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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Kreuz und Quer, Erster Band - Neue gesammelte Erzählungen - -Author: Friedrich Gerstäcker - -Release Date: April 16, 2017 [EBook #54555] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZ UND QUER, ERSTER BAND *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This file was produced from images -generously made available by The Internet Archive) - - - - - - - -[ Symbole für Schriftarten: _gesperrt_ : =Antiqua= ] - - - - - Kreuz und Quer. - - Neue gesammelte Erzählungen - von - Friedrich Gerstäcker. - - Erster Band. - - Leipzig, - Arnoldische Buchhandlung. - 1869. - - - - -Inhaltsverzeichniß. - - - Seite - - 1. Den Teufel an die Wand malen 1 - - 2. Booby-island 176 - - 3. Zacharias Hasenmeier's Abenteuer 225 - - 4. Das Hospital auf der Mission Dolores 280 - - 5. Eine Polizeistreife in Cincinnati 330 - - - - -Den Teufel an die Wand malen. - - - - -Erstes Kapitel. - -Das Wandgemälde. - - -In seinem kleinen Atelier, drei Treppen hoch in der Osterstraße, stand der -junge Maler Ernst Tautenau auf einer Art von Treppenleiter, die Kohle in -der Hand, und entwarf auf der weiß getünchten Seitenwand eine groteske -Figur in übermenschlicher Größe. - -Es schien eine Art von Faun zu sein -- ein nicht unschöner Kopf, aber mit -gierig lüsternem Blick, und breiten, sinnlichen Kinnbacken -- der nackt, -nur mit einem breiten Gürtel von Weinlaub und -- sonderbarer Weise -Spielkarten um die Hüften, trotzdem ein paar große Epauletten auf den -bloßen Schultern trug, aber in der Hand ein großes Herz hielt, wie man -sie wohl von Pfefferkuchen macht, und eben im Begriff stand dasselbe -auseinander zu brechen. - -Er war noch eifrig mit der Ausführung der Figur beschäftigt, als sich, ohne -vorheriges Anklopfen, die der Wand gegenüber liegende Thür öffnete, und -ein junger Mann mit breitrandigem schwarzen Filzhut, den Zipfel des langen -blauen Mantels über die linke Schulter geschlagen, dabei mit vollem weichen -braunen Bart und ein paar großen ehrlichen Augen, lachend auf der Schwelle -stehen blieb, und das neu erstehende Werk des Freundes betrachtete. - -»Alle Wetter Ernst,« rief er dabei, »was malst Du denn da? ich glaube gar -»den Teufel an die Wand.« Was fällt Dir denn ein?« - -»Du könntest am Ende Recht haben, Frank,« sagte der Angeredete, der kaum -den Kopf nach dem Eintretenden wandte, und sich auch in seiner Arbeit nicht -stören ließ. »Der Bursche ist in der That mehr Teufel als Faun und eine -kleine Aenderung kann da nachhelfen.« Noch während er sprach wuchsen der -Gestalt an der Wand ein paar kurz aufsteigende spitze Hörner und zwischen -den Kartenblättern und dem Weinlaub krümmte sich ein, mit einem dicken -Haarbüschel versehener Schweif heraus. - -»Hahaha,« lachte Frank, »der Teufel mit Epauletten -- gewissermaßen in -Generals-Uniform bei großer Gala -- die Idee ist nicht schlecht. Aber, -Menschenkind, was soll die Spielerei? oder arbeitest Du im Auftrag irgend -eines Ministeriums, um vielleicht Frescobilder für einen Ständesaal zu -entwerfen?« - -»Und kennst Du den Burschen nicht?« - -»Wen? Seine höllische Majestät mit dem Pfefferkuchen-Herz in der Hand? -- -Das muß gut zu dem Schwefel schmecken?« - -»Ich meine das Gesicht.« - -»Hm, in dem Gesicht liegt in der That etwas Bekanntes,« sagte Frank, es -jetzt aufmerksamer betrachtend. »Also es ist keine Phantasie?« - -»Nein.« - -»Portrait?« - -»Vielleicht -- Du kennst das Original jedenfalls.« - -»Zum Teufel auch, die Epauletten bringen mich darauf -- der Major von -Reuhenfels, wie?« - -Ernst nickte stumm vor sich hin -- »Allerdings,« sagte er endlich, »der -Herr Major von Reuhenfels, den ich mir hier zu meinem besonderen Vergnügen -abconterfeit habe.« - -»Und liebst Du den so sehr, daß Du sein Bild immer vor Augen haben willst?« - -»Ja,« sagte Ernst finster und mit fest zusammengebissenen Zähnen, »so -innig, daß ich -- aber zum Teufel auch, ich will mir den schönen Tag nicht -verderben und habe mir nur den Spaß gemacht die Fratze hier an die Wand zu -zeichnen.« - -»Aber Du hast karrikirt -- der Major ist wirklich was man einen schönen, -stattlichen Mann nennt.« - -»Ein Fleischklumpen mit einem paar Unterkiefern, wie eine Kuh.« - -»Das spricht für seine gastronomischen Leistungen,« lachte Frank. - -»Und mit einem paar Lippen wie ein Faun -- selbst der Schnurrbart kann den -widerlichen Zug derselben nicht verbergen.« - -»Aber sage mir nur, weshalb Du eine solche Wuth auf den armen Teufel hast. -Hat er Dir denn je etwas zu Leide gethan?« - -»Ich habe noch nie ein Wort mit ihm gesprochen.« - -»Also gefällt Dir blos sein Gesicht nicht.« - -»Du setzest die Worte falsch -- mir gefällt sein Gesicht nicht bloß, er -sollte einen Schleier darüber tragen, wie der Prophet von Khorassan und ich -glaube bei Gott, er hat in seinem Charakter Aehnlichkeit mit dem.« - -Frank lachte, warf den Mantel und Hut auf den nächsten Sessel, sich selber -in einen, der Staffelei schräg gegenüber stehenden Lehnstuhl und sagte -dann, indem sein Blick an dem auf der Staffelei befindlichen und noch nicht -vollendeten Bild haftete: - -»Du hast etwas auf dem Herzen, Ernst, herunter damit, ich bin gerade in -der Stimmung Dir als »älterer Freund« -- denn Dein Geburtstag fällt auf den -25sten, meiner aber schon auf den 14ten Juni, einen guten und väterlichen -Rath zu ertheilen. -- Aber vorher sage mir erst einmal, was Du aus dem Bild -da machen willst. Ich werde nicht daraus klug, und Du mußt es ja auch in -den letzten zwei Tagen, wo ich Dich nicht gesehen, nur so auf die Leinwand -geworfen haben.« - -Das Bild stellte eine wilde Alpenlandschaft vor, mit rechts einer -sogenannten »Lanne,« einem grünbewachsenen, ziemlich schräg abfallenden -Bergabhang, an welchem ein paar einzelne Lärchen-Tannen wuchsen. An der -einen stand eine Mädchengestalt, mit im Winde flatternden Locken, und -den Baum, wie Schutz suchend, umklammernd. Oben an der, von der Lanne -emporstrebenden Bergwand, setzte ein Rudel Gemsen in voller Flucht hinüber --- die Thiere waren wenigstens flüchtig angedeutet. - -»Was soll denn das vorstellen?« -- fuhr er nach einer kleinen Weile fort --- »willst Du noch irgendwo einen Räuberhauptmann anbringen, der die junge -Dame überfällt? Sie umfaßt ja den Baum als ob sie ihn im Leben nicht wieder -los lassen wollte.« - -Trautenau hatte seine Arbeit indessen keinen Augenblick unterbrochen, und -die Gestalt an der Wand nur noch immer mehr ausgeführt. Er verschönerte -aber die Figur keineswegs, und schien fast Gefallen daran zu finden, den -Ausdruck aller bösen Leidenschaften in das Gesicht hinein zu legen. Jetzt -drehte er sich um, stieg herunter, warf die Kohle auf den Tisch, wusch sich -die Hände in einem daneben stehenden Becken und sagte: - -»Du sollst die Geschichte hören, Frank -- wenn auch nur in ihren flüchtigen -Umrissen -- ich wollte es Dir schon lange erzählen, und Dich um Deinen -Rath fragen. Aber wir müssen dazu ungestört sein, denn wenn ich einmal -unterbrochen werde, weiß ich nicht, ob ich den Muth haben werde, zum -zweiten Male zu beginnen.« - -Damit ging er zur Thür, riegelte sie zu, warf noch einen festen Blick -über das unvollendete Bild auf der Staffelei und begann dann, indem er mit -untergeschlagenen Armen im Zimmer auf- und abging: - -»Ich war im vorigen Herbst, wie Du weißt, in Tyrol, jene Gegend ist aus -einem der dortigen Thäler; ich wanderte mit meiner Mappe durch den wilden -Grund, als ich plötzlich einen gellenden Hülferuf höre, und aufschauend, -gar nicht so weit über mir eine weibliche Gestalt in einem lichten Kleide -und jener Stellung, wie Du sie hier auf dem Bilde findest, den Baum -umklammern sehe. Nirgend weiter war mehr ein menschliches Wesen zu -entdecken, und obgleich ich mir nicht denken konnte, weshalb die Dame -schrie, denn eine Gefahr gab es ringsum nicht, säumte ich doch nicht, so -rasch mich meine Füße trugen, dort hinauf zu eilen, was auch mit keinen -großen Schwierigkeiten verbunden war.« - -»Ich fand ein Mädchen -- erlaß mir die Beschreibung -- Du kennst sie auch -wahrscheinlich selber, denn sie wohnt seit vorigem Winter mit ihrem Vater -hier in M--« - -»Und wie heißt sie?« - -»Den Namen nachher. -- Es war ein Wesen, so zart und duftig, als ob es -dieser Erde gar nicht angehöre -- eine Bergelfe, die ihre Zeit verpaßt, und -am hellen Tag aus ihrem Schlupfwinkel herausgekommen war, um sich --« - -»An einen Baum anzuklammern und zu schreien,« sagte Frank trocken. - -»Du hast sie nicht gesehen und verstehst mich deshalb nicht,« erwiderte, -verdrießlich über den prosaischen Einwurf, der Freund. »Was wußte das arme -Kind von den Bergen. Muthwillig, in kindlichem Uebermuth war sie ihrer -Gesellschaft davon gelaufen, um hier über den grünen Wiesenhang hin ein -Stück vom Weg abzuschneiden, bis sie die Lanne steiler fand, als sie -Anfangs geglaubt und nun schwindlich wurde und Angst bekam. Kaum erreichte -sie noch den Baum, als sie ihn auch umfaßte, um sich daran zu halten, und -nun durch ihr Rufen die übrige Gesellschaft herbei zu ziehen suchte.« - -»Und Du warst der Glückliche, der sie fand.« - -»Ja -- ich sprach ihr Trost ein, ergriff ihre Hand, während sie sich fest -und schüchtern an meinen Arm anklammerte, und führte sie den übrigen Theil -der hier allerdings ziemlich steilen Lanne bis auf den durch das Thal -laufenden Pfad hinab, wo wir auch gleich darauf ihre Gesellschaft -bemerkten, die denselben nicht verlassen hatte, und nun etwas später -eintraf.« - -»Und wie heißt Deine Schöne?« - -»Damals erfuhr ich nur ihren Vornamen: Clemence, wollte mich aber der -Gesellschaft nicht aufdringen und zog mich bald darauf zurück, weil ich sie -den Abend schon wieder in dem nächsten Gasthof zu finden hoffte. Ich hatte -mich getäuscht -- sie waren weiter gegangen -- ich folgte ihnen, umsonst; -auf der Landstraße endlich verlor ich ihre Spur, bis ich ihr hier, vor -vierzehn Tagen etwa -- Du kannst Dir meine Freude denken, in M-- begegne.« - -»Und hast Du schon um sie angehalten?« - -»Du kannst Deinen Spott nicht lassen. Ich liebe sie aus voller, reiner -Seele, aber -- sie ist die Tochter des steinreichen Joulard und meine Liebe -deshalb hoffnungslos.« - -»Und was hat Dich vermocht, jenen Teufel dort an die Wand zu malen, und -in welcher Beziehung steht er mit Deiner ganzen Erzählung, denn etwas -Derartiges muß ich doch vermuthen.« - -»Die Sache ist sehr einfach,« sagte Ernst ruhig. »Vor drei Tagen war -ich zum ersten Male in dem Hause, ich könnte wohl sagen im Palais des -Banquiers, denn er bewohnt in der That ein solches. Die Treppen sind mit -schweren Teppichen belegt und mit Marmorstatuen verziert; die Vorsäle -selbst haben getäfelte Wände und riesige Spiegel. Im Inneren der Räume war -ich nicht; aus dem einen Zimmer trat der Major von Reuhenfels heraus, sein -widerliches Gesicht strahlte in Seligkeit. Als ich einen der Diener -frug, wer der Herr wäre, lautete die Antwort: »Der Verlobte des gnädigen -Fräuleins Clemence.« - -»Aha -- deshalb!« meinte Frank still vor sich hinlächelnd. »Nun und weiter? -Du wolltest meinen Rath.« - -»Ja, ich weiß es,« sagte Ernst seufzend, »aber -- er wird kaum mehr nöthig -sein, denn ich sehe nicht ein, wie mir noch ein Mensch helfen oder rathen -kann. Es bleibt mir ja doch Nichts weiter übrig, als eben einfach zu -entsagen und jede Hoffnung auf ein dereinstiges Glück fallen zu lassen. -- -Sie sind verlobt.« - -»Nun,« meinte Frank, »was das beträfe, so ist verlobt noch nicht immer -verheirathet, und ich könnte Dir verschiedene Beispiele nennen, wo solche -Verlobungen wieder rückgängig wurden, wenn Dir dadurch die geringste -Aussicht auf einen Erfolg Deiner Werbung bliebe -- aber Du bist doch wohl -nicht wahnsinnig genug zu glauben, daß Dir der reiche Joulard seine einzige -Tochter geben wird? Ich begreife sogar nicht, daß er dem einfach adligen -Major eine solche Gnade zu Theil werden läßt; denn bis jetzt hieß es in der -Stadt, daß er sich einen Herzog oder Prinz für sie ausgesucht.« - -»Und weißt Du, was dieser Major für ein Charakter ist?« - -»Ich kenne ihn gar nicht -- kaum dem Namen nach und nur von Ansehen.« - -»Aber ich habe mich desto sorgfältiger in den letzten Tagen nach ihm -erkundigt. Ein berüchtigter Spieler und Roué, der mehr Schulden als Haare -auf dem Kopfe hat, und das arme, engelgleiche Wesen elend machen wird.« - -»Und was geht das Dich an?« - -»Was das mich angeht? -- Mensch, Du kannst mich mit Deinen kalten Fragen -zur Verzweiflung treiben. Hab' ich Dir nicht gesagt, daß ich zum Tollwerden -verliebt in das Mädchen bin?« - -»In die Braut des Majors? Nun, Ernst, Du hast mich um meinen Rath gebeten -und den will ich Dir nicht vorenthalten. Wenn Du dem also folgen willst, -so bekümmerst Du Dich um die ganze Familie von diesem Augenblick an nicht -weiter, als daß Du Dein »Ideal« meinetwegen aus der Ferne anbetest, und den -Major, wenn es Dir Spaß macht, als Teufel oder sonst was an die Wand malst. -Darin bleibst Du vollkommen harmlos, und kein Mensch kann es Dir verwehren -oder wird dadurch geschädigt. Mische Dich aber um Gottes Willen nicht in -fremde Familienangelegenheiten, in denen Dir nicht das entfernteste Recht -zusteht, denn daß Du dadurch etwas zu Deinen Gunsten erreichen könntest, -wirst Du selber nicht glauben, um andere Menschen -- kümmere Dich aber -nicht, wie sich Andere auch nicht um Dich bekümmern.« - -»Aber wenn Clemence in der Verbindung mit jenem Menschen elend wird --« - -»Wenn sie wieder schreit und Du bist in der Nähe, so komm ihr wie damals -zur Hülfe -- aber früher nicht.« - -»Aber dann ist es zu spät. Soll ich sie denn rettungslos zu Grunde gehen -sehen?« - -»Lieber Freund,« erwiederte der junge Maler, »ihr Vater ist Banquier und -Du wirst mir Recht geben, wenn ich Dir sage, daß alle derartigen Leute die -Augen gewöhnlich offen halten. Thun sie es nicht, so ist es ihr eigener -Schade und kein Mensch weiter hat sich darum zu quälen.« - -»Und Clemence?« - -Frank schwieg ein paar Augenblicke und sah sinnend vor sich nieder, endlich -sagte er: - -»Du wirst aller Wahrscheinlichkeit nach wüthend werden, wenn ich Dir irgend -etwas gegen Dein »Ideal« einwerfe, aber es geht eben nicht anders. Was ich -auf dem Herzen habe muß heraus, so sollst Du denn auch meine Meinung über -Deine Auserwählte hören, die allerdings nicht so günstig lautet, als Du Dir -vielleicht wünschen könntest.« - -»Kennst Du sie?« - -»Zufällig habe ich in einem Hause Zutritt, wo sie aus und ein geht, und ich -gestehe Dir zu, daß sie ein bildhübsches, ja man könnte sogar sagen schönes -Mädchen ist, mit edlen, wenn auch etwas stolzen Zügen, aber --« - -»Aber? --« - -»Sie ist dabei die ärgste Kokette, die mir im ganzen Leben vorgekommen, und -herzlos bis zum Aeußersten.« - -»Und woher willst Du das wissen?« - -»Das kann ich Dir sagen. Als sie eines Tages jenes Haus verlassen wollte, -und ihre Equipage hielt vor der Thür -- ich ging hinter ihr die Treppe -hinunter -- wurde ein armes junges Nähmädchen, die irgend eine Arbeit -dort hinauf gebracht hatte, ohnmächtig und fiel gleich neben dem gnädigen -Fräulein, ja so dicht bei ihr, daß sie ihr wohl etwas an der Robe mußte -beschädigt haben, auf der Flur nieder. Hätte sie ein weiches Herz im Busen, -so würde sie sich der Armen angenommen und sie in ihrem eigenen Wagen -fortgeschafft haben, so warf sie ihr nur einen Blick voll Abscheu und Ekel -zu, sah nach ihrem Kleid und eilte dann so rasch sie konnte in den schon -für sie geöffneten Schlag des Wagens, der dann gleich nachher mit ihr davon -rollte.« - -»Es giebt Menschen, die keinen Kranken, besonders Ohnmächtigen, sehen -können,« sagte Ernst, »es geht mir selber so -- ich muß mich dazu zwingen --- das ist kein Beweis gegen sie.« - -»Wenn Du einen Beweis wolltest, wäre der genügend,« meinte Frank, »aber in -dem Fall wird Dich auch das Andere, was ich Dir noch sagen könnte, nicht -überzeugen.« - -»Und das wäre --« - -»Daß sie die ganze Zeit, in welcher ich mit ihr dort oben im Salon zusammen -war, sich so gesetzt hatte, daß sie sich fortwährend in dem Spiegel sehen -konnte, und die Gelegenheit auch auf das Eifrigste benutzte.« - -Ernst lachte. »Daß sich also ein junges hübsches Mädchen gern selber sieht -und ein wenig eitel ist, rechnest Du ihr zum Verbrechen an, -- und findest -Du eine unter Allen, die davon frei wäre?« - -»Gut! wir wollen uns auch darüber nicht streiten, denn die Sache hat keinen -Zweck. Dir wird Fräulein Clemence kaum gefährlich werden können, denn -wenn sie wirklich mit dem Major verlobt ist, werden wir auch wohl in -allernächster Zeit von ihrer Verbindung hören. Solltest Du aber wahnsinnig -genug sein, Einspruch thun zu wollen -- was ich Dir aber nicht zutraue, -denn eine Geistesstörung habe ich bisher noch nicht an Dir bemerkt, so -bedenke wohl, daß Dir jedes Recht dazu fehlt. Was Du auch über den Major -weißt, können nur Gerüchte sein, für die Du nie wirkliche Beweise bringen -würdest, außer vielleicht für die Schulden, und was schadet es dem reichen -Joulard, wenn sein Schwiegersohn ein paar tausend Thaler negatives Vermögen -hat? Er wird sie eben bezahlen, und die Sache ist abgemacht. Aber wie -ist's? Hast Du Lust einen Spaziergang zu machen? Ich komme eigentlich her, -um Dich abzuholen.« - -»Ich danke Dir -- ich bin es jetzt nicht im Stande,« sagte Ernst, »nicht in -der Stimmung -- es geht mir zu viel, zu Schweres im Kopfe herum -- ich muß -allein sein -- muß mich erst sammeln -- aber wenn Du zurückkehrst, sprich -wieder bei mir vor.« - -»Also sammele Dich,« rief ihm Frank zu, »und ich bin überzeugt, Du wirst -in die richtige Bahn hinein kommen. -- Ich frage dann wieder vor und hoffe -Dich gegen Abend ruhig und vernünftig zu finden. Ueberdieß haben wir heute -Künstlerverein, und Du darfst da nicht fehlen.« - -Mit diesen Worten warf er seinen Mantel wieder um, setzte seinen Hut auf -und verließ das Zimmer. Sein Freund blieb aber in einer trüben, ja fast -verzweifelten Stimmung zurück, denn er konnte sich nicht verhehlen, daß -Frank in manchen -- ja in vielen Stücken Recht hatte und da mit der kalten -Vernunft eintrat, wo bei ihm nur Alles Feuer und Leidenschaft war. Was -wußte der Vernunftmensch aber auch von Liebe -- einer Liebe, die ihm -selber das Herz zu verzehren drohte, und der er sich mit aller Zähigkeit -hingegeben hatte, mit welcher wir manchmal in der Jugend einen Schmerz -pflegen, nur um uns unglücklich zu wissen. - -Unglückliche Liebe! Wer von uns Allen hat nicht schon das selige Bewußtsein -gehabt unglücklich zu lieben und sich mit Stolz und Heroismus demselben -hingegeben. Wir sind auch vielleicht wirklich unglücklich in dem Augenblick --- wir verachten das Leben, das für uns nicht den geringsten Reiz mehr hat, -begehen aber dabei den Fehler, daß wir uns gewöhnlich für »ewig verloren« -halten -- wie denn die Jugend mit dem Worte »ewig« einen argen Mißbrauch -treibt. So hält sie auch ihren Schmerz für ewig, und weiß doch noch -gar nicht was wirklicher Schmerz ist, bis das Leben selber ernst an sie -herantritt. Aber dann ist auch ihre Kraft gestählt, und sie trägt und -besiegt das Schwerste, wo sie früher unter dem Leichteren zusammenzubrechen -drohte. - -Ernst Trautenau war aber überhaupt gar keine schmachtende oder weiche -Natur. Er rang dem Leben kräftig seine Existenz ab, und wenn ihn auch auf -kurze Zeit vielleicht das romantische Gefühl seines Leidens bewältigen -konnte, lange war es wenigstens nicht im Stand ihn niederzudrücken, denn -der Haß gegen das ihm im Wege stehende Hinderniß gewann die Oberhand. - -Wieder und wieder fiel sein Blick auf die Figur an der Wand. Die -Kohlenzeichnung genügte ihm nicht mehr, und er beschloß das Bild =al -fresco= in Farben auszuführen. Rasch ging er auch an's Werk -- es war eine -grimme Genugthuung für ihn, an dem verhaßten und glücklichen Nebenbuhler in -solcher Weise seine Rache auszuüben, und kaum zwei Stunden später hatte er -das Portrait eines gelbbraunen Satans, mit allen Insignien der Hölle, und -noch einer Menge irdischer Zuthaten, in den grellsten Farben prangend, an -der Wand vollendet. - - - - -Zweites Kapitel. - -Der Besuch. - - -Am nächsten Morgen um elf Uhr saß Trautenau wieder an seiner -Staffelei, aber er hatte das Bild, das er am vorigen Tag darauf gehabt, -heruntergeworfen und die Leinwand zu einem neuen Gemälde aufgespannt. Mußte -er Frank nicht Recht geben? -- War es nicht Wahnsinn, da noch eine Hoffnung -zu nähren, wo jede Aussicht schon in sich selber zusammenschwand? Ja, sah -er auch nur selbst die Möglichkeit voraus, sich der Geliebten zu nahen? -denn unter welchem Vorwand konnte er sich bei ihr melden lassen? -- Als -Retter in den Alpen? Wenn er die Sache ruhig überdachte, so war nicht mehr -Gefahr dabei gewesen, als wenn er die fremde Dame über eine gewöhnliche -Wiese hinüber geführt hätte -- und gab ihm das überhaupt ein Recht sich -bei ihr einzuführen? -- Wahrlich nicht, ja er mußte erwarten, daß er als -zudringlicher Fremder abgewiesen wurde; und eine solche Demüthigung wäre -nur verdiente Strafe für seinen Uebermuth gewesen. - -Was ging ihn des reichen Mannes Tochter an -- sie war ihm so »unerreichbar -wie die Sterne« und er mochte sich wohl an ihrem Glanz erfreuen, aber -durfte auch weiter nicht die Hand nach ihr ausstrecken. - -Er hatte sich heute Morgen eine recht prosaische Arbeit hervorgesucht. Es -war das Portrait eines benachbarten Gewürzkrämers, der das Bild seiner -neu verlobten Tochter als Hochzeitsgeschenk bestimmt hatte. Das Original -erfreute sich dabei eines nicht allein alltäglichen, sondern sogar gemeinen -Gesichts, mit einer rothen Nase und niederer, von struppigen Haaren -eingedämmten Stirn, eines Paars dünner Lippen und sogar noch Blatternarben. -Das war eine Physiognomie, wie der Maler sie jetzt brauchte, und er -beschloß deshalb auch ganz besonderen Fleiß auf die mit großen unächten -Steinen besetzte Tuchnadel, auf die goldene Kette und das gestickte -Vorhemdchen zu wenden. - -Aber die Staffelei stand so, daß er, wenn er nur zwei Schritte davon -zurücktrat, gerade darüber hin den Kopf des teuflischen Majors erkennen -konnte, der fast wie höhnisch, und jedenfalls mit einem ganz abscheulichen -Ausdruck nach ihm herüber grinste, und der arme Gewürzkrämer kam dabei -am Schlimmsten weg. Unwillkürlich arbeitete ihm Ernst mit ein paar -Pinselstrichen auch im Gesicht herum, so daß er der Carrikatur dahinter -täuschend ähnlich wurde. - -Noch war er damit beschäftigt und schon auf dem besten Weg das vor ihm -stehende Bild total zu verderben, als man plötzlich ziemlich herzhaft -an die Thür pochte und Trautenau, der gerade wieder von seinem Portrait -zurückgetreten war, um einen besseren Ueberblick zu gewinnen, sah, daß -sich auf sein barsches »Herein« die Thür öffnete und ein Officier -- sein -eigenes Wandgemälde, wie es leibte und lebte, nur in etwas anderem Costüm, -auf der Schwelle stand. -- - -»Habe ich das Vergnügen Herrn Portraitmaler Trautenau zu sprechen?« sagte -der Fremde artig. - -»Mein Name ist Trautenau,« erwiederte der junge Mann, in dem Moment doch -etwas verlegen, denn er hatte keine Ahnung gehabt, daß sich das Original -seines Teufels so bald einstellen würde. - -»Mein Name ist von Reuhenfels,« erwiderte der Officier, -- »Major, und Sie -sind mir als ein so vortrefflicher Portraitmaler in der Stadt genannt, daß -ich Sie ersuchen möchte, das Bild einer Dame in Lebensgröße zu übernehmen.« - -»Einer Dame?« fragte Ernst, dem bei den Worten alles Blut in seinen Adern -zum Herzen zurückströmte. - -»Ja, mein Herr. Würden Sie vielleicht im Stande sein, ein solches Gemälde -rasch in Angriff zu nehmen, und sobald als möglich fördern zu können? Es -ist das Bild meiner Braut.« - -Ernst wollte antworten, brachte jedoch kein Wort über die Lippen; die Kehle -war ihm wie zugeschnürt. Aber er fühlte auch, daß er, gerade vor diesem -Menschen, nicht wie ein Schulknabe dastehen dürfe, und sich gewaltsam -zusammenraffend, sagte er endlich: - -»Ich denke wohl, Herr Major -- wie heißt die Dame?« - -»Fräulein Joulard -- Sie werden sie wohl kaum kennen -- Sie ist ein -reizender Vorwurf für ein Bild -- eine imposante, prachtvolle Gestalt -- -ein wahres Meisterstück der Schöpfung. Und wann können Sie damit beginnen? -Meine Braut hat sich bereit erklärt, von morgen an dem Bild sitzen zu -wollen, und zwar täglich eine Stunde von 12-1 Uhr, acht Tage lang. Wären -Sie im Stande das Gemälde in der Zeit zu vollenden?« - -»Zu untermalen jedenfalls; ich würde aber dann später noch um einige -Sitzungen bitten müssen.« - -»Hm, das wird schwer halten; sie hat einen kleinen Trotzkopf, so schön -er ist, und wenn sie sich da einmal etwas hineinsetzt -- alle Teufel,« -unterbrach er sich aber plötzlich lachend, als sein im Atelier -umherschweifender Blick auf das riesige diabolische Bild fiel -- »Sie haben -sich ja da im wahren Sinn des Wortes den Teufel an die Wand gemalt -- famos --- ganz ausgezeichnet -- Hahahahaha.« - -Trautenau fühlte wie er über und über roth im Gesicht wurde, und doch auch -hatte die Sache wieder etwas unendlich Komisches, daß sich der Major über -sein eigenes Bild amüsirte, ohne anscheinend eine Ahnung zu haben, daß es -eben sein eigenes sein sollte. - -»Verfluchte Idee,« lachte der Major aber noch immer weiter -- »und ein -Schurz von Wein- und Kartenblättern -- famos allegorisch -- ja wohl sind -das die Attribute des Teufels, lieber Freund, und das Herz, das er mit den -Krallen zerbricht, ergänzt die dritte Kraft im Bunde. Ganz ausgezeichnete -Idee das -- ganz ausgezeichnet. Sie haben Phantasie, mein junger Künstler, -und der Teufel dort ist ein wahres Meisterstück.« - -»Sie sind zu gütig, Herr Major,« entgegnete Trautenau, bei dem das -Humoristische der Situation die Oberhand gewann, »also er gefällt Ihnen -wirklich?« - -»Ausgezeichnet, sage ich Ihnen -- und die Epauletten -- höhere Charge -natürlich in seiner Beelzebubschen Majestät Armee; wundervoll! -- Aber ich -muß fort. Also bitte sich morgen früh um zwölf Uhr im Joulardschen Hôtel -- -wissen Sie wo Joulard wohnt?« - -»Ja wohl.« - -»Gut -- also dort mit Allem was Sie brauchen, einzufinden. Ein kleines -Atelier werden Sie auch da antreffen, indem die junge Dame selber viel Sinn -für die Kunst hat, und auch zuweilen malt. Und dann noch eins -- der Preis --- ich glaube, daß Sie sich später darüber mit Herrn Joulard in für Sie -sehr befriedigender Weise verständigen werden. Sie laufen dabei keine -Gefahr. Also Sie kommen?« - -»Ich werde mich pünktlich einfinden.« - -»Und noch eine Bitte, bester Freund -- könnten Sie nicht für mich eine -kleine Skizze -- und wenn es nur Aquarell ist -- von diesem famosen Teufel -machen -- aber eine ganz treue Copie, wie? Sie würden mich unendlich -verbinden.« - -Trautenau sah ihn erstaunt an. War denn der Mann wirklich im Ernst und so -ganz verblendet, daß er nicht einmal sein eigenes Portrait erkannte? Aber -unwillkürlich lachte er doch auch über die merkwürdige Bitte desselben, und -in einem Anfall von wildem Humor rief er aus: - -»Sie sollen eine Copie bekommen, Herr Major, verlassen Sie sich darauf -- -eine treue Copie -- und vielleicht schon in nächster Zeit.« - -»Sie sind unendlich liebenswürdig, Herr Trautenau,« versicherte der -Officier -- »also unser Geschäft wäre soweit abgemacht -- habe die Ehre,« -und militairisch grüßend verließ er das Zimmer, während Trautenau wie -in einem wachen Traum mitten in dem kleinen Gemach stehen blieb und ihm -nachstarrte. - -Konnte denn das auch Wirklichkeit sein? Der Major -- sein Major, den er -dort als diabolisches Eigenthum an der Wand besaß, war zu ihm gekommen, -hatte das Bild betrachtet und sich darüber gefreut, und ihn selber zu -Clemence, zu der Geliebten bestellt, um diese zu malen, um ihr Stunden lang -in die guten, seelenvollen Augen zu sehen und ihrer zauberholden Stimme zu -lauschen? Er vermochte das Riesige des Gedankens und der Consequenzen noch -nicht zu fassen, und starrte noch immer, wie in einer Verzückung nach der -Thür, als sich diese wieder rasch öffnete und Frank eintrat. - -»Weißt Du wer eben hier im Hause war?« -- rief er -- »ich begegnete ihm -unten in der Thür« -- - -»Der Teufel!« sagte Ernst. - -»Er war doch nicht bei Dir?« fragte Frank rasch. - -»Allerdings, und hat sich eine Copie von dem Wandgemälde bestellt.« - -»Du willst mich zum Besten haben.« - -»Ja, mehr als das -- ich soll Clemence malen.« - -»Und dazu hat Dich der Major aufgefordert?« - -»Allerdings.« - -»Und er hat wirklich das Wandgemälde dort gesehen?« - -»Gewiß hat er, und war entzückt davon.« - -»Ohne die Aehnlichkeit zu bemerken?« - -»Er hat sich wenigstens Nichts merken lassen, mich jedoch wahrhaftig um -eine Copie gebeten, die ich ihm auch versprochen.« - -»Du willst dem Major eine Copie von dem Teufel da machen?« - -»Gewiß will ich -- und weshalb nicht?« - -»Nun, mir kann's recht sein,« sagte der junge Maler, »wenn es ihn eben -freut. Sobald er aber hinter die Aehnlichkeit kommt, -- und gute Freunde -werden ihn schon darauf aufmerksam machen, -- wird er wüthend werden.« - -»Und was weiter?« fragte Ernst trotzig. »Wenn er glaubt, daß ich ihm auch -nur den Raum eines Schrittes weiche, so irrt er sich gewaltig.« - -Frank lachte. »Wenn ich nur in dem Moment, wo er hinter die Aehnlichkeit -kommt, bei ihm sein könnte, -- was für ein prachtvoll dummes Gesicht er -dann machen wird. Aber zu solchen Aufführungen bekommt man nie ein Billet. -Uebrigens kam ich eben her, um Dir zu sagen, daß ich mich selber noch -gestern und heute nach dem Major erkundigt und allerdings alles Das -bestätigt gehört habe, was Du über ihn gesagt. Er scheint selbst bei seinem -Regiment sehr schlecht angeschrieben, obgleich die Officiere natürlich -nichts Nachtheiliges über ihn äußern werden.« - -»Siehst Du, daß ich recht hatte.« - -»Aber das ändert deshalb an der Sache nichts. Du selber stehst dabei der -jungen Dame so fern als je, und wenn Du wirklich aufgefordert bist, sie -zu malen, Ernst, so weisest Du, wenn Du auf meinen Rath nur das geringste -Gewicht legst, den Auftrag rund ab.« - -»Ich habe schon zugesagt.« - -»Eine Ausrede läßt sich finden. Du brauchst den Verdienst auch nicht so -nothwendig, denn was Du zum Leben bedarfst, werfen Dir eben so leicht -andere Arbeiten ab.« - -»Und sogar ihrem Begegnen soll ich feige ausweichen?« fragte Ernst trotzig, --- »glaubst Du, daß ich mich vor der Dame fürchte?« - -»Ich fürchte nur, daß Du einen dummen Streich machst, und um Dir die Folgen -desselben zu ersparen, habe ich Dich gebeten, ihr auszuweichen.« - -»Ich bin kein Kind mehr.« - -»Nein, Du wärst alt genug, um selber zu wissen, was Du zu thun hast, aber --- nimm mir's nicht übel, Ernst, -- schon diese tolle Liebe, oder vielmehr -der Glaube, daß Du sie liebst, denn Du kannst dies nach einem so flüchtigen -Begegnen noch gar nicht wissen, spricht für Dein -- kindliches Gemüth. In -Dir steckt weit mehr Romantik, als Dir gut und zuträglich ist, und ohne daß -Du es selber merkst, geht Dir einmal das Herz mit dem Verstand durch und -läßt Dich dann in irgend einer unangenehmen Situation rettungslos sitzen. -Denk' an mich.« - -»Du hättest Schulmeister werden sollen, Frank,« sagte Trautenau lächelnd, -»denn Du sprichst wirklich wie ein Buch, und wenn ich Dich nicht so genau -kennte, würde ich Dich jetzt für einen furchtbaren Philister halten.« - -»Ich gestehe Dir zu, daß ich jetzt vernünftiger spreche, als ich gewöhnlich -denke,« erwiderte Frank -- »ich setze mich auch selbst in Erstaunen, aber -sei überzeugt, daß es mir nicht an praktischem Sinn fehlt, und nur -die Sorge, Dich in eine peinliche -- und doppelt peinliche, weil -selbstverschuldete Lage gebracht zu sehen, läßt mich so zu Dir reden. Malst -Du das junge bildhübsche Mädchen, in das Du bis über die Ohren verliebt zu -sein selbst eingestehst, so läuft die Sache auch nicht so glatt ab, und ich -fürchte, Du -- ruinirst Dir ein groß Stück Leinwand um gar Nichts.« - -»Ich kann nicht mehr ablehnen, was ich einmal angenommen habe.« - -»Bah, wenn Du ernstlich wolltest, wäre Nichts leichter als das. -- Ich will -Dir einen Vorschlag machen: Wir wollen tauschen -- ich habe das lebensgroße -Bild des Grafen Stirnheld zu malen bekommen, und zwar nur durch Protection, -denn meinen bescheidenen Verdiensten kann ich das kaum zumessen. Uebernimm -Du die Arbeit. Was wir für beide Bilder bekommen legen wir dann zusammen -und theilen.« - -»Du bist ein Thor -- durch das Bild des Grafen erhältst Du, wenn es Dir -gelingt, Zutritt in alle aristokratischen Cirkel der Stadt.« - -»Ich möchte Dich aus Joulard's Haus entfernt halten.« - -»Ich danke Dir, Frank,« rief Trautenau, indem er ihm die Hand reichte und -die seine herzlich schüttelte -- »ich wußte vorher, daß Du es wirklich gut -mit mir meinst, und Du hast mir dadurch einen neuen Beweis Deiner Liebe -und Treue gegeben, aber -- es bleibt dabei. Ich male Clemence und werde -Dir zeigen, daß ich kein kindischer Thor mehr bin, der irgend einen -unüberlegten Streich ausführt, ohne die Folgen zu bedenken. Liebt Clemence -wirklich den Major, gut, so habe ich kein Recht, zwischen ein paar Seelen -zu treten, die sich einander angehören wollen.« - -»Und wie willst Du erfahren, ob sie ihn oder ob sie ihn nicht liebt, wenn -sie Dir täglich ein oder zwei Stunden, und dann doch auch jedenfalls in -Gesellschaft irgend einer Begleiterin sitzt?« - -»Das überlaß mir,« meinte Ernst, »die Liebe sieht scharf und einen Plan -habe ich mir überhaupt nicht entworfen, kann es auch gar nicht. Der -Augenblick muß das bestimmen, aber ich verspreche Dir, mein kaltes Blut zu -wahren -- mehr kann ich nicht thun.« - -»Gut, Du willst einmal Deinem Kopf folgen, und und ich kann Dir da nicht -weiter helfen. Aber was hast Du denn da für eine Carrikatur auf der -Staffelei. Der alte Spießbürger sieht ja ebenfalls genau so aus wie Dein -Teufel da an der Wand. Ist die Aehnlichkeit zufällig?« - -»Ich weiß es nicht,« antwortete Ernst, indem er die beiden Bilder mit -einander verglich -- »wahrhaftig Du hast Recht. Ich glaube aber fast, ich -habe meinem wackeren Gewürzhändler da Unrecht gethan. Nun er kommt morgen -Nachmittag zu mir, und da werde ich wohl wieder in seine normalen Züge -hineinfallen. Heute mag er sich so behelfen. Was ich Dich noch fragen -wollte: Kennst Du Clemencens Vater persönlich?« - -»Den Herrn Joulard? vom Ansehen ja -- weiter nicht. Vorhin begegnete er -mir auf der Straße und rannte mich fast über den Haufen, so in Gedanken -vertieft war er. Der hat immer den Kopf voll von Speculationen -- eine -reine Rechenmaschine.« - -»Ich denke, er ist sehr reich. Speculirt er denn da noch immer?« - -»Das können die Börsenleute ebensowenig lassen, wie wir das Malen; es -ist ihre zweite Natur geworden, und ich glaube sie würden sich zu Tode -langweilen wenn sie sich nicht alle Tage wenigstens einmal eine Stunde -über das Fallen oder Steigen ihrer Papiere ängstigen müßten. Das läßt uns -ruhiger, nicht wahr Ernst?« - -»Du magst Recht haben -- ich wenigstens kenne, außer einer Banknote, kein -einziges Werthpapier von Angesicht zu Angesicht. Schadet auch Nichts. Mit -dem Geld kommen die Sorgen, und so lange wir haben was wir brauchen, sind -wir am zufriedensten.« - -»Was willst Du aber mit dem Carton machen?« - -»Mit dem Blatt hier? Nun die Copie für den Major.« - -»Bist Du denn wirklich des Teufels?« - -»Laß mir doch meinen Spaß -- ich habe mich jetzt einmal in das verhaßte -Gesicht hineingelebt und fürchte fast, daß ich morgen Clemence denselben -Ausdruck gebe -- es wäre ein verwünschter Spaß.« - -Frank lachte. »Mit Deinem Starrkopf ist doch Nichts anzufangen, so habe -Deinen Willen. Uebrigens bin ich wirklich neugierig was der Major dazu -sagt« -- und dem Freund die Hand drückend, stieg er wieder die Treppe hinab -um seinen eigenen Geschäften nachzugehen. - - - - -Drittes Kapitel. - -Die erste Sitzung. - - -Ernst konnte die ganze Nacht kein Auge schließen, denn in seinem Herzen war -ein Verdacht rege geworden, daß Clemence selber die Aufforderung an ihn, -ihres Vaters Haus zu besuchen, veranlaßt haben müsse. Die Möglichkeit lag -doch nicht soweit ab, daß sie ihn erkannt haben konnte. Sie war vielleicht -an ihm vorüber gefahren, ohne daß er sie bemerkte, denn er achtete nie auf -Equipagen, und leicht genug konnte sie dann von der Dienerschaft seinen -Namen erfahren haben. Welche Seligkeit erfüllte ihn aber, wenn er die -Möglichkeit -- ja die Wahrscheinlichkeit eines solchen Glückes überdachte, -denn wie wäre dieser Major gerade auf ihn gefallen, da es doch viele ältere -und berühmtere Portraitmaler in der Stadt gab; es ließ sich nicht anders -denken. Vielleicht hatte ihn Clemence doch noch nicht ganz vergessen, trug -nur ungeduldig den ihr auferlegten Zwang und suchte Mittel und Wege ihm -selber eine Annäherung zu ermöglichen. Frauen sind schlau; er durfte sich -ruhig auf sie verlassen, sie würde es schon einzurichten wissen. - -Und was dann? wenn er nun wirklich fand, daß die Verbindung mit dem Major -eine erzwungene gewesen wäre, wenn sie sich dagegen sträubte? -- Aber das -Alles konnte er nicht jetzt überdenken, nicht in einem Augenblick, wo ihm -das Blut wie Feuer durch die Adern rollte. Das mußte auch erst der Moment -bringen, in welchem sich seine Träume zu wirklichem Leben gestalteten. Das -allein konnte entscheiden wie er zu handeln habe, und was dann kam, ei dem -wollte er auch keck und muthig die Stirn bieten. Nur dem Muthigen lächelt -ja das Glück. - -Mit diesem Vorsatz schlief er ein, erwachte aber am nächsten Morgen -in einer ganz anderen, und viel ruhigeren Stimmung, denn es ist eine -allbekannte Thatsache, daß Abends unsere Nerven viel aufgeregter und -wir gewöhnlich geneigt sind, Schwierigkeiten, besonders in -Herzensangelegenheiten, gar nicht anzuerkennen, während der Morgen die -kaltblütige Ueberlegung und gewöhnlich ganz andere Resultate mit sich -bringt. - -Das Herz pochte ihm allerdings lebhaft, als er jetzt an das Zusammentreffen -mit Clemence dachte, aber er fing an, die Sache in einem anderen Licht zu -betrachten. Die Aufforderung des Majors konnte allerdings recht gut ein -Zufall sein, und das junge Mädchen? -- wie flüchtig -- wie kurze Zeit nur -hatte sie ihn damals in den Alpen gesehen, und war es denkbar, daß sie sich -seiner Züge da noch erinnern sollte? hatte sie nicht vielleicht die ganze -unbedeutende Begegnung mit ihm schon lange vergessen? - -Er war wieder recht verzagt geworden, hatte aber auch nicht die geringste -Lust zum Arbeiten und beschloß deshalb, langsam und in aller Ruhe seine -Vorbereitungen zu der heutigen Sitzung zu treffen. Für diesmal brauchte -er ja doch nur ein kleines Stück Leinwand, auf dem er die Skizze entwerfen -konnte, um vor der Hand einmal die Stellung festzuhalten. Die Größe des -Bildes mußte erst besprochen und festgestellt werden und manches Andere -blieb dabei zu thun. Die Zeit verflog ihm dabei ungemein rasch, und es war -elf Uhr geworden, bis er alles Nöthige -- oder wenigstens was er für nöthig -hielt, beendet hatte. Dann zog er sich an, rief einen Packträger von der -Straße herauf, um ihn mit den nöthigen Utensilien zu begleiten und -schritt nun fest und entschlossen, aber doch mit starkem Herzklopfen, -dem Joulard'schen Palais entgegen, als ob er nicht beordert wäre nur ein -Portrait zu beginnen, sondern als ob sein eigenes Schicksal sich gleich -endgültig entscheiden müsse. - -Er hatte das Joulard'sche Haus bald erreicht, aber hier beengte ihn -der Glanz und die Pracht, die ihn umgab. Die Halle schon war mit Marmor -ausgelegt -- prächtige Statuen verzierten sie, kostbare Topfgewächse -standen auf der mit einem reichen Teppich belegten Treppe und galonnirte -Diener schlenderten müssig auf und ab. - -Trautenau fühlte sich beklommen, als er, durch einen der Lakaien, der -dem Träger seine Last abnahm, geleitet, die Treppe hinaufstieg, und das -besserte sich nicht, als er in ein kleines reizendes Boudoir geführt und -dort allein gelassen wurde. - -Hier athmete Clemence; wie lieb, wie wunderbar reizend das Alles aussah, -aber auch wie reich, wie ausgesucht, fast übertrieben prachtvoll. Wäre er -ruhig und unbefangen gewesen, so würde das Gemach eher einen unangenehmen -als günstigen Eindruck auf ihn gemacht haben, denn es war von Gegenständen -überladen, die eine Zimmerzierde sein sollen, aber nie eine Zimmerlast -werden dürfen. Die breiten goldenen Rahmen an den Wänden standen in keinem -Verhältniß zu der Größe der Bilder, welche sie umschlossen, und das war mit -allem Uebrigen der Fall. Marmor- und Bronze-Statuen und Statuetten drängten -sich einander. Die schweren, mit Spitzen überwallten Seidengardinen wurden -von goldenen Troddeln entstellt, prachtvoll eingelegte Möbeln rückten zu -nahe aneinander und brachten eher ein Gefühl der Beengung als des Behagens -hervor; der mit den seltensten Pflanzen gezierte Blumentisch war sogar so -gestellt, daß er keine freie Bewegung in dem Raum gestattete. Sonderbarer -Weise hing dazwischen auch eine Anzahl vergoldeter Bauer mit unseren -heimischen Sängern herab, mit Finken, Nachtigallen und anderen, und auf -einem gestickten Polster lag ein kleines silberweißes Wachtelhündchen und -knurrte leise vor sich hin, als Trautenau das Heiligthum betrat, hielt es -aber sonst nicht der Mühe werth, sich auch nur zu rühren. - -Trautenau überflog das Ganze mit einem Blick, aber er sah auch, daß dieses -Boudoir zugleich das kleine Atelier der jungen Dame bildete, denn ein -mächtiges, mit einer einzigen großen Scheibe versehenes Fenster sah nach -Norden hinaus und neben dem Blumentisch stand noch, von zwei Stühlen -gehalten, eine Mahagoni-Staffelei, von der unser junger Freund allerdings -nicht recht begriff, wie es möglich sein würde, sie hier in dem engen Raum -aufzustellen. - -Ehe er aber darüber ganz mit sich im Reinen war, hörte er plötzlich -ein seidenes Kleid rauschen, die eine Thür wurde nur durch einen -purpurdamastenen Vorhang verdeckt, dieser schob sich zurück, und wie er -sich rasch dorthin wandte, stand er einem Wesen gegenüber, das ihm mehr dem -Himmel als der Erde anzugehören schien. - -Es war Clemence, -- aber nicht mehr das junge schüchterne Mädchen aus den -Alpen, das sich, Hülfe und Schutz suchend, an seinen Arm schmiegte. Wie -eine Prinzessin schwebte sie herein, ein weißes Seidenkleid vom schwersten -Stoff und mit Goldfäden durchwirkt, umschloß ihre schlanke, junonische -Gestalt. Voll und schwer hingen ihr die dunklen Locken an den Schläfen -nieder, ihren weißen Hals deckte ein Collier blitzender Brillanten, aber -ihre beiden Augensterne überstrahlten sie alle, und wie sie mit königlichem -Anstand vor dem jungen Manne stehen blieb und ihn mit diesen Augen ansah, -war es, als ob ihr Feuer bis in seine innerste Seele drang. Er wurde -über und über roth und stand so verlegen vor der Jungfrau, daß diese ein -leichtes Lächeln kaum unterdrücken konnte. Aber sie schien nicht böse über -den Eindruck, den sie auf ihn hervorbrachte, und sagte freundlich: - -»Herr Trautenau, Sie haben Ihre Zeit pünktlich eingehalten und ich möchte -Sie jetzt bitten Ihre Anordnungen hier in meinem kleinen Atelier zu treffen --- Künstler folgen dabei am Liebsten ihrer eigenen Neigung. Das Licht -ist, wie Sie sehen vortrefflich, und nur der Raum vielleicht ein wenig -beschränkt, doch werden wir uns ja wohl einrichten.« - -Trautenau bemerkte jetzt erst, daß eine andere Dame der Tochter des Hauses -gefolgt war, von dieser freilich, in ihrem ganzen Wesen so verschieden wie -Tag und Nacht -- wie Sonnenstrahl und Kerzenschein. - -Die Begleiterin entwickelte sich als eine kleine dicke Person mit einem -Kropf, in einem schwarzseidenen, aber schon lange getragenen Kleid, und mit -einer wunderlichen Coiffüre von grellrothen und gelben Blumen auf dem Kopf. -Trautenau warf einen erstaunten Blick nach ihr hinüber, konnte aber nicht -klug aus ihr werden, was sie vorstelle. Clemencens Mutter, Madame Joulard? --- Diese war, so viel er gehört schon vor längerer Zeit gestorben. -- Eine -Gesellschafterin? Clemence würde sich sicherlich eine andere Persönlichkeit -dazu ausgesucht haben, und eine Gouvernante brauchte sie ebenfalls -nicht mehr. Vielleicht eine Duenna? Aber es blieb ihm keine Zeit, der -Persönlichkeit eine weitere Aufmerksamkeit zu schenken, denn Clemence -selber verlangte diese, und er ärgerte sich auch, daß er ihr gar so -schülerhaft gegenüber stand. - -»Wenn Sie mir erlauben, mein gnädiges Fräulein,« sagte er zu Clemence, »so -will ich die Staffelei hier herüber stellen -- an diesem Platz werden wir, -glaub' ich, das beste Licht haben.« - -»Wie Sie es für gut halten.« - -»Aber die Symmetrie wird gestört, wenn der Blumentisch dort hinüber kommt,« -bemerkte die Dame mit dem Kropf. - -»Die Symmetrie wird durch Manches gestört, gnädige Frau,« entgegnete -Trautenau, durch den albernen Einwurf geärgert, »was sich im Leben nun -einmal nicht ändern läßt.« - -Clemence lächelte verstohlen vor sich hin, drückte aber auch zu gleicher -Zeit auf die auf ihrem Schreibtisch stehende Klingel, und bedeutete dann -gleich den eintretenden Bedienten, die gewünschte Aenderung vorzunehmen. - -Es war das rasch gemacht; Ernst half selber dabei, der Staffelei die -richtige Stellung zu geben und zugleich einen passenden Platz für Clemence -zu haben, wo das Licht voll auf sie fiel und ihre schlanke Gestalt gut -beleuchtet wurde. - -Jetzt erst bekam er Zeit, das junge Mädchen aufmerksam zu betrachten, -und ach wie schön war sie -- wie himmlisch schön. Die dunklen, vollen -castanienbraunen Locken stachen wunderbar gegen den weißen Nacken ab, auf -dem sie ruhten und diese Augen mit den Wimpern, -- diese Lippen, die Zähne, -wie Perlen an einander gereiht. So voll und aufmerksam, und sich selbst -dabei vergessend, ruhte, ja haftete sein Blick an der verführerischen -Gestalt, daß Clemence endlich erröthete und lächelnd sagte: - -»Wie wünschen Sie, daß ich mich stellen soll?« - -»Wie Sie wollen,« rief Trautenau begeistert; »es giebt immer ein -prachtvolles Bild, aber -- es wird matt gegen das Original werden, fürchte -ich --« - -»Mein Vater wünscht ein ähnliches Bild,« sagte Clemence, und ihre, noch -eben lächelnden Züge nahmen einen weit strengeren Ausdruck an. »Sie werden -also mit Ihren Farben wohl vollständig ausreichen. Dürfte ich Sie bitten, -meine Stellung zu bestimmen.« - -»Ich würde Sie ersuchen, sich diese selber zu wählen,« erwiderte der -Maler, der die Zurechtweisung recht gut fühlte und leicht erröthete -- »so -natürlich und ungezwungen wie möglich, wenn ich bitten darf. Vielleicht -dürfen wir zu der Stellung eine jener Vasen benutzen, und den großen -Trumeau als Hintergrund.« - -»Nein, das ist zu gesucht,« meinte Clemence »und macht Ihnen außerdem -doppelte Arbeit -- die Vase, ja. -- Ich werde ein kleines Blumenbouquet -in die Hand nehmen, bitte Sie aber, die Blumen nicht auszuführen, da ich -Alpenblumen -- Edelweiß, Alpenrosen und Genziane -- dazu benutzen möchte.« - -Trautenau fühlte, wie ihm das Herz lauter schlug. -- Also auch sie -erinnerte sich noch jener schönen Berge und schien sogar die Erinnerung -daran zu lieben -- hatte sie ihn aber ganz vergessen? Aber um ihr jene -Scene in's Gedächtniß zurückzurufen, bedurfte er einer ruhigeren Zeit, als -den Beginn der Sitzung -- die mußte er abwarten. - -Die Stellung der Dame nahm jetzt auch in der That seine ganze -Aufmerksamkeit in Anspruch, und wie ein electrischer Strom lief es durch -seinen ganzen Körper, als er leise und ehrfurchtsvoll selbst ihren Arm -berührte, um denselben etwas zu heben. - -»Mademoiselle,« rief Clemence, als diese Vorbereitungen beendet waren, -»bitte klingeln Sie einmal -- ich lasse meinen Vater ersuchen, einen -Augenblick herüber zu kommen, um zu sehen, ob ihm meine Stellung gefällt.« - -Der Befehl wurde rasch ausgeführt. -- Also eine Mademoiselle war die Dame -mit dem dicken Hals -- Wirthschafterin jedenfalls, oder gar eine Art von -Duenna -- und abschreckend genug sah sie für den letzteren Beruf aus. - -Es dauerte übrigens nicht lange, so betrat Herr Joulard das Zimmer. -Trautenau hatte ihn noch nie gesehen und er machte allerdings bei seinem -ersten Erscheinen keinen besonders günstigen Eindruck. Es war eine kleine -etwas schwammige Gestalt, dieser Millionair, mit halb zugekniffenen Augen -und ziemlich rastlosem und unstätem Blick. Er hatte eine Glatze, aber -eine hohe Stirn, die beiden Hände dabei in den Hosentaschen und dabei die -Angewohnheit, sich mit dem Kinn in die schwarze Halsbinde hineinzuarbeiten. -Uebrigens ging er einfach gekleidet und nur eine dicke schwere Goldkette -hing ihm, als einziger Schmuck, über die braunseidene Weste. - -Er trat in das Zimmer, ohne aber die Hände aus den Taschen zu ziehen und -den jungen Maler auch kaum mehr als durch ein leichtes Kopfnicken grüßend, -und in der Mitte des Boudoirs stehen bleibend, betrachtete er sich die -Gestalt des jungen Mädchens ein paar Augenblicke wohlgefällig. - -»Sehr schön mein Herz,« sagte er endlich -- »sehr schön -- allerliebst, -wird sich recht gut machen. -- Aber weshalb hast Du Dein Diadem nicht -aufgesetzt? Das fehlt noch --« - -»Ich möchte nicht mit dem Diadem gemalt werden, Papa,« sagte Clemence -- -»es sieht zu anspruchsvoll aus.« - -»Zu anspruchsvoll! Unsinn,« rief lachend der alte Herr, »was Du für Ideen -hast -- Joulard's einziges Kind zu anspruchsvoll!« - -»Es paßt mir auch nicht zu meiner Kleidung; ich werde ein Bouquet von -Alpenblumen in die Hand nehmen.« - -»Zur Erinnerung an das ewige Bergsteigen und die erbärmlichen -Wirthshäuser,« meinte Herr Joulard -- »Dein chinesischer Fächer würde sich -viel besser machen.« - -»Bitte laß mich das selber arrangiren,« entgegnete Clemence ziemlich -bestimmt, »ich hatte Dich nur rufen lassen, um mir zu sagen, ob Dir meine -Stellung so gefällt.« - -»Nichts daran auszusetzen,« wiederholte der Vater, schon gewohnt, daß seine -Tochter ihren eigenen Willen hatte -- »wird sich ganz gut machen. Und weiß -der Herr schon die Größe des Bildes?« - -»Nein.« - -»Gut; führe ihn nachher durch den Salon, daß er sich dort selber das Maaß -nach dem Bild Deiner seligen Mutter nimmt. Es soll genau so groß werden.« -Und sich dann abwendend, als ob gar keine weiteren Personen im Zimmer -wären, verschwand er wieder durch die Thür. - -Ernst ging jetzt rasch daran, die Skizze zu entwerfen, und die Dame in dem -schwarzseidenen Kleid hatte es sich indessen in einem breiten Lehnstuhl, -den sie aber so rückte, daß sie die Staffelei im Auge behielt, bequem -gemacht. Sie war augenscheinlich nur dazu da, um der jungen Dame als -Ehrenwache zu dienen. - -Er arbeitete außerordentlich rasch; die gegebene Stunde war ihm aber doch -nur zu bald entflogen und mit dem Glockenschlag Eins winkte ihm Clemence -freundlich mit der Hand und sagte: - -»Meine Zeit ist für heute um -- ich hoffe, Sie morgen pünktlich wieder hier -zu sehen, und jetzt bitte ich Sie nur noch, mir durch den Saal zu folgen, -damit Sie den Rahmen zu Ihrer Leinwand bestellen können.« - -Sie wartete auch gar keine Antwort ab, sondern schritt ihm voran durch das -nächste Gemach hindurch in den eigentlichen Salon, in welchem Trautenau -wieder alle erdenkliche Pracht verschwendet sah. Es fand sich aber hier der -nämliche Uebelstand, wie in dem Boudoir. - -Der Raum war mit kostbaren Verzierungen überfüllt und genug davon -aufeinander gehäuft, um zwei solche Säle fürstlich auszustatten. Man -sah bei jedem Schritt, daß man sich nicht in der Wohnung eines wirklich -vornehmen Mannes, sondern in dem Hause eines Parvenus befand, der diese -Räume nicht deshalb so reich ausgestattet hatte, um sich selber wohl und -behaglich darin zu fühlen, sondern nur um damit zu prunken und seinen -Reichthum zu zeigen. - -Das Maaß von dem sehr großen Bilde, für welches Herr Joulard schon vorher -eine Treppenleiter hatte herbeischaffen lassen, war bald genommen. -Clemence wartete das aber nicht ab. Sich mit einer leichten Verbeugung -verabschiedend, schritt sie in ihr eigenes Zimmer zurück und überließ es -ihrer Begleiterin, dem fremden Künstler so lange Gesellschaft zu leisten, -bis er fertig sein würde und ihm dann den Ausgang zu zeigen. - - - - -Viertes Capitel. - -Das Bild. - - -Sechs Tage hatte Trautenau jetzt an seinem Bild gearbeitet und sich dabei -mit immer wachsender Leidenschaft in die tadellos schönen Züge und Formen -des jungen Mädchens versenkt, ohne es aber zu wagen, ihr die frühere -Begegnung in's Gedächtniß zurückzurufen. Clemence war allerdings immer -freundlich gegen ihn, aber nur mit jener höflichen Freundlichkeit, die wohl -zuvorkommend erscheint, aber zugleich jedes vertrauliche Entgegenkommen mit -einem kalten Lächeln zurückweist und dadurch unnahbar wird. - -Auch ihren Vater hatte er in der ganzen Zeit nicht wieder gesehen und -nicht ein einziges Mal den Major, der jedenfalls andere Besuchstunden haben -mußte. Einmal wurde er allerdings gemeldet, während Trautenau arbeitete, -Clemence ließ ihm aber, ohne sich nur im Mindesten aus ihrer Stellung zu -rühren, sagen, sie bedaure sehr, jetzt keine Zeit zu haben, und bäte den -Major, um halb zwei Uhr wieder vorzusprechen. - -Das Bild war jetzt soweit in seiner Anlage und besonders in der Ausführung -des Kopfes vorgerückt, daß man schon recht gut ein Urtheil darüber fällen -konnte. - -Der Dame in dem alten schwarzseidenen Kleid fing aber nachgerade die -Geschichte an langweilig zu werden. Sie wußte, daß sie eigentlich nur -Anstands halber da saß und benutzte gelegentlich die Zeit, um einen kleinen -Morgenschlaf zu halten, in dem sie dann auch Niemand störte. Sie selber -genirte das aber am meisten, sie schämte sich, wenn sie wieder aufwachte -und es war in den letzten Tagen schon einige Male vorgekommen, daß sie -aufstand, das Zimmer verließ und dann wahrscheinlich irgendwo ein wenig auf -und ab ging, nur um wieder munter zu werden. - -Clemence hielt dabei nicht mehr so pünktlich ihre Stunde ein; es mochte ihr -wohl selber daran liegen, das Bild fertig zu bekommen und es wurde jetzt -immer, sehr zum Leidwesen der Mademoiselle, ein Viertel nach Eins, auch -wohl halb zwei Uhr, ehe sie das Zeichen zum Aufhören gab. - -Heute war Clemence in einer kleinen Pause vor die Staffelei getreten, -um selber dem Untermalen des Bouquets zuzusehen. Man hatte allerdings in -dieser Jahreszeit keine wirklichen Alpenrosen beschaffen können, aber -dafür künstlich gemachte von Paris verschrieben und die Farben zeigten sich -lebendig genug. - -»Lieben Sie die Alpenblumen, gnädiges Fräulein,« begann Trautenau, der -jetzt nicht mehr länger schweigen konnte, denn die Gelegenheit bot sich ihm -zu günstig dar. - -»Gewiß liebe ich sie,« erwiederte Clemence, »sie haben freilich keinen -Duft, aber so wunderbar schöne Farben. Wie herrlich ist allein das Laub der -Alpenrosen.« - -»Und erinnern Sie sich noch gern jener Zeit, in welcher Sie in den freien -Bergen umherstreiften?« - -»Sehr gern.« - -»Aber Sie haben sich doch ein Bischen vor den steilen Wegen gefürchtet?« - -»Wohl nicht mehr als jeder andere Bewohner des flachen Landes,« entgegnete -Clemence ruhig. - -»Auch nicht an der einen steilen Graslanne?« fuhr Trautenau, ohne die Augen -von seinem Bild zu nehmen, still vor sich hinlächelnd, fort. - -»An der Graslanne? -- was wissen Sie davon?« rief Clemence, ihn verwundert -ansehend. - -»Und kennen Sie mich nicht mehr?« - -»Ich? -- Sie? -- und doch,« setzte sie plötzlich tief erröthend hinzu, »es --- es wäre wirklich möglich -- Waren Sie jener junge Fremde?« - -»Ich war wirklich jener Glückliche, der Ihnen damals den kleinen, leider -nur zu unbedeutenden Dienst leisten durfte.« - -»Damals habe ich mich allerdings recht ungeschickt benommen, und Sie werden -oft über mich gelacht haben,« flüsterte Clemence, während sie wirklich -blutroth wurde. »Es war zu thöricht, aber ich weiß nicht, ich wurde auf -einmal schwindelig und hielt den Abhang auch für viel steiler, als er sich -später zeigte.« - -»Jene Lannen sind gar nicht so leicht zu begehen,« bemerkte Trautenau -entschuldigend, »besonders nicht für Damen, die bei ihren langen Kleidern -nicht genau sehen können, wohin sie den Fuß setzen und außerdem viel zu -leichtes und glattes Schuhzeug tragen. -- Ich hoffte damals Sie später -in den Bergen wieder zu treffen, aber Sie waren so rasch und plötzlich -verschwunden, daß ich selbst auf der breiten Heerstraße Ihre Spur verlor.« - -»Ja -- mein Vater eilte etwas, um nach Hause zurückzukehren,« erwiederte -das junge Mädchen, während ihr Blick die Züge des Malers streifte, als ob -sie den Sinn der eben gesprochenen Worte daraus lesen wolle. - -Dieser hörte indessen, wie ihm sein Herz in der Brust schlug, die -Mademoiselle schlief sanft -- seine Hand zitterte so, daß er mit dem Malen -inne halten mußte. - -»Seit der Zeit,« fuhr er leise und bewegt fort, »ist es immer mein -sehnlichster Wunsch gewesen, Ihnen wieder einmal nahen zu dürfen.« - -»Der Wunsch war so bescheiden,« meinte Clemence lächelnd, »daß der Himmel -ihn erfüllt hat. Nicht wahr, Mademoiselle,« setzte sie mit lauterer Stimme -hinzu. - -»Ja wohl -- ja wohl -- gewiß,« erwiederte die sanft ruhende Dame, aus ihrem -Schlummer emporfahrend, »nur ein Bischen zu weiß ist das Kleid.« - -»Wir sprachen gestern darüber, ehe Sie kamen,« fuhr Clemence fort, »finden -Sie nicht auch, daß das Kleid ein wenig zu weiß ist? Mir kommt es vor, als -ob das meinige einen mehr gelblichen Schimmer hat.« - -»Es ist das Licht jenes gelben Vorhanges, der, wenn Sie hier stehen, darauf -fällt,« antwortete Trautenau, und fühlte recht gut, daß sie absichtlich -und fast gewaltsam dem Gespräch eine andere Richtung gegeben hatte; -Mademoiselle war auch jetzt vollständig munter geworden und an eine -Wiederaufnahme desselben nicht zu denken. Clemence brach aber gleich darauf -die Sitzung ab. Sie hatte Kopfschmerzen bekommen, wie sie sagte, und wollte -lieber morgen eine Viertelstunde nachholen. - -Damit ging der Maler, er hatte keinen Vorwand mehr zu bleiben, aber er trug -das beunruhigende Gefühl mit sich fort, weiter von seinem Ziele zu sein, -als je, denn war es nicht augenscheinlich, daß Clemence beinahe ängstlich -gesucht hatte die Unterredung abzubrechen? Fürchtete sie etwa deren -Fortsetzung? dann wäre ihm noch eine Hoffnung geblieben. Oder war das -Gespräch ihr nur lästig geworden? dann freilich durfte er Alles verloren -geben. - -In den nächsten Tagen zeigte sich auch nicht die geringste Gelegenheit das -Gespräch wieder aufzunehmen. Clemence vermied jede Möglichkeit, um einer -derartigen Unterhaltung den kleinsten Anknüpfungspunkt zu geben und -Mademoiselle hielt ihre sonst so schläfrigen Augen fast krampfhaft offen. --- Dann kam eine lange Pause -- Ernst hatte das noch nicht beendete Bild -nach Hause geschickt bekommen, um es, so weit es ohne das Original möglich -war, auszuführen, und sich dann nur noch zwei Sitzungen erbeten, um es -vollständig zu beenden. - -Darüber waren mehre Wochen vergangen und in dieser Zeit durchliefen -wunderliche Gerüchte über den Major die Stadt, die aber sein Verhältniß im -Hause des reichen Joulard nicht zu stören schienen. - -Von einer Seite wurde nämlich ausgesprengt, daß er eine sehr bedeutende -Erbschaft gemacht habe -- Thatsache war nur, daß er in den letzten Wochen -viel mehr verausgabte, als seine monatliche Gage ausmachte -- von anderer -Seite hieß es, daß er seinen Abschied nehmen wolle -- weshalb? wußte -freilich Niemand zu sagen und die natürlichste Erklärung blieb dann immer, -daß er, mit eigenem Vermögen und als Schwiegersohn des reichsten Mannes -in der Stadt, die ewigen Scherereien des Dienstes satt bekommen und ein -unabhängiger Mann zu werden wünschte. Es wäre jedenfalls thöricht gewesen, -da noch länger Soldat zu bleiben. -- Einige wollten aber behaupten, er -müsse den Abschied nehmen, und es gab in der That eine Menge Leute in der -Stadt, die da wissen wollten: der Major sei ein von Grund aus ruinirter -Patron, der sich nur noch durch seinen altadeligen Namen halte, und -nächstens einmal mit seinem ganzen Lug- und Truggewebe zusammenbrechen -müsse. Diese begriffen dann freilich nicht, wie ein Mann wie Joulard ihm -die Hand seines einzigen Kindes geben könne. Hatte er aber wirklich so -viel Schulden, als einzelne behaupten wollten, so zahlte natürlich Joulard -Alles, und des Majors Credit in der Stadt blieb deshalb auch, trotz aller -Gerüchte, ein völlig unbeschränkter. - -Trautenau allein vielleicht quälte sich um die Braut. Er fühlte selber, daß -die Hoffnung, sie für sich zu gewinnen, eine wahnsinnige sei, aber er hielt -es für seine Pflicht, vor ihr das nicht als ein Geheimniß zu bewahren, was -die Stadt erfüllte, und was sie selbst als die künftige Gattin jenes Mannes -am nächsten betraf. Er hatte es jetzt noch in seiner Hand, mit ihr zu -reden, und hätte sich später die bittersten Vorwürfe machen müssen, wenn er -da geschwiegen hätte, wo er durch eine freundliche Warnung vielleicht Elend -und Jammer von einem theuren Haupt abwenden konnte. - -Das Bild stand wieder im Boudoir von Clemence; er hatte noch höchstens zwei -Tage zu malen, um es zu vollenden; aber der erste verging, ohne daß er im -Stand gewesen wäre, seine Absicht auszuführen. Immer, wenn ihm schon das -Wort auf den Lippen schwebte, fehlte ihm der Muth, und dann kam der Vater -mit einem Paar alter Damen zu ihnen, um mit diesen das beinahe fertige -Bild, das sich wirklich als vortrefflich gelungen zeigte, zu bewundern. -Eine vertrauliche Unterhaltung war deshalb unmöglich geworden. - -»Aber Sie haben ja noch etwas vergessen,« sagte da der alte Herr, indem -er mit fast zugekniffenen Augen vor dem Gemälde stand, »daneben, auf dem -Ofenschirm, fehlt ja noch der Chinese -- das sieht zu leer aus. Soll der -nicht hinein?« - -»Doch,« entgegnete Trautenau, »aber erst morgen. Ich möchte heute das Bild -soweit beenden, daß ich morgen das gnädige Fräulein gar nicht mehr, oder -doch nur sehr wenig zu bemühen brauche. Die Herrschaften entschuldigen mich -wohl, wenn ich wieder an meine Arbeit gehe -- die Farben werden mir sonst -trocken.« - -Der Besuch war ihm lästig geworden und er suchte ihn zu entfernen, denn -es war doch sehr zweifelhaft, ob er morgen, am letzten Tage, eine bessere -Gelegenheit haben würde, mit Clemence zu sprechen. Aber es gelang ihm -nicht. Den beiden alten Damen war es etwas Neues, einen Maler arbeiten -zu sehen und sie wichen hartnäckig nicht von der Stelle bis die Zeit -verstrichen war. Dann rauschten sie fort und Clemence verließ mit ihnen das -Gemach. - -Der nächste Tag kam; Trautenau hatte die ganze Nacht gekämpft und der -Morgen fand ihn entschlossen, heute sich durch Nichts von seinem -Plan abschrecken zu lassen und selbst in Gegenwart der schrecklichen -Mademoiselle, wenn es denn nicht anders geschehen konnte, mit Clemence -über seine Besorgnisse zu sprechen. Er mußte die Last von seinem Gemüth -herunterwälzen -- mußte mit sich selber ins Klare kommen, und das geschah -am besten, wenn er sah, wie sich Clemence bei dem, was sie über ihren -Verlobten hörte, benehmen würde. Erschrak sie -- wurde sie bleich -- aber -was half es, sich jetzt schon darüber einen Plan zu machen. Das mußte der -Augenblick bringen und dem Augenblick überließ er darum Alles. - -Uebrigens fand er zu seinem Schrecken, als er dieses letzte Mal das Boudoir -der jungen Dame betrat, diese nicht, wie er erwartet hatte und wie es bis -jetzt immer der Fall gewesen, mit ihrer Begleiterin allein, sondern schon -eine kleine Gesellschaft um das so gut wie beendete Bild versammelt. In -dieser aber bemerkte er auch den Major, den er seit jenem Morgen nicht -wiedergesehen hatte und der ihn jetzt mit Lobeserhebungen überschüttete. Er -konnte gar nicht aufhören, die Aehnlichkeit sowohl, wie die künstlerische -Auffassung des Bildes zu preisen. - -»Aber wissen Sie wohl, mein verehrter Herr,« brach er plötzlich ab, »daß -Sie noch in meiner Schuld sind? Der versprochenen Copie wegen, mein' ich -nämlich. -- Denken Sie sich, lieber Joulard, denken Sie sich, meine Damen, -der Herr hat in seinem eigenen Atelier daheim den Teufel an die Wand -gemalt, und einen so pompösen, humoristischen Teufel, wie ich ihn in meinem -ganzen Leben nicht gesehen habe.« - -Eine alte Generalin schüttelte darüber sehr bedenklich den Kopf und -bemerkte sehr ernsthaft: - -»Das ist sündhaft, mein lieber Herr, nehmen Sie mir das nicht übel. Das -heißt Gott versuchen und den Bösen locken, denn wenn Sie ihm eine solche -Einladungskarte geben, kommt er, darauf können Sie sich fest verlassen -- -er kommt gewiß.« - -»Er hat mich auch schon besucht,« erwiderte der Maler lächelnd, »aber seien -Sie versichert, gnädige Frau, der wirkliche Teufel ist nicht so schlimm, -wie er gewöhnlich geschildert wird, und schon der Umstand, daß er sich nur -das schlechteste Gesindel auf der Welt aussucht, um es für sich zu holen, -zeugt von seiner Bescheidenheit.« - -Herr Joulard und der Major lachten laut auf; die alte würdige Dame aber, -die wahrscheinlich keinen Sonntag die Kirche versäumte und jedenfalls eine -heilsame und pflichtgetreue Furcht vor dem Teufel hatte, schlug entsetzt -die Hände zusammen und rief: - -»Das ist ja eine Gotteslästerung.« - -»Doch nicht, wenn er den _Teufel_ lobt,« sagte lachend Herr Joulard, -»Excellenz irren sich, und ich bin ganz Herrn Trautenau's Meinung. Wenn -der Teufel wirklich so schwarz wäre wie er gemalt wird, würde ihn der -liebe Gott gar nicht auf der Erde dulden. Aber meine Damen, wir müssen dem -Künstler Platz machen, daß er an seine Staffelei treten kann. Vergessen Sie -nur den Chinesen nicht.« - -»Und meine Copie,« rief der Major. - -»Vielleicht läßt sich Beides vereinigen,« versetzte der Maler in einer -tollen Laune, »wollen die Herrschaften einen Augenblick Platz nehmen? -Vielleicht kann ich Ihren beiderseitigen Wunsch zugleich erfüllen,« und die -Palette aufnehmend, die er indessen in Stand gesetzt hatte, ging er daran, -mit keckem Pinsel seine Teufelsfigur aus dem Atelier auf den Ofenschirm zu -malen, wohin die Zeichnung, da der Schirm doch im Hintergrund und halb im -Schatten stand, also nicht zu sehr hervortrat, vortrefflich paßte. - -»Aber um Gottes Willen, Kind,« rief die alte Dame, die Herr Joulard -»Excellenz« genannt hatte, wie sie nur merkte, welche Gestalt aus dem -Ofenschirm herauswuchs. »Du willst doch nicht neben Deinem eigenen -Conterfey den lebendigen Satan abmalen lassen?« - -»Das wird, soviel ich bis jetzt sehe,« sagte Clemence, »kein Teufel, -sondern ein Faun, wenn auch mit etwas wunderlicher Ausschmückung und -- -ganz absonderlichen Zügen,« setzte sie langsam und mit einem forschenden -Seitenblick auf ihren Bräutigam hinzu, »aber irgend ein phantastisches Bild -paßt an einen solchen Platz, und ich sehe nicht die geringste Gefahr für -mich darin.« - -»Es wird ja aber wahrhaftig der helle Satan mit Hörnern und Schweif,« rief -die alte Dame entsetzt, während der Major neben dem jungen, eifrig malenden -Künstler stand und einmal über das andere »Bravo, ganz vortrefflich!« rief. -Er amüsirte sich ausgezeichnet und schien keine Ahnung zu haben, daß eben -dieser belobte Teufel seine eigenen, fast sprechend ähnlichen Züge trug. -Sonderbarer Weise fiel es auch, wie man das ja so oft hat, keinem Anderen -der Anwesenden augenblicklich auf, denn das Gesicht war doch immer -carrikirt. Nur Clemence verglich still, aber desto aufmerksamer das Antlitz -des Officiers mit der Carrikatur, und ihr Blick suchte dabei einmal dem -des Malers zu begegnen. Trautenau, obgleich er es merkte, wich ihr aber -absichtlich aus -- er wollte sich nicht vor der Zeit verrathen, und malte -so emsig weiter, daß in kaum einer halben Stunde das kleine Bild vollendet -war. Als aber von keiner Seite weiter Einspruch gegen das Sacrilegium -geschah, wurde es der alten Excellenz zu eng im Raum. Sie mahnte zum -Aufbruch und die Uebrigen folgten jetzt ebenfalls, um dem Maler den Platz -zu überlassen, denn dieser hatte Clemence gebeten, ihm heute noch höchstens -eine viertel Stunde zu sitzen, damit er den Kopf bis auf die letzten -Kleinigkeiten vollende. Das Uebrige konnte er dann mit leichter Mühe im -eigenen Hause fertig machen. - -Mademoiselle hatte wieder ihren gewöhnlichen Platz im Lehnstuhl eingenommen --- da sagte Clemence plötzlich: - -»Ach, Mademoiselle, wenn ich Sie bitten dürfte, im blauen Zimmer, wo meine -kleine Bibliothek steht, finden Sie das Buch der Lieder von Heine; dürfte -ich Sie ersuchen, es mir zu holen. Es muß im dritten oder vierten Fach -stehen.« - -Mademoiselle seufzte; sie hatte fast den ganzen Morgen gestanden und sich -eben erst recht bequem hingesetzt. Jetzt mußte sie wieder in die Höhe, -aber es half Nichts: sie konnte den Dienst nicht verweigern, da keiner der -Diener das Buch gefunden hätte. - -Des Malers Herz klopfte heftig. Hatte Clemence selber die lästige Zeugin -entfernt, um mit ihm allein zu sein? dann durfte er auch nicht blöde den -günstigen Moment versäumen, er konnte nie wiederkehren, denn heute war -seine Arbeit hier im Hause beendet. -- Aber sein Entschluß sollte ihm -erleichtert werden, denn kaum hatte sich die Thür hinter den Davongehenden -geschlossen, als das junge Mädchen zu der Staffelei trat und den jungen -Maler fest anblickend auf die Figur des Ofenschirms deutete und fragte: - -»Wessen Portrait ist das, mein Herr?« - -»Und muß es ein Portrait sein, mein gnädiges Fräulein,« rief Trautenau über -den entschiedenen, fast harten Ton der Stimme frappirt. - -»Sie leugnen also eine absichtliche Aehnlichkeit?« - -»Nein,« sagte der Maler, denn er fühlte, daß der entscheidende Moment -gekommen sei. »Wenn auch keine Aehnlichkeit, wollte ich doch eine -Charakteristik geben.« - -»Eine Charakteristik,« sagte Clemence erstaunt --, »wie verstehe ich das?« - -»Ich will deutlich reden, denn nicht die Minuten, nein die Secunden sind -mir zugezählt. Fräulein, von dem ersten Moment an, wo ich Sie sah, zog mich -ein Etwas zu Ihnen hin, dem ich keinen Namen geben konnte.« - -»Mein Herr!« rief Clemence, einen Schritt zurücktretend. - -»Fürchten Sie keine Belästigung,« fuhr Trautenau fort, »lassen Sie mich -ruhig ausreden, denn ich werde mich sehr kurz fassen, und es ist sogar -nöthig, daß Sie es erfahren.« - -»Sie sprechen in Räthseln,« erwiederte Clemence, während hohes Roth ihre -Züge färbte. - -»Die Ihnen augenblicklich klar werden sollen. Sie sind im Begriff sich mit -dem Major von Reuhenfels zu vermählen.« - -»Allerdings.« - -»Wissen Sie was man in der Stadt von ihm spricht?« - -»Von dem Major?« - -»Von demselben: Daß er ein arger Spieler und Schuldenmacher, ja mehr als -das, daß er ein schlechter Mensch sei.« - -»Mein Herr, Sie sprechen von meinem künftigen Gatten!« - -»Ich weiß es« rief Trautenau bewegt und weich -- »und nur um Unglück von -Ihrem theueren Haupt abzuwenden, wage ich etwas, wozu sonst nur ein Freund --- kein Fremder, das Recht beanspruchen durfte -- wage ich Sie zu warnen.« - -»Zu warnen?« - -»Ja, Clemence,« flüsterte Trautenau, der vor innerer Bewegung kaum die -Worte über die Lippen brachte. -- »Glauben Sie mir nur, daß mich allein die -Sorge -- die -- Theilnahme für Sie bewegt, Ihnen das zu sagen. Uebereilen -Sie den Schritt nicht, den Sie im Begriff sind zu thun, denn eine -lebenslange Reue könnte ihn bestrafen. Sie sollen mir nicht glauben -- kein -Wort von dem, was ich Ihnen sage, ohne vorher Alles genau geprüft zu haben; -aber prüfen Sie es wenigstens. Das Urtheil der Stadt über Ihren künftigen -Gatten ist ein schweres, und Ihr Vater wenigstens muß wissen, was man ihm -zur Last legt. Die Enttäuschung später wäre nachher zu furchtbar.« - -»Haben Sie geendet?« fragte das junge Mädchen kalt. - -Trautenau schwieg und sah sie erstaunt an. - -»Dann ersuche ich Sie,« fuhr Clemence fort, »sich in Zukunft mit Anklagen, -die meinen Bräutigam betreffen, an diesen selber zu wenden. Ich und mein -Vater wissen, was in der Stadt aus Bosheit und besonders aus Neid gegen den -Herrn böswillig geklatscht und verbreitet wird. Ich will annehmen,« setzte -sie freundlicher hinzu, als sie die heftige Bewegung bemerkte, mit welcher -der Maler emporfahren wollte, »daß Ihnen solche Gehässigkeiten fremd sind. -Sie meinen es wahrscheinlich ehrlich und ich danke Ihnen dafür. Damit muß -aber auch die Sache und zwar für immer, abgemacht sein. Ich selber wünsche -wenigstens nicht weiter damit behelligt zu werden und nun bitte, beenden -Sie Ihre Arbeit, denn meine Zeit ist beschränkt.« - -»Wie Sie befehlen,« erwiederte Trautenau kalt, denn er fühlte diese -Zurückweisung doppelt scharf. -- »Vielleicht wünschen Sie nun auch, daß ich -die Aehnlichkeit in dem Bilde des Ofenschirmes ändern soll.« - -Clemence zögerte einen Augenblick mit der Antwort: endlich flog ein -leichtes, fast neckisches Lächeln über ihre Züge. - -»Nein,« sagte sie -- »lassen Sie es so. Haben Sie dies nämliche Bild an -Ihre Wand gemalt?« - -»Ja, mein gnädiges Fräulein.« - -Clemence erwiederte Nichts weiter; sie nahm ihre frühere Stellung wieder -ein und in demselben Augenblick öffnete sich auch die Thür, in welcher -Mademoiselle mit den Worten erschien, daß sie den ganzen Bücherschrank -von oben bis unten durchgesucht habe, ohne das bezeichnete Buch darin zu -finden. - -»Ich danke Ihnen, vielleicht hat es mein Vater herausgenommen. Ich brauche -es auch nicht mehr -- wir sind gleich zu Ende,« sagte Clemence in einem -gleichgültigen Ton. - -Trautenau beeilte sich jetzt wirklich mit der unbedeutenden Arbeit, die -er rasch vollendete und erst als sich Clemence bereit zeigte das Zimmer zu -verlassen, sagte er herzlich und einfach: - -»Mein gnädiges Fräulein, ich weiß nicht, ob ich jetzt, da ich das Letzte an -dem Bild in meinem eigenen Atelier beenden muß, noch einmal die Ehre haben -werde, Sie vor Ihrer Verheirathung zu sehen. Lassen Sie mich, der ich so -manche glückliche Stunde hier verlebte, nicht so kalt und förmlich von -Ihnen Abschied nehmen. Reichen Sie mir Ihre Hand.« - -Er streckte ihr die seine treuherzig entgegen, und während die Mademoiselle -über dieses sonderbare und außergewöhnliche Verlangen große Augen machte, -zögerte Clemence, der Bitte zu willfahren. Aber sie mochte es auch nicht -verweigern; schüchtern reichte sie ihm die äußersten Fingerspitzen. Der -Maler nahm sie, hob sie leicht an die Lippen und flüsterte dann: »Gott -gebe, daß diese Hand sich nur zum Glück in die eines Mannes lege. Seien Sie -glücklich --« und seinen Hut aufgreifend, ohne die Mademoiselle weiter zu -beachten, verließ er rasch das Zimmer. - - - - -Fünftes Capitel. - -Zerronnen. - - -Ernst Trautenau war in einer recht trüben Stimmung nach Hause gekommen -und diese wurde nicht gebessert als sein Auge auf das karrikirte Bild des -Majors fiel, dessen grinsende Züge sich über ihn lustig zu machen schienen. -Eine ganze Weile ging er auch mit verschränkten Armen in seinem Zimmer -auf und ab, und in Trotz und Aerger fuhr sein Blick wohl manchmal nach -der verhaßten Gestalt hinüber, ja es war als ob er mit einem finsteren -Entschluß ringe. Aber was konnte, was durfte er Anderes thun als der Sache -eben ihren Lauf lassen? Er hatte ja mit Clemence gesprochen und sie gewarnt -und sie ihn auch genau genug verstanden, aber auch höflich zwar, doch kalt -abgewiesen. Damit schien Alles erschöpft was ihn hätte veranlassen können -weiter vorzugehen, ja des jungen Mädchens ganzes Benehmen zeigte deutlich, -daß sie glaubte, er sei schon zu weit gegangen. - -Und was sollte er jetzt thun? Er hätte sich gern mit Frank ausgesprochen, -denn er wußte, daß der es treu mit ihm meine, Frank war aber seit einigen -Tagen verreist und wurde in der nächsten Zeit nicht wieder zurück erwartet; -so blieb ihm Nichts übrig, als Alles was ihn quälte, in der eigenen Brust -zu verschließen. - -Er war dadurch fast menschenscheu geworden, und als er Clemencens Bild, um -es jetzt in seinem eigenen Atelier zu beenden, wieder in das Haus geschickt -bekam, schloß er sich volle acht Tage damit ein, verkehrte mit Niemandem, -antwortete auf kein Klopfen, und grub sich den Pfeil, diesem geliebten -Zeugen gegenüber nur noch immer tiefer in die Brust. Ja er fand einen süßen -Schmerz für sich darin, eine kleine Copie davon zurückzubehalten, er hätte -sich ja sonst nicht von dem Bilde trennen können. - -Endlich hatte er es fertig und es war abgeliefert worden. In der ganzen -Zeit hörte er auch nichts von Joulard -- er wollte nichts hören, bis er -eines Morgens ein Schreiben des alten Herrn selber erhielt, in welchem -dieser ihm mit wenigen Worten für das »sehr gelungene Gemälde« dankte, -und ein Honorar beifügte, das Trautenau nie gewagt haben würde, so hoch zu -fordern. Aus dem Couvert fiel aber auch noch eine kleine Karte zu Boden, -die er vorher nicht bemerkt hatte. Er hob sie auf, es standen mit äußerst -feiner zierlicher Schrift nur die beiden Namen darauf: - - Major Kuno von Reuhenfels zu Berg, - Clemence von Reuhenfels zu Berg, - née Joulard. - -Es war geschehen, die Hochzeit hatte, ohne daß er in seiner -Abgeschlossenheit etwas davon gehört, stattgefunden und Clemence selber -seine Warnung verachtet. Die Folgen kamen jetzt über sie. - -Nun litt es ihn aber auch nicht mehr in der Stadt, er mußte fort. Um der -Form zu genügen, schrieb er ein paar Zeilen an Herrn Joulard, worin er -ihm den richtigen Empfang des Honorars dankend anzeigte und zugleich seine -Glückwünsche für das jung verehelichte Paar beilegte. Dann ließ er noch -einen Brief für Frank zurück, wenn dieser etwa wiederkehren sollte, packte -seinen kleinen Koffer und seine Malergeräthschaften zusammen und verließ -M--, um sich nach dem Süden -- nach Italien, dem Paradies der Künstler, zu -wenden. - -Dort blieb er weit über zwei Jahre und vertiefte sich so vollkommen in -seine Arbeiten, daß er von Deutschland wenig oder gar nichts hörte. Ja, er -mied es sogar, Kunde von dort zu erhalten. Nur die Erinnerung wachte und -bohrte noch in ihm. Clemencens Bild verließ ihn keinen Augenblick und ihre -lieben Züge gab er manchem seiner Bilder, wie er denn auch die Züge des -Majors nicht vergessen hatte. - -Eines seiner Gemälde machte Aufsehen. Es war eine Scene aus der früheren -italienischen Geschichte, wo Seeräuber von der afrikanischen Küste sich -manchmal keck an die Ufer dieses Landes wagten, ihre Schaaren an den Strand -warfen und von Menschen und Gütern raubten, an was sie in aller Schnelle -die Hand legen konnten. Das Bild stellte den Moment vor, wie die Räuber -wieder, während ein Theil von ihnen das andringende Landvolk zurücktreibt, -mit der gemachten Beute fliehen, und den Mittelpunkt desselben bildete -eine, mit furchtbarer Wahrheit ausgeführte Gruppe, in welcher der Capitain -der Räuber ein junges bildschönes Mädchen, das sich aber in rasender -Leidenschaft gegen ihn sträubt, zu dem nur noch wenige Schritte entfernt -liegenden Boot hinunter schleppt. - -Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, daß die Geraubte Clemencens Züge -trug, während der Capitain dem verhaßten Major glich. - -Gerade durch dies Gemälde aber, und daß er sich so lebendig wieder mit -den alten besser begrabenen Erinnerungen beschäftigte, erwachte in ihm die -Sehnsucht nach der Heimath stärker als je. -- Clemence? -- er wußte recht -gut, daß er mit keiner Faser seines Herzens mehr an sie denken durfte, -aber er wollte doch wenigstens in ihre Nähe zurückkehren. Er mußte sie noch -einmal sehen, er mußte hören, daß es ihr gut gehe, daß sie sich glücklich -fühle, und dann? Ei, dann hatte er weite Reisepläne vor. Er war noch jung, -und die Welt lag vor ihm mit all ihren ungemessenen Schätzen. - -Einmal mit dem Entschluß erst im Reinen, führte er ihn auch bald aus. Seine -Gemälde hatte er fast alle auf Bestellung gemacht; für das letzte wurde ihm -ein bedeutender Preis geboten; er nahm ihn an, und schon in der nächsten -Woche trat er den Rückweg nach Deutschland an. - -Als er M-- erreichte, fuhr er vom Bahnhof in einer offenen Droschke durch -die Stadt nach einem dem Kutscher bezeichneten Hôtel. Er wußte, daß er -auf dem Weg Joulard's Palais passiren mußte und wenn er sich auch keine -Hoffnung machte, Clemence dort zu sehen, wollte er doch wenigstens einen -Blick nach ihren Fenstern werfen. - -Dort lag das stattliche Gebäude vor ihm, aber er schrak fast zusammen, -als er die Veränderung bemerkte, die mit demselben in der kurzen Zeit -vorgegangen war. - -Das war nicht mehr das Haus eines reichen Privatmannes, denn die Industrie -hatte sich seiner bemächtigt, und große Schilder beklebten, entstellten es -von oben bis unten. Die Parterrelokale waren parcellirt und zu eleganten -Verkaufsräumen hergerichtet worden -- in der ersten Etage hatte sich ein -großes Spitzenlager von Aaron Hamburger etablirt, dessen riesiger Name -fast die ganze Front einnahm, und oben war in der zweiten Etage eine Thür -ausgebrochen und ein Krahnbalken eingeschoben worden, um dorthin Waaren -gleich von der Straße aus, hinaufzuwinden. - -»Hat denn Herr Joulard dies Haus verkauft?« frug Trautenau unwillkürlich -den Kutscher; dieser zuckte aber mit den Achseln und erwiederte: - -»Kann ich nicht sagen, ich bin erst seit einem halben Jahre in M-- und weiß -gar nicht, wem das Haus früher gehörte. Jetzt ist's der Stadt und die Läden -werden vom Stadtrath selber vermiethet, denn ich weiß, mein Herr hätte gern -die schönen Ställe da drin gehabt, aber sie forderten einen zu bärenmäßigen -Zins dafür. Da war's denn Nichts.« - -Nicht lange darauf hielt die Droschke vor dem bezeichneten Hôtel, und -Trautenau's erste Frage, nachdem er sein Zimmer angewiesen bekommen, war -nach dem Joulard'schen Hause. Der Kellner zuckte ebenfalls die Achseln. - -»Das war eine faule Geschichte,« sagte er, »sind nun fast zwei Jahre, da -brach der Schwindel zusammen. Die ganze Stadt hatte den Herrn Joulard für -einen Millionär gehalten -- ja wohl, eine halbe Million Schulden kam fast -zusammen, es ging hoch in die Hunderttausende und auf einmal war er weg, -wie Schnee im April, und kein Mensch weiß noch bis zu dieser Stunde, was -aus ihm geworden ist.« - -Trautenau schnürte es fast das Herz zusammen, aber er wagte nicht, den -kurzjackigen, wohlfrisirten Menschen weiter zu fragen. Von diesen Lippen -wollte er das Schicksal Clemences nicht erfahren. Er mußte sehn, ob er -Frank nicht in M-- traf. - -Er zog sich rasch um und ging in dessen alte Wohnung, dort aber war er -nicht mehr zu finden. Jedoch sollte er in der Stadt sein, wo er sich aber -jetzt eingemiethet habe, würde Herr Trautenau wohl auf der Polizei am -sichersten erfahren. - -Dorthin ging er und hörte, daß Franz Rauling, Maler, sein eigenes altes -Atelier bewohnte, wohin er sich denn natürlich augenblicklich begab. - -Das Wiedersehen der beiden Freunde war herzlich. Wie viel hatten sie sich -auch zu sagen und zu erzählen, und doch scheuten sich Beide eine lange -Weile den einen Punkt zu berühren, der jedenfalls auf Beider Lippen lag und -dem doch Keiner von ihnen zuerst Worte geben mochte. - -Trautenau saß in einem alten lederüberzogenen Lehnstuhl, den Kopf in die -rechte Hand gestützt, das linke Bein über das rechte geschlagen, und sein -Blick hing, während er mit dem Freund sprach, fest und unverwandt an seinem -eigenen Teufelsbild, das heute noch wie damals die Mauer zierte -- oder -entstellte. - -»Und was ist aus dem da geworden?« brach er endlich durch alle Schranken -durch, denn er mußte ja doch wissen, was mit Clemence geschehen. - -»Aus dem da?« antwortete Frank und warf den Blick über die Schulter nach -dem Wandgemälde -- »weißt Du schon, was aus dem alten Joulard geworden -ist?« - -»Sein Haus hat er verkauft.« - -»Er? -- nein -- aber seine Gläubiger haben es gethan. Das war einer der -größten Schwindler, die je existirt. Und wie hat er unsere gute Stadt -selber angezapft. Mit einer Frechheit ist er dabei aufgetreten, die gar -nichts zu wünschen übrig ließ. Er verstand wie Keiner, den Leuten Sand -in die Augen zu streuen und besaß dadurch einen ganz enormen Credit. Den -benutzte er, so lange es anging, aber ewig konnte das natürlich nicht -dauern -- plötzlich und bald nachdem Du M-- verlassen, brach es zusammen, -und wie nur die erste drohende Wolke am Horizont aufstieg, ballte sich -auch in wenigen Tagen, ja man könnte sagen in Stunden ein so furchtbares -Gewitter über seinem Haupt zusammen, daß er es für gerathen fand demselben -auszuweichen. Er verschwand und hat auch keine Spur hinterlassen, was aus -ihm geworden. Einige wollten behaupten, daß er freiwillig den Tod gesucht, -aber ich glaube es nicht -- sein Leichnam ist nirgends gefunden worden -und außerdem traue ich dem berechnenden Burschen eine solche That der -Verzweiflung gar nicht zu, da er durch die Katastrophe ja nicht überrascht -werden konnte. Er mußte vom ersten Augenblick an wissen, daß sie ihn früher -oder später ereilen würde. Sie konnte nicht ausbleiben.« - -»Und Clemence?« fragte Trautenau leise -- »ist sie hier?« - -Frank zögerte mit der Antwort. -- »Nein« sagte er endlich, »aber ich sehe -auch nicht ein, weshalb ich Dir etwas vorenthalten soll, was Dir doch hier -in M-- kein Geheimniß bleiben kann, denn die Sperlinge auf den Dächern -haben fast ein Jahr lang davon geschwatzt. Jetzt ist es ruhiger geworden, -denn das Publikum findet immer wieder etwas Neues, was die alten -Geschichten vergessen läßt!« - -»So ist etwas mit dem Major vorgegangen?« - -»Allerdings, und zwar kurz vorher, ehe der Bankerott des Alten ausbrach. -Wärest Du nur acht Wochen länger in M-- geblieben, so hättest Du die ganze -Sache mit erlebt.« - -»Und was war es?« - -»Du weißt, welche Gerüchte schon früher über ihn umliefen, und -unbegreiflich ist es, daß Joulard selber Nichts davon gehört haben sollte.« - -»Ich selber habe Clemence gewarnt.« - -»Du?« - -»Gewiß, wie ich sie das letzte Mal sah, aber sie wies mich kalt und stolz -zurück.« - -»Dann steckt auch mehr dahinter und dies bestätigt einen Verdacht, den ich -schon lange gefaßt, daß nämlich der Major sowohl, als der alte Joulard ihre -gegenseitigen Verhältnisse genau kannten. Uebrigens wurde später behauptet, -daß Clemence gar nicht Joulards Tochter gewesen sei.« - -»Und wessen sonst?« - -Frank zuckte mit den Achseln. »Es würde schwer sein, das festzustellen, -und käme auch Nichts mehr darauf an, denn er ist fort aus M-- und wird wohl -schwerlich hierher zurückkehren.« - -»Und was ist sonst vorgefallen? Sage mir Alles.« - -»Es ist mit kurzen Worten erzählt. Es kamen Dinge zur Sprache, die den -Major auf das Aeußerste compromittirten. Er mußte seinen Abschied nehmen. -Wechsel waren gefälscht worden, Cassengelder unterschlagen. Man sprach von -falschem Spiel und einigen anderen Betrügereien und ging, mit Rücksicht auf -den Schwiegervater und den adeligen Namen des Burschen, wohl schlaffer mit -der Anklage gegen ihn vor, als man gegen einen Menschen aus niederem Stande -vorgeschritten wäre. Auf einmal war der Major verschwunden.« - -»Mit seiner Frau?« - -»Mit seiner Frau, und als nun Joulard die Wechsel zahlen sollte, brach eben -das ganze Kartenhaus zusammen.« - -»Und wurde der Major nicht verfolgt?« - -»Nein, man erzählte sich, oder wußte vielmehr, daß er bei Prinz Y-- sehr -gut angeschrieben stand, es gingen darüber allerlei tolle Gerüchte, die -natürlich wenig ehrenhaft für den Major waren. Der Prinz zahlte, wenn auch -seufzend, aber er zahlte doch, und die Klage gegen den Major, da sich die -Gläubiger gern mit 50% abfinden ließen, wo sie schon gefürchtet hatten gar -nichts zu bekommen, wurde niedergeschlagen.« - -»Und wo hält er sich jetzt auf?« - -»Kein Mensch weiß es. Ein Bekannter von mir wollte ihn neulich in Paris -gesehen haben, schien seiner Sache aber doch nicht ganz gewiß. Unmöglich -wär's freilich nicht, denn wenn er auch nicht in Deutschland mehr verfolgt -wird, dürfte er es doch nicht wagen, sich in anständiger Gesellschaft -blicken zu lassen, und ein solcher Zustand würde ihm bald unerträglich -werden.« - -»Und Clemence ist bei ihm?« - -»Wenigstens mit ihm von hier fortgegangen.« - -»Armes, unglückliches Geschöpf -- wie furchtbar elend muß sie sich jetzt -fühlen.« - -Frank schwieg und sah still vor sich nieder. Es schien fast, als ob er -noch etwas sagen wollte; Trautenau aber war zu sehr mit seinen eigenen -schmerzlichen Gedanken beschäftigt, um es zu bemerken. Manche Gerüchte über -Clemence hatten nämlich ebenfalls die Stadt durchlaufen, aber was konnte es -nützen, dem Freund durch Wiederholung derselben wehe zu thun. Bewiesen war -doch keins von allen worden, und ob Clemence nun Mitschuldige oder rein von -jedem Fehl sei, was kümmerte das den Stadtklatsch, der überall seine Opfer -suchte und dabei wahrlich nicht wählerisch in seinen Mitteln war. - -»Und weißt Du nicht, was aus ihrem Bild geworden ist?« fragte der Andere -nach einer längeren Pause. -- »Sind denn auch selbst die Familienbilder -unter den Hammer des Actionators gekommen?« - -»Alles,« lautete Frank's Antwort, »Dein Bild soll übrigens ziemlich hoch -von einem Engländer erstanden sein, der sich, Gott weiß, aus welchem -Grunde, dafür interessirte. Ich glaube, der Ofenschirm hat ihm in die Augen -gestochen. Das war doch eine verwünschte Idee von Dir, Ernst, den Bräutigam -als Carricatur neben die Braut zu stellen, und ich begreife nur nicht, daß -Clemence selber blind gegen die wirklich frappante Aehnlichkeit blieb.« - -»Sie hat sie damals entdeckt.« - -»Was? und den Schirm nicht übermalen lassen?« - -»Ich erbot mich, es selber zu thun, aber sie wies es zurück.« - -»Das ist in der That sehr sonderbar und zeugt wohl von einem ganz -eigenthümlichen Humor der jungen Dame, aber nicht besonders von ihrer -Verehrung für den Bräutigam.« - -»Sie hat sich doch keinenfalls etwas Böses dabei gedacht.« - -»Wer kann wissen, was sich so ein Mädchenkopf denkt -- das ist -unergründlich wie der Ocean. Aber was gedenkst Du jetzt zu thun? Bleibst Du -hier in M--?« - -»Ich weiß es nicht -- weiß auch nicht, ob ich überhaupt in der nächsten -Zeit Ruhe zum Arbeiten haben werde.« - -»Aber Du hast gewiß eine Mappe voll prächtiger Studien mitgebracht.« - -»Das allerdings, aber die können warten. Meine Casse ist ziemlich gefüllt -und ich mache vielleicht noch, ehe ich den Pinsel wieder in die Hand nehme, -vorher eine kurze Reise durch Deutschland. Ich habe eine Sehnsucht nach dem -Rhein.« - -»Höre, Ernst, mach' keinen dummen Streich,« sagte Frank, der ihn -mißtrauisch ansah -- »Du hast doch nicht etwa den tollen, abenteuerlichen -Plan, Deiner früheren Flamme nach Paris zu folgen?« - -Trautenau schüttelte leise den Kopf. »Nein, Frank,« erwiderte er, »meine -Seele denkt nicht daran. Clemence ist jetzt das Weib des Majors und kann -für mich natürlich von da an nur eine Fremde sein. Ja, ich würde sogar die -Stadt, in der sie wohnt, meiden, um ihr nicht wieder zu begegnen. Weshalb -auch? es hieße nur alte Wunden aufreißen, um sie frisch bluten zu sehen.« - -»Ist das Dein voller Ernst?« - -»Hier meine Hand darauf und mein Wort.« - -»Gott sei Dank,« rief Frank, »denn ich fürchtete schon, daß die Nachricht -ihres Unglücks jene alte hoffnungslose Liebe wieder anfachen könne.« - -»Wenn ich sie verlassen und im Elend wüßte -- ja -- nicht an der Seite -eines Gatten.« - -»Dann will ich Dir etwas sagen, Ernst,« rief Frank lebendig. »Ich habe -gerade verschiedene Arbeiten beendet -- bin überhaupt das letzte Jahr -merkwürdig fleißig gewesen, und hatte mir schon fest vorgenommen, diesen -Sommer eine kleine Erholungsreise zu machen. Wenn Du jetzt noch zwei oder -höchstens drei Tage auf mich warten kannst, begleite ich Dich, was meinst -Du dazu, und wir kreuzen dann eine Weile am Rhein umher.« - -»Der glücklichste Gedanke, den Du fassen konntest!« rief Ernst erfreut aus --- »ich warte auf Dich und wenn Du eine volle Woche brauchst, um fertig -zu werden. Oder kann ich Dir vielleicht helfen? Mir geschieht ein Gefallen -damit, denn selbstständig kann ich doch noch Nichts arbeiten und möchte -nicht die Zeit über ganz müssig liegen.« - -»Desto rascher werden wir fertig,« entgegnete Frank lachend, »also dankbar -angenommen, und hier in Deinem alten Atelier wird es Dir doppelt heimisch -sein.« - - - - -Sechstes Kapitel. - -In Wiesbaden. - - -Die beiden jungen Leute gingen jetzt, dabei mit einander plaudernd und -erzählend, frisch an die Arbeit, um einige Kleinigkeiten, die Frank noch -versprochen hatte abzuliefern, in den nächsten Tagen zu beenden. Das -wurde auch rascher erledigt, als sie selber geglaubt, denn in der -gemeinschaftlichen Thätigkeit flogen ihnen die Stunden nur so dahin. Am -dritten Abend waren sie auch schon zur Abreise fertig gerüstet, und um auch -keinen Moment mehr zu versäumen, benutzten sie selbst den Nachtzug, daß -der sie dem flachen Lande entführe, und nur erst einmal hinein in die Berge -bringe. - -Am anderen Abend schon wanderten sie Arm in Arm den wunderbar schönen Rhein -entlang, und das Herz floß ihnen in lautem Jubel und fröhlichem Gesang -über. Giebt es ja doch nur einen einzigen solchen Strom in der ganzen -weiten Welt, und wem das Herz an diesen Ufern nicht aufgeht und wärmer, -freudiger schlägt bei den Wundern, die sich dort seinem Blick öffnen -- ei, -der mag ruhig fortgehen und sich in der lüneburger Haide oder im berliner -Sande begraben lassen -- auf Erden ist er doch zu Nichts mehr nütze. - -Das war eine frohe, glückliche Zeit, die sie dort verlebten, und selbst -Ernst, der sonst mehr zur Schwermuth neigte und sich nie wohler fühlte, -als wenn er allein und einsam seine Bahn wandelte, lebte neu auf in der -wunderbar schönen Natur und der Gesellschaft des stets fröhlichen und -heiteren Frank. - -Mit ihren Mappen wanderten sie von Bingen zuerst durch die Berge hinüber -bis Bacharach, in dessen Nachbarschaft sie sich eine Zeitlang aufhielten, -dann kreuzten sie hinüber nach dem Lurleifelsen und nach St. Goarshausen, -bis sie sich in St. Goar eine Zeitlang festsetzten, und dann langsam -sich wieder am rechten Rheinufer bis zu der reizenden Mündung der Lahn -hinunterzogen. Es war ein vollkommen zielloses Umherstreifen, aber deshalb -gerade so anziehend, weil es ihnen auch keine Stunde im Tag einen Zwang -auferlegte, und ihre Mappen und Skizzenbücher bereicherten sie dabei -ungemein. - -So hatten sie vier volle Wochen glücklich verlebt, als Frank zuerst an den -Heimweg dachte, da er nach M-- zurückkehren mußte, um einige versprochene -Arbeiten in Angriff zu nehmen. Trautenau beabsichtigte noch nach Köln -hinunter zu gehen und sich dort einige Zeit aufzuhalten. Er wollte sich -aber wenigstens nicht so lange von dem Freund trennen, als dieser noch -den Rhein bereiste und beschloß, ihn deshalb bis Mainz oder Castell zu -begleiten und dann die schöne Fahrt wieder stromab bis Köln zu machen. - -Aber auch diese Rückfahrt übereilten sie nicht, denn auf eine Woche kam -es dabei nicht an, und manchen hübschen Punkt, den sie auf der Niederfahrt -übergangen, berührten sie jetzt und holten das damals Versäumte ein. - -So kamen sie auch nach Bieberich, und Frank, der noch nie eine Spielbank -gesehen hatte, zeigte Lust einmal auf ein paar Stunden nach Wiesbaden -hinüber zu fahren. Ernst natürlich schloß sich ihm an und da der Abend -schon dämmerte, beschlossen sie, die Nacht dort zu bleiben und dann mit dem -Frühzug, der Eine wieder in das innere Land zurück zu kehren, der Andere -seine Reise nach Köln fortzusetzen. - -Das war ein reges Leben in dem Ort, denn Wiesbaden kann wohl als das -Paradies der Spielhöllen betrachtet werden. Die Promenaden waren dicht -gedrängt voll geputzter Menschen und in den prachtvollen Spielsalons preßte -sich um die grünen Tische Kopf an Kopf, so daß man nicht einmal in ihre -Nähe gelangen konnte. - -Allerdings standen dort auch eine Menge von Neugierigen umher, die nur eben -sehen wollten was gesetzt wurde und wer es gewann. Die Meisten ließen sich -aber doch -- hier und da durch einen augenblicklichen Erfolg einzelner -Spieler angelockt -- verleiten, kleine Summen da oder dorthin zu setzen -und erst wenn die erbarmungslosen Krücken der Croupiers das Geld, das sie -vielleicht Gott weiß wie nothwendig für sich und ihre Familien gebraucht -hätten, einstrichen, zogen sie sich leise und beschämt zurück und suchten -sich unter die Menge zu verlieren. Aber Niemand achtete auf sie; das waren -ja doch nur Eintagsfliegen, Motten, die um das Licht flatterten und -sobald sie sich einmal die Flügel leicht versengt, untauglich für weiteren -Gebrauch wurden. - -Die hartnäckigeren Spieler, Stammgäste, wie man sie nennen könnte, hatten -ihren Platz am Tische selbst, auf weich gepolsterten Stühlen, mit kleinen -Täfelchen neben sich, auf denen sie die verschiedenen Chancen des Spiels -notirten und sich dabei so gleichgültig als irgend möglich gegen Gewinn -oder Verlust zu zeigen suchten. - -Die beiden jungen Leute verstanden das Spiel gar nicht, und sie dachten -noch weniger daran, »ihr Glück« zu versuchen, wie man das gewöhnlich nennt, -wie es aber besser heißen sollte »ihr Geld dem grünen Tisch zu opfern.« Nur -beobachten wollten sie, und dazu bekamen sie vortreffliche Gelegenheit in -den verschiedenen Physiognomien der bei dem Spiel interessirten Menschen. - -Wie sie noch so langsam, bald hier, bald dort umherschlenderten und sich -leise ihre Bemerkungen mittheilten, fiel plötzlich in einem der anderen -Säle ein Schuß, und was nicht unmittelbar an dem nächsten Tisch interessirt -war, zog sich augenblicklich davon zurück, um zu sehen, was vorgegangen -sei. Es kommt ja allerdings gar nicht so selten vor, daß ein armer Commis, -der Geld für seinen Principal eincassirt, und hier in wenigen Stunden -- -vielleicht Minuten, Alles verloren hat, mit einer Kugel oder auf sonstiger -Weise seinem Leben ein Ende macht. Aber es geschieht doch nicht oft, daß -er einen solchen verzweifelten Entschluß gleich an Ort und Stelle ausführt, -und ist sicher für die Bankhalter immer ein sehr unangenehmer Fall, da -nachher zu viel darüber gesprochen und geschrieben wird. - -Um so mehr wollten die Meisten aber auch Zeugen einer solchen Scene sein, -und nur die wirklichen und leidenschaftlichen Spieler berührte es nicht. -Was war es auch -- ein werthloses Menschenleben, was hier eben, inmitten -von Pracht und Haufen Goldes, geendet hatte -- ein ekelhafter, unangenehmer -Leichnam, den die Aufwärter nun so rasch als möglich entfernen, und -das Blut vom Parket wegwaschen mußten. In zehn Minuten konnte das Alles -beseitigt sein und es dauerte wirklich kaum so lange. - -Die beiden jungen Freunde zogen sich ebenfalls und unwillkürlich jener -Stelle zu, wo wieder einmal dieser »Fluch des Rheins«, das höllische -Spiel, ein Opfer gefordert hatte. Aber es war nicht möglich rasch dahin zu -gelangen, denn durch die von den Tischen plötzlich zurückpressenden Leute -wurde der Raum für kurze Zeit vollkommen angefüllt. Langsam rückten sie -aber trotzdem am Tische hin und wollten eben links abbiegen um eine -freiere Stelle zu gewinnen, als Frank plötzlich seinen Arm fast krampfhaft -festgehalten fühlte, und als er sich erstaunt nach der Seite umdrehte, sah -er des Freundes Augen, dessen Antlitz aschenbleich geworden war, an einem -Punkt des noch immer besetzten Tisches haften. - -Da er gar nicht wußte, was er aus dem Benehmen Trautenau's machen sollte, -folgte er seinem Blick, konnte aber nicht das geringste Auffällige -entdecken. An dem Tische saßen die gewöhnlichen Gestalten, Herren und -»Damen« -- wenigstens elegant angezogene Frauenzimmer, sehr decolletirt und -in oft höchst unnöthigem Putz für diese Gesellschaft, dabei meist ältliche -Herren mit verlebten, aber leidenschaftlich erregten Gesichtern, mit -aufgestellten Rollen von Gold und Silber vor sich, von denen sie dann -und wann kleine Haufen, ohne sie zu zählen und nur nach dem Gefühl -herunternahmen und auf irgend einen Punkt setzten, oder auch gewonnene -Summen wieder sorgfältig neben die anderen häuften. Diese Leute hatte der -Schuß im anderen Zimmer auch nicht gestört; was kümmerte sie irgend -ein fremder, alberner Mensch, der nicht einmal Tact genug besaß, sein -unbedeutendes Leben außerhalb der Spielsäle abzuschütteln. Es wäre nicht -der Mühe werth gewesen, auch nur den Kopf nach ihm umzudrehen, viel weniger -das »=jeu=« seinethalben zu vernachlässigen. - -»Aber was hast Du nur?« flüsterte Frank jetzt dem Freund zu, »Du drückst -mir ja blaue Flecke in den Arm.« - -»Kennst Du den Herrn, der dort unten an dem Tisch sitzt, gleich hinter -jener Dame, die den Kopf von uns abdreht?« - -»Hinter jener Dame im weißen Kleid?« - -»Ja.« - -»Nein, den kenne ich nicht -- kann mich wenigstens nicht auf das Gesicht -besinnen.« - -»Und hast es in Deinem eigenen Arbeitszimmer an der Wand?« - -»Der Major? Unsinn -- Du träumst.« - -»Lehre mich das Gesicht kennen, das ich unzählige Male gezeichnet habe --- jeder Zug desselben steht mir so fest im Gedächtniß, daß ich es mit -geschlossenen Augen mit Kohle an die Wand malen könnte. Er ist es, beim -ewigen Gott.« - -»Und jene Dame?« - -»Das kann nicht Clemence sein, es ist nicht möglich. Sie würde sich doch -nicht zwischen diese Gesellschaft an den grünen Tisch setzen. Nein, sie -scheint zu dem jungen Herrn zu gehören, der hinter ihrem Stuhl steht und -fortwährend mit ihr flüstert. Beide pointiren wahrscheinlich zusammen.« - -»Du mußt Dich irren, Ernst.« - -»Glaube mir, eine Täuschung ist dieser Gestalt gegenüber nicht möglich. -Ich habe mir nicht den Teufel an die Wand gemalt, daß ich ihn nicht -wiedererkennen sollte, wo auch immer. Findest Du ihn denn noch nicht in den -Zügen?« - -»Er hat allerdings Aehnlichkeit mit dem Major,« sagte Frank, der ihn -indessen aufmerksamer betrachtet hatte. »Er trägt nur den Bart ganz anders -als früher und mehr in französischer Art; ich habe ihn auch anfangs für -einen Franzosen gehalten. Du könntest wirklich Recht haben -- doch was -liegt daran. Er ist wahrscheinlich mit anderem Gesindel von Frankreich -herüber gekommen und treibt sich hier eine Zeitlang in den Bädern herum. -Laß ihn und komm -- was interessirt uns der Mensch.« - -»Wenn ich nur wenigstens einmal das Profil der Dame, die neben ihm sitzt, -sehen könnte,« entgegnete Ernst, der noch immer zögerte, dem Freund zu -folgen. - -»So laß uns an die andere Seite hinüber gehen.« - -»Ich möchte nicht von ihnen gesehen werden -- wenigstens jetzt noch nicht --- nicht bis ich mich näher überzeugt habe.« - -Das Publikum fing schon wieder an zu dem Tisch zurückzukehren, so rasch -hatte man da drüben, in dem anderen Zimmer, den Leichnam wie die letzten -Spuren der fatalen Angelegenheit beseitigt. Das Spiel durfte unter keiner -Bedingung gestört werden. Kein Mensch sprach mehr über den Selbstmord des -Unglücklichen, wie denn überhaupt eine laute Unterhaltung im Heiligthum der -grünen Tische gar nicht mehr geduldet wurde. Alles verkehrte in Flüstern -mit einander. - -Dadurch gruppirten sich die Zuschauer wieder fester um die eigentlichen -Spieler, und Trautenau wie Frank konnten auch, unter deren Schutz, etwas -näher an den entdeckten Major hinanrücken. Uebrigens war kaum Gefahr da, -daß er sie bemerken würde, denn seine Augen wanderten für keinen Moment von -dem Tisch selbst und dem darauf stehenden Golde ab. Was kümmert sich der -Spieler um die Zuschauer. - -Frank verstand allerdings das Spiel gar nicht, Trautenau dagegen hatte auf -seinen verschiedenen Reisen schon öfter Gelegenheit gehabt es zu beobachten -und zu verfolgen, und es konnte ihm bald nicht mehr entgehen, daß der Major -ziemlich hoch und zwar nach einem bestimmten Plan spiele, während die Dame -an seiner Seite, die aber noch immer den Kopf abgedreht hielt, bald da, -bald dort pointirte und den hinter ihr stehenden jungen Mann dabei oft um -Rath frug. Die Gestalt konnte aber nicht die Clemences sein. Sie schien -allerdings von hoher, stattlicher Figur, kam Ernst aber weit stärker vor, -als Clemence gewesen -- auch die Contur der Wangen war voller als er sie -gekannt. Nur das Haar glich dem ihrigen vollkommen und man hätte kaum -glauben sollen, daß zwei Personen eine so ähnliche und wahrhaft prachtvolle -Lockenfülle haben könnten. Aber sie war es trotzdem nicht; es ließ sich -ja auch nicht denken, daß Clemence, das stolze, schöne Mädchen, so weit -gesunken sein könne, um hier am grünen Tisch -- - -In dem Moment drehte sie den Kopf zur Seite -- der bis jetzt hinter ihr -stehende junge Herr hatte sie einen Augenblick verlassen, um zu einem -anderen Spieler hinüber zu treten. Sie schien ihn zu suchen und ihr Blick -streifte selbst Trautenau's Gestalt -- wenn auch vollkommen gleichgültig, -denn er trug nicht die bestimmten Formen, denen sie folgte. - -»Beim ewigen Gott, sie ist es,« stöhnte da Ernst, indem er scheu und -erschrocken einen Schritt zurücktrat -- »Clemence!« - -»Wahrhaftig? das ist allerdings merkwürdig,« sagte Frank, »und hier der -Tisch wäre der letzte, hinter dem ich sie gesucht hätte. Sie scheint aber -stärker geworden zu sein. Ah, da tritt auch ihr Courmacher wieder hinter -ihren Stuhl. -- Komm Ernst; ich glaube, wir haben genug gesehen, um nicht -nach Weiterem zu verlangen. Die Dame scheint sich in ihrem neuem Beruf -außerordentlich wohl zu fühlen.