, was er thut, was er
+treibt, wo er jetzt gerade weilt. <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Er weiß</emph> in welchem Kreis
+die Seinen sich bewegen, kennt in jeder Tageszeit ihre kleinen,
+häuslichen Beschäftigungen, ihr gleichmäßiges Wirken und
+Schaffen, und sein Herz, das immer noch daheim bei ihnen
+weilt, wahrt seinen festen Anhaltspunkt an sie sich unverkümmert
+fort, bis das Bild, von anderen dicht umdrängt in weiter
+immer weiterer Ferne langsam erbleicht, und nur noch auf dem
+Hintergrund des Herzens wie schlummernd liegt, in seinen
+Träumen ihn zu segnen, oder dereinst, wenn die Welt ihn kalt
+und rauh von sich stößt, und er allein und freundlos sich da
+fühlt, wieder aufzuglühen in aller Frische und Wärme, ein
+Trost und Hoffnungsziel, dem armen, einsamen Wanderer.</p>
+
+<p>Georg war ein junger lebenskräftiger Mann von dreiundzwanzig
+Jahren, mit dunkelbraunen, vollen, ihm frei und ungescheitelt
+über die offene sonngebräunte Stirn fallenden Locken,
+schwarzen klaren Augen und freien, gutmüthigen Zügen, die
+selbst eine breite dunkle Narbe über den rechten Backen, der
+Autograph eines Commilitonen, nicht entstellen konnte. Er hatte
+Medicin studirt, und sich das Doctordiplom mit eifrigem Fleiß
+verdient, aber die Aussichten für einen jungen Arzt waren trüb
+und unversprechend in seiner Heimath, und jene fremde Welt,
+von der er schon so viel gelesen und gehört, zog ihn mächtig
+an. Sein Vater konnte und wollte dieses Streben nicht bei
+ihm unterdrücken; auch er erkannte die Banden, die hier einen
+kräftigen Geist so leicht in Fesseln legen, und ehrte den Wunsch
+<pb n="240" /><anchor id="Pg240" />und Drang der jungen, nach Thaten dürstenden Brust, einen
+Schauplatz zu finden für ihr Sehnen und Wirken, wenn er
+sich auch wohl selber dann wieder mit einem schweren Seufzer
+gestehen mußte, wie manche Hoffnung der Sohn zertrümmert,
+wie manche Erwartung er getäuscht sehn würde in dem neuen
+Leben, das jetzt ihm freilich im vollen Glanz einer aufsteigenden
+Sonne, von warmem Lichte übergossen winkte. Und wie
+würde sich sein Herz dann bewähren, das jetzt jubelnd zu den
+blinkenden, Flaggen- und Blumengeschmückten Wällen seiner
+eigenen Luftschlösser aufschaute, wenn es an deren Trümmern
+stand? oh daß er dann hätte an seiner Seite stehen und ihn
+leiten dürfen den dunklen, schmalen Pfad zum wahren Glück — retten
+ihn dann vor sich selbst und seinem bittern Weh.</p>
+
+<p>Aber die Zeit lag noch fern, und weshalb sich selbst den
+Augenblick vergiften, wo sich der Himmel noch blau und rein
+über seiner Zukunft spannte. Georg selbst sah auch Nichts
+von solchen trüben Bildern, die das Herz des Vaters oft mit
+banger Trauer füllten; ihm war das Thor jetzt weit und frei
+geöffnet, das hinaus in's Leben führte und an dessen Schwelle
+er stand, und nur die Trennung noch vom Vaterhaus lag
+schwer auf seiner Seele.</p>
+
+<p>Am schwersten freilich trug gerade diese Stunde, weil
+ganz und ungetheilt, das Mutterherz. Nicht dachte <emph rend="letter-spacing: 0.20em">sie</emph> in diesem
+Augenblick an die Hoffnungen die dem Sohne in der Welt
+draußen blühen, an die Gefahren die ihm drohen könnten; sie
+sah und fühlte Nichts, als die Trennung von dem <emph rend="letter-spacing: 0.20em">Kind</emph>, den
+Abschied von dem Heißgeliebten, und wie im Traum hatte sie
+<pb n="241" /><anchor id="Pg241" />schon den ganzen Tag ihren gewöhnlichen Beschäftigungen
+obgelegen, wie im Traum noch einmal seine Lieblingsgerichte
+bereitet für den Abend, den letzten Abend, den er im Vaterhause
+zubringen würde.</p>
+
+<p>Lieber Gott, die Speisen kamen Abends auf den Tisch
+und wurden gegessen, aber Keiner von allen, die jüngsten Geschwister
+ausgenommen, schmeckten was sie aßen; man sprach
+dabei über das an dem Nachmittag fortgesandte Gepäck, über
+das Wetter, über die Uhr die zehn Minuten vorging — Georg
+trug Grüße auf an alle seine Bekannte, die sich noch seiner erinnerten.
+Er hatte an dem Tag noch selber ein paar Briefe
+schreiben wollen, war aber nicht dazu gekommen — Vieles
+Andere war ihm ebenfalls entfallen; so wollte er einen Absenker
+von dem Rosenstock mitnehmen der vor der Mutter Fenster
+blühte, und jetzt blieb ihm doch keine Zeit mehr; aber während
+dem Essen stand die Schwester — unvermißt — vom Tische
+auf, ging hinaus, grub einen Absenker aus, und brachte ihn
+in einem kleinen Topf dem Bruder, dem sich die Thränen in
+die Augen zwangen — er mochte kämpfen dagegen wie er
+wollte als er die Gabe sah. Die Mutter stand vom Tisch
+auf und ging hinaus — nicht ein Wort wurde gesprochen
+so lange sie fort war. Die Speisen verschwanden dabei von
+den Tellern und der Wein wurde getrunken, und die Mutter
+kam zurück und nahm ihren Platz wieder ein, lautlos wie
+vorher; man konnte den langsamen Gang der Uhr hören, an
+der Wand.</p>
+
+<p>Da endlich füllte der Vater sein Glas bis zum Rand,
+<pb n="242" /><anchor id="Pg242" />hob es mit der Linken und ergriff mit der anderen Georgs
+Hand. Er hatte etwas zum Herzen des Sohnes, zum Trost
+vielleicht der Mutter sprechen wollen, aber die Worte schwollen
+ihm im Mund — er brachte eine volle Minute keine Sylbe
+über die Lippen, und sich gewaltsam fassend und zusammennehmend
+sagte er endlich.</p>
+
+<p>»Auf ein frohes Wiedersehn Georg!«</p>
+
+<p>Georg preßte des Vaters Hand und trank ihm und der
+Mutter und den Geschwistern zu — und die Mutter hob ihr
+Glas und stieß mit dem Sohne an, aber mehr vermochte das
+Mutterherz nicht — zu lange hatte sie jetzt gewaltsam gegen
+ihr eigenes Gefühl an- und den Schmerz niedergekämpft, den
+Anderen zu Liebe; länger war sie es nicht im Stande, und das
+Glas mit zitternder Hand niedersetzend, daß der Wein über
+und auf das Tischtuch floß, stand sie auf, warf die Arme
+krampfhaft um den Hals des Sohnes und schluchzte laut.</p>
+
+<p>»Mutter, liebe — liebe Mutter — «</p>
+
+<p>»Mein Kind — mein Kind,« jammerte die Frau und der
+Schmerz wuchs an Heftigkeit, wie der mächtig aber still dahinwälzende
+Strom schäumend hinausdonnert in's Freie, wo er
+sich erst einmal Bahn gebrochen aus seinem Bett — »mein
+liebes — liebes Kind.«</p>
+
+<p>»Aber Mutter,« bat der Pastor, »fasse Dich; es ist ja doch
+nur vielleicht auf kurze Zeit, bis sich der Junge draußen die
+Hörner abgelaufen, und ihm die Heimath anders aussieht wie
+jetzt; dann kommt er wieder.«</p>
+
+<p>»Liebe — liebe Mutter,« flüsterte Georg, sie innig an sich
+<pb n="243" /><anchor id="Pg243" />schließend, und auch ihm erstickten unaufhaltsam fließende
+Thränen die Stimme.</p>
+
+<p>Die Geschwister weinten auch, und der Vater war aufgestanden
+und ein paar Mal mit raschen Schritten, wie um
+den Anderen Zeit zu geben, eigentlich aber nur seine eigene
+Fassung wiederzugewinnen, im Zimmer auf- und abgegangen.
+Jetzt blieb er neben der Gattin und dem Sohne stehn, und
+sie langsam trennend sagte er mit sanfter, bittender Stimme:</p>
+
+<p>»Kommt Kinder, kommt — macht Euch selber nicht das
+Herz zum Brechen schwer; das ist unrecht. Ueberdies quält Ihr
+Euch zweimal, und habt morgen früh noch dasselbe Leid. Es
+ist eine lange Trennung, aber keine Trennung für's Leben — wir
+sind Alle noch rüstig und gesund, und werden uns,
+will es Gott, hoffentlich Alle einmal froh und freudig in die
+Arme schließen können.«</p>
+
+<p>»Aber Du schreibst bald, Georg,« flüsterte die Mutter sich
+mit aller Kraft zusammennehmend — »Du läßt uns nie lange
+ohne Nachricht, nicht wahr Du versprichst mir das?«</p>
+
+<p>»Gewiß Mutter, gewiß — so oft ich kann — aber ängstigt
+Euch nur auch nicht, wenn einmal ein Brief länger ausbleibt
+als gewöhnlich; der Weg ist weit, und ein Brief kann
+leicht verloren gehn.«</p>
+
+<p>»So, und jetzt zu Bett Kinder,« mahnte der Vater — »es
+ist spät geworden, sehr spät, und Du mußt früh wieder heraus
+Georg, die Post nicht zu versäumen; sind Deine Koffer hinübergeschafft?«</p>
+
+<p>»Es ist Alles drüben,« sagte die Mutter, sich aus den<pb n="244" /><anchor id="Pg244" />
+Armen des Sohnes windend und ihre Thränen trocknend,
+»nur sein Ueberrock ist noch hier, den er anzieht, und die kleine
+Tasche in die er morgen früh sein Nacht- und Waschzeug steckt — doch
+das besorg' ich schon selber und werd' es nicht vergessen.
+Ich bin früh auf, Georg, Du mußt ja doch auch noch
+Deinen Kaffee haben bevor Du gehst.«</p>
+
+<p>»Gute Nacht Mutter!« rief Georg, umschlang sie noch
+einmal und küßte ihr Lippen, Augen und Stirn, »gute Nacht
+meine gute, gute Mutter — gute Nacht!«</p>
+
+<p>»Gute Nacht mein Georg, mein Kind,« sagte die arme
+Frau unter Thränen — »schlaf nur jetzt recht aus — zum
+letzten Mal unter unserem Dach — für die nächste Zeit wenigstens,«
+setzte sie rasch hinzu — »denn mit Gottes Beistand
+hoff' ich soll es nicht das letzte Mal gewesen sein — und — und
+meinen Segen nimm mit Dir, wohin Du gehst — wo
+Du weilst — was Du thust — — er ruhe auf Dir, mein
+gutes, gutes Kind!«</p>
+
+<p>Georg beugte sich unwillkürlich dem ernsten heiligen Wort — seine
+ganze Gestalt zitterte dabei, und die Mutter mußte
+sich endlich mit freundlicher Gewalt aus seinen Armen winden;
+dann aber floh sie auch hastigen Schrittes aus dem Zimmer,
+sich in dem eigenen Kämmerlein recht, recht herzlich auszuweinen.</p>
+
+<p>Die Geschwister sagten dem Bruder jetzt gute Nacht — die
+älteste Schwester Louise hing lange an seinem Hals, aber
+riß sich los, den Schmerz der Eltern nicht zu vermehren. Die
+Jüngeren küßten ihn auf die Wangen und sagten. »Gute<pb n="245" /><anchor id="Pg245" />
+Nacht Georg — weck' uns nicht zu spät morgen früh, daß wir
+Dir auch noch können glückliche Reise wünschen.«</p>
+
+<p>Georg küßte sie herzlich und bat sie brav und gut zu sein,
+und Vater und Mutter Freude — viel Freude zu machen,
+denn er selber ginge nun fort, und die Eltern würden deshalb
+recht traurig sein.</p>
+
+<p>»Gute Nacht Georg,« sagte der Vater, als die Kinder zu
+Bett gegangen waren, und Alle, außer ihm, das Zimmer verlassen
+hatten, »habe keine Angst daß Du die Post morgen verschläfst,
+ich wache schon auf zur rechten Zeit — gute Nacht
+mein Sohn. Komm komm, fange nicht selber wieder an,
+und mach' mir das Herz nicht schwer vor der Zeit — aber
+Georg, um Gottes Willen was ist Dir? — sei ein Mann — Nun
+ja — so lange die Frauen da waren hat es mir auch
+das Herz fast abgedrückt — man darf es sie ja nicht so merken
+lassen, sonst zerfließen sie ganz — «</p>
+
+<p>»Mein lieber — lieber Vater,« schluchzte Georg an seinem
+Halse.«</p>
+
+<p>»Mein guter, guter Sohn!« flüsterte der Pastor, des
+Kindes Stirne küssend, und jetzt selber im Innersten ergriffen
+und bewegt — »bleibe brav — bleibe so brav wie Du
+bist — ich kann Dir nichts Besseres wünschen — trage Gott
+im Herzen und Dich selbst, und — Deiner alten Eltern Bild,
+deren Segen Dir folgt auf allen Deinen Wegen.«</p>
+
+<p>»Mein Vater!«</p>
+
+<p>»So mein Sohn — jetzt gute Nacht und bete zu Deinem<pb n="246" /><anchor id="Pg246" />
+Schöpfer daß er uns morgen in der schweren Abschiedsstunde
+stärkt — gute Nacht mein Georg — gute Nacht.«</p>
+
+<p>Leise machte er sich los aus des Sohnes Arm, küßte ihn
+noch einmal, und verließ dann rasch das Zimmer. Georg
+aber blieb lange, lange Minuten auf dem Stuhle sitzen wo
+ihn der Vater verlassen, das Gesicht in seinen Händen bergend.</p>
+
+<p>»Gute Nacht,« flüsterte er endlich leise und kaum hörbar,
+als Alles schon im Hause still war, und zu Ruhe gegangen — »gute
+Nacht Ihr Lieben und Gott schütze Euch und mich; aber
+nicht möglich wäre es mir, die furchtbare Trennungsstunde noch
+einmal durchzuleben, nicht möcht' ich Dir Vater, Dir Mutter den
+Schmerz, das bittere Weh zum zweiten Mal bereiten. Es ist
+vorbei — Alles vorbei, und wenig Stunden noch und die
+Heimath selber liegt, ein schöner Traum nur, in der Erinnerung
+Tiefe. So denn an's Werk« setzte er fest und entschlossen hinzu,
+»und ob das Herz darüber brechen will, »durch« ist mein Wahlspruch
+jetzt, durch Nacht zum Licht — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">durch</emph>.«</p>
+
+<p>Und mit den, fest zwischen den zusammengebissenen Zähnen
+gemurmelten Worten stand er auf, und sein Schlafzimmer
+öffnend warf er den Rock ab, und badete Gesicht und Nacken
+in kühlem Wasser. Dann, als er die Glut die ihn durchtobte,
+in etwas gelöscht, packte er den kleinen Nachtsack mit den, sorglich
+für ihn auf dem Waschtisch ausgebreiteten Gegenständen,
+zog sich wieder an, knöpfte den Ueberrock bis an den Hals zu,
+denn die Nacht war kalt, und nach der gehabten Aufregung
+fröstelten ihn die Glieder, und im Zimmer umherschauend fiel
+sein Blick auf den, unter dem Spiegel stehenden, für ihn ein<pb n="247" /><anchor id="Pg247" />geschlagenen
+Rosenstock. Rasch barg er ihn in der weiten Tasche
+seines Ueberrocks, öffnete dann das Fenster, das in den Garten
+hinaus und von da über den Kirchhof führte, der Landstraße
+zu, und schwang sich auf das Fensterbret.</p>
+
+<p>»Ade!« flüsterte er, »ade Du trautes, liebes Haus, ade — Gott
+halte seine Hand über Dir, und schütze die lieben Menschen — ade,
+ade.« Und von dem Bret hinunterspringend in
+den Garten, durcheilte er diesen, schwang sich leicht über die
+Kirchhofmauer, die er als Kind unzählige Male überklettert,
+und schritt dann langsam und traurig seinen einsam dunklen
+Weg entlang.</p>
+
+<milestone unit="tb" rend="stars: 5" />
+
+<p>Noch hob sich die Sonne nicht über den östlichen Fichtenhang,
+und der dämmernde Tag grüßte eben die schlummernde
+Erde, als sich die Mutter von ihrem Lager hob, das Mädchen
+weckte daß es Feuer in der Küche mache, den Kaffee bereit zu
+halten, und dann den Mann rief, dem Sohn ade zu sagen.
+Pastor Donner hatte aber auch nur in unruhigem Schlaf
+gelegen — die Gedanken und Sorgen ließen ihn nicht ruhen,
+und wie aus bösem Traum fuhr er oft empor, mit einem
+wehen Stich durch's Herz zurückzusinken, <emph rend="letter-spacing: 0.20em">daß</emph> es eben kein
+Traum sei, der ihn bedrücke und quäle.</p>
+
+<p>Er stand auf, zog sich an, und während die Mutter draußen
+in der Küche sorgte, dem Sohn ein rasches Frühstück zu bereiten,
+ging der Vater hin ihn zu wecken.</p>
+
+<p><pb n="248" /><anchor id="Pg248" />»Georg!« sagte er, als er die Thür öffnete, die in des
+Sohnes Kammer führte — »Georg — es wird Zeit — heiliger
+Gott!« unterbrach er sich aber rasch und erschreckt als er
+das Gemach leer, das Bett unberührt und keine Spur mehr
+von dem Kinde fand — »heiliger, erbarmender Gott — er ist
+fort.« Und wie er sich auch vorgenommen sich zu fassen, und
+der Frau, dem Kind, die letzten Augenblicke nicht mehr zu erschweren,
+durch seine eigene Schwäche, traf ihn <emph rend="letter-spacing: 0.20em">der</emph> Schlag
+doch zu hart — zu unerwartet. In diesem Augenblick betrat
+die Mutter das Zimmer, und sah wie der Vater sich erschüttert
+von der Thür abwandte und das Antlitz in den Händen barg.</p>
+
+<p>»Mein Sohn — mein Kind!« stammelte sie, in der sie
+durchzuckenden Ahnung des Geschehenen, der sie wie ein jäher
+Schlag in's Herz traf — »wo ist — wo ist Georg?« Aber
+der Vater zog sie an die Brust, und ihre Stirn, auf die seine
+heißen Thränen fielen, küssend, flüsterte er leise:</p>
+
+<p>»Er hat uns den Schmerz des Abschiedes sparen wollen,
+Louise — er ist fort.«</p>
+
+<p>»<emph rend="letter-spacing: 0.20em">Fort!</emph>« hauchte die Frau — kaum noch den Sinn der
+Worte fassend, und brach bewußtlos in den Armen des Gatten
+zusammen.</p>
+
+<milestone unit="tb" rend="stars: 5" />
+
+<p>Außerhalb Waldenhayn, wenn auch noch zu demselben
+Kirchspiel gehörend, und dicht an der Grenze des bis hier herniederlaufenden
+Holzes, stand ein kleines, schon halb verfallenes<pb n="249" /><anchor id="Pg249" />
+Haus, das früher einmal von einem Forstgehülfen des herrschaftlichen
+Waldes bewohnt, dann aber nicht mehr benutzt,
+und um ein Billiges, eigentlich auf Abbruch, verkauft worden
+war. Der Mann der es kaufte aber, hatte früher ebenfalls in
+herrschaftlichen Diensten gestanden, und dann das Metzger-Handwerk
+getrieben; sein wildes, liederliches Leben jedoch
+ließ sein Geschäft nicht fördern, noch vorwärts gehn. Er schien
+auch keine rechte Lust an einer regelmäßigen Arbeit zu haben,
+heirathete dann, als er Alles was er sein nannte, durchgebracht,
+ein Mädchen vom herrschaftlichen Gut, das den Dienst
+dort verlassen mußte und von dem Herrn selber eine Abstandssumme
+bekam, und kaufte mit dem Gelde eben das kleine unwohnliche
+Gebäude, das er nichtsdestoweniger bezog, und sich
+jetzt angeblich vom Viehhandel ernährte. Er zog im Lande
+herüber und hinüber, und kaufte und verkaufte Vieh, mehr
+aber noch trieb er sich in den Wirthshäusern herum, wo er
+trank und spielte, und den schlimmsten Ruf im Lande hatte,
+den ein Mensch haben kann, ohne daß jedoch die Polizei den
+mindesten Halt an ihn bekommen konnte. Aber die ordentlichen
+Leute zogen sich von ihm zurück; Niemand mochte Umgang
+mit ihm oder seinem Weibe haben, und auf dem Weg
+zu seinem Hause wuchs Gras; wen dort nicht ein besonderes
+Geschäft hinführte, betrat ihn nimmer.</p>
+
+<p>So hatte der »schwarze Steffen,« wie er im Lande seines
+dunklen Haares und Aussehns wegen hieß, sechs Jahre in dem
+kleinen Haus gewohnt, und sein Weib ihm, außer dem Kind
+das sie in die Ehe gebracht, noch drei andere geboren. In der
+<pb n="250" /><anchor id="Pg250" />letzten Zeit tauchte dabei ein anderer Verdacht gegen ihn auf,
+daß er sich nämlich unter der Hand mit Wilddieben einlasse,
+und — wenn auch vielleicht nicht selber wildere, doch das Gestohlene
+kaufe und unterbringe.</p>
+
+<p>Sicher ist, daß nicht alles Fleisch was er zu Markte führte,
+im Stall gemästet worden, und als nun auch gar einmal, und
+vor nicht so sehr langer Zeit, ein Forstgehülfe, in Ausübung
+seiner Pflicht, erschossen worden, wurde die Aufsicht über den
+schwarzen Steffen, dem man aber doch nicht zu Kragen konnte,
+so scharf geführt, und diesem zuletzt so unerträglich, daß er
+schon ein paar Mal mit den Forstbeamten im Wirthshaus
+Streit gesucht und gefunden, und ihm zuletzt von der Herrschaft,
+nach lange geübter Nachsicht, der Befehl zugestellt wurde,
+das auf den Abbruch damals erstandene Haus, von dem übrigens
+kein Ziegel mehr sein gehörte, zu räumen und abzutragen
+oder stehen zu lassen, wie es ihm gefalle, seinen Wohnsitz aber,
+wider ihn eingelaufener Klagen wegen, wo anders zu nehmen,
+vom ersten des nächsten Monats an.</p>
+
+<p>Steffen war heute einmal ausnahmsweise den ganzen
+Tag zu Haus geblieben, und hatte manche von seinen Sachen,
+wobei ihm die Frau half, zusammengetragen und in einen
+Ranzen gepackt. Die Kinder aber achteten wenig darauf; sie
+waren gewohnt daß der Vater oft fortging, und dann immer
+mehre, manchmal sogar acht Tage fortblieb, ehe sie ihn wieder
+zu sehen bekamen, oder auch nur von ihm hörten. Fragen,
+wohin er ging, durften sie nie.</p>
+
+<p>Der Vater war übrigens mürrischer heute als je — er
+<pb n="251" /><anchor id="Pg251" />sprach fast kein Wort, trank aber oft aus der Flasche, die zum
+ersten Mal offen in der Stube stand, und woraus sich auch
+die Mutter zweimal einschenkte, und sich dann zu dem jüngsten
+Kinde setzte, und es auf den Schoos nahm und küßte.</p>
+
+<p>»Weshalb weinst Du, Mama?« sagte das zweite Kind,
+ein Junge von etwas über fünf Jahren — »hat Dir Jemand
+'was zu Leid gethan?«</p>
+
+<p>»Weil sie eine Närrin ist,« brummte der Vater, der die
+Frage gehört hatte, und jetzt einen ärgerlichen Blick nach der
+Frau schoß — »ich dächte wir hätten nun genug darüber geschwatzt
+und die Sache wär' abgemacht.«</p>
+
+<p>»Nun ja — ich sage ja auch kein Wort mehr dagegen,«
+erwiederte die Frau — »es — es überkommt Einen nur noch
+manchmal so — nachher wird's besser und — es geht ja doch
+nun einmal nicht anders,« setzte sie still und schwer vor sich
+hinseufzend, hinzu.</p>
+
+<p>Steffen entgegnete nichts weiter darauf, schickte aber bald
+darauf, unter irgend einem Vorwand, die Kinder mitsammen
+hinaus in den Garten, und sagte dann, als er sich mit der
+Frau allein sah, mürrisch und finster.</p>
+
+<p>»Du flennst und flennst, und wirst die Bälge noch zuletzt
+aufmerksam und ängstlich machen mit Deiner Heulerei — kannst
+Du sie hier ernähren, so bleib da, ich habe Nichts dagegen;
+kannst Du's aber nicht, dann sei auch vernünftig
+und mach' jetzt keine dummen Streiche — es wär' ein Spaß,
+wenn sie uns abfaßten, und Du weißt am Besten was uns
+nachher bevorstünde.«</p>
+
+<p><pb n="252" /><anchor id="Pg252" />Die Frau war schlank und voll gewachsen, mit besonders
+kleinen Händen und Füßen, mußte auch einmal in früheren
+Jahren wirklich schön gewesen sein, und mehr noch als nur
+die Spuren war ihr davon geblieben, hätte sie eben etwas gethan
+sich das zu erhalten. Aber in ihrem ganzen Aeußeren
+ging sie, wenn nicht geradezu unreinlich, doch vernachlässigt;
+die ungeordneten Haare wurden durch einen zerbrochenen,
+ächten Schildpatkamm, und durch ein schwarzes abgescheuertes
+Sammetband, in dem vorn eine große bronzene Broche mit
+einem unächten Turquis saß, gehalten; in den Ohren hingen
+ihr ebenfalls lange emaillirte unächte Ohrringe, die mit dazu
+beigetragen hatten ihr bei ihren bescheidenen und einfachen
+Nachbarn den Namen der »stolzen Jule« zu geben, und das
+Kleid von gutem Stoff und nach neuem Schnitt gemacht,
+zeigte unausgebesserte Risse, und Spuren von Fett, in Streifen
+und Flecken, die schlecht zu dem blitzenden falschen Schmucke
+paßten.</p>
+
+<p>Auch in den Augen selber lag etwas Keckes, Unweibliches,
+das aber doch jetzt einem mächtigeren Gefühl gewichen war,
+denn nur manchmal, bei den rauhen Worten, blitzte es an
+gegen den Mann, und um die Lippen zog sich dann ein eigener
+fester Zug von Trotz und Zorn.</p>
+
+<p>»Ich hab' Dir genug zu Willen gethan, daß ich mit Dir
+gehe und die Kinder zurücklasse,« sagte sie dann nach kleiner
+Weile — »wenn's mir das Herz dabei zusammenzieht, wärst
+Du schlimmer wie ein Thier, wolltest Du's mir wehren. Der
+Wolf läßt seine Brut nicht im Stich, und wir wollen fort — «</p>
+
+<p><pb n="253" /><anchor id="Pg253" />»Der Wolf hat auch draußen zu leben, und für die Jungen
+Milch — wer giebt's uns?« zischte der Mann zwischen den
+zusammgebissenen Zähnen durch — »wir könnten krepiren hier
+im Nest, keine Katze miaute deshalb im ganzen Kreis.«</p>
+
+<p>»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte die Frau, »und das
+ist das Einzige was mich freut, daß wir ihnen jetzt einen
+Streich spielen — den Lumpen. Und wie sie schreien und
+schimpfen werden — aber ernähren müßen sie sie doch, davon
+hilft ihnen kein Gott. Leid thut's Einem freilich immer, die
+armen Dinger, die noch Nichts von der Welt wissen und begreifen,
+so allein zurückzulassen — wenn ich das Jüngste nur
+mitnehmen dürfte — « setzte sie leise hinzu.</p>
+
+<p>»Komm mir nur jetzt nicht wieder mit dem alten Gewäsch,«
+rief aber der Mann finster und ärgerlich — »ich dächte
+das hätten wir über und genug besprochen und überlegt, und
+wären einig darüber.«</p>
+
+<p>»Ueberlegt gar nicht,« sagte aber die Frau, die Brauen
+fest zusammenziehend — »wenn ich davon anfing hast Du
+mich immer grob angefahren und ausgezankt, und Deinen
+Willen gehabt dabei, wie bei allem Anderen. Ich weiß daß
+ich nicht zu den Weichen gehöre, aber — Mutter bleibt doch
+Mutter, und — 's ist immer ein häßlich unnatürlich Ding.«</p>
+
+<p>»Papperlapapp!« sagte der Mann den Kopf herüber und
+hinüber werfend — »unnatürlich — natürlich ist's allerdings
+nicht daß die Scheunen ringsherum voll liegen, und das reiche
+Lumpenpack das Geld mit vollen Fausten zum Fenster hinaus<pb n="254" /><anchor id="Pg254" />wirft,
+während wir hier trocken Brod nagen sollen, und das
+nicht einmal immer kriegen — schöne Natürlichkeit das.«</p>
+
+<p>»Wenn Du nur nicht den dummen Streich mit dem — «</p>
+
+<p>»Halt's Maul!« brummte aber der Mann mürrisch — »ich
+sollte mich wohl erwischen und anzeigen lassen, daß ich
+jetzt im Zuchthaus säß und spänn — Gott verdamm mich, ich
+schösse eher die ganze Bande über den Haufen, einen nach dem
+anderen — bist Du nun fertig mit Deinen Sachen?«</p>
+
+<p>»Ja!« sagte die Frau leise und unwillkürlich zusammenschaudernd — »es
+kann fort gehn.«</p>
+
+<p>»Wir wollen aber doch warten bis es dunkel ist,« sagte
+Steffen nach kleiner Pause; »besser ist besser, und der Märtens
+unten an der Straße braucht nicht gleich zu wissen daß wir
+fortgefahren sind, beide zusammen, seine Nase hineinzustecken
+vor der Zeit; er ist mir so schon ein paar Mal hier oben herumgekrochen,
+wo er Nichts zu suchen hatte.«</p>
+
+<p>»Aber wenn sie uns nun doch vor der Zeit vermissen?«
+sagte die Frau, »und unserer Spur nachgehn; wenn's jetzt
+schlimm ist, nachher wird's erst bös, und wir dürften dann nur
+gleich mit Sack und Pack abziehn.«</p>
+
+<p>»In's Arbeitshaus, eh? — nein, eine Weile halt' ich sie
+uns schon von den Hacken, und Gefahr daß sie uns finden,
+hat es auch nicht. Wo wir zur Eisenbahn kommen bin ich
+bekannt, und habe schon manchmal Vieh da gekauft, wenn sie
+auch eben meinen Namen nicht wissen, und wenn wir fortgehn,
+lasse ich einen alten Hut von mir und das gelbe Tuch von
+Dir unten an dem tiefen Wasserloch unter den Erlen. Sobald<pb n="255" /><anchor id="Pg255" />
+Jemand hier in der Gegend vermißt wird, suchen sie dort immer
+zuerst, und der Schulze im Dorf hat das Pulver nicht
+erfunden, dem ist leicht was aufgehängt. Bis sie eine Weile
+stromab geangelt haben, sind wir hoffentlich unterwegs, und
+wenn nicht unter, doch über dem Wasser. Aber ich will jetzt
+noch einmal hinunter zum Märtens gehn und Mehl holen;
+es ist auch heute der gewöhnliche Tag, und hierher kommt nachher
+keiner so leicht, nimm Du indeß die Kinder vor, und instruire
+sie wie sie sich zu verhalten haben.«</p>
+
+<p>Und seine Mütze aufgreifend steckte Steffen die Hände in
+die Taschen, und schlenderte langsam den Hang hinunter dem
+nächsten, eine gute Viertelstunde entfernten Hause zu, während
+die Frau die Kinder zu sich hereinrief, das Jüngste, ein
+kleines liebes Mädchen von anderthalb Jahren, auf den
+Schoos nahm, und sich damit still und lautlos in die Ecke
+setzte.</p>
+
+<p>Die Sonne neigte sich indessen ihrem Untergang, und der
+Vater kam nach etwa einer Stunde, als es schon völlig dunkel
+geworden war zurück — die Mutter saß noch immer mit dem
+Kind auf dem Schoos, das bei ihr eingeschlafen war, und hielt
+es fest an sich gedrückt.</p>
+
+<p>»So Jule, es ist Zeit,« sagte der Mann, seine Arbeitsjacke
+abwerfend und den Rock anziehend, »weiß die Albertine was
+sie zu thun hat?«</p>
+
+<p>Die Frau zitterte am ganzen Leib, aber sie erwiederte kein
+Wort, stand auf, küßte das Kind das sie auf dem Arm trug,
+<pb n="256" /><anchor id="Pg256" />und legte es in sein Bettchen — einen Kasten, der in der Ecke
+der Stube stand.</p>
+
+<p>»Albertine,« sagte sie dann zu der Aeltesten, und wandte
+sich von der düster brennenden Oellampe, die Steffen auf den
+Ofen gestellt hatte, ab, daß die Tochter ihr nicht in die jetzt
+wirklich todtenbleichen Züge schauen sollte — »ich gehe mit
+dem Vater heute Abend eine Weile fort — den Karl bring ich
+erst noch zu Bett — sollten wir morgen früh nicht bei Zeiten
+da sein, so — so zieh die Kinder an und gieb ihnen zu essen — der
+Brodschrank ist offen, und Milch steht unter der Diele
+in der Schüssel — Du paßt mir auf daß den Kleinen Nichts
+passirt — Du — Du bist ja schon ein großes Mädchen.«</p>
+
+<p>»Und geht mir nicht vor die Thür morgen, bis wir nicht
+wieder da sind,« sagte Steffen, »wie ich heut Abend drunten
+gehört habe, ist hier ein toller Hund herumgelaufen. Das
+Beste wird sein Ihr haltet die Hausthür zu, daß er nicht etwa
+gar herein kommt.«</p>
+
+<p>Die Frau hatte dabei das etwa dreijährige Mädchen
+das indeß gar schläfrig geworden war, ausgezogen und in sein
+Bettchen gelegt — und der Junge, Carl, saß auf der Bank
+am Fenster, noch auf sein Abendbrod wartend. Aber er sah
+auch erstaunt dabei die Eltern an, die noch nie so spät Abends
+fortgegangen waren, und auch wohl noch nie, oder doch nur
+selten gar so freundlich mit ihnen gesprochen hatten.</p>
+
+<p>»Was für ein Hund ist es, Vater?« frug er jetzt, da der
+Gedanke an den tollgewordenen Hund ihn besonders interessiren
+<pb n="257" /><anchor id="Pg257" />mochte — »Märtens' Bello? der kennt mich, und beißt mich
+nicht.«</p>
+
+<p>»Nein, der große Türk aus dem Dorfe unten,« sagte
+Steffen — »der den Müller auch schon einmal gebissen hat.«</p>
+
+<p>»Oh der ist schlimm!« rief der Knabe erschreckt — »da
+geh' ich gewiß nicht hinaus.«</p>
+
+<p>»Geh' nun zu Bett Carl, es ist spät,« sagte der Vater.</p>
+
+<p>»Ich habe mein Abendbrod noch nicht,« brummte der arme
+kleine Bursch.</p>
+
+<p>»So? — dann wird Dir's Albertine geben — und — seid
+brav und folgt ihr — «</p>
+
+<p>Er gab dem Knaben und ältesten Mädchen die Hand,
+und ging zu den Bettchen der Kleinen die er küßte; dann aber
+als ob er sich einer solchen Regung schäme, richtete er sich rasch
+wieder auf, drückte den Hut in die Stirn, und sagte, das Zimmer
+verlassend, und noch in der Thür sich umdrehend:</p>
+
+<p>»Ich warte auf Dich unten am Wasser — mach schnell!«</p>
+
+<p>»Sei ein gut Kind Albertine, und hab mir gut auf die
+Kleinen Acht,« flüsterte die Frau jetzt dem Mädchen zu, das
+eben dem Bruder ein Stück Brod und Salz gegeben hatte, an
+dem der aß und verwundert dabei hinter den Vater her aus
+der Thür, und nach der Mutter schaute, die lange — o lange
+Zeit nicht so freundlich mit ihnen gesprochen hatte.</p>
+
+<p>»Aber Mutter wo geht Ihr nur hin?« — frug das Mädchen,
+der das Benehmen der Eltern ebenfalls auffiel, verwundert.</p>
+
+<p>»Auf's Amt,« sagte die Frau, auf die Frage schon vor<pb n="258" /><anchor id="Pg258" />bereitet — »wir
+müssen morgen früh mit Tagesanbruch in der
+Stadt sein, und wollen gehn so lang's kühl ist.«</p>
+
+<p>»Und wann kommst Du wieder?«</p>
+
+<p>»Hoffentlich morgen gegen Abend — wenn wir fertig
+werden; auf dem Amt sind sie aber gar weitläufig — manchmal
+dauert's länger als man denkt. Geht mir aber nicht vor
+die Thür, Ihr habt zu essen genug — jedenfalls sind wir morgen
+Abend um die Zeit wieder da — und acht' mir auf die
+Kleinen, Tine — sei ein vernünftig gutes Mädchen — Du
+bist groß genug. Und — wenn Jemand nach uns fragen
+sollte, so sag nur wir wären in den Wald gegangen, und
+kämen gleich wieder — es wird aber wohl Niemand fragen,«
+ — setzte sie leise, und wie zu ihrer eigenen Beruhigung
+hinzu.</p>
+
+<p>Sie sah sich im Zimmer um, ob sie Nichts vergessen habe
+ — ihr Bündel lag aber versteckt draußen vor der Thür, wie
+der Mann seine gepackte Jagdtasche ebenfalls draußen verborgen
+gehabt und jetzt mitgenommen hatte. Ihr Blick überflog
+auch nur flüchtig den kleinen Raum, und haftete dann auf dem
+Bettchen des jüngsten Kindes — sie konnte nicht widerstehn,
+und trat noch einmal zu dem schlummernden Kind.</p>
+
+<p>»Geh doch hinaus Tine, und hole ein paar Stücken Holz
+herein, so lang ich noch hier bin, daß Du morgen früh Kaffee
+kochen kannst — ich bleibe so lang bei den Kindern,« setzte sie
+langsam und ohne das älteste Mädchen dabei anzusehn, hinzu.
+Dieses ging, und in wilder, fast ängstlicher Hast küßte die Frau
+jetzt die kleine, schon sanft schlummernde Line, und hob dann
+<pb n="259" /><anchor id="Pg259" />das Jüngste aus seinem Kasten, auf dessen rosige Lippen sie
+den eigenen Mund in wilder Heftigkeit preßte, bis es schrie.
+Die Thränen — die Mutter <emph rend="letter-spacing: 0.20em">konnte</emph> sich nicht ganz verleugnen
+in dem Augenblick — liefen ihr dabei voll und
+schwer die Wangen hinunter, und erst als sie das Aelteste
+mit dem Holz zurückkehren hörte, legte sie das leicht beruhigte
+Kind wieder auf sein Lager, und küßte den Jungen, dem die
+Thränen auch anfingen in die Augen zu steigen. Er wußte
+freilich nicht recht weshalb, und nur vielleicht weil er die
+Mutter weinen sah, wurd' es ihm auch so weh und weich
+um's Herz.</p>
+
+<p>»Aber Mutter, was ist Dir nur heute Abend?« sagte das
+Mädchen, dem die außergewöhnliche Bewegung derselben unmöglich
+entgehen konnte — »was habt Ihr nur, Du und der
+Vater?«</p>
+
+<p>»Bah — der Vater war garstig mit mir, und wir haben
+uns gezankt,« sagte die Mutter, das Gesicht abwendend von
+dem Kind.</p>
+
+<p>Ein scharfer Pfiff von draußen her schlug an ihr Ohr,
+und sie fuhr erschreckt in die Höhe.</p>
+
+<p>»Ja — ich komme schon!« murmelte sie, kaum hörbar,
+vor sich hin, »so adieu Albertine — hab auf die Kinder Acht,
+und — <emph rend="letter-spacing: 0.20em">behüt Euch Gott</emph>!« und mit dem, wie scheu geflüsterten
+und vielleicht seit langer, langer Zeit nicht ausgesprochenen
+Segen, verließ sie rasch das Zimmer und das
+Haus.</p>
+
+<p><pb n="260" /><anchor id="Pg260" />»Was zum Teufel trödelst Du denn da drin, und läßt
+mich eine Stunde hier warten?« rief der Mann mürrisch, als
+sie ihn endlich an der verabredeten Stelle traf — aber die
+Frau erwiederte kein Wort, und die fieberheiße Stirn in die
+Hand pressend, folgte sie dem, jetzt ebenfalls finster und schweigend
+Voranschreitenden, durch die Nacht.</p>
+</div>
+</body>
+
+<back>
+<div rend="page-break-before: right">
+<divGen type="pgfooter" />
+</div>
+</back>
+
+</text>
+</TEI.2>
+
+<!--
+A WORD FROM PROJECT GUTENBERG
+
+
+This file should be named 18475-tei.tei.
+
+This and all associated files of various formats will be found in:
+
+
+ http://www.gutenberg.org/dirs/1/8/4/7/18475/
+
+
+Updated editions will replace the previous one — the old editions will be
+renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no one
+owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and
+you!) can copy and distribute it in the United States without permission
+and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the
+General Terms of Use part of this license, apply to copying and
+distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the Project
+Gutenberg™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered
+trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you
+receive specific permission. If you do not charge anything for copies of
+this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given away
+ — you may do practically _anything_ with public domain eBooks.
+Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+
+
+_Please read this before you distribute or use this work._
+
+To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work (or
+any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”),
+you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™
+License (available with this file or online at
+http://www.gutenberg.org/license).
+
+
+Section 1.
+
+
+General Terms of Use & Redistributing Project Gutenberg™ electronic works
+
+
+1.A.
+
+
+By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work,
+you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the
+terms of this license and intellectual property (trademark/copyright)
+agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this
+agreement, you must cease using and return or destroy all copies of
+Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee
+for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work
+and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may
+obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set
+forth in paragraph 1.E.8.
+
+
+1.B.
+
+
+“Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or
+associated in any way with an electronic work by people who agree to be
+bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can
+do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying
+with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are
+a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you
+follow the terms of this agreement and help preserve free future access to
+Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+
+1.C.
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or
+PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an individual
+work is in the public domain in the United States and you are located in
+the United States, we do not claim a right to prevent you from copying,
+distributing, performing, displaying or creating derivative works based on
+the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of
+course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of
+promoting free access to electronic works by freely sharing Project
+Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for
+keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can
+easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
+same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you
+share it without charge with others.
+
+
+1.D.
+
+
+The copyright laws of the place where you are located also govern what you
+can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant
+state of change. If you are outside the United States, check the laws of
+your country in addition to the terms of this agreement before
+downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating
+derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work.
+The Foundation makes no representations concerning the copyright status of
+any work in any country outside the United States.
+
+
+1.E.
+
+
+Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
+
+
+1.E.1.
+
+
+The following sentence, with active links to, or other immediate access
+to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever
+any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase
+“Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg”
+is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or
+distributed:
+
+
+ This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+ almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away
+ or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License
+ included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org
+
+
+1.E.2.
+
+
+If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from the
+public domain (does not contain a notice indicating that it is posted with
+permission of the copyright holder), the work can be copied and
+distributed to anyone in the United States without paying any fees or
+charges. If you are redistributing or providing access to a work with the
+phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you
+must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7
+or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™
+trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
+
+
+1.E.3.
+
+
+If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the
+permission of the copyright holder, your use and distribution must comply
+with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed
+by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project
+Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the
+copyright holder found at the beginning of this work.
+
+
+1.E.4.
+
+
+Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License
+terms from this work, or any files containing a part of this work or any
+other work associated with Project Gutenberg™.
+
+
+1.E.5.
+
+
+Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic
+work, or any part of this electronic work, without prominently displaying
+the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate
+access to the full terms of the Project Gutenberg™ License.
+
+
+1.E.6.
+
+
+You may convert to and distribute this work in any binary, compressed,
+marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word
+processing or hypertext form. However, if you provide access to or
+distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than
+“Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted
+on the official Project Gutenberg™ web site (http://www.gutenberg.org),
+you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
+copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
+request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form.
+Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as
+specified in paragraph 1.E.1.
+
+
+1.E.7.
+
+
+Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing,
+copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply
+with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
+
+
+1.E.8.
+
+
+You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or
+distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that
+
+ - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you
+ already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to
+ the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to
+ donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60
+ days following each date on which you prepare (or are legally
+ required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments
+ should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4,
+ “Information about donations to the Project Gutenberg Literary
+ Archive Foundation.”
+
+ - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License.
+ You must require such a user to return or destroy all copies of the
+ works possessed in a physical medium and discontinue all use of and
+ all access to other copies of Project Gutenberg™ works.
+
+ - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
+ any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
+ receipt of the work.
+
+ - You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg™ works.
+
+
+1.E.9.
+
+
+If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic
+work or group of works on different terms than are set forth in this
+agreement, you must obtain permission in writing from both the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the
+Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in
+Section 3 below.
+
+
+1.F.
+
+
+1.F.1.
+
+
+Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to
+identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain
+works in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these
+efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they
+may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to,
+incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright
+or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk
+or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot
+be read by your equipment.
+
+
+1.F.2.
+
+
+LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES — Except for the “Right of
+Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™
+trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™
+electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for
+damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE
+NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH
+OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE
+FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT
+WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL,
+PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY
+OF SUCH DAMAGE.
+
+
+1.F.3.
+
+
+LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND — If you discover a defect in this
+electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund
+of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to
+the person you received the work from. If you received the work on a
+physical medium, you must return the medium with your written explanation.
+The person or entity that provided you with the defective work may elect
+to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the
+work electronically, the person or entity providing it to you may choose
+to give you a second opportunity to receive the work electronically in
+lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a
+refund in writing without further opportunities to fix the problem.
+
+
+1.F.4.
+
+
+Except for the limited right of replacement or refund set forth in
+paragraph 1.F.3, this work is provided to you ’AS-IS,’ WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+
+1.F.5.
+
+
+Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the
+exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or
+limitation set forth in this agreement violates the law of the state
+applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make
+the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state
+law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement
+shall not void the remaining provisions.
+
+
+1.F.6.
+
+
+INDEMNITY — You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark
+owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of
+Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and
+any volunteers associated with the production, promotion and distribution
+of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs
+and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from
+any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of
+this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect
+you cause.
+
+
+Section 2.
+
+
+ Information about the Mission of Project Gutenberg™
+
+
+Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic
+works in formats readable by the widest variety of computers including
+obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the
+efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks
+of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance
+they need, is critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring
+that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for
+generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation was created to provide a secure and permanent future for
+Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations
+can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at
+http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3.
+
+
+ Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of
+Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service.
+The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541.
+Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full
+extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws.
+
+The Foundation’s principal office is located at 4557 Melan Dr.
+S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North
+1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information
+can be found at the Foundation’s web site and official page at
+http://www.pglaf.org
+
+For additional contact information:
+
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4.
+
+
+ Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive
+ Foundation
+
+
+Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without wide spread
+public support and donations to carry out its mission of increasing the
+number of public domain and licensed works that can be freely distributed
+in machine readable form accessible by the widest array of equipment
+including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are
+particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United States.
+Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable
+effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these
+requirements. We do not solicit donations in locations where we have not
+received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or
+determine the status of compliance for any particular state visit
+http://www.gutenberg.org/fundraising/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we have
+not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against
+accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us
+with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make any
+statements concerning tax treatment of donations received from outside the
+United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods
+and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including
+checks, online payments and credit card donations. To donate, please
+visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate
+
+
+Section 5.
+
+
+ General Information About Project Gutenberg™ electronic works.
+
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg™
+concept of a library of electronic works that could be freely shared with
+anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg™
+eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions,
+all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright
+notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance
+with any particular paper edition.
+
+Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook’s eBook
+number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed
+(zipped), HTML and others.
+
+Corrected _editions_ of our eBooks replace the old file and take over the
+old filename and etext number. The replaced older file is renamed.
+_Versions_ based on separate sources are treated as new eBooks receiving
+new filenames and etext numbers.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg™, including how
+to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation,
+how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email
+newsletter to hear about new eBooks.
+-->
diff --git a/18475-tei.zip b/18475-tei.zip
new file mode 100644
index 0000000..ce6f2d5
--- /dev/null
+++ b/18475-tei.zip
Binary files differ
diff --git a/18475.txt b/18475.txt
new file mode 100644
index 0000000..f18e746
--- /dev/null
+++ b/18475.txt
@@ -0,0 +1,7517 @@
+The Project Gutenberg EBook of Nach Amerika! Erster Band by Friedrich
+Gerstaecker
+
+
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no
+restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under
+the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or
+online at http://www.gutenberg.org/license
+
+
+
+Title: Nach Amerika! Erster Band
+
+Author: Friedrich Gerstaecker
+
+Release Date: May 2006 [Ebook #18475]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: US-ASCII
+
+
+***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND***
+
+
+
+
+
+ Nach Amerika!
+ Ein Volksbuch
+
+ Erster Band
+ von
+ Friedrich Gerstaecker.
+Illustrirt von Theodor Hosemann.
+Leipzig, Hermann Costenoble, Verlagsbuchhandlung
+Berlin, Rudolph Gaertner, Amelang'sche Sort-Buchhandlung
+
+1855
+
+
+
+
+
+ [image]
+
+
+
+
+
+
+ NACH AMERIKA!
+
+
+Wie man ein Bild, aus einem Werk heraus, vorn auf den Umschlag bringt, den
+Beschauer dadurch gewissermassen in den Charakter des Ganzen einzuweihen,
+so will auch ich hier den Anfang des einen Capitels, aus der Mitte des
+Bandes heraus, zum Vorwort waehlen, den Leser gleich von vorn herein mit
+dem bekannt zu machen, was ich ihm biete.
+
+"Nach Amerika!" -- Leser, erinnerst Du Dich noch der Maerchen in "Tausend
+und eine Nacht", wo das kleine Woertchen "Sesam" dem, der es weiss, die
+Thore zu ungezaehlten Schaetzen oeffnet? hast Du von den Zauberspruechen
+gehoert, die vor alten Zeiten weise Maenner gekannt, Geister heraufzurufen
+aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu
+machen? -- Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe schlugen, wie sich die
+Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner
+zusammen, die Erde bebte, und das kecke, tollkuehne Menschenkind das sie
+gesprochen, bebte zurueck vor der furchtbaren Gewalt die es
+heraufbeschworen.
+
+_Die_ Zeiten sind vorueber; die Geister, die damals dem Menschengeschlecht
+gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder wir haben auch vielleicht das
+rechte Wort vergeben sie zu rufen -- aber ein anderes dafuer gefunden das,
+kaum minder stark, mit _einem_ Schlage das Kind aus den Armen der Eltern,
+den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhaeltnissen und
+Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reisst, in dem es bis dahin mit
+seinen staerksten, innigsten Fasern treulich festgehalten.
+
+"Nach Amerika," leicht und keck ruft es der Tollkopf trotzig der ersten
+schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine Kraft pruefen sollte, seinen
+Muth staehlen -- "nach Amerika," fluestert der Verzweifelte der hier am Rand
+des Verderbens dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde --
+"nach Amerika," sagt still und entschlossen der Arme, der mit maennlicher
+Kraft, und doch immer und immer wieder vergebens gegen die Macht der
+Verhaeltnisse angekaempft, der um sein "taegliches Brod" mit blutigem Schweiss
+gebeten -- und es nicht erhalten, der keine Huelfe fuer sich und die Seinen
+hier im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln _will_, nicht stehlen
+_kann_ -- "nach Amerika" lacht der Verbrecher nach gluecklich veruebtem Raub,
+frohlockend der fernen Kueste entgegen jubelnd, die ihm Sicherheit bringt
+vor dem Arm des beleidigten Rechts -- "nach Amerika," jubelt der Idealist,
+der wirklichen Welt zuernend, weil sie eben wirklich ist, und ueber dem
+Ocean drueben ein Bild erhoffend, das dem in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht -- "nach Amerika" und mit dem einen Wort liegt hinter
+ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes frueheres Leben, Wirken, Schaffen -- liegen
+die Bande die Blut oder Freundschaft hier geknuepft, liegen die Hoffnungen
+die sie fuer hier gehegt, die Sorgen die sie gedrueckt -- _"nach Amerika!"_
+
+So gaehrt und keimt der Saame um uns her -- hier noch als leiser, kaum
+verstandener Wunsch im Herzen ruhend, dort ausgebrochen zu voller Kraft
+und Wirklichkeit, mit der reifen Frucht seiner gepackten Kisten und
+Kasten. Der Bauer draussen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain, der
+ihn zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so schwer
+geaergert, und der im Geist schon die langen geraden Furchen zieht, weit
+ueber dem Meer drueben, in dem fetten, herrlichen Land; -- der Handwerker in
+seiner Werkstatt, dem sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft
+setzt, mit Neuerungen und grossen, marktschreierischen Firmen, die wenigen
+Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in _seine_ Thuer zu locken; der
+Kuenstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube, der ueber einer
+freieren Entwickelung bruetet, und von einem Lande schwaermt wo
+Nahrungssorgen ihm nicht Geist und Haende binden; -- der Kaufmann hinter
+seinem Pult, der Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Buechern
+zieht, und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestuetzt, von einem neuen,
+andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen, von reich gefuellten
+Waarenhaeusern traeumt; in Tausenden von ihnen draengt's und treibt's und
+quaelt's, und wenn sie auch noch vielleicht Jahre lang nach aussen die alte
+fruehere Ruhe wahren, in ihren Herzen glueht und glimmt der Funke fort -- ein
+stiller aber ein gefaehrlicher Brand. Jeder Bericht ueber das ferne Land
+wird gelesen und ueberdacht, neue Arzenei, neues Gift bringend fuer den
+Kranken. Vorsichtig und aengstlich, und wie weit herum um ihr Ziel, dass man
+die Absicht nicht errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem
+Ding -- nach Leuten die vordem "hinueber" gezogen und denen es gut gegangen
+-- nach Land- und Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk -- fuer Andere natuerlich,
+nicht fuer sich etwa -- sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen
+will hinueber, ein entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wuenschen
+dass es dem wohl geht, und haeufen mehr und mehr Zunder fuer sich selber auf.
+
+So ringt und draengt und wuehlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem
+nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den _salto mortale_ gethan,
+und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war -- aus
+dem, aus jenem Grund -- und taeglich, stuendlich noch hoeren wir von anderen,
+von denen wir im Leben nie geglaubt dass _sie_ je an Amerika gedacht, wie
+sie mit Weib und Kind und Hab und Gut hinueberziehn.
+
+Und dort? --
+
+-- Die vorliegenden Blaetter sollen dem Leser ein Bild geben von dem Leben
+und Treiben solcher Leute. Hier aus unserer Mitte heraus, aus den
+verschiedenartigsten Verhaeltnissen und Sphaeren, aus allen Schichten der
+menschlichen Gesellschaft sehen wir sie ziehen -- Gute und Boese, den
+Leichtsinnigen und den Spekulanten, den Bauer und Handwerker, den
+Gelehrten und den Arbeiter, den rechtschaffenen Buerger und den heimlichen
+Verbrecher, Alle dem _einen_ Ziel entgegenstrebend. Und _Alle_ vereinigt
+sie das Schiff; der eine kleine Bau, der hunderte von Menschen auf seinem
+schwanken Kiel hinuebertraegt, dem fernen Welttheil zu; oh was fuer
+Hoffnungen, was fuer Plaene und Traeume birgt er in seinem Schooss. Aber die
+Auswanderer liegen die langen Wochen, ja Monate, verpuppten Raupen gleich,
+im engen Haus, still und gedraengt beisammen; Jeder mit dem alten Leben
+abgeschlossen hinter sich, mit dem neuen noch nicht begonnen, in einem
+wunderlichen unnatuerlichen Zustand, ungeduldiger Ruhe, bis der Anker in
+die Tiefe rollt, und die ausgeschobene schmale Planke der bunten Schaar
+von Tag- und Nachtfaltern den Weg in's Freie oeffnet.
+
+Hinaus flattern sie da nach allen Seiten, wie eine Hand voll Spreu, vom
+Winde fort gefuehrt; die Einen selbstbewusst und keck dem fremden,
+unbekannten Leben in die Arme springend, die Anderen scheu und zaghaft bei
+jedem Schritte fast moralische Selbstschuesse und Fussangeln fuerchtend; Alle
+aber entschlossen, die meisten sogar gezwungen, dem neuen Vaterlande die,
+im alten aufgegebene Existenz abzuringen, Jeder in seiner Art, auf seine
+Weise.
+
+Dort nun sehen wir sie schaffen und wirken in Gutem und Boesen, die Einen
+mit ihren kuehnsten Hoffnungen erfuellt, Andere, zerknirscht und zertreten,
+die Stunde verwuenschend, die den Gedanken an Auswanderung gebar -- sehn wie
+sich die Wildniss lichtet, wie Farmen und Staedte entstehn, und sich das
+deutsche Element ausbreitet nach allen Seiten, und folgen den einzelnen
+Bekannten und Freunden, die wir zu Hause schon, oder auf der Fahrt erst
+lieb gewonnen, oder fuer die wir uns interessiren, auf ihren verschiedenen,
+oft wunderlichen Bahnen.
+
+Manchen alten Reisegefaehrten fuehr ich dabei dem Leser vor, und hoffe ihn
+nicht zu langweilen, den weiten Weg; schlafen wir dann auch manchmal
+draussen im Freien, oder in niederer Blockhuette auf duennem "Quilt", muessen
+wir auch eine Zeit lang mit Maisbrod und Wildpret, oder gar mit Speck und
+Syrup verlieb nehmen, wie es der Farmer am Ohio liebt, wir lernen doch das
+Land kennen, mit seinen guten und schlechten Eigenschaften, seinen
+Vortheilen und Maengeln, seinen Buergern und Einwanderern, seinen inneren
+Verhaeltnissen, seinem Leben und seiner Lebenskraft, und bin ich im Stande
+ihn auch nur einen Blick in jene ferne, von Tausenden so heiss ersehnte
+Welt, wie ich sie selbst gefunden, thun zu lassen, so hab ich meinen Zweck
+mit diesem Buch erreicht.
+
+_Rosenau_ bei Coburg im September 1854.
+
+ Friedrich Gerstaecker.
+
+
+
+
+
+ INHALT DES ERSTEN BANDES.
+
+
+Das Dollinger'sche Haus
+Der rothe Drachen
+Der Diebstahl
+Franz Lossenwerder
+Die Auswanderungs-Agentur
+Die Weberfamilie
+Nach Amerika
+Der Tanz im rothen Drachen
+Ruestungen
+Die beiden Familien
+
+
+
+
+
+ Capitel 1.
+
+
+ DAS DOLLINGER'SCHE HAUS.
+
+
+Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger zu Heilingen -- einer nicht
+unbedeutenden Stadt Deutschlands -- hatte am Sonntag Mittag, ein kleines
+Familienfest die Glieder des Hauses um den Speisetisch versammelt, und
+diesen heute in aussergewoehnlicher Weise mit Blumen geschmueckt, und
+delicaten Speisen und Weinen gedeckt. Es war der Geburtstag der zweiten
+Tochter des Hauses, der liebenswuerdigen Clara und nur ihr erklaerter
+Braeutigam, ein junger deutscher, in New-Orleans ansaessiger Kaufmann, als
+Gast der Familie zugezogen worden.
+
+Am oberen Ende des Tisches, um dem Leser die Personen gleich in
+Lebensgroesse vorzufuehren, sass Vater Dollinger, ein etwas wohlbeleibter aber
+behaebiger, stattlicher Mann, mit klaren, blauen, unendlich gutmuethigen
+Augen und schneeweissen Locken und Augenbrauen, die aber dem edel
+geschnittenen Gesicht gar gut und ehrwuerdig standen. Ihm zur Rechten sass
+seine Frau, allem Anschein nach etwa funfzehn oder sechzehn Jahre juenger
+wie er selber, und durch ihr volles, dunkelbraunes Haar vielleicht auch
+noch sogar juenger aussehend, als sie wirklich war. Sie ebenfalls, mit
+ihrer stattlichen Gestalt, hatte einen leichten Anflug zu Corpulenz, aber
+das etwas ausgeschnittene Kleid, wie die schwere goldene Kette, Broche und
+Ohrringe, die sie fast etwas zu reichlich schmueckten, passten nicht ganz zu
+dem sonst so freundlichen, matronenhaften Aeussern.
+
+Clara neben ihr, war das veredelte Bild der Eltern; die lieben treublauen
+Augen schauten gar so vertrauungs- und unschuldsvoll hinein in die Welt,
+an deren Schwelle sie stand, und die ihr, wie ein eben geoeffnetes,
+prachtvoll gebundenes Buch auf den ersten, fluechtig durchblaetterten
+Seiten, nur freundliche Blumen und ihr zulaechelnde Gestalten zeigte. Kein
+Schmerz hatte diese engelsanften Zuege noch je durchzuckt, keine Thraene
+wirklichen Schmerzes den reinen Blick getruebt, und die ganze zarte,
+sinnige Gestalt glich der eben entkeimenden Fruehlingsbluethe im sonnigen
+Wald, die dem jungen Fruehlingstag in Glueck und Unschuld die schwellenden
+Lippen zum Kusse bietet, und in der blitzenden Thauperle ihres Kelchs, den
+reinen Aether ueber sich, nur schoener, nur gluehender zurueckspiegelt.
+
+Ihre um nur wenige Jahre aeltere Schwester, Sophie, die an des Vaters Seite
+sass, aehnelte der Schwester in mancher Hinsicht an Gestalt, aber das
+einfach kindliche, was Claerchen jenen unendlichen Reiz verlieh, fehlte
+ihr. Ihre Gestalt war voller, majestaetischer, aber auch ihr Blick mehr
+kalt und stolz; "ich bin des reichen Dollingers Kind" lag klar und
+deutlich in den scharf zusammengezogenen Mundwinkeln, in dem fest und
+entschieden, blitzenden Auge, und auch ihre Kleidung, ihr Schmuck war,
+wenn nicht reicher, doch jedenfalls mehr in's Auge springend, Bewunderung
+fordernd.
+
+Zwischen Beiden sass Clara's Braeutigam, ein junger, bildhuebscher Mann in
+moderner, fast fuer einen Mann etwas zu gewaehlter und sorgfaeltig geordneter
+Kleidung; er trug das Haar in natuerlichen dunkelbraunen Locken und das
+Gesicht glatt rasirt, bis auf einen kleinen, aufmerksam gekraeussten, und
+nur bis zur halben Backe reichenden Backenbart, an den Fingern aber mehre
+sehr kostbare Diamant-Ringe, eine Brillant-Tuchnadel von prachtvollem
+Feuer, und eine schwere goldene, ebenfalls mit kleinen Edelsteinen
+besetzte Uhrkette.
+
+Die Bekanntschaft Clara's und ihrer Eltern hatte er dabei auf eine etwas
+romantische Weise, und zwar gleich als ihr Lebensretter oder doch Befreier
+aus einer nicht unbedeutenden Gefahr gemacht. Herr und Frau Dollinger
+waren naemlich mit ihren beiden Toechtern im vorigen Herbst auf einer
+Rheinreise bei Ruedesheim aus- und zu dem kleinen Waldtempel oben ueber
+Asmannshausen hinaufgestiegen, um sich von dort nach dem Rheinstein
+uebersetzen zu lassen; die Mutter hatte aber durch das nicht gewohnte
+Bergsteigen heftige Kopfschmerzen bekommen oder, was wahrscheinlicher ist,
+ennuyirte sich am Land und wuenschte an Bord des Dampfers zurueckzukehren,
+und als sie gerade mit dem Kahn ueber den Rhein fuhren, kam ein Dampfboot
+stromab, und hielt auf ihr Winken, sie an Bord zu nehmen. Herr und Frau
+Dollinger, mit Sophie, von den Kahnfuehrern unterstuetzt, hatten auch schon
+gluecklich die Treppe und das Deck erreicht, und dicht hinter ihnen folgte
+Clara, als diese sich ploetzlich erinnerte, ihre Geldtasche im Kahn
+vergessen zu haben, und anstatt diese sich heraufreichen zu lassen, selber
+wieder zuruecksprang sie zu holen. Durch das Hineinspringen fing aber der
+schmale Kahn an zu schwanken, waehrend sie, die vergessene kleine Tasche
+aufhebend, das Gleichgewicht verlor und, mit dem Kopf voran, in den Rhein
+stuerzte. Ungluecklicher Weise waren gerade in dem naemlichen Augenblick die
+Kahnleute an Deck des Dampfers gestiegen, den Koffer eines Passagiers, der
+mit an Land fahren wollte, in ihren Kahn zu heben, und wenn sie jetzt
+auch, auf das Geschrei an Bord, rasch in diesen zuruecksprangen, trieb doch
+Clara schon hinter dem Dampfboot aus, als der junge, eben von Amerika
+zurueckgekehrte Mann, der dem ganzen Vorfall vom Deck des Dampfers
+zugesehn, mit keckem Muth ins Wasser sprang und die Jungfrau doch
+wenigstens so lange an der Oberflaeche unterstuetzte, bis das Boot herbeikam
+sie beide aufzunehmen.
+
+Das Weitere nahm einen ziemlich einfachen Verlauf, Joseph Henkel, wie der
+junge Mann hiess, gewann sich in den naechsten Wochen, die er in der
+Gesellschaft der ihm zu grossen Dank verpachteten Familie zubrachte, die
+Achtung des Vaters und die Liebe von Mutter und Tochter, und als er zuerst
+bei der Mutter um die Hand der Tochter anhielt, sagten Beide nicht nein.
+Allerdings wollte der Vater erst, wenn auch nicht gerade Schwierigkeiten
+machen, doch etwas Genaueres ueber die Existenzmittel eines Mannes
+erfahren, dem er das Glueck und Leben eines lieben Kindes anvertrauen
+sollte. Henkel selber bot ihm dazu die Hand und gab ihm Adressen an
+verschiedene Haeuser in New-Orleans, die ihm ueber seine dortige Stellung
+genaue Auskunft geben konnten.
+
+Nach seinem Vermoegen mochte der alte Dollinger, wenn auch Kaufmann, nicht
+so genau forschen; er war selber reich genug, einen _reichen_
+Schwiegersohn entbehren zu koennen, und etwas Vermoegen musste der junge Mann
+haben, dafuer buergte sein ganzes Auftreten, buergte besonders in den Augen
+seiner Frau der reiche und wirklich kostbare Schmuck, den er trug. Joseph
+Henkel war aber auch ausserdem ein interessanter und sehr gescheidter Mann,
+der Manches in der Welt schon gesehen und erlebt, und das Gesehene und
+Erlebte mit lebendigen Farben und Worten zu schildern wusste. Er hatte die
+ganzen Vereinigten Staaten von Nord nach Sued und von Ost nach West
+durchstreift, und dort theils seinen Geschaeften gelebt, theils gejagt,
+sogar ein kleines Dampfschiff auf dem Arkansas laufen gehabt, mit den
+Indianern Handel zu treiben, und ihnen die Produkte des Ostens gegen ihre
+eigenen Fabrikate und den Gewinn ihrer Jagden einzutauschen. Er war auch
+einmal von jenen wilden trotzigen Staemmen, die uns Cooper so herrlich und
+unuebertroffen beschrieben, gefangen genommen und zum Opfertod verdammt,
+und damals wirklich nur durch ein halbes Wunder gerettet worden, und Clara
+hatte eine ganze Nacht nicht schlafen koennen, nur in der Angst und Unruhe
+um die entsetzliche Gefahr, der sich der tollkuehne Mensch damals schon
+ausgesetzt.
+
+Der junge Mann schien aber zwischen jenen wilden Staemmen den Umgang mit
+civilisirten Menschen keineswegs verlernt zu haben, und besass ganz
+besonders ein fast wunderbares Geschick, sich seiner Umgebung
+anzuschmiegen, und sich in ihre Charaktere ordentlich hineinzuleben. Als
+ein tuechtiger und raffinirter Kaufmann, der vorzueglich eine vortreffliche
+statistische Kenntniss der Union besass, gewann er sich dabei, und gleich
+von allem Anfang an, die Achtung des alten Dollinger. Der Frau aber hatte
+er leicht ihre kleinen, oft liebenswuerdigen Schwachheiten abgelauscht, und
+wusste ihnen auf so geschickte Art zu begegnen, dass Frau Dollinger, mit der
+Rettung des geliebten Kindes im Hintergrund, schon nach sehr kurzer Zeit
+ganz entzueckt von ihm war, und sein Lob dem Gatten unaufhoerlich redete.
+Auch mit der aelteren Schwester, Sophie, wusste sich Henkel bald auf guten
+Fuss zu stellen; er hatte bei ihr das leichteste Spiel, denn ihre Schwaechen
+lagen offen zu Tag, denen aber schmeichelte er mit solcher
+Liebenswuerdigkeit, dass ihm Clara, die es fuehlte wie er dabei aus sich
+herausging und etwas annahm was ihm nicht natuerlich war, oder doch
+jedenfalls dem Mann, den sie liebte, nicht natuerlich sein _sollte_,
+dennoch nicht boese darueber werden konnte.
+
+Desto freier, offener und natuerlicher war er dafuer gegen sie selber; er
+las, sang und spielte Pianoforte mit ihr, lehrte sie eine Menge kleiner
+reizender, schottischer und irischer Lieder, oder plauderte mit ihr leicht
+und sorglos Stunden lang in den Tag hinein, und konnte oft so herzlich
+dabei lachen, dass es Einem ordentlich gut that, ihm zuzuhoeren. Selbst
+Sophie entsagte dann nicht selten ihrem sonst etwas mehr abgeschlossenen,
+fast steifen Wesen und kam zu ihnen, Theil an ihrer Froehlichkeit zu
+nehmen.
+
+Nur in den letzten Tagen war der junge "Amerikaner" wie er im Hause
+gewoehnlich scherzhaft hiess, oder der "Delaware" wie ihn Sophie, wenn sie
+manchmal bei recht guter Laune war, nannte, auffaellig niedergeschlagen
+gewesen; er hatte Briefe von Amerika bekommen, wie er sagte, und ein sehr
+lieber Freund von ihm war dort schwer erkrankt, auch ein Schiff das ihm
+gehoerte, und das nicht versichert worden, so lange ausgeblieben, dass sein
+Compagnon fast den Untergang desselben befuerchte. Der alte Herr Dollinger
+troestete ihn deshalb, und er schien sich auch darueber hinwegzusetzen, die
+sonst so bluehende Farbe seiner Wangen wollte aber doch nicht sogleich
+wieder dorthin zurueckkehren, und das Auge hatte etwas Unsicheres,
+Unstaetes, ihm sonst gar nicht Eigenes bekommen.
+
+Nur heute, zu dem Fest der holden Jungfrau, die er bald die seine zu
+nennen hoffte, hatte er all die trueben Gedanken, welcher Art sie auch
+gewesen, und woher sie stammten, von sich abgeschuettelt, und war ganz
+wieder der frohe glueckliche Mann, wie ihn Clara kennen -- _lieben_ gelernt.
+Auf seinen Wunsch nur, womit Frau Dollinger eigentlich nicht ganz
+einverstanden gewesen, war auch heute keine groessere Gesellschaft geladen
+worden, sondern die kleine Familie speiste ganz "unter sich" in dem
+festlich mit Blumen und Guirlanden geschmueckten Zimmer des jungen
+liebenswuerdigen Geburtstagkindes. Frau Dollinger hatte sich eigentlich
+schon laenger auf eine zu diesem Zweck einzuladende, groessere Gesellschaft
+gefreut. Herr Dollinger selber hielt aber nicht viel von solchen Feten;
+dafuer jedoch bedung sie sich aus, dass sie wenigstens den Nachmittag
+spatzieren fahren wollten, wobei sie der junge Henkel gewoehnlich zu Pferde
+begleitete.
+
+Etwas that aber der alte Herr Dollinger gern, und zwar ein Glas Champagner
+trinken, und der zweite Stoepsel war eben lustig hinausgeknallt, der
+Gesundheit des "jungen Brautpaares" zu Ehren, als die Thuer aufging und
+Lossenwerder, ein Comptoirdiener des Hauses, mit einem kleinen Paket in's
+Zimmer trat.
+
+Lossenwerder war schon seit elf oder zwoelf Jahren im Haus, und seinem
+Aeussern nach eben keine angenehme Persoenlichkeit; er hinkte auf dem linken
+Bein, das er als Kind einmal gebrochen, war ueberhaupt haesslicher und
+magerer Natur, und schielte auf dem rechten Auge, wodurch sein sonst
+gerade nicht unangenehmes Gesicht einen etwas falschen Ausdruck bekam. Das
+Stoerendste aber an dem ganzen Menschen war sein Stottern, wegen dem man
+sich auf ein laengeres Gespraech gar nicht mit ihm einlassen konnte, und kam
+er einmal in Affekt, konnte er kein Wort mehr herausbringen. Frau
+Dollinger sowohl wie Sophie konnten ihn auch nicht leiden, ja die letztere
+behauptete sogar er verstelle sich und sie habe ihn schon ganz ordentlich,
+wenigstens zehntausend Mal besser sprechen hoeren, als er es jedesmal
+affektire, wenn er zu ihnen in die Wohnung komme; Clara aber hatte Mitleid
+mit dem armen Menschen, den sie seines Ungluecks wegen innig bedauerte,
+schenkte ihm oft eine Kleinigkeit und spottete nie ueber ihn, waehrend Herr
+Dollinger selber, ihn als einen brauchbaren und treuen Diener, der noch
+ausserdem eine vortreffliche Hand schrieb, kannte und sehr zufrieden mit
+ihm war, ihm auch jedes nur moegliche Vertrauen bewiess.
+
+"Hallo, Lossenwerder, was bringst Du mir da in's Haus?" rief ihm sein
+Principal jetzt halb lachend, halb erstaunt entgegen, als der kleine Mann
+das Zimmer betrat und schuechtern an der Thuere stehen blieb -- "ist das fuer
+mich oder meine Tochter?"
+
+"Gewiss fuer mich, Vaeterchen," rief Clara, rasch von ihrem Sitze
+aufspringend -- "siehst Du, der Onkel hat mich doch nicht ganz vergessen
+mit meinem Fest, und mir Gruss und Geschenk geschickt."
+
+"Hehehe -- moe -- moe -- moechten es sich wo -- wo -- wo -- wo -- wohl wue -- n --
+nschen Fraeulein" lachte aber der Stotternde, indem er Herrn Dollinger
+zuwinkte, dass das Paket fuer ihn sei -- "ka -- ka -- ka -- kann ich mir de -- de
+-- de -- de -- denken -- Go -- go -- gold und Ba -- ba -- ba -- ba -- bank -- no --
+noten." Er zog dabei einen Brief aus der Tasche, den er dem Herrn uebergab.
+
+"Hm, hm, hm" sagte aber dieser kopfschuettelnd, "und das bringst Du mir
+jetzt in's Haus -- gerade wo ich ausfahren will -- warum hast Du es denn
+nicht dem Cassirer gegeben?"
+
+"Ni -- ni -- nirgends zu fi -- fi -- fi -- finden" stotterte Lossenwerder.
+
+Herr Dollinger warf den Kopf, den Brief fluechtig durchfliegend, herueber
+und hinueber, sagte dann aber, aufstehend und das Papier vor sich
+hinlegend:
+
+"Ja, da laesst sich denn weiter Nichts aendern; gieb mir das Paket
+Lossenwerder, und sieh dann zu, dass Du Herrn Reibich findest. Ich lasse ihn
+bitten um sieben oder halb acht Uhr heute Abend auf einen Augenblick zu
+mir zu kommen -- verstanden?"
+
+"Ja -- ja -- jawohl He -- he -- he -- herr Do -- do -- do -- Do -- "
+
+"Schon gut" lachte Herr Dollinger, ihm zuwinkend, "und hier, Lossenwerder,
+magst Du auch einmal ein Glas auf das Wohl meiner Tochter trinken.
+Fraeulein Clara's Geburtstag ist heute -- hier Clara, reich es dem jungen
+Herrn." Er fuellte dabei ein Wasserglas bis zum Rande voll von dem
+funkelnden, schaeumenden Nass, und waehrend Clara mit freundlichem Laecheln
+dem armen Teufel das Glas credenzte, nahm Herr Dollinger das Paket mit
+Geld, ging zu dem nahen Secretair, in dem der Schluessel stak, oeffnete ihn,
+legte das Geld hinein, zog dann den Schluessel ab und sagte, diesen der
+Tochter ueberreichend:
+
+"So Kinder, heute muesst Ihr einmal auf ein paar Stunden mein Cassirer sein,
+bis der andere aufgefunden werden kann."
+
+Clara nickte dem Vater freundlich zu, und Lossenwerder, der das volle Glas
+in der Hand hielt und auf einmal ganz blutroth im Gesicht geworden war,
+hob es empor und rief stotternd:
+
+"Fr -- re, re, re, re, re, raeu -- le -- le -- lein Cla -- ra -- ra -- ra -- ra --
+aus ga -- ga -- ganzem He -- he -- he -- he -- he -- he -- her -- ze -- ze -- zen."
+
+Als ob er aber mit den Worten in der Kehle Luft gemacht, setzte er das
+Glas an, und der Wein verschwand wie durch Zauberei.
+
+"Alle Wetter" lachte Herr Dollinger, der sich gerade nach ihm umdrehte,
+"Lossenwerder hat einen vortrefflichen Zug -- nun? -- hat's geschmeckt?"
+
+"Gu -- gut Herr Do -- do -- do -- do -- do."
+
+"Genug, genug" winkte ihm der Principal wieder ab -- "also bestell mir das
+ordentlich."
+
+Lossenwerder, der Art entlassen, und vielleicht froh aus einer Umgebung zu
+kommen, in der er sich nicht heimisch fuehlen konnte, setzte das Glas auf
+einen Seitentisch ab, machte eine etwas linkische Verbeugung, und wohl
+wissend dass er zu einem ordentlichen Danke doch keine Zeit mehr uebrig
+hatte, empfahl er sich ohne weiter auch nur einen Versuch zu muendlichem
+Abschied zu machen.
+
+"Eine unangenehme Persoenlichkeit" sagte Frau Dollinger zu ihrem
+Schwiegersohn _in spe_, als der Mann noch die Thuer nicht einmal ordentlich
+hinter sich geschlossen hatte; "ich kann mir nicht helfen, auf mich macht
+der Mensch immer einen fatalen Eindruck."
+
+"Wie -- wie befehlen Sie meine Gnaedige?" sagte der junge Henkel etwas
+zerstreut; Sophie bog sich in diesem Augenblick zu ihm nieder und
+fluesterte ihm ein paar Worte zu --
+
+"Er kann ja doch Nichts fuer seine Gebrechen" nahm Clara aber die Antwort
+auf, "und thut gewiss Alles in seinen Kraeften sie eben durch gutes Betragen
+vergessen zu machen."
+
+"Papa, ich wuerde das Geld auch nicht so offen in dem Secretair da liegen
+lassen" sagte Sophie.
+
+"Nicht so offen? -- ich habe ja zugeschlossen -- "
+
+"Nun, es ist immer nicht gerade gut, wenn die Dienstleute wissen wo man
+Geld liegen hat" stimmte die Mutter bei.
+
+"Dienstleute?" meinte Herr Dollinger -- es war ja Niemand von ihnen im
+Zimmer -- "
+
+"Doch Lossenwerder?"
+
+"Bah" lachte der Kaufmann, mit dem Kopf schuettelnd.
+
+"Ist es denn viel?" frug seine Frau.
+
+"Nun, der Muehe werth waer's immer" sagte Herr Dollinger, "fuenf Tausend
+Thaler etwa -- es soll aber auch nicht ueber Nacht da liegen bleiben, und
+Lossenwerder hat mir auf heute Abend den Cassirer zu bestellen, das Geld an
+sicheren Ort zu legen, bis ich morgen darueber verfuegt habe."
+
+"Der Lossenwerder verwandte keinen Blick von dem Geld, so lang er im Zimmer
+war" sagte die Mutter, mit dem Finger vor sich hindrohend.
+
+"Lieber Gott, Muetterchen, Du weisst ja aber doch dass er schielt"
+vertheidigte ihn lachend Clara -- "eben so fest und unverwandt hat er mich
+indessen mit dem andern Auge angesehen; seine Schuld ist's nicht dass er
+zwei Stellen auf einmal im Auge behalten muss."
+
+"Lasst mir den armen Teufel zufrieden" sagte aber auch Herr Dollinger --
+"der ist mir nuetzlicher wie zwei von meinen anderen Leuten; mehr zum
+Nutzen wie Staat freilich, aber Staat will er auch nicht machen. Jetzt
+uebrigens Kinder wird es Zeit dass wir uns ruesten, und Henkel, Sie muessen
+noch Ihr Pferd holen lassen."
+
+"Ich habe es schon, in der Voraussetzung dass wir bei dem schoenen Wetter
+doch wohl eine kleine Parthie machen wuerden, hierher bestellt," erwiederte
+rasch der junge Mann -- wuenschen Sie den Wagen jetzt?"
+
+"Ich glaube ja, je eher, desto besser; die Tage sind kurz und wenn wir
+noch eine Stunde oder zwei fahren wollen, duerfen wir nicht mehr viel
+laenger warten."
+
+"Aber Ihr Maedchen moechtet Euch ein wenig warm einpacken" sagte jetzt die
+Mutter, alles Andere in dem Gedanken an ihre Toilette vergessend -- "zum
+still im Wagen Sitzen passt ein Sommerkleid noch nicht und heute Abend wird
+es kuehl werden."
+
+"Und nicht so lange machen," mahnte der Vater, der sich sein Glas noch
+einmal voll schenkte und leerte; "der Wagen wird im Augenblick da sein."
+
+Der Wagen fuhr auch wirklich kaum zehn Minuten spaeter vor, Herr Dollinger,
+der nun seinen Hut und Stock aufgenommen, ging, seine Handschuh anziehend,
+im Hofe auf und nieder, und endlich erschienen, diesmal in wirklich sehr
+kurzer Zeit, die Damen, ihre Sitze einzunehmen.
+
+"Nun, wo ist Henkel?" sagte Herr Dollinger, sich nach seinem zukuenftigen
+Schwiegersohne umschauend, "ich habe sein Pferd auch noch nicht gesehen;
+jetzt wird uns der warten lassen."
+
+Die Familie hatte indessen im Wagen Platz genommen, und der alte Herr
+schaute etwas ungeduldig zum Schlag hinaus, als der junge Henkel zum Thor,
+aber ohne Pferd, hereinkam.
+
+"Nun? und Sie sitzen noch nicht im Sattel?" rief er ihm schon von weitem
+entgegen -- "das ist eine schoene Geschichte; jetzt duerfen wir den Frauen
+nie im Leben wieder vorwerfen, dass sie uns warten lassen."
+
+"Ich muss tausend Mal um Entschuldigung bitten," sagte der junge Mann, zum
+Wagen hinantretend, "aber mein Stallmeister hat mich sitzen lassen. Wenn
+Sie mir erlauben schicke ich einen der Leute danach, oder gehe selber, es
+ist nicht weit von hier. Aber thun Sie mir die Liebe und fahren Sie
+langsam voraus, ich hole Sie in Zeit von zehn Minuten ein."
+
+"Wir koennen ja hier warten," sagte die Mutter.
+
+"Ja, wenn die Pferde stehen wollten," brummte Herr Dollinger -- "zieh nicht
+so fest in die Zuegel Johann, das Handpferd kann das nicht vertragen und
+wird nur noch immer unruhiger -- wir wollen langsam vorausfahren -- machen
+Sie aber dass Sie nachkommen; auf dem Balkon vom rothen Drachen trinken wir
+Kaffee, dort ist eine wundervolle Aussicht -- der Stalljunge mag
+hinueberlaufen und Ihnen das Pferd holen."
+
+Die Pferde zogen in diesem Augenblick an, Henkel musste aus dem Weg
+springen und verbeugte sich leicht gegen die Damen, von denen ihm Clara
+freundlich laechelnd zunickte.
+
+Eine starke Viertelstunde spaeter sprengte der junge "Amerikaner," seinem
+Thiere die Sporen gebend, dass es Funken und Kies hintenaus stob, ueber das
+Pflaster, zum Entsetzen der Fussgaenger dahin, dem Wagen nach, den er nur
+erst eine kurze Strecke vor dem bezeichneten Platz wieder einholte. Im
+Stall wollte Niemand etwas davon gewusst haben, dass er sein Pferd bestellt
+gehabt -- Einer schob die Vergessenheit natuerlich auf den Andern, und
+Dollinger's Stallknecht musste die Leute sogar erst zusammensuchen, bis er
+das Pferd bekam, deshalb hatte es so lange gedauert. Als er mit demselben
+zurueckkehrte, ging der junge Mann in dem kleinen, dicht am Haus liegenden
+Garten auf und ab, sprang aber dann, dem Burschen ein Trinkgeld zuwerfend,
+und dessen Entschuldigung nur halb hoerend, rasch in den Sattel und flog,
+wie vorher erwaehnt, in vollem Carriere die Strasse nieder.
+
+Er hatte den Hof kaum verlassen, als Lossenwerder, einen grossen,
+wunderschoen bluehenden Monatsrosenstock unter dem Arm, vorsichtig und wie
+scheu, dass ihn Niemand gewahre, ueber den Hof und in die Hinterthuer des
+Hauses schlich, und sich leise und geraeuschlos die Treppe damit
+hinaufstahl. Er blieb etwa zehn Minuten im Haus und wollte dann aus
+derselben Thuer wieder ueber den Hof zurueck, als der Stallknecht aus der
+Futterkammer kam. Unschluessig blieb der kleine Mann eine kurze Zeit hinter
+der Thuer stehen, und schlich sich dann, als der Bursche den Platz nicht
+verlassen wollte, vorn zur Hausthuer hinaus auf die Strasse, den Weg nach
+seiner Wohnung einschlagend.
+
+
+
+
+
+ Capitel 2.
+
+
+ DER ROTHE DRACHEN.
+
+
+Der "rothe Drachen", ein Wirthshaus, das wegen seines vortrefflichen
+Bieres, wie sonst mancher schaetzenswerthen Eigenschaften einen sehr guten
+Namen hatte, lag etwa eine halbe Stunde von Heilingen, an der grossen
+Landstrasse, die gen Norden fuehrte. Ein freundlicher Thalgrund umschloss
+Haus und Garten und die dunklen, den Gipfel des naechsten Hanges kroenenden
+Nadelhoelzer hoben nur noch mehr das freundliche Gruen der jungen Birken und
+Weisseichen hervor, die sich ueber die niedere Abdachung erstreckten, und
+bis scharf hinan an den hocheingefriedigten und sorgfaeltig in Ordnung
+gehaltenen Frucht-, Gemuese- und Blumengarten des Hauses selber lehnten.
+
+Es war ein warmer, sonniger Fruehlingsnachmittag; der Bach, der am Hause
+dicht vorbeirieselte, plaetscherte und schaeumte in frischem jugendlichen
+Uebermuth, des Eises Huelle, die ihn so lange gefangen gehalten oder doch
+fest und aengstlich eingeklemmt, nun endlich einmal enthoben zu sein, und
+die Voegel zwitscherten so froh und munter in den Zweigen der alten
+knorrigen Linde, die unfern der Thuere stand, und flatterten und suchten
+herueber und hinueber, aus den bluehenden Obstbaeumen fort ueber den Hof und
+von dem Hof wieder fort in dicht versteckten Ast und Zweig hinein, mit
+einem gefundenen Strohhalm oder einer erbeuteten Feder im Schnabel, dass
+Einem das Herz ordentlich aufging ueber das rege glueckliche Leben. Und wie
+blau spannte sich der Himmel ueber die bluehende, knospende Welt, wie leicht
+und licht zogen weisse duftige Wolken, Schwaenen gleich, durch den Aether
+hin, farbige, fluechtige Schatten werfend ueber Wiesen und Feld und die
+weite Thalesflucht, die sich dem Auge in die Ferne oeffnete und dem
+leuchtenden Blick neue Schaetze bot, wohin er fiel.
+
+Ein Fruehling in Deutschland -- ein Fruehling im _Vaterland_; oh wie sich das
+Herz da mit der wirbelnden, schmetternden Lerche hebt und jubelnd,
+jauchzend gen Himmel steigt; zwinge die Thraene da nicht zurueck, die sich
+Dir, dem Gluecklichen, in's Auge draengt -- in ihrem Blitzen preisest Du den
+Vater droben, wie es die jubelnde Lerche dort thut, die mit zitterndem
+Fluegelschlag ueber den gruenen Matten schwebt; -- wie das raschelnde
+fluesternde Blatt im Wald, wie der schwankende, thaugeschmueckte Halm und
+die knospende, duftende Bluethe im Thal. Ein Fruehling im Vaterland -- oh wie
+schoen, wie jung und frisch die Welt da um uns liegt in ihrem braeutlichen
+Glanz, voll neuer Hoffnungen in jedem jungen Keim, und wie sich das Herz
+der schoenen Blume gleich zusammenzog, als der Herbststurm ueber die Haide
+fuhr, mit rauher Hand den Blattschmuck von den Baeumen riss und zu Boden
+warf und Schnee und Eis vor sich hin jagte ueber die erstarrende Flur, so
+oeffnet es sich jetzt mit vollem Athemzug wieder den balsamischen
+Fruehlingsgruss, und vorbei, vergessen liegt vergangenes Leid -- wie der
+verwehte Sturm selber keine Spur mehr hinterliess und die schoensten Blumen
+jetzt gerade an den Stellen bluehen, wo er am tollsten, rasendsten getobt.
+
+Ein warmer erquickender Regen war die letzten Tage gefallen, und so gut er
+dem Land gethan, hatte er doch die Bewohner des nahen Staedtchens in ihre
+Haeuser und Strassen gebannt gehalten, von wo aus sie sehnsuechtig die nahen
+gruenenden Berge theils, theils die dunklen Wolken betrachteten, die nicht
+nachlassen wollten Segen auf die Fluren niederzutraeufeln. Heute aber hatte
+sich das geaendert; voll und warm gluehte die Sonne am Himmelszelt und
+hinaus stroemten sie in jubelnden Schaaren, hinaus in's Freie. Der "rothe
+Drachen" vor allen anderen Plaetzen, der so reizend an der Oeffnung des
+Thales lag und die Aussicht bot in das darunter liegende freie Land, hatte
+dabei sein reichlich Theil erhalten der froehlichen Schaar, dass die Wirthin
+mit ihren Kellnern und Maegden nicht Haende genug hatte zu schaffen und
+herzurichten, und die Tische und Baenke im Garten draussen fast alle besetzt
+waren rund herum von Schmausenden.
+
+Der "rothe Drachen" sollte uebrigens, wie die Sage ging, seinen Namen von
+einem wirklichen Drachen bekommen haben, der einmal vor vielen hundert
+Jahren in der Schlucht weiter oben, die auch noch ebenfalls nach ihm die
+Drachenschlucht hiess, gehaust und viele Menschen und Rinder verschlungen
+hatte. Der Wirth des "rothen Drachen" nun, Thuegut Lobsich, dessen
+Voreltern schon diesen Platz gehalten, behauptete dabei, Einer seiner
+"Ahnen" habe den Drachen im Einzelkampf erlegt -- (die Gaeste meinten, mit
+schlechtem Bier vergiftet) und dafuer von dem damals regierenden Fuersten
+Platz und Wirtschaft als Gerechtsame, mit dem Schild als Wahrzeichen,
+erhalten.
+
+Wie dem auch sei, Thuegut Lobsich that wirklich gut auf dem Platz, der ihm
+vortreffliche Nahrung bot, und befand sich so wohl, wie sich nur ein Wirth
+in einer gut gelegenen Wirthschaft befinden kann. Seine Frau war aber
+dabei der Nerv des Ganzen, in Kueche und Stall, in Keller und Haus, und
+waehrend sich Vater Lobsich, wie er sich gern nennen liess, obgleich er noch
+jung und ruestig war, am Liebsten zu seinen Gaesten irgendwo an einen Tisch
+drueckte und "das Bier controllirte", wie er sagte, dass ihm die Burschen
+kein Saures brachten und die Gaeste verjagten, arbeitete die Frau im
+Schweisse ihres Angesichts vor dem Heerd, die bestellten Portionen
+herzurichten und zu gleicher Zeit auch den Verkauf von Kaffee, Thee, Milch
+und Kuchen zu ueberwachen. Dabei fuehrte sie die Kasse und rechnete mit
+Kellnern und Maedchen ab, und wehe denen, die eine halbe Portion Kaffee
+oder Kuchen vergessen, ein nichtbezahltes Glas nicht aufnotirt oder einem
+schlechten Kunden noch einmal gegen den direkt gegebenen Befehl geborgt
+hatten.
+
+Boese Zungen meinten dabei nicht selten, Frau Lobsich sei der "einzige Mann
+im Hause" und Thuegut duerfe nur tanzen, wenn sie nicht daheim waere; boese
+Zungen erwaehnten dann aber nicht dabei, dass sie wirklich allein das
+Hauswesen in Zucht und Ordnung hielt, und so scharf und heftig sie draussen
+in Kueche und Wirtschaft, wo sie fremde Leute doch auch eigentlich nur zu
+sehen bekamen, sein konnte, und so grosse Ursache sie dabei oft hatte
+aergerlich zu sein, und die Ursache dann auch fuer vollkommen genuegend
+hielt, es wirklich zu werden, so still und freundlich konnte sie sich
+betragen, wenn sie allein mit ihrem Manne war, und so gern gab sie ihm in
+Allem nach, was nicht eben zu Ruin und Schaden trieb. Salome Lobsich war
+das Muster einer Hausfrau, und was ebensoviel sagen will, eine gute Gattin
+dabei -- ob ihr Mann dasselbe auch von sich sagen konnte, stand auf einem
+anderen Blatt.
+
+Heute hatte sich uebrigens eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft in dem gar
+so freundlich gelegenen Garten des rothen Drachen eingefunden, und dicht
+vor der Thuer desselben, unter der alten breitschattigen Linde, die ihre
+Arme so weit nach rechts und links hinueberstreckte, dass man sie schon
+hatte stuetzen muessen, nur den Weg zu ihr und den Platz darunter frei zu
+behalten, sass Lobsich selber mit einem kleinen Kreis guter Bekannten,
+d. h. alter Kunden und quasi Stammgaeste von ihm, denn er selber kam selten
+irgend wo anders hin, und wer also sein Bekannter _bleiben_ wollte, musste
+ihn eben besuchen.
+
+Zu diesen gehoerte besonders Jacob Kellmann, ein Kuerschner und Pelzhaendler
+aus Heilingen, dann der Aktuar Ledermann von dort, eine lange hagere,
+etwas ungeschickte Gestalt, mit aber nicht unangenehmen, gutmuethigen
+Gesichtszuegen, und der Apotheker aus Heilingen, Schollfeld mit Namen, die
+es gewoehnlich so einzurichten wussten, dass sie an einen Tisch mit einander
+zu sitzen kamen. Lobsich nahm ebenfalls am Liebsten zwischen dieser
+kleinen Gesellschaft Platz, und nur dann und wann, besonders wenn er die
+Stimme seiner Frau irgendwo hoerte, stand er auf und ging einmal durch den
+Garten und die Reihen seiner Gaeste, zu sehn ob Alle ordentlich bedient
+wuerden, und keine Klagen einliefen gegen unaufmerksame Kellner, die er in
+dem Fall auch wohl gleich an Ort und Stelle mit einem Knuff oder einer
+Ohrfeige abstrafte, als warnendes Beispiel. Er musste an irgend Jemand
+seinen Aerger auslassen, dass er nicht bei seinem Biere konnte sitzen
+bleiben.
+
+"Ist doch ein prachtvolles Wetter heute," sagte Kellmann, der eben einen
+tuechtigen Zug aus seinem Glase gethan, und nun mit vollem zufriedenen
+Blick ueber das freundliche Bild hinaus schaute, das sich, von der warmen
+Nachmittagssonne beschienen, in all seinem blitzenden Glanz und
+Farbenschimmer vor ihnen aufrollte "und es waechst und gedeiht Alles
+draussen so schoen und steht so praechtig -- merkwuerdig dabei, dass Alles so
+theuer bleibt, und die Preise, statt herunter zu gehen, immer nur steigen
+und steigen."
+
+"Ja das weiss Gott," seufzte der Aktuar, dem der Gedanke selbst den
+Geschmack am Bier wieder zu verderben schien, denn er setzte das schon zum
+Mund gehobene Glas unberuehrt vor sich nieder -- "und wenn das noch eine
+Weile so fort geht, koennen wir alle mit einander verhungern oder
+davonlaufen."
+
+"Nun Ihr habt gut reden," sagte Kellmann, "Ihr bekommt vom Staat Euer
+Gewisses und koennt Euch genau danach einrichten -- Euer Geld muss Euch
+werden, wenn der erste jedes Monats kommt, unsereins haengt aber allein von
+den Zeiten ab, und wenn die Lebensmittel knapp werden, kauft Niemand einen
+Pelz. Holz will auch sein und daran kann sich nachher die ganze Familie
+waermen."
+
+"Ihr redet wie Ihr's versteht," brummte der Aktuar, -- "unser Gewisses
+bekommen wir, das ist wahr, aber nur deshalb, damit wir gewisses Elend vor
+den Augen haben. Ich habe fuenfhundert Thaler Gehalt, und Frau und Kind und
+Dienstmaedchen zu ernaehren, und soll anstaendig dabei gekleidet gehn, denn
+vor zehn und zwanzig Jahren hatte ein Aktuar in meiner Stellung auch nicht
+mehr, und machte das Alles moeglich, ja befand sich wohl dabei. Jetzt aber
+wird Brod, Butter, Fleisch, Holz, Wohnung, kurz Alles was wir nun einmal
+zum Leben brauchen, gesteigert von Tag zu Tag, aber meine fuenfhundert
+Thaler _bleiben_; vor zehn Jahren kaufte ich zwanzig Pfund Brod fuer
+dasselbe Geld, fuer das ich jetzt nicht zehn bekomme -- aber _meine_
+fuenfhundert Thaler _bleiben_. Auch mein Hausherr verlangt hoeheren Zins --
+schon voriges Jahr bin ich hoeher gegangen, um nicht gesteigert zu werden,
+d. h. fuer denselben Preis aus der zweiten in die dritte Etage gezogen,
+aber dies Jahr muss ich ganz hinaus, denn er will wieder zehn Thaler mehr
+haben und ich kann's ihm nicht geben. Ihr Leute habt Euch gut in die
+Zeiten schicken, denn wenn das Brod theuer wird, schlagt Ihr desto mehr
+auf Euere Waare, der kleine Beamte aber, der Staatsdiener um geringen
+Lohn, das ist das geplagte, gefaehrdete Geschoepf, und jede neue Taxe macht
+ihm keine neue Berechnung, sondern schnallt ihm nur den Leibriemen um ein
+Loch enger, dass er weniger isst, bis er in's _letzte_ Loch geworfen wird,
+zum ersten Mal von seinen irdischen Strapatzen, ohne Furcht vor rasch
+abgelaufenen Ferien, wirklich ungestoert auszuruhen."
+
+"Ach geht mit Eueren erbaermlichen Lamentationen an solch freundlichem
+Tag," fiel ihm der Wirth hier in die Rede, der sich erst vor ein paar
+Augenblicken wieder mit zum Tisch gesetzt und schon eine ganze Weile
+ungeduldig mit dem Kopf geschuettelt hatte. "Das Reden macht's nicht besser
+und Stoehnen und Seufzen hilft auch Nichts -- Kopf oben, das ist die
+Hauptsache; das andere macht sich von selber -- aber hallo" -- unterbrach er
+sich ploetzlich, von seinem Sitze aufstehend und die Strasse
+hinunterzeigend, die in das weite Thal fuehrte -- "was kommt dort fuer ein
+Trupp den Weg entlang?" -- und in der That wurde dort oben ein ganzer Zug
+Maenner, Frauen und Kinder mit kleinen Handkarren und ein paar einspaennigen
+Waegelchen sichtbar.
+
+"Das sind Auswanderer!" rief Jacob Kellmann, von seinem Stuhl aufspringend
+und dem Zug entgegenschauend -- "seht nur ein Mensch an, wieder ein ganzer
+Schwarm aus dem Hessischen; Heiland der Welt, da muss doch endlich einmal
+Platz werden."
+
+"Na nu ist wieder der Frieden beim Henker," rief aber der Apotheker
+muerrisch -- "hier Lobsich setzt Euch auf Eueren Stuhl und trinkt Euer Bier
+aus, und Ihr Kellmann, lasst das Volk da draussen laufen, wohin sie wollen --
+unzufriedene Bande, die es ist und die es nirgends gut genug kriegen kann,
+wo ihr nicht das Confekt auf goldenen Tellern praesentirt wird. Na kommt
+nur hinueber, wenn Euch hier der Hafer zu sehr sticht -- Euch werden sie
+schon noch das Fell ueber die Ohren ziehn, dass Ihr am hellen lichten Tag
+die Sterne zu sehn bekommt."
+
+"Nein was fuer ein Zug!" rief aber Kellmann, die langsam naeher kommende
+Schaar mit unverkennbarem Interesse betrachtend; "die armen Teufel."
+
+"Hoert Kellmann," rief aber Schollfeld aergerlich, "tretet mir da ein wenig
+aus dem Weg, dass ich auch was sehen kann, und setzt Euch wieder, ich
+daechte doch wahrhaftig, Auswanderer hier an der Strasse waeren nichts so
+besonders Neues, dass Ihr Maul und Nase aufsperrt und thut, als ob Euch so
+etwas noch nicht im ganzen Leben vorgekommen waere."
+
+Schollfeld war uebrigens nicht umsonst so muerrisch; er hatte einen Zorn auf
+Auswanderer, denn er betrachtete Auswanderung als eine indirekte
+Beleidigung gegen den Staat, gewissermassen als eine Grobheit, die man ihm
+geradezu unter die Nase sage -- : "ich mag nicht mehr in Dir leben und
+weiss einen Platz, wo's besser ist." Das _dachten_ sich naemlich die
+"Toelpel", wie er sie nannte, aber Sie _wussten_ es nicht -- gar Nichts
+wussten sie und liefen blind und toll in die Welt hinein. Der Staat haette
+auch eigentlich den Skandal gar nicht dulden sollen; hunderte von
+Menschen, reine Deserteure aus ihrem Vaterland, liefen da frank und frei
+vorbei, Anderen noch obendrein ein boeses Beispiel gebend, und er begriff
+die Regierung nicht, wie sie dem Volke nur noch einen Pass gestatten
+konnte.
+
+Der Zug war indessen naeher gekommen und Lobsich rasch in das Haus gegangen
+Bier herbeizuschaffen, da sich bei solchen Trupps gewoehnlich eine Menge
+junge Burschen befanden, die noch Geld im Beutel und immer frischen Durst
+hatten; um so mehr, da das Bergesteigen heute wirklich warm und den Hals
+trocken machte.
+
+ [Capitel 2]
+
+Die ersten Waegen passirten still vorbei; die Fuehrer warfen einen langen,
+vielleicht sehnsuechtigen Blick nach den behaglich hinter ihren Tischen
+sitzenden Gaesten und dem kuehlen funkelnden Bier hinueber, aber hielten
+nicht an, sich laengere Rast dafuer auf den Abend versprechend. Nur von den
+Fussgaengern blieben mehre Trupps unfern der Linde, unter der unsere kleine
+Gesellschaft sass, und nicht weit von der Gartenthuere stehn, und waehrend
+ein paar der Maenner dem Kellner winkten, ihnen Bier herauszubringen, als
+ob sie sich scheuten in ihrer bestaubten schmuzigen Kleidung, mit der
+schweissbedeckten Stirn, zwischen die geputzten und jetzt nach ihnen
+heruebersehenden Gruppen hineinzugehn, hielt ein Trupp Frauen ebenfalls
+dort. Angezogen von der ploetzlichen weiten und freien Aussicht, die ihnen
+hier nach unten zu das Thal oeffnete, durch das sie gekommen, blieben sie
+erfreut und ueberrascht stehn und schauten dabei auf das reizende Bild hin,
+das wie mit einem Schlage so vor ihnen in's Leben sprang.
+
+"Heiland der Welt, Lisbeth," rief ein junges, sechzehnjaehriges Maedchen
+der, vielleicht zwei Jahr aelteren Schwester zu -- "dort drueben liegt
+Holstetten, und von da ist's nur noch neun Stunden zu Haus -- dahinter kann
+ich den weissen Weg durch's schwarze Nadelholz sehn, der hinueberfuehrt nach
+Krisheim."
+
+"Ja Marie," antwortete das Maedchen, und waehrend sie sprach, liefen ihr die
+grossen hellen Zaehren an den bleichen Wangen nieder, "gleich hinter dem
+Berg dort muss die Windmuehle liegen, und dann kommt Bachstetten und
+nachher" -- sie konnte nicht mehr sprechen, das Herz war ihr zu voll und
+sie mochte doch nicht das der Schwester, wenn diese ihren Schmerz sah,
+noch schwerer machen. Aber zurueckdaemmen liess sich das auch nicht, die
+Wunde war noch zu frisch und blutete zu stark, und beide Maedchen standen
+wenige Minuten still und weinend da, die schoenen thraenenueberstroemten Zuege
+den ihr naechsten Menschen ab- und der verlassenen Heimath, die sie wohl
+nie im Leben wieder schauen sollten, zugekehrt.
+
+"Ob auch wohl Martha der Mutter Grab ordentlich haelt und pflegt, wie sie
+es versprochen," brach die Juengste endlich wieder mit leiser kaum hoerbarer
+Stimme das Schweigen.
+
+"Sie hat's ja versprochen," fluesterte fast eben so leise die Schwester
+zurueck, "aber -- -- -- -- so lieb wird sie's doch nicht haben wie wir."
+
+"Komm Lisbeth," sagte die Juengere wieder und ergriff, ohne sie aber dabei
+anzusehn, der Schwester Hand -- "wir wollen gehn -- die Wagen sind schon ein
+Stueck voraus."
+
+Beide Maedchen nickten leise und kaum bemerkbar der verlassenen Heimath zu
+und schritten dann schweigend Hand in Hand den Weg entlang, der nach und
+durch Heilingen fuehrte, ihre weite, unbekannte Bahn.
+
+"He Marie, Lisbeth!" rief sie der Vater an, der eben an der Thuer des
+Gartens ein Glas Bier von einem der Kellner erhalten hatte -- "wollt Ihr
+einmal trinken Kinder?"
+
+"Ich danke Vater," sagte Marie zurueck, ohne sich umzusehn oder stehn zu
+bleiben, "wir sind nicht durstig."
+
+"Woher des Wegs Ihr Leute?" wandte sich jetzt Kellmann, der trotz
+Schollfeld's aergerlichen Worten zu dem Alten getreten war, an diesen.
+
+"Aus Hessen," sagte der Mann ruhig und that einen langen durstigen Zug aus
+dem, mit dem trefflichen Bier gefuellten, schaeumenden Glas.
+
+"Und wohin?"
+
+"Nach Amerika."
+
+"Hm -- ist ein weiter Weg -- ist Euch wohl schlecht gegangen hier im Lande?"
+sagte Kellmann, die kraeftige und doch gramgebeugte Gestalt des alten
+Landmanns teilnehmend betrachtend.
+
+Der Bauer, dessen Blick auch an dem fernen Punkt indess gehangen, wo seine
+fruehere Heimath lag, liess das Auge einen Moment wie misstrauisch ueber den
+Frager gleiten und erwiederte dann leise und kopfschuettelnd:
+
+"Schlecht? -- lieber Gott wie man's nimmt; man soll g'rad nicht klagen; der
+liebe Gott hat geholfen und wird weiter helfen."
+
+"Ihr wollt Euch wohl ein paar von den gebratenen Tauben holen die in
+Amerika herumfliegen?" mischte sich hier der Apotheker in's Gespraech, der
+nicht umhin konnte dem "Auswanderer", wie er sich ausdrueckte, "einen Hieb
+zu versetzen" -- "habt Ihr auch Messer und Gabeln mit?"
+
+Der Bauer sah den kleinen, spoettisch laechelnden Mann einen Augenblick
+ruhig von der Seite an, zahlte dann dem neben ihm stehenden Kellner, dem
+er das Glas zurueckgab, sein Bier, und ohne irgend etwas auf die Frage zu
+erwiedern, oder aergerlich darueber zu scheinen, ja als ob er sie nicht
+gehoert haette, wandte er sich und folgte mit einem "gruess Euch Gott Ihr
+Herren", seinen vorangegangenen Toechtern.
+
+"Holzkopf," brummte der Apotheker, nur noch mehr gereizt ueber diese
+anscheinende Misachtung, hinter ihm drein -- "dem Volk ist zu wohl hier,"
+setzte er dann, mit einem kraeftigen Zug aus seinem Glase hinzu -- "der Art
+Leute fuehlen sich nicht behaglich, wenn sie nicht baumfest unter dem
+Daumen gehalten werden."
+
+"Guten Abend miteinander," sagte in diesem Augenblick ein Anderer der
+Auswanderer, der, mit einem kurzen Pfeifenstummel in der Hand zu dem Tisch
+trat, auf dem in einem schuetzenden Kelchglas ein Licht mit darum
+gesteckten Fidibus zum Anzuenden der Cigarren stand -- "wenn's erlaubt ist,
+moechte ich mir wohl einmal eine Pfeife bei Euch anbrennen."
+
+"Mit Vergnuegen," sagte Ledermann, ihm einen Fidibus anzuendend und
+hinreichend.
+
+"Danke schoen," nickte der Mann, das Feuer benutzend und den blauen Qualm
+in schnellen kurzen Zuegen ausblasend. --
+
+"Und wo geht die Reise hin?" frug Ledermann dem Rauchenden.
+
+"Da hinueber," sagte dieser; immer noch scharf ziehend, indess er mit dem
+linken, zurueckgebogenen Daumen ueber die linke Achsel wiess -- "uebers grosse
+Wasser." --
+
+"Habt Ihr dort schon einen Platz?" frug der Aktuar.
+
+"Ja," sagte der Mann freundlich -- "mein Bruder hat mir geschrieben aus dem
+Wiskonsin heraus; da soll's gut sein."
+
+"Und geht Ihr Alle dorthin?" frug ihn Kellmann.
+
+"Die meisten von uns, ja; eine Parthie will aber auch hinueber in's
+Missuri; da ist's waermer."
+
+"Es sind wohl lauter Landleute hier miteinander?"
+
+"Ja meistens -- ein Schneider ist dabei, und der Schmied aus dem Dorfe und
+der Herr Pastor ist schon voraus."
+
+"Der Pastor geht auch mit?" frug Kellmann schnell.
+
+"Ahem," nickte der Mann, "der ist aber mit der Post gefahren, aber er hat
+gesagt er wollte sehn dass wir Alle auf ein Schiff kaemen. Danke schoen Ihr
+Herren, adje."
+
+"Glueckliche Reise," rief ihm Kellmann nach.
+
+"Danke," nickte der Mann noch einmal zurueck, "koennens brauchen," und
+schloss sich den uebrigen wieder an, von denen die letzten gerade die Thuer
+des Wirthshauses passirten.
+
+Es waren aermliche, viele von ihnen kraenklich oder wenigstens bleich
+aussehende Gestalten, in die Bauerntracht ihrer Gegend gekleidet; die
+meisten Frauen mit Kindern auf dem Arm, Manche sogar deren an der Brust,
+und ein Buendel dazu auf dem Ruecken, die im Schweiss ihres Angesichts, wie
+sie bis jetzt gelebt, muehsam der fernen ersehnten Heimath
+entgegenstrebten. Hie und da waren auch ein paar kraeftige junge Burschen
+von zwoelf bis vierzehn Jahren vor ein kleines leichtes Handwaegelchen
+gespannt, darauf gepackte Betten, Kleidungsstuecke und Lebensmittel die
+weite Strasse entlang zu ziehen. -- Die Leute hatten kein Geld uebrig, denn
+das wenige, was sie zur Reise aufgespart, mussten sie fuer das Schiff
+aufheben, und ein paar Thaler sollten doch auch noch wenigstens, wenn das
+irgend anging, uebrig bleiben, damit sie nur die ersten Tage in Amerika,
+ehe sie Arbeit bekaemen, vor Sorge geschuetzt waeren. Den glaenzenden
+Schilderungen die ihnen von dem neuen Lande ihrer Hoffnungen gemacht
+waren, trauten die armen Frauen am wenigsten in ihrem vollen Umfange; von
+Jugend auf, wie ihnen nur eben die Kraefte wurden ihre juengeren Geschwister
+in der Welt herumzuschleppen, hatten sie arbeiten, hart arbeiten muessen,
+und viel anders wuerde es auch wohl nicht da drueben sein. Der Sorgen waren
+hier nur gar so viele angewachsen, mit jedem Jahre mehr, wie sie sich auch
+plagten und quaelten, und schlechter _konnte_ es dort drueben nicht sein.
+Das war fuer jetzt der einzige Trost den sie mit sich trugen die lange,
+heisse Strasse entlang mit einer kleinen Hoffnung moeglicher Besserung
+vielleicht, und sie drueckten dann die Kinder nur fester an ihr Herz und
+kuessten sie, und fluesterten ihnen leise und heimlich zu dass sie nicht mehr
+schreien sollten, denn sie gingen nach _Amerika_, und da wuerde schon Alles
+gut werden, wie ihnen der Vater gesagt.
+
+Die Maenner und Burschen zogen der fernen Welt aber schon mit mehr
+Vertrauen entgegen; das Bewusstsein der eigenen Faehigkeit und Kraft hob sie
+dabei auch ueber Manches hinweg das die abhaengigen Frauen schwerer zu Boden
+drueckte. Wer bei einer langen Wanderung voran geht, und fuer den Weg zu
+_denken_ hat, wird nie so muede als der, der ihm folgt, nur fuer sich denken
+laesst, und hinter drein zieht. Viele von den Maennern trugen auch
+Jagdtaschen und Gewehre auf dem Ruecken, Buechsen und Schrotflinten -- was
+sollte es "da drueben" nicht Alles zu schiessen geben; -- Manche auch
+nachgemachte bunte Blumenstraeusse auf dem Hut. Einzelne, aus Baiern und
+Thueringen, die sich ihnen angeschlossen, hatten sogar ein paar kleine
+gefaerbte Maraboutfedern mit ihren Landesfarben, blau und weiss, und gruen
+und weiss in ihrem Hutband stecken; die Meisten aber schienen keine solche
+Erinnerung an die Heimath mitnehmen zu wollen, in das neue Vaterland.
+
+Die Leute gingen vorueber, und die Gaeste hatten ihnen schweigend
+nachgeschaut, so lange fast, bis sie die naechste Biegung der Strasse ihren
+Blicken entzog. Auch Lobsich war wieder vor die Thuer seines Gartens
+getreten, und sich jetzt kopfschuettelnd zurueck zu seinem Tische wendend,
+brummte er vor sich hin.
+
+"S'ist mir doch was Unbedeutendes" -- es war dieses eine seiner stehenden
+Redensarten, die in der That unbegrenztes Erstaunen ausdruecken sollte --
+"was die Leute diess Fruehjahr wieder an zu ziehen fangen; Tag fuer Tag geht
+das so fort; Trupp nach Trupp kommt ueber die Berge herueber, mit Sack und
+Pack, mit Weib und Kind -- und Alles fort, Alles fort, und man merkt nicht
+einmal von _wo_ sie fort sind."
+
+"Doch, doch," sagte Kellmann, die Augenbrauen in die Hoehe ziehend und mit
+dem Kopf nickend, "doch, doch Lobsich; ob man's wohl merkt? -- geht einmal
+da ueber die Berge hinueber und seht Euch in den Doerfern um; da steht
+manches alte halbzerfallene _leere_ Haus, an das irgend eine Familie da
+drueben noch mit Schmerzen zurueckdenkt, und in das Niemand anderes mehr
+Lust hat einzuziehen, weil er noch eine Menge _bessere_, ebenfalls leer,
+in demselben Dorfe findet. Es ist immer ein trauriger Anblick solch ein
+leeres Haus, und ich seh's nicht gern."
+
+"Und was fuer _Geld_ tragen sie ausser Land," fiel der Apotheker hier ein,
+der indess, sich zu zerstreuen, im Heilinger Tageblatt gelesen hatte, jetzt
+aber nicht umhin konnte auch noch ein Wort mit drein zu werfen -- "was sie
+nicht mit hinuebernehmen koennen, lassen sie wenigstens in den Seestaedten,
+und zu uns kommt Nichts mehr davon zurueck. Wenn ich nur das erst einmal
+erlebe, dass die Leute zu ihrem Glueck foermlich _gezwungen_, und nicht mehr
+aus dem Land hinausgelassen werden; geht das aber so fort, so werden sie
+so lange auswandern, bis uns hier weiter gar Nichts uebrig bleibt als
+mitzugehen, wenn wir nicht eben allein sitzen wollen in dem veroedeten
+Land, unseren Acker selber zu bauen. Hol sie der Teufel, wofuer hat sie
+denn eigentlich der liebe Gott in die Welt gesetzt und ihnen den Holzkopf
+gegeben, der sie zu allem Anderen untauglich macht. Ackern und Duengen
+muessen sie drueben doch auch, und weshalb koennen sie das nicht eben so gut
+_hier_? -- Nein Gott bewahre, die paar Thaler die sie sich _hier_ erspart
+haben, muessen erst wieder verschleppt und hinausgeworfen werden an
+Experimente und reinen Uebermuth, und nachher sitzen sie erst recht da;
+dort drueben _koennen_ sie Nichts mehr sparen, und _muessen_ schon drueben
+bleiben, wenn sie auch wieder herueber moechten. Die Paar die sich doch noch
+ein paar Thaler zusammenscharren, die kommen nachher schnell genug wieder
+zurueck, aber es sind nur wenige, und die anderen armen Teufel haben die
+Bruecke muthwillig hinter sich abgebrochen, und sitzen nun auf der
+wohlriechenden Haide ohne Unterfutter. Jesus Maria und Joseph, es muss ein
+ordentlicher Jammer drueben sein."
+
+"Na, _so_ arg nun denn doch wohl noch nicht, Schollfeld," sagte Kellmann
+kopfschuettelnd, "man hoert doch nun auch so Manches von da drueben was nicht
+gar so schlecht klingt, und wo sich's schon aushalten liesse, wenn man --
+wenn man eben einmal einen solchen verzweifelten Schritt absolut thun
+muesste oder wollte."
+
+"Nicht so arg?" rief aber Schollfeld, der hier sein Steckenpferd ritt, und
+sich selten eine Gelegenheit entgehen liess auf Amerika zu schimpfen --
+"nicht so arg? da, hier lesen Sie einmal das Tageblatt, was der wackere
+Dr. Hayde darueber schreibt; das ist ein Mann, der hat Haare auf den Zaehnen
+und muss die Sache verstehn, denn er ist Einer von den Wenigen die drueben
+gewesen und gluecklich wiedergekommen sind. Er bringt kaum eine Nummer in
+der er nicht ein oder den anderen Hieb auf die Verhaeltnisse Ihres
+"gluecklichen Amerika" hat -- das muss ja ein wahres Raubnest sein, lesen Sie
+nur einmal."
+
+"Hoeren Sie lieber Schollfeld, ich will Ihnen einmal 'was sagen,"
+erwiederte ihm Kellmann ruhig, "dieser Dr. Hayde, der Ihnen die schoenen
+Artikel schreibt ist, der Meinung aller ordentlichen Kerle in Heilingen
+nach, das wenigste zu sagen eine kleine geschwollene Giftkroete, ein
+weggelaufener Advokat, den die Verhaeltnisse aus Deutschland vertrieben,
+und den in Amerika Niemand mit seinen Talenten haben mochte. Zu faul zum
+arbeiten, und nicht im Stande etwas Anderes zu thun, wurde er dort
+wahrscheinlich vom Schicksal hin- und hergestossen, und wie ein aus einer
+Thuer geworfener Mops, stellt er sich jetzt draussen hin, wo sich Niemand
+die Muehe giebt ihn zu stoeren, und schimpft und klefft. Ich will Amerika
+eben nicht in allem vertheidigen, aber was _der_ gerade darueber sagt wuerde
+mich auch nicht bestimmen. Wie ein Dreckkaefer schleppt er sich nur mit
+groesster Muehe kleine Stueckchen Koth herbei, und rollt sie zusammen eine
+Kugel zu machen in die er sein Ei legt -- pfui ueber den Burschen."
+
+"Na jetzt freut mich aber mein Leben," rief Herr Schollfeld erstaunt aus --
+"erst schimpfen Sie selber auf Amerika, und nun auf einmal soll der arme
+Doktor die ganze Schuld tragen."
+
+"Ich _schimpfe_ nicht auf Amerika," sagte Kellmann ruhig, "ich kann nur
+nicht leiden wenn man es auf Kosten unseres eigenen Vaterlandes
+herausstreicht, und gegen alle seine Nachtheile blind ist. Es waere
+allerdings noch viel gefaehrlicher sich die Lichtseiten alle zu bunt
+auszumalen; die armen Leute die nachher hinuebergehn und es anders finden,
+sind dann zu sehr enttaeuscht, und fallen gewoehnlich, wie mir gesagt ist,
+aus einem Extrem in's Andere -- aber so taugt's auch Nichts."
+
+"Guten Abend selbander," sagte in dem Augenblick eine andere Stimme dicht
+hinter ihnen, und als sie sich danach umschauten, stand ein alter
+Bekannter von ihnen, Mathes Vogel, ein reicher junger Bauer aus dem
+naechsten Dorf, an ihrem Tisch und streckte ihnen freundlich die Hand
+entgegen.
+
+"Hallo Mathes, wie geht's?" rief Kellmann die gebotene herzlich schuettelnd
+-- "Wetter noch einmal Mann, wo habt Ihr jetzt gerade in der Saatzeit
+gesteckt, dass Ihr in der Welt herumreist wie ein Baron, der seine Gueter
+verpachtet hat? Ihr seid verreist gewesen."
+
+"Ja Herr Kellmann, in Bremen."
+
+"Wo seid Ihr gewesen?" frug Schollfeld erstaunt.
+
+"In Bremen, Herr Schollfeld!" rief der junge Bauer, gegen diesen gewandt,
+"oben in der Hafenstadt."
+
+"Guten Abend Mathes," kam hier der Wirth dazwischen, der den alten Kunden
+ebenfalls begruesste -- "lange nicht gesehn, recht gross geworden mein Junge;
+hast Du Durst?"
+
+"Merkwuerdigen," sagte der Bauer laechelnd.
+
+"Na warte, den wollen wir begiessen," schmunzelte aber Lobsich, rasch in
+den Garten zurueckgehend, "der soll mir nicht umsonst in den rothen Drachen
+gefallen sein."
+
+"Aber was hat Euch nach Bremen gefuehrt?" wiederholte Kellmann, fast etwas
+misstrauisch gemacht durch das wunderliche halb verlegene Benehmen des
+jungen Burschen.
+
+"Ja Herr Kellmann," sagte der reiche Bauerssohn, wirklich jetzt verlegen
+seinen Hut um den Zeigefinger der linken Hand drehend -- "das hat -- das hat
+so seine eigene Bewandtniss -- Ich bin -- ich bin zu einem Entschluss
+gekommen -- ich will -- ich will auswandern."
+
+"Was will er?" schrie Schollfeld, der die Worte nicht ganz verstanden, den
+ungefaehren Sinn aber etwa errathen hatte. Jedenfalls schoepfte er Verdacht
+und ehe Kellmann nur im Stande war ein Wort darauf zu erwiedern rief er
+nochmals laut: "wo will er hin?"
+
+"Nach Amerika," sagte aber der junge Mann entschlossen und wollte noch
+etwas hinzusetzen, aber der Apotheker schlug dermassen auf den Tisch, und
+fing so an zu schimpfen und zu fluchen, Niemand wusste eigentlich auf was
+und gegen wen, dass Mathes gar nicht gleich wieder zu Worte kommen konnte,
+und vielleicht auch eben nicht boese darueber war.
+
+"Hallo, wer ist todt?" rief aber in dem Augenblick Lobsich, der mit dem
+bestellten Bier fuer einen seiner besten Kunden selber ankam -- "dass Dich
+die Milz sticht, was ist denn dem Apotheker eigentlich in die Krone
+gefahren?"
+
+"Dem Apotheker Nichts," nahm aber Kellmann kopfschuettelnd das Wort, "doch
+hier dem Dings da, dem Mathes -- was meint Ihr, Lobsich was er vor hat?"
+
+"_Heirathen_?" sagte dieser, und ein breites vergnuegtes Schmunzeln ueber
+den so richtig und schnell gerathenen Vorsatz zog sich ueber sein dickes
+gutmuethiges Gesicht.
+
+"Heirathen!" schrie aber der Apotheker dazwischen, indem er sich seinen
+Hut in die Stirn drueckte und seinen Rock anfing zuzuknoepfen -- "heirathen?
+-- ja prost die Mahlzeit; _auswandern_ will der Kerl, wie ein blindes Pferd
+das durch die Stallwand bricht, in einen Teich zu fallen."
+
+"_Auswandern_?" schrie aber auch jetzt Lobsich in unbegrenztestem
+Erstaunen -- "na das ist mir aber doch wahrhaftig was Unbedeutendes."
+
+"Oh hol Euch der Teufel mit Eurer albernen Redensart!" rief aber der nun
+einmal aergerliche Apotheker, und nahm seinen Stock unter den Arm -- sein
+stetes Zeichen dass er fertig zum Gehen sei -- "was Unbedeutendes; ja wohl,
+wenn der Raptus erst einmal in _solche_ Koepfe und Geldbeutel faehrt,
+nachher werden wir sehn was wir hier anrichten. Ich will mir aber mein
+Abendbrod nicht verderben -- gute Nacht Ihr Herren."
+
+"Halt Schollfeld!" rief aber Kellmann, ihn am Arm fassend und
+zurueckhaltend -- "brennt mir nicht durch, ich gehe auch gleich mit und
+wollte nur erst hoeren, was Mathes den Gedanken in den Kopf gesetzt hat.
+Hol's der Henker, er macht sich entweder einen Spass mit uns, oder es ist
+nur so eine Idee von ihm, die wir ihm wieder ausreden koennen."
+
+"Wenn ich das wuesste blieb ich die ganze Nacht hier," sagte Schollfeld,
+seinen Stock wieder auf den Tisch legend und zu dem verlassenen Stuhl
+zurueckgehend. "Mensch, Mathes, seid Ihr denn rein vom Teufel besessen,
+oder habt Ihr nur heute, in irgend einer Kneipe, ein wenig des Guten zu
+viel gethan, dass Ihr so tolles Zeug zusammenfaselt."
+
+Mathes blieb aber bei allen diesen Ausbruechen des Erstaunens, die erste
+Erklaerung nur einmal ueberstanden, vollkommen ruhig, und zog nur, statt
+jeder weiteren Antwort, einen Brief aus seiner Brusttasche, den er langsam
+auffaltete und vor sich legte, als ob er ihn vorlesen wollte.
+
+"Nun was soll's mit dem Wisch?" rief aber der Apotheker aergerlich, "Ihr
+habt Euere Seele doch noch nicht dem Gott sei bei uns verkauft?"
+
+"So schlimm noch nicht," lachte der junge Bursch, "das hier ist nur ein
+Brief von Caspar Lauber, den Sie ja Alle kennen und der vor etwa sieben
+Jahren nach Wisconsin auswanderte."
+
+"Der was that?" rief der Apotheker, die Augen zusammenkneifend und das
+linke Ohr zu ihm hindrehend -- "nuschelt nicht so in den Bart, dass Euch ein
+Christenmensch noch verstehen kann ehe Ihr unter die Heiden geht."
+
+"Der nach Wisconsin auswanderte," sagte der junge Bauer laechelnd -- "er
+hatte mir damals versprochen zu schreiben wie es ihm ginge, schlecht oder
+gut; -- wenn schlecht, wollte ich ihm helfen, wenn gut, vielleicht
+nachkommen. Aber er schrieb nicht Jahr nach Jahr, und da er ueberhaupt
+Nichts von sich hoeren liess, glaubte ich schon er sei da drueben gestorben
+oder untergegangen in dem weiten Reich, bis ich vor vier Wochen etwa einen
+Brief von ihm erhielt und seit der Zeit habe ich keine Ruhe gehabt bis zu
+dem heutigen Tag."
+
+"Nun ja natuerlich," brummte der Apotheker.
+
+"Aber so lasst ihn doch nur reden," rief jetzt auch aergerlich der Actuar
+dazwischen, "Ihr raisonnirt nur in einem fort und glaubt nachher, wenn Ihr
+recht geschrieen habt, Ihr haettet recht."
+
+"So lest den Brief einmal!" sagte Kellmann, die Arme auf den Tisch
+stuetzend, "nachher wissen wir ja gleich woran wir sind."
+
+"Aber erst muss ich noch Bier haben," rief Schollfeld dazwischen, "ich mag
+die Luegen wenigstens nicht trocken mit anhoeren."
+
+Lobsich winkte einem der naechsten Kellner, die indess leer gewordenen
+Glaeser wieder zu fuellen, denn der Brief interessirte ihn selber zu sehr,
+den Tisch jetzt zu verlassen, und Mathes sagte wie entschuldigend:
+
+"Der Brief ist sehr kurz, aber es steht Alles darin was ich zu wissen
+verlangte, und er lautet:
+
+"Lieber Mathes -- ich habe bis jetzt mein Versprechen nicht gehalten, Dir
+zu schreiben, weil es mir sehr schlecht gegangen ist."
+
+"Na ja," fiel ihm hier der Apotheker in das Wort -- "und nun muesst Ihr Hals
+ueber Kopf machen dass Ihr auch hinueber kommt."