« - -Trautenau erwiederte kein Wort; es schnürte ihm das Herz zusammen, der -Athem wurde ihm schwer, und er drängte selber jetzt hinaus in's Freie, weil -er den Anblick nicht länger ertragen konnte. - -Das Interesse für die früher Geliebte war aber doch zu frisch und gewaltig -geweckt worden, um es so rasch wieder abschütteln zu können, und da selbst -Frank neugierig geworden war, zu erfahren, unter welchen Verhältnissen -sich die beiden Gatten hier aufhielten, so ließen sie sich, in ihrem -Hôtel angelangt, vor allen Dingen die Kurliste geben, um dort die Namen -aufzusuchen und dadurch ihren Wohnort herauszubekommen. - -Es dauerte allerdings einige Zeit, bis sie das alphabetisch geordnete und -etwas voluminöse Actenstück durchstudirt hatten, aber den Namen Reuhenfels -fanden sie nirgends angegeben -- nicht in der alphabetischen Ordnung, nicht -unter den einzelnen Hôtels. War er etwa hier in Wiesbaden ansässig? dann -kam er allerdings nicht in die Kurliste. Aber auch im Adreßbuch stand er -nicht. Da fiel, als Trautenau noch einmal die Kurliste aufschlug, sein Auge -zufällig auf den Namen »Zu Berg« -- Reuhenfels hatte ja -- soviel erinnerte -er sich, den Namen »zu Berg« bei dem eigenen. -- Das mußte er jedenfalls -sein und als Wohnung des »Baron und Gemahlin nebst Bedienung« war Hôtel -Kompelt angegeben. - -Also er reiste, wenn auch nicht unter falschem, doch jedenfalls verstellten -Namen, und das schien erklärlich, denn er mochte Ursache haben, sich der -Vergangenheit zu schämen. Auch der verschnittene Bart sprach dafür, der -ihn allerdings so entstellte, daß ihn selbst Frank niemals unter demselben -aufgefunden hätte. - -Die beiden jungen Leute waren aber doch neugierig geworden, etwas mehr von -den alten Bekannten zu hören. Besonders Frank, der recht gut wußte, daß -man sich dafür in M-- außerordentlich interessiren würde -- und beschlossen -deßhalb jedenfalls noch bis zum nächsten Mittag in Wiesbaden zu bleiben -und Nachforschungen anzustellen, denn heute Abend war es dazu allerdings zu -spät geworden. - -Ernst aber konnte Clemences Bild, wie er sie an dem Spieltisch gesehen, -nicht wieder aus dem Gedächtniß bringen. Wie hatten sie die wenigen Jahre -verändert -- wie gänzlich umgestaltet. Vermögenlos konnte sie allerdings -nicht sein, denn sie prangte noch immer im höchsten Staat -- aber wohin war -der gute, liebe Ausdruck in ihren Zügen gekommen? wohin jene schüchterne -Jungfräulichkeit, die er sonst darin zu finden geglaubt. Sie war wohl noch -schön -- oh so wunderbar schön wie je; aber mochte die Umgebung dabei die -Schuld tragen, genug ihm machte es den Eindruck, als ob sie jene holde -Weiblichkeit verloren habe, die gerade so bezaubernd auf das Männerherz -wirkt und es fesselt. Auch ihr Blick, wenn sie ihn im Saal umherwarf, -schien weit mehr keck und herausfordernd gewesen zu sein als er es -gewünscht, und an dem Spieltisch sich wie zu Hause zu fühlen. Ja, er -erinnerte sich jetzt sogar, daß sie eine kleine Geldkrücke in der Hand -geführt und ein Blatt zum Controliren des Spiels neben sich gehabt, -- ganz -wie es alte Spieler gewöhnlich thun. Sie konnte doch nicht in den wenigen -Jahren schon so tief gesunken sein. - -Wie ihn die Gedanken quälten -- und er grübelte und sorgte sich darüber, -bis endlich die Müdigkeit seine Augen schloß. - -Am andern Morgen war Ernst früh auf. In einem Badeort giebt es überhaupt -wenig Langschläfer, denn schon die Kur erfordert viel Bewegung und die -Damen wissen, daß sie in ihrem einfachen Morgenanzug oft ebenso hübsch, -gewöhnlich aber in Wirklichkeit noch viel hübscher aussehen, als -Nachmittags in allem Glanz einer Gesellschaftstoilette. Vor dem Kurhaus um -den blitzenden Teich herum, in dem die Fontainen sprangen, ergingen sich -denn auch schon eine Menge Damen, die, ihr Glas in der Hand, gewissenhaft -ihre Promenade machten und dabei gar nicht so aussahen, als ob sie irgend -wie nöthig hätten, ihrer Gesundheit wegen solch nichtswürdiges Wasser zu -trinken. Aber die Form mußte beobachtet werden. Wenn sie auch nur ihres -Vergnügens wegen, unter dem Vorwand von Nervenleiden, hierhergekommen -waren und das eigentlich blos den Zweck hatte, eine reiche, dazu besonders -angefertigte Garderobe zur Schau zu tragen, so durften sie sich doch der -Kur nicht entziehen. Es hätte sonst der schmerzliche Fall eintreten können, -daß ihnen der Gatte in der nächsten Saison die nothwendigen Reisespesen -vorenthielt, und der Gedanke schon war furchtbar. Nein, da lieber Brunnen -trinken. - -Frank war zu Hause geblieben, um ein paar nothwendige Briefe zu schreiben, -die, bei jetzt fest bestimmter Abreise seine Rückkunft daheim anzeigen -sollten. Ernst dagegen machte vor allen Dingen einen Spaziergang nach dem -Kurhaus, um dort erst einmal zu sehen, ob er Clemence nicht wieder begegnen -könne. Die Musik spielte eben den unvermeidlichen Choral, um unmittelbar -von demselben auf einen lustigen Schottischen überzuspringen; aber er -suchte unter den dort auf und ab wandelnden Badegästen nach den lieben, -bekannten Zügen der jungen Frau vergebens. Er konnte sie nirgends bemerken. -Es gab allerdings in Wiesbaden auch noch andere Stellen, wo Brunnen -getrunken, und zahllose, wo gebadet wurde, -- möglicher Weise, daß sie -sich dort irgendwo befand, aber dort hinaus konnte er sie in jeder Straße -verfehlen, und er beschloß deshalb, ohne Weiteres in das von der Kurliste -bezeichnete Hôtel zu gehen, um da womöglich einiges Nähere über das Ehepaar -zu erfahren. - -Clemence befand sich übrigens diesen Morgen nicht in dem gewöhnlichen -Gedräng der Kurgäste, weder hier noch in einem anderen Theil der Stadt, -sondern schritt nicht weit von der Stelle, wo das Grabmal der verstorbenen -Herzogin steht, am Arm eines jungen, sehr elegant gekleideten Herrn -- -desselben, der gestern Abend hinter ihrem Stuhl am Spieltisch gestanden, --- langsam durch das Gehölz. Beide schienen auch in ernster und eifriger -Unterhaltung begriffen, in welche sie aber doch nicht genug vertieft waren, -um nicht dann und wann wie scheu den Blick nach rechts und links zu werfen, -als ob sie fürchteten beobachtet zu werden. - -»Ich halte es beim Himmel nicht mehr aus, Armand,« sagte da die junge Frau. --- »Er wird mit jedem Tage roher und unerträglicher -- ein wahrer Teufel. -Ach, jener Maler hatte Recht, der ihn in der Gestalt mit auf mein Bild -brachte.« - -»Nur noch eine kurze Zeit, Clemence, um meinetwillen,« bat da Armand. »Du -weißt ja, daß ich meine Schwester hier nicht verlassen kann, und in acht -Tagen spätestens, vielleicht schon früher, kommt ihr Gatte zurück. Dann -sinnen wir auf Mittel und Wege, wie wir unsere Flucht bewerkstelligen.« - -»Dann ist es zu spät,« sagte Clemence düster, »denn gestern Abend noch hat -er mir erklärt, daß wir in den nächsten Tagen Wiesbaden verlassen werden.« - -»Und wohin will er sich wenden?« - -»Er weiß es noch nicht, oder würde es mir auch nie sagen, weil er unser -Einverständniß ahnt, oder doch wenigstens Verdacht geschöpft hat. Er -scheint auch nur von hier fortzugehen, um uns zu trennen.« - -»So bald schon,« rief Armand erschreckt aus -- »oh, ich kann Dich nicht -verlieren, Clemence, ich würde elend mein ganzes Leben werden.« - -»Aber, was läßt sich, was kann ich thun, um es zu verhindern? Ach, Alles -Dir zu Liebe, Armand, sag' mir nur wie?« - -»Du kannst mir schreiben wohin Ihr Euch gewandt, und ich folge Dir dann in -wenigen Tagen nach.« - -»Ich fürchte, ich fürchte,« stöhnte die arme Frau, »daß er beabsichtigt, -mich weit hinweg zu führen. Irgend ein Vergehen muß ihn drücken -- irgend -etwas muß in der letzten Zeit geschehen sein, wovon ich keine Ahnung habe, -denn verschiedene Anzeigen sprechen dafür. Nicht umsonst trägt er seinen -Bart jetzt so, daß er ein ganz anderes Aussehen gewonnen hat. Dann fährt er -oft, mitten in der Nacht, von schweren Träumen geschreckt, empor. Auch ein -Revolver liegt fortwährend über seinem Kopfkissen, geladen im Bett, als ob -er fürchte überfallen zu werden. Irgend etwas ist jedenfalls geschehen und -er hat auch seitdem nirgends Ruhe mehr. Kaum sind wir acht Tage in einem -Ort, so treibt es ihn wieder hinweg und in der letzten Zeit sprach er sogar -manchmal von England und Amerika. Wenn er mich dort hinüber führt, bleibt -mir ja Nichts übrig, als meinem elenden Leben in den Wellen ein Ende zu -machen.« - -»Clemence,« bat sie Armand. - -»Wahrlich Armand, ich thäte es,« rief die junge leidenschaftliche Frau -- -»aber noch ist es nicht nöthig -- noch bleibt mir ein Ausweg, wenn ich mich -fest auf Dich verlassen kann.« - -»Und zweifelst Du daran, Clemence?« - -»Nein -- dann bestimme mir nur einen Ort, wo ich Dich erwarten kann und -ich reise morgen früh allein dahin ab. Ich gehe ja jeden Morgen, wie Kuno -glaubt, zum Brunnentrinken. Die Bahn führt mich rasch fort von hier und -dann --« - -»Aber auf wen anders fiele dann sein Verdacht, als auf mich?« rief Armand, -»und er würde mich nicht mehr aus den Augen lassen. Wie kannst Du auch -allein reisen -- es geht nicht.« - -»Glaubst Du, daß ich mich fürchte?« - -»Nein, aber die Spur einer einzelnen Dame, die überall auffällt, ist -leicht verfolgt und wie gesagt, er hat hier so viele Späher, daß er mich -augenblicklich würde beobachten lassen, und folgte ich Dir dann, so wäre -unsere Flucht verrathen. Hast Du denn Niemanden hier, den Du genauer kennst --- dem Du Dich anvertrauen könntest, um Reuhenfels wenigstens auf eine -falsche Spur zu bringen? -- Wir müssen sicher gehen oder Alles ist -verloren!« - -»Ich habe Niemanden,« sagte Clemence eintönig, »Niemanden, als jene frechen -Spielgenossen Kuno's, die wohl zu einem Abenteuer geneigt wären, aber -niemals einer armen unglücklichen Frau Schutz verleihen würden. Du kennst -sie ja selber.« - -»So will ich sehen, daß ich Jemanden finde,« sagte Armand nach einer kurzen -Pause -- »es muß sein -- es muß, denn ich selber ertrüge dieses Leben -nicht, wenn ich Dich in der Gewalt jenes Elenden länger wissen sollte.« - -»Aber die Zeit drängt -- denke Dir Armand, daß es vielleicht schon morgen -zu spät ist.« - -»Wo kann ich Dich heute Abend noch einen Augenblick sprechen?« - -»An der zweiten Urne, wo wir uns im vorigen Jahr zum ersten Mal trafen,« -sagte Clemence nach kurzem Bedenken -- »wenn Kuno heute Abend in das -Kurhaus geht, werde ich unter irgend einem Vorwand zurückbleiben. Es wird -ihm nicht auffallen, denn ich habe es schon öfters gethan, weil mir der zu -lange Aufenthalt unter den Gasflammen häufig Kopfschmerzen macht. Ich folge -ihm dann gewöhnlich um acht Uhr -- Du aber darfst im Saale nicht fehlen -- -halb acht Uhr nur suche einen Augenblick abzukommen; pünktlich zu der Zeit -bin ich an der Urne, und werde auch heute Abend noch Alles packen, um jeden -Augenblick bereit zu sein.« - -»Ich danke es Dir mein ganzes Leben, Clemence,« sagte Armand herzlich -- -»doch noch eine Frage. Hast Du lange Nichts von Deinem Vater gehört? Zu -ihm müssen wir, damit er das Band, das Dich an den rohen Burschen knüpft, -wieder löse. Du sagtest mir ja selber, daß er mit Reuhenfels gebrochen -habe.« - -»Ja, sie haben sich, so eng sie früher auch befreundet schienen, -veruneinigt. Was da vorgefallen ist, weiß ich nicht, aber harte Worte -fielen zwischen Beiden, und ich durfte, als wir fortreisten, nicht -einmal von dem Vater Abschied nehmen. Neuerdings schien sich wieder ein -Verständniß anzubahnen. Wir waren bei ihm in Paris und Reuhenfels verkehrte -viel geheim mit ihm, bis mein Vater eines Tages, ohne mir selber vorher ein -Wort davon zu sagen, eine Reise machte. Er sandte mir nur durch Reuhenfels -Botschaft, daß er vielleicht acht oder vierzehn Tage könne ferngehalten -werden, und da mein Mann nicht so lange warten wollte, fuhren wir an -den Rhein in die Bäder -- zuerst nach Ems, dann nach Baden-Baden, jetzt -hierher.« - -»Aber Dein Vater ist jetzt doch jedenfalls wieder in Paris?« - -»Ich weiß es nicht -- ich habe seit der Zeit keine Nachricht bekommen, -obgleich ich selber dreimal an ihn schrieb. Wir wechselten aber den -Aufenthaltsort zu rasch, und ein Brief kann recht gut verloren gegangen -sein. Ha! dort kommen Leute -- verlaß mich jetzt Armand, wir dürfen nicht -zusammen gesehen werden.« - -»Also heute Abend halb acht Uhr.« - -»An der zweiten Urne -- oh, wenn der morgende Tag nur erst vorüber wäre,« -seufzte sie. - -Armand hatte sie an sich gezogen und drückte einen Kuß auf ihre bleiche -Wange, aber sie entwand sich ihm rasch und eilte den Pfad entlang, während -Armand in die nächsten Büsche glitt, und von dort ab einen andern Weg -erreichte, auf dem er allein in die Stadt zurückkehren konnte. - -In derselben Zeit, oder etwas später, suchte Trautenau das Hôtel Kompelt -auf. Er konnte ja dort eine Tasse Caffee trinken und die Zeitung lesen, -dabei gab es dann vielleicht eine Gelegenheit, um mit einem der Kellner -ein Gespräch anzuknüpfen. Waren doch die untern Räume des Hôtels um diese -Tageszeit fast immer menschenleer. - -Der Oberkellner, der am Fenster stand und mit Nichts in Gottes Welt zu -thun, hinaus auf die Straße sah, ging auch willig auf eine Unterhaltung mit -dem einzelnen Gast ein. Irgend etwas, um die Zeit todt zu schlagen, schien -ihm selber erwünscht. Trautenau steuerte indessen nicht direct auf sein -Ziel los, sondern erkundigte sich erst nach der Saison im Allgemeinen, -frug dann ob das Hôtel voll besetzt wäre, und blätterte in der Kurliste die -Namen der dafür verzeichneten Gäste auf. - -»Ah, zu Berg,« sagte er plötzlich -- »die Familie ist mir bekannt, ich -möchte wohl wissen, welcher Zweig derselben es ist. Können Sie mir darüber -Auskunft geben, Herr Oberkellner?« - -»Ein Herr und eine Dame« sagte dieser, »mit Kammerfrau -- einer ganz -allerliebsten kleinen Französin -- zum Anbeißen sage ich Ihnen.« - -»Noch jung?« - -»Kaum achtzehn Jahr höchstens.« - -»Nein, ich meine das Ehepaar.« - -»Ach so, ich dachte, Sie frügen nach der Kammerfrau. Nun der Herr mag -etwa in den vierzigern sein. Die Dame -- auch eine sehr schöne, vornehm -aussehende Frau, kann höchstens zweiundzwanzig sein. -- Aber eine -unglückliche Ehe.« - -»Wirklich?« - -»Ewig Streit und Skandal, wenn sie zu Hause sind. Der Herr Gemahl scheint -etwas eifersüchtiger Natur, und hat auch vielleicht Ursache. Lieber Gott, -in Badeorten fällt ja so Manches vor, und man darf sich eigentlich gar -nicht darum bekümmern.« - -Der Kellner wurde abgerufen und Trautenau blieb in tiefes Nachdenken -versenkt, allein zurück. Still nickte er dabei vor sich hin mit dem Kopf -- -waren ihm doch nur eben seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt worden --- Arme Clemence! Wie Recht hatte er gehabt, als er sie vor dem Menschen -warnte, aber sie wollte ja nicht hören, und jetzt war sie vielleicht -unglücklich für ihr ganzes Leben lang. Aber was konnte er dabei thun? Ihm -stand kein Recht zu, sich in die Familienangelegenheiten ihm völlig fremder -Menschen zu mischen. Daß er sie geliebt -- daß er sie noch liebte? wie -kam das in Betracht. Er stand auf -- was sollte er auch länger hier in -Wiesbaden, wo ihn nur der Schmerz, die Theilnahme um die Verlorene jede -Stunde verbittert hätte. Er wollte noch an dem Mittag fort. Es war das -Beste was er thun konnte. - -Mit diesem Entschluß nahm er seinen Hut, und trat in die Thür, als er -heftige Stimmen auf dem Vorsaal hörte. Es war ein Herr und eine Dame, -die sich auf eine sehr lebhafte Art in französischer Sprache mit einander -unterhielten, und er verstand eben nur noch die letzten Worte der Dame, die -deutlich sagte: - -»Du bist wie ein Thier, und ich schwöre es Dir zu, daß ich von diesem -Augenblick an --« Sie schwieg plötzlich, denn sie gewahrte den Fremden. -- -Es war Clemence und zwar mit zornesbleichem Gesicht, das aber rasch Farbe -bekam, als ihr Blick auf den, im Moment erkannten jungen Maler fiel. - -Ernst konnte nicht gut umkehren, und obgleich er es lieber vermieden hätte, -Clemence zu begegnen, blieb ihm doch jetzt keine andere Wahl, als eben -gerade aus, und an den beiden Gatten vorüber zu gehen. Er mußte sogar -grüßen, denn der jungen Frau Blick haftete starr, ja fast wie ersteckt auf -ihm. Er zog den Hut. Auch der Major schien ihn wieder erkannt zu haben, -wenn er sich auch vielleicht nicht gleich genau auf ihn besinnen mochte. -Nur unwillkürlich griff er ebenfalls nach seinem Hut, sah sich noch einmal -nach ihm um und sprang dann rasch die Stufen der Treppe hinauf, der Dame -voran. - -Clemence folgte ihm, aber auch sie warf noch einmal den Blick nach ihm -zurück. Sie stieg auch die Stufen langsam hinauf und Trautenau sah, daß sie -dabei den einen Handschuh auszog. Jetzt blieb sie stehen und wieder drehte -sie den Kopf, und als sie fand, daß Trautenau's Blick noch immer, wie -gebannt, an ihr haftete, bemerkte der junge Maler, daß etwas Weißes, an -ihrem Kleid nieder, auf die Stufen fiel, wo es liegen blieb. Aber sie -bückte sich nicht danach, und folgte jetzt, rascher als vorher dem Gatten. - -Was war das? -- ein Zeichen für ihn? Trautenau konnte es sich nicht -erklären, denn schien es denkbar, daß Clemence Joulard ihm ein solches -hinterlassen würde? Aber er wußte wenigstens daß dort etwas liegen -geblieben war. Vielleicht hatte sie irgend etwas nur zufällig verloren, und -er konnte es ihr dann durch den Kellner hinauf schicken. - -Der Major wie Clemence waren schon oben im Gang verschwunden, und mit -wenigen Sätzen sprang Ernst die Stufen hinauf und fand dort einen weißen, -noch warmen Handschuh -- mit einer Visitenkarte darin, auf welcher, in kaum -lesbar feiner Schrift der Name Clemence zu Berg =née= de Joulard stand. -Aber sonderbar -- die Karte war oben am Rand sechsmal eingerissen. - -Unten trat der Kellner in die Thür, Ernst barg seine Beute rasch in -der Hand und wollte das Hôtel verlassen, denn zuerst mußte er mit Frank -sprechen, wie er hier zu handeln habe, das Alles war so rasch gekommen, daß -er kaum einen Gedanken fassen konnte. - -»Das waren sie,« flüsterte der Kellner, als er an ihm vorüberschritt, indem -er mit dem Daumen über seine Schulter zeigte. »Famose Person, heh?« -Damit blinzelte er den jungen Fremden verschmitzt an, drückte sich seine -Serviette unter den Arm und verschwand damit in der Küche. - -Ernst schritt rasch der eigenen Wohnung zu, aber er begegnete dem Freund -schon unterwegs, der eben seine Briefe zur Post gegeben hatte. Er nahm auch -ohne Weiteres seinen Arm, und erzählte ihm, während er mit ihm die Straße -hinabschritt, das Begebniß der letzten Stunde sowohl, wie das, was er von -dem Kellner über die beiden Gatten gehört. - -»Hm, zeig' mir einmal die Karte. Clemence de Joulard -- eine kleine -Eitelkeit -- und sechs Risse darin.« - -»Sie können zufällig hinein gekommen sein.« - -»Sie können, ja -- aber ich glaube es nicht. Frau von Reuhenfels sieht mir -nicht so aus, als ob sie etwas zufällig thut.« - -»Aber was können sie bedeuten?« - -»Wenn irgend etwas, natürlich nur eine Zahl -- also sechs, und das kann -wieder nur sechs Uhr sein. Sie wünscht ein Rendezvous mit Dir.« - -»Das ist nicht denkbar.« - -»Bah, was ist bei einer jungen, intriguanten Frau nicht denkbar, noch dazu -wenn sie einen Tyrannen zum Gemahl hat.« - -»Die wenigen Jahre können sie nicht so verdorben haben, oder ihr Mann müßte -mehr als ein Teufel sein.« - -»Erstlich hast Du sie früher gar nicht so genau gekannt, und nur =par -distance= angebetet, und dann weiß man auch in der That nicht, was Alles in -der Zeit kann vorgefallen sein.« - -»Vielleicht verlangt sie in irgend etwas meine Hülfe.« - -»Höre Ernst, wenn Du meinem Rath folgst, so gehst Du der Dame entschieden -aus dem Weg. Wir wissen jetzt, was wir von dem Paare wissen wollten, und -wahrscheinlich auch Alles, was wir überhaupt erfahren werden. Hat sie -Streitigkeit, oder lebt sie in Unfrieden mit ihrem Gatten, so kann und darf -sich da natürlich kein Fremder hineinmischen -- ich wenigstens möchte dafür -danken. Und dann, was könntest Du ihr auch helfen? Also folge mir, alter -Freund. Heute Nachmittag halb drei oder drei Uhr -- ich weiß es nicht -genau, gehen fast zu gleicher Zeit die beiden entgegengesetzten Züge nach -Frankfurt und nach Köln ab. Ich werde jedenfalls den einen benutzen, setze -Du Dich in den anderen, und laß die gnädige Frau nur ruhig allein ausessen, -was sie sich dazumal eingebrockt.« - -»Meine arme Clemence.« - -»Werde nicht langweilig oder gar sentimental,« sagte Frank, »denn Du hast -gar keine Ahnung davon, in welche höchst unangenehmen Verwickelungen Dich -ein solcher Wahnsinn bringen könnte.« - -»Und Du willst wirklich heute Mittag fort?« - -»Ich muß jetzt. Ich habe meine Ankunft in M-- fest auf übermorgen angezeigt -und reichlich noch einen halben Tag, vielleicht sogar mehr, in Frankfurt zu -thun. Ich kann nicht länger bleiben.« - -Ernst schritt eine ganze Weile in tiefem Nachdenken neben dem Freund her. -Er war unschlüssig, was er thun, wie er handeln solle. Seine Vernunft sagte -ihm wohl, daß Frank vollkommen Recht habe, aber sein Herz drängte ihn doch -immer wieder, der zu dienen, die lange Jahre hindurch nicht allein sein -Ideal von Schönheit, sondern auch aller weiblichen Tugenden gewesen war. -Er konnte sich den Glauben an sie wenigstens nicht so rasch erschüttern -lassen. - -»Und gehst Du heute mit dem Mittagszug nach Köln?« - -»Ich weiß es nicht,« erwiederte Ernst zerstreut. »Ich weiß es wahrhaftig -noch nicht, Frank.« - -»Du irrst Dich, wenn Du glaubst, der Dame durch Dein Bleiben einen Gefallen -zu erzeigen.« - -»Ich werde ihr wahrscheinlich gar nicht wieder begegnen. Nur aus der Ferne -möchte ich sie noch einen Tag beobachten. Ihr Benehmen dann soll nachher -maßgebend für mich sein.« - -»Ich will Dir etwas sagen, mein Junge,« bemerkte da Frank, »es ist ein -ganz altes, ehrwürdiges Sprüchwort: Wer nicht hören will muß fühlen, und -Du scheinst mir auf dem besten Weg dazu. Komm,« setzte er herzlich hinzu, -»mach' den kleinen Umweg über Frankfurt und gehe mit mir. Ich gebe Dir mein -Wort, ich lasse Dich hier nur mit recht schwerem Herzen zurück, und wollte -zu Gott, wir hätten dies verdammte Wiesbaden im Leben nicht gesehen.« - -»Ich bin ja doch kein Kind, Frank, daß ich tolle Streiche machen würde. -Du darfst mir mehr zutrauen.« Frank seufzte, aber es ließ sich eben an der -Sache nichts mehr ändern, Ernst mußte in der That wissen, was er selber -zu thun hatte, und Beide schritten jetzt zu ihrer Wohnung zurück, um -wenigstens die letzten Stunden noch zusammen zu verbringen. Frank redete -dem Freund allerdings selbst noch auf dem kurzen Weg nach dem Bahnhof -ernstlich zu, wenigstens das Haus des Herrn von Reuhenfels zu vermeiden -und sich auf neutralem Boden zu halten. Ernst war aber recht einsylbig -geworden, denn die bezeichnete Visitenkarte ging ihm im Kopf herum. Wenn -Clemence nun wirklich nach ihm verlangte? -- Wohl mußte er sich dabei -sagen, daß er ihr gar Nichts helfen oder nützen könne -- er wollte ja auch -nur Gewißheit darüber haben, daß sie sich nicht unglücklich fühle -- daß -seine Befürchtungen ungegründet seien, und dann wieder kam das Bild der -Frau dazwischen, wie er sie gestern Abend am Spieltisch gesehen, und wenn -er sie dann dachte, wie er sie früher gekannt und geliebt hatte! Am Ende -war es das Beste, er folgte Frank's Rath. Hätte er nur seine Sachen bei -sich gehabt, er würde ihn selbst jetzt begleitet haben, aber dazu hatte er -keine Zeit mehr. - -»Hab' keine Angst um mich, Frank,« flüsterte er ihm aber noch in das Coupé -hinein, »ich werde gewiß vernünftig handeln. Ich sehe ein, daß die jetzige -Wirklichkeit nicht mehr mit meinem Ideal zusammenpaßt, ich werde mir eine -noch bitterere Täuschung ersparen, und die Dame nicht besuchen, sondern den -Handschuh einfach unten im Hotel abgeben.« - -»Und versprichst Du mir das wirklich?« - -»Hier hast Du meine Hand darauf.« - -»Jetzt bin ich zufrieden und dann thu' mir nur noch die Liebe und mach' daß -Du so rasch als möglich nach Köln hinunter kommst.« - -Die Locomotive gab ihren schrillen Pfiff, der Zug that den ersten Ruck -- -Ernst reichte dem Freund noch einmal rasch seine Hand, dann zog sich die -lange Kastenreihe am Perron hin, immer rascher rollten die Räder, und -wenige Minuten später zeigte nur noch in weiter Ferne eine dichte weiße -Dampfwolke, welche Richtung der davonbrausende Zug genommen. - -Ernst schritt langsam nach der Stadt zurück, aber es litt ihn jetzt nicht -zwischen den Häuserreihen. Er wollte hinaus in's Grüne, um dort noch -ein paar Stunden zu verbringen. Diesen Abend spät ging noch ein Zug -nach Bieberich, den konnte er benutzen, dann blieb er dort die Nacht im -Rheinischen Hof, und fuhr am nächsten Morgen mit dem ersten oder zweiten -Boot den schönen Strom hinab. - -Allerdings dachte er wohl daran, gleich im Vorbeigehen den gefundenen -Handschuh im Hotel abzugeben, und nur die Karte zum Andenken zu behalten, -aber das hatte ja auch noch Zeit. Er mochte es sich freilich selber nicht -eingestehen, doch zögerte er damit bis zur sechsten Stunde. Er war dabei -fest entschlossen, Clemence nicht aufzusuchen, er hatte es ja auch dem -Freunde versprochen, aber -- er wollte doch einmal sehen, ob die sechsmal -eingerissene Karte wirklich eine Bedeutung gehabt, oder nur durch einen -harmlosen -- wenn freilich wunderlichen Zufall, ihm in die Hand gespielt -sei. - -Es mußte und konnte ja auch nur ein Zufall gewesen sein. Je mehr er darüber -nachdachte, desto mehr fühlte er sich davon überzeugt. Ein Zeichen? -- Wie -wäre die Frau nur im Stand gewesen so rasch einen Entschluß zu fassen, oder -gar gleich danach zu handeln, denn das Ganze, von dem Augenblick an wo -sie ihn erkannte, bis zu dem Moment wo der Handschuh auf die Treppe -fiel, konnte kaum zwei Minuten Zeit in Anspruch genommen haben. Nein, so -durchtrieben war Clemence nicht, und wäre er jetzt selber zu ihr gegangen, -um ihr den Handschuh zurückzubringen, sie würde jedenfalls über ihn -gelacht, oder sich auch vielleicht gar beleidigt gefühlt haben, daß er -sie, einer solchen Kleinigkeit wegen, belästige; dem durfte er sich nicht -aussetzen. Hätte er Frank auch das Versprechen nicht gegeben, war er doch -jetzt fest entschlossen, die Rückgabe des Handschuhs durch einen Kellner zu -erledigen. - -Sonderbar nur, daß er sich auf dem ganzen Spaziergang immer und -ausschließlich mit Clemence beschäftigte. Er passirte einige Punkte von -denen man eine reizende Aussicht über die Stadt und das Thal hatte, aber -er bemerkte sie gar nicht. Sein Auge blieb allein auf den Weg geheftet, und -fast, ohne sich der Richtung die er nahm, klar bewußt zu sein, lenkte er -doch immer wieder in einem größeren Bogen zu der Stadt zurück, um eben die -sechste Stunde im Hotel nicht zu versäumen. - - - - -Achtes Kapitel. - -Das Wiedersehen. - - -Er erreichte den Platz, an welchem das Hotel lag, wirklich pünktlich. -Die Uhren schlugen gerade an, als er schräg über denselben hin, dem Hause -zuschritt. Er beobachtete auch genau dabei die Fenster, ob er vielleicht -irgend eine weibliche Gestalt an einem derselben entdecken könne -- aber -vergebens. Es zeigte sich Niemand und nur in der ersten Etage waren in -einer Stube die Gardinen herunter gelassen, so daß er von unten natürlich -nicht bemerken konnte, ob irgend Jemand dahinter stand. Doch was kümmerte -das auch ihn -- Frank hatte sein Wort, und er wollte nicht einmal im -Hause nachfragen, in welcher Etage die Herrschaft wohne, um den gefundenen -Handschuh abzugeben, -- weiter Nichts, und das war ja in wenigen Secunden -geschehen. Dann ginge er nach Hause, packte seinen Koffer und verließ -Wiesbaden auf Nimmerwiedersehen. - -Wie er das Hôtel betrat, kam ein junges Mädchen die Treppe herunter, das -in großer Eile zu sein schien. Ernst beachtete sie aber nicht. Er trug den -leichten Handschuh zwischen den Fingern und wollte sich eben damit rechts -gegen den Speisesaal wenden, als ihm das Mädchen den Weg dorthin abschnitt, -oder vielmehr direct auf ihn zukam und freundlich mit etwas fremdartigem -Dialect sagte: - -»Haben Sie vielleicht den Handschuh, den Sie da tragen, hier im Haus -gefunden, mein Herr?« - -»Allerdings, mein Fräulein,« erwiederte Ernst, »ich war auch eben im -Begriff ihn wieder abzuliefern. Kennen Sie ihn?« - -»Ja gewiß,« antwortete das junge Mädchen, das ihn nahm und betrachtete, »er -gehört meiner gnädigen Frau.« - -»Dann bitte empfehlen Sie mich der Dame, und sagen Sie ihr, daß ich -mich --« - -»Aber wollen Sie ihn nicht selber hinauftragen? No. 5. in der ersten Etage. -Sie brauchen nur anzuklopfen.« - -»Ich darf nicht wagen die Dame, einer solchen Kleinigkeit wegen zu stören,« -meinte Ernst und wollte sich abwenden. - -»Aber sie hat mich ja selber heruntergeschickt,« erwiderte fast ärgerlich -die junge und wie es schien ziemlich gewandte Person. »Wenn ich Ihnen sage, -daß sie sich freuen wird Sie zu sehen, so können Sie doch getrost -hinauf gehen. Sie sind ein echter Deutscher, Monsieur. Einer von meinen -Landsleuten wäre schon lange die Treppe hinauf.« - -Ernst war blutroth geworden, denn jetzt blieb ja kein Zweifel mehr, daß -die Einrisse in der Karte ein absichtliches Zeichen gewesen. Aber konnte -er eine directe Einladung ausschlagen? Er hatte Frank freilich sein Wort -gegeben, Clemence nicht wieder aufzusuchen, aber that er denn das jetzt? -nein, die Dame selber ließ ihn durch ihr Kammermädchen bitten, den -Handschuh zu ihr hinauf zu bringen, und es wäre ungezogen gewesen, dem -nicht Folge zu leisten. -- - -»No. 5?« fragte er. - -»Ja! gleich links im Gang über der ersten Treppe -- die dritte Thür. Sie -können gar nicht fehlen.« - -Er war mit wenigen Sätzen hinauf, und vor dem bezeichneten Zimmer. -- Wie -ihm das Herz schlug. Kaum aber hatte er angeklopft, als auch schon ein -nicht lautes, aber deutliches »Herein« ertönte, und wie er die Thür -öffnete, stand Clemence mitten im Zimmer, und streckte ihm zum Gruß die -Hand entgegen. - -»Das ist sehr lieb von Ihnen,« sagte sie freundlich, »daß Sie alte Freunde -nicht vergessen haben.« - -»Gnädige Frau,« stammelte Ernst verlegen, denn er wußte sich die Anrede -nicht zu erklären, da er im Joulard'schen Hause wenigstens nie wie ein -Freund, sondern immer nur wie ein fremder Künstler behandelt worden. Er -nahm aber die dargereichte Hand, zog sie ehrfurchtsvoll an die Lippen und -sagte dann befangen: »vor allen Dingen erlauben Sie mir Ihnen Ihr Eigenthum -zurückzuerstatten, das ich heute Morgen hier im Haus zufällig fand. Ich -hätte auch nicht gewagt selber --« - -Clemence winkte ihm mit der Hand. - -»Herr Trautenau,« sagte sie ernst, aber mit tiefem Gefühl -- »lassen Sie -alle Entschuldigungen; uns bleibt keine Zeit dazu, denn selbst die Minuten -sind mir zugemessen. Nur mit zwei Worten will und muß ich auf eine -frühere -- glückliche Zeit zurückkommen -- ich war Ihnen früher nicht -gleichgültig.« - -»Clemence!« rief Trautenau bewegt. - -»Sagen Sie Nichts darüber,« wehrte Clemence ab -- »ich fühlte es, aber es -war zu spät und mein Schicksal schon besiegelt. Ich mußte Sie streng in die -Grenzen kalter Gleichgültigkeit zurückweisen -- mich selber darin halten. -Aber ich habe es Ihnen nicht vergessen, daß Sie damals der einzige Freund -waren, der es wagte mich zu warnen, -- wenn ich auch der Warnung nicht mehr -folgen konnte.« - -»Ach wären Sie ihr gefolgt,« seufzte Trautenau. - -»Wär' ich --« flüsterte leise Clemence, »doch jetzt ist es zu spät,« fuhr -sie lebendiger fort, -- »zu spät wenigstens, um das Geschehene wieder gut -zu machen, wenn auch nicht zu spät um weiterem Unheil -- um dem Schlimmsten -vorzubeugen, und Sie sind der einzige Freund, den ich hier habe. Wollen Sie -mir helfen?« - -»Oh wenn es in meinen Kräften steht, wie gern,« rief der junge Mann, der -in dem Augenblick Frank's sämmtliche Warnungen und Ermahnungen vergessen -hatte. »Sagen Sie mir nur wie -- was ich thun soll.« - -»Reuhenfels, mein Gemahl, der mich wie eine Sclavin behandelt,« fuhr -Clemence fort, »hat die Absicht mich nach England und von da nach Amerika -zu schleppen. Dort wäre ich ganz verloren und in seinen Händen, denn ich -habe da keinen Freund mehr, der mich selbst vor seinen rohen Mißhandlungen -schützen könnte.« - -»Aber er wagt es doch nicht?« rief Ernst entsetzt. - -»Er hat es gewagt,« sagte Clemence düster, »und nur eine Rettung giebt es -für mich -- Flucht!« - -»Aber wohin? -- zu wem?« rief Trautenau erschreckt, denn in dem Augenblick -wäre er in der größten Verlegenheit gewesen, wenn er hätte sagen sollen -wohin er selbst die Geliebte entführen könnte, obgleich ihm schon der -Gedanke das Herz mit Seligkeit füllte. - -»Sorgen Sie sich nicht,« beruhigte sie ihn aber -- »ich habe Mittel genug -zu unserer Flucht und auch ein Ziel -- ich will zu meinem Vater zurück, der -in Paris wohnt. Er allein kann und wird mich schützen, aber ich darf nicht -allein in die Welt hinaus -- ein armes schwaches Weib; ich brauche die -Stütze eines starken Armes, und wenn Sie je der armen Clemence nur ein -klein wenig gut gewesen sind,« setzte sie weich hinzu »oh so helfen Sie ihr -zur Rettung aus diesem furchtbaren Elend --« - -»Sagen Sie mir was ich thun soll,« rief der junge Maler, seiner Sinne kaum -mehr mächtig bei den verführerischen Tönen, »was es auch ist -- ich stehe -Ihnen mit Leib und Seele zu Diensten.« - -»Ich wußte es,« erwiederte Clemence, indem sie seine Hand wieder ergriff -und ihn mit einer Thräne im Auge ansah, »und Dank -- tausend Dank -dafür, lieber, theurer Freund. Aber nun auch rasch zur That,« setzte sie -lebendiger hinzu -- »denn alles Weitere besprechen wir unterwegs. Sind Sie -zur Abreise gerüstet?« - -»Jeden Augenblick.« - -»Gut -- heute Abend ist es nicht mehr möglich. Ich muß jetzt in das Kurhaus -oder Reuhenfels würde mich vermissen und augenblicklich nach mir suchen. -- -Morgen früh um sechs Uhr geht ein Zug nach Bieberich ab -- Reuhenfels steht -nie vor sieben Uhr auf und weiß mich dann jedesmal beim Brunnentrinken. -Er wird vor acht Uhr, wo ich gewöhnlich zum Frühstück zurück bin, keinen -Verdacht schöpfen.« - -»Und wohin wenden wir uns von Bieberich?« - -»Das bespreche ich mit Ihnen morgen unterwegs -- jetzt fort, daß um -Gotteswillen Niemand Verdacht schöpft oder Alles ist verloren. Sie -begleiten mich nur bis zur französischen Grenze, oder wenn Sie sich mir -soweit opfern wollen, bis nach Paris in die Arme meines Vaters. -- Und noch -eins -- besuchen Sie heute Abend das Kurhaus nicht -- mein Mann hat Sie -erkannt. -- Nicht gleich als wir Ihnen begegneten, wenn ihm auch Ihr -Gesicht bekannt vorkam, aber er besann sich oben im Zimmer darauf, und er -schwur, daß er Sie das Bild wollte entgelten lassen.« - -»Er weiß jetzt, wer es sein soll?« lächelte Trautenau. - -»Mehr als das,« erwiderte Clemence, »er behauptete sogar, daß Sie nur -in eifersüchtigem Neid eine solche unwürdige Rache an ihm genommen, und -bedauerte, die Bosheit nicht früher entdeckt zu haben, um Sie dafür zur -Rechenschaft zu ziehen.« - -»Bah, was kann er thun?« - -»Er hat Sie heute schon im Kurhaus gesucht und wollte sogar nach Ihrer -Wohnung gehen, nach der er sich auf der Polizei erkundigte -- aber -glücklicher Weise kam etwas dazwischen und seine Spielzeit versäumt er -nie. Morgen früh würde er aber jedenfalls hartnäckig die Verfolgung wieder -aufnehmen, und er ist furchtbar in seiner Rache.« - -»Ich fürchte ihn nicht, Clemence,« sagte Trautenau ruhig, »und wenn es -nicht Ihretwegen wäre, möchte ich ihn wirklich lieber erwarten.« - -»Und mich wollten Sie dadurch elend machen und zu Grunde richten?« - -»Nein, Clemence -- nein!« rief Trautenau rasch, »Sie haben mein Wort, und -beim ewigen Gott, ich halte treu zu Ihnen, so lange Sie meiner bedürfen.« - -»Sie sind ein edler, braver Mann,« sagte das junge schöne Weib gerührt und -weich, -- »ich vertraue Ihnen ganz -- Sie werden mich nicht verlassen. Aber -nun auch fort -- ich habe schon zu lange gezögert, denn wenn Reuhenfels nur -im Geringsten mißtrauisch werden sollte, ist jede Hoffnung verloren. Gehen -Sie, lieber Freund, gehen Sie und halten Sie morgen früh, ehe der Zug -abgeht, drei Billette nach Bieberich bereit -- ich nehme meine Kammerfrau -mit mir. Lassen Sie uns bis dort erster Classe fahren, wir sind darin -weniger der Gefahr ausgesetzt, Gesellschaft zu finden.« - -Nochmals reichte sie ihm die Hand zum Abschied, die er rasch an seine -Lippen drückte -- dann drängte sie ihn selber freundlich der Thür zu und -Ernst fühlte, als er das Hôtel verließ, kaum den Boden unter seinen Füßen. - -In seiner Wohnung angekommen, machte aber doch dies erste Gefühl der -Aufregung und des Entzückens einem etwas ruhigeren Ueberlegen Platz, und er -konnte sich nicht gut verhehlen, daß er im Begriff sei, einen nicht allein -außergewöhnlichen, sondern auch ziemlich tollen Streich zu begehen. Er -wollte eine Frau ihrem eigenen Manne entführen, und wenn er auch Muth genug -besaß, die Rache des Betrogenen nicht zu fürchten, so konnte er doch -auch nicht gut umhin, die möglichen Folgen eines solchen Schrittes zu -überdenken. - -Daß er Clemence noch immer mit derselben Gluth als früher liebe, das fühlte -er jetzt klar und deutlich. Er glaubte jene Leidenschaft in den letzten -Jahren bekämpft zu haben, aber sie hatte nur geschlummert, und heute, wie -er dem holden Wesen auf's Neue gegenüber stand und ihre Blicke so lieb und -gut auf ihm hafteten, wie sie es nie gethan, loderte die alte Leidenschaft -frisch und gewaltig auf's Neue in seinem Herzen empor. -- Aber sie war -nicht mehr frei -- sie war vermählt, und ließ es sich denken, daß -der Major, durch die Flucht der Gattin auf das Schwerste gekränkt und -beleidigt, je selber und freiwillig das Band lösen würde, das sie an ihn -fesselte -- und was dann? - -Daß er sich selber einen Hausstand gründen und eine Frau ernähren könne, -wußte er; daß er an Clemence's Seite den Himmel auf Erden finden würde, -davon fühlte er sich fest und innig überzeugt, und wenn sie auch in Glanz -erzogen und dabei verwöhnt sein mochte, die Liebe zu ihm würde sie alles -leicht überwinden lassen. -- Und Clemences Vater? -- Nur der Gedanke an -diesen blieb ihm peinlich, denn sein Bankerott damals war, nach Allem, was -er darüber von vorurtheilsfreien Männern gehört, eine zu offenkundige und -freche Schwindelei gewesen, um sich darüber auch nur noch im Entferntesten -einer Täuschung hinzugeben, und mit dem sollte er jetzt in nähere -Verwandschaft treten? -- Aber was konnte Clemence dafür? Trug sie die -Schuld des Verbrechens? wahrlich nicht, und von dem gestohlenen Gelde -wollte und brauchte er Nichts, wenn er die Kraft in sich fühlte, frei und -unabhängig von irgend Jemandem sich seinen Lebensunterhalt auch selber zu -erwerben. - -Aber was zerbrach er sich jetzt über alle diese Dinge den Kopf, wo es ja -vor Allem galt, die Geliebte aus den Händen eines rohen und tyrannischen -Gatten zu befreien. Alles Andere fand sich später von selber. Lieber Gott, -er wollte sie ja nur glücklich wissen, und wenn er dann auch noch Jahrelang -auf ihren Besitz harren, oder wenn es nicht anders möglich war, selbst die -Heimath verlassen mußte, um in einem fernen Welttheil das Glück zu suchen, -das ihm hier starre Formen und Gesetze verweigerten. - -Während er sich so in Gedanken um das Wohl der Geliebten absorgte, schritt -Clemence zu dem Kurhaus hinüber, aber nicht auf dem direkten Weg, sondern -auf einer etwas weiteren Bahn. Sie war, von ihrer Kammerfrau begleitet, -in voller Toilette, aber sie schien eilig, denn es dunkelte schon, und sie -hatte nicht viel Zeit mehr zu versäumen. Eben schlugen drinnen in der Stadt -die Uhren die für das Rendezvous bestimmte Stunde. - -Armand war eben so pünktlich gewesen als sie. Um jedoch auf der noch immer -sehr belebten Promenade keinen Verdacht zu erregen, grüßte er sehr förmlich -und achtungsvoll, und schritt dann, während sich die Kammerfrau tactvoll -einige Schritte zurückzog, neben ihr her. - -»Glückliche Nachricht,« flüsterte er ihr, wie das unbeachtet geschehen -konnte, zu, »eben habe ich einen Brief bekommen, daß übermorgen, vielleicht -schon morgen Abend mein Schwager eintrifft, und nun, da die Zwischenzeit so -kurz ist, haben wir auch keine Gefahr weiter zu fürchten. Benutze jetzt die -erste Gelegenheit, Geliebte, und erwarte mich dann in St. Goarshausen im -goldenen Roß. Hinterlaß' für Reuhenfels aber einen Brief, worin Du ihn auf -eine falsche Fährte schickst, und überlaß mir das Weitere. Natürlich -folgt er Dir augenblicklich, aber er muß durch die Nachforschungen, die er -genöthigt ist anzustellen, aufgehalten werden und ich bin dann vielleicht -schon den nächsten Tag bei Dir. Nie im Leben wird er auch daran denken, in -einem so kleinen abgelegenen Nest nach Dir zu suchen und es bleibt uns dort -Zeit und Muße genug, unsere weiteren Pläne zu besprechen.« - -»Ich habe einen Begleiter gefunden,« sagte Clemence rasch. - -»Wen?« frug der junge Mann erstaunt. - -»Einen alten Bekannten aus M--, einen braven jungen Künstler, der früher -einmal für mich geschwärmt hat,« fuhr sie lächelnd fort. »Er ist treu und -ehrlich und fühlt sich glücklich mir einen Dienst erweisen zu können.« - -»Aber es ist jetzt kaum mehr nöthig,« meinte Armand, dem der Gedanke, einen -früheren Anbeter mit seiner Geliebten reisen zu lassen, vielleicht nicht so -ganz angenehm war. - -»Aber auch unmöglich, es jetzt noch zu ändern,« erwiderte sie. »Er erwartet -mich morgen früh um sechs Uhr am Bahnhof.« - -»So früh willst Du fort?« - -»Es ist die höchste Zeit, denn Reuhenfels hat mich heute Nachmittag -aufgefordert, meine Koffer zu packen und jeden Augenblick zur Abreise -bereit zu sein.« - -»Dann kann es freilich Nichts mehr helfen. Dein Begleiter ist ein -Deutscher?« - -»Gewiß!« - -»Und heißt?« - -»Trautenau -- ein Maler.« - -»Derselbe, der Dein Bild gemalt, mit dem Major als Teufel auf dem -Ofenschirm.« - -»Derselbe.« - -»Gut!« rief Armand lachend. »Wenn man das nur Deinem Gatten beibringen -könnte --« - -»Ich werde es ihm in dem Brief, den ich ihm zurücklasse, schreiben. Er -hat Trautenau gestern selber gesehen und war schon früher eifersüchtig auf -ihn.« - -»Desto besser, dann folgt er jedenfalls einer ganz falschen Fährte und -Richtung und wir sind vollkommen sicher.« - -»Dort ist das Kurhaus -- Du mußt mich jetzt verlassen! Reuhenfels wird -schon zürnen, daß ich so lange fortgeblieben bin, und Dich auch vermissen.« - -»Ich stand kurz vorher noch hinter seinem Stuhl und schlenderte dann -langsam nach dem anderen Tisch hinüber; er weiß, daß ich nie bestimmt -setze.« - -»Also auf Wiedersehen, Armand -- o wie mir das Herz klopft, wenn ich an die -Zeit denke.« - -»Und Du vergißt den Ort nicht?« - -»St. Goarshausen -- im goldenen Rosse.« - -»Die Bahn geht von Bieberich den Rhein abwärts.« - -»Ich weiß es,« und sich fest in ihren Burnus hüllend, eilte sie jetzt, so -rasch sie konnte, dem ganz nahen Kurhaus und den Spielsälen zu, während -ihr die Kammerfrau noch ein paar Schritt folgte und dann umdrehte, um nach -Hause zurückzukehren. Sie hatte für morgen früh noch entsetzlich viel zu -besorgen. - - - - -Neuntes Kapitel. - -Verfolgend und verfolgt. - - -Der nächste Morgen kam, und in demselben Moment, als vor dem Kurhaus wieder -(eine ganz merkwürdige Melodie für ein, zu Spielhöllen benutztes Gebäude) -der Choral begann, läutete draußen am Bahnhof die Glocke, die Locomotive -pfiff und in einem Coupé erster Classe saßen, glücklich entkommen, unsere -drei Flüchtigen und dampften, unmittelbar an dem schönen Strom hinab, der -Freiheit entgegen. - -Von Reuhenfels lag indessen noch in seinem Bett und schlief sanft, denn er -war gestern sehr lange mit Freunden auf und beisammen, und vielleicht etwas -schärfer hinter der Flasche gewesen, als gewöhnlich. Es mochte halb acht -Uhr sein, als er endlich aufstand, denn die in sein Zimmer fallenden -Sonnenstrahlen genirten ihn. Er wusch sich und zog sich an, stopfte sich -dann eine Pfeife, zündete sie an und lehnte sich damit zum Fenster hinaus, -um die wundervolle Morgenluft zu genießen -- aber er bekam Appetit nach dem -Caffee und draußen schlug es schon acht Uhr. Wo blieb nur Clemence heute? - -Er war nicht besonders guter Laune, denn er hatte gestern Abend wieder -ein paar hundert Thaler verloren und doch gerade auf Glück gehofft, auch -schmeckte ihm, nach der halb durchschwärmten Nacht, der Taback heute -Morgen nicht besonders. Er wurde endlich ärgerlich, daß die Frau noch nicht -zurückkam, und klingelte nach dem Caffee. Bis er kam, schritt er langsam -und mit finster zusammengezogenen Brauen in dem kleinen, aber freundlichen -Gemach auf und ab, als sein Blick zufällig auf den runden, in der Ecke -stehenden Tisch fiel und er dort einen noch geschlossenen Brief bemerkte. -Er nahm ihn und las die Adresse, aber das Herz stand ihm still dabei, denn -die Aufschrift lautete nicht, wie er jetzt alle seine Briefe erhielt -- -Dem Herrn Baron zu Berg, sondern: Dem Major von Reuhenfels, und das war die -Handschrift seiner Frau. - -Mit zitternden Händen riß er das zierlich gefaltete Blatt auseinander -und las, während seine Augen Feuer sprühten und seine Zähne sich fest -zusammenbissen: - - »Herr Major! Wenn diese Zeilen in Ihre Hände fallen, bin ich frei von - einer verhaßten und unerträglich gewordenen Verbindung. Versuchen - Sie nicht, mir zu folgen; es wäre nutzlos. Ich habe den Freund - wiedergefunden, für den das Herz der Jungfrau in erster Liebe schlug - -- ich werde nie wieder von seiner Seite weichen. Meine Mutter wird das - Geschäftliche mit Ihnen besorgen und die Verbindung lösen, die ich in - unseliger Verblendung eingegangen. Leben Sie wohl. - - Clemence Joulard.« - -Einen Moment stand Reuhenfels sprachlos vor Wuth und Schreck und Staunen -über das noch Unbegreifliche -- aber das dauerte nicht lange. Er war -wahrlich nicht der Mann, etwas derartiges ruhig und geduldig über sich -ergehen zu lassen, und wie er nur erst wieder denken und überlegen konnte, -fuhr er auch wild und entschlossen empor. - -»Versuchen Sie nicht mir zu folgen?« rief er höhnisch vor sich hin -- -»hoho Madame. Sie haben sich in mir geirrt, wenn Sie glaubten, daß Sie -mir entgehen könnten, und nur leichtsinnig und unüberlegt war es von Ihnen -gehandelt, mir den Schurken zu bezeichnen, der es gewagt hat, in -meine Rechte einzugreifen. Ich kenne ihn, diesen gemeinen tückischen -Farbenschmierer der -- aber alle Teufel!« unterbrach er sich plötzlich -rasch, indem ein neuer Gedanke sein Hirn kreuzte. »Sollte Clemence? -- Sie -ist bei Gott schlau genug, um ihr etwas Derartiges zuzutrauen.« -- - -Rasch stellte er die, überhaupt schon lange ausgegangene Pfeife in die -Ecke und beendete in Hast seine Toilette. Zugleich klingelte er nach dem -Stubenmädchen, um zu erfahren, ob die Kammerfrau auf ihrem Zimmer wäre. Das -Mädchen kam nach wenigen Minuten zurück und meldete, das Fräulein sei -heute Morgen mit der gnädigen Frau nach dem Bahnhof gefahren und noch nicht -zurückgekehrt. - -»Es ist gut!« brummte Reuhenfels zwischen den Zähnen durch und war wenige -Minuten später zum Ausgehen gerüstet. Aber nicht nach dem Bahnhof eilte er -hinüber, sondern nach Armands Wohnung, zu dessen Zimmer er ohne Weiteres -hinaufsprang. - -Dort klopfte er an; aber Niemand antwortete. Die Thür war verschlossen und -fast zitternd vor Wuth flog er wieder zu dem Portier hinab. - -»Wann ist Monsieur Armand heute Morgen abgereist?« rief er hier mit -heiserer Stimme. - -»So viel ich weiß, gar nicht,« erwiederte der höfliche Portier. »Monsieur -kamen etwas spät nach Haus und schlafen wahrscheinlich noch. Der Schlüssel -ist wenigstens nicht unten.« - -»Ich habe an der Thür gepocht; es hat mir Niemand geantwortet.« - -»Monsieur hätten ein wenig stärker pochen sollen.« - -»Er ist nicht oben.« - -»Wir wollen gleich noch einmal nachsehen. Ich müßte ja doch sonst den -Schlüssel hier haben, wenn der Herr ausgegangen wäre.« - -Beide stürzten wieder die Treppe hinauf und wiederholten ihr Pochen, als -von drinnen eine Stimme antwortete: - -»Wer ist da?« - -»Machen Sie auf, Armand.« - -»Es ist nicht verschlossen -- kommen Sie doch herein.« - -Reuhenfels drückte auf die Klinke; die Thür öffnete sich in der That und -der Major fand den jungen Franzosen noch im Bett und augenscheinlich erst -aus festem Schlaf erwacht. - -Der Portier zog sich mit einem Lächeln, das etwa sagen sollte: »Sehen Sie -wohl, daß ich Recht gehabt?« zurück und Reuhenfels betrat das Zimmer, in -welchem die Rouleaux noch niedergelassen waren. Er fand sich aber jetzt -wirklich in einiger Verlegenheit, wie er seinen frühen Besuch entschuldigen -sollte, denn was vorgefallen, mochte er gerade diesem Mann nicht -eingestehen. - -»Hallo, zu Berg!« rief Armand, sich in seinem Bett emporrichtend, »was zum -Henker führt Sie denn mit Tagesgrauen zu mir?« - -»Tagesgrauen -- es ist fast neun Uhr.« - -»So spät? Ich habe unverzeihlich lange geschlafen, aber das letzte Glas -Grog, das wir gestern Abend zusammen tranken, hat mir den Rest gegeben. Und -womit kann ich dienen?« - -»Ich -- wollte Sie fragen, ob Sie hier in Wiesbaden einen deutschen Maler -Namens Trautenau kennen.« - -»Einen deutschen Maler? nein. Wollen Sie sich heute in aller Frühe ein Bild -bei ihm bestellen?« - -»Ich wollte, ich könnte ihn finden,« rief Reuhenfels, und er mußte sich in -der That Mühe geben, die furchtbare Aufregung, in welcher er sich befand, -zu verbergen. »Entschuldigen Sie, Armand, daß ich Sie gestört habe, aber da -ich gerade hier vorbei ging, fiel es mir ein, Sie zu fragen.« - -»Wenn Sie ein paar Minuten unten im Gastzimmer warten,« sagte Armand, -»so komme ich hinunter und begleite Sie. Ich mache meine Toilette in -unglaublich kurzer Zeit und muß doch zu Ihnen, denn ich habe Ihrer Frau -Gemahlin gestern Abend versprochen, ihr heute Morgen eine Photographie von -Salzburg zu bringen, die sie sich gewünscht.« - -»Das eilt nicht,« entgegnete Reuhenfels kurz, »meine Frau ist -- überdies -wieder mit einer Freundin spazieren gegangen, und Sie würden sie jetzt -nicht einmal treffen. Also auf Wiedersehen, Armand,« -- und ohne sich in -eine weitere Unterhandlung einzulassen, eilte er rasch nach Hause, raffte, -was er zu einer kurzen Fahrt brauchte, zusammen, überlieferte seine -Schlüssel dem Wirth und lief dann mehr als er ging auf den Bahnhof hinaus, -um dort nur eine Spur von der Flüchtigen zu bekommen. - -Hier half es ihm freilich Nichts, Erkundigungen einzuziehen, denn die eine -Bahn führte nur nach Bieberich, von wo dann zwei verschiedene Geleise -- -eines stromauf, eines stromab -- auszweigten. Wie aber sollte er sich dort, -in dem Gewirr von Fremden, nach der Flüchtigen erkundigen -- von wem -sollte er Auskunft erlangen? Den einen Cassirer am Schalter nach Mainz und -Frankfurt kannte er freilich und dort war Hoffnung, denn dieser kannte -auch seine Frau und konnte ihm wenigstens sagen, ob er sie an dem Morgen -im Bahnhof irgendwo gesehen habe. Er hielt sich deshalb auch gar nicht in -Wiesbaden selber mit Fragen auf, sondern bestieg augenblicklich den gleich -abgehenden Zug, um nur wenigstens erst einmal Bieberich zu erreichen. -Der kleine Handkoffer, den er bei sich führte, enthielt auch ein paar -vortreffliche Duell-Pistolen und er war fest entschlossen, Gebrauch von -ihnen zu machen, wo er den Entführer antreffen mochte. Hegte er ja doch -jetzt einen doppelten Haß gegen ihn, und seiner Rache sollte er wahrlich -nicht entgehen. - -In Bieberich angekommen, eilte er augenblicklich an die Casse und seine -erste Frage war: - -»Hat meine Frau hier heute Morgen den Zug benutzt?« - -»Jawohl, Herr zu Berg,« sagte der alte Mann freundlich. »Frau Gemahlin -waren da, -- drei Billette genommen, glaub' ich -- zwei oder drei: ich weiß -es jetzt wahrhaftig nicht mehr genau. Lieber Gott, das ist jeden Morgen -solch ein Gedränge -- waren aber selber an der Casse.« - -»Und wer war bei ihr?« - -»Bin ich nicht im Stande zu sagen,« erwiederte der Mann achselzuckend; -»das wimmelte nur so heute Morgen, aber die gnädige Frau erkannte ich den -Augenblick wieder.« - -»Sie wissen wohl nicht mehr, wohin sie sich hat einschreiben lassen?« - -»Haben wohl die Frau Gemahlin verfehlt? -- nach Mainz nahm sie Billette. -Ich weiß es noch genau, ich mußte ihr einen Napoleonsd'or wechseln.« - -»Ich danke Ihnen, -- ja wir hatten uns verabredet, eine Vergnügungstour zu -machen. Wann geht der Zug nach Mainz ab?« - -»Wird kaum noch zehn Minuten dauern, -- sobald der nach Coblenz gehende -hereinkommt, und signalisirt ist er schon.« - -»Gut, -- bitte um ein Billet zweiter Classe Mainz.« - -Reuhenfels nahm sein Billet und schritt indessen, bis die Abfahrt des Zuges -angezeigt werden würde, mit verschränkten Armen und ganz seinen düsteren -Gedanken nachhängend, auf dem Perron auf und ab, als er plötzlich seinen -Namen hörte. - -»Hallo, zu Berg! auch einmal nach Bieberich gekommen? Ja, die Saison geht -jetzt zur Neige und da ziehen unsere Schwalben wieder fort!« - -Reuhenfels sah auf und bemerkte einen Herrn von Plauen, dessen flüchtige -Bekanntschaft er in Wiesbaden gemacht und der auf ihn zukam und ihm die -Hand entgegenstreckte. Er war allerdings jetzt nicht in der Stimmung, sich -mit irgend einem Fremden zu unterhalten, mochte aber auch nicht unhöflich -sein und sagte nur ausweichend: - -»Ja -- aber nicht ganz -- nur eine kleine Vergnügungstour.« - -»Aha, mit Frau Gemahlin,« meinte der andere Herr, »habe sie heute Morgen -schon gesehen.« - -Reuhenfels biß sich auf die Lippen, aber er durfte den Fremden den wahren -Stand der Sache nicht ahnen lassen, und sagte deshalb so gleichgültig, als -es ihm irgend möglich war: - -»Ja -- wahrscheinlich. Sie ist nur nach Mainz vorausgefahren.« - -»Nach Mainz? -- ih bewahre,« rief Herr von Plauen, »sie saß ja im Coblenzer -Zug.« - -»Im Coblenzer Zug?« fragte Reuhenfels bestürzt, »das ist ja gar nicht -möglich. Sie hat Billete nach Mainz genommen.« - -»Dann ist sie in den falschen Zug gerathen,« sagte Herr von Plauen, »aber -ich weiß es zu gewiß, denn in dem nämlichen Coupée in welchem sie mit -einem Herrn und noch einer Dame saß, befand sich auch eine mir befreundete -Familie, der Assessor Hörich mit seiner jungen Frau, dem ich noch, ein paar -Secunden vorher ehe der Zug abging, die Hand in den Waggon reichte.« - -»Und meine Frau war darin?« - -»Gewiß! Ich bin der gnädigen Frau zwar nie vorgestellt worden, und ich weiß -nicht einmal, ob sie mich kennt -- bezweifle es sogar, aber die Dame ist -nicht zu verkennen. Sie macht durch ihre Schönheit ja überall Aufsehen. Sie -sah wieder reizend heute Morgen aus.« - -»Und Sie haben keine Ahnung wohin sie gefahren sein kann?« - -»Ja mein Himmel, wer soll das wissen, denn es giebt zahllose -Zwischenstationen -- aber sie wird jedenfalls auf dem ersten Halteplatz -wieder ausgestiegen sein, sobald sie nur merkt, daß sie in den falschen Zug -gerathen ist.« - -»Jedenfalls -- jedenfalls« sagte Reuhenfels zerstreut -- »aber -- was ich -Sie gleich noch fragen wollte -- Passagiere für eine bestimmte Station -werden gewöhnlich zusammen in ein Coupée gethan. Wohin fuhr jener Herr -- -der Assessor sagten Sie, glaub' ich -- heute Morgen?« - -»Der Assessor? oh nicht weit, nur nach St. Goarshausen. Sie haben dort -Verwandte, die sie erst auf einen Tag besuchen wollen.« - -»So? ich danke Ihnen. Merkwürdig!« - -»Ach solche Verwechselungen sind schon häufig vorgefallen,« meinte Herr von -Plauen, der den Ausruf ganz anders verstand, »und auf unseren Rheinischen -Bahnen hat es eben Nichts zu sagen, denn es gehen zu viele Züge, mit denen -man sich immer rasch wieder helfen kann. Wenn Sie hier eine Stunde warten, -kommt sie jedenfalls mit dem nächsten Zug wieder zurück.« - -»Ich werde ihr lieber entgegen fahren, sie findet sich sonst am Ende nicht -zurecht.« - -»Ja, Damen sollte man nie allein reisen lassen, sie haben ein merkwürdiges -Geschick darin, sich irgendwo festzufahren. Es war ganz das nämliche im -vorigen Jahr mit meiner Frau, wo wir auch eine Tour nach --« - -»Sie entschuldigen mich,« sagte Reuhenfels -- »da kommt schon der Zug nach -Coblenz und ich muß mir erst noch ein Billet lösen.« - -»Oh Sie haben überflüssig Zeit,« war die Antwort -- »jetzt wird erst der -Zug nach Mainz expedirt und der Coblenzer hält wenigstens zehn Minuten an.« - -»Ich will mich doch fertig machen, denn ich muß auch erst mein Gepäck -hier unterbringen. -- Guten Morgen lieber Plauen; herzlichen Dank für die -Nachricht.« - -»Bitte -- bitte -- sehr gern geschehen. Freut mich nur der gnädigen -Frau wegen, daß ich Sie hier getroffen habe. Bitte mich gehorsamst zu -empfehlen.« - -Reuhenfels winkte ihm nur noch mit der Hand zu und eilte dann rasch an die -Casse, um dort ein Billet für St. Goarshausen zu lösen. Hatte sich der alte -Cassirer für den Mainzer Zug geirrt? Aber das blieb sich jetzt gleich -- an -einen Irrthum seiner Frau glaubte er nicht, und seine einzige Hoffnung war -jetzt nur, die Flüchtige entweder unterwegs an den Zwischenstationen oder -in St. Goarshausen zu erfragen. - -Reuhenfels hatte übrigens an dem Morgen kaum mit dem Zug Wiesbaden -verlassen, als drei sehr anständig gekleidete Herren in Civil, mit einem -etwas militairischen Anstrich, unten im Hôtel Kompelt nach ihm frugen, -und von dem Kellner bedeutet wurden, daß der Herr Baron heute Morgen einen -Ausflug -- aller Wahrscheinlichkeit nach bis Frankfurt gemacht habe. - -»Und glauben Sie, daß er heute Abend zurückkehren wird?« - -Der Oberkellner zuckte die Achseln. - -»Ein Theil seiner Sachen ist allerdings noch da,« sagte er, »aber -die gnädige Frau hat ihren Koffer und anderes Handgepäck schon vor -Sonnenaufgang hinunterschaffen lassen, was allerdings auf einen längeren -Ausflug deutet.« - -»Sind sie Ihnen noch etwas schuldig?« - -»Sehr unbedeutend -- die Herrschaften zahlen hier im Hôtel immer jede -Woche ihre Rechnungen, und der Herr Baron hat die seinige erst gestern -berichtigt. Uebrigens kommt er jedenfalls zurück, denn er hat noch eine -Menge von Sachen oben.« - -Die fremden Herren erwiederten nichts weiter, sondern schritten zusammen -auf den Platz hinaus, unterhielten sich aber dabei sehr angelegentlich in -französischer Sprache miteinander. - -»Der Vogel ist ausgeflogen,« sagte der Eine, als sie sich außer Hörweite -des Kellners wußten -- »daß wir auch nicht ein paar Stunden früher hier -eintreffen konnten. Was nun?« - -»Jedenfalls ist er mit der Eisenbahn fort, dabei brauchen wir aber nichts -zu beeilen,« meinte der Andere, »denn der nächste Zug geht erst in zwei -Stunden. Wie aber der Kellner sagt, hat er hier noch seine Sachen stehn, -und es wäre der Mühe werth, die indessen zu untersuchen. Vor allen Dingen -müssen wir nach den verschiedenen Stationen abtelegraphiren -- vielleicht -erhalten wir eine günstige Rückantwort, und dann visitiren wir das Nest da -oben.« - -Damit schienen die Anderen einverstanden und trennten sich jetzt erst -wieder in der Stadt, um nachher aufs Neue hier zusammenzutreffen. Hinter -den grünen Vorhängen der Fenster hatte sie aber der Oberkellner aufmerksam -beobachtet, und rieb sich sehr bedenklich die Hände: - -»Alle Teufel,« murmelte er dabei, »das ist, hol mich Dieser und Jener, -Polizei; den Einen kenne ich; das ist der geheime französische Agent, der -sich hier immer in Wiesbaden aufhält, und genau so thut, als ob er sich -um keinen Menschen auf Gottes Welt bekümmerte -- und ob der Halunke nicht -Alles weiß was vorgeht -- Einer mußte ein Fremder sein, aber der dritte -war ja unser liebenswürdiger Meier -- die rechte Hand vom Polizeidirector. -Sollten die denn hinter dem Baron her sein? -- wäre nicht übel, so ein -vornehmer Herr. Wenn man ihm nur wenigstens einen Wink geben könnte, aber -weiß der Henker wo der jetzt steckt. -- Oder hat er vielleicht gar selber -Wind bekommen? -- Na dann können sie schnüffeln, denn der ist von klein auf -in der Welt gewesen und weiß Bescheid.« -- Und mit diesen Gedanken ging -er, sich wieder vergnügt die Hände reibend, an seine gewöhnliche -Morgenbeschäftigung -- d. h. er setzte sich vor das große Hauptbuch und -kratzte sich hinter den Ohren. - - - - -Zehntes Kapitel. - -Die Entführung. - - -So ängstlich sich Clemence gezeigt, als sie an dem Morgen den Gatten -verließ, so daß sie nur zitternd auf den Bahnhof eilte und dort der -furchtbaren Aufregung, in welcher sie sich befand, kaum Herr werden konnte, -so plötzlich war jede, auch die letzte Angst von ihr genommen, als sich -der Zug in Bewegung setzte, denn von dem Augenblick an hielt sie sich für -sicher. Trotzdem versäumte sie keine nur irgend mögliche Vorsicht, und da -sie recht gut wußte, daß man sie in Bieberich, besonders an dem Mainzer -Schalter kannte, ging sie selber dorthin um Billete zu lösen, während -Trautenau die wirklichen Billete nach St. Goarshausen nahm. Die List wäre -auch vollständig geglückt, wenn eben nicht Reuhenfels zufälliger Weise den -Herrn von Plauen auf dem Bahnhof angetroffen hätte, der ihn freilich, ohne -es zu wissen, auf die rechte Fährte setzte. - -Indessen verfolgten die Flüchtigen ahnungslos ihren Weg, und erreichten -nach einer kurzen aber reizenden Fahrt das ziemlich große Dorf -St. Goarshausen, einen der schönsten Punkte am ganzen Rhein. - -Trautenau war selig; er durfte neben der Geliebten sitzen, ihre Hand -halten, ihr in die guten Augen sehen und ihrer silberreinen Stimme -lauschen, ja da noch zwei Fremde, ein Herr und eine junge Dame im Coupé -wenn auch an der anderen Seite saßen, wehte ihn sogar, als sie sich -flüsternd zu ihm überbog, ihr warmer Athem an. Er hörte auch kaum was sie -sprach; es war ihm genug in ihrer Nähe zu sein. Aber wie das Alles enden -würde! Wie hätte er in diesem seligen Augenblick der Gegenwart nur an die -Zukunft denken mögen oder können. Er war auch mit Allem einverstanden, -was sie ihm vorschlug, daß sie jetzt erst einmal in St. Goarshausen, -einem kleinen unbedeutenden Ort, ein paar Tage still liegen wollten, um -Reuhenfels, der jedenfalls schon auf der Verfolgung begriffen sei, von -ihrer Spur abzubringen. Gewiß suchte er sie auf den größeren Stationen, -und hatte auch wohl Freunde veranlaßt, ihn dabei zu unterstützen, damit er -sowohl den Norden als Süden im Auge behalten konnte. Waren aber erst einmal -ein paar Tage vergangen, so mußte er sie natürlich fern glauben, und -dann gelang es ihnen leicht, mit irgend einem Nachtzug von hier aus die -französische Grenze zu erreichen. - -Clemence schien auch in St. Goarshausen bekannt, denn sie beorderte -augenblicklich, wie sie nun dort anhielten, ein paar Träger, um ihre Sachen -in das goldene Roß hinauf zu schaffen. Es war das auch keines der ersten -Hôtels dicht am Rhein, wo allerdings ein reger Fremdenverkehr statt fand, -sondern lag etwas abseits vom Strom mitten in der Stadt und schien in -früherer Zeit -- gerade dem Gemeindehaus gegenüber, den behäbigen Bewohnern -des kleinen Orts zum Mittelpunkt ihrer Versammlungen und Casinos gedient -zu haben. Jetzt freilich, wo der Verkehr einen ganz anderen Aufschwung -genommen und von verwöhnten Fremden weit größere Ansprüche gemacht -wurden, hatten sich neue sogenannte Hôtels, fast nur mit englischen Namen, -unmittelbar an's Ufer des Rheines gesetzt, und im goldenen Roß kehrten nur -noch die alten spießbürgerlichen Honoratioren ein, denen die Fremden ein -Dorn im Auge waren, und die ungestört von ausländischem »Kauderwälsch« -einen »guten« Schoppen trinken wollten. - -Für ihren Zweck lag der Platz aber in der That vortrefflich, denn hierher -kam so leicht Niemand der Durchreisenden und wenn sie sich nicht draußen -zeigten, hätten sie vielleicht einen Monat lang still und unbeachtet dort -leben können. - -Clemence übernahm aber hier ohne Weiteres die Leitung ihrer inneren -Angelegenheiten. Sie bestellte zwei Zimmer, eins für sich und Jeannette, -ihre Kammerfrau, eins für den Herrn, und befahl dem aufwartenden Mädchen --- denn einen Kellner schien es im goldenen Roß gar nicht zu geben -- ihnen -das Frühstück heraufzubringen, das sie gemeinschaftlich verzehren wollten. - -Trautenau war damit nicht ganz einverstanden; er hätte so gerne einmal eine -Unterredung mit Clemence unter vier Augen gehabt -- so Vieles war es ja, -was sie noch besprechen mußten. Aber Clemence schien das gerade vermeiden -zu wollen, und so freundlich, ja herzlich sie sich gegen ihn zeigte, wich -sie, für jetzt wenigstens, geschickt einer solchen aus. Trautenau selber -entschuldigte sie aber darin -- es wäre unnatürlich gewesen, wenn sie -sich anders gezeigt -- unweiblich wenigstens, wo ihr die Neuheit dieser -Situation doch noch immer die Seele beklemmen mußte. Morgen, wo sie eine -Nacht Zeit gehabt, um ruhiger darüber nachzudenken, würde das anders -- -besser werden, und er beschloß deshalb auch, sie in dieser Zeit ganz sich -selber zu überlassen. - -Jeannette war dabei das wahre Muster einer Kammerzofe und arrangirte alles -Nöthige so leicht und schnell, daß sich die Damen wenigstens in unglaublich -kurzer Zeit vollständig eingerichtet hatten. Das Frühstück verlief ziemlich -ruhig und einsylbig, denn Jeder war noch zu sehr mit seinen eigenen -Gedanken beschäftigt, und der ernste, fast verzweifelte Schritt, den sie -gethan, rechtfertigte das auch vollkommen. Trautenau war allerdings fest -entschlossen, Clemence bis nach Paris und zu ihrem Vater zu begleiten, -wie aber sollte er dort dem Mann, den er überdieß nicht achten konnte, -als Entführer seiner Tochter und zugleich als Bewerber um ihre Hand -entgegentreten? Der Gedanke peinigte ihn, wenn auch nicht in Clemencens -Gegenwart, denn sobald er die lieben, so wunderbar schönen Züge der -verführerischen Frau sah, und in diese Augen blickte, die manchmal ihn -fast traurig anschauten und nur scheu den Boden suchten, wenn er ihnen -begegnete, vergaß er alles Andere -- vergaß er sich selbst. Aber als er -wieder allein auf seinem Zimmer war, gingen ihm diese Dinge -- und noch -viele andere -- wieder und wieder durch den Kopf, die er denn nicht so -leicht abschütteln konnte. - -Er konnte das Bild nicht aus seiner Erinnerung zwingen, wie er Clemence zum -ersten Mal in Wiesbaden gesehen: an jenem grünen Tisch in der Spielhölle, -den hübschen schlankgewachsenen Franzosen hinter ihrem Stuhl. -- Er konnte -den Blick nicht vergessen, den sie ihm einmal -- gerade als sein Auge -zufällig auf ihr haftete, zugeworfen -- aber wenn ihr Mann sie nun -gezwungen hätte, dem Spiel beizuwohnen? und es gab eigentlich nichts -Natürlicheres, denn er konnte die junge Frau in einem solchen Badeort doch -nicht den ganzen Abend allein, und sich selber überlassen. -- Aber der -Blick -- dieser eine Blick. -- Doch wie ungerecht war sein Verdacht, denn -wenn sie zu jenem auch nur in der geringsten freundlichen Beziehung stand, -so hätte sie doch wahrlich auch ihn um seinen Beistand bei ihrer Flucht -gebeten, und sich nicht an den vollkommen Fremden gewandt. -- Fremden? -- -nein, sie hielt ihn nicht für fremd -- sie wußte ja ihren eigenen lieben -Worten nach -- wie lange er sie schon im Herzen getragen, und da sie das -wußte und gerade ihn zu ihrer Hülfe wählte, mußte sie ihm doch auch ein -klein wenig gut sein, oder sie würde es nicht gethan haben. Wie gern hätte -er sich auch mit ihr ausgesprochen; aber die verwünschte Kammerzofe -ging ihr nicht von der Seite. Und was für ein durchtriebenes kokettes -Frauenzimmer das war. Bildhübsch in der That, mit einem kleinen kecken -Stumpfnäschen und großen klugen und dunklen Augen; die aber hatte sie auch -eben überall, und weshalb flüsterte sie nur immer so viel und geheimnißvoll -mit Clemence? -- Die Person hatte sie doch hoffentlich nicht zu ihrer -Vertrauten gemacht? -- es war ihm das ein peinlicher Gedanke. Aber er sah -auch recht gut ein, daß sie eine weibliche Begleitung haben mußte und für -die kurze Zeit mochte es denn ja auch gehen. - -Der Aufenthalt in dem engen dumpfen und noch recht altväterlich gebauten -Hause wurde ihm zuletzt drückend, und er beschloß, einen Spaziergang -nach der Ruine hinauf zu machen. Gar zu gern hätte er Clemence um ihre -Begleitung gebeten; aber er wagte es nicht. Es war heute der erste Tag, -und er mußte ihr den ungestört lassen, um sich vollkommen auszuruhen. Sie -blieben ja auch jedenfalls morgen noch hier, und dann erfüllte sie gewiß -seinen Wunsch. Dann konnte er Alles, Alles mit ihr besprechen, was ihm -auf dem Herzen lag und es war vielleicht sogar besser, daß das erst morgen -geschah; er fühlte sich dann auch selber mehr mit sich im Reinen. Der -morgende Tag sollte deshalb sein Schicksal entscheiden. Er that es auch -wirklich. - -Langsam stieg er den ziemlich steilen Pfad empor, der hinauf zu der alten -prachtvollen Ruine führte -- aber er traf zu viel Menschen unterwegs --- Kinder aller Nationen, die hier zusammenkamen, um an den Wundern des -Rheines zu schwelgen und den vortrefflichen Wein dazu zu trinken. Er fühlte -sich heute wahrlich nicht in der Stimmung, unter ihnen zu verkehren und -schlug sich seitab in die Büsche, wo er einen Platz suchte, auf dem er -ungestört ausruhen und mit dem Rhein und der alten Ruine Rheinfels vor sich -das prachtvolle Bild in voller Ruhe genießen konnte. - -So lag er lange und träumend dicht versteckt im Gehölz, und wenn manchmal -einzelne Gruppen von Spaziergängern in dem weiter oben hinlaufenden Pfad -stehen blieben um die Aussicht zu genießen, so konnte er deutlich hören, -was sie mit einander sprachen, ohne von ihnen dabei gesehen zu werden. Aber -was interessirten ihn diese Unterhaltungen. Die Leute sprachen sich mit -schaalen Phrasen über die Schönheit der Gegend aus oder zeigten sich von da -oben aus die Stellen, wo guter Wein zu haben war. Einmal erzählten sie auch -von der Eisenbahn, daß der letzte, von Mainz kommende Zug entgleist und -dicht vor Rüdesheim liegen geblieben sei, so daß die Bahn verstopft wäre -und man nicht wisse, ob sie heute noch wieder frei würde -- dann gingen -sie weiter und bedauerten noch dabei, daß sie nun wahrscheinlich das -»Frankfurter Journal« nicht erhielten. - -Der Zug entgleist? -- aber was kümmerte ihn das? Es konnte höchstens nur zu -ihren Gunsten sein, da dadurch die Verbindung mit den südlicher gelegenen -Uferplätzen, wenn auch nicht abgeschnitten, doch jedenfalls erschwert -wurde. -- Aber die Zeit verging, er wußte gar nicht wie lange er schon -gelegen und die Sonne neigte sich wieder den Bergen zu. Durfte er denn auch -seine Schützlinge so lang allein lassen? Konnte er wissen, was indessen -da unten vorfiel? Wenn nun der Zufall sein Spiel doch hatte. Er sprang, -erschreckt von dem Gedanken, auf, und eilte, so rasch er konnte, in die -Stadt zurück, um sich wenigstens darüber erst einmal zu beruhigen. Aber die -Befürchtung war glücklicherweise grundlos gewesen, denn er fand dort Alles -noch gerade so, wie er es verlassen hatte, nur, daß die Damen, wie es -schien, mit dem Essen auf ihn gewartet hatten. - -»Aber Monsieur,« rief ihn die Kammerzofe an, die ihm auf der Treppe -begegnete -- »wo bleiben Sie so lange? Wir haben gewartet und gewartet und -Monsieur vielleicht indessen in aller Ruhe oben in der Stadt dinirt. Wir -sind so hungrig, daß wir es kaum noch aushalten können.« - -»Das bedaure ich in der That unendlich« rief Trautenau bestürzt, aber doch -auch im Stillen erfreut, daß Clemence seinetwegen gewartet hatte. »Hätte -ich eine Ahnung davon gehabt, ich wäre gewiß eine Stunde früher gekommen. -Haben Sie das Essen schon bestellt?« - -»Gewiß, das Mädchen hat Ordre es sofort zu bringen, sowie wir die Nachricht -Ihrer Ankunft erhielten. Ich werde sie gleich rufen. Bitte gehn Sie nur -hinauf zur gnädigen Frau.« - -Am liebsten hätte er das freilich gethan, aber er mußte doch erst -hinüber in sein Zimmer, um sich von der Hitze und dem Staub seines langen -Spazierganges zu säubern, und als er das beendet, fand er Jeannette schon -wieder bei ihrer Herrin, und das dralle Mädchen aus dem Wirthshaus eben -emsig beschäftigt die bestellten Speisen aufzutragen. Wie er sich aber -nun gegen Clemence seines langen Ausbleibens wegen entschuldigen wollte, -unterbrach sie ihn freundlich und lächelte: - -»Aber Sie sollen ja doch nicht unser Sclave sein, lieber Trautenau, -wenn wir Sie zu unserm Ritter ausgewählt haben. Wir haben hier Nichts zu -versäumen und der Abend bleibt uns ja so noch immer, um hier am offenen -Fenster ein paar Stunden zu plaudern, oder vielleicht auch einen kleinen -Spaziergang im Mondenschein am Rhein zu machen. -- Aber bitte, wollen Sie -nicht Platz nehmen?« - -Trautenau's Augen leuchteten. So herzlich hatte Clemence noch nie zu -ihm gesprochen, selbst nicht als sie ihn um seine Hülfe bat -- aber die -Kammerjungfer war ihm im Weg; er hätte ihr so gern eben so geantwortet; -in deren Gegenwart ging das nicht, denn wenn sie sich auch hie und da im -Zimmer zu thun machte, wußte er doch recht gut, daß sie trotzdem jedes Wort -bewachte, auf jeden Blick selbst paßte. Vielleicht erhielt er aber am Abend -bei dem versprochenen Spaziergang Gelegenheit ihr zu sagen, wie glücklich -sie ihn dadurch gemacht, und jetzt deshalb nur mit ein paar höflichen -Worten erwidernd, setzte er sich mit den Damen zu Tisch. - -Es war in der That spät geworden und die Sonne selbst schon untergegangen. -Trautenau mußte aber während des Essens von seinem Spaziergang erzählen und -that das in so lebendiger Weise, daß Clemence ihm gespannt und aufmerksam -lauschte. - -Da klopfte Jemand draußen laut und deutlich zwei Mal an die Thür und -Jeannette fuhr entsetzt von ihrem Stuhl empor -- Niemand antwortete -- noch -einmal klopfte es, als Trautenau, der sich den augenscheinlichen Schrecken -auch in Clemencens Zügen nicht erklären konnte, ärgerlich über die -Störung »Herein« rief. In dem Augenblick öffnete sich die Thür und in dem -Dämmerlicht des Abends erkannte die kleine Gesellschaft den Major, der -höhnisch lächelnd, mit triumphirendem Blick die überraschte Gruppe mit den -Augen überflog. - -»Ich störe doch nicht?« sagte er endlich mit seiner trockenen, aber -unheimlich klingenden Stimme, denn die erregte Leidenschaft lauerte -dahinter -- »sollte mir wirklich leid thun Madame -- =et Monsieur aussi= -- -da finde ich ja die ganze kleine Gesellschaft gemüthlich bei einander.« - -»Herr von Reuhenfels,« stammelte Trautenau, der entsetzt von seinem Stuhl -aufgesprungen war. - -»Kuno!« hauchte Clemence und war bleich auf ihren Stuhl zurückgesunken. -Selbst Jeannette wechselte die Farbe, obgleich sie für sich selber -wenig oder nichts zu fürchten hatte. Reuhenfels schien sich aber an dem -Schrecken, den seine Erscheinung unter den Flüchtigen verbreitete, mit fast -teuflischer Schadenfreude zu weiden und selbst in der Ueberraschung des -Augenblicks drängte sich Trautenau der Gedanke auf, daß der Major noch -nie im Leben dem Bilde, das er an jener Wand entworfen, so ähnlich gewesen -wäre, wie in diesem Augenblick. - -Aber die Stille dauerte nicht lange. Haß und Rache, die in des betrogenen -Gatten Augen blitzten, mußten endlich zum Ausbruch kommen und mit vor Wuth -heiserer Stimme sagte er endlich: - -»Also dahin ist es mit Ihnen gekommen, Madame, und mein Verdacht, den ich -als gutmüthiger Thor selber einzuschläfern suchte, war doch begründet? Aber -Sie sollen diesen nichtswürdigen Undank bereuen -- bitter bereuen, darauf -gebe ich Ihnen mein Wort, und daß ich mein Wort halte, wissen Sie, sollte -ich denken -- gut genug. Und nun zu Ihnen mein Herr, der Sie es gewagt -haben, in das Heiligthum einer glücklichen Ehe die frevle Hand zu stecken. -Ich weiß nicht, ob Sie ein Mann von Ehre sind -- was ich bis jetzt davon -gesehen habe, spricht wenigstens nicht dafür -- wenn dem so ist, so folgen -Sie mir in ein anderes Zimmer, daß wir das Nöthige dort besprechen können.« - -»Ich stehe zu Ihren Diensten, Herr Major,« rief Trautenau, dessen Antlitz -bei den beleidigenden Worten alles Blut verlassen hatte -- »wo und wann -Sie wollen und werde Ihnen beweisen, daß Sie gerade der Letzte sein dürfen, -einen rechtschaffenen Mann an seine Ehre zu mahnen. Weitere Worte, glaube -ich, werden wohl fortan unnöthig sein.« - -»Ich glaube es auch,« zischte der Major in Haß und Bosheit, denn die -Anspielung des jungen Mannes auf sein vergangenes Leben war zu deutlich -gewesen um sie mißzuverstehen. »Folgen Sie mir, und Sie, Madame, werden -dies Zimmer nicht verlassen, bis ich zurückkehre, um Ihnen meine weiteren -Befehle kund zu thun.« - -»Mein Herr!« rief jetzt Clemence erzürnt von ihrem Stuhl emporfahrend -- -Reuhenfels würdigte sie aber keines weiteren Blicks. »Ich weiß, daß Sie -gehorchen werden,« sagte er tückisch und verließ das Zimmer, während -Trautenau seinen Hut ergriff, um ihm zu folgen. So aber und ohne ein Wort -des Abschieds konnte er Clemence nicht verlassen. Bewegt und zitternd vor -Aufregung schritt er auf sie zu und ergriff ihre Hand. - -»Fürchten Sie Nichts, Clemence,« sagte er leise und rasch -- »so lange ich -lebe haben Sie einen Freund, der Sie nicht verlassen soll.« - -»Er wird Sie tödten,« hauchte Clemence -- »er trifft mit der Pistole eine -Schwalbe im Flug.« - -»Ich selber bin nicht ungeübt darin,« erwiederte Trautenau trotzig, »ich -schieße rasch und sicher. Noch ist es möglich, Ihnen Ihre volle Freiheit -wieder zu geben.« - -»Und für mich wollen Sie in den Tod gehen,« bat das junge schöne Weib, -jetzt wirklich furchtbar ergriffen, »ach, ich habe es nicht um Sie -verdient!« und Thränen glänzten dabei in ihren Augen. - -»Jetzt komme was da wolle!« rief Trautenau jubelnd aus, denn diese Thränen -waren ihm der erste Beweis ihrer Liebe -- »Du weinst um mich, Clemence, und -so möcht' ich sterben. Aber es lebt ein Gott! er wird mir nicht die höchste -Seligkeit des Lebens zeigen, um mich dann nur verzweifelnd von der Erde zu -nehmen. Lebe wohl, auf baldiges frohes Wiedersehen.« -- Sie stürmisch in -die Arme pressend, drückte er den ersten Kuß auf ihre Lippen, und wie -er jetzt zur Thür hinauseilte, wäre er dem Bajonnetangriff eines ganzen -Bataillons mit nackter Brust jauchzend entgegen gerannt. - -Draußen empfing ihn der Major mit eisiger Kälte. - -»Ist es gefällig?« sagte er, und öffnete eine Thür, die in einen jetzt -leer stehenden düsteren Saal hineinführte. »Es ist allerdings schon etwas -dunkel, aber zu dem, was wir zu reden haben, brauchen wir wohl kein Licht.« - -Trautenau folgte ihm, und die Thür hinter sich zudrückend, fuhr der Major -mit halblauter und jetzt vollkommen leidenschaftloser Stimme fort: - -»Ich habe diesen Augenblick lange herbeigesehnt, denn von dem Moment an, wo -ich entdeckte, welchen frechen Scherz Sie sich mit mir erlaubt, schwor ich -es mir zu, daß unser erstes Begegnen auch unser letztes sein sollte. In -Wiesbaden entschlüpften Sie mir freilich. -- Sie wissen selber am Besten -wie, jetzt hoffe ich aber, daß wir unser Geschäft mit einander erledigen, -ehe wir uns trennen, denn ich möchte Ihnen doch gern eine Erläuterung dazu -geben, was es heißt, »den Teufel an die Wand malen.« - -»Ich sehe dieser Erläuterung mit großer Ruhe entgegen, Herr Major,« -erwiderte Trautenau kalt. »Ich werde Ihnen dann auch beweisen können, daß -ich Ihnen in Wiesbaden nicht »entschlüpft« bin, wie Sie sich auszudrücken -belieben, sondern nur, um eine Frau von der teuflischen Tyrannei --« - -»Halten Sie ein, mein Herr,« unterbrach ihn gebieterisch der Major, »wir -wollen nicht mit Worten, sondern mit Waffen fechten. Heute Abend ist es -freilich dafür zu dunkel -- ich konnte leider nicht früher eintreffen, da -der Zug entgleiste und ich das nächste Dampfboot benutzen mußte, um heute -Abend noch den Ort hier zu erreichen. Da auch kein Zug vor morgen früh neun -Uhr von hier wieder stromauf gehen kann, bleibt es sich gleich, und wir -können das Tageslicht abwarten, um unsern -- wie ich jetzt vermuthen muß -- -beiderseitigen Wunsch zu erfüllen. Sind Sie am anderen Ufer bekannt?« - -»So ziemlich, ich war erst vor wenigen Wochen längere Zeit dort. Aber -weshalb?« - -»Weil ich auf nassauisches Gebiet zurückkehren muß, möchte ich unser -Geschäft im Preußischen erledigt sehen. Kennen Sie den hinteren Thurm an -der Ruine Rheinfels? Gleich darunter ist ein kleiner offener Platz.« - -»Ich erinnere mich.« - -»Gut -- sein Sie dort morgen früh eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang, -Waffen bringe ich mit. Haben Sie einen Secundanten?« - -»Nein -- ich kenne Niemanden hier.« - -»Ich habe viele Officiere heute Abend in St. Goarshausen gesehen. Sie -werden leicht einen der Herrn dazu bewegen können.« - -»Ich denke ja.« - -»Gut -- weiteres ist nicht nöthig. Es bleibt Ihnen der ganze Abend dazu, da -Ihre weitere Anwesenheit im Hôtel,« setzte er höhnisch hinzu, »doch nicht -mehr verlangt wird. Für Madame werde ich selber sorgen. Sie kommen gewiß?« - -»Schon die Frage ist eine unwürdige Beleidigung,« sagte Trautenau finster, -»ich hoffe der Erste auf dem Platz zu sein.« - -»Gut, mein Herr Maler,« erwiderte Reuhenfels sarkastisch, »ich werde Sie -nicht lange warten lassen.« - - - - -Elftes Capitel. - -Die Entscheidung. - - -Trautenau verließ das Hôtel, um an den Rhein hinab zu gehen. Wenn er aber -auch sonst friedlicher, fast sanfter Natur war, und sein Pistolenschießen -nur als eine interessante Uebung betrieben hatte, von der er nie im Leben -einen ernstlichen Gebrauch erwartete, so konnte er jetzt kaum den anderen -Morgen erwarten, wo er Dem gegenüberstehen sollte, den er nun als seinen -ärgsten Feind kannte und haßte. Clemencens Kuß brannte ihm ja noch auf den -Lippen, und er fühlte, daß Einer von ihnen Beiden -- Reuhenfels oder er, -die Erde räumen müsse -- es war nicht Platz darauf für Beide. - -Mit diesen Gedanken schritt er rasch den Rhein hinab, und es dauerte nicht -lange bis er zwei nassauische Officiere traf, die Arm in Arm am Rhein -spazieren gingen, und denen er ohne Weiteres sein Anliegen vortrug. Er war -vollkommen fremd hier und hatte morgen früh, zum Schutz einer Dame, eine -Ehrensache auszumachen -- ob ihn Einer der beiden Herren dabei unterstützen -wolle? - -»Wie ist Ihr Name?« frug der Eine der Officiere. - -»Trautenau -- ich bin Maler, und nur zum Besuch an den Rhein gekommen.« - -»Und wo ist das Rendezvous?« - -»Dort drüben gleich hinter der Ruine; ich werde hier morgen früh etwas -vor Sonnenaufgang ein Boot bereit halten, da wir eine halbe Stunde nach -Sonnenaufgang an Ort und Stelle sein müssen.« - -»Ich werde Sie begleiten,« lautete die Antwort -- »mein Name ist von -Klingen -- haben Sie Waffen?« - -»Mein Gegner wollte sie besorgen.« - -»Pistolen oder Säbel?« - -»Pistolen.« - -»Gut -- ich werde zur Vorsorge noch meine eigenen mitbringen, die Herren -können dann wählen -- aber dann muß ich gleich nach Hause, um Alles in -Stand zu setzen.« - -Die jungen Leute drückten sich die Hand und Trautenau wanderte noch -schweigend und seinen Gedanken nachhängend in die Nacht hinaus. - -Er dachte an Frank und was der zu dem Allen sagen würde, wenn er es erfuhr. -Der hatte ihn wohl genug gewarnt, aber konnte er denn anders handeln, -als er es gethan? und würde sich Frank, an seiner Stelle, nicht genau so -benommen haben? Arme Clemence! was wurde aus ihr, wenn er in dem morgenden -Zweikampf fiel? war sie dann nicht elend für ihr ganzes Leben? Doch ihr -Schicksal lag ja in Gottes Hand, und dem wollte er vertrauen, daß er noch -Alles zum Besten führe. Wozu sich jetzt auch unnöthige Sorgen machen, die -ihn nur weich stimmten und entmannten. Mit kaltem, ruhigen Blut mußte er an -die Arbeit gehen, denn nur dann konnte er hoffen zu siegen. - -Am nächsten Morgen war er lange vor Tag auf und in seinen Kleidern. Einen -Schiffer hatte er sich noch am vorigen Abend bestellt, der auch schon mit -seinem Boot wartete; der Officier fand sich ebenfalls pünktlich ein, und -schon näherten sie sich dem anderen Ufer, als die ersten Strahlen der -Morgensonne die höchsten Thürme der alten Ruine vergoldeten. Sie durften -sich fest überzeugt halten, daß sie pünktlich und auch noch vor dem -Gegenpart das Rendezvous erreichen würden, denn daß dieser schon vor ihnen -aufgebrochen sei, ließ sich nicht gut denken. - -Der Morgen war frisch, aber wunderbar schön und klar, und der Thau blitzte -von allen Zweigen und Grashalmen funkelnd wieder. Aber Trautenau war -nicht in der Stimmung, das heute zu beachten, denn er ging einen ernsten, -schweren Weg, und wer wußte denn, ob nicht sein Blut bald häßliche Flecken -auf diese Gräser werfen würde, wenn sie ihn, schwer verwundet oder todt -wieder zurück zum Ufer trugen. -- Doch gewaltsam schüttelte er alle diese -Gedanken ab -- er durfte sich ihnen nicht hingeben und sein einziger Wunsch -war, jetzt den Gegner schon auf dem Platz zu finden, um -- was sie zu -erledigen hatten, so rasch als möglich abzumachen. - -Aber der Platz, als sie ihn erreichten, war noch leer: nur die Vögel -zwitscherten in den benachbarten Büschen und ein Zug Krähen strich -krächzend von dem einen alten Thurm ab, hinüber dem Walde zu. - -»Wir sind die Ersten,« begann der Officier, als er den Platz überschaute. - -»Ich hoffe, wir werden nicht lange zu warten haben,« erwiederte Trautenau, -»er versprach, pünktlich auf dem Platz zu sein.« - -»Ich glaube, wir sind noch etwas vor unserer Zeit, aber desto besser; -es ist immer ein unangenehmes Gefühl, den Gegner schon uns erwartend zu -finden.« - -Trautenau nickte schweigend mit dem Kopf und schritt, die Arme verschränkt, -auf dem kleinen offenen Raum auf und ab, -- aber Reuhenfels ließ lange -auf sich warten, -- höher und höher stieg die Sonne, und als der Secundant -wieder und wieder auf seine Uhr sah, rief er endlich aus: - -»Aber zum Teufel auch, der Herr ist jetzt wenigstens schon drei Viertel -Stunden hinter seiner Zeit. Sind Sie auch gewiß, daß er überhaupt kommt?« - -»Ich habe nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln, und begreife es -selber nicht. Ob er am Ende kein Boot bekommen hat?« - -»Zehne für eins, wenn er sie haben wollte. Zwischen den beiden Orten -wechseln ja die Boote fortwährend herüber und hinüber. Das kann ihn nicht -zurückgehalten haben. Welche Zeit hatte er Ihnen bestimmt?« - -»Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang.« - -»Die Sonne ist jetzt fast anderthalb Stunden hoch. Wir wollen noch eine -halbe Stunde warten, dann sind wir aber an Nichts mehr gebunden. Sie wären -jetzt schon völlig berechtigt, den Platz wieder zu verlassen.« - -»Lassen Sie uns noch warten,« bat Trautenau, und wieder schritten die -beiden Männer eine Zeitlang schweigend auf und ab, aber es erschien -Niemand, ja noch kurz vor der gestellten Frist hörten sie sogar lautes -Lachen und schwatzende Leute, eine Gesellschaft von Reisenden, die auf die -Ruine gestiegen waren und jetzt wahrscheinlich einen Spaziergang in der -Nachbarschaft machen wollten. - -»Mein lieber Herr Trautenau,« sagte der Officier, indem er seinen kleinen -Pistolenkasten unter den Arm nahm, »ich kann Ihnen bezeugen, daß Sie Ihre -übernommene Pflicht auf das Vollständigste erfüllt und jedem Gesetz der -Ehre genügt haben. Ihr Gegner ist -- aus welchem Grunde auch immer -- -ausgeblieben. Lassen Sie uns zurückkehren und zusammen frühstücken, denn -ich fange an hungrig zu werden.« - -Zwischen den Büschen wurden in der That schon die hellen Gestalten der -Spaziergänger sichtbar; sie durften hier gar nicht länger bleiben, wenn -sie nicht auffallen wollten und Trautenau selber schritt jetzt an seines -Begleiters Seite um die Ruine herum, damit sie den Fremden nicht mit dem -Pistolenkasten in den Weg kamen. Unterwegs begegneten sie auch Reuhenfels -nicht und Trautenau begriff nicht, was ihn abgehalten haben konnte; -denn wie auch immer sein Charakter sein mochte, für feige hielt er ihn -nimmermehr. - -Unten in St. Goar angelangt, bestellten sie rasch ein Boot und setzten sich -indessen in eines der nächsten Weinhäuser, um etwas zu frühstücken, denn -der Magen verlangte sein Recht. Trautenau, von Ungeduld gepeinigt, wäre -allerdings am liebsten gleich nach St. Goarshausen zurückgekehrt, aber der -Officier ließ ihn nicht los und er konnte ihm die Gefälligkeit, noch eine -Viertelstunde bei ihm auszuhalten, nach der ihm geleisteten nicht versagen. - -Jetzt lag das Boot bereit und brachte sie wieder über den Strom hinüber, -ihrem Ziel entgegen, und Trautenau eilte nun, so rasch ihn seine Füße -trugen, in das goldene Roß hinüber, um dort den Major seines Wortbruchs -wegen zur Rede zu stellen. - -Im goldenen Roß hatte sich indessen eine andere Scene zugetragen, die -allerdings das Ausbleiben des Herrn von Reuhenfels, soweit es seinen -persönlichen Muth betraf, vollkommen entschuldigte. - -Der genannte Herr war ebenfalls lange vor Tag aufgestanden und fertig zum -Aufbruch, sah seine Pistolen noch einmal nach, ob auch Alles in tüchtigem -Stand wäre, füllte das kleine Pulverhorn, das er in die Tasche schieben -konnte, aus einem größeren, und hatte die Uhr dabei vor sich auf dem Tisch -liegen, damit er den richtigen Moment nicht versäume. - -Der Hausknecht stand unten im Flur und putzte die Stiefeln der -verschiedenen Gäste, als die Hausthür geöffnet wurde und ein Fremder -- zu -so früher Stunde allerdings etwas Ungewohntes, darin erschien. - -»Sagen Sie mir, lieber Freund,« redete er den Hausknecht an, »ist gestern -Abend oder in der Nacht, wohl noch ein Fremder hier im goldenen Roß -angekommen, der zu einem paar Damen gehört?« - -»Heute Nacht nicht, aber gestern Abend,« sagte der Mann -- »No. 11«. - -»In der That? Wie sah er aus, wenn ich fragen darf?« - -»Na, wie soll er aussehn -- wie andere Fremde auch.« - -»Trägt er einen Bart?« - -»Ja, einen Backenbart glaub' ich -- ein Bischen breit.« - -»Aber keinen Schnurrbart?« - -»Ich glaube nicht, aber da müssen Sie seinen Barbier fragen.« - -Der Fremde drückte dem Hausknecht ein Guldenstück in die Hand, was dieser -mit äußerstem Erstaunen betrachtete. - -»Hollo?« rief er, »so früh Morgens? -- der Tag fängt gut an.« - -»Es war noch ein anderer Herr bei den Damen, wie?« frug der Fremde weiter. - -Der Hausknecht nickte -- »Ja und die Beiden haben sich mit einander -gezankt,« erzählte er, denn der Gulden hatte ihn gesprächig gemacht, -- -»sie waren zusammen im großen Saal allein, und wie ich den fremden Herrn -heute Morgen weckte, und ihm Licht ansteckte, hatte er einen offenen -Pistolenkasten vor seinem Bett auf dem Stuhl stehen!« - -»So? -- das war der Letztgekommene?« - -»Ja.« - -»Und ist er noch auf seinem Zimmer?« - -»Gewiß, aber lange wird er nicht mehr bleiben, denn sonst hätte ich ihn -nicht vor Tag zu wecken brauchen.« - -»Da kommt Jemand die Treppe herunter.« - -Der Hausknecht sah hinauf, schüttelte aber mit dem Kopf, -- »ne, das ist -der Andere.« - -Der Fremde zog sich in den Schatten des Geländers zurück, bis Trautenau -das Haus verlassen hatte; dann folgte er ihm langsam bis zur Thür und -blieb dort wohl noch zehn Minuten stehen. Endlich pfiff er leise auf einem -kleinen Instrument und es dauerte nicht lange, so traten auch vier andere -Männer in die Flur, von denen der Eine die Uniform der Landes-Polizei trug. - -»Ich denke wir haben den Burschen,« meinte der Fremde jetzt, zu diesem -gewandt, »denn was ich eben von dem Hausknecht gehört, läßt kaum noch einen -Zweifel. Unser Extrazug wird sich wahrscheinlich bezahlt machen.« - -»Daß wir nur keinen Verkehrten fassen,« entgegnete der Polizeibeamte, -- -»kennen Sie ihn persönlich?« - -»Allerdings, -- Herr von Reuhenfels, der sich in Wiesbaden »zu Berg« -nannte, ist eine zu allbekannte Persönlichkeit, und war jeden Abend in der -Spielbank zu treffen -- ebenso wie seine schöne Frau.« - -»Und was wird mit der Dame?« - -»Es ist keine Anklage gegen die Dame erhoben; wir werden sie nicht -belästigen.« - -Oben wurde in diesem Augenblick geklingelt. - -»Das ist auf No. 11,« rief der Hausknecht, -- »ich soll ihm den Kasten -hinunter zum Wasser tragen.« - -»Gut -- gehen Sie hinauf,« sagte der Polizeibeamte. »Wir sind hier um -den Herrn zu verhaften. -- Sollte er Widerstand leisten, so sind Sie -verpflichtet, uns beizustehen. Sie haben mich doch verstanden?« - -»Ja wohl -- gewiß.« - -»Und wenn Sie ein Wort oben äußern, könnten Sie in die schlimmste Lage -kommen, lieber Freund.« - -»Werde mich hüten,« brummte der Hausknecht; der Herr da oben schien aber -ungeduldig, denn eben klingelte es zum zweiten Mal, und bedeutend stärker -als vorher. - -»Ja, ja, komme schon,« knurrte der Hausknecht, in eben nicht besonderer -Laune, »na ja,« murmelte er dabei -- »hier unten einen Gulden gekriegt -und da oben das Trinkgeld verloren; wo bleibt da der Profit.« -- Als guter -Deutscher hatte er aber viel zu großen Respect vor der Polizei, um irgend -einen anderen Gedanken, als den unbedingten Gehorsams zu hegen. Was ging -ihn auch der Fremde auf No. 11 an, daß er sich seinetwegen hätte in böse -Händel verwickeln lassen. Helfen konnte er ihm doch nichts. Er ging in das -Zimmer und ließ die Thür angelehnt. - -»Hier mein Bursche,« begann Reuhenfels, »nimm einmal den Kasten und komme -mit mir zum Flußufer hinunter. Ist der andere Herr schon fort?« - -»Oh wohl schon vor zehn Minuten.« - -»So? Dann habe ich keinen Augenblick Zeit mehr zu versäumen -- komm rasch.« - -»Sie werden wohl noch einen Augenblick entschuldigen müssen, Herr Major -von Reuhenfels,« sagte in diesem Moment die tiefe, ernste Stimme des -französischen Polizei-Agenten, dessen Gesicht sich Reuhenfels erinnerte oft -in Wiesbaden gesehen zu haben, wenn er auch wohl nie eine Ahnung von seiner -Function hatte. Aber er erbleichte, denn hinter diesem traten noch vier -andere Männer ins Zimmer und füllten den kleinen Raum, während sich der -Hausknecht vor das Fenster zurückgezogen hatte, um eine Flucht dort hinaus -zu verhindern. - -»Was wollen Sie von mir?« rief Reuhenfels, und sein scheuer Blick verrieth -deutlich genug, daß er kein reines Gewissen hatte. »Halten Sie mich nicht -auf -- ich habe eine Ehrensache abzumachen.« - -»Weshalb wir kommen, mein Herr,« sagte der Beamte mit schneidender Kälte, -»betrifft keine Ehrensache, sondern einen Bubenstreich -- ja vielleicht -eine Kette von solchen, und die Erledigung derselben muß diesmal der -Ehrensache vorgehen. Sie sind mein Gefangener.« - -»In wessen Namen?« fuhr Reuhenfels auf. - -»Im Namen Sr. Majestät des Kaisers der Franzosen wegen Anklage auf Mord und -Raub, wie anderer geringfügiger Vergehen.« - -»Das ist eine schändliche Lüge!« rief der Verbrecher, aber Todtenblässe -deckte seine Züge und der scheue Blick umher suchte nach Hülfe, vielleicht -nach einer Waffe. Die Pistolen im Kasten waren aber nicht geladen und -dieser auch verschlossen. Ueberhaupt gaben ihm die Polizeibeamten keine -Zeit mehr, sich lange zu bedenken. Ehe er ernstlichen Widerstand wagen oder -nur beschließen konnte, hatten sie sich auf ihn geworfen, und obgleich er -sich jetzt wie ein Verzweifelter wehrte, fand er sich doch machtlos in -der Hand der fünf baumstarken und gewandten Männer. Seine Kraft war auch -gebrochen. Der Schlag hatte ihn zu rasch und plötzlich getroffen und -zähneknirschend ergab er sich endlich in sein Schicksal. - -Ehe man ihn abführte, verlangte er allerdings noch einmal seine Frau -zu sprechen, der Beamte erklärte aber strengen Befehl zu haben, keine -Unterredung weiter mit irgend wem gestatten zu dürfen. Er wußte überdies, -daß ihm die Dame entflohen sei, und also keine Gefühlsrichtung diesen -Wunsch hervorgerufen hatte. Der Gefangene wurde ohne Weiteres, mit Allem -was man bei ihm fand (seine in Wiesbaden befindlichen Sachen waren schon -mit Beschlag belegt) in Gewahrsam gebracht, bis der nächste Zug ging und -dann fort transportirt, ohne daß die Leute im Haus weiter erfuhren, was mit -ihm geschah. - -Zwei Stunden später etwa kehrte Trautenau vom anderen Ufer zurück. Schon -unten in der Hausflur erzählte ihm aber der Wirth, den er dort antraf, die -Gefangennahme des fremden, gestern Abend angekommenen Herrn, der jedenfalls -ein großes Verbrechen begangen haben müsse, denn als man ihn auf die Bahn -gebracht, habe er Handschellen angehabt. - -»Und die Damen?« - -»Die Eine ist noch oben,« erwiederte der Wirth, »und wartet, glaube ich, -auf den nächsten Zug, oder das nächste Boot -- die andere ist mit einem -jungen Herrn, einem Franzosen, gleich nachdem der Herr fortgeschafft wurde, -oder etwa eine Stunde später, an Bord des zu Thal gehenden Bootes -gefahren. Der Dampfer konnte ja kaum die Landung verlassen haben, als Sie -heraufkamen.« - -Trautenau war es, als ob das Haus mit ihm im Kreise herum ging. -- Eine der -Damen hatte das Hôtel mit einem jungen Franzosen verlassen -- aber es war -doch nicht möglich -- nicht denkbar, daß Clemence -- - -Er drehte sich langsam ab und stieg die Stufen hinauf, die zu der oberen -Etage führten. Dort lag das Zimmer, in welchem Clemence wohnte -- Er -klopfte leise an. - -»=Entrez!=« lautete der ziemlich lebhaft gegebene Ruf, und als er die Thür -öffnete, bemerkte er Jeannette, eben im Begriff, ihren Koffer zu packen, -wie sie mitten in der Stube stand. - -»Ah Monsieur Trautenau!« rief das junge Mädchen, indem sie auf ihn zuflog -und seine Hand ergriff -- »Sie sind zurückgekehrt? Ah das ist schön, das -ist brav von Ihnen.« - -»Mein liebes Fräulein,« erwiederte Trautenau, der das Alles noch gar nicht -fassen konnte, »wollen Sie mir freundlichst sagen, was hier vorgegangen -ist, denn der Wirth unten scheint mir verrückt -- die ganze Welt muß -wahnsinnig geworden sein, oder ich bin es am Ende selber.« - -»Nein, Monsieur,« rief Jeannette lebhaft aber unter Thränen aus -- »man hat -Ihnen die Wahrheit gesagt. Das Unerhörteste ist geschehen.« - -»Clemence ist wirklich fort?« - -»Heute Morgen, mit Monsieur Armand.« - -»Mit dem Franzosen?« - -»Dem ich gestern noch in der Nacht mit Lebensgefahr, denn der gnädige Herr -hätte mich umgebracht, wenn er es erfuhr -- telegraphiren mußte. Solch' ein -Undank ist noch gar nicht dagewesen.« - -»Sie haben ihm telegraphirt?« - -»Jawohl -- für die gnädige Frau, und heute Morgen, wie er ankommt, entläßt -sie mich aus ihrem Dienst und reist allein mit ihm ab.« - -»Clemence?« - -»Nun versteht sich -- mit dem ersten Boot, das stromab kam, sind sie fort. -Ich habe sie selber an's Ufer begleitet.« - -»Und kannte Madame jenen Monsieur Armand schon früher?« - -»Ah gewiß,« rief Jeannette in Aerger über die erlittene Unbill. »Das Ganze -war eine abgekartete Sache, und Monsieur Armand hat uns ja selber dies -Hôtel bestimmt, um auf ihn zu warten.« - -»So?« sagte Trautenau und es war ihm zu Muthe, als ob ihn Jemand mit -eiskalter Hand sein Herz gefaßt und zerdrückt hätte -- »also eine -abgekartete Sache -- und ich selber --?« - -»Ah Monsieur, diese Dame ist eine durchtriebene, gefährliche Kokette. Sie -wären verloren gewesen, wenn Sie vollständig in ihr Netz fielen.« - -»Wahrhaftig?« - -»Was ich Ihnen sage -- diesen Armand liebt sie wie rasend. Mit Ihnen hat -sie nur ihr Spiel getrieben, weil sie Jemanden brauchte, der den Verdacht -ihres Gatten ablenkte.« - -»In der That?« - -»Und mich -- die mit solcher Treue und Aufopferung an ihr hing, jetzt mit -so schmählichem Undank zu lohnen; oh es ist schändlich! abscheulich!« - -Trautenau wandte sich langsam ab und wollte das Zimmer verlassen, als ihn -Jeannette zurückhielt. - -»Und was gedenken Monsieur jetzt zu thun?« - -»Ich? -- oh, Nichts, ich darf Madame natürlich nicht mehr belästigen, und -denke auch gar nicht daran. Ich werde in meine Heimath zurückkehren.« - -»Und was wird aus mir?« rief Jeannette, indem sie ihn bittend ansah -- -»wollen Sie mich, ein armes, unbeschütztes Mädchen hier allein in dem -fremden Land zurücklassen?« - -»Hat Sie Madame auch um Ihren -- Lohn betrogen?« - -»Nein das nicht -- Monsieur Armand ist reich; er war generös.« - -»Und was verlangen Sie noch von mir?« - -»Ist es Sitte in Deutschland, daß man unbeschützte Frauen allein reisen -läßt?« - -»Mein liebes Fräulein,« antwortete Trautenau, dem diese kaum versteckte -Zumuthung doch ein wenig zu stark schien, -- »Sie haben der gnädigen Frau -getreu geholfen und beigestanden -- es war an ihr, Sie dafür zu belohnen. -Sie werden von mir hoffentlich nicht verlangen, daß ich mich zum Cavalier -ihrer Kammerfrau aufwerfe, da sie selber es vorgezogen, einen anderen -Schutz zu suchen. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise --« und sich -abwendend schritt er aus der Thür und hörte nur noch den Ausruf der -Empörung Jeannettens: »Oh diese Deutschen -- diese Menschen von Holz!« -- -Aber er war geheilt -- vollständig geheilt von seiner tollen Leidenschaft, -und als er etwa drei Wochen später nach M-- zurückkehrte, konnte er Frank -sein Abenteuer -- oder vielmehr seine Kette von Abenteuern mit lachendem -Munde erzählen. - -Drei Monat später druckte ein deutsches Blatt in M-- einen Artikel -aus einer französischen Zeitung ab -- einen Criminalfall, der für M-- -besonderes Interesse hatte. Es war die Verurtheilung eines Deutschen, eines -Herrn von Reuhenfels, der beschuldigt und überführt worden war, seinen -Schwiegervater, einen geborenen Franzosen Monsieur Joulard, mit dem er -früher Wechselfälschungen und anderen Betrug getrieben, in Paris -ermordet, und in einem Keller vergraben zu haben. Er hatte das Verbrechen -eingestanden und war, da ein vorbedachter Mord nicht nachgewiesen werden -konnte, zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurtheilt worden. - -Von Clemence hörten sie Nichts wieder. Möglich, daß sie als Madame Armand -irgendwo in Frankreich lebte. Trautenau dachte nicht mehr an sie -- er -hatte ihr Bild, die Copie, die er damals behalten, gleich nachdem er nach -M-- zurückkehrte, zerstört, aber mit desto größerer Vorliebe zeichnete und -malte er sich in seinem neuen Atelier den Major in der alten Staffage an -die Wand, und wo ihm einmal wieder das Herz mit dem Verstand durchgehen -wollte, bedurfte es nur eines Blickes auf das Bild, um all die alten, fast -begrabenen Erinnerungen wieder wach zu rufen. Damit war denn auch jede -Gefahr beseitigt, denn er hatte sich den Teufel als Schutzengel an die Wand -gemalt. - - - - -Booby-island. - -Australische Skizze. - - -Wenn der Leser die Karte von Australien in die Hand nimmt, so sieht er, -daß im Norden dieses Welttheils, zwischen Australien und der großen Insel -Neu-Guinea, eine schmale Meerenge hindurchführt, die noch außerdem -mit zahlreichen Punkten -- nichts als bösartige Klippen -- gesprenkelt -erscheint. In der That füllen eine Menge von Korallenriffen und Sandinseln -diesen schmalen Meeresarm aus, und nur einzelne Passagen mit kaum fünf -oder sechs Faden tiefem Fahrwasser ziehen sich hindurch und müssen von den -Schiffen sorgfältig eingehalten werden. Da diese aber, wenn sie aus dem -Stillen in den Indischen Ocean wollen, durch die Meerenge ein tüchtig -Stück Weg abschneiden, so benutzen sie doch häufig den Weg, und bei ruhigem -Wetter und einiger Vorsicht ist auch nicht eben viel Gefahr dabei. - -Anders stellt sich freilich die Sache, wenn gerade an der Einfahrt, -besonders von Osten her, wo die Passage nicht so leicht zu finden ist, -stürmisches Wetter einsetzt. Manches arme Schiff ist dann schon an jenen -sogenannten =barrier-reefs= (Riffbarrière) gescheitert, und die Mannschaft -hat sich, wenn sie nicht gar an einer zu bösen Stelle strandete, in ihren -Booten retten müssen. - -Einmal erst in der Meerenge -- welche die Torresstraße genannt wird -- und -die Boote haben auch in der That Nichts mehr von den selbst stürmischen -Wogen des Oceans zu fürchten, da diese Korallenriffe die schwere Dünung -vollständig abhalten. Sie befinden sich in der Meerenge selber in ruhigem -glatten Wasser, und eine Menge Inseln liegen dort überall, auf denen sie -selbst landen können. Freilich bieten diese Inseln auch gar Nichts weiter -als eben Land, und nur einige der größten haben dürftige Quellen. Zu -gewissen Jahreszeiten wachsen aber auch auf den meisten sehr delikate, -dattelähnliche Früchte, die wie unsere deutschen Pflaumen aussehen, und -mit denen und den zahlreichen Fischen im seichten Wasser könnten sich -Schiffbrüchige eine Zeitlang das Leben fristen. - -Stranden sie freilich zu einer Zeit, wo diese Früchte nicht reif sind, und -haben sie -- wenn sie rasch von Bord flüchten mußten -- keine Gewehre bei -sich, um von den dort häufig vorkommenden Tauben zu erlegen, so sind sie -sehr übel daran, und ihre einzige Aussicht bleibt, »Booby-island« so bald -als möglich zu erreichen. - -Alle diese Inseln -- selbst Mount Adolphus, die größte von ihnen mit -tüchtigen Hügelrücken, sind unbewohnt, und nur in gewissen Zeiten kommen -einzelne australische Familien oder Stämme vom Continent herüber, um -hier zu fischen. Selbst aus dem ostindischen Archipel, von Timor-laut und -anderen kleineren Inseln segeln mit dem günstigen Monsuhn (temporären Wind) -die Malayen herüber, um hier dem Fischfang obzuliegen, und kehren -erst, wenn diese, regelmäßig fünf Monate wehende Luftströmung nach der -entgegengesetzten Himmelsrichtung umspringt, in ihre Heimath zurück. - -Die ganze Torresstraße ist derart mit kleinen Inseln angefüllt, und die -westlichste davon, die schon eine ziemliche Strecke draußen im indischen -Ocean und von sehr tiefem Wasser umgeben liegt, ist Booby-island, nach den -von den Engländern =boobies= genannten großen Seemöven so getauft. - -Sie besteht allerdings nur aus kahlem Felsgestein, mit immergrünen -Rankgewächsen überwuchert, zwischen denen nur einige niedere, kaum -sechs Fuß hohe Büsche hervorragen. Kein Baum giebt dort Schutz gegen die -brennenden Strahlen der Sonne, keine Quelle entspringt dem dürren Boden, -keine Frucht wächst darauf, kein Fischfang ist selbst in dem tiefen Wasser -möglich, und da die Insel noch dazu weit ab vom festen Lande und den -übrigen Inselgruppen liegt, so fanden weder australische Eingeborene noch -die in der Nähe vorbeifahrenden Malayen je eine Veranlassung, dort zu -landen und den Platz näher zu untersuchen. - -Englische Seefahrer hatten das aber schon längst gethan und eine besondere -Eigenthümlichkeit dieses kleinen Eilands entdeckt, nämlich eine tief in -den Fels hineingehende, sehr geräumige Höhle, die aber durch vorspringende -Zacken ziemlich versteckt lag. Längst schon hatte man dabei das Bedürfniß -gefühlt, in einer Gegend, wo Schiffbrüche gar nicht zu den Seltenheiten -gehörten und wenigstens kein Jahr verging, daß nicht ein oder das andere -Fahrzeug auf oder zwischen den Korallen scheiterte, irgendwo ein -Depot anzulegen, in welchem die gerettete Mannschaft Wasser und einige -Provisionen finden konnte. - -Dazu erwies sich eben dies Booby-island ganz vortrefflich, und die -praktischen Engländer ergriffen den hier gebotenen Vortheil auch ohne -Weiteres. In den englischen Zeitungen wurde bekannt gemacht, daß jene Insel -für diesen Zweck benutzt werden solle, und dieselbe dem Schutz und der -Pflege englischer Seeleute empfohlen. Vorbeilaufende Schiffe legten dann -dort bei und schafften Fässer mit Wasser und Schiffszwieback, gesalzenes -Fleisch, trockenes Obst und verschiedene andere Lebensmittel in die -Höhle. Selbst eine kleine Anzahl Flaschen spirituoser Getränke wurde nicht -vergessen, wie etwas Tabak für schiffbrüchige Seeleute. Oben auf dem Felsen -befestigte man dann noch eine kleine Flagge und etablirte eine »Postoffice« --- freilich ohne irgend einen Beamten oder Aufseher. - -Es stand dort oben nämlich ein, nur durch ein einfaches Bretterdach -gegen den Regen geschützter Kasten -- eine der gewöhnlichen starken -und angestrichenen Seekisten, wie sie Matrosen statt Koffer gebrauchen. -Darinnen lag etwas Papier, Bleistifte, Oblaten, Couverte etc., und ein -Schild daneben deklarirte den Platz als »Postoffice«, und deutete an, daß -an der Süd-Ostseite der Insel in einer Höhle Provisionen lägen -- falls -dort landende Schiffbrüchige sie nicht schon vorher gefunden hatten. - -Fahrzeuge, welche die Torresstraße, von Osten kommend, passirt hatten, -legten nun hier bei, sandten ein Boot an Land und hinterließen in diesem -merkwürdigen Postbureau Namen und Zeit ihrer Durchfahrt, und das nächste -nach Sydney durchgehende Schiff fand dann den Brief, nahm ihn mit und -brachte dadurch die Nachricht nach dem Port viel rascher, als dies auf eine -andere Weise möglich gewesen wäre. - -So bestand diese Einrichtung viele lange Jahre, und noch im Jahre 58 hatte -kein australischer Wilder den Platz betreten oder, wenn so, die ziemlich -versteckte Höhle entdeckt. Die dort eingelegten Provisionen blieben -wenigstens unberührt, und wenn auch einzelne der dort aufgehäuften Sachen, -z. B. manche Fässer mit gepökeltem Fleisch in dem heißen Clima verdarben, -so wurden sie doch immer wieder von Zeit zu Zeit durch andere frische -ersetzt, und manche Bootsmannschaft, die sich bis hierher gerettet, segnete -die wackeren Geber, die mitten im Ocean einen Tisch für sie gedeckt und -ihren Hunger und Durst in einer Wüste gestillt hatten. - -Es war im November des Jahres 59, daß zuerst ein Canoe der Australier -dorthin, vielleicht auf einer Entdeckungsreise kam. Möglich, daß sie -untersuchen wollten, ob dies kleine Eiland doch vielleicht irgend eine Art -Frucht trage -- denn auf den anderen Inseln waren die Früchte in dem Jahr -nicht gerathen, möglich, daß sie nur Möveneier sammeln oder den Versuch -machen wollten, in der dortigen Gegend zu fischen, kurz sie landeten, und -ein englisches, gerade vorbeikommendes Fahrzeug sah die dunklen Gestalten -kaum oben auf dem kahlen Felsen, als es auch näher heran hielt, einen -seiner kleinen Böller löste und zwei Boote absandte, um die Wilden -zu vertreiben. Es bedurfte aber der Boote nicht einmal; schon bei dem -abgefeuerten Schuß hatten sich die erschrockenen Eingeborenen Hals über -Kopf den Felsen hinunter geworfen, sprangen in ihr Canoe und ruderten -in wilder Hast dem Festlande zu. Die Boote folgten ihnen wohl noch eine -Strecke, aber das Canoe konnten sie nicht einholen; wie ein Pfeil glitt -es über's Wasser, und da sie sich auch nicht zu weit von ihrem Schiff -entfernen durften, kehrten sie auf die Insel zurück, um zu untersuchen, ob -die schwarze, diebische Bande dort schon Schaden angerichtet habe. - -Den Kasten oben _mußten_ sie gefunden haben, denn das kleine ihn umgebende -Mauerwerk mit dem Bretterdach darauf wie der Fahnenstange daneben -- an -der der Wind freilich nur noch ein paar dünne verbleichte Lappen gelassen -hatte, war zu deutlich erkennbar; aber sie konnten ihn nicht berührt haben, -denn Alles fand sich noch in vollständiger Ordnung wie vorher, und die -Höhle hatten sie gar nicht entdeckt. - -Möglicherweise daß sie den Kasten oben für irgend eine Begräbnißhütte der -»bleichen Männer« gehalten, für irgend einen Zauber auch vielleicht, denn -oben im Sand waren die Spuren ihrer nackten Füße überall zu erkennen, nur -nicht unmittelbar an der »Postoffice«, die sie, wie man deutlich sehen -konnte, scheu umkreist hatten, ohne ihr näher als zehn oder zwölf Schritte -zu kommen. - -Die Höhle unten konnten sie aber keinenfalls gefunden haben, denn dort -hätten sie sich schwerlich gescheut, zuzulangen, da sie in dieser Art sonst -gar nicht blöde sind. Die Gefahr war deshalb noch für dießmal abgewandt und -_dies_ Canoe kehrte sicher nicht so rasch dahin zurück -- und andere? -- -Man mußte der Sache eben ihren Lauf lassen, denn es gab keinen Schutz für -die dort deponirten Provisionen, als eben die öde und entfernte Lage der -Insel selber. Die Boote fuhren deßhalb noch einmal zum Schiff, brachten ein -Faß frisches Wasser herüber und gingen dann an Bord, um noch vor Nacht -den günstigen Wind zu benutzen und ein Stück in den indischen Ocean -hineinzukommen. Oben in den Kasten hatte der Steuermann aber für -nachkommende Schiffe die Notiz aufgeschrieben, daß er australische Wilde -auf der Insel gefunden und sie davon verjagt habe. Andere Fahrzeuge wurden -gebeten, ein wachsames Auge auf die Canoe's zu halten. - -Ende November und Anfang December legten dort noch vier oder fünf fremde -Schiffe bei und notirten, daß sie Alles in Ordnung und keine Spur von -Indianern gefunden hätten. - -Ende December, und die letzte günstige Zeit benutzend, von Ost nach Westen -die Straße zu passiren, lief ein kleiner englischer Schooner gegen die -Barrierreefs auf, als es gegen Abend tüchtig zu wehen anfing und eins der -hier sehr häufigen und starken Gewitter von Süden herüber zog. Der Kapitän -hoffte noch Raines Einfahrt zu erreichen, aber die Nacht brach an, ehe er -den auf Raines Eiland errichteten hölzernen Thurm erkennen konnte. Nur die -Brandung an den Riffen selber war deutlich sichtbar und das dumpfe Brausen -der sich überstürzenden Wogen drang klar und deutlich herüber. Nach seiner -Mittags genommenen Observation mußte er sich aber etwa auf der Höhe der -Einfahrt oder wenigstens dicht davor befinden, und um nicht durch das -Wetter zu weit nach Norden aufgetrieben zu werden, hielt er ein wenig von -den Korallenriffen ab und legte dann bei, denn zum Ankern ist die See dort -viel zu tief. - -Nicht lange dauerte es, so fegte der Sturm über das Meer, wühlte die Wogen -auf und jagte die Kämme derselben wie dünnen Wasserstaub über die kochende -Fläche. Blitze zischten dabei, der Donner rollte und es wurde eine -bitterböse Nacht, so daß das kleine, außerdem leicht geladene Fahrzeug, nur -vor seinem Vorstengenstagsegel liegend, kaum die Nase den immer wilderen -Sturzseen entgegenhalten konnte. Gegen Mitternacht drehte sich der Wind -nach Süd-Ost und dann fast nach Ost herum, und der Steuermann rieth -jetzt, ernstlich abzufallen, um lieber aus ihrem Cours zu treiben, als der -dringenden Gefahr ausgesetzt zu sein, an die Riffe geworfen zu werden; der -Kapitän sträubte sich dagegen und da er selber von zwölf bis vier Uhr die -Wacht hatte, bedeutete er seinem Offizier, er würde sehen wie sich das -Wetter mache, und wenn es noch eine Stunde so anhalte, die Mannschaft an -Deck rufen lassen. - -Der Sturm ließ in dieser Zeit allerdings etwas nach und der Himmel zeigte -schon an einigen Punkten wieder Sterne, aber der Wogengang hatte sich -indessen auch geändert und drängte das kleine, tanzende Fahrzeug mehr und -mehr nach Lee herüber und den gefährlichen Barrier-reefs zu. - -Gegen zwei Uhr sprang der Steuermann an Deck; er hatte nicht schlafen -können und das Toben der gar nicht mehr so fernen Brandung unten in seiner, -sogar vom Lande abliegenden Coje gehört. - -»Kapitän, um Gottes willen, ich glaube, wir treiben auf die Riffe!« - -»Noch nicht, Mr. Brown, aber ich denke selber, daß es Zeit wird, -abzufallen; der Wind hat etwas nachgelassen und wir dürfen ein wenig -Leinwand zeigen. Rufen Sie Ihre Wacht an Deck.« - -Die Wacht kam, schlaftrunken nach der kurzen Rast, langsam -herausgeklettert; der Bug fuhr, dem Steuer rasch gehorchend, herum, und die -Leute hingen eben an den Fallen, um die Gaffel des schweren Schoonersegels -aufzuhissen, als es von Osten her mit erneuter Wuth über die See brauste. - -Es war »eine frische Hand am Blasbalg«, wie die Seeleute sagen, und in -der Dunkelheit hatten sich die dort schon lange aufquellenden Wolkenmassen -nicht erkennen lassen. Wohl versuchten jetzt trotzdem die Leute ihr -Aeußerstes, das Segel zu setzen, aber die Flanke dem Sturm zugedreht, -war es der überdieß schwachen Bemannung nicht möglich, mit so furchtbarer -Gewalt legte sich riesenschwer der Wind hinein. Aufdrehen konnten sie auch -nicht mehr dagegen, und abfallen vor dem Sturm, den Riffen gerade entgegen? --- und doch blieb nichts Anderes übrig; der Versuch mußte wenigstens -gemacht werden. - -Zu spät! »Brandung voraus!« schrie einer der Leute, der nach oben gelaufen -war, um eins der Falle klar zu machen, und »Brandung in Lee!« tönte der -Schreckensruf dazwischen. Die Leute ließen die Taue los, während sich der -Sturm in dem nur etwas aufgehißten Segel fing -- der Kapitän sprang selber -zum Rad, um den Versuch zu machen, das seinem Geschick verfallene Fahrzeug -von der gefährlichen Küste abzudrehen -- _zu spät!_ Die Wogen hatten -es gefaßt und jagten es mehr und mehr dem schon deutlich und unheimlich -leuchtenden Gürtel der Brandungswellen zu; der Bug gehorchte zwar noch -einmal dem Steuer, aber ein anderer Windstoß schlug das Segel zurück. Der -Kapitän schrie seine Befehle über Deck, aber Niemand verstand ihn in dem -Aufruhr der Elemente, in dem furchtbaren Toben der Brandung. -- -Willenlos setzte das Fahrzeug nach Lee zu und jetzt -- eine einzige wilde -Brandungswoge jagte über Deck, der Schooner wurde wie von einer Riesenfaust -emporgehoben, im nächsten Augenblick krachten Masten und Balken -- -ein dumpfer Stoß folgte, und der Steuermann, der das Gangspill in dem -entscheidenden Moment umklammert hatte, fühlte plötzlich, daß das _Wrack_ -in ruhigem Wasser lag und dieselbe Brandungswoge, die eben noch über ihr -Deck gestürzt, das gescheiterte Fahrzeug nicht mehr erreichen konnte. - -Wie es geschehen war, wer hätte es sagen können; möglich schien es, daß -die Woge, die den Schooner zertrümmern wollte, ihn selber über eines der -niedern Riffe hinübergehoben und dadurch, für den Augenblick wenigstens, in -Sicherheit gebracht hatte; möglich auch daß der Kiel zufällig eine Lücke in -den Korallen getroffen und hindurchgeschoben war. Jedenfalls saßen sie fest -in die Riffe eingekeilt, und an ein Wiederhinauskommen in tiefes Wasser mit -dem verkrüppelten Fahrzeug durfte nicht gedacht werden. - -Jetzt sammelte sich die Mannschaft auf dem etwas höher liegenden -Quarterdeck, denn wie sich nachher zeigte, war der Bug zertrümmert und -das Wasser schon in den innern Raum eingestürzt -- zwei Mann fehlten; die -Brandungswelle mußte sie über Bord gewaschen haben, und dann war freilich -an Rettung nicht zu denken; der Kapitän hatte sich, von der Fluth -emporgehoben, noch in der einen »Want« gefangen und dort angeklammert; die -Meisten schienen nur wie durch ein Wunder dem sicheren Verderben entgangen. - -Vorderhand ließ sich indessen gar Nichts thun, es war stockfinster, der -Sturm heulte, und das einzige Licht, was einen matten Dämmerschein über -Deck warf, kam von dem leuchtenden Kamm der Brandungswelle herüber. Den Tag -mußten sie jedenfalls abwarten, und nur darüber suchten sie sich vorderhand -zu vergewissern, ob sie noch der Gefahr des Sinkens ausgesetzt seien. -Dem schien aber nicht so; das Hintertheil des Schooners saß fest auf den -Klippen, ja sogar in einer Korallenspalte drin, denn kaum zwei Fuß -unter dem Wasserspiegel fühlten sie mit dem ausgeworfenen Loth an der -Starbordseite Grund, während der Top des großen umgestürzten Mastes auf -einer hohen Sandklippe lag, so daß man dieselbe auf diesem hin recht gut -hätte erreichen können. - -Erschöpft und aufgerieben warfen sich die Leute jetzt an Deck, um den nicht -mehr so fernen Tag zu erwarten; der Wind heulte noch, der Donner rollte -und ein prasselnder Regen schlug nieder. Was that's -- eines der Segel -schnitten sie von dem Mast herunter, um sich dadurch nur etwas gegen den -Regen zu schützen, und sanken dann bald in einen unruhigen, kurzen Schlaf. - -Und der Morgen kam endlich, schien aber keineswegs eine Erleichterung zu -bringen, sondern ließ sie nun erst das Trostlose ihrer Lage vollständig -übersehen. - -Der große Mast hatte in seinem Sturz die auf Deck befestigte Barkasse -vollständig zerschmettert, so daß an eine Reparatur derselben nicht gedacht -werden konnte; das ganze Hintertheil derselben war abgedrückt, und es blieb -ihnen nur zur Rettung die kleine Kapitäns-Jölle, die hinten am Heck hing -und sich noch glücklicherweise in brauchbarem Zustande befand -- aber wie -diese in offenes Wasser bringen? -- Nach See zu war es ganz unmöglich, denn -keine Lücke selbst ließ sich in der wälzenden Brandungswoge erkennen, die -jetzt für einen Moment von den zackigen Klippen zurückwich, um im -nächsten mit neugeschaffener Gewalt wieder darüber hinzustürzen. Nach dem -Binnenwasser der Riffe zu lagen hingegen ganze Reihen starrer Felsen, -hie und da von grünem, und oft von blauem, also sehr tiefem Wasser -unterbrochen; welche Gefahren es aber barg, ließ sich noch nicht einmal -erkennen, da es vom heftigen Winde gekräußt gehalten wurde. -- Und -sollten sie hier an Bord bleiben? Es wäre nutzlos gewesen, denn selbst ein -vorbeisegelndes Schiff hätte ihnen durch diese Brandung hin keine Hülfe -bringen können; sie mußten sich selber helfen. - -Vor allen Dingen war es nöthig, den inneren Raum zu untersuchen, ob sie -noch möglicherweise Provisionen: Wasser und Zwieback bekommen konnten. Der -Koch und der Schiffsjunge -- der Stewards-Dienste versah -- wurden zu dem -Zweck beordert, nachzusehen, während der Kapitän in seiner eigenen -Kajüte die Schiffspapiere und sonstige Werthsachen zu bergen suchte. -Glücklicherweise fand sich ein Korb mit Zwieback, aber von eingeschlagenem -Seewasser ganz aufgeweicht; es war aber immer besser als Nichts. Doch -zum Wasser konnten sie nicht kommen, denn die zwei Fässer, die an Deck -geschnürt gelegen hatten, waren mit der Kambüse und dem ganzen Vordertheil -durch die eine Sturzsee rein über Bord gewaschen worden. Gegen zehn Uhr -fiel aber wieder ein kleiner Regenschauer und das eine Segel wurde jetzt -aufgespannt, um so viel als möglich davon aufzufangen -- es genügte -freilich noch immer nicht. Dann packte der Kapitän ein, was er an -Blechbüchsen für den Kajütstisch oben in seiner Coje hatte, und brachte -doch so viel zusammen, um für kurze Zeit gegen den _Hunger_ geschützt zu -sein. Vielleicht half ihnen dann der Himmel mit einem frischen Regenschauer -weiter. - -So lange der Sturm wüthete, ließ sich nichts unternehmen, obgleich sie im -Binnenwasser keine unruhige See zu fürchten hatten. Gegen Mittag -klärte sich aber der Himmel auf; der Wind ließ nach, und etwa vier Uhr -Nachmittags, während die See noch da draußen unruhig wogte und bäumte, -regte sich schon kein Lüftchen mehr und das Binnenwasser war spiegelglatt. - -Jetzt gingen sie an die Arbeit, um das kleine Boot flott zu machen und ihre -Ladung wenigstens erst einmal auf die Sandbank hinüber zu schaffen. Das -ging verhältnißmäßig rasch; auch über den Sand weg konnten die Leute das -leichte Boot tragen und ziehen und auf der andern Seite in's Wasser lassen. -Weit schwieriger war es aber, über die nächste Reihe von Korallenklippen -hinüberzukommen, die mit ihren schlüpfrigen und spitzen Zacken keinen -festen Fußhalt gestatteten, und da sie hier ihre Fracht nicht ausladen -konnten, sahen sie sich genöthigt, eine lange Strecke daran hin zu fahren, -bis sie endlich zu einer Stelle kamen, wo sie im Stande waren, sich -hindurchzuzwingen. - -Jetzt hatten sie etwa fünfzig Schritt breit glattes Wasser und dann wieder -einen Korallengürtel, der aber gefährlicher aussah als er war. Er bestand -nur aus neben einander liegenden Klippen und bot zahlreiche Durchfahrten, -und die kleine Bootsmannschaft, die aus neun Personen bestand, ruderte nun -bei gänzlicher Windstille auf eine hohe Sandbank zu, die sie für das feste -Land hielten. Glücklicherweise war es nur eine etwa hundert Schritt breite -Barre, und dahinter, als der Steuermann hinauflief, um sich von oben aus -umzusehen, entdeckte er das offene Wasser der Binnenriffe, von einzelnen -Inseln und Sandbänken nur überstreut. - -Hier blieb ihnen allerdings noch eine tüchtige Arbeit, das Boot und dessen -Ladung hinüberzuschaffen, und es war dunkle Nacht, ehe sie damit fertig -wurden, aber dann stand ihrer weiteren Fahrt auch kein Hinderniß mehr im -Wege. Die Nacht lagerten sie auf der Sandbank, und der nächste Morgen fand -sie schon beim ersten Schimmer des anbrechenden Tages unterwegs, um vor -allen Dingen erst einmal in das Fahrwasser der Schiffe zu kommen und -die Möglichkeit zu haben, von einem oder dem anderen vorübersegelnden -aufgenommen zu werden. - -Instrumente und Compaß hatte der Kapitän gerettet, und die Karte der Straße -ebenfalls, da diese schon zum Gebrauch bereit hinter dem Spiegel in der -oberen Kajüte stak. Außerdem fehlte ihnen aber jeder Leitfaden, denn Keiner -der Leute war je diesen Weg gekommen. Nur der Koch wollte einmal eine Fahrt -durch die Torresstraße gemacht haben, da er sich aber nicht um die Führung -des Schiffes zu bekümmern brauchte, wußte er auch sehr wenig darüber -anzugeben. Nur auf das erinnerte er sich, daß Booby-island draußen vor den -Klippen im freien Wasser lag, und daß sie damals dort beigelegt und ein Faß -Wasser, ein Faß Zwieback und ein halb Faß gepökeltes Schweinfleisch an Land -geschickt hätten. Im Boot war er aber selber nicht mit gewesen und wußte -deßhalb auch nichts über die eigentliche Beschaffenheit der Insel zu sagen. -Seiner Aussage nach sollte es nur ein großer Felsklumpen sein, um welchen -eine Unmasse großer schwarzer Möven herumschwärmte; das war Alles. -Uebrigens behauptete er, ihn augenblicklich wieder zu erkennen, sobald er -ihn nur sehen würde. - -Der Kapitän hatte indessen auch nicht versäumt, die Schiffs_waffen_ -mitzunehmen, da die australischen Eingeborenen in einem wohlverdienten -schlechten Ruf standen und man gar nicht wissen konnte, in welcher Art -man mit ihnen zusammentraf. Uebrigens gedachte er nicht, sie muthwillig -aufzusuchen, und an eine Insel zu landen, von welcher man sich nicht vorher -sorgfältig überzeugt hatte, daß keine Eingeborenen an Land oder wenigstens -in unmittelbarer Nähe wären. Er hatte zu viel über ihre hinterlistige -Schlauheit und Grausamkeit gehört, um sie nicht zu fürchten und jeden -Zusammenstoß mit ihnen ängstlich zu vermeiden. - -Die Aussagen des Kochs, der als einzige Autorität in diesem Meere galt, -dienten ebenfalls nicht dazu, ihn zuversichtlicher zu stimmen, denn -der Bursche -- nach Art solcher Leute, die alles Gehörte entsetzlich -übertreiben und wo möglich noch ihren Theil dazu erfinden -- wußte -nicht genug von den Scheußlichkeiten zu berichten, mit welchen sie -Schiffbrüchige, die in ihre Händen fielen, behandelten. Daß sie dieselben -schließlich auffraßen, war noch das Wenigste. - -Zu Mittag legten sie an einer nackten Sandbank an und der Kapitän nahm hier -erst einmal seine Observation, die ihm zeigte, daß sie sich nördlich von -der eigentlichen Einfahrt befänden und deßhalb mehr nach Süden hinunter -halten mußten. Sie sahen auch selber, daß dies kein Kanal für größere -Schiffe sein konnte, denn mehrmals hatten sie Plätze passirt, in denen sie -die Korallen so dicht und deutlich unter sich erkannten, daß man glauben -mußte, man könne sie mit der Hand ergreifen. Allerdings waren da noch immer -zwei bis drei Faden Wasser, aber oft trafen sie auch Klippen, die bis unter -die Oberfläche reichten und zwischen denen sie sich selbst mit dem schmalen -Boot kaum hindurchwinden konnten. - -Erst gegen Abend erreichten sie eine der wirklichen Passagen und blieben -die Nacht auf einer kleinen, nur mit niederen Büschen bewachsenen Insel, wo -sie wenigstens nichts von feindlichen Indianerstämmen zu fürchten hatten -- -aber kein Regen fiel und ihr spärlicher Wasservorrath ging zu Ende. - -Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch ruderten sie weiter und setzten auch -das mitgenommene Segel, aber die Brise war sehr schwach und trieb sie, -allerdings mit günstiger Strömung, nur langsam vorwärts. Wieder kamen sie -aber hier, irregeführt durch die verschiedenen Inseln und Sandbänke, -in einen falschen Kanal und erreichten erst lange nach Dunkelwerden die -größere Insel Mount Adolphus, wo sie wenigstens Wasser zu finden hofften, -denn das vom Regen aufgefangene war in der glühenden Hitze vollständig -ausgetrunken. - -Allerdings befinden sich dort dicht am Ufer in dem einen Felsen ein paar -kleine Süßwasserquellen, wie sie aber den Platz erreichten, war hohe Fluth, -und weiter in das Land wagten sie sich nicht hinein, da sie in den schmalen -Thälern in einen Hinterhalt zu fallen fürchteten. - -Einige Früchte hatten sie allerdings auf mehreren der kleinen -Zwischeninseln aufgelesen, auch Eier gefunden, welche die Möven in den -heißen Sand legen, um sie dort von der Sonne ausbrüten zu lassen -- sonst -nichts. Tauben, eine weiße prächtige Art mit dunkelbrauner Abzeichnung, -sahen sie genug und schossen auch ein paar Mal danach, aber ohne irgend -welchen Erfolg, denn ihre Munition bestand nur in Rehposten, nicht in -Schroth, und die alten Musketen schossen nicht so sicher, daß sie einen -so kleinen Gegenstand wie eine Taube damit aus den hohen Bäumen hätten -herausholen können. - -Auf Mount Adolphus, wo sie aber nur beilegten und sich nicht einmal -getrauten das Boot zu verlassen, blieben sie aber wieder nur auf den Rest -ihrer mitgenommenen Vorräthe angewiesen, und ihre einzige Hoffnung lag -jetzt darin, jenes Booby-island zu erreichen und von den dort befindlichen -Provisionen so lange zu zehren, bis sie eben ein durch die Torresstraße -kommendes Schiff anrufen und mit diesem Batavia oder Singapore erreichen -konnten. - -Der Kapitän wußte übrigens von hier aus, da er die genaue Beschreibung und -sogar Zeichnung der Conturen dieser Insel auf der Karte fand, genau die -Richtung, die sie zu nehmen hatten. Schon um vier Uhr Morgens setzten sie -auch mit einer günstigen Brise in dem hier ziemlich breiten Kanal aus, und -Nachmittags um vier Uhr endlich, von brennendem Durst fast zur Verzweiflung -getrieben, sichteten sie gerade im Westen den einzelnen Felsen im Meer, der -nach jeder Berechnung das angegebene Booby-island sein mußte. - -Der Koch wollte freilich nichts davon wissen; er behauptete, Booby-island -sei ein ganz spitzer kleiner Felskegel, und das hier lag breit und flach -auf dem Wasser; der Kapitän ließ sich aber nicht irre machen, denn seiner -Karte und Berechnung nach stimmte es und er hielt gerade darauf zu. - -Die Leute selber hatten sich bis jetzt ziemlich gut gehalten, nur der -Zimmermann, der aber auch auf dem Fahrzeug Matrosendienste versah, jammerte -und klagte über Durst und schöpfte mit der Hand das Seewasser, um seine -Lippen zu kühlen. Damit machte er freilich das Uebel nur noch ärger, denn -wenn es auch für den kurzen Augenblick etwas Erfrischendes haben mochte, -der salzige Geschmack hintennach reizte und trocknete nur um so viel mehr, -und er wimmerte leise vor sich hin. - -»Geduld, Mann, Geduld,« sagte der Steuermann zu ihm, indem er ihn auf die -Schulter klopfte, »da vorn liegt Wasser; in zwei oder drei Stunden können -wir dort sein, und so lange werdet Ihr's doch bei Gott wohl aushalten. -Schämt Euch doch vor dem Jungen, denn der hat noch nicht einmal geklagt.« - -»Was weiß auch so ein Junge von Durst, Steuermann,« sagte der Angeredete -mürrisch, »der kommt erst mit den Jahren. S'ist gerade so, als ob mir die -Zunge im Hals springen und bersten müßte -- und wer weiß denn, ob auch nur -ein Tropfen Wasser auf dem blutigen Felsen zu finden ist. Kahl genug sieht -er aus.« - -»Darüber tröstet Euch, Zimmermann,« sagte der Kapitän. »=The Yorkshire -lady=«, die vierzehn Tage vor uns ausgesegelt ist, hat dort angelegt und -von Sydney besonders Wasser und Zwieback für den Zweck mitgenommen, um es -dort zu lassen. Finden wir aber nicht genug, um eine Zeitlang liegen zu -bleiben, nun so nehmen wir, was wir für den nächsten Tag brauchen, und -laufen damit zu einer der Inseln im indischen Archipel hinauf. So weit ist -die Fahrt ja nicht, und hohe See haben wir dort auch nicht zu fürchten.« - -»Geb's Gott,« sagte der Zimmermann resignirt, und von jetzt ab wurde kein -Wort weiter gesprochen, während sich die Leute nur schärfer in ihre Ruder -legten, um den verheißenen Platz desto rascher zu erreichen. - -Die Brise wurde lebhafter, sie konnten das Segel setzen, die Strömung half -ebenfalls nach und das Boot glitt verhältnißmäßig rasch über das glatte -Wasser seinem Ziel entgegen. Die ersehnte Insel, die bis jetzt nur wie ein -kurzer Streifen auf dem Horizont gelegen und dadurch weit entfernter -schien als sie wirklich lag, hob sich mehr und mehr, bis sie die Form eines -Topfkuchens annahm und man jetzt deutlich schon den Fuß derselben, gegen -den die Strömung wusch, erkennen konnte. - -Die Brise, die hier mehr stoßweise kam, lullte nach einiger Zeit wieder -ein, und vier von den Leuten hatten deßhalb die Ruder wieder aufgegriffen, -die Uebrigen lagen, so gut es eben ging, ausgestreckt im kleinen Boot, -und nur der Kapitän saß, das Gesicht dem Lande zugedreht, am Tiller und -betrachtete sich das nicht mehr so ferne Eiland. Plötzlich richtete er sich -etwas empor und schützte die Augen mit der flachen Hand gegen die schon -im Westen stehende Sonne, die ihn auch überdieß durch das Blitzen auf -dem Wasser blendete; dann ohne ein Wort zu sagen, nahm er das neben ihm -liegende Telescop auf und hob es an's Auge. Kaum aber hatte er einen Blick -hindurch geworfen, als er wirklich erschreckt ausrief: - -»=Damnation!= Die Schwarzen haben Booby-island besetzt!« - -»Was?« schrie der Zimmermann voller Entsetzen -- »oh du grundgütiger Himmel --- dann sind wir verloren.« - -»Verloren?« brummte der Steuermann, mit einem wilden Fluch durch die -Lippen, »hat sich was von verloren -- Wie viele sind's, Kapitän?« - -»Der Strand schwärmt von ihnen, und oben drauf tanzt auch etwa ein Dutzend -herum -- aber ich sehe keine Canoe's.« - -»Die liegen jedenfalls hinter der Insel in ruhigem Wasser. Also haben die -schwarzen Bestien den Platz endlich richtig gefunden!« - -»Und was nun?« sagte der Kapitän. - -»Was nun? Ei, wir müssen ihn wieder erobern.« - -»Gegen den Schwarm?« - -»Geben Sie mir einmal das Glas, Kapitän, daß ich einen Ueberblick kriege --- immer zu, Jungen, laßt die Ruder nicht schleppen, hier können wir doch -nicht liegen bleiben.« - -»Wenn wir landen, fressen sie uns mit Haut und Haar!« klagte der Koch, der -sich bestürzt emporgerichtet hatte und nach dem jetzt gefürchteten Land -hinüberstarrte. - -»Was fressen,« knurrte der Steuermann ärgerlich, während er durch das Glas -sah -- »erst müssen sie uns haben. Alle Wetter! es ist eine hübsche Portion -und wir sind auch jedenfalls schon bemerkt worden, denn wie die Ameisen -klettern sie da an den lichten Felsen in die Höh'. Jungens, Jungens, und -wie werden sie den Vorräthen mitgespielt haben!« - -»Wie viele sind's, Steuermann?« - -»Ich zähle siebenundzwanzig, groß und klein,« erwiderte dieser, »aber da -links heraus kommen noch mehr aus dem Felsen, das ist jedenfalls die -Höhle -- da sind noch drei, vier, fünf, sechs, sieben -- es ist ein ganzer -Schwarm, und wir werden Teufelsarbeit bekommen.« - -»Wie viel Gewehre haben wir eigentlich im Boot?« frug der Kapitän, nachdem -er selber das Glas genommen und durchgeschaut; sie waren der Insel aber -indessen so nahe gekommen, daß sie die schwarzen nackten Gestalten schon -mit bloßen Augen erkennen konnten. - -»Es sollen sechs sein,« sagte der Steuermann, »aber an dem einen ist der -Hahn abgebrochen -- und dann Ihre Doppelflinte.« - -»Und Pistolen?« - -»Vier; aber noch ein halb Dutzend Lanzen.« - -»So nahe dürfen wir den Halunken nicht kommen,« sagte der Kapitän -kopfschüttelnd, »daß wir die gebrauchen könnten, sonst spicken sie _uns_ -mit ihren verdammten Wurfspeeren, mit denen sie vortrefflich umzugehen -wissen.« - -»Wenn wir aber zu kanoniren anfangen,« sagte der Steuermann trocken, »und -mit den alten, von Rost halbzerfressenen Schießprügeln nichts treffen, so -machen wir sie erst recht übermüthig, und wer dann unverrichteter Sache -abziehen muß, sind wir.« - -»Den ersten Schuß,« rief der Kapitän, »müssen wir jedenfalls über ihre -Köpfe feuern, denn ich möchte die armen Teufel nicht todtschießen, wenn ich -es irgend umgehen kann. Ich denke aber auch, das wird genügend sein, denn -wenn sie nur den Knall eines Gewehres _hören_, laufen sie schon was -sie laufen können. Schußwaffen fürchten sie mehr als ihren sogenannten -Devil-Devil.« - -»Ich will's wünschen,« brummte der Mate oder Steuermann, »ich habe nur -so eine Ahnung, daß ihnen unser kleines Boot keinen besondern Respekt -einflößen wird. Ja wenn wir mit dem Schooner angesegelt kämen und einen -der kleinen Böller hätten lösen können, dann wär's vielleicht 'was Anderes, -denn die machen mehr Spektakel, und so ein Schuß klingt als ob er von allen -Seiten auf einmal käme.« - -Es wurde jetzt kein Wort weiter gesprochen, denn das Boot näherte sich -rasch dem Lande, und die gerettete Mannschaft nahm zu viel Interesse an -dem, was sie dort erwartete, um sich nicht selber durch den Augenschein von -der Zahl der Feinde zu überzeugen. Selbst die Rudernden drehten die Köpfe -über die Schulter zurück, und deutlich konnte man auch jetzt den Schwarm -erkennen, der mit wildem Jauchzen auf der Insel herumsprang, während -eine Anzahl von ihnen grüne Zweige von den Büschen brach und damit -hinüberwinkte. Fast Alle aber, wie der Kapitän deutlich durch sein Glas -erkennen konnte, trugen ihre Lanzen in den Händen, und legten sie erst -zwischen den Steinen nieder, als sie vielleicht glaubten, daß man sie vom -Boot aus mit bloßen Augen erkennen könne. - -»Ach Kapitän,« sagte der Zimmermann, »die thun uns ja nichts, die schwingen -grüne Büsche; das ist immer ein Zeichen bei den wilden Hallunken, daß sie's -gut meinen -- Einen Tropfen Wasser geben sie uns gewiß.« - -»Ja trau' Du denen,« knurrte der Koch -- »mit denselben Zweigen braten sie -Dich nachher.« - -Dem Kapitän gefiel übrigens das Winken mit den Zweigen auch nicht. Durch -sein gutes Glas sah er deutlich, wie eine Anzahl der Schwarzen, die -wieder zum Strand hinabgeklettert waren, ihre Lanzen in eine Vertiefung --- wahrscheinlich den Rand der Höhle -- stellten, aber dicht dabei stehen -blieben und dann aus Leibeskräften mit den grünen Büschen wehten, als ein -Zeichen, daß das Boot dort landen solle. Er änderte seinen Cours nicht, -sondern hielt vielmehr noch etwas nach rechts hinüber, um die nördliche -Spitze der Insel anzulaufen, und die Wilden, wie er deutlich erkennen -konnte, griffen jetzt ihre Waffen wieder auf und verschwanden hinter der -Insel, um vorn nicht damit gesehen zu werden. - -Das Alles deutete auf Hinterlist, und daß die Eingeborenen dieser Küsten -Alles daran setzen, um in den Besitz eines guten europäischen Bootes zu -kommen, wußte er schon zur Genüge aus den Erzählungen anderer Kapitäne. -Geld hat für sie nicht den geringsten Werth. Kleidungsstücke beachten -sie nicht, und selbst von Eisenwerk können sie nichts gebrauchen, als -vielleicht ein Beil oder Messer, da ihre Lanzen aus den harten und schweren -Hölzern bestehen, welche ihnen die Wildniß in Masse liefert, aber ein -sicheres Boot war für sie von unschätzbarem Werth, denn damit konnten sie -das Meer in jeder Jahreszeit befahren, und daß sie _kein_ Mittel scheuen -würden, um sich in den Besitz eines solchen zu setzen, ließ sich denken. - -Wie viel Wilde befanden sich aber überhaupt auf der Insel und hatten sie -auch schon Alle gesehen? -- wohl schwerlich, denn von dem Augenblick an, wo -sie nahe genug gekommen, um die Eingeborenen mit bloßen Augen zu erkennen, -waren höchstens noch acht oder zehn sichtbar, die sich aber dafür durch das -Schwingen von grünen Büschen um so bemerkbarer zu machen suchten. Wo waren -die Anderen? Jedenfalls irgendwo hinter den Steinen oder in der Höhle -versteckt, und hatten sie wirklich friedliche Absichten, so würden sie sich -ungescheut gezeigt haben -- daß _ihnen_ die Weißen nichts nehmen konnten, -wußten sie ohnedieß. Das Wichtigste also war: einen ungefähren Ueberblick -über ihre Zahl zu bekommen, und das konnte nur dadurch geschehen, daß sie -in Sicht der Canoe's kamen. Die Insel war auch gar nicht so groß, um das -nicht leicht zu bewerkstelligen, und der Kapitän, der auf die Nordspitze -zugesteuert hatte, änderte plötzlich seinen Cours, hielt wieder vom Ufer -etwas ab und ruderte nun, seine Distance vom Land auf ungefähr hundert -Schritte haltend, um das kleine Eiland herum zur Westküste, wo er -allerdings einen ganzen Trupp nackter schwarzer Gestalten überraschte, die -nicht schnell genug den kahlen Hang hinan kommen konnten und sich nun, so -gut das gehen mochte, hinter Korallenbänken und Steinen niederkauerten. - -Außerdem entdeckten die Seeleute hier auch eine kleine Flotte von elf -Canoe's, die nebeneinander auf den Sand gezogen waren, und stärker an -Mannschaft wäre es ihnen jetzt ein Leichtes gewesen, die schwarzen Diebe -festzuhalten und zu züchtigen. Aber sie durften ihnen nicht das einzige -Mittel, sich zu entfernen, selber abschneiden, denn an Zahl waren sie -ihnen doch zu weit überlegen und das Schlimmste von Allem, nur Wenige -der Seeleute wußten wirklich mit Feuerwaffen umzugehen, und verstanden -besonders nicht, ein einmal abgeschossenes Gewehr auch rasch und ruhig -wieder zu laden. - -Der Kapitän behielt aber indessen seinen Cours bei; er wußte jetzt genau, -daß er es mit einer verrätherischen Bande zu thun hatte, und war nicht -gewillt, dieser auch nur den geringsten Vortheil über sich einzuräumen. Das -Boot glitt dabei, immer noch in der sicheren Entfernung, um die Insel hinum -der Südküste zu, wo sie die wieder überraschten, die vorher an der Höhle -Posto gefaßt hatten. - -»Sind die Gewehre alle geladen?« frug er ruhig. - -»Ja, Sir,« sagte der Steuermann. - -»Setzt frische Zündhütchen auf; die alten könnten die Nacht über feucht -geworden sein.« - -Das geschah lautlos. - -»Wollen wir hier landen, Kapitän?« frug der Steuermann; »ich glaube es wäre -besser, wenn wir das so dicht als möglich bei der Höhle thäten.« - -»Sie haben Recht, Mr. Brown,« nickte ihm sein Vorgesetzter zu, »wir müssen -ihnen Gelegenheit zur Flucht geben, sonst wehren sie sich um ihr Leben -- -Alle Teufel, was ist das da oben?« Er deutete zugleich mit dem Arm hinauf, -und seine Leute erkannten dort auf einer eben in Sicht kommenden Felsspitze -eine allerdings wunderliche Gestalt, die sich von den Uebrigen wesentlich -unterschied. - -Alle anderen Indianer waren vollkommen nackt und trugen nicht einmal, wie -doch die meisten wilden Stämme, einen Schurz um die Lenden. Der da oben -aber -- oder war es ein Frauenzimmer? hatte einen weißen, wehenden Talar -an, der in der Sonne schimmerte und bis über die Kniee hinabreichte; nur -die Arme schauten nackt daraus hervor. Dort wo er stand, als man ihn -zuerst entdeckte, war er auch durch den höheren und mit Büschen bewachsenen -Hügelrücken gegen den jetzt wieder frischer wehenden Wind geschützt -gewesen. Nun aber, als er sich bemerkt sah, sprang er die wenigen Schritte -hinauf und stand im nächsten Augenblick in der Brise, und das Zeug, was er -anhatte, knitterte und knatterte dabei. - -»Gott straf' mich, das ist Papier!« rief der Steuermann aus, und in -demselben Augenblick riß sich ein Stück der Kleidung los und flatterte, ehe -es der danach greifende Wilde erhaschen konnte, aus in See, nach dem Boot -hinüber, von dem es nicht weit entfernt auf das Wasser niederfiel. - -Es war in der That ein Bogen weißes Schreibpapier, und jetzt kein Zweifel -mehr, daß die Eingeborenen dort oben die Postoffice gefunden und geplündert -hatten; welche Verwendung sie für das Papier fanden, zeigte sich dabei. Die -Umfahrt um die Insel hatte den Seeleuten die Versicherung gegeben, daß sie -es hier mit einer großen Anzahl gutbewaffneter Schwarzen zu thun bekämen, -und wären sie nur wenigstens mit Wasser versorgt gewesen, so würde der -Kapitän kaum daran gedacht haben, einen so ungleichen Kampf zu wagen. -Mußten sie doch sogar jedes Handgemenge auf festem Land vermeiden, blieben -immer noch der Gefahr ausgesetzt, daß die Wilden, erst einmal gereizt -und zur Rache angetrieben, vielleicht sogar mit ihren Canoe's einen -verzweifelten Angriff auf ihr Boot machten. - -Aber was blieb ihnen Anderes übrig? Zurück gegen Wind und Strömung nach -Mount Adolphus _konnten_ sie nicht wieder, noch dazu, da sie im Inneren -jener Insel vielleicht gerade so gut auf Eingeborene trafen und dann erst -recht, bei Theilung der Mannschaft, ihr Boot und sich selber in Gefahr -brachten; Wasser aber _mußten_ sie haben, und das war hier noch zu -bekommen, dort draußen im Westen lag dagegen eine weite See vor ihnen, die -sie ohne dies nöthige Lebensbedürfniß nicht durchschiffen konnten, also -blieb ihnen schon nichts weiter übrig, als sich ihren Weg zu erzwingen, im -schlimmsten Fall mit Waffengewalt, und wenn die Schwarzen dabei zu Schaden -kamen, hatten sie es sich selber zuzuschreiben. - -Das Boot umruderte indessen das Südwestende der Insel und näherte sich der -Südost-Ecke, wo, wie der Kapitän von anderen Collegen erfahren, die Höhle -liegen sollte. Dort standen auch immer noch Eingeborene und winkten wieder, -als das Boot in Sicht kam, mit den abgebrochenen Büschen. - -»Wenn wir's nun einmal versuchten, Kapitän,« sagte da der Steuermann, »ob -sie uns im Guten in die Höhle ließen? Der Eingang muß dicht am Wasser sein, -und wir könnten ihn mit unseren Musketen recht gut frei halten.« - -»Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Brown,« meinte aber der Kapitän; »die -Möglichkeit ist allerdings da, daß wir _hinein_ kommen, aber schwerlich -wieder heraus, denn die Kanaillen spielen da drin Versteckens. -Auf Freundschaft ist mit ihnen nicht zu rechnen, und ich will die -Verantwortlichkeit nicht auf mich laden, auch nur zwei von Euch an ein -Experiment gewagt zu haben. Halten Sie Ihre Gewehre bereit; wissen die -Leute, welche sie halten, auch ordentlich mit denselben umzugehen?« - -»Die Meisten, Sir -- mit einer Pistole verstehen sie es besser.« - -»Die Pistolen helfen uns nichts,« sagte der Kapitän trocken, »und sind in -dem engen Boot hier gefährlicher für uns selbst, als für die Schwarzen -- -ha, dort ist die Höhle -- sehen Sie den dunklen Strich im Felsen?« -- Er -hatte sein Telescop wieder aufgenommen und sah hindurch. - -»Ist das der Platz, Sir?« - -»Ja -- ich kann dort im Inneren schon aufgeschichtete Fässer erkennen. Sie -wissen doch zu schießen?« - -»Ay, ay Sir!« - -»Gut, dann seien Sie so gut und halten Sie einmal, wenn wir noch ein klein -Stück voraus sind und den Eingang breit haben, mitten in die Höhle hinein --- aber hoch -- verwunden Sie noch keinen; möglich doch, daß wir sie mit -einem einzelnen Schuß in die Flucht treiben.« - -Der Steuermann nahm sein Gewehr an den Backen und zielte mitten in die -Höhle hinein -- jetzt waren sie gerad vor dem Eingang, etwa noch hundert -Schritte vom Land entfernt. - -»Feuer!« rief der Kapitän, und in dem Moment krachte auch der Schuß, dessen -Echo sich wohl in der gewölbten Höhlung noch tüchtig brechen mochte, denn -mit Blitzesschnelle sprangen plötzlich zehn oder zwölf schwarze Gestalten, -ihre Lanzen und Midlas[1] in den Händen, aus dem dunklen Grund der Höhle -hervor und kletterten wie Katzen an den Felsen hinauf nach oben. An -Widerstand schienen sie in der That nicht zu denken. - - [1]: Die Midla ist ein kurzer, etwa dritthalb Fuß langer Hebel, der mit - einem kleinen Widerhaken versehen hinten in die Wurflanze eingreift - und sie beim Schleudern mit vermehrter Kraft vorwärts treibt. Mit Hülfe - dieser Midla ist der australischen Wilde im Stande, seinen einfach - hölzernen Speer auf sechzig bis achtzig Schritte -- ja vielleicht - noch etwas weiter -- mit großer Sicherheit zu werfen, so daß er selbst - kleineres Wild, wie die Känguru-Ratte, damit trifft und tödtet. - -»Aha,« lachte der Steuermann, der von der alten Muskete einen Stoß bekam, -daß er beinah hinten übergestürzt wäre -- »das hat richtig geholfen; die -haben wir hinausgeräuchert, und meinen Hals wollt' ich darauf verwetten, -daß keine von den Canaillen mehr da drinnen steckt. Was nun, Kapitän? Ich -denke, die Luft ist rein, und ich dächte, das Beste wäre, wir benutzten den -ersten Schreck und räumten was wir brauchen aus, indeß Sie uns hier mit ein -paar von den Leuten die Luft rein halten.« - -»Ich denke auch, Mr. Brown,« sagte der Kapitän, der seinem Steuermann -indessen das Gewehr abgenommen hatte und rasch wieder mit einer Patrone lud --- »Nehmen Sie sich drei Mann mit -- wieder zu euern Rudern, meine Jungens, -und nun scharf an Land -- und sehen Sie besonders zu, daß Sie ein Faß mit -Wasser finden -- Zwieback soll genug dort liegen, packen Sie auf was Sie -fortbringen können, der Junge soll Sie mit dem Provisionskorb begleiten -- -aber um Ihr Leben, halten Sie sich nicht länger auf als nöthig ist. Daß Sie -indessen Keiner da drinnen stört, dafür wollen wir schon mit den Gewehren -sorgen.« - -»Also ganz ohne Waffen --« - -»Jeder von euch nimmt eine Lanze mit -- drinnen könnt Ihr vielleicht das -Faß gleich auf die Schäfte legen und damit herauslaufen -- aber daß ihr -kein _faules_ Wasser bringt, denn einzelne sollen schon viele Jahre dorten -liegen.« - -»Aber wer zum Henker kann sie erst lange untersuchen,« meinte der -Steuermann verlegen, »denn flink muß die Geschichte gehen, sonst ist's -gefehlt, und wenn sie die schwarzen Halunken zerschlagen haben, sind wir -ganz verloren, denn was wissen die Bestien davon, wie man mit einem Faß -umgehen muß.« - -»Lange können sie noch nicht da sein,« entgegnete der Kapitän, der die -Natur dieser wilden Stämme besser kannte als sein weit jüngerer Steuermann, -»sonst hätten sie die Canoe's schon beladen und wären fortgerudert. Daß -sie sich hier vor unseren Schiffen nicht sicher fühlen, ist gewiß, und das -beweist auch, wie treffliche Wacht sie gehalten haben müssen, denn unser -kleines Boot war ja kaum in Sicht, als sie es augenscheinlich schon bemerkt -hatten. Aber da sind wir -- jetzt an's Werk, das Reden hilft nichts -- ehe -sie nur wissen, was wir eigentlich wollen, müssen wir's haben. Vorwärts, -Steuermann -- Ihr, Bill, Ned und John, eure Lanzen -- das ist recht, mein -Junge, den Korb packst du voll Zwieback -- liegt ein Faß bei der Hand, so -rollt's nur gleich hier herunter: wenn's auch an den Steinen zerbricht, -werfen wir in's Boot, was wir brauchen. Vorwärts!« - -Die Seeleute bedurften keiner weiteren Mahnung, denn jeder Einzelne von -ihnen begriff recht gut, was von ihm verlangt wurde, während an der raschen -Ausführung desselben sein eigenes Leben hing. Von den Wilden schienen sie -in der That nichts weiter zu fürchten zu haben, und es war fast, als ob -der eine, blind gefeuerte Schuß vollkommen genügt habe, sie zu Paaren zu -treiben. Nur einzelne schwarze Köpfe schauten noch vorsichtig einen Moment -über die Felsen nieder und verschwanden eben so rasch wie sie gekommen. -Hatten sie sich in ihre Canoe's geflüchtet und die Insel bei Annäherung der -gefürchteten Weißen verlassen? -- Alle freilich noch nicht, denn Einzelne -kamen immer dann und wann wieder zum Vorschein. Aber es blieb jetzt keine -Zeit, nach ihnen auszusehen, denn wie nur der scharfe, eisenbeschlagene Bug -des Bootes den Korallensand berührte, sprangen die bezeichneten Seeleute, -lauter kräftige Burschen und jeder seine Lanze fest in der Hand gepackt, -hinaus an Land und waren auch mit wenigen Sätzen in der Höhle verschwunden. -Die Zurückgebliebenen aber, jeder seine Muskete im Anschlag, behielten mit -ängstlicher Spannung die benachbarten Felsen im Auge, ob nicht von dort aus -ein versteckter Feind seine Speere auf sie hinabschleudern könnte, und kein -Wort wurde mehr gesprochen. - -»Da kommen sie!« schrie plötzlich des Kochs ängstliche Stimme; und als der -Kapitän, der bis dahin eine oben in den Büschen lauernde Gestalt im Auge -behalten, rasch den Kopf ihm zuwandte, sah er nach rechts hinüber vier oder -fünf Canoe's um die Inselspitze kommen, und fast zu gleicher Zeit drückte -der feige Bursche auch sein Gewehr blind in die Luft hinein ab. - -»Holzkopf!« schrie der Kapitän und riß ihm die Muskete aus der Hand, »wenn -ich wüßte, daß sie _Dich_ brieten, wollte ich ihnen selber ein Feuer dazu -anzünden.« - -»Oh bester Kapitän,« jammerte der Mann, »es ging mir ja von selber los!« - -»Ruhe da und aufgepaßt!« rief aber der alte Seemann, indem er das Gewehr -rasch wieder lud. Er sah dabei, wie die Rudernden einen Moment innegehalten -hatten, als ob sie selber erst sehen wollten, ob der Schuß einen von ihnen -getroffen. Jetzt stießen sie plötzlich ein wildes Jubelgeschrei aus, und -fast zu gleicher Zeit rief auch der Zimmermann: - -»Habt Acht, bester Kapitän -- von drüben herüber kommen sie auch. Jetzt -haben sie uns fest.« - -In demselben Augenblick schien es aber, als ob die Felsen selber belebt -würden. Unmittelbar über der Höhle konnte allerdings Keiner niederklettern, -denn die Steine ragten dort schroff und steil empor; aber rechts und links -davon sprangen sie herab, und sechs, acht Speere wurden zu gleicher Zeit in -das Boot hinabgeschleudert, von denen einer dem Kapitän den Hut vom Kopfe -riß, während ein anderer dem Koch durch den Arm fuhr und diesen laut -aufheulen machte. - -Kapitän Powel warf den Blick umher, und dem Koch erst einmal mit dem Kolben -seines Gewehrs einen Stoß in den Nacken gebend, der ihn vornüber sandte, -rief er dem Zimmermann zu: - -»Jetzt dürfen wir nicht mehr schonen -- haltet in den dicksten Klumpen -hinein, sobald sie näher kommen. In den schwanken Canoe's können sie -mit ihren Lanzen doch nicht ordentlich treffen -- Du, Peter, nimmst die -Anderen, ziel' ruhig, Mann -- wenn Du fehlst, sind wir verloren.« -Zu gleicher Zeit hatte er sein eigenes, mit groben Posten geladenes -Doppelgewehr angelegt und einen riesigen Schwarzen, der an der Höhle -niederglitt, auf's Korn nehmend, feuerte er ihm den Schuß gerade in den -Leib, daß er wie ein Sack herunterstürzte. Aber er sah nicht einmal nach -ihm hin, denn die Feinde links nahmen seine Aufmerksamkeit ebensogut in -Anspruch, während jetzt von den beiden Seeleuten ein eben so wirksamer, -aber noch viel mehr Schaden anrichtender Schuß in die Canoe's hinein -gefeuert wurde. Die Rehposten gingen in der größeren Entfernung mehr -auseinander, und der Zimmermann besonders schien so gut gezielt zu haben, -daß sich die fünf Canoe's nicht gleich weiter wagten oder auch vielleicht -von den Verwundeten behindert wurden. - -Zwei von den anderen dagegen kamen, so rasch sie die Fahrzeuge vorwärts -treiben konnten, an, und alle trugen aus dem eisenharten Holz der äußeren -Palmenrinde gefertigte Ruder. Diese aber, schwer und an den Kanten -scharf geschnitten, können ebensogut als Keule dienen und sind dann eine -furchtbare Waffe in der Hand eines starken Mannes. - -»Noch einen Schuß, Zimmermann,« rief der Kapitän, während er in aller Hast -sein eigenes Doppelgewehr wieder lud, »nehmt die geladene Muskete da neben -Euch, aber zielt gut -- der erste war vortrefflich.« - -Wieder der Knall über das Wasser und dießmal hatte der Matrose nur das -erste Boot voll auf's Korn genommen, in dem er aber eine arge Verwüstung -anrichtete. Zwei der nach links überschlagenden Schwarzen drückten es sogar -auf der Seite unter Wasser und es füllte. Wohl kamen die anderen Canoe's -jetzt auch in vollem Lauf wieder näher, aber sie hatten ihre richtige Zeit -versäumt. Kapitän Powel feuerte zuerst eine Ladung Rehposten zwischen einen -Trupp hinein, der sich wieder an den Felsen zeigte, und schickte dann die -andere Ladung mitten in die Canoe's, die jetzt dicht neben dem Boot an's -Ufer liefen und wahrscheinlich einen Angriff zu Land versuchen wollten, -da sie in den schwanken Fahrzeugen _ihre_ Waffen nicht gebrauchen konnten. -Kaum aber schoß der hohe Bug des ersten auf den Sand hinauf, als der -Steuermann mit seinen drei Matrosen, die auf den Augenblick nur schienen -gewartet zu haben, aus der Höhle sprangen und jetzt ihrerseits mit den -Lanzen auf die Feinde einstürmten. Der Angriff kam aber zu plötzlich und -aus zu unmittelbarer Nähe, und ohne sich nur zu besinnen sprang die ganze -Mannschaft der Canoe's über Bord und tauchte unter. Wie durch Zauberei -waren sie verschwunden. - -In dem Moment schien es fast, als ob sämmtliche Schwarze von der Insel -verschwunden wären; aber der Kapitän traute ihnen nicht und benutzte die -ihm vergönnte kurze Zeit, um rasch die abgeschossenen Gewehre wieder zu -laden, während die Seeleute indessen in aller Hast das schon bis an den -Eingang gewälzte Faß Wasser jetzt aufhoben und heraustrugen. Allem Anschein -nach war es das letzt hierhergeschaffte, denn es trug den Brand der -=Yorkshire lady=. Auch der Junge war nicht müssig gewesen und mit einem -gehäuften Korb von Zwieback angekommen, den er ohne Weiteres in's Boot -schüttete und dann zurück in die Höhle sprang, um noch eine zweite Ladung -zu holen. Den Zwieback mußten die Wilden nämlich zuerst entdeckt haben, -denn das eine große Faß war auseinandergebrochen und der Inhalt über den -ganzen Boden der Höhle zerstreut. - -Ihr Boot wurde übrigens durch den neuen Proviant, besonders durch das -Faß Wasser bedenklich tief geladen. In der Straße selber wäre das bei dem -spiegelglatten Wasser gegangen, jetzt aber, wo sie in den indischen -Ocean einlaufen wollten, mußten sie wenigstens darauf vorbereitet sein, -unruhigere See zu bekommen -- aber der Steuermann wußte Rath. - -»Schafft das Canoe herbei, Jungens!« rief er, einen Blick umherwerfend, -»das nehmen wir in's Schlepptau, bis wir draußen in See erst Alles richtig -weggestaut und geordnet haben, und ein paar von Euch können damit nebenher -fahren. Das Ding ist breit genug, Euch zu tragen -- dort liegen auch -Ruder.« - -Es war im Nu geschehen; die Leute sprangen zu, schoben das Canoe in -tieferes Wasser zurück und brachten es langseit. Die ganze Sache dauerte -keine fünf Minuten. Trotzdem waren sie von den Wilden dabei beobachtet -worden, denn wieder flogen vier oder fünf Speere nach ihnen herunter, aber -zu kurz, denn die Schwarzen trauten sich nicht mehr in den Bereich der -Schußwaffe. - -»Fertig Alles?« rief der Kapitän. - -»Alles klar, Sir,« lautete die Antwort. - -»An Bord denn und fort -- die Sonne ist gleich unter und nach Dunkelwerden -möchte ich nicht mehr in der Nähe der schwarzen Halunken sein. Sie holten -dann jedenfalls ein, was sie jetzt unterlassen haben -- aus mit dem Boot!« - -Der Befehl wurde fast so rasch ausgeführt, wie er gegeben worden, denn sie -waren mit steigender Fluth gelandet und das Wasser mochte in der Zeit fünf -bis sechs Zoll gewachsen sein. Die Leute sprangen alle in die Fluth, um -es zurückzuschieben. Zwei von ihnen nahmen dann das Canoe und den eben mit -einem anderen Korb Zwieback zurückkommenden Jungen ein, und wenige Minuten -später stießen sie von der Küste ab -- aber der Kapitän hielt noch nicht in -See hinaus. - -»Eine Lektion müssen wir den Burschen noch geben,« sagte er finster, »daß -sie später das Eigenthum der Weißen mehr respektiren lernen oder wenigstens -in einer heilsamen Furcht gehalten werden -- Zimmermann, nehmt einmal Euer -Beil und bearbeitet das Canoe dort drüben ein wenig.« - -Der Zimmermann that dies mit Vergnügen und das Fahrzeug war im Nu -unbrauchbar gemacht; dann nahmen sie ihren Cours um die Insel herum, um die -übrigen ebenfalls abzuschneiden und die Schwarzen dadurch auf der Insel zu -halten, bis ein größeres Schiff dort landete, das eher die Macht hatte, sie -zu züchtigen. Die Eingeborenen schienen es aber vorgezogen zu haben, etwas -Derartiges nicht abzuwarten, denn wie sie an den anderen Rand der Insel -kamen, sahen sie die kleine Flotte von neun Canoe's schon unterwegs, und -zwar in voller Flucht gen Süden, dem nächsten Festland zu haltend. Daß -sie von dem schwergeladenen Boot der Weißen nicht verfolgt werden konnten, -wußten sie gut genug, aber sie schienen auch gar nicht die Absicht zu -haben, weit zu fliehen, denn draußen ein Stück in See lagen sie jetzt -plötzlich auf ihren Rudern, um dort erst einmal abzuwarten, was die Feinde -beginnen würden. - -Der Kapitän war überzeugt, daß sie, sobald das Boot nur außer Sicht wäre, -augenblicklich nach der Insel zurückkehren würden, nicht allein um ihre -Todten abzuholen, sondern auch die begonnene Plünderung zu beenden. Das -Alles ließ sich aber nicht mehr ändern. Der für den Seemann so wichtige -Platz war einmal verrathen; die Schwarzen hatten das Geheimniß der Höhle -entdeckt, und es durfte wohl schwerlich mehr an eine weitere Niederlage -dort von Wasser und Provisionen für verunglückte Seeleute gedacht werden. -Jenes diebische Gesindel revidirte jetzt gewiß regelmäßig die Höhle, um -Alles mitzuführen, was sie fanden. - -Das Boot -- nachdem sich die Leute an dem erbeuteten Wasser gelabt -- hielt -eine nordwestliche Richtung bei, um irgend eine der Inseln des ostindischen -Archipels anzulaufen, schon am zweiten Tag aber sichteten sie eine -portugiesische Brigg, die, von Europa kommend, nach der portugiesischen -Besitzung in Timor bestimmt war. Von dieser wurden sie an Bord genommen und -gingen später mit einem holländischen Schiff nach Singapore, von wo aus sie -leicht in ihre Heimath zurückkehren konnten. - -Der Kapitän machte allerdings in Singapore die Anzeige des zerstörten -Depots auf Booby-island, und ein nach Australien bestimmtes Kriegsschiff -bekam auch Auftrag, dort anzulaufen; als es aber mit dem nächsten -Monsuhn Booby-island berührte, fand es in der Höhle nur noch einen Haufen -verdorbenes Fleisch, den die Schwarzen verschmäht hatten -- alles Uebrige -war ausgeräumt und selbst die »Postoffice« wahrscheinlich nach dem Festland -geschafft worden. - - - - -Zacharias Hasenmeier's Abenteuer. - - - - -Erstes Kapitel. - -Die Matrosenkneipe. - - -Da lebte einmal vor langen Jahren ein Handwerksbursch, und den freute die -Welt nicht mehr, denn anders wurde es wohl mit der Zeit, wohin er auch kam, -aber nie und nimmer besser. - -Früher ja, da ließ sich's aushalten, da marschirte so ein armer -Handwerksbursch nach Herzenslust im lieben deutschen Vaterland herum, -Chaussee auf und ab, ging in den Dörfern fechten, schlief Nachts auf der -Streu oder in einem Heuschober, setzte sich, wenn er unterwegs müde wurde, -auf einer vorbeirollenden Extrapost hinten auf und dachte gar nicht daran, -die Beine je lang unter einen Arbeitstisch zu strecken. Das ließ schon die -Wanderlust nicht zu, und geschah es je einmal ausnahmsweise, so erfaßte -ihn rasch die unbezwingbare Sehnsucht nach einer Pappelallee, der er nicht -widerstehen konnte und wollte. - -Da erfanden böse und hinterlistige Menschen, aus reiner Bosheit gegen die -armen Handwerksburschen, die _Eisenbahn_, und mit dem lustigen Marsch auf -der Landstraße war's vorbei. Extraposten und Lohnkutschen -- wo bekam -man sie noch zu sehen? der Dampf hatte die Zügel ergriffen und bei einem -davonbrausenden Bahnzug -- mit _den_ groben Condukteuren -- war kein -Gedanke mehr hinten aufzusitzen. - -Das macht zuletzt den besten Menschen verdrießlich und so war denn auch -Zacharias Hasenmeier, ein »wasserdichter Hutmachergesell,« endlich zu dem -verzweifelten Entschluß gekommen -- nicht etwa seinem Leben ein Ende zu -machen, nein -- dazu besaß er zu viel Religion und zu wenig Courage -- -aber auszuwandern und sich irgend einen Platz auf der Welt zu suchen, wo es -erstlich einmal keine Eisenbahnen gab, und wo ein reisender Handwerksbursch -auch noch leben konnte, »wie sich's gehört und gebührt,« d. h. wo er ein -Terrain zum fechten und hinten aufsitzen fand. - -Mit dem Entschluß erst einmal im Reinen, hielt er sich denn auch nicht -lange bei der Vorrede auf, packte seinen Tornister, mit ein paar neuen -Stiefeln oben d'rauf, daß die blinkenden weißen Sohlen rechts und links -unter der Klappe vorschauten, ließ sich eine neue Zwinge an seinen dicken -Knotenstock machen, und ging danach auf die Polizei, um sein Wanderbuch -visirt zu bekommen. Ordnung muß nämlich sein, und ob er nun zu den Chinesen -oder Menschenfressern kam, sein Wanderbuch wollte er in Ordnung haben, denn -den Chinesischen Gensdarmen traute er gerade so wenig wie den Deutschen. - -Die Behörde besorgte ihm das auch. Gegen seine Auswanderung hatte sie, -merkwürdiger Weise Nichts einzuwenden, und visirte ihm sein Wanderbuch, auf -seine Anweisung, daß er nach Amerika, Australien und sonst wohin wollte, -gewissenhaft und wörtlich: - - »Nach Australien und weiter!« - -wonach er dann lustig und wohlgemuth in die Welt hinaus wanderte. - -Er hatte, als er die Stadt verließ, in der er zuletzt gearbeitet, den Hut -keck auf die eine Seite gerückt, was andeuten sollte, daß er sich aus ganz -Europa Nichts mehr mache, und mit dem buntgestickten Tabaksbeutel vorn im -Knopfloch baumelnd (einen Orden besaß er nicht, den er hätte hinein thun -können, und etwas _muß_ der Mensch doch im Knopfloch haben) mit außerdem -zehn Thaler siebenzehn und einen halben Silbergroschen in der Tasche, -meinte er, daß er nun die Welt durchwandern könne. -- Was weiß so ein -wasserdichter Hutmacher überhaupt von der Welt! - -Natürlich ging er gerade in einem Strich auf Hamburg zu, weil er gehört -hatte, daß von dort ab fast täglich Schiffe nach aller Herren Ländern -ausliefen, und man von diesem Hafen aus mit derselben Bequemlichkeit zu -den Botokuden wie zu den afrikanischen Baumaffen kommen könne. Wohin? blieb -sich aber vollständig gleich -- Hüte brauchten Alle oder konnten ihnen doch -wenigstens angepaßt werden, und er war von sich selber überzeugt, daß er -sein Fortkommen in irgend einem Land der Welt finden würde -- er müsse nur -erst einmal dort sein. - -»Der liebe Gott verläßt keinen Deutschen,« sagte er sich und mit dem -schönen Liedchen: »Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus -- Städtle -hinaus,« ließ er sich wahrlich kein Gras unter die Sohlen wachsen, und -wanderte, jede Eisenbahn von Grund seines gekränkten »wasserdichten -Hutmacherherzens« aus verachtend, zu Fuß bis in die ferngelegene -Hafenstadt, um sich dort nach einer womöglich wüsten Insel einzuschiffen. - -Er fluchte allerdings jedesmal still vor sich hin, wenn ein Bahnzug -vorüberrasselte, und die Leute darin aus den offenen Fenstern hinaussahen, -und über den wunderlichen Menschen lachten, der zu Fuß hinterd'rein -keuchte, während er doch hätte, für ein paar Groschen, so bequem darin -fahren können; aber Zacharias setzte den Hut bei solchen Gelegenheiten nur -noch immer schiefer, um seine Verachtung bildlich auszudrücken und wanderte -trotzig seines Weges, ohne auch nur einmal nach ihnen umzuschauen. - -Es ist überhaupt erstaunlich, mit welcher Genauigkeit sich menschliche -Gemüthsbewegungen und Charaktere nur allein durch die verschiedene Stellung -des Hutes ausdrücken lassen. - -»In den Augen liegt das Herz,« lautet ein altes, wunderschönes Lied, -aber es ist durchaus nicht wahr. Im _Hute_ liegt es, und der aufmerksame -Beobachter kann manchem Menschen nur allein durch den Hut direkt in's Herz -sehen. - -Wer z. B. den Hut recht gerade und steif auf hat, daß er ihm senkrecht -auf dem Wirbel des Kopfes sitzt, das _mag_ ein sehr guter rechtschaffener -Mensch sein, aber er ist jedenfalls nach _einer_ Richtung hin Pedant und -geht unausweichlich, vielleicht praktisch, doch unter jeder Bedingung steif -und trocken durchs Leben mit nicht einer Spur von Poesie. Ich gebe zu, daß -er ein ausgezeichneter Beamter und vortrefflicher Geschäftsmann sein kann, -aber ein guter _Gesellschafter_ ist er keinesfalls. - -Ein _klein wenig_ geneigt -- nach rechts oder links bleibt sich gleich -- -und welch' einem fabelhaften Unterschied begegnen wir hier. -- _Das_ sind -die besten und interessantesten Menschen, mit gerade genug leichtem Sinn, -um liebenswürdig zu sein und über das Nützliche einer Sache auch nicht das -Angenehme zu vergessen -- aber ja nicht zu viel -- den Hut zu viel auf -eine Seite bedeutet sehr großen Leichtsinn -- ein keckes Herausfordern -der Menschheit, um das sich gewöhnlich Niemand kümmert, Rauflust und -verschiedene andere schlimme Leidenschaften. Solche Menschen werden auf die -Länge der Zeit im Umgang unerträglich. - -Der Hut weit hinten verräth Sorglosigkeit, aber auch Behaglichkeit, mit -einer kleineren oder größeren Mischung von Eigendünkel. Leichtsinnige -Schuldenmacher und Speculanten sind geneigt den Hut in solcher Weise zu -tragen, und je weiter er nach hinten gerückt wird, desto gefährdeter ist -ihre Position. - -Dagegen deutet es Schwermuth und Niedergeschlagenheit, wenn der Hut, im -entgegengesetzten Fall, weit in die Stirn gezogen wird: düsteren Groll, ein -gepreßtes Herz oder gedrückte Lebensverhältnisse -- auch unsaubere Wünsche; -kurz der Hut zeigt den Menschen wie er wirklich _ist_, und Zacharias -Hasenmeier, der leichtsinnigste »wasserdichte Hutmachergesell,« der diese -Straße je passirt war, strafte mit seinem Hut keck auf dem linken Ohr diese -Theorie wahrlich nicht Lügen. - -Zacharias machte sich auch wirklich _keine_ Sorgen, und erst nur einmal mit -seinem Entschluß im Reinen hielt er alles Andere, was ihn möglicher Weise -betreffen, oder ihm hindernd in den Weg treten könne, für Nebensache -- und -doch hatte er gerade da, wo er die Hauptschwierigkeit fand, keine erwartet. - -Seine Begriffe von Reisespesen waren nämlich sehr unvollkommener Art, denn -wenn er sonst von einer Stadt zur anderen wanderte -- mochte sie auch noch -so weit entlegen sein -- so brachte er dorthin doch gewöhnlich noch immer -ein paar Groschen mehr mit, als er von Hause aus mit genommen, denn er -verstand die Kunst des Fechtens aus dem Grunde und wenig Familien, die er -ansprach, konnten sich rühmen ihn unbeschenkt entlassen zu haben. Darnach -berechnete er also auch die etwa zu zahlende Passage nach einem fremden -Welttheil, und fand sich hier in Hamburg sehr enttäuscht, als die Kapitäne -dort liegender segelfertiger Schiffe eine weit größere Quantität der -landesüblichen Münzsorte verlangten, um ihn als _Passagier_ aufzunehmen, -als er im Stande war aufzuzeigen -- selbst wenn er gewillt gewesen wäre, -sich zu diesem Zweck von seinem ganzen Capital zu trennen. - -Wo er an Bord kam, schüttelten die alten Seeleute mit dem Kopf und meinten, -das reiche nicht, und unnützes Volk könne man nicht Monate lang umsonst -an Bord füttern. Von dem Seedienst verstand er aber gar Nichts, Hutmacher -wurden nicht unterwegs gebraucht, und so blieb das Resultat auf allen -Schiffen dasselbe, so daß Zacharias, am Abend des zweiten Tages, den er -auf solche Weise verwandt, mit in die Stirn gezogenem Hut -- so keck er ihn -auch noch an dem Morgen auf dem einen Ohr getragen, in sein Wirthshaus nahe -am Hafen zurückkehrte, und sich mürrisch und der ganzen See grollend hinter -ein Glas etwas dünnes Bier setzte. - -Es war das eine der sogenannten Matrosenkneipen, in der fast nur Seeleute, -oder mit der Schiffahrt zusammenhängende Personen, wie Segelmacher, -Reepschläger etc. einkehrten, und es läßt sich denken, daß ein -Handwerksbursch mit Tornister und Knotenstock und einer richtigen -»Landschraube« auf dem Kopf nicht unbemerkt passiren konnte. Es war etwa -gerade so, als ob ein ausgespannter Stier hinaus in den Wald ging, und sich -einem Rudel Hirsche beigesellte, und die Matrosen steckten dann auch -bald die Köpfe zusammen, und flüsterten und lachten über den wunderlichen -Gesellen. Nachdem sie indeß ihren Spaß eine Weile gehabt, ohne daß er -weiter Notiz von ihnen genommen, wollten sie ihn auch aufziehen, aber -Zacharias war nicht auf den Kopf gefallen, und antwortete ihnen bald so -scharf und treffend, daß sie jetzt selber Vergnügen daran fanden, sich mit -ihm zu unterhalten -- doch freilich nicht bei einem Glas Dünnbier, dem sich -ihre ganze Lebensweise nicht zuneigte. - -Grog wurde bestellt, und da Zacharias nicht den geringsten Grund sah, -seine Absichten, die ihn hierher geführt, zu verheimlichen, so erfuhr die -Gesellschaft bald, daß er aus dem inneren Land käme und auswandern wolle, -aber kein Schiff finden könne, weil es ihm gerade am Besten fehle. - -Die Matrosen, meist immer gutmüthig gegen Fremde, sobald sie keine -Gelegenheit mehr finden sich über sie lustig zu machen, schlugen jetzt bald -das, bald jenes Schiff vor, das knapp an Mannschaft, vielleicht doch hätte -bewogen werden können, ihn mitzunehmen -- Zacharias schüttelte aber immer -mit dem Kopf, denn auf fast allen war er schon selber gewesen, und wenn -auch noch ein oder das andere da lag, auf dem er noch nicht nachgefragt, so -konnte er sich doch ziemlich genau denken, welche Antwort er dort bekommen -würde. -- Es war nicht der Mühe werth, es auch nur zu versuchen. - -»Sag' einmal Landsmann,« frug der Wirth, ein breitschultriger, -blatternarbiger Gesell, mit einer blauen, goldgestickten, aber entsetzlich -schmutzigen Mütze auf den scharf gekräußten braunen Haaren und dabei mit -ein paar kleinen verschmitzten Augen -- »wo willst Du denn eigentlich hin?« - -»Fort -- hinaus in die Welt,« erwiederte der wasserdichte Hutmacher -- -»wohin, ist mir vollkommen gleich, zu den Menschenfressern oder Kannibalen --- nur die Welt möcht ich sehen, und die verfluchten Eisenbahnen los -werden.« - -»So?« sagte der Wirth, »na, hast Du es denn da schon auf einem -Wallfischfänger versucht?« - -»Auf einem Wallfischfänger?« frug Zacharias erstaunt, »was ist das?« - -»Nun ein Schiff, das hinaus in die Südsee fährt und Fische fängt, und dabei -an allen Inseln anlegt, die es erreichen kann.« - -»=Damn it!=« rief da Einer der Matrosen, »da liegt gerade die »Seeschlange« -draußen im Fahrwasser, vor einem Anker und will morgen früh mit der Ebbe in -See gehen -- die braucht noch Leute, und nimmt was sie kriegen kann.« - -»Aber ich kann gar nicht angeln,« sagte Zacharias. - -»Angeln -- =hell=!« rief der Wirth, »zu angeln brauchst Du auch nicht, -und die nehmen Dich mit Kußhand, denn an Bord von einem Wallfischfänger -brauchen sie Leute zu allerhand und wenn's auch nur wäre, um einen -Schleifstein oder Schiemannsgarn zu drehen und Feuer unter den Kesseln zu -halten.« - -Die anderen Matrosen stimmten dem Wirth bei. Wallfischfänger waren in der -That die einzigen Schiffe, die Jeden annahmen, der sich auf ihnen verdingen -wollte, und dabei am Weitesten in der Welt herumkamen. An alle Inseln, -die sie nur erreichen konnten, fuhren sie hinan und segelten jetzt an der -Japanischen Küste -- dann wieder im Eismeer, und vier, fünf Monate später -zwischen den Corallen-Inseln der Südsee herum. Das aber war gerade -was Zacharias wollte, denn hätte er sich an _einer_ bestimmten Stelle -niedergelassen, so wäre ihm doch zuletzt nichts Anderes übrig geblieben, -als wieder zu arbeiten, und zu diesem _letzten_ verzweifelten Mittel, sich -eine Existenz zu sichern, wurde er noch immer zeitig genug getrieben. - -Einer oder der andere von den Leuten am Tisch hatte aber auch schon eine -Fahrt mit einem Wallfischfänger gemacht, und erzählte dann Wunderdinge, -was er da draußen gesehen: von den Meerweibchen und See-Greisen und den -Corallenhäusern, die sie in der See hätten, von fliegenden Fischen -und Palmen, die mit den langen Blättern in der Luft herum föchten, von -Schildkrötenjagd und dann dem lustigen Wallfischfahrerleben selber, wie sie -in Booten hinter den großen Fischen herruderten, ihnen die Harpune in -den Leib warfen und sie dann endlich todtstachen und einkochten, und den -ausgekochten Speck für ein enormes Geld verkauften. - -Zacharias saß mit offenem Mund daneben, und so gut wie ihm der Grog -mundete, gerade so gefielen ihm auch die wunderbaren Schilderungen dieses -fabelhaften Lebens, das die Matrosen -- einer solchen Landratte gegenüber --- denn auch noch tüchtig auszumalen wußten. Einer erzählte immer tollere -Geschichten als der andere, und als sie endlich fort wollten, ließ sie -Zacharias nicht und bestellte frischen Grog, nur um noch immer mehr zu -hören, und jetzt konnte er schon die Zeit nicht erwarten, daß es wieder Tag -würde, um sich auf einem solchen merkwürdigen Fahrzeug einzuschiffen, und -all das Wunderbare selbst mit zu erleben. - -Ein alter Segelmacher, der den tollen Erzählungen gelauscht, schüttelte -zwar mit dem Kopf, denn es that ihm leid, daß sie den armen Teufel mit -seinen verworrenen Ideen nur noch verrückter machten, und er meinte einmal: - -»Kamerad, nimm Dich in Acht. Wenn das wahr ist, was _ich_ von -Wallfischfängern gehört habe, so ist verdammt wenig Vergnügen und -heidenmäßige Arbeit dabei, und kriegst Du Einen von den Burschen zum -Kapitän, wie sie hie und da auf den Schiffen stecken, so wollte ich lieber -an Land irgendwo als Kettenhund in Condition treten, ehe ich mich an Bord -eines solchen Schiffes verdingte.« - -»Ach Unsinn, Mate,« lachte aber ein Anderer, »wenn das bischen Arbeit nicht -wäre, machte Einen ja die Langeweile auf der langen Reise todt.« - -»Na, wenn ihn weiter nichts todt macht, als die Langeweile,« nickte der -Segelmacher vor sich hin, »so kann er zufrieden sein -- mit Deckwaschen, -Garnspinnen, Theerstreichen, Kettenklopfen, Thran einschneiden und -auskochen und wie die angenehmen Beschäftigungen alle heißen, wird ihn die -nicht viel plagen. Aber meinetwegen Kinder,« sagte er, von seinem Stuhl -aufstehend und sein Glas zurückschiebend, »wer nicht hören will, -muß fühlen, und wenn er's denn nicht anders haben mag, wird ihm eine -dreijährige Lehrzeit auf einem solchen blutigen Kasten auch gerade Nichts -schaden -- viel Glück Mate und einen guten Fang --« und damit stieg er -langsam zur Thüre hinaus. - -Zacharias war wirklich ein wenig stutzig geworden, aber das Lachen und -Erzählen der Anderen trieb bald jeden solchen Gedanken aus seinem Hirn. -_Das_ war eine Landratte, die überhaupt nicht mehr auf's Wasser hinaus -mochte, und von dem lustigen Leben draußen wenig wußte. Nur _ein_ Bedenken -kam ihm noch -- er konnte nicht schwimmen, und wenn er nun einmal aus -dem Schiff herausfiel! Er theilte es dem neben ihm Sitzenden, der sich -überhaupt am Meisten seiner angenommen hatte, mit, der aber lachte gerade -hinaus: »Schwimmen?« rief er, »glaubst Du, Kamerad, daß Einer von uns -Allen, die wir zur See gehen, schwimmen kann? fällt uns gar nicht ein. Daß -wir uns etwa lange quälen müßten, wenn die Geschichte einmal schief geht, -nicht wahr? -- denken gar nicht daran. Fällt Einer über Bord, dann geht der -Steuermann in seine Cajüte und schreibt's in's Logbuch, und damit ist's -zu Ende -- lustig gelebt und fröhlich gestorben, das hat dem Teufel die -Rechnung verdorben,« und jubelnd stießen die wilden Burschen wieder mit -ihren Gläsern an, und immer neuen Stoff mußte der Wirth herbeischaffen. - -Endlich fingen sie an zu singen -- ganz schrecklich lange Balladen, die mit -ihren zahllosen Versen gar kein Ende nehmen wollten, und Zacharias -wurde schläfrig und wäre richtig eingenickt, wenn sich nicht eines der -Schenkmädchen, die bis dahin mit den Matrosen gelacht und getrunken, zu ihm -gesetzt und mit ihm geplaudert hätte. Die erzählte ihm jetzt aber auch, daß -der eine Wallfischfänger, der im Hafen läge -- und es war in der That nicht -der einzige -- nur auf Tageslicht und Ebbe warte, um die Elbe hinunter und -hinaus in See zu fahren, und wenn er die Zeit verpasse, könne er nicht mit -und müsse hier bleiben. - -Das machte ihn geschwind wieder munter, denn die Gelegenheit durfte er -nicht ungenutzt vorüber lassen; sie bot sich vielleicht so bald nicht -wieder. Das Mädchen wollte ihm noch einmal zu trinken geben, aber er -fühlte, daß er genug hatte, denn da draußen dämmerte schon wieder der Tag --- so lange geschwärmt zu haben erinnerte er sich gar nicht, verlangte -aber jetzt noch eine Tasse Kaffee, nahm sich dann ein reines Hemd aus dem -Tornister, um anständig vor dem Kapitän zu erscheinen, und ging, als es -vollständig hell geworden war, mit einem der Matrosen, der ihn begleitete, -zu dem bezeichneten Schiff. - - - - -Zweites Kapitel. - -Zacharias Hasenmeier hält es nicht an Bord aus. - - -Hatte er aber früher Angst gehabt, daß es ihm hier wie auf den anderen -Fahrzeugen gehen und der Kapitän ihn abweisen würde, so fand er sich -angenehm getäuscht, denn der brauchte allerdings Leute, und wenn er -zuerst auch genau so ein Gesicht schnitt, wie die Uebrigen, als er den -Handwerksburschen mit seinem Tornister und Knotenstock sah, so schien er es -doch wenigstens für möglich zu halten, einen Matrosen aus ihm zu machen. -Er sagte, er wolle es jedenfalls versuchen. Zacharias wurde sein Platz -angewiesen, wo er schlafen konnte, und mit dem Bewußtsein, jetzt endlich -sein Ziel erreicht zu haben, und einem neuen Leben entgegen zu gehen, hing -er dort seinen Rock an einen Nagel, hakte den Tornister darüber und -- war -eingezogen. - -Aber es schien auch die höchste Zeit für ihn gewesen zu sein, an Bord -zu kommen, denn in demselben Augenblick schon fast wurden die Segel -ausgespannt, und das Schiff fuhr den Strom hinunter und in die See hinaus. --- Wie das aber tanzte und schwankte und der arme Hutmachergesell, der -schon so viel von der Seekrankheit gehört, sich aber noch nie eine richtige -Idee davon gemacht hatte, sollte jetzt erfahren, wie das thue. - -Die ganze Welt schien sich mit ihm zu drehen; Alles wirbelte im Kreis herum --- er wußte nicht mehr was oben oder unten war, ob er auf dem Kopf oder auf -den Füßen stand. -- Er warf sich auf Deck nieder und breitete die Arme und -Beine aus, um nicht noch tiefer zu fallen, kurz, er befand sich in einem -Zustand, der sich wohl bedauern, aber nie im Leben beschreiben läßt. - -Wie lange er so gelegen, wußte er gar nicht, und nur das einzige Bewußtsein -war ihm dabei geblieben: der Wunsch zu sterben, um dieser Höllenpein, -diesem qualvollen und unerträglichen Zustand ein Ende zu machen. -- -- -Aber auch das ging zuletzt vorüber, das Schiff lag ruhiger, oder er fühlte -vielleicht auch die Bewegung nicht mehr so stark, und als er eigentlich -erst wieder ordentlich zu sich kam, befanden sie sich schon so weit draußen -in See, daß er, wohin er auch blickte, kein Land mehr erkennen konnte. Er -hatte seine Reise angetreten und ein Rückschritt war nicht mehr möglich. - -Aber ob er sich eine Seefahrt anders gedacht haben mochte; er fühlte -sich keineswegs behaglich und sehnte sich fortwährend danach, das ewig -schwankende Schiff nur erst einmal wieder unter den Füßen los zu werden, -und festen, sicheren Boden zu betreten. Reisen -- war _das_ Reisen, wo man -in einemfort, wie ein Sack, hin- und hergeworfen wurde, und den einen Fuß -nie vom Boden heben konnte, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, auf die -Nase zu fallen? Da marschirte sich's anders in seinen festen soliden -Pappelalleen und er bekam wieder das alte Heimweh nach seinem früheren -Leben. - -Und wenn sie ihn jetzt noch wenigstens zufrieden gelassen hätten, daß er -sich ordentlich ausruhen und das häßliche schwindliche Gefühl überwinden -konnte -- aber Gott bewahre; kaum machte er die Augen wieder auf, so -kam auch schon der Steuermann und stellte ihn an die Arbeit, und keine -Entschuldigung half, daß er noch hundeelend sei. - -Jetzt erfuhr er, daß der alte Segelmacher Recht gehabt, der ihm ganz genau -prophezeiht hatte, was ihn hier erwartete. Wo er schon außerdem schwindlich -war, mußte er noch eine große Schiemannsgarn-Winde oder gar einen schweren -Schleifstein drehen, daß ihm der Kopf immer mit dabei herum ging -- und -dazu sollte er fetten Speck essen und harten Schiffszwieback kauen -- so -ein Leben -- der Böse hätt's holen können, wenn es ihm recht gewesen wäre, -aber es war ihm nicht recht. - -_Arbeiten_ -- nun ja, er hatte in seinem Leben schon oft gearbeitet, und -einen Hut zu walken und zu bügeln thaten ihm vielleicht Wenige gleich, -aber was half ihm das _hier_? Statt des Bügeleisens bekam er einen alten -schmutzigen Sandstein in die Hände und mußte damit das Verdeck abschleifen, -und wenn das Deck nur wenigstens ruhig gelegen hätte, aber Gott bewahre; -auf und nieder gings und im Kreis herum mit ihm und dann kam auch noch der -Steuermann und hieb ihm mit einem Ende Tau eins hinten über, wenn er nicht -rasch genug kratzte, daß er die dicken Striemen fühlen konnte. - -O wie sehnsüchtig sah er jetzt über Bord, ob er nicht irgendwo Land -erkennen und aussteigen könne, denn _die_ Vergnügungstour hatte er schon -bis oben hin satt; aber nichts war zu entdecken als Himmel und Wasser und -immer weiter fuhren sie dabei in den großen Ocean hinein. - -Wenn er dabei auch geglaubt hatte, er würde sich mit der Zeit an die -Seereise gewöhnen, so fand er doch bald, daß er sich da schmählich geirrt. -Je länger er fuhr, je schlechter wurde es ihm zu Muthe, der Kopf brannte -ihm, als ob Feuer drinnen wäre, sein Magen revoltirte gänzlich gegen den -ekelhaften Speck und er hielt sich um so mehr für schlecht und nichtswürdig -behandelt, als es ausdrücklich in seinem Paß stand, daß alle Civil- -und Militärbehörden unterwegs ersucht wurden, ihn frei und ungehindert -passiren, auch ihm nöthigenfalls Schutz angedeihen zu lassen -- und hier -sollte er sich behandeln lassen wie einen Hund? - -Er ging jetzt direkt zum Kapitän und verlangte wieder an Land gesetzt zu -werden, aber der sagte weiter nichts als: »geh zum Teufel!« und drehte ihm -den Rücken, und die Matrosen verhöhnten ihn und lachten ihn aus. - -Und jetzt begann der Sturm wieder zu toben; die Segel mußten eingenommen -werden, und das Schiff fing an zu tanzen, daß Zacharias manchmal meinte, es -müsse sich überschlagen, so hoch hob es sich vorn in die Höhe und fuhr dann -wieder in die Tiefe hinab, bis ihm ordentlich der Athem ausging und er Luft -schnappen mußte. - -Er wollte sich jetzt in sein Bett legen, denn auf den Füßen konnte er sich -doch nicht mehr halten, aber was half es ihm? Kaum war er hineingekrochen -und machte die Augen zu, so schlenkerte das Schiff nach der andern Seite -hinüber, und warf ihn wie ein Bündel alte Kleider an die andere Wand, daß -ihn alle Rippen im Leibe schmerzten. Wieder kletterte er hinein, hatte sich -aber noch nicht einmal ordentlich fest gelegt, als er noch unsanfter als -vorher hinaus geschleudert wurde, und jetzt bekam er's satt. - -»Nein,« schrie er, »so ein Hundeleben soll ja der Teufel holen -- ich thu' -nicht mehr mit,« und zugleich fuhr er in seine Kleider, zog sich fertig an -und nahm dann auch seinen Tornister vom Nagel, um ihn zu packen. - -Die alten Matrosen, die ganz gemüthlich in ihrer Hängematte schaukelten, -lachten, und frugen ihn, ob er an Land wolle und auch tüchtig lange -Wasserstiefeln habe -- aber er antwortete ihnen gar nicht, schnallte seinen -Tornister, mit den noch unbenutzten hellglänzenden Stiefelsohlen oben, -fest, knöpfte sich seinen Rock bis oben hin zu, setzte seinen Hut auf und -zog ihn sich vorn tief in die Stirn, holte seinen Knotenstock vor und -hing ihn sich mit dem Lederriemen an's rechte Handgelenk, sagte »adjes -miteinander« und stieg an Deck. - -Gegen Alles, was ihn nach Außen umgab, schien er völlig blind geworden, -nur an sich selber dachte er und die ihm hier gewordene nichtswürdige -Behandlung, und so schritt er denn auch fest und entschlossen auf den -Kapitän zu, der in seinen wasserdichten Kleidern auf dem Quarterdeck auf- -und abging, und die Augen auf das kleine Segel gerichtet hielt, das sie in -dem Wetter noch führen konnten. - -»Herr Kapitän, ich wollte Ihnen man blos Adjes sagen,« bemerkte hier -Zacharias, indem er seinen Hut abnahm und eine Verbeugung machte. - -»Junge,« rief der Kapitän, »wie siehst Du denn aus? Bist Du verrückt -geworden?« - -»Bitte,« sagte Zacharias, »wollte nur fragen, ob Sie sonst noch etwas zu -bestellen hätten.« - -»Aber wo willst Du denn hin? -- gehst Du etwa so schlafen?« lachte der -Seemann. - -»Auf die Wanderschaft will ich,« erwiederte aber Zacharias Hasenmeier, -indem er seinen Hut jetzt wieder keck auf ein Ohr stülpte, »also Adjes -Kapitain, leben Sie recht wohl, denn _die_ Wirthschaft hier hätt' ich -satt,« und damit drehte er sich um, der See zu, wo gerade eine riesige Woge -heraufgestiegen kam, daß sie mit dem hohen Hinterdeck vollkommen gleich -lief. Dort trat er auch ganz ruhig, als ob er ein festes Stück Grund und -Boden unter sich gehabt, auf das Wasser hinaus, und sank natürlich in -demselben Augenblick, wo er die Welle nur berührte, mit ihr in die Tiefe. - -Er wollte jetzt schreien, aber das ging nicht mehr -- oben hörte er nur -noch den wildverstörten Ruf: Mann über Bord, und wußte jetzt, daß der -Steuermann nun in seine Coje gehen und in sein Tagebuch schreiben werde: -Mittwoch den 13. August Nachmittags halb vier -- soviel Grad Länge, soviel -Grad Breite, Mann über Bord gegangen -- Zacharias Hasenmeier -- das war -seine Grabschrift und damit fuhr er ab -- tiefer und immer tiefer. - - - - -Drittes Capitel. - -Wie Hasenmeier den ersten Seegreis trifft. - - -Eigentlich war er selber sehr überrascht worden, als er hinaus aus dem -Schiff trat, dort erst merkte, daß er auf gar nichts mehr stand und zu -gleicher Zeit fühlte, wie ihm das Wasser nicht allein in die Stiefeln, -nein auch schon in die Halsbinde lief, und gleich darauf über seinem Kopf -zusammenschlug. - -»Du meine Güte,« dachte er, »das ist doch hier eine verzweifelte -Einrichtung mit den Chausseen, und wenn ich nach Hause komme« -- weiter -dachte er aber nichts, denn so rasch schoß er in die Tiefe, daß ihm -Luft und Gedanken ausgingen, während er umsonst versuchte, sich irgendwo -festzuhalten. Nicht einmal der bekannte Strohhalm war bei der Hand, -nach welchem sonst ein Ertrinkender gewöhnlich greifen soll, und er kam -eigentlich erst wieder zur Besinnung, als er sich gar nicht mehr besinnen -konnte, wo er sei und was mit ihm vorging. - -Da er aber keinen festliegenden Gegenstand mehr um sich her erkennen -konnte, fühlte er auch nicht mehr, daß er sank, und die ganze Welt kam ihm -nur in dem Augenblick wie eine riesige, grüne Glasflasche vor, in welcher -er eingestöpselt herumschwamm. -- Er wollte dabei Athem holen, aber das -ging nicht, denn sobald er den Mund aufmachte, lief ihm das Salzwasser -hinein, und trotzdem befand er sich wohl dabei, und es beschlich ihn eine -Empfindung, als ob er kaum so viel wiegen könne, wie ein Schneidergeselle -gleichen Alters. - -Wenn ihn aber während dieser Zeit nicht eine -- wie bisher irrthümlich -berichtete -- purpurfarbene, sondern weit eher Bouteillenglasfarbene -Finsterniß umgeben hatte, so bemerkte er jetzt zu seinem Erstaunen, daß -sich die Dämmerung augenscheinlich lichtete, Gegenstände umher wurden -sichtbar -- hie und da begegnete er einem riesigen Seeungeheuer, das sich -faul in seinem Element herumwälzte, und keine Ahnung von der Nähe eines -fremden Hutmachergesellen zu haben schien -- unangenehme Quallen und Blasen -trieben sich dort umher, und Fische sah er hier und dorthin schießen -- ob -_die_ aber _aufwärts_ fuhren, oder er _ab_wärts, war er nicht im Stand zu -sagen, denn seine ganze Aufmerksamkeit blieb in diesem Augenblick auf den, -unter ihm befindlichen Raum gerichtet, der mit jeder Secunde mehr aus der -dichten Finsterniß heraustrat, und mit einem ganz eigenthümlichen Licht -übergossen schien. - -So mußte es einem Menschen zu Muthe sein, der aus hoher Luft in einem -Ballon zur Erde niedersank, so daß unter ihm, je tiefer er kam, das weite -Land heller und klarer sichtbar wurde, bis sich endlich die einzelnen -Baumgruppen und Ortschaften und zuletzt Häuser und Menschen klar und genau -erkennen ließen. - -Dort lagen weiße, zackige Flächen, aus denen er nicht klug werden konnte, -denn sie sahen aus wie beschneit -- dort breiteten sich weite grüne Ebenen, -mit Thieren auf der Weide, dort standen Häuser, die in jenem wunderbaren -Licht funkelten und blitzten und in rasender Schnelle zu wachsen schienen. -Ehe Zacharias aber nur einen Ueberblick über das Ganze gewinnen konnte, -fuhr er plötzlich bis über die Kniee in weichen Sand hinein, blieb aber -nicht darin sitzen, sondern wurde wie von selber wieder herausgehoben. -- -Und was das für eine curiose Gegend war, in der er sich befand! - -»Jetzt -- wenn ich nicht auf Reisen wäre,« brummte er leise vor sich hin, -»sollt' ich meiner Seel' denken, _die_ Pappelallee führte nach Halle hinein --- aber puh, wo liegt Halle!« - -Er befand sich in der That in einer langen, schnurgeraden Allee, die -freilich aus den wunderbarsten Bäumen bestand. Sie sahen wohl so aus wie -Pappeln, hatten aber gar keine Blätter, sondern nur dünne elastische und -sich fortwährend bewegende Zweige. Gar nicht weit voraus aber lag ein -Haus -- er konnte das Dach im Lichte blitzen sehen und ohne sich lange -zu besinnen, marschirte er darauf zu. -- Aber sein Blick fiel dabei -unwillkürlich auf den Weg, in dem er auch nicht die Spur von einem -Wagengleis bemerkte -- mit den Extraposten sah es jedenfalls windig aus. - -Zu solchen Betrachtungen blieb ihm jedoch keine lange Zeit, denn viel -rascher als er gedacht, erreichte er das Haus. Und wie sonderbar leicht -sich das hier ging; den Tornister fühlte er fast nicht auf den Schultern, -die Füße nicht auf dem Boden, und der schwere Knotenstock hob sich bei -jedem Schritt immer ganz von selber wieder. - -Und da lag das Haus: es war aus rauhen Korallenblöcken aufgeführt, aber mit -den herrlichsten Perlmutterschalen gedeckt, und hatte Thüren und Fenster, -wie die Häuser an der Oberwelt -- die Fenster bestanden aber nicht aus -Glas, sondern aus Hausenblase und der Thürgriff war aus Bernstein, wie der -Thürklingelgriff aus einem Zahn des Spermacetiwals gemacht. - -Aber nur einen Blick warf er auf diese äußeren Baulichkeiten, denn zu -seinem Erstaunen bemerkte er jetzt, daß vor dem Haus, auf einer dort -angebrachten Austerbank, ganz gemüthlich ein menschenähnliches Individuum -saß, das ihn, anscheinend eben so überrascht, betrachtete. - -Es war eine kleine dicke Gestalt mit einer runden Schuppenmütze auf, aber -sonst wohl ganz kahlem Kopf und einem Gesicht, das weit eher einem Karpfen, -als einem menschlichen Wesen glich. Uebrigens hatte es Arme und Beine, nur -daß der untere Theil derselben an den Seiten Flossen zeigte, auch trug es -eine Art Schlafrock aus irgend einer Seegrasart geflochten, der um den Leib -mit einem Korallengürtel festgebunden war. - -»Gu'n Morgen,« sagte der Fischschwänzige ruhig, und Zacharias erschrak -ordentlich über die deutsche Anrede, aber alte Gewohnheit ließ vor der -Hand kein anderes Gefühl in ihm aufkommen, und seinen Hut schnell -herunterreißend, erwiederte er höflich: - -»Armer reisender Handwerksbursch; seit drei Tagen keinen warmen Löffel im -Leibe gehabt.« - -»Jemine Junge,« lachte da der kleine Dicke vergnügt, ohne aber in -die Tasche zu greifen, »das ist eine lange Zeit, seit ich keinen -Handwerksburschen hier gesehen habe. Wo kommst Du denn her? Bist Du erst -kürzlich ersoffen?« - -»Bitte,« sagte Zacharias, »so viel ich mich erinnere, noch gar nicht -- -ich habe meinen ordentlichen Paß bei mir, und wollte nur einmal sehen wie's -hier unten ausschaut -- sehr hübsche Gegend.« - -»So?« sagte der Kleine, aber dabei ungläubig mit dem Kopf schüttelnd, -»also Du bist _nicht_ ersoffen -- das ist doch eigentlich merkwürdig. Woher -kannst denn Du das Wasser vertragen?« - -»Entschuldigen Sie,« sagte Zacharias, der die Möglichkeit eines Geschenkes -noch nicht aufgab, und deshalb seine Höflichkeit bewahrte, »ich bin -wasserdichter Hutmachergesell und da --« - -»Ja so, das ist was Anderes,« nickte der Kleine, »aber Du bist noch nicht -lang hier, wie? -- gefällt's Dir hier bei uns?« - -»Muß schon sagen, daß mir's gefällt,« meinte der Hutmacher, »nur ein -Bischen feucht kommt mir die Gegend vor.« - -»Aber man gewöhnt's,« meinte der Kleine wieder, »ich wohne nun jetzt schon -etwas über zweitausend Jahr hier und befinde mich ganz wohl --« - -»Donnerwetter, das ist eine schöne Zeit,« rief Zacharias, »und darf man -fragen, was Sie eigentlich für ein Geschäft hier treiben, und wo Sie so gut -deutsch gelernt haben?« - -»Geschäft,« sagte der Kleine, »gar keins, ich bin Seegreis und beziehe -meine jährliche Pension, und Deutsch hab ich von meinen neuen Nachbarn -gelernt, die gar nicht weit von hier wohnen.« - -»Deutsche?« rief Zacharias erstaunt aus. - -»Ja wohl,« nickte Jener, »vor etwa fünfzig Jahren versank grad' über uns -ein großes Schiff mit lauter Deutschen, die nach Amerika hinüber wollten, -und die kamen denn grad herunter und siedelten sich da an. Wollen wir -einmal hinüber gehen?« - -Zacharias hätte gar nichts Erwünschteres angeboten werden können, denn der -kleine komische Kauz hatte ihm noch nicht einmal einen Schluck Branntwein -angeboten und er wußte, daß er bei Landsleuten jedenfalls besser behandelt -würde. Der Kleine stand aber indessen auf, schwamm in's Haus hinein, kam -aber gleich darauf wieder heraus und hatte, zu Zacharias' unbegrenztem -Erstaunen einen _Regenschirm_ unter der einen Flosse, den er dann -aufspannte und sagte: - -»So, nun kann's losgehen.« - -»Aber entschuldigen Sie,« meinte der Hutmacher, »brauchen Sie denn hier im -Wasser einen Regenschirm?« - -»_Regenschirm?_« sagte sein Begleiter, »einen _Schirm_ gewiß. Es fahren -hier jetzt in letzter Zeit so eine Menge Schiffe drüber weg und die Leute -darauf kehren sich den Henker darum, was sie über Bord werfen, so daß man -nie sicher ist einmal unterwegs einen zerbrochenen Teller, oder sonstige -Porzellan- und Glasscherben, alte Nägel und Gott weiß was, auf den Kopf zu -bekommen. Ich gehe deshalb nie ohne Schirm aus.« Und damit schwamm er ganz -behaglich die Allee entlang. - -»Was sind denn das nur für komische Bäume,« sagte Zacharias, der -nebenherkeuchte und kaum mitkommen konnte, »solche hab ich doch mein Lebtag -noch nicht gesehen.« - -»Bäume?« sagte der Seegreis, »da drüben stehen Bäume -- Korallenbäume -- -andere haben wir hier unten nicht. Das hier sind Polypen, die in Reihen -gepflanzt werden, weil's hübscher aussieht.« - -»Polypen -- 's ist die Möglichkeit,« rief Zacharias erstaunt aus, »wenn ich -wieder nach Hause komme, glauben sie mir's gar nicht.« - -»Nach Hause kommen,« sagte der Seegreis mit dem Kopf schüttelnd, »ich lebe -nun hier unten über zweitausend Jahr, kann mich aber nicht besinnen, daß -jemals irgend wer, der uns hier besuchte, wieder nach Hause gekommen wäre.« - -»Das ist bei uns gerade so,« rief Hasenmeier, »die ältesten Leute in einem -Orte wissen sich nie auf etwas zu besinnen -- aber entschuldigen Sie, -verehrter Seegreis, was ist denn das da drüben -- das sind ja komische -Thiere.« - -Rechts, wohin er zeigte, dehnte sich eine weite grüne Seegraswiese aus und -Hasenmeier bemerkte jetzt zu seinem Erstaunen, daß dort ein paar Hundert -große Schildkröten auf der Weide herumgingen, während der Hirt, oder die -Hirtin vielmehr, ein junges allerliebstes Seenixchen, wie er sie schon oft -hatte abgemalt gesehen, mit einem Seehund neben sich, sie überwachte. - -»Das ist ja ein allerliebstes Mädel,« fuhr der galante Hutmachergesell -fort, der sie schmunzelnd betrachtete, denn sie gefiel ihm ausnehmend, -»können wir nicht einmal dort vorüber gehen.« - -»Warum nicht?« erwiederte der Seegreis gefällig, »wenn wir nachher schräg -durch den Korallenwald halten, schneiden wir sogar ein tüchtiges Stück -Weges ab, denn die Colonie liegt gerade dort hinüber,« und ohne Weiteres -bog er rechts durch die Grasebene ein und hielt auf die kleine Nixe zu, die -neugierig aufschaute, als sie den komischen, wunderlichen Fremden bemerkte. - -Es läßt sich nicht leugnen, sie war eigentlich unanständig einfach -gekleidet, und trug nichts als ihre langen grünen mit Meerrosen -durchflochtenen Haare, aber die klugen großen Augen funkelten wie ein paar -Sterne, und der Arm, den sie ihnen entgegenstreckte, war weiß und zart wie -Elfenbein. Zacharias Hasenmeier fühlte auch, daß er hier die Gesetze der -Höflichkeit nicht außer Acht lassen dürfe. Er nahm also den Hut ab, und das -ihm schon aus alter Gewohnheit und mit der Bewegung zusammenhängende und -auf den Lippen schwebende »Armer reisender Handwerksbursch« gewaltsam -hinunter schluckend, sagte er mit größter Artigkeit: - -»Mein schönes Fräulein, äußerst angenehm ihre werthe Bekanntschaft zu -machen.« - -Die kleine Nixe sah ihn lächelnd an, was ihm Muth zu einer größeren -Freiheit machte: er hob also den Arm und wollte ihr mit dem Finger unter -das Kinn greifen, zog aber die Hand blitzschnell zurück, denn das kleine -Hirtennixchen, dessen Augen plötzlich einen grünen Schein annahmen, -schnappte danach mit den Zähnen und der Seehund knurrte und fuhr ihm auch -zu gleicher Zeit nach den Beinen. - -»Donnerwetter,« rief Hasenmeier zurückspringend, und hatte eben noch Zeit, -seinen Stock vorzuhalten, um wenigstens von dem Hund frei zu kommen. - -»Ja, die beißt,« lachte der Seegreis, »Du darfst ihr nicht zu nahe kommen.« - -»Das ist aber doch hier ganz anders als bei uns,« sagte Hasenmeier -bestürzt, »bei uns beißen die Mädels nicht.« - -»Ländlich, sittlich,« bemerkte der Seegreis, »aber laß uns weiter gehen, -siehst Du, dort fängt schon der Wald an.« - -Zacharias war nicht böse darüber, denn die kleine Nixe hatte auf einmal -alle Reize für ihn verloren, und er warf nur noch einen Blick auf die -wunderliche Heerde von Schildkröten, die auf ihren platten Bäuchen im -Seegras herumkrochen und unter Obhut der kleinen bissigen Hexe standen. -Vergebens sah er sich aber nach einem Wald um, denn das, worauf sie jetzt -zuschritten, glich weit eher einer überzuckerten Hecke, als was er sich bis -jetzt unter einem Wald gedacht. Als er aber hinein kam, sah er doch, daß es -große stämmige Korallenbäume waren, die ihre zackigen laublosen Aeste nach -allen Seiten hinausstreckten, so daß man kaum seine Bahn hindurch finden -konnte. - -Da blieb der Alte plötzlich unter einem der Bäume halten und zankte hinauf -und als Zacharias erstaunt dorthin sah, bemerkte er oben in den Zweigen ein -paar kleine Jungen, die sehr verdutzt zu sein schienen und sich hinter den -Aesten zu verstecken suchten. - -»Nichtsnutziges Gesindel,« schimpfte aber der Seegreis, »Ihr glaubt wohl, -ich seh Euch nicht? Wollt Ihr machen, daß Ihr herunter kommt, und wenn ich -Euch noch einmal dabei erwische, häng ich Euch bei den Flossen auf und -laß Euch eine Woche zappeln,« -- und rechts und links glitten die scheuen -Bengel jetzt, wie blitzende Fische, durch die Wipfel hinaus, in deren -Gewirr sie bald verschwanden. - -»Aber was haben denn die da oben gemacht?« sagte Zacharias erstaunt. - -»Was sie gemacht haben?« rief der Alte, »die Nester der fliegenden Fische -nehmen sie aus und saufen die Eier aus -- aber wartet, ich passe Euch auf -den Dienst, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Jetzt sind wir übrigens gleich -durch den Wald, -- siehst Du, dort drüben stehen schon die Häuser Deiner -Landsleute, und denen wollen wir nun einmal einen Besuch abstatten. -- Die -werden sich freuen, wenn sie Einen aus ihrem Lande zu sehen bekommen.« - -Der kleine Korallenwald wurde hier schon lichter und bald betraten sie -wieder eine offene Ebene, in der auf einem flachen Hügel, ganz nahe bei dem -Wald, die Ansiedelung der damals gescheiterten deutschen Auswanderer lag. -Daß sie aber zu Deutschen kamen sah Zacharias augenblicklich, denn die Wege -waren hier nicht allein vortrefflich in Ordnung gehalten, sondern er kam -auch bald darauf zu einem weiß und grün angestrichenen Wegweiser, dessen -Arm gerade nach dem Dorf hinüberdeutete, und auf dem die Worte standen: - - »Nach Seeburg, eine halbe Pfeife Tabak« - -was die Entfernung andeutete, in welcher sie sich von dem Ort noch -befanden. Hasenmeier mußte freilich die Beine tüchtig unter den Arm nehmen, -um mit dem Seegreis Schritt zu halten, der trotz seiner zweitausend Jahre -noch vortrefflich auf den Füßen schien, sie rückten dadurch aber auch rasch -näher, und nach kaum einer halben Stunde, nachdem sie den Wald verlassen, -erreichten sie die äußeren Einfriedigungen des Dorfes, das mit seinen -reinlichen Straßen vor ihnen lag. - -Allerdings hatten sie unterwegs noch ein paar Heerden von Seekühen mit -ihren Kälbern und auch Schildkröten getroffen, die ebenfalls von kleinen -allerliebsten Nixen gehütet wurden; der Hutmachergesell schien aber jede -Lust verloren zu haben mit ihnen anzubinden, und es drängte ihn jetzt -selber, wieder in »gesittete Gesellschaft« zu kommen. - - - - -Viertes Kapitel. - -Der Kampf mit der Seeschlange. - - -Was unseren Handwerksburschen wunderte, war, daß er noch gar keinen -Menschen auf der Straße sehen konnte, und er wollte sich eben deßhalb gegen -seinen Begleiter aussprechen, als hinter einer Korallenhecke, die hier -zum Einfassen der Gärten benutzt zu werden schien, plötzlich ein Gendarm -hervortrat, und den Handwerksburschen mit barscher Stimme nach seinem -Wanderbuch frug. - -»Herr, du meine Güte,« rief Hasenmeier überrascht aus, »haben sie denn hier -unten auch Gendarmen?« - -»Hast Du schon ein deutsches Dorf gesehen, mein Bursche,« rief aber der -Mann des Gesetzes trotzig, »wo _keine_ gewesen wären?« -- und in der That -konnten sich weder der zweitausendjährige Seegreis noch der Hutmachergesell -auf eins in der Geschwindigkeit besinnen -- »also mach' rasch, denn ich -habe keine lange Zeit.« - -»Das ist merkwürdig,« murmelte der Handwerksbursch erstaunt vor sich hin; -aber nicht gewohnt einer solchen Persönlichkeit gegenüber irgend eine -Widersetzlichkeit zu zeigen, warf er seinen Tornister ab, schnallte ihn auf -und suchte das Buch. - -»Ei du mein Herrgottchen,« rief er dabei, »Alles klatsche naß -- wenn hier -nur ein Platz wäre, wo man sein Zeug ein Bischen trocknen könnte.« - -»Trocknen?« sagte der Seegreis erstaunt, während der Gendarm es unter -seiner Würde hielt, mit dem reisenden Handwerksburschen ein Gespräch -anzuknüpfen, ehe sich dieser nicht vollständig legitimirt hatte -- »was ist -denn das?« - -»Was trocknen ist?« rief Zacharias, »das nehmen Sie mir aber nicht übel --« - -»Na wird's bald!« rief der Gendarm. - -»Entschuldigen Sie gütigst,« meinte der Handwerksbursch, »hat ihm schon --- hier verehrter Herr Gerichtsbehörde ist mein Paß -- Alles in Ordnung -- -Civil- und Militärbehörden werden ersucht, mich gefälligst --« - -»Schon gut,« unterbrach ihn der Mann des Gesetzes, indem er das Papier -wieder zusammenfaltete und seinem Eigenthümer zurückgab, »können sich hier -aufhalten, müssen den Paß aber beim Bürgermeister vorher visiren lassen.« - -»Beim Herrn Bürgermeister, haben Sie denn hier auch einen Bürgermeister?« - -»Ist das wieder eine dumme Frage,« brummte der Gendarm, »wo sechs Deutsche -zusammen wohnen, brauchen sie doch auch eine Obrigkeit; wofür sollte man -denn sonst nur Steuern erheben? -- Alles hier wie oben -- Alles genau so!« - -»O du lieber Himmel,« seufzte Hasenmeier, aber ganz im Stillen, denn was -er _jetzt_ dachte, durfte er nicht laut werden lassen, »und deshalb die -schreckliche Seereise gemacht.« - -»Hutmachergesell?« frug der Gendarm lakonisch. - -»Wasserdichter,« bestätigte Hasenmeier ebenso. - -»Gut -- können einmal meinen alten Filz wieder aufbügeln -- ist ein wenig -lappig geworden hier unten.« - -Zacharias warf einen prüfenden Blick auf den besagten Toilette-Gegenstand -und bemerkte allerdings, daß die Krempen des alten dreieckigen Filzhutes, -der einmal mit silbernen Borden besetzt gewesen, eine sehr trübselige Form -angenommen hatten. - -»Wird mir eine Ehre sein,« erwiederte er höflich, »aber wo finde ich den -Herrn Bürgermeister?« - -»Ist gerade auf der Jagd,« sagte der Gendarm, »können so lange in's -Wirthshaus gehen -- zum goldenen Haifisch.« - -»Wirthshaus?« rief Hasenmeier rasch, »alle Wetter, ist hier auch ein -Wirthshaus im Ort?« - -»Na, wenn ein Bürgermeister da ist, wird doch auch ein Wirthshaus da -sein,« sagte der Gendarm, »gleich dort neben der Kirche -- dem Haus mit dem -kleinen Thurm.« - -Hasenmeier schulterte vergnügt seinen Ranzen wieder und faßte seinen -Knotenstock fester, denn jetzt fing ihn sein Leben an zu freuen. Das Eine -nur genirte ihn, daß der Seegreis fortwährend um ihn herum schwamm, und ihn -dabei immer über die Achsel ansah. Was sollte denn das eigentlich heißen? -ob er sich vielleicht über ihn lustig machte, weil er sich hatte von dem -Gendarmen so anfahren lassen? Bah, was verstand so ein Seegreis davon; wie -Gendarmen behandelt sein wollten, das wußte _er_ besser, und sich an den -Alten gar nicht mehr kehrend, wanderte er vergnügt der bezeichneten Stelle -zu. - -Rechts und links standen Häuser, alle aus Korallenblöcken aufgebaut, und -mit breiten Muscheln, wie mit Schindeln gedeckt. Auch Trottoirs hatte -das Dorf, gar künstlich von Austernschalen gelegt, und an einer großen -Oekonomie kam er ebenfalls vorüber, wo in einem mächtig breiten Stall eine -Menge Seekühe mit ihren Kälbern standen, aber keinen einzigen Menschen -konnte er entdecken -- nirgends die Spur von Leben oder Thätigkeit, und das -Ganze fing schon an ihm unheimlich vorzukommen. War das Dorf ausgestorben, -und der Gendarm ganz allein zurückgeblieben? - -Jetzt hatte er das Wirthshaus erreicht -- fehlen konnte er's nicht, denn -ein großes Schild mit einem goldenen Haifisch verrieth den Platz schon von -Weitem, und rasch schritt er darauf zu, blieb aber ganz erstaunt in der -Thür stehen, als er das ganze Gebäude, das etwa noch einmal so groß wie die -gegenüberliegende Kirche sein mochte, gedrängt voll fröhlicher zechender -Menschen sah. - -»Ja, alle Wetter!« rief er erstaunt aus, »da wundert's mich freilich nicht -mehr, daß ich Niemanden in den Häusern gesehen habe, wenn sie Alle im -Wirthshaus sitzen.« - -»Mach' die Thür zu!« rief ihn aber der Wirth an -- eine große -breitschultrige Gestalt mit Pockennarben, dessen Gesicht ihm merkwürdig -bekannt vorkam -- »Donnerwetter das ganze Wasser läuft ja herein.« - -Hasenmeier zog rasch die Thür hinter sich zu und den Hut vom Kopf. - -»Armer reisender Handwerksbursch,« sagte er dabei mit kläglicher Stimme, -»bittet allerseits um ein kleines Geschenk.« - -»Hurrah, ein Handwerksbursch!« lachten und schrien aber die Gäste -durcheinander, und ein Toben entstand jetzt, wie es auf der Oberfläche der -Erde nicht natürlicher hätte aufgeführt werden können. - -Hasenmeier sah auch hier zu seinem Erstaunen, wie reichlich mit Getränken -und Speisewaaren versehen die Bewohner dieser unterseeischen Station sein -mußten, denn rings an den Wänden waren Massen von Fässern, mit allen nur -denkbaren köstlichen Weinen und Spirituosen aufgeschichtet, während neben -an, ein anderes weites Lokal die Speisekammer zu sein schien. Lange Zeit -ließen ihm aber die Insassen nicht zum Umschauen, denn von allen Seiten -wurden ihm Krüge und Gläser entgegengehalten, und Hasenmeier wußte gar -nicht, wo er zuerst zulangen sollte. - -»Wo habt Ihr nur alle die guten Sachen her?« rief er dabei, »Ihr lebt ja -hier wahrhaftig, wie der liebe Gott in Frankreich.« - -»Woher?« lachte der Wirth, »glaubst Du denn mein Bursch, daß alle die -guten Sachen verloren gehen, die uns die Schiffe herunter schütteln -- -Ladungsweise bekommen wir sie, daß wir manchmal gar nicht wissen wohin -damit -- aber jetzt trink aus, denn wir müssen fort.« - -»Fort? wohin?« frug der Handwerksbursch, der gar nicht daran dachte, sobald -wieder fortzugehen, »hier ist's doch hübsch genug.« - -»Ja es wird Zeit,« riefen aber auch die Anderen und holten jetzt aus Ecken -und Winkeln alle nur erdenkbare Arten von Mordwaffen, Lanzen, Spieße, -Flinten, Säbel, Pistolen und wer weiß was hervor. - -»Aber was ist denn nur los?« rief Hasenmeier, »wollt Ihr in den Krieg? -- -Donnerwetter, halten Sie mir die Flinte nicht so auf den Leib; das Ding -kann losgehen.« - -»Was los ist, Kamerad,« sagte der Wirth, »das sollst Du gleich wissen. Hier -ganz in der Nähe läßt sich nämlich seit einigen Monaten die _Seeschlange_ -blicken, und holt uns unsere Kühe und Kälber von der Weide, ja, hat neulich -sogar ein kleines Nixchen, das mit einer Muschel nach ihr warf, mit Haut -und Haaren aufgefressen.« - -»Und hat denn das der Gendarm gelitten?« frug Hasenmeier. - -»Ja, _die_ kehrt sich wohl an einen Gendarm,« lachte der Wirth, »nein, -wo wirklich etwas los ist, da müssen wir immer selber hinaus und uns Ruhe -schaffen, denn solche Bestien giebt's leider nur zu häufig in unserer -Gegend. Der Bürgermeister ist auch schon heut Morgen in aller Früh mit -seinen Hunden ausgegangen, um einmal abzuspüren und wenn wir dann wissen, -wo sie sich versteckt hält, wollen wir sie nachher schon kriegen.« - -»Na, dann will ich derweile ein Bischen hier bleiben und mich ausruhen,« -sagte Hasenmeier, dem Nichts ferner lag, als hier unten mit einer -Seeschlange anzubinden, da diese allen früher gelesenen Beschreibungen nach -ja ein ganz entsetzliches Beest sein sollte. - -»Möchtest Du wohl,« meinte der Wirth lachend, »ne mein Bursche, wenn Du -hier unten bei uns leben willst, gehörst Du auch mit zur Landwehr und mußt -ausrücken.« - -»Aber ich bin militärfrei,« rief Zacharias, »der Doctor hat mich untersucht -und erklärt, ich hielte die dreijährige Dienstzeit nicht aus -- und dann -bin ich auch auf dem linken Ohr taub.« - -»Papperlapapp!« riefen aber die Anderen, »das macht hier Alles Nichts -- -gebt ihm einmal eine Lanze oder sonst was und nun vorwärts, sonst schimpft -der Herr Bürgermeister.« - -Alle weiteren Gegenvorstellungen, daß er sich eine Blase unter den rechten -Fuß gelaufen, und den Rheumatismus im Knie hätte, halfen ihm in der That -Nichts. Sie schnallten ihm einen furchtbar großen Säbel um, der wohl einen -Fuß hinten nach schleifte und ihm, wenn er sich umdrehen wollte, zwischen -die Beine kam, und dann brach die ganze Gesellschaft auf, sammelte sich -draußen auf der Straße und marschirte nun in Reih und Glied, während ein -paar Jungen vorneweg auf Muscheln bließen, zum Dorf hinaus. - -Hasenmeier war bei der Sache nicht recht wohl. - -»Wenn ich _das_ gewußt hätte,« dachte er bei sich, »so wäre ich lieber -noch einen Tag an Bord geblieben,« aber es nützte ihm Nichts. Als -Vaterlandsvertheidiger mußte er mit in Reih und Glied marschiren, und dabei -auch noch vergnügt aussehen, wenn er nicht von seinen Nebenmännern verhöhnt -sein wollte. - -So zog der kleine Trupp, etwa vierzig Mann stark, durch die stillen Straßen -der Stadt, und Hasenmeier bemerkte wohl, daß hie und da verstohlen ein -Frauenkopf an die Fenster kam, um nach einem oder dem anderen der jungen -Lieutenants hinunter zu schielen; aber es blieb ihm auch nicht viel Zeit -zu solchen Betrachtungen, denn schon öffnete sich vor ihnen das weite Feld, -eine mit hohem Seegras bewachsene Wiese, in der ihnen jeden Augenblick die -gefürchtete Seeschlange unter den Füßen herausfahren konnte. - -Dort draußen bewegte sich jetzt eine menschliche Gestalt, die ihnen -zuzuwinken schien -- das mußte der Bürgermeister sein und die Muschelbläser -vorn wurden bedeutet, ruhig zu sein, denn man konnte ja nicht wissen, wie -nahe die Bestie versteckt lag. - -So rückten sie leise und geräuschlos vor, aber das Seegras war hier so -tief und verwachsen, daß Hasenmeier kaum darin fortkonnte und immer ärger -stöhnte und schwitzte. - -Der Herr Bürgermeister, der seine Flinte in der Hand hielt, suchte indessen -das nächste Feld ab und hielt plötzlich still und sah vorsichtig voraus. -Zacharias bemerkte jetzt, daß er ein paar große Seehunde bei sich hatte, -und der eine stand -- der Bürgermeister winkte, daß sie sich ruhig -verhalten sollten, und schritt leise vor. Der eine Seehund zog vortrefflich -an -- plötzlich fuhr ein Volk fliegender Fische aus dem Gras heraus und der -Bürgermeister machte eine famose Doublette nach rechts und links, während -die beiden Seehunde vorsprangen und jeder seinen Fisch apportirte. - -Hasenmeier, von dem ermüdenden Marsch durch das Seegras vollständig -erschöpft, war froh genug, einen, wenn auch nur kurzen Ruhepunkt zu -gewinnen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich dann auf -einen der nahebei befindlichen Korallenblöcke, die hier überall aus dem -Gras hervorschauten. Mit einem lauten Aufschrei sprang er aber auch schon -in demselben Moment wieder in die Höh', denn er hatte sich den Platz, auf -den er sich niederlassen wollte, vorher nicht genau angesehen, und sich -dabei mitten auf einen Meerigel gesetzt, der dort zusammengerollt lag. - -Die Anderen lachten, aber es war jetzt doch keine Zeit zur Kurzweil mehr, -denn der Bürgermeister kam heran und theilte den Leuten mit, daß er das -Versteck des Meerungeheuers aufgespürt habe. Es sollte zusammengeknäult -in einem kleinen Dickicht von Algen und Korallenbäumen liegen, die etwa -tausend Schritt von dort entfernt standen und deutlich von hier aus zu -erkennen waren. - -»Wer ist der Neue da,« sagte der Bürgermeister plötzlich und streng, als -sein Blick auf Hasenmeier fiel, »wo kommt er her?« - -»Bitte um Entschuldigung, Herr Bürgermeister, ich wollte nur --« stammelte -der Handwerksbursch. - -»Paß in Ordnung?« fragte der Beamte. - -»Alles -- wenn Sie erlauben --« - -»Nachher -- jetzt ist keine Zeit dazu,« wehrte aber der Bürgermeister -ab, der übrigens wie ein ganz gewöhnlicher Mensch aussah, nur daß er -Schwimmhäute zwischen den Fingern trug -- und Hasenmeier überzeugte sich -jetzt, daß dies bei allen Uebrigen ebenso der Fall war. Der Bürgermeister -aber fuhr fort: »Wir müssen das Dickicht umzingeln und dann zwei Mann -hineinschicken -- denn meine Hunde wollen nicht dran und ich mag sie auch -nicht riskiren. -- Zwei Mann, die das Beest aufstören und hinaus in's -Freie treiben -- und nun vorwärts marsch, damit wir nicht zu spät zum Essen -kommen.« - -Er hatte dabei sein Gewehr wieder auf eine ganz eigenthümlich rasche Art -geladen und fort ging's auf's Neue, gerade auf das furchtbare Dickicht -zu, dem Hasenmeier viel lieber, so weit er nur irgend gekonnt hätte, -ausgewichen wäre. Es lag ihm auch jetzt gar Nichts daran, daß sie so rasch -vorrückten, aber all diese verzweifelten Seemenschen schienen auf einmal -eine ganz entsetzliche Eile zu haben, und ehe eine Viertelstunde verging, -befanden sie sich dicht vor der Dickung, in welcher das Ungeheuer seinen -Mittagsschlaf halten sollte. - -Da winkte der Bürgermeister mit der Hand, denn die Seehunde drückten sich -scheu zwischen seine Füße -- ein sicheres Zeichen, daß die Bestie in der -Nähe sei. - -»Kameraden,« redete er die kleine Schaar an, »wir sind am Ziel. Da drinnen -liegt das Ungeheuer, das unsere Heerden und Hirten frißt, und nächstens -auch vielleicht einmal nach Seeburg hinein kommt, um Einen von uns zu -holen. Das müssen wir verhüten, denn ein solcher Satan respektirt nicht -einmal die Obrigkeit, also zieht Euch jetzt um das Dickicht herum und -thut Eure Pflicht, wenn der richtige Moment naht. -- Vorher aber zwei -Freiwillige vor, die kühn in das Dickicht hineinbrechen und den tückischen -Feind zum Weichen bringen -- dann läuft er uns nachher von selber in die -Hände. -- Also habt Ihr mich verstanden? -- _zwei Freiwillige_ vor!« - -Niemand rührte sich. - -»Na?« rief da Bürgermeister entrüstet, und fuhr Hasenmeier an, »Hast Du es -nicht gehört, Du Lump! Freiwillige vor! warum kommst Du nicht? soll ich Dir -etwa erst Beine machen?« - -»Aber bester Herr Bürgermeister,« rief Hasenmeier erschrocken, »als -wasserdichter Hutmachergeselle --« - -»Wirst Du Dein Maul halten und freiwillig vortreten oder nicht!« schnauzte -ihn da noch einmal der Schreckliche an und Hasenmeier sah eben keinen -anderen Ausweg als sich für das allgemeine Wohl zu opfern. Nur erst einmal -im Dickicht drin, wollte er aber schon Sorge tragen, daß er dem Seeungethüm -nicht zu nahe käme, denn es muthwillig aufzustören und böse zu machen, -daran dachte seine Seele nicht. -- Aber auch hierin sollte er sich -getäuscht sehen, da sich der Wirth selber als _zweiter_ Freiwilliger -meldete, und jetzt, dem Hutmacher auf die Schultern klopfend rief: - -»Und nun komm, Kamerad -- es ist Zeit. Donnerwetter, Du hast Dich doch -jetzt genug ausgeruht und die Seeschlange geht Dir sonst meiner Seel' -durch!