+
+Kellmann wollte dem ewigen Einredner etwas erwiedern, aber Mathes fuhr,
+laechelnd die Hand gegen ihn aufhebend, wieder laut fort:
+
+"Ich wollte aber nicht gern, dass mich Jemand Anders unterstuetzen sollte,
+weil das hier im Lande eine Schande ist; ich wollte mir selber helfen, und
+habe mir kuemmerlich, aber ehrlich und fleissig durchgeholfen. Jetzt habe
+ich eine kleine Farm von achtzig Acker, und vier und zwanzig Stueck
+Rindvieh, und dreissig Schweine und zwei Pferde und es geht mir gut. Ich
+habe hart arbeiten muessen, aber ich komme durch. Wenn Du mit Geld hier
+herueber kommst und willst mich aufsuchen, dass ich Dir mit Rath und That an
+die Hand gehen kann, dann brauchst Du keine Angst zu haben, dass Du nicht
+durchkommst. Wenn Du eine Frau hast, bringe sie mit; Kinder sind ein Segen
+hier, kein Fluch wie fuer manchen armen Mann in Deutschland. Wer arbeiten
+will kommt fort, wer faul ist geht zu Grunde. Es gruesst Dich zehntausend
+Mal Dein Caspar Lauber -- Lauber's Farm bei Milwaukie, Wisconsin."
+
+"Und auf den Brief wollt Ihr auswandern?" rief aber auch Kellmann jetzt
+erstaunt -- "Mathes, ist Euch denn das Auswanderungsfieber so ploetzlich in
+die Glieder geschlagen, dass Ihr die Seekrankheit fuer das einzige Mittel
+haltet die es curiren koennte?"
+
+Mathes schuettelte aber gar ernsthaft mit dem Kopf, faltete den Brief
+zusammen, den er zurueck in seine Tasche schob, und sagte mit fester und
+entschlossener Stimme:
+
+"Lange im Sinn hab' ich's schon gehabt, aber der Brief hat es zuletzt zum
+Ausbruch gebracht."
+
+"Aber Mathes, Ihr vor allen Anderen habt doch Euer Auskommen hier im
+Land," rief jetzt auch Lobsich, waehrend der Apotheker das ihm eben
+gebrachte Glas auf einen Zug hinuntergoss, wie um seinen Ingrimm damit
+nieder zu spuelen -- "wenn Ihr nach Amerika auswandern wollt, wer soll denn
+noch da bleiben?"
+
+"Ich _bliebe_ auch," sagte Mathes rasch und mit vor innerer Bewegung fast
+erstickter Stimme, "ich bliebe auch, wenn mich mein Vater liesse, aber --
+der will nicht in die Heirath willigen mit Rossner's Kaethchen, des Haeuslers
+Tochter aus Rodnach; hier haelt er mich dabei unter dem Daumen mit seinem
+Gut und Geld, und das Maedchen stirbt mir indessen in Arbeit und Gram; dort
+drueben aber ist ein Platz, wo fleissige Menschen auch durchkommen koennen
+mit Gottes Huelfe _ohne_ Geld, _ohne_ Ansehn. Der Lauber hatte gar Nichts
+wie er hinueberging; nicht das Hemd auf seinem Ruecken war sein, und ich
+weiss dass er nicht einen rothen Pfennig mit in das fremde Land gebracht
+hat. Aus dem ist jetzt ein rechtschaffener Farmer geworden, mit eigenem
+Land, Haus und Vieh, und was der kann -- schwere Noth noch einmal -- das
+kann ich auch. Ich gehe hinueber, nehme das Kaethchen mit -- Geld zur
+Ueberfahrt krieg ich schon, und wenn ich meine beiden Schimmel um den
+halben Werth verkaufen sollte, und dort hilft der liebe Gott schon weiter.
+Verhungern werden wir nicht, und ich brauche mir hier nicht mehr unter die
+Nase reiben zu lassen, "das sollst Du thun und das nicht, und _die_ sollst
+Du heirathen, die Du nicht magst und willst, und die Dich lieb hat und
+Dich gluecklich machen kann, der sollst Du das Herz brechen -- weil ihr eben
+nur der volle Geldsack fehlt."
+
+"Unsinn!" sagte der Apotheker, jetzt wieder und zwar im Ernste aufstehend
+-- "wenn Jemand einmal rein verrueckt geworden ist, laesst sich auch nicht
+mehr mit ihm streiten. Gehn Sie mit Kellmann?"
+
+"Ja, gleich," erwiederte der Gefragte -- "weiss denn aber schon Euer Vater
+um den Plan, Mathes?"
+
+"Heute hab' ich's ihm gesagt," erwiederte der Gefragte leise -- "aber er
+glaubt es noch nicht."
+
+"Und ist es denn schon wirklich so fest bestimmt?" sagte Kellmann
+theilnehmend.
+
+"Meine Passage in Bremen fuer mich und -- meine _Frau_ ist schon bezahlt,"
+rief der junge Bursch da entschlossen -- "den funfzehnten geht das Schiff
+ab, und ich habe nur noch eben Zeit das Nothwendigste in Ordnung zu
+bringen."
+
+"Ja da koemmt freilich jeder gute Rath zu spaet," sagte Kellmann, jetzt
+ebenfalls aufstehend und seinen Hut ergreifend, "wenn der Sprung erst
+einmal geschehen ist, braucht man nicht mehr ueber das Springen zu streiten
+und ich wuensche Euch das Beste in Euerer neuen Heimath."
+
+"Ich weiss es, ich weiss es," sagte Mathes geruehrt -- "aber vielleicht seh
+ich Sie selber noch einmal auf freiem Boden drueben, mit Axt oder Pflug in
+der Hand, wie ein wackerer, richtiger Farmer."
+
+"Wen -- mich?" rief aber Kellmann ordentlich erschreckt aus -- "ich nach dem
+vermaledeiten Lande, dass alle unsere besten Buerger frisst? Nein Mathes, fuer
+dies Leben nicht -- aber wann geht Ihr fort? vielleicht laesst Euer Vater
+doch noch mit sich reden, und lenkt ein wenn er sieht dass es Euch wirklich
+Ernst ist."
+
+Mathes schuettelte mit dem Kopf und der Actuar rief:
+
+"Ein Bauer und einlenken, Kellmann? -- da kennt Ihr unseren deutschen Bauer
+nicht; worauf der einmal seinen Dickkopf gesetzt hat, da muss er durch, und
+wenn's nicht geht, so zerhaut er sich eben den Schaedel, aber er laesst nicht
+nach. Der alte Vogel und nachgeben; Du lieber Gott, wenn er den eigenen
+Sohn mit einem einzigen Wort vom Verderben retten koennte -- er spraech es
+nicht."
+
+"Na, da kann ich wohl auch meine Bude hier bald zuschliessen und mitgehn,"
+sagte Lobsich, sich den Kopf kratzend -- "Schwerebrett das ist mir -- hm --
+hm -- ist mir doch was Unbedeutendes, das -- das Amerika."
+
+"Und was sagt denn das Kaethchen dazu?" frug Kellmann jetzt den Mathes,
+waehrend die Uebrigen schon aufgestanden waren und sich zum fortgehn
+geruestet hatten.
+
+"Die weint und will nicht mit," sagte Mathes leise -- "aber sie wird schon
+gehen."
+
+"Sie will nicht mit?"
+
+"Sie meint, es braeche meinem Vater das Herz."
+
+"Das Herz brechen? -- dem alten Vogel?" lachte aber dieser veraechtlich --
+"na Gott sei Dank, die hat einen guten Begriff von ihm -- als ob dem etwas
+das Herz brechen koennte."
+
+"Nun, es fraegt sich nur jetzt wem sie es lieber bricht," meinte der
+Actuar, "dem Alten, wenn sie geht, oder dem Jungen, wenn sie bleibt -- die
+Wahl wird ihr nicht schwer werden. Aber Schollfeld, Ihr seid ja auf einmal
+so still geworden?"
+
+"Ach lasst mich zufrieden," brummte dieser aergerlich -- "weiss es Gott, man
+moechte am Ende selber mit hinueberlaufen, nur Nichts mehr von dem
+verwuenschten Auswandern reden zu hoeren."
+
+"Hahahaha!" rief da Kellmann, "Schollfeld bekoemmt auch ueberseeische
+Ideen."
+
+"Ueberseeische -- haette bald was gesagt," knurrte dieser aber, auf der
+Strasse hingehend, ohne weder Mathes noch Lobsich gute Nacht zu sagen.
+
+Die Uebrigen wechselten noch kurzen Gruss mit ihren Bekannten dort,
+zuendeten sich frische Cigarren an, und schlenderten langsam, den
+freundlichen Abend so viel als moeglich zu geniessen, die Strasse hinab, der
+eigenen Heimath zu.
+
+
+
+
+
+ Capitel 3.
+
+
+ DER DIEBSTAHL.
+
+
+Zehn Minuten mochten sie so etwa schweigend nebeneinander hergegangen
+sein, als hinter ihnen auf der Strasse eine Equipage und klappernde
+Hufschlaege gehoert wurden, die sie rasch einholten und an ihnen
+vorbeirauschten, eine dicke Staubwolke dabei ueber den Weg waelzend. Es war
+die Familie Dollinger mit dem, neben dem Wagen hin galoppirenden Fremden,
+dem Braeutigam der Tochter.
+
+"Die kommen schneller von der Stelle als die armen Auswanderer vorhin,"
+sagte Kellmann, als sie vorbei waren -- "Wetter noch einmal, es ist doch
+ein anderes Ding so ein paar fluechtige Rappen vor sich zu haben, und wie
+im Flug durch die Welt zu jagen, als mit einem schweren Packen auf dem
+Ruecken und wunden Fuessen vielleicht, muehselig die staubige Strasse entlang
+zu keuchen."
+
+"Ja, die Gaben sind ungleich vertheilt in der Welt," seufzte der Actuar,
+"was der Eine haben moechte, _hat_ der Andere schon, und das ist auch wohl
+das ganze Geheimniss der socialen Frage, laesst sich aber nun einmal nicht
+aendern, und wir duerfen vielleicht den Kopf darueber schuetteln, und wuenschen
+dass es anders waere, aber weiter eben Nichts."
+
+"Der auf dem Pferd, war der Dings da von Amerika," sagte der Apotheker
+jetzt, "der das schmaehlige Geld hat und des reichen Dollingers Tochter
+noch dazu heirathet. Soll mir noch einmal einer sagen dass Eisen der
+staerkste Magnet sei; Gold ist's, und wo das liegt zieht es anderes hin.
+
+"Und wie steht's mit Actien?" lachte Kellmann.
+
+"Bah -- bleibt immer dasselbe," brummte der Apotheker, "das Gold steckt
+darin, und kann durch einen sehr einfachen chemischen Process leicht
+herausgezogen werden -- wenn man sie hat."
+
+"Es wundert mich uebrigens dass der alte Dollinger sein Kind ueber das grosse
+Wasser hinueberziehen laesst," meinte der Actuar -- "dem haette es doch auch
+hier im Lande nicht an einer eben so guten Parthie gefehlt."
+
+"Liebe," meinte Kellmann achselzuckend -- "Liebe ist blind sagt ein altes
+Sprichwort; dagegen lassen sich eben keine Gruende anbringen. Waer's
+uebrigens auch nicht wegen dem grossen Wasser, der Bursche gefaellt mir
+ausserdem nicht, und ich moechte ihm meine Tochter nicht geben und wenn er
+bis ueber die Ohren in Golde staecke. Er hat ein verschlossenes,
+hochfaehrtiges Wesen, behandelt den gemeinen Mann wie einen Hund, und
+spricht von Allem was wir hier haben, unseren Einrichtungen, unseren
+Gesetzen, unseren Vergnuegungen selber, ja unserem Klima und Land, das doch
+zum Henker auch _sein_ Vaterland ist, mit der groessten Verachtung. Amerika,
+und immer wieder Amerika, hinten und vorn; ei Blitz und Hagel, ich will
+gar nicht leugnen dass es manche gute Seiten haben mag, das Amerika, wenn
+ich sie auch gerade nicht einsehen kann, aber so viel besser wie unser
+Deutschland ist es doch auch nicht drueben, und wenn's so einem Burschen da
+einmal zufaellig geglueckt ist, sollt' er nicht als Lockvogel sich hier
+mitten zwischen uns hineinsetzen, anderen vernuenftigen Leuten
+unglueckselige Ideeen in den Kopf zu pflanzen.
+
+"Wenn sich andere vernuenftige Leute solche Ideeen einpflanzen _lassen_,
+geschieht's ihnen ganz recht," sagte der Apotheker -- "man braucht nicht zu
+glauben was jeder dahergelaufene Lump eben sagt."
+
+"Nun _ganz_ ohne kann's aber auch nicht sein," meinte Kellmann
+kopfschuettelnd, "und ich -- ich halt' es immer fuer gefaehrlich. S'ist
+merkwuerdig, wie rasch sich das mit der Hochzeit gemacht hat."
+
+"Nun, wer sich die Braut gleich fix und fertig aus dem Wasser zieht hat
+leicht freien," sagte der Actuar -- "Glueck muss der Mensch haben, dann geht
+Alles wie am Schnuerchen; wer aber _das_ nicht hat, der mag sein Lebtag
+fischen und faengt doch Nichts -- am wenigsten aber solch einen Goldfisch.
+
+"Wo stammt er denn eigentlich her?" frug der Apotheker jetzt, wie sie
+wieder eine Weile schweigend neben einander hingegangen waren, "man hoert
+doch sonst eigentlich gar Nichts von ihm, und er kommt auch mit keinem
+Menschen weiter zusammen -- stolzer aufgeblasener Bursche der."
+
+"Gott weiss es," sagte der Actuar; "er ist, glaub' ich, mit einem
+hollaendischen Schiff heruebergekommen, und hatte einen Pass von Amsterdam."
+
+"Und der Pass lautete nach Heilingen?"
+
+"Nun nicht gerade nach Heilingen, aber doch nach der Residenz, und wie
+sich die Sache dann hier mit der Dollingerschen Familie gestaltete, nun
+lieber Gott, da drueckte der Stadtrath das eine, und die Stadtverordneten
+drueckten das andere Auge zu, und man sah nicht so genau nach den Papieren.
+Ueberdiess verzehrte er ja hier viel Geld; waer' es ein armer Teufel
+gewesen, haetten wir ihn wahrscheinlich schon bald wieder ueber die Grenze
+gehabt.
+
+"Hm, ja, glaub's," sagte Kellmann mit dem Kopfe nickend, "s'ist in
+Heilingen eben nicht anders wie -- wie anderswo -- warum auch?"
+
+Das Gespraech drehte sich von da ab, auf die staedtischen Einrichtungen,
+deren waermster Vertheidiger der Apotheker war, und ueber die sich der
+Actuar natuerlich nur sehr vorsichtig ausliess, waehrend sie Kellmann um so
+unnachsichtiger angriff; kam dann auf die Saat und die Preise, und wieder
+mit einem Seitensprung auf die jetzige Politik unseres lieben deutschen
+Reiches, bis sie das Thor und zwar gerade mit Sonnenuntergang erreichten,
+wo Jeder seinen Weg ging, die eigene Heimath aufzusuchen.
+
+Der Actuar Ledermann besonders, der an dem entgegengesetzten Ende der
+Stadt wohnte, beeilte seine Schritte, noch vor einbrechender Dunkelheit
+seine Wohnung zu erreichen; das Geruecht ging naemlich in der Stadt, dass ihn
+seine Ehehaelfte bei solchen Gelegenheiten oft allerdings sehr unfreundlich
+empfange, und ihm einmal sogar schon einige sonst sehr nuetzliche, bei
+_der_ Gelegenheit aber nichts weniger als passende haeusliche Geraethe
+entgegen und vor die Fuesse geworfen habe. Thatsache war, dass "Madame" oder
+Frau Actuar Ledermann, was auch ihres Gemahls Thaetigkeit und Ansehn
+ausserhalb seiner eigenen vier Pfaehlen sein mochte, _innerhalb_ derselben
+jedenfalls das Commando, und nicht immer mit Maessigung fuehrte, und der
+Actuar suchte den Hausfrieden wenigstens soviel als moeglich zu erhalten
+und jeden Anlass, zu irgend einer Stoerung desselben, zu vermeiden.
+
+Mit solchen Gedanken vielleicht im Kopf, wollte Ledermann eben vom
+Marktplatz aus in die Strasse einbiegen, an deren aeussersten Ende seine
+eigene, sehr bescheidene Wohnung stand, als er seinen Titel genannt und
+sich selber gerufen hoerte.
+
+"Herr Actuar -- Herr Actuar Ledermann."
+
+Er drehte sich rasch um und sah einen Gerichtsdiener eilig auf sich
+zukommen, der, die Muetze abnehmend, vor ihm stehen blieb und ihm meldete,
+dass er eben abgeschickt worden ihn zu holen oder aufzusuchen, da ein
+Einbruch geschehen sei, ueber den an Ort und Stelle Protokoll aufgenommen
+werden solle.
+
+"Protokoll aufnehmen?" sagte Actuar Ledermann, keineswegs angenehm
+ueberrascht; "ja was hab ich denn heute damit zu thun, wo ist mein
+_College_?"
+
+"Herr Actuar Beller sind unwohl geworden, heute Nachmittag," berichtete
+der Polizeidiener, "und mussten zu Hause gehn; ich bin eben abgeschickt zu
+sehn, welchen von den andern Herren ich zuerst treffen koennte."
+
+"Hm -- ist sehr amuesant," brummte Ledermann vor sich hin -- "kommt mir
+gerade apropos. Bei wem ist es denn?"
+
+"Bei Herrn Dollinger."
+
+"Was? -- bei Kaufmann Dollinger?" rief der Actuar rasch und erstaunt -- "am
+hellen Tag, waehrend er ausgefahren war?"
+
+"Er ist, wenn ich nicht irre, eben zu Hause gekommen," berichtete der
+Mann, und hat glaub' ich sein Pult geoeffnet, und eine bedeutende Summe
+Geldes entwendet gefunden."
+
+"Hm, hm, hm," sagte der Actuar kopfschuettelnd und seinen Rock dabei, den
+er der Bequemlichkeit wegen aufgelassen hatte, zuknoepfend, "es wird immer
+besser hier bei uns. Am hellen lichten Tage. Aber die ganze Stadt steckt
+auch voll fremden Volkes, das sich natuerlich keine Gelegenheit
+entschluepfen laesst Reisegeld zu bekommen."
+
+"Es muss doch wohl Jemand gewesen sein der mit dem Hause genau bekannt
+war," sagte der Polizeidiener -- "nach dem wenigstens, was ich bis jetzt
+von den Dienstleuten darueber gehoert habe, kann's nicht gut anders sein."
+
+"Nun wir werden ja sehn; da muss ich aber erst -- "
+
+"Wenn sich der Herr Actuar nur eben an Ort und Stelle bemuehen wollen,"
+sagte jedoch der Diener des Gerichts, "alles Noethige ist schon dorthin
+geschafft und ich war eben nur fortgelaufen, einen der Herren zu suchen."
+
+Der Actuar, dem Dienste natuerlich Folge leistend, seufzte tief auf und
+schritt, im Geist wahrscheinlich des Empfangs gedenkend, der seiner
+harrte, wenn seine Frau auf ihn mit dem Abendessen warten musste, rasch die
+"Poststrasse" hinaufbiegend, dem gar nicht weit entfernten Dollinger'schen
+Hause zu, dort den Thatbestand in Augenschein und zu Protokoll zu nehmen,
+etwaige Spuren des Uebelthaeters zu entdecken und zu verfolgen, und die
+Leute im Hause nach moeglichem Verdachte zu inquiriren.
+
+ * * * * *
+
+Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger, in dem Alles sonst so still und
+ruhig und wie am Schnuerchen zuging, wo Jeder seine angemessene und fest
+bestimmte Beschaeftigung hatte, genau wusste was ihm oblag, und das that,
+ohne eben viel Laerm darum zu machen, lief und rannte und sprach heute
+alles durcheinander, und saemmtliche Bande der Ordnung schienen geloest.
+
+Frau Dollinger vor allen Dingen lag in Kraempfen in ihrem Boudoir, und
+beanspruchte die Huelfe ihrer beiden Toechter und der weiblichen Dienstboten
+im Haus, ihren Zustand zu bewachen; Herr Dollinger selber war in seinem
+Zimmer des obern Stocks, und ging dort mit raschen Schritten und auf den
+Ruecken gekreuzten Armen auf und ab, waehrend dem jungen Henkel indessen die
+Bewachung des Platzes selber uebertragen war, und die andern Dienstboten,
+mit einem nicht unbedeutenden Theil der Nachbarschaft und deren
+Verwandten, in den verschiedenen Winkeln und Ecken des Hauses herumstanden
+und kopfschuettelnd, die Haende ein ueber das andere Mal in Verwunderung
+zusammenschlugen. Die verschiedenartigsten Vermuthungen und Beweise wurden
+da laut, und die Orte und Stellungen oder Beschaeftigungen jedes Einzelnen
+auf das Genaueste und Peinlichste angegeben, wo und wie sich Jeder gerade
+in der Zeit etwa befunden haben mochte, als die entsetzliche, verruchte
+That geschehen und vollbracht sein musste.
+
+Dem Actuar, mit dem ihm folgenden Gerichtsdiener wurde uebrigens willig und
+dienstfertig Platz gemacht; Alle wollten aber hinter drein, und die Frauen
+besonders gaben dabei durch die entschiedensten Ausrufe -- "Ne Du meine
+Guete" und "Ne so was" ihre vollkommenste Misbilligung des Geschehenen zu
+erkennen. Nichts desto weniger wurde auch selbst ihnen die Thuere vor der
+Nase zugemacht, und Einer der Bedienten bekam strenge Ordre die Hausflur
+zu raeumen, und Niemand mehr, so lange die Untersuchung dauere, die Treppe
+hinaufzulassen, ausgenommen, es wisse Jemand noch um den Diebstahl, und
+koenne irgend einen Fingerzeig geben den Dieben auf die Spur zu kommen;
+solche Zeugen sollten nachher vernommen werden.
+
+Oben an der Treppe empfing sie Herr Henkel, um sie gleich zu dem Ort, wo
+der Diebstahl veruebt worden, hinzufuehren; einer der Leute war indessen
+abgeschickt Hrn. Dollinger selber zu rufen, und dieser erschien jetzt, den
+Actuar freundlich gruessend.
+
+Es war indessen schon ziemlich dunkel, und im Zimmer Licht angezuendet
+worden.
+
+"Ich bedaure sehr, Herr Dollinger," sagte der Actuar, "dass, wie ich gehoert
+habe, eine so fatale Sache mich hier in Ihr Haus gefuehrt haben muss."
+
+"Ja allerdings," erwiederte der alte Herr, "ist es sehr unangenehm;
+weniger des Verlustes wegen, der sich allenfalls ertragen liess, als wegen
+dem Bewusstsein getaeuschten Vertrauens, mit selbst keinem gewissen
+Anhaltspunkt auf Verdacht. Ich wollte gern das Doppelte verloren haben,
+wenn es haette koennen auf andere Weise geschehn."
+
+"Das Ganze ist uebrigens mit einer raffinirten Geschicklichkeit
+ausgefuehrt," fiel Henkel hier ein, "und der Thaeter, wer auch immer,
+jedenfalls ein hoechst gefaehrliches Subject, von dem ich nur hoffen will
+dass wir ihm auf die Spur kommen."
+
+"Duerfte ich Sie bitten mir den Platz zu zeigen?"
+
+"Treten Sie hier in das Zimmer meiner Toechter; dort der Secretair ist
+erbrochen."
+
+"Hm -- mit einem breiten meisselartigen Instrument," sagte der Actuar nach
+kurzer Besichtigung der offenen, arg beschaedigten Mahagoniplatte -- "und
+die Thuer ebenfalls eingebrochen?"
+
+"Nein -- die Thuer ist unbeschaedigt und muss jedenfalls mit einem
+Nachschluessel geoeffnet sein."
+
+"Und was vermissen Sie in dem Secretair?"
+
+"Eine Summe Geldes, die ich erst vor wenigen Stunden, und im Beisein
+meiner Familie und eines zuverlaessigen Comptoirdieners, im Paket wie ich
+sie von der Post erhalten, hier eingeschlossen hatte, und von der der Dieb
+auf eine mir unbegreifliche Weise muss Kenntniss bekommen haben."
+
+"Wer ist dieser Comptoirdiener?"
+
+"Oh, Lossenwerder; Sie kennen ihn ja wohl?"
+
+"Lossenwerder," sagte der Actuar nachdenkend -- "ist wohl schon eine ganze
+Weile in Ihrem Geschaeft?"
+
+"Schon zwoelf Jahr; mit keinem Schatten irgend eines Verdachts; ich nahm
+ihn als einen ganz jungen Burschen in mein Haus; er muss aber gegen irgend
+Jemand davon gesprochen haben."
+
+"Hm, hm, wollen ihn uns doch einmal nachher besehn; also hier hinein
+hatten Sie das Geld gelegt?"
+
+"Es ist ein Secretair, den meine Toechter gemeinschaftlich benutzen, und zu
+dem jede von ihnen ihren Schluessel hat. Bitte lieber Henkel, lassen Sie
+doch einmal Sophie oder Clara einen Augenblick zu uns herueber rufen."
+
+"Ich habe schon das Maedchen geschickt, eine der jungen Damen ersuchen zu
+lassen," entgegnete der junge Henkel, der indessen im Zimmer umhergegangen
+war, und sich ueberall umgesehen hatte, ob nicht vielleicht doch der Dieb
+irgend eine Spur, irgend ein Zeichen hinterlassen habe, an das man sich
+spaeter einmal halten koenne. --
+
+"Und vermissen Sie weiter Nichts als das Geld?" frug der Actuar.
+
+"Auch ein Schmuck meiner aeltesten Tochter scheint mit geraubt zu sein,"
+sagte Herr Dollinger -- "aber da kommt Clara, die Ihnen das Naehere davon
+selber angeben wird."
+
+Clara betrat in diesem Augenblick das Gemach; sie sah todtenbleich und
+angegriffen aus, und Henkel eilte ihr entgegen sie zu unterstuetzen.
+
+"Clara, mein liebes armes Kind," sagte Herr Dollinger, auf sie zugehend
+und die Hand nach ihr ausstreckend, "fehlt Dir etwas? -- Der Schreck hat
+Dich wohl so angegriffen. Mach Dir doch nur keine Sorge, mein Herz;
+vielleicht bekommen wir Alles wieder und wenn nicht -- nun ein _Unglueck_
+ist es dann auch nicht; wenn Ihr mir nur Alle gesund bleibt, koennen wir
+die paar tausend Thaler schon verschmerzen."
+
+"Es ist nicht der Verlust, lieber Vater," sagte aber das junge Maedchen,
+sich gewaltsam zusammennehmend, und des Vaters Hand ergreifend -- "nur die
+Ueberraschung, der Schreck wahrscheinlich, und das -- das Unheimliche
+dabei, als ich mein Zimmer vorhin betrat, und die Spuren des veruebten
+Verbrechens entdeckte. Ich fuerchtete die entsetzlichen Menschen noch
+irgend wo zu sehn, die vielleicht hinter einer Gardine stehen, unter einem
+der Divans liegen, hinter einem Ofen lauern konnten und, wenn entdeckt, zu
+verzweifelter Gegenwehr getrieben mich anfallen wuerden, und all solch
+kindische Gedanken mehr. Dort der auf den Tisch geworfene Regenschirm
+dabei, die hinuntergeworfene Stickerei von dem Secretair selber, am
+meisten aber der Tabaksgeruch im Zimmer und die verloeschte, angerauchte
+Cigarre dort auf dem Fensterbret, erfuellten mir das Herz mit einem
+unbeschreiblichen Grausen."
+
+"Eine Cigarre?" sagte Ledermann, sich vergebens nach dem bezeichneten
+Gegenstand umschauend -- "wo lag sie?"
+
+"Dort im Fenster, als ich zurueckkam."
+
+"Die alte angerauchte Cigarre?" sagte Henkel rasch -- "die hab' ich zum
+Fenster hinausgeworfen; ich glaubte Einer der Dienerschaft haette sie in
+der Aufregung mit hereingebracht und dort abgelegt -- sie muss unten auf der
+Strasse liegen."
+
+"Bitte schicken Sie doch einmal einen Burschen danach, dass er sie
+heraufholt," sagte der Actuar; "man darf auch das Unbedeutendste nicht
+unbeachtet lassen, und wir wollen indessen die vermissten Gegenstaende
+aufnehmen. Das Geld? -- "
+
+"Davon giebt Ihnen dieser Brief das genaue Verzeichniss," sagte Herr
+Dollinger, "aber ich fuerchte fast dass wir durch das Geld selber nicht auf
+die Spur kommen werden, indem das Paket fast nur Gold und kleinere
+Banknoten enthielt, die leicht umzusetzen und schwer zu controliren sind.
+Eher hoffe ich durch den Schmuck den Dieb verrathen zu sehn, da einige
+sehr auffaellige Stuecke, wie ich hoere, dabei gewesen sind."
+
+"Duerfte ich Sie um eine genaue Angabe derselben, heute Abend noch, wenn
+irgend moeglich _schriftlich_ bitten?" erwiderte, nach einigem Besinnen,
+der Actuar, "diese Einzelheiten wuerden mich jetzt zu lange aufhalten."
+
+"Kannst Du das geben, Clara?
+
+"Bis auf die kleinste Nadel hinunter," sagte das junge Maedchen rasch,
+"besonders auffaellig war eine kleine, rundum mit Brillanten besetzte
+Broche, ein Erbstueck unserer Grossmutter, und ausgezeichnet vor jedem
+andern Schmuck, den ich noch in meinem ganzen Leben gesehen, durch einen,
+in der Mitte gefassten, genau dreieckigen, hellblauen und wundervollen
+Turquis. Mein Schmuck lag gleich dicht dahinter, den aber muss der Dieb in
+der Eile uebersehen haben; er ist unangeruehrt geblieben."
+
+"Das ist allerdings gluecklich," sagte der Actuar, "waere wohl auch des
+Mitnehmens werth gewesen. Lag gleich dabei?"
+
+"Hier in dem rothen Kaestchen."
+
+"Aber das ist auch geoeffnet worden."
+
+"Das? -- nein, das hab ich wohl selbst geoeffnet, nachzusehen, ob auch Alles
+darin sei, und nicht wieder ordentlich geschlossen. Die Haken waren
+allerdings auf, wenn ich mich nicht ganz irre, aber der Dieb hat
+keinenfalls eine Ahnung gehabt, welchen Werth das kleine unscheinbare
+Kaestchen enthalte, oder es staende jetzt nicht mehr da."
+
+"Sehr wahrscheinlich, hm -- aber Sie vergeben wohl nicht, mein Fraeulein,
+alle diese Einzelheiten besonders zu notiren; wer weiss ob sie nicht noch
+einmal wichtig werden. Ah, da kommt auch Herr Henkel wieder; haben Sie die
+Cigarre gefunden?"
+
+"Gott weiss wo sie ist;" lachte dieser, "irgend Jemand muss es doch noch der
+Muehe werth gehalten haben sie aufzuheben, und in einer Pfeife vielleicht
+zu verrauchen -- ich bin selber hinunter gegangen, kann sie aber nirgends
+mehr entdecken. Uebrigens ist es auch fast dunkel geworden, und ich werde
+morgen ganz frueh nachsuchen lassen. Der Stummel wird Ihnen freilich nicht
+viel helfen."
+
+"Man weiss nicht," sagte der Actuar kopfschuettelnd, "je nach der Guete des
+Tabaks liess sich vielleicht auf die Schicht der menschlichen Gesellschaft
+schliessen, in der sich unser heimlicher Besuch herumtriebe. Aber das ist
+allerdings Nebensache; wo also ist der Dieb hereingekommen? -- hier durch
+diese Thuer?"
+
+"Doch wohl vom Garten her durch das Fenster Euers Schlafzimmers," sagte
+Herr Dollinger, "denn durch das Haus wuerde er es sich am hellen Tage im
+Leben nicht getraut haben."
+
+"Aber ich moechte meine Seligkeit zum Pfande setzen dass ich den Schluessel,
+der nach unserer Schlafkammer fuehrt, ehe wir fortgingen, herumgedreht und
+stecken gelassen haette, so dass von innen ein Oeffnen unmoeglich war."
+
+"Und war die Thuer noch verschlossen wie wir zurueckkamen?"
+
+"Nein, nur in's Schloss gedrueckt, aber der Schluessel stak darin."
+
+"Hm, hm, hm -- dann ist der Bursche dort wahrscheinlich hinaus" -- sagte der
+Actuar -- "zur Thuer hier hereingekommen und dort zur Nothroehre hinaus -- hm,
+muss aber genau mit der Gelegenheit bekannt sein. Mein lieber Herr
+Dollinger, wir werden Ihre Leute doch ein wenig scharf in's Gebet nehmen
+muessen, denn ein ganz Fremder, kann sich die Zeit nicht so abgepasst
+haben."
+
+"Wo kommt der Blumenstock her?" sagte da ploetzlich Clara rasch und
+erstaunt, auf einen sehr schoenen Rosenstock deutend, der in ihrem Fenster,
+zunaechst der Thuere stand -- "wer hat den jetzt hier heraufgestellt?"
+
+"So lange wir hier sind Niemand" -- rief Henkel -- "war er vorher nicht da?"
+
+"Nicht heute Mittag, das weiss ich gewiss; aber vielleicht hat ihn eins der
+Dienstleute mir heimlich hier hereingesetzt."
+
+"Heimlich? -- so?" sagte der Actuar, "den freundlichen Geber wollen wir
+also vor allen Dingen einmal herauszubekommen suchen."
+
+"Es ist heute mein Geburtstag," sagte Clara leise und erroethend."
+
+"Oh?" meinte Herr Ledermann mit einem freundlichen Laecheln, "da thut es
+mir freilich leid, meine ganz ergebensten Gratulationen zu keiner
+angenehmeren Zeit vorbringen zu koennen -- will eben nicht passen bei einer
+solchen Untersuchung, kann es aber doch auch nicht geradezu
+hinunterschlucken -- ich gratulire eben nicht zur Untersuchung."
+
+"Es muss gewiss ein gesegnetes Land sein," sagte Henkel mit einem leisen,
+halb boshaften Laecheln, "wo die Polizei sogar witzig sein kann."
+
+"Hm," meinte der lange Aktuar, sich nach dem Sprecher umdrehend, "die
+Polizei macht eben keinen Anspruch darauf, und ist das meistens
+Privateigenthum. Aber wir wollen die Zeit nicht mit Allotrien vergeuden;
+ist nicht herauszubekommen wer den Blumenstock hier, waehrend Ihrer
+Abwesenheit in das Zimmer gesetzt hat?"
+
+"Jedenfalls muessen die Dienstboten darum wissen," sagte der junge Henkel,
+"und es wird das Beste sein sie einzeln darum zu befragen."
+
+"Allerdings; -- Einzelverhoer hat ueberhaupt viele Vortheile, bitte schicken
+Sie einmal die Leute herauf, dass man vor allen Dingen ihre Gesichter zu
+sehen bekommt."
+
+"Aber nicht hier, Vaeterchen, nicht wahr nicht hier in meiner Stube?" bat
+Clara -- "ich wuerde den fatalen Gedanken im Leben nicht wieder los."
+
+"Wir wollen hinuntergehn in das untere Zimmer," sagte Herr Dollinger,
+freundlich dem Wunsch der Tochter nachgebend, "es laesst sich das dort eben
+so gut abmachen als hier."
+
+"Manchmal ist der Platz des Verbrechens selber der geeignetste," warf der
+Actuar ein, "aber wie Sie wuenschen -- nur um eines moechte ich Sie noch
+vorher bitten, dass ich mir einmal die Stelle oder das Fenster ansehn darf,
+durch das sich Ihrer Vermuthung nach, der oder die Diebe entfernt haben
+koennten."
+
+"In unserem Schlafzimmer?"
+
+"Doch durch diese Thuer?"
+
+"Lieber Henkel, Sie sind wohl indessen so freundlich, meine Leute unten
+zusammenzurufen; wir kommen gleich hinunter. Sie werden heut viel
+belaestigt."
+
+"Aber ich bitte Sie, bester Herr Dollinger," sagte der junge Mann, rasch
+seinen Hut aufgreifend, "wenn ich Ihnen nur darin von irgend einem
+wirklichen Nutzen sein koennte. Lieber erlauben Sie mir vielleicht mit
+Ihnen einer moeglichen Spur zu folgen, denn meine Augen sind darin
+vielleicht schaerfer als manche andere."
+
+"Es wird in der Dunkelheit nicht eben mehr viel zu spueren geben," meinte
+indess der Actuar; "das werden wir uns muessen auf morgen frueh aufsparen --
+also jetzt noch das Fenster, wenn ich bitten darf -- ich moechte mir nur die
+Gelegenheit einmal von oben besehn."
+
+Clara selber oeffnete die Thuer und fuehrte dem Actuar mit ihrem Vater in das
+kleine freundliche Gemach, dessen beide, schon von Blaetter schiessenden
+Weinranken ueberzogene Fenster, auf den Garten hinaussahen. Das eine
+Fenster war allerdings geoeffnet gewesen, aber der Rankenwuchs so dicht
+zusammengezogen, dass sich ein Koerper kaum haette hindurchzwingen koennen.
+Die Hoehe nach dem Garten hinunter, und gerade unter dem Fenster sollte ein
+kleiner Rasenplatz sein, war eben nicht betraechtlich, vielleicht zehn oder
+zwoelf Fuss, und unten umgab niederer aber ziemlich dichter Hollunder den
+Rasen. Im Zimmer selber liess sich aber nicht das mindeste erkennen, das
+einen solchen Verdacht unterstuetzt haette; das Einzige was dafuer sprach,
+war die aufgeschlossene Thuer.
+
+Zu der Unterstube des Hauses waren indessen die Dienstleute versammelt
+worden, streng examinirt zu werden. Der Hausmagd vor allen andern lag die
+Pflicht ob, die Etage, wenn sie nach unten in die Kueche ging, in
+Abwesenheit der Herrschaft verschlossen zu halten. Diese aber behauptete
+steif und fest, und weinte dabei und rief Gott und alle Heiligen zu Zeugen
+an, dass sie die Vorsaalthuer auch ordentlich, "zweimal herum" abgeschlossen
+und den Schluessel zu sich gesteckt haette, und Niemanden in der weiten
+Gotteswelt gesehen habe, der das Haus in der Zeit betreten haben koenne.
+Trotzdem aber sei die Vorsaalthuer, als sie wieder nach oben gekommen
+offen, wenigstens aufgeschlossen, wenn auch zugeklinkt gewesen, und sie
+haette selber im Anfang nicht begreifen koennen wie das moeglich waere, aber
+auch nicht weiter darueber nachgedacht, und es ihrer eigenen
+Unaufmerksamkeit zugeschoben. Nach der Abfahrt der Herrschaft sei sie aber
+nur eine ganz ganz kurze Zeit unten geblieben um -- sie wollte erst nicht
+mit der Sprache heraus, aber der Herr Actuar draengte gar so sehr -- um den
+jungen Herrn Henkel fortreiten zu sehn. Nachher mochte sie vielleicht noch
+zehn Minuten der Koechin geholfen haben, und war dann nicht wieder von dem
+Vorsaal oben fortgekommen, auf dessen Balkon sie gesessen und genaeht
+hatte. In der Zeit habe Niemand mehr den Vorsaal oder des Fraeuleins Zimmer
+betreten, darauf wolle sie das heilige Abendmahl nehmen, und der Diebstahl
+muesse jedenfalls in den paar Minuten, die zwischen dem Fortreiten des
+jungen Herrn und ihrem eigenen Wiederhinaufgehn nach oben gelegen haetten,
+veruebt sein -- anders war es nicht moeglich.
+
+"Wer aber hatte den Blumenstock in des Fraeuleins Zimmer gestellt?"
+
+"Einen Blumenstock? -- waehrend die Herrschaft fort war?"
+
+"Allerdings, eine Monatsrose -- in das Fenster naechst der Thuer."
+
+"Der das gethan hat, muesse damit zum Fenster, oder in derselben Zeit mit
+einem Nachschluessel zur Thuer hereingekommen sein, als der Diebstahl veruebt
+worden, denn sie haette keine Seele im Haus gesehn.
+
+Die Dienstboten hatten indessen mit einander gefluestert, als der Actuar
+das Wort nahm und mit langsam bedaechtiger, aber ziemlich ernster Stimme
+sagte:
+
+"Hoert einmal Leute, ich will Euch etwas sagen; Ihr habt Euch da gut
+unschuldig stellen, als ob Ihr eben erst auf die Welt gekommen waert, damit
+dringt Ihr aber nicht durch. Das Geld ist fort -- Ihr seid die Einzigen die
+unter der Zeit im Haus waren, und Euere Pflicht waere es gewesen --
+
+"Aber Herr Actuarius" --
+
+"Ruhe da, wenn ich Euch etwas mitzutheilen habe -- und Euere Pflicht waere
+es gewesen, sag' ich, aufzupassen, dass niemand Fremdes den Platz betrat,
+der Euch anvertraut war, und fuer den Ihr also auch in der Zeit zu stehn
+hattet. Jemand ist aber in der Zeit da gewesen, und hat etwas gebracht und
+etwas geholt, und man wird sich jetzt an _Euch_ halten muessen, bis der
+Jemand ausfindig gemacht ist. Was giebt's da hinten -- was ist gekommen?"
+
+"Dullmanns Rieke von ueber dem Weg drueben," sagte die Koechin jetzt, gegen
+den Actuar vortretend, "will den Lossenwerder haben heimlich aus dem Haus
+schleichen sehn. Da _haben_ Sie einen; _uns_ brauchen Sie so etwas nicht
+unter die Nase zu reiben, Herr Actuar -- wir sind ehrliche Dienstboten die
+sich ihr bischen Brot sauer genug im Schweisse ihres Angesichts -- "
+
+"Ach halt' sie das Maul," fiel ihr aber der Actuar etwas unsanft in die
+Rede -- "_wer_ ist im Haus gewesen, Lossenwerder? -- und heimlich
+hinausgeschlichen? -- wer hat ihn gesehn?"
+
+"Hier die Rieke von Dullmann's -- "
+
+"Wann war das?" fragte der Actuar das jetzt vorgeschobene Maedchen, das
+feuerroth wurde und ihren einen Schuerzenzipfel anfing wie einen Plumpsack
+zusammenzudrehen. Erst ganz kurze Zeit vorher hatte sie einer ihrer
+Freundinnen im Dollinger'schen Haus, und gewiss nicht in der Absicht die
+Mittheilung gemacht, gleich damit, ohne weitere Warnung, vor die Polizei
+gezogen zu werden.
+
+"Nun Mamsell -- wie hiess sie? -- Rieke? -- Wann haben Sie Lossenwerder aus dem
+Haus kommen sehn, und ist er ruhig hinausgegangen oder _geschlichen_?"
+
+"Wenn Lossenwerder im Haus war," sagte Herr Dollinger ruhig, "so wird er
+auch ordentlich hinaus_gegangen_ und nicht geschlichen sein; der waere der
+Letzte dem ich so etwas zutrauen moechte."
+
+"Die Rieke behauptet," fiel aber hier die Koechin in dem Bewusstsein
+unrechtlich gekraenkten Ehrgefuehls rasch ein, "dass sie gar nicht auf ihn
+geachtet haben wuerde, wenn er sich nicht so schnell und heimlich, und
+dicht unter den Fenstern, am Hause hingedrueckt haette. Wer kein boeses
+Gewissen hat, kann gerade und offen gehen."
+
+"Sie sind aber gar nicht gefragt, zum Henker noch einmal," rief der Actuar
+jetzt ungeduldig werdend -- "wenn Sie jetzt nicht ruhig sind, lasse ich Sie
+so lange hinausfuehren, bis wir Sie wieder brauchen. Hier Mamsell Rieke;
+wenn Sie sich die Schuerze abgedreht haben, dann sein Sie so gut und sagen
+Sie uns einmal wo und wie Sie den Herrn Lossenwerder gesehen haben."
+
+"Ich -- ich weiss nicht gewiss" -- stammelte das Maedchen verlegen -- "aber --
+aber Lossenwerder kam -- bald nachher wie die Herrschaft fortgefahren war --
+"
+
+"Wie lange nachher?" frug der Actuar.
+
+"Etwa eine halbe Stunde denk' ich -- vielleicht nicht so lange -- kam er
+viel rascher als es sonst seine Art ist, denn er geht gewoehnlich immer
+sehr langsam -- kam er -- kam er aus der Thuer heraus, die er geschwind
+hinter sich zuzog -- und dann -- "
+
+"Und dann?" --
+
+Und dann hielt er den Kopf nieder, als ob er nicht wollte dass ihn Jemand,
+der vielleicht von oben heruntersaehe, erkennen moechte -- hielt er den Kopf
+nieder und drueckte sich -- drueckte sich dicht am Haus hin, so schnell er
+konnte die Strasse hinunter, und um die Ecke."
+
+"Und nachher?" frug der Actuar.
+
+"Nu, um die Ecke kann sie doch nicht sehn," sagte die Koechin.
+
+"Ob Sie still sein wird," sagte Herr Ledermann jetzt aber wirklich boese
+gemacht -- "Wenzel, wenn mir die Person da jetzt noch einmal das -- noch
+einmal den Mund aufthut, dann wissen Sie was Sie zu thun haben."
+
+"Sehr wohl, Herr Actuar," sagte der Gerichtsdiener --
+
+"Und sind Sie dann nachher nicht heruebergekommen und haben das den Leuten
+im Hause gesagt, was Sie gesehn?" frug der Actuar.
+
+"Ich habe ja aber Nichts gesehen," sagte die Rieke.
+
+"Sie haben doch den Lossenwerder gesehn" --
+
+"Ja aber der geht doch so oft in das Haus hier herein, und kommt nachher
+immer wieder heraus."
+
+Der Actuar warf sich ungeduldig herueber und hinueber und sagte endlich
+muerrisch:
+
+"Unsinn -- baarer Unsinn -- aber hatte er denn irgend etwas in der Hand? --
+_trug_ er etwas?"
+
+"_Trug_? -- ja -- ja sehn Sie Herr Actuar -- das kann ich Sie nicht sagen --
+das weiss ich nicht -- "
+
+"Nun Sie werden doch gesehen haben, ob er irgend ein schweres Paket in der
+Hand hatte oder nicht."
+
+"Ja sehn Sie, das weiss ich Sie wahrhaftig nicht, aber ich glaube es fast,"
+sagte das Maedchen, "denn ich habe den Herrn Lossenwerder eigentlich noch
+gar nicht anders gesehn, als dass er irgend 'was getragen haette; und wenn's
+nur ein paar Briefe gewesen waeren, oder ein Regenschirm."
+
+"Lieber Herr Actuar, ich glaube Sie sind da auf einer falschen Faehrte,"
+sagte Herr Dollinger jetzt -- "man kann einem Menschen allerdings nicht
+in's Herz sehen, aber fuer den Lossenwerder moechte ich fast selber
+einstehen."
+
+"Mein bester Herr Dollinger," sagte aber der Actuar kopfschuettelnd, "es
+ist das mit den Untersuchungen eine wunderliche Sache, und Leute auf die
+man am allerwenigsten gedacht, von denen man nie das geringste Unrechte
+vermuthet hatte, kommen da oft in den sonderbarsten Verwickelungen vor und
+-- sind schuldig. Ich selber kenne Lossenwerder als einen ordentlichen
+braven Menschen, und will zu Gott hoffen, dass unser ganzer Verdacht
+unbegruendet ist; das heimliche Schleichen aus dem Haus aber, und dass ihn
+Niemand sonst im Haus gesehen hat macht ihn verdaechtig. Meine Pflicht ist
+es wenigstens ihn selbst deshalb zu vernehmen und ich werde jedenfalls
+noch heute Abend nach ihm schicken muessen -- unsere Eisenbahnverbindungen
+sind jetzt zu schnell, und man darf keiner Menschenseele mehr zwoelf
+Stunden Vorsprung lassen, wenn man nicht oft das leere Nachsehn haben
+will."
+
+"Passen Sie auf," sagte Herr Dollinger, "der Lossenwerder wird den
+Blumenstock zum Geburtstag Clara's oben hinaufgetragen haben, und zum Dank
+dafuer kommt der arme Teufel jetzt noch in den Verdacht des fatalen
+Diebstahls."
+
+"Wie aber ist er ohne Nachschluessel in die verschlossene Thuer gekommen,"
+warf der Actuar ein --
+
+"Hm -- " sagte Herr Dollinger, "das weiss ich freilich nicht -- nun fragen
+Sie ihn selber, das wird jedenfalls der kuerzeste Weg sein."
+
+"Um das Verzeichniss der gestohlenen Gegenstaende duerfte ich Sie dann
+vielleicht nachher noch bitten."
+
+"Meine Tochter wird es gerade jetzt eben schreiben," sagte Herr Dollinger,
+"wenn Sie nur noch kurze Zeit warten wollen."
+
+"Dann duerfte ich Sie wohl bitten, es mir gleich in meine Wohnung zu
+schicken," meinte der Actuar nach kurzer Ueberlegung, "ich muss vor allen
+Dingen erst in meine Wohnung und werde dann von da gleich noch einmal in's
+Bureau gehen. Wo ist denn der Lossenwerder wohl am leichtesten zu finden?"
+
+"Ich habe eben nach seinem Hause geschickt," sagte Herr Dollinger, "aber
+dort ist er nicht. Paul, der Bursche, behauptet, er ginge manchmal, aber
+selten, in eine Bierstube an der Ecke der Roessnitzer und Hertzergasse, aber
+dort war er auch nicht; es ist uebrigens an beiden Orten bestellt, ihn
+gleich, so wie Jemand seiner ansichtig wird, hierherzuschicken."
+
+"Sehr wohl," sagte der Actuar, seine Papiere zusammenpackend, und sie dem
+Gerichtsdiener uebergebend; nach kurzer Begruessung wollte er sich dann eben
+entfernen, als er noch einmal in der Thuer stehen blieb und, sich scharf
+auf dem Absatz herumdrehend, fragte:
+
+"A prospos -- _raucht_ Lossenwerder?"
+
+"Soviel ich weiss _nicht_," sagte Herr Dollinger.
+
+"Doch ja, manchmal," sagte Einer der Leute -- Sonntags nach Tisch z. B.
+regelmaessig eine Cigarre."
+
+"Hm, so?" sagte der Actuar und verliess dann rasch das Zimmer und Haus.
+
+Er hatte uebrigens auch alle Ursache sich zu beeilen, denn daheim wartete
+ein mit jeder Minute drohender aufsteigendes Unwetter auf ihn, das er mit
+einer Art von verzweifelten Hoffnung immer noch mit den, dem
+Gerichtsdiener wieder zu dem Zweck abgenommenen, und geschaeftsmaessig unter
+den Arm geklemmten Streifen Akten abzuleiten gedachte. Jedenfalls musste
+ihm der Vorfall im Dollinger'schen Haus, der so viel von seiner Zeit in
+Anspruch genommen, entschuldigen. Frau Actuar Ledermann aber hatte sich
+schon den ganzen Nachmittag ueber, mit immer wachsender Ungeduld,
+vorgenommen gehabt mit ihrem Gatten gegen Abend einen der vor der Stadt
+gelegenen Gaerten, wo Concert sein sollte, zu besuchen und die Parthie war
+ihr jetzt -- was halfen alle Gruende dagegen -- zu Wasser geworden; es
+verstand sich von selbst dass Actuar Ledermann die Schuld, und deshalb auch
+die Folgen trug.
+
+Frau Actuar Ledermann hatte sich uebrigens vor einigen Tagen, wo sie trotz
+dem nassen Wetter und allen Vorstellungen ihres Mannes spatzieren gegangen
+war, furchtbar erkaeltet, und brachte keinen lauten Ton ueber die Lippen.
+Das aber, und dass sie ihren gerechtfertigten Ingrimm nicht mit der vollen
+Kraft ihrer Stimme hinaus_giessen_ konnte ueber den Gatten, wie sie es -- und
+er auch -- gewohnt war, sondern alles das was sie ihm zu sagen hatte -- und
+sie hatte ihm viel zu sagen -- heraus_fluestern_ musste, reizte ihren Zorn
+nur noch immer mehr.
+
+"Aber liebes Kind, ich versichere Dich," sagte der Actuar in einem
+vergeblichen Versuch den aufsteigenden Sturm zu beschwichtigen, "dass ich
+mich ueber anderthalb Stunden bei dem verwuenschten Diebstahl im
+Dollinger'schen Hause aufgehalten habe und -- "
+
+"Und ich versichere Dich," zischte sie, mit einem Gesicht, dem die
+Anstrengung die es sie kostete die Worte hoerbar zu machen, einen noch viel
+unfreundlicheren, ja sogar boshaften Ausdruck gab -- "dass ich Dich vor
+anderthalb Stunden schon gerade so erwartet habe wie jetzt, und seit drei
+Stunden vollkommen angezogen dasitze und auf Dich passe."
+
+"Aber Du _bist_ ja gar nicht angezogen, beste Therese."
+
+"Weil ich mich wieder ausgezogen habe," rief die Frau -- "glaubst Du ich
+soll mir ein Beispiel an einem liederlichen Menschen nehmen, und bei Nacht
+und Nebel noch draussen herumstreichen, wie Leute die das Licht zu scheuen
+haben? -- Und dann mit meinem Katharr -- dass ich mir den Tag ueber im warmen
+Sonnenschein ein wenig Bewegung machte, das faellt Dir nicht ein; aber
+Nachts, wenn der schaedliche Thau niederfaellt, der fuer mich gerade Gift
+waere, da moechtest Du mich jetzt wohl noch hinausschleppen nicht wahr?
+damit ich nur recht schnell unter die Erde kaeme -- o ich armes
+unglueckseliges Weib -- "
+
+"Aber Therese Du bist unbillig, ich habe Dir doch angeboten heute
+Nachmittag mit mir nach dem rothen Drachen hinauszugehn -- "
+
+"Weil Du wusstest dass das nichtsnutzige Geschoepf von einer Waescherin mir
+mein Kleid nicht vor vier Uhr bringen wuerde," zischte die Frau.
+
+"Aber Du hast ja noch andere -- "
+
+"Am Sonntag zum Skandal der andern Menschen mit einer solchen _Fahne_ zu
+einem anstaendigen Vergnuegungsort hinausziehn, nicht wahr? -- _Dir_ laege
+natuerlich Nichts daran was die Leute ueber Deine Frau sagten; aber Du bist
+auch an anderen Orten lieber wie zu Hause, und statt Deiner Frau einmal
+ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten, und nachher mit ihr zusammen
+auszugehen, musst Du natuerlich g'rad in's Wirthshaus laufen, und ein
+Bischen vor Mitternacht dann wieder zu Hause kommen."
+
+"Liebes Kind, es ist halb neun Uhr jetzt" -- sagte der Actuar ruhig, "dann
+aber Therese," fuhr er nach kleinem Zoegern, mit einer fast gewaltsamen
+Anstrengung etwas herauszubringen, das er auf dem Herzen hatte, fort --
+"bist Du theilweise mit selbst Schuld daran, _dass_ ich mir eben ausser dem
+Hause mein Vergnuegen suchen _muss_."
+
+"Ich?" wollte die Frau erstaunt rufen, der etwas zu hoch eingesetzte Ton
+blieb aber total aus, und Ledermann sah nur, mit der entsprechenden
+Gesticulation, das zum Hoechsten erstaunte Gesicht der Gattin. Dadurch aber
+vielleicht, und durch die ungewoehnliche, freilich erzwungene Stille, etwas
+muthiger gemacht, fuhr er entschlossen fort:
+
+"Ja liebes Kind, Du; denn anstatt Deinem Mann, wenn er von seinen
+Berufsgeschaeften ermuedet zu Hause kommt den Aufenthalt daheim zu einem
+freundlichen zu machen, in dem er gerne bleibt, laesst Dich Dein
+unglueckseliges, heftiges Temperament nicht ruhen noch rasten, sondern Du
+musst irgend eine Gelegenheit vom Zaune brechen mit mir zu zanken. Gebricht
+es Dir aber vollkommen an Stoff, was jedoch nur in hoechst seltenen Faellen
+zu sein scheint, so bist Du muerrisch und verschlossen, machst ihm ein
+finsteres, verdriessliches Gesicht, und sprichst kein Wort."
+
+Sprachlos nur vor Zorn und Staunen ueber die unerhoerte, bodenlose
+Frechheit, hatte die Frau indessen dem heute so redseligen Gatten (der
+aber nicht dabei zu ihr aufzuschauen wagte, sondern bald die rechte, bald
+die linke Ecke der Stube mit den Augen suchte) angesehn. Es war eine
+allerdings noch jugendliche schlanke, aber eher magere als volle Gestalt,
+die Frau Actuar Ledermann, mit etwas vorstehenden, wenigstens stark
+markirten Backenknochen und durchdringend scharfen, wenn auch kleinen
+lichtgrauen Augen, die Lippen schmal und um den Mund in vielen kleinen
+Faeltchen, zusammengezogen, das Kinn jedoch etwas zurueckstehend, was ihr
+ein besonderes, und nicht eben angenehmes Profil gab. Auch in ihrem Anzug
+liess sie sich zuviel gehn; der Zauber reinlicher Kleidung fehlte ihr, der
+selbst der aermlichsten Tracht etwas Nettes, Freundliches giebt; die Krause
+die das oben am Hals dicht anschliessende Kleid einfasste, war schon mehrere
+Tage getragen und verdrueckt, ebenso zeigten die Manschetten Spuren
+laengeren Dienstes, und die Haube sass ihr verschoben und zu viel
+zurueckgedraengt auf dem, nicht ueberreich mit Haaren bedeckten Scheitel.
+Frau Actuar Ledermann war nicht huebsch, und der Affect der ihre Zuege in
+diesem Augenblick mehr entstellte als belebte, nahm ihnen leider auch die
+letzte Spur sanfter Weiblichkeit, die sonst doch wohl noch hie und da
+darin verborgen lag. Der bis jetzt mehr durch Erstaunen als Maessigung
+niedergekaempfte Zorn gewann aber auch endlich die Oberhand, und waehrend
+die Anstrengung, sich bei ihrer Heiserkeit gehoert zu machen, ihr Antlitz
+fast dunkel faerbte, keuchte sie, die Arme in die Seite gestemmt, den
+Oberkoerper gegen den ueberrascht einen Schritt zurueckweichenden Gatten
+vorgebeugt:
+
+"Spreche kein Wort, _heh_? sagt der Herr? -- prahlt da, "wenn er von
+Berufsgeschaeften nach Hause kommt" -- spreche kein Wort? -- sitzt in der
+Kneipe den ganzen gesegneten Nachmittag -- im rothen Drachen und das nennt
+er Berufsgeschaefte; vertrinkt das Geld das wir hier zum nothwendigsten
+Leben brauchten, und wirft mir jetzt meine Heiserkeit vor, die mir der
+Himmel geschickt hat, oder mein boeses Glueck, dem ich auch einen solchen
+Mann verdanke -- dass ich kein Wort spreche und verdriesslich bin. Ich soll
+wohl _tanzen_? eh? -- wenn mir das Herz zum Zerspringen voll ist vor Jammer
+und Elend daheim, und wenn ich den ganzen Tag da sitze, und bruete und
+denke wie wir auskommen wollen mit den paar Groschen, die zum Sterben und
+Verhungern zu viel, zum Leben aber zu wenig sind. Dann soll ich nachher,
+wenn der gestrenge Herr sein Gesicht zeigt, lachen und vergnuegt und lustig
+sein, nur damit der Haustyrann sich nicht unbehaglich fuehlt in _seinen_
+vier Waenden."
+
+Heftiger Husten unterbrach hier die Zornesrede der Frau, der die uebermaessig
+angestrengte Luftroehre den Dienst versagte, und der Actuar Ledermann nahm
+still und schweigend, den Moment benutzend, ein Licht von dem kleinen
+Seitenschrank, zuendete es an der Lampe an, und verliess kopfschuettelnd und
+seufzend das Gemach, sich auf sein eigenes kleines Stuebchen zurueckzuziehn.
+
+
+
+
+
+ Capitel 4.
+
+
+ FRANZ LOSSENWERDER.
+
+
+In Heilingen, in der Glockenstrasse, stand ein vortreffliches Weinhaus, in
+dem die wohlhabenderen Buerger Abends gewoehnlich zusammenkamen und ihr
+Flaeschchen, aus denen auch oft zwei und drei wurden, tranken. Das Lokal
+war ziemlich gemuetlich, und dem Zweck entsprechend, in eine Menge kleiner
+Zimmerchen abgetheilt, die theils durch wirkliche Thueren und Verschlaege,
+theils durch Vorhaenge von einander getrennt lagen, einzelnen
+Gesellschaften zu gestatten eben einzeln zu bleiben, und ihr Glas,
+ungestoert von dem Nachbar, zu trinken.
+
+Das Haus hiess "der Pechkranz" nach einer alten Sage, die der Wirth sehr
+gern mit der Heilinger Chronik belegte, und die noch in dem
+dreissigjaehrigen Kriege spielte; ein, ueber der Eingangsthuer in neuerer Zeit
+erst aus Stein gehauener Bachus, hielt auch in der einen Hand einen
+Tyrsusstab, und in der anderen einen Pechkranz, in hoechst wunderlicher
+Weise Sage und Geschaeft mit einander vereinigend. Die Allegorie war aber
+gar nicht so uebel angebracht, und haette sich auch schon ohne Tilly recht
+leidlich und genuegend erklaeren lassen, denn Bachus hatte hier schon in der
+That in manchen Kopf seinen Pechkranz hineingeworfen, dass es lichterloh
+zum Dache hinausbrannte, ohne weiter eben groesseren Schaden anzurichten,
+als der alte Pechkranz in damaliger Zeit angerichtet haben sollte.
+
+Der Wirth war uebrigens nicht in Heilingen geboren und erzogen, sondern ein
+Rheinlaender, der sich hier erst vor einigen Jahren niedergelassen, und
+durch gute Getraenke auch bald gute und schlechte Kunden genug bekommen
+hatte. Seine Preise waren allerdings ein wenig theuer, "aber," sagten die
+Heilinger, "wer einmal Wein trinkt, dem darf es auch nicht auf einen
+Groschen dabei ankommen, wenn er nur aecht und rein ist," und Wirth und
+Gaeste befanden sich wohl dabei.
+
+Es war am Abend des naemlichen Tages, an welchem ich meine Erzaehlung
+begann, als die Gaeste, die den Tag ueber meist auf Spaziergaengen im Freien
+gewesen waren, anfingen einzutreffen, und die Kellner geschaeftig herueber
+und hinueber sprangen, Wein und Speisen den Hungrigen und Durstigen zu
+bringen. Die kleinen Raeumlichkeiten fuellten sich nach und nach, und selbst
+in dem grossen Mittelsaal, der ungefaehr das Centrum des Ganzen bildete,
+hatten sich schon hie und da einzelne Gruppen gebildet, oder auch einzelne
+Gaeste sassen in irgend einer Ecke, ihre Flasche Wein vor sich, und auf
+eigene Hand, in ungeselliger Gemuethlosigkeit, langsam Glas nach Glas zu
+leeren. Es ist das aber nicht die rechte Art; zu einer schoenen Landschaft
+und einer guten Flasche Wein gehoeren mindestens zwei Personen, um Beides
+recht und ordentlich zu geniessen, die eine sich _darueber_, die andere sich
+_dabei_ auszusprechen; wenn man allein ist, geht mehr als der halbe Genuss
+von Beiden verloren. Es giebt allerdings Menschen, die sich zufriedener
+fuehlen wenn sie Alles allein geniessen koennen, aber denen geh' aus dem Weg;
+es sind Hypochonder oder Schlimmere, und der einzige Dank, den Du ihnen
+schuldig bist ist dafuer, dass sie sich eben auch von Dir zurueckziehn. Nur
+wer Niemanden hat an den er sich anschliessen darf, wer allein und
+freundlos in der Welt dasteht und das Leid das ihn drueckt, allein tragen,
+die wenigen frohen Momente seines Lebens allein geniessen muss, den bedauere
+und hilf ihm, wenn Du kannst, denn er ist der Ungluecklichste von Allen.
+
+Es mochte neun Uhr Abends sein, als ein Bekannter von uns, der
+Kuerschnermeister Kellmann, die Weinstube betrat und, sich ueberall
+umschauend, ob er nicht irgend einen Freund traefe zu dem er sich setzen
+koennte, in einer der Ecken eine bekannte Gestalt entdeckte. Aber er sah
+erst ein paar Secunden wirklich aufmerksam dorthin, ehe er seinen Augen
+traute, und sagte dann, auf Jenen losgehend und neben dem Tisch stehen
+bleibend:
+
+"Hallo, _Lossenwerder_? Ihr hier im Pechkranz? na da moechte man doch, wie
+die Schwaben sagen, den Ofen einschlagen. Alle Wetter Mann und vor einer
+Flasche Ruedesheimer; nun das lass ich gelten und es freut mich wahrhaftig,
+dass Ihr endlich einmal aufthaut und unter Menschen kommt. Aber was ist
+denn heute los bei Euch? denn einen ganz besonderen Grund muss doch die
+Festlichkeit haben."
+
+"Ha -- ha -- ha -- hat sie auch He -- he -- he -- he -- herr Ke -- ke -- ke --
+kellmann," sagte der kleine Mann verlegen laechelnd und sich etwas
+schuechtern dabei umschauend, denn es schien ihm nicht angenehm, die
+Aufmerksamkeit der uebrigen Gaeste so direkt auf sich gelenkt zu sehn.