« - -»Das wär' ein Unglück,« dachte Hasenmeier, aber was half's, vorwärts mußte -er, und sich den Hut verzweifelnd in die Stirn rückend, sagte er: - -»Na denn man zu, aber wenn das eine Behandlung ist für eine Civil- und -Militärbehörde, so will ich Schulze heißen« -- und mit den Worten sprang er -so rasch in das Dickicht hinein, daß ihm der Wirth kaum folgen konnte. -- -Am meisten störte ihn aber dabei der lange Schleppsäbel, der bald in den -Algen hängen blieb, bald zwischen seine Füße hineinkam, daß er darüber -hinstürzen mußte. Aber er achtete das Alles nicht -- vorwärts -- weiter -hatte er in diesem Augenblick gar keinen Gedanken, und ehe er nur recht -wußte, wie er dahin gekommen, stak er mitten im Dickicht drin und in einem -wahren Gewirr von Korallen und ekelhaften Seegewächsen. - -Da raschelte etwas vor ihm, deutlich konnte er sehen, wie sich die langen -grünen schleimigen Blätter bewegten, und in den Korallenästen krachte und -brach es, daß die bröcklichen Zweige herumstoben. Der Wirth, der dicht -hinter ihm war, faßte ihn jetzt an der Schulter und schrie ihm in's Ohr: - -»Auf! auf! Hutmacher. Zieh den Degen! sie kommt!« - -Hasenmeier wollte seinen Degen aus der Scheide reißen, aber es ging nicht --- die verwünschte Klinge war in dem Seewasser fest eingerostet. - -»Herr, du meine Güte!« schrie er, »das hat noch gefehlt.« - -Vor ihm hob sich ein furchtbares Ungethüm aus dem Gebüsch und sperrte -gierig den weiten, mit ganz entsetzlichen Zähnen bewehrten Rachen gegen ihn -auf -- heißer Dampf schoß daraus hervor, die kleinen grünen Augen blitzten -ihn mit funkelnder Wuth an, und schienen das ausersehene Opfer schon voraus -zu durchbohren. - -Nur den Säbel jetzt heraus, daß er sich gegen das Scheusal wehren konnte -- -mit der Linken hatte er die Scheide gefaßt, mit der Rechten riß er an dem -Griff, daß es ihm die Stirnader zu sprengen drohte -- der Säbel saß fest -- -noch einmal -- jetzt brach der Griff ab, als ob er von Glas gewesen wäre, -und mit einem jähen Sprung warf sich das Ungeheuer auf ihn und faßte ihn -mit den Zähnen. - -»Hülfe! Hülfe!« brüllte Hasenmeier und hörte nur noch wie der Wirth ganz -ruhig sagte: - -»Aber was schreist Du denn so, Hutmacher -- Donnerwetter, Mensch, Du -alarmirst mir ja das ganze Haus.« - -»Ja -- ja -- wo ist -- wo ist denn die Seeschlange?« rief Hasenmeier und -richtete sich erschreckt empor. - -»Die Seeschlange?« lachte der Wirth, »die soll wohl auf _Dich_ warten, die -ist mit der Ebbe ausgesegelt und schon aus Sicht.« - -»Die Seeschlange? -- aber Du meine Güte -- wo bin ich denn?« rief der arme -Teufel sich erschreckt die Augen reibend, »wo ist denn der Bürgermeister -und -- ich war doch? --« - -»Der Bürgermeister?« sagte der Wirth schmunzelnd, »von Civil- und -Militärbehörden hast Du genug gefaselt, aber jetzt wach' einmal ordentlich -auf -- es ist bald Mittag und das Mädchen will die Stube rein machen.« - -Hasenmeier saß in seinem Bett, aber im Kopf ging's ihm wie ein Mühlrad -herum -- da stand der Wirth aus dem goldenen Haifisch, und hier lag er in -einer fremden Stube im Bett, und von Seeschlangen, Algen und Korallen keine -Spur -- nicht einmal den Säbel hatte er umgeschnallt. - -»Aber wo bin ich denn, Herr Wirth,« rief er mit kläglicher Stimme, »was ist -denn nur mit mir vorgegangen?« - -»Was mit Dir vorgegangen ist, mein Bursche?« meinte der Blatternarbige, -»nichts Besonderes -- einen höllischen Rausch hast Du Dir gestern Abend -angetrunken und geschlafen wie ein Ratz und das tollste Zeug dabei -geschwatzt. -- Jetzt mach aber, daß Du heraus kommst, denn das Zimmer soll -gelüftet werden.« - -Zacharias Hasenmeier war wie vor den Kopf geschlagen. Die Erinnerung an -den gestrigen Abend stieg wohl dämmernd in ihm auf, aber Seegreise, Nixen, -Schildkröten und Seeschlangen schwammen dazwischen herum, und seine Reise -selbst -- war denn das Alles nur ein Traum gewesen? -- Angezogen wie er -gestern in das Wirthshaus gekommen, lag er überdieß im Bett -- nur die -Stiefeln hatten sie ihm ausgezogen -- nicht etwa _seiner_ Bequemlichkeit, -sondern des Bettes wegen und fast mechanisch griff er in die Tasche nach -seinem Geld. -- Herr du meine Güte, das war fort und -- das machte ihn -munter. - -Wie der Blitz sprang er auf und visitirte bestürzt alle Taschen -- nicht -die Spur davon war mehr zu finden. - -»Na was suchst Du Schatz?« sagte der Wirth, der ihn kopfschüttelnd -betrachtet hatte, »Deine Brieftasche?« - -»Nein, die ist da,« rief der Hutmachergesell -- »aber mein Geld -- zehn -Thaler 17½ Silbergroschen.« - -»So?« lachte der Blatternarbige, »einen ganzen Abend zechen und die -Gesellschaft traktiren und den Mädels Geld schenken und dann soll am -anderen Morgen auch noch die Baarschaft vollständig beisammen sein -- wäre -nicht übel. Einen solchen Geldbeutel wünschte ich mir auch.« - -»Ja aber,« stammelte Hasenmeier, »hab' ich denn Alles bezahlt?« - -»Soweit es reichte, ja,« lautete die Antwort, »drei Mark zehn Schilling -bist Du aber noch schuldig, mein Bursch, und wenn Du die nicht zahlen -kannst, werde ich indessen Deine neuen Stiefeln als Pfand behalten.« - -Zacharias Hasenmeier saß, die Hände gefaltet, auf dem Bettrand und starrte -wie verloren vor sich hin. Fortwährend schüttelte er dazu mit dem Kopf, und -so wenig er im Anfang begriffen haben mochte, wie Alles zusammenhing, -kam er doch jetzt endlich zu der Ueberzeugung, daß er der unglückseligste -wasserdichte Hutmachergesell wäre, der je einer Pappelallee Fährten -eingedrückt. Er machte allerdings einen Versuch seinen Unwillen und sogar -einen Verdacht zu äußern, daß vielleicht nicht Alles mit rechten Dingen -zugegangen sei, aber der Wirth wurde, nur bei der geringsten Andeutung -dahin, so furchtbar grob, daß er das bald in Verzweiflung aufgab. - -Und jetzt? -- der Wallfischfänger, die »Seeschlange« war allerdings schon -an dem Morgen ausgesegelt; wäre er aber auch noch vor Anker gelegen, -Hasenmeier hatte, mit der Erinnerung an das Ausgestandene, alle Lust zur -Seefahrt und zu fremden Ländern verloren und dankte sogar noch Gott, als -er später in Hamburg selber Arbeit fand, um zuerst seine Stiefeln wieder -auszulösen und dann neues Reisegeld zu verdienen. Von Schiffen wollte er -aber Nichts mehr wissen und hütete sich von da an ganz besonders keiner -Matrosenkneipe wieder zu nahe zu kommen. - - - - -Das Hospital auf der Mission Dolores. - -Californische Skizze. - - -Es ist eine allbekannte Thatsache, daß viele Kirchen und Klöster, die nur -gebaut wurden, um Gott darin anzubeten, ihrem ersten, frommen Zweck nicht -immer erhalten werden konnten und die verschiedenste, oft nichts weniger -als heilige Verwendung fanden. Besonders in Kriegszeiten geschah -das häufig, wo die festen Mauern der Gotteshäuser wie die steinernen -Einfassungen der Kirchhöfe als Festungen und Verschanzungen benutzt wurden; -aber auch selbst im vollen Frieden trifft man hier und da Tempel und -Kapellen, zu denen kein Küster oder Sakristan mehr die Schlüssel führt, -sondern ein Markthelfer, weil man sie eben in Lagerhäuser oder Keller -umwandelte. - -Bei Buenos-Ayres besuchte ich einst, noch zu _Rosa's_ Zeiten, ein in der -unmittelbaren Nähe der Stadt gelegenes altes Kloster, das der Dictator -einem Stamm der Pampas-Indianer zum Wohnort und zugleich zu einem halben -Gefängniß angewiesen hatte, und in der Kapelle selbst lagerten die wilden, -halbnackten Gestalten der braunen Krieger, während der Altar noch die -Ueberreste einer, wohl zerrissenen und in Fetzen niederhängenden, aber -reich gestickten Decke trug. Das Außerordentlichste in dieser Art fand aber -doch wohl mit der dicht bei San-Francisco gelegenen californischen Mission -Dolores statt; denn so urplötzlich wurde nach der Entdeckung des Goldes das -Land von Einwanderern überschwemmt, und so rasend schnell folgte Schiff auf -Schiff, daß die Anlangenden gar nicht gleich untergebracht werden konnten -und alle Winkel und Räume schon vorhandener Gebäude füllten. - -Das alte Missionsgebäude, das bis dahin still und einsam in wenig mehr -als einer Wüste, und etwa drei englische Meilen von San-Francisco, der -Hauptstadt des Landes, ab gelegen, entging denn auch dieser Umwandlung -nicht. - -Es war ein mächtiges Gebäude, aus ungebrannten Backsteinen aufgebaut und -mehrere Stockwerke hoch, einen großen geräumigen Hof umschließend, während -in der Front nach der Bai zu die Kirche selber lag. Das ganze übrige -kasernenartige Haus hatten aber bis dahin nur eigentlich drei Menschen -bewohnt: der Geistliche, dessen alte Haushälterin, und eine Art Factotum -des katholischen Pfarrers, ein Deutscher -- und welche Veränderung brachten -da wenige Monate zu Stande! - -Kaum war das Gold entdeckt und die Nachricht von jenen fabelhaften Schätzen -zu gleicher Zeit fast über alle Welttheile verbreitet worden, als die -Einwanderung begann, und das benachbarte Mexico und die Vereinigten -Staaten zuerst ihre Schaaren hinüber sandten. Dann folgten die Bewohner der -Westküste und Sandwich-Insulaner, dann Australier und Europäer, und selbst -die Chinesen schwärmten herüber, um ihren Theil von dem Gold zu holen, und -reiche Leute zu werden. - -In San-Francisco sammelte sich natürlich Alles, aber nicht Jeder -führte Zelt oder Wohnung mit, und nun mußte die Nachbarschaft ebenfalls -unterbringen, was sie unterbringen konnte, da die einsetzenden Regen ein -Lagern im Freien nicht mehr gestatteten. -- Was wurde da aus dem alten -Missionsgebäude! - -Unten in einem der Flügel errichtete ein Deutscher eine Brauerei, mauerte -einen Kessel ein und fing an zu kochen. In der vorderen Flanke, -zunächst der Kirche, setzte sich ein Amerikaner fest und etablirte eine -Restauration, wobei er es bald zweckmäßig fand, eines der alten, großen und -öden Zimmer zu einem Tanzsalon umzuwandeln, in dem dann allwöchentlich ein -paar Fandangos gehalten wurden. - -Hierauf folgte ein Sohn der »grünen Insel« -- ein Ire, der an die andere -Seite noch eine gewöhnliche Branntweinkneipe setzte, und der Priester mußte -es sogar geschehen sehen, daß eine chilenische alte Señora mit fünf jungen -Damen, aber keinen Nonnen, in das alte Kloster einzog und nicht wieder zu -vertreiben war. - -Aber _noch_ nicht genug. Von Buenos-Ayres war ein portugiesischer Arzt nach -Californien gekommen, der in San-Francisco ein Hospital gründen wollte, -dort aber keinen Platz fand und sich nun ebenfalls auf die Mission -angewiesen sah. - -Er ritt hinaus, um mit dem Priester eine Verabredung zu treffen, fand -ihn aber nicht mehr, denn dem würdigen Herrn war der Lärm doch zu bunt -geworden, da sich in den letzten Tagen auf der einen Seite ein Schwarm -Indianer, und dicht unter seiner eigenen Wohnung auch noch eine Rotte von -Mexikanern eingenistet, die des draußen niederstürzenden Regens wegen gar -nicht mehr fortzubringen waren. - -Anfangs hatte er, um sich die Lästigen aus seinem eigenen Hause zu halten, -und nicht im Stande Gewalt anzuwenden, eine Anzahl Processe angestrengt, -aber nur zu bald sollte er die traurigen Folgen derselben kennen lernen, -denn er fiel dadurch einer ganzen Schaar von Geiern in die Hände, die alle -Zahlung von _ihm_ wollten, ohne daß sie das Geringste für ihn ausgerichtet -hätten. Da wurde ihm der alte Platz zu warm, und eines Morgens war er -spurlos verschwunden. - -Der portugiesische Doctor aber sah das als kein Hinderniß an. Da er -Niemanden fand, der ihm ein Quartier _vermiethen_ konnte, nahm er das -Gebäude selber in Augenschein, fand die Bodenräume zu einer Aufstellung von -Betten passend und quartierte sich dabei ganz ungenirt in der verlassenen -Priesterwohnung ein. Er war ein praktischer Mann, der recht gut wußte, daß -das Recht des _Besitzenden_ in diesem Land schwer anzutasten blieb. Schon -am nächsten Tag trafen auch eine Anzahl von Maulthieren mit Matratzen und -wollenen Decken ein, während mit höchster Fluth ein paar Wallfischboote, -mit einer Anzahl eiserner Bettgestelle befrachtet, den schmalen Canal, -der die Mission mit der Bai von San-Francisco verband, hinauf fuhren. Als -Aushülfe hatte sich der Doctor dabei die müßig im Haus liegenden Mexikaner -und Indianer gemiethet, und noch vor Sonnenuntergang standen zwanzig Betten -dort oben, unmittelbar unter dem schrägen, an vielen Stellen defecten -Ziegeldach auf dem offenen Boden, durch den der oft stürmische Wind nach -allen Richtungen hin seinen Durchzug hatte. -- Das war das _Hospital_, das -jetzt seiner unglücklichen Bewohner harrte. - -Die bisherigen Insassen des alten Gebäudes sahen allerdings mit nicht -geringem Erstaunen diese Vorbereitungen und schüttelten auch wohl den Kopf, -wenn die Vermuthung ausgesprochen wurde, daß dort hinauf _Kranke_ geschafft -werden sollten -- noch dazu mitten in der Regenzeit, wo man da oben und in -dem kalten Wetter nicht einmal ein Feuer anzünden konnte. Aber was war in -damaliger Zeit in Californien nicht möglich, noch dazu mit armen Teufeln, -die sich selber nicht mehr helfen konnten! - -Schon am zweiten Tag traf der erste Kranke ein, -- ein junger Matrose, -bewußtlos und todtenbleich, der von vier Leuten die steilen Treppen -hinaufgeschafft und in ein Bett gelegt wurde, Nr. 1. An dem nämlichen Abend -langte noch ein kranker Portugiese an und wurde in No. 2 des Amerikaners -Nachbar, und ehe eine Woche verging, waren von den zwanzig Betten schon -siebenzehn mit solchen Unglücklichen gefüllt, die in diesem »Hospital« kaum -besser als auf offener Straße lagen. - -Die Bewohner des Missionsgebäudes wollten jetzt allerdings gegen eine -solche Einquartierung protestiren, denn sie fürchteten nicht mit Unrecht -durch irgend eine gefährliche und ansteckende Krankheit selber bedroht zu -werden; aber es half ihnen Nichts. Das nämliche Recht, in dem alten Gebäude -zu wohnen, das die Gesunden für sich geltend machten, mußte auch den -Kranken werden, und welchen Ausgang gerichtliche Klagen in Californien -nahmen, hatten sie nur zu deutlich an dem eigentlichen Besitzer -der Mission, an dem katholischen Priester, gesehen, der durch die -_Gerechtigkeit_ des Landes von Haus und Hof getrieben worden war. - -Welch ein entsetzlicher Aufenthalt war es aber für die unglücklichen -Kranken selber, wenn der Regen auf die unmittelbar über ihren Köpfen -befindlichen Ziegel schlug und oft sogar auf ihre Kissen tropfte, und der -Wind dann durch all die tausend Ritzen und Spalten heulte und pfiff, -denn nirgends war der Ort, an dem sie sich befanden, auch nur durch eine -Bretterwand abgegrenzt, ja selber nach unten, zu der Brauerei führte nur -die vollkommen offene Bodentreppe, und von dort her stieg, wenn da unten -gebraut wurde und Feuer unter dem Kessel brannte, der dicke Qualm empor, -und sammelte sich da oben zu solchen Schwaden, daß man kaum seine Hand vor -Augen sehen konnte. - -Der Doctor wollte diesem Uebelstand allerdings abgeholfen haben und -beschwerte sich darüber bei den Brauern; aber was nützte ihm das? Die -Brauerei hatte dort früher bestanden als das Hospital, und Niemand ihn -gezwungen, seine Patienten dort unterzubringen. Allerdings schien sich -die Brauerei verpflichtet zu haben, ihre Abtheilung des Bodens, wenn es -je verlangt werden sollte, von der andern abzutrennen, aber es war nicht -bestimmt, durch was, und so zogen die Eigenthümer, da eine feste Wand gar -nicht zu bezahlen gewesen wäre, einfach dünnen Kattun querüber, und -durch den ließ sich der Qualm natürlich nicht abhalten; er drang überall -hindurch. - -So vergingen Monate. Viele, viele Unglückliche waren in diesen -entsetzlichen Aufenthalt geliefert, und nur sehr wenige gesund daraus -entlassen worden; oft und oft aber kletterten Morgens mit Tagesanbruch vier -oder sechs Männer, einen in eine Decke gewickelten Leichnam zwischen -sich tragend, die steile und schmale Holztreppe hinab und legten den -Verstorbenen unten auf dem kleinen Kirchhof, den die darüber hängende -Dachtraufe in der Regenzeit zu kaum mehr als einem Sumpf wandelte, in sein -kaltes, feuchtes Grab -- nicht einmal einen Sarg bekam er mit; der hätte zu -viel Geld gekostet. - -Und immer wilderes Leben füllte die weiten, trostlosen Räume des alten -Klosters, dessen Zimmer mehr Ställen und Kellern, als menschlichen -Wohnungen glichen. Die Brauerei war allerdings indessen aufgegeben, aber -an einen anderen Brauer verkauft, der nur noch nicht Besitz davon -ergriffen hatte, und noch zwei neue Schenkstände wurden, der eine von einem -Mexikaner, der andere von einem Amerikaner, eröffnet. - -Zu dem Amerikaner hatten sich die chilenischen Mädchen gezogen, und hielten -dort wilde Fandangos, zu welchen nicht selten das rohe Männervolk aus der -Umgegend gezogen kam, während die dort in der Nachbarschaft ansässigen -Californier mit ihren Frauen und Töchtern das Lokal des Mexikaners -benutzten; denn sie haßten die Amerikaner, die ihnen ihr Land genommen -und verkehrten nur wenig mit ihnen. Ohne Tanz konnten sie aber ebensowenig -bestehen, denn auf der Mission wohnten doch wenigstens zehn oder zwölf -californische Familien mit einer Anzahl erwachsener Töchter, und ganz -allerliebste Mädchen unter ihnen, denen die kleinen Füße schon zuckten, -wenn sie nur Musik hörten. - -Eine der hübschesten unter ihnen, und dabei unstreitig die beste, -zierlichste Tänzerin, war aber die Señorita Marequita, die Tochter eines -dort ansässigen und ziemlich wohlhabenden Viehzüchters, und sobald sie bei -einem der Fandangos zum Tanze antrat, wurden ihr nicht nur jubelnde Bravos -zugerufen, sondern es flog sogar, nach californischer Sitte, mancher -Silberdollar, ja manches Goldstück zu ihren Füßen nieder. - -Es konnte auch in der That nichts Lieblicheres geben, als dies junge, -bildhübsche Wesen den Fandango oder einen jener anderen spanischen Tänze -auszuführen zu sehen. Da bemerkte man freilich Nichts von dem unanständigen -Beinewerfen nachgemachter Spanierinnen, die sich bei uns produciren -- jede -Bewegung war züchtig, aber auch eben so graciös, und wie eine Elfe glitt -sie herüber und hinüber. Die Schönheit und Liebenswürdigkeit der jungen -Californierin war auch schon bis nach San-Francisco gedrungen, und häufig -kamen die Amerikaner heraus, um sie zu bewundern, ja selbst von den in -der Bai ankernden amerikanischen Kriegsschiffen trafen zu Zeiten einzelne -Officiere ein, und man erzählte sich, daß Einer von Diesen schon sogar um -ihre Hand angehalten habe. Aber er mußte mit einem Korb abgezogen sein, -denn er ließ sich seit jener Zeit nicht mehr auf der Mission blicken, und -die Californier selber zeigten sich danach nur noch soviel stolzer auf ihre -Landsmännin, daß sie in keine Verbindung mit dem verhaßten amerikanischen -Stamm gewilligt hatte. - -Marequita wußte aber auch noch einen anderen Grund, weßhalb sie den -freundlichen Worten des jungen Officiers nicht gelauscht, denn ihr Herz -war schon seit Monden nicht mehr frei, und sie erröthete tiefer und tanzte -befangener, wenn ein junger Franzose, Jerome -- wie er von den Kameraden -genannt wurde, den Tanzsaal betrat, und ihr in der ersten Zeit nur mit -schüchterner Zurückhaltung die Hand zum Gruße bot. Nach und nach schien er -aber doch dreister geworden zu sein, denn er besuchte die Mission häufiger, -und jetzt auch sogar das Haus in dem Marequita's Vater wohnte, und faßte -zuletzt sogar Muth genug, Diesen um die Hand seiner Tochter zu bitten, -was der Californier vor allen Dingen mit einer Frage nach seinen -Vermögensverhältnissen beantwortete. - -Mit diesen stand es freilich nicht -- wenigstens nach californischen -Ansprüchen so, daß beide Theile hätten damit zufrieden sein können. Der -junge Franzose besaß allerdings ein paar hundert Thaler Geld, aber -Du lieber Gott! was wollte das in einem Lande sagen, wo man manchmal -ebensoviel zu einem Souper verbrauchte, und das Resultat lautete denn auch -demzufolge: der Vater würde gegen eine Verbindung des jungen Mannes mit -seiner Tochter nicht das Geringste einzuwenden haben, wenn -- Don Jerome -nur erst einmal nachzuweisen vermöge, daß er im Stande wäre einen eigenen -Hausstand zu beginnen und eine Frau zu ernähren. Das sah Don Jerome denn -auch ein, nahm zärtlichen Abschied von dem lieben, unter Thränen zu ihm -auflächelnden Kind, kaufte sich Handwerkszeug und schiffte sich frohen -Herzens nach Sacramento ein, um oben in den nördlichen Minen sein Glück -zu versuchen und so rasch als irgend möglich ein reicher Mann zu werden. -Aehnliche Beispiele kamen ja alle Tage vor, und weßhalb sollte _ihm_ das -Glück nicht ebenso günstig sein als tausend Anderen, die es noch dazu nicht -einmal verdienten oder zu benutzen verstanden, weil sie fast regelmäßig -auch das Gewonnene gleich wieder an Ort und Stelle vertranken oder -verspielten. - -So vergingen wieder mehrere Monate. Der Sommer war vorüber, und die -Regenzeit setzte aufs Neue ein, ohne daß Briefe von Jerome gekommen wären, -und er hatte doch so fest versprochen dann und wann zu schreiben und -Nachricht über sich und seine Erfolge zu geben. Aber das junge Mädchen -fühlte sich dadurch eben nicht sehr beunruhigt, denn die Postverbindung -zwischen San-Francisco und den Minen war eine noch so unvollkommene, und -ruhte außerdem fast ganz in Privathänden, daß man auf den richtigen Empfang -eines abgesandten Briefes nie rechnen konnte. Es kam sogar grade in dieser -Zeit sehr häufig vor, daß derartige Leute, die übernommen hatten Briefe und -Geldsendungen zu besorgen, entweder unterwegs überfallen und todtgeschlagen -oder beraubt wurden, oder auch selber mit den ihnen anvertrauten Geldern zu -Schiff und durchgingen. - -Ja sogar in San-Francisco lag das Postwesen noch derart im Argen, daß -irgend ein Fremder, wenn er vorgab beauftragt zu sein, Briefe abzuholen, -auf dem Bureau sich aussuchen und mitnehmen durfte, was er wollte, -- waren -doch die Beamten nur froh, dadurch wieder ein Packet unbestellbarer und -ihnen lästig werdender Briefe aus ihren Fächern zu bekommen. Ob die Briefe -je an ihre Adressen befördert wurden, was kümmerte es sie, sobald sie nur -das Porto dafür erhielten. - -Auf der Mission hatte sich indessen Manches in sofern geändert, als die -Verbindung mit San-Francisco eine weit bessere und leichtere geworden war. -Früher mußte man die drei Meilen durch knöcheltiefen Sand Hügel auf und ab -waten oder reiten, während Fuhrwerke nur mit Mühe und Noth ihren Weg durch -den schweren Boden verfolgen konnten, und jetzt hatten die unternehmenden, -thätigen Yankees eine breite, ebene, mit Planken durchaus belegte Straße -gebaut, auf der das Fuhrwerk dahinrollte, wie auf einer Eisenbahn. Ueberall -auf dem Weg ließen sich dabei Ansiedler nieder, theils auf den späteren -Werth der Grundstücke speculirend, theils um gleich jetzt Wirthshäuser und -Branntweinschenken zu errichten. - -Auch mit der Mission selber war eine Veränderung vorgegangen, indem -sich dort einige amerikanische Ackerbauer niedergelassen hatten und zum -erstenmale den Pflug in den Boden brachten. Das Land erwies sich auch in -der That viel fruchtbarer als man geglaubt, und es zeigte sich später als -eine ganz vortreffliche Speculation, das Getreide, das man bis dahin mit -schwerem Geld hatte in weit entfernten Hafenplätzen kaufen müssen, hier -gleich an Ort und Stelle selbst zu bauen. - -Dabei waren auch, um die Mission herum eine Menge von neuen Häusern -theils schon entstanden, theils noch im Bau begriffen und ein reges -Leben herrschte auf dem sonst so stillen und einsamen Platz. Nur das alte -Missionsgebäude mit seiner buntgemischten, wunderlichen Bevölkerung lag -noch wie früher träumend unter seinem defecten Ziegeldach, und wenn es auch -seine Bewohner zeitweilig wechselte, blieb die _Art_ des Verkehrs darin -doch noch für lange Zeit die nämliche. - -Der Besuch des Hospitals war allerdings ein geringerer geworden, weil man -indessen in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt ein anderes und besseres -gebaut hatte. Da übrigens der Doktor von seinen bis dahin enormen Preisen -herunterging und billigere Bedingungen stellte, so wurden ihm doch noch von -Zeit zu Zeit einzelne Patienten ausgeliefert, deren Mittel entweder -nicht ausreichten, oder für welche Andere zu sorgen hatten, wobei sie die -Vorsicht nicht versäumten, so wenig als möglich Auslagen zu haben. - -In den Minen waren auch grade außergewöhnlich viel Krankheiten vorgekommen, -denn so gesund das californische Klima an und für sich sein mochte, so -trug doch die wilde, unregelmäßige Lebensart, wie die schwere, für Tausende -ungewohnte Arbeit viel dazu bei, besonders hitzige Fieber zum Ausbruch zu -bringen, die für die davon Betroffenen nur zu häufig aus Mangel an Pflege -und ärztlicher Behandlung einen schlimmen und tödtlichen Ausgang nahmen. - -Wie mancher arme Teufel, der mit goldenen Hoffnungen und Träumen in das -Land gekommen, erhielt dort oben Nichts als sechs Fuß Erde und einen -Steinring um das enge Grab, auch wohl noch ein rohes Kreuz mit dem Beil -in den nächsten Baum eingehauen -- das war Alles. Und daheim seine Lieben -sorgten und ängstigten sich vielleicht noch Jahre lang um den Geschiedenen, -mit sehnenden Herzen seiner Rückkehr harrend, und schrieben und frugen an -bei Behörden und Regierung. Umsonst -- wer kannte die Namen der Todten, die -überall zerstreut unter den Eichbäumen des weiten Landes lagen -- wer hatte -je nach ihnen gefragt! - -Glücklich waren noch Solche zu schätzen, welche Krankheit nicht allein -und einsam in der Wildniß traf, und welche Freunde fanden, um sie aus den -Bergen und Schluchten hinaus wieder in den Bereich der Civilisation und -ordentlicher Pflege zu bringen. Allen aber half das freilich auch nicht; -Viele starben schon unterwegs, Andere lebten gerade lange genug, um den -Hospitalkirchhof zu erreichen, und Wenige, o wie entsetzlich Wenige von -alle den armen hülflosen und gebrochenen Menschen konnten wieder soweit -gebracht werden, mit gekräftigtem Körper ihre Arbeit auf's Neue zu -beginnen! - -Eins aber büßten _Alle_ ein: das mitgebrachte Gold -- denn eben nur mit -Gold wurden in damaliger Zeit Arzneien aufgewogen und ein tüchtiger -Arzt hatte seine beste und einträglichste Mine in den Krankheiten seiner -Patienten. Was lag den Kranken auch an dem ausgewaschenen und erbeuteten -Gold? -- wo sie das gefunden, gab es mehr, und wenn ihr Körper nur seine -alte Kraft wieder erlangte, alles Andere war nicht der Rede werth. - -Draußen am langen Werft hatte auch heute wieder das von Sacramento kommende -Dampfboot angelegt, und nachdem die Passagiere das Schiff verlassen, -schafften die Matrosen noch ein paar schwer kranke Miner an's Land, oder -vielmehr auf die Spitze des über eine halbe Meile langen Werftes hinaus, -legten sie dort, in eine wollene Decke gewickelt, auf die Planken und -kehrten dann an Bord zu ihrer Arbeit zurück. Die Freunde oder Kameraden der -Leidenden mochten jetzt sehen, wie sie allein mit ihnen fertig wurden. - -Zwei der Unglücklichen waren Amerikaner und ihr Kamerad lief das Werft -entlang, um irgendwo eine Karre aufzutreiben, auf der er sie in ein -Kosthaus, oder auch vielleicht in das Hospital schaffen konnte. Der Dritte -schien ein Fremder, -- sein Begleiter, der sich zu ihm überbog und einige -Fragen an den halb Bewußtlosen richtete, sprach französisch mit ihm. Ein -paar Yankee's, die auf dem Werft herumschlenderten, blieben neben den -Beiden stehen und frugen endlich theilnehmend, was dem Armen fehle. - -»O Gentlemen,« sagte der Franzose in sehr gebrochenem Englisch, »Fieber --- schweres Fieber -- Phantasieen, viel Phantasieen. Hab' ihn gefragt -- -Landsmann von mir -- wohin er gebracht sein will -- bin selber fremd hier --- vor einem Jahr nur zwei Stunden in San-Francisco gewesen -- Er sagt -Nichts -- nur Mission Dolores -- weiter kein Wort.« - -»Ist es Dein Kamerad?« - -»Nein -- habe ihn gefunden auf Dampfboot krank -- sehr krank -- weiß nicht, -wie er heißt -- aber Landsmann --« - -»Also Mission Dolores sagt er?« frug der andere Amerikaner. - -»=Toujours= -- =ever= -- kein anderes Wort.« - -»Dann will er auch in das Hospital auf der Mission geschafft sein,« sagt -der Andere -- »dort ist ein Hospital, das ein Fremder hält, ich weiß nicht, -ein Spanier oder Franzose -- er spricht jedenfalls französisch und hat -Viele von Euren Landsleuten oben.« - -»Und wo liegt die Mission?« - -»Gleich dort drüben, um die Landspitze herum -- rechts hinein geht ein -schmaler Kanal, in den Ihr bei Fluthzeit einfahren könnt. Wenn ihr ein -Boot miethet, bringt Euch das ganz bequem bis ziemlich dicht an's -Missionsgebäude, und dort fragt nur nach dem Hospital -- jedes Kind zeigt -Euch den Weg dahin.« - -»Dank' Euch -- dank' Euch vielmals,« nickte der Franzose, der sich des -armen todtkranken Landsmanns in der That erst unterwegs angenommen hatte, -weil er sah, daß sich Niemand sonst um ihn bekümmerte. Keine Seele an Bord -wußte auch, wie es schien, etwas von ihm. Er war allein und allerdings -schon krank auf den Dampfer gekommen und hatte sich, nachdem er seine -Passage bezahlt, in seinen Mantel gewickelt, auf Deck niedergeworfen; dort -mußte das hitzige Fieber erst in ihm ausgebrochen sein, und von da ab war -er auch nicht recht wieder zur Besinnung gekommen, um Rechenschaft über -sich zu geben. - -Sein Landsmann aber ließ ihn nicht im Stich, wie denn überhaupt die -Franzosen in fremden Welttheilen besonders treu zu einander halten und uns -Deutschen dabei mit einem -- freilich selten beherzigten -- guten Beispiel -vorangehen. Er miethete ohne Weiteres eines der dort am Werft liegenden -Boote, und da es gerade die günstige Zeit war, um die Mission Dolores zu -Wasser zu erreichen -- fast die höchste Fluth, -- so hoben sie den -Kranken in das Boot hinab und ruderten ihn, von der Strömung noch außerdem -begünstigt, rasch die Bai hinauf, um Rincons Point hinum und in den -schmalen Kanal hinein, dessen Landungsplatz kaum mehr als zweihundert -Schritt von der Mission selber entfernt lag. - -Der Franzose wußte sich hier, da er keine Seele am Ufer fand, auch nicht -anders zu helfen, als daß er den Kranken noch unten im Boot ließ und -indessen selber hinauf zum Arzt ging, um mit Diesem Rücksprache zu nehmen. - -»Konnte der Kranke für seine Pflege und ärztliche Behandlung zahlen?« -war die erste, vorsichtige Frage Desselben, die der Franzose dahin -beantwortete, daß er an dem Gürtel seines Landsmannes, unter der Blouse, -einen Lederbeutel mit Gold gefühlt habe. Der Mann kam aus den Minen und -führte jedenfalls das dort Erworbene bei sich. Das genügte. Der fremde Arzt -wußte recht gut, daß er sich im Fall einer mißlungenen Kur selbst bezahlt -machen konnte, und hatte in solchen Fällen schon die Erbschaft von -verschiedenen Kranken angetreten, deren Familien nicht ausfindig gemacht -werden konnten -- wenigstens nicht ausfindig gemacht _wurden_. Er sandte -auch augenblicklich seine Krankenwärter hinunter, die den Patienten herauf -holen mußten, und der junge Franzose begleitete den Armen dann noch die -Treppe hinauf bis an sein Bett und schauderte freilich, als er den elenden -Aufenthalt entdeckte, der dem Armen von jetzt ab Heilung geben sollte. - -Das Hospital hatte sich auch in der That nicht -- seit der Errichtung -desselben -- zu seinem Vortheil verändert, denn damals waren die Betten -doch noch wenigstens neu und reinlich gewesen -- und wie sahen die jetzt -aus! - -Es war vorgekommen, daß einzelne Kranke, die noch die Kräfte besaßen, -wieder die Treppe hinunter schwankten und dann erklärten, lieber wollten -sie auf Gottes freiem Erdboden, als dort oben in jenem entsetzlichen -Aufenthaltsort liegen bleiben -- aber das geschah doch nur im Verhältniß -sehr selten und da Eines von diesen verwöhnten Subjekten eines Abends -wirklich den Platz verließ und noch ein Stück den Hang hinan unter einen -einzeln stehenden Baum kroch und dort in der Nacht starb, so wurde -dieses Beispiel später etwa Widerspenstigen immer mit dem besten Erfolg -vorgehalten. - -Der junge kranke Franzose sah Nichts von seiner ganzen Umgebung; er wurde -bewußtlos die Treppe hinan- und auf ein Bett getragen, dort genau von dem -Doktor untersucht und dann zugedeckt. Der oben auf Wache befindliche Wärter -bekam hierauf die Ordre, den Doktor augenblicklich zu rufen, sobald der -letztgekommene Patient -- Nr. 14, wie er nach seinem Bette genannt wurde --- erwache; aber der Doktor brauchte nicht wieder an dem Tage gestört zu -werden, denn Nr. 14 kam nicht zur Besinnung, phantasirte nur stark und -schwatzte eine Menge tollen Zeuges, rief auch ein paarmal einen spanischen -Frauennamen, und lag dann Stunden lang regungslos mit geschlossenen Augen -da. Ein furchtbares Fieber schüttelte seine Glieder, und der Kopf glühte -ihm, daß es fast seine Stirnadern zu sprengen drohte. - -Am nächsten Tag erwachte er allerdings, zeigte sich aber als ein sehr -unruhiger und auch unbequemer Gast, denn sein Geist schien zu wandern und -er wollte auf und davon. Die Wärter hielten ihn zurück und der Doktor wurde -gerufen; er verordnete, daß man den Patienten an sein Bett festbinden und -ihm kalte Umschläge machen solle. Er wehrte sich dabei wie rasend, aber -es half ihm Nichts; es wurde weitere Hülfe herbeigeholt, und kaum eine -Viertelstunde später lag er, an Händen und Füßen festgeschnürt, auf seinem -Schmerzenslager, während ihm einer der Wärter, mit einem Stalleimer voll -Wasser neben sich, nach der Verordnung des Arztes nasse Tücher um den Kopf -legte. - -Der Gebundene lag eine Zeitlang still; die kühlen Umschläge schienen ihm -gut zu thun -- aber das dauerte nicht lange. Sobald er sich nur wieder -einmal regte und die ihn haltenden Bande fühlte, so brach auch seine Wuth -von Neuem aus. Er tobte und wand sich umher und schrie dabei, daß man es -weit über die ganze Mission hören konnte, und die Frauen und Kinder -sich davor fürchteten. Dieser Zustand dauerte viele Tage und Wochen -und Jedermann dort wußte und erzählte sich, daß ein sehr bösartiger -Geisteskranker oben im Hospital untergebracht sei und dem Doktor viel -zu schaffen mache. Wo er herstamme und wer er sei, darum kümmerte sich -Niemand; wer hätte auch all die Leute kennen wollen, die von Ost und -West und Süd und Nord nach Californien geströmt waren, um dem Boden seine -Schätze zu entreißen? Es war eben ein »Fremder«, und das Wort entsprach -in damaliger Zeit allen Bedürfnissen, die man sonst vielleicht empfunden -hätte, nach Namen und Stand zu forschen. - -Auf das eigentliche tolle Leben in der Mission hatte dieser unheimliche -Gast jedoch nicht den geringsten Einfluß. In beiden Flügeln des großen -Gebäudes wurde ruhig fort musicirt und getanzt, und wenn auch einmal in -einen ihrer Fandangos ein wilder, gellender Schrei hineintönte, so schraken -die jungen Mädchen wohl zusammen und sahen sich scheu einander an, aber die -Instrumente fielen dann nur um so rauschender und tönender ein und der Tanz -verlangte sein Recht. Was hätte es auch dem armen Kranken da oben geholfen, -wenn sie ihre Lust unterbrechen wollten? Dort wo er lag, konnte er nicht -einmal die Musik hören, keinenfalls aber dadurch gestört werden. - -Marequita hatte sich indessen in der ersten Zeit, nachdem Jerome sie -verlassen, ziemlich fern von den sonst so häufig besuchten Fandangos -gehalten. Sie kam wohl dann und wann hinüber und tanzte ein- oder zweimal, -ließ sich aber nie verleiten länger zu bleiben, und verließ selbst ihr Haus -nur selten. -- Aber wie monoton war das Leben auf der Mission, wenn man -sich auch noch die so spärlichen Vergnügungen versagen wollte, die von Zeit -zu Zeit ein unschuldiger Tanz bot. Jerome ließ gar Nichts von sich hören; -er hätte doch gewiß einmal schreiben können, wie es ihm ging, und ob er -Hoffnung habe, bald zurückzukehren. Von allen Minen trafen außerdem Händler -oder Goldwäscher in San Francisco ein, und wie leicht wäre es ihm gewesen, -Einen von Diesen zu bewegen, ihnen Nachricht zu bringen. Aber Niemand ließ -sich sehen -- Niemand, und der Vater Marequita's frug _viele_ Menschen aus -den verschiedensten Distrikten; Keiner von alle Diesen wußte freilich etwas -von einem Franzosen Jerome, oder hatte je von ihm gehört; war es denn -ein Wunder, daß ihr zuletzt die Zeit lang wurde und sie den Bitten -ihrer Freunde und besonders des jungen tanzlustigen Volkes nicht mehr so -hartnäckig widerstand? Und wie jubelten ihre Landsleute nicht allein, nein, -auch die Fremden, wenn sie sich wieder im »Saale« zeigte! Welche Triumphe -feierte sie! und manchen Abend mußte sie die ihr geworfenen Dollarstücke -sogar in der Mantille nach Hause tragen, weil sie das viele Geld gar nicht -mehr in den Händen halten konnte. - -Heute war der Vater wieder in San-Francisco gewesen und hatte dort, -zum ersten Mal, so oft er sich auch schon erkundigt, einen Franzosen -gesprochen, der Jerome genau kannte und sogar mit ihm gearbeitet hatte. Der -aber behauptete, Jerome sei glücklich in den Minen gewesen und schon vor -langen Wochen nach San-Francisco zurückgekehrt, wo er, wie er ihm erzählt, -heirathen und ein kleines Hotel gründen wollte. Seit dem Tage aber habe er -ihn natürlich nicht mehr gesehen, und wenn er sich jetzt nicht in der Stadt -befinde, müsse ihm doch am Ende ein Unglück zugestoßen sein. - -»Aber welches?« - -Du lieber Gott! aus den Minen zurückkehrende Goldwäscher wurden aber gar -nicht etwa so selten von nichtsnutzigem Gesindel angefallen, todtgeschlagen -und beraubt; Dampfbootkessel waren außerdem geplatzt, Boote zusammengerannt -und gesunken. Er konnte auch San-Francisco glücklich erreicht und dort sein -ganzes gewonnenes Gold am ersten Abend verspielt haben -- wie oft geschah -das! -- und dann stak er jetzt vielleicht schon wieder oben in den Bergen, -um sein Glück von Neuem zu erzwingen. Das Letztere schien auch in der That -das Wahrscheinlichste, denn leicht gewonnenes Geld wird selten geachtet, -und verschwindet oft rascher als es erlangt wurde, und die also Betrogenen -schämen sich dann stets, ihren Leichtsinn einzugestehen. - -Marequita weinte, als ihr der Vater die Kunde brachte -- also das wäre die -Liebe gewesen, die ihr Jerome geschworen, daß er das schon in den Händen -gehaltene Glück auf trügerische Karten setzte, und ihr nicht einmal Kunde -von seiner Rückkehr gab? Dann aber brauchte sie sich auch nicht mehr um den -leichtsinnigen Menschen zu grämen, oder ihm gar ihre Jugend zum Opfer zu -bringen. -- Heute Abend war großer Fandango -- die Offiziere eines in der -Bai ankernden spanischen Kriegsschiffes hatten zugesagt, die Mission zu -besuchen -- lag es doch auch gerade dem Kanal gegenüber, und das junge -Mädchen beschloß, sich heute Abend dem Tanz wieder mit der alten, -unermüdeten Lust hinzugeben wie vordem. - -Allerdings machte der Wirth auch die größten und ganz außergewöhnliche -Anstalten, um die einst weiß gewesenen, trostlos nackten Wände seines -Lokals für das Fest so freundlich als möglich zu decoriren, und ein Dutzend -Indianer waren schon seit Tagesanbruch beschäftigt gewesen, grüne Büsche -jenes lorbeerartigen Baumes, der in Masse an den nächsten Hängen wuchs, -herbeizuschleppen, und den ganzen Raum in eine Laube zu verwandeln. -Ueberall wurde gehämmert und gebohrt und recht unheimlich drang zu diesen -Vorbereitungen einer frohen Lust manchmal das Geheul des Wahnsinnigen -herunter, so daß sich der Wirth noch für den Abend eine große Trommel -und zwei Trompeter extra bestellte, um mit der rauschenden Musik die -unglückseligen Laute zu übertäuben. Er hätte das aber nicht nöthig gehabt, -denn schon gegen elf Uhr schwiegen die Aufschreie -- kein Ton wurde mehr -gehört und bald brachte auch ein Krankenwärter die Nachricht herunter, der -Unglückliche, der ihnen die letzten Wochen so viel zu schaffen gemacht, sei -vor etwa einer halben Stunde plötzlich auf sein Lager zurückgefallen und -gestorben. - -»=Grazias a Dios!=« rief der Wirth, »Gott sei seiner armen Seele gnädig -und gebe ihr den ewigen Frieden, aber ich bin froh, daß wir ihn los sind, -=amigo=, denn das Geschrei war kaum noch zum Aushalten und ich selber schon -im Begriff, den sonst so bequemen Platz zu verlassen, um mich wo anders -anzusiedeln. Jetzt stört er uns auch heute Abend die fremden Gäste nicht, -und die jungen Damen besonders werden dem Himmel danken, daß sie sich nicht -mehr vor dem Tollen zu fürchten brauchen.« - -Das war auch in der That ein reges Leben heute auf der Mission, und -noch dazu Sonntag und prachtvolles Wetter, so daß ganze Schwärme von -Lustwandelnden und Reitern und Wagen aus San-Francisco herüber kamen, um -den Nachmittag hier draußen zuzubringen. - -Und wie stolz betrachtete sich indessen der Wirth seinen so stattlich -herausgeputzten Ballsaal, in welchem höchstens die Mittel zur Beleuchtung -etwas zu wünschen übrig ließen. Aber Gas gab es freilich nicht, und -Stearinkerzen, auf Leuchter mit Reflectoren von weißem Blech gesetzt, -mußten da aushelfen. - -Uebrigens dachte das tanzlustige Volk gar nicht daran, den Abend zu -erwarten, um die Lustbarkeit zu beginnen; wozu sollten sie den ganzen -schönen Tag versäumen? und der Wirth hatte wirklich Mühe, sie nur so lange -zurückzuhalten, bis er seine nöthigsten Arbeiten im Innern beendet hatte, -denn daß er nachher keinen Moment Zeit dafür behielt, wußte er gut genug. - -Es war vier Uhr Nachmittags, als zwei Jöllen mit Offizieren von dem -spanischen Kriegsschiffe abstießen und dem Lande zuruderten, und zugleich -begannen auch die Musici als Introduction einen lustigen Marsch zu spielen, -um die willkommenen Gäste damit zu empfangen. -- In derselben Zeit drückte -der Arzt da oben dem Todten die Augen zu und die Krankenwärter lösten ihm -die bis jetzt noch immer gefesselten Arme und falteten ihm die Hände auf -der stillen Brust, wuschen ihn auch und kämmten sein volles, lockiges Haar, -das ihm bis jetzt wirr und wild um die Schläfe gehangen hatte. Dann -wurden die Wärter hinunter auf den Kirchhof gesandt, um ein Grab für den -Unglücklichen auszuwerfen. Heute war es schon zu spät geworden, aber morgen -mit dem Frühesten sollte er beerdigt werden, denn länger konnte man ihn -unmöglich dort oben zwischen den Lebenden lassen. - -Draußen schaufelten, unmittelbar neben dem alten Missionsgebäude, die -Männer das schmale Grab aus, und inwendig spielten mit Trommeln und -Trompeten die Musici den lustigen Marsch und plauderten und lachten die -jungen Mädchen mit einander, sich des schönen Tages freuend. Auch zu ihnen -war wohl die Kunde gedrungen, daß der Wahnsinnige gestorben sei, aber auch -sie freuten sich darüber, denn lange genug hatte er sie fürchten gemacht -und auch wohl bös erschreckt, wenn manchmal mitten in der Nacht sein -gellender Aufschrei zu ihnen herübertönte. Das war jetzt vorbei -- aber -es dachte Keine von ihnen länger als einen flüchtigen Augenblick an den -Unglücklichen; andere Dinge gingen ihnen im Kopf herum, denn dort kamen -die fremden Offiziere in ihren prächtigen Uniformen schon über den niederen -Küstenhang vom Ufer herauf, und der Tanz nahm ihre ganze Aufmerksamkeit -vollständig in Anspruch. - -Indessen sammelte sich das »Volk« vor dem alten Missionsgebäude, und es -war in der That wunderlich anzusehen, welche bunte Mischung von Stämmen -und Trachten sich hier zusammen gefunden hatte. Das schienen auch nicht die -Bewohner einer einzigen Stadt, die sich hier an einem Sonntag Nachmittag -versammelten, das glich weit eher einem Carneval, der die Repräsentanten -aller Zonen und Welttheile für kurze Zeit vereinigte, und _alle_ Zonen, -- -mit Ausnahme vielleicht der kalten -- waren wirklich vertreten. - -Hier stand eine Gruppe von Yankees, in dem unvermeidlichen schwarzen Frack, -den hohen Cylinderhut weit nach hinten auf den Kopf gedrückt, die Hände in -den Taschen und goldene Uhrketten, Tuchnadeln, Hemdknöpfchen und Berloques -eingehakt. Dazwischen drängte sich ein kleiner Schwarm von Chinesen herum, -in ihren blauen Kattunjacken und weiten weißen Hosen, die langen Zöpfe -wohl geflochten und gepflegt. Südsee-Insulaner waren da, die scheu und -verwundert auf dem fremden Boden umhergingen, und oft nur in ihrer -eigenen Sprache zusammen plauderten und lachten, wenn ihnen etwas gar zu -Absonderliches in die Augen sprang -- Mexikaner mit den, an der Seite bis -oben hin aufgeschlitzten und mit silbernen Knöpfen besetzten Sammethosen -und den kurzen, ebenfalls so garnirten Jacken, den breitrandigen -Wachstuchhut auf dem Kopf; Californier mit ihrem langen, in den -prachtvollsten Farben gewebten Ponchos, die ihnen fast bis auf die Knöchel -hinabreichten und die ganze Gestalt verhüllten. Deutsche, Engländer, -Franzosen, Irländer, Backwoodsmen in ihren ledernen Jagdhemden, die -lange Büchse noch auf der Schulter, wie sie gerade über die Felsengebirge -gekommen waren; Chilenen in den kurzen Ponchos, Neger und Mulatten in allen -Schattirungen, und dazwischen die aus den Minen oft mit schweren Beuteln -voll Gold zurückgekehrten Goldwäscher in den phantastischsten Costümen, -die sich nur denken lassen -- abgerissen in ihren Kleidern auf das -Entsetzlichste, mit geflickten Hosen und Jacken, mit zerrissenen Stiefeln, -und Hüten, die Monate lang am Tag der Sonne und dem Regen getrotzt und -Nachts dann als Kopfkissen gedient hatten. Und in kleinen Gruppen standen -dabei die Eingebornen des Landes, die eigentlichen, rechtmäßigen Herren des -Bodens, und doch vielleicht die einzigen, vollständig Besitzlosen in der -ganzen Masse, die ihr Leben jetzt durch Tagelohn kärglich fristen mußten. - -Welch bunte Völkermischung trieb sich auf dem engen Platz umher, und dieser -schlossen sich nun auch noch die spanischen Marine-Offiziere in ihren -blitzenden, goldgestickten Uniformen an und vollendeten eigentlich erst das -bunte, wunderliche Bild. Aber die rauschende Musik zog sich auch bald zu -dem eigentlichen Knotenpunkt des Vergnügens hin, und so öde der Platz da -drinnen sonst gewöhnlich aussah, so freundlich schien er ihnen heute nicht -allein durch das frische Grün der Zweige, das die Wände deckte, nein auch -durch die vielen, lieben Mädchengestalten, die sich hier versammelt hatten -und jetzt nun verschämt und doch auch wieder mit vor Vergnügen blitzenden -Augen des Tanzes harrten. - -Wo alle Theile so willig waren, dauerte es aber auch nicht lange, bis er -begann, und wie nur die kriegerischen Töne des Marsches schwiegen und in -die allbeliebte muntere Weise des Fandango übergingen, hatten sich -rasch einige gleichgesinnte Paare gefunden, die zusammen antraten -- und -Marequita war unter ihnen und ihr Tänzer einer der jungen Offiziere. - -Es gab allerdings damals noch wenig Frauen in Californien, denn das wilde -Leben im ganzen Lande bot noch keinen rechten Grund und Boden für eine -Familie. Was deshalb von Amerika oder Europa an weiblichen Wesen herüber -gekommen war, gehörte nur den Klassen an, die sich darin wohl fühlen -konnten, und dazu hatte Chile die größte Zahl gestellt. Die Fremden, wenn -sie wirklich anständige Damengesellschaft suchten, blieben deshalb allein -auf die hier ansässigen Californierinnen angewiesen. - -Zu _diesem_ Fandango hatte übrigens auch die weite Nachbarschaft ihre -schönen Gesandtinnen hergeschickt. Die Mission selber stellte fünf -allerliebste Mädchen, und nicht allein befand sich gerade ein Besuch von -Pueblo San-José hier, der drei reizende junge Damen aufweisen konnte, es -waren auch noch flinke und hübsche Tänzerinnen theils vom Präsidio, theils -von Sanchez Rancho angekommen. Ja selbst von der Mission San-Rafael hatten -sich zwei junge Damen eingefunden. - -Allerdings wären wohl noch immer am heutigen Tage auf eine Tänzerin mehr -als zwanzig Tänzer gekommen, wenn sich Alle hätten dabei betheiligen -können, aber die »Fremden« verstanden ja nicht den Fandango und seine -verwickelten und doch so graziösen Touren, und nur die Chilenen, deren -Sambacueca die größte Aehnlichkeit damit hat, durften es wagen, Theil daran -zu nehmen. Sonst blieb der Boden, mit Ausnahme einiger Franzosen, die sich -rasch hineingefunden, den Spaniern, Californiern und Mexikanern, und -da stellte sich denn doch kein so bedeutendes Mißverhältniß in der Zahl -heraus. - -Kopf an Kopf gedrängt standen aber die Zuschauer wenigstens auf der einen -Seite des Saals und im hinteren Theil desselben, nur eben genügend Raum -für die Paare lassend, während die andere Seite, an welcher sich auch die -Musici befanden, der einen Thür wegen, frei bleiben mußte, da der Wirth -nur durch diese aus- und eingehen konnte. Seine durstigen Gäste verlangten -Erfrischungen, denn die Hitze im Saal war fast erstickend. Wie aber die -Nacht einbrach, änderte sich das, denn die meisten heutigen Besucher -der Mission kehrten in ihre Wohnungen nach San-Francisco zurück, und die -Yankees besonders bekamen es auch satt, allein ruhige Zuschauer bei einem -Tanz abzugeben, den sie nicht einmal verstanden und deshalb auch nicht -schön finden konnten. Dies ruhige Herüber- und Hinüberschweben gefiel ihnen -nicht; es war, so anmuthig die Damen es auch ausführen mochten, doch viel -zu monoton für sie und sie vermochten nicht einmal dem Takt zu folgen -- ja -wenn es ein tüchtiger »Reel« oder eine »Hornpipe« gewesen wäre, der hätten -sie mit Hacken und Fußspitze schon Nachdruck geben wollen! - -Die Miner und das übrige Volk hielten ebenfalls nicht viel länger aus, -denn es gab keine Spielzelte auf der Mission, keinen Platz, auf dem sie -ihr Glück versuchen, und das mühsam ausgegrabene Gold in leichter Weise -verdoppeln -- oder auch verlieren konnten, und sie verließen einzeln -oder in Trupps die Mission wieder, um zu den Spielhöllen der Plaza -zurückzukehren und sich der Aufregung des Monte hinzugeben. Viele Mexikaner -thaten das Nämliche, aber die Chilenen, obschon dem Hazardspiel ebenso -ergeben, hielten aus, auch die Offiziere der spanischen Fregatte wichen -nicht vom Platze, ebensowenig die dort ansässigen oder benachbarten -Californier, und der Raum blieb immer noch gefüllt, wenn er auch nicht mehr -wie den Nachmittag über, gedrängt war. - -Je mehr dabei die spanischen Gäste mit den jungen californischen Damen -bekannt wurden, desto lebendiger gestaltete sich der Tanz, und Alles schien -zu wetteifern, um neue und piquante Touren zu erfinden. Die Königin des -Festes blieb aber, trotz vieler bildhübschen Rivalinnen, Marequita, der -ihr Tänzer fast nicht mehr von der Seite wich, und bald war sie die -Ausgelassenste und Lebendigste von Allen, und übertraf sich selber. Aber -die spanischen Offiziere sollten sie heute Abend nicht blos tanzen sehen, -sie sollten auch noch einige von den californischen Sitten und Gebräuchen -kennen lernen, und Marequita flüsterte deshalb ihrem Bruder zu, rasch nach -Hause zu springen und eine Anzahl von ausgeblasenen Eiern, die zu dem Zweck -schon immer vorräthig gehalten wurden, in der bekannten Art zu füllen -- -galt es doch eine Ueberraschung. - - * * * * * - -Oben im Hospital des Missionsgebäudes herrschte tiefe Dunkelheit. Das -Wetter war den ganzen Tag über schön und klar gewesen, und noch jetzt -funkelten die Sterne in heller Pracht vom Himmel nieder, aber der Wind -hatte sich erhoben, der über die niederen Küstenberge fast unablässig mit -solcher Gewalt herüberweht, daß die dort einzeln wachsenden Bäume ihr Laub -alle nach der entgegengesetzten Seite hinüber gedrückt tragen, und auch -selber dorthin neigen, als ob sie den steten Stürmen entfliehen wollten und -sich von ihnen abwendeten. - -Wie das da oben auf dem dunklen Boden pfiff und zog! Die alten, -moosbewachsenen Ziegel klapperten ordentlich dumpf und klanglos zusammen, -und nur das Stöhnen und Aechzen der unglücklichen Fieberkranken mischte -sich mit dem unheimlichen Laut. - -Und dazwischen lag der Tod. Kalt und starr auf seinem Schmerzenslager -ausgestreckt, ruhte der »Wahnsinnige«, wie er überhaupt seit den letzten -Monaten von den Krankenwärtern nur genannt worden. Man hatte ihm eins von -seinen neuen rothen Hemden und ein paar weiße Beinkleider angezogen -- denn -die Decke war augenblicklich zum Waschen gegeben, um wieder verwandt zu -werden -- und mit gefalteten Händen träumte er der Ewigkeit entgegen. - -Träumte er? -- die Betten rechts von ihm (denn man hatte ihn zunächst -der Treppe gelegt, um ihn so fern als möglich von den übrigen Kranken zu -halten, die er bis jetzt durch sein wildes Schreien nur zu oft gestört und -erschreckt) standen leer. Das Hospital barg jetzt nicht so viele Patienten, -um nicht Raum genug für die Anwesenden zu finden. Der arme Doktor hatte in -dem Stadthospital Concurrenz bekommen, und sich doch so viele Mühe gegeben, -_seine_ Kranken behaglich unterzubringen. - -Und wie still das heute Abend dort oben war! Ein paar Leidende wimmerten -allerdings leise vor sich hin, aber sonst hörte man Nichts, als das dumpfe -Rauschen und Pfeifen des Windes und gelegentlich mit dem Luftzug, die von -unten herauf schallenden munteren Weisen der Trompeten und Violinen, -wie zuweilen das dumpfe Hämmern der großen Trommel, die ein Mulatte mit -unendlicher Ausdauer bearbeitete. Da unten herrschte Jubel und frische -Lebenshoffnung -- hier oben kauerte der _Tod_ und zählte die ihm -verfallenen Opfer. - -Die alte Missionsglocke schlug die zehnte Stunde, und kein Wärter ließ sich -sehen, obgleich der eine Fieberkranke schon lange nach einem Trunk Wasser -gewimmert hatte. Wer konnte es ihnen auch verdenken, daß sie nicht da oben -zwischen Jammer und Elend blieben, wo nur ein paar hölzerne Stufen sie -mitten unter Lust und Freude brachten? Es war Fandango auf der Mission -und ein paar Gläser =agua ardiente= (Branntwein) konnten ihnen gewiß nicht -schaden, um den Körper zu erwärmen, und die lange mühselige Nachtwache -nachher auszuhalten. Außerdem war der »Doctor« gerade heute nach der Stadt -geritten, und sie brauchten deshalb nicht zu fürchten, daß er sie bei einer -Vernachlässigung ihrer Pflicht ertappe, über welche sie sich selber wenig -genug Gewissensbisse machten. Hatten sie doch seit Wochen fast den oberen -Raum nicht verlassen dürfen, so lange der »Wahnsinnige« dort tobte und an -seinen Banden riß. Heute war der _erste_ freie Abend, den sie bekamen, und -den wollten sie denn auch nach besten Kräften nutzen. - -Hei, wie das durch die Ziegel pfiff! und drüben in der Lorbeerwaldung, -die in der Richtung nach San-Francisco zu lag, hatten dazu die Wölfe ihr -Abendconcert begonnen, die großen, braunen californischen Wölfe, und die -Cayotas, das kleine Steppengesindel, das mit seinen feinen Stimmen den -Diskant zu dem Grundbaß der ersteren heulte. Und wie deutlich konnte man -das hier oben hören, da der Luftzug die Laute gerade herübertrug, und wie -sonderbar das zu der Musik und dem Pfeifen des Sturmwinds klang! - -Die Glocke draußen hatte eben ausgeschlagen, als ein heftiges Zittern den -Körper des »Todten« überflog. Der Nachtwind wehte auch kalt genug, und dem -von Krankheit abgeschwächten Körper fehlte die schützende Decke, die ihn -sonst wenigstens warm gehalten. - -Der Kranke hob staunend den Kopf und horchte den fremden, wunderlichen -Lauten, die zu ihm herüberdrangen. Hatte er in einem Starrkrampf gelegen, -der bis dahin seine Glieder gefesselt hielt? Er fuhr sich mit der Hand -nach der Stirne -- auch die Hand war nicht mehr gebunden -- er hob sich vom -Lager und fühlte seinen Körper frei und unbehindert -- aber dunkle Nacht -umgab ihn -- er war nicht im Stande zu _sehen_, wo er sich befand, noch -hatte er eine Ahnung, an welcher Stelle das sein könnte. - -Wie schwach er auch geworden war! -- als er zum ersten Mal wieder auf den -Füßen stand, vermochten ihn seine Kniee kaum zu tragen, und er mußte sich -zurück auf das Bett setzen, um nicht umzusinken. -- Und wie das in seinem -Kopfe hämmerte, und pochte, und mit wilden, unheimlichen Gedanken herüber- -und hinüberzuckte! Aber die Musik da unten? -- er horchte hoch auf -- was -war das? wohin hatte ihn das Schicksal geführt? - -Er versuchte noch einmal aufzustehen, und als er herumtappte, trafen -seine Finger auf einen dünnen Kattunvorhang, hinter welchem er ein festes -Geländer fühlte. Er hob den Vorhang auf und glitt darunter durch; wie er -aber vorsichtig weiter tappte, trat sein Fuß ins Leere und er merkte bald, -daß er an einer Treppe stand. Einen Augenblick überlegte er, aber munterer -als vorher ertönten in diesem Moment wieder die Instrumente von unten -herauf, und ohne sich länger zu besinnen, stieg er hinab. - - * * * * * - -Wie das da unten lachte und jubelte und seiner unschuldigen Lust und Freude -folgte! Die Eier waren angekommen, und Marequita's Tänzer erschrak nicht -wenig, als ihm seine Tänzerin plötzlich, mitten im Fandango, die Mütze ein -wenig zurückschob, und er gleich darauf einen wahren Schauer von Eau de -Cologne an sich niederrieseln fühlte. - -»=Caramba, Señorita=« rief er aus, indem er erschreckt zurücksprang, »was -ist das?« -- Aber lautes Jubeln und Lachen beantwortete seine bestürzte -Frage und Marequita's Bruder hatte jetzt wirklich Mühe, nur noch -einen Theil seiner sorgfältig präparirten Eier für die Schwester -zurückzubehalten, denn von allen Seiten stürmten die jungen Mädchen auf -ihn ein, um ihm ein paar abzubetteln, oder auch, wenn das nicht ging, durch -List oder Gewalt zu entreißen, und jetzt brach der Muthwillen der jungen -Damen voll und entfesselt los. - -Und wie schön Marequita in dieser ungezwungenen Fröhlichkeit war -- wie -bildschön! Der arme Marineoffizier, der Jahre lang draußen auf öder See -herumgeschwommen, und hier zum ersten Mal wieder dem Reiz weiblicher -Liebenswürdigkeit begegnete und von dessen Zauber umsponnen wurde, war ganz -hingerissen. - -Der Tanz hatte einen Moment aufgehört, und jetzt begann ein neuer Fandango, -noch lebendiger als der vorige. - -»Marequita,« flüsterte er, indem er seinen Arm um ihre Taille legte, und -sie leise an sich zog, -- »Du bist eine Sirene, Mädchen, und ich könnte -verrückt werden, wenn ich mir nur die Möglichkeit denken müßte, Dich je -wieder zu verlieren -- von Dir vergessen zu sein. Sei mein, Marequita -- -in kurzer Zeit kehre ich zurück, und dann folgst Du mir in mein schönes -Vaterland!« - -Marequita sah zu ihm auf, ihre Blicke begegneten sich, aber in dem ihrigen -lag vielmehr Schelmerei als Liebe -- sie hob ihre Hand, und im nächsten -Moment fühlte er, wie sie sich aus seinen Armen wand, zugleich aber -auch seine Mütze ergriff, sich aufsetzte, und damit einem andern Tänzer -entgegenhuschte, mit dem sie im nächsten Augenblick den Fandango begann. -Der junge Offizier wollte ihr nach, ein alter Californier aber, der schon -den ganzen Abend die rauschende Musik mit seiner kaum hörbaren Guitarre -begleitet hatte, hielt ihn zurück und rief aus: - -»=Caramba, Señor=, das geht nicht -- das ist ein Recht der californischen -Señioritas beim Fandango, und wenn Ihr die Mütze wieder haben wollt, müßt -Ihr sie auslösen.« - -»O, wie gern!« rief der junge Mann, indem er einen Ring vom Finger zog und -jetzt die Zeit nicht erwarten konnte, wo die Geliebte einen Augenblick vom -Tanz zurücktrat. - -Marequita hatte aber nur das Zeichen zu dem neuen Scherz gegeben, denn die -andern jungen Damen folgten bald ihrem Beispiel, und allerliebst sahen sie -in der That in den kecken Seemannsmützen aus. - -Jetzt hielt Marequita dicht an der Thür, die in das Innere des Hauses -führte, und der junge Galan war im Nu an ihrer Seite. - -»Meine theure Marequita,« flüsterte er ihr zu, »wie glücklich machen Sie -mich, daß Sie mir Gelegenheit geben, Ihnen ein Andenken zurücklassen -zu dürfen -- wollen Sie es tragen?« -- Und dabei schob er ihr leise den -kleinen goldenen, mit einem Brillant gezierten Reif an den Finger; »darf -ich, Marequita?« - -Hinter Marequita trat ein Mann in einem rothwollenen Hemd in die Thür. Das -braungelockte Haar hing ihm aber über eine alabasterweiße Stirn -- sein -Antlitz selber sah todtenfahl aus, und nur die großen dunklen Augen -überflogen erstaunt den sich vor ihm öffnenden, buntgeschmückten und -hellerleuchteten Raum. Da traf der letzt geflüsterte Name sein Ohr, und -rasch und wie erschreckt schaute er auf das vor ihm stehende junge Paar. - -Marequita erröthete tief, als sie den Ring an ihrem Finger führte, und -flüsterte leise: - -»Tausend Dank, Señor, -- ich -- werde ihn tragen,« und der junge Mann, in -der Erregung des Augenblicks selbst die Umgebung vergessend, zog sie an -sich und preßte einen heißen Kuß auf ihren Nacken. - -»Marequita,« sagte eine hohle, tonlose Stimme, und das junge Mädchen wandte -bestürzt den Kopf. Da fiel ihr Blick auf die bleiche Gestalt und begegnete -den stieren, entsetzlichen Augen, die glühend und wie verzehrend auf ihr -hafteten. - -»=Ave Maria Purisima!=« schrie da eine entsetzliche Stimme; es war einer -der Krankenwärter, der sich in den Saal geschlichen, um hier zuzusehen: -»der Wahnsinnige -- der todte Wahnsinnige!« - -»Jerome!« stöhnte Marequita und schlug, ehe der Offizier nur zuspringen -konnte, um sie aufzufangen, schwerfällig und bewußtlos zu Boden nieder. - -»Der Wahnsinnige!« von Mund zu Mund lief der Schreckensschrei, und entsetzt -drängten die Mädchen von der Stelle hinweg, dem hinteren Theil des Zimmers -zu. - -Ob Jerome begriff, was hier geschah? Einen Moment stand er selber -regungslos, und wie scheu und erstaunt flog sein Blick über den inneren -Raum -- über die wild vor ihm fliehenden Gestalten der Mädchen. Da schrie -der Wärter wieder: - -»Haltet ihn, um der Mutter Gottes willen laßt ihn nicht fort!« und als ob -nur der Ton dieser Stimme ihn zum Leben zurückgerufen hätte, so zuckte der -Unglückliche empor. Sein Auge glühte, seine ganze Gestalt hob sich -- fast -unwillkürlich öffnete er dabei den Mund und zeigte seine beiden Reihen -blinkender Zähne, daß selbst die ihm nächsten Offiziere scheu davor -zurückwichen. - -»Haltet ihn! haltet ihn!« schrieen jetzt auch Andere, und drängten vor --- nur der junge Offizier kniete, gar nicht auf den unheimlichen Fremden -achtend, an der Seite der ohnmächtigen Geliebten und suchte sie zum Leben -zu erwecken. - -»Haltet ihn?« kreischte da Jerome, dessen ganze Wildheit bei dem Rufen -auf's Neue erwachte -- »haltet ihn?« und ehe ihn Jemand daran verhindern -konnte, riß er den kurzen Schiffsdolch, den der spanische Seeoffizier an -der Seite trug, aus seiner Scheide; »haltet ihn?« gellte er noch einmal, -die Waffe mit einem entsetzlichen Lachen schwingend -- »Raum da vorn!« und -zum Stoß ausholend, warf er sich mit wildem Muth mitten auf den dichtesten -Schwarm, der kaum so rasch zur Seite konnte, um ihm Bahn zu machen. - -Wohl streckten sich hie und da Arme nach ihm aus, um ihn zu halten, aber -nach rechts und links hinüber -- unbekümmert, wen er traf, stieß der -scharfe Stahl -- nach rechts und links stürzten die Männer übereinander, -zwei oder drei von ihnen schwer verwundet -- wer hätte sich ihm -entgegenwerfen wollen? und jetzt war er draußen im Freien, in der dunkelen -Nacht. - -»Marequita!« schrie seine gellende Stimme -- »Marequita!« und sein Fuß -berührte kaum den Boden, als er, die blutige Waffe noch immer in der Faust, -an der Mission hin dem Ufer der Bai entgegenflog. - -Einzelne der Tänzer und Zuschauer folgten ihm allerdings, oder thaten -wenigstens so, als ob sie ihm folgen wollten, aber es holte ihn Niemand -ein, und wenige Minuten später war er in der da draußen lagernden -Finsterniß verschwunden. - -Die Verwirrung, die jetzt in dem bis dahin noch so belebten Raum entstand, -war nicht zu beschreiben, und an eine Fortsetzung des Tanzes kein Gedanke -mehr. Zitternd und nur unter hinreichender Begleitung suchten die Mädchen -ihre Wohnungen zu erreichen, und Fackeln wurden dann angezündet, um den -entflohenen Kranken, bei dem es ein Räthsel blieb, wie er wieder vom Tode -erwacht sei, doch noch vielleicht aufzufinden -- aber vergebens. Der Boden -war zu sehr von Menschen zertreten, um irgend einer bestimmten Spur folgen -zu können, und unverrichteter Dinge kehrten die Männer erst spät in der -Nacht zu der Mission zurück. Auch die Offiziere der spanischen Fregatte -waren indessen wieder an Bord gerudert. - -Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch begannen die Bewohner der Mission alle -ihre Nachforschungen von Neuem und jetzt mit besserem Muth, denn es blieb -immer ein unbehagliches Gefühl, in Nacht und Nebel einem bewaffneten -Wahnsinnigen hinaus in die Dunkelheit zu folgen -- war auch wohl Keinem von -ihnen am letzten Abend rechter Ernst gewesen. Jetzt aber gestaltete sich -die Sache anders; mit Sonnenlicht war wenigstens die Gefahr beseitigt, daß -der entsetzliche Mensch im Finstern auf sie einspringen könne, und auf und -ab durchsuchten sie die Nachbarschaft und selbst den sandigen Waldrand, wo -sich die Fährten leicht erkennen ließen. Sogar nach San-Francisco wurden -Boten gesandt, um das Geschehene zu melden und dort nach dem Flüchtling zu -forschen. - -Sie hätten nicht nöthig gehabt, so weit nach ihm zu suchen. Als die Fluth -ablief, fanden Fischer seinen Leichnam auf dem Schlamm unmittelbar am Ufer -in der See und zwar genau in der Richtung, die er gestern Abend auf seiner -Flucht genommen, als er aus der Thüre des Missionsgebäudes sprang. Es war -auch damals gerade Fluth gewesen und ob er im Dunkeln von dem steilen Ufer -hinab in die See gestürzt, ob er absichtlich den Tod dort gesucht -- wer -hätte es sagen können? - -Er wurde still in das schon für ihn ausgeworfene Grab gelegt, und drei -Tage später verließ auch die spanische Fregatte die Bai von San-Francisco -wieder, um einer nur ihrem Kapitän bekannten Richtung zuzusteuern. - -Der junge Lieutenant war allerdings noch zweimal an Land und in dem Hause -von Marequita's Eltern gewesen, wo er das arme Mädchen bleich und in -Thränen fand. - -Und wann kehrte er wieder? -- Wer konnte es sagen; denn sein Weg ging durch -eine weite Strecke -- aber mit den heißesten Schwüren betheuerte er der -Jungfrau seine Liebe, und als er sie endlich verlassen mußte, barg sie laut -schluchzend ihr Antlitz an der Brust des Vaters. -- Es war zu viel für das -arme Kind gewesen; zu rasch war Schlag auf Schlag gefolgt. Von dem Tage -an -- tanzte sie nicht mehr, vier volle Wochen lang. Als ich aber -- etwas -nach dieser Zeit -- Californien verließ, blüheten ihre Wangen wieder wie -vordem, und sie war unstreitig das schönste Mädchen und die beste Tänzerin -auf der Mission Dolores. - - - - -Eine Polizeistreife in Cincinnati. - - -Eine so friedliche und geschäftige Stadt das halb von Deutschen bewohnte -Cincinnati ist, so hat sie doch trotzdem ihr »schlechtes Viertel,« und da -sich mir die Gelegenheit bot, es eines Abends zu besuchen, so versäumte ich -sie nicht. - -In den Hauptstraßen der Stadt und im ganzen übrigen Theil derselben -herrscht nämlich volle Sicherheit und man kann dort zu jeder Stunde der -Nacht ungefährdet passiren; dieses Viertel aber dürfte von einem anständig -gekleideten Menschen doch lieber zu vermeiden sein, denn der Auswurf der -Bevölkerung hat dort seinen Wohnsitz aufgeschlagen, und wer sich dahinein -mischt, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben. Ermordungen fallen dort -wenigstens gar nicht so selten vor, und noch am letzten Abend war ein -Bootsmann in einer dieser Winkelgassen erstochen worden, ohne daß man bis -jetzt im Stande gewesen wäre, den Thäter zu ermitteln. - -Ein Fremder, der sich dort allein hineinwagte, würde außerdem nichts weiter -zu sehen bekommen, als die der Straße zunächst gelegenen Trinklokale, und -man ihm nie gestatten, weiter in diese Höhlenwirthschaft einzudringen. -Dazu aber hat die Polizei das volle Recht und macht denn auch davon zu -unregelmäßigen Zeiten Gebrauch, um hie und da einmal einem dort vielleicht -versteckten Verbrecher auf die Spur zu kommen, oder die Insassen der -verschiedenen, ihnen wohlbekannten Cabachen zu revidiren. - -Einem solchen Streifzug, den zwei Polizeilieutenants (der Eine von ihnen -ein Deutscher) unternahmen, schloß ich mich mit einem Freunde an, und etwa -um acht Uhr Abends trafen wir uns auf der einen Polizeistation, die an sich -schon manches Interessante bot. - -Es sind das nämlich die Plätze, wo aufgegriffene Vagabonden oder auch -Verbrecher festgehalten werden, bis ihre Untersuchung eingeleitet und ihre -Strafe bestimmt werden kann, und die Art, wie man sie dort unterbringt, -ist so eigenthümlich wie praktisch. Man sperrt sie nämlich keineswegs in -kleine, aus dicken Mauern bestehende Zellen, mit eisenbeschlagenen Thüren -und Schlössern und sorgfältig verwahrten Oefen, durch welche sie aber noch -trotzdem manchmal ihren Weg zur Flucht suchen, sondern in einem großen -Saal, am Tag durch Fenster, Nachts durch Gas erleuchtet, stehen vier -oder fünf große viereckige, eiserne Käfige, aus starken Eisenblechbändern -zusammengenietet und ebenfalls mit einem eisernen Boden versehen, -zerstreut, und in ihnen befinden sich die verschiedenen Gefangenen. Die -Zwischenräume zwischen den Eisenblechstreifen sind aber so weit, daß man -überall leicht einen Arm durchstrecken kann, und gewähren dadurch über -das Innere einen durch nichts gehemmten Blick. Polizeileute gehen außerdem -fortwährend zwischen den verschiedenen Käfigen hin und her, und keiner -der Insassen kann sich auch nur bewegen, ohne daß es bemerkt wird. An ein -Ausbrechen ist deßhalb nicht zu denken, und ebensowenig können sie durch -Feuer Unheil anrichten -- das Eisen brennt nicht. - -Eines der Zimmer übrigens mit eben solchen, aber nicht verschlossenen -Käfigen ist für Obdachlose bestimmt, die selber bei der Polizei Schutz -gesucht haben, und gerade an dem Abend hatten sich zwei Frauen mit kleinen -Kindern da eingefunden, um hier die Nacht zuzubringen -- ja vielleicht auch -den andern Tag. Du lieber Gott, es war doch immer ein Schutz gegen Wind -und Wetter und wer weiß, welches unsagbare Leid die armen Frauen erst -durchgemacht, ehe sie diese letzte Hülfe in der Noth benützten. - -Wir hielten uns übrigens nicht sehr lange bei der Besichtigung dieser -verschiedenen Gruppen auf, sondern traten unseren Marsch an, der uns in die -östlich gelegenen Distrikte der Stadt, oder in das sogenannte Negerviertel -führte. - -Zuerst besuchten wir hier eine Negerkirche, die sich, wenn auch an einem -Wochentage, ziemlich stark besucht zeigte. Besonders ragten die »farbigen« -Ladies durch bunten Putz und Schmuck hervor, und es sollte mich gar nicht -wundern, wenn sie es schon den »weißen« Ladies abgesehen hätten, nur -deßhalb nämlich das Gotteshaus zu besuchen, um dort ihren bunten Plunder -zur Schau zu tragen. - -Der Geistliche -- ein dunkler Mulatte, hielt eine schale, nichtssagende -Predigt voll lauter Phrasen und dabei ohne jede Begeisterung oder Wärme und -etwa mit einer Betonung auf jedem Wort, als ob er immer hätte sagen wollen: -»Nun, hab' ich nicht recht? -- ist die ganze Sache nicht sonnenklar, -und kann irgend ein vernünftiger Mensch irgend etwas dagegen einzuwenden -haben?« -- Er blieb dabei auf der sehr breiten Kanzel auch nicht etwa -stehen, sondern lief darauf hin und her, sich bald an diesen, bald an jenen -Theil seiner Zuhörer wendend. Große Ruhe schien aber nicht beobachtet zu -werden, denn fortwährend kamen und gingen Leute, und machten oft Lärmen -genug dabei. - -Uebrigens stand diese Kirche genau an der Grenze des berüchtigten Viertels, -und von dort an begannen schon die einzelnen Buden und Trinklokale, aus -denen hie und da der Ton einer einsamen Violine heraustönte. Es herrschte -auch jetzt gerade kein rechtes Leben zwischen dieser Menschenklasse, denn -der Fluß war zu niedrig, die Dampfboote konnten nicht fahren, und gerade -die farbigen Dampfbootleute sind es, die hier ihre Orgien feiern und den -schmutzigen Strudel in Bewegung halten. - -Wir betraten jetzt einige der Plätze, in denen unten, bei der Beleuchtung -eines einzelnen Talglichts, oder einer Petroleumlampe, schnöder Whisky -und grauenvolle Cigarren feil gehalten wurden, und nicht einmal mehr -geschminkte weiße und schwarze Dirnen, durcheinander gemischt, ihr Glas -tranken und ihre Cigarre rauchten. Die Herren von der Polizei hielten -sich aber nicht lange in diesen vorderen Räumen auf, denn was hier weilte, -brauchte das Licht -- wenigstens dieser Nachbarschaft -- nicht zu scheuen. -Sie wußten auch überall schon genau Bescheid, wohin sie sich zu wenden -hatten; bald krochen sie, unmittelbar hinter dem Schenkstand, eine steile -Treppe empor, die eher einer Leiter glich, bald wandten sie sich der -Hinterthür zu, schritten über einen engen, stockfinsteren Hofraum und -überraschten dadurch die Bewohner eines baufälligen, halbverfallenen -Hinterhauses. - -Wir folgten ihnen natürlich auf dem Fuß und: »Jammer, von keiner -Menschenseele zu fassen!« hätte ich manchmal ausrufen mögen, wenn wir -einzelne dieser höhlenartigen Wohnungen betraten. - -Dort, unter Lumpen, lag auf einer schmutzigen Strohmatratze eine -menschliche Gestalt zusammengekauert. - -»Wer ist das?« - -»Meine Schwester,« sagte eine alte, in der Ecke kauernde Frau, die man -natürlich keines Grußes gewürdigt hatte, »sie ist krank.« - -Auf dem Tisch flackerte ein fast niedergebranntes Talglicht seinen -düsteren, unbestimmten Schein durch das Gemach, blies doch der kalte -Nachtwind durch drei oder vier losgefaulte Planken in der Wand, aber der -amerikanische Polizeilieutenant begnügte sich nicht mit der Antwort -- war -es doch ein zu gewöhnlicher Kniff dieser Art Leute, irgend Jemanden, den -sie verstecken wollten, für einen Kranken auszugeben. Er zog ziemlich -unsanft die Decke fort, und scheu und erschreckt schaute ein hohläugiges, -bleiches Antlitz zu ihm auf. Es war in der That die kranke Schwester. - -»Holla, Betsy, seit wann seid Ihr wieder nach Cincinnati gekommen?« - -Die Kranke konnte nicht antworten und zog die Glieder fröstelnd zusammen, -so daß der Lieutenant ihr die Decke wieder überwarf. Die Schwester -antwortete für sie. - -»Ihr Mann hat sie so mißhandelt und die wenigen Cents, die sie verdient, -auch noch vertrunken, ohne ihr je nur einen Laib Brod in's Haus zu tragen. -Da hat sie sich hier herunter geschleppt, um hier zu sterben.« - -Es war ein Bild des Jammers, nicht des Verbrechens und doch lehnte daneben -auf einer alten Schiffskiste ein halbtrunkenes schwarzes Mädchen, das -nur noch genug Besinnung hatte, um die zerfetzten Oberkleider ein wenig -zusammen zu raffen. - -Wir gingen weiter. Aus diesem Hintergebäude gleich in ein anderes -hinübersteigend -- und der Weg war nicht angenehm, denn man sah gar nicht, -wohin man den Fuß setzte, -- erreichten wir ein niederes, schmales Haus, -in welchem oben, in zwei verschiedenen Fenstern Licht brannte. Ohne Zögern -stiegen wir die eine, durch die offenstehende, obere Thür matt beleuchtete -Treppe hinan und fanden oben in dem Gemach Gesellschaft. Zwei junge, weiße -Damen lebten hier in dem ärmlichen Raum, und auf einem dreibeinigen -Stuhl saß ein Neger-Elegant, seinen Filzhut etwas verlegen in der Hand -herumdrehend. - -Der eine Polizeilieutenant trat, ohne die Gruppe mehr als eines flüchtigen -Blickes zu würdigen, in das nächste Zimmer und leuchtete hinein -- aber -es war leer. Eines der beiden Mädchen wohnte wahrscheinlich darin, und war -hier auch wohl weiter nichts Verdächtiges zu finden -- nichts wenigstens, -gegen was die Gesetze des Staates hätten einschreiten können. - -Als wir die Straße wieder erreichten, hörten wir in einer der nächsten -Negerspelunken Musik und fanden den Raum gedrängt voll Menschen. Ein -paar von diesen drückten sich nun wohl ab, als sie die Polizeiuniformen -erkannten, denn es giebt Konstitutionen, denen dieselben antipathisch sind; -die meisten hielten aber wacker Stand, und wir fanden jetzt im Inneren -einen alten Neger, beide Hände auf das Widerlichste verkrüppelt, der mit -den Stumpfen eine Art von Banjo spielte und mit dicker, schwerer Stimme ein -paar amerikanische Gassenhauer in seinem Negerdialekt sang. - -Der eine Polizeilieutenant wünschte mir gern den Genuß eines Negertanzes zu -machen, aber die Damen schienen sich zu geniren; es wollte keine den Anfang -machen, bis er sich eine aus dem Schwarm herausfing und ihr ein Stück -Papiergeld vorhielt, das sie haben sollte, wenn sie eine Jig tanzte. Sie -schien allerdings, trotz dem Geld, keine besondere Lust dazu zu haben, sah -aber auch, daß sie nicht wieder fortkonnte, denn er hielt sie fest, und -griff deßhalb nach dem Gelde. Es war eine kleine dicke, wie es schien, -unbehülfliche Gestalt, warf aber jetzt die Füße nach dem Takt der von dem -alten Neger gespielten Musik mit außerordentlicher Geschicklichkeit um -sich, daß sie mit Hacken und Zehen selbst die Zweiunddreißigstel zu den -Achtelnoten schlug. Wie wir aber nun glaubten, daß sie jetzt selber warm in -dem Tanz geworden wäre, machte sie plötzlich einen Seitensprung und tauchte -mitten zwischen die laut auflachende Zuschauermasse unter, aus der sie -natürlich nicht wieder herausgefischt werden konnte. - -Das genügte übrigens auch vollständig für eine Probe, und wir schritten -über die Straße nach einem anderen Gebäude hinüber, dem die Polizisten -nicht recht zu trauen schienen. Dort fanden wir in einem Raum, den ein -einzelner Mann fast beanspruchen würde, wenn er bequem leben sollte, -eine ganze Kolonie von Familien, und zwar zwei Negerfamilien und -- -eine deutsche in Schmutz und Unrath dabei, den es nicht möglich wäre zu -beschreiben. Ich konnte mir auch nicht helfen und frug den Deutschen, -wie er nur im Stande sei, es in einer solchen Pesthöhle mit den Seinen -auszuhalten, aber er zuckte die Achseln und meinte: »es wäre ihm hier in -Amerika nicht besonders gut gegangen, und die Neger seien nicht so schlimm, -als sie gemacht würden; es ließe sich recht gut mit ihnen leben.« - -Der deutsche Polizeilieutenant sagte mir übrigens nachher, daß nicht etwa -die Noth deutsche Familien in einen solchen Zufluchtsort dränge, sondern -daß sich derartiges Volk wahrscheinlich schon daheim in ähnlicher Umgebung -herumgetrieben habe, oder hier durch lüderliches Leben dazu gebracht -sei. Uebrigens wären die Fälle gar nicht etwa so selten, und ich könnte -verschiedene »deutsche Familien« in »ähnlicher Art« gehaust finden. - -Wieder in die Straße hinüberkreuzend, betraten wir ein anderes Schenklokal, -in welchem drei Neger Karten mitsammen spielten. - -»Wo habt ihr denn den Einsatz?« frug sie der Polizeimann, und sie wußten -recht gut, daß sie nicht um Geld spielen durften. - -»O, Mister,« sagte der eine Neger grinsend, »wissen wohl, wir sind viel zu -arm, als daß wir um Geld spielen könnten -- spielen nur darum, wer von uns -nächstes Jahr Präsident wird.« - -Der Polizeilieutenant lachte und ging der Hinterthür zu. - -»=For Gods sake Massa!=« sagte der eine Neger aufspringend, und mit -ziemlich lauter Stimme: »Nehmen Sie sich in Acht, ist ein großes Loch im -Hof.« - -»Schon gut, mein Bursch,« rief aber der Polizeimann ärgerlich, »kümmere -Du Dich um Dich; ich kenne den Platz vielleicht so gut wie Du« -- und ohne -sich weiter irre machen zu lassen, stieg er im Hof rasch einige in den -Grund gestochene Stufen -- die bei Regenwetter völlig unpassirbar sein -mußten -- hinauf und verschwand dann in dem oberen Haus oder vielmehr -in der Dunkelheit. Ich muß jedoch gestehen, daß wir Anderen ihm viel -vorsichtiger folgten, denn die Warnung mit dem tiefen Loch war an uns -nicht so spurlos vorübergegangen. Wir erreichten jedoch glücklich das obere -Gebäude, ohne freilich etwas Verdächtiges dort zu finden. Hatte sich irgend -Jemand da versteckt gehabt, so war es ihm auch ein Leichtes gewesen, sich -aus dem Staub zu machen, denn er brauchte nur über eine der nächsten, -niederen Planken zu steigen, um damit schon vollständig aus Sicht und -Bereich zu kommen. - -In der nächsten Bude fanden wir, neben anderen weiblichen Gästen, eine -junge, aber sehr leidend aussehende Frau, die nichtsdestoweniger ein Glas -mit Whisky vor sich stehen hatte. - -»Und bist Du wirklich hier wieder zurück in das Viertel gekommen, Margot?« -sagte der Amerikaner, »hast Du nicht fest versprochen, daß wir Dich hier -nicht wieder finden sollten?« - -»Ich halte auch mein Versprechen,« sagte die junge Frau finster und leerte -dabei das Glas auf einen Zug; »habt keine Furcht, daß Ihr mich hier -wieder trefft, denn zum zweiten Mal möchte ich das nicht durchmachen. -Nur hereingekommen bin ich, um meine Kiste abzuholen, aber vor einer -Viertelstunde kam der Mann erst mit seinem Pferd nach Haus, und jetzt muß -ich hier schon noch einmal die Nacht schlafen. Heute bringt er sie mir -nicht mehr fort, und wenn ich ihm einen Dollar dafür böte.« - -Es war überall das Nämliche: Jammer und Elend, aber nirgends Rauferei -oder wüster Lärm, eine sichere Folge der schweren Zeiten. Bei nur geringem -Verdienst konnten die Leute die fabelhaft hohen Whiskypreise nicht mehr -erschwingen, denn wo sie sonst die Flasche um zehn Cents gehabt, sollten -sie jetzt einen Dollar dafür bezahlen -- deßhalb auch dieser anscheinend -moralische Frieden in dem »schlechten Viertel.« - -Auf dem Rückweg nach dem bessern Theil der Stadt sprachen wir noch, der -Merkwürdigkeit wegen, in einem echten Negerbillardsaal vor, denn die -schwarzen, neugebackenen »Gentlemen« haben sich jetzt eifrig diesem Spiele -zugewendet. Der Besitzer desselben schien indessen ebenfalls unter den -»schlechten Zeiten« zu leiden, denn wir fanden keinen einzigen Gast mehr in -dem elegant genug ausgestatteten Raum, der, eine Treppe hoch gelegen, ein -großes, hübsches Billard und einen reich ausgestatteten Schenkstand zeigte. -Wir tranken auch dort einmal und ließen uns einige Cigarren geben und -fanden beides, Getränk und Tabak, gut und preiswürdig. - -Am nächsten Morgen wohnte ich auch einer Gerichtssitzung bei, wo die über -Nacht aufgebrachten Vagabonden abgeurtheilt und verschiedene andere -Dinge verhandelt wurden. Es war aber die alte, sich ewig wiederholende -Geschichte: Trunkene, die in ihrem Rausch Prügeleien angefangen, Frauen, -die von ihren Männern mißhandelt worden, und in ihrer Verzweiflung bei den -Gerichten Schutz suchten, nichtsnutzige Dirnen, die einander in die Haare -gerathen, und würdige dicke Damen, die Hüte mit allen möglichen seidenen -Bändern und Blumen besteckt, die bezüchtigt waren, ein lüderliches Haus -zu halten, das durch seinen ewigen Lärm die Nachbarschaft ununterbrochen -störte. Es that Einem dann ordentlich in der Seele wohl, die gerechte -Entrüstung zu sehen, mit welcher sie eine solche Verdächtigung von sich -wiesen, und die Resignation zugleich, mit der sie sich zu fünfzig Dollars -Strafe oder auch sechs Monat Gefängniß verurtheilen ließen. Ueberhaupt fiel -mir auf, daß die Strafen von einem alten, sehr ruhigen Herrn, besonders für -Straßenunfug, außerordentlich streng und unerbittlich diktirt wurden. Sechs -bis zehn Monat Arbeitshaus kamen in den paar Stunden für gewöhnlichen Unfug -mehrere Male vor, aber es mag auch unumgänglich nöthig sein, denn wenn man -nur in die von Verbrechen und allen bösen Leidenschaften gefurchten Züge -dieser Menschenklasse schaut, so kann man sich nicht verhehlen, daß sie -eine leichte Strafe nur verspotten würden. Selbst diese kann sie nicht -heilen, sondern entzieht sie nur für kurze Zeit ihrem lüderlichen und -wüsten Leben, das sie, wenn wieder freigegeben, doch augenblicklich von -Neuem beginnen. - -Ein höchst interessanter Fall kam an dem Morgen vor, leider aber nicht zur -Entscheidung, und zwar ein junges, der Brandstiftung beschuldigtes Mädchen. -In der Nachbarschaft waren, bald hintereinander in unerklärlicher Weise, -mehrere Brände ausgebrochen, und das halbe Kind, denn sie konnte kaum -dreizehn Jahre zählen, wurde beschuldigt, das Feuer an allen diesen Stellen -angelegt, ja es sogar gegen Einen der Zeugen gestanden zu haben. Aber -keiner von Allen klagte sie an, die That böswillig verübt zu haben, denn -dazu lag nicht der geringste Grund vor, der dagegen in einer Art von -Wahnsinn, in einer Krankheit, gesucht werden sollte, die sie zwang, überall -Feuer anzulegen, um sich nachher an der Gluth zu freuen. - -Sie selber saß gebückt auf der Anklagebank, und das große Bonnet, das sie -trug, beschattete ihre, nur selten sichtbaren Züge. Ihr Advokat saß an -ihrer Seite, flüsterte nur manchmal mit ihr, und behauptete ihre Unschuld. -Sie selber sprach fast gar nicht, nur wenn er sich mit einer Frage leise -an sie wandte, schien sie mit ein paar ganz kurzen Worten zu erwiedern. Die -gegen sie vorgebrachten Verdachtgründe reichten indessen noch lange nicht -hin, sie zu verurtheilen -- wirkliche Beweise waren gar nicht vorhanden, -und der Fall mußte deshalb auf einige Zeit hinausgeschoben werden, um -beiden Theilen Gelegenheit zu geben, sich zu Anklage wie Vertheidigung zu -rüsten. - -Leider verließ ich schon vor der Zeit Cincinnati. - - -Leipzig, - -Druck von Giesecke & Devrient. - - - - -[ Hinweise zur Transkription - - -In "Den Teufel an die Wand malen" fehlen Kennzeichnung und Überschrift des -siebten Kapitels. - -Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription -werden _gesperrt_ gesetzte Schrift sowie Textanteile in =Antiqua-Schrift= -hervorgehoben. - -Fehlende und falsch gesetzte Anführungszeichen wurden korrigiert, sowie -gegebenenfalls "«," geändert in ",«". - -Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich -uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Billette" -- "Billete", -"Cajüte" -- "Kajüte", "Compaß" -- "Kompaß", "erwiderte" -- "erwiederte", -"Hôtel" -- "Hotel", "müssig" -- "müßig", "Paar" -- "paar", "weshalb" -- -"weßhalb", - -mit folgenden Ausnahmen, - - Seite 1: - "hiel" geändert in "hielt" - (in der Hand ein großes Herz hielt) - - Seite 1: - "," entfernt hinter "sie" - (wie man sie wohl von Pfefferkuchen macht) - - Seite 1: - "," eingefügt - (ohne vorheriges Anklopfen, die der Wand gegenüber) - - Seite 5: - "." eingefügt - (einen guten und väterlichen Rath zu ertheilen.) - - Seite 5: - "grünbebewachsenen" geändert in "grünbewachsenen" - (einem grünbewachsenen, ziemlich schräg abfallenden) - - Seite 5: - "irgend wo" geändert in "irgendwo" - (noch irgendwo einen Räuberhauptmann anbringen) - - Seite 13: - "." geändert in "?" - (»Und woher willst Du das wissen?«) - - Seite 25: - "So bald" geändert in "Sobald" - (Sobald er aber hinter die Aehnlichkeit kommt) - - Seite 28: - "meist" geändert in "meinst" - (daß Du es wirklich gut mit mir meinst) - - Seite 30: - "," eingefügt - (und fürchte fast, daß ich morgen) - - Seite 33: - "," eingefügt - (aber er fing an, die Sache in einem anderen Licht) - - Seite 33: - "," eingefügt - (und beschloß deshalb, langsam und in aller Ruhe) - - Seite 34: - "ab" geändert in "ob" - (sondern als ob sein eigenes Schicksal) - - Seite 40: - "ein" geändert in "eine" - (Also eine Mademoiselle war die Dame) - - Seite 42: - "," eingefügt - (Papa,« sagte Clemence) - - Seite 42: - "," eingefügt - (Unsinn,« rief lachend der alte Herr) - - Seite 42: - "." geändert in "," - (»Nichts daran auszusetzen,« wiederholte der Vater) - - Seite 47: - "Wären" geändert in "Waren" - (Waren Sie jener junge Fremde?) - - Seite 53: - "," eingefügt - (fand ihn entschlossen, heute sich durch Nichts) - - Seite 62: - "Sie" geändert in "sie" - (»Nein,« sagte sie) - - Seite 62: - "Sie" geändert in "sie" - (setzte sie freundlicher hinzu) - - Seite 74: - "." geändert in "?" - (»Und wo hält er sich jetzt auf?«) - - Seite 76: - "du" geändert in "Du" - (Bleibst Du hier in M--?) - - Seite 118: - "Biberich" geändert in "Bieberich" - (»Und wohin wenden wir uns von Bieberich?«) - - Seite 122: - "hatt" geändert in "hatte" - (und sie hatte nicht viel Zeit) - - Seite 123: - "," eingefügt - (»Ich habe einen Begleiter gefunden,« sagte Clemence) - - Seite 136: - "vorrigen" geändert in "vorigen" - (ganz das nämliche im vorigen Jahr) - - Seite 140: - vertauschte "," und "." korrigiert - (setzte, denn von dem Augenblick an hielt sie sich für sicher.) - - Seite 144: - "so bald" geändert in "sobald" - (denn sobald er die lieben) - - Seite 159: - "Trautena" geändert in "Trautenau" - (Aber Trautenau war nicht in der Stimmung) - - Seite 160: - "," eingefügt - (»Wir sind die Ersten,« begann der Officier) - - Seite 165: - "Hauskecht" geändert in "Hausknecht" - (was ich eben von dem Hausknecht gehört) - - Seite 182: - "den" geändert in "denn" - (denn auf den anderen Inseln waren die Früchte) - - Seite 184: - "Kapitan" geändert in "Kapitän" - (Der Kapitän hoffte noch) - - Seite 186: - "ihre" geändert in "Ihre" - (Rufen Sie Ihre Wacht an Deck.) - - Seite 189: - "," hinter "dem" entfernt - (fühlten sie mit dem ausgeworfenen Loth) - - Seite 201: - "?" geändert in "!" - (Die Schwarzen haben Booby-island besetzt!) - - Seite 214: - "," eingefügt - (Steuermann -- Ihr, Bill) - - Seite 222: - "Zimmermannn" geändert in "Zimmermann" - (Der Zimmermann that dies mit Vergnügen) - - Seite 227: - "ihm" geändert in "im" - (Tabaksbeutel vorn im Knopfloch baumelnd) - - Seite 238: - "mußte" geändert in "wußte" - (von dem lustigen Leben draußen wenig wußte) - - Seite 252: - ";" geändert in ":" - (seinen Hut schnell herunterreißend, erwiederte er höflich:) - - Seite 263: - "keinen" geändert in "kleinen" - (dem Haus mit dem kleinen Thurm) - - Seite 265: - "ihn" geändert in "ihm" - (Lange Zeit ließen ihm aber die Insassen nicht) - - Seite 273: - "." eingefügt - (Und nun komm, Kamerad -- es ist Zeit.) - - Seite 276: - "," eingefügt - (von Seeschlangen, Algen und Korallen keine Spur) - - Seite 278: - "." geändert in "?" - (stammelte Hasenmeier, »hab' ich denn Alles bezahlt?«) - - Seite 278: - "," eingefügt - (bist Du aber noch schuldig, mein Bursch) - - Seite 300: - "Aufenthalsort" geändert in "Aufenthaltsort" - (in jenem entsetzlichen Aufenthaltsort liegen bleiben)] - - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Kreuz und Quer, Erster Band, by -Friedrich Gerstäcker - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZ UND QUER, ERSTER BAND *** - -***** This file should be named 54555-8.txt or 54555-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/4/5/5/54555/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This file was produced from images -generously made available by The Internet Archive) - 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Kreuz und Quer, Erster Band - Neue gesammelte Erzählungen - -Author: Friedrich Gerstäcker - -Release Date: April 16, 2017 [EBook #54555] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZ UND QUER, ERSTER BAND *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This file was produced from images -generously made available by The Internet Archive) - - - - - - -</pre> - - - -<h1>Kreuz und Quer.</h1> - -<p class="ce mt2 lh2">Neue gesammelte Erzählungen<br /> -<span class="fss">von</span><br /> -<span class="fsl"><span class="ge"><b>Friedrich Gerstäcker.</b></span></span></p> - -<p class="ce mt2 lh2">Erster Band.</p> - -<p class="ce mt2"><span class="ge"><b>Leipzig,</b></span><br /> -<span class="ge">Arnoldische Buchhandlung.</span><br /> -1869.</p> - - -<h2>Inhaltsverzeichniß.</h2> - - -<div class="ce"> -<table summary="" border="0" cellpadding="2"> -<tr> - <td class="tdr fss" colspan="2">Seite</td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">1. Den Teufel an die Wand malen</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_001">1</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">2. Booby-island</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_176">176</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">3. Zacharias Hasenmeier's Abenteuer</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_225">225</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">4. Das Hospital auf der Mission Dolores </td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_280">280</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">5. Eine Polizeistreife in Cincinnati</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_330">330</a></td> -</tr> -</table> -</div> - - -<h2><a class="pagenum" id="page_001" title="1"> </a> -<span class="ge">Den Teufel an die Wand malen.</span></h2> - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Erstes Kapitel.</span></span><br /> - -Das Wandgemälde.</h3> - - -<p>In seinem kleinen Atelier, drei Treppen hoch in -der Osterstraße, stand der junge Maler Ernst Tautenau -auf einer Art von Treppenleiter, die Kohle in -der Hand, und entwarf auf der weiß getünchten Seitenwand -eine groteske Figur in übermenschlicher Größe.</p> - -<p>Es schien eine Art von Faun zu sein – ein nicht -unschöner Kopf, aber mit gierig lüsternem Blick, und -breiten, sinnlichen Kinnbacken – der nackt, nur mit -einem breiten Gürtel von Weinlaub und – sonderbarer -Weise Spielkarten um die Hüften, trotzdem ein -paar große Epauletten auf den bloßen Schultern trug, -aber in der Hand ein großes Herz hielt, wie man sie -wohl von Pfefferkuchen macht, und eben im Begriff -stand dasselbe auseinander zu brechen.</p> - -<p>Er war noch eifrig mit der Ausführung der Figur -beschäftigt, als sich, ohne vorheriges Anklopfen, die -der Wand gegenüber liegende Thür öffnete, und ein -<a class="pagenum" id="page_002" title="2"> </a> -junger Mann mit breitrandigem schwarzen Filzhut, -den Zipfel des langen blauen Mantels über die linke -Schulter geschlagen, dabei mit vollem weichen braunen -Bart und ein paar großen ehrlichen Augen, lachend -auf der Schwelle stehen blieb, und das neu erstehende -Werk des Freundes betrachtete.</p> - -<p>»Alle Wetter Ernst,« rief er dabei, »was malst -Du denn da? ich glaube gar »den Teufel an die -Wand.« Was fällt Dir denn ein?«</p> - -<p>»Du könntest am Ende Recht haben, Frank,« sagte -der Angeredete, der kaum den Kopf nach dem Eintretenden -wandte, und sich auch in seiner Arbeit nicht -stören ließ. »Der Bursche ist in der That mehr -Teufel als Faun und eine kleine Aenderung kann da -nachhelfen.« Noch während er sprach wuchsen der -Gestalt an der Wand ein paar kurz aufsteigende spitze -Hörner und zwischen den Kartenblättern und dem -Weinlaub krümmte sich ein, mit einem dicken Haarbüschel -versehener Schweif heraus.</p> - -<p>»Hahaha,« lachte Frank, »der Teufel mit Epauletten -– gewissermaßen in Generals-Uniform bei -großer Gala – die Idee ist nicht schlecht. Aber, -Menschenkind, was soll die Spielerei? oder arbeitest -Du im Auftrag irgend eines Ministeriums, um vielleicht -Frescobilder für einen Ständesaal zu entwerfen?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_003" title="3"> </a> -»Und kennst Du den Burschen nicht?«</p> - -<p>»Wen? Seine höllische Majestät mit dem Pfefferkuchen-Herz -in der Hand? – Das muß gut zu dem -Schwefel schmecken?«</p> - -<p>»Ich meine das Gesicht.«</p> - -<p>»Hm, in dem Gesicht liegt in der That etwas Bekanntes,« -sagte Frank, es jetzt aufmerksamer betrachtend. -»Also es ist keine Phantasie?«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>»Portrait?«</p> - -<p>»Vielleicht – Du kennst das Original jedenfalls.«</p> - -<p>»Zum Teufel auch, die Epauletten bringen mich -darauf – der Major von Reuhenfels, wie?«</p> - -<p>Ernst nickte stumm vor sich hin – »Allerdings,« -sagte er endlich, »der Herr Major von Reuhenfels, -den ich mir hier zu meinem besonderen Vergnügen abconterfeit -habe.«</p> - -<p>»Und liebst Du den so sehr, daß Du sein Bild -immer vor Augen haben willst?«</p> - -<p>»Ja,« sagte Ernst finster und mit fest zusammengebissenen -Zähnen, »so innig, daß ich – aber zum -Teufel auch, ich will mir den schönen Tag nicht verderben -und habe mir nur den Spaß gemacht die Fratze -hier an die Wand zu zeichnen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_004" title="4"> </a> -»Aber Du hast karrikirt – der Major ist wirklich -was man einen schönen, stattlichen Mann nennt.«</p> - -<p>»Ein Fleischklumpen mit einem paar Unterkiefern, -wie eine Kuh.«</p> - -<p>»Das spricht für seine gastronomischen Leistungen,« -lachte Frank.</p> - -<p>»Und mit einem paar Lippen wie ein Faun – -selbst der Schnurrbart kann den widerlichen Zug derselben -nicht verbergen.«</p> - -<p>»Aber sage mir nur, weshalb Du eine solche Wuth -auf den armen Teufel hast. Hat er Dir denn je etwas -zu Leide gethan?«</p> - -<p>»Ich habe noch nie ein Wort mit ihm gesprochen.«</p> - -<p>»Also gefällt Dir blos sein Gesicht nicht.«</p> - -<p>»Du setzest die Worte falsch – mir gefällt sein -Gesicht nicht bloß, er sollte einen Schleier darüber -tragen, wie der Prophet von Khorassan und ich glaube -bei Gott, er hat in seinem Charakter Aehnlichkeit -mit dem.«</p> - -<p>Frank lachte, warf den Mantel und Hut auf den -nächsten Sessel, sich selber in einen, der Staffelei -schräg gegenüber stehenden Lehnstuhl und sagte dann, -indem sein Blick an dem auf der Staffelei befindlichen -und noch nicht vollendeten Bild haftete:</p> - -<p>»Du hast etwas auf dem Herzen, Ernst, herunter -<a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a> -damit, ich bin gerade in der Stimmung Dir als -»älterer Freund« – denn Dein Geburtstag fällt auf -den 25sten, meiner aber schon auf den 14ten Juni, -einen guten und väterlichen Rath zu ertheilen. – -Aber vorher sage mir erst einmal, was Du aus dem -Bild da machen willst. Ich werde nicht daraus klug, -und Du mußt es ja auch in den letzten zwei Tagen, -wo ich Dich nicht gesehen, nur so auf die Leinwand -geworfen haben.«</p> - -<p>Das Bild stellte eine wilde Alpenlandschaft vor, -mit rechts einer sogenannten »Lanne,« einem grünbewachsenen, -ziemlich schräg abfallenden Bergabhang, -an welchem ein paar einzelne Lärchen-Tannen wuchsen. -An der einen stand eine Mädchengestalt, mit im -Winde flatternden Locken, und den Baum, wie Schutz -suchend, umklammernd. Oben an der, von der Lanne -emporstrebenden Bergwand, setzte ein Rudel Gemsen -in voller Flucht hinüber – die Thiere waren wenigstens -flüchtig angedeutet.</p> - -<p>»Was soll denn das vorstellen?« – fuhr er nach -einer kleinen Weile fort – »willst Du noch irgendwo -einen Räuberhauptmann anbringen, der die junge -Dame überfällt? Sie umfaßt ja den Baum als ob sie -ihn im Leben nicht wieder los lassen wollte.«</p> - -<p>Trautenau hatte seine Arbeit indessen keinen -<a class="pagenum" id="page_006" title="6"> </a> -Augenblick unterbrochen, und die Gestalt an der Wand -nur noch immer mehr ausgeführt. Er verschönerte -aber die Figur keineswegs, und schien fast Gefallen -daran zu finden, den Ausdruck aller bösen Leidenschaften -in das Gesicht hinein zu legen. Jetzt drehte -er sich um, stieg herunter, warf die Kohle auf den -Tisch, wusch sich die Hände in einem daneben stehenden -Becken und sagte:</p> - -<p>»Du sollst die Geschichte hören, Frank – wenn -auch nur in ihren flüchtigen Umrissen – ich wollte es -Dir schon lange erzählen, und Dich um Deinen Rath -fragen. Aber wir müssen dazu ungestört sein, denn -wenn ich einmal unterbrochen werde, weiß ich nicht, -ob ich den Muth haben werde, zum zweiten Male zu -beginnen.«</p> - -<p>Damit ging er zur Thür, riegelte sie zu, warf -noch einen festen Blick über das unvollendete Bild -auf der Staffelei und begann dann, indem er mit untergeschlagenen -Armen im Zimmer auf- und abging:</p> - -<p>»Ich war im vorigen Herbst, wie Du weißt, in Tyrol, -jene Gegend ist aus einem der dortigen Thäler; ich -wanderte mit meiner Mappe durch den wilden Grund, -als ich plötzlich einen gellenden Hülferuf höre, und -aufschauend, gar nicht so weit über mir eine weibliche -Gestalt in einem lichten Kleide und jener Stellung, -<a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a> -wie Du sie hier auf dem Bilde findest, den Baum umklammern -sehe. Nirgend weiter war mehr ein menschliches -Wesen zu entdecken, und obgleich ich mir nicht -denken konnte, weshalb die Dame schrie, denn eine -Gefahr gab es ringsum nicht, säumte ich doch nicht, so -rasch mich meine Füße trugen, dort hinauf zu eilen, -was auch mit keinen großen Schwierigkeiten verbunden -war.«</p> - -<p>»Ich fand ein Mädchen – erlaß mir die Beschreibung -– Du kennst sie auch wahrscheinlich selber, denn -sie wohnt seit vorigem Winter mit ihrem Vater hier -in M–«</p> - -<p>»Und wie heißt sie?«</p> - -<p>»Den Namen nachher. – Es war ein Wesen, so -zart und duftig, als ob es dieser Erde gar nicht angehöre -– eine Bergelfe, die ihre Zeit verpaßt, und am -hellen Tag aus ihrem Schlupfwinkel herausgekommen -war, um sich –«</p> - -<p>»An einen Baum anzuklammern und zu schreien,« -sagte Frank trocken.</p> - -<p>»Du hast sie nicht gesehen und verstehst mich -deshalb nicht,« erwiderte, verdrießlich über den prosaischen -Einwurf, der Freund. »Was wußte das arme -Kind von den Bergen. Muthwillig, in kindlichem -Uebermuth war sie ihrer Gesellschaft davon gelaufen, -<a class="pagenum" id="page_008" title="8"> </a> -um hier über den grünen Wiesenhang hin ein Stück -vom Weg abzuschneiden, bis sie die Lanne steiler fand, -als sie Anfangs geglaubt und nun schwindlich wurde -und Angst bekam. Kaum erreichte sie noch den Baum, -als sie ihn auch umfaßte, um sich daran zu halten, und -nun durch ihr Rufen die übrige Gesellschaft herbei zu -ziehen suchte.«</p> - -<p>»Und Du warst der Glückliche, der sie fand.«</p> - -<p>»Ja – ich sprach ihr Trost ein, ergriff ihre Hand, -während sie sich fest und schüchtern an meinen Arm -anklammerte, und führte sie den übrigen Theil der -hier allerdings ziemlich steilen Lanne bis auf den -durch das Thal laufenden Pfad hinab, wo wir auch -gleich darauf ihre Gesellschaft bemerkten, die denselben -nicht verlassen hatte, und nun etwas später eintraf.«</p> - -<p>»Und wie heißt Deine Schöne?«</p> - -<p>»Damals erfuhr ich nur ihren Vornamen: Clemence, -wollte mich aber der Gesellschaft nicht aufdringen -und zog mich bald darauf zurück, weil ich sie -den Abend schon wieder in dem nächsten Gasthof zu -finden hoffte. Ich hatte mich getäuscht – sie waren -weiter gegangen – ich folgte ihnen, umsonst; auf der -Landstraße endlich verlor ich ihre Spur, bis ich ihr -hier, vor vierzehn Tagen etwa – Du kannst Dir -meine Freude denken, in M– begegne.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a> -»Und hast Du schon um sie angehalten?«</p> - -<p>»Du kannst Deinen Spott nicht lassen. Ich liebe -sie aus voller, reiner Seele, aber – sie ist die Tochter -des steinreichen Joulard und meine Liebe deshalb -hoffnungslos.«</p> - -<p>»Und was hat Dich vermocht, jenen Teufel dort -an die Wand zu malen, und in welcher Beziehung -steht er mit Deiner ganzen Erzählung, denn etwas -Derartiges muß ich doch vermuthen.«</p> - -<p>»Die Sache ist sehr einfach,« sagte Ernst ruhig. -»Vor drei Tagen war ich zum ersten Male in dem -Hause, ich könnte wohl sagen im Palais des Banquiers, -denn er bewohnt in der That ein solches. Die -Treppen sind mit schweren Teppichen belegt und mit -Marmorstatuen verziert; die Vorsäle selbst haben getäfelte -Wände und riesige Spiegel. Im Inneren der -Räume war ich nicht; aus dem einen Zimmer trat der -Major von Reuhenfels heraus, sein widerliches Gesicht -strahlte in Seligkeit. Als ich einen der Diener frug, -wer der Herr wäre, lautete die Antwort: »Der Verlobte -des gnädigen Fräuleins Clemence.«</p> - -<p>»Aha – deshalb!« meinte Frank still vor sich hinlächelnd. -»Nun und weiter? Du wolltest meinen -Rath.«</p> - -<p>»Ja, ich weiß es,« sagte Ernst seufzend, »aber – -<a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a> -er wird kaum mehr nöthig sein, denn ich sehe nicht -ein, wie mir noch ein Mensch helfen oder rathen -kann. Es bleibt mir ja doch Nichts weiter übrig, als -eben einfach zu entsagen und jede Hoffnung auf ein -dereinstiges Glück fallen zu lassen. – Sie sind verlobt.«</p> - -<p>»Nun,« meinte Frank, »was das beträfe, so ist verlobt -noch nicht immer verheirathet, und ich könnte Dir -verschiedene Beispiele nennen, wo solche Verlobungen -wieder rückgängig wurden, wenn Dir dadurch die geringste -Aussicht auf einen Erfolg Deiner Werbung -bliebe – aber Du bist doch wohl nicht wahnsinnig -genug zu glauben, daß Dir der reiche Joulard seine -einzige Tochter geben wird? Ich begreife sogar nicht, -daß er dem einfach adligen Major eine solche Gnade -zu Theil werden läßt; denn bis jetzt hieß es in der -Stadt, daß er sich einen Herzog oder Prinz für sie -ausgesucht.«</p> - -<p>»Und weißt Du, was dieser Major für ein Charakter -ist?«</p> - -<p>»Ich kenne ihn gar nicht – kaum dem Namen -nach und nur von Ansehen.«</p> - -<p>»Aber ich habe mich desto sorgfältiger in den letzten -Tagen nach ihm erkundigt. Ein berüchtigter Spieler -und Roué, der mehr Schulden als Haare auf dem -<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a> -Kopfe hat, und das arme, engelgleiche Wesen elend -machen wird.«</p> - -<p>»Und was geht das Dich an?«</p> - -<p>»Was das mich angeht? – Mensch, Du kannst -mich mit Deinen kalten Fragen zur Verzweiflung -treiben. Hab' ich Dir nicht gesagt, daß ich zum Tollwerden -verliebt in das Mädchen bin?«</p> - -<p>»In die Braut des Majors? Nun, Ernst, Du -hast mich um meinen Rath gebeten und den will ich -Dir nicht vorenthalten. Wenn Du dem also folgen -willst, so bekümmerst Du Dich um die ganze Familie -von diesem Augenblick an nicht weiter, als daß Du -Dein »Ideal« meinetwegen aus der Ferne anbetest, -und den Major, wenn es Dir Spaß macht, als Teufel -oder sonst was an die Wand malst. Darin bleibst -Du vollkommen harmlos, und kein Mensch kann es -Dir verwehren oder wird dadurch geschädigt. Mische -Dich aber um Gottes Willen nicht in fremde Familienangelegenheiten, -in denen Dir nicht das entfernteste -Recht zusteht, denn daß Du dadurch etwas zu Deinen -Gunsten erreichen könntest, wirst Du selber nicht -glauben, um andere Menschen – kümmere Dich aber -nicht, wie sich Andere auch nicht um Dich bekümmern.«</p> - -<p>»Aber wenn Clemence in der Verbindung mit -jenem Menschen elend wird –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a> -»Wenn sie wieder schreit und Du bist in der Nähe, -so komm ihr wie damals zur Hülfe – aber früher -nicht.«</p> - -<p>»Aber dann ist es zu spät. Soll ich sie denn rettungslos -zu Grunde gehen sehen?«</p> - -<p>»Lieber Freund,« erwiederte der junge Maler, »ihr -Vater ist Banquier und Du wirst mir Recht geben, -wenn ich Dir sage, daß alle derartigen Leute die -Augen gewöhnlich offen halten. Thun sie es nicht, -so ist es ihr eigener Schade und kein Mensch weiter -hat sich darum zu quälen.«</p> - -<p>»Und Clemence?«</p> - -<p>Frank schwieg ein paar Augenblicke und sah sinnend -vor sich nieder, endlich sagte er:</p> - -<p>»Du wirst aller Wahrscheinlichkeit nach wüthend -werden, wenn ich Dir irgend etwas gegen Dein -»Ideal« einwerfe, aber es geht eben nicht anders. -Was ich auf dem Herzen habe muß heraus, so sollst -Du denn auch meine Meinung über Deine Auserwählte -hören, die allerdings nicht so günstig lautet, -als Du Dir vielleicht wünschen könntest.«</p> - -<p>»Kennst Du sie?«</p> - -<p>»Zufällig habe ich in einem Hause Zutritt, wo sie -aus und ein geht, und ich gestehe Dir zu, daß sie ein -bildhübsches, ja man könnte sogar sagen schönes Mädchen -<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a> -ist, mit edlen, wenn auch etwas stolzen Zügen, -aber –«</p> - -<p>»Aber? –«</p> - -<p>»Sie ist dabei die ärgste Kokette, die mir im ganzen -Leben vorgekommen, und herzlos bis zum Aeußersten.«</p> - -<p>»Und woher willst Du das wissen?«</p> - -<p>»Das kann ich Dir sagen. Als sie eines Tages -jenes Haus verlassen wollte, und ihre Equipage hielt -vor der Thür – ich ging hinter ihr die Treppe hinunter -– wurde ein armes junges Nähmädchen, die -irgend eine Arbeit dort hinauf gebracht hatte, ohnmächtig -und fiel gleich neben dem gnädigen Fräulein, -ja so dicht bei ihr, daß sie ihr wohl etwas an der -Robe mußte beschädigt haben, auf der Flur nieder. -Hätte sie ein weiches Herz im Busen, so würde sie sich -der Armen angenommen und sie in ihrem eigenen -Wagen fortgeschafft haben, so warf sie ihr nur einen -Blick voll Abscheu und Ekel zu, sah nach ihrem Kleid -und eilte dann so rasch sie konnte in den schon für sie -geöffneten Schlag des Wagens, der dann gleich nachher -mit ihr davon rollte.«</p> - -<p>»Es giebt Menschen, die keinen Kranken, besonders -Ohnmächtigen, sehen können,« sagte Ernst, »es geht -mir selber so – ich muß mich dazu zwingen – das -ist kein Beweis gegen sie.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a> -»Wenn Du einen Beweis wolltest, wäre der genügend,« -meinte Frank, »aber in dem Fall wird Dich -auch das Andere, was ich Dir noch sagen könnte, nicht -überzeugen.«</p> - -<p>»Und das wäre –«</p> - -<p>»Daß sie die ganze Zeit, in welcher ich mit ihr -dort oben im Salon zusammen war, sich so gesetzt -hatte, daß sie sich fortwährend in dem Spiegel sehen -konnte, und die Gelegenheit auch auf das Eifrigste -benutzte.«</p> - -<p>Ernst lachte. »Daß sich also ein junges hübsches -Mädchen gern selber sieht und ein wenig eitel ist, rechnest -Du ihr zum Verbrechen an, – und findest Du -eine unter Allen, die davon frei wäre?«</p> - -<p>»Gut! wir wollen uns auch darüber nicht streiten, -denn die Sache hat keinen Zweck. Dir wird Fräulein -Clemence kaum gefährlich werden können, denn wenn -sie wirklich mit dem Major verlobt ist, werden wir -auch wohl in allernächster Zeit von ihrer Verbindung -hören. Solltest Du aber wahnsinnig genug sein, Einspruch -thun zu wollen – was ich Dir aber nicht zutraue, -denn eine Geistesstörung habe ich bisher noch -nicht an Dir bemerkt, so bedenke wohl, daß Dir jedes -Recht dazu fehlt. Was Du auch über den Major -weißt, können nur Gerüchte sein, für die Du nie wirkliche -<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a> -Beweise bringen würdest, außer vielleicht für die -Schulden, und was schadet es dem reichen Joulard, -wenn sein Schwiegersohn ein paar tausend Thaler -negatives Vermögen hat? Er wird sie eben bezahlen, -und die Sache ist abgemacht. Aber wie ist's? Hast Du -Lust einen Spaziergang zu machen? Ich komme eigentlich -her, um Dich abzuholen.«</p> - -<p>»Ich danke Dir – ich bin es jetzt nicht im -Stande,« sagte Ernst, »nicht in der Stimmung – es -geht mir zu viel, zu Schweres im Kopfe herum – ich -muß allein sein – muß mich erst sammeln – aber -wenn Du zurückkehrst, sprich wieder bei mir vor.«</p> - -<p>»Also sammele Dich,« rief ihm Frank zu, »und -ich bin überzeugt, Du wirst in die richtige Bahn -hinein kommen. – Ich frage dann wieder vor und -hoffe Dich gegen Abend ruhig und vernünftig zu -finden. Ueberdieß haben wir heute Künstlerverein, -und Du darfst da nicht fehlen.«</p> - -<p>Mit diesen Worten warf er seinen Mantel wieder -um, setzte seinen Hut auf und verließ das Zimmer. -Sein Freund blieb aber in einer trüben, ja fast verzweifelten -Stimmung zurück, denn er konnte sich nicht -verhehlen, daß Frank in manchen – ja in vielen -Stücken Recht hatte und da mit der kalten Vernunft -eintrat, wo bei ihm nur Alles Feuer und Leidenschaft -<a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a> -war. Was wußte der Vernunftmensch aber auch von -Liebe – einer Liebe, die ihm selber das Herz zu verzehren -drohte, und der er sich mit aller Zähigkeit hingegeben -hatte, mit welcher wir manchmal in der -Jugend einen Schmerz pflegen, nur um uns unglücklich -zu wissen.</p> - -<p>Unglückliche Liebe! Wer von uns Allen hat nicht -schon das selige Bewußtsein gehabt unglücklich zu -lieben und sich mit Stolz und Heroismus demselben -hingegeben. Wir sind auch vielleicht wirklich unglücklich -in dem Augenblick – wir verachten das Leben, -das für uns nicht den geringsten Reiz mehr hat, begehen -aber dabei den Fehler, daß wir uns gewöhnlich -für »ewig verloren« halten – wie denn die Jugend -mit dem Worte »ewig« einen argen Mißbrauch treibt. -So hält sie auch ihren Schmerz für ewig, und weiß -doch noch gar nicht was wirklicher Schmerz ist, bis -das Leben selber ernst an sie herantritt. Aber dann -ist auch ihre Kraft gestählt, und sie trägt und besiegt -das Schwerste, wo sie früher unter dem Leichteren zusammenzubrechen -drohte.</p> - -<p>Ernst Trautenau war aber überhaupt gar keine -schmachtende oder weiche Natur. Er rang dem Leben -kräftig seine Existenz ab, und wenn ihn auch auf kurze -Zeit vielleicht das romantische Gefühl seines Leidens -<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a> -bewältigen konnte, lange war es wenigstens nicht im -Stand ihn niederzudrücken, denn der Haß gegen das -ihm im Wege stehende Hinderniß gewann die Oberhand.</p> - -<p>Wieder und wieder fiel sein Blick auf die Figur -an der Wand. Die Kohlenzeichnung genügte ihm nicht -mehr, und er beschloß das Bild <i>al fresco</i> in Farben -auszuführen. Rasch ging er auch an's Werk – es -war eine grimme Genugthuung für ihn, an dem verhaßten -und glücklichen Nebenbuhler in solcher Weise -seine Rache auszuüben, und kaum zwei Stunden später -hatte er das Portrait eines gelbbraunen Satans, mit -allen Insignien der Hölle, und noch einer Menge irdischer -Zuthaten, in den grellsten Farben prangend, an -der Wand vollendet.</p> - - - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Zweites Kapitel.</span></span><br /> - -Der Besuch.</h3> - - -<p>Am nächsten Morgen um elf Uhr saß Trautenau -wieder an seiner Staffelei, aber er hatte das Bild, -das er am vorigen Tag darauf gehabt, heruntergeworfen -und die Leinwand zu einem neuen Gemälde aufgespannt. -<a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a> -Mußte er Frank nicht Recht geben? – -War es nicht Wahnsinn, da noch eine Hoffnung zu -nähren, wo jede Aussicht schon in sich selber zusammenschwand? -Ja, sah er auch nur selbst die Möglichkeit -voraus, sich der Geliebten zu nahen? denn -unter welchem Vorwand konnte er sich bei ihr melden -lassen? – Als Retter in den Alpen? Wenn er die -Sache ruhig überdachte, so war nicht mehr Gefahr -dabei gewesen, als wenn er die fremde Dame über eine -gewöhnliche Wiese hinüber geführt hätte – und gab -ihm das überhaupt ein Recht sich bei ihr einzuführen? -– Wahrlich nicht, ja er mußte erwarten, daß er als -zudringlicher Fremder abgewiesen wurde; und eine -solche Demüthigung wäre nur verdiente Strafe für -seinen Uebermuth gewesen.</p> - -<p>Was ging ihn des reichen Mannes Tochter an – -sie war ihm so »unerreichbar wie die Sterne« und er -mochte sich wohl an ihrem Glanz erfreuen, aber durfte -auch weiter nicht die Hand nach ihr ausstrecken.</p> - -<p>Er hatte sich heute Morgen eine recht prosaische -Arbeit hervorgesucht. Es war das Portrait eines -benachbarten Gewürzkrämers, der das Bild seiner -neu verlobten Tochter als Hochzeitsgeschenk bestimmt -hatte. Das Original erfreute sich dabei eines nicht -allein alltäglichen, sondern sogar gemeinen Gesichts, -<a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a> -mit einer rothen Nase und niederer, von struppigen -Haaren eingedämmten Stirn, eines Paars dünner -Lippen und sogar noch Blatternarben. Das war eine -Physiognomie, wie der Maler sie jetzt brauchte, und -er beschloß deshalb auch ganz besonderen Fleiß auf -die mit großen unächten Steinen besetzte Tuchnadel, -auf die goldene Kette und das gestickte Vorhemdchen -zu wenden.</p> - -<p>Aber die Staffelei stand so, daß er, wenn er nur -zwei Schritte davon zurücktrat, gerade darüber hin den -Kopf des teuflischen Majors erkennen konnte, der fast -wie höhnisch, und jedenfalls mit einem ganz abscheulichen -Ausdruck nach ihm herüber grinste, und der -arme Gewürzkrämer kam dabei am Schlimmsten weg. -Unwillkürlich arbeitete ihm Ernst mit ein paar Pinselstrichen -auch im Gesicht herum, so daß er der Carrikatur -dahinter täuschend ähnlich wurde.</p> - -<p>Noch war er damit beschäftigt und schon auf dem -besten Weg das vor ihm stehende Bild total zu verderben, -als man plötzlich ziemlich herzhaft an die -Thür pochte und Trautenau, der gerade wieder von -seinem Portrait zurückgetreten war, um einen besseren -Ueberblick zu gewinnen, sah, daß sich auf sein barsches -»Herein« die Thür öffnete und ein Officier – -sein eigenes Wandgemälde, wie es leibte und lebte, -<a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a> -nur in etwas anderem Costüm, auf der Schwelle -stand. –</p> - -<p>»Habe ich das Vergnügen Herrn Portraitmaler -Trautenau zu sprechen?« sagte der Fremde artig.</p> - -<p>»Mein Name ist Trautenau,« erwiederte der -junge Mann, in dem Moment doch etwas verlegen, -denn er hatte keine Ahnung gehabt, daß sich das -Original seines Teufels so bald einstellen würde.</p> - -<p>»Mein Name ist von Reuhenfels,« erwiderte der -Officier, – »Major, und Sie sind mir als ein so -vortrefflicher Portraitmaler in der Stadt genannt, -daß ich Sie ersuchen möchte, das Bild einer Dame in -Lebensgröße zu übernehmen.«</p> - -<p>»Einer Dame?« fragte Ernst, dem bei den -Worten alles Blut in seinen Adern zum Herzen zurückströmte.</p> - -<p>»Ja, mein Herr. Würden Sie vielleicht im Stande -sein, ein solches Gemälde rasch in Angriff zu nehmen, -und sobald als möglich fördern zu können? Es ist das -Bild meiner Braut.«</p> - -<p>Ernst wollte antworten, brachte jedoch kein Wort -über die Lippen; die Kehle war ihm wie zugeschnürt. -Aber er fühlte auch, daß er, gerade vor diesem Menschen, -nicht wie ein Schulknabe dastehen dürfe, und -sich gewaltsam zusammenraffend, sagte er endlich:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a> -»Ich denke wohl, Herr Major – wie heißt die -Dame?«</p> - -<p>»Fräulein Joulard – Sie werden sie wohl kaum -kennen – Sie ist ein reizender Vorwurf für ein Bild -– eine imposante, prachtvolle Gestalt – ein wahres -Meisterstück der Schöpfung. Und wann können Sie -damit beginnen? Meine Braut hat sich bereit erklärt, -von morgen an dem Bild sitzen zu wollen, und zwar -täglich eine Stunde von 12-1 Uhr, acht Tage lang. -Wären Sie im Stande das Gemälde in der Zeit zu -vollenden?«</p> - -<p>»Zu untermalen jedenfalls; ich würde aber dann -später noch um einige Sitzungen bitten müssen.«</p> - -<p>»Hm, das wird schwer halten; sie hat einen kleinen -Trotzkopf, so schön er ist, und wenn sie sich da einmal -etwas hineinsetzt – alle Teufel,« unterbrach er sich aber -plötzlich lachend, als sein im Atelier umherschweifender -Blick auf das riesige diabolische Bild fiel – »Sie -haben sich ja da im wahren Sinn des Wortes den -Teufel an die Wand gemalt – famos – ganz ausgezeichnet -– Hahahahaha.«</p> - -<p>Trautenau fühlte wie er über und über roth -im Gesicht wurde, und doch auch hatte die Sache -wieder etwas unendlich Komisches, daß sich der -Major über sein eigenes Bild amüsirte, ohne anscheinend -<a class="pagenum" id="page_022" title="22"> </a> -eine Ahnung zu haben, daß es eben sein eigenes -sein sollte.</p> - -<p>»Verfluchte Idee,« lachte der Major aber noch -immer weiter – »und ein Schurz von Wein- und -Kartenblättern – famos allegorisch – ja wohl sind -das die Attribute des Teufels, lieber Freund, und das -Herz, das er mit den Krallen zerbricht, ergänzt die -dritte Kraft im Bunde. Ganz ausgezeichnete Idee -das – ganz ausgezeichnet. Sie haben Phantasie, -mein junger Künstler, und der Teufel dort ist ein -wahres Meisterstück.«</p> - -<p>»Sie sind zu gütig, Herr Major,« entgegnete -Trautenau, bei dem das Humoristische der Situation -die Oberhand gewann, »also er gefällt Ihnen wirklich?«</p> - -<p>»Ausgezeichnet, sage ich Ihnen – und die Epauletten -– höhere Charge natürlich in seiner Beelzebubschen -Majestät Armee; wundervoll! – Aber ich -muß fort. Also bitte sich morgen früh um zwölf Uhr -im Joulardschen Hôtel – wissen Sie wo Joulard -wohnt?«</p> - -<p>»Ja wohl.«</p> - -<p>»Gut – also dort mit Allem was Sie brauchen, -einzufinden. Ein kleines Atelier werden Sie auch da -antreffen, indem die junge Dame selber viel Sinn für -die Kunst hat, und auch zuweilen malt. Und dann -<a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a> -noch eins – der Preis – ich glaube, daß Sie sich -später darüber mit Herrn Joulard in für Sie sehr -befriedigender Weise verständigen werden. Sie laufen -dabei keine Gefahr. Also Sie kommen?«</p> - -<p>»Ich werde mich pünktlich einfinden.«</p> - -<p>»Und noch eine Bitte, bester Freund – könnten -Sie nicht für mich eine kleine Skizze – und wenn es -nur Aquarell ist – von diesem famosen Teufel -machen – aber eine ganz treue Copie, wie? Sie -würden mich unendlich verbinden.«</p> - -<p>Trautenau sah ihn erstaunt an. War denn der -Mann wirklich im Ernst und so ganz verblendet, daß -er nicht einmal sein eigenes Portrait erkannte? Aber -unwillkürlich lachte er doch auch über die merkwürdige -Bitte desselben, und in einem Anfall von wildem -Humor rief er aus:</p> - -<p>»Sie sollen eine Copie bekommen, Herr Major, -verlassen Sie sich darauf – eine treue Copie – und -vielleicht schon in nächster Zeit.«</p> - -<p>»Sie sind unendlich liebenswürdig, Herr Trautenau,« -versicherte der Officier – »also unser Geschäft -wäre soweit abgemacht – habe die Ehre,« und militairisch -grüßend verließ er das Zimmer, während -Trautenau wie in einem wachen Traum mitten in -dem kleinen Gemach stehen blieb und ihm nachstarrte.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a> -Konnte denn das auch Wirklichkeit sein? Der Major -– sein Major, den er dort als diabolisches Eigenthum -an der Wand besaß, war zu ihm gekommen, hatte das -Bild betrachtet und sich darüber gefreut, und ihn -selber zu Clemence, zu der Geliebten bestellt, um diese -zu malen, um ihr Stunden lang in die guten, seelenvollen -Augen zu sehen und ihrer zauberholden Stimme -zu lauschen? Er vermochte das Riesige des Gedankens -und der Consequenzen noch nicht zu fassen, und starrte -noch immer, wie in einer Verzückung nach der Thür, -als sich diese wieder rasch öffnete und Frank eintrat.</p> - -<p>»Weißt Du wer eben hier im Hause war?« – -rief er – »ich begegnete ihm unten in der Thür« –</p> - -<p>»Der Teufel!« sagte Ernst.</p> - -<p>»Er war doch nicht bei Dir?« fragte Frank rasch.</p> - -<p>»Allerdings, und hat sich eine Copie von dem -Wandgemälde bestellt.«</p> - -<p>»Du willst mich zum Besten haben.«</p> - -<p>»Ja, mehr als das – ich soll Clemence malen.«</p> - -<p>»Und dazu hat Dich der Major aufgefordert?«</p> - -<p>»Allerdings.«</p> - -<p>»Und er hat wirklich das Wandgemälde dort -gesehen?«</p> - -<p>»Gewiß hat er, und war entzückt davon.«</p> - -<p>»Ohne die Aehnlichkeit zu bemerken?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a> -»Er hat sich wenigstens Nichts merken lassen, mich -jedoch wahrhaftig um eine Copie gebeten, die ich ihm -auch versprochen.«</p> - -<p>»Du willst dem Major eine Copie von dem Teufel -da machen?«</p> - -<p>»Gewiß will ich – und weshalb nicht?«</p> - -<p>»Nun, mir kann's recht sein,« sagte der junge -Maler, »wenn es ihn eben freut. Sobald er aber -hinter die Aehnlichkeit kommt, – und gute Freunde -werden ihn schon darauf aufmerksam machen, – wird -er wüthend werden.«</p> - -<p>»Und was weiter?« fragte Ernst trotzig. »Wenn -er glaubt, daß ich ihm auch nur den Raum eines -Schrittes weiche, so irrt er sich gewaltig.«</p> - -<p>Frank lachte. »Wenn ich nur in dem Moment, wo -er hinter die Aehnlichkeit kommt, bei ihm sein könnte, -– was für ein prachtvoll dummes Gesicht er dann -machen wird. Aber zu solchen Aufführungen bekommt -man nie ein Billet. Uebrigens kam ich eben her, um -Dir zu sagen, daß ich mich selber noch gestern und -heute nach dem Major erkundigt und allerdings alles -Das bestätigt gehört habe, was Du über ihn gesagt. -Er scheint selbst bei seinem Regiment sehr schlecht angeschrieben, -obgleich die Officiere natürlich nichts -Nachtheiliges über ihn äußern werden.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a> -»Siehst Du, daß ich recht hatte.«</p> - -<p>»Aber das ändert deshalb an der Sache nichts. -Du selber stehst dabei der jungen Dame so fern als je, -und wenn Du wirklich aufgefordert bist, sie zu malen, -Ernst, so weisest Du, wenn Du auf meinen Rath nur -das geringste Gewicht legst, den Auftrag rund ab.«</p> - -<p>»Ich habe schon zugesagt.«</p> - -<p>»Eine Ausrede läßt sich finden. Du brauchst den -Verdienst auch nicht so nothwendig, denn was Du zum -Leben bedarfst, werfen Dir eben so leicht andere Arbeiten -ab.«</p> - -<p>»Und sogar ihrem Begegnen soll ich feige ausweichen?« -fragte Ernst trotzig, – »glaubst Du, daß -ich mich vor der Dame fürchte?«</p> - -<p>»Ich fürchte nur, daß Du einen dummen Streich -machst, und um Dir die Folgen desselben zu ersparen, -habe ich Dich gebeten, ihr auszuweichen.«</p> - -<p>»Ich bin kein Kind mehr.«</p> - -<p>»Nein, Du wärst alt genug, um selber zu wissen, -was Du zu thun hast, aber – nimm mir's nicht übel, -Ernst, – schon diese tolle Liebe, oder vielmehr der -Glaube, daß Du sie liebst, denn Du kannst dies nach -einem so flüchtigen Begegnen noch gar nicht wissen, -spricht für Dein – kindliches Gemüth. In Dir steckt -weit mehr Romantik, als Dir gut und zuträglich ist, -<a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a> -und ohne daß Du es selber merkst, geht Dir einmal -das Herz mit dem Verstand durch und läßt Dich dann -in irgend einer unangenehmen Situation rettungslos -sitzen. Denk' an mich.«</p> - -<p>»Du hättest Schulmeister werden sollen, Frank,« -sagte Trautenau lächelnd, »denn Du sprichst wirklich -wie ein Buch, und wenn ich Dich nicht so genau kennte, -würde ich Dich jetzt für einen furchtbaren Philister -halten.«</p> - -<p>»Ich gestehe Dir zu, daß ich jetzt vernünftiger -spreche, als ich gewöhnlich denke,« erwiderte Frank – -»ich setze mich auch selbst in Erstaunen, aber sei überzeugt, -daß es mir nicht an praktischem Sinn fehlt, und -nur die Sorge, Dich in eine peinliche – und doppelt -peinliche, weil selbstverschuldete Lage gebracht zu sehen, -läßt mich so zu Dir reden. Malst Du das junge -bildhübsche Mädchen, in das Du bis über die Ohren -verliebt zu sein selbst eingestehst, so läuft die Sache -auch nicht so glatt ab, und ich fürchte, Du – ruinirst -Dir ein groß Stück Leinwand um gar Nichts.«</p> - -<p>»Ich kann nicht mehr ablehnen, was ich einmal -angenommen habe.«</p> - -<p>»Bah, wenn Du ernstlich wolltest, wäre Nichts -leichter als das. – Ich will Dir einen Vorschlag -machen: Wir wollen tauschen – ich habe das lebensgroße -<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a> -Bild des Grafen Stirnheld zu malen bekommen, -und zwar nur durch Protection, denn meinen bescheidenen -Verdiensten kann ich das kaum zumessen. -Uebernimm Du die Arbeit. Was wir für beide Bilder -bekommen legen wir dann zusammen und theilen.«</p> - -<p>»Du bist ein Thor – durch das Bild des Grafen -erhältst Du, wenn es Dir gelingt, Zutritt in alle aristokratischen -Cirkel der Stadt.«</p> - -<p>»Ich möchte Dich aus Joulard's Haus entfernt -halten.«</p> - -<p>»Ich danke Dir, Frank,« rief Trautenau, indem -er ihm die Hand reichte und die seine herzlich schüttelte -– »ich wußte vorher, daß Du es wirklich gut mit mir -meinst, und Du hast mir dadurch einen neuen Beweis -Deiner Liebe und Treue gegeben, aber – es bleibt -dabei. Ich male Clemence und werde Dir zeigen, -daß ich kein kindischer Thor mehr bin, der irgend einen -unüberlegten Streich ausführt, ohne die Folgen zu bedenken. -Liebt Clemence wirklich den Major, gut, so -habe ich kein Recht, zwischen ein paar Seelen zu treten, -die sich einander angehören wollen.«</p> - -<p>»Und wie willst Du erfahren, ob sie ihn oder ob -sie ihn nicht liebt, wenn sie Dir täglich ein oder zwei -Stunden, und dann doch auch jedenfalls in Gesellschaft -irgend einer Begleiterin sitzt?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a> -»Das überlaß mir,« meinte Ernst, »die Liebe sieht -scharf und einen Plan habe ich mir überhaupt nicht -entworfen, kann es auch gar nicht. Der Augenblick -muß das bestimmen, aber ich verspreche Dir, mein -kaltes Blut zu wahren – mehr kann ich nicht thun.«</p> - -<p>»Gut, Du willst einmal Deinem Kopf folgen, und -und ich kann Dir da nicht weiter helfen. Aber was -hast Du denn da für eine Carrikatur auf der Staffelei. -Der alte Spießbürger sieht ja ebenfalls genau -so aus wie Dein Teufel da an der Wand. Ist die -Aehnlichkeit zufällig?«</p> - -<p>»Ich weiß es nicht,« antwortete Ernst, indem er -die beiden Bilder mit einander verglich – »wahrhaftig -Du hast Recht. Ich glaube aber fast, ich habe meinem -wackeren Gewürzhändler da Unrecht gethan. Nun er -kommt morgen Nachmittag zu mir, und da werde ich -wohl wieder in seine normalen Züge hineinfallen. -Heute mag er sich so behelfen. Was ich Dich noch -fragen wollte: Kennst Du Clemencens Vater persönlich?«</p> - -<p>»Den Herrn Joulard? vom Ansehen ja – weiter -nicht. Vorhin begegnete er mir auf der Straße und -rannte mich fast über den Haufen, so in Gedanken vertieft -war er. Der hat immer den Kopf voll von Speculationen -– eine reine Rechenmaschine.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a> -»Ich denke, er ist sehr reich. Speculirt er denn da -noch immer?«</p> - -<p>»Das können die Börsenleute ebensowenig lassen, -wie wir das Malen; es ist ihre zweite Natur geworden, -und ich glaube sie würden sich zu Tode langweilen -wenn sie sich nicht alle Tage wenigstens einmal eine -Stunde über das Fallen oder Steigen ihrer Papiere -ängstigen müßten. Das läßt uns ruhiger, nicht -wahr Ernst?«</p> - -<p>»Du magst Recht haben – ich wenigstens kenne, -außer einer Banknote, kein einziges Werthpapier von -Angesicht zu Angesicht. Schadet auch Nichts. Mit -dem Geld kommen die Sorgen, und so lange wir haben -was wir brauchen, sind wir am zufriedensten.«</p> - -<p>»Was willst Du aber mit dem Carton machen?«</p> - -<p>»Mit dem Blatt hier? Nun die Copie für den -Major.«</p> - -<p>»Bist Du denn wirklich des Teufels?«</p> - -<p>»Laß mir doch meinen Spaß – ich habe mich jetzt -einmal in das verhaßte Gesicht hineingelebt und -fürchte fast, daß ich morgen Clemence denselben Ausdruck -gebe – es wäre ein verwünschter Spaß.«</p> - -<p>Frank lachte. »Mit Deinem Starrkopf ist doch -Nichts anzufangen, so habe Deinen Willen. Uebrigens -bin ich wirklich neugierig was der Major dazu sagt« -<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a> -– und dem Freund die Hand drückend, stieg er -wieder die Treppe hinab um seinen eigenen Geschäften -nachzugehen.</p> - - - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Drittes Kapitel.</span></span><br /> - -Die erste Sitzung.</h3> - - -<p>Ernst konnte die ganze Nacht kein Auge schließen, -denn in seinem Herzen war ein Verdacht rege geworden, -daß Clemence selber die Aufforderung an ihn, -ihres Vaters Haus zu besuchen, veranlaßt haben müsse. -Die Möglichkeit lag doch nicht soweit ab, daß sie ihn -erkannt haben konnte. Sie war vielleicht an ihm -vorüber gefahren, ohne daß er sie bemerkte, denn er -achtete nie auf Equipagen, und leicht genug konnte sie -dann von der Dienerschaft seinen Namen erfahren -haben. Welche Seligkeit erfüllte ihn aber, wenn er -die Möglichkeit – ja die Wahrscheinlichkeit eines -solchen Glückes überdachte, denn wie wäre dieser -Major gerade auf ihn gefallen, da es doch viele ältere -und berühmtere Portraitmaler in der Stadt gab; es -ließ sich nicht anders denken. Vielleicht hatte ihn -Clemence doch noch nicht ganz vergessen, trug nur ungeduldig -den ihr auferlegten Zwang und suchte Mittel -<a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a> -und Wege ihm selber eine Annäherung zu ermöglichen. -Frauen sind schlau; er durfte sich ruhig auf -sie verlassen, sie würde es schon einzurichten wissen.</p> - -<p>Und was dann? wenn er nun wirklich fand, daß -die Verbindung mit dem Major eine erzwungene -gewesen wäre, wenn sie sich dagegen sträubte? – Aber -das Alles konnte er nicht jetzt überdenken, nicht in -einem Augenblick, wo ihm das Blut wie Feuer durch -die Adern rollte. Das mußte auch erst der Moment -bringen, in welchem sich seine Träume zu wirklichem -Leben gestalteten. Das allein konnte entscheiden wie -er zu handeln habe, und was dann kam, ei dem wollte -er auch keck und muthig die Stirn bieten. Nur dem -Muthigen lächelt ja das Glück.</p> - -<p>Mit diesem Vorsatz schlief er ein, erwachte aber -am nächsten Morgen in einer ganz anderen, und viel -ruhigeren Stimmung, denn es ist eine allbekannte -Thatsache, daß Abends unsere Nerven viel aufgeregter -und wir gewöhnlich geneigt sind, Schwierigkeiten, -besonders in Herzensangelegenheiten, gar nicht anzuerkennen, -während der Morgen die kaltblütige Ueberlegung -und gewöhnlich ganz andere Resultate mit sich -bringt.</p> - -<p>Das Herz pochte ihm allerdings lebhaft, als er -jetzt an das Zusammentreffen mit Clemence dachte, -<a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a> -aber er fing an, die Sache in einem anderen Licht zu -betrachten. Die Aufforderung des Majors konnte -allerdings recht gut ein Zufall sein, und das junge -Mädchen? – wie flüchtig – wie kurze Zeit nur hatte -sie ihn damals in den Alpen gesehen, und war es -denkbar, daß sie sich seiner Züge da noch erinnern -sollte? hatte sie nicht vielleicht die ganze unbedeutende -Begegnung mit ihm schon lange vergessen?</p> - -<p>Er war wieder recht verzagt geworden, hatte aber -auch nicht die geringste Lust zum Arbeiten und beschloß -deshalb, langsam und in aller Ruhe seine Vorbereitungen -zu der heutigen Sitzung zu treffen. Für diesmal -brauchte er ja doch nur ein kleines Stück Leinwand, -auf dem er die Skizze entwerfen konnte, um vor der -Hand einmal die Stellung festzuhalten. Die Größe -des Bildes mußte erst besprochen und festgestellt -werden und manches Andere blieb dabei zu thun. Die -Zeit verflog ihm dabei ungemein rasch, und es war -elf Uhr geworden, bis er alles Nöthige – oder -wenigstens was er für nöthig hielt, beendet hatte. -Dann zog er sich an, rief einen Packträger von der -Straße herauf, um ihn mit den nöthigen Utensilien zu -begleiten und schritt nun fest und entschlossen, aber -doch mit starkem Herzklopfen, dem Joulard'schen Palais -entgegen, als ob er nicht beordert wäre nur ein -<a class="pagenum" id="page_034" title="34"> </a> -Portrait zu beginnen, sondern als ob sein eigenes -Schicksal sich gleich endgültig entscheiden müsse.</p> - -<p>Er hatte das Joulard'sche Haus bald erreicht, aber -hier beengte ihn der Glanz und die Pracht, die ihn umgab. -Die Halle schon war mit Marmor ausgelegt – -prächtige Statuen verzierten sie, kostbare Topfgewächse -standen auf der mit einem reichen Teppich belegten -Treppe und galonnirte Diener schlenderten müssig -auf und ab.</p> - -<p>Trautenau fühlte sich beklommen, als er, durch -einen der Lakaien, der dem Träger seine Last abnahm, -geleitet, die Treppe hinaufstieg, und das besserte sich -nicht, als er in ein kleines reizendes Boudoir geführt -und dort allein gelassen wurde.</p> - -<p>Hier athmete Clemence; wie lieb, wie wunderbar -reizend das Alles aussah, aber auch wie reich, wie -ausgesucht, fast übertrieben prachtvoll. Wäre er ruhig -und unbefangen gewesen, so würde das Gemach eher -einen unangenehmen als günstigen Eindruck auf ihn -gemacht haben, denn es war von Gegenständen überladen, -die eine Zimmerzierde sein sollen, aber nie eine -Zimmerlast werden dürfen. Die breiten goldenen -Rahmen an den Wänden standen in keinem Verhältniß -zu der Größe der Bilder, welche sie umschlossen, -und das war mit allem Uebrigen der Fall. -<a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a> -Marmor- und Bronze-Statuen und Statuetten -drängten sich einander. Die schweren, mit Spitzen -überwallten Seidengardinen wurden von goldenen -Troddeln entstellt, prachtvoll eingelegte Möbeln -rückten zu nahe aneinander und brachten eher ein -Gefühl der Beengung als des Behagens hervor; der -mit den seltensten Pflanzen gezierte Blumentisch war -sogar so gestellt, daß er keine freie Bewegung in dem -Raum gestattete. Sonderbarer Weise hing dazwischen -auch eine Anzahl vergoldeter Bauer mit unseren heimischen -Sängern herab, mit Finken, Nachtigallen und -anderen, und auf einem gestickten Polster lag ein -kleines silberweißes Wachtelhündchen und knurrte leise -vor sich hin, als Trautenau das Heiligthum betrat, -hielt es aber sonst nicht der Mühe werth, sich auch -nur zu rühren.</p> - -<p>Trautenau überflog das Ganze mit einem Blick, -aber er sah auch, daß dieses Boudoir zugleich das -kleine Atelier der jungen Dame bildete, denn ein -mächtiges, mit einer einzigen großen Scheibe versehenes -Fenster sah nach Norden hinaus und neben -dem Blumentisch stand noch, von zwei Stühlen gehalten, -eine Mahagoni-Staffelei, von der unser junger -Freund allerdings nicht recht begriff, wie es möglich -sein würde, sie hier in dem engen Raum aufzustellen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a> -Ehe er aber darüber ganz mit sich im Reinen -war, hörte er plötzlich ein seidenes Kleid rauschen, die -eine Thür wurde nur durch einen purpurdamastenen -Vorhang verdeckt, dieser schob sich zurück, und wie er -sich rasch dorthin wandte, stand er einem Wesen gegenüber, -das ihm mehr dem Himmel als der Erde anzugehören -schien.</p> - -<p>Es war Clemence, – aber nicht mehr das junge -schüchterne Mädchen aus den Alpen, das sich, Hülfe -und Schutz suchend, an seinen Arm schmiegte. Wie eine -Prinzessin schwebte sie herein, ein weißes Seidenkleid -vom schwersten Stoff und mit Goldfäden durchwirkt, -umschloß ihre schlanke, junonische Gestalt. Voll und -schwer hingen ihr die dunklen Locken an den Schläfen -nieder, ihren weißen Hals deckte ein Collier blitzender -Brillanten, aber ihre beiden Augensterne überstrahlten -sie alle, und wie sie mit königlichem Anstand vor dem -jungen Manne stehen blieb und ihn mit diesen Augen -ansah, war es, als ob ihr Feuer bis in seine innerste -Seele drang. Er wurde über und über roth und -stand so verlegen vor der Jungfrau, daß diese ein -leichtes Lächeln kaum unterdrücken konnte. Aber sie -schien nicht böse über den Eindruck, den sie auf ihn -hervorbrachte, und sagte freundlich:</p> - -<p>»Herr Trautenau, Sie haben Ihre Zeit pünktlich -<a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a> -eingehalten und ich möchte Sie jetzt bitten Ihre Anordnungen -hier in meinem kleinen Atelier zu treffen -– Künstler folgen dabei am Liebsten ihrer eigenen -Neigung. Das Licht ist, wie Sie sehen vortrefflich, -und nur der Raum vielleicht ein wenig beschränkt, doch -werden wir uns ja wohl einrichten.«</p> - -<p>Trautenau bemerkte jetzt erst, daß eine andere -Dame der Tochter des Hauses gefolgt war, von dieser -freilich, in ihrem ganzen Wesen so verschieden wie Tag -und Nacht – wie Sonnenstrahl und Kerzenschein.</p> - -<p>Die Begleiterin entwickelte sich als eine kleine -dicke Person mit einem Kropf, in einem schwarzseidenen, -aber schon lange getragenen Kleid, und mit -einer wunderlichen Coiffüre von grellrothen und -gelben Blumen auf dem Kopf. Trautenau warf einen -erstaunten Blick nach ihr hinüber, konnte aber nicht klug -aus ihr werden, was sie vorstelle. Clemencens Mutter, -Madame Joulard? – Diese war, so viel er gehört -schon vor längerer Zeit gestorben. – Eine Gesellschafterin? -Clemence würde sich sicherlich eine andere -Persönlichkeit dazu ausgesucht haben, und eine Gouvernante -brauchte sie ebenfalls nicht mehr. Vielleicht eine -Duenna? Aber es blieb ihm keine Zeit, der Persönlichkeit -eine weitere Aufmerksamkeit zu schenken, -denn Clemence selber verlangte diese, und er ärgerte -<a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a> -sich auch, daß er ihr gar so schülerhaft gegenüber -stand.</p> - -<p>»Wenn Sie mir erlauben, mein gnädiges Fräulein,« -sagte er zu Clemence, »so will ich die Staffelei hier -herüber stellen – an diesem Platz werden wir, glaub' -ich, das beste Licht haben.«</p> - -<p>»Wie Sie es für gut halten.«</p> - -<p>»Aber die Symmetrie wird gestört, wenn der -Blumentisch dort hinüber kommt,« bemerkte die Dame -mit dem Kropf.</p> - -<p>»Die Symmetrie wird durch Manches gestört, -gnädige Frau,« entgegnete Trautenau, durch den -albernen Einwurf geärgert, »was sich im Leben nun -einmal nicht ändern läßt.«</p> - -<p>Clemence lächelte verstohlen vor sich hin, drückte -aber auch zu gleicher Zeit auf die auf ihrem Schreibtisch -stehende Klingel, und bedeutete dann gleich den -eintretenden Bedienten, die gewünschte Aenderung -vorzunehmen.</p> - -<p>Es war das rasch gemacht; Ernst half selber dabei, -der Staffelei die richtige Stellung zu geben und zugleich -einen passenden Platz für Clemence zu haben, -wo das Licht voll auf sie fiel und ihre schlanke Gestalt -gut beleuchtet wurde.</p> - -<p>Jetzt erst bekam er Zeit, das junge Mädchen aufmerksam -<a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a> -zu betrachten, und ach wie schön war sie – -wie himmlisch schön. Die dunklen, vollen castanienbraunen -Locken stachen wunderbar gegen den weißen -Nacken ab, auf dem sie ruhten und diese Augen mit -den Wimpern, – diese Lippen, die Zähne, wie Perlen -an einander gereiht. So voll und aufmerksam, und -sich selbst dabei vergessend, ruhte, ja haftete sein Blick -an der verführerischen Gestalt, daß Clemence endlich -erröthete und lächelnd sagte:</p> - -<p>»Wie wünschen Sie, daß ich mich stellen soll?«</p> - -<p>»Wie Sie wollen,« rief Trautenau begeistert; »es -giebt immer ein prachtvolles Bild, aber – es wird -matt gegen das Original werden, fürchte ich –«</p> - -<p>»Mein Vater wünscht ein ähnliches Bild,« sagte -Clemence, und ihre, noch eben lächelnden Züge nahmen -einen weit strengeren Ausdruck an. »Sie werden also -mit Ihren Farben wohl vollständig ausreichen. Dürfte -ich Sie bitten, meine Stellung zu bestimmen.«</p> - -<p>»Ich würde Sie ersuchen, sich diese selber zu -wählen,« erwiderte der Maler, der die Zurechtweisung -recht gut fühlte und leicht erröthete – »so natürlich -und ungezwungen wie möglich, wenn ich bitten darf. -Vielleicht dürfen wir zu der Stellung eine jener Vasen -benutzen, und den großen Trumeau als Hintergrund.«</p> - -<p>»Nein, das ist zu gesucht,« meinte Clemence »und -<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a> -macht Ihnen außerdem doppelte Arbeit – die Vase, -ja. – Ich werde ein kleines Blumenbouquet in die -Hand nehmen, bitte Sie aber, die Blumen nicht auszuführen, -da ich Alpenblumen – Edelweiß, Alpenrosen -und Genziane – dazu benutzen möchte.«</p> - -<p>Trautenau fühlte, wie ihm das Herz lauter schlug. -– Also auch sie erinnerte sich noch jener schönen -Berge und schien sogar die Erinnerung daran zu lieben -– hatte sie ihn aber ganz vergessen? Aber um ihr -jene Scene in's Gedächtniß zurückzurufen, bedurfte er -einer ruhigeren Zeit, als den Beginn der Sitzung – -die mußte er abwarten.</p> - -<p>Die Stellung der Dame nahm jetzt auch in der -That seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und -wie ein electrischer Strom lief es durch seinen ganzen -Körper, als er leise und ehrfurchtsvoll selbst ihren -Arm berührte, um denselben etwas zu heben.</p> - -<p>»Mademoiselle,« rief Clemence, als diese Vorbereitungen -beendet waren, »bitte klingeln Sie einmal -– ich lasse meinen Vater ersuchen, einen Augenblick -herüber zu kommen, um zu sehen, ob ihm meine -Stellung gefällt.«</p> - -<p>Der Befehl wurde rasch ausgeführt. – Also eine -Mademoiselle war die Dame mit dem dicken Hals – -Wirthschafterin jedenfalls, oder gar eine Art von -<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a> -Duenna – und abschreckend genug sah sie für den -letzteren Beruf aus.</p> - -<p>Es dauerte übrigens nicht lange, so betrat Herr -Joulard das Zimmer. Trautenau hatte ihn noch nie -gesehen und er machte allerdings bei seinem ersten -Erscheinen keinen besonders günstigen Eindruck. Es -war eine kleine etwas schwammige Gestalt, dieser -Millionair, mit halb zugekniffenen Augen und ziemlich -rastlosem und unstätem Blick. Er hatte eine Glatze, -aber eine hohe Stirn, die beiden Hände dabei in den -Hosentaschen und dabei die Angewohnheit, sich mit dem -Kinn in die schwarze Halsbinde hineinzuarbeiten. -Uebrigens ging er einfach gekleidet und nur eine dicke -schwere Goldkette hing ihm, als einziger Schmuck, über -die braunseidene Weste.</p> - -<p>Er trat in das Zimmer, ohne aber die Hände aus -den Taschen zu ziehen und den jungen Maler auch -kaum mehr als durch ein leichtes Kopfnicken grüßend, -und in der Mitte des Boudoirs stehen bleibend, betrachtete -er sich die Gestalt des jungen Mädchens ein -paar Augenblicke wohlgefällig.</p> - -<p>»Sehr schön mein Herz,« sagte er endlich – »sehr -schön – allerliebst, wird sich recht gut machen. – -Aber weshalb hast Du Dein Diadem nicht aufgesetzt? -Das fehlt noch –«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a> -»Ich möchte nicht mit dem Diadem gemalt werden, -Papa,« sagte Clemence – »es sieht zu anspruchsvoll -aus.«</p> - -<p>»Zu anspruchsvoll! Unsinn,« rief lachend der alte -Herr, »was Du für Ideen hast – Joulard's einziges -Kind zu anspruchsvoll!«</p> - -<p>»Es paßt mir auch nicht zu meiner Kleidung; ich -werde ein Bouquet von Alpenblumen in die Hand -nehmen.«</p> - -<p>»Zur Erinnerung an das ewige Bergsteigen und -die erbärmlichen Wirthshäuser,« meinte Herr Joulard -– »Dein chinesischer Fächer würde sich viel besser -machen.«</p> - -<p>»Bitte laß mich das selber arrangiren,« entgegnete -Clemence ziemlich bestimmt, »ich hatte Dich nur rufen -lassen, um mir zu sagen, ob Dir meine Stellung so -gefällt.«</p> - -<p>»Nichts daran auszusetzen,« wiederholte der Vater, -schon gewohnt, daß seine Tochter ihren eigenen -Willen hatte – »wird sich ganz gut machen. Und -weiß der Herr schon die Größe des Bildes?«</p> - -<p>»Nein.«</p> - -<p>»Gut; führe ihn nachher durch den Salon, daß -er sich dort selber das Maaß nach dem Bild Deiner -seligen Mutter nimmt. Es soll genau so groß werden.« -<a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a> -Und sich dann abwendend, als ob gar keine weiteren -Personen im Zimmer wären, verschwand er wieder -durch die Thür.</p> - -<p>Ernst ging jetzt rasch daran, die Skizze zu entwerfen, -und die Dame in dem schwarzseidenen Kleid hatte -es sich indessen in einem breiten Lehnstuhl, den sie -aber so rückte, daß sie die Staffelei im Auge behielt, -bequem gemacht. Sie war augenscheinlich nur dazu -da, um der jungen Dame als Ehrenwache zu dienen.</p> - -<p>Er arbeitete außerordentlich rasch; die gegebene -Stunde war ihm aber doch nur zu bald entflogen und -mit dem Glockenschlag Eins winkte ihm Clemence -freundlich mit der Hand und sagte:</p> - -<p>»Meine Zeit ist für heute um – ich hoffe, Sie -morgen pünktlich wieder hier zu sehen, und jetzt bitte ich -Sie nur noch, mir durch den Saal zu folgen, damit -Sie den Rahmen zu Ihrer Leinwand bestellen können.«</p> - -<p>Sie wartete auch gar keine Antwort ab, sondern -schritt ihm voran durch das nächste Gemach hindurch -in den eigentlichen Salon, in welchem Trautenau -wieder alle erdenkliche Pracht verschwendet sah. Es -fand sich aber hier der nämliche Uebelstand, wie in -dem Boudoir.</p> - -<p>Der Raum war mit kostbaren Verzierungen überfüllt -und genug davon aufeinander gehäuft, um zwei -<a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a> -solche Säle fürstlich auszustatten. Man sah bei jedem -Schritt, daß man sich nicht in der Wohnung eines -wirklich vornehmen Mannes, sondern in dem Hause -eines Parvenus befand, der diese Räume nicht deshalb -so reich ausgestattet hatte, um sich selber wohl und -behaglich darin zu fühlen, sondern nur um damit zu -prunken und seinen Reichthum zu zeigen.</p> - -<p>Das Maaß von dem sehr großen Bilde, für welches -Herr Joulard schon vorher eine Treppenleiter -hatte herbeischaffen lassen, war bald genommen. -Clemence wartete das aber nicht ab. Sich mit einer -leichten Verbeugung verabschiedend, schritt sie in ihr -eigenes Zimmer zurück und überließ es ihrer Begleiterin, -dem fremden Künstler so lange Gesellschaft zu -leisten, bis er fertig sein würde und ihm dann den -Ausgang zu zeigen.</p> - - - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Viertes Capitel.</span></span><br /> - -Das Bild.</h3> - - -<p>Sechs Tage hatte Trautenau jetzt an seinem Bild -gearbeitet und sich dabei mit immer wachsender Leidenschaft -in die tadellos schönen Züge und Formen des -jungen Mädchens versenkt, ohne es aber zu wagen, -<a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a> -ihr die frühere Begegnung in's Gedächtniß zurückzurufen. -Clemence war allerdings immer freundlich -gegen ihn, aber nur mit jener höflichen Freundlichkeit, -die wohl zuvorkommend erscheint, aber zugleich jedes -vertrauliche Entgegenkommen mit einem kalten Lächeln -zurückweist und dadurch unnahbar wird.</p> - -<p>Auch ihren Vater hatte er in der ganzen Zeit nicht -wieder gesehen und nicht ein einziges Mal den Major, -der jedenfalls andere Besuchstunden haben mußte. -Einmal wurde er allerdings gemeldet, während -Trautenau arbeitete, Clemence ließ ihm aber, ohne -sich nur im Mindesten aus ihrer Stellung zu rühren, -sagen, sie bedaure sehr, jetzt keine Zeit zu haben, und -bäte den Major, um halb zwei Uhr wieder vorzusprechen.</p> - -<p>Das Bild war jetzt soweit in seiner Anlage und -besonders in der Ausführung des Kopfes vorgerückt, -daß man schon recht gut ein Urtheil darüber fällen -konnte.</p> - -<p>Der Dame in dem alten schwarzseidenen Kleid -fing aber nachgerade die Geschichte an langweilig zu -werden. Sie wußte, daß sie eigentlich nur Anstands -halber da saß und benutzte gelegentlich die Zeit, um -einen kleinen Morgenschlaf zu halten, in dem sie dann -auch Niemand störte. Sie selber genirte das aber am -<a class="pagenum" id="page_046" title="46"> </a> -meisten, sie schämte sich, wenn sie wieder aufwachte -und es war in den letzten Tagen schon einige Male -vorgekommen, daß sie aufstand, das Zimmer verließ -und dann wahrscheinlich irgendwo ein wenig auf und -ab ging, nur um wieder munter zu werden.</p> - -<p>Clemence hielt dabei nicht mehr so pünktlich ihre -Stunde ein; es mochte ihr wohl selber daran liegen, -das Bild fertig zu bekommen und es wurde jetzt -immer, sehr zum Leidwesen der Mademoiselle, ein -Viertel nach Eins, auch wohl halb zwei Uhr, ehe sie -das Zeichen zum Aufhören gab.</p> - -<p>Heute war Clemence in einer kleinen Pause vor -die Staffelei getreten, um selber dem Untermalen des -Bouquets zuzusehen. Man hatte allerdings in dieser -Jahreszeit keine wirklichen Alpenrosen beschaffen können, -aber dafür künstlich gemachte von Paris verschrieben -und die Farben zeigten sich lebendig genug.</p> - -<p>»Lieben Sie die Alpenblumen, gnädiges Fräulein,« -begann Trautenau, der jetzt nicht mehr länger -schweigen konnte, denn die Gelegenheit bot sich ihm zu -günstig dar.</p> - -<p>»Gewiß liebe ich sie,« erwiederte Clemence, »sie -haben freilich keinen Duft, aber so wunderbar schöne -Farben. Wie herrlich ist allein das Laub der Alpenrosen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a> -»Und erinnern Sie sich noch gern jener Zeit, in -welcher Sie in den freien Bergen umherstreiften?«</p> - -<p>»Sehr gern.«</p> - -<p>»Aber Sie haben sich doch ein Bischen vor den -steilen Wegen gefürchtet?«</p> - -<p>»Wohl nicht mehr als jeder andere Bewohner des -flachen Landes,« entgegnete Clemence ruhig.</p> - -<p>»Auch nicht an der einen steilen Graslanne?« -fuhr Trautenau, ohne die Augen von seinem Bild zu -nehmen, still vor sich hinlächelnd, fort.</p> - -<p>»An der Graslanne? – was wissen Sie davon?« -rief Clemence, ihn verwundert ansehend.</p> - -<p>»Und kennen Sie mich nicht mehr?«</p> - -<p>»Ich? – Sie? – und doch,« setzte sie plötzlich -tief erröthend hinzu, »es – es wäre wirklich möglich -– Waren Sie jener junge Fremde?«</p> - -<p>»Ich war wirklich jener Glückliche, der Ihnen -damals den kleinen, leider nur zu unbedeutenden -Dienst leisten durfte.«</p> - -<p>»Damals habe ich mich allerdings recht ungeschickt -benommen, und Sie werden oft über mich gelacht -haben,« flüsterte Clemence, während sie wirklich blutroth -wurde. »Es war zu thöricht, aber ich weiß nicht, -ich wurde auf einmal schwindelig und hielt den Abhang -auch für viel steiler, als er sich später zeigte.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a> -»Jene Lannen sind gar nicht so leicht zu begehen,« -bemerkte Trautenau entschuldigend, »besonders nicht -für Damen, die bei ihren langen Kleidern nicht genau -sehen können, wohin sie den Fuß setzen und außerdem -viel zu leichtes und glattes Schuhzeug tragen. – Ich -hoffte damals Sie später in den Bergen wieder zu -treffen, aber Sie waren so rasch und plötzlich verschwunden, -daß ich selbst auf der breiten Heerstraße -Ihre Spur verlor.«</p> - -<p>»Ja – mein Vater eilte etwas, um nach Hause -zurückzukehren,« erwiederte das junge Mädchen, während -ihr Blick die Züge des Malers streifte, als ob -sie den Sinn der eben gesprochenen Worte daraus -lesen wolle.</p> - -<p>Dieser hörte indessen, wie ihm sein Herz in der -Brust schlug, die Mademoiselle schlief sanft – seine -Hand zitterte so, daß er mit dem Malen inne halten -mußte.</p> - -<p>»Seit der Zeit,« fuhr er leise und bewegt fort, »ist -es immer mein sehnlichster Wunsch gewesen, Ihnen -wieder einmal nahen zu dürfen.«</p> - -<p>»Der Wunsch war so bescheiden,« meinte Clemence -lächelnd, »daß der Himmel ihn erfüllt hat. Nicht wahr, -Mademoiselle,« setzte sie mit lauterer Stimme hinzu.</p> - -<p>»Ja wohl – ja wohl – gewiß,« erwiederte die -<a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a> -sanft ruhende Dame, aus ihrem Schlummer emporfahrend, -»nur ein Bischen zu weiß ist das Kleid.«</p> - -<p>»Wir sprachen gestern darüber, ehe Sie kamen,« -fuhr Clemence fort, »finden Sie nicht auch, daß das -Kleid ein wenig zu weiß ist? Mir kommt es vor, als -ob das meinige einen mehr gelblichen Schimmer hat.«</p> - -<p>»Es ist das Licht jenes gelben Vorhanges, der, -wenn Sie hier stehen, darauf fällt,« antwortete -Trautenau, und fühlte recht gut, daß sie absichtlich -und fast gewaltsam dem Gespräch eine andere Richtung -gegeben hatte; Mademoiselle war auch jetzt vollständig -munter geworden und an eine Wiederaufnahme -desselben nicht zu denken. Clemence brach aber gleich -darauf die Sitzung ab. Sie hatte Kopfschmerzen bekommen, -wie sie sagte, und wollte lieber morgen eine -Viertelstunde nachholen.</p> - -<p>Damit ging der Maler, er hatte keinen Vorwand -mehr zu bleiben, aber er trug das beunruhigende Gefühl -mit sich fort, weiter von seinem Ziele zu sein, als -je, denn war es nicht augenscheinlich, daß Clemence -beinahe ängstlich gesucht hatte die Unterredung abzubrechen? -Fürchtete sie etwa deren Fortsetzung? dann -wäre ihm noch eine Hoffnung geblieben. Oder war -das Gespräch ihr nur lästig geworden? dann freilich -durfte er Alles verloren geben.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a> -In den nächsten Tagen zeigte sich auch nicht die -geringste Gelegenheit das Gespräch wieder aufzunehmen. -Clemence vermied jede Möglichkeit, um einer -derartigen Unterhaltung den kleinsten Anknüpfungspunkt -zu geben und Mademoiselle hielt ihre sonst so -schläfrigen Augen fast krampfhaft offen. – Dann kam -eine lange Pause – Ernst hatte das noch nicht beendete -Bild nach Hause geschickt bekommen, um es, so -weit es ohne das Original möglich war, auszuführen, -und sich dann nur noch zwei Sitzungen erbeten, um es -vollständig zu beenden.</p> - -<p>Darüber waren mehre Wochen vergangen und in -dieser Zeit durchliefen wunderliche Gerüchte über den -Major die Stadt, die aber sein Verhältniß im Hause -des reichen Joulard nicht zu stören schienen.</p> - -<p>Von einer Seite wurde nämlich ausgesprengt, daß -er eine sehr bedeutende Erbschaft gemacht habe – -Thatsache war nur, daß er in den letzten Wochen viel -mehr verausgabte, als seine monatliche Gage ausmachte -– von anderer Seite hieß es, daß er seinen -Abschied nehmen wolle – weshalb? wußte freilich -Niemand zu sagen und die natürlichste Erklärung blieb -dann immer, daß er, mit eigenem Vermögen und als -Schwiegersohn des reichsten Mannes in der Stadt, -die ewigen Scherereien des Dienstes satt bekommen -<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a> -und ein unabhängiger Mann zu werden wünschte. Es -wäre jedenfalls thöricht gewesen, da noch länger Soldat -zu bleiben. – Einige wollten aber behaupten, er -müsse den Abschied nehmen, und es gab in der That -eine Menge Leute in der Stadt, die da wissen wollten: -der Major sei ein von Grund aus ruinirter Patron, -der sich nur noch durch seinen altadeligen Namen -halte, und nächstens einmal mit seinem ganzen Lug- -und Truggewebe zusammenbrechen müsse. Diese begriffen -dann freilich nicht, wie ein Mann wie Joulard -ihm die Hand seines einzigen Kindes geben könne. -Hatte er aber wirklich so viel Schulden, als einzelne -behaupten wollten, so zahlte natürlich Joulard Alles, -und des Majors Credit in der Stadt blieb deshalb -auch, trotz aller Gerüchte, ein völlig unbeschränkter.</p> - -<p>Trautenau allein vielleicht quälte sich um die -Braut. Er fühlte selber, daß die Hoffnung, sie für -sich zu gewinnen, eine wahnsinnige sei, aber er hielt -es für seine Pflicht, vor ihr das nicht als ein Geheimniß -zu bewahren, was die Stadt erfüllte, und was sie -selbst als die künftige Gattin jenes Mannes am nächsten -betraf. Er hatte es jetzt noch in seiner Hand, mit -ihr zu reden, und hätte sich später die bittersten Vorwürfe -machen müssen, wenn er da geschwiegen hätte, -wo er durch eine freundliche Warnung vielleicht Elend -<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a> -und Jammer von einem theuren Haupt abwenden -konnte.</p> - -<p>Das Bild stand wieder im Boudoir von Clemence; -er hatte noch höchstens zwei Tage zu malen, -um es zu vollenden; aber der erste verging, ohne daß -er im Stand gewesen wäre, seine Absicht auszuführen. -Immer, wenn ihm schon das Wort auf den Lippen -schwebte, fehlte ihm der Muth, und dann kam der -Vater mit einem Paar alter Damen zu ihnen, um mit -diesen das beinahe fertige Bild, das sich wirklich als -vortrefflich gelungen zeigte, zu bewundern. Eine vertrauliche -Unterhaltung war deshalb unmöglich geworden.</p> - -<p>»Aber Sie haben ja noch etwas vergessen,« sagte -da der alte Herr, indem er mit fast zugekniffenen -Augen vor dem Gemälde stand, »daneben, auf dem -Ofenschirm, fehlt ja noch der Chinese – das sieht zu -leer aus. Soll der nicht hinein?«</p> - -<p>»Doch,« entgegnete Trautenau, »aber erst morgen. -Ich möchte heute das Bild soweit beenden, daß ich morgen -das gnädige Fräulein gar nicht mehr, oder doch -nur sehr wenig zu bemühen brauche. Die Herrschaften -entschuldigen mich wohl, wenn ich wieder an meine -Arbeit gehe – die Farben werden mir sonst trocken.«</p> - -<p>Der Besuch war ihm lästig geworden und er -<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a> -suchte ihn zu entfernen, denn es war doch sehr zweifelhaft, -ob er morgen, am letzten Tage, eine bessere Gelegenheit -haben würde, mit Clemence zu sprechen. -Aber es gelang ihm nicht. Den beiden alten Damen -war es etwas Neues, einen Maler arbeiten zu sehen -und sie wichen hartnäckig nicht von der Stelle bis die -Zeit verstrichen war. Dann rauschten sie fort und -Clemence verließ mit ihnen das Gemach.</p> - -<p>Der nächste Tag kam; Trautenau hatte die ganze -Nacht gekämpft und der Morgen fand ihn entschlossen, -heute sich durch Nichts von seinem Plan abschrecken zu -lassen und selbst in Gegenwart der schrecklichen Mademoiselle, -wenn es denn nicht anders geschehen konnte, -mit Clemence über seine Besorgnisse zu sprechen. Er -mußte die Last von seinem Gemüth herunterwälzen – -mußte mit sich selber ins Klare kommen, und das geschah -am besten, wenn er sah, wie sich Clemence bei -dem, was sie über ihren Verlobten hörte, benehmen -würde. Erschrak sie – wurde sie bleich – aber was -half es, sich jetzt schon darüber einen Plan zu machen. -Das mußte der Augenblick bringen und dem Augenblick -überließ er darum Alles.</p> - -<p>Uebrigens fand er zu seinem Schrecken, als er -dieses letzte Mal das Boudoir der jungen Dame betrat, -diese nicht, wie er erwartet hatte und wie es bis -<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a> -jetzt immer der Fall gewesen, mit ihrer Begleiterin -allein, sondern schon eine kleine Gesellschaft um das so -gut wie beendete Bild versammelt. In dieser aber -bemerkte er auch den Major, den er seit jenem Morgen -nicht wiedergesehen hatte und der ihn jetzt mit -Lobeserhebungen überschüttete. Er konnte gar nicht -aufhören, die Aehnlichkeit sowohl, wie die künstlerische -Auffassung des Bildes zu preisen.</p> - -<p>»Aber wissen Sie wohl, mein verehrter Herr,« -brach er plötzlich ab, »daß Sie noch in meiner Schuld -sind? Der versprochenen Copie wegen, mein' ich -nämlich. – Denken Sie sich, lieber Joulard, denken -Sie sich, meine Damen, der Herr hat in seinem eigenen -Atelier daheim den Teufel an die Wand gemalt, -und einen so pompösen, humoristischen Teufel, wie ich -ihn in meinem ganzen Leben nicht gesehen habe.«</p> - -<p>Eine alte Generalin schüttelte darüber sehr bedenklich -den Kopf und bemerkte sehr ernsthaft:</p> - -<p>»Das ist sündhaft, mein lieber Herr, nehmen Sie -mir das nicht übel. Das heißt Gott versuchen und -den Bösen locken, denn wenn Sie ihm eine solche Einladungskarte -geben, kommt er, darauf können Sie sich -fest verlassen – er kommt gewiß.«</p> - -<p>»Er hat mich auch schon besucht,« erwiderte der -Maler lächelnd, »aber seien Sie versichert, gnädige -<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a> -Frau, der wirkliche Teufel ist nicht so schlimm, wie er -gewöhnlich geschildert wird, und schon der Umstand, -daß er sich nur das schlechteste Gesindel auf der Welt -aussucht, um es für sich zu holen, zeugt von seiner -Bescheidenheit.«</p> - -<p>Herr Joulard und der Major lachten laut auf; -die alte würdige Dame aber, die wahrscheinlich keinen -Sonntag die Kirche versäumte und jedenfalls eine -heilsame und pflichtgetreue Furcht vor dem Teufel -hatte, schlug entsetzt die Hände zusammen und rief:</p> - -<p>»Das ist ja eine Gotteslästerung.«</p> - -<p>»Doch nicht, wenn er den <em class="ge">Teufel</em> lobt,« sagte -lachend Herr Joulard, »Excellenz irren sich, und ich -bin ganz Herrn Trautenau's Meinung. Wenn der -Teufel wirklich so schwarz wäre wie er gemalt wird, -würde ihn der liebe Gott gar nicht auf der Erde -dulden. Aber meine Damen, wir müssen dem Künstler -Platz machen, daß er an seine Staffelei treten kann. -Vergessen Sie nur den Chinesen nicht.«</p> - -<p>»Und meine Copie,« rief der Major.</p> - -<p>»Vielleicht läßt sich Beides vereinigen,« versetzte -der Maler in einer tollen Laune, »wollen die Herrschaften -einen Augenblick Platz nehmen? Vielleicht kann -ich Ihren beiderseitigen Wunsch zugleich erfüllen,« -und die Palette aufnehmend, die er indessen in Stand -<a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a> -gesetzt hatte, ging er daran, mit keckem Pinsel seine -Teufelsfigur aus dem Atelier auf den Ofenschirm zu -malen, wohin die Zeichnung, da der Schirm doch im -Hintergrund und halb im Schatten stand, also nicht -zu sehr hervortrat, vortrefflich paßte.</p> - -<p>»Aber um Gottes Willen, Kind,« rief die alte -Dame, die Herr Joulard »Excellenz« genannt hatte, -wie sie nur merkte, welche Gestalt aus dem Ofenschirm -herauswuchs. »Du willst doch nicht neben Deinem -eigenen Conterfey den lebendigen Satan abmalen -lassen?«</p> - -<p>»Das wird, soviel ich bis jetzt sehe,« sagte Clemence, -»kein Teufel, sondern ein Faun, wenn auch mit -etwas wunderlicher Ausschmückung und – ganz absonderlichen -Zügen,« setzte sie langsam und mit einem -forschenden Seitenblick auf ihren Bräutigam hinzu, -»aber irgend ein phantastisches Bild paßt an einen -solchen Platz, und ich sehe nicht die geringste Gefahr -für mich darin.«</p> - -<p>»Es wird ja aber wahrhaftig der helle Satan mit -Hörnern und Schweif,« rief die alte Dame entsetzt, -während der Major neben dem jungen, eifrig malenden -Künstler stand und einmal über das andere -»Bravo, ganz vortrefflich!« rief. Er amüsirte sich -ausgezeichnet und schien keine Ahnung zu haben, daß -<a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a> -eben dieser belobte Teufel seine eigenen, fast sprechend -ähnlichen Züge trug. Sonderbarer Weise fiel -es auch, wie man das ja so oft hat, keinem Anderen -der Anwesenden augenblicklich auf, denn das Gesicht -war doch immer carrikirt. Nur Clemence verglich still, -aber desto aufmerksamer das Antlitz des Officiers mit -der Carrikatur, und ihr Blick suchte dabei einmal dem -des Malers zu begegnen. Trautenau, obgleich er es -merkte, wich ihr aber absichtlich aus – er wollte sich -nicht vor der Zeit verrathen, und malte so emsig -weiter, daß in kaum einer halben Stunde das kleine -Bild vollendet war. Als aber von keiner Seite weiter -Einspruch gegen das Sacrilegium geschah, wurde es -der alten Excellenz zu eng im Raum. Sie mahnte -zum Aufbruch und die Uebrigen folgten jetzt ebenfalls, -um dem Maler den Platz zu überlassen, denn dieser -hatte Clemence gebeten, ihm heute noch höchstens eine -viertel Stunde zu sitzen, damit er den Kopf bis auf -die letzten Kleinigkeiten vollende. Das Uebrige konnte -er dann mit leichter Mühe im eigenen Hause fertig -machen.</p> - -<p>Mademoiselle hatte wieder ihren gewöhnlichen -Platz im Lehnstuhl eingenommen – da sagte Clemence -plötzlich:</p> - -<p>»Ach, Mademoiselle, wenn ich Sie bitten dürfte, -<a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a> -im blauen Zimmer, wo meine kleine Bibliothek steht, -finden Sie das Buch der Lieder von Heine; dürfte ich -Sie ersuchen, es mir zu holen. Es muß im dritten -oder vierten Fach stehen.«</p> - -<p>Mademoiselle seufzte; sie hatte fast den ganzen -Morgen gestanden und sich eben erst recht bequem -hingesetzt. Jetzt mußte sie wieder in die Höhe, aber es -half Nichts: sie konnte den Dienst nicht verweigern, -da keiner der Diener das Buch gefunden hätte.</p> - -<p>Des Malers Herz klopfte heftig. Hatte Clemence -selber die lästige Zeugin entfernt, um mit ihm allein -zu sein? dann durfte er auch nicht blöde den günstigen -Moment versäumen, er konnte nie wiederkehren, denn -heute war seine Arbeit hier im Hause beendet. – -Aber sein Entschluß sollte ihm erleichtert werden, denn -kaum hatte sich die Thür hinter den Davongehenden -geschlossen, als das junge Mädchen zu der Staffelei -trat und den jungen Maler fest anblickend auf die -Figur des Ofenschirms deutete und fragte:</p> - -<p>»Wessen Portrait ist das, mein Herr?«</p> - -<p>»Und muß es ein Portrait sein, mein gnädiges -Fräulein,« rief Trautenau über den entschiedenen, fast -harten Ton der Stimme frappirt.</p> - -<p>»Sie leugnen also eine absichtliche Aehnlichkeit?«</p> - -<p>»Nein,« sagte der Maler, denn er fühlte, daß der -<a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a> -entscheidende Moment gekommen sei. »Wenn auch -keine Aehnlichkeit, wollte ich doch eine Charakteristik -geben.«</p> - -<p>»Eine Charakteristik,« sagte Clemence erstaunt –, -»wie verstehe ich das?«</p> - -<p>»Ich will deutlich reden, denn nicht die Minuten, -nein die Secunden sind mir zugezählt. Fräulein, von -dem ersten Moment an, wo ich Sie sah, zog mich ein -Etwas zu Ihnen hin, dem ich keinen Namen geben -konnte.«</p> - -<p>»Mein Herr!« rief Clemence, einen Schritt zurücktretend.</p> - -<p>»Fürchten Sie keine Belästigung,« fuhr Trautenau -fort, »lassen Sie mich ruhig ausreden, denn ich werde -mich sehr kurz fassen, und es ist sogar nöthig, daß Sie -es erfahren.«</p> - -<p>»Sie sprechen in Räthseln,« erwiederte Clemence, -während hohes Roth ihre Züge färbte.</p> - -<p>»Die Ihnen augenblicklich klar werden sollen. -Sie sind im Begriff sich mit dem Major von Reuhenfels -zu vermählen.«</p> - -<p>»Allerdings.«</p> - -<p>»Wissen Sie was man in der Stadt von ihm -spricht?«</p> - -<p>»Von dem Major?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a> -»Von demselben: Daß er ein arger Spieler und -Schuldenmacher, ja mehr als das, daß er ein schlechter -Mensch sei.«</p> - -<p>»Mein Herr, Sie sprechen von meinem künftigen -Gatten!«</p> - -<p>»Ich weiß es« rief Trautenau bewegt und weich -– »und nur um Unglück von Ihrem theueren Haupt -abzuwenden, wage ich etwas, wozu sonst nur ein -Freund – kein Fremder, das Recht beanspruchen -durfte – wage ich Sie zu warnen.«</p> - -<p>»Zu warnen?«</p> - -<p>»Ja, Clemence,« flüsterte Trautenau, der vor innerer -Bewegung kaum die Worte über die Lippen -brachte. – »Glauben Sie mir nur, daß mich allein -die Sorge – die – Theilnahme für Sie bewegt, -Ihnen das zu sagen. Uebereilen Sie den Schritt -nicht, den Sie im Begriff sind zu thun, denn eine -lebenslange Reue könnte ihn bestrafen. Sie sollen -mir nicht glauben – kein Wort von dem, was ich -Ihnen sage, ohne vorher Alles genau geprüft zu haben; -aber prüfen Sie es wenigstens. Das Urtheil der -Stadt über Ihren künftigen Gatten ist ein schweres, -und Ihr Vater wenigstens muß wissen, was man ihm -zur Last legt. Die Enttäuschung später wäre nachher -zu furchtbar.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a> -»Haben Sie geendet?« fragte das junge Mädchen -kalt.</p> - -<p>Trautenau schwieg und sah sie erstaunt an.</p> - -<p>»Dann ersuche ich Sie,« fuhr Clemence fort, »sich -in Zukunft mit Anklagen, die meinen Bräutigam betreffen, -an diesen selber zu wenden. Ich und mein -Vater wissen, was in der Stadt aus Bosheit und -besonders aus Neid gegen den Herrn böswillig geklatscht -und verbreitet wird. Ich will annehmen,« -setzte sie freundlicher hinzu, als sie die heftige Bewegung -bemerkte, mit welcher der Maler emporfahren -wollte, »daß Ihnen solche Gehässigkeiten fremd sind. -Sie meinen es wahrscheinlich ehrlich und ich danke -Ihnen dafür. Damit muß aber auch die Sache und -zwar für immer, abgemacht sein. Ich selber wünsche -wenigstens nicht weiter damit behelligt zu werden und -nun bitte, beenden Sie Ihre Arbeit, denn meine Zeit -ist beschränkt.«</p> - -<p>»Wie Sie befehlen,« erwiederte Trautenau kalt, -denn er fühlte diese Zurückweisung doppelt scharf. – -»Vielleicht wünschen Sie nun auch, daß ich die Aehnlichkeit -in dem Bilde des Ofenschirmes ändern soll.«</p> - -<p>Clemence zögerte einen Augenblick mit der Antwort: -endlich flog ein leichtes, fast neckisches Lächeln -über ihre Züge.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a> -»Nein,« sagte sie – »lassen Sie es so. Haben -Sie dies nämliche Bild an Ihre Wand gemalt?«</p> - -<p>»Ja, mein gnädiges Fräulein.«</p> - -<p>Clemence erwiederte Nichts weiter; sie nahm -ihre frühere Stellung wieder ein und in demselben -Augenblick öffnete sich auch die Thür, in welcher -Mademoiselle mit den Worten erschien, daß sie den -ganzen Bücherschrank von oben bis unten durchgesucht -habe, ohne das bezeichnete Buch darin zu finden.</p> - -<p>»Ich danke Ihnen, vielleicht hat es mein Vater -herausgenommen. Ich brauche es auch nicht mehr – -wir sind gleich zu Ende,« sagte Clemence in einem -gleichgültigen Ton.</p> - -<p>Trautenau beeilte sich jetzt wirklich mit der unbedeutenden -Arbeit, die er rasch vollendete und erst als -sich Clemence bereit zeigte das Zimmer zu verlassen, -sagte er herzlich und einfach:</p> - -<p>»Mein gnädiges Fräulein, ich weiß nicht, ob ich -jetzt, da ich das Letzte an dem Bild in meinem eigenen -Atelier beenden muß, noch einmal die Ehre haben -werde, Sie vor Ihrer Verheirathung zu sehen. Lassen -Sie mich, der ich so manche glückliche Stunde hier -verlebte, nicht so kalt und förmlich von Ihnen Abschied -nehmen. Reichen Sie mir Ihre Hand.«</p> - -<p>Er streckte ihr die seine treuherzig entgegen, und -<a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a> -während die Mademoiselle über dieses sonderbare und -außergewöhnliche Verlangen große Augen machte, -zögerte Clemence, der Bitte zu willfahren. Aber sie -mochte es auch nicht verweigern; schüchtern reichte sie -ihm die äußersten Fingerspitzen. Der Maler nahm -sie, hob sie leicht an die Lippen und flüsterte dann: -»Gott gebe, daß diese Hand sich nur zum Glück in die -eines Mannes lege. Seien Sie glücklich –« und seinen -Hut aufgreifend, ohne die Mademoiselle weiter zu -beachten, verließ er rasch das Zimmer.</p> - - - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Fünftes Capitel.</span></span><br /> - -Zerronnen.</h3> - - -<p>Ernst Trautenau war in einer recht trüben Stimmung -nach Hause gekommen und diese wurde nicht gebessert -als sein Auge auf das karrikirte Bild des -Majors fiel, dessen grinsende Züge sich über ihn lustig -zu machen schienen. Eine ganze Weile ging er auch -mit verschränkten Armen in seinem Zimmer auf und -ab, und in Trotz und Aerger fuhr sein Blick wohl -manchmal nach der verhaßten Gestalt hinüber, ja es -war als ob er mit einem finsteren Entschluß ringe. -Aber was konnte, was durfte er Anderes thun als der -<a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a> -Sache eben ihren Lauf lassen? Er hatte ja mit -Clemence gesprochen und sie gewarnt und sie ihn auch -genau genug verstanden, aber auch höflich zwar, doch -kalt abgewiesen. Damit schien Alles erschöpft was -ihn hätte veranlassen können weiter vorzugehen, ja des -jungen Mädchens ganzes Benehmen zeigte deutlich, -daß sie glaubte, er sei schon zu weit gegangen.</p> - -<p>Und was sollte er jetzt thun? Er hätte sich gern -mit Frank ausgesprochen, denn er wußte, daß der es -treu mit ihm meine, Frank war aber seit einigen Tagen -verreist und wurde in der nächsten Zeit nicht wieder -zurück erwartet; so blieb ihm Nichts übrig, als Alles -was ihn quälte, in der eigenen Brust zu verschließen.</p> - -<p>Er war dadurch fast menschenscheu geworden, und -als er Clemencens Bild, um es jetzt in seinem eigenen -Atelier zu beenden, wieder in das Haus geschickt bekam, -schloß er sich volle acht Tage damit ein, verkehrte mit -Niemandem, antwortete auf kein Klopfen, und grub -sich den Pfeil, diesem geliebten Zeugen gegenüber nur -noch immer tiefer in die Brust. Ja er fand einen -süßen Schmerz für sich darin, eine kleine Copie davon -zurückzubehalten, er hätte sich ja sonst nicht von dem -Bilde trennen können.</p> - -<p>Endlich hatte er es fertig und es war abgeliefert -worden. In der ganzen Zeit hörte er auch nichts von -<a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a> -Joulard – er wollte nichts hören, bis er eines Morgens -ein Schreiben des alten Herrn selber erhielt, in -welchem dieser ihm mit wenigen Worten für das »sehr -gelungene Gemälde« dankte, und ein Honorar beifügte, -das Trautenau nie gewagt haben würde, so hoch -zu fordern. Aus dem Couvert fiel aber auch noch -eine kleine Karte zu Boden, die er vorher nicht bemerkt -hatte. Er hob sie auf, es standen mit äußerst -feiner zierlicher Schrift nur die beiden Namen darauf:</p> - -<p class="ce"> -Major Kuno von Reuhenfels zu Berg,<br /> -Clemence von Reuhenfels zu Berg,<br /> -née Joulard.</p> - -<p>Es war geschehen, die Hochzeit hatte, ohne daß er -in seiner Abgeschlossenheit etwas davon gehört, stattgefunden -und Clemence selber seine Warnung verachtet. -Die Folgen kamen jetzt über sie.</p> - -<p>Nun litt es ihn aber auch nicht mehr in der -Stadt, er mußte fort. Um der Form zu genügen, -schrieb er ein paar Zeilen an Herrn Joulard, worin -er ihm den richtigen Empfang des Honorars dankend -anzeigte und zugleich seine Glückwünsche für das jung -verehelichte Paar beilegte. Dann ließ er noch einen -Brief für Frank zurück, wenn dieser etwa wiederkehren -sollte, packte seinen kleinen Koffer und seine Malergeräthschaften -zusammen und verließ M–, um sich nach -<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a> -dem Süden – nach Italien, dem Paradies der -Künstler, zu wenden.</p> - -<p>Dort blieb er weit über zwei Jahre und vertiefte -sich so vollkommen in seine Arbeiten, daß er von -Deutschland wenig oder gar nichts hörte. Ja, er mied -es sogar, Kunde von dort zu erhalten. Nur die Erinnerung -wachte und bohrte noch in ihm. Clemencens -Bild verließ ihn keinen Augenblick und ihre lieben -Züge gab er manchem seiner Bilder, wie er denn auch -die Züge des Majors nicht vergessen hatte.</p> - -<p>Eines seiner Gemälde machte Aufsehen. Es war -eine Scene aus der früheren italienischen Geschichte, -wo Seeräuber von der afrikanischen Küste sich manchmal -keck an die Ufer dieses Landes wagten, ihre -Schaaren an den Strand warfen und von Menschen -und Gütern raubten, an was sie in aller Schnelle die -Hand legen konnten. Das Bild stellte den Moment -vor, wie die Räuber wieder, während ein Theil von -ihnen das andringende Landvolk zurücktreibt, mit der -gemachten Beute fliehen, und den Mittelpunkt desselben -bildete eine, mit furchtbarer Wahrheit ausgeführte -Gruppe, in welcher der Capitain der Räuber ein -junges bildschönes Mädchen, das sich aber in rasender -Leidenschaft gegen ihn sträubt, zu dem nur noch wenige -Schritte entfernt liegenden Boot hinunter schleppt.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a> -Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, daß die -Geraubte Clemencens Züge trug, während der Capitain -dem verhaßten Major glich.</p> - -<p>Gerade durch dies Gemälde aber, und daß er sich -so lebendig wieder mit den alten besser begrabenen -Erinnerungen beschäftigte, erwachte in ihm die Sehnsucht -nach der Heimath stärker als je. – Clemence? -– er wußte recht gut, daß er mit keiner Faser seines -Herzens mehr an sie denken durfte, aber er wollte doch -wenigstens in ihre Nähe zurückkehren. Er mußte sie -noch einmal sehen, er mußte hören, daß es ihr gut -gehe, daß sie sich glücklich fühle, und dann? Ei, dann -hatte er weite Reisepläne vor. Er war noch jung, -und die Welt lag vor ihm mit all ihren ungemessenen -Schätzen.</p> - -<p>Einmal mit dem Entschluß erst im Reinen, führte -er ihn auch bald aus. Seine Gemälde hatte er fast -alle auf Bestellung gemacht; für das letzte wurde ihm -ein bedeutender Preis geboten; er nahm ihn an, und -schon in der nächsten Woche trat er den Rückweg nach -Deutschland an.</p> - -<p>Als er M– erreichte, fuhr er vom Bahnhof in -einer offenen Droschke durch die Stadt nach einem -dem Kutscher bezeichneten Hôtel. Er wußte, daß er -auf dem Weg Joulard's Palais passiren mußte und -<a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a> -wenn er sich auch keine Hoffnung machte, Clemence -dort zu sehen, wollte er doch wenigstens einen Blick -nach ihren Fenstern werfen.</p> - -<p>Dort lag das stattliche Gebäude vor ihm, aber er -schrak fast zusammen, als er die Veränderung bemerkte, -die mit demselben in der kurzen Zeit vorgegangen war.</p> - -<p>Das war nicht mehr das Haus eines reichen -Privatmannes, denn die Industrie hatte sich seiner -bemächtigt, und große Schilder beklebten, entstellten es -von oben bis unten. Die Parterrelokale waren parcellirt -und zu eleganten Verkaufsräumen hergerichtet -worden – in der ersten Etage hatte sich ein großes -Spitzenlager von Aaron Hamburger etablirt, dessen -riesiger Name fast die ganze Front einnahm, und oben -war in der zweiten Etage eine Thür ausgebrochen -und ein Krahnbalken eingeschoben worden, um dorthin -Waaren gleich von der Straße aus, hinaufzuwinden.</p> - -<p>»Hat denn Herr Joulard dies Haus verkauft?« -frug Trautenau unwillkürlich den Kutscher; dieser -zuckte aber mit den Achseln und erwiederte:</p> - -<p>»Kann ich nicht sagen, ich bin erst seit einem halben -Jahre in M– und weiß gar nicht, wem das Haus -früher gehörte. Jetzt ist's der Stadt und die Läden -werden vom Stadtrath selber vermiethet, denn ich -weiß, mein Herr hätte gern die schönen Ställe da drin -<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a> -gehabt, aber sie forderten einen zu bärenmäßigen Zins -dafür. Da war's denn Nichts.«</p> - -<p>Nicht lange darauf hielt die Droschke vor dem bezeichneten -Hôtel, und Trautenau's erste Frage, nachdem -er sein Zimmer angewiesen bekommen, war nach -dem Joulard'schen Hause. Der Kellner zuckte ebenfalls -die Achseln.</p> - -<p>»Das war eine faule Geschichte,« sagte er, »sind -nun fast zwei Jahre, da brach der Schwindel zusammen. -Die ganze Stadt hatte den Herrn Joulard für -einen Millionär gehalten – ja wohl, eine halbe -Million Schulden kam fast zusammen, es ging hoch in -die Hunderttausende und auf einmal war er weg, wie -Schnee im April, und kein Mensch weiß noch bis zu -dieser Stunde, was aus ihm geworden ist.«</p> - -<p>Trautenau schnürte es fast das Herz zusammen, -aber er wagte nicht, den kurzjackigen, wohlfrisirten -Menschen weiter zu fragen. Von diesen Lippen wollte -er das Schicksal Clemences nicht erfahren. Er mußte -sehn, ob er Frank nicht in M– traf.</p> - -<p>Er zog sich rasch um und ging in dessen alte Wohnung, -dort aber war er nicht mehr zu finden. Jedoch -sollte er in der Stadt sein, wo er sich aber jetzt eingemiethet -habe, würde Herr Trautenau wohl auf der -Polizei am sichersten erfahren.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a> -Dorthin ging er und hörte, daß Franz Rauling, -Maler, sein eigenes altes Atelier bewohnte, wohin er -sich denn natürlich augenblicklich begab.</p> - -<p>Das Wiedersehen der beiden Freunde war herzlich. -Wie viel hatten sie sich auch zu sagen und zu erzählen, -und doch scheuten sich Beide eine lange Weile den -einen Punkt zu berühren, der jedenfalls auf Beider -Lippen lag und dem doch Keiner von ihnen zuerst -Worte geben mochte.</p> - -<p>Trautenau saß in einem alten lederüberzogenen -Lehnstuhl, den Kopf in die rechte Hand gestützt, das -linke Bein über das rechte geschlagen, und sein Blick -hing, während er mit dem Freund sprach, fest und -unverwandt an seinem eigenen Teufelsbild, das heute -noch wie damals die Mauer zierte – oder entstellte.</p> - -<p>»Und was ist aus dem da geworden?« brach er -endlich durch alle Schranken durch, denn er mußte ja -doch wissen, was mit Clemence geschehen.</p> - -<p>»Aus dem da?« antwortete Frank und warf den -Blick über die Schulter nach dem Wandgemälde – -»weißt Du schon, was aus dem alten Joulard geworden -ist?«</p> - -<p>»Sein Haus hat er verkauft.«</p> - -<p>»Er? – nein – aber seine Gläubiger haben es -gethan. Das war einer der größten Schwindler, die -<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a> -je existirt. Und wie hat er unsere gute Stadt selber -angezapft. Mit einer Frechheit ist er dabei aufgetreten, -die gar nichts zu wünschen übrig ließ. Er verstand -wie Keiner, den Leuten Sand in die Augen zu streuen -und besaß dadurch einen ganz enormen Credit. Den -benutzte er, so lange es anging, aber ewig konnte das -natürlich nicht dauern – plötzlich und bald nachdem -Du M– verlassen, brach es zusammen, und wie nur -die erste drohende Wolke am Horizont aufstieg, ballte -sich auch in wenigen Tagen, ja man könnte sagen in -Stunden ein so furchtbares Gewitter über seinem -Haupt zusammen, daß er es für gerathen fand demselben -auszuweichen. Er verschwand und hat auch -keine Spur hinterlassen, was aus ihm geworden. -Einige wollten behaupten, daß er freiwillig den Tod -gesucht, aber ich glaube es nicht – sein Leichnam ist -nirgends gefunden worden und außerdem traue ich -dem berechnenden Burschen eine solche That der -Verzweiflung gar nicht zu, da er durch die Katastrophe -ja nicht überrascht werden konnte. Er mußte vom -ersten Augenblick an wissen, daß sie ihn früher oder -später ereilen würde. Sie konnte nicht ausbleiben.«</p> - -<p>»Und Clemence?« fragte Trautenau leise – »ist -sie hier?«</p> - -<p>Frank zögerte mit der Antwort. – »Nein« sagte -<a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a> -er endlich, »aber ich sehe auch nicht ein, weshalb ich -Dir etwas vorenthalten soll, was Dir doch hier in -M– kein Geheimniß bleiben kann, denn die Sperlinge -auf den Dächern haben fast ein Jahr lang davon -geschwatzt. Jetzt ist es ruhiger geworden, denn -das Publikum findet immer wieder etwas Neues, -was die alten Geschichten vergessen läßt!«</p> - -<p>»So ist etwas mit dem Major vorgegangen?«</p> - -<p>»Allerdings, und zwar kurz vorher, ehe der Bankerott -des Alten ausbrach. Wärest Du nur acht Wochen -länger in M– geblieben, so hättest Du die ganze -Sache mit erlebt.«</p> - -<p>»Und was war es?«</p> - -<p>»Du weißt, welche Gerüchte schon früher über ihn -umliefen, und unbegreiflich ist es, daß Joulard selber -Nichts davon gehört haben sollte.«</p> - -<p>»Ich selber habe Clemence gewarnt.«</p> - -<p>»Du?«</p> - -<p>»Gewiß, wie ich sie das letzte Mal sah, aber sie -wies mich kalt und stolz zurück.«</p> - -<p>»Dann steckt auch mehr dahinter und dies bestätigt -einen Verdacht, den ich schon lange gefaßt, daß nämlich -der Major sowohl, als der alte Joulard ihre gegenseitigen -Verhältnisse genau kannten. Uebrigens wurde -<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a> -später behauptet, daß Clemence gar nicht Joulards -Tochter gewesen sei.«</p> - -<p>»Und wessen sonst?«</p> - -<p>Frank zuckte mit den Achseln. »Es würde schwer -sein, das festzustellen, und käme auch Nichts mehr -darauf an, denn er ist fort aus M– und wird wohl -schwerlich hierher zurückkehren.«</p> - -<p>»Und was ist sonst vorgefallen? Sage mir Alles.«</p> - -<p>»Es ist mit kurzen Worten erzählt. Es kamen -Dinge zur Sprache, die den Major auf das Aeußerste -compromittirten. Er mußte seinen Abschied nehmen. -Wechsel waren gefälscht worden, Cassengelder unterschlagen. -Man sprach von falschem Spiel und einigen -anderen Betrügereien und ging, mit Rücksicht auf den -Schwiegervater und den adeligen Namen des Burschen, -wohl schlaffer mit der Anklage gegen ihn vor, -als man gegen einen Menschen aus niederem Stande -vorgeschritten wäre. Auf einmal war der Major verschwunden.«</p> - -<p>»Mit seiner Frau?«</p> - -<p>»Mit seiner Frau, und als nun Joulard die -Wechsel zahlen sollte, brach eben das ganze Kartenhaus -zusammen.«</p> - -<p>»Und wurde der Major nicht verfolgt?«</p> - -<p>»Nein, man erzählte sich, oder wußte vielmehr, -<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a> -daß er bei Prinz Y– sehr gut angeschrieben stand, es -gingen darüber allerlei tolle Gerüchte, die natürlich -wenig ehrenhaft für den Major waren. Der Prinz -zahlte, wenn auch seufzend, aber er zahlte doch, und -die Klage gegen den Major, da sich die Gläubiger -gern mit 50% abfinden ließen, wo sie schon gefürchtet -hatten gar nichts zu bekommen, wurde niedergeschlagen.«</p> - -<p>»Und wo hält er sich jetzt auf?«</p> - -<p>»Kein Mensch weiß es. Ein Bekannter von mir -wollte ihn neulich in Paris gesehen haben, schien seiner -Sache aber doch nicht ganz gewiß. Unmöglich -wär's freilich nicht, denn wenn er auch nicht in -Deutschland mehr verfolgt wird, dürfte er es doch -nicht wagen, sich in anständiger Gesellschaft blicken zu -lassen, und ein solcher Zustand würde ihm bald unerträglich -werden.«</p> - -<p>»Und Clemence ist bei ihm?«</p> - -<p>»Wenigstens mit ihm von hier fortgegangen.«</p> - -<p>»Armes, unglückliches Geschöpf – wie furchtbar -elend muß sie sich jetzt fühlen.«</p> - -<p>Frank schwieg und sah still vor sich nieder. Es -schien fast, als ob er noch etwas sagen wollte; Trautenau -aber war zu sehr mit seinen eigenen schmerzlichen -Gedanken beschäftigt, um es zu bemerken. -<a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a> -Manche Gerüchte über Clemence hatten nämlich -ebenfalls die Stadt durchlaufen, aber was konnte es -nützen, dem Freund durch Wiederholung derselben -wehe zu thun. Bewiesen war doch keins von allen -worden, und ob Clemence nun Mitschuldige oder rein -von jedem Fehl sei, was kümmerte das den Stadtklatsch, -der überall seine Opfer suchte und dabei wahrlich -nicht wählerisch in seinen Mitteln war.</p> - -<p>»Und weißt Du nicht, was aus ihrem Bild geworden -ist?« fragte der Andere nach einer längeren -Pause. – »Sind denn auch selbst die Familienbilder -unter den Hammer des Actionators gekommen?«</p> - -<p>»Alles,« lautete Frank's Antwort, »Dein Bild soll -übrigens ziemlich hoch von einem Engländer erstanden -sein, der sich, Gott weiß, aus welchem Grunde, dafür -interessirte. Ich glaube, der Ofenschirm hat ihm in -die Augen gestochen. Das war doch eine verwünschte -Idee von Dir, Ernst, den Bräutigam als Carricatur -neben die Braut zu stellen, und ich begreife nur nicht, -daß Clemence selber blind gegen die wirklich frappante -Aehnlichkeit blieb.«</p> - -<p>»Sie hat sie damals entdeckt.«</p> - -<p>»Was? und den Schirm nicht übermalen lassen?«</p> - -<p>»Ich erbot mich, es selber zu thun, aber sie wies -es zurück.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_076" title="76"> </a> -»Das ist in der That sehr sonderbar und zeugt -wohl von einem ganz eigenthümlichen Humor der -jungen Dame, aber nicht besonders von ihrer Verehrung -für den Bräutigam.«</p> - -<p>»Sie hat sich doch keinenfalls etwas Böses dabei -gedacht.«</p> - -<p>»Wer kann wissen, was sich so ein Mädchenkopf -denkt – das ist unergründlich wie der Ocean. Aber -was gedenkst Du jetzt zu thun? Bleibst Du hier in -M–?«</p> - -<p>»Ich weiß es nicht – weiß auch nicht, ob ich überhaupt -in der nächsten Zeit Ruhe zum Arbeiten haben -werde.«</p> - -<p>»Aber Du hast gewiß eine Mappe voll prächtiger -Studien mitgebracht.«</p> - -<p>»Das allerdings, aber die können warten. Meine -Casse ist ziemlich gefüllt und ich mache vielleicht noch, -ehe ich den Pinsel wieder in die Hand nehme, vorher -eine kurze Reise durch Deutschland. Ich habe eine -Sehnsucht nach dem Rhein.«</p> - -<p>»Höre, Ernst, mach' keinen dummen Streich,« -sagte Frank, der ihn mißtrauisch ansah – »Du hast -doch nicht etwa den tollen, abenteuerlichen Plan, -Deiner früheren Flamme nach Paris zu folgen?«</p> - -<p>Trautenau schüttelte leise den Kopf. »Nein, -<a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a> -Frank,« erwiderte er, »meine Seele denkt nicht daran. -Clemence ist jetzt das Weib des Majors und kann für -mich natürlich von da an nur eine Fremde sein. Ja, -ich würde sogar die Stadt, in der sie wohnt, meiden, -um ihr nicht wieder zu begegnen. Weshalb auch? es -hieße nur alte Wunden aufreißen, um sie frisch bluten -zu sehen.«</p> - -<p>»Ist das Dein voller Ernst?«</p> - -<p>»Hier meine Hand darauf und mein Wort.«</p> - -<p>»Gott sei Dank,« rief Frank, »denn ich fürchtete -schon, daß die Nachricht ihres Unglücks jene alte hoffnungslose -Liebe wieder anfachen könne.«</p> - -<p>»Wenn ich sie verlassen und im Elend wüßte – -ja – nicht an der Seite eines Gatten.«</p> - -<p>»Dann will ich Dir etwas sagen, Ernst,« rief -Frank lebendig. »Ich habe gerade verschiedene Arbeiten -beendet – bin überhaupt das letzte Jahr merkwürdig -fleißig gewesen, und hatte mir schon fest vorgenommen, -diesen Sommer eine kleine Erholungsreise zu machen. -Wenn Du jetzt noch zwei oder höchstens drei Tage auf -mich warten kannst, begleite ich Dich, was meinst Du -dazu, und wir kreuzen dann eine Weile am Rhein -umher.«</p> - -<p>»Der glücklichste Gedanke, den Du fassen konntest!« -rief Ernst erfreut aus – »ich warte auf Dich -<a class="pagenum" id="page_078" title="78"> </a> -und wenn Du eine volle Woche brauchst, um fertig zu -werden. Oder kann ich Dir vielleicht helfen? Mir -geschieht ein Gefallen damit, denn selbstständig kann ich -doch noch Nichts arbeiten und möchte nicht die Zeit -über ganz müssig liegen.«</p> - -<p>»Desto rascher werden wir fertig,« entgegnete -Frank lachend, »also dankbar angenommen, und hier -in Deinem alten Atelier wird es Dir doppelt heimisch -sein.«</p> - - - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Sechstes Kapitel.</span></span><br /> - -In Wiesbaden.</h3> - - -<p>Die beiden jungen Leute gingen jetzt, dabei mit -einander plaudernd und erzählend, frisch an die Arbeit, -um einige Kleinigkeiten, die Frank noch versprochen -hatte abzuliefern, in den nächsten Tagen zu beenden. -Das wurde auch rascher erledigt, als sie selber -geglaubt, denn in der gemeinschaftlichen Thätigkeit -flogen ihnen die Stunden nur so dahin. Am dritten -Abend waren sie auch schon zur Abreise fertig gerüstet, -und um auch keinen Moment mehr zu versäumen, -benutzten sie selbst den Nachtzug, daß der sie dem -flachen Lande entführe, und nur erst einmal hinein in -die Berge bringe.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a> -Am anderen Abend schon wanderten sie Arm in -Arm den wunderbar schönen Rhein entlang, und das -Herz floß ihnen in lautem Jubel und fröhlichem -Gesang über. Giebt es ja doch nur einen einzigen solchen -Strom in der ganzen weiten Welt, und wem das Herz -an diesen Ufern nicht aufgeht und wärmer, freudiger -schlägt bei den Wundern, die sich dort seinem Blick -öffnen – ei, der mag ruhig fortgehen und sich in der -lüneburger Haide oder im berliner Sande begraben -lassen – auf Erden ist er doch zu Nichts mehr -nütze.</p> - -<p>Das war eine frohe, glückliche Zeit, die sie dort -verlebten, und selbst Ernst, der sonst mehr zur Schwermuth -neigte und sich nie wohler fühlte, als wenn er -allein und einsam seine Bahn wandelte, lebte neu auf -in der wunderbar schönen Natur und der Gesellschaft -des stets fröhlichen und heiteren Frank.</p> - -<p>Mit ihren Mappen wanderten sie von Bingen -zuerst durch die Berge hinüber bis Bacharach, in -dessen Nachbarschaft sie sich eine Zeitlang aufhielten, -dann kreuzten sie hinüber nach dem Lurleifelsen und -nach St. Goarshausen, bis sie sich in St. Goar eine -Zeitlang festsetzten, und dann langsam sich wieder am -rechten Rheinufer bis zu der reizenden Mündung der -Lahn hinunterzogen. Es war ein vollkommen zielloses -<a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a> -Umherstreifen, aber deshalb gerade so anziehend, weil -es ihnen auch keine Stunde im Tag einen Zwang auferlegte, -und ihre Mappen und Skizzenbücher bereicherten -sie dabei ungemein.</p> - -<p>So hatten sie vier volle Wochen glücklich verlebt, -als Frank zuerst an den Heimweg dachte, da er nach -M– zurückkehren mußte, um einige versprochene -Arbeiten in Angriff zu nehmen. Trautenau beabsichtigte -noch nach Köln hinunter zu gehen und sich dort -einige Zeit aufzuhalten. Er wollte sich aber wenigstens -nicht so lange von dem Freund trennen, als dieser noch -den Rhein bereiste und beschloß, ihn deshalb bis -Mainz oder Castell zu begleiten und dann die schöne -Fahrt wieder stromab bis Köln zu machen.</p> - -<p>Aber auch diese Rückfahrt übereilten sie nicht, denn -auf eine Woche kam es dabei nicht an, und manchen -hübschen Punkt, den sie auf der Niederfahrt übergangen, -berührten sie jetzt und holten das damals -Versäumte ein.</p> - -<p>So kamen sie auch nach Bieberich, und Frank, der -noch nie eine Spielbank gesehen hatte, zeigte Lust einmal -auf ein paar Stunden nach Wiesbaden hinüber -zu fahren. Ernst natürlich schloß sich ihm an und da -der Abend schon dämmerte, beschlossen sie, die Nacht -dort zu bleiben und dann mit dem Frühzug, der Eine -<a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a> -wieder in das innere Land zurück zu kehren, der Andere -seine Reise nach Köln fortzusetzen.</p> - -<p>Das war ein reges Leben in dem Ort, denn Wiesbaden -kann wohl als das Paradies der Spielhöllen -betrachtet werden. Die Promenaden waren dicht -gedrängt voll geputzter Menschen und in den prachtvollen -Spielsalons preßte sich um die grünen Tische -Kopf an Kopf, so daß man nicht einmal in ihre Nähe -gelangen konnte.</p> - -<p>Allerdings standen dort auch eine Menge von Neugierigen -umher, die nur eben sehen wollten was gesetzt -wurde und wer es gewann. Die Meisten ließen sich -aber doch – hier und da durch einen augenblicklichen -Erfolg einzelner Spieler angelockt – verleiten, kleine -Summen da oder dorthin zu setzen und erst wenn die -erbarmungslosen Krücken der Croupiers das Geld, -das sie vielleicht Gott weiß wie nothwendig für sich -und ihre Familien gebraucht hätten, einstrichen, zogen -sie sich leise und beschämt zurück und suchten sich unter -die Menge zu verlieren. Aber Niemand achtete auf -sie; das waren ja doch nur Eintagsfliegen, Motten, die -um das Licht flatterten und sobald sie sich einmal die -Flügel leicht versengt, untauglich für weiteren Gebrauch -wurden.</p> - -<p>Die hartnäckigeren Spieler, Stammgäste, wie -<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a> -man sie nennen könnte, hatten ihren Platz am Tische -selbst, auf weich gepolsterten Stühlen, mit kleinen -Täfelchen neben sich, auf denen sie die verschiedenen -Chancen des Spiels notirten und sich dabei so gleichgültig -als irgend möglich gegen Gewinn oder Verlust -zu zeigen suchten.</p> - -<p>Die beiden jungen Leute verstanden das Spiel -gar nicht, und sie dachten noch weniger daran, »ihr -Glück« zu versuchen, wie man das gewöhnlich nennt, -wie es aber besser heißen sollte »ihr Geld dem grünen -Tisch zu opfern.« Nur beobachten wollten sie, und -dazu bekamen sie vortreffliche Gelegenheit in den verschiedenen -Physiognomien der bei dem Spiel interessirten -Menschen.</p> - -<p>Wie sie noch so langsam, bald hier, bald dort umherschlenderten -und sich leise ihre Bemerkungen mittheilten, -fiel plötzlich in einem der anderen Säle ein -Schuß, und was nicht unmittelbar an dem nächsten -Tisch interessirt war, zog sich augenblicklich davon -zurück, um zu sehen, was vorgegangen sei. Es kommt -ja allerdings gar nicht so selten vor, daß ein armer -Commis, der Geld für seinen Principal eincassirt, -und hier in wenigen Stunden – vielleicht Minuten, -Alles verloren hat, mit einer Kugel oder auf sonstiger -Weise seinem Leben ein Ende macht. Aber es geschieht -<a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a> -doch nicht oft, daß er einen solchen verzweifelten -Entschluß gleich an Ort und Stelle ausführt, und ist -sicher für die Bankhalter immer ein sehr unangenehmer -Fall, da nachher zu viel darüber gesprochen -und geschrieben wird.</p> - -<p>Um so mehr wollten die Meisten aber auch -Zeugen einer solchen Scene sein, und nur die wirklichen -und leidenschaftlichen Spieler berührte es nicht. -Was war es auch – ein werthloses Menschenleben, -was hier eben, inmitten von Pracht und Haufen -Goldes, geendet hatte – ein ekelhafter, unangenehmer -Leichnam, den die Aufwärter nun so rasch als möglich -entfernen, und das Blut vom Parket wegwaschen -mußten. In zehn Minuten konnte das Alles beseitigt -sein und es dauerte wirklich kaum so lange.</p> - -<p>Die beiden jungen Freunde zogen sich ebenfalls -und unwillkürlich jener Stelle zu, wo wieder einmal -dieser »Fluch des Rheins«, das höllische Spiel, ein -Opfer gefordert hatte. Aber es war nicht möglich -rasch dahin zu gelangen, denn durch die von den -Tischen plötzlich zurückpressenden Leute wurde der -Raum für kurze Zeit vollkommen angefüllt. Langsam -rückten sie aber trotzdem am Tische hin und wollten -eben links abbiegen um eine freiere Stelle zu gewinnen, -als Frank plötzlich seinen Arm fast krampfhaft festgehalten -<a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a> -fühlte, und als er sich erstaunt nach der Seite -umdrehte, sah er des Freundes Augen, dessen Antlitz -aschenbleich geworden war, an einem Punkt des noch -immer besetzten Tisches haften.</p> - -<p>Da er gar nicht wußte, was er aus dem Benehmen -Trautenau's machen sollte, folgte er seinem Blick, -konnte aber nicht das geringste Auffällige entdecken. -An dem Tische saßen die gewöhnlichen Gestalten, -Herren und »Damen« – wenigstens elegant angezogene -Frauenzimmer, sehr decolletirt und in oft höchst -unnöthigem Putz für diese Gesellschaft, dabei meist -ältliche Herren mit verlebten, aber leidenschaftlich -erregten Gesichtern, mit aufgestellten Rollen von Gold -und Silber vor sich, von denen sie dann und wann -kleine Haufen, ohne sie zu zählen und nur nach dem -Gefühl herunternahmen und auf irgend einen Punkt -setzten, oder auch gewonnene Summen wieder sorgfältig -neben die anderen häuften. Diese Leute hatte der -Schuß im anderen Zimmer auch nicht gestört; was -kümmerte sie irgend ein fremder, alberner Mensch, -der nicht einmal Tact genug besaß, sein unbedeutendes -Leben außerhalb der Spielsäle abzuschütteln. Es -wäre nicht der Mühe werth gewesen, auch nur den -Kopf nach ihm umzudrehen, viel weniger das »<i>jeu</i>« -seinethalben zu vernachlässigen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a> -»Aber was hast Du nur?« flüsterte Frank jetzt -dem Freund zu, »Du drückst mir ja blaue Flecke in -den Arm.«</p> - -<p>»Kennst Du den Herrn, der dort unten an dem -Tisch sitzt, gleich hinter jener Dame, die den Kopf von -uns abdreht?«</p> - -<p>»Hinter jener Dame im weißen Kleid?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Nein, den kenne ich nicht – kann mich wenigstens -nicht auf das Gesicht besinnen.«</p> - -<p>»Und hast es in Deinem eigenen Arbeitszimmer -an der Wand?«</p> - -<p>»Der Major? Unsinn – Du träumst.«</p> - -<p>»Lehre mich das Gesicht kennen, das ich unzählige -Male gezeichnet habe – jeder Zug desselben steht mir -so fest im Gedächtniß, daß ich es mit geschlossenen -Augen mit Kohle an die Wand malen könnte. Er ist -es, beim ewigen Gott.«</p> - -<p>»Und jene Dame?«</p> - -<p>»Das kann nicht Clemence sein, es ist nicht möglich. -Sie würde sich doch nicht zwischen diese Gesellschaft an -den grünen Tisch setzen. Nein, sie scheint zu dem -jungen Herrn zu gehören, der hinter ihrem Stuhl -steht und fortwährend mit ihr flüstert. Beide pointiren -wahrscheinlich zusammen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_086" title="86"> </a> -»Du mußt Dich irren, Ernst.«</p> - -<p>»Glaube mir, eine Täuschung ist dieser Gestalt -gegenüber nicht möglich. Ich habe mir nicht den -Teufel an die Wand gemalt, daß ich ihn nicht wiedererkennen -sollte, wo auch immer. Findest Du ihn denn -noch nicht in den Zügen?«</p> - -<p>»Er hat allerdings Aehnlichkeit mit dem Major,« -sagte Frank, der ihn indessen aufmerksamer betrachtet -hatte. »Er trägt nur den Bart ganz anders als -früher und mehr in französischer Art; ich habe ihn -auch anfangs für einen Franzosen gehalten. Du -könntest wirklich Recht haben – doch was liegt daran. -Er ist wahrscheinlich mit anderem Gesindel von -Frankreich herüber gekommen und treibt sich hier eine -Zeitlang in den Bädern herum. Laß ihn und komm -– was interessirt uns der Mensch.«</p> - -<p>»Wenn ich nur wenigstens einmal das Profil der -Dame, die neben ihm sitzt, sehen könnte,« entgegnete -Ernst, der noch immer zögerte, dem Freund zu -folgen.</p> - -<p>»So laß uns an die andere Seite hinüber gehen.«</p> - -<p>»Ich möchte nicht von ihnen gesehen werden – -wenigstens jetzt noch nicht – nicht bis ich mich näher -überzeugt habe.«</p> - -<p>Das Publikum fing schon wieder an zu dem Tisch -<a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a> -zurückzukehren, so rasch hatte man da drüben, in dem -anderen Zimmer, den Leichnam wie die letzten Spuren -der fatalen Angelegenheit beseitigt. Das Spiel durfte -unter keiner Bedingung gestört werden. Kein Mensch -sprach mehr über den Selbstmord des Unglücklichen, -wie denn überhaupt eine laute Unterhaltung im -Heiligthum der grünen Tische gar nicht mehr geduldet -wurde. Alles verkehrte in Flüstern mit -einander.</p> - -<p>Dadurch gruppirten sich die Zuschauer wieder -fester um die eigentlichen Spieler, und Trautenau -wie Frank konnten auch, unter deren Schutz, etwas -näher an den entdeckten Major hinanrücken. Uebrigens -war kaum Gefahr da, daß er sie bemerken würde, -denn seine Augen wanderten für keinen Moment von -dem Tisch selbst und dem darauf stehenden Golde ab. -Was kümmert sich der Spieler um die Zuschauer.</p> - -<p>Frank verstand allerdings das Spiel gar nicht, -Trautenau dagegen hatte auf seinen verschiedenen -Reisen schon öfter Gelegenheit gehabt es zu beobachten -und zu verfolgen, und es konnte ihm bald nicht mehr -entgehen, daß der Major ziemlich hoch und zwar nach -einem bestimmten Plan spiele, während die Dame an -seiner Seite, die aber noch immer den Kopf abgedreht -hielt, bald da, bald dort pointirte und den hinter ihr -<a class="pagenum" id="page_088" title="88"> </a> -stehenden jungen Mann dabei oft um Rath frug. Die -Gestalt konnte aber nicht die Clemences sein. Sie -schien allerdings von hoher, stattlicher Figur, kam -Ernst aber weit stärker vor, als Clemence gewesen – -auch die Contur der Wangen war voller als er sie -gekannt. Nur das Haar glich dem ihrigen vollkommen -und man hätte kaum glauben sollen, daß zwei -Personen eine so ähnliche und wahrhaft prachtvolle -Lockenfülle haben könnten. Aber sie war es trotzdem -nicht; es ließ sich ja auch nicht denken, daß Clemence, -das stolze, schöne Mädchen, so weit gesunken sein könne, -um hier am grünen Tisch –</p> - -<p>In dem Moment drehte sie den Kopf zur Seite -– der bis jetzt hinter ihr stehende junge Herr hatte -sie einen Augenblick verlassen, um zu einem anderen -Spieler hinüber zu treten. Sie schien ihn zu suchen -und ihr Blick streifte selbst Trautenau's Gestalt – -wenn auch vollkommen gleichgültig, denn er trug nicht -die bestimmten Formen, denen sie folgte.</p> - -<p>»Beim ewigen Gott, sie ist es,« stöhnte da Ernst, -indem er scheu und erschrocken einen Schritt zurücktrat -– »Clemence!«</p> - -<p>»Wahrhaftig? das ist allerdings merkwürdig,« -sagte Frank, »und hier der Tisch wäre der letzte, hinter -dem ich sie gesucht hätte. Sie scheint aber stärker -<a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a> -geworden zu sein. Ah, da tritt auch ihr Courmacher -wieder hinter ihren Stuhl. – Komm Ernst; ich -glaube, wir haben genug gesehen, um nicht nach Weiterem -zu verlangen. Die Dame scheint sich in ihrem -neuem Beruf außerordentlich wohl zu fühlen.«</p> - -<p>Trautenau erwiederte kein Wort; es schnürte ihm -das Herz zusammen, der Athem wurde ihm schwer, -und er drängte selber jetzt hinaus in's Freie, weil er -den Anblick nicht länger ertragen konnte.</p> - -<p>Das Interesse für die früher Geliebte war aber -doch zu frisch und gewaltig geweckt worden, um es so -rasch wieder abschütteln zu können, und da selbst Frank -neugierig geworden war, zu erfahren, unter welchen -Verhältnissen sich die beiden Gatten hier aufhielten, -so ließen sie sich, in ihrem Hôtel angelangt, vor allen -Dingen die Kurliste geben, um dort die Namen aufzusuchen -und dadurch ihren Wohnort herauszubekommen.</p> - -<p>Es dauerte allerdings einige Zeit, bis sie das -alphabetisch geordnete und etwas voluminöse Actenstück -durchstudirt hatten, aber den Namen Reuhenfels -fanden sie nirgends angegeben – nicht in der alphabetischen -Ordnung, nicht unter den einzelnen Hôtels. -War er etwa hier in Wiesbaden ansässig? dann kam -er allerdings nicht in die Kurliste. Aber auch im -<a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a> -Adreßbuch stand er nicht. Da fiel, als Trautenau -noch einmal die Kurliste aufschlug, sein Auge zufällig -auf den Namen »Zu Berg« – Reuhenfels hatte ja -– soviel erinnerte er sich, den Namen »zu Berg« bei -dem eigenen. – Das mußte er jedenfalls sein und als -Wohnung des »Baron und Gemahlin nebst Bedienung« -war Hôtel Kompelt angegeben.</p> - -<p>Also er reiste, wenn auch nicht unter falschem, -doch jedenfalls verstellten Namen, und das schien erklärlich, -denn er mochte Ursache haben, sich der Vergangenheit -zu schämen. Auch der verschnittene Bart -sprach dafür, der ihn allerdings so entstellte, daß ihn -selbst Frank niemals unter demselben aufgefunden -hätte.</p> - -<p>Die beiden jungen Leute waren aber doch neugierig -geworden, etwas mehr von den alten Bekannten -zu hören. Besonders Frank, der recht gut wußte, daß -man sich dafür in M– außerordentlich interessiren -würde – und beschlossen deßhalb jedenfalls noch bis -zum nächsten Mittag in Wiesbaden zu bleiben und -Nachforschungen anzustellen, denn heute Abend war es -dazu allerdings zu spät geworden.</p> - -<p>Ernst aber konnte Clemences Bild, wie er sie an -dem Spieltisch gesehen, nicht wieder aus dem Gedächtniß -bringen. Wie hatten sie die wenigen Jahre verändert -<a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a> -– wie gänzlich umgestaltet. Vermögenlos -konnte sie allerdings nicht sein, denn sie prangte noch -immer im höchsten Staat – aber wohin war der -gute, liebe Ausdruck in ihren Zügen gekommen? wohin -jene schüchterne Jungfräulichkeit, die er sonst darin -zu finden geglaubt. Sie war wohl noch schön – -oh so wunderbar schön wie je; aber mochte die Umgebung -dabei die Schuld tragen, genug ihm machte es -den Eindruck, als ob sie jene holde Weiblichkeit verloren -habe, die gerade so bezaubernd auf das Männerherz -wirkt und es fesselt. Auch ihr Blick, wenn sie ihn -im Saal umherwarf, schien weit mehr keck und herausfordernd -gewesen zu sein als er es gewünscht, und an -dem Spieltisch sich wie zu Hause zu fühlen. Ja, er -erinnerte sich jetzt sogar, daß sie eine kleine Geldkrücke -in der Hand geführt und ein Blatt zum Controliren -des Spiels neben sich gehabt, – ganz wie es alte -Spieler gewöhnlich thun. Sie konnte doch nicht in -den wenigen Jahren schon so tief gesunken sein.</p> - -<p>Wie ihn die Gedanken quälten – und er grübelte -und sorgte sich darüber, bis endlich die Müdigkeit seine -Augen schloß.</p> - -<p>Am andern Morgen war Ernst früh auf. In -einem Badeort giebt es überhaupt wenig Langschläfer, -denn schon die Kur erfordert viel Bewegung und die -<a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a> -Damen wissen, daß sie in ihrem einfachen Morgenanzug -oft ebenso hübsch, gewöhnlich aber in Wirklichkeit -noch viel hübscher aussehen, als Nachmittags in allem -Glanz einer Gesellschaftstoilette. Vor dem Kurhaus -um den blitzenden Teich herum, in dem die Fontainen -sprangen, ergingen sich denn auch schon eine Menge -Damen, die, ihr Glas in der Hand, gewissenhaft ihre -Promenade machten und dabei gar nicht so aussahen, -als ob sie irgend wie nöthig hätten, ihrer Gesundheit -wegen solch nichtswürdiges Wasser zu trinken. Aber -die Form mußte beobachtet werden. Wenn sie auch -nur ihres Vergnügens wegen, unter dem Vorwand -von Nervenleiden, hierhergekommen waren und das -eigentlich blos den Zweck hatte, eine reiche, dazu besonders -angefertigte Garderobe zur Schau zu tragen, -so durften sie sich doch der Kur nicht entziehen. Es -hätte sonst der schmerzliche Fall eintreten können, daß -ihnen der Gatte in der nächsten Saison die nothwendigen -Reisespesen vorenthielt, und der Gedanke schon -war furchtbar. Nein, da lieber Brunnen trinken.</p> - -<p>Frank war zu Hause geblieben, um ein paar nothwendige -Briefe zu schreiben, die, bei jetzt fest bestimmter -Abreise seine Rückkunft daheim anzeigen sollten. -Ernst dagegen machte vor allen Dingen einen Spaziergang -nach dem Kurhaus, um dort erst einmal zu -<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a> -sehen, ob er Clemence nicht wieder begegnen könne. -Die Musik spielte eben den unvermeidlichen Choral, -um unmittelbar von demselben auf einen lustigen -Schottischen überzuspringen; aber er suchte unter den -dort auf und ab wandelnden Badegästen nach den -lieben, bekannten Zügen der jungen Frau vergebens. -Er konnte sie nirgends bemerken. Es gab allerdings -in Wiesbaden auch noch andere Stellen, wo Brunnen -getrunken, und zahllose, wo gebadet wurde, – möglicher -Weise, daß sie sich dort irgendwo befand, aber dort -hinaus konnte er sie in jeder Straße verfehlen, und er -beschloß deshalb, ohne Weiteres in das von der Kurliste -bezeichnete Hôtel zu gehen, um da womöglich -einiges Nähere über das Ehepaar zu erfahren.</p> - -<p>Clemence befand sich übrigens diesen Morgen -nicht in dem gewöhnlichen Gedräng der Kurgäste, -weder hier noch in einem anderen Theil der Stadt, -sondern schritt nicht weit von der Stelle, wo das -Grabmal der verstorbenen Herzogin steht, am Arm -eines jungen, sehr elegant gekleideten Herrn – desselben, -der gestern Abend hinter ihrem Stuhl am -Spieltisch gestanden, – langsam durch das Gehölz. -Beide schienen auch in ernster und eifriger Unterhaltung -begriffen, in welche sie aber doch nicht genug vertieft -waren, um nicht dann und wann wie scheu den -<a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a> -Blick nach rechts und links zu werfen, als ob sie -fürchteten beobachtet zu werden.</p> - -<p>»Ich halte es beim Himmel nicht mehr aus, Armand,« -sagte da die junge Frau. – »Er wird mit -jedem Tage roher und unerträglicher – ein wahrer -Teufel. Ach, jener Maler hatte Recht, der ihn in der -Gestalt mit auf mein Bild brachte.«</p> - -<p>»Nur noch eine kurze Zeit, Clemence, um meinetwillen,« -bat da Armand. »Du weißt ja, daß ich -meine Schwester hier nicht verlassen kann, und in acht -Tagen spätestens, vielleicht schon früher, kommt ihr -Gatte zurück. Dann sinnen wir auf Mittel und -Wege, wie wir unsere Flucht bewerkstelligen.«</p> - -<p>»Dann ist es zu spät,« sagte Clemence düster, -»denn gestern Abend noch hat er mir erklärt, daß wir -in den nächsten Tagen Wiesbaden verlassen werden.«</p> - -<p>»Und wohin will er sich wenden?«</p> - -<p>»Er weiß es noch nicht, oder würde es mir auch -nie sagen, weil er unser Einverständniß ahnt, oder -doch wenigstens Verdacht geschöpft hat. Er scheint -auch nur von hier fortzugehen, um uns zu trennen.«</p> - -<p>»So bald schon,« rief Armand erschreckt aus – -»oh, ich kann Dich nicht verlieren, Clemence, ich würde -elend mein ganzes Leben werden.«</p> - -<p>»Aber, was läßt sich, was kann ich thun, um es -<a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a> -zu verhindern? Ach, Alles Dir zu Liebe, Armand, -sag' mir nur wie?«</p> - -<p>»Du kannst mir schreiben wohin Ihr Euch gewandt, -und ich folge Dir dann in wenigen Tagen -nach.«</p> - -<p>»Ich fürchte, ich fürchte,« stöhnte die arme Frau, -»daß er beabsichtigt, mich weit hinweg zu führen. -Irgend ein Vergehen muß ihn drücken – irgend etwas -muß in der letzten Zeit geschehen sein, wovon ich -keine Ahnung habe, denn verschiedene Anzeigen sprechen -dafür. Nicht umsonst trägt er seinen Bart jetzt so, -daß er ein ganz anderes Aussehen gewonnen hat. -Dann fährt er oft, mitten in der Nacht, von schweren -Träumen geschreckt, empor. Auch ein Revolver liegt -fortwährend über seinem Kopfkissen, geladen im Bett, -als ob er fürchte überfallen zu werden. Irgend etwas -ist jedenfalls geschehen und er hat auch seitdem nirgends -Ruhe mehr. Kaum sind wir acht Tage in einem -Ort, so treibt es ihn wieder hinweg und in der letzten -Zeit sprach er sogar manchmal von England und -Amerika. Wenn er mich dort hinüber führt, bleibt -mir ja Nichts übrig, als meinem elenden Leben in -den Wellen ein Ende zu machen.«</p> - -<p>»Clemence,« bat sie Armand.</p> - -<p>»Wahrlich Armand, ich thäte es,« rief die junge -<a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a> -leidenschaftliche Frau – »aber noch ist es nicht nöthig -– noch bleibt mir ein Ausweg, wenn ich mich fest -auf Dich verlassen kann.«</p> - -<p>»Und zweifelst Du daran, Clemence?«</p> - -<p>»Nein – dann bestimme mir nur einen Ort, wo -ich Dich erwarten kann und ich reise morgen früh -allein dahin ab. Ich gehe ja jeden Morgen, wie -Kuno glaubt, zum Brunnentrinken. Die Bahn führt -mich rasch fort von hier und dann –«</p> - -<p>»Aber auf wen anders fiele dann sein Verdacht, -als auf mich?« rief Armand, »und er würde mich -nicht mehr aus den Augen lassen. Wie kannst Du -auch allein reisen – es geht nicht.«</p> - -<p>»Glaubst Du, daß ich mich fürchte?«</p> - -<p>»Nein, aber die Spur einer einzelnen Dame, die -überall auffällt, ist leicht verfolgt und wie gesagt, er -hat hier so viele Späher, daß er mich augenblicklich -würde beobachten lassen, und folgte ich Dir dann, so -wäre unsere Flucht verrathen. Hast Du denn Niemanden -hier, den Du genauer kennst – dem Du Dich -anvertrauen könntest, um Reuhenfels wenigstens auf -eine falsche Spur zu bringen? – Wir müssen sicher -gehen oder Alles ist verloren!«</p> - -<p>»Ich habe Niemanden,« sagte Clemence eintönig, -»Niemanden, als jene frechen Spielgenossen Kuno's, -<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a> -die wohl zu einem Abenteuer geneigt wären, aber niemals -einer armen unglücklichen Frau Schutz verleihen -würden. Du kennst sie ja selber.«</p> - -<p>»So will ich sehen, daß ich Jemanden finde,« sagte -Armand nach einer kurzen Pause – »es muß sein – -es muß, denn ich selber ertrüge dieses Leben nicht, -wenn ich Dich in der Gewalt jenes Elenden länger -wissen sollte.«</p> - -<p>»Aber die Zeit drängt – denke Dir Armand, daß -es vielleicht schon morgen zu spät ist.«</p> - -<p>»Wo kann ich Dich heute Abend noch einen Augenblick -sprechen?«</p> - -<p>»An der zweiten Urne, wo wir uns im vorigen -Jahr zum ersten Mal trafen,« sagte Clemence nach -kurzem Bedenken – »wenn Kuno heute Abend in das -Kurhaus geht, werde ich unter irgend einem Vorwand -zurückbleiben. Es wird ihm nicht auffallen, denn ich -habe es schon öfters gethan, weil mir der zu lange -Aufenthalt unter den Gasflammen häufig Kopfschmerzen -macht. Ich folge ihm dann gewöhnlich um acht -Uhr – Du aber darfst im Saale nicht fehlen – -halb acht Uhr nur suche einen Augenblick abzukommen; -pünktlich zu der Zeit bin ich an der Urne, und werde -auch heute Abend noch Alles packen, um jeden Augenblick -bereit zu sein.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a> -»Ich danke es Dir mein ganzes Leben, Clemence,« -sagte Armand herzlich – »doch noch eine Frage. Hast -Du lange Nichts von Deinem Vater gehört? Zu ihm -müssen wir, damit er das Band, das Dich an den -rohen Burschen knüpft, wieder löse. Du sagtest mir -ja selber, daß er mit Reuhenfels gebrochen habe.