+
+"Jetzt kann ich aber auch den Leuten widersprechen," sagte Kellmann,
+seinen Hut und Stock an einen der naechsten Haken haengend und sich neben
+ihn setzend, "wenn sie behaupten Ihr traenkt nur Wasser, und Sonntags
+hoechstens einmal ein Glas Duennbier -- ich kriege Leibschneiden, wenn ich
+nur an das Zeug denke -- und sonst lebtet, als ob Ihr die Woche mit einem
+halben Thaler auskommen muesstet. Alle Wetter Mann, das ist recht, dass Ihr
+Euch auch manchmal ein Glas Rheinwein goennt; das haelt Leib und Seele
+zusammen, und staerkt die Nerven und Muskeln mehr wie Rindfleisch. Wuerde
+mir schwer ankommen, wenn ich unseren vaterlaendischen Wein entbehren
+muesste," setzte er mit einem halbunterdrueckten Seufzer hinzu.
+
+"Ha -- ha -- ha -- haben Sie a -- a -- a -- auch wohl ni -- ni -- nicht noe -- noe --
+noe -- noe -- noe -- noethig, be -- be -- be -- bester He -- he -- he -- he -- he -- he."
+
+"Ih nun wer weiss was Einem noch Alles bevorsteht," unterbrach ihn Kellmann
+-- "hier Kellner -- mir auch eine Flasche von dem Ruedesheimer; der Duft hat
+mir Appetit gemacht."
+
+"Hallo Lossenwerder bei einer Flasche Ruedesheimer," rief aber jetzt noch
+eine andere Stimme aus dem naechsten Stuebchen, wo ein paar junge Kaufleute
+bei ihrem Glase zusammensassen -- "da muessen wir auch dabei sein;
+Lossenwerder hat vielleicht heute seinen splendiden Tag und traktirt --
+haben Sie was in der Lotterie gewonnen?"
+
+Die jungen Leute, die Kellmann und Lossenwerder begruessten, kamen mit ihrer
+Flasche heraus, und setzten sich an denselben Tisch, mit dem immer
+verlegener werdenden kleinen Mann anstossend und trinkend. Denen gesellten
+sich aber noch bald darauf Andre zu; Lossenwerder war in der ganzen Stadt
+bekannt und oft auch, seiner koerperlichen Maengel wegen, zum Besten
+gehalten. Vertheidigen konnte er sich aber schon seines Stotterns wegen
+nicht, was den Gegnern gleich nur noch mehr Anlass und Stoff gegeben haette;
+so wurde denn diese freilich gezwungene Zurueckhaltung endlich fuer
+Gutmuetigkeit ausgelegt, mit der er sich Scherz und Stichelrede ruhig
+gefallen liess, und was die schaerfste Erwiderung nicht vermocht, erreichte
+er unfreiwillig dadurch, dass man es endlich muede wurde, den sich nicht
+Verteidigenden zum Besten zu haben, und ihn eben zufrieden liess. Aber in
+des Verwachsenen Betragen aenderte das Nichts; abgestossen und verhoehnt -- in
+nur sehr wenigen Ausnahmen -- von Allen, mit denen er in Beruehrung kam, zog
+er sich mehr und mehr in sich selbst zurueck, ging, ausser den noethigen
+Geschaeftswegen und ausser der Geschaeftszeit, fast nirgends hin, und lebte
+so einfach, ja fast duerftig, wie nur ein Mensch leben kann, der eben _nur_
+Geld ausgiebt, um zu existiren. In einem Weinkeller hatte ihn aber noch
+Niemand gesehn, und die Gaeste dort, die ueberdies keinen weiteren Zweck da
+hatten als sich zu amuesiren, glaubten das einmal einen Abend mit dem
+kleinen "Stotterberg", wie er spottweis, seines Stotterns und Hoeckers
+wegen genannt wurde, am Besten thun zu koennen.
+
+Im Anfang wollte sich Lossenwerder aber auf Nichts einlassen, ja machte
+sogar zwei oder drei, wenn gleich vergebliche Versuche, sich zu entfernen,
+denn von allen Seiten wurde er gehalten, und Jeder wollte und musste mit
+ihm trinken. Nach und nach aber fing er an aufzuthauen; der ungewohnte
+kraeftige Wein mochte ihm das Blut leichter und rascher durch die Adern
+jagen. Nun sollte er erzaehlen, aber das ging nicht, sein Stottern wurde,
+mit der schwereren Zunge, kaum verstaendlich, bis Einer, im Spott eben, auf
+den Gedanken kam, ihn zum Singen aufzufordern. Lossenwerder weigerte sich
+erst ganz verschaemt; das aber kam den Anderen zu komisch vor, und mit
+Lachen und Toben, waehrend ein paar schon Champagner bestellten, den Genuss
+wuerdig zu feiern, raeusperte sich Lossenwerder ploetzlich und stieg, von dem
+Wein erregt, und jetzt unter dem lauten Jubel der ihn umdraengenden Gaeste,
+auf einen Stuhl.
+
+ [Capitel 4]
+
+Was aber, wie sich die Uebrigen gedacht, Spott und Scherz hatte werden
+sollen, das erstarb in athemlosem Schweigen, nur von leisen Ausrufungen
+des Staunens und der Bewunderung unterbrochen, als der kleine verkrueppelte
+Mensch, mit einer hellen, glockenreinen Stimme, und Toenen, die zum
+innersten Herzen drangen, erst noch scheu, dann aber immer
+zuversichtlicher werdend, und wie von dem Inhalt des Liedes mit
+fortgerissen, dieses also begann:
+
+ "Ich habe schon zu oft geschaut
+ In Deiner Augen Glanz, Du Holde,
+ Auf meine Kraft zu fest vertraut,
+ Viel mehr, als ich vertrauen sollte.
+
+ Doch nein, fuer Dich Geliebte sind
+ Des Lebens schoenste, reinste Bluethen,
+ Von keinem Schmerz getruebt, bestimmt,
+ Und was koennt' ich dafuer Dir bieten?
+
+ Nichts -- gar Nichts, als ein treues Herz;
+ Doch nimmer sollst Du es erfahren --
+ Ich kann, wie frueher, meinen Schmerz
+ In tiefer, innerer Brust bewahren.
+
+ Sei gluecklich! -- wenn auch ohne mich,
+ Ich will Dich lieben, aber schweigen
+ Und mein Gebet nur soll fuer Dich
+ Empor, zum Thron des Hoechsten steigen.
+
+ Wenn dann mein Herz im Grabe liegt,
+ Und austraeumt seine stillen Leiden,
+ Dann soll der Geist zum Himmel nicht
+ Entfliehn, und zu der Seel'gen Freuden. --
+
+ Ein schoen'res Loos werd' ihm zu Theil,
+ Umschwebend Dich in trueben Tagen,
+ Soll er, zu Deinem Schutz und Heil,
+ Selbst seiner Seligkeit entsagen."
+
+Lossenwerder war ganz geruehrt geworden beim Schluss des Liedes, und die
+Thraenen standen ihm in den Augen; waehrend sein wirklich haessliches Gesicht
+durch den Schmerz aber eher einen komischen als ernsten Ausdruck bekam,
+jubelte die Schaar jetzt um ihn her, die wirklich erst wieder Athem und
+Laut gewann, als der wundersame Zauber dieser Stimme von ihnen genommen
+war.
+
+"Bravo -- bravo Lossenwerder -- bravo dacapo! Donnerwetter Mann, Ihr habt ja
+eine Stimme wie eine Nachtigall, und stottert nicht die Probe dabei -- wie
+am Schnuerchen geht das!"
+
+"Es ist erstaunlich!" rief Kellmann, vor lauter Verwunderung ueber das eben
+Gehoerte wirklich fast sprachlos.
+
+"Nun aber auch trinken -- hier Lossenwerder -- hier," riefen sie, ihm das
+Glas bis zum Rand mit dem schaeumenden Trank fuellend, "und dann noch ein
+Lied; bei Gott, das zuckt und prickelt Einem ordentlich durch die Adern,
+und klingt wie Glockenton so rein und voll; Lossenwerder wo habt Ihr das
+Singen gelernt?"
+
+"Vo -- vo -- vo -- vo -- vo -- von mi -- mi -- mir se -- se -- se -- se -- selb --
+bber," stotterte der kleine Mann, kaum im Stande jetzt mit immer schwerer
+werdender Zunge nur die paar Worte vorzubringen, waehrend ihm im Gesang die
+Strophen wie der Lerche das schmetternde Lied; aus der Kehle wirbelten.
+
+"Und da hat bis jetzt noch gar kein Mensch etwas davon erfahren," rief
+Kellmann wieder -- "behaelt die liebe Gottesgabe da ebenfalls fuer sich
+allein, kommt nirgends hin, spricht mit Niemand, trinkt und singt mit
+Niemand, und hat eine Stimme in der Luftroehre sitzen, die Einer, wer es
+darauf anzulegen verstaende, in reines Gold verwandeln koennte."
+
+Von allen Seiten tranken sie jetzt dem kleinen Mann zu, und ueberschuetteten
+ihn mit Lob und Jubel, und dieser schwamm wirklich in einem wahren Meer
+von Wonne. So wohl war ihm auch noch nie geworden -- Niemand hatte sich bis
+jetzt um ihn bekuemmert, Jeder ihn verspottet und verhoehnt, und zum ersten
+Mal, vielleicht seit langen, langen Jahren, fuehlte er sich unter Menschen
+einem Menschen gleich, wusste sich nicht mehr verachtet und unter die Fuesse
+getreten, und sah freundliche Augen um sich her, die ihn wie ihres
+Gleichen anschauten.
+
+Dem loeste sich auch endlich seine Zunge, oder wenigstens sein guter Wille
+zu reden, so weit, dass er beginnen wollte Geschichten zu erzaehlen. Das
+ging aber unter keiner Bedingung; beim Singen ja, aber beim Sprechen
+brachte er kein Wort mehr ueber die Lippen, und selbst das Singen versagte
+ihm zuletzt den Dienst; die Augenlider wurden ihm schwer, er fing an zu
+lallen, und war eben zurueck auf seinen Stuhl und dem Schlaf in die Arme
+gesunken, als die Thuer aufging und zwei Gerichtsdiener in's Zimmer traten.
+Es war etwa elf Uhr Abends und die meisten Gaeste, mit Ausnahme des einen
+Tisches, hatten das Haus schon verlassen.
+
+"Hallo was ist das?" sagte Herr Kellmann, der die beiden Leute zuerst
+bemerkte, "das ist wunderlicher Besuch -- es wird doch nicht etwa eine
+Polizeistunde eingefuehrt in Heilingen?"
+
+Aber auch der Wirth war die "Diener der Gerechtigkeit", wie sie meist
+etwas poetisch genannt werden, gewahr geworden und ging auf sie zu, sich
+zu erkundigen was sie hierher gefuehrt.
+
+"Ein kleiner buckliger Mann soll hier heute Abend bei Ihnen sein," sagte
+der Erste -- "er ist aus dem Dollingerschen Geschaeft."
+
+"Dort sitzt er in der Ecke," sagte der Wirth vom Pechkranz nach
+Lossenwerder hinueberzeigend, "hat er etwas verbrochen?"
+
+"Ich weiss nicht," erwiederte der Zweite ziemlich kurz -- "wir sollen ihn
+abholen." --
+
+"Wird schwer sein," meinte der Wirth -- "sie haben ihm heute Abend hier
+ordentlich zugetrunken, und der Wein hat jetzt das Uebergewicht -- wenn er
+aufsteht kippt er wieder um."
+
+"Hm -- da wird wohl auch nicht viel mit Fragen aus ihm herauszubringen
+sein, Meier; was meinst Du, nehmen wir ihn mit?"
+
+"Ich denke das Beste wird sein wir fuehren ihn zu Haus, und Einer bleibt
+bei ihm bis er morgen frueh wieder zu Verstande kommt; jetzt ist doch
+Nichts mit ihm anzufangen."
+
+"Aber um Gottes Willen was ist denn vorgefallen?" frug Kellmann bestuerzt;
+"der arme Teufel hat doch nicht etwa irgend 'was verbrochen?"
+
+"Noch ist nichts Gewisses bekannt," erwiederte der erste Polizeidiener,
+"nur bei Dollinger's ist heute Nachmittag eingebrochen, und die
+Untersuchung muss jetzt erst ergeben, wer schuldig sei."
+
+"Bei Dollinger's eingebrochen?" riefen Mehrere, "heute Abend?"
+
+"Nein heute am hellen Tag," sagte der Mann.
+
+"Alle Wetter das muss dann gewesen sein waehrend sie nach dem rothen Drachen
+gefahren waren," sagte Kellmann rasch -- "sie kamen an uns vorbei mit dem
+jungen Henkel."
+
+"In der Zeit war's," bestaetigte der Polizeidiener, "denn wie sie zu Hause
+kamen, wurde es entdeckt -- hier da Lossenwerder -- Sie da -- wachen Sie auf."
+
+"Ja wenn Sie den stossen wollen bis er munter wird," lachte Einer der
+jungen Leute, "da haben Sie Arbeit."
+
+"Sie -- Lossenwerder -- hoeren Sie?"
+
+"Ja -- ja" -- stammelte der von dem ungewohnten Weine, von dem er eigentlich
+gar nicht so sehr viel getrunken, Betaeubte -- "me -- me -- me -- mehr We -- we
+-- wein; ich za -- za -- za -- zahle A -- a -- a -- a -- a -- alles!"
+
+"So?" sagte der Polizeidiener ruhig -- "nun fuer heute moecht' es doch wohl
+genug sein; komm, fass ihn da drueben unter den Arm, er wohnt ja auch nicht
+so sehr weit von hier -- wo ist sein Hut?"
+
+"Hier -- armer Teufel, das wird ein boeses Erwachen werden."
+
+"Wie man sich bettet so schlaeft man," sagte der zweite Polizeidiener, und
+den Betrunkenen in die Hoehe richtend, der dabei unverstaendliche Sachen
+stammelte und sogar einen total misglueckenden Versuch machte wieder zu
+singen, fuehrten sie ihn hinaus und seiner Wohnung zu, indess die Gaeste noch
+das "fuer und wider" der Schuld des Mannes, von dem sie nie etwas Uebles
+gehoert bei einer anderen Flasche besprachen.
+
+Und es _war_ ein boeses Erwachen fuer den Mann; von dem Weindunst betaeubt
+schlief er, wie ein Todter, bis zum lichten Tag, und als er die Augen
+aufschlug und ihm der Kopf schmerzte zum Zerspringen, fiel sein erster
+Blick auf den ungeduldig in seinem Zimmer auf und ab gehenden
+Polizeidiener, den er einen Moment bestuerzt anstarrte, und dann die Augen
+wieder schloss, wie vor einem unangenehmen Traumbild.
+
+"Nun Lossenwerder, ausgeschlafen?" sagte der Mann aber, froh endlich einmal
+zu einem Resultat zu kommen -- "das hat lange gedauert -- kommen Sie, stehn
+Sie auf und ziehn Sie sich an."
+
+Die Stimme war _kein_ Traum, und der kleine Mann richtete sich erschreckt
+von seinem Bett, auf dem er noch mit den Kleidern vom vorigen Abend lag,
+empor. Wo war er? -- wie war er hierher gekommen? er drueckte sich mit
+beiden Haenden die Stirn und der klare Angstschweiss brach ihm aus ueber den
+ganzen Koerper; er _wusste_ nicht mehr was gestern Alles geschehn, und die
+unheimliche finstere Gestalt vor ihm fuellte sein Herz mit einer wilden
+Ahnung von Unheil, die alles Blut dorthin in jaehem Strom zuruecktrieb.
+
+Wie ein Schlag da hinein traf ihn die Nachricht von dem entdecktem
+Diebstahl, das Gefuehl, dass der Verdacht auf ihm laste, und die naechste
+Stunde -- waehrend ein anderer Polizeibeamter bei ihm visitirte und man
+nichts weiter, als in einem Winkel seines kleinen Schreibtisches, unter
+dreifachem Schloss, ein Paeckchen mit 200 Thalern in fuenf und zwanzig Thaler
+Cassenanweisungen, wie noch einige Goldstuecke fand, wie seine Abfuehrung
+dann nach dem Dollingerschen Hause, da Herr Dollinger gebeten hatte den
+Mann, an dessen Schuld er nicht glauben wollte, erst einmal an Ort und
+Stelle selber zu befragen -- lag wie ein Alp auf seiner Seele, unter dessen
+Last er auch kein Wort zu seiner Verteidigung zu sagen, ja nicht einmal
+eine an ihn gerichtete Frage zu beantworten vermochte.
+
+In dem Dollingerschen Hause angekommen, wurde er gleich in Herrn
+Dollinger's Zimmer hinaufgefuehrt, und der alte Herr ging, als Lossenwerder
+die Stube betrat, mit auf dem Ruecken gekreuzten Haenden in seinem Zimmer
+auf und ab. Der junge Henkel sass in der einen Ecke des Sophas, das rechte
+Knie ueber das linke geschlagen, mit einem Buch in der Hand, ueber das hin
+er aufmerksam den Gefangenen betrachtete.
+
+Lossenwerder war bleich wie ein Todter -- jeder Blutstropfen hatte sein
+Antlitz verlassen, und bei dem Versuch den er zum Reden machte, kam kein
+Laut ueber seine Lippen.
+
+"Lossenwerder," sagte Herr Dollinger endlich, nach einer kleinen Weile vor
+ihm stehen bleibend und ihn ernst, ja traurig betrachtend -- "ein boeser
+Mensch ist gestern, waehrend unserer Abwesenheit, in unser Haus geschlichen
+und hat, ausser einigen Juwelen, auch noch das Geld entwendet, das Du mir
+gestern Mittag gebracht und das ich, wie Du weisst, in den Secretair dort
+schloss. Warst Du waehrend unserer Abwesenheit wieder im Haus und in dem
+Zimmer meiner Toechter?"
+
+"He -- he -- he -- he -- he -- he -- he -- rr Do -- Do -- Do -- Do."
+
+"Schon gut Lossenwerder, Du bist jetzt aufgeregt und das Sprechen wird Dir
+schwer; beschraenke Dich auf ein einfaches ja und nein."
+
+"Ja -- a -- !"
+
+"In dem Zimmer meiner Toechter?"
+
+"J -- a -- a -- a aber -- i -- i -- i -- i -- ich wo -- wo -- wollte" --
+
+"Sie haben einen Blumentopf dort hineingesetzt?" sagte Herr Henkel jetzt
+ruhig.
+
+Das Blut stieg dem kleinen Mann rasch bis in die Schlaefe hinauf, aber der
+naechste Moment liess sein Antlitz wieder so weiss als vorher; er nickte nur,
+zur Betaetigung des eben Gesagten, mit dem Kopf.
+
+"Lossenwerder," sagte der Herr Dollinger mit leiser, bewegter Stimme und
+dicht zu dem kleinen Mann hinantretend, wobei er die Hand auf dessen
+Schulter legte, "Lossenwerder, noch gestern wuerde ich eben so leicht
+geglaubt haben, dass eines von meinen eigenen Kindern eines schlechten,
+unrechtlichen Streiches faehig waere, bis mich leider die immer deutlicher
+sprechenden Thatsachen in meinem Glauben an Dich _wankend_ gemacht haben."
+
+"He -- he -- he -- he -- he -- herr Do -- Do -- Do -- Do -- -- Dollinger" --
+
+"Ich will Dir klar und einfach unseren ganzen Verdacht vorlegen," sagte da
+der alte Herr, dem Angeklagten jedes unnuetze Wort zu ersparen -- "gestern,
+waehrend unserer Abwesenheit, ist der Secretair meiner Toechter erbrochen
+und das Dir bekannte Geld entwendet worden -- drueben ueber der Strasse hat
+Dich ein Maedchen gesehn, wie Du heimlich aus dem Hause geschlichen bist.
+Ebenso bestaetigt Wilhelm, der Stalljunge, Dich gesehn zu haben, wie Du
+haettest das Haus durch die nach dem Hofe zu fuehrende Thuer verlassen
+wollen, bei seinem Anblick aber, was selbst dem Jungen aufgefallen ist,
+zurueckgefahren, und dann auch nicht ueber den Hof gekommen waerst. Das
+Stubenmaedchen, die keine Ahnung davon haben konnte dass Geld in dem
+Secretair lag, ist bereit den schwersten Eid abzulegen, dass sie, wenige
+Minuten spaeter, nachdem man Dich hatte aus dem Hause schleichen sehen, die
+Vorsaalthuer nicht mehr aus den Augen gelassen, und gewiss waere, dass Niemand
+die Schwelle mehr ueberschritten habe, bis sie den zurueckkehrenden Wagen in
+den Hof einfahren gehoert. Heimlich bist Du im Haus gerade in der Zeit, in
+welcher das Geld entwendet wurde, gewesen, und die gestrige Ausschweifung,
+die man an Dir nicht gewoehnt ist, wie die bei Dir gefundene Summe, lassen
+allerdings das Schlimmste fuerchten. Lossenwerder -- ich brauche Dir nicht zu
+sagen, wie weh -- wie weh mir das gerade von _Dir_ thut, und ich wollte die
+doppelte Summe, so bedeutend sie ist, gern verschmerzen, wenn es _nicht_
+geschehen waere. Mache aber jetzt Deinen Fehler, wenigstens so weit das
+noch in Deinen Kraeften steht, wieder gut; gestehe was Du mit dem uebrigen
+Gelde gemacht, wo Du es verborgen hast, und ich selber will dann auch
+Alles thun was in meinen Kraeften steht, Deine Strafe zu erleichtern. Ein
+anderer Welttheil mag Dir nachher in spaeterer Zeit Gelegenheit geben
+Deinen Fehltritt zu bereuen, und das wieder zu werden, fuer was ich Dich,
+selbst bis diesen Morgen noch, gehalten habe."
+
+Lossenwerder hatte waehrend dieser Auseinandersetzung wie aus Stein gehauen
+vor seinem Prinzipale gestanden, nur das Zittern seiner Glieder verrieth
+dass er lebe; jetzt aber brach er in die Knie, und zum ersten Mal
+vielleicht mit dem vollen Bewusstsein der gegen ihn erhobenen Anklage --
+oder auch von Schuld und Angst zu Boden gedrueckt, denn wer konnte in den
+stieren, ueberdies nicht geraden Augen und in den todtenbleichen, mit
+grossen Schweissperlen bedeckten Zuegen das richtige lesen -- umfasste er die
+Knie des alten Herrn und bat mit wild stotternder Stimme, aus der dieser
+nur mit aeusserster Anstrengung einen Sinn herausfinden musste -- ihn nicht
+ungluecklich zu machen -- Nichts so Schreckliches von ihm zu denken.
+
+"Ein aufrichtiges Gestaendniss, Lossenwerder," entgegnete darauf Herr
+Dollinger, "ist das Einzige, was Deine Schuld jetzt noch in etwas
+erleichtern kann. Das Gericht wird einen unbewachten Augenblick, dem die
+Reue auf dem Fusse folgt, nicht so schwer strafen, wie den hartnaeckigen
+Uebelthaeter.
+
+"A -- a -- a -- a -- a -- aber ich bi -- bi -- bin ni -- ni -- ni -- nicht schu --
+schu -- schu -- schuldig," -- stotterte der Unglueckliche -- "ich we -- we -- we
+-- we -- weiss vo -- vo -- vo -- von Ni -- ni -- ni -- nichts -- "
+
+"Du weisst von Nichts, Lossenwerder?" sagte Herr Dollinger leise mit dem
+Kopf schuettelnd -- "und woher ist das Geld das man bei Dir gefunden, woher
+die Fuenfundzwanzig Thaler-Note, die Du locker in der Tasche getragen, und
+die Dir der Polizeidiener gestern Abend noch herausgenommen hat?"
+
+"Ge -- spa -- pa -- pa -- pa -- partes Geld -- e -- e -- e -- e -- e -- ehrlich ge --
+ge -- gespartes G -- g -- g -- geld!" stammelte der arme Teufel.
+
+Herr Henkel stand jetzt auf und ging langsam auf Herr Dollinger zu, dem er
+ein paar Worte in's Ohr fluesterte und dann, waehrend dieser leise und
+traurig mit dem Kopf nickte, das Zimmer verliess. Lossenwerder aber, der ihm
+aengstlich mit den Augen folgte und vielleicht in einer unbestimmten Ahnung
+fuehlte dass man ihn fortfuehren -- in ein Gefaengniss bringen werde, ergriff
+wieder und jetzt aber wie in Todesangst des alten Mannes Hand, und bat ihn
+um Gottes -- um seiner Seligkeit willen, soweit es ihm die, jetzt in der
+Aufregung nur noch mehr fehlende Sprache immer gestattete, dass er ihm nur
+das nicht anthun -- dass er ihn in kein Gefaengniss moege fuehren lassen. Herr
+Dollinger erklaerte aber natuerlich darin Nichts thun zu koennen, denn wenn
+er Nichts gestehen wolle oder zu gestehen habe, so muesse allerdings das
+Gericht, bei so stark vorliegendem Verdacht, die Untersuchung aufnehmen,
+wonach sich bald seine Schuld oder Unschuld herausstellen wuerde.
+
+"Hab' ich aber einmal erst auf solchen Verdacht gesessen," stotterte der
+Unglueckliche, "so bin ich gebrandmarkt mein Lebelang" --
+
+Herr Dollinger zuckte die Achseln, und die Thuer oeffnete sich in diesem
+Augenblick, den einen Polizeidiener zeigend, der Lossenwerder leise auf die
+Achsel klopfte und freundlich sagte:
+
+"Wenn's gefaellig waere."
+
+Lossenwerder zuckte zusammen als ob er einen Schlag bekommen, und wandte
+sich noch einmal, wie Huelfe suchend, an Herrn Dollinger, aber ein Blick
+auf diesen ueberzeugte ihn, dass er schon nicht mehr helfen koenne, wo das
+Gericht die Sache in die Hand genommen, und sein Gesicht in den Haenden
+bergend, folgte er dem Gerichtsdiener fast willenlos hinaus.
+
+Gerade als er durch die Thuer schritt begegnete ihm, noch auf der Schwelle,
+Frau Dollinger, und rasch bei Seite tretend, als ob sie selbst durch seine
+Beruehrung angesteckt zu werden fuerchte, warf sie ihm einen zornigen,
+veraechtlichen Blick zu und ging an ihm vorueber.
+
+Lossenwerder seufzte tief auf, sagte aber kein Wort, denn wie er den Kopf
+hob, sah er am andern Ende des Vorsaals Clara mit dem jungen Henkel in
+eifrigem Gespraech, und auch dort musste er vorbei. Das war zu viel und wie
+unschluessig blieb er stehn und sah sich um, als ob er einen Weg zur Flucht
+suche.
+
+"Na kommen Sie, Lossenwerder, machen Sie keine Dummheiten," sagte aber, ihm
+ermunternd auf die Schulter klopfend, der Polizeidiener -- "es ist Alles
+ein Uebergang, wie der Fuchs sagte, als sie ihm das Fell ueber die Ohren
+zogen."
+
+Lossenwerder nahm sich zusammen und schritt festen Trittes an dem jungen
+Maedchen vorueber, das ihn mitleidig betrachtete.
+
+"Etwas ueber zweihundert Thaler hat man schon bei ihm gefunden," fluesterte
+der junge Henkel ihr leise zu -- "ich hoffe dass Vater Dollinger das andere
+auch noch wieder bekommen soll."
+
+"Ach Lossenwerder, warum habt Ihr das gethan?" sagte Clara, leise und
+mitleidig den Gefangenen ansehend, als er an ihr vorueberging.
+
+"U -- u -- u -- und Si -- si -- si -- si -- sie g -- g -- g -- glau -- ben d -- d --
+das a -- a -- a -- a -- auch?" rief Lossenwerder und die grossen hellen Thraenen
+standen ihm dabei in den Augen, aber der Polizeidiener hatte sich schon
+laenger mit ihm aufgehalten, als er meinte verantworten zu duerfen, nahm ihn
+leise an der Hand und fuehrte ihn die Treppe hinunter. Lossenwerder folgte
+ihm wie in einem Traum.
+
+Das Polizeigebaeude war nur hoechstens fuenfhundert Schritt von dort
+entfernt, und stand an der andern Seite einer kleinen steinernen Bruecke
+die ueber den, mitten durch die Stadt und haeufig ueberbrueckten kleinen Fluss
+fuehrte. Als sie hinunter auf die Strasse kamen, liess der Polizeidiener
+seinen Gefangenen los, kein Aufsehn zu erregen, und fluesterte ihm zu nur
+ruhig neben ihm hinzugehn. Lossenwerder verstand ihn wohl gar nicht, denn
+er sah verstoert zu ihm auf, und dann um sich her, und fand die Augen der
+Voruebergehenden alle neugierig auf sich geheftet; sich aber doch, wenn
+auch nur dunkel, des Zwanges bewusst der auf ihm lag, nahm er sein
+Taschentuch heraus, trocknete sich die feuchte Stirn damit ab, und ging
+mit krampfhaft zusammenengebissenen Zaehnen neben seinem Waechter her. So
+erreichten sie die Bruecke, wo vier oder fuenf Jungen standen, die neugierig
+die Ankommenden betrachteten; Lossenwerder's Blick schweifte ueber sie hin,
+aber er sah sie nicht, bis er dicht bei ihnen war und einer derselben
+spottend rief:
+
+"Hoho, hoho -- Stotterberg hat gestohlen, Stotterberg hat gestohlen!"
+
+Die Anderen stimmten lachend mit in den Ruf ein, und der Polizeidiener
+drehte sich aergerlich und drohend gegen die Buben um, die scheu
+auseinander stoben; Lossenwerder aber fuhr sich mit beiden Haenden
+krampfhaft gegen die Stirn -- "hat gestohlen!" schrie er dabei, ohne zu
+stottern, mit gellendem wilden Schrei, und ehe sein Waechter es verhindern
+konnte, ja nur eine Ahnung davon hatte, warf er sich mit einem
+verzweifelten Sprung, ueber die niedere Ballustrade hin in den unten
+vorbeilaufenden Strom. Noch ueber dem Gelaender erfasste ihn der
+Polizeidiener an einem Rockzipfel, das Gewicht des niederfallenden Koerpers
+war aber zu gross, als dass er es mit einer Hand haette aufhalten koennen, ja
+er musste sogar loslassen, nicht selber das Gleichgewicht zu verlieren, und
+der Unglueckliche schlug gleich darauf auf das Wasser, unter dessen
+Oberflaeche er im naechsten Augenblick verschwand.
+
+Der Fluss war indess hier weder breit noch tief, und auf der ziemlich
+belebten Strasse fanden sich gleich mehre Leute, die unterhalb der Bruecke
+in's Wasser sprangen, das ihnen etwa bis unter die Arme reichte, den
+niedertreibenden Koerper aufzufangen. Sie hatten ihn auch bald erreicht und
+gefasst, und von kraeftigen Armen wurde derselbe an die Oberflaeche gehoben
+und zum Ufer gezogen. Wenn ihm jedoch auch das Wasser selber noch nichts
+geschadet hatte, war der Unglueckliche doch durch den Sturz, in dem er
+wahrscheinlich durch das Zurueckhalten seines Rockes gegen einen der
+Brueckenpfeiler geworfen worden, schwer am Kopf verletzt -- die Wunde
+blutete stark, und die Maenner trugen den Bewusstlosen zuerst auf die
+Polizei, und von dort, auf den Ausspruch eines rasch herbeigerufenen
+Arztes, in die Charite.
+
+
+
+
+
+ Capitel 5.
+
+
+ DIE AUSWANDERUNGS-AGENTUR.
+
+
+Am Marktplatz zu Heilingen, und an der Ecke eines kleinen, auf diesen
+auslaufenden Gaesschens, stand ein ziemlich grosses, gruen gemaltes und gewiss
+sehr altes Erkerhaus, dessen Giebel und Stuetzbalken geschnitzt, und mit
+wunderlichen Koepfen und Gesichtern verziert, und braun angestrichen waren,
+und sich so weit dabei nach vorn ueberneigten, dass es ordentlich aussah,
+als ob der ganze Bau mit dem spitzen, wettergrauen Dach naechstens einmal
+ohne weitere Meldung nach vorn ueber, und gerade mitten zwischen die Toepfer
+und Fleischer hineinspringen wuerde, die an Markttagen dort unten ihre
+Waare feil hielten.
+
+Nichtsdestoweniger wurde es noch immer, bis fast unter das Dach hinauf
+bewohnt, und der untere Theil desselben ganz besonders zu kleinen
+Waarenstaenden und Laeden benutzt. Die Ecke desselben nun, hatte seit langen
+Jahren ein Kaufmann oder Kraemer in Besitz, der sich zu seinen
+Materialwaaren, Kaffee, Zucker, Tabak, Lichten, Gruetze &c. auch noch in
+der letzten Zeit die Agentur mehrer Bremer und Hamburger Schiffsmakler zu
+verschaffen gewusst, und damit bald in einer Zeit, wo die Auswanderungslust
+so ueberhand nahm, solch brillante Geschaefte machte, dass er die
+Materialwaarenhandlung seiner Frau, wie seinem aeltesten Sohn uebertrug, und
+fuer sich selber nur ein kleines Stuebchen, ebenfalls nach dem Markt hinaus,
+behielt, ueber dessen Thuere ein riesiges, sehr buntgemaltes Schild jetzt
+prangte. Dies Schild verdient uebrigens mit einigen Worten beschrieben zu
+werden, da die Heilinger in den ersten Tagen -- als es eben erst
+aufgehangen worden -- in wirklichen Schaaren davor stehen blieben und es
+anstaunten.
+
+Es war ein breites, laenglich viereckiges Gemaelde, ein grosses, dreimastiges
+Schiff vorstellend, wie es sich unter vollen Segeln der fremden, ersehnten
+Kueste naeherte. Die See selber war hellgruen gemalt, mit einer Unmasse von
+sichtbar darin herumschwimmenden Fischen, die den Beschauer wirklich etwas
+besorgt um die Sicherheit des Fahrzeugs selber machen konnten. Dessen
+wackerer Kiel schaeumte aber mitten hindurch, und der, dem Anschein nach
+vollkommen runde, nur nach hinten zu etwas laenglich auslaufende Rumpf,
+presste eine grosse gruen und weiss gestreifte Welle vorne auf, die sich wie
+eine breite Falte quer vor seinen Bug legte. Die Segel standen dazu fast
+ein wenig zu sackartig, und nur an den vier Zipfeln festgehalten, stramm
+und steif von den Raaen ab, und die langen blutrothen Wimpel mit roth und
+weisser Bremer Flagge hinten an der Gaffel, stroemten und flatterten lustig
+nach hinten aus, wahrscheinlich den raschen Durchgang des Schiffes durch
+das Wasser anzuzeigen, das derart, durch den Wind getrieben, selbst diesen
+ueberfluegelte. Ueber Deck war aber auch die Mannschaft, und Kopf an Kopf
+eine volle Reihe bunter Passagiere sichtbar, mit sehr dicken rothen
+Gesichtern, die Gesundheit an Bord des Schiffes bestaetigend, und mit sehr
+hellgelben und sehr breitraendigen, rothbebaenderten Strohhueten auf, waehrend
+hinten auf Deck der Capitain des Schiffes mit einem dreieckigen Hut, wie
+einem Fernglas in der einen und einem Dreizack in der andern Hand stand.
+Was der Maler mit dem Dreizack andeuten wollte weiss nur er und Gott; er
+muesste denn gemeint haben dass der Capitain, wie frueher Neptun, das Meer
+beherrsche. Uebrigens war es auch moeglich dass er fischen wolle, und sich
+mit dem Fernrohr nur eben den staerksten und fettesten der ihn reichlich
+umschwimmenden Fische ausgesucht habe.
+
+Den Hintergrund dieses prachtvollen Seestuecks bildete ein schmaler
+Streifen mit einzelnen Palmen bedeckter Kueste, an der eine Anzahl
+pechschwarzer, nackter Maenner standen, die nur einen gelb und blauen
+Schurz um die Huefte und einen gruenen Busch in der Hand trugen. -- Diese
+sahen uebrigens gerade so aus, als ob sie die Ankunft des Schiffes schon
+sehnsuechtig und vielleicht sehr lange Zeit erhofft haetten, und nun die
+Zeit nicht erwarten koennten dass die Fremden an Land stiegen, damit sie
+geschwind fuer sie arbeiten, und ihnen den Boden urbar machen duerften.
+
+Neben dem Bild, und zu beiden Seiten der Thuer, wie sogar noch an dem
+innern Theile des Fensterschalters, hingen lange Listen der verschiedenen
+anzupreisenden Plaetze fuer Auswanderung. Obenan New-York, Philadelphia und
+Boston, dann Quebeck und New-Orleans, Galveston; in Brasilien, Rio de
+Janeiro und Rio Grande; in Australien Adelaide, dann Chile, Valdivia und
+Valparaiso, und Buenos Ayres mit einer Menge neu entdeckter verschiedener
+Kolonien und Ansiedlungen, wohin ueberall die besten kupferfesten Schiffe
+A, in unglaublich kurzer Zeit und mit Allem versehen ausliefen, was dem
+gluecklichen Passagier das Leben an Bord eines solchen Schiffes nur in der
+That zu einer Vergnuegungsfahrt machen muesse und wuerde.
+
+Weigel, wie der Eigentuemer dieser "auslaendischen Versorgungsanstalt" (ein
+Spottname den die Heilinger der Weigelschen Agentur gaben) hiess, war ein
+dicker, vollgenaehrt und bluehend aussehender Mann, ungefaehr sechs bis
+achtunddreissig Jahr alt, mit ein wenig fest umgeschnuerter Cravatte, was
+seinen Augen etwas Stieres gab, und sonst einem leisen Anflug von Grau in
+den sonst braunen, widerspenstigen Haaren. Die Augen waren gross, blau und
+ziemlich ausdruckslos; ein fast mitleidiges Laecheln aber, das oft, und
+besonders dann wenn er irgend Jemandes Meinung bestritt, um seine
+Mundwinkel spielte, gab dem Ausdruck seiner Zuege jene scheinbare
+Ueberlegenheit, die sich zuversichtliche Menschen oft ueber Andere, wenn
+mann es ihnen gestattet, anzumassen wissen. Ganz vorzueglich wusste er diese
+Miene anzunehmen, wenn er ueber Amerika, oder irgend einen ueberseeischen
+Fleck Landes sprach, ueber dem fuer ihn ein gewisser heiliger und
+unantastbarer Zauber schwamm, und Jemand dann irgend einen Zweifel gegen
+das Gesagte zu hegen wagte. Er schwaermte besonders fuer Amerika, und es gab
+deshalb auch, seiner Aussage nach, keinen groesseren Luegner in der Stadt,
+als den Redacteur des Tageblatts, den Advokaten und Doctor Hayde in
+Heilingen. Dieser und er waren denn auch, wie das sich leicht denken laesst,
+grimme und erbitterte Feinde und Gegner, woselbst sich nur irgend eine
+Gelegenheit dazu fand.
+
+Weigel bekam, wie das gewoehnlich bei den Agenturen der Schiffsbefoerderung
+ueblich und der Fall ist, fuer jede Person die er einem Bremer oder
+Hamburger Rheder sicher an Bord lieferte, einen Thaler, kurzweg genannt
+"fuer den Kopf" und er theilte deshalb die Leute -- seine Mitbuerger sowohl
+wie saemmtliche uebrige Bewohner Deutschland's, in solche ein "die Energie
+hatten," d. h. zu ihm kamen und sich bei ihm einen "Platz nach Amerika"
+besorgen liessen, wo sie nachher drueben selber sehn konnten wie sie fertig
+wurden, und in solche, die "im alten Schlendrian hinkrochen, und hier
+lieber verfaulten, ehe sie einen maennlichen entscheidenden Schritt thaten,
+ihrer Existenz auf die Beine zu helfen." Jeder der hier blieb betrog ihn
+aber wissentlich und mit kaltem Blut um seinen, ihm in ehrlichem Verdienst
+zustehenden Thaler, und es verstand sich von selbst, dass er vor einem
+solchen Menschen keine Achtung haben konnte.
+
+Er selber kannte die Verhaeltnisse Amerika's nur aus Buechern die das Land
+lobten, denn andere las er gar nicht, und bekam er sie einmal zufaellig in
+die Hand, so warf er sie auch gewiss mit einem Kernfluch ueber den
+"nichtswuerdigen Literaten, der wieder einmal einen ganzen Band voll Luegen
+zusammengeschmiert" in die Ecke. Sein groesster Aerger war aber jedenfalls --
+und so regelmaessig wie die Uhr Morgens acht schlug -- das Tageblatt, das er
+der haeufigen Annoncen wegen halten _musste_, und das ebenso regelmaessig
+kleine gehaessige und schmutzige Artikel gegen Amerika wie ueberhaupt gegen
+Alles brachte, was sich frei und selbststaendig bewegte.
+
+Zehnmal hatte er sich schon vorgenommen den "kleinen erbaermlichen Doctor"
+zu pruegeln, und sehr vielen Leuten wuerde er dadurch ein grosses Vergnuegen
+bereitet haben; aber er unterliess es doch jedesmal auch wieder, wenn sich
+ihm gleich oft genug die Gelegenheit dazu bot; Beide mussten jedenfalls
+schon einmal frueher etwas mit einander gehabt haben, vielleicht mehr von
+einander wissen als Beiden zutraeglich war, und ein solcher Bruch waere da
+nicht raethlich gewesen.
+
+Sonst lebte Weigel still, und anscheinend als ein vollkommen guter und
+achtbarer Buerger, vor sich hin, aber im Stillen wirkte und wuehlte er
+seinem Ziel entgegen, und richtete in der That viel Unheil an. Seine
+Beschreibungen Amerika's, die er sich selber in kleinen Brochueren aus
+anderen Buechern zusammentrug, und um ein Billiges verkaufte, waren ein
+langsames Gift, das er in manche friedliche und glueckliche Familie warf,
+ein Saatkorn das dort wucherte und Wurzel schlug, und waehrend es die Leser
+anreizte nur gleich ohne weiteres ihr Buendel zu schnueren und jenen
+herrlichen Laenderstrichen zuzueilen, wo von da an ihr Leben nur einem
+murmelnden Bache gleichen wuerde, der zwischen Blumen dahin fliesst, fuellte
+er ihre Koepfe mit falschen Ideen und Begriffen von dem Land, das ihre neue
+Heimath werden sollte, und machte viele, viele Menschen ungluecklich. In
+der neuen Heimath dann angekommen, die ihnen, mit maessigen Anspruechen,
+wirklich Manches geboten haben wuerde was ihre Lage, im Vergleich mit dem
+alten Vaterland gebessert haben koennte, fanden sie sich jetzt ploetzlich in
+all den wilden extravaganten Ideen, die sie durch solche Lectuere
+eingesogen, enttaeuscht, fanden die Hoffnungen nicht realisirt, die man
+ihnen gemacht, hielten sich fuer schlecht behandelt und ungluecklich, und
+verfielen nun oft in das Extrem trostloser und eben so unbegruendeter
+Verzweiflung, wobei sie den Mann verwuenschten, der sie hierverlockt, und
+sie verleitet hatte, Heimath und eigenen Heerd zu verlassen, einem Phantom
+zu folgen. Weigel aber hatte seinen Thaler fuer den richtig abgelieferten
+"Kopf" bekommen, und dachte schon gar nicht mehr an die frueher
+Befoerderten, die seiner Meinung nach jetzt in einem Meer von Behagen
+schwammen und "unter Palmen wandelten."
+
+Herr Weigel war allein in seinem kleinen Bureau, einem niederen, etwas
+dumpfen und nicht ueberhellen Stuebchen, dessen eines breites Fenster mit
+durch Zeit und Rauch arg mitgenommenen Gardinen verziert war, waehrend die
+Waende durch Karten und statistische Tabellen-Anzeigen von Schiffen und
+Gasthaeusern, Plaenen von neuangelegten Staedten oder zu verkaufenden Farmen
+fast voellig bedeckt hingen. Er sass an einem hohen, ziemlich breiten Pult,
+das einen maechtigen Kamm von Gefachen und Schiebladen trug und las, mit
+einer Tasse Kaffee neben sich, eben seinen taeglichen Aerger, das
+Tageblatt, als es an die Thuer klopfte, und auf sein lautes "Herein" ein
+junger, sehr anstaendig, aber trotzdem etwas aermlich gekleideter Mann das
+Zimmer betrat.
+
+"Herr Weigel?" sagte der Fremde mit einer leichten Verbeugung.
+
+"Bitte -- ja wohl," sagte Herr Weigel, seine Brille rasch in die Hoehe
+schiebend und auf seinem Drehstuhl herumfahrend, seinen Besuch besser in's
+Auge zu fassen -- "womit kann ich Ihnen dienen?"
+
+"Sie befoerdern Passagiere nach Amerika?"
+
+"Nach Amerika? -- denke so, hehehe," lachte Herr Weigel, sich vergnuegt die
+Haend reibend, "habe schon ganze Colonien hinueber geschafft, Maenner und
+Frauen, Weiber und Kinder; sitzen jetzt drueben in der Wolle und schreiben
+einen Brief ueber den andern an mich, wie gut es ihnen geht -- da nur den
+einen hier, den ich vor ein paar Tagen bekommen habe -- der Mann ist blos
+mit zwei tausend Dollarn hinuebergegangen und hat schon eine eigene Farm,
+achtzig Acker Land, vierundzwanzig Stueck Rindvieh, einige sechzig
+Schweine, fuenf Pferde und will jetzt eine Schaeferei anlegen -- schreibt an
+mich ich soll ihm einen Schaefer hinueber schicken, aber einen der die Sache
+aus dem Grund versteht, kommt ihm auf ein paar Dollar Lohn nicht dabei an
+-- bitte lesen Sie einmal den Brief."
+
+"Sie sind sehr freundlich Herr Weigel," sagte der junge Fremde mit einem
+verlegenen wie schmerzhaften Zug um den Mund -- "aber der Brief wuerde
+gerade nicht massgebend fuer mich sein, da ich mich gegenwaertig nicht in den
+Verhaeltnissen befinde, gleich einen Platz zu _kaufen_. Sind die
+Passagierpreise jetzt theuer?"
+
+"Theuer? spottbillig," lachte Herr Weigel, den Brief offen wieder zurueck
+auf sein Pult, und seine Brille darauf legend, ihn zu weiterem Gebrauch
+bereit zu haben; "spottbillig sag' ich Ihnen, man koennte wahrhaftig auf
+dem festen Land nicht einmal dafuer leben -- _so_ nicht; und unter uns -- ich
+weiss wahrhaftig nicht wie die Leute dabei auskommen, aber es muss eben die
+rasende _Menge_ von Passagieren machen, die sie jetzt woechentlich, ja fast
+taeglich hinueber spediren. Es ist fabelhaft was jetzt fuer Menschen
+auswandern; auf einmal werden sie Alle gescheidt, und merken endlich was
+sie hier haben, und was sie dort erwartet -- ist doch ein famoses Land, das
+Amerika."
+
+Und wie viel betraegt die Passage nach dem _naechsten_ Hafen der Vereinigten
+Staaten, wenn ich fragen darf, fuer -- fuer eine erwachsene Person und ein
+Kind?"
+
+"_Naechsten_ Hafen? -- hehehe, fuerchten sich wohl vor der Seekrankheit?
+lieber Gott, daran gewoehnt man sich bald; ist auch gar nicht so arg wie's
+eigentlich gemacht wird. Der Mensch, der Doctor Hayde hier im Tageblatt,
+hat neulich einen Artikel ueber die Seekrankheit gebracht den er
+wahrscheinlich auch selber geschrieben, und wonach Einem gleich ach und
+weh zu Muthe werden muesste; der ist aber nur dazu bezweckt den Leuten das
+Auswandern zu verleiden. Sie moechten sie gern hier behalten, damit sie sie
+nur recht ordentlich plagen und schinden koennen, weiter Nichts; davor
+braucht sich kein Mensch zu fuerchten."
+
+"Sie wollten mir aber den _Preis_ der Passage nennen."
+
+"Den Preis? -- ja so -- warten Sie einmal" -- sein Blick fiel auf die
+Glacehandschuhe und die schneeweisse Waesche des Fremden, dessen etwas
+abgetragene Kleider er in dem halbdunklen Raum nicht so leicht erkennen
+konnte, oder auch uebersah -- "der Preis -- Dampfschiff oder Segelschiff?"
+
+"Segelschiff."
+
+"Segelschiff -- wird -- sein -- Preis in erster Cajuete vier und achtzig
+Thaler Gold."
+
+"Und die -- die billigeren Plaetze?"
+
+"Billigeren Plaetze -- zweite Cajuete oder Steerage fuenfundsechzig Thaler
+Gold -- "
+
+"Und Zwischendeck?" sagte der Fremde leise und verlegen.
+
+"Zwischendeck wuerde ich Ihnen nicht rathen," meinte Herr Weigel, seine
+Brille jetzt abwischend und wieder aufsetzend; "besonders wenn man eine
+Frau und ein Kind bei sich hat und es nur irgend ermachen kann, sollte man
+nie Zwischendeck gehn, man ruinirt sich's und den Seinigen an der
+Gesundheit herunter, was die paar Thaler mehr kosten."
+
+"Aber Sie koennen mir wohl den Preis des Zwischendecks sagen?"
+
+"Ja wohl, mit dem groessten Vergnuegen -- Zwischendeck nach New-York kostet --
+warten Sie einmal, ich habe ja hier die letzten Briefe von meinen Haeusern.
+Zwischendeck nach New-York kostet vierundvierzig Thaler Gold."
+
+"Vierundvierzig Thaler?"
+
+"Ja es ist seit ein paar Tagen erst wieder um vier Thaler aufgeschlagen,
+weil die Leute eben nicht Schiffe genug anschaffen koennen fuer die
+Auswanderer. Ist fabelhaft was besonders dieses Jahr fuer Leute
+uebersiedeln. Soll ich Sie vielleicht einschreiben? es trifft sich jetzt
+gerade gluecklich, denn am 15ten geht ein ganz vortreffliches Schiff ab,
+die _Diana_, Dreimaster, gut gekupfert, mit allen nur moeglichen
+Bequemlichkeiten versehn und einem Capitain, ich sage Ihnen ein wahrer
+Schentelmann, wie er sich gerade nicht immer auf den Schiffen findet."
+
+"Ich danke Ihnen fuer jetzt noch bestens, lieber Herr Weigel," sagte der
+junge Mann -- "ich muss doch nun erst mit meiner Frau Ruecksprache ueber diess
+nehmen, denn erst seit gestern ist mir die Idee ueberhaupt gekommen
+auszuwandern; aber -- noch eine Bitte haette ich an Sie," und er drehte
+dabei den Hut den er in der Hand hielt, fast wie verlegen zwischen den
+Fingern -- "
+
+"Ja? womit koennte ich Ihnen dienen?" frug Herr Weigel.
+
+"Koennten Sie mir wohl sagen, ob die Capitaine der Segelschiffe -- ich habe
+einmal irgendwo gelesen dass das manchmal geschaehe -- auch Leute --
+Passagiere mitnaehmen, die unterwegs ihre Passage -- abarbeiten duerften und
+also -- auch keine Ueberfahrt zu bezahlen brauchten?"
+
+"Keine Passage zahlen?" sagte Herr Weigel, die Lippen vordrueckend und die
+Augenbrauen in die Hoehe ziehend, waehrend er langsam und halb laechelnd mit
+dem Kopfe schuettelte -- "keine Passage bezahlen? -- ne lieber Herr -- ja so
+wie heissen Sie denn gleich -- "
+
+"Eltrich," sagte der junge Mann etwas zoegernd --
+
+"So? -- ne mein lieber Herr Eltrich, davon steht Nichts in unseren
+Verzeichnissen und Contracten; im Gegentheil, _da_ kommen wir zusammen;
+das ist der Hauptpunkt, der Nervum Rehrum, der die ganze Geschichte
+eigentlich zusammenhaelt, Amerika und Europa und die umliegenden
+Dorfschaften, heh, heh, heh."
+
+"Aber wenn nun irgend ein armer Teufel," fuhr der Fremde etwas lauter,
+fast wie aengstlich fort -- "irgend ein armer Teufel sein ganzes Hoffen eben
+auf eine Reise nach Amerika gesetzt haette, und bestimmt wuesste dass er dort,
+wenn auch nicht gerade sein Glueck machen, doch sein Auskommen finden
+wuerde? -- "
+
+"Nun dann soll er gehn -- um Gottes Willen gehn, und am 15ten dieses wird
+wieder das neue, kupferfeste -- ja so, aber er muss bezahlen," unterbrach er
+sich rasch als ihm einfiel von was sie vor erst wenigen Secunden
+gesprochen, "er muss bezahlen, sonst nimmt ihn kein Capitain der Welt mit
+ueber See."
+
+"Und Sie glauben nicht dass da jemals eine Ausnahme stattfinden duerfte?"
+sagte Herr Eltrich -- "es werden doch Leute auf See gebraucht zu den
+nothwendigsten sowohl, wie den geringeren Arbeiten, und die Capitaine
+muessen gewiss dafuer _bezahlen_. Wenn sich also nun Jemand erboete alle diese
+Verrichtungen ganz _umsonst_, nur um Passage und die einfachste
+Matrosenkost zu machen, sollte das nicht moeglich sein zu erlangen?"
+
+"Lieber Herr," sagte der Herr Weigel, dem es jetzt so vorkommen mochte als
+ob er mit dem Fremden da kein besonders grosses Geschaeft machen wuerde, und
+der anfing ungeduldig zu werden, "zu den Arbeiten an Bord eines Schiffes
+werden _Matrosen_ gebraucht, und wer kein Matrose ist, kann die auch nicht
+verrichten. Das ist keine kleine Kunst, lieber Herr Schelbig, in den Tauen
+den ganzen Tag herumzuklettern und zwischen den Segeln, wenn das Schiff
+bald so herueberschlenkert und bald so" -- und er begleitete dabei seine
+Erklaerung mit einer entsprechenden Bewegung der vor sich gerade
+aufgehaltenen Hand -- "da muessen die Leute fest stehen koennen wie die
+Mauern, sonst kann man sie nicht gebrauchen."
+
+"Aber glauben Sie nicht, wenn man einmal an einen Capitain schriebe, ob er
+sich doch nicht am Ende bewegen liess; oder" -- setzte er rasch hinzu, wie
+von einem ploetzlichen Gedanken ergriffen, "wenn man sich nun verbindlich
+machte die Passage nach einer bestimmten Zeit in Amerika nachzuzahlen --
+sie dort abzuverdienen?"
+
+"Ja da koennte Jeder kommen," sagte Herr Weigel kopfschuettelnd, "wenn die
+Leute erst einmal drueben sind, thun sie was sie wollen. Das ist ein freies
+Land da drueben, Herr Wellrich, und da koennte man nachher jedem Einzelnen
+nachlaufen, und sehen dass man sein Geld wieder kriegte. Ne, damit ist's
+faul, und ich nun einmal vor allen Dingen, moechte mich nicht auf solch
+eine Quaengelei einlassen; daran hat man keine Freude, und das ist auch
+kein rundes Geschaeft."
+
+"Es ist nur ein armer Verwandter, der sich auf solche Weise gern
+forthelfen wuerde," sagte Herr Eltrich erroethend -- "er ist sehr fleissig und
+wuerde arbeiten wie ein Sclave, die Zeit ueber."
+
+"Ja das glaub' ich," meinte Herr Weigel gleichgueltig -- "versprechen thun
+die Art Herren gewoehnlich Alles was man von ihnen haben will."
+
+"Koennten Sie mir denn vielleicht die Adresse irgend eines Schiffes oder
+Rheders geben, der bald ein Schiff hinueberschickt," sagte der junge
+Fremde, sich schon wieder zum Gehen ruestend -- "wenn ich vielleicht selber
+einmal dorthin schriebe, um Sie nicht weiter mit der Sache zu belaestigen."
+
+"Ja, schreiben koennen Sie," sagte Herr Weigel, "hehehe; aber Sie werden
+keine Antwort bekommen; darauf koennen Sie sich verlassen. Die Leute da
+haben mehr zu thun, als sich eines Passagiers wegen, fuer den sie noch
+umsonst die Kost hergeben muessten, in eine Correspondenz einzulassen; kann
+ich ihnen auch gar nicht so sehr verdenken."
+
+"Und die Adresse?"
+
+"Die Adresse? -- da, hier liegt die neueste Auswanderer-Zeitung; wenn Sie
+wollen, koennen Sie sich da ein oder zwei Adressen herausschreiben. Da
+hinten, auf der letzten Seite stehen sie."
+
+Herr Weigel sah nach der Uhr, drehte sich wieder auf seinem Drehstuhl, der
+beim Aufschrauben etwas quietschte, herum, schob das Tageblatt zur Seite
+und rueckte sich einen Bogen Papier zurecht, als ob er irgend einen
+nothwendigen Brief zu schreiben haette.
+
+Wieder klopfte es da an die Thuer, und diessmal, ohne ein ermunterndes
+"Herein" zu erwarten, oeffnete sie sich, und drei Bauern, denen die grossen
+silbernen Knoepfe auf Weste und Rock und das feine Tuch der letzteren, die
+jedoch ganz nach ihrem alten baeurischen Schnitt gemacht waren, etwas
+ungemein solides gaben, traten, die Huete erst unter der Thuer und schon im
+Zimmer abziehend, herein, und gruessten die beiden Leute die sie hier
+beisammen fanden, mit einem herzlichen "Guten Morgen miteinander."
+
+Das waren die Leute die Herr Weigel gern kommen sah, die wussten wesshalb
+sie die eine Hand immer in der Tasche trugen, denn sie hatten dort etwas
+zu verlieren, und waren nicht selten dabei die Vorboten eines groessern
+Trupps, oft einer ganzen "Schiffsladung voll" die aus ein und derselben
+Gegend auswandern wollte, und ein paar der Angesehensten indess
+vorausgeschickt hatte, Platz fuer sie zu bestellen. Wie der Blitz war er
+denn auch von seinem Stuhle herunter, schuettelte ihnen nacheinander die
+Hand, und frug sie wie es ihnen ginge und was sie hier zu ihm gefuehrt.
+
+"Seid Ihr der Mensch der die Leute nach Amerika schickt?" sagte da der
+Eine von ihnen, eine breitkraeftige, sonngebraeunte Gestalt mit vollkommen
+lichtblonden Haaren und Augenbrauen, aber dabei gutmuethigen vollen und
+frischen Zuegen, dem das Ganze uebrigens etwas fremd und unheimlich
+vorkommen mochte, denn er warf den Blick waehrend er sprach wie scheu von
+einer der Schiffszeichnungen zur anderen, und schien sich ordentlich dazu
+zwingen zu muessen das zu sagen, was er eben hier zu sagen hatte.
+
+"Nun nach Amerika _schicken_ thu' ich sie gerade nicht," laechelte Herr
+Weigel, die Anderen dabei ansehend, und etwas verlegen ueber die vielleicht
+ein wenig plumpe Anrede.
+
+"Nicht?" sagte der Bauer rasch und erstaunt -- "aber hier haengen doch all
+die vielen Schiffe."
+
+"Nun ja, ich besorge den Leuten Schiffsgelegenheit die hinueber _wollen_,"
+sagte Herr Weigel, jetzt geradezu herauslachend, weil er glaubte dass sich
+der Mann mit ihm einen Scherz gemacht, auf den er natuerlich einzugehen
+wuenschte."
+
+"Ja aber wir _wollen_ eigentlich noch nicht hinueber," sagte der zweite von
+den Bauern, seinen Hut auf seinen langen Stock stellend, und sich dabei
+verlegen hinter den Ohren kratzend -- "wir wollten uns nur erst einmal hier
+erkundigen ob denn das auch wirklich da drueben so ist, wie es jetzt immer
+in den Auswanderungszeitungen steht, und ob man blos hinueberzugehn und
+zuzulangen braucht, wenn man eine gut eingerichtete Farm mit ein paar
+hundert Morgen Land haben will."
+
+"Ja wenn man Geld hat," lachte Herr Weigel.
+
+"I nu -- Geld haetten wir," sagte der Bauer, und sah seine Nachbarn an.
+
+"Ich bin Ihnen sehr dankbar," unterbrach den Sprecher hier der junge Mann,
+der indessen die Zeitung nachgesehn, und sich Einzelnes daraus notirt
+hatte. "Bitte," sagte Herr Weigel, und nahm ihm das Blatt, ohne sich
+weiter um ihn zu bekuemmern, aus der Hand, und wandte sich wieder zu den
+Bauern, als der junge Fremde sich mit einem artigen:
+
+"Guten Morgen meine Herren" empfahl.
+
+"Adje Herr -- Herr Schnellig," rief der Agent ziemlich laut hinter ihm her,
+ohne sich weiter nach ihm umzudrehen, waehrend die Bauern freundlich den
+Gruss in ihrer Art erwiederten.
+
+"Wer war der junge Herr?" frug der erste Sprecher aber, als er die Thuer
+rasch hinter sich in's Schloss gedrueckt.
+
+"Ach, ein armer Teufel, der gern mit umsonst nach Amerika hinueber moechte,"
+sagte Herr Weigel -- "er thut zwar als waer' es nur fuer einen armen
+Verwandten, aber, hehehe, derlei Ausreden kennen wir schon -- kommen alle
+Wochen vor."
+
+"Umsonst mit nach Amerika?" sagte der erste Sprecher verwundert, "_der_
+sieht doch nicht aus als ob er etwas umsonst haben wollte, der ging ja
+_so_ fein gekleidet; Donnerwetter -- mit Handschuhen und allem -- "
+
+"Ja auswendig sind die Leute in der Stadt meist alle schwarz und sauber
+angestrichen," lachte Herr Weigel, "aber inwendig, in den Taschen, da
+hapert's nachher. Wer aber ein Bischen Uebung darin hat, kann auch schon
+oben auf erkennen, ob der Lack aecht, oder blos nachgemacht ist, hehehe."
+
+"Bei dem war er wohl nachgemacht?" sagte der zweite Bauer, dem Anschein
+nach gerade nicht unzufrieden damit, dass der "glatte Stadtmensch" nicht so
+viel galt wie sie, und dass der Auswanderungsmann das sogleich durchschaut
+hatte. Herr Weigel nickte, seine Zeit war ihm aber kostbarer, als sie noch
+laenger an Jemanden zu verschwenden, bei dem er doch voraussah, dass er von
+ihm keinen Nutzen haben wuerde, und er suchte das Gespraech wieder dem mehr
+praktischen Anliegen der drei Bauern zuzulenken.
+
+"Also Sie wollten mitsammen nach Amerika gehn und sich eine ordentliche
+Farm, gleich mit Land, Vieh, Haeusern und was dazu gehoert, ankaufen heh? --
+'waer keine so schlechte Idee."
+
+"Ja erst moechten wir aber einmal wissen wie die Sache steht;" sagte der
+Erste wieder, der Menzel hiess, "wenn man ueber einen Zaun springen will,
+ist es viel vernuenftiger dass man erst einmal hinueber guckt was drueben ist,
+und wenn man das nicht kann, dass man Jemanden fragt der es genau weiss.
+Sind denn die Farmen da drueben wirklich so billig? -- ist das wahr, dass man
+dort noch gutes frisches Land fuer ein und einen Viertel Thaler kaufen
+kann?"
+
+"Thaler? -- nein," sagte Herr Weigel, "_Dollar_." "Ja nun, das ist aber
+auch nicht viel mehr," meinte der Zweite, Mueller.
+
+"Nun ein Dollar ist ungefaehr ein Speciesthaler," sagte Herr Weigel --
+"lassen Sie mich einmal sehn -- die stehn jetzt -- stehn jetzt 1 Thlr. 121/2
+Silber- oder Neugroschen."
+
+"Nu ja," sagte Menzel wieder, "das ist aber immer kein Geld -- und fuer
+tausend Dollar kauft man da eine fix und fertig eingerichtete Farm, wie
+sie's glaub' ich nennen? mit Allem was dazu gehoert?"
+
+"Ich habe hier gerade," sagte Herr Weigel in seinen Papieren suchend, "ein
+paar Anerbietungen von hoechst achtbaren Leuten -- wirklichen Amerikanern --
+die mir Farmen zu hoechst maessigen Bedingungen offeriren. -- Die Leute wissen
+da drueben dass hier Viele zu mir kommen und sich nach solchen Plaetzen
+erkundigen, und wenn sie dann 'was Gutes haben, schicken sie's mir. -- Wo
+hab' ich denn die verwuenschten Plaene jetzt hingelegt -- ah, hier ist der
+eine -- sehn Sie, Gebaeude und Alles sind darauf angegeben -- und der andere
+kann nun auch nicht weit sein; ich habe sie erst vorgestern meinem Bruder
+gezeigt, der gar nicht uebel Lust hatte eine davon fuer sich zu kaufen -- da
+ist er."
+
+Die drei Bauern draengten sich um den kleinen Tisch herum auf dem Herr
+Weigel die Plaene jetzt ausbreitete, und suchten sich in den kreuz und quer
+laufenden Strichen zu orientiren, wie der Platz eigentlich liege, und was
+darauf staende.
+
+"Ja aber wo ist denn das nun eigentlich, und wie sieht's dort aus?" sagte
+Menzel endlich, nach einigen vergeblichen Versuchen deshalb -- "aus der
+Geschichte hier wird man nicht klug."