«</p> - -<p>»Ja, sie haben sich, so eng sie früher auch befreundet -schienen, veruneinigt. Was da vorgefallen ist, -weiß ich nicht, aber harte Worte fielen zwischen Beiden, -und ich durfte, als wir fortreisten, nicht einmal -von dem Vater Abschied nehmen. Neuerdings schien -sich wieder ein Verständniß anzubahnen. Wir waren -bei ihm in Paris und Reuhenfels verkehrte viel geheim -mit ihm, bis mein Vater eines Tages, ohne mir -selber vorher ein Wort davon zu sagen, eine Reise machte. -Er sandte mir nur durch Reuhenfels Botschaft, daß er -vielleicht acht oder vierzehn Tage könne ferngehalten werden, -und da mein Mann nicht so lange warten wollte, -fuhren wir an den Rhein in die Bäder – zuerst nach -Ems, dann nach Baden-Baden, jetzt hierher.«</p> - -<p>»Aber Dein Vater ist jetzt doch jedenfalls wieder -in Paris?«</p> - -<p>»Ich weiß es nicht – ich habe seit der Zeit keine -Nachricht bekommen, obgleich ich selber dreimal an -ihn schrieb. Wir wechselten aber den Aufenthaltsort -<a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a> -zu rasch, und ein Brief kann recht gut verloren gegangen -sein. Ha! dort kommen Leute – verlaß mich -jetzt Armand, wir dürfen nicht zusammen gesehen -werden.«</p> - -<p>»Also heute Abend halb acht Uhr.«</p> - -<p>»An der zweiten Urne – oh, wenn der morgende -Tag nur erst vorüber wäre,« seufzte sie.</p> - -<p>Armand hatte sie an sich gezogen und drückte einen -Kuß auf ihre bleiche Wange, aber sie entwand sich ihm -rasch und eilte den Pfad entlang, während Armand in -die nächsten Büsche glitt, und von dort ab einen andern -Weg erreichte, auf dem er allein in die Stadt zurückkehren -konnte.</p> - -<p>In derselben Zeit, oder etwas später, suchte Trautenau -das Hôtel Kompelt auf. Er konnte ja dort eine -Tasse Caffee trinken und die Zeitung lesen, dabei gab -es dann vielleicht eine Gelegenheit, um mit einem der -Kellner ein Gespräch anzuknüpfen. Waren doch die -untern Räume des Hôtels um diese Tageszeit fast -immer menschenleer.</p> - -<p>Der Oberkellner, der am Fenster stand und mit -Nichts in Gottes Welt zu thun, hinaus auf die -Straße sah, ging auch willig auf eine Unterhaltung -mit dem einzelnen Gast ein. Irgend etwas, um die -Zeit todt zu schlagen, schien ihm selber erwünscht. -<a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a> -Trautenau steuerte indessen nicht direct auf sein Ziel -los, sondern erkundigte sich erst nach der Saison im -Allgemeinen, frug dann ob das Hôtel voll besetzt wäre, -und blätterte in der Kurliste die Namen der dafür -verzeichneten Gäste auf.</p> - -<p>»Ah, zu Berg,« sagte er plötzlich – »die Familie -ist mir bekannt, ich möchte wohl wissen, welcher -Zweig derselben es ist. Können Sie mir darüber -Auskunft geben, Herr Oberkellner?«</p> - -<p>»Ein Herr und eine Dame« sagte dieser, »mit -Kammerfrau – einer ganz allerliebsten kleinen Französin -– zum Anbeißen sage ich Ihnen.«</p> - -<p>»Noch jung?«</p> - -<p>»Kaum achtzehn Jahr höchstens.«</p> - -<p>»Nein, ich meine das Ehepaar.«</p> - -<p>»Ach so, ich dachte, Sie frügen nach der Kammerfrau. -Nun der Herr mag etwa in den vierzigern sein. -Die Dame – auch eine sehr schöne, vornehm aussehende -Frau, kann höchstens zweiundzwanzig sein. – -Aber eine unglückliche Ehe.«</p> - -<p>»Wirklich?«</p> - -<p>»Ewig Streit und Skandal, wenn sie zu Hause -sind. Der Herr Gemahl scheint etwas eifersüchtiger -Natur, und hat auch vielleicht Ursache. Lieber Gott, -<a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a> -in Badeorten fällt ja so Manches vor, und man darf -sich eigentlich gar nicht darum bekümmern.«</p> - -<p>Der Kellner wurde abgerufen und Trautenau -blieb in tiefes Nachdenken versenkt, allein zurück. Still -nickte er dabei vor sich hin mit dem Kopf – waren -ihm doch nur eben seine schlimmsten Befürchtungen -bestätigt worden – Arme Clemence! Wie Recht hatte -er gehabt, als er sie vor dem Menschen warnte, aber -sie wollte ja nicht hören, und jetzt war sie vielleicht -unglücklich für ihr ganzes Leben lang. Aber was -konnte er dabei thun? Ihm stand kein Recht zu, sich in -die Familienangelegenheiten ihm völlig fremder -Menschen zu mischen. Daß er sie geliebt – daß er -sie noch liebte? wie kam das in Betracht. Er stand -auf – was sollte er auch länger hier in Wiesbaden, -wo ihn nur der Schmerz, die Theilnahme um die -Verlorene jede Stunde verbittert hätte. Er wollte -noch an dem Mittag fort. Es war das Beste was er -thun konnte.</p> - -<p>Mit diesem Entschluß nahm er seinen Hut, und -trat in die Thür, als er heftige Stimmen auf dem -Vorsaal hörte. Es war ein Herr und eine Dame, -die sich auf eine sehr lebhafte Art in französischer -Sprache mit einander unterhielten, und er verstand eben -nur noch die letzten Worte der Dame, die deutlich sagte:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_102" title="102"> </a> -»Du bist wie ein Thier, und ich schwöre es Dir -zu, daß ich von diesem Augenblick an –« Sie schwieg -plötzlich, denn sie gewahrte den Fremden. – Es war -Clemence und zwar mit zornesbleichem Gesicht, das -aber rasch Farbe bekam, als ihr Blick auf den, im -Moment erkannten jungen Maler fiel.</p> - -<p>Ernst konnte nicht gut umkehren, und obgleich er -es lieber vermieden hätte, Clemence zu begegnen, blieb -ihm doch jetzt keine andere Wahl, als eben gerade aus, -und an den beiden Gatten vorüber zu gehen. Er -mußte sogar grüßen, denn der jungen Frau Blick -haftete starr, ja fast wie ersteckt auf ihm. Er zog den -Hut. Auch der Major schien ihn wieder erkannt zu -haben, wenn er sich auch vielleicht nicht gleich genau -auf ihn besinnen mochte. Nur unwillkürlich griff er -ebenfalls nach seinem Hut, sah sich noch einmal nach -ihm um und sprang dann rasch die Stufen der Treppe -hinauf, der Dame voran.</p> - -<p>Clemence folgte ihm, aber auch sie warf noch -einmal den Blick nach ihm zurück. Sie stieg auch die -Stufen langsam hinauf und Trautenau sah, daß sie -dabei den einen Handschuh auszog. Jetzt blieb sie -stehen und wieder drehte sie den Kopf, und als sie -fand, daß Trautenau's Blick noch immer, wie gebannt, -an ihr haftete, bemerkte der junge Maler, daß etwas -<a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a> -Weißes, an ihrem Kleid nieder, auf die Stufen fiel, -wo es liegen blieb. Aber sie bückte sich nicht danach, -und folgte jetzt, rascher als vorher dem Gatten.</p> - -<p>Was war das? – ein Zeichen für ihn? Trautenau -konnte es sich nicht erklären, denn schien es -denkbar, daß Clemence Joulard ihm ein solches hinterlassen -würde? Aber er wußte wenigstens daß dort -etwas liegen geblieben war. Vielleicht hatte sie -irgend etwas nur zufällig verloren, und er konnte es -ihr dann durch den Kellner hinauf schicken.</p> - -<p>Der Major wie Clemence waren schon oben im -Gang verschwunden, und mit wenigen Sätzen sprang -Ernst die Stufen hinauf und fand dort einen weißen, -noch warmen Handschuh – mit einer Visitenkarte -darin, auf welcher, in kaum lesbar feiner Schrift der -Name Clemence zu Berg <i>née</i> de Joulard stand. Aber -sonderbar – die Karte war oben am Rand sechsmal -eingerissen.</p> - -<p>Unten trat der Kellner in die Thür, Ernst barg -seine Beute rasch in der Hand und wollte das Hôtel -verlassen, denn zuerst mußte er mit Frank sprechen, -wie er hier zu handeln habe, das Alles war so rasch -gekommen, daß er kaum einen Gedanken fassen konnte.</p> - -<p>»Das waren sie,« flüsterte der Kellner, als er an -ihm vorüberschritt, indem er mit dem Daumen über -<a class="pagenum" id="page_104" title="104"> </a> -seine Schulter zeigte. »Famose Person, heh?« Damit -blinzelte er den jungen Fremden verschmitzt an, drückte -sich seine Serviette unter den Arm und verschwand -damit in der Küche.</p> - -<p>Ernst schritt rasch der eigenen Wohnung zu, aber -er begegnete dem Freund schon unterwegs, der eben -seine Briefe zur Post gegeben hatte. Er nahm auch -ohne Weiteres seinen Arm, und erzählte ihm, während -er mit ihm die Straße hinabschritt, das Begebniß der -letzten Stunde sowohl, wie das, was er von dem -Kellner über die beiden Gatten gehört.</p> - -<p>»Hm, zeig' mir einmal die Karte. Clemence de -Joulard – eine kleine Eitelkeit – und sechs Risse -darin.«</p> - -<p>»Sie können zufällig hinein gekommen sein.«</p> - -<p>»Sie können, ja – aber ich glaube es nicht. Frau -von Reuhenfels sieht mir nicht so aus, als ob sie etwas -zufällig thut.«</p> - -<p>»Aber was können sie bedeuten?«</p> - -<p>»Wenn irgend etwas, natürlich nur eine Zahl – -also sechs, und das kann wieder nur sechs Uhr sein. -Sie wünscht ein Rendezvous mit Dir.«</p> - -<p>»Das ist nicht denkbar.«</p> - -<p>»Bah, was ist bei einer jungen, intriguanten Frau -<a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a> -nicht denkbar, noch dazu wenn sie einen Tyrannen zum -Gemahl hat.«</p> - -<p>»Die wenigen Jahre können sie nicht so verdorben -haben, oder ihr Mann müßte mehr als ein Teufel sein.«</p> - -<p>»Erstlich hast Du sie früher gar nicht so genau -gekannt, und nur <i>par distance</i> angebetet, und dann -weiß man auch in der That nicht, was Alles in der -Zeit kann vorgefallen sein.«</p> - -<p>»Vielleicht verlangt sie in irgend etwas meine -Hülfe.«</p> - -<p>»Höre Ernst, wenn Du meinem Rath folgst, so -gehst Du der Dame entschieden aus dem Weg. Wir -wissen jetzt, was wir von dem Paare wissen wollten, -und wahrscheinlich auch Alles, was wir überhaupt -erfahren werden. Hat sie Streitigkeit, oder lebt sie in -Unfrieden mit ihrem Gatten, so kann und darf sich da -natürlich kein Fremder hineinmischen – ich wenigstens -möchte dafür danken. Und dann, was könntest Du ihr -auch helfen? Also folge mir, alter Freund. Heute -Nachmittag halb drei oder drei Uhr – ich weiß es -nicht genau, gehen fast zu gleicher Zeit die beiden entgegengesetzten -Züge nach Frankfurt und nach Köln ab. -Ich werde jedenfalls den einen benutzen, setze Du Dich -in den anderen, und laß die gnädige Frau nur ruhig -allein ausessen, was sie sich dazumal eingebrockt.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a> -»Meine arme Clemence.«</p> - -<p>»Werde nicht langweilig oder gar sentimental,« -sagte Frank, »denn Du hast gar keine Ahnung davon, -in welche höchst unangenehmen Verwickelungen Dich -ein solcher Wahnsinn bringen könnte.«</p> - -<p>»Und Du willst wirklich heute Mittag fort?«</p> - -<p>»Ich muß jetzt. Ich habe meine Ankunft in M– -fest auf übermorgen angezeigt und reichlich noch einen -halben Tag, vielleicht sogar mehr, in Frankfurt zu thun. -Ich kann nicht länger bleiben.«</p> - -<p>Ernst schritt eine ganze Weile in tiefem Nachdenken -neben dem Freund her. Er war unschlüssig, was er -thun, wie er handeln solle. Seine Vernunft sagte ihm -wohl, daß Frank vollkommen Recht habe, aber sein -Herz drängte ihn doch immer wieder, der zu dienen, -die lange Jahre hindurch nicht allein sein Ideal von -Schönheit, sondern auch aller weiblichen Tugenden -gewesen war. Er konnte sich den Glauben an sie -wenigstens nicht so rasch erschüttern lassen.</p> - -<p>»Und gehst Du heute mit dem Mittagszug nach -Köln?«</p> - -<p>»Ich weiß es nicht,« erwiederte Ernst zerstreut. -»Ich weiß es wahrhaftig noch nicht, Frank.«</p> - -<p>»Du irrst Dich, wenn Du glaubst, der Dame -durch Dein Bleiben einen Gefallen zu erzeigen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a> -»Ich werde ihr wahrscheinlich gar nicht wieder -begegnen. Nur aus der Ferne möchte ich sie noch -einen Tag beobachten. Ihr Benehmen dann soll -nachher maßgebend für mich sein.«</p> - -<p>»Ich will Dir etwas sagen, mein Junge,« bemerkte -da Frank, »es ist ein ganz altes, ehrwürdiges Sprüchwort: -Wer nicht hören will muß fühlen, und Du -scheinst mir auf dem besten Weg dazu. Komm,« setzte -er herzlich hinzu, »mach' den kleinen Umweg über -Frankfurt und gehe mit mir. Ich gebe Dir mein -Wort, ich lasse Dich hier nur mit recht schwerem Herzen -zurück, und wollte zu Gott, wir hätten dies verdammte -Wiesbaden im Leben nicht gesehen.«</p> - -<p>»Ich bin ja doch kein Kind, Frank, daß ich tolle -Streiche machen würde. Du darfst mir mehr zutrauen.« -Frank seufzte, aber es ließ sich eben an der -Sache nichts mehr ändern, Ernst mußte in der That -wissen, was er selber zu thun hatte, und Beide schritten -jetzt zu ihrer Wohnung zurück, um wenigstens die -letzten Stunden noch zusammen zu verbringen. Frank -redete dem Freund allerdings selbst noch auf dem -kurzen Weg nach dem Bahnhof ernstlich zu, wenigstens -das Haus des Herrn von Reuhenfels zu vermeiden -und sich auf neutralem Boden zu halten. Ernst -war aber recht einsylbig geworden, denn die bezeichnete -<a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a> -Visitenkarte ging ihm im Kopf herum. Wenn Clemence -nun wirklich nach ihm verlangte? – Wohl mußte er -sich dabei sagen, daß er ihr gar Nichts helfen oder -nützen könne – er wollte ja auch nur Gewißheit darüber -haben, daß sie sich nicht unglücklich fühle – daß -seine Befürchtungen ungegründet seien, und dann -wieder kam das Bild der Frau dazwischen, wie er sie -gestern Abend am Spieltisch gesehen, und wenn er sie -dann dachte, wie er sie früher gekannt und geliebt -hatte! Am Ende war es das Beste, er folgte Frank's -Rath. Hätte er nur seine Sachen bei sich gehabt, er -würde ihn selbst jetzt begleitet haben, aber dazu hatte -er keine Zeit mehr.</p> - -<p>»Hab' keine Angst um mich, Frank,« flüsterte er -ihm aber noch in das Coupé hinein, »ich werde gewiß -vernünftig handeln. Ich sehe ein, daß die jetzige Wirklichkeit -nicht mehr mit meinem Ideal zusammenpaßt, -ich werde mir eine noch bitterere Täuschung ersparen, -und die Dame nicht besuchen, sondern den Handschuh -einfach unten im Hotel abgeben.«</p> - -<p>»Und versprichst Du mir das wirklich?«</p> - -<p>»Hier hast Du meine Hand darauf.«</p> - -<p>»Jetzt bin ich zufrieden und dann thu' mir nur -noch die Liebe und mach' daß Du so rasch als möglich -nach Köln hinunter kommst.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a> -Die Locomotive gab ihren schrillen Pfiff, der Zug -that den ersten Ruck – Ernst reichte dem Freund noch -einmal rasch seine Hand, dann zog sich die lange Kastenreihe -am Perron hin, immer rascher rollten die -Räder, und wenige Minuten später zeigte nur noch in -weiter Ferne eine dichte weiße Dampfwolke, welche -Richtung der davonbrausende Zug genommen.</p> - -<p>Ernst schritt langsam nach der Stadt zurück, aber -es litt ihn jetzt nicht zwischen den Häuserreihen. Er -wollte hinaus in's Grüne, um dort noch ein paar -Stunden zu verbringen. Diesen Abend spät ging noch -ein Zug nach Bieberich, den konnte er benutzen, dann -blieb er dort die Nacht im Rheinischen Hof, und fuhr -am nächsten Morgen mit dem ersten oder zweiten Boot -den schönen Strom hinab.</p> - -<p>Allerdings dachte er wohl daran, gleich im Vorbeigehen -den gefundenen Handschuh im Hotel abzugeben, -und nur die Karte zum Andenken zu behalten, -aber das hatte ja auch noch Zeit. Er mochte es sich -freilich selber nicht eingestehen, doch zögerte er damit -bis zur sechsten Stunde. Er war dabei fest entschlossen, -Clemence nicht aufzusuchen, er hatte es ja -auch dem Freunde versprochen, aber – er wollte doch -einmal sehen, ob die sechsmal eingerissene Karte -wirklich eine Bedeutung gehabt, oder nur durch einen -<a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a> -harmlosen – wenn freilich wunderlichen Zufall, ihm -in die Hand gespielt sei.</p> - -<p>Es mußte und konnte ja auch nur ein Zufall -gewesen sein. Je mehr er darüber nachdachte, desto -mehr fühlte er sich davon überzeugt. Ein Zeichen? -– Wie wäre die Frau nur im Stand gewesen so rasch -einen Entschluß zu fassen, oder gar gleich danach zu -handeln, denn das Ganze, von dem Augenblick an wo -sie ihn erkannte, bis zu dem Moment wo der Handschuh -auf die Treppe fiel, konnte kaum zwei Minuten Zeit in -Anspruch genommen haben. Nein, so durchtrieben war -Clemence nicht, und wäre er jetzt selber zu ihr gegangen, -um ihr den Handschuh zurückzubringen, sie würde -jedenfalls über ihn gelacht, oder sich auch vielleicht gar -beleidigt gefühlt haben, daß er sie, einer solchen -Kleinigkeit wegen, belästige; dem durfte er sich nicht -aussetzen. Hätte er Frank auch das Versprechen nicht -gegeben, war er doch jetzt fest entschlossen, die Rückgabe -des Handschuhs durch einen Kellner zu erledigen.</p> - -<p>Sonderbar nur, daß er sich auf dem ganzen Spaziergang -immer und ausschließlich mit Clemence -beschäftigte. Er passirte einige Punkte von denen man -eine reizende Aussicht über die Stadt und das Thal -hatte, aber er bemerkte sie gar nicht. Sein Auge -blieb allein auf den Weg geheftet, und fast, ohne sich -<a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a> -der Richtung die er nahm, klar bewußt zu sein, lenkte -er doch immer wieder in einem größeren Bogen zu -der Stadt zurück, um eben die sechste Stunde im -Hotel nicht zu versäumen.</p> - - - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Achtes Kapitel.</span></span><br /> - -Das Wiedersehen.</h3> - - -<p>Er erreichte den Platz, an welchem das Hotel lag, -wirklich pünktlich. Die Uhren schlugen gerade an, als -er schräg über denselben hin, dem Hause zuschritt. Er -beobachtete auch genau dabei die Fenster, ob er vielleicht -irgend eine weibliche Gestalt an einem derselben -entdecken könne – aber vergebens. Es zeigte sich -Niemand und nur in der ersten Etage waren in einer -Stube die Gardinen herunter gelassen, so daß er von -unten natürlich nicht bemerken konnte, ob irgend -Jemand dahinter stand. Doch was kümmerte das -auch ihn – Frank hatte sein Wort, und er wollte nicht -einmal im Hause nachfragen, in welcher Etage die -Herrschaft wohne, um den gefundenen Handschuh abzugeben, -– weiter Nichts, und das war ja in wenigen -Secunden geschehen. Dann ginge er nach Hause, -<a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a> -packte seinen Koffer und verließ Wiesbaden auf Nimmerwiedersehen.</p> - -<p>Wie er das Hôtel betrat, kam ein junges Mädchen -die Treppe herunter, das in großer Eile zu sein schien. -Ernst beachtete sie aber nicht. Er trug den leichten -Handschuh zwischen den Fingern und wollte sich eben -damit rechts gegen den Speisesaal wenden, als ihm -das Mädchen den Weg dorthin abschnitt, oder vielmehr -direct auf ihn zukam und freundlich mit etwas fremdartigem -Dialect sagte:</p> - -<p>»Haben Sie vielleicht den Handschuh, den Sie da -tragen, hier im Haus gefunden, mein Herr?«</p> - -<p>»Allerdings, mein Fräulein,« erwiederte Ernst, »ich -war auch eben im Begriff ihn wieder abzuliefern. -Kennen Sie ihn?«</p> - -<p>»Ja gewiß,« antwortete das junge Mädchen, das -ihn nahm und betrachtete, »er gehört meiner gnädigen -Frau.«</p> - -<p>»Dann bitte empfehlen Sie mich der Dame, und -sagen Sie ihr, daß ich mich –«</p> - -<p>»Aber wollen Sie ihn nicht selber hinauftragen? -No. 5. in der ersten Etage. Sie brauchen nur anzuklopfen.«</p> - -<p>»Ich darf nicht wagen die Dame, einer solchen -<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a> -Kleinigkeit wegen zu stören,« meinte Ernst und wollte -sich abwenden.</p> - -<p>»Aber sie hat mich ja selber heruntergeschickt,« -erwiderte fast ärgerlich die junge und wie es schien -ziemlich gewandte Person. »Wenn ich Ihnen sage, -daß sie sich freuen wird Sie zu sehen, so können Sie -doch getrost hinauf gehen. Sie sind ein echter Deutscher, -Monsieur. Einer von meinen Landsleuten wäre -schon lange die Treppe hinauf.«</p> - -<p>Ernst war blutroth geworden, denn jetzt blieb -ja kein Zweifel mehr, daß die Einrisse in der Karte -ein absichtliches Zeichen gewesen. Aber konnte er eine -directe Einladung ausschlagen? Er hatte Frank freilich -sein Wort gegeben, Clemence nicht wieder aufzusuchen, -aber that er denn das jetzt? nein, die Dame -selber ließ ihn durch ihr Kammermädchen bitten, den -Handschuh zu ihr hinauf zu bringen, und es wäre ungezogen -gewesen, dem nicht Folge zu leisten. –</p> - -<p>»No. 5?« fragte er.</p> - -<p>»Ja! gleich links im Gang über der ersten Treppe -– die dritte Thür. Sie können gar nicht fehlen.«</p> - -<p>Er war mit wenigen Sätzen hinauf, und vor dem -bezeichneten Zimmer. – Wie ihm das Herz schlug. -Kaum aber hatte er angeklopft, als auch schon ein -nicht lautes, aber deutliches »Herein« ertönte, und -<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a> -wie er die Thür öffnete, stand Clemence mitten im -Zimmer, und streckte ihm zum Gruß die Hand entgegen.</p> - -<p>»Das ist sehr lieb von Ihnen,« sagte sie freundlich, -»daß Sie alte Freunde nicht vergessen haben.«</p> - -<p>»Gnädige Frau,« stammelte Ernst verlegen, denn -er wußte sich die Anrede nicht zu erklären, da er im -Joulard'schen Hause wenigstens nie wie ein Freund, -sondern immer nur wie ein fremder Künstler behandelt -worden. Er nahm aber die dargereichte Hand, -zog sie ehrfurchtsvoll an die Lippen und sagte dann -befangen: »vor allen Dingen erlauben Sie mir Ihnen -Ihr Eigenthum zurückzuerstatten, das ich heute Morgen -hier im Haus zufällig fand. Ich hätte auch nicht -gewagt selber –«</p> - -<p>Clemence winkte ihm mit der Hand.</p> - -<p>»Herr Trautenau,« sagte sie ernst, aber mit tiefem -Gefühl – »lassen Sie alle Entschuldigungen; uns -bleibt keine Zeit dazu, denn selbst die Minuten sind -mir zugemessen. Nur mit zwei Worten will und muß -ich auf eine frühere – glückliche Zeit zurückkommen -– ich war Ihnen früher nicht gleichgültig.«</p> - -<p>»Clemence!« rief Trautenau bewegt.</p> - -<p>»Sagen Sie Nichts darüber,« wehrte Clemence -ab – »ich fühlte es, aber es war zu spät und mein -<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a> -Schicksal schon besiegelt. Ich mußte Sie streng in die -Grenzen kalter Gleichgültigkeit zurückweisen – mich -selber darin halten. Aber ich habe es Ihnen nicht -vergessen, daß Sie damals der einzige Freund waren, -der es wagte mich zu warnen, – wenn ich auch der -Warnung nicht mehr folgen konnte.«</p> - -<p>»Ach wären Sie ihr gefolgt,« seufzte Trautenau.</p> - -<p>»Wär' ich –« flüsterte leise Clemence, »doch jetzt -ist es zu spät,« fuhr sie lebendiger fort, – »zu spät -wenigstens, um das Geschehene wieder gut zu machen, -wenn auch nicht zu spät um weiterem Unheil – um -dem Schlimmsten vorzubeugen, und Sie sind der einzige -Freund, den ich hier habe. Wollen Sie mir -helfen?«</p> - -<p>»Oh wenn es in meinen Kräften steht, wie gern,« -rief der junge Mann, der in dem Augenblick Frank's -sämmtliche Warnungen und Ermahnungen vergessen -hatte. »Sagen Sie mir nur wie – was ich thun -soll.«</p> - -<p>»Reuhenfels, mein Gemahl, der mich wie eine -Sclavin behandelt,« fuhr Clemence fort, »hat die Absicht -mich nach England und von da nach Amerika zu -schleppen. Dort wäre ich ganz verloren und in seinen -Händen, denn ich habe da keinen Freund mehr, der -<a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a> -mich selbst vor seinen rohen Mißhandlungen schützen -könnte.«</p> - -<p>»Aber er wagt es doch nicht?« rief Ernst entsetzt.</p> - -<p>»Er hat es gewagt,« sagte Clemence düster, »und -nur eine Rettung giebt es für mich – Flucht!«</p> - -<p>»Aber wohin? – zu wem?« rief Trautenau erschreckt, -denn in dem Augenblick wäre er in der größten -Verlegenheit gewesen, wenn er hätte sagen sollen -wohin er selbst die Geliebte entführen könnte, obgleich -ihm schon der Gedanke das Herz mit Seligkeit füllte.</p> - -<p>»Sorgen Sie sich nicht,« beruhigte sie ihn aber – -»ich habe Mittel genug zu unserer Flucht und auch ein -Ziel – ich will zu meinem Vater zurück, der in Paris -wohnt. Er allein kann und wird mich schützen, aber -ich darf nicht allein in die Welt hinaus – ein armes -schwaches Weib; ich brauche die Stütze eines starken -Armes, und wenn Sie je der armen Clemence nur -ein klein wenig gut gewesen sind,« setzte sie weich hinzu -»oh so helfen Sie ihr zur Rettung aus diesem furchtbaren -Elend –«</p> - -<p>»Sagen Sie mir was ich thun soll,« rief der junge -Maler, seiner Sinne kaum mehr mächtig bei den verführerischen -Tönen, »was es auch ist – ich stehe -Ihnen mit Leib und Seele zu Diensten.«</p> - -<p>»Ich wußte es,« erwiederte Clemence, indem sie -<a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a> -seine Hand wieder ergriff und ihn mit einer Thräne -im Auge ansah, »und Dank – tausend Dank dafür, -lieber, theurer Freund. Aber nun auch rasch zur -That,« setzte sie lebendiger hinzu – »denn alles Weitere -besprechen wir unterwegs. Sind Sie zur Abreise -gerüstet?«</p> - -<p>»Jeden Augenblick.«</p> - -<p>»Gut – heute Abend ist es nicht mehr möglich. -Ich muß jetzt in das Kurhaus oder Reuhenfels würde -mich vermissen und augenblicklich nach mir suchen. – -Morgen früh um sechs Uhr geht ein Zug nach Bieberich -ab – Reuhenfels steht nie vor sieben Uhr auf und -weiß mich dann jedesmal beim Brunnentrinken. Er -wird vor acht Uhr, wo ich gewöhnlich zum Frühstück -zurück bin, keinen Verdacht schöpfen.«</p> - -<p>»Und wohin wenden wir uns von Bieberich?«</p> - -<p>»Das bespreche ich mit Ihnen morgen unterwegs -– jetzt fort, daß um Gotteswillen Niemand Verdacht -schöpft oder Alles ist verloren. Sie begleiten mich nur -bis zur französischen Grenze, oder wenn Sie sich mir -soweit opfern wollen, bis nach Paris in die Arme -meines Vaters. – Und noch eins – besuchen Sie -heute Abend das Kurhaus nicht – mein Mann hat -Sie erkannt. – Nicht gleich als wir Ihnen begegneten, -wenn ihm auch Ihr Gesicht bekannt vorkam, -<a class="pagenum" id="page_118" title="118"> </a> -aber er besann sich oben im Zimmer darauf, und er -schwur, daß er Sie das Bild wollte entgelten lassen.«</p> - -<p>»Er weiß jetzt, wer es sein soll?« lächelte Trautenau.</p> - -<p>»Mehr als das,« erwiderte Clemence, »er behauptete -sogar, daß Sie nur in eifersüchtigem Neid eine -solche unwürdige Rache an ihm genommen, und bedauerte, -die Bosheit nicht früher entdeckt zu haben, -um Sie dafür zur Rechenschaft zu ziehen.«</p> - -<p>»Bah, was kann er thun?«</p> - -<p>»Er hat Sie heute schon im Kurhaus gesucht und -wollte sogar nach Ihrer Wohnung gehen, nach der er -sich auf der Polizei erkundigte – aber glücklicher -Weise kam etwas dazwischen und seine Spielzeit versäumt -er nie. Morgen früh würde er aber jedenfalls -hartnäckig die Verfolgung wieder aufnehmen, und er -ist furchtbar in seiner Rache.«</p> - -<p>»Ich fürchte ihn nicht, Clemence,« sagte Trautenau -ruhig, »und wenn es nicht Ihretwegen wäre, möchte -ich ihn wirklich lieber erwarten.«</p> - -<p>»Und mich wollten Sie dadurch elend machen und -zu Grunde richten?«</p> - -<p>»Nein, Clemence – nein!« rief Trautenau rasch, -»Sie haben mein Wort, und beim ewigen Gott, ich -halte treu zu Ihnen, so lange Sie meiner bedürfen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a> -»Sie sind ein edler, braver Mann,« sagte das -junge schöne Weib gerührt und weich, – »ich vertraue -Ihnen ganz – Sie werden mich nicht verlassen. Aber -nun auch fort – ich habe schon zu lange gezögert, denn -wenn Reuhenfels nur im Geringsten mißtrauisch -werden sollte, ist jede Hoffnung verloren. Gehen Sie, -lieber Freund, gehen Sie und halten Sie morgen -früh, ehe der Zug abgeht, drei Billette nach Bieberich -bereit – ich nehme meine Kammerfrau mit mir. -Lassen Sie uns bis dort erster Classe fahren, wir sind -darin weniger der Gefahr ausgesetzt, Gesellschaft zu -finden.«</p> - -<p>Nochmals reichte sie ihm die Hand zum Abschied, -die er rasch an seine Lippen drückte – dann drängte -sie ihn selber freundlich der Thür zu und Ernst fühlte, -als er das Hôtel verließ, kaum den Boden unter seinen -Füßen.</p> - -<p>In seiner Wohnung angekommen, machte aber doch -dies erste Gefühl der Aufregung und des Entzückens -einem etwas ruhigeren Ueberlegen Platz, und er -konnte sich nicht gut verhehlen, daß er im Begriff sei, -einen nicht allein außergewöhnlichen, sondern auch -ziemlich tollen Streich zu begehen. Er wollte eine -Frau ihrem eigenen Manne entführen, und wenn er -auch Muth genug besaß, die Rache des Betrogenen -<a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a> -nicht zu fürchten, so konnte er doch auch nicht gut umhin, -die möglichen Folgen eines solchen Schrittes zu -überdenken.</p> - -<p>Daß er Clemence noch immer mit derselben Gluth -als früher liebe, das fühlte er jetzt klar und deutlich. -Er glaubte jene Leidenschaft in den letzten Jahren bekämpft -zu haben, aber sie hatte nur geschlummert, und -heute, wie er dem holden Wesen auf's Neue gegenüber -stand und ihre Blicke so lieb und gut auf ihm -hafteten, wie sie es nie gethan, loderte die alte Leidenschaft -frisch und gewaltig auf's Neue in seinem Herzen -empor. – Aber sie war nicht mehr frei – sie war -vermählt, und ließ es sich denken, daß der Major, -durch die Flucht der Gattin auf das Schwerste gekränkt -und beleidigt, je selber und freiwillig das Band -lösen würde, das sie an ihn fesselte – und was dann?</p> - -<p>Daß er sich selber einen Hausstand gründen und -eine Frau ernähren könne, wußte er; daß er an Clemence's -Seite den Himmel auf Erden finden würde, -davon fühlte er sich fest und innig überzeugt, und -wenn sie auch in Glanz erzogen und dabei verwöhnt -sein mochte, die Liebe zu ihm würde sie alles leicht -überwinden lassen. – Und Clemences Vater? – -Nur der Gedanke an diesen blieb ihm peinlich, denn -sein Bankerott damals war, nach Allem, was er darüber -<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a> -von vorurtheilsfreien Männern gehört, eine zu -offenkundige und freche Schwindelei gewesen, um sich -darüber auch nur noch im Entferntesten einer Täuschung -hinzugeben, und mit dem sollte er jetzt in nähere -Verwandschaft treten? – Aber was konnte Clemence -dafür? Trug sie die Schuld des Verbrechens? wahrlich -nicht, und von dem gestohlenen Gelde wollte und -brauchte er Nichts, wenn er die Kraft in sich fühlte, -frei und unabhängig von irgend Jemandem sich seinen -Lebensunterhalt auch selber zu erwerben.</p> - -<p>Aber was zerbrach er sich jetzt über alle diese -Dinge den Kopf, wo es ja vor Allem galt, die Geliebte -aus den Händen eines rohen und tyrannischen Gatten -zu befreien. Alles Andere fand sich später von selber. -Lieber Gott, er wollte sie ja nur glücklich wissen, und -wenn er dann auch noch Jahrelang auf ihren Besitz -harren, oder wenn es nicht anders möglich war, selbst -die Heimath verlassen mußte, um in einem fernen -Welttheil das Glück zu suchen, das ihm hier starre -Formen und Gesetze verweigerten.</p> - -<p>Während er sich so in Gedanken um das Wohl -der Geliebten absorgte, schritt Clemence zu dem Kurhaus -hinüber, aber nicht auf dem direkten Weg, sondern -auf einer etwas weiteren Bahn. Sie war, von -ihrer Kammerfrau begleitet, in voller Toilette, aber -<a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a> -sie schien eilig, denn es dunkelte schon, und sie hatte -nicht viel Zeit mehr zu versäumen. Eben schlugen -drinnen in der Stadt die Uhren die für das Rendezvous -bestimmte Stunde.</p> - -<p>Armand war eben so pünktlich gewesen als sie. -Um jedoch auf der noch immer sehr belebten Promenade -keinen Verdacht zu erregen, grüßte er sehr -förmlich und achtungsvoll, und schritt dann, während -sich die Kammerfrau tactvoll einige Schritte zurückzog, -neben ihr her.</p> - -<p>»Glückliche Nachricht,« flüsterte er ihr, wie das -unbeachtet geschehen konnte, zu, »eben habe ich einen -Brief bekommen, daß übermorgen, vielleicht schon -morgen Abend mein Schwager eintrifft, und nun, da -die Zwischenzeit so kurz ist, haben wir auch keine Gefahr -weiter zu fürchten. Benutze jetzt die erste Gelegenheit, -Geliebte, und erwarte mich dann in St. Goarshausen -im goldenen Roß. Hinterlaß' für Reuhenfels -aber einen Brief, worin Du ihn auf eine falsche -Fährte schickst, und überlaß mir das Weitere. Natürlich -folgt er Dir augenblicklich, aber er muß durch die -Nachforschungen, die er genöthigt ist anzustellen, aufgehalten -werden und ich bin dann vielleicht schon den -nächsten Tag bei Dir. Nie im Leben wird er auch -daran denken, in einem so kleinen abgelegenen Nest -<a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a> -nach Dir zu suchen und es bleibt uns dort Zeit und -Muße genug, unsere weiteren Pläne zu besprechen.«</p> - -<p>»Ich habe einen Begleiter gefunden,« sagte Clemence -rasch.</p> - -<p>»Wen?« frug der junge Mann erstaunt.</p> - -<p>»Einen alten Bekannten aus M–, einen braven -jungen Künstler, der früher einmal für mich geschwärmt -hat,« fuhr sie lächelnd fort. »Er ist treu -und ehrlich und fühlt sich glücklich mir einen Dienst -erweisen zu können.«</p> - -<p>»Aber es ist jetzt kaum mehr nöthig,« meinte Armand, -dem der Gedanke, einen früheren Anbeter mit -seiner Geliebten reisen zu lassen, vielleicht nicht so -ganz angenehm war.</p> - -<p>»Aber auch unmöglich, es jetzt noch zu ändern,« -erwiderte sie. »Er erwartet mich morgen früh um -sechs Uhr am Bahnhof.«</p> - -<p>»So früh willst Du fort?«</p> - -<p>»Es ist die höchste Zeit, denn Reuhenfels hat -mich heute Nachmittag aufgefordert, meine Koffer zu -packen und jeden Augenblick zur Abreise bereit zu -sein.«</p> - -<p>»Dann kann es freilich Nichts mehr helfen. Dein -Begleiter ist ein Deutscher?«</p> - -<p>»Gewiß!«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a> -»Und heißt?«</p> - -<p>»Trautenau – ein Maler.«</p> - -<p>»Derselbe, der Dein Bild gemalt, mit dem Major -als Teufel auf dem Ofenschirm.«</p> - -<p>»Derselbe.«</p> - -<p>»Gut!« rief Armand lachend. »Wenn man das -nur Deinem Gatten beibringen könnte –«</p> - -<p>»Ich werde es ihm in dem Brief, den ich ihm -zurücklasse, schreiben. Er hat Trautenau gestern selber -gesehen und war schon früher eifersüchtig auf ihn.«</p> - -<p>»Desto besser, dann folgt er jedenfalls einer ganz -falschen Fährte und Richtung und wir sind vollkommen -sicher.«</p> - -<p>»Dort ist das Kurhaus – Du mußt mich jetzt -verlassen! Reuhenfels wird schon zürnen, daß ich so -lange fortgeblieben bin, und Dich auch vermissen.«</p> - -<p>»Ich stand kurz vorher noch hinter seinem Stuhl -und schlenderte dann langsam nach dem anderen Tisch -hinüber; er weiß, daß ich nie bestimmt setze.«</p> - -<p>»Also auf Wiedersehen, Armand – o wie mir das -Herz klopft, wenn ich an die Zeit denke.«</p> - -<p>»Und Du vergißt den Ort nicht?«</p> - -<p>»St. Goarshausen – im goldenen Rosse.«</p> - -<p>»Die Bahn geht von Bieberich den Rhein abwärts.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a> -»Ich weiß es,« und sich fest in ihren Burnus -hüllend, eilte sie jetzt, so rasch sie konnte, dem ganz -nahen Kurhaus und den Spielsälen zu, während ihr -die Kammerfrau noch ein paar Schritt folgte und -dann umdrehte, um nach Hause zurückzukehren. Sie -hatte für morgen früh noch entsetzlich viel zu besorgen.</p> - - - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Neuntes Kapitel.</span></span><br /> - -Verfolgend und verfolgt.</h3> - - -<p>Der nächste Morgen kam, und in demselben Moment, -als vor dem Kurhaus wieder (eine ganz merkwürdige -Melodie für ein, zu Spielhöllen benutztes -Gebäude) der Choral begann, läutete draußen am -Bahnhof die Glocke, die Locomotive pfiff und in einem -Coupé erster Classe saßen, glücklich entkommen, unsere -drei Flüchtigen und dampften, unmittelbar an dem -schönen Strom hinab, der Freiheit entgegen.</p> - -<p>Von Reuhenfels lag indessen noch in seinem Bett -und schlief sanft, denn er war gestern sehr lange mit -Freunden auf und beisammen, und vielleicht etwas -schärfer hinter der Flasche gewesen, als gewöhnlich. -Es mochte halb acht Uhr sein, als er endlich aufstand, -denn die in sein Zimmer fallenden Sonnenstrahlen -<a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a> -genirten ihn. Er wusch sich und zog sich an, stopfte -sich dann eine Pfeife, zündete sie an und lehnte sich -damit zum Fenster hinaus, um die wundervolle Morgenluft -zu genießen – aber er bekam Appetit nach -dem Caffee und draußen schlug es schon acht Uhr. Wo -blieb nur Clemence heute?</p> - -<p>Er war nicht besonders guter Laune, denn er hatte -gestern Abend wieder ein paar hundert Thaler verloren -und doch gerade auf Glück gehofft, auch schmeckte -ihm, nach der halb durchschwärmten Nacht, der Taback -heute Morgen nicht besonders. Er wurde endlich ärgerlich, -daß die Frau noch nicht zurückkam, und klingelte -nach dem Caffee. Bis er kam, schritt er langsam -und mit finster zusammengezogenen Brauen in dem -kleinen, aber freundlichen Gemach auf und ab, als -sein Blick zufällig auf den runden, in der Ecke stehenden -Tisch fiel und er dort einen noch geschlossenen -Brief bemerkte. Er nahm ihn und las die Adresse, -aber das Herz stand ihm still dabei, denn die Aufschrift -lautete nicht, wie er jetzt alle seine Briefe erhielt -– Dem Herrn Baron zu Berg, sondern: Dem -Major von Reuhenfels, und das war die Handschrift -seiner Frau.</p> - -<p>Mit zitternden Händen riß er das zierlich gefaltete -Blatt auseinander und las, während seine Augen -<a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a> -Feuer sprühten und seine Zähne sich fest zusammenbissen:</p> - -<p class="ci">»Herr Major! Wenn diese Zeilen in Ihre Hände -fallen, bin ich frei von einer verhaßten und unerträglich -gewordenen Verbindung. Versuchen Sie nicht, -mir zu folgen; es wäre nutzlos. Ich habe den Freund -wiedergefunden, für den das Herz der Jungfrau in -erster Liebe schlug – ich werde nie wieder von seiner -Seite weichen. Meine Mutter wird das Geschäftliche -mit Ihnen besorgen und die Verbindung lösen, die ich -in unseliger Verblendung eingegangen. Leben Sie -wohl.</p> - -<p class="ci si">Clemence Joulard.«</p> - -<p>Einen Moment stand Reuhenfels sprachlos vor -Wuth und Schreck und Staunen über das noch Unbegreifliche -– aber das dauerte nicht lange. Er war -wahrlich nicht der Mann, etwas derartiges ruhig -und geduldig über sich ergehen zu lassen, und wie er -nur erst wieder denken und überlegen konnte, fuhr er -auch wild und entschlossen empor.</p> - -<p>»Versuchen Sie nicht mir zu folgen?« rief er -höhnisch vor sich hin – »hoho Madame. Sie haben -sich in mir geirrt, wenn Sie glaubten, daß Sie mir -entgehen könnten, und nur leichtsinnig und unüberlegt -war es von Ihnen gehandelt, mir den Schurken zu -<a class="pagenum" id="page_128" title="128"> </a> -bezeichnen, der es gewagt hat, in meine Rechte einzugreifen. -Ich kenne ihn, diesen gemeinen tückischen -Farbenschmierer der – aber alle Teufel!« unterbrach -er sich plötzlich rasch, indem ein neuer Gedanke sein -Hirn kreuzte. »Sollte Clemence? – Sie ist bei Gott -schlau genug, um ihr etwas Derartiges zuzutrauen.« –</p> - -<p>Rasch stellte er die, überhaupt schon lange ausgegangene -Pfeife in die Ecke und beendete in Hast -seine Toilette. Zugleich klingelte er nach dem Stubenmädchen, -um zu erfahren, ob die Kammerfrau auf -ihrem Zimmer wäre. Das Mädchen kam nach wenigen -Minuten zurück und meldete, das Fräulein sei heute -Morgen mit der gnädigen Frau nach dem Bahnhof -gefahren und noch nicht zurückgekehrt.</p> - -<p>»Es ist gut!« brummte Reuhenfels zwischen den -Zähnen durch und war wenige Minuten später zum -Ausgehen gerüstet. Aber nicht nach dem Bahnhof eilte -er hinüber, sondern nach Armands Wohnung, zu dessen -Zimmer er ohne Weiteres hinaufsprang.</p> - -<p>Dort klopfte er an; aber Niemand antwortete. -Die Thür war verschlossen und fast zitternd vor -Wuth flog er wieder zu dem Portier hinab.</p> - -<p>»Wann ist Monsieur Armand heute Morgen abgereist?« -rief er hier mit heiserer Stimme.</p> - -<p>»So viel ich weiß, gar nicht,« erwiederte der höfliche -<a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a> -Portier. »Monsieur kamen etwas spät nach Haus -und schlafen wahrscheinlich noch. Der Schlüssel ist -wenigstens nicht unten.«</p> - -<p>»Ich habe an der Thür gepocht; es hat mir Niemand -geantwortet.«</p> - -<p>»Monsieur hätten ein wenig stärker pochen sollen.«</p> - -<p>»Er ist nicht oben.«</p> - -<p>»Wir wollen gleich noch einmal nachsehen. Ich -müßte ja doch sonst den Schlüssel hier haben, wenn der -Herr ausgegangen wäre.«</p> - -<p>Beide stürzten wieder die Treppe hinauf und -wiederholten ihr Pochen, als von drinnen eine Stimme -antwortete:</p> - -<p>»Wer ist da?«</p> - -<p>»Machen Sie auf, Armand.«</p> - -<p>»Es ist nicht verschlossen – kommen Sie doch -herein.«</p> - -<p>Reuhenfels drückte auf die Klinke; die Thür öffnete -sich in der That und der Major fand den jungen -Franzosen noch im Bett und augenscheinlich erst aus -festem Schlaf erwacht.</p> - -<p>Der Portier zog sich mit einem Lächeln, das etwa -sagen sollte: »Sehen Sie wohl, daß ich Recht gehabt?« -zurück und Reuhenfels betrat das Zimmer, in welchem -die Rouleaux noch niedergelassen waren. Er fand sich -<a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a> -aber jetzt wirklich in einiger Verlegenheit, wie er seinen -frühen Besuch entschuldigen sollte, denn was vorgefallen, -mochte er gerade diesem Mann nicht eingestehen.</p> - -<p>»Hallo, zu Berg!« rief Armand, sich in seinem -Bett emporrichtend, »was zum Henker führt Sie denn -mit Tagesgrauen zu mir?«</p> - -<p>»Tagesgrauen – es ist fast neun Uhr.«</p> - -<p>»So spät? Ich habe unverzeihlich lange geschlafen, -aber das letzte Glas Grog, das wir gestern Abend zusammen -tranken, hat mir den Rest gegeben. Und womit -kann ich dienen?«</p> - -<p>»Ich – wollte Sie fragen, ob Sie hier in Wiesbaden -einen deutschen Maler Namens Trautenau -kennen.«</p> - -<p>»Einen deutschen Maler? nein. Wollen Sie sich -heute in aller Frühe ein Bild bei ihm bestellen?«</p> - -<p>»Ich wollte, ich könnte ihn finden,« rief Reuhenfels, -und er mußte sich in der That Mühe geben, die -furchtbare Aufregung, in welcher er sich befand, zu -verbergen. »Entschuldigen Sie, Armand, daß ich Sie -gestört habe, aber da ich gerade hier vorbei ging, fiel -es mir ein, Sie zu fragen.«</p> - -<p>»Wenn Sie ein paar Minuten unten im Gastzimmer -warten,« sagte Armand, »so komme ich hinunter -<a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a> -und begleite Sie. Ich mache meine Toilette in unglaublich -kurzer Zeit und muß doch zu Ihnen, denn -ich habe Ihrer Frau Gemahlin gestern Abend versprochen, -ihr heute Morgen eine Photographie von -Salzburg zu bringen, die sie sich gewünscht.«</p> - -<p>»Das eilt nicht,« entgegnete Reuhenfels kurz, -»meine Frau ist – überdies wieder mit einer Freundin -spazieren gegangen, und Sie würden sie jetzt nicht -einmal treffen. Also auf Wiedersehen, Armand,« – -und ohne sich in eine weitere Unterhandlung einzulassen, -eilte er rasch nach Hause, raffte, was er zu -einer kurzen Fahrt brauchte, zusammen, überlieferte -seine Schlüssel dem Wirth und lief dann mehr als er -ging auf den Bahnhof hinaus, um dort nur eine -Spur von der Flüchtigen zu bekommen.</p> - -<p>Hier half es ihm freilich Nichts, Erkundigungen -einzuziehen, denn die eine Bahn führte nur nach Bieberich, -von wo dann zwei verschiedene Geleise – eines -stromauf, eines stromab – auszweigten. Wie aber -sollte er sich dort, in dem Gewirr von Fremden, -nach der Flüchtigen erkundigen – von wem sollte er -Auskunft erlangen? Den einen Cassirer am Schalter -nach Mainz und Frankfurt kannte er freilich und dort -war Hoffnung, denn dieser kannte auch seine Frau und -konnte ihm wenigstens sagen, ob er sie an dem Morgen -<a class="pagenum" id="page_132" title="132"> </a> -im Bahnhof irgendwo gesehen habe. Er hielt sich -deshalb auch gar nicht in Wiesbaden selber mit Fragen -auf, sondern bestieg augenblicklich den gleich abgehenden -Zug, um nur wenigstens erst einmal Bieberich -zu erreichen. Der kleine Handkoffer, den er bei -sich führte, enthielt auch ein paar vortreffliche Duell-Pistolen -und er war fest entschlossen, Gebrauch von -ihnen zu machen, wo er den Entführer antreffen -mochte. Hegte er ja doch jetzt einen doppelten Haß -gegen ihn, und seiner Rache sollte er wahrlich nicht -entgehen.</p> - -<p>In Bieberich angekommen, eilte er augenblicklich -an die Casse und seine erste Frage war:</p> - -<p>»Hat meine Frau hier heute Morgen den Zug benutzt?«</p> - -<p>»Jawohl, Herr zu Berg,« sagte der alte Mann -freundlich. »Frau Gemahlin waren da, – drei -Billette genommen, glaub' ich – zwei oder drei: ich -weiß es jetzt wahrhaftig nicht mehr genau. Lieber -Gott, das ist jeden Morgen solch ein Gedränge – -waren aber selber an der Casse.«</p> - -<p>»Und wer war bei ihr?«</p> - -<p>»Bin ich nicht im Stande zu sagen,« erwiederte -der Mann achselzuckend; »das wimmelte nur so heute -<a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a> -Morgen, aber die gnädige Frau erkannte ich den -Augenblick wieder.«</p> - -<p>»Sie wissen wohl nicht mehr, wohin sie sich hat -einschreiben lassen?«</p> - -<p>»Haben wohl die Frau Gemahlin verfehlt? – -nach Mainz nahm sie Billette. Ich weiß es noch -genau, ich mußte ihr einen Napoleonsd'or wechseln.«</p> - -<p>»Ich danke Ihnen, – ja wir hatten uns verabredet, -eine Vergnügungstour zu machen. Wann geht -der Zug nach Mainz ab?«</p> - -<p>»Wird kaum noch zehn Minuten dauern, – sobald -der nach Coblenz gehende hereinkommt, und signalisirt -ist er schon.«</p> - -<p>»Gut, – bitte um ein Billet zweiter Classe -Mainz.«</p> - -<p>Reuhenfels nahm sein Billet und schritt indessen, -bis die Abfahrt des Zuges angezeigt werden würde, -mit verschränkten Armen und ganz seinen düsteren Gedanken -nachhängend, auf dem Perron auf und ab, als -er plötzlich seinen Namen hörte.</p> - -<p>»Hallo, zu Berg! auch einmal nach Bieberich gekommen? -Ja, die Saison geht jetzt zur Neige und da -ziehen unsere Schwalben wieder fort!«</p> - -<p>Reuhenfels sah auf und bemerkte einen Herrn -von Plauen, dessen flüchtige Bekanntschaft er in Wiesbaden -<a class="pagenum" id="page_134" title="134"> </a> -gemacht und der auf ihn zukam und ihm die -Hand entgegenstreckte. Er war allerdings jetzt nicht in -der Stimmung, sich mit irgend einem Fremden zu unterhalten, -mochte aber auch nicht unhöflich sein und -sagte nur ausweichend:</p> - -<p>»Ja – aber nicht ganz – nur eine kleine Vergnügungstour.«</p> - -<p>»Aha, mit Frau Gemahlin,« meinte der andere -Herr, »habe sie heute Morgen schon gesehen.«</p> - -<p>Reuhenfels biß sich auf die Lippen, aber er durfte -den Fremden den wahren Stand der Sache nicht -ahnen lassen, und sagte deshalb so gleichgültig, als es -ihm irgend möglich war:</p> - -<p>»Ja – wahrscheinlich. Sie ist nur nach Mainz -vorausgefahren.«</p> - -<p>»Nach Mainz? – ih bewahre,« rief Herr von -Plauen, »sie saß ja im Coblenzer Zug.«</p> - -<p>»Im Coblenzer Zug?« fragte Reuhenfels bestürzt, -»das ist ja gar nicht möglich. Sie hat Billete nach -Mainz genommen.«</p> - -<p>»Dann ist sie in den falschen Zug gerathen,« sagte -Herr von Plauen, »aber ich weiß es zu gewiß, denn in -dem nämlichen Coupée in welchem sie mit einem -Herrn und noch einer Dame saß, befand sich auch eine -mir befreundete Familie, der Assessor Hörich mit -<a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a> -seiner jungen Frau, dem ich noch, ein paar Secunden -vorher ehe der Zug abging, die Hand in den Waggon -reichte.«</p> - -<p>»Und meine Frau war darin?«</p> - -<p>»Gewiß! Ich bin der gnädigen Frau zwar nie vorgestellt -worden, und ich weiß nicht einmal, ob sie mich -kennt – bezweifle es sogar, aber die Dame ist nicht zu -verkennen. Sie macht durch ihre Schönheit ja überall -Aufsehen. Sie sah wieder reizend heute Morgen aus.«</p> - -<p>»Und Sie haben keine Ahnung wohin sie gefahren -sein kann?«</p> - -<p>»Ja mein Himmel, wer soll das wissen, denn es -giebt zahllose Zwischenstationen – aber sie wird -jedenfalls auf dem ersten Halteplatz wieder ausgestiegen -sein, sobald sie nur merkt, daß sie in den falschen -Zug gerathen ist.«</p> - -<p>»Jedenfalls – jedenfalls« sagte Reuhenfels zerstreut -– »aber – was ich Sie gleich noch fragen -wollte – Passagiere für eine bestimmte Station -werden gewöhnlich zusammen in ein Coupée gethan. -Wohin fuhr jener Herr – der Assessor sagten Sie, -glaub' ich – heute Morgen?«</p> - -<p>»Der Assessor? oh nicht weit, nur nach St. Goarshausen. -Sie haben dort Verwandte, die sie erst auf -einen Tag besuchen wollen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a> -»So? ich danke Ihnen. Merkwürdig!«</p> - -<p>»Ach solche Verwechselungen sind schon häufig vorgefallen,« -meinte Herr von Plauen, der den Ausruf -ganz anders verstand, »und auf unseren Rheinischen -Bahnen hat es eben Nichts zu sagen, denn es gehen -zu viele Züge, mit denen man sich immer rasch wieder -helfen kann. Wenn Sie hier eine Stunde warten, -kommt sie jedenfalls mit dem nächsten Zug wieder -zurück.«</p> - -<p>»Ich werde ihr lieber entgegen fahren, sie findet -sich sonst am Ende nicht zurecht.«</p> - -<p>»Ja, Damen sollte man nie allein reisen lassen, -sie haben ein merkwürdiges Geschick darin, sich irgendwo -festzufahren. Es war ganz das nämliche im vorigen -Jahr mit meiner Frau, wo wir auch eine Tour -nach –«</p> - -<p>»Sie entschuldigen mich,« sagte Reuhenfels – »da -kommt schon der Zug nach Coblenz und ich muß mir -erst noch ein Billet lösen.«</p> - -<p>»Oh Sie haben überflüssig Zeit,« war die Antwort -– »jetzt wird erst der Zug nach Mainz expedirt und -der Coblenzer hält wenigstens zehn Minuten an.«</p> - -<p>»Ich will mich doch fertig machen, denn ich muß auch -erst mein Gepäck hier unterbringen. – Guten Morgen -lieber Plauen; herzlichen Dank für die Nachricht.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a> -»Bitte – bitte – sehr gern geschehen. Freut mich -nur der gnädigen Frau wegen, daß ich Sie hier getroffen -habe. Bitte mich gehorsamst zu empfehlen.«</p> - -<p>Reuhenfels winkte ihm nur noch mit der Hand zu -und eilte dann rasch an die Casse, um dort ein Billet -für St. Goarshausen zu lösen. Hatte sich der alte -Cassirer für den Mainzer Zug geirrt? Aber das blieb -sich jetzt gleich – an einen Irrthum seiner Frau -glaubte er nicht, und seine einzige Hoffnung war jetzt -nur, die Flüchtige entweder unterwegs an den Zwischenstationen -oder in St. Goarshausen zu erfragen.</p> - -<p>Reuhenfels hatte übrigens an dem Morgen kaum -mit dem Zug Wiesbaden verlassen, als drei sehr anständig -gekleidete Herren in Civil, mit einem etwas -militairischen Anstrich, unten im Hôtel Kompelt nach ihm -frugen, und von dem Kellner bedeutet wurden, daß der -Herr Baron heute Morgen einen Ausflug – aller -Wahrscheinlichkeit nach bis Frankfurt gemacht habe.</p> - -<p>»Und glauben Sie, daß er heute Abend zurückkehren -wird?«</p> - -<p>Der Oberkellner zuckte die Achseln.</p> - -<p>»Ein Theil seiner Sachen ist allerdings noch da,« -sagte er, »aber die gnädige Frau hat ihren Koffer und -anderes Handgepäck schon vor Sonnenaufgang hinunterschaffen -<a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a> -lassen, was allerdings auf einen längeren -Ausflug deutet.«</p> - -<p>»Sind sie Ihnen noch etwas schuldig?«</p> - -<p>»Sehr unbedeutend – die Herrschaften zahlen -hier im Hôtel immer jede Woche ihre Rechnungen, -und der Herr Baron hat die seinige erst gestern berichtigt. -Uebrigens kommt er jedenfalls zurück, denn -er hat noch eine Menge von Sachen oben.«</p> - -<p>Die fremden Herren erwiederten nichts weiter, -sondern schritten zusammen auf den Platz hinaus, unterhielten -sich aber dabei sehr angelegentlich in französischer -Sprache miteinander.</p> - -<p>»Der Vogel ist ausgeflogen,« sagte der Eine, als -sie sich außer Hörweite des Kellners wußten – »daß -wir auch nicht ein paar Stunden früher hier eintreffen -konnten. Was nun?«</p> - -<p>»Jedenfalls ist er mit der Eisenbahn fort, dabei -brauchen wir aber nichts zu beeilen,« meinte der Andere, -»denn der nächste Zug geht erst in zwei Stunden. -Wie aber der Kellner sagt, hat er hier noch seine -Sachen stehn, und es wäre der Mühe werth, die indessen -zu untersuchen. Vor allen Dingen müssen wir -nach den verschiedenen Stationen abtelegraphiren – -vielleicht erhalten wir eine günstige Rückantwort, und -dann visitiren wir das Nest da oben.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a> -Damit schienen die Anderen einverstanden und trennten -sich jetzt erst wieder in der Stadt, um nachher aufs -Neue hier zusammenzutreffen. Hinter den grünen Vorhängen -der Fenster hatte sie aber der Oberkellner aufmerksam -beobachtet, und rieb sich sehr bedenklich die Hände:</p> - -<p>»Alle Teufel,« murmelte er dabei, »das ist, hol -mich Dieser und Jener, Polizei; den Einen kenne ich; -das ist der geheime französische Agent, der sich hier -immer in Wiesbaden aufhält, und genau so thut, als -ob er sich um keinen Menschen auf Gottes Welt -bekümmerte – und ob der Halunke nicht Alles weiß -was vorgeht – Einer mußte ein Fremder sein, aber -der dritte war ja unser liebenswürdiger Meier – die -rechte Hand vom Polizeidirector. Sollten die denn -hinter dem Baron her sein? – wäre nicht übel, so -ein vornehmer Herr. Wenn man ihm nur wenigstens -einen Wink geben könnte, aber weiß der Henker wo der -jetzt steckt. – Oder hat er vielleicht gar selber Wind -bekommen? – Na dann können sie schnüffeln, denn -der ist von klein auf in der Welt gewesen und weiß -Bescheid.« – Und mit diesen Gedanken ging er, sich -wieder vergnügt die Hände reibend, an seine gewöhnliche -Morgenbeschäftigung – d. h. er setzte sich vor das -große Hauptbuch und kratzte sich hinter den Ohren.</p> - - - - -<h3><a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a> -<span class="subheader"><span class="ge">Zehntes Kapitel.</span></span><br /> - -Die Entführung.</h3> - - -<p>So ängstlich sich Clemence gezeigt, als sie an dem -Morgen den Gatten verließ, so daß sie nur zitternd -auf den Bahnhof eilte und dort der furchtbaren Aufregung, -in welcher sie sich befand, kaum Herr werden -konnte, so plötzlich war jede, auch die letzte Angst von -ihr genommen, als sich der Zug in Bewegung setzte, -denn von dem Augenblick an hielt sie sich für sicher. -Trotzdem versäumte sie keine nur irgend mögliche -Vorsicht, und da sie recht gut wußte, daß man sie in -Bieberich, besonders an dem Mainzer Schalter kannte, -ging sie selber dorthin um Billete zu lösen, während -Trautenau die wirklichen Billete nach St. Goarshausen -nahm. Die List wäre auch vollständig geglückt, -wenn eben nicht Reuhenfels zufälliger Weise den -Herrn von Plauen auf dem Bahnhof angetroffen -hätte, der ihn freilich, ohne es zu wissen, auf die rechte -Fährte setzte.</p> - -<p>Indessen verfolgten die Flüchtigen ahnungslos -ihren Weg, und erreichten nach einer kurzen aber reizenden -Fahrt das ziemlich große Dorf St. Goarshausen, -einen der schönsten Punkte am ganzen Rhein.</p> - -<p>Trautenau war selig; er durfte neben der Geliebten -<a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a> -sitzen, ihre Hand halten, ihr in die guten Augen sehen -und ihrer silberreinen Stimme lauschen, ja da noch -zwei Fremde, ein Herr und eine junge Dame im Coupé -wenn auch an der anderen Seite saßen, wehte ihn -sogar, als sie sich flüsternd zu ihm überbog, ihr warmer -Athem an. Er hörte auch kaum was sie sprach; es -war ihm genug in ihrer Nähe zu sein. Aber wie das -Alles enden würde! Wie hätte er in diesem seligen -Augenblick der Gegenwart nur an die Zukunft denken -mögen oder können. Er war auch mit Allem einverstanden, -was sie ihm vorschlug, daß sie jetzt erst einmal -in St. Goarshausen, einem kleinen unbedeutenden -Ort, ein paar Tage still liegen wollten, um Reuhenfels, -der jedenfalls schon auf der Verfolgung begriffen sei, -von ihrer Spur abzubringen. Gewiß suchte er sie auf -den größeren Stationen, und hatte auch wohl Freunde -veranlaßt, ihn dabei zu unterstützen, damit er sowohl -den Norden als Süden im Auge behalten konnte. -Waren aber erst einmal ein paar Tage vergangen, so -mußte er sie natürlich fern glauben, und dann gelang -es ihnen leicht, mit irgend einem Nachtzug von hier -aus die französische Grenze zu erreichen.</p> - -<p>Clemence schien auch in St. Goarshausen bekannt, -denn sie beorderte augenblicklich, wie sie nun dort anhielten, -ein paar Träger, um ihre Sachen in das -<a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a> -goldene Roß hinauf zu schaffen. Es war das auch -keines der ersten Hôtels dicht am Rhein, wo allerdings -ein reger Fremdenverkehr statt fand, sondern lag etwas -abseits vom Strom mitten in der Stadt und schien in -früherer Zeit – gerade dem Gemeindehaus gegenüber, -den behäbigen Bewohnern des kleinen Orts zum -Mittelpunkt ihrer Versammlungen und Casinos gedient -zu haben. Jetzt freilich, wo der Verkehr einen ganz -anderen Aufschwung genommen und von verwöhnten -Fremden weit größere Ansprüche gemacht wurden, -hatten sich neue sogenannte Hôtels, fast nur mit englischen -Namen, unmittelbar an's Ufer des Rheines -gesetzt, und im goldenen Roß kehrten nur noch die -alten spießbürgerlichen Honoratioren ein, denen die -Fremden ein Dorn im Auge waren, und die ungestört -von ausländischem »Kauderwälsch« einen »guten« -Schoppen trinken wollten.</p> - -<p>Für ihren Zweck lag der Platz aber in der That -vortrefflich, denn hierher kam so leicht Niemand der -Durchreisenden und wenn sie sich nicht draußen zeigten, -hätten sie vielleicht einen Monat lang still und unbeachtet -dort leben können.</p> - -<p>Clemence übernahm aber hier ohne Weiteres die -Leitung ihrer inneren Angelegenheiten. Sie bestellte -zwei Zimmer, eins für sich und Jeannette, ihre -<a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a> -Kammerfrau, eins für den Herrn, und befahl dem aufwartenden -Mädchen – denn einen Kellner schien es -im goldenen Roß gar nicht zu geben – ihnen das -Frühstück heraufzubringen, das sie gemeinschaftlich -verzehren wollten.</p> - -<p>Trautenau war damit nicht ganz einverstanden; er -hätte so gerne einmal eine Unterredung mit Clemence -unter vier Augen gehabt – so Vieles war es ja, was -sie noch besprechen mußten. Aber Clemence schien das -gerade vermeiden zu wollen, und so freundlich, ja -herzlich sie sich gegen ihn zeigte, wich sie, für jetzt -wenigstens, geschickt einer solchen aus. Trautenau -selber entschuldigte sie aber darin – es wäre unnatürlich -gewesen, wenn sie sich anders gezeigt – unweiblich -wenigstens, wo ihr die Neuheit dieser Situation -doch noch immer die Seele beklemmen mußte. Morgen, -wo sie eine Nacht Zeit gehabt, um ruhiger darüber -nachzudenken, würde das anders – besser werden, -und er beschloß deshalb auch, sie in dieser Zeit ganz -sich selber zu überlassen.</p> - -<p>Jeannette war dabei das wahre Muster einer -Kammerzofe und arrangirte alles Nöthige so leicht -und schnell, daß sich die Damen wenigstens in unglaublich -kurzer Zeit vollständig eingerichtet hatten. -Das Frühstück verlief ziemlich ruhig und einsylbig, -<a class="pagenum" id="page_144" title="144"> </a> -denn Jeder war noch zu sehr mit seinen eigenen Gedanken -beschäftigt, und der ernste, fast verzweifelte -Schritt, den sie gethan, rechtfertigte das auch vollkommen. -Trautenau war allerdings fest entschlossen, -Clemence bis nach Paris und zu ihrem Vater zu begleiten, -wie aber sollte er dort dem Mann, den er -überdieß nicht achten konnte, als Entführer seiner -Tochter und zugleich als Bewerber um ihre Hand -entgegentreten? Der Gedanke peinigte ihn, wenn auch -nicht in Clemencens Gegenwart, denn sobald er die -lieben, so wunderbar schönen Züge der verführerischen -Frau sah, und in diese Augen blickte, die manchmal -ihn fast traurig anschauten und nur scheu den Boden -suchten, wenn er ihnen begegnete, vergaß er alles Andere -– vergaß er sich selbst. Aber als er wieder -allein auf seinem Zimmer war, gingen ihm diese Dinge -– und noch viele andere – wieder und wieder durch -den Kopf, die er denn nicht so leicht abschütteln konnte.</p> - -<p>Er konnte das Bild nicht aus seiner Erinnerung -zwingen, wie er Clemence zum ersten Mal in Wiesbaden -gesehen: an jenem grünen Tisch in der Spielhölle, -den hübschen schlankgewachsenen Franzosen hinter -ihrem Stuhl. – Er konnte den Blick nicht vergessen, -den sie ihm einmal – gerade als sein Auge zufällig -auf ihr haftete, zugeworfen – aber wenn ihr Mann -<a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a> -sie nun gezwungen hätte, dem Spiel beizuwohnen? und -es gab eigentlich nichts Natürlicheres, denn er konnte -die junge Frau in einem solchen Badeort doch nicht -den ganzen Abend allein, und sich selber überlassen. – -Aber der Blick – dieser eine Blick. – Doch wie ungerecht -war sein Verdacht, denn wenn sie zu jenem -auch nur in der geringsten freundlichen Beziehung -stand, so hätte sie doch wahrlich auch ihn um seinen -Beistand bei ihrer Flucht gebeten, und sich nicht an -den vollkommen Fremden gewandt. – Fremden? – -nein, sie hielt ihn nicht für fremd – sie wußte ja -ihren eigenen lieben Worten nach – wie lange er sie -schon im Herzen getragen, und da sie das wußte und -gerade ihn zu ihrer Hülfe wählte, mußte sie ihm doch -auch ein klein wenig gut sein, oder sie würde es nicht gethan -haben. Wie gern hätte er sich auch mit ihr ausgesprochen; -aber die verwünschte Kammerzofe ging ihr -nicht von der Seite. Und was für ein durchtriebenes -kokettes Frauenzimmer das war. Bildhübsch in der -That, mit einem kleinen kecken Stumpfnäschen und -großen klugen und dunklen Augen; die aber hatte sie -auch eben überall, und weshalb flüsterte sie nur immer -so viel und geheimnißvoll mit Clemence? – Die -Person hatte sie doch hoffentlich nicht zu ihrer Vertrauten -gemacht? – es war ihm das ein peinlicher -<a class="pagenum" id="page_146" title="146"> </a> -Gedanke. Aber er sah auch recht gut ein, daß sie eine -weibliche Begleitung haben mußte und für die kurze -Zeit mochte es denn ja auch gehen.</p> - -<p>Der Aufenthalt in dem engen dumpfen und noch -recht altväterlich gebauten Hause wurde ihm zuletzt -drückend, und er beschloß, einen Spaziergang nach der -Ruine hinauf zu machen. Gar zu gern hätte er -Clemence um ihre Begleitung gebeten; aber er wagte -es nicht. Es war heute der erste Tag, und er mußte -ihr den ungestört lassen, um sich vollkommen auszuruhen. -Sie blieben ja auch jedenfalls morgen noch -hier, und dann erfüllte sie gewiß seinen Wunsch. Dann -konnte er Alles, Alles mit ihr besprechen, was ihm auf -dem Herzen lag und es war vielleicht sogar besser, daß -das erst morgen geschah; er fühlte sich dann auch selber -mehr mit sich im Reinen. Der morgende Tag sollte -deshalb sein Schicksal entscheiden. Er that es auch -wirklich.</p> - -<p>Langsam stieg er den ziemlich steilen Pfad empor, -der hinauf zu der alten prachtvollen Ruine führte – -aber er traf zu viel Menschen unterwegs – Kinder -aller Nationen, die hier zusammenkamen, um an den -Wundern des Rheines zu schwelgen und den vortrefflichen -Wein dazu zu trinken. Er fühlte sich heute -wahrlich nicht in der Stimmung, unter ihnen zu verkehren -<a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a> -und schlug sich seitab in die Büsche, wo er einen -Platz suchte, auf dem er ungestört ausruhen und mit -dem Rhein und der alten Ruine Rheinfels vor sich das -prachtvolle Bild in voller Ruhe genießen konnte.</p> - -<p>So lag er lange und träumend dicht versteckt im -Gehölz, und wenn manchmal einzelne Gruppen von -Spaziergängern in dem weiter oben hinlaufenden -Pfad stehen blieben um die Aussicht zu genießen, so -konnte er deutlich hören, was sie mit einander sprachen, -ohne von ihnen dabei gesehen zu werden. Aber was -interessirten ihn diese Unterhaltungen. Die Leute -sprachen sich mit schaalen Phrasen über die Schönheit -der Gegend aus oder zeigten sich von da oben aus die -Stellen, wo guter Wein zu haben war. Einmal erzählten -sie auch von der Eisenbahn, daß der letzte, von -Mainz kommende Zug entgleist und dicht vor Rüdesheim -liegen geblieben sei, so daß die Bahn verstopft -wäre und man nicht wisse, ob sie heute noch wieder frei -würde – dann gingen sie weiter und bedauerten noch -dabei, daß sie nun wahrscheinlich das »Frankfurter -Journal« nicht erhielten.</p> - -<p>Der Zug entgleist? – aber was kümmerte ihn -das? Es konnte höchstens nur zu ihren Gunsten sein, -da dadurch die Verbindung mit den südlicher gelegenen -Uferplätzen, wenn auch nicht abgeschnitten, doch -<a class="pagenum" id="page_148" title="148"> </a> -jedenfalls erschwert wurde. – Aber die Zeit verging, -er wußte gar nicht wie lange er schon gelegen und die -Sonne neigte sich wieder den Bergen zu. Durfte er -denn auch seine Schützlinge so lang allein lassen? -Konnte er wissen, was indessen da unten vorfiel? Wenn -nun der Zufall sein Spiel doch hatte. Er sprang, -erschreckt von dem Gedanken, auf, und eilte, so rasch er -konnte, in die Stadt zurück, um sich wenigstens darüber -erst einmal zu beruhigen. Aber die Befürchtung war -glücklicherweise grundlos gewesen, denn er fand dort -Alles noch gerade so, wie er es verlassen hatte, nur, -daß die Damen, wie es schien, mit dem Essen auf ihn -gewartet hatten.</p> - -<p>»Aber Monsieur,« rief ihn die Kammerzofe an, die -ihm auf der Treppe begegnete – »wo bleiben Sie so -lange? Wir haben gewartet und gewartet und Monsieur -vielleicht indessen in aller Ruhe oben in der -Stadt dinirt. Wir sind so hungrig, daß wir es kaum -noch aushalten können.«</p> - -<p>»Das bedaure ich in der That unendlich« rief -Trautenau bestürzt, aber doch auch im Stillen erfreut, -daß Clemence seinetwegen gewartet hatte. »Hätte ich -eine Ahnung davon gehabt, ich wäre gewiß eine -Stunde früher gekommen. Haben Sie das Essen schon -bestellt?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a> -»Gewiß, das Mädchen hat Ordre es sofort zu -bringen, sowie wir die Nachricht Ihrer Ankunft erhielten. -Ich werde sie gleich rufen. Bitte gehn Sie -nur hinauf zur gnädigen Frau.«</p> - -<p>Am liebsten hätte er das freilich gethan, aber er -mußte doch erst hinüber in sein Zimmer, um sich von -der Hitze und dem Staub seines langen Spazierganges -zu säubern, und als er das beendet, fand er Jeannette -schon wieder bei ihrer Herrin, und das dralle Mädchen -aus dem Wirthshaus eben emsig beschäftigt die bestellten -Speisen aufzutragen. Wie er sich aber nun gegen -Clemence seines langen Ausbleibens wegen entschuldigen -wollte, unterbrach sie ihn freundlich und lächelte:</p> - -<p>»Aber Sie sollen ja doch nicht unser Sclave sein, -lieber Trautenau, wenn wir Sie zu unserm Ritter ausgewählt -haben. Wir haben hier Nichts zu versäumen -und der Abend bleibt uns ja so noch immer, um hier -am offenen Fenster ein paar Stunden zu plaudern, -oder vielleicht auch einen kleinen Spaziergang im -Mondenschein am Rhein zu machen. – Aber bitte, -wollen Sie nicht Platz nehmen?«</p> - -<p>Trautenau's Augen leuchteten. So herzlich hatte -Clemence noch nie zu ihm gesprochen, selbst nicht als -sie ihn um seine Hülfe bat – aber die Kammerjungfer -war ihm im Weg; er hätte ihr so gern eben so geantwortet; -<a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a> -in deren Gegenwart ging das nicht, denn wenn -sie sich auch hie und da im Zimmer zu thun machte, -wußte er doch recht gut, daß sie trotzdem jedes Wort -bewachte, auf jeden Blick selbst paßte. Vielleicht -erhielt er aber am Abend bei dem versprochenen Spaziergang -Gelegenheit ihr zu sagen, wie glücklich sie -ihn dadurch gemacht, und jetzt deshalb nur mit ein -paar höflichen Worten erwidernd, setzte er sich mit den -Damen zu Tisch.</p> - -<p>Es war in der That spät geworden und die Sonne -selbst schon untergegangen. Trautenau mußte aber -während des Essens von seinem Spaziergang erzählen -und that das in so lebendiger Weise, daß Clemence -ihm gespannt und aufmerksam lauschte.</p> - -<p>Da klopfte Jemand draußen laut und deutlich -zwei Mal an die Thür und Jeannette fuhr entsetzt -von ihrem Stuhl empor – Niemand antwortete – -noch einmal klopfte es, als Trautenau, der sich den -augenscheinlichen Schrecken auch in Clemencens Zügen -nicht erklären konnte, ärgerlich über die Störung -»Herein« rief. In dem Augenblick öffnete sich die -Thür und in dem Dämmerlicht des Abends erkannte -die kleine Gesellschaft den Major, der höhnisch lächelnd, -mit triumphirendem Blick die überraschte Gruppe mit -den Augen überflog.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a> -»Ich störe doch nicht?« sagte er endlich mit seiner -trockenen, aber unheimlich klingenden Stimme, denn -die erregte Leidenschaft lauerte dahinter – »sollte mir -wirklich leid thun Madame – <i>et Monsieur aussi</i> – -da finde ich ja die ganze kleine Gesellschaft gemüthlich -bei einander.«</p> - -<p>»Herr von Reuhenfels,« stammelte Trautenau, der -entsetzt von seinem Stuhl aufgesprungen war.</p> - -<p>»Kuno!« hauchte Clemence und war bleich auf -ihren Stuhl zurückgesunken. Selbst Jeannette wechselte -die Farbe, obgleich sie für sich selber wenig oder -nichts zu fürchten hatte. Reuhenfels schien sich aber -an dem Schrecken, den seine Erscheinung unter den -Flüchtigen verbreitete, mit fast teuflischer Schadenfreude -zu weiden und selbst in der Ueberraschung des Augenblicks -drängte sich Trautenau der Gedanke auf, -daß der Major noch nie im Leben dem Bilde, das er -an jener Wand entworfen, so ähnlich gewesen wäre, -wie in diesem Augenblick.</p> - -<p>Aber die Stille dauerte nicht lange. Haß und -Rache, die in des betrogenen Gatten Augen blitzten, -mußten endlich zum Ausbruch kommen und mit vor -Wuth heiserer Stimme sagte er endlich:</p> - -<p>»Also dahin ist es mit Ihnen gekommen, Madame, -und mein Verdacht, den ich als gutmüthiger Thor -<a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a> -selber einzuschläfern suchte, war doch begründet? Aber -Sie sollen diesen nichtswürdigen Undank bereuen – -bitter bereuen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, und -daß ich mein Wort halte, wissen Sie, sollte ich denken -– gut genug. Und nun zu Ihnen mein Herr, der -Sie es gewagt haben, in das Heiligthum einer glücklichen -Ehe die frevle Hand zu stecken. Ich weiß nicht, -ob Sie ein Mann von Ehre sind – was ich bis jetzt -davon gesehen habe, spricht wenigstens nicht dafür – -wenn dem so ist, so folgen Sie mir in ein anderes Zimmer, -daß wir das Nöthige dort besprechen können.«</p> - -<p>»Ich stehe zu Ihren Diensten, Herr Major,« rief -Trautenau, dessen Antlitz bei den beleidigenden Worten -alles Blut verlassen hatte – »wo und wann Sie -wollen und werde Ihnen beweisen, daß Sie gerade der -Letzte sein dürfen, einen rechtschaffenen Mann an seine -Ehre zu mahnen. Weitere Worte, glaube ich, werden -wohl fortan unnöthig sein.«</p> - -<p>»Ich glaube es auch,« zischte der Major in Haß -und Bosheit, denn die Anspielung des jungen Mannes -auf sein vergangenes Leben war zu deutlich gewesen -um sie mißzuverstehen. »Folgen Sie mir, und Sie, -Madame, werden dies Zimmer nicht verlassen, bis ich -zurückkehre, um Ihnen meine weiteren Befehle kund -zu thun.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a> -»Mein Herr!« rief jetzt Clemence erzürnt von -ihrem Stuhl emporfahrend – Reuhenfels würdigte -sie aber keines weiteren Blicks. »Ich weiß, daß Sie -gehorchen werden,« sagte er tückisch und verließ das -Zimmer, während Trautenau seinen Hut ergriff, um -ihm zu folgen. So aber und ohne ein Wort des Abschieds -konnte er Clemence nicht verlassen. Bewegt -und zitternd vor Aufregung schritt er auf sie zu und -ergriff ihre Hand.</p> - -<p>»Fürchten Sie Nichts, Clemence,« sagte er leise -und rasch – »so lange ich lebe haben Sie einen -Freund, der Sie nicht verlassen soll.«</p> - -<p>»Er wird Sie tödten,« hauchte Clemence – »er -trifft mit der Pistole eine Schwalbe im Flug.«</p> - -<p>»Ich selber bin nicht ungeübt darin,« erwiederte -Trautenau trotzig, »ich schieße rasch und sicher. Noch -ist es möglich, Ihnen Ihre volle Freiheit wieder zu -geben.«</p> - -<p>»Und für mich wollen Sie in den Tod gehen,« bat -das junge schöne Weib, jetzt wirklich furchtbar ergriffen, -»ach, ich habe es nicht um Sie verdient!« und -Thränen glänzten dabei in ihren Augen.</p> - -<p>»Jetzt komme was da wolle!« rief Trautenau -jubelnd aus, denn diese Thränen waren ihm der erste -Beweis ihrer Liebe – »Du weinst um mich, Clemence, -<a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a> -und so möcht' ich sterben. Aber es lebt ein -Gott! er wird mir nicht die höchste Seligkeit des -Lebens zeigen, um mich dann nur verzweifelnd von -der Erde zu nehmen. Lebe wohl, auf baldiges frohes -Wiedersehen.« – Sie stürmisch in die Arme pressend, -drückte er den ersten Kuß auf ihre Lippen, und wie er -jetzt zur Thür hinauseilte, wäre er dem Bajonnetangriff -eines ganzen Bataillons mit nackter Brust -jauchzend entgegen gerannt.</p> - -<p>Draußen empfing ihn der Major mit eisiger Kälte.</p> - -<p>»Ist es gefällig?« sagte er, und öffnete eine Thür, -die in einen jetzt leer stehenden düsteren Saal hineinführte. -»Es ist allerdings schon etwas dunkel, aber zu -dem, was wir zu reden haben, brauchen wir wohl kein -Licht.«</p> - -<p>Trautenau folgte ihm, und die Thür hinter sich -zudrückend, fuhr der Major mit halblauter und jetzt -vollkommen leidenschaftloser Stimme fort:</p> - -<p>»Ich habe diesen Augenblick lange herbeigesehnt, -denn von dem Moment an, wo ich entdeckte, welchen -frechen Scherz Sie sich mit mir erlaubt, schwor ich es -mir zu, daß unser erstes Begegnen auch unser letztes -sein sollte. In Wiesbaden entschlüpften Sie mir -freilich. – Sie wissen selber am Besten wie, jetzt -hoffe ich aber, daß wir unser Geschäft mit einander -<a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a> -erledigen, ehe wir uns trennen, denn ich möchte Ihnen -doch gern eine Erläuterung dazu geben, was es heißt, -»den Teufel an die Wand malen.«</p> - -<p>»Ich sehe dieser Erläuterung mit großer Ruhe entgegen, -Herr Major,« erwiderte Trautenau kalt. »Ich -werde Ihnen dann auch beweisen können, daß ich -Ihnen in Wiesbaden nicht »entschlüpft« bin, wie Sie -sich auszudrücken belieben, sondern nur, um eine Frau -von der teuflischen Tyrannei –«</p> - -<p>»Halten Sie ein, mein Herr,« unterbrach ihn gebieterisch -der Major, »wir wollen nicht mit Worten, -sondern mit Waffen fechten. Heute Abend ist es -freilich dafür zu dunkel – ich konnte leider nicht früher -eintreffen, da der Zug entgleiste und ich das nächste -Dampfboot benutzen mußte, um heute Abend noch den -Ort hier zu erreichen. Da auch kein Zug vor morgen -früh neun Uhr von hier wieder stromauf gehen kann, -bleibt es sich gleich, und wir können das Tageslicht -abwarten, um unsern – wie ich jetzt vermuthen muß -– beiderseitigen Wunsch zu erfüllen. Sind Sie am -anderen Ufer bekannt?«</p> - -<p>»So ziemlich, ich war erst vor wenigen Wochen -längere Zeit dort. Aber weshalb?«</p> - -<p>»Weil ich auf nassauisches Gebiet zurückkehren -muß, möchte ich unser Geschäft im Preußischen erledigt -<a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a> -sehen. Kennen Sie den hinteren Thurm an der -Ruine Rheinfels? Gleich darunter ist ein kleiner -offener Platz.«</p> - -<p>»Ich erinnere mich.«</p> - -<p>»Gut – sein Sie dort morgen früh eine halbe -Stunde nach Sonnenaufgang, Waffen bringe ich mit. -Haben Sie einen Secundanten?«</p> - -<p>»Nein – ich kenne Niemanden hier.«</p> - -<p>»Ich habe viele Officiere heute Abend in St. Goarshausen -gesehen. Sie werden leicht einen der Herrn -dazu bewegen können.«</p> - -<p>»Ich denke ja.«</p> - -<p>»Gut – weiteres ist nicht nöthig. Es bleibt -Ihnen der ganze Abend dazu, da Ihre weitere Anwesenheit -im Hôtel,« setzte er höhnisch hinzu, »doch -nicht mehr verlangt wird. Für Madame werde ich -selber sorgen. Sie kommen gewiß?«</p> - -<p>»Schon die Frage ist eine unwürdige Beleidigung,« -sagte Trautenau finster, »ich hoffe der Erste auf dem -Platz zu sein.«</p> - -<p>»Gut, mein Herr Maler,« erwiderte Reuhenfels -sarkastisch, »ich werde Sie nicht lange warten lassen.«</p> - - - - -<h3><a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a> -<span class="subheader"><span class="ge">Elftes Capitel.</span></span><br /> - -Die Entscheidung.</h3> - - -<p>Trautenau verließ das Hôtel, um an den Rhein -hinab zu gehen. Wenn er aber auch sonst friedlicher, -fast sanfter Natur war, und sein Pistolenschießen nur -als eine interessante Uebung betrieben hatte, von der -er nie im Leben einen ernstlichen Gebrauch erwartete, -so konnte er jetzt kaum den anderen Morgen erwarten, -wo er Dem gegenüberstehen sollte, den er nun als -seinen ärgsten Feind kannte und haßte. Clemencens -Kuß brannte ihm ja noch auf den Lippen, und er fühlte, -daß Einer von ihnen Beiden – Reuhenfels oder er, -die Erde räumen müsse – es war nicht Platz darauf -für Beide.</p> - -<p>Mit diesen Gedanken schritt er rasch den Rhein -hinab, und es dauerte nicht lange bis er zwei nassauische -Officiere traf, die Arm in Arm am Rhein -spazieren gingen, und denen er ohne Weiteres sein Anliegen -vortrug. Er war vollkommen fremd hier und -hatte morgen früh, zum Schutz einer Dame, eine -Ehrensache auszumachen – ob ihn Einer der beiden -Herren dabei unterstützen wolle?</p> - -<p>»Wie ist Ihr Name?« frug der Eine der Officiere.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_158" title="158"> </a> -»Trautenau – ich bin Maler, und nur zum -Besuch an den Rhein gekommen.«</p> - -<p>»Und wo ist das Rendezvous?«</p> - -<p>»Dort drüben gleich hinter der Ruine; ich werde -hier morgen früh etwas vor Sonnenaufgang ein Boot -bereit halten, da wir eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang -an Ort und Stelle sein müssen.«</p> - -<p>»Ich werde Sie begleiten,« lautete die Antwort -– »mein Name ist von Klingen – haben Sie -Waffen?«</p> - -<p>»Mein Gegner wollte sie besorgen.«</p> - -<p>»Pistolen oder Säbel?«</p> - -<p>»Pistolen.«</p> - -<p>»Gut – ich werde zur Vorsorge noch meine eigenen -mitbringen, die Herren können dann wählen – -aber dann muß ich gleich nach Hause, um Alles in -Stand zu setzen.«</p> - -<p>Die jungen Leute drückten sich die Hand und Trautenau -wanderte noch schweigend und seinen Gedanken -nachhängend in die Nacht hinaus.</p> - -<p>Er dachte an Frank und was der zu dem Allen -sagen würde, wenn er es erfuhr. Der hatte ihn wohl -genug gewarnt, aber konnte er denn anders handeln, -als er es gethan? und würde sich Frank, an seiner -Stelle, nicht genau so benommen haben? Arme -<a class="pagenum" id="page_159" title="159"> </a> -Clemence! was wurde aus ihr, wenn er in dem morgenden -Zweikampf fiel? war sie dann nicht elend für -ihr ganzes Leben? Doch ihr Schicksal lag ja in Gottes -Hand, und dem wollte er vertrauen, daß er noch Alles -zum Besten führe. Wozu sich jetzt auch unnöthige -Sorgen machen, die ihn nur weich stimmten und entmannten. -Mit kaltem, ruhigen Blut mußte er an -die Arbeit gehen, denn nur dann konnte er hoffen zu -siegen.</p> - -<p>Am nächsten Morgen war er lange vor Tag auf -und in seinen Kleidern. Einen Schiffer hatte er sich -noch am vorigen Abend bestellt, der auch schon mit -seinem Boot wartete; der Officier fand sich ebenfalls -pünktlich ein, und schon näherten sie sich dem anderen -Ufer, als die ersten Strahlen der Morgensonne die -höchsten Thürme der alten Ruine vergoldeten. Sie -durften sich fest überzeugt halten, daß sie pünktlich und -auch noch vor dem Gegenpart das Rendezvous erreichen -würden, denn daß dieser schon vor ihnen aufgebrochen -sei, ließ sich nicht gut denken.</p> - -<p>Der Morgen war frisch, aber wunderbar schön -und klar, und der Thau blitzte von allen Zweigen und -Grashalmen funkelnd wieder. Aber Trautenau war -nicht in der Stimmung, das heute zu beachten, denn -er ging einen ernsten, schweren Weg, und wer wußte -<a class="pagenum" id="page_160" title="160"> </a> -denn, ob nicht sein Blut bald häßliche Flecken auf diese -Gräser werfen würde, wenn sie ihn, schwer verwundet -oder todt wieder zurück zum Ufer trugen. – Doch gewaltsam -schüttelte er alle diese Gedanken ab – er -durfte sich ihnen nicht hingeben und sein einziger -Wunsch war, jetzt den Gegner schon auf dem Platz zu -finden, um – was sie zu erledigen hatten, so rasch als -möglich abzumachen.</p> - -<p>Aber der Platz, als sie ihn erreichten, war noch -leer: nur die Vögel zwitscherten in den benachbarten -Büschen und ein Zug Krähen strich krächzend von dem -einen alten Thurm ab, hinüber dem Walde zu.</p> - -<p>»Wir sind die Ersten,« begann der Officier, als er -den Platz überschaute.</p> - -<p>»Ich hoffe, wir werden nicht lange zu warten -haben,« erwiederte Trautenau, »er versprach, pünktlich -auf dem Platz zu sein.«</p> - -<p>»Ich glaube, wir sind noch etwas vor unserer -Zeit, aber desto besser; es ist immer ein unangenehmes -Gefühl, den Gegner schon uns erwartend zu -finden.«</p> - -<p>Trautenau nickte schweigend mit dem Kopf und -schritt, die Arme verschränkt, auf dem kleinen offenen -Raum auf und ab, – aber Reuhenfels ließ lange auf -sich warten, – höher und höher stieg die Sonne, und -<a class="pagenum" id="page_161" title="161"> </a> -als der Secundant wieder und wieder auf seine Uhr -sah, rief er endlich aus:</p> - -<p>»Aber zum Teufel auch, der Herr ist jetzt wenigstens -schon drei Viertel Stunden hinter seiner Zeit. -Sind Sie auch gewiß, daß er überhaupt kommt?«</p> - -<p>»Ich habe nicht den geringsten Grund, daran zu -zweifeln, und begreife es selber nicht. Ob er am -Ende kein Boot bekommen hat?«</p> - -<p>»Zehne für eins, wenn er sie haben wollte. -Zwischen den beiden Orten wechseln ja die Boote fortwährend -herüber und hinüber. Das kann ihn nicht -zurückgehalten haben. Welche Zeit hatte er Ihnen -bestimmt?«</p> - -<p>»Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang.«</p> - -<p>»Die Sonne ist jetzt fast anderthalb Stunden hoch. -Wir wollen noch eine halbe Stunde warten, dann sind -wir aber an Nichts mehr gebunden. Sie wären jetzt -schon völlig berechtigt, den Platz wieder zu verlassen.«</p> - -<p>»Lassen Sie uns noch warten,« bat Trautenau, -und wieder schritten die beiden Männer eine Zeitlang -schweigend auf und ab, aber es erschien Niemand, ja -noch kurz vor der gestellten Frist hörten sie sogar -lautes Lachen und schwatzende Leute, eine Gesellschaft -von Reisenden, die auf die Ruine gestiegen waren und -<a class="pagenum" id="page_162" title="162"> </a> -jetzt wahrscheinlich einen Spaziergang in der Nachbarschaft -machen wollten.</p> - -<p>»Mein lieber Herr Trautenau,« sagte der Officier, -indem er seinen kleinen Pistolenkasten unter den Arm -nahm, »ich kann Ihnen bezeugen, daß Sie Ihre übernommene -Pflicht auf das Vollständigste erfüllt und -jedem Gesetz der Ehre genügt haben. Ihr Gegner ist -– aus welchem Grunde auch immer – ausgeblieben. -Lassen Sie uns zurückkehren und zusammen frühstücken, -denn ich fange an hungrig zu werden.«</p> - -<p>Zwischen den Büschen wurden in der That schon -die hellen Gestalten der Spaziergänger sichtbar; sie -durften hier gar nicht länger bleiben, wenn sie nicht -auffallen wollten und Trautenau selber schritt jetzt an -seines Begleiters Seite um die Ruine herum, damit -sie den Fremden nicht mit dem Pistolenkasten in den -Weg kamen. Unterwegs begegneten sie auch Reuhenfels -nicht und Trautenau begriff nicht, was ihn abgehalten -haben konnte; denn wie auch immer sein Charakter -sein mochte, für feige hielt er ihn nimmermehr.</p> - -<p>Unten in St. Goar angelangt, bestellten sie rasch -ein Boot und setzten sich indessen in eines der -nächsten Weinhäuser, um etwas zu frühstücken, denn -der Magen verlangte sein Recht. Trautenau, von Ungeduld -gepeinigt, wäre allerdings am liebsten gleich -<a class="pagenum" id="page_163" title="163"> </a> -nach St. Goarshausen zurückgekehrt, aber der Officier -ließ ihn nicht los und er konnte ihm die Gefälligkeit, -noch eine Viertelstunde bei ihm auszuhalten, nach der -ihm geleisteten nicht versagen.</p> - -<p>Jetzt lag das Boot bereit und brachte sie wieder -über den Strom hinüber, ihrem Ziel entgegen, und -Trautenau eilte nun, so rasch ihn seine Füße trugen, in -das goldene Roß hinüber, um dort den Major seines -Wortbruchs wegen zur Rede zu stellen.</p> - -<p>Im goldenen Roß hatte sich indessen eine andere -Scene zugetragen, die allerdings das Ausbleiben des -Herrn von Reuhenfels, soweit es seinen persönlichen -Muth betraf, vollkommen entschuldigte.</p> - -<p>Der genannte Herr war ebenfalls lange vor Tag -aufgestanden und fertig zum Aufbruch, sah seine Pistolen -noch einmal nach, ob auch Alles in tüchtigem -Stand wäre, füllte das kleine Pulverhorn, das er in -die Tasche schieben konnte, aus einem größeren, und -hatte die Uhr dabei vor sich auf dem Tisch liegen, -damit er den richtigen Moment nicht versäume.</p> - -<p>Der Hausknecht stand unten im Flur und putzte -die Stiefeln der verschiedenen Gäste, als die Hausthür -geöffnet wurde und ein Fremder – zu so früher -Stunde allerdings etwas Ungewohntes, darin erschien.</p> - -<p>»Sagen Sie mir, lieber Freund,« redete er den -<a class="pagenum" id="page_164" title="164"> </a> -Hausknecht an, »ist gestern Abend oder in der Nacht, -wohl noch ein Fremder hier im goldenen Roß angekommen, -der zu einem paar Damen gehört?«</p> - -<p>»Heute Nacht nicht, aber gestern Abend,« sagte der -Mann – »No. 11«.</p> - -<p>»In der That? Wie sah er aus, wenn ich fragen -darf?«</p> - -<p>»Na, wie soll er aussehn – wie andere Fremde -auch.«</p> - -<p>»Trägt er einen Bart?«</p> - -<p>»Ja, einen Backenbart glaub' ich – ein Bischen -breit.«</p> - -<p>»Aber keinen Schnurrbart?«</p> - -<p>»Ich glaube nicht, aber da müssen Sie seinen -Barbier fragen.«</p> - -<p>Der Fremde drückte dem Hausknecht ein Guldenstück -in die Hand, was dieser mit äußerstem Erstaunen -betrachtete.</p> - -<p>»Hollo?« rief er, »so früh Morgens? – der Tag -fängt gut an.«</p> - -<p>»Es war noch ein anderer Herr bei den Damen, -wie?« frug der Fremde weiter.</p> - -<p>Der Hausknecht nickte – »Ja und die Beiden -haben sich mit einander gezankt,« erzählte er, denn der -Gulden hatte ihn gesprächig gemacht, – »sie waren -<a class="pagenum" id="page_165" title="165"> </a> -zusammen im großen Saal allein, und wie ich den -fremden Herrn heute Morgen weckte, und ihm Licht -ansteckte, hatte er einen offenen Pistolenkasten vor -seinem Bett auf dem Stuhl stehen!«</p> - -<p>»So? – das war der Letztgekommene?«</p> - -<p>»Ja.«</p> - -<p>»Und ist er noch auf seinem Zimmer?«</p> - -<p>»Gewiß, aber lange wird er nicht mehr bleiben, -denn sonst hätte ich ihn nicht vor Tag zu wecken -brauchen.«</p> - -<p>»Da kommt Jemand die Treppe herunter.«</p> - -<p>Der Hausknecht sah hinauf, schüttelte aber mit -dem Kopf, – »ne, das ist der Andere.«</p> - -<p>Der Fremde zog sich in den Schatten des Geländers -zurück, bis Trautenau das Haus verlassen hatte; -dann folgte er ihm langsam bis zur Thür und blieb -dort wohl noch zehn Minuten stehen. Endlich pfiff er -leise auf einem kleinen Instrument und es dauerte -nicht lange, so traten auch vier andere Männer in die -Flur, von denen der Eine die Uniform der Landes-Polizei -trug.</p> - -<p>»Ich denke wir haben den Burschen,« meinte der -Fremde jetzt, zu diesem gewandt, »denn was ich eben -von dem Hausknecht gehört, läßt kaum noch einen Zweifel. -Unser Extrazug wird sich wahrscheinlich bezahlt machen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_166" title="166"> </a> -»Daß wir nur keinen Verkehrten fassen,« entgegnete -der Polizeibeamte, – »kennen Sie ihn persönlich?«</p> - -<p>»Allerdings, – Herr von Reuhenfels, der sich in -Wiesbaden »zu Berg« nannte, ist eine zu allbekannte -Persönlichkeit, und war jeden Abend in der Spielbank -zu treffen – ebenso wie seine schöne Frau.«</p> - -<p>»Und was wird mit der Dame?«</p> - -<p>»Es ist keine Anklage gegen die Dame erhoben; wir -werden sie nicht belästigen.«</p> - -<p>Oben wurde in diesem Augenblick geklingelt.</p> - -<p>»Das ist auf No. 11,« rief der Hausknecht, – »ich -soll ihm den Kasten hinunter zum Wasser tragen.«</p> - -<p>»Gut – gehen Sie hinauf,« sagte der Polizeibeamte. -»Wir sind hier um den Herrn zu verhaften. -– Sollte er Widerstand leisten, so sind Sie verpflichtet, -uns beizustehen. Sie haben mich doch verstanden?«</p> - -<p>»Ja wohl – gewiß.«</p> - -<p>»Und wenn Sie ein Wort oben äußern, könnten -Sie in die schlimmste Lage kommen, lieber Freund.«</p> - -<p>»Werde mich hüten,« brummte der Hausknecht; -der Herr da oben schien aber ungeduldig, denn eben -klingelte es zum zweiten Mal, und bedeutend stärker -als vorher.</p> - -<p>»Ja, ja, komme schon,« knurrte der Hausknecht, in -<a class="pagenum" id="page_167" title="167"> </a> -eben nicht besonderer Laune, »na ja,« murmelte er -dabei – »hier unten einen Gulden gekriegt und da -oben das Trinkgeld verloren; wo bleibt da der Profit.« -– Als guter Deutscher hatte er aber viel zu großen -Respect vor der Polizei, um irgend einen anderen Gedanken, -als den unbedingten Gehorsams zu hegen. -Was ging ihn auch der Fremde auf No. 11 an, daß er -sich seinetwegen hätte in böse Händel verwickeln lassen. -Helfen konnte er ihm doch nichts. Er ging in das -Zimmer und ließ die Thür angelehnt.</p> - -<p>»Hier mein Bursche,« begann Reuhenfels, »nimm -einmal den Kasten und komme mit mir zum Flußufer -hinunter. Ist der andere Herr schon fort?«</p> - -<p>»Oh wohl schon vor zehn Minuten.«</p> - -<p>»So? Dann habe ich keinen Augenblick Zeit mehr -zu versäumen – komm rasch.«</p> - -<p>»Sie werden wohl noch einen Augenblick entschuldigen -müssen, Herr Major von Reuhenfels,« sagte in -diesem Moment die tiefe, ernste Stimme des französischen -Polizei-Agenten, dessen Gesicht sich Reuhenfels -erinnerte oft in Wiesbaden gesehen zu haben, wenn er -auch wohl nie eine Ahnung von seiner Function hatte. -Aber er erbleichte, denn hinter diesem traten noch vier -andere Männer ins Zimmer und füllten den kleinen -Raum, während sich der Hausknecht vor das Fenster -<a class="pagenum" id="page_168" title="168"> </a> -zurückgezogen hatte, um eine Flucht dort hinaus zu verhindern.</p> - -<p>»Was wollen Sie von mir?« rief Reuhenfels, und -sein scheuer Blick verrieth deutlich genug, daß er kein -reines Gewissen hatte. »Halten Sie mich nicht auf -– ich habe eine Ehrensache abzumachen.«</p> - -<p>»Weshalb wir kommen, mein Herr,« sagte der -Beamte mit schneidender Kälte, »betrifft keine Ehrensache, -sondern einen Bubenstreich – ja vielleicht eine -Kette von solchen, und die Erledigung derselben muß -diesmal der Ehrensache vorgehen. Sie sind mein Gefangener.«</p> - -<p>»In wessen Namen?« fuhr Reuhenfels auf.</p> - -<p>»Im Namen Sr. Majestät des Kaisers der Franzosen -wegen Anklage auf Mord und Raub, wie anderer -geringfügiger Vergehen.«</p> - -<p>»Das ist eine schändliche Lüge!« rief der Verbrecher, -aber Todtenblässe deckte seine Züge und der -scheue Blick umher suchte nach Hülfe, vielleicht nach -einer Waffe. Die Pistolen im Kasten waren aber nicht -geladen und dieser auch verschlossen. Ueberhaupt gaben -ihm die Polizeibeamten keine Zeit mehr, sich lange zu -bedenken. Ehe er ernstlichen Widerstand wagen oder -nur beschließen konnte, hatten sie sich auf ihn geworfen, -und obgleich er sich jetzt wie ein Verzweifelter wehrte, -<a class="pagenum" id="page_169" title="169"> </a> -fand er sich doch machtlos in der Hand der fünf baumstarken -und gewandten Männer. Seine Kraft war -auch gebrochen. Der Schlag hatte ihn zu rasch und -plötzlich getroffen und zähneknirschend ergab er sich -endlich in sein Schicksal.</p> - -<p>Ehe man ihn abführte, verlangte er allerdings -noch einmal seine Frau zu sprechen, der Beamte erklärte -aber strengen Befehl zu haben, keine Unterredung -weiter mit irgend wem gestatten zu dürfen. Er -wußte überdies, daß ihm die Dame entflohen sei, und -also keine Gefühlsrichtung diesen Wunsch hervorgerufen -hatte. Der Gefangene wurde ohne Weiteres, -mit Allem was man bei ihm fand (seine in Wiesbaden -befindlichen Sachen waren schon mit Beschlag belegt) -in Gewahrsam gebracht, bis der nächste Zug ging und -dann fort transportirt, ohne daß die Leute im Haus -weiter erfuhren, was mit ihm geschah.</p> - -<p>Zwei Stunden später etwa kehrte Trautenau vom -anderen Ufer zurück. Schon unten in der Hausflur -erzählte ihm aber der Wirth, den er dort antraf, die -Gefangennahme des fremden, gestern Abend angekommenen -Herrn, der jedenfalls ein großes Verbrechen -begangen haben müsse, denn als man ihn auf die -Bahn gebracht, habe er Handschellen angehabt.</p> - -<p>»Und die Damen?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_170" title="170"> </a> -»Die Eine ist noch oben,« erwiederte der Wirth, -»und wartet, glaube ich, auf den nächsten Zug, oder -das nächste Boot – die andere ist mit einem jungen -Herrn, einem Franzosen, gleich nachdem der Herr -fortgeschafft wurde, oder etwa eine Stunde später, an -Bord des zu Thal gehenden Bootes gefahren. Der -Dampfer konnte ja kaum die Landung verlassen haben, -als Sie heraufkamen.«</p> - -<p>Trautenau war es, als ob das Haus mit ihm im -Kreise herum ging. – Eine der Damen hatte das -Hôtel mit einem jungen Franzosen verlassen – aber -es war doch nicht möglich – nicht denkbar, daß Clemence –</p> - -<p>Er drehte sich langsam ab und stieg die Stufen -hinauf, die zu der oberen Etage führten. Dort lag -das Zimmer, in welchem Clemence wohnte – Er -klopfte leise an.</p> - -<p>»<i>Entrez!</i>« lautete der ziemlich lebhaft gegebene -Ruf, und als er die Thür öffnete, bemerkte er Jeannette, -eben im Begriff, ihren Koffer zu packen, wie sie -mitten in der Stube stand.</p> - -<p>»Ah Monsieur Trautenau!« rief das junge -Mädchen, indem sie auf ihn zuflog und seine Hand -ergriff – »Sie sind zurückgekehrt? Ah das ist schön, -das ist brav von Ihnen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_171" title="171"> </a> -»Mein liebes Fräulein,« erwiederte Trautenau, -der das Alles noch gar nicht fassen konnte, »wollen Sie -mir freundlichst sagen, was hier vorgegangen ist, denn -der Wirth unten scheint mir verrückt – die ganze -Welt muß wahnsinnig geworden sein, oder ich bin es -am Ende selber.«</p> - -<p>»Nein, Monsieur,« rief Jeannette lebhaft aber -unter Thränen aus – »man hat Ihnen die Wahrheit -gesagt. Das Unerhörteste ist geschehen.«</p> - -<p>»Clemence ist wirklich fort?«</p> - -<p>»Heute Morgen, mit Monsieur Armand.«</p> - -<p>»Mit dem Franzosen?«</p> - -<p>»Dem ich gestern noch in der Nacht mit Lebensgefahr, -denn der gnädige Herr hätte mich umgebracht, -wenn er es erfuhr – telegraphiren mußte. Solch' -ein Undank ist noch gar nicht dagewesen.«</p> - -<p>»Sie haben ihm telegraphirt?«</p> - -<p>»Jawohl – für die gnädige Frau, und heute -Morgen, wie er ankommt, entläßt sie mich aus ihrem -Dienst und reist allein mit ihm ab.«</p> - -<p>»Clemence?«</p> - -<p>»Nun versteht sich – mit dem ersten Boot, das -stromab kam, sind sie fort. Ich habe sie selber an's -Ufer begleitet.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_172" title="172"> </a> -»Und kannte Madame jenen Monsieur Armand -schon früher?«</p> - -<p>»Ah gewiß,« rief Jeannette in Aerger über die erlittene -Unbill. »Das Ganze war eine abgekartete -Sache, und Monsieur Armand hat uns ja selber dies -Hôtel bestimmt, um auf ihn zu warten.«</p> - -<p>»So?« sagte Trautenau und es war ihm zu -Muthe, als ob ihn Jemand mit eiskalter Hand sein -Herz gefaßt und zerdrückt hätte – »also eine abgekartete -Sache – und ich selber –?«</p> - -<p>»Ah Monsieur, diese Dame ist eine durchtriebene, -gefährliche Kokette. Sie wären verloren gewesen, -wenn Sie vollständig in ihr Netz fielen.«</p> - -<p>»Wahrhaftig?«</p> - -<p>»Was ich Ihnen sage – diesen Armand liebt sie -wie rasend. Mit Ihnen hat sie nur ihr Spiel getrieben, -weil sie Jemanden brauchte, der den Verdacht -ihres Gatten ablenkte.«</p> - -<p>»In der That?«</p> - -<p>»Und mich – die mit solcher Treue und Aufopferung -an ihr hing, jetzt mit so schmählichem Undank zu -lohnen; oh es ist schändlich! abscheulich!«</p> - -<p>Trautenau wandte sich langsam ab und wollte das -Zimmer verlassen, als ihn Jeannette zurückhielt.</p> - -<p>»Und was gedenken Monsieur jetzt zu thun?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_173" title="173"> </a> -»Ich? – oh, Nichts, ich darf Madame natürlich -nicht mehr belästigen, und denke auch gar nicht daran. -Ich werde in meine Heimath zurückkehren.«</p> - -<p>»Und was wird aus mir?« rief Jeannette, indem -sie ihn bittend ansah – »wollen Sie mich, ein armes, -unbeschütztes Mädchen hier allein in dem fremden -Land zurücklassen?«</p> - -<p>»Hat Sie Madame auch um Ihren – Lohn betrogen?«</p> - -<p>»Nein das nicht – Monsieur Armand ist reich; er -war generös.«</p> - -<p>»Und was verlangen Sie noch von mir?«</p> - -<p>»Ist es Sitte in Deutschland, daß man unbeschützte -Frauen allein reisen läßt?«</p> - -<p>»Mein liebes Fräulein,« antwortete Trautenau, -dem diese kaum versteckte Zumuthung doch ein wenig zu -stark schien, – »Sie haben der gnädigen Frau getreu -geholfen und beigestanden – es war an ihr, Sie -dafür zu belohnen. Sie werden von mir hoffentlich -nicht verlangen, daß ich mich zum Cavalier ihrer Kammerfrau -aufwerfe, da sie selber es vorgezogen, einen -anderen Schutz zu suchen. Ich wünsche Ihnen eine -angenehme Reise –« und sich abwendend schritt er -aus der Thür und hörte nur noch den Ausruf der -Empörung Jeannettens: »Oh diese Deutschen – diese -<a class="pagenum" id="page_174" title="174"> </a> -Menschen von Holz!« – Aber er war geheilt – vollständig -geheilt von seiner tollen Leidenschaft, und als -er etwa drei Wochen später nach M– zurückkehrte, -konnte er Frank sein Abenteuer – oder vielmehr seine -Kette von Abenteuern mit lachendem Munde erzählen.</p> - -<p>Drei Monat später druckte ein deutsches Blatt in -M– einen Artikel aus einer französischen Zeitung ab -– einen Criminalfall, der für M– besonderes Interesse -hatte. Es war die Verurtheilung eines Deutschen, -eines Herrn von Reuhenfels, der beschuldigt und überführt -worden war, seinen Schwiegervater, einen geborenen -Franzosen Monsieur Joulard, mit dem er -früher Wechselfälschungen und anderen Betrug getrieben, -in Paris ermordet, und in einem Keller vergraben -zu haben. Er hatte das Verbrechen eingestanden -und war, da ein vorbedachter Mord nicht nachgewiesen -werden konnte, zu lebenslänglicher Galeerenstrafe -verurtheilt worden.</p> - -<p>Von Clemence hörten sie Nichts wieder. Möglich, -daß sie als Madame Armand irgendwo in Frankreich -lebte. Trautenau dachte nicht mehr an sie – er hatte -ihr Bild, die Copie, die er damals behalten, gleich -nachdem er nach M– zurückkehrte, zerstört, aber mit -desto größerer Vorliebe zeichnete und malte er sich in -seinem neuen Atelier den Major in der alten Staffage -<a class="pagenum" id="page_175" title="175"> </a> -an die Wand, und wo ihm einmal wieder das Herz mit -dem Verstand durchgehen wollte, bedurfte es nur eines -Blickes auf das Bild, um all die alten, fast begrabenen -Erinnerungen wieder wach zu rufen. Damit -war denn auch jede Gefahr beseitigt, denn er hatte sich -den Teufel als Schutzengel an die Wand gemalt.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_176" title="176"> </a> -<span class="ge">Booby-island.</span><br /> - -<span class="subheader">Australische Skizze.</span></h2> - - -<p>Wenn der Leser die Karte von Australien in die -Hand nimmt, so sieht er, daß im Norden dieses Welttheils, -zwischen Australien und der großen Insel Neu-Guinea, -eine schmale Meerenge hindurchführt, die noch -außerdem mit zahlreichen Punkten – nichts als bösartige -Klippen – gesprenkelt erscheint. In der That füllen -eine Menge von Korallenriffen und Sandinseln -diesen schmalen Meeresarm aus, und nur einzelne -Passagen mit kaum fünf oder sechs Faden tiefem Fahrwasser -ziehen sich hindurch und müssen von den Schiffen -sorgfältig eingehalten werden. Da diese aber, -wenn sie aus dem Stillen in den Indischen Ocean -wollen, durch die Meerenge ein tüchtig Stück Weg abschneiden, -so benutzen sie doch häufig den Weg, und bei -ruhigem Wetter und einiger Vorsicht ist auch nicht -eben viel Gefahr dabei.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_177" title="177"> </a> -Anders stellt sich freilich die Sache, wenn gerade -an der Einfahrt, besonders von Osten her, wo die -Passage nicht so leicht zu finden ist, stürmisches Wetter -einsetzt. Manches arme Schiff ist dann schon an -jenen sogenannten <i>barrier-reefs</i> (Riffbarrière) gescheitert, -und die Mannschaft hat sich, wenn sie nicht -gar an einer zu bösen Stelle strandete, in ihren Booten -retten müssen.</p> - -<p>Einmal erst in der Meerenge – welche die Torresstraße -genannt wird – und die Boote haben auch -in der That Nichts mehr von den selbst stürmischen -Wogen des Oceans zu fürchten, da diese Korallenriffe -die schwere Dünung vollständig abhalten. Sie befinden -sich in der Meerenge selber in ruhigem glatten -Wasser, und eine Menge Inseln liegen dort überall, -auf denen sie selbst landen können. Freilich bieten -diese Inseln auch gar Nichts weiter als eben Land, -und nur einige der größten haben dürftige Quellen. -Zu gewissen Jahreszeiten wachsen aber auch auf den -meisten sehr delikate, dattelähnliche Früchte, die wie -unsere deutschen Pflaumen aussehen, und mit denen -und den zahlreichen Fischen im seichten Wasser könnten -sich Schiffbrüchige eine Zeitlang das Leben fristen.</p> - -<p>Stranden sie freilich zu einer Zeit, wo diese -Früchte nicht reif sind, und haben sie – wenn sie -<a class="pagenum" id="page_178" title="178"> </a> -rasch von Bord flüchten mußten – keine Gewehre bei -sich, um von den dort häufig vorkommenden Tauben -zu erlegen, so sind sie sehr übel daran, und ihre einzige -Aussicht bleibt, »Booby-island« so bald als möglich -zu erreichen.</p> - -<p>Alle diese Inseln – selbst Mount Adolphus, die -größte von ihnen mit tüchtigen Hügelrücken, sind unbewohnt, -und nur in gewissen Zeiten kommen einzelne -australische Familien oder Stämme vom Continent -herüber, um hier zu fischen. Selbst aus dem ostindischen -Archipel, von Timor-laut und anderen kleineren -Inseln segeln mit dem günstigen Monsuhn (temporären -Wind) die Malayen herüber, um hier dem Fischfang -obzuliegen, und kehren erst, wenn diese, regelmäßig -fünf Monate wehende Luftströmung nach der -entgegengesetzten Himmelsrichtung umspringt, in ihre -Heimath zurück.</p> - -<p>Die ganze Torresstraße ist derart mit kleinen Inseln -angefüllt, und die westlichste davon, die schon eine -ziemliche Strecke draußen im indischen Ocean und von -sehr tiefem Wasser umgeben liegt, ist Booby-island, -nach den von den Engländern <i>boobies</i> genannten -großen Seemöven so getauft.</p> - -<p>Sie besteht allerdings nur aus kahlem Felsgestein, -mit immergrünen Rankgewächsen überwuchert, zwischen -<a class="pagenum" id="page_179" title="179"> </a> -denen nur einige niedere, kaum sechs Fuß hohe -Büsche hervorragen. Kein Baum giebt dort Schutz -gegen die brennenden Strahlen der Sonne, keine -Quelle entspringt dem dürren Boden, keine Frucht -wächst darauf, kein Fischfang ist selbst in dem tiefen -Wasser möglich, und da die Insel noch dazu weit ab -vom festen Lande und den übrigen Inselgruppen liegt, -so fanden weder australische Eingeborene noch die in -der Nähe vorbeifahrenden Malayen je eine Veranlassung, -dort zu landen und den Platz näher zu untersuchen.</p> - -<p>Englische Seefahrer hatten das aber schon längst -gethan und eine besondere Eigenthümlichkeit dieses -kleinen Eilands entdeckt, nämlich eine tief in den Fels -hineingehende, sehr geräumige Höhle, die aber durch -vorspringende Zacken ziemlich versteckt lag. Längst -schon hatte man dabei das Bedürfniß gefühlt, in einer -Gegend, wo Schiffbrüche gar nicht zu den Seltenheiten -gehörten und wenigstens kein Jahr verging, daß -nicht ein oder das andere Fahrzeug auf oder zwischen -den Korallen scheiterte, irgendwo ein Depot anzulegen, -in welchem die gerettete Mannschaft Wasser und -einige Provisionen finden konnte.</p> - -<p>Dazu erwies sich eben dies Booby-island ganz -vortrefflich, und die praktischen Engländer ergriffen -<a class="pagenum" id="page_180" title="180"> </a> -den hier gebotenen Vortheil auch ohne Weiteres. In -den englischen Zeitungen wurde bekannt gemacht, daß -jene Insel für diesen Zweck benutzt werden solle, und -dieselbe dem Schutz und der Pflege englischer Seeleute -empfohlen. Vorbeilaufende Schiffe legten dann dort -bei und schafften Fässer mit Wasser und Schiffszwieback, -gesalzenes Fleisch, trockenes Obst und verschiedene -andere Lebensmittel in die Höhle. Selbst eine kleine -Anzahl Flaschen spirituoser Getränke wurde nicht -vergessen, wie etwas Tabak für schiffbrüchige Seeleute. -Oben auf dem Felsen befestigte man dann -noch eine kleine Flagge und etablirte eine »Postoffice« -– freilich ohne irgend einen Beamten oder Aufseher.</p> - -<p>Es stand dort oben nämlich ein, nur durch ein -einfaches Bretterdach gegen den Regen geschützter -Kasten – eine der gewöhnlichen starken und angestrichenen -Seekisten, wie sie Matrosen statt Koffer gebrauchen. -Darinnen lag etwas Papier, Bleistifte, -Oblaten, Couverte etc., und ein Schild daneben deklarirte -den Platz als »Postoffice«, und deutete an, daß -an der Süd-Ostseite der Insel in einer Höhle Provisionen -lägen – falls dort landende Schiffbrüchige -sie nicht schon vorher gefunden hatten.</p> - -<p>Fahrzeuge, welche die Torresstraße, von Osten -<a class="pagenum" id="page_181" title="181"> </a> -kommend, passirt hatten, legten nun hier bei, sandten -ein Boot an Land und hinterließen in diesem merkwürdigen -Postbureau Namen und Zeit ihrer Durchfahrt, -und das nächste nach Sydney durchgehende -Schiff fand dann den Brief, nahm ihn mit und -brachte dadurch die Nachricht nach dem Port viel rascher, -als dies auf eine andere Weise möglich gewesen -wäre.</p> - -<p>So bestand diese Einrichtung viele lange Jahre, -und noch im Jahre 58 hatte kein australischer Wilder -den Platz betreten oder, wenn so, die ziemlich versteckte -Höhle entdeckt. Die dort eingelegten Provisionen blieben -wenigstens unberührt, und wenn auch einzelne der -dort aufgehäuften Sachen, z. B. manche Fässer mit -gepökeltem Fleisch in dem heißen Clima verdarben, so -wurden sie doch immer wieder von Zeit zu Zeit durch -andere frische ersetzt, und manche Bootsmannschaft, -die sich bis hierher gerettet, segnete die wackeren Geber, -die mitten im Ocean einen Tisch für sie gedeckt -und ihren Hunger und Durst in einer Wüste gestillt -hatten.</p> - -<p>Es war im November des Jahres 59, daß zuerst -ein Canoe der Australier dorthin, vielleicht auf einer -Entdeckungsreise kam. Möglich, daß sie untersuchen -wollten, ob dies kleine Eiland doch vielleicht irgend -<a class="pagenum" id="page_182" title="182"> </a> -eine Art Frucht trage – denn auf den anderen Inseln -waren die Früchte in dem Jahr nicht gerathen, möglich, -daß sie nur Möveneier sammeln oder den Versuch -machen wollten, in der dortigen Gegend zu fischen, -kurz sie landeten, und ein englisches, gerade vorbeikommendes -Fahrzeug sah die dunklen Gestalten kaum -oben auf dem kahlen Felsen, als es auch näher heran -hielt, einen seiner kleinen Böller löste und zwei Boote -absandte, um die Wilden zu vertreiben. Es bedurfte -aber der Boote nicht einmal; schon bei dem abgefeuerten -Schuß hatten sich die erschrockenen Eingeborenen -Hals über Kopf den Felsen hinunter geworfen, sprangen -in ihr Canoe und ruderten in wilder Hast dem -Festlande zu. Die Boote folgten ihnen wohl noch -eine Strecke, aber das Canoe konnten sie nicht einholen; -wie ein Pfeil glitt es über's Wasser, und da sie -sich auch nicht zu weit von ihrem Schiff entfernen -durften, kehrten sie auf die Insel zurück, um zu untersuchen, -ob die schwarze, diebische Bande dort schon -Schaden angerichtet habe.</p> - -<p>Den Kasten oben <em class="ge">mußten</em> sie gefunden haben, -denn das kleine ihn umgebende Mauerwerk mit dem -Bretterdach darauf wie der Fahnenstange daneben – -an der der Wind freilich nur noch ein paar dünne verbleichte -Lappen gelassen hatte, war zu deutlich erkennbar; -<a class="pagenum" id="page_183" title="183"> </a> -aber sie konnten ihn nicht berührt haben, denn -Alles fand sich noch in vollständiger Ordnung wie -vorher, und die Höhle hatten sie gar nicht entdeckt.</p> - -<p>Möglicherweise daß sie den Kasten oben für irgend -eine Begräbnißhütte der »bleichen Männer« gehalten, -für irgend einen Zauber auch vielleicht, denn oben im -Sand waren die Spuren ihrer nackten Füße überall -zu erkennen, nur nicht unmittelbar an der »Postoffice«, -die sie, wie man deutlich sehen konnte, scheu umkreist -hatten, ohne ihr näher als zehn oder zwölf Schritte -zu kommen.</p> - -<p>Die Höhle unten konnten sie aber keinenfalls gefunden -haben, denn dort hätten sie sich schwerlich gescheut, -zuzulangen, da sie in dieser Art sonst gar nicht -blöde sind. Die Gefahr war deshalb noch für dießmal -abgewandt und <em class="ge">dies</em> Canoe kehrte sicher nicht so rasch -dahin zurück – und andere? – Man mußte der -Sache eben ihren Lauf lassen, denn es gab keinen -Schutz für die dort deponirten Provisionen, als eben -die öde und entfernte Lage der Insel selber. Die -Boote fuhren deßhalb noch einmal zum Schiff, brachten -ein Faß frisches Wasser herüber und gingen dann -an Bord, um noch vor Nacht den günstigen Wind zu -benutzen und ein Stück in den indischen Ocean hineinzukommen. -<a class="pagenum" id="page_184" title="184"> </a> -Oben in den Kasten hatte der Steuermann -aber für nachkommende Schiffe die Notiz aufgeschrieben, -daß er australische Wilde auf der Insel -gefunden und sie davon verjagt habe. Andere Fahrzeuge -wurden gebeten, ein wachsames Auge auf die -Canoe's zu halten.</p> - -<p>Ende November und Anfang December legten -dort noch vier oder fünf fremde Schiffe bei und notirten, -daß sie Alles in Ordnung und keine Spur von -Indianern gefunden hätten.</p> - -<p>Ende December, und die letzte günstige Zeit benutzend, -von Ost nach Westen die Straße zu passiren, -lief ein kleiner englischer Schooner gegen die Barrierreefs -auf, als es gegen Abend tüchtig zu wehen anfing -und eins der hier sehr häufigen und starken Gewitter -von Süden herüber zog. Der Kapitän hoffte -noch Raines Einfahrt zu erreichen, aber die Nacht -brach an, ehe er den auf Raines Eiland errichteten -hölzernen Thurm erkennen konnte. Nur die Brandung -an den Riffen selber war deutlich sichtbar und das -dumpfe Brausen der sich überstürzenden Wogen drang -klar und deutlich herüber. Nach seiner Mittags genommenen -Observation mußte er sich aber etwa auf -der Höhe der Einfahrt oder wenigstens dicht davor befinden, -und um nicht durch das Wetter zu weit nach -<a class="pagenum" id="page_185" title="185"> </a> -Norden aufgetrieben zu werden, hielt er ein wenig -von den Korallenriffen ab und legte dann bei, denn -zum Ankern ist die See dort viel zu tief.</p> - -<p>Nicht lange dauerte es, so fegte der Sturm über -das Meer, wühlte die Wogen auf und jagte die -Kämme derselben wie dünnen Wasserstaub über die -kochende Fläche. Blitze zischten dabei, der Donner -rollte und es wurde eine bitterböse Nacht, so daß das -kleine, außerdem leicht geladene Fahrzeug, nur vor -seinem Vorstengenstagsegel liegend, kaum die Nase den -immer wilderen Sturzseen entgegenhalten konnte. -Gegen Mitternacht drehte sich der Wind nach Süd-Ost -und dann fast nach Ost herum, und der Steuermann -rieth jetzt, ernstlich abzufallen, um lieber aus -ihrem Cours zu treiben, als der dringenden Gefahr -ausgesetzt zu sein, an die Riffe geworfen zu werden; -der Kapitän sträubte sich dagegen und da er selber -von zwölf bis vier Uhr die Wacht hatte, bedeutete er -seinem Offizier, er würde sehen wie sich das Wetter -mache, und wenn es noch eine Stunde so anhalte, die -Mannschaft an Deck rufen lassen.</p> - -<p>Der Sturm ließ in dieser Zeit allerdings etwas -nach und der Himmel zeigte schon an einigen Punkten -wieder Sterne, aber der Wogengang hatte sich indessen -auch geändert und drängte das kleine, tanzende Fahrzeug -<a class="pagenum" id="page_186" title="186"> </a> -mehr und mehr nach Lee herüber und den gefährlichen -Barrier-reefs zu.</p> - -<p>Gegen zwei Uhr sprang der Steuermann an Deck; -er hatte nicht schlafen können und das Toben der gar -nicht mehr so fernen Brandung unten in seiner, sogar -vom Lande abliegenden Coje gehört.</p> - -<p>»Kapitän, um Gottes willen, ich glaube, wir treiben -auf die Riffe!«</p> - -<p>»Noch nicht, Mr. Brown, aber ich denke selber, -daß es Zeit wird, abzufallen; der Wind hat etwas -nachgelassen und wir dürfen ein wenig Leinwand zeigen. -Rufen Sie Ihre Wacht an Deck.«</p> - -<p>Die Wacht kam, schlaftrunken nach der kurzen -Rast, langsam herausgeklettert; der Bug fuhr, dem -Steuer rasch gehorchend, herum, und die Leute hingen -eben an den Fallen, um die Gaffel des schweren -Schoonersegels aufzuhissen, als es von Osten her mit -erneuter Wuth über die See brauste.</p> - -<p>Es war »eine frische Hand am Blasbalg«, wie -die Seeleute sagen, und in der Dunkelheit hatten sich -die dort schon lange aufquellenden Wolkenmassen nicht -erkennen lassen. Wohl versuchten jetzt trotzdem die -Leute ihr Aeußerstes, das Segel zu setzen, aber die -Flanke dem Sturm zugedreht, war es der überdieß -schwachen Bemannung nicht möglich, mit so furchtbarer -<a class="pagenum" id="page_187" title="187"> </a> -Gewalt legte sich riesenschwer der Wind hinein. -Aufdrehen konnten sie auch nicht mehr dagegen, und -abfallen vor dem Sturm, den Riffen gerade entgegen? -– und doch blieb nichts Anderes übrig; der Versuch -mußte wenigstens gemacht werden.</p> - -<p>Zu spät! »Brandung voraus!« schrie einer der -Leute, der nach oben gelaufen war, um eins der Falle -klar zu machen, und »Brandung in Lee!« tönte der -Schreckensruf dazwischen. Die Leute ließen die Taue -los, während sich der Sturm in dem nur etwas aufgehißten -Segel fing – der Kapitän sprang selber zum -Rad, um den Versuch zu machen, das seinem Geschick -verfallene Fahrzeug von der gefährlichen Küste abzudrehen -– <em class="ge">zu spät!</em> Die Wogen hatten es gefaßt und -jagten es mehr und mehr dem schon deutlich und unheimlich -leuchtenden Gürtel der Brandungswellen zu; -der Bug gehorchte zwar noch einmal dem Steuer, aber -ein anderer Windstoß schlug das Segel zurück. Der -Kapitän schrie seine Befehle über Deck, aber Niemand -verstand ihn in dem Aufruhr der Elemente, in dem -furchtbaren Toben der Brandung. – Willenlos setzte -das Fahrzeug nach Lee zu und jetzt – eine einzige -wilde Brandungswoge jagte über Deck, der Schooner -wurde wie von einer Riesenfaust emporgehoben, im -nächsten Augenblick krachten Masten und Balken – -<a class="pagenum" id="page_188" title="188"> </a> -ein dumpfer Stoß folgte, und der Steuermann, der -das Gangspill in dem entscheidenden Moment umklammert -hatte, fühlte plötzlich, daß das <em class="ge">Wrack</em> in -ruhigem Wasser lag und dieselbe Brandungswoge, die -eben noch über ihr Deck gestürzt, das gescheiterte Fahrzeug -nicht mehr erreichen konnte.</p> - -<p>Wie es geschehen war, wer hätte es sagen können; -möglich schien es, daß die Woge, die den Schooner zertrümmern -wollte, ihn selber über eines der niedern -Riffe hinübergehoben und dadurch, für den Augenblick -wenigstens, in Sicherheit gebracht hatte; möglich auch -daß der Kiel zufällig eine Lücke in den Korallen getroffen -und hindurchgeschoben war. Jedenfalls saßen -sie fest in die Riffe eingekeilt, und an ein Wiederhinauskommen -in tiefes Wasser mit dem verkrüppelten -Fahrzeug durfte nicht gedacht werden.</p> - -<p>Jetzt sammelte sich die Mannschaft auf dem etwas -höher liegenden Quarterdeck, denn wie sich nachher -zeigte, war der Bug zertrümmert und das Wasser -schon in den innern Raum eingestürzt – zwei Mann -fehlten; die Brandungswelle mußte sie über Bord gewaschen -haben, und dann war freilich an Rettung -nicht zu denken; der Kapitän hatte sich, von der Fluth -emporgehoben, noch in der einen »Want« gefangen -und dort angeklammert; die Meisten schienen nur -<a class="pagenum" id="page_189" title="189"> </a> -wie durch ein Wunder dem sicheren Verderben entgangen.</p> - -<p>Vorderhand ließ sich indessen gar Nichts thun, es -war stockfinster, der Sturm heulte, und das einzige -Licht, was einen matten Dämmerschein über Deck -warf, kam von dem leuchtenden Kamm der Brandungswelle -herüber. Den Tag mußten sie jedenfalls -abwarten, und nur darüber suchten sie sich vorderhand -zu vergewissern, ob sie noch der Gefahr des Sinkens -ausgesetzt seien. Dem schien aber nicht so; das -Hintertheil des Schooners saß fest auf den Klippen, -ja sogar in einer Korallenspalte drin, denn kaum -zwei Fuß unter dem Wasserspiegel fühlten sie mit -dem ausgeworfenen Loth an der Starbordseite -Grund, während der Top des großen umgestürzten -Mastes auf einer hohen Sandklippe lag, so daß man dieselbe -auf diesem hin recht gut hätte erreichen können.</p> - -<p>Erschöpft und aufgerieben warfen sich die Leute -jetzt an Deck, um den nicht mehr so fernen Tag zu erwarten; -der Wind heulte noch, der Donner rollte und -ein prasselnder Regen schlug nieder. Was that's – -eines der Segel schnitten sie von dem Mast herunter, -um sich dadurch nur etwas gegen den Regen zu -schützen, und sanken dann bald in einen unruhigen, -kurzen Schlaf.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_190" title="190"> </a> -Und der Morgen kam endlich, schien aber keineswegs -eine Erleichterung zu bringen, sondern ließ sie -nun erst das Trostlose ihrer Lage vollständig übersehen.</p> - -<p>Der große Mast hatte in seinem Sturz die auf -Deck befestigte Barkasse vollständig zerschmettert, so -daß an eine Reparatur derselben nicht gedacht werden -konnte; das ganze Hintertheil derselben war abgedrückt, -und es blieb ihnen nur zur Rettung die kleine -Kapitäns-Jölle, die hinten am Heck hing und sich noch -glücklicherweise in brauchbarem Zustande befand – -aber wie diese in offenes Wasser bringen? – Nach -See zu war es ganz unmöglich, denn keine Lücke selbst -ließ sich in der wälzenden Brandungswoge erkennen, -die jetzt für einen Moment von den zackigen Klippen -zurückwich, um im nächsten mit neugeschaffener Gewalt -wieder darüber hinzustürzen. Nach dem Binnenwasser -der Riffe zu lagen hingegen ganze Reihen -starrer Felsen, hie und da von grünem, und oft von -blauem, also sehr tiefem Wasser unterbrochen; welche -Gefahren es aber barg, ließ sich noch nicht einmal erkennen, -da es vom heftigen Winde gekräußt gehalten -wurde. – Und sollten sie hier an Bord -bleiben? Es wäre nutzlos gewesen, denn selbst ein -vorbeisegelndes Schiff hätte ihnen durch diese Brandung -<a class="pagenum" id="page_191" title="191"> </a> -hin keine Hülfe bringen können; sie mußten sich -selber helfen.</p> - -<p>Vor allen Dingen war es nöthig, den inneren -Raum zu untersuchen, ob sie noch möglicherweise Provisionen: -Wasser und Zwieback bekommen konnten. -Der Koch und der Schiffsjunge – der Stewards-Dienste -versah – wurden zu dem Zweck beordert, -nachzusehen, während der Kapitän in seiner eigenen -Kajüte die Schiffspapiere und sonstige Werthsachen zu -bergen suchte. Glücklicherweise fand sich ein Korb -mit Zwieback, aber von eingeschlagenem Seewasser -ganz aufgeweicht; es war aber immer besser als -Nichts. Doch zum Wasser konnten sie nicht kommen, -denn die zwei Fässer, die an Deck geschnürt gelegen -hatten, waren mit der Kambüse und dem ganzen Vordertheil -durch die eine Sturzsee rein über Bord gewaschen -worden. Gegen zehn Uhr fiel aber wieder -ein kleiner Regenschauer und das eine Segel wurde -jetzt aufgespannt, um so viel als möglich davon aufzufangen -– es genügte freilich noch immer nicht. Dann -packte der Kapitän ein, was er an Blechbüchsen für -den Kajütstisch oben in seiner Coje hatte, und -brachte doch so viel zusammen, um für kurze Zeit gegen -den <em class="ge">Hunger</em> geschützt zu sein. Vielleicht half ihnen dann -der Himmel mit einem frischen Regenschauer weiter.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_192" title="192"> </a> -So lange der Sturm wüthete, ließ sich nichts unternehmen, -obgleich sie im Binnenwasser keine unruhige -See zu fürchten hatten. Gegen Mittag klärte -sich aber der Himmel auf; der Wind ließ nach, und -etwa vier Uhr Nachmittags, während die See noch da -draußen unruhig wogte und bäumte, regte sich schon -kein Lüftchen mehr und das Binnenwasser war spiegelglatt.</p> - -<p>Jetzt gingen sie an die Arbeit, um das kleine Boot -flott zu machen und ihre Ladung wenigstens erst einmal -auf die Sandbank hinüber zu schaffen. Das ging -verhältnißmäßig rasch; auch über den Sand weg -konnten die Leute das leichte Boot tragen und ziehen -und auf der andern Seite in's Wasser lassen. Weit -schwieriger war es aber, über die nächste Reihe von -Korallenklippen hinüberzukommen, die mit ihren -schlüpfrigen und spitzen Zacken keinen festen Fußhalt -gestatteten, und da sie hier ihre Fracht nicht ausladen -konnten, sahen sie sich genöthigt, eine lange Strecke -daran hin zu fahren, bis sie endlich zu einer Stelle -kamen, wo sie im Stande waren, sich hindurchzuzwingen.</p> - -<p>Jetzt hatten sie etwa fünfzig Schritt breit glattes -Wasser und dann wieder einen Korallengürtel, der -aber gefährlicher aussah als er war. Er bestand nur -<a class="pagenum" id="page_193" title="193"> </a> -aus neben einander liegenden Klippen und bot zahlreiche -Durchfahrten, und die kleine Bootsmannschaft, -die aus neun Personen bestand, ruderte nun bei gänzlicher -Windstille auf eine hohe Sandbank zu, die sie -für das feste Land hielten. Glücklicherweise war es -nur eine etwa hundert Schritt breite Barre, und dahinter, -als der Steuermann hinauflief, um sich von -oben aus umzusehen, entdeckte er das offene Wasser -der Binnenriffe, von einzelnen Inseln und Sandbänken -nur überstreut.</p> - -<p>Hier blieb ihnen allerdings noch eine tüchtige -Arbeit, das Boot und dessen Ladung hinüberzuschaffen, -und es war dunkle Nacht, ehe sie damit fertig wurden, -aber dann stand ihrer weiteren Fahrt auch kein Hinderniß -mehr im Wege. Die Nacht lagerten sie auf -der Sandbank, und der nächste Morgen fand sie schon -beim ersten Schimmer des anbrechenden Tages unterwegs, -um vor allen Dingen erst einmal in das Fahrwasser -der Schiffe zu kommen und die Möglichkeit zu -haben, von einem oder dem anderen vorübersegelnden -aufgenommen zu werden.</p> - -<p>Instrumente und Compaß hatte der Kapitän gerettet, -und die Karte der Straße ebenfalls, da diese -schon zum Gebrauch bereit hinter dem Spiegel in der -oberen Kajüte stak. Außerdem fehlte ihnen aber jeder -<a class="pagenum" id="page_194" title="194"> </a> -Leitfaden, denn Keiner der Leute war je diesen Weg -gekommen. Nur der Koch wollte einmal eine Fahrt -durch die Torresstraße gemacht haben, da er sich aber -nicht um die Führung des Schiffes zu bekümmern -brauchte, wußte er auch sehr wenig darüber anzugeben. -Nur auf das erinnerte er sich, daß Booby-island -draußen vor den Klippen im freien Wasser lag, und -daß sie damals dort beigelegt und ein Faß Wasser, -ein Faß Zwieback und ein halb Faß gepökeltes -Schweinfleisch an Land geschickt hätten. Im Boot -war er aber selber nicht mit gewesen und wußte deßhalb -auch nichts über die eigentliche Beschaffenheit der -Insel zu sagen. Seiner Aussage nach sollte es nur -ein großer Felsklumpen sein, um welchen eine Unmasse -großer schwarzer Möven herumschwärmte; das war -Alles. Uebrigens behauptete er, ihn augenblicklich -wieder zu erkennen, sobald er ihn nur sehen würde.</p> - -<p>Der Kapitän hatte indessen auch nicht versäumt, -die Schiffs<em class="ge">waffen</em> mitzunehmen, da die australischen -Eingeborenen in einem wohlverdienten schlechten Ruf -standen und man gar nicht wissen konnte, in welcher -Art man mit ihnen zusammentraf. Uebrigens gedachte -er nicht, sie muthwillig aufzusuchen, und an eine Insel -zu landen, von welcher man sich nicht vorher sorgfältig -überzeugt hatte, daß keine Eingeborenen an Land oder -<a class="pagenum" id="page_195" title="195"> </a> -wenigstens in unmittelbarer Nähe wären. Er hatte zu -viel über ihre hinterlistige Schlauheit und Grausamkeit -gehört, um sie nicht zu fürchten und jeden Zusammenstoß -mit ihnen ängstlich zu vermeiden.</p> - -<p>Die Aussagen des Kochs, der als einzige Autorität -in diesem Meere galt, dienten ebenfalls nicht dazu, ihn -zuversichtlicher zu stimmen, denn der Bursche – nach -Art solcher Leute, die alles Gehörte entsetzlich übertreiben -und wo möglich noch ihren Theil dazu erfinden -– wußte nicht genug von den Scheußlichkeiten zu -berichten, mit welchen sie Schiffbrüchige, die in ihre -Händen fielen, behandelten. Daß sie dieselben schließlich -auffraßen, war noch das Wenigste.</p> - -<p>Zu Mittag legten sie an einer nackten Sandbank -an und der Kapitän nahm hier erst einmal seine Observation, -die ihm zeigte, daß sie sich nördlich von der -eigentlichen Einfahrt befänden und deßhalb mehr nach -Süden hinunter halten mußten. Sie sahen auch selber, -daß dies kein Kanal für größere Schiffe sein -konnte, denn mehrmals hatten sie Plätze passirt, in -denen sie die Korallen so dicht und deutlich unter sich -erkannten, daß man glauben mußte, man könne sie -mit der Hand ergreifen. Allerdings waren da noch -immer zwei bis drei Faden Wasser, aber oft trafen sie -auch Klippen, die bis unter die Oberfläche reichten -<a class="pagenum" id="page_196" title="196"> </a> -und zwischen denen sie sich selbst mit dem schmalen -Boot kaum hindurchwinden konnten.</p> - -<p>Erst gegen Abend erreichten sie eine der wirklichen -Passagen und blieben die Nacht auf einer kleinen, nur -mit niederen Büschen bewachsenen Insel, wo sie wenigstens -nichts von feindlichen Indianerstämmen zu -fürchten hatten – aber kein Regen fiel und ihr spärlicher -Wasservorrath ging zu Ende.</p> - -<p>Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch ruderten -sie weiter und setzten auch das mitgenommene Segel, -aber die Brise war sehr schwach und trieb sie, allerdings -mit günstiger Strömung, nur langsam vorwärts. -Wieder kamen sie aber hier, irregeführt durch die verschiedenen -Inseln und Sandbänke, in einen falschen -Kanal und erreichten erst lange nach Dunkelwerden -die größere Insel Mount Adolphus, wo sie wenigstens -Wasser zu finden hofften, denn das vom Regen -aufgefangene war in der glühenden Hitze vollständig -ausgetrunken.</p> - -<p>Allerdings befinden sich dort dicht am Ufer in dem -einen Felsen ein paar kleine Süßwasserquellen, wie sie -aber den Platz erreichten, war hohe Fluth, und weiter -in das Land wagten sie sich nicht hinein, da sie in den -schmalen Thälern in einen Hinterhalt zu fallen -fürchteten.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_197" title="197"> </a> -Einige Früchte hatten sie allerdings auf mehreren -der kleinen Zwischeninseln aufgelesen, auch Eier gefunden, -welche die Möven in den heißen Sand legen, -um sie dort von der Sonne ausbrüten zu lassen – -sonst nichts. Tauben, eine weiße prächtige Art mit -dunkelbrauner Abzeichnung, sahen sie genug und schossen -auch ein paar Mal danach, aber ohne irgend welchen -Erfolg, denn ihre Munition bestand nur in Rehposten, -nicht in Schroth, und die alten Musketen -schossen nicht so sicher, daß sie einen so kleinen Gegenstand -wie eine Taube damit aus den hohen Bäumen -hätten herausholen können.</p> - -<p>Auf Mount Adolphus, wo sie aber nur beilegten -und sich nicht einmal getrauten das Boot zu verlassen, -blieben sie aber wieder nur auf den Rest ihrer mitgenommenen -Vorräthe angewiesen, und ihre einzige -Hoffnung lag jetzt darin, jenes Booby-island zu erreichen -und von den dort befindlichen Provisionen so -lange zu zehren, bis sie eben ein durch die Torresstraße -kommendes Schiff anrufen und mit diesem -Batavia oder Singapore erreichen konnten.</p> - -<p>Der Kapitän wußte übrigens von hier aus, da er -die genaue Beschreibung und sogar Zeichnung der -Conturen dieser Insel auf der Karte fand, genau die -Richtung, die sie zu nehmen hatten. Schon um vier -<a class="pagenum" id="page_198" title="198"> </a> -Uhr Morgens setzten sie auch mit einer günstigen -Brise in dem hier ziemlich breiten Kanal aus, und -Nachmittags um vier Uhr endlich, von brennendem -Durst fast zur Verzweiflung getrieben, sichteten sie gerade -im Westen den einzelnen Felsen im Meer, der -nach jeder Berechnung das angegebene Booby-island -sein mußte.</p> - -<p>Der Koch wollte freilich nichts davon wissen; er -behauptete, Booby-island sei ein ganz spitzer kleiner -Felskegel, und das hier lag breit und flach auf dem -Wasser; der Kapitän ließ sich aber nicht irre machen, -denn seiner Karte und Berechnung nach stimmte es -und er hielt gerade darauf zu.</p> - -<p>Die Leute selber hatten sich bis jetzt ziemlich gut -gehalten, nur der Zimmermann, der aber auch auf -dem Fahrzeug Matrosendienste versah, jammerte und -klagte über Durst und schöpfte mit der Hand das -Seewasser, um seine Lippen zu kühlen. Damit -machte er freilich das Uebel nur noch ärger, denn -wenn es auch für den kurzen Augenblick etwas Erfrischendes -haben mochte, der salzige Geschmack hintennach -reizte und trocknete nur um so viel mehr, und -er wimmerte leise vor sich hin.</p> - -<p>»Geduld, Mann, Geduld,« sagte der Steuermann -zu ihm, indem er ihn auf die Schulter klopfte, »da -<a class="pagenum" id="page_199" title="199"> </a> -vorn liegt Wasser; in zwei oder drei Stunden können -wir dort sein, und so lange werdet Ihr's doch bei Gott -wohl aushalten. Schämt Euch doch vor dem Jungen, -denn der hat noch nicht einmal geklagt.«</p> - -<p>»Was weiß auch so ein Junge von Durst, Steuermann,« -sagte der Angeredete mürrisch, »der kommt -erst mit den Jahren. S'ist gerade so, als ob mir die -Zunge im Hals springen und bersten müßte – und -wer weiß denn, ob auch nur ein Tropfen Wasser auf -dem blutigen Felsen zu finden ist. Kahl genug sieht -er aus.«</p> - -<p>»Darüber tröstet Euch, Zimmermann,« sagte der -Kapitän. »<i>The Yorkshire lady</i>«, die vierzehn Tage -vor uns ausgesegelt ist, hat dort angelegt und von -Sydney besonders Wasser und Zwieback für den Zweck -mitgenommen, um es dort zu lassen. Finden wir aber -nicht genug, um eine Zeitlang liegen zu bleiben, nun -so nehmen wir, was wir für den nächsten Tag brauchen, -und laufen damit zu einer der Inseln im indischen -Archipel hinauf. So weit ist die Fahrt ja -nicht, und hohe See haben wir dort auch nicht zu -fürchten.«</p> - -<p>»Geb's Gott,« sagte der Zimmermann resignirt, -und von jetzt ab wurde kein Wort weiter gesprochen, -während sich die Leute nur schärfer in ihre Ruder -<a class="pagenum" id="page_200" title="200"> </a> -legten, um den verheißenen Platz desto rascher zu erreichen.</p> - -<p>Die Brise wurde lebhafter, sie konnten das Segel -setzen, die Strömung half ebenfalls nach und das -Boot glitt verhältnißmäßig rasch über das glatte -Wasser seinem Ziel entgegen. Die ersehnte Insel, die -bis jetzt nur wie ein kurzer Streifen auf dem Horizont -gelegen und dadurch weit entfernter schien als sie -wirklich lag, hob sich mehr und mehr, bis sie die Form -eines Topfkuchens annahm und man jetzt deutlich -schon den Fuß derselben, gegen den die Strömung -wusch, erkennen konnte.</p> - -<p>Die Brise, die hier mehr stoßweise kam, lullte -nach einiger Zeit wieder ein, und vier von den Leuten -hatten deßhalb die Ruder wieder aufgegriffen, die -Uebrigen lagen, so gut es eben ging, ausgestreckt im -kleinen Boot, und nur der Kapitän saß, das Gesicht -dem Lande zugedreht, am Tiller und betrachtete sich -das nicht mehr so ferne Eiland. Plötzlich richtete er -sich etwas empor und schützte die Augen mit der flachen -Hand gegen die schon im Westen stehende Sonne, -die ihn auch überdieß durch das Blitzen auf dem -Wasser blendete; dann ohne ein Wort zu sagen, -nahm er das neben ihm liegende Telescop auf und -hob es an's Auge. Kaum aber hatte er einen -<a class="pagenum" id="page_201" title="201"> </a> -Blick hindurch geworfen, als er wirklich erschreckt -ausrief:</p> - -<p>»<i>Damnation!</i> Die Schwarzen haben Booby-island -besetzt!«</p> - -<p>»Was?« schrie der Zimmermann voller Entsetzen -– »oh du grundgütiger Himmel – dann sind wir -verloren.«</p> - -<p>»Verloren?« brummte der Steuermann, mit einem -wilden Fluch durch die Lippen, »hat sich was von verloren -– Wie viele sind's, Kapitän?«</p> - -<p>»Der Strand schwärmt von ihnen, und oben -drauf tanzt auch etwa ein Dutzend herum – aber ich -sehe keine Canoe's.«</p> - -<p>»Die liegen jedenfalls hinter der Insel in ruhigem -Wasser. Also haben die schwarzen Bestien den Platz -endlich richtig gefunden!«</p> - -<p>»Und was nun?« sagte der Kapitän.</p> - -<p>»Was nun? Ei, wir müssen ihn wieder erobern.«</p> - -<p>»Gegen den Schwarm?«</p> - -<p>»Geben Sie mir einmal das Glas, Kapitän, daß -ich einen Ueberblick kriege – immer zu, Jungen, laßt -die Ruder nicht schleppen, hier können wir doch nicht -liegen bleiben.«</p> - -<p>»Wenn wir landen, fressen sie uns mit Haut und -<a class="pagenum" id="page_202" title="202"> </a> -Haar!« klagte der Koch, der sich bestürzt emporgerichtet -hatte und nach dem jetzt gefürchteten Land hinüberstarrte.</p> - -<p>»Was fressen,« knurrte der Steuermann ärgerlich, -während er durch das Glas sah – »erst müssen sie -uns haben. Alle Wetter! es ist eine hübsche Portion -und wir sind auch jedenfalls schon bemerkt worden, -denn wie die Ameisen klettern sie da an den lichten -Felsen in die Höh'. Jungens, Jungens, und wie -werden sie den Vorräthen mitgespielt haben!«</p> - -<p>»Wie viele sind's, Steuermann?«</p> - -<p>»Ich zähle siebenundzwanzig, groß und klein,« erwiderte -dieser, »aber da links heraus kommen noch -mehr aus dem Felsen, das ist jedenfalls die Höhle – -da sind noch drei, vier, fünf, sechs, sieben – es ist ein -ganzer Schwarm, und wir werden Teufelsarbeit bekommen.«</p> - -<p>»Wie viel Gewehre haben wir eigentlich im -Boot?« frug der Kapitän, nachdem er selber das Glas -genommen und durchgeschaut; sie waren der Insel -aber indessen so nahe gekommen, daß sie die schwarzen -nackten Gestalten schon mit bloßen Augen erkennen -konnten.</p> - -<p>»Es sollen sechs sein,« sagte der Steuermann, -<a class="pagenum" id="page_203" title="203"> </a> -»aber an dem einen ist der Hahn abgebrochen – und -dann Ihre Doppelflinte.«</p> - -<p>»Und Pistolen?«</p> - -<p>»Vier; aber noch ein halb Dutzend Lanzen.«</p> - -<p>»So nahe dürfen wir den Halunken nicht kommen,« -sagte der Kapitän kopfschüttelnd, »daß wir die -gebrauchen könnten, sonst spicken sie <em class="ge">uns</em> mit ihren -verdammten Wurfspeeren, mit denen sie vortrefflich -umzugehen wissen.«</p> - -<p>»Wenn wir aber zu kanoniren anfangen,« sagte -der Steuermann trocken, »und mit den alten, von -Rost halbzerfressenen Schießprügeln nichts treffen, so -machen wir sie erst recht übermüthig, und wer dann -unverrichteter Sache abziehen muß, sind wir.«</p> - -<p>»Den ersten Schuß,« rief der Kapitän, »müssen -wir jedenfalls über ihre Köpfe feuern, denn ich möchte -die armen Teufel nicht todtschießen, wenn ich es irgend -umgehen kann. Ich denke aber auch, das wird -genügend sein, denn wenn sie nur den Knall eines -Gewehres <em class="ge">hören</em>, laufen sie schon was sie laufen -können. Schußwaffen fürchten sie mehr als ihren sogenannten -Devil-Devil.«</p> - -<p>»Ich will's wünschen,« brummte der Mate oder -Steuermann, »ich habe nur so eine Ahnung, daß -ihnen unser kleines Boot keinen besondern Respekt -<a class="pagenum" id="page_204" title="204"> </a> -einflößen wird. Ja wenn wir mit dem Schooner angesegelt -kämen und einen der kleinen Böller hätten -lösen können, dann wär's vielleicht 'was Anderes, -denn die machen mehr Spektakel, und so ein Schuß -klingt als ob er von allen Seiten auf einmal käme.«</p> - -<p>Es wurde jetzt kein Wort weiter gesprochen, denn -das Boot näherte sich rasch dem Lande, und die gerettete -Mannschaft nahm zu viel Interesse an dem, -was sie dort erwartete, um sich nicht selber durch den -Augenschein von der Zahl der Feinde zu überzeugen. -Selbst die Rudernden drehten die Köpfe über die -Schulter zurück, und deutlich konnte man auch jetzt den -Schwarm erkennen, der mit wildem Jauchzen auf der -Insel herumsprang, während eine Anzahl von ihnen -grüne Zweige von den Büschen brach und damit hinüberwinkte. -Fast Alle aber, wie der Kapitän deutlich -durch sein Glas erkennen konnte, trugen ihre Lanzen -in den Händen, und legten sie erst zwischen den Steinen -nieder, als sie vielleicht glaubten, daß man sie -vom Boot aus mit bloßen Augen erkennen könne.</p> - -<p>»Ach Kapitän,« sagte der Zimmermann, »die thun -uns ja nichts, die schwingen grüne Büsche; das ist immer -ein Zeichen bei den wilden Hallunken, daß sie's -gut meinen – Einen Tropfen Wasser geben sie uns -gewiß.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_205" title="205"> </a> -»Ja trau' Du denen,« knurrte der Koch – »mit -denselben Zweigen braten sie Dich nachher.«</p> - -<p>Dem Kapitän gefiel übrigens das Winken mit den -Zweigen auch nicht. Durch sein gutes Glas sah er -deutlich, wie eine Anzahl der Schwarzen, die wieder -zum Strand hinabgeklettert waren, ihre Lanzen in eine -Vertiefung – wahrscheinlich den Rand der Höhle – -stellten, aber dicht dabei stehen blieben und dann aus -Leibeskräften mit den grünen Büschen wehten, als ein -Zeichen, daß das Boot dort landen solle. Er änderte -seinen Cours nicht, sondern hielt vielmehr noch etwas -nach rechts hinüber, um die nördliche Spitze der Insel -anzulaufen, und die Wilden, wie er deutlich erkennen -konnte, griffen jetzt ihre Waffen wieder auf und verschwanden -hinter der Insel, um vorn nicht damit gesehen -zu werden.</p> - -<p>Das Alles deutete auf Hinterlist, und daß die -Eingeborenen dieser Küsten Alles daran setzen, um in -den Besitz eines guten europäischen Bootes zu kommen, -wußte er schon zur Genüge aus den Erzählungen -anderer Kapitäne. Geld hat für sie nicht den geringsten -Werth. Kleidungsstücke beachten sie nicht, und -selbst von Eisenwerk können sie nichts gebrauchen, als -vielleicht ein Beil oder Messer, da ihre Lanzen aus -den harten und schweren Hölzern bestehen, welche ihnen -<a class="pagenum" id="page_206" title="206"> </a> -die Wildniß in Masse liefert, aber ein sicheres -Boot war für sie von unschätzbarem Werth, denn damit -konnten sie das Meer in jeder Jahreszeit befahren, -und daß sie <em class="ge">kein</em> Mittel scheuen würden, um -sich in den Besitz eines solchen zu setzen, ließ sich -denken.</p> - -<p>Wie viel Wilde befanden sich aber überhaupt auf -der Insel und hatten sie auch schon Alle gesehen? – -wohl schwerlich, denn von dem Augenblick an, wo sie -nahe genug gekommen, um die Eingeborenen mit bloßen -Augen zu erkennen, waren höchstens noch acht -oder zehn sichtbar, die sich aber dafür durch das -Schwingen von grünen Büschen um so bemerkbarer -zu machen suchten. Wo waren die Anderen? Jedenfalls -irgendwo hinter den Steinen oder in der Höhle -versteckt, und hatten sie wirklich friedliche Absichten, so -würden sie sich ungescheut gezeigt haben – daß <em class="ge">ihnen</em> -die Weißen nichts nehmen konnten, wußten sie ohnedieß. -Das Wichtigste also war: einen ungefähren -Ueberblick über ihre Zahl zu bekommen, und das -konnte nur dadurch geschehen, daß sie in Sicht der -Canoe's kamen. Die Insel war auch gar nicht so groß, -um das nicht leicht zu bewerkstelligen, und der Kapitän, -der auf die Nordspitze zugesteuert hatte, änderte plötzlich -seinen Cours, hielt wieder vom Ufer etwas ab und -<a class="pagenum" id="page_207" title="207"> </a> -ruderte nun, seine Distance vom Land auf ungefähr -hundert Schritte haltend, um das kleine Eiland herum -zur Westküste, wo er allerdings einen ganzen Trupp -nackter schwarzer Gestalten überraschte, die nicht schnell -genug den kahlen Hang hinan kommen konnten und -sich nun, so gut das gehen mochte, hinter Korallenbänken -und Steinen niederkauerten.</p> - -<p>Außerdem entdeckten die Seeleute hier auch eine -kleine Flotte von elf Canoe's, die nebeneinander auf -den Sand gezogen waren, und stärker an Mannschaft -wäre es ihnen jetzt ein Leichtes gewesen, die schwarzen -Diebe festzuhalten und zu züchtigen. Aber sie durften -ihnen nicht das einzige Mittel, sich zu entfernen, selber -abschneiden, denn an Zahl waren sie ihnen doch zu -weit überlegen und das Schlimmste von Allem, nur -Wenige der Seeleute wußten wirklich mit Feuerwaffen -umzugehen, und verstanden besonders nicht, ein einmal -abgeschossenes Gewehr auch rasch und ruhig wieder zu -laden.</p> - -<p>Der Kapitän behielt aber indessen seinen Cours -bei; er wußte jetzt genau, daß er es mit einer verrätherischen -Bande zu thun hatte, und war nicht gewillt, -dieser auch nur den geringsten Vortheil über sich -einzuräumen. Das Boot glitt dabei, immer noch in -der sicheren Entfernung, um die Insel hinum der -<a class="pagenum" id="page_208" title="208"> </a> -Südküste zu, wo sie die wieder überraschten, die -vorher an der Höhle Posto gefaßt hatten.</p> - -<p>»Sind die Gewehre alle geladen?« frug er ruhig.</p> - -<p>»Ja, Sir,« sagte der Steuermann.</p> - -<p>»Setzt frische Zündhütchen auf; die alten könnten -die Nacht über feucht geworden sein.«</p> - -<p>Das geschah lautlos.</p> - -<p>»Wollen wir hier landen, Kapitän?« frug der -Steuermann; »ich glaube es wäre besser, wenn wir -das so dicht als möglich bei der Höhle thäten.«</p> - -<p>»Sie haben Recht, Mr. Brown,« nickte ihm sein -Vorgesetzter zu, »wir müssen ihnen Gelegenheit zur -Flucht geben, sonst wehren sie sich um ihr Leben – -Alle Teufel, was ist das da oben?« Er deutete zugleich -mit dem Arm hinauf, und seine Leute erkannten -dort auf einer eben in Sicht kommenden Felsspitze -eine allerdings wunderliche Gestalt, die sich von den -Uebrigen wesentlich unterschied.</p> - -<p>Alle anderen Indianer waren vollkommen nackt -und trugen nicht einmal, wie doch die meisten wilden -Stämme, einen Schurz um die Lenden. Der da oben -aber – oder war es ein Frauenzimmer? hatte einen -weißen, wehenden Talar an, der in der Sonne schimmerte -und bis über die Kniee hinabreichte; nur die -Arme schauten nackt daraus hervor. Dort wo er -<a class="pagenum" id="page_209" title="209"> </a> -stand, als man ihn zuerst entdeckte, war er auch durch -den höheren und mit Büschen bewachsenen Hügelrücken -gegen den jetzt wieder frischer wehenden Wind geschützt -gewesen. Nun aber, als er sich bemerkt sah, sprang -er die wenigen Schritte hinauf und stand im nächsten -Augenblick in der Brise, und das Zeug, was er anhatte, -knitterte und knatterte dabei.</p> - -<p>»Gott straf' mich, das ist Papier!« rief der -Steuermann aus, und in demselben Augenblick riß sich -ein Stück der Kleidung los und flatterte, ehe es der -danach greifende Wilde erhaschen konnte, aus in See, -nach dem Boot hinüber, von dem es nicht weit entfernt -auf das Wasser niederfiel.</p> - -<p>Es war in der That ein Bogen weißes Schreibpapier, -und jetzt kein Zweifel mehr, daß die Eingeborenen -dort oben die Postoffice gefunden und geplündert -hatten; welche Verwendung sie für das Papier -fanden, zeigte sich dabei. Die Umfahrt um die -Insel hatte den Seeleuten die Versicherung gegeben, -daß sie es hier mit einer großen Anzahl gutbewaffneter -Schwarzen zu thun bekämen, und wären sie nur -wenigstens mit Wasser versorgt gewesen, so würde der -Kapitän kaum daran gedacht haben, einen so ungleichen -Kampf zu wagen. Mußten sie doch sogar jedes Handgemenge -auf festem Land vermeiden, blieben immer -<a class="pagenum" id="page_210" title="210"> </a> -noch der Gefahr ausgesetzt, daß die Wilden, erst einmal -gereizt und zur Rache angetrieben, vielleicht sogar -mit ihren Canoe's einen verzweifelten Angriff auf ihr -Boot machten.</p> - -<p>Aber was blieb ihnen Anderes übrig? Zurück -gegen Wind und Strömung nach Mount Adolphus -<em class="ge">konnten</em> sie nicht wieder, noch dazu, da sie im Inneren -jener Insel vielleicht gerade so gut auf Eingeborene -trafen und dann erst recht, bei Theilung der -Mannschaft, ihr Boot und sich selber in Gefahr -brachten; Wasser aber <em class="ge">mußten</em> sie haben, und das -war hier noch zu bekommen, dort draußen im Westen -lag dagegen eine weite See vor ihnen, die sie ohne -dies nöthige Lebensbedürfniß nicht durchschiffen konnten, -also blieb ihnen schon nichts weiter übrig, als -sich ihren Weg zu erzwingen, im schlimmsten Fall mit -Waffengewalt, und wenn die Schwarzen dabei zu -Schaden kamen, hatten sie es sich selber zuzuschreiben.</p> - -<p>Das Boot umruderte indessen das Südwestende -der Insel und näherte sich der Südost-Ecke, wo, wie -der Kapitän von anderen Collegen erfahren, die Höhle -liegen sollte. Dort standen auch immer noch Eingeborene -und winkten wieder, als das Boot in Sicht -kam, mit den abgebrochenen Büschen.</p> - -<p>»Wenn wir's nun einmal versuchten, Kapitän,« -<a class="pagenum" id="page_211" title="211"> </a> -sagte da der Steuermann, »ob sie uns im Guten in -die Höhle ließen? Der Eingang muß dicht am Wasser -sein, und wir könnten ihn mit unseren Musketen recht -gut frei halten.«</p> - -<p>»Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Brown,« -meinte aber der Kapitän; »die Möglichkeit ist allerdings -da, daß wir <em class="ge">hinein</em> kommen, aber schwerlich -wieder heraus, denn die Kanaillen spielen da drin Versteckens. -Auf Freundschaft ist mit ihnen nicht zu -rechnen, und ich will die Verantwortlichkeit nicht auf -mich laden, auch nur zwei von Euch an ein Experiment -gewagt zu haben. Halten Sie Ihre Gewehre bereit; -wissen die Leute, welche sie halten, auch ordentlich mit -denselben umzugehen?«</p> - -<p>»Die Meisten, Sir – mit einer Pistole verstehen -sie es besser.«</p> - -<p>»Die Pistolen helfen uns nichts,« sagte der Kapitän -trocken, »und sind in dem engen Boot hier gefährlicher -für uns selbst, als für die Schwarzen – ha, -dort ist die Höhle – sehen Sie den dunklen Strich im -Felsen?« – Er hatte sein Telescop wieder aufgenommen -und sah hindurch.</p> - -<p>»Ist das der Platz, Sir?«</p> - -<p>»Ja – ich kann dort im Inneren schon aufgeschichtete -Fässer erkennen. Sie wissen doch zu schießen?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_212" title="212"> </a> -»Ay, ay Sir!«</p> - -<p>»Gut, dann seien Sie so gut und halten Sie einmal, -wenn wir noch ein klein Stück voraus sind und -den Eingang breit haben, mitten in die Höhle hinein -– aber hoch – verwunden Sie noch keinen; möglich -doch, daß wir sie mit einem einzelnen Schuß in die -Flucht treiben.«</p> - -<p>Der Steuermann nahm sein Gewehr an den -Backen und zielte mitten in die Höhle hinein – jetzt -waren sie gerad vor dem Eingang, etwa noch hundert -Schritte vom Land entfernt.</p> - -<p>»Feuer!« rief der Kapitän, und in dem Moment -krachte auch der Schuß, dessen Echo sich wohl in der gewölbten -Höhlung noch tüchtig brechen mochte, denn -mit Blitzesschnelle sprangen plötzlich zehn oder zwölf -schwarze Gestalten, ihre Lanzen und Midlas<span class="top">[1]</span> in den -Händen, aus dem dunklen Grund der Höhle hervor -und kletterten wie Katzen an den Felsen hinauf nach -<a class="pagenum" id="page_213" title="213"> </a> -oben. An Widerstand schienen sie in der That nicht -zu denken.</p> - -<p class="ci fss"> -[1]: Die Midla ist ein kurzer, etwa dritthalb Fuß langer -Hebel, der mit einem kleinen Widerhaken versehen hinten in die -Wurflanze eingreift und sie beim Schleudern mit vermehrter -Kraft vorwärts treibt. Mit Hülfe dieser Midla ist der australischen -Wilde im Stande, seinen einfach hölzernen Speer auf -sechzig bis achtzig Schritte – ja vielleicht noch etwas weiter – -mit großer Sicherheit zu werfen, so daß er selbst kleineres Wild, -wie die Känguru-Ratte, damit trifft und tödtet.</p> - -<p>»Aha,« lachte der Steuermann, der von der alten -Muskete einen Stoß bekam, daß er beinah hinten -übergestürzt wäre – »das hat richtig geholfen; die -haben wir hinausgeräuchert, und meinen Hals wollt' -ich darauf verwetten, daß keine von den Canaillen mehr -da drinnen steckt. Was nun, Kapitän? Ich denke, die -Luft ist rein, und ich dächte, das Beste wäre, wir benutzten -den ersten Schreck und räumten was wir -brauchen aus, indeß Sie uns hier mit ein paar von -den Leuten die Luft rein halten.«</p> - -<p>»Ich denke auch, Mr. Brown,« sagte der Kapitän, -der seinem Steuermann indessen das Gewehr abgenommen -hatte und rasch wieder mit einer Patrone lud -– »Nehmen Sie sich drei Mann mit – wieder zu -euern Rudern, meine Jungens, und nun scharf an -Land – und sehen Sie besonders zu, daß Sie ein -Faß mit Wasser finden – Zwieback soll genug dort -liegen, packen Sie auf was Sie fortbringen können, -der Junge soll Sie mit dem Provisionskorb begleiten -– aber um Ihr Leben, halten Sie sich nicht länger -auf als nöthig ist. Daß Sie indessen Keiner da -drinnen stört, dafür wollen wir schon mit den Gewehren -sorgen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_214" title="214"> </a> -»Also ganz ohne Waffen –«</p> - -<p>»Jeder von euch nimmt eine Lanze mit – drinnen -könnt Ihr vielleicht das Faß gleich auf die Schäfte -legen und damit herauslaufen – aber daß ihr kein -<em class="ge">faules</em> Wasser bringt, denn einzelne sollen schon viele -Jahre dorten liegen.«</p> - -<p>»Aber wer zum Henker kann sie erst lange untersuchen,« -meinte der Steuermann verlegen, »denn flink -muß die Geschichte gehen, sonst ist's gefehlt, und wenn -sie die schwarzen Halunken zerschlagen haben, sind wir -ganz verloren, denn was wissen die Bestien davon, wie -man mit einem Faß umgehen muß.«</p> - -<p>»Lange können sie noch nicht da sein,« entgegnete -der Kapitän, der die Natur dieser wilden Stämme -besser kannte als sein weit jüngerer Steuermann, -»sonst hätten sie die Canoe's schon beladen und wären -fortgerudert. Daß sie sich hier vor unseren Schiffen -nicht sicher fühlen, ist gewiß, und das beweist auch, -wie treffliche Wacht sie gehalten haben müssen, denn -unser kleines Boot war ja kaum in Sicht, als sie es -augenscheinlich schon bemerkt hatten. Aber da sind -wir – jetzt an's Werk, das Reden hilft nichts – ehe -sie nur wissen, was wir eigentlich wollen, müssen wir's -haben. Vorwärts, Steuermann – Ihr, Bill, Ned -und John, eure Lanzen – das ist recht, mein Junge, -<a class="pagenum" id="page_215" title="215"> </a> -den Korb packst du voll Zwieback – liegt ein Faß bei -der Hand, so rollt's nur gleich hier herunter: wenn's -auch an den Steinen zerbricht, werfen wir in's Boot, -was wir brauchen. Vorwärts!«</p> - -<p>Die Seeleute bedurften keiner weiteren Mahnung, -denn jeder Einzelne von ihnen begriff recht gut, was -von ihm verlangt wurde, während an der raschen Ausführung -desselben sein eigenes Leben hing. Von den -Wilden schienen sie in der That nichts weiter zu -fürchten zu haben, und es war fast, als ob der eine, -blind gefeuerte Schuß vollkommen genügt habe, sie zu -Paaren zu treiben. Nur einzelne schwarze Köpfe -schauten noch vorsichtig einen Moment über die Felsen -nieder und verschwanden eben so rasch wie sie gekommen. -Hatten sie sich in ihre Canoe's geflüchtet -und die Insel bei Annäherung der gefürchteten Weißen -verlassen? – Alle freilich noch nicht, denn Einzelne -kamen immer dann und wann wieder zum Vorschein. -Aber es blieb jetzt keine Zeit, nach ihnen auszusehen, -denn wie nur der scharfe, eisenbeschlagene Bug des -Bootes den Korallensand berührte, sprangen die bezeichneten -Seeleute, lauter kräftige Burschen und jeder -seine Lanze fest in der Hand gepackt, hinaus an Land -und waren auch mit wenigen Sätzen in der Höhle verschwunden. -Die Zurückgebliebenen aber, jeder seine -<a class="pagenum" id="page_216" title="216"> </a> -Muskete im Anschlag, behielten mit ängstlicher Spannung -die benachbarten Felsen im Auge, ob nicht von -dort aus ein versteckter Feind seine Speere auf sie hinabschleudern -könnte, und kein Wort wurde mehr gesprochen.</p> - -<p>»Da kommen sie!« schrie plötzlich des Kochs ängstliche -Stimme; und als der Kapitän, der bis dahin eine -oben in den Büschen lauernde Gestalt im Auge behalten, -rasch den Kopf ihm zuwandte, sah er nach rechts -hinüber vier oder fünf Canoe's um die Inselspitze -kommen, und fast zu gleicher Zeit drückte der feige -Bursche auch sein Gewehr blind in die Luft hinein ab.</p> - -<p>»Holzkopf!« schrie der Kapitän und riß ihm die -Muskete aus der Hand, »wenn ich wüßte, daß sie <em class="ge">Dich</em> -brieten, wollte ich ihnen selber ein Feuer dazu anzünden.«</p> - -<p>»Oh bester Kapitän,« jammerte der Mann, »es -ging mir ja von selber los!«</p> - -<p>»Ruhe da und aufgepaßt!« rief aber der alte Seemann, -indem er das Gewehr rasch wieder lud. Er sah -dabei, wie die Rudernden einen Moment innegehalten -hatten, als ob sie selber erst sehen wollten, ob der -Schuß einen von ihnen getroffen. Jetzt stießen sie -plötzlich ein wildes Jubelgeschrei aus, und fast zu -gleicher Zeit rief auch der Zimmermann:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_217" title="217"> </a> -»Habt Acht, bester Kapitän – von drüben herüber -kommen sie auch. Jetzt haben sie uns fest.«</p> - -<p>In demselben Augenblick schien es aber, als ob die -Felsen selber belebt würden. Unmittelbar über der -Höhle konnte allerdings Keiner niederklettern, denn -die Steine ragten dort schroff und steil empor; aber -rechts und links davon sprangen sie herab, und sechs, -acht Speere wurden zu gleicher Zeit in das Boot hinabgeschleudert, -von denen einer dem Kapitän den Hut -vom Kopfe riß, während ein anderer dem Koch durch -den Arm fuhr und diesen laut aufheulen machte.</p> - -<p>Kapitän Powel warf den Blick umher, und dem -Koch erst einmal mit dem Kolben seines Gewehrs -einen Stoß in den Nacken gebend, der ihn vornüber -sandte, rief er dem Zimmermann zu:</p> - -<p>»Jetzt dürfen wir nicht mehr schonen – haltet in -den dicksten Klumpen hinein, sobald sie näher kommen. -In den schwanken Canoe's können sie mit ihren Lanzen -doch nicht ordentlich treffen – Du, Peter, nimmst die -Anderen, ziel' ruhig, Mann – wenn Du fehlst, sind -wir verloren.« Zu gleicher Zeit hatte er sein eigenes, -mit groben Posten geladenes Doppelgewehr angelegt -und einen riesigen Schwarzen, der an der Höhle niederglitt, -auf's Korn nehmend, feuerte er ihm den -Schuß gerade in den Leib, daß er wie ein Sack herunterstürzte. -<a class="pagenum" id="page_218" title="218"> </a> -Aber er sah nicht einmal nach ihm hin, -denn die Feinde links nahmen seine Aufmerksamkeit -ebensogut in Anspruch, während jetzt von den beiden -Seeleuten ein eben so wirksamer, aber noch viel mehr -Schaden anrichtender Schuß in die Canoe's hinein -gefeuert wurde. Die Rehposten gingen in der größeren -Entfernung mehr auseinander, und der Zimmermann -besonders schien so gut gezielt zu haben, daß sich die -fünf Canoe's nicht gleich weiter wagten oder auch vielleicht -von den Verwundeten behindert wurden.</p> - -<p>Zwei von den anderen dagegen kamen, so rasch sie -die Fahrzeuge vorwärts treiben konnten, an, und alle -trugen aus dem eisenharten Holz der äußeren Palmenrinde -gefertigte Ruder. Diese aber, schwer und an -den Kanten scharf geschnitten, können ebensogut als -Keule dienen und sind dann eine furchtbare Waffe in -der Hand eines starken Mannes.</p> - -<p>»Noch einen Schuß, Zimmermann,« rief der Kapitän, -während er in aller Hast sein eigenes Doppelgewehr -wieder lud, »nehmt die geladene Muskete da -neben Euch, aber zielt gut – der erste war vortrefflich.«</p> - -<p>Wieder der Knall über das Wasser und dießmal -hatte der Matrose nur das erste Boot voll auf's Korn -genommen, in dem er aber eine arge Verwüstung anrichtete. -Zwei der nach links überschlagenden Schwarzen -<a class="pagenum" id="page_219" title="219"> </a> -drückten es sogar auf der Seite unter Wasser und -es füllte. Wohl kamen die anderen Canoe's jetzt auch -in vollem Lauf wieder näher, aber sie hatten ihre richtige -Zeit versäumt. Kapitän Powel feuerte zuerst eine -Ladung Rehposten zwischen einen Trupp hinein, der -sich wieder an den Felsen zeigte, und schickte dann die -andere Ladung mitten in die Canoe's, die jetzt dicht -neben dem Boot an's Ufer liefen und wahrscheinlich -einen Angriff zu Land versuchen wollten, da sie in den -schwanken Fahrzeugen <em class="ge">ihre</em> Waffen nicht gebrauchen -konnten. Kaum aber schoß der hohe Bug des ersten -auf den Sand hinauf, als der Steuermann mit seinen -drei Matrosen, die auf den Augenblick nur schienen gewartet -zu haben, aus der Höhle sprangen und jetzt -ihrerseits mit den Lanzen auf die Feinde einstürmten. -Der Angriff kam aber zu plötzlich und aus zu unmittelbarer -Nähe, und ohne sich nur zu besinnen sprang -die ganze Mannschaft der Canoe's über Bord und -tauchte unter. Wie durch Zauberei waren sie verschwunden.</p> - -<p>In dem Moment schien es fast, als ob sämmtliche -Schwarze von der Insel verschwunden wären; aber -der Kapitän traute ihnen nicht und benutzte die ihm -vergönnte kurze Zeit, um rasch die abgeschossenen Gewehre -wieder zu laden, während die Seeleute indessen -<a class="pagenum" id="page_220" title="220"> </a> -in aller Hast das schon bis an den Eingang gewälzte -Faß Wasser jetzt aufhoben und heraustrugen. Allem -Anschein nach war es das letzt hierhergeschaffte, denn -es trug den Brand der <i>Yorkshire lady</i>. Auch der -Junge war nicht müssig gewesen und mit einem gehäuften -Korb von Zwieback angekommen, den er ohne -Weiteres in's Boot schüttete und dann zurück in die -Höhle sprang, um noch eine zweite Ladung zu holen. -Den Zwieback mußten die Wilden nämlich zuerst entdeckt -haben, denn das eine große Faß war auseinandergebrochen -und der Inhalt über den ganzen Boden -der Höhle zerstreut.</p> - -<p>Ihr Boot wurde übrigens durch den neuen Proviant, -besonders durch das Faß Wasser bedenklich tief -geladen. In der Straße selber wäre das bei dem -spiegelglatten Wasser gegangen, jetzt aber, wo sie in -den indischen Ocean einlaufen wollten, mußten sie -wenigstens darauf vorbereitet sein, unruhigere See zu -bekommen – aber der Steuermann wußte Rath.</p> - -<p>»Schafft das Canoe herbei, Jungens!« rief er, -einen Blick umherwerfend, »das nehmen wir in's -Schlepptau, bis wir draußen in See erst Alles richtig -weggestaut und geordnet haben, und ein paar von Euch -können damit nebenher fahren. Das Ding ist breit -genug, Euch zu tragen – dort liegen auch Ruder.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_221" title="221"> </a> -Es war im Nu geschehen; die Leute sprangen zu, -schoben das Canoe in tieferes Wasser zurück und -brachten es langseit. Die ganze Sache dauerte keine -fünf Minuten. Trotzdem waren sie von den Wilden -dabei beobachtet worden, denn wieder flogen vier oder -fünf Speere nach ihnen herunter, aber zu kurz, denn -die Schwarzen trauten sich nicht mehr in den Bereich -der Schußwaffe.</p> - -<p>»Fertig Alles?« rief der Kapitän.</p> - -<p>»Alles klar, Sir,« lautete die Antwort.</p> - -<p>»An Bord denn und fort – die Sonne ist gleich -unter und nach Dunkelwerden möchte ich nicht mehr in -der Nähe der schwarzen Halunken sein. Sie holten -dann jedenfalls ein, was sie jetzt unterlassen haben – -aus mit dem Boot!«</p> - -<p>Der Befehl wurde fast so rasch ausgeführt, wie er -gegeben worden, denn sie waren mit steigender Fluth -gelandet und das Wasser mochte in der Zeit fünf bis -sechs Zoll gewachsen sein. Die Leute sprangen alle in -die Fluth, um es zurückzuschieben. Zwei von ihnen -nahmen dann das Canoe und den eben mit einem -anderen Korb Zwieback zurückkommenden Jungen ein, -und wenige Minuten später stießen sie von der Küste -ab – aber der Kapitän hielt noch nicht in See hinaus.</p> - -<p>»Eine Lektion müssen wir den Burschen noch -<a class="pagenum" id="page_222" title="222"> </a> -geben,« sagte er finster, »daß sie später das Eigenthum -der Weißen mehr respektiren lernen oder wenigstens -in einer heilsamen Furcht gehalten werden – Zimmermann, -nehmt einmal Euer Beil und bearbeitet das -Canoe dort drüben ein wenig.«</p> - -<p>Der Zimmermann that dies mit Vergnügen und -das Fahrzeug war im Nu unbrauchbar gemacht; dann -nahmen sie ihren Cours um die Insel herum, um die -übrigen ebenfalls abzuschneiden und die Schwarzen -dadurch auf der Insel zu halten, bis ein größeres -Schiff dort landete, das eher die Macht hatte, sie zu -züchtigen. Die Eingeborenen schienen es aber vorgezogen -zu haben, etwas Derartiges nicht abzuwarten, -denn wie sie an den anderen Rand der Insel kamen, -sahen sie die kleine Flotte von neun Canoe's schon -unterwegs, und zwar in voller Flucht gen Süden, dem -nächsten Festland zu haltend. Daß sie von dem schwergeladenen -Boot der Weißen nicht verfolgt werden -konnten, wußten sie gut genug, aber sie schienen auch -gar nicht die Absicht zu haben, weit zu fliehen, denn -draußen ein Stück in See lagen sie jetzt plötzlich auf -ihren Rudern, um dort erst einmal abzuwarten, was -die Feinde beginnen würden.</p> - -<p>Der Kapitän war überzeugt, daß sie, sobald das -Boot nur außer Sicht wäre, augenblicklich nach der -<a class="pagenum" id="page_223" title="223"> </a> -Insel zurückkehren würden, nicht allein um ihre Todten -abzuholen, sondern auch die begonnene Plünderung zu -beenden. Das Alles ließ sich aber nicht mehr ändern. -Der für den Seemann so wichtige Platz war einmal -verrathen; die Schwarzen hatten das Geheimniß der -Höhle entdeckt, und es durfte wohl schwerlich mehr an -eine weitere Niederlage dort von Wasser und Provisionen -für verunglückte Seeleute gedacht werden. -Jenes diebische Gesindel revidirte jetzt gewiß regelmäßig -die Höhle, um Alles mitzuführen, was sie -fanden.</p> - -<p>Das Boot – nachdem sich die Leute an dem erbeuteten -Wasser gelabt – hielt eine nordwestliche -Richtung bei, um irgend eine der Inseln des ostindischen -Archipels anzulaufen, schon am zweiten Tag -aber sichteten sie eine portugiesische Brigg, die, von -Europa kommend, nach der portugiesischen Besitzung -in Timor bestimmt war. Von dieser wurden sie an -Bord genommen und gingen später mit einem holländischen -Schiff nach Singapore, von wo aus sie leicht in -ihre Heimath zurückkehren konnten.</p> - -<p>Der Kapitän machte allerdings in Singapore die -Anzeige des zerstörten Depots auf Booby-island, und -ein nach Australien bestimmtes Kriegsschiff bekam auch -Auftrag, dort anzulaufen; als es aber mit dem nächsten -<a class="pagenum" id="page_224" title="224"> </a> -Monsuhn Booby-island berührte, fand es in der -Höhle nur noch einen Haufen verdorbenes Fleisch, den -die Schwarzen verschmäht hatten – alles Uebrige war -ausgeräumt und selbst die »Postoffice« wahrscheinlich -nach dem Festland geschafft worden.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_225" title="225"> </a> -<span class="ge">Zacharias Hasenmeier's Abenteuer.</span></h2> - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Erstes Kapitel.</span></span><br /> - -Die Matrosenkneipe.</h3> - - -<p>Da lebte einmal vor langen Jahren ein Handwerksbursch, -und den freute die Welt nicht mehr, denn -anders wurde es wohl mit der Zeit, wohin er auch -kam, aber nie und nimmer besser.</p> - -<p>Früher ja, da ließ sich's aushalten, da marschirte -so ein armer Handwerksbursch nach Herzenslust im -lieben deutschen Vaterland herum, Chaussee auf und -ab, ging in den Dörfern fechten, schlief Nachts auf der -Streu oder in einem Heuschober, setzte sich, wenn er -unterwegs müde wurde, auf einer vorbeirollenden -Extrapost hinten auf und dachte gar nicht daran, die -Beine je lang unter einen Arbeitstisch zu strecken. -Das ließ schon die Wanderlust nicht zu, und geschah -es je einmal ausnahmsweise, so erfaßte ihn rasch die -unbezwingbare Sehnsucht nach einer Pappelallee, der -er nicht widerstehen konnte und wollte.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_226" title="226"> </a> -Da erfanden böse und hinterlistige Menschen, aus -reiner Bosheit gegen die armen Handwerksburschen, -die <em class="ge">Eisenbahn</em>, und mit dem lustigen Marsch auf -der Landstraße war's vorbei. Extraposten und Lohnkutschen -– wo bekam man sie noch zu sehen? der -Dampf hatte die Zügel ergriffen und bei einem davonbrausenden -Bahnzug – mit <em class="ge">den</em> groben Condukteuren -– war kein Gedanke mehr hinten aufzusitzen.</p> - -<p>Das macht zuletzt den besten Menschen verdrießlich -und so war denn auch Zacharias Hasenmeier, ein -»wasserdichter Hutmachergesell,« endlich zu dem verzweifelten -Entschluß gekommen – nicht etwa seinem -Leben ein Ende zu machen, nein – dazu besaß er zu -viel Religion und zu wenig Courage – aber auszuwandern -und sich irgend einen Platz auf der Welt zu -suchen, wo es erstlich einmal keine Eisenbahnen gab, -und wo ein reisender Handwerksbursch auch noch leben -konnte, »wie sich's gehört und gebührt,« d. h. wo er -ein Terrain zum fechten und hinten aufsitzen fand.</p> - -<p>Mit dem Entschluß erst einmal im Reinen, hielt -er sich denn auch nicht lange bei der Vorrede auf, -packte seinen Tornister, mit ein paar neuen Stiefeln -oben d'rauf, daß die blinkenden weißen Sohlen rechts -und links unter der Klappe vorschauten, ließ sich eine -neue Zwinge an seinen dicken Knotenstock machen, und -<a class="pagenum" id="page_227" title="227"> </a> -ging danach auf die Polizei, um sein Wanderbuch -visirt zu bekommen. Ordnung muß nämlich sein, und -ob er nun zu den Chinesen oder Menschenfressern kam, -sein Wanderbuch wollte er in Ordnung haben, denn -den Chinesischen Gensdarmen traute er gerade so -wenig wie den Deutschen.</p> - -<p>Die Behörde besorgte ihm das auch. Gegen seine -Auswanderung hatte sie, merkwürdiger Weise Nichts -einzuwenden, und visirte ihm sein Wanderbuch, auf -seine Anweisung, daß er nach Amerika, Australien und -sonst wohin wollte, gewissenhaft und wörtlich:</p> - -<p class="ce">»Nach Australien und weiter!«</p> - -<p class="in0">wonach er dann lustig und wohlgemuth in die Welt -hinaus wanderte.</p> - -<p>Er hatte, als er die Stadt verließ, in der er zuletzt -gearbeitet, den Hut keck auf die eine Seite gerückt, was -andeuten sollte, daß er sich aus ganz Europa Nichts -mehr mache, und mit dem buntgestickten Tabaksbeutel -vorn im Knopfloch baumelnd (einen Orden besaß er -nicht, den er hätte hinein thun können, und etwas <em class="ge">muß</em> -der Mensch doch im Knopfloch haben) mit außerdem -zehn Thaler siebenzehn und einen halben Silbergroschen -in der Tasche, meinte er, daß er nun die -Welt durchwandern könne. – Was weiß so ein wasserdichter -Hutmacher überhaupt von der Welt!</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_228" title="228"> </a> -Natürlich ging er gerade in einem Strich auf -Hamburg zu, weil er gehört hatte, daß von dort ab -fast täglich Schiffe nach aller Herren Ländern ausliefen, -und man von diesem Hafen aus mit derselben Bequemlichkeit -zu den Botokuden wie zu den afrikanischen -Baumaffen kommen könne. Wohin? blieb sich aber -vollständig gleich – Hüte brauchten Alle oder konnten -ihnen doch wenigstens angepaßt werden, und er war -von sich selber überzeugt, daß er sein Fortkommen in -irgend einem Land der Welt finden würde – er müsse -nur erst einmal dort sein.</p> - -<p>»Der liebe Gott verläßt keinen Deutschen,« sagte -er sich und mit dem schönen Liedchen: »Muß i denn, -muß i denn zum Städtle hinaus – Städtle hinaus,« -ließ er sich wahrlich kein Gras unter die Sohlen -wachsen, und wanderte, jede Eisenbahn von Grund -seines gekränkten »wasserdichten Hutmacherherzens« -aus verachtend, zu Fuß bis in die ferngelegene Hafenstadt, -um sich dort nach einer womöglich wüsten Insel -einzuschiffen.</p> - -<p>Er fluchte allerdings jedesmal still vor sich hin, -wenn ein Bahnzug vorüberrasselte, und die Leute -darin aus den offenen Fenstern hinaussahen, und über -den wunderlichen Menschen lachten, der zu Fuß hinterd'rein -keuchte, während er doch hätte, für ein paar -<a class="pagenum" id="page_229" title="229"> </a> -Groschen, so bequem darin fahren können; aber Zacharias -setzte den Hut bei solchen Gelegenheiten nur noch -immer schiefer, um seine Verachtung bildlich auszudrücken -und wanderte trotzig seines Weges, ohne auch -nur einmal nach ihnen umzuschauen.</p> - -<p>Es ist überhaupt erstaunlich, mit welcher Genauigkeit -sich menschliche Gemüthsbewegungen und -Charaktere nur allein durch die verschiedene Stellung -des Hutes ausdrücken lassen.</p> - -<p>»In den Augen liegt das Herz,« lautet ein altes, -wunderschönes Lied, aber es ist durchaus nicht wahr. -Im <em class="ge">Hute</em> liegt es, und der aufmerksame Beobachter -kann manchem Menschen nur allein durch den Hut -direkt in's Herz sehen.</p> - -<p>Wer z. B. den Hut recht gerade und steif auf hat, -daß er ihm senkrecht auf dem Wirbel des Kopfes sitzt, -das <em class="ge">mag</em> ein sehr guter rechtschaffener Mensch sein, -aber er ist jedenfalls nach <em class="ge">einer</em> Richtung hin Pedant -und geht unausweichlich, vielleicht praktisch, doch unter -jeder Bedingung steif und trocken durchs Leben mit -nicht einer Spur von Poesie. Ich gebe zu, daß er ein -ausgezeichneter Beamter und vortrefflicher Geschäftsmann -sein kann, aber ein guter <em class="ge">Gesellschafter</em> ist er -keinesfalls.</p> - -<p>Ein <em class="ge">klein wenig</em> geneigt – nach rechts oder links -<a class="pagenum" id="page_230" title="230"> </a> -bleibt sich gleich – und welch' einem fabelhaften Unterschied -begegnen wir hier. – <em class="ge">Das</em> sind die besten -und interessantesten Menschen, mit gerade genug -leichtem Sinn, um liebenswürdig zu sein und über das -Nützliche einer Sache auch nicht das Angenehme zu -vergessen – aber ja nicht zu viel – den Hut zu viel -auf eine Seite bedeutet sehr großen Leichtsinn – ein -keckes Herausfordern der Menschheit, um das sich gewöhnlich -Niemand kümmert, Rauflust und verschiedene -andere schlimme Leidenschaften. Solche Menschen -werden auf die Länge der Zeit im Umgang unerträglich.</p> - -<p>Der Hut weit hinten verräth Sorglosigkeit, aber -auch Behaglichkeit, mit einer kleineren oder größeren -Mischung von Eigendünkel. Leichtsinnige Schuldenmacher -und Speculanten sind geneigt den Hut in -solcher Weise zu tragen, und je weiter er nach hinten -gerückt wird, desto gefährdeter ist ihre Position.</p> - -<p>Dagegen deutet es Schwermuth und Niedergeschlagenheit, -wenn der Hut, im entgegengesetzten Fall, -weit in die Stirn gezogen wird: düsteren Groll, ein -gepreßtes Herz oder gedrückte Lebensverhältnisse – -auch unsaubere Wünsche; kurz der Hut zeigt den -Menschen wie er wirklich <em class="ge">ist</em>, und Zacharias Hasenmeier, -der leichtsinnigste »wasserdichte Hutmachergesell,« -<a class="pagenum" id="page_231" title="231"> </a> -der diese Straße je passirt war, strafte mit seinem Hut -keck auf dem linken Ohr diese Theorie wahrlich nicht -Lügen.</p> - -<p>Zacharias machte sich auch wirklich <em class="ge">keine</em> Sorgen, -und erst nur einmal mit seinem Entschluß im Reinen -hielt er alles Andere, was ihn möglicher Weise betreffen, -oder ihm hindernd in den Weg treten könne, für -Nebensache – und doch hatte er gerade da, wo er die -Hauptschwierigkeit fand, keine erwartet.</p> - -<p>Seine Begriffe von Reisespesen waren nämlich -sehr unvollkommener Art, denn wenn er sonst von -einer Stadt zur anderen wanderte – mochte sie auch -noch so weit entlegen sein – so brachte er dorthin -doch gewöhnlich noch immer ein paar Groschen mehr -mit, als er von Hause aus mit genommen, denn er -verstand die Kunst des Fechtens aus dem Grunde und -wenig Familien, die er ansprach, konnten sich rühmen -ihn unbeschenkt entlassen zu haben. Darnach berechnete -er also auch die etwa zu zahlende Passage nach -einem fremden Welttheil, und fand sich hier in Hamburg -sehr enttäuscht, als die Kapitäne dort liegender -segelfertiger Schiffe eine weit größere Quantität der -landesüblichen Münzsorte verlangten, um ihn als -<em class="ge">Passagier</em> aufzunehmen, als er im Stande war -aufzuzeigen – selbst wenn er gewillt gewesen wäre, -<a class="pagenum" id="page_232" title="232"> </a> -sich zu diesem Zweck von seinem ganzen Capital zu -trennen.</p> - -<p>Wo er an Bord kam, schüttelten die alten Seeleute -mit dem Kopf und meinten, das reiche nicht, und unnützes -Volk könne man nicht Monate lang umsonst an -Bord füttern. Von dem Seedienst verstand er aber -gar Nichts, Hutmacher wurden nicht unterwegs gebraucht, -und so blieb das Resultat auf allen Schiffen -dasselbe, so daß Zacharias, am Abend des zweiten -Tages, den er auf solche Weise verwandt, mit in die -Stirn gezogenem Hut – so keck er ihn auch noch an -dem Morgen auf dem einen Ohr getragen, in sein -Wirthshaus nahe am Hafen zurückkehrte, und sich -mürrisch und der ganzen See grollend hinter ein Glas -etwas dünnes Bier setzte.</p> - -<p>Es war das eine der sogenannten Matrosenkneipen, -in der fast nur Seeleute, oder mit der Schiffahrt zusammenhängende -Personen, wie Segelmacher, Reepschläger -etc. einkehrten, und es läßt sich denken, daß ein -Handwerksbursch mit Tornister und Knotenstock und -einer richtigen »Landschraube« auf dem Kopf nicht unbemerkt -passiren konnte. Es war etwa gerade so, als -ob ein ausgespannter Stier hinaus in den Wald ging, -und sich einem Rudel Hirsche beigesellte, und die Matrosen -steckten dann auch bald die Köpfe zusammen, -<a class="pagenum" id="page_233" title="233"> </a> -und flüsterten und lachten über den wunderlichen -Gesellen. Nachdem sie indeß ihren Spaß eine Weile -gehabt, ohne daß er weiter Notiz von ihnen genommen, -wollten sie ihn auch aufziehen, aber Zacharias war -nicht auf den Kopf gefallen, und antwortete ihnen bald -so scharf und treffend, daß sie jetzt selber Vergnügen -daran fanden, sich mit ihm zu unterhalten – doch -freilich nicht bei einem Glas Dünnbier, dem sich ihre -ganze Lebensweise nicht zuneigte.</p> - -<p>Grog wurde bestellt, und da Zacharias nicht den -geringsten Grund sah, seine Absichten, die ihn hierher -geführt, zu verheimlichen, so erfuhr die Gesellschaft -bald, daß er aus dem inneren Land käme und auswandern -wolle, aber kein Schiff finden könne, weil es -ihm gerade am Besten fehle.</p> - -<p>Die Matrosen, meist immer gutmüthig gegen -Fremde, sobald sie keine Gelegenheit mehr finden sich -über sie lustig zu machen, schlugen jetzt bald das, bald -jenes Schiff vor, das knapp an Mannschaft, vielleicht -doch hätte bewogen werden können, ihn mitzunehmen -– Zacharias schüttelte aber immer mit dem Kopf, -denn auf fast allen war er schon selber gewesen, und -wenn auch noch ein oder das andere da lag, auf dem -er noch nicht nachgefragt, so konnte er sich doch ziemlich -genau denken, welche Antwort er dort bekommen -<a class="pagenum" id="page_234" title="234"> </a> -würde. – Es war nicht der Mühe werth, es auch nur -zu versuchen.</p> - -<p>»Sag' einmal Landsmann,« frug der Wirth, ein -breitschultriger, blatternarbiger Gesell, mit einer -blauen, goldgestickten, aber entsetzlich schmutzigen Mütze -auf den scharf gekräußten braunen Haaren und dabei -mit ein paar kleinen verschmitzten Augen – »wo willst -Du denn eigentlich hin?«</p> - -<p>»Fort – hinaus in die Welt,« erwiederte der -wasserdichte Hutmacher – »wohin, ist mir vollkommen -gleich, zu den Menschenfressern oder Kannibalen – -nur die Welt möcht ich sehen, und die verfluchten -Eisenbahnen los werden.«</p> - -<p>»So?« sagte der Wirth, »na, hast Du es denn da -schon auf einem Wallfischfänger versucht?«</p> - -<p>»Auf einem Wallfischfänger?« frug Zacharias erstaunt, -»was ist das?«</p> - -<p>»Nun ein Schiff, das hinaus in die Südsee fährt -und Fische fängt, und dabei an allen Inseln anlegt, -die es erreichen kann.«</p> - -<p>»<i>Damn it!</i>« rief da Einer der Matrosen, »da liegt -gerade die »Seeschlange« draußen im Fahrwasser, vor -einem Anker und will morgen früh mit der Ebbe in -See gehen – die braucht noch Leute, und nimmt was -sie kriegen kann.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_235" title="235"> </a> -»Aber ich kann gar nicht angeln,« sagte Zacharias.</p> - -<p>»Angeln – <i>hell</i>!« rief der Wirth, »zu angeln -brauchst Du auch nicht, und die nehmen Dich mit -Kußhand, denn an Bord von einem Wallfischfänger -brauchen sie Leute zu allerhand und wenn's auch nur -wäre, um einen Schleifstein oder Schiemannsgarn zu -drehen und Feuer unter den Kesseln zu halten.«</p> - -<p>Die anderen Matrosen stimmten dem Wirth bei. -Wallfischfänger waren in der That die einzigen Schiffe, -die Jeden annahmen, der sich auf ihnen verdingen -wollte, und dabei am Weitesten in der Welt herumkamen. -An alle Inseln, die sie nur erreichen konnten, -fuhren sie hinan und segelten jetzt an der Japanischen -Küste – dann wieder im Eismeer, und vier, fünf -Monate später zwischen den Corallen-Inseln der Südsee -herum. Das aber war gerade was Zacharias -wollte, denn hätte er sich an <em class="ge">einer</em> bestimmten Stelle -niedergelassen, so wäre ihm doch zuletzt nichts Anderes -übrig geblieben, als wieder zu arbeiten, und zu diesem -<em class="ge">letzten</em> verzweifelten Mittel, sich eine Existenz zu -sichern, wurde er noch immer zeitig genug getrieben.</p> - -<p>Einer oder der andere von den Leuten am Tisch -hatte aber auch schon eine Fahrt mit einem Wallfischfänger -gemacht, und erzählte dann Wunderdinge, was -er da draußen gesehen: von den Meerweibchen und -<a class="pagenum" id="page_236" title="236"> </a> -See-Greisen und den Corallenhäusern, die sie in der -See hätten, von fliegenden Fischen und Palmen, die -mit den langen Blättern in der Luft herum föchten, -von Schildkrötenjagd und dann dem lustigen Wallfischfahrerleben -selber, wie sie in Booten hinter den großen -Fischen herruderten, ihnen die Harpune in den Leib -warfen und sie dann endlich todtstachen und einkochten, -und den ausgekochten Speck für ein enormes Geld -verkauften.</p> - -<p>Zacharias saß mit offenem Mund daneben, und so -gut wie ihm der Grog mundete, gerade so gefielen ihm -auch die wunderbaren Schilderungen dieses fabelhaften -Lebens, das die Matrosen – einer solchen -Landratte gegenüber – denn auch noch tüchtig auszumalen -wußten. Einer erzählte immer tollere Geschichten -als der andere, und als sie endlich fort wollten, ließ -sie Zacharias nicht und bestellte frischen Grog, nur um -noch immer mehr zu hören, und jetzt konnte er schon -die Zeit nicht erwarten, daß es wieder Tag würde, -um sich auf einem solchen merkwürdigen Fahrzeug -einzuschiffen, und all das Wunderbare selbst mit zu -erleben.</p> - -<p>Ein alter Segelmacher, der den tollen Erzählungen -gelauscht, schüttelte zwar mit dem Kopf, denn es that -ihm leid, daß sie den armen Teufel mit seinen verworrenen -<a class="pagenum" id="page_237" title="237"> </a> -Ideen nur noch verrückter machten, und er -meinte einmal:</p> - -<p>»Kamerad, nimm Dich in Acht. Wenn das wahr -ist, was <em class="ge">ich</em> von Wallfischfängern gehört habe, so ist -verdammt wenig Vergnügen und heidenmäßige Arbeit -dabei, und kriegst Du Einen von den Burschen zum -Kapitän, wie sie hie und da auf den Schiffen stecken, -so wollte ich lieber an Land irgendwo als Kettenhund -in Condition treten, ehe ich mich an Bord eines solchen -Schiffes verdingte.«</p> - -<p>»Ach Unsinn, Mate,« lachte aber ein Anderer, -»wenn das bischen Arbeit nicht wäre, machte Einen ja -die Langeweile auf der langen Reise todt.«</p> - -<p>»Na, wenn ihn weiter nichts todt macht, als die -Langeweile,« nickte der Segelmacher vor sich hin, »so -kann er zufrieden sein – mit Deckwaschen, Garnspinnen, -Theerstreichen, Kettenklopfen, Thran einschneiden -und auskochen und wie die angenehmen Beschäftigungen -alle heißen, wird ihn die nicht viel plagen. -Aber meinetwegen Kinder,« sagte er, von seinem -Stuhl aufstehend und sein Glas zurückschiebend, -»wer nicht hören will, muß fühlen, und wenn er's -denn nicht anders haben mag, wird ihm eine dreijährige -Lehrzeit auf einem solchen blutigen Kasten -auch gerade Nichts schaden – viel Glück Mate und -<a class="pagenum" id="page_238" title="238"> </a> -einen guten Fang –« und damit stieg er langsam zur -Thüre hinaus.</p> - -<p>Zacharias war wirklich ein wenig stutzig geworden, -aber das Lachen und Erzählen der Anderen trieb bald -jeden solchen Gedanken aus seinem Hirn. <em class="ge">Das</em> war -eine Landratte, die überhaupt nicht mehr auf's Wasser -hinaus mochte, und von dem lustigen Leben draußen -wenig wußte. Nur <em class="ge">ein</em> Bedenken kam ihm noch – -er konnte nicht schwimmen, und wenn er nun einmal -aus dem Schiff herausfiel! Er theilte es dem neben -ihm Sitzenden, der sich überhaupt am Meisten seiner -angenommen hatte, mit, der aber lachte gerade hinaus: -»Schwimmen?« rief er, »glaubst Du, Kamerad, daß -Einer von uns Allen, die wir zur See gehen, schwimmen -kann? fällt uns gar nicht ein. Daß wir uns etwa -lange quälen müßten, wenn die Geschichte einmal schief -geht, nicht wahr? – denken gar nicht daran. Fällt -Einer über Bord, dann geht der Steuermann in seine -Cajüte und schreibt's in's Logbuch, und damit ist's zu -Ende – lustig gelebt und fröhlich gestorben, das hat -dem Teufel die Rechnung verdorben,« und jubelnd -stießen die wilden Burschen wieder mit ihren Gläsern -an, und immer neuen Stoff mußte der Wirth herbeischaffen.</p> - -<p>Endlich fingen sie an zu singen – ganz schrecklich -<a class="pagenum" id="page_239" title="239"> </a> -lange Balladen, die mit ihren zahllosen Versen gar -kein Ende nehmen wollten, und Zacharias wurde -schläfrig und wäre richtig eingenickt, wenn sich nicht -eines der Schenkmädchen, die bis dahin mit den -Matrosen gelacht und getrunken, zu ihm gesetzt und -mit ihm geplaudert hätte. Die erzählte ihm jetzt aber -auch, daß der eine Wallfischfänger, der im Hafen läge -– und es war in der That nicht der einzige – nur -auf Tageslicht und Ebbe warte, um die Elbe hinunter -und hinaus in See zu fahren, und wenn er die -Zeit verpasse, könne er nicht mit und müsse hier bleiben.</p> - -<p>Das machte ihn geschwind wieder munter, denn -die Gelegenheit durfte er nicht ungenutzt vorüber lassen; -sie bot sich vielleicht so bald nicht wieder. Das -Mädchen wollte ihm noch einmal zu trinken geben, -aber er fühlte, daß er genug hatte, denn da draußen -dämmerte schon wieder der Tag – so lange geschwärmt -zu haben erinnerte er sich gar nicht, verlangte -aber jetzt noch eine Tasse Kaffee, nahm sich -dann ein reines Hemd aus dem Tornister, um anständig -vor dem Kapitän zu erscheinen, und ging, als es -vollständig hell geworden war, mit einem der Matrosen, -der ihn begleitete, zu dem bezeichneten Schiff.</p> - - - - -<h3><a class="pagenum" id="page_240" title="240"> </a> -<span class="subheader"><span class="ge">Zweites Kapitel.</span></span><br /> - -Zacharias Hasenmeier hält es nicht an Bord aus.</h3> - - -<p>Hatte er aber früher Angst gehabt, daß es ihm -hier wie auf den anderen Fahrzeugen gehen und der -Kapitän ihn abweisen würde, so fand er sich angenehm -getäuscht, denn der brauchte allerdings Leute, und -wenn er zuerst auch genau so ein Gesicht schnitt, wie -die Uebrigen, als er den Handwerksburschen mit seinem -Tornister und Knotenstock sah, so schien er es -doch wenigstens für möglich zu halten, einen Matrosen -aus ihm zu machen. Er sagte, er wolle es jedenfalls -versuchen. Zacharias wurde sein Platz angewiesen, -wo er schlafen konnte, und mit dem Bewußtsein, -jetzt endlich sein Ziel erreicht zu haben, und einem -neuen Leben entgegen zu gehen, hing er dort seinen -Rock an einen Nagel, hakte den Tornister darüber und -– war eingezogen.</p> - -<p>Aber es schien auch die höchste Zeit für ihn gewesen -zu sein, an Bord zu kommen, denn in demselben -Augenblick schon fast wurden die Segel ausgespannt, -und das Schiff fuhr den Strom hinunter und in die -See hinaus. – Wie das aber tanzte und schwankte -und der arme Hutmachergesell, der schon so viel von -der Seekrankheit gehört, sich aber noch nie eine richtige -<a class="pagenum" id="page_241" title="241"> </a> -Idee davon gemacht hatte, sollte jetzt erfahren, wie -das thue.</p> - -<p>Die ganze Welt schien sich mit ihm zu drehen; -Alles wirbelte im Kreis herum – er wußte nicht -mehr was oben oder unten war, ob er auf dem Kopf -oder auf den Füßen stand. – Er warf sich auf Deck -nieder und breitete die Arme und Beine aus, um nicht -noch tiefer zu fallen, kurz, er befand sich in einem Zustand, -der sich wohl bedauern, aber nie im Leben beschreiben -läßt.</p> - -<p>Wie lange er so gelegen, wußte er gar nicht, und -nur das einzige Bewußtsein war ihm dabei geblieben: -der Wunsch zu sterben, um dieser Höllenpein, diesem -qualvollen und unerträglichen Zustand ein Ende zu -machen. – – Aber auch das ging zuletzt vorüber, das -Schiff lag ruhiger, oder er fühlte vielleicht auch die -Bewegung nicht mehr so stark, und als er eigentlich -erst wieder ordentlich zu sich kam, befanden sie sich -schon so weit draußen in See, daß er, wohin er auch -blickte, kein Land mehr erkennen konnte. Er hatte -seine Reise angetreten und ein Rückschritt war nicht -mehr möglich.</p> - -<p>Aber ob er sich eine Seefahrt anders gedacht haben -mochte; er fühlte sich keineswegs behaglich und -sehnte sich fortwährend danach, das ewig schwankende -<a class="pagenum" id="page_242" title="242"> </a> -Schiff nur erst einmal wieder unter den Füßen los zu -werden, und festen, sicheren Boden zu betreten. Reisen -– war <em class="ge">das</em> Reisen, wo man in einemfort, wie ein Sack, -hin- und hergeworfen wurde, und den einen Fuß nie vom -Boden heben konnte, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, -auf die Nase zu fallen? Da marschirte sich's anders in -seinen festen soliden Pappelalleen und er bekam wieder -das alte Heimweh nach seinem früheren Leben.</p> - -<p>Und wenn sie ihn jetzt noch wenigstens zufrieden -gelassen hätten, daß er sich ordentlich ausruhen und -das häßliche schwindliche Gefühl überwinden konnte -– aber Gott bewahre; kaum machte er die Augen -wieder auf, so kam auch schon der Steuermann und -stellte ihn an die Arbeit, und keine Entschuldigung -half, daß er noch hundeelend sei.</p> - -<p>Jetzt erfuhr er, daß der alte Segelmacher Recht -gehabt, der ihm ganz genau prophezeiht hatte, was -ihn hier erwartete. Wo er schon außerdem schwindlich -war, mußte er noch eine große Schiemannsgarn-Winde -oder gar einen schweren Schleifstein drehen, -daß ihm der Kopf immer mit dabei herum ging – -und dazu sollte er fetten Speck essen und harten -Schiffszwieback kauen – so ein Leben – der Böse -hätt's holen können, wenn es ihm recht gewesen wäre, -aber es war ihm nicht recht.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_243" title="243"> </a> -<em class="ge">Arbeiten</em> – nun ja, er hatte in seinem Leben -schon oft gearbeitet, und einen Hut zu walken und zu -bügeln thaten ihm vielleicht Wenige gleich, aber was -half ihm das <em class="ge">hier</em>? Statt des Bügeleisens bekam er -einen alten schmutzigen Sandstein in die Hände und -mußte damit das Verdeck abschleifen, und wenn das -Deck nur wenigstens ruhig gelegen hätte, aber Gott -bewahre; auf und nieder gings und im Kreis herum -mit ihm und dann kam auch noch der Steuermann -und hieb ihm mit einem Ende Tau eins hinten über, -wenn er nicht rasch genug kratzte, daß er die dicken -Striemen fühlen konnte.</p> - -<p>O wie sehnsüchtig sah er jetzt über Bord, ob er -nicht irgendwo Land erkennen und aussteigen könne, -denn <em class="ge">die</em> Vergnügungstour hatte er schon bis oben -hin satt; aber nichts war zu entdecken als Himmel und -Wasser und immer weiter fuhren sie dabei in den großen -Ocean hinein.</p> - -<p>Wenn er dabei auch geglaubt hatte, er würde sich -mit der Zeit an die Seereise gewöhnen, so fand er -doch bald, daß er sich da schmählich geirrt. Je länger -er fuhr, je schlechter wurde es ihm zu Muthe, der -Kopf brannte ihm, als ob Feuer drinnen wäre, sein -Magen revoltirte gänzlich gegen den ekelhaften Speck -und er hielt sich um so mehr für schlecht und nichtswürdig -<a class="pagenum" id="page_244" title="244"> </a> -behandelt, als es ausdrücklich in seinem Paß -stand, daß alle Civil- und Militärbehörden unterwegs -ersucht wurden, ihn frei und ungehindert passiren, -auch ihm nöthigenfalls Schutz angedeihen zu lassen – -und hier sollte er sich behandeln lassen wie einen -Hund?</p> - -<p>Er ging jetzt direkt zum Kapitän und verlangte -wieder an Land gesetzt zu werden, aber der sagte -weiter nichts als: »geh zum Teufel!« und drehte ihm -den Rücken, und die Matrosen verhöhnten ihn und -lachten ihn aus.</p> - -<p>Und jetzt begann der Sturm wieder zu toben; die -Segel mußten eingenommen werden, und das Schiff -fing an zu tanzen, daß Zacharias manchmal meinte, -es müsse sich überschlagen, so hoch hob es sich vorn -in die Höhe und fuhr dann wieder in die Tiefe hinab, -bis ihm ordentlich der Athem ausging und er Luft -schnappen mußte.</p> - -<p>Er wollte sich jetzt in sein Bett legen, denn auf -den Füßen konnte er sich doch nicht mehr halten, aber -was half es ihm? Kaum war er hineingekrochen und -machte die Augen zu, so schlenkerte das Schiff nach -der andern Seite hinüber, und warf ihn wie ein -Bündel alte Kleider an die andere Wand, daß ihn -alle Rippen im Leibe schmerzten. Wieder kletterte er -<a class="pagenum" id="page_245" title="245"> </a> -hinein, hatte sich aber noch nicht einmal ordentlich fest -gelegt, als er noch unsanfter als vorher hinaus geschleudert -wurde, und jetzt bekam er's satt.</p> - -<p>»Nein,« schrie er, »so ein Hundeleben soll ja der -Teufel holen – ich thu' nicht mehr mit,« und zugleich -fuhr er in seine Kleider, zog sich fertig an und nahm -dann auch seinen Tornister vom Nagel, um ihn zu -packen.</p> - -<p>Die alten Matrosen, die ganz gemüthlich in ihrer -Hängematte schaukelten, lachten, und frugen ihn, ob -er an Land wolle und auch tüchtig lange Wasserstiefeln -habe – aber er antwortete ihnen gar nicht, schnallte -seinen Tornister, mit den noch unbenutzten hellglänzenden -Stiefelsohlen oben, fest, knöpfte sich seinen Rock -bis oben hin zu, setzte seinen Hut auf und zog ihn sich -vorn tief in die Stirn, holte seinen Knotenstock vor -und hing ihn sich mit dem Lederriemen an's rechte -Handgelenk, sagte »adjes miteinander« und stieg an -Deck.</p> - -<p>Gegen Alles, was ihn nach Außen umgab, schien -er völlig blind geworden, nur an sich selber dachte er -und die ihm hier gewordene nichtswürdige Behandlung, -und so schritt er denn auch fest und entschlossen -auf den Kapitän zu, der in seinen wasserdichten Kleidern -auf dem Quarterdeck auf- und abging, und die -<a class="pagenum" id="page_246" title="246"> </a> -Augen auf das kleine Segel gerichtet hielt, das sie in -dem Wetter noch führen konnten.</p> - -<p>»Herr Kapitän, ich wollte Ihnen man blos Adjes -sagen,« bemerkte hier Zacharias, indem er seinen Hut -abnahm und eine Verbeugung machte.</p> - -<p>»Junge,« rief der Kapitän, »wie siehst Du denn -aus? Bist Du verrückt geworden?«</p> - -<p>»Bitte,« sagte Zacharias, »wollte nur fragen, ob -Sie sonst noch etwas zu bestellen hätten.«</p> - -<p>»Aber wo willst Du denn hin? – gehst Du etwa -so schlafen?« lachte der Seemann.</p> - -<p>»Auf die Wanderschaft will ich,« erwiederte aber -Zacharias Hasenmeier, indem er seinen Hut jetzt wieder -keck auf ein Ohr stülpte, »also Adjes Kapitain, leben -Sie recht wohl, denn <em class="ge">die</em> Wirthschaft hier hätt' -ich satt,« und damit drehte er sich um, der See zu, wo -gerade eine riesige Woge heraufgestiegen kam, daß sie -mit dem hohen Hinterdeck vollkommen gleich lief. -Dort trat er auch ganz ruhig, als ob er ein festes -Stück Grund und Boden unter sich gehabt, auf das -Wasser hinaus, und sank natürlich in demselben Augenblick, -wo er die Welle nur berührte, mit ihr in die -Tiefe.</p> - -<p>Er wollte jetzt schreien, aber das ging nicht mehr -– oben hörte er nur noch den wildverstörten Ruf: -<a class="pagenum" id="page_247" title="247"> </a> -Mann über Bord, und wußte jetzt, daß der Steuermann -nun in seine Coje gehen und in sein Tagebuch -schreiben werde: Mittwoch den 13. August Nachmittags -halb vier – soviel Grad Länge, soviel Grad -Breite, Mann über Bord gegangen – Zacharias -Hasenmeier – das war seine Grabschrift und damit -fuhr er ab – tiefer und immer tiefer.</p> - - - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Drittes Capitel.</span></span><br /> - -Wie Hasenmeier den ersten Seegreis trifft.</h3> - - -<p>Eigentlich war er selber sehr überrascht worden, -als er hinaus aus dem Schiff trat, dort erst merkte, -daß er auf gar nichts mehr stand und zu gleicher Zeit -fühlte, wie ihm das Wasser nicht allein in die Stiefeln, -nein auch schon in die Halsbinde lief, und gleich -darauf über seinem Kopf zusammenschlug.</p> - -<p>»Du meine Güte,« dachte er, »das ist doch hier -eine verzweifelte Einrichtung mit den Chausseen, und -wenn ich nach Hause komme« – weiter dachte er aber -nichts, denn so rasch schoß er in die Tiefe, daß ihm -Luft und Gedanken ausgingen, während er umsonst -versuchte, sich irgendwo festzuhalten. Nicht einmal -der bekannte Strohhalm war bei der Hand, nach welchem -<a class="pagenum" id="page_248" title="248"> </a> -sonst ein Ertrinkender gewöhnlich greifen soll, und -er kam eigentlich erst wieder zur Besinnung, als er -sich gar nicht mehr besinnen konnte, wo er sei und was -mit ihm vorging.</p> - -<p>Da er aber keinen festliegenden Gegenstand mehr -um sich her erkennen konnte, fühlte er auch nicht mehr, -daß er sank, und die ganze Welt kam ihm nur in dem -Augenblick wie eine riesige, grüne Glasflasche vor, in -welcher er eingestöpselt herumschwamm. – Er wollte -dabei Athem holen, aber das ging nicht, denn sobald -er den Mund aufmachte, lief ihm das Salzwasser -hinein, und trotzdem befand er sich wohl dabei, und es -beschlich ihn eine Empfindung, als ob er kaum so -viel wiegen könne, wie ein Schneidergeselle gleichen -Alters.</p> - -<p>Wenn ihn aber während dieser Zeit nicht eine – -wie bisher irrthümlich berichtete – purpurfarbene, -sondern weit eher Bouteillenglasfarbene Finsterniß -umgeben hatte, so bemerkte er jetzt zu seinem Erstaunen, -daß sich die Dämmerung augenscheinlich lichtete, -Gegenstände umher wurden sichtbar – hie und da -begegnete er einem riesigen Seeungeheuer, das sich -faul in seinem Element herumwälzte, und keine Ahnung -von der Nähe eines fremden Hutmachergesellen zu -haben schien – unangenehme Quallen und Blasen trieben -<a class="pagenum" id="page_249" title="249"> </a> -sich dort umher, und Fische sah er hier und dorthin -schießen – ob <em class="ge">die</em> aber <em class="ge">aufwärts</em> fuhren, -oder er <em class="ge">ab</em>wärts, war er nicht im Stand zu sagen, -denn seine ganze Aufmerksamkeit blieb in diesem Augenblick -auf den, unter ihm befindlichen Raum gerichtet, -der mit jeder Secunde mehr aus der dichten -Finsterniß heraustrat, und mit einem ganz eigenthümlichen -Licht übergossen schien.</p> - -<p>So mußte es einem Menschen zu Muthe sein, -der aus hoher Luft in einem Ballon zur Erde niedersank, -so daß unter ihm, je tiefer er kam, das weite -Land heller und klarer sichtbar wurde, bis sich endlich -die einzelnen Baumgruppen und Ortschaften und -zuletzt Häuser und Menschen klar und genau erkennen -ließen.</p> - -<p>Dort lagen weiße, zackige Flächen, aus denen er -nicht klug werden konnte, denn sie sahen aus wie beschneit -– dort breiteten sich weite grüne Ebenen, -mit Thieren auf der Weide, dort standen Häuser, die -in jenem wunderbaren Licht funkelten und blitzten -und in rasender Schnelle zu wachsen schienen. Ehe -Zacharias aber nur einen Ueberblick über das Ganze -gewinnen konnte, fuhr er plötzlich bis über die Kniee -in weichen Sand hinein, blieb aber nicht darin sitzen, -sondern wurde wie von selber wieder herausgehoben. -<a class="pagenum" id="page_250" title="250"> </a> -– Und was das für eine curiose Gegend war, in der -er sich befand!</p> - -<p>»Jetzt – wenn ich nicht auf Reisen wäre,« -brummte er leise vor sich hin, »sollt' ich meiner Seel' -denken, <em class="ge">die</em> Pappelallee führte nach Halle hinein – -aber puh, wo liegt Halle!«</p> - -<p>Er befand sich in der That in einer langen, schnurgeraden -Allee, die freilich aus den wunderbarsten -Bäumen bestand. Sie sahen wohl so aus wie Pappeln, -hatten aber gar keine Blätter, sondern nur dünne -elastische und sich fortwährend bewegende Zweige. -Gar nicht weit voraus aber lag ein Haus – er -konnte das Dach im Lichte blitzen sehen und ohne sich -lange zu besinnen, marschirte er darauf zu. – Aber -sein Blick fiel dabei unwillkürlich auf den Weg, in -dem er auch nicht die Spur von einem Wagengleis -bemerkte – mit den Extraposten sah es jedenfalls -windig aus.</p> - -<p>Zu solchen Betrachtungen blieb ihm jedoch keine -lange Zeit, denn viel rascher als er gedacht, erreichte -er das Haus. Und wie sonderbar leicht sich das -hier ging; den Tornister fühlte er fast nicht auf den -Schultern, die Füße nicht auf dem Boden, und der -schwere Knotenstock hob sich bei jedem Schritt immer -ganz von selber wieder.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_251" title="251"> </a> -Und da lag das Haus: es war aus rauhen Korallenblöcken -aufgeführt, aber mit den herrlichsten -Perlmutterschalen gedeckt, und hatte Thüren und -Fenster, wie die Häuser an der Oberwelt – die -Fenster bestanden aber nicht aus Glas, sondern aus -Hausenblase und der Thürgriff war aus Bernstein, -wie der Thürklingelgriff aus einem Zahn des Spermacetiwals -gemacht.</p> - -<p>Aber nur einen Blick warf er auf diese äußeren -Baulichkeiten, denn zu seinem Erstaunen bemerkte er -jetzt, daß vor dem Haus, auf einer dort angebrachten -Austerbank, ganz gemüthlich ein menschenähnliches Individuum -saß, das ihn, anscheinend eben so überrascht, -betrachtete.</p> - -<p>Es war eine kleine dicke Gestalt mit einer runden -Schuppenmütze auf, aber sonst wohl ganz kahlem -Kopf und einem Gesicht, das weit eher einem Karpfen, -als einem menschlichen Wesen glich. Uebrigens hatte -es Arme und Beine, nur daß der untere Theil derselben -an den Seiten Flossen zeigte, auch trug es eine -Art Schlafrock aus irgend einer Seegrasart geflochten, -der um den Leib mit einem Korallengürtel festgebunden -war.</p> - -<p>»Gu'n Morgen,« sagte der Fischschwänzige ruhig, -und Zacharias erschrak ordentlich über die deutsche -<a class="pagenum" id="page_252" title="252"> </a> -Anrede, aber alte Gewohnheit ließ vor der Hand -kein anderes Gefühl in ihm aufkommen, und seinen -Hut schnell herunterreißend, erwiederte er höflich:</p> - -<p>»Armer reisender Handwerksbursch; seit drei Tagen -keinen warmen Löffel im Leibe gehabt.«</p> - -<p>»Jemine Junge,« lachte da der kleine Dicke vergnügt, -ohne aber in die Tasche zu greifen, »das ist eine -lange Zeit, seit ich keinen Handwerksburschen hier gesehen -habe. Wo kommst Du denn her? Bist Du erst -kürzlich ersoffen?«</p> - -<p>»Bitte,« sagte Zacharias, »so viel ich mich erinnere, -noch gar nicht – ich habe meinen ordentlichen -Paß bei mir, und wollte nur einmal sehen wie's hier -unten ausschaut – sehr hübsche Gegend.«</p> - -<p>»So?« sagte der Kleine, aber dabei ungläubig mit -dem Kopf schüttelnd, »also Du bist <em class="ge">nicht</em> ersoffen – -das ist doch eigentlich merkwürdig. Woher kannst denn -Du das Wasser vertragen?«</p> - -<p>»Entschuldigen Sie,« sagte Zacharias, der die -Möglichkeit eines Geschenkes noch nicht aufgab, und -deshalb seine Höflichkeit bewahrte, »ich bin wasserdichter -Hutmachergesell und da –«</p> - -<p>»Ja so, das ist was Anderes,« nickte der Kleine, -»aber Du bist noch nicht lang hier, wie? – gefällt's -Dir hier bei uns?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_253" title="253"> </a> -»Muß schon sagen, daß mir's gefällt,« meinte der -Hutmacher, »nur ein Bischen feucht kommt mir die -Gegend vor.«</p> - -<p>»Aber man gewöhnt's,« meinte der Kleine wieder, -»ich wohne nun jetzt schon etwas über zweitausend -Jahr hier und befinde mich ganz wohl –«</p> - -<p>»Donnerwetter, das ist eine schöne Zeit,« rief -Zacharias, »und darf man fragen, was Sie eigentlich -für ein Geschäft hier treiben, und wo Sie so gut deutsch -gelernt haben?«</p> - -<p>»Geschäft,« sagte der Kleine, »gar keins, ich bin -Seegreis und beziehe meine jährliche Pension, und -Deutsch hab ich von meinen neuen Nachbarn gelernt, -die gar nicht weit von hier wohnen.«</p> - -<p>»Deutsche?« rief Zacharias erstaunt aus.</p> - -<p>»Ja wohl,« nickte Jener, »vor etwa fünfzig Jahren -versank grad' über uns ein großes Schiff mit lauter -Deutschen, die nach Amerika hinüber wollten, und die -kamen denn grad herunter und siedelten sich da an. -Wollen wir einmal hinüber gehen?«</p> - -<p>Zacharias hätte gar nichts Erwünschteres angeboten -werden können, denn der kleine komische Kauz -hatte ihm noch nicht einmal einen Schluck Branntwein -angeboten und er wußte, daß er bei Landsleuten jedenfalls -besser behandelt würde. Der Kleine stand -<a class="pagenum" id="page_254" title="254"> </a> -aber indessen auf, schwamm in's Haus hinein, kam -aber gleich darauf wieder heraus und hatte, zu Zacharias' -unbegrenztem Erstaunen einen <em class="ge">Regenschirm</em> -unter der einen Flosse, den er dann aufspannte und -sagte:</p> - -<p>»So, nun kann's losgehen.«</p> - -<p>»Aber entschuldigen Sie,« meinte der Hutmacher, -»brauchen Sie denn hier im Wasser einen Regenschirm?«</p> - -<p>»<em class="ge">Regenschirm?</em>« sagte sein Begleiter, »einen -<em class="ge">Schirm</em> gewiß. Es fahren hier jetzt in letzter Zeit -so eine Menge Schiffe drüber weg und die Leute -darauf kehren sich den Henker darum, was sie über -Bord werfen, so daß man nie sicher ist einmal unterwegs -einen zerbrochenen Teller, oder sonstige Porzellan- -und Glasscherben, alte Nägel und Gott weiß -was, auf den Kopf zu bekommen. Ich gehe deshalb -nie ohne Schirm aus.« Und damit schwamm er ganz -behaglich die Allee entlang.</p> - -<p>»Was sind denn das nur für komische Bäume,« -sagte Zacharias, der nebenherkeuchte und kaum mitkommen -konnte, »solche hab ich doch mein Lebtag noch -nicht gesehen.«</p> - -<p>»Bäume?« sagte der Seegreis, »da drüben stehen -Bäume – Korallenbäume – andere haben wir hier -<a class="pagenum" id="page_255" title="255"> </a> -unten nicht. Das hier sind Polypen, die in Reihen -gepflanzt werden, weil's hübscher aussieht.«</p> - -<p>»Polypen – 's ist die Möglichkeit,« rief Zacharias -erstaunt aus, »wenn ich wieder nach Hause komme, -glauben sie mir's gar nicht.«</p> - -<p>»Nach Hause kommen,« sagte der Seegreis mit -dem Kopf schüttelnd, »ich lebe nun hier unten über -zweitausend Jahr, kann mich aber nicht besinnen, daß -jemals irgend wer, der uns hier besuchte, wieder nach -Hause gekommen wäre.«</p> - -<p>»Das ist bei uns gerade so,« rief Hasenmeier, »die -ältesten Leute in einem Orte wissen sich nie auf etwas -zu besinnen – aber entschuldigen Sie, verehrter Seegreis, -was ist denn das da drüben – das sind ja -komische Thiere.«</p> - -<p>Rechts, wohin er zeigte, dehnte sich eine weite -grüne Seegraswiese aus und Hasenmeier bemerkte -jetzt zu seinem Erstaunen, daß dort ein paar Hundert -große Schildkröten auf der Weide herumgingen, während -der Hirt, oder die Hirtin vielmehr, ein junges -allerliebstes Seenixchen, wie er sie schon oft hatte abgemalt -gesehen, mit einem Seehund neben sich, sie -überwachte.</p> - -<p>»Das ist ja ein allerliebstes Mädel,« fuhr der -galante Hutmachergesell fort, der sie schmunzelnd betrachtete, -<a class="pagenum" id="page_256" title="256"> </a> -denn sie gefiel ihm ausnehmend, »können wir -nicht einmal dort vorüber gehen.«</p> - -<p>»Warum nicht?« erwiederte der Seegreis gefällig, -»wenn wir nachher schräg durch den Korallenwald -halten, schneiden wir sogar ein tüchtiges Stück Weges -ab, denn die Colonie liegt gerade dort hinüber,« und -ohne Weiteres bog er rechts durch die Grasebene -ein und hielt auf die kleine Nixe zu, die neugierig aufschaute, -als sie den komischen, wunderlichen Fremden -bemerkte.</p> - -<p>Es läßt sich nicht leugnen, sie war eigentlich unanständig -einfach gekleidet, und trug nichts als ihre -langen grünen mit Meerrosen durchflochtenen Haare, -aber die klugen großen Augen funkelten wie ein paar -Sterne, und der Arm, den sie ihnen entgegenstreckte, -war weiß und zart wie Elfenbein. Zacharias Hasenmeier -fühlte auch, daß er hier die Gesetze der Höflichkeit -nicht außer Acht lassen dürfe. Er nahm also den -Hut ab, und das ihm schon aus alter Gewohnheit und -mit der Bewegung zusammenhängende und auf den -Lippen schwebende »Armer reisender Handwerksbursch« -gewaltsam hinunter schluckend, sagte er mit größter -Artigkeit:</p> - -<p>»Mein schönes Fräulein, äußerst angenehm ihre -werthe Bekanntschaft zu machen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_257" title="257"> </a> -Die kleine Nixe sah ihn lächelnd an, was ihm -Muth zu einer größeren Freiheit machte: er hob also -den Arm und wollte ihr mit dem Finger unter das -Kinn greifen, zog aber die Hand blitzschnell zurück, -denn das kleine Hirtennixchen, dessen Augen plötzlich -einen grünen Schein annahmen, schnappte danach mit -den Zähnen und der Seehund knurrte und fuhr ihm -auch zu gleicher Zeit nach den Beinen.</p> - -<p>»Donnerwetter,« rief Hasenmeier zurückspringend, -und hatte eben noch Zeit, seinen Stock vorzuhalten, -um wenigstens von dem Hund frei zu kommen.</p> - -<p>»Ja, die beißt,« lachte der Seegreis, »Du darfst -ihr nicht zu nahe kommen.«</p> - -<p>»Das ist aber doch hier ganz anders als bei uns,« -sagte Hasenmeier bestürzt, »bei uns beißen die Mädels -nicht.«</p> - -<p>»Ländlich, sittlich,« bemerkte der Seegreis, »aber -laß uns weiter gehen, siehst Du, dort fängt schon der -Wald an.«</p> - -<p>Zacharias war nicht böse darüber, denn die kleine -Nixe hatte auf einmal alle Reize für ihn verloren, -und er warf nur noch einen Blick auf die wunderliche -Heerde von Schildkröten, die auf ihren platten -Bäuchen im Seegras herumkrochen und unter Obhut -der kleinen bissigen Hexe standen. Vergebens sah er -<a class="pagenum" id="page_258" title="258"> </a> -sich aber nach einem Wald um, denn das, worauf sie -jetzt zuschritten, glich weit eher einer überzuckerten -Hecke, als was er sich bis jetzt unter einem Wald gedacht. -Als er aber hinein kam, sah er doch, daß es -große stämmige Korallenbäume waren, die ihre -zackigen laublosen Aeste nach allen Seiten hinausstreckten, -so daß man kaum seine Bahn hindurch finden -konnte.</p> - -<p>Da blieb der Alte plötzlich unter einem der Bäume -halten und zankte hinauf und als Zacharias erstaunt -dorthin sah, bemerkte er oben in den Zweigen ein -paar kleine Jungen, die sehr verdutzt zu sein schienen -und sich hinter den Aesten zu verstecken suchten.</p> - -<p>»Nichtsnutziges Gesindel,« schimpfte aber der -Seegreis, »Ihr glaubt wohl, ich seh Euch nicht? Wollt -Ihr machen, daß Ihr herunter kommt, und wenn ich -Euch noch einmal dabei erwische, häng ich Euch bei -den Flossen auf und laß Euch eine Woche zappeln,« – -und rechts und links glitten die scheuen Bengel jetzt, -wie blitzende Fische, durch die Wipfel hinaus, in deren -Gewirr sie bald verschwanden.</p> - -<p>»Aber was haben denn die da oben gemacht?« -sagte Zacharias erstaunt.</p> - -<p>»Was sie gemacht haben?« rief der Alte, »die -Nester der fliegenden Fische nehmen sie aus und saufen -<a class="pagenum" id="page_259" title="259"> </a> -die Eier aus – aber wartet, ich passe Euch auf -den Dienst, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Jetzt -sind wir übrigens gleich durch den Wald, – siehst -Du, dort drüben stehen schon die Häuser Deiner -Landsleute, und denen wollen wir nun einmal einen -Besuch abstatten. – Die werden sich freuen, wenn sie -Einen aus ihrem Lande zu sehen bekommen.«</p> - -<p>Der kleine Korallenwald wurde hier schon lichter -und bald betraten sie wieder eine offene Ebene, in der -auf einem flachen Hügel, ganz nahe bei dem Wald, -die Ansiedelung der damals gescheiterten deutschen -Auswanderer lag. Daß sie aber zu Deutschen kamen -sah Zacharias augenblicklich, denn die Wege waren -hier nicht allein vortrefflich in Ordnung gehalten, -sondern er kam auch bald darauf zu einem weiß und -grün angestrichenen Wegweiser, dessen Arm gerade -nach dem Dorf hinüberdeutete, und auf dem die Worte -standen:</p> - -<p class="ce">»Nach Seeburg, eine halbe Pfeife Tabak«</p> - -<p class="in0">was die Entfernung andeutete, in welcher sie sich von -dem Ort noch befanden. Hasenmeier mußte freilich -die Beine tüchtig unter den Arm nehmen, um mit -dem Seegreis Schritt zu halten, der trotz seiner zweitausend -Jahre noch vortrefflich auf den Füßen schien, -sie rückten dadurch aber auch rasch näher, und nach -<a class="pagenum" id="page_260" title="260"> </a> -kaum einer halben Stunde, nachdem sie den Wald -verlassen, erreichten sie die äußeren Einfriedigungen -des Dorfes, das mit seinen reinlichen Straßen -vor ihnen lag.</p> - -<p>Allerdings hatten sie unterwegs noch ein paar -Heerden von Seekühen mit ihren Kälbern und auch -Schildkröten getroffen, die ebenfalls von kleinen allerliebsten -Nixen gehütet wurden; der Hutmachergesell -schien aber jede Lust verloren zu haben mit ihnen anzubinden, -und es drängte ihn jetzt selber, wieder in -»gesittete Gesellschaft« zu kommen.</p> - - - - -<h3><span class="subheader"><span class="ge">Viertes Kapitel.</span></span><br /> - -Der Kampf mit der Seeschlange.</h3> - - -<p>Was unseren Handwerksburschen wunderte, war, -daß er noch gar keinen Menschen auf der Straße -sehen konnte, und er wollte sich eben deßhalb gegen -seinen Begleiter aussprechen, als hinter einer Korallenhecke, -die hier zum Einfassen der Gärten benutzt -zu werden schien, plötzlich ein Gendarm hervortrat, -und den Handwerksburschen mit barscher Stimme -nach seinem Wanderbuch frug.</p> - -<p>»Herr, du meine Güte,« rief Hasenmeier überrascht -<a class="pagenum" id="page_261" title="261"> </a> -aus, »haben sie denn hier unten auch Gendarmen?«</p> - -<p>»Hast Du schon ein deutsches Dorf gesehen, mein -Bursche,« rief aber der Mann des Gesetzes trotzig, -»wo <em class="ge">keine</em> gewesen wären?« – und in der That -konnten sich weder der zweitausendjährige Seegreis -noch der Hutmachergesell auf eins in der Geschwindigkeit -besinnen – »also mach' rasch, denn ich habe keine -lange Zeit.«</p> - -<p>»Das ist merkwürdig,« murmelte der Handwerksbursch -erstaunt vor sich hin; aber nicht gewohnt einer -solchen Persönlichkeit gegenüber irgend eine Widersetzlichkeit -zu zeigen, warf er seinen Tornister ab, schnallte -ihn auf und suchte das Buch.</p> - -<p>»Ei du mein Herrgottchen,« rief er dabei, »Alles -klatsche naß – wenn hier nur ein Platz wäre, wo -man sein Zeug ein Bischen trocknen könnte.«</p> - -<p>»Trocknen?« sagte der Seegreis erstaunt, während -der Gendarm es unter seiner Würde hielt, mit dem -reisenden Handwerksburschen ein Gespräch anzuknüpfen, -ehe sich dieser nicht vollständig legitimirt hatte – -»was ist denn das?«</p> - -<p>»Was trocknen ist?« rief Zacharias, »das nehmen -Sie mir aber nicht übel –«</p> - -<p>»Na wird's bald!« rief der Gendarm.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_262" title="262"> </a> -»Entschuldigen Sie gütigst,« meinte der Handwerksbursch, -»hat ihm schon – hier verehrter Herr -Gerichtsbehörde ist mein Paß – Alles in Ordnung -– Civil- und Militärbehörden werden ersucht, mich -gefälligst –«</p> - -<p>»Schon gut,« unterbrach ihn der Mann des Gesetzes, -indem er das Papier wieder zusammenfaltete -und seinem Eigenthümer zurückgab, »können sich hier -aufhalten, müssen den Paß aber beim Bürgermeister -vorher visiren lassen.«</p> - -<p>»Beim Herrn Bürgermeister, haben Sie denn -hier auch einen Bürgermeister?«</p> - -<p>»Ist das wieder eine dumme Frage,« brummte -der Gendarm, »wo sechs Deutsche zusammen wohnen, -brauchen sie doch auch eine Obrigkeit; wofür sollte -man denn sonst nur Steuern erheben? – Alles hier -wie oben – Alles genau so!«</p> - -<p>»O du lieber Himmel,« seufzte Hasenmeier, aber -ganz im Stillen, denn was er <em class="ge">jetzt</em> dachte, durfte er -nicht laut werden lassen, »und deshalb die schreckliche -Seereise gemacht.«</p> - -<p>»Hutmachergesell?« frug der Gendarm lakonisch.</p> - -<p>»Wasserdichter,« bestätigte Hasenmeier ebenso.</p> - -<p>»Gut – können einmal meinen alten Filz wieder -aufbügeln – ist ein wenig lappig geworden hier unten.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_263" title="263"> </a> -Zacharias warf einen prüfenden Blick auf den -besagten Toilette-Gegenstand und bemerkte allerdings, -daß die Krempen des alten dreieckigen Filzhutes, der -einmal mit silbernen Borden besetzt gewesen, eine -sehr trübselige Form angenommen hatten.</p> - -<p>»Wird mir eine Ehre sein,« erwiederte er höflich, -»aber wo finde ich den Herrn Bürgermeister?«</p> - -<p>»Ist gerade auf der Jagd,« sagte der Gendarm, -»können so lange in's Wirthshaus gehen – zum goldenen -Haifisch.«</p> - -<p>»Wirthshaus?« rief Hasenmeier rasch, »alle Wetter, -ist hier auch ein Wirthshaus im Ort?«</p> - -<p>»Na, wenn ein Bürgermeister da ist, wird doch -auch ein Wirthshaus da sein,« sagte der Gendarm, -»gleich dort neben der Kirche – dem Haus mit dem -kleinen Thurm.«</p> - -<p>Hasenmeier schulterte vergnügt seinen Ranzen -wieder und faßte seinen Knotenstock fester, denn jetzt -fing ihn sein Leben an zu freuen. Das Eine nur -genirte ihn, daß der Seegreis fortwährend um ihn -herum schwamm, und ihn dabei immer über die Achsel -ansah. Was sollte denn das eigentlich heißen? ob -er sich vielleicht über ihn lustig machte, weil er sich -hatte von dem Gendarmen so anfahren lassen? Bah, -was verstand so ein Seegreis davon; wie Gendarmen -<a class="pagenum" id="page_264" title="264"> </a> -behandelt sein wollten, das wußte <em class="ge">er</em> besser, und sich -an den Alten gar nicht mehr kehrend, wanderte er -vergnügt der bezeichneten Stelle zu.</p> - -<p>Rechts und links standen Häuser, alle aus Korallenblöcken -aufgebaut, und mit breiten Muscheln, -wie mit Schindeln gedeckt. Auch Trottoirs hatte das -Dorf, gar künstlich von Austernschalen gelegt, und an -einer großen Oekonomie kam er ebenfalls vorüber, wo -in einem mächtig breiten Stall eine Menge Seekühe -mit ihren Kälbern standen, aber keinen einzigen Menschen -konnte er entdecken – nirgends die Spur von -Leben oder Thätigkeit, und das Ganze fing schon -an ihm unheimlich vorzukommen. War das Dorf -ausgestorben, und der Gendarm ganz allein zurückgeblieben?</p> - -<p>Jetzt hatte er das Wirthshaus erreicht – fehlen -konnte er's nicht, denn ein großes Schild mit einem -goldenen Haifisch verrieth den Platz schon von Weitem, -und rasch schritt er darauf zu, blieb aber ganz erstaunt -in der Thür stehen, als er das ganze Gebäude, -das etwa noch einmal so groß wie die gegenüberliegende -Kirche sein mochte, gedrängt voll fröhlicher -zechender Menschen sah.</p> - -<p>»Ja, alle Wetter!« rief er erstaunt aus, »da wundert's -mich freilich nicht mehr, daß ich Niemanden in -<a class="pagenum" id="page_265" title="265"> </a> -den Häusern gesehen habe, wenn sie Alle im Wirthshaus -sitzen.«</p> - -<p>»Mach' die Thür zu!« rief ihn aber der Wirth -an – eine große breitschultrige Gestalt mit Pockennarben, -dessen Gesicht ihm merkwürdig bekannt vorkam -– »Donnerwetter das ganze Wasser läuft ja -herein.«</p> - -<p>Hasenmeier zog rasch die Thür hinter sich zu und -den Hut vom Kopf.</p> - -<p>»Armer reisender Handwerksbursch,« sagte er dabei -mit kläglicher Stimme, »bittet allerseits um ein kleines -Geschenk.«</p> - -<p>»Hurrah, ein Handwerksbursch!« lachten und -schrien aber die Gäste durcheinander, und ein Toben -entstand jetzt, wie es auf der Oberfläche der Erde nicht -natürlicher hätte aufgeführt werden können.</p> - -<p>Hasenmeier sah auch hier zu seinem Erstaunen, -wie reichlich mit Getränken und Speisewaaren versehen -die Bewohner dieser unterseeischen Station sein -mußten, denn rings an den Wänden waren Massen -von Fässern, mit allen nur denkbaren köstlichen Weinen -und Spirituosen aufgeschichtet, während neben an, -ein anderes weites Lokal die Speisekammer zu sein -schien. Lange Zeit ließen ihm aber die Insassen nicht -zum Umschauen, denn von allen Seiten wurden ihm -<a class="pagenum" id="page_266" title="266"> </a> -Krüge und Gläser entgegengehalten, und Hasenmeier -wußte gar nicht, wo er zuerst zulangen sollte.</p> - -<p>»Wo habt Ihr nur alle die guten Sachen her?« -rief er dabei, »Ihr lebt ja hier wahrhaftig, wie der -liebe Gott in Frankreich.«</p> - -<p>»Woher?« lachte der Wirth, »glaubst Du denn -mein Bursch, daß alle die guten Sachen verloren -gehen, die uns die Schiffe herunter schütteln – -Ladungsweise bekommen wir sie, daß wir manchmal -gar nicht wissen wohin damit – aber jetzt trink aus, -denn wir müssen fort.«</p> - -<p>»Fort? wohin?« frug der Handwerksbursch, der -gar nicht daran dachte, sobald wieder fortzugehen, -»hier ist's doch hübsch genug.«</p> - -<p>»Ja es wird Zeit,« riefen aber auch die Anderen -und holten jetzt aus Ecken und Winkeln alle nur erdenkbare -Arten von Mordwaffen, Lanzen, Spieße, -Flinten, Säbel, Pistolen und wer weiß was hervor.</p> - -<p>»Aber was ist denn nur los?« rief Hasenmeier, -»wollt Ihr in den Krieg? – Donnerwetter, halten Sie -mir die Flinte nicht so auf den Leib; das Ding kann -losgehen.«</p> - -<p>»Was los ist, Kamerad,« sagte der Wirth, »das -sollst Du gleich wissen. Hier ganz in der Nähe läßt -sich nämlich seit einigen Monaten die <em class="ge">Seeschlange</em> -<a class="pagenum" id="page_267" title="267"> </a> -blicken, und holt uns unsere Kühe und Kälber von der -Weide, ja, hat neulich sogar ein kleines Nixchen, das -mit einer Muschel nach ihr warf, mit Haut und -Haaren aufgefressen.«</p> - -<p>»Und hat denn das der Gendarm gelitten?« frug -Hasenmeier.