+
+"Ja sehn Sie," sagte Weigel, mit seinem Finger den Plan erklaerend, und den
+angegebenen Zahlen folgend, "das hier, Nr. 1 ist das Wohnhaus, ein
+Doppelgebaeude, der Zeichnung nach mit einer offenen Veranda dazwischen,
+des warmen Klima's wegen, denn drum herum stehen "Baumwollenbaeume"
+angegeben; Nr. 2 da ist ein anderes Gebaeude, bis jetzt zu Negerwohnungen
+benutzt, denn der bisherige Besitzer scheint Sclaven gehalten zu haben;
+Nr. 3 ist eine Scheune; Nr. 4 ist ein Rauchhaus, die Leute verschicken von
+dort aus viel getrocknetes Fleisch; Nr. 5 ist, wie es scheint, ein
+Waschhaus, und Nr. 6 ein anderes Wohnhaus, was dem ersten gegenuebersteht,
+und wahrscheinlich den ganzen Hofraum, da die Front nach dem Flusse zu
+liegt, abschliesst.
+
+"Und welcher Fluss ist das?"
+
+"Der Missouri, einer der groessten Stroeme Amerika's, ueber eine englische
+Meile breit, und viel hundert Meilen hinauf schiffbar; alle Wetter meine
+Herren, von den dortigen Stroemen koennen wir uns hier gar keinen Begriff
+machen."
+
+"Hm -- und wieviel Land gehoert dazu?"
+
+"Dazu gehoert ein "Died" von 40 Acker, was frueher als Congressland gekauft
+und schon bezahlt ist, und natuerlich mit uebernommen wird, und um den Platz
+herum kann noch so viel Congressland dazu genommen werden, wie man haben
+will -- nur die vierzig Acker, von denen aber ein Theil schon urbar gemacht
+ist, muessen natuerlich hoeher bezahlt werden."
+
+"Und was soll die ganze Geschichte kosten?" frug Mueller. -- Der dritte,
+dessen Name Brauhede war, hatte noch kein einziges Wort zu der ganzen
+Verhandlung gesagt.
+
+"Die ganze Geschichte," erwiederte Weigel, sich das Kinn streichend, "wie
+ich sie Ihnen hier gleich an Ort und Stelle ueberlassen kann, mit Haeusern
+und Grundstueck und dazu noch einem kleinen Viehstand von vielleicht
+einigen achtzig Stueck Rindvieh, und fuenfundfunfzig oder sechzig Schweinen,
+wuerde -- etwa -- ein tausend und einige sechzig spanische Dollar betragen --
+"
+
+"Und das waere nach unserem Geld?" sagte Menzel, Mueller dabei heimlich
+unter dem Tisch anstossend -- "
+
+"Nach unserem Geld?" wiederholte Herr Weigel, mit einem Stueck dort
+liegender Kreide die Summen rasch auf dem Tisch selber aufaddirend --
+"wuerde es in einer runden Zahl etwa 1000 -- 400 -- eine Kleinigkeit ueber
+1400 Thlr. Preuss. Courant betragen."
+
+"Wieviel Stueck Rindvieh?" sagte Mueller.
+
+"Einige achtzig Stueck sind angegeben," sagte Weigel, "und muessen auch
+ueberliefert werden; aber gewoehnlich sind es noch mehr, denn das Vieh laeuft
+draussen im Freien herum und bekommt Kaelber und man weiss es oft nicht
+einmal -- die Kaelber werden ueberhaupt nie mitgezaehlt."
+
+"Und die Passage hinueber kostet?" frug Menzel --
+
+"Zwischendeck oder Cajuete?"
+
+"Zwischendeck -- immer wo's am Billigten ist," lachte Menzel, und strich
+sich wohlgefaellig ueber die silbernen Knoepfe.
+
+"Ja, kann mir's denken," rief Herr Weigel, auf den Scherz eingehend, und
+ihn leise gegen den Arm von sich stossend -- "Sie sehn mir auch gerade aus,
+als ob's Ihnen auf ein paar Thaler ankaeme."
+
+"Ja, wo man's kann muss man's zusammennehmen," betheuerte aber auch Mueller
+-- "also wieviel kostet's im Zwischendeck a Person?"
+
+"Vierundvierzig Thaler fuer die Person -- Kinder zahlen die Haelfte."
+
+"Aber ganz kleine Kinder?" sagte Mueller.
+
+"Nun Saeuglinge gehen ein," lachte Herr Weigel, "das ist die Beilage, die
+doch auch nur vom Schiff aus indirecte Nahrung bekommen."
+
+"Leichten Zwieback?" frug Menzel.
+
+"Ja wohl," sagte Herr Weigel, etwas verlegen laechelnd, da er nicht wusste
+ob der Bauer das im Spass oder Ernst gemeint -- "wie viel Personen sind Sie
+denn aber wohl etwa?"
+
+"Nu, so eine sechzig moechten wir immer zusammen herausbekommen," meinte
+Mueller --
+
+"Aber Alle auf ein Schiff muesstet Ihr uns bringen," sagte Menzel.
+
+"Nun das versteht sich von selbst," rief Herr Weigel, und ein famoses
+Schiff geht gerade den funfzehnten ab -- ich glaube das beste, das von
+Bremen und Hamburg ueberhaupt laeuft -- die Diana."
+
+"Ne das waer' uns noch zu frueh -- "
+
+"Am ersten naechsten Monats geht ein noch besseres," sagte Herr Weigel --
+"wenigstens geraeumiger und ein besserer Segler."
+
+"Ne das waer' uns auch noch zu frueh," sagte Menzel.
+
+"Gut, dann traefen Sie es gerade ausgezeichnet mit dem Meteor," versicherte
+Herr Weigel, keineswegs ausser Fassung gebracht; "ich wollte Ihnen den im
+Anfang nicht anbieten, weil ich fuerchtete dass Sie frueher zu reisen
+wuenschten, wenn Sie aber _so_ lange Zeit haben, dann kann ich Ihnen
+allerdings die vorzueglichste Reisegelegenheit bieten, die sich nur
+ueberhaupt denken laesst."
+
+"So -- na das passte schon besser -- " sagte Mueller -- "wie hiess das Schiff
+gleich?"
+
+"Meteor."
+
+"Hm -- werd' es mir merken -- aber nicht wahr, beim _Dutzend_ kriegen wir
+die Passage doch auch was billiger."
+
+"Ne, das geht nicht," lachte aber Herr Weigel da gerade heraus; "es ist ja
+nicht so, dass ein Schiff nur eben so viel Menschen an Bord nehmen kann wie
+darauf Platz haben, sondern es muss auch genug Raum, und ueber und ueber
+genug Essen und Trinken fuer sie dabei sein, wenn einmal die Reise, in
+einem ungluecklichen Fall laenger dauerte als gewoehnlich. So ein Schiff hat
+deshalb auch nur eine bestimmte Zahl von Auswanderern, die es an Bord
+nehmen kann, und nach Amerikanischen Gesetzen nehmen _darf_, und auf die
+ist Alles mit Kosten und Preis ausgerechnet, auf's tz. Die kleinen Kinder
+werden eingegeben, aber die grossen muessen bezahlen. Und wie war's mit der
+Farm?"
+
+"Wo ist denn der andere Platz -- zu dem da der lange Zettel gehoert?" sagte
+Menzel, der sich diesen indessen genau betrachtet, und nach allen Ecken
+herum und herumgedreht hatte, ohne, wie er meinte, einen Handgriff dran
+bekommen zu koennen.
+
+"Der hier? der ist in Wisconsin; auch ein guter Platz, aber kein so grosser
+Strom dabei," sagte Herr Weigel -- "ist aber auch billiger. Dort kann ich
+Ihnen eine Farm, allerdings nur mit einigen vierzig Kuehen, fuer etwa
+siebenhundertundfunfzehn Dollar ueberlassen, und dann habe ich noch fuenf
+andere von sechs, acht, elf, neun und ich glaube zwoelfhundert Dollar -- die
+letztere ist aber eine wirkliche Musterwirthschaft mit importirtem
+Schweizervieh, und Backsteingebaeuden, und einer prachtvollen Lage Milch
+und Butter in die nicht zu entfernte Stadt zu bringen; wird Ihnen aber
+auch freilich wohl zu theuer sein?"
+
+"Zu theuer? -- warum?" sagte Menzel -- "wenn man sich einmal etwas kauft,
+soll man sich auch gleich 'was ordentliches anschaffen. Ich habe mir
+uebrigens die Sache immer viel schwieriger vorgestellt mit dem Ankaufen,
+und gedacht, dass man da erst lange in der Welt umher fahren und sein Geld
+verreisen muesste. Wenn man das gleich hier an Ort und Stelle abmachen kann,
+ist das ja weit bequemer."
+
+"Auf eins moechte ich Sie uebrigens noch aufmerksam machen, meine Herren,
+was Sie ja nicht versaeumen duerfen," sagte Herr Weigel -- "naemlich sich hier
+gleich Ihre Billets zur Weiterfahrt in's Innere, wohin Sie auch immer
+wollen, zu loesen.
+
+"Von Neu-York aus?" sagte Menzel verwundert.
+
+"Ja wohl von Neu-York oder Philadelphia oder wohin Ihr Reiseziel liegt."
+
+"Ja aber kann man denn die _hier_ bekommen?" frug Mueller.
+
+"Gewiss kann man das," laechelte Herr Weigel, "und das ist gerade der
+ungeheure Vortheil unserer jetzigen Verbindung, die den Auswanderer von
+der Thuer seiner alten Heimath fort, vor die seiner neuen setzt, ohne dass
+er ein einziges Mal in die Tasche zu greifen und mehr zu bezahlen braucht,
+als was er gleich von allem Anfang entrichtet hat. Das eben macht auch das
+Reisen jetzt so billig, dass man mit _einem_ Blick im Stande ist saemmtliche
+Kosten zu uebersehn; die Extra-Ausgaben fallen ganz weg."
+
+"Das waere freilich ein Glueck," sagte Mueller, von dem erst vor einigen
+Monaten ein Bruder "hinueber" gegangen war -- "die Extra-Ausgaben fressen
+sonst das meiste Geld."
+
+"Ob sie's fressen, bester Herr, ob sie's fressen," sagte Herr Weigel, sich
+wieder vergnuegt die Haende reibend.
+
+"Und wo kann man die Billete also bekommen?" frug Menzel.
+
+"Bei mir hier, versteht sich," sagte Herr Weigel -- "alle bei mir."
+
+"Und die gelten dann drueben?"
+
+"Nun versteht sich doch von selbst," lachte der freundliche Agent, "ich
+wuerde sie ja Ihnen doch sonst nicht verkaufen. Sehn Sie, wenn die
+Deutschen hinueber kommen, dann sprechen sie gewoehnlich noch kein Englisch
+-- oder haben Sie das etwa schon gelernt?"
+
+"Ne -- "
+
+"Nun sehn Sie, und dann werden sie dort von ihren Landsleuten -- denn der
+Amerikaner ist nicht halb so schlimm -- die sich das richtig zu Nutze zu
+machen wissen, tuechtig ueber's Ohr gehauen, und muessen gewoehnlich gerade
+noch einmal so viel bezahlen, als die Sachen eigentlich kosten.
+
+"Aber es soll doch eine "Deutsche Gesellschaft" drueben in Neu-York sein,"
+sagte jetzt Brauhede, der zum ersten Mal bei der ganzen Verhandlung den
+Mund aufthat -- "die sich eben der Deutschen annimmt und Nichts dafuer
+verlangt."
+
+"Leben wollen wir _Alle_," sagte Herr Weigel achselzuckend -- "umsonst ist
+der Tod, und dass die Leute, wenn sie ihre Zeit darauf verwenden fuer die
+Deutschen zu sorgen, auch etwas dafuer nehmen werden, laesst sich wohl an den
+fuenf Fingern abzaehlen. Neu-York ist aber ein theures Pflaster, die Leute
+_brauchen_ dort mehr wie wir hier, und wer es daher _billiger_ thun kann
+ist auch wieder leicht einzusehn. Ich will mich auch keineswegs empfehlen;
+lieber Gott es giebt noch eine Menge Leute in Deutschland, die sich
+demselben schwierigen und undankbaren Geschaeft unterzogen haben wie ich,
+und die es sich vielleicht eben so sauer werden lassen gerade und ehrlich
+durch die Welt zu kommen; aber Einen der es besser _meint_ dabei, werden
+Sie wohl schwerlich finden, und ich ueberrede gewiss Niemanden nach Amerika
+auszuwandern. Jeder Mensch muss seinen freien Willen haben, und auch am
+Besten selber wissen was ihm gut ist."
+
+"Ne gewiss," sagte Menzel -- "da habt Ihr ganz recht, das ist auch mein
+Grundsatz; aber das mit dem Amerika leuchtet mir auch ein, und umsonst
+thut da gewiss Niemand etwas -- das sind verflixte Kerle da, hab' ich mir
+sagen lassen, besonders die Deutschen, und wo die nicht wollen gucken sie
+nicht 'raus."
+
+"Also die Billete kann man hier bei Euch kriegen?" sagte Mueller.
+
+"Wohin Sie wollen, und ich stehe Ihnen dafuer dass sie nicht allein aecht
+sind, sondern dass die hier in Deutschland geloesten Plaetze auch noch den
+Vorrang haben vor allen in Amerika genommenen, wenn einmal Eisenbahn oder
+Dampfboote zu sehr besetzt sein sollten. Es ist ja hier gerade so mit der
+Post, wo Die, die sich zuerst, und auf der laengsten Station haben
+einschreiben lassen, den Vorrang behalten muessen vor denen die nachher
+kommen.
+
+"Ahem, das ist klar," sagte Menzel; "na also da daecht' ich liessen wir uns
+gleich einmal Plaetze belegen und gaeben das D'raufgeld, damit wir die Sache
+richtig haetten, und nachher koennen wir ja einmal ueber die Farmen sprechen;
+ich habe verwuenschte Lust."
+
+"Du, das hat noch Zeit," sagte aber jetzt Brauhede wieder, Menzel am Rocke
+zupfend; "erst muessen wir es uns doch einmal mit den Anderen zu Hause
+ueberlegen."
+
+"Wenn aber nachher die Plaetze auf dem ganz guten Schiffe fort sind," sagte
+Mueller mit einem sehr bedenklichen Gesicht.
+
+"Ja, _stehen_ kann ich Ihnen _nicht_ dafuer," versicherte Herr Weigel die
+Achseln zuckend, dass sie beinah seine Ohrlaeppchen beruehrten.
+
+"Na mein'twegen," sagte Brauhede, der allerdings auch in der Absicht
+hierher gekommen war, ihre Passage fest zu accordiren, jetzt aber, da es
+dazu kam Geld zu zahlen, nur ungern damit herausrueckte -- "aber von wegen
+der Farm muessen wir noch erst mit den Anderen sprechen, und eine Farm
+kriegen wir auch noch immer."
+
+"Ja aber was fuer eine," sagte Herr Weigel.
+
+Brauhede blieb uebrigens bei seiner Meinung, und Menzel bestand jetzt nur
+wenigstens darauf die beiden Plaene einmal mitzunehmen, damit sie sich zu
+Hause ordentlich hinein denken koennten. Wenn auch Herr Weigel sie im
+Anfang nicht ausser Haenden geben mochte, ja sogar versicherte er habe nicht
+uebel Lust die eine Farm fuer sich selber auf Spekulation zu kaufen, liess er
+sich doch zuletzt ueberreden ihnen, aber allerdings nur auf zwei Tage, die
+Plaene zu ueberlassen, und dann das Weitere ueber den Ankauf mit einer
+zweiten Deputation der Gesellschaft zu besprechen.
+
+Menzel bezahlte dann das Aufgeld auf ihre Passage im _Meteor_ fuer
+siebenundfunfzig Personen und dreizehn Kinder, die saemmtlich aus _einer_
+Ortschaft auswandern wollten, und nahm dann auch noch, nach einer kurzen
+Berathung mit den beiden anderen, die noethigen Billete auf der Eisenbahn
+von Neu-York aus, oder machte wenigstens eine Anzahlung darauf, dass sie
+ihnen der Agent aufbewahrte, da dieser sie versicherte er sei nur noch im
+Besitz einer sehr kleinen Anzahl, und wisse nicht, wann er gleich wieder
+andere bekommen wuerde, waehrend die Anfrage darnach sehr stark waere.
+
+Ausserdem kauften sie sich auch noch ein halbes Dutzend kleine Brochueren,
+die Herr Weigel, wie er sagte, gerade frisch aus der Druckerei als etwas
+_ganz Neues_ bekommen hatte -- ein Datum stand nicht darauf -- und die drei
+Maenner verliessen dann wieder, von dem schmunzelnden Agenten bis an die auf
+den Markt fuehrende Thuer begleitet, das Haus.
+
+"Hoere Du," sagte aber Brauhede als sie wieder vor dem Haus und auf der
+Strasse waren, und langsam ueber den Markt weggingen, "mit dem Landkaufen
+wollen wir uns doch lieber hier noch nicht einlassen, das ist eine
+wunderliche Geschichte und will mir nicht recht in den Kopf."
+
+"Nicht in den Kopf?" rief aber Menzel -- "und warum nicht? -- der Mann
+bekommt alle Tage Briefe aus Amerika, warum soll der nicht wissen was dort
+zu verkaufen ist?"
+
+"Wenn's aber so gut und billig waere, brauchten sie's doch nicht hier
+herueberzuschicken," meinte Brauhede kopfschuettelnd.
+
+"Das ist Alles was Du davon verstehst," sagte Mueller, "Amerikaner koennten
+sie gewiss genug zu Kaeufern kriegen, aber deutsche Bauern wollen sie, die
+ihnen zeigen wie man das Land behandeln muss, und darum schicken sie
+herueber -- die sind froh drueben, wenn unsereins hinueber kommt.
+
+"Nun, mag sein," brummte Brauhede -- "aber sicher ist doch sicher, und wenn
+ich mein Geld hier weggegeben habe, und kann das Land was mein sein soll
+nachher nicht finden, wie's dem Niklas seinem Bruder gegangen ist, nachher
+waere die Geschichte aber faul."
+
+"Dem Niklas sein Bruder war aber auch ein Esel," sagte der Andere, "der
+sich hier Land von einem herumziehenden Vagabunden gekauft; da sollt' er
+nachher wohl suchen. Aber _der_ Mann hier ist in der Stadt ansaessig und
+hat ein Geschaeft; was der verkauft das muss gut sein, sonst waer' er ja gar
+nicht sicher dass man ihn einmal deshalb beim Kragen kriegte."
+
+"Ja krieg' ihn einmal wenn Du drueben in Amerika bist," sagte Brauhede
+ruhig -- "das ist ein verwuenscht weiter und umstaendlicher Weg und -- wenn
+man sich einmal hat anfuehren lassen, will man auch nicht gern noch dazu
+ausgelacht werden."
+
+"Papperlapapp!" sagte Menzel -- "dafuer hat Jeder seine Augen dass er sie
+offen haelt, und ehe ich ihm mein gutes Geld gebe, werd' ich mich schon
+sicher stellen dass er mir Nichts aufbindet."
+
+Und die Maenner schritten, Jeder von jetzt an mit seinen eigenen Gedanken
+ueber die nahe Auswanderung beschaeftigt, langsam die Strasse hinunter,
+waehrend in seinem kleinen Bureau, vergnuegt die Haende zusammenreibend, Herr
+Weigel auf und ab spazieren ging, und sich im Geist die naechst zu
+ziehenden Summen zusammenaddirte, die er in kurzer Zeit, nach eifriger
+Aussaat, einzuerndten hoffte. Die Geschaefte gingen vortrefflich; Lust zur
+Auswanderung hatte in der That ein Drittel der saemmtlichen Bevoelkerung,
+und es bedurfte nur manchmal wirklich einer leisen Anregung, die Leute zu
+etwas zu bewegen, zu dem sie schon halb und halb selber entschlossen
+gewesen waren.
+
+Herr Weigel war sehr guter Laune; er legte jetzt die Haende auf den Ruecken
+und summte ein leises Lied vor sich hin, seinen Marsch dabei fortsetzend.
+Aber er sang falsch; er hatte keine Idee von irgend einer Melodie; doch
+das schadete nichts, er _meinte_ wenigstens eine, und da er selber nicht
+hoerte was er sang, genuegte es ihm vollkommen.
+
+Die Thuer ging jetzt auf und der Tischler oder Schreiner kam herein, irgend
+etwas an dem Pult auszubessern -- er hatte zweimal angeklopft ohne dass der
+vergnuegte Agent darauf geantwortet haette.
+
+"Guten Morgen Herr Weigel."
+
+"Ah guten Morgen Meister -- nun kommen Sie endlich? ich hatte schon ein
+paar Mal nach Ihnen hinuebergeschickt -- "
+
+"Ja lieber Gott Herr Weigel, ich war gerade drueben beim Herrn Geheimen
+Rath Baerlich beschaeftigt -- die Leute sind so eigen wenn man von der Arbeit
+fort geht -- "
+
+"Sehn Sie, hier das Bein moecht' ich gemacht haben; der Tisch wackelt da
+immer, und wenn man etwas darunter legt, verschiebt sich das doch jedesmal
+wieder. Koennen Sie es mir wohl bis heute Nachmittag in Ordnung bringen?"
+
+"Ja gewiss," sagte der Mann, "das ist ja nur eine Kleinigkeit."
+
+"Und wie ist es mit den Auswandererkisten die ich bestellt habe? -- werden
+die bis heute Abend fertig?
+
+"Ja wohl Herr Weigel; sechs habe ich schon in das Gasthaus "Stadt
+Breslau," wie Sie mir sagten, abgeliefert."
+
+"Nun das ist gut, denn der ganze Zug wird noch heute Vormittag ankommen,
+und will morgen frueh wieder fort -- es sind doch noch keine Auswanderer
+heute Morgen hier eingetroffen? -- "
+
+"Nicht dass ich gesehen haette -- aber gestern Abend zogen Viele durch."
+
+"Ja ich weiss -- von Hessen herueber -- die armen Teufel; denen wird's einmal
+wohl drueben werden. Nun wie gehn denn bei Ihnen die Geschaefte jetzt?"
+
+"Ih nu gut, Herr Weigel, ich kann gerade nicht klagen; das Brod wird
+freilich immer theuerer, aber man schlaegt sich so durch -- Kinder haben wir
+nicht, und was verdient wird reicht eben ordentlich aus."
+
+"Ich begreife nicht," sagte Herr Weigel da kopfschuettelnd vor dem Mann,
+der seine Muetze eben wieder aufgegriffen hatte und sich zum Fortgehen
+anschickte, stehen bleibend -- "wie Ihr Leute Euch hier vom Morgen bis
+Abend plagt und schindet, eben nur das liebe Brod zu verdienen, wo Ihr in
+ein paar Wochen drueben sein koenntet und so viel Dollare fuer Euere Arbeit
+bekaemt, wie hier Groschen.
+
+"Drueben, wo?"
+
+"Nun in Amerika -- "
+
+"Hm, ja," sagte der Mann, sich nachdenkend das Kinn streichend, und einen
+leichten Seufzer unterdrueckend -- "gedacht hab' ich auch schon ein paar Mal
+daran, aber -- das geht nicht gut und -- es ist auch so eine unsichere Sache
+mit da drueben. Hier weiss ich einmal was ich habe und dass ich auskomme, und
+wie mir's da drueben geht weiss ich _nicht_."
+
+"Aber Freund," rief Herr Weigel verwundert -- "ein Mann der fleissig
+arbeitet bringt es dort immer zu was. Wetter noch einmal, Meister, Amerika
+ist gerade der Platz fuer Euch, wo Ihr Euch ruehren und ausbreiten koenntet --
+wenn Ihr dort waeret, ein geschickter Arbeiter wie Ihr! in fuenf Jahren
+haettet Ihr zwanzig Gesellen."
+
+"Meister Leupold nickte langsam mit dem Kopf, und sah ein paar Secunden
+still vor sich nieder, als ob das Bild mit der grossen Werkstaette und dem
+regen Treiben sich vor seinem inneren Geist eben auszubreiten beginne,
+dann aber sagte er, jetzt herzhaft aufseufzend -- "
+
+"Und es geht doch nicht, Herr Weigel -- ich habe die alte Mutter zu Hause,
+die ich unmoeglich hier allein zurueck lassen koennte -- "
+
+"Hierlassen? das fehlte auch noch," rief der Agent -- "die nehmt Ihr mit,
+Mann -- koennt Ihr der denn eine groessere Freude machen, als wenn sie noch
+vor ihrem Ende saehe wie wohl es Euch geht auf der Welt, und wie sich Euer
+Zustand mit jeder Woche, mit jedem Tage fast bessert? -- Muss sie hier nicht
+in Sorge und Kummer leben dass Ihr einmal krank werdet und Nichts verdienen
+koennt, und wie sieht's dann aus?"
+
+"Wenn ich aber nun dort drueben krank werde?" sagte der Meister leise.
+
+"Wenn das nur nicht gleich die ersten Monate geschieht und fuer ein Unglueck
+kann Niemand" -- warf dagegen Herr Weigel ein, "so koennt Ihr Euch auch
+schon so viel gespart haben, das eine Weile mit ruhig anzusehn; und wenn
+Ihr nicht krank werdet, seid Ihr in ein paar Jahren ein wohlhabender
+Mann."
+
+"Es ist eine verwuenschte Geschichte mit dem Amerika," seufzte der Mann
+wieder, sich hinter dem Ohr kratzend -- "man hoert so viel davon, und sieht
+eine solche Masse Menschen hinueberziehen, die alle voller Hoffnung sind
+dass es ihnen gut geht -- und moechte am Ende ebenfalls gern mit -- wenn man
+nur erst so einmal hinuebergucken koennte wie es eigentlich aussieht."
+
+"Dazu ist es ein Bischen zu weit," meinte Herr Weigel.
+
+"Ja nun eben," sagte der Tischler -- "und so auf's gerathewohl -- "
+
+"Das koennt Ihr aber nicht auf's gerathewohl nennen, wo wir alle Tage
+Briefe von drueben herueber bekommen, von denen einer immer besser lautet
+als der andere. Da -- hier liegt gleich einer, der letzte den ich bekommen
+habe, wo ein Deutscher, den ich selber hinueberbefoerdert, und dem es jetzt
+ausgezeichnet gut geht, an mich schreibt, und ein oder zwei gute gelernte
+Schaafknechte haben will; lesen Sie einmal den Brief."
+
+Leupold legte seine Muetze wieder hin, nahm den Brief und las ihn
+aufmerksam durch; er nickte dabei mehrmals mit dem Kopf, und sah dann
+wieder zu dem Agenten auf, der ihn indessen mit einem triumphirenden
+Laecheln betrachtet hatte.
+
+"Nun?" frug der Letztere, als Jener das Schreiben beendet und wieder
+zusammenfaltete -- "wie klingt das?"
+
+"_Sehr_ gut" sagte Leupold leise, "aber -- es hilft mir doch Nichts. Wenn
+ich jetzt mein kleines Haeuschen, das ich mir mit Muehe und Noth
+zusammengespart und aufgebaut, auch verkaufen wollte; faende ich erstlich
+keinen Kaeufer, und dann bekaem ich auch das nicht dafuer wieder, was es mich
+selber gekostet; wie gesagt, der Sperling in der Hand ist doch wohl besser
+wie die Taube auf dem Dache."
+
+"Bah, Taube," sagte Herr Weigel muerrisch -- "wenn die Taube auf dem Dach
+eben so fest und sicher sitzen bleibt bis man sie holen kann, wie Amerika
+ruhig liegt, und auf die wartet die hinueber kommen, so ist sie mir lieber
+wie ein erbaermlicher Sperling, zum Sterben zu viel, und zum Leben zu
+wenig; aber -- ueberlegt's Euch -- ah da kommt der Brieftraeger -- 'was fuer
+mich?"
+
+"Nun guten Morgen Herr Weigel," sagte der Tischler und wollte sich eben
+entfernen, waehrend der Brieftraeger dem Agenten mehrere fuer ihn gekommene
+Briefe ueberreichte.
+
+"Siebzehn Silbergroschen drei Pfennige" sagte er dabei.
+
+"_Siebzehn_ Silbergroschen?" rief Herr Weigel verwundert -- "aha da ist ein
+Amerikaner dabei -- halt, wartet noch einmal einen Augenblick Leupold" -- da
+ist vielleicht gleich noch was fuer uns, und was ganz Neues -- wollen gleich
+einmal sehn was die Leute schreiben. Wahrscheinlich wieder von Jemand den
+ich hinueber befoerdert habe, und der sich jetzt bedankt -- das kostet aber
+viel Geld -- "
+
+"Apropos Neues," sagte Leupold, waehrend der Agent den Brieftraeger bezahlt
+hatte und seine Papierscheere vom Tisch nahm, den Amerikanischen Brief
+aufzuschneiden -- "haben Sie schon gehoert dass gestern Nachmittag bei Herrn
+Dollinger eingebrochen und fuer sieben tausend Thaler Gold und Juwelen
+gestohlen sind?"
+
+"Alle Wetter," rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt ausgehaltenen Scheere
+in der Hand -- "gestern Nachmittag?"
+
+"Am hellen Tage," bestaetigte Leupold.
+
+"Und weiss man nicht wer der Thaeter ist?"
+
+"Sie haben den einen Comptoirdiener in Verdacht und auch schon
+eingezogen," sagte der Tischler.
+
+"Gewiss den Lossenwerder," rief Weigel.
+
+"Ich glaube so heisst er -- er ist ein wenig verwachsen -- "
+
+"Und schielt -- derselbe, ich habe den Burschen von jeher nicht leiden
+koennen; hat mir auch schon ein paar Mal Kunden abspenstig gemacht, aus
+reinem Brodneid; ich wuesste wenigstens sonst nicht weshalb, und habe ihn
+dabei stark in Verdacht, dass er selber damit umgeht eine Agentur fuer
+Auswanderer zu errichten. Da koennte Jeder hergelaufen kommen, ohne Briefe,
+ohne Connexionen und ohne Kenntniss vom Land -- schickte nachher die Leute
+in's Blaue hinein, dass sie dort saessen und nicht wuessten wo aus noch ein. Na
+nun, wird ihm das Handwerk wohl gelegt werden; ich goenne nicht gern einem
+Menschen etwas Uebles, aber bei dem freut mich's dass sie's wenigstens
+herausbekommen haben, und er seine Schurkerei nicht mehr heimlich
+forttreiben darf. Ist denn das Geld schon wieder gefunden?"
+
+"So viel ich weiss nicht, einige hundert Thaler ausgenommen, von denen aber
+der Mann betheuert dass er sie sich gespart haette; es ist uebrigens Manches
+dabei zusammengekommen was ihn verdaechtig macht; das Naehere weiss ich
+freilich nicht."
+
+"Hm, hm, hm," sagte Herr Weigel, kopfschuettelnd den Brief, den er noch
+immer in der Hand hielt, anschneidend -- "boese Geschichten -- boese
+Geschichten, was man nicht Alles hoert auf der Welt. -- Nun wollen wir also
+einmal sehen was der Herr da aus Amerika schreibt -- hm -- Washington
+County, Tennessee den siebenten Januar 18 -- alle Wetter der Brief ist
+lange unterwegs gewesen -- Herrn F. G. Weigel in Heilingen, Hauptagent der
+Central-Auswanderungs- und Colonisations-Gesellschaft in Deutschland --
+ahem -- Sie nichtsw -- hm -- Sie haben -- hm -- vor allen Dingen -- hm -- hm --
+hm -- hm" -- Herrn Weigels Gesicht verlaengerte sich immer mehr, je weiter er
+in seiner, wie es schien nicht eben angenehmen Lectuere vorrueckte, aber er
+brach mit dem Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise
+hoechst derber Art war, schon gleich nach den ersten Sylben ab, und
+murmelte, das Ganze nur fluechtig ueberfliegend, blos einzelne
+unzusammenhaengende Worte, aus denen Leupold Nichts herausfinden konnte,
+vor sich hin.
+
+"Nun, was schreiben sie?" sagte dieser endlich laechelnd; er waere schon
+lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurueckgehalten haette -- "gute
+Neuigkeiten?"
+
+"Bah!" sagte Herr Weigel, den Brief zurueck auf seinen Schreibtisch werfend
+-- "Jemand der seine Geschwister will hinuebergeschickt haben und mich
+ersucht das Geld fuer ihn auszulegen. Da muesst' ich schoene Capitale
+herumstehn haben, wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie
+nachschicken. Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann
+suchen."
+
+"Ne, das ist ein Bischen viel verlangt," sagte der Meister, wieder nach
+der Klinke greifend -- und diessmal hielt ihn Herr Weigel nicht zurueck --
+"aber nun leben Sie auch recht wohl, und verlassen Sie sich darauf ich
+besorge Ihnen das heute noch."
+
+"Sein Sie so gut," sagte der Agent -- er war auf einmal ganz einsylbig
+geworden, und Meister Leupold verliess mit nochmaligem Gruss das Zimmer, in
+dem jetzt Herr Weigel mit in die Tasche geschobenen Haenden, aber
+keineswegs mehr so guter Laune als vorher, raschen, heftigen Schrittes auf
+und ab ging.
+
+"Und vierzehn Groschen bezahlt fuer den Wisch -- es ist eine Frechheit
+wahrhaftig, die in's Bodenlose geht. Lumpengesindel! glaubt die gebratenen
+Tauben sollen ihm da in's Maul fliegen, so bald sie's nur aufsperren." Und
+wieder riss er den Brief vom Pult, rueckte sich die Brille zurecht, und las
+mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal, und zwar
+aufmerksamer durch als vorher.
+
+"Sie nichtswuerdiger Hallunke" -- wenn ich Dich nur hier haette mein Bursche,
+dafuer solltest Du mir brummen -- "schaendlich betrogen und angefuehrt" -- wozu
+hat Dir denn der liebe Gott die grossen Glotzaugen gegeben, wenn Du sie
+nicht aufsperren willst -- "Land eine Wueste" -- na versteht sich, ein
+Gewaechshaus hab' ich ihm nicht verkauft -- "Haelfte gar nicht zu bekommen" --
+Holzkopf -- "kein Mensch wollte die Billete nehmen" -- bah, geschieht Dir
+recht -- "Wohngebaeude zu schlecht fuer einen Hund" -- fuer Dich noch immer
+viel zu gut, mein Schatz -- "wenn Sie nur einmal herueber kaemen, Sie
+miserabeler" -- bah" -- unterbrach sich Herr Weigel in dieser nichts weniger
+als schmeichelhaften Lectuere, indem er den Brief in zwei Haelften riss, und
+sich dann ein Streichhoelzchen mit einem Gewaltstrich an der Thuer
+entzuendete "so viel fuer den Wisch!" und das Papier anbrennend, warf er das
+auflodernde in den Ofen, und schloss die Klappe so heftig er konnte.
+
+Allerdings wollte er sich nun ueber den Brief hinwegsetzen, aber geaergert
+hatte er sich doch, und Rock und Stiefeln anziehend drueckte er sich seinen
+Hut in die Stirn, griff seinen Stock aus der Ecke, und verliess sein
+Bureau, das er sorgfaeltig hinter sich abschloss, und eine kleine Pappe
+mitten an die Thuer hing, auf der die Worte standen.
+
+"Kommt um elf Uhr wieder."
+
+
+
+
+
+ Capitel 6.
+
+
+ DIE WEBERFAMILIE.
+
+
+Nicht weit von Heilingen, und in Hoerweite der Domglocke selbst, in
+ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem Land, lag ein kleines armes
+Dorf, dessen Bewohner, da ihre Felder gerade nicht zu den besten gehoerten,
+sich kuemmerlich, aber meist ehrlich, mit verschiedenen Handwerken und
+Gewerben, mit Holzschnitzen wie auch hie und da mit dem Webstuhl,
+ernaehrten. Das Dorf hiess eigentlich "Zur Stelle", welchen Namen aber die
+Bewohner im Laufe der Zeit, und mit Huelfe ihres Dialekts, zu dem von
+_Zurschtel_ umgearbeitet hatten, und mochte etwa dreissig Haeuser und
+Huetten, mit der doppelten Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von
+Kindern zaehlen. Es ist eine wunderliche Thatsache, dass man in den
+aermlichsten Distrikten stets die meisten Kinder findet.
+
+Mitten im Dorf lag eins der besseren Haeuser; es war weiss getuencht, und
+hinter den sauber gehaltenen Fenstern hingen weisse, reinliche Gardinen.
+Vor dem Hause, ueber dessen Thuere ein frommer Spruch mit rothen und gruenen
+Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Roehrtrog, und ein
+kleiner Koven an der Seite desselben, zeigte in der nach aussen befestigten
+Klappe des Futterkastens dann und wann den schmuzigen Ruessel eines seine
+Kartoffelschalen kauenden Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket
+umgab das Haus wie den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach sehr zu
+ihrem Vortheil gegen manche der Nachbarhaeuser ab.
+
+Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber nichtsdestoweniger
+sehr aermlich aus. In der einen Ecke stand ein grosser, viereckiger, sauber
+gescheuerter Tisch aus Tannenholz, an zweien der Waende waren Baenke aus dem
+naemlichen Material befestigt, und um den grossen viereckigen Kachelofen,
+der fast den achten Theil der Stube einnahm, hingen verschiedene
+Kochgeraethschaften, waehrend auf darueber angebrachten Regalen die braunen
+Kaffeekannen und gebluemten Tassen gewissermassen mit als Zierrath zur Schau
+ausstanden. Die dritte Ecke fuellte der Webstuhl des Mannes aus, und dem
+gegenueber stand eine riesengrosse, braunangestrichene Kommode, mit
+Messinghenkeln und Griffen und fuenf Schiebladen, die, mit wirklich
+ruehrender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt, zwei mit bunten
+Blumen bemalte Henkelglaeser, eine vergoldete Tasse mit der Aufschrift "der
+guten Mutter" -- ein Geschenk aus frueherer Zeit -- und ein gelb irdenes aber
+allerdings sehr wenig benutztes Dintenfass trug, waehrend dahinter, in zwei
+ordinairen Stangenglaesern, in dem einen Schilfbluethenbueschel, und in dem
+anderen grosse stattliche Aehren von Roggen, Waizen, Gerste und Hafer
+standen, zur Erinnerung an eine fruehere segensreiche Erndte.
+
+Die Bewohner der kleinen Stube passten genau in ihre Umgebung; es war eine,
+nicht mehr ganz junge aber doch ruestige Frau, in die nicht unschoene
+Bauertracht der dortigen Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad sass und
+eifrig das Raedchen schnurren liess, waehrend die rechte Hand manchmal eine
+neben ihr stehende Wiege beruehrte, den darin ruhenden kleinen Saeugling,
+der immer wieder die grossen dunklen Augen zu ihr aufschlug, endlich in
+Schlaf zu bringen. Sie war reinlich, aber in die groebsten Stoffe
+gekleidet, ebenso der Bube von etwa vier Jahren, der ihr zu Fuessen mit
+einer kleinen Mulde auf dem ueber die Diele gestreuten Sand "Schiff"
+spielte.
+
+Ausserdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die alte Mutter der Frau,
+eine Greisin von nahe an siebzig Jahren, die auch noch ihr Spinnrad
+drehte, sich aber mit dem hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil
+ihr das heutige nasskalte, unfreundliche Wetter froestelnd durch die alten
+Glieder zog. Es war eine gutmuethige, aber muerrische alte Frau, selten
+zufrieden mit dem was sich ihr gerade bot, und unermuedlich darin, sich und
+ihren Kindern die Last vorzuwerfen die sie ihnen mache, und den lieben
+Gott taeglich zu bitten dass er sie doch bald zu sich naehme. Nur eine
+kleine, ganz kurze Frist erbat sie sich immer noch -- dann wollte sie gerne
+sterben. Erst; wie das Aelteste geboren war, wollte sie das noch gerne
+laufen sehn; dann haette sie gern erlebt wie es zum ersten Mal in die
+Schule ging; dann war es Fruehjahr geworden und sie hoffte nur noch einmal
+neue Kartoffeln zu essen, zu Jacobi aber wollte sie noch einmal von dem
+Pflaumenbaum die Fruechte kosten, den ihr "Seliger" noch gepflanzt. Wie der
+Herbst kam wuenschte sie im Fruehjahr begraben zu werden, und die knospenden
+Maiblumen weckten den Wunsch nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von
+denen sie sich eigenhaendig ein schmales Beet in den kleinen Garten dicht
+am Hause gepflanzt. So lebt und webt die Hoffnung in unseren Herzen mit
+immer neuer, nie sterbender Kraft, und je aelter wir werden, desto mehr
+lernen wir die schoene Erde lieb gewinnen, desto mehr klammern wir uns an
+sie, und wollen uns gar nicht mehr von ihr trennen.
+
+Der Tag neigte sich dem Abend zu; der Mann war in die Stadt gegangen seine
+Steuern zu zahlen, und Manches einzukaufen was sie nothwendig im Hause
+brauchten -- zum Ersatz dafuer hatte er das zweite Schwein, das sie bis
+dahin gehalten, hineingetrieben, und der Erloes sollte seine Ausgaben
+bestreiten.
+
+Der Regen wurde jetzt wieder heftiger, die grossen schweren Tropfen
+schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde vollstaendig munter und fing
+an zu schreien. Die Mutter schob ihr Spinnrad zurueck, nahm das Kleine aus
+der Wiege, und ging damit traellernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann
+indess ruhig weiter, und suchte mit zitternder leiser Stimme ein
+geistliches Lied zu singen, und mit dem Rad trat sie den Takt dazu. Sonst
+sprach keine ein Wort.
+
+Endlich wurde die Hausthuer geoeffnet, Jemand kam von draussen herein, und
+strich sich die Fuesse auf den Steinen und der Strohdecke ab, und sie hoerten
+gleich darauf wie der zurueckkehrende Vater und Gatte seinen grossen
+rothblauwollenen Schirm auf die Steine stiess, das Wasser so viel wie
+moeglich davon abzuschuetteln, und den Mantel auszog und ueber den grossen
+Schleifstein hing der draussen im Flur stand, wie er das gewoehnlich that.
+Die Frau oeffnete rasch die Thuer den Mann zu begruessen, der den Hut abnahm,
+sich die nassen Haare aus der Stirn strich, und das Kind kuesste, das sie
+ihm entgegenhielt.
+
+"Jesus ist das ein Wetter, Gottlieb," sagte sie dabei, als sie ihm den Hut
+aus der Hand nahm und neben den Ofen an den Nagel hing, "komm nur herein,
+dass Du 'was Trockenes auf den Leib bekommst; wo hast Du denn den Jungen? --
+ist er nicht bei Dir?" setzte sie, fast aengstlich, hinzu.
+
+"Er ist draussen bei Lehmann's hineingegangen, denen wir ein paar Sachen
+aus der Stadt mitgebracht," sagte der Mann -- "wird wohl gleich kommen --
+wie geht's Frau? -- wie geht's Mutter? -- ha, das regnet einmal heute was
+vom Himmel herunter will; was nur d'raus werden soll wenn das Wetter so
+fort bleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir gehabt, und jetzt
+wieder Guss auf Guss -- Guss auf Guss, als ob sie uns unsere paar Stuecken Feld
+noch hinunter in die Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die
+Saat schon halb fortgespuelt -- wenn dasmal das Korn misraeth, weiss ich nicht
+wo der arme Mann das Brod hernehmen soll."
+
+"Klag nicht, Gottlieb," sagte aber die Frau freundlich -- "es geht noch
+Vielen schlechter wie uns, und was sollen da die _ganz_ armen Leute sagen.
+Lieber Gott, es ist viel Noth in der Welt, und wer heut zu Tage eben sein
+Auskommen und ein Dach ueber dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht
+versuendigen."
+
+Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den Topf aus der
+Roehre, in der, trotz der vorgerueckten Jahreszeit, noch ein Feuer brannte,
+der alten, froestelnden Mutter wegen, und goss den darin heiss gehaltenen
+Kaffee -- sie nannten das braune Getraenk von gebrannten gelben Rueben und
+Gerste wenigstens so -- in die eine braune Kanne, damit sich der Mann, der
+den ganzen Tag draussen im Regen herumgezogen war, daran erquicken koenne.
+Zugleich auch deckte sie ein weisses Tuch ueber den Tisch, auf den sie noch
+Butter und Brod stellte, die versaeumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas
+nachzuholen. Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse
+Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goss, und schnitt sich ein grosses
+Stueck Brod ab, das er mit Butter bestrich und verzehrte. Er sprach kein
+Wort dabei, und beendete still seine Mahlzeit, schob dann die Tasse und
+den Butterteller zurueck, nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die
+Erde gesetzt hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten
+Ellbogen auf den Tisch gestuetzt, den Kopf gegen die Wand gelehnt,
+regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach dem Fenster
+hinueber, an das die Regentropfen immer noch, vom Wind draussen gepeitscht,
+hohl und heftig anschlugen.
+
+Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem Blick betrachtet; es
+war irgend etwas vorgefallen, aber sie wagte nicht zu fragen, denn
+Gottlieb, so seelensgut er auch sonst sein mochte, hatte doch auch seine
+"verdriesslichen Stunden" und war dann, wenn gestoert, oft rauh und
+unfreundlich; aber eine eigene Angst ueberkam sie ploetzlich. Ihr aeltester
+Sohn -- der Hans -- war nicht mit zu Hause gekommen -- konnte dem -- heiliger
+Gott, wie ein Stich traf es sie in's Herz und sie sprang erschreckt von
+ihrem Stuhl auf und auf den Mann zu.
+
+"Gottlieb -- um aller Heiligen Willen wo ist der Hans? -- es ist -- es ist
+ihm doch nicht etwa ein Unglueck geschehn?"
+
+"Der Hans?" sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt zu ihr auf, "was
+faellt Dir denn ein? was soll denn dem Hans zugestossen sein? ich habe Dir
+ja gesagt dass er bei Lehmann's etwas abgegeben hat, und dort
+wahrscheinlich das Wetter abwarten wird."
+
+"Ich weiss nicht," sagte die Frau, der dadurch allerdings eine Centnerlast
+von der Seele gewaelzt wurde -- "aber Du bist so sonderbar heut Abend, so
+still und ernst, und da schlugs mir wie ein Schreck in die Glieder, ueber
+den Hans. Ist etwas vorgefallen Gottlieb? -- "
+
+Gottlieb schuettelte den Kopf langsam und sagte. -- "Nicht dass ich wuesste --
+nichts Besonderes wenigstens, oder nichts Anderes, als was jetzt alle Tage
+vorfaellt -- Geld zahlen."
+
+"War es denn so viel?" sagte die Frau leise und schuechtern.
+
+Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor sich nieder; endlich
+erwiederte er seufzend:
+
+"Das Schwein ist d'rauf gegangen, und vier Thaler Siebzehn Groschen sind
+immer noch mit Gerichtskosten und der alten Processgeschichte mit der
+Brueckenplanke, mit der ich eigentlich gar Nichts mehr zu thun hatte,
+stehen geblieben, und ich muss sie bis zum ersten Juli nachzahlen, unter
+Androhung von Pfaendung."
+
+"Nun lieber Gott," sagte die Frau troestend -- "wenn das das Schlimmste ist,
+laesst sich's noch ertragen; da verkaufen wir eben das andere Schwein und
+behelfen uns so. Wie wenig Leute im Dorf haben ueberhaupt eins zu
+schlachten, und leben doch; warum sollen wir nicht eben so gut ohne eins
+leben koennen als die."
+
+"Ja," sagte der Mann leise und still vor sich hin bruetend -- "verkaufen und
+immer nur verkaufen, ein Stueck nach dem anderen, und waehrend wo anders die
+Leute mit jedem Jahr ihr kleines Besitzthum vergroessern, und fuer ihre
+Kinder etwas zuruecklegen koennen, sieht man es hier mehr und mehr
+zusammenschmelzen, unter Mueh und Plack das ganze Jahr lang."
+
+"Aber kannst Du's aendern?" sagte die Frau leise und fuhr, wie der Mann
+schwieg und mit der Faust die Stirn stuetzend vor sich nieder starrte,
+schuechtern fort -- "arbeitest Du nicht von frueh bis spaet fleissig und
+unverdrossen? goennst Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgend eine
+noethige Beschaeftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste
+vorzuwerfen?"
+
+"Nein," sagte der Mann, waehrend er die Hand auf den Tisch sinken liess und
+die Frau voll und fest ansah -- "nein, aber das ist es ja eben, was mir am
+Leben frisst. Wir koennen nicht mehr arbeiten, nicht mehr verdienen wie wir
+jetzt thun, und jetzt sind wir noch jung und kraeftig, unsere Kinder noch
+klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr zurueck, wird es mit
+jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie nun soll das werden, wenn uns
+erst einmal Krankheit heimsuchte, wenn die Kinder heranwachsen und mehr
+brauchen, wenn wir selber aelter werden und nicht mehr so zugreifen koennen
+wie jetzt? -- Schon jetzt koennen wir uns nicht mehr in der theueren Zeit
+oben halten -- das eine Schwein ist verkauft, das andere wird noch fort
+muessen; unser Acker ist kleiner geworden in den letzten zehn Jahren,
+unsere Beduerfnisse aber sind gewachsen -- wie soll das enden?"
+
+"Aber Gottlieb," sagte die Frau freundlich -- "wie kommen Dir jetzt doch
+nur solche Grillen? haben Dir die paar Thaler Steuern den Kopf verdreht?
+Mann, Mann, Du bist doch sonst so ruhig, und hast immer vertrauungsvoll in
+die Zukunft gesehn, wie sind Dir auf einmal solche schwarze Gedanken durch
+den Sinn gefahren?"
+
+Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die Beiden mit einander
+gesprochen, ihr Spinnrad ruhen lassen, und dem Gespraech aufmerksam
+zugehoert; dabei schuettelte sie fortwaehrend mit dem Kopf, und sagte endlich
+mit ihrer schrillen, scharf klingenden Stimme:
+
+"Ja wohl, ja wohl -- das Geld wird rar und das Brod theuer, und mehr Maeuler
+kommen -- mehr Maeuler sind da zum Verzehren, wie zum Verdienen. Schlagt
+mich todt; schlagt mich todt dass ich weg komme aus dem Weg und Euch Platz
+mache -- schlagt mich todt."
+
+"Mutter," bat die Frau, in Todesangst dass sie dem Manne mit solcher Rede
+wehe thun wuerde, denn _er_ gerade hatte sie immer auf das Freundlichste
+behandelt, und Alles gethan was in seinen Kraeften stand, ihr jede
+Erleichterung, die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen -- "wie duerft Ihr nur
+so etwas reden; versuendigt Ihr Euch denn nicht?"
+
+"Wir haben noch genug fuer uns Alle Mutter," sagte aber der Mann
+freundlich, der ihre Launen kannte und der alten Frau nicht wehe thun
+mochte -- "nur fuer spaetere Zeit ist mir bange; Sie aber waeren die Letzte
+die darunter leiden sollte. Wir werden Alle alt, und wenn wir unsere
+Schuldigkeit in unserer Jugend gethan, wie Sie, dann ist es nicht mehr wie
+Pflicht und Schuldigkeit der Juengeren fuer ihre Eltern zu sorgen -- wenn sie
+nicht auch einmal wieder von ihren Kindern wollen verlassen werden."
+
+Die Alte war wieder still geworden, sah noch eine Zeit lang vor sich
+nieder, und begann dann auf's Neue ihre Arbeit, aber die Frau fuhr fort
+und sagte, fast mit einem leisen Vorwurf im Ton zu ihrem Mann.
+
+"Siehst Du Gottlieb, das hast Du nun davon mit Deinen trueben und traurigen
+Ideen; Du machst Dir und mir und der Mutter nur das Herz schwer, und
+nuetzest und hilfst doch Nichts. Der liebe Herr Gott da oben wird's schon
+machen und lenken; Er hat die Welt so viele Jahrhunderte hindurch in ihrer
+Bahn gehalten, und die Menschen darauf geschirmt und gepflegt, wie unser
+Herr Pastor sagt, Er wird's auch schon weiter thun, und wir duerfen uns
+eigentlich gar nicht sorgen und kuemmern um den "naechsten Tag."
+
+"Doch, doch Frau," sagte aber der Mann, aufstehend und jetzt, die Haende in
+den Hosentaschen, in der Stube auf und ab gehend -- "doch Frau, der Mann
+_muss_, denn wenn er's _nicht_ thaete, waer er ein schlechter Hausvater, und
+ihm allein fielen dann all die schweren Folgen zur Last, die daraus
+entstaenden. Ich kann Dir das nicht so mit Worten deutlich machen, wie
+mir's neulich der Schulmeister, mit dem ich darueber sprach, erklaerte, aber
+der meinte es waere etwa so wie wenn Einer im Wasser waere. Da sei es auch
+nicht genug dass man sich oben hielte an der Luft, und im Kreis herum
+schwaemme eben nur nicht zu ertrinken, das thaete nicht einmal ein
+unvernuenftiges Stueck Vieh; nein des Menschen, des verstaendigen Menschen
+Pflicht sei es sich schon im Wasser nach dem festen Lande umzusehn, ob man
+das nirgends erreichen koenne, denn zuletzt wuerde man da im Wasser, man
+moechte noch so tapfer schwimmen, doch muede, und liessen erst einmal die
+Kraefte nach, dann huelfe auch zuletzt das Schwimmen Nichts mehr, und man
+saenke eben langsam zu Boden."
+
+"Ich verstehe nicht recht was Du damit meinst," sagte die Frau, "aber Du
+siehst mich so sonderbar dabei an -- hast Du noch 'was anderes dahinter?"
+
+"Nein und Ja," sagte der Mann nach kleiner Pause, indem er sich mit dem
+Ruecken an den Ofen lehnte, und langsam dazu mit dem Kopfe nickte,
+"eigentlich nicht, denn Gott da oben weiss dass es wahr ist, und weiss wie,
+und ob's einmal enden kann; aber dann -- dann hab' ich allerdings noch was
+dahinter, denn ich meine -- ich meine -- " er schwieg und es war
+augenscheinlich, er hatte etwas auf dem Herzen, das er sich scheue so mit
+blanken klaren Worten heraus zu sagen, die Frau aber, die eben damit
+beschaeftigt war das Geschirr hinaus zu raeumen, setzte die Kanne wieder auf
+den Tisch, sah den Mann erstaunt an, ging dann langsam zu ihm an den Ofen
+und sagte leise, vor ihm stehen bleibend:
+
+"Geh her, Gottlieb -- Du hast 'was, was Dich drueckt und willst nicht mit
+der Sprache heraus -- es ist irgend noch etwas vorgefallen in der Stadt,
+was Du nicht sagen magst. Du darfst doch nicht _sitzen_?"
+
+"_Sitzen_? -- weshalb?" laechelte der Mann kopfschuettelnd -- "ich habe nie
+etwas Boeses gethan."
+
+"Nun was ist's denn, so sprich doch nur, denn Du aengstigst mich ja mehr
+mit Deinem Schweigen, als wenn Du mir das Schlimmste gleich vornheraus
+erzaehlst -- dem Hans fehlt doch Nichts?"
+
+"Was soll dem Hans fehlen, naerrische Frau -- wenn's aufhoert zu giessen wird
+er schon kommen."
+
+"Und was ist's denn? -- gelt, Du sagst mir's?"
+
+"Ich muss Dir's wohl sagen;" seufzte der Mann, "nun sieh Hanne, ich meine --
+ich habe so darueber nachgedacht, dass es jetzt hier in Deutschland immer
+schlechter wird mit uns -- und dass wir's zu Nichts mehr bringen koennen,
+trotz aller Arbeit, trotz allem Fleiss, und dass jetzt -- dass jetzt doch so
+viele Menschen hinueber ziehen -- "
+
+"Hinueber ziehen?" frug die Frau erstaunt, fast erschreckt, und legte die
+Hand fest auf's Herz, als ob sie die aufsteigende Angst und Ahnung ueber
+etwas Grosses, Schreckliches da hinunter und zurueckdruecken wolle, eh sie zu
+Tage kaeme -- "wo hinueber Gottlieb?"
+
+"Nach Amerika;" sagte der Mann leise -- so leise dass sie das Wort wohl
+nicht einmal verstand, und nur an der Bewegung der Lippen es sah und
+errieth. Wie ein Schlag aber traf sie die Wirklichkeit ihres Verdachts,
+und ohne ein Wort zu erwiedern, ohne eine Sylbe weiter zu sagen, setzte
+sie sich auf den, dicht am Ofen stehenden Stuhl, deckte ihr Gesicht mit
+der Schuerze zu und sass eine lange, lange Weile still und regungslos. Auch
+der Mann wagte nicht zu sprechen -- er hatte den Gedanken wohl schon eine
+Zeit lang mit sich herumgetragen, aber sich immer davor gefuerchtet ihm
+Worte zu geben, sogar gegen sich selbst, wie viel weniger denn gegen die
+Frau. Jetzt war es heraus, und er betrachtete nur scheu die Wirkung die er
+hervorgebracht.
+
+Auch die alte Mutter sass, mit der Hand auf dem Rad das sie im Drehen
+aufgehalten, und horchte nach den Beiden hinueber, was sie mitsammen
+hatten, und wie die so still waren und kein Wort mehr sprachen, mochte es
+ihr auch unheimlich vorkommen und sie sagte laut und muerrisch:
+
+"Nun Gottlieb was giebt's -- was hast wieder Du mit der Hanne -- was habt
+Ihr denn dass Ihr so still und heimlich thut -- macht Einem nicht auch noch
+Angst unnuetzer Weise -- was ist nun wieder los?"
+
+"Ja Mutter," sagte der Mann jetzt, der sich gewaltsam Muth fasste ueber das,
+was nun doch nicht laenger mehr verschwiegen bleiben konnte und besprochen
+werden _musste_, auch laut zu reden, dass er's vom Herzen herunter bekam --
+"es geht mit uns hier den Krebsgang, und ich habe eben zu Hannen gesagt
+dass uns zuletzt nichts anderes uebrig bleiben wuerde als -- als es eben auch
+wie andere zu machen, und -- "
+
+"Und? -- und was zu machen?" frug die alte Frau gespannt --
+
+"Als _auszuwandern_," sagte der Mann mit einem ploetzlichen Ruck und
+seufzte dann tief auf, als ob er selber froh waere es los zu sein.
+
+"Herr Du meine Guete!" rief die alte Frau, liess die Haende erschreckt in den
+Schooss sinken und lehnte sich in ihren Stuhl zurueck, waehrend ihr alle
+Glieder am Leibe flogen -- "Herr Du meine Guete!" wiederholte sie noch
+einmal, und die Finger falteten sich unwillkuerlich zusammen, so hatte sie
+der Schreck getroffen.
+
+"Auswandern," sagte aber auch jetzt Gottliebs Frau mit tonloser Stimme,
+und liess die Schuerze vom Gesicht herunterfallen -- "auswandern, das ist ein
+schweres -- schweres Wort Gottlieb -- hast Du Dir das auch recht -- recht
+reiflich ueberlegt?"
+
+"Tag und Nacht die ganze letzte Woche hindurch," rief aber der Mann, der
+jetzt, da das Eis einmal gebrochen war, wieder Leben und Waerme gewann.
+"Wie ein Muehlstein hat's mir auf der Seele gelegen, und ich habe lange und
+tapfer dagegen angekaempft, aber es waere das Beste fuer uns, was wir auf der
+weiten Gotteswelt thun koennten; und wenn auch nicht einmal fuer uns, wenn
+wir selber auch schwere und bittere Zeiten durchzumachen haetten, doch fuer
+die Kinder, die einmal den Segen erndten, den wir mit unserem Schweiss,
+unseren Thraenen gesaeet."
+
+"Auswandern? ja," sagte aber jetzt die Grossmutter, mit dem Kopfe nickend
+und schuettelnd, als ob sie den schrecklichen Gedanken wieder von sich
+abwerfen wollte -- "ja wohin es euch luestet, aber erst wenn ich todt bin.
+Die paar Tage muesst Ihr noch hier bleiben die ich noch zu leben habe, oder
+sonst schlagt mich todt, werft mich in's Wasser, oder schlagt mich mit dem
+Beil auf den Kopf dass ich fortkomme, und hier auf dem Kirchhof unter der
+alten Linde liegen kann, wo der Leberecht liegt. In der Welt koennt Ihr
+mich doch nicht mehr umherschleppen, und nutz bin ich auch Nichts mehr,
+wie das mit zu verzehren was andere verdienen. Wenn Ihr jetzt fort wollt
+schlagt mich vorher todt."
+
+"Ach Mutter wenn Sie nur nicht gar so haesslich reden wollten," sagte die
+Frau traurig, waehrend der Mann wieder zum Tisch ging, sich dort auf den
+Stuhl setzte, und den Kopf in die Hand stuetzte -- "Sie sind noch wohl und
+ruestig und werden, will's Gott, noch manches Jahr leben und sich Ihrer
+Kinder freuen. Wo die dann hin ziehen und sich ihr Brod suchen muessen, da
+gehoeren Sie auch hin, und was die verdienen, das haben Sie auch verdient
+mit Muehe und Noth und banger Sorge schon vor langen Jahren, wie wir noch
+klein und unbehuelflich waren, wie unsere Kinder jetzt."
+
+"Wozu mich mitnehmen," sagte aber die Frau, stoerrisch dabei mit dem
+Oberkoerper herueber und hinueber schwankend, "unterwegs muesstet Ihr mich doch
+aus dem grossen Schiff hinaus in's Wasser werfen, die Fische zu fuettern.
+Bleibe im Lande und naehre Dich redlich, das ist _mein_ Spruch und meines
+Leberecht Spruch von alter Zeit her gewesen, und wir haben uns wohl dabei
+befunden, aber das junge Volk jetzt will immer alles anders haben, will
+oben zur Decke 'naus und fliegen und schwimmen, anstatt huebsch auf der
+Erde und im alten Gleis zu bleiben. Warum ist's denn frueher gegangen? --
+nein Gott bewahre, jetzt soll Alles mit Eisenbahnen und Dampf gehen und
+keine Geduld, keine Ausdauer mehr; nur fort, immer gleich fort, in die
+Welt hinein und mit dem Kopf gegen die Wand -- schlagt mich todt, dann seid
+Ihr mich los und koennt hingehn wohin Ihr wollt."
+
+Und die alte Mutter stand auf, rueckte ihr Spinnrad bei Seite, und
+humpelte, noch immer vor sich hin murmelnd und grollend, aus der Stube
+hinaus.
+
+"Sie meint es nicht so boes, Gottlieb," sagte die Frau zu dem Mann tretend
+und ihre Hand auf seine Schulter legend, "es ist eine alte Frau die an
+ihrer Heimath mit ganzem Herzen haengt und sich vor der Reise fuerchtet."
+
+"Und Du nicht, Hanne?" rief der Mann sich rasch nach ihr umdrehend, und
+ihre Hand ergreifend -- "Du nicht? Du wuerdest Dich dazu entschliessen koennen
+unsere Heimath hier, unser Haeuschen, unser Feld zu verlassen, und mit mir
+und den Kindern ueber das weite Meer zu fahren, in eine fremde Welt?"
+
+Die Frau schwieg und ihre Hand zitterte in der des Mannes -- endlich sagte
+sie leise -- "So weit fort? -- und muss es denn sein, ist es denn gar nicht
+moeglich mehr, dass wir hier gut und ehrlich durchkommen durch die Welt,
+wenn wir uns auch ein Bischen knapper einrichten wie bisher? Ach Gottlieb,
+es ist gar hart so von zu Hause fortzugehn, die Thuer zuzuschliessen und zu
+denken dass man nun nie und nimmer wieder dahin zurueckkommt -- "
+
+Der Mann nickte traurig mit dem Kopf und sagte endlich:
+
+"Du hast recht Hanne; es ist ein schwerer, recht schwerer Schritt, und man
+sollte ihn sich wohl vorher ueberlegen ehe man ihn thut, denn zurueck kann
+man nicht wieder, wenn man nicht wenigstens Alles opfern will, was Einem
+bis dahin noch zu eigen gehoert hat. Thun wir aber recht nur allein an uns
+zu denken? -- Sieh, wir schleppen uns vielleicht noch wenn auch kuemmerlich,
+doch ehrlich, durch, bis wir einmal sterben, und wenn es auch hart ist,
+dass es Einem nachher im Alter schlechter gehn soll wie in der Jugend,
+brauchten wir doch gerade keine Furcht zu haben dass wir verhungerten; aber
+die Kinder -- die Kinder -- was wird aus denen? Unser kleines Grundstueck ist
+die Jahre ueber kleiner und kleiner geworden; mit dem Geschaeft geht's auch
+kuemmerlicher wie bisher -- neue, geschicktere Arbeiter, junge Burschen die
+noch keine Familie haben und weniger brauchen, sitzen in den Doerfern
+herum, und die Fabriken und Maschinen geben uns ohnedies den Todesstoss.
+Stahl und Holz braucht Nichts zu essen und arbeitet unermuedet Tag und
+Nacht durch, und die Raeder und Walzen und Haemmer klopfen und drehen und
+schwingen ununterbrochen fort gegen den Schweiss des armen Arbeiters der
+darueber zu Grunde geht. Ich murre auch nicht darueber, es muss wohl schon so
+recht sein, denn Gott hat's den Menschen selber gelehrt und die Welt muss
+vorwaerts gehn -- wir aelteren Leute koennen uns aber eben nicht mehr darein
+schicken, koennen nichts Anderes mehr ergreifen, und wieder von vorne
+anfangen, wenigstens hier im Lande nicht wo Einem die Haende nach allen
+Seiten hin gebunden sind, und darum ist mir der Gedanke gekommen
+auszuwandern. Da drueben ueber dem Weltmeere hat der liebe Herr Gott noch
+einen grossen gewaltigen Fleck Erde liegen, fuer uns arme Leute bestimmt,
+den Maschinen und Raederwerken zu entgehn; dort haben wir Platz uns zu
+bewegen, und wer nur da ordentlich arbeiten will hat nicht allein zu
+leben, sondern kann auch vielleicht fuer sich und die Kinder was vorwaerts
+bringen und braucht sich nicht mehr vor der Zukunft zu fuerchten und vor
+Hunger und Noth. Wenn wir nicht auswandern, was bleibt unsern Kindern da
+einmal anders uebrig, als in Dienst zu gehn und sich bei fremden Leuten
+doch herumzuschlagen ihr Lebelang."