</p> - -<p>»Ja, <em class="ge">die</em> kehrt sich wohl an einen Gendarm,« -lachte der Wirth, »nein, wo wirklich etwas los ist, da -müssen wir immer selber hinaus und uns Ruhe schaffen, -denn solche Bestien giebt's leider nur zu häufig -in unserer Gegend. Der Bürgermeister ist auch schon -heut Morgen in aller Früh mit seinen Hunden ausgegangen, -um einmal abzuspüren und wenn wir dann -wissen, wo sie sich versteckt hält, wollen wir sie nachher -schon kriegen.«</p> - -<p>»Na, dann will ich derweile ein Bischen hier -bleiben und mich ausruhen,« sagte Hasenmeier, dem -Nichts ferner lag, als hier unten mit einer Seeschlange -anzubinden, da diese allen früher gelesenen -Beschreibungen nach ja ein ganz entsetzliches Beest -sein sollte.</p> - -<p>»Möchtest Du wohl,« meinte der Wirth lachend, -»ne mein Bursche, wenn Du hier unten bei uns leben -willst, gehörst Du auch mit zur Landwehr und mußt -ausrücken.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_268" title="268"> </a> -»Aber ich bin militärfrei,« rief Zacharias, »der -Doctor hat mich untersucht und erklärt, ich hielte die -dreijährige Dienstzeit nicht aus – und dann bin ich -auch auf dem linken Ohr taub.«</p> - -<p>»Papperlapapp!« riefen aber die Anderen, »das -macht hier Alles Nichts – gebt ihm einmal eine Lanze -oder sonst was und nun vorwärts, sonst schimpft der -Herr Bürgermeister.«</p> - -<p>Alle weiteren Gegenvorstellungen, daß er sich eine -Blase unter den rechten Fuß gelaufen, und den Rheumatismus -im Knie hätte, halfen ihm in der That -Nichts. Sie schnallten ihm einen furchtbar großen -Säbel um, der wohl einen Fuß hinten nach schleifte -und ihm, wenn er sich umdrehen wollte, zwischen die -Beine kam, und dann brach die ganze Gesellschaft auf, -sammelte sich draußen auf der Straße und marschirte -nun in Reih und Glied, während ein paar Jungen -vorneweg auf Muscheln bließen, zum Dorf hinaus.</p> - -<p>Hasenmeier war bei der Sache nicht recht wohl.</p> - -<p>»Wenn ich <em class="ge">das</em> gewußt hätte,« dachte er bei sich, -»so wäre ich lieber noch einen Tag an Bord geblieben,« -aber es nützte ihm Nichts. Als Vaterlandsvertheidiger -mußte er mit in Reih und Glied marschiren, -und dabei auch noch vergnügt aussehen, wenn -er nicht von seinen Nebenmännern verhöhnt sein wollte.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_269" title="269"> </a> -So zog der kleine Trupp, etwa vierzig Mann -stark, durch die stillen Straßen der Stadt, und Hasenmeier -bemerkte wohl, daß hie und da verstohlen ein -Frauenkopf an die Fenster kam, um nach einem oder -dem anderen der jungen Lieutenants hinunter zu -schielen; aber es blieb ihm auch nicht viel Zeit zu solchen -Betrachtungen, denn schon öffnete sich vor ihnen das -weite Feld, eine mit hohem Seegras bewachsene Wiese, -in der ihnen jeden Augenblick die gefürchtete Seeschlange -unter den Füßen herausfahren konnte.</p> - -<p>Dort draußen bewegte sich jetzt eine menschliche -Gestalt, die ihnen zuzuwinken schien – das mußte -der Bürgermeister sein und die Muschelbläser vorn -wurden bedeutet, ruhig zu sein, denn man konnte ja -nicht wissen, wie nahe die Bestie versteckt lag.</p> - -<p>So rückten sie leise und geräuschlos vor, aber das -Seegras war hier so tief und verwachsen, daß Hasenmeier -kaum darin fortkonnte und immer ärger stöhnte -und schwitzte.</p> - -<p>Der Herr Bürgermeister, der seine Flinte in der -Hand hielt, suchte indessen das nächste Feld ab und hielt -plötzlich still und sah vorsichtig voraus. Zacharias bemerkte -jetzt, daß er ein paar große Seehunde bei sich -hatte, und der eine stand – der Bürgermeister winkte, -daß sie sich ruhig verhalten sollten, und schritt leise vor. -<a class="pagenum" id="page_270" title="270"> </a> -Der eine Seehund zog vortrefflich an – plötzlich fuhr -ein Volk fliegender Fische aus dem Gras heraus und -der Bürgermeister machte eine famose Doublette nach -rechts und links, während die beiden Seehunde vorsprangen -und jeder seinen Fisch apportirte.</p> - -<p>Hasenmeier, von dem ermüdenden Marsch durch -das Seegras vollständig erschöpft, war froh genug, -einen, wenn auch nur kurzen Ruhepunkt zu gewinnen, -wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich -dann auf einen der nahebei befindlichen Korallenblöcke, -die hier überall aus dem Gras hervorschauten. Mit -einem lauten Aufschrei sprang er aber auch schon in -demselben Moment wieder in die Höh', denn er hatte -sich den Platz, auf den er sich niederlassen wollte, vorher -nicht genau angesehen, und sich dabei mitten auf -einen Meerigel gesetzt, der dort zusammengerollt lag.</p> - -<p>Die Anderen lachten, aber es war jetzt doch keine -Zeit zur Kurzweil mehr, denn der Bürgermeister kam -heran und theilte den Leuten mit, daß er das Versteck -des Meerungeheuers aufgespürt habe. Es sollte zusammengeknäult -in einem kleinen Dickicht von Algen -und Korallenbäumen liegen, die etwa tausend Schritt -von dort entfernt standen und deutlich von hier aus zu -erkennen waren.</p> - -<p>»Wer ist der Neue da,« sagte der Bürgermeister -<a class="pagenum" id="page_271" title="271"> </a> -plötzlich und streng, als sein Blick auf Hasenmeier fiel, -»wo kommt er her?«</p> - -<p>»Bitte um Entschuldigung, Herr Bürgermeister, -ich wollte nur –« stammelte der Handwerksbursch.</p> - -<p>»Paß in Ordnung?« fragte der Beamte.</p> - -<p>»Alles – wenn Sie erlauben –«</p> - -<p>»Nachher – jetzt ist keine Zeit dazu,« wehrte aber -der Bürgermeister ab, der übrigens wie ein ganz gewöhnlicher -Mensch aussah, nur daß er Schwimmhäute -zwischen den Fingern trug – und Hasenmeier überzeugte -sich jetzt, daß dies bei allen Uebrigen ebenso der -Fall war. Der Bürgermeister aber fuhr fort: »Wir -müssen das Dickicht umzingeln und dann zwei Mann -hineinschicken – denn meine Hunde wollen nicht dran -und ich mag sie auch nicht riskiren. – Zwei Mann, -die das Beest aufstören und hinaus in's Freie treiben -– und nun vorwärts marsch, damit wir nicht zu spät -zum Essen kommen.«</p> - -<p>Er hatte dabei sein Gewehr wieder auf eine ganz -eigenthümlich rasche Art geladen und fort ging's auf's -Neue, gerade auf das furchtbare Dickicht zu, dem Hasenmeier -viel lieber, so weit er nur irgend gekonnt -hätte, ausgewichen wäre. Es lag ihm auch jetzt gar -Nichts daran, daß sie so rasch vorrückten, aber all diese -verzweifelten Seemenschen schienen auf einmal eine -<a class="pagenum" id="page_272" title="272"> </a> -ganz entsetzliche Eile zu haben, und ehe eine Viertelstunde -verging, befanden sie sich dicht vor der Dickung, -in welcher das Ungeheuer seinen Mittagsschlaf halten -sollte.</p> - -<p>Da winkte der Bürgermeister mit der Hand, -denn die Seehunde drückten sich scheu zwischen seine -Füße – ein sicheres Zeichen, daß die Bestie in der -Nähe sei.</p> - -<p>»Kameraden,« redete er die kleine Schaar an, -»wir sind am Ziel. Da drinnen liegt das Ungeheuer, -das unsere Heerden und Hirten frißt, und nächstens -auch vielleicht einmal nach Seeburg hinein kommt, um -Einen von uns zu holen. Das müssen wir verhüten, -denn ein solcher Satan respektirt nicht einmal die -Obrigkeit, also zieht Euch jetzt um das Dickicht herum -und thut Eure Pflicht, wenn der richtige Moment -naht. – Vorher aber zwei Freiwillige vor, die kühn -in das Dickicht hineinbrechen und den tückischen Feind -zum Weichen bringen – dann läuft er uns nachher -von selber in die Hände. – Also habt Ihr mich verstanden? -– <em class="ge">zwei Freiwillige</em> vor!«</p> - -<p>Niemand rührte sich.</p> - -<p>»Na?« rief da Bürgermeister entrüstet, und -fuhr Hasenmeier an, »Hast Du es nicht gehört, Du -<a class="pagenum" id="page_273" title="273"> </a> -Lump! Freiwillige vor! warum kommst Du nicht? soll -ich Dir etwa erst Beine machen?«</p> - -<p>»Aber bester Herr Bürgermeister,« rief Hasenmeier -erschrocken, »als wasserdichter Hutmachergeselle –«</p> - -<p>»Wirst Du Dein Maul halten und freiwillig vortreten -oder nicht!« schnauzte ihn da noch einmal der -Schreckliche an und Hasenmeier sah eben keinen anderen -Ausweg als sich für das allgemeine Wohl zu -opfern. Nur erst einmal im Dickicht drin, wollte er -aber schon Sorge tragen, daß er dem Seeungethüm -nicht zu nahe käme, denn es muthwillig aufzustören -und böse zu machen, daran dachte seine Seele nicht. -– Aber auch hierin sollte er sich getäuscht sehen, da -sich der Wirth selber als <em class="ge">zweiter</em> Freiwilliger meldete, -und jetzt, dem Hutmacher auf die Schultern -klopfend rief:</p> - -<p>»Und nun komm, Kamerad – es ist Zeit. -Donnerwetter, Du hast Dich doch jetzt genug ausgeruht -und die Seeschlange geht Dir sonst meiner -Seel' durch!«</p> - -<p>»Das wär' ein Unglück,« dachte Hasenmeier, aber -was half's, vorwärts mußte er, und sich den Hut verzweifelnd -in die Stirn rückend, sagte er:</p> - -<p>»Na denn man zu, aber wenn das eine Behandlung -<a class="pagenum" id="page_274" title="274"> </a> -ist für eine Civil- und Militärbehörde, so will -ich Schulze heißen« – und mit den Worten sprang -er so rasch in das Dickicht hinein, daß ihm der Wirth -kaum folgen konnte. – Am meisten störte ihn aber -dabei der lange Schleppsäbel, der bald in den Algen -hängen blieb, bald zwischen seine Füße hineinkam, daß -er darüber hinstürzen mußte. Aber er achtete das -Alles nicht – vorwärts – weiter hatte er in diesem -Augenblick gar keinen Gedanken, und ehe er nur recht -wußte, wie er dahin gekommen, stak er mitten im -Dickicht drin und in einem wahren Gewirr von Korallen -und ekelhaften Seegewächsen.</p> - -<p>Da raschelte etwas vor ihm, deutlich konnte er -sehen, wie sich die langen grünen schleimigen Blätter -bewegten, und in den Korallenästen krachte und brach -es, daß die bröcklichen Zweige herumstoben. Der -Wirth, der dicht hinter ihm war, faßte ihn jetzt an der -Schulter und schrie ihm in's Ohr:</p> - -<p>»Auf! auf! Hutmacher. Zieh den Degen! sie -kommt!«</p> - -<p>Hasenmeier wollte seinen Degen aus der Scheide -reißen, aber es ging nicht – die verwünschte Klinge -war in dem Seewasser fest eingerostet.</p> - -<p>»Herr, du meine Güte!« schrie er, »das hat noch -gefehlt.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_275" title="275"> </a> -Vor ihm hob sich ein furchtbares Ungethüm aus -dem Gebüsch und sperrte gierig den weiten, mit ganz -entsetzlichen Zähnen bewehrten Rachen gegen ihn auf -– heißer Dampf schoß daraus hervor, die kleinen grünen -Augen blitzten ihn mit funkelnder Wuth an, und schienen -das ausersehene Opfer schon voraus zu durchbohren.</p> - -<p>Nur den Säbel jetzt heraus, daß er sich gegen das -Scheusal wehren konnte – mit der Linken hatte er -die Scheide gefaßt, mit der Rechten riß er an dem -Griff, daß es ihm die Stirnader zu sprengen drohte -– der Säbel saß fest – noch einmal – jetzt brach der -Griff ab, als ob er von Glas gewesen wäre, und mit -einem jähen Sprung warf sich das Ungeheuer auf ihn -und faßte ihn mit den Zähnen.</p> - -<p>»Hülfe! Hülfe!« brüllte Hasenmeier und hörte nur -noch wie der Wirth ganz ruhig sagte:</p> - -<p>»Aber was schreist Du denn so, Hutmacher – -Donnerwetter, Mensch, Du alarmirst mir ja das -ganze Haus.«</p> - -<p>»Ja – ja – wo ist – wo ist denn die Seeschlange?« -rief Hasenmeier und richtete sich erschreckt -empor.</p> - -<p>»Die Seeschlange?« lachte der Wirth, »die soll -wohl auf <em class="ge">Dich</em> warten, die ist mit der Ebbe ausgesegelt -und schon aus Sicht.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_276" title="276"> </a> -»Die Seeschlange? – aber Du meine Güte – -wo bin ich denn?« rief der arme Teufel sich erschreckt -die Augen reibend, »wo ist denn der Bürgermeister -und – ich war doch? –«</p> - -<p>»Der Bürgermeister?« sagte der Wirth schmunzelnd, -»von Civil- und Militärbehörden hast Du -genug gefaselt, aber jetzt wach' einmal ordentlich auf -– es ist bald Mittag und das Mädchen will die -Stube rein machen.«</p> - -<p>Hasenmeier saß in seinem Bett, aber im Kopf -ging's ihm wie ein Mühlrad herum – da stand der -Wirth aus dem goldenen Haifisch, und hier lag er in -einer fremden Stube im Bett, und von Seeschlangen, -Algen und Korallen keine Spur – nicht einmal den -Säbel hatte er umgeschnallt.</p> - -<p>»Aber wo bin ich denn, Herr Wirth,« rief er mit -kläglicher Stimme, »was ist denn nur mit mir vorgegangen?«</p> - -<p>»Was mit Dir vorgegangen ist, mein Bursche?« -meinte der Blatternarbige, »nichts Besonderes – -einen höllischen Rausch hast Du Dir gestern Abend -angetrunken und geschlafen wie ein Ratz und das -tollste Zeug dabei geschwatzt. – Jetzt mach aber, daß -Du heraus kommst, denn das Zimmer soll gelüftet -werden.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_277" title="277"> </a> -Zacharias Hasenmeier war wie vor den Kopf geschlagen. -Die Erinnerung an den gestrigen Abend -stieg wohl dämmernd in ihm auf, aber Seegreise, -Nixen, Schildkröten und Seeschlangen schwammen -dazwischen herum, und seine Reise selbst – war denn -das Alles nur ein Traum gewesen? – Angezogen -wie er gestern in das Wirthshaus gekommen, lag er -überdieß im Bett – nur die Stiefeln hatten sie ihm -ausgezogen – nicht etwa <em class="ge">seiner</em> Bequemlichkeit, -sondern des Bettes wegen und fast mechanisch griff -er in die Tasche nach seinem Geld. – Herr du -meine Güte, das war fort und – das machte ihn -munter.</p> - -<p>Wie der Blitz sprang er auf und visitirte bestürzt -alle Taschen – nicht die Spur davon war mehr zu -finden.</p> - -<p>»Na was suchst Du Schatz?« sagte der Wirth, der -ihn kopfschüttelnd betrachtet hatte, »Deine Brieftasche?«</p> - -<p>»Nein, die ist da,« rief der Hutmachergesell – -»aber mein Geld – zehn Thaler 17½ Silbergroschen.«</p> - -<p>»So?« lachte der Blatternarbige, »einen ganzen -Abend zechen und die Gesellschaft traktiren und den -Mädels Geld schenken und dann soll am anderen -<a class="pagenum" id="page_278" title="278"> </a> -Morgen auch noch die Baarschaft vollständig beisammen -sein – wäre nicht übel. Einen solchen Geldbeutel -wünschte ich mir auch.«</p> - -<p>»Ja aber,« stammelte Hasenmeier, »hab' ich denn -Alles bezahlt?«</p> - -<p>»Soweit es reichte, ja,« lautete die Antwort, »drei -Mark zehn Schilling bist Du aber noch schuldig, mein -Bursch, und wenn Du die nicht zahlen kannst, werde -ich indessen Deine neuen Stiefeln als Pfand behalten.«</p> - -<p>Zacharias Hasenmeier saß, die Hände gefaltet, auf -dem Bettrand und starrte wie verloren vor sich hin. -Fortwährend schüttelte er dazu mit dem Kopf, und so -wenig er im Anfang begriffen haben mochte, wie Alles -zusammenhing, kam er doch jetzt endlich zu der Ueberzeugung, -daß er der unglückseligste wasserdichte Hutmachergesell -wäre, der je einer Pappelallee Fährten -eingedrückt. Er machte allerdings einen Versuch seinen -Unwillen und sogar einen Verdacht zu äußern, daß -vielleicht nicht Alles mit rechten Dingen zugegangen -sei, aber der Wirth wurde, nur bei der geringsten -Andeutung dahin, so furchtbar grob, daß er das bald -in Verzweiflung aufgab.</p> - -<p>Und jetzt? – der Wallfischfänger, die »Seeschlange« -war allerdings schon an dem Morgen ausgesegelt; -wäre er aber auch noch vor Anker gelegen, -<a class="pagenum" id="page_279" title="279"> </a> -Hasenmeier hatte, mit der Erinnerung an das Ausgestandene, -alle Lust zur Seefahrt und zu fremden -Ländern verloren und dankte sogar noch Gott, als er -später in Hamburg selber Arbeit fand, um zuerst seine -Stiefeln wieder auszulösen und dann neues Reisegeld -zu verdienen. Von Schiffen wollte er aber Nichts -mehr wissen und hütete sich von da an ganz besonders -keiner Matrosenkneipe wieder zu nahe zu kommen.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_280" title="280"> </a> -<span class="ge">Das Hospital auf der Mission Dolores.</span><br /> - -<span class="subheader">Californische Skizze.</span></h2> - - -<p>Es ist eine allbekannte Thatsache, daß viele Kirchen -und Klöster, die nur gebaut wurden, um Gott darin -anzubeten, ihrem ersten, frommen Zweck nicht immer -erhalten werden konnten und die verschiedenste, oft -nichts weniger als heilige Verwendung fanden. Besonders -in Kriegszeiten geschah das häufig, wo die -festen Mauern der Gotteshäuser wie die steinernen -Einfassungen der Kirchhöfe als Festungen und Verschanzungen -benutzt wurden; aber auch selbst im vollen -Frieden trifft man hier und da Tempel und Kapellen, -zu denen kein Küster oder Sakristan mehr die Schlüssel -führt, sondern ein Markthelfer, weil man sie eben in -Lagerhäuser oder Keller umwandelte.</p> - -<p>Bei Buenos-Ayres besuchte ich einst, noch zu -<em class="ge">Rosa's</em> Zeiten, ein in der unmittelbaren Nähe der -Stadt gelegenes altes Kloster, das der Dictator einem -<a class="pagenum" id="page_281" title="281"> </a> -Stamm der Pampas-Indianer zum Wohnort und zugleich -zu einem halben Gefängniß angewiesen hatte, -und in der Kapelle selbst lagerten die wilden, halbnackten -Gestalten der braunen Krieger, während der -Altar noch die Ueberreste einer, wohl zerrissenen und -in Fetzen niederhängenden, aber reich gestickten Decke -trug. Das Außerordentlichste in dieser Art fand aber -doch wohl mit der dicht bei San-Francisco gelegenen -californischen Mission Dolores statt; denn so urplötzlich -wurde nach der Entdeckung des Goldes das Land von -Einwanderern überschwemmt, und so rasend schnell -folgte Schiff auf Schiff, daß die Anlangenden gar -nicht gleich untergebracht werden konnten und alle -Winkel und Räume schon vorhandener Gebäude füllten.</p> - -<p>Das alte Missionsgebäude, das bis dahin still und -einsam in wenig mehr als einer Wüste, und etwa drei -englische Meilen von San-Francisco, der Hauptstadt -des Landes, ab gelegen, entging denn auch dieser Umwandlung -nicht.</p> - -<p>Es war ein mächtiges Gebäude, aus ungebrannten -Backsteinen aufgebaut und mehrere Stockwerke hoch, -einen großen geräumigen Hof umschließend, während -in der Front nach der Bai zu die Kirche selber lag. -Das ganze übrige kasernenartige Haus hatten aber -bis dahin nur eigentlich drei Menschen bewohnt: der -<a class="pagenum" id="page_282" title="282"> </a> -Geistliche, dessen alte Haushälterin, und eine Art Factotum -des katholischen Pfarrers, ein Deutscher – und -welche Veränderung brachten da wenige Monate zu -Stande!</p> - -<p>Kaum war das Gold entdeckt und die Nachricht -von jenen fabelhaften Schätzen zu gleicher Zeit fast -über alle Welttheile verbreitet worden, als die Einwanderung -begann, und das benachbarte Mexico und -die Vereinigten Staaten zuerst ihre Schaaren hinüber -sandten. Dann folgten die Bewohner der Westküste -und Sandwich-Insulaner, dann Australier und Europäer, -und selbst die Chinesen schwärmten herüber, um -ihren Theil von dem Gold zu holen, und reiche Leute -zu werden.</p> - -<p>In San-Francisco sammelte sich natürlich Alles, -aber nicht Jeder führte Zelt oder Wohnung mit, und -nun mußte die Nachbarschaft ebenfalls unterbringen, -was sie unterbringen konnte, da die einsetzenden Regen -ein Lagern im Freien nicht mehr gestatteten. – Was -wurde da aus dem alten Missionsgebäude!</p> - -<p>Unten in einem der Flügel errichtete ein Deutscher -eine Brauerei, mauerte einen Kessel ein und fing an -zu kochen. In der vorderen Flanke, zunächst der Kirche, -setzte sich ein Amerikaner fest und etablirte eine Restauration, -wobei er es bald zweckmäßig fand, eines -<a class="pagenum" id="page_283" title="283"> </a> -der alten, großen und öden Zimmer zu einem Tanzsalon -umzuwandeln, in dem dann allwöchentlich ein -paar Fandangos gehalten wurden.</p> - -<p>Hierauf folgte ein Sohn der »grünen Insel« – -ein Ire, der an die andere Seite noch eine gewöhnliche -Branntweinkneipe setzte, und der Priester mußte es -sogar geschehen sehen, daß eine chilenische alte Señora -mit fünf jungen Damen, aber keinen Nonnen, in das -alte Kloster einzog und nicht wieder zu vertreiben war.</p> - -<p>Aber <em class="ge">noch</em> nicht genug. Von Buenos-Ayres war -ein portugiesischer Arzt nach Californien gekommen, -der in San-Francisco ein Hospital gründen wollte, -dort aber keinen Platz fand und sich nun ebenfalls auf -die Mission angewiesen sah.</p> - -<p>Er ritt hinaus, um mit dem Priester eine Verabredung -zu treffen, fand ihn aber nicht mehr, denn dem -würdigen Herrn war der Lärm doch zu bunt geworden, -da sich in den letzten Tagen auf der einen Seite ein -Schwarm Indianer, und dicht unter seiner eigenen -Wohnung auch noch eine Rotte von Mexikanern eingenistet, -die des draußen niederstürzenden Regens -wegen gar nicht mehr fortzubringen waren.</p> - -<p>Anfangs hatte er, um sich die Lästigen aus seinem -eigenen Hause zu halten, und nicht im Stande Gewalt -anzuwenden, eine Anzahl Processe angestrengt, aber -<a class="pagenum" id="page_284" title="284"> </a> -nur zu bald sollte er die traurigen Folgen derselben -kennen lernen, denn er fiel dadurch einer ganzen Schaar -von Geiern in die Hände, die alle Zahlung von <em class="ge">ihm</em> -wollten, ohne daß sie das Geringste für ihn ausgerichtet -hätten. Da wurde ihm der alte Platz zu warm, -und eines Morgens war er spurlos verschwunden.</p> - -<p>Der portugiesische Doctor aber sah das als kein -Hinderniß an. Da er Niemanden fand, der ihm ein -Quartier <em class="ge">vermiethen</em> konnte, nahm er das Gebäude -selber in Augenschein, fand die Bodenräume zu einer -Aufstellung von Betten passend und quartierte sich -dabei ganz ungenirt in der verlassenen Priesterwohnung -ein. Er war ein praktischer Mann, der recht -gut wußte, daß das Recht des <em class="ge">Besitzenden</em> in diesem -Land schwer anzutasten blieb. Schon am nächsten -Tag trafen auch eine Anzahl von Maulthieren mit -Matratzen und wollenen Decken ein, während mit -höchster Fluth ein paar Wallfischboote, mit einer Anzahl -eiserner Bettgestelle befrachtet, den schmalen -Canal, der die Mission mit der Bai von San-Francisco -verband, hinauf fuhren. Als Aushülfe hatte sich -der Doctor dabei die müßig im Haus liegenden Mexikaner -und Indianer gemiethet, und noch vor Sonnenuntergang -standen zwanzig Betten dort oben, unmittelbar -unter dem schrägen, an vielen Stellen defecten -<a class="pagenum" id="page_285" title="285"> </a> -Ziegeldach auf dem offenen Boden, durch den der oft -stürmische Wind nach allen Richtungen hin seinen -Durchzug hatte. – Das war das <em class="ge">Hospital</em>, das jetzt -seiner unglücklichen Bewohner harrte.</p> - -<p>Die bisherigen Insassen des alten Gebäudes sahen -allerdings mit nicht geringem Erstaunen diese Vorbereitungen -und schüttelten auch wohl den Kopf, wenn -die Vermuthung ausgesprochen wurde, daß dort hinauf -<em class="ge">Kranke</em> geschafft werden sollten – noch dazu mitten -in der Regenzeit, wo man da oben und in dem kalten -Wetter nicht einmal ein Feuer anzünden konnte. Aber -was war in damaliger Zeit in Californien nicht -möglich, noch dazu mit armen Teufeln, die sich selber -nicht mehr helfen konnten!</p> - -<p>Schon am zweiten Tag traf der erste Kranke ein, -– ein junger Matrose, bewußtlos und todtenbleich, -der von vier Leuten die steilen Treppen hinaufgeschafft -und in ein Bett gelegt wurde, Nr. 1. An dem nämlichen -Abend langte noch ein kranker Portugiese an -und wurde in No. 2 des Amerikaners Nachbar, und -ehe eine Woche verging, waren von den zwanzig Betten -schon siebenzehn mit solchen Unglücklichen gefüllt, die -in diesem »Hospital« kaum besser als auf offener -Straße lagen.</p> - -<p>Die Bewohner des Missionsgebäudes wollten jetzt -<a class="pagenum" id="page_286" title="286"> </a> -allerdings gegen eine solche Einquartierung protestiren, -denn sie fürchteten nicht mit Unrecht durch irgend eine -gefährliche und ansteckende Krankheit selber bedroht zu -werden; aber es half ihnen Nichts. Das nämliche -Recht, in dem alten Gebäude zu wohnen, das die Gesunden -für sich geltend machten, mußte auch den -Kranken werden, und welchen Ausgang gerichtliche -Klagen in Californien nahmen, hatten sie nur zu -deutlich an dem eigentlichen Besitzer der Mission, an -dem katholischen Priester, gesehen, der durch die <em class="ge">Gerechtigkeit</em> -des Landes von Haus und Hof getrieben -worden war.</p> - -<p>Welch ein entsetzlicher Aufenthalt war es aber für -die unglücklichen Kranken selber, wenn der Regen auf -die unmittelbar über ihren Köpfen befindlichen Ziegel -schlug und oft sogar auf ihre Kissen tropfte, und der -Wind dann durch all die tausend Ritzen und Spalten -heulte und pfiff, denn nirgends war der Ort, an dem -sie sich befanden, auch nur durch eine Bretterwand abgegrenzt, -ja selber nach unten, zu der Brauerei führte -nur die vollkommen offene Bodentreppe, und von dort -her stieg, wenn da unten gebraut wurde und Feuer -unter dem Kessel brannte, der dicke Qualm empor, -und sammelte sich da oben zu solchen Schwaden, daß -man kaum seine Hand vor Augen sehen konnte.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_287" title="287"> </a> -Der Doctor wollte diesem Uebelstand allerdings -abgeholfen haben und beschwerte sich darüber bei den -Brauern; aber was nützte ihm das? Die Brauerei -hatte dort früher bestanden als das Hospital, und -Niemand ihn gezwungen, seine Patienten dort unterzubringen. -Allerdings schien sich die Brauerei verpflichtet -zu haben, ihre Abtheilung des Bodens, wenn -es je verlangt werden sollte, von der andern abzutrennen, -aber es war nicht bestimmt, durch was, und -so zogen die Eigenthümer, da eine feste Wand gar -nicht zu bezahlen gewesen wäre, einfach dünnen Kattun -querüber, und durch den ließ sich der Qualm natürlich -nicht abhalten; er drang überall hindurch.</p> - -<p>So vergingen Monate. Viele, viele Unglückliche -waren in diesen entsetzlichen Aufenthalt geliefert, und -nur sehr wenige gesund daraus entlassen worden; oft -und oft aber kletterten Morgens mit Tagesanbruch -vier oder sechs Männer, einen in eine Decke gewickelten -Leichnam zwischen sich tragend, die steile und -schmale Holztreppe hinab und legten den Verstorbenen -unten auf dem kleinen Kirchhof, den die darüber -hängende Dachtraufe in der Regenzeit zu kaum mehr -als einem Sumpf wandelte, in sein kaltes, feuchtes -Grab – nicht einmal einen Sarg bekam er mit; der -hätte zu viel Geld gekostet.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_288" title="288"> </a> -Und immer wilderes Leben füllte die weiten, trostlosen -Räume des alten Klosters, dessen Zimmer mehr -Ställen und Kellern, als menschlichen Wohnungen -glichen. Die Brauerei war allerdings indessen aufgegeben, -aber an einen anderen Brauer verkauft, der -nur noch nicht Besitz davon ergriffen hatte, und noch -zwei neue Schenkstände wurden, der eine von einem -Mexikaner, der andere von einem Amerikaner, eröffnet.</p> - -<p>Zu dem Amerikaner hatten sich die chilenischen -Mädchen gezogen, und hielten dort wilde Fandangos, -zu welchen nicht selten das rohe Männervolk aus der -Umgegend gezogen kam, während die dort in der Nachbarschaft -ansässigen Californier mit ihren Frauen und -Töchtern das Lokal des Mexikaners benutzten; denn -sie haßten die Amerikaner, die ihnen ihr Land genommen -und verkehrten nur wenig mit ihnen. Ohne -Tanz konnten sie aber ebensowenig bestehen, denn auf -der Mission wohnten doch wenigstens zehn oder zwölf -californische Familien mit einer Anzahl erwachsener -Töchter, und ganz allerliebste Mädchen unter ihnen, -denen die kleinen Füße schon zuckten, wenn sie nur -Musik hörten.</p> - -<p>Eine der hübschesten unter ihnen, und dabei unstreitig -die beste, zierlichste Tänzerin, war aber die -Señorita Marequita, die Tochter eines dort ansässigen -<a class="pagenum" id="page_289" title="289"> </a> -und ziemlich wohlhabenden Viehzüchters, und -sobald sie bei einem der Fandangos zum Tanze antrat, -wurden ihr nicht nur jubelnde Bravos zugerufen, -sondern es flog sogar, nach californischer Sitte, mancher -Silberdollar, ja manches Goldstück zu ihren Füßen -nieder.</p> - -<p>Es konnte auch in der That nichts Lieblicheres -geben, als dies junge, bildhübsche Wesen den Fandango -oder einen jener anderen spanischen Tänze auszuführen -zu sehen. Da bemerkte man freilich Nichts von dem -unanständigen Beinewerfen nachgemachter Spanierinnen, -die sich bei uns produciren – jede Bewegung -war züchtig, aber auch eben so graciös, und wie eine -Elfe glitt sie herüber und hinüber. Die Schönheit -und Liebenswürdigkeit der jungen Californierin war -auch schon bis nach San-Francisco gedrungen, und -häufig kamen die Amerikaner heraus, um sie zu bewundern, -ja selbst von den in der Bai ankernden -amerikanischen Kriegsschiffen trafen zu Zeiten einzelne -Officiere ein, und man erzählte sich, daß Einer von -Diesen schon sogar um ihre Hand angehalten habe. -Aber er mußte mit einem Korb abgezogen sein, denn -er ließ sich seit jener Zeit nicht mehr auf der Mission -blicken, und die Californier selber zeigten sich danach -nur noch soviel stolzer auf ihre Landsmännin, daß sie -<a class="pagenum" id="page_290" title="290"> </a> -in keine Verbindung mit dem verhaßten amerikanischen -Stamm gewilligt hatte.</p> - -<p>Marequita wußte aber auch noch einen anderen -Grund, weßhalb sie den freundlichen Worten des -jungen Officiers nicht gelauscht, denn ihr Herz war -schon seit Monden nicht mehr frei, und sie erröthete -tiefer und tanzte befangener, wenn ein junger Franzose, -Jerome – wie er von den Kameraden genannt wurde, -den Tanzsaal betrat, und ihr in der ersten Zeit nur -mit schüchterner Zurückhaltung die Hand zum Gruße -bot. Nach und nach schien er aber doch dreister -geworden zu sein, denn er besuchte die Mission häufiger, -und jetzt auch sogar das Haus in dem Marequita's -Vater wohnte, und faßte zuletzt sogar Muth -genug, Diesen um die Hand seiner Tochter zu bitten, -was der Californier vor allen Dingen mit einer Frage -nach seinen Vermögensverhältnissen beantwortete.</p> - -<p>Mit diesen stand es freilich nicht – wenigstens -nach californischen Ansprüchen so, daß beide Theile -hätten damit zufrieden sein können. Der junge Franzose -besaß allerdings ein paar hundert Thaler Geld, -aber Du lieber Gott! was wollte das in einem Lande -sagen, wo man manchmal ebensoviel zu einem Souper -verbrauchte, und das Resultat lautete denn auch demzufolge: -der Vater würde gegen eine Verbindung des -<a class="pagenum" id="page_291" title="291"> </a> -jungen Mannes mit seiner Tochter nicht das Geringste -einzuwenden haben, wenn – Don Jerome nur erst -einmal nachzuweisen vermöge, daß er im Stande wäre -einen eigenen Hausstand zu beginnen und eine Frau -zu ernähren. Das sah Don Jerome denn auch ein, -nahm zärtlichen Abschied von dem lieben, unter -Thränen zu ihm auflächelnden Kind, kaufte sich Handwerkszeug -und schiffte sich frohen Herzens nach Sacramento -ein, um oben in den nördlichen Minen sein -Glück zu versuchen und so rasch als irgend möglich ein -reicher Mann zu werden. Aehnliche Beispiele kamen -ja alle Tage vor, und weßhalb sollte <em class="ge">ihm</em> das Glück -nicht ebenso günstig sein als tausend Anderen, die es -noch dazu nicht einmal verdienten oder zu benutzen -verstanden, weil sie fast regelmäßig auch das Gewonnene -gleich wieder an Ort und Stelle vertranken oder -verspielten.</p> - -<p>So vergingen wieder mehrere Monate. Der -Sommer war vorüber, und die Regenzeit setzte aufs -Neue ein, ohne daß Briefe von Jerome gekommen -wären, und er hatte doch so fest versprochen dann und -wann zu schreiben und Nachricht über sich und seine -Erfolge zu geben. Aber das junge Mädchen fühlte -sich dadurch eben nicht sehr beunruhigt, denn die Postverbindung -zwischen San-Francisco und den Minen -<a class="pagenum" id="page_292" title="292"> </a> -war eine noch so unvollkommene, und ruhte außerdem -fast ganz in Privathänden, daß man auf den richtigen -Empfang eines abgesandten Briefes nie rechnen konnte. -Es kam sogar grade in dieser Zeit sehr häufig vor, -daß derartige Leute, die übernommen hatten Briefe -und Geldsendungen zu besorgen, entweder unterwegs -überfallen und todtgeschlagen oder beraubt wurden, -oder auch selber mit den ihnen anvertrauten Geldern -zu Schiff und durchgingen.</p> - -<p>Ja sogar in San-Francisco lag das Postwesen -noch derart im Argen, daß irgend ein Fremder, wenn -er vorgab beauftragt zu sein, Briefe abzuholen, auf -dem Bureau sich aussuchen und mitnehmen durfte, -was er wollte, – waren doch die Beamten nur froh, -dadurch wieder ein Packet unbestellbarer und ihnen -lästig werdender Briefe aus ihren Fächern zu bekommen. -Ob die Briefe je an ihre Adressen befördert -wurden, was kümmerte es sie, sobald sie nur das Porto -dafür erhielten.</p> - -<p>Auf der Mission hatte sich indessen Manches in -sofern geändert, als die Verbindung mit San-Francisco -eine weit bessere und leichtere geworden war. -Früher mußte man die drei Meilen durch knöcheltiefen -Sand Hügel auf und ab waten oder reiten, während -Fuhrwerke nur mit Mühe und Noth ihren Weg durch -<a class="pagenum" id="page_293" title="293"> </a> -den schweren Boden verfolgen konnten, und jetzt hatten -die unternehmenden, thätigen Yankees eine breite, -ebene, mit Planken durchaus belegte Straße gebaut, -auf der das Fuhrwerk dahinrollte, wie auf einer Eisenbahn. -Ueberall auf dem Weg ließen sich dabei Ansiedler -nieder, theils auf den späteren Werth der -Grundstücke speculirend, theils um gleich jetzt Wirthshäuser -und Branntweinschenken zu errichten.</p> - -<p>Auch mit der Mission selber war eine Veränderung -vorgegangen, indem sich dort einige amerikanische -Ackerbauer niedergelassen hatten und zum erstenmale -den Pflug in den Boden brachten. Das Land erwies -sich auch in der That viel fruchtbarer als man geglaubt, -und es zeigte sich später als eine ganz vortreffliche -Speculation, das Getreide, das man bis dahin -mit schwerem Geld hatte in weit entfernten Hafenplätzen -kaufen müssen, hier gleich an Ort und Stelle -selbst zu bauen.</p> - -<p>Dabei waren auch, um die Mission herum eine -Menge von neuen Häusern theils schon entstanden, -theils noch im Bau begriffen und ein reges Leben -herrschte auf dem sonst so stillen und einsamen Platz. -Nur das alte Missionsgebäude mit seiner buntgemischten, -wunderlichen Bevölkerung lag noch wie -früher träumend unter seinem defecten Ziegeldach, -<a class="pagenum" id="page_294" title="294"> </a> -und wenn es auch seine Bewohner zeitweilig wechselte, -blieb die <em class="ge">Art</em> des Verkehrs darin doch noch für lange -Zeit die nämliche.</p> - -<p>Der Besuch des Hospitals war allerdings ein -geringerer geworden, weil man indessen in der unmittelbaren -Nähe der Hauptstadt ein anderes und besseres -gebaut hatte. Da übrigens der Doktor von seinen -bis dahin enormen Preisen herunterging und billigere -Bedingungen stellte, so wurden ihm doch noch von Zeit -zu Zeit einzelne Patienten ausgeliefert, deren Mittel -entweder nicht ausreichten, oder für welche Andere zu -sorgen hatten, wobei sie die Vorsicht nicht versäumten, -so wenig als möglich Auslagen zu haben.</p> - -<p>In den Minen waren auch grade außergewöhnlich -viel Krankheiten vorgekommen, denn so gesund das -californische Klima an und für sich sein mochte, so trug -doch die wilde, unregelmäßige Lebensart, wie die -schwere, für Tausende ungewohnte Arbeit viel dazu -bei, besonders hitzige Fieber zum Ausbruch zu bringen, -die für die davon Betroffenen nur zu häufig aus -Mangel an Pflege und ärztlicher Behandlung einen -schlimmen und tödtlichen Ausgang nahmen.</p> - -<p>Wie mancher arme Teufel, der mit goldenen -Hoffnungen und Träumen in das Land gekommen, -erhielt dort oben Nichts als sechs Fuß Erde und einen -<a class="pagenum" id="page_295" title="295"> </a> -Steinring um das enge Grab, auch wohl noch ein -rohes Kreuz mit dem Beil in den nächsten Baum eingehauen -– das war Alles. Und daheim seine Lieben -sorgten und ängstigten sich vielleicht noch Jahre lang -um den Geschiedenen, mit sehnenden Herzen seiner -Rückkehr harrend, und schrieben und frugen an bei -Behörden und Regierung. Umsonst – wer kannte -die Namen der Todten, die überall zerstreut unter den -Eichbäumen des weiten Landes lagen – wer hatte -je nach ihnen gefragt!</p> - -<p>Glücklich waren noch Solche zu schätzen, welche -Krankheit nicht allein und einsam in der Wildniß traf, -und welche Freunde fanden, um sie aus den Bergen und -Schluchten hinaus wieder in den Bereich der Civilisation -und ordentlicher Pflege zu bringen. Allen aber -half das freilich auch nicht; Viele starben schon unterwegs, -Andere lebten gerade lange genug, um den Hospitalkirchhof -zu erreichen, und Wenige, o wie entsetzlich -Wenige von alle den armen hülflosen und gebrochenen -Menschen konnten wieder soweit gebracht werden, mit -gekräftigtem Körper ihre Arbeit auf's Neue zu beginnen!</p> - -<p>Eins aber büßten <em class="ge">Alle</em> ein: das mitgebrachte Gold -– denn eben nur mit Gold wurden in damaliger -Zeit Arzneien aufgewogen und ein tüchtiger Arzt hatte -<a class="pagenum" id="page_296" title="296"> </a> -seine beste und einträglichste Mine in den Krankheiten -seiner Patienten. Was lag den Kranken auch an dem -ausgewaschenen und erbeuteten Gold? – wo sie das -gefunden, gab es mehr, und wenn ihr Körper nur seine -alte Kraft wieder erlangte, alles Andere war nicht der -Rede werth.</p> - -<p>Draußen am langen Werft hatte auch heute -wieder das von Sacramento kommende Dampfboot angelegt, -und nachdem die Passagiere das Schiff verlassen, -schafften die Matrosen noch ein paar schwer -kranke Miner an's Land, oder vielmehr auf die Spitze -des über eine halbe Meile langen Werftes hinaus, -legten sie dort, in eine wollene Decke gewickelt, auf die -Planken und kehrten dann an Bord zu ihrer Arbeit -zurück. Die Freunde oder Kameraden der Leidenden -mochten jetzt sehen, wie sie allein mit ihnen fertig -wurden.</p> - -<p>Zwei der Unglücklichen waren Amerikaner und ihr -Kamerad lief das Werft entlang, um irgendwo eine -Karre aufzutreiben, auf der er sie in ein Kosthaus, -oder auch vielleicht in das Hospital schaffen konnte. -Der Dritte schien ein Fremder, – sein Begleiter, der -sich zu ihm überbog und einige Fragen an den halb -Bewußtlosen richtete, sprach französisch mit ihm. Ein -paar Yankee's, die auf dem Werft herumschlenderten, -<a class="pagenum" id="page_297" title="297"> </a> -blieben neben den Beiden stehen und frugen endlich -theilnehmend, was dem Armen fehle.</p> - -<p>»O Gentlemen,« sagte der Franzose in sehr gebrochenem -Englisch, »Fieber – schweres Fieber – -Phantasieen, viel Phantasieen. Hab' ihn gefragt – -Landsmann von mir – wohin er gebracht sein will -– bin selber fremd hier – vor einem Jahr nur -zwei Stunden in San-Francisco gewesen – Er sagt -Nichts – nur Mission Dolores – weiter kein Wort.«</p> - -<p>»Ist es Dein Kamerad?«</p> - -<p>»Nein – habe ihn gefunden auf Dampfboot -krank – sehr krank – weiß nicht, wie er heißt – -aber Landsmann –«</p> - -<p>»Also Mission Dolores sagt er?« frug der andere -Amerikaner.</p> - -<p>»<i>Toujours</i> – <i>ever</i> – kein anderes Wort.«</p> - -<p>»Dann will er auch in das Hospital auf der -Mission geschafft sein,« sagt der Andere – »dort ist -ein Hospital, das ein Fremder hält, ich weiß nicht, -ein Spanier oder Franzose – er spricht jedenfalls -französisch und hat Viele von Euren Landsleuten -oben.«</p> - -<p>»Und wo liegt die Mission?«</p> - -<p>»Gleich dort drüben, um die Landspitze herum – -rechts hinein geht ein schmaler Kanal, in den Ihr bei -<a class="pagenum" id="page_298" title="298"> </a> -Fluthzeit einfahren könnt. Wenn ihr ein Boot -miethet, bringt Euch das ganz bequem bis ziemlich -dicht an's Missionsgebäude, und dort fragt nur nach -dem Hospital – jedes Kind zeigt Euch den Weg -dahin.«</p> - -<p>»Dank' Euch – dank' Euch vielmals,« nickte der -Franzose, der sich des armen todtkranken Landsmanns -in der That erst unterwegs angenommen hatte, weil -er sah, daß sich Niemand sonst um ihn bekümmerte. -Keine Seele an Bord wußte auch, wie es schien, etwas -von ihm. Er war allein und allerdings schon krank -auf den Dampfer gekommen und hatte sich, nachdem -er seine Passage bezahlt, in seinen Mantel gewickelt, -auf Deck niedergeworfen; dort mußte das hitzige Fieber -erst in ihm ausgebrochen sein, und von da ab war er -auch nicht recht wieder zur Besinnung gekommen, um -Rechenschaft über sich zu geben.</p> - -<p>Sein Landsmann aber ließ ihn nicht im Stich, wie -denn überhaupt die Franzosen in fremden Welttheilen -besonders treu zu einander halten und uns Deutschen -dabei mit einem – freilich selten beherzigten – guten -Beispiel vorangehen. Er miethete ohne Weiteres eines -der dort am Werft liegenden Boote, und da es gerade -die günstige Zeit war, um die Mission Dolores zu -Wasser zu erreichen – fast die höchste Fluth, – so -<a class="pagenum" id="page_299" title="299"> </a> -hoben sie den Kranken in das Boot hinab und ruderten -ihn, von der Strömung noch außerdem begünstigt, -rasch die Bai hinauf, um Rincons Point hinum und -in den schmalen Kanal hinein, dessen Landungsplatz -kaum mehr als zweihundert Schritt von der Mission -selber entfernt lag.</p> - -<p>Der Franzose wußte sich hier, da er keine Seele -am Ufer fand, auch nicht anders zu helfen, als daß er -den Kranken noch unten im Boot ließ und indessen -selber hinauf zum Arzt ging, um mit Diesem Rücksprache -zu nehmen.</p> - -<p>»Konnte der Kranke für seine Pflege und ärztliche -Behandlung zahlen?« war die erste, vorsichtige Frage -Desselben, die der Franzose dahin beantwortete, daß er -an dem Gürtel seines Landsmannes, unter der Blouse, -einen Lederbeutel mit Gold gefühlt habe. Der Mann -kam aus den Minen und führte jedenfalls das dort -Erworbene bei sich. Das genügte. Der fremde Arzt -wußte recht gut, daß er sich im Fall einer mißlungenen -Kur selbst bezahlt machen konnte, und hatte in solchen -Fällen schon die Erbschaft von verschiedenen Kranken -angetreten, deren Familien nicht ausfindig gemacht -werden konnten – wenigstens nicht ausfindig gemacht -<em class="ge">wurden</em>. Er sandte auch augenblicklich seine Krankenwärter -hinunter, die den Patienten herauf holen mußten, -<a class="pagenum" id="page_300" title="300"> </a> -und der junge Franzose begleitete den Armen dann -noch die Treppe hinauf bis an sein Bett und schauderte -freilich, als er den elenden Aufenthalt entdeckte, -der dem Armen von jetzt ab Heilung geben sollte.</p> - -<p>Das Hospital hatte sich auch in der That nicht – -seit der Errichtung desselben – zu seinem Vortheil -verändert, denn damals waren die Betten doch noch -wenigstens neu und reinlich gewesen – und wie sahen -die jetzt aus!</p> - -<p>Es war vorgekommen, daß einzelne Kranke, die -noch die Kräfte besaßen, wieder die Treppe hinunter -schwankten und dann erklärten, lieber wollten sie auf -Gottes freiem Erdboden, als dort oben in jenem entsetzlichen -Aufenthaltsort liegen bleiben – aber das -geschah doch nur im Verhältniß sehr selten und da Eines -von diesen verwöhnten Subjekten eines Abends wirklich -den Platz verließ und noch ein Stück den Hang hinan -unter einen einzeln stehenden Baum kroch und dort in -der Nacht starb, so wurde dieses Beispiel später etwa Widerspenstigen -immer mit dem besten Erfolg vorgehalten.</p> - -<p>Der junge kranke Franzose sah Nichts von seiner -ganzen Umgebung; er wurde bewußtlos die Treppe -hinan- und auf ein Bett getragen, dort genau von dem -Doktor untersucht und dann zugedeckt. Der oben auf -Wache befindliche Wärter bekam hierauf die Ordre, -<a class="pagenum" id="page_301" title="301"> </a> -den Doktor augenblicklich zu rufen, sobald der letztgekommene -Patient – Nr. 14, wie er nach seinem -Bette genannt wurde – erwache; aber der Doktor -brauchte nicht wieder an dem Tage gestört zu werden, -denn Nr. 14 kam nicht zur Besinnung, phantasirte -nur stark und schwatzte eine Menge tollen Zeuges, rief -auch ein paarmal einen spanischen Frauennamen, und -lag dann Stunden lang regungslos mit geschlossenen -Augen da. Ein furchtbares Fieber schüttelte seine -Glieder, und der Kopf glühte ihm, daß es fast seine -Stirnadern zu sprengen drohte.</p> - -<p>Am nächsten Tag erwachte er allerdings, zeigte -sich aber als ein sehr unruhiger und auch unbequemer -Gast, denn sein Geist schien zu wandern und er wollte -auf und davon. Die Wärter hielten ihn zurück und -der Doktor wurde gerufen; er verordnete, daß man -den Patienten an sein Bett festbinden und ihm kalte -Umschläge machen solle. Er wehrte sich dabei wie rasend, -aber es half ihm Nichts; es wurde weitere Hülfe herbeigeholt, -und kaum eine Viertelstunde später lag er, -an Händen und Füßen festgeschnürt, auf seinem -Schmerzenslager, während ihm einer der Wärter, -mit einem Stalleimer voll Wasser neben sich, nach -der Verordnung des Arztes nasse Tücher um den -Kopf legte.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_302" title="302"> </a> -Der Gebundene lag eine Zeitlang still; die kühlen -Umschläge schienen ihm gut zu thun – aber das -dauerte nicht lange. Sobald er sich nur wieder einmal -regte und die ihn haltenden Bande fühlte, so -brach auch seine Wuth von Neuem aus. Er tobte und -wand sich umher und schrie dabei, daß man es weit -über die ganze Mission hören konnte, und die Frauen -und Kinder sich davor fürchteten. Dieser Zustand -dauerte viele Tage und Wochen und Jedermann dort -wußte und erzählte sich, daß ein sehr bösartiger -Geisteskranker oben im Hospital untergebracht sei und -dem Doktor viel zu schaffen mache. Wo er herstamme -und wer er sei, darum kümmerte sich Niemand; wer -hätte auch all die Leute kennen wollen, die von Ost -und West und Süd und Nord nach Californien geströmt -waren, um dem Boden seine Schätze zu entreißen? -Es war eben ein »Fremder«, und das Wort -entsprach in damaliger Zeit allen Bedürfnissen, die -man sonst vielleicht empfunden hätte, nach Namen -und Stand zu forschen.</p> - -<p>Auf das eigentliche tolle Leben in der Mission -hatte dieser unheimliche Gast jedoch nicht den geringsten -Einfluß. In beiden Flügeln des großen Gebäudes -wurde ruhig fort musicirt und getanzt, und -wenn auch einmal in einen ihrer Fandangos ein wilder, -<a class="pagenum" id="page_303" title="303"> </a> -gellender Schrei hineintönte, so schraken die jungen -Mädchen wohl zusammen und sahen sich scheu -einander an, aber die Instrumente fielen dann nur -um so rauschender und tönender ein und der Tanz -verlangte sein Recht. Was hätte es auch dem armen -Kranken da oben geholfen, wenn sie ihre Lust unterbrechen -wollten? Dort wo er lag, konnte er nicht einmal -die Musik hören, keinenfalls aber dadurch gestört -werden.</p> - -<p>Marequita hatte sich indessen in der ersten Zeit, -nachdem Jerome sie verlassen, ziemlich fern von den -sonst so häufig besuchten Fandangos gehalten. Sie -kam wohl dann und wann hinüber und tanzte ein- -oder zweimal, ließ sich aber nie verleiten länger zu -bleiben, und verließ selbst ihr Haus nur selten. – -Aber wie monoton war das Leben auf der Mission, -wenn man sich auch noch die so spärlichen Vergnügungen -versagen wollte, die von Zeit zu Zeit ein unschuldiger -Tanz bot. Jerome ließ gar Nichts von sich -hören; er hätte doch gewiß einmal schreiben können, -wie es ihm ging, und ob er Hoffnung habe, bald zurückzukehren. -Von allen Minen trafen außerdem -Händler oder Goldwäscher in San Francisco ein, und -wie leicht wäre es ihm gewesen, Einen von Diesen zu -bewegen, ihnen Nachricht zu bringen. Aber Niemand -<a class="pagenum" id="page_304" title="304"> </a> -ließ sich sehen – Niemand, und der Vater Marequita's -frug <em class="ge">viele</em> Menschen aus den verschiedensten -Distrikten; Keiner von alle Diesen wußte freilich etwas -von einem Franzosen Jerome, oder hatte je von ihm -gehört; war es denn ein Wunder, daß ihr zuletzt die -Zeit lang wurde und sie den Bitten ihrer Freunde -und besonders des jungen tanzlustigen Volkes nicht -mehr so hartnäckig widerstand? Und wie jubelten ihre -Landsleute nicht allein, nein, auch die Fremden, wenn -sie sich wieder im »Saale« zeigte! Welche Triumphe -feierte sie! und manchen Abend mußte sie die ihr -geworfenen Dollarstücke sogar in der Mantille nach -Hause tragen, weil sie das viele Geld gar nicht mehr -in den Händen halten konnte.</p> - -<p>Heute war der Vater wieder in San-Francisco -gewesen und hatte dort, zum ersten Mal, so oft er sich -auch schon erkundigt, einen Franzosen gesprochen, der -Jerome genau kannte und sogar mit ihm gearbeitet -hatte. Der aber behauptete, Jerome sei glücklich in -den Minen gewesen und schon vor langen Wochen -nach San-Francisco zurückgekehrt, wo er, wie er ihm -erzählt, heirathen und ein kleines Hotel gründen wollte. -Seit dem Tage aber habe er ihn natürlich nicht mehr -gesehen, und wenn er sich jetzt nicht in der Stadt befinde, -müsse ihm doch am Ende ein Unglück zugestoßen sein.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_305" title="305"> </a> -»Aber welches?«</p> - -<p>Du lieber Gott! aus den Minen zurückkehrende -Goldwäscher wurden aber gar nicht etwa so selten von -nichtsnutzigem Gesindel angefallen, todtgeschlagen und -beraubt; Dampfbootkessel waren außerdem geplatzt, -Boote zusammengerannt und gesunken. Er konnte -auch San-Francisco glücklich erreicht und dort sein -ganzes gewonnenes Gold am ersten Abend verspielt -haben – wie oft geschah das! – und dann stak er -jetzt vielleicht schon wieder oben in den Bergen, um -sein Glück von Neuem zu erzwingen. Das Letztere -schien auch in der That das Wahrscheinlichste, denn -leicht gewonnenes Geld wird selten geachtet, und verschwindet -oft rascher als es erlangt wurde, und die -also Betrogenen schämen sich dann stets, ihren Leichtsinn -einzugestehen.</p> - -<p>Marequita weinte, als ihr der Vater die Kunde -brachte – also das wäre die Liebe gewesen, die ihr -Jerome geschworen, daß er das schon in den Händen -gehaltene Glück auf trügerische Karten setzte, und ihr -nicht einmal Kunde von seiner Rückkehr gab? Dann -aber brauchte sie sich auch nicht mehr um den leichtsinnigen -Menschen zu grämen, oder ihm gar ihre -Jugend zum Opfer zu bringen. – Heute Abend war -großer Fandango – die Offiziere eines in der Bai -<a class="pagenum" id="page_306" title="306"> </a> -ankernden spanischen Kriegsschiffes hatten zugesagt, -die Mission zu besuchen – lag es doch auch gerade -dem Kanal gegenüber, und das junge Mädchen beschloß, -sich heute Abend dem Tanz wieder mit der -alten, unermüdeten Lust hinzugeben wie vordem.</p> - -<p>Allerdings machte der Wirth auch die größten -und ganz außergewöhnliche Anstalten, um die einst -weiß gewesenen, trostlos nackten Wände seines Lokals -für das Fest so freundlich als möglich zu decoriren, -und ein Dutzend Indianer waren schon seit Tagesanbruch -beschäftigt gewesen, grüne Büsche jenes lorbeerartigen -Baumes, der in Masse an den nächsten Hängen -wuchs, herbeizuschleppen, und den ganzen Raum in -eine Laube zu verwandeln. Ueberall wurde gehämmert -und gebohrt und recht unheimlich drang zu diesen -Vorbereitungen einer frohen Lust manchmal das Geheul -des Wahnsinnigen herunter, so daß sich der Wirth -noch für den Abend eine große Trommel und zwei -Trompeter extra bestellte, um mit der rauschenden -Musik die unglückseligen Laute zu übertäuben. Er -hätte das aber nicht nöthig gehabt, denn schon gegen -elf Uhr schwiegen die Aufschreie – kein Ton wurde -mehr gehört und bald brachte auch ein Krankenwärter -die Nachricht herunter, der Unglückliche, der ihnen die -letzten Wochen so viel zu schaffen gemacht, sei vor etwa -<a class="pagenum" id="page_307" title="307"> </a> -einer halben Stunde plötzlich auf sein Lager zurückgefallen -und gestorben.</p> - -<p>»<i>Grazias a Dios!</i>« rief der Wirth, »Gott sei -seiner armen Seele gnädig und gebe ihr den ewigen -Frieden, aber ich bin froh, daß wir ihn los sind, -<i>amigo</i>, denn das Geschrei war kaum noch zum Aushalten -und ich selber schon im Begriff, den sonst so -bequemen Platz zu verlassen, um mich wo anders anzusiedeln. -Jetzt stört er uns auch heute Abend die -fremden Gäste nicht, und die jungen Damen besonders -werden dem Himmel danken, daß sie sich nicht -mehr vor dem Tollen zu fürchten brauchen.«</p> - -<p>Das war auch in der That ein reges Leben heute -auf der Mission, und noch dazu Sonntag und prachtvolles -Wetter, so daß ganze Schwärme von Lustwandelnden -und Reitern und Wagen aus San-Francisco -herüber kamen, um den Nachmittag hier draußen zuzubringen.</p> - -<p>Und wie stolz betrachtete sich indessen der Wirth -seinen so stattlich herausgeputzten Ballsaal, in welchem -höchstens die Mittel zur Beleuchtung etwas zu -wünschen übrig ließen. Aber Gas gab es freilich -nicht, und Stearinkerzen, auf Leuchter mit Reflectoren -von weißem Blech gesetzt, mußten da aushelfen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_308" title="308"> </a> -Uebrigens dachte das tanzlustige Volk gar nicht -daran, den Abend zu erwarten, um die Lustbarkeit zu -beginnen; wozu sollten sie den ganzen schönen Tag -versäumen? und der Wirth hatte wirklich Mühe, sie -nur so lange zurückzuhalten, bis er seine nöthigsten -Arbeiten im Innern beendet hatte, denn daß er nachher -keinen Moment Zeit dafür behielt, wußte er gut genug.</p> - -<p>Es war vier Uhr Nachmittags, als zwei Jöllen -mit Offizieren von dem spanischen Kriegsschiffe abstießen -und dem Lande zuruderten, und zugleich -begannen auch die Musici als Introduction einen -lustigen Marsch zu spielen, um die willkommenen -Gäste damit zu empfangen. – In derselben Zeit -drückte der Arzt da oben dem Todten die Augen zu -und die Krankenwärter lösten ihm die bis jetzt noch -immer gefesselten Arme und falteten ihm die Hände -auf der stillen Brust, wuschen ihn auch und kämmten -sein volles, lockiges Haar, das ihm bis jetzt -wirr und wild um die Schläfe gehangen hatte. -Dann wurden die Wärter hinunter auf den Kirchhof -gesandt, um ein Grab für den Unglücklichen -auszuwerfen. Heute war es schon zu spät geworden, -aber morgen mit dem Frühesten sollte er beerdigt -werden, denn länger konnte man ihn unmöglich dort -oben zwischen den Lebenden lassen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_309" title="309"> </a> -Draußen schaufelten, unmittelbar neben dem alten -Missionsgebäude, die Männer das schmale Grab aus, -und inwendig spielten mit Trommeln und Trompeten -die Musici den lustigen Marsch und plauderten und -lachten die jungen Mädchen mit einander, sich des -schönen Tages freuend. Auch zu ihnen war wohl die -Kunde gedrungen, daß der Wahnsinnige gestorben sei, -aber auch sie freuten sich darüber, denn lange genug -hatte er sie fürchten gemacht und auch wohl bös erschreckt, -wenn manchmal mitten in der Nacht sein -gellender Aufschrei zu ihnen herübertönte. Das war -jetzt vorbei – aber es dachte Keine von ihnen länger -als einen flüchtigen Augenblick an den Unglücklichen; -andere Dinge gingen ihnen im Kopf herum, denn dort -kamen die fremden Offiziere in ihren prächtigen Uniformen -schon über den niederen Küstenhang vom Ufer -herauf, und der Tanz nahm ihre ganze Aufmerksamkeit -vollständig in Anspruch.</p> - -<p>Indessen sammelte sich das »Volk« vor dem alten -Missionsgebäude, und es war in der That wunderlich -anzusehen, welche bunte Mischung von Stämmen und -Trachten sich hier zusammen gefunden hatte. Das -schienen auch nicht die Bewohner einer einzigen Stadt, -die sich hier an einem Sonntag Nachmittag versammelten, -das glich weit eher einem Carneval, der die -<a class="pagenum" id="page_310" title="310"> </a> -Repräsentanten aller Zonen und Welttheile für kurze -Zeit vereinigte, und <em class="ge">alle</em> Zonen, – mit Ausnahme -vielleicht der kalten – waren wirklich vertreten.</p> - -<p>Hier stand eine Gruppe von Yankees, in dem unvermeidlichen -schwarzen Frack, den hohen Cylinderhut -weit nach hinten auf den Kopf gedrückt, die Hände in -den Taschen und goldene Uhrketten, Tuchnadeln, -Hemdknöpfchen und Berloques eingehakt. Dazwischen -drängte sich ein kleiner Schwarm von Chinesen herum, -in ihren blauen Kattunjacken und weiten weißen -Hosen, die langen Zöpfe wohl geflochten und gepflegt. -Südsee-Insulaner waren da, die scheu und verwundert -auf dem fremden Boden umhergingen, und oft nur in -ihrer eigenen Sprache zusammen plauderten und -lachten, wenn ihnen etwas gar zu Absonderliches in -die Augen sprang – Mexikaner mit den, an der -Seite bis oben hin aufgeschlitzten und mit silbernen -Knöpfen besetzten Sammethosen und den kurzen, ebenfalls -so garnirten Jacken, den breitrandigen Wachstuchhut -auf dem Kopf; Californier mit ihrem langen, -in den prachtvollsten Farben gewebten Ponchos, die -ihnen fast bis auf die Knöchel hinabreichten und die -ganze Gestalt verhüllten. Deutsche, Engländer, Franzosen, -Irländer, Backwoodsmen in ihren ledernen -Jagdhemden, die lange Büchse noch auf der Schulter, -<a class="pagenum" id="page_311" title="311"> </a> -wie sie gerade über die Felsengebirge gekommen waren; -Chilenen in den kurzen Ponchos, Neger und -Mulatten in allen Schattirungen, und dazwischen die -aus den Minen oft mit schweren Beuteln voll Gold -zurückgekehrten Goldwäscher in den phantastischsten -Costümen, die sich nur denken lassen – abgerissen in -ihren Kleidern auf das Entsetzlichste, mit geflickten -Hosen und Jacken, mit zerrissenen Stiefeln, und -Hüten, die Monate lang am Tag der Sonne und dem -Regen getrotzt und Nachts dann als Kopfkissen gedient -hatten. Und in kleinen Gruppen standen dabei die -Eingebornen des Landes, die eigentlichen, rechtmäßigen -Herren des Bodens, und doch vielleicht die einzigen, -vollständig Besitzlosen in der ganzen Masse, die ihr -Leben jetzt durch Tagelohn kärglich fristen mußten.</p> - -<p>Welch bunte Völkermischung trieb sich auf dem -engen Platz umher, und dieser schlossen sich nun auch -noch die spanischen Marine-Offiziere in ihren blitzenden, -goldgestickten Uniformen an und vollendeten -eigentlich erst das bunte, wunderliche Bild. Aber die -rauschende Musik zog sich auch bald zu dem eigentlichen -Knotenpunkt des Vergnügens hin, und so öde der Platz -da drinnen sonst gewöhnlich aussah, so freundlich -schien er ihnen heute nicht allein durch das frische -Grün der Zweige, das die Wände deckte, nein auch -<a class="pagenum" id="page_312" title="312"> </a> -durch die vielen, lieben Mädchengestalten, die sich hier -versammelt hatten und jetzt nun verschämt und doch -auch wieder mit vor Vergnügen blitzenden Augen des -Tanzes harrten.</p> - -<p>Wo alle Theile so willig waren, dauerte es aber -auch nicht lange, bis er begann, und wie nur die -kriegerischen Töne des Marsches schwiegen und in -die allbeliebte muntere Weise des Fandango übergingen, -hatten sich rasch einige gleichgesinnte Paare gefunden, -die zusammen antraten – und Marequita -war unter ihnen und ihr Tänzer einer der jungen -Offiziere.</p> - -<p>Es gab allerdings damals noch wenig Frauen in -Californien, denn das wilde Leben im ganzen Lande -bot noch keinen rechten Grund und Boden für eine -Familie. Was deshalb von Amerika oder Europa -an weiblichen Wesen herüber gekommen war, gehörte -nur den Klassen an, die sich darin wohl fühlen konnten, -und dazu hatte Chile die größte Zahl gestellt. -Die Fremden, wenn sie wirklich anständige Damengesellschaft -suchten, blieben deshalb allein auf die hier -ansässigen Californierinnen angewiesen.</p> - -<p>Zu <em class="ge">diesem</em> Fandango hatte übrigens auch die -weite Nachbarschaft ihre schönen Gesandtinnen hergeschickt. -Die Mission selber stellte fünf allerliebste -<a class="pagenum" id="page_313" title="313"> </a> -Mädchen, und nicht allein befand sich gerade ein -Besuch von Pueblo San-José hier, der drei reizende -junge Damen aufweisen konnte, es waren auch noch -flinke und hübsche Tänzerinnen theils vom Präsidio, -theils von Sanchez Rancho angekommen. Ja selbst -von der Mission San-Rafael hatten sich zwei junge -Damen eingefunden.</p> - -<p>Allerdings wären wohl noch immer am heutigen -Tage auf eine Tänzerin mehr als zwanzig Tänzer -gekommen, wenn sich Alle hätten dabei betheiligen -können, aber die »Fremden« verstanden ja nicht den -Fandango und seine verwickelten und doch so graziösen -Touren, und nur die Chilenen, deren Sambacueca -die größte Aehnlichkeit damit hat, durften es wagen, -Theil daran zu nehmen. Sonst blieb der Boden, mit -Ausnahme einiger Franzosen, die sich rasch hineingefunden, -den Spaniern, Californiern und Mexikanern, -und da stellte sich denn doch kein so bedeutendes Mißverhältniß -in der Zahl heraus.</p> - -<p>Kopf an Kopf gedrängt standen aber die Zuschauer -wenigstens auf der einen Seite des Saals und im -hinteren Theil desselben, nur eben genügend Raum -für die Paare lassend, während die andere Seite, an -welcher sich auch die Musici befanden, der einen Thür -wegen, frei bleiben mußte, da der Wirth nur durch -<a class="pagenum" id="page_314" title="314"> </a> -diese aus- und eingehen konnte. Seine durstigen -Gäste verlangten Erfrischungen, denn die Hitze im -Saal war fast erstickend. Wie aber die Nacht einbrach, -änderte sich das, denn die meisten heutigen -Besucher der Mission kehrten in ihre Wohnungen -nach San-Francisco zurück, und die Yankees besonders -bekamen es auch satt, allein ruhige Zuschauer bei -einem Tanz abzugeben, den sie nicht einmal verstanden -und deshalb auch nicht schön finden konnten. Dies -ruhige Herüber- und Hinüberschweben gefiel ihnen -nicht; es war, so anmuthig die Damen es auch ausführen -mochten, doch viel zu monoton für sie und sie -vermochten nicht einmal dem Takt zu folgen – ja -wenn es ein tüchtiger »Reel« oder eine »Hornpipe« -gewesen wäre, der hätten sie mit Hacken und Fußspitze -schon Nachdruck geben wollen!</p> - -<p>Die Miner und das übrige Volk hielten ebenfalls -nicht viel länger aus, denn es gab keine Spielzelte auf -der Mission, keinen Platz, auf dem sie ihr Glück versuchen, -und das mühsam ausgegrabene Gold in leichter -Weise verdoppeln – oder auch verlieren konnten, -und sie verließen einzeln oder in Trupps die Mission -wieder, um zu den Spielhöllen der Plaza zurückzukehren -und sich der Aufregung des Monte hinzugeben. -Viele Mexikaner thaten das Nämliche, aber die -<a class="pagenum" id="page_315" title="315"> </a> -Chilenen, obschon dem Hazardspiel ebenso ergeben, -hielten aus, auch die Offiziere der spanischen Fregatte -wichen nicht vom Platze, ebensowenig die dort ansässigen -oder benachbarten Californier, und der Raum -blieb immer noch gefüllt, wenn er auch nicht mehr -wie den Nachmittag über, gedrängt war.</p> - -<p>Je mehr dabei die spanischen Gäste mit den jungen -californischen Damen bekannt wurden, desto lebendiger -gestaltete sich der Tanz, und Alles schien zu wetteifern, -um neue und piquante Touren zu erfinden. Die -Königin des Festes blieb aber, trotz vieler bildhübschen -Rivalinnen, Marequita, der ihr Tänzer fast nicht -mehr von der Seite wich, und bald war sie die Ausgelassenste -und Lebendigste von Allen, und übertraf -sich selber. Aber die spanischen Offiziere sollten sie -heute Abend nicht blos tanzen sehen, sie sollten auch -noch einige von den californischen Sitten und Gebräuchen -kennen lernen, und Marequita flüsterte deshalb -ihrem Bruder zu, rasch nach Hause zu springen -und eine Anzahl von ausgeblasenen Eiern, die zu dem -Zweck schon immer vorräthig gehalten wurden, in der -bekannten Art zu füllen – galt es doch eine Ueberraschung.</p> - -<hr /> - -<p><a class="pagenum" id="page_316" title="316"> </a> -Oben im Hospital des Missionsgebäudes herrschte -tiefe Dunkelheit. Das Wetter war den ganzen Tag -über schön und klar gewesen, und noch jetzt funkelten -die Sterne in heller Pracht vom Himmel nieder, aber -der Wind hatte sich erhoben, der über die niederen -Küstenberge fast unablässig mit solcher Gewalt herüberweht, -daß die dort einzeln wachsenden Bäume -ihr Laub alle nach der entgegengesetzten Seite hinüber -gedrückt tragen, und auch selber dorthin neigen, als -ob sie den steten Stürmen entfliehen wollten und sich -von ihnen abwendeten.</p> - -<p>Wie das da oben auf dem dunklen Boden pfiff -und zog! Die alten, moosbewachsenen Ziegel klapperten -ordentlich dumpf und klanglos zusammen, -und nur das Stöhnen und Aechzen der unglücklichen -Fieberkranken mischte sich mit dem unheimlichen -Laut.</p> - -<p>Und dazwischen lag der Tod. Kalt und starr auf -seinem Schmerzenslager ausgestreckt, ruhte der »Wahnsinnige«, -wie er überhaupt seit den letzten Monaten -von den Krankenwärtern nur genannt worden. Man -hatte ihm eins von seinen neuen rothen Hemden -und ein paar weiße Beinkleider angezogen – -denn die Decke war augenblicklich zum Waschen -gegeben, um wieder verwandt zu werden – und -<a class="pagenum" id="page_317" title="317"> </a> -mit gefalteten Händen träumte er der Ewigkeit entgegen.</p> - -<p>Träumte er? – die Betten rechts von ihm (denn -man hatte ihn zunächst der Treppe gelegt, um ihn so -fern als möglich von den übrigen Kranken zu halten, -die er bis jetzt durch sein wildes Schreien nur zu oft -gestört und erschreckt) standen leer. Das Hospital barg -jetzt nicht so viele Patienten, um nicht Raum genug für -die Anwesenden zu finden. Der arme Doktor hatte -in dem Stadthospital Concurrenz bekommen, und sich -doch so viele Mühe gegeben, <em class="ge">seine</em> Kranken behaglich -unterzubringen.</p> - -<p>Und wie still das heute Abend dort oben war! -Ein paar Leidende wimmerten allerdings leise vor sich -hin, aber sonst hörte man Nichts, als das dumpfe -Rauschen und Pfeifen des Windes und gelegentlich -mit dem Luftzug, die von unten herauf schallenden -munteren Weisen der Trompeten und Violinen, wie -zuweilen das dumpfe Hämmern der großen Trommel, -die ein Mulatte mit unendlicher Ausdauer bearbeitete. -Da unten herrschte Jubel und frische Lebenshoffnung -– hier oben kauerte der <em class="ge">Tod</em> und zählte die ihm -verfallenen Opfer.</p> - -<p>Die alte Missionsglocke schlug die zehnte Stunde, -und kein Wärter ließ sich sehen, obgleich der eine Fieberkranke -<a class="pagenum" id="page_318" title="318"> </a> -schon lange nach einem Trunk Wasser gewimmert -hatte. Wer konnte es ihnen auch verdenken, -daß sie nicht da oben zwischen Jammer und Elend -blieben, wo nur ein paar hölzerne Stufen sie mitten -unter Lust und Freude brachten? Es war Fandango -auf der Mission und ein paar Gläser <i>agua ardiente</i> -(Branntwein) konnten ihnen gewiß nicht schaden, um -den Körper zu erwärmen, und die lange mühselige -Nachtwache nachher auszuhalten. Außerdem war der -»Doctor« gerade heute nach der Stadt geritten, und -sie brauchten deshalb nicht zu fürchten, daß er sie bei -einer Vernachlässigung ihrer Pflicht ertappe, über -welche sie sich selber wenig genug Gewissensbisse -machten. Hatten sie doch seit Wochen fast den oberen -Raum nicht verlassen dürfen, so lange der »Wahnsinnige« -dort tobte und an seinen Banden riß. Heute -war der <em class="ge">erste</em> freie Abend, den sie bekamen, und den -wollten sie denn auch nach besten Kräften nutzen.</p> - -<p>Hei, wie das durch die Ziegel pfiff! und drüben -in der Lorbeerwaldung, die in der Richtung nach -San-Francisco zu lag, hatten dazu die Wölfe ihr -Abendconcert begonnen, die großen, braunen californischen -Wölfe, und die Cayotas, das kleine Steppengesindel, -das mit seinen feinen Stimmen den Diskant -zu dem Grundbaß der ersteren heulte. Und wie deutlich -<a class="pagenum" id="page_319" title="319"> </a> -konnte man das hier oben hören, da der Luftzug -die Laute gerade herübertrug, und wie sonderbar das -zu der Musik und dem Pfeifen des Sturmwinds -klang!</p> - -<p>Die Glocke draußen hatte eben ausgeschlagen, als -ein heftiges Zittern den Körper des »Todten« überflog. -Der Nachtwind wehte auch kalt genug, und dem -von Krankheit abgeschwächten Körper fehlte die -schützende Decke, die ihn sonst wenigstens warm gehalten.</p> - -<p>Der Kranke hob staunend den Kopf und horchte -den fremden, wunderlichen Lauten, die zu ihm herüberdrangen. -Hatte er in einem Starrkrampf gelegen, -der bis dahin seine Glieder gefesselt hielt? Er -fuhr sich mit der Hand nach der Stirne – auch die -Hand war nicht mehr gebunden – er hob sich vom -Lager und fühlte seinen Körper frei und unbehindert -– aber dunkle Nacht umgab ihn – er war nicht im -Stande zu <em class="ge">sehen</em>, wo er sich befand, noch hatte -er eine Ahnung, an welcher Stelle das sein -könnte.</p> - -<p>Wie schwach er auch geworden war! – als er -zum ersten Mal wieder auf den Füßen stand, vermochten -ihn seine Kniee kaum zu tragen, und er -mußte sich zurück auf das Bett setzen, um nicht umzusinken. -<a class="pagenum" id="page_320" title="320"> </a> -– Und wie das in seinem Kopfe hämmerte, -und pochte, und mit wilden, unheimlichen Gedanken -herüber- und hinüberzuckte! Aber die Musik da unten? -– er horchte hoch auf – was war das? wohin -hatte ihn das Schicksal geführt?</p> - -<p>Er versuchte noch einmal aufzustehen, und als er -herumtappte, trafen seine Finger auf einen dünnen -Kattunvorhang, hinter welchem er ein festes Geländer -fühlte. Er hob den Vorhang auf und glitt darunter -durch; wie er aber vorsichtig weiter tappte, trat sein -Fuß ins Leere und er merkte bald, daß er an einer -Treppe stand. Einen Augenblick überlegte er, aber -munterer als vorher ertönten in diesem Moment -wieder die Instrumente von unten herauf, und ohne -sich länger zu besinnen, stieg er hinab.</p> - -<hr /> - -<p>Wie das da unten lachte und jubelte und seiner -unschuldigen Lust und Freude folgte! Die Eier waren -angekommen, und Marequita's Tänzer erschrak nicht -wenig, als ihm seine Tänzerin plötzlich, mitten im -Fandango, die Mütze ein wenig zurückschob, und er -gleich darauf einen wahren Schauer von Eau de Cologne -an sich niederrieseln fühlte.</p> - -<p>»<i>Caramba, Señorita</i>« rief er aus, indem er erschreckt -<a class="pagenum" id="page_321" title="321"> </a> -zurücksprang, »was ist das?« – Aber lautes -Jubeln und Lachen beantwortete seine bestürzte Frage -und Marequita's Bruder hatte jetzt wirklich Mühe, -nur noch einen Theil seiner sorgfältig präparirten -Eier für die Schwester zurückzubehalten, denn von -allen Seiten stürmten die jungen Mädchen auf ihn -ein, um ihm ein paar abzubetteln, oder auch, wenn das -nicht ging, durch List oder Gewalt zu entreißen, und -jetzt brach der Muthwillen der jungen Damen voll -und entfesselt los.</p> - -<p>Und wie schön Marequita in dieser ungezwungenen -Fröhlichkeit war – wie bildschön! Der arme Marineoffizier, -der Jahre lang draußen auf öder See -herumgeschwommen, und hier zum ersten Mal wieder -dem Reiz weiblicher Liebenswürdigkeit begegnete und -von dessen Zauber umsponnen wurde, war ganz hingerissen.</p> - -<p>Der Tanz hatte einen Moment aufgehört, und -jetzt begann ein neuer Fandango, noch lebendiger als -der vorige.</p> - -<p>»Marequita,« flüsterte er, indem er seinen Arm -um ihre Taille legte, und sie leise an sich zog, – »Du -bist eine Sirene, Mädchen, und ich könnte verrückt -werden, wenn ich mir nur die Möglichkeit denken -müßte, Dich je wieder zu verlieren – von Dir vergessen -<a class="pagenum" id="page_322" title="322"> </a> -zu sein. Sei mein, Marequita – in kurzer -Zeit kehre ich zurück, und dann folgst Du mir in mein -schönes Vaterland!«</p> - -<p>Marequita sah zu ihm auf, ihre Blicke begegneten -sich, aber in dem ihrigen lag vielmehr Schelmerei als -Liebe – sie hob ihre Hand, und im nächsten Moment -fühlte er, wie sie sich aus seinen Armen wand, zugleich -aber auch seine Mütze ergriff, sich aufsetzte, und -damit einem andern Tänzer entgegenhuschte, mit dem -sie im nächsten Augenblick den Fandango begann. Der -junge Offizier wollte ihr nach, ein alter Californier -aber, der schon den ganzen Abend die rauschende Musik -mit seiner kaum hörbaren Guitarre begleitet hatte, -hielt ihn zurück und rief aus:</p> - -<p>»<i>Caramba, Señor</i>, das geht nicht – das ist ein -Recht der californischen Señioritas beim Fandango, -und wenn Ihr die Mütze wieder haben wollt, müßt Ihr -sie auslösen.«</p> - -<p>»O, wie gern!« rief der junge Mann, indem er -einen Ring vom Finger zog und jetzt die Zeit nicht -erwarten konnte, wo die Geliebte einen Augenblick -vom Tanz zurücktrat.</p> - -<p>Marequita hatte aber nur das Zeichen zu dem -neuen Scherz gegeben, denn die andern jungen Damen -folgten bald ihrem Beispiel, und allerliebst -<a class="pagenum" id="page_323" title="323"> </a> -sahen sie in der That in den kecken Seemannsmützen -aus.</p> - -<p>Jetzt hielt Marequita dicht an der Thür, die in -das Innere des Hauses führte, und der junge Galan -war im Nu an ihrer Seite.</p> - -<p>»Meine theure Marequita,« flüsterte er ihr zu, -»wie glücklich machen Sie mich, daß Sie mir Gelegenheit -geben, Ihnen ein Andenken zurücklassen zu dürfen -– wollen Sie es tragen?« – Und dabei schob -er ihr leise den kleinen goldenen, mit einem Brillant -gezierten Reif an den Finger; »darf ich, Marequita?«</p> - -<p>Hinter Marequita trat ein Mann in einem rothwollenen -Hemd in die Thür. Das braungelockte -Haar hing ihm aber über eine alabasterweiße Stirn -– sein Antlitz selber sah todtenfahl aus, und nur die -großen dunklen Augen überflogen erstaunt den sich -vor ihm öffnenden, buntgeschmückten und hellerleuchteten -Raum. Da traf der letzt geflüsterte Name sein -Ohr, und rasch und wie erschreckt schaute er auf das -vor ihm stehende junge Paar.</p> - -<p>Marequita erröthete tief, als sie den Ring an -ihrem Finger führte, und flüsterte leise:</p> - -<p>»Tausend Dank, Señor, – ich – werde ihn -tragen,« und der junge Mann, in der Erregung des -<a class="pagenum" id="page_324" title="324"> </a> -Augenblicks selbst die Umgebung vergessend, zog -sie an sich und preßte einen heißen Kuß auf ihren -Nacken.</p> - -<p>»Marequita,« sagte eine hohle, tonlose Stimme, -und das junge Mädchen wandte bestürzt den Kopf. -Da fiel ihr Blick auf die bleiche Gestalt und begegnete -den stieren, entsetzlichen Augen, die glühend und -wie verzehrend auf ihr hafteten.</p> - -<p>»<i>Ave Maria Purisima!</i>« schrie da eine entsetzliche -Stimme; es war einer der Krankenwärter, der -sich in den Saal geschlichen, um hier zuzusehen: »der -Wahnsinnige – der todte Wahnsinnige!«</p> - -<p>»Jerome!« stöhnte Marequita und schlug, ehe der -Offizier nur zuspringen konnte, um sie aufzufangen, -schwerfällig und bewußtlos zu Boden nieder.</p> - -<p>»Der Wahnsinnige!« von Mund zu Mund lief -der Schreckensschrei, und entsetzt drängten die Mädchen -von der Stelle hinweg, dem hinteren Theil des -Zimmers zu.</p> - -<p>Ob Jerome begriff, was hier geschah? Einen -Moment stand er selber regungslos, und wie scheu -und erstaunt flog sein Blick über den inneren Raum -– über die wild vor ihm fliehenden Gestalten der -Mädchen. Da schrie der Wärter wieder:</p> - -<p>»Haltet ihn, um der Mutter Gottes willen laßt -<a class="pagenum" id="page_325" title="325"> </a> -ihn nicht fort!« und als ob nur der Ton dieser Stimme -ihn zum Leben zurückgerufen hätte, so zuckte der -Unglückliche empor. Sein Auge glühte, seine ganze -Gestalt hob sich – fast unwillkürlich öffnete er dabei -den Mund und zeigte seine beiden Reihen blinkender -Zähne, daß selbst die ihm nächsten Offiziere scheu -davor zurückwichen.</p> - -<p>»Haltet ihn! haltet ihn!« schrieen jetzt auch Andere, -und drängten vor – nur der junge Offizier -kniete, gar nicht auf den unheimlichen Fremden -achtend, an der Seite der ohnmächtigen Geliebten und -suchte sie zum Leben zu erwecken.</p> - -<p>»Haltet ihn?« kreischte da Jerome, dessen ganze -Wildheit bei dem Rufen auf's Neue erwachte – -»haltet ihn?« und ehe ihn Jemand daran verhindern -konnte, riß er den kurzen Schiffsdolch, den der spanische -Seeoffizier an der Seite trug, aus seiner Scheide; -»haltet ihn?« gellte er noch einmal, die Waffe mit -einem entsetzlichen Lachen schwingend – »Raum da -vorn!« und zum Stoß ausholend, warf er sich mit -wildem Muth mitten auf den dichtesten Schwarm, -der kaum so rasch zur Seite konnte, um ihm Bahn zu -machen.</p> - -<p>Wohl streckten sich hie und da Arme nach ihm -aus, um ihn zu halten, aber nach rechts und links -<a class="pagenum" id="page_326" title="326"> </a> -hinüber – unbekümmert, wen er traf, stieß der scharfe -Stahl – nach rechts und links stürzten die Männer -übereinander, zwei oder drei von ihnen schwer verwundet -– wer hätte sich ihm entgegenwerfen wollen? -und jetzt war er draußen im Freien, in der dunkelen -Nacht.</p> - -<p>»Marequita!« schrie seine gellende Stimme – -»Marequita!« und sein Fuß berührte kaum den Boden, -als er, die blutige Waffe noch immer in der -Faust, an der Mission hin dem Ufer der Bai entgegenflog.</p> - -<p>Einzelne der Tänzer und Zuschauer folgten ihm -allerdings, oder thaten wenigstens so, als ob sie ihm -folgen wollten, aber es holte ihn Niemand ein, und -wenige Minuten später war er in der da draußen -lagernden Finsterniß verschwunden.</p> - -<p>Die Verwirrung, die jetzt in dem bis dahin noch so -belebten Raum entstand, war nicht zu beschreiben, und -an eine Fortsetzung des Tanzes kein Gedanke mehr. -Zitternd und nur unter hinreichender Begleitung -suchten die Mädchen ihre Wohnungen zu erreichen, -und Fackeln wurden dann angezündet, um den entflohenen -Kranken, bei dem es ein Räthsel blieb, wie er -wieder vom Tode erwacht sei, doch noch vielleicht aufzufinden -– aber vergebens. Der Boden war zu sehr -<a class="pagenum" id="page_327" title="327"> </a> -von Menschen zertreten, um irgend einer bestimmten -Spur folgen zu können, und unverrichteter Dinge -kehrten die Männer erst spät in der Nacht zu der -Mission zurück. Auch die Offiziere der spanischen -Fregatte waren indessen wieder an Bord gerudert.</p> - -<p>Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch begannen -die Bewohner der Mission alle ihre Nachforschungen -von Neuem und jetzt mit besserem Muth, denn es -blieb immer ein unbehagliches Gefühl, in Nacht und -Nebel einem bewaffneten Wahnsinnigen hinaus in -die Dunkelheit zu folgen – war auch wohl Keinem -von ihnen am letzten Abend rechter Ernst gewesen. -Jetzt aber gestaltete sich die Sache anders; mit Sonnenlicht -war wenigstens die Gefahr beseitigt, daß der -entsetzliche Mensch im Finstern auf sie einspringen -könne, und auf und ab durchsuchten sie die Nachbarschaft -und selbst den sandigen Waldrand, wo sich die -Fährten leicht erkennen ließen. Sogar nach San-Francisco -wurden Boten gesandt, um das Geschehene -zu melden und dort nach dem Flüchtling zu -forschen.</p> - -<p>Sie hätten nicht nöthig gehabt, so weit nach ihm -zu suchen. Als die Fluth ablief, fanden Fischer seinen -Leichnam auf dem Schlamm unmittelbar am Ufer in -<a class="pagenum" id="page_328" title="328"> </a> -der See und zwar genau in der Richtung, die er -gestern Abend auf seiner Flucht genommen, als er -aus der Thüre des Missionsgebäudes sprang. Es -war auch damals gerade Fluth gewesen und ob er im -Dunkeln von dem steilen Ufer hinab in die See gestürzt, -ob er absichtlich den Tod dort gesucht – wer -hätte es sagen können?</p> - -<p>Er wurde still in das schon für ihn ausgeworfene -Grab gelegt, und drei Tage später verließ auch die -spanische Fregatte die Bai von San-Francisco wieder, -um einer nur ihrem Kapitän bekannten Richtung zuzusteuern.</p> - -<p>Der junge Lieutenant war allerdings noch zweimal -an Land und in dem Hause von Marequita's Eltern -gewesen, wo er das arme Mädchen bleich und in -Thränen fand.</p> - -<p>Und wann kehrte er wieder? – Wer konnte -es sagen; denn sein Weg ging durch eine weite -Strecke – aber mit den heißesten Schwüren betheuerte -er der Jungfrau seine Liebe, und als er -sie endlich verlassen mußte, barg sie laut schluchzend -ihr Antlitz an der Brust des Vaters. – Es -war zu viel für das arme Kind gewesen; zu rasch -war Schlag auf Schlag gefolgt. Von dem Tage -an – tanzte sie nicht mehr, vier volle Wochen -<a class="pagenum" id="page_329" title="329"> </a> -lang. Als ich aber – etwas nach dieser Zeit – -Californien verließ, blüheten ihre Wangen wieder -wie vordem, und sie war unstreitig das schönste -Mädchen und die beste Tänzerin auf der Mission -Dolores.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_330" title="330"> </a> -<span class="ge">Eine Polizeistreife in Cincinnati.</span></h2> - - -<p>Eine so friedliche und geschäftige Stadt das halb -von Deutschen bewohnte Cincinnati ist, so hat sie doch -trotzdem ihr »schlechtes Viertel,« und da sich mir die -Gelegenheit bot, es eines Abends zu besuchen, so versäumte -ich sie nicht.</p> - -<p>In den Hauptstraßen der Stadt und im ganzen -übrigen Theil derselben herrscht nämlich volle -Sicherheit und man kann dort zu jeder Stunde der -Nacht ungefährdet passiren; dieses Viertel aber dürfte -von einem anständig gekleideten Menschen doch lieber -zu vermeiden sein, denn der Auswurf der Bevölkerung -hat dort seinen Wohnsitz aufgeschlagen, und wer sich -dahinein mischt, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben. -Ermordungen fallen dort wenigstens gar nicht so selten -vor, und noch am letzten Abend war ein Bootsmann -in einer dieser Winkelgassen erstochen worden, ohne -<a class="pagenum" id="page_331" title="331"> </a> -daß man bis jetzt im Stande gewesen wäre, den Thäter -zu ermitteln.</p> - -<p>Ein Fremder, der sich dort allein hineinwagte, -würde außerdem nichts weiter zu sehen bekommen, als -die der Straße zunächst gelegenen Trinklokale, und -man ihm nie gestatten, weiter in diese Höhlenwirthschaft -einzudringen. Dazu aber hat die Polizei das -volle Recht und macht denn auch davon zu unregelmäßigen -Zeiten Gebrauch, um hie und da einmal -einem dort vielleicht versteckten Verbrecher auf die -Spur zu kommen, oder die Insassen der verschiedenen, -ihnen wohlbekannten Cabachen zu revidiren.</p> - -<p>Einem solchen Streifzug, den zwei Polizeilieutenants -(der Eine von ihnen ein Deutscher) unternahmen, -schloß ich mich mit einem Freunde an, und -etwa um acht Uhr Abends trafen wir uns auf der -einen Polizeistation, die an sich schon manches Interessante -bot.</p> - -<p>Es sind das nämlich die Plätze, wo aufgegriffene -Vagabonden oder auch Verbrecher festgehalten werden, -bis ihre Untersuchung eingeleitet und ihre Strafe -bestimmt werden kann, und die Art, wie man sie dort -unterbringt, ist so eigenthümlich wie praktisch. Man -sperrt sie nämlich keineswegs in kleine, aus dicken -Mauern bestehende Zellen, mit eisenbeschlagenen -<a class="pagenum" id="page_332" title="332"> </a> -Thüren und Schlössern und sorgfältig verwahrten -Oefen, durch welche sie aber noch trotzdem manchmal -ihren Weg zur Flucht suchen, sondern in einem großen -Saal, am Tag durch Fenster, Nachts durch Gas erleuchtet, -stehen vier oder fünf große viereckige, eiserne -Käfige, aus starken Eisenblechbändern zusammengenietet -und ebenfalls mit einem eisernen Boden versehen, -zerstreut, und in ihnen befinden sich die verschiedenen -Gefangenen. Die Zwischenräume zwischen -den Eisenblechstreifen sind aber so weit, daß man -überall leicht einen Arm durchstrecken kann, und gewähren -dadurch über das Innere einen durch nichts -gehemmten Blick. Polizeileute gehen außerdem fortwährend -zwischen den verschiedenen Käfigen hin und -her, und keiner der Insassen kann sich auch nur bewegen, -ohne daß es bemerkt wird. An ein Ausbrechen -ist deßhalb nicht zu denken, und ebensowenig können sie -durch Feuer Unheil anrichten – das Eisen brennt -nicht.</p> - -<p>Eines der Zimmer übrigens mit eben solchen, -aber nicht verschlossenen Käfigen ist für Obdachlose -bestimmt, die selber bei der Polizei Schutz gesucht -haben, und gerade an dem Abend hatten sich zwei -Frauen mit kleinen Kindern da eingefunden, um hier -die Nacht zuzubringen – ja vielleicht auch den andern -<a class="pagenum" id="page_333" title="333"> </a> -Tag. Du lieber Gott, es war doch immer ein Schutz -gegen Wind und Wetter und wer weiß, welches unsagbare -Leid die armen Frauen erst durchgemacht, ehe -sie diese letzte Hülfe in der Noth benützten.</p> - -<p>Wir hielten uns übrigens nicht sehr lange bei der -Besichtigung dieser verschiedenen Gruppen auf, sondern -traten unseren Marsch an, der uns in die östlich gelegenen -Distrikte der Stadt, oder in das sogenannte -Negerviertel führte.</p> - -<p>Zuerst besuchten wir hier eine Negerkirche, die sich, -wenn auch an einem Wochentage, ziemlich stark besucht -zeigte. Besonders ragten die »farbigen« Ladies durch -bunten Putz und Schmuck hervor, und es sollte -mich gar nicht wundern, wenn sie es schon den »weißen« -Ladies abgesehen hätten, nur deßhalb nämlich das -Gotteshaus zu besuchen, um dort ihren bunten Plunder -zur Schau zu tragen.</p> - -<p>Der Geistliche – ein dunkler Mulatte, hielt eine -schale, nichtssagende Predigt voll lauter Phrasen und -dabei ohne jede Begeisterung oder Wärme und etwa -mit einer Betonung auf jedem Wort, als ob er immer -hätte sagen wollen: »Nun, hab' ich nicht recht? – ist -die ganze Sache nicht sonnenklar, und kann irgend ein -vernünftiger Mensch irgend etwas dagegen einzuwenden -haben?« – Er blieb dabei auf der sehr breiten -<a class="pagenum" id="page_334" title="334"> </a> -Kanzel auch nicht etwa stehen, sondern lief darauf hin -und her, sich bald an diesen, bald an jenen Theil seiner -Zuhörer wendend. Große Ruhe schien aber nicht beobachtet -zu werden, denn fortwährend kamen und -gingen Leute, und machten oft Lärmen genug dabei.</p> - -<p>Uebrigens stand diese Kirche genau an der Grenze -des berüchtigten Viertels, und von dort an begannen -schon die einzelnen Buden und Trinklokale, aus denen -hie und da der Ton einer einsamen Violine heraustönte. -Es herrschte auch jetzt gerade kein rechtes Leben -zwischen dieser Menschenklasse, denn der Fluß war zu -niedrig, die Dampfboote konnten nicht fahren, und -gerade die farbigen Dampfbootleute sind es, die hier -ihre Orgien feiern und den schmutzigen Strudel in -Bewegung halten.</p> - -<p>Wir betraten jetzt einige der Plätze, in denen -unten, bei der Beleuchtung eines einzelnen Talglichts, -oder einer Petroleumlampe, schnöder Whisky und -grauenvolle Cigarren feil gehalten wurden, und nicht -einmal mehr geschminkte weiße und schwarze Dirnen, -durcheinander gemischt, ihr Glas tranken und ihre -Cigarre rauchten. Die Herren von der Polizei hielten -sich aber nicht lange in diesen vorderen Räumen auf, -denn was hier weilte, brauchte das Licht – wenigstens -dieser Nachbarschaft – nicht zu scheuen. Sie wußten -<a class="pagenum" id="page_335" title="335"> </a> -auch überall schon genau Bescheid, wohin sie sich zu -wenden hatten; bald krochen sie, unmittelbar hinter -dem Schenkstand, eine steile Treppe empor, die eher -einer Leiter glich, bald wandten sie sich der Hinterthür -zu, schritten über einen engen, stockfinsteren Hofraum -und überraschten dadurch die Bewohner eines baufälligen, -halbverfallenen Hinterhauses.</p> - -<p>Wir folgten ihnen natürlich auf dem Fuß und: -»Jammer, von keiner Menschenseele zu fassen!« hätte -ich manchmal ausrufen mögen, wenn wir einzelne -dieser höhlenartigen Wohnungen betraten.</p> - -<p>Dort, unter Lumpen, lag auf einer schmutzigen -Strohmatratze eine menschliche Gestalt zusammengekauert.</p> - -<p>»Wer ist das?«</p> - -<p>»Meine Schwester,« sagte eine alte, in der Ecke -kauernde Frau, die man natürlich keines Grußes gewürdigt -hatte, »sie ist krank.«</p> - -<p>Auf dem Tisch flackerte ein fast niedergebranntes -Talglicht seinen düsteren, unbestimmten Schein durch -das Gemach, blies doch der kalte Nachtwind durch drei -oder vier losgefaulte Planken in der Wand, aber der -amerikanische Polizeilieutenant begnügte sich nicht mit -der Antwort – war es doch ein zu gewöhnlicher Kniff -dieser Art Leute, irgend Jemanden, den sie verstecken -<a class="pagenum" id="page_336" title="336"> </a> -wollten, für einen Kranken auszugeben. Er zog -ziemlich unsanft die Decke fort, und scheu und erschreckt -schaute ein hohläugiges, bleiches Antlitz zu ihm auf. -Es war in der That die kranke Schwester.</p> - -<p>»Holla, Betsy, seit wann seid Ihr wieder nach -Cincinnati gekommen?«</p> - -<p>Die Kranke konnte nicht antworten und zog die -Glieder fröstelnd zusammen, so daß der Lieutenant ihr -die Decke wieder überwarf. Die Schwester antwortete -für sie.</p> - -<p>»Ihr Mann hat sie so mißhandelt und die wenigen -Cents, die sie verdient, auch noch vertrunken, ohne ihr -je nur einen Laib Brod in's Haus zu tragen. Da hat -sie sich hier herunter geschleppt, um hier zu sterben.«</p> - -<p>Es war ein Bild des Jammers, nicht des Verbrechens -und doch lehnte daneben auf einer alten -Schiffskiste ein halbtrunkenes schwarzes Mädchen, -das nur noch genug Besinnung hatte, um die zerfetzten -Oberkleider ein wenig zusammen zu raffen.</p> - -<p>Wir gingen weiter. Aus diesem Hintergebäude -gleich in ein anderes hinübersteigend – und der Weg -war nicht angenehm, denn man sah gar nicht, wohin -man den Fuß setzte, – erreichten wir ein niederes, -schmales Haus, in welchem oben, in zwei verschiedenen -Fenstern Licht brannte. Ohne Zögern stiegen wir die -<a class="pagenum" id="page_337" title="337"> </a> -eine, durch die offenstehende, obere Thür matt beleuchtete -Treppe hinan und fanden oben in dem Gemach Gesellschaft. -Zwei junge, weiße Damen lebten hier in -dem ärmlichen Raum, und auf einem dreibeinigen -Stuhl saß ein Neger-Elegant, seinen Filzhut etwas -verlegen in der Hand herumdrehend.</p> - -<p>Der eine Polizeilieutenant trat, ohne die Gruppe -mehr als eines flüchtigen Blickes zu würdigen, in das -nächste Zimmer und leuchtete hinein – aber es war -leer. Eines der beiden Mädchen wohnte wahrscheinlich -darin, und war hier auch wohl weiter nichts Verdächtiges -zu finden – nichts wenigstens, gegen was die -Gesetze des Staates hätten einschreiten können.</p> - -<p>Als wir die Straße wieder erreichten, hörten wir -in einer der nächsten Negerspelunken Musik und fanden -den Raum gedrängt voll Menschen. Ein paar von -diesen drückten sich nun wohl ab, als sie die Polizeiuniformen -erkannten, denn es giebt Konstitutionen, -denen dieselben antipathisch sind; die meisten hielten -aber wacker Stand, und wir fanden jetzt im Inneren -einen alten Neger, beide Hände auf das Widerlichste -verkrüppelt, der mit den Stumpfen eine Art von -Banjo spielte und mit dicker, schwerer Stimme ein -paar amerikanische Gassenhauer in seinem Negerdialekt -sang.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_338" title="338"> </a> -Der eine Polizeilieutenant wünschte mir gern den -Genuß eines Negertanzes zu machen, aber die Damen -schienen sich zu geniren; es wollte keine den Anfang -machen, bis er sich eine aus dem Schwarm herausfing -und ihr ein Stück Papiergeld vorhielt, das sie haben -sollte, wenn sie eine Jig tanzte. Sie schien allerdings, -trotz dem Geld, keine besondere Lust dazu zu haben, -sah aber auch, daß sie nicht wieder fortkonnte, denn er -hielt sie fest, und griff deßhalb nach dem Gelde. Es -war eine kleine dicke, wie es schien, unbehülfliche Gestalt, -warf aber jetzt die Füße nach dem Takt der von -dem alten Neger gespielten Musik mit außerordentlicher -Geschicklichkeit um sich, daß sie mit Hacken und -Zehen selbst die Zweiunddreißigstel zu den Achtelnoten -schlug. Wie wir aber nun glaubten, daß sie -jetzt selber warm in dem Tanz geworden wäre, machte -sie plötzlich einen Seitensprung und tauchte mitten -zwischen die laut auflachende Zuschauermasse unter, -aus der sie natürlich nicht wieder herausgefischt werden -konnte.</p> - -<p>Das genügte übrigens auch vollständig für eine -Probe, und wir schritten über die Straße nach einem -anderen Gebäude hinüber, dem die Polizisten nicht -recht zu trauen schienen. Dort fanden wir in einem -Raum, den ein einzelner Mann fast beanspruchen -<a class="pagenum" id="page_339" title="339"> </a> -würde, wenn er bequem leben sollte, eine ganze Kolonie -von Familien, und zwar zwei Negerfamilien und -– eine deutsche in Schmutz und Unrath dabei, den es -nicht möglich wäre zu beschreiben. Ich konnte mir -auch nicht helfen und frug den Deutschen, wie er nur -im Stande sei, es in einer solchen Pesthöhle mit den -Seinen auszuhalten, aber er zuckte die Achseln und -meinte: »es wäre ihm hier in Amerika nicht besonders -gut gegangen, und die Neger seien nicht so schlimm, als sie -gemacht würden; es ließe sich recht gut mit ihnen leben.«</p> - -<p>Der deutsche Polizeilieutenant sagte mir übrigens -nachher, daß nicht etwa die Noth deutsche Familien in -einen solchen Zufluchtsort dränge, sondern daß sich -derartiges Volk wahrscheinlich schon daheim in ähnlicher -Umgebung herumgetrieben habe, oder hier durch -lüderliches Leben dazu gebracht sei. Uebrigens wären -die Fälle gar nicht etwa so selten, und ich könnte verschiedene -»deutsche Familien« in »ähnlicher Art« gehaust -finden.</p> - -<p>Wieder in die Straße hinüberkreuzend, betraten -wir ein anderes Schenklokal, in welchem drei Neger -Karten mitsammen spielten.</p> - -<p>»Wo habt ihr denn den Einsatz?« frug sie der -Polizeimann, und sie wußten recht gut, daß sie nicht -um Geld spielen durften.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_340" title="340"> </a> -»O, Mister,« sagte der eine Neger grinsend, »wissen -wohl, wir sind viel zu arm, als daß wir um Geld -spielen könnten – spielen nur darum, wer von uns -nächstes Jahr Präsident wird.«</p> - -<p>Der Polizeilieutenant lachte und ging der Hinterthür -zu.</p> - -<p>»<i>For Gods sake Massa!</i>« sagte der eine Neger -aufspringend, und mit ziemlich lauter Stimme: -»Nehmen Sie sich in Acht, ist ein großes Loch im -Hof.«</p> - -<p>»Schon gut, mein Bursch,« rief aber der Polizeimann -ärgerlich, »kümmere Du Dich um Dich; ich -kenne den Platz vielleicht so gut wie Du« – und ohne -sich weiter irre machen zu lassen, stieg er im Hof rasch -einige in den Grund gestochene Stufen – die bei -Regenwetter völlig unpassirbar sein mußten – hinauf -und verschwand dann in dem oberen Haus oder vielmehr -in der Dunkelheit. Ich muß jedoch gestehen, -daß wir Anderen ihm viel vorsichtiger folgten, denn -die Warnung mit dem tiefen Loch war an uns nicht so -spurlos vorübergegangen. Wir erreichten jedoch glücklich -das obere Gebäude, ohne freilich etwas Verdächtiges -dort zu finden. Hatte sich irgend Jemand da -versteckt gehabt, so war es ihm auch ein Leichtes gewesen, -sich aus dem Staub zu machen, denn er brauchte -<a class="pagenum" id="page_341" title="341"> </a> -nur über eine der nächsten, niederen Planken zu steigen, -um damit schon vollständig aus Sicht und Bereich zu -kommen.</p> - -<p>In der nächsten Bude fanden wir, neben anderen -weiblichen Gästen, eine junge, aber sehr leidend aussehende -Frau, die nichtsdestoweniger ein Glas mit -Whisky vor sich stehen hatte.</p> - -<p>»Und bist Du wirklich hier wieder zurück in das -Viertel gekommen, Margot?« sagte der Amerikaner, -»hast Du nicht fest versprochen, daß wir Dich hier -nicht wieder finden sollten?«</p> - -<p>»Ich halte auch mein Versprechen,« sagte die junge -Frau finster und leerte dabei das Glas auf einen Zug; -»habt keine Furcht, daß Ihr mich hier wieder trefft, -denn zum zweiten Mal möchte ich das nicht durchmachen. -Nur hereingekommen bin ich, um meine -Kiste abzuholen, aber vor einer Viertelstunde kam der -Mann erst mit seinem Pferd nach Haus, und jetzt -muß ich hier schon noch einmal die Nacht schlafen. -Heute bringt er sie mir nicht mehr fort, und wenn ich -ihm einen Dollar dafür böte.«</p> - -<p>Es war überall das Nämliche: Jammer und -Elend, aber nirgends Rauferei oder wüster Lärm, -eine sichere Folge der schweren Zeiten. Bei nur geringem -Verdienst konnten die Leute die fabelhaft hohen Whiskypreise -<a class="pagenum" id="page_342" title="342"> </a> -nicht mehr erschwingen, denn wo sie sonst die -Flasche um zehn Cents gehabt, sollten sie jetzt einen -Dollar dafür bezahlen – deßhalb auch dieser anscheinend -moralische Frieden in dem »schlechten -Viertel.«</p> - -<p>Auf dem Rückweg nach dem bessern Theil der -Stadt sprachen wir noch, der Merkwürdigkeit wegen, -in einem echten Negerbillardsaal vor, denn die schwarzen, -neugebackenen »Gentlemen« haben sich jetzt eifrig -diesem Spiele zugewendet. Der Besitzer desselben -schien indessen ebenfalls unter den »schlechten Zeiten« -zu leiden, denn wir fanden keinen einzigen Gast mehr -in dem elegant genug ausgestatteten Raum, der, eine -Treppe hoch gelegen, ein großes, hübsches Billard und -einen reich ausgestatteten Schenkstand zeigte. Wir -tranken auch dort einmal und ließen uns einige Cigarren -geben und fanden beides, Getränk und Tabak, -gut und preiswürdig.</p> - -<p>Am nächsten Morgen wohnte ich auch einer Gerichtssitzung -bei, wo die über Nacht aufgebrachten Vagabonden -abgeurtheilt und verschiedene andere Dinge -verhandelt wurden. Es war aber die alte, sich ewig -wiederholende Geschichte: Trunkene, die in ihrem -Rausch Prügeleien angefangen, Frauen, die von ihren -Männern mißhandelt worden, und in ihrer Verzweiflung -<a class="pagenum" id="page_343" title="343"> </a> -bei den Gerichten Schutz suchten, nichtsnutzige -Dirnen, die einander in die Haare gerathen, und -würdige dicke Damen, die Hüte mit allen möglichen -seidenen Bändern und Blumen besteckt, die bezüchtigt -waren, ein lüderliches Haus zu halten, das durch -seinen ewigen Lärm die Nachbarschaft ununterbrochen -störte. Es that Einem dann ordentlich in der Seele -wohl, die gerechte Entrüstung zu sehen, mit welcher sie -eine solche Verdächtigung von sich wiesen, und die Resignation -zugleich, mit der sie sich zu fünfzig Dollars -Strafe oder auch sechs Monat Gefängniß verurtheilen -ließen. Ueberhaupt fiel mir auf, daß die Strafen -von einem alten, sehr ruhigen Herrn, besonders für -Straßenunfug, außerordentlich streng und unerbittlich -diktirt wurden. Sechs bis zehn Monat Arbeitshaus -kamen in den paar Stunden für gewöhnlichen Unfug -mehrere Male vor, aber es mag auch unumgänglich -nöthig sein, denn wenn man nur in die von Verbrechen -und allen bösen Leidenschaften gefurchten Züge dieser -Menschenklasse schaut, so kann man sich nicht verhehlen, -daß sie eine leichte Strafe nur verspotten würden. -Selbst diese kann sie nicht heilen, sondern entzieht sie -nur für kurze Zeit ihrem lüderlichen und wüsten -Leben, das sie, wenn wieder freigegeben, doch augenblicklich -von Neuem beginnen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_344" title="344"> </a> -Ein höchst interessanter Fall kam an dem Morgen -vor, leider aber nicht zur Entscheidung, und zwar ein -junges, der Brandstiftung beschuldigtes Mädchen. -In der Nachbarschaft waren, bald hintereinander -in unerklärlicher Weise, mehrere Brände ausgebrochen, -und das halbe Kind, denn sie konnte kaum -dreizehn Jahre zählen, wurde beschuldigt, das Feuer -an allen diesen Stellen angelegt, ja es sogar gegen -Einen der Zeugen gestanden zu haben. Aber keiner -von Allen klagte sie an, die That böswillig verübt zu -haben, denn dazu lag nicht der geringste Grund vor, -der dagegen in einer Art von Wahnsinn, in einer -Krankheit, gesucht werden sollte, die sie zwang, überall -Feuer anzulegen, um sich nachher an der Gluth zu -freuen.</p> - -<p>Sie selber saß gebückt auf der Anklagebank, und -das große Bonnet, das sie trug, beschattete ihre, nur -selten sichtbaren Züge. Ihr Advokat saß an ihrer -Seite, flüsterte nur manchmal mit ihr, und behauptete -ihre Unschuld. Sie selber sprach fast gar nicht, -nur wenn er sich mit einer Frage leise an sie wandte, -schien sie mit ein paar ganz kurzen Worten zu erwiedern. -Die gegen sie vorgebrachten Verdachtgründe -reichten indessen noch lange nicht hin, sie zu verurtheilen -– wirkliche Beweise waren gar nicht vorhanden, -<a class="pagenum" id="page_345" title="345"> </a> -und der Fall mußte deshalb auf einige Zeit hinausgeschoben -werden, um beiden Theilen Gelegenheit -zu geben, sich zu Anklage wie Vertheidigung zu -rüsten.</p> - -<p>Leider verließ ich schon vor der Zeit Cincinnati.</p> - - -<p class="ce mt2"><a class="pagenum" id="page_346" title="346"> </a> -<span class="fss ge">Leipzig,</span><br /> -<span class="fsxs">Druck von Giesecke & Devrient.</span></p> - - - - -<h2>Hinweise zur Transkription</h2> - - -<p class="in0">In "Den Teufel an die Wand malen" fehlen Kennzeichnung und Überschrift des siebten Kapitels.</p> - -<p class="in0">Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription -werden <em class="ge">gesperrt</em> gesetzte Schrift sowie Textanteile in <i>Antiqua-Schrift</i> -hervorgehoben.</p> - -<p class="in0">Fehlende und falsch gesetzte Anführungszeichen wurden korrigiert, -sowie gegebenenfalls "«," geändert in ",«".</p> - -<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, -einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie -beispielsweise -"Billette" – "Billete", "Cajüte" – "Kajüte", -"Compaß" – "Kompaß", -"erwiderte" – "erwiederte", "Hôtel" – "Hotel", -"müssig" – "müßig", "Paar" – "paar", -"weshalb" – "weßhalb",</p> - -<p class="in0">mit folgenden Ausnahmen,</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_001">1</a>:<br /> -"hiel" geändert in "hielt"<br /> -(in der Hand ein großes Herz hielt)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_001">1</a>:<br /> -"," entfernt hinter "sie"<br /> -(wie man sie wohl von Pfefferkuchen macht)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_001">1</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(ohne vorheriges Anklopfen, die der Wand gegenüber)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_005">5</a>:<br /> -"." eingefügt<br /> -(einen guten und väterlichen Rath zu ertheilen.)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_005">5</a>:<br /> -"grünbebewachsenen" geändert in "grünbewachsenen"<br /> -(einem grünbewachsenen, ziemlich schräg abfallenden)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_005">5</a>:<br /> -"irgend wo" geändert in "irgendwo"<br /> -(noch irgendwo einen Räuberhauptmann anbringen)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_013">13</a>:<br /> -"." geändert in "?"<br /> -(»Und woher willst Du das wissen?«)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_025">25</a>:<br /> -"So bald" geändert in "Sobald"<br /> -(Sobald er aber hinter die Aehnlichkeit kommt)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_028">28</a>:<br /> -"meist" geändert in "meinst"<br /> -(daß Du es wirklich gut mit mir meinst)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_030">30</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(und fürchte fast, daß ich morgen)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_033">33</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(aber er fing an, die Sache in einem anderen Licht)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_033">33</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(und beschloß deshalb, langsam und in aller Ruhe)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_034">34</a>:<br /> -"ab" geändert in "ob"<br /> -(sondern als ob sein eigenes Schicksal)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_040">40</a>:<br /> -"ein" geändert in "eine"<br /> -(Also eine Mademoiselle war die Dame)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_042">42</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(Papa,« sagte Clemence)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_042">42</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(Unsinn,« rief lachend der alte Herr)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_042">42</a>:<br /> -"." geändert in ","<br /> -(»Nichts daran auszusetzen,« wiederholte der Vater)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_047">47</a>:<br /> -"Wären" geändert in "Waren"<br /> -(Waren Sie jener junge Fremde?)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_053">53</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(fand ihn entschlossen, heute sich durch Nichts)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_062">62</a>:<br /> -"Sie" geändert in "sie"<br /> -(»Nein,« sagte sie)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_062">62</a>:<br /> -"Sie" geändert in "sie"<br /> -(setzte sie freundlicher hinzu)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_074">74</a>:<br /> -"." geändert in "?"<br /> -(»Und wo hält er sich jetzt auf?«)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_076">76</a>:<br /> -"du" geändert in "Du"<br /> -(Bleibst Du hier in M–?)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_118">118</a>:<br /> -"Biberich" geändert in "Bieberich"<br /> -(»Und wohin wenden wir uns von Bieberich?«)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_122">122</a>:<br /> -"hatt" geändert in "hatte"<br /> -(und sie hatte nicht viel Zeit)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_123">123</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(»Ich habe einen Begleiter gefunden,« sagte Clemence)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_136">136</a>:<br /> -"vorrigen" geändert in "vorigen"<br /> -(ganz das nämliche im vorigen Jahr)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_140">140</a>:<br /> -vertauschte "," und "." korrigiert<br /> -(setzte, denn von dem Augenblick an hielt sie sich für sicher.)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_144">144</a>:<br /> -"so bald" geändert in "sobald"<br /> -(denn sobald er die lieben)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_159">159</a>:<br /> -"Trautena" geändert in "Trautenau"<br /> -(Aber Trautenau war nicht in der Stimmung)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_160">160</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(»Wir sind die Ersten,« begann der Officier)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_165">165</a>:<br /> -"Hauskecht" geändert in "Hausknecht"<br /> -(was ich eben von dem Hausknecht gehört)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_182">182</a>:<br /> -"den" geändert in "denn"<br /> -(denn auf den anderen Inseln waren die Früchte)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_184">184</a>:<br /> -"Kapitan" geändert in "Kapitän"<br /> -(Der Kapitän hoffte noch)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_186">186</a>:<br /> -"ihre" geändert in "Ihre"<br /> -(Rufen Sie Ihre Wacht an Deck.)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_189">189</a>:<br /> -"," hinter "dem" entfernt<br /> -(fühlten sie mit dem ausgeworfenen Loth)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_201">201</a>:<br /> -"?" geändert in "!"<br /> -(Die Schwarzen haben Booby-island besetzt!)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_214">214</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(Steuermann – Ihr, Bill)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_222">222</a>:<br /> -"Zimmermannn" geändert in "Zimmermann"<br /> -(Der Zimmermann that dies mit Vergnügen)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_227">227</a>:<br /> -"ihm" geändert in "im"<br /> -(Tabaksbeutel vorn im Knopfloch baumelnd)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_238">238</a>:<br /> -"mußte" geändert in "wußte"<br /> -(von dem lustigen Leben draußen wenig wußte)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_252">252</a>:<br /> -";" geändert in ":"<br /> -(seinen Hut schnell herunterreißend, erwiederte er höflich:)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_263">263</a>:<br /> -"keinen" geändert in "kleinen"<br /> -(dem Haus mit dem kleinen Thurm)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_265">265</a>:<br /> -"ihn" geändert in "ihm"<br /> -(Lange Zeit ließen ihm aber die Insassen nicht)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_273">273</a>:<br /> -"." eingefügt<br /> -(Und nun komm, Kamerad – es ist Zeit.)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_276">276</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(von Seeschlangen, Algen und Korallen keine Spur)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_278">278</a>:<br /> -"." geändert in "?"<br /> -(stammelte Hasenmeier, »hab' ich denn Alles bezahlt?«)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_278">278</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(bist Du aber noch schuldig, mein Bursch)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_300">300</a>:<br /> -"Aufenthalsort" geändert in "Aufenthaltsort"<br /> -(in jenem entsetzlichen Aufenthaltsort liegen bleiben)</p> - -<hr /> - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Kreuz und Quer, Erster Band, by -Friedrich Gerstäcker - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KREUZ UND QUER, ERSTER BAND *** - -***** This file should be named 54555-h.htm or 54555-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/4/5/5/54555/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This file was produced from images -generously made available by The Internet Archive) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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