+
+"Und die Mutter?" sagte die Frau, sich aengstlich nach der Thuere umsehend --
+"was wuerde aus der alten Frau auf dem Meere?"
+
+"Was aus so vielen alten Frauen da wird, liebes Herz," sagte aber der
+Mann, augenscheinlich mit froherem, freudigeren Herzen, als er bei dem
+eigenen Weib nicht den Widerstand fand, den er vielleicht gefuerchtet --
+"sie gewoehnen sich an das neue Leben, sobald sie das alte nicht mehr um
+sich sehen, und die Seeluft soll kraeftigen und staerken."
+
+"Aber sie wird nicht mit uns wollen."
+
+"Sie wird ihre Kinder nicht verlassen," troestete sie der Mann, "und ohne
+sie duerften wir ja auch gar nicht fort."
+
+Die Frau reichte ihm schweigend die Hand, die er herzlich drueckte, und
+wandte sich dann, und wollte eben das Zimmer verlassen, als draussen Jemand
+die Thuer aufriss und in das Haus trat. Das Unwetter hatte jetzt seinen
+hoechsten Grad erreicht, und der Regen schlug in ordentlichen Guessen gegen
+die Fenster an, waehrend der Wind die Wipfel der Baeume herueber und hinueber
+schuettelte und die Bluethen von den Zweigen riss mit rauher Hand.
+
+ [Capitel 6]
+
+"Schoenen Gruss mit einander," sagte dabei eine rauhe Stimme, waehrend die
+Stubenthuer halb geoeffnet wurde -- "darf man hinein kommen?"
+
+"Gott gruess Euch," sagte die Frau -- "kommt nur herein, bei dem Wetter ist's
+boes draussen sein -- es tobt ja, als ob der letzte Tag hereinbrechen
+sollte."
+
+Der Fremde hing seinen Hut und Mantel draussen ab und trat mit nochmaligem
+Gruss in die Stube.
+
+"Gott gruess Euch," sagte auch Gottlieb -- "da, nehmt Euch einen Stuhl und
+setzt Euch zum Ofen; es ist heut unfreundlich draussen, und man kann ein
+Bischen Feuer brauchen."
+
+"Sauwetter verdammtes," fluchte der Mann, als er der Einladung Folge
+geleitet und sich die nassen Haare aus der Stirne strich -- "ich wollte
+erst sehen dass ich die Schenke erreichte; hier um die Ecke herum kam der
+Wind aber so gepfiffen dass er mich bald von den Fuessen hob, und es war
+gerade als ob sie Einem von da oben einen Eimer voll Wasser nach dem
+andern entgegen gossen. Schoenes Wetter fuer Enten, aber fuer keine
+Menschen."
+
+Es war eine rauhe, kraeftige Gestalt, der Mann, mit krausem dicken
+schwarzen Bart und ein paar tiefliegenden unstaeten Augen, in einen groben
+braunen Tuchrock gekleidet, wie ihn die Fleischer nicht selten auf dem
+Lande tragen. Die ebenfalls braunen Hosen hatte er dabei heraufgekrempelt,
+bis fast unter das Knie, mit seinen derben Wasserstiefeln besser durch
+alle Pfuetzen und Schlammwege hindurch zu koennen; die aus ungeborenem
+Kalbfell gemachte Weste war ihm bis an den Hals hinauf zugeknoepft, und
+eine lange silberne Kette, an der die in der Westentasche steckende Uhr
+befindlich war, hing ihm darueber hin.
+
+"Ihr seid wohl weit von hier zu Haus?" frug Gottlieb nach einer laengeren
+Pause, in der er den Mann und dessen Aeusseres fluechtig nur betrachtet
+hatte -- "hab' Euch wenigstens noch nicht hier bei uns gesehen."
+
+"Zehn Stunden etwa," sagte der Fremde, seine Pfeife jetzt aus der
+Brusttasche seines Rockes nehmend und mit Stahl und Schwamm, den er bei
+sich fuehrte, entzuendend -- "wie weit ist's noch bis Heilingen."
+
+"Eine tuechtige Stunde -- wenn der Weg jetzt nicht so schrecklich waere,
+koennte man's recht bequem in kuerzerer Zeit gehn."
+
+"Hm -- ist noch verdammt weit, puh wie das draussen stuermt; und die
+Pflaumenbluethen pflueckt's beim Armvoll herunter -- Pflaumenmuss wird theuer
+werden naechsten Herbst."
+
+"Das weiss Gott," sagte Gottlieb -- "es wird Alles theuer, immer mehr jedes
+Jahr, langsam aber Sicher."
+
+"Bah, es geschieht denen recht die hier bleiben, wenn sie nicht hier
+bleiben muessen; 's giebt Plaetze die besser sind."
+
+"Wollt Ihr auch auswandern?" sagte Gottlieb rasch.
+
+"Auswandern? -- nach Amerika? -- hm -- ich weiss noch nicht," brummte der
+Fremde, sich den Bart streichend -- "es waere aber moeglich dass sie Einen
+noch dazu trieben. Sind das Euere Kinder?"
+
+"Ja. -- "
+
+"Habt Ihr noch mehr?"
+
+"Noch einen Jungen von elf und ein halb Jahr."
+
+"Und Ihr seid ein Weber?" sagte der Fremde mit einem Blick auf den
+Webstuhl -- "auch schwere Zeiten fuer derlei Arbeit, mit einer Familie
+durchzukommen."
+
+"Ja wohl, schwere Zeiten," seufzte Gottlieb, als in diesem Augenblick die
+Thuer draussen wieder aufging und die Mutter laut ausrief: --
+
+"Der Hans, lieber Himmel kommt der in dem Wetter."
+
+Es war Hans, der aelteste Sohn des Webers, durch und durch nass, aber mit
+frischem gesunden Gesicht und rothen Backen, auf denen das Regenwasser in
+grossen Perlen stand.
+
+"Guten Tag mit einander," sagte er, als er in's Zimmer trat und die
+triefende Muetze vom Kopf riss -- "guten Tag Mutter."
+
+"Guten Tag Hans, aber wo um Gottes Willen kommst Du in dem Regen her;
+warum hast Du das Wetter nicht bei Lehmann's abgewartet?"
+
+"Es wurde mir zu spaet Mutter und ich war hungrig geworden; habe auch noch
+heute Abend dem Vater etwas zu helfen."
+
+"Ein derber Junge," sagte der Fremde, der sich den Knaben indess mit
+finsterem Blick betrachtet hatte -- "kann wohl schon ordentlich mit
+arbeiten."
+
+"Ach ja, er packt tuechtig mit zu," sagte der Vater -- "lieber Gott in
+jetziger Zeit muss Alles mit Brod verdienen helfen."
+
+"Die Kinder fressen Einen arm," sagte der Fremde.
+
+"Habt Ihr Kinder?" frug Gottlieb.
+
+"Ich? -- hm, ja," sagte der Fremde nach einer Pause -- "koennte noch Jemandem
+abgeben davon."
+
+"Ich moechte keins hergeben," sagte die Frau rasch, und kuesste das Juengste,
+das sie eben wieder aufgenommen hatte um es zu fuettern, "Kinder sind ein
+Segen Gottes."
+
+"Ja -- so sprechen die Leute wenigstens," sagte der Fremde trocken, "aber
+ich glaube es laesst nach mit Regnen; ich werde die Schenke wohl jetzt
+erreichen koennen."
+
+"Wollt Ihr nicht vielleicht erst eine heisse Tasse Kaffee trinken?" frug
+die Frau, das Kind auf dem linken Arm, zum Ofen gehend, die dort
+warmgestellte Kanne wieder vorzuholen.
+
+"Danke, danke," sagte aber der Fremde abwehrend -- "kann das warme Zeug
+nicht vertragen; ein Glas Branntwein ist mir lieber."
+
+"Das thut mir leid," sagte der Mann, "den kann ich Euch nicht anbieten;
+ich habe keinen im Hause."
+
+"Thut auch Nichts," lachte der Fremde; "so lange halt ich's schon noch
+aus. Sind doch huelflose Dinger so junge Menschen, ehe sie die Kinderschuh
+ausgetreten haben," setzte er dann hinzu, als das Juengste das Maeulchen
+nach dem schon einmal gereichten Loeffel vorstreckte -- "was machte nun so
+ein jung Ding, wenn man es hinsetzte und sich selber ueberliesse."
+
+"Ach Du lieber Gott," sagte die Frau bedauernd -- "so ein armer Wurm muesste
+ja elendiglich umkommen."
+
+"Bis den Nachbarn das Geschrei zu arg wuerde und sie kaemen und es
+fuetterten," lachte der Andere.
+
+"Dafuer haben die Kinder Eltern," sagte die Frau, das kleine, die Aermchen
+zu ihr ausstreckende Maedchen liebkosend und kuessend, "die sorgen schon
+dafuer dass kein Nachbar danach zu sehen braucht."
+
+"Wenn die aber einmal ploetzlich stuerben, wie dann?" frug der Fremde, mit
+einem Seitenblick auf die Frau, indem er seinen Rock wieder zuknoepfte und
+sich zum Gehen ruestete.
+
+"Dann ist Gott im Himmel," sagte Hanne, mit einem frommen
+vertrauungsvollen Blick nach oben.
+
+"Ja, das ist wahr;" sagte der Fremde mit einem leichtfertigen Laecheln,
+"der hat allerdings die grosse Kinderbewahranstalt. Aber es hat wirklich
+aufgehoert mit Giessen," unterbrach er sich rasch, "den Augenblick will ich
+doch lieber benutzen. So schoen Dank fuer gegebenes Quartier Ihr Leute, und
+gut Glueck."
+
+"Bitte, Ihr habt fuer Nichts zu danken, behuet' Euch Gott," sagte Gottlieb
+freundlich.
+
+"Behuet' Euch Gott;" sagte auch die Frau, und der Mann, ihnen noch einmal
+zunickend, nahm draussen wieder den nassen Mantel um, drueckte sich den
+breitraendigen Hut in die Stirn, griff einen derben Knotenstock, der
+daneben in der Ecke lehnte, auf, und verliess rasch das Haus, die Richtung
+nach der Schenke einschlagend.
+
+"Mich freut's dass er fort ist," sagte die Frau, die dem Knaben gerade das
+Essen auf den Tisch setzte und den Kaffee einschenkte -- "bewahr uns Gott,
+was hatte der Mann fuer ein finstres Gesicht und ein barsches Wesen; nicht
+schlafen koennt' ich die Nacht, wenn ich den unter einem Dach mit mir
+wuesste. In dem Gesicht liegt auch nichts Gutes -- und wie er fluchte und
+ueber die Kinder sprach -- ob er nur wirklich selber welche hat."
+
+"Er sagt's ja," bestaetigte Gottlieb -- "aber mir schien's ein Fleischer zu
+sein, seinem Gewerbe nach, und die sind immer rauh und derb, meinen's aber
+nicht immer so boes."
+
+"So bess're ihn Gott," sagte die Frau mit einem Seufzer, "und je seltener
+er unseren Weg kreuzt, desto besser."
+
+
+
+
+
+ Capitel 7.
+
+
+ NACH AMERIKA.
+
+
+"Nach Amerika!" -- Leser, erinnerst Du Dich noch der Maerchen in "Tausend
+und eine Nacht", wo das kleine Woertchen "Sesam" dem, der es weiss, die
+Thore zu ungezaehlten Schaetzen oeffnet? hast Du von den Zauberspruechen
+gehoert, die vor alten Zeiten weise Maenner gekannt, Geister heraufzurufen
+aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu
+machen? -- Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe schlugen, wie sich die
+Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner
+zusammen, die Erde bebte, und das kecke, tollkuehne Menschenkind das sie
+gesprochen, bebte zurueck vor der furchtbaren Gewalt die es
+heraufbeschworen.
+
+Die Zeiten sind vorueber; die Geister, die damals dem Menschengeschlecht
+gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder wir haben auch vielleicht das
+rechte Wort vergessen sie zu rufen -- aber ein anderes dafuer gefunden, das
+kaum minder stark mit _einem_ Schlage das Kind aus den Armen der Eltern,
+den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhaeltnissen und
+Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reisst, in dem es bis dahin mit
+seinen staerksten, innigsten Fasern treulich festgehalten.
+
+"Nach Amerika," leicht und keck ruft es der Tollkopf trotzig der ersten
+schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine Kraft pruefen sollte, seinen
+Muth staehlen -- "nach Amerika," fluestert der Verzweifelte der hier am Rand
+des Verderbens dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde --
+"nach Amerika," sagt still und entschlossen der Arme, der mit maennlicher
+Kraft und doch immer und immer wieder vergebens, gegen die Macht der
+Verhaeltnisse angekaempft, der um sein "taegliches Brod" mit blutigem Schweiss
+gebeten -- und es nicht erhalten, der keine Huelfe fuer sich und die Seinen
+hier im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln _will_, nicht stehlen
+_kann_ -- "nach Amerika" lacht der Verbrecher nach gluecklich veruebtem Raub,
+frohlockend der fernen Kueste entgegen jubelnd, die ihm Sicherheit bringt
+vor dem Arm des beleidigten Rechts -- "nach Amerika," jubelt der Idealist,
+der wirklichen Welt zuernend, weil sie eben wirklich ist, und ueber den
+Ocean drueben ein Bild erhoffend, das dem, in seinem eigenen tollen Hirn
+erzeugten, gleicht -- "nach Amerika" und mit dem einen Wort liegt hinter
+ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes frueheres Leben, Wirken, Schaffen -- liegen
+die Bande die Blut oder Freundschaft hier geknuepft, liegen die Hoffnungen
+die sie fuer hier gehegt, die Sorgen die sie gedrueckt -- _"nach Amerika!"_
+
+So gaehrt und keimt der Saame um uns her -- hier noch als leiser, kaum
+verstandener Wunsch im Herzen ruhend, dort ausgebrochen zu voller Kraft
+und Wirklichkeit, mit der reifen Frucht seiner gepackten Kisten und
+Kasten. Der Bauer draussen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain der
+ihn zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so schwer
+geaergert, und der im Geist schon die langen geraden Furchen zieht, weit
+ueber dem Meer drueben, in dem fetten, herrlichen Land; -- der Handwerker in
+seiner Werkstatt, dem sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt
+mit Neuerungen und grossen, marktschreierischen Firmen, die wenigen Kunden
+die ihm bis dahin noch geblieben in _seine_ Thuer zu locken; der Kuenstler
+in seinem Atelier, oder seiner Studirstube, der ueber einer freieren
+Entwickelung bruetet, und von einem Lande schwaermt wo Nahrungssorgen ihm
+nicht Geist und Haende binden; -- der Kaufmann hinter seinem Pult, der
+Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Buechern zieht und, das
+sorgenschwere Haupt in die Hand gestuetzt, von einem neuen, andern Leben,
+von lustig bewimpelten Schiffen, von reich gefuellten Waarenhaeusern traeumt;
+in Tausenden von ihnen draengt's und treibt's und quaelt's, und wenn sie
+auch noch vielleicht Jahre lang nach aussen die alte fruehere Ruhe wahren,
+in ihren Herzen glueht und glimmt der Funke schon -- ein stiller aber ein
+gefaehrlicher Brand. Jeder Bericht ueber das ferne Land wird gelesen und
+ueberdacht, neue Arzenei, neues Gift bringend fuer den Kranken. Vorsichtig
+und aengstlich, und weit herum um ihr Ziel, dass man die Absicht nicht
+errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem Ding -- nach Leuten
+die vordem "hinueber" gezogen und denen es gut gegangen -- nach Land- und
+Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk -- fuer Andere natuerlich, nicht fuer sich
+etwa -- sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will hinueber, ein
+entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wuenschen dass es dem wohl
+geht, und haeufen mehr und mehr Zunder fuer sich selber auf.
+
+So ringt und draengt und wuehlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem
+nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den _salto mortale_ gethan,
+und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war -- aus
+dem, aus jenem Grund -- und taeglich, stuendlich noch hoeren wir von anderen,
+von denen wir im Leben nie geglaubt dass _sie_ je an Amerika gedacht, wie
+sie mit Weib und Kind, mit Hab' und Gut hinueberziehn. Und _dort_? -- noch
+liegt ein dichter Schleier ueber ihrem Schicksal dort, doch Gottes Sonne
+scheint ja ueberall -- Dir aber lieber Leser, greif ich aus dem Leben noch
+hie und da ein paar Freunde heraus, die wir begleiten wollen auf dem
+weiten Weg.
+
+ * * * * *
+
+Oben in der Brandstrasse -- nicht weit vom Brandthor entfernt, und dem
+Gasthaus zum Loewen schraeg gegenueber, wohnte Professor Lobenstein mit
+seiner Familie, in der ersten Etage eines, zwar sehr alten, aber auch sehr
+wohnlich eingerichteten Hauses, das ihm eigen gehoerte.
+
+Der Professor war ein Mann, gerade an der anderen Seite der "besseren
+Jahre", etwa einundfuenfzig alt, aber ruestig und gesund, nur erst mit
+einzelnen grauen Haaren zwischen den rabenschwarzen Locken, die ihm ueber
+die bleiche, aber hohe und geistvolle Stirn fielen, wie mit fast
+jugendlichem, elastischem Gang und Wesen. Ein tuechtiger Kopf dabei, hatte
+er _jura_ und _cameralia_ studirt, und einen grossen Schatz von Kenntnissen
+aufgehaeuft; auch in manchem, mit schweren muehsamen Nachtwachen erkauften
+Werk der Welt, der undankbaren Welt das Resultat seiner Studien und
+Forschungen gebracht und dargelegt. Unzufrieden aber mit dem Erfolg, und
+der kalten Aufnahme die es gefunden, wandte er sich spaeter wieder von den
+bis dahin bevorzugten juristischen Wissenschaften ganz ab und allein
+seinem Lieblingsstudium den Cameralien zu, in denen er besonders der
+Gewerbskunde seine Thaetigkeit widmete, auch mit einem Buchhaendler in
+Heilingen eine Gewerbszeitung gruendete und herausgab.
+
+Hierin hatte er Unglueck; der Buchhaendler machte bankerott und er uebernahm
+die Zeitung, mit ziemlich grossen Verlusten schon, allein.
+
+So vortrefflich aber Professor Lobenstein in der Theorie seiner
+Wissenschaft bewandert sein mochte, so wenig sattelfest war er es in der
+Praxis, und seine Zeitung wollte und wollte keinen Boden gewinnen. Mit
+fabelhaftem Fleiss suchte er dem zu begegnen, umsonst -- umsonst auch dass er
+Capital nach Capital in das, zuletzt nur noch zur Ehrensache gewordene
+Unternehmen steckte. Sein Haus bekam Hypothek auf Hypothek und mit einer
+hoechst unguenstigen politischen Periode, in der ihm eine grosse Anzahl
+Abonnenten absprang, trafen ihn auch so bedeutende pecuniaere Verluste, dass
+er sich endlich genoethigt sah sein Blatt vollstaendig aufzugeben. Es war
+das das schwerste Opfer, das er bis dahin gebracht.
+
+Professor Lobenstein hatte eine ziemlich starke Familie, eine Frau, zwei
+erwachsene Toechter von siebzehn und zwanzig Jahren, einen Sohn von
+achtzehn, und zwei kleinere Kinder, einen Knaben von acht und ein Maedchen
+von sieben Jahren. Wenn auch nicht in Reichthum doch in einem gewissen
+Wohlstand erzogen, war aber der Familie bis jetzt das schwere Wort
+"_Nahrungssorgen_" fremd geblieben; der Professor hatte immer, was man so
+nennt, ein Haus gemacht, und sich in einem Umgangskreis bewegt, der ihnen
+schon an und fuer sich eine gewisse Verpflichtung auferlegte Manches
+mitzumachen, was seinen, sonst mehr einfachen Neigungen eben nicht
+Beduerfniss schien. Das Alles sollte, ja _musste_ sich jetzt aendern, denn
+wenn er auch aus den Truemmern seines Vermoegens, nach allen erlittenen
+Verlusten, einen kleinen Theil zu retten vermochte, genuegte der nicht, das
+bisherige Leben fortzufuehren. Die Wahl blieb ihm jetzt allein, von Neuem
+eine Laufbahn mit geringeren Mitteln anzufangen, und sich und den Seinen
+schwere und ungewohnte Entbehrungen an einem Orte aufzuerlegen, wo ihn
+Alles und Jedes an fruehere und bessere Zeiten erinnerte oder -- es war eine
+schwere Stunde in der ihm das Bild zum ersten Mal vor die Seele stieg -- in
+einem anderen Welttheil, ungekannt, aber auch nicht bemitleidet oder
+verspottet, ein vollkommen neues _Leben_ zu beginnen.
+
+Aber die Frauen? -- wuerden sie den Muehseligkeiten einer so langen Reise,
+einer Ansiedlung drueben in einem noch wilden Lande gewachsen sein? -- Dass
+er selber die Beschwerden eines solchen Lebens leicht ertragen wuerde,
+daran zweifelte er keinen Augenblick; er hatte so viel ueber Amerika
+gelesen, sich mit den dortigen Verhaeltnissen aus allen erschienenen
+Schriften so vertraut gemacht, dass er Alles kannte was ihn dort erwartete,
+und einem derartigen Wirken eher mit Freude und Lust, als Bangen
+entgegenging; aber durfte er seine Frau all den sie erwartenden
+Unbequemlichkeiten und Strapatzen aussetzen? durfte er seine Toechter aus
+ihrem geselligen gluecklichen Leben reissen, und ihnen mit einem Schlage
+alle jene Vergnuegungen entziehen, die ihnen hier schon mehr als Erholung,
+die ihnen fast Beduerfniss geworden?
+
+Einen langen und schweren Kampf kaempfte er mit sich selber, Monate lang,
+und er wurde alt in der Zeit; die Augen lagen tief in ihren Hoehlen und
+seine Zuege bekamen etwas Mattes und Abgespanntes, das sie sonst, in seiner
+schwersten Arbeitszeit noch nie gehabt. Wenn auch die Kinder dabei sich
+leicht mit einem vorgeschuetzten Unwohlsein beruhigen liessen, dem scharfen
+Blick der Gattin entging die Sorge nicht, die an seinem Herzen heimlich,
+aber desto gewaltiger nagte, und ihren dringenden, aengstlichen Bitten
+konnte er zuletzt nicht laenger widerstehen. Was sie doch zuletzt haette
+erfahren _muessen_, vertraute er ihr an und wenn es die arme Frau auch wie
+ein Schlag aus heiterem Himmel traf, nahm sie das Ganze doch viel ruhiger
+auf als er erwartet, gefuerchtet, und damit eine schwere Last von _seinem_
+Herzen -- auf das ihre. Aber leichter traegt sich die getheilte, und bereden
+konnten sie jetzt zusammen was zu thun, welchen Weg zu gehen, die
+Moeglichkeit besprechen die sich hier ihrem Leben bot, die Moeglichkeit
+errwaegen, die ihnen dort eine andere freiere Zukunft oeffnete. Und die
+Kinder? wohin Muetter und Vater gingen folgten die ja gern; nur die Scene
+wechselte fuer sie, anderen, vielleicht selbst bunteren Bildern Raum zu
+geben, und Kummer und Sorge kannten die ja nicht.
+
+An demselben Abend waren die beiden aeltesten Toechter zu einem kleinen
+Fest, dem Geburtstag einer Freundin, eingeladen und hatten schon den
+ganzen Tag mit rastlosen Fingern an dem bunten blitzenden Ballstaat
+genaeht. Der Vater begleitete sie dorthin, nur die Mutter blieb daheim,
+Kopfschmerz vorschuetzend, und die Sorge um das juengste Kind, das mit einem
+leichten Unwohlsein in seinem Bettchen lag. Aber gegen zehn Uhr
+schlummerte es sanft und ruhig auf dem weichen Lager ein, und daneben, das
+sorgenschwere Haupt in die Hand gestuetzt, sass die Mutter und weinte --
+weinte als ob sie mit dieser Thraenenfluth all den Gram und Kummer
+fortwaschen wollte, der jetzt, ein dunkler Wolkensaum, am Horizonte ihres
+Gluecks erschien, und wild und drohend hoeher und hoeher stieg.
+
+Lachend und plaudernd kehrten die Toechter, mit dem Vater spaet in der Nacht
+zurueck; den leichten, sorglosen Herzen lag die Welt noch, ein weiter
+Garten offen da, und was etwa an wuchernden Giftpflanzen dazwischen stand,
+mischte noch sein fastgruenes Laub, dem jungen Auge nicht erkennbar, mit
+Blum' und Bluethenpracht.
+
+Aber der Moment naeherte sich auch, wo mit der vorgerueckten Jahreszeit all'
+die noethigen und mannichfaltigen Vorbereitungen zu einer so langen Reise,
+zu einer gaenzlichen Umgestaltung aller ihrer Verhaeltnisse, getroffen
+werden _mussten_; auch schien die Zeit eine passende fuer den Sohn, der, von
+der Schule gerade abgegangen, eben sein Abiturienten-Examen gluecklich
+bestanden hatte. Der Vater wuenschte allerdings dass er hier erst studiren,
+und ihnen dann spaeter, wenn er etwas Tuechtiges gelernt, vielleicht folgen
+sollte, dachte ihm aber doch die freie Wahl zu lassen, und seinem Herzen
+keinen Zwang aufzuerlegen.
+
+Am naechsten Morgen nach dem Balle nun -- es war spaet mit Aufstehn geworden
+nach der durchschwaermten Nacht und die zweite Tochter Marie eben erst zum
+Kaffee heruebergekommen, waehrend der Sohn das Haus schon, irgend eines
+notwendigen Ganges wegen verlassen hatte -- sass der Vater, ungewohnter
+Weise nicht in seiner Studirstube an der Arbeit, sondern im Sopha, aus der
+langen Pfeife den Dampf in weissen Kraeusselwolken von sich blasend, und die
+Mutter am Naehtisch, Kleider ausbessernd fuer das Juengste, das in seinem
+heruebergeschafften Bettchen wieder mit klaren Augen seine Puppe
+schaukelte.
+
+"Schon ausgeschlafen, Vaeterchen?" sagte Marie als sie, etwas beschaemt, die
+Letzte am Kaffeetische Platz genommen, "ich habe wohl recht lange heut
+geschlafen, aber -- was ist Dir denn? -- und der Mutter auch?" -- rief sie
+vom Stuhl wieder aufspringend, als sie das ungewohnte ernste Wesen der
+Eltern gewahrte -- "bist Du boese auf mich, Muetterchen?"
+
+"Nein mein Kind," sagte diese und zwang ein Laecheln auf die Lippen, "aber
+der Vater hat Euch etwas recht Ernstes heute zu sagen, etwas von dem wir
+noch nicht wissen, ob es Euch betrueben wird oder nicht."
+
+"Der Vater?" rief Marie erschreckt, und auch Anna, die aelteste Tochter,
+sah aengstlich zu ihm auf; Professor Lobenstein aber, so in die Enge und
+zum Aeussersten getrieben, hustete, paffte den Dampf ein paar Mal scharf
+vor sich hin, die Pfeife ordentlich in Gluth zu bringen, und sagte:
+
+"Ja Kinder, Ihr wisst -- wir -- wir haben doch in den letzten Tagen viel ueber
+Nord-Amerika gesprochen, und auch Manches gelesen -- "
+
+"Ja, die herrlichen Romane von Cooper," rief Marie rasch.
+
+"Und die schrecklichen Berichte im Tageblatt," laechelte Anna.
+
+"Der Doctor Haide ist ein Esel," sagte der Professor, den Rauch wieder ein
+paar Mal rasch ausstossend -- "wenn der haette in Amerika ordentlich arbeiten
+wollen, brauchte er sich jetzt nicht von einer Winkeladvocatur und vom
+Schimpfen auf freisinnige Leute zu ernaehren; ueber dessen Berichte wollen
+wir uns keine Sorgen machen, aber -- " er schwieg wieder einen Augenblick
+und sah, wie furchtsam, nach der Frau hinueber. Die jedoch arbeitete um so
+emsiger weiter, und selber mit dem Beduerfniss dem, was ihn schon so lange
+gedrueckt, endlich einmal Worte zu geben, fuhr er rasch fort -- "ich habe
+eine Frage an Euch zu thun, Kinder -- Haettet Ihr -- haettet Ihr wohl selber
+Lust hinueber nach -- nach Amerika zu gehn?"
+
+"Nach Amerika?" rief Anna rasch und auch wohl erschreckt. Marie aber
+sprang auf, schlug in die Haende und rief jubelnd:
+
+"Nach Amerika? oh das waere ja praechtig -- das waere herrlich -- nicht wahr da
+sind auch Baelle, Vaeterchen?"
+
+Die Mutter seufzte tief auf und der Vater zog wieder, etwas verlegen an
+der Bernsteinspitze.
+
+"Hm -- ich weiss nicht," sagte er langsam mit dem Kopf schuettelnd -- "wo wir
+im Anfang hinwollten, werden wohl keine sein. Haengst Du so an Baellen,
+Marie?"
+
+"Ich tanze gern," laechelte das junge froehliche Maedchen etwas verlegen und
+schuechtern.
+
+"Nun tanzen wirst Du dort hoffentlich auch koennen, mein Kind," sagte der
+Vater freundlich -- "wenn auch nicht gerade gleich auf solchen Baellen wie
+wir sie hier gewohnt sind -- das Leben ist dort einfacher."
+
+"Oh, und bis zum naechsten Fasching sind wir gewiss auch wieder zurueck,"
+rief Marie.
+
+Der Vater schwieg erst eine kleine Weile, und sagte dann leise aber
+entschlossen.
+
+"Wir wollen _ganz_ hinueberziehn, mein Kind."
+
+"Auswandern?" rief die aeltere Schwester fast erschreckt -- das Wort, dessen
+Bedeutung sie noch gar nicht vollkommen verstand, traf sie mit einem
+unbekannten ahnenden Gefuehl von Schmerz und Leid -- "und die Mutter?"
+
+"Ihr werdet mich doch nicht wollen allein zuruecklassen?" laechelte die
+Frau, sich gewaltsam zwingend ueber den Schmerz dieser Stunde.
+
+"Mutter!" sagte Anna, warf die Arme um ihren Nacken und kuesste sie.
+
+"Und Eduard?" frug Marie.
+
+"Bleibt, wenn er meinem Rathe folgt, noch hier bis er ausstudirt und etwas
+ordentliches gelernt hat," sagte der Vater -- "wo nicht, hat er seinen
+freien Willen und mag uns begleiten; sowie er zu Hause kommt werde ich mit
+ihm sprechen."
+
+"Aber -- " rief Marie -- "wer verwaltet unterdessen unser Haus?"
+
+"Wenn wir einmal fort sind von hier," sagte der Professor ausweichend,
+"kann uns auch das Haus nichts mehr nuetzen, und ich werde es verkaufen."
+
+"_Verkaufen_? -- unser Haus und den Garten?" riefen Maria und Anna fast wie
+aus einem Munde erschreckt und rasch --
+
+"Unser freundliches Stuebchen, wo wir als Kinder gespielt," setzte Marie
+traurig hinzu.
+
+"Und die Baeume die Vater alle gepflanzt -- die Laube, die wir uns selbst
+gebaut, und die so schoen geworden ist in diesem Jahr," sagte Anna leise --
+"verlassen wollt' ich es ja gern, wenn wir Alle gehn, aber dass fremde
+Menschen jetzt darin hausen sollen, die vielleicht gar nicht wissen wie
+wir das Alles gehegt und gepflegt und -- " ihr Blick fiel in diesem
+Augenblick auf der Mutter, halb von ihr abgewandte bleiche Zuege, und fasste
+das Blitzen einer heimlich fallenden Thraene. Anna erschrak und wurde
+todtenbleich -- hier lag mehr verborgen als man ihnen gesagt, und
+heimlicher Gram, heimliche Sorge nagte an der Eltern Herzen, durfte sie
+die vermehren? Sie schwieg einen Augenblick und sah sinnend vor sich
+nieder, dann aber Mariens Hand ergreifend sagte sie mit leichterem
+vielleicht gezwungen froehlicherem Ton:
+
+"Aber wir wollen nicht klagen; Vater und Mutter wissen am Besten was sie
+zu thun haben, und was uns gut ist, und dort baut uns Vater dann ein
+anderes Haus, und wir selber pflanzen uns ein neues Gaertchen, schoener als
+das unsere hier."
+
+"Aber ich bliebe hier, wenn ich an Vaters Stelle waere," schmollte Marie,
+"und was wird Herr Kellmann dazu sagen, wenn er es erfaehrt? der ist so
+immer gegen Amerika, und hat sich schon oft mit Vater darueber gezankt."
+
+"Ach der macht mir die geringste Sorge," sagte Anna in ihrem Schmerz
+laechelnd -- "wenn man _fuer_ Amerika spricht, schimpft er aus Leibeskraeften,
+und citirt Gott weiss was fuer Stellen aus Briefen und Zeitungen, alles
+Guenstige zu widerlegen, oder wenigstens stark zu bezweifeln, und kommt
+Jemand der das Land ordentlich angreift, dann hab' ich auch schon gesehn,
+dass er den Handschuh wacker dafuer aufnimmt, und man wirklich glauben
+sollte er bekaeme so und so viel fuer den Kopf, Leute zu bereden
+hinueberzuziehn. Das ist ein wunderlicher Kauz, der die meiste Zeit selber
+nicht weiss was er will, und ich glaube, wenn es Jemand recht ordentlich
+bei ihm darauf anlegte, koennte man ihn selber, nur durch Widersprechen,
+dahin bringen, dass er in eigener Person hinueberginge."
+
+"Herr Kellmann?" lachte Marie -- "nun _den_ moecht' ich in Amerika sehn."
+
+"Und wer weiss, ob Dir das nicht noch passirt," bestaetigte der Vater, mit
+dem Kopfe nickend.
+
+"Und darf ich mein neues seidenes Kleid mitnehmen, Mama?" frug das junge
+lebenslustige Maedchen jetzt die Mutter -- "hier lassen moecht' ich es doch
+nicht gern, und drueben im Wald -- "
+
+"Liebes Kind, wir werden auch nicht mitten in den Wald gehn," sagte die
+Mutter, die indessen heimlich die verraetherische Thraene aus dem Auge
+geschuettelt, freundlich dabei der zu ihr getretenen Tochter die Stirn
+streichend und kuessend, "denkt es Euch nicht so schlimm. Der Vater wird
+uns schon einen Platz aussuchen, wo wir wenigstens unter Menschen und der
+Cultur nicht ganz verschlossen sind -- er hielte es ja dort sonst selber
+nicht aus."
+
+"Aber warum gehst Du nur, Vaeterchen?" bat Marie -- "es ist doch hier so
+wunderhuebsch in Heilingen, und was wir da drueben haben, wissen wir noch
+nicht."
+
+Der Professor, zu dem Anna aengstlich aufsah, hatte seinen Sitz verlassen
+und ging, langsam dabei mit dem Kopf nickend, im Zimmer auf und ab; er
+fuehlte dass er, auch den Toechtern gegenueber, diesen eine Erklaerung seines
+Handelns schuldig sei, denn er riss sie aus einem liebgewonnenen Leben
+heraus, und fuehrte sie vielen, vielen Entbehrungen -- er durfte sich das
+nicht leugnen -- entgegen. Von ihrer spaeteren Haltung dabei hing auch viel
+ihrer Aller Glueck, ihrer Aller Zufriedenheit ab, und sie waren alt genug
+ihrem Urtheil zu vertrauen. Aber es kostete ihm der Entschluss einen
+schweren Kampf, und wo ihm die Frau war auf halbem Weg entgegen gekommen,
+fuerchtete er hier gerade, nicht Widerstand zu finden, denn dafuer hatten
+sie ihn zu lieb, aber Schmerz und Sorge zu wecken in den jungen Herzen,
+denen er die ungebetenen Gaeste gern noch fern gehalten haette so lang als
+moeglich. Sie standen jedoch an einem wichtigen, bedeutungsvollen Abschnitt
+ihres Lebens, und mussten _sehen_, wohin der Weg sie fuehrte.
+
+In kurzen, einfachen Worten, frei vom Herzen weg, und zu den Herzen
+sprechend, weil sie aus dem Herzen kamen, schilderte er ihnen jetzt die
+veraenderte Lage in die er, durch das gezwungene Aufgeben seiner
+Zeitschrift sowohl, wie durch manche schwere, ihn betroffene Verluste
+gekommen. Er verheimlichte ihnen nicht laenger dass er einen Theil -- einen
+grossen Theil seines Vermoegens eingebuesst, und das ihm selber liebe Haus
+nicht verkaufen wuerde, wenn ihn eben nicht -- die Verhaeltnisse dazu
+_zwaengen_. Aber noch blieb ihnen genug nach einem fernen Welttheil
+ueberzusiedeln und dort, mit bescheideneren Beduerfnissen, von Neuem zu
+beginnen; Amerika mit seiner ungeheuren Lebenskraft bot ihnen nach allen
+Seiten hin die Moeglichkeit der Existenz, und das gut und zweckmaessig
+angelegte kleine Capital konnte dort gute Zinsen tragen fuer spaetere Zeit.
+Hatten sie sich dann etwas verdient, waren die Hoffnungen, mit denen sie
+hinueber gingen, Wahrheit geworden, und sehnte sich ihr Herz noch nach dem
+Vaterland, wer hinderte sie dann zurueckzukehren zu den theueren Plaetzen,
+die ihnen ewig lieb bleiben wuerden in der Erinnerung?
+
+Dem Professor war es leichter um die Brust geworden, wie er das Eis nur
+erst gebrochen. Selbst ueberzeugt von dem was er sprach, wurde er warm,
+indem er den Gedanken weiter dachte, und seine Phantasie verlor sich
+zuletzt sogar, Luftschloesser aufbauend, zauberschnell in weiter Ferne. Der
+Professor ging mit dem Menschen durch, und die leicht geroetheten Wangen
+belebte ein eigenes, inneres Feuer. Und die Mutter sass dabei, still und
+schweigend, und aengstlich bemueht, in der wiederaufgenommenen Arbeit die
+eigene Bewegung zu verbergen. Marie und Anna aber, die des Vaters Haende
+erfasst und in den ihren hielten, schmiegten ihre Haeupter an seine
+Schultern und fluesterten; die grossen, zu ihm aufgeschlagenen Augen voll
+von Thraenen.
+
+"Genug, genug, Vaeterchen; mal' uns das Alles nicht so praechtig aus -- wohin
+Du und Mutter gehn, gehn auch wir, und waer' es mitten hinein in den
+wildesten Wald. Kein unzufriedenes Wort sollst Du dabei von uns hoeren,
+keine Klage, kein boeses Gesicht weiter -- keine Thraene -- nur die hier sind
+uns so ganz von selber ueber die Backen gelaufen, weil wir die Mutter
+weinen sahen. Mit Lieb und Lust wollen wir das Leben dort beginnen -- "
+
+"Und Kuehe und Huehner schaffen wir uns an!" rief Marie, "und die Kuehe
+melken wir selber und machen Butter und Kaese."
+
+"Wie gut," sagte Anna, dass wir im vorigen Jahr auf dem Land bei der Tante
+waren, und dort das Alles zum Spass gelernt haben; jetzt wird es uns
+nuetzen."
+
+"Aber nicht wahr, Muetterchen, nun weinst Du auch nicht mehr," rief Marie,
+zur Mutter hinuebergleitend, ihren Arm um deren Nacken legend und sie
+kuessend -- "drueben wird schon Alles huebsch werden. Und ein paar von den
+grossen Holzschuhen nehm' ich mir mit, wie sie die Bauern tragen, fuer
+draussen bei nassem Wetter; hei wie wir da herumpatschen wollen und
+schaffen und arbeiten; und plaetten thun wir auch selbst, dafuer nimmst Du
+kein Maedchen mehr."
+
+Den frohen, leichten Herzen schwammen schon die gewaltigen Umrisse ihrer
+ganzen fernen, so ungewissen Zukunft, in den einzelnen bunten
+Kleinigkeiten zusammen, die ihrem Geist, von dem Reiz der Neuheit mit
+frischem Duft ueberhaucht, entstiegen. Nur die Lichtpunkte erspaehte der, in
+die Ferne arglos hinausschauende Blick, und die goss er sich lustig
+zusammen zu einem Ganzen: was dahinter lag, der duestere Hintergrund, den
+das erfahrenere Mutterauge wohl erkannt, diente ihnen nur dazu die
+einzelnen Lichter staerker hervorzuheben, deutlicher erkennen zu koennen,
+und der Himmel spannte sich blau und rein ueber ihren gluecklichen Haeuptern.
+
+
+
+
+
+ Capitel 8.
+
+
+ DER TANZ IM ROTHEN DRACHEN.
+
+
+Drei volle Monat waren nach den, in den vorigen Capiteln betriebenen
+Scenen verflossen, und der Diebstahl im Dollingerschen Hause zu Heilingen,
+der eine ganze Woche lang fast das alleinige Stadtgespraech gebildet, wurde
+kaum noch erwaehnt. Der vermuthete Dieb (gegen den aber allerdings
+nachtraeglich keine weiteren Beweise aufgefunden worden), war zwei Tage
+nach dem Sturz von der Bruecke an seiner Kopfwunde gestorben; er hatte die
+beiden Tage vollkommen bewusstlos gelegen, und kein Wort mehr gesprochen.
+Das uebrige Geld aber -- ausser den zweihundert und einigen Thalern -- wie die
+vermissten Pretiosen, konnten, trotz den genausten Nachforschungen nirgends
+aufgefunden werden, und hatte er es wirklich gestohlen, so liess sich jetzt
+gar nichts Anderes vermuthen, als dass er es irgendwo an einer heimlichen
+Stelle vergraben, und ausser Sicht gebracht habe.
+
+Actuar Ledermann hatte dabei ganze Actenstoesse ueber den Fall geschrieben --
+man wusste wirklich nicht wo er nur den Stoff dazu herbekommen; aber mit
+dem ueblichen Canzleistyl wurde die Sache, der jede gruendliche Vorlage
+mangelte, nach Moeglichkeit gereckt und ausgedehnt und dann, als sich
+Nichts weiter darueber ergab, mit starkem Bindfaden umschnuert und
+etiquettirt, um spaeter vielleicht, mit Jahreszahl und Nummer versehn, in
+irgend ein staubiges Gefach geschoben zu werden, dort ein Jahrhundert
+fortzutraeumen, -- wie der Verstorbene unter dem Rasen, dicht an der
+Kirchhofsmauer, an die er, ohne Sang und Klang damals, noch vor Tag, still
+und heimlich hinausgeschafft worden.
+
+Die Geistlichkeit von Heilingen hatte dem Ungluecklichen allerdings sogar
+dies "ehrliche Begraebniss" versagen und den Koerper der Anatomie
+ueberantworten wollen, da er unter dem Verdacht eines schweren Diebstahls
+und gewissermassen als Selbstmoerder seinen Tod gefunden -- was kuemmerte die
+stolzen Geistlichen die duldende Liebe die Christus gelehrt, wo _ihre_
+Autoritaet Gefahr leiden konnte gekraenkt zu werden, und sie hatten einmal
+verordnet, dass solchen Suendern ein "christliches Begraebniss" versagt werden
+solle; aber die Polizei war milder und verstaendiger als die "Diener des
+Hoechsten" und erklaerte den Tod des Armen fuer keinen Selbstmord, indem er
+nur "auf der Flucht" umgekommen, waehrend wahrscheinlich der ihm
+beigegebene Waechter die allerdings unschuldige, und nicht zur
+Verantwortung zu ziehende direkte Ursache, seines Todes gewesen sei.
+
+Aber fort -- fort mit den traurigen Bildern; das menschliche Leben hat der
+dunklen Seiten so viele, und sie draengen sich uns doch auf, wohin wir
+gehen -- nur der Augenblick gehoeret uns, und nicht muthwillig wollen wir
+den Schmerz suchen. So mag mir der Leser denn noch einmal zum rothen
+Drachen hinaus folgen -- es dauert vielleicht lange, ehe wir den Platz
+wieder zu sehn bekommen -- und dort toent heut froehliche Musik aus dem
+hellerleuchteten Saal des grossen Hauses, der mit Guirlanden und Blumen und
+jungen Birkenreisern festlich geschmueckt ist, indess ihn eine muntere, laut
+und lustig durcheinander wogende Schaar belebt.
+
+Kaum eine Viertelstunde -- oder eine "halbe Pfeife Tabak", wie die Bauern
+sagten -- vom rothen Drachen entfernt, lag Schloss Hohleck an der anderen
+Seite des naemlichen Huegelrueckens, das gegenueber liegende Thal
+ueberschauend, und der Besitzer desselben, Graf von Hohleck, feierte heute
+die Vermaehlung seines aeltesten Sohnes, der dabei das Gut selber uebernahm,
+und nun seinen Leuten dem Tag zu Ehren ein Fest "in der Schenke" gab. Bier
+und Branntwein waren dabei zu freier Verfuegung gestellt, und ein starkes
+Musikchor aus der Stadt engagirt worden, den Leuten die ganze Nacht
+hindurch zum Tanze aufzuspielen -- und sie machten Gebrauch davon.
+
+Aber auch aus Heilingen selber hatten sich eine Menge Gaeste eingefunden,
+dem muntern Leben und Treiben der froehlichen Menschen zuzuschauen, und
+waehrend der untere Gartensaal einzig und allein den Dienstleuten des
+Rittergutes eingeraeumt war, zu dem den Stadtleuten jedoch gastlich der
+Zutritt gestattet wurde, hatten sich die letzteren noch besonders in einem
+paar der kleineren Stuben festgesetzt, wo sie ihren Wein oder ihr Bier
+tranken oder auch eine Parthie spielten, die Zeit auszufuellen.
+
+Zu den Gaesten aus der Stadt gehoerten auch mehre unserer alten Bekannten,
+unter ihnen Kellmann und Schollfeld, zwei Stammgaeste des rothen Drachen.
+Ledermann war ebenfalls, wenn auch spaeter, herausgekommen und ihnen hatte
+sich noch der Auswanderungsagent Weigel -- sehr zum Aerger Schollfeld's,
+der ihn nicht ausstehen konnte -- zugesellt. Weigel blieb aber nicht ruhig
+an ihrem Tisch sitzen, sondern ging ab und zu, und hatte sein Glas nur mit
+bei ihnen stehn, gewissermassen seinen Platz zu belegen.
+
+Ledermann war uebrigens heute sehr still und niedergeschlagen, er hatte
+sein einziges Kind vor etwa vierzehn Tagen verloren, und schien sich das
+sehr zu Herzen zu nehmen, erklaerte auch nur herausgekommen zu sein, sich
+ein wenig zu zerstreuen und die Gedanken los zu werden, die ihn in der
+Stadt drin peinigten.
+
+Uebrigens war ihm in den letzten Tagen hoechst unerwarteter Weise eine
+kleine Erbschaft von 600 Thalern zugefallen und Schollfeld, der heute
+Abend aussergewoehnlich gut aufgeraeumt schien, versuchte jetzt sein Bestes
+des Freundes Grillen oder truebe Gedanken ebenfalls zu verscheuchen.
+
+"Hoeren Sie einmal Ledermann," begann er, mit dem Deckel seines Kruges
+klappend und mehr Bier verlangend -- "wie ist denn die Geschichte nun mit
+den 600 Thalern? -- beilaeufig gesagt schneiden Sie ein Gesicht dabei, als
+ob Sie Schwefelsaeure verschluckt haetten."
+
+"Er hoert nicht einmal," sagte Kellmann, als der Actuar kein Wort darauf
+erwiederte, und die Anrede in der That gar nicht verstanden zu haben
+schien -- "Ledermann, Mensch, wo sind Sie jetzt mit Ihren Gedanken, im
+rothen Drachen bei Heilingen, im Monde, oder in Amerika?"
+
+"Wo?" sagte der Actuar, rasch und fast verstoert aufschauend, als aber die
+Anderen laut lachten, schuettelte er mit dem Kopf und seinen Krug nehmend
+und trinkend sagte er ruhig und ernst:
+
+"Ach lasst mich zufrieden Kinder -- ich habe den Kopf voll, und bin
+wahrhaftig heute Abend nicht zum Spassen aufgelegt."
+
+"Nicht zum Spassen aufgelegt?" rief aber Schollfeld, Kellmann unter dem
+Tisch anstossend -- "ist auch gar nicht noethig mein lieber Actuar -- wir
+spassen auch hier gar nicht; Jemand aber, der eine Erbschaft macht und
+irgendwo Stammgast ist, ueberkommt dabei die moralische Verpflichtung
+irgend etwas zum Besten zu geben, und es bleibt ein Skandal, dass man einen
+solchen Glueckspilz auch nur noch daran erinnern muss. Hat der Henker da
+wieder den Schleicher, den Weigel," unterbrach er sich aber ploetzlich mit
+etwas leiserer Stimme, als er sah wie dieser das Zimmer wieder betrat, und
+sich ihrem Tische zuwandte -- "ich hatte schon gehofft wir wuerden ihn heute
+Abend los sein; jetzt ist _mein_ Vergnuegen beim Teufel."
+
+"Nun meine Herren, noch so froehlich beisammen?" sagte Weigel jetzt, indem
+er zum Tisch trat -- "ah, da sind ja der Herr Actuar auch noch dazu
+gekommen -- bitte behalten Sie ja Platz, ich ruecke ein klein wenig hier
+herueber -- so -- das geht vortrefflich. Nun, der Herr Actuar haben in diesen
+Tagen ein grosses Glueck gehabt -- da darf man ja wohl gratuliren."
+
+"Danke herzlich," sagte Ledermann ruhig; "es wird uebrigens so viel von den
+paar hundert Thalern gesprochen, als ob's eben so viel Tausende waeren."
+
+"Ih nun, das lassen Sie gut sein," sagte aber Weigel, mit dem Kopf
+schuettelnd -- "sechshundert Thaler richtig angewandt koennten in der That in
+kurzer Zeit zu so viel Tausenden werden."
+
+"Wenn man sich Saechsische Loebau-Zittauer Eisenbahnactien dafuer kaufte,
+nicht wahr?" sagte Schollfeld, das Gesicht halb in den ebengebrachten Krug
+versteckt, und einen grimmigen Blick ueber den Rand desselben hin, nach dem
+Auswanderungsagenten schiessend.
+
+"Nun das gerade nicht," schmunzelte Herr Weigel, sein Glas ein wenig
+weiter auf den Tisch schiebend, und sich die Haende reibend, "da wuesste ich
+doch noch eine bessere Speculation."
+
+"Und die waere," sagte der Actuar, seitwaerts zu ihm aufschauend.
+
+"Wenn Sie sich eine kleine Farm in Amerika kauften."
+
+"Puh!" rief Schollfeld, veraechtlich den Kopf abwendend, "jetzt sein Sie so
+gut, kommen Sie uns hier nicht mit Ihrer alten Leier von dem verdammten
+Amerika, und verderben Sie uns das Bier nicht -- hier ist auch Nichts zu
+verdienen, denn von uns geht doch keiner hinueber."
+
+"Lieber Herr Schollfeld," sagte aber Weigel mit grosser Ruhe, "von _uns_
+weiss noch Niemand was er naechstes Jahr thun wird, und verschwoeren laesst
+sich so eine Sache nun einmal gar nicht -- Amerika ist immer noch ein
+Zufluchtsort."
+
+"Ja fuer die Spitzbuben und Hallunken, _da_ haben Sie recht!" rief der
+Apotheker.
+
+"Ne lieber Herr Weigel!" rief aber auch Kellmann jetzt -- "mit sechshundert
+Thalern kann ich da drueben auch Nichts anfangen, und bin dann noch
+obendrein bei jedem Schritt und Tritt der Gefahr ausgesetzt, dass ich
+betrogen und hintergangen werde. Man kann dort ja nicht einmal seinem
+eigenen Bruder trauen."
+
+"Aber mein bester Herr Kellmann, das sind die unglueckseligen Ideen, die
+von -- na, ich will keinen Namen nennen -- ausgesprengt werden, um die Leute
+blind zu machen, rein blind. Sie sollen eben nicht sehen was fuer
+Vortheile, fuer fabelhafte Vortheile dort gerade fuer sie zu Tage liegen,
+und die Geruechte von dort veruebten Betruegereien haengen eben als
+Vogelscheuche ueber den Erbsen. Wir haben _hier_ eben so viele schlechte
+Charaktere wie in Amerika."
+
+"Ob eben so _viel_, will ich dahingestellt sein lassen," sagte Schollfeld
+mit einem nichts weniger als freundlichen Seitenblick auf den Agenten --
+"aber eben so schlechte gewiss."
+
+"Nun also," erwiederte Weigel freundlich, ohne auf den Hieb einzugehn, ja
+im Gegentheil die Waffe laechelnd umdrehend -- "sehn Sie, selber Herr
+Schollfeld stimmt mir darin bei."
+
+"Ja aber nicht wie _Sie_ es meinen!" rief da Schollfeld entruestet,
+keineswegs gesonnen sich die Worte so im Munde verdrehen zu lassen.
+
+"Von den Betruegereien will ich noch gar Nichts sagen," unterbrach ihn aber
+Kellmann, ziemlich in Eifer -- "was ich dagegen sehr guten Grund habe zu
+bezweifeln, sind die billigen Landkaeufe, sind dabei die Erleichterungen,
+welche diese republikanische Regierung allen moeglichen Gewerken und
+Unternehmungen bietet, die geringen Taxen, der freie Verkehr und Umsatz im
+Innern. Das wird Alles ausgemalt mit Gold und Silber und Himmelblau, und
+kommt man am Ende hinueber, so hat man die ganze naemliche Geschichte wie
+bei uns. Dass all das nichtsnutzige Gesindel dort ohne _Pass_ herumlaufen
+darf, mag wahr sein, das halte _ich_ aber eben fuer keinen Fortschritt."
+
+"Verehrtester Herr Kellmann!" rief aber Weigel in Eifer -- "gegen
+_Thatsachen_ koennen wir doch nicht anstreiten; wir wollen doch nicht blind
+und taub mit dem Kopf gegen die naechste, und womoeglich haerteste Wand
+rennen? wir sind doch vernuenftige Menschen, aber haben Sie nicht alle die
+neueren Schriften jetzt gelesen, die -- "
+
+"Ach gehn Sie mit Ihren Schmierereien," rief aber Schollfeld, dem das
+Gespraech jetzt zur Last wurde, "fuer einen Thaler den Bogen malen ihnen die
+lumpigen Literaten selbst die Hoelle himmelblau an, und kleben von oben bis
+unten Sterne drueber. Lasst mir jetzt Euer Geschwaetz von Amerika hier, oder
+ich stehe, Gott straf mich, auf, und setze mich wo anders hin."
+
+"Nun, jeder darf sich hinsetzen wo es ihn gerade freut," sagte Weigel,
+wirklich etwas beleidigt, obgleich er sonst einen ziemlichen Theil
+vertragen konnte.
+
+"Ja leider," sagte aber Schollfeld, mit wieder einem Seitenblick auf den
+Agenten, der diesen doch jetzt vermochte aufzustehn und sein Bier
+auszutrinken.
+
+"Herr Schollfeld," sagte er dabei, "Sie sind in der Stadt als ein
+Antiamerikaner bekannt, und ich glaube Sie wuerden den Leuten eher zu einer
+Auswanderung nach Sibirien wie nach Nordamerika rathen."
+
+"Wuerde ich auch," sagte Herr Schollfeld trotzig, sich den Hut noch fester
+in die Stirn drueckend.
+
+"Nun ja, der Geschmack ist verschieden -- Jeder weiss am Besten wohin er
+gehoert, und dahin treibt ihn der Instinkt," sagte Herr Weigel
+achselzuckend, indem er den Tisch verliess, und Kellmann erwischte eben
+noch zur rechten Zeit Schollfeld hinten am Frackzipfel, der aufspringen
+und dem sich rasch entfernenden Weigel nach wollte.
+
+"Aber so fangen Sie hier doch um Gottes Willen keinen Skandal mit dem
+Menschen an!" rief Kellmann leise und bittend.
+
+"Instinkt treibt?" rief aber Schollfeld jetzt, da er sich hinten,
+vielleicht gern, gehalten fuehlte -- laut hinter dem Davoneilenden her --
+"Sie wird bald 'was anders treiben Sie -- Sie _Seelenverkaeufer_ Sie!"
+
+"Pst!" rief aber auch der Actuar jetzt, ihn rasch zu sich niederziehend --
+"Sind Sie denn ganz vom Boesen besessen Apotheker? auf das Wort koennte er
+Ihnen, wenn er's noch gehoert haette, die schoenste Injurienklage an den Hals
+haengen."
+
+"S'ist aber wahr -- der Lump!" rief Schollfeld aergerlich, den leeren Krug
+zum hastigen Trunk aufhebend, und denselben dann laut auf den Tisch
+aufstossend -- "es ist ein Seelenverkaeufer, der Kerl, und um einen Thaler
+beschwatzt er das Kind, dass es die Eltern, den Mann, dass er die Frau
+verlaesst -- hier Kellner, noch ein Glas Bier. -- Sprecht mir von Raubmoerdern
+und Strassenraeubern, gegen die das Gericht einschreitet und ihnen das
+Handwerk legt -- allen Respect vor einem Mann, der es den Leuten geradezu
+in's Gesicht wirft, "ich _bin_ ein schlechter Kerl -- ich stehle wo ich's
+bekommen kann, und wo ich's nicht gutwillig kriege mord' ich auch; aber
+solche heimliche Hallunken sind die Upasbaeume der menschlichen
+Gesellschaft -- sie vergiften was sie erreichen koennen, und von aussen geben
+sie sich das Ansehen eines ehrlichen Baumes und haben gruene Blaetter und
+glatte Rinde. Gegen _die_ Schufte sollte eingeschritten werden, nicht mit
+Geldstrafen oder Gefaengniss, nein mit Knute und Strang --
+Himmeldonnerwetter, wenn ich da 'was in der Regierung zu befehlen haette."
+
+"Sie wuerden schoene Geschichten anrichten, kann ich mir etwa denken," sagte
+der Actuar trocken, "s'ist so schon manchmal wie's ist. Lassen Sie doch
+jeden seinen Weg gehn in der Welt; der liebe Gott weiss wohl wozu's gut
+ist. Blutigel sind auch unangenehme Geschoepfe in der Naturgeschichte, und
+doch verwendet sie die Natur wieder zu hoechst nuetzlichen und nothwendigen
+Zwecken; denken Sie sich so ein Individuum waere ein menschlicher
+Blutigel."
+
+"Dann trink' ich aber nicht mein Bier an einem Tisch mit ihm," rief der
+Apotheker.
+
+"Bah, das ist wieder zu weit gegangen," sagte Kellmann, "viel zu weit
+gegangen. 'Was Schlechtes koennen Sie dem Mann ueberhaupt nicht nachsagen,
+denn dass er fuer Amerika wirbt, ist einesteils sein Geschaeft, anderntheils
+seine Ansicht, und er koennte Ihnen von _seinem_ Standpunkt aus dann
+ebensogut wieder vorwerfen, dass Sie eine Menge Menschen absichtlich
+ungluecklich machten, die sie von einer Auswanderung nach jenem Lande
+abhielten."
+
+"Unsinn -- baarer Unsinn!" rief aber Schollfeld, unwillig den Kopf herueber
+und hinueber werfend -- "Jemand ungluecklich machen, dass man ihm von einer
+Auswanderung nach Amerika abraeth, waere gerade so, als ob ich als eines
+Menschen Moerder betrachtet wuerde, den ich abhalte aus dem dritten Stock
+auf die Strasse zu springen. Aber hol den Lump der Henker," brach er kurz
+und aergerlich ab, "ich war so guter Laune und jetzt hat er mir den ganzen
+Abend verdorben. -- Nach Sibirien auswandern -- " brummte er dabei,
+waehrend er eine neue Cigarre aus der Tasche nahm und sie an dem, auf dem
+Tisch stehenden Licht entzuendete -- "Holzkopf der -- nach Sibirien
+auswandern -- ich will nur einmal in den Saal gehn und sehn wie sie's da
+treiben, dass man auf andere Gedanken koemmt -- ich bin bald wieder da." Und
+von seinem Stuhl aufstehend verliess er langsam, und immer noch vor sich
+hin murmelnd, das Zimmer.
+
+Der Actuar stand ebenfalls auf und nahm seinen Hut.
+
+"Na nu?" sagte aber Kellmann erstaunt -- "was ist das fuer eine Wirthschaft
+heut Abend? Schollfeld laeuft fort, Lobsich hat sich gar nicht sehen
+lassen, und Sie wollen jetzt auch Fersengeld geben? wo bleibt denn da
+heute Abend unser Solo? -- wir koennen doch nicht wie die Pferde zu Bette
+gehn, ohne unsere Parthie gespielt zu haben?"
+
+"Mir ist heute nicht wie spielen," sagte der Actuar, langsam mit dem Kopfe
+schuettelnd, "ich habe auch Kopfschmerzen, und an der frischen Luft wird
+mir wohl besser werden."
+
+"Fort duerfen Sie aber noch nicht," sagte Kellmann, indem er sein Bier
+austrank, und ebenfalls aufstand, "da wollen wir lieber einmal unten im
+Garten auf und ab gehn."
+
+Der Actuar zoegerte einen Augenblick, dann aber legte er schweigend seinen
+Arm in den Kellmann's und beide Freunde gingen mitsammen die Treppe
+hinunter.
+
+Es war indessen vollkommen dunkel geworden, und die Leute hatten sich, des
+feuchten Abends, wie des im Saal wogenden Tanzes wegen, meist alle aus dem
+Garten hinaus, und in die mehr geschuetzten Raeume der Gebaeude gezogen. Nur
+hie und da sass noch irgend ein kosendes Paerchen in einer Laube, oder
+schwaermte auch wohl auf dem Vorbau des Gartens nach dem, gerade ueber dem
+nebelgefuellten Thal jetzt aufzeigenden Vollmond hinueber, dessen grosse
+rothe Scheibe sich gluehend aus den Bergen hob, und das weite,
+thaublitzende Thal ueberschaute.
+
+Kellmann ging ruhig neben dem still vor sich nieder schauenden Freund her,
+bis sie den breiten Fussweg der schoenen ebenen Chaussee erreichten, und
+eine kleine Strecke derselben hinauf gewandert waren; dann aber blieb er,
+diesen zurueck haltend, ploetzlich stehen, und sagte mit freundlichem,
+herzlichen Ton:
+
+"Aber lieber Ledermann, Sie duerfen sich Ihrem Schmerz um das Kind nicht so
+ganz und ruecksichtslos hingeben; lieber Gott ich begreife dass es ein
+schwerer, recht schwerer Verlust ist, aber Gott hat's gegeben und Gott
+hat's genommen, und wer weiss ob dem kleinen lieben Wesen dadurch nicht
+vielleicht ein recht truebes und schmerzliches Dasein erspart wurde."
+
+"Es ist nicht das Kind, Kellmann," sagte aber der Actuar, leise mit dem
+Kopf schuettelnd, "nicht der Tod meiner kleinen Adele nagt mir jetzt am
+Herzen, obgleich der da oben weiss wie weh er mir gethan -- nein, ich halte
+ihn sogar unter den jetzigen Verhaeltnissen, in denen ich lebe, fuer ein
+_Glueck_, und es ist _furchtbar_, dass ich gezwungen bin so etwas von dem
+Tod meines eigenen, einzigen Kindes zu sagen."
+
+"Aber was, um Gottes Willen, haben Sie _denn_?" rief Kellmann, verwundert
+vor ihm stehen bleibend und ihn anschauend. "Irgend etwas _ist_
+vorgefallen, aber was? -- etwa wieder zu Hause der alte wunde Fleck?"
+
+Ledermann nickte finster und schweigend mit dem Kopf.
+
+"Aber was _will_ sie denn eigentlich," rief Kellmann finster die Brauen
+zusammen und seinen Arm aus dem des Freundes ziehend, um besser
+gesticuliren zu koennen -- "Wetter noch einmal, Ledermann, Sie haetten da
+schon lange ernst und entschieden auftreten sollen, die Sache ist jetzt
+schon viel zu weit eingerissen, und die Frau bringt sie, wenn das so fort
+geht, wahrhaftig noch unter die Erde."
+
+"Ernst und entschieden auftreten? -- lieber Gott," stoehnte der Actuar
+kopfschuettelnd -- "soll ich mir denn die letzte leiseste Hoffnung auf
+einen, nur moeglichen Hausfrieden selber muthwillig vernichten? -- _Sie_
+haben gut reden; _Ihr_ Geschaeft ist in Ihrer eignen Wohnung, und Ihre
+Erholung gestattet Ihnen, _die_ ausserhalb desselben zu suchen, ich aber
+sitze und schwitze den ganzen lieben ausgeschlagenen Tag auf dem
+verwuenschten Bureau, und komme ich dann Abends zu Hause, und sehne mich
+nach einer halbstuendigen gemuethlichen Ruhe, so beginnt die Frau, und wenn
+sie eine Ursache aus der Luft greifen sollte, mir das Leben zu einer Hoelle
+zu machen. Lieber Gott, es fiele mir ja gar nicht ein Abends in ein
+Wirthshaus zu gehn, wenn ich Frieden daheim haette; es giebt vielleicht
+wenig Menschen in der Welt, die sich so nach einem stillen, haeuslichen
+Leben sehnen, wie gerade ich, und keinen, Kellmann, keinen weiter, dem es
+_so_ verbittert, so gaenzlich aus dem Fenster geworfen wird, jeden Abend
+wieder von Frischem, wie gerade mir."
+
+"Aber was ist denn nur vorgefallen?"
+
+"Das Ganze ist mit wenig Worten erzaehlt," sagte der Actuar nach kurzer
+Ueberlegung entschlossen, "und Sie sollen mir rathen, wie ich im Stande
+bin mich einem Zustand zu entziehn, der mir unertraeglich wird. Sie haben
+gehoert dass ich von einem entfernten Verwandten sechshundert Thaler geerbt,
+die ich in den naechsten Wochen ausgezahlt bekomme. Das Vernuenftigste nun
+waere das Geld in irgend einem _sichern_ Staatspapier, oder in guten Actien
+anzulegen, und mit den wenigen, aber gewissen Zinsen meinen, ueberdies
+aermlichen Gehalt zu erhoehen -- ich habe fuenfhundert Thaler jaehrlich und
+weiss bei Gott oft nicht wie ich auskommen soll."
+
+"Nun gut, das ist ja Alles so schoen und glatt wie es nur sein kann."
+
+"Jawohl, aber meine Frau besteht darauf das Capital ihrem Bruder geben zu
+wollen, der ein Geschaeft hat und mir _fuenf_ Procent verspricht."
+
+"Ih nun, wenn es da sicher angelegt ist -- fuenf Procent waere aller Ehren
+werth."
+
+"Aber es _ist_ nicht sicher angelegt; der Bursche ist ein liederlicher
+leichtsinniger Mensch, der schon einmal Bankerott gemacht hat und -- wie
+ich ziemlich guten Grund habe zu vermuthen -- an der Grenze eines zweiten
+steht."
+
+"Ahem," sagte Kellmann nachdenkend.
+
+"Geb ich _ihm_ das Geld," fuhr der Actuar fort, "so ist es ueber Jahr und
+Tag, so sicher wie dort drueben der Mond aufgeht, verloren, und geb' ich es
+ihm _nicht_, so weiss ich dass mir die Frau zu Hause den eignen Heerd zur
+Hoelle macht."
+
+"Aber Donnerwetter, Ledermann, nehmen Sie mir das nicht uebel," sagte
+Kellmann stehen bleibend, "da wuerde ich denn doch einmal einen Trumpf
+darauf setzen und mein Recht als Mann und Herr im Hause wahren; nur durch
+Ihr ewiges Nachgeben haben Sie die Geschichte schon so, in Grund hinein
+verdorben."
+
+"Aber was _soll_ ich thun?" rief der Actuar verzweifelnd -- "mit Worten
+_kann_ ich nicht gegen sie anstreiten, nicht sechs Maenner koennten das; in
+Ruhe und Guete ist Nichts anzufangen mit ihr, und schlagen darf und will
+ich sie ebenfalls nicht."
+
+"So lassen Sie sich scheiden, zum Wetter noch einmal;" rief Kellmann,
+"lieber doch eine trockne Brodrinde kauen, als mit solchem Drachen das
+ganze Leben, eine ganze Existenz, muehselig und qualvoll hinzuschleppen."
+
+"Heute Abend zum ersten Mal," sagte der Actuar seufzend, "habe ich ihr
+selber damit gedroht; ich habe ihr vorgehalten, dass sie sich mit mir nicht
+gluecklich fuehlen _koenne_, weil sie fortwaehrend, und ohne auch nur einen
+einzigen Tag Frieden zu gestatten, zanke, und das Beste sein wuerde, wir
+liessen uns, einem Leben zu entgehen das auf die Laenge der Zeit doch nicht
+durchgefuehrt werden koenne, gerichtlich scheiden."
+
+"Nun? -- und was hat sie darauf erwiedert?"
+
+"Ich bin fortgelaufen," sagte der Actuar, seufzend den Kopf von dem Freund
+abwendend, "denn sie wurde -- sie wurde so heftig, und betrug sich -- betrug
+sich so unvernuenftig, dass ich mich vor den Nachbarn schaemte, und lieber
+Hut und Stock nahm, den Frieden wieder, wie schon so oft, auswaerts zu
+suchen."
+
+"Also sie weigert eine Scheidung?"
+
+"Sie schwur sie wolle mir die Augen auskratzen, wenn ich noch einmal ein
+derartiges Wort erwaehne, zerbrach dann in ihrer Wuth Gott weiss was Alles,
+und -- ich glaube sie bekam nachher Kraempfe -- ihr altes Leiden. Erst hatte
+ich gehofft der Tod des Kindes wuerde sie milder stimmen, aber nein, und
+wenn mich etwas ueber den Verlust des kleinen lieben Wesens troesten koennte,
+so ist es gerade der Gedanke, es dem boesen Beispiel, das ihm die eigene
+Mutter taeglich gab, entrissen zu sehn -- was haette zuletzt aus ihr werden
+sollen, als eben eine solche Frau."
+
+"Und so ist gar keine Hoffnung, mit Guete durchzukommen? -- "
+
+Der Actuar schuettelte schweigend mit dem Kopf.
+
+"Hm, das ist eine verfluchte Geschichte," sagte Kellmann, "da -- da weiss
+ich wahrhaftig auch nicht was ich rathen soll. Das Geld vertraute ich aber
+-- wenn die Sache _so_ steht -- meinem Schwager auch nicht an, soviel ist
+sicher -- Sie sind das sich selber und Ihrer eigenen Existenz schuldig."
+
+Der Actuar seufzte tief auf und die beiden Maenner gingen wieder eine
+Zeitlang, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschaeftigt, nebeneinander
+hin. Sie waren indess die Strasse ein Stueck hinauf- und wieder
+zurueckgegangen, und blieben jetzt mehre Minuten nicht weit von dem Eingang
+des Gartens stehn, den Ruecken diesem, und ihr Gesicht dem sich gerade ueber
+die Berge hebenden Monde zugewandt, als ein junges Maedchen, noch ein Kind
+fast und augenscheinlich auf der Wanderung, ganz allein mit einem kleinen
+Buendel in der linken Hand, und einem grossen dunklen Tuch ueber dem rechten
+Arm, die Strasse herunter kam und ziemlich dicht an ihnen vorueberging. So
+viel sie im Mondenlicht erkennen konnten, war sie nur aermlich gekleidet,
+und auch wohl ermuedet von einem vielleicht langen Marsch, denn sie blieb
+zweimal stehen und trocknete sich dabei den Schweiss von der Stirn.
+
+Das zweite Mal als sie Halt machte geschah das fast dicht vor den beiden,
+hier im Schatten eines Hollunderbusches stehenden Maennern, die sie im
+Anfang gar nicht bemerkte, und sie schien den Toenen zu lauschen die aus
+dem etwa zweihundert Schritt davon gelegenen hellerleuchteten Gartenhaus
+wild und lustig heraustoenten.
+
+"Froehliche Menschen," fluesterte sie dabei -- "_Glueckliche_;" wie sie aber
+den Kopf dem Lichte zuwandte, fiel ihr Blick auch auf die beiden dunklen
+Schatten unter der Mauer, und wie unwillkuerlich fuhr sie zurueck; dabei
+glitt ihr das Buendel aus der Hand und fiel zu Boden.
+
+"Wir thun Dir Nichts, Kind," sagte Kellmann, der die Bewegung gesehen
+hatte, gutmuethig; "wo willst Du denn noch so spaet hin?"
+
+"Nach Heilingen," antwortete das fremde Maedchen, ihr Buendel wieder
+aufnehmend -- "ist es noch weit bis dorthin?"
+
+"Eine halbe Stunde etwa, wenn Du ruestig zugingst; aber Du scheinst muede zu
+sein und wirst wohl laenger brauchen."
+
+"Ich komme weit her," sagte die Fremde, aber sie zoegerte dabei und es war
+als ob sie noch nach irgend etwas fragen oder um etwas bitten wolle, und
+sich auch wieder scheue es zu thun.
+
+"Du bist wohl hungrig, Kind?" frug sie da Kellmann, dessen gutes Herz ihn
+zu helfen draengte, wo das in seinen Kraeften stand -- "sag's gerad' heraus;
+und wenn Du kein Geld hast macht das nichts, ich schaffe Dir was."
+
+Das Maedchen schwieg und drehte seufzend den Kopf ab und Kellmann, dem
+richtigen Princip der Gastlichkeit und Menschenliebe treu, nicht viel zu
+fragen erst, wo man gern giebt, sagte ihr sich einen Augenblick auf die
+kleine Bank am Thor zu setzen, und er werde ihr einen Imbiss holen -- sie
+koenne dann Heilingen bald erreichen. Ohne erst eine Antwort abzuwarten
+ging er darauf rasch in's Haus, und das Maedchen zoegerte noch einen
+Augenblick und folgte dann, augenscheinlich zum Tod ermuedet, der
+freundlichen Einladung.
+
+"Du kommst weit her?" sagte der Actuar endlich, der neben ihr stehn
+geblieben, im Anfang aber noch zu sehr mit seinen eigenen Gedanken
+beschaeftigt war, viel auf die Fremde zu achten.
+
+"Von Erfurt."
+
+"Von Erfurt? hm -- das ist eine lange Strecke; zu Fuss den ganzen Weg?"
+
+"Ja."
+
+"Und willst in Heilingen bleiben?"
+
+"Ich weiss es noch nicht."
+
+"Hast Du Verwandte dort?"
+
+"Einen Bruder."
+
+"Hast Du denn einen Pass bei Dir?"
+
+"Ja," sagte das Maedchen und holte, mit einem scheuen Blick auf den Frager,
+ihr kleines Buendel vor, das sie Miene machte aufzuknuepfen, der Actuar
+aber, der die Bewegung verstehen mochte, sagte rasch:
+
+"Nein nein -- lass nur sein -- ich will ihn nicht sehen -- ich frug nur
+Deinethalben, damit Du hier in der Stadt in keine Verlegenheit kaemest. Da
+ist auch Freund Kellmann schon mit dem Essen -- nun lass Dir's schmecken."
+
+"Da," sagte der kleine Kuerschner, der schnellen Schrittes mit einem grossen
+gestrichenen Weissbrod und einem hohen Glas Milch herankam und es der
+Fremden reichte -- "das wird Dir gut thun."
+
+Das junge Maedchen nahm das Glas mit schuechternem Danke an und trank -- erst
+ein wenig, dann aber herzhafter -- sie mochte wohl recht durstig gewesen
+sein. Wie sie fertig war setzte sie das Glas auf die Bank zurueck und nahm
+ihr Buendel wieder auf.
+
+"Ich danke Ihnen auch noch viel tausend Mal," sagte sie dabei mit weicher,
+ergriffener Stimme -- "ich hatte seit heute Morgen Nichts gegessen und war
+recht matt geworden."
+
+"Armes Kind," sagte Kellmann mitleidig -- "aber hast Du denn schon einen
+Platz in der Stadt wo Du uebernachtest?"
+
+"Ja," sagte die Kleine -- "ich denke so -- koennen Sie mir aber wohl noch
+sagen ob das Haus des reichen Herrn Dollinger nahe am Thore ist, oder weit
+in der Stadt drin?"
+
+"Dollinger's Haus? oh nicht so weit in der Stadt drin -- aber was willst
+Du dort?"
+
+"Mein Bruder ist in Herrn Dollinger's Geschaeft -- wohnen auch die Leute bei
+ihm im Hause?"
+
+"Nicht dass ich wuesste," sagte Kellmann.
+
+"Aber man kann es doch dort erfahren wo sie wohnen?"
+
+"Gewiss -- gleich unten im Haus bei dem Hausmann; frage nur nach der
+Poststrasse, wenn Du in's Thor kommst."
+
+"Gute Nacht Ihr Herren, und nochmals schoensten Dank -- Gott mag es Ihnen
+vergelten."
+
+"Gute Nacht Kind, guten Weg," sagte Kellmann, "aber -- wie heisst denn Dein
+Bruder?"
+
+"Franz Lossenwerder," sagte das Maedchen und ging langsam die Strasse hinab.
+
+"Oh Du mein Gott," rief der Actuar leise und erschreckt vor sich hin, wie
+er den Namen hoerte -- "das ist ja schrecklich."
+
+"Du lieber Gott, das arme Ding muss von dem Schicksal des Bruders gar
+Nichts wissen," seufzte auch Kellmann -- "und wenn sie das jetzt heute
+Abend erfaehrt -- o wo wird sie nur die Nacht bleiben?"
+
+"Armes, armes Kind," sagte der Actuar, "und selbst ohne Geld in der
+fremden Stadt."
+
+"Ich geb' ihr etwas," rief Kellmann, rasch entschlossen, und eilte "heh! --
+pst!" rufend die Strasse hinab dem Maedchen nach, das stehen blieb und nach
+Buendel und Tuch fuehlte als sie den Ruf hoerte, weil sie glaubte dass sie
+vielleicht etwas vergessen haette.
+
+"Liebes Kind," stotterte aber Kellmann verlegen, als er sie eingeholt,
+denn er konnte es nicht ueber's Herz bringen ihr die Wahrheit zu sagen --
+"ich -- ich kenne Deinen Bruder, aber -- er ist jetzt nicht in Heilingen --
+Du -- Du wirst es morgen schon hoeren, und im Dollingerschen Hause koennen
+sie Dir auch heute nichts weiter sagen, es ist sogar sehr die Frage ob der
+Mann unten im Haus noch auf ist. Gleich wenn Du in's Thor hineinkommst,
+das dritte Haus an der rechten Seite, vor dem die beiden Laternen stecken,
+ist ein Gasthaus -- ein gutes anstaendiges Haus, wo sie Dir Quartier geben
+werden -- da gieb ihnen diese Karte, der Wirth kennt mich, und sage ihm nur
+ich haette Dich hingeschickt."
+
+"Aber bester Herr," sagte das Maedchen bestuerzt, als ihr der gutmuethige
+Kuerschnermeister mit der Karte zwei grosse Stuecken Geld -- es waren zwei
+Thaler -- in die Hand drueckte -- "ich weiss gar nicht -- "
+
+Kellmann liess sie aber gar nicht zu Worte kommen.
+
+"Schon gut -- schon gut," rief er, drehte sich um, und kehrte, das Maedchen
+allein auf der Strasse zuruecklassend, eben so rasch nach dem Platz zurueck,
+wo der Actuar noch seiner harrend stand.
+
+"Haben Sie es ihr gesagt?" frug dieser ihn.
+
+"Nein -- um Gottes Willen nein; das moegen Andere thun, _ich_ koennte es
+nicht."
+
+"Aber was soll jetzt aus ihr werden?"
+
+"Ich werde mich im Loewen schon nach ihr erkundigen," sagte Kellmann nach
+kurzer Ueberlegung -- "und wenn es ein ordentliches Maedchen ist, hab ich
+Bekannte genug hier in der Stadt, ihr einen Dienst zu verschaffen. Aber
+wie ist es denn mit der Lossenwerderschen oder Dollingerschen Geschichte
+geworden? ist denn noch etwas von dem gestohlenen Gut zu Tage gekommen? --
+man hoert ja keine Sterbenssylbe mehr darueber."
+
+"Nichts -- gar nichts weiter," sagte der Actuar; "im Gegentheil hat der
+arme Teufel von Lossenwerder ein kleines Tagebuch gefuehrt gehabt, was sich
+unter den confiscirten oder mit Beschlag belegten Sachen fand, und worin
+er jeden bis dahin eingenommenen Groschen sorgfaeltig und ordentlich, mit
+seinen hoechst bescheidenen Ausgaben, aufnotirt. Das aber als gueltig
+angenommen -- und wir haben nicht die mindeste Ursache es zu bezweifeln da
+es fast zwoelf Jahre zurueckfuehrt -- waere im Gegentheil der Beweis geliefert
+dass die aufgefundenen zweihundert Thaler muehsam und redlich gespartes Geld
+gewesen waeren."
+
+"Und _kein_ anderer Beweis hat sich gegen ihn herausgestellt?"
+
+"Keiner, als dass er im Hause war und sich auffaellig heimlich daraus
+entfernt hat; aber auch selbst das findet nach den Acten eine
+wahrscheinliche, wenn auch etwas wunderliche Erklaerung. Nach einer Zahl
+vieler hoechst mittelmaessiger, oft aber auch ziemlich guter Gedichte, in
+denen sich besonders viel Gemueth ausspricht, scheint der arme verwachsene
+und huelflose Mensch eine Art von -- Liebe -- ich kann es nicht anders
+nennen, gegen Dollinger's juengste Tochter und Henkel's Braut in seinem
+unschoenen Koerper mit herumgetragen, und nur, seinen Standpunkt gar wohl
+erkennend, den einzelnen, in seinem Pult verschlossenen Blaettern
+anvertraut zu haben -- doch das unter uns. Diese unglueckselige und
+hoffnungslose Neigung _kann_ ihn moeglicher Weise dazu getrieben haben, dem
+jungen Maedchen zu ihrem Geburtstag einen Blumenstock zu schenken -- er hat
+sogar ein Gedicht geschrieben was den Punkt beruehrt, und worin er sich
+gluecklich fuehlt dass sie eine Blume pflegen koennte die er gezogen, wenn sie
+auch nicht wuesste von wem sie kaeme. Dass er unter solchen Umstaenden nicht
+wollte im Hause gesehen sein laesst sich denken, und ein Diebstahl in ihrem
+eigenen Zimmer verliert, diesen Thatsachen gegenueber, an
+Wahrscheinlichkeit, wenn er auch nicht eben zu einer Unmoeglichkeit
+gehoerte. Das Menschenherz ist schwach, und Mancher schon ist geringerer
+Verfuehrung erlegen."
+
+"Hm, hm, hm," sagte Kellmann vor sich hin -- "das ist ja eine rechte,
+rechte boese Geschichte, und der arme Teufel da am Ende ganz und gar
+unschuldig in sein Verderben gesprungen."
+
+"Ja, und eine Sache die mir selber schon manche schlaflose Nacht gemacht
+hat," sagte der Actuar, "denn ich _kann_ den Gedanken nicht los werden,
+welchen Antheil ich selber daran gehabt, den Ungluecklichen dahin zu
+treiben -- obgleich ich eben nicht mehr als meine Pflicht gethan, und an
+einen solchen verzweifelten Schritt nicht denken konnte; war er
+unschuldig, haette sich das ja bald in der Untersuchung herausgestellt."
+
+"Ja, und die Untersuchung rechnet Ihr Herrn vom Gericht eben fuer Nichts,"
+sagte Kellmann finster -- "aber wenn das sein erspartes, und Gott weiss dann
+_wie_ muehsam erspartes Geld war, wird es doch auch seinen Erben nicht
+koennen vorenthalten werden."
+
+"Die Untersuchung ist noch nicht ganz geschlossen," sagte der Actuar,
+"aber ich glaube auch nicht dass irgend Jemand anders einen Anspruch darauf
+wird geltend machen koennen. Diese Schwester erwaehnte er ueberhaupt mehrmals
+in seinen Notizen, und hat sie auch dann und wann unterstuetzt, das Geld
+wird ihr spaeter allerdings zugesprochen werden."
+
+"Und keine Spur ist sonst aufgefunden von dem moeglichen, von dem
+wirklichen Dieb?"
+
+"Keine -- die Dienstboten sind Alle mehrmals scharf inquirirt und auf das
+Genauste die ganze Zeit beobachtet, zu sehen ob eins von ihnen vielleicht
+groessere Ausgaben als gewoehnlich mache, oder sich durch irgend etwas
+anderes verrathen wuerde; ja die Leute haben untereinander fast eben so
+scharfe Wacht gehalten, den Verdacht von sich abzuwaelzen und den
+Schuldigen aufzufinden, aber es hat sich bis jetzt nicht das Mindeste
+herausstellen wollen. Mit Geld ist das eine boese Sache, und wenn der Dieb
+die Juwelen nur vorsichtig ein paar Jahr an sich haelt, und dann vielleicht
+noch gar ausser Landes schafft, wer soll ihn da aufspueren? allwissend sind
+wir auch nicht."
+
+"Das weiss Gott," sagte Kellmann -- "wie damals mit der Pelzdecke, die mir
+Jemand von der Ladenthuer weggestohlen, und die ich zwei Jahr spaeter ganz
+gemuethlich im Polizeibureau, beim Polizeidirector selber in der Stube
+wiederfand; da hoert denn doch Alles auf. Aber mir ist wahrhaftig jetzt
+nicht wie spassen zu Muth; der Anblick des armen Maedchens hat einen
+wehmuethigen Eindruck auf mich gemacht; lieber Himmel, was es doch fuer
+Elend auf der Welt giebt, und still und bewusstlos gehen wir meist daran
+vorueber."
+
+"Und die Musik da drinnen, waehrend das arme Kind dort allein und freundlos
+seine Strasse geht, und trotzdem jetzt noch gluecklich ist gegen den
+Augenblick, wo es das Furchtbare doch erfahren _muss_. Mich leidet's heute
+nicht laenger hier draussen, Kellmann," brach er kurz ab -- "ich mag die
+Tanzmusik nicht hoeren -- wollen wir zurueck in die Stadt gehn? es ist
+ueberdies schon spaet."
+
+"Ich habe Nichts dagegen," sagte Kellmann, tief aufseufzend -- "mir ist
+der Abend heute auch verdorben, aber wir wollen Schollfeld erst abrufen."
+
+"Da drin ist wohl Pruegelei?" sagte da Ledermann, als aus dem Hause wilder
+Laerm zu ihnen heraus toente.
+
+"Das waere frueh," meinte Kellmann -- "die kommt gewoehnlich sonst erst
+spaeter, oder ganz zum Schluss. Es ist doch sonderbar, dass ein deutscher
+"Tanz" nie ohne eine Schlaegerei enden kann; es scheint auch ungefaehr
+dasselbe, wie der Cotillon bei einem Ball, nur dass sich die jungen Maedchen
+nicht dabei betheiligen -- hoechstens verheirathete Frauen, ihre Eheherren
+zu schuetzen, und die Verwirrung womoeglich noch groesser zu machen -- hallo
+aber das kommt hier heraus."
+
+"Sie werden Jemanden hinauswerfen," sagte der Actuar ruhig -- "lassen Sie
+uns an die Seite treten dass wir nicht in das Gewirr gerathen."
+
+Der Actuar hatte allerdings recht, denn unter dem Lachen, Schreien und
+Jubeln der Menge, durch das einzelne wilde Flueche einer, ihnen keineswegs
+unbekannten Stimme toenten, waelzte sich ein Haufen Menschen aus dem Saal
+heraus, in der Mitte einen Mann schleppend, der sich mit Haenden und Fuessen,
+wenn auch umsonst, gegen solche unwuerdige Behandlung straeubte, und in dem
+die beiden Freunde sehr zu ihrem Erstaunen den Auswanderungsagenten Weigel
+erkannten.
+
+"Lasst mich los!" schrie dieser dabei, mit den wildesten, ungemessensten
+Fluechen und Schimpfreden -- "lasst mich los oder ich rufe die Polizei --
+Huelfe! -- Moerder! Feuer!"
+
+"Bruell nur mein Herzchen!" sagte aber der Verwalter von Hohleck, eine
+riesige breitschultrige Gestalt, der den machtlos dagegen Ankaempfenden wie
+in einer eisernen Klammer am Kragen gepackt hielt -- "Dich koennten wir hier
+brauchen, die Leute heimlich beschwatzen dass sie Hof und Dienst verlassen
+und nach Amerika liefen -- ei Du Hallunke, Du kommst mir einmal wieder vor
+die Faeuste."
+
+"Halt da -- Hohmeier! lasst ihn los!" rief aber in diesem Augenblick eine
+andere, etwas schwer klingende Stimme, die dem also Gefaehrdeten zu Huelfe
+zu eilen schien -- "der hier -- Homeier -- der hier ist mein Freund -- mein
+ganz intimer Freund und den lass ich mir -- Homeier, den lass ich mir nicht
+aus dem Hause werfen."
+
+Es war Niemand anderes als der Wirth, Lobsich, selber, aber, wie es die
+Seeleute nennen, "halb im Wind", mit schwerer Zunge und schon etwas
+taumelndem Gang, dass sich der Zustand in dem er sich befand, nicht gut
+verkennen liess. Er versuchte dabei den Agenten zu halten und aus den
+Haenden derer die ihn gefasst hatten fortzuziehn; Hohmeier, der Verwalter
+schob ihn aber mit seinem linken Arm bei Seite, als ob es ein Kind gewesen
+waere, und sagte ruhig:
+
+"Geht zu Bett Lobsich, das waer' Euch viel besser heut Abend, aber mischt
+Euch nicht in Sachen die Euch Nichts kuemmern."
+
+"Nichts kuemmern?" rief aber der Wirth gereizt, indem er den Verwalter mit
+grossen stieren Augen ansah -- "nichts kuemmern _Hoh_meier? -- oh _Hoh_meier
+wem gehoert denn dies Haus, heh? -- nichts _kuemmern_? wem gehoert denn der
+rothe Drache, heh, _Hoh_meier."
+
+Die Schaar war indessen bis grade dorthin gekommen, wo Kellmann und der
+Actuar standen, und wo sie den Agenten zwischen zwei ziemlich nah zusammen
+wachsenden Akazienbaeumen durchtragen wollten als dieser, solche letzte
+Gelegenheit vielleicht, benutzend, Arm und Beine auseinanderspreitzte, dass
+sie ihn nicht hindurchbringen konnten, waehrend er von Neuem sein "Huelfe!
+Moerder! Feuer!" aus voller Kehle schrie.
+
+"Wenn ihm nur Jemand die Beine ausheben wollte!" sagte Herr Schollfeld,
+der ein hoechst vergnuegter Zeuge der Scene war, ohne jedoch seines
+schwaechlichen Koerpers wegen selber Theil daran zu nehmen, jetzt
+wohlmeinend. Ein paar Knechte vom Hof, die ihren Verwalter in seinem
+Richteramt unterstuetzten, liessen sich das auch nicht zweimal sagen, und
+der wuethend, aber vergebens dagegen Antretende fand sich bald in der
+vollkommnen Gewalt der Leute, ohne im Stande zu sein auch nur den
+geringsten erfolgreichen Widerstand zu leisten.
+
+"Heh _Hoh_meier!" schrie aber Lobsich, der sich indess durch die im Garten
+stehenden Stuehle und Tische wieder nach vorn gedraengt hatte den Mann frei
+zu machen, von dem er sich ploetzlich einbildete dass er sein Freund sei,
+"lasst mir den Menschen los, sag ich Euch _Hoh_meier -- Donnerwetter ich
+will doch einmal sehn wer hier in meinem eigenen Hause zu befehlen hat.
+Ihr oder ich -- _Hoh_meier. Es ist mir doch was Unbedeutendes!" Er schien
+sich auch in der That den Leuten entgegenwerfen zu wollen; im Vorspringen,
+und das viele Getraenk im Kopf, blieb er aber mit dem einen Fuss in einer
+dort stehenden Fussbank haengen, und schlug der Laenge lang in den Garten,
+waehrend die Knechte den jetzt wuethend um sich schlagenden Agenten rasch
+aufgriffen und, lachend ueber des Wirthes Unfall, aus der Gartenthuer auf
+die Strasse warfen.
+
+Ein furchtbarer Laerm entstand jetzt, die Leute jubelten und lachten, und
+erzaehlten sich untereinander wie der "Auswanderungsmann" einen
+Schaafknecht vom Gut haette bereden wollen als "Schaafmeister" nach Amerika
+auszuwandern, und vom Verwalter dabei erwischt waere, und der
+"Auswanderungsmann" stand vor dem Gartenthor und schimpfte und wuethete,
+bis einer der Knechte das Schloss wieder aufdrueckte und hinaus und ihm nach
+wollte, und dann auf der Chaussee stehen blieb und hinter dem davon
+Laufenden herfluchte, und Steine hinter ihm drein warf.
+
+Drinnen im Saal toente die Musik aber wieder rauschender als vorher, und
+die jungen Burschen durften die Zeit hier nicht laenger im Garten
+versaeumen. Waehrend die aber wieder in den Saal draengten, Taenzerinnen zu
+bekommen, und Schollfeld von Kellmann angerufen war, mit ihnen zurueck nach
+der Stadt zu gehn, blieb Lobsich noch im Garten, an dessen Thuere er trat,
+und nach der Strasse hinaus mit lauter und immer aergerlicher werdender
+Stimme Weigel's Namen schrie. Lobsich war jedenfalls stark angetrunken und
+wollte sehr wahrscheinlich den Mann zurueck holen, um ihm jetzt ernstlich
+beizustehn und den Skandal noch einmal von Neuem zu beginnen.
+
+Die drei Freunde hielten sich dabei im Schatten eines dichten
+Fliederbusches, von dem aufgeregten und jetzt doch nicht
+zurechnungsfaehigen Menschen nicht bemerkt zu werden, und dann unbelaestigt
+den Garten zu verlassen, als Lobsich's Frau, die das Toben ihres Mannes
+wohl im Haus gehoert, von dort her und den Mittelweg herunter eilte. Ohne
+dass er sie bemerkte kam sie auch bis dicht an ihn hinan, und hier seinen
+Arm ergreifend sagte sie mit leiser, bittender Stimme.
+
+"Lobsich -- Vater -- komm sei vernuenftig, lass das Schreien und Toben hier
+auf der Landstrasse und geh zu Bette -- thu _mir's_ zu Liebe Lobsich, wenn
+ich Dich darum bitte."
+
+"Lassmchfrieden," stammelte aber der Betrunkene mit schwerer Zunge und
+suchte sie von sich abzuschuetteln -- "lass mchfrieden sag ich -- Dnrrwttrrr --
+ich weiss -- ich weiss was ich ss -- se thun habe -- "
+
+"Aber Lobsich, ich bitte Dich um Gottes Willen," fluesterte die Frau in
+Todesangst -- "Du machst Dich und mich ungluecklich wenn Du Dich nicht
+aenderst -- was soll daraus werden?" --
+
+"Lassmch -- frieden," stammelte aber der Mann, sie unwillig von sich
+abschuettelnd, aber er verliess den Thorweg wenigstens und taumelte durch
+den Garten fort, seitwaerts vom Hause ab -- "Weibervolk," murmelte und
+fluchte er dabei -- Himmelsakkrments Weibervolk -- Unsinn -- violettblaues --
+ist mir doch -- ist mir doch was Unbe -- Unbedeutendes -- " und er
+verschwand damit hinter den Bueschen. Die Frau aber blieb, den Ellbogen auf
+das Thuerschloss gestuetzt und das Gesicht in den Haenden bergend, allein
+zurueck, richtete sich aber rasch wieder auf, als sie Schritte auf sich
+zukommen hoerte, und wollte nach dem Haus zurueck.
+
+"Frau Lobsich," sagte Kellmann, der es war, gutmuethig, ja fast herzlich --
+"macht denn das Lobsich jetzt oefter dass er so ueber die Schnur haut?"
+
+"Ach Sie sind es Herr Kellmann," sagte die arme Frau beruhigt. "Lieber
+Gott, ich weiss meinem Herzen keinen Rath mehr, wenn er's so fort treibt;
+wie soll das enden?"
+
+"Aber ich habe Ihren Mann so doch noch in meinem Leben nicht gesehn,"
+sagte Kellmann verwundert.
+
+"Ach ja," seufzte die Frau -- "es ist nicht das erste Mal, aber ich habe
+immer gesucht es so viel als moeglich zu verheimlichen, es giebt gar solch
+ein boeses Beispiel fuer die Leute. Es sind auch eigentlich nur einige
+Wochen erst dass er so scharf zu trinken anfaengt. Lieber Gott, im Kopf hat
+er frueher schon manchmal eins gehabt, aber er artete doch nie aus, jetzt
+jedoch geht der Spiritus mit ihm durch, und er wird zum Thier. Ach guter
+Herr Kellmann, wenn Sie einmal ein recht ernstes aber doch freundliches
+Wort mit ihm sprechen wollten; auf Sie haelt er etwas. Mir verspricht er's
+wohl auch," setzte sie leiser hinzu, "aber -- er vergisst es immer nur zu
+rasch wieder."
+
+"Ich will mein Moeglichstes mit ihm versuchen, Frau Lobsich," sagte
+Kellmann freundlich -- "aber," setzte er rascher und leiser hinzu -- "dort
+glaub' ich kommt er schon wieder zurueck, es wird besser sein wenn Sie
+versuchen ihn heute Abend zu Bett zu bringen; mit einem betrunkenen
+Menschen laesst sich Nichts anfangen."
+
+"Na? -- Donnrrwttrrr," stammelte aber in diesem Augenblick der Wirth, der
+auf seinem Zickzack Cours wieder nach der Thuer zurueckkam, und die Arme
+einstemmend einen, wenn auch vergebenen Versuch machte, mit gespreitzten
+Beinen vor seiner Frau stehen zu bleiben -- "Dnnrrrwttrrr," wiederholte er,
+herueber und hinueber schwankend -- "was's das vor Wirthschaft heh? wo gehoert
+die -- gehoert die Frau hin, heh? -- in die Hofthuer mit fremden Kerlen
+schwatzen heh? -- ist mir doch -- ist mir doch was Unbe -- Unbedeutendes."
+
+"Aber lieber Lobsich," nahm hier der jetzt auch hinzugetretene Schollfeld
+das Wort, "sein Sie doch vernuenftig und gehn Sie -- "
+
+"Hallo?" rief aber der Wirth, sich halb nach dem Redner herumdrehend, in
+dessen hell vom Mond beschienenen Zuegen er den Apotheker erkannte -- "sin'
+wir auch hier? heh? -- haben auch mit g'holfen mein' besten Freund -- mein'
+besten Freund mit hinaus zu werfen -- heh? Sie -- Sie Giftmischer Sie -- Sie
+-- "
+
+"Herr Lobsich!" rief Schollfeld aergerlich, "Sie sind heute nicht
+zurechnungsfaehig, sonst -- "
+
+"Was? -- Pillendreher will noch -- will noch raiss -- raiss'niren -- heh?"
+rief aber der gereizte Wirth und that einen Schritt gegen den Mann an.
+
+"Aber Lobsich so bedenke doch um Gottes Willen was Du sprichst," bat ihn
+die Frau, seinen Arm ergreifend -- "komm mit mir in's Haus -- wir haben
+noch so viel zu thun."
+
+"Viel zu thun? -- heh? -- habe keine Zeit mehr heut Abend -- hickup" --
+stammelte aber der Mann gegen den Schlucken ankaempfend -- "muss noch -- muss
+noch -- hickup -- muss noch Wein abziehn und -- und Bier trinken -- hickup --
+und -- und hahahahaha -- da ist -- da ist ja die ganze Gesellschaft -- ja wohl
+-- hickup -- ja wohl, komme schon -- komme schon meine Herrn -- Lobsich ist
+immer da -- ein verfluchter Kerl, der -- der -- hickup -- der Lobsich -- ist
+mir doch -- ist mir doch was Unbedeutendes;" -- und in einer unbestimmten
+Idee dass ihn vom Haus aus Jemand gerufen haette, wobei er seine Umgebung
+ganz vergass, taumelte er dem Saal wieder zu, wohin ihm die Frau aengstlich
+folgte. Sie musste ihn ja zurueckhalten, dass er so seinen Gaesten und Leuten
+nicht wieder unter die Augen kam.
+
+
+
+
+
+ Capitel 9.
+
+
+ RUeSTUNGEN.
+
+
+"Nach New-Orleans!"
+
+"Das ausgezeichnet schoene, 360 Last grosse, schnellsegelnde, kupferfeste
+und gekupferte dreimastige Bremer Schiff erster Klasse:
+
+_Die Haidschnucke_, Capitain _E. Siebelt_, mit vorzueglicher Gelegenheit
+fuer Cajuets- und Zwischendecks-Passagiere -- wird am 30. August expedirt.
+
+Agent dafuer, I. G. Weigel,
+
+Hauptagent des Central-Bureau's fuer Norddeutsche Auswanderung in
+Heilingen, am Markt Nr. 17."
+
+Diese Anzeige stand am Morgen nach den, im letzten Capitel beschriebenen
+Vorfaellen im Heilinger Tageblatt, und Dr. Haide, der Redacteur desselben,
+hatte die Gelegenheit nicht unbenutzt wollen voruebergehen lassen, einige
+entsetzliche Mordgeschichten und falsche Bankerotte aus den Vereinigten
+Staaten, wie zur Entmuthigung aller Auswanderungslustigen, in der
+naemlichen Nummer seines Blattes abzudrucken.
+
+Weigel war wuethend darueber, und schrieb augenblicklich einen anderen
+Artikel dagegen; den nahm Doctor Haide aber nicht auf, weil er, wie er
+ganz naiv erklaerte, "sich dadurch selber blamiren wuerde." Uebrigens sei
+die Sache auch schon erledigt, indem die Schiffsanzeige _fuer_, sein
+Artikel aber _gegen_ Amerika und die Auswanderung waere, und er es sich zum
+Grundsatz gemacht haette, jeden Artikel nach beiden Seiten hin zu
+beleuchten -- wenn Herr Weigel etwas gegen ihn wolle einruecken lassen, sei
+er keineswegs verpflichtet es aufzunehmen, und er moege ihn deshalb, wenn
+er damit durchzukommen glaube, nur ganz einfach darauf verklagen.
+
+Die Abfahrt dieses Schiffes war aber fuer Heilingen in so fern von nicht
+unbedeutender Wichtigkeit, als sich mehre Familien dieser Stadt ernstlich
+dahin entschlossen hatten, mit demselben nach Amerika auszuwandern. So
+unter Anderen Professor Lobenstein, der sein Haus jetzt verkauft, und der
+Stadt ueberhaupt durch seine beabsichtigte Auswanderung hoechst willkommenen
+Stoff zu den mannichfaltigsten Vermuthungen und Eroerterungen geliefert
+hatte. Ja mehrere Kaffeegesellschaften der naeheren Bekannten Lobenstein's
+waren wirklich nur einzig und allein zu dem Zweck gegeben worden, sich
+einmal ordentlich ueber die Sache "aussprechen" zu koennen.
+
+Auch in dem Dollinger'schen Haus hatten die letzten Wochen bedeutende
+Veraenderungen hervorgebracht, indem der junge Henkel Briefe von Amerika
+erhielt, nach denen seine Anwesenheit dort, dringend nothwendig geworden.
+Zwei Wechsel trafen zugleich fuer ihn ein, wie ziemlich starke Auftraege zu
+Ankaeufen in Tuchen und Seidenwaaren von seinem Haus, welches Geschaeft er
+mit Herrn Dollinger in Gemeinschaft auszufuehren gedachte.
+
+Der alte Herr Dollinger, so schwer es ihm auch wurde, und so lange er sich
+dagegen gestraeubt, musste da wohl endlich seine Einwilligung zu der
+Verbindung Clara's mit dem jungen Amerikanischen Kaufmann, ueber dessen
+Familie und Geschaeft in New-Orleans er von einem dortigen Geschaeftsfreund
+das Beste erfahren hatte, geben. Nur wunderte man sich dort, dass der junge
+Henkel in Nord-Deutschland sei, waehrend man ihn auf einer groessern Tour
+durch Italien und Griechenland vermuthet. Die Leute dort konnten nicht
+wissen dass der junge Mann auf dem Rhein andere Plaene fuer seine Zukunft
+geschaffen, als er sie frueher vielleicht ausgesonnen.
+
+Am letzten Sonntag war also, ganz in der Stille, die Trauung vollzogen und
+Clara, das liebe holde Maedchen, die Frau des jungen reichen Amerikaners --
+wie man ihn ueberall in der Stadt nannte, geworden. Jetzt galt es nun
+freilich noch, in der kurzen Zeit all die noethigen und so mannichfachen
+Vorbereitungen zu einer Reise nach Amerika fuer die junge Frau zu treffen.
+Es sollte aber wirklich auch nicht viel mehr als eine Reise werden, denn
+Henkel hatte sich schon selber fest erklaert, seinen kuenftigen Wohnsitz
+keineswegs in Amerika, sondern in Havre nehmen zu wollen, wo ueberdies, der
+bedeutenden Geschaeftsverbindung wegen mit diesem Hafen, ein Associe des
+Hauses sich aufhalten musste. Ein oder zwei Monate gedachten die jungen
+Eheleute dann jedes Jahr in dem reizend gelegenen Heilingen zuzubringen,
+was ihnen, wie den Eltern, die jetzige Trennung sehr erleichterte, und
+spaetestens im Maerz oder April schon wieder nach Europa zurueckkehren zu
+koennen. Die ganze Reise war dadurch wirklich fast nur zu einer etwas
+laengeren Vergnuegungsfahrt geworden.
+
+Auch fuer Clara's Mutter war das Bewusstsein, ihr Kind nicht fuer immer zu
+verlieren und bald wieder in die Arme schliessen zu koennen, eine unendliche
+Beruhigung, und selbst hierzu hatte es ihr einen grossen Kampf gekostet,
+ihre Einwilligung zu geben. Clara selbst aber hing mit ganzem Herzen an
+dem theuren Mann, und fuehlte sich vollkommen gluecklich in einer
+Verbindung, die seit sie den Fremden kennen und lieben gelernt, ihr das
+Ziel ihrer irdischen Wuensche geschienen.
+
+Was war ihr die Reise, was die Gefahr und Muehseligkeit derselben? sie waere
+ihm in eine Wildniss gefolgt, und haette sich doch gluecklich an seiner Seite
+gefuehlt.
+
+Der junge Henkel wuenschte nun die Ueberfahrt in einem Englischen Dampfer
+nach New-York, und von da mit einem Amerikanischen Dampfschiff nach
+New-Orleans zu bewerkstelligen, Clara fuerchtete sich aber an Bord eines
+Dampfers zu gehn, theils der doppelten Gefahr, theils der unangenehmen
+Bewegung derselben in schwerem Wetter wegen, von der sie viel gehoert, und
+da es sich jetzt gerade so traf dass eine ihr befreundete Familie,
+Professor Lobenstein's, ebenfalls nach New-Orleans, und in einem
+Segelschiff von Bremen ab auswanderte, bat sie mit diesen reisen zu
+duerfen. Henkel selber schien nicht recht damit einverstanden, fuegte sich
+aber doch endlich den Bitten seiner jungen Frau.
+
+Wenn aber bei Dollinger's im Haus wenig mehr als Waesche und Kleider
+herzurichten waren, nur zu einer Reise nicht zu einer Uebersiedlung nach
+Amerika, und man diese schon grossenteils gepackt und vorausgeschickt
+hatte, die letzten Stunden in der Heimath durch kein Aussuchen und Packen
+gestoert zu haben, so schien dagegen bei Professor Lobenstein das ganze
+Haus von innen nach aussen gekehrt zu sein.
+
+Der Professor naemlich hatte auf keinerlei Weise bewogen werden koennen mit
+seinen Sachen eine Auction anzustellen, und nur das Nothwendigste
+mitzunehmen, da Fracht und Spesen unterwegs ein wirkliches Capital
+auffressen wuerden, fuer das er sich Alles was er dort brauchte auch an Ort
+und Stelle neu anschaffen koennte. Allen die ihm dies riethen zeigte er aus
+verschiedenen Schriften die statistisch aufgestellten Arbeitsloehne der
+verschiedenen Handwerker, wie die Preise der Provisionen, und bewiess ihnen
+auf das Klarste und Unumstoesslichste was jedes einzelne Stueck Meublen und
+Hausgeraeth in notwendiger Folgerung in Amerika kosten muesse. Eben so hatte
+er sich mit unendlicher Ausdauer einen Ueberschlag der verschiedenen
+Frachtpreise nach New-Orleans, und von da in's Innere gemacht, bis er
+endlich zu dem obigen Resultat gekommen, und nun auch augenblicklich eine
+Anzahl Tischler in Arbeit setzte, lauter neue Kisten fuer seine Sachen
+anzufertigen.
+
+Eine grosse Anzahl von diesen war nun schon, gepackt und mit eisernen
+Reifen beschlagen, als Fracht vorausgeschickt, eine andere Sendung sollte
+heute abgehn, und die letzten dann in den naechsten Tagen befoerdert werden,
+noch zur rechten Zeit an Ort und Stelle zu sein. Kellmann selbst, dem
+Hause eng befreundet, hatte dahin mehrere Auftraege uebernommen, und kam
+heute Morgen, Bericht ueber die Ausfuehrung derselben abzustatten.
+
+Er selber war natuerlich mit der ganzen Uebersiedlung gar nicht
+einverstanden, hatte aber doch, als er alle Gruende des Professors dafuer
+gehoert, weit weniger dagegen gesagt, als die Familie im Anfang vermuthet
+und auch wohl gefuerchtet haben mochte. Der Professor sei eben ein
+Professor, meinte er nur, und wo der einmal seinen Kopf aufgesetzt habe,
+liess sich auch Nichts mehr abstreiten oder gar dagegen beweisen, man muesse
+ihn eben sich selber ueberlassen, und -- es thue ihm nur um die Familie
+leid. Nichtsdestoweniger gab er sich jede erdenkliche Muehe ihnen, wo er es
+nur irgend vermochte, beizustehn, wobei er den Professor doch von manchem
+unueberlegten oder unpraktischen Schritt zurueckhielt. So kaempfte er, und
+zwar gluecklicher Weise mit Erfolg, gegen die unglueckselige Idee des
+Professors an, sich hier, trotz Allem was er darueber schon gelesen, von
+dem Auswanderungsagenten Land und eine Farm zu kaufen. Er wollte drueben
+nicht "in Gefahr kommen" von Amerikanischen und betruegerischen
+Landspeculanten hintergangen zu werden, und seine Berechnung saemmtlicher
+Kosten gleich hier an Ort und Stelle machen koennen, was ihm nicht moeglich
+sei, wenn er die Contracte nicht in der Tasche habe.
+
+Kellmann, auf dessen praktisches und gesundes Urtheil er sonst ueberhaupt
+viel gab, machte ihn mit seinen ernstlichen Vorstellungen aber doch
+stutzig, und noch eine authentische Person ueber die dortigen Verhaeltnis zu
+hoeren, wandte er sich zuletzt an den jungen Henkel, und bat diesen um
+Meinung und Rath ueber die, ihm allerdings sehr am Herzen liegende Sache.
+Dieser rieth ihm aber ebenfalls auf das Entschiedenste ab, sein Geld hier
+an eine solche Speculation wegzuwerfen, denn dieser Weigel scheine ihm,
+was er bis jetzt von ihm gesehn, eine keineswegs volles Vertrauen
+verdienende Persoenlichkeit. Er solle warten bis sie drueben waeren, dort
+habe er Zeit genug (Kellmann hatte ihm dasselbe gesagt), und finde er in
+New-Orleans oder Missouri nichts Besseres, so sei er selber vielleicht im
+Stande ihm ein kleines reizendes Gut abzutreten, das er einmal auf einem
+Jagdzug in's innere Land gekauft, und jetzt noch verpachtet haette.
+
+"Und der Preis?"
+
+"Er wuerde zufrieden sein." Damit war die Sache fuer jetzt abgemacht;
+freilich zu Weigels Verdruss, der die Farm, wie er sich ausdrueckte, nun
+noch "zur Verfuegung" behielt.
+
+Es mochte etwa Morgens um elf sein, als Kellmann Professor Lobensteins
+besuchte. Das Haus war am vorigen Tag oeffentlich verauctionirt und von
+einem reichen Weinhaendler in Heilingen erstanden worden, die Familie aber
+jetzt in angestrengter Arbeit eifrig bemueht das unangenehme Gefuehl nicht
+allein zu verscheuchen, sondern auch eines vor dem anderen zu verbergen,
+"zum _ersten_ Male in der _eigenen_ Heimath _fremd_ zu sein;" zum ersten
+Mal fremd in den Raeumen, die ihrer Kindheit Spiele gesehn, und Zeuge
+gewesen waren ihrer keimenden Hoffnungen und Traeume.
+
+Der erste schwere Schritt zu einem neuen Leben und Wirken war aber damit
+geschehn; freilich auch zu gleicher Zeit die Bruecke abgebrochen, die noch
+zurueck haette fuehren koennen in das Vaterland. Das Band war damit zerrissen,
+das sie noch an dieses knuepfte, und wunderbarer Weise hatte sich jetzt,
+wie sie sich gestern noch fast Alle gefuerchtet vor dem Gedanken die lieben
+theueren Raeume zu verlassen, ein fremdes unheimliches Gefuehl zwischen sie
+und das Haus geworfen, und sie _ersehnten_ den Augenblick wo sie hinaus
+konnten, fort, nur fort von hier -- aus den Erinnerungen fort. Und doch
+sprachen sie das nicht aus gegen einander; Jedes hielt sich nur allein fuer
+so thoericht und kindisch, mit den quaelenden Gedanken; keines wusste dass das
+Gefuehl in ihrer Aller inneres Leben verwoben sei, und in des Herzens
+feinsten Fasern Wurzel schlug.
+
+Die Stimmung Aller, so sehr sie sich auch hueteten dem was sie dachten
+Worte zu geben, war denn auch an dem ganzen Morgen schon eine stille,
+gedrueckte gewesen, und Kellmann's Erscheinen befreite Alle wie von einer
+Last. Unten auf der Treppe wurde der aber schon laut.
+
+"Na, ist das ein Vergnuegen zu so einer Auswanderungsfamilie in's Haus zu
+kommen," rief er, als er sich mit zusammengehaltenen Schoessen zwischen
+einer Reihe Kistendeckel hindurchdrueckte, die, mit den Naegeln nach aussen,
+an der Wand lehnten, und dabei noch ueber eine Unzahl Koerbe und Schachteln
+wegsteigen musste, nur in die Stube zu kommen.
+
+"Nehmen Sie sich in Acht, lieber Kellmann," rief ihm der Professor, der
+seine Stimme gehoert hatte, aus der halbgeoeffneten Thuere entgegen (er
+konnte diese nicht ganz aufmachen da ebenfalls eine Kiste dahinter stand).
+"Sie moechten sich da draussen die Kleider zerreissen."
+
+"Ist schon bereits geschehen," brummte Kellmann, indem er versuchte einen
+Blick nach seinem, allerdings beschaedigten Ruecktheil zu gewinnen, "meine
+Guete, wie sieht das bei Ihnen aus -- ah guten Morgen meine Damen -- und
+schon so fleissig? -- was um Gottes Willen naehen Sie denn da? --
+Getraidesaecke fuer die naechste Erndte?"
+
+"Fehlgeschossen Herr Kellmann," rief ihm aber Marie, die sich gern mit dem
+freundlichen Mann neckte, entgegen -- "Jacken sind das fuer uns, in den
+Busch, zwischen den Dornen und Schlingpflanzen, die uns sonst das leichte
+Zeug von den Schultern rissen. Warten Sie einen Augenblick, da koennen Sie
+uns gleich Ihre Meinung sagen; die meinige ist gerade fertig, und ich will
+sie eben anprobiren. Lassen Sie nur, ich werde schon allein fertig, dort
+drueben muessen wir ueberdies Alles allein machen -- So -- nun, wie gefalle ich
+Ihnen darin?"
+
+"Gar nicht," sagte Kellmann muerrisch, "ich saehe Sie weit lieber in einem
+leichten Ballkleid und mit Ihrem gewoehnlichen heiteren Gesicht, als in der
+Sackleinwand und -- hm -- das verdammte Amerika. Geht denn Eduard jetzt
+noch mit, oder bleibt er da? wo steckt er denn wieder? -- der ist immer
+fort wenn ich komme."
+
+"Der geht mit, lieber Kellmann," rief der Professor, "er konnte sich nicht
+dazu entschliessen, seine Eltern und Geschwister allein in die Welt ziehn
+zu lassen, wo er ihnen vielleicht, zum ersten Mal in seinem Leben,
+nuetzlich sein wuerde, und ist jetzt noch in der Geschwindigkeit zu einem
+Tischler gegangen, die paar Wochen wenigstens zu benutzen, und doch eine
+Idee von dem Handwerk zu gewinnen; wer weiss was wir da Alles zu thun
+bekommen."
+
+"Wird auch was recht's davon in den paar Tagen profitiren," brummte
+Kellmann -- "bei wem ist er denn, bei Leupold?"
+
+"Leupold?" rief der Professor, "der geht ja mit unserem Schiff nach
+New-Orleans."
+
+"Der Tischlermeister Leupold wandert auch aus?" rief Kellmann laut und
+verwundert.
+
+"Hat sein Haeuschen und seine Werkstaette verkauft, und ist jetzt
+wahrscheinlich schon unterwegs nach Bremen," betaetigte ihm der Professor.
+
+"Na nu ist mir's aber doch ueber den Spass," rief Kellmann -- "da laeuft ja
+halb Heilingen fort; jetzt freut mich mein Leben; naechstens werden wir uns
+unsere Schraenke und Schuhe und Roecke selber machen koennen wenn wir 'was
+haben wollen; ich darf nur gleich den meinigen zum Schneider schicken dass
+er ihn mir noch ausbessert, ehe er auch durchbrennt. S'ist wirklich zum
+Verzweifeln."
+
+"Lieber Gott," sagte der Professor -- "die Leute verlangen nur Ellbogenraum
+sich zu ruehren; sie wollen einen Platz haben, der ihren Beduerfnissen
+Befriedigung verspricht."
+
+"Da haben Sie gleich den faulen Fleck," rief Kellmann, "_Beduerfnisse
+befriedigen_, wenn die Leute lebten wie ihre Voreltern gelebt haben, und
+nicht mit jedem Jahre auch neue Beduerfnisse kennen lernten und befriedigt
+haben wollten, so haetten wir alle Platz, und das verwuenschte Amerika
+koennte sehen wo es Haende und Faeuste bekaem zuzupacken und ihm den Boden zu
+bestellen. Aber ich will mich nicht laenger aergern -- lasst sie laufen,
+nachher wird's hier erst recht gemuethlich -- apropos -- Ihren Freund Weigel
+haben sie gestern Abend im rothen Drachen hinausgeworfen -- er wollte
+Dienstleute, ich glaube einen Schaefer, verlocken nach seinem geruehmten
+Amerika auszuwandern."
+
+"Meinen _Freund_?" sagte der Professor achselzuckend, "ich habe mit Herrn
+Weigel nie in einer solchen Beziehung gestanden, aber ich achte ihn als
+einen Mann der ein gutes Herz mit einer tuechtigen Portion gesundem
+Menschenverstand verbindet, und besonders schaetzenswerthe statistische
+Kenntnisse Amerika's besitzt."
+
+"Bah!" sagte Kellmann, den Kopf auf die Seite werfend, und mit den Fingern
+schnalzend, "so viel fuer seine statistischen Kenntnisse; _unverschaemt_ ist
+er, das halt' ich fuer seine Hauptforce, und er wirft Ihnen da mit der
+groessten Kaltbluetigkeit eine Masse Zahlen in den Bart, denen man nicht
+gleich widersprechen kann, weil sich der Gegenbeweis eben nicht fuehren
+laesst. Wenn das Alles wahr ist was er ueber Amerika sagt, waere _er_ der
+groesste Esel wenn er nicht selber hinueberginge."
+
+"Seine Verhaeltnisse gestatten es ihm nicht, wie er mich oft versichert
+hat," vertheidigte ihn aber der Professor.
+
+"Ja, das kennen wir schon," sagte Kellmann, "und wenn mich irgend etwas
+glauben machen koennte dass _er_ wirklich Amerika kennt, so waere es der
+Umstand dass er selber nicht hinuebergeht."
+
+"Im rothen Drachen war ja wohl gestern ein kleines Fest?" frug die Frau
+Professorin dazwischen, die das unerquickliche Gespraech abzubrechen
+wuenschte.
+
+"Ja, fuer die Dienstleute von Hohleck," sagte Kellmann, "und Schollfeld und
+ich waren ebenfalls hinausgegangen um den Spass mit anzusehn."
+
+"Und ihr Freund, der lange Actuar war nicht dabei?" lachte Marie.
+
+"Er kam spaeter nach," sagte Kellmann -- "der arme Teufel ist jetzt auch
+immer verdriesslich und niederschlagen."
+
+"Er hat sein Kind verloren," sagte Anna mitleidig.
+
+"Ja, und zu Hause fuehlt er sich auch wohl nicht so recht wohl und
+behaglich."
+
+"Wir haben davon gehoert," sagte die Professorin -- "seine Frau soll
+eigenwillig und heftig sein, und ihm oft gar unangenehme Scenen bereiten."
+
+"Seine Frau ist -- " fuhr Kellmann auf, aber er unterbrach sich selber
+wieder, und trommelte eine Weile mit den Fingern auf dem vor ihm stehenden
+Tisch.
+
+"Was ist Ihnen denn nur heute, Herr Kellmann?" sagte aber Marie, jetzt zu
+ihm tretend und seinen Arm beruehrend -- "Sie schneiden ja heut Morgen ein
+so bitterboeses Gesicht, wie ich noch fast in meinem Leben nicht an Ihnen
+gesehn. Ist Ihnen irgend etwas Aergerliches begegnet? -- oder -- Sie sind
+doch nicht boese mit uns?"
+
+"Boese mit Ihnen? lieber Gott Mariechen," sagte Kellmann herzlich ihre Hand
+ergreifend -- "ich muesste boese mit Ihnen sein dass Sie fortgehn und mich hier
+allein zuruecklassen; sonst wuesst' ich wahrhaftig nicht weshalb."
+
+"So kommen Sie mit," lachte Marie, indem sie neckisch zu ihm aufsah.
+
+Kellmann seufzte tief auf, sagte dann aber kopfschuettelnd, und mit der
+Hand ueber seine Stirn streichend, als ob er sich daraus all' die trueben
+Gedanken verscheuchen wollte --
+
+"Nach Amerika? -- ja, weiter fehlte mir gar Nichts; aber heute sind es
+wirklich andere Sachen die mir im Kopf herumgehn."
+
+"Ist etwas vorgefallen, und koennen wir Ihnen helfen, lieber Herr
+Kellmann?" sagte Anna freundlich.
+
+"Ach Gott nein," sagte der kleine Mann seufzend -- "es ist ein Stueck von
+dem allgemeinen Elend, das ueber den ganzen Erdball hinspielt, und das uns
+gewoehnlich mit einem unheimlichen Gefuehl, auch nicht ausser dem Bereich
+desselben zu liegen, durchschauert, wenn wir ihm einmal auf unserem
+Lebenspfad begegnen. Sie sahen mich als ich vor dritthalb Stunden etwa
+drueben aus dem Loewen kam?"
+
+"Ja, Sie gruessten ja herauf," sagte die Professorin --
+
+"Nun gut; ich war dort, einem armen Maedchen nachzufragen, das wir gestern
+Abend spaet auf der Strasse trafen, und das ich dorthin schickte
+Nachtquartier zu suchen" -- Und nun erzaehlte ihnen Kellmann mit kurzen
+Worten das gestrige Zusammentreffen mit des ungluecklichen Lossenwerder
+Schwester, und ebenfalls dass sich schon jetzt herauszustellen scheine, wie
+der arme Teufel von Lossenwerder unschuldig in Verdacht gerathen sei. Nur
+in reiner Verzweiflung mochte er sich den Tod gegeben haben, als man ihm
+das letzte, einzige das er auf der Welt hatte -- seinen ehrlichen Namen --
+nehmen wollte -- oder eigentlich schon von Gerichts wegen genommen hatte.
+Unsere wackeren Polizeigesetze halten ja nun einmal jeden Menschen fuer
+einen Spitzbuben, bis er nicht durch Atteste genuegend dargethan hat dass --
+"gegen ihn noch nichts Gravirendes bekannt geworden."
+
+"Und was geschieht jetzt mit dem armen, armen Maedchen?" frugen fast
+gleichzeitig Marie und Anna -- "lieber Gott, hier in der fremden Stadt,
+allein, ohne Mittel, ohne Freunde, wie entsetzlich muesste es da sein, wenn
+sie vielleicht aus rohem Munde zuerst die furchtbare Nachricht vernaehme."
+
+"Gestern Abend," sagte Herr Kellmann etwas verlegen, "kam uns das Ganze
+wirklich so schnell und ueberraschend, dass wir nicht die geringste Zeit zum
+Ueberlegen behielten; wir -- wir gaben ihr nur ein paar Groschen und
+schickten sie in den Loewen, hier gegenueber, um da zu uebernachten, damit
+sie nicht in der Stadt nach ihrem Bruder fruege, und die entsetzliche
+Geschichte gleich in der ersten Viertelstunde erfuehre; heute Morgen wollte
+ich dann selber herkommen und sehn was sich thun liess -- "
+
+"Und jetzt? -- weiss sie was geschehen ist? frug die Professorin mitleidig
+die Haende faltend -- Herr Kellmann zuckte mit den Achseln und sagte:
+
+"Sie ist fort -- "
+
+"Fort? -- wohin?" riefen die Frauen.
+
+"Kein Mensch konnte mir darueber Auskunft geben, gestern Abend war sie
+richtig dort angekommen, und ihres duerftigen Aussehns wegen in die
+Gesindestube gewiesen, und dort muss sie unglueckseliger Weise ihren Namen
+genannt, vielleicht nach ihrem Bruder gefragt und das Schrecklichste
+gleich erfahren haben, denn sie war, selbst ihr Buendel im Stich lassend,
+hinausgelaufen in Nacht und Nebel und -- und nicht wieder zurueckgekehrt."
+
+"Du lieber Gott," sagte Anna, "wenn sie sich nur kein Leides gethan."
+
+"Ich bin gleich zu Ledermann und dann auf die Polizei gegangen, diese
+aufmerksam zu machen," sagte Kellmann etwas kleinlaut, "werde auch selber
+noch mein moeglichstes thun das arme Ding wieder aufzufinden, aber -- ich
+weiss wahrhaftig nicht wo man die eigentlich suchen soll, denn sie kennt ja
+keinen einzigen Menschen in der Stadt."
+
+"Und in ihres Bruders frueherem Logis? -- "
+
+"Hat sie Niemand gesehn -- ich war dort."
+
+"Waren Sie auch schon -- auf dem Kirchhof?" frug ihn Marie jetzt leise und
+schuechtern."
+
+"Wahrhaftig, daran hatte ich gar nicht gedacht," sagte Kellmann rasch
+seinen Stuhl zurueckschiebend, "die Moeglichkeit ist da, und ich will keinen
+Augenblick mehr versaeumen -- vielleicht ist es jetzt noch nicht zu spaet."
+
+"Und Sie sagen uns Antwort?"
+
+"Sowie ich etwas Bestimmtes ueber sie weiss -- aber -- aber was dann mit ihr
+anfangen? -- hier in der Stadt _kann_ sie nicht bleiben," sagte Kellmann,
+die Thuerklinke schon in der Hand, "und ueberhaupt scheint mir ihr
+schwaechlicher Koerper zu grober Handarbeit gar nicht geeignet."
+
+"Vielleicht bietet sich da fuer die Schwester in demselben Haus ein
+Ausweg," rief Anna ploetzlich, "das fuer den Bruder ja so viel gut zu
+machen, wenn er wirklich unschuldig gelitten. Gestern Nachmittag noch
+klagte mir Clara ihr Leid, dass ihre Kammerjungfer, mit der sie sehr
+zufrieden ist, und die ihr bis dahin fest versprochen mitzugehn, ploetzlich
+anderes Sinnes geworden waere, und sich jetzt weigerte Heilingen zu
+verlassen. Clara ist so seelensgut, sie wuerde gewiss Alles thun was nur in
+ihren Kraeften steht, das arme Kind den herben Verlust vergessen zu machen.
+
+"Aber wird sich das Maedchen selber dazu eignen?" sagte Kellmann.
+
+"Weshalb nicht," rief aber auch jetzt Marie -- "bringen Sie die Arme nur
+hierher, sobald Sie sie finden, und nehmen sie Henkel's nicht mit, findet
+Papa gewiss einen Ausweg."
+
+"Ja, Papa einen Ausweg," sagte aber der Professor -- "ich kann _Niemanden_
+mehr mitnehmen Kinder, so viel solltet Ihr eigentlich jetzt schon wissen,
+denn wir sind Leute genug."
+
+"Ach wenn sie ueberhaupt gehen will," rief Kellmann, "die Passage bringen
+wir hier schon zusammen, und wenn sich Fraeulein Anna bei Frau Henkel fuer
+sie verwenden will, waer' es ein Glueck fuer das arme Maedchen, den hiesigen
+fuer sie so trueben Verhaeltnissen so rasch wieder entrissen zu werden. Doch
+jetzt leben Sie wohl -- ich habe da nicht lange Zeit mehr zu verlieren, und
+hoffe Ihnen bald guenstige Nachrichten bringen zu koennen."
+
+ * * * * *
+
+Actuar Ledermann hatte die Nacht einen heftigen Fieberanfall bekommen, und
+sich am anderen Morgen auf seinem Bureau entschuldigen lassen. Erst um
+zehn Uhr etwa fuehlte er sich etwas besser, und beschloss ein wenig an die
+frische Luft zu gehn, in dem sonnigen Morgen draussen die trueben quaelenden
+Gedanken zu verscheuchen.
+
+Er ging auf den Kirchhof, das Grab seines kleinen Lieblings zu besuchen,
+und nahm einen Monatsrosenstock mit hinaus, ihn darauf zu pflanzen.
+
+Der Weg der zu dem Grab, zwischen den andern Huegeln hin, fuehrte, lief eine
+kurze Strecke die Mauer entlang, die bis jetzt leer gelassen und von
+Unkraut ueberwuchert lag. Nur ein einziger, unter Gras und Unkraut fast
+versteckter flacher Huegel war dort aufgeworfen, ueber dem kein Kreuz den
+Namen des Hingeschiedenen kuendete, keine Blume ein sorgendes Herz
+verrieth, das dem Entschlafenen die stille Thraene nachgeweint. Und dort? --
+in das hohe, feuchte Gras geschmiegt, lag eine schlanke Maedchengestalt,
+Stirn und Antlitz in dem wuchernden Unkraut verborgen, auf dem die vollen
+aufgeloesten Locken ruhten.
+
+"Lieber Gott," sagte der Actuar, mit dem Blumenstock im Arm neben ihr
+stehen bleibend, leise vor sich hin -- "es ist doch noch viel, viel Elend
+in der Welt, und wenn Einem recht traurig und weh um's Herz ist, sollte
+man eigentlich immer hinaus auf den Kirchhof gehn. Da haben die Leute
+nicht ihre glatten unbewegten Alltagsgesichter vor, sondern geben sich wie
+sie sind, und wenn es auch eben kein Trost sein sollte andere Menschen
+ungluecklich zu sehn, ist es doch jedenfalls einer, zu wissen dass man es
+nicht allein ist." Und sich langsam abwendend schritt er dem Grabe seines
+Kindes zu, setzte den Blumentopf auf den kleinen Huegel, und sich selber
+dann auf eine dicht daneben liegende Marmorplatte, die das Grab eines
+anderen Menschen deckte.
+
+Dort blieb er lange, das Gesicht mit den Haenden bedeckt, und regungslos in
+seiner Stellung verharrend, seinen schmerzlichen Gedanken ueberlassen, bis
+die Sonne hoeher und hoeher stieg, und ein stechender Kopfschmerz ihn mahnte
+den, den heissen Strahlen vollkommen ausgesetzten Platz zu verlassen, wenn
+er sich nicht noch kraenker machen wollte als er schon war. Er stand auf,
+und sah sich nach dem Todtengraeber um, diesen zu bitten den Blumenstock
+fuer ihn einzusetzen, und fand ihn auch, nicht weit von dort entfernt, mit
+einem neuen Grabe beschaeftigt. Langsam seinen Spaten schulternd ging er
+mit ihm zu dem verlangten Platz, und dort sein Handwerksgeraeth neben sich
+in den Boden stossend und sich den Schweiss von der gluehenden Stirne
+trocknend, sagte er freundlich:
+
+"Warmer Tag heute, Herr Actuar -- sehn Sie einmal was fuer ein schoenes
+Stoeckchen; das muessen wir aber ordentlich angiessen, sonst vertrocknet es
+gleich in der lockeren Erde -- werde Ihnen das schon besorgen."
+
+"Bitte sein Sie so gut," sagte Ledermann, und der Mann nahm den Stock auf,
+drehte ihn um und schlug mit der flachen Hand unter den Topf, diesen
+locker und los zu bekommen.
+
+"Kennen Sie das junge Maedchen was da auf dem Grabe an der Mauer liegt?"
+frug der Actuar jetzt, als sein Blick wieder zufaellig dort hinueber
+streifte -- "dort drueben meine ich."
+
+"Ja ich weiss schon," sagte der Mann, ohne den Kopf zu wenden und mit
+seiner Arbeit beschaeftigt -- "nein -- sie sass vor dem Kirchhofsgitter schon
+heut' Morgen wie ich oeffnete, um drei Uhr frueh, und muss die ganze Nacht da
+zugebracht haben. Wie ich das Thor aufmachte frug sie mich nur nach dem
+Grabe eines armen Teufels, den wir hier vor kurzer Zeit zu Ruh gebracht,
+und ist seit der Zeit nicht von dort weggegangen. Das kommt manchmal vor."
+
+"Und wer liegt da begraben?" frug Ledermann schnell, dem ein ploetzlicher
+Gedanke an das Maedchen von gestern Abend aufstieg.
+
+ [Capitel 9]
+
+"Dort an der Mauer?" sagte der Todtengraeber, "ih Sie wissen ja, der kleine
+bucklige Bursche, der von der Bruecke gesprungen war, und sich den Kopf
+aufgeschlagen hatte."
+
+Dem Actuar fuhr es mit einem eisigen Stich durchs Herz, aber er erwiederte
+Nichts, gab dem Mann eine Kleinigkeit fuer seine Dienstleistung, und ging
+dann langsam, als ihn dieser wieder verlassen und seine fruehere Arbeit
+aufgenommen hatte, zu Lossenwerder's Grab, wo die Trauernde noch still und
+regungslos in ihrem Jammer lag. Nur das krampfhafte Zittern des Koerpers
+verrieth das darin wohnende Leben.
+
+"Liebes Kind," sagte Ledermann leise -- das Maedchen bewegte sich nicht --
+"mein liebes Kind," sagte er lauter, und beruehrte ihre Schulter mit seinem
+Finger. Langsam hob sie das bleiche, Thraenen ueberstroemte Gesicht zu ihm
+empor, und als sie den fremden Mann neben sich sah, richtete sie sich
+verwirrt, beschaemt aus ihrer Stellung auf.
+
+"Aber wie koennen Sie sich hier so Stunden lang in das feuchte Gras
+werfen," sagte der Actuar mit freundlichem Vorwurf -- "Sie _muessen_ ja
+krank werden -- nicht wahr, Sie kennen mich nicht mehr?"
+
+Das Maedchen sah ihn gross und verwundert an, und schuettelte dann langsam
+mit dem Kopf.
+
+"Ich sprach gestern Abend mit Ihnen, draussen vor dem Thor, wo die Musik in
+dem Hause war," sagte Ledermann -- "hatten Sie gar keine Ahnung von dem
+Schicksal des Bruders?"
+
+"Keine," sagte die Arme leise, das Koepfchen wieder senkend.
+
+"Und wo erfuhren Sie seinen Tod?"
+
+Das Maedchen schauderte zusammen als sie des Augenblicks gedachte, und
+sagte endlich, wie mit angstgepresster Stimme:
+
+"Gestern Abend in dem Haus -- die Leute in der Gesindestube frugen mich wo
+ich herkaeme und um meinen Namen, und dann --
+
+"Und dann?" frug der Actuar mitleidig, als das Maedchen schwieg und ihr
+Antlitz wieder zitternd in den Haenden barg --
+
+"Dann sagten sie" -- setzte das Maedchen, am ganzen Koerper bebend hinzu --
+"dass Einer der so hiess -- und sie spotteten dabei ueber sein Gebrechen -- dass
+Einer -- hier -- " sie vermochte nicht auszureden und warf sich,
+ruecksichtslos um den neben ihr stehenden Fremden, und in krampfhafter
+Verzweiflung, wieder auf das Grab nieder, das sie laut schluchzend mit
+ihren Armen umschlang, und den Bruder rief, sie zu sich zu nehmen in sein
+stilles, kuehles Bett.
+
+Nur mit Muehe, und herzlichen troestenden Worten die er zu ihr sprach,
+brachte sie Ledermann, als sich ihr Schmerz in etwas ausgetobt, endlich
+dahin sich etwas zu fassen und zu beruhigen, und ihm mehr ueber ihr
+Schicksal und sich selber zu sagen. Sie hiess Hedwig, war funfzehn Jahr alt
+und hatte bis zu ihrem elften Jahr bei einer entfernten armen Verwandten
+zugebracht, nach deren Tode sie, ein Kind noch, bei fremden Leuten in
+Dienst gehen musste. Ihre Elteren schienen in besseren Verhaeltnissen gelebt
+zu haben, waren aber frueh gestorben, und die Waisen sich selber ueberlassen
+gewesen. Ihr um zehn Jahr aelterer Bruder Franz hatte sie dabei noch immer
+dann und wann von dem Wenigen was er selber verdiente, unterstuetzt, auch
+ihr vor einigen Monaten -- und das musste etwa grade vor seinem Tode gewesen
+sein, geschrieben, dass er recht sparsam lebe, und bald so viel zusammen zu
+haben hoffe mit ihr, der Schwester, nach Amerika auszuwandern, dort
+vielleicht ein kleines Geschaeft oder irgend etwas Anderes anzufangen,
+ehrlich durch die Welt zu kommen. Hedwigs Aussage nach musste er ihr auch
+die genaue Summe geschrieben haben, die er besass, und als sie der Actuar
+dringend bat ihm den Brief zu verschaffen, wenn es irgend moeglich sei, da
+der vielleicht vollstaendig des Bruders Unschuld beweisen konnte, zog sie
+aus ihrer Brust das zusammengefaltete und dort bis jetzt sorgfaeltig
+bewahrte Papier. Es war das letzte was sie von ihm bekommen, und als Monat
+nach Monat verstrich und keine neue Nachricht kam, wurde sie zuletzt
+unruhig und schrieb nach Heilingen. Aber auch hierauf erhielt sie keine
+Antwort und nicht mehr im Stande die Ungewissheit zu ertragen, verliess sie
+ihren Dienst und machte sich, mit wenigen Groschen in der Tasche auf, den
+weiten Weg zu Fuss zurueckzulegen. Und ihr Empfang? grosser Gott mit Spott
+und Hohn wurde ihr Bruder -- das einzige noch auf der Welt ihr gehoerende
+Wesen, das sie mehr als sich selber liebte -- eines furchtbaren Verbrechens
+beschuldigt, in Folge dessen er sich selber das Leben genommen, und
+schlimmer, gewaltiger noch als die Nachricht seines Todes, erschuetterte
+das reine, vertrauensvolle Herz des armen Kindes der erste _Zweifel_ an
+den Hingeschiedenen, der doch heimlich und quaelend in ihr aufsteigen
+wollte, wie sie sich auch dagegen straeubte; und doch _wusste_ sie dass er
+keiner schlechten Handlung faehig gewesen sei.
+
+Waehrend dieser Erzaehlung flossen ihre Thraenen staerker; wenn aber der
+Schmerz auch nur mehr aufgeruettelt wurde durch das Wiederdurchleben
+vergangener Scenen, fand sie doch auch einen Trost in dem Aussprechen ueber
+ihren Verlust. Der Actuar ueberlas indess fluechtig den Brief, und den Datum
+mit dem veruebten Raub vergleichend sah er, ob Lossenwerder nun schuldig
+oder unschuldig sei, dass jenes, bei ihm gefundene Geld sein Eigenthum
+gewesen sein muesse, schon vor dem Tag, und nicht mehr als Beweis gegen ihn
+gelten konnte.
+
+So traf sie Kellmann, der von Lobensteins direct auf den Gottesacker
+gegangen war, das arme Maedchen aufzusuchen. Mit wenigen Worten sagte ihm
+der Actuar was er von ihr erfahren, und der gutmuethige kleine Kuerschner
+setzte sich neben sie auf das Grab des Bruders, nahm ihre Hand in die
+seine, und diese streichelnd sprach er ihr Muth und Hoffnung in das arme
+gequaelte Herz. Sie sollte nicht mehr allein stehn auf der Welt; er wollte
+Freunde fuer sie finden, die sich ihrer annaehmen, und sie Beide, Ledermann
+und er, wollten nicht ruhen noch rasten bis ihres Bruders Name wieder
+ehrlich gemacht sei vor der ganzen Stadt; lieber Gott, sie konnten ja
+nichts mehr fuer den Armen thun.
+
+Hedwig weinte, waehrend er sprach; aber die Thraenen loesten ihren Schmerz --
+die freundlichen Worte; oh die ersten wieder seit so langer, langer Zeit
+die sie gehoert, thaten ihr wohl und bannten die Verzweiflung aus ihrem
+Herzen, der sie ja sonst wohl rettungslos verfallen waere. Wieviel Segen
+hat schon ein herzliches Wort gebracht, dem Ungluecklichen gespendet -- wie
+viele Thraenen getrocknet, wie manches Weh, wenn es nicht heilen konnte,
+doch gelindert.
+
+Kellmann erbot sich dann auch, sie zu seiner Mutter zu fuehren, wo sie
+wenigstens bleiben konnte bis sich etwas Weiteres entschieden. Von Amerika
+sagte er ihr noch Nichts, die naechsten Tage mochten sie erst mit dem
+Gedanken vertrauter machen, wenn sie hoerte wie viel Leute die auch ihren
+Bruder gekannt und liebe Freunde von ihm selber seien, gerade jetzt nach
+dort hinuebergingen.
+
+Hedwig zoegerte noch schuechtern das guetige Erbieten anzunehmen, aber die
+Worte klangen so herzlich, so gut gemeint, sie stand so huelflos, so allein
+in der weiten Welt, der fremde Mann erschien ihr wie ein Engel des Himmels
+in ihrem Schmerz, und unter Thraenen nahm sie seine Hand und dankte ihm,
+und sagte dass sie ihm folgen wuerde, wohin er sie fuehre.
+
+
+
+
+
+ Capitel 10.
+
+
+ DIE BEIDEN FAMILIEN.
+
+
+Der Leser muss mir noch, ehe wir unsere weitere Wanderung zusammen
+antreten, zu zwei Stellen folgen, in Lage und Art freilich gar sehr
+verschieden. Den Characteren, die wir dort finden, begegnen wir spaeter
+wieder, theils auf der Reise, theils in ihrem neugewaehlten Vaterland.
+
+An der Hannoeverschen Grenze lag ein kleines Dorf, Waldenhayn mit Namen,
+und fast versteckt zwischen maechtigen Linden und Fruchtbaeumen, die es von
+allen Seiten dicht umgaben.
+
+Mitten im Dorf auf einem flachen, aber die ganze Ortschaft ueberschauenden
+Huegel stand die Kirche, und daneben das kleine freundliche Pfarrhaus, das
+sein Dach ueber gute und glueckliche Menschen gespannt hatte, Jahrzehnte
+lang -- und heute? -- Guter Gott welche Veraenderung in dem Haus -- der Vater,
+Pastor Donner, still und ernst in seinem Sorgenstuhl, und, ganz gegen
+seine sonstige Gewohnheit, ordentlich eingehuellt in eine dichte
+Tabakswolke, die Mutter mit verweinten Augen, und doch immer geschaeftig
+herueber- und hinuebergehend, bald aus der in jene Stube, Kleinigkeiten zu
+besorgen die sie immer wieder vergass, ehe sie nur das andere Zimmer
+betreten.
+
+Der aelteste Sohn Georg ging zu Schiff -- ging nach Amerika ueber das weite,
+wilde Weltmeer nach einem anderen Vaterland, dort fuer den unruhigen Geist
+das Glueck zu suchen, das er hier nicht fand, und "wann wuerden sie ihn -- ja
+wuerden sie ihn je wieder sehen?" Oh es ist ein grosser Schmerz fuer ein
+Elternherz ein Kind in der Bluethe der Jahre zu verlieren -- wie viel Sorge,
+wie viel schlaflose Naechte hat es gemacht, bis es wuchs und gedieh; welche
+Hoffnungen knuepften sich an das junge Wesen, und bluehten und reisten mit
+ihm; wie treulich wurde da nicht jeder Schritt bewacht, den noch
+unsicheren Fuss vor Stoss und Fall zu schuetzen, wie aengstlich jedem boesen
+Eindruck gewehrt, der Herz oder Geist haette vergiften koennen. Und nun das
+Alles preiszugeben der Welt, ihren Verfuehrungen, ihren Gefahren fuer Geist
+und Koerper, das Alles preiszugeben und hinausgeworfen zu sehn auf die
+stuermischen Wogen des Lebens -- sich selbst ueberlassen, und der eigenen,
+vielleicht doch noch zu schwachen Kraft. Wie viele heimliche Thraenen
+werden da geweint, wie trueb und traurig liegt da oft des Kindes Zukunft
+vor dem ahnenden Blick des Vaters und der Mutter -- Krankheit wird es
+erfassen und halten, und keine liebende Hand in der Naehe sein, es zu
+pflegen und ihm den Schweiss von der heissen, gluehenden Stirn zu trocknen,
+die Verfuehrung ihre falschen, goldblinkenden Netze nach ihm auswerfen, und
+keine treu warnende Stimme ihm zur Seite stehn -- Noth und Mangel
+vielleicht in bitterem Weh auf ihm lasten, und Niemand da sein, der ihm
+Huelfe bringt, und den Ungluecklichen troestet und unterstuetzt -- Mutter und
+Vater sind fern, fern von dem Geliebten, seine Klage dringt nicht herueber
+zu ihnen -- ihr Trost und Huelfswort nicht zurueck zu ihm.
+
+Und ein solcher Abschied dann -- der Tod pocht nicht viel haerter an des
+Glueckes Thor, und das Bewusstsein den Geschiedenen still und geschuetzt in
+kuehler Erde zu wissen, auf der die treu gepflegten Blumen keimen, ist oft
+noch weniger bitter als dieser _freiwillige_ Tod -- der Fortgang ueber's
+Meer, in eine fremde, ungekannte Welt -- vielleicht so ohne Wiederkehr wie
+jener, und ohne jedes beruhigende Gefuehl der Sicherheit. Der Scheidende
+ist da noch immer besser, weit besser daran als die Zurueckbleibenden; ihm
+liegt die Welt jetzt frei und offen da, jede Stunde draussen, jede Meile
+Wegs bringt ihm Neues, Unbekanntes, und wehrt dem Blick nur an dem einen
+Schmerz zu haften. Er hat auch zu sorgen, fuer sich und sein Gepaeck, seine
+ganze Zukunft ist ihm in der einen Stunde in die eigene Hand gegeben -- ein
+ungewohnt Geschaeft bis jetzt -- und fremde Landschaft, fremde Scenen
+wechseln so rasch an ihm vorueber, dass jedes Bild einen Theil des alten
+Schmerzes fortfuehrt mit sich. Selbst der Gedanke an die Verlassenen hat
+nicht das Herbe, Bittere fuer ihn, als es fuer diese hat, wenn sie sein
+gedenken, und sich mit Vermuthungen quaelen muessen wie es jetzt ihm geht,
+was er thut, was er treibt, wo er jetzt gerade weilt. _Er weiss_ in welchem
+Kreis die Seinen sich bewegen, kennt in jeder Tageszeit ihre kleinen,
+haeuslichen Beschaeftigungen, ihr gleichmaessiges Wirken und Schaffen, und
+sein Herz, das immer noch daheim bei ihnen weilt, wahrt seinen festen
+Anhaltspunkt an sie sich unverkuemmert fort, bis das Bild, von anderen
+dicht umdraengt in weiter immer weiterer Ferne langsam erbleicht, und nur
+noch auf dem Hintergrund des Herzens wie schlummernd liegt, in seinen
+Traeumen ihn zu segnen, oder dereinst, wenn die Welt ihn kalt und rauh von
+sich stoesst, und er allein und freundlos sich da fuehlt, wieder aufzugluehen
+in aller Frische und Waerme, ein Trost und Hoffnungsziel, dem armen,
+einsamen Wanderer.
+
+Georg war ein junger lebenskraeftiger Mann von dreiundzwanzig Jahren, mit
+dunkelbraunen, vollen, ihm frei und ungescheitelt ueber die offene
+sonngebraeunte Stirn fallenden Locken, schwarzen klaren Augen und freien,
+gutmuethigen Zuegen, die selbst eine breite dunkle Narbe ueber den rechten
+Backen, der Autograph eines Commilitonen, nicht entstellen konnte. Er
+hatte Medicin studirt, und sich das Doctordiplom mit eifrigem Fleiss
+verdient, aber die Aussichten fuer einen jungen Arzt waren trueb und
+unversprechend in seiner Heimath, und jene fremde Welt, von der er schon
+so viel gelesen und gehoert, zog ihn maechtig an. Sein Vater konnte und
+wollte dieses Streben nicht bei ihm unterdruecken; auch er erkannte die
+Banden, die hier einen kraeftigen Geist so leicht in Fesseln legen, und
+ehrte den Wunsch und Drang der jungen, nach Thaten duerstenden Brust, einen
+Schauplatz zu finden fuer ihr Sehnen und Wirken, wenn er sich auch wohl
+selber dann wieder mit einem schweren Seufzer gestehen musste, wie manche
+Hoffnung der Sohn zertruemmert, wie manche Erwartung er getaeuscht sehn
+wuerde in dem neuen Leben, das jetzt ihm freilich im vollen Glanz einer
+aufsteigenden Sonne, von warmem Lichte uebergossen winkte. Und wie wuerde
+sich sein Herz dann bewaehren, das jetzt jubelnd zu den blinkenden,
+Flaggen- und Blumengeschmueckten Waellen seiner eigenen Luftschloesser
+aufschaute, wenn es an deren Truemmern stand? oh dass er dann haette an
+seiner Seite stehen und ihn leiten duerfen den dunklen, schmalen Pfad zum
+wahren Glueck -- retten ihn dann vor sich selbst und seinem bittern Weh.
+
+Aber die Zeit lag noch fern, und weshalb sich selbst den Augenblick
+vergiften, wo sich der Himmel noch blau und rein ueber seiner Zukunft
+spannte. Georg selbst sah auch Nichts von solchen trueben Bildern, die das
+Herz des Vaters oft mit banger Trauer fuellten; ihm war das Thor jetzt weit
+und frei geoeffnet, das hinaus in's Leben fuehrte und an dessen Schwelle er
+stand, und nur die Trennung noch vom Vaterhaus lag schwer auf seiner
+Seele.
+
+Am schwersten freilich trug gerade diese Stunde, weil ganz und ungetheilt,
+das Mutterherz. Nicht dachte _sie_ in diesem Augenblick an die Hoffnungen
+die dem Sohne in der Welt draussen bluehen, an die Gefahren die ihm drohen
+koennten; sie sah und fuehlte Nichts, als die Trennung von dem _Kind_, den
+Abschied von dem Heissgeliebten, und wie im Traum hatte sie schon den
+ganzen Tag ihren gewoehnlichen Beschaeftigungen obgelegen, wie im Traum noch
+einmal seine Lieblingsgerichte bereitet fuer den Abend, den letzten Abend,
+den er im Vaterhause zubringen wuerde.
+
+Lieber Gott, die Speisen kamen Abends auf den Tisch und wurden gegessen,
+aber Keiner von allen, die juengsten Geschwister ausgenommen, schmeckten
+was sie assen; man sprach dabei ueber das an dem Nachmittag fortgesandte
+Gepaeck, ueber das Wetter, ueber die Uhr die zehn Minuten vorging -- Georg
+trug Gruesse auf an alle seine Bekannte, die sich noch seiner erinnerten. Er
+hatte an dem Tag noch selber ein paar Briefe schreiben wollen, war aber
+nicht dazu gekommen -- Vieles Andere war ihm ebenfalls entfallen; so wollte
+er einen Absenker von dem Rosenstock mitnehmen der vor der Mutter Fenster
+bluehte, und jetzt blieb ihm doch keine Zeit mehr; aber waehrend dem Essen
+stand die Schwester -- unvermisst -- vom Tische auf, ging hinaus, grub einen
+Absenker aus, und brachte ihn in einem kleinen Topf dem Bruder, dem sich
+die Thraenen in die Augen zwangen -- er mochte kaempfen dagegen wie er wollte
+als er die Gabe sah. Die Mutter stand vom Tisch auf und ging hinaus --
+nicht ein Wort wurde gesprochen so lange sie fort war. Die Speisen
+verschwanden dabei von den Tellern und der Wein wurde getrunken, und die
+Mutter kam zurueck und nahm ihren Platz wieder ein, lautlos wie vorher; man
+konnte den langsamen Gang der Uhr hoeren, an der Wand.
+
+Da endlich fuellte der Vater sein Glas bis zum Rand, hob es mit der Linken
+und ergriff mit der anderen Georgs Hand. Er hatte etwas zum Herzen des
+Sohnes, zum Trost vielleicht der Mutter sprechen wollen, aber die Worte
+schwollen ihm im Mund -- er brachte eine volle Minute keine Sylbe ueber die
+Lippen, und sich gewaltsam fassend und zusammennehmend sagte er endlich.
+
+"Auf ein frohes Wiedersehn Georg!"
+
+Georg presste des Vaters Hand und trank ihm und der Mutter und den
+Geschwistern zu -- und die Mutter hob ihr Glas und stiess mit dem Sohne an,
+aber mehr vermochte das Mutterherz nicht -- zu lange hatte sie jetzt
+gewaltsam gegen ihr eigenes Gefuehl an- und den Schmerz niedergekaempft, den
+Anderen zu Liebe; laenger war sie es nicht im Stande, und das Glas mit
+zitternder Hand niedersetzend, dass der Wein ueber und auf das Tischtuch
+floss, stand sie auf, warf die Arme krampfhaft um den Hals des Sohnes und
+schluchzte laut.
+
+"Mutter, liebe -- liebe Mutter -- "
+
+"Mein Kind -- mein Kind," jammerte die Frau und der Schmerz wuchs an
+Heftigkeit, wie der maechtig aber still dahinwaelzende Strom schaeumend
+hinausdonnert in's Freie, wo er sich erst einmal Bahn gebrochen aus seinem
+Bett -- "mein liebes -- liebes Kind."
+
+"Aber Mutter," bat der Pastor, "fasse Dich; es ist ja doch nur vielleicht
+auf kurze Zeit, bis sich der Junge draussen die Hoerner abgelaufen, und ihm
+die Heimath anders aussieht wie jetzt; dann kommt er wieder."
+
+"Liebe -- liebe Mutter," fluesterte Georg, sie innig an sich schliessend, und
+auch ihm erstickten unaufhaltsam fliessende Thraenen die Stimme.
+
+Die Geschwister weinten auch, und der Vater war aufgestanden und ein paar
+Mal mit raschen Schritten, wie um den Anderen Zeit zu geben, eigentlich
+aber nur seine eigene Fassung wiederzugewinnen, im Zimmer auf- und
+abgegangen. Jetzt blieb er neben der Gattin und dem Sohne stehn, und sie
+langsam trennend sagte er mit sanfter, bittender Stimme:
+
+"Kommt Kinder, kommt -- macht Euch selber nicht das Herz zum Brechen
+schwer; das ist unrecht. Ueberdies quaelt Ihr Euch zweimal, und habt morgen
+frueh noch dasselbe Leid. Es ist eine lange Trennung, aber keine Trennung
+fuer's Leben -- wir sind Alle noch ruestig und gesund, und werden uns, will
+es Gott, hoffentlich Alle einmal froh und freudig in die Arme schliessen
+koennen."
+
+"Aber Du schreibst bald, Georg," fluesterte die Mutter sich mit aller Kraft
+zusammennehmend -- "Du laesst uns nie lange ohne Nachricht, nicht wahr Du
+versprichst mir das?"
+
+"Gewiss Mutter, gewiss -- so oft ich kann -- aber aengstigt Euch nur auch
+nicht, wenn einmal ein Brief laenger ausbleibt als gewoehnlich; der Weg ist
+weit, und ein Brief kann leicht verloren gehn."
+
+"So, und jetzt zu Bett Kinder," mahnte der Vater -- "es ist spaet geworden,
+sehr spaet, und Du musst frueh wieder heraus Georg, die Post nicht zu
+versaeumen; sind Deine Koffer hinuebergeschafft?"
+
+"Es ist Alles drueben," sagte die Mutter, sich aus den Armen des Sohnes
+windend und ihre Thraenen trocknend, "nur sein Ueberrock ist noch hier, den
+er anzieht, und die kleine Tasche in die er morgen frueh sein Nacht- und
+Waschzeug steckt -- doch das besorg' ich schon selber und werd' es nicht
+vergessen. Ich bin frueh auf, Georg, Du musst ja doch auch noch Deinen
+Kaffee haben bevor Du gehst."
+
+"Gute Nacht Mutter!" rief Georg, umschlang sie noch einmal und kuesste ihr
+Lippen, Augen und Stirn, "gute Nacht meine gute, gute Mutter -- gute
+Nacht!"
+
+"Gute Nacht mein Georg, mein Kind," sagte die arme Frau unter Thraenen --
+"schlaf nur jetzt recht aus -- zum letzten Mal unter unserem Dach -- fuer die
+naechste Zeit wenigstens," setzte sie rasch hinzu -- "denn mit Gottes
+Beistand hoff' ich soll es nicht das letzte Mal gewesen sein -- und -- und
+meinen Segen nimm mit Dir, wohin Du gehst -- wo Du weilst -- was Du thust --
+-- er ruhe auf Dir, mein gutes, gutes Kind!"
+
+Georg beugte sich unwillkuerlich dem ernsten heiligen Wort -- seine ganze
+Gestalt zitterte dabei, und die Mutter musste sich endlich mit freundlicher
+Gewalt aus seinen Armen winden; dann aber floh sie auch hastigen Schrittes
+aus dem Zimmer, sich in dem eigenen Kaemmerlein recht, recht herzlich
+auszuweinen.
+
+Die Geschwister sagten dem Bruder jetzt gute Nacht -- die aelteste Schwester
+Louise hing lange an seinem Hals, aber riss sich los, den Schmerz der
+Eltern nicht zu vermehren. Die Juengeren kuessten ihn auf die Wangen und
+sagten. "Gute Nacht Georg -- weck' uns nicht zu spaet morgen frueh, dass wir
+Dir auch noch koennen glueckliche Reise wuenschen."
+
+Georg kuesste sie herzlich und bat sie brav und gut zu sein, und Vater und
+Mutter Freude -- viel Freude zu machen, denn er selber ginge nun fort, und
+die Eltern wuerden deshalb recht traurig sein.
+
+"Gute Nacht Georg," sagte der Vater, als die Kinder zu Bett gegangen
+waren, und Alle, ausser ihm, das Zimmer verlassen hatten, "habe keine Angst
+dass Du die Post morgen verschlaefst, ich wache schon auf zur rechten Zeit --
+gute Nacht mein Sohn. Komm komm, fange nicht selber wieder an, und mach'
+mir das Herz nicht schwer vor der Zeit -- aber Georg, um Gottes Willen was
+ist Dir? -- sei ein Mann -- Nun ja -- so lange die Frauen da waren hat es mir
+auch das Herz fast abgedrueckt -- man darf es sie ja nicht so merken lassen,
+sonst zerfliessen sie ganz -- "
+
+"Mein lieber -- lieber Vater," schluchzte Georg an seinem Halse."
+
+"Mein guter, guter Sohn!" fluesterte der Pastor, des Kindes Stirne kuessend,
+und jetzt selber im Innersten ergriffen und bewegt -- "bleibe brav -- bleibe
+so brav wie Du bist -- ich kann Dir nichts Besseres wuenschen -- trage Gott
+im Herzen und Dich selbst, und -- Deiner alten Eltern Bild, deren Segen Dir
+folgt auf allen Deinen Wegen."
+
+"Mein Vater!"
+
+"So mein Sohn -- jetzt gute Nacht und bete zu Deinem Schoepfer dass er uns
+morgen in der schweren Abschiedsstunde staerkt -- gute Nacht mein Georg --
+gute Nacht."
+
+Leise machte er sich los aus des Sohnes Arm, kuesste ihn noch einmal, und
+verliess dann rasch das Zimmer. Georg aber blieb lange, lange Minuten auf
+dem Stuhle sitzen wo ihn der Vater verlassen, das Gesicht in seinen Haenden
+bergend.
+
+"Gute Nacht," fluesterte er endlich leise und kaum hoerbar, als Alles schon
+im Hause still war, und zu Ruhe gegangen -- "gute Nacht Ihr Lieben und Gott
+schuetze Euch und mich; aber nicht moeglich waere es mir, die furchtbare
+Trennungsstunde noch einmal durchzuleben, nicht moecht' ich Dir Vater, Dir
+Mutter den Schmerz, das bittere Weh zum zweiten Mal bereiten. Es ist
+vorbei -- Alles vorbei, und wenig Stunden noch und die Heimath selber
+liegt, ein schoener Traum nur, in der Erinnerung Tiefe. So denn an's Werk"
+setzte er fest und entschlossen hinzu, "und ob das Herz darueber brechen
+will, "durch" ist mein Wahlspruch jetzt, durch Nacht zum Licht -- _durch_."
+
+Und mit den, fest zwischen den zusammengebissenen Zaehnen gemurmelten
+Worten stand er auf, und sein Schlafzimmer oeffnend warf er den Rock ab,
+und badete Gesicht und Nacken in kuehlem Wasser. Dann, als er die Glut die
+ihn durchtobte, in etwas geloescht, packte er den kleinen Nachtsack mit
+den, sorglich fuer ihn auf dem Waschtisch ausgebreiteten Gegenstaenden, zog
+sich wieder an, knoepfte den Ueberrock bis an den Hals zu, denn die Nacht
+war kalt, und nach der gehabten Aufregung froestelten ihn die Glieder, und
+im Zimmer umherschauend fiel sein Blick auf den, unter dem Spiegel
+stehenden, fuer ihn eingeschlagenen Rosenstock. Rasch barg er ihn in der
+weiten Tasche seines Ueberrocks, oeffnete dann das Fenster, das in den
+Garten hinaus und von da ueber den Kirchhof fuehrte, der Landstrasse zu, und
+schwang sich auf das Fensterbret.
+
+"Ade!" fluesterte er, "ade Du trautes, liebes Haus, ade -- Gott halte seine
+Hand ueber Dir, und schuetze die lieben Menschen -- ade, ade." Und von dem
+Bret hinunterspringend in den Garten, durcheilte er diesen, schwang sich
+leicht ueber die Kirchhofmauer, die er als Kind unzaehlige Male
+ueberklettert, und schritt dann langsam und traurig seinen einsam dunklen
+Weg entlang.
+
+ * * * * *
+
+Noch hob sich die Sonne nicht ueber den oestlichen Fichtenhang, und der
+daemmernde Tag gruesste eben die schlummernde Erde, als sich die Mutter von
+ihrem Lager hob, das Maedchen weckte dass es Feuer in der Kueche mache, den
+Kaffee bereit zu halten, und dann den Mann rief, dem Sohn ade zu sagen.
+Pastor Donner hatte aber auch nur in unruhigem Schlaf gelegen -- die
+Gedanken und Sorgen liessen ihn nicht ruhen, und wie aus boesem Traum fuhr
+er oft empor, mit einem wehen Stich durch's Herz zurueckzusinken, _dass_ es
+eben kein Traum sei, der ihn bedruecke und quaele.
+
+Er stand auf, zog sich an, und waehrend die Mutter draussen in der Kueche
+sorgte, dem Sohn ein rasches Fruehstueck zu bereiten, ging der Vater hin ihn
+zu wecken.
+
+"Georg!" sagte er, als er die Thuer oeffnete, die in des Sohnes Kammer
+fuehrte -- "Georg -- es wird Zeit -- heiliger Gott!" unterbrach er sich aber
+rasch und erschreckt als er das Gemach leer, das Bett unberuehrt und keine
+Spur mehr von dem Kinde fand -- "heiliger, erbarmender Gott -- er ist fort."
+Und wie er sich auch vorgenommen sich zu fassen, und der Frau, dem Kind,
+die letzten Augenblicke nicht mehr zu erschweren, durch seine eigene
+Schwaeche, traf ihn _der_ Schlag doch zu hart -- zu unerwartet. In diesem
+Augenblick betrat die Mutter das Zimmer, und sah wie der Vater sich
+erschuettert von der Thuer abwandte und das Antlitz in den Haenden barg.
+
+"Mein Sohn -- mein Kind!" stammelte sie, in der sie durchzuckenden Ahnung
+des Geschehenen, der sie wie ein jaeher Schlag in's Herz traf -- "wo ist --
+wo ist Georg?" Aber der Vater zog sie an die Brust, und ihre Stirn, auf
+die seine heissen Thraenen fielen, kuessend, fluesterte er leise:
+
+"Er hat uns den Schmerz des Abschiedes sparen wollen, Louise -- er ist
+fort."
+
+"_Fort!_" hauchte die Frau -- kaum noch den Sinn der Worte fassend, und
+brach bewusstlos in den Armen des Gatten zusammen.
+
+ * * * * *
+
+Ausserhalb Waldenhayn, wenn auch noch zu demselben Kirchspiel gehoerend, und
+dicht an der Grenze des bis hier herniederlaufenden Holzes, stand ein
+kleines, schon halb verfallenes Haus, das frueher einmal von einem
+Forstgehuelfen des herrschaftlichen Waldes bewohnt, dann aber nicht mehr
+benutzt, und um ein Billiges, eigentlich auf Abbruch, verkauft worden war.
+Der Mann der es kaufte aber, hatte frueher ebenfalls in herrschaftlichen
+Diensten gestanden, und dann das Metzger-Handwerk getrieben; sein wildes,
+liederliches Leben jedoch liess sein Geschaeft nicht foerdern, noch vorwaerts
+gehn. Er schien auch keine rechte Lust an einer regelmaessigen Arbeit zu
+haben, heirathete dann, als er Alles was er sein nannte, durchgebracht,
+ein Maedchen vom herrschaftlichen Gut, das den Dienst dort verlassen musste
+und von dem Herrn selber eine Abstandssumme bekam, und kaufte mit dem
+Gelde eben das kleine unwohnliche Gebaeude, das er nichtsdestoweniger
+bezog, und sich jetzt angeblich vom Viehhandel ernaehrte. Er zog im Lande
+herueber und hinueber, und kaufte und verkaufte Vieh, mehr aber noch trieb
+er sich in den Wirthshaeusern herum, wo er trank und spielte, und den
+schlimmsten Ruf im Lande hatte, den ein Mensch haben kann, ohne dass jedoch
+die Polizei den mindesten Halt an ihn bekommen konnte. Aber die
+ordentlichen Leute zogen sich von ihm zurueck; Niemand mochte Umgang mit
+ihm oder seinem Weibe haben, und auf dem Weg zu seinem Hause wuchs Gras;
+wen dort nicht ein besonderes Geschaeft hinfuehrte, betrat ihn nimmer.
+
+So hatte der "schwarze Steffen," wie er im Lande seines dunklen Haares und
+Aussehns wegen hiess, sechs Jahre in dem kleinen Haus gewohnt, und sein
+Weib ihm, ausser dem Kind das sie in die Ehe gebracht, noch drei andere
+geboren. In der letzten Zeit tauchte dabei ein anderer Verdacht gegen ihn
+auf, dass er sich naemlich unter der Hand mit Wilddieben einlasse, und --
+wenn auch vielleicht nicht selber wildere, doch das Gestohlene kaufe und
+unterbringe.
+
+Sicher ist, dass nicht alles Fleisch was er zu Markte fuehrte, im Stall
+gemaestet worden, und als nun auch gar einmal, und vor nicht so sehr langer
+Zeit, ein Forstgehuelfe, in Ausuebung seiner Pflicht, erschossen worden,
+wurde die Aufsicht ueber den schwarzen Steffen, dem man aber doch nicht zu
+Kragen konnte, so scharf gefuehrt, und diesem zuletzt so unertraeglich, dass
+er schon ein paar Mal mit den Forstbeamten im Wirthshaus Streit gesucht
+und gefunden, und ihm zuletzt von der Herrschaft, nach lange geuebter
+Nachsicht, der Befehl zugestellt wurde, das auf den Abbruch damals
+erstandene Haus, von dem uebrigens kein Ziegel mehr sein gehoerte, zu raeumen
+und abzutragen oder stehen zu lassen, wie es ihm gefalle, seinen Wohnsitz
+aber, wider ihn eingelaufener Klagen wegen, wo anders zu nehmen, vom
+ersten des naechsten Monats an.
+
+Steffen war heute einmal ausnahmsweise den ganzen Tag zu Haus geblieben,
+und hatte manche von seinen Sachen, wobei ihm die Frau half,
+zusammengetragen und in einen Ranzen gepackt. Die Kinder aber achteten
+wenig darauf; sie waren gewohnt dass der Vater oft fortging, und dann immer
+mehre, manchmal sogar acht Tage fortblieb, ehe sie ihn wieder zu sehen
+bekamen, oder auch nur von ihm hoerten. Fragen, wohin er ging, durften sie
+nie.
+
+Der Vater war uebrigens muerrischer heute als je -- er sprach fast kein Wort,
+trank aber oft aus der Flasche, die zum ersten Mal offen in der Stube
+stand, und woraus sich auch die Mutter zweimal einschenkte, und sich dann
+zu dem juengsten Kinde setzte, und es auf den Schoos nahm und kuesste.
+
+"Weshalb weinst Du, Mama?" sagte das zweite Kind, ein Junge von etwas ueber
+fuenf Jahren -- "hat Dir Jemand 'was zu Leid gethan?"
+
+"Weil sie eine Naerrin ist," brummte der Vater, der die Frage gehoert hatte,
+und jetzt einen aergerlichen Blick nach der Frau schoss -- "ich daechte wir
+haetten nun genug darueber geschwatzt und die Sache waer' abgemacht."
+
+"Nun ja -- ich sage ja auch kein Wort mehr dagegen," erwiederte die Frau --
+"es -- es ueberkommt Einen nur noch manchmal so -- nachher wird's besser und
+-- es geht ja doch nun einmal nicht anders," setzte sie still und schwer
+vor sich hinseufzend, hinzu.
+
+Steffen entgegnete nichts weiter darauf, schickte aber bald darauf, unter
+irgend einem Vorwand, die Kinder mitsammen hinaus in den Garten, und sagte
+dann, als er sich mit der Frau allein sah, muerrisch und finster.
+
+"Du flennst und flennst, und wirst die Baelge noch zuletzt aufmerksam und
+aengstlich machen mit Deiner Heulerei -- kannst Du sie hier ernaehren, so
+bleib da, ich habe Nichts dagegen; kannst Du's aber nicht, dann sei auch
+vernuenftig und mach' jetzt keine dummen Streiche -- es waer' ein Spass, wenn
+sie uns abfassten, und Du weisst am Besten was uns nachher bevorstuende."
+
+Die Frau war schlank und voll gewachsen, mit besonders kleinen Haenden und
+Fuessen, musste auch einmal in frueheren Jahren wirklich schoen gewesen sein,
+und mehr noch als nur die Spuren war ihr davon geblieben, haette sie eben
+etwas gethan sich das zu erhalten. Aber in ihrem ganzen Aeusseren ging sie,
+wenn nicht geradezu unreinlich, doch vernachlaessigt; die ungeordneten
+Haare wurden durch einen zerbrochenen, aechten Schildpatkamm, und durch ein
+schwarzes abgescheuertes Sammetband, in dem vorn eine grosse bronzene
+Broche mit einem unaechten Turquis sass, gehalten; in den Ohren hingen ihr
+ebenfalls lange emaillirte unaechte Ohrringe, die mit dazu beigetragen
+hatten ihr bei ihren bescheidenen und einfachen Nachbarn den Namen der
+"stolzen Jule" zu geben, und das Kleid von gutem Stoff und nach neuem
+Schnitt gemacht, zeigte unausgebesserte Risse, und Spuren von Fett, in
+Streifen und Flecken, die schlecht zu dem blitzenden falschen Schmucke
+passten.
+
+Auch in den Augen selber lag etwas Keckes, Unweibliches, das aber doch
+jetzt einem maechtigeren Gefuehl gewichen war, denn nur manchmal, bei den
+rauhen Worten, blitzte es an gegen den Mann, und um die Lippen zog sich
+dann ein eigener fester Zug von Trotz und Zorn.
+
+"Ich hab' Dir genug zu Willen gethan, dass ich mit Dir gehe und die Kinder
+zuruecklasse," sagte sie dann nach kleiner Weile -- "wenn's mir das Herz
+dabei zusammenzieht, waerst Du schlimmer wie ein Thier, wolltest Du's mir
+wehren. Der Wolf laesst seine Brut nicht im Stich, und wir wollen fort -- "
+
+"Der Wolf hat auch draussen zu leben, und fuer die Jungen Milch -- wer
+giebt's uns?" zischte der Mann zwischen den zusammgebissenen Zaehnen durch
+-- "wir koennten krepiren hier im Nest, keine Katze miaute deshalb im ganzen
+Kreis."
+
+"Ich weiss es, ich weiss es," sagte die Frau, "und das ist das Einzige was
+mich freut, dass wir ihnen jetzt einen Streich spielen -- den Lumpen. Und
+wie sie schreien und schimpfen werden -- aber ernaehren muessen sie sie doch,
+davon hilft ihnen kein Gott. Leid thut's Einem freilich immer, die armen
+Dinger, die noch Nichts von der Welt wissen und begreifen, so allein
+zurueckzulassen -- wenn ich das Juengste nur mitnehmen duerfte -- " setzte sie
+leise hinzu.
+
+"Komm mir nur jetzt nicht wieder mit dem alten Gewaesch," rief aber der
+Mann finster und aergerlich -- "ich daechte das haetten wir ueber und genug
+besprochen und ueberlegt, und waeren einig darueber."
+
+"Ueberlegt gar nicht," sagte aber die Frau, die Brauen fest
+zusammenziehend -- "wenn ich davon anfing hast Du mich immer grob
+angefahren und ausgezankt, und Deinen Willen gehabt dabei, wie bei allem
+Anderen. Ich weiss dass ich nicht zu den Weichen gehoere, aber -- Mutter
+bleibt doch Mutter, und -- 's ist immer ein haesslich unnatuerlich Ding."
+
+"Papperlapapp!" sagte der Mann den Kopf herueber und hinueber werfend --
+"unnatuerlich -- natuerlich ist's allerdings nicht dass die Scheunen
+ringsherum voll liegen, und das reiche Lumpenpack das Geld mit vollen
+Fausten zum Fenster hinauswirft, waehrend wir hier trocken Brod nagen
+sollen, und das nicht einmal immer kriegen -- schoene Natuerlichkeit das."
+
+"Wenn Du nur nicht den dummen Streich mit dem -- "
+
+"Halt's Maul!" brummte aber der Mann muerrisch -- "ich sollte mich wohl
+erwischen und anzeigen lassen, dass ich jetzt im Zuchthaus saess und spaenn --
+Gott verdamm mich, ich schoesse eher die ganze Bande ueber den Haufen, einen
+nach dem anderen -- bist Du nun fertig mit Deinen Sachen?"
+
+"Ja!" sagte die Frau leise und unwillkuerlich zusammenschaudernd -- "es kann
+fort gehn."
+
+"Wir wollen aber doch warten bis es dunkel ist," sagte Steffen nach
+kleiner Pause; "besser ist besser, und der Maertens unten an der Strasse
+braucht nicht gleich zu wissen dass wir fortgefahren sind, beide zusammen,
+seine Nase hineinzustecken vor der Zeit; er ist mir so schon ein paar Mal
+hier oben herumgekrochen, wo er Nichts zu suchen hatte."
+
+"Aber wenn sie uns nun doch vor der Zeit vermissen?" sagte die Frau, "und
+unserer Spur nachgehn; wenn's jetzt schlimm ist, nachher wird's erst boes,
+und wir duerften dann nur gleich mit Sack und Pack abziehn."
+
+"In's Arbeitshaus, eh? -- nein, eine Weile halt' ich sie uns schon von den
+Hacken, und Gefahr dass sie uns finden, hat es auch nicht. Wo wir zur
+Eisenbahn kommen bin ich bekannt, und habe schon manchmal Vieh da gekauft,
+wenn sie auch eben meinen Namen nicht wissen, und wenn wir fortgehn, lasse
+ich einen alten Hut von mir und das gelbe Tuch von Dir unten an dem tiefen
+Wasserloch unter den Erlen. Sobald Jemand hier in der Gegend vermisst wird,
+suchen sie dort immer zuerst, und der Schulze im Dorf hat das Pulver nicht
+erfunden, dem ist leicht was aufgehaengt. Bis sie eine Weile stromab
+geangelt haben, sind wir hoffentlich unterwegs, und wenn nicht unter, doch
+ueber dem Wasser. Aber ich will jetzt noch einmal hinunter zum Maertens gehn
+und Mehl holen; es ist auch heute der gewoehnliche Tag, und hierher kommt
+nachher keiner so leicht, nimm Du indess die Kinder vor, und instruire sie
+wie sie sich zu verhalten haben."
+
+Und seine Muetze aufgreifend steckte Steffen die Haende in die Taschen, und
+schlenderte langsam den Hang hinunter dem naechsten, eine gute
+Viertelstunde entfernten Hause zu, waehrend die Frau die Kinder zu sich
+hereinrief, das Juengste, ein kleines liebes Maedchen von anderthalb Jahren,
+auf den Schoos nahm, und sich damit still und lautlos in die Ecke setzte.
+
+Die Sonne neigte sich indessen ihrem Untergang, und der Vater kam nach
+etwa einer Stunde, als es schon voellig dunkel geworden war zurueck -- die
+Mutter sass noch immer mit dem Kind auf dem Schoos, das bei ihr
+eingeschlafen war, und hielt es fest an sich gedrueckt.
+
+"So Jule, es ist Zeit," sagte der Mann, seine Arbeitsjacke abwerfend und
+den Rock anziehend, "weiss die Albertine was sie zu thun hat?"
+
+Die Frau zitterte am ganzen Leib, aber sie erwiederte kein Wort, stand
+auf, kuesste das Kind das sie auf dem Arm trug, und legte es in sein
+Bettchen -- einen Kasten, der in der Ecke der Stube stand.
+
+"Albertine," sagte sie dann zu der Aeltesten, und wandte sich von der
+duester brennenden Oellampe, die Steffen auf den Ofen gestellt hatte, ab,
+dass die Tochter ihr nicht in die jetzt wirklich todtenbleichen Zuege
+schauen sollte -- "ich gehe mit dem Vater heute Abend eine Weile fort -- den
+Karl bring ich erst noch zu Bett -- sollten wir morgen frueh nicht bei
+Zeiten da sein, so -- so zieh die Kinder an und gieb ihnen zu essen -- der
+Brodschrank ist offen, und Milch steht unter der Diele in der Schuessel --
+Du passt mir auf dass den Kleinen Nichts passirt -- Du -- Du bist ja schon ein
+grosses Maedchen."
+
+"Und geht mir nicht vor die Thuer morgen, bis wir nicht wieder da sind,"
+sagte Steffen, "wie ich heut Abend drunten gehoert habe, ist hier ein
+toller Hund herumgelaufen. Das Beste wird sein Ihr haltet die Hausthuer zu,
+dass er nicht etwa gar herein kommt."
+
+Die Frau hatte dabei das etwa dreijaehrige Maedchen das indess gar schlaefrig
+geworden war, ausgezogen und in sein Bettchen gelegt -- und der Junge,
+Carl, sass auf der Bank am Fenster, noch auf sein Abendbrod wartend. Aber
+er sah auch erstaunt dabei die Eltern an, die noch nie so spaet Abends
+fortgegangen waren, und auch wohl noch nie, oder doch nur selten gar so
+freundlich mit ihnen gesprochen hatten.
+
+"Was fuer ein Hund ist es, Vater?" frug er jetzt, da der Gedanke an den
+tollgewordenen Hund ihn besonders interessiren mochte -- "Maertens' Bello?
+der kennt mich, und beisst mich nicht."
+
+"Nein, der grosse Tuerk aus dem Dorfe unten," sagte Steffen -- "der den
+Mueller auch schon einmal gebissen hat."
+
+"Oh der ist schlimm!" rief der Knabe erschreckt -- "da geh' ich gewiss nicht
+hinaus."
+
+"Geh' nun zu Bett Carl, es ist spaet," sagte der Vater.
+
+"Ich habe mein Abendbrod noch nicht," brummte der arme kleine Bursch.
+
+"So? -- dann wird Dir's Albertine geben -- und -- seid brav und folgt ihr --
+"
+
+Er gab dem Knaben und aeltesten Maedchen die Hand, und ging zu den Bettchen
+der Kleinen die er kuesste; dann aber als ob er sich einer solchen Regung
+schaeme, richtete er sich rasch wieder auf, drueckte den Hut in die Stirn,
+und sagte, das Zimmer verlassend, und noch in der Thuer sich umdrehend:
+
+"Ich warte auf Dich unten am Wasser -- mach schnell!"
+
+"Sei ein gut Kind Albertine, und hab mir gut auf die Kleinen Acht,"
+fluesterte die Frau jetzt dem Maedchen zu, das eben dem Bruder ein Stueck
+Brod und Salz gegeben hatte, an dem der ass und verwundert dabei hinter den
+Vater her aus der Thuer, und nach der Mutter schaute, die lange -- o lange
+Zeit nicht so freundlich mit ihnen gesprochen hatte.
+
+"Aber Mutter wo geht Ihr nur hin?" -- frug das Maedchen, der das Benehmen
+der Eltern ebenfalls auffiel, verwundert.
+
+"Auf's Amt," sagte die Frau, auf die Frage schon vorbereitet -- "wir muessen
+morgen frueh mit Tagesanbruch in der Stadt sein, und wollen gehn so lang's
+kuehl ist."
+
+"Und wann kommst Du wieder?"
+
+"Hoffentlich morgen gegen Abend -- wenn wir fertig werden; auf dem Amt sind
+sie aber gar weitlaeufig -- manchmal dauert's laenger als man denkt. Geht mir
+aber nicht vor die Thuer, Ihr habt zu essen genug -- jedenfalls sind wir
+morgen Abend um die Zeit wieder da -- und acht' mir auf die Kleinen, Tine --
+sei ein vernuenftig gutes Maedchen -- Du bist gross genug. Und -- wenn Jemand
+nach uns fragen sollte, so sag nur wir waeren in den Wald gegangen, und
+kaemen gleich wieder -- es wird aber wohl Niemand fragen," -- setzte sie
+leise, und wie zu ihrer eigenen Beruhigung hinzu.
+
+Sie sah sich im Zimmer um, ob sie Nichts vergessen habe -- ihr Buendel lag
+aber versteckt draussen vor der Thuer, wie der Mann seine gepackte
+Jagdtasche ebenfalls draussen verborgen gehabt und jetzt mitgenommen hatte.
+Ihr Blick ueberflog auch nur fluechtig den kleinen Raum, und haftete dann
+auf dem Bettchen des juengsten Kindes -- sie konnte nicht widerstehn, und
+trat noch einmal zu dem schlummernden Kind.
+
+"Geh doch hinaus Tine, und hole ein paar Stuecken Holz herein, so lang ich
+noch hier bin, dass Du morgen frueh Kaffee kochen kannst -- ich bleibe so
+lang bei den Kindern," setzte sie langsam und ohne das aelteste Maedchen
+dabei anzusehn, hinzu. Dieses ging, und in wilder, fast aengstlicher Hast
+kuesste die Frau jetzt die kleine, schon sanft schlummernde Line, und hob
+dann das Juengste aus seinem Kasten, auf dessen rosige Lippen sie den
+eigenen Mund in wilder Heftigkeit presste, bis es schrie. Die Thraenen -- die
+Mutter _konnte_ sich nicht ganz verleugnen in dem Augenblick -- liefen ihr
+dabei voll und schwer die Wangen hinunter, und erst als sie das Aelteste
+mit dem Holz zurueckkehren hoerte, legte sie das leicht beruhigte Kind
+wieder auf sein Lager, und kuesste den Jungen, dem die Thraenen auch anfingen
+in die Augen zu steigen. Er wusste freilich nicht recht weshalb, und nur
+vielleicht weil er die Mutter weinen sah, wurd' es ihm auch so weh und
+weich um's Herz.
+
+"Aber Mutter, was ist Dir nur heute Abend?" sagte das Maedchen, dem die
+aussergewoehnliche Bewegung derselben unmoeglich entgehen konnte -- "was habt
+Ihr nur, Du und der Vater?"
+
+"Bah -- der Vater war garstig mit mir, und wir haben uns gezankt," sagte
+die Mutter, das Gesicht abwendend von dem Kind.
+
+Ein scharfer Pfiff von draussen her schlug an ihr Ohr, und sie fuhr
+erschreckt in die Hoehe.
+
+"Ja -- ich komme schon!" murmelte sie, kaum hoerbar, vor sich hin, "so adieu
+Albertine -- hab auf die Kinder Acht, und -- _behuet Euch Gott_!" und mit
+dem, wie scheu gefluesterten und vielleicht seit langer, langer Zeit nicht
+ausgesprochenen Segen, verliess sie rasch das Zimmer und das Haus.
+
+"Was zum Teufel troedelst Du denn da drin, und laesst mich eine Stunde hier
+warten?" rief der Mann muerrisch, als sie ihn endlich an der verabredeten
+Stelle traf -- aber die Frau erwiederte kein Wort, und die fieberheisse
+Stirn in die Hand pressend, folgte sie dem, jetzt ebenfalls finster und
+schweigend Voranschreitenden, durch die Nacht.
+
+
+
+
+
+
+***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NACH AMERIKA! ERSTER BAND***
+
+
+
+CREDITS
+
+
+May 2006
+
+ Project Gutenberg Edition
+ richyfortytwo
+ Joshua Hutchinson
+ Online Distributed Proofreading Team
+
+
+
+A WORD FROM PROJECT GUTENBERG
+
+
+This file should be named 18475-0.txt or 18475-0.zip.
+
+This and all associated files of various formats will be found in:
+
+
+ http://www.gutenberg.org/dirs/1/8/4/7/18475/
+
+
+Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be
+renamed.
+
+Creating the works from public domain print editions means that no one
+owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and
+you!) can copy and distribute it in the United States without permission
+and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the
+General Terms of Use part of this license, apply to copying and
+distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works to protect the Project
+Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept and trademark. Project Gutenberg is a registered
+trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you
+receive specific permission. If you do not charge anything for copies of
+this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given away
+-- you may do practically _anything_ with public domain eBooks.
+Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial
+redistribution.
+
+
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+
+
+_Please read this before you distribute or use this work._
+
+To protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work (or
+any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"),
+you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+License (available with this file or online at
+http://www.gutenberg.org/license).
+
+
+Section 1.
+
+
+General Terms of Use & Redistributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works
+
+
+1.A.
+
+
+By reading or using any part of this Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work,
+you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the
+terms of this license and intellectual property (trademark/copyright)
+agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this
+agreement, you must cease using and return or destroy all copies of
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works in your possession. If you paid a fee
+for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work
+and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may
+obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set
+forth in paragraph 1.E.8.
+
+
+1.B.
+
+
+"Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or
+associated in any way with an electronic work by people who agree to be
+bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can
+do with most Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works even without complying
+with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are
+a lot of things you can do with Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works if you
+follow the terms of this agreement and help preserve free future access to
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+
+1.C.
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or
+PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an individual
+work is in the public domain in the United States and you are located in
+the United States, we do not claim a right to prevent you from copying,
+distributing, performing, displaying or creating derivative works based on
+the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of
+course, we hope that you will support the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} mission of
+promoting free access to electronic works by freely sharing Project
+Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works in compliance with the terms of this agreement for
+keeping the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} name associated with the work. You can
+easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
+same format with its attached full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License when you
+share it without charge with others.
+
+
+1.D.
+
+
+The copyright laws of the place where you are located also govern what you
+can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant
+state of change. If you are outside the United States, check the laws of
+your country in addition to the terms of this agreement before
+downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating
+derivative works based on this work or any other Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work.
+The Foundation makes no representations concerning the copyright status of
+any work in any country outside the United States.
+
+
+1.E.
+
+
+Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
+
+
+1.E.1.
+
+
+The following sentence, with active links to, or other immediate access
+to, the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License must appear prominently whenever
+any copy of a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work (any work on which the phrase
+"Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project Gutenberg"
+is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or
+distributed:
+
+
+ This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+ almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away
+ or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License
+ included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org
+
+
+1.E.2.
+
+
+If an individual Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work is derived from the
+public domain (does not contain a notice indicating that it is posted with
+permission of the copyright holder), the work can be copied and
+distributed to anyone in the United States without paying any fees or
+charges. If you are redistributing or providing access to a work with the
+phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the work, you
+must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7
+or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
+
+
+1.E.3.
+
+
+If an individual Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic work is posted with the
+permission of the copyright holder, your use and distribution must comply
+with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed
+by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project
+Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License for all works posted with the permission of the
+copyright holder found at the beginning of this work.
+
+
+1.E.4.
+
+
+Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License
+terms from this work, or any files containing a part of this work or any
+other work associated with Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}.
+
+
+1.E.5.
+
+
+Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic
+work, or any part of this electronic work, without prominently displaying
+the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate
+access to the full terms of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License.
+
+
+1.E.6.
+
+
+You may convert to and distribute this work in any binary, compressed,
+marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word
+processing or hypertext form. However, if you provide access to or
+distribute copies of a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work in a format other than
+"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version posted
+on the official Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} web site (http://www.gutenberg.org),
+you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
+copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
+request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other form.
+Any alternate format must include the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License as
+specified in paragraph 1.E.1.
+
+
+1.E.7.
+
+
+Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing,
+copying or distributing any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works unless you comply
+with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
+
+
+1.E.8.
+
+
+You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or
+distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works provided that
+
+ - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
+ the use of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works calculated using the method you
+ already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to
+ the owner of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} trademark, but he has agreed to
+ donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60
+ days following each date on which you prepare (or are legally
+ required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments
+ should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg
+ Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4,
+ "Information about donations to the Project Gutenberg Literary
+ Archive Foundation."
+
+ - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} License.
+ You must require such a user to return or destroy all copies of the
+ works possessed in a physical medium and discontinue all use of and
+ all access to other copies of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works.
+
+ - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
+ any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
+ receipt of the work.
+
+ - You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} works.
+
+
+1.E.9.
+
+
+If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic
+work or group of works on different terms than are set forth in this
+agreement, you must obtain permission in writing from both the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} trademark. Contact the Foundation as set forth in
+Section 3 below.
+
+
+1.F.
+
+
+1.F.1.
+
+
+Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to
+identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain
+works in creating the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} collection. Despite these
+efforts, Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works, and the medium on which they
+may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to,
+incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright
+or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk
+or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot
+be read by your equipment.
+
+
+1.F.2.
+
+
+LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES -- Except for the "Right of
+Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for
+damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE
+NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH
+OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH F3. YOU AGREE THAT THE
+FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT
+WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL,
+PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY
+OF SUCH DAMAGE.
+
+
+1.F.3.
+
+
+LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND -- If you discover a defect in this
+electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund
+of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to
+the person you received the work from. If you received the work on a
+physical medium, you must return the medium with your written explanation.
+The person or entity that provided you with the defective work may elect
+to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the
+work electronically, the person or entity providing it to you may choose
+to give you a second opportunity to receive the work electronically in
+lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a
+refund in writing without further opportunities to fix the problem.
+
+
+1.F.4.
+
+
+Except for the limited right of replacement or refund set forth in
+paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS,' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+
+1.F.5.
+
+
+Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the
+exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or
+limitation set forth in this agreement violates the law of the state
+applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make
+the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state
+law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement
+shall not void the remaining provisions.
+
+
+1.F.6.
+
+
+INDEMNITY -- You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark
+owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works in accordance with this agreement, and
+any volunteers associated with the production, promotion and distribution
+of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works, harmless from all liability, costs
+and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from
+any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of
+this or any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work, and (c) any Defect
+you cause.
+
+
+Section 2.
+
+
+ Information about the Mission of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+
+
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} is synonymous with the free distribution of electronic
+works in formats readable by the widest variety of computers including
+obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the
+efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks
+of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance
+they need, is critical to reaching Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}'s goals and ensuring
+that the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} collection will remain freely available for
+generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation was created to provide a secure and permanent future for
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} and future generations. To learn more about the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations
+can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at
+http://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3.
+
+
+ Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of
+Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service.
+The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541.
+Its 501(c)(3) letter is posted at
+http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full
+extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr.
+S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North
+1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information
+can be found at the Foundation's web site and official page at
+http://www.pglaf.org
+
+For additional contact information:
+
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4.
+
+
+ Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive
+ Foundation
+
+
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} depends upon and cannot survive without wide spread
+public support and donations to carry out its mission of increasing the
+number of public domain and licensed works that can be freely distributed
+in machine readable form accessible by the widest array of equipment
+including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are
+particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United States.
+Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable
+effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these
+requirements. We do not solicit donations in locations where we have not
+received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or
+determine the status of compliance for any particular state visit
+http://www.gutenberg.org/fundraising/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we have
+not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against
+accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us
+with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make any
+statements concerning tax treatment of donations received from outside the
+United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods
+and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including
+checks, online payments and credit card donations. To donate, please
+visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate
+
+
+Section 5.
+
+
+ General Information About Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works.
+
+
+Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+concept of a library of electronic works that could be freely shared with
+anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
+eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} eBooks are often created from several printed editions,
+all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright
+notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance
+with any particular paper edition.
+
+Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook
+number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed
+(zipped), HTML and others.
+
+Corrected _editions_ of our eBooks replace the old file and take over the
+old filename and etext number. The replaced older file is renamed.
+_Versions_ based on separate sources are treated as new eBooks receiving
+new filenames and etext numbers.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+
+ http://www.gutenberg.org
+
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}, including how
+to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation,
+how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email
+newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+
+
+
+
+***FINIS***
+ \ No newline at end of file
diff --git a/18475.zip b/18475.zip
new file mode 100644
index 0000000..e7c3493
--- /dev/null
+++ b/18475.zip
Binary files differ
diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt
new file mode 100644
index 0000000..6312041
--- /dev/null
+++ b/LICENSE.txt
@@ -0,0 +1,11 @@
+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
+
+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
diff --git a/README.md b/README.md
new file mode 100644
index 0000000..f22db61
--- /dev/null
+++ b/README.md
@@ -0,0 +1,2 @@
+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #18475 (https://www.gutenberg.org/ebooks